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Standards Psychologie

Begründet von
Theo W. Herrmann
Werner H. Tack
Franz E. Weinert (†)

Weitergeführt von
Marcus Hasselhorn
Herbert Heuer
Frank Rösler

Herausgegeben von
Marcus Hasselhorn
Herbert Heuer
Sylvia Schneider
Marcus Hasselhorn
Andreas Gold

Pädagogische Psychologie

Erfolgreiches Lernen und Lehren

3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

Verlag W. Kohlhammer
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nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2013

Alle Rechte vorbehalten


© 2006/2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher
Gesamtherstellung:
W. Kohlhammer GmbH + Co. KG, Stuttgart
Printed in Germany

ISBN 978-3-17-022462-9

E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-023965- 4
Inhalt

Vorwort zur 3. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Wie man mit diesem Buch arbeiten kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Was ist Pädagogische Psychologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Womit beschäftigen sich Pädagogische Psychologen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Wie ist Pädagogische Psychologie zu dem geworden, was sie ist? . . . . . . . . . . 25
Aufbau des Lehrbuchs: Erfolgreiches Lernen und Lehren . . . . . . . . . . . . . . . 30

Teil I Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

1 Auffassungen über Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37


1.1 Lernen als Assoziationsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1.2 Lernen als Verhaltensänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
1.3 Lernen als Wissenserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.4 Lernen als Konstruktion von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . 68


2.1 Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2.2 Vorwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
2.3 Lernstrategien und ihre metakognitive Regulation . . . . . . . . . . . . . . . 91
2.4 Motivation und Selbstkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
2.5 Volition und lernbegleitende Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130


3.1 Erwerb bereichsspezifischer Expertise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
3.2 Erwerb bereichsübergreifender Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
3.3 Lerntransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

4 Besonderheiten des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159


4.1 Allgemeine Entwicklungsvoraussetzungen erfolgreichen Lernens . . . . . . . 160
4.2 Lernschwierigkeiten, -schwächen und -störungen . . . . . . . . . . . . . . . 179
4.3 Lernbesonderheiten Hochbegabter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
4.4 Lernen im (hohen) Erwachsenenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

5
Inhalt

Teil II Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

5 Auffassungen über Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228


5.1 Lehren und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
5.2 Dimensionen der Unterrichtsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
5.3 Voraussetzungen erfolgreichen Lehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

6 Methoden erfolgreichen Lehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262


6.1 Darstellende Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
6.2 Entdeckenlassende und problemorientierte Methoden . . . . . . . . . . . . . 286
6.3 Kooperative Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
6.4 Selbstreguliertes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

7 Rahmenbedingungen des Lehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345


7.1 Schulbereitschaft und Einschulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
7.2 Determinanten schulischer Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
7.3 Klassenführung und Klassenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
7.4 Beurteilen und Bewerten schulischer Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . 389
7.5 Instruktionsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

8 Besonderheiten des Lehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427


8.1 Kognitives Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
8.2 Förderung von Motivation und Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
8.3 Jungen und Mädchen im Bildungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
8.4 Instruktion bei besonderen Lernvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 460

Fragen zur Lernkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534

6
Vorwort zur 3. Auflage

Neuauflagen eines Lehrbuchs sehen seine Zuwachs in Grenzen bleibt, haben wir auf
Autoren oft mit gemischten Gefühlen ent- den »Ausblick« verzichtet – das dort bislang
gegen. Zum einen haben sich der Sachstand angesprochene Thema »Beratung« hätte auf-
einer Disziplin und die Kenntnisse der Au- grund seiner Bedeutsamkeit zusätzlichen
toren weiterentwickelt, zum anderen hat sich Raum beansprucht, der nicht zur Verfügung
die einst vorgelegte Konzeption offenbar stand.
bewährt. Ein ganz neues Buch möchte Weil es beim Lernen und Lehren stets um
man also nicht schreiben – nur mit kleineren männliche und weibliche Personen geht,
Korrekturen und Aktualisierungen ist es musste mit Blick auf eine geschlechtergerech-
aber vielfach auch nicht getan. Wir haben te Sprachverwendung eine Entscheidung ge-
für die 3. Auflage der Pädagogischen Psy- troffen werden. Da es sich beim vorliegenden
chologie grundlegende Überarbeitungen Buch um ein Lehrbuch handelt, haben wir
vorgenommen, die allerdings nicht alle Teil- bei unserer Entscheidung das Kriterium der
bereiche und Kapitel des Buches in gleicher sprachlichen Einfachheit höher gewichtet als
Weise betreffen. das der Gendergerechtigkeit der Sprache.
Beibehalten wurde die grundlegende Zugunsten einer leichteren Verständlichkeit
Struktur des Lehrbuchs, also die Aufglie- und Behaltbarkeit der Ausführungen haben
derung in die beiden Hauptabschnitte »Ler- wir die verallgemeinernde grammatikalisch
nen« und »Lehren« und die meist spiegel- männliche Bezeichnung (Genus) gewählt,
bildlich in diesen Hauptabschnitten jeweils sofern sich im Einzelfall nicht andere, stilis-
angelegten vier inhaltlichen Kapitel. Beim tisch ansprechende Alternativen finden lie-
»Lehren« ist ein Teilkapitel über Schulbereit- ßen. Im Teilkapitel »Jungen und Mädchen
schaft und Einschulung hinzugekommen. im Bildungssystem« wird die generisch-
Ganz neu konzipiert wurde das fünfte Ka- männliche Form allerdings nicht verwendet,
pitel »Auffassungen über Lehren« – sehr viel weil dort die Unterschiede zwischen den
mehr wissen wir inzwischen über die Dimen- biologischen Geschlechtern (Sexus) im Zen-
sionen der Unterrichtsqualität und über Vo- trum der Darlegungen stehen. Dort ist also
raussetzungen erfolgreichen Lehrens. Auch mit Absicht entweder von Schülerinnen oder
die anderen Kapitel im Teil »Lehren« sind von Schülern die Rede.
gründlicher überarbeitet worden. Seit Erscheinen der 1. und 2. Auflage des
Die Neuauflage ist um 50 Seiten umfang- Lehrbuches haben wir viele – zumeist sehr
reicher geworden, das Literaturverzeichnis ermutigende Rückmeldungen von Lesern
enthält mehr als 300 neue Belegquellen. Den- erhalten. Die häufigste Rückmeldung bezog
noch: Nicht alle Neuerungen und Weiterent- sich dabei auf die gewählte Darstellung un-
wicklungen der Pädagogischen Psychologie seres heuristischen Modells der INdividuel-
konnten Berücksichtigung finden, um den len VOraussetzungen erfolgreichen Lernens
Charakter eines einführenden Lehrbuchs (INVO-Modell, 䉴 Kap. 2, 䉴 Abb. 2.1). Dort
nicht zu verlieren. Damit der umfängliche haben wir die fünf wichtigsten Inhaltsberei-

7
Vorwort zur 3. Auflage

che individueller Lernvoraussetzungen als und wie diese – jede für sich – den Lern-
Zahnradwerk dargestellt, in dessen Mitte prozess günstig beeinflussen, dass wir jedoch
das erfolgreiche Lernen steht. Viele Male noch immer viel zu wenig darüber wissen,
sind wir zu Recht darauf hingewiesen wor- wie die individuellen Voraussetzungen in
den, dass diese Darstellung an eine Maschine ihrem Zusammenwirken den Lernerfolg ent-
erinnert, die nicht funktioniert. Versucht stehen lassen.
man eines der Zahnräder in Bewegung zu Die Arbeit an der Neuauflage hat von
setzen, so blockiert die Mechanik. Wir ha- Kommentaren und Anregungen unserer Le-
ben auch konkrete Vorschläge erhalten, wie ser ebenso profitiert wie von den Kritiken
sich diese »Lernmaschine« so darstellen lie- und Korrekturvorschlägen einiger Kollegen.
ße, dass sie »funktioniere«. Diese guten Vor- Ein besonders herzlicher Dank für hilfreiche
schläge haben wir mit Bedacht dennoch Anregungen beim Entstehen der hier vor-
nicht aufgegriffen und sehr bewusst die ur- gelegten 3. Auflage gilt Katrin Arens, Minja
sprüngliche Form der Darstellung beibehal- Dubowy, Dagmar Duzy, Lena Guderjahn,
ten. Dies hat vor allem einen didaktischen Julika Knopp, Mareike Kunter, Chantal
Grund: Solange beim Lesen die Assoziation Rietz und Cora Titz.
entsteht, dass diese »Maschine« noch nicht
richtig »funktioniere«, erleichtert dies das
Verstehen und Behalten unserer Kernaussa-
ge, dass wir mittlerweile zwar viel darüber Frankfurt am Main, im Sommer 2012
wissen, welches die relevanten individuellen
Voraussetzungen erfolgreichen Lernens sind Marcus Hasselhorn und Andreas Gold

8
Wie man mit diesem Buch arbeiten kann

Sie können das Buch von vorne bis hinten was Sie vordringlich lesen möchten. Um
durchlesen. Aber Leserinnen und Leser un- das Textverstehen zu erleichtern, haben
terscheiden sich im Hinblick auf ihr Lesein- wir uns um eine klare inhaltliche Struktu-
teresse und ihre Lernmotivation, ihre Vor- rierung bemüht. Als besondere Strukturele-
kenntnisse und Vorerfahrungen und in Be- mente werden zudem Kästen verwendet, die
zug auf die Fragen und Anliegen, mit denen gerahmt oder blau unterlegt sind. Davon
sie an die Pädagogische Psychologie heran- gibt es drei unterschiedliche Typen. Zur
treten. Anhand der Gliederung und der ein- Illustration sind sie hier nacheinander auf-
führenden Abschnitte in die jeweiligen Ka- geführt. Zudem gibt es Leseempfehlungen
pitel können Sie eine Vorauswahl treffen, am Ende der Kapitel.

Orientierungsfragen
Werden am Anfang der jeweiligen Kapitel gestellt. Auf welche Hauptfragen soll ein
Textabschnitt Antworten geben? Eine naheliegende Frage wäre im Moment etwa die
folgende:
● Kann man Lernen durch Lesen eigentlich lernen?

Studie/Beispiel/Definition/Fokus
Solche Kästchen gibt es am häufigsten. Ein Konzept oder ein Begriff werden definiert oder
beispielhaft beschrieben. Eine empirische Studie oder ein Sachverhalt werden exemplarisch
dargestellt.

Zusammenfassung
Enthält die Kernaussagen eines Kapitels. Zusammenfassungen gibt es jeweils am Ende der
acht Kapitel und am Ende der Einleitung.

Als Hilfe zur Selbstprüfung finden Sie im Strukturierungshilfen können nur ein Ange-
Anhang einige Fragen zu jedem Kapitel. Sie bot sein. Das Verstehen und Behalten eines
sollten sie nach dem Lesen des Buches beant- Textes hängt aber nicht nur von seiner
worten können. Schwierigkeit und von Merkmalen der Text-
gestaltung ab, sondern ganz entscheidend

9
Wie man mit diesem Buch arbeiten kann

von Ihren eigenen Kompetenzen und dem geeignet sind, die Informationsaufnahme
zielführenden Einsatz von Verstehens- und aus Texten zu unterstützen. Dazu gehören
Behaltensstrategien. Ein Lehrbuch, das Sie reduktiv-organisierende, den Text verkür-
sich erarbeiten, zeigt anschließend Spuren zende Strategien, die dabei helfen, die
dieser Arbeit; und das soll es auch, zumin- Hauptgedanken eines Textes zu erfassen.
dest, wenn es Ihr persönliches Exemplar ist Dazu gehören auch elaborierende, den
(bei entliehenen Büchern finden sich diese Text anreichernde Strategien, die die Anbin-
Spuren idealerweise auf Zetteln oder Kärt- dung der Textinhalte an das bereits vorhan-
chen und nicht im Buch selbst). Deshalb ist dene Wissen befördern. Gute Leser verfügen
ein Lehrbuch auch keine bibliophile Kost- zusätzlich über sogenanntes metakognitives
barkeit, sondern als hilfreiches Arbeitsmittel Strategiewissen und bringen es zur Anwen-
zum Aufbau individueller Wissensstruktu- dung. Das metakognitive Strategiewissen ist
ren gedacht. hilfreich, um die Strategieauswahl den wech-
selnden Anforderungen und dem individu-
Lernen durch Lesen. Textverstehen wird ellen Leseziel anzupassen und um den ge-
durch strategisches Lesen begünstigt. Aus samten Leseprozess optimal zu planen, zu
kognitionspsychologischen Theorien lässt überwachen und zu regulieren.
sich ableiten, welche Strategien besonders

Beispiel: Lesestrategien
● Sich Fragen zum Text stellen: Wozu muss/will ich das lesen? Was will ich wissen?
● Sich an der vorgegebenen Textstruktur orientieren oder das Lesen anhand einer eigenen
Fragestellung selbst strukturieren.
● Sich vorher einen Überblick verschaffen. Den Text durchblättern.
● Wichtige Informationen auswählen und durch Markieren, Unterstreichen oder Heraus-
schreiben hervorheben.
● Unwichtige Details übergehen und weglassen, um den Text zu kürzen.
● Überschriften beachten oder selbst passende Überschriften formulieren.
● Wichtiges in eigenen Worten zusammenfassen und wiederholen.
● Nach Anwendungsbeispielen suchen.
● Im Text Analogien zu bereits vorhandenem Wissen entdecken.
● Widersprüche entdecken. Textaussagen kritisch bewerten.
● Schwer verständliche Textstellen mehrmals lesen.
● Das Verstehen selbst überprüfen.
● Das Behalten selbst überprüfen.

Lernen durch Lesen heißt in zweifacher Theorie des Textverstehens formuliert und
Hinsicht Lücken füllen. Zum einen soll ein die Mechanismen benannt, die den Aufbau
Text Wissenslücken bei jenen schließen, die einer kohärenten Wissensrepräsentation des
ihn lesen. Zum anderen müssen die Lese- Gelesenen begünstigen: die Verknüpfung,
rinnen und Leser Textlücken schließen, weil Reduktion und Verdichtung einer ersten,
ein Text nie alle Informationen enthalten propositionalen Textrepräsentation zu einer
kann, die zu seinem Verständnis notwendig zweiten, semantischen Repräsentation des
sind. Walter Kintsch (1996) hat eine wichtige Textinhalts. Die meisten der im Beispielkas-

10
Wie man mit diesem Buch arbeiten kann

ten aufgeführten Aktivitäten lassen sich di- 1999). Als Lesehilfen aktivieren diese Tätig-
rekt aus der Theorie von Kintsch ableiten. keiten das bereits vorhandene inhaltliche
Wir finden diese und ähnliche Empfehlun- Vorwissen und bewirken, ebenso wie kriti-
gen übrigens in unterschiedlicher Kombina- sche Wertungen, Kommentare und beglei-
tion, verkürzt und verdichtet zu mehr oder tende Affekte, eine tiefere Textverarbeitung,
weniger eingängigen Akronymen, wie die das Verstehen und Behalten des Gelese-
SQ3R, PQ4R oder MURDER, als Elemente nen fördert. Der Inhalt einer Textseite ge-
von Programmen zur Förderung des Text- langt nämlich leichter in Ihren Kopf, wenn
verstehens wieder (zusammenfassend: Ball- Ihre Gedanken zugleich den Weg auf die
staedt, Mandl, Schnotz & Tergan, 1981; Textseite finden.
Friedrich, 1995; Leopold, 2009; Metzger,

11
Einleitung

»Pädagogische Psychologie ist das, was in Elternhaus stattgefunden oder in anderen,


Lehrbüchern, Handlexika und Wörterbü- alltäglichen und natürlichen Situationen.
chern steht, die Pädagogische Psychologie Zugleich haben Sie immer wieder die Seiten
im Titel führen« (Giesen, 2002). Sollte man vom Lernen zum Lehren gewechselt, haben
daraus ableiten, dass es Buchautoren und die Rolle des Lernenden mit der des Lehren-
Herausgeber sind, die den Inhaltsbereich der den getauscht, um selbst jemandem etwas in
Pädagogischen Psychologie bestimmen? Das pädagogischer Absicht zu erklären, vor-
ist natürlich nicht der Fall. Eine wissen- zuzeigen oder vorzumachen. Über das Ler-
schaftliche Disziplin definiert sich über ihren nen und Lehren – die beiden großen The-
Gegenstandsbereich und die Methoden, de- menbereiche der Pädagogischen Psychologie
rer sie sich bedient. Der Gegenstandsbereich – wissen wir mithin alle aus eigener An-
der Pädagogischen Psychologie ist das Ver- schauung bereits Bescheid. Es ist ein Ziel
halten und Erleben von Menschen in päda- dieses Lehrbuchs, die aus eigener Erfahrung
gogischen Situationen, die Methoden sind bereits vorhandenen Kenntnisse und Über-
die der empirischen Verhaltenswissenschaf- zeugungen mit den Befunden und Erkennt-
ten. Zwar verweist das Kompositum der nissen der wissenschaftlich betriebenen Pä-
Fachbezeichnung explizit auf die Nachbar- dagogischen Psychologie zu konfrontieren.
disziplin Erziehungswissenschaft, indes ist Dies nicht, um die vorwissenschaftlichen
die Einordnung der Pädagogischen Psycho- Überzeugungen und das »pädagogische
logie unter die Teilgebiete der Psychologie Brauchtum« schlicht zu widerlegen, indem
eindeutig und unstrittig. Entstehungs- durch spitzfindige Experimente kontraintui-
geschichtlich und wissenschaftshistorisch tive Befunde präsentiert werden, sondern im
betrachtet ist die Pädagogische Psychologie Bestreben, die vorwissenschaftlichen Kennt-
eines der Kerngebiete der akademischen nisse und Überzeugungen in geeigneter (und
Psychologie überhaupt (Burden, 2000; Rey- notwendiger) Weise zu präzisieren und zu
nolds & Miller, 2003 a). modifizieren. Solche Präzisierungen schei-
Wer dieses Buch liest, hat bereits eigene nen auch notwendig, denn nicht selten ist
pädagogisch-psychologische Erfahrungen das sprichwörtliche Common-Sense-Wissen
gesammelt, als handelnder Akteur in päda- ohnehin in sich widersprüchlich, wie die
gogischen Situationen und als Adressat pä- beiden gegensätzlichen Redewendungen
dagogischer Maßnahmen. Unzählige Male »Früh übt sich, . . .« und »Es ist nie zu
sind Sie durch einen Lehrer oder durch eine spät . . .« illustrieren mögen. Was stimmt
Freundin, von den Eltern, durch ein Buch, denn nun?
einen Film oder durch ein Computerpro-
gramm angeleitet oder unterrichtet worden, Die Widersprüchlichkeiten im Alltagswissen
weisen darauf hin, dass sich Common-Sense-
um etwas zu verstehen, zu behalten oder um Überzeugungen eher auf die Haupteffekte von
eine Fertigkeit zu erwerben. Das Unterwei- Variablen beziehen als auf ihre Wechselwirkun-
sen hat entweder in der Schule oder im gen. Dies stellt die wissenschaftliche Psycho-

12
Einleitung

logie vor die wichtige Aufgabe, solche Wider- meisten dieser Fragen beziehen sich auf Pro-
sprüche aufzulösen, indem sie zum einen die bleme der pädagogischen Praxis. Sie betref-
Bedingungen identifiziert, unter denen ein vor-
geblicher Zusammenhang tatsächlich existiert
fen die alltägliche Tätigkeit von Lehrerinnen
und zum anderen diejenigen, unter denen der und Erziehern und das administrative oder
gegenteilige Effekt auftritt. (Kelley, 1992, politische Handeln von Bildungsplanern
S. 15)1 und -verantwortlichen. Diesen konkreten
Fragen vorgeordnet sind Fragen, die auf
Wissenschaftlich überprüfen heißt, etwas in die Beschreibung und Erklärung psychologi-
Frage stellen. Für eine anwendungsorientier- scher Prozesse und auf die Möglichkeiten der
te Disziplin wie die Pädagogische Psycho- Beeinflussung von Lehr-Lern-Prozessen in
logie, die nicht nur – wie die Psychologie institutionellen und in außerschulischen
insgesamt – mit dem allgemeinen Menschen- Kontexten zielen. Diese Fragen lassen sich
verstand aller Beteiligten, dem sogenannten auf einen gemeinsamen Kern verdichten:
Großmutter-Wissen (Kelley, 1992), konkur- Welches sind die Bedingungen erfolgreichen
riert, sondern zugleich mit dem tradierten Lernens und Lehrens und wie kann man sie
pädagogischen Erfahrungswissen von Leh- gezielt herbeiführen? Es geht dabei um das
rern und Erziehern, Belehrten und Erzoge- Lernen unter den Bedingungen des Lehrens –
nen, ist die wissenschaftliche Dignität dieser damit ist zugleich der wichtigste Inhalts-
Überprüfung von ganz entscheidender Be- bereich dieses Lehrbuchs benannt.
deutung. In diesem Lehrbuch wird eine thematische
So gehört es zu den Zielen dieses Buches, Abfolge und inhaltliche Verschränkung von
auf die Notwendigkeit des Hinterfragens »Lernen und Lehren« gewählt, der die Auf-
auch dann hinzuweisen, wenn einfache Ant- fassung von Lernen als »erfolgreicher Infor-
worten nicht zu erwarten sind. Kann man mationsverarbeitung« zugrunde liegt. Und
Lernen lernen? Was bewirkt Schule? Können es wird eine Auffassung von Lehren vertre-
Kinder auch ohne Lehrer lernen? Kann man ten, die unterschiedliche, aber nicht beliebige
gleichzeitig Leistungsunterschiede zwischen Vorgehensweisen zur Förderung solcher
den Lernenden verringern und dennoch alle Lernprozesse zulässt. Den beiden themati-
an ihr Leistungsoptimum heranführen? Was schen Schwerpunkten Lernen und Lehren
spricht eigentlich dafür, Mädchen und Jun- sind die Hauptteile I (Lernen) und II (Lehren)
gen gemeinsam zu unterrichten? Eignen sich des Buches gewidmet. Vorangestellt werden
Noten als Leistungsrückmeldungen an die vier allgemeine Fragen beantwortet:
Schülerinnen und Schüler oder sollte man
Berichtszeugnisse verwenden? Wie können ● Was ist Pädagogische Psychologie?
Erwachsene am besten lernen? Wie und wo ● Womit beschäftigen sich Pädagogische
sollen hochbegabte Kinder unterrichtet wer- Psychologen?
den? ● Wie ist Pädagogische Psychologie zu dem
Solche und andere Fragen können neu- geworden, was sie ist?
gierig machen auf Antworten, die die Päda- ● Wie ist dieses Lehrbuch aufgebaut?
gogische Psychologie anzubieten hat. Die

1 Alle englischen Zitate sind von den Verfassern


ins Deutsche übersetzt worden.

13
Einleitung

Orientierungsfragen
● Was sind die Kerngebiete der Pädagogischen Psychologie?
● Ist die Pädagogische Psychologie eine theoretische oder eine praktische Wissenschaft?
● Ist die Pädagogische Psychologie eine Psychologie für Pädagogen?
● Welches sind die wichtigsten Forschungsfelder der Pädagogischen Psychologie?
● Wie und wo kann man sich umfassend über die Erkenntnisse der Pädagogischen
Psychologie informieren?

Was ist Pädagogische Psychologie?

Je nach Überzeugung und Temperament gen Unruhe in die Pädagogik, indem wir uns
mag man die besondere Lage der Pädagogi- weigern, gute Absichten, Expertenmeinungen
und doktrinäre Forderungen als Begründungen
schen Psychologie zwischen den grundlagen- für pädagogisches Handeln zu akzeptieren.
wissenschaftlichen Ansprüchen auf der ei- Dennoch ist es gerade das Zusammentreffen
nen Seite und den Anwendungserfordernis- dieser beiden Kritikpunkte, welches das einzig-
sen der erzieherischen und unterrichtlichen artige Potential der Pädagogischen Psychologie
ausmacht, sowohl die psychologische Theorie
Praxis auf der anderen beklagen oder be- als auch die pädagogische Praxis gewinnbrin-
grüßen. Oft wird diese »Zwischenlage« al- gend weiter zu entwickeln. (Mayer, 2001,
lerdings als besonders »spannend« oder als S. 83)
besonderes Privileg betrachtet: Als Schar-
nierstelle zwischen theoretischem Wissen Unabhängig davon, ob diese Zwischenlage
und der praktischen Anwendung dieses Wis- notgedrungen hingenommen oder glücklich
sens (Burden, 2000; Calfee & Berliner, 1996; gefügt ist, bestimmen die Ansprüche und
Mayer, 1992; Reynolds & Miller, 2003 a; Fragen der pädagogischen Praxis das Feld,
Shuell, 1993). »Es ist nicht leicht, ein Päda- auf dem pädagogisch-psychologische For-
gogischer Psychologe zu sein«, leitet der US- schung stattfindet. Sie markieren zugleich
Amerikaner Richard Mayer, einer der pro- die besonderen Erwartungen, die stets an
minentesten Vertreter des Faches, seine Kla- die praktische Verwertbarkeit ihrer For-
ge ein: schungsergebnisse geknüpft sind. In der Pä-
Unsere Kollegen in der Psychologie diskredi- dagogischen Psychologie verbindet sich die
tieren uns als »zu pädagogisch« und meinen pädagogische Praxis mit der wissenschaftli-
damit unser Interesse an pädagogisch relevan- chen Psychologie, die eine wird zum For-
ten Problemen, statt an künstlichen Labor- schungsgegenstand der anderen; die Päda-
untersuchungen. Unsere Kollegen in der Päda-
gogische Psychologie lässt sich insoweit als
gogik diskreditieren uns als »zu psychologisch«
und meinen damit unser Bemühen, pädagogi- »Theorie einer Praxis« (Ewert, 1979) be-
sche Praxis auf wissenschaftlichen Forschungs- zeichnen. Franz Weinert, einer der einfluss-
methoden und Theorien aufzubauen, statt auf reichsten deutschsprachigen Fachvertreter,
populäre Überzeugungen und Lehrmeinungen charakterisierte sie treffend als »theoretisch
zu vertrauen. Wir bringen Unruhe in die Psy-
chologie, indem wir uns weigern, künstliche orientierte, empirisch betriebene und prak-
Laboruntersuchungen als Endpunkt psycho- tisch nutzbare Wissenschaft«, die sich mit
logischer Forschung zu akzeptieren. Wir brin- Fragen »der Beeinflussung menschlicher

14
Einleitung

Entwicklungs-, Lern- und Erkenntnisvor- die Erfordernisse von Erziehung und Un-
gänge beschäftigt« (Weinert, 1996 b, S. 98 terricht angewandte Psychologie der blo-
bzw. S. 86). ßen Erkenntnisübertragung, oder die ihr
Diese Position war nicht unstrittig. Sie die vordringliche Aufgabe der Gewinnung
musste sich behaupten gegen Auffassungen, und Überprüfung praktisch-technologischer
die in der Pädagogischen Psychologie vor- Handlungsregeln zuwiesen (vgl. dazu Ewert,
nehmlich eine Hilfs- oder Grundlagenwis- 1979; Weinert, 1967).
senschaft für die Pädagogik sahen, eine auf

Definitionen: Pädagogische Psychologie


Pädagogische Psychologie ist die wissenschaftliche Erforschung der psychischen Seite der
Erziehung; sie setzt Erziehungen und Erziehung als gegebene Tatsache voraus und bemüht
sich, diese eigenartige Realität, Erziehung genannt, auf ihre psychologischen Einschläge hin
zu analysieren. In diesem Sinn handelt sie von den psychologischen Voraussetzungen,
Grundlagen und Wirkungen aller Erziehungstechniken, von den psychischen Vorgängen in
der erziehenden und in der Erziehung empfangenden Generation, von den psychischen
Seiten aller dinglichen und institutionellen Erziehungsmittel . . . (Fischer, 1917, S. 116–117)
Pädagogische Psychologie ist in meinen Augen als Wissenschaft notwendigerweise eine
reduktive, die Phänomene vereinfachende, nach Gesetzmäßigkeiten suchende, auf Wahr-
scheinlichkeitsaussagen gerichtete, also im besten Sinne des Wortes theoretische Disziplin –
für welche das eigentliche, zwischenmenschliche, persönlich zu verantwortende, lebendige
pädagogische Handeln immer eine »andere«, nie als solche erfassbare, in Grenzen aber
wissenschaftlich beschreibbare und erklärbare Realität bildet. Pädagogisch-psychologische
Forschung leistet damit einen prinzipiell beschränkten, aber unverzichtbaren Beitrag zum
besseren Verständnis der psychologischen Prozesse im pädagogischen Geschehen, Handeln
und Wirken. (Weinert, 1996 b, S. 98–99)
Pädagogische Psychologie untersucht, wie und warum Menschen in und als Ergebnis von
pädagogischen Interaktionen so denken, fühlen und handeln wie sie es tun. Angewandte
Pädagogische Psychologie stützt sich auf die Einsichten, die aus dieser Forschung entstehen,
um so die Interaktionen zwischen den am pädagogischen Prozess Beteiligten zu fördern
und notwendige Veränderungen im Bildungssystem zu ermöglichen. (Burden, 2000,
S. 477–478)

Eine Wissenschaft für sich. Wenn sie keine chischen Seite der Erziehung«. Fast 80 Jahre
bloße Hilfs-, Anwendungs- oder Anhangs- später wird dieser Anspruch in einem ame-
disziplin sein will, wodurch lässt sich die rikanischen Handbuch der Pädagogischen
Eigenständigkeit der Pädagogischen Psycho- Psychologie wiederholt:
logie begründen? Vor allem durch die Fra- Pädagogische Psychologen bearbeiten einen
gestellungen, die sie bearbeitet und durch die eigenen Bereich wissenschaftlicher Probleme,
speziellen Methoden, derer sie sich bedient. für den sie eigene Theorien und Methoden
Schon Aloys Fischer (1917) hat die Pädago- entwickelt haben. Deswegen betrachten sie
ihr Fachgebiet nicht einfach als einen ange-
gische Psychologie über ihren Forschungs-
wandten Zweig oder eine angewandte Subdis-
gegenstand als selbständiges Forschungs-
gebiet reklamiert, zur »Erforschung der psy-

15
Einleitung

ziplin wissenschaftlicher Psychologie. (Calfee Eine wissenschaftlich fundierte pädagogi-


& Berliner, 1996, S. 6) sche Interventionsmaßnahme muss dem-
nach stets im Rahmen eines angemessenen
Der Verweis auf die eigenen Methoden ist Vergleichsgruppen-Designs (Comparison),
hier besonders wichtig: Zur Erforschung der in replizierbarer Weise (Again and again)
komplexen und vielschichtigen Zusammen- substantielle Wirkungen im Hinblick auf
hänge und Wechselwirkungen zwischen den ein erwünschtes Erfolgskriterium (Relati-
Merkmalen der Lernenden und der Lehren- onship) erbracht haben. Konkurrierende Al-
den (Erziehenden) sowie den inhaltlichen ternativerklärungen, die für das Zustande-
und formalen Aspekten einer pädagogischen kommen von Trainingserfolgen ebenfalls
Situation bedarf es nämlich einer Anpassung verantwortlich sein könnten, sind durch ent-
und Erweiterung des üblichen experimental- sprechende Vorkehrungen auszuschließen
psychologischen Methodeninventars. Denn (Eliminate). Es ist wichtig zu betonen, dass
eine ausschließlich experimentell-reduktio- das Einhalten solcher Standards die wissen-
nistische Ausrichtung – das wurde bald deut- schaftliche Dignität der Erkenntnisgewin-
lich – wird dem besonderen Untersuchungs- nung und der Erkenntnisse selbst nachhaltig
gegenstand der Pädagogischen Psychologie berührt (Hardy, 2008; Hartinger, 2008; Sou-
nicht gerecht und führt leicht in die Sack- vignier & Dignath van Ewijk, 2010).
gassen der Irrelevanz bzw. nicht zu den er-
hofften Erkenntnissen. Ernest Hilgard Pädagogische Psychologie oder angewandte
(1964) hat deshalb bereits früh für einen Pädagogische Psychologie? Einen solchen
Methodenpluralismus plädiert, um der Dop- Gegensatz halten wir für künstlich. Die Pä-
pelaufgabe einer Grundlagen- und Anwen- dagogische Psychologie ist eine theoretische
dungsforschung gerecht zu werden. Zwar Wissenschaft, die sich mit dem Verhalten
sind auch laborexperimentelle Befunde un- und Erleben der in pädagogischen Situatio-
verzichtbar und von großer Bedeutung, sie nen Handelnden oder durch pädagogische
reichen aber nicht aus. Notwendig sind Feld- Maßnahmen Behandelten befasst. Ihr Kern-
experimente und Feldstudien, sowie kontrol- gebiet ist die Erforschung des menschlichen
lierte Interventions- und Trainingsstudien. In Lernens unter den Bedingungen des Lehrens
diesem Zusammenhang verweisen Levin, (Gold & Borsch, 2011): Wie Menschen
O’Donnell und Kratochwill (2003) in einem lernen und wie man ihnen dabei helfen kann.
programmatischen Aufsatz auf die besonde- Angewandt auf Fragen und Probleme aus
re Bedeutung der Interventionsforschung, der pädagogischen Praxis ist die Pädagogi-
und zwar sowohl zur (grundlegenden) Er- sche Psychologie deshalb auch stets eine
kenntnisgewinnung als auch zur (angewand- praktisch nutzbare Wissenschaft.
ten) Überprüfung pädagogischer Interventi- Besonders betont wird immer wieder und
onsmaßnahmen. Sie verwenden das Akro- zu Recht die empirische Grundlegung der
nym CAREful, um das zu verdeutlichen und Pädagogischen Psychologie, dies nicht zu-
an die Standards evidenz-basierter Interven- letzt mit Blick auf den Niedergang der em-
tionsforschung – im Sinne der von Campbell pirisch orientierten Pädagogik im Verlauf
und Stanley (1963) eingeforderten Prinzipien des 20. Jahrhunderts. In der Erziehungswis-
der Versuchsplanung – zu erinnern: senschaft ist der Empiriebezug deutlich we-
niger dominant. Dass aus den besonderen
C Comparison Erfordernissen und Ansprüchen der päda-
A Again and again gogischen Praxis fast zwangsläufig Span-
R Relationship nungen und Friktionen zwischen einer theo-
E Eliminate retisch verankerten und empirisch verpflich-

16
Einleitung

teten, zugleich aber anwendungsorientierten wartungen, die an seine Ansprachen gerich-


und zur unmittelbaren Anwendung leicht tet sein könnten:
nutzbaren Wissenschaft erwachsen würden,
hat Franz Weinert – wie schon andere vor Mit Sicherheit sollte die Psychologie den Leh-
ihm – konzediert, ohne das Primat der theo- rern helfen. Aber dennoch gestehe ich, dass ich,
da mir das Ausmaß mancher Ihrer Erwartun-
riegeleiteten empirischen Forschung deshalb gen bekannt ist, etwas ängstlich bin, dass am
in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Vor einem Ende meiner Vorträge nicht wenige von Ihnen
Verzicht auf die Grundlagenforschung hat eine gewisse Enttäuschung über die schlichten
Weinert dringlich gewarnt, weil das lang- Ergebnisse empfinden könnten. In anderen
Worten, ich bin nicht sicher, ob Sie sich nicht
fristig zur Entwissenschaftlichung der Dis- Erwartungen hingeben, die eine Spur übertrie-
ziplin führen würde. Die Pädagogische Psy- ben sind. (James, 1899, S. 5)
chologie werde sich ohne empirische Grund-
lagenforschung nämlich zu einer Fachdidak- Prompt kam es wie von James vorhergese-
tik ohne Fach oder – wie Weinert es hen und befürchtet, und die enttäuschten
formuliert hat – zur »Ingenieurwissenschaft Erwartungen lassen sich auch mehr als
ohne Physik« verwandeln und damit zu 100 Jahre später noch in den pädagogisch-
einer »mehr oder minder erfolgreichen psychologischen Vorlesungen und Semina-
Handwerkelei« (Weinert, 1998 b, S. 209). ren in der Lehrerausbildung und in der
Das Primat der Theorie ist also besonders bildungsinteressierten Öffentlichkeit nicht
hervorzuheben. Es kommt auch in anderen, selten in gleicher Weise wie damals beob-
mehr oder weniger rabulistischen Wort- achten: Besonders hohe Erwartungen in Be-
schöpfungen zum Ausdruck, wenn es um zug auf die praktische Verwertbarkeit psy-
die nähere Charakterisierung der Disziplin chologischer Erkenntnisse bleiben oftmals
geht, so im Begriff der »angewandten unbefriedigt, weil sich die allgemeinen psy-
Grundlagenforschung« (Weinert, 1974 a), chologischen Gesetzmäßigkeiten des Leh-
der »grundlagenorientierten Forschung« rens und Lernens nicht direkt für die Lösung
(Krapp, Prenzel & Weidenmann, 2006) dringlicher Probleme und Erfordernisse der
oder in der bereits erwähnten »Theorie einer alltäglichen pädagogischen Praxis nutzen
Praxis« (Ewert, 1979). Dabei hat die An- lassen. Dieses Diskrepanzerleben wirkt
wendungsbezogenheit der Grundlagenfor- sich häufig negativ aus – nachfolgende Ent-
schung über Lehren und Lernen – das täuschungen und eine Abwendung von so-
kann nicht oft genug betont werden – von wie eine Entwertung der wissenschaftlichen
jeher den besonderen Reiz der Pädagogi- Psychologie sind dann nicht selten die Folge.
schen Psychologie ausgemacht. Die »Dop- Insbesondere dann, wenn sich die Päda-
pelrolle einer anwendungsorientierten Dis- gogische Psychologie in die Lehrerbildung
ziplin« (Krapp et al., 2006) hat aber eben einbringt, liegen seit jeher Glanz und Elend
auch von Beginn an zu anhaltenden Miss- der Disziplin dicht beieinander. Hohe Erwar-
verständnissen Anlass gegeben. tungen und große Enttäuschungen sind da-
bei zu konstatieren. Für Lehrer wurden die
Enttäuschte Erwartungen. William James, ersten Lehrbücher der Pädagogischen Psy-
einer der Gründungsväter der amerikani- chologie geschrieben (z. B. James, 1899;
schen Psychologie, hat eine mit »Ansprachen Thorndike, 1903). Auf das Bestreben von
an die Lehrer« überschriebene, einige Jahre Lehrervereinen ging in der Gründerzeit der
zuvor durchgeführte Vortragsreihe, am Ende Psychologie die Einrichtung von Lehrstühlen
des 19. Jahrhunderts in Buchform veröffent- für Pädagogische Psychologie zurück. Fer-
licht. Dort warnt er schon in der Einleitung dinand Kemsies, selbst ein Oberlehrer, be-
vor übertriebenen und unrealistischen Er- gründete 1899 die Zeitschrift für Pädagogi-

17
Einleitung

sche Psychologie und wies dem Fach voller son übertragen werden. Nachhaltig enttäu-
Optimismus die wichtige Aufgabe zu, den schen wird das nur den, »der von einer
»gesetzmäßige(n) Zusammenhang zwischen Wissenschaft vom Menschen Rezepte für
der erzieherischen Einwirkung und den [. . .] dessen Behandlung erwartet und der den stets
Phänomenen der Kinderseele« durch An- vorläufigen und approximativen Charakter
wendung naturwissenschaftlicher Methodik jedes Forschungsergebnisses verkennt« (Wei-
klarzulegen (Kemsies, 1899, S. 2). Ernst nert, 1967, S. 14). Stellt man diese prinzipielle
Neumann und Wilhelm Lay gründeten Begrenztheit aber in Rechnung, lassen sich die
1905 die Zeitschrift Experimentelle Päda- Ergebnisse der empirischen Forschung
gogik, die später mit der von Kemsies he- durchaus gewinnbringend nutzen, um päda-
rausgegebenen fusioniert. Psychologie wird gogische Entscheidungen und Handlungen in
später verbindliches Studienfach in der Leh- einer rationalen Weise zu begründen.
rerausbildung und ist es bis heute.
Dennoch scheiterte der hohe Anspruch Wozu kann die Pädagogische Psychologie
einer Psychologie für Pädagogen im Sinne beitragen? Sie stellt relevantes theoretisches
einer wissenschaftlichen Grundlegung der Wissen bereit, das unser Verständnis von
unterrichtlichen Praxis früh (Ewert, 1979; Lehr-Lern-Prozessen erweitert, und sie ent-
Ewert & Thomas, 1996). Dazu hat entschei- wickelt und überprüft praxistaugliche Pro-
dend beigetragen, dass sich die Erkenntnisse gramme und Maßnahmen, um pädagogi-
einer rasch prosperierenden, sich aber in ihren sche Lehr-Lern-Prozesse zu unterstützen
Untersuchungsinhalten und experimentellen bzw. zu optimieren. Sie ist damit als theo-
Versuchsplänen zunehmend von den pädago- retische Wissenschaft anwendungsfähig und
gischen Praxisfeldern entfernenden experi- zugleich anwendungsorientiert. Die in päda-
mentellen Pädagogischen Psychologie nur gogischen Aufgabenfeldern praktisch Täti-
mit Mühe auf die unterrichtliche Praxis zu- gen können ihre Erkenntnisse nutzen.
rückbeziehen ließen. Im Endeffekt resultier- Von der empirischen Erforschung der
ten oft eklektische, irrelevante oder triviale pädagogischen Praxis mit Hilfe der Metho-
Empfehlungen für die Unterrichtsarbeit, die den der wissenschaftlichen Psychologie pro-
die Disziplin zunehmend in Misskredit brach- fitieren beide Seiten. Mayer (2001, S. 84) hat
ten (Weinert, 1996 a, 1996 c, 1998 a). Erst am die primäre Zielsetzung wissenschaftlicher
Ende der 1960er Jahre wurde der zunehmen- Erkenntnis in Bezug auf das Kerngebiet der
den Belanglosigkeit solcher Erkenntnisse ge- Pädagogischen Psychologie – Lernen und
gengesteuert (䉴 Kap. 5.1). Lehren – kurz und bündig so formuliert:
Es ist aus Anwendersicht nur allzu ver- »Verstehen, wie Menschen lernen und ver-
ständlich und naheliegend, neben wissen- stehen, wie man Menschen beim Lernen
schaftlichen Erkenntnissen und Einsichten helfen kann«. Diese Auffassung schlägt
auch handfeste Hilfen und Anregungen für sich auch im inhaltlichen Aufbau dieses
die pädagogische Praxis zu erwarten. Diese Lehrbuchs nieder.
Erwartungen müssen aber enttäuscht wer- Hinzu kommt ein Weiteres: Erkenntnisse,
den, wo anstelle von Verstehenshilfen, Hand- wie sie z. B. aus nationalen und internatio-
lungsoptionen und allgemeinen Prinzipien nalen Schulleistungsstudien (wie IGLU,
konkrete (und rezeptartige) Handlungs- TIMSS oder PISA), aus der Forschung zur
anweisungen für pädagogische Situationen frühen Sprachförderung und zum kogniti-
erhofft werden. Wissenschaftliche Erkennt- ven Training, aus den Studien zur Effektivi-
nisse sind stets allgemeiner Natur und können tät von Förderschulen oder zu den Auswir-
nicht ohne weiteres auf eine konkrete Unter- kungen einer auf sechs Jahre verlängerten
richtssituation oder auf eine bestimmte Per- Grundschulzeit gewonnen werden, können

18
Einleitung

wichtige Argumente und Entscheidungshil- richtsbezogene Lehr-Lern-Forschung in ho-


fen für bildungsadministrative und -politi- hem Maße stimuliert. Die Pädagogische Psy-
sche Weichenstellungen liefern. Das uner- chologie ist nun umso mehr gefordert, ge-
wartet mäßige Abschneiden deutscher Schü- meinsam mit den Fachdidaktiken und der
lerinnen und Schüler in den Schulleistungs- Erziehungswissenschaft zu einem besseren
studien zu Beginn dieses Jahrhunderts (nicht Verständnis von Lehren und Lernen und
selten wird vom PISA-Schock gesprochen) zur nachhaltigen Förderung der vorhande-
hat darüber hinaus wissenschaftspolitisch nen Lernpotenziale beizutragen.
einiges in Bewegung gesetzt und die unter-

Fokus: TIMSS, PISA, IGLU und Co.


Nationale und internationale Schulleistungsstudien haben in der vergangenen Dekade
einen regelrechten Boom erlebt. Die ersten auf Deutschland bezogenen Ergebnisse von PISA
2000 (Programme for International Student Assessment) wurden im Dezember 2001
veröffentlicht, die Ergebnisse von PISA 2009 im Dezember 2010 (Baumert et al., 2001;
Klieme et al., 2010). Dazwischen lagen zwei weitere Erhebungswellen (Prenzel et al., 2004,
2007). An den internationalen Grunschul-Lese-Untersuchungen PIRLS (Progress in In-
ternational Reading Literacy Study) nahmen deutsche Grundschulen seit 2001 zweimal teil
– national bekannt geworden sind die Ergebnisse unter dem Akronym IGLU (Bos et al.,
2003, 2007). An der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) hat
Deutschland in den Schuljahren 1993 bis 1996 sowie im Jahr 2007 teilgenommen (Baumert
et al., 1997; Bos et al., 2008). Erfasst wurden Schülerleistungen in den zentralen Kom-
petenzbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften in einem Altersbereich von
9- bis 15-Jährigen. Oftmals wurden die Studien um ergänzende Untersuchungen erweitert.
Inzwischen gibt es auch nationale Vergleichsstudien in Deutschland, die sich an den
Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) orientieren (Köller et al., 2010).
Die nationalen und internationalen Schulleistungsstudien haben wichtige Erkenntnisse zum
Kompetenzniveau der Schülerinnen und Schüler und zur Variabilität der Kompetenzen
sowie zum Ausmaß der sozial- und migrationsbedingten Disparitäten erbracht. Im Sinne
eines Bildungsmonitoring soll diesen Erkenntnissen innerhalb des Bildungssystems eine
qualitätssichernde Funktion zukommen (Output-Steuerung). Schulleistungsstudien sind
allerdings nur in begrenzter Weise zur Beantwortung von Fragen geeignet, die sich auf die
Weiterentwicklung von Schule und Unterricht beziehen (Drechsel, Prenzel & Seidel, 2009).

Womit beschäftigen sich Pädagogische Psychologen?

Jahrgang 1, Heft 1, Seite 1 der Zeitschrift für Oberlehrers Ferdinand Kemsies (Kemsies,
Pädagogische Psychologie beginnt unter der 1899). Die Hauptaufgabe sieht Kemsies in
Überschrift »Fragen und Aufgaben der pä- der naturwissenschaftlichen Erforschung der
dagogischen Psychologie« mit dem Abdruck »ursächlichen Beziehungen« der »psycho-
der Schriftfassung eines Vortrags des Berliner logischen Erscheinungen« im erzieherischen

19
Einleitung

Feld; genauer: der Auswirkungen der »erzie- Anspruch – die Herstellung von Grundlagen-
herischen Einwirkung« auf die kindliche Psy- wissen – ist bereits mehrfach formuliert wor-
che. Wichtige Fragestellungen der Pädagogi- den: Pädagogische Psychologie als Theorie
schen Psychologie seien die mit schul- und der erzieherischen und schulischen Praxis, als
unterrichtsorganisatorischen Entscheidun- Erforschung des Praxisfeldes Erziehung und
gen verbundenen, aber auch bildungsinhalt- Unterricht und als Forschung über Lernen
liche und allgemein-didaktische Themen. und Entwicklung mit den Methoden der
Wichtig sei auch, dass die entwicklungs- empirischen Psychologie. Der zweite An-
und differentialpsychologischen Lernvoraus- spruch – die Gewinnung handlungsrelevan-
setzungen der Kinder erforscht würden. ten und praxistauglichen Wissens – definiert
Genau an diesen Fragestellungen wird die Pädagogische Psychologie zusätzlich als
auch 100 Jahre später noch gearbeitet. Rey- Gestaltungs-, Optimierungs- oder Interven-
nolds und Miller (2003 a) nennen fünf große tionswissenschaft (Krapp et al., 2006; Levin
Inhaltsbereiche pädagogisch-psychologi- et al., 2003). Nichts ist nützlicher für die
scher Forschung: Praxis als eine gute Theorie. Die Pädagogi-
sche Psychologie erforscht theoriegeleitet
● Lernen, Lehren und Entwicklung und mit empirischer Methodik Phänomene
● Soziokulturelle und interpersonale Pro- der pädagogischen Praxis. Ihre Erkenntnisse
zesse und Bedingungen des Lernens lassen sich durch die pädagogisch Handeln-
● Interindividuelle Unterschiede zwischen den auf diese Praxis rückbeziehen. Inwieweit
den Lernenden und unter welchen Bedingungen dies erfolg-
● Lernen und Lehren in spezifischen In- reich gelingt, ist seinerseits wiederum eine
haltsbereichen wissenschaftliche Fragestellung pädago-
● Lehrerbildung und Bildungsplanung gisch-psychologischer Forschung (Gräsel
& Parchmann, 2004; Souvignier & Dignath
Die ersten vier betreffen die Pädagogische van Ewijk, 2010). So verstanden ist Praxis –
Psychologie in ihrer erkenntnissuchenden als Unterrichts- und Erziehungspraxis – also
Funktion als theoretische Wissenschaft. ein Forschungsfeld der Pädagogischen Psy-
Der fünfte Inhaltsbereich signalisiert darü- chologie. In der Bearbeitung dieses For-
ber hinaus den Anspruch, wissenschaftliche schungsfeldes drückt sich die besondere An-
Erkenntnisse als rationale Entscheidungshil- wendungsorientierung des Faches aus. Sto-
fen für curriculare und organisatorische kes (1997) hat ein solches Vorgehen als »Use-
Festlegungen und Zielsetzungen verfügbar Inspired Basic Research« bezeichnet.
zu machen. Krapp et al. (2006) sprechen
diesbezüglich von einer »praktischen«, Wal- Inhaltsbereiche. Die Paradigmen und Be-
berg und Haertel (1992) von einer »bil- grifflichkeiten, unter denen zentrale Konzep-
dungspolitischen« Aufgabe der Pädagogi- te wie Lernen und Lehren, Entwicklung und
schen Psychologie. Differenz oder Methode und Inhalt von
Alle aktuellen wissenschaftlichen Fra- Unterricht behandelt werden, haben sich
gestellungen der Pädagogischen Psychologie immer wieder gewandelt. Einige weniger
lassen sich thematisch den oben genannten zentrale Konzepte wurden im Laufe der
großen Inhaltsbereichen zuordnen. Mit Blick Zeit aufgegeben, andere kamen neu hinzu.
auf ihre Hauptaufgaben ist es aber hilfreich, Um ein möglichst aktuelles und zugleich
zwischen zwei Arten von wissenschaftlichen repräsentatives Bild der zentralen Inhalts-
Ansprüchen zu unterscheiden: der Bereitstel- bereiche der Pädagogischen Psychologie zu
lung von Grundlagenwissen und der Bereit- zeichnen, bietet sich eine quantitative In-
stellung von Anwendungswissen. Der eine haltsanalyse von Forschungsthemen in pä-

20
Einleitung

dagogisch-psychologischen Fachzeitschrif- Psychology (JEP) oder das Review of Educa-


ten an, wie sie beispielsweise von Hasselhorn tional Research (RER), daneben gibt es na-
(2000), Schiefele (2002), Brunstein und Spö- tional und international eine Reihe von Zeit-
rer (2005), Leutner und Wirth (2007) sowie schriften, die auf besondere Themenbereiche
Möller, Retelsdorf und Südkamp (2010) für der Pädagogischen Psychologie spezialisiert
die Beiträge in der Zeitschrift für Pädagogi- sind, so etwa auf Schwierigkeiten im Bereich
sche Psychologie (ZPP) durchgeführt wor- des Lesens oder Rechnens, auf die frühe
den ist. International wichtige Fachzeit- Bildung oder auf die mediale Seite des Ler-
schriften sind das Journal of Educational nens und Lehrens.

Fokus: Themenschwerpunkte Zeitschrift für Pädagogische Psychologie (ZPP)


In der jüngsten Themenübersicht, die sich auf die Jahre 2008 bis 2010 bezieht, haben
Möller, Retelsdorf und Südkamp (2010) die folgenden Themenschwerpunkte (in Klammern
die Anzahl der Beiträge) identifiziert:
● Lehren und Lernen (22)
● Pädagogisch-psychologische Trainingsforschung (11)
● Selbstkonzept, Motivation und Emotion im Lernprozess (14)
● Entwicklung von Basiskompetenzen (7)
● Varia (6)

Die Kategorien orientieren sich an den bereits von Hasselhorn (2000) und Schiefele (2002)
verwendeten und lassen so eine Trendanalyse über die Zeit hinweg zu (vgl. Leutner &
Wirth, 2007). Demnach gibt es zwar aufgrund von Themenheften über die Jahre hinweg
leichte Schwankungen hinsichtlich der relativen Bedeutsamkeit der einzelnen Themen-
schwerpunkte, jedoch ist das zentrale Themengebiet »Lernen und Lehren« in aller Regel auf
dem ersten Rangplatz zu finden.

Mit einiger Verzögerung finden die For- erstmals von Gage (1963), später von Tra-
schungsschwerpunkte auch ihren Nieder- vers (1973) und von Wittrock (1986) und
schlag in Lehr- und Handbüchern sowie in schließlich von Richardson (2001) heraus-
enzyklopädischen Sammelbänden. In eng- gegebenen Handbuchs besonders illustrativ.
lischer Sprache ist der aktuelle Wissens- Eine ausgezeichnete Bestandsaufnahme der
kanon der Pädagogischen Psychologie um- Forschungsaktivitäten aus den letzten
fassend in der ersten und zweiten Auflage des 20 Jahren findet sich darüber hinaus im
Handbook of Educational Psychology (Ber- Handbook of Research on Learning and
liner & Calfee, 1996; Alexander & Winne, Instruction (Mayer & Alexander, 2011).
2006) zusammengestellt, darüber hinaus im Als deutschsprachiges Pendant des ame-
siebten Band (Educational Psychology) des rikanischen Handbuchwissens konnten lan-
Handbook of Psychology (Reynolds & Mil- ge Zeit die vier Enzyklopädie-Bände zur
ler, 2003 b) sowie in der 4. Auflage des Pädagogischen Psychologie gelten, die zwi-
Handbook of Research on Teaching (Ri- schen 1994 und 1997 im Hogrefe-Verlag
chardson, 2001). Für die sich ändernden herausgegeben wurden – teilweise bedürfen
Auffassungen über Lehren und Lernen ist die dort dargestellten Sachstände mittlerwei-
die Entwicklung der Themenauswahl in dem le einer Aktualisierung. Das Handbuch der

21
Einleitung

Pädagogischen Psychologie (Schneider & der bereitgestellten Lernumwelten (Themen-


Hasselhorn, 2008) ist hier eine gute Alter- bereiche 6–10) auffassen. Auch in den
native. Einen sehr guten Überblick zu den Handbüchern von Alexander und Winne
Inhaltsgebieten der Pädagogischen Psycho- (2006) sowie Mayer und Alexander (2011)
logie erlaubt auch das von Rost (2010) mitt- sind das Lehren und das Lernen die zentralen
lerweile in 4. Auflage herausgegebene Hand- Gliederungspunkte. Schneider und Hassel-
wörterbuch Pädagogische Psychologie. horn (2008) sowie Wild und Möller (2009)
Pressley und Roehrig (2003) haben die gehen über diesen Kernbereich nur scheinbar
englischsprachigen Informations- und Doku- hinaus, wenn sie dem Diagnostizieren und
mentationsquellen in einer Synopse zusam- Evaluieren sowie der Prävention und Inter-
mengeführt. Sie haben zu diesem Zweck die vention eine eigenständige Stellung einräu-
empirischen Arbeiten zweier Jahrgänge men, denn auch solche Tätigkeiten lassen
(1960/61 und 1997/98) des Journal of Educa- sich leicht unter das Lehren fassen.
tional Psychology (JEP) inhaltlich klassifi-
ziert, die Inhaltsübersichten der aktuellen Lehrerbildung. Eine wichtige Aufgabe der
Handbücher ausgewertet sowie die Gutach- Pädagogischen Psychologie besteht darin,
ter und Herausgeber des JEP, als der wich- das empirisch gewonnene Wissen an päda-
tigsten Fachzeitschrift, zur Relevanz und zum gogisch Handelnde weiterzugeben. Dabei
Entwicklungspotenzial von Forschungsthe- kann zum Problem werden, dass die poten-
men befragt. Dabei zeichneten sich die fol- ziellen Anwender dieses Wissens nicht selten
genden elf Themenbereiche als Kernbereiche »fachfremde« Personen sind. Im Rahmen
der Pädagogischen Psychologie ab: der Lehrerbildung an den Universitäten
wird das fachliche Wissen der Pädagogi-
1. Kognition schen Psychologie angehenden Lehrerinnen
2. Lernen und Lehrern vermittelt. Schon Kemsies
3. Entwicklung (1899) hatte das gefordert und eine Art
4. Motivation Laborschule dazu Рer nannte es Ȇbungs-
5. Interindividuelle Unterschiede oder Musterschule« –, »um die Theorie
6. Lehren sofort in die Praxis überzuführen und Lehr-
7. Soziokulturelle Prozesse amtskandidaten Gelegenheit zum Erwerb
8. Soziale Beziehungen pädagogischer Kenntnisse und Fertigkeiten
9. Lerninhalte und Curriculum zu bieten« (S. 13). Wie viel Praxis allerdings
10. Unterrichtsmedien und -technologien in die universitäre Lehrerbildung gehört,
11. Messen und Forschungsmethoden wird durchaus kontrovers diskutiert. Denn
in der Lehrerbildung an den Universitäten
In allen elf Themenbereichen sind Fragen des sollten nicht vordringlich Technologien des
Lehrens und Lernens entweder direkt oder Lehrens eingeübt, sondern Theorien des
mittelbar angesprochen. Legt man den Be- Lehrens und Lernens vermittelt werden (Ga-
griff der »Pädagogischen Situation« zugrun- ge, 1964). Erst mit der Distanzierung von der
de, die sich aus den Lernenden, den Lehren- unterrichtlichen Praxis schafft man den not-
den und aus den Bedingungen der medialen wendigen Raum für ihre theoretische Ana-
und inhaltlichen Lernumwelt zusammen- lyse und ihre wissensgeleitete Veränderung.
setzt, so lässt sich das Lehr-Lern-Geschehen Eigenes praktisches Handeln wird stets sub-
in pädagogischen Situationen im Sinne einer jektiv durchlebt – es kann in diesem Sinne
komplexen Interaktion zwischen den Merk- nicht ohne weiteres zum Objekt einer not-
malen und Besonderheiten von Lernenden wendigen theoretischen Betrachtung wer-
(Themenbereiche 1–5) und den Merkmalen den. Allerdings muss das theoretische, dis-

22
Einleitung

tanzierte Wissen anschließend wieder pra- die Bereitschaft vorhanden sein, die wissen-
xistauglich gemacht werden. schaftlichen Erkenntnisse zu rezipieren.
Erst indem man Distanz zur Praxis schafft, ist
In Deutschland ist nach der vergleichen-
es möglich, Wissen über die Praxis aufzubauen. den Schulleistungsdiagnostik durch TIMSS,
Das praktische »gewusst wie« wird dabei in PISA und IGLU (s. o.) eine bildungspoliti-
theoretisches Wissen umgewandelt. Die sche Diskussion über Ziele und Qualität
Schwierigkeit ist nun, wie man das theoretische
vorschulischer Bildung, Maßnahmen der
Wissen wieder in die andere Richtung trans-
formieren kann. Statt Distanz zur Praxis herzu- Sprachförderung, inhaltliche Curricula, Bil-
stellen, um theoretisches Wissen über die Praxis dungsstandards und Kernkompetenzen so-
zu ermöglichen, müssen wir nun Distanz aus wie über Formen der Schul- und Unterrichts-
der Theorie entfernen, um wieder praktisches organisation im Allgemeinen in Gang ge-
Wissen zu erhalten. (Bengtsson, 1993,
S. 209–210) kommen, zu der Pädagogische Psychologen
Wichtiges beigetragen haben (z. B. Baumert,
Vorsicht ist deshalb geboten, wenn zu viel Bos & Lehmann, 2000; Baumert et al., 2002;
Praxis gefordert wird, denn es waren gerade Helmke, 2009; zusammenfassend: Reinders
die vorschnellen, häufig funktional-eklekti- et al., 2011 a, 2011 b). Ihre Beiträge waren
schen Dienstleistungen und Transformatio- umso bedeutsamer, je mehr sie sich in ihrer
nen pädagogisch-psychologischen Wissens Forschungsorientierung an strengen metho-
für die unterrichtliche Praxis, die einer un- dischen Standards ausgerichtet haben.
angemessenen und nachteiligen Verkürzung Zunehmend versteht sich die Pädagogi-
der Pädagogischen Psychologie als einer ver- sche Psychologie (wie die wissenschaftliche
meintlichen Psychologie für Pädagogen un- Psychologie insgesamt) ohnehin als Diszip-
freiwillig Vorschub geleistet haben (Ewert & lin, die ihre Erkenntnisse in Gesellschaft und
Thomas, 1996). Politik tragen möchte, um zur Bewältigung
von Problemen beizutragen (Gräsel, 2010,
Bildungsplanung und Bildungspolitik. Oft 2011; Prenzel, 2010; Spiel, Lösel & Witt-
werden die Erwartungen, die Bildungspolitik mann, 2009). Hasselhorn (2009) spricht
und Schulpraxis an die Pädagogische Psycho- sogar von einer notwendigen »Bringschuld«
logie herantragen, mit dem Begriff der Evi- der Psychologie im Hinblick auf diesen
denzbasierung verbunden. Welchen Beitrag Transfer – bei allen Problemen, die damit
kann die Pädagogische Psychologie zu einer verbunden sein können. Gerade im Bil-
wissenschafts- und evidenzbasierten Bil- dungsbereich, wo tradierte Überzeugungen,
dungsplanung und Unterrichtspraxis leisten? Plausibilitäten und Ideologien besonders
Wie bereits erwähnt, setzt diese Art von weit verbreitet sind, wird der Transfer evi-
Transfer inhaltlich und methodisch an- denzbasierter Erkenntnisse in die politischen
spruchsvolle Grundlagenforschung voraus, Entscheidungen und ihre praktischen Um-
verlässliche Befunde aus dieser Forschung setzungen einen besonderen Zugewinn er-
und zudem die Fähigkeit und die Bereitschaft, warten lassen. Als Arthur Graesser (2009)
Forschungsergebnisse angemessen zu kom- die Herausgeberschaft des Journal of Educa-
munizieren und für die praktische Anwen- tional Psychology übernahm, hat er eben-
dung nützlich zu machen. Möglicherweise falls auf die Bringschuld der Pädagogischen
braucht es dafür eigens »Verhaltensingenieu- Psychologie hingewiesen und auf die Not-
re« als kompetente Zwischeninstanzen (Wot- wendigkeit, theoretisch und empirisch fun-
tawa, 2009; Kaiser, 2011). Wissenschaftliche dierte Erkenntnisse der Lehr-Lern-For-
Erkenntnis und anwendungsbezogene Nütz- schung in Empfehlungen für die unterricht-
lichkeit müssen sich also nicht widerspre- liche Praxis zu transformieren (»contributi-
chen. Auf Anwenderseite muss aber auch ons from psychology to the real world«). Er

23
Einleitung

hat auch beispielhaft einige bewährte Lern- Frage deutlich, ob sie als Fach gänzlich ver-
prinzipien aufgeführt, die sich leicht in der schwinden und in einer »Bildungspsycholo-
pädagogischen Praxis anwenden lassen: (1) gie« aufgehen sollte (Spiel & Reimann,
verteiltes Lernen ermöglichen, (2) sprach- 2005). Die Selbstkritik geht nicht unbedingt
liche und bildhafte Informationen bei der mit krisenhaften Zeiten des akademischen
Informationsdarbietung kombinieren, (3) oder standespolitischen Niedergangs einher,
Dinge, die zusammengehören, zusammen- sondern begleitet auch Phasen der Konsoli-
gehörig präsentieren, (4) interessante Pro- dierung und Expansion in Forschung und
blemaufgaben stellen, um kognitive Konflik- Lehre und Zeiten einer wachsenden fachüber-
te auszulösen, (5) geeignete Rückmeldungen greifenden Rezeption. Eine Ursache des we-
geben. In den Kapiteln dieses Lehrbuchs nig gefestigten Selbstverständnisses mag der
werden diese und andere Prinzipien ausführ- rasche Wandel von Forschungsthemen und
lich behandelt. -schwerpunkten sein. Solche grundlegenden,
meist mit Paradigmenwechseln verbundenen
Reflexionen und Zweifel. In regelmäßigen Veränderungen sind allerdings auch in ande-
Abständen wird die deutschsprachige Päda- ren Teildisziplinen der Psychologie zu beob-
gogische Psychologie von fundamentalen achten. Ein weiterer Grund hat sicherlich mit
Zweifeln an ihrer Daseinsberechtigung ge- dem Doppelcharakter des Faches zu tun – der
plagt (z. B. Ewert, 1979; Krampen, 1996; »angewandten« oder »anwendungsorientier-
Oerter, 1987; Weinert, 1996 b). Dies wird ten«, aber dennoch »theoretisch begründe-
in jüngerer Zeit auch an der Diskussion der ten« Grundlagenforschung.

Fokus: Bildungspsychologie
Verschiedentlich wurde vorgeschlagen, die Pädagogische Psychologie in einer Bildungs-
psychologie aufgehen zu lassen, weil sich auf diese Weise die Lehr-Lern-Forschung auf der
Mikroebene mit den Strukturen und Organisationsformen betreffenden Forschungsfeldern
auf der Meso- und Makroebene des Bildungswesens leichter verbinden ließe. Eine so
verstandene Bildungspsychologie befasst sich mit (1) individuellen Bildungsprozessen im
(2) Verlauf der Bildungskarriere eines Individuums sowie mit (3) Bedingungen und
Maßnahmen, die auf den unterschiedlichen Handlungsebenen Bildungsprozesse beein-
flussen können (Spiel & Reimann, 2005). Dieser Vorstellung entsprechend ist ein einfüh-
rendes Lehrbuch der Bildungspsychologie in Aufgabenbereiche, Karrierestationen und
Handlungsebenen gegliedert (Spiel, Schober, Wagner & Reimann, 2010). Es bleibt
abzuwarten, ob der vergleichsweise unscharfe Bildungsbegriff besser als das Kompositum
der Pädagogischen Psychologie geeignet ist, das Themenfeld »Lernen, Lehren und Erzie-
hen« integrativ und eigenständig zu definieren.

So verständlich der Wunsch nach Klarheit manent erfolgreichen Suche nach ihrem Ge-
und einer einheitsstiftenden Struktur auch genstand – ohne ihn bisher gefunden zu
sein mag, eine dynamische und erfolgreiche haben« (Weinert, 1996 b) genauso treffend
Pädagogische Psychologie zeichnet sich eben wie die Zurückweisung der beständigen
auch durch Vielfalt, Grenzüberschreitungen »Kritik an den vermeintlichen Unzulänglich-
und Neuerungen aus. Aus diesem Grund keiten der Pädagogischen Psychologie«
scheint Weinerts doppelsinnige Umschrei- (Krapp, 2001).
bung von einer Wissenschaft »auf der per-

24
Einleitung

In den Anfängen der Disziplin waren die jene Personen, die pädagogisch-psychologi-
Pädagogischen Psychologen ohnehin zu- sche Fragestellungen mit empirischen Me-
gleich Allgemeine Psychologen oder Ent- thoden bearbeiten – am Ende mögen es die
wicklungspsychologen: William James, Ed- gleichen sein, die man anderswo als Kogni-
ward Thorndike und Alfred Binet sind nur tionswissenschaftler bezeichnet (Mayer,
einige Beispiele dafür. Wie Krapp (2001) zu 2001). Eine kontinuierliche Selbstprüfung
Recht anmerkt, ist es auch heute nicht leicht, der Pädagogischen Psychologie, verbunden
»eine eindeutige Grenze zwischen der Päda- mit einer Neuausrichtung, wo sinnvoll oder
gogischen Psychologie und anderen Teildis- notwendig, ist jedenfalls zu begrüßen – einen
ziplinen der Psychologie zu ziehen« (S. 71). Anlass, jedes Mal »gleich an den Fundamen-
Wozu sollte solch eine Grenzziehung auch ten der Disziplin (zu) rütteln« (Krapp, 2001,
gut sein? Pädagogische Psychologen sind S. 72), können wir darin nicht erkennen.

Wie ist Pädagogische Psychologie zu dem geworden, was sie


ist?

Die Pädagogische Psychologie hat eine Ge- Die ersten 80 Jahre


schichte. In ihren Anfängen – etwa ab dem
Jahr 1900 – fällt diese Geschichte in großen Die allgemeine Richtung für die ersten fünf
Teilen mit der Entwicklung der wissenschaft- Dekaden – also etwa von der Jahrhundert-
lichen Psychologie insgesamt zusammen, vor wende bis zum Ende der 40er Jahre des 20.
allem in der US-amerikanischen Geschichts- Jahrhunderts – stand stark unter dem Ein-
schreibung wird das so gesehen (vgl. Berli- fluss von Edward Thorndike (䉴 Kap. 1.1).
ner, 2006; Burden, 2000; Hall, 2003; Rey- Daraus resultierte eine pragmatisch-induk-
nolds & Miller, 2003 a). Zur historischen tive, labor-experimentelle (auch tierexperi-
Entwicklung der Pädagogischen Psychologie mentelle) lernpsychologische Grundlagen-
gibt es eine Reihe von zusammenfassenden forschung behavioristischer Prägung. Die
Abhandlungen, die, zusätzlich zu den oben Frage, wie sich die vielfältigen Einzelergeb-
genannten, auch ihren »deutschen Weg« und nisse der Lernexperimente auf die prakti-
insbesondere ihr Verhältnis zur wissen- schen Tätigkeiten des Lehrens und Erziehens
schaftlichen Pädagogik beleuchten (z. B. im Einzelnen übertragen lassen, war dabei
Ewert, 1979; Herzog, 2005; Krapp et al., nachrangig – wenn sie überhaupt gestellt
2006; Prenzel, 2006; Skowronek, 1979). wurde. Von großer und überdauernder Be-
Historisch Interessierte seien auf diese Ar- deutsamkeit für die gesamte Lehr-Lern-For-
beiten verwiesen. Nach einer knappen Skizze schung war die von Thorndike vertretene
der Entwicklung bis zum Ende der 1970er Theorie des assoziativen, verknüpfenden
Jahre, werden im Folgenden zwei Aspekte Lernens (䉴 Kap. 1.2). Thorndikes experi-
ausführlicher behandelt: die Thementrends mentelle Programmatik implizierte zugleich
der vergangenen 30 Jahre und die »großen«, eine zunehmende Abwendung von der durch
zeitlos aktuellen Fragen. John Dewey in der Pädagogik begründeten
Tradition einer »fortschrittlichen Erzie-
hung«, die Gesetzmäßigkeiten schulischen
Lernens in sozialen, möglichst lebensechten

25
Einleitung

Kontexten zu untersuchen trachtete, um bücher (z. B. Ausubel, 1968; Cronbach,


daraus begründete Empfehlungen für das 1954; Gage & Berliner, 1975) ins Deutsche
Unterrichten abzuleiten (Oelkers, 2010). übertragen und intensiv rezipiert. Mitte der
In der Zeit zwischen dem Ersten und 1970er Jahre erschien in einer Phase der
Zweiten Weltkrieg »vertiefte sich im Bildungsreform und einer zunehmenden
deutschsprachigen Raum die Kluft zwischen Akademisierung der Lehrerbildung das vier-
[. . .] (der) pädagogischen Psychologie und bändige Taschenbuch zum »Funkkolleg Pä-
einer spekulativ-geisteswissenschaftlich ori- dagogische Psychologie« (Weinert, Grau-
entierten Pädagogik immer mehr« (Weinert, mann, Heckhausen & Hofer, 1974), das
1967, S. 18), was zu einer allmählichen und auf große Resonanz stieß. Auch wurden
anhaltenden Entfremdung zwischen den bei- Bildungsforschungsinstitute gegründet, die
den Disziplinen beitrug (Terhart, 2002). zum bereits 1951 in Frankfurt eingerichteten
Zwischen 1950 und 1980 folgte auf die Deutschen Institut für Internationale Päda-
expansive Gründungsphase der Pädagogi- gogische Forschung (DIPF) hinzukamen:
schen Psychologie eine Phase der Konso- 1963 das Max-Planck-Institut für Bildungs-
lidierung und der Ausdifferenzierung des forschung (MPIB) in Berlin, 1966 das Insti-
Faches, gelegentlich auch der Abtrennung tut für die Pädagogik der Naturwissenschaf-
und Verselbständigung von Teildisziplinen. ten (IPN) in Kiel, 1967 das Deutsche Institut
Wichtig ist auch der Hinweis, dass ein be- für Fernstudien (DIFF) in Tübingen sowie
ständiger Export von Konzepten und Per- 1981 das Max-Planck-Institut für psycho-
sonen in andere Bereiche der akademischen logische Forschung in München, mit ei-
Psychologie stattfand – vornehmlich in die ner dominant pädagogisch-psychologischen
Entwicklungspsychologie sowie in die Dif- und entwicklungspsychologischen Ausrich-
ferentielle und Diagnostische Psychologie, tung. Am Ende dieser überaus prosperieren-
wobei vor allem methodologische und test- den Dekade haben Brandtstädter, Reinert
psychologische Entwicklungen von Pädago- und Schneewind (1979) den resümierenden
gischen Psychologen entscheidend geprägt Sammelband Pädagogische Psychologie:
wurden (vgl. dazu Glover & Ronning, 1987; Probleme und Perspektiven herausgegeben.
Zimmerman & Schunk, 2003).
Inhaltlich-thematisch waren diese Jahre –
im Hinblick auf den Kernbereich Lernen und Entwicklungen seit 1980
Lehren – durch den Aufstieg und die Blüte-
zeit, später durch den Niedergang der beha- In der US-amerikanischen Forschung sind
vioristisch ausgerichteten Lehr-Lern-For- die 1980er und 1990er Jahre vornehmlich
schung gekennzeichnet. Zunächst dominier- durch die Verwendung kognitionspsycholo-
ten experimentelle Arbeiten, später kamen gischer Ansätze im Hinblick auf die interes-
zunehmend korrelative Studien zum Zusam- sierenden Prozesse des Wissenserwerbs ge-
menhang zwischen Lehrmethoden bzw. Un- kennzeichnet. Als inhaltliche Kernbereiche
terrichtsprozessen und der Lernleistung hin- lassen sich die Forschungen zu Metakogni-
zu. Wichtige Erkenntnisse über Gesetz- tion, Selbstregulation und Motivation iden-
mäßigkeiten des Lernens, über die Funk- tifizieren, zu den sozialen und kulturellen
tionsweise des Gedächtnisses und über die Kontextbedingungen von Lernen und Leh-
Wirksamkeit pädagogischer Interventionen ren, zu Geschlechterunterschieden und zur
sind dabei gewonnen worden. In dieser Zeit Koedukation (Gender Issues), zur Psycho-
wurden (erstaunlich viele!) einflussreiche logie und Didaktik der Unterrichtsfächer, zu
amerikanische Monographien (z. B. Bloom, den neuen Technologien und zum Lernen mit
1964; Bruner, 1966; Gagné, 1965) und Lehr- Medien insgesamt und zur besonderen Pro-

