- Ein Fotoprojekt in der Forensik - S.243-247 in: Resonanz und Resilienz, Doris Titze 2008, Sandsteinverlag Dresden - Beschreibt die Situation, wie es ist, wenn eine Kamera auf einen gerichtet ist - „Hält einen Moment bildlich fest“ (zit. Reschke S 243) - Bild von sich selbst: Erstaunen, Erkenntnis, Bewertung - „ureigenes Interesse des Menschen an sich selbst“ - Reschke zit. Ovidis, der antiken Mythologie des Narziss: „während er trinkt, erblickt er das Spiegelbild seiner Schönheit, wird von ihr hingerissen (…). Er bestaunt sich selbst und verharrt unbeweglich mit unveränderter Miene wie ein Standbild aus parischem Marmor“ (zit. Rechke S. 243: Ovidis 1994, S.153) - Interdisziplinäres Team: Fotograf, Psychologe, Kunsttherapeutin - 8 Patienten, Männer mit eingeschränktem Schuldbewusstsein - Maßregelvollzug nach § 63 - Seelische Krankheit, Intelligenzminderung, Persönlichkeitsstörung - Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eingeschränkt - Freiwillig - Teilnehmer psychotisch erkrankt, persönlichkeitsgestört, seit ca. 7 J. in Behandlung - „Mangel“ an Fotografien von sich selbst - Die Motivation, über Fotos Kontakt zur Familie herzustellen, sieht sie als „bindendes Element“ - Ziel: Förderung der Selbstreflektion - Variationen zur spielerischen Erweiterung vom Bild der eigenen Person (Reschke, S243) - Beschreibt versch. Lesarten vom „Selbstbild“: Vorstellung von sich selbst als psychologisches Konstrukt Fotografie als Selbstbild nach eigenen Vorstellungen Fotografisches Selbstportrait mit Selbstauslöser Andere stehen am Auslöser nach den Vorstellungen des Fotografierten - Erprobung versch. Rollen vor und hinter der Kamera - Partnerschaftliche Arbeit: Beziehungsebene wird erlebbar, „denn der Patient muss für ein gelungenes Selbstbild seine Wünsch konkret formulieren können und mit dem Fotografen so kooperieren, dass in gegenseitigem Verständnis ein Bild entstehen kann.“ (Reschke S 243) - Erfordernis einer sensiblen Zusammenarbeit, denn „der Selbstdarstellungs- wunsch tritt hier dem Risiko gegenüber, dass etwas entstehen könnte, das der Fotografierte nicht von sich sehen möchte“ (Reschke S. 243) - Balanceakt zwischen Vertrauen und Kontrolle - Große Bedeutung für forensische Patienten - Zu Beginn Selbstportrait als Mittel des künstlerischen Ausdrucks (um Ängsten entgegen zu wirken) - Einführung in die analoge und digitale Technik: Praktische und technische Kompetenzen, männl. Teiln., Umgang mit Objektiven, Fokussieren, Belichtungszeit etc.: Sicherheit durch techn. Kompetenzerwerb - Erste Versuche an unbelebten Objekten: Steinköpfe aus der Kunsttherapie - Erkennen unterschiedlicher Wirkung: Gleiches Motiv wirkt mal traurig und düster oder herausfordernd und mutig, je nach Perspektive und Beleuchtung „konstruktivistische Erkenntnis“ (Reschke S 244) - 1. Erkenntnis, dass Fotografie nicht zwingend „die Wirklichkeit“, sondern Aspekte der Wirklichkeit wiedergibt (Reschke S 244) - „Fotografie konstruiert Wirklichkeit“ (Reschke S 244) - 2. „Wie wirkt das Bild/Person auf mich?“ Unterschiede subjektiver Wahrnehmung - 3. „Wirkt das Bild auf andere auch so? Wenn nicht, warum?