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Originalveröffentlichung in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 51 (1997), S.

43-70

ANDREAS TACKE

Das tote Jahrhundert


Anmerkungen zur Forschung über die deutsche Malerei des 17. Jahrhunderts

Es ist aufschlußreich, m it der Kunstanschauung des welches neben dem Barock allerdings auch das Mit­
italienischen Philosophen Benedetto Croce (1866- telalter und den Manierismus mit ausschloß. Richten
1952) die für seine Zeit typische Barockverachtung wir den Blick nach Deutschland und auf die dortige
schlaglichtartig darzulegen, welche wohl als Haupt­ Barockmalerei und lassen nun statt Croce einen deut­
grund für eine allzu späte wissenschaftliche Würdi­ schen K ronzeugen, Wilhelm von Bode (1845-1929),
gung dieser K unst auszumachen ist. Nur wenige der zu Wort kommen: »Die Geschichte der Malerei in
überaus zahlreichen Autoren haben nämlich ihrer Deutschland während des siebzehnten und achtzehn­
Ableh nung so prägnant Ausdruck verliehen, wie es ten Jahrhunderts ist gewiß eines der unerquicklich­
Croce in seinem später gedruckten Vortrag vom sten K apitel der K unstgeschichte«2. Und weiter:
2. Februar 1925 an der Eidgenössischen Technischen »Das Todesjahr Holbein's ist die Grenzscheide, über
Hochschule Zürich tat. Darin bündelt er seine Ein­ welche hinaus kaum ein nennenswerthes Gemälde in
wände; die hier zitierten Verdammungen stehen für Deutschland mehr entstanden ist;... «3.
den ganzen Text: »Sowohl das Wort als auch der Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß es
Begriff >Barock< entstanden mit der Idee der Mißbilli­ im 19., aber auch noch im 20. Jahrhundert wissen­
gung und nicht etwa, um eine Epoche der Geistesge­ schaftlicher K onvention entsprach, daß, wer sich mit
schichte oder eine K unstform zu bezeichnen, son­ der deutschen Barockmalerei auseinandersetzte, eine
dern vielmehr eine Art künstlerischer Häßlichkeit, Erklärung für die Wahl des Gegenstandes der Arbeit
und, meines Erachtens, kann es nur von Nutzen sein, voranstellte. Entweder wurden darin der K ünstler
wenn Wort und Begriff im strengen wissenschaftli­ selbst oder die Zeitverhältnisse als »schwach« bzw.
chen Gebrauch diese Bedeutung beibehalten, die aus­ »trübe« entschuldigt. Vier Beispiele: Das Vorwort zu
gedehnt oder, noch eher, logisch umgrenzt werden der ersten Monographie (1907) über Joachim von
kann. ... Der Barock ist also eine Art des künstlerisch Sandrart (1606-1688), den wohl herausragendsten
Häßlichen, und deshalb ist er überhaupt nicht künst­ Vertreter der deutschen Barockmalerei des 17. Jahr­
lerisch, steht zur K unst vielmehr im direkten Gegen­ hunderts, führt aus: »Die K unstgeschichte betont
satz. Von der K unst verfälschte der Barock das Aus­ heute mehr denn je, daß der historische Wert einer
sehen und den Namen; er führte sich statt ihrer ein, K unstschöpfung von dem Grad ihrer Selbständigkeit,
verdrängte sie«1.
Sicherlich sind diese Formulierungen vor dem
1
Hintergrund der Auseinandersetzung Croces mit Benedetto Croce: Der Begriff des Barock. In: Ders.: Der
dem Werk Heinrich Wölfflins (1864-1945) zu sehen, Begriff des Barock, Die Gegenreformation. Zwei Essays.
Übertragen von Berthold Fenigstein (Europäische Biblio­
doch stehen sie auch als Beleg für die zeittypische
thek). Zürich, Leipzig und Stuttgart 1925, S. 5-37 (6, 12).
Haltung gegenüber dem Barock im allgemeinen. Die 2
Wilhelm Bode: Die Großherzogliche Gemäldegalerie zu
Grenzen von Croces K unstanschauung selbst lagen Schwerin. Wien 1891, S. 167.
3
in der extremen Beschränkung auf das K lassische, Bode (Anm. 2), S. 167.

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ihrer Originalität abhänge. Wer nur aus diesem schen Nationalmuseums im Nürnberger Ausstel­
Gesichtspunkt über Sandrarts Kunst urteilen wollte, lungskatalog »allgemein ist die deutsche Kunst im 17.
den müßte ich allerdings auf das verweisen, was ich Jahrhundert auf einem Tiefstand angelangt«8 und
am Ende des Abschnitts über Sandrarts kunsttheore­ Wolfgang J. M üller (1913-1992), dem immerhin die
tische Ansichten gesagt habe, daß nämlich dessen erste (1956) umfassende Bearbeitung des Stillebenma­
Kunstbestrebungen wie auch die seiner Epoche auf lers Georg Flegel (1566-1638) zu verdanken ist9,
das gerade Gegenteil einer Herrschaft der unge­ führt anläßlich der Berliner Ausstellung 1966 dazu
hemmten >Selbständigkeit< hinzielten. ... Daß Sand- aus: »Zwischen die große Zeit Dürers, Holbeins und
rart kein bahnbrechender M eister gewesen ist, glaube ihrer Nachfolger und das 18. Jahrhundert, das den
ich im ganzen Verlauf der Abhandlung fast allzusehr Kunstreichtum des Spätbarock über Deutschland
betont zu haben.... Man wird darum finden, daß San­ ausgebreitet hat, schiebt sich das 17. Jahrhundert wie
drarts Schwächen weder verschwiegen noch geschont eine Wüstung, in der nur an wenigen Orten ein ver-
werden« . streut-dürftiges Kunstleben fortdauern konnte«10.
Für die Benennung der Zeitverhältnisse des 17. Im folgenden soll auf diese Einschätzungen11 und
Jahrhunderts als »trübe« stehen die Vorworte der ihren allmählichen Wandel12 nicht weiter eingegangen
Arbeiten des späten 19. Jahrhunderts über M atthäus werden. Es soll auch nicht erneut untersucht werden,
M erian d. A. (1593-1650) bzw. die Nürnberger M aler­ wie sich die Forschung und der Gegenstand entwik-
familie Preißler, deren Familienmitglieder zum Teil kelten bzw. definierten13. Es kann reichen, mit M artin
Direktoren der dortigen Kunstakademie waren: »Auf
den folgenden Seiten habe ich das Leben und die
Thätigkeit eines Mannes [M erians] geschildert, der zu
4
Paul Kutter: Joachim von Sandrart als Künstler. Nebst
Anfang und in der M itte des 17. Jahrhunderts, wohl
Versuch eines Katalogs seiner noch vorhandenen Arbeiten
in Deutschlands trübster Zeit«5 arbeitete, und - auf
(Studien zur deutschen Kunstgeschichte, H. 83). Straßburg
die M alerfamilie Preißler bezogen - zur »Untersu­ 1907, S. VII-VIII (Vorwort).
chung der trüben Zeit des Niedergangs deutscher 5
Johann Heinrich Eckardt: M atthaeus M erian. Skizze sei­
Kunst [im 17. und 18. Jahrhundert] eignet sich vor­ nes Lebens und ausführliche Beschreibung seiner Topogra-
nehmlich der >klassische Boden< Nürnbergs«6. Unser phia Germaniae nebst Verzeichnis der darin enthaltenen
letztes Beispiel ist der ersten M onographie (1889) Kupferstiche. Amsterdam 1887, S. V (Vorwort).
6
Franz Friedrich Leitschuh: Die Familie Preisler und M ar­
über Carl Screta (1610-1674) entnommen: »Die Auf­
kus Tuscher. Ein Beitrag zur Geschichte der Kunst im 17.
gabe, den M aler Carl Screta monographisch zu und 18. Jahrhundert. Leipzig 1886, S. II (Vorwort).
behandeln, ist schwer und zugleich leicht, undankbar 7
Gustav Edmund Pazaurek: Carl Screta (1610-1674). Ein
und doch wieder lohnend, welches pro und contra in Beitrag zur Kunstgeschichte des XVII. Jahrhunderts. Prag
den Schwierigkeiten localer Natur, wie in solchen, die 1889, S. 5 (Vorwort).
8
ein Stoff der Barockzeit überhaupt mit sich bringt, Ludwig Grote in seinem Vorwort zum Ausstellungskata­
log: Barock in Nürnberg 1600-1750. Aus Anlaß der Drei­
seinen Grund hat«7.
hundertjahrfeier der Akademie der bildenden Künste (Ger­
Daß sich diese Auffassung und Haltung auch in manisches Nationalmuseum Nürnberg). Nürnberg 1962,
den nachgewachsenen Forschergenerationen zäh S. 6.
hielt, belegen zwei abschließende Zitate. Sie stammen 9
Wolfgang John M üller: Der M aler Georg Flegel und die
aus den Katalogen zu den verdienstvollen Barockaus­ Anfänge des Stillebens (Schriften des Historischen M use­
stellungen in Nürnberg (1962) und Berlin (1966), die ums, Bd. 8). Frankfurt am Main 1956. - Zuletzt Georg Fle­
gel 1566-1638. Stilleben. Ausstellungskatalog (Frankfurt
sich nach dem Zweiten Weltkrieg - vielleicht Paralle­
am Main). Hrsg. von Kurt Wettengl. Stuttgart 1993.
len im Dreißigjährigen Krieg suchend - der deut­ 10
Wolfgang J. M üller in seiner Einleitung zum Ausstel­
schen Barockkunst des 17. Jahrhunderts zugewandt lungskatalog: Deutsche M aler und Zeichner des 17. Jahr­
hatten. Ludwig Grote (1893-1974) schrieb am Ende hunderts (Orangerie des Schlosses Charlottenburg, Berlin).
seiner Amtszeit als Generaldirektor des Germani­ Berlin 1966, S. 9.

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Warnke festzustellen, daß die Kunstgeschichte fast 11
Zusammenfassend Werner Oechslin: »Barock«. Zu den
alles verantwortet, »was mit dem Barockbegriff ver­ negativen K riterien der Begriffsbestimmung in klassizisti­
bunden wird. Sie hat diesen Begriff gefunden, ausge­ scher und späterer Zeit. In: Europäische Barock-Rezeption.
füllt und so attraktiv gemacht, daß er den anderen Hrsg. von K laus Garber in Verbindung mit Ferdinand van
Ingen, Wilhelm K ühlmann und Wolfgang Weiß. Wiesbaden
Fächern plausibel wurde. Die Durchsetzung und
1991, Bd. 2, S. 1225-1245 mit 11 Abb.
Popularisierung des Barockbegriffs in Deutschland ist 12
»Wir wissen heute, daß bereits in der ersten Hälfte des
einer der ersten interdisziplinären Erfolge des noch 17. Jahrhunderts entscheidende Beiträge zur Barockkunst
jungen Faches«14. Doch wie sieht es in diesem Fach geleistet worden sind, Werke, denen freilich in Deutschland
mit der Forschung zur deutschen Malerei des 17. Jahr­ durch den K rieg keine oder nur geringe Nachwirkung
hunderts aus? Trostlos! Um dem bekannten K lage­ beschieden war.« So Rüdiger K iessmann in seiner Einlei­
tung zum Ausstellungskatalog: Deutsche K unst des Barock
lied15 keinen weiteren Vers hinzuzufügen, seien hier
(Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig). Braun­
Überlegungen vorgetragen16, wie die Aufgaben einer schweig 1975, S. 7.
solchen Forschung aussehen könnten17. 13
Nach wie vor gültig Hans Tintelnot: Zur Gewinnung
unserer Barockbegriffe. In: Die K unstformen des Barock­
zeitalters. Hrsg. von Rudolf Stamm. München 1956, S. 13-
91. - Siehe auch Jan Bialostocki: »Barock«. Stil, Epoche,
Die Maler im (Dreißigjährigen) K rieg Haltung. In: Ders.: Stil und Ikonographie, Studien zur
K unstwissenschaft. (1. Aufl. Dresden 1966) 2. Überarb.
Aufl. Köln 1981, S. 106-141.
Zuerst wäre einmal grundsätzlich festzuhalten, daß 14
Martin Warnke: Die Entstehung des Barockbegriffs in
die These, die K ünste seien infolge des Dreißigjähri­ der K unstgeschichte. In: Europäische Barock-Rezeption
gen K rieges dem Niedergang unterworfen gewesen (Anm. 11), Bd. 2, S. 1207-1223 (1207).
15
und daher fehle es quantitativ und qualitativ an Mate­ Zur vergleichbaren Situation in der Schweiz siehe Hans
Martin Gubler: Zum Stand der Barockforschung in der
rial, nicht im Sinne der sie vertretenden Autoren zu
Schweiz. Eine Skizze. In: Unsere K unstdenkmäler, Bd. 38
verifizieren ist, welche ihre Nichtbeschäftigung mit
(1987), S. 475-487.
dem Thema so legitimieren. Sie selbst wurde schon 16
Dieser Beitrag bezweckt weder Forschungsbericht mit
zum Gegenstand von wissenschaftsgeschichtlichen Literaturüberblick zu sein, noch einen vollständigen Fra­
Forschungsarbeiten18. Diese machen verständlich, war­ genkatalog darzulegen; siehe Anm. 17.
um die K unstgeschichte bisher auf die Auswertung ' 7 Der Verfasser plant zur deutschen Malerei des 17. Jahr­
von zeitgenössischen Quellen - wie Sandrarts »Teut- hunderts seine Habilitationsschrift. - Vorläufig siehe
Andreas Tacke: Die Gemälde des 17. Jahrhunderts im Ger­
scher Academie«19 - verzichtet hat, die allein schon
manischen Nationalmuseum. Bestandskatalog. Mainz 1995.
hätten aufzeigen können, daß diese Niedergangsthese 18
Besonders die literaturwissenschaftliche Arbeit von Mül­
so nicht zu halten ist20. ler bietet einen herausragenden Forschungsüberblick, und
Den besten Einstieg in diese Thematik werden die zwar auch, obwohl von ihm nicht intendiert, zur Wissen­
interdisziplinär erarbeiteten K ataloge anläßlich der schaftsgeschichte des Fachs K unstgeschichte; siehe Hans-
kulturhistorischen Ausstellungen zu »350 Jahre West­ Harald Müller: Barockforschung. Ideologie und Methode.
Ein K apitel deutscher Wissenschaftsgeschichte 1870-1930.
fälischer Frieden« 1998 in Münster und Osnabrück
Darmstadt 1973.
bieten. Wie in der geschichtswissenschaftlichen Fach­ 19
Joachim von Sandrart: Ternsche Academie der Bau-,
literatur schon zuvor festgestellt wurde, wird in den Bild- und Mahlerey-K ünste. Nürnberg 1675-1680. Faks.
Forschungsbeiträgen herausgearbeitet, daß selbstver­ Neudr. mit einer Einleitung von Christian K lemm (Bd. 1
ständlich auch die Bildende K unst von den Auswir­ und 2) und von Jochen Becker (Bd. 3). Nördlingen 1994.
20
kungen des Dreißigjährigen K rieges nicht verschont Andreas Tacke: »Der K unst-Feind Mars«. Die Auswir­
kungen des Krieges auf Kunst und K ünstler nach Sandrarts
blieb, daß dies jedoch nicht generalisiert werden
»Teutscher Academie«. In: 1648, K rieg und Frieden in
dürfe. Die Untersuchungen belegen, daß der Dreißig­
Europa. Hrsg. von K laus Bußmann und Heinz Schilling,
jährige Krieg in Einzelkriege zerfiel und seine Schrek- Bd. 2: Kunst und K ultur. Münster 1998, S. 245-252.
kensherrschaft regional entfaltete, dort jedoch mit

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aller Macht. D i e übrigen Territorien blieben davon z u d e m eifersüchtig über seine Tätigkeit und brachten
aber unberührt; hier ging das Leben normal weiter. alles zur Anzeige, was nicht erlaubt war, u m so die
Z u m anderen ist ein Paradoxon festzustellen. I m lästige K o n k u r r e n z loszuwerden. M itunter zeigten
Krieg, oder überspitzt formuliert, gerade wegen des sich die Stadtregierungen aber aufgeschlossener als
Krieges b o o m t e die Luxusgüterproduktion, v o n der die ortsansässigen M eister selbst u n d ließen auch ein­
besonders die bildenden Künstler profitierten. A l s mal einen Künstler außerhalb der Zunftordnung
Beispiel seien die i m 17. Jahrhundert z u höchster gewähren, w e n n seine künstlerischen Fähigkeiten in
Blüte gelangte Augsburger Goldschmiedekunst oder der Stadt einmalig waren. Einen Exkurs z u m P h ä n o ­
die Luxusmöbelherstellung (wie Kunstschränke) men der Wanderkünstler, das nicht mit dem der
angeführt, an denen auch M aler beteiligt waren. Gesellenwanderung verwechselt werden darf, bildet
Unter den Auftraggebern waren viele Kriegsgewinn­ die Frage nach ihrer Stilzugehörigkeit. Verstärkt stellt
ler, die, z u unermeßlichem Reichtum gelangt, sich sich das P r o b l e m i m 18. Jahrhundert, d o c h reicht
den kostbaren D i n g e n des Lebens zuwandten und seine W u r z e l bis ins 17. Jahrhundert zurück: Welcher
mitunter in kürzester Zeit große Kunstsammlungen deutschen »Kunstlandschaft« sind solchermaßen stän­
anlegten. D e r Krieg und die Friedensverhandlungen dig ihre Aufenthaltsorte wechselnden Künstler noch
ließen eine beachtliche Auftragsflut auf die Künstler zuzurechnen 2 3 ?
z u k o m m e n . A l s Beispiel seien die Nürnberger P o r ­
trätaufträge angeführt, die Sandrart anläßlich des dor­
tigen Friedensexekutionskongresses zu erledigen D i e Rolle des Gemäldehandels
hatte. D i e M enge der G e m ä l d e gibt er selbst allein auf
Seiten der schwedischen Verhandlungsdelegation mit D e r Künstler, v o n den Auftragsmöglichkeiten ange­
ungefähr 80 Porträts (!) an 21 . lockt, hoffte an diesen wechselnden Kunstorten nicht
Seit dem Jahre 1649 arbeitete Sandrart, w i e viele nur auf neue Aufträge, sondern bot auch seine mitge­
weitere Künstler von den Auftragsmöglichkeiten brachten Gemälde an. Z u m einen wären also diese auf
angelockt, in der Reichsstadt. M i t Rücksicht auf die W o c h e n oder M onate, mitunter auf Jahre bestehen­
politischen u n d kriegerischen Ereignisse w u r d e n sol­ den (nicht gewachsenen) Kunstzentren z u untersu­
che Tagungsorte ausgesucht, die sich damit zeitweise chen, z u m anderen der »Kunsthandel« im 17. Jahr­
- wie N ü r n b e r g - z u Kunstzentren entwickelten. hundert selbst. Wer sammelte »zeitgenössische« deut­
Natürlich bestimmten nichtkünstlerische Kriterien sche K u n s t u n d mit welcher Wertschätzung konnten
ihre Wahl u n d der Lauf der Zeit den Ortswechsel. sie sich gegenüber italienischen oder holländischen
Der Künstler mußte den Aufträgen nachreisen, M eistern behaupten? W i e sahen die K u n s t s a m m l u n ­
wurde z u m Wanderkünstler. Schon früher hatten gen, bürgerliche wie fürstliche, des 17. Jahrhunderts
überregionale Veranstaltungen M aler dazu veranlaßt,
die Städte aufzusuchen, an denen z.B. Reichstage
oder Krönungsfeierlichkeiten abgehalten wurden. 21
Sandrart (Anm. 19), Lebenslauf S. 18. - Zu den Aufträ­
D o c h nun i m 17. Jahrhundert war der Kunstbetrieb
gen siehe Christian Klemm: Joachim von Sandrart. Kunst-
auf Jahrzehnte durch die schwankenden politischen Werke und Lebens-Lauf. Phil. Diss. Basel (1978). Berlin
und kriegerischen Ereignisse wesentlich mitbe­ 1986, S. 177-194.
22
stimmt; die Zeitverhältnisse nötigten zu beachtlicher Mit einem Überblick zum Forschungsstand Werner Leng­
M obilität. H i e r wäre v o n kunsthistorischer Seite die ger: Leben und Sterben in Schwaben. Studien zur Bevölke­
in den Geschichtswissenschaften entwickelte M igra­ rungsentwicklung und M igration zwischen Lech und Iiier,
Ries und Alpen im 17. Jahrhundert. M schr. Phil. Diss.
tionsforschung 2 2 zu exemplifizieren.
Augsburg (1996), S. 226-237.
Wollte ein M aler am fremden O r t zeitweise tätig 23
Dazu siehe Claudia Maue: Die Bildwerke des 17. und 18.
werden, mußte er sich die Erlaubnis der dortigen Jahrhunderts im Germanischen Nationalmuseum.
Obrigkeit einholen. Einheimische Kollegen wachten Bestandskatalog, Teil 1: Franken. Mainz 1997, S. 29.

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i. Johann König: Landschaft mit Tobias und Engel, nach 1608. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle

in Deutschland24 aus? Immerhin gibt es über einige im Laufe des 17. Jahrhunderts zu und es muß dialek­
von ihnen gedruckte zeitgenössische Sammlungskata­ tischer Spitzfindigkeit überlassen bleiben, herauszu­
loge, die zusammenzutragen, verdienstvoll wäre. finden, was zuerst da war: die kleineren Bildformate
Der Handel mit Gemälden hatte sich gegenüber oder der Markt. Fest steht, daß die Formate für diese
dem 16. Jahrhundert dahingehend verändert, daß die Handelsware in der Regel kleiner ausfielen, man nun
an Auftraggeber gebundene M alerei nach und nach von »Kabinettbildern« sprechen kann. Ein Beispiel
abnahm und die Gemälde über den »Kunsthandel« bietet die deutsche Stillebenmalerei des 17. Jahrhun­
vertrieben wurden. Dieser wäre für das 17. Jahrhun­ derts, welche weitgehend ohne Auftraggeber für den
dert noch näher zu untersuchen. Wie schon im 16. Kunstmarkt auf Vorrat gefertigt wurde, oder die
Jahrhundert vom Künstler die Druckgraphik auf »Feinmalerei«-Bilder auf Kupfer von Johann König 25
M ärkte und auf Reisen mitgenommen und angeboten (1586-1642) (Abb. 1)
wurde, versuchten auch im 17. Jahrhundert die Maler
24
Für Deutschland fehlen dazu Quelleneditionen, wie z.B.
ihre Bilder direkt zu verkaufen. Durch die Obrigkeit
Jan Denuce: De Antwerpsche »Konstkamers«, Inventarissen
geregelt waren Ort und Zeit für den Verkauf von van Kunstverzahmelingen te Antwerpen in de i6e en 17c
Gemälden: So konnte in den Lauben oder Gängen Eeuwen (Bronnen voor de Geschiedenis van de Vlaamsche
der Rathäuser, in Kirchenvorhallen bzw. Kreuzgän­ Kunst, Bd. 2). 's-Gravenhage 1932.
25
gen oder auf Wochenmärkten zeitweise gehandelt Zu Johann König siehe zuletzt Gode Krämer: Ein neu
werden. Besondere Anziehungspunkte bildeten die aufgefundenes Hauptwerk von Johann König. In: Pinxit,
sculpsit, fecit. Kunsthistorische Studien. Festschrift für
jährlich abgehaltenen überregionalen Frühjahrs- und
Bruno Bushart. Hrsg. von Bärbel Hamacher und Christi
Herbstmessen. Diese Form des Bilderverkaufes nahm Karnehm. München 1994, S. 130-137.

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»Kunsthandlung«, indem er die eigenen G e m ä l d e ver­
trieb, aber auch K u n s t w e r k e v o n K o n k u r r e n t e n oder
gar andere Handelsware feilbot. So führte nach H o u -
braken der Maler Jürgen O v e n s (1623-1678) ( A b b . 2)
s i m Jahre 1672 den holländischen Malerkollegen J o h a n ­
nes V o o r h o u t (1647-1723) durch sein H a u s in Fried­
richstadt, » w o er i h m einen Saal mit Bildern der
besten Meister zeigte, mit welchen er an den H ö f e n
H a n d e l trieb u n d forderte ihn auch auf, für ihn z u
malen« 27 .
A b e r auch professionelle H ä n d l e r prägen das Bild.
D i e w o h l schillerndste Figur in der ersten H ä l f t e des
17. Jahrhunderts - v o r allem wegen des hinterlasse-
nen Briefwechsels, der noch heute die Darstellung
eines lebendigen Bildes seiner Unternehmungen
erlaubt - ist die des Augsburger P atriziers und
Kunsthändlers P hilipp Hainhofer28 (1578-1647).
P r o m i n e n t ist er als Kunsthändler auch deshalb, weil
er Auftraggeber animieren konnte, K u n s t w e r k e in
A u f t r a g z u geben, oder auch, weil er erst selbst für
aufwendige W e r k e in Vorleistung ging, sie zunächst
auf seine K o s t e n fertigen ließ, u m sie anschließend z u
verkaufen. D a ß er dabei, wie beim P o m m e r s c h e n
Kunstschrank, bis z u 32 Künstler aus 15 verschiede­
nen Z ü n f t e n für einen A u f t r a g beschäftigen konnte,
gibt interessanten A u f s c h l u ß über die E n t w i c k l u n g
hin z u m Kunstunternehmer. D a s A u f z e i g e n solcher
Z u s a m m e n h ä n g e revidiert unsere Vorstellung vom
Künstler des 17. Jahrhunderts. Schon für das 16. Jahr-

26
Kuno Schlichtcnmaier: Studien zum Münchner Hofma­
2. Jürgen Ovens: Ganzfigurenportrait des Daniel von Mit­ ler Johann Andreas Wolff (1652-1716) unter besonderer
hoff, nach 1659 (?). Braunschweig, Herzog Anton Berücksichtigung seiner Handzeichnungen. P hil. Diss.
Ulrich-Museum Tübingen (1983). Dissdruck o.O. 1988, S. 15.
27
Arnold Houbraken: Grosse Schouburgh der niederlän­
A b e r natürlich wurde auch die eigene Werkstatt als dischen Maler und Malerinnen (Quellenschriften für
Verkaufsraum genutzt. So klagte die Münchner Maler­ Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der
zunft gegen die unter H o f s c h u t z stehenden Maler, Renaissance, Bd. 14). Übersetzt und mit Einleitung,
w i e J o h a n n Andreas W o l f f (1652-1716), »daß sie Anmerkungen und Inhalts-Verzeichnissen versehen von
ganze G e w ö l b e voll Mallereyen z u m Verkauf haben« 26 Alfred von Wurzbach. Wien 1880, S. 380.
28
Zuletzt und die Literatur zusammenfassend Gerlinde
u n d damit den Wettbewerb verzerrten, da sie v o n der
Bach: P hilipp Hainhofer und ein Kabinettschrank des
Steuerpflicht befreit waren. M e h r noch als i m 16.
Kunsthistorischen Museums in Wien. P hilipp Hainhofer.
Jahrhundert kann für das folgende Jahrhundert b e o b ­ Kunsthändler, Agent und Auftraggeber zahlreicher Kabi­
achtet werden, daß der Maler selbst als Kunsthändler nettschränke. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Samm­
fungierte. M a n c h einer v o n ihnen unterhielt eine lungen in Wien, Bd. 91 (1995), S. 111-151.

48
hundert haben in den letzten Jahren die Ausstellun­ allmählich gelang ihnen der Wandel. A m Beispiel der
gen über die Ulmer N iklaus-Weckmann-Werkstatt 29 Blumen- und Insektenmalerei konnte Heidrun Lud­
und über die Wittenberger Cranach-Werkstatt 30 wig, neben der monographischen Würdigung dieser
gezeigt, daß die verbreitete Vorstellung vom Künstler Gattung, zeigen, wie es Malerinnen gelingen konnte,
bisher den Alltagsbezug sowie die Produktions- und allmählich Fuß zu fassen36. Schon zeitgenössisch
Arbeitsbedingungen unberücksichtigt ließ. Verdeckt gerühmt wurde Maria Sibylla Merian37 ( 1 6 4 7 - 1 7 1 7 ) ,
wurde der Aspekt, daß die Künstler vor allem auch die bis in die holländische Kolonie Surinam in Süd-
Handwerker waren31.

29
Meisterwerke massenhaft. D i e Bilderhauerwerkstatt des
N i k i a u s W e c k m a n n u n d die M a l e r e i in U l m u m 1500. A u s ­
Die Spezialisierung der Maler
s t e l l u n g s k a t a l o g (Stuttgart). Stuttgart 1993.
30
Lucas Cranach. Ein Maler-Unternehmer aus Franken.
A m Beispiel der Stadt Delft hat John Michael Mon- Ausstellungskatalog (Kronach). Hrsg. von Claus Grimm,
tias die Berufsbezeichnungen und Spezialisierungen Johannes Erichsen und Evamaria Brockhoff. Augsburg

im Zeitraum von 1613 bis 1680 analysiert32 und dabei 1994. - Cranach. Meisterwerke auf Vorrat. D i e Erlanger
Handzeichnungen der Universitätsbibliothek. Bestands­
Ergebnisse gewonnen, die auf die deutsche Malerei
u n d Ausstellungskatalog. Hrsg. v o n Andreas Tacke. Mün­
des 17. Jahrhunderts übertragbar sein dürften. Vor­
c h e n 1994.
läufig erlauben nur solche regionalgeschichtlichen 31
Wolfgang Schmid: Der Renaissancekünstler als Hand­
Studien Einblicke in die mit der Spezialisierung ein­ werker. Z u r B e w e r t u n g künstlerischer A r b e i t in N ürnberg
hergehenden veränderten Produktions- und Arbeits­ u m d i e M i t t e d e s 16. J a h r h u n d e r t s . I n : W e r t u n d B e w e r t u n g
bedingungen. Wieweit diese Spezialisierung auch in von Arbeit im Mittelalter und in der frühen N euzeit.

Deutschland fortgeschritten war, belegen die N ürn­ Ergebnisse der internationalen Arbeitsgespräche Linda­
b r u n n , 17. b i s 19. 9 . 1 9 9 3 . H e r w i g E b n e r z u m 6 5 . G e b u r t s ­
berger Malerbücher des 17. und 18. Jahrhunderts. Für
tag. H r s g . v o n G e r h a r d J a r i t z u n d K ä t h e Sonnleitner. Graz
die Reichsstadt sind im Jahre 1650 folgende »under-
1 9 9 5 , S. 6 1 - 1 4 9 .
schiedliche Arten der Mahlerei«, wie sie spezialisiert 32
J o h n M i c h a e l M o n t i a s : Artists and Artisans in Delft. A
betrieben werden konnten, belegt: »Mahler, flache S o c i o - E c o n o m i c S t u d y of the Seventeenth Century. Prince-

Mahler, Conterfetter, Pespectivmahler, Landschaft- t o n 1 9 8 2 , S. 1 3 6 - 1 8 2 , » P a i n t e r s i n D e l f t , 1613-1680«.


33
Germanisches N a t i o n a l m u s e u m , Archiv: Reichsstadt N ü r n ­
mahler, in fresco Mahler, Wasserfarbmahler, Minia-
berg XII/44, Bl. Reg. ir. - Ein vollständiger A b d r u c k in
turmahler, gfleckelte Mahler, Schmelzwerckmahler,
V o r b e r e i t u n g : D i e N ü r n b e r g e r M a l e r b ü c h e r d e s 17. u n d 18.
Casormahler, Ezmahler, Glaßmahler, Staffierer, Brief- Jahrhunderts. Quellen z u r K u n s t des B a r o c k . H r s g . von
mahler, Wismahtmahler, Freihandmahler, Illumini- A n d r e a s Tacke. I n vielfacher H i n s i c h t bin ich bei der A u s ­
sten, Italianischlackmahler«33. In Nürnberg, um beim wertung der N ürnberger Quellen Friedrich v o n H a g e n zu

Beispiel zu bleiben, arbeiteten diese spezialisierten D a n k verpflichtet.


34
Maler zum Teil in eigenen »Ordnungen«, so daß Ein­ F ü r eine frühere Zeit vgl. U r s u l a T i m a n n : Untersuchun­
gen z u N ürnberger Holzschnitt und Briefmalerei in der
zelstudien vonnöten wären, um deren Spezifika
e r s t e n H ä l f t e d e s 16. J a h r h u n d e r t s m i t b e s o n d e r e r Berück­
herauszuarbeiten34.
sichtigung v o n H a n s G u l d e n m u n d und N iclas Meldeman.
Dabei würde sich herausstellen, daß Frauen auf­ Münster und Hamburg 1993.
grund solcher Spezialisierung in den Malerberuf ein­ 35
Heidrun Ludwig: N ürnberger Blumenmalerinnen um
dringen konnten, dessen Ausübung ihnen eigentlich 1700 z w i s c h e n D i l e t t a n t i s m u s u n d Professionalität. In: K r i ­

die Zunftordnung verbot. Der überwiegende Teil der t i s c h e B e r i c h t e , B d . 2 4 ( 1 9 9 6 ) , H e f t 4 , S. 2 1 - 2 9 .


36
H e i d r u n L u d w i g : N ürnberger naturgeschichtliche Male­
Zünfte schloß eine Ausbildung von Frauen und
rei i m 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t . E i n f ü h r u n g , K a t a l o g und
damit eine Ausübung des Malerberufes durch sie aus.
K u r z b i o g r a p h i e n . M a r b u r g an der L a h n 1997.
N ur in wenigen Techniken, wie der der Guachemale- 37
Maria Sibylla Merian 1647-1717. Künstlerin u n d N atur­
rei, war es Frauen erlaubt, außerhalb der Zünfte als forscherin. Ausstellungskatalog (Frankfurt am Main).
»Stümpler« bzw. »Dilettanten« zu arbeiten35. Doch H r s g . v o n K u r t W e t t e n g l . O s t f i l d e n 1997.

49
amerika gelangte. Erst solche Forschungsarbeiten ausfiel als bei Nichtmeistersöhnen. D i e Lehrzeit war
vermögen die Grundlage z u weitergehenden Fragen ansonsten einheitlich geregelt, verlängernd wirkte
nach der Rolle der Künstlerinnen i m 17. Jahrhundert sich unter U m s t ä n d e n das Lehrgeld aus. D a s kosten­
z u schaffen; eine Voraussetzung, deren Beachtung lose Zuarbeiten nach der Lehre kompensierte gege-
mitunter sträflich vernachlässigt wurde. benfalls das geringere oder nicht z u zahlende L e h r ­
geld. Da die Ausbildung obrigkeitsgeregelt war,
geben Archivalien A u s k u n f t über Unregelmäßigkei­
Zunftbestimmungen u n d O r d n u n g e n ten bei der A u s b i l d u n g , sei es v o n Seiten des L e h r ­
lings oder des M eisters oder gar i m Haushalt, bei der
D i e angesprochenen » O r d n u n g e n « , also Zunftbe­ M eisterin, denn in der Regel w o h n t e der Lehrjunge
stimmungen, führen z u einem zentralen P u n k t bei bei seinem Lehrherren. Die Auswertung dieser
der Forschung zur deutschen M alerei des 17. Jahr­ Schriftquellen w ü r d e die Erstellung eines facettenrei­
hunderts. D e n n einen wichtigen Teil w i r d die Beant­ ches Bildes zur Alltagssituation der Lehrlinge erlau­
w o r t u n g der Frage nach der A u s b i l d u n g v o n M alern ben. H i e r m u ß die Kunstgeschichte n o c h die L ü c k e
einnehmen müssen. Dieser K o m p l e x w u r d e in den füllen, die die kunsthistorischen Nachbardisziplinen
Künstlermonographien bisher nur insoweit ange­ bei der Erforschung der »Alltagskultur« der Künstler
sprochen, als er zur Klärung, bei w e m und wo offen gelassen hat. D i e zahlreichen Arbeiten über die
jemand ausgebildet wurde, hilfreich war. Soweit Lehrlings- u n d Gesellenzeit bei anderen H a n d w e r ­
ersichtlich ist jedoch bis jetzt die Frage nach den ken böten hierbei eine hilfreiche Orientierung 4 3 .
Ausbildungsbedingungen in keiner grundsätzlichen
Darstellung behandelt worden 3 8 . D e n n wer i m 17.
Jahrhundert z u m M aler ausgebildet wurde, unter­
Wenn auch mit »akademischer« Gewichtung und fast
stand den strengen Zunftregeln oder den zunftähnli­
nicht auf die deutsche Situation Bezug nehmend, behandelt
chen M alerordnungen. D a s bedeutete, daß wer M aler das Problem verdienstvoll der Ausstellungskatalog: Child-
werden wollte, eine handwerkliche Lehre z u absol­ ren of M ercury. The Education of Artists in the Sixteenth
vieren hatte, in der Regel anschließend als Geselle auf and Seventeenth Centuries. Providence, Rhode Island:
Wanderschaft gehen u n d zur Erlangung der M eister­ Brown University 1984.
39
Zum Beispiel Delfts siehe M ontias (Anm. 32), S. 74-100
w ü r d e ein »Probstück«, also ein M eisterstück, anfer­
»Rules and Regulations of the St. Lucas Guild«, S. 101-111
tigen mußte. Eine wichtige H i l f e bei Fragen zur A u s ­
»Guild M asters and Their Apprentices«, S. 334-349,
bildung w ü r d e eine Quellensammlung der für die »Appendix A: Painters Registered in the St. Lucas Guild«;
M aler zuständigen O r d n u n g e n bieten 39 . In der Regel S. 350-369, »Appendix B: Guild Regulations«, S. 370-375,
bildeten die M aler keine selbständige Z u n f t bzw. »Appendix C: Headmen of the St. Lucas Guild, 1611-
O r d n u n g , sondern waren mit anderen H a n d w e r k e n 1680«.
40
zusammengeschlossen 4 0 . Zum Beipiel M ünchens siehe Volker Liedke: Das M ei­
sterbuch der Münchner Zunft der Maler, Bildhauer, Seiden­
O b w o h l sich noch keine Studie mit diesen deut­
sticker und Glaser (1566-1825). In: Ars Bavarica, Bd. 10
schen M alerordnungen befaßt hat 41 , lassen sich schon (1978), S. 21-58.
jetzt folgende Gemeinsamkeiten festhalten: W e r eine 41
Zum Beispiel Nürnbergs siehe Tacke, Nürnberger
Lehre als M aler absolvieren wollte, mußte, wie bei M alerbücher (Anm. 33).
42
anderen H a n d w e r k e n auch, v o n ehelicher Geburt Die Auswertung des von Liedke vorgelegten Quellen­
sein. D i e soziale u n d geographische H e r k u n f t der materials würde das für München erlauben; Volker Liedke:
Die Lehrjungen der Münchner M aler und Bildhauer des 17.
Lehrjungen ließe sich nur durch Feldstudien fest­
und der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Ars Bavarica,
stellen 42 . D o c h scheint, vergleichbar mit dem übrigen
Bd. 19/20 (1980), S. 119-143.
H a n d w e r k , ein starker H a n g zur A u s b i l d u n g v o n 43
Siehe z.B. Elke Schlenkrich: Der Alltag der Lehrlinge im
M eistersöhnen bestanden z u haben. Diese waren sächsischen Zunfthandwerk des 15. bis 18. Jahrhunderts
dahingehend privilegiert, daß ihre Lehrzeit kürzer (M edium Aevum Quotidianum, Sonderbd. 4). Krems 1995.

50
f

' 'S

3. Johann Heiss: Akademiebild, 1680 (1690?). Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte

51
Lehrzeit u n d Wander jähre überall war dieser Ausbildungsabschnitt als W a n d e r -
zeit vorgeschrieben. W a r dies jedoch der Fall, dann
V o n der Kunstwissenschaft selbständig z u leisten führte die vorgeschriebene Wanderzeit (»gewandertes
wäre jedoch die Beantwortung der Frage, wie u n d H a n d w e r k « ) ins Ausland. Geographisches H e r k o m ­
was in der Lehrzeit vermittelt wurde. Gerade i m 17. men bestimmte in der Regel das Zielgebiet. So w a n ­
Jahrhundert w u r d e die rein auf das H a n d w e r k abzie­ derten die norddeutschen Gesellen häufiger nach
lende A u s b i l d u n g v o n den M alern selbst in Frage H o l l a n d oder nach Frankreich, während die süddeut­
gestellt. »M alerakademien«, oder bescheidener ausge­ schen M alergesellen eher in Italien anzutreffen
drückt, »Zeichenschulen«, w u r d e n gegründet, die als waren. N u r selten ist eine Gesellenwanderung so gut
Vorläufer der Kunstakademien bis jetzt unzureichend dokumentiert, wie bei d e m Schweizer M aler, Z e i c h ­
gewürdigt wurden. Archivalien haben sich z u diesem ner u n d Radierer R u d o l f M e y e r (1605-1638) aus
T h e m a aus d e m 17. Jahrhundert k a u m erhalten, so
daß man die Bilder, die Akademiesitzungen zeigen,
44
einmal selbst auf ihre Aussagekraft untersuchen Zu Johann Heiss siehe Peter Königfeld: Der M aler
müßte. Auffallend ist, daß es in der deutschen M ale­ Johann Heiss. Memmingen und Augsburg 1640-1704. Phil.
Diss. Tübingen (1972). Weißenhorn 1982; eine überarbei­
rei des 17. Jahrhunderts, v o r allem in der zweiten
tete, erweiterte und mit Abbildungen versehene Fassung ist
Hälfte, eine H ä u f u n g v o n Darstellungen mit A k a d e ­
in Vorbereitung.
miesitzungen gibt. Diese G e m ä l d e sind v o r allem 45
Elisabeth Bäuml: Geschichte der alten Reichsstädtischen
süddeutschen Barockmalern zuzurechnen, wie die Kunstakademie von Augsburg. Mschr. Phil. Diss. M ünchen
zahlreichen Beispiele des in A u g s b u r g tätigen M alers (1950). - Zuletzt zusammenfassend Bruno Bushart: Die
Johann Heiss 44 (1640-1704) (Abb. 3) zeigen. In Augsburger Akademien. In: Academies between Renais­
Augsburg 4 5 u n d bald nachfolgend in Nürnberg 4 6 sance and Romanticism of Art (Leids Kunsthistorisch Jaar-
boek, Bd. 5-6). 's-Gravenhage 1989, S. 332-347.
w u r d e n in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 46
Zuletzt Frank Wolf Eiermann: Die Veröffentlichungen
die ersten beiden deutschen Kunstakademien gegrün­
der Nürnberger M ahler-Academie im Barock. Von Jacob
det; diese Gleichzeitigkeit ist sicherlich kein Zufall 4 7 . von Sandrart bis Johann Justin Preisler (1662-1771). M schr.
D e r Besucherkreis dieser M alerakademien setzte M agisterarbeit Erlangen-Nürnberg (1992).
47
sich unterschiedlich zusammen. Natürlich findet man Dorothee M üller: Die bildlichen Darstellungen der
die auszubildenden Lehrjungen u n d die Gesellen, Kunstakademien im 17. und 18. Jahrhundert als Zeugnisse
ihrer geschichtlichen Entwicklung, ihrer Theorie und Pra­
aber auch M eister u n d vermehrt sogar Laien, »Dilet­
xis. M schr. Phil. Diss. M ünchen (1978), S. 135-137, nennt
tanten« 48 . I m Vordergrund stand das gemeinsame
als einziges Beipiel die beiden Darstellungen Schönfelds.
Zeichnen u n d , traut man den Gemälden, v o r allem Jedoch ist ihrer Schlußfolgerung zuzustimmen, daß es nicht
das A k t z e i c h n e n nach lebenden M odellen u n d nach um »reale« Akademieräume ging, sondern vielmehr darum,
A n t i k e n bzw. deren K o p i e n . D e n deutschen K u n s t ­ »die Akademie als Ideal eines theoretisch wissenschaftli­
akademien des 17. Jahrhunderts, z u denen bis jetzt chen Studienortes zu glorifizieren« (S. 137).
48
noch keine monographischen Arbeiten vorliegen 49 , Siehe Wolfgang Kemp: »... einen wahrhaft bildenden Zei­
chenunterricht überall einzuführen«. Zeichnen und Zei­
w i r d man mit einem voreiligen Vergleich mit den
chenunterricht der Laien 1500-1870. Ein Handbuch.
zeitgenössischen französischen, holländischen oder Frankfurt am Main 1979.
italienischen A k a d e m i e n nicht auf die Spur k o m m e n . 49
Siehe Academies between Renaissance and Romanticism
D i e Erforschung der Institutionsgeschichte müßte (Anm. 45), S. 561-590 »Bibliography« (S. 572-575 »Ger-
v o r d e m Versuch einer allgemeineren Einordnung many«, nach Orten). - Zur Geschichte der europäischen
u n d eines Vergleiches stehen. Akademien, für uns jedoch nicht ergiebig, siehe zuletzt Carl
Goldstein: Teaching Art. Academies and Schools from
N a c h den Lehrjahren schloß sich für die jungen
Vasari to Albers. Cambridge University Press 1996. - Gold­
M aler die Gesellenzeit an. A u c h hier w u r d e n M e i ­
steins Publikation ersetzt keinesfalls Nikolaus Pevsner: Die
stersöhne bevorzugt; sie hatten eine geringere oder Geschichte der Kunstakademien. M ünchen 1986. - Vgl.
mancherorts gar keine Gesellenzeit zu leisten. N i c h t ders.: Academies of Art, Past and Present. Cambridge 1940.

52
Zürich 50 , über den Achim Riether eine profunde Fürstlichen Höfen undt anderen vornehmen Orten
Arbeit vorlegte51. M eyer erhielt seine Ausbildung in mit Ruhmb und Nuzen verkauft«58.
den Jahren 1622-1629 in der väterlichen Werkstatt Den Unterhalt verdienten sich wandernde Gesel­
und ging, wie schon der Vater, Dietrich M eyer d. Ä. len, wie das Beispiel Rudolf M eyer zeigte, in M aler­
(1572-1658), als Wandergeselle in das Frankfurter werkstätten. Die deutschen Malerordnungen regelten
Atelier des M atthäus M erian d.Ä. (1593-1650). Dort die Aufnahme und Beschäftigung von Wandergesel­
konnte er künstlerische und praktische Erfahrung len, die nicht selbständig arbeiten durften; mitunter
sammeln und zeichnete verantwortlich für die 80
Sinnbilder der »Octoginta Emblemata moralia
nova«52. Sie erschienen 1630 in Frankfurt am M ain 5
Vgl. jedoch die Aufzeichnungen des Bildhauers Ertinger
bei Merian. Diese Mitarbeit an Verlagsprojekten, aber (::"I8.8.I669). Die erste Reise unternimmt er 1682/83, also
auch an anderen künstlerischen Unternehmungen - vor seiner Lehre, die 1683 beginnt. Seine Gesellenwande­
die Augsburger Goldschmiedearbeiten und Kabinett­ rung ist für die Jahre 1690 bis 1697 (das Manuskript bricht
schränke wurden schon genannt - bestimmen im 17. in diesem Jahr ab) verbürgt; siehe Erica Tietze-Conrad: Des
Jahrhundert vermehrt die Tätigkeit von Künstlern. Bildhauergesellen Franz Ferdinand Ertinger Reisebeschrei­
bung durch Österreich und Deutschland. Nach der Hand­
A n ihnen, gerade an den Verlagsprojekten, waren
schrift C G M . 3312 der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek
M aler - wie die M erian-Werkstatt anschaulich wer­ M ünchen (Quellenschriften für Kunstgeschichte und
den läßt53 - erfolgreich beteiligt. Kunsttechnik des M ittelalters und der Neuzeit, N.F., Bd.
Rudolf M eyer verließ die M erian-Werkstatt 1630. 14). Wien und Leipzig 1907.
51
»Darnach kam er«, so die M eyersche Familienchro­ Achim Riether: Rudolf M eyer (1605-1638). Studien zum
nik, »nach Nörenberg zu Herren Johann Hauwer zeichnerischen Werk. M schr. Phil. Diss. Stuttgart (1995). -
Dem Autor möchte ich für die Überlassung eines Exempla-
einem M ahler und Gemäldkrämer. Da er vil Krank­
res der noch ungedruckten Dissertation herzlich danken.
heiten außgestanden«54. Der Dreißigjährige Krieg 52
Lucas Heinrich Wüthrich: Das druckgraphische Werk
hatte Nürnberg erreicht; der Winter 1631/32 traf die von M atthaeus M erian d.Ä., Bd. 2: Die weniger bekannten
Stadt im »Schwedischen Krieg« schwer. Uber Bücher und Buchillustrationen. Basel 1972, Nr. 168, S. 159-
Rudolfs Aufenthalt berichtet sein Bruder Conrad 160.
53
M eyer (1618-1689) in der Familienchronik weiter: Zum Verlagsprogramm siehe Matthaeus M erian der Ael-
tere. Ausstellungskatalog (Frankfurt am M ain und Basel).
»Weil er mein geliebter Bruder Seelig, in Nörenberg
Frankfurt am M ain 1993. - Zum Beispiel Nürnbergs siehe
war, wäre Gustdavus Adolfus König in Schweeden
John Roger Paas: Zusammenarbeit in der Herstellung illu­
mit seiner Armehe, auch in Nörenberg, und auch die strierter Werke im Barockzeitalter: Sigmund von Birken
Keiserische Armehe umb Nörenberg und war (1626-1681) und Nürnberger Künstler und Verleger. In:
damahlen in Nörenberg Deüre und Hunger«55. Wolfenbütteler Barock-Nachrichten, Bd. 24 (1997), H. 1,
Beschäftigung fand der M alergeselle bei dem Nürn­ S. 217-239.
54
berger M aler und Kunsthändler Johann Hauer56 Riether (Anm. 51), S. 28.
55
Riether (Anm. 51), S. 31 und S. 502.
(1586-1660), dessen Abschrift von Dürers Tagebuch 56
In Vorbereitung: Andreas Tacke: Johann Hauer. Nürn­
der Reise in die Niederlande noch heute für das ver­ berger Flach- und Ätzmaler, Kunsthändler, Verleger und
schollene Original stehen muß57. Hauer hatte sich auf Dürerforscher des 17. Jahrhunderts. In: Tacke, Nürnberger
das Kopieren von Gemälden nach großen M eistern M alerbücher (Anm. 33).
57
spezialisiert und beschäftigte dafür Wandergesellen: Dürer. Schriftlicher Nachlaß. Hrsg. von Hans Rupprich,
»Alß ich mich [Hauer] aber eine Zeit hero uff vor­ Bd. 1, Berlin 1956; zu Hauer siehe dort, S. 12, S. 28, S. 146;
S. 7-22, »Einleitung« mit hervorragendem Forschungs­
nehme gemahlte Kunststückh begeben, selbige zue
überblick; S. 146-202, Abdruck »Tagebuch der Reise in die
Franckfortt und andern Orten persönlichen einkauft,
Niederlande«.
theilß auch auß Niderlandt bringen, und alhier durch 58
Germanisches Nationalmuseum, Archiv: Reichsstadt Nürn­
meine Gesellen, welliche ich einig und allein zue die­ berg XII/44, Bl. 133V. - Ein vollständiger Abdruck der
sem Endte gehalten,... abcopiren laßen, hernacher an Quelle in Tacke, Nürnberger M alerbücher (Anm. 33).

J3
wurde ihre Höchstzahl festgelegt. Eine zunehmend takt zu treten. Je nach der individuellen Fähigkeit, das
wichtigere Rolle scheinen konfessionelle Faktoren Gesehene umzusetzen, führte das für die meisten von
gespielt zu haben. Die Arbeitsaufnahme von Prote­ ihnen zu einem mehr oder weniger deutlich auszu­
stanten in katholischen Städten und umgekehrt machenden Stilwandel.
wurde erschwert59. So fiel die Wahl des aus Zürich
kommenden Meyer auf zwei protestantisch regierte
Städte: Frankfurt am Main und N ürnberg. Die Einschränkungen der Meistertätigkeit
Von einigen Malergesellen sind die Stammbücher
erhalten, die Aufschluß über Weg und Kontakte des N ach der Gesellen- bzw. Gesellenwanderzeit kehrte
jeweiligen Wandergesellen geben. Als Beispiel soll der Maler in der Regel an den Ort seiner Ausbildung
das Stammbuch des ansonsten unbekannt gebliebe­ zurück und reichte dort die Bewerbung zur Erlan­
nen Malers Ferdinand Simmerl dienen60, in dessen gung des Meistertitels ein. Auch für die Durchfüh­
Einträgen er noch Ende des Jahres 1649 als Geselle rung des »Probstücks« gab es unterschiedliche Rege­
bezeichnet wird. Auf seiner Wanderschaft verweilte lungen, bis hin zu Vorschriften über das Bildthema,
er in der Passauer Gegend. Unter den siebzig Stamm­ die Bildgröße und Maltechnik sowie der Zeit, in der
bucheintragungen sind etwa ein halbes Hundert von das Meisterstück - oft unter Aufsicht - anzufertigen
Künstlern: 12 Maler und 25 Malergesellen, dabei ein sei. Mancherorts mußten die »Probstücke« für immer
Lehrjunge sowie ein Bildhauer und drei Bildhauerge­ abgegeben werden. Sie verblieben in den Rat­
sellen; im weiteren noch Einträge von fünf Gold­ häusern63, wo sie im Laufe der Zeit zu umfangreichen
schmiedegesellen. Oftmals findet sich ein Sinnspruch, Rathausgalerien anwuchsen. Diese hätten einen
aber manchmal nur nüchtern der N ame sowie der sicherlich erstaunlichen Überblick über die deutsche
Ort und das Jahr des Eintrages. Zahlreiche Feder­
zeichnungen, oft laviert, einzelne Blei- und Rötel­
Siehe Wilfried Reininghaus: Wanderungen von Hand­
zeichnungen stammen von den eintragenden Künst­
werkern zwischen hohem Mittelalter und Industrialisie­
lern. Uns interessieren hier besonders die 25 Malerge­ rung. Ein Versuch zur Analyse der Einflußfaktoren. In:
sellen, die sich in dem Stammbuch von Simmerl ver­ Migration in der Feudalgesellschaft (Studien zur Histori­
ewigten. Bemerkenswert ist, daß sich einige in Ganz- schen Sozialwissenschaft, Bd. 8). Hrsg. von Gerhard Jaritz
figurenporträts gezeichnet haben. Eine genaue Aus­ und Albert Müller. Frankfurt am Main und N ew York
1988, S. 179-215 (187-188)
wertung müßte eigentlich ein differenziertes Bild 60
Lotte Kurras: Die Stammbücher, 1. Teil: Die bis 1750
über die Wandergesellen selbst zulassen; kostüm-
begonnenen (Kataloge des Germanischen N ationalmuse­
kundliche Hilfe könnte ihre soziale Stellung klären ums. Die Handschriften, Bd. 5,1). Wiesbaden 1988, Nr. 60,
helfen. S. 89-90: Hs 137321, Ferdinand Simmerl; 169 Blätter, 9 x 1 5
Während der Gesellenwanderzeit trafen die Maler cm, Eintragungen von 1643 bis 1660.
61
auf »Stipendiaten«, die mit Mitteln einer Stadt oder Quellenmaterial dazu, wie auch zu den wandernden
eines Hofes zur Weiter- und Fortbildung unterwegs Malergesellen, zusammengestellt bei Georg Troescher:
Kunst- und Künstlerwanderungen in Mitteleuropa 800-
waren61. Zahlreiche wandernde Gesellen wurden im
1800. Baden-Baden, Bd. 1, 1953: Deutsche Kunst und
Ausland Mitglieder von »Bruderschaften«. So schlös­ Künstler in der französischen und in der niederländischen
sen sich flämische und holländische Künstler - ver­ Kunst und Bd. 2, 1954: Französische und niederländische
einzelt wurden auch deutsche Künstler aufgenom­ Kunst und Künstler in der Kunst Deutschlands, Öster­
men - etwa ab 1623 in Rom zu einer »Schildersbent«, reichs und der deutschsprachigen Schweiz.
62
zusammen und nannten sich selbst »Bentvueghels«62. Zur Einführung immer noch gültig: Godfried Joannes
Hoogewerff: De Bentvueghels (Utrechtse Bijdragen tot de
Für die meisten Maler des 17. Jahrhunderts, vor allem
Kunstgeschiedenis, Bd. 1). 's-Gravenhage 1952. - Zuletzt: I
der zweiten und dritten Wahl, bedeutete diese Gesel­
Bamboccianti. N iederländische Malerrebellen im Rom des
lenwanderzeit die einzige Möglichkeit, mit anderen Barock. Ausstellungskatalog (Köln und Utrecht). Hrsg.
Kunstrichtungen und -auffassungen selbst in Kon­ von David A. Levine und Ekkehard Mai. Mailand 1991.

54
Malerei des 17. Jahrhunderts geboten, wären sie nicht Großaufträge
ausnahmslos im 19. Jahrhundert aufgelöst und die
Gemälde verkauft worden. Die Rathausgalerien hät­ Neben der monographischen Bearbeitung der deut­
ten eine eigene Studie verdient. schen M alerei des 17. Jahrhunderts sind gattungsge­
Wurde das »Probstück« als meisterwürdig er­ schichtliche Fragestellungen vordringlich. U m nur
kannt, konnte der M aler an die Gründung einer einige zu nennen: Altarbilder, Architekturmalerei,
Werkstatt denken. Voraussetzung war der eigene Festdekorationen, Genremalerei, Landschaftsmalerei,
Hausstand, also die Eheschließung und die A u f ­ Porträtmalerei, Schlachtenmalerei, Stilleben, Tierma­
nahme in die Bürgerschaft. Es ist zu beobachten, daß lerei und topographische Ansichten. Ein großes
dabei der soziale Aufstieg, vergleichbar mit anderen Thema sind die Altargemälde65. Gerade in Süd­
Handwerken, oftmals über die Heirat einer M eister­ deutschland erlebten sie, vor allem durch die wirt­
tochter oder einer M alerwitwe erfolgte. Ließ sich ein schaftliche Prosperität der Orden, einen nie gekann­
M aler in einer anderen Stadt nieder, mußte er - gleich ten Aufschwung. M an kann regelrecht von einer
wie lange er schon anderenorts eine eigene Werkstatt M odernisierungswelle sprechen, die auch die Städte
geführt hatte - an seiner Wahlheimat erneut ein M ei­ erfaßte: »Zwischen dem Anfang des 17. und dem
sterstück anfertigen. Hier kam es immer wieder zu Ende des 18. Jahrhunderts erhielten sämtliche Kir­
heftigen Auseinandersetzungen, da vor allem be­ chen Augsburgs, die katholischen wie auch die evan­
rühmte M aler sich dieser Prozedur energisch zu gelischen, neue Hoch- oder Hauptaltäre. ... Ein erster
widersetzen suchten. Sehr schön dokumentiert ist der Überschlag ergibt nicht weniger als 28 Hochaltarblät­
Streit zwischen Sebastian Stosskopff (1597-1657) und ter dieses Zeitraumes«66. Vielleicht sollte man von
der Straßburger Zunft aus den Jahren 1641/42, den zwei Wellen der Barockisierung sprechen. Die erste
Stosskopff schließlich verlor64: U m sich nach einem fand in der zweiten Hälfte des 17., die zweite in der
längeren Parisaufenthalt in Straßburg niederlassen zu
können, mußte er ein »M eisterstück« aufs Rathaus
63
»liefern«. Streng geregelt war durch die Zünfte oder Zum Beispiel Nürnbergs siehe Andreas Tacke: Nürnber­
durch die zunftähnlichen Ordnungen, was ein M aler ger Barockmalerei. Zu einem Stiefkind kunsthistorischer
Forschung. In: Der Franken Rom, Nürnbergs Blütezeit in
malen durfte. Die bereits oben zitierte Quelle, nach
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von John
der die unterschiedlichen technischen bzw. themati­ Roger Paas. Wiesbaden 1995, S. 62-77.
schen Ausdifferenzierungen von M alertätigkeiten die 64
Birgit Hahn-Woernle: Sebastian Stosskopff. M it einem
Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Zunftordnungen kritischen Werkverzeichnis der Gemälde. Stuttgart 1996, S.
erforderte, belegt, wie sehr die Maler des 17. Jahrhun­ 17; die Quellen auf S. 32-34. - Zur Straßburger M eisterord­
derts von allen modernen Vorstellungen vom Künst­ nung der M aler siehe Friedrich Carl Heitz: Das Zunftwe­
sen in Straßburg. Geschichtliche Darstellung, begleitet von
ler entfernt waren.
Urkunden und Aktenstücken. Straßburg 1856, S. 52-54
Das hatte in Deutschland zur Folge, daß sich, ver­
»Die Zunft zur Steltz«; S. 159-163 »Vorgeschriebene M ei­
gleichbar mit Holland, Kunstzentren herausbildeten, sterstücke bei etlichen Handwerken, von 1629«, hier S.
die spezialisierten Formen der Malerei nachgingen: in 160-161 »M ahler«.
65
Frankfurt am Main und Hanau die der Stillebenmale­ Nach dem Forschungsstand vorläufig sicherlich nur re­
rei, welche in leistungsstarken Werkstätten entstan­ gional eingegrenzt zu bearbeiten; siehe z.B. Hannes Etzl-
storfer: Die Altarblätter des Mühlviertels. Ein Beitrag zum
den. Gerade in den spezialisierten und arbeitsteilig
Oberösterreichischen Barock. M schr. Phil. Diss. Wien
organisierten M alerwerkstätten wird die Frage nach
(1985). - Ferner Brigitte Faßbinder: Studien zur M alerei
der Eigenhändigkeit von Gemälden brisant; Paralle­ des 17. Jahrhunderts im Wiener Raum. M schr. Phil. Diss.
len zu der Massenproduktion der Cranach-Werkstatt Wien (1979), Bd. 1, S. 72 ff. und Bd. 2 (Katalog), S. 70 ff.
66
drängen sich auf, bei der sich die Kunstwissenschaft Bruno Bushart: Die Hochaltarblätter des Barock in Augs­
mit gleichartigen Fragen nach der Autorenschaft der burg. In: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsge­
einzelnen Gemälde plagt. schichte, Bd. 25 (1991), S. 190-225 (S. 190-191).

$5
übriggebliebenen Gemälde umfaßten insgesamt 300 m 2
und die Fresken 600 m 2 Malfläche«68. Der Bamberger
D o m erhielt nach dem Dreißigjährigen Krieg eine
große Anzahl neuer Altarblätter, an denen u.a. die
M aler Paul Juvenel d.Ä. (1579-1643), M atthäus
M erian d.J. (1621-1687) (vgl. Abb. 4), Oswald Ong-
hers (1628-1706) (Abb. 5), Sandrart und Johann
Heinrich Schönfeld (1609 - nach 1684) (Abb. 6)
beteiligt waren69.
Gerade bei diesen Großaufträgen läßt sich oft
anhand des dazu erhaltenen Briefwechsels und der
Verträge sowie durch die Zeichnungen und Ö l -
modelle70 das kommunikative und rechtliche Verhält­
nis zwischen Auftraggeber und Künstler aber auch
die handwerkliche und künstlerische Seite der A u f ­
tragsbeschaffung und Durchführung beleuchten. So
versuchte Graf Johannes von Nassau-Idstein (1603,
reg. 1627-1677) M erian d.J. für die 38 Gemälde eines
evangelischen Bilderzyklus in der Unionskirche zu
Idstein (Taunus) zu gewinnen. Im Februar 1673 ent­
schloß sich dieser aber zu einer Absage: »Wann ich
nicht so alt, und auch mit anderen Geschäft überhäuft
Matthäus M erian d.J.: Selbstbildnis (Portrait des wäre, so wolte ich wohl etwas untertuhn, die M ode­
Vaters?), um 1660? Wien, Kunsthistorisches M useum len zu machen ... aber wo findet man itzo Virtuose,
die Solche durch vollführen könnten«71. Der an­
schließend im M ärz 1673 angeschriebene Joachim
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt. Nur noch der
von Sandrart sieht sich zwar auch nicht in der Lage,
geringere Teil der Altargemälde des 17. Jahrhunderts
den Auftrag zu übernehmen, will aber M odelle lie-
ist in situ. Die meisten fielen der zweiten und diesmal
gründlicher ausfallenden Barockisierung am Ende
des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 67
Klemm (Anm. 21), S. 34-35 und S. 232-251, Nr. 117-123.
zum Opfer. Eine Beschäftigung mit den versetzten 68
Bozena Steinborn: Zu Leben und Werk M ichaels Will­
Gemälden des 17. Jahrhunderts erfordert detektivi­ manns. In: M ichael Willmann (1630-1706). Studien zu sei­
sches Gespür, will man ihnen auf die Spur kom­ nem Werk. Ausstellungskatalog des Salzburger Barockmu­
men. Großaufträge für Kirchen, die von einzelnen seums. Hrsg. von Franz Wagner. Salzburg 1994, S. 9-30 (28,
Anm. 39).
M alern oder Künstlergruppen ausgeführt wurden - 69
Renate Baumgärtel-Fleischmann: Die Altäre des Bam­
auffälligerweise findet man öfter die gleiche Künstler­ berger Domes von 1012 bis zur Gegenwart. Bamberg 1987,
konstellation unter ihnen - , sind keine Seltenheit: S. 74-204.
Sandrart war in den Jahren 1655/56 bis 1661 fast aus­ 70
Diese zum Forschungsthema gemacht zu haben, wird
schließlich mit der Anfertigung von sieben Altarge­ Bruno Bushart verdankt; zu den »M odellen« zusammen­
mälden für die Klosterkirche in Lambach beschäftigt67; fassend zuletzt die Einführung von M onika M eine-Schawe
und M artin Schawe: Die Sammlung Reuschel. Olskizzen
um den Umfang der Arbeiten für das Kloster Leubus
des Barock. München 1995, S. 11-47.
von M ichael Willmann (1630-1706) zu beschreiben, 71
Norbert Werner: Johann von Sandrart und M ichael A n -
rettet man sich gar in Quadratmeterangaben: »Die nur gelo Immenraedt. Der evangelische Bilderzyklus der Uni­
in Leubus nach der Säkularisation (nach Übernahme onskirche zu Idstein im Taunus. In: Gießener Beiträge zur
eines Teils der Gemälde durch die Breslauer M useen) Kunstgeschichte, Bd. 2 (1973), S. 171-241 ( S. 181).

56
Gerichtsperson i st«72. Doch wei ß Joachi m von San-
drart ei nen Ausweg: »mei n li eber Vetter Johannes
von Sandrart [i 627-1699] nechst auf Frankfurt [am
Mai n] verrei sen wi rd, derselbe wer zur Nachfolg
mei ner Modellen alß wol erfahren nach Wuntsch« 73 .
War bi sher von Aufträgen aus der Nachkriegs­
und Friedenszeit die Rede, so führen uns die zahlrei­
chen Werke, die den Krieg und die Friedenssehnsucht
thematisieren, in die Jahrzehnte des Dreißigjährigen
Krieges selbst und damit in die erste Hälfte des 17.
Jahrhunderts. Die lange Kriegszeit wurde bildwürdig
und damit gelangten zwar bekannte Themen erneut
in die Malerei, nun aber in noch nie gekannter Viel­
zahl: Alltag des Krieges und Kriegsgenre, Kriegs­
schrecken, Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht
sowie Kriegs- und Friedensallegorien; große Schlach­
tengalerien wurden realisiert. Auch bei diesen The­
men gab es Künstler, die sich spezialisierten. Es
scheint, daß - wie die holländische - auch die deut­
sche Malerei des 17. Jahrhunderts immer stärker von
der thematischen und technischen Spezialisierung
geprägt wurde. O f t ergab sich dabei eine familiäre
Festlegung, die über mehrere Generationen anhielt.
Eine richtige Dynastie bildete zum Beispiel die Fami­
lie Roos 74 , die sich auf die Tiermalerei spezialisierte:
Johann Heinrich (1631—1685) und sein Bruder Theo­
dor (1638—1687) machten den Anfang, es folgten die
Söhne von Johann Heinrich, Philipp Peter (1657—
1706), Johann Melchior (1663-1731), Franz (geb.
1672) und Peter (1675-1727). Und noch im 18. und
19. Jahrhundert sind malende Nachkommen nach-

72
Werner (Anm. 71), S. 182.
73
5. O swald O nghers: Martyrium des heiligen Andreas, (aus Werner (Anm. 71), S. 182.
74
einem Altarbild des Domes zu Bamberg), 1661. Bärnau Richtig bearbeitet ist nur ihr Stammvater Johann Hein­
(Landkreis Tirschenreuth), Katholische Stadtpfarrkir­ rich; siehe: Der Tiermaler Johann Heinrich Roos 1631-
che St. Nikolaus 1685. Ausstellungskatalog (Kaiserslautern). Kaiserslautern
1985 (mit älterer Literatur). - Roos. Eine deutsche Künst­
fern, nach denen ein anderer Maler die Gemälde aus­ lerfamilie des 17. Jahrhunderts. Verzeichnis sämtlicher
führen soll: »Eß erbietet sich alhier [in Augsburg] ein Zeichnungen und Radierungen von Johann Heinrich,
sehr guter Virtuoso, wan ich einige Modelen solte Theodor, Philipp Peter, Johann Melchior, Franz und Peter
Roos im Besitz des Berliner Kupferstichkabinetts. Bearb.
mahlen, diselbige umb sehr bescheyden Lohn in groß
von Margarete Jarchow. Staatliche Museen Preußischer
zu mahlen, damit dabey meiner Instruction genießen Kulturbesitz. Berlin 1986. - Hermann Jedding: Johann
könne, aber von Augsburg sich begeben könne er Heinrich Roos.Werke einer Pfälzer Tierfamilie in den Gale­
nicht, weilen er alhier seßhaft, und zugleich eine rien Europas. Mainz 1998.

57
6. Johann Heinrich Schönfeld: Der Raub der Sabinerinnen, um 1640. St. Peteresburg, Eremitage

weisbar. Nahezu unerforscht ist die Malerfamilie von tätig waren. Aufgrund der schwierigen Quellenlage
Bemmel, die sich auf die Landschafts- und Veduten­ lassen sich dazu nur gelegentlich Zahlen nennen;
malerei spezialisiert hatte. Der Stammvater Wilhelm diese überraschen dafür aber umso mehr. So sind
von Bemmel (1630-1708) (Abb. 7) wanderte aus anhand der bis jetzt ausgewerteten Quellen in der
Utrecht ein. Seine Söhne sind Wolf Hieronimus (geb. Reichsstadt Nürnberg im 17. Jahrhundert um die 450
1667), Johann Georg (1669-1723) und P eter (1685- Maler nachzuweisen75. Zählt man all die »Dilettan­
1754); im 18. Jahrhundert sind noch mindestens neun ten« und »Stümper« hinzu, dürfte ihre Zahl noch
weitere Familienmitglieder belegt, die Maler wurden. sehr viel höher gelegen haben. Nach einem Bericht
vom 3. Juli 1625 wurden im selben Jahr an die 40
Malerwerkstätten in der Stadt betrieben; man rech­
Die Zahl der Maler nete damit, daß es »in wenig Jahren auf 50 oder 60
Werckstatten auf den Flachmahlen werden«76 könn­
Diese weitverzweigten Malerfamilien werfen die ten. Der universal gebildete Jesuit Athanasius Kircher
Frage auf, wieviel Maler eigentlich im 17. Jahrhundert (1601-1680), der bei seiner immensen Sammeltätig-

>8
Wilhelm von Bem-
mel: Gebirgsland­
schaft mit Wasser­
fall, um 1675. Bre­
men, Kunsthalle

keit (»Museum Kircherianum«) die römische Kunst­ Maler? Doch sicherlich nicht allein von den Werken,
szene aufmerksam beobachtete, berichtet in einem die heute das Abbildungsmaterial kunsthistorischer
Brief vom 29. December 1674 aus Rom, daß damals Arbeiten liefern.
1500 (!) Maler in Rom arbeiteten: »Pictorum h k Das eigentliche Malen im heutigen Sinne konnte
Romae numerus fere ad 1500. excurrit, praeter mino­ bei den meisten Künstlern, vor allem »aus dem zwei­
res gentium Deos in arte, quorum nomina, uti & ten Glied«, allein den Unterhalt nicht garantieren.
Sculptorum, & Architectorum, cum modo non Mit zahlreichen Gelegenheitsarbeiten - zum Beispiel
occurrant, de ijs alias tibi fusiüs perscribam«77. Auch mit dem Malen von Sonnenuhren an Hauswänden -
wenn die Zahl übertrieben erscheint, wird sie doch mußten sie sich über Wasser halten. Da auch diese
auf einer sehr beachtlichen Anzahl von Malern in Tätigkeiten von der Obrigkeit strengstens überwacht
Rom basieren. Diese Zahlen, die nicht statistischen wurden, geben die Archive über diesen Teil der
Selbstzwecken dienten, lassen Rückschlüsse auf die L ebenswelt anschaulich Auskunft. Bei der Untersu-
Tätigkeit der Maler und ihre Werke zu und müssen
auf unser Künstlerverständnis einwirken. Denn daß
75
unsere Vorstellung vom Künstler revisionsbedürftig Siehe Tacke, Nürnberger Malerbücher (Anm. 33).
76
ist, scheint angesichts solcher Zahlen unausweichlich. Germanisches Nationalmuseum, Archiv: Reichsstadt Nürn­
berg XII/44, Bl. 14 5 r. - Ein vollständiger Abdruck der
Dies wird wohl in Zukunft auch für die großen
Quelle in Tacke, Nürnberger Malerbücher (Anm. 33).
Kunstzentren und für andere Zeiträume Gültigkeit 77
Hieronymus Ambrosius L angenmantel: Fasciculus Epi-
haben. So fand Werner Jacobsen durch Archivstudien stolarum ... Athanasii Kircheri.... Augsburg 1684, S. 54-55.
315 nachweisbare Maler für Florenz in der ersten 7
Werner Jacobsen: Die Maler in Florenz zu Beginn der
Hälfte des 15. Jahrhunderts78. Wovon lebten all diese Renaissance (Italienische Forschungen). München 1999.

59
c h u n g der sozialen Stellung des M a l e r s in der f r ü h e n cen hatte ein Maler, e t w a d u r c h die W a h l in d e n Rat
N e u z e i t sind deshalb auch die »Nebentätigkeiten« zu einer Stadt, d u r c h die V e r l e i h u n g eines A d e l s d i p l o m s
k p a r h t p n \Y/ip c r h r * n i m r £ T a h r l - m n r ! p r t dj/?hl-An_ci/?t> orlr>i* \ v / ^ p p c n s o d e r clvirCii s n i c T ^ t v ^ l ' v d t c\s DipIG
j - * " ~ ~ ' 6 ö

die Maler durch weitere Arbeiten finanziell abzusi­ mat. Diese w a r gerade i m Dreißigjährigen K r i e g ge­

chern. Weitere Zusatzeinkünfte erhielten sie durch fragt.

Spielen der Orgel während der Gottesdienste, als


s t ä d t i s c h e T o r s c h l i e ß e r o d e r als S c h a u s p i e l e r .
W a s ist d e u t s c h e M a l e r e i ? Ü b e r d e n N u t z e n regiona­
ler E i n g r e n z u n g
H o f - u n d Stadtmaler
N a c h den sozial- u n d kulturgeschichtlich ausgerich­
G r e i f b a r i n d e r L i t e r a t u r ist d i e b e s o l d e t e Tätigkeit teten Fragen, deren Beantwortung weitgehend mit
i m D i e n s t e d e s H o f e s als » H o f m a l e r « 7 9 , f ü r d i e e i n e den in den Geschichtswissenschaften entwickelten

weitgehende Unabhängigkeit v o n den engen Fesseln M e t h o d e n gelingen w i r d , w ä r e das A u g e n m e r k auf

d e r Z ü n f t e u n d eine S t e u e r b e f r e i u n g galt. S o erhielt das g e n u i n K u n s t h i s t o r i s c h e z u l e n k e n . D o c h zuvor


d e r G o t t o r f e r H o f m a l e r J ü r g e n O v e n s 8 0 ( A b b . 2) a m m u ß n o c h einmal ein fächerübergreifendes Problem
1. N o v e m b e r 1652 ein h e r z o g l i c h e s Privileg, w e l c h e s b e n a n n t w e r d e n : W i e definiert sich i m 17. J a h r h u n -
ihn v o n den bürgerlichen A b g a b e n befreite u n d ihn
allein d e m Fürstlichen H o f g e r i c h t unterstellte. Zahl­
79
reiche M a l e r erhielten z u r Sicherung ihres L e b e n s u n ­ D i e U n t e r s u c h u n g v o n W a r n k e bildet den A u s g a n g s ­

t e r h a l t e s ( w e i t e r e ) H o f ä m t e r , z . B . als Kammerdiener, p u n k t , m ü ß t e j e d o c h z u m d e u t s c h e n 17. J a h r h u n d e r t v e r ­


tieft w e r d e n : M a r t i n Warnke: Hofkünstler. Zur Vorge­
die nicht i m m e r m i t einer praktischen T ä t i g k e i t ver­
schichte des m o d e r n e n K ü n s t l e r s . K ö l n 1985.
bunden waren. I m 17. J a h r h u n d e r t e n t w i c k e l t e sich 80
Zuletzt zusammenfassend Jan Drees: Jürgen Ovens
auch das A m t des Betreuers der K u n s t - u n d W u n d e r ­ ( 1 6 2 3 - 1 6 7 8 ) als h ö f i s c h e r Maler. B e o b a c h t u n g e n z u r P o r ­
k a m m e r n , w o b e i » A m t « nicht i m heutigen Sinne zu trait- u n d H i s t o r i e n m a l e r e i a m G o t t o r f e r H o f . I n : G o t t o r f
v e r s t e h e n ist. O f t s i n d M a l e r n d i e e r s t e n G e m ä l d e v e r ­ i m G l a n z des B a r o c k . K u n s t u n d K u l t u r a m S c h l e s w i g e r

zeichnisse zu verdanken. Ihnen wurde häufig die H o f 1 5 4 4 - 1 7 1 3 . A u s s t e l l u n g s k a t a l o g ( G o t t o r f ) , B d . 1: D i e


H e r z ö g e u n d ihre S a m m l u n g e n . H r s g . v o n H e i n z S p i e l ­
Restaurierung v o n G e m ä l d e n anvertraut, w o m i t eine
m a n n u n d J a n D r e e s . S c h l e s w i g 1997, S. 2 4 5 - 2 5 8 .
Wurzel des Berufs Restaurator hier z u suchen ist. 81
Bernd Martin Mayer: J o h a n n R u d o l f B y s (1662-1738).
Johann Rudolf Bys ( 1 6 6 2 - 1 7 3 8) w u r d e mehrmals, S t u d i e n z u L e b e n u n d W e r k . P h i l . D i s s . B e r l i n (1990). ( B e i ­
zuerst in Prag u n d später bei d e n S c h ö n b o m s , mit träge z u r K u n s t w i s s e n s c h a f t , B d . 53). M ü n c h e n 1994.
dieser A u f g a b e betraut81. 82
Z u m Beispiel der Stadt U l m siehe O t h m a r M e t z g e r : D i e
Nahezu unbeachtet blieb bisher die Stellung als U l m e r Stadtmaler (1495—1631). I n : U l m u n d O b e r s c h w a ­
b e n . M i t t e i l u n g e n des V e r e i n s f ü r K u n s t u n d A l t e r t u m in
»Stadtmaler«82. Diese Tätigkeit dürfte nur noch in
U l m u n d O b e r s c h w a b e n , B d . 3 5 (19 5 8), S. 1 8 1 - 2 0 0 . - R e i n ­
A r c h i v e n r e k o n s t r u i e r b a r sein; der g r ö ß t e Teil ihrer
hard W o r t m a n n : D e r Stadtmaler J o h a n n S t ö l t z l i n (1597-
A r b e i t entzieht sich der kunsthistorischen Untersu­
1680). E i n Beitrag z u r U l m e r M a l e r e i des 17. J a h r h u n d e r t s .
chung. D i e Gelegenheitsarbeiten, v o n denen auch der I n : U l m u n d S c h w a b e n , B d . 4 2 / 4 3 (1978), S. 1 2 0 - 1 6 0 .
83
A l l t a g des H o f m a l e r s nicht v e r s c h o n t blieb, prägten Eine so verdienstvolle Quellenedition z u Künstlerinven­
das B i l d des Stadtmalers. D i e E n t w i c k l u n g u n d das taren, w i e sie A b r a h a m B r e d i u s in Z u s a m m e n a r b e i t mit

Spezifische der Stellung, v o r allem deren Anfänge, Otto Hirschmann für Holland vorlegte, gibt es für
Deutschland nicht: Künstler-Inventare. Urkunden zur
liegen im Dunkeln. Zur Darstellung der sozialen
G e s c h i c h t e der H o l l ä n d i s c h e n K u n s t des 16., 17. u n d 18.
L e b e n s w e l t d e s M a l e r s i m 17. J a h r h u n d e r t g e h ö r t e i n
Jahrhunderts (Quellenstudien zur Holländischen Kunstge­
Überblick über Künstlerhäuser, Besitzstand, Künstler- schichte, B d . 5 - 7 u n d B d . 1 0 - 1 4 ) . H r s g . v o n A b r a h a m B r e ­
inventare83 o d e r Testamente. W i e sah der Alltag, w i e dius unter M i t w i r k u n g v o n O t t o H i r s c h m a n n . H a a g 1915-
sahen die Feste aus? W e l c h e sozialen Aufstiegschan­ 1922.

60
Hans Rottenhammer: Anbetung der Hirten, 1608. Wien, Kunsthistorisches Museum
dert eigentlich »deutsch«? Ist hierunter nur eine oder Schönfelds Stil nach ihrer Heimkehr - der erste
räumliche Eingrenzung zu sehen oder ist »deutsch« kehrte 1606, der letztere 1651 zurück, beide ließen
noch eine stilgeschichtliche Kategorie? Die Diskus­ sich in Augsburg nieder - noch »deutsch« oder ist er
sion unseres Faches über »Kunsttopographie und italienisch assimiliert? Und wie sieht es mit den
Kunstgeographie«, die von den sechziger bis zum »deutschen« Rembrandt-Schülern, z.B. Johann Ulrich
Anfang der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts Mayr (um 1630-1704) und Christoph Paudiss (nicht
geführt wurde84, wäre erneut aufzugreifen, jedoch vor 1630-1666) (Abb. 9) aus90? Oder wie sieht man
allgemeiner zu fassen und der Blick auf verwandte die stark von der flämischen Malerei, besonders von
geisteswissenschaftliche Disziplinen zu richten. Rubens beeinflußte westfälische Malerei des 17. Jahr­
Worum geht es? Kunstgeographie »unterscheidet hunderts, deren herausragender Vertreter Johann
sich ... von der Kunsttopographie, die, aus der Tradi­ Georg Rudolphi 91 (1633—1693) (Abb. 10) ist? Wie
tion der Guiden- und Periegesenliteratur herausge­ ordnet man die niederländischen »Künstlerkolonien«
wachsen, systematisch verzeichnet und durcharbeitet, ein, die die Exilanten in Deutschland bildeten, zum
was in einzelnen Orten oder Gegenden an Kunstwer­
ken vorhanden ist und war. Dagegen ist es der Ehr­
84
Zusammenfassend Reiner Haussherr: Kunstgeographie.
geiz der Kunstgeographie, ein Kunstwerk nicht als an
Aufgaben, Grenzen, Möglichkeiten. I n: Rheinische Viertel­
einem Orte entstanden oder befindlich zu beschrei­
jahrsblätter, Bd. 34(1970), S. 158-171.
ben, sondern es als sinnvollerweise ebendort geschaf­ 85
Haussherr (Anm. 84), S. 158.
fen, also als ortsgebunden zu erweisen. Sie untersucht 86
Harry Schlichtenmaier: Studien zum Werk Hans Rotten­
die örtliche Ausbreitung bestimmter Stilformen, hammers des Älteren (1564-1625) Maler und Zeichner. Mit
Typen und Materialien und die regionale Differenzie­ Werkkatalog. Phil. Diss. Tübingen (1983). Dissdruck o.O.
rung von Zeitstilen in Städten, Provinzen, Landschaf­ 1988, S. 26-51 und S. 73-147; eine überarbeite Fassung zur
Publikation ist in Vorbereitung.
ten, Ländern und Nationen. Mögliche geographische 87
Herbert Pee: Johann Heinrich Schönfeld. Die Gemälde.
und klimatische Voraussetzungen sind immer wieder Berlin 1971, S. 12-13 u n d S. 21-37. "~ Zum Künstler zuletzt
behandelt worden, entscheidender aber ist der Anteil Johann Eckart von Borries: »Een Hoog-duytse linker-
der historischen Geographie«85. hand«. Johann Heinreich Schönfeld als linkshändiger
Legt man diese Definition zugrunde, wird die Zeichner. In: Festschrift Bushart (Anm. 25), S. 122-129.
88
gestellte Aufgabe für die deutsche Malerei des 17. Catja Burger-Wegener: Johannes Lingelbach 1622-1674.
Phil. Diss. (Berlin). Dissdruck o.O. 1976, S. 9-20.
Jahrhunderts dadurch erschwert, daß viele deutsche 89
Helmut Lahrkamp: Zur Biographie des Malers Jan Boeck­
Maler für einen langen Zeitraum ins Ausland gingen. horst. In: Jan Boeckhorst 1604-1668. Maler der Rubenszeit.
So hielten sich Hans Rottenhammer86 (1564/65— Ausstellungskatalog (Antwerpen und Münster). Freren
1625) (Abb. 8) und Johann Heinrich Schönfeld87 1990, S. 12-38 (16).
90
(Abb. 6) mehr als anderthalb Jahrzehnte in I talien Zu beiden Künstlern siehe Werner Sumowski: Gemälde
auf. Manche blieben ganz im Ausland, wie Johannes der Rembrandt-Schüler, Bd. 1-6. Landau/Pfalz 1983. -
Ders.: Drawings of the Rembrandt School, Bd. 1-10. Edi­
Lingelbach (1622-1674), der, in Frankfurt am Main
ted and translated by Walter L. Strauss. New York 1979-
aufgewachsen, lange Jahre in Rom und Neapel lebte
1992. - Zu Paudiss bereiten das Diözesanmuseum Freising
und dann nach Amsterdam weiterzog, um sich dort und das Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig für
endgültig niederzulassen88. I st Lingelbach ein »deut­ das Jahr 2001 eine Austeilung vor. - Die Forschung wartet
scher« Maler? Wenn ja, dann wäre die Geburt das außerdem auf die Paudiss-Monograpie von Marianne Bau­
ausschlaggebende Kriterium. Dieses würde dann mann-Engels.
91
Dirk Strohmann: Johann Georg Rudolphi. Ein Beitrag
auch auf Johann Bockhorst (Jan Boeckhorst) (1604-
zur Malerei des 17. Jahrhunderts in Westfalen (Denkmal­
1668) zutreffen. Dieser ging 22-jährig von Münster
pflege und Forschung in Westfalen, Bd. 10). Phil. Diss. Gie­
nach Antwerpen. I nteressanterweise unterhielt er ßen (1984). Bonn 1986, S. 87-94: »Das >Westfälische< in der
aber noch in Münster bei Verwandten ein »Maler- Malerei des 17. Jahrhunderts. Zur Problematik der kunst­
stübchen«89. Und ist umgekehrt Rottenhammers landschaftlichen Betrachtungsweise«.

62
mit Steffi Roettgen, in ihrer weitesten Bedeutung auf­
fassen: »nämlich in der des deutschen Sprachgebietes
im fraglichen Zeitraum, legitimiert durch das Staats­
gebilde des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
N ation und durch den auf die angrenzenden Länder
zeitweise ausgeübten dominanten kulturellen Ein­
fluß«95; doch wie wäre dann das Thema heute noch
bearbeitbar? Unter diesem Gesichtspunkt erschiene
es vielleicht sinnvoll, pragmatischer zu argumentieren
und eine räumliche Eingrenzung des Themas dahin­
gehend vorzunehmen, daß man - wie es ja auch bereits
der Forschungsrealität entspricht - die österreichi­
sche und schweizer Malerei des 17. Jahrhunderts als
eigene Bereiche darstellt, was natürlich auch für die
ehemaligen deutschen Ostgebiete zu gelten hätte.
Trotz der Gefahr einer ahistorischen Grenzziehung
müßte aus arbeitstechnischen Gründen das Thema
räumlich auf Deutschland eingegrenzt werden, wobei
die Grenzen fließend wären. Selbstverständlich sind
alle Überlegungen in Hinblick einer arbeitsökonomi­
schen Eingrenzung des Themas wieder hinfällig,
wenn - wie zum Beispiel bei dem Maler Johann von

4 Spillenberger (1628-1679) (Abb. 11) - ein Künstler in


Süddeutschland und Wien arbeitete96.
Von der Frage nach Kunstgeographie und Kunst­
landschaft im 17. Jahrhundert ist wohl die nach den
Stileinflüssen nicht zu trennen. Hier läßt sich auch

92
Siehe künftig die Habilitationsschrift von Martin Papen-
brock über »Kunst im Exil, Gillis van Coninxloo und die
Frankenthaler«.
93
Zur früheren Entwicklung vgl. Thea Vignau-Wilberg:
9. Christoph Paudiss: Marter des heiligen Thiemo, 1666. N iederländische Emigranten in Frankfurt und ihre Bedeu­
Wien, Kunsthistorisches Museum tung für die realistische Pflanzendarstellung am Ende des
16. Jahrhunderts. In: Georg Flegel 1566-1638 (Anm. 9), S.
157-165.
Beispiel die Frankenthaler92. Zu nennen wären auch 94
Vgl., wenn auch zu einer früheren Entwicklung, Kurt
die zahlreichen niederländischen Maler, die sich in Pilz: N ürnberg und die N iederlande. In: Mitteilungen des
Frankfurt am Main93 oder in N ürnberg94 schon im Vereins für Geschichte der Stadt N ürnberg, Bd. 43 (1952),
16. Jahrhundert, vor allem aber in der ersten Hälfte S. 1-153.
95
des 17. Jahrhunderts niederließen und sehr lange an Steffi Roettgen: Deutsche Malerei. Was ist das? In: Von
ihrem mitgebrachten »niederländischen« Malstil fest­ Lucas Cranach bis Caspar David Friedrich. Deutsche
Malerei aus der Eremitage (Ausstellungskatalog Frankfurt
hielten. Die Grenzen der Stilkategorisierung sind,
am Main). München 1991, S. 18-33
wollte man »deutsch« in diesem Sinne verstehen, 96
Ruth Baljöhr: Johann von Spillenberger (1628-1679). Le­
zumindest für das 17. Jahrhundert stark im Fluß. ben und Werk. Phil. Diss. Berlin (1997). Dissdruck o.O.
Sicherlich müßte man die Bezeichnung »deutsch«, 1997, S. 8-19.

63
schon generalisierend festhalten, daß - wie schon bei direkt vor Ort, d.h. durch eigene Auslandsaufent­
den Wanderbewegungen der Malergesellen - der halte. Doch bereits ihre Schüler sahen sich mit einem
Norden und das Rheingebiet von der holländischen97 Stil aus zweiter Hand konfrontiert. Ihre Vorstellung
sowie der französischen Malerei und der Süden mehr von der M alweise zum Beispiel eines Rubens wurde
von der italienischen Malerei beeinflußt wurde. Doch zuerst einmal von der Lehrergeneration geprägt. Der
ist Vorsicht geboten: Daß der in Köln tätige M aler Stiltransformationsprozeß wäre deshalb näher zu
Johann Hulsman (vor 1632- nach 1646, und vor bestimmen. Unter diesem Gesichtspunkt müßten
1652) von der flämischen M alerei beeinflußt ist98, auch die deutschen Nachfolger Caravaggios101, des­
verwundert bei der geographischen Nähe Kölns zu sen interessantester Vertreter sicherlich Wolfgang
den Niederlanden nicht, eher schon bei dem in Kon­ Heimbach (vor 1628-nach 1678) (Abb. 12), »der
stanz tätigen M aler Johann Christoph Storer (1620- stumme M aler von Ovelgönne« ist102, beleuchtet
1671). Der produktive und vorwiegend für die süd­ werden103. Ein Nebenzweig des Transformationspro­
deutschen Jesuiten tätige Storer war ebenfalls, wie zesses wäre mit der historisierenden deutschen
Hulsman, stark von Rubens beeinflußt und vor allem Dürer-Renaissance104 und der bis jetzt kaum unter-
seine Altargemälde zeigen eine ikonographische und
stilistische Affinität zu diesem Flamen99.
Horst Gerson: Ausbreitung und Nachwirkung der hol­
Aber lassen sich diese Beobachtungen für das 17. ländischen M alerei des 17. Jahrhunderts. Haarlem 1942. -
Jahrhundert dahingehend verdichten, daß wir noch Günther Heinz: Studien über Jan van den Hoecke und die
von Kölner bzw. oberrheinischer M alerei oder von M alerei der Niederländer in Wien. In: Jahrbuch der Kunst­
der M alerei des Bodenseegebietes sprechen können? historischen Sammlungen in Wien, Bd. 63 (1967), S. 109-
Dies sind Bezeichnungen, die für das 15. Jahrhundert 164.
98
Barbara Herrmann: Johann Hulsman. Ein Kölner M aler
sinnvoll sind und stilgeschichtliche Zuordnungen
des 17. Jahrhunderts. Phil. Diss. Köln (1997). Frankfurt am
ermöglichen. Unbestritten ist, daß wir für wenige
M ain u.a. 1997.
Jahrzehnte von einer »Augsburger Barockmalerei« 99
Siehe künftig die Habilitationsschrift von Sibylle A p -
sprechen können. Dies gilt jedoch nicht für das ganze puhn-Radtke.
00
17. Jahrhundert. Und wie sieht es im Norden, in So Sibylle Appuhn-Radtke in ihrem Beitrag »Invention
Hamburg und Lübeck oder am Braunschweiger Hof und Zitat. Zur Entwurfspraxis von Johann Christoph
Storer und seinen Nachfolgern in Süddeutschland« auf dem
aus? Die Forschung zur deutschen M alerei des 17.
Salzburger »Kolloquium zur zentraleuropäischen Zeich­
Jahrhunderts müßte den Begriff des »Regionalstils«
nung im 17. Jahrhundert« am 15. und 16. 9. 1997.
für den Untersuchungszeitraum und -gegenständ 101
Siehe M arlinde Kohrs: Nachfolger Caravaggios in
überdenken. Wenig umstritten dürfte sein, daß auch Deutschland. Mschr. Phil. Diss. Freiburg i. Br. (1956).
102
die M alerei des 17. Jahrhunderts durch Schulen, Siehe Gertrud Schlüter-Göttsche: Wolfgang Heimbach.
Werkstätten und Nachfolger geprägt ist. Auch wenn Ein norddeutscher M aler des 17. Jahrhunderts (Forschun­
die Unschärfe dieser Begriffe schon immer beklagt gen zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 15). Berlin 1935. -
Wilhelm Gilly: Wolfgang Heimbach. In: Anton Günther,
wurde, bilden sie doch nach wie vor ein brauchbares
Graf von Oldenburg, 1583-1667. Aspekte zur Landespoli­
Hilfsinstrumentarium. tik und Kunst seiner Zeit. Ausstellungskatalog (Olden­
burg). Oldenburg 1983, S. 89-100.
103
Siehe Rüdiger Kiessmann: Johannes Hertz, ein Nach­
folger Caravaggios in Nürnberg. In: Festschrift Bushart
Invention und Zitat (Anm. 25), S. 138-145. - Vielleicht sind die dem Maler ver­
suchsweise zugeschriebenen Bilder (vgl. dort Abb. 2 und 3)
ein allzugroßes Kompliment für Hertz; unbestritten bleibt
Zudem wäre das Wechselverhältnis von »Invention deren ikonographischer Zusammenhang.
und Zitat«100 näher zu untersuchen. Eine ganze 104
Gisela Goldberg, Bruno Heimberg und M artin Schawe:
Generation von deutschen M alern des 17. Jahrhun­ Albrecht Dürer. Die Gemälde der Alten Pinakothek (Aus­
derts bekam ihre ausschlaggebende Stilprägung noch stellungskatalog). München 1998 (mit weiterer Literatur).

64
io. Johann Georg Rudolphi: Portrait der Reichsfrau Magdalena zu Fürstenberg, 1676. Münster, Westfäli­
sches Landesmuseum fü r Kunst und Kulturgeschichte

65
Johann Spillenberger: Die Op ferung der Polyxena, um 1665. Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum
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Wolfgang Heimbach: Gaststube mit tafelnden Gästen, 1655. Berlin, Deutsches Historisches Museum

suchten Cranach-Renaissance zu Anfang des 17. motivisch und stilistisch nicht leugnen können106.
Jahrhunderts gegeben. Hierzu zwei Beispiele: P aul Das Gleiche gilt für Mozarts Verwendung von Vorla­
Juvenel d.Ä. malte 1614 für den Hochaltar des Geor­ gen Aegidius Sadelers oder Hendrick Goltzius'. Die
genchores im Bamberger D o m die Szene der »Flucht manieristische Reproduktionsgraphik der Nieder­
nach Ägypten« (Abb. 13) nach einem Holzschnitt lande beeinflußte ebenso die Malerei Westfalens in
Albrecht Dürers aus dem Marienleben von 1503/04. der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Dirk Stroh­
Das Gemälde »Salome mit dem Haupt Johannes des mann führt, nachdem er die Vorlagen für Gemälde
Täufers« von Joseph Heintz d.Ä. (1564-1609) (Abb. nach Druckgraphiken von Bartholomäus Spranger,
14) ist eine freie Kopie bzw. Umdeutung von Cra- Hans von Aachen oder Abraham Bloemaert nachwei­
nachs Gemälde »Judith mit dem Haupt des Holofer- sen konnte, dazu aus: »Obwohl in den genannten Bil­
,105 dern die kompositioneilen und motivischen Zusam­
nes
menhänge mit den Vorlagen recht deutlich hervortre­
ten, kann man doch auch ablesen, daß die typischen
Das Vorbild der Grafik Stilmerkmale des Manierismus abgeschwächt sind
und der Versuch gemacht ist, diese in eine beruhigtere
Formensprache zu überführen. Dennoch entstehen
Hand in Hand mit diesen Untersuchungen ginge die
nach dem Einfluß der ausländischen Druckgraphik
auf die deutsche Malerei des 17. Jahrhunderts. Dieser 105
Jürgen Zimmer: Joseph Heintz der Ältere als Maler.
konnte doch immerhin so gravierend ausfallen, daß Weißenhorn 1971, Nr. A 41 S. 124-125.
die Gemälde des in Augsburg arbeitenden Anton Mo­ 106
Marion Rudelius-Kamolz: Der Augsburger Maler A n ­
zart (1572/73-1625) ihr Vorbild, die Druckgraphik ton Mozart (1572/73-1625). Mschr. Phil. Diss. Köln (1995),
nach Gemälden P ieter Brueghels d.Ä. (1520/25-1569), S. 50-59.

67
zufällig zur Verfügung steht. Was allein zählt ist der
Vorrat an Kompositionsideen und Einzelmotiven,
aus dem mitunter ohne Bewußtsein für die eigene
Position innerhalb der allgemeinen Stilentwicklung
geschöpft wird«107. Daß es durchaus ein differenzier­
tes zeitgenössisches Bewußtsein für Stil geben
konnte, belegt der Brief von Matthäus Merian d.J.
vom 18. Dezember 1657 an den schon oben genannten
Grafen Johannes von Nassau-Idstein: »Dieses Kup­
ferstuck were leicht auf Stoßkopfische Manier zu
machen«108; Sebastian Stosskopff war am 11. Februar
1657 in Idstein zu Grabe getragen worden.

Erforschung der Zeichnung

Ein wichtiges Medium für den stilistischen und iko-


nographischen Transfer war, neben der schon genann­
ten Druckgraphik, die Handzeichnung. Ihre Erfor­
schung ist, wie die zur deutschen Malerei des 17.
Jahrhunderts, erst langsam in Gang gekommen. Der
zum Handbuch avancierte Stuttgarter Ausstellungs­
katalog von Heinrich Geissler109 ragt noch immer
heraus. Neben der Berliner Ausstellung »Zeichnungen
des deutschen Barock«110 im Frühsommer 1996 gab
zuletzt das von dem Salzburger Barockmuseum
ebendort veranstaltete »Kolloquium zur zentraleuro­
päischen Zeichnung im 17. Jahrhundert«111 im Sep­
tember 1997 einen wichtigen Impuls mit sicherlich
13. Paul J u v e n e l d . Ä . : Flucht nach Ä g y p t e n , Tafel aus bündelnder Wirkung für die zukünftige Forschung;
einem A l t a r b i l d des D o m e s z u B a m b e r g mit Darstel­ die Ergebnisse werden in einem von R egina Kalten-
lungen aus d e m Marienleben, 1614. B a m b e r g , O b e r e
Pfarrkirche
107
S t r o h m a n n ( A n m . 91) S. 95
auch am Ende des 17. Jahrhunderts und später noch 108
H a h n - W o e r n l e ( A n m . 64) N r . 10, S. 37
getreue Kopien nach manieristischen Stichvorlagen. 109
H e i n r i c h Geissler: Z e i c h n u n g in D e u t s c h l a n d . D e u t s c h e
... Die Weiterverwendung manieristischer R eproduk­ Zeichner 1540-1640. Ausstellungskatalog der Staatsgalerie
tionsgraphik in Westfalen bis weit ins 18. Jahrhundert Stuttgart. Stuttgart 1980; zahlreiche Fachkollegen trugen
hinein läßt darauf schließen, daß womöglich aus nach kunstgeographischen G e s i c h t s p u n k t e n z u s a m m e n g e ­
Künstlernachlässen bereits von der Stilentwicklung stellte A u f s ä t z e bei.
110
Sybille G r o ß : Z e i c h n u n g e n des deutschen B a r o c k . A u s ­
überholte Stichvorlagen an jüngere Maler weitergege­
stellungskatalog der Staatlichen M u s e e n z u Berlin P r e u ß i ­
ben worden sind. Es zeigt sich, daß mancher westfäli­
scher K u l t u r b e s i t z , H . 85-86. Berlin 1996.
scher Maler die Stilunterschiede zwischen Manieris­ 111
D i e Tagung fand am E n d e der Sommerausstellung 1997
mus und Barock für gar nicht so bedeutsam erachtet, über Seiter statt, z u der ein Katalog erschien; siehe Matthias
wenn er einen Stich vor sich hat, dessen Komposition K u n z e : D a n i e l Seiter ( 1 6 4 7 - 1 7 0 5). D i e Z e i c h n u n g e n . A u s ­
er für besonders gelungen ansieht oder der ihm gerade stellung des Salzburger B a r o c k m u s e u m s . Salzburg 1997.

68
14. Joseph Heintz d. Ä.: Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers. Wien, Kunsthistorisches Museum.

69
brunner herausgegebenen Band der Salzburger Abbildungsnachweise:
Barockberichte 1998 erscheinen.
Der Forschung zur deutschen Zeichnung des 17. Deutsches Historisches M useum Berlin: 12. - St.
Jahrhunderts - wie auch zu der hier bewuß t ausge­ Petersburg, Eremitage: 6. - Herzog Anton Ulrich-
klammerten Freskomalerei - stellen sich analoge Pro­ M useum Braunschweig: 2, 11. - Kunsthalle Bremen:
bleme wie zur M alerei des gleichen Zeitraums: Zwar 7. - Kunsthistorisches M useum Wien: 4, 8, 9, 14. -
ist sie allmählich in Gang gekommen, erfreulicher­ Ingeborg Limmer, Bamberg: 5, 13. - Staatliche
weise gibt es auch eine zunehmende Anzahl an Dis­ Kunsthalle Karlsruhe: 1. - Westfälisches Landesmu­
sertationen, doch fehlt zu deutschen Zeichnern und seum für Kunst und Kulturgeschichte: 3, 10.
M alern des 17. Jahrhunderts nach wie vor jene M ate­
rialgrundlage, die es erlauben würde, allgemeiner
gehaltene Würdigungen und problemorientierte Fra­
gestellungen vorzunehmen bzw. zu entwickeln112. Es
mangelt nicht nur an Gesamtdarstellungen, sondern
auch an aktualisierten Fragestellungen, die der
Beschäftigung mit der deutschen M alerei des 17.
Jahrhunderts, aber auch des 16. und 18. Jahrhunderts,
erst das wissenschaftliche Prestige verleihen könn­
ten113. Von M useums- und Sammlungsseite müßte
die Erstellung wissenschaftlicher Bestandskataloge
zur deutschen M alerei des 17. Jahrhunderts intensi­
viert werden114.
Eine Popularisierung mittels Ausstellungen könnte
ebenso einer Bearbeitung unseres Themas dienlich
sein, wie es hoffentlich auch einer vom Deutschen 112
Nur so ist verständlich, daß die für ein breites Publikum
Kunstverlag konzipierten und von Rüdiger Kiess­ geschriebenen Bücher von Bruno Bushart (Deutsche M ale­
mann herausgegebenen Reihe - sie soll auch ein brei­ rei des Barock. Königstein im Taunus 1967) und Götz
teres Publikum ansprechen - zur deutschen M alerei Adriani (Deutsche M alerei im 17. Jahrhundert. Köln 1977)
des 17. Jahrhunderts gelingen wird. zu Standardwerken dieses Themas in der Kunstwissen­
schaft avancieren konnten.
113
Vgl. Roettgen (Anm. 95), S. 19.
114
Den Anfang machte mit den Gemälden des 17. und 18.
Jahrhunderts die Augsburger Barockgalerie im Jahre 1970;
der Bestandskatalog hat eine zweite, von Gode Krämer
bearbeitete Auflage erfahren; siehe: Deutsche Barockgale­
rie. Katalog der Gemälde (Städtische Kunstsammlungen
Augsburg, Bayerische Staatsgemäldesammlungen; Bd. 2).
Augsburg 1984. - Es ist zu hoffen, daß die Deutsche
Barockgalerie, die in den 1960er Jahren aufgebaut wurde
und M alerei des 17. und 18. Jahrhunderts sammelt, auch
weiterhin der Erforschung dieser Kunst verpflichtet bleibt.
- Weitere Bestandskataloge zur deutschen Barockmalerei
des 17. Jahrhunderts wurden für Braunschweig (17./18. Jh.)
1989 von Joachim Jacoby, für Hannover (17./18. Jh.) 1990
von Angelica Dülberg, für Nürnberg (17. Jh.) 1995 von
Andreas Tacke, für Dessau (16./17. Jh.) 1996 von Stephan
Klingen und für Stuttgart (17./18. Jh.) 1996 von Corinna
Höper erstellt.

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