26
Einleitung

blematik des langsamen und gestörten Ler- Doll, 2002) im Anschluss an TIMSS und
nens sowie der hochbegabten Lerner (Berli- die Einrichtung von DFG-Forschergruppen
ner, 2006; Calfee, 1992; Reynolds & Miller, zur Empirischen Bildungsforschung (Mandl
2003 a). Vor allem in Nordamerika hat sich & Kopp, 2005) im Anschluss an PISA gewe-
die gewachsene gesellschaftliche und gesell- sen. Auch das DFG-Schwerpunktprogramm
schaftspolitische Relevanz der Pädagogi- »Kompetenzmodelle zur Erfassung individu-
schen Psychologie auch darin niedergeschla- eller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von
gen, dass eine Reihe gesetzlicher Initiativen Bildungsprozessen« (Fleischer, Leutner &
und Vorgaben – am bekanntesten ist sicher- Klieme, 2012) ist in diesem Zusammenhang
lich das »No Child Left Behind«-Gesetz von zu nennen.
2001 – unter ihrer maßgeblichen Mitwir- Die Empirische Bildungsforschung darf
kung auf den Weg gebracht wurden, ver- trotz weiter Überschneidungsbereiche im
bunden mit einer Intensivierung schulrefor- Hinblick auf die bearbeiteten Themenstel-
merischer und qualitätssichernder Maßnah- lungen allerdings nicht mit der Pädagogi-
men im Bildungssystem überhaupt (vgl. z. B. schen Psychologie gleichgesetzt oder ver-
Bransford, Brown & Cocking, 2000). wechselt werden. Empirisch wird sie ge-
Auch in der deutschen Forschungsland- nannt, um eine Grenzlinie zum geisteswis-
schaft hat zunächst die Kognitive, und später senschaftlich-theoretischen Bildungsbegriff
die Konstruktivistische Wende, ihren Nie- zu ziehen, wie er in der Allgemeinen Päda-
derschlag gefunden. Die wissenschaftlich im gogik weit verbreitet ist. Die Empirische
Bereich der Pädagogischen Psychologie Bildungsforschung ist dagegen sozialwissen-
Tätigen arbeiten meist an Universitäten schaftlich orientiert und befasst sich mit den
oder Pädagogischen Hochschulen, sowie Bildungsprozessen im Verlauf der (institu-
an außeruniversitären Forschungsinstituten tionellen) Bildungskarriere von Individuen
(s. o.). Viele sind in der 1986 gegründeten und mit Möglichkeiten der Beeinflussung
Fachgruppe Pädagogische Psychologie (FPP) solcher Prozesse (Ditton, 2011; Gräsel,
der Deutschen Gesellschaft für Psychologie 2011; Merkens, 2006). Wo sich das im
organisiert (www.dgps.de/fg/paedagog). Die engeren Sinne auf Lehr-Lern-Prozesse im
wichtigsten deutschsprachigen Publikati- Unterricht oder in vorschulischen Bildungs-
onsorgane wurden bereits oben erwähnt. institutionen bezieht, sind das auch Fra-
Zur Internationalisierung auf europäischer gestellungen der Pädagogischen Psycho-
Ebene hat die Gründung der European As- logie. Verbindende Klammer ist also die
sociation for Research in Learning and In- Erforschung der individuellen, sozialen
struction (EARLI) beigetragen, mit der von und institutionellen Determinanten von
ihr herausgegebenen Zeitschrift Learning Lernprozessen. Es werden in der Pädagogi-
and Instruction (seit 1991). schen Psychologie aber auch Themenberei-
In jüngerer Zeit werden vermehrt Anstren- che bearbeitet, die sich nicht unter die Em-
gungen unternommen, fachübergreifend die pirische Bildungsforschung subsumieren las-
Zusammenarbeit mit empirisch arbeitenden sen, so etwa wenn es um die individuellen
Pädagogen und mit Fachdidaktikern der Un- Voraussetzungen erfolgreichen Lernens geht
terrichtsfächer zu intensivieren. Die öffent- oder um die Ursachen von Lern- und Ent-
liche und bildungspolitische Rezeption der wicklungsstörungen.
Ergebnisse der internationalen Vergleichsstu-
dien TIMSS und PISA hat dazu beigetragen.
Sichtbarer Ausdruck solcher Zusammen-
arbeit sind das DFG-Schwerpunktprogramm
»Bildungsqualität von Schule« (Prenzel &

27
Einleitung

Die großen Fragen gründet und theoretisch motiviert ist [. . .]. Da-
her werden möglicherweise manche der poten-
tiell nützlichsten Forschungsvorhaben niemals
realisiert werden, weil sie zu wenig Prestige zu
Die pädagogisch-psychologische For- versprechen scheinen. (Sternberg & Lyon, 2002,
schungslandschaft ist insgesamt sehr hetero- S. 76 –77)
gen und gelegentlich unübersichtlich. Früher
ist der rasche Wandel von Forschungsthemen Die Schule nicht verlieren. Das wichtigste
und Paradigmen und deren geringe Kontinui- Feld der pädagogischen Praxis ist die Schule.
tät als Anzeichen der Profillosigkeit der Dis- »Schule und Psychologie sind in den letzten
ziplin beklagt worden (z. B. Weinert, 1996 a, Jahren aufeinander zugegangen« (Ewert &
1996 b). Die Dynamik und die Vielfalt von Thomas, 1996, S. 112). Das ist gut so, denn
Themen lassen sich aber auch positiv im Sinne ohne die Schule fehlte der Pädagogischen
einer Reaktion auf sich ändernde Heraus- Psychologie nicht nur ihr wichtigstes An-
forderungen werten. Im Folgenden werden wendungsfeld, sondern vor allem auch die
fünf Aspekte herausgehoben, die wir als über- Möglichkeit der Theorienbildung und Hy-
dauernde Ankerpunkte einer auf Lehr-Lern- pothesenprüfung in diesem Praxisfeld.
Forschung fokussierten Pädagogischen Psy- Man mag dagegen einwenden, dass die
chologie betrachten: (1) die Orientierung an neuere Entwicklung in der Pädagogischen
Theorien und Methoden, (2) die Frage des Psychologie, sich vermehrt auch mit Fragen
Schulbezugs, (3) die Domänspezifität des der vorschulischen Bildung, der Fort- und
Lernens, (4) die Rolle der Lehrenden und Weiterbildung im Erwachsenenalter und der
(5) der Umgang mit Differenz. außerschulischen Bildung zu befassen (vgl.
Spinath, Hasselhorn, Artelt, Köller, Möller
Theorien und Methoden. Der Ausgangs- & Brünken, 2012), das Primat der Schule in
punkt pädagogisch-psychologischer For- Frage stelle. Dies ist aber keineswegs der
schung ist durch Probleme der pädagogi- Fall. Auch die pädagogisch-psychologischen
schen Praxis vorgegeben. Theorien und Mo- Beiträge zur frühen Bildung, Fort- und
delle, die der empirischen Forschung zugrun- Weiterbildung im Erwachsenenalter, ja sogar
de liegen, beziehen sich auf dieses Praxisfeld. zur außerschulischen Bildung orientieren
Forschungsmethoden haben sich – wo er- sich an den durch Schule vorgegebenen Zie-
forderlich – den Besonderheiten des For- len und Standards und der Analyse der
schungsgegenstandes anzupassen. Mit der individuellen, sozialen und institutionellen
notwendigen Ausweitung des experimentel- Bedingungen erfolgreichen Lernens.
len Methodenkanons ist keineswegs einem
Aufweichen der methodologischen Strenge Domänspezifität des Lernens. Die kogniti-
das Wort geredet. Aber ein Beharren auf den onspsychologische Expertiseforschung hat
labor-experimentellen Forschungsansätzen den Blick auf die besondere Bedeutung der
wäre der Entwicklung des Faches abträglich Lerninhalte (und des Vorwissens) für das
und führte letztendlich zu einer Marginali- Lernen gelenkt. Damit ist auch eine stärkere
sierung in der wissenschaftspolitischen Dis- Beachtung der Unterrichtsfächer verbunden
kussion: (Mayer, 2001, 2003 a) und eine Abkehr von
den inhaltsunabhängigen, bereichsübergrei-
Viele Wissenschaftler in der Psychologie be- fenden »großen« Theorien des Lernens und
trachten die auf pädagogische Fragen ange- Lehrens. Es ist naheliegend, dass in diesem
wandte Forschung als weniger wertvoll als die
angebliche »Grundlagen-Forschung« ohne kla- Zusammenhang eine (Wieder-)Annäherung
ren Anwendungsbezug, selbst dann, wenn die an die Fachdidaktiken eingefordert wird
angewandte Forschung wissenschaftlich be- (Gruber, 2000; Weidenmann, 2000). Kon-

28
Einleitung

sequent werden in den US-amerikanischen Praxis: Wie geht man mit unterschiedlichen
Handbüchern die wichtigsten schulischen Lernvoraussetzungen um, wie mit individu-
Kompetenzbereiche des Lesens und Schrei- ellen Unterschieden in Herkunft, Kultur und
bens, der Mathematik und der Naturwissen- Geschlecht? »Die Individuallage des Edu-
schaften sowie des Zweitspracherwerbs aus- candus im Unterricht berücksichtigen heißt,
führlich behandelt (Alexander & Winne, die Ziele und Methoden den interindividu-
2006; Mayer & Alexander, 2011). Das ellen Differenzen der Lernkapazität anpas-
gilt auch für das Handbuch der Pädagogi- sen«, so Weinert (1967, S. 29) lapidar. Auch
schen Psychologie von Schneider und Has- Ausubel (1968) schreibt, ebenfalls auf die
selhorn (2008). kognitiven Lernvoraussetzungen abhebend:
Wenn ich die gesamte Pädagogische Psycho-
Die Rolle der Lehrenden. Die Auffassung logie auf nur ein einziges Prinzip zu reduzieren
von der Rolle der Lehrenden hat sich ge- hätte, würde ich folgendes sagen: der wichtigste
wandelt: von der Kontrolle und Steuerung Einzelfaktor, der das Lernen beeinflusst, ist das,
was der Lernende bereits weiß. Ermittle dies
des Lernprozesses, über die erleichternde
und unterrichte ihn entsprechend. (Ausubel,
Gestaltung von Lernumgebungen bis hin 1968/1974, vi)
zur aktivierenden Lernbegleitung. Der Wan-
del spiegelt den Übergang von den behavio- Was heißt »anpassen«, was heißt »entspre-
ristischen zu den kognitivistischen und zu chend«? Beim Umgang mit Differenz lassen
den konstruktivistischen Auffassungen von sich zwei grundsätzliche Vorgehensweisen
Lernen und Lehren wider. Dass diese Auf- unterscheiden: der Versuch einer integrati-
fassungen nicht unversöhnlich nebeneinan- ven (inklusiven) Behandlung und, dem ent-
der stehen müssen, haben Weinert (1998 a, gegengesetzt, die leistungshomogenisierende
2000 a) und andere anlässlich der Debatte Differenzierung (Segregation) der Lernen-
um Formen des »situierten Lernens« deut- den. Beide Vorgehensweisen sind sowohl
lich gemacht (䉴 Kap. 5.1). bei Leistungsabweichungen nach »oben«
»Teachers make a difference« hatten als auch nach »unten« denkbar und üblich.
Good, Biddle und Brophy (1975) getitelt, In der US-amerikanischen Tradition wurde
denn Lehrerinnen und Lehrer können das vornehmlich die Methode der Inklusion ver-
kognitive Lernen ihrer Schülerinnen und folgt. Dazu eignen sich unterschiedliche
Schüler – verstanden als Konstruktion von Formen des remedialen Lernens im Rahmen
Bedeutung – tatsächlich durch geeignetes des sogenannten adaptiven Unterrichtens
Handeln in entscheidender Weise fördern. (䉴 Kap. 6.1). Eine andere Möglichkeit, auf
Dabei gilt: Für unterschiedliche Unterrichts- Differenz und Heterogenität zu reagieren,
ziele und -inhalte und in Abhängigkeit von besteht in der Schul- bzw. Schulsystemdiffe-
den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen renzierung, die vornehmlich über die insti-
sind unterschiedliche Unterrichtsmethoden tutionellen Rahmenbedingungen des Ler-
offenbar unterschiedlich gut geeignet. Unter- nens realisiert wird. Weil diese Form der
suchungen über die professionelle Kom- Differenzierung in Deutschland weit verbrei-
petenz von Lehrkräften haben wichtige Er- tet war, hat es vor allem in den 1970er Jahren
kenntnisse über Dimensionen der Unter- eine intensive bildungspolitische Debatte
richtsqualität und über individuelle Voraus- über das gegliederte Sekundarschulwesen
setzungen erfolgreichen Lehrens erbracht. gegeben (Fend, 1982; Helmke & Weinert,
1997 a) – in der Folge der neueren interna-
Umgang mit Differenz. Das ist eine der tionalen Vergleichsstudien wird gelegentlich
zeitlos großen Fragen der pädagogischen daran erinnert.

29
Einleitung

Aufbau des Lehrbuchs: Erfolgreiches Lernen und Lehren

Die 470 Textseiten des Lehrbuchs verteilen tert (䉴 Kap. 5), die eine theoretische Einord-
sich auf die beiden Hauptabschnitte »Lernen« nung erfolgreicher Lehrmethoden erleich-
und »Lehren«, sowie auf diese Einleitung. tern. Es wird auch auf methodenübergreifend
Dass das Lernen vor dem Lehren behandelt wichtige Dimensionen der Unterrichtsqua-
wird, erleichtert die Einordung und Bewer- lität hingewiesen. Erfolgreiche und bewährte
tung der später vorgestellten Methoden und Lehrmethoden sind z. B. die direkte In-
Prinzipien erfolgreichen Lehrens. Weil Lehren struktion, Formen des entdeckenlassenden
die Lernprozesse erst auslöst, wäre auch eine und problemorientierten Lehrens und das
umgekehrte Reihung der beiden Haupt- Herstellen kooperativer Lernarrangements
abschnitte möglich gewesen – allerdings vo- (䉴 Kap. 6). Nicht jede Lehrmethode ist aller-
raussetzungsvoller, weil sich das Lehrerhan- dings für jeden Lernenden und für jedes
deln besser verstehen und bewerten lässt, Lernziel gleich gut geeignet. Aussagen über
wenn man weiß, wie Lernen funktioniert. die Wirksamkeit von Lehr-Lern-Prozessen
müssen stets Rahmenbedingungen unter-
Lernen und Lehren. Erfolgreiches Lernen ist schiedlicher Art mitbeachten (䉴 Kap. 7). Be-
gute Informationsverarbeitung. Erfolgrei- sonderheiten des Lehrens ergeben sich bei-
ches Lehren nutzt Tätigkeiten und Bedin- spielsweise daraus, dass sich die Lernenden
gungen, die diese Art des Lernens unterstüt- voneinander unterscheiden, z. B. Jungen von
zen. Im ersten Hauptabschnitt werden un- Mädchen oder Kinder mit Lernstörungen
terschiedliche Auffassungen über Lernen von Kindern mit einer unauffälligen Lern-
vorgestellt (䉴 Kap. 1), die sich im Verlauf entwicklung. Wie man durch unterrichtliche
der mehr als 100-jährigen psychologischen und unterrichtsergänzende Maßnahmen mit
Lernforschung herausgebildet haben. Die solchen Unterschieden, vor allem mit Lern-
von uns bevorzugte Auffassung betrachtet schwächen und Teilleistungsstörungen um-
erfolgreiches Lernen als »gute Informations- gehen kann, lesen Sie in 䉴 Kap. 8.
verarbeitung« (䉴 Kap. 2). Gute Informati-
onsverarbeitung setzt voraus, dass individu- Was nicht behandelt wird. Es waren Ent-
elle Voraussetzungen kognitiver, motivatio- scheidungen zu treffen im Hinblick auf die
naler und volitionaler Art gegeben sind, die Themenauswahl und die umfängliche Ge-
ein zielführendes Aufnehmen, Verarbeiten wichtung der einzelnen Inhaltsbereiche in-
und Behalten neuer Informationen möglich nerhalb dieser Auswahl. Die grundlegende
machen. Ergebnisse erfolgreichen Lernens Richtungsentscheidung ist bereits in der In-
manifestieren sich im Aufbau von Fertigkei- haltsbeschreibung deutlich geworden: Ler-
ten und Kenntnissen, die bereichsspezi- nen und Lehren werden als zentrale Inhalte
fischer und inhaltsübergreifender Art sein der Pädagogischen Psychologie betrachtet.
können (䉴 Kap. 3). Dass das Ausmaß des Nicht behandelt werden wichtige Bereiche
Lernerfolgs wie auch besondere Probleme, des erzieherischen Handelns und der Sozia-
die beim Lernen auftreten können, durch lisation in außerschulischen, vornehmlich
individuelle Besonderheiten und Begabun- familiären Zusammenhängen. Auch Aus-
gen sowie durch allgemeine und spezifische führungen über grundlegende Determinan-
Entwicklungsvoraussetzungen mit bestimmt ten von Erziehungs- und Sozialisationspro-
werden, ist offensichtlich (䉴 Kap. 4). zessen, wie Erbe und Umwelt oder Ge-
Im zweiten Hauptabschnitt werden unter- schlecht und Kultur, werden Sie vermissen.
schiedliche Auffassungen über Lehren erör- Wenn von Lernen die Rede ist, sind vor-

30
Einleitung

nehmlich die kognitiven Lerninhalte ge- kennen, um die Bedeutsamkeit der Ergeb-
meint. Andere Inhaltsbereiche und Lernziele, nisse besser einschätzen zu können. Solche
wie das emotionale oder soziale Lernen oder Begriffe beziehen sich vor allem auf Maße
die Übernahme von Überzeugungen, Einstel- der zentralen Tendenz und der Streuung von
lungen und Werturteilen, werden nur am Daten, auf Maße des Zusammenhangs von
Rande behandelt. Messwertreihen sowie auf Maße der Effekt-
Weil in diesem Buch häufig Ergebnisse stärke. Im folgenden Kasten werden sie in
empirischer Studien berichtet werden, ist es ihren Grundzügen definiert.
hilfreich, zentrale statistische Begriffe zu

Fokus: Zentrale statistische Begriffe


In diesem Buch werden Ergebnisse empirischer Studien berichtet, in denen meist Gruppen
von Personen hinsichtlich bestimmter Merkmale miteinander und zu verschiedenen Zeit-
punkten verglichen werden, und es wird über die vergleichende Wirksamkeit pädagogischer
Maßnahmen berichtet. Weil sich die Ergebnisse nicht auf einzelne Individuen, sondern auf
aggregierte Daten beziehen, werden statistische Maße der zentralen Tendenz (vornehmlich
der Mittelwert) und der Dispersion (die Varianz und die Standardabweichung) verwendet.
Korrelationskoeffizienten, die Werte zwischen –1 und +1 annehmen können, beschreiben,
wie eng einzelne Merkmale (Variablen) miteinander (ko-)variieren, wie eng also der
statistische Zusammenhang zwischen ihnen ist. Je mehr sich ein Korrelationskoeffizient
dem Wert +1 nähert, desto systematischer gehen höhere Ausprägungen auf der einen
Variablen gleichsinnig mit höheren Ausprägungen auf einer anderen einher. Nähert sich der
Korrelationskoeffizient dem Wert –1, ist das im Sinne eines gegenläufigen Zusammenhangs
zu verstehen: Höhere Ausprägungen auf der einen Variablen gehen mit umso niedrigeren
Ausprägungen auf der anderen einher. Ein Wert nahe 0 besagt, dass es einen systematischen
Zusammenhang zwischen den beiden Variablen nicht gibt.
Der quadrierte Korrelationskoeffizient spielt oftmals eine wichtige Rolle bei der Abschät-
zung der praktischen Bedeutsamkeit eines Befundes. Er gibt den gemeinsamen Varianzanteil
der beiden Variablen an, oder auch den Prozentsatz der durch die eine Variable aufgeklärten
Varianz der anderen Variablen. Diese aufgeklärte Varianz wird häufig auch als Effektstärke
oder Effektgröße bezeichnet.
Vor allem im Zusammenhang mit Metaanalysen werden häufig Effektstärken oder
-größen berichtet, um jenseits der statistischen Signifikanz eines Unterschieds (zwischen
Personengruppen, zwischen Lehrmethoden, zwischen Schulformen usw.) etwas über seine
praktische Relevanz und relative Größe auszudrücken. Denn die statistische Signifikanz
hängt ganz entscheidend von der Größe der untersuchten Stichprobe ab. Cohens d ist eine
häufig verwendete Effektgröße zur Beurteilung der Größe von Mittelwertunterschieden
zwischen zwei Gruppen. Ein d-Wert von d = 0.2 gilt als kleiner und von d = 0.5 als mittlerer
Effekt. Ab Werten von d = 0.8 spricht man von einem starken Effekt. Mit der Betrachtung
von Effektstärken wird der Problematik Rechnung getragen, dass in hinreichend großen
Stichproben auch sehr geringe Gruppenunterschiede schon zur Ablehnung einer Null-
hypothese – und damit zur statistischen Signifikanz führen.

31
Einleitung

Auf besondere methodische Ansätze der Pä- pädagogischer Interventionsmaßnahmen –


dagogischen Psychologie wird nicht geson- werden forschungsmethodische Aspekte ei-
dert eingegangen. Als empirische Wissen- gens angesprochen, selbst dort sind sie je-
schaft ist sie dem Methodenkanon der So- doch nicht spezifisch für pädagogisch-psy-
zialwissenschaften verpflichtet. Nur an eini- chologische Fragestellungen.
gen Stellen – so bei der Evaluation

Zusammenfassung
Nicht die Anwendung psychologischer Erkenntnisse auf Erziehung und Unterricht ist der
Gegenstand der Pädagogischen Psychologie, sondern die Gewinnung solcher Erkenntnisse.
Die erkenntnissuchende Funktion einer grundlagenorientierten, theoretischen Wissenschaft
wird ergänzt um den Anspruch, handlungsrelevantes und praxistaugliches Anwendungs-
wissen zu generieren. Die Pädagogische Psychologie betreibt also eine nutzungsinspirierte
oder nutzenorientierte Grundlagenforschung.
Kerninhalte sind die Prozesse des Lernens und Lehrens, genauer: die Erforschung des
Lernens unter den Bedingungen des Lehrens. Stärker anwendungsbezogene Forschungs-
fragen zielen auf Maßnahmen zur Unterstützung, Erleichterung oder Optimierung des
Lernens.
In den Anfängen der Disziplin waren die Pädagogischen Psychologen zugleich Allgemeine
Psychologen oder Entwicklungspsychologen. Auch heute ist es nicht leicht, Grenzen zu
anderen Teilgebieten der Psychologie zu markieren.

Literaturhinweis
Krapp, A., Prenzel, M. & Weidenmann, B.
(2006). Geschichte, Gegenstandsbereich und
Aufgaben der Pädagogischen Psychologie. In
A. Krapp & B. Weidenmann (Hrsg.), Pädago-
gische Psychologie (S. 1–31). Weinheim: Beltz.
Reynolds, W. M. & Miller, G. (2003 a). Current
perspectives in educational psychology. In
W. M. Reynolds & G. E. Miller (Eds.), Hand-
book of Psychology, Vol. 7, Educational Psy-
chology (p. 3–20). Hoboken: Wiley.

32
Teil I Lernen
Teil I Lernen

Lernen gehört zweifelsohne zu den charak- komplexe Lernleistungen und Prinzipien der
teristischen Aktivitäten des Menschen. Ohne Wissensorganisation und -nutzung in so
das Erlernen kultureller Fertigkeiten, kon- vielfältigen Bereichen wie der Mathematik
sensfähiger Verhaltensnormen sowie spezi- und den Naturwissenschaften sowie den
fischer Sachverhalte und Überzeugungen Sprach- und Geisteswissenschaften so zu
wäre es dem Menschen nicht möglich, sich beschreiben und zu erklären, dass sich da-
erfolgreich an die Erfordernisse einer Gesell- raus Schlussfolgerungen auch für das All-
schaft oder einer menschlichen Kultur an- tagslernen ergeben. Deshalb wird der Dar-
zupassen. Die Fähigkeit zum Lernen ist des- stellung der kognitionspsychologischen An-
halb das entscheidende Potenzial des Men- sätze und der durch sie eröffneten Möglich-
schen, sich aktiv mit seiner Umwelt und keiten in diesem Kapitel deutlich mehr Platz
Umgebung auseinanderzusetzen. Um dieses eingeräumt als den sogenannten klassischen
Potenzial zu nutzen und weiterzuentwickeln, Lerntheorien.
haben nicht erst die modernen Industriena- Teil I dieses Lehrbuchs besteht aus vier
tionen eigene Bildungssysteme geschaffen. Kapiteln:
Diese Systeme ermöglichen und optimieren
das Erlernen der von der jeweiligen Kultur 1. Auffassungen über Lernen
für notwendig erachteten Fertigkeiten, 2. Erfolgreiches Lernen als gute Informati-
Kenntnisse, Normen und Überzeugungen. onsverarbeitung
Doch worin genau besteht die »Lern- 3. Ergebnisse erfolgreichen Lernens
fähigkeit« des Menschen? Was ist Lernen? 4. Besonderheiten des Lernens
Welche individuellen Bedingungen sind für
den Erfolg von Lernen verantwortlich? Was In 䉴 Kap. 1 werden die einflussreichsten
sind die Folgen gelungenen Lernens? Wel- Antworten auf die Frage »Was ist Lernen?«
ches sind die Begabungs- und die Entwick- nachgezeichnet. Trotz weitgehender Über-
lungsvoraussetzungen erfolgreichen Ler- einstimmung, dass Lernen immer etwas
nens? mit der Veränderung von Verhalten oder
All diese Fragen werden im ersten Teil von Verhaltensmöglichkeiten zu tun hat,
dieses Buches aufgeworfen. Die Antworten wird zu zeigen sein, dass diese Frage sehr
erfolgen auf der Basis der Befunde einer unterschiedlich beantwortet werden kann.
nunmehr über 100-jährigen psychologi- So macht es beispielsweise einen Unter-
schen Lernforschung. Die Perspektive, aus schied, ob wir uns für die direkt beobacht-
der wir unsere Antworten entwickeln, ist baren Verhaltensänderungen oder aber für
dabei die des erfolgreich Lernenden. Im die nicht direkt beobachtbaren Veränderun-
Gegensatz zu traditionellen Darstellungen gen »im Kopf« von Lernenden interessieren
zum Thema Lernen wird den behavioristi- und ob wir uns eher an den Inhalten oder an
schen Grundlagentheorien (auch Konditio- den Prozessen des Lernens, eher an den
nierungs- oder Reiz-Reaktions-Theorien ge- Gemeinsamkeiten oder eher an den Unter-
nannt) vergleichsweise wenig Raum einge- schieden zwischen Lernenden orientieren. In
räumt. Sie haben sich in der Vergangenheit unserer Darstellung wird den nicht direkt
zwar als nützlich erwiesen, um Lernen zu beobachtbaren Veränderungen »im Kopf«
erklären, jedoch in einem viel bescheidene- der Lernenden und den Prozessen des Ler-
ren Maße als lange Zeit angenommen zur nens unter Berücksichtigung interindividu-
Verbesserung des Lernens in Schule, Aus- eller Unterschiede besondere Aufmerksam-
und Weiterbildung beigetragen. In dieser keit geschenkt. Sie sind für die Gestaltung
Hinsicht sind kognitionspsychologische An- und Optimierung des institutionellen Ler-
sätze sehr viel erfolgreicher. Sie sind geeignet,

35
Teil I Lernen

nens in unseren Schul- und Bildungssyste- Mit den Lernergebnissen, also den Konse-
men von entscheidender Bedeutung. quenzen und dem Nutzen eines erfolgreichen
䉴 Kap. 2 kann als Schlüsselkapitel für die Lernens für den einzelnen Lernenden, be-
von uns vertretene Sichtweise des Lernens schäftigt sich 䉴 Kap. 3. Dabei wird heraus-
aufgefasst werden. Hier wird Lernen aus der gearbeitet, dass die Grundlagen und Ziele
Perspektive einer »guten Informationsver- erfolgreichen Lernens, nämlich der Erwerb
arbeitung« (vgl. Pressley, Borkowski und basaler Fertigkeiten und bereichsspezifischer
Schneider, 1989) beschrieben. Gute Infor- Expertise sowie der Aufbau inhaltsübergrei-
mationsverarbeitung beruht auf einer Reihe fender Kompetenzen, in systematischer Wei-
individueller Voraussetzungen. Die wichtigs- se mit den Prinzipien guter Informationsver-
ten dieser Voraussetzungen haben wir in arbeitung zusammenhängen.
einem Modell der INdividuellen VOraus- Das erreichbare Ausmaß erfolgreichen
setzungen erfolgreichen Lernens (kurz: IN- Lernens hängt von individuellen Besonder-
VO-Modell) beschrieben. Das INVO-Mo- heiten der Begabungen und vom erreichten
dell orientiert sich am erfolgreichen indivi- Entwicklungsstand ab. Mit einigen allgemei-
duellen Lernen und fokussiert die dazu bei- nen Entwicklungsvoraussetzungen und indi-
tragenden individuellen Voraussetzungen. viduellen Lernbesonderheiten beschäftigt
Es ist ein idealer Ausgangspunkt zur Be- sich abschließend das 䉴 Kap. 4 dieses ersten
schreibung, Erklärung und Optimierung Teils.
von Lernprozessen überhaupt.

36
1 Auffassungen über Lernen

Die Einleitung zum ersten Teil dieses Lehr- lich, wie unterschiedlich Lernen sein kann:
buchs haben wir mit der Feststellung begon- Lernen kann absichtlich (Vokabeln lernen)
nen, dass die Lernfähigkeit ein wichtiges oder beiläufig (Entstehen von Vorlieben) vor
Wesensmerkmal des Menschen ist. Die Lern- sich gehen; es kann durch intensives Üben
fähigkeit erlaubt es, regelhaft und adaptiv und Wiederholen (Gedicht lernen) oder
auf aktuelle, sich stetig ändernde Anforde- durch eine einmalige Beobachtung (wie
rungen und Umweltereignisse zu reagieren. man einen Zapfhahn an einer Tankstelle
Dieses besondere Potenzial ist angeboren benutzt) zustande kommen; es kann als
(übrigens auch bei den meisten nicht- Bereicherung und als Zugewinn (ein elek-
menschlichen Lebewesen), nicht jedoch tronisches Präsentationsprogramm beherr-
das Ausmaß seiner Nutzung. Zwar lernen schen) oder als Verschlechterung (sich lästige
alle Menschen, aber nicht alle können ihre Angewohnheiten aneignen) empfunden wer-
Lernpotenziale in der gleichen Weise nutzen. den.
Individuelles Lernen ist also die Nutzung des Doch was ist den mit diesen Phänomenen
angeborenen, durch biologische Reifungs- verbundenen Lernprozessen gemeinsam?
prozesse sich erweiternden, aber auch durch Was ist Lernen? Was genau ist geschehen,
die Nutzung von Lerngelegenheiten sich ste- wenn wir sagen, dass jemand etwas gelernt
tig weiter entwickelnden Lernpotenzials. hat? Hier stehen wir vor einer der Kern-
Eine gänzliche Nichtnutzung des individu- fragen der Psychologie. Bei der Beschäfti-
ellen Lernpotenzials ist schlichtweg undenk- gung mit dieser Frage haben sich unter-
bar. Deshalb findet Lernen im Leben jedes schiedliche Auffassungen darüber gebildet,
Menschen statt, auch wenn es häufig unbe- was zum Auslösen von Lernprozessen führt
wusst und beiläufig (inzidentell) und seltener bzw. welchen Gesetzmäßigkeiten Lernen un-
gezielt und absichtlich (intentional) erfolgt. terliegt. Trotz dieser unterschiedlichen Auf-
Menschen müssen lernen. Die Phänome- fassungen, von denen die wichtigsten in
ne, die uns als Beispiele von Lernen in den diesem Kapitel skizziert werden, lässt sich
Sinn kommen, sind äußerst vielfältig. Sie auf einer sehr allgemeinen Ebene eine ge-
reichen vom Auswendiglernen eines Ge- meinsame Vorstellung, d. h. ein definitori-
dichts, dem Aneignen neuer Vokabeln, scher Kern von Lernen identifizieren.
dem Erwerb spezieller Kenntnisse und Fer-
tigkeiten zur Nutzung des Internet oder zur Definition: Lernen
Bedienung eines Fahrkartenautomaten über
die Herausbildung von Vorlieben und Ab- Lernen ist ein Prozess, bei dem es zu
neigungen oder die Übernahme von Vor- überdauernden Änderungen im Verhal-
urteilen bis hin zur Verfestigung individuel- tenspotenzial als Folge von Erfahrungen
ler Angewohnheiten und Besonderheiten, kommt.
wie z. B. einem ständigen Räuspern. Allein
die Aufzählung dieser Beispiele macht deut-

37
Teil I Lernen

Lernen ist der Prozess, in dessen Folge es zu heute einflussreichen Auffassungen über
einer Änderung eines Verhaltenspotenzials Lernen dargestellt werden. Unsere Auswahl
kommt. Von einem Potenzial und nicht vom ist dabei notwendigerweise selektiv. Das ist
Verhalten selbst wird gesprochen, weil sich schon allein aus Gründen der Darstellungs-
das Produkt des Lernens (das Lernergebnis) ökonomie erforderlich. Bereits in den
nicht notwendigerweise unmittelbar in ei- 1960er Jahren benötigten Hilgard und Bo-
nem konkret beobachtbaren Verhalten nie- wer (1966) für einen kompakten Überblick
derschlagen muss (obwohl ein solcher Nie- damals diskutierter Theorien des Lernens ein
derschlag zur leichten Feststellung des sicht- zweibändiges Werk, und seither sind eine
baren Lernerfolgs sehr hilfreich ist). Dass Vielzahl neuer Erkenntnisse hinzugekom-
gelernt wurde, kann sich auch in zukünftigen men (vgl. hierzu z. B. Anderson, 2000; Bad-
Handlungen oder Verhaltensweisen noch deley, 1998). Auf eine detaillierte Darstel-
zeigen. Der Prozess des Lernens unterschei- lung einzelner Lerntheorien wird deshalb
det sich von anderen Veränderungsprozes- völlig verzichtet. Stattdessen wird ein über-
sen (wie z. B. Reifungs- oder Degenerations- geordnetes Kategorienschema (Auffassun-
vorgängen) wesentlich dadurch, dass er un- gen über Lernen) gewählt, um zu beschrei-
mittelbar an Erfahrungen gebunden ist. ben, welche Aspekte von Lerntheorien unter
Uneinheitlich sind allerdings die Auffas- der Perspektive einer Nutzung in pädagogi-
sungen darüber, was genau diesen Lernpro- schen Situationen von besonderer Bedeu-
zess ausmacht, was genau eine überdauern- tung sind. Vier grundlegende Auffassungen
de Änderung von Verhaltenspotenzialen – über Lernen werden dabei unterschieden:
also das Produkt oder Ergebnis des Lern- erstens, dass Lernen durch die Bildung
prozesses – charakterisiert und welche Art von Assoziationen zwischen Sinneseindrü-
von Erfahrungen geeignet sind, den Lern- cken und Handlungsimpulsen oder zwi-
prozess auszulösen. schen Reizinformationen zustande komme
Ungeachtet der durchaus kontroversen (䉴 Kap. 1.1); zweitens, dass Lernen im We-
Sichtweisen zu diesen Fragen ist der voran- sentlichen als Verhaltensänderung auf der
gestellten Definition des Lernens aber zu Basis der operanten Konditionierungsgeset-
entnehmen, dass Lernen nicht denkbar ist ze zu beschreiben sei (䉴 Kap. 1.2); drittens,
ohne eine besondere Instanz, in der die dass Lernen im Wesentlichen als Erwerb
Ergebnisse von Lernprozessen konserviert deklarativen, prozeduralen und konditiona-
werden – also einem Gedächtnis. Obwohl len Wissens als Folge mentaler Verarbei-
in der Lernforschung zeitweise auch die tungsprozesse im menschlichen Informati-
Ansicht vertreten wurde, dass Lernen auch onsverarbeitungssystem charakterisierbar
ohne Gedächtnis funktionieren könne (so sei (䉴 Kap. 1.3); und viertens, dass sich Ler-
z. B. von John B. Watson, dem Begründer nen am besten als eine individuelle Kon-
der behavioristischen Lerntheorie), sind sich struktion von Wissen infolge des Ent-
Lernforscher spätestens seit der sogenannten deckens, Transformierens und Interpretie-
Kognitiven Wende darin einig, dass jeder rens komplexer Informationen durch den
Lernprozess auch von einer mentalen Ver- Lernenden selbst beschreiben lasse
änderung begleitet wird, die in irgendeiner (䉴 Kap. 1.4).
Form das Lernergebnis konserviert und dau- Um keine falschen Hoffnungen zu we-
erhaft sichert. cken: In den Teilabschnitten dieses Kapitels
So weit zu den Gemeinsamkeiten psycho- kann es nicht darum gehen, eine umfassende,
logischer Vorstellungen darüber, was Lernen für die Optimierung individuellen Lernens
ist. In den folgenden Abschnitten dieses geeignete Theorie zu skizzieren. Eine solche
Kapitels sollen nun die wichtigsten und bis Theorie haben wir nicht gefunden. Denn

38
1 Auffassungen über Lernen

trotz äußerst fruchtbarer Weiterentwicklun- Die Konstruktion einer völlig zufriedenstellen-


gen der pädagogisch-psychologischen Lern- den Lerntheorie wird wahrscheinlich noch auf
lange Zeit eine unvollendete Aufgabe bleiben.
forschung, die auch in den nachfolgenden (Hilgard & Bower, 1966/1970, S. 29)
䉴 Kap. 2 und 3 skizziert werden, gilt noch
immer die von Hilgard und Bower vor-
genommene Einschätzung:

Orientierungsfragen
● Welches sind die philosophischen und historischen Wurzeln moderner Auffassungen über
Lernen?
● Was sind die Grundideen der Auffassung vom Lernen als Verhaltensformung bzw.
Verhaltensänderung und welche Lernprinzipien folgen daraus?
● Was sind die Grundideen und Lernprinzipien der Auffassung vom Lernen als Wissens-
erwerb?
● Welche Vorstellungen stecken hinter dem Ansatz, Lernen als Wissenskonstruktion
aufzufassen?

1.1 Lernen als Assoziationsbildung

Mit dem Gedanken, dass sich alle Erkenntnis Als sich am Ende des 19. Jahrhunderts eine
aus der Erfahrung ableitet, erlangte die in eigenständige physiologisch-naturwissen-
England ansässige philosophische Schule des schaftliche Psychologie zu etablieren be-
Empirismus um Thomas Hobbes, John Lo- gann, wurde zur Beschreibung menschlicher
cke und David Hume im 17. und 18. Jahr- Geistestätigkeiten auf das in der philosophi-
hundert Weltgeltung. Im 19. Jahrhundert schen Assoziationstheorie formulierte Prin-
war es John Stuart Mill, der die Erkennt- zip der Kontiguität zurückgegriffen:
nislehre des englischen Empirismus wieder Wenn zwei elementare Hirnprozesse gleichzei-
in Erinnerung brachte. Unter Rückgriff auf tig oder in unmittelbarer Aufeinanderfolge ak-
Aristoteles entwickelten die Vertreter des tiv gewesen sind, dann kommt es beim Wieder-
englischen Empirismus die Assoziations- auftreten des einen tendenziell zu einer Erre-
gungsübertragung auf den anderen. (James,
theorie. Erkenntnis basiert dieser Theorie
1890, S. 566)
zufolge auf den sinnlichen Erfahrungs-
bzw. Vorstellungsassoziationen, deren ele-
mentarste Form die räumliche und zeitliche Assoziationen zwischen Reizen
Berührung von Ereignissen (Kontiguität) und Reaktionsimpulsen
darstellt, die aber auch durch wahrgenom-
mene Gleichheit oder Ungleichheit (Gesetz
der Ähnlichkeit bzw. des Kontrasts) und Edward L. Thorndike (1898, 1913 a,
durch die Wahrnehmung einer zeitlichen 1913 b) kam aufgrund seiner Lernexperi-
Abfolge (Gesetz der Kausalität) zustande mente mit Katzen zu der Auffassung, dass
kommen können. die Grundlage des Lernens die Verknüpfung

39
Teil I Lernen

bzw. Verbindung (Assoziation) zwischen 3. Auch das Erzwingen einer assoziativen Ver-
Sinneseindrücken oder Reizen (engl. Stimuli, knüpfung ohne entsprechende Bereitschaft
führt zu einer Unlustempfindung. (Thorn-
S) und Handlungs- oder Reaktionsimpulsen dike, 1913 a, S. 128)
(engl. Responses, R) sei – und nicht nur die
assoziative Verbindung zwischen zwei Sin- Mit dem Gesetz der Bereitschaft wird den
neseindrücken. Durch die Betonung der wichtigen motivationalen Randbedingun-
Handlungsimpulse, aber auch im Bemühen gen der Assoziationsbildung zwischen den
um objektive Verhaltensbeschreibungen Sinneseindrücken und den Handlungs-
wurden Thorndikes tierexperimentelle Lern- impulsen Rechnung getragen.
studien zu wichtigen Vorläufern des ame-
rikanischen Behaviorismus (䉴 Kap. 1.2). (2) Die ursprüngliche Fassung des Gesetzes
Thorndike (1913 b, S. 23) zufolge voll- der Übung begründet die Beobachtung, dass
zieht sich das menschliche Lernen – genau sich die einmal gebildeten Assoziationen in
wie das Lernen von Tieren – als ein »asso- ihrer »Stärke« immer wieder verändern kön-
ziativer Mechanismus«, der einigen wenigen nen. Die Intensität, mit der ein bestimmter
Gesetzen folgt. Die drei wichtigsten Lernge- Sinneseindruck einen mit ihm verknüpften
setze in Thorndikes ursprünglicher Theorie Handlungsimpuls hervorruft (und damit die
sind (1) das Gesetz der Bereitschaft (Law of Auftretenswahrscheinlichkeit der entspre-
Readiness), (2) das Gesetz der Übung (Law chenden Handlung bestimmt), ist also durch-
of Exercise) und (3) das Gesetz des Effekts aus modifizierbar. Das Gesetz der Übung
(Law of Effect). besagt, dass Assoziationen durch wiederhol-
ten Gebrauch gestärkt werden, durch Nicht-
(1) Das Gesetz der Bereitschaft beschreibt gebrauch bzw. Nicht-Fortführung der Übung
die Bedingungen, unter denen Assoziationen jedoch geschwächt (Vergessen).
zwischen Sinneseindrücken und Reaktions-
bzw. Handlungsimpulsen zu Empfindungen (3) Das Gesetz des Effekts gilt als wichtigster
von Lust oder Unlust führen. Thorndike Baustein in Thorndikes Theorie. Es bezieht
nahm an, dass alle Sinneseindrücke unspezi- sich auf die Stärkung oder Schwächung von
fische Erregungen der beteiligten Nerven- Assoziationen als Folge von Handlungskon-
zellen zur Folge hätten und dass solche sequenzen. Hat ein Sinneseindruck bei einer
Erregungen an andere, mehr oder weniger Person eine assoziationsfähige Einheit für
aufnahmebereite Neurone weitergeleitet einen Handlungsimpuls erregt, und zwar
würden. Ein Handlungsimpuls (und damit so stark, dass der Handlungsimpuls tatsäch-
die Bereitschaft zum Handeln) komme durch lich in eine Reaktion umgesetzt wurde und
die Erregung einer ganzen Kette weiterer erfährt die Person nun Konsequenzen ihrer
Neurone zustande. Die Gesamtheit dieser Handlung, die sie als befriedigend oder lust-
Kette hat Thorndike als »assoziationsfähige voll (Belohnung) empfindet, so bewirkt dies
Einheit« bezeichnet. eine Stärkung der ausgebildeten Assoziation.
Löst die nach einer Handlung erfahrene
1. Wenn eine assoziationsfähige Einheit zum
Konsequenz hingegen nicht zufriedenstellen-
Vollzug der Assoziation bereit ist, ist die
entsprechende Erregungsleitung befriedi- de Empfindungen aus, kommt es zu einer
gend (lustvoll) und es geschieht nichts, Abnahme der Stärke der Assoziation. In
um sie in ihrem Ablauf zu behindern. seiner ursprünglichen Fassung des Effekt-
2. Kann eine Verknüpfungsbereitschaft nicht Gesetzes ging Thorndike noch von einer
realisiert werden, führt dies zu Unlustemp-
findung und ruft eine naturgegebene Reak- Wirkungsparallelität von lustvollen und
tion hervor, um den unbefriedigenden Un- aversiven Empfindungen aus. Später (Thorn-
lustzustand zu beseitigen. dike, 1932) hat er diese Annahme revidiert.

40
1 Auffassungen über Lernen

Die Ergebnisse seiner vornehmlich tier-expe- änderung stattgefunden hat, wird diese
rimentellen Untersuchungen hatten gezeigt, nun als konditionierte Reaktion (CR) be-
dass unter sonst gleichen Randbedingungen zeichnet. Die Stärke der gelernten Verbin-
lustvolle Empfindungen verhaltenswirk- dung wird allerdings zunehmend geringer,
samer sind als aversive. wenn die räumlich-zeitliche Nähe der Reiz-
darbietungen wieder aufgehoben wird. Die
ersten Nachweise solch konditionierter Re-
Assoziationen zwischen Reizen aktionen erfolgten am Beispiel des Speichel-
(klassisches bzw. respondentes flusses bei Hunden (vgl. Pawlow, 1927).
Konditionieren)
Fokus: Pawlows Hund
Das Prinzip der räumlich-zeitlichen Kon-
tiguität zweier Sinneseindrücke wurde Pawlow und Mitarbeiter konnten im La-
auch zum Erklärungsansatz für ein Lernphä- bor beobachteten, dass der Anblick von
nomen, das erstmals 1899, also zeitgleich Futter (US) bei einem Hund zur Sekretion
mit Thorndikes frühen Lernexperimenten, von Speichel (UR) führte, nicht aber der
in einer von Iwan P. Pawlow betreuten Dis- Ton, der durch das Anschlagen einer
sertation beschrieben und später als »kon- Stimmgabel erzeugt wurde (NS). Nach
ditionierter Reflex« (noch später als »kon- wiederholter Präsentation des Stimm-
ditionierte Reaktion«) bezeichnet wurde. gabeltones unmittelbar vor der Futterdar-
Der experimentelle Nachweis des Phäno- bietung (Konditionierungsphase) ver-
mens besteht aus drei Phasen. (1) In der mochte aber auch der Stimmgabelton
Kontrollphase wird zweierlei überprüft: (nun zum CS geworden) die Speichelse-
zum einen, dass ein spezifischer Reiz (ein kretion (nun CR) auszulösen.
sogenannter unkonditionierter Stimulus US)
tatsächlich eine spezifische Verhaltensweise
(eine sogenannte unkonditionierte Reaktion Eigentlich geht es beim klassischen Kon-
UR) auslöst; zum anderen, dass ein beliebi- ditionieren darum, eine bereits im Verhal-
ger neutraler Reiz (ein sogenannter neutraler tensrepertoire vorhandene Reaktion auf be-
Stimulus NS) eben diese (unkonditionierte) stimmte Reize auf einen anderen, neuartigen
Reaktion nicht hervorruft. (2) In der eigent- Reiz zu transferieren. Dies geschieht, indem
lichen Konditionierungsphase kommt es so in systematischer Weise eine neue Assozia-
lange zu einer wiederholten zeitgleich oder tion zwischen zwei Reizen (Stimuli) ausgebil-
zeitlich eng aufeinander folgenden Darbie- det wird, mit dem Ergebnis, dass eine bereits
tung des neutralen und des unkonditionier- vorhandene Reiz-Reaktions-Verknüpfung
ten Reizes, bis die vormals unkonditionierte auf einen weiteren (Auslöser-)Reiz übertra-
Reaktion auch durch die Darbietung des gen wird.
vormals neutralen Reizes ausgelöst wird.
Um zu überprüfen, ob aus dem vormals Kontiguität vs. Kontingenz. Lange Zeit
neutralen nun tatsächlich ein sogenannter glaubte man, dass die räumliche und zeitliche
konditionierter Stimulus (CS) geworden ist, Nähe zwischen den Reizen für die Assoziati-
wird (3) in der Löschungsphase dieser Reiz onsbildung beim klassischen Konditionieren
wieder alleine dargeboten. Ist die klassische notwendig sei. Am radikalsten ist diese Po-
(respondente) Konditionierung gelungen, sition von Edwin R. Guthrie (1959) vertreten
dann löst er die vormals unkonditionierte worden, der alle Lernvorgänge mit der
Reaktion nun alleine aus. Um zu unterstrei- Gleichzeitigkeit (Kontiguität) des ursprüng-
chen, dass hierbei Lernen als Verhaltens- lich neutralen Signalreizes und der bereits

41
Teil I Lernen

vorhandenen Reiz-Reaktionsverbindung zu Auftreten von konditionierten und unkon-


erklären versuchte. Mittlerweile hat man al- ditionierten Stimuli von primärer Bedeutung
lerdings das Phänomen der klassischen Kon- ist, sondern das Ausmaß und die Zuverläs-
ditionierung auch bei größeren zeitlichen sigkeit, womit der konditionierte das Auf-
Abständen nachweisen können, ja selbst treten des unkonditionierten Stimulus vor-
dann, wenn gar keine Kontiguität zwischen hersagt. Entscheidend ist also der Informa-
den zwei Reizen bestand (vgl. dazu Anderson, tionsgehalt, den ein Reiz über einen anderen
2000; Steiner, 2006). Möglicherweise ist also Reiz liefert und weniger das räumliche und
gar nicht die Kontiguität zweier Reize der zeitliche Zusammentreffen der beiden Reize.
entscheidende Wirkmechanismus, sondern es
gibt einen anderen Faktor, der ausschlag- Konnektionismus. Das Interesse an der auf
gebend ist. In diesem Zusammenhang ist Thorndike und Pawlow zurückführbaren
der Begriff der Kontingenz zwischen zwei Grundauffassung des Lernens als Assoziati-
Reizen von Bedeutung. Von Kontingenz onsbildung hat zu Beginn der 1950er Jahre
spricht man, wenn ein Reiz oder ein Ereignis merklich nachgelassen. Dies hat zweifels-
das Auftreten eines zweiten Reizes oder Ereig- ohne mit dem damaligen weltweiten Sieges-
nisses zuverlässig vorhersagt, also signali- zug der Auffassung von Lernen als Verhal-
siert. Nehmen wir beispielsweise an, zwei tensformung (䉴 Kap. 1.2) zu tun. Als jedoch
Brüder streiten relativ häufig und zwar in in den 1980er Jahren Ansätze modern wur-
allen möglichen Situationen. Bei genauer Be- den, Lernen als ein paralleles Verarbeiten
obachtung ließe sich aber feststellen, dass sie von Informationen aufzufassen, welches
nur sporadisch miteinander streiten, wenn sie über verschiedene neuronale Einheiten hin-
miteinander Fußball spielen, dass sie aber fast weg verteilt stattfinde, kam es zu einer Re-
immer streiten, wenn sie gemeinsam im Fern- naissance des »Konnektionismus«, wie
sehen ein Fußballspiel verfolgen. Obwohl Thorndike selbst seine Assoziationsgesetze
beide Verhaltensweisen (miteinander Fußball genannt hatte. In sogenannten PDP-Model-
spielen und gemeinsam ein Fußballspiel im len (Parallel Distributed Processing) simu-
Fernsehen verfolgen) also oftmals zusammen lierte man Lernen auf der Basis komplexer
mit dem Ereignis »Streit« auftreten (Kon- neuronaler Strukturen, wobei die bekannten
tiguität), besteht eine Kontingenz lediglich Regeln der Assoziationsbildung als grund-
für die assoziative Verbindung »gemeinsam
ein Fußballspiel im Fernsehen verfolgen« und
nachfolgend »gibt es Streit«. Die Wahrschein-
lichkeit, dass sich die Brüder streiten werden,
ist also beim Verfolgen eines Fußballspiels im
Fernsehen bedeutsam größer als bei anderen
gemeinsamen Aktivitäten, wie z. B. dem ge-
meinsamen Fußballspielen.
Rescorla (1988) vertritt eine mit moder-
nen kognitiven Lerntheorien gut vereinbare
Interpretation des respondenten Konditio-
nierens, der zufolge nicht die Kontiguität
von Reizen, sondern die Kontingenzinfor-
mation, die der konditionierte über den
Hippocampus
unkonditionierten Reiz enthält, von ent-
scheidender Bedeutung sei. Diese Erklärung Abb. 1.1: Neuroanatomische Lokalisierung des
geht davon aus, dass nicht das gemeinsame Hippocampus

42
1 Auffassungen über Lernen

legende Prinzipien der Informationsübertra- lichen Lernvorgänge zusätzlich mit einer


gung von Neuron zu Neuron herangezogen Aktivierung subkortikaler Strukturen des
wurden. Wie Anderson (2000) sehr pointiert limbischen Systems – vor allem des so-
zusammenfasst, haben sich die konnektio- genannten Hippocampus – verbunden
nistischen Modelle tatsächlich als geeignet (䉴 Abb. 1.1). Solche Prozesse werden aber
erwiesen, um die vornehmlich kortikal in den konnektionistischen Ansätzen nicht
lokalisierbaren höheren Lernprozesse abzu- modelliert.
bilden. Allerdings sind die meisten mensch-

Fokus: Biologische Grundlagen des Lernens


Seit den Anfängen der Lernforschung hat man sich für die Frage interessiert, welche
biochemischen Prozesse und neuroanatomischen Strukturen für Lernprozesse verantwort-
lich sind. Mit den biologischen Grundlagen menschlichen Lernens beschäftigen sich mit
großem Erfolg die modernen Neurowissenschaften. Man weiß inzwischen, dass Strukturen
des limbischen Systems, vor allem der Hippocampus, bei der Aufnahme, Verarbeitung und
Konsolidierung von episodischen Informationen (Daten, Fakten, Namen) eine wichtige
Rolle spielen, zusammen mit den kortikalen Strukturen des medialen Temporallappens.
Beim willentlichen Abrufen episodischer Informationen aus dem Gedächtnis sind Akti-
vierungen im rechten dorsolateralen und medialen Frontalkortex zu beobachten. Beim
Abrufen allgemeinen Weltwissens, das nicht mehr mit spezifischen Lernepisoden verknüpft
ist, scheinen dagegen unterschiedliche kortikale Regionen im Temporallappenbereich
beteiligt zu sein. Die Lokalisierung spezifischer Gedächtnisinhalte im Gehirn hat sich
allerdings als äußerst schwierig erwiesen, da Gedächtnisinhalte nicht in einer Region,
sondern weit verteilt über viele neuronale Systeme repräsentiert sind (vgl. Squire & Kandel,
1999).

1.2 Lernen als Verhaltensänderung

Durch gänzlich pragmatische Umsetzungen 1. dass Lernen – wissenschaftlich verstan-


der assoziationstheoretischen Überlegungen den – gleichzusetzen ist mit sichtbaren
Thorndikes begann in den 1920er Jahren Verhaltensänderungen,
eine neue, verhaltensorientierte (behavioris- 2. dass diese Verhaltensänderungen eine di-
tische) Auffassung des Lernens ihren welt- rekte, also nicht durch intrapsychische
weiten Siegeszug. Als Gründer dieser mit Zwischenprozesse vermittelte, Funktion
großem pädagogischen Optimismus betrie- der Verknüpfung von Umweltreizen (Sti-
benen, jedoch dem Wesen nach eher atheo- muli) und Verhaltensweisen (Reaktionen)
retischen Lernphilosophie gilt John B. Wat- sind, und
son. Zu den Kernannahmen der behavioris- 3. dass der Aufbau von Verhaltensweisen in
tischen Sichtweise zählen, hohem Maße durch das Ausnutzen von
Reiz-Reaktions-Kontingenzen beeinfluss-
bar ist (vgl. Watson, 1919).

43
Teil I Lernen

Schon früh wurde der behavioristische Ver- die Anwendung von Verstärkungskontin-
zicht auf Annahmen über die intrapsy- genzen hat Skinner (1953) vier operante
chischen Zwischenprozesse kritisiert. Den- Lernprinzipien beschrieben. Sie unterschei-
noch dauerte es bis in die 1960er Jahre, bis den sich danach, ob das Wirkverhalten eines
sich Vorläufer der heute dominierenden Auf- Lebewesens durch pädagogische Konse-
fassungen von Lernen (䉴 Kap. 1.3 und 1.4) quenzen verstärkt oder bestraft wird, und
durchsetzen konnten. Wesentlich für den ob dies durch Hinzufügen oder durch den
lang anhaltenden Erfolg behavioristischer Entzug eines Folgereizes geschieht.
Lernauffassungen waren die vornehmlich
tierexperimentellen Arbeiten von Burrhus
Fokus: Vier operante Lernprinzipien
F. Skinner, der mit großem Geschick päda-
gogisch leicht umsetzbare Lernprinzipien Wertigkeit des Folgereizes
der Verhaltensformung herausgearbeitet positiv negativ
hat. Skinners Werk gilt nicht zuletzt wegen Darbietung Ver- Bestrafung
seiner Klarheit und des unmissverständli- stärkung durch Hin-
durch Hin- zufügen
chen Anspruchs, Lernen als objektiv-be- zufügen
schreibende Verhaltenswissenschaft zu be-
Entzug Bestrafung Verstärkung
treiben, als radikal-behavioristisch. durch durch Entzug
Entzug

Verhaltensänderung durch
Verstärkungskontingenzen Kontingent applizierte positive und negative
(operantes Konditionieren) Verstärkungen (also das Hinzufügen eines
angenehmen oder das Entfernen eines un-
Die Annahme, dass Lernen durch Kontin- angenehmen Folgereizes) führen zu einer
genz entsteht, war bereits zentraler Bestand- Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit
teil des im vorigen Abschnitt beschriebenen des zuvor gezeigten Verhaltens, während die
klassischen Konditionierens: Dort gilt die beiden Formen der Bestrafung (also das
Kontingenz zwischen zwei Reizen (NS–US) Hinzufügen eines unangenehmen oder das
als Bedingung der Assoziationsbildung, in- Entfernen eines angenehmen Folgereizes) die
dem eine ursprünglich nur auf den unkon- Auftretenswahrscheinlichkeit des entspre-
ditionierten Stimulus (US) hin gezeigte un- chend kontingent betroffenen Verhaltens re-
konditionierte Reaktion (UR) am Ende eines duzieren.
erfolgreichen Lernvorgangs auch auf den
zuvor neutralen (NS), jetzt neu assoziierten Verstärkungspläne. Die naheliegende päda-
Stimulus erfolgte. Dieser Grundgedanke gogische Anwendung der operanten Lern-
wird in Skinners (1953) Konzept des ope- prinzipien wären Maßnahmen der kontinu-
ranten Konditionierens von einer Kontin- ierlichen Verstärkung, bei denen systema-
genz zwischen zwei Komponenten zu einer tisch jedes Auftreten einer erwünschten Ver-
mit dreien erweitert. Durch die sogenannte haltensweise durch einen als angenehm
Verstärkungskontingenz wird nämlich »ge- empfundenen Folgereiz belohnt wird (posi-
lernt«, dass eine Reaktion (R), die im An- tive Verstärkung). Ein klassisches Beispiel,
schluss an eine bestimmte Reizsituation (S) das die Wirksamkeit einer so applizierten
gezeigt wird, eine angenehme (Verstärkung) kontinuierlichen Verstärkung demonstriert,
oder unangenehme Empfindung (Bestra- findet sich bei Etzel und Gewirtz (1967). Die
fung) zur Folge haben kann. Als prinzipielle Autoren wollten dem sechs Wochen alten
Möglichkeiten der Verhaltensformung durch William, der in einer Kindertagesstätte durch

44
1 Auffassungen über Lernen

scheinbar grundlos häufiges und anhalten- ken länger, jedoch wird dieses Verhalten
des Schreien aufgefallen war, diese Verhal- nach etwa der gleichen Anzahl von Verstär-
tensweise abgewöhnen. Zunächst wurde kergaben (Dosis) erreicht. Und es hat sich
Williams Verhalten sorgfältig beobachtet. gezeigt, dass intermittierend verstärktes Ver-
Dabei zeigte sich, dass er in einer festgelegten halten im Vergleich zu kontinuierlich ver-
Zeiteinheit nur selten (elfmal) lächelte, aber stärktem löschungsresistenter ist, also nach
überwiegend schrie. In einer daran anschlie- Absetzen der Verstärker länger anhält und
ßenden kontinuierlichen Verstärkungsphase beibehalten wird (vgl. Robbins, 1971).
wurde auf jedes Lächeln Williams’ sofort mit Ferster und Skinner (1957) haben die
der freundlichen Redewendung »William ist Langzeitwirkungen von ungefähr 20 unter-
ein guter Junge« und mit einem zwei Sekun- schiedlichen Vorgehensweisen der systema-
den dauernden Zurücklächeln reagiert. Je- tischen intermittierenden Verstärkung im
des Schreien Williams wurde in dieser Phase Tierversuch untersucht. In der Pädagogi-
ignoriert. Nach Abschluss dieser kontinuier- schen Psychologie des menschlichen Lernens
lichen Verstärkungsphase lächelte William sind vier Grundtypen dieser Vorgehenswei-
viermal häufiger als zuvor und er schrie nicht sen – man bezeichnet sie auch als Verstär-
mehr. kungspläne – besonders verbreitet (vgl. Stei-
Solche Formen kontinuierlicher Verstär- ner, 2006). Sie lassen sich einem Vier-Felder-
kung dürften sich im pädagogischen Alltag Schema zuordnen, je nachdem ob die inter-
nur selten realisieren lassen. So kann z. B. mittierende Applikation des Verstärkers an
eine (Tages-)Mutter, die sich gleichzeitig um der verstrichenen Zeit oder an der Anzahl
mehrere Kinder kümmern muss, gar nicht der bereits gezeigten erwünschten Verhal-
jedes Lächeln eines häufig schreienden Kin- tensweisen ausgerichtet wird und ob sie in
des wahrnehmen und entsprechend durch einem fixierten oder in einem variablen
Zuwendung verstärken. Realistischerweise Rhythmus erfolgt.
wird sie also die erwünschten Verhaltens-
weisen auch nur eines einzelnen Kindes
Fokus: Verstärkungspläne
wahrscheinlich nur gelegentlich, d. h. partiell
verstärken können, weil ihr vermutlich vieles Rhythmus der Verstärkung
entgeht. Selbst in den tierexperimentellen festgelegt variabel
Laborversuchen Skinners kam es immer wie- Orientie- feste Inter- variable
der zu partiellen bzw. intermittierenden an- rung an vallpläne Intervall-
der Zeit pläne
stelle von kontinuierlichen Verstärkungen,
da es nicht immer gelang, jedes erwünschte Orientie- feste Quo- variable
rung tenpläne Quotenpläne
Verhalten durch die stets gleiche Verstär- am Ziel-
kungsdosis (z. B. Anzahl der Futterpillen) verhalten
zu belohnen. Überraschenderweise zeigte
sich aber, dass es nach den gelegentlichen,
intermittierenden Verstärkungen durchaus Beziehen sich die Verstärkungen auf die
auch zum Aufbau des erwünschten Verhal- Anzahl der bereits gezeigten erwünschten
tens kam, allerdings wurde dazu – was nicht Verhaltensweisen, so spricht man von einem
weiter verwundert – mehr Zeit benötigt. Quotenplan. Wird regelmäßig im Sinne einer
Zwei interessante Beobachtungen sprechen festgelegten Quote (z. B. jedes fünfte Mal
dafür, dass die intermittierende Verstärkung nach dem Auftreten der erwünschten Ver-
der kontinuierlichen sogar vorzuziehen ist: haltensweise) verstärkt, liegt ein Festquoten-
Zwar dauert der Aufbau des erwünschten plan vor; wird dagegen unregelmäßig, aber
Verhaltens beim intermittierenden Verstär- durchschnittlich jedes fünfte Mal nach dem

45
Teil I Lernen

Auftreten des erwünschten Zielverhaltens Verstärkung unterschiedlich gewählt (ein-


verstärkt, spricht man von einem variablen mal wird nach fünf Minuten, einmal nach
Quotenplan. zehn Minuten, einmal nach 15 Minuten ver-
Entsprechend ist die Bezugsgröße für die stärkt) und nur im Durchschnitt der 10-
Verstärkerapplikation bei den Intervallplä- Minuten-Takt eingehalten, dann liegt ein
nen die insgesamt verstrichene Zeit. Wird ein variabler Intervallplan vor. Insgesamt gelten
Verstärker z. B. regelmäßig auf die erste die variablen Verstärkungspläne als beson-
erwünschte Verhaltensreaktion in einem ders geeignet, da sie im Allgemeinen eine
festgelegten 10-Minuten-Takt gegeben, han- vergleichsweise höhere Frequenz der er-
delt es sich um einen Festintervallplan. Wird wünschten Verhaltensreaktionen hervor-
dagegen der Takt der Zeitintervalle für die rufen.

Beispiel: Variable Verstärkungspläne


Variable Quotenpläne findet man häufig im Schulalltag – z. B. wenn es um die Belohnung
der freiwilligen Mitarbeit im Unterricht geht. Stellen Sie sich vor, in einer Klasse heben
immer die gleichen 15 Kinder die Hand, wenn die Klassenlehrerin eine Frage stellt. Gelingt
es der Lehrerin, keines der Kinder bevorzugt zu behandeln, dann beträgt für jedes Kind die
Wahrscheinlichkeit des Aufgerufenwerdens (Verstärkung) 1:15. Geht die Lehrerin nun aber
nicht alphabetisch oder in einer anderen Weise systematisch vor, dann wird die Wahr-
scheinlichkeit und damit die Auftretenshäufigkeit des Antwortgebens für ein beliebiges
Kind in der einen Schulstunde vielleicht bei 1:5 liegen, in einer anderen bei 1:40, im
Durchschnitt jedoch bei 1:15. Die Bekräftigung (Aufgerufenwerden) des Zielverhaltens
(Mitarbeit) erfolgt hierbei nach der Logik eines variablen Quotenplanes und dürfte ziemlich
»löschungsresistent« (s. u.) sein.

Und das Bestrafen? Ein pädagogisch ebenso Verhalten nur unterdrücken, nicht aber ver-
zentrales wie kontrovers diskutiertes Thema ändern, so dass es nach Absetzen der Strafe
ist die Frage der Wirksamkeit und der Aus- schon bald wieder in fast dem gleichen Maße
wirkungen von Strafe. Aus der Sicht der auftrete wie zuvor. Seit den 1950er Jahren
behavioristischen Lernpsychologie interes- konnte jedoch in zahlreichen Studien nach-
siert dabei vornehmlich die vergleichende gewiesen werden, dass Strafe dann ebenso
Verhaltenswirksamkeit der Darbietung eines effektiv sein kann wie Verstärkung, wenn sie
aversiven Reizes (z. B. Tadel oder Strafarbeit) vom Strafenden nur richtig angewandt und
oder des Entzugs eines angenehmen Reizes vom Bestraften subjektiv richtig verstanden
(z. B. Taschengeld einbehalten oder Fernseh- und verarbeitet wird (vgl. Johnston, 1972;
verbot) in Folge eines unerwünschten Ver- Steiner, 2006). Wie muss wirksame Strafe
haltens. In Skinners frühen Arbeiten finden beschaffen sein? Azrin und Holz (1966,
sich einige experimentelle Befunde hierzu. S. 426 f) haben darauf die folgenden Ant-
Deren unzulässige Übergeneralisierung hat worten gegeben:
häufig zu der Fehleinschätzung geführt, dass
Bestrafungen grundsätzlich nicht geeignet 1. Der Strafreiz sollte so gesetzt werden, dass
seien, überdauernde Verhaltensänderungen ein Ausweichen nicht möglich ist.
hervorzurufen. Durch Strafe – so wurde 2. Er sollte so intensiv wie möglich sein und
kolportiert – ließe sich ein unerwünschtes kontinuierlich erfolgen.

46
1 Auffassungen über Lernen

3. Er sollte unmittelbar auf das unerwünsch- Vermeidungsverhalten oder gar Aggressio-


te Verhalten folgen und von Anfang an nen auslösen. Smith und Smoll (1997) konn-
mit maximaler Intensität angewendet ten beispielsweise zeigen, dass Kinder, die im
werden. Mannschaftssport während eines Spiels von
4. Ausgedehnte Bestrafungsphasen sollten ihrem Trainer permanent kritisiert wurden,
vermieden werden. in der Regel eine ablehnende Einstellung zu
5. Es ist darauf zu achten, dass der Strafreiz der ausgeübten Sportart entwickelten. Nicht
nicht differenziell mit einer Verstärkung selten führt dies zu Vermeidungsverhalten
assoziiert wird, damit die Bestrafung kei- (»Ich höre mit dem Fußballspielen ganz
ne verstärkenden Eigenschaften erwirbt. auf!«).
6. Bestrafung kann auch durch Entzug po- Schermer (2010) nennt weitere uner-
sitiver Verstärkungen erreicht werden. wünschte Nebeneffekte, wie das Auftreten
Dies setzt allerdings voraus, dass bereits psychosomatischer Beschwerden und die
ein gewisses Niveau vorangegangener Entwicklung und Verfestigung einer negati-
Verstärkungen erreicht wurde, da sonst ven Selbstwahrnehmung. Strafendes Verhal-
ein wirksamer Entzug von Verstärkung ten von Lehrern und Erziehern kann zu
nicht möglich ist. einem »erfolgreichen« Modell aggressiven
Verhaltens werden, das zur unerwünschten
Aus der prinzipiellen Wirksamkeit von Be- Nachahmung anstiftet (Strassberg, Dodge,
strafung folgt jedoch noch nicht, dass sie für Pettit & Bates, 1994; Straus & Kantor,
den pädagogischen Einsatz besonders geeig- 1994). Schließlich kann es zur Ausbildung
net ist. Es besteht nämlich die Gefahr, dass einer »erlernten Hilflosigkeit« kommen,
Strafen unerwünschte Nebeneffekte nach wenn nämlich ein alternatives Verhalten
sich ziehen. So kann Strafe Abneigung gar nicht möglich ist, durch das man dem
oder Angst gegenüber dem Strafenden her- Strafimpuls entgehen könnte.
vorrufen und unerwünschtes Flucht- bzw.

Fokus: Erlernte Hilflosigkeit


Das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit (Learned Helplessness) wurde erstmals in einem
Tierexperiment von Seligman und Maier (1967) illustriert. Zu Beginn des Experimentes
wurden einige Hunde in einem Netz festgehalten und schmerzhaften Stromstößen (elek-
trischen Schocks) ausgesetzt. Die Hälfte der Hunde ließ man aus dieser Pein entkommen,
wenn sie eine entsprechende mechanische Vorrichtung betätigten. Die andere Hälfte bekam
keine Möglichkeit zu fliehen.
Am nächsten Tag wurden die beiden Gruppen sowie eine dritte Gruppe, die am Vortag
nicht mit Stromstößen gepeinigt worden war, einem Schockvermeidungstraining in einem
Doppelkäfig unterzogen. Dort lernten sie, auf einen schrillen Ton hin (diskriminativer
Hinweisreiz) über die Trennwand hinweg in den jeweils anderen Käfigteil zu fliehen, was
den Ton zum Verschwinden brachte und den drohenden Stromstoß fernhielt, da die
elektrischen Schocks nur in der einen Käfighälfte appliziert wurde. Die Hunde, die am
Vortag durch eigenes Fluchtverhalten die Schocks hatten beenden können, lernten das
Vermeidungsverhalten so schnell wie die bislang nicht geschockten Tiere der dritten
Gruppe. Dagegen waren die Hunde, die in der ersten Versuchsphase unvermeidbare
Stromstöße erhalten hatten, regelrecht hilflos: Nur selten sprangen sie in den geschützten
Käfigteil hinüber; stattdessen kauerten sie still, ließen die Stromstöße über sich ergehen und

47
Teil I Lernen

winselten. Die Erfahrung mit nicht-kontingenten, unvermeidbaren und intensiven Straf-


reizen hatte sie offenkundig hilflos gemacht.
Hiroto und Seligman (1975) konnten zeigen, dass das Phänomen der erlernten Hilf-
losigkeit auch beim menschlichen Lernen ausgelöst werden kann. Nachdem Studierende
eine lange Reihe unlösbarer Anagrammaufgaben bearbeitet hatten, konnten sie nicht
einmal mehr eine einfache Handbewegung erlernen, um ein unangenehmes lautes Geräusch
abzustellen.

Bisweilen täuschen sich Strafende auch hin- konsequent und angemessen (im Sinne der
sichtlich der Wirksamkeit ihres strafenden oben skizzierten Prinzipien) praktiziert, ist
Handelns, weil sie das Ausbleiben des un- sie durchaus wirksam und effizient zur Re-
erwünschten Verhaltens selbst gar nicht duktion unerwünschter Verhaltensweisen.
mehr kontrollieren. Nicht selten kommt es Die Gefahr, dass etwas »schiefläuft« beim
auch zu einer Art Kontrast-Phänomen, bei Bestrafen und dass die skizzierten uner-
dem ein unerwünschtes Verhalten zwar in wünschten Nebeneffekte eintreten, sollte je-
jenen Situationen nicht mehr gezeigt wird, in doch nicht unterschätzt werden. Gage und
denen es systematisch bestraft wurde, dafür Berliner (1996) weisen außerdem darauf hin,
jedoch in anderen Situationen sogar noch dass es bei der Anwendung von Bestrafung
zunimmt. So sind Eltern häufig erstaunt, im Kontext schulischen Lernens unbedingt
wenn sie vom Lehrer ihres Kindes erfahren, »gerecht« zugehen muss. Schüler reagieren
dass es in der Schule noch immer ein un- sehr sensibel auf die Gerechtigkeit von Be-
erwünschtes Problemverhalten zeigt, von strafungen. Alle, die aufgrund eines Regel-
dem sie glaubten, dass es aufgrund ihrer verstoßes eine Strafe verdienen, müssen in
systematischen Bestrafungsaktivitäten in der gleichen Weise und mit gleicher Intensi-
der Vergangenheit längst überwunden sei. tät bestraft werden, sonst wird eine kaum
Bisweilen stellt sich dann heraus, dass das mehr kontrollierbare Dynamik von Recht-
betreffende Verhalten zwar im häuslichen fertigungen und Relativierungen in einer
Kontext gar nicht mehr vorkommt, dafür Lerngruppe ausgelöst, die die intendierte
aber umso häufiger in der Schule. Wirkung der Bestrafung wieder zunichte
Kommen wir noch einmal auf die oben machen kann.
aufgeworfene Frage zurück, ob Bestrafen zur
Verhaltensformung weniger gut geeignet ist Alternativen zur Bestrafung. Gelegentlich
als Belohnen. Wie bereits erwähnt, hat der wird es in Erziehung und Unterricht darum
»späte« Thorndike (1932) diese Frage mit ja gehen, unerwünschte Verhaltensweisen
beantwortet, da er zeigen konnte, dass lust- möglichst dauerhaft zu unterbinden. Im
volle Empfindungen (wie sie sich nach Be- Rahmen der in diesem Abschnitt dargestell-
lohnungen einstellen) verhaltenswirksamer ten Auffassung von Lernen als Verhaltens-
sind als aversive oder unangenehme Emp- formung bieten sich dabei zwei Alternativen
findungen (wie sie nach Bestrafungen erlebt zum herkömmlichen Bestrafen – dem Hin-
werden). Fasst man die Befunde zur Wirk- zufügen eines unangenehmen Folgereizes –
samkeit von Bestrafung aus den letzten Jahr- an: die Methode der Extinktion und die
zehnten zusammen, so kann man Thorndike Methode der differenziellen Verstärkung.
durchaus zustimmen: Strafe scheint weniger Betrachten wir zunächst die Extinktion.
gut geeignet, um neuartige, erwünschte Ver- Hier wird der Umstand ausgenutzt, dass
haltensmuster zu erwerben; wird sie jedoch erlernte Verhaltensweisen nach dem Ausset-

48
1 Auffassungen über Lernen

zen oder Zurücknehmen einer Verstärkung Ziel der Maßnahme erreicht. Nicht selten
ohnehin zunehmend seltener gezeigt werden. kommt es vor, dass unerwünschte Verhal-
tensweisen der Kinder von ihren Eltern oder
Lehrern unabsichtlich verstärkt werden,
Beispiel: Extinktion (Löschung)
weil nämlich ein Kind für ein unerwünschtes
Durch kontingente Verstärkung wird ein Verhalten jene Aufmerksamkeit bekommt,
gewünschtes Verhalten aufgebaut, etwa die ihm sonst verwehrt bliebe. Auch hier
indem eine Lehrerin Pluspunkte an die kann die Methode der Extinktion zum Ein-
Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse satz kommen, indem das unerwünschte Ver-
vergibt, die sich durch Melden am Unter- halten künftig systematisch ignoriert wird.
richt beteiligen. Dies wird zu einer erhöh- In ähnlicher Weise funktioniert das Prin-
ten Frequenz des freiwilligen Meldens zip der Folgekosten (Response Costs). Im
führen. Setzt die Lehrerin den Verstärker Fußball findet es Anwendung, um zu ver-
der Pluspunkte nach einer Weile wieder hindern, dass ein torschussbereiter Spieler
ab, so sinkt auch die Rate der freiwilligen von der in Bedrängnis geratenen abwehren-
Meldungen wieder. Dieser Vorgang der den Mannschaft regelwidrig behindert wird.
allmählichen Löschung des neu erlernten Lässt sich die Verteidigung dennoch zu ei-
Verhaltens wird als Extinktion bezeichnet nem Foul im Strafraum hinreißen, kommt es
– häufig (auch in diesem Fall) ist das zu erheblichen Folgekosten für den Übeltäter
unerwünscht. und sein Team (Elfmeter, Platzverweis, ggf.
sogar eine Sperre in nachfolgenden Spielen).
Will man das Prinzip der Folgekosten auf die
Im Prinzip handelt es sich beim Ausnutzen Schule übertragen, bedarf es eines klaren
des Extinktionsphänomens um eine »milde« Regelwerkes zu den Unterrichtsabläufen.
Form der Bestrafung durch Entzug eines als Erst wenn sich die Schüler des Ausmaßes
positiv empfundenen, bislang gewährten der für sie unangenehmen Folgekosten be-
Folgereizes. Die zuvor kontingente Vergabe wusst sind, ist mit einem Unterlassen des
des Verstärkerreizes wird abgesetzt, was unerwünschten Verhaltens zu rechnen.
über kurz oder lang zu einer geringeren Wie Kazdin (2001) ausführlich dargelegt
Auftretenswahrscheinlichkeit des ursprüng- hat, lassen sich auch die Skinner’schen Lern-
lich verstärkten Verhaltens führen wird. In prinzipien der sogenannten differenziellen
pädagogischen Situationen haben sich vor Verstärkung zur Verringerung unerwünsch-
allem zwei Formen dieser indirekten Bestra- ter Verhaltensweisen einsetzen. Auf den ers-
fung bewährt, die verordnete Auszeit und die ten Blick erscheint dies paradox; dient doch
auferlegten Folgekosten. Bei der Auszeit die Verstärkung dem Aufbau und der Stabi-
(Time Out) wird den Lernenden für eine lisierung von Verhalten und nicht dem Ab-
bestimmte Zeitdauer eine sonst übliche Ver- bau bzw. seiner Elimination. Mit der Technik
stärkung vorenthalten. Dieses Verfahren ist der differenziellen Verstärkung alternativen
besonders dann geeignet, wenn die Schüler Verhaltens lässt sich ein unerwünschtes Ver-
ein eigentlich erwünschtes (und daher zu halten tatsächlich reduzieren, indem näm-
verstärkendes) Verhalten mit unerwünsch- lich grundsätzlich alle gezeigten Verhaltens-
ten Verhaltenselementen mischen (z. B. wenn weisen verstärkt werden, mit Ausnahme der
sie sich zwar freiwillig melden, dabei aber unerwünschten, die man unterbinden möch-
stets geräuschvoll mit den Fingern schnal- te. Angewendet auf unser oben erwähntes
zen). Hält die Auszeit solange an, bis das Beispiel könnte das etwa folgendermaßen
erwünschte Verhalten wieder ohne die un- aussehen: Der üblicherweise beim Melden
erwünschten Beigaben gezeigt wird, ist das stets mit den Fingern schnalzende Schüler

49
Teil I Lernen

wird dann wieder durch Zuwendung (oder haltensregeln bei Tisch) leicht durch das
Pluspunkte) verstärkt, wenn er das Ausmaß Imitieren des Verhaltens von Modellper-
des Schnalzens deutlich gedrosselt hat. sonen (z. B. der Tischmanieren der Eltern
oder Geschwister) erklären lassen, zeigte
er auf, dass Lernen nicht nur über Verstär-
Verhaltensänderung durch Be- kungskontingenzen erfolgt (stellen Sie sich
obachtung (Lernen am Modell) etwa das Erlernen des Autofahrens nach den
Prinzipien der operanten Konditionierung
Skinners operante Lerntheorie hat von An- vor!). Sehr bekannt wurden Banduras Ex-
fang an kritische Diskussionen ausgelöst. Zu perimente zum Imitieren aggressiver Verhal-
den einflussreichsten Kritikern gehörte Al- tensweisen. In diesen Experimenten hat sich
bert Bandura, der bereits Anfang der 1960er gezeigt, dass auch stellvertretende Verstär-
Jahre einen sogenannten sozio-behavioristi- kungen (Vicarious Reinforcement) aus-
schen Ansatz entwickelte, um die einge- gesprochen lernwirksam sein können.
schränkte Nützlichkeit des radikalen Beha- Wenn ein Beobachter wahrnimmt, dass ein
viorismus mit seiner Beschränkung auf Ler- Anderer (ein Modell) für ein bestimmtes
nen in »Ein-Personen-Situationen« zu über- Verhalten verstärkt wird, dann ahmt er diese
winden (vgl. Bandura & Walters, 1963). Als Verhaltensweisen mit großer Wahrschein-
zentrales zusätzliches Lernprinzip führte lichkeit nach, ohne selbst dafür verstärkt
Bandura das Konzept des Modell-Lernens worden zu sein. Stellvertretende Verstär-
(Lernen durch Beobachtung) ein. Mit dem kung (analog gilt das auch für die stellver-
Nachweis, dass sich neuartige Verhaltens- tretende Bestrafung) kann bisweilen sogar zu
muster in sozialen Kontexten (wie z. B. Ver- stärkeren und nachhaltigeren Effekten füh-

Studie: Aggressives Verhalten durch Lernen am Modell


Bandura (1965) zeigte Kindergartenkindern einen Film, in dem eine erwachsene Person (ein
Modell) eine lebensgroße Puppe handgreiflich traktierte und beschimpfte. Per Zufall waren
die Kinder drei verschiedenen Versuchsbedingungen zugeteilt. Die Kinder der ersten
Gruppe sahen im Filmverlauf, wie das aggressive Modell durch einen zweiten Erwachsenen
gelobt und beschenkt wurde (positive Verstärkung). Die Kinder der zweiten Gruppe sahen,
wie das Modell für sein Verhalten getadelt wurde (Bestrafung). Die Kinder der dritten
Gruppe sahen nur das aggressive Verhalten des Modells, ohne dass es positive oder negative
Verhaltenskonsequenzen gab. Nach der Darbietung des Films wurden die Kinder einzeln in
ein Spielzimmer geführt, in dem sich u. a. auch eine Puppe befand, die der im Film gezeigten
ähnelte. Jedes Kind wurde nun 10 Minuten allein gelassen, verbunden mit dem Angebot,
spielen zu können, womit es wolle. Es zeigte sich, dass die Kinder der ersten und der dritten
Gruppe häufiger das aggressive Modellverhalten imitierten als die Kinder der zweiten
Gruppe.
Abschließend bot der Versuchsleiter allen Kindern für jede noch erinnerte aggressive
Verhaltensweise aus dem Film eine Belohnung an. Die Kinder aller drei Gruppen zeigten
nun gleich häufig sehr viele der aggressiven Verhaltensweisen. Bandura schlussfolgert, dass
die Kinder in allen Gruppen durch Beobachtung gelernt hatten, und zwar unabhängig von
den Verhaltenskonsequenzen des beobachteten Verhaltens. Ob sie die aggressiven Ver-
haltensweisen aber auch offen zeigten, hing von den Konsequenzen ab, die sie im Film
beobachtet hatten.

50
1 Auffassungen über Lernen

ren als eine direkte Verstärkung (wenn man (1977 b) sich endgültig vom Behaviorismus
sich z. B. darüber freut, einen anderen Men- löste. Neben den Prinzipien des Modell-Ler-
schen glücklich gemacht zu haben). nens sind für die sozial-kognitive Lerntheo-
Hatte Bandura in den 1960er Jahren rie Annahmen zu zwei weiteren Prozessen
seinen Ansatz noch als »sozio-behavioris- charakteristisch, die auch für kognitive
tisch« bezeichnet, so entfernte er sich später Theorien des Wissenserwerbs (䉴 Kap. 1.3)
zunehmend von der behavioristischen Sicht- typisch sind: Dies ist zum einen die Annah-
weise. Der Hauptgrund hierfür war seine me, dass wir unser Verhalten durch selbst
Überzeugung, dass es weder ausreichend erzeugte Anreize und Konsequenzen steuern
noch erforderlich sei, externe Konsequenzen und verändern können, was die Vorstellung
als wesentliche Determinanten menschlichen einer reziproken Determiniertheit des Ler-
Verhaltens anzunehmen. nens (Umwelt und Selbst) impliziert. Die
zweite Annahme besteht darin, dass der
Das weithin akzeptierte Diktum, demzufolge lernende Mensch Beobachtungen, Ereignisse
der Mensch von Reaktionskonsequenzen re- und Erfahrungen zu symbolisieren und zu
giert wird, trifft besser auf antizipierte als auf
tatsächliche Konsequenzen zu. (Bandura, abstrahieren versteht und dass er diese Er-
1974, S. 860) fahrungen in seinem Gedächtnis festhalten
bzw. repräsentieren kann, wodurch es ihm
Die Überzeugung, dass Verhalten vor allem letztendlich möglich wird, ganz unabhängig
durch Denken und durch andere mentale von den aktuellen Sinneseindrücken und
Prozesse und Repräsentationen determiniert Reizzuständen nachzudenken, neue Ereig-
wird, wurde zur Grundlage der sozial-ko- nisse und Handlungen mental zu planen
gnitiven Lerntheorie, mit der Bandura und schöpferisch tätig zu sein.

1.3 Lernen als Wissenserwerb

Die im vorangegangenen Abschnitt skizzier- ten. Man nennt diese Modelle auch Informa-
te Auffassung von Lernen als Verhaltens- tionsverarbeitungsmodelle des menschlichen
änderung weist einige Begrenztheiten auf. Gedächtnisses, weil sie neue Vorstellungen
Dazu gehört z. B. die Einschränkung, nur über die Strukturen und Funktionsweisen des
auf beobachtbares Verhalten zu fokussieren. menschlichen Gedächtnisses enthalten. Den
Akademisches Lernen beschränkt sich je- mittlerweile zahlreichen Informationsver-
doch nicht nur auf den Erwerb spezifischer arbeitungsmodellen des menschlichen Ge-
Fertigkeiten, die unmittelbar auf der Verhal- dächtnisses sind einige Grundannahmen ge-
tensebene sichtbar werden. Zu weit größeren mein, die bereits in einem der ersten Modelle
Teilen besteht das schulische Lernen darin, dieser Art von Atkinson und Shiffrin (1968)
sprachliche und mathematische Symbolsys- beschrieben wurden: Lernen beruht dem-
teme zu verarbeiten und anzuwenden. In den nach auf einem Informationsfluss zwischen
1960er Jahren wurden Modelle kognitiven drei Hauptkomponenten des Gedächtnissys-
Lernens entwickelt, in denen Annahmen tems – den sensorischen Registern, einem
über die inneren (mentalen) Prozesse und Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis und einem
Mechanismen des Verstehens und Erinnerns Langzeitgedächtnis (䉴 Abb. 1.2).
von Informationen eine wichtige Rolle spiel-

51
Teil I Lernen

Werden Umweltreize über die Sinnesorgane der Reizrepräsentation bestimmte Merkma-


rezipiert und transformiert, dann werden sie le dieser Reize (Informationen) extrahiert
über die Dauer der physikalischen Reizein- und auf der Grundlage der im Langzeitge-
wirkung hinaus kurzzeitig in modalitätsspe- dächtnis verfügbaren Wissensinhalte identi-
zifischen Sensorischen Registern (visuell, fiziert und klassifiziert (zum Prozess der
akustisch, haptisch, etc.) gehalten. Vermut- Musterkennung vgl. Crowder, 1976).
lich werden bereits in diesem frühen Stadium

Antwort-
Sensorische Kurzzeit- verhalten/
Reize
Register gedächtnis erinnerte
Information

Abb. 1.2:
Modell der menschlichen In-
Langzeit-
gedächtnis formationsverarbeitung nach
Atkinson & Shiffrin (1968)

Wird die so identifizierte Information im Wissen enthält. Es besteht aus den Fakten,
Weiteren beachtet, wird ihr also bewusst Konzepten, Prinzipien und Regeln, die wir
Aufmerksamkeit geschenkt, so gelangt sie kennen. Das episodische Gedächtnis bezieht
in das Kurzzeitgedächtnis, das wegen seiner sich dagegen auf die Erinnerungen an per-
vielfältigen Funktionen bei komplexen Lern- sönliche Erfahrungen. Man kann sich das
prozessen auch Arbeitsgedächtnis genannt vorstellen wie eine Art mentalen Film über
wird (vgl. Hasselhorn & Schumann-Hengs- Dinge, die wir gesehen und gehört haben.
teler, 2001). Im Kurzzeit- bzw. Arbeits- Das prozedurale Gedächtnis enthält Hand-
gedächtnis wird die Information für kurze lungswissen darüber, wie etwas gemacht
Zeit »festgehalten« und über mannigfaltige wird. Es ist die Grundlage komplexer mo-
Verarbeitungs- und Kontrollprozesse im Ab- torischer Fertigkeiten, wie sie z. B. beim
gleich mit den im Langzeitgedächtnis bereits Fahrradfahren, beim Tanzen oder beim
vorhandenen Informationen bewertet, ge- Korbwurf im Basketballspiel ausgeführt
ordnet und transformiert. Wegen der engen werden.
Verzahnung von Kurzzeit- und Langzeitge- Vor dem Hintergrund dieser Vorstellun-
dächtnis beim Erwerb neuen Wissens wird gen zur Struktur und Funktionsweise des
das Arbeitsgedächtnis bisweilen auch als menschlichen Gedächtnisses haben kogniti-
aktivierter Teil des Langzeitgedächtnisses ve Lernforscher den Wissenserwerb be-
beschrieben (vgl. Cowan, 1988; Engle, Na- schrieben und erklärt. Die Grundideen ihrer
tions & Cantor, 1990). Auffassungen von Lernen lassen sich anhand
Im Langzeitgedächtnis ist das überdau- der Antworten auf die folgenden Fragen
ernde »Wissen über die Welt« gespeichert. demonstrieren: Wie wird Wissen erworben?
Nach Tulving (1985) lassen sich wenigstens Wie ist erworbenes Wissen im Langzeitge-
drei verschiedene Teile des Langzeitgedächt- dächtnis repräsentiert? Was erleichtert den
nisses unterscheiden, das semantische, das Erwerb von Wissen? Was beeinträchtigt den
episodische und das prozedurale Gedächt- Zugriff auf erworbenes Wissen? Wie lässt
nis. Das semantische Gedächtnis ist der sich die Verfügbarkeit von Wissen erhöhen?
Speicher, der das meiste schulisch erworbene

52
1 Auffassungen über Lernen

Wie wird Wissen erworben? Leben gar keine Relevanz zukomme, da


das unabsichtliche, beiläufige (inzidentelle)
Lernen sehr viel häufiger geschieht. So plau-
Im Rahmen des Informationsverarbeitungs- sibel diese Befürchtung auf den ersten Blick
ansatzes lässt sich leicht beschreiben, unter auch erscheinen mag, sie konnte durch em-
welchen Bedingungen neue Informationen pirische Studien ausgeräumt werden: Die Art
so verarbeitet werden, dass daraus Wissen und Weise, wie Informationen in unserem
entstehen kann. Sehen wir einmal davon ab, Gedächtnissystem verarbeitet werden, ver-
dass der Lernende zunächst mit der für den läuft weitgehend unabhängig davon, ob wir
Wissenserwerb relevanten Information über- mit oder ohne Lernabsicht mit neuen Infor-
haupt konfrontiert werden muss und dass mationen konfrontiert werden (vgl. Nelson,
die Sinnessysteme soweit intakt sein müssen, 1976).
dass sie die Reizinformationen aufnehmen
können, lassen sich noch wenigstens vier
allgemeine Prinzipien erfolgreichen Wissens- Wie ist Wissen repräsentiert?
erwerbs ausmachen: Erstens muss der Ler-
nende der neuen Information genügend Be- Informationsverarbeitungsmodelle des Ge-
achtung bzw. Aufmerksamkeit zuwenden; dächtnisses postulieren, dass die überdau-
zweitens bedarf es eines gewissen Ausmaßes ernd erworbenen Wissensinhalte und Fertig-
an Wiederholung bzw. an Übung; drittens keiten im Langzeitgedächtnis gespeichert
muss die neue Information mit dem bisher sind. Das Langzeitgedächtnis wird häufig
verfügbaren Wissen abgeglichen und kon- mit einem großen Lexikon, einer Datenbank
gruent gemacht werden; und viertens muss oder mit einer Bibliothek verglichen. Durch
es zu einer Form der Konsolidierung des Lernen kommen ständig Neuerwerbungen,
neuen Wissens kommen. Im Unterschied also neue Einträge, hinzu, die gespeichert,
zu den drei erstgenannten Prinzipien stehen also eingearbeitet werden müssen. Zahlrei-
allerdings die letztgenannten Konsolidie- che Forschungsbefunde unterstreichen, dass
rungsprozesse nicht vollständig unter der die einmal erworbenen Wissenselemente ei-
direkten Kontrolle des Lernenden. gentlich nicht mehr verloren gehen. Die Spei-
Streng genommen handelt es sich bei cherkapazität des Langzeitgedächtnisses
dieser Charakterisierung der notwendigen scheint nämlich nahezu unbegrenzt zu sein.
Bedingungen für den Erwerb von Wissen Zu Gedächtnisproblemen kann es dennoch
um die Beschreibung absichtlichen (inten- kommen, wenn nämlich die neuen Informa-
tionalen) Lernens. Das mag zu der Auffas- tionen beim Einordnen in die »Bibliothek« an
sung verleiten, dass dem so beschriebenen eine falsche Stelle geraten sind und deshalb
Lernen für viele Lernprozesse in unserem beim Abrufen nicht leicht gefunden werden.

Fokus: Bedeutung des Hippocampus


In der Mitte des 20. Jahrhunderts galt die Resektion des medialen Temporallappens als
geeigneter neurochirurgischer Eingriff zur Heilung schwerer Epilepsien. Bei diesem Eingriff
wurden häufig große Teile des Hippocampus (䉴 Abb. 1.1) mit entfernt. Wie der in der
neuropsychologischen Literatur gut dokumentierte Fall des Patienten H. M. zeigt, kann
jedoch die Schädigung des Hippocampus dazu führen, dass die Fähigkeit verloren geht,
neue Wissensrepräsentationen aufzubauen.

53
Teil I Lernen

H. M. wurden nach einer über 15-jährigen Krankheitsgeschichte im Jahre 1953 im Alter


von 27 Jahren beidseitig große Teile des Hippocampus (sowie der benachbarten Amygdala)
entfernt. Die Operation war insoweit erfolgreich, als die Häufigkeit und die Intensität der
epileptischen Attacken deutlich nachließ. Allerdings kam es auch zu einem fast voll-
ständigen Verlust der Fähigkeit, neue Informationen ins Langzeitgedächtnis aufzunehmen
und zu erinnern. Tests zeigten, dass die überdurchschnittliche Intelligenz und die Arbeits-
gedächtniskapazität von H. M. erhalten blieben, aber zu einer Repräsentation neuer
Wissensinhalte im Langzeitgedächtnis kam es nicht mehr. Die Zeit blieb für ihn für immer
stehen. Daraus lässt sich ableiten, dass den betroffenen Arealen eine zentrale Bedeutung bei
der überdauernden Speicherung neuer Informationen zukommt.

Doch in welchem Format ist erworbenes beantworten ist, lässt sich sowohl für das
Wissen überhaupt gespeichert? Gibt es ein Lernen aus Texten, wie auch für das Ver-
einheitliches Format für alle Wissensinfor- arbeiten von Bildinformationen leicht nach-
mationen, oder muss zwischen verbal-ab- weisen, dass eher die Bedeutungen von Text-
strakten und eher bildhaft-analogen sowie inhalten bzw. die bedeutungshaltigen In-
handlungsnahen Formaten unterschieden terpretationen von Bildern im Gedächtnis
werden? Paivio (1971) hat hierzu eine Dop- repräsentiert werden als die konkreten Ein-
pelkode-Theorie vorgeschlagen, wonach zelinformationen.
das, was wir visuell aufnehmen, bildhaft Die am häufigsten herangezogenen Kon-
und das, was wir sprachlich wahrnehmen, zepte zur Umschreibung des Repräsentati-
verbal gespeichert wird. In seiner Sichtung onsformats des im Langzeitgedächtnis ge-
der dazu durchgeführten Studien kommt speicherten Wissens sind Proposition,
Anderson (2000) zu der Schlussfolgerung, Schema und Skript. Propositionen sind klei-
dass das Repräsentationsformat für visuelles ne Wissenseinheiten, die eine selbständige
Material tatsächlich räumlich-analoge Ko- Aussage bilden. Sie eignen sich besonders
dierungsmerkmale aufweise, während für gut, um die Repräsentation sprachlicher In-
die mentale Repräsentation verbalen Mate- halte auf der Bedeutungsebene zu beschrei-
rials eine sequentiell-lineare Kodierung an- ben. Propositionen beinhalten eine Informa-
zunehmen sei. Kritiker der Doppelkode- tion über eine Gegebenheit oder über einen
Theorie haben aber darauf hingewiesen, Gegenstand und geben Beziehungen zwi-
dass die Annahme zweier Repräsentations- schen einem oder mehreren Eigenschaften
formate gar nicht unbedingt erforderlich sei. oder Relationen dieses Gegenstandes an. Der
Sinnvoller sei die Annahme eines einheitli- propositionalen Darstellung einer Episode
chen, abstrakt-propositionalen Repräsenta- sind in der Regel sowohl Informationen
tionsformats von Wissen, das es erlaube, über ein Subjekt zu entnehmen, das etwas
beim Gedächtnisabruf sowohl bildhafte als tut, als auch Informationen über Ziele oder
auch verbale Erinnerungen zu rekonstruie- Folgen einer Handlung oder auch über die
ren (vgl. Mayer, 1997; Schnotz, 2002; Zeit, die während einer Handlung ver-
䉴 Kap. 7.5). streicht.
Auch wenn die Frage, ob unser Lang- Propositionen sind allerdings nicht die
zeitgedächtnis unterschiedliche Repräsenta- einzigen möglichen Beschreibungseinheiten
tionsformate für bildliche und sprachliche von Gedächtnisrepräsentationen. Bildhafte
Information benötigt, nicht abschließend zu Vorstellungen und hochautomatisierte Tä-

54
1 Auffassungen über Lernen

tigkeiten (z. B. das Auto- oder Fahrradfah-


Studie: Bildrätsel ren) oder die Ablaufmuster vertrauter Sze-
Bower, Karlin und Dueck (1975) haben in narien (z. B. Familienfeiern oder eine Ein-
einer klassischen Studie gezeigt, dass die schulung) lassen sich kaum mehr propositio-
Erinnerung an bildliche Information ganz nal repräsentieren. Hierzu sind komplexere
entscheidend durch die Fähigkeit des Ler- Repräsentationsformate erforderlich, wie sie
nenden determiniert wird, beim Einprä- z. B. mit den Konzepten des Schemas und des
gen eine bedeutungshaltige Repräsentati- Skripts vorliegen.
on für ein Bild aufzubauen. Sie legten Eine weitere nützliche Unterscheidung bei
ihren Untersuchungsteilnehmern eine der Beschreibung von Repräsentationsfor-
ganze Serie sogenannter Droodles – das men des menschlichen Wissens ist die zwi-
sind einfache Bilderrätsel – vor schen einem deklarativen und einem nicht-
(䉴 Abb. 1.3). deklarativen Gedächtnis (vgl. Markowitsch,
1992). Das deklarative Gedächtnis bezieht
sich dabei auf die bewussten Repräsentatio-
nen für Fakten und Ereignisse und unterteilt
sich weiter in episodische und semantische
Gedächtnisinhalte (s. o.). Das nicht-deklara-
tive Gedächtnis wird bisweilen auch als pro-
zedurales Gedächtnis bezeichnet, da es zu
einem großen Teil aus mechanisch erlernten
motorischen Schemata (Fertigkeiten) be-
steht. Allerdings werden dem nicht-deklara-
tiven Gedächtnis auch die repräsentationa-
len Spuren der Voraktivierung von Konzep-
ten (Priming) und der durch Konditionierung
erworbenen Verhaltensmuster zugeschrie-
ben (vgl. Markowitsch, 1992). Nicht-dekla-
rative Repräsentationen sind im Wesentli-
chen unbewusst und können daher im Ver-
gleich zu deklarativen Repräsentationen weit
weniger gut expliziert werden (z. B. fällt es
viel leichter zu beschreiben, wie ein Kinder-
geburtstag abläuft, als zu erläutern, wie man
Auto fährt).
Abb. 1.3: Ein Droodle der Art, wie es in der Die Repräsentationen des deklarativen
Studie von Bower, Karlin und Dueck
(1975) verwendet wurde Wissens im Langzeitgedächtnis sind in
komplexer Weise miteinander verknüpft.
Es zeigte sich, dass die Wiedererkennens- In den kognitionspsychologischen Modellen
leistung für die Droodles sehr viel besser spricht man von semantischen, propositio-
ausfiel, wenn bereits während der Dar- nalen oder neuronalen Netzwerken, um die-
bietung die für die jeweiligen Droodles se Verknüpfungen zu beschreiben. Konzep-
sinnhaften Beschreibungen der Bilder mit te, bildliche Vorstellungen und Skripte sind
genannt wurden (im Beispiel von in diese Netzwerke eingebunden und werden
䉴 Abb. 1.3 lautet sie »ein Mexikaner als »Knoten« eines Netzes beschrieben. Zwi-
auf einem Fahrrad«). schen den Knoten gibt es vielfältigste Ver-
bindungen (Relationen) unterschiedlichster

55
Teil I Lernen

Definition: Proposition, Schema, Skript


Der Begriff der Proposition stammt aus dem formalen System der Prädikatenlogik. Es
handelt sich dabei um die kleinste Bedeutung, den Sinn oder die eine Eigenschaft zuweisende
Informationseinheit, die ein Urteil darüber zulässt, ob eine Aussage richtig oder falsch ist.
Propositionen werden durch Notationen wie E (x) oder R (x, y) dargestellt, die sym-
bolisieren sollen, dass x die Eigenschaft E zugesprochen wird (z. B. »Der Schüler ist fleißig«)
bzw. dass x zu y in einer Beziehung R steht (z. B. »Tom liebt Mary«).
Schemata sind Wissenspakete, die als organisierte Wissenskomplexe typische Zusam-
menhänge eines Realitätsbereiches charakterisieren. Schemata repräsentieren nicht einfach
logische Definitionen für bestimmte Sachverhalte, sondern verallgemeinerte Erfahrungen,
die mit Gegenständen oder Ereignissen gemacht worden sind. Schemata (z. B. ORCHES-
TER) können ihrerseits Subschemata (z. B. STREICHER, BLÄSER) enthalten und selbst in
übergeordnete Schemata (z. B. MUSIK) eingebettet sein.
Spezielle Formen sehr komplexer Schemata werden in Anlehnung an Schank und Abelson
(1977) als Skripte bezeichnet. Sie repräsentieren verallgemeinertes Wissen über Hand-
lungsmuster und Ereignisabfolgen in wohldefinierten Situationen (z. B. KINDER-
GEBURTSTAG), stellen also eine Art mentales Regie- oder Drehbuch für typische Szenarien
dar.

Qualität und Stärke. Zu jedem beliebigen Schokoladenosterhasen) und die damit ver-
Zeitpunkt ist die Mehrheit der Knoten und bundenen Emotionen aktivieren.
ihrer Relationen inaktiv. Aktiviert ist ledig-
lich das, was einem gerade »durch den Kopf
geht« und dadurch zum Inhalt des Arbeits- Was erleichtert den Erwerb von
gedächtnisses wird. Bei der Aktivierung ei- Wissen?
nes Teilbereiches des Netzwerkes gilt das
erstmals von Collins und Loftus (1975) Drei der vier allgemeinen Prinzipien der
beschriebene Prinzip der Aktivierungsaus- Informationsverarbeitung (Aufmerksamkeit
breitung (»Spreading Activation«). Es be- zuwenden, hinreichende Wiederholung und
sagt, dass die Aktivierung eines Knotens Übung, Abgleich mit vorhandenen Wissen)
automatisch zu einer Aktivierung der mit sind Ausgangspunkt vieler Ansätze der an-
ihm verbundenen Knoten führt, wobei die gewandten Lernforschung geworden, in de-
Stärke dieser weiterführenden Aktivierung nen nach erleichternden Bedingungen des
von der Qualität und Stärke der Relationen Erwerbs von Wissen gesucht wurde. Um
abhängig ist. So entsteht eine Kaskade von Lernende dazu zu bringen, der dargebotenen
Aktivierungen im Wissensnetzwerk. Bei- Information erhöhte Aufmerksamkeit zuzu-
spielsweise kann die Aktivierung des Kon- wenden, finden sich in der einschlägigen
zeptes OSTERN zur Aktivierung von HASE, Literatur eine Reihe von Empfehlungen.
EI, FRÜHLING, SCHULFERIEN etc. füh- Sie reichen von einander widersprechenden
ren, aber auch akustische (z. B. Klänge der Aufforderungen wie »hin und wieder etwas
Bachschen Johannespassion) oder olfaktori- Unerwartetes zu tun«, bei der Verwendung
sche Repräsentationen (z. B. den Duft von von Beispielen zur Vertiefung eines Lern-
Osterglocken oder den Geschmack von gegenstandes aber »stets auf bereits Bekann-
tes zurückzugreifen« (Gage & Berliner,

56
1 Auffassungen über Lernen

1996, S. 383 f), bis hin zum Ratschlag, mög- seinen Studierenden sogenannte Einord-
lichst viele Modalitäten der Informations- nungshilfen zur Verfügung, bevor sie einen
darbietung und -verarbeitung zu nutzen. Text mit neuen Wissensinhalten lasen. Diese
Eine hinreichende Wiederholung und Einordnungshilfen führten zu besseren Ver-
Übung der relevanten Information wird stehens- und Behaltensleistungen. Da es Aus-
am ehesten durch Formen des aktiven Ler- ubel versäumte, das Konzept der Einord-
nens erzielt. Zu den schon in der ersten nungshilfen (Advance Organizer) genauer
Hälfte des 20. Jahrhunderts als empirisch auszuführen und deren Wirkmechanismen
erfolgreich belegten Einprägungshilfen ge- theoretisch zu präzisieren, ist es zu verschie-
hört das laute Aufsagen (Rezitieren), das denen Irritationen im Zusammenhang mit
nochmalige Durcharbeiten und Wieder- der Frage gekommen, wie eine für den Wis-
holen von bereits Gelerntem (Überlernen) senserwerb besonders günstige Vorstruktu-
und die Anwendung spezifischer Erinne- rierung oder Einordnungshilfe auszusehen
rungshilfen beim Enkodieren (Mnemotech- habe. Eine eher triviale Fehlauffassung ent-
niken). Bei den Mnemotechniken handelt es stand z. B. dadurch, dass Ausubels Begriff
sich um besondere Methoden zur Förderung des »Advance Organizer« bei manchen Au-
des Erlernens und Behaltens von Lerninhal- toren zum »Advanced Organizer« mutierte,
ten, die auf den ersten Blick nicht leicht zu also zu einer fortgeschrittenen, anstelle einer
behalten sind (z. B. eine Telefon- oder eine vorangestellten Ordnung. Dies trug zu der
Kontonummer, ein Name, eine Formel oder irrigen Überzeugung bei, dass vorangestellte
ein fremdsprachliches Wort). Viele dieser Zusammenfassungen des Lehrstoffs auf ei-
Techniken wurden schon in der Antike be- nem hohen Abstraktionsniveau besonders
nutzt (z. B. die Loci-Methode) und werden lernförderlich seien. Kurzum, es entstand
auch von Gedächtniskünstlern unserer Tage ein Wildwuchs an pädagogischen Überzeu-
noch angewandt und weiter entwickelt. Die gungen über die Art geeigneter vorangestell-
meisten Mnemotechniken basieren auf Ver- ter Einordnungshilfen, so dass es nicht allzu
knüpfungen bildhafter Vorstellungen (vgl. sehr überrascht, dass Barnes und Clawsen
zum Überblick Wippich, 1984; Metzig & (1975) bei einer kritischen Auswertung vor-
Schuster, 2003). liegender Wirksamkeitsstudien zu dem
In der wissensorientierten Lernforschung Schluss gelangten, die lernförderliche Wir-
am ausführlichsten untersucht sind jedoch kung der Advance Organizer sei vernach-
Hilfen, die das Verknüpfen neuer Wissens- lässigbar gering.
elemente mit bereits vorhandenem Wissen Mayer (1979) griff das Konzept des Ad-
befördern, um den Wissenserwerb zu opti- vance Organizer wieder auf und brachte es
mieren. Die bekanntesten Techniken dieser mit schematheoretischen Erklärungen des
Art sind die Vorstrukturierung des Lern- Textverstehens in Zusammenhang. Er wies
stoffs durch eine geeignete vorangestellte darauf hin, dass vorangestellte Einordnungs-
Zusammenfassung, die Bedeutungsanrei- hilfen wirksam sind, wenn sie beim Lernen-
cherung des Lernmaterials durch das gezielte den die verfügbaren Vorkenntnisse (geeig-
Anbieten von Assoziationen (vgl. auch nete Schemata) aktivieren, die es ermögli-
䉴 Kap. 1.1) sowie die hierarchische Glie- chen, die neuen Informationen an diese
derung von Lernmaterial und Lernabfolge Schemata anzupassen (zu assimilieren)
(vom Einfachen zum Komplexen). oder – wie Derry (1984) zu Recht hinzufügte
Die Anregung, neue Lernprozesse durch – die vorhandenen Schemata korrigierend zu
eine »erzwungene« Aktivierung bereits vor- erweitern (akkommodieren). So verstandene
handener Wissensinhalte zu optimieren, Advance Organizer sind also wichtige
stammt von David Ausubel (1960). Er stellte

57
Teil I Lernen

»Überbrückungshilfen«. Sie sind lernförder- Was beeinträchtigt den länger-


lich, wenn sie fristigen Zugriff auf erworbenes
● Beziehungen zwischen dem neu zu lernen-
Wissen?
den Material und bereits Bekanntem her-
stellen, Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass
● die Aufmerksamkeit des Lernenden we- einmal erworbenes Wissen in der »Biblio-
cken und thek« unseres Langzeitgedächtnisses kaum
● eher konkret als abstrakt formuliert sind. mehr verloren geht. Allerdings wird es in
einer die Zugänglichkeit beeinträchtigenden
Corkill (1992) hat eine zusammenfassende Weise deaktiviert, je länger wir es nicht mehr
Übersicht zur Wirksamkeit vorstrukturie- benutzt haben. Die Folge davon ist, dass wir
render Hinweise sensu Ausubel vorgelegt. immer wieder in Situationen geraten, in
Besonders effektive Formen der Vorstruktu- denen der Zugriff (Accessibility) auf einmal
rierung sind danach solche, die sich vor- erworbenes und prinzipiell vorhandenes
nehmlich jener Begriffe und Konzepte bedie- Wissen (Availability) nicht mehr gelingt. In
nen, mit denen die Lernenden mit großer solchen Situationen sprechen wir umgangs-
Wahrscheinlichkeit bereits vertraut sind. sprachlich davon, die relevante Information
vergessen zu haben. Was aber ist Vergessen?
Weshalb gelingt es mit zunehmendem Zeit-
Beispiel: Advance Organizer
abstand zum Lernen immer weniger gut, die
Eggen und Kauchak (2004) haben für den einmal gelernten Sachverhalte zu erinnern?
Physikunterricht vorgeschlagen, folgende Dass sich der Zugriff auf einmal erwor-
Analogie als Einordnungshilfe einer Un- bene Wissenselemente mit der Zeit ver-
terrichtseinheit zum Ohm’schen Gesetz schlechtert, ist schon seit den Anfängen
voranzustellen: Das Ohm’sche Gesetz der experimentellen Gedächtnisforschung
lässt sich mit einem Schüler vergleichen, im 19. Jahrhundert bekannt. Bereits im ers-
der eine Schubkarre über eine schlammi- ten erfahrungswissenschaftlichen Buch über
ge Straße zu schieben hat. Die Schubkraft, das Gedächtnis berichtete Hermann Ebbing-
die er dabei aufzuwenden hat, ist mit dem haus (1885) über Selbstversuche, in deren
elektrischen Strom vergleichbar. Die Tiefe Verlauf er lange Listen sinnarmer Silben
des Schlammes auf der Straße entspricht lernte, bis er sie korrekt reproduzieren konn-
der Stärke des Wiederstandes. Die Ge- te. In unterschiedlichen Zeitabständen von
schwindigkeit der Schubkarre in Abhän- 21 Minuten bis zu 31 Tagen versuchte er die
gigkeit von Schubkraft und Schlammtiefe Silbenlisten erneut aufzusagen und stellte
hat Ähnlichkeiten mit den Wirkmecha- fest, dass ihm dies fehlerfrei kaum mehr
nismen im elektrischen Stromkreislauf. gelang. Die Erinnerungseinbußen waren an-
fangs sehr groß und wurden mit zunehmen-
der Zeit immer geringer. Wie in 䉴 Abb. 1.4
Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass dargestellt, ließ sich das Verhältnis von noch
über Effekte vorangestellter Einordnungs- erinnerbarer Information und verstrichener
hilfen bei Lernprozessen im Primarstufen- Zeit durch eine Exponentialfunktion be-
alter bislang nur wenig bekannt ist. Pressley schreiben: Die Geschwindigkeit des Verges-
und McCormick (1995) vermuten, dass die sens folgt einer logarithmischen Funktion
Effekte solcher Hilfen bei jüngeren Kindern zur Basis ½. Seit den Pionierarbeiten von
weniger stark ausgeprägt sind. Ebbinghaus sind immer wieder aufs Neue
Vergessenskurven für unterschiedliche Ge-

58
1 Auffassungen über Lernen

dächtnisinhalte und über unterschiedlich ein vergleichsweise stark ausgeprägtes Ver-


lange Zeitintervalle sowie mit verschiedenen gessensverhalten aufzeigte, bestätigen die
Methoden der Behaltensprüfung ermittelt Folgeversuche immer wieder den gleichen
worden. Obwohl Ebbinghaus offenkundig Verlaufstyp des Vergessens mit der Zeit.

100

90

80
Behaltenes Material in Prozent

70

60

50

40

30

20

10

0
20 1 8 24 2 5 31
Min. Std. Stunden Stunden Tage Tage Tage
Zeitabstand zur Behaltensprüfung
Abb. 1.4: Die klassische Vergessenskurve nach Ebbinghaus (1885), modifiziert nach Baddeley (1986)

Wodurch aber kommt es zu Vergessen? In weniger deutlich zu sehen sein – und eine
der empirischen Gedächtnisforschung geht starke Sonneneinstrahlung bleicht farbliche
man davon aus, dass es wenigstens drei Strukturen aus. Genau so können auch die
Arten von Mechanismen gibt, die zum Ver- Repräsentationen erworbenen Wissens mit
gessen beitragen können. Dabei handelt es der Zeit undeutlicher und schwächer wer-
sich a) um den Zerfall von Gedächtnisspuren den. Obwohl derzeit weder die physika-
im Langzeitgedächtnis, b) um die wechsel- lischen, noch die biochemischen Mechanis-
seitige Hemmung von Gedächtnisinhalten men, die einen derartigen Spurenzerfall von
durch Überlagerung sowie c) um das Schei- Repräsentationen im Gedächtnis auslösen
tern des Zugriffs beim versuchten Abruf könnten, hinreichend bekannt sind, ist es
mangels geeigneter Hinweisreize. doch denkbar, dass es aufgrund neuronaler
Die Theorie des Spurenzerfalls (Trace Prozesse zu einem zeitabhängigen Verblas-
Decay) kommt dem naiven Alltagsverständ- sen mentaler Repräsentationen kommen
nis des Vergessens wahrscheinlich am nächs- kann.
ten. Muskeln, die nicht benutzt werden, Darüber hinaus ist seit den Arbeiten von
atrophieren, das heißt, sie verlieren an Um- McGeogh (1932) bekannt, dass Ausmaß
fang und an Kraftpotenzial. Tierspuren auf und zeitlicher Verlauf des Vergessens auch
dem Waldboden werden von Tag zu Tag davon abhängig sind, was direkt vor oder

59
Teil I Lernen

nach der kritischen (d. h. nicht mehr erinner- Daraus folgt, dass der Zugriff auf erworbe-
baren) Wissenseinheit gelernt wurde. Diese nes Wissen umso besser gelingt, je mehr
Erkenntnis ist die Grundlage der sogenann- Hinweise aus der Lernsituation, in der das
ten Interferenz- bzw. Überlagerungstheorie Wissen einstmals erworben wurde, auch in
(Interference) des Vergessens. Durch Prozes- der Abrufsituation verfügbar sind. Ein gutes
se des Wissensabgleichs bei der Verarbeitung Beispiel für das Prinzip der Enkodierungs-
neuer Informationen kann es zu wechselsei- spezifität ist die von Lehrern nicht selten
tig hemmenden Einflüssen schon vorhande- berichtete Beobachtung, dass ihre Schüler
nen Wissens auf die neue Information (pro- in Prüfungen dann bessere Leistungen zei-
aktive Hemmung bzw. Interferenz) kom- gen, wenn diese auch in dem Raum statt-
men. Es können aber auch die neuen Infor- finden, in dem der Prüfungsstoff erarbeitet
mationen Irritationen verursachen, indem wurde. Offenkundig bieten Merkmale des
sie die bereits vorhandenen Wissensreprä- räumlichen Kontexts einer Lernepisode be-
sentationen beeinträchtigen (retroaktive reits Hinweisreize, die beim späteren Wis-
Hemmung bzw. Interferenz). Indem wir sensabruf hilfreich sind (Herz, 1997).
ständig neue Informationen verarbeiten,
sind derartige Überlagerungs- oder Hem-
mungsprozesse auch ständig am Werk. Wie lässt sich die Verfügbarkeit
Um diese Formen des Vergessens modellhaft von Wissen erhöhen?
zu erklären, ist ein Rückgriff auf bioche-
mische Prozesse gar nicht unbedingt erfor- »Übung macht den Meister«, sagt ein altes
derlich. Einen guten Überblick über die ko- Sprichwort. Es ist Ausdruck der Binsenweis-
gnitionspsychologischen Erklärungsansätze heit, dass häufiges Wiederholen zu einer
solcher Interferenzprozesse gibt Anderson zunehmend besseren Verfügbarkeit von
(2000). Kenntnissen und vor allem von Fertigkeiten
Wenn wir ein einmal erworbenes Wissen führt. Das wiederholte Durchgehen des klei-
nicht mehr abrufen können, muss dies nicht nen Einmaleins im Mathematikunterricht,
unbedingt die Folge von Spurenzerfall oder das wiederholte Spielen einer Etüde beim
Interferenz sein. Möglicherweise fehlt uns Instrumentalunterricht oder das wiederholte
nur der notwendige Schlüssel (die Signatur), Aufsagen der Strophen einer Ballade basie-
also ein geeigneter Abrufhinweis, um die ren auf dieser Einsicht.
relevanten Repräsentationen hinreichend Die einfache Regel, dass die Menge des
stark zu aktivieren, damit sie im Arbeits- erworbenen Wissens linear von der für das
gedächtnis bewusst werden. Dies ist die Lernen aufgewendeten Zeit abhängig ist,
Grundannahme der Theorie des fehlenden hatte bereits Ebbinghaus (1885) in seinen
Abrufhinweises (Retrieval Cue), die auf dem zahlreichen Selbstversuchen herausgefun-
von Tulving und Thomson (1973) erstmals den. Aber lässt sich die Lerneffizienz der
beschriebenen Prinzip der Enkodierungsspe- Übungszeit noch optimieren? Eine gute
zifität basiert: Möglichkeit, die Effizienz von Lernzeit zu
Was gespeichert wird, ist determiniert durch erhöhen, besteht darin, geeignete Lernstra-
das, was wahrgenommen wurde und wie es tegien oder Mnemotechniken einzusetzen
enkodiert wurde; gleichzeitig wird dadurch (䉴 Kap. 2.3). Gelingt es nämlich, Informa-
auch bestimmt, welche Abrufhinweise effektiv tionen möglichst multipel und elaborativ zu
sind, um später Zugriff auf das zu erlangen,
kodieren und nach unterschiedlichen Ge-
was gespeichert ist. (Tulving & Thomson,
1973, S. 353) sichtspunkten mehrfach mit dem bereits vor-
handenen Wissensnetz zu verknüpfen, dann
erhöht sich nach dem Prinzip der Enkodie-

60
1 Auffassungen über Lernen

rungsspezifität (s. o.) auch die Wahrschein- schen den Lernwiederholungen beim verteil-
lichkeit, dieses Wissen langfristig und in ten Üben besonders vorteilhaft sind. Die
unterschiedlichen Kontexten verfügbar zu dabei zusammengetragenen Befunde ver-
haben. Mit der Qualität des Lernens steigt anlassten Landauer und Bjork (1978) dazu,
die Wahrscheinlichkeit des Behaltens und eine entsprechende Empfehlung auszuspre-
damit des Vermögens, das gelernte Wissen chen. Die optimale Strategie besteht dem-
zu erinnern. nach darin, die erste Wiederholungsphase
Die Effizienz der Übungszeit lässt sich nach einem möglichst großen (aber nicht zu
aber auch auf andere Weise weiter verbes- großen) Zeitintervall einzuplanen – also zu
sern, wie vor allem Baddeley (1998) syste- einem Zeitpunkt, wo die neu gelernten In-
matisch aufgezeigt hat. Bereits dem Früh- formationseinheiten gerade noch korrekt
werk von Ebbinghaus (1885) konnte er erinnert werden können. Das Zeitintervall
Hinweise entnehmen, dass es wirkungsvoller bis zur zweiten Wiederholungsphase kann
zu sein scheint, die Lernzeit auf verschiedene dann nach dem gleichen Grundprinzip sogar
Lerngelegenheiten innerhalb eines längeren noch etwas größer sein. Von Wiederholung
Zeitraums zu verteilen, als sie in einen ein- zu Wiederholung werden die Zeitintervalle
zigen Lernblock zusammenzufassen. Diese zwischen den Lerndurchgängen dann immer
Erkenntnis ist auch als Effekt der verteilten größer gewählt (Expanding Rehearsal Stra-
Übung bekannt. tegy).
In den 1970er Jahren ist man der Frage
nachgegangen, welche Zeitintervalle zwi-

Studie: Die Wirksamkeit verteilter Übung


Anfang der 1970er Jahre wurden Baddeley und Kollegen vom britischen Postministerium
beauftragt, ein Programm für einen Lehrgang auszuarbeiten, um den Postbeamten
möglichst gut und schnell das Schreiben mit einer neuen Kodiermaschine zu vermitteln.
Die Maschinen waren angeschafft worden, um die damals neu eingeführte Postleitzahl-
systematik leichter bewältigen zu können. Die Postämter standen vor der Wahl, ihre
Beamten entweder für einen Intensivkurs vollständig aus der regulären Arbeit heraus-
zunehmen oder begleitend zur regulären Arbeitszeit kurze Übungsphasen einzurichten.
Baddeley und Mitarbeiter boten vier geeignet erscheinende Ausbildungspläne an: (a) einen
Intensivkurs von zweimal zwei Übungsstunden, d. h. insgesamt vier Stunden pro Tag; (b)
einen Kurs mit einmal zwei Übungsstunden pro Tag; (c) einen Kurs mit zweimal einer
Übungsstunde pro Tag und schließlich (d) einen Kurs mit einer einzigen Übungsstunde pro
Tag.
Ergebnis: Wer nur eine Stunde pro Tag übte, benötigte für das Erlernen der neuen
Fertigkeit insgesamt weniger Lernzeit als diejenigen, die zwei Stunden geblockt gelernt
hatten und diese wiederum lernten schneller als diejenigen mit den vier Übungsstunden pro
Tag. Nach insgesamt 55 Trainingsstunden hatten diejenigen mit nur einer Übungsstunde
pro Tag so viel gelernt, wie die anderen mit ihren vier Trainingsstunden pro Tag erst nach 80
Übungsstunden (vgl. Baddeley & Longman, 1978).
Rawson und Kintsch (2005) gingen der Frage nach, ob sich der Vorteil des verteilten
Lernens auch beim Lernen durch Lesen nachweisen lässt. Sie ließen Studienanfänger
wissenschaftliche Texte lesen, deren Inhalt später abgefragt wurde. Ein Teil der Studie-
renden las den Text zwei Mal hintereinander (massiertes Lernen), ein anderer Teil las ihn

61
Teil I Lernen

zwei Mal im Abstand von sieben Tagen (verteiltes Lernen). Die Abfrage der Inhalte erfolgte
in zwei Varianten: entweder unmittelbar nach dem zweiten Lesen des Textes oder aber mit
zwei Tagen Verzögerung. Bei der unmittelbaren Behaltensprüfung zeigte sich ein Vorteil des
massierten Lernens, nicht aber bei der verzögerten Testung. Hier erinnerten jene Studie-
renden mehr, die den Text im Abstand von sieben Tagen zwei Mal gelesen hatten.

1.4 Lernen als Konstruktion von Wissen

Unsere Darstellung der Auffassungen von gets zur ontogenetischen Entwicklung der
Lernen als Erwerb von Wissen wäre nicht Erkenntnismöglichkeiten des Menschen,
vollständig, wenn wir nicht auf eine wichtige verwiesen Lerntheoretiker zu allen Zeiten
Differenzierung in der Vorstellung darüber, stets auch auf den aktiven und vom lernen-
was genau Wissenserwerb eigentlich ist, auf- den Individuum selbst kontrollierten Cha-
merksam machten. Kognitionspsycholo- rakter des Wissenserwerbs. Um das damit
gisch betrachtet wird Wissen erworben, in- verbundene »aktive« und selbsttätige Men-
dem mentale Abbilder (Repräsentationen) schenbild besonders hervorzuheben, spricht
des Reizmaterials als Resultate der Informa- man in diesem Zusammenhang von einem
tionsverarbeitung in Form von Regeln und konstruktivistischen Lernverständnis.
Konzepten produziert und gespeichert wer- Obwohl die Auffassung vom Lernen als
den. Aber erfolgt aller Wissenserwerb nach Konstruktion individuellen Wissens eher
dem mechanischen Regelwerk unseres Infor- eine Variante denn eine Alternative zur Auf-
mationsverarbeitungssystems? Ist unser Wis- fassung vom Lernen als Wissenserwerb
sen tatsächlich ein abgeleitetes Produkt, das (䉴 Kap. 1.3) darstellt, hat die mit ihr ver-
sich aus den objektiven Reizinformationen, bundene Grundauffassung des Konstrukti-
die wir wahrnehmen und verarbeiten, und vismus in der Psychologie eine weitaus län-
aus den Mechanismen des Gedächtnisses gere Tradition. Im Folgenden skizzieren wir
eindeutig vorhersagen lässt? Sind wir den zunächst diese Tradition über die Gestalt-
äußeren Reizen und den inneren Verarbei- psychologie und die Schematheorie Bartletts
tungsmechanismen »hilflos« ausgeliefert? bis hin zur strukturgenetischen Sichtweise
Viele kognitive Lerntheoretiker haben da- Piagets. Es folgen eine beispielhafte Darstel-
rauf aufmerksam gemacht, dass die infor- lung konstruktivistischer Vorstellungen des
mationstheoretische Lernvorstellung alleine Wissenserwerbs anhand der von Hans Aebli
nicht ausreicht, um das behavioristische (1980, 1981) vertretenen Auffassung sowie
Erbe eines »passiven Menschenbildes« zu einige abschließenden Anmerkungen über
überwinden. In der Tradition der Gestalt- die Kernannahmen der Auffassung vom Ler-
psychologie, wie sie von Max Wertheimer, nen als Konstruktion von Wissen.
Wolfgang Köhler und Kurt Lewin vertreten
wurde, der Schematheorie von Frederick
Bartlett mit der Betonung des rekonstrukti-
ven Charakters unserer Erinnerungen sowie
der strukturgenetischen Sichtweise Jean Pia-

62
1 Auffassungen über Lernen

Wissenserwerb aus der Die Schematheorie von Bartlett


Perspektive der Gestalt-
psychologie Der im Zusammenhang mit den Repräsen-
tationsformaten unseres Wissens im Lang-
Wissenserwerb, Lernen und Vergessen ge- zeitgedächtnis bereits erwähnte Begriff des
hören eigentlich nicht zu den zentralen The- Schemas wurde ursprünglich von dem der
men der Gestaltpsychologie, die vor allem im Gestaltpsychologie nahestehenden Briten
Bereich der Wahrnehmung wichtige Beiträge Bartlett (1932) eingeführt.
geleistet hat. Besonders bekannt sind die Unter einem Schema ist die aktive Organisation
gestaltpsychologischen Gesetze zur Wahr- vergangener Reaktionen oder Erfahrungen zu
nehmungsorganisation, die besagen, dass verstehen, die dem Organismus eine gute An-
wir Reizanordnungen ganzheitlich wahr- passung ermöglicht. [. . .] Schemata sind seriell
organisiert, wirken jedoch nicht unabhängig
nehmen und dass wir in Abhängigkeit
voneinander, sondern als einheitliche Masse.
vom Kontext und der Organisation von (Bartlett, 1932, S. 201)
Reizen dazu tendieren, »gute« Gestalten
bzw. Figuren wahrzunehmen (Wertheimer, Bartlett legt zwar keine Theorie des Wissens-
1923). erwerbs vor, seine Ausführungen über die
Die Vorstellung, dass unsere Wahrneh- aktiven hierarchisch organisierten Schema-
mung in ganzheitlicher und interpretieren- ta, die sich aus den Reaktionen und Erfah-
der Form erfolgt, ist aber nicht ohne Aus- rungen der Vergangenheit zusammensetzen,
wirkungen auf die Überlegungen zur Natur deuten jedoch bereits die konstruktivistische
des Lernens geblieben. Den Gedanken näm- Natur des erworbenen Wissens an. Zu den
lich, dass Lernen nicht nur durch eine kon- bekanntesten empirischen Untersuchungen
tinuierliche Bildung von Assoziationen von- von Bartlett gehören seine Demonstrationen
statten gehe, wie es Thorndike (1913 b) des rekonstruktiven Charakters des Verste-
postuliert hatte, sondern auch durch eine hens und Behaltens von Texten. So gab
schlagartig entstehende Einsicht in soge- Bartlett seinen Probanden z. B. einen Text
nannte Feldstrukturen, formulierte schon vor, der von einer indianischen Sage handelt
Köhler (1921) aufgrund seiner berühmt ge- und einige Ereignisse enthält, die den Teil-
wordenen Experimente zum Problemlöse- nehmern der Untersuchung fremd und un-
verhalten von Menschenaffen. Das Konzept verständlich erscheinen mussten. Die an-
des Lernens durch Einsicht oder – wie es schließenden Wiedergaben des Textes durch
Wertheimer (1945) in seinem Spätwerk for- die Untersuchungsteilnehmer wiesen deutli-
mulierte – durch produktives Denken, bei che quantitative und vor allem qualitative
dem das Üben und Wiederholen weniger der Unterschiede zum Original auf. Randstän-
Konsolidierung von Gedächtnisrepräsenta- dige und unpassend erscheinende Details
tionen dient als vielmehr Gelegenheit bietet, wurden häufig weggelassen, andere wurden
neue Beziehungen oder Strukturen über- umgedeutet. Auf diese Weise wurde der
haupt erst entdecken zu können, ist ein unvertraute Inhalt »sinnvoller« gemacht.
gestaltpsychologischer Vorläufer der kon- Bartlett nahm das als Beleg dafür, dass das
struktivistischen Auffassung von Lernen. Erinnern komplexer Textinformationen eher
durch Rekonstruktions- als durch Repro-
duktionsprozesse geprägt sei. Die Interpre-
tation und Repräsentation wahrgenom-
mener Ereignisse und Sachverhalte werde
wesentlich durch die bereits vorhandenen

63
Teil I Lernen

Schemata und Einstellungen bestimmt und ein Gleichgewicht zwischen den sinnlichen
geformt. Reizinformationen werden also Erfahrungen und den mentalen Repräsenta-
nach Bartletts Vorstellungen nicht passiv tionen von der Welt wiederherzustellen.
aufgenommen, repräsentiert und verarbei- Piaget (1937) bringt den Aufbau des
tet. Sie werden vielmehr schemageleitet von kindlichen Weltwissens mit dem Erlernen
Beginn an aktiv verarbeitet und in sehr früher Handlungsschemata in Verbindung:
subjektiver Weise transformiert. In dem Maße, in dem das Kind z. B. die
Fähigkeit entwickelt, versteckte Gegenstän-
de wiederzufinden, entwickelt es sein
Die strukturgenetische Schema von der überdauernden Existenz
Sichtweise von Piaget von Gegenständen (Objektpermanenz);
über die Erfahrung, bestimmte Ziele über
Bereits einige Jahre vor dem Erscheinen von bestimmte Handlungen erreichen zu kön-
Bartletts (1932) Buch »Remembering« hat nen, entwickelt sich sein Begriff von Kausa-
Piaget ebenfalls einen Schemabegriff ver- lität; in dem Maße, wie es im Hause oder in
wendet. Bei seinen Versuchen, die Entwick- der Wohnung lernt, vorhandene Wege in alle
lung der Lernfähigkeit und die Entstehung möglichen Richtungen zu beschreiten, ent-
des Weltbildes beim Kinde zu erklären, führ- wickelt sich eine individuelle »kognitive
te er zunächst den Begriff des Verhaltens- Landkarte« der Räumlichkeit sowie seine
schemas ein, um die sensomotorischen Ver- Raumvorstellung überhaupt. In diesem Sin-
haltenskompetenzen des Kleinkindes zu be- ne wird die Beschreibung der kognitiven
schreiben. Angeborene Reflexe – so Piaget – Entwicklung beim Kinde zum Prototypen
werden durch Wiederholung (sogenannte des Verständnisses vom Lernen als selbst-
Kreis- bzw. Zirkulärreaktionen) zu schema- tätige Konstruktion eines eigenen Weltwis-
tischen Mittel-Ziel-Repräsentationen aus- sens.
gebaut (z. B. zu einem Saugschema: »Wenn
ich Hunger habe, muss ich an etwas saugen,
um satt zu werden«). Später führte Piaget Der Aufbau von
den Begriff der Operationen ein, um deutlich Wissensstrukturen nach Aebli
zu machen, dass mit zunehmendem Lebens-
alter des Kindes Schemata mehr sind als Der aus der Tradition Piagets kommende
bloße Verhaltensmuster. Operationen sind Berner Erziehungswissenschaftler und Psy-
gedankliche Probehandlungen, die den chologe Hans Aebli hat in seinem Spätwerk
Schemabegriff auf der Ebene des inneren »Denken: Das Ordnen des Tuns« (1980,
Handelns fortsetzen. 1981) ein Modell für den Aufbau begriff-
In seinen Arbeiten über das kindliche Welt- lichen Wissens vorgelegt. Dieses Modell ist
bild hat Piaget dargelegt, dass von Anfang an eher deskriptiv und phänomenbezogen als
Schemata die Erkenntnisinstrumente des Kin- empirisch fundiert. Aebli postuliert drei zen-
des sind. Neue Informationen, die nicht in ein trale Mechanismen, die den Verstehenspro-
Schema passen, werden durch Uminterpre- zessen zugrunde liegen:
tationen »passend gemacht« (Assimilation).
Im Laufe der Entwicklung kommt es jedoch 1. Verknüpfen und wieder Zerlegen
immer wieder zu größeren Diskrepanzen 2. Verdichten (Objektivieren) und wieder
zwischen vorhandenen Schemata und neuen Auseinanderfalten (Dekomponieren)
Informationen bzw. Erfahrungen, so dass die 3. Strukturieren und Restrukturieren
vorhandenen Schemata verändert und ange-
passt werden müssen (Akkommodation), um

64
1 Auffassungen über Lernen

Durch die Objektivierung wird eine Aussage, vertreter kann ein Wort, ein algebraisches Zei-
eine Operation oder eine wahrgenommene Be- chen oder das wahrgenommene oder vorge-
ziehung in einen einfachen Stellvertreter pro- stellte Bild eines Objektes oder eines seiner Teile
jiziert und durch diesen vertreten. Der Stell- sein. (Aebli, 1981, S. 119)

Beispiel: Verknüpfen, Verdichten und Strukturieren


Steiner (2006, S. 167 ff) hat die Vorstellungen Aeblis zum Zusammenspiel dieser drei
interagierenden Prozesspaare anhand des Erlernens des (noch unbekannten) Begriffs
»Zeuge« mit Hilfe der folgenden Satzfolge veranschaulicht:
»Ein junger Mann (1) raubt (3) einer alten Frau die Handtasche (2). Peter (4), der gerade
zur Schule geht, beobachtet (5) diesen Raub (6). Er (4) berichtet (8) seine Beobachtung (7)
der Polizei (9). Dieser Peter ist ein Zeuge (10).«
Wichtig für die Konstruktion des Begriffs »Zeuge« in diesem Beispiel sind nun Aebli
zufolge erstens das Verknüpfen von begrifflichen Elementen durch Relationen (z. B. die
Verknüpfung von JUNGER MANN und HANDTASCHE DER ALTEN FRAU durch das
Verb RAUBEN oder die Verknüpfung von PETER und SCHULE durch das Verb GEHEN)
und zweitens das Verdichten der Ketten verknüpfter Elemente zu Elementen oder Objekten
höherer Ordnung (z. B. Verdichten der beiden gebildeten Verknüpfungen »junger Mann –
rauben – Handtasche der alten Frau« und »Peter – gehen – Schule« durch RAUB [der
Handtasche der alten Frau durch jungen Mann] wird von PETER [gehen zur Schule]
BEOBACHTET). Aebli nennt diesen Verdichtungsprozess Objektivierung, da durch ihn
neue Objekte des Denkens gebildet werden, die dann auch wieder für weitere Verknüp-
fungen zur Verfügung stehen.

Die weiterführenden Verknüpfungen führen Dem ausgeführten Beispiel lässt sich entneh-
beim Textlesen zum Fortschreiten der Sinn- men, dass der Aufbau von Wissensstruktu-
oder Bedeutungsfindung. Die Prozesse des ren durch eine Art »denkendes Lernen«
Verknüpfens und Verdichtens treten dabei erfolgt. Es gibt aber in Hans Aeblis Vorstel-
abwechselnd in einem Umfange auf, wie es lungen zum Begriffserwerb auch ein Pendant
die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses des zum Üben und Wiederholen der verhaltens-
Lernenden zulässt, und in Abhängigkeit von orientierten Lerntheorie, nämlich den Pro-
der bereits vorhandenen Wissensstruktur. zess der Konsolidierung:
Für das im Kasten oben geschilderte Beispiel Damit meinen wir, dass es einen Vorgang gibt,
heißt das: Kannte der Lernende vorher den in dessen Verlauf eine neu entstandene Ver-
Begriff »Zeuge« noch nicht, dann kann er haltensstruktur, ein Handlungsablauf, eine
diesen neuen Begriff in das Netzwerk seiner Operation, eine Art des Sehens oder Deutens
eines Gegenstandes, aber auch ein kognitiver
Wissensstruktur nun leicht mit aufnehmen
Metaprozess wie derjenige des Problemlösens,
(Strukturieren) oder aber er wird bislang »solider« werde, also prompter, sicherer und
vorhandene Misskonzepte (z. B. wenn er geläufiger ablaufe. (Aebli, 1981, S. 350)
bisher dachte, ein Zeuge sei eine Person,
die von Haustür zu Haustür geht, um ihre
religiöse Überzeugung an andere weiter zu
geben) präzisieren, erweitern oder korrigie-
ren (Restrukturieren).

65
Teil I Lernen

Kernannahmen der Informationen interpretiert und akzentuiert


konstruktivistischen Auffassung werden. Subjektive Vorerfahrungen und In-
tentionen von Lernenden sind deshalb we-
von Lernen sentliche Rahmenbedingungen des Wissens-
aufbaus.
Aus den bisherigen Ausführungen dürfte In konstruktivistischen Ansätzen zum
bereits deutlich geworden sein, dass die Lernen wird außerdem die Bedeutung der
konstruktivistische Sicht von Wissenserwerb selbstverantwortlichen Überwachung und
von einem individuellen Aufbauprozess (im Kontrolle des eigenen Lernens betont. Solche
Unterschied zu einem mechanischen Abbil- unterstützenden Prozesse des aktiven Ler-
dungsprozess) ausgeht. Der Fokus liegt mehr nens sind seit den 1970er Jahren auch unter
auf dem Verstehen als auf dem Behalten von der Überschrift »Metakognition« erforscht.
Information. Durch die Betonung des Ver- Unter Metakognition versteht man
stehens stehen auch eher die Prozesse des
Wissenserwerbs als die Formate der Wis- eine Reihe von Phänomenen, Aktivitäten und
sensrepräsentation im Vordergrund des In- Erfahrungen, die mit dem Wissen und der
Kontrolle über eigene kognitive Funktionen
teresses. Der lernende Mensch wird als ziel- (z. B. Lernen, Gedächtnis, Verstehen, Denken)
gerichtet Handelnder aufgefasst, der aktiv zu tun haben. Metakognition hebt sich von den
nach Informationen sucht, diese vor dem übrigen mentalen Phänomenen, Aktivitäten
Hintergrund seines Vorwissens interpretiert und Erfahrungen dadurch ab, dass kognitive
Zustände oder Funktionen die Objekte sind,
und daraus neue Konzepte und Auffassun- über die reflektiert wird. Sie können daher
gen über die Wirklichkeit ableitet. Kommandofunktionen der Kontrolle, Steue-
Auch in der kognitiv-konstruktivistischen rung und Regulation während des Lernens
Sichtweise wird Lernen als Informationsver- übernehmen. [. . .] Die Fähigkeit über eigene
arbeitung verstanden. Zugleich wird jedoch Gedanken und eigenes Verhalten zu reflektie-
ren spielt eine wichtige Rolle für ein planvolles
der individuelle und konstruktive Charakter und selbstregulatives Lernen. (Hasselhorn,
des Wissensaufbaus hervorgehoben. Wissen 2010 a, S. 541)
wird nicht passiv aufgenommen oder erwor-
ben, sondern aktiv konstruiert. Durch seine Die Auffassung vom Lernen als Konstruk-
Eigenaktivität konstruiert der Lernende eine tion von Wissen findet ihren Niederschlag
mentale (und notwendigerweise subjektive) auch in den Auffassungen über Lehren und
Repräsentation der neuen Informationen. in den Methoden erfolgreichen Lehrens
Subjektiv ist diese Wissenskonstruktion in- (䉴 Kap. 5 und 6). Es sei bereits an dieser
sofern, als es sich dabei stets um eine Inter- Stelle darauf hingewiesen, dass sich viele
pretation und Bedeutungszuschreibung auf Phänomene des Lerntransfers (vgl. dazu
der Basis bereits bestehender Wissensele- ausführlicher 䉴 Kap. 3.3) ohne den kon-
mente und Lernintentionen handelt. Die struktivistischen Charakter von Lernen
Hervorhebung des konstruktiven Elements kaum erklären ließen.
lässt den Unterschied zu den frühen kogni-
tionspsychologischen Lerntheorien deutlich
werden: Dort wird Wissenserwerb eher im
Sinne einer passiv-rezeptiven Aufzeichnung
oder als kumulative Anhäufung von Infor-
mationsbausteinen verstanden. Gemäß der
kognitiv-konstruktivistischen Vorstellung
von Lernprozessen ist der Wissensaufbau
aber ein aktiver Prozess, in dessen Verlauf

66
1 Auffassungen über Lernen

Zusammenfassung
Unter Lernen versteht man überdauernde Änderungen im Verhaltenspotenzial als Folge von
Erfahrungen. Antworten auf die Frage, welche Prozesse diesen Änderungen zugrunde liegen
und durch welche Art von Erfahrungen sie ausgelöst werden, fallen je nach theoretischer
Position recht unterschiedlich aus.
Aus assoziationstheoretischer bzw. konnektionistischer Sicht liegen den lernbasierten
Änderungen des Verhaltenspotenzials durch Kontingenz entstandene Assoziationen zwi-
schen Reizen und Reaktionsimpulsen bzw. zwischen verschiedenen Reizinformationen
zugrunde. Sie werden ausgelöst durch raum-zeitliche Nähe oder andere Beziehungen mit
Vorhersagegehalt.
Aus radikal-behavioristischer Sicht sind die dem Lernen zugrunde liegenden Prozesse
nicht von Interesse. Interessant sind lediglich die Reizbedingungen, die die Verhaltens-
änderungen auslösen. Durch Kontrolle der für den Lernenden attraktiven Reize, etwa nach
den Prinzipien variabler Verstärkungspläne, lässt sich Verhalten gezielt formen.
Kognitive Lerntheorien sehen im Aufbau und der Änderung von Wissen den zentralen
Prozess des Lernens. Als Beschreibungsrahmen für diesen Prozess wird auf Modelle der
menschlichen Informationsverarbeitung zurückgegriffen. Auf der Grundlage dieser Mo-
delle hat man differenzierte Beschreibungen der zum Wissenserwerb führenden Mecha-
nismen des Gedächtnisses vorgelegt. Das schließt Vorstellungen, die den konstruktivisti-
schen Charakter des individuellen Wissensaufbaus betonen, mit ein.

Literaturhinweis
Steiner, G. (2007). Lernen (4. Aufl.). Bern: Huber.

67
2 Erfolgreiches Lernen als gute
Informationsverarbeitung

Welche der in 䉴 Kap. 1 dargestellten Auf- ten Unzufriedenheit mit dem schulisch-insti-
fassungen vom Lernen man auch bevorzugt, tutionellen Lernen, die durch die Ergebnisse
sie implizieren, dass Lernen ein allgegenwär- der nationalen und internationalen Schul-
tiges Phänomen ist: Wir alle lernen vom leistungsvergleiche neue Nahrung erhielt,
Beginn unseres Lebens an; ein Leben ohne sind wir davon überzeugt, aufgrund der
Lernen ist schlichtweg nicht möglich. Den- Theorien und Befunde der pädagogisch-psy-
ken wir allerdings an das Lernen in Schule, chologischen Lehr-Lern-Forschung ein hoff-
Aus- und Weiterbildung, so interessiert we- nungsvolles Bild vom Lernen skizzieren zu
niger die Tatsache, dass dort Lernen statt- können. Es gibt durchaus Grund zum Op-
findet, sondern eher die Frage, wie bzw. timismus. Wir wissen nämlich mittlerweile
unter welchen Bedingungen dieses Lernen recht viel – wenn auch bei weitem noch nicht
erfolgreich verläuft. alles – darüber, wie erfolgreiches Lernen
Der Begriff des erfolgreichen Lernens möglich wird.
weckt unmittelbar die Vorstellung, dass Die Frage nach den Prinzipien erfolgrei-
sich lernende Personen in ihren Lernaktivi- chen Lernens lässt sich in der Pädagogischen
täten und im Erfolg dieser Aktivitäten von- Psychologie grundsätzlich aus zwei verschie-
einander unterscheiden (interindividuelle denen Perspektiven heraus beantworten: aus
Differenzen). Hinzu kommt, dass eine ein- der des Lehrenden und aus der des Lernen-
zelne Person nicht immer gleich erfolgreich den. Die Perspektive des Lehrenden führt zu
in ihren Lernbemühungen ist (intraindividu- Instruktionsmethoden und zu Lehrprinzi-
elle Variabilität). Es ist daher nicht verwun- pien, die besonders günstig für ein zielori-
derlich, dass das Thema »Erfolgreiches Ler- entiertes Lernen sind. Solche Konzepte und
nen« im Folgenden aus einer differenziellen Prinzipien werden im zweiten Teil dieses
Perspektive bearbeitet wird. In der Differen- Lehrbuches (insbesondere in 䉴 Kap. 5 und
tiellen Psychologie geht es um die Beant- 6) vorgestellt. Im vorliegenden Kapitel wird
wortung der Frage, warum es zwischen Per- die Frage nach dem erfolgreichen Lernen aus
sonen systematische interindividuelle Unter- der Perspektive des Lernenden beantwortet.
schiede gibt und warum einzelne Personen Hierzu ist es zunächst hilfreich, die wich-
von Situation zu Situation in ihren Verhal- tigsten individuellen Voraussetzungen dar-
tensweisen mehr oder weniger stark variie- zulegen, die zum erfolgreichen Lernen ge-
ren. Im Unterschied zu einer allgemeinpsy- hören.
chologischen Betrachtung von Lernen Als Ausgangspunkt bietet sich das Ende
(䉴 Kap. 1), bei der die Frage im Vordergrund der 1980er Jahre von Pressley, Borkowski
steht, was Lernen im Allgemeinen ist und wie und Schneider (1989) skizzierte Modell der
es prinzipiell funktioniert, wechseln wir in »guten Informationsverarbeitung« an, das
diesem Kapitel also von einer allgemeinen zu sogenannte GIV-Modell (im Folgenden
einer differenziellen Perspektive. Trotz oder wird auch von den Guten Informations-Ver-
vielleicht gerade wegen der häufig geäußer- arbeitern als GIVs gesprochen). Auf der Basis

68
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

der Informationsverarbeitungsmodelle des und Leistungsentwicklung mit sich. Pressley


menschlichen Gedächtnisses (䉴 Kap. 1.3) et al. (1989) sprechen davon, dass die »guten
haben die Autoren das strategische und re- Informationsverarbeiter« zudem häufiger
flexive Verhalten der Lernenden als Grund- die Gelegenheit bekommen, sich in »güns-
lage allen erfolgreichen Lernens bezeichnet. tigen« Lernumgebungen zu bewähren.
Sie sind der Überzeugung, dass ein planvolles Besondere Bildungsressourcen, wie sie z. B.
und selbstgesteuertes, also selbstreguliertes Eliteschulen bieten, werden vornehmlich jenen
Lernverhalten Voraussetzung für das Erler- zugewiesen, von denen man erwartet, dass sie
nen aller bedeutungshaltigen Inhalte ist am meisten davon profitieren. Auch haben
Studierende, die ihr Examen mit einer Aus-
(Pressley & McCormick, 1995).
zeichnung bestehen, weitaus größere Chancen
nachfolgend eine Stelle in Forschungsprojekten
Das Modell der guten Informationsverarbei- der Fakultät angeboten zu bekommen als Stu-
tung. Beim GIV-Modell handelt es sich um dierende mit einem durchschnittlichen Exa-
eine Art Merkmals- oder Checkliste erfolg- men. Es gibt aber noch subtilere Selektions-
mechanismen. Erfolgreiche Personen werden
reich Lernender. Mit dieser Liste wird ein bevorzugt von anderen erfolgreichen Personen
integrativer Rahmen bereitgestellt, der die als Mitarbeiter ausgewählt. So kommt es dann
unterschiedlichen Befunde aus der kogniti- dazu, dass GIVs mehr Gelegenheit zur Koope-
ven und der motivationalen Forschungstra- ration mit anderen GIVs erhalten, was zusätz-
lich ihren intellektuellen Fortschritt stimuliert.
dition bündelt, in Form einer Beschreibung
(Pressley et al., 1989, S. 862)
kompetenten Lernverhaltens. Pressley et al.
(1989) schreiben den »guten Informations- Die im GIV-Modell aufgelisteten Charakte-
verarbeitern« die folgenden Merkmale zu: ristika erfolgreich Lernender lassen sich im
wesentlichen vier Bereichen individueller
● Sie planen ihr Lernverhalten. Voraussetzungen des Lernens zuordnen:
● Sie nutzen effiziente Lernstrategien. den Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächt-
● Sie wissen, wie, wann und warum solche nisfunktionen bei der Aufnahme und Ver-
Strategien einzusetzen sind. arbeitung von Informationen, dem Umfang
● Sie sind motiviert, diese Strategien ein- und der Qualität des im Langzeitgedächtnis
zusetzen. verfügbaren Vorwissens, der Nutzung und
● Sie nutzen Lernstrategien zunehmend au- metakognitiven Regulation von Lernstrate-
tomatisch. gien sowie den motivationalen Dispositio-
● Sie überwachen ihre Lern- und Leistungs- nen und Selbstkonzepten mit ihren spezi-
fortschritte. fischen Auswirkungen auf die Intensität
● Sie reflektieren ihr Lernverhalten. und Aufrechterhaltung von Lernprozessen.
● Sie verfügen über ein Kurzzeitgedächtnis In enger Anlehnung an das GIV-Modell
mit hoher Kapazität. werden im Folgenden diese vier Bereiche
● Sie verfügen über ein reichhaltiges Welt- individueller Voraussetzungen erfolgreichen
wissen. Lernens näher dargestellt.
● Sie vertrauen ihren Lernfähigkeiten. Das Lernen des GIVs ist zwar in der Regel
● Sie sind davon überzeugt, dass sie sich erfolgreicher als das Lernen von Lernenden
stets weiter verbessern können und halten mit weniger guten individuellen Vorausset-
dies auch für wünschenswert. zungen. Aber es gibt durchaus auch bei den
● Sie stellen sich immer wieder neue(n) GIVs intraindividuelle Schwankungen in der
Anforderungen. Qualität guten Lernens, für deren angemes-
sene Erklärung die vier im GIV-Modell an-
Die aufgelisteten Vorzüge der GIVs bringen gesprochenen Merkmalsbereiche nicht aus-
weitere Vorteile für die individuelle Lern- reichen. Deshalb erweitern wir unsere Dar-

69
Teil I Lernen

stellung der wichtigsten individuellen Vo- Darstellungsform über miteinander verbun-


raussetzungen für erfolgreiches Lernen um dene – so aber nicht zum Laufen kommende –
die Bereiche der Willensbildung (Volition) Zahnräder wurde aus didaktischen Gründen
und die den Lernprozess begleitenden Emo- bewusst gewählt. Sie macht nämlich auf einen
tionen. Grundlage unserer Ausführungen in Blick deutlich, dass wir bei aller Detailkennt-
diesem Kapitel ist daher ein heuristisches nis über die relevanten individuellen Voraus-
Modell, das die fünf Merkmalsbereiche indi- setzungen erfolgreichen Lernens derzeit noch
vidueller Voraussetzungen erfolgreichen Ler- nicht genügend darüber Bescheid wissen, wie
nens miteinander verzahnt. Wir nennen es das denn die Voraussetzungen erfolgreichen Ler-
INVO-Modell (INdividuelle VOraussetzun- nens genau zusammenwirken müssen, um
gen) erfolgreichen Lernens (䉴 Abb. 2.1). Die den Lernerfolg zu garantieren.

selektive
Aufmerksamkeit
und Arbeits-
gedächtnis
Motivation
und Selbstkonzept

motivational-volitional
Strategien
und meta- erfolgreiches
kognitiv

kognitive
Regulation Lernen

Volition und
lernbegleitende
Emotionen

Vorwissen

Abb. 2.1: Modell der individuellen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens (INVO-Modell)

Die individuellen Voraussetzungen erfolgrei- und individuellen Besonderheiten des Ler-


chen Lernens unterliegen zum Teil deutli- nens gehen wir in diesem Kapitel nicht ein.
chen Entwicklungsveränderungen und bis- Sie sind aber für das Verstehen und Opti-
weilen kommt es in dem einen oder anderen mieren des Lernens im pädagogischen Alltag
Bereich auch zu massiven Störungen oder von solch großer Bedeutung, dass ihnen ein
Verzögerungen, die die Lernmöglichkeiten eigenes Kapitel gewidmet ist (䉴 Kap. 4.1).
des einzelnen gravierend einschränken kön-
nen. Auf diese Entwicklungsabhängigkeiten

70
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Orientierungsfragen
● Welche Funktionen der Aufmerksamkeit und des Arbeitsgedächtnisses sind Voraus-
setzungen für den Erfolg von Lernen?
● Welche Rolle spielt das Vorwissen für erfolgreiches Lernen?
● Was sind Lernstrategien und wie wird ihre effektive Nutzung durch Metakognitionen
reguliert?
● Welches sind die für Lern- und Leistungssituationen relevanten motivationalen Prozesse
und wie werden sie durch die individuelle Ausprägung des Selbstkonzepts moderiert?
● Welche Rolle spielen Mechanismen der Willensbildung und begleitende Emotionen für
erfolgreiches Lernen?

2.1 Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis

Die Beschreibung erfolgreichen Lernens als haltsbezogenes Lernen überhaupt stattfin-


»gute Informationsverarbeitung« legt es na- den kann.
he, das in 䉴 Kap. 1 vorgestellte modale Der Lernprozess im engeren Sinne be-
Grundmodell der Informationsverarbeitung ginnt erst dann, wenn der Lernende einer
(䉴 Abb. 1.2) zum Ausgangspunkt der wei- Auswahl der in den sensorischen Registern
terführenden Überlegungen zu den individu- »festgehaltenen« Reizinformationen seine
ellen Voraussetzungen des Lernens zu wäh- Aufmerksamkeit zuwendet. Diese Aufmerk-
len. Lernen wird dabei als Kette von Pro- samkeitszuwendung kann gezielt oder auch
zessen der Informationsaufnahme, -transfor- unwillkürlich erfolgen. Entscheidend für die
mation und -organisation beschrieben. Beim weitere Verarbeitung ist jedoch, dass nur die
absichtlichen und gezielten Lernen wird der mit Aufmerksamkeit bedachten Informati-
Lernende in systematischer Weise mit Reiz- onselemente in das Kurzzeitgedächtnis ge-
informationen konfrontiert. Diese werden in langen, das wegen seiner zentralen Funk-
modalitätsspezifischen sensorischen Regis- tionen für die komplexen Lernprozesse häu-
tern für wenige Millisekunden festgehalten, fig auch als Arbeitsgedächtnis bezeichnet
aber noch nicht bewusst wahrgenommen. wird. Das Arbeitsgedächtnis hat in Bezug
Folgt man beispielsweise einem Vortrag oder auf die verarbeitbare Informationsmenge
liest einen Text, dann wird die gehörte oder und hinsichtlich der Möglichkeit ihrer zeit-
die gelesene Sprache zunächst einmal senso- überdauernden Aufbewahrung allerdings
risch-analog im Sinne einer Repräsentation nur eine begrenzte Kapazität. Weil aber
ihrer physikalischen Merkmale enkodiert. neue Informationen permanent in das Ar-
Erst im weiteren Verlauf der Informations- beitsgedächtnis »nachdrängen«, besteht für
verarbeitung erfolgen sinngebende Interpre- die im Arbeitsgedächtnis befindliche Infor-
tationen, die aus den sensorischen Registrie- mation beständig die Gefahr, wieder ver-
rungen Informationen für den Lernenden lorenzugehen.
werden lassen. Funktional intakte sensori- Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen
sche Register sind mithin notwendige Vo- Vorstellungen zum Informationsfluss wird
raussetzung dafür, dass sinnstiftendes in- die Auffassung verständlich, dass die Qua-

71
Teil I Lernen

lität der dem Lernen zugrunde liegenden munizieren, obgleich deren Stimmen nur
Informationsverarbeitung zuallererst von über einen einzigen Lautsprecher zu hören
der Steuerung und Qualität der Aufmerk- waren. Auf der Basis zahlreicher Experi-
samkeitsprozesse und von der Funktions- mente formulierte Broadbent (1958) die
tüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses abhän- sogenannte Filtertheorie der Aufmerksam-
gig ist. Tatsächlich haben Forschungsarbei- keit, die von einer grundsätzlich beschränk-
ten gezeigt, dass spezifische Funktionen der ten Informationsverarbeitungskapazität des
Aufmerksamkeitszuwendung und des Ar- Menschen ausgeht. Danach reguliert die
beitsgedächtnisses bei verschiedenen Per- Aufmerksamkeit den Informationsfluss
sonen durchaus unterschiedlich gut aus- von den sensorischen Registern zum Arbeits-
gebildet sind und damit der Effektivität in- gedächtnis. Die Aufmerksamkeit bzw. die
dividueller Lernprozesse mehr oder weniger Aufmerksamkeitszuwendung hat die Funk-
enge Grenzen setzen. Mit anderen Worten: tion eines Filters und wirkt wie ein früher
Es gibt systematische interindividuelle Dif- Engpass oder Flaschenhals, der im Ergebnis
ferenzen. dafür verantwortlich ist, dass nur einige
Insbesondere bei den Aufmerksamkeits- wenige Informationen im kognitiven System
funktionen sind aber zudem starke situative weitergeleitet werden.
Variabilitäten zu beobachten. Ein und der- Broadbents Filtertheorie der Aufmerk-
selbe Lernende ist einmal wach und aufnah- samkeit besagt nun, dass die Auswahl der
mebereit, so dass er etwa im Unterricht den weiter zu verarbeitenden Informationen be-
dargebotenen Stoffinhalten seine volle Auf- reits sehr früh im Prozess der Informations-
merksamkeit zuwendet, und ein anderes Mal verarbeitung stattfindet. Die Frage, wann
ist er weniger lernbereit, so dass auch ent- genau die Selektion aufgrund von Informa-
sprechend wenig lehrstoffbezogene Informa- tionsmerkmalen geschieht und welche ihrer
tion im Arbeitsgedächtnis ankommt. Solche Bestandteile in welchem Umfang »voranaly-
situativen Schwankungen werden auch als siert« werden, hat zu zahlreichen experimen-
intraindividuelle Variabilität bezeichnet. Im tellen Analysen und theoretischen Auseinan-
Folgenden werden einige der für die Erklä- dersetzungen geführt (vgl. Pashler, 1998;
rung interindividueller Differenzen und in- Yantis, 2000). Dabei hat sich herausgestellt,
traindividueller Variabilität des Lernerfolgs dass es wohl unterschiedliche Filter gibt, die
relevanten Facetten der Aufmerksamkeit für den Flaschenhalseffekt verantwortlich
und des Arbeitsgedächtnisses näher betrach- sind. Ihre Funktionsweise wird sowohl
tet. von den Reizmerkmalen selbst (Bottom-
up) als auch von den Zielen und dem Vor-
wissen der die Informationen verarbeitenden
Selektive Aufmerksamkeit Person (Top-down) beeinflusst.
Eine hilfreiche Klassifikation der für die
Der Engländer Donald Broadbent hat sich Aufmerksamkeitszuwendung beim absicht-
bereits früh mit der Frage beschäftigt, wie lichen Lernen relevanten Prozesse stammt
unser Informationsverarbeitungssystem die von Neisser (1967). In seiner Zwei-Prozess-
ständige Überflutung durch sensorisch regis- Theorie der selektiven Aufmerksamkeit un-
trierte Informationsmerkmale bewältigt. terscheidet Neisser zwischen einem Diskri-
Dabei inspirierte ihn eine Aufmerksamkeits- minationsprozess, in dessen Verlauf die in
leistung der für die Radarüberwachung von den sensorischen Registern festgehaltenen
Flugzeugen zuständigen Soldaten im Zwei- Informationsmerkmale danach beurteilt
ten Weltkrieg. Diesen gelang es nämlich, mit werden, ob sie relevant sind oder nicht,
verschiedenen Piloten gleichzeitig zu kom- und einem Prozess der Zuweisung der vor-

72
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

handenen (und begrenzten) Aufmerksam- che Spuren schon bei einfachen Lernanfor-
keitskapazität auf die als relevant erkannten derungen, wie am Beispiel des Cocktailpar-
Informationsmerkmale (Fokussierung). Die ty-Phänomens und seiner Wirkungen deut-
Effizienz beider Prozesse hinterlässt deutli- lich wird.

Fokus: Das Cocktailparty-Phänomen


Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einer Party. Der Geräuschpegel ist relativ hoch und
überall im Raum stehen kleine Grüppchen beisammen, die sich lautstark unterhalten. Auch
Sie sind in ein solches Gespräch einbezogen. Plötzlich hören Sie, dass in einer der anderen
Gesprächsgruppen Ihr Name fällt und schon wandert Ihre Aufmerksamkeit zu dem
Gespräch der anderen Gruppe, das sie vorher gar nicht wahrgenommen haben.
Diese Veränderung der Aufmerksamkeitsfokussierung ist als Cocktailparty-Phänomen
bekannt geworden (Cherry, 1953). Wood und Cowan (1995) haben es in einer experi-
mentellen Untersuchung etwas genauer unter die Lupe genommen. Die Teilnehmer an ihrem
Experiment bekamen einen Kopfhörer aufgesetzt, der das sogenannte dichotische Hören
ermöglicht: Sie hörten auf jedem Ohr eine andere Stimme. Beide Stimmen lasen einsilbige
Wörter vor. Die Aufgabe der Versuchsteilnehmer bestand nun darin, nur auf das rechte Ohr
zu achten und so genau wie möglich die über das rechte Ohr gehörten Wörter nach-
zusprechen (man nennt das »Beschatten«). Irgendwann nannte die Stimme auf dem
eigentlich nicht zu beachtenden linken Ohr den Namen des Versuchsteilnehmers. Etwa
ein Drittel der Teilnehmer hörte dies – andere Namen als der eigene wurden hingegen nicht
wahrgenommen. Die Leistung in der Beschattungsaufgabe war natürlich währenddessen
kurzeitig beeinträchtigt.

Die Befunde der Untersuchung von Wood ten von Schülerinnen und Schülern (vgl. Berg
und Cowan (1995) zum Cocktailparty-Phä- & Imhof, 2010) und die mit ihnen häufig
nomen zeigen, dass die Diskrimination von einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten
relevanter und irrelevanter Information und (Döpfner, 2008; Gawrilow, 2012) sind
die Fokussierung der relevanten Information auch auf Probleme bei der Diskrimination
entscheidend sind für die Leistung bei einer und Fokussierung der Aufmerksamkeit zu-
recht einfachen kognitiven Anforderung. Sie rückzuführen.
zeigen aber auch, dass sich Personen sehr Die Prozesse der selektiven Aufmerksam-
wohl darin unterscheiden, ob und wie leicht keit sind jedoch nicht nur eine wichtige
sie sich von aufgabenirrelevanten Informa- Voraussetzung erfolgreichen Lernens. Sie
tionen ablenken lassen. Etwa ein Drittel der sind gleichzeitig ein Ergebnis vorangegange-
untersuchten Personen ließ sich durch das ner Lernerfolge. Wie in 䉴 Kap. 2.2 noch
Hören des eigenen Namens von der vorher ausführlicher dargestellt wird, ist die Effi-
vereinbarten Aufgabe ablenken. Man kann zienz, mit der relevante von irrelevanter
sich leicht vorstellen, dass auch für das schu- Information unterschieden wird, in erhebli-
lische Lernen interindividuelle Unterschiede cher Weise von den einschlägigen Vorkennt-
im Bereich der Aufmerksamkeit und der nissen des Lernenden abhängig. Wer sich in
Aufmerksamkeitskontrolle von großer Be- einem Lernbereich inhaltlich bereits sehr gut
deutsamkeit sind. Die bekannten Aufmerk- auskennt, ist im Vergleich zu Laien oder
samkeits- und Konzentrationsschwierigkei- Nichtexperten nämlich sehr viel besser in

73
Teil I Lernen

der Lage, innerhalb von Sekundenbruchtei- im »Bewusstseinsstrom« des Lernenden hält


len zwischen relevanten und weniger rele- (Atkinson & Shiffrin, 1968). Die Kapazität
vanten Informationsmerkmalen zu unter- des Kurzzeitgedächtnisses wurde lange Zeit
scheiden (vgl. Bransford, Brown & Cocking, mit Verweis auf die klassische Abhandlung
2000). von Miller (1956) auf sieben plus/minus
Überhaupt stellt sich die Frage, ob inter- zwei Informationseinheiten geschätzt. Be-
individuelle Unterschiede in der Effizienz reits im 19. Jahrhundert wurde von Jacobs
selektiver Aufmerksamkeit unabhängig von (1887) der Grundtyp einer Methode zur
den »hierarchiehöheren« Voraussetzungen Bestimmung der individuellen Gedächtnis-
erfolgreichen Lernens auftreten. Unterschie- kapazität vorgelegt, die bis heute weit ver-
de in der Ablenkungsanfälligkeit des Auf- breitet ist und auch in vielen Intelligenztests
merksamkeitsfokus durch aufgabenirrele- Verwendung findet: Die Prüfung der Ge-
vante Informationen lassen sich nämlich dächtnisspanne.
auch über Unterschiede in der Kapazität
des Arbeitsgedächtnisses erklären (Bleckley,
Definition: Gedächtnisspanne
Durso, Crutchfield, Engle & Khanna, 2003).
Bei einer Wiederholung der oben beschriebe- Die individuelle Gedächtnisspanne einer
nen Untersuchung zum Cocktailparty-Phä- Person ist definiert als die maximale An-
nomen wurden die Untersuchungsteilnehmer zahl von Items (meist Ziffern oder Wör-
im Nachhinein danach unterteilt, ob sie – ter), die im Anschluss an eine einmalige
ausweislich eines entsprechenden Testverfah- Darbietung (meist akustisch im Sekun-
rens – über eine überdurchschnittliche oder denrhythmus) in der vorgegebenen Rei-
über eine unterdurchschnittliche Arbeits- henfolge korrekt wiedergegeben werden
gedächtniskapazität verfügten. Es zeigte sich, kann.
dass lediglich eine von fünf Personen mit
hoher Arbeitsgedächtniskapazität ablenkbar
war, aber fast jeder dritte Versuchsteilnehmer Schon Atkinson und Shiffrin (1968) haben
mit einer eher niedrigen Gedächtniskapazi- darauf hingewiesen, dass der Kurzzeitspei-
tät hörte seinen eigenen Namen auf dem cher beim Verarbeiten von Informationen
eigentlich nicht zu beachtenden Ohr (Con- die Funktion eines Arbeitsgedächtnisses
way, Cowan & Bunting, 2001). Dies führt übernimmt. Typische Arbeitsgedächtnis-
uns zu der Frage, was es mit dem Arbeits- funktionen bestehen etwa in der Nutzung
gedächtnis auf sich hat und inwiefern seine von Strategien und Kontrollprozessen, um
Merkmale und Besonderheiten wichtige in- den Lernfortschritt zu optimieren und den
dividuelle Voraussetzungen erfolgreichen späteren Abruf von Informationen aus dem
Lernens sind. Gedächtnis zu erleichtern. In Übereinstim-
mung damit verstehen Hasselhorn und
Schumann-Hengsteler (2001) unter Arbeits-
Was versteht man unter gedächtnis (working memory) ein internes
Arbeitsgedächtnis? kognitives System, das es ermöglicht, meh-
rere Informationen vorübergehend bewusst
In den frühen Modellen der Informations- zu halten und zueinander in Beziehung zu
verarbeitung ging man davon aus, dass die setzen. Die klassische Vorstellung eines Spei-
mit Aufmerksamkeit bedachte Information chers mit fünf bis neun Speicherplätzen er-
in eine Art Kurzzeitspeicher gelangt, der von scheint zu statisch, um ein solch multi-funk-
begrenzter Kapazität ist und – wie der Name tionales System wie das Arbeitsgedächtnis
schon sagt – die Information für kurze Zeit angemessen zu beschreiben.

74
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Interindividuelle Unterschiede in der oben Für die Beschreibung und Erklärung der
beschriebenen Gedächtnisspanne hängen Funktionen des Arbeitsgedächtnisses beim
auch von der Geschwindigkeit ab, mit der intentionalen Lernen komplexer Inhalte hat
die dargebotenen Informationseinheiten sich in der europäischen Tradition eine mehr-
identifiziert bzw. innerlich nachgesprochen systemige Modellvorstellung durchgesetzt,
werden können (Dempster, 1981; Hassel- die seit Anfang der 1970er Jahre von der
horn, 1988). Dies weist darauf hin, dass britischen Arbeitsgruppe um Alan Baddeley
nicht nur strukturelle, sondern auch prozes- immer weiter ausgearbeitet wurde. Frühe
suale Kapazitätsaspekte von Bedeutung sind. experimentelle Arbeiten führten Baddeley
Man spricht daher heute vielfach auch von und Hitch (1974) zu der Einsicht, dass die
der funktionalen bzw. funktional verfüg- damals verbreitete Annahme eines ein-
baren Kapazität des Arbeitsgedächtnisses. dimensionalen Arbeitsgedächtnisses unan-
Theoretische Modelle zur Funktionsweise gemessen sei. Bei der gleichzeitigen Bearbei-
des Arbeitsgedächtnisses sind so zahlreich tung von Anforderungen unterschiedlicher
wie unterschiedlich (vgl. Conway, Jarrold, Modalitäten (z. B. Hören und Sehen) zeigten
Kane, Miyake & Towse, 2007). Neben den die Untersuchungsteilnehmer zwar Leis-
Vorstellungen vom Arbeitsgedächtnis als ei- tungseinbußen; diese fielen aber weit gerin-
ner einheitlichen (eigenen) Ressource, die ger aus als man es bei einer generell begrenz-
flexibel und adaptiv bei der Bewältigung ten Arbeitsgedächtnis-Ressource erwarten
unterschiedlicher Aufgabenanforderungen sollte.
Verwendung findet (z. B. Case, 1995; Dane- Baddeley (1986) beschrieb daher das Ar-
man & Carpenter, 1980), gibt es die Auf- beitsgedächtnis als komplexes Systemgefü-
fassung, dass die Aufmerksamkeit, das Kurz- ge, in welchem einer Leitzentrale (zentrale
zeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis Exekutive) spezifische Hilfssysteme für die
ohnehin sehr eng miteinander verknüpft separate Verarbeitung visuell-räumlicher
seien. Cowan (2005) hat diese Auffassung bzw. sprachlich-akustischer Informationen
sehr pointiert formuliert: Das Arbeits- untergeordnet sind (䉴 Abb. 2.2). Auch pos-
gedächtnis sei nichts anderes als jene Teil- tulierte Baddeley (2000) einen Verbindungs-
menge des Langzeitgedächtnisses, die durch mechanismus (episodischer Puffer) zwischen
Aufmerksamkeitsfokussierung temporär ge- den beiden Hilfssystemen, der Leitzentrale
rade aktiviert ist. und dem Langzeitgedächtnis. Auch dieser

Zentrale
Exekutive

Visuell-räumlicher Episodischer Phonologische


Notizblock Puffer Schleife

Visuelle Episodisches
Sprache
Semantik Langzeitgedächtnis

Abb. 2.2: Modell des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley (1986, 2000)

75
Teil I Lernen

Mechanismus hat aber wiederum nur eine verwendet, um etwas über die Funktions-
begrenzte Kapazität. Seine Aufgabe ist es, die tüchtigkeit des gesamten Arbeitsgedächtnis-
funktionale Kapazität des Arbeitsgedächt- ses zu erfahren. Die einfachste Form einer
nisses zu optimieren, und zwar durch die komplexen Anforderung an das Arbeits-
Integration der Informationen aus den Hilfs- gedächtnis ist eine Aufgabe zur Erfassung
systemen und aus dem Langzeitgedächtnis. der sogenannten Rückwärtsspanne. Wie bei
Mit Gedächtnisspannen-Aufgaben der der Erfassung der »Gedächtnisspanne vor-
oben beschriebenen Art (serielle Reproduk- wärts« werden Sequenzen von Items dar-
tion von Ziffern- oder Wortlisten) lässt sich geboten. Die Leistungsanforderung besteht
die Funktionstüchtigkeit des für die Ver- allerdings darin, die dargebotenen Sequen-
arbeitung von sprachlich-akustischer Infor- zen in der umgekehrten Reihenfolge zu re-
mation zuständigen Hilfssystems gut erfas- produzieren. Verbreitet ist die Aufgabe »Zif-
sen. Das Arbeitsgedächtnis als Gesamtsys- fern nachsprechen, rückwärts«, wobei die
tem ist aber nicht nur für das Speichern und Ziffern im Sekundenrhythmus dargeboten
Abrufen von Reihenfolge-Informationen zu- werden (z. B. 6 – 4 – 2 – 5) und anschließend
ständig, sondern auch für die darüber hinaus in umgekehrter Reihenfolge wiederzugeben
gehenden Transformationsprozesse. Des- sind (5 – 2 – 4 – 6).
halb werden heute komplexere Aufgaben

Fokus: Erfassung der Arbeitsgedächtnisspanne


Komplexe Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis beinhalten die Durchführung vielfäl-
tiger Speicher- und Transformationsprozesse. In Aufgaben dieser Art werden Personen
beispielsweise aufgefordert, ein Set unzusammenhängender Sätze zu lesen und den Wahr-
heitsgehalt eines jeden Satzes zu bewerten (z. B. »Der März ist der erste Monat im Jahr, der
30 Tage hat.« oder »Die Sprachen Englisch und Deutsch gehen auf die gleichen Wurzeln
zurück.« oder »Der Mensch gehört zu den Primaten, weil er aufrecht geht.«). Anschließend
müssen die jeweils letzten Wörter dieser Sätze in der Reihenfolge der Satzdarbietung
wiedergegeben werden (also »hat – zurück – geht«). Bei einer anderen Aufgabe müssen
einfache Rechenaufgaben auf ihre Richtigkeit geprüft werden (z. B. »(2 x 3) – 2 = 4« oder
»(6/3) + 2 = 8« oder »(4 x 2) – 5 = 3«). Anschließend sind die vorgegebenen Lösungen in der
richtigen Reihenfolge wiederzugeben (also »4 – 8 – 3«).

Die auf Teilsystemen fußende Grundkonzep- testbatterie für Kinder von 5 bis 12 Jahren
tion des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley vor (AGTB 5–12, Hasselhorn, Schumann-
(1986, 2000) eröffnet Möglichkeiten für Hengsteler et al., 2012), mit deren Hilfe
eine sehr anschauliche und differenzierte individuelle Besonderheiten der Funktions-
Beschreibung der Funktionsweise des Ar- tüchtigkeit der unterschiedlichen Arbeits-
beitsgedächtnisses beim Bearbeiten komple- gedächtnis-Systeme erfasst werden können.
xer Lernanforderungen. Dies wird mittler- Auch neuropsychologische Befunde stützen
weile auch für die Praxis der Diagnostik die Annahme getrennter und damit partiell
individueller Lernpotenziale genutzt. So liegt unabhängiger Teilsysteme für die Verarbei-
im deutschen Sprachraum eine dieser tung verbaler und visuell-räumlicher Infor-
Grundkonzeption verpflichtete computer- mationsmerkmale (Jonides et al., 1996).
gestützte und adaptive Arbeitsgedächtnis-

76
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Visuell-räumliches Cortex geleistet zu werden (Courtney, Un-


Arbeitsgedächtnis gerleider, Keil & Haxby, 1996).
Experimentelle Analysen zum visuell-
räumlichen Arbeitsgedächtnis basieren im
In der neuropsychologischen Literatur fin- Wesentlichen auf zwei Typen von Anforde-
den sich Evidenzen für die Annahme, dass rungen: dem Behalten räumlicher Bewegun-
die Verarbeitung sprachlicher und visuell- gen und dem Behalten visueller Muster.
räumlicher Informationen in partiell unab- Typische Varianten dieser unterschiedlichen
hängigen Teilsystemen erfolgt. Auch das Anforderungen sind die Corsi-Block-Auf-
Generieren visueller Vorstellungen und das gabe für räumliche Bewegungen und die
kurzfristige Behalten visuell-räumlicher In- sogenannte Muster-Rekonstruktionsaufga-
formationen haben sich nach Erkenntnissen be. Bei der Corsi-Block-Aufgabe handelt es
aus Studien an Patienten mit Kopfverletzun- sich um eine Gedächtnisspannen-Aufgabe
gen als voneinander unabhängige Funktio- für räumlich-sequentielle Information. Vor-
nen erwiesen (vgl. Morton & Morris, 1995). gegeben wird in der Standardversion ein
Während spezifische Schädigungen in der graues Brett, auf dem neun Blöcke in einer
linken Hirnhälfte mit Defiziten beim Gene- unregelmäßigen Anordnung positioniert
rieren von und Operieren mit anschaulichen sind (䉴 Abb. 2.3). Die Blöcke unterscheiden
Vorstellungsbildern einher zu gehen schei- sich nicht voneinander. Der Untersuchungs-
nen (Farah, 1984), findet man eher Zusam- leiter tippt einzelne Blöcke in einer bestimm-
menhänge mit Schädigungen im rechten ten Reihenfolge im Sekundenrhythmus an.
posterioren parietalen Cortex, wenn Reprä- Die Versuchsteilnehmer müssen die vorgege-
sentations- und Behaltensprobleme für visu- bene Sequenz unmittelbar danach durch
ell-räumliche Informationen vorliegen (Be- Nachtippen replizieren. Die Anzahl der in
schin, Cocchini, Della Salla & Logie, 1997). einer Sequenz enthaltenen Blöcke wird suk-
Selbst die Verarbeitung visueller und räum- zessive gesteigert, bis eine fehlerfreie Wieder-
licher Informationsmerkmale scheint aller- gabe nicht mehr gelingt. Erwachsene können
dings durch unterschiedliche Bereiche des im Durchschnitt Sequenzen von etwa sechs
bis sieben Blöcken richtig antippen.

9 8
6 7
5
3 4
Abb. 2.3: 1
Standardversion der 2
Corsi-Block-Aufgabe

Bei der Muster-Rekonstruktionsaufgabe ter steigt mit zunehmender Anzahl der


werden in der Regel quadratische Matrizen- schwarzen Felder linear an. Unmittelbar
anordnungen dargeboten, auf denen einzel- nach der Musterpräsentation muss auf einer
ne Felder schwarz eingefärbt sind, so dass Matrizenvorlage mit ausschließlich weißen
sich ein Muster ergibt. Häufig wird dabei Feldern gezeigt werden, welche Felder bei
die Komplexität der Muster variiert der zuvor gezeigten Musteranordnung
(䉴 Abb. 2.4). Die Darbietungszeit der Mus- schwarz waren. Analog zum Vorgehen bei

77
Teil I Lernen

der Corsi-Block-Aufgabe wird die Anzahl schnittliche Leistung junger Erwachsener


der schwarzen Felder so lange gesteigert, liegt bei Mustern mit neun schwarzen Fel-
bis das Muster nicht mehr korrekt dern.
wiedergegeben werden kann. Die durch-

Abb. 2.4:
Beispiel für die Vorlage eines
einfachen (links) und kom-
plexen Musters (rechts) bei
der Muster-Rekonstruktions-
aufgabe

Experimentelle Analysen der Leistungen bei Logie (1995) unterscheidet daher zwischen
Corsi-Block- und Muster-Rekonstruktions- zwei Komponenten des visuell-räumlichen
aufgaben haben die Entwicklung der Mo- Arbeitsgedächtnisses: einem visuellen Spei-
dellvorstellungen über das visuell-räumliche cher (Visual Cache) und einem Mechanis-
Hilfssystem nachhaltig beeinflusst. Es zeigte mus für die Aufnahme räumlicher Bewe-
sich nämlich, dass die Kapazität für das gungssequenzen, den er über die Metapher
Behalten visueller Muster und die Kapazität eines inneren Schreibprozesses (Inner Scribe)
für das Behalten von Bewegungssequenzen beschreibt. Im visuellen Speicher werden vor
im Raum relativ unabhängig voneinander allem Merkmale der Form und der Farbe
sind. Versucht man nämlich, die Leistungen repräsentiert – sein Repräsentationsformat
bei Aufgaben dieser Art zu beeinträchtigen, ist statisch. Der räumliche Mechanismus
indem man zeitgleich eine zweite Aufgabe besitzt hingegen ein dynamisches Repräsen-
bearbeiten lässt, so findet sich ein interes- tationsformat und ist auch dafür zuständig,
santer Unterschied: Besteht die Zweitauf- Informationen des visuellen Speichers durch
gabe z. B. im Ausführen einer Armbewe- eine Art mentalen Abschreibens zu wieder-
gung, dann werden dadurch die dyna- holen und damit längerfristig verfügbar zu
mischen visuell-räumlichen Arbeitsgedächt- halten.
nisleistungen, wie sie bei den Corsi-Blocks zu
erbringen sind, gestört, jedoch nicht die
Leistungen bei der Standardvariante der Phonologisches
Muster-Rekonstruktionsaufgabe, die eher Arbeitsgedächtnis
Anforderungen an eine statische Repräsen-
tation im Arbeitsgedächtnis stellt (z. B. Lo- Wiederum unabhängig von der Verarbei-
gie, Zucco & Baddeley, 1990). Umgekehrt tung visuell-räumlicher Informationen wer-
wird das Behalten visueller Muster, nicht den sprachliche und akustische Informatio-
aber das von räumlichen Sequenzen, durch nen verarbeitet. Das hierfür zuständige
irrelevante visuelle Zusatzinformationen Hilfssystem des Arbeitsgedächtnisses wird
(z. B. Wechsel in der Farbgestaltung der phonologisches Arbeitsgedächtnis genannt.
Mustervorlagen) beeinträchtigt (z. B. Logie, Baddeley (1986) hat dieses System als eine
1986). »phonologische Schleife« bezeichnet. Ähn-

78
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

lich wie beim visuell-räumlichen Arbeits- bei diesem Kontrollprozess um ein »inneres
gedächtnis besteht die Schleife aus zwei Sprechen« handelt, gilt das Phänomen des
Komponenten, einem phonetischen Speicher Wortlängeneffektes: Die Leistung bei der
(Phonological Store) und einem subvokalen oben beschriebenen einfachen Gedächtnis-
Kontrollprozess (Subvocal Rehearsal). Über spannen-Aufgabe fällt bei der Darbietung
die Mechanismen, mit denen das phonolo- von Sequenzen kurzer Wörter besser aus
gische Arbeitsgedächtnis operiert, weiß man als bei Sequenzen langer Wörter.
bereits sehr viel genauer Bescheid als über die
Mechanismen des visuell-räumlichen Sys-
Studie: Wortlängeneffekt und
tems.
Artikulationsdauer
Der phonetische Speicher kann klangliche
und sprachliche Informationsmerkmale für Baddeley, Thomson und Buchanan
etwa eineinhalb bis zwei Sekunden reprä- (1975) untersuchten den Effekt der Wort-
sentieren. Die entscheidende Kapazitäts- länge auf die Leistung bei einer Gedächt-
dimension ist weniger die Anzahl verarbei- nisspannen-Aufgabe. Mit ansteigender
teter Informationen – wie in Anlehnung an Silbenzahl der verwendeten Wörter
Millers (1956) Ausführungen zur »magi- sank die Gedächtnisspannenleistung der
schen Sieben« lange Zeit angenommen wur- untersuchten jungen Erwachsenen. Der
de –, als vielmehr die Zeitdauer, für die eine Befund tritt auf, wenn die Wortsequenzen
gespeicherte Information verfügbar ist. Man akustisch präsentiert werden, er zeigt sich
kann sich den phonetischen Speicher wie aber auch bei einer Darbietung von Ab-
eine Tonband-Endlosschleife mit sehr kurzer bildungen der durch die Wörter bezeich-
Aufnahmekapazität vorstellen. Die Schleife neten Objekte. Als entscheidend für den
ist im aufmerksamen Zustand permanent Effekt erwies sich die zur Aussprache der
auf Empfang geschaltet. Informationen, Begriffe benötigte Zeit. Es zeigte sich
die nicht in weiterführende Verarbeitungs- nämlich, dass selbst bei konstant gehal-
prozesse eingebunden sind, werden aller- tener Silben- und Phonemzahl die Ge-
dings nach etwa zwei Sekunden wieder dächtnisspanne für Wörter mit kürzerer
»überschrieben« und damit endgültig dem Artikulationsdauer größer ist als für Wör-
Zugriff für weiterführende Verarbeitungen ter mit längerer Aussprechdauer.
entzogen. Für viele Sätze unserer gesproche- In einem weiteren Experiment fanden
nen Sprache ist dies ein sehr knappes Zeit- die Autoren, dass die Gedächtnisspanne
fenster – umso problematischer, wenn es in etwa der Anzahl von Items entspricht,
nicht effizient genutzt wird. Um vor allem die eine Person in 1,87 Sekunden aus-
beim Hören längerer Sätze am Ende eines sprechen kann. Zu ähnlichen Schätzwer-
Satzes noch zu wissen, wovon am Anfang ten der Kapazität des phonetischen Spei-
des Satzes die Rede war, müssen wir wichtige chers kommen auch Schweickert und
Informationen länger verfügbar halten als Boruff (1986) sowie Hasselhorn (1988).
nur für zwei Sekunden.
Dies leistet der subvokale Kontrollpro-
zess. Durch eine Art »inneres Sprechen« Der hier beschriebene subvokale Kontroll-
bzw. »inneres Wiederholen« wird die Re- prozess erfolgt schon im Schulalter auto-
präsentation im phonetischen Speicher im- matisch. Er dient dem »Auffrischen« von
mer wieder neu aufgefrischt, so dass wich- Informationen, die bereits in den phoneti-
tige Informationen durchaus über einen län- schen Speicher gelangt sind, erfüllt jedoch
geren Zeitraum für die weitere Verarbeitung noch weitere Funktionen. So dient er der
präsent bleiben. Als Beleg dafür, dass es sich Übersetzung von bildlicher Information in

79
Teil I Lernen

sprachliche durch das phonetische Umko- die Gedächtnisspannenleistung schlechter


dieren des visuell dargebotenen Materials. aus. Anders als der auf subvokales inneres
Dies gilt nicht nur für bedeutungshaltige Sprechen zurückgeführte Wortlängeneffekt
Bilder (vgl. Baddeley et al., 1975), sondern bleibt der Effekt der akustischen Ähnlichkeit
auch für das Dekodieren von Graphemen durch eine belanglose sprachliche Zweit-
beim leisen Lesen (Daneman & Stainton, anforderung (z. B. während der Item-Darbie-
1991). Insgesamt bieten die Mechanismen tung permanent den Laut »bla« zu wieder-
des phonologischen Arbeitsgedächtnisses holen) übrigens unbeeinflusst (Baddeley,
eine hervorragende Basis für die Verarbei- 1986).
tung von Reihenfolge-Information, und Zur Messung der individuellen Kapazität
zwar nicht nur für verbales Material, son- des phonetischen Speichers haben Gather-
dern auch für die Verarbeitung zeitlicher cole, Willis, Baddeley und Emslie (1994) das
Muster, wie es sich etwa beim Reproduzieren Nachsprechen von Kunstwörtern (Nonword
akustisch dargebotener Zeitintervalle im Se- Repetition) vorgeschlagen. Beim Kunstwör-
kundenbereich zeigt (Grube, 1996). ter-Nachsprechen handelt es sich um eine
Die bereits mehrfach erwähnte Gedächt- Aufgabenanforderung, bei der eine akus-
nisspanne kann auch als Indikator für die tisch dargebotene Lautfolge nachzusprechen
funktional verfügbare Gesamtkapazität des ist, die zwar Ähnlichkeiten zu »richtigen«
phonologischen Arbeitsgedächtnisses ins- Wörtern aufweist, jedoch ohne sinnhafte
gesamt herangezogen werden. Für die indi- muttersprachliche Bedeutung ist (z. B. »wu-
rekte Abschätzung der Geschwindigkeit des ralten«, »kalibritzen«). Das Grundprinzip
in der Regel automatisch einsetzenden sub- solcher Aufgaben wurde bereits in den
vokalen Kontrollprozesses wird häufig die 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts
Artikulationsdauer bzw. die Sprechrate für von der Schweizer Logopädin Greta Mottier
das in der jeweiligen Gedächtnisspannen- (1951) verwendet, um die »akustische Dif-
Aufgabe verwendete Item-Material benutzt. ferenzierungsfähigkeit« von Kindern zu er-
Eine verbreitete Methode zur Erfassung der fassen. Die Kapazität des phonetischen Spei-
Sprechrate wurde von Hulme, Thomson, chers lässt sich so, unbeeinflusst vom »se-
Muir und Lawrence (1984) eingeführt. Die mantischen Lexikon« einer Person, über die
Autoren schlugen vor, einfache Wort-Tripel Länge der Kunstwörter erschließen, bei de-
(z. B. »Fisch – Ball – Stern«) vorzugeben und nen das Nachsprechen noch weitgehend
diese dann zehn Mal hintereinander so fehlerfrei gelingt.
schnell wie möglich nachsprechen zu lassen. Das von Baddeley (1986) skizzierte Zwei-
Aus der dafür benötigten Zeit lässt sich dann Komponenten-Modell des phonologischen
die für das Artikulieren eines Wortes im Arbeitsgedächtnisses ist empirisch gut abge-
Durchschnitt benötigte Zeit ermitteln. sichert. Dennoch lassen sich bisweilen Dis-
Die Funktionstüchtigkeit des phoneti- soziationen empirischer Phänomene beob-
schen Speichers lässt sich nach Ansicht achten, die eigentlich der gleichen Kom-
von Gathercole und Baddeley (1993) an- ponente des phonologischen Arbeitsge-
hand eines weiteren, seit langem bekannten dächtnisses zugeschrieben werden (vgl.
Phänomens, erkennen, des sogenannten Hasselhorn, Grube & Mähler, 2000). Durch
akustischen Ähnlichkeitseffekts: Gibt man eine Ausdifferenzierung verschiedener Funk-
bei einer Gedächtnisspannen-Aufgabe tionsaspekte der Speicherkomponente sowie
klangähnliche Items vor (z. B. »Schwan, der Komponente des subvokalen Kontroll-
Krahn, Bahn, Zahn«), anstelle der im Stan- prozesses lassen sich auch solche Dissozia-
dardverfahren üblichen klangunähnlichen tionen oftmals erklären. Hasselhorn et al.
(z. B. »Topf, Schuh, Baum, Zahn), so fällt (2000) schlagen vor, beim phonetischen

80
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Fokus: Das phonologische Arbeitsgedächtnis


Die folgenden Merkmale beschreiben die Funktionsweise des phonologischen Arbeits-
gedächtnisses (nach Grube, 1999):
● Sprachbasiert
● Funktionale Gesamtkapazität ist begrenzt
● Phonetischer Speicher ist zeitlich begrenzt (strukturelle Kapazität)
● Subvokaler artikulatorischer Kontrollprozess ist geschwindigkeitsbegrenzt (prozessuale
Kapazität)
● Speicherformat ist akustisch-phonetisch
● Sprache hat unmittelbaren Speicherzugang
● Unabhängige simultane Speicherinhalte stören einander (interferieren)
● Vokale Artikulation (Sprechen) beeinträchtigt die subvokale artikulatorische Kontrolle

Speicher zwischen der Größe, also der indi- terscheiden. Der bereits erwähnte Wort-
viduellen Kapazität (so macht es einen Un- längeneffekt kann nämlich mit der auto-
terschied, ob die zeitliche Begrenzung 150 matischen Aktivierung des subvokalen
oder 200 Millisekunden beträgt) und der Kontrollprozesses erklärt werden. Tritt er
Verarbeitungspräzision (Wie »klar« ist das nicht auf, was bei Kindern im Vorschulalter
phonetische Sprachmuster repräsentiert?) (Gathercole & Hitch, 1993; Jarrold & Tam,
zu unterscheiden. Bei dem subvokalen Kon- 2011) und bei lernbehinderten Grundschul-
trollprozess des inneren Sprechens ist es kindern (Mähler & Hasselhorn, 2003)
sinnvoll, zwischen der Geschwindigkeit durchaus der Fall ist, dann ist dies ein wich-
des Prozesses (erfassbar über die Artikulati- tiger Hinweis darauf, dass dieser Prozess
ons- bzw. Sprechrate, s. o.) und dem Auto- noch nicht automatisiert verfügbar ist
matisierungsgrad seiner Aktivierung zu un- (䉴 Abb. 2.5).