“ - Ein Bild ist ein Bild, zeigt nie die ganze Person - Bild hat die Kraft, bestimmte Aspekte der Person zu betonen (Reschke s. 244) - Betonung durch die Wahl der Gestaltungsmittel: Ausschnitt, Perspektive, Licht etc. - Einbindung wahrnehmungstheoretischer Ebenen - Assoziieren von Geschichten zu selbst mitgebrachten Bildern z.B. Name, Beruf, Hobbies, Familienstand, - Bsp. Mann mit Hut: Erste Gruppe glaubt: „Besitzer einer Tabakplantage, trinkt Whisky, gebildet, liebt Musik…“ Zweite Gruppe glaubt: „strenger furchtloser Sheriff, besitzt zwei Revolver“ - Resumé: Der Betrachter selbst ist es, der sich ein Bild von der Person macht, sie bewertet. - Möglicher Zwischenschritt: Entwurf eines Profils macht eigene Wahrnehmungsvorgänge und Bewertungen als Betrachter sichtbar - Forensische Patienten sind ständig mit externen Bewertungen konfrontiert (Reschke S 245) - Ermutigung, Fotografie als Mittel des eigenen Ausdrucks zu nutzen - Wie will ich gesehen werden? - Schüchtern, Angst, Aufregung im Raum - Vage Vorstellungen entwickeln sich durch gemeinsames Handeln zu konkreten Ideen (Reschke S 245) - Enttäuschungen, „wirkt gestellt“, „das gefällt mir nicht“ . - Selbsterkenntnis: „Festhalten eines Wunschbildes von sich selbst“ (Reschke S 245) - Komplexere Bildentwürfe - Gemeinsame Suche, gegenseitige Unterstützung Fotograf – Fotografierter - Hinter der Kamera: „Gefühl von Macht“, Kontrolle, „Am Abdrücker sitzen“ – „Ich schaffe es nicht“, (Reschke S 246) - Vor der Kamera: Versuch der eigenen Inszenierung (Reschke S 246) Ergebnis - Spontanes (Überraschendes), Unbeobachtet sein z.B. Mann mit Stuhl: zweideutig Stuhl als Waffe oder Schutz? - zeitaufwendige Inszenierungen - Diashow: Spontane Überraschung, Lachen über Schnappschüsse, die mehr verrieten, als man erwartete (Reschke S 246), Enttäuschung - Foto als Stellvertreter der eigenen Person. Patienten sprechen über ein Bild, nicht über die Person selbst. „Diese Distanzierung macht es Patienten oft erst möglich, über eigenen Anteile zu sprechen“ (Reschke, S 246) - Reschke erstellt ein Diagramm, auf dem in einem Briefumschlag mitgebrachte Fotos von anderen Teilnehmern zugeordnet werden sollen: So kenne ich ihn So sieht er sich gern So sieht er sich nicht gern So kenne ich ihn nicht - 2. schritt Pat. konnte Bilder neu zuordnen - Deutliche Unterschiede von Selbst- und Fremdbild - „So werde ich von der Gruppe gesehen“ - Es zeigte sich ein fürsorglicher Umgang miteinander und gleichzeitig schonungslos offen (Reschke S 247) - Fremdes Bild, das dem eigenen Selbstbild erst einmal gegenüberstand (Reschke S 247) - „Das Fremdbild tritt auf das Selbstbild“ Reschke S 247) - Resonanz als konstruktive Reaktion: - Fotos von Grimassen: Der Spaßmacher nervt: Gruppe wünscht sich einen ernsteren, erwachsenen, Nachdenklichen Mitpatienten (Reschke,S 247) - Verunsicherung des Selbst nach Murakami: „War mein eigenes Selbstbild nicht nach Gutdünken zurechtgestutzt? Genauso unecht wie der Klang meiner Stimme bei einer Tonbandaufnahme“ (Murakami 2003, S. 139 in Reschke S. 247) - Neue Impulse leere Stelen des Diagramms zu füllen: „Ich möchte etwas ganz Untypisches ausprobieren“ - Anreiz unbekannte Seiten auszuprobieren - Ungewohnte Selbstbilder - Abwehr: Ich möchte keine weiteren Fotos - Kommentar eines Patienten zu den Fotos: „Sich darin zu sehen ist wie einen Spiegel vorgehalten zu bekommen“ (Reschke S 247)
Gestaltpsychologie der Kunstbetrachtung: Eine Einführung anhand der Werkbeschreibungen von Werner Schmalenbach, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage