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net/publication/328276376
Wer gestaltet mein Leben? Entwicklung und Evaluation einer auf Collage
basierenden kunsttherapeutischen Intervention in der Psycho-Onkologie.
Who shapes my life? Development and Ev...
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All content following this page was uploaded by Alexandra Modesta Hopf on 14 October 2018.
Inaugural-Dissertation
zur Erlangung des Grades Doktors rerum medicinalium
der Universität Witten/Herdecke
Fakultät für Gesundheit
Vorgelegt von:
2
XX
XX
X
Für Inge
3
XX
AA
4
Inhaltsverzeichnis:
Legende .................................................................................................................. 13
Danksagung........................................................................................................... 15
Einleitung................................................................................................................ 19
AAA
5
AAAmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm
2. Entwicklung und Verortung der KSKT® (kurze strukturierte Kunst-
therapie)................................................................................................................. 51
6
2.4. Qualitätskriterien kunsttherapeutischer Interventionen in der Psycho-On-
kologie.................................................................................................................. 109
3.3.2. Zu den Workshops Color and Shape, Self- Introduction, The Visual Po-
em und Playing with art materials in der Creative Journey............................. 132
4.3.1. Rekrutierungsvorgehen.............................................................................139
AA
7
4.3.2.1. Einschlusskriterien zur Studie .............................................................. 141
8
4.5.5. Ergebnisse Patientin e.............................................................................. 175
9
Literaturverzeichnis............................................................................................. 237
Anhang.................................................................................................................. 273
Lebenslauf............................................................................................................ 317
10
Abbildungsverzeichnis
11
Bild 22: Photo Henri Matisse.................................................................................210
Tabellenverzeichnis:
12
Legende
Fussnoten:
In den Fussnoten des Textes wiederholen sich Autorennamen vollständig, auch wenn auf
der selben Seite bereits genannt. Dies dient dem besseren Lesefluss. Zu Namen der
Autoren, Erscheinungsjahr und Begriffen sind im Literaturverzeichnis die entsprechenden
Veröffentlichungen mit genauen Angaben aufgeführt. Die Seitenzahlen erscheinen nur in
den Fussnoten.
Männliche/weibliche Anreden:
Im ganzen Text wird aus Gründen der leichteren Lesbarkeit auf eine geschlechts-
spezifische Differenzierung, wie z.B. Patientinnen/Patienten verzichtet. Entsprechende
männliche Formen gelten als geschlechtsneutrale Formulierungen im Sinne der Gleichbe-
handlung für beide Geschlechter. Nur wenn es sich ausdrücklich um Studienteilneh-
merinnen handelt, wird die weibliche Form (Patientinnen, Patientin, Studienteilnehmerin)
verwendet.
Kursiv und Fett Gedrucktes:
Eigennamen von Interventionen, Bildtiteln und Spezialbegiffe werden kursiv gesetzt.
Kategorien und die sechs Faktoren werden zum Teil fett gedruckt, um die Wiederer-
kennung und die Zuordenbarkeit im Text zu erleichtern.
Farbige Markierungen der Kategorien:
Die Kategorien aus den therapeutischen Leitfadengesprächen 1 werden in Tabellen und in
den Interviews im Anhang farbig markiert. Dies erleichtert die Zuordnung einzelner
Aussagen zu den entsprechenden Kategorien.
1 In der Auswertung der qualitativen Studie wird von therapeutischen Leitfadengesrächen gesprochen.
Dieser Begriff wurde gewählt, um deutlich zu machen, dass die Datenerhebung in einer therapeutischen
Gesprächsathmosphäre statfand, die sich von einer rein der Datenerhebung dienenden Interviewsituation
unterscheidet.
13
14
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass
diese Arbeit entstehen und zu Ende geführt werden konnte:
Ganz besonders möchte ich mich bei Herrn Professor Arndt Büssing, dessen Begleitung
stützend genug und Raum lassend war, so dass ich einen eigenen Weg mit den Inhalten
der Arbeit nehmen konnte. Seine humorvollen Kommentare haben mich auf angenehme
Art zur Selbstkritik geführt.
Professor Ulrich Elbing möchte ich für seine ruhige wertschätzende und Sicherheit
vermittelnde Unterstützung danken. Er war im Kontext des Promotionskolloquiums des
Forschungsverbundes Kunsttherapie mein Hauptansprechpartner und stand mir im
Schwerpunkt kunsttherapeutischer Forschungsfragen hilfreich zur Seite.
Frau Dr. Pia Heußner, der Leiterin der Psycho-Onkologie und meiner Vorgesetzten in
München, möchte ich dafür danken, dass sie mir ermöglichte, Patienten mit der hier
untersuchten Intervention zu begleiten und sie zu befragen. Dieser Freiraum bot mir, was
zur selbstständigen therapeutischen Arbeit und zur Forschungsorganisation nötig war. Sie
war meine Ansprechpartnerin in Fragen, die den Schwerpunkt Psycho-Onkologie betrafen.
Den Teilnehmern des Promotionskolloquium des Forschungsverbundes Kunsttherapie,
Professoren wie auch Promovenden, möchte ich für die Gemeinschaft der Forschenden,
die wir gebildet haben, danken. Anteil zu nehmen, mitzudenken und zu diskutieren, auch
kontrovers, hat den ganzen Forschungsweg lebendig und ertragreich gemacht, auch wenn
die Früchte nicht immer meinem eigenen Projekt direkt zu Gute kamen.
Christiane Argast-Winter, Teilnehmerin am Kolloquium, einen herzlichen Dank für ihr
spontanes Angebot mein Textmaterial mitauszuwerten und mich so zu unterstützen.
Christian Widdascheck, ebenfalls Kolloquiumsteilnehmer, war mir immer ein aufge-
schlossener, anregender Gesprächspartner. Vielen Dank für die Offenheit und das
Mitdenken in der ersten Auswertungsphase. Auch an Ria Kortum ein Danke für die vielen
interessanten und Horizont erweiternden Gespräche und das angenehme Miteinander.
Großen Dank an Dr. Anna Beraldi, meiner Kollegin in München, die eine herzliche
Bereitschaft zeigte, mich an ihrem Forschungswissen Teil haben zu lassen und mich mit
Durchsichten meiner Arbeit zu unterstützen. Serap Tari, ebenfalls Kollegin aus dem
psycho-onkologischen Team in München, und meiner guten Freundin Maren Fedder, die
beide die mühsame Aufgabe auf sich nahmen, meine umfangreiche Arbeit zu korrigieren,
ein großes Dankeschön.
15
Andrea Steinhorst, die mir geholfen hat, Inhalte meiner Arbeit ins Englische zu übersetzen
und deren Enthusiasmus und Sprachintuition die stundenlangen Telephonate zur
Absprache zu einer Freude haben werden lassen. Danke!
Ebenso Denise Slapansky einen herzlichen Dank für ihr Interesse und ihrer gründliche
Durchsicht der ersten 100 Seiten.
Meinen Kolleginnen aus dem Team in München, die mir immer wieder Mut gemacht
haben, ebenfalls Danke.
Den vielen PatientInnen, die offen und bereit waren, die von mir entwickelte Intervention,
die KSKT®, zu erproben. Jenen, die sich an der Evaluationsstudie beteiligt und deren
Tapferkeit angesichts ihrer Erkrankung mich beeindruckt haben und die in mir immer
wieder die Frage neu entstehen ließen: Wer lernt hier von wem? Danke für ihre
Unterstützung und Mitarbeit.
Einen schmerzlichen Dank an meine Mutter, die auf ihre Art großen Anteil an meinen
Projekt genommen hat. Sie hätte sich über den Abschluss gefreut, den sie nun aber nicht
mehr erleben kann.
Meiner Tochter Marie sei von Herzen dafür gedankt, dass sie es mir durch ihre
angenehme Art, ihre Lebensfreude und manchmal auch durch ihr Interesse leicht gemacht
hat, fleissig zu sein, ohne das Gefühl zu haben, sie zu vernachlässigen.
Meinen Freunden bin ich dankbar für ihre unschätzbare Gesellschaft und Anteilnahme!
Alexandra Hopf
16
2
17
18
Einleitung
Die Belastung von Krebspatienten während der akuten Behandlung ist erheblich und meist
ebenso ausgeprägt wie das Bedürfnis nach Unterstützung und Entlastung.
Die kunsttherapeutische Aufgabe, Krebspatienten in einer onkologischen Akutklinik mit
bildnerischen Mitteln zu begleiten, führte zur Entwicklung einer strukturierten, kunstthera-
peutischen Interventionsmethode.
Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der kurzen strukturierten Kunsttherapie (KSKT®)
war das Betreben, die Perspektive einer betreuten Patientin auf ihre Lebenssituation
einzunehmen und aus diesem Blickwinkel heraus zu einer Methode zu gelangen, die
dieser Frau zu Erfahrungen und Erkenntnissen verhalf, die sie im Kontext ihrer Erkrankung
benötigte.
Da die Intervention im therapeutischen Alltag angewandt wurde, sollte diese auf eine
wissenschaftliche Grundlage gestellt und evaluiert werden.
Mit der Frage aus Patientenperspektive: "Wer gestaltet mein Leben"?, die Arndt Büssing in
einem ersten Brainstorming formulierte, werden selbstbestimmte Gestaltungsspielräume
im Kontext der Erkrankung thematisiert und der kunsttherapeutische Ausgangsimpuls für
die Entwicklung der KSKT® dargestellt.
Die KSKT® ist eine Intervention, die die künstlerischen Technik Collage zum Zweck der
Selbstexploration nutzt.
Hieraus entwickelte sich eine weitere Arbeitshypothese:
Collage als künstlerische Technik begünstigt die Erfahrung von Autonomie.
Wichelhaus ging vom Begriff der formativen Evaluation aus und beschrieb diesen für die
Kunsttherapie als Beitrag zur "(...) Entwicklung effektiver und wissenschaftlicher
19
Therapieprogramme und ihrer Vermittlung in institutionellen Kontexten (...)."3 Es geht
darum, Kunsttherapie in neuen Anwendungsfeldern zu etablieren. Sie formuliert, dass
Theorien in der Kunsttherapie häufig auf einem praxisbasierten Vorverständnis beruhen.
Dieses Vorverständnis kann in einen bewertenden, systematisierten Kontext gestellt
werden, der zu einen Metaebene der Theorie führt. Diese Aspekte stellen eine
Annäherung an einen empirischen und theoretischen Wirksamkeitsnachweis kunstthera-
peutischer Interventionen dar. Diese Form der begleitenden Forschung kann jedoch
keinesfalls die Ansprüche klassischer experimenteller Forschung erfüllen.4
Auch wenn Kunsttherapie generell kein neues Verfahren in der Psycho-Onkologie bzw. in
der Onkologie darstellt, so ist doch die spezifische Entwicklung und die damit verknüpfte
Grundlagenforschung für ein manualisiertes kunsttherapeutisches Vorgehen im akut-
onkologischen Bereich neu.5 Der im Folgenden dargestellte Untersuchungsprozess ist
demgemäß als kunsttherapeutische Grundlagenforschung zu betrachten.
Der erste Schritt war die Manualisierung der KSKT®, welche eine Wiederholung und eine
Durchführung der Intervention durch andere Kunsttherapeuten und die Identifizierung
Therapeuten-unabhängiger Wirkfaktoren ermöglicht. Desweiteren wurden andere
strukturierte kunsttherapeutische Interventionen in der Psycho-Onkologie beschrieben und
mit der KSKT® verglichen. Dabei konnten Merkmale herausgearbeitet werden, die
kunsttherapeutische Interventionen grundsätzlich aufweisen sollten, um ihre Qualität für
den Versorgungsbereich der Psycho-Onkologie zu sichern; eine Untersuchung, die für den
Bereich der Kunsttherapie bisher noch nicht durchgeführt wurde. Der Vergleich kunstthera-
peutischer Interventionen in der Onkologie ist für die Qualitätssicherung wichtig, weil
Kriterien für Interventionen, die im therapeutischen Kontakt mit Menschen in vulnerablen
Situationen eingesetzt werden, identifiziert wurden.
Die KSKT® basiert auf der künstlerischen Technik Collage.
Hier war von Interesse, in welchem historischen, gesellschaftlichen und emotionalen
Kontext Collage erstmals auftauchte, welche persönlichen Erfahrungen im Umgang mit
Collage in einzelnen Künstlerbiographien beschrieben werden und welche markanten
Aspekte der Collage in wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Kunsttherapie, der
20
Kunstpädagogik und der Kunstgeschichte thematisiert werden. Da es zu kunstthera-
peutischen Wirkfaktoren der Collage wenig wissenschaftliche kontext- und interventions-
übergeordnete Referenzliteratur gibt, war die theoretische Analyse des Phänomens
Collage für die Untersuchung der KSKT® neu.6
Zu guter Letzt wurden Patientinnen in therapeutischen Leitfadengesprächen (n=5) zu
ihrem Befinden und zur Wirkung der KSKT® befragt. Diese Befragung stellt einen ersten
Schritt der wissenschaftlichen Evaluation dar. Die Reichweite dieser Ergebnisse ist dem
qualitativen Verfahren und der Anzahl von fünf Studienteilnehmerinnen entsprechend
eingeschränkt.7 Dennoch stellen die Ergebnisse Ausgangsspunkte für weiterführende
Hypothesenentwicklungen, Forschungsfragen und Studienkonstruktionen dar.
Ein wichtiger Aspekt im Kontext kunsttherapeutischer Forschung sind die Bilder, die wäh-
rend der Intervention entstanden. Diese Bilder veranschaulichen und dokumentieren
kunsttherapeutische Prozesse, müssen aber als Untersuchungsbereich im vorliegenden
Untersuchungskontext ausgeklammert werden. Bildanalysen erfordern weitere umfang-
reiche und detaillierte Beschreibungen und Erläuterungen. Eine Erweiterung um diese
Perspektiven hätte den angemessenen Rahmen der vorliegenden Arbeit bei weitem
überschritten. Einzelne Bilder werden deshalb lediglich in die Falldarstellungen zur
Veranschaulichung des Interventionsmanuals der KSKT® eingefügt. Eine Arbeit, die
kunsttherapeutischen Bilddokumente und deren Entstehungsprozesse thematisiert, wäre
ein vollgültiges, eigenes wissenschaftliches Forschungsvorhaben.
21
Was wird gemacht und was soll es bewirken?
Die positive Beeinflussung der Befindlichkeit und die Stabilisierung der Patienten
entscheidet über die Wahrnehmung und Bewertung eines kunsttherapeutischen Angebots,
aber auch die Nachvollziehbarkeit des Vorgehens für nicht-kunsttherapeutische
Berufssgruppen. Der Anspruch der Nachvollziehbarkeit des kunsttherapeutischen Vorge-
hens mit der KSKT® soll mit dieser Arbeit erfüllt werden.
Eine Metapher für die verschieden Komponenten und Aspekte des vorgestellten For-
schungsprojektes ist das Bild eines Hauses. Das Fundament des Hauses ist der
Hintergrund der Fragestellung, der dieser Einleitung folgt und in die Arbeit einführt. Die
Darstellung und Manualisierung der entwickelten Intervention ist die erste Wand des
Hauses. Es ist die Vorderseite, von der aus das Haus betreten wird - der Ausgangspunkt
für alle weiteren Schritte.
Die zweite, rechte Wand des Hauses ist der Vergleich und die Identifizierung von
Qualitätsmerkmalen der unterschiedlichen kunsttherapeutischen Interventionsmethoden
im Bereich der Psycho-Onkologie.
Die dritte und linke Wand stellt die Untersuchung des Phänomens Collage im Kontext
Bildende Kunst, Kunstpädagogik und Kunsttherapie dar.
Die vierte Wand, der Vorderseite gegenüber liegend, ist die Evaluationstudie zur
Intervention. Die Evaluation nimmt zu den theoretischen Erwägungen die wichtige Stimme
der begleiteten Patienten hinzu.
Der Dachstuhl und das Gesims sind die Untersuchungsergebnisse als Grundgerüst für
das gedeckte Dach. Das Dach, die Zusammenfassung und Diskussion aller Ergebnisse
ruht auf dem Dachstuhl, den vier Wänden und schließlich auf dem Fundament. Das
gedeckte Dach siegelt das Haus.
Der Wetterhahn ist das Fazit und zeigt, bildlich gesprochen woher der Wind weht oder
aber, wohin es zukünftig mit der Intervention und auch mit weiteren Forschungsprojekten
gehen kann.
Der Ausgangspunkt für den Forschungsweg war der schöpferischer Impuls zur
22
Entwicklung der KSKT®.8 In diesem ersten Impuls, dem spontanen Entwickeln der
Intervention, war bereits in nuce vieles enthalten, was sich mit dem Forschungs- und
Reflektionsprozess auffältelte und sichtbar wurde. Die Teilstudien der vorliegenden Arbeit
und daraus folgende erste Erkenntnisse nähern sich einem Nachweis der Wirksamkeit der
KSKT®. Das kunsttherapeutische Handeln, die Entwicklung und Modifizierung spezifischer
Interventionen sollten allgemein nicht nur auf Erfahrungswissen, sondern auch auf
theoretischer und empirischer kunsttherapeutischer Forschung beruhen.
Für die KSKT® ist mit dieser Arbeit ein erster Schritt getan.
23
24
1. Hintergrund der Fragestellung
Ist ein Mensch von einer Krebserkrankung persönlich betroffen, löst dies meist eine
persönliche Krise aus, die mit existenziellen Fragen einhergeht. Diese Fragen beziehen
sich auf Heilungschancen, körperliche und psychische Belastungen durch die Behandlung
und Veränderungen der Lebensplanung im persönlichen, sozialen und beruflichen
Kontext. Patienten und auch deren soziales Umfeld sind schwer erschüttert, vor allem um
die Zeit der Diagnosestellung. Die Verunsicherungen haben meist unmittelbare Auswir-
kungen auf die eigene Familie.9 Außerdem finden sich immer noch vielfältige Vorurteile
darüber, wer an Krebs erkranken kann und welche Persönlichkeitsmerkmale in Zusam-
menhang mit einer Erkrankung stehen. Aus heutiger Perspektive konnte sich jedoch keine
der Theorien zur Krebspersönlichkeit halten.10
Körperliche und psychische Symptome sind nicht nur auf die Erkrankung, sondern auch
auf die Therapie zurückzuführen. Diese können sich auf der psychischen Seite in Ängsten,
Unsicherheiten und der Veränderung des Selbst- und Körperbild der Patienten äußern.
Begleitsymptome der Behandlung aufgrund von Operationen, Chemotherapien und/oder
Bestrahlungen führen zu dem Gefühl überrollt zu werden, das viele Patienten in dieser Zeit
benennen. Neben den akuten, stationären und ambulanten Therapiephasen stellen auch
Nachsorgeuntersuchungen oft große Belastungen dar.
Die Wahrnehmung dieser Belastungen hat Mitte der 70er Jahre zur Entwicklung einer
neuen Disziplin in der klinischen Versorgung von Krebspatienten geführt, der Psycho-
Onkologie. Eine Sensibilisierung für den Betreuungsbedarf der Patienten und der
Angehörigen hat seit dem formalen Beginn der Psycho-Onkologie kontinuierlich
zugenommen.11 Die Psycho-Onkologie ist ein junge Disziplin, die ein Teilgebiet der
Onkologie darstellt. Sie beschäftigt sich mit den psychischen und sozialen Einflüssen einer
Krebserkrankung auf das Befinden von Patienten und ihrem Umfeld. Multiprofessionelle
Teams aus den Fachbereichen Psychologie, Soziologie, der künstlerischen Therapien,
25
Sozialpädagogik, Psychiatrie, Onkologie und Theologie sowie der Krankenpflege begleiten
betroffene Patienten und deren Familien, die potentiell lebensbedrohlichen Erkrankungen
gegenüber stehen.
Ein weiteres Aufgabengebiet der Psycho-Onkologie ist zunehmend auch Lehre und
Forschung.12 Hier wird insbesondere die Untersuchung der Lebensqualität erkrankter
Patienten fokussiert.13 Lebensqualität wird heutzutage als ein aus verschiedenen Teilbe-
reichen zusammengesetztes Konstrukt verstanden.14 Sie bildet das körperliche,
psychische, soziale und funktionsassoziierte Befinden eines Individuums ab.15 Dieses
umfasst den Zustand physischer und psychischer Gesundheit, Selbständigkeit, soziale
Beziehungen, Religion und Beziehungen des Individuums in seinem sozialen und
beruflichen Umfeld.16 All diese Faktoren werden in der psycho-onkologischen Begleitung
schwer kranker und palliativ behandelter Menschen berücksichtigt.17
Mittlerweile ist die Psycho-Onkologie eine Disziplin, die in vielen onkologischen
Behandlungsteams als integraler Bestandteil vertreten ist. Leider steht dem Betreuungs-
bedarf häufig ein Mangel an finanziellen Ressourcen gegenüber. Die Stellen psycho-
onkologischer Mitarbeiter werden in Deutschland vielerorts bisher vor allem aus Spenden
und Drittmitteln finanziert.
12 Holland 1998
Hopf 2007: S.8
Dietzfelbinger 2009: S. 35
13 Vgl. Wuchter 2004: S. 1
14 Schandry 1993: S.195-199
Bullinger 1988: S. 679-680
15 Bullinger 1988
Bullinger 1991: S. 143-149
16 Halioua et al. 2000: S. 801-806
17 Vgl. Koller, Neugebauer, Augustin, Büssing, Farin, Klinkhammer, Schalke, Lorenz, Münch, Petersen,
Steinbüchel, Wieseler 2009: S. 864-872
Koller, Neugebauer 2010: S. 290-295
26
1.1.1. Salutogenese in der Psycho-Onkologie
Jürgen Bengel weist in seinem Buch Salutogenese in der Onkologie auf die Rolle von
Aaron Antonovskys (1923-1994) Forschung im Rahmen der Bestrebungen der Weltge-
sundheitsorganisation hin. Aus seiner Sicht erweitert Antonovskys Konzept die Perspek-
tiven der Psychosomatik und Psychologie um ein biopsychosoziales und ganzheitliches
Krankheitsverständnis.
Antonovskys Modell der Salutogenese war das Ergebnis einer Untersuchung von
Faktoren, die Überlebende des Holocaust körperlich und psychisch gesund erhalten
hatten. Zunächst stellte er fest, dass es Stressoren gibt, die Herausforderungen für die
körperliche und psychische Gesundheit eines Menschen darstellten und zu Erkrankungen
führen können.
Diese Stressoren sind physikalische Reize wie Hitze, Kälte oder Sonneneinstrahlung,
biochemische bzw. mikrobiologische, hormonelle Veränderungen, Schlafmangel und
psychosoziale Faktoren wie Ärger, Wut und Stress. Stressoren haben nicht auf jeden
Menschen die gleiche Wirkung. Nicht jeder wird krank. Antonovsky beobachtete, dass ein
Gefühl von Zusammenhang und Stimmigkeit in Bezug auf das eigene Leben eine
grundlegende Ressource darstellt. Er prägte den Begriff des Kohärenzgefühls.21 Das
Kohärenzgefühl beeinflußt die Bewertung von Stressoren, die Reaktionen darauf und aber
auch die Bewertung von gesundheitsfördernden Verhaltensweisen. Dieses Konstrukt ist
27
das Herzstück des salutogenetischen Konzepts und beschreibt die Fähigkeit, Lebens-
ereignisse als sinnvoll und zusammenhängend zu betrachten und die Wahrnehmung, dass
das eigene Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist.22 Es gründet
auf einem optimistischen Bild der eigenen Handlungsfähigkeit, die zur Gewißheit von
Selbststeuerungsfähigkeit und der Möglichkeit auf eigene Lebensbedingungen einzuwir-
ken führt. Der SOC23 setzt sich aus drei Komponenten zusammen.
Diese sind:
- Verstehbarkeit: das Vertrauen in die Fähigkeit, Ereignisse und Anforderungen der Innen-
wie der Aussenwelt als geordnete, konsistente Information zu verarbeiten
- Bewältigbarkeit: das Vertrauen auf eigene Ressourcen
- Sinnhaftigkeit: die Wahrnehmung, dass Herausforderungen des eigenen Lebens und
deren Bewältigung persönliches Engagement lohnen.
Antonovsky fand heraus, dass das Kohärenzgefühl sich vor allem in der Kindheit und
Jugend bildet, dass es relativ stabil bleibt, aber von neuen Lebenserfahrungen beeinflußt
werden kann.24
Einer Studie von Surtees und Kollegen 25 zufolge haben psychisch und psychosomatisch
Erkrankte niedrigste SOC-Werte (gemessen mit dem entsprechenden Sense of
Coherence-Fragebogen). Dagegen gehen hohe SOC-Werte mit einer 30% geringeren
Mortalität einher, die unabhängig von Alter, Geschlecht und prävalenten chronischen
Krankheiten sind und von einer besseren subjektiven Gesundheit, geringeren kör-
perlichen Beschwerden und weniger somatoformen Störungen begleitet werden.26
Das Konzept der Salutogenese weist Parallelen zu dem Begriff der Resilienz auf.
Resilienz, aus dem Englischen "resilience" (Spannkraft, Elastizität im Sinne psychischer
Widerstandkraft) kann als "(...) Fähigkeit mit Belastungen geschickt umgehen zu können,
22 SOC: 20.08.2008
23 engl.: Sense of Coherence: SOC
24 Küver, ohne Zeitangabe, Antonovsky 1987, Bahrs, Heim et al. 2006
25 Surtees et al. 2003: S. 1202-1209, Abstract:
"This study tested the hypothesis that a personality disposition defined by a strong sense of coherence is
associated with a reduced risk of mortality(...). A strong sense of coherence was associated with a 30% re
duction in mortality from all causes (rate ratio = 0.69, p < 0.0001), cardiovascular disease (rate ratio =0.70,
p =0.001) and cancer (rate ratio = 0.74, p = 0.003). Independent of age, sex and prevalent chronic
disease (...). Results suggest that a strong sense of coherence may confer some resilience to the risk of
chronic disease."
26 Vgl. Eichenberg 2006: S. 7
28
ohne sich dabei zu schädigen (...)"27, verstanden werden. Walsh hat die Definition der
Resilienz noch mit seinem Hinweis erweitert, dass resiliente Personen trotz ungünstigen
Lebensumständen gestärkt und mit noch größeren Kraftquellen als zuvor herauskom-
men.28 Merkmale von Menschen, die über Resilienz verfügen, sind unter anderem
Akzeptanz von Krisen, eine aktive Lebenshaltung versus einer Opfermentalität, das
Fehlen von Selbstabwertung und Schuldzuweisungen, die Bereitschaft zur Selbstver-
pflichtung und gute soziale Ressourcen.29
Im Unterschied zur Salutogenese und dem Begriff des Kohärenzgefühls, das früh angelegt
wird, geht man beim Resilienzkonzept davon aus, dass die Resilienzfähigkeit sich im
Laufe des Lebens weiter verbessert.30 Für beide Konstrukte gehen höhere Scores mit
geringeren körperlichen Beschwerden einher.
Rolf Verres, Arzt und Psychologe an der Universität Heidelberg, arbeitete, gestützt auf das
Salutogenesemodell Antonovskys, mit onkologisch erkrankten Patienten. Er beschreibt die
Entwicklung der eigenen Beziehungsfähigkeit als vorrangige Aufgabe eines Therapeuten.
Eine gelungene Therapeut-Patient-Beziehung gründe auf der Berücksichtigung des
Denkens und Fühlens des Patienten, der spirituellen Bereiche des Lebens, dem Zugang
zur Dichtung, Malerei und Musik und zur Philosophie, dem Glauben und der Phantasie.
Die Resonanzfähigkeit des Therapeuten für die Kreativität in ihm selbst und im Patienten
beeinflusse den therapeutischen Prozess grundlegend. 31 Die psycho-onkologische Be-
gleitung von Krebspatienten könne auf der Grundlage des Drei-Säulen-Modells der Saluto-
genese beschrieben werden.
Häufig tauchen bei Patienten Sinnfragen in Bezug auf das persönliche Schicksal auf.
Diese wiesen auf das Bedürfnis hin, die häufig als schicksalhaft erlebte Erkrankung in
einen biographischen Gesamtkontext einzubinden. Fragen wie: "Warum erlebe gerade ich
diese Situation?" werden formuliert (→Sinnhaftigkeit/Verstehbarkeit).
Mit der Erkrankung werden existenzielle Ängste und Reaktionsmuster aktiviert und
bisherige Lebenskonzepte in Frage gestellt. Das Bedürfnis, das eigene Leben wieder in
die Hand zu nehmen und Anpassungen an die neue Lebenssituation vorzunehmen,
29
stehen im Vordergrund. Angesichts des erlebten Kontrollverlusts durch eine Krebser-
krankung ist das Aufspüren eigener Bewältigungsmechanismen und Ressourcen eine
zentrale Aufgabe psycho-onkologisch Begleitender (→Handhabbarkeit).
Es geht dabei vor allem um die Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der psy-
chischen Gesundheit der Betroffenen, gerade dann, wenn eine vollständige Wiederher-
stellung der physischen Gesundheit nicht mehr zu erzielen ist.
30
Selbstwirksamkeit und orientieren sich an Ressourcen.35 Aus diesen Gründen kommen
analytisch orientierte kunsttherapeutische Verfahren in der Psycho-Onkologie wenig oder
gar nicht zum Einsatz.
Eine Bewusstwerdung eigener Gefühle wird mit ihrem Ausdruck eingeleitet. Dies führt zur
Stabilisierung der Patienten und darüber hinaus auch häufig zur Klärung von latenten
Beziehungsfragen.37 Vertrauen in eigene Fähigkeiten und in soziale und familiäre Bindun-
gen kann wiederhergestellt und damit die Krankheitsverarbeitung von Patienten günstig
beeinflusst werden.38
Darüber hinaus findet eine Anbindung an die jedem Menschen innewohnende, unmittelbar
erfahrbare Lebenskraft statt, die unabhängig von Denken und Sprache ist. Sie stellt die
Grundlage therapeutischer Arbeit mit den Mitteln der Kunst dar. 39
Esther Dreifuss-Kattan, Psychoanalytikerin und Kunsttherapeutin, die sich in ihrem Buch
Krebs, Kreativität und Selbstheilung mit den Bezügen von Krebs und künstlerischer Arbeit
beschäftigt, beleuchtet den Prozess des künstlerischen Schaffens aus psychodynami-
31
scher Perspektive. Sie versteht die Einheit, die den Urheber mit seinem erfolgreich
ausgeführten Werk verbindet, als Selbstliebe, die ein Gefühl von Allmacht vermittelt. Das
Gestalten eines künstlerischen Objektes liege im eigenen Kontrollbereich und begünstige
so eine positive Identifikation.40
Die Identifikation mit dem eigenen Bild ist ein unbewußter Vorgang,41 bei dem das Bild im
Sinne Winnicotts zum Übergangsobjekt wird.
Die Beziehung zur Mutter wird in allen menschlichen Objektbeziehungen aktualisiert. 42
Das Phänomen der Identifikation mit einem äußeren Objekt tritt nicht nur in der Kunst-
therapie auf und kann therapeutisch genutzt werden. Auch die Bewältigung von all-
täglichen Aufgaben wie beispielsweise ein gelungenes Arbeitsprojekt oder ein gut
organisierter Haushalt kann ein Gefühl der Bestätigung der eigenen Person, der eigenen
Kompetenz und Ganzheit vermitteln. Jedoch sind diese alltäglichen Erfahrungen meist in
einen zweckgebundenen Rahmen von Sachzwängen und anderen externen Einfluss-
faktoren eingebunden, so dass eine positive und ergebnisoffene Identifikation nicht in
gleichem Maße stattfinden kann wie mit einem künstlerischen Objekt. Diese ist mehr von
persönlichen Vorstellungen geprägt und deshalb unmittelbar mit der psychischen
Befindichkeit der eigenen Person identifiziert.
Dreifuss-Kattan beschreibt weiter, das gerade die künstlerische Erfahrung zum Erleben
von Vollständigkeit und Kontinuität beitrage. Für Krebspatienten, die in Folge ihrer
Erkrankung massive narzistische Kränkungen und einen Kontrollverlust durch ihre
Krankheit zu verarbeiten haben, benötigten den Rückgriff auf Sicherheit und Wohlbefinden
vermittelnde Aktivitäten.
32
Beurteilung medizinisch sinnvoller Behandlungsstrategien nötig ist. Sie sind in ihrer
Vertrauensfähigkeit an die sie behandelnden Ärzte maximal gefordert.
Bei Fragen, deren existenzielle, lebenserhaltende Bedeutung offenbar sind, müssen
Patienten auf die Urteilskraft, Kompetenz und das Einfühlungsvermögen der Ärzteteams
vertrauen.
In der psycho-onkologischen Betreuungssituation bekommt dieser Umstand besondere
Bedeutung. Durch die Reflektion und eine bewusste Annahme dieser Situation kann eine
Umdeutung von Vertrauenmüssen als einem äusseren Zwang hin zu einer bewussten
Bearbeitung und Annahme aufgrund des Kompetenzvorsprungs der behandelnden Ärzte
stattfinden. Dann kann die Haltung der jeweiligen Patienten als persönliche Leistung
verstanden werden und dient dem aktiven Coping und der Compliance. Das Thema
Selbstbestimmung bzw. Selbstwirksamkeit spielt in der beschriebenen Situation für die
Patienten eine besondere Rolle. Jede therapeutische Intervention im Rahmen der
Begleitung von Krebspatienten sollte Aspekte der Autonomie aufsuchen und fördern.
33
Kunsttherapie wird nicht als psychotherapeutischer Weg zur körperlichen Heilung betrach-
tet, sondern als Methode zur positiven Beeinflussung innerpsychischer Verarbeitungs- und
Kompensierungsmöglichkeiten betroffener Patienten. Patienten können ihre Befindlichkeit
wahrnehmen und ihre Einstellung dazu über das Objekt beeinflußen.
Zur psychischen Gesunderhaltung beizutragen, künstlerische Mittel dafür bereitzustellen,
Strategien und Perspektiven zu erarbeiten, die einen motivierten Lebensentwurf mit der
Erkrankung ermöglichen, sind auf der Salutogenese basierende Ziele kunsttherapeu-
tischer Interventionen in der Onkologie.
Der kunsttherapeutische Prozess vollzieht sich in folgenden Stufen, die alle maßgeblich
von der Befindlichkeit des Gestaltenden und Bedingungen des Gestaltens beeinflusst
werden und sich den Elementen des Kohärenzkonzeptes zuordnen lassen:
1. Vertrautwerden und Aneignung eines künstlerischen Mediums
➞Handhabbarkeit
2. Gestaltung eines Objektes
➞Handhabbarkeit
3. Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur des Gestalteten
➞Sinnhaftigkeit
4. Reflektion des Gestaltungsvorganges
➞Verstehbarkeit/Sinnhaftigkeit
Die Forschung in der Kunsttherapie ist eine junge Disziplin. Erste Veröffentlichungen sind
im Jahr 1939 dokumentiert. Zu diesem Zeitpunkt konnten 150 wissenschaftliche Studien
gezählt werden, 1965 waren es bereits 7000. In den USA war mit der Herausgabe eines
kunsttherapeutischen Fachblattes, des Bulletin of Art Therapy in den 60er Jahren ein
erstes Forum zur Veröffentlichungen von Studienergebnissen etabliert. Weitere für
Forschungsaktivitäten wichtige Fachbätter waren später das American Journal of Art
Therapy und die Zeitschriften The Arts in Psychotherapy und Art Therapy: The Journal of
American Art Therapy Association. Große Forschungssymposien fanden erstmals 1987 46,
199047, 200148, und 2002 49 statt.
44 Limberg 2003
45 Vgl. Limberg 2003: S. 4
46 Symposium: Forschung in der Kunsttherapie 1987, 2001, Loccum
47 Symposium: Ansätze kunsttherapeutischer Forschung 1990, Loccum
48 Symposium: Forschung in der Kunsttherapie 1987, 2001, Loccum
49 Symposium: Forschungsmethoden Künstlerischer Therapien, Grundlagen - Projekte - Vorschläge, 2002,
Loccum
35
Mittlerweile werden an mehreren Lehrstühlen unterschiedlicher Fachbereiche Forschungs-
arbeiten und Promotionen zu dem Thema Kunsttherapie durchgeführt.50
Es geht zunächst einmal um Entwicklung von wissenschaftlichen Methoden, die den
betont prozesshaften Charakter künstlerischer Therapien erfassen. Vor allem in
medizinischen Zusammenhängen eingesetzte Kunsttherapie steht vor der Herausforde-
rung, ihre Effektivität unter Beweis zu stellen, und bildet damit anderen psychothera-
peutischen Verfahren gegenüber keine Ausnahme.
Es liegen jedoch vergleichsweise wenige empirische Forschungsarbeiten auf dem Gebiet
der künstlerischen Therapien vor.
Zur Thematik der Kunsttherapie in der Onkologie sind in den Jahren 1967-1997 107
Publikationen veröffentlicht worden.51 In einer Zusammenstellung von Studien und Ver-
öffentlichungen über künstlerische Therapien in der Akutmedizin und Onkologie aus dem
Jahr 2002 wurden zwischen 1982 und 2002 ca. 200 Forschungsabeiten gezählt.52
Die große Anzahl von Publikationen in diesem Bereich weist auf ein die Forschung in der
Kunsttherapie förderndes Milieu hin und verdeutlicht die Bereitschaft von Kunstthera-
peuten, eigene Vorgehensweisen in medizinischen Kontexten zu reflektieren und zu
evaluieren.
36
psychische Prozess des Patienten, der sich an einem künstlerischen Objekt entwickelt und
sich in diesem abbildet, ist der dritte bestimmende Faktor in der Kunsttherapie. Diese drei
Aspekte stehen während einer kunsttherapeutischen Behandlung in einem wechselseiti-
gen, komplexen Wirkgefüge. Um diese Aspekte adäquat zu erfassen und zu untersuchen
sind besondere Studiendesigns nötig.55
Die Erforschung und Abbildung sozialer Phänomene war mit bisherigen quantitativen
Forschungsmethoden nicht möglich. So wurden in den vergangenen 20 Jahren in einem
Fachbereich der Soziologie neue Methoden der Datenerfassung entwickelt, qualitative
Forschungsmethoden. Zunächst wurden Grundannahmen formuliert wie die Offenheit des
Forschers gegenüber den Untersuchungspersonen oder -gegenständen, der kommunika-
tive Charakter des Forschungsprozesses, die Prozesshaftigkeit der Interaktion und die
Reflexivität der Forschungserkenntnisse. Diese Grundannahmen stellen, übertragen in
das Forschungsfeld künstlerischer Therapien, wichtige Parameter dar.56
Mit qualitativen Methoden kann das Gestaltungsobjekt selbst, das Bild oder die Plastik als
Dokument des kunsttherapeutischen Prozesses, nicht beschrieben und interpretiert
werden. Zu einem entstandenen Werk gehört immer auch der künstlerische und
kunsthistorische Kontext, in den es gestellt und in dem es wahrgenommen werden kann.
Die Kunst als Mittel und als Mitte des therapeutischen Prozesses erfordert wieder weitere,
andere Herangehensweisen, welche mit qualitativ beschriebenen Ergebnissen verknüpft,
dann vollständige Aussagen über die Wirkmechanismen der Kunsttherapie zulassen.
"In dieser Welt der Differenz wird die Spaltung aufgegeben, ohne Chaos zu erzeugen. Das
Selbst und der Andere, Geist und Natur überdauern nicht in geistiger Entfremdung oder in
symbiotischer Verschmelzung, sondern in struktureller Vollständigkeit. Das Gefühl für den
Organismus, das Barbara McClintock zur conditio sine qua non für eine erfolgreiche
37
Forschung erhebt, braucht nicht als "participation mystique“ verstanden werden; es ist ein
Verfahren, das durch die Zeit und die menschliche Erfahrung, wenn auch nicht durch die in
der Wissenschaft herrschenden Konventionen seine Anerkennung findet."57
Diese Äußerung aus dem Jahre 1986 stammt von Evelyn Fox Keller. Sie war Pionierin auf
dem Gebiet der feministischen, naturwissenschaftlichen Forschung und beschrieb am
Beispiel der Forscherin Barbara McClintock wie Gefühle den Forschungsprozess ver-
vollständigen und damit sinnvoller Teil der Beobachtung des Untersuchungsgegenstand
sein konnten.
Barbara McClintock (1902-1992) machte ihre einschränkenden Erfahrungen mit den
Konventionen in Forschung und Wissenschaft jedoch einige Zeit früher und die längste
Zeit ihrer wissenschaftlichen Karriere hindurch. Für sie hatte die oben zitierte Äußerung
von Keller eine durchaus schmerzliche Brisanz. McClintock, amerikanische Botanikerin
und Genetikerin, erhielt erst 1983 den Nobelpreis für ihre Entdeckung der Transposons
(springende Gene). Ihre Entdeckung hatte sie bereits 1944 gemacht. Diese wurde erst
wesentlich später anerkannt, nachdem männliche Kollegen 1961 ihre Erkenntnisse
bestätigt und veröffentlicht hatten.
Was die Forschungtradition in Frage stellte und veränderte, war die Beschreibung und
Dokumentation subjektiver, sich verändernder Wahrnehmungen während eines Unter-
suchungsprozesses. Fox Keller charakterisierte diese Haltung McClintocks mit dem Begriff
dynamische Objektivität.58 Von der heutigen Perspektive aus gesehen wandte McClintock
Vorformen qualitativer Forschungs- und Dokumentationsmethoden an. Qualita-tive
Forschungsmethoden, wie wir sie heute kennen, waren damals noch nicht entwickelt. Das
Potential und die Qualitäten des Subjektiven waren in der Wissenschaft noch nicht
anerkannt.
38
dass auch diese der Subjektivität der Forscher unterlagen.59
Von der qualitativen Wende wurde in der Wissenschaft zum ersten Mal in Deutschland
gesprochen. Von hier aus entwickelten sich die neuen Untersuchungsmethoden weiter
und vervielfältigen sich.60 Mayring formulierte in seiner Einführung in die qualitative
Sozialforschung vier Prämissen für die unterschiedlichen qualitativen Forschungsansätze:
1. Die Forderung nach stärkerer Subjektbezogenheit der Forschung, wozu auch gehört,
die Subjekte in ihrer natürlichen, alltäglichen Umgebung zu untersuchen:
Die Orientierung am beobachteten Subjekt berücksichtigt dessen Ganzheit und
Gewordenheit (Historizität). Sie setzt beim konkreten, sich dem Subjekt stellenden
Problem (Problemorientierung) an.
Den Personen, die im Kontext qualitativ orientierter Forschung befragt werden, wird mehr
59 Früh 2001: S. 20
60 Vgl. Mayring 1989: S. 306-313
Vgl. Mayring 2002: S. 9
61 Vgl. Mayring 2002: S. 19, S. 25-37
39
Kompetenz zuerkannt als dies in der quantitativen Forschung üblich war. 62 Die subjektive
Wahrnehmung des Forschers wird als relevant betrachtet, denn ihre Haltung und
Wahrnehmung kann Ergebnisse der Untersuchung erheblich beeinflussen. Den
Studienteilnehmern wird Kompetenz und Expertenwissen für die eigene Sache zuerkannt.
Die Befragten sind mehr PartnerInnen und SpezialistInnen. Diese Entwicklung in der
Forschung spiegelt die gesamtgesellschaftliche Bewegung der Emanzipation wider. Im
qualitativen Forschungsprozess wird umfassenderes und differenzierteres Wissen aus der
Untersuchung generiert.
Eine Einzelfallstudie stellt vielschichtige Sachverhalte dar, die mit Hllfe verschiedener
Methoden untersucht werden.63 Sie ist also keine Erhebungsmethode, sondern ein
Forschungs- und Beschreibungsansatz, bei dem systematisch die Eigenlogik des Falles
untersucht wird. Aus dem Vergleich zwischen Einzelnem und Allgemeinem lässt sich
schließlich ein Modell entwickleln, das Wirkmechanismen verständlich macht. Untersu-
chungsobjekte werden unter den Blickwinkeln von Handlung und Interaktion in ihrer
sozialen Einheit untersucht.
Als Untersuchungsmethode ist die Fallstudie vor allem für Bereiche geeignet, in denen
vertiefte Sachkenntnis zu Einzel-, Gruppen-, Organisations-, Sozial-, Politik- und
Beziehungsphänomenen erlangt werden soll.
Das behutsame und sensible Erkunden des Forschungsfeldes sollte der präzisen
Systematisierung der Beobachtungen vorausgehen. Zu Beginn der Untersuchung ist eine
offene Haltung für angemessene Methoden der Datenerhebung sinnvoll, denn jeder
Untersuchungsgegenstand erfordert eine angemessene Datenerhebung.
Unerlässlich ist eine genaue Erfassung des Forschungsgegenstandes und der in seinem
Umfeld befindlichen Informationen.64 Während der Untersuchung soll eine möglichst
authentische Atmosphäre herrschen. Das natürliche Umfeld des Objekts sollte wenig
40
beeinflusst werden. Die Einzelfallstudie kann in drei Phasen eingeteilt werden:
41
zierung wesentlicher Merkmale. Aus dem Datenmaterial wird ein Kategorienschema
entwickelt, das zentrale Informationen über das Phänomen in unterschiedlichen Ausprä-
gungen beinhaltet. Schließlich sind Kategorien und Ausprägungen die Basis von
Vergleichen und Typologien, die relevante Hypothesen und Hinweise für die Phänomene
im Untersuchungsfeld zulassen.
1.3.2.3. Leitfadeninterviews
42
Der Leitfaden hilft eine Gesprächstruktur und thematische Ausrichtung beizubehalten.
Dennoch sollte darauf geachtet werden, dass der Leitfaden den offenen Charakter der
Gespräche unterstützt und Variationen der Antwortaussagen zulässt. Generell bietet eine
solche Befragung den Raum für subjektive, nicht in Fragebögen abfragbaren Inhalte und
Bewertungen.
Neben den theoretischen Grundannahmen und den Leitfadenfragen ist die persönliche
Situation der Befragten ein weiterer wichtiger Einflussfaktor der erhobenen Daten. Diese
sollte vom Interviewer stets mitbedacht, -getragen und berücksichtigt werden.
Hopf69 fasst vier wesentliche Aspekte zusammen, die bei der Befragung mit Leitfadeninter-
views zum Tragen kommen:
1. Reichweite:
Die Antwortmöglichkeiten der Befragten sollten sich in einem möglichst weiten Feld
bewegen dürfen. Dies erfordert vom Interviewer eine gewisse Flexibilität und weitreichen-
den Kenntnisstand zum Forschungsfeld.
2. Spezifität:
Die Themen, die im Interview angesprochen werden, sollten vom Fragenden eingeordnet
und verstanden werden können.
3. Tiefe:
Die persönliche Bedeutung der Äusserungen des Befragten, emotionale und bewertende
Kommentare zum Forschungsfeld und das Involviertsein ins Forschungsfeld sollte vom
Interviewer positiv beantwortet werden können.
4. Personaler Kontext:
Der gesamte Kontext, in dem die Reaktionen und Antworten der Befragten erfolgen, sollte
dem Interviewer bekannt sein, so dass diese auch angemessen interpretiert werden
können.
"In den Leitfaden fließen dann die expliziten Vorüberlegungen des Forschers zu diesem
Thema auf zentrale Art und Weise ein. Es ist dabei selbstverständlich neben dem alltags-
weltlichen Wissen zum Thema auch den Stand der Forschung, d. h. möglichst viel
relevantes publiziertes Wissen zusammenzutragen. Da es sich jedoch um ein Vordringen
in (noch) nicht hinreichend erforschte Bereiche handelt, ist dann die Frage nach dem Neu-
en des Ansatzes bedeutsam, d. h. bei der Aufarbeitung des Forschungsgegenstandes und
entsprechender Theorien muss immer wieder nach Kriterien gesucht werden, wie diese
69 Vgl. Hopf 1978: Die Pseudo-Exploration-Überlegungen zur Technik qualitativer Interviews in der Soziafor-
schung, S. 99
43
zum Anliegen der Forschung passen (bzgl. Reichweite, Tiefe, Spezifität)."70
Letztendlich werden im Leitfaden die Forschungsfragen in konkrete Fragestellungen
übertragen. Bei der Formulierung ist ein gewisser Grad an Abstraktion wichtig, um den
theoretischen Vorüberlegungen Rechnung zu tragen.71 Dann folgt die Überprüfung der
Folgerichtigkeit des Leitfadens, sodass eine inneren Logik besteht. Fragen allgemeinerer
Art, die zum Gespräch einladen, stehen am Anfang. Allzu problembehaftete Sujets sollten
nicht gleich zu Beginn angesprochen werden. Schließlich sollten die Fragen in Abfolge und
Gehalt der Gliederung natürlicher Gesprächverläufe möglichst nahe kommen, den
Bedingungen der Befragung und dem Zustand der Befragten gerecht werden. Ein zu
rigides Anwenden des Leitfadens kann die theoretische Einbindung unangemessen stark
vereinfachen. Deshalb sollten die Fragen inhaltlich so aufeinander aufbauen, dass der
natürliche Gesprächsfluss während des Interviews aufrechterhalten werden kann.
Sinnvollerweise werden die Fragen so formuliert, dass die befragten Personen sich mit
den gestellten Fragen identifizieren können und diese prinzipiell motivierend wirken. Der
Wortlaut sollte klar und allgemeinverständlich sein. Wertvoll ist außerdem die Möglichkeit,
die Fragen einzelnen Kategorien zuordnen zu können und damit die Themenkomplexe zu
umreißen, die zum Untersuchungsfeld gehören.
Mayring betont überdies, wie wichtig das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Interviewer
und Befragten ist. Er spricht von der Begründung eines Vertrauensverhältnisses zwischen
den Gesprächspartnern:
"Wenn (...) im Interview eine möglichst gleichberechtigte, offene Beziehung aufgebaut
wird, so profitiert auch der Interviewte direkt vom Forschungsprozess."72
Der Befragte sollte auf jeden Fall ernst genommen werden und sich nicht ausgehorcht
fühlen.73 Die Interviews bzw. Gespräche werden auf Tonband oder auf Video auf-
genommen.
Dazu ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Befragten notwendig. Die Auswer-
tung der aufgezeichneten Gespräche wird durch eine Standardisierung, die die
Leitfadenfragen darstellen, erleichtert. Das gewonnene Datenmaterial kann dann unterei-
44
nander verglichen werden, die unterschiedlichen Ergebnisse in Beziehung gesetzt werden.
Bei größeren Fallzahlen erlauben die Ergebnisse dann auch allgemeinere Aussagen über
den Untersuchungsgegenstand bzw. das Untersuchungsfeld.
Die Kunst ist für die Kunsttherapie das Bezugsfeld therapeutischer Interventionen. Das
Medium Kunst, die Offenheit ästhetischer Phänomene bietet therapeutische Möglichkei-
ten. Der symbolische Charakter von Kunstobjekten bietet ein hohes Mass an sinnstift-
enden Möglichkeiten. Es können mit der Herstellung von kunsttherapeutischen Objekten
45
Erfahrung gemacht werden, die zu persönlichen Lernprozessen werden.77
"Das bildnerische Ergebnis objektiviert die Erfahrungen, macht sie einer Bearbeitung
zugänglich, erweitert den Realitätsbezug durch Auseinandersetzung mit der materialen
Welt und ermöglicht Kommunikation, selbst dann noch, wenn die verbale Sprache nicht
weiterhilft."78
Das Profil der künstlerischen Therapien schärft sich vor allem im Hinblick auf die
sprachorientierten Therapieformen.79 Im Kontext kunsttherapeutischer Begleittherapien
Sprache zu betonen oder gar zu erwarten, dass Patienten Erfahrungen und Gefühle in
Worte fassen, veringert das Potential der nonverbalen therapeutischen Interventionen.
Ein Angebot von nonverbalen Therapieverfahren gehört in Institutionen der Psychiatrie,
Psychotherapie und der Psychosomatik zum klinischen Standard, da sich gerade bei
schweren psychiatrischen und psychosomatischen Erkrankungen Kunst- und Gestaltungs-
therapie bewährt haben.80
Zu den wesentlichen Merkmalen künstlerischer Therapien gehören:
• die Hinwendung zum inneren Erleben
• die Autonomie der Erfahrung
• die Bedeutungsoffenheit des Bildes
• die künstlerische Bildung der Therapeuten
• produktives Denken81
Der kreative Prozess ermöglicht es dem Patienten, sich mit seinem Gestaltungen zu
identifizieren und verhindert gleichzeitig ein Überschwemmtwerden von emotionalen Inhal-
ten, die zu einer Verleugnung von Gefühlen im therapeutischen Kontext führen kann. Das
Gestaltungsobjekt dient als Container, der eine Begegnung mit krisenauslösenden
Ereignissen auf einer symbolischen Ebene zulässt.82
Das Gestaltungsobjekt wird im Laufe des künstlerischen Prozesses narzistisch besetzt.
46
Bei der Beobachtung des kunsttherapeutischen Prozesses kann ein Anstieg von Aktivität
und eine innige Verbindung zwischen Subjekt und Objekt wahrgenommen werden. Mit der
die Aktivierung von Fähigkeiten der gesunden und symbolfähigen Psyche übt die
Kunsttherapie einen günstigen Einfluß auf entwicklungsfähige Inhalte der menschlichen
Psyche aus.83
Der Begriff Kreativität hat seinen Ursprung im lateinischen "creare", das übersetzt Gestal-
ten, Erzeugen und Schaffen heißt. Kreativität kann vor allem in einem wohlwollenden,
wertfreien und das Spiel fördernden Umfeld entstehen. 84
Rita Levi Montalcini, eine Medizinerin, die mit weit über siebzig Jahren mit dem Nobelpreis
geehrt wurde und im Alter von neunundachtzig Jahren ein Buch über das Alter und seine
Chancen schrieb, bezeichnet die Kreativität als wesentliches Merkmal der Gehirntätigkeit
des Homo sapiens.85
Im Allgemeinen gilt Kreativität als die Fähigkeit des Menschen besondere, originelle
Gedanken oder Werke zu schaffen.86
Im Kindesalter entwickeln sich Vorformen von individuellen Gedanken und Vorstellungen,
die die Persönlichkeit des Kindes widerspiegeln. Zu dieser Zeit ist das Spiel eine Mani-
festation der kindlichen Kreativität, die im günstigsten Fall in eine befriedigende schöpfe-
rische Arbeit des Erwachsenen übergeht. Holm-Hadulla fasst zusammen:
"Der phantasievolle Umgang mit der Realität ist also kein Luxus, sondern verleiht dem
persönlichen Leben Sinn und Struktur."87
Eine flexible, kreative Lebenshaltung versorgt uns mit Lebensenergie und steigert unsere
Anpassungsfähigkeit an die Anforderungen des täglichen Lebens.88
47
1.4. Zusammenfassung zum Hintergrund der Fragestellung
In der Bildenden Kunst besteht eine Einheit von Kunstwerk und Erfahrung. Es sind die
Erfahrungen des Künstlers, die sich im Werk durch die künstlerische Darstellung an den
Betrachter vermitteln. In der Wahrnehmung des Betrachter ist dann auf umfassende Weise
eine Fülle von Informationen über das Objekt und den Künstler enthalten, ob er sich
dessen bewußt ist oder nicht. Die Kunsttherapie bedient sich künstlerischer Medien, um
Patienten mit therapeutischer Zielsetzung an eine Einheit von Erfahrung und Ausdruck
heranzuführen. Das, was sich im therapeutischen Gestaltungsprozess äußert, wirkt auf
den gestaltenden Menschen als Selbstspiegel und Entwicklungsimpuls zurück.
In der Psycho-Onkologie sind Erfahrungen, die die Identifikation der kranken Patienten mit
ihren Bildern fördert, besonders wichtig, denn Patienten fühlen sich aufgrund starker
psychischer Belastungen häufig von sich selbst und ihren Gefühlen entfremdet. Neben
den psycho-sozialen Problembereichen können Krebstherapien mit starken Nebenwir-
kungen einhergehen, so dass auch der Körper als fremdbestimmt wahrgenommen wird.
Wird das Bild durch Identfikation zum Selbstobjekt, können hier stellvertretend
selbstbestimmte Erfahrungen gemacht werden, die im realen Umfeld zur Zeit nicht
ausreichend zur Verfügung stehen, aber als heilsam erlebt werden können.
Der salutogenetische Ansatz fokussiert mit seinen drei Säulen Verstehbarkeit, Sinnhaft-
igkeit und Handhabbarkeit die persönlichen Bewältlgungsfähigkeit von Menschen, die sich
in Krisen befinden. Künstlerische Mittel eignen sich hervorragend um dieses Bewäl-
tigungspotential anzuregen und setzen damit bei den gesunden Anteilen der Persön-
lichkeit an.89
48
Patienten profitieren von diesen Bemühungen. Wenn Patienten bestätigen, dass
kunsttherapeutische Interventionen für sie hilfreich waren, sind deren Anwendungen
legitimiert.90
Was die Kunsttherapie als dynamische therapeutische Methode auszeichnet, ist der
symbolische Charakter von Gestaltungen. Ästhetische Objekte von absoluter Subjektivität
bringen ein hohes Mass von Sinnhaftigkeit hervor.91
Die Möglichkeit, nah an der eigenen Wahrnehmung und ästhetischen Vorlieben
gestalterisch zu handeln, spricht schöpferische Quellen an, die in jedem Menschen
vorhanden sind. Kreativität ist eine urmenschliche Fähigkeit, an die gerade Menschen
während einer körperlichen oder psychischen Krise rückgebunden werden sollten. Eine
flexible, kreative Lebenshaltung steigert die Anpassungsfähigkeit an die Anforderungen
und Belastungen des gesunden wie auch des durch eine Krankheit belasteten Lebens.92
In künstlerischen Aktivitäten wie auch in der Wahrnehmung von Kunstwerken wird eine
Einheit von Erfahrung, Information und Identität möglich. Im kunsttherapeutischen Kontext
bietet diese Einheit die Möglichkeit, Krebspatienten im gesicherten therapeutischen
Rahmen an psychische Kraftquellen anzubinden.
49
50
2. Entwicklung und Verortung der KSKT ® (kurze strukturierte Kunst-
therapie)
Die kurze strukturierte Kunsttherapie (KSKT®) ist spontan aus einer alltäglichen
Betreuungssituation mit einer an Krebs erkrankten Patientin entstanden. Sie befand sich
zum wiederholten Male zur Behandlung ihrer rezidivierenden Erkrankung in der Klinik. Ihr
Leben war vollständig von ihrer Erkrankung bestimmt. Sie äußerte, dass sie ihre
Beziehungen im Familien- wie im Freundeskreis als schwierig erlebe. Manchmal habe sie
den Wunsch, sich mehr zurückzuziehen, ein anderes Mal brauche sie Unterstützung, habe
aber meistens Mühe diese Wünsche gegenüber ihrem Umfeld zu äußern. Vor allem habe
sie Bedenken, ihren gelegentlichen Wunsch nach Rückzug kundzutun, weil sie gleichzeitig
hilfsbedürftig und abhängig von der Unterstützung der ihr nahe stehenden Menschen sei
51
und diese nicht brüskieren wolle. Auch sei sie unsicher, in welchem Maße sie manche
Bekannte und Freunde an ihren Sorgen teilhaben lassen wolle. Meistens richte sie sich
nach den Erwartungen ihrer Beziehungspartner. Wie auch viele andere Patienten vor ihr,
befürchtete die Patientin für die Inanspruchnahme von Kunsttherapie nicht gut genug
malen zu können.
Eine kunsttherapeutische Intervention sollte die von der Patientin thematisierten Aspekte
widerspiegeln und dennoch in Teilen flexibel gestaltbar bleiben. Teile der Gestaltung
sollten überprüfbar und veränderbar sein, vor allem um Frustrationen hinsichtlich eines
fixierten Bildes zu vermeiden, das nicht einem inneren Bild entspräche. Die flexiblen
Bildteile sollten Beziehungen und Ressourcen der Patientin thematisieren. Hier war
Collage die geeignete künstlerische Technik. Das Zusammensetzen von verschiedenen
Bildelementen, einzelner, zuvor gefertigter Bildteile, ermöglichte diese Flexibilität und bot
genügend gestalterischen Spielraum.94 Als möglichst niedrigschwellige Umsetzung von
emotionalen Qualitäten erschienen abstrakte Formen und Farben adäquat. Konkrete
Darstellungen, wie z. B. der Personen, die im Leben der Patientin eine wichtige Rolle
spielten oder anderer alltäglicher Lebensbereiche, hätten zu großen Frustrationen führen
können.
Im ersten Bild wurden mit abstrakten Formen und Farben bestimmte Qualitäten
dargestellt, positive Aspekte des Selbstbildes der Patientin. Der zweite Schritt war die
Gestaltung eines Schutzraumes um diese gefundenen Formen herum. Der letzte Schritt
auf dem ersten Bild war dann die Gestaltung der den Schutzraum umgebenden Bildfläche
bis zum Bildrand. Ein besonderes Merkmal dieses letztgenannten Bereiches war es, dass
er die unpersönliche Umwelt der Patienten versinnbildlichte. Dieser unterlag nicht der
eigenen Beeinflussung, aber war dennoch im Bild gestaltbar.
In den folgenden Bildern sollten Formen erfunden werden, die Qualitäten von Bezie-
hungen, Personen und Interessensbereichen veranschaulichten, welche der Patientin als
Kraftquellen zur Verfügung standen. Diese Formen wurden nach dem Malen ausge-
schnitten. Schließlich wurden die Formen unter bestimmten Fragestellungen95 auf dem
ersten Bild angeordnet.
Durch die Flexibilität der Anordnung der entwickelten Formen kann der erlebten Ein-
schränkung in realen Alltagssituationen ein zunächst bildhaftes Gegengewicht gegeben
52
werden. Da die Intervention im sinnlichen Bereich des Malens, Schneidens und Legens
stattfindet, verfügt sie eine unmittelbare Anschaulichkeit und fördert die emotionale
Wahrnehmung. Diese Erfahrung stellt einen Impuls dar, sich symbolisch im Bild mit
Erfahrungen der realen Alltagswelt auseinanderzusetzen, sich aus dem Bildraum hinaus
zu bewegen und diese Auseinandersetzungen und Entwicklungen im realen Leben
fortzuführen.96
Eine Krebserkrankung und deren Behandlung werden von Patienten als kritisches
Lebensereignis erlebt. Nicht nur Patienten selbst, auch ihr familiäres und soziales Umfeld
beeinflussen die Bewertung und Anpassung an diese Situation. Das Modell der
strukturierten kunsttherapeutischen Interventionsmethode vermittelt selbstwirksamkeits-
fördernde Erfahrungen und schafft Entlastung. Patienten werden ermuntert, eigene Res-
sourcen und Stärken (wieder) wahrzunehmen.
Damit möglichst viele Patienten in der manchmal nur sehr kurzen Betreuungsphase
zwischen Kontaktaufnahme, Verlegung und/oder kurzfristiger Entlassung im Sinne von
Stabilisierung und Selbstkompetenz angesprochen werden können, ist eine Kurzzeitinter-
vention sinnvoll.97 Kunsttherapeutische Begleitung wird in vielen klinischen Kontexten
angeboten, allerdings selten im akutklinischen Bereich. Dies mag an der meist wenig
strukturierten Anwendung dieses komplementärtherapeutischen Verfahrens liegen, dass
schwer in einem medizinisch dominierten Versorgungsalltag der Patienten verankert
werden kann.98
Die Entwicklung der KSKT® war im kunsttherapeutischen Arbeitsfeld der Onkologie der
Akutklinik sinnvoll, um bei den für die Patienten bedeutsamsten Lebensproblemen und -
fragen anzusetzen. Patienten sollen motiviert werden, eigene Gefühle und Motive zu
entdecken, zu vertiefen und daraus Impulse zu aktiver Lebensgestaltung zu entwickeln.
53
Weitere Ziele waren, Formen und Strukturen für entwicklungsfähige, persönliche Inhalte99
zu schaffen und damit zur Stabilisierung der psychischen Situation und zur Verbesserung
der subjektiv empfundenen Lebensqualität beizutragen.100
Durch Probleme mit der körperlichen Befindlichkeit, den sozialen und materiellen Belas-
tungen und den Veränderungen der Rollen in Familie und Gesellschaft scheinen
erstrebenswerte Zukunftsperspektiven für viele der betroffenen Patienten verstellt. Alles
muss nur noch irgendwie geschafft werden oder Patienten äußern, dass man da halt
durch müsse. Sie befinden sich in einer akuten Krise.
54
2.1.2.1. Kontext, Setting, Material
Ein therapeutischer Auftrag wird in Absprache mit den behandelnden Ärzten erteilt.
Kunsttherapeutische Konsile können auf Wunsch der Patienten, auf Anraten der Ärzte, der
55
psycho-onkologischen Bezugstherapeutin und aufgrund eines hohen Distresswertes 104
des jeweiligen Patienten ausgestellt werden.
Vor direkter Kontaktaufnahme mit den zu betreuenden Patienten wird ein Gespräch mit
den behandelnden Ärzten geführt, indem die aktuelle medizinische und psychosoziale
Situation des Patienten, soweit sie bekannt ist, kommuniziert wird. Anschließend wird der
ärztliche Auftrag in einem Konsilschein dokumentiert. Darüber hinaus finden Bespre-
chungen mit den psycho-onkologischen Bezugstherapeuten der Stationen statt. Die
Bezugstherapeuten haben aufgrund Ihrer Teilnahme an Visiten, aufgrund ihres regel-
mäßigen Kontakts zum Stationspersonal und zu Patienten der Station Zugang zu vielen
die Patienten betreffenden Informationen. Eine kunsttherapeutisches Begleitung findet
immer auch in Abstimmung mit der Bezugstherapeutin der betreffenden Station statt.
104 Das Distress-Thermometer liegt seit dem Jahr 2006 in validierter deutscher Übersetzung vor. Es ist ein
einfach handhabbares Messinstrument, das den Grad der subjektiven Belastung von Krebspatienten im
Selfrating verzeichnet. Der Fragebogen zeichnet sich ein durch schnelles und effektives Screening, leich-
te Auswertbarkeit aus und kann von allen Berufsgruppen einer onkologischen Akutklinik angewendet wer-
den. Auf einer Skala von 0-10 können Patienten, der selbst eingeschätzten Intensität ihrer Belastung ent-
sprechend, einen Wert zuordnen. Der Wert 0 entspricht keiner Belastung; der Wert 10 ist hingegen ein
Äquivalent für maximale Belastung. Darüber hinaus können besondere Belastungen wie etwa familiäre,
emotionale und praktische, aber auch körperliche Probleme, allesamt in Subkategorien weiter spezifiziert
werden.
Vgl. Mehnert et al. 2006: S. 213-223; Schulz 2007: 12.03.2008, S. 5
105 die Autorin
56
dies mehr ein symbolischer Schutz, aber doch ein wirksames Signal an Mitpatienten und
Mitarbeiter. Alternativ stehen die Aufenthaltsräume der Stationen zur Verfügung, vor allem
wenn Patienten mobil sind. Auch hier kann mit einem Hinweisschild für eine relative
Störungsfreiheit gesorgt werden. Einen ausschließlich für therapeutischen Kontakte zur
Verfügung stehenden Raum gibt es bisher nicht in der Medizinischen Klinik III.
Selbst wenn feste Zeiten für kunsttherapeutische Kontakte vereinbart werden, sind diese
aus Erfahrung doch mehr als Zielvorgaben zu betrachten. Aufgrund der starken Einbin-
dung der Patienten durch Therapien, diagnostische Untersuchungen, Visiten, Physio-
therapien, private Besuche und deren zuweilen beeinträchtigtes somatisches oder
psychisches Befinden, können Zeiten nicht konsequent eingehalten werden.
Das Material für die kunsttherapeutischen Einzelkontakte wird bei allen Patientenbe-
suchen mitgeführt. Es befindet sich in einer neutralen Pappbox, die einen unkomplizierten
Transport und eine angemessene Aufbewahrung erlaubt.
Darin befinden sich eine Auswahl von mindestens drei unterschiedlich breiten Pinseln, ein
Gouachekasten mit vierzehn Farben, ein Kasten mit Buntstiften, Ölpastelkreiden und eine
Schere. Die zur Verfügung stehenden Farben sind hochwertig, vor allem um Frustrationen
zu vermeiden, die auf mindere Qualität und geringe Leuchtkraft und Intensität der Farben
zurückzuführen sind.
Obenauf liegen zwei Aquarellblöcke der Größe 30 x 40 cm. Unter den besonderen
Arbeitsbedingungen der akuten Onkologie muss das Material transportabel und flexibel
einsetzbar sein, d.h. am Bett des Patienten ebenso wie an einem Tisch des Aufent-
haltsraumes. Aus praktischen Erwägungen können keine Bildträger in großen Formaten
und Malmaterial, dass lange Trocknungszeiten benötigt, zur Verfügung gestellt werden.
57
genommen werden. Für eine Teilnahme der hier dargestellten Evaluationsstudie haben
sich vor allem Patientinnen im Stadium 2 und 3 bereit erklärt.
Die Diagnose-/Initialphase ist mit großen Belastungen und Irritationen verbunden, da das
therapeutische Vorgehen häufig noch nicht feststeht.107 Patienten bringen zu diesem
Zeitpunkt in Gesprächen häufig ihre Verunsicherung zum Ausdruck. Handelt es sich um
Rezidive oder zweite Neuerkrankungen, schildern manche Patienten, dass sie erst jetzt
ihre Ersterkrankung verarbeiten.
Mein Ziel ist es schon während eines ersten Kontaktes eine Atmosphäre von Achtsamkeit,
Unterstützung und Zurückhaltung herzustellen.
Achtsamkeit und Zurückhaltung im Kontakt mit Patienten sind meines Erachtens wichtig,
um Patienten das Tempo des Kontaktes und der Annäherung selbst bestimmen zu lassen.
Aufgrund der Belastung der Patienten gehen Kontaktaufnahmen ohnehin schneller von
statten als in alltäglichen, außerklinischen Zusammenhängen.
Für viele Patienten bedeutet diese Beschleunigung teilweise einen Kontrollverlust.
Patienten haben in ihrem Kummer häufig das vitale Bedürfnis, sich zu entlasten, erleben
dann aber eine gewisse Scham, da sie einer zunächst fremden Person Einblick in intime
Problembereiche gewähren. Eine wertschätzende und respektvolle Würdigung gerade
dieser Offenheit hilft Patienten diese vermeintliche Schwäche als Ressource wahrzu-
nehmen.
Patienten definieren ihre eigenen und damit auch die Grenzen, die im therapeutischen
Kontakt berücksichtigt werden sollten. Wenn Patienten mir signalisieren, dass sie
bestimmte Problembereiche nicht ansprechen möchten oder dass für sie Verdrängung ihre
Form des Umgangs mit der Erkrankung ist, heißt dies für mich, dass ich meine thera-
peutischen Interventionen diesem Umgang anpasse.
Ich versuche dann auf andere Weise als durch Verbalisierung oder direkte Auseinander-
setzung, für Entlastung des jeweiligen Patienten zu sorgen. Gesetzte Grenzen stellen
zentrale Informationen zur Auswahl des therapeutischen Vorgehens dar und geben
Auskunft über die Belastbarkeit des Patienten.
58
Auch ist Zurückhaltung im Hinblick auf die Deutung von Bildinhalten sehr wichtig.108 Bilder
gehören zunächst einmal in den Kontrollbereich der Patienten und stützen ihre Autonomie.
Deshalb kann eine Deutung als therapeutischer Übergriff wahrgenommen werden. Wenn
Patienten nach meiner Wahrnehmung ihres Bildes fragen, äußere ich diese. Vorangig sind
jedoch eine größtmögliche Entfaltung und unterstützende Begleitung bei der Umsetzung
eigener Gestaltungswünsche der Patienten.
Die Förderung der Selbstwirksamkeit ist eines der Ziele, die im Profil der Intervention
(Kapitel 2.2.2.5.) genannt werden. Natürlich können Patienten diese Selbstwirksamkeit nur
erfahren, wenn sie in innere Räume gelangen, die subjektiv Sinn und Bedeutung
enthalten. Als begleitende Therapeutin verfüge ich über medizinische Hintergrundinforma-
tionen und über Wissen zur persönlichen Situation der Patienten. Mit Hilfe dieses Wissens
und mit der Intervention, der KSKT®, können die Patienten darin unterstützt werden, in
diese inneren Räume zu gelangen, sie zu erkunden und sich mit ihnen zu identifizieren.
Diese Identifikation ist ein unbewusster Vorgang, der gefördert, aber nicht zielgerichtet
eingeleitet werden kann. Im günstigsten Fall finden Patienten mit Hilfe der KSKT®
individuellen Sinn vor und können ihrer Gestaltung Bedeutung zuweisen. So wird der
Aspekt der Selbstwirksamkeit zur direkten Erfahrung.109
Im Verlauf der KSKT® entsteht ausreichend bildnerische und sprachliche Substanz, die ein
Nachvollziehen der einzelnen, gelegten Bildkompositionen ermöglicht. Dieses Nachvoll-
ziehen beruht auf der Wahrnehmung des Patienten, des Gestaltungsvorganges und
Ergänzungen aus meiner therapeutischen Perspektive und dem formulierten Selbstver-
ständnis der Patienten. Eine verstehende Zusammenfassung dessen, was Patienten von
sich aus thematisieren, stützt diesen Vorgang. Höchst selten besteht bei Patienten der
ausdrückliche Wunsch sich intensiv mit tieferliegenden Konflikten und der eigenen Abwehr
auseinanderszusetzen. Vielmehr lasse ich mich bei der Gestaltung des therapeutischen
Kontaktes von den Hinweisen der Patienten leiten.
59
Zunächst weise ich auf Hintergründe und Erfahrungen mit der KSKT® hin. Dann
beschreibe ich die Interventionsschritte und die Bildfolge.110 Transparenz ist im thera-
peutischen Kontakt sehr wichtig. Diese stützt die Autonomie und Compliance der Patien-
ten. Patienten wissen, was sie in den folgenden Therapieeinheiten erwartet und können
sich darauf einstellen. Dies hilft ihnen, die Kontrolle über den therapeutischen Kontakt
aufrechtzuerhalten.
Ich begleite den Gestaltungsprozess der Patienten, indem ich, sofern dies notwendig
erscheint und gewünscht wird, technische Hinweise gebe. Ansonsten bleibe ich
anteilnehmend im Hintergrund. Während die Patienten ihre Bilder gestalten, offenbaren sie
mit ihrer Körperhaltung und ihren Verhalten auf der unbewußten Ebene ihre Befindlichkeit,
aber auch Störungen und Irritationen. Erfahrungsgemäß können geringfügige gestal-
terische Anmerkungen und Fragen helfen, den roten Faden des Gestaltungsprozesses
und der Identifikation nach Augenblicken der Irritation weiterzuverfolgen und wieder zu
vertiefen. Die Identifikation mit dem Bild als Selbstobjekt ist essentiell für den
kunsttherapeutische Prozesse.
Es schließen sich folgenden Fragen an:
"Sind sie mit Ihrer Gestaltung zufrieden?"
"Haben Sie das Bild nun abgeschlossen?"
Nach dem Fortsetzen des Malens in einer Folgestunde frage ich:
"Stimmen Sie der Gestaltung ihres Bildes und der Formen immer noch zu?"
Diese Fragen weisen die Patienten auf ihre eigene Wahrnehmung hin und helfen die
Kontrolle über das eigene Bild nochmals zu verankern. Selbst wenn sich herausstellt, dass
eine Gestaltung nicht vollständig zufriedenstellend umgesetzt und abgeschlossen werden
konnte, wird mit diesen Fragen die Autonomie der Patienten betont. Ziel ist es, die
Identifikation mit dem Bild aufrechterzuhalten, obwohl der Patient seinen eigenen
ästhetischen Ansprüchen nicht völlig gerecht werden konnte. Oder Patienten treffen die
Entscheidung, ein neues Bild und neue Formen zu gestalten.
Meine therapeutische Haltung ist durch Unterstützung des persönlichen Entwicklungs-
prozesses der Patienten und dessen Dynamik charakterisiert.
60
2.1.2.3. Interventionsmanual der KSKT®
Bild 1:
1. Selbstaktualisierung
Stellen Sie sich selbst als abstrakte Form dar. Wählen Sie Farben und Formen, die für
Sie stehen. Welche Aspekte Ihrer Person schätzen Sie? Wie könnten Sie diese Qualitäten
durch Form und Farbe darstellen. Wo im Bildraum befindet sich diese Form? Suchen Sie
den besten Platz für diese Form im Bild!
2. Schutzraum
Wählen Sie Farben und Formen aus, mit denen Sie einen Schutzraum um die Form
herum gestalten, die für Sie selbst steht. Dieser Schutzraum hält alles von Ihnen fern, was
Sie belastet. Nach innen hält er Qualitäten für Sie bereit, die Sie brauchen, um sich wohl
zu fühlen. Nach außen schützt er Sie vor Belastungen. Wie muss dieser Schutzraum
gestaltet sein, um diese Aufgaben zu erfüllen?
3. Umfeld
Zwischen Schutzraum und Bildrand verbleibt ein Bildraum, den Sie ebenfalls gestalten
können. Er stellt die unpersönliche Umwelt dar. Stellen Sie sich vor, dass in diesem Raum
viel geschieht, das Sie nicht kontrollieren können, aber das Sie gestalten können. Wie
sieht dieser Bildraum aus?
61
Bild 2
111
Bild 2 und weitere (je nach Anzahl und Größe der Formen):
4. Ressourcen
Bitte stellen Sie Menschen, Lebensbereiche und Interessen, die Ihnen in der augen-
blicklichen Situation eine Quelle von Kraft und Unterstützung sind, in Farbe und Form dar.
Berücksichtigen Sie die Ihnen angemessen erscheinende Größe der Form im Verhältnis
zu Ihrer eigenen Form! Was größer ist, ist von größerer Bedeutung für Sie, was kleiner ist
von geringerer Bedeutung.
111 Bild 2: Selbstaktualisierung: Die Patientin hat eine Kreisform für sich selbst gewählt. Diese Kreisform be-
steht aus mehreren ineinander liegenden, unterschiedlich farbigen Kreisen. Diese stellen die Vielfalt und
Lebendigkeit dar, die sie in sich wahrnimmt. In der Mitte ist ein leerer Raum, der den gewünschten inne-
ren Raum darstellt. Das rote Feld des Schutzraumes steht für Wärme und Geborgenheit, nach der sie
sich sehnt; die viereckige Form für Stabilität, Zuverlässigkeit, aber auch klare Abgrenzung nach aussen.
Das Umfeld zeigt Verschiedenartigkeit, aber auch Störfaktoren in eckigen Formen.
62
Bild 3
112
Komposition 1:
6. Wunschbild
Ordnen Sie bitte die entstandenen Formen so auf Bild 1 an, wie Sie es sich wünschen und
wie Sie optimal unterstützt wären. Wo befinden sich die Formen in den verschiedenen
Bereichen Ihres Bildes, damit Sie optimal unterstützt werden?
Bild 4
113
112 Bild 3: Ressourcen: Grünes Achteck: der Sohn; umgekehrte Tulpenform: der Ehemann; Schlangenlinie
(wird später noch einmal in Rosa hergestellt und ersetzt): Zu-Sich-Selbst-Kommen; linke rote Blüte:
Freundin M; große rote Blüte: Schwester der Patientin; gelbe Blüte: Freundin E; kleine karminrote Blüte:
Freundin K.
113 Bild 4: Im Wunschbild drückt die Patientin aus, dass ein Zu-sich-selbst-Kommen (rosa Wellenform) gera-
de oberste Priorität hat und indem es durch den Mittelpunkt geht, eine zukünftig gewünschte Ressource
ist, um die herum sich andere Ressourcen gruppieren. Die Größe der Ressourcen zeigen die Rang-
folge der Ressourcen. Nach der rosa Wellenform ist die Form für den Sohn (Dunkelgrün) und dann die
Form für den Ehemann (Ocker) sehr wichtig, gefolgt von der Schwester (Zinnober) und der Freundin E.
Diese Formen sind auch in der größten räumlichen Nähe zu der Form der Patientin. Die Formen für zwei
Freundinnen liegen mehr an der Peripherie und im Schutzraum.
63
Komposition 2:
7. Realitätsbild
Bitte ordnen Sie die Formen/Ressourcen dort im Bild an, wo Sie Ihnen, gemäß ihrer
Einschätzung gerade zur Verfügung stehen. Wie sieht die Realität aus? Wo bestehen
Unterschiede zu Ihrer Umsetzung im Wunschbild?
Bild 5
114
Komposition 3:
8. Synthese
Wie könnten Sie eine Synthese von Wunschbild und Realitätsbild herstellen? Wo kann
sich etwas vom einen zum anderen Bild wandeln? Was können Sie selbst beeinflussen?
114 Bild 5: In diesem Bild wird deutlich, dass die Patientin die größte Nähe zum fünfjährigen Sohn hat, aber
auch, dass im Vergleich zum Wunschbild, der Sohn zu nah ist und der Ehemann zu weit weg. Sie be-
schreibt, dass sie mit Geschäftsgründung, Berufstätigkeit und Sorge um den kleinen Sohn weit über ihre
Belastungsgrenze gefordert war und kaum Entlastung aus ihrem Umfeld erwirkt hat. Die Freundinnen und
die Schwester sind ihr hier näher als in ihrem Wunschbild. Allerdings wünscht sie sich mehr Nähe und
Unterstützung vom Ehemann und mehr Ruhe in sich selbst.
64
Bild 6
115
9. Resümee
Wie könnte eine Entwicklung für Sie im Augenblick aussehen? Wie könnten Sie zu einer
Veränderung Ihrer Situation im Sinne optimaler Unterstützung beitragen? Auf welche
Bereiche/Ressourcen haben Sie Einfluss, auf welche nicht?
115 Bild 6: Im Abschlussbild zeigt die Patientin die wahrgenommen Möglichkeiten, ihr Umfeld entsprechend
ihrer Wünsche zu beeinflussen und Unterstützung zu bekommen. Offensichtlich ist die Patientin optimis-
tisch. Diese Legung kommt der ursprünglichen Wunschlegung sehr nahe. Die Nähe zum Ehemann ist
größer, aber auch die Unterstützung durch die Schwester und Freundin E. Die einzelnen Formen über-
schneiden sich mehr, was eher als Beziehungsgeflecht wahrgenommen werden kann, denn als einzelne
isolierte Formen wie auf dem Wunschbild.
116 Mehnert et al. 2006: S. 213-223; Schulz 2007: 12.03.2008, S. 5
65
• Abstrakte Umsetzung führt aus Begrifflichkeiten und Bewertungen des Alltags heraus →
Entlastung
• bildnerische Spielräume werden möglich
1. Die kurze strukturierte Kunsttherapie ist als Einstiegsintervention konzipiert und dauert
2-4 Einheiten von bis zu 60 Minuten.
2. Die Kürze der KSKT® berücksichtigt kurze Aufenthaltszeiten oder Diskontinuität der
Klinikaufenthalte der Patienten.
3. Die Offenheit des Erstkontakts erhält Methode, welche deutlich dargestellt und deren
Ziele den Patienten vermittelt werden können. Die klaren Vorgaben der KSKT® entlas-
ten die Patienten, tragen zur Stabilisierung der Patienten bei und vermitteln Sicherheit.
4. Mit Hilfe der Vorgabe abstrakt zu arbeiten, kann der Leistungsdruck bezüglich male-
risch technischer Fertigkeiten vermindert werden.
5. Symbolhaft kann körperliche und psychische Unversehrtheit (Schutzraum/Zone
zwischen Schutzraum und Umwelt) imaginiert werden. Auf dieses innere Bild können
Patienten in Situationen äußerer oder innere Verunsicherung zurückgreifen.
6. Die Aufforderung, die Bildthemen unter Berücksichtigung der eigenen Wunschvorstel-
lungen umzusetzen, spricht persönliche Ziele und Motive der Patienten an.
7. Beziehungen, Interessensbereiche und andere wichtige Ressourcen können unter-
sucht, neu bewertet und den Bedürfnissen der Patienten entsprechend sinnbildhaft
gestaltet und im günstigsten Fall auf die Realität übertragen werden, im Sinne eines
66
Probehandelns.117
8. Patienten können die Erfahrung machen, dass „Etwas in ihnen“ ist, das, unabhängig
von künstlerischer Begabung oder Erfahrung, hilfreich ist und Lösungen kreieren kann
→ Sinnhaftigkeit, Schöpferkraft, Selbstvertrauen
9. Bedrängende Erfahrungen können durch den eigenen bildnerischen Ausdruck besser
verarbeitet werden und gewissermaßen gebannt werden → Selbstwirksamkeit
10. Auf die Bildfolge kann immer wieder im Laufe der Therapie zurückgegriffen werden,
Veränderungen können durch neue Positionierung der Bildelemente verfolgt und
aktualisiert werden. Die Kunsttherapie setzt damit einen zuverlässigen Rahmen →
Kontinuität wirkt therapiestützend.
"Deshalb ist es alles andere als belanglos, wie die inneren Bilder beschaffen, die sich ein
Mensch von sich selbst macht, von seinen Beziehungen zu anderen und zu der ihn umge-
benden Welt, und nicht zuletzt von seinen eigenen Fähigkeiten, sein Leben nah seinen
Vorstellungen zu gestalten."118
Mit diesen Worten beschreibt Gerald Hüther knapp und umfassend den neurologischen
Hintergrund, auf dem Kunsttherapie im Allgemeinen und auch die Bildfolge der KSKT®
wirksam und verstanden werden kann. Als Neurobiologe schildert er in seinem Buch "Die
Macht der inneren Bilder", in welcher Weise Menschen Erfahrungen, Gefühle, Gedanken,
Strategien und Motive auf der Grundlage innerer Bilder speichern, aktivieren und abrufen
können. Er spricht hier von "(...) enorm starken inneren Bildern in Form der gebahnten
Verschaltungsmustern (...)."119 Befinden sich Menschen in Situationen, die großen Druck
oder psychischen Stress verursachen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie sich
Strategien bedienen, die nur gering an aktuelle Bedingungen angepasst sind und sich
mehr an vertrauten, älteren Handlungsweisen orientieren.
Dies bedeutet, dass sich in existenziell bedrohlichen Situationen, wie es auch eine Krebs-
erkrankung darstellt, je nach individuellem Belastungsniveau Entscheidungs- und
Handlungsoptionen verringern. Gleichzeitig verfügen Menschen über die Möglichkeit, mit
Hilfe von neuen Bildern Veränderungen bekannter Strategien herbeizuführen und Lernpro-
67
zesse einzuleiten. Dies können zunächst im Geiste imaginierte und durchgespielte innere
Bilder sein, aber auch äußere Bilder, wie sie im Rahmen der Kunsttherapie entstehen. Bei
diesen Prozessen finden neurologische Abläufe statt, die mit bildgebenden Verfahren
sichtbar gemacht werden können. Es sind die ebengleichen synaptischen Verbindungen
aktiv, wie während realer Handlungen in der Alltagswirklichkeit. Die Gestaltung von Bildern
kann ebenfalls synaptische Verbindungen aktivieren, die neue Strategien neuronal
anbahnen.120
Otto K. Hanus sprach in seinem Vortrag "Kunsttherapie zwischen Wissenschaft und
Illusion" bei der Fachtagung des DGKFT121 2006 davon, dass Bilder cerebrale Struktu-
rierungsprozesse anregen und dass diese als Ordungsmuster eine seelisch-geistige
Orientierung ermöglichen.122
Hanus Konzept der Objektfreien Kunsttherapie thematisiert einen Bildbegriff, der Gerald
Hüthers neurobiologisches Verständnis für Bilder ergänzt und einen theoretisch-
kunsttherapeutischen Rahmen für die während der KSKT® entstehenden Bilder bereitstellt.
"Das objektfreie Bild lässt sich als visuelles Feld definieren, das mit unterschiedlichen
kognitiv emotiven Phänomenen identifiziert werden kann. Dadurch ist es etwas anderes
als seine gegenständliche Schwester, die sich an gegenständlichen Inhalten orientiert und
sie mehr oder weniger gelungen darstellt. Die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf ein
objektfreies Bild ist deshalb dafür geeignet, den Klienten aus der Statik seines Haftens an
seiner gegenständlichen Welt- und Selbsterlebens heraus zu führen. Das objektfreie
Gestalten vermittelt ihm ein dynamisches Ausdrucks- und Handlungserleben, das in einer
anderen als der ihm bekannten, emotional gegenständlichen Form des Erlebens auf ihn
einwirkt, weil es etwas ist, dass seine Seh- und Handlungsgewohnheiten überschreitet."123
Die KSKT® stellt ein Manual bereit, dass eine abstrakte Bildfindung einleitet.124 Dies
ermöglicht Patienten einen Zugang zu einer nicht begrifflich-wertenden, sondern zu einer
wahrnehmungsorientierten Bildgestaltung. Renate Limberg betont in der Beschreibung der
68
von ihr entwickelten Intervention die Chancen einer abstrakten Formfindung.125 Die
Potentiale der abstrakten Formfindung, wie sie für die KSKT® in Anspruch genommen
werden können, sind ein Höchstmaß an Subjektivität und der Ausdruck innerer
Bewegungen über Formen und Farben, die bildhaft die psychische Verfassung der
Patienten darstellen. Den Patienten wird ein Medium angeboten, das sie mehr zu sich und
ihren Empfindungen führt. Von diesen Erfahrungen ausgehend, können sich Patienten
auch in ihrem aktuellen realen Umfeld besser emotional orientieren.
Das Bild bzw. die Bildfolge wird durch Form-, Farb- und Ordnungsfindung zu einem
komplexen individuellen Erfahrungsraum, der jenseits von Begrifflichkeiten eine wer-
tungsfreie Sphäre der Selbsterkundung eröffnet. Peter Sinapius sagt dazu, dass Bilder
"(...) Orte sind, an denen wir Erfahrungen über unsere eigene Identität und Geschichte
gewinnen können".126 Die KSKT® betont die unmittelbare Erfahrung und Wahrnehmung
auf der Grundlage des Probehandelns im Bild.127
Im folgenden Kapitel werden acht Interventionen dargestellt, die bis auf eine Ausnahme im
Kontext der Psycho-Onkologie eingesetzt werden.
Ein Kriterium für die Auswahl war, dass diese als Wege zu einem vorbestimmten Ziel
methodisch erkennbar und nachvollziehbar sein sollten.128 Weitere Kriterien waren, dass
die Interventionen sich an Erwachsene richten, dass die Veröffentlichungen auf Deutsch
69
oder Englisch zugänglich waren und dass primär bildnerisch gearbeitet wurde. Es wurden
sowohl im ambulanten 129 sowie auch im stationären 130 Bereich durchgeführte Interven-
tionen eingeschlossen.
Eine Interventionsmethode aus der kunsttherapeutischen Arbeit mit frühgestörten
Patienten131 zeichnet sich durch formale Reduktion und abstrakte Umsetzung aus. Diese
strukturellen Ähnlichkeiten zur KSKT® lassen möglicherweise Rückschlüsse auf Überein-
stimmungen auf inhaltlicher Ebene und der Ebene der therapeutischen Zielsetzung zu.
Aus diesem Grunde wurde diese Intervention in diesen Vergleich mitaufgenommen,
obwohl sie nicht im Bereich der Psycho-Onkologie eingesetzt wird.
70
Ferzst et al., Nainis et al., Puig et al. und Grulke und Kollegen 137 nicht berücksichtigt, da
diese keine strukturierten Vorgehensweisen beschreiben, sondern mehr offen gehaltene
Angebote in einem bestimmten Setting darstellen. Die Intervention von Ferszt und
Kollegen verbindet Kunsttherapie mit Museumsbesuchen und thematisiert das Gesehene
dann in einer therapeutischenSitzung. Die durchführende Person wird als Kunstpädagoge
bezeichnet. Prinzipiell ist diese Vorgehensweise der Bildbetrachtung im Museum gewiß
sinvoll. Allerdings würden im Rahmen dieser Untersuchung zu viele externe Einfluss-
faktoren eine Rolle spielen, sodass dies Intervention ebenfalls ausgeschlossen wurde.138
The Creative Journey ist ein zehnwöchiges Kunsttherapie-Programm für Gruppen, das
bereits 1997 von Paola Luzzatto entwickelt wurde. Das Angebot richtete sich an ehemalig
stationäre Patienten des Memorial-Sloan-Kettering-Cancer-Center, New York. Krebspa-
tienten, die ihre akute Behandlungsphase abgeschlossen hatten, aber weiterhin psycho-
onkologische Betreuung in Anspruch nehmen wollten, wurde ein strukturiertes kunstthera-
peutisches Programm angeboten. In Einzelgesprächen wurden sie detailliert über
Zielsetzung und Rahmen des Programms und über die Struktur der einzelnen Workshops
informiert. Ein zentrales Anliegen der Intervention ist es, Patienten hinsichtlich ihres
Selbstausdrucks zu unterstützen.140 Es beziehen sich die Autorinnen auf verschiedene
Veröffentlichungen, die eine positive Wirkung von Kurzzeitinterventionen bei chronisch
Erkrankten141 belegen und ein Gruppensetting dem Einzelsetting vorziehen.142
71
Um den Patienten "a source of inner strength"143 zugänglich zu machen, wurde auf eine
Sicherheit vermittelnde Atmosphäre in der kunsttherapeutischen Gruppe Wert gelegt.
Spezifische künstlerische Techniken sollten einer persönliche Bildsprache den Weg ebnen.
Die zehn Workshops sind in vier Phasen aufgeteilt. Die erste Phase, die drei Workshops
beinhaltet, wird unter dem Thema Starting from the Use of Art Materials zusammen-
gefasst, der Einführung verschiedener Materialien. Die folgenden zweite Phase, mit den
dazugehörenden drei Workshops 4, 5 und 6 wird unter dem Titel Starting from External
Images eingeführt. Die Programmteilnehmer wenden sich nun mehr äußeren Bildern zu. In
der dritten Phase (Workshop 7, 8 und 9) unter dem Titel Starting from mental images wird
mit inneren Vorstellungen und Bildern gearbeitet. Workshop 10, My Creative Journey, stellt
die vierte Phase und das persönliche Resümee der kunsttherapeutischen Begleitung dar.
Phase 1:
1. Der erste Workshop Colours and shapes hat eine Collage zum Inhalt. Ziel ist es, eine
einfache Komposition aus drei verschiedenen Farben entstehen zu lassen. Aus verschie-
denfarbigen Papierbögen sollen Formen ausgeschnitten werden, die anschließend zu
einer Komposition zusammengefügt werden. Abschließend betiteln die Patienten ihr Bild.
Die Wahl von Farben, einfachen Formen und die Wahl des Titels wirken ichstärkend und
unterstützen die Selbstwirksamkeitserfahrung.144
2. Der zweite Workshop Blind drawing arbeitet mit der Technik des Blind-Zeichnens. Dies
ist eine Methode, welche die mehr spielerischen und nicht rationalen Aspekte des
Zeichnens fördert.145 Mit Hilfe einer angeleiteten Vorstellungsreise, bei der die Teilnehmer
die Augen schließen, wird eine Zeichungen angeleitet. Es entstehen Linien, die im An-
schluss, mit geöffneten Augen weiter ausgestaltet werden können. Auch hier wird dem Bild
ein Titel gegeben.
3. Im dritten Workshop Self-introduction stellen Patienten sich selbst mit einem Dutzend
spontan ausgewählter Zeitungsausschnitte dar. Es ist den Teilnehmern freigestellt, etwas
darzustellen, das sie ablehnen, attraktiv finden oder aus anderen Gründen interessant ist.
72
Luzzatto und Gabriel gehen davon aus, dass nach dem dritten Workshop die Bereitschaft
vorhanden ist, Persönliches mit den Gruppenmitgliedern zu teilen. Zu diesem Zeitpunkt ist
bereits ein gewisser Zusammenhalt der Gruppe entstanden. Es werden Aspekte der
eigenen Person dargestellt, die nicht in Worten ausgedrückt werden können.
Phase 2:
4. Der vierte Workshop heißt From Chaos to Order. Die Patienten werden ermutigt, Chaos
zu visualisieren und dies mit Stiften und Farben darzustellen. Nach einer Entspannungs-
und Besinnungsphase wird in diesem Bild ein Detail gesucht, dass das Gegenteil von
Chaos darstellt. Dieses wird dann auf einem neuen Blatt ausgestaltet.
5. Der fünfte Workshop hat ein Bildgedicht unter dem Titel The visual poem zum Inhalt.
Die Patienten schneiden zwölf interessante Wörter aus Zeitschriften aus und fügen sie in
bedeutungsvoller Weise zu einem Gedicht zusammen. Ergänzend suchen sie Bilder aus
Zeitschriften aus, die das Visual Poem illustrieren. Die Zielsetzung des Workshops ist es,
die Fähigkeit zu fördern, bestimmten Dingen eine Bedeutung zu verleihen, aber auch
Bedeutungslosigkeit wahrzunehmen.
6. Der sechste Workshop arbeitet unter dem Titel The hidden seed mit der Vorstellung von
einem verborgenen Samenkorn. Vorgegeben ist die Vorstellung einer unfruchtbaren
Landschaft, in der ein Samen verborgen ist. Es bleibt der Vorstellung der einzelnen
Gruppenteilnehmer überlassen, wie sie dieses Bild im Detail umsetzen.
Phase 3:
7. Im siebten Workshop Still life and transformation wird ein Stilleben aufgebaut. Die
Teilnehmer werden aufgefordert, dieses Stilleben und ihre Erinnerungen und Gefühle dazu
wahrzunehmen, während sie es darstellen. So wird das Objekt in einer Weise dargestellt,
die ihre emotionale Welt spiegelt.
8. Im achten Workshop Playing with art material wird den Patienten unterschiedliches
Material zur Gestaltung angeboten. Sie werden aufgefordert, spielerisch bemaltes Papier
und Zeitungsausschnitte nach rein formalen Kriterien zu kombinieren. Diese Gestaltung
wird mit Spuren von Stiften, Markern, Ölpastellkreiden, Wasserfarben, dreidimensionalen
Elementen wie Stoff, Münzen oder Knöpfen und durch Worte oder Wortelemente aus
Zeitschriften und Magazinen vervollständigt. Ziel dieses Workshops ist es, etwas
73
absichtslos geschehen zu lassen und dem künstlerischen Prozess und der freien
Assoziation zu vertrauen.146
9. Der neunte Workshop behandelt das Thema Stress and its opposite, Belastung und
Entlastung. Zu diesem Zeitpunkt stehen alle Gestaltungsmaterialien zur Verfügung. Es
wird die individuelle Bedeutung des Begriffes Stress bzw. Belastung untersucht. Die
Patienten werden aufgefordert, Farben und Formen zu wählen, die ihre Vorstellung von
Stress am ehesten illustrieren. Dann wird die Darstellung des gegenteiligen Gefühls
thematisiert, wie auch immer dies für den Einzelnen aussehen mag. Den Teilnehmern wird
mitgeteilt, dass es hier nicht um die Manipulation der eigenen Gefühle geht, sondern
darum, zu verstehen, dass jeder Mensch grundsätzlich immer Zugang zu beiden Polen
einer Empfindungen hat.
Phase 4:
10. Der zehnte und letzte Workshop My creative Journey thematisiert schließlich den
Verlauf der Workshops und stellt den Abschluss der Folge dar. Nach einer Phase der
Ruhe und Reflektion werden die Teilnehmer aufgefordert, ein Bild zu gestalten, dass ihre
persönlichen Erfahrungen im Verlauf der Workshops der Creative Journey zusammen-
fasst und abschließt.
Die Bilder der Patienten werden in einem Ordner gesammelt. Zum Abschluss des
zehnwöchigen Programms hat jeder der Teilnehmer die Möglichkeit, eine Einzelsitzung
beim Kunsttherapeuten in Anspruch zu nehmen, bevor er seiner Bilder mit nach Hause
nimmt.
Luzzatto und Gabriel befragten 70 Patienten, welche Aspekte des Programms hilfreich
gewesen seien und welche nicht.147
Die Rückmeldung lassen sich in drei Antwortgruppen unterteilen.
Die Creative Journey verhalf den meisten Teilnehmer zu einer Verbesserung ihres
emotionalen Befindens. Viele stellten ein Anwachsen ihrer Selbsterkenntnis fest, dass mit
Aspekten überraschender Selbstwahrnehmung und einem positiven Einfluss auf das
Selbstbewusstsein verknüpft war. Ein dritter wichtiger Gesichtspunkt war eine Verände-
74
rung der Haltung gegenüber Bezugspersonen. Patienten beschrieben, dass sie mehr
Vertrauen in ihre Beziehungspartner setzten und weniger Angst hatten, sich zu offenbaren.
Die Autorinnen betonten, dass die abschließende Einzelsitzung ein elementarer Be-
standteil der therapeutischen Intervention sei. Die Effekte der Creative Journey seien
insgesamt für die Patienten postiv und unterstützend gewesen. Die Intervention sei
adäquat für Krebspatienten im nachstationären Bereich. Sie unterstütze die Verarbeitung
belastender Erfahrungen mit der Erkrankung.148
Das Ziel der Intervention Body Outline ist es, Krebspatienten, die unter körperlichen
Schmerzen und emotionalen Belastungen leiden, eine adäquate Form des Ausdrucks
anzubieten.153 Die Body Outline ist eine kunsttherapeutische Intervention, die ebenfalls am
Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York entstand.
Die Body Outline wurde speziell für Krebspatienten entwickelt. Zwei Kunsttherapieprakti-
kanten stellten fest, dass manche Patienten zu krank waren, um an den Kunsttherapie-
gruppen teilzunehmen und dass viele Patienten einen Mangel an Vorstellungskaft
beklagten. Auf sie wirkte das weiße Papier einschüchternd. Die beiden entwickelten eine
Intervention, die weder körperlich noch emotional eine zu große Herausforderung
75
darstellen sollte.
Die Body Outline, ein gezeichneter Körperumriss, wurde auf ein Format von ca. 22 x 28
cm gezeichnet und verviefältigt. Der Umriss befindet sich in der Mitte des Blattes, sodass
sich im inneren Bereich wie auch im äußeren Umfeld der Figur genug Raum zur
Ausgestaltung befindet. Die Figur ist geschlechtsneutral, sodass sich weibliche wie auch
männliche Patienten mit der Figur identifizieren können.
Der Raum inner- und außerhalb der Körperlinie kann farbig gestaltet werden. Dafür stehen
unterschiedliche Materialien wie z. B. Filzstifte, Ölpastellkreiden, Wasserfarben und
Zeitungsausschnitte für Collagen zu Verfügung.154
Die Intervention wurde Patienten zu Beginn einer kunsttherapeutischen Sitzung ange-
boten, die zwischen einer halben und ganzen Stunde dauerte. Es zeigte sich, dass die
Body Outline häufig intensive Gespräche und manchmal sogar therapeutische Prozesse
anregte.
Manche Patienten zeichneten einen Rahmen um die menschliche Figur herum. Dies
wurde von Mitarbeitern in die Gestaltung der Intervention aufgenommen.
Man bot den Patienten die Body Outline in unterschiedlichen Variationen an, ohne
Rahmen und weitere mit einem kreis- und sternförmigem und einem dreieckigem Rahmen.
Bild 7
76
155
Manche Patienten gestalteten nicht nur die Body Outline, sondern notierten Begriffe,
Gedichte oder ihre spontanen Gedanken auf die Zeichenblätter. Luzzatto und Kollegen
entschieden, die Bilder, kombiniert mit den entsprechenden sprachlichen Kommentaren, in
einem Buch zu sammeln. Sie nannten es das Expressive Body Book. Dieses sollten sich
andere Patienten anschauen können. Das Buch konnte als Quelle von Erfahrungen,
Anregungen und Reflektion dienen, insbesondere bei Patienten, die sich in Isolierung
befanden. Außerdem wurden darin Inhalt und Ablauf des kunsttherapeutischen Angebots
vorgestellt.
Luzzatto et al. befragten in einer ersten Studie zwischen Januar 1999 und Mai 2000 70
Patienten zur Body Outline.156 Für 6 von 70 Patienten stand der körperlichen Schmerz im
Vordergrund ihrer Problematik. 29 Patienten äußerten sich vor allem zu persönlichen
Gefühlen und Gedanken in den Befragungen. Die größte Gruppe der Patienten, 35 von
70, thematisierten ihre Suche nach Sinnhaftigkeit und Spiritualität.
77
Schmerzes 157 konzipiert, zeigte sich, dass mit der Body Outline ein intensiver therapeu-
tischer Prozess in Gang gesetzt wurde.158 Das Bild des Körpers scheint zur Visualisierung
von körperlichen sowie emotionalem Schmerz hilfreich zu sein. Die Unterscheidung
zwischen Innen- und Außenbereichen im Schema thematisiert einen reiferen Blick auf die
Gesamtsituation der Patienten. Es kann ein Ausgleich, aber auch eine Unterscheidung
zwischen Außen und Innen stattfinden. Wenn beispielsweise der Körper als Container für
negative Emotionen gestaltet wird, findet im äußeren Bereich, um den Körper herum,
häufig ein Ausgleich über Visualisierungen positiver Aspekte statt. Auch drücken Patienten
mit einer lebhaften, positiv besetzten Gestaltung den Zustand aus, den sie gerne erreichen
möchten. Ein solches Bild zu verwirklichen, scheint sie diesem Zustand näher zu bringen
und ihn damit realer werden zu lassen.159
In der Body Outline kann die Komplexität des Zustands der Patienten bildhaft werden und
auf diese Weise integriert werden. Luzzatto et al. betonen, dass eine gründliche
kunsttherapeutische Ausbildung und berufliche Erfahrungen im onkologischen Bereich
wichtig seien, weil existenzielle Probleme der Krebspatienten im Vordergrund stehen und
diese adäquat begleitet werden sollten.160
Die folgende Gruppenintervention wurde für den ambulanten Bereich entwickelt. Ziel
begleitenden Evaluationstudie war, den Einfluss der Intervention auf psychische Belastun-
gen und Krankheitsverarbeitung der Patienten abzubilden.161
Der Gestaltungskurs für Krebspatienten gliedert sich in drei Phasen, mit insgesamt 22
Sitzungen von jeweils 90-minütiger Dauer. Diese Sitzungen fanden wöchentlich mit fünf
bis acht Teilnehmern statt. Die drei Phasen des Kurses bauen aufeinander auf und
entwickeln sich von stark strukturierten hin zu freieren Gestaltungsangeboten. Insgesamt
78
erstreckte sich der Kurs über fünf Monate, was das Erlernen von Gestaltungstechniken
und eine Annäherung an persönliche Themen in einem kontinuierlichen Zeitrahmen
ermöglichte.
Phase 3 (14.-21.Stunde):
Das Buch wird handwerklich umgestetzt und gestaltet. Dazu wird zunächst das Buch-
binden erlernt. Dann wird das Buch inhaltlich und künstlerisch gestaltet. Es können
persönliche Erfahrungen festgehalten und dargestellt werden. Die Teilnehmer werden
ermuntert, das Innenleben des Buches frei zu gestalten. Von diesem Zeitpunkt an tritt die
Strukturierung des Kurses zurück, sodass die Teilnehmer einen größtmöglichen Gestal-
tungsspielraum haben.
79
Die wissenschaftliche Begleitung des Kurses bestand aus der genauen Beschreibung des
Konzeptes, der Entwicklung des Manuals und der Evaluation auf der Grundlage eines
multimodalen Forschungsdesigns mit qualitativen und quantitativen Methoden. Es fanden
Prä-Post-Untersuchungen mit Hilfe von Fragebögen und halbstrukturierten Vor- und Nach-
gesprächen statt, die qualitativ ausgewertet wurden.162 Mit den Fragebögen wurde das
Verarbeitungsverhalten der teilnehmenden Patienten abgefragt.
Die Untersuchung ergab, dass die psychische Belastung der Patienten auch nach der
akuten Behandlung überdurchschnittlich hoch ist und dass die Depressivität der Patienten
im Verlauf der Intervention nicht abgenommen hatte. Allerdings war die Ängstlichkeit der
Teilnehmer nach dem Kurs geringer ausgeprägt. Ebenso schätzten die Teilnehmer ihre
psychische Belastung im Verlaufe des Kurses geringer ein. Wichtigste Strategien der
Krankheitsverarbeitung waren die Suche nach sozialer Einbindung und die Abwehr von
Bedrohung. Spiritualität spielte nur eine nachrangige Rolle.
Der Begriff der Ikone hat hier eine über den allgemein bekannten Kontext hinaus weisende
80
Bedeutung. Er geht ursprünglich auf das griechischen Wort eikenai zurück, dass mit
"bedeutungsvolles Bild" übersetzt werden kann und vor allem religiöse Bedeutung hat.165
In Healing Icons geht es jedoch mehr um eine individuelle Bedeutung und den
persönlichen Akzent von Erfahrung mit der eigenen Erkrankung als um eine transzen-
dente, heilige Bedeutung des Bildes. Jede Sitzung des Programms besteht aus drei
Komponenten, einer Gruppendiskussion, einem didaktischen Element und einer sich
anschließenden Atelierzeit.166 Jeweils zu Beginn der Sitzungen finden die Gruppen-
diskussion statt.
Sitzung I:
In der ersten Sitzung werden die Ziele und Schwerpunkte des Programms dargelegt. Die
Teilnehmer werden um Zustimmung zu den therapeutischen Regeln gebeten. Dann wird
eine zeichnerische Brainstormingtechnik, Scribble In,167 angeleitet, mit der sich jeder
Teilnehmer anhand einer Zeichenskizze vorstellt. Durch Auswahl und Zeichnung eines
Buchstaben des Alphabetes illustrieren die Teilnehmer ihre Gefühle.
Der die Gruppe begleitende Künstler gibt einen Überblick über die Geschichte der Ikone
und stellt Prinzipien und Leitsätze des Programms vor. Kunst wird hier als Instrument zur
Selbstentdeckung gesehen. Es wird betont, dass ein künstlerischer Lernprozess während
des Programms stattfindet, aber kein künstlerisches Talent vorausgesetzt wird. Die
Teilnehmer werden gebeten, kleine Objekte zu sammeln, die für sie eine besondere
Bedeutung haben und Kraft symbolisieren. Außerdem wird das Führen eines Tagebuches
empfohlen, das Gefühle, Träume und Gedanken während des Programms dokumentiert.
81
An die Gruppendiskussion schließt sich die Atelierzeit, das open studio an. Die Teilnehmer
haben nun Zeit über die Struktur und Form ihrer Healing Icons nachzudenken, Fragen zu
stellen und sich auszutauschen. Hier ist Raum für Gespräche der Teilnehmer
untereinander.
Sitzung II:
Nach einer Konzentrationsübung präsentieren Teilnehmer ihre gesammelten Fundstücke
in der Gruppe. Dies können Karten, Andenken oder auch Gegenstände sein, die sie in der
Natur gefunden haben. Es findet ein Austausch über deren Bedeutung statt. Die Gruppen-
leiter schließen diese Phase mit Hinweisen ab, dass es wichtig ist, im weiteren
Programmverlauf auf eigene Impulse zu hören und diese in den Gestaltungsprozess
miteinzubeziehen. Dazu wird der Begriff des intuitiven Selbst eingeführt.168 Anschließend
findet die Atelierzeit statt.
Sitzung III:
Nun sind die Teilnehmer mit dem Format des Programms vertraut. Der künstlerische Grup-
penleiter gibt Informationen zur Verwendung von Farben und leitet dann die Atelierzeit ein.
Währenddessen haben die Gespräche der Teilnehmer häufig Farben, Formen und eigene
Vorstellungen von der Ikone zum Inhalt. Es finden erste Entscheidungen zur Gestaltung
der Ikone statt. Eine Auswahl der für die Assemblage in Frage kommenden Objekte wird
getroffen. Mit der Aufgabenstellung, persönliche Erfahrungen im Kontext der Erkrankung in
der Healing Icon zu visualisieren, können nun auch belastende Emotionen wie Verlust,
Trauer und Angst ausgedrückt werden.
Sitzung IV:
Während der vierten Sitzung ist meist bereits eine vertraute Atmosphäre in der Gruppe
vorhanden. Es werden mit der Gruppe auch persönliche Erfahrungen geteilt. Die Leiter der
Gruppe bitten die Teilnehmer, sich in ihrem Tagebuch zum Symbolgehalt ihrer Ikone zu
äußern. Während der Atelierzeit wird die Arbeit an der Ikone fortgesetzt. Manchmal sind
Teilnehmer mit ihr unzufrieden. Gefühle des Scheiterns, Ungenügens und Misslingens
auszudrücken, ist von großer Bedeutung und kann entlasten. Andere Gruppenteilnehmer
können mit ihrem Feedback helfen, die kritische Selbstbewertung zu korrigieren. Die
Gruppenleiter betonen ebenfalls die Stärken, die sie bei den Teilnehmern wahrnehmen.
82
Diese werden gebeten, ihre Reflexionen zur vierten Sitzung in ihrem Tagebuch
festzuhalten.
Sitzung V:
Zu diesem Zeitpunkt sind die Einzelkomponenten des Kurses, die Hausaufgaben, die
angeleiteten Übungen und die Atelierzeit zu einem einheitlichen Ganzen verknüpft worden.
Die Teilnehmer stellen nun ihre Ikone fertig. Meist sind die Vorbereitung für den Abschluss
von Widerwillen begleitet. Auch diese Erfahrungen gehören in das schriftliche Resümee
des Tagebuches. Der eigene Lernprozess wird schriftlich bilanziert.
Sitzung VI:
Die letzte Sitzung unterscheidet sich von allen vorhergehenden. Die gesamte Zeit wird für
das Gruppengespräch aufgewendet, das Evaluation und Resümee miteinschließt.169 Die
Teilnehmer reflektieren ihre fertiggestellten Ikonen in der Gruppe und fassen den
emotionalen Gehalt zusammen. Die Gruppenleiter ergänzen dazu ihre Wahrnehmungen
zu den jeweiligen Teilnehmern. Als Abschlussritual wird für jeden Teilnehmer eine Kerze
angezündet und ein Text vorgelesen. Der jeweilige Teilnehmer nimmt seine Kerze mit nach
Hause. Diese symbolisiert die Unterstützung der Gemeinschaft, die entstandenen
Kontakte und die persönlichen Einsichten im Rahmen des Kurses.
Nach Beendigung des Kurses werden die Healing Icons in einer Ausstellung der Art and
Healing Gallery im Center for Cancer Treatment and Research gezeigt. Jeder der
Teilnehmenden erläutert mit einem ergänzenden Text, was ihm in Zusammenhang mit
seinem Werk wichtig erscheint.
So können auch Angehörige, Mitarbeiter und andere Patienten an den Erfahrungen der
Patienten teilhaben und das Healing Icons-Programm kennenlernen. In ein ausliegendes
Gästebuch können Kommentare zur Ausstellung geschrieben werden.170
83
2. Schaffung von Gelegenheiten für emotionale Heilungen172
3. Entdecken der Sinnhaftigkeit der Erfahrungen mit der eigenen Erkrankung173
4. Förderung von Selbsterkenntnis 174
Die Struktur des Programms erlaubt den Ausdruck tieferliegender belastender Gefühle,
ohne dass diese negative Auswirkungen auf die anderen Teilnehmer haben. Strukturelle
Einbindung, positives Feedback durch Gruppenleiter und Gruppenteilnehmer und
stützende didaktische Interventionen gewährleisten das Entdecken und Stärken vorhan-
dener Ressourcen.175 Positive Effekte der Healing Icons sind auf therapeutische Faktoren
des Gruppensettings und auf den kreativen Prozesses zurückzuführen. Heiney und
Kollegen heben, wie auch Luzzatto und Kollegen, die Bedeutung der gründlichen
Ausbildung des Gruppenleiters hervor.176
Die MBAT ist eine psychosoziale Gruppenintervention, bestehend aus einer Kombination
von Achtsamkeitsübungen, poesietherapeutischen und kunsttherapeutischen Interven-
tionen. Die Gesamtintervention ist in Anlehnung an MBSR-Programme178 entstanden,
einer Folge von acht fortlaufenden, therapeutischen Einheiten von jeweils zweieinhalb
Stunden Dauer. Format und Ablauf der jeweiligen Sitzung ist standardisiert, aber bisher
nicht veröffentlicht.179 Die Teilnehmer erhalten Einführungen in verschiedene Achtsam-
84
keits- und Meditationsübungen180. Zu den Aktivitäten ausserhalb des Gruppenangebots
gehören Hausaufgaben, 30-minütige Meditationen, die sechs Mal wöchentlich durchge-
führt werden sollen und die Empfehlung, ausgewählte Texte des MBSR-Programms zu
lesen. Die kunsttherapeutischen Bausteine der MBAT bestehen aus gelenkten und freien
Bildthemen. Die Gruppen werden von einem ausgebildeteten Kunsttherapeuten geleitet,
der gleichfalls MBSR-Ausbilder ist.181
Das multimodale Design der MBAT bietet die Möglichkeit sprachlichen sowie nicht-
sprachlichen Ausdrucks. Das Programm ist so konstruiert, dass gezielt Fähigkeiten
angesprochen werden, die die Selbstwahrnehmung und -regulation unterstützen.
Meditative Atem- und Achtsamkeitsübungen fördern Entspannung und ein Gefühl von
Kontrolle über Körper und Emotionen. Es werden Spielräume geschaffen, in denen
Erfahrungen mit der Erkrankung neu bewertet werden können.182 Diese Elemente sind
ursprünglich Strategien des MBSR-Programm, die die emotionale Verarbeitung fördern.
Die kunsttherapeutischen Anteile der MBAT erlauben den Ausdruck von belastenden
Emotionen. Die rechte Hemissphäre des Gehirns ist der vorherrschende Erinnerungs-
speicher traumatischer Erfahrungen.183 Eine Anregung dieses Bereiches durch kinäs-
thetische und sensorische Reize kann zu größerem Bewußtsein von bedrohlichen Erfah-
rungen und damit verknüpften Emotionen führen.
Zum Abschluß werden Bildinhalte und deren Bedeutung sprachlich reflektiert. So werden
emotionale Inhalte kognitiv eingebunden. Die drei Aspekte, gelenkte Aufmerksamkeit,
schöpferischer Selbstausdruck und soziale Einbindung in der Gruppe fördern die
Selbsterkenntnis.184 Die MBAT spricht sowohl kognitive als auch emotionale Formen der
Krankheitsverarbeitung an und begünstigt damit gesundheitsfördernde Selbstregulation.
85
Im Folgenden der Ablauf des MBAT-Programms: 185
Tab. 1
Woche MBSR MBAT
2
sensible Erkundung des Gestaltungsmaterials (Buntstif-
Body Scan-Meditation; Achtsam- te, Filzstifte, Pastell- und Aquarellkreiden, flüssige Far-
keitsübungen; Verknüpfung der be); Wahrnehmung der sensorischen Reize und deren
Aufmerksamkeit mit dem Atem Antwort
3
Sanftes Yoga und Sitzmeditationen; Erforschung der Körper-Geist-Beziehung; Festhalten
Wohlbefinden- und Loving Kind- der Veränderung dieser Beziehung vor und nach dem
ness-Meditation; sanften Yoga
4
Probleme im Bild lösen; sich bildnerisch um sich selbst
Erlernen kontemplativer Aufmerk- kümmern; Verwandlung von geistigem, emotionalem
samkeit; sanftes Yoga und Sitzmedi- und physischem Schmerz; Einführen einer Bildsprache,
tation; Loving Kindness-Meditation die die Fürsorge für die eigene Person etabliert
5
Ausweiten der bewussten Wahr- Erforschen der eigenen Meditationserfahrung:
nehmung; Sitzmeditation mit Ge- Collagenelemente einsetzen als Grundlage für Verbes-
danken und Gefühlen; Loving-Kind- serungen im Umgang mit Gedanken und Gefühlen
ness-Meditation
6
Physiologie des Stresses; Geh-Me- Bilder eines freudigen und eines belastenden Ereignis-
ditation; Loving-Kindness-Meditation ses und diese mit der Physiologie des Stresses in Ver-
bindung bringen; eigene Reaktionen auf Belastungen
günstig beeinflussen
7
Abend- oder Nachmittagsrückzug;
geführte Meditationspraktiken und Atelierzeit, freie Gestaltung
offenes Atelier
8
geführte Vorstellungsreise zu einem Vom Heilungsort aus etwas zeichnen, „Zeichne ein
Ort der Heilung; Rückschau auf das vollständiges Bild Deiner selbst“; Selbsteinschätzung im
Programm; Diskussion und Ausblick Bild
in die Zukunft
86
Die Selbstregulationstheorie nach Leventhal stellt den theoretischen Hintergrund des
MBAT-Programms dar.186 Hannah Leventhal erforschte in dee 60er und 70er Jahren wie
Angst in akuten Erkrankungssituationen dazu führen kann, gesundheitsfördernde Mass-
nahmen zu ergreifen. Das Kernmodel von Leventhals Selbstregulationstheorie beschreibt
die Verknüpfung von objektiver und subjektiver Repräsentation der Erkrankung, von
objektiven Informationen und vom subjektiven Prozess der Anpassung des erkrankten
Menschen. Das Zusammenspiel dieser Elemente hat unmittelbare Auswirkungen auf das
Stressniveau des Betroffenen. Leventhal und Kollegen wollten herausfinden, welche
Anpassungen und welche Übereinstimmungen herbeigeführt werden müssen, um mit
chronischen Erkrankungen zurecht zu kommen. Sie entwarfen ein Modell von drei
einander nachgeordneten Konstrukten:
1. Erkrankung
2. Anpassung an die Erkrankung
3. Nachvollziehen und Bewertung des Anpassungsprozesses
Leventhal analysierte wie Menschen ihre Emotionen bei Bedrohung ihrer Gesundheit
regulierten. Auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse entwickelten Kabbat-Zinn und Santorelli
das Mindfulness-Based-Stress-Reduction-Programm.187 Teile diese Programmes wurden
von Monti und Kollegen in ihre Kunsttherapieintervention (MBAT) integriert. Ziele dieser
Intervention ist die Verringerung von Stress und eine Verbesserung der Lebensqualität der
Krebspatienten.188 In ihrer Begleitstudie fanden Monti et al. heraus, dass der Distress der
Studienteilnehmer tatsächlich sank und die Lebensqualität sich verbesserte.189
87
fünf aufeinander aufbauenden kunsttherapeutischen Einzelsitzungen, die eine fünf-
wöchige Strahlentherapie begleiteten. Die Teilnehmerinnen wurden gebeten, Tagebuch zu
führen. Zu diesem Zweck erhielten sie ein liniertes Notizbuch mit kurzen schriftlichen
Hinweisen zur gewünschten Form ihrer Einträge. Sie sollten einmal pro Woche ihre
Erfahrungen, Gedanken und Gefühle, ihr Leben mit der Erkrankung betreffend,
festhalten.191
Ziele der Intervention waren, den Frauen die Möglichkeit der Reflektion und Exploration
ihrer emotionalen Situation anzubieten. Konkret waren dies die Reflektion des Körper-
bildes, Verminderung von Stress und Steigerung von Selbstwirksamkeit.
In einer ersten Studie 192 zeigte der Vergleich zwischen Teilnehmerinnen, die Kunsttherapie
in Anspruch genommen hatten und einer Wartegruppe, dass die Teilnehmerinnen an der
Kunsttherapie besondere Stärken entwickelten. Kunsttherapie verhalf ihnen zu einem
positiven Selbstbild, einem verbesserten Umgang mit Schmerz und einem auffallend
besseren Selbstwirksamkeitserleben. Darüber hinaus konnten positive Entwicklungen im
Bereich der Coping-Strategien und der Lebensqualität193 festgestellt werden.
Eine detaillierte Analyse der Tagebücher und Interviews der Studienteilnehmerinnen
zeigte, dass es ihnen gelungen war, sich von mehr traditionellen, geschlechtsspezifischen
Rollenmodellen und den damit verbundenen Einschränkungen zu distanzieren. Diese
Thematik ist eine spezifisch weibliche, da Frauen grundsätzlich mehr durch gesellschaft-
liche Rollenerwartungen eingeengt werden und im Vergleich zu Männern weniger leicht
ihre Grenzen expandierten und eigene Entwicklungräume beanspruchten.194 Eine
Folgestudie195 sollte Aufschluss darüber geben, inwieweit geschlechtsspezifische Ein-
schränkungen wahrgenommen werden und auf welche Weise die Teilnehmerinnen mit
dieser Problematik umgehen.
88
Intervention:
Sitzung 1:
- Inhaltlich
In der ersten Sitzung wird eine zeichnerische Umsetzung von Gefühlen wie Ärger, Furcht,
Missfallen, Bedauern, Liebe, Sehnsucht, Freude, Kummer, Leid, Schuld, Abscheu, Verge-
bung und den beiden Begriffen Mann und Frau thematisiert. Dann werden weitere Gefühle
als Bildthemen ausgewählt, die noch nicht erwähnt wurden, aber für die Teilnehmerinnen
wichtig sind. Diese sollen dann farbig gestaltet werden.
- Formal
Zeichnung, niedrigschwellige Einführung in die Arbeit mit bildnerischer Gestaltung:
Hier geht es um unmittelbare Erfahrungen am Material, eine spielerische Annäherung an
den künstlerischen Prozess. Der eigene bildhafte Ausdruck soll erkundet werden, ohne
Leistungsdruck hervorzurufen um den Ausdruck von Gefühlen zu begünstigen. 40 x 50 cm
große Papiere werden zur Verfügung gestellt, darüber hinaus Bleistifte, Kohle, Buntstifte,
Ölpastell, Öl und Tempera (in den Farben Rot, Gelb, Grün, Blau, Sienna, Schwarz und
Weiß).
Sitzung 2:
- Inhaltlich
In der zweiten Sitzung werden die Frauen aufgefordert, eine Körperumrisslinie in
Originalgröße anzufertigen. Dabei wurde großen Wert darauf gelegt, dass die Umrisslinie
des ganzen, realen Körpers gezeichnet wird. Dies soll Erfahrungen wachrufen, die die
Frauen mit ihrem Körper während der Behandlung des Brustkrebs machen. Diese
Erfahrungen verändern häufig das Körperbild der Frauen und deren Einstellung zur
eigenen Sexualität.
- Formal
Herstellung eines Körperumrisses auf einem lebensgroßen Format
Sitzung 3+ 4:
- Inhaltlich
Sitzung 3 und 4 stehen für die Auswahl eigener Themen zur Verfügung. So kann
Selbstwirksamkeit im Umgang mit Belastungen erfahren und die Wahrnehmung von
89
Bedeutungszusammenhängen im Rahmen der persönlichen Situation ermöglicht werden.
- Formal
Freie Themen- und Materialwahl
Sitzung 5:
Die fünfte Sitzung dient der reflektierenden Zusammenfassung und dem Abschluss aller
vorangegangenen Sitzungen.
Die Intervention ist so aufgebaut, dass in den ersten beiden Sitzungen strukturierte
Angebote gemacht werden. Es kann so über die Struktur ein Herantasten an das
bildnerische Arbeiten stattfinden. Die folgenden Sitzungen thematisieren freies Arbeiten.
Die Abschlusssitzung beinhaltet die rein verbale Reflektion der fünf Sitzungen. Die
Intervention besteht also aus zwei Blöcken, strukturierter Arbeit und freier Gestaltung, die
in der fünften Sitzung abgeschlossen werden.
Elizabeth Goll Lerner entwickelte das Programm Healing Journey für Patienten mit
schweren körperlichen Erkrankungen im ambulanten Bereich. Zu den Erkrankungen
gehören Tumorerkrankungen, Erkrankungen des blutbildenden Systems, Fatigue und
chronischen Schmerzen. Sie hat dieses Programm aus eigener Betroffenheit heraus
entwickelt.197
Die Healing Journey hat eine ähnliche zeitliche Struktur wie The Creative Journey von
Luzzatto und Gabriel 198, zehn Workshops von einer Dauer von ca. 2 Stunden. Das
geschlossene Gruppenangebot findet im wöchentlichen Turnus statt. Die optimale
Gruppenstärke besteht aus sechs bis acht Teilnehmern. Zu den Aktivitäten der Gruppe ge-
hören Gespräche, Arbeit mit künstlerischen Medien, ausgewählte Lesungen, geführte
Imaginationen und belastungsangepasste Bewegungsangebote wie z. B. Kreistänze. Die
90
Beschreibung der unterschiedlichen Interventionen erfordert die zentrale, richtungs-
gebende Rolle der Therapeutin. Interessierten Teilnehmern werden schriftliche Informa-
tionen gegeben, zu denen auch eine Literaturliste gehört.
Zu Anfang der Gruppensitzungen werden Textauszüge aus Büchern der Literaturliste
gelesen, um die Teilnehmer auf die unterschiedlichen Wochenthemen einzustimmen. Die
Healing Journey versteht sich als ein Psychoedukationsprogramm, das drei wichtige
Aspekte untersucht:
1. Die Beziehung zur Erkrankung selbst
2. Die Beziehung zu Familienangehörigen, Freunden, medizinischen und therapeutischen
Personal, also zum gesamten sozialen Umfeld
3. Die Beziehung zum Veränderungsprozess, indem sich die Patienten befinden
Das Gruppensetting unterstützt den explorativen Effekt der Healing Journey für die Teil-
nehmer. Nach Abschluss des Gruppenprogramms besteht die Möglichkeit einer Bildreflek-
tion der entstandenen Werke. Diese Einzelsitzung findet ausserhalb der Gruppe statt.199
Der thematische Leitfaden der einzelnen, aufeinander aufbauenden Workshops sieht
folgendermaßen aus:
1. Einführung
2. Der körperliche Aspekt der Erfahrung
3. Der körperliche Aspekt der Erfahrung im Verhältnis zu den Gefühlen,
Gedanken und Einstellung
4. Der emotionale Aspekt der Erfahrung
5. Der emotionale Aspekt im Verhältnis zu körperlichen Veränderungen und
Veränderungen der Gedanken und der Einstellung
6. Der psychologische Aspekt der Erfahrung
7. Der psychologische Aspekt der Erfahrung im Verhältnis zu körperlichen,
emotionalen und geistigen Veränderungen
8. Die spirituelle Veränderung
9. Das Spirituelle im Verhältnis zum körperlichen, emotionalen und gedanklichen Entwick-
lungsprozess
10. Die abschließende Gruppensitzung
91
Folgende Fragen werden im Laufe eines jeden Workshops zur Unterstützung des
therapeutischen Lernprozesses gestellt:
• Was taucht im Zusammenhang mit meiner Erkrankung in meinem Leben auf?
• An welchem Punkt befinde ich mich auf dieser Reise?
• Welche Entscheidungen habe ich getroffen und an welchem Punkt haben sich
Veränderungen vollzogen?
• Was motiviert mich diese Entscheidungen zu treffen?
• Was unterstützt mein Wohlbefinden?
• Wie verfüge ich über Anteile meiner Persönlichkeit, die mich am hilfreichsten durch diese
Reise führen?
Diese Kernfragen werden von vier verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet, dem
körperlichen, dem emotionalen, dem psychologischen und dem spirituellen. Die Fragen
greifen die Lebensentwürfe und -entscheidungen der jeweiligen Teilnehmer auf. Ziel ist die
Etablierung eines therapeutischen Settings, der es den Teilnehmenden ermöglichen soll,
aus ihrem isolierten, persönlichen Erlebnis- und Leidensbereich herauszutreten. Lebens-
erfahrungen sollen in der Healing Journey mit den anderen geteilt werden, im Gespräch
erkundet und damit verarbeitet werden können.
In ihrem Buch Kunsttherapie bei frühen Störungen stellt Renate Limberg200 ihre kunst-
therapeutische Intervention dar. Die Diagnosen, die unter diese Krankheitsbilder fallen,
sind u. a. narzistische Persönlichkeitsstörungen, Borderlineerkrankungen, Suchterkran-
kungen, Psychosomatosen und diffuse Befindlichkeitsstörungen, die sich in Gefühlen der
Leere, Verletzbarkeit und in Motivations- und Antriebsstörungen äußern können.201
Limbergs Intervention arbeitet mit abstrakten geometrischen Formen und deren
Gestaltung und Wahrnehmung durch die begleiteten Patienten. Da diese eine formale
Ähnlichkeit zur KSKT®202 aufweist, wird diese Methode im Folgenden vorgestellt.
Möglicherweise lässt die formale Verwandtschaft der Interventionen Rückschlüsse auf
Wirkungen der Interventionen zu.
200 Dr. Renate Limberg, Dipl.-Päd., Kunstpädagogin, Kunsttherapeutin, 1975-2003 Wissenschaftliche Mitar-
beiterin und Lehrbeauftragte für Kunsttherapie an der Universität zu Köln, Kunsttherapeutische Praxis
201 Vgl. Limberg 1998
202 Vgl. Kapitel 2. Entwicklung und Verortung der kurzen strukturierten Kunsttherapie, KSKT®
92
Limbergs Angebot richtet sich an Patienten im ambulanten Einzelkontakt. Sie gibt eine
durchschnittliche Dauer der Therapie zwischen 30-50 wöchentlichen Sitzungen an. Die
Patienten werden gebeten, auch außerhalb des therapeutischen Settings im Rahmen
bestimmter Vorgaben zu Hause zu malen. In dieser Zeit entstehen drei- bis vierhundert
Bilder.203 Das Ende der Therapie wird langsam vorbereitet. Dies geschieht durch weniger
häufige Sitzungen, die zunächst im Abstand von zwei, dann sechs bis acht Wochen
stattfinden. So wird es Patienten möglich, Lernerfahrungen aus der Therapie in den Alltag
zu integrieren und sich auf ein Ende der Therapie einzustimmen.
Patienten mit oben genannten Symptomatiken profitieren nur wenig von verbalen
Psychotherapien. Die Ursachen ihrer Erkrankungen liegen meist in der präverbalen
kindlichen Entwicklungsphase. Limberg spricht von strukturell ich-gestörten Persönlichkei-
ten.204
Konkret äußern sich diese Erkrankungen in einem Mangel an Selbstwertgefühl, geringer
Selbstachtung, Depression, Gefühlen der inneren Leere, Verlassenheit und Zurückweis-
ung und dem dauernden Verlangen nach Bestätigung.205 Limberg sieht die Ursachen von
Therapiebedürftigkeit generell nicht nur in äußeren Einflussfaktoren wie biographischen
Krisen, sondern auch in inneren Faktoren, wie nicht zur Verfügung stehenden Bewälti-
gungs- und Kompensationsmöglichkeiten.
Bewältigungsfähigkeit entsteht aus Wechselwirkungen zwischen intrapsychischen und
interaktiven Vorgängen, zwischen Subjekt und Umwelt, immer dann, wenn ein Ausgleich
zwischen spannungserzeugenden Reizen der Aussenwelt und spannungsvermindernder
Selbstregulation der Innenwelt stattfindet. Dieses System beruht auf Flexibilität und
Anpassungsfähigkeit.206 Eine Balance der hier wirksamen Kräfte entscheidet über
Therapiebedürftigkeit der jeweiligen Person. Bewältigungsstrategien entwickeln sich von
Kindheit an in Abhängigkeit zur kognitiven und emotionalen Entwicklung. Aktueller Be-
handlungsbedarf kann also Ursachen haben, die bis in die frühe Kindheit zurückreichen.207
Renate Limberg geht in ihrer Intervention sehr schonend vor. Ihr Ziel ist es, Patienten zu
fördern, zu stützen und eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Sie verzichtet darauf,
93
Patienten mit ihren Defiziten zu konfrontieren und strebt eine Umstimmung der emotiona-
len Reaktionsmuster an. Eigene Gefühle können im geschützten therapeutischen Rahmen
exploriert werden, sodass die Erfahrung von Selbstwirksamkeit gefördert wird.208
Es finden sich in ihrem Buch zwei Falldarstellungen aus Patientenperspektive. Diese
Begleitungen erstrecken sich über ein Jahr mit jeweils 28 bzw. 30 regelmäßigen
stattfindenen Therapiesitzungen.
Phase I
Bezugssystemveränderung, emotionale Umstimmung 210:
Patienten werden zu Beginn des therapeutischen Kontakts an den Umgang mit
bildnerischem Material herangeführt. Das Hauptaugenmerk in dieser Phase, wie in allen
folgenden, ist das Wohlbefinden der Patienten. Da bei Patienten mit frühen Störungen
keine postiven Introjekte vorhanden sind, ist ein sensibler Umgang mit den Befindlich-
keiten und Bedürfnissen der Patienten wichtig. Den Patienten sollen hedonistische
Gegenwartserfahrungen mit den Medien Farbe und Form zugängig gemacht werden. Der
Gestaltungsprozess soll grundsätzlich eine positive und wohltuende Wirkung haben.
Bildnerische Themen sind Komplementärkontraste, Qualitäts- und Quantitätskontraste,
Symetrie, bildnerisches Gleichgewicht, Lavieren und Lasieren und die Qualitäten
unterschiedlicher Farben.
Die Kunsttherapeutin hat vor allem eine stützende Funktion. Sie bringt dem Patienten ein
hohes Maß an Akzeptanz entgegen und arbeitet nicht direkt an der Abwehr.
Phase II
Aufbau von positiv besetzten Strukturen, Schaffung eines intermediären Raumes
durch das Entwickeln von Ordnungen mit Hilfe von varianten und invarianten bild-
nerischen, farblichen und formalen Ordnungskategorien:
In dieser Phase wird die Formerfahrung und die damit verknüpfte Wahrnehmung vertieft.
94
Patienten wählen einfache geometrische Formen aus, die sie dann auf ihre individuelle Art
und Weise darstellen können. Eine Differenzierung ist durch farbliche und formale
Veränderungen möglich. So kann die Selbstwahrnehmung sensibilisiert werden. Erfah-
rungen des Geborgen- und Gehaltenseins können durch Wiederholungen positiv besetzter
Formen und Farben aktiviert werden. Der Rückgriff auf Bekanntes unterstützt die
Wahrnehmung von Kontinuität und Stabilität.
Phase III
Entwicklung von Bewältigungskapazität, Erweiterung der Selbst- und Objekterfah-
rung durch Entwicklung von Affektivität, Urheberschaft, Selbstkohärenz und Konti-
nuität:
Mit gezielter Auswahl und Gestaltung von Formen erfahren Patienten, dass sie eigene
Gefühle hervorrufen, beinflussen und damit kontrollieren können. Sie können bildnerische
Bewältigungsstrategien entwickeln. Das ermöglicht Patienten Reaktionsmuster, die bisher
als unangemessen erlebt wurden, zu Gunsten von flexibleren und stützenderen Strukturen
aufzugeben. Mit Hilfe selbst entwickelter Bildvariationen können Lösungen für emotionale
Konflikte im Bild erarbeitet werden. Die Aufgabe des Therapeuten ist es, Belastbarkeit und
Selbstüberforderung des Patienten zu erkennen, gegebenenfalls zu intervenieren und den
dosierten Umgang mit Gegensatzspannung stützend zu begleiten.
Phase IV
Zusammenfassung und kognitive Verarbeitung:
in dieser Phase geht es im Gespräch mit der Therapeutin um die Reflektion des gesamten
therapeutischen Prozesses. Wahrnehmung der veränderten Muster des Erlebens und
Verarbeitens, Wiederherstellung affektlogischer Schemata und die Bewusstwerdung
modifizierbarer emotionaler Erfahrungen können die Entwicklung von Anpassungsmecha-
nismen einleiten und zu konstruktiveren Lösungen im Alltag führen.
95
Fortdauer psychischer Störungen entgegen wirken soll.211 In der Kunsttherapie könnte
eine allgemein gültige Defintion des Begriffs Intervention hilfreich sein, denn die
Darstellungen von kunsttherapeutischen Interventionen unterscheiden sich stark in ihrer
Nachvollziehbarkeit. So könnte, was in der Praxis an wertvollen Interventionen entstand
und entsteht, für kunsttherapeutische Kollegen und fachlichen Nachwuchs anwendbar,
diskutier- und modifizierbar werden.
96
9. Ist die Abschlusssitzung Teil des Prozesses oder additiv?
10. Findet eine wissenschaftliche Begleitung statt? Welche Personen führen diese durch?
11. Liegt ein Manual der Intervention vor?
Luzzatto und Kollegen haben zwei Interventionen, die Body Outline212 und die Creative
Journey213, entwickelt. Die Creative Journey ist ein Angebot, dass sowohl im ambulanten
wie auch im stationären Bereich eingesetzt wurde. Es richtete sich an Transplantations-
patienten im stationären Einzelsetting und an ambulante Patientengruppen. Die ambulante
Gruppengröße variierte zwischen 6 und 12 Teilnehmern.214 Im klinischen wie auch
ambulanten Anwendungsbereich wurde die Intervention von einem Kunsttherapeuten und
einem graduierten Kunsttherapiestudenten im Praktikum durchgeführt, die wöchentlich
Supervision durch einen zertifizierten kunsttherapeutischen Supervisor erhielten.
Psychologen zeichneten sich verantwortlich für die wissenschaftliche Begleitung der
Evaluationsstudien.215
Einzelsitzungen mit der Creative Journey auf der Isolationsstation dauerten in der Regel
jeweils eine Stunde. Einige Patienten stellten auch Bilder in Abwesenheit der
Kunsttherapeuten her. Auch Besucher beteiligten sich an der Creative Journey mit der
Gestaltung von einzelnen Bildern.216
Die Creative Journey ist eine rein kunsttherapeutische Methode. Die insgesamt zehn
Workshops gehören zu den kurz- bis mittelfristigen Interventionen. Geht man davon aus,
dass das Programm mit je einem Workshop von ca. einer Stunde pro Woche bearbeitet
werden kann, dauert die Durchführung ca. 6 Wochen. Im Falle einer planmäßig günstig
verlaufenden Transplantation ist das die volle Behandlungszeit. Da Transplantationen
jedoch selten nach Plan verlaufen, kann eine kunsttherapeutische Begleitung durchaus
länger andauern und so auch die Creative Journey. Die Autoren bezeichnen die Creative
Journey jedoch als Kurzzeitintervention.217 Werden die Workshops in Eigenregie im
Einzelsetting und relativ rasch durchlaufen, ist die Dauer auf drei bis vier Wochen verkürzt.
97
Aus der Beschreibung der Intervention mit knochenmarktransplantierten Patienten geht
nicht hervor, ob eine Abschlussitzung im Einzelsetting stattfindet.
Insgesamt wird die Vorrangstellung des bildnerischen Prozesses als Ausdruck inneren
Erlebens betont. Es besteht die Möglichkeit, das innere Erleben sprachlich zu reflektieren.
Dies ist jedoch nicht erklärtes Ziel des Programms.218 Es entsteht vielmehr eine Bildfolge
zu unterschiedlichen Einzelthemen.
Im ambulanten Gruppenangebot leiten die Kunsttherapeuten zusätzlich Vorstellungsreisen
als ergänzende Interventionen an, um Entspannung und eine vertrauensvolle Haltung der
Patienten gegenüber der Gruppe und des Interventionsprogramms zu begünstigen. Dabei
wird auf Formulierungen Wert gelegt, die eine Hinwendung zur inneren Welt der Patienten
fördern.219 Die Zeit, die Patienten für die Gestaltung ihrer Bilder zur Verfügung steht,
beträgt zwischen 30 und 45 Minuten.220
Die Creative Journey thematisiert zu keinem Zeitpunkt die Erkrankung selbst, obwohl
zentrale Anliegen die Selbstreflektion der Patienten 221, das Wahrnehmen eigener Motive,
Emotionen und Entwicklungen222, Aktivierung von Ressourcen 223, die Förderung von
Entspannung, Minderung von Druck224 und die Entdeckung von Selbstwirksamkeit225 sind.
Luzzatto und Kollegen gehen sensibel mit der Benennung von Problembereichen um.226
Ausserdem wird der Abschluss der Creative Journey bildnerisch thematisiert. Wenn
98
Patienten den Wunsch haben in einer Einzelsitzung den Abschluß nochmals zu
reflektieren, wird dies möglich gemacht.
Das Nondirektive der Intervention gibt Raum für persönliche Entwicklung und Exploration.
Dies kann auch mittelbare Auswirkungen auf die Krankheitsverarbeitung haben. Die
Intervention stellt einen bildnerischen Erfahrungsraum dar, indem individuelle Belastun-
gen, aber auch Kompetenzen wahrgenommen werden können und die Autonomie
gefördert wird.
Mit der Body Outline bieten Luzzatto und Sereno Krebspatienten ein Instrument an, um
das momentane körperliche Befinden auszudrücken und sich damit zu entlasten.227
Die Body Outline ist eine Kurzzeitintervention zum einmaligen Einsatz von 30-60 Minuten
oder auch als Einstiegsintervention für Kunsttherapiesitzungen. Das Instrument wurde von
Kunsttherapiestudenten entwickelt. Wer die begleitende Evaluationsstudie durchführte, ist
nicht ausdrücklich in dem Artikel erwähnt, vermutlich, wie in der vorangestellten
Untersuchung der Creative Journey am gleichen Klinikum, von psychologischen
Mitarbeitern.
Da Gefühle nicht immer bewusst sind, werden diese mit der Body Outline als nonverbaler
symbolischer Ausdruck aktiviert.228 Andererseits heißt es im Text: "The use of free
association and reflection on the imagery connects the patients to their affects and life
experiences and the pain may become more meaningfull and bearable.“ 229
Es werden also freie Assoziationen angeleitet, die die Reflektionen zur Body Outline
vertiefen. Allerdings sind diese nicht explizit Teile der Intervention.
Es entsteht mindestens ein Bildobjekt. Allerdings kann auch eine Bildfolge entstehen, die
dann einen gewissen Dokumentationscharakter hat oder so genutzt werden kann, vor
allem wenn die Body Outline als Einstiegsintervention in kunsttherapeutische Sitzungen
genutzt wird. Zentrale Themen wie Schmerz oder andere Belastungen im Kontext der
Erkrankung können ausgedrückt werden. Diesen kann dann im eigenen Leben eine
bestimmte Bedeutung zugewiesen werden.230 Man kann von einer ebenso kathartischen
wie integrativen Wirkung sprechen. Der Innen- und Außenraum der Körperumrisslinie lässt
die Darstellung widersprüchlicher Aspekte des eigenen Erlebens und der Krankheitsverar-
99
beitung zu. Eine Reflektion der psychosozialen Situation kann zwar stattfinden, ist aber
nicht zielführend.231
Geue et al. haben mit ihrem ambulanten Gestaltungskurs für Krebspatienten 232 die zeitlich
umfassendste der hier vorgestellten Interventionen entwickelt. Es finden insgesamt 22 je
90-minütige Gruppensitzungen statt. Damit gehört das Angebot zu den Langzeitinter-
ventionen. Der Kurs reagiert auf die hohe psychische Belastung vieler Patienten nach der
stationären Behandlung.233
Aufeinander aufbauende Kurseinheiten führen von mehr strukturierten Themen zu
größerer inhaltlicher und formaler Freiheit in der Gestaltung der Bilder bis hin zur
Sammlung und Bündelung der Werke in einem selbst hergestellten Buch. In diesem Kurs
entstehen also mehrere Bilder in Folge, die zu einem Buch gebundenen werden.
Kunstpädagogische Aktivitäten wie die Vorstellung von Kunstwerken und die Vermittlung
künstlerischer und kunsthandwerklicher Techniken ergänzen den Kurs.234 Eine Verbesse-
rung der Krankheitsverarbeitung wird nicht ausdrücklich in den Zielen der Intervention
formuliert, dennoch gehen Götze und Kollegen von einem Effekt diesbezüglich aus.235
Dieser Effekt wird mit einem Fragebogen, den Trierer Skalen zur Krankheitsbewältigung 236
abgefragt.237 Über die Hälfte der Teilnehmer bestätigen in einem Abschlussinterview eine
positive Wirkung des Kurses auf die Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung.238
100
Ein ausgebildete Künstlerin leitet den Gestaltungskurs. Daten der Begleitstudie wurden
vom psychologischen Begleitteam ausgewertet. Eine Abschlusssitzung wird nicht explizit
erwähnt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese im Gruppensetting stattfindet. Eine
detaillierte Beschreibung der einzelnen Kurseinheiten wäre hilfreich, da so ein besserer
Nachvollzug der Intervention gegeben wäre. Prinzipiell ist eine Intervention über einen
derart langen Zeitraum im ambulanten Setting dazu geeignet, den Übergang von der
akuten Behandlungsphase in eine neue, der Erkrankung angepasste Lebenssituation zu
unterstützen.
Healing Icons239 ist eine ambulante Kurzzeitintervetion für Krebspatienten. Eine Künstlerin,
mit Leitungserfahrung von kunstpädagogischen Gruppen und eine als Gruppenleiterin
ausgebildete Krankenpflegerin haben das Kunstprogramm Healing Icons gemeinsam
entwickelt und begleitet.240
Die Gruppestärke variiert zwischen vier und neun Teilnehmern. Die Patienten stellen
während des Programms ein Kunstobjekt her, eine Assemblage, die die persönliche Sicht
des jeweiligen Teilnehmers auf seine Krebserkrankung repräsentiert Über die Gestaltung
der Assemblage hinaus sind Vorstellungsreisen und Tagebuchführen Bausteine des
Programms. Eine Evaluation der Intervention fand in Schriftform statt. Programm-
teilnehmer und Cofacilitators äußerten sich dazu.241
Die Verbalisierung emotionaler Inhalte ist zwar kein explizites therapeutisches Ziel des
Programms, doch mit Führen des Tagebuchs wird die Sprachebene im Programm imple-
mentiert. Fraglich ist, ob das Führen des Tagebuchs nur der Datenerhebung diente oder
ob es auch nach Durchführung der Studie ein Interventionsbaustein bleiben sollte.
Es wird in der Darstellung des Programms darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, die
Position der Therapeuten zu entkräften und damit mehr Raum für Teilnehmer und deren
Wahrnehmung zu schaffen. Die Krankheitsverarbeitung wird nicht als therapeutisches Ziel
101
benannt. Eine Abschlusssitzung findet im Gruppensetting statt. 242
102
lösungsstrategien im Sinne des Umgangs mit negativ besetzten Emotionen und der
fürsorgliche Umgang mit der eigenen Person bis hin zur Erfahrung von Selbstwirksam-
keit.250 Es wird eine Folge von Bildern gestaltet. Das abschließende Selbstbild
repräsentiert die persönliche Erfahrung und Entwicklungsschritte, die während des MBAT-
Programms gemacht wurden. Bevor Patienten nach den strukturierten Teile der Treffen ins
Open Studio entlassen werden, werden Körper- und Achtsamkeitsübungen zur
emotionalen Stabilisierung durchgeführt. Die Workshopfolge und das Abschlussthema
Selbstbild fördern, verankern und reflektieren die eigene Entwicklung.
Kunsttherapie als sicherer Raum zum Probehandeln ist eine Intervention von Öster und
Kollegen251. Es handelt sich um eine kunsttherapeutische Einzelintervention für Frauen,
bei denen eine fünfwöchige stationäre Strahlentherapie durchgeführt wird. Die Therapie-
sitzungen finden jeweils einmal pro Woche statt.
In einer wissenschaftlichen Begleitstudie wurde das Selbst- und Rollenbild sowie
Veränderungen des Copingverhaltens von Frauen im Kontext einer Brustkrebserkrankung
untersucht.252 Interviews, die im Rahmen der Studie stattfanden, wurden von zwei
Kunsttherapeuten im Wechsel durchgeführt, sodass die Patientinnen jeweils von einem
Therapeuten befragt wurden und von einem anderen therapeutisch begleitet.253 Drei
weitere Personen des Projektteams werteten die erhobenen Daten aus.254
Neben den Interviews führten die Studienteilnehmerinnen über ein halbes Jahr hinweg
Tagebuch. Obwohl nicht ausdrücklich erwähnt wird, ob die Tagebücher als Teil der
Intervention zu betrachten sind oder der Datenerhebung dienten, so kann doch von einem
multimodalen Ansatz gesprochen werden, da die Tagebücher therapeutischen Interven-
103
tionscharakter haben. Das Thema Krankheitsverarbeitung und der Ausdruck von
Emotionen wurden gezielt durch die kunsttherapeutische Aufgabenstellung der ersten
Sitzung eingeführt.255
Die Intervention wurde über fünf Wochen hinweg durchgeführt und gehört damit zu den
Kurzzeitinterventionen. In vier der fünf Sitzungen entstehen Bilder zu unterschiedlichen
Themen, also eine Bildfolge; in der fünften Therapiesitzung wird der therapeutische
Prozess reflektiert und zusammengefasst.256
Die Auswertung der Interviews zeigt, dass Selbstbestimmung und die Deutungshoheit
eigener Bilder und Erfahrungen zentrale Themen der an Brustkrebs erkrankten Frauen
sind.257
Elisabeth Lerner 258 macht in der Healing Journey, einer zehnwöchigen Gruppeninter-
vention die Krankheitsverarbeitung der Patienten zum zentralen Anliegen. Sie untersucht
mit den Patienten die persönlichen Erkrankungssituationen mit Hilfe eines festgelegten
Themenleitfadens.259 Die Healing Journey beinhaltet Interventionen mit künstlerischen
Medien, Lesen ausgewählter Texte, geführte Vorstellungsreisen und Bewegungselemente,
je nach körperlicher Belastbarkeit der Teilnehmer. Damit ist Lerners Vorgehen ein
multimodaler kunsttherapeutischer Ansatz. In ihrer Darstellung wird nicht ausdrücklich
erwähnt, ob das Angebot im stationären oder im ambulanten Rahmen erfolgt. Sie selbst ist
sowohl Kunsttherapeutin wie auch Psychotherapeutin.
Kritisch anzumerken ist, dass gerade Patienten, die nonverbale Therapieformen wie
Kunsttherapie wählen, auch einen individuell verfügbaren seelischen Raum für
emotionalen Ausdruck im Bildnerischen zur Verfügung haben sollten. Dieser kann
Erfahrungen von Autonomie und Selbstwirksamkeit jenseits sprachlichen Ausdrucks
möglich machen. Die ausgeprägte therapeutische Präsenz bei der Begleitung der Healing
Journey kann jedoch die Identifikation mit dem Gestaltungsobjekt erschweren und somit
die implzit ressourcenfördernden Aspekte der Kunsttherapie einschränken. Ein weiterer
104
Fokus in der Begleitung von Krebspatienten sollte das Aufspüren von Ressourcen sein.
Inwieweit diese in dieser Intervention thematisiert werden, bleibt offen. Es gehört
zumindest nicht zu den genannten Zielsetzungen Lerners. Werden Ressourcen mit
Krebspatienten erschlossen, stellen diese die kraftspendenden Kontrapunkte zu
schweren Erkrankungen und alltäglichen Nöten der Patienten dar.260
Die Intervention erstreckt sich über zehn Wochen und jede Sitzung dauert je zwei Stun-
den. Damit ist es eine Intervention von mittlerer Dauer. Obwohl in der letzten
Gruppensitzung der Abschluss bildnerisch thematisiert wird, wird nicht deutlich, ob dies
eine Reflektion des gesamten Kurses ist. Eine weitere Sitzung zur Reflektion im Einzel-
setting ist aber bei Bedarf der Teilnehmer möglich.261
105
nicht Inhalt der Begleitgespräche zu sein.264
Die Therapiesitzungen führte eine ausgebildete Kunsttherapeutin und -pädagogin
durch.265
Den Abschluss der Therapie beschreibt Limberg als schrittweise Integration der in der
Kunsttherapie gemachten Erfahrungen in den Alltag der Patienten. Dieser findet also mehr
in einem Zeitraum als in einer einzelnen Abschlussitzung statt. 266
Limberg betont das nicht begriffliche Herangehen an die bildnerische Darstellung. Es geht
um eine Sensibilisierung und Verdichtung der Selbstwahrnehmung bei den Patienten.
Bildinhalte werden nicht konkret gedeutet oder als Symbolisierungen bestehender
Problembereiche interpretiert. Es findet eine Zuordnung von individuellen Empfindungs-
werten und -nuancen statt, die auf Farb- und Formwerten gründen.
Erfinden und Malen eigener Farb- und Formkombinationen wird zur Möglichkeit, eigene
Gefühle zu steuern, sich selbst zu nähren und mehr Autonomie zu erlangen. Dieser Ansatz
ist innovativ. In der kunsttherapeutischen Interventionslandschaft fehlen spezifischen
Begleitungsformen, die Problematiken mit adäquaten kunsttherapeutischen Mitteln
beantworten und wie hier eine Verknüpfung von innerer und äußerer Welt erreichen. Wenn
Interventionsmethoden zielgerichtet entwickelt werden, kann die Kunsttherapie als nicht-
sprachliche Therapieform noch effektiver eingesetzt werden, und Klienten können mehr
Verantwortung für ihre eigene Weiterentwicklung übernehmen.
Die KSKT®267 kommt im stationären onkologischen Bereich zum Einsatz. Sie untersucht
explizit vorhandene Ressourcen und thematisiert auf dieser Grundlage Spielräume im
Umgang mit Belastungen. Dieser Vorgang bleibt zunächst im bildnerischen Bereich.
Die Zielsetzung und die Schritte der Intervention werden benannt, sind klar formuliert,
gegliedert und nachvollziehbar. Diese Transparenz fördert das Autonomieerleben der
Patienten. Mit zwei bis vier Sitzungen zu maximal je 60 Minuten ist es eine Kurzzeitinter-
vention, kann aber auch im Rahmen längerer therapeutischer Prozesse im ambulanten
Setting eingesetzt werden.
106
Die KSKT® ist eine rein kunsttherapeutsiche Intervention, die vor allem im Einzelkontakt
durchgeführt wird.
Krankheitsverarbeitung und emotionale Befindlichkeit der Patienten werden nicht direkt
angesprochen. Vielmehr spielen Emotionen und Wahrnehmungen der Patienten bei der
Umsetzung der einzelnen Interventionsschritte eine zentrale Rolle. Diese sind gewisser-
maßen der Kompass, um farblich und formal Empfindungsqualitäten ins Bild zu setzen
und dann im Bild zu identifizieren. Ein Gespräch über die Erfahrungen während des
Gestaltungsprozesses kann stattfinden, wird aber von Therapeutenseite nicht initiiert. Der
beschriebene Transfer von Emotionen in Farb- und Formwerte wird als therapeutisch
wirksam betrachtet. Die Umsetzung von Empfindungsqualitäten ins Bild befindet sich im
Kontrollbereich der Patienten und kann deshalb als Ressource wahrgenommen werden.268
Eine wissenschaftliche Evaluation findet im Augenblick statt und wird in Personalunion
Forscherin-Therapeutin durchgeführt. Dabei wird die besonders vulnerable Situation der
Patienten im Kontext einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung berücksichtigt. Die
begleitende Therapeutin hat eine staatlich anerkannte Ausbildung als Kunsttherapeutin
abgeschlossen und arbeitet seit über 20 Jahren in unterschiedlichen kunsttherapeutischen
Kontexten.
Es entstehen im gesamten Prozess ein Bild und verschiedene Bildelemente auf weiteren
Blättern, die mit dem ersten entstandenen Bildobjekt unter bestimmten Fragestellungen
flexibel kombiniert werden. Eine Abschlusssitzung, in der Perspektiven und persönlich
motivierte Ziele der Patienten durch Kombinationen der Bildelelemente formuliert und
daraus resultierende Erkenntnisse resümiert werden, findet innerhalb des konzeptionellen
Rahmens der KSKT® statt.
107
zu Beginn diesen Kapitels genannten Fragen270, macht deutlich, wie komplex ein Vergleich
der Methoden aus den unterschiedlichen Arbeitskontexten ist.271
Da Belastungen einer Krebserkrankung nicht nur das körperliche, sondern auch das
seelische Befinden stark beeinträchtigen, sollten generell die Bedürfnisse der Patienten
bei der kunsttherapeutischen Begleitung im Vordergrund stehen.
"Das allgemeine Ziel der Kunsttherapie mit schwerkranken Patienten ist ihre Lebens-
qualität zu verbessern, und die größte Herausforderung stellt das Bemühen dar,
somatische, psychologische und existenzielle Themen wie Schmerz, Verlust und Tod in die
Begleitung einzubinden."272
Nicht alle Patienten können bedrohliche Erfahrungen verbal-kognitiv verarbeiten.
Kunsttherapie kann gerade Patienten, die sich nicht mit ihrer Erkrankung und deren
Begleiterscheinungen konfrontieren können oder wollen, Medien anbieten, die eine
Entlastung und eine Spannungsabfuhr erlauben. Häufig gelingt es Patienten, im Anschluss
eine akzeptierendere Haltung gegenüber ihrer gesamten Situation einzunehmen.
270Kapitel 2.3. Interventionsvergleich und Verortung der KSKT® in der kunsttherapeutischen Interventions-
landschaft der Psycho-Onkologie:
1. Ist dies ein ambulantes oder stationäres Angebot?
2. Findet die Intervention im Gruppen- oder Einzelsetting statt?
3. Sind andere Methoden wie Vorstellungsreisen, Körperwahrnehmungsübungen etc.Teil der Inter-
vention?
4. Ist die Verbalisierung emotionaler Inhalte zentrales Anliegen bei der Durchführung der Intervention
oder liegt der Schwerpunkt auf der Gestaltung? Wird das Thema Krankheitsverarbeitung thema-
tisiert?
5. Entsteht ein Objekt oder eine Bild- bzw. Objektfolge?
6. Ist es eine Kurzzeitintervention (eine Therapieeinheit bis zu mehrfachen Treffen über sieben
Wochen), eine mittelfristige Intervention (zwei bis drei Monate) oder eine Langzeitintervention (drei
Monate bis zwei Jahre)?
7. Über welche Ausbildungen verfügen die Durchführenden (Künstler, Kunstpädagogen, Psychothera-
peuten Psychologen)?
8. Ist die Abschlusssitzung Teil des Prozesses oder additiv?
9. Findet eine wissenschaftliche Begleitung statt? Welche Personen führen diese durch?
10. Liegt ein Manual der Intervention vor?
271 Geue et al. 2010:
"Many theoretical approaches, concepts, methods and techniques are used in the art therapy interven-
tions. Because the designs of research projects differ significantly in terms of interventions used, ques-
tions asked, and samples it is hard to compare them with each other and in turn, currently hard to estab-
lish a common theoretical foundation of art therapy research."
272 eigene Übersetzung:
Luzzatto, Gabriel 1998: S. 745
108
2.4. Qualitätskriterien kunsttherapeutischer Interventionen in der Psycho-Onkologie
Auf der Basis der zu Beginn des Kapitels 2.3.273 gennanten Fragen haben sich
Qualitätskriterien identifizieren lassen, die im Folgenden begründet werden. Dabei ist die
erste Frage rein ordnend und nicht qualifizierend. Es geht um die Feststellung, aus
welchen kunsttherapeutischen und nicht-kunsttherapeutischen Bausteinen eine Inter-
vention besteht.
1. Rein kunsttherapeutische Intervention: Ist dies eine rein kunsttherapeutische oder eine
mit anderen Methoden kombinierte Intervention?
2. Manual der Intervention: Die Intervention ist in einem Manual beschrieben, das
einzelne Arbeits- und Interventionsschritte transparent, nachvollziehbar und wieder-
holbar darstellt. Auf der Basis des Manuals kann die Intervention von Patienten
verstanden werden. Die Transparenz wirkt in der therapeutischen Beziehung Angst
mindernd und Vertrauen stiftend. Ausserdem kann die Intervention von kunstthera-
peutischem Fachpublikum rekonstruiert, reflektiert und gegebenenfalls diskutiert werden.
Kurze, leicht verständliche und umsetzbare Interventionsschritte sind für Patienten
ebenso wie für kunsttherapeutische Fachleute hilfreich.274
273 Kapitel 2.3. Interventionsvergleich und Verortung der KSKT® in der kunsttherapeutischen Interventions-
landschaft der Psycho-Onkologie
274 Kapitel 2.1.2.3. Interventionsmanual der KSKT®
Luzzatto, Gabriel 1998: S. 745
Vergleiche Luzzatto et al. 1998
Appleton 1993: S. 71-77:
"There is a need for more flexibility and short-term crisis intervention.“
275 Kapitel 1.2.2. Der Begriff des Coping in der Kunsttherapie
Luzzatto, Sereno 2003: S. 141:
"The image can reflect the complexity of the patients positive and negative states of mind, and it may help
them reach some kind of emotional balance. It may lead to communication, but it may also be an end to
itself, as a non-verbal expression of very personal and private feelings and thoughts."
109
so dass sie sich als selbstbestimmt und autonom erleben können.276
Die folgende Tabelle schafft einen Überblick über die Merkmale der einzelnen
Interventionen.
110
Tab. 2: Kunsttherapeutische Interventionen im Vergleich
X: Symbol für zutreffend; O: Symbol für nicht zutreffend
Kriterien 1 2 3 4 5 8 6 7
Intervention rein Manual der Nonverba- Zurück- Interpreta- Abschluss- Evaluation Evaluati-
kunst- Interventi- ler Inter- haltung tionshoheit sitzung onsteam
thera- on ventions- des der Patien- Bestandteil
peuti- fokus Thera- ten der
sche peuten Inter-
Inter- vention
vention
1 Creative X X X X X X/O X X
Journey
2 Body X O X X X O X X
Outline
3 Gestal- X O X X X X X X
tungskurs
für Krebs-
patienten
4 Healing O X O O X X X X
Icons
5 Mindfull O X X X X X X X
based Art
Therapy
(MBAT)
6 Kunst- O X O O X X X X
therapie als
sicherer Ort
zum Probe-
handeln
7 Healing O O O O O X/O O O
Journey
8 Kunst- X O X X X ? O O
therapie bei
frühen Stö-
rungen
9 KSKT® X X X X X X X O
111
Interventionsschritte hilfreich. Sie würden zur Transparenz der Inhalte der Healing Journey
beitragen und den Patienten die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen.
Bei Intervention 5 ist die Therapeutenrolle vergleichsweise wenig betont. Dies lässt sich
auf achtsamkeitbasierte Übungen zurückführen, die das Erleben, Empfinden und die
Entspannung der Patienten fokussieren.
Zu Intervention 2, 3, 7 und 8 liegen bisher keine Manuale vor.
Intervention 2 ist eine einmalige Kurz- oder Einführungsintervention, die nicht manualisiert
dargestellt wird. Zu Intervention 3 soll zukünftig ein Manual veröffentlicht werden.279 Zu
Intervention 8 wäre ein Manual sehr interessant, dass die Entscheidungskriterien für die
Formentwicklung der Patienten und für die Vorschläge der Therapeutin thematisiert.
Interventionen 7 und 8 wurden nicht evaluiert. Intervention 9 wurde zwar evaluiert, aber
nicht durch ein Evaluationsteam, sondern durch Therapeutin und Forscherin in
Personalunion in einer qualitativen Studie.
Interventionen 4, 6 und 7 sind multimodale Interventionen mit psychotherapeutischen
Schwerpunkten. Das Bild stellt in diesen Fällen die Grundlage für die Bearbeitung
psychotherapeutischer Zielsetzungen dar. Andererseits kann die Intervention auf der
nonverbalen, rein bildnerischen Ebene therapeutisch wirksam sein. Es wäre wichtig zu
klären, inwieweit eine Begleittherapie in der Onkologie mit psychotherapeutischem
Schwerpunkt sinnvoll ist.280 Eine weitere Frage ist bei Interventionen 4 und 6, ob das
Tagebuch als Datenerhebungsinstrument zu betrachten ist oder als sprachlich-
therapeutische Intervention, die natürlich auch einen kognitiven Verarbeitungsmodus der
Gesamtintervention akzentuiert.
Die Intervention 8 weist strukturell-formale Ähnlichkeiten zur KSKT® auf281, wird aber nicht
im psycho-onkologischen Kontext eingesetzt. Die Intervention ist bisher nicht evaluiert
worden. Aber es liegt eine Veröffentlichung in Buchform 282 vor, die eine Reflektion enthält
und die Diskussion der Methode zulässt. Sie verfügt über zwei wichtige Qualitätskriterien
279 Diese Information erhielt ich von Marianne Buttstädt während der Tagung Kunsttherapie in der Onkologie
in Leipzig im November 2010. Marianne Buttstädt hat den Gestaltungskurs in ihrem Arbeitskontext mit-
entwickelt und durchgeführt.
280 Berend, Küchler 2010:
"Die Grundhaltung in der Psychoonkologie ist salutogenetisch ausgerichtet, es geht deutlich mehr um
Identifizierung und Förderung von Ressourcen als um Konfliktbearbeitung (...). Vielmehr können vor dem
Hintergrund einer grundsätzlichen supportiven Ausrichtung, tiefenpsychologische, verhaltens-, ge
sprächs-, trauma-, oder andere -therapeutische Ansätze wie beispielsweise systemische Kunst- oder Be-
wegungstherapie entweder in einzel- oder in familientherapeutischer Orientierung zur Anwendung kom-
men."
281 Die Ähnlichkeiten beziehen sich auf das abstrakte Form- und Farbrepertoire der Intervention und den
Transfer von emotionalen Qualitäten in Farb- und Formkombinationen.
282 Limberg 1998
112
für kunsttherapeutische Interventionsmethoden in der Onkologie, der nonverbalen Fokus
und die zurückgenommene Rolle des Therapeuten. Dieses Vorgehen stellt ein Modell für
wirksame kunsttherapeutische Interventionen in vielen anderen kunsttherapeutischen An-
wendungsbereichen dar. Die therapeutische Dynamik kann von Patienten selbst kontrol-
liert werden. Adäquate künstlerische Mittel für einen hilfreichen Verlauf des Prozesses, je
nach Problematik und Befindlichkeit der Patienten, zu entwickeln, bereitzustellen und
günstig zu beeinflussen, ist die elementare Aufgabe von Kunsttherapeuten über die Onko-
logie hinaus in allen Arbeitsbereichen der Kunsttherapie.
Für Intervention 9 sind Klientel und Zielsetzung wesentlich andere als bei Intervention 8.
Im Kontext der Psycho-Onkologie stehen psychosoziale Belastungen der Patienten im
Vordergrund, die bewältigt werden müssen. Die entwickelte Intervention KSKT® fördert wie
auch Intervention 8 eine abstrakte Darstellung, die nicht in bewertende Kategorien wie
schön-häßlich oder gut-schlecht eingeordnet werden kann, sondern zur Selbstwahrneh-
mung über Form und Farbe führt. Sobald die Selbstwahrnehmung angesprochen wurde
und ein Transfer von Empfindungsqualitäten in Form- und Farbqualitäten stattgefunden
hat, identifizieren sich die Patienten mit ihrem Werk, sodass der therapeutische Prozess
beginnen kann. Die entstandenen Bilder verfügen meist auch über ästhetische Qualitäten,
die eine positive visuelle Rückbindung an die entstandenen Bilder erleichtern. Wenden
sich Patienten im Laufe ihres stationären Aufenthaltes ihren bereits abgeschlossenen Bild-
folge erneut zu, so können sie sich ihres Entwicklungsprozesses rückversichern, Verände-
rungen konstatieren und anhand einer neuen Legung ihre Befindlichkeit bildnerisch aktua-
lisieren.
113
114
3. Zur Collage, eine künstlerische Arbeitsweise als kunsttherapeutische Intervention
"Der Collageblick ist ein Blick auf das uneinheitlich Ganze, das beziehungsvoll aus Teilen
besteht."283
"Daraus folgt, dass das Wissensspektrum eines Kunsttherapeuten breiter bzw. auch
anders gefächert sein muss als das eines verbalen Psychotherapeuten. Denn er soll
außer dem Wissen des Psychotherapeuten zugleich den Erfahrungshorizont eines
Künstlers und teilweise eines Kunstpädagogen und Kunsthistorikers besitzen."285
115
Im nun Folgenden werden obengenannte benachbarte Wissenschaften zum Phänomen
Collage befragt.286 Hier waren die historische Situation zur Zeit der Collageerfindung, aber
auch Collagen bzw. Assemblagen selbst, Aussagen und Biographien ausführender
Künstler und Erkenntnisse der Kunstpädagogik von Bedeutung.
Mit Hilfe eines dem Grunde nach inhaltsanalytischen Vorgehens, dass über die
Zusammenfassung der aussagefähigen Textstellen zur Entwicklung von sechs Kategorien
geführt hat, ließen sich zentrale Aussagen zur Collagen zusammenfassen. Diese werden
im folgenden Kapitel im Sechs-Faktoren-Model vorgestellt und als Wirkfaktoren der
Collage identifiziert. Dieses Ergebnis wird im Diskussionsteil zur Collage beleuchtet.287
Die Definition des allgemeinen Kunstbegriffs ist wie die Kunstproduktion selbst in ständiger
Entwicklung und in stetigem Wandel begriffen. Kunst ist ein Spiegel der Gesellschaft, ihrer
Werte, Ziele und Entwicklungen.
Der Begriff der Collage taucht erstmals zu Beginn des letzten Jahrhunderts auf. Er
markiert eine Phase der Veränderung der Gesellschaft und damit gleichermaßen der
Kunst.288 Das Gestaltungsprinzip Collage ist von diesem Zeitpunkt an bis heute in nahezu
allen aktuellen Richtungen der bildenden wie der darstellenden Kunst vertreten.289
Collage in der bildenden Kunst bezeichnet ein künstlerisches Verfahren, das verschiedene
Materialien wie Stoff, Papier, Photographien und andere vorgefundene Bilder zu neuen
Bildern und neuen Kompositionen zusammenfügt. Das Wort Collage ist an das franzö-
sische Verb coller (kleben) angelehnt.
286 Adorno 1970, Bayerthal 1967, Becker 2011, Bürger 1974, Dengler 2007, Gebser 1986, Goldhahn 2009,
Großmann 2010, Heartney 2004, Heiney & Darr-Hope 1999, Horst, van der 2009, Hopf 2010, 2012,
Jürgens-Kirchhoff 1978, Kollmorgen 1998, 2008, Levine 1998, Legler 2002, Luzzatto et al. 1998, 2000,
Menzen 2011, Moss 1999 Otto 1986, Pazzini 1986, Panofyky 1937, Reiterer 2002, Rubin 1990, Richter
2004 Saint-Phalle 2009, 1972, Schlingensief 2009, 2010, Sontag 1980 Sprenger-Gräßer 2000, Thorn-
Prikker 2004, 2007, Thorn-Prikker 2004, Wescher 1974, Zacharias 1986, Zepter 1981
287 Kapitel 3.4. Das Sechs-Faktoren-Modell zur Collage
Kapitel 5.2. Diskussion des Sechs-Faktoren-Modells zur Collage
288 Moss 1999: S. 5
"Wir können also die Einarbeitung eines Spiels im eigentlichen Spiel als eine erste Montagetechnik auf
dem Theater sehen. Doch den Gipfel ihrer historischen Bedeutsamkeit erreicht die Montage in den Avant-
garde-Bewegungen und neuen Medien der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts, vor allem auch durch
den Triumph von Film und Radio. Im Expressionismus bekam die Montage eine neue Funktion, nicht nur
im Drama, sondern vor allem literarisch."
Rötzer 1992: S. 301
289 ZEIT - Newsticker,10.02.2008
vgl. Horst, van der 2009: 11.02.2008
Großmann 2010: 07.04. 2010
116
Die Vorläufer der Collage bzw. der Montage290 und des Materialbildes lassen sich bis weit
in vergangene Jahrhunderte verfolgen. Es finden sich Produkte des Kunsthandwerks und
der Volkskunst, die unabhängig von den in der Kunst entstandenen Werke betrachtet
werden können. Sie weisen keine inhaltlichen Zusammenhänge zu den Collagen auf, die
im 20. Jahrhundert entstanden sind.291
Die Entwicklung der Collage trug zur Abstraktion der bisher an der sichtbaren Realität
orientierten Kunst bei. Insgesamt besitzt sie ein weit gefächertes Formenrepertoire, dass
nicht allein auf das geklebte Bild beschränkt ist, sondern die Papiercollage (Matisse),
Grafikcollage, Textcollage (Schwitters), Décollage (Wolf Vostell), Montage (Arp, Ernst),
Assemblage (Rauschenberg), Textilcollage (Delaunay), die Collagenromane (Ernst, Höch,
Heartfield), das Materialbild und das Objet trouvé (Duchamp) mit einschließt.292
In ihren Anfängen setzte sie sich aus Zeitungsausschnitten, Fragmenten bereits vorhan-
dener Bildern, Flug- und Notenblättern und Textbruchstücken zusammen, die als Teile der
modernen Realität zu neuen Bildaussagen kombiniert wurden. Dies führte zu einer neuen
Formensprache, da Bildausschnitte ihrer ursprünglichen Bedeutungszusammenhänge
enthoben und mehr im Sinne der reinen Form eingesetzt wurden.293 Durch Kombination
fremdartiger Elemente im Bild entstand ein vielschichtiger, irrealer Farb-, Form-und
Klangraum.
Annegret Jürgens-Kirchhoff stellt in ihrem Buch Technik und Tendenz der Montage im
ersten Kapitel die Frage, ob die Montage als Paradigma der Moderne anzusehen sei. Sie
kommt zu dem Ergebnis, dass das Spannungsverhältnis von Abstraktion und Realitätsdar-
stellung in der Montage richtungsweisend die Kunst des letzten Jahrhunderts beeinfluss-
te.294 Die ästhetische Praxis der Collage ahmte die Wirklichkeit nicht nach, sondern erfand
eine neuartige, subjektive Wirklichkeit.295
117
"Die Abstraktion vom konkreten Gegenstand zugunsten einer elementaren Form soll
leisten, was bis dahin nicht möglich schien: die Überwindung der Grenzen und Rang-
unterschiede zwischen künstlerischen Gattungen. Alle möglichen Formen und Stoffe
sollen fortan in Kommunikation treten können. Ein neues Maß an Freiheit bemächtigte sich
des schöpferischen Bewusstseins."296
Anhand dreier Beispiele aus der Kunst, den Anfängen der Collage bei Braque und
Picasso, den Äußerungen von Künstlern, die sich Ende der sechziger Jahre an der
Ausstellung Collage 67 beteiligten und einer aktuellen Collage von Gerhard Richter, WAR
CUT, werden im Folgenden die Charakteristika des Phänomens Collage beschrieben.
Mit der Collage scheint eine offene, fragende Geisteshaltung einherzugehen, die sich mit
der Formulierung des individuellen Blicks auf die Wirklichkeit befasst.297 Aus dieser
Haltung heraus kann Wirklichkeit als prozesshaftes, lebendiges Phänomen mit unter-
schiedlichen Teilaspekten wahrgenommen werden. So fällt auch die historische
Erscheinung der Collage in eine Phase der Neuorientierung, die gekennzeichnet ist durch
Offenheit, Aufbruch, Experimentierfreude und Suche.
1. Braque und Picasso lebten und malten in jener Zeit des Aufbruchs der Moderne und
waren die Ersten, die mit der Collage arbeiteten (1909/1910). Der einzelne Mensch und
seine subjektive Sichtweise spielten gesellschaftlich, politisch und so auch in der Kunst
eine zunehmend bedeutende Rolle. Nicht mehr Gesetzmäßigkeiten und Hierarchien,
sondern Einzelne und deren Wertigkeiten traten mehr in den Vordergrund. Dem
Individuellen wurde eine größere Wertschätzung zuteil.
118
3. Gerhard Richter thematisierte in seiner Arbeit WAR CUT (2003) das Verhältnis zwischen
einer bedrohlichen Wirklichkeit und deren Verstehen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass er
kein wahrhaftiges Verständnis für diese Wirklichkeit entwickeln könne, ja nicht einmal eine
Meinung oder ein moralisches Urteil fällen könne, über das, was ihn bedrückte. Seine
Arbeit WAR CUT steht für eine Form der Bewältigung der als unerträglich empfundenen
Wirklichkeit durch die reine Form. Man könnte hier durchaus von einer therapeutischen
Wirkung eines Kunstwerkes sprechen.
"Collage was a major turning point in the evolution of Cubism, and therefore a major in the
whole evolution of modernist art in this century."298
Bild 8
299
Bereits 1909/1910 hatte Georges Braque (1882-1963) ein Stilleben Violine und Krug
gestaltet, in das er einen Nagel hineinmalte, der plastisch aus der Bildfläche herausragte.
Damit wurde die Bildfläche als geschlossene Oberfläche aufgebrochen. Ein weiteres Werk
Braques, das Stilleben mit Fruchtschale und Glas (1912), gilt heute allgemein als erstes
Werk der Papiers collés. Braque war der Erfinder der Collage. Doch Picasso als enger
119
Künstlerfreund, griff diese Innovation sofort auf. Beide beschäftigten sich in den folgenden
zwei Jahren intensiv mit den Möglichkeiten der neu entdeckten künstlerischen Technik. Ein
erstes collagenartiges Element findet sich bei Pablo Picasso (1881-1973) in einem
kubistischen Stilleben, ebenfalls aus dem Jahre 1912.
Bild 9
300
In seiner ersten Collage, Stilleben mit Rohrstuhlgeflecht, fügte Picasso ein Stück
Wachstuch ein. Er spielte mit einem Aspekt der Wirklichkeit und enthob es seiner realen
Bezüge. Auf der Bildfläche verwendete er das Stück Tuch zeichenhaft, nicht symbolisch.
Picasso erforschte hier Form und Farbe und entfernte sich damit von Konventionen der
Kunstproduktion. Er subjektivierte den Charakter seines Bildes und löste es aus der
Alltagswirklichkeit. Das Bild wurde zum Experimentierfeld. Damit änderte Picasso auch
exemplarisch seine Rolle im Bezugsfeld zwischen Künstler, Werk und Betrachter. Er
verknüpfte in der Collage Wertigkeiten der hohen Kunst mit Ausdrucksträgern der
Trivialkultur, der Medien und des Konsums wie Zeitungen, Plakate und Handzettel.
Als Picasso und Braque Papierstücke in ihre Bilder klebten, war das keine Fortführung
oder spielerische Variation bekannter bildnerischer Tradition, sondern bedeutete für die
300 Bild 9: Pablo Picasso, Stilleben mit Rohrstuhlgeflecht, 1912: mit freundlicher Genehmigung der Verwer-
tungsgesellschaft Bild-Kunst © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2013
120
Kunst einen radikalen Neuanfang.301 Eine Neudefinition des Begriffes Kunst fand statt, ein
Paradigmenwechsel. Nicht die Kostbarkeit des Bildes machte den Wert aus, sondern die
Sicht des Künstlers auf die Welt machte es zum Kunstwerk.302
Im Kubismus hatte die Analyse der Form bereits eine neue Entwicklung in der Wahrneh-
mung und Darstellung von Räumlichkeit und Perspektive eingeleitet. Braque entdeckte,
dass die Papier Collés es ihm in noch größerem Maße erlaubten, den Einsatz von Form
und Farbe voneinander zu trennen. "Das war das große Ereignis: Farbe und Form üben
gleichzeitig ihre Wirkung aus, haben aber nichts miteinander zu tun."303
Nach Kriegsausbruch Ende Oktober 1914 fand die intensive Zeit der Papiers Collés ihren
vorläufigen Abschluss und wurde in dieser Intensität im engen Kreis der Pariser Künstler
nicht mehr fortgeführt. Der Kreis der Kubisten erweiterte sich über Paris hinaus. Es waren
nun vorwiegend ausländische Künstler, die die kubistische Malerei und die Collage
während des Krieges weiterführten.304 Sie setzten sich intensiv mit der vorgefunden
Realität auseinander. So entstand eine mehrperspektivische Bildsprache aus einzelnen
Elementen, die unterschiedliche Blickwinkel und zu einer neuartigen Raumdarstellung
verband.305
Der Kubismus mit seinen Papiers collés-Experimenten leitete andere wichtige Stilrichtung
der Kunst ein, die das 20. Jahrhundert wesentlich prägten. Diese waren der Dadaismus,
der Surrealismus, der Futurismus, der Konstruktivismus und die Objektkunst.
Die Collage als künstlerische Arbeitsweise wurde schließlich über die bildende Kunst
hinaus auch als Technik in der Dichtkunst verwendet. Wichtige literarische Vertreter waren
James Joyce, T. S. Eliot und Eszra Pound.306
Höhepunkte der Entwicklung der Collage stellten dadaistische Werke wie die Merzbilder
von Kurt Schwitters dar. Schwitters setzte aus Abfall Bilder zusammen, erklärte diese zu
künstlerischen Ausdrucksträgern des unverfälschten Lebens. Aus wertlosen Dingen
wurden Bilder zusammengesetzt, die von den Dadaisten zu Kunst erklärt wurden. Sie ver-
121
traten die Idee der Gesamtkunst, das heisst "(...) der Vereinigung aller Künste als Modell
eines neuen Kunst und Leben integrierenden gesellschaftlichen Zustandes (...)."307
3.1.2. Collage 67
Bild 10
308
Im Jahre 1967 fand in der Städtischen Galerie München, dem Lenbachhaus, eine
Ausstellung von Collagen unter dem Titel "Collage 67" statt. Die Ausstellungsteilnehmer
wurden gebeten, sich schriftlich zu äußern, warum sie Collagen machten und was diese
Arbeitsweise charakterisierte.309 Die Anworten wurden zusammengefasst und in drei
thematische Gruppen unterteilt. Künstler, deren Aussagen sich unter dem Begriff der
"Erweiterung der Bildvorstellung" bündeln ließen, äußerten sich folgendermassen:
Sie schätzten die Offenheit der erst in der Umsetzung entstehenden Bildkonzepte, und
dass Bildideen bereichert würden und variabler erschienen.310 Ein Teilnehmer beschrieb,
die Verfremdung und Neuordnung der Bildelemente sei ein erregender Erlebnisvorgang.
Anders als bei anderen künstlerischen Techniken könnten sujektive Empfindungswerte
entdeckt und verknüpft werden.311 Ein anderer ergänzte, dass Collage ein Mittel sei, auf
122
technischem Wege ausgefahrene Gleise zu verlassen.312
Diverse Antworten thematisierten mehr die "(...) Präzisierung der Bildherstellung (...)". Die
Technik der Collage lasse bei der Bildkomposition ein kontrolliertes Abwägen und
Versuchen zu.313 Sie zwänge dazu das eigene Temperament zu zügeln und planmäßige
Ordnungsprinzipien anzuwenden.314
In der dritten Antwortgruppe wurde auf "größere Kommunikationsmöglichkeiten" mit Hilfe
der Collage hingewiesen. Collage sei eine universale Bildtechnik, die unmittelbar
zeitgemäße Bildaussagen zuließe.315 Sie sei eine polyzentrische Entsprechung zur viel-
deutigen Wirklichkeit 316 und schließlich bilde die Realität der Collage die vielschichtige
Realität unserer aktuellen Welt ab.317
"Wir müssen ja immer, egal auf was wir treffen, dem eine Form geben, damit wir
überhaupt damit umgehen können. Denn das, was wirklich ist, ist ja so uferlos und
ungestaltet, dass wir es zusammenfassen müssen. Und je dramatischer die Ereignisse
sind, desto wichtiger ist die Form."318
Gerhard Richter (geb. 1932) veröffentlichte 2004 WAR CUT, ein Künstlerbuch319. Es war
das Ergebnis einer mehrwöchigen intensiven Arbeit Richters. Im Mai 2002 hatte der
Künstler im Musée d`Art Moderne, Paris, 216 Details aus einem eigenen abstrakten Bild 320
photographiert. Er kombinierte diese dann teilweise übermalten, photographischen Details
mit 165 Texten. Diese Texte waren Artikel, die am 22. und 23. März 2003 in der FAZ
123
erschienen waren und den Irak-Krieg thematisierten.
Das Buch folgt einem sich verdichtenden Rhythmus, der Texte, leere Flächen und Bilder
kombiniert. Es ist ein streng komponiertes Werk.321 Richter ordnete Bilder und Textfrag-
mente nach rein ästhetischen Kriterien. Sie wurden nach Gesichtspunkten der Farbe und
Struktur einander zugeordnet, sodass rein formale Bezüge entstanden.
Bild 11
322
Bild 12
323
124
Bild 13
324
Die Farbigkeit der Bilddetails rufen Assoziationen von Explosionen, Feuer und Anmutun-
gen aus Kriegsfilmen hervor. Der Künstler beschrieb in einem Interview, dass die
Arbeitsweise Collage für ihn die einzige Möglichkeit gewesen sei, die widersprüchlichen
Meinungen und Beurteilungen für und gegen den Krieg zu verarbeiten.325 Die bildnerische
Untersuchung der Kriegsereignisse mit der Kompositionen WAR CUT gab Richter die
Möglichkeit zu erkunden, was er nicht verstehen konnte.
Als er aufgefordert wurde die Form von WAR CUT zu kommentieren, formulierte Richter
die eingangs zitierten Sätze: "Die Form ist doch das Einzige, was wir leisten können, um
den grundsätzlich chaotischen Fakten und Attacken begegnen zu können. Etwas
formulieren, das ist doch der grosse Anfang. Ich vertraue der Form, meinem Gefühl oder
meiner Fähigkeit, dass ich schon die richtige Form dafür finden werde. Und wenn es nur
ordentlich ist. Selbst das ist eine Form."326
Die Ereignisse forderten ihre Bewältigung durch Formgebung. Richter formulierte die
Unmöglichkeit, sich in Anbetracht der Dramatik der Ereignisse eine Meinung zu bilden.
Diese Unmöglichkeit spiegele die Dramatik der Ereignisse. Ja, er wolle sogar auf keinen
Fall eine Meinung äußern, weil dies den Blick auf die schreckliche Wahrheit selbst
324 Bild 13: Gerhard Richter WAR CUT, Atlas Blatt 715, 2004, mit freundlicher Genehmigung des Ateliers
Richter, 2013
325 Thorn-Prikker 2003: Ein Gespräch mit dem Künstler Gerhard Richter über seine Arbeit WAR CUT
326Thorn-Prikker 2003: Ein Gespräch mit dem Künstler Gerhard Richter über seine Arbeit WAR CUT
125
verstelle.327
Jan Thorn-Prikker sieht in WAR CUT ein besonderes Werk Richters. Hier nähme er die
Thematik der Gewalt wieder auf, die er in seinem Zyklus 18. Oktober 1977 begonnen
habe.328 Thorn-Prikker beschreibt Richters Radikalität, die jeden Unterhaltungswert der
Kunst verweigere und sich damit in die Traditon der Aufklärung stelle, die dem
Kunstbetrachter die Widersprüchlichkeiten der Realität ungefiltert zumutete.329 Diesem
Verständnis von Richters Werk steht Susan Sontags moralischer Anspruch an Bildende
Künstler gegenüber, dass diese mit ihren Werken eine humanisierende Wirkung auf das
Kunstpublikum ausüben sollten.330
Richter verweigert sich mit WAR CUT diesem Anspruch Sontags.331 Sein Verarbeitungs-
modus ist ein rein formaler, der die Hilflosigkeit auf der einen und die Auseinandersetzung
durch die Suche und die gleichzeitige Verweigerung eines eigenen Standpunkts auf der
anderen Seite stehen lässt.
"Die Technik allein legt nicht auf ein bestimmtes Verfahren fest. Damit wird ein
Annäherungsprozess an die eigene subjektive psychische Befindlichkeit fortgeführt (...).
Die Produzenten von Collagen erkennen, dass sich das, was sie selbst erleben, nicht
mehr in den gewohnten Formen der gesellschaftlich angebotenen Repräsentations-
möglichkeiten (Regeln, Formen, Stile) unterbringen lässt."332
327
Vgl. Heartney 2004
Thorn-Prikker 2004: S. 27
328 Gerhard Richter: 18. Oktober 1977, 20.02.2008
329 FAZ: Perlentaucher-Notiz zur FAZ-Rezension 25.05.2004:
"Begeistert begrüßt Jan Thorn-Prikker ein ganz besonderes Werk des bildenden Künstlers Gerhard
Richter, nämlich ein Buch, das sich, Text und Bilder collagierend, mit dem Irak-Krieg auseinandersetzt.
"Etwas Vergleichbares von einem anderen zeitgenössischen Künstler von Rang gibt es zur Zeit nicht",
stellt Thorn-Prikker fest. Inhaltlich setzt Richter damit seine Auseinandersetzung mit dem Thema Terror
fort, die er mit dem Zyklus zum "18. Oktober 1977" begonnen hat. Doch diesmal reagiert Richter nicht auf
Fotografien, beschreibt Thorn-Prikker dessen Vorgehensweise, sondern auf Zeitungsartikel, die den Be-
ginn des Irak-Kriegs im März 2003 markieren. Neben den Zitaten stünden abstrakte Fotodetails, die alle
aus Fotografien eines abstrakten Gemäldes von Richter stammten. Wort tritt gegen Bild an, kommentiert
der Rezensent wie ein Fußballreporter, doch die Bilder ließen sich nicht einfach verdrängen, sondern be-
gännen plötzlich eigenmächtig den Text zu illustrieren. "Ein modernes Schlachtengemälde", sagt Thorn-
Prikker über "War Cut", warnt aber davor, die Sache zu einfach zu sehen. Richters Buch sei radikal, be-
hauptet er, da es sich dem Unterhaltungsspiel Kunst verweigere, sich in die Tradition der Aufklärung stelle
und auf der Darstellung von Widersprüchlichkeiten beharre. © Perlentaucher Medien GmbH
330 Vgl. Sontag 1980
331 Heartney 2004
332 Pazzini 1986: S. 23
126
Die Äußerungen der Kunstschaffenden von Collage 67 (Kapitel 3.1.2. Collage 67)
veranlassten Gunter Otto dazu, die Collage als ein künstlerisches Verfahren zu betrach-
ten, dass eine angemessene Antwort auf das Bedürfnis nach Erweiterung der eigenen
Wahrnehmungswelt ist. Differenzierung persönlicher Wahrnehmungsvorgänge, Präzi-
sierung bildnerischer Strukturen und Intensivierung der Kommunikation des Menschen mit
der Wirklichkeit innerhalb und ausserhalb der Kunst seien im Kontext der Collage mög-
lich.333
127
beschreiben.337
Ottos Ziel war es, die Entwicklungen, die in der Kunst stattfanden, im Kunstunterricht
nachvollziehbar und erfahrbar zu machen.338 Die Titel seiner Artikel Wahrnehmen,
Erfahren, Erkennen - Das Denken mit den Sinnen verbinden339 und Denken und Machen
in der Schule340 verdeutlichen, dass "(...) das Ästhetische als Grundlage allen Erkennens
(...)“341 elementar für ihn war. Schüler sollten mit ihren Sinnen angesprochen werden. Sie
sollten Kunst erleben können.
Welche Welt- und Lebensanschauung spiegelt sich in der Collage?
Welche Einstellungen und Perspektiven auf die Um- und Innenwelt illustriert sie?
Welche Stimmung vermittelt, welche Implikationen hat diese Technik?
Diese Fragen an eine künstlerische Arbeitsweise stellen sich auch aus der kunstthera-
peutischen Perspektive. Allerdings werden diese mehr im Hinblick auf die Befindlichkeit
der Klienten und der therapeutischen Zielsetzung gestellt.
Anlässlich des 99. Geburtstags von Kurt Schwitters stellten Gunter Otto und Karl Josef
Pazzini als Herausgeber und einige andere Kunstpädagogen als Autoren ihre Ansätze
zum Phänomen Collage in der Zeitschrift Kunst und Unterricht zum Prinzip Collage dar.
Otto spricht in diesem Band von der Collage als einem Integrationsprinzip 342, das
ermöglicht, mehrperspektivisch statt zentralperspektivisch zu leben, zu denken und zu
handeln. Er wählt das Bild der Verflüssigung von Prozessen. Gerade im System Schule
bestünde die Gefahr, dass so gedacht wird, wie es schon immer getan wurde und dass
autoritäre Strukturen Mehrperspektivität verhinderten. Die Collage als Prinzip, als
128
strukturgebende Methode könne hier fruchtbar alte Verkrustungen lösen und auch rein
Assoziatives, nicht Kategorisierbares in Gestaltungsprozesse einbinden.343
Pazzini greift das Thema Perspektive in seinem Artikel Collage auf. Eine allgemein gültige
Vorstellung von persönlicher, individueller Identität habe ihren Anfang in der Renaissance
genommen. Er zitiert hier Panofsky344 , der von der Zentralperspektive als symbolischer
Form spricht. Die Collage sei seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine symbolische
Arbeitsweise der Literatur, der Musik und in der bildenden Kunst, die einen spezifischen
Wahrnehmungsmodus illustriere.
Die Kunstpädagogik hatte den Paradigmenwechsel der Kunst zu Beginn des Jahrhunderts
verschlafen, war in den 70er Jahren noch in der Vorstellungen der Zentralperspektive
verhaftet, vollzog aber schließlich mit der Einführung der Collage in den Unterricht
ebenfalls einen Wandel. In der Kunstpädagogik markiert die Einführung der Collage
ebenso wie in der Kunst Anfang des 20. Jahrhundert diesen Paradigmenwechsel. 345
Der Kulturphilosoph Jean Gebser (1905-1973) legt in seiner Manifestation von der
aperspektivischen Welt sein Verständnis zur Veränderung der Perspektive dar. Mit dem
Kubismus sei die Zentralperspektive aufgebrochen worden. Die Collage veranschauliche
dann erstmals eine mehrperspektivische Betrachtung.346 Pazzini spricht vom collagen-
artigen Charakter aller menschlichen Persönlichkeiten, dem Fragmentarischen und Inein-
nandergreifen von innerer und äußerer Realität in einer aktuellen Lebenswelt, die sich in
der Collage mitteilt.347
Wolfgang Zacharias stellt die Entlastung im kunstpädagogischen Alltag in den Vorder-
grund, die mit der Einführung der Collage einhergeht. Sie schule eine Einstellung, die sich
als Wahrnehmungs-, Denk- und Lebensform empfehle und sei eine Metapher für einen
neuen, modernen Identitätsbegriff.348
129
3.3. Die Collage in der Kunsttherapie
Bild 14 Bild 15
350 351
349 Prof. Thomas Staroszynski, Hochschule für Kunsttherapie, Nürtingen, formulierte auf der Forschungsta-
gung Kunsttherapie JETZT den Begriff der Trüffelschweintechnik, der in der Kunsttherapie manchmal die
systematische Literatursuche ersetzen muss.
350 Bild 14: Charlotte Kollmorgen: 22.01.2008, mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Kollmorgen, 2011
351 Bild 15: Charlotte Kollmorgen: 10.07.2007, mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Kollmorgen, 2011
130
Charlotte Kollmorgens Collagen-Therapie: Bildnerische Arbeit mit Herzinfarktpatienten in
der Rehabilitationsklinik ist die einzige Veröffentlichung, die Collage in der Kunsttherapie
ausdrücklich zum Thema macht.352
Kollmorgen, Designerin, Malerin und Kunsttherapeutin, beschreibt in ihren Buch ihre, in
einer Rehabilitationsklinik entwickelte Intervention mit Herzinfarktpatienten. Diese Arbeit
mit der Technik Collage wird mit von ihr definierten Begriffen, der Umkehr des
Werbeeffektes und des Learning by Doing beschrieben.353
Kollmorgen erläutert, Werbung habe die Aufgabe, Konsumenten für bestimmte Produkte
anzusprechen. Sie forderte Patienten dazu auf, Ausschnitte aus Zeitungen und Zeit-
schriften zur Eigenwerbung einzusetzen. Eigenwerbung bedeutet hier Verwenden der
Zeitungsausschnitte zur Illustration persönlicher Aspekte. Learning by Doing besagt, dass
das Collagieren von Patienten auch ohne bildtechnische Vorkenntnisse angewendet wer-
den kann. Die Möglichkeit mit einfachen Mitteln interessante und ansprechende Bilder zu
gestalten, sei motivierend. Die Angst der Patienten vorm Versagen könne mit dieser
Technik gering gehalten werden. Viele Patienten fühlen sich unter erheblichem Leistungs-
und Erwartungsdruck, wenn sie Kunsttherapie zum ersten Mal in Anspruch nehmen.
Einige Herzinfarktpatienten äußerten gegenüber Kollmorgen die Vermutung, ihre hohen
Leistungserwartungen hätten zu ihrer Herzerkrankung geführt. Deshalb sei gerade bei
diesem Klientel ein Abbau von Leistungsdruck das Ziel, so Kollmorgen.354
Kollmorgen beschreibt ihre Arbeit und Erfolge mit Begeisterung. Die Grundlagen ihres
Therapieverständnisses, die formale Einbindung der Kunsttherapie in den Klinikalltag und
der medizinischen Hintergrundinformationen der behandelten Patienten werden nicht
dargestellt.
Gewiß ist es an dieser Stelle wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass wissenschaftliches
Arbeiten, Forschen und intensive Reflexion aktuelle Ansprüche an die Kunsttherapie sind.
Kollmorgen, die zu Beginn der 80er Jahre ihren Ansatz entwickelte, hatte mit ihren
therapeutischen Erfolgen und mit ihren umfangreichen Publikationen Pionierarbeit
131
geleistet. Sie erweckte Aufmerksamkeit für diese kunsttherapeutische Arbeitsweise und
demonstrierte, dass gezielt gewählte künstlerische Techniken in der Kunsttherapie zur
Anwendung bei spezifischen Krankheitsbildern sinnvoll sein können.
3.3.2. Zu den Workshops Color and Shape, Self- Introduction, The Visual Poem und
Playing with art materials in der Creative Journey
Die Creative Journey ist ein zehnwöchiges Kunsttherapie-Programm für Gruppen, das
1997 von Paola Luzzatto in New York entwickelt wurde. Das Angebot richtete sich an
ehemalig stationäre Patienten des Memorial-Sloan-Kettering-Cancer-Center. Dies waren
Krebspatienten, die ihre akute Behandlungsphase abgeschlossen hatten, aber weiterhin
psycho-onkologische Betreuung in Anspruch nehmen wollten. Das Programm hatte vor
allem Unterstützung des Selbstausdrucks der Patienten zum Ziel und wurde bereits
ausführlich beschrieben.355
Vier der insgesamt zehn Workshops basieren auf der Collage als künstlerische Technik.
Es sind die Workshops 1, 3, 5 und 8.
132
Workshop 5 Visual Poem:
Ziel dieses Workshops ist es, den Begriff "Bedeutungslosigkeit" zu erkunden und die
Fähigkeit, selbst Bedeutung zu verleihen. Patienten werden gebeten, ein Dutzend Worte
und Wortfragmente aus Zeitschriften herauszuschneiden und im Bild zusammenzu-
setzen.358
Healing Icons359 ist ein kunsttherapeutisches Gruppenangebot für Krebspatienten, das die
Gestaltung einer Assemblage360, der Healing Icon, zum Inhalt hat. Mit der Aufgaben-
stellung, persönliche Erfahrungen im Kontext der Erkrankung mit der Healing Icon zu
visualisieren, können auch belastende Emotionen wie Verlust, Trauer und Angst
thematisiert werden.361
Die Assemblage ist eine Art der Bildherstellung, die es möglich macht, widersprüchliche
Erfahrung auf dem gemeinsamen Bildträger miteinander zu verbinden und damit zu
integrieren. Im Tätigwerden am Objekt wird sinnbildhaft die eigene innere Bewältigungs-
fähigkeit aktiviert. Konflikte der eigenen emotionalen Erlebniswelt aufgrund intensiver,
133
ambivalenter Gefühle können bearbeitet werden.362
Die KSKT® ist eine Kurzzeitintervention für die kunsttherapeutische Betreuung von Krebs-
patienten im stationären Kontext.363
Es entstehen nach einem ersten Bild mehrere Bildelelemente, die ausgeschnitten und
unter bestimmten Fragestellungen auf dem ersten Bild angeordnet werden. Das Aus-
schneiden und die Flexibiliät der Bildelemente sind Merkmale der Collage. Ein Experimen-
tieren mit der Bildkomposition ist möglich. Der offene, phasische Charakter der Bildent-
stehung lässt jederzeit die Kontrolle über das Bildganze zu. Bei den einzelnen Kompositio-
nen zu den Fragestellungen der KSKT® werden die Emotionen der Patienten 364
angesprochen. Subjektive Empfindungswerte treten hier in der Vordergrund und nicht etwa
Formales wie bei Collagen im künstlerischen Bereich. Jede der Legungen ist als
eigenständiges Bild zu betrachten. Diese werden durch photographische Dokumentation
fixiert. Das Photographieren ist gewissermassen der Klebstoff365 der KSKT®. Ziel der
strukturierten Intervention ist es, eine kontrollierte Berarbeitung der aktuellen Belastungen
innerhalb kurzer Zeit zu ermöglichen und Ressourcen zu identifizieren.
"Collage has also been thought of as the manifestation of a specific historical moment, a
moment of crisis in consciousness."366
134
Wirkfaktoren unter Berücksichtigung von Publikationen der Kunstgeschichte, der
Bildenden Kunst und der Kunstpädagogik wurde nach bisherigem Wissensstand noch
nicht durchgeführt.367
Das nun folgende Sechs-Faktoren-Modell zur Collage ist das Ergebnis einer dem
Grunde nach qualitativen Inhaltsanalyse 368 der im vorangegangenen Kapitel dargestellten
Publikationen, Interventionen und Expertenäusserungen.369 Auffallend war bereits wäh-
rend der Recherche, dass es nur wenig aktuelle Publikationen vorlagen, die sich mit den
Besonderheiten der Collage beschäftigen, deren besonderen Merkmale betonten und ein
abstrakteres Verständnis ihrer Wirkung formulierten.370 Bei der Entstehung von Collagen
können bestimmte Phänomene beobachtet, beschrieben und zusammengefasst werden.
Das entstandene Modell, Ergebnis der Analyse einer Vielzahl von Publikationen, ist ein
erster Versuch, die benannten Phänomene als kunsttherapeutische Wirkfaktoren der
Collage zu erfassen.371 Die einzelnen Faktoren des Modells lösen einander zum Teil ab,
sind aber auch während des gesamten Entstehungsprozesses der Collage ineinander
verwoben, wiederholen und überlagern sich. Ausserdem sind einzelne Faktoren je nach
Intervention, Künstler, Kontext oder Kunstwerk betont:
1. Experiment
Eine experimentelle Grundhaltung bestimmt den gesamten Prozess der Collagenher-
stellung und liegt ihm zugrunde. Es wird Material für die Herstellung einer Collage gesam-
melt, ausgewählt, verworfen und probeweise komponiert. Bis kurz vor Fixierung des Bildes
kann spielerisch und damit entlastend mit den Bildelementen umgegangen werden.
135
2. Identifikation
Die Identifikation ist erkennbar beim Sammeln der Bildelemente und wird mit der Auswahl
weitergeführt. Diese findet immer wieder nach dem Verwerfen und der neuen Auswahl von
Bildobjekten statt. Mit der Identifikation vollzieht sich ein Aneignungsprozess des Bildes.
Es kann zum Selbst- oder Fremdobjekt werden.372
3. Autonomie
Autonomie beruht auf den ersten beiden Phasen der Collageentsehung, des Experimentes
und der Identifikation. Erst nach diesen Phasen werden Entscheidungen bezüglich der
Bildelemente getroffen. Damit wird die Selbstbestimmung des Bildautoren erfahrbar.
4. Integration
Es sind positive und negative Aspekte der Bildentstehung, Entscheidungen für und gegen
bestimmte Bildlelemente, in der Collage enthalten. Bildelemente aus unterschiedlichen,
bildfremden Kontexten werden zueinander im Bildraum in Beziehung gesetzt. Dieser
Vorgang bezieht Erfahrungen wie Gelingen, Konflikt, Inspiration und Bestätigung aller
Herstellungsstufen mit ein.
5. Dokumentation
Jeder Schritt der Entstehung der Collage ist sichtbar, korrigier- und veränderbar und wird
dokumentiert. Diese Sichtbarkeit ist die Basis für den folgenden Reflexionsprozess.
6. Reflexion
Reflexion findet während des gesamten Gestaltungsvorganges statt. Sie kann zu bild-
nerisch-ästhetischen, aber auch zu Erkenntnissen über die eigenen Person führen.
Mit dem dargestellten Sechs-Faktoren-Model schließt sich der Kreis der theoretischen
Untersuchungen zur KSKT®.
In dem nun Folgenden wird es um die empirische Untersuchung der KSKT® im
onkologischen Anwendungskontext gehen. Fünf Patientinnen äußern sich in Leitfaden-
gesprächen zur konkreten Erfahrung mit der kunsttherapeutischen Intervention.
136
4. Eine erste Studie zur KSKT®
4.1. Studienart
Die an der folgenden prospektive Pilotstudie beteiligten Institutionen waren die Fakultät für
Gesundheit (Department für Humanmedizin), Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und
Anthroposophische Medizin der Universität Witten/Herdecke vertreten durch Prof. Dr. med.
Arndt Büssing, die Hochschule für Kunsttherapie, University of Applied Sciences,
Nürtingen vertreten durch Prof. Dr. Ulrich Elbing, Prorektor, Leiter des Instituts für Kunst-
therapie-Forschung und die Medizinischen Klinik III, Klinik für Hämatologie und Onkologie
am Klinikum der Ludwig-Maximillian-Universität, Campus Großhadern, vertreten durch Dr.
Pia Heußner, Internistin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie, Psychotherapeutin
und Leiterin der Psycho-Onkologie.
4.2.1. Studienziel
Das Ziel der Studie war es, in Leitfadengesprächen zu ermitteln, in welche subjektiven
Sinnzusammenhänge Patienten ihre Erkrankung stellen, über welche Ressourcen sie
verfügen, den Stellenwert von stabilisierenden Faktoren im Leben der Patientinnen und
die Erwartung an die kunsttherapeutische Begleitung (erstes Gespräch) sowie der
Bewertung der KSKT® (Zweit- und Drittgespräch) anzusprechen.
137
Subjektive Sinnhaftigkeit der eigenen Erkrankung
Patienten thematisieren auf sehr persönliche Weise die Sinnhaftigkeit ihrer Erkrankung.
Diese Vorannahme basierte auf der Beobachtung, dass die meisten Patienten ihre
subjektiven Krankheitstheorie im ersten Kontakt zur Sprache brachten. Dies wurde als
Hinweis auf die Tragweite dieses Themas in Bezug auf die gesamte Lebenssituation der
Patienten gedeutet. Mit der Leitfadenfrage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Erlebens
im Kontext der Erkrankung wurde diese theoretische Vorannahme angesprochen.
Während der Datenerhebung, in den Leitfadengesprächen, verbesserte diese Frage den
Kontakt zu den Patientinnen, brachte das Gespräch in Fluss, da sie die persönliche
Situation und Einstellung der Patienten thematisierte.
Ressourcen
Hier bestand die Vorannahme, dass Patientinnen individuelle Ressourcen während der
Erkrankungs- und Therapiephase benötigten. Es erschien wichtig, im Gespräch diese
Kraftquellen anzusprechen und zu erkunden. Dieses Vorgehen hatte bereits therapeuti-
schen Interventionscharakter, da eine Reflektion zum Thema Ressourcen selbst als Res-
source verarbeitet werden konnte. Auch unterstützte dieses Vorgehen eine Neubewertung
138
von zunächst nicht als Ressourcen wahrgenommenen Aspekten des aktuellen Lebens.
Zu den Möglichkeiten, die die KSKT® eröffnete und zur Kritik an dem Vorgehen bestanden
folgende Vorannahmen:
Neue Perspektiven im Umgang mit der aktuellen Situation durch die KSKT®
Da das Auffinden von Ressourcen und die Neubewertung bekannter Lebensumstände
Ziele der Intervention waren, bestand die Erwartung, dass Patientinnen diese Voran-
nahmen in den Leitfadengesprächen thematisierten und bestätigten.
4.3. Methodik
4.3.1. Rekrutierungsvorgehen
Gemäß der Definition einer Ad-hoc-Stichproben, stellte sich vor allem die Frage nach
Verfügbarkeit der Teilnehmer.373 Die in diese Studie eigeschlossenen Teilnehmerinnen
zeigten die unter Kapitel 4.3.2.1. genannten gemeinsamen Merkmale.374 Patientinnen der
Medizinischen Klinik III erhalten generell bei Aufnahme auf Station das "Distressthermo-
meter" zur Messung der psycho-sozialen Belastung. Ausserdem können Patienten ihren
139
Wunsch nach psycho-onkologischer Betreuung äussern. Oder aber das Pflegeteam,
behandelnde Ärzte oder Mitarbeiter des psycho-onkologischen Teams betrachten
Patienten als betreuungsbedürftig.
War der Distresswert einer Patientin ≥ 6, wies dies auf einen signifikanten Betreuungs-
bedarf hin und ließ eine Studienteilnahme zu.
Die Patientinnen erfuhren von dem kunsttherapeutischen Interventionsangebot durch das
Stationsteam, das psycho-onkologisches Betreuungspersonal oder durch die Kunstthera-
peutin selbst. Zeigten sich die Patientinnen interessiert, wurden sie auf die Möglichkeit
hingewiesen, an einer kunsttherapeutischen Evaluationsstudie teilnehmen zu können.
Die Patientinnen erhielten schriftliche Informationen zur Studie und zum Interventions-
design.
1. Informationsblatt für Patienten
2. Patienteneinwilligung
140
4.3.2.1. Einschlusskriterien zur Studie
Die Datenerhebung sollte bei einzelnen Patientinnen abgebrochen werden, wenn diese
ihre Einwilligung widerrufen oder deren gesundheitliche Situation sich zwischen den
Terminen soweit verschlechtert haben, dass sie die Interventionen nicht weiter durch-
führen könnten und mit Leitfadengesprächen überfordert wären. In diesen Fällen würden
alle Daten der jeweiligen Patientin gelöscht.
4.3.3. Interventionsdesign
141
4.3.4. Qualifikation der begleitenden und forschenden Kunsttherapeutin377
Die forschende und begleitende Kunsttherapeutin schloss das Studium der Kunsttherapie
1989 mit einem staatlich anerkannten Diplom an der Hochschule für Kunsttherapie,
University of Applied Sciences Nürtingen, ab. Zu ihren Arbeitsfeldern gehörte die
kunsttherapeutische Begleitung von Kindern im Vorschulalter, Senioren und psychisch
kranken Erwachsenen. Darüber hinaus ist sie an staatlichen und privaten Ausbildungs-
instituten als Dozentin für Kunsttherapie und für Kunsttherapie in der Onkologie tätig. Seit
acht Jahren begleitet sie onkologisch erkrankte Menschen im stationären und ambulanten
Setting. Von 2008-2013 war sie Teilnehmerin am Promotionskolloquium des Forschungs-
verbundes der Hochschulen für Kunsttherapie.378
4.3.5. Datenerhebung
377 Watson und Bultz und auch Jakabos kritisieren, dass psycho-onkologische Begleitinterventionen häufig
von Therapeuten durchgeführt werden, deren therapeutische Qualifikation nicht offengelegt wird oder un-
zureichend für den Arbeitsbereich der Onkologie ist.
Jakabos 2002, 2001
Watson, Bultz 2010: 12.8.2012
378 Forschungsverbund Kunsttherapie: 05.07.2012:
"Die Fachhochschule Ottersberg, die Hochschule für Kunsttherapie Nürtingen und die Alanus Hochschule
Alfter haben sich seit Ende 2008 zu einem "Forschungsverbund Kunsttherapie" zusammengeschlossen.
Ziel des Verbundes ist es, den wissenschaftlichen Austausch zwischen den Hochschulen zu intensivieren
und die kunsttherapeutische Forschung weiter zu entwickeln und zu profilieren. Der hochschulübergrei-
fende Verbund hat sich die Aufgabe gestellt, die theoretischen sowie die methodischen Grundlagen und
Strategien für die Forschung im Bereich Kunsttherapie zu systematisieren und zu konkretisieren. Beglei-
tende Arbeitstagungen und die kooperierende Teilnahme u.a. an Fachsymposien sollen dabei den wis-
senschaftlichen Austausch über aktuelle Forschungsfragen, laufende Forschungsprojekte und neuste
nationale wie internationale Studienergebnisse anregen. Im Rahmen regelmäßiger Treffen des in den
Forschungsverbund integrierten Promotionskolloquiums haben Absolventen kunsttherapeutischer Studi-
engänge die Möglichkeit, ihr Dissertationsvorhaben vorzustellen und mit anderen Promovenden und Do-
zenten zu reflektieren. Der Zusammenschluss der Hochschulen und forschenden Professoren in diesem
Verbund ermöglicht die Konzeption und Durchführung von komplexeren Forschungsvorhaben."
142
4.3.5.1. Besonderheiten der Datenerhebung
Darüber hinaus war bei der Einbettung der Gespräche die Befindlichkeit der Patientinnen
von großer Bedeutung. Diese konnte von einer Vertrauensperson besser wahrgenommen
und eingeschätzt werden. Die im Wissenschaftskontext sensibel zu betrachtende
379 Vgl.
Weizäcker von 1940
Zybowski 2008
380 Team- sowie kunsttherapiefremd
381 Vgl. Lehmann, Mehnert (in prep)
Breitbart et al. 2004: S. 366-372
382 Vgl. Krieger: 12.08.2009
143
Verknüpfung von therapeutischem Kontakt und Evaluation ist hier aus ethischen Gründen
gerechtfertigt. In den Auflagen der Ethikkomission des Klinikums der LMU, Campus
München-Großhadern383 wurde herausgestellt, dass die Befragung keine Belastung für
die Patientinnen darstellen dürfe. Diese Form der Datenerhebung basierte also auf der
ethischen Verpflichtung, die Patientinnen nicht noch mehr zu belasten als sie durch die
krisenhafte Situation ohnehin bereits waren. Es wurde gleichzeitig deutlich gemacht, dass
kritische Äusserungen möglich und erwünscht seien.
Als Leitfadengespräche werden hier Gespräche definiert, die in einem besonderen thera-
peutischen Kontext verortet sind, den Untersuchungsgegenstand zum Inhalt haben und
der Datenerhebung dienen.
383 Antrag an die Ethikkommission des Klinikums der LMU, Campus München-Großhadern,
Projekt-Nr. 034-09, eingereicht am 4.2.2009, S. 20:
"Ergebnisse internationaler Studien zu den Effekten von geleiteten Narration (Grossmann, 2003) spre-
chen dafür, dass Interviews einen positiven Effekt auf Probanden haben. Insgesamt scheinen Interviews
als Teil eines Verarbeitungsprozesses betrachtet werden zu können, welcher als positiv "klärend“ bzw.
"verarbeitend" erlebt wird. Positive Wirkfaktoren scheinen vor allem die Empathie des Zuhörers sowie die
Möglichkeit, durch die strukturierte Erzählung eigenes Erleben zu verarbeiten und Kohärenz bezüglich
der dargestellten Erfahrungen zu bilden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Patienten Inter-
views als positive Zuwendung und Würdigung ihres Erlebens und ihrer eigenen Bedürfnisse erleben. Im
Zuge der Erhebung wird darauf geachtet, dass den Patienten keine zusätzliche Belastung durch die Teil-
nahme an der Studie entsteht."
144
Weitere Fragen für das zweite und dritte Gespräch:
• Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen neue Möglichkeiten eröffnet? (Hat sich
etwas verändert? Gab es besondere Erkenntnisse?)
• Wie würden Sie die Bedeutung der kunsttherapeutischen Begleitung zusammenfassen?
(Sie können einen oder mehrere Begriffe nennen!)
• Was sehen Sie kritisch? (Was fanden Sie schwierig?)
Der Leitfaden der Gespräche entstand auf dem Hintergrund bestimmter, von Patienten
selbst thematisierte Fragen in der alltäglichen Praxis psycho-onkologischer Begleitung.
Während der ersten Kontaktaufnahmen stehen meist aktuelle Erfahrungen mit der
Erkrankung, der Behandlung und Fragen und Ängste bezüglich eigener Zukunfts-
perspektiven im Vordergrund. Der Faktor Lebenszeit wird aufgrund der lebensbe-
drohlichen Erkrankungen der Patienten anders wahrgenommen. Bisherige Lebensziele
werden in Frage gestellt; die Befürchtung, die eigene Lebenzeit sei limitiert, führt zu
erheblichem psychischen Druck.
Die erste Leitfadenfrage greift diese Thematik auf und stellt den Einstieg dar, die “Warm-
Up-Frage”.
Die zweite Frage thematisiert die subjektive Sinnhaftigkeit der eigenen Erkrankung. Sehr
häufig deuten Patienten ihre Erkrankung als eine Aufforderung, etwas in ihrem Leben zu
verändern. Manchmal steht diese Sinnhaftigkeit auch in Verbindung mit einem ausgepräg-
ten Schuldgefühl. Andere Patienten sehen in der Krankheit keinen weiteren Sinn als diese
zu bewältigen und zu überwinden. Die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage geben
Aufschluss über Bedürfnisse der Patienten zum Zeitpunkt der Befragung.
Die dritte Frage hat die Wünsche der Patienten zum Inhalt.
Kurz nach Aufnahme und oftmals inmitten der Auseinandersetzung mit der Diagnose
scheinen Patienten kaum Zugang zu motivierten Wünschen zu haben. Sie nehmen wenig
Möglichkeiten der Selbstbestimmung wahr und glauben, sich einzig den Notwendigkeiten
der Behandlung beugen zu müssen. Sie sind nicht mehr mit motivierenden Aspekten ihres
Lebens in Kontakt. Die Frage nach den eigenen Wünschen dient dazu, den Kontakt zu
verfügbaren vitalen, motivierten und schöpferischen Anteilen der eigenen Gefühlswelt
anzusprechen.
Die Frage nach den Bedürfnissen thematisiert mehr das, was Patienten im Augenblick
benötigen. Die Dringlichkeit ist hier eine andere als bei der Frage nach den Wünschen.
Dies können körperliche, emotionale oder aber psychosoziale Bereiche im Leben der
145
Patientinnen betreffen. Eine Formulierung von Bedürfnissen kann auf einen zentralen
Problembereich hinweisen.
Die zentrale Frage: Wer gestaltet ihr Leben? regt die Patienten dazu an, eigene Gestal-
tungsspielräume wahrzunehmen, zu überdenken und Veränderungsspielräume zu explo-
rieren, insbesondere wenn das Lebens als wenig selbstbestimmt oder Beziehungen oder
Situationen einengend erlebt werden.
Die letzte Frage nach Sicherheit und Halt reflektiert das Bedürfnis nach Stabilität und
verankert ein Bewußtsein für diesen Bereich. Das Benennen von stabilisierenden Faktoren
lässt Einblicke in die persönliche Situation der Patienten zu und greift im Zweit- und
Drittinterview Faktoren auf, die mit der kunsttherapeutischen Intervention, der KSKT®
erarbeitet und reflektiert werden konnten.
Im Erstinterview werden abschließend Erwartungen an die kunsttherapeutische
Begleitung abgefragt und die persönlichen Motive erkundet, Kunsttherapie als psycho-
onkologische Begleitung zu wählen.
Fragen, die im Zweit- und Drittinterview gestellt werden, greifen die Wirkungen der
KSKT® auf und reflektieren sie. Die Formulierungen Möglichkeiten, Bedeutung und Kritik
sind so offen gehalten, dass die befragten Patientinnen diese auf der Basis ihrer
subjektiven Erfahrungen aufgreifen können. Die den Fragen zugeordneten Vertiefungs-
fragen und Anmerkungen dienen der Konkretisierung der Fragen und deren Verankerung
in der Lebenswirklichkeit der Patientinnen.
4.3.5.3. Therapiedokumentation
146
4.3.5.4. Medizinische Hintergrundinformationen zu den Studienpatientin-
nen
4.3.5.4.1. Patientin ai
Patientin a ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 53 Jahre alt, hat einen Realschulab-
schluß, ist verheiratet und Mutter einer Tochter. Sie leidet unter einem metastasierten
Ovarialkarzinom und einem Adenokarzinom. Nach einer En-bloc-Resektion mehrerer
Organe hat die Patientin einen künstlichen Darmausgang, der während der Phase der
Datenerhebung wieder zurückverlegt wurde.
4.3.5.4.2. Patientin b
Die Patientin b ist 51 Jahre alt, hat mittlere Reife, ist nicht berufstätig, Mutter eines
erwachsenen, chronisch kranken Sohnes und in zweiter Ehe verheiratet. Die Patientin
leidet unter mehreren schweren Erkrankungen, einem kolorektalen Karzinom mit
hepatischer Metastasierung sowie weiteren Erkrankungen (Fallot'sche Tetralogie mit
Schrittmacher, Struma nodosa, Hepatitis C und einer bereits länger bekannten
Klaustrophobie). Die Patientin hat 6 Jahre zuvor einen gewalttätigen Überfall ihres Expar-
tners nur knapp überlebt, konnte sich dann nach Wohnortwechsel, Polizeischutz und
neuer Partnerschaft ein neues Leben aufbauen. Diese Erfahrung stellt noch immer eine
erheblich Belastung dar. Ausserdem wurde zu Beginn der Erkrankung mehrfach thema-
tisiert, dass nur ein palliatives Behandlungskonzept verfolgt werden kann.
4.3.5.4.3. Patientin c
Die Patientin c ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 47 Jahre alt und hat ebenfalls die
mittlere Reife. Sie war bisher im Verwaltungsbereich tätig, hat zwei erwachsene Söhne
und ist verheiratet. Sie leidet unter einem Rhabdomyosarkom, das bereits Ende 2006
diagnostiziert wurde. Nach einer Metastasierung des Sarkoms, wurde der Patientin im
Oktober 2009 der rechte Oberschenkel amputiert.
4.3.5.4.4. Patientin d
Patientin d ist zur Datenerhebung 33 Jahre alt, hat Abitur und ist berufstätig. Die Patientin
lebt in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Sie leidet unter einer akuten
lymphatischen Leukämie und einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung.
147
4.3.5.4.5. Patientin e
Die Patientin e ist zur Datenerhebung 41 Jahre alt, verheiratet und Mutter eines 4-jährigen
Sohnes. Sie ist gemeinsam mit ihrem Ehemann selbstständig als Inhaberin und
Geschäftsführerin eines Schuhgeschäftes. Die Patientin leidet unter einem diffus groß-
zelligen B-Non-Hodgkin-Lymphom im Stadium III A, mit Milz- und axillärem Befall.
"Mit der qualitativen Inhaltsanalyse schafft man eine von den Ursprungstexten verschie-
dene Informationsbasis, die nur noch die Informationen enthalten soll, die für die Beant-
wortung der Untersuchungsfrage relevant sind."384
Die Inhaltsanalyse hat ihren Ursprung in der quantitativen Analyse der sich ausbreitenden
Massenmedien Zeitung und Radio zu Beginn letzten Jahrhunderts. Diese Kommunika-
tionsformen wurden mit Hilfe dieses Auswertungsverfahrens auf ihren gesellschaftlichen
Einfluss hin untersucht. Dabei spielte die Quantität auftretender Äußerungen, deren
Bewertungen und Verknüpfungen untereinander eine zentrale Rolle.385
In der quantitativen Inhaltsanalyse wurden folgende vier Gesichtspunkte der Textuntersu-
chung vernachlässigt, die zur qualitativen Erweiterung der Inhaltsanalyse führten:
• die Einbindung der Textelemente
• latente Sinnstrukturen
• ausgeprägte Einzelfälle
• zusätzliche Informationen zum Verständnis der Textelemente.386
Von Vorteil für die wissenschaftliche Anwendbarkeit ist eine nachvollziehbare, transparente
Methodik und eine regelgeleitete Systematik. Diese dient der stufenweisen Analyse der
vorliegenden Kommunikationsdaten. Kommunikation beinhaltet jede Art von symbolischer
Interaktion in fixierter Form wie Sprache, Bilder, Text und Musik. Zu Beginn der Analyse ist
es von großer Wichtigkeit, sich über die Ausrichtung der Untersuchung klar zu werden und
148
einen Fokus zu präzisieren, dies mit der Frage, worüber Aussagen gemacht werden
sollen. Der Untersuchungsfokus kann einen Gegenstand betreffen, einen Text, einen
Kommunikator und dessen Absichten, ein Medium, einen Rezipienten und dessen Motive
oder lediglich die Wirkung beim Rezipienten.387 Meistens wird die Qualitative Inhalts-
analyse als Methode herangezogen, wenn an bereits bestehende Erfahrungen und
Vorannahmen angeknüpft werden soll.
Der zur Zeit bekannteste Ansatz innerhalb der qualitativen Inhaltsananalyse wurde von
Philip Mayring entwickelt.388 Er unterscheidet im Gesamtfeld der Inhaltsanalyse drei aufei-
nander aufbauende Formen der Interpretation:
1. Zusammenfassung
Reduktion des Datenmaterials durch Zusammenfassung und Abstraktion mit dem Ziel,
wesentliche Inhalte zu erhalten.
2. Explikation
Zu Textelementen des Datenmaterials wird ergänzendes Material hinzugefügt, um das
Verständnis der Textelemente zu vertiefen.
3. Strukturierung
Mit Hilfe fester Strukturierungsregeln wird das Datenmaterial gefiltert, zur Bildung eines
Querschnittes herangezogen und bewertet. Dazu werden Kategorien gebildet, definiert
und mit Ankerbeispielen erläutert.389
Mayring ging bei der Entwicklung seiner Systematik von unserem alltäglichen Umgang mit
Sprache aus. Diese drei Interpretationsebenen entsprechen also konventionellen Heran-
gehensweisen an unbekannte Texte.390
Für die Interpretation des Datenmaterials ist die Erarbeitung und Korrektur eines
Kategoriensystem von Bedeutung. Zunächst werden die vorliegenden Daten mit Hilfe von
Kategorien geordnet. Gleichzeitig werden die Kategorien anhand der Folgedaten über-
149
prüft.391 Diese können theoriegeleitet oder an der Forschungsfrage ausgerichtet entwickelt
werden. In diesem Fall spricht man von einem deduktiven Kategoriensystem. Bei der
induktiven Kategorienentwicklung bildet das Datenmaterial selbst die Quelle der
Kategoriengewinnung.
1. Deduktive Kategoriengewinnung
Kategorien werden "(...) als eher theoretische Klassifizierungen direkt aus dem bisherigen
Forschungsstand, theoretischen Vorüberlegungen oder Vorerfahrungen abgeleitet. Es wird
auf bisher bewährte Theorien oder Theorieteile zurückgegriffen. Aussagen aus diesen, die
empirisch belegt sein können, dienen dann der Generierung von Kategorien."392
Oder aber das Forschungsinteresse selbst dient als Quelle der Entwicklung eines deduk-
tiven Kategoriensystems. Dementsprechend können neu entwickelte Theorien, Konzepte
oder aber Fragestellungen und Hypothesen den Ursprung für ein Kategoriensystem
darstellen.
Die deduktive Kategorienbildung stellt ein Top-down-Verfahren dar. Das heißt, abstrakte
Prinzipien, Theorien, Vorannahmen und Vorerfahrungen werden auf den konkreten Fall,
die fixierte Kommunikation als Analyseinstanz angewendet. Eine Gefahr dieser Form der
Kategoriengewinnung ist die mangelnde Offenheit des Verfahrens. Die theoretische
Differenzierung bzw. der Erkenntnisfortschritt sollten kritisch im Auge behalten werden,
damit nicht die Offenheit gegenüber Phänomenen leidet, die nicht erwartet werden.
2. Induktive Kategorienentwicklung
Von induktiver Katergoriengewinnung wird gesprochen, wenn die Kategorien der Auswer-
tung ohne formulierte Konzepte, unmittelbar am Datenmaterial orientiert, entwickelt wer-
den.393 Bei dieser Form der Kategoriengewinnung können angestrebte Offenheit und
Varianz der Fälle dazu führen, dass theoretische Gesichtspunkte, die nicht offensichtlich
am Material abzulesen sind, außer acht gelassen werden und das dann zur mangelnden
Nachvollziehbarkeit der Textanalyse führt. Damit ist die induktive Kategorienbildung ein
Bottom-down-Verfahren, das vom Einzelfall, dem Speziellen und Untergeordneten, zum
übergreifenden, theoretischen Erklärungsmodells führt.
150
Reinhoffer394 schlägt zur weiteren Datenreduktion vor, zwischen formalen und materialen
Kategorien zu unterscheiden. Mit dieser Strategie werden deduktive und induktive Wege
der Kategorienbildung verknüpft, so dass insgesamt die Vorteile des jeweiligen Verfahrens
überwiegen. So werden Systematik und Offenheit kombiniert.
Für die Datenreduktion sei die Entwicklung eines Themen- bzw. Fragengerüsts besonders
günstig, da bereits im Vorfeld, mit der Entwicklung des Leitfadens, formale Kategorien
angelegt seien. Nach Abschluss der Datensammlung können dann Textstellen zu
bestimmten Leitfadenfragen den entsprechenden formalen Kategorien zugeordnet
werden. Anschließend wird die Analyse fortgesetzt, indem Bedeutungseinheiten und
Ausprägungen der Textstellen materiale Kategorien zugeordnet werden. Einsichten aus
der Interpretation der beiden Analyseschritte können maximal zum theoretischen Erkennt-
nisgewinn beitragen, da sie die Grundlage für formulierte Hypothesen und Typenbildungen
legen.395
151
theoretischen Hintergründen auf das Datenmaterial und kommen zu entsprechenden
Ergebnissen. Man spricht hier von Theorien- und Auswertertriangulation. Die Güte der
gewonnenen Erkenntnisse erweitert sich bei der Auswertertriangulation um die jeweils
andere Perspektive des Zweit- und Drittauswerters.398
152
statt.402
Wenn verschiedenen Methoden oder, wie in diesem Fall, zwei Perspektiven der
Datenauswertung sich gegenseitig ergänzen, widersprechen und auch stützen, verfügen
Ergebnisse zu einem bestimmten Forschungsgegenstand über eine größere Aussage-
kraft.403
Ein hoher Grad an Übereinstimmung wird meist nur bei sehr einfachen Analysen er-
reicht.404 Flick plädiert für eigene Gütekriterien der qualitativen Forschung, zu denen die
Triangulation gehört.405 Köckeis-Stangl spricht davon, dass verschiedene Ergebnisse zu
einem kaleidoskopartigen Bild zusammengesetzt werden können.406
153
154
4.5. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen
Tab. 3
Pat a
155
Pat a
Zur Kategorie Zukunftsperspektiven äußert sich die Patientin a recht umfangreich. Sie
steht zum ersten Messzeitpunkt vor einer Operation, die sich einer günstig verlaufenen
Chemotherapie anschließt. Ihre Perspektiven sind vollkommen vom noch nicht bestätigten
Erfolg der Therapie abhängig und damit unsicher.
Nach der Intervention äußert sich die Patientin weniger wortreich, beschreibt aber, dass
"(...) sie nicht völlig hoffnungslos sei (...)."
Nach drei Monaten ist die Patientin insgesamt stabiler und zeigt dies durch ein klareres
und ausführlicheres Gesprächsverhalten. Sie hat die Nachricht erhalten, dass sie tumorfrei
ist. Obwohl dies eine wünschenswerte Nachricht ist, beschreibt die Patientin, dass sie mit
der Nachricht nach langen Krisenzeiten erst einmal umgehen lernen muss. Sie entwickelt
erstmals eindeutig positivere Zukunftsperspektiven.
Zur Frage nach der Sinnhaftigkeit der Erkrankung reflektiert die Patientin vom
Sprachumfang her am ausführlichsten. Was die gesamte Textmenge angeht, bezieht sich
anteilig nahezu die Hälfte ihrer Äusserungen aus allen Gesprächen auf dieses Thema.
Im ersten Interview zeigt sie ihr Erschrecken vor der Schwere ihrer Erkrankung, und dass
sie sich bereits vor der Diagnose entschlossen hatte, in ihrem Leben andere
Schwerpunkte zu setzen, wie z. B. mehr auf eigene Bedürfnisse zu achten und besser für
sich zu sorgen. Im zweiten Gespräch fragt sie sich, ob ihre mangelnde Selbstfürsorge zu
ihrer Erkrankung geführt haben könnte und schreibt sich damit eine Mitschuld an der
Erkrankung zu. Sollte die Änderung ihrer Lebenseinstellung nicht ihr Überleben sichern,
betrachtet sie ihre Krankheit als sinnloses Leid. Den Sinn sieht sie also auch zu diesem
Zeitpunkt vor allem in einer Veränderung ihrer bisherigen Lebenseinstellung. Zum dritten
Messzeitpunkt drückt die Patientin Dankbarkeit für ihren guten körperlichen Zustand aus
156
und nimmt die Kostbarkeit des Lebens wahr. Sie nimmt sich vor, von ihrer bisherigen
Anspruchshaltung dem Leben gegenüber Abstand zu nehmen.
Wünsche und Bedürfnisse der Patientin beziehen sich vornehmlich auf ihr körperliches
und emotionales Befinden. Sie betreffen eine möglichst nebenwirkungsarme Therapiezeit
und eine stabilere psychische Befindlichkeit. Zum zweiten Messzeitpunkt wünscht sich die
Patientin nach einer langen Behandlungs- und Liegephase nun wieder mehr körperliche
Beweglichkeit. Sie erhofft sich davon auch ein bessere Stimmung. Drei Monate nach der
Intervention thematisiert die Patientin ihr Befinden erneut und auf ähnliche Weise. Indem
sie sich eine kurze Erholungsphase mit einem guten körperlichen Allgemeinzustand
wünscht. Insgesamt äußert sich die Patientin zu dieser Hauptkategorie sehr kurz und
bestimmt.
Die Patientin nimmt vor der Intervention wenig Einfluss auf die eigene Lebensgestaltung
wahr, und wenn, dann sieht sie diese vornehmlich in Abhängigkeit zu ihrer Erkrankung.
Um ihr Leben mehr selbst zu gestalten, benötige sie Kraft, die ihr eben nicht zur Verfügung
stünde. Der Fremdbestimmung durch den Behandlungskontext stimmt sie aktiv zu, da
davon ihr Leben abhänge. Zu diesem Zeitpunkt äußert sie sich zu dieser Kategorie
umfangreich. Nach der Intervention nimmt die Patientin keinen erweiterten Einflussbereich
wahr und geht kaum auf das Thema ein (NDI a 47). Nach drei Monaten und erfolgreicher
operativer Behandlung sieht die Patientin wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten in ihrem
Leben und geht auf diese im Gespräch ein. Sie bringt diese aber nicht unmittelbar mit der
Intervention in Zusammenhang. Zu diesem Zeitpunkt hat sie sich nach eigenen Worten
nicht mehr vollkommen ausgeliefert gefühlt: "Ich hab’ jetzt schon des Gefühl, dass wieder
mehr ich ge..gestalte, dass ich zwar.....also des totale Ausgeliefertsein, des hab’ ich jetzt
nich, nicht mehr so."(NDI 2 a 22)
Die Patientin benennt als Ressourcen und Kraftquellen zu allen drei Messzeitpunkten vor
allem ihre Familie und dann geistig-spirituelle Ressourcen. Die Familie ist gleichzeitig der
stabilisierende Faktor, auch weil sie hier ihre Verantwortung für Mann und Tochter spürt.
Drei Monate nach der Intervention wendet sie sich auch Bruder und Schwester als
wichtige Kontaktpersonen und Kraftquellen zu und erweitert damit ihren sozialen Kontext.
Die Patientin beschreibt unter der Kategorie Kommentare zur Kunsttherapie vor
Intervention keine benennbaren Erwartung, freue sich aber, wenn sie ihr helfe.
157
Nach der Intervention sei die innere Beschäftigung mit den entstandenen Bildern für sie
hilfreich gewesen und habe sie von ihren körperlichen Belastungen abgelenkt.
"Ich hab‘ halt gemerkt, ich hab‘ damit befasst und auch ähmm..., dass i mir überlegt habe,
könnt‘ ja daheim auch mal so malen, einfach mal so sich was von der Seele malen
oder .... Dass des a Möglichkeit.....äh..wäre, wenn i dazu kräftemäßig in der Lage bin, aber
ausprobieren könnt‘ ich‘s, ja. Also, des hat‘s mir jetzt eröffnet oder auch, dass i mi damit
befass, dass mer des halt jetzt klarer geworden is." (NDI a 53)
Drei Monate später sagt die Patientin, rückblickend habe sie die Intervention für die
Reflektion ihre Situation nutzen können und dass dies noch immer sehr hilfreich sei:
"Zum and äh.. Nachdenken...äh...angeregt, ja, schon. Ich hab’ mich ja auch befasst damit.
Doch, war sehr äh...war, ...hilfreich oder ist immer noch hilfreich!" (NDI 2 a 35)
"Hilfreich, unterstützend!" (NDI 2 2 40).
Den Äusserungen ist wenig Inhaltliches zu entnehmen, obwohl die Patientin die
Intervention offensichtlich stützend erlebte.
158
Bild 16
408
159
4.5.2. Ergebnisse Patientin b409
Tab. 4
Pat b
160
Pat b
Eine deutliche Sinnhaftigkeit ihrer Erkrankung sieht die Patientin zu Beginn der
Datenerhebung nicht. Wenn sie überhaupt von einem Sinn spricht, dann davon, gegen die
Erkrankung zu kämpfen. Manchmal spricht sie von ihren Erfahrungen im Kontext der
Erkrankung als sinnloses Leid: "Es sind viele Momente, in denen einem alles sinnlos
erscheint." (VDI b 8)
Nach der Intervention äußert die Patientin sehr knapp, dass sie keinen Sinn in ihrer
Erkrankung sieht. Sie hofft vielmehr, einfach weiter zu leben. Drei Monate nach Abschluss
der kunsttherapeutischen Begleitung sagt die Patientin:
161
"Großen Sinn, für mich, vor allem für meine Familie da zu sein, weiter zu leben und Sinn
und große Hoffnung, dass man irgendwann, ja, krebsfrei leben kann." (NDI 2 b 19)
Wünsche und Bedürfnisse der Patientin betreffen vorrangig ihr körperliches und
psychisches Befinden. Die Patientin leidet unter Schmerzproblemen und hofft, dass diese
besser zu behandeln sind. Nach der Intervention spielen eben diese Wünsche und
Bedürfnisse eine Rolle. Die Unterstützung durch ihren Ehemann wird von der Patientin
besonders betont und gewertschätzt. Zum dritten Messzeitpunkt wünscht sich die
Patientin vor allem den Erfolg der Therapien und ist dankbar, dass ihr Bedürfnis nach
Unterstützung durch Ehemann und sozialen Kontext in vollem Umfang beantwortet wird.
Zu Einfluss auf die eigene Lebensgestaltung beschreibt die Patientin, dass ihr Leben und
das ihres Mannes vollständig von ihren beiden Erkrankungen, einer Herzerkrankung und
der Krebserkrankung, beherrscht werden. Sie sieht keine eigenen Gestaltungsmög-
lichkeiten und leidet darunter. Hierzu äußert sie sich knapp (VDI b 21-25).
Nach der Intervention sieht die Patientin die Krankheit als den ihr Leben bestimmenden
Faktor, beschreibt aber auch, dass die Beziehung zu ihrem Mann von seiner Fürsorge für
sie bestimmt wird. Sie nutzt nur begrenzt die eigenen Einflussmöglichkeiten, nimmt aber
potentiell mehr Möglichkeiten wahr.
Drei Monate nach der Intervention nutzt die Patientin b etwas mehr Gestaltungsmöglich-
keiten als zuvor. In Bezug auf Entscheidungen, die ihre Gesundheit betreffen, überlässt sie
diese vorangig ihren Ärzten, akzeptiert dies aber auch. Sie ändert im Laufe der Datener-
hebung ihre Einstellung gegenüber den Ärzten. Der Erfolg der vorangegangenen
Therapien überzeugt sie. Sie entwickelt Vertrauen und kann schließlich die Zeiten nutzen,
in denen sie nicht engmaschig in eine stationäre Behandlung eingebunden ist, um Dinge
zu unternehmen, die ihr wichtig sind. Die Patientin äußert sich hier sehr ausführlich.
Eine wichtige Ressource und Sicherheitsquelle der Patientin ist die Beziehung zum Ehe-
mann. Dieser gibt ihr Hoffnung und unterstützt sie umfassend, gefolgt von ihrem Sohn,
dessen Dasein ihr gut tut. Sie schont ihn jedoch, da er selbst an einer chronischen Erkran-
kung leidet. Auch ihre Schwester ist für sie wichtig.
Nach Durchführung der Intervention erwähnt die Patientin auch noch weitere Ressourcen
wie Kontakte zu Freunden und das Erleben der Natur. Nach wie vor stehen aber der Ehe-
mann und die Familie im Vordergrund. Der Glaube an ein zu bewältigendes Schicksal und
Beten sind zum letzten Befragungszeitpunkt als Ressourcen dazu gekommen (NDI 2 b
162
66). Auch das Vertrauen zu Ärzten und deren Entscheidungen ist gewachsen. Die Patien-
tin erlebt, dass es ihr Kraft gibt, selbst einmal für ihren Mann da zu sein, wenn er sie
braucht. Ihr tut es gut, Verantwortung zu übernehmen. Kontakte, Begegnungen und Un-
ternehmungen mit Freunden helfen auch: "Dass man was unternimmt, sei es au’ mal
stundenweise …, oder dass man Essen geht ...."(NDI 2 b 106).
Vor der Intervention beschreibt die Patientin unter der Kategorie Kommentare zur Kunst-
therapie ihre Erwartungen an die Kunsttherapie. Sie hofft, abgelenkt und von Belastungen
befreit zu werden: "Ja, am ehesten Momente, in denen man das ganze Desaster ein
bisschen vergisst, dass man sich in einem Fenster, in eine Zeitecke verkriecht, wo einem
alles andere ein bisschen fernbleibt...." (VDI b 45)
Nach der Intervention äußert sich die Patientin ausführlich und positiv zur KSKT®. Sie
beschreibt, dass sie sich lebendiger fühle (NDI b 57) und dass die Intervention ihr geholfen
habe, positive Möglichkeiten des Umgangs mit ihrer augenblicklichen Situation zu
entdecken (NDI b 67). Zentrale Aussage der Patientin ist, dass sie die Kunsttherapie als
etwas erlebt habe, dass es ihr in einer extremen Situation (starke Schmerzen, ungewisser
Erfolg lebenserhaltender Operationen, keine Aussicht auf Heilung ihrer Krebserkrankung,
zusätzliche Herzerkrankung) möglich gemacht hat, auf positive Weise ihre Situation zu
reflektieren. Das zeichne die Intervention gegenüber anderen therapeutischen Interven-
tionen, die sie in Anspruch genommen hat, aus:
"Ja, das ist auf jeden Fall diese Art von Arbeit, dass ich mir nicht vorstellen konnte, ähh,
dass man auch so was, sich tiefer, auchmal, auchmal, mal was bearbeiten kann, ahhmm,
ohne ewige Tränen, ohne richtig dann, das fühlt sich so auf ne echten Art...an zu arbeiten.
Ich hab’ dann immer die Therapie gescheut, weil mich, weil mich das immer in tief drin
versetzt, weil mich dann noch mehr nach unten zieht und, wie gesagt, das ist immer so ne
Sache, wo ich…zieht die Luft scharf ein....wo...sehr belastend war. Und das, es ist nicht
belastend, also,…zumindest heute, wo’s mir so gut geht." (NDI b 83-87). Allerdings sei ihr
die Umsetzung der Arbeitsschritte schwer gefallen, wenn diese auch insgesamt hilfreich
waren. Drei Monate nach Abschluss der kunsttherapeutischen Begleitung fasst die
Patienten ihre Erfahrungen mit der Intervention zusammen:
"Ja, in den schwersten Stunden meines Lebens, hat mir sehr geholfen, muss ich sagen.
Das war’n die Schwierigsten. Ich hab sehr viel im Leben gemeistert oder viele...auch, wie
Sie wissen, und äh vieles, aber das war ja definitiv eine der größte Erfahrung, dunkelste
Erfahrung für mich bis jetzt (die Krebserkrankung/Anmerk. der Verf.). Und das hat mir in
diesen dunklen Zeiten sehr geholfen, muss ich ehrlich sagen….. Doch das hat sehr
163
geholfen. Also, ich kann das jetzt nur einmal irgend...äh...so plastisch jetzt formulieren. Ich
sehe nur dann auf einmal dann.. die Farben, Hoffnung. Irgendwas war…auf einmal
bunter." (NDI 2 b 81-85). Sie drückt damit aus, dass sie durch die Intervention mehr
Lebendigkeit erlebt und mehr am Leben teilnehmen konnte.
Bild 17
410
164
4.5.3. Ergebnisse Patientin c411
Tab. 5
Pat c
165
Pat c
412 VDI c 6
413 NDI c 8
166
Als Sinn der Erkrankung sieht die Patientin vor allem eine Veränderung der bisherigen
Lebenseinstellung.414 Die Krankheit hat für sie die Funktion eines Stoppschildes. Hier
entwickelt die Patientin viele Ideen und ist motiviert an einer positiven Veränderung
mitzuarbeiten. Allerdings stellt sie die Sinnhaftigkeit der Erkrankung in Frage, sollte sie die
diese nicht überleben: "Wenn die Krankheit..äh...jetzt nicht beendet ist, sondern es geht
immer weiter und..äh würde mir dann praktisch auch mein, mein Leben kosten, also ich
würde sterben. Dann würde ich da drin überhaupt kein Sinn sehen! Absolut keinen
Sinn!"415
Wünsche und Bedürfnisse der Patientin beziehen sich vorrangig auf ihr körperliches
Befinden: "Ja, ich würde mir wünschen, dass es jetzt erstmal ganz kurzfristig eben alles so
sehr gut klappt mit der Wundheilung und dass man, dass es voran geht, dass ich dann
also diese Prothese bekomm’, damit gut zurecht komm’ und ich wünsch’ mir natürlich,
dass das, dass die Krankheit jetzt, für mich hiermit, ein Ende hat! Und das es weiterhin so
bleibt, dass ich keine Fernmetastasen habe und dass ich dann im Prinzip mit meiner
äh..Amputation, also mit dem, ja, so mit dem Stand, wie’ s jetz is’, halt also leben kann!"416
Außerdem spielen Wünsche und Bedürfnisse andere Menschen betreffend ein Rolle, etwa
Entlastung von familiären Sorgen und erst einmal Ruhe vor einer Vielzahl ausser-
familiärer Kontakte. Zu allen Gesprächszeitpunkten geht es auch um innere Harmonie und
Entlastung von Sorgen: "Harmonie, ja, also in erster Linie schon Harmonie und also auf
keinen Fall irgendwelche Konflikte, irgendwelche seelischen Belastungen und, also
eigentlich, hauptsächlich ein freier Kopf, Harmonie und sonst eigentlich gar nichts!"417
Einfluss auf die eigene Lebensgestaltung zu nehmen, scheint zum ersten Gesprächs-
zeitpunkt nur eingeschränkt eine Option zu sein. Das Leben der Patientin ist von Angst
bestimmt und von Einschränkungen, die ihr Erkrankung und Therapie auferlegen. Nach
der Intervention nimmt sie ihre eigenen Möglichkeiten in diesen Rahmenbedingungen
wahr und ist entschlossen, daran zu arbeiten: "Es muss einfach so en Umdenken, glaub’
ich auch stattfinden, bei mir. So’ n bisschen is’ ma ja immer noch, ich will nich sagen
Opferrolle, ich bin, man is’ ja schon Opfer von dieser Krankheit so’ n Stück weit geworden.
167
Und ich muss für mich schon gucken, dass ich da raus komme. Des is’ auch ne Aufgabe,
die ich hab’."418 Nach drei Monaten thematisiert die Patientin, wieviel Mut es sie gekostet
hat, längst fällige Veränderungen vorzunehmen, aber dass sie sich nun als Gestalterin
ihres Lebens sieht. 419
Ressource und Kraftquelle der Patientin ist zu allen drei Gesprächszeitpunkten ihre
Familie und die körperliche Nähe zu ihrem Ehemann.420 Auch ihr innere Sicherheit ist eine
Kraftquelle. Nach der Intervention nennt die Patientin als Ressourcen, Freunde und mehr
Zeit zu haben, seit sie erkrankt ist.421 Nachdem die Patientin zu Hause ist, beschreibt sie,
wie sie Haus, Garten, die Natur und das Beisammensein mit ihrer Familie genießt.422
Die Patientin beschreibt unter der Kategorie Kommentare zur Kunsttherapie ihre Erwar-
tungen an die Kunsttherapie. Nachdem sie im ersten Gespräch von dem Anspruch mit
einer kunsttherapeutischen Begleitung ihre körperliche Erkrankung zu heilen, Abstand
nimmt, hofft sie, dass ihr die Kunsttherapie gut tut und sie von Belastungen befreit.423
Nachdem die Intervention durchgeführt ist, beschreibt die Patienin, dass die Umsetzung
der einzelnen Arbeitsschritte sie gefordert haben, aber dass diese Art des Umdenkens
insgesamt hilfreich gewesen ist.424 Die Patientin bewertet den Effekt der KSKT® positiv. Sie
hat mit Hilfe der Intervention neue Formen des Umgangs mit ihrer Situation entdeckt, die
sie in ihr Leben integrieren kann. Besonders die Frage "Wer gestaltet mein Leben?" hat
sie nach ihrer Entlassung immer wieder auf ihre eigenen Einfluss- und Gestaltungs-
möglichkeiten in ihrem Leben hingewiesen. Sie sagt, es sei ein Glück gewesen, diese
Begleitung zu erfahren, sie habe ihr Sinn und Rahmen gegeben.425
418 VDI c 38
419 NDI 2 c 65
420 VDI c 36
421 NDI c 40/46
422 NDI 2 c 82
423 VDI c 44
424 NDI c 64; NDI 2 c 114
425 NDI c 66
168
Bild 18
426
169
4.5.4. Ergebnisse Patientin d427
Tabelle 6
Pat d
170
Pat d
strukturierte 2
Intervention
=hilfreiche An-
leitung
(NDI d 45;
NDI 2 d 86
K 3 - Erwar- 2
tungen an die
Kunstthera-
pie/KSKT®
es soll gut tun 1
(VDI d 65)
etwas über sich 1
selbst erfahren
(VDI d 65)
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Erkrankung beantwortet die Patientin am ausführ-
lichsten. Es wird deutlich, welche besondere Bedeutung sie ihrer Erkrankung gibt, ja, sie
beschreibt, dass sie dankbar für ihre Erkrankung sei: "Urplötzlich ist einiges, worüber ich
mir wahnsinnig den Kopf zerbrochen hab’, also nächtelang nicht schlafen konnte, weil ich
nur am Nachdenken und am Grübeln war. Also des is’ jetzt vollkommen unwichtig und des
ging so urplötzlich und des is’ schon richtig phantastisch, find’ ich!"429 Die Krebserkrankung
führt ihr die Kostbarkeit des Lebens und ihrer Beziehungen zu Familie und Freunden vor
Augen.
Wünsche und Bedürfnisse der Patientin betreffen vor allem ihre körperliche Befindlichkeit
und ihre familiären und sozialen Kontakte. Sie hofft, dass die Behandlung möglichst wenig
Zeit in Anspruch nimmt und erfolgreich ist. Ausserdem plant sie die Besuchzeiten ihrer
Familie und Freunde so, dass ihr die Zeit im Krankenhaus möglichst kurz wird, ist aber
auch dankbar dafür, dass sie so häufig besucht wird.430
428 NDI 2 d 8
429 VDI d 7
430 VDI d 25; NDI d 14
171
Die Patientin nimmt sehr klar während der stationären Behandlungsphase einen
eingeschränkten Einfluss auf die eigene Lebensgestaltung wahr.431 Sie stimmt den
Schranken zu, weil sie weiß, dass dies im Kontext der Behandlung ihrer Leukämie
notwendig ist. Gleichzeitig erkennt sie, dass ihre Mitarbeit und eine gute Compliance im
stationären Alltag ihr den Aufenthalt erträglicher macht.432 Beim letzten Gespräch sagt die
Patientin, dass sie sich wieder als selbstbestimmt erlebe und die Erkrankung nicht mehr
ihr gesamtes Denken in Anspruch nimmt.433
Familie, Freunde und Aufenthalte zu Hause bedeuten der Patientin sehr viel und sind
stabilisierende Faktoren in ihrem Leben. Sie sind die wichtigsten Ressourcen und Kraft-
quellen zu allen drei Gesprächszeitpunkten. Am Alltag der Anderen teilnehmen oder selbst
Alltägliches zu tun, hilft ihr die herausfordernde Phase der stationären Therapie zu
bewältigen.434
Die Patientin erhofft sich von der Kunstherapie, dass sie ihr gut tut und sie etwas über sich
erfahren wird. In einem Kommentar zur Kunsttherapie stellt Patientin d fest, dass Bezie-
hungen zu Familienmitgliedern und Freunden mit Hilfe der kunsttherapeutischen
Intervention klarer und greifbarer geworden seien. Sie hat einiges über sich und andere
erfahren. Die konkreten Bilder untersützen die Umsetzung ihrer Erkenntnisse ins Leben.
172
Dies deckt sich mit der Erwartung, die sie im ersten Leitfadengespräch äussert.435 Auch
kann sie, was sie im Schutzraum dargestellt hat, direkt als Qualität in ihrem Leben
verwirklichen, weil sie nun eher weiß, was sie braucht, um sich wohl zu fühlen.436 Die
Patientin betrachtet sich selbst als nicht kreativ und kann sich nicht vorstellen frei zu malen
oder Kunsttherapie zukünftig zu nutzen, wenn das bedeutet, eigene Ideen zu
entwickeln.437 Für sie war es eine Herausforderung, die ersten Arbeitsschritte der KSKT®
umzusetzen, vor allem der Transfer persönlicher Aspekte in abstrakte Formen. Aber mit
Hilfe der Anleitung zur KSKT® war für sie das Arbeiten mit bildnerischen Mitteln ange-
nehmer als erwartet.438
173
Bild 19
439
174
4.5.5. Ergebnisse Patientin e440
Tab. 7
Pat e
175
Pat e
Zu-Sich-Selbst- 1 K2- 4
Kommen Schwierigkei-
(NDI e 38) ten bei der
Durchführung
der KSKT®
(NDI e 82)
Urlaub machen 1 Schwierig- 3
(NDI 2 e 33) keiten
förderlich
R 5 - andere 1 erfordert 2
soziale Konzentration
Ressourcen (NDI e 86;
(NDI e 46) NDI 2 e 68)
kein entspan- 1
nendes Malen,
sondern innere
Arbeit
(NDI e 94)
K 3 - Erwar- 1
tungen an die
Kunsttherapie/
KSKT®
Professionelle 1
Unterstützung
(VDI e 123)
K 4 - keine 1
vorhandenen
Erwartungen
an die KSKT®
(VDI e 125)
Die Zukunftsperspektiven der Patientin werden zum ersten und letzten Gesprächszeit-
punkt von Angst und Unsicherheit dominiert. Später kommen bange Hoffnungen hinzu,
gesund zu werden und ihre gesamte Lebenssituation verändern und verbessern zu
können. Nach der Intervention hat ihre Zukunftsperspektive vor allem mit der
Verbesserung ihrer Lebenssituation zu tun. Sie will mehr Zeit haben und die Hoffnung auf
Gesundung ist der Überzeugung gewichen, gesund zu werden.
Die Sinnhaftigkeit der Erkrankung liegt für die Patientin vor allem darin, ihre Lebensein-
stellung und -führung zu verändern. Sie hat sehr viele Pläne, wie sie zukünftig leben will.
Die Patientin plant, besser auf sich und ihren Körper zu achten, insgesamt Verantwortung
für ihr Wohlbefinden und ihre körperlichen und emotionalen Grenzen zu übernehmen.441
Viel Alltägliches oder auch die selbstverständliche Anwesenheit von Menschen in ihrem
176
Umfeld erscheinen ihr nun kostbarer.442
Wünsche und Bedürfnisse der Patientin beziehen sich vor allem auf Entlastung. Immer
wieder sagt sie, sie will ohne Druck sein443 und sie wünscht sich, mehr Zeit zu haben.444
Auch wünscht sie sich eine gute Verträglichkeit und den Erfolg der Therapie. Allerdings
betreffen ihrer Wünsche und Bedürfnisse eindeutig mehr den emotionalen Bereich.
Schon zum ersten Gesprächszeitpunkt spielt für die Patientin die subjektive Sinnhaftigkeit
ihrer Erkrankung unter der Kategorie Einfluss auf die eigene Lebensgestaltung eine Rolle.
Sie fragt sich, was ihr die Erkrankung zu sagen hat.445 Erst gegen Ende ihres Kommentars
sagte sie, dass sie vor allem durch Krankheit, medizinischen Kontext und Therapie
bestimmt sei.446 Zum zweiten Gesprächszeitpunkt nimmt sie schon mehr Einfluss-
möglichkeiten wahr, ringt allerdings mit den vielen unterschiedlichen Zwängen, die ihr
Leben bestimmen.447 Zum letzten Gesprächszeitpunkt sieht die Patientin deutliche eigene
Einflussmöglichkeiten. Für die Patientin spielt dieses Thema bereits vor ihrer Erkrankung
eine zentrale Rolle.
Die Patientin nennt als Ressourcen und Kraftquellen ihren Ehemann und ihren kleinen
Sohn448 und im letzten Gespräch sich selbst. Die Familie gibt ihr die notwendige Sicherheit
in der akuten Phase der Erkrankung. Dass ihre Erkrankung behandelbar ist, ist auch ein
177
wichtiger Kraft spendender Faktor. Im letzten Gepräch nennt sie Mann und Sohn als
Kraftquellen. Aber es sind weitere Kraftquellen hinzu gekommen, die ihr zuvor nicht zur
Verfügung standen, wie etwa die Planung eines einwöchigen Urlaub. Dies ist etwas, das
sie sich seit vielen Jahren nicht gegönnt hatte. Der Patientin ist schnell klar, welche
Ressourcen ihr zur Verfügung stehen und welche sie sich noch in Zukunft verfügbar
machen will. Sie spricht hier von Wunschkraftquellen.449 Insgesamt verfügt die Patientin
über ein großes Potential von Kraftquellen.
Die Patientin erwartet von der Kunsttherapie, dass sie unterstützende Gespräche führen
kann und professionelle Unterstützung erfährt. Sie hat keine speziell auf die Kunsttherapie
bezogenen Erwartungen. Zum zweiten Gesprächszeitpunkt beschreibt sie, dass das, was
sie gestaltet hat, bereits in ihr vorhanden ist, dass es mit den Bildlegungen aber
verdeutlicht und insgesamt vertieft worden sei.450 Die bildliche Darstellung findet sie
großartig, da sie nun Ansatzpunkte habe, die sie in ihrem alltäglichen Leben umsetzen
kann. Die Umsetzung der Intervention stellt eine Herausforderung für sie dar, weil sie
Mühe hat unter der Belastung der Chemotherapie, ihre Konzentration aufrechtzuerhalten.
Sie empfindet die KSKT® nicht als entspannendes Malen, sondern als Anstrengung. Nach
drei Monaten resümiert sie die kunsttherapeutiche Intervention als genaue Analyse der
Gesamtsituation, die auf ihr reales Leben anwendbar sei, die aber auch Konzentration
449 NDI e 38
450 NDI e 64:
"Ja, ich glaub‘ schon. Das Ganze noch mal so schemenhaft darzustellen und auch noch mal selber zu
malen. Ich glaub‘, wenn man vieles im Kopf hat, ähm.... ist es oft nicht so klar, aber es ist so... Man
denkt drüber nach und dann kommt wieder ein anderer Eindruck, ein anderer Gedanke. Ich glaub‘ in
dem Moment, wenn man das so‘ n bisschen mehr thematisiert und auch ausschneidet und eben auch
mehrere Bilder legen kann, vertieft sich das Ganze noch mal so. Diese Ansätze, die man da vielleicht
im Kopf hat und wo man sagt: Ich weiß es ja eigentlich schon irgendwo!"
NDI e 68:
"Auf jeden Fall! Das man da einfach auch des Bild, man hat. Ich seh‘ das Bild jetzt auch vor mir des is‘
ja auch irgendwie abgespeichert. In meinem Kopf jetzt. Gerade, was wir jetzt so machen, dieses Wunsch-
bild legen....hm, glaub‘ ich schon, ja!
NDI e 70:
"Das da noch mal ne Vertiefung stattfindet."
178
erfordert.451
Bild 20
452
451NDI 2 e 54:
"Um das Ganze zu begreifen und zu verstehen, auch, und, einfach auch so extrem, die Frage so: Was
gibt Kraft? Und wo sind die Ressourcen? Hm, das sind so Dinge, die stellt man, das sind Fragen, die
stellt man sich nicht einfach so mal. Da geht man nicht so akribisch dran, sagt: Ja, wie sieht‘s aus?
Was ist da? Also, ich glaub‘ das einfach!"
NDI 2 e 64:
".....kann man so sagen, dass man selber auch, sich selber quasi auch gestagt hat, mal so, durch diese
Geschichte, ja. Das man einfach jetzt sich selber auch mal...ähm....gestagt hat, noch mal geguckt:
Was hat das zu bedeuten? Warum ist das so? Was ist los? Wo stehst Du? Wie gehst Du damit um?
Und.....zieht tief Luft ein.... Ja, daran halt einfach jetzt weiterarbeiten kann,....sich da einfach noch
mal so, ja, auf den Punkt gebracht hat, ne. Natürlich mit Hilfe der ganzen Geschichte jetzt auch, ne!"
NDI 2 e 78:
"Das war ein Staging für mich: Was is‘ wie, wo los? Was hab‘ ich gemacht? Wo bin ich? Wo steh‘ ich?
Was hat das Ganze mir zu bedeuten? Und.....ähm ja, wie kann man‘s einfach angehen jetzt, ne!"
452 Bild 20: Synthese Patientin e (Kurzbeschreibung, siehe Kapitel 2.1.2.3. Interventionsmanual der KSKT®):
Im Abschlussbild zeigt die Patientin die wahrgenommen Möglichkeiten, ihr Umfeld entsprechend ihrer
Wünsche zu beeinflussen und Unterstützung zu bekommen. Offensichtlich ist die Patientin optimistisch.
Diese Legung kommt der ursprünglichen Wunschlegung sehr nahe. Die Nähe zum Ehemann ist größer,
aber auch die Unterstützung durch die Schwester und Freundin E. Die einzelnen Formen überschneiden
sich mehr, was eher als Beziehungsgeflecht wahrgenommen werden kann, denn als einzelne isolierte
Formen wie auf dem Wunschbild. Das vermittelt eine stärkere Einbindung in ein soziales Umfeld.
179
4.6. Ergebnisse der Auswertung der Leitfadengespräche
Mit Hilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse wurden die Leitfadengespräche der fünf Patien-
tinnen a, b, c, d und e ausgewertet. Die sowohl induktiv wie deduktiv ermittelten
Hauptkategorien bestätigten den Inhalt des Gesprächsleitfadens.453 Diesen wurden aus
den Texten ermittelte Subkategorien untergeordnet, mit denen die Inhalte der Gespräche
zusammengefasst werden konnten. Die ermittelten Subkategorien und feiner differenzierte
materiale Kategorien werden in den folgenden Tabellen dargestellt.
All diejenigen Kategorien, die in den fünfzehn Gespächen vier Mal oder häufiger genannt
wurden, sind in der Tabelle besonders markiert (rosa unterlegte Felder). Wichtig zum
Verständis der Tabellen ist, dass in den Zeilen der Subkategorien (groß/fettgeschrieben,
unter den farbigen unterlegten, fettgeschriebenen Hauptkategorien) die Summe ihrer
Nennungen gezählt werden.
Den jeweiligen Patientinnen zugeordnet sind die Einzelwerte feiner differenzierter
materialer Kategorien (feine Schrift), aus denen sich die Summen der fett geschriebenen
Subkategorien ergeben. Manchmal ist die der Subkategorie zugeordnete Summe höher
als die errechenbare Summe der Einzelwerte der darunter aufgeführten materialen
Kategorien. Zu diesen Summen gehören auch Nennungen der Subkategorien, die nicht
feineren, materialen Kategorie zugeordnet werden konnten.
Die materialen Kategorien wurden gemäß ihrer Ausprägungen sortiert. Die materiale
Kategorie, die unmittelbar unter der Subkatgeorie steht, weist inhaltlich zu dieser die
höchste Valenz auf. Die folgenden materialen Kategorien sind schrittweise von immer
geringerer Valenz zur darüber stehenden Subkategorie, bis hin zur letzten Kategorie, die
den größten Kontrast zur ersten formalen Kategorie aufweist.
180
4.7.2.1. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie
Zukunftsperspektiven454
Tab. 8
ZUKUNFTS-
PERSPEKTIVEN
Z 1 - positive ZP 3 2 7 3 2 17
(13)
Zuversicht in Abhängigkeit vom 1 1 3 0 0 5
Therapie/
Krankheitsverlauf
Sicherheit, gesund 0 0 0 2 1 3
zu werden
Berufstätigkeit 0 0 1 1 0 2
Zeit haben 0 0 1 0 1 2
musische Aktivitäten 0 0 1 0 0 1
Z 2 - ungewisse ZP 4 1 1 0 4 10
(4)
Unsicherheit 1 0 0 0 0 1
Angst 0 1 0 0 2 3
Z 3 - ambivalente ZP 0 3 0 2 3 8
(4)
finanzielle/materielle 0 0 0 1 0 1
Sicherheit
181
Krankheitsverlauf wurde 5 mal genannt. Ungewisse Zukunftsperspektiven wurden 10
Mal genannt. Dieser Kategorie untergeordnet und am häufigsten (3 Nennungen) genannt
wurde Angst in Bezug auf die Zukunftsperspektive. 8 mal wurden ambivalente
Zukunftsperspektiven mit gleichzeitig vorhandener großer Hoffnung auf Verbesserung
des Zustandes (2 Nennungen) thematisiert.
182
4.7.2.2. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie
Sinnhaftigkeit455
Tab. 9
Kategorie Pat a Pat b Pat c Pat d Pat e
SINNHAFTIGKEIT
S 1 - Sinnhaftigkeit 8 3 5 6 13 35
durch Veränderung (32)
der bisherigen
Einstellung
bewusster leben 1 0 0 1 3 5
Unzufriedenheit 1 0 0 1 0 2
überwinden
etwas lernen 1 0 0 0 0 1
S 2 - Schuld/ 2 0 2 1 0 5
Prüfung (3)
S 3 - ohne Sinn 4 1 1 0 0 6
(5)
Sinn fraglich 2 0 0 0 0 2
183
2. Erkrankung ohne Sinn
3. Schuld/Prüfung
Zu Veränderung der bisherigen Einstellung haben sich die zahlreichsten sprachlichen
Äusserungen finden lassen (35 Nennungen). Diese Subkategorie ist in der Gesamt-
auswertung die zweithäufigst genannten. Diesen untergeordnete häufigst genannte
materiale Kategorien sind bewusster leben (5 Nennungen) und die Krankheit als
Stoppschild betrachten (6 Nennungen).
6 Mal wurde die Subkategorie ohne Sinn genannt. Wichtig war hier, dass die Erkrankung
nur als sinnvoll betrachtet wurde, wenn die Veränderung der eigenen Lebenseinstellung
auch mit einer Verbesserung des gesundheitlichen Zustand einhergeht und die Patientin
nicht stirbt (3 Nennungen: Sinnlosigkeit der Erkrankung, wenn man stirbt/ 2
Nennungen: Sinnlosigkeit der Erkrankung ohne Begründung).
Zur Subkategorie Schuld/Prüfung (5 Nennungen) ließen sich im Text bis auf nicht genug
für sich selbst gesorgt keine weiteren materialen Kategorien finden.
Es wurden alle Nennungen gezählt, auch wenn die Patientinnen an anderer Stelle im Text
Äußerungen gemacht haben, die zu Veränderung ihrer bisherigen Lebenseinstellung
zugeordnet werden konnten.
Die im Gesamtvergleich häufigen Nennung und die differenzierten Äusserungen zur
Subkategorie Sinnhaftigkeit der Erkrankung durch Veränderung der bisherigen Ein-
stellung zeigt wie zentral für die Patientinnen die Bemühung ist, ihrer Erkrankung einen
Sinn zu geben, und diesen als Impuls zu einem inneren Lernprozess zu nutzen.
184
4.7.2.3. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Wünsche und
Bedürfnisse 456
Tab. 10
Kategorie Pat a Pat b Pat c Pat d Pat e
WÜNSCHE +
BEDÜRFNISSE
W 1 - Wunsch eigenes 5 5 5 4 2 21
körperliches Befinden (21)
betreffend
gute Verträglichkeit/ 2 4 1 2 2 11
Erfolg der Therapie
Erholung 2 0 2 0 0 4
beweglicher werden 1 0 1 0 0 2
kein Schmerz 0 1 1 0 0 2
W 2 - Wunsch eigenes 2 3 2 0 9 16
emotionales Befinden (13)
betreffend
seelische Stabilität 0 2 0 0 3 5
innere Harmonie/keine 0 0 1 0 0 2
seelischen Belastungen
W 3 - an andere 0 2 3 2 1 8
Menschen gerichteter (8)
Wunsch
Entlastung von familiären Sorgen 0 0 1 0 0 1
Arbeitsentlastung 0 0 0 0 1 1
Ruhe haben 0 0 2 0 0 2
185
gebildet werden:
1. Wunsch eigenes körperliches Befinden betreffend
2. Wunsch eigenes emotionales Befinden betreffend
3. an andere Menschen gerichteter Wunsch
Die Zusammenfassung der Begriffe Wünsche und Bedürfnisse erschien folgerichtig, da
die Patientinnen Mühe hatten, diese beiden Begriffe zu unterscheiden. Andererseits
beinhalten Wünsche eindeutig mehr motivationale Aspekte, Bedürfnisse mehr die
körperlich-seelische und dringliche Aspekte eines Grundwohlbefindens, welche beide in
den Leitfadengesprächen ins Blickfeld gerückt werden sollten.
Am häufgsten (21 Nennungen) wurde die Subategorie Wunsch eigenes körperliches
Befinden betreffend geäußert. Unter den zugehörigen materialen Kategorien wurde gute
Verträglichkeit/Erfolg der Therapie mit 11 Mal am häufigsten genannt. Die in der
Häufigkeit folgende Subkategorie ist Wunsch eigenes emotionales Befinden betreffend
mit 16 Nennungen. Bedürfnisse andere Menschen betreffend wurde 6 Mal genannt.
Dieser Subkategorie untergeordnet war die materiale Kategorie Kontakt zu Freunden/
Familie, die 4 Mal genannt wurde. Markant, aber auch leicht nachzuvollziehen ist es, dass
im Kontext der Behandlung einer Krebserkrankung Wünsche, das eigene körperliche
und auch das emotionale Befinden betreffend im Vordergrund stehen. Die vergleichs-
weise geringe Nennung der Subkategorie Wunsch andere Menschen betreffend weist
meines Erachtens auf eine Scheu der Patientinnen hin, selbst in belastendenden
Situationen, Wünsche direkt zu äussern.
186
4.7.2.4. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Einfluss auf
die eigene Lebensgestaltung457
Tab. 11
Kategorie Pat a Pat b Pat c Pat d Pat e
E 1 - Möglichkeit 2 2 4 3 5 16
eigener Lebens- (10)
gestaltung
seelische Veränderung 1 0 0 1 2 4
Verantwortung übernehmen im 1 0 0 1 0 2
Kontext der Behandlung
Unternehmungen planen 0 1 0 0 0 1
E 2 - geringer 6 9 5 4 5 29
eigener Einfluss (28)
Zustimmung zu fremden 1 2 0 1 2 6
Einflüssen
Fremdbestimmung 3 3 2 1 1 10
Krankheit
Fremdbestimmung 1 2 1 2 1 7
medizinischer Kontext/
Therapie
größeres Gestaltungspotential 0 1 0 0 0 1
vorhanden
Der Hauptkategorie Einfluss auf eigene Lebensgestaltung ließen sich zwei Subkate-
gorien zuordnen:
1. Möglichkeit eigener Lebensgestaltung
2. geringer eigener Einfluss
Am häufigsten, nämlich 29 Mal, wurde geringer eigener Einfluss genannt. Dies ist die
187
dritthäufigste Subkategorie in der Gesamtzählung aller Kategorien. Von den zugeordneten
materialen Kategorien wurde 10 Mal Fremdbestimmung Krankheit genannt, gefolgt von
Fremdbestimmung medizinischer Kontext/Therapie mit 7 Nennungen und 6 Nennun-
gen Zustimmung zur Fremdbestimmung. 16 Mal wurde der Möglichkeit eigener
Lebensgestaltung zugestimmt. 4 Mal wurde die seelische Veränderung als Möglichkeit
eigener Lebensgestaltung genannt.
Die zahlreichen Äusserungen zur Kategorie geringer eigener Einfluss weisen auf die
zentrale Problematik des bereits beschriebenen Autonomieverlust vieler Krebspatienten
hin.458 Andererseits erkennen und benennen Patientinnen Möglichkeiten eigener
Lebensgestaltung. Insgesamt sollte dieser Aspekt in der psycho-onkologischen Beglei-
tung einen Schwerpunkt darstellen, ebenso wie die Bereitstellung von Interventionen, die
diese Problematik der Patienten berücksichtigen.
188
4.7.2.5. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Ressourcen
und Kraftquellen459
Tab. 12
Kategorie Pat a Pat b Pat c Pat d Pat e
Ressourcen/
Kraftquellen
R 1 - Sicherheit als 3 3 4 3 6 18
Ressource
finanzielle/materielle Sicherheit 0 0 1 0 0 1
soziale/familiäre Sicherheit 3 1 2 3 4 13
Unterstützung durch 0 0 0 0 1 1
klinisches Personal
Vertrauen in die 0 1 0 0 0 1
Entscheidungen der Ärzte
R 2 - Familie/Partner- 3 5 3 3 4 18
schaft als Kraftquelle (3)
Verantwortung übernehmen 1 1 0 0 0 2
Unterstützungsangebote 0 1 0 0 0 1
R 3 - geistig spirituelle 3 5 0 0 1 9
Kraftquellen (8)
Beten/Meditieren 3 1 0 0 0 4
R 4 - andere 1 2 4 3 5 14
individuelle (14)
Ressourcen
Natur als Ressource 1 1 1 0 0 3
mehr Zeit 0 0 1 0 0 1
Beruf/Arbeit 0 0 0 0 2 2
Zu-Sich-Selbst-Kommen 0 0 0 0 1 1
Unternehmungen 0 1 0 0 0 1
Urlaub machen 0 0 0 0 1 1
189
selbst Alltägliches tun 0 0 0 1 0 1
R 5 - andere soziale 0 2 1 1 1 5
Ressourcen (2)
Kommunikation 0 1 0 0 0 1
R 6 - keine Ressource 0 2 1 0 0 3
(2)
keine Sicherheit/Halt 0 1 1 0 0 2
190
4.7.2.6. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Kommentare
zur KSKT®460
Tab. 13
Kategorie Pat a Pat b Pat c Pat d Pat e
KOMMENTARE ZUR
KSKT®
K 1 - positive 5 12 12 8 8 45
Bewertung (45)
der Intervention
positive Möglichkeiten des 0 2 3 2 1 8
Umgangs entdecken
Veranschaulichung des 0 0 1 2 1 4
momentanen Lebens
Entlastung 1 2 0 0 0 3
Gespräche/Interviews 0 0 1 0 1 2
im Kontext der Intervention
Ablenkung 1 1 0 0 0 2
Frage: 0 0 1 0 0 1
Wer gestaltet mein Leben?
Etwas über sich selbst erfahren 0 0 0 1 0 1
das Umdenken/ 1 0 2 0 0 3
Nachdenken hat geholfen
Verdeutlichung/Klärung/ 1 0 0 0 1 2
Sammlung
mehr Lebendigkeit 0 2 0 0 0 2
191
hat Hoffnung gegeben 0 1 0 0 0 1
K 2 - Schwierigkeiten 0 1 4 4 4 13
bei der Durchführung
der KSKT®
Schwierigkeiten 0 1 2 2 3 8
(5)
förderlich
Strukturierte Intervention= 0 0 0 2 1 3
hilfreiche Anleitung
K 3 - Erwartungen an 0 1 2 2 1 6
die Kunsttherapie/ (6)
KSKT®
es soll gut tun 0 0 1 1 0 2
professionelle Unterstützung 0 0 0 0 1 1
K 4 - keine Erwar- 1 1 0 0 1 3
tungen an die KSKT®
192
man im Leben umsetzen kann, Entlastung und das Umdenken/Nachdenken hat
geholfen mit jeweils 3 Nennungen. 13 Mal wurden Schwierigkeiten bei der Durchfüh-
rung der KSKT® beschrieben. 8 Aussagen davon bewerteten die Intervention
ausdrücklich als förderlich. 6 Mal wurden Erwartungen an die Kunsttherapie/KSKT®
genauer beschrieben. Die Patientinnen haben ihre Erfahrungen mit der KSKT® detailliert
und ausführlich beschrieben. Da die Evaluation der Methode ein zentrales Interesse der
qualitativen Studie darstellt, wurde hier auch intensiver gefragt, sodass Rückschlüsse auf
die Wirksamkeit der Intervention gezogen werden konnten.
Welchen Sinn hat für Sie das, was sie gerade erleben?463
(Das muss aber nicht so sein!)464
Die subjektive Sinnhaftigkeit der eigenen Erkrankung der Patientinnen wird mit dieser
Frage angesprochen. Sinnhaftigkeit der Erkrankung ist die dazugehörige Hauptkate-
gorie. Diese Frage beruht auf der erfahrungsgestützen Vorannahme, dass Patienten sich
häufig während des stationären Aufenthaltes mit dieser Thematik auseinandersetzen und
jeweils individuelle Erklärungsmodelle für ihre Erkrankungen entwickeln.465
193
Dies konnte mit einer Einschränkung für vier Patientinnen bestätigt werden. Patientin b
beschreibt, dass für sie die Erkrankung den Sinn habe, gegen sie zu kämpfen und weiter
zu leben. Wenn dies auch unstrittig ein starke Motivation ist, formuliert diese Patientin
doch kein eigenes Krankheitserklärungsmodell. Streng genommen ist dies keine subjek-
tive Krankheitstheorie oder Sinnhaftigkeit der eigenen Erkrankung.466
466 Patientin b:
VDI b 6:
"Tja, weiter zu kämpfen (…) vielleicht ein paar Jahre zu gewinnen“
VDI b 8:
"Es sind viele Momente. In denen einem alles sinnlos erscheint“
NDI b 6:
"In der Hoffnung weiter zu leben, leben zu dürfen“
NDI 2 b 21:
"Großen Sinn, für mich, vor allem für meine Familie da zu sein, weiter zu leben“, siehe Anhang
467 Kapitel 4.3.4.2. Leitfaden der Gespräche
468 Kapitel 4.3.4.2. Leitfaden der Gespräche
469 Hopf 2010
194
Patientinnen nur geringe oder keine Einflussmöglichkeiten470 wahrnahmen. Dies wurde
durch die Studienergebnisse bestätigt. Alle Patientinnen thematisierten ihre geringen
Einflussmöglichkeiten mehrfach und insgesamt in großem Umfang. Es ist dies die
häufigst genannte Subkategorie zur Hauptkategorie Einfluss auf die eigene Lebens-
gestaltung.
195
Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen neue Möglichkeiten eröffnet?
(Hat sich etwas verändert? Gab es besondere Erkenntnisse?)
Wie würden Sie Bedeutung der kunsttherapeutischen Begleitung zusammenfassen?
(Sie können einen oder mehrere Begriffe nennen!)
Was sehen Sie kritisch?
(Was fanden Sie schwierig?) 475
Zur Hauptkategorie Kommentare zur KSKT® wurden noch vor den beiden Hauptkate-
gorien Sinnhaftigkeit der Erkrankung und Einfluss auf die eigenen Lebensgestaltung
die ausführlichsten Äußerungen gemacht. Diese Äußerungen stellten in der Auswertung
der Leitfadengespräche einen besonderen Interessenschwerpunkt dar, da sie die
Erfahrungen, Bewertungen und die Wirkung der KSKT® auf die Patientinnen enthielten.
Zu den Erwartungen an die Kunsttherapie bestanden keine Vorannahmen.476
Zur Frage (im Zweit- und Drittgespräch), ob die Intervention ihnen neue Möglichkeiten
eröffnet habe, bestand die Vorannahme, dass die Intervention Veränderungsimpulse gibt,
die Patientinnen zu einer Neubewertung bekannter Lebensumstände anregt und dass
ihnen die KSKT® neue Perspektiven im Umgang mit der aktuellen Situation eröffnen
würden. Diese Vorannahmen wurden zum größten Teil bestätigt. Patientinnen bewerteten
die KSKT® als positiv. Die Intervention habe ihnen Ansätze aufgezeigt, die im Leben
umsetzbar wären. Außerdem habe sie positive Möglichkeiten des Umgangs mit der
aktuellen Situation eröffnet und diese auch anschaulich gemacht.477 Selbst wenn die
Unterstützung aus dem Umfeld für die Patientinnen optimal war, schien die Veranschau-
lichung dieser Unterstützung selbst als Ressource (d: NDI 2 d 12-25) gedient zu haben.
Bis auf Patientin a478, die keine kritischen Punkte nannte, thematisierten alle Patientinnen
die Herausforderung, die die Umsetzung der Interventionsschritte darstellte. Insgesamt
profitierten die Patientinnen jedoch, sodass diese Schwierigkeiten eher als entwicklungs-
födernder Herausforderungen die positiv-stützende Wirkung der Intervention nicht
minderten.479 Die Patientinnen äußerten sich sehr ausführlich zu ihren Erfahrungen mit der
KSKT®.
196
4.7.4. Das Auswertungsdreieck als Quintessenz aus den Leitfadenge-
sprächen
Bild 21
Sie stellen die inhaltlichen Schwerpunkte der Leitfadengespräche dar. Einerseits wird der
Sinn der Erkrankung in einer Veränderung der bisherigen eigenen Einstellung
gesehen, während gleichzeitig nur geringe Einflussmöglichkeiten auf die aktuelle
Situation, aber eine positive Wirkung der kunsttherapeutischen Intervention wahrge-
nommen wird. Die Erfahrungen der Studienpatientinnen decken sich mit den
erfahrungsgestützten Voraussagen und den Erfahrungen der Patientin, deren therapeu-
tische Begleitung den Ausgangsimpuls zur Entwicklung der KSKT® gab.480 Die positive
Bewertung der KSKT® durch die Patientinnen kann auf eine, die geringen Einfluss-
möglichkeiten kompensierende Wirkung der Intervention zurückgeführt werden,
insbesondere da Reflexionsprozesse ermöglicht werden und auch unbewusste Themen-
480 Kapitel 2.1.1. Wie ist die kurze strukturierte Kunsttherapie entstanden?
Die Geschichte
Kapitel 2.1.2. Modell der KSKT®, einer kurzen strukturierten kunsttherapeutischen Interventionsmethode
197
felder Ausdruck finden. Diese Interpretationen erklären die unterstützende Qualität.
An dieser Stelle können die Teilkonstrukte des SOC (Sense of coherence) zu Aspekten
der KSKT® in Beziehung gesetzt werden. Diese sind Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und
Handhabbarkeit.481
Der Aspekt Verstehbarkeit kann mit dem Erkennen der geringen eigenen Einflussmög-
lichkeiten und der Aspekt Sinnhaftigkeit mit daraus resultierenden Veränderung der
bisherigen Einstellung und Entwicklung der individuellen, an die neue Situation angepas-
ste Sinnhaftigkeit der Patientinnen verknüpft werden. Mit der KSKT® kann im bildneri-
schen Erfahrungsraum ein Perspektivenwechsel erprobt werden. So können Grenzen
eigener Einflussmöglichkeiten auf die eigene Lebensgestaltung (zunächst stellvertretend
im bildnerischen Kontext) überschritten werden. Diese wäre dem dritten Begriff
Antonovskys zuzuordnen, der Handhabbarkeit. Die KSKT® stellt also eine Förderung des
hilfreichen Umgangs mit der eigenen Belastungssituation dar.
481 Kapitel 1.2.3. Das Konzept der Salutogenese im Rahmen kunsttherapeutischer Begleitung von Krebs-
patienten
198
5. Diskussion der Ergebnisse
199
persönlichen Lebensaspekte im Bild vertreten, angeordnet werden.485 Der soziale Kontext
der Patienten und die damit verbundene Unterstützung fließen in diese Anordnungen mit
ein.
Werden Krebspatienten mit der KSKT® begleitet, lassen sich aus der Wahrnehmung und
Exploration innerer, äußerer und sozialer Ressourcen, wie sie mit Hilfe der Bildkompo-
sitionen durchgeführt werden, temporäre Ordnungen etablieren. Es werden Ziele, Motive
und Wünsche während der stationären Behandlung angesprochen und im Bild
untersucht.486 Verschiedene Ordnungen bzw. Anordnungen werden als zunächst bildhafte
Lösungen gelegt. Bildnerische Anordnungen stellen dann gewissermaßen innere
Kartographien oder sichtbare emotionale Ausrichtungen dar.487 Sie haben Orientierungs-
qualität. Darüber hinaus erhöht das Manual der Intervention die Akzeptanz für
Kunsttherapie als Krisenenintervention, weil es Sicherheit vermittelt.488
200
Wirksamkeitsnachweise kunsttherapeutischer Interventionen generell. Die Methoden
werden hier kurz, dem Übersichtscharakter der Studie entsprechend, beschrieben. Die
genaue kunsttherapeutische Verfahrensweise und einzelne Interventionsschritte können
der Publikation nicht entnommen werden. Es entsteht durch diese Darstellung jedoch ein
Eindruck der Fülle, der Vielfalt und der hilfreichen Wirkung kunsttherapeutischer Inter-
ventionen in der Onkologie. Von 56 gesichteten Veröffentlichungen werden letzendlich in
17 Publikationen 12 wissenschaftliche Projekte dargestellt.491
201
einer Publikation von Thomas Staroszynki dargestellt.493
Sind bereits Gestaltungswünsche vorhanden und werden geäußert, ist es sinnvoll, diesen
den Vorrang zu geben.494 Die Präferenz der betreuten Patienten ist zielführend. Generell
sollten Patienten strukturierte wie auch offene kunsttherapeutische Angebote zur Auswahl
haben.
Die KSKT® ist eine kunsttherapeutischen Intervention für Krebspatienten, die in einer
Phase großer Belastungen während des stationären Aufenthalts das Ziel hat, zur
Stabilisierung und Aktivierung des Autonomieerlebens beizutragen.498 Nicht alle psycho-
onkologisch-kunsttherapeutischen Interventionen betonen Patienten-entlastende Aspekte
202
wie Autonomieförderung und Stabilisierung.499 Diese Aspekte sollten jedoch in der sta-
tionären Begleitung im Vordergrund stehen. Explorative Elemente einer kunstthera-
peutischen Begleitung können meist im ambulanten Bereich von Patienten besser genutzt
werden. Dann sind diese günstig, weil sie die externe, außerklinische Lebenswelt besser
integrieren können und Einflüsse, die einen Autonomieverlust verursachen, nicht mehr so
stark im Vordergrund stehen.
Nach Chang et al.500 leiden stationäre Patienten unter 10 belastenden Symptomen gegen-
über ambulanten Patienten mit durchschnittlich 5 belastenden Symptomen, sodass
deutlich wird, wie bedeutsam eine Entlastung der stationären Patienten mit adäquaten
Mitteln ist.
Die KSKT® verfügt über sechs der sieben Qualitätskriterien kunsttherapeutischer
Interventionen in der Psycho-Onkologie. Von den dargestellten und verglichenen Inter-
ventionen, sind es die 1. Creative Journey, 3. Gestaltungskurs für Krebspatienten, 5.)
Mindful based Art Therapy (MBAT) und 9. KSKT®, die sechs von sieben Qualität
sichernden Merkmalen aufweisen. Drei der Interventionen werden im stationären Kontext
eingesetzt (1., 2., 9.), zwei (3., 5.) sind im ambulanten Kontext angesiedelt.
Watson und Bultz501 von der International Psycho-Oncology Society (IPOS) beschreiben in
"Psychosoziale Interventionen: Evidenz und Methoden für die Unterstützung von
Krebspatienten" ein Konzept der psycho-sozialen Versorgung von Krebspatienten. Die
203
betreuten Menschen sollten mit Hilfe der Interventionen dazu befähigt werden, ein
höchstes Mass an Selbstständigkeit und Lebensqualität zu erreichen und zu bewahren.
Die Unterstützung beim Umgang mit den Erkrankungs- und Behandlungsfolgen, die
Ermutigung von Patienten und Angehörigen und die Entwicklung eigener Strategien zur
Krankheitsbewältigung seien prioritär. Die Perspektiven von Watsons und Bultz können
durch die Begriffe der personenzentrierten Intervention, die eigene Bewältigungsstrategien
der behandelten Patienten fördert und der umweltzentrierten Intervention, die die äußere
Situation der Betroffenen durch die Aktivierung sozialer Unterstützung beeinflusst, ergänzt
werden. Karin Dannecker hat diese Aspekte für ein Konzept der Kurzzeitkunsttherapie als
Krisenintervention im psychiatrischen Kontext formuliert.502
In der KSKT® können ebenfalls zwei Richtungen des Vorgehens identifiziert werden. Es
wird die Patientenautonomie auf der Erfahrungsebene durch die Selbstaktualisierung im
ersten Interventionsschritt, durch die Technik Collage 503 und auf der Gestaltungsebene
durch die verschiedenen Bildlegungen504 thematisiert. Ausserdem werden die zur Ver-
fügung stehenden äußeren wie inneren Ressourcen explizit thematisiert, wodurch eine
Förderung von Selbstwirksamkeit stattfindet. Dies stellen Aspekte einer Handhabbarkeit
der eigenen problematischen Situation im Sinne der Salutogenese dar.505
"Ein wichtiger Aspekt der Krankheitsverarbeitung äußert sich in dem Wunsch der Patien-
ten, aktiv etwas für sich zu tun, psychische Kontrolle wieder zu erlangen und dadurch
selbst etwas zu ihrer Gesundung beizutragen. In der neueren Forschungsliteratur wurde
dies in den Konzepten der Selbstwirksamkeit und Patientenkompetenz ausgearbeitet und
hat auch Eingang in den Nationalen Krebsplan im Handlungsfeld Patientenorientierung
gefunden."506
502 Vgl. Dannecker, Fabra 1990: Teil I, S. 76-83, Teil II, S. 145-152,
503 Kapitel 3.4. Das Sechs-Faktoren-Modell zur Collage
504 Kapitel 2.1.2.3. Interventionsmanual der KSKT®
6. Anordnung 1: Wunschbild
7. Anordnung 2: Realitätsbild
8. Anordnung 3: Synthese
204
Die Bildlegungen der KSKT® halten ein solches Handlungfeld bereit.507
Watson und Bultz511 kritisieren generell das Fehlen von Behandlungsmanualen, unklare
205
Angaben zur Qualifikation der begleitenden Therapeuten und fehlende Messungen der
spezifischen Therapieerfolge in der Psycho-Onkologie.
Als Vorgehensweisen in diesem Kontext bewährten sich vor allem strukturierte und
Kurzzeitinterventionen, die von erfahrenen Therapeuten durchgeführt werden. Sie sollten
vorrangig eine Steigerung der Selbstwirksamkeit der Patienten bewirken und die im
Verlauf der Behandlung vorherrschenden Bedürfnisse fokussieren.512 Die Erkenntnisse,
die im Core Curriculum der IPOS dargestellt werden, decken sich also mit den
Ergebnissen des Vergleichs kunsttherapeutischer Interventionen der vorliegenden
Studie.513 Die hier genannten Qualitätskriterien sind ein definiertes Interventionsmanual,
die Evaluation der Intervention und die Fokusierung der Bedürfnisse der Patienten durch
einen nonverbalen Interventionsschwerpunkt, die Zurückhaltung des Therapeuten und die
Interpretationshoheit der Patienten.514 Lediglich die Darlegung der Qualifikation des
begleitenden Therapeuten ist nicht in die hier entwickelten Gütekriterien aufgenommen
worden, wenn auch die Qualifikation der Therapeutin im Rahmen der vorliegenden Arbeit
dargestellt wird.515 Die Gütekriterien sollten um die Qualifikation des begleiteten
Therapeuten ergänzt werden, da eine kunsttherapeutische Intervention nur von gut
ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten angemessen eingesetzt werden kann.
512 Kapitel 2. Entwicklung und Verortung der kurzen strukturierten Kunsttherapie, KSKT®
Vgl. Watson, Bultz 2010: Folie 26, 12.08.2012
513 International Psychooncology Society (IPOS): 6.11.2012
Kapitel 2. Entwicklung und Verortung der kurzen strukturierten Kunsttherapie, KSKT®
514 Kapitel 2.1.2.3. Interventionsmanual der KSKT®
Kapitel 2.4. Qualitätskriterien kunsttherapeutischer Interventionen in der Psycho-Onkologie:
"Der Kunsttherapeut hat eine im Hintergrund stützend Rolle, ist primär also ein Zeuge und gibt den
Bedürfnissen der Patienten Vorrang, sodass sie sich als selbstbestimmt und autonom erleben können".
515 Kapitel 4.3.4. Qualifikation der begleitenden und forschenden Kunsttherapeutin
516 Kapitel 3.1. Die Collage in der Bildenden Kunst
Kapitel 3.2. Die Collage in der Kunstpädagogik
Kapitel 3.3. Die Collage in der Kunsttherapie
206
Für die Kunsttherapie ist vor allem Charlotte Kollmorgens praxisbezogenes Buch zur
Collage als kunsttherapeutische Intervention bei Herzinfarktpatienten (und einige weitere
Anschlusspublikationen) relevant. Diemar Becker und Karl-Heinz Menzen haben jüngst
zwei Artikel in der Zeitschrift Kunst & Therapie veröffentlicht, die interventions-
übergreifende Erkenntnisse zur Collage in der Kunsttherapie erläutern.517 Allerdings finden
sich keine systematischen Untersuchungen dazu, welche Erfahrungen und Mechanismen
generell mit der Collage wirksam werden. Umso sinnvoller erscheint es, ein aktuelles
Modell der wirkungsrelevanten Faktoren für die Collage in der Kunsttherapie zu erarbeiten.
Kunsttherapeutischen Interventionen, historische Bezüge und Werke im Kontext Collage
werden im Folgenden jeweils kurz skizziert und zum Sechs-Faktoren-Modell in Beziehung
gesetzt, dass als interventions-, werk- und kontextübergreifendes Modell zum Verständnis
der Wirkfaktoren der Collage zu verstehen ist. Die Faktoren werden jeweils fettgedruckt
hervorgehoben.
Die Kunstgeschichte beschreibt und reflektiert Phänomene der Bildenden Kunst, hier die
Entwicklung und den Einsatz der Collage in ihrem zeitlichen, gesellschaftlichen und
künstlerischen Kontext. Mit den ersten Collagen in den 20er Jahren letzten Jahrhunderts
subjektivierte sich der Charakter bildnerischer Darstellungen. Collagenelemente stellten
bildfremde Bezüge her und enthoben die Darstellung der abbildhaften Alltagswirk-
lichkeit.518 Mit der Collage begann die Abstraktion vom konkreten Bildgegenstand. Nicht
mehr das äußere Objekt oder die äußere Wirklichkeit wurde thematisiert, sondern die
subjektive Bedeutung und innere Wirklichkeit des Kunstschaffenden drängte in die
Kunst.519
207
Je mehr die äußere Welt an Reizen, Vielfalt und Unübersichtlichkeit zunahm, um so mehr
verlagerte sich die innere Welt von Empfindungen, Eindrücken und Gefühlen in den
Bereich der Bildenden Kunst und initierte die Erfindung der Collage.520 Abgesehen von der
Subjektivierung der Kunst und dem spielerischen Element der Collage bei ihrer Erfindung,
führten andere Aspekte dazu, dass die Collage bis heute aktuell ist.521 In folgenden Zitaten
charakterisierten bildende Künstler Ende der 60er Jahre die Collage.522 Diese Zitate,
ergänzt durch kurze Erläuterung, werden den jeweiligen Faktoren des Sechs-Faktoren-
Models zugeordnet:
208
➞Autonomie: "Collage lässt ein kontrolliertes Abwägen und Versuchen zu.." 525
Der Auswahl- und Anordnungssprozess bleibt lange offen. Diesbezügliche Entscheidun-
gen beruhen auf der Selbstbestimmung des Künstlers/Patienten und sind durch die
jederzeit veränderbare Komposition erfahrbar.
209
Bild 22
529
Matisse war ein Künstler, dessen Collagen als Höhepunkte seines Schaffens betrachtet
werden können. Er kam auf Umwegen zu dieser Technik, die schließlich zu der
kennzeichnenden Arbeitsweise seines Werkes wurde. 1931, während der Entstehungs-
phase eines Deckengemäldes 530 im Auftrag eines amerikanischen Kunstsammlers, setzte
er erstmalig Collagen ein, um seine Kompositionsentwürfe im Raum zu erproben. Matisse
schätzte die Flexibilität der Collage, die Offenheit der Bildkomposition und die Variabilität
der Bildelemente.531 Hier steht das Phänomen des Experimentellen der Collage im
Vordergrund und wird zur Reflexion der Komposition genutzt.
529 Bild 22: Henri Matisse at work cutting paper forms while bed-bound in later life, mit freundlicher Genehmi-
gung des ARTESmagazine, © ARTESmagazine.com 2013
530 Bild 23, folgende Seite
531 Wescher 1974: S. 353-354:
"Henri Matisse (1869-1954) befasst sich zum ersten Mal mit Collagen, als ihn der amerikanische Samm-
ler A. Barnes 1931 den Vorschlag macht, für einen Saal seines Museums in Merion, Pennsylvania, Ge-
mälde auszuführen. Für Matisse besteht die Schwierigkeit darin, dass die Kompositionen in die Zwickel-
felder eingefügt werden müssen, die von den Rippen der Deckengewölbe gebildet werden. Matisse wählt
als Thema den Tanz, der ihn schon immer beschäftigt hat. Die Entwürfe nehmen geraume Zeit in An-
spruch und werden mehrmals abgeändert, zumal sich Irrtümer in den Maßen der Kompartimente erge-
ben. Matisse zeichnet die bewegten Figuren zunächst auf große Kartons, sieht sich jedoch vor neuen
Problemen, als es darum geht, den sie umgebenden Raum mit Farbe zu füllen. Um sich die Arbeit zu er-
leichtert, schneidet er aus schwarzem, lichtblauen und rosa Papieren Formen aus, die sich verschieben
und auswechseln lassen. So entstehen 1931/32 Collage-Folgen, auf denen Figuren und Farbflächen un-
terschiedlich angeordnet sind. Aus ihnen entwickeln sich endgültige Kompositionen, die Matisse 1933
beendet.“
210
Bild 23
532
Bild 24
533
532 Bild 23: Henri Matisse The Dance, 1933, mit freundlicher Genehmigung der Barnes Foundation, © 2012
Barnes Foundation
533 Bild 24: Niki de Saint Phalle, La mort du Patriarche, 1972, mit freundlicher Genehmigung der Verwer
tungsgesellschaft Bild-Kunst, © VG Bild-Kunst, Bonn 2013
211
Ein weiteres Beispiel für die besonderen Merkmale der Collage-, Montage- und Assemb-
lagetechniken sind die Arbeiten der Künstlerin Niki de Saint Phalle zu Beginn ihres künst-
lerischen Werdegangs. Schießbilder, auf die sie für sie bedeutsame Gegenstände
aufbrachte, diese mit Farbe füllte, die Bildfläche anschließend mit weißer Farbe überzog
und aus einiger Entfernung darauf schoss, waren für die Künstlerin Sinnbilder für
Konventionen, die sie ablehnte und die sie deshalb zerstören musste. Sie beschrieb, wie
heilsam diese Aktionen für sie gewesen seien und dass diese erst eine Bewältigung ihrer
traumatischen Kindheit, ihrer Ängste und Gewalterfahrungen ermöglichten.534
"1961 schoss ich auf Papa, alle Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, Männer, mei-
nen Bruder, die Gesellschaft, die Kirche, den Konvent, die Schule, meine Familie, meine
Mutter."535
Bei Saint Phalle lagen die Schwerpunkte im Bildherstellungsprozess auf den Phänomenen
Autonomie und Reflexion. Die Erfahrung Autonomie wurde aktiviert, wenn die Künst-
lerin für sie bedeutsamen Bildelemente sammelte, auswählte, kombinierte, aufbrachte, be-
malte und zerstörte. In diesem Umgang spiegelten sich persönliche, emotionale Bedürf-
nisse und Verarbeitungstrategien, die sie zur Selbstreflexion nutzte.
Bezeichnend war überdies, dass Assemblagen am Anfang ihrer Arbeit als autodidaktische
Künstlerin standen. Der Charakter der Werkentstehung bei Assemblagen gewährte offen-
sichtlich auch einem, im Künstlerischen unausgebildeten Menschen leicht zugängliche
Ausdrucksmöglichkeiten.
Menzen nimmt "(...) krankmachende Eindrücke, Splitter, Fragmente des Lebens (...)" in
dieser Technik wahr und bezieht sich auf Ludwig Binswanger, der die Zerstörung der
erlebten Konfiguration, einer festen Gestalt in der Collage bzw. Assemblage als
Voraussetzung für eine Neuordnung und das Erleben neuer Gefühle sieht.536
Bei Saint Phalle hatte die Herstellung der Assemlage, wie bei Gerhard Richter, der im
Folgenden eine Rolle spielen wird, die Komposition der Collage 537, die Ausstrahlung einer
beinahe rituellen Handlung, die die Verarbeitung übermächtiger, bedrohlicher Erfahrungen
erlaubte.
212
Gerhard Richters Collagenbuch WAR CUT538 verdeutlicht, was für eine Bedeutung es
haben kann, in einem Bild eine innere Ordnung herzustellen, auch wenn dieser Vorgang
nicht zu einer formulierbaren Erkenntnis oder zu einer Orientierung in der äußeren Welt
führte. Das Ergebnis Richters künstlerischer Arbeit war ausschließlich die Herstellung des
Objekts selbst. Die reine Ordnung seiner Collage diente der Bewältigung von
Unfasslichem - etwas getan zu haben angesichts schrecklicher Ereignisse. Das Werk ist
der Ausdruck seiner Anteilnahme am namenlosen Grauen der Kriegsereignisse im Irak
durch eine namenlose Anordnung von Bild- und Zeitungselementen. Richter griff mit
Photofragmenten aus einem seiner Bilder 539 auf etwas bereits Bestehendes aus seiner
Künstlerbiographie zurück und kombinierte dies mit Zeitungsartikeln, die die irakischen
Kriegsereignisse thematisierten. Diese Antipoden, Fragmente aus seiner eigenen
erfolgreichen künstlerischen Laufbahn, und Dokumente einer grausamen Kriegwirklichkeit,
verband und rythmisierte er so, dass diese Tätigkeit emotional ordnend auf ihn
zurückwirkte. Das Collagenbuch WAR CUT hatte also eine therapeutische Wirkung auf
den Künstler Gerhard Richter.540
Einerseits stellt das Collagenbuch ein dokumentarisches Bildsystem dar, das offen die
Bildelemente, Auschnitte aus der Tageszeitung und Photodetails aus einem eigenen Werk
zeigt. Diese Elemente sind Zitate aus einem Bild Richters, und damit mit dem Bildautor
identifiziert. Sie wurden von Richter ausgewählt und in das Bildsystem des Collagen-
buches WAR CUT als Stellvertreter seiner selbst eingebracht, weil sie für ihn bedeutend
waren. Dies ist das Moment der Identifikation. Die Antipoden der inneren Welt,
repräsentiert in den Bildfragmenten, und der äusseren Welt, repräsentiert in den
Zeitungsfragmenten, umreißen Richters Konflikt. Das Werk ist an den Künstler, seine
Geschichte und seine Emotionen gebunden und stellt eine persönliche Reflektion der
Ereignisse um den Irak-Krieg in einer nicht-sprachlichen, bildnerischen Form dar.
Die Kunstpädagogik reflektiert die Inhalte und Grundlagen der Kunst und übersetzt diese
in kunstpädagogische Praxis mit der Zielsetzung musisch-kultureller Bildung.541
213
Auf das Phänomen Collage bezogen stellt sich die Frage unter welchen Gesichtspunkten
und mit welchen Zielsetzungen Collage im Unterricht eingesetzt wird.
Collage erlaubt in besondere Weise ästhetische Erfahrung. Im bildnerischen Aktionsraum
wird etwas in Erfahrung gebracht, gehandelt, erkundet, erinnert, befragt, geprüft und
ausprobiert.542 Es findet eine spielerische Auseinandersetzung statt (Experiment). Diese
erlaubt die Verknüpfung von einander widerstreitenden Aspekten (Integration), indem
diese in einen Bildraum eingefügt werden.543 Diese Auseinandersetzung lässt auch die
Entdeckung zu, dass das bildnerisches Ergebnis anders ist als erwartet. Der Vorgang hat
einen reflektiven Charakter. Die Bildkomposition kann bis kurz vor ihrem Abschluss
demontiert und neu zusammengefügt werden. Die Collage ermöglicht sinnliche
Erfahrungen. Mit den Bildelementen kann handelnd 544 umgegangen werden, bevor sie in
eine Bildordnung gebracht.545 Es sind ihrer Natur nach subjektive ästhetische Erfahrun-
gen, die im Gestaltungsprozess stattfinden.
Der Philosoph Dieter Henrich (geb. 1927)546 beschrieb zwei menschliche Erkenntnis-
weisen, eine wissenschaftlich kognitive und eine ästhetisch sinnliche, die "(...) einfühlend
und mitleidend nah am Phänomen bleibt (...)".547 Die Sinne bilden dabei das Fundament,
auf dem wissenschaftliche Erkenntnisse beruhen. Mit der sinnlichen Erfahrungen haben
die Affekte des Menschen an diesem Erkenntnisprozess teil.548
Die Einführung der Collage in den künstpädagogischen Unterricht kennzeichnet einen
Wandel in der Vermittlung von künstlerischen Inhalten. Es können Lernprozesse stattfin-
214
den, die nicht systematisch sind, sondern durchaus sprunghaften, komplexen und
assoziativen Charakter haben, wie Pazzini beschreibt.549 Mit der Collage werden in der
Schule "(...) Assoziationsprozesse, abweichendes Denken, Mehrdeutigkeiten und Ideen-
flüssigkeit (...)"550 zugelassen, aber nicht als "(...) Versuch die Schule zu chaotisieren,
sondern als Unterstützung durch (...) eine andere Methode."551
An diesem Punkt wird deutlich, dass Collage Autonomie zulässt und unterstützt. Das
Experimentelle der Technik, die emotionale Beteiligung, die Offenheit des Ansatzes 552
und die Möglichkeit, Widersprüche im Bild zu vereinen, untermauern die Selbstbestim-
mung des Bildschöpfers.
Karl-Heinz Menzen553, einer der Initiatoren eines Symposiums zum Thema Kunst und
Therapie, definierte den Begriff Kunsttherapie folgendermaßen:
"So arbeitet die Kunsttherapie mit averbalen Mitteln, mit vorsprachlichen Mitteln, mit dem
zeichnerischen, malerischen, plastischen, dem körperhaften Ausdruck eines Menschen.
Auch hier zeigen sich Verhärtungen, die gebremsten, die nicht ausgelebten Triebwün-
sche, die ständig und stereotyp überdeckt werden - zeigt sich das, was erstarrt ist (...). Die
Verhärtungen, das was wir Neurose nennen, das unbewegliche, immer wiederkehrende
kranke Verhalten, die stereotypen und rigiden Verhaltensmuster werden flexibel durch die
vielen Ausdrucksmöglichkeiten der ästhetischen Praxis."554
Auch wenn sich die Realität der Kunsttherapie stark verändert hat und sie nun auch zu
549
Pazzini 1986: S. 9
"Collage ist also nicht ein Verfahren, um einander Fremdes unvermittelt oder additiv zusammen zu kleis-
tern, sondern eine Form, eine Intention, eine Verhaltensweise, wie sie Wolfgang Zacharias als typisch für
komplexe Lernprozesse beschreibt."
Dreidoppel 1986: S. 10
"(...) aber selten spüren die Schülerinnen und Schüler das Schöpferische so direkt, wie wenn sie aus dem
Chaoszeugs Form machen (...)."
550 Vgl. Pazzini 1986: S. 9
551 Vgl. Pazzini 1986: S. 9
552 Vgl. Otto 1969: S. 65
553 Karl-Heinz Menzen, geb. 1942, Prof. Dr. habil., Professor für Kunsttherapie und Rehabilitation an der
Hochschule für Kunsttherapie, Nürtingen, Kompetenzbereiche:
Ästhetische Theorie, Kunsttherapie und Berufsfelder, Heilpädagogische, speziell neurologische Kunst-
therapie, Umgang mit dementen Patienten, rehabilitative kunsttherapeutische Berufsfelder, Fragen kindli-
chen und jugendlicher ästhetischer Sozialisation.
554 Vgl. Hartwig, Menzen (Hrsg.)1984: S. 25
215
einer wissenschaftlichen Disziplin555 geworden ist, so geben diese Worte doch ein zentra-
les, kunsttherapeutisches Anliegen im Kern wieder, den bildnerischen Ausdruck als Brücke
zu emotionalem Ausdruck zu nutzen.
Die Erkundung der Collage und collageartiger Techniken wie Assemblage und Montage in
der Kunsttherapie, in der Bildenden Kunst und in der Kunstpädagogik, zeigt, dass die
Erfahrungen grundlegend ähnlich sind. Der Unterschied liegt in den verschiedenen
Zielsetzungen der Disziplinen. In der Bildenden Kunst dient die Technik der künstlerischen
Intention. In der Kunstpädagogik werden mit der künstlerischen Technik Inhalte
ästhetischer Bildung vermittelt. In der Kunsttherapie wird die Collage zum Mittel für eine
therapeutische Zielsetzung. Es wird ein therapeutischer Arbeitsauftrag angenommen.
Um die Menzens Definition der Kunsttherapie aufzugreifen, geht es um die Erfindung
eines adäquaten künstlerisch-technisch-therapeutischen Impulses, mit dem unlebendige,
verfestigte Muster des Patienten durch bildnerische Ausdrucksmöglichkeiten wieder belebt
und in Fluss gebracht werden können.556
In Luzzattos Creative Journey sind es vier Einzelworkshops, die Bild- und Wortcollagen
enthalten.559 Im ersten Workshop Colour and Shape 560 stellt die Collage, wie bereits bei
Kollmorgen, einen niedrigschwelligen Einstieg dar. Das Auswählen der Farben ist ein
216
entlastender Faktor, da bei externen, persönlichkeitsfernen Materialqualitäten angesetzt
wird, welche erst im zweiten Schritt assoziativ an innere, persönlichkeitsnahe Qualitäten
angebunden werden. Die Identifikation wird durch die Auswahl der Farben ange-
sprochen, der Faktor der Integration durch Assoziationen zu den Farben.
Self-Introduction greift die Technik Collage zur Umsetzung einer Selbstdarstellung auf. Bei
Luzzatto ist unter dem Titel Selbstvorstellung das Feld der Gestaltung offen für positive
wie auch negative Aspekte der eigenen Person.561 Die Patienten sollen aus Zeitungen ein
Dutzend Ausschnitte wählen, die sie interessieren oder ablehnen. Luzzatto betont an
diesem Punkt die Identifikations- und Integrationselemente der Intervention, da auch
Konflikthaftes, Polares zusammengefügt werden kann. Dies führt zu einer Reflektion über
die eigene Person, die nicht wertend und somit entlastend ist.
Der fünfte Workshop Visual Poem thematisiert die kontrastierenden Begriffe der Bedeut-
samkeit und Bedeutungslosigkeit. Teilnehmer des Creative Journey-Programms wählen
Worte, Wortfragmente und ergänzende Bilder, Gesichter und Symbole aus Zeitungen und
Zeitschriften und setzten diese in für sie sinnvoller Weise zu Collagen zusammen.562
Damit werden die Aspekte Identifikation, Autonomie und Integration angesprochen,
denn es findet eine selbstbestimmte Wahl bzw. Auswahl von Worten und Wortfragmenten
statt, mit denen eine Identifikation gewünscht ist und eine Auswahl von Worten, denen
keine Bedeutung beigemessen wird und mit denen keine positive Identifikation stattfindet.
Die Möglichkeit, negativ besetzte Bildelelemente in ein Bild einzufügen, illustriert das
Bruchstückhafte, Fragmentarische, dass hier als Teil der eigenen Bildwelt in die
Komposition integriert werden kann und dass auch im eigenen Leben wahrgenommen
werden kann.
Der Workshop Playing with art materials verbindet die bildnerische Gestaltung durch
Farben und Kreiden mit Assemblage- und Collageelementen. Dabei geht es nicht um
gezielte Gestaltung eines Bildes, sondern mehr um ein Geschehenlassen und Aufgreifen
spontaner Assoziationen. Dieser Workshop betont die Identifikation der Bild- und
Gestaltungselemente und das Experimentelle der Bildentstehung.
217
Im Programm Healing Icons563 wird eine Assemblage 564 gestaltet. Gesammelte Gegen-
stände aus dem aktuellen, alltäglichen Kontext der Teilnehmer werden in eine Assemblage
eingefügt. Dazu gehören stützende, aber auch belastende Aspekte der eigenen Lebens-
realität. Das Spielerisch-Experimentelle der Technik wirkt einladend für Menschen, die
sich noch nicht mit künstlerischen Techniken beschäftigt haben. Das Sammeln und das
Auswählen der Assemblageobjekte betonen den Faktor der Identifikation in dieser
Intervention.
Becker beschreibt: "Beim Collagieren veranlassen diese Zuwächse und Verwandlungen
eine fortlaufende Veränderung des Blicks auf das Material und ein verändertes Such-,
Auswahl- und Zugriffverhalten." Dieses Vorgehen kann als Identifikation und Reflexion
im künstlerischen Handeln verstanden werden. Durch das Prozesshafte, sich stetig
Wandelnde findet auf der Bildebene eine sinnliche-ästhetische Reflexion statt, die in den
jeweiligen Kompositionen Ausdruck findet.565
Die KSKT®566 ist eine Intervention, in der mehrere Kompostionen mit gleichen Bildele-
menten entstehen. Mit der Entwicklung der abstrakten Formen beginnt die Erfahrung der
Identifikation. Abstrakte, farbige Formen werden entsprechend der eigenen Wahrneh-
mung entwickelt. Unter bestimmten Fragestellungen werden entstandene Bildlemente auf
einem Bild angeordnet. Das Experimentelle der Bildlegungen wird wiederholt mit dem
Faktor Identifikation verknüpft. Autonomie wird unmittelbar an den selbstbestimmt
möglichen Entscheidungen bei den Einzellegungen erfahrbar. Die abschließende
Rückschau auf den therapeutischen Prozess stellt die Reflexion dar. Diese basiert
nonverbal auf den jeweiligen Bildlegungen und kann auf Wunsch durch ein zusätzliches
Abschlussgespräch ergänzt werden.
218
Die Anwendung des Sechs-Faktoren-Modell auf die unterschiedlichen Erscheinungs-
formen der Collage in der Kunstgeschichte, der Kunstpädagogik und der Kunsttherapie
macht deutlich, dass Phänomene der Collagenherstellung übergreifend beschrieben und
begrifflich gefasst werden können. Interessant wäre hier die kritische Diskussion des
Modells und eine Gegenüberstellung zu anderen systematischen Untersuchungen der
Collage. Leider ließen sich, wie bereits erwähnt, keine anderen Theorien auf diesem
Abstrakionsniveau finden. Es wäre zu wünschen, dass in diesem Bereich der Kunst-
therapie in Zukunft geforscht wird.
Die Collage als einfache Technik der Bildherstellung spiegelt sensibel das emotionale
Befinden des Bildautors wieder, weil der Bildentstehungsprozess bis zum Schluss nah an
der Erfahrung und damit flexibel bleibt.567
Die Offenheit und der experimentelle Charakter der Collage bietet die Möglichkeit,
Grenzen zu überschreiten und Neues zu entdecken. Das Phänomen der Neuorientierung
und des Umbruches ist eng mit der zeitlichen Erscheinung der Collage Anfang letzten
Jahrhunderts verknüpft.568 Andererseits ist in der Collage auch die Destruktion
enthalten.569 Sinnbildhaft wird Vorgefundenens, das aus anderen Zusammenhängen
stammt, zerschnitten, zerrissen und damit fragmentiert, in neue Kontexte eingefügt.
Menzen nennt dies den "(...) Weg des Verlustes als Weg einer Bildfindung (...)."570 Die
Zerstörung zuvor gegebener, vollständiger Bilder macht erst die Entstehung eines neuen
Bildganzen in der Collage möglich. Die Flexibilität der Gestaltungstechnik ermöglicht ein
219
Sich-Stützen auf bereits Bestehendes wie Bilder, Zeitungsausschnitte, Flugbätter, Texte
und andere Objekte des täglichen Lebens und führt dann zu einer Neuordnung all dieser
Elemente.
"Nur die Kunst und die Kunsttherapie kann den ganzen Umfang unserer Fragmentierung
anerkennen."571 Mit diesem Zitat Menzens wird deutlich, welche Erfahrungen in der
Collage verdichtet werden können. Von der inneren Krise, versinnbildlicht durch die
Bildfragmente als Ausgangsmaterial, zur Neuordnung in der finalen Collagenkomposition
dokumentiert die Bildentstehung einen kunsttherapeutischen Verarbeitungsprozess.
Das Angebot einer künstlerischen Technik, die Fragmentierung sichtbar macht und symbo-
lisiert, würdigt die emotionale Krisenerfahrung. Es kann gesucht, verworfen, geplant, geirrt,
neu gesucht und schließlich zugestimmt werden. Die Beweglichkeit der Bildelemente in
einer Collage lässt eine Untersuchung innerer Strukturen auf der visuellen Ebene zu, so
dass diese mit eigenen Erfahrungen, Bewertungen, Wünschen und Zielen gefüllt
werden.572
Die Collage ist ein Verfahren, das künstlerische und gesellschaftliche Umbrüche wieder-
gibt und ebenso persönliche Umbrüche spiegelt. Ein krisenhaftes Ereignis wie eine
Krebserkrankung geht mit vielen Veränderungen und Anpassungserfordernissen für den
einzelnen Patienten einher. Die Selbstwirksamkeit und die Kontrolle über das eigene
Leben sind von zentraler Bedeutung. Kunsttherapeutische Interventionen, die helfen die
Wahrnehmung der Autonomie zu stärken, stellen eine Unterstützung im Umgang mit der
Erkrankung und den erforderlichen Anpassungsprozessen dar.573
"Wir müssen ja immer, egal auf was wir treffen, dem eine Form geben, damit wir
überhaupt damit umgehen können. Denn das, was wirklich ist, ist ja so uferlos und so
ungestaltet, dass wir es zusammenfassen müssen. Und je dramatischer die Ereignisse
sind, desto wichtiger ist die Form."574
Diese Formulierung Gerhard Richters zu seinem Künstlerbuch WAR CUT stellt im Kern
den therapeutischen Effekt einer Collageherstellung dar. Die Collage ermöglicht
220
Formfindung auf eine einfache, spontan zugängliche Weise und ermöglicht so die
Bewältigung krisenhafter Ereignisse bei Krebspatienten. Der Collagenherstellungsprozess
sei andererseits gewissermaßen ein "(...) therapeutisches Versprechen von einer zu
erreichenden Ganzheitlichkeit, von einem Zusammenfügen des in uns nicht mehr Heilen
(...)". Das sei jedoch eine Illusion, meint Menzen.575
Allerdings haben alle Bilder, die in der Kunst und in der Therapie mit der Technik Collage
entstehen, immer auch vorläufigen Charakter. Sie sind immer gerade die jetzt möglichen
Bilder, denen andere vorangegangen sind, und wieder neue folgen werden. In einer Zeit
existenzieller Erschütterungen können Bilder, die ein Nebeneinander bisher unvereinbarer
Aspekte möglich erscheinen lassen, wichtige Kontrapunkte zu erlebter Dissonanz in der
realen Lebenssituation sein.576 Die Bildlegungen der KSKT® bleiben vorläufig und können
jederzeit neu komponiert werden. Die manualisierten Interventionsschritte und die
dazugehörenden Fragestellungen577 haben das Ziel einen Neuorientierungsprozess
anzustoßen, sich entfalten zu lassen und insgesamt zu unterstützen. Levine stellt die Idee
einer integrierten Form, einer illusionär ganzheitlichen, wie Menzen kritisch anmerkt, der
Vorstellung von einer Gestaltung gegenüber, die alle dazugehörigen Teile annimmt.578 Die
Kompositionen der KSKT® geben jedoch nicht vor ein ungeteiltes Ganzes oder ideale,
ungebrochene Einheiten zu sein. Es sind zusammengesetzte Bildobjekte, deren thera-
peutische Wirkung auf der fragmentarischen Entstehungsweise basiert.
Die Struktur der Interventionsschritte auf der einen Seite und die Offenheit der bildnerisch-
formalen Komposition der Collage auf der anderen Seite, helfen die starken emotionalen
Inhalte während einer Krebserkrankung und -behandlung zu tragen.
Die Collage dient dem Patienten als Medium zur Handhabung der eigenen Situation im
Bild.579 Der Akt des Formgebens unterstützt die Konfliktverarbeitung und macht neue
Potentiale erfahrbar. Es wird die Kompensation des krisenhaften Erlebens bildnerisch
eingeübt. Der psychischen Symptombildung kann damit entgegegen gewirkt werden.580
Born fasst die Wirkung der Kunsttherapie durch gestalterisches Handeln folgendermaßen
zusammen: "Durch ihren handlungsorientierten Ansatz ist Kunsttherapie in der Lage,
221
Erkenntnisse zu vermitteln ohne aufdeckend oder konfrontativ zu arbeiten. Ebenso wenig
orientiert sie sich (wie die Analyse) an der Vergangenheit. Sie geht auf den Ist-Zustand
ein, setzt an den Ausgangsbedingungen an, die sie vorfindet, und blickt in die Zukunft."581
Gleichzeitig kann das Experimentelle der Collage in der KSKT®, kritisch betrachtet, einen
Aspekt der Beliebigkeit und Folgenlosigkeit enthalten, weil das Bild nicht fixiert wird und
deshalb niemals wirklich abgeschlossen ist.582 In der psycho-onkologischen Anwendung,
vor allem im Hinblick auf die Folgenschwere der Erkrankung und Behandlung, ist jedoch
gerade der Aspekt der Folgenlosigkeit der Collagen-Herstellung ein potentieller Entwick-
lungsraum, der der seelischen Erfahrung im Bild Erfahrungsspielräume zur Verfügung
stellt. Es kann erprobt werden, was im realen Leben, außerhalb des Bildes, nicht auf diese
Weise möglich ist. Aufgrund der besonderen Reichweite von medizinischen Maßnahmen,
die eine existenzielle Herausforderungen im Rahmen einer Krebserkrankung- und
behandlung darstellen, ist primär eine Entlastung der Patienten notwendig. Der
spielerische Umgang mit der Collage steht in hartem Kontrast zur Lebensbedrohung durch
die Erkrankung. Unter diesen Bedingungen wirkt das Folgenlos-Spielerisch-Experimentelle
kompensatorisch und rechtfertigt diesen kritischen Aspekt der Collage.583
Bei onkologischen Patienten, sollte ein künstlerisches Medium so gewählt werden, dass
die Erfahrung von Isolation und Fragmentierung ausgedrückt und überwunden werden
222
kann. Auch kann den Patienten vermittelt werden, dass diese Technik von anderen
Menschen in persönlichen Krisen und in anderen problematischen Kontexten zum
Ausdruck von Belastungserfahrungen genutzt wurde und sie damit nicht alleine stehen.
Über die letzten Jahrzehnte ist insgesamt ein Anstieg systematischer wissenschaftlicher
Forschungsaktivitäten in der Kunsttherapie zu verzeichnen. Gleichzeitig liegen wenig
empirische Wirksamkeitsnachweise für definierte Anwendungsbereiche vor.585 Vor diesem
Hintergrund ist die vorliegende Studie eine Initiative zur Entwicklung einer spezifischen
Intervention, der KSKT®, für den onkologischen Akutbereich. Diese wird im Feld
kunsttherapeutischer Interventionen in der Onkologie verortet und empirisch im Sinne des
von Wichelhaus für die Kunsttherapie definierten Begriffs der formativen Evaluation
untersucht.586
Die Ergebnisse der hier vorliegenden qualitativen Studie können mit zwei der von Geue et
al. 587 in einer Metaanalyse vorgestellten onkologisch-kunsttherapeutischen Veröffentli-
chungen verglichen werden.
Beide sind Publikationen von Luzzatto, Gabriel und Kollegen zur Creative Journey.588 In
der ersten vorgestellten Studie aus dem Jahr 2000 werden Interviews mit 70 Patienten
geführt und ausgewertet, die die Creative Journey als Gruppenintervention erfahren
haben. In der zweiten Studie kommt die Intervention während der Isolation von Knochen-
marktransplantationen zum Einsatz. 42 der entstandenen Bilder wurden analysiert und
drei exemplarische Einzelfallstudien durchgeführt.
Ausser der Datenerhebung und -darstellung durch Interviews (Luzzatto, Gabriel et al.
2000) und Fallstudien (Luzzatto, Gabriel 2001)589 waren es einige weitere Faktoren, die
zur Heranziehung dieser beiden Studienprojekte geführt haben: der Collagenschwerpunkt
223
der Creative Journey590, die gut nachvollziehbar dargestellten Interventionsschritte 591 und
die erfüllten Qualitätskriterien der Intervention 592. All diese Faktoren gelten auch für die
KSKT®.593
Dr. Paola Luzzattto, die viele Jahren am Sloan Kettering Memorial Cancer Center in New
York Patienten begleitet und geforscht hat, war an diesen Publikationen als Erst- oder
Coautorin beteiligt. Sie befürwortet generell supportive Angebote für Krebspatienten, die
bildnerische Vorgaben bereit halten.594 Durch Vorgaben könne der Therapeut Verant-
wortung für die Leere des Patienten übernehmen.595 Patienten können mit Hilfe von
strukturierten Interventionen entlastet werden, so Luzzatto, denn auch eine strukturierte
Intervention bietet Raum für eine individuelle Gestaltung und damit ausreichend
Identifikationsmöglichkeiten mit dem eigenen Bild. Dies sei sinnvoll, wenn Patienten
Kunsttherapie in Anspruch nehmen wollen, aber keinen Zugang zu eigenen schöpferi-
schen Impulsen haben.596 Es lassen sich in diesem Punkt Bezüge zu Luc Ciompis Begriff
der Struktur herstellen, auf den sich Renate Limberg im folgenden Zitat bezieht und der
590 Kapitel 3.3.2. Zu den Workshops Color and Shape, Playing with art materials, Self- Introduction und der
The Visual Poem in der Creative Journey
591 Kapitel 2.2.1. The Creative Journey
592 Kapitel 2.4. Qualitätskriterien kunsttherapeutischer Interventionen in der Psycho-Onkologie
593 Luzzatto 1997
Luzzatto, Gabriel 1998: S. 743-758
Luzzatto, Gabriel 2001: S. 114-123
Luzzatto, Gabriel 2000: S. 265-269
Luzzatto, Sereno 2003: S. 135-142
594 z. B. Scribbling (= Kritzelzeichnungen: dient als Technik zum Erschließen der unbewussten Bildwelt)
oder die Themenvorgabe Body Outline (= Körperumriss; siehe Kapitel 2.2.2. The Body Outline)
Luzzatto, Sereno 2003: S. 135-142
595 Luzzatto 1997
Luzzatto, Sereno 2003: S. 135-142
Kapitel 2.3. Verortung und Vergleich, die KSKT® in der kunsttherapeutischen Interventionslandschaft der
Psycho-Onkologie
596 Kapitel 2.1.2.3. Interventionsmanual der KSKT®
4. Bild 2 und weitere(je nach Anzahl und Größe der Formen): Ressourcen
5. Schneiden Sie bitte diese Formen aus!
6. Anordnung 1: Wunschbild
7. Anordnung 2: Realitätsbild
8. Anordnung 3: Synthese
9. Resümee
Kapitel 2.1.2.4. Modell der Interventionsphasen
b.) Strukturen bilden und wahrnehmen
Entstehung von Übersicht und Ordnung durch Umsetzung der Interventionsschritte Einfluss/Korrektur-
möglichkeit → Zusammenhänge zwischen innerlich Erlebtem und äußerlich Sichtbarem werden wahrge-
nommen und gegebenenfalls korrigiert.
224
die Bedeutung der Struktur im Sinne einer thematische Vorgabe im kunsttherapeutischen
Anwendungsbereich beleuchtet:
"Der Begriff der Struktur umfasst ein Ganzes, die Teile des Ganzen und die Beziehungen
zwischen diesen Teilen. (...) Struktur ist ein in sich verbundenes System, bei dem die
Veränderung eines Teils die Veränderung anderer Teile nach sich zieht. Die Teile dieses
Systems sind dabei relativ gleichbleibende Grössen (Invarianzen), die im Laufe der
Entwicklung entstanden sind. Die Beziehungen dieser Teile innerhalb des Systems sind
aber veränderbar (Varianzen). Eine Struktur besteht also aus einer Kombination von einer
Invarianz und einer Varianz, die jeweilige Verbindung gibt ein Ganzes. Ein Beispiel, kann
dies verdeutlichen. Man kann mit Hilfe der bildnerische Kategorien Form und Farbe, die
selbst nicht verändert werden, durch Variation ihrer Beziehung bzw. Zuordnung immer
neue bildnerische Ordnungen erzeugen (...). Beweglichkeit, Veränderbarkeit unter Beibe-
haltung der Grundelemente sind daher charakteristische Merkmale von Struktur, die ein
Gefüge von Relationen darstellen."597
Renate Limberg hat eine kunsttherapeutische Methode entwickelt, die ebenso wie die
KSKT®, mit der Vorgabe einer abstrakten Bildentwicklung in Form und Farbe arbeitet.598
Durch bildnerischen Vorgaben und die Reduktion der Gestaltungsmittel wird ein Zugang
zum Bildnerischen geebnet. Bildnerisches Gestalten kann mit Hilfe dieser kunstthera-
peutischen Vorgaben Lernprozesse einleiten und stützen.599 Gerald Hüther beschreibt
diese folgendermassen:
"Durch die Kombination von gleichbleibenden Invarianten, vertrauten, Kontinuität aufbau-
enden bildnerischen Elementen mit veränderbaren, varianten Anteilen, sind die Vorraus-
setzungen für den Aufbau neuer Strukturen erfüllt. Um eine dauerhafte Wirkung zu
erreichen, ist die wiederholte Aktivierung und Benutzung dieser Mechanismen notwendig,
denn die Bildung neuer neuronaler Verschaltungen ist nutzungsabhängig."600
Eine bildnerische Struktur, die gleichzeitig eine Flexibilität der Gestaltung erhält, ist optimal
für Menschen, die sich in einer Übergangssituation befinden. Die Struktur stabilisiert, die
225
Flexibiltät der Bildkomposition eröffnet Möglichkeiten, die selbstbestimmt modifiziert
werden können.601 Patientenäußerungen aus der vorliegenden Studie beschreiben
derartige Erfahrungen mit der KSKT® und untermauern damit auch die zu Beginn dieses
Kapitel beschriebenen Aussagen Luzzattos.602
In der Evaluationsstudie zur Creative Journey603 als Gruppenintervention (n=70) beant-
worteten die Studienteilnehmer zwei Fragen nach Inanspruchnahme der kunstthera-
peutischen Intervention in Schriftform: Was sie hilfreich fanden und sie nicht hilfreich
fanden. Eine Analyse der schriftlichen Feedbacks führte zu folgenden drei Antwortbe-
reichen:
Vor allem der dritte Antwortbereich ist vermutlich eng mit der kunsttherapeutischen
Gruppenerfahrung assoziert. Studienteilnehmerinnen der KSKT® erwähnen keine stüt-
zenden Einfluss der kunsttherapeutischen Intervention auf den sozialen Kontext, obwohl
anzunehmen ist, dass eine positive Selbstwahrnehmung und eine Förderung der
Selbstreflexion auch zur positiven Beeinflussung des sozialen Kontext führt. Es werden
226
auch keine Erfahrung mit anderen Patienten thematisiert, da die KSKT® nicht im
Gruppensetting stattfindet.
Vor allem die ersten beiden Antwortbereiche der Creative Journey können auf Ergebnisse
der Studie zur KSKT® bezogen werden.
In der zweiten Studie kommt die Creative Journey in der Isolation während Knochen-
marktransplantationen zum Einsatz. Es wurden 42 Patientenbilder analysiert und diese
dann drei Bildthemen zugeordnet.607
1. dem Ausdruck positiver Gefühle
2. dem Ausdruck belastender Gefühle
3. der Thematisierung existenzeller und spiritueller Inhalte.
Diese Schwerpunkte wurden jeweils einem exemplarischen Einzelfall zugeordnet. Die
Bilder zur Creative Journey wurden durch schriftliche Kommentare der Patienten ergänzt.
Ein Patient nutzte die Kunsttherapie, um Erinnerungen an seine Heimat wach werden zu
lassen. Die positiv besetzten Bilder halfen ihm, mit der Isolierung während der Behandlung
604 Kapitel 4.7.2.6. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Kommentare zur KSKT®
605 Kapitel 4.7.2.6. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Kommentare zur KSKT®
606 Kapitel 4.6.2.5. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Ressourcen und Kraftquel-
len
607 Vgl. Luzzatto, Gabriel 2001: S. 114-123
227
zurecht zu kommen, weil er belastende Erfahrungen nicht verbalisieren wollte. Möglicher-
weise wurden auch mit der Isolierung während der Behandlung die Erfahrungen des
Verlusts der eigenen Heimat aktualisiert. Zusätzlich entlastete der bildnerische Ausdruck
die Beziehung zum Kunsttherapeuten.608
Eine zweite Patientin gestaltete zunächst ein Bild, dass traumatische Erfahrungen von
Misshandlungen und Missachtung während ihrer Kindheit und Jugend wachrief. Nach
einem hilfreichen Gespräch mit dem Kunstherapeuten, hatte die Patientin das Bedürfnis
ein weiteres Bild zu gestalten, das für sie mehr als Kraftquelle diente und so eine
kompensatorisch-stützende Funktion hatte.609
In der dritten Einzelfallbeschreibung fand eine Patientin visuelle Zeichen, die für sie ein
Loslassen vom Leben und einen friedlichen Tod symbolisierten, Wünsche, die sie ihrem
Ehemann gegenüber kaum auszudrücken wagte.610
Bilder oder Bildteile dieser drei exemplarischen Fälle waren Zeichen für Aspekte des
Lebens, die nicht im gewünschten Ausmaß zur Verfügung standen, aber stützende
Emotionen hervorriefen, die Klärung eigener Bedürfnisse ermöglichten oder für innere
Sammlung sorgten.611 Die Bilder hatten einen starken Symbolcharakter, wie es auch ein
Talismann in Krisensituationen haben kann. Diese Wirkung schilderten auch Patientinnen
unserer Studie.612
Studienpatienten der Creative Journey beschrieben ein wachsendes Bewusstsein für
eigene wichtige Themenbereiche. Das Kunsttherapie-Programm sei anregend, flexibel und
gleichzeitig niedrigschwellig gewesen.613
228
Ein weiteres Ergebnis der Studie zur Creative Journey war, dass sich das kunstthera-
peutische Programm besonders zur Reflektion und Klärung belasteter familiärer Bezie-
hungen eignete. In den Kommentaren zur KSKT® wurden keine Einflüsse auf Beziehungen
und sozialen Kontext beschrieben, jedoch benannten die Studienpatientinnen die Familie
und andere soziale Kontakte als wichtigste Sicherheit vermittelnde Faktoren.614
Die Studienteilnehmerinnen der KSKT® formulierten, dass sie nur wenig Einflussmög-
lichkeiten auf ihr Leben hätten.615 Während der Gestaltungszeiten hingegen, allerdings auf
Nachfragen, veränderte sich die Perspektive der Patientinnen. Zu diesem Zeitpunkt
konnten sie Einflussmöglichkeiten wahrnehmen. Diese Äußerungen wurden nicht
dokumentiert und gingen deshalb auch nicht in die auszuwertenden Daten ein. Eine
Erklärungsmöglichkeit wäre, dass die Fremdbestimmung im Behandlungskontext und die
eigenen Einschränkungen des Einflusses besonders betont wahrgenommen werden. Die
Eigenreflexion, die half, Ressourcen aufzuspüren und Anpassungsmodelle zu entwickeln,
fand also eher in der engmaschigen kunsttherapeutischen Begleitung statt, möglicher-
weise auch weil im Gestaltungsprozess modellhafte Erfahrungen gemacht werden
können. Zusätzlich können andere Faktoren wie ein geringes Selbstwertempfinden oder
eine subjektiv wahrgenommene, geringe Reichweite des eigenen Einflußes dieser
Situation zu Grunde liegen.
Die dargestellten Ergebnisse, die die Aussagen von nur fünf Patientinnen zusammen-
fassen, stellen keine allgemeingültige Aussagen dar. Gewiß ist die Wahrnehmung der
Fremdbestimmung durch die medizinischen relevanten Behandlungen und Entschei-
dungen eine markanter Indikator für die Belastung der untersuchten Patientinnen. Nur
zwei Mal wurde in den Leitfadengesprächen die eigene innere Kraft als Ressource und
stabilisierender Faktor erwähnt.616 Aufgrund dieser subjektiven Wahrnehmung der Patien-
614 Kapitel 4.6.2.5. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Ressourcen und Kraftquel-
len:
"Diese Tabelle markiert deutlich die Faktoren Sicherheit, Sicherheit durch die Familie und die Familie bzw.
Partnerschaft als Kraftquelle. Diese Faktoren stellen die Basis für die Bewältigung der Lebenskrise
durch die Erkrankung dar."
NDI a 49; NDI 2 a 33; NDI 2 b 31/64; NDI 2 c 82; NDI 2 d 34/68 etc.
615 Kapitel 4.7.2.4. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Einfluss auf die eigene Le-
bensgestaltung
616 Kapitel 4.6.2.5. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Ressourcen und Kraftquel-
len
229
tinnen wird die Bedeutsamkeit der Unterstützung von Autonomieerfahrungen in der
Begleitung von Krebspatienten hervorgehoben.617
Eine kunsttherapeutische Begleitung sollte also die Selbstbestimmung der Patienten mit
Hilfe bildnerischer Medien in die aktuelle Erfahrung bringen. Offensichtlich bedarf es im
therapeutischen Kontext der aufmerksamen, gemeinsamen und mehrmaligen Hinwendung
zu inneren Kraftreserven, über die Patienten verfügen, die aber häufig nicht ohne
therapeutische Interventionen wahrgenommen und genutzt werden können.
Das Thema Autonomie stellt im stationären Kontext einen größeren Problembereich dar
als während einer ambulanten Behandlung.618 Meist stehen hier akutmedizinische Be-
handlungen und diagnostische Untersuchungen Im Vordergrund, sodass die emotionale
Belastbarkeit der Patienten maximal gefordert wird. Außerdem sind stationäre Patienten
meist in einem schlechteren körperlichen Allgemeinzustand als während der ambulanten
Behandlung. Das Bedürfnis der Patienten, ihre Situation selbstbestimmt zu bewältigen, ist
dennoch vorhanden:
"Ein wichtiger Aspekt der Krankheitsverarbeitung äußert sich in dem Wunsch der
Patienten, aktiv etwas für sich zu tun, psychische Kontrolle wieder zu erlangen und
dadurch selbst etwas zu ihrer Gesundung beizutragen. In der neueren Forschungsliteratur
wurde dies in den Konzepten der Selbstwirksamkeit und Patientenkompetenz ausge-
arbeitet (Giesler et al. 2008) und hat auch Eingang in den Nationalen Krebsplan im
Handlungsfeld Patientenorientierung gefunden (BMG 2009)."619
617 Kapitel 4.7.2.4. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Einfluss auf die eigene Le-
bensgestaltung
618 Vgl. Chang et al.1998
Hopf 2010
Hopf, Heussner, Büssing, Elbing 2012
619 Vgl. Gruber, Weis 2011
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 2009, zitiert nach Gruber, Weis 2011
Giesler, Weis 2008: S. 1089–99, zitiert nach Gruber, Weis 2011
620 NDI a 53; NDI 2 e 64; NDI b 83; VDI d 65 etc.
621 Kapitel 4.7.2.3. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Wünsche und Bedürfnis
Kapitel 4.7.2.2. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Sinnhaftigkeit
230
Selbstreflektion.622 Der Wunsch nach Veränderung der bisherigen Lebenseinstellung kann
als Wunsch nach Selbstreflexion gedeutet werden, die dann zu einer Veränderung eigener
Einstellungen führen kann. So deckt sich dieses Ergebnis der Studie mit dem Bedürfnis
der Patientinnen.
Die kunsttherapeutische Begleitung der Patienten mit der KSKT® betont auch schützende
Aspekte des inneren Erlebens.623 Wenn zuvor das Thema Ressourcen angesprochen und
damit aktualisiert wurde, kann eine Konfrontation mit mehr belastenden Aspekten der
aktuellen Situation stattfinden. Heiney und Darr-Hope schreiben zu ihrem Healing-Icon-
Programms: "This kind of programm opens new avenues for expressing feelings and
thoughts but should be structured in such a way the group processes are not allowed to
negatively impact participants."624
Dieser Kommentar zu den Healing Icons ist durchaus auf die KSKT® übertragbar, den
beide Angebote betonen supportive Aspekte, die auf bildnerischen Vorgaben und dem
strukturierten Ablauf basieren.625 Diese schützen vor belastenden Aspekten durch andere
Gruppenteilnehmer, aber auch belastende Erfahrung im eigenen Erleben.
Die Patientinnen der vorgeliegenden Studie stimmen in ihrer positiven Bewertung der
KSKT® überein. Zwei Patientinnen beschrieben zusätzlich, dass die begleitenden
Gespräche zur unterstützenden Wirkung der KSKT® beigetragen haben.626 Die Erkennt-
nisse aus der bildnerischen Erfahrung und aus den Gesprächen seien direkt auf ihr Leben
übertragbar gewesen.627 Achtsam muss mit den Hinweisen von Patienten auf die
herausfordernd erlebte, abstrakte Umsetzung von innerem Erleben in Form- und
Farbqualitäten der Intervention umgegangen werden. Hier sind unterstützende, gestal-
tungsnahe und anschauliche Hinweise zum Transfer der Wahrnehmung der Patienten in
231
Form und Farbe und zur Entlastung der Patienten notwendig.628
Die Daten der hier dargestellten Studie zur KSKT® wurden von der begleitenden Thera-
peutin erhoben, die zugleich auch evaluierende Forscherin war. Da im psycho-
onkologischen Behandlungsteam der Medizinischen Klinik III kein weiterer Mitarbeiter für
die Durchführung der Leitfadengespräche zur Verfügung stand, war eine Aufteilung der
Forschungsaufgaben nicht möglich. Das Gesprächsverhalten der Studienteilnehmerinnen
kann deshalb durch soziale Erwünschtheit beeinflußt worden sein. Das Ausmaß eines
solchen Einflusses könnte verringert oder aufgehoben werden und die Ergebnisse
objektiviert werden, wenn Therapie und Datenerhebung von unterschiedlichen Personen
durchgeführt worden wären.630 Personen, die Leitfadengespräche durchführen, sollten mit
den Studienteilnehmern und dem gesamten kunsttherapeutischen Arbeitskontext vertraut
sein. So wird eine Belastung sowie eine Überforderung der Patientinnen vermieden, die
aufgrund fremder Gesprächspartner entsteht, mit denen die persönliche Situation
thematisiert werden soll. Generell sollte dieser Aspekt für zukünftige wissenschaftliche
Projekte im akuten Behandlungskontext der Onkologie berücksichtigt werden. Daten
erhebende Mitarbeiter sollten im besten Fall von Patienten als zum Team der Psycho-
Onkologie zugehörige, vertraute Personen wahrgenommen werden.631
Hinzu kommt, dass veränderte Werte und Selbsteinschätzungen der Studienpatientinnen
schwer gegen andere Einflüße innerhalb und ausserhalb des klinischen Kontexts
abgegrenzt werden können. Reifung als Effekt einer allmählichen Krankheitsverarbeitung
beeinflusst die Studienergebnisse ebenso wie einschneidende aktuelle und länger
zurückliegende Lebensereignisse einiger Patientinnen, welche im Rahmen der Erkrankung
628 Kapitel 4.7.2.6. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Kommentare zur KSKT®
629 Tüpker 2005: S. 8, Schriften zur Habilitation, Band 3, Beiträge zur Forschungsmethodik und Wissen-
schaftstheorie
630 Wichelhaus 2001: S. 258:
"Der Kunsttherapeut, der die Konzeptentwicklung und Evaluation in einer Person durch führt, erschwert
die Bewertung."
631 Kapitel 4.3.4.1. Besonderheiten der Datenerhebung
Vgl. Lehmann, Mehnert (in prep)
Breitbart et al. 2004: S. 366-372
232
aktualisiert wurden. Zu diesen Lebensereignissen gehörte bei Patientin a der Tod des
Vaters und Erbstreitigkeiten ein Jahr zuvor, bei Patientin b der Überfall durch den
Expartner und Mehrfacherkrankungen und bei Patientin c die Erinnerung an einen
Schwangerschaftsabbruch vor vielen Jahren.
Auch könnten weitere Forschungsfragen untersucht werden, die nicht nur therapeutische
Ziele der KSKT®, wie Ressourcen, Stabilisierung und Steigerung des Selbstwirksamkeits-
erlebens untersuchen632, sondern den erweiterten Interventionsprozess evaluieren wie
Therapeuten unabhängige Wirkfaktoren der Intervention in Multicenterstudien. In
kontrollierten Studien könnten auch bedeutsame Dimensionen wie Gesundheits-bezogene
Lebensqualität, depressive Symptomatik, Ängstlichkeit etc. erfasst und möglicherweise
vorhandene Unterschiede in den Wirkpotentialen verschiedener kunsttherapeutischer
Interventionen statistisch untersucht werden, um die Relevanz spezifischer Verfahren
herausarbeiten zu können. Eine Gegenüberstellung von flexiblen Verfahren und der
KSKT® könnte Aufschluss über Indikationen der jeweiligen Verfahren im onkologischen
Kontext geben.
Unabhängig davon stellen auch Analysen der entstehenden Bildfolge, der Funktion des
Bildes als ästhetisches Produkt und im therapeutischen Prozess interessante Frage-
stellungen dar.
Der Einsatz und die Evaluation der KSKT® in anderen Anwendungsfeldern der
Kunsttherapie wäre denkbar, da auch hier strukturierte Kurzzeitinterventionen sinnvoll
sind. Generell wären größere Studienpopulationen, randomisierte Studien und ein
Einbezug männlicher Studienteilnehmer sinnvoll.
Die bildnerische Reflektion eigener Wünsche, Ziele, Ressourcen und Emotionen mit der
KSKT® kann länger nachwirken. Was im Bild bearbeitet wurde, wird manchmal erst nach
langer Zeit bewußt und kann erst dann sprachlich erfasst werden. Der letzte Daten-
erhebungszeitpunkt, drei Monate nach Intervention, kann diese Einflüsse nicht abbilden.
Auch die Tatsache, das Patientinnen sich aus Interesse an Kunsttherapie für eine
Studienteilnahme entschieden haben, setzt eine grundsätzlich positive Grundeinstellung
voraus, die die erhobenen Daten beeinflusst haben kann. Die hier durchgeführte
Evaluation hat zudem keine prognostische Güte wie dies bereits in der Einleitung
formuliert wurde.633
233
Die kritische Untersuchung der Wirkfaktoren der Collage war durch die begrenzte
Verfügbakeit und Aussagekraft der Referenzliteratur, die sich mit einem abstrakteren und
interventionsübergreifenden Verständnis der Collage beschäftigt, erschwert. Das
Sechs-Faktoren- Modell kann als ein erstes Bestreben, die Wirkfaktoren der Collage in der
Kunsttherapie zu identifizieren, betrachtet werden. Das Modell kann auf unterschiedliche
Collageerscheinungen in der Kunsttherapie, der Kunstpädagogik und der Kunstge-
schichte angewendet werden.
Trotz einer Fülle von Publikation, die kunsttherapeutische Interventionen generell zum
Inhalt haben, werden kaum die Implikationen künstlerischer Arbeitsweisen für die
Kunsttherapie thematisiert. Auch deshalb kann diese Studie als ein Impuls zur wissen-
schaftliche Untersuchungen der Collage im Speziellen und künstlerischer Techniken in der
Kunsttherapie allgemein betrachtet werden. Es ist zu hoffen, dass das dargestellte
Sechs-Faktoren-Modell eine fruchtbare Auseinandersetzung und weitere Forschungs-
bemühungen anstößt, die das Wissen zur Collage erweitern, aber auch zum kritischen
Diskurs anregt, sodass Widersprüche zu anderen Theorien offengelegt und zur
Weiterentwicklung genutzt werden können.
Drei Fragen in der Einleitung eröffneten die vorliegende Arbeit und schließen sie wieder
ab:
Wer gestaltet mein Leben?
Welche Bedürfnisse haben die Patienten in ihrer Situation und wie können diese mit
bildnerischen Mitteln beantwortet werden?
Was wird gemacht und was soll es bewirken?
634 Kapitel 4.7.2.4. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Einfluss auf die eigene Le-
bensgestaltung
234
bildnerischen Mitteln beantwortet werden? Was wird gemacht und was soll es bewirken?
Dieser Fragestellungen stellten die Ausgangspunkte für die Entwicklung der KSKT® dar.635
Ein weiteres Ergebnis der Evaluationsstudie ist, dass Patienten die KSKT® als hilfreich
wahrgenommen haben636.
Die hier entwickelten Qualitätskriterien für kunsttherapeutische Interventionen in der
akuten, onkologischen Behandlung ließen sich durch Kriterien im allgemeinen psycho-
onkologischen Kontext bestätigen, stellen aber dennoch für die Kunsttherapie in der
Onkologie ein erstes spezifisches Ergebnis dar, dass, ähnlich wie die Teilstudie zu
Wirkfaktoren der Collage, zur Diskussion und kritischer Prüfung einlädt.637 Die Qualifi-
kation des Kunsttherapeuten im onkologisch-klinischen Kontext ist ein weiteres wichtiges
Kriterium, um das die Qualitätskriterien kunsttherapeutischer Interventionen in der Onko-
logie erweitert werden sollte.
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, die Manualisierung der KSKT®638 , die Qualtäts-
kriterien kunsttherapeutischer Interventionen in der Psycho-Onkologie639, das Sechs-
Faktoren-Modell640 und die Ergebnisse der Patientenbefragung 641 geben Aufschluss über
die Wirkungsweise der KSKT®. Aber sie sind auch ein Schritt hin zur Etablierung von
Interventionen, die anwendungsspezifisch entwickelt und untersucht werden und zur
Etablierung von Qualitätskriterien, die diese Anwendungsangemessenheit untermauern.
Diese Erkenntnisse fließen in die kunsttherapeutische Betreuung von Patienten zurück,
aber sie fließen auch in die Aus- und Fortbildung von Kunsttherapeuten ein und werden im
Rahmen der Weiterbildung Psychosoziale Onkologie für Ärzte und Psychotherapeuten
weitergegeben. Die Qualitätskriterien für den akut-onkologischen Bereich werden in
Weiterbildungskontexten bereits regelmäßig diskutiert, aber auch bestätigt. Sie helfen
andere kunsttherapeutische Interventionen für diesen Anwendungsbereich zu hinterfragen,
sind aber auch auf nicht-kunsttherapeutische Verfahren übertragbar und führen hier
635 Kapitel 4.7.2.6. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Kommentare zur KSKT®
636 Kapitel 4.7.2.6. Ergebnisse aus den Leitfadengesprächen zur Hauptkategorie Kommentare zur KSKT®
637 Kapitel 5.1. Diskussion der Intervention, KSKT®, und der Qualitätskriterien kunsttherapeutischer Interven-
tionen in der Psycho-Onkologie
638 Kapitel 2.1.2.3. Interventionsmanual der KSKT®
639 Kapitel 2.4. Qualitätskriterien kunsttherapeutischer Interventionen in der Psycho-Onkologie
640 Kapitel 3. Zur Collage, eine künstlerische Arbeitsweise als kunsttherapeutische Intervention
641 Kapitel 4. Eine erste Studie zur KSKT®
235
ebenfalls zu fruchtbaren Reflexionen der psycho-onkologischen Behandler. 642
Viele erfahrungsgestützte Voranahmen zur KSKT® liessen sich bestätigen, sollten aber in
randomisierten Studien weiter überprüft werden, so dass auch Vorhersagen gemacht
werden können. Die vorliegende Studie stellt also eine Grundlage und einige Denkansätze
für folgende kunsttherapeutische Studienprojekte bereit.
Mit der vorliegenden Arbeit konnte aber auch gezeigt werden, dass Collage als
künstlerische Technik im Kontext der Kunsttherapie die Problematik der fehlenden
Autonomieerfahrung der Krebspatienten im klinischen Bereich kompensieren kann und
deshalb in der Onkologie verstärkt angeboten werden sollte.
236
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Anhang
Interviews der Patientinnen a - e 643
VDI a
643 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
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ben Sie für sich persönlich den Eindruck, des hat für Sie n’en Sinn, was Sie gerade erleben oder merken
Sie, dass Sie jetzt in Richtungen denken, in die Sie vorher nicht gedacht haben?
30.PAT: Also, ich hoffe, dass es einen Sinn hat, jaa, aber äh, und wenn es einen Sinn hat, dann bleibt mir
immer noch die Frage: Wenn ich jetzt, wenn das jetzt eine Lernphase ist, könnte ich dieses Lernen, äh..,
ich könnte ja auch lernen, wenn’s nicht so brutal wäre. Des ist für mich die Frage hier. Ich erwarte nicht
vom Leben, dass ich jetzt verschont bleibe, oder, oder net krank werde, aber dieses Ausmaß, weil es so
schlimm war, ja...von heute auf morgen. Das empfind’ ich als brutal und da weiß ich dann nicht, was ich
lernen soll, daraus (Sinnlosigkeit der Erkrankung, wenn man stirbt).
31.TH: Und haben Sie im Moment schon die Vorstellung, das Sie was gelernt haben oder dass es Aspekte
in Ihrem Leben gibt, die jetzt ne anderen Bedeutung haben?
32.PAT: Dass ich äh, ich weiß halt jetzt, ich kann nicht mehr so weiter machen wie bisher. Des is, was ich
ganz bestimmt weiß. Und wenn des unter Lernen steht, dann hab’ ich des gelernt!
33.TH: Aber Sie....ähm, also, es gibt ja immer unterschiedliche Aspekte in n’er Krise. Das, was man, wo
man sagt, warum ich? Und die Aspekte, wenn man sagt: das macht für mich auch Sinn, weil es gibt As-
pekte in meinem Leben, die hab’ ich mir schon lang’ zu ändern gewünscht und jetzt wird mir deutlich, die
möchte ich jetzt auf jeden Fall ändern.
34.PAT: Genau, des is’, was ich, dass ich nicht mehr so weitermache, arbeitsmäßig(an sich selbst arbei-
ten/auf sich achten) wie jetzt als Beispiel, weil ich mit dem auch vorher abgeschlossen habe. Also, es war
auch schon länger mein Wunsch, damit Schluss zu machen.
35.TH: Also intensiv oder viel zu arbeiten.
36.PAT: Also weniger zu arbeiten, also mich von Leuten zu entfernen, die mir nicht gut tun und da, äh,
des hab’ ich ja jetzt schon gemacht, auch.
37.TH: Also
38.PAT: Dass ich, äh, die mich einfach auch runterziehen und belasten, mich da benutzen als, wenn man.
Ich hab mich ja auch benutzen lassen, als Mülleimer in Anführungsstrichen oder, äh oder um ihre, äh, ihr
Wesen da auszuleben, wie auch immer. Die Leute, äh, für die bin ich jetzt nicht mehr erreichbar, wo ich
gesagt hab’, ich brauch’ jetzt meine Kraft und meine Energie für mich allein und des hab’ ich auch jedem
mitgeteilt. Wenn mir dann danach ist, dass ich ne bestimmte Person sprechen will, kann ich sie ja anrufen
(die eigenen Grenzen beachten).
39.TH: Hmm.
40.PAT: Also, so hab’ ich des schon geregelt für mich, weil, weil ich erkannt habe, dass ich die Kraft, also
ich kann die nicht auch noch weiter verteilen.
41.TH: Kann man sagen, dass Sie, ähmm, dass der, also, dass ein Teil des Sinnes darin besteht, dass Sie
mehr auf sich achten?
42.Pat: Das auf jeden Fall…
43.TH: Und dass Sie sich nicht mehr Situationen aussetzen, in denen Sie ganz genau spüren....
44.PAT: Genau, wenn mir jemand vorjammert, er hat kein Geld oder Autorechnungen sind be...äh..zu
bezahlen und die ganze Litanei und Heizkostennachzahlung, dann sag’ i’, nein danke, also. Damit belast’
ich mich nicht mehr! Also, ich nehme dann nicht mehr Teil, also, was sie mir mitteilen wollen-also da
steckt auch das Wort teilen drin. Die geben mir ja mit der Information auch was, geistig.
45.TH: Ja.
46.PAT: Und ich bin eine sehr sensibler Mensch. Also, ich nehm’ eher des auf und tu mich schwer mit Ab-
grenzung und bei mir zu bleiben.
47.TH: Hmmm.
48.PAT: Da geh’ ich, äh, zu sehr auf den anderen ein.
49.TH: Hm.
50.PAT: Des is’ des sag’ ich mir schon die ganze Zeit immer, Abstand halten und des auch net anderen
nehmen, dass ich mich mehr selber beschütze
51.TH: Hmm, also mehr Schutz.
52.PAT: Mehr Schutz, also ein Geborgenheitsdefizit hab’ ich, ja.
53.TH: Was, wenn Sie jetzt benennen könnten, was Sie sich wünschen für die nächsten Wochen, was
würden Sie sagen?
54.PAT: Dass ich diese Chemo jetzt gut vertrage (gute Verträglichkeit/Erfolg der Therapie) und dass ich
weiter noch zunehme und dass ich seelisch und psychisch stabiler werde, dass ich positiver werde (Wün-
sche eigenes emotionales Befinden betreffend).
55.TH: Und welches ist das wichtigste Bedürfnis, im Augenblick?
56.PAT: Pause Also, des kann ich jetzt net sagen, also, des ss..seelisch stabiler werden und die Chemo,
dass ich die auch hinter mich bringe.
57.TH: Dass sie die gut vertragen.
58.PAT: Ja.
59.TH: Jetzt die Frage: Wer gestaltet im Moment ihr Leben? Von was ist ihr Leben im Moment bestimmt?
60.PAT: Äh, ganz einfach und eindeutig. Die zeigt mir jetzt auf, was ich körperlich brauche und eigentlich
auch, was ich s..seelisch brauche (seelische Veränderung).
61.TH: Hmm.
62.PAT: Da, da bin i schon voll beschäftigt..äh..damit. Also mehr geht gar..garnicht!
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63.TH: Und wenn Sie’s jetzt so, also an, Sie sagen, die Krankheit gestaltet im Moment ihr Leben—
ähmm..haben Sie dann, sagen Sie dann: Also, ich gestalte mit! Oder: Mir fehlt eigentlich, dass ich mehr
Einfluss nehmen kann auf?
64.PAT: unterbricht….Also, ich gestalte insofern mit. Wie...ähm..bei der Krankheit, dass ich,…ja wie meine
Einstellung gestaltet die mit (Fremdbestimmung Krankheit). Zum kleinen Teil, wenn..dass ich,..wenn ich
eine Untersuchung habe, da kann i jetzt so hingehen und so hingehen. Ich muss hingehen, ich brauche
die, aber mit der richtigen Einstellung, da kann ich sie gestalten, sonst kann ich sie nicht (Verantwortung
übernehmen im Kontext der Behandlung).
65.TH: Also, Sie sagen, kann man’s so zusammenfassen: Es sind viele Zwänge da durch die Krankheit..
66.PAT: Ja.
67.TH: Ah, aber Sie ha’m auch, trotz dieser Zwänge, immer Möglichkeiten, die Art und Weise, wie Sie die
Dinge tun und was für ne Einstellung Sie dazu haben, das können Sie gestalten!
68.PAT:..unterbricht..Schon etwas, obwohl des auch immer abhängt, wie viel Energie, wie viel Kraft
(Fremdbestimmung Krankheit) ich habe. Äh, also, im Kopf weiß’ man's, aber umsetzen kann ich’s dann
teilweise nicht also (leise) ich kann auch nicht alles umsetzen.
69.TH: Ja. Ha’m Sie im Moment Kraftquellen und wo, wo liegen diese Kraftquellen?
70.PAT: Ich hab’ wieder angefangen zu meditieren (Beten/Meditieren). Des is’ schon a Kraftquelle. Die
Träume sind klarer geworden, dadurch. Sind nicht mehr so überfüllt..äh..ja. Und ..und damit halt ähm
meim..mein Kind, meine Tochter, is’ auch a Kraft-äh-quelle..d ..und mein Mann auch (Familie/Partner-
schaft als Kraftquelle). Dass i sag’: Ich muss mich da zusammennehmen und da durch gehen, so gut ich
kann, zögerlich weil äh..nicht, dass sie m..die brauchen mich schon auch, des schon auch, aber
Pause..naja, wie soll i des erklären?
71.TH: Mit ner längerfristigen Perspektive?
72.PAT: Ja.
73.TH: Brauchen Sie sie? Sie brauchen sie vielleicht nicht aktuell.
74.PAT: Ja.
75.TH: Für das Alltägliche.
76.PAT: Hmm.
77.TH: Aber grundsätzlich ist es wichtig, dass Sie da sind!
78.Pat: Genau, dass ich da bin, ja!
79.TH: Und dieser..und dass Sie wissen, dass die Beiden Sie brauchen, ist für Sie ne Kraftquelle?
80.PAT: Ja, dass ich sag’, ich kann sie ja jetzt nicht alleine lassen oder mich jetzt einfach hinlegen und
mich gehen lassen. Des..ähm..des is’ des kann ich dann nicht! Weil ich ja jemanden hab’ für den ich ja
auch Verantwortung habe, ja (Verantwortung übernehmen). Sie ham mit ja die..mein Mann und meine
Tochter haben ja auch Verantwortung mir gegenüber, des is’ ja gegenseitig.
81.TH: Also, die Beziehung?
82.PAT: Dass sie mich jetzt nicht einfach liegen lassen, wo..und sie ha..und sie kümmern sich ja auch
sehr um mich und da muss ich halt mein, mein Ding bringen.
83.TH: Hmm.
84.PAT: Jeder bringt da seins dann!
85.TH: Das waren Ihre Kraftquellen und..die Frage wär’ jetzt: Was gibt Ihnen im Augenblick Sicherheit
und Halt?
86.PAT: Wieder die beiden (soziale/familiäre Sicherheit).
87.TH: Die beiden, hmm!
88.PAT: Ja!
89.TH: Also, dass, was für Sie ne Kraftquelle ist, ist gibt Ihnen auch Sicherheit und Halt!
90.PAT: unisono Sicherheit!
91.TH: Und ähm jetzt noch die letzte Frage: Was erwarten Sie von der kunsttherapeutischen Begleitung,
die wir jetzt machen?
92.PAT: Also..i hab’ keine Ahnung, ich lasse mich einfach..äh..überraschen und probier’ sie aus und bin
offen dafür. So, würd’ i des be..
93.TH: unterbricht ..Also konkrete Erwartungen nicht?
94.PAT: Hab’ ich jetzt nicht, wenn (keine Erwartungen an die KT), wenn es mir weiterhilft, is’ es schön
und wenn nicht, hab’..äh..eine Erfahrung gemacht und ich sag’ mir, man kann überall was lernen, ja.
95.TH: Hmm, gut! Vielen Dank Frau a.!
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NDI a644
1.TH: So, Frau a., dann...soll ich Ihnen noch mal die Fragen vorlesen oder ham Sies noch...
2.PAT: unterbricht... Nein, einzeln.
3.TH: Einzeln vorlesen..ja, ähm, genau. Jetzt ham wir die Fragen nochmal, die wir bevor Sie mit der ähm,
Kunsttherapie was gemacht haben, die ich Ihnen schon mal gestellt hab‘ und die erste Frage ist: Wie
sieht Ihre Zukunftsperspektive aus?
4.PAT: Pause...beidseitiges Lachen..hat ich gestern auch oder, ja en schweren Einstieg...
5.TH: Hmm.
6.PAT: Also jetzt nicht hoffnungslos
7.TH: Hmm
8.PAT: ..sondern, dass sich wieder was en..entwickeln kann (pos ZP). Ist zwar jetzt, ich, für mich in der
Begrenzung lebe, aber dass äh..die Begrenzungen,...dass die wieder weniger werden können (Zuversicht
in Abhängigkeit vom Therapie/Krankheitsverlauf). Es ist halt..äh..für mich sehr stark begrenzt, aber es
kann sich ja auch ändern
9.TH: Hmm, und ähm, die Idee war natürlich jetzt auch, hier mit dem Malen, ob sie da vielleicht was ent-
deckt haben, was Ihnen innerhalb der Begrenzungen....ähm...Unterstützung geben kann. Also die Be-
grenzungen liegen, unterliegen ja nicht so stark ihrem unmittelbaren Einflussmöglichkeiten.
10.PAT: Also, dass ich mich geistig jetzt mit dem befasst habe, mit meinem Bild, und..und, des schon
und, äh. Interessant ist
11.TH: Ich meine jetzt diese Kraftquellen - das war so ein bisschen der Hintergrund, ob diese, ob Sie den
Eindruck haben, dass, obwohl Ihnen die Natur nicht unmittelbar zur Verfügung steht (als Ressource,
Anm. der Autorin), ähm.., also Sie sich nicht selbstständig darin bewegen können oder Ihre geistigen,
spirituellen Interessen im Moment etwas außen vor sind. Ob‘ s vielleicht Möglichkeiten gibt diese Kraft-
quellen auch jetzt, in der begrenzten Zeit, äh, durch die Erkrankung zu nutzen oder wieder zu aktivieren?
12.PAT: Äh, ich nutze sie ja teilweise
13.TH: Hm.
14.PAT: ...nicht in dem Ausmass, des geht ja nicht, so..sondern ich, dass ich nu, dass ich sie nutze (Pati-
entin hat Probleme mit dem Sprechen. Explikation: Im Nachhinein, bei einem Treffen 11/2010 berichtete
die Patientin und die Tochter, das Frau a zu diesem Zeitpunkt bereits eine Metastase im Kopf gehabt ha-
be, der ihre Sprach- und Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt habe)
15.TH: Schon okay..und ähm..nochmal die Frage nach dem Sinn: Also, wie würden Sie den Sinn formulie-
ren, von dem was Sie gerade erleben?
16.PAT: lange Pause... Ja....leise..., der Sinn,....dass es einen Sinn hat, des glaub‘ ich auch...ähm den
Sinn mein Leben zu v..verändern, was zu verändern, ander....andere Prioritäten setzen, vielleicht auch
la....leichtere Einstellung zum Leben haben, dass ich, ja (etwas lernen).
17.TH: Sie haben ja gerade von der Ressource Ihrer Familie gesprochen und..ähm...
18.PAT: Also mir ist jetzt des...der wirkliche Sinn noch nicht äh..ganz klar (Sinn fraglich).
19.TH: Hm..gut..das kann ja auch sein.
20.PAT: Von dem, von dem Au - ich sag‘ immer von dem Ausmass, dass ich weiß, dass mer, dass mer
durch Krankheiten reift und stärker werden kann. Des..äh..natürlich wird ma des, und wo auch
bestimmte..äh Anlagen oder äh..wo auch was geprüft wird (Schuld/Prüfung) in einem. Nur die, das Aus-
mass, is..... da, ähm...hab‘ ich jetzt keine Antwort (Sinn fraglich).
21.TH: Hmm..und Sie sind ja letztendlich, beschäftigen sich ja auch mit spirituellen, mit geistigen Inhal-
ten. Das heißt, Sie fragen sich auch schon über..also Sie versuchen größere Zusammenhänge wahrzu-
nehmen und trotzdem sagen Sie.
22.PAT: Trotzdem is des..äh..nicht so, also in kleineren Sachen..jetzt, dass ich äh..was umstelle und auch
was besser machen kann, des is mer klar, und auch was ich umstellen soll und wo I jetzt mehr Grenzen
ziehe und, und ich weis auch, dass ein bestimmter Bereich zu Ende ist, wo..was ich nachher nicht mehr
machen werde..äh..das was mich halt so viel Kraft gekostet hat (die eigenen Grenzen beachten). Des,
des weiß ich! Ähm..wenn des dann der Sinn ist, gut! Aber da, aber was i nit, diese Brutalität, wie des
jetzt gekommen iss, äh..da fehlt mer jetzt der Sinn für, weil ich..ähm..weil ich gemerkt hab‘, die Tenden-
zen, was zu ändern, war ja nicht dagegen, ich war ja bereit dazu.
23.TH: Hmmm.
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VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
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24.PAT: Und hab‘s ja auch schon immer so kleinweise ge..gemacht, also, dass i, dass des dann so ein
totales Ausmaß hat, wo‘s wirklich um‘s Leben oder Nichtleben geht (Sinnlosigkeit d. E., wenn man stirbt),
wie des am Anfang war, gleich..äh..hm..des war... is, des is ein Schock und ..äh..äh..des halt plötzlich
nach außen aufgetreten is‘. Also innerlich muss‘ sich da ja schon länger irgendwas getan haben. Des weiß
ich dann auch, aber es, aber ich weiß auch, es is mer manchmal is ma inner Situation. Da muss mer
durch, da hat mer Verantwortung und da will ma sich vor der Verantwortung auch nicht drücken, jemand
zu helfen und ..oder so..oder wenn jemand kommt und bittet: „Unterstütz mich da oder hilf‘ mir
da!“..und ich fühl‘ mich angesprochen..wenn ich mich nicht angesprochen fühl‘, dann könnt des auch, „da
kann ich jetzt nix tun für Dich“, aber wenn i mich innerlich angesprochen fühle und mir des schwerer fal-
len würde, den wegzu... (nicht genug für sich selbst gesorgt).. oder die wegzuschicken... Dann würds
mer auch nicht gut dabei gehen. Also, des hab‘ schon durchg‘spielt. Es und es ist nicht so einfach.
25.TH: Ja, es ist nicht so einfach!
26.PAT: Vielleicht wird i des auch nie erfahren, warum des jetzt so heftig ist, kann auch sein...oder erst
später..oder nach fünf Jahren...m‘ja. Andre sehen, ich weiß scho, was Sie meinen, immer gleich den Sinn
dahinter, des falle (?)..trotz meiner, meine Erfahrung mit dem Geistigen könnt‘ ich des jetzt nicht...
27.TH: Ich find‘, dass des sehr ehrlich ist. Ich glaub‘ manchmal, dass auch, also, dass die Erklärung viel-
leicht für einen selber gar nicht, nicht so ganz zutreffen muss, sondern, dass es auch ein Wunsch ist nach
einer Erklärung.
28.PAT: Dass ich nicht sinnlos leide oder so.
29.TH: Ja,..ähm..deswegen finde ich des sehr, also man merkt einfach, das Sie sich viel Gedanken ma-
chen und ähm..is auch mit spiritueller Anbindung...ähm mit nem geistigen Hintergrund, gibt es Fragen,
die offen bleiben..
30.PAT: Ja.
31.TH: Davon bin überzeugt und ich bin auch ähmm..
32.PAT: Ich auch. Ich stelle fest, also, umso mehr ich auch weiß, weiß ich eigentlich gar nichts. Äh..ich
kann nur immer Zusammenhänge sehen, wie die des erleben oder was da gibt, wie, dass mer auch auf
verschiedenen Wegen zum Ziel kommen kann, aber..aber wissen..
33.TH: Wissen tun Sie's nicht.
34.PAT: Hmhm!
35.TH: Die nächste Frage ist: Was wünschen Sie sich in den nächsten Wochen? Und jetzt, also immer auf
dem, ich möcht‘ des so en bisschen in 'nen zeitlichen Rahmen setzen. In dieser Situation. Ja, Sie haben
ja jetzt so‘ n paar Bereiche thematisiert, die für Sie wichtig sind. Vielleicht gibt es etwas, wo Sie in nächs-
ter Zeit sagen: Des is‘ was, des möcht‘ ich mehr in mein Leben.
36.PAT: Beweglicher werden (beweglicher werden). Des is‘ a ganz a große Sehnsucht! Hier ..da hin, wie-
der raus gehen zu können und wieder..äh..en Raum zu haben, nicht nur Bett und Küche und Wohnzimmer
und so, sondern das i wieder mein, mich e‘ bisschen auslaufen, ausbreiten kann.
37.TH: Haben Sie einen Garten?
38.PAT: Ne Terasse.
39.TH: Hmm.
40.PAT: S‘ is jetzt kalt draussen.
41.TH: Ja, ja, s‘ ist jetzt kalt, leider. Die nächste Frage: Was ist ihr wichtigstes Bedürfnis? Also, das kann
ähnlich sein, wie das was Sie sich für die nächsten Wochen wünschen, muss aber nicht.
42.PAT: Dass ich gesünder werde (Erholung), um da aktiver werden zu können. Dieses Liegen, das macht
au depressiv und... (Wünsche eigenes emotionales Befinden betreffend).
43.TH: Nochmal die Frage: Wer gestaltet ihr Leben, haben Sie jetzt, hat sich ihr Eindruck verändert, dass
Sie vielleicht im Moment wahrnehmen, dass Sie mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben, als Sie gedacht
haben oder ist es, hat sich des nicht gewandelt?
44.PAT: Nein, eigentlich nicht (keine eigene Beeinflussung möglich).
45.TH: Hätt‘ ich jetzt auch so verstanden. Und wo liegen Ihre Kraftquellen? Das ha‘ m Sie ja letztendlich
schon im Bild dargestellt. Wenn Sie‘ s einfach noch mal kurz zusammenfassen?
46.PAT: Also, die Kraftquelle sind jetzt in erster Linie die Familie, des Gemeinsame, unser Zusammenhalt,
des wir haben (soziale/familiäre Sicherheit). Dann äh..das Geistige (Beten/Meditieren), des was halt jetzt
möglich ist und der Anteil von der Natur, von der Nahrung, von der Ernährung, oder auch mal raus-
schauen zu können, Baum zu sehen und..und.und sowas (Natur als Ressource).
47.TH: Das sind die Aspekte, die wichtig sind. Und äh, die Frage, ich geh‘ die jetzt einfach mal so ab. Sie
haben die letztendlich, sind das auch manchmal so Grenz...- die sind sehr ähnlich, die Fragen: Wer oder
was gibt Ihnen augenblicklich Sicherheit und Halt? Das wär‘n wahrscheinlich auch..
48.PAT: leise die Familie.
49.TH: Die Familie wär das dann vor allen Dingen, Und jetzt äh..ähm die Frage: Hatten Sie den Eindruck,
dass durch das Malen und dieses nach Außen bringen von diesen Kraftquellen und diesem ersten Bild,
wo's mehr um Sie ging, das Ihnen das Möglichkeiten eröffnet hat?
50.PAT: Ich hab‘ halt gemerkt, ich hab‘ mich damit befasst und auch ähmm....dass i mir überlegt habe,
könnt‘ ja daheim auch mal so malen, einfach mal so sich, was von der Seele malen (Entlastung)
oder..dass des a Möglichkeit...äh wäre, wenn i dazu kräftemäßig in der Lage bin, aber ausprobieren
könnt‘ ich‘s, ja. Also, des hatt‘s mir jetzt eröffnet oder auch dass i mi damit befass, dass mer des halt
jetzt klarer (Verdeutlichung/Klärung/Sammlung) geworden is.
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51.TH: Dass ihre Kraftquellen Ihnen klarer geworden sind?
52.PAT: Ja.
53.TH: Kann man‘ s so sagen? Und das Sie
54.PAT: Und das des halt jetzt angesprochen wurde und auch zu Papier gebracht wurde, also des verfes-
tigt sich ja auch, äh...weil, weil äh..ich dann ja auch die Bilder in mir trage, a Zeit lang (das Bild ist verin-
nerlicht).
55.TH: Sie haben ja heute Morgen, oder gestern ham Sie.. Heute morgen haben Sie gesagt, dass Sie das
Bild, was Sie gemalt haben ...
56.PAT: Genau, das ist immer wieder gekommen, wie..und hab‘ mi da, hab‘ des in Bewegung gesetzt
und....und. Des könnt man auch noch mehr, könnt ich noch mehr vertiefen, umso länger ich des da..äh
geistig damit arbeite. Dass mir da Ideen kommen...oder wenn mir da was nicht so gepasst hat, dann
denk‘ i, ja wie könnt‘ i des, was würd‘ es da was besseres geben, um des darzustellen. Und des is‘ ja was
Positives, sonst äh..schaut mer, passt mei Puls oder ...des is so a Ablenkung au‘ wieder hin zum Kreati-
ven, mehr (Ablenkung).
57.TH: Hmm
58.PAT: Also, des schon.
59.TH: Okay.
60.PAT: Ja.
61.TH: Wie würden Sie die Bedeutung, dessen, was Sie jetzt gemacht haben, ähmm.. zusammenfassen?
62.PAT: Des hab‘ ich jetzt so....
63.TH: Haben Sie jetzt eigentlich...Also, dass Sie äh.. sich - wenn ich das jetzt aus meiner Perspektive -
Sie sagen auch, ob des so in Ordnung ist! Also, dass Sie ähm..sich mit sich selber auf ne Art beschäftigt
haben, wo Sie den Eindruck hatten, Sie können jetzt damit weiter machen.
64.PAT: Hhhmm.
65.TH: Also Sie können..
66.PAT: Also, jetzt grad, we..wenn ma im Krankenhaus ist, dann äh..ist des ganz gut gewesen, dass ich
des gemacht habe, weil, dann hab‘ i was zu zu äh..innerlich zu reflektieren.
67.TH: Und dann ist vielleicht auch so ne Entwicklung in diesem Bereich möglich?
68.PAT: Genau! Eben der Gedanke, i könnt‘ ja wieder malen, des muss ja jetzt nicht a schönes Bild sein,
nachdem halt, was ma gefühlsmäßig is‘, wie ich Lust dazu habe.
69.TH: Gibt es etwas, was Sie schwierig fanden oder kritisch fanden?
70.PAT: Nein.
71.TH: Kritikpunkte?
72.PAT: Nein.
73.TH: Gut, dann Danke schön!
NDI 2 a
1.TH: Also, ich les' Ihnen noch mal die Fragen vor.
2.PAT: Ja.
3.TH: Dann würd’ ich jetzt die erste Frage noch mal wiederholen: Wie sieht im Augenblick Ihre Zukunfts-
perspektive aus?
4.PAT: Besser als letztes Mal, eben mit dieser Nachricht, dass ich tumorfrei bin (pos ZP ). Ähm, will net
sag’n, dass jetzt, dass i was gespürt..äh hätte, dass mer ein Stein vom Herzen gefallen wäre, aber, aber,
vom Kopf her..ähmm..is natürlich besser, vom Gefühl her komm’ i noch nicht nach. Also, so könnt’ ich des
äh ..beschreiben. Ich mach’ mir da schon jetzt mehr Gedanken, positive Gedanken über die Zukunft, was
ich noch machen könnte oder..ähm….oder wie ich die Zukunft gestalte. Dass ich mit mehr Zeit lasse. Al-
so, ich arbeite mich da so Stück für Stück durch. Klare Antworten habe ich darauf noch nicht(ungewisse
ZP ). So, aber i versuch’ schon so..äh..so bissi weiter hin und wieder so in die Zukunft zu gehen.
5.TH: Sie haben vorhin angesprochen, dass in sechs..äh...Wochen wahrscheinlich die Rückverlegung Ih-
res äh Darmausgangs
6.PAT: unisono Genau!
7.TH: ...ansteht. Also, des gehört schon auch zu der Zukunftsperspektive,
8.PAT: unisono..Genau! Des is die einzige OP, die ich herbeisehne, ja..des.. lacht des is die! Und ich
hoffe…äh..wenn ich äh des abgeschlossen habe, dass dann a einiges..äh..leichter wird. Weil OP is’ OP und
tut einfach weh! Ja, des reimt sich sogar. Uuund.., dass vielleicht dann, nach a paar Wochen sich einiges
klarer zeigen kann, oder, ja oder auch nicht, dass i länger brauch’. Also, dass i viel Zeit noch brauche,
dass weiß ich schon!
9.TH: Welchen Sinn hat das, was Sie gerade erleben für Sie?
10.PAT: Ja, da sind wir bei der Sinnfrage! Wieder!
11.TH: Des darf sich auch verändert haben! Also, deswegen stelle ich die Frage auch.
12.PAT: Ja, also, i weiß net, das letzte Mal, also so über...Man geht halt davon aus, dass, dass alles sei-
nen tieferen Sinn hat. Was es jetzt genau..no, des is no immer schwierig für mich, des zu sehen.
Nat..natürlich hab’ ich in der Zeit.äh…is mer auch viel begegnet. Also, die Reaktionen der Umwelt äh..is
mer klarer geworden..und..und das ich die ..äh Menschen, die vorher, um mich herum waren, auch viel
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klarer jetzt sehe..ä...als vorher und auch..ä.. zum Teil… ähm..enttäuscht bin davon, über die Reaktion
dieser Personen und dass ich da jetzt innerlich auf Abstand gehe (Verantwortung für sich selbst über-
nehmen ). Des..äh..sehe ich als positiv an, um mich einfach ganz neu auszu ..ausrichten zu können (an
sich selbst arbeiten/auf sich achten). Vielleicht hätt’ ich des vorher nicht so gekonnt! Ohne die Sichtwei-
se, die oder die ..sich jetzt gezeigt hat. Des könnt’ ein Punkt sein, aber ich denke, dass das nicht der ein-
zige Punkt is’. Erkannt’ hab’ i, wie sensibel des Leben is’, wie ..äh..wertvoll es ist, is mer bewusster ge-
worden, wie schnell es vorbei sein könnte, auch...und, so dass ich, dass i bewusster den Tag lebe (be-
wusster leben ). Also..wenn ich äh, am Morgen, dass ich mir sage: Jetzt hab’ ich einen Tag für mich und
den versuch’ ich dann so gut wie möglich äh..ja dann durchzugehen, wie auch immer. Pause...Und auch
nicht so viel rumzunörgeln, ja (Unzufriedenheit überwinden). Nicht zu, also, die, meine Erwartungshal-
tung ähm....zum Leben ist heruntergegangen, des, des.
13.TH: Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
14.PAT: Dass i mi schnell gut erhole für den nächsten Termin.
15.TH: Für den nächsten OP-Termin.
16.PAT: Dass der auch gut klappt! Dass mer nichts dazwischen kommt, net wieder irgendeine (gute Ver-
träglichkeit/Erfolg der Therapie).
17.TH: Komplikation.
18.PAT: Ja, genau! Des wär, is’ mein Wunsch.
19.TH: Und welches ist im Augenblick ihr wichtigstes Bedürfnis?
20.PAT: Dass mer' s besser geht, auch! Also, da ganz eindeutig! (Erholung)
21.TH: Wer gestaltet jetzt ihr Leben?
22.PAT: Ich hab’ jetzt schon des Gefühl, dass wieder mehr ich ge..gestalte, dass ich zwar..äh..also des
totale Ausgeliefertsein (Fremdbestimmung Krankheit ), des hab’ ich jetzt nich, nicht mehr so (Zustim-
mung zu fremden Einflüssen). Muss zwar bestimmte Dinge tun, die i einfach zum Leben brauche, wie
Nahrung, Infusionen, wo ich dann angehängt bin, am Bett (Fremdbestimmung medizinischer Kontext/
Therapie). Aber ich konnte daheim vorher scho..äh..scho wieder mehr machen. Also, ich konnte scho äh
meditieren wieder. Dann hat mir meine Tochter en Laptop gekauft. Konnt’ ich da schon was machen, hab’
da auch gelesen. Also, hab’ versucht da so a bisschen die Abwechslung reinzubringen, so a Aktivität.
23.TH: Wo liegen ihre Kraftquellen?
24.PAT: Äh, einmal..äh..schon geistig, wieder in der Meditation (Beten/Meditation)und dann in
meiner...jetzt...erstaunlicher Weise.
25.TH: Im Buddhismus..oder
26.PAT: Äh.
27.TH: Ist des zu weit gefasst?
28.PAT: zu eingeengt vielleicht, leise..ja! Und dann..ähmm.
29.TH: Spirituelle Rückbindung?
30.PAT: Genau!
31.TH: Ist das der richtige Name?
32.PAT: Ja! Und..ähm..dass ich äh..mich positiver, trotz allem, also versuch’ positiv einzustellen. Dass des
Kraft bringt!
33.TH: Wer oder was gibt Ihnen augenblicklich Sicherheit und Halt?
34.PAT: Wieder meine Familie. Also, da hat sich nix geändert. Und dann..ähm auch mei, will i jetzt nit
sagen..mein Bruder, der sich...und meine Schwester, die sich da auch erkundigen, wie’s mir geht, die mir
an Weihnachten Plätzchen gebracht haben. Da hab’ ich mich sehr gefreut drüber.
35.TH: Und jetzt Fragen zur Kunsttherapie: Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen Möglichkeiten
eröffnet?
36.PAT: Zum an äh.. Nachdenken..äh..angeregt, ja, schon. Ich hab’ mich ja auch befasst damit. Doch,
war sehr äh war hilfreich oder ist immer noch hilfreich (Umdenken/Nachdenken hat geholfen)!
37.TH: Haben Sie das Malen weitergeführt oder haben Sie vor, was in die Richtung weiter zu machen?
38.PAT: Darüber hab’ i jetzt noch nicht nachgedacht.
39.TH: Des kann auch dabei bleiben. Das kann auch so sein, dass Sie sagen: Nee, das war jetzt was Au-
genblickliches, das in der Situation gepasst hat. Aber wie würden Sie die Bedeutung der kunsttherapeuti-
schen Begleitung zusammenfassen?
40.PAT: Hilfreich, Unterstützend!
41.TH: Gibt es was, was Sie kritisch fanden oder schwierig fanden?
42.PAT: Nein, eigentlich, hm..hm.
43.TH: Also..auch die Umsetzung von Formen oder von Ressourcen in Formen. Des is’..
44.PAT: Also, schwierig würd’ ich des nicht nennen….Pause. Nein!
45.TH: Okay, Dankeschön!
279
VDI b645
645 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
280
33.TH: Ist er auch hier in der Nähe?
34.PAT: Er lebt in Bogenhausen.
35.TH: Und er unterstützt sie?
36.PAT: Ehh, ja! Er unterstützt mich, allerdings versuche ich das von ihm ein bisschen fernzuhalten, das
Ganze. Aber dennoch ist er für mich eine große Unterstützung. Es ist gut zu wissen, dass es ihn gibt
(Familie/Partnerschaft als Kraftquelle).
37.TH: Hat er auch Familie?
38.PAT: Nein.
39.TH: Wer oder was gibt Ihnen augenblicklich Sicherheit und Halt?
40.PAT: Mein Mann (soziale/familiäre Sicherheit).
41.TH: Und was erwarten Sie von einer kunsttherapeutischen Begleitung, jetzt in der Situation?
42.PAT: Kann ich nichts dazu sagen, weil ich das nicht kenne.
43.TH: Sie kennen es nicht. Sie können auch einen Wunsch äußern. Das muss jetzt nicht unbedingt,... da
Sie es nicht kennen, können Sie ja trotzdem Erwartungen haben. Vielleicht gibt’s da was?
44.PAT: Ja, am ehesten Momente. In denen man das ganze Desaster ein bisschen vergisst (Ablenkung),
dass man sich in einem Fenster, in eine Zeitecke verkriecht, wo einem alles andere ein bisschen fernbleibt
(Befreiung von Belastungen).
45.TH: Okay.
46.PAT: Zur Zeit bringt's mir auch nichts. ich lese sehr gern. Aaber ein Buch zu lesen, irgendwas, sich
auf irgendwas zu konzentrieren oder irgendwelche Freude zu empfinden, gelingt mir jetzt nicht.
47.TH: Es ist im Moment sehr schwer.
48.PAT: Sofern versucht man alles nur damit die Zeit vergeht und das ist irgendwie alles so leer.
49.TH: Ja.
NDI b
281
spielt (Zustimmung zu fremden Einflüssen). Und jetzt wiederholt sich das in der Intensität. So.... ich hab’
ne Zeit lang gelernt gehabt zu laufen..und jetzt bin ich wieder mal so....
21.TH: An diesem Punkt?
22.PAT: Genau!
23.TH: Und das führt dazu, dass Sie wieder auch an dem Punkt sind, dass Sie gerne die Unterstützung in
Anspruch nehmen, aber auch merken, dass es ne’ andere, also, dass es auch so’ n Gegengewicht hat, wo
Sie merken: Er nimmt mir soviel aus der Hand, dass ich mich auch nicht mehr stark fühlen kann.
24.PAT: Genau!
25.TH: Aber es ist ja auch ne’ total wichtige Erkenntnis….oder ist es für Sie..
26.PAT: Nein, das ist sehr wichtig, das ist schon sehr wichtig!
27.TH: Also, nicht um zu sagen, man muss sich nur zusammenreißen. Das kann man in dem Fall nicht,
aber...zu...auch vielleicht zu sehen, wie..ähmm..was einem gut tut eben.
28.PAT: Hmm!
29.TH: Und in einem begrenzten Rahmen sind so Verantwortlichkeiten unterstützend und nicht kraftrau-
bend.
30.PAT: Sicher, das erleb’ ich dann in unterschiedlichen Formen. Wenn’s mir sehr schlecht geht, da bin ich
sehr, sehr froh dass es..äähh..ja, dass äh, dass die Fürsorge und Liebe und Kraft und und…und Verständ-
nis von mein Mann da ist, also in allen Lebenslagen. Aber, wie gesagt, wenn’s mir besser geht, dann
wünsch’ ich mir auch mal, ja, dass es en bisschen anders wär’.
31.TH: Ne kleine Anforderung von Außen?
32.PAT: Genau!
33.TH: Okay.
34.PAT: Ich hab’ allerdings bloß nicht, all die Jahre, nicht rausgefunden, wie ich äh..wie ich das, wie ich
mir das hole, irgendwo.
35.TH: Hmm.
36.PAT: Das hab’ ich nicht.
37.TH: Das ist vielleicht auch, ich mein’, gerade, wenn Ihre Beziehung am Anfang durch so ne Art Auftei-
lung geprägt war, dann ist es vielleicht auch, sagen wir mal, der Rahmen für Ihre Beziehung und dann ist
es schon nicht so einfach. Das ist bestimmt auch ne starke Prägung gewesen und wenn Sie in eine
ähnliche..auch zum Teil....vielleicht auch ne Hilflosigkeit spüren oder so ne Machtlosigkeit? Ich weiß nicht,
ob ich Ihnen das jetzt unterstelle?
38.PAT: Nö, nö, das ist durchaus so.
39.TH: Dann wissen Sie ja, Ihr Mann ist da und es hat sich bewährt (Vertrauen auf Schutz).
40.PAT: Ja (Familie und Partnerschaft als Kraftquelle).
41.TH: Is' ja auch ne große Kraftquelle!
42.PAT: Stimmt! Es ist nur Unterschied zu damals, damals war, ähhhm, abzusehen, dass, dass ich, dass
mir besser geht, dass es wieder mal eine gewisse Zeit, oder, dass man sagt, wenn ich viel machen würde,
Therapien oder wir haben sehr viel unternommen auch und dass, dass die Besserung sichtbar war und
irgendwann war es annehmbar, so wie es ist, mit all den negativen Aspekten, aber man hat sich damit
arrangiert (Zustimmung zu fremden Einflüssen).
43.TH: Man hatte ne Zukunftsperspektive.
44.PAT: Genau, aber jetzt ist es ganz neu, wo man keinerlei Zukunftsperspektiven hat (keine Sicherheit/
Halt).
45.TH: Ja, in ähnlicher Weise eigentlich noch mal das Thema der Kraftquellen. Das haben Sie... Ich weiß
nicht, ob Sie’s noch mal zusammenfassen wollen, was ihre Kraftquellen sind?
46.PAT: Ja, die Lebendigkeit, die Verbindung nach Außen (andere soziale Ressourcen).
47.TH: Die Lebendigkeit, die Verbindung nach Außen, genau.
48.PAT: Die Natur (Natur als Ressource).
49.TH: Die Fürsorge und Liebe ihres Mannes?
50.PAT: Tja, auf jeden Fall, auf jeden Fall!
51.TH: Und, und die innige Beziehung - es wirkt für mich sehr innig...
52.PAT: Isses auch!
53.TH: Zu ihrem Sohn.
54.TH: Noch mal zur Frage, was ihnen Sicherheit und Halt gibt? Das haben Sie jetzt eigentlich schon
mehrfach gesagt. Jetzt ist die Frage: Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen Möglichkeiten eröff-
net?
55.PAT: Erst heute, ja, also ich war letzte Mal, hatte ich einen sehr schlechten Tag. Letzte mal hatte es
sehr lange gedauert bis diese Tiefphase weg war, aber heute merke ich, dass es sehr positiv ist. Also, des
is, des is schon sehr viel da.
56.TH: Wie würden Sie die benennen, die Möglichkeiten?
57.PAT: Sich doch im Positiven zu äußern oder zumindest heute denke ich, heute geht es mir nicht so
schlecht, vom Tiefphase, vom Allgemeinen. Heute würd’ ich mal sagen..mmhh...lebendiger, als bis jetzt.
(mehr Lebendigkeit).
58.TH: Würden sie das Malen weiterführen?
59.PAT: Ja.
282
60.TH: Wie würden Sie die Bedeutung zusammenfassen, von dem was wir jetzt gearbeitet haben? Des
muss sich jetzt nicht im Einzelnen auf die Arbeitsschritte beziehen, aber was bedeutet das für sie?
61.PAT: Auf jeden Fall nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, nach positiven Möglichkeiten zu suchen;
und sei es auch nur dass man stundenweise irgendwo weg von dem ganzen schwarzen Loch ist (positive
Seiten des Umgangs entdecken, Entlastung).
62.TH: Wie kleine Fenster?
63.PAT: Genau!
64.TH: Mit Licht sozusagen?
65.PAT: Jaah.
66.TH: Ich weiß nicht. Licht haben Sie ein paar Mal thematisiert.
67.PAT: Ja, das ist auch sehr wichtig.
68.TH: Und was fanden Sie schwierig?
69.PAT: Schwierig war, das erste Mal sich selber zu finden (Schwierigkeiten bei der Durchführung der
KSKT®).
70.TH: Sich vorzustellen, wie man sowas umsetzen kann, Qualitäten in Farben?
71.PAT: Genau!
72.TH: Sie haben das ja dann doch, ham Sie sehr viel entwickelt! Ähmm, Sie haben zumindest Formen
entwickelt. Das kann man doch...offensichtlich.
73.PAT: Gut!
74.TH: Sehen Sie das als was Positives an, oder?
75.PAT: Ich sehe es als was Positives an! Ja, auf jeden Fall! (Schwierigkeiten förderlich).
76.TH: Ja, dann danke ich Ihnen!
77.
78.Die Aufnahme des Gesprächs wird abgeschlossen. Dann fängt die Patienten an, mehr zu der Interven-
tion zu erzählen. Die Therapeutin bittet sie daraufhin, das Gesagte noch einmal zu wiederholen:
79.
80.TH: Ja, ….wolln Sie’s nochmal wiederholen? lacht
81.PAT: Was ich gesagt hab’?
82.TH: Ja.
83.PAT: Ja, das ist auf jeden Fall diese Art von Arbeit, dass ich mir nicht vorstellen konnte..ähh.. dass
man auch so was, sich tiefer auchmal mal was bearbeiten kann ahhmm ohne ewige Tränen, ohne richtig
dann, das fühlt sich so auf ne echten Art (an etwas tief Gehenden zu arbeiten, ohne Tränen).
84.TH: Hmm.
85.PAT An zu arbeiten. Ich hab’ dann immer die Therapie gescheut, weil mich, weil mich das immer in tief
drin versetzt, weil mich dann noch mehr nach unten zieht und, wie gesagt, das ist immer so ne Sache,
wo ich...zieht die Luft scharf ein...wo (Alternative zu anderen Therapieformen, die belastender sind).
86.TH: Sehr belastend war?
87.PAT: Sehr belastend war! Und das, es ist nicht belastend, also…. zumindest heute, wo’s mir so gut
geht.
88.TH: Ja, gut! Das freut mich! Also, das meinte ich auch vorhin mit dem, das geht hier nicht dadrum,
dass Sie ein perfektes Kunstwerk schaffen, sondern das, was Sie gemacht haben ist ja bedeutungsvoll,
also ich nehme es auch als bedeutungsvoll wahr.
89.PAT: Ja.
90.TH: Und es hat en Bezug, zu dem was Sie brauchen und sich wünschen. Also, Sie haben's ja auch
kreiert. Es war ja jetzt, es waren ja auch ihre Ideen. Gut, dann danke ich Ihnen!
91.PAT: Ja.
92.TH: Gut, dann dank‘ ich!
NDI 2 b646
646 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
283
3.TH: Ja.
4.PAT: Da ist mehr Optimismus da.
5.TH: Ja.
6.PAT: Mehr Hoffnung, ....es ist irgendwie, es ist berechtigte Hoffnung da, sicher viele Ängste auch, aber
es hat sich, es hat sich ..hat sich schon verändert (Angst).
7.TH: Positiv entwickelt?
8.PAT: Positiv entwickelt!
9.TH: Also, Sie hatten, glaube ich, die zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, dass ähmm….Ihr Tumor opera-
bel sein würde. Jetzt gehören Sie zu den 10 %.
10.PAT: Ja, sicher, sagen die Ärzte, wie gestern, sagt der Arzt, das ist natürlich auch mal individuell, es
is`....des Patienten. Es gibt’s ja keine Richtlinien, wer krebsfrei bleibt oder nicht, bleiben wird oder nicht,
aber irgendwo hoffe ich trotzdem, dass ich dazu gehöre!
11.TH: Aber sagen wir mal so: Die Entwicklung ist eher positiv?
12.PAT: Ist sehr positiv, also so viel, ja.. ähmm..hab’ natürlich gehofft, wie auf `nen Gewinn, Lottoge-
winn. War des irgendwie auch aussichtslos…oder so, ne und jetzt (Zuversicht in Abhängigkeit von Thera-
pie und Krankheitsverlauf).
13.TH: Könnte man sagen, dass die Zukunftsperspektive mehr in Richtung Heilbarkeit..
14.PAT: Ja.
15.TH: ...gerutscht ist? Des war ja, wenn ich mich noch an unsere letzten Gespräche erinnere, da war,
ha`m sich stark mit...ähm..mit der Problematik auseinandergesetzt: Wie lang hab’ ich noch?
16.PAT: Ja, genau, genau, des war ja sehr hart. Das ist jetzt natürlich, das ist mir bewusst nach all den
Gesprächen, und dass es jetzt sehr steinige Weg ist, weil...äh...sind vorher erst zwei Operationen ge-
plant. Gestern wurde erwähnt, dass eventuell mehrmals an der Leber was gemacht werden müsste. Wie
oder was, eventuell auch Chemotherapie dazwischen. Also so..ähmm..hopplahopp, wie letzte Woche sich
das angehört hat, ist es nicht. Also, es ist noch ein langer Weg, und wie er verlaufen wird, jetzt in dem
zweiten Schritt? Also zuerst wird da jetzt der Darm und ein Leberteil gemacht, mit einem kleineren Tu-
mor. Aber der rechte Leberlappen..äh, der sehr stark befallen is’. Ist jetzt mit sehr vielen Fragen noch
offen. Weil, was, welche Methode müssen wir anwenden? Evtl. wie gesagt, vielleicht auch Chemotherapie
dazwischen, mehrmals operieren oder bestrahlen oder was auch immer. Insofern ist es ein bisschen, ja,
mehr bewusst, dass es ein langer Weg sein kann (ungewisse Zukunftsperspektiven).
17.TH: Also, einerseits ne positive Zukunftsperspektive, andererseits, wenn die Tür geö…, jetzt seit die
Tür geöffnet ist, ist auch deutlich, dass das kein..ähmm.. kein einfacher Weg sein wird?
18.PAT: Ja, genau, genau lauter aber dennoch..ähmm..dennoch, natürlich, hmm, hab’ ich großen Sorgen
und Ärzte berechtigterweise auch, und Kardiologen, wie lang’ das Herz alles..ähm…mitmacht, oder... Das
is’ jetzt noch, ja, nicht so einfach, aber dennoch, hmm, ähmm, bereit ich mich irgendwie seelisch oder
auch, bin ja bereit auch diesen Weg jetzt zu gehen, als den Weg vor sechs Monaten vor der Chemothera-
pie. Irgendwo..hustet laut und heftig.... Irgendwann hat mir einer der Ärzte gesagt, was ich lustig fand,
äh..ich sei krankenhauserprobt. Also..äh..ich soll mir nicht so viel Sorgen machen…lacht, spricht
lachend..Dann hab’ das so lächerlich gefunden. In gewisser Weise hatte er auch recht. Man hat irgend-
wie, denkt man sich: Welche Ängste hatte ich vor der Chemotherapie? Das war ja ganz schlimm! Und hat
man dann auch hinter sich..irgendwie..bis es eben hinter einem, mit allen Höhen und Tiefen, und dann
denkt man sich: Okay, das wird auch irgendwie ..peu à peu..wird das auch.
19.TH: Es geht ja um die eigene Existenz, deswegen ist des natürlich ja `ne schwierige Antwort.
20.PAT: Genau! Das is’, das is’ sehr schwierig! Natürlich hab’ ich viele, viele, viele Ängste, nach wie vor.
Aber auch sehr viel Hoffnung, und das ist die große Unterschied (ambivalente ZP)!...Pause
21.TH: Welchen Sinn hat das was Sie gerade erleben?
22.PAT: Großen Sinn, für mich, vor allem für meine Familie da zu sein, weiter zu leben(Kampf ums Le-
ben) und Sinn und große Hoffnung, dass man irgendwann, ja..zieht Luft ein..krebsfrei leben kann. Pause
23.TH: Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
24.PAT: Dass ich das einigermaßen gut übersteh’! Dass es, ja,...sicher gibt’s viele Wünsche auch, ja, a-
ber.. In erster Linie, dass es eben.…ja..gut…geht, dass..spricht leiser...es nicht so hart wird.
25.TH: Dass Ihr Herz des gut mitmacht?
26.PAT: Das auf jeden Fall, das will ich mal denken..lacht entspannt.
27.TH: Und welches ist Ihr wichtigstes Bedürfnis?
28.PAT: Ja, gesund zu werden. Das is’ Allerwichtigste!
29.TH: Das würd’ ich jetzt in den Bereich der Wünsche,..also Bedürfnis is’: Was ist im Moment für sie am
Wichtigsten? Also, was brauchen Sie am meisten?
30.PAT: Eigentlich…mh…hab’ ich sehr viel, sofern. Es ist nur ein Wunsch, das irgendwie gut zu überstehen
(seelische Stabilität).
31.TH: Was Sie brauchen, haben Sie?
32.PAT: Ähh, was ich brauch’? Ich hab’ große Unterstützung von meine Familie (Kontakt zu Freunden und
Familie). Darauf kann ich zählen und das is’ sehr, tut mir gut. Freunde, Familie, mein Mann, mein Sohn,
überhaupt die Familie.
33.TH: Also, das heißt, Ihre Bedürfnisse, die wichtigsten Bedürfnisse, die sind…äh…auch gestillt? Also die
äh…, also da sind Sie.
284
34.AT: Ja, im Moment ja! Hab’ auch....ähmm...auch guten Draht zu Ärzte langsam entwickelt. Am Anfang
hat’ ich dann viele Zweifel, viele Sorgen. Ja, es is’ alles so groß, alles so….
35.TH: Misstrauen vielleicht?
36.PAT: Ja, großes Misstrauen auch! In Zwischenzeit, hab’ dann mehr Vertrauen (Vertrauen in die Ent-
scheidungen der Ärzte). Irgendwo,..jetzt kann ich...ähm...mich einlassen, dass, was, was gemacht wird
und dann...ja.
37.TH: Haben Sie auch Vertrauen bekommen, das, dass, was die Ärzte bisher getan haben….
38.PAT: Genau!
39.TH: Sie schließlich zu diesem Punkt geführt hat?
40.PAT: Genau!
41.TH: Wo Sie jetzt mehr eine Perspektive haben?
42.PAT: Eben!
43.TH: seufzt...Wer gestaltet Ihr Leben?
44.PAT: Jaa,...im Moment...hab’ ich en Teil, wo ich noch selber noch ein bisschen gestalten kann. Das ist
begrenzt natürlich. Äh..und jetzt war das auch....einigermaßen besser als davor. Jetzt muss ich diese Ge-
staltung, natürlich jetzt mal alles...wieder mal in Händen der Ärzte und äh und Entwicklungen, jetzt nach
der Operation oder während der Operation (Fremdbestimmung medizinischer Kontext/Therapie; Fremd-
bestimmung Krankheit). Also, insofern verliere ich wieder mal diese, diese Kompetenz über die gewissen
Sachen zu bestimmen oder zu gestalten.
45.TH: Aber die Entscheidung sich operieren zu lassen, ist ja auch eine Möglichkeit des Gestaltens, oder?
War das ganz offen? Also, war des ne Empfehlung, oder....?
46.PAT: Das ist ne Empfehlung, natürlich! Äh, aber des....ähm...äh..zu gestalten, zu entscheiden, muss
ich ehrlich sagen, da, da war für mich keine Frage, dass ich sagen wollte: Nee, also die andre Alternati-
ven äh…zieh’ ich jetzt vor. Was weiß ich, Chemotherapie oder um den Tumor in Schach zu halten und...
Das,….das..war außer Frage dann, dass ich diesen Weg gehe!
47.TH: Da haben Sie sich ganz auch auf den Rat der Ärzte verlassen. Da haben Sie sich auch gerne an-
vertraut?
48.PAT: Ja! Wenn, wenn, irgendwie scheint mir des die allerbeste Alternative (Zustimmung zu fremden
Einflüssen), weil die anderen Alternativen sind auch nicht so, dass man sagt: Okay, da besteht, das ist ne
Chance des los zu werden. Insofern, ob man es jetzt los wird, es ist noch offen. Aber immerhin ist ne
Chance, wo man sagt: Okay, ich darf hoffen, oder....dass es eventuell doch, doch wird! Und mit den an-
deren Alternativen, weiß man eben, das is’ eben nur ne Frage der Zeit is’, dass es wieder los geht. Ich
hoffe, dass ich das nie mehr in meinem Leben dann erlebe, wie, wie vor sechs Monaten. Dass mir das
erspart bleibt!
49.TH: Wo liegen ihre Kraftquellen?
50.PAT: lange Pause.... Ja, in ner großen Hoffnung, gesund zu werden...ähm....(Hoffnung, gesund zu
werden).
51.TH: Was gibt Ihnen Sicherheit und Halt?
52.PAT: Die Familie! Die Familie gibt mir unendlich viel Kraft, besonders mein Mann und mein Sohn. Und
meine Eltern wissen noch nichts davon, aber...ja die...meine Schwestern, Nichten und Kindern von mein
Mann natürlich auch.
53.TH: Die wissen Bescheid?
54.PAT: Ja, das sin, das is’ große Unterstützung für mich. Nee, muss ich ehrlich sagen. Dass sie sich sehr,
sehr liebevoll um mich kümmern. Sind zwar alle sehr weit weg, aber dennoch nutzt man immer Möglich-
keit, dass man sich zusammen trifft, wie jetzt letzte Wochenende (Unternehmungen). Dass man wirklich,
dass alle über Kilometer und Kilometer fahren, dass man sich sagt: Okay, dann sehen wir uns nochmal
und...
55.TH: Bevor es richtig los geht?
56.PAT: Genau und das is’ ja...
57.TH: Gibt viel?
58.PAT: Gibt viel, es gibt sehr viel! Doch, das muss ich ehrlich sagen, das is’..., das gibt viel betont es
und auf einmal ganz laut. Und ähm..interessanterweise ähm.. war ich mit den oberen Mächten immer, da
hab’ ich immer so meine Glaube gehabt, wo man sagt: Okay, jeder hat irgendwie sein eigenes Schicksal
zu gehen und dem kann man auch nicht entgehen. Da darauf vertraue ich nach wie vor, aber hat sich
letzte Zeit auch verändert, dass ich dann,..ich bete auch (Beten/Meditieren).
59.TH: Mehr im Einklang sozusagen mit..
60.PAT: Ja! Das is irgendwo, hat sich verändert, dass es irgendwo auf einmal einen... Ja, in Zeiten, wo
nicht so zu fassen war, war alles unfassbar und auch en irgendwo, irgendwo hat’s mir auch ne Hoffnung
gegeben (Hoffnung, gesund zu werden).
61.TH: Auch mit der Perspektive, die Sie jetzt haben, durch die OPs, dass Sie sagen: Also, es gibt da
doch jemand, der seine Hand über mich hält? Kann man des so...?
62.PAT: Genau! Genau.
63.TH: Dann is’ es schon ein Teil der nächsten Frage vielleicht: Wer oder was gibt Ihnen augenblicklich
Sicherheit und Halt?
285
64.PAT: Wiederum Familie. Sicherheit und Halt, die, da fühl’ ich mich dann sicher. Besonders was mein
Mann angeht, dass er mich gut auffängt und fühl’ mich dann, fühl’ mich dann sicher (Sicherheit als Res-
source).
65.TH: Ist jetzt der Glaube dazu gekommen?
66.PAT: Is es auch, is es auch! (geistig spirituelle Ressourcen)
67.TH: Oder Vertrauen auf Schutz. Oder wie würden Sie es formulieren?
68.PAT: Ja, eher, eher!
69.TH: Oder?
70.PAT: Eher Vertrauen auf Schutz (Vertrauen auf Schutz),eher, eher.....! Aber Sicherheit is’ es noch, Ver-
trauen, Vertrauen. Aber letzte Woche war ein ganz andere Bewusstsein da. Mein Mann hatte plötzlich so
diesen Magen-Darm-Grippe. In diese Zeit, ich hatte sie auch mal ein paar Tagen. Und dann hab’ ich auf
einmal festgestellt, wie, oh…wie schwierig das jetzt war, auf einmal eine Veränderung, wenn er nicht in
allen Lebenslagen da war auf einmal! Es...
71.TH: Dass er auch mal in einer Situation war, wo er Unterstützung brauchte....?
72.PAT: Genau, da, wo dann, ich dann dran war Alltag zu gestalten oder ich zu helfen oder beziehungs-
weise da zu sein...ne gewisse Weise. Das es so...ähm..., gibt’s so`n Schub (Verantwortung übernehmen).
Ich...ähm..muss dann auf einmal. Das ist auch positiv, aber auf einmal war es auch Bewusstsein: Oh ja,
hmm, dass,...äh in der Hoffnung, dass sich das nicht wiederholt. Dass, dass er mir gesund bleibt! Und
dass er nach wie vor so fit ist und, ja...und er als große Stütze für mich da ist!
73.TH: Kann man sagen, dass...ähm...auch, dass Sie in der Situation gespürt haben, dass das ein
Gleichgewicht ist, was im Augenblick zu Ihren Gunsten funktioniert?
74.PAT: Ja.
75.TH: Aber das es auch, sagen wir mal,...ähmm...was ist, was sich verändern kann?
76.PAT: Ja, genau! Und..und...leise
77.TH: Ja?
78.PAT: Ja.
79.TH: Jetzt, äh, die Frage: Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen Möglichkeiten eröffnet? Das ist
ja jetzt schon ne Weile her, dass wir gearbeitet haben?
80.PAT: Ja, in den schwersten Stunden meines Lebens, hat mir sehr geholfen, muss ich sagen. Das war’n
die Schwierigsten. Ich hab sehr viel im Leben gemeistert...oder...viele..Schicksalsschläge auch, wie Sie
wissen, und äh vieles. Aber das war ja definitiv eine der größte Erfahrung, dunkelste Erfahrung für mich
bis jetzt. Und das hat mir in diesen dunklen Zeiten sehr geholfen, muss ich ehrlich sagen (Entlastung)
ganz leise....doch das hat sehr geholfen.
81.TH: Wie würden Sie das zusammenfassen, die Bedeutung von dem, was Sie da erfahren haben?
82.PAT: Also, ich kann das jetzt nur einmal irgend..äh..so plastisch jetzt formulieren. Ich sehe nur dann
auf einmal dann..die Farben, Hoffnung ..lauter.... Irgendwas war...auf einmal bunter (mehr Lebendigkeit).
83.TH: Also, des is jetzt auch schon ein bisschen her. Sie haben des jetzt vielleicht nicht mehr so genau
in Erinnerung, was wir gemacht haben?
84.PAT: Ach, doch, des hab’ ich, das hab’ ich wohl, des hab’ ich wohl, des hab’ ich wohl in Erinnerung!
Das war ja schon, war ja schon...wie ein Lichtlein dann auch. Ich kann mich daran auch erinnern, wo’s,
wo’s sehr geholfen hat, muss ich ehrlich sagen. Des hat Hoffnung gegeben (hat Hoffnung gegeben). Des
liegt wahrscheinlich auch zu großen Teil an Ihren Person auch. Wir wissen alle, dass da irgendwie Chemie
passen muss und das passt sehr gut meinerseits, also (positive Beziehung zur Kunsttherapeutin). Das ist
ganz toll!
85.TH: Danke! Freut mich!
86.Sehen Sie Kritikpunkte? Fanden Sie’s vielleicht auch schwierig, die Umsetzung, wenn Sie sich noch
erinnern, so an die einzelnen Fragestellungen?
87.PAT: Nein! Überhaupt nicht! Am Anfang mit der, mit der andere Therapeutin, mit den anderen Kolle-
ginnen. Am Anfang, die mich da irgendwann..ähm...besucht hat. Oder..ähmm..versucht hat zu betreuen.
Ähm,....seufzt..da, da ging’s irgendwie nicht. Das war ne ganz andere Art und..äh..das war auch voll-
kommen fehl am Platz dann setzt in einer andern dunklen Stimme ihre Rede fort. So dunkle Stunden..
und äh so nach dem Motto:"Und..ähh..was fühlen Sie jetzt?“. Mein Mann ist da jetzt ausgeflippt in dem
Moment.
88.TH: Das war jetzt auf Station?
89.PAT: Das war auf der Station 9, bevor Sie kamen.
90.TH: Auf der Station 9?
91.PAT: Auf der Station 9.
92.TH: Nicht 10?
93.PAT: Nein, ich war..äh..im Oktober und äh größte Teil November auf Station F 9.
94.TH: Aha, okay.
95.PAT: Also, da wurde Diagnose auch dann festgestellt. Und..äh..nach der Diagnose, da kam dann auch
mal ne Kollegin. Ich weiß nicht, wie sie hieß. Und des war absolut nichts für mich. Also des hat mir nicht
geholfen. Die Gespräche, die irgendwie, die haben mich noch tiefer dann nach unten gezogen (Alternative
zu anderen Therapieformen, die belastender sind). Aber das, was Sie gemacht haben, hat Farbe ins Le-
ben gebracht, hat dann irgendwo geholfen, hat’s wirklich geholfen (positive Möglichkeiten des Umgangs
entdecken).
286
96.TH: atmet tief ein..... Haben Sie das Malen für sich weitergeführt?
97.PAT: laut.. Nein, hab’ ich nicht! Ich hab noch weder weitere Therapie gemacht. Sie haben sich liebe-
voller Weise dann auch mal eingesetzt und mir dann auch Therapeuten in Augsburg zu finden und mit
denen hab’ ich dann auch telephoniert. Aber ich hatte nicht immer Bedürfnis. Die Zeiten zwischen Che-
motherapien waren sehr begrenzt, sehr kurz immer und ich wollte immer dann auch mal die Tage nutzen
auch mal, für meine Familie da zu sein im Positiven. Hat sich auch mal rausgestellt, dass ich in zweite
Woche könnte ich mit meine Familie was gestalten (Unternehmungen planen), was mir sehr gut getan
hat. Sprich, dass ich mal zwei, drei Tage nach München kam, zu meinem Sohn, was mir immer gut tut.
Und ich könnte mit meinem Mann..äh..Kleinigkeiten unternehmen und das wollte ich dann die Wochen
einfach irgendwo.....stockt...
98.TH: Was dagegensetzen vielleicht, diesen Aspekten von Krankheit?
99.PAT: Genau, genau!
100.TH: Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie Sie, wie wir so raus gefunden haben. Es ging Ihnen
sehr schlecht, das hab’ ich noch gut in Erinnerung. Und was wir als Ressource raus gefunden haben, war
eigentlich die Gesellschaft von Menschen und Ins-Gespräch-Kommen, Sich-Unterhalten, Kultur-Genießen,
all diese Dinge. Und, da könnte man ja fast sagen, dass Sie dann auch sozusagen selber noch
mal...Funkgerät der Therapeutin ertönt laut...., dass Sie das dann selber noch mal umgesetzt haben für
sich.
101.PAT: Ja, das war allerdings immer, sehr, sehr kurz, begrenzt zwischen den Chemotherapien. Weil e-
ben alle Zwei-Wochen-Turnus und eine Woche ging’s mir dann in der Regel immer schlecht und in der
zweite Woche ging’s dann besser und dann habe ich diese zwei Wochen dann versucht irgendwie, was zu
erleben, so gut es ging natürlich. War es nicht immer leicht, aber dennoch. Das, was ging, hab’ dann e-
ben auch mitgenommen (Möglichkeiten eigener Lebensgestaltung)!Und das war mir sehr wichtig! Inso-
fern wollte ich mich in zweite Woche nicht mit Krankheit konfrontieren lassen. Ich wollte des auch mal.
Ich hab’ jetzt en Weg auch für mich gefunden. Es ist jetzt...äh. Es ist jetzt auch so'ne Frage mit den Ärz-
ten, seit sie mir mitgeteilt haben, dass die Operation möglich sein wird: Wie geht das? Ich könnte mich
auch mal informieren. In Lexikon und Internet, mit allen möglichen solchen Sachen, aber ich hab’s für
mich rausgefunden: Ich wollt’s nicht! Wenn es so weit ist dann, mach’ ich, stell’ ich Fragen. Natürlich!
102.TH: Es is’ auch viel besser, also. Es is’ ein Rat, denn ich Ihnen weitergeben kann, auch aus der Erfah-
rung der letzten Jahre. Es ist nicht gut im Internet zu recherchieren. Weil, Sie haben die Sie behandeln-
den Ärzte, die Ihre besondere Situation kennen. Und es gibt eine Fülle von Informationen im Internet und
es ist gibt ein Fülle von Menschen, die auch sich entlasten, über Schreiben im Internet, Chatrooms und so
weiter.
103.PAT: Genau.
104.TH:..und es kann halt sein, wenn Sie im Internet schauen, dass Sie sich mit Vielem belasten, was für
Sie gar nicht in Frage kommt und die Ärzte, die Sie hier behandeln, die können Ihnen Auskunft geben,
was für Sie spezifisch das Richtige ist.
105.PAT: Und das hab’ ich so auch verfahren. Insofern, natürlich spuckt das in meinem Kopf: Oh Gott,
wie wird ne’ Leber operiert oder wie sind die Risiken, Chancen, Schmerzen und..und, und..sind etliche
Fragen! Aber das wollte ich nicht, bis dato, irgendwo mich kundig machen. Und wie gesagt, hab’ diesen
sogenannte Vogel-Strauss-Politik dann irgendwie betrieben und äh... Es ist mir größte Teil auch gelungen,
wenn ich mich dann, wenn Tage da waren dann Anrufe kamen, Gespräche mit den Ärzten, wo es auch
ernst oder negativ oder beunruhigend war. Das war der...äh..sehr schwere Tag. Au’ mit vielen Tränen,
Sorgen oder Schlaflosigkeit. Aber dann, dank auch meinem Mann, am nächsten Tag irgendwie, irgend-
wann, was ausgedacht, was man,...was einem dann irgendwie herausreißt aus dem Ganzen (Unterstütz-
ungsangebote). Dass man was unternimmt, sei es au’ mal stundenweise. Oder dass man Essen geht oder
dass man irgendwie, dass man dann irgendwo.... Das is’ mir größtenteils auch gelungen, dass ich ir-
gendwo mich dann zu distanzieren, mich dann irgendwie am Land zu gewinnen.
106.TH: Und dann irgendwie wieder am Leben teilzuhaben und sich nicht so stark der anderen Seite von
Krankheit zu zuwenden.
107.PAT: Genau, ja
108.TH: Ja... Gut! Frau b., dann dank’ ich Ihnen!
287
VDI c647
647 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
288
24.TH: Ja, aber manchmal ist es trotzdem wichtig, diese Wünsche zu kennen, auch wenn sie nicht unbe-
dingt realisiert werden können....Pause.. Wer gestaltet jetzt ihr Leben?
25.PAT: Natürlich im Hintergrund immer die Krankheit (Fremdbestimmung Krankheit). Aber des, das hat
was mit Angst zu tun. Also mich..bem..Im Grunde genommen gestalte ich mein Leben ja selbst! Aber,
ich, ich unterlieg’ ganz vielen Zwängen (Opfer der Fremdbestimmung). Und, oder, ja also, ich werde ja
auch gestaltet, ich wer-, ich wer- gestaltet von Angst, zum Beispiel. Angst zum Beispiel ist im Moment bei
mir, also das gestaltet mich. Ich hab’ so das Gefühl, meine Angst gestaltet mich (Bestimmung durch die
Angst). Ich kann mein Leben zwar frei gestalten, aber ich äh..ich lauf’ ja immer auf so 'nem niedrigen
Level. Also ich geh’ schon immer ziemlich gebückt und ziemlich angstvoll da dran. Also, man is’ einfach
so wahnsinnig von Angst geführt. Und, und diese Angst gestaltet mich. So würde ich’s, so würde ich es
sagen!.........zieht die Luft ein, seufzt... Ja!
26.TH: Und Ihr Leben, wer gestaltet das? Die Angst, die Krankheit und Sie?
27.PAT: Ja, das is’ halt die Frage, wer das gestaltet! Das frag’ ich mich manchmal. Und, und des..darauf
könnte man jetzt auch wieder auf die Frage kommen mit dem Sinn. Also, da gibt’ s unterschiedliche Rich-
tungen. Wenn ich einmal, also, wenn ich jetzt sag’, ich glaub’ an Gott und ich glaube daran, dass Gott
etwas führt und lenkt, dann kann’ ich akzeptieren, dass er, dass er mal...ähm..einen Akzent gibt, also
dass er auch so mal mich in Schranken weist, dass er mich führen und lenken will. Und natürlich brauch’
er ja irgendwelche Instrumente, mit denen er das tut. Dann kann ich schon verstehen, er setzt jetzt mal
hier ne Weiche oder..ne... Das würde ja dann noch Sinn machen. Aber äh..für mich..Pause... Gut, es
macht natürlich keinen Sinn mehr, wenn mich des alles mein Leben kostet, macht mir das kein Sinn. Äh,
ja, wer gestaltet mein Leben? Des is’ halt diese Frage! Wenn ich jetzt ganz weg geh’ von Gott und sol-
chen Gedanken..öhm…kann ich natürlich schon sagen: Ich gestalte jetzt mein Leben (Möglichkeit eigener
Lebensgestaltung). Ich..sonst wüsst’ ich..also entweder ich gestalte des selbst oder ich glaub’ halt an
was, dass da noch was anderes is’,...an...ne. Aber dann, egal was es is’, ob es jetzt Gott is’ oder ob es
andere... Ich, ich weiß’ nicht, was es da eben noch gibt... Könn..könnte, es könnte noch andere Sachen
geben, aber..äh.
28.TH: Vielleicht noch mal: Also, ich würd’ jetzt mal zusammenfassen, was ich verstanden hab’ und Sie
sagen mir ob das so okay ist? Also Sie sind stark beeinflusst. Die Krankheit, die steht im Vordergrund und
die löst bei Ihnen Angst aus. Aber, sozusagen, das ist’ n Filter, der ziemlich stark ist, aber trotz dieser
Einflüsse haben Sie das Gefühl, dass die Entscheidungen, die Sie treffen und die, also diese Gestaltungs-
vorgänge, sozusagen, die treffen Sie gezielt, aber unter dem Einfluss.
29.PAT: Ja! Man könnte ja auch sagen: Also, bestimmte Entscheidungen überlasse ich den Ärzten
(Fremdbestimmung medizinischer Kontext/Therapie) oder meinen Angehörigen, das mach’ ich für sie.
Aber sie sagen, das sind diese starken Einflüsse und die belasten mich auch. Aber ich mach’ mir immer
meine eigenen Gedanken und wenn ich zu dem Schluss komme, dass diese und jene Entscheidung wich-
tig ist, dann is’, bin doch ich diejenige, die die Entscheidungen trifft! Ja, Ja, auf jeden Fall!
30.TH: So kann man es zusammenfassen, gut!
31.PAT: Hmm!
32.TH: Was sind Ihre Kraftquellen?
33.PAT: Das is’ in erster Linie meine Familie (Familie/Partnerschaft als Ressource).
34.TH: Hmm..
35.PAT: Also meine Kinder, das is’ so, das is’ so ein, ein Motivations….ähm..geber. Äh, also da kann ich
unwahrscheinlich Kraft schöpfen, auch so gedanklich, wenn ich jetzt ma irgendwie und ich denk’ dann an
die Kinder. Dann gibt mir das so’n, so’n Antrieb, n’ starken Antrieb. Also, des is’ eigentlich so, des is’
schon so meine Kraftquelle. Und auch mein Mann, also, so, auch so diese ganzen n’ Zuwendungen und
auch so ne körperliche Nähe. Und das alles das is’ schon für mich...Futter sozusagen (körperliche Nähe
als Ressource).
36.TH: Seelenfutter...lacht..
37.PAT: Seelenfutter..lacht auch
38.TH: Ja, und was gibt Ihnen Halt und Sicherheit?
39.PAT: Och, eigentlich auch meine Familie (soziale/familiäre Sicherheit). Des is’ auch das, was mir en
Halt gibt und äh..gut, Sicherheit nur bedingt. Weil, sicher fühl’ ich mich ja im Moment nicht so richtig,
eben, weil ich auch Angst hab’ vor dieser Krankheit. Weil, des is’ ja keine Sicherheit. Und ich habe ja im
Moment keine Sicherheit. Es gibt ja keine Sicherheit (keine Sicherheit/Halt). Und, aber trotzdem so’ ne,
also n Stück weit ne Sicherheit oder ne Säule bin auch schon selbst, muss ich schon sagen. Diese, also,
ja, ich hab’ schon selbst. Ich glaube, dass ich selbst so eine Stärke in mir hab’ und das gibt mir dann viel-
leicht die Sicherheit auch (eigene innere Kraft als Sicherheit).
40.TH: Des hätt’ ich jetzt von Aussen gesehen auch gesagt!...lacht.. Aber, es geht jetzt vor allem um
Sie!..atmet ein….Ja, und was erwarten Sie jetzt von ner kunsttherapeutischen Begleitung. In der Situati-
on?
41.PAT: Also, dass es jetzt kunsttherapeutisch ist, des war jetzt Zufall! Nö, denk’ ich mal.., dass wir jetzt
so ähm ..aneinander geraten sind. Des hätte ja jetzt auch sein können, es vielleicht ne Kollegin, die das
nicht macht, sondern einfach nur so andere The..psychotherapeutische...
42.TH: ...Themen anspricht....
43.PAT: Genau..gut. Aber so meine Erwartung generell an so was, is’ schon mir, sss…..ahh..also, ich hatte
ja mal die Erwartung. Ich hab’ schon gesehen, Psyche und meine Erkrankung, da gibt’s ne Verknüpfung,
289
ne Verbindung und hatte dann natürlich auch den Anspruch, dass öhm... Ja, ich wollte durch die Therapie
halt das ausschalten, das heilen. All das, was sich negativ oder was mich psychisch krank macht. Und
dann hab’ ich mir natürlich auch so ne Rückkoppelung versprochen, dass ich dann natürlich auch gesund
werde: Wenn meine Psyche geheilt ist, werde ich auch...äh..äh..gesund! Da hab’ ich schon ne starke Ver-
bindung gesehen. Diesen hohen Anspruch habe ich inzwischen nicht mehr, einfach nu.... Also, im Mo-
ment, so is’ es mehr so für mich, dass ich das Gefühl hab’: Das tut mir gut (es soll gut tun)! Ich kann
mich befreien...von äh..ja, befreien von bestimmten Belastungen (Befreiung von Belastungen). Und..ja..
oder, ich kann auch...ähm..Missverständnisse aus dem Weg räumen dadurch, die mich so belasten. Das
so eher so im Moment, ..das..
44.TH: Was, Sie sich erhoffen?
45.PAT: Ja.
46.TH: Okay, gut, danke!
NDI c
1.TH: Wie sieht im Augenblick Ihre Zukunftsperspektive aus?
2.PAT:…lange Pause.. Da tue ich mich en bisschen schwer mit der Frage..ähm!
3.TH: Bisschen hatten wir das Thema ja eigentlich schon bei den Kraftquellen.
4.PAT: Hmm.
5.TH: Da geht’s ja auch ganz stark um Zukunft und Zukunftsgestaltung.
6.PAT: Lange Pause…. Ja, also es is’ sicherlich so, dass ich,..dass ich schon eigentlich frei..frei..ähm..frei
bin, in der Gestaltung, in der Planung. Ich..ich, es gibt eigentlich wenig Zwänge. Gut, meine, meine
körperliche..äh...Situation. Gut, da bin ich schon eingeengt, aber auch da sehe schon für mich Möglich-
keiten (positive Zunkunftsperspektiven).
7.TH: Wie würde Sie die benennen? Wie sieht des jetzt konkret aus?
8.PAT: Konkret sieht’s eben so aus, dass ich schon denke: Wenn ich dann mit einer..ähm..Prothese ver-
sorgt bin, dass ich dann schon weitest gehend auch wieder das..so, dass ich schon meine, meine Vorstel-
lungen vom Leben, dass ich das alles auch mit der Prothese machen kann (Zuversicht in Abhängigkeit
von Therapie/Krankheitsverlauf).
9.TH: Und..ähm..also, wenn ich Sie so während des Gestaltens verstanden hab’, is’ es auch so, dass Sie
sich auch en bisschen drauf freu'n, was sich jetzt verändert.
10.PAT: Genau, genau.
11.TH: Dass es da auch Neugierde gibt, oder wie…
12.PAT: Schon.
13.TH: ...würden Sie’s beschreiben?
14.PAT: Mmmmm, ja, d’ is schon so ne Freude auf, auf, auf andere Dinge. Einfach auch auf die Gestal-
tung, so von meinem Tagesablauf und dass ich eben, ich, ich denk’, ich wär' so die Dinge hauptsächlich
machen, die ich all die Jahre nich’ machen konnte, weil ich da eben keine Zeit hatte. Weil ich da eben an-
dere, zum Teil auch Verpflichtungen hatte, die eben so viel Zeit eingenommen haben, dass dann für mich
immer sehr wenig übrig bleibt. Und, wenn ich jetzt eben nicht mehr so voll berufstätig bin, hab’ ich ein-
fach diese Zeit dann. Und da freu' ich mich schon drauf, eben mal so so Dinge halt zu machen, mal in der
Wohnung was dekorieren, oder halt im Garten so viele, viele Sachen machen, die ich vorher nicht ge-
macht hab’ (Zeit haben).
15.TH: Also diese Aspekte von Zeit und Freiheit.
16.PAT: Ja!
17.TH: Die Sie auch benannt haben. Das sind so’n bisschen Dinge, die Sie bisher nicht hatten?
18.PAT: Hmm.
19.TH: Und die gehören zu ihrer Zukunftsperspektive!
20.PAT: Hm! Auf jeden Fall! Auf jeden Fall.
21.TH: Und dann..ähm..die Frage, wenn Sie sich erinnern: Welchen Sinn hat das für Sie im Moment! Also
jetzt nicht noch mal ganz an den Anfang zurückgehen, sondern an dem Punk,t an dem Sie jetzt sind. Was
sehen Sie für sich da als Sinn, im Moment?
22.PAT: Bezogen auf die Krankheit, oder?
23.TH: Ja, auf die Krankheit, ich mein’, des is’ der ganze Kontext der Krankheit.
24.PAT: Hmm, Hmm, hmmm.
25.TH: In dem wir uns auch begegnen, aber ähmm...
26.PAT: Also, Sinn, äh, also im Prinzip die positive Veränderung (Sinnhaftigkeit durch Veränderung der
bisherigen Einstellung), die das jetzt mit sich bringt, so ganz konkret. Das is’ natürlich schon, also, das is’
einfach... Ja, es war halt wie so’n Stoppschild (Krankheit als Stoppschild) irgendwo auch. Und...naja,
wenn’s überhaupt einen Sinn gibt, aber dann is’ es vielleicht doch so, dass jetzt alles so ne Veränderung
mit sich bringt und ich eben durch diese Veränderung halt jetzt auch Dinge machen kann, die ich wahr-
scheinlich sonst nicht gemacht hätte. Ich hätte mir niemals diese Zeit eingeräumt...ähm... Ja, ich hätt’ es
einfach nicht gemacht, wär’ nie auf die Idee gekommen, von allein, mein Leben eben anders zu gestal-
ten. Und ich bin jetzt so’n bisschen gezwungen, mein Leben anders zu gestalten, was natürlich für mich
auch viel Positives mit sich bringt.
290
27.TH: Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
28.PAT: schnalzt....Hmmm, viel Ruhe und für die nächsten Wochen eigentlich erst mal nur so ne ent-
spannte Zeit zu verbringen (Ruhe haben). Die mich auch so’n bisschen, so auch..äh..jetzt körperlich,
wirklich so’ ne Entspannung und so’ ne, ich sag’ ma so ne Gesundung (Erholung). Weil ich hab’ ja jetzt
fünf OP’s hinter mir und ich hab’ schon im Moment das Gefühl, dass ich, dass ich ausgelaugt bin körper-
lich.
29.TH: Hmm
30.PAT: Und..erst mal so wirklich so’ ne Erholung, will ich erst mal haben. Weniger Schmerztabletten
nehmen und ja..(kein Schmerz).
31.TH: Auch da freier werden von diesem ganzen medizinischen Kontext?
32.PAT: Ja!
33.TH: Welches is’ aktuell Ihr wichtigstes Bedürfnis?
34.PAT: Nach Hause! lacht
35.TH: Okay!
36.PAT: Die Klinik zu verlassen und..und erstmal nach Hause zu kommen. Äh, wobei ich auch en bisschen
Angst davor hab’, ja.. Ich war jetzt schon in so’ nem geschütztem Umfeld. Und wenn ich jetzt nach Hause
komme und..äh...ja, ich wieder so mit’m, ja, ich hab’ dann schon so’n bisschen, dass dann eben viele
Leute vor der Haustür stehen und klingeln und mich besuchen wollen und ich das vielleicht eigentlich gar
nicht so möchte und.. Da muss ich noch gucken, dass ich mich schon noch so’n bisschen vor schütze.
Eigentlich möchte’ ich eigentlich diese Ruhe haben (Ruhe haben).
37.TH: leise ..Okay. Wer gestaltet jetzt Ihr Leben?
38.PAT: Ähm... Natürlich is, is’, hab’ ich jetzt en anderes Leben durch diese Krankheit, also diese Krank-
heit gestaltet schon mein Leben, irgendwo. Aber ich muss jetzt halt schon gucken, dass ich es gestalte.
Also dass ich jetzt anfange, es zu gestalten. Es muss einfach so en Umdenken, glaub’ ich auch, stattfin-
den bei mir. So’n bisschen is’ ma ja immer noch, ich will nich sagen Opferrolle. Ich bin, man is’ ja schon
Opfer von dieser Krankheit, so’ n Stück weit geworden (Opfer der Fremdbestimmung). Und ich muss für
mich schon gucken, dass ich da raus komme. Des is’ auch ne Aufgabe, die ich hab’. Des is’ mir schon klar.
39.TH: Wo liegen Ihre Kraftquellen?
40.PAT: lacht leise... Ja, meine Kraftquellen, Kraftquellen sind schon so Freunde (andere soziale Ressour-
cen), Familie natürlich, also immer Familie. Familie ist für mich auch so’n Stück weit, n’ Stück weit be-
stimmt auch, die....die Familie mein Leben (Familie/Partnerschaft als Kraftquelle), weil ich hab’ immer
so’ne, so’n Grundharmoniebedürfnis. Und wenn das halt nicht da ist und des gibt da so’ ne Störung, dann
ähm..hängt auch alles andere dran, dann....Pause. Es hängt auch viel von der Harmonie in der Familie
ab, ob ich dann Freunde überhaupt haben möchte, äh...mit denen zusammen sein möchte.
41.TH: Also, des is’ ganz zentral!
42.PAT: Ja!
43.TH: Die Familie kommt zuerst.
44.PAT: Ja.
45.TH: Und die anderen Kraftquellen, das waren die Freunde.
46.PAT: Also die sind schon da, ne, diese Freiheit, diese Zeit, die ich jetzt habe (mehr Zeit), die is schon
da. Und das ist auch gut, dass die da sind. Das gibt mir schon auch so Kraft im Moment.
47.TH: Wer...wer oder was gibt Ihnen augenblicklich Sicherheit und Halt?
48.PAT: Ja, des is’ auch so die Familie (soziale/familiäre Sicherheit). Finanziell natürlich bin ich auch en
Stück weit abgesichert durch die, ich bekomm’ ja jetzt äh..diese Erwerbsunfähigkeitsrente, die eben jetzt
angefangen hat, nach meinem Krankengeld. Des gibt mir so ne finanzielle Sicherheit (finanzielle/materi-
elle Sicherheit), dass ich eben nicht mehr ucken muss, dass ich eben nicht berufstätig sein muss. Des is’
schon auch schön.
49.TH: Aber die fällt ja nicht mehr so üppig aus, wie...sch..wie des schon mal war.
50.PAT: Das is’ richtig, das is’ richtig! Ähm, ja, aber dadurch, dass ich eben sowieso mein Leben eben
auch anders gestalten möchte, muss man’s eben auch en bisschen dadrauf abstimmen.
51.TH: Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen Möglichkeiten eröffnet?
52.PAT: Ja, sch..schon. Also, s’ hat so gewisse Dinge dargestellt, auch für mich und ähm..Pause.. Ja, es
hat alles so, es hat alles so’n bisschen bewusst gemacht, so das Umfeld oder..
53.TH: Anschaulich?
54.PAT: Hmm! Es hat das so’n bisschen transparent gemacht, an..ja..anschaulich gemacht, kann man
auch sagen. Wie war die Frage noch mal?
55.TH: Hat die kunsttherapeutische, also Begleitung, das was Sie jetzt gemacht haben, Ihnen Möglichkei-
ten eröffnet, die Sie vorher nicht gesehen haben?
56.PAT: Sach’ ich jetzt ma’ ja! Also, muss, ja, kann man auch ganz einfach mit ja beantworten! Hat es!
Weil man durch diese Darstellung und durch das, was man... Es hat mir auch Wege aufgezeigt. Ich sach’
ma so.
57.TH: Okay. Werden Sie das Malen weiterführen?
58.PAT: Ich denke schon, kann ich mir gut vorstellen. Dass ich einfach jetzt, ich hab’ ja auch zu Hause en
Aquarellmalkasten, der aber auch jetzt jahrelang im Schrank lag. Und ich kann mir gut vorstellen, dass
ich einfach wieder anfang’ den rauszuholen und fang’ einfach an irgendwas mal zu malen. Kann ich mir
gut vorstellen und...ja.
291
59.TH: Wie würden Sie die Bedeutung dessen, was Sie gemacht haben, jetzt im Bild, zusammenfassen?
60.PAT: seufzt.... Ja, man kann, man kann vielleicht, also, es hat so mein Leben dargestellt. S’ is’ ne Ver-
anschaulichung des momentanen Lebens (Veranschaulichung des momentanen Lebens),würd’ ich sagen.
61.TH: Und welche Kritikpunkte sehen Sie? Oder was fanden Sie schwierig?
62.PAT: Also, für mich persönlich vielleicht schwierig...ähm.., weil ich so was eigentlich auch noch nie
gemacht habe. Also wenn ich gemalt habe, habe ich immer was Konkretes abgemalt, etwas ganz Konkre-
tes gemalt und des war ja hier nicht so. Ich hatte ja nur Zeichenblock, Farben und dann hab’ ich halt.
Also diese....war schwierig auch so, was Innerliches oder so’ ne Stimmung darzustellen. Gut, die Stim-
mung war vielleicht noch nicht mal so schwer, aber dem Ganzen eine Form zu geben, z. B., des fand’ ich
schwierig. Aber, des is‘ kein Kritikpunkt.
63.TH: Hmm.
64.PAT: Des....eher im Gegenteil (Schwierigkeiten förderlich), es war vielleicht zum Umdenken. Es hat
so’n Umdenken stattgefunden (Umdenken/Nachdenken hat geholfen). Und man kann es nämlich in For-
men, also, ich denke auch, man kann das und ja, hat so Möglichkeiten eröffnet(positive Möglichkeiten).
65.TH: Okay, vielen Dank!
66.Pat: Also diese therapeutische Begleitung, was ja dann eine kunsttherapeutische Begleitung war, des
..ähmm..war für mich im ganzen Klinikaufenthalt..ähmm...bereichernd. Hat dem en ganz anderen Sinn
und Rahmen gegeben (gibt Sinn und Rahmen) und war auf jeden Fall sehr wertvoll und würde ich jetzt
für mich als Glück bezeichnen, dass ich des machen konnte und erfahren durfte (Glück, diese Arbeit zu
erfahren). So, so würd’ ich das sagen. Jo, vielen Dank!
67.TH: Freut mich, danke Ihnen!
NDI 2 c648
648 Legende:
VDI d: vor der Intervention/Patientin d; NDI d: Nach der Intervention/Patientin d; NDI 2 d: nach drei Monaten/
Patientin d
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte in Sekunden; Textstellen in Klammern + ?: un-
deutliche Artikulierung
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
292
13.TH: Hmm.
14.PAT: Weil so was natürlich auch durch dieses Nichts-geändert-haben, öhm, konnte ich, habe ich mir
selbst auch keine Chance gegeben, dass ich mich wohler fühle (nicht genug für sich selbst gesorgt), dass
es mir gut geht, dass ich nich‘ so dieses, dieses seelische Leiden zum Teil hab‘, was ich eben hatte. Ich
hätte einfach besser für mich sorgen müssen!
15.TH: Hmm!
16.PAT: Was natürlich schwierig ist, aber ich hab‘ es gar nicht versucht oder in Angriff genommen und
öhmm... Man kann das so, so sehen, ja, aber...
17.TH: Sie sehen‘ s nicht immer so?
18.PAT: Nein, ich seh‘ s nicht immer so! Ähm, manchmal sehe ich es auch als, mhh, manchmal sehe ich,
denk‘ ich schon so, es is‘ einfach so der, von dem,....is’ es so ganz anders, dann denk‘ ich schon: Ja, es
war halt so das Rezidiv, die Überreste von meinem ersten Tumor und durch die Amputation hab‘ ich jetzt
die Chance, dass ich das komplett los bin.
19.TH: Hmm.
20.PAT: Und dann sehe ich des also schon so‘ n bisschen mehr in der Richtung.
21.TH: Hm! Also, es gibt so zwei Seiten, je nachdem wie‘ s Ihnen geht. Sie, ha‘ m Sie manchmal das Ge-
fühl, Sie haben etwas falsch gemacht und das ist die Quittung, ihr Rezidiv.
22.PAT: Ja, genau, genau!
23.TH: Wenn‘ s Ihnen besser geht, sagen Sie: Gut, es ist zwar die Quittung, aber jetzt bin ich auf‘ m rich-
tigen Weg (Sinnhaftigkeit durch Veränderung der bisherigen Einstellung)?
24.PAT: So, ja! Ja, ja, kann man sagen, hmm, ja.
25.TH: Ja. Dann zur nächsten Frage: Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen? Also Zukunfts-
persepktive is‘ relativ weit, kann man auch sehr weit definieren. Und was wünschen Sie sich für die
nächsten Wochen, sag‘ n wir mal die nächsten vier Wochen? Was is‘ da?
26.PAT: Da is‘ ganz wichtig und würd‘ ich mich freuen, dass ich jetzt in Reha geh‘. Was, was bei mir, mir
im Prinzip so sein kann in einem Zeitraum von ein bis, bis zwei, drei, vier Wochen. Aber das, das is‘ so
das nächste Ziel jetzt. Das is’, da freu‘ ich mich auch richtig drauf, dass es dann irgendwie weitergeht,
dass ich durch die Prothese halt wieder mobil werde (beweglicher werden).
27.TH: Hmm.
28.PAT: Und das is‘ so das nächste kleinere Ziel, was ich habe.
29.TH: Und dass Sie gut damit zurecht kommen?
30.PAT: Auf jeden Fall! Und dass ich auch wirklich gut damit zurecht komme und dass ich eben schon ein
erstes gutes Laufen hab‘. Wobei, ich weiß ja, dass da noch ne endgültige Prothese kommt, das is‘ ja nur
ne Interimsgeschichte.
31.TH: Hmm.
32.PAT: Aber des ist erst mal so das nächste Ziel, worauf ich mich auch richtig freue!
33.TH: Des is auch so‘ n bisschen vielleicht so‘ ne Art Generalprobe, ob des dann, wie Sie damit klar-
kommen. So‘ ne Übung, Vorbereitung auch auf..
34.PAT: Ja, ja, ich bin auch neugierig natürlich, ne und gespannt, wie das dann so wird, wie sich das an-
fühlt, wie das funktionieren kann und so.
35.TH: Und ob Sie dann auch so mobil sind, wie Sie sich‘ s erhoffen, weil, Sie sind ja jetzt, im Moment,
nicht so mobil, richtig?
36.PAT: Ja..leise, seufzend.... Ja, ja, das, das stimmt natürlich..öhm.. Da bin ich schon..äh..natürlich
auch gespannt, wobei ich, da, da bin ich ganz optimistisch. Also ich geh’ einfach, ich geh’ absolut davon
aus, dass das alles funktioniert, dass ich super hinterher laufen kann (Zuversicht in Abhängigkeit von
Therapie/Krankheitsverlauf)!
37.TH: Hmm!
38.PAT: Ja, da hab’ ich keine Bedenken, weil das is’ natürlich auch wieder was, wo ich weiß, dass ich da-
rauf Einfluss hab’. Das macht mir dann auch gar keine Angst, weil ich denk’, ich wer alles tun und da hab’
ich äh..so viel Selbstvertrauen und soviel Selbstsicherheit. Also, ich weiß, ich werd’, ah, ich werd’ das
schaffen! Ich kann das. Das ist nicht das Ding. Daher hab’ ich da keine Bedenken oder Ängste.
39.TH: Hmm! Gut. Ja, und die nächste Frage ist: Welches ist Ihr wichtigstes Bedürfnis? Und jetzt en biss-
chen äh..noch mal der Unterschied zwischen Wunsch, weil Wunsch, da darf auch ruhig, was reinspielen,
wo man sich nich’ so, also so sicher is’, ob man es erreicht. Bei Bedürfnis geht’s drum, also, was man
wirklich braucht, im Moment, was man im Moment am meisten braucht. Also, des sind ganz unterschied-
liche Dinge. Das hat nicht, gar nicht so viel mit Wünschen zu tun, sondern eher mit Bedürfnissen. Hab’ n
Sie so ne Vorstellung, was ich meine?
40.PAT: Ja, hmmm.....räuspert sich... Das is’ schwierig, also so ich, Wünsche und Bedürfnisse ist bei mir
so’ n bisschen vermischt, ne.
41.TH: Ja, dann sag’ n Sie’ s doch erstmal. Also, es is’ wich..was ist im Moment am wichtigsten?
42.PAT: Das größte Bedürfnis ist natürlich das, was einen am, ...oder Wünsche, was einem eben im Prin-
zip auf der Seele brennt.
43.TH: Hmm.
44.PAT: Und da gibt es schon, also im Moment is’ des so, was mich halt auch noch so’ n bisschen be-
schäftigt, ähmm.. Ja, wie soll ich das jetzt sagen? Es is’ ja so, die Weiterentwicklung oder die Entwicklung
der Kinder und..ähmm..da hatt ich bei meinem älteren Sohn, schon, da gab’ s schon so’ n bisschen Din-
293
ge, die, die mir Sorgen machen und auch immer noch machen. Und, aber wir äh...gehen das, wir spre-
chen da drüber. Er spricht auch mit mir ganz offen über, über dieses ..ja. In Anführungsstrichen, muss
man jetzt en Problem und..aber das is’ schon was, was mir aber auch sehr auf der Seele äh.. brennt, wo
ich aber selbst natürlich... 22, 23 Jahre is’ er alt. Wo ich selbst nicht so richtig, nicht mehr was tun kann.
Also man kann eigentlich nur mit..ja..hoffen und, und so’ m Hintergrund mehr, mehr gucken, dass man
das steuern kann, aber im Grunde genommen kann man da nicht viel tun. Und das wär jetzt so mein
stärkstes Bedürfnis, dass er doch irgendwie, ich sach’ s jetzt mal auch in Anführungsstrichen, die Kurve
kriegt (Entlastung von familiären Sorgen).
45.TH: Hm.
46.PAT: Ähm, so Eckpfeiler dafür hat er gesetzt, er hatte ja studiert, zwei Semester Geschichte, hat das
abgebrochen, jobbt jetzt gerade in diesem Jahr und hat aber ab August eine Ausbildungsstelle bezie-
hungsweise ein, er macht ein reales Studium in der Finanzverwaltung.
47.TH: Hmm..
48.PAT: Die Stelle hat er. Das is’ natürlich..Also er hat eigentlich alle Voraussetzungen. Er muss es halt
nur noch irgendwie leben und..und ja und hinkriegen.
49.TH: Also dann, wenn ich das richtig interpretiere, Sie korrigieren mich, is’ es so, dass Sie das Gefühl
haben..äh..was Ihre Wünsche und Perspektiven angeht, sind Sie sehr zuversichtlich. Das, was sie in der
Hand haben, das werden Sie auch umsetzen, aber was Sie im Moment am meisten belastet und wo halt
noch Unsicherheit ist, einfach weil Sie das konkret, Sie als Person nicht so genau steuern können, is’,
dass Ihr Sohn..ähm...die Kurve kriegt, wie Sie’s gerade gesagt haben.
50.PAT: Genau!
51.TH: Und des halt ähmm..., dass da ne starke Abhängigkeit auch is’. Natürlich als Mutter ist es.
52.PAT: Ja, ja.
53.TH: Das Wichtigste, dass die Kinder auch auch auf’n guten Weg kommen...
54.PAT: Ja, ja.
55.TH: Und des is’ en wichtiges Thema im Moment!
56.PAT: Genau!
57.TH: Hat jetzt mit Ihrer Erkrankung so gar nicht so viel zu tun.
58.PAT: Nein!
59.TH: Sondern eher?
60.PAT: Nein, ne, also das wär’ jetzt mein stärkstes Bedürfnis, also im Moment. Ja!
61.TH: Ja, dass es den Kindern gut geht? Dass es dem Sohn gut geht?
62.PAT: Ja, ich mein’, gut, äh..wir hab’n jetzt nur von dem gesprochen, was mir Sorgen macht, also äh..
Ich hab’ ja zwei Söhne und um meinen jüngeren Sohn mach ich mir keine Sorgen....lacht.
63.TH: Gut!
64.PAT: Ja, ähm, was soll ich sagen, der lebt sein Leben, glaub’ ich sehr gut. Also da, da gibt’s kein Grund
sich Sorgen zu machen!
65.TH: Gut. Und was..ähm..hab’n Sie - also jetzt noch mal zu der Frage: Wer gestaltet jetzt Ihr Leben?
66.PAT: Da würd’ ich schon sagen, ich (Möglichkeit eigener Lebensgestaltung).
67.TH: Ähm, und.
68.PAT: Das is’ mir schon stark bewusst! Ich, dass auch ich,...also im Prinzip hab’ auch ich schon, bin ich
diejenige, die auch ähmmm... Ich bin verantwortlich für..für viele Dinge und ähmm.. Mir is’ also schon
auch klar, dass, dass, dass ich auch unan, dass auch unan.., wenn es um Veränderungen geht, die viel-
leicht erstmal unangenehm sind, aber ich bin auch da für diesen Schritt dann sozusagen verantwortlich.
69.TH: Hmm.
70.PAT: Also,..äh..auch, dass ich eben auch so unangenehme Dinge dann angehen muss.
71.TH: Hmm.
72.PAT: Schon klar, oder dass ich eben auch bereit sein muss für Veränderungen und Mut haben muss für
Veränderungen. Veränderungen sind mir in meinem ganzen Leben sehr schwer gefallen (Mut zur Verän-
derung aufbringen)! Das muss ich so dazu sagen.
73.TH: Das könnte man dann, also den Aspekt, könnte man den noch mal in Richtung Sinn interpretie-
ren, dass Sie sagen, also, so’ ne große Veränderung hab’ ich bisher nicht in meinem Leben vollzogen, weil
ich mich eigentlich immer gegen Veränderungen gesträubt hab’ und jetzt is’ ne massive Veränderung da?
74.PAT: Oder..oder würde vielleicht anstehen! Nur das Problem is’, wenn man das in Verbindung mit mei-
ner Krankheit sieht, dann muss ich ja erst mal herausfinden: Ja, was is’ es denn, was ich ändern soll?
75.TH: Hm!
76.PAT: Wissen Sie, also, es,.. wenn man...ja..was is es? Das find’ ich jetzt sehr schwierig, so heraus zu
finden!
77.TH: Hmm, ja.. Sie haben aber vorhin schon so’n bisschen so ne Zielvorgabe gemacht, als Sie gesagt
haben, sich, für sich selber sorgen.
78.PAT: Ja.
79.TH: Darauf achten, dass es Ihnen besser geht…?
80.PAT: Hm,...also bei mir is es so: Ganz konkret, was ich mir halt vorstellen könnte, wäre im Prinzip den
Arbeitgeber zu wechseln. Also, ich bin 14 Jahre in der Firma beschäftigt und werde da ja auch wieder
arbeiten,…wenn..wenn ich wieder vollkommen gesund werde, dann werd’ ich auch da wieder arbeiten,
ganz klar! Äh, aber, des es schon en bisschen schwieriges Verhältnis war, weil, ich bin einerseits mit
294
meinem Arbeitgeber, mein, ich sag’ jetzt mal Chef und Chefin auch, auch, wir sind auch befreundet. Wir
sind, also auch privat ha’m wir, irgendwie auch was miteinander zu tun. Und dann, und ich arbeite da
auch schon seit 14 Jahren. Und das ist schon eine..eine, ja, so ne Konstellation, die auch sehr, sehr viel
Energie äh gebraucht hat. Und wo man sich doch auch mal den einen oder andere..ähm..Stelle nicht so
dieses diesen diese Luft verschafft hat oder verschaffen konnte, die man vielleicht gemacht hätte, wenn
man nicht jetzt befreundet gewesen wäre. Also, des war halt auch sehr schwer. Da bin ich schon auch am
überlegen, ob’ s vielleicht nicht doch besser ist, dass, wenn ich mir was ganz anderes suche, dass ich da
nicht wieder äh arbeite. Und das war ja auch vorgesehen, wenn ich wieder mobil bin, dass ich en
bisschen eben äh ja..so auf ner klein..kleinen Spur, aber schon en paar Stunden da zumindest äh arbeite.
Also, mir stehen die Türen immer offen. Also, ich hab’ auch des Angebot, ich kann auch nur stundenweise
kommen, soviel ich kommen möchte, so kann ich da auch kommen. Ähm, ja und da bin ich halt noch am
überlegen, ob ich das überhaupt machen soll und ob’ s das nicht is’, was ich komplett mal austauschen
muss. Des is’ schwierig herauszufinden, wo is’ jetzt meine, diese, diese Baustelle. Wo ist das, was en
Bezug hat auf meine Krankheit?
81.TH: Hm.
82.PAT: Is’ es alles, is es alles, was einen, was unangenehm is? Ich weiß es nicht.
83.TH: Aber des is’ noch offen, noch nicht geklärt, sondern da stehen einfach noch,...da gucken Sie?
84.PAT: Genau!
85.TH: Worum’s geht?
86.PAT: Genau, und ich denk auch, wenn ich dann wieder in Reha bin und auch mal en räumlichen
Abstand habe, dass ich dann…ähm..vielleicht da wieder ein Stückchen weiter bin.
87.TH: Ja, dann die nächste Frage: Wo liegen Ihre Kraftquellen?
88.PAT: Ja, die liegen schon bei meiner Familie, dann wiederum (Familie/Partnerschaft als Kraftquelle) bei
meinem Mann, bei meinem jüngeren Sohn und auch bei meinem älteren Sohn natürlich. Es is’ schon
meine..meine Familie hauptsächlich, so...also meine...meine Kraftquelle, auch mein Zuhause
(Wohnung/Haus als Ressource). Äh, ich bin schon auch sehr sehr gerne zuhause. Wir haben einen
riesengroßen Garten (Natur als Ressource) und überhaupt so. Also, das is’ schon was... Also, das is’ so’n
Raum, wo ich mich auch total wohl fühle.
89.TH: Hm, hm. Ja, was gibt Ihnen Sicherheit und Halt?
90.PAT: S’ is auch meine Familie. In erster Linie.
91.TH: Ja, ja.
92.TH: Ja, und jetzt ist die Frage, ähm...: Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen Möglichkeiten
eröffnet?
93.PAT: Ja, auf jeden Fall! Also, des sind so zwei Geschichten, also einmal das Malen. Das, äh, das find’
ich schon eine sehr, sehr gute Möglichkeit, also das, das is’ ähm..kann einen richtig weiter bringen, man
kann sich mitteilen…Pause. Das is’ so das Eine, das is’ das Malen als solches Möglichkeiten eröffnet, aber
was jetzt bei mir auch noch war, so diese, diese ganze Begleitung von Ihnen, also die Gespräche, die ja
dann auch dazu gehören oder gehörten (Gespräche/Interviews im Kontext der Intervention ). Auf jeden
Fall hat mir, hat mich, hat mir das sehr geholfen und es bringt eigentlich auch heute täglich noch weiter,
denn…lacht…, diese, diese Frage: Wer gestaltet mein Leben? Also, das fand, find ich so eine geniale
ähm...so en genialer Ansatz (Die Frage: Wer gestaltet mein Leben?). Und ich, das sag’ ich mir ganz oft,
immer wieder, vielleicht auch um mich so immer wieder so dran zu erinnern: Also hier, Du bist es, die die
Sache in die....in der Hand hat, wie der Tag verläuft, wie was heute wird und so (positive Möglichkeiten
des Umgangs entdecken)? Also dieser, dieser Satz, der, der is’ so richtig, der hat sich bei mir so’n
bisschen eingebrannt und der hilft mir sehr!
94.TH: Sie, sie sagen das auch ganz oft, also ich hab’ ähm..ich bin gerade dabei ähm.…. Also, Moment,
jetzt noch mal den einen Satz. Sie haben gesagt, die Begleitung hat Ihnen sehr geholfen. Is’ es, sind es
auch...? Wir haben ja jetzt immer diese Interviews geführt, das heißt, ich hab’ Ihnen ähm, immer sehr
ähnliche Fragen gestellt. Waren es die Interviews, die Sie auch noch mal..? Hat Ihnen das viel gebracht?
Oder noch die Gespräche zwischen, also, als Sie beim Malen waren, während der Intervention? Was
würde Sie sagen, hat Ihnen am meisten gebracht?
95.PAT: Das ist unterschiedlich, also die... Also das Eine,...also ich finde diese Interviews und die Frage:
Wer gestaltet mein Leben? Das fordert einen sehr stark auf,...ähm...dass man so eigenverantwortlich
leben soll, dass man es, im Prinzip selbst, ich sag’ jetzt mal, so selbst in der Hand hat (Ansätze
entwickelt, die man im Leben umsetzen kann).
96.TH: Hmm!
97.PAT: Das fordert einen wirklich auf und sagt: Hier, du hast es in der Hand!
98.TH: Hmmm!
99.PAT: Ähm,..das is so das Eine und diese Gespräche, da mein’ ich jetzt sehr, auch so diese, ich sag’
jetzt ma, therapeutischen Gespräche mit Ihnen über mich, über auch, über privates, über mein Leben.
Also das hat mir auch sehr viel geholfen....und auch, und auch so, ja, ein Stück weit weiter gebracht.
100.TH: Ja, das freut mich.
101.PAT: ..lacht..
102.TH: Ja, jetzt die nächste Frage: Wie würden Sie die Bedeutung der kunsttherapeutischen Begleitung
zusamenfassen?
295
103.PAT: Ja, also. Ich würde sagen, dass die kunsttherapeutische Begleitung eine große Bedeutung hat
oder haben kann für die Patienten und....
104.TH: leise Für Sie persönlich...?
105.PAT: Für mich persönlich..auch total. Es war wichtig.....ja, es war...also schon eine wichtige Säule, so
in der ganzen....Pause..... Ja, in dem: Was kommt so nach dieser OP? Also, das wenn ich mir vorstelle,
wenn ich Sie oder die kunsttherapeutische Begleitung nicht gehabt hätte,....dann hätte ich ein Problem
gehabt... Also, schon. Das hätte sich zum Problem entwickelt (hat Probleme verhindert)!
106.TH: Hmm.
107.PAT: Sie war‘n ja ziemlich gleich, so dann, nach, nach der Amputation dann auch bei....bei mir. Und
wir haben sehr früh angefangen über vieles so zu sprechen...ähm. Wenn das alles weggefallen wäre,
hätte ich wahrscheinlich schon ein Problem gehabt. Ich, für mich war das sehr wichtig, hat ne große
Bedeutung gehabt.
108.TH: Können Sie das nochmal..also. Was Sie jetzt vor allem gesagt haben, dass es sehr wichtig war.
Aber können Sie‘s nochmal ein bisschen mehr konkretisieren? Also, so, vielleicht in nem Satz oder zwei
Sätzen. Ist das möglich?
109.PAT: seufzt
110.TH: lacht und seufzt ebenfalls Schwierig, gell!
111.PAT: Ja, also, die kunsttherapeutische Begleitung halte ich für sehr wichtig und auch ähm...ja, wie
soll ich sagen...ja, erfolg....ja erfolgreich..fragend. Ich finde es sehr bedeutend für Menschen,
mit...in...ich sag‘ jetzt mal in Lebenskrisen,..ähm..weil sie dadurch die Möglichkeit haben sich
auszudrücken und das Ausgedrückte, ja, hält man ja in Bildern fest, ähmmmhmmm... Man hat aber auch
die Möglichkeit es immer wieder zu verändern (das Umdenken/Nachdenken hat geholfen). Also man hat
einfach, es vermittelt einem ja...etwas tun, etwas machen (positive Möglichkeiten des Umgangs
entdecken) sich auch so durch dieses Malen sich mitzuteilen.
112.TH: Hmmmm.
113.PAT: Die Möglichkeit, man kann sich mitteilen durch das Malen. Also deshalb finde ich, dass es eine
große Bedeutung hat.
114.TH: Hmmm....Pause....Gut. lacht...
115.PAT: lacht ebenfalls
116.TH: Ja! Ha‘m Sie vielleicht auch Kritikpunkte? Fanden Sie was schwierig, also hatten Sie vielleicht
den Eindruck: Na ja, also dieses, dieses, das mit dem, zum Beispiel, zum Beispiel in Formen. In abstrakte
Formen umzusetzen,..das ist was Fremdartiges. Das fand‘ ich eher schwierig! Aber vielleicht war ja auch
gerade diese Forderung auch was Gutes? Also, ha‘m Sie da ne Meinung dazu?
117.PAT: Ja, also, für mich natürlich, weil, ich hab ja sowas noch nie auch vorher gemacht, auch
..ah...auch ü..also des Malen, des war was ganz Neues für mich..sehr laut. Also, diese Aufforderung, im
Prinzip, ich sag‘ jetzt mal aus dem Nichts, etwas zu tun...also, dies, dieses Umsetzen in For..., also fand‘
ich schon schwierig (Schwierigkeiten bei der Durchführung der KSKT®). Ähm, aber ja, das is‘ natürlich
auch ähm..... Wie heißt das, der Weg ist das Ziel, oder so....lacht auf.... Ähm, des, des bewirkt schon
etwas. Also, so diese Gedankengänge, die werden, es wird... Es is‘ einfach en ganz anders, dieses, dieses
Denken is‘ ganz anders strukturiert.
118.TH: Hmmm...also, könnt‘ ich sagen.
119.PAT: Also, ich fand‘ des, ...s‘ is‘ keine Kritik, also ich fand‘ es jetzt nicht zu schwierig für mich, nee. S‘
ist jetzt mal halt was ganz Neues gewesen und...
120.TH: Und war das das Hilfreiche, vielleicht? Also, das genau, dass es was is‘, dass man sonst nie
denkt oder sich vorstellt, dass, dass dann hinterher vielleicht das war, was...
121.PAT: Ja, man kann sich natürlich daran festhalten. Also man kann, könnte dann versuchen mehr so
in diesen Bilder oder Formen zu denken, äh, also.. Des könnte schon, schon hilfreich sein. In dem
Moment fand‘ ich es jetzt erst mal schwer. Im Nachhinein betrachtet dann is‘ es, is‘ es wahrscheinlich
des, was positiv is‘ (Schwierigkeiten förderlich).
122.TH: Hm.
123.PAT: Und......ja.
124.TH: Ha‘m Sie dieses Bild noch vor Augen, was Sie gemalt haben,....die Formen? Die Kraftquellen.
125.PAT: Im Moment nicht.
126.TH: Hm,....s‘ war die Natur, .....leise... Ich glaube, der Glaube hat auch eine Rolle gespielt. Stimmt
des? So hab‘ ich‘s noch in Erinnerung.
127.PAT: Jaa..... gedehnt.
128.TH: Und Zeit für sich haben.
129.PAT: Genau, genau! Wahrscheinlich riesig groß...lacht auf
130.TH: lacht mit.
131.PAT: Des hat sich dadurch des ja jetzt en Vierteljahr hier zu Hause bin, dann würde das jetzt so‘n
bisschen kleiner werden, ne. Denn ich hab‘ ja jetzt wirklich viel Zeit gehabt. Aber des braucht ich halt
auch, ja..lang gedehnt.
132.TH: Ja, und jetzt noch die letzte Frage: Haben Sie das Malen weitergeführt?
133.PAT: Jain..entschieden. Also, äh, ähm,...also ganz konkret nicht!
134.TH: Hmm.
296
135.PAT: Ich hab‘ zwar immer noch gedacht, ich möchte das. Ja. es is‘ halt im Moment vielleicht
auch...schwierig. Wobei, mja, ich hätt‘ es auch machen können. Also, bis jetzt noch nicht.
136.TH: Gut.
137.PAT: Aber, das heißt nicht, dass ich, des werd‘ ich... Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich des auch
wieder tu. Jetzt muss ich aber auch sagen, ich hab‘ auch in dieser ganzen Zeit wenig gelesen.
138.TH: Hm.
139.PAT: Ich hab‘ auch immer noch so starke Medikamente genommen, also Schmerzmittel, die ich für
nachts, äh, für nachts genommen hab‘, damit ich schlafen kann, weil ich so‘n elektrisierenden
Phantomschmerz hatte und ichs eigentlich es nur mit diesen Tramal, ein sehr starkes Schmerzmittel, im
Prinzip sind das ja Opiate.. Hab‘ ich zwar auch in geringen, geringste Dosis dann zum Schluss
genommen, aber man hat dann schon tagsüber dann auch so‘n Überhang, irgendwo.
140.TH: Hm.
141.PAT: Man ist sehr gedämpft, und das hat mich in Aktivitäten auch ein bisschen gebremst.
142.TH: Ja.
143.PAT: Und, weil, ich hab‘ des oft gemerkt, erst im Nachhinein. Ich hab‘ kein Buch gelesen, obwohl ich
soviel Zeit hatte! Ich konnte mich gar nicht richtig konzentrieren auf, auf das...äh. Und ich nehm‘ s jetzt
seit zwei Wochen nicht mehr. Und da merk‘ ich erstmal, wie ich jetzt doch wieder, wie ich, irgendwo, wie
man aufblüht. Und ich denk‘ auch, dass das ein Grund, warum...man ist doch so‘n bisschen wie gehemmt
gewesen.
144.TH: Hmmm.
145.PAT: Naja..laut.
146.TH: Tja.
147.PAT: Aber, es, es is‘ sicherlich was, was ich auf jeden Fall wieder in Angriff nehme.
148.TH: Hmm. Gut, dann wären des jetzt die Fragen gewesen.
149.PAT: Ja.
150.TH: Und, äh, jetzt sag‘ ich Ihnen erstmal Danke für das Interview!
(Patientin spricht viel über ihre aktuelle Situation; ist nicht markiert, da persönliche Informationen über
ihre Befindlichkeit nach der stationären Behandlung.)
297
VDI d649
1.TH: Also die erste Frage: Wie sieht im Augenblick Ihre Zukunftsperspektive aus?
2.PAT: Hmmmm, schnell wieder gesund zu werden! Des is’ für mich des Einzige (Sicherheit, gesund zu
werden) und dass die Zeit schnell rum geht.
3.TH: Die Sie hier verbringen müssen?
4.PAT: Ja, genau richtig.
5.TH: Haben Sie ähm....die Vorstellung, dass es einen bestimmten Sinn für Sie hat?
6.PAT: Ich denk’ schon, dass mein Körper jetzt..ähm..en Strich gezogen hat und mich quasi ähm...aus’ m
Verkehr gezogen hat, für ne Weile. Damit sich da einiges bei mir ändert (Krankheit als Stoppschild). Also,
ich seh’s so!
7.TH: Ähm, und könnten Sie sagen, also konkret, also was vorher war und was, was Sie jetzt glauben,
was das ist, was sich verändert?
8.PAT: Urplötzlich ist einiges, worüber ich mir wahnsinnig den Kopf zerbrochen hab, also nächtelang nicht
schlafen konnte, weil ich nur am Nachdenken und am Grübeln war. Also, des is jetzt vollkommen unwich-
tig und des ging so urplötzlich und des is’ schon richtig phantastisch (Unzufriedenheit überwinden), find’
ich!
9.TH: Also, Sie haben das Gefühl, dass es zutiefst betont sinnvoll ist?
10.PAT: Ja!
11.TH: Und, dass des also.. Das klingt fast als würden Sie sagen: Also, danke für diesen Hinweis!
12.PAT: Äh, ja!
13.TH: Kann man das so sagen?
14.PAT: Ja, also ich weiß nicht, was passiert, wenn des jetzt nicht gewesen wäre, weiß ich nicht, wohin
ich gekommen wäre, wenn ich so weiter gemacht hätte wie bisher!
15.TH: Wie der Hamster im Rad?
16.PAT: Bitte?
17.TH: War des en bisschen wie der Hamster im Rad oder wie würden Sie's beschreiben?
18.PAT: Ja, des war’n immer wieder dieselben Abläufe, wo man versucht halt irgendwie was anders, an-
dern Weg zu gehen und is’ ma schlussendlich doch wieder in eine Sackgasse gekommen. Und es war im-
mer dasselbe. Und selber hatte ich nicht die Kraft, rein mental, da raus zu kommen. Und jetzt glaub ich,
erledigt das mein Körper für mich.
19.TH: Okay, also, des, kann man sagen, dass Sie jetzt sogar eher Vertrauen in Ihren Körper haben?
Als..also, dass Ihr Körper Sie unterstützt mit diesem Hinweis.
20.PAT: Ja.
21.TH: Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
22.PAT: Ähm, ohne Schmerz, ohne großartige Komplikationen hier durchzukommen (gute Verträglichkeit/
Erfolg der Therapie)!
23.TH: Okay. Welches ist im Augenblick Ihr wichtigstes Bedürfnis?
24.PAT: zieht Luft ein.... Mmmmmm, des is, glaub ich auch, gesund werden! Des is des Wichtigste grad.
25.TH: Ähmm, also des is, würd’ ich jetzt sagen, is mehr en Wunsch. Bedürfnis ist, was is im Moment
ganz wichtig für Sie, ganz dringend?
26.PAT: Freunde und Familie, dass die kommen! Is' ja auch nicht grad en Katzensprung, aber trotzdem
nehmen ses in Kauf hierher zukommen (Kontakt zu Freunden und Familie).
27.TH: Wo kommen Sie her?
28.PAT: Aus Landshut!
29.TH: Ah, ja, stimmt, ham Sie ja gerade gesagt!
30.PAT: Ja.
31.TH: Wer gestaltet im Moment Ihr Leben?
32.PAT: Eigentlich die Medikamente, also die Infusionen (Fremdbestimmung medizinischer Kontext/The-
rapie).
33.TH: Also dieses ans Bett gefesselt sein?
34.PAT: Ja! S’ ist schrecklich für mich!
35.TH: Die Bedingungen der Behandlung?
36.PAT: Ja.
649 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
298
37.TH: Sie sind ein Mensch, der sonst sehr viel in Bewegung ist?
38.PAT: Ja!
39.TH: Okay!..Pause... Und ähm... Also, ich hab jetzt noch drüber nachgedacht, also Sie sagen, ja, also
für Sie ist des en ganz starker Hinweis auch....
40.PAT: währenddessen......Hmmmmmmm!
41.TH: ...mit der Erkrankung!
42.PAT: Ja!
43.TH: Und Sie nehmen das als Impuls wahr?
44.PAT: Ja!
45.TH: Was zu verändern?
46.PAT: Das ganze Leben!
47.TH: Das ganze Leben zu verändern?
48.PAT: Ja!
49.TH: Also, da würde ich jetzt subjektiv sagen, da ist schon auch ein Gestaltungsimpuls von Ihnen da-
bei?
50.PAT: Kann, kann sein, dass des is’.
51.TH: Aber Sie wissen noch nicht?
52.PAT: Ja...., kann schon sein, weil der Gedanke, was zu verändern war ja immer da, also dieses rein,
rein Seelische (rein seelische Veränderung). Aber, es war nie der Antrieb und der letzte Stoß da, dass
man sagt, mach’ s auch in der Praxis!
53.TH: Okay!
54.PAT: Es is’ jetzt einfach gegeben....ganz leise ..genau!
55.TH: Wo liegen Ihre Kraftquellen?
56.PAT: In der Familie, Freunde (Familie/Partnerschaft als Kraftquelle). Wir telefonieren täglich mehrmals,
ähmm.... Von aussen, was zu hören, dass da das Leben normal weitergeht, das wünsch’ ich mir eigentlich
wirklich.
57.TH: Nicht so stark die Konzentration auf Ihre Erkrankung, sondern....?
58.PAT: Sondern einfach den Alltag.
59.TH: Den Alltag der Anderen (am Alltag der Anderen teilnehmen)?
60.PAT: Ja.
61.TH: Wer oder was gibt Ihnen augenblicklich Sicherheit und Halt?
62.Pat: Auch wieder Freunde und Familie, mei Partnerin (soziale/familiäre Sicherheit). Die guckt, dass sie
auch so oft wie möglich kommt und.
63.TH: Dass die sich aber auch nicht komplett auf Sie konzentrieren, sondern?
64.PAT: Sondern trotzdem das Leben weiterleben!
65.TH: Was erwarten Sie im Moment von ner Begleitung, ner kunsttherapeutischen Begleitung?
66.PAT: Na ja, dass der Aufenthalt hier rein seelisch für mich angenehm wird (es soll gut tun), bleibt und
dass ich ein bisschen mehr über mich selber erfahr (etwas über sich selbst erfahren).
67.TH: Okay, gut!
68.PAT: Genau.
69.TH: Dankeschön!
NDI d650
1.TH: Also, ich wiederhol die Fragen noch mal: Wie sieht im Augenblick Ihre Zukunftsperspektive aus?
2.PAT: Eigentlich gut! Ähm.., ich denke, dass ich..äh.. geheilt werden kann und dass ich dann, nach ein,
eineinhalb Jahren, zwei Jahren mein Leben so normal wieder weiterführen kann (Sicherheit wieder ge-
sund zu werden)
3.TH: Hmm.. Welchen Sinn hat das was Sie gerade erleben?
4.PAT: Ähhh.. Es heißt ja, jeder Unsinn hat seinen Sinn und ich denk mal, da wollte mein Körper sagen:
Stopp, Schluss, Aus. Jetzt ähh..bleib‘ mal bei Dir, denk‘ über Dich nach, mach‘ mal was für Dich (nicht
genug für sich selbst gesorgt).
5.TH: Hmmmm...ganz leise.
6.PAT: Genau!
650 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
299
7.TH: Und, was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
8.PAT: schnalzt... Dass es gut geht, mit möglichst wenigen Infekten, äh, dass ich bald nach Hause darf
(möglichst kurze Behandlungszeit). Ähhhhh, ja, dass ich die Chemos an sich gut übersteh' (gute Verträg-
lichkeit/Erfolg der Therapie).
9.TH: Hmmm. Welches ist Ihr wichtigstes Bedürfnis?
10.PAT: Ähmmm, ja, das Gesundwerden, nach wie vor, ja!
11.TH: Und, also so Bedürfnis noch mehr: Was brauchen Sie im Moment am meisten?
12.PAT: Meine Familie, meine Freundin, ähmm. Ja, so, des sin die wichtigsten grad, die ich brauche.
13.TH: Kontakte, kann man sagen Kontakt?
14.PAT: Kontakte, genau, jo (Kontakt zu Freunden und Familie)!
15.TH: Kontakte zu Ihrer Familie und zu Ihren Freunden. Wer gestaltet im Moment Ihr Leben?
16.PAT: Ärzte, Schwestern, Maschinen. Infusionen! Die gestalten...lachend...mein Leben momentan
(Fremdbestimmung medizinischer Kontext/Therapie).
17.TH: lacht mit... Sie auch, oder eher nicht so?
18.PAT: Ähh, eher weniger!
19.TH: Hmm! Wo liegen Ihre Kraftquellen?
20.PAT: Kraftquellen, eben in Familie, Freunde, Beziehung (Familie/Partnerschaft als Kraftquelle). Äh, in
diversen Dingen, die mir ein Stück Alltag zurückbringen, dass ich vorher schon gemacht hab‘, wie Laptop,
einfach Kontakt zur Aussenwelt halten, genau(selbst Alltägliches tun).
21.TH: Und wer oder was gibt Ihnen Sicherheit und Halt?
22.PAT: Ich mir, meine Familie, meine Freundin, genau (soziale/familiäre Sicherheit) !
23.TH: Hatten Sie den Eindruck, dass die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen Möglichkeiten eröffnet?
24.PAT: Ja, ich denk‘ schon! Einfach mal auch augenscheinlich zu sehen, was so im Kopf vorgeht. Dass es
nicht mehr so abstrakt is, n Gedanke, der abstrakt is, sondern dass man des auch mal auf Papier sieht.
25.TH: Könnten Sie des genau...also konkret beschreiben?
26.PAT: Hmm, wie jetzt zum Beispiel, als ich vorher sagte, das Verhältnis zwischen meiner Familie und
meiner Freundin is auch besser geworden (positive Möglichkeiten des Umgangs entdeckt). Des is ja, war
ja eher so'n Gedanke, der so an sich nicht wirklich greifbar war. Und als ich des jetzt auf dem Papier ge-
sehen hab‘, is es noch deutlicher geworden, für mich (Veranschaulichung des momentanen Lebens).
27.TH: Okay..leise.
28.PAT: Genau.
29.TH: Ähmm. Also, das Malen hat Ihnen klar gemacht, wo Sie stehen?
30.PAT: Jo.
31.TH: Oder Ähm, gibt es noch was anderes, was da ne Rolle gespielt hat?
32.PAT: Ähm..Wo ich stehe,...ähmm..wie auch Dinge um mich rum zueinander stehen. Also, nicht nur
speziell auf mich bezogen, sondern auch..äh..des äh..was zwischen anderen passiert, während ich hier
liege.
33.TH: Okay.
34.PAT: Genau.
35.TH: Ähm,... würden Sie das Malen weiterführen oder ist es jetzt für Sie einfach so ne Möglichkeit mal
gewesen was ganz anderes zu probieren?
36.PAT: Nee, ich hatte mir auch schon im Vorfeld, bevor ich das mit Ihnen gemacht hab, schon vorge-
nommen, äh..öfter mal den Pinsel zu schwingen.
37.TH: Hm, okay. Wie würden Sie die Bedeutung zusammenfassen, von dem, was wir gemacht haben?
38.PAT: Ähm, aufschlussreich,... ähm, ich hab‘ doch durchaus auch einiges über mich erfahren, ähm, ü-
ber Dinge, die mir wichtig sind (etwas über sich selbst erfahren).
39.TH: Hmmm.
40.PAT: Äh..ja.
41.TH: Okay. Gibt es etwas, was Sie schwierig fanden oder kritisch?
42.PAT: Gar nichts!
43.TH: Hm.
44.PAT: Also, ich fands gut erklärt von Ihnen, sehr gut rübergebracht (hilfreiche Anleitung). Ähm, kann
keine Kritik üben, an der Stelle.
45.TH: Hm! Dankeschön.
46.
47.Unterbrechung der Aufnahme: Die Patientin beginnt sich nach Abbruch der Aufnahme zu der Interven-
tion zu äußern. Die Therapeutin bittet die Patient dies im Anschluss noch einmal zu wiederholen.
48.
49.TH: Ja! lacht laut auf
50.PAT: Man ist schon so‘ n bisschen gefordert. Grad‘ wenn man sagt, man muss sich vorstellen, dass für
einen selber ne Farbe und ne Form.' Also, ich denk‘ schon, dass des für manche Leut' des schwierig is,
.ähmm..des umzumünzen: Was bin ich jetzt für ne Form? Und, äh grad‘ mit als Sie g'sagt ham: Ne Wolke
oder Spirale. Da wär ich zum Beispiel gar nicht drauf gekommen, sondern ich hab meine, mein genorm-
ten Formen, Dreieck, Viereck, Rechteck, Kreis, ja. Und unter den Vieren oder Fünfen suche ich mir halt
ne Form aus, also (Schwierigkeiten bei der Durchführung der KSKT®).
51.TH: leise... Dann passt's ja.
300
52.PAT: Ich bin nicht so, glaub‘ ich, der kreative Mensch, dass ich sag: Okay, ich wär' jetzt ne Spirale
oder so. Und des könnt durch aus sein, dass das für manche schwierig ist, sich da rein zu versetzen, aber
ansonsten.
53.TH: Sie haben spontan dann gewusst, was Sie wollten.
54.PAT: Ja.
55.TH: Gut. Danke
NDI 2 d
1.TH: Ich weiß nicht, wie Sie's möchten. Ob Sie einfach mal starten wollen, so zu erzählen oder ob ich.
Wär's Ihnen wichtig, dass ich die Fragen noch mal wiederhole?
2.PAT: Die Fragen wiederholen!
3.TH: Also, die erste is‘ so, da gehts um Ihre Zukunftsperspektive.
4.PAT: Also, Zukunftsperspektive is' jetzt, äh, seit en paar Tagen, muss ich jetzt sagen erst...ähmm:
Wann kann ich wieder arbeiten? Also, so dieser,...wann kann ich wieder in mein Job einsteigen
(Berufstätigkeit)..ähm..und wieder...äh..Geld verdienen...ähm, damit quasi,...ähm..alles, was ich mir so
leisten möchte und muss..ähm..abgedeckt is‘ (finanzielle/materielle Sicherheit).
5.TH: Hmm. Is es was Positives?
6.PAT: Ahh.
7.TH: Oder is es auch was, wo Sie denken: Oh je, jetzt muss ich schon wieder?
8.PAT: Es is‘ sowohl positiv als auch negativ (ambivalente ZP). Ich freu mich eigentlich wieder, wenn ich
wieder arbeiten kann. Andererseits weiß ich nicht, wann ich wieder arbeiten kann. Des is so'n bisschen
Unsicherheit mit dabei. Ähm, muss ich noch mal abklären auch mit den Ärzten, was die so aus Erfahrung
wissen, wann die Leute wieder einsteigen in den Job. Aber des is' momentan eigentlich....äh..en Thema,
dass mich sehr beschäftigt, muss ich sagen, joo!
9.TH: Ja, kleine Pause....das Thema Sinn, das hatten wir jetzt auch schon äh..in unseren
Gesprächen..ähm... Wie sieht es im Moment für Sie aus? Der Sinn dessen, was sie gerade erleben, mit
der Erkrankung?
10.PAT: Des is nach wie vor so, dass ich..äh..versuch‘ bewusster zu leben (bewusster leben).
11.TH: Hmm.
12.PAT: Also, nicht alles als selbstverständlich hinnehmen und nebenbei laufen lassen, sondern bewusst
auch auf Kleinigkeiten aufpassen, wie zum Beispiel das Zuhause-Sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich das
mal so zu schätzen weiß, dass ich meine Wohnungstür aufsperr‘ zum Beispiel (Kleinigkeiten schätzen).
Also, des sind wirklich so Kleinigkeiten. Oder meine Kaffeemaschine, meine...betont...Kaffeemaschine
einzuschalten oder auch mal abzuspülen bei mir. Des war ja vorher immer ein Graus, aber jetzt, wenn ich
zu Hause bin, mach ich's gern, weil des gibt mir so‘ n Gefühl: Jetzt bin ich wirklich zu Hause.
13.TH: leise...Und da. In Ihrem vertrauten Umfeld auch? Ist das das Wichtige?
14.PAT: Ja. Also, ich verbring‘ auch wahnsinnig viel Zeit mit meiner Familie und eben mit der Alex auch.
Dann sitz‘ mer alle zusammen...äh..bei meiner Mama im Garten und so. Und des is, also nix Schöneres
gibt‘ s. Des hätt' ich mir vor n'em Jahr, hätt' ich mir gedacht: Was soll ich den bei meiner Mama Kaffee-
trinken? Da geh ich schon mal hin, aber...ähm..jetzt hab'n wir fast jeden Tag miteinander verbracht, wo
ich zu Hause war. Und des tut schon gut.
15.TH: Also, es wird alles so kostbar auch, was vorher nicht so kostbar war?
16.PAT: Ja!
17.TH: Und, des verändert, hat des auch die Qualitäten der Beziehungen verändert?
18.PAT: Ich find schon, ja!
19.TH: Hm.
20.PAT: Also, ich se' jetzt manches, was meine Mama für mich macht zum Beispiel,...ähm...als Kind
denkt man sich: Gut, des is‘ meine Mama, die muss des machen! Des is' ja die Mama. Aber ich sehs jetzt
nicht mehr als so selbstverständlich an. Ich hab‘ mich auch in den zweieinhalb Wochen, die ich jetzt zu
Hause war, 500 Mal bedankt bei ihr für das, was sie alles tut (andere mehr schätzen).
21.TH: Hm.
22.PAT: Ond jetzt, hab ich jetzt schon mehr zu schätzen gelernt.
23.TH: Hm.
24.PAT: Ja... leise, zieht tief Luft ein, Pause.
25.TH: Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
26.PAT: Ich wünsch‘, mir dass die Zeit ganz schnell umgeht...lachend, dass ich bald wieder zu Hause bin
(möglichst kurze Behandlungszeit).
27.TH: Also, dass der Aufenthalt hier.
28.PAT: Genau.
29.TH: In der Klinik so kurz wie möglich ist!
30.PAT: Also, Klinikaufenthalt is', wenn ich jetzt so dran denk: Ohhhh, des is wie, ich vergleich's immer so
gern, im Arbeitsleben noch stehen, wenn man sich Urlaub genommen hat und dann hat man, sagt man:
Okay, oh in vier Wochen hab‘ ich dann drei Wochen Urlaub. Da vergeht ja die Zeit auch nicht.
31.TH: Hmm.
301
32.PAT: Dies vier Wochen ziehen sich ewig. Genau so ist des jetzt.
33.TH: Hm.
34.PAT: Ich rechne jetzt so äh mit..ähhh..Mitte, Ende August, wo ich dann wieder fest zu Hause bin. Und
die Zeit soll jetzt total schnell vergehen. Das ist momentan mein Wunsch..lachend.
35.TH: Oh jaa. Und was brauchen Sie im Moment am meisten?
36.PAT: Ähhm.
37.TH: Das Bedürfnis?
38.PAT: Das Bedürfnis is‘ äh... ähmmm....die Zeit zu überbrücken, mit irgendwelchen Büchern, Zeitschrif-
ten, Besuch ähm...Dinge, die, die Zeit mir so kurz wie möglich machen.
39.TH: Mmhh. Und da hab'n Sie ja jetzt wahrscheinlich auch schon Strategien entwickelt, oder?
40.PAT: Ja, bin schon am koordinieren, wen ich wann kommen lasse, damit ich dann auch noch ein, zwei
Tage für mich hab‘, klar. Aber ansonsten bin ich da schon am Koordinieren, wie ich mein Tagesablauf so
hinkrieg', dass der Tag möglichst kurz ist.
41.TH: Hmm. Also, da wär's ja eigentlich auch so, dass Wunsch und Bedürfnis sich decken?!
42.PAT: Genau! Jo!
43.TH: Wer gestaltet im Moment Ihr Leben? Das ist ja so'n bisschen die Frage, die auch immer wieder
kam?
44.PAT: Ähm, also, wenn ich mich richtig erinnere, war's ja zuerst mal nur die Krankheit (Fremdbestim-
mung Krankheit), die's am Anfang bestimmt hat. Aber mittlerweile bins schon selber wieder ich. Ich ent-
scheid‘ wann, wo ich hingeh‘. Ich lass‘ mich,..Krankheit spielt bei mir jetzt überhaupt gar keine Rolle
mehr.
45.TH: Hm.
46.PAT: Also, ich bin zwar hier, weil ich muss, aber...ähm...dass des jetzt Hauptbestandteil von meinem
Denken ist, is es nich.
47.TH: Hm.
48.PAT: Ähm, jo, eigentlich ich selber bestimm‘ mein Leben (Möglichkeit eigener Lebensgestaltung).
49.TH: Also, die Einflussmöglichkeiten sind größer geworden? Kann man das so sagen?
50.PAT: Ja! Ja!
51.TH: Und, wie ist das für Sie?
52.PAT: Spitze! lachend
53.TH: lacht ebenfalls
54.PAT: Ich find‘ s zum Beispiel schon mal klasse, weil wir ja diese Bewässerung ham, ham Se jetzt nicht
verordnet. Das heißt ich häng nicht den ganzen Tag an, am einem Infusionsständer zum Beispiel. Da
äh..schau ich lieber, dass ich drei Flaschen Wasser äh..am Tag selber trinken kann, bevor ich dann wieder
eben so gebunden bin an, an dieses Bett (Verantwortung übernehmen im Kontext der Behandlung). Das
is‘ a...
55.TH: So Kleinigkeiten entscheiden, dann sozusagen dieses Gefühl, es selber in der Hand zu haben?
56.PAT: Und wenn ich sag,..ich bin ja normalerweise keine großartige Trinkerin, ja. Aber da sag‘ ich mir:
Da beißt dir jetzt mal die Backen zusammen und da trinkst jetzt mal deine drei Flaschen, weil du hast es
in der Hand. Wenn‘ ste nichts trinkst, musst du wieder liegen bis die Flasche durch is' und so (Zustim-
mung zu fremden Einflüssen). Und des will ich halt nich'.
57.TH: Aber, das ist auch Ihre Bereitschaft!
58.PAT: Jo!
59.TH: Ich mein, es funktioniert nur, wenn Sie auch die Bereitschaft haben zu sagen: Okay, ich verstehe!
Ich muss dafür sorgen, dass genügend Flüssigkeit rein kommt. Ich übernehm‘ Verantwortung.
60.PAT: Hm! Hm!
61.TH: Und dadurch hab‘ ich mehr Freiräume. Wo liegen Ihre Kraftquellen?
62.PAT: Die Aufenthalte zu Hause (Wohnung/Haus als Ressource)
63.TH: Hm, die Familie.
64.PAT: Genau.
65.TH: Die Beziehung.
66.PAT: Is' einfach so. Jede freie Minute, wenn ich zu Hause bin. Ich glaub, ich war keinen einzigen Tag,
wo, wo ich wirklich mal allein war. Ähm...und des tut schon wahnsinnig gut (Familie/Partnerschaft als
Kraftquelle)!
67.TH: Was gibt Ihnen Sicherheit und Halt?
68.PAT: Familie (soziale/familiäre Sicherheit).
69.TH: Dasselbe, oder?
70.PAT: Genau.
71.TH: Hab‘ ich auch so verstanden, hmm....kleine Pause.... Ja, jetzt Fragen zur kurzen strukturierten
Kunsttherapie: Haben Sie den Eindruck, dass Ihnen das Möglichkeiten eröffnet hat?
72.PAT: Mmmh, Möglichkeiten insofern, dass ich en neues Bild oder en anderes Bild von mir selber krieg‘.
Also, grad‘ des, was wir hier gezeichnet haben, mit, mit diesem Schut...Schutzraum. Des war zwar schon
scheinbar in..in mir. Der Gedanke, die Theorie, aber in der Praxis, bzw. jetzt mal Schwarz-auf-Weiß des
zu sehen, ähm...is schon noch mal was anderes. Und jetzt is‘ auch, find‘ ich dieser Gedanke, an den mer
ganz oft immer hin nagt, der is raus aus'm Kopf. Wie wenn mer seine Gedanken aufschreibt. Die sin‘ ja
dann auch raus aus'm Kopf und da muss ma nicht Wochen und Monate da über Dinge nachdenken, die‘s
302
dann oft schlussendlich eigentlich manchmal gar nicht wert sind. Und so sieht man's eigentlich dann mal
(Veränderung des Selbstbildes).
73.TH: Hmm, ähm..leise.. genau. Ich stell Ihnen nachher noch ne Frage, dazu, so inhaltlich. Ähm,..aber
ich würd‘ gern‘ noch mal so: Wie würden Sie die Bedeutung der Begleitung, der kunsttherapeutischen
zusammenfassen?
74.PAT: zieht tief Luft ein... Mhh, also ich denk, es is' nicht schlecht, grad für Patienten auch, die sehr arg
durchhängen, grad nach Diagnosestellung. Ähm,...und, wenn jemand von Haus aus relativ kreativ ist,
denk ich mal, ist das schon ne tolle Sache.
75.TH: Sie dürfen äh..ruhig subjektiv antworten...also
76.PAT: Ne, es is ja auch, ähm, ähm... Ja, eben, wer krea....., wer malen kann. Also, ich persönlich bin
nicht so, so, ich bin eher einfach gestrickt, was des angeht. Ich hab‘ nicht so viele Ideen oder was. Also,
für mich war‘s eher ein bisschen..ähm...wie sagt man...teilweise anstrengend, weil ich ja nicht wußte,
was genau muss ich jetzt zeichnen und wie bring ich's dann auf‘s Papier, den Gedanken, den ich jetzt
(Schwierigkeiten bei der Durchführung der KSKT®). Und des mag für diejenigen, die da wirklich Interesse
dran haben, richtig gut sein.
77.TH: Hm. Und wenn Sies jetzt... Sie müssen jetzt gar nicht so überlegen: Für wenn wär‘s jetzt gut?
78.PAT: Hm.
79.TH: Sondern Sie können ja auch sagen: Was ist jetzt die Bedeutung für mich? Also, wenn ich jetzt
sage: Die Bedeutung dieser Begleitung würde ich...also, es gibt so'n paar Worte, die mir dazu einfallen.
80.PAT: Naja! Also ich für mich hab festgestellt, dass ich nicht kreativ bin, dass Malen oder Zeichnen, je
nach dem, nicht so meins is. Das hab‘ ich scheinbar nicht von meinem Vater geerbt. Ich hab zwar zu
Hause auch schon so‘ n bisschen probiert, aber... Ja, das sind so...abstrakte Kunst, könnte man's nennen.
Ähm, die Geschichte mit dem Schutzräumen, die fand‘ ich für mich klasse (Schutzraum umsetzen war
klasse). Weil, so hat ich's, wie gesagt, mal Schwarz-auf-Weiß, was in meinem Kopf schon mal war und ich
kann's jetzt auch ja..besser einordnen (positive Möglichkeiten des Umgangs entdecken) und auch eigent-
lich mal besser danach leben. Wenn ich jetzt sieh, diese Pünktchen da, was Weiches brauch ich in mei-
nem Schutzraum, um mich wohl zu fühlen. Ähm, dann kann ich jetzt viel besser, weil‘ s jetzt konkreter is
für mich, viel besser danach leben (Ansätze entwickelt, die man im Leben umsetzen kann).
81.TH: Hm.
82.PAT: Ja, okay.
83.TH: Gibt‘ s was, was Sie kritisch fanden oder was Sie schwierig fanden?
84.PAT: Also, schwierig an sich, wenn Sie mir die freie Wahl gelassen hätten, was gezeichnet oder gemalt
wird. Wie g'sagt, kreativ = 0. Da fand ich's schon immer gleich angenehmer, wenn Sie ein Thema vorge-
geben haben, mit dem wir dann gearbeitet haben (strukturierte Intervention=hilfreiche Anleitung).
85.TH: Also, die konkreten Vorgaben von dieser Art von Begleitung, von der kurzen strukturierten, wo‘s
dann irgendwie klar war: Jetzt geht's um das, jetzt geht's um das! Das fanden Sie entlastend?.
86.PAT: Ja!
87.TH: Hm. Okay, jetzt hab‘ ich noch eine Frage. Bei Ihnen war's ja so, wenn Sie sich erinnern: Sie haben
ja das, also dieses Bild für Sie selber..ähm..gemacht und dann ging's um Ihre Kraftquellen, das ha‘m Sie
gelegt. Und bei Ihnen war des ja identisch.
88.PAT: Hm!
89.TH: Der Wunsch, also, wo diese Kraftquellen sein sollen und ähm...die Realität.
90.PAT: Ja.
91.TH: War des noch mal, hat das noch mal ne Rolle gespielt? Dass Ihnen das klar wurde, dass Sie die
Kraftquellen da haben, wo Sie sie brauchen?
92.PAT: Mmmmh, längere Pause.... Also, ich hab‘ jetzt noch mal bei meinem Heimatbesuch bewusst auf-
gepasst drauf und öhmm....hab‘ schon gemerkt, dass ich da richtig gelegen bin, eben mit diesen Kraft-
quellen, ja (Veranschaulichung des momentanen Lebens).
93.TH: Also, des is‘ einfach identisch?
94.PAT: Ja.
95.TH: Hmm. Gut. Ja, das war's eigentlich. Ich weiß nicht, ob Sie sonst noch mal einen Kommentar ge-
ben wollen, was dazu sagen wollen?
96.PAT: Eigentlich nich‘.
97.TH: Aber, wenn ich Sie richtig verstanden hab, Kunsttherapie an sich, wo die Themen frei gestellt sind,
das wär' was, was Sie nicht in Anspruch nehmen würden?
98.PAT: Nee.
99.TH: Hm.
100.PAT: Weil für mich als Unkreativen, oder was des angeht, zumindest auf diesem Gebiet für Menschen
schon relativ schwierig ist, ein Thema zu finden. Also, wenn ich jetzt vor nem leeren Blatt sitz und dann
heißt's: Mal mal, mach mal! Ja, dann sitz ich erst mal da und dann kommt wahrscheinlich nichts Besseres
raus wie ein Strichmännchen..ähm..., genau.
101.TH: Okay.
102.PAT: Jo.
103.TH: Vielen Dank!
104.PAT: Gerne!
303
VDI e
1.PAT: (auf die Frage: Wie sieht Ihre Zukunftsperspektive aus):...an diesem Punkt angekommen bin und
auch jetzt ein bisschen schon da auch ein Fundament für mich schaffen konnte, fühl mich schon auch
gestärkt und stark, hab‘ natürlich auch Angst (Angst),...hat Tränen in den Augen...vor das, was da
kommt. Und ich glaub‘ auch, das ist auch normal, weil da was ungewiss ist. Ich weiß auch nicht, wie man
das verträgt, wie man damit umgeht, wie man dann doch im Endeffekt damit umgeht. Ja, man nimmt
sich vieles vor und denkt, da muss jetzt auch was passieren. Aber die Theorie und die Praxis ist einfach
auch ne große differierende Geschichte (ungewisse ZP). Ja, und da glaub‘ ich schon, brauch‘ ich auch
dann Unterstützung in dem Moment, wenn ich wieder merke, na ja, das is aber dann doch nicht so, wie
man sich denkt. Und ich will mit Ruhe dran gehen, auch, ich will jetzt irgendwie so gar nicht mich belas-
ten, mit Dingen und denken, was ist denn und denn und denn. Möchte es mal so eins nach dem anderen
machen.
2.TH: Hmm.
3.PAT: Und zwar auch so aufbauend und, und auch richtig, glaub‘ ich.. Ich glaub‘, wenn ich jetzt sage, ah,
das muss ich so und das will ich so, ... Ich glaub‘ das Eine, wenn das Eine abgeschlossen ist, dann öffnet
da sich wieder ne neue Tür für mich, wo ich reingucken kann. Und wenn ich das sehe, was da ist, dann
kann ich das angehen und, ja, so wär' es mir eigentlich am liebsten. Und so is' es, glaub‘ ich, am gesün-
desten, ja. Des, des so hinzunehmen. Aber, ob ich des so hinkriege, wie ich das hinkriege, des weiß ich
nich. Des weiß ich überhaupt nich (ungewisse ZP), aber so stell ich‘ s mir in etwa vor, äh, dass ich des
auch wirklich...unverständliches Wort. Ich war auch sehr nervös in letzten Zeiten und ich hatte auch ein-
fach viel zu tun, viel am Hals und ......Lärm im Zimmer; die Therapeutin steht auf und zieht den Vorhang
vor, um die Gesprächssituation etwas abzuschirmen
4.TH: Ich zieh mal den Vorhang vor, ja.
5.PAT: Ahhhh,....dass ich mir für mich selber mehr Ruhe wünsche und auch mehr Zeit habe, für mich
mehr Zeit habe (Zeit haben), da auch primär jetzt an mich zu denken. Und ich glaub‘, das ist nicht ein-
fach mit ´ner Selbstständigkeit und mit `nem kleinen Kind und mit keinem Familienmitglied, sprich Oma
oder Tante.
6.TH: Ist niemand in der Nähe, der Sie unterstützen könnte?
7.PAT: Freunde halt schon. Und, wie gesagt des Angebot, was sich aufgetan hat, des war jetzt wirklich
toll. Das hat mir auch sehr gut getan. Und ich hab‘ schon gesagt, ich werd auf Euch alle zurückgreifen.
Ich werd‘ s tun, ich werd's wirklich tun, weil es ist auch en schönes Gefühl, ja,...beginnt zu weinen....was
sich da breit macht. Da hör‘ ich jetzt drauf!
8.TH: Hmm, hmm. Also, wenn ich Sie richtig verstehe, dann war viel Druck da. Also bevor, bevor Sie
wussten, dass Sie ne Erkrankung haben..
9.PAT: Ja!
10.TH: Und jetzt ist es noch deutlicher und Sie wollen sozusagen dem Druck was entgegensetzen?
11.PAT: Hmm!
12.TH: Und des ...ähm..
13.PAT: Den Druck irgendwann gar nicht mehr haben (Hoffnung auf Verbesserung)!
14.TH: Hmmmmm!..Und kann man sagen....
15.PAT: ..andere Leit....also ganz anderen Faden würd‘ ich da....wünsch ich mir für die Zukunft auch, ne..
16.TH: Und das ist eigentlich auch ne sehr persönliche Zukunftsperspektive, nicht nur in Bezug auf die
Krankheit, hab ich das richtig verstanden?
17.PAT: Hmm, hmm, hmm!
18.TH: Sie ha‘m‘s ja schon ein bisschen angefangen(zu erzählen), bevor ich das Aufnahmegerät...äh..
angemacht hab‘: Welchen Sinn hat das was Sie gerade erleben?
19.PAT: Es hat en Sinn, es hat mir was zu sagen! Es is' was, was mir sagen will. So geht's nimmer, so
geht's gar nicht mehr. Und ja, da wird jetzt einfach ein Riegel vorgeschoben, ja. Der is‘ schlimm, der is‘en
Schlag, des is echt en wahnsinniger Schlag (Krankheit als Stoppschild). Nicht nur für mich, auch für mei-
ne Freunde, für meine Familie, für meinen Mann, ja...kämpft mit den Tränen... Der is auch, aber ich weiß,
was mir des zu sagen hat!! Irgendwo, ich wußt' es eigentlich schon an dem Tag, wo ich mich belesen ha-
be, über... Da mußt ich noch sechs Tage auf meinen Befund warten..und ich hab,....flüstert, weint... Ich
wusst' es eigentlich. Ich konnte da drei und drei zusammenzählen und jetzt medizinisch, ich sag jetzt mal
auch... Mei, ich hab‘, ich bin sicherlich da jetzt vielleicht ein bisschen mehr belesen oder...interessiert
mich ja vielleicht auch ein bisschen mehr für, wie vielleicht manch andere, die sagen, ich hab Angst vor
Ärzten, weiß ich jetzt nicht, sag ich jetzt mal, und ich, mir...sehr, sehr leise....war's klar, wirklich.
20.TH: Also und... Pat. unterbricht Th.
21.PAT: Also, da war mit 20 % immer noch so die Hoffnung und, na ja, vielleicht kriegst jetzt en Anruf, es
ist nichts, aber hier....sehr, sehr leise...drin wusst ich das! Es is‘ so, ich hab auch, denk ich mal, en ganz
gutes Körperbewusstsein. Und das hat mich die 6 Tage, das hat mich so fertig gemacht. Ich hab‘ mich
dann natürlich in meine Arbeit, und hab‘ versucht auch alles weiterhin normal zu machen. In den sechs
304
Tagen auch, wo der Anruf kam, ich wusst', ich weiß gar nicht, wie ich hierher gekommen bin, ne. Weil, da
war's mir ja schon klar, schon zu 99,9 % sicher, dass ich auch was, was, was....
22.TH: Was Ernstes, eine ernste Erkrankung?
23.PAT: Dass es eben ein Befund ist! Und, da gab's jetzt nicht mehr so viel zum Aussuchen.
24.TH: Und wenn das jetzt so, ein bisschen, also zusammen fassen können. Was ist der Sinn, für Sie?
Also Sie sagen, das war für Sie total sinnvoll. Also Sie sehen da drin ..ähm... Sie hatten auch en Gespür
dafür, dass Sie krank sind? Aber, wenn Sie‘ s jetzt.....ist das Ihr Kleiner (eine Photographie auf dem
Nachttisch)?
25.PAT: Hmmm! sehr laut.
26.TH: Wie würden Sie den so in einen Satz, können Sie den in n'en Satz kleiden, den Sinn?
27.PAT: Ja, den Sinn, das ist die Veränderung, die Veränderung nach...Gedankenpause...ja, nach Positivi-
tät, danach, keinen Druck zu haben, mehr geniessen, bewusster zu leben und..ähmm..harmonischer
auch irgendwo (bewusster leben). So, durch diesen Druck, das is auch so'n Kreislauf. In dem den man
dann drin ist, ja! Also, es ist nicht so, dass ich das nicht erkannt habe. In den letzten, im letzten Jahr
vielleicht noch schlimmer. Das ist nicht so, dass ich das nicht erkannt habe, nur....flüstert...man kommt
da nicht raus.
28.TH: Hmm, hmmm.
29.PAT: Das ist ein Kreislauf....und man kann da nicht sagen, so jetzt ist Schluss und so stop, weil....da
gerade dann auch so viel dran, naja... weil, die Existenz, das Kind. Ich bin auch so selber so'n Perfektio-
nist, auch, ja.
30.TH: Was machen Sie denn dann?
31.PAT: Des is‘ en Schuhladen, Damenschuhladen. Aber sind auch sehr ausgewählte, sehr individuell e-
ben. Wir haben eben ganz toll was geleistet. Des is' auch so ne Sache gewesen, dass ich da auch nie ge-
sagt habe: Mensch, du bist mal stolz da drauf.
32.TH: Musste immer noch besser werden?
33.PAT: Ich hab‘ immer gedacht ..wird immer leiser, flüstert ..des muss noch besser werden. Man sagt ja
so nach drei Jahren, da pffftt...das braucht eben auch ne Zeit. So was muss ja auch wachsen. Wir haben
ja auch ne ganz tolle Position und es ist einfach auch total schön und jeder, der da reinkommt sagt: Wow,
toll und ..weint. Das ist dann auch schon so selbstständig geworden. Das hat sich alles so verselbststän-
digt. Man hört es denn auch jeden Tag und dann denkt man immer: Wow, das muss noch besser werden
und setzt so alles dran und es ist irgendwie auch utopisch, irgendwo, ja! Wenn man so sagt, ...
34.TH: Ist es in der Stadtmitte auch?
35.PAT: In Haidhausen, am Wiener Platz.
36.TH: Hmm.
37.PAT: Sehr schöne Gegend, da hat sich auch wahnsinnig viel getan. Da sind wirklich tolle Geschäfte,
tolle Kaffees auch und `ne schöne Stimmung,..tolle Nachbarn und es is wirklich sehr schön. Ich fühl mich
wirklich sehr wohl. Da wohnen wir auch und.. Wirklich schön, also..ähmm... Ja, man kann sich eigentlich
nichts Besseres wünschen, eigentlich.. Ja, und denn, meine Schwester hat mir schon gesagt: Mensch,
geniess‘ das doch mal! Sei doch mal stolz auf euch! Oder sei doch mal, sag doch mal: Mensch, wir ham
so viel geschafft! Und natürlich auch finanziellen Druck. Dass man sagt, was man da alles leistet in den
Jahren, steuerlich! Des ist...ähmm..des ist einfach en Wahnsinn. In ner schlimmen Wirtschaftslage, da, so
was zu machen, ja....zieht Luft ein...hat sich bewährt. Das ist super erfolgreich. Ja, aber es ist auch, dass
man abends ins Bett geht und...
38.TH: ...weiß, was man getan hat?
39.PAT: Das sowieso und dass man auch vieles mitnimmt.
40.TH: Hmm.
41.PAT: Ja, also, was man getan hat sowieso. Das ist auch okay für mich. Also ich bin auch sicherlich en
Mensch, der gerne und viel arbeitet und des ist auch alles okay. Aber man muss, wenn man dann an sei-
ne Grenzen geht auch mal einen Ausgleich haben, durch Sport oder durch Urlaub. Wir haben nicht wirk-
lich nen Urlaub richtig gemacht (eigene Grenzen beachten). Es war dann so, dass mein Mann...
42.TH: Die letzten drei Jahre, oder?
43.PAT: Vier Jahre eigentlich! Also, seitdem der Kleine auf der Welt ist. Mein Mann kommt aus Italien und
dann ham wir halt die Familie immer weit weg und die ha‘ m wir dann maximal zweimal im Jahr gesehen,
wenn überhaupt oder einmal eben. Und da is' einer von uns immer vorab geflogen mit Kind. Des war ich
meistens, so zehn Tage. Dann is' mein Mann gekommen und bin ich in zwei Tagen dann wieder zurück ins
Geschäft. Dann is' er halt noch sehr lange mit ihm geblieben. Das war halt ne sehr schöne Zeit dann auch
für die, ne! Mit Familie und Freunde da zu verbringen, am Meer und..äh..mit Grosseltern und ähmm... Es
war immer, es war so nie ähmm..ne Hektik drin. Meist ist der Kleine auch noch krank geworden. In den
ersten Tagen. Das war letztes Jahr zum Beispiel so. Ich war vier Tage da und für mich war das nie so‘n
Urlaub, so dass man sagt: Ach, jetzt ist man da, jetzt lässt man alles abfallen. Da war halt Familie und in
Italien ist es halt auch von der Mentalität und von der Kultur halt, da wird dann mittags mit zehn Leuten
gegessen und da wird abends mit zehn Leuten gegessen, um 9.00 Uhr. Da hätt' ich auch oft gesagt: Also
ich möcht' jetzt einfach..irgendwie..mich ins Bett legen oder irgendwas anders machen um 9.00 Uhr, als
wie um 10.00, um 11.00 Uhr noch in der Küche stehen, ne.
44.TH: Hmm, hmm.
305
45.PAT: Sag‘ ich jetzt mal, weil ich einfach das Bedürfnis hatte jetzt mal. Ahh, da is, da is man dann drin.
Da is man involviert, ja!
46.TH: Des war also ganz viel.
47.PAT: Ja,...da war halt auch en Programm mit Kind. Da geht man halt morgens in der Früh‘ mit nem
kleinen Kind zum Meer, ja. Dass man dann eben um 12.00 wieder daheim is‘, weil‘ s einfach zu heiß wird,
eben dann auch, ja. Und..ähmm..,dann hat man einfach auch noch den Kernpunkt Kind eben, ja.
48.TH: Hmm.
49.PAT: Is' ja nicht so, dass man sagt: Ich geh heut' mal den ganzen Tag für mich eben, wohin oder so.
Ich hab‘, wir ham da ja auch en Haushalt. Ich hab da ja alles im Prinzip alles andere auch wie daheim
gehabt, ja!
50.TH: Also, viel, viel.
51.PAT: Also, es war auch schön! Man is,...also das kann man jetzt nicht nur so sehen, dass man also
belastet ist. Das war natürlich nicht nur belastend für mich, aber sagen wir mal so, ich war in der Zeit
angespannt, trotzdem ich weiß, ich war in Urlaub. Das ist, glaub ich so, der Punkt, ja! Und das lag sicher-
lich auch an mir selber, ja! Diese Spannung. Des war jetzt nicht nur des, wie die Familie des so vorgege-
ben hat. Des war, glaub ich, eher ich, dass ich gemeint hab‘, ich muss da jetzt, so, wissen Sie, wie ich
das mein? Das war so meine Anspannung, die sich einfach nicht gelöst hat, die sich aber im Urlaub ja
lösen sollte, das war so meins... Ich will des gar nicht auf andere übertragen. Also, das sind ja wahnsin-
nig liebe Menschen und wenn ich gesagt hätte: Wisst Ihr was, ich geh jetzt fünf Tage, ja, hätten se ge-
sagt: Ja, geh‘! Ich glaub‘ auch mein Mann, der ist der Letzte da, aber will Verantwortung übernehmen..
Ich für mich bin da, glaub ich, so streng.
52.TH: Hmm.
53.PAT: Auch mit mir selber....diese Anspannung immer zu haben und jetzt schon zu denken, oh, was ist
gleich, und.....äh.
54.TH: Was ist nachher und was is...
55.PAT: Ich muss das sicherlich, weil...mein Job und...und mein Plan, des wird schon auch so gewisser-
maßen, sagen wir mal 60, 70 % diktiert. Aber, warum bin ich nicht in der Lage so 30, 40 %, oder was
auch immer da übrig bleibt, da anders zu nutzen. Ja, das is‘ so! Warum mach ich das nich', ja? Warum
sach ich nich: Jo, lass die Sieben die Sieben. Jetzt machst was für dich! Das is' wichtig! Und das ist mir
jetzt ganz, ganz bewusst! Das ist auch der Sinn! Da, da muss ich einfach jetzt an mich denken, muss ich
echt an mich denken (Verantwortung für sich selbst übernehmen).
56.TH: Hhmm!
57.PAT: Und,...ähm, wenn mir des auch manchmal bestimmt noch schwer fallen wird, ja und ich sage:
Oah, wie mach ich das jetzt, aber des will ich auch. Des will ich ganz feste. Und ich glaub dadurch wird
sich schon alles, wird ne ganz andere Weichenstellung gegeben, für mich, für mein Mann, die Familie, für
alle, glaub ich. Also, das denk‘ ich mir einfach jetzt mal so, des jetzt so.
58.TH: Das wär' dann auch so'n bisschen, also die...äh..da is ja noch ne Frage: Was wünschen Sie sich
für die nächsten Wochen und was is ihr wichtigstes Bedürfnis?
59.PAT: Für die nächsten Wochen wünsch ich mir natürlich da weiterzukommen, mental eben und da, den
Leitfaden, den ich mir da so, ma so grob vorstelle, dass ich den da, ja, so'n bisschen durchziehen kann
(seelische Stabilität) natürlich. Dass es, dass ich die Chemo gut, einigermassen gut vertrage, dass ich mir
da jetzt körperlich nicht so schlecht (gute Verträglichkeit/Erfolg der Therapie ), dass es mich da so weg-
haut und dass eben ganz viel Harmonie und ganz viel Zufriedenheit auch, ja.., mich begleitet ..ähmm.
60.TH: Und das wichtigste Bedürfnis, also das..äh...ein.... Sind schon auch ähnliche Fragen. Was wün-
schen Sie sich für die nächsten Wochen, haben Sie ja jetzt schon formuliert und gibt so ein Bedürfnis,
was Sie rausgreifen könnten und sagen: Das ist im Moment mein Fokus?
61.PAT: Zufriedenheit!
62.TH: Also, ich hätte jetzt nachdem, was Sie so erzählt ham, würde ich sagen, also: Ohne Druck sein?
63.PAT: Hmm..., aber das ist ja im Prinzip die Zufriedenheit. Zufriedenheit heißt für mich jetzt so: Es ist
zwar jetzt so ein Stichwort, aber des heißt im Prinzip ja ohne Druck zu sein (ohne Druck sein). Harmonie,
Glück zu spüren (Harmonie/Glück spüren), natürlich auch was gut zu vertragen, ja... Körperlich nicht da
jetzt total in den Seilen zu hängen. Das is‘ so mit allem so.
64.TH: Ruhe?
65.PAT: Ruhe, will ich, Gelassenheit, Gelassenheit vor allen Dingen und zu wissen: Das regelt sich alles.
Auch wenn's jetzt nicht sofort, aber des wird alles (seelische Stabilität). Ja, so, des is' so, dies Zufrieden-
heit finden. Das kann man,...die is' so individuell.
66.TH: Ja, natürlich.
67.PAT: Immer auch. Die setzt sich so aus so ganz vielen Sachen zusammen.
68.TH: Und,..ähm..wenn ich Sie jetzt frage: Wer oder was gestaltet im Moment Ihr Leben? Was würden
Sie dann sagen?
69.PAT: Jetzt in Zukunft, also jetzt die nächsten Wochen?
70.TH: Ja, jetzt im Moment, also..des is eigentlich.
71.PAT: Jetzt, im Moment gestaltet, befass‘ ich mich halt ganz stark mit diesem...zögert...mit dieser
Wahrnehmung eigentlich: Was hat's mir zu sagen? Ich hab's ja eigentlich schon..Pause...vor meinem Be-
fund ja ganz deutlich erkannt und hab‘ s eigentlich im letzten Jahr schon erkannt, aber hab keine Ansätze
erkannt, um da anzusetzen...
306
72.TH: Ich hab‘, also, die Frage vielleicht noch mal: Haben Sie das Gefühl, dass Sie selber die Gestaltung
Ihres Lebens im Moment in der Hand haben oder wird es durch äussere Faktoren, wie die Erkrankung,
medizinische Entscheidungen.
73.PAT: Beides.
74.TH: Organisation ihres Lebens, zu Hause beeinträchtigt oder beeinflusst?
75.PAT: Beides, glaub ich. Aber dadurch, dass ich einfach selbstständig, auch en kleines Kind haben,
ähm....werd ich da jetzt nicht so sagen können: Ich schau jetzt mal nach meinen Dingen oder....schon.
Das setzt sich natürlich auch aus der Therapie hier zusammen, von allem. Das, des wird mit allem aufge-
nommen und reingenommen, natürlich.
76.TH: Haben Sie das Gefühl, dass Sie die Autorin sind? Also, dass Sie sagen: Also, ich kenn' diese gan-
zen Faktoren, die mein Leben bestimmen, aber ich gestalte diese Faktoren! Oder, haben Sie umgekehrt
das Gefühl, dass is eher so, im Moment is es stark von Aussen dominiert? Oder, lie..., haben Sie die Fä-
den in der Hand, oder haben die Ärzte, die Erkrankung, die Umstände die Fäden in der Hand?
77.PAT: Ehh, das kann ich ganz schlecht beschreiben! Also, sagen wir, bisher hatte ich so die Fäden mit
allem in der Hand, und zwar ganz massiv, und das war auch nicht gut und s‘ es will ich ja auch nicht
mehr. Ich will da schon auch...zieht Luft ein...jetzt eben auch Hilfe annehmen, was mir sonst auch schwer
gefallen ist, ja. Wenn mir jemand gesagt hat: Ich mach‘ das, hab ich gesagt: Nee, lass mal, das hab ich
schon gemacht! Passt schon! Ja, oder jeder bietet sich jetzt an und da möcht' ich jetzt schon
auch...ähm..ja gar nicht mehr so viel drüber nachdenken. Ja, was ich wo, wann mache. Also, ich will, ich
weiß‘, es sind gewisse Dinge, die werd‘ ich weiterhin machen müssen...und nich müssen, die mach‘ ich
gerne und des sind auch so meine Sachen, des sind auch meine Stärken und die möcht‘ ich auch natür-
lich weitermachen. Aber ich weiß auch, wenn das ja jetzt mal durch Gesundheit, wenn ich ma‘ sagen, ich
hab‘ jetzt ma en schlechten Tag, ja und ich fühl‘ mich gerade so schlapp, ich mach des mal heute nicht,
und ich lass des mal liegen. Und dass ich ganz gelassen mit umgehen kann, das ist mir wichtig! Oder,
wenn mein Mann sagt: Du, ich mach das jetzt ma so und so und er entscheidet da jetzt ma was, dass ich
das dann auch so hinnehme, ne, und dass das auch okay ist, so für mich, und...Das wird mir mein, meine
Therapie schon auch zeigen, ne, da die Grenzen und sagen oder, dass ich vielleicht sage: Na ja. In der
zweiten Woche, wo die Chemo, denn, denn durch is, da mach jetzt ma bewusst was für mich, was Schö-
nes, ja?!(Zeit für sich nehmen) Vielleicht sowas zu machen... Oder, ich sag, ich such mir jetzt auch ne
Meditation oder irgendwie ne, ne Muskelentspannung oder Yoga oder was, was mir einfach gut tut. Wo
ich was für mich tue und wo ich mich auch drauf freue, denn, ja. Da bin ich im Moment auch noch so
ganz offen! Ich weiß halt, da i's so en großes Gebiet von Veränderung (seelische Veränderung), was ich
mir schon wünsche auch, da jetzt,...eeh.
78.TH: Könnte man sagen: Also bisher ham Sie ganz stark, vielleicht zu stark ihr Leben gestaltet und
jetzt sind Sie an dem Punkt, dass Sie sagen: Das ist so ne..ähm..Umbruchsphase. Jetzt wird durch die
Erkrankung soviel bestimmt. Oder würden Sie sagen: Nein, es ist immer noch so, dass ich versuche die
Fäden in der Hand zu halten. Und dass es jetzt praktisch wie so ne Art Bewegung ist, einerseits, aber,
also.. Wenn Sie jetzt sagen: Das möcht' ich in Zukunft machen, so möcht‘ ich's in Zukunft machen, dann
sind wir bei den Fragen, die ich Ihnen vorhin gestellt hab‘. Mir ging‘ s jetzt eher so drum: Wie sieht jetzt
gerade in diesem Augenblick aus?
79.PAT: Gesundheit natürlich! Ich möchte gucken, dass da die Therapie...ja, was man sich eben
verspricht...gut anschlägt. Dass ich's einigermaßen gut vertrage und dass ich das, was mein Leben bisher
natürlich bisher auch bestimmt hat, meine Arbeit, meine Familie, mein Kind oder unser Kind auch weit-
gehenst noch...ähm...mitbestimmen kann, auch. Natürlich auch nicht so. Ich will ja gar nicht auch so
dominierend jetzt sein, sondern möcht‘ mir das schon auch jetzt,...ähm..dass andere Leute da was über-
nehmen und so.
80.TH: Okay.
81.PAT: Dass alles en bisschen harmonischer eben auch abläuft, oder?
82.TH: Okay.
83.PAT: Ist das für Sie jetzt so okay?
84.TH: Sie formulieren Ihre Ziele. Sie sind ganz stark auf ihre Ziele konzentriert, aber des macht nichts,
des is‘ ja auch wichtig!
85.PAT: Ah, ja, okay.
86.TH: Dass es eben vielleicht..ähm..ich würd' des jetzt ein bisschen so zusammenfassen: Sie wissen,
wie's bisher gelaufen ist und Sie wissen auch wo‘ s hingeht, aber wie Sie diese Au...Umbruchsphase im
Moment.. Da is noch nich‘ so ne Klarheit da, da...
87.PAT: Nee, hmmm.
88.TH: Da können Sie es noch nicht so benennen! Das ist ja auch nachvollziehbar! Also insofern, so würd'
ich..
89.PAT: Da lass ich es halt auch so mal auf mich zu kommen.. Und, das ist das, was ich gesagt haben, ich
glaube dann, is auch so, wenn das Eine oder Andere so passiert, ist dann so abgeschlossen, dann kommt
auch wieder was Neues und...ähm. So stell ich‘ s mir halt vor! Ich will halt Ruhe reinbringen, ja! Ja, also,
ich will mich da auch wieder nicht stressen. Jetzt ist mein Mann halt im März und im April wirklich, muss
er viel verreisen. Er hat auch noch ne Agentur....zieht Luft ein.. Klar, da kommt mir schon auch die Ge-
danken, wo ich denk: Oh, Gott wie mach‘ ich denn jetzt alles. Des is' zwar denn auch mit 'ner Aushilfe im
Geschäft, aber es is' auch ne starke Verkaufszeit und. Ich, da muss ich auch schon normal viel anwesend
307
sein, ja.. Ja, weil, da geht's ja um finanzielle Dinge und so weiter. Aber da denk ich mir auch, des geht
auch, des geht auch! Ja, es geht, es wird gehen! Also, ähm...da wird auch ne Lösung gefunden werden
für alles und da wird mein Mann auch sagen: Du, da komm‘ ich dann halt mal früher nach Hause, oder da
mach ich halt mal nur das Nötigste jetzt, oder was auch immer, ja. Und wenn da alle mitziehen... Des
geht schon auch, ja! Und das muss ich da oben auch mal en bisschen rein kriegen, ja.
90.TH: Sacken lassen.
91.PAT: Ja und sagen.....ähm: Jetzt stress Dich da nicht und, ja! Das kommt natürlich immer mal wieder,
wo ich denke: Oh, Gott, wär die Zeit schon vorbei, aber...im Prinzip ist jetzt, das is'...
92.TH: Steht an erster Stelle.
93.PAT: Steht an erster Stelle.
94.TH: Also jetzt, die Krankheit (Fremdbestimmung Krankheit), die Behandlung der Krankheit ist das,
was im Moment am Wichtigsten ist (Fremdbestimmung medizinischer Kontext/Therapie/Zustimmung
fremde Einflüsse)!
95.PAT: Ja.
96.TH: Und wenn Sie jetzt formulieren müssten, wo ihre Kraftquellen liegen? Das ham Sie ja auch schon
mal erwähnt, eigentlich?
97.PAT: Hm, ja. Kraftquellen liegen sicherlich jetzt bei meinem Kind, bei meinem Mann (Familie/Partner-
schaft als Kraftquelle),ja. Bei der ganzen Hilfe, die mir eben auch angeboten wird und natürlich mein Leit-
faden, dass es ne Krankheit is, die gut behandelbar und heilbar ist (Behandelbarkeit der Erkrankung).
98.TH: Hm, hm.
99.PAT: Das is' natürlich so die, das Grundlegendste, ne. Wenn ich mein, wenn ich natürlich jetzt ne Di-
agnose hätte, wo ich sag: Ganz schlechte Heilungschancen, wär' die Grundstimmung sicherlich ne ande-
re, als wenn man weiß, das kann man ganz gut in den Griff kriegen.
100.TH: Okay.
101.PAT: Aber, das bedeutet auch für mich, dass ich da nicht so weitermachen kann wie bisher. Ganz
leise...Das bedeutet auch für mich, dass, dass, dass das hier in mir auch verinnerlicht werden muss, ganz
begleitend und nicht nur während der Therapie, sondern jetzt für....für immer, glaub ich.
102.TH: Aber, da sind Sie sind ja jetzt auch ganz stark hin orientiert!
103.PAT: Ja, aber wirklich für immer, das muss da jetzt für immer irgendwas bewegen. Das is' mir so...
104.TH: Was würden...
105.PAT: Da denkt man natürlich schon auch so: Vielleicht schafft, vielleicht schafft man das ja auch gar-
net, aber...will ich jetzt auch nicht dran denken. Ich glaube dran, dann schafft's man auch (Hoffnung, ge-
sund zu werden).
106.TH: Sie haben sich ja jetzt schon ganz viel Impulse geben lassen.
107.PAT: Hmmmm.
108.TH: Also, obwohl es ja schon auch ne große, ne Krise is', sind Sie ja jetzt schon eigentlich in den
Startlöchern für ne Entwicklung.
109.PAT: Hm, ja! Das glaub‘ ich schon auch!
110.TH: Wer oder was gibt Ihnen augenblicklich Sicherheit und Halt?
111.PAT: Auch wieder meine Familie.
112.TH: Hmm.
113.PAT: Mein Sohn, meine Freunde.
114.TH: Das soziale Umfeld...
115.PAT: ..das soziale Umfeld, total, total (soziale/familiäre Sicherheit)! Ich fühl mich hier auch ganz gut
aufgehoben. Ich find‘ das ganz toll, dass man auch solche Hilfe angeboten bekommt. Muss ich auch echt
sagen.
116.TH: Hier auf Station?
117.PAT: Da bin ich super dankbar für, ja! Echt! An so was hab‘ ich gar nicht gedacht. Es is' echt toll! Ein-
fach schön, weil es Menschen gibt, die so ne Arbeit machen (Unterstützungsangebote). Pause.
118.TH: Ja..seufzt..und dann noch mal die letzte Frage: Was, was für Erwartungen verknüpfen Sie jetzt
mit unserer Arbeit? Ich hab's Ihnen ja schon ein bisschen vorgestellt.
119.PAT: Mmmmh....zieht Luft ein... Ich glaub, für mich einfach schon jetzt das Sprechen an sich (Ge-
spräche im Kontext der Intervention) hier mit jemand, der..nja..sich einfach mit auskennt, der da einfach
mit umgehen kann, der mir sicherlich was zu sagen kann, der mich da unterstützen kann....professionell
eben auch...und...ähm (professionelle Unterstützung).
120.TH: Die Kunsttherapie da im Speziellen?
121.PAT: Hmm, ja, da kann ich mir jetzt, da hab noch gar keine so konkrete Vorstellung, irgendwo. Ich
bin auch sehr offen, eben auch für so was und ähm..... Ich würd da jetzt auch mal reingehen also, ohne
grosse Erwartungen (keine vorhandenen Erwartungen an die KSKT®) sag ich jetzt mal. Vielleicht, und....
Ich glaub, man merkt dann auch schon, ob einem das gut tut oder nicht.
122.TH: Hmm.
123.PAT: Ich hab‘ jetzt wirklich gar nicht so..., ich bin halt offen dafür und ähm,..würd‘ da jetzt gerne
reinhören und werd‘, glaub‘ ich auch, dann relativ schnell merken, ob‘s mir gut tut oder nicht gut tut, o-
der?
124.TH: Hmm, hm.
125.PAT: Also, so würd' ich mir das jetzt...fragend...
308
126.Th: Das ist völlig okay! Das muss nicht irgend eine Vorstellung, also.
127.PAT: Nee, nee.
128.TH: Das ist meistens so.. Also, viele Patienten sagen, sie können sich jetzt...., selbst wenn ich des
jetzt ein bisschen skizziere, die meisten können sich nichts drunter vorstellen und..... Aber es soll ja
trotzdem was sein, was Sie auch machen möchten. Okay. gut, dann danke ich Ihnen.
NDI e651
1.TH: Genau. Also die erste Frage: Wie sieht im Augenblick Ihre Zukunftsperspektive aus?
2.PAT: Meine Zukunftsperspektive möcht' ich ganz gerne so, dass ich...ähm..meine Krankheit in Form der
Therapie, mmmm....einfach besiege (Hoffnung, gesund zu werden), dass ich da ne gute Basis
habe...äh..und im Anschluss natürlich für mich ne persönliche Veränderung gerne vornehmen möchte
(Hoffnung auf Verbesserung).
3.TH: Mmh.
4.PAT: Einfach da, an gewissen Punkten, die für mich ziemlich klar sind..ähm..anzusetzen und die anzu-
gehen. Und, mit dem Ziel, die einfach irgendwie auch zu verarbeiten und da einfach ne andere Basis rein-
zukriegen, vielleicht.
5.TH: Vielleicht auch ne andere Lebenseinstellung?
6.PAT: Ja, ne andere Lebenseinstellung! Ja, klar! Basis ist ne andere Lebenseinstellung in dem Moment
für mich, aufgrund der Erkrankung. Genau!
7.TH: Also könnte man sagen, dass die.... Ich geh‘ mal zur nächsten Frage: Welchen Sinn hat für Sie das,
was Sie gerade erleben?
8.PAT: Ähm,...ja, welchen Sinn? Es hat sicherlich en Sinn. Indem.... Das Ganze sagt mir, es ist Zeit für ne
Veränderung da (Sinnhaftigkeit durch Veränderung der bisherigen Einstellung)! Man lebt bewusster (be-
wusster leben). Man nimmt Dinge, die man vorher als selbstverständlich empfunden hat, (Kleinigkeiten
schätzen) viel deutlicher wahr. Man, ja, man lebt einfach anders. Man lebt schon anders, indem man
morgens die Augen aufmacht und, und.. Und, weiß, dass alles nicht mehr so ist, wie es vorher war. Aber
ich versuch halt das Positive raus zu sehen und denk, es hat mir was zu sagen und ich möcht' ja was ver-
ändern und... Ja, viele Dinge, die normal sind, kriegen vielleicht ne tiefere Bedeutung. Und andere Ansät-
ze im Leben, die rutschen einfach auch von der Priorität auch einfach ganz nach vorne, die sonst einfach
auch eher selbstverständlich und normal waren.
9.TH: Ich hab eben so innegehalten. Da wollt ich noch was sagen zur Zukunftsperspektive, wo ich den
Eindruck hab, des gehört eigentlich zu diesem Sinn, von meiner Wahrnehmung aus. Äh,..als Sie gesagt
haben..ähm...: "Des sind eigentlich Dinge, die schon immer nicht so gut gelaufen sind für mich, also,
dass ich en hohen Perfektionsdrang hatte..
10.PAT: Genau!
11.TH: Dass ich unheimlich viel geschafft hab, aber eigentlich viel zu viel von mir erwartet hab und jetzt
merk, das funktioniert einfach nicht mehr (eigene Grenzen achten).
12.PAT: Genau!
13.TH: Also, dass da eigentlich schon, sagen wir mal, Problem wäre zu viel gesagt, aber ne, en Schwer-
punkt war.
14.PAT: Genau.
15.TH: Den Sie sowieso grundsätzlich verändern möchten.
16.PAT: Genau! Auf jeden Fall! Vor allen Dingen, die letzten drei, vier Jahre, ne. In dieser, in diesem
Schema mit Selbstständigkeit, kleines Kind und... Das sich natürlich ziemlich zugespitzt, ja. Also, des...
Unser Umfeld hat sich halt extrem verändert und dadurch ist der Druck einfach auch noch erhöht worden,
stärker geworden....zieht Luft ein.... Ähm, mmmh, aber die Hilfen war'n einfach nicht da, also
des..ähm..hat sich eigentlich alles ziemlich zugespitzt, denn auch, ne!
17.TH: Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
18.PAT: Für die nächsten Wochen wünsch ich mir, dass meine Thera..., dass ich heute erstmal ein gutes
Ergebnis von meinem CT bekomme, dass meine Therapie, so wie sie gedacht ist, weitergeht und auch
vom Zeitplan eingehalten werden kann,...atmet tief ein... dass es mir dabei einigermaßen den Umstän-
den gut geht (gute Verträglichkeit/Erfolg der Therapie). Und dass ich, wenn ich das, glaub ich, geschafft
habe, denn... ähm.....ja, dann bin ich einfach auch noch mal sehr bestärkt durch das, was ich durchge-
651 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei-
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
309
standen habe (seelische Stabilität), glaub ich. Ich glaub, dass das einem wieder auch sehr viel Kraft gibt,
zumindest versuch‘ ich das so zu sehen auch.... Auch, aus allem Negativen und allem Unschönen auch
einfach das Positive zu sehen und zu sagen: Schau mal, auch das kann man schaffen. Es gibt eigentlich
keine Hürde. Und, da einfach die Ansätze alles so ein bisschen zu verlagern und sagen: Es ist nicht das
Wichtigste, dass alles hundertprozentig ist und dadurch eigentlich auch einen guten Ansatz zu haben, ja,
wiederum.
19.TH: Hmm, also, auch wenn es nicht perfekt ist, ist es gut.
20.PAT: Genau, genau, das ist ganz wichtig für mich!
21.TH: Mmhh. Welches ist Ihr wichtigstes Bedürfnis? Also, was brauchen Sie?
22.PAT: Ja, Zeit für mich zu haben! Zeit für mich zu haben (Zeit für sich haben), mich entspannen zu
können, ähh, ohne dass ich denken muss: Was passiert jetzt da? Ist das okay? Ist das nicht okay? Also,
Entspannung heißt für mich in dem Sinne, nicht nur für mich, sondern a...., dass alles andere um mich
einfach organisiert und weiterläuft, ohne dass ich es immer in die Hand nehmen muss. Ja, also, dass ein-
fach auch Leute da sind, die sagen: Du, ich mach‘ das jetzt. Ich nimm Dir das ab (Arbeitsentlastung). Du
kannst Dich jetzt entspannen. Und ich kann mich dann auch entspannen. Für mich wär's halt keine Ent-
spannung zu wissen: Ja, was is' jetzt mit meinem Kind und hoffentlich klappt dies und hoffentlich klappt
das und dann is die ganze Zeit, die ich hätte für diese Entspannung, wäre keine, ja (ohne Druck sein)!
23.TH: Also, äh...wird von Patientin unterbrochen.
24.PAT: Leute, die da so'n bisschen mitdenken und die da einfach auch wissen, was mir wichtig ist, weil
ich auch einfach nur entspannen kann, wenn gewisse Vorraussetzungen stimmen, ja!
25.TH: Also, könnte man sagen: Entspannung für Sie selbst, Raum für Sie selbst und aber auch, wahrge-
nommen zu werden von anderen.
26.PAT: Genau.
27.TH: Ja, also diese....Pat. unterbricht.
28.PAT: Vor allem auch von meinem Mann! Ähhh, ich glaube, dass da einfach auch unsere Mentalität ne
brutal andere ist, ja. Das is‘ halt...ähm....schwierig! Ich will ihn ja auch nicht versuchen da umzukrem-
peln, nach so viel Lebensjahren. Das Gleiche will er auch nicht. Das ist schon auch schwierig da so'n Kon-
sens reinzukriegen, auch. Männer sind da auch sehr sensibel und die machen auch schnell dicht und ge-
hen sicher mit vielen Dingen auch ganz anders um wie Frauen.
29.TH: Wer gestaltet jetzt Ihr Leben?
30.PAT: leise....Wer gestaltet jetzt mein Leben? Gute Frage..lacht....? Auch die kann ich jetzt gar nicht
konkret beantworten..ähmm!
31.TH: Haben Sie das Gefühl, also..vielleicht so als Gegenüberstellung, dass trotz der Belastungen, Sie
Ihr Leben gestalten oder sind Sie wie der Hamster im Rad und äh, Sie haben das Gefühl, viele äußere
Faktoren bestimmen Ihr Leben?
32.PAT: Alles, alles! Es gibt Tage, da is' des eher so, dass man sagt: Ich, ich gestalte das jetzt und mit
geht‘ s gut und ich hab‘ das alles im Griff und es ist toll. Und es gibt Tage, da ge..., da bin ich halt schwä-
cher. Da geht's meiner Gesundheit nicht und ich bin gefangen in gewissen Dingen und Rollen, ja (Opfer
der Fremdbestimmung). Zum Beispiel, wie jetzt der gestrige Tag, dass ich hier sitze und warte und weiß
eigentlich, ja...stöhnt auf...setz‘ dich in die Sonne und geniess es! Äm,..schalte jetzt einfach mal ab! Ver-
such‘ das Beste draus zu machen, und das ist jetzt die Zeit für Dich, die Du hier sitzt! Obwohl ich wusste,
meinem Kind geht es nicht soooo toll, obwohl ich wusste, ich weiß mein Ergebnis immer noch nicht. Aber
ich hab‘ versucht, das Beste draus zu machen. Ja, zu sagen: Du sitzt jetzt hier in der Sonne, lässt Dir den
Wind um die Nase wehen und trinkst en Kaffee, ja! Auch da hab‘ ich mich wie in nem Rad gefühlt irgend-
wie: Ich muss da, ich bin da jetzt drin, aber ich versuche es, mir da irgendwie schön zu machen, da, wo
ich jetzt bin, ja (Möglichkeit eigener Lebensgestaltung)!
33.TH: Das ist vielleicht auch ne Entwicklungsfrage, dass Sie da dran arbeiten und dass sich das langsam
entwickelt. Das wird sich von heute auf morgen nicht ändern.
34.PAT: Nee, das glaub‘ ich auch. Des wär' auch unmenschlich oder unnormal, ja.
35.TH: Wo liegen Ihre Kraftquellen?
36.PAT: Tja, Kraftquellen sind viele da, ähm. Sicherlich mein Kind und mein Mann ist ne, mein Kind is ne
grosse Kraftquelle (Familie/Partnerschaft als Kraftquelle). Natürlich auch, auf der einen Seite, wie wir ge-
sehen haben auch ne Belastung, irgendwo, wenn diese Kraftquelle aber so in eine Position rückt, dass ich
weiß..ähmm..ihm geht‘s gut und man hat vielleicht auch en gewissen Abstand. Und dann is' es auch wie-
der ne stärkere Kraftquelle dann für mich, ja! Dann, dann gibt es mir auch noch mehr. Aber die Arbeit,
auch wenn sie stressig ist, und ich nach einer stressigen Woche sage: Es war eigentlich viel zu viel! Aber
auch das ist ne Kraftquelle! Das ist ganz wichtig für mich (Beruf/Arbeit ).
37.TH: Und ähm..diese, was sie hier noch im Bild hatten? Also, des war ja auch ne ganz wichtige Kraft-
quelle, dieses Zu-Sich-Selbst-Kommen.
38.PAT: Des Zu-Sich-Selb...., ja, natürlich! Das is aber eher schon so ne Wunschkraftquelle, weil, das is
für mich noch nicht wirklich greifbar (Zu-Sich-Selbst-Kommen).
39.TH: Okay, hmmm.
40.PAT: Das is noch nich, das spür‘ ich noch nich so nah, dass ich sage, ähm: Des is jetzt ne Kraftquelle!
41.TH: Das ist ein Fernziel?
42.PAT: Das ist ein Fernziel! Eher.
43.TH: Und Ihre Schwester? Ist das ne konkrete Kraftquelle?
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44.PAT: Ja, schon (Familie/Partnerschaft als Kraftquelle).
45.TH: Und Ihre Freundinnen auch?
46.PAT: Auch. Einfach, durch Gespräche, durch Telephonate. Auch wenn sie jetzt nicht herkommen kön-
nen. Ich hab auch andere Freundinnen, langjährige, wo man sich jetzt längere Zeit nicht sieht, weil sie
halt eben von weit außerhalb kommen. Die sagen auch, Du kannst mich jederzeit anrufen, ich komm‘
auch, ne (andere soziale Ressourcen).
47.TH: Hmm.
48.PAT: Aber auch da... Das war jetzt bei meiner allerbesten Freundin auch so, dass sie gesagt hat: Du,
ich komm‘ jetzt halt ma drei Tage. Dann hab‘ ich auch gesagt: Du, ich weiß gar nicht, wie's mir jetzt geht
nach der Chemo. Das hab ich dann schon eher wieder als Belastung empfunden, weil ich da jetzt nicht
dran denken möchte, irgendwie..ähm...: Sie kommt und wie machen wir dies und das? Ich möchte das
einfach auf mich zukommen lassen. Da hab‘ ich gesagt: "Sei mir nicht böse, aber ich glaub, mir wäre des
lieber, du kommst dann mal, wenn‘ s mir, wenn ich weiß, dass es mir relativ gut geht, dass ich mich dann
auch mal unterhalten kann." Es bringt mir nichts, wenn ich, wenn ich da jetzt den halben Tag auf dem
Sofaliege oder so, ne.
49.TH: Hmm....zieht tief Luft ein.. Was gibt Ihnen Sicherheit und Halt? Jetzt versuchen Sie mal zu sortie-
ren. Was gibt Ihnen Sicherheit und Halt und in welchen Bereichen? Das müssen wir nicht thematisieren,
sondern einfach so ein bisschen rausfiltern?....lange Pause......Also, was ist die stabilste Kraftquelle hier?
50.PAT: In dem Bild jetzt?
51.TH: Hmm!
52.PAT: Atmet tief ein..... Auch, also, ich kann das jetzt gar nicht auf einen Punkt bringen und sagen:
Mein Mann ist der Wichtigste oder mein Kind ist das wichtigste (soziale/familiäre Sicherheit). Ich kann.....
53.TH: Also, ich wollt des noch mal so bisschen, wirklich so dieses Filtern. Also: Was ist stab....am sta-
bilsten? Wenn ich so jetzt dran denke, wie Sie‘s gelegt haben(im Bild), waren ja eigentlich die Beziehun-
gen zu Freundinnen, die waren relativ... Also, da waren wenig Veränderungen drin.
54.PAT: Genau!
55.TH: Und die sind jetzt vielleicht nicht so nah und vielleicht auch nicht so wichtig, aber die sind relativ
stabil.
56.PAT: Stabil, des stimmt (soziale/familiäre Sicherheit)!
57.TH: Und Ihre Schwester, die ist zwar jetzt auch nicht so verfügbar, wie Sie beide gerne möchten, aber
die ist stabil.
58.PAT: Genau. Ja, klar.
59.TH: Kann man des zusammenfassen: Also, Sicherheit und Halt geben im Moment ihre Schwester und
ihre Freundinnen?
60.PAT: Hm. Ja.
61.TH: Können Sie dem so zustimmen?
62.PAT: Ja, also so von der Stabilität sicherlich. Das ist richtig, was Sie sagen, klar. Ja.
63.TH: Gut. Hat die kunsttherapeutische Begleitung Ihnen Möglichkeiten eröffnet?
64.PAT: Ja, ich glaub‘ schon. Das Ganze noch mal so schemenhaft darzustellen und auch noch mal selber
zu malen. Ich glaub‘, wenn man vieles im Kopf hat...ähm....ist es oft nicht so klar, aber es ist so.... Man
denkt drüber nach und dann kommt wieder ein anderer Eindruck, ein anderer Gedanke. Ich glaub in dem
Moment, wenn man das so'n bisschen mehr thematisiert und auch ausschneidet und eben auch mehrere
Bilder legen kann, vertieft sich das Ganze noch mal so. Diese Ansätze, die man da vielleicht im Kopf hat
und wo man sagt: Ich weiß es ja eigentlich schon irgendwo!
65.TH: Hm.
66.PAT: Ja, das glaub‘ ich schon.
67.TH: Hm.
68.PAT: Auf jeden Fall! Das man da einfach auch des Bild, man hat. Ich seh' das Bild jetzt auch vor mir
(das Bild ist verinnerlicht). Des is ja auch irgendwie abgespeichert. In meinem Kopf jetzt. Gerade, was
wir jetzt so machen, dieses Wunschbild legen. Hm, glaub‘ ich schon, ja!
69.TH: Hm.
70.PAT: Das da noch mal ne Vertiefung stattfindet.
71.TH: Wie würde Sie die Bedeutung zusammenfassen? Also, die Bedeutung der kunsttherapeutischen
Begleitung?
72.PAT: Einfach vertiefen, die Ansätze, die man hat, dass die noch mal ganz deutlich für mich vertieft
werden, ähm..um da auch jetzt Ansatzpunkte zu finden und, und die anzugehen (Ansätze entwickelt, die
man im Leben umsetzen kann).
73.TH: Also könnte man sagen: Vertiefung und Verdeutlichung oder Klärung?
74.PAT: Verdeutlichung (Verdeutlichung/Klärung /Sammlung )! Klar.
75.TH: Und, äh...äh, vielleicht auch, ähm, sagen wir ma, Entwicklungsziele entwickeln?
76.PAT: Klar!
77.TH: Kann man des so?
78.PAT: Ja!
79.TH: Äh, so noch mal zusammenfassen?
80.PAT: Ja!
311
81.TH: Gibt es irgendwas, was Sie kritisch fanden, oder schwierig, oder, wo Sie sagen: Also, das müsste
man ändern.
82.PAT: Ja, also, die Zusammenhalte. Das Sie mir manchmal noch sagen müssen: Nee, das is‘, der Fokus
liegt jetzt darauf oder darauf, irgendwie. Da hab‘ ich generell so‘ n bisschen.. Ich bin jetzt im Moment
auch en bisschen vergesslich. Ich weiß auch nicht, woran des liegt. Ich vergess' jetzt eher schon mal Din-
ge auch, die sonst nich' waren. Also, irgendwie, ich glaub‘, weil mein Kopf gerade supervoll ist mit vielen
Sachen. Und..ähm..ich es eher nicht gewohnt bin, da irgendwas zu vergessen oder zehnmal nachzufra-
gen. Das hängt einfach mit der Situation zusammen (Schwierigkeiten bei der Durchführung der KSKT®).
83.TH: Okay. Also, nicht unbedingt was, was Sie jetzt da schwierig fanden. Könnte man sagen: Es war
schon auch ne Herausforderung für Sie?
84.PAT: Ja!
85.TH: Es war jetzt nicht so was, was man grad so nebenbei macht?
86.PAT: Nee, also, da macht man sich ja Gedanken (erfordert Konzentration) drüber. Und da sammelt
man sich ja noch mal einfach und klärt einfach noch mal: Ja, wie ist das wirklich? Wie ist das mit der
Stabilität jetzt, klar. Das ist richtig, was Sie..... Das sind eigentlich die Leute, die mir Stabilität geben,
weil die sich ja wirklich auch nicht verschö...., verschoben haben, großartig. Des is‘ einfach noch mal die-
se bildliche Darstellung ja, die einfach noch mal ne ganz andere is‘ (Veranschaulichung des momentanen
Lebens).
87.TH: Hm. Also, ne Klärung noch mal bedeutet.
88.PAT: Ja, genau. Ja.
89.TH: Also, dann auch noch so die Begriffe Sammlung, Klärung, Verdeutlichung, so.
90.PAT: Genau.
91.TH: Ähm, würden Sie für sich selber das Malen weiterführen? Oder hat das, was Sie hier gemacht ha-
ben, nicht unbedingt was damit zu tun, dass Sie das jetzt...
92.PAT: Ja, das würd' ich eher so sehen.
93.TH: Hmm.
94.PAT: Also, Malen an sich hat jetzt da mit dem so, des würd' ich jetzt ziemlich ausgrenzen. Zumal ich
jetzt in 'ner Phase bin, wo ich auch ne Chemotherapie mache. Also, Malen is‘ eher so was für mich, ja,
was sehr Entspannendes, wo man so seine Gedanken, seine Phantasie freien Lauf lässt, wo man mit
schönen Farben arbeitet, wo man kreativ ist, oder so. Des fand‘ ich jetzt da nicht. Da musst ich meine
Gedanken einfach zu Bilde bringen. In Formen. In Farben. Das eher was mit Nachdenken zu tun (kein
entspannendes Malen, sondern innere Arbeit). Und ich find‘ Malen hat eher was, für mich jetzt persönlich,
spontan, was mit Phantasie, freien Lauf und..und..mehr Offenheit zu tun. Des is, da seh‘ ich jetzt keine
Verbindung.
95.TH: Okay. Doch des is in Ordnung, ein wichtiger Punkt.....Pause.... Gut, Dankeschön!
NDI 2 e652
652 Legende:
VDI b: vor der Intervention/Patientin b; NDI b: Nach der Intervention/Patientin b; NDI 2 b: nach drei Monaten/
Patientin b
: Zukunftsperspektiven; : Sinnhaftigkeit der Erkrankung; : Wünsche und Bedürfnisse; : Einfluss auf die ei
gene Lebensgestaltung; : Ressourcen/Kraftquellen; : Kommentare zur Kunsttherapie; kursive Schrift: Erklärun-
gen zur Gesprächssituation/Anmerkungen; kursive Schrift in Klammern im Sprechtext: Kategorien, die vorangehen-
dem Text zugeordnet werden; rote Schrift: wichtige, aussagekräftige Textstellen; graue Schrift: wenig aussagefähige
Textstellen; ....: Pausen, Länge entsprechend der Anzahl der Punkte; Textstellen in Klammern + ?: undeutliche Artiku-
Lierung; Text in Klammern und kursiv und auf weißem Hintergrund, z. B. (Sinn fraglich): Kategorien
Transkriptionsregeln angelehnt an Christa Hoffmann-Riem (1984)
312
8.TH: Genau.
9.PAT: Und, da bin ich jetzt morgen, noch mal ein Termin, das dritte Mal jetzt und da werd‘ ich auch blei-
ben!
10.TH: Ah, super.
11.PAT: Und das war eigentlich auch ganz gut! Das hab‘ ich jetzt, glaub ich, auch gebraucht und so'n paar
Dinge auch... Mein Perfektionismus, den ich ganz gerne auch ablegen möchte. Also, was alles auch so in
Verbindung mit dieser Geschichte kam, was mich da jetzt auch mal ausbremsen...sollte..einfach auch.....
Doch, da bin ich ganz glücklich! Ich glaub des ..ähm..nicht, ich glaube, ich denke, des is okay! Da bleib
ich auch!
12.TH: Okay, wunderbar..zieht langsam Luft ein. Welchen Sinn hat für Sie das, was Sie gerade erleben?
13.PAT: Ja, welchen Sinn hat das? Also einfach den Sinn, mal über viele Dinge nachzudenken, die man
jahrelang vielleicht nicht gemacht hat....ohh... Sicherlich bekommt das Leben irgendwo auch ne ganz an-
dere Struktur und nen ganz anderen Sinn. Man lebt bewusster, man geht viel...äh.. bewusster mit Dingen
um (bewusster leben), die sich sonst so verselbstständigen und alltäglich, normal und selbstverständlich
waren (Kleinigkeiten schätzen)... Und man kriegt schon nen ganz anderen Sinn und Gespür für...äh...für
andere Menschen (andere mehr schätzen) für alles eigentlich, auf jeder Ebene.
14.TH: Also ne, also, kann man es so zusammen: Eine Veränderung Ihrer Lebenseinstellung?
15.PAT: Ja, schon auch ein bisschen, tiefgründig auch, bisschen so, Veränderung..und..andere Haltung.
Auch gegenüber, auch ne andere Haltung meiner Gesundheit gegenüber. Ich glaub‘, dass ich da auch
ziemlich so... Ja, halt selbstverständlich, ja, man ist gesund und..äh.. es ist gar nichts selbstverständlich!
Dass man einfach so mal auf sich hört, mehr und...zieht Luft ein...dass man auch mehr Zeit für sich hat
(Achtsamkeit der eigenen Gesundheit/Körper gegenüber) und dass ich auch dafür zuständig bin,..lacht,
während sie spricht,....dass es mir gut geht und dass es meiner Gesundheit gut geht! Und ich glaub, das
war viele Jahre lang nicht so,...wirklich (Verantwortung für sich selbst übernehmen).
16.TH: Also, so andere Werte insgesamt im Leben.
17.PAT: Genau!
18.TH: Ja! Dann die Frage, was Sie sich jetzt wünschen...lachend..für die nächsten Wochen? Sie haben
das vorhin schon mal ein bisschen erzählt.
19.PAT: Ja, ja! Dass das alles...genau...dass alles auch so genau die Form annimmt, wie ich mir das vor-
stelle und dass ich auch ein bisschen mehr Zeit für mich habe, für meine Familie, und...ja, dass das so
eintrifft und positiv wird und bleibt, wie‘s ist. Und ich denk mal, da muss ich halt auch, muss ich auch
mitarbeiten und auch was dafür tun.
20.TH: Hm. Und was brauchen Sie im Moment am meisten?
21.PAT: Hmhha..lachend..am meisten brauch ich einfach Zeit für mich, einfach Zeit für mich (Zeit für sich
haben). Äh..ähm....mmmmh. Ja, ein bisschen ruhiger auch sein. (ohne Druck sein). Vielleicht ein biss-
chen andere Sachen, so meditieren würd' ich gerne so' n bisschen mal machen. Ein Sport würd' ich gerne
mal machen wieder und dann einfach auch regelmäßig und kontinuierlich in meiner Berufs-..und, und,
und Familienalltag einzubauen und, dass sich das Ganze alles so‘ n bisschen entspannt, halt.
22.TH: Hmm.
23.PAT: Und dass das auch passt für alle, ja!
24.TH: Hmm! Sie müssen's ja dann mit Ihren Familienmitgliedern abstimmen, mit Ihrem Sohn, mit Ih-
rem Mann.
25.PAT: Genau!
26.TH: Hm..zieht Luft ein.... Haben Sie's Gefühl, dass Sie Ihr Leben gestalten? Oder, wer gestaltet Ihr
Leben? Im Moment.
27.PAT: zieht Luft ein....Pause.. Im Moment?
28.TH: Also, ob Sie oder ..andere Personen...
29.PAT: Ja, ich glaub schon, dass ich das schon auch (Möglichkeit eigener Lebensgestaltung). Das is'n Mix
von allem eigentlich (Zustimmung fremde Einflüsse). Meine Therapie ist jetzt durch. Die, die hat da jetzt
sicherlich erst mal, tritt die wieder nach hinten. Ähm,....wenn jetzt das Ergebnis da ist und das is' positiv
und ich hab jetzt nur noch meine Nachsorge. Dann wird sicherlich die Nachsorge auch in einer Therapie-
form, -ähnlichkeit rücken da, auch von der Wichtigkeit her. Aber das sind dann nur alle drei Monate und
zwischendurch werd‘ ich schon mein Leben gestalten, ja. Natürlich in Zusammenhang mit Familie und
Mann und...ähm... Aber, ich glaub, das ist halt auch so ne Sache, die ich noch ein bisschen lernen muss,
dass ich da einfach mehr mal an mich denke auch....(seelische Veränderung) und das tue ich schon, ja.
30.TH: Ja, wo liegen Ihre Kraftquellen?
31.PAT: Familie und Kind natürlich schon auch (Familie/Partnerschaft als Kraftquelle) und auch die Arbeit
(Beruf/Arbeit), nach wie vor.
32.TH: Hm.
33.PAT: Und, wenn das Ganze mal durch Meditation so'n bisschen greift, was ich noch gar nicht weiß, ob's
is, dann natürlich auch da. Dass ich einfach auch da meine Kraft so‘ n bisschen her schöpfe. Jetzt auch
der einwöchige Urlaub (Urlaub machen), der ansteht, den hab‘ ich ja lange gar nicht gehabt. Das sind
vielleicht nur 6 Tage, aber die können dann schon auch, ja, das kann schon auch...Kraft..äh..
.schöpfend..äh...sein. Wie auch immer...mal weg und raus und mal nicht immer das Gleiche sehen und
das ist oft, für mich schon so auch Kraft schöpfend, ja, ja...
34.TH: Mmh, mh.
313
35.PAT: Abstand zu gewinnen.
36.TH: Abstand zu dem, zu dem was...
37.PAT:..unterbricht ...im Alltag, was immer um einen herum ist, wo man sich auch kontinuierlich drum
kümmern muss und...des einfach mal nach hinten schieben, beiseite schieben und.....
38.TH: Das war ja auch eine Ihrer Ressourcen, wenn Sie sich noch erinnern!
39.PAT: Genau.
40.TH: Das zu sich selber kommen, dieser Schlängelweg.
41.PAT: Genau.
42.TH: Zu sich selbst.
43.PAT: Hm.., genau... Obwohl es schon schwerfällt auch,...mmm.. Das muss man jetzt einfach mal
schauen. Aber ich denk, da muss ich einfach ein bisschen am Ball bleiben jetzt, dass einen das Alte nicht
schon wieder einholt, weil man das doch schon viele Jahre gelebt hat und...ähmm...Ja, da......
44.TH: ...verändert sich jetzt auch viel.....
45.PAT: Ja, da verändert sich dann, ne....hmm!
46.TH: Aber, dann haben Sie ja jetzt auch neue Ziele gesetzt eigentlich.
47.PAT: Ja, auf jeden Fall, hmm!
48.TH: Was gibt Ihnen Sicherheit....und Halt?
49.PAT: Sicherheit und Halt? Ja, auch die Familie, mein Mann, mein Sohn, alle Freunde (soziale/familiäre
Sicherheit) auch nach wie vor, also... Da hat sich eigentlich so nichts verändert. Und Sicherheit sicher-
lich....., dass auch, dass ich mir mehr Sicherheit geben kann, indem ich jetzt einfach ein bisschen mehr
schaue auf mich. Das ist eigentlich immer so das gleiche Schema wieder ja,..dass ich da so‘ n bisschen
die Sachen verändern, und, und, und..dass ich mir selber auch ein bisschen mehr Sicherheit geben kann
(eigene innere Kraft als Sicherheit). Pause
50.TH: Haben Sie den Eindruck, dass da, dass die kunsttherapeutische Arbeit Ihnen Möglichkeiten
eröffnet hat?
51.PAT: Naja, ich glaub schon. Von der Analyse...ähm...glaub ich schon, dass man da einfach mehr nach-
denkt und auch irgendwie analytischer mal vorgeht mit gewissen Dingen und so. Ja, ich denke schon!
52.TH: Hm.
53.PAT: Um das Ganze zu begreifen und zu verstehen auch und, einfach auch so extrem, die Frage so:
Was gibt Kraft? Und wo sind die Ressourcen? Hm, das sind so Dinge, die stellt man, das sind Fragen, die
stellt man sich nicht einfach so mal. Da geht man nicht so akribisch dran, sagt: Ja, wie sieht‘s aus? Was
ist da? Also, ich glaub‘ das einfach (genaue Analyse der Gesamtsituation)!
54.TH: Hm....ahm... Können Sie die Bedeutung dessen, was Sie da für sich erarbeitet haben, können Sie
das auf ein paar Begriffe.....ähm...fokussieren? Können Sie ein paar Begriffe nennen...ähm...ja, die Be-
deutung zusammenfassen?
55.PAT: Hm..stöhnt.... Schwierig, des krieg ich jetzt so, glaub‘ ich, nicht hin so schnell. ..lange Pause.
56.TH: Also, ich wiederhol‘ noch mal, was Sie eben gesagt haben. Vielleicht fällt Ihnen dann was dazu
ein?!
57.PAT: Ja...ja.
58.TH: Sie haben gesagt, dass das so ne Art der Analyse war, die Sie sonst nicht so gemacht hätten.
59.PAT: Hm,..genau.
60.TH: Und,..ähm...des wären Fragen, die Sie sich so nicht gestellt hätten.
61.PAT: Hm.
62.TH: Und Sie sagten, da wär' auch ne Akribie drin, also ne Genauigkeit.
63.PAT: Kann man so sagen, dass man selber auch, sich selber quasi auch gestagt hat (sich selbst sta-
gen). Mal, so durch diese Geschichte, ja. Das man einfach jetzt sich selber auch mal...ähm...gestagt hat,
noch mal geguckt: Was hat das zu bedeuten? Warum ist das so? Was ist los? Wo stehst Du? Wie gehst Du
damit um? Und..zieht tief Luft ein.....ja, daran halt einfach jetzt weiterarbeiten kann, sich da einfach noch
mal so, ja, auf den Punkt gebracht hat, ne (positive Möglichkeiten des Umgangs entdecken). Natürlich
mit Hilfe der ganzen Geschichte jetzt auch, ne!
64.TH: Würden Sie sagen, dass des ne Zielfokussierung unterstützt hat?
65.PAT: Schon auch, ja! Ja, auf jeden Fall! Das Ganze hat mir von Anfang an ja was zu sagen gehabt,
auch und..äh... Ja, es is' halt immer die andere Frage, die man sich stellt: Muss das denn auf so nem
Wege denn auch passieren, dass man dann einfach so‘ ne Erkrankung bekommt oder so. Aber mei, s‘ is
halt so im Leben!
66.TH: Gibt es etwas, was Sie kritisch fanden, an der Art wie ich....äh..also..
67.PAT: Hm, nee, kritisch nicht. War halt manchmal sehr erschöpft und sehr müde. Und auch die Frage-
bögen, da musst ich mich dann schon auch sehr konzentrieren (erfordert Konzentration). Da wusst' ich
nie, woran liegt das jetzt? Liegt es jetzt daran, dass ich Therapie kriege von, von, Chemo is‘. Bin ich da-
her so müde oder? Das war manchmal für mich auch so, von den Fragen her.... Da hätt' ich auch gar
nicht, konnt' ich mich an manchen Tagen gar nicht so einschätzen, auch. Häufig, weniger häufig und so
weiter. Das war, aber ansonsten nich‘, ne.
68.TH: Aber beim Umgang mit, also wie man....ähm..also..., wie des so funktioniert, wie dies...ähm...wie
des so gedacht war, die Umsetzung. Hatten Sie da so.......?
69.PAT: Ne, hm..hm! Nee, des fand‘ ich, nee, nee..., nee.
70.TH: Okay, gut!
314
71.PAT: Okay.
72.TH: Das war‘s, vielen Dank für ihre Antworten!
73.PAT: Danke auch!
Unterbrechung, dann äußert sich die Patientin erneut; weitere Aufnahme
74.Pat: Das war ein Staging für mich: Was is wie, wo los? Was hab‘ ich gemacht? Wo bin ich? Wo steh‘
ich? Was hat das Ganze mir zu bedeuten? Und..ähm..ja, wie kann man‘ s einfach angehen jetzt, ne! Wo-
bei ich glaube, des wird schon noch en bissl schwierig jetzt, die nächste Zeit. Deswegen bin ich jetzt froh,
dass ich bei der Frau M. auch bin, weil einfach dieses Runterkommen und dieses immer wieder in dieses
Hineinfallen, also immer in diese...
75.TH: In alte Gewohnheiten auch?
76.PAT: Genau! Und sie sagt auch, des is halt echt extrem, wenn man des jahrelang gelebt hat. Ja, dann,
dann, das da, das braucht ne Zeit, ja, dass man sich da einfach..., auch dass jetzt ma hochgegangen bin
und hab‘ mich mal ne Stunde hingelegt. Also, des war einfach jetzt ne körperliche Geschichte. Ich saß da,
ich konnte nicht mehr! Ja, da wären wahrscheinlich andere schon dreimal, hätten die wahrscheinlich
schon gesagt: Du, ich leg mich jetzt ne Stunde hin, oder so, ja! Und...ähm...merk au, dass mein Mann da
jetzt einfach auch viel sicherer geworden ist. Der musste jetzt auch viel mit abfangen und das is' auch für
mich so'n beruhigender, en Punkt, der mich beruhigt und wo ich denk: Ja, lass ihn halt, ne!
77.TH: Und er ist auch da, oder?
78.PAT: Ja, bis auf jetzt, die...ähm..Herbstgeschichte. Da wird er wieder viel verreisen und dann hab‘ ich
halt wieder das Problem, dass ich kein Babysitter habe, weil unsere Babysitterin uns jetzt...........
Hier schaltet die Fragende ab, da es nicht mehr um für die Befragung wichtige Inhalte geht.
315
316
Lebenslauf
Persönliche Daten:
Alexandra Hopf
Dipl. - Kunsttherapeutin (FH)
Barer Str. 45
80799 München
Tel.: 089/28777768 mobil: 01737168205
E-Mail: alexxahopf@web.de
Ausbildung:
Berufstätigkeit:
317
Weiterbildung Psychosoziale Onkologie (WPO), Universität
Heidelberg
Seit 2013 Fachdozentin für die Weiterbildung Kunsttherapie in der Onko-
logie, Alanushochschule Alfter
ab Dezember 2013 Dozentin an der Medical School Hamburg, Masterstudiengang
Intermediale Kunsttherapie
Hopf, A. (2008)
Malen für die innere Ordnung, Kunsttherapie in der Psychoonkologie, erschienen im Ma-
gazin lebensmut, 12/2008
Veröffentlichungen:
Hopf, A. (2011)
Entwicklung der kurzen strukturierten Kunsttherapie, KSKT®, einer Ressourcen orientier-
ten Kurzzeitintervention in der Psycho-Onkologie, Musik-, Tanz- und Kunsttherapie
22(3) 2011, S. 160-167
318
Postervorträge:
Hopf, A. (2012)
Die kurze strukturierte Kunsttherapie (KSKT®) in der Psycho-Onkologie - Collage als
kunsttherapeutische Intervention, PO-133, DKPM 2012
Vorträge:
Hopf, A. (2010)
Gestaltungsspielräume trotz Angst und Autonomieverlust - die kurze strukturierte Kunst-
therapie (KSKT®) in der Psycho-Onkologie, Vortrag, V 981, ONKOLOGIE - Internationales
Journal for Cancer Research and Treatment, 2010
Hopf, A. (2013)
Wer gestaltet mein Leben? - Die kurze strukturierte Kunsttherapie (KSKT®), eine auf Col-
lage basierende kunsttherapeutische Intervention in der Psycho-Onkologie, Abschlussvor-
trag Promotionskolloquium, Forschungstagung der Hochschulen für Kunsttherapie JETZT,
Hochschule Ottersberg
Weiterbildungen:
20.01.2012:
Kreative Therapien in der Psycho-Onkologie am Beispiel der kurzen strukturierten Kunst-
therapie (KSKT®), Vortrag und praktische Übungen, Weiterbildung Psychosoziale Onkolo-
gie (WPO), Veranstaltungsort München
12. – 13.10.2012:
Vertiefungskurs Kunsttherapie in der Onkologie, Weiterbildung Psychosoziale Onkologie
(WPO), Veranstaltungsort München
319
Kurs 2013/Kurs 2014:
Kunsttherapie in der Onkologie, zertifizierte Weiterbildung für Kunsttherapeuten, Alanus-
hochschule Alfter
Auszeichnung:
Film:
Die kurze strukturierte Kunsttherapie, KSKT®, Medienabteilung des Klinikums der LMU,
Campus München-Großhadern, Juni 2009
320
Eidesstattliche Erklärung
Hiermit erkläre ich, Alexandra Modesta Hopf, geb. 10.10.1963, dass ich mich noch keiner
Doktorprüfung unterzogen oder um Zulassung zu einer solchen beworben habe.
Die Dissertation mit dem Titel:
hat noch keiner Fachvertreterin, keinem Fachvertreter und keinem Prüfungsausschuss ei-
ner anderen Hochschule vorgelegen.
Hiermit erkläre ich ausserdem an Eides statt, dass ich die obengenannte Dissertation
selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe.
Andere als die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel habe ich nicht benutzt.
Die den herangezogenen Werken wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen sind als
solche gekennzeichnet.
_______________________ Unterschrift
321