Größe

Verarbeitungs-
Phonetischer Speicher präzision

Automatisierungs-
grad der Aktivierung

Rehearsal
Geschwindigkeit
Abb. 2.5: Zwei-Komponenten-Modell des phonologischen Arbeitsgedächtnisses nach Hasselhorn,
Grube & Mähler (2000)

81
Teil I Lernen

Zentral-exekutive Funktionen ten vier verschiedene zentrale-exekutive


Funktionen voneinander abgegrenzt wer-
den. Neben der Koordinationskapazität
Die beschriebenen Hilfssysteme des Arbeits- bei der gleichzeitigen Bearbeitung zweier
gedächtnisses ermöglichen eine differenzier- Anforderungen sind das drei weitere Teil-
te modalitätsspezifische Verarbeitung von funktionen: die Flexibilität beim Wechsel
Informationen. Sie bilden damit eine not- von Abrufstrategien, die selektive Fokussie-
wendige Voraussetzung der »guten Informa- rung relevanter bei Ausblendung irrelevan-
tionsverarbeitung«. Erfolgreiches Lernen ter Informationen und die selektive Aktivie-
erfordert jedoch auch eine intelligente rung von Wissensinhalten aus dem Lang-
Nutzung dieser Hilfssysteme und ihrer Ver- zeitgedächtnis. Diese Funktionen weisen
arbeitungsmöglichkeiten. Dazu ist eine eine enge Verwandtschaft mit den oben
Überwachung und Kontrolle der Inhalte beschriebenen Mechanismen der selektiven
und Verfügungskapazitäten des gesamten Aufmerksamkeit auf.
Arbeitsgedächtnisses ebenso erforderlich Die Vorstellung, eine überschaubare An-
wie die Anpassung und Steuerung der darin zahl kognitiver Mechanismen zu identifizie-
ablaufenden Verarbeitungsprozesse. Im Mo- ren, um damit ein brauchbares und empi-
dell des Arbeitsgedächtnisses von Baddeley risch abgesichertes Modell für die Funk-
(1986, 2000) werden diese Funktionen einer tionsweise der zentralen Exekutive zu erhal-
zentralen Exekutiven zugeschrieben. Die ten, hat etwas Faszinierendes. Die bisherigen
neuroanatomisch der Region des Frontal- Forschungsbemühungen hierzu sind jedoch
lappens zugeordnete zentrale Exekutive eher ernüchternd. So lässt sich kaum abse-
wird dabei als ein Supervisions- und Kon- hen, ob die mit dem Konstrukt der zentralen
trollsystem der eigenen Aufmerksamkeit an- Exekutive verknüpften Hoffnungen berech-
gesehen. Sie überwacht die in den Hilfssys- tigt sind oder ob nicht eher die theoretische
temen aktivierten Inhalte und verantwortet, Vorstellung angemessener ist, dass es sich bei
welche Informationen bewusst gemacht den zentralen Funktionen um eine große
oder in irgendeiner Form zur Verarbeitung Anzahl unzusammenhängender, hochspezia-
transformiert werden sollen. Verarbeitungs- lisierter Mechanismen handelt (vgl. Towse
und Handlungspläne werden hier entwor- & Houston-Price, 2001).
fen, umgesetzt, überwacht und modifiziert. Versuche, die unterschiedlichen Funktio-
Dazu koordiniert die zentrale Exekutive In- nen der zentralen Exekutive empirisch fass-
formationen aus verschiedenen Quellen, bar zu machen, um so im Einzelfall fest-
stellt ausgewählte Informationen gezielt in stellen zu können, was dies im Hinblick auf
den Fokus der Aufmerksamkeit, aktiviert die individuellen Lernvoraussetzungen be-
Wissen aus dem Langzeitgedächtnis und deutet, stehen vor einer vergleichbaren Pro-
sorgt während des Lernprozesses dafür, blemlage: Die bereits erwähnten komplexen
dass sich aufdrängende, aufgabenirrelevante Gedächtnisspannen-Maße zur Abschätzung
Handlungsimpulse unterdrückt werden (vgl. der funktionalen Gesamtkapazität des Ar-
Baddeley, 1996). beitsgedächtnisses weisen nämlich nur ge-
Die funktionelle Spezifizierung eines ringe Zusammenhänge zu den Leistungen
übergeordneten Kontrollsystems des Ar- bei verschiedenen Aufgaben zur Erfassung
beitsgedächtnisses gehört zu den nicht ab- der Aufmerksamkeitsfunktionen auf (z. B.
schließend bearbeiteten theoretischen und Miyake, Friedman, Emerson, Witzki, Ho-
empirischen Herausforderungen der Ar- werter & Wager, 2000), wohl aber zu den
beitsgedächtnisforschung. Einem Vorschlag Leistungen bei herkömmlichen Tests der all-
von Baddeley (1996) zufolge sollten wenigs-

82
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

gemeinen Intelligenz (Oberauer, Süß, Wil- Allerdings sind wir noch weit davon ent-
helm & Wittmann, 2003). fernt, die Funktionsmechanismen der zen-
Miyake et al. (2000) haben eine viel tralen Exekutive so zu verstehen, dass sich
beachtete faktorenanalytisch abgesicherte ein funktionales Modell hiervon skizzieren
Klassifikation exekutiver Funktionen vor- ließe. Dennoch scheint unstrittig, dass er-
gelegt, in der die drei basalen Funktionen folgreiches Lernen die Folge »guter« und
Hemmung (Inhibition), flexibler Aufgaben- »intelligenter« Informationsverarbeitung
wechsel (Shifting bzw. Set Shifting) und Ak- ist und dass der Nutzung der exekutiven
tualisierung des Arbeitsgedächtnisses (Upda- Funktionen zur Überwachung und Kontrol-
ting) unterschieden werden. Möglicherweise le der Informationsverarbeitung hierbei ent-
lässt sich diese empirisch generierte Unter- scheidende Bedeutung zukommt. Diesem
scheidung zentral-exekutiver Funktionen Gedanken werden wir im Zusammenhang
mit den theoretisch konstruierten Vorstel- mit den in 䉴 Kap. 2.3 vorgestellten metako-
lungen Baddeleys zukünftig gewinnbringend gnitiven Regulationsmechanismen des Ler-
verbinden. nens erneut begegnen.

2.2 Vorwissen

Die Vorstellung vom Lernen als Wissens- Das Ausmaß und die Qualität inhaltsbezo-
erwerb bzw. als Konstruktion von Wissen genen Vorwissens sind für einen Großteil
ist zentral für die modernen Lerntheorien. In interindividueller Unterschiede des sicht-
䉴 Kap. 1.3 wurde dargelegt, wie Wissen er- baren Lernerfolgs verantwortlich. Für Schul-
worben und wie es repräsentiert, also im pädagogen ist dies eine Binsenweisheit, denn
Langzeitgedächtnis dauerhaft aufbewahrt schulisches Lernen geht mit fortschreitender
wird, was den Erwerb von Wissen erleichtert Schulzeit immer stärker mit der Anforderung
und was den Zugriff auf erworbenes Wissen einher, neue Informationen mit bereits Be-
beeinträchtigen, aber auch befördern kann. kanntem zu verknüpfen. Da dies umso besser
Wissen ist das Ziel von Lernen. Das Wissen, gelingt, je mehr Vorwissen bereits zu Beginn
über welches wir bereits verfügen, ist aber eines Lernprozesses vorhanden ist, ist der
nicht lediglich zum Repräsentationsinhalt systematische Aufbau von Vorwissen zu
unseres Langzeitgedächtnisses geworden – Recht eines der zentralen Anliegen schu-
es ist zugleich eine der wesentlichen indivi- lischen Unterrichtens. Erfolgreiches Lernen
duellen Voraussetzungen bzw. Bedingungen ist der Aufbau oder Erwerb einer inhaltlichen
für weiteres Lernen. Was Sie schon heute Expertise im Hinblick auf einen Lerngegen-
über Lernen und Gedächtnis wissen, beein- stand (Gruber, 2010). In diesem Abschnitt
flusst in entscheidender Weise die Qualität wird die besondere Rolle des Vorwissens für
und Schnelligkeit Ihrer Informationsaufnah- erfolgreiches Lernen in vier Schritten erläu-
me und -verarbeitung beim Lesen dieser tert. Zunächst wird anhand der Ergebnisse
Zeilen. Bereits verfügbares Wissen bezeich- der sogenannten Expertiseforschung und am
nen wir als Vorwissen. In der Regel sind wir Beispiel der Frage, ob denn Vorwissen bei
beim Lernen umso erfolgreicher, je mehr hoher Intelligenz nicht eigentlich entbehrlich
relevantes, d. h. inhaltsbezogenes Vorwissen sei, illustriert, dass Vorwissen von zentraler
zur Verfügung steht. Bedeutung für erfolgreiches Lernen ist. An-

83
Teil I Lernen

schließend werden Antworten auf die wei-


terführenden Fragen gegeben, wann Vorwis- Studie: Expertisevorteil und
sen das Lernen besonders begünstigt und wie Lebensalter
genau es das Lernen beeinflusst. Schneider, Gruber, Gold und Opwis
(1993) untersuchten Kinder und Erwach-
sene, die jeweils entweder Schachexper-
Expertiseforschung
ten oder Schachnovizen waren, und lie-
ßen sie vier Aufgaben bearbeiten. Die
Eine verbreitete Methode zur Analyse von beiden ersten Aufgaben bestanden darin,
Vorwissenseffekten beim Lernen und Behal- eine nur kurz dargebotene Schachstellung
ten neuer Informationen ist der Vergleich aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Es
von Experten und Novizen in einer definier- handelte sich dabei einmal um eine sinn-
ten Wissensdomäne (gemeint sind natürlich volle (tatsächlich mögliche) und einmal
»Wissensnovizen« in Bezug auf einem spezi- um eine zufällige (den Schachspielregeln
fischen Inhaltsbereich und nicht Mönche widersprechende) Stellung. Bei der drit-
oder Nonnen in der klösterlichen Probezeit). ten Aufgabe war eine »Klötzchenland-
Experten unterscheiden sich von Novizen in schaft« auf einem Brett mit unregelmäßi-
der Regel darin, dass sie auf dem Gebiet ihrer ger Spielfeldstruktur nachzustellen. Mit
Expertise über ein umfangreiches und wohl- dieser Aufgabe sollte geprüft werden, ob
geordnetes Wissen sowie über reichhaltige die Schachexperten generell über ein bes-
Erfahrungen verfügen. seres visuell-räumliches Arbeitsgedächt-
Zu den ältesten Belegen für Informations- nis verfügen.
verarbeitungsvorteile von Experten gehören Die größten Unterschiede zwischen den
Untersuchungen mit Schachspielern (Dja- Experten und den Novizen gab es bei der
kow, Petrowski & Rudik, 1927; vgl. auch Rekonstruktion der sinnvollen Schach-
de Groot, 1965; Gruber, 1994). Die Über- stellung, hier kam der Vorwissensvorteil
legenheit von Schachmeistern gegenüber we- der Experten besonders zum Tragen. Das
niger geübten Schachspielern und Anfän- Alter spielte keine Rolle, d. h. Kinder- und
gern bei der Rekonstruktion von nur kurz Erwachsenenexperten zeigten das gleiche
dargebotenen Schachkonstellationen aus Leistungsniveau und auch Kindernovizen
dem Gedächtnis zeigt eindrucksvoll den Ein- und erwachsene Novizen unterschieden
fluss des Vorwissens auf das Behalten. Chase sich nicht wesentlich in ihrer Leistung.
und Simon (1973) konnten zeigen, dass die Der Expertisevorteil verringerte sich bei
Leistungsunterschiede zwischen Schach- der Zufallsstellung und verschwand völ-
experten und -novizen von der Bedeutungs- lig bei der Klötzchenaufgabe.
haltigkeit der Schachkonstellation abhängig
sind. Schachmeister, erfahrene Schachspieler
und Spielanfänger (Novizen) unterscheiden Dass Experten im Bereich ihrer Domäne
sich in ihren Leistungen deutlich, wenn sie nicht nur über mehr Wissen verfügen als
sinnvolle, d. h. tatsächlich mögliche Schach- andere, sondern auch über ein qualitativ
konstellationen nach nur fünf Sekunden höherwertiges Wissen, scheint unumstritten.
Darbietungszeit rekonstruieren sollen. Da- Aber wie lässt sich die mit der Expertise
gegen finden sich nur geringe oder gar keine einhergehende Qualität von Vorwissen nä-
Leistungsunterschiede für Konstellationen, her beschreiben? De Jong und Ferguson-
in denen zwar die gleichen Positionen des Hessler (1996) haben ein hierfür hilfreiches
Feldes belegt waren, jedoch mit Figuren, die Klassifikationsmodell vorgelegt. Darin un-
den Feldern per Zufall zugeordnet wurden. terscheiden sie vier Wissensarten, nämlich

84
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Wissen über Situationen (situationales Wis- 1. Experten bemerken Merkmale und Be-
sen), über Fakten (konzeptuelles Wissen), deutungsmuster des Lernmaterials, die
über Handlungen (prozedurales Wissen) von Novizen gar nicht entdeckt werden.
und über die Möglichkeiten, eigene Hand- 2. Experten haben ein umfangreiches domä-
lungen kontrollieren zu können (strategi- nen-spezifisches Wissen erworben und
sches Wissen). Diese vier Wissensarten las- auf einem sehr hohen Verstehensniveau
sen sich jeweils durch fünf verschiedene sinnvoll organisiert.
Wissensqualitäten charakterisieren: Das ers- 3. Das Vorwissen von Experten lässt sich
te Qualitätsmerkmal ist der hierarchische nicht auf isolierte Fakten, Konzepte oder
Status von Wissen, der von »sehr oberfläch- Handlungsmuster reduzieren, es spiegelt
lich« bis »sehr tief« variieren kann; die damit vielmehr zugleich eine Vielzahl von An-
eng verwandte Eingebundenheit von Wissen wendungskontexten wider.
charakterisiert dessen innere Struktur und 4. Experten können wichtige Aspekte ihres
hat die Endpole »isoliert« und »vernetzt«. Wissens ohne große Anstrengung abrufen
Drittes Qualitätsmerkmal ist der Automati- und scheinbar automatisch nutzen.
sierungsgrad von Wissen, der sich darauf 5. Experten verfügen über variable und fle-
bezieht, wie viel bewusste Anstrengung (und xible Reaktionsmuster im Umgang mit
damit Arbeitsgedächtniskapazität) erforder- neuen Situationen.
lich ist, um das Wissen zu aktualisieren und 6. Wie gut Experten ihre besonderen Kennt-
zu nutzen. Beim vierten Qualitätsmerkmal, nisse auch an andere Personen weiterge-
der Modalität, geht es um das Repräsenta- ben können, hat mit ihrem Expertisesta-
tionsformat von Wissen (vor allem um das tus allerdings nichts zu tun.
Gegensatzpaar »bildhaft-ganzheitlich« vs.
»propositional-analytisch«), und mit dem
Allgemeinheitsgrad von Wissen ist gemeint, Kann Intelligenz Vorwissen
ob Wissen eher »genereller« Natur ist oder ersetzen?
eher »bereichsspezifisch« begrenzt.
Das skizzierte Klassifikationsmodell der Vor dem Siegeszug der Informationsver-
Qualitätsmerkmale von (Vor-)Wissen erhebt arbeitungsmodelle zur Beschreibung und Er-
nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. klärung erfolgreichen Lernens galt die all-
Dennoch bietet es eine nützliche Orientie- gemeine Intelligenz als bedeutsamste indivi-
rung, wenn es darum geht, die Komplexität duelle kognitive Voraussetzung des Lern-
und die Besonderheit der Vorwissensqualität erfolgs und sie wird daher in vielen
von Experten zu umschreiben. einschlägigen Lehrbüchern der Pädagogi-
Expertise-Effekte auf das Verstehen und schen Psychologie noch immer als solche
Behalten neuer Informationen sind mittler- beschrieben (z. B. Gage & Berliner, 1996;
weile in einer Vielzahl von Domänen (z. B. Ormrod, 2011; Slavin, 2006, 2011 b; Stern-
Physik, Radiologie, Tennis, Fußball, Steno- berg & Williams, 2002; Woolfolk, 2008). In
graphie, Mathematik, Geschichte, Musik) vielen Wissensdomänen findet man nun tat-
nachgewiesen worden (zusammenfassend: sächlich einen überzufälligen, wenn auch
Reimann & Rapp, 2008). In einer Bilanzie- geringen statistischen Zusammenhang zwi-
rung der Befunde dieser Forschung identifi- schen dem Vorwissen und der allgemeinen
zierten Bransford et al. (2000) die folgenden Intelligenz: Inhaltliche Experten in so unter-
sechs Prinzipien der bereichsspezifischen schiedlichen Bereichen wie z. B. in der Phy-
Wissensqualität von Experten und des damit sik, der Geschichte oder der Musik weisen
verbundenen besonderen Lernpotenzials: im Vergleich zu einer Zufallsauswahl von
Novizen zumeist auch bessere Intelligenz-

85
Teil I Lernen

testwerte auf (vgl. Sternberg & Wagner, anhand ihrer jeweiligen Lernerfolge ließe
1985). Dies legt die Vermutung nahe, dass sich die Bedeutsamkeit des Vorwissens im
die berichteten Vorteile von Experten weni- Vergleich zum Einfluss der Intelligenz beur-
ger die Folge ihres höheren Vorwissens als teilen.
vielmehr die Konsequenz ihrer ohnehin hö- Schneider, Körkel und Weinert (1989,
heren intellektuellen Fähigkeiten sein mö- 1990) gingen diesen Weg. Dazu wählten
gen. Möglicherweise werden nämlich nur die sie die Inhaltsdomäne »Wissen über Fuß-
intelligenteren Personen zu Experten in ir- ball« aus, bei der das Ausmaß des Vorwis-
gendeiner Domäne. sens nicht in einem statistisch bedeutsamen
Zusammenhang (auch nicht negativ!) zur
allgemeinen Intelligenz steht. In ihrer um-
Definition: Intelligenz
fangreichen Untersuchung erfassten die Au-
Unter Intelligenz versteht man die all- toren zunächst das spezifische Fußballwis-
gemeine Fähigkeit zum Lernen, Denken sen und die allgemeine Intelligenz von mehr
oder Problemlösen, die sich insbesondere als 500 Schülerinnen und Schülern der 3., 5.
in jenen Situationen zeigt, die für eine und 7. Klassenstufe. Den Kindern wurde
Person neu bzw. unvertraut sind. dann eine Geschichte vorgelesen, die vom
Gemessen wird die allgemeine Intelli- Verlauf eines Fußballspiels handelte und
genz über standardisierte und normierte deren Inhalt sie später wiedergeben sollten.
Testverfahren, in denen bei vorgegebener Selbst für die jüngeren Kinder und für die
Zeitbegrenzung Aufgaben zu bearbeiten Fußballunkundigen war die Geschichte in
sind, die von entsprechenden Experten, weiten Teilen gut zu verstehen, sie enthielt
den Testentwicklern, als besonders kri- jedoch einige Auslassungen, Widersprüche
tisch für die Bewertung vorhandener In- und Ungereimtheiten, die den fußballkundi-
telligenz betrachtet werden. Die individu- gen Experten auffallen müssten. Bei der
ell gemessene Intelligenz wird im Sinne Behaltensprüfung zeigte sich der erwartete
einer Relativierung auf eine Vergleichs- Alterseffekt: Mit zunehmendem Alter konn-
gruppe als Intelligenzquotient (IQ) ange- ten die Kinder die Geschichte vollständiger
geben. Ein IQ von 100 entspricht in einem reproduzieren, mehr angemessene Schluss-
normierten Intelligenztest der erwarteten folgerungen aus den Textinhalten ziehen und
Durchschnittsleistung der Gleichaltrigen mehr von den »eingebauten« Widersprü-
in dem jeweiligen Testverfahren. chen und Ungereimtheiten entdecken. Un-
abhängig vom Lebensalter zeigten aber die
»Fußballexperten« stets bessere Leistungen
Um die Frage zu klären, ob die vielfältigen als für jene Kinder, die über wenig oder gar
empirischen Belege des Lern- und Leistungs- kein Fußballwissen verfügten (䉴 Abb. 2.6).
vorteils bei ausgeprägtem bereichsspezi- Die Tatsache, dass dem bereichspezifi-
fischem Vorwissen in Wirklichkeit lediglich schen Vorwissen der Kinder ein deutlich
die Wirksamkeit von Intelligenzunterschie- stärkerer Einfluss auf die Behaltensleistung
den widerspiegeln, sind unterschiedliche em- zukam als dem Alter (Klassenstufe) und vor
pirische Analysen denkbar. Eine besteht da- allem der Intelligenz, weist auf die große
rin, eine Wissensdomäne zu untersuchen, bei Bedeutung bereichsspezifischen Vorwissens
der das Vorwissen nicht von vornherein mit für erfolgreiches Lernen hin. Auch bei hoher
der allgemeinen Intelligenz kovariiert. In Intelligenz ist gutes Vorwissen demnach
einer solchen Domäne könnte man jeweils nicht entbehrlich, wenn es darum geht, mög-
Experten und Novizen mit einer hohen wie lichst gute Lernleistungen in einem Inhalts-
mit einer niedrigen Intelligenz finden und bereich zu erzielen. Die Studie von Schneider

86
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

22
20
18
Anzahl reproduzierter Einheiten

16
14 VW+ / IQ+
_
12 VW+ / IQ
_
10 VW / IQ+
_ _
8 VW / IQ
6
4
2
0
3. Klasse 5. Klasse 7. Klasse
Abb. 2.6: Leistung beim Nacherzählen einer Fußballgeschichte in Abhängigkeit von Vorwissen (hoch:
VW+; niedrig: VW–), Intelligenz (hoch: IQ+; niedrig: IQ–) und Klassenstufe (Daten aus Schneider,
Körkel & Weinert, 1989, Exp. 2)

et al. (1989, 1990) legt sogar den umge- kompatibel ist. Dies ließ sich in einer Viel-
kehrten Schluss nahe, dass nämlich ein reich- zahl empirischer Untersuchungen finden. So
haltiges Vorwissen bisweilen einen Mangel konnte etwa Peeck (1982) die behaltensför-
an allgemeiner Intelligenz bis zu einem ge- derliche Bedeutung des Vorwissens in seiner
wissen Grade kompensieren kann (vgl. auch aktuell aktivierten Form experimentell sehr
Ericsson, Krampe & Tesch-Römer, 1993). anschaulich aufzeigen. Zunächst »mobili-
Eine solche kompensatorische Wirkung hat sierte« er bei seinen Versuchsteilnehmern
natürlich ihre Grenzen. Die bereits erwähnte bestimmte Bereiche ihres Vorwissens, und
Tatsache, dass in vielen Wissensdomänen zwar durch die Aufforderung, alle ihnen
tatsächlich korrelative Zusammenhänge einfallenden Exemplare einer vorgegebenen
zwischen dem inhaltlichen Vorwissen und Kategorie rasch aufzuzählen. Jeweils ein
der allgemeinen Intelligenz gefunden wer- Drittel der Teilnehmer sollte Namen ame-
den, zeigt nämlich an, dass der Erwerb rikanischer Präsidenten benennen, die ame-
von Vorwissen in der Regel den intelligen- rikanischen Bundesstaaten aufzählen oder
teren Personen leichter fällt (vgl. auch alle Tierarten, die ihnen einfielen, aus dem
Schneider, 1997). Gedächtnis aufsagen. In einer anschließen-
den Darbietungs- und Lernphase wurden die
Namen aller amerikanischer Präsidenten
Wann begünstigt Vorwissen das und alle Bundesstaaten zum Einprägen prä-
Lernen? sentiert. Einen Tag später sollten die Ver-
suchsteilnehmer alle Präsidenten und Bun-
Relevantes Vorwissen kann nur dann die desstaaten Amerikas aufzählen, an die sie
Lernleistung verbessern, wenn es tatsächlich sich erinnern konnten. Dabei zeigte sich,
aktiviert wird (was durchaus nicht selbst- dass stets mehr Exemplare aus der jeweils
verständlich ist) und wenn es mit der zur zu Beginn des Lernexperiments aktivierten
Verarbeitung anstehenden Information Kategorie wiedergegeben werden konnten

87
Teil I Lernen

und zwar unabhängig davon, ob die nun kommt, ist demnach nicht nur von der
erinnerten Namen während dieser ersten inhaltlichen Bezogenheit und von der Akti-
Phase bereits aufgezählt worden waren vierung des relevanten Vorwissens abhängig,
oder nicht. sondern auch von der Kompatibilität dieses
In einer anderen Untersuchung ließen Vorwissens mit den neu zu lernenden Infor-
Pressley und Brewster (1990) Schülerinnen mationen.
und Schüler der 5. und 6. Klassenstufe Bilder Insbesondere wenn man sich in die Rolle
von Sehenswürdigkeiten bestimmter Land- des Lehrenden versetzt, der sich bemüht,
striche als Hintergrundwissen so lange ler- durch geeignete Hilfestellungen die ihm an-
nen, bis sie diese Gegenden den Bildern leicht vertrauten Lernenden zum Lernerfolg zu
zuordnen konnten (also z. B. die Paulskirche führen, sollte man sich vergegenwärtigen,
und Frankfurt oder der Rhein und die Lo- dass keinesfalls immer ein linearer Zusam-
reley). Anschließend sollte eine Reihe von menhang zwischen dem Ausmaß des Vor-
Detailinformationen über diese Landstriche wissens und dem späteren Lernerfolg be-
gelernt werden. Im Vergleich mit einer Kon- steht. So hat z. B. Seufert (2003; Seufert &
trollgruppe, die solches Hintergrundwissen Brünken, 2004) im Rahmen eines compu-
über die Sehenswürdigkeiten der Landstri- terbasierten multimedialen Lernszenarios
che zuvor nicht erworben hatte, zeigte sich zeigen können, dass eine Steigerung von
beim Lernen der Detailinformationen keine Verstehensleistungen durch das Bereitstellen
Überlegenheit der Vorwissensgruppe. Schü- von Lernhilfen (z. B. graphische Veranschau-
ler allerdings, die aufgefordert wurden, sich lichungen beschriebener Zusammenhänge)
die neuen Fakten mithilfe visueller Vorstel- nur bei Personen mit einer mittleren Aus-
lungen einzuprägen, profitierten von dem prägung an bereichsspezifischem Vorwissen
früher erworbenen Hintergrundwissen. Die- möglich war. Personen mit geringen oder
ses Experiment weist darauf hin, dass Vor- besonders hohen Vorkenntnissen profitier-
wissen genutzt werden kann, um die Behal- ten dagegen nicht von den bereit gestellten
tensleistung zu erhöhen, dass es jedoch nicht Verstehenshilfen. Die Beziehung zwischen
unbedingt in jedem Fall auch spontan ge- dem Ausmaß des Vorwissens und der Wirk-
nutzt wird. samkeit von Lernhilfen scheint demnach im
Weiteren Aufschluss über die Auswirkun- Sinne einer umgekehrten U-Funktion be-
gen von Vorwissen auf die Lernleistungen schreibbar (䉴 Abb. 2.7). Das aber ist ein
gibt eine Studie von Alvermann, Smith und pädagogisches Dilemma: Mit zunehmendem
Readence (1985), in der Sechstklässler einen Vorwissen wächst zwar die Fähigkeit, ange-
kurz zuvor gelesenen Text nacherzählen soll- botene Lernhilfen angemessen nutzen zu
ten. Ob die Schüler vor dem Lesen des Textes können, zugleich nimmt aber die Notwen-
bereits einen Aufsatz darüber geschrieben digkeit ab, solche Hilfen überhaupt in An-
hatten, was sie über das Thema schon wuss- spruch zu nehmen. Offensichtlich resultiert
ten, hatte Einfluss auf die spätere Behaltens- aus diesem Sachverhalt für das individuelle
leistung. Die Aktualisierung des Vorwissens Lernverhalten eine Art »multiplikativer Zu-
wirkte sich in diesem Fall allerdings nach- sammenhang«, der zu dem oben beschrie-
teilig aus, da die naiven Annahmen und benen Umstand führt, dass die Lernenden
Vorkenntnisse der Kinder über das Thema mit einem mittleren Vorkenntnisniveau ver-
des Textes (Sonnenlicht und Temperaturen) gleichsweise am meisten von den instruk-
mit den präsentierten Textinhalten, wie sich tional angebotenen Lern- und Verstehens-
herausstellen sollte, in Konflikt standen. Ob hilfen profitieren.
es zu einem positiven Effekt des Vorwissens
auf die Verstehens- und Behaltensleistung

88
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

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Wirksamkeit von Lernhilfen


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Abb. 2.7:
Hypothetischer Zusammen-
hang zwischen dem Ausmaß
bereichsspezifischen Vorwis-
sens und der Wirksamkeit von gering mittel hoch
Lernhilfen bereichsspezifisches Vorwissen

Wie beeinflusst Vorwissen das fremden Kultur. In den Nacherzählungen


Lernen? fand Bartlett eine Reihe von Verzerrungen,
die er auf drei Arten vorwissensbasierter
rekonstruktiver Prozesse zurückführte:
Die Frage, welche Wirkmechanismen dazu
führen, dass Lernende vom inhaltlichen Vor- 1. ein Vereinfachen von Sachverhalten (Ni-
wissen profitieren, ist nicht leicht zu beant- vellierung)
worten. Die meisten Erklärungen haben ihre 2. ein Hervorheben und Überbetonen be-
theoretischen Wurzeln in der erstmals von stimmter Details (Akzentuierung)
Bartlett (1932, S. 204 f) im Rahmen seiner 3. ein Verändern von Details, was zu einer
Schematheorie formulierten Konstruktions- besseren Übereinstimmung des Gehörten
hypothese. Kerngedanke dieser Hypothese oder Gelesenen mit dem eigenen Vorwis-
ist, dass das menschliche Gedächtnis bei der sen führt (Assimilation)
Konstruktion neuen Wissens die neuerlich
zum Lernen vorgelegte Information nicht Die von Bartlett (1932) beschriebenen kon-
einfach »fotografisch« abbildet, sondern struktiven Prozesse könnten den Eindruck
auf der Basis des vorhandenen Vorwissens erwecken, Vorwissen behindere Lernen eher,
interpretiert und dabei durchaus in sehr als es zu befördern. In der Tat kann das auch
subjektiver Weise verändert. Bartlett de- passieren. Lernen kann tatsächlich durch
monstrierte die vorwissensbasierten Rekon- verfügbares Vorwissen beeinträchtigt wer-
struktionen, indem er bestimmte Geschich- den. Je nach Art der Lernanforderung und
ten vorlegte und nacherzählen ließ. Die In- des Gegenstandsbereichs, über den gelernt
halte und der sprachliche Stil der von ihm werden soll, können die vorwissensbasierten
verwendeten Geschichten entstammten einer Nivellierungs-, Akzentuierungs- und Assimi-
für seine Untersuchungsteilnehmer sehr lationsprozesse unter Umständen Fehl- bzw.

89
Teil I Lernen

Misskonzepte in der Vorstellung der Lernen- können nämlich auch in lernförderlicher


den zur Folge haben. So berichten z. B. Spiro, Weise erkannt und für ein erfolgreiches Ler-
Feltovich, Coulson und Anderson (1989), nen genutzt werden. Analoges Zuordnen
dass bei der Ausbildung medizinischen Fach- wird bisweilen als ein kognitiver Grundpro-
personals bisweilen Fehlvorstellungen über zess aufgefasst, der notwendig ist, um neue
die Druckeigenschaften des cardio-vaskulä- Sachverhalte überhaupt zu verstehen (vgl.
ren Systems entstehen, wenn die Lernenden Hasselhorn, 2001). Man spricht daher auch
durch vorherige Ausbildungsphasen Exper- von analogem Verstehen, wenn ein bekann-
tise über die Funktionsweise von Wasser- ter Sachverhalt (Vorwissen) das Verstehen
leitungen und deren Druckeigenschaften er- eines neuen Sachverhaltes erst ermöglicht
worben haben. Sie scheinen dann nämlich oder zumindest erleichtert. Analoges Verste-
ihr Vorwissen aus der anderen Domäne als hen ist übrigens auch dann möglich, wenn
(unpassende) Analogie für das Verstehen der sich die Eigenschaften und Beziehungen ei-
noch unbekannten Domäne zu nutzen. nes vertrauten Sachverhaltes nur teilweise
Grundsätzlich ist die Nutzung von Ana- auf den neuen Sachverhalt übertragen las-
logien beim Lernen komplexer Sachverhalte sen. In 䉴 Kap. 3.3 werden wir uns ausführ-
jedoch von Vorteil. Diskrepanzen zwischen licher mit dem wichtigen Thema des Lern-
vertrauten und neu zu lernenden Konzepten transfers auseinandersetzen.

Beispiel: Lernen durch analoges Verstehen


Ein Schüler beschäftigt sich mit dem »Stromfluss« in einem elektrischen Stromkreis. Um
sich über die Eigenschaften des Stromflusses klar zu werden, nimmt er eine Analogiebildung
vor, indem er die ihm vertraute Vorstellung des Wasserflusses in einem Röhrensystem zu
Hilfe nimmt. Er entdeckt gewisse Gemeinsamkeiten bzw. Korrespondenzbeziehungen. So
erhöht sich z. B. der Wasserdruck, wenn mehr Wasser ins Röhrensystem gepumpt wird, was
seine Entsprechung bei der Zunahme der Spannung bei erhöhter Elektrizitätsmenge im
Stromkreis findet. Eine andere Gemeinsamkeit ist die Funktionsweise des Ventils im
Röhrensystem, das seine Entsprechung im Schalter des Stromkreises hat.
Die Analogie zwischen Röhrensystem und Stromkreis stößt allerdings auf Grenzen. So
bleibt z. B. die magnetische Wirkung des elektrischen Stroms ohne Entsprechung beim
Wasserfluss. Dennoch ist der Schüler durch die Nutzung der Wasser-Analogie zu einem
tieferen Verständnis des neuen Inhaltsbereiches gelangt. Er hat durch analoges Verstehen
Neues gelernt (vgl. Slotta, Chi & Joram, 1995).

Die Frage, wie das Vorwissen das Lernen stützt damit die Prozesse der selektiven
beeinflusst, lässt sich mit Blick auf das IN- Aufmerksamkeit.
VO-Modell erfolgreichen Lernens zusam- 2. Es entlastet das Arbeitsgedächtnis durch
menfassend auch so beantworten: Vorwis- eine schnellere Aktivierung von Konzep-
sen über die neu zu lernenden Inhalte fördert ten und eine leichtere Verknüpfung dieser
die Qualität der Informationsverarbeitung Konzepte untereinander.
über wenigstens die folgenden drei Prozesse: 3. Es steigert das Interesse am Lerngegen-
stand und erhöht somit die Bereitschaft,
1. Es erleichtert die Entscheidung über die weitere Ressourcen für den Lernprozess
Relevanz von Informationen und unter- zu mobilisieren.

90
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Hinzu kommt ein weiterer Vorteil, der eng liches Vorwissen fördert und erleichtert
mit der im nächsten Abschnitt behandelten, nämlich auch die Nutzung von Lernstrate-
dritten individuellen Voraussetzung erfolg- gien und ihre metakognitive Regulation.
reichen Lernens zusammenhängt: Inhalt-

2.3 Lernstrategien und ihre metakognitive Regulation

Nicht nur die funktional verfügbare selekti- ten waren – und organisieren die Begriffe
ve Aufmerksamkeit, die Arbeitsgedächtnis- entsprechend beim Einprägen und Wieder-
kapazität und das bereits vorhandene Vor- geben der Liste.
wissen sind bedeutsam für die Qualität und Wer die kategoriale Ordnungssystematik
Intensität, mit der Informationen im Lern- beim Lernen einer Liste von Wörtern nutzt,
prozess verarbeitet werden. Von entschei- wer beim Durcharbeiten eines Lehrbuches
dender Bedeutung sind auch Techniken die besonders wichtig erscheinenden Begriffe
bzw. Strategien des Lernens und der Infor- unterstreicht und für jedes gelesene Kapitel
mationsverarbeitung. Schon in den 1960er eine kurze Zusammenfassung schreibt, der
Jahren konnte man die Bedeutung strategi- zeigt strategisches Lernverhalten. Was aber
scher Aktivitäten für die Lernleistung bei sind eigentlich Strategien?
einfachen Gedächtnisanforderungen nach-
weisen. Beispielsweise las man Unter- Eine Strategie besteht aus einer kognitiven
suchungsteilnehmern Wortlisten der folgen- Operation oder einer Sequenz unabhängiger
kognitiver Operationen, die den zwangsläufig
den Art vor, mit der Aufforderung, sich die beim Bearbeiten einer Aufgabe stattfindenden
Wörter gut zu merken, um sie später in Prozessen übergeