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Die tote Meerjungfra

Einleitung

Im folgenden Text schildere ich die verschiedenen Aspekte der psychischen Erkrankung des Herrn H, den ich im
Rahmen eines 2,5monatigen Blockpraktikums in der geschlossenen Station im Klinikum Rechts der Isar,
kennenlernte. Ich werde mich mit seinem künstlerischen Ausdruck innerhalb der Kunsttherapie
auseinernandersetzen sowie mit den Gefühlen die der Kontakt mit Herrn H. und die seine Bilder in mir
auslösten.

Herr H. wurde im November wegen einer schweren depressiven Episode in Verbindung mit Marijuhanakonsum
in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Im Verlauf seines Aufenthaltes wurden bei ihm des weiteren eine
posttraumatische Belastungsstörung durch Fluchterfahrung diagnostiziert sowie der Verdacht auf eine
emotional instabile Persönlichkeitsstörung Borderline Typus gestellt.

Ich werde vor der Vorstellung des Patienten und seiner Bildersprache auf Trauma und die emotional instabile
Persönlichkeitsstörung, Borderline Typus im Allgemeinen eingehen, da es für die Betrachtung seiner
Bildsprache nützlich ist.

Traumabegriff:

Trauma kommt vom altgriechischen τραύμα und bedeutet Verletzung oder Wunde. Es bezeichnete zunächst
körperliche Verletzungen, später auch psychische oder mentale Verletzungen, auf die ich hier eingehen werde.
Nach ICD 10 werden traumatische Erlebnisse als belastende Ereignisse oder Situationen außergewöhnlicher
Bedrohung definiert. Traumatische Erlebnisse lösen Ohnmacht, Verzweiflung und/oder tiefe Angst aus und
übersteigen in der Regel die zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien. Hierzu gehören
Naturkatastrophen und von Menschen ausgelöste Situationen wie u.a. das Opfer oder der Zeuge körperlicher
oder sexueller Gewalt zu sein, sei es im persönlichen Raum beispielsweise der Familie oder im größeren Raum
bei Kriegserfahrungen oder Terroranschlägen.

Ob es nach traumatischen Erlebnissen zu einer posttraumatischen Belastungsstörung kommt ist von


verschiedensten inneren und äußeren Faktoren abhänging. Um eine posttraumatische Belastungsstörung nach
DSM IV zu definieren werden verschiedene Symptome von PatientInnen abgefragt:

anhaltendes Wiederkehren des traumatischen Ereignisses:

-Intrusionen (wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Trauma

- Alpträume
- Flash-Backs (erinnern, als ob das traumatische Ereignis in der Gegenwart geschähe)

- Intensive psychische Reaktion bei Konfrontation mit Trauma

-körperliche Reaktionen beim Erinnern des Traumas wie Zittern und Schwitzen

Vermeidungsverhalten:

- Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen

-Bewusstes Vermeiden von Orten, Aktivitäten, Personen die an das usprüngliche Trauma erinnern

-Erinnerungslücken (Unfähigkeit sich teilweise oder vollständig an bestimmte Aspekte des Traumas zu erinnern)

- Vermindertes Interesse und verminderte Aktivität

- Einschränkung des Gefühlsspektrums (Abgestumpftheit, Taubheit, Versteinert-Sein)

- Gefühl von Losgelöstheit, Entfremdung von sich selber und anderen

- Gefühl einer eingeschränkten Zukunft

Übererregungszustand:

- Einschlaf-, Durchschlafstörungen

- Reizbarkeit, Wutausdrüche

- Konzentrationsstörungen

-Übertriebene Aufmerksamkeit und Wachsamkeit

- Erhöhte Schreckhaftigkeit

Bei Herrn H. wurde während des Klinikaufenthalts aufgrund seiner Fluchtgeschichte und Kriegserfahrungen
über die er nicht konkret berichtete, und den damit verbundenen Symptomen, die sich bei ihm zeigten, eine
posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Die Diagnostik der Borderline-Persönlichkeitsstörung war
während meinem Praktikum noch nicht vollständig geklärt wurde aber vom Klinik-Personal stark vermutet und
auch in seiner Bildsprache sichtbar, weshalb ich das Krankheitsbild hier erläutere:

Borderline-Persönlichkeitsstörung nach DSM-5:

Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung weisen ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in
zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten auf und sind im Handeln oftmals
impulsiv. Durch die folgenden Kriterien wird nach DSM-5 eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert:

Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen zutreffen:

1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.


2. Ein Muster instabiler und intensiver twischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen
den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.

3. Störung der Identität: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der
Selbstwahrenhmung.

4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen z.B. Geldausgaben, Sexualität,


Substanzmissbrauch, usw.

5. Wiederholtes suizidales Verhalten, Suizidandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.

6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung, z.B. hochgradige episodische
Misslaunigkeit (Dysphorie), Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und
nur selten mehr als einige Tage andauern.

7. Chronische Gefühle von Leere

8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontroliieren.

9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative


Symptome.

Da ich von dem diagnotischen Gespräch zwischen den ÄrztInnen und Herrn H. keine Informationen bekam und
mir lediglich die Kunsttherapeutin von dem Verdacht auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung berichtete,
werde ich in meinem Text insbesondere auf meine Gefühle im Kontakt mit Hernn H.s Bildern und Herrn H.
eingehen, in dem ich oft eine Isoliertheit, ein Abgeschnittenheit, Hilflosigkeit und Zerissenheit wahrnehmen
konnte, die unter den Kriterien 1,3,6 und 7 angeschaut werden können. Auch Selbstverletzung und
Suizidgedanken, Substanzmissbrauch und Geldausgaben waren bei Herrn H. oft Thema und kamen manchmal
in seinen Bildern zum Ausdruck.

Praktikum:

Herrn H. lernte ich auf der geschützten Station des Klinikums Rechts der Isar kennen. Er hatte sich aufgrund
Suizidgedanken selbst vorgestellt. Zuvor hatte er über Monate hinweg Cannabis konsumiert, die seine
depressiven Symptome verschlimmerten und teils auslösten. Er war vor der Kunsttherapie noch nie mit dem
Medium der Malerei in Berührung bekommen und zeigte sich von Anfang an sehr offen im Umgang mit Farben,
dem Mischen von Farben, griff beherzt zu größeren Formaten und Acryl. Seine Bilder drückten sich durch ein
hohes Mass an Symbolik, intensive Atmosphären und einer Technik aus, die nicht darauf schließen ließ, dass er
bisher noch nie gemalt oder künstlerisch aktiv gewesen war. Seine Bilder lösten in mir starke Gefühle von
Isolation, Verletzlichkeit, Empfindsamkeit, Unabgegrenztheit aus. Während der Bildbesprechungen ging er nur
sehr oberflächlich auf die Bilder ein und redete auch in Einzelgesprächen nie detailliert über seine
Bildhintergründe. In seinen Bildern tauchten abgetrennte Gliedmaßen, verbrannte Erde, Boote und Strände
auf, die auf ein Kriegs- und Fluchttrauma schließen liessen, die er jedoch nicht verbalisieren wollte oder konnte.
Es ging ihm nach dem Malen besser, er äußerte mir einmal, dass er sich danach fühlte als sei eine große Last
von ihm gefallen und er sei im Brustbereich befreiter. Er sagte, er würde gerne Künstler werden und damit Geld
verdienen und fragte mich nach Möglichkeiten Kunst zu studieren, was mich als Praktikant in eine schwierige
Situation brachte. Ich besprach die Beziehung zwischen Herrn H. und mir mit meiner Anleiterin sowie mit
meiner Therapeutin, da ich Sorge hatte, durch die Bilder, die mich emotional sehr berührten, in eine
symbiotische Verbindung hineinzutauchen. Ich konnte ihm keine falsche Hoffnungen über ein Kunststudium
machen, das in seinem Gesundheitszustand zu unstrukturiert wäre und ein hohes Maß an Selbstorganisation
fordert . Ausserdem stand eine große Problematik zwischen ihm und seinem Vater immer im Raum, von dem er
mir im zweiten Monat erzählte. Er war nach Deutschland geflohen um eine bessere Lebensqualität zu haben
und Geld verdienen zu können auch für seine Familie. Durch seine Traumatisierung konnte er diesem Druck
jedoch nicht standhalten und musste seine Ausbildung aufgeben, rutschte in eine tiefe depressive Episode. In
der Kunsttherapie wurde das Medium Kunst zunächst zu einem Grashalm an den er sich klammerte, da er sich
hier ausdrücken, spüren und ohne Worte in Kontakt mit sich selbst, der Gruppe und den TherapeutInnen
treten konnte. Er bekam auch viel Lob und Anerkennung was seinem geringen Selbstwert guttat.

Bildsprache:

Die Angst, meiner therapeutischen Rolle nicht gerecht zu werden, aus der Sorge emotional zu verbunden zu
sein, rührte vor Allem durch die Wirkung seiner Bilder auf mich her. In einem seiner Bilder, malte er eine
Meerjungfrau die isoliert und klein am rechten Rand des Bildes, blutend in einem endlosen Meer dahintreibt.
Auf die Frage was er dort gemalt habe, sagte er, dass er eine tote Meerjungfrau gemalte habe. In diesem
Zeitraum arbeitete ich gerade selbst an einem Kunstwerk dass sich mit dem Symbol der Meerjungfrau
auseinandersetze und beschäftigte mich viel mit der Figur der Meerjungfrau in Märchen und Mythen im
Kontext von Gender, Sexualität und Familie. Davon wusste Herr H. natürlich nichts. Eine Verletzlichkeit, eine
Sensibilität zu zeigen, etwas so Sinnloses wie Kunst als Lebensinhalt zu haben, verstand Herr H. in der ersten
Kunsttherapiestunde nicht und fragte mich warum ich gerade dieses Studium ausgewählt habe. Ich spürte dass
er gerade mir als männliche Person die Frage stellte, von der er eine praktischere, rationalere Funktion in der
Gesellschaft erwartete oder forderte. In seiner Frage schwang ein Hauch von Hohn mit, als wolle sich als junger
mitte zwanzigjähriger Mann nicht auf so eine Gefühlsduseligkeit und Zeitverschwendung wie Kunst
herablassen. Später ging er gerade in diesem Medium auf und vermittelte seine Innenwelt auf eine
ungefilterte, sensible, selbstbewusste, mutige Art wie ich es selten in Praktika bei Männern erleben konnte.
Später erzählte er mir auch mehr von seinem Vater und das er bereits im Alter von 11 Jahren schwere
körperliche Arbeit verrichten musste, ein Mann sein musste. Aufgrund schwieriger Lebensumstände wie Krieg
und Armut hatte Herr H. schon als kleiner Junge ein Mann sein müssen und seine sensible, weibliche, kreative
Seite abschneiden müssen, sowie bei der Meerjungfrau der untere Teil des Körpers nicht-menschlich, nicht
wirklich Teil von ihr ist.

Das Bild enstand am ersten Tag der Woche zum Thema Gegensätze. Meine Anleiterin befand sich im Urlaub
und ich leitete die Kunsttherapie alleine. Am ersten Tag lies ich das Thema Gegensätze sehr offen und gab allen
Patienten lediglich ein weißes Blatt mit einem Bleistiftstrich in der Mitte. Ich sagte, das man das Blatt horizontal
hinlegen könne, wodurch sich links und rechts ergibt oder auch vertikal, wodurch sich der Kontrast oben und
unten ergebe. Ich bereitete Bilder im A4 und A3 Format vor. Herr H. griff wie immer beherzt und furchtlos zum
A3 Format und fing an, seine Farben auf einer Palette anzumischen. Ihm war wichtig, dass das Wasser
rauschend und wellig aussah und fragte mich um künstlerische Tipps worauf ich ihm sagte, dass er mit helleren
Tönen wie weiß oder dunkleren grau oder blau Tönen arbeiten könne um dem Wasser mehr Struktur zu
verleihen. Daraufhin war er zufrieden mit der Gestaltung seines Meeres. In der Besprechung erklärte er, das
auf der rechten Seite ein großer grauer Berg aus Geröll zu sehen sei und auf der linken Seite ein großes Meer
mit Mond und Sternenhimmel. Auf Nachfrage erklärte er, dass der gelbe Stern der Polarstern sei. Ich merkte
an, dass der Schatten des Mondes auf das Meer sowie die Gischt am unteren Bildrand technisch sehr gut
herausgearbeitet wurden. Ich sagte, dass ich am rechten Bildrand ein Objekt oder eine Figur erkenne und
fragte nach, woraufhin er mir schilderte dass es eine tote Meerjungfrau sei, die blutete. In diesem Moment
liess ich es so stehen, da wir in der Gruppenbesprechung waren und ich ihn und die Gruppe nicht überfordern
wollte. Im Nachhinein bin ich mir unsicher, ob ich nicht doch hätte nachfragen sollen, können, wollen. Fragen
die sich mir stellen: Wie starb die Meerjungfrau?; wie geht es ihr angeschnitten am Rand des Bildes?, ist sie
allein oder gibt es irgendwo noch andere Meerjungfrauen?

Hätte ich Herrn H. fragen können, ob die Meerjungfrau etwas bräuchte um sich zu retten? einen Ring? ein
Boot? ein Ufer? eine Person?

Hätte er als Intervention die Meerjungfrau im Zoom noch einmal ausarbeiten können oder war es gerade gut,
dass Herr. H. als Selbstschutz die Leiche von so weiter Ferne darstellte?

Doch bereits der Vorgang seine Gefühle, seine Verletzung und seine verschütteten Erinnerungen in ein Symbol
ausdrücken zu können und in eine von ihm erschaffene (Gefühls-)Landschaft einzufügen war für Herrn H. ein
sehr starker, befreiender Schritt, welches ihm ein Stück Selbstbewusstsein und Macht wiedergab.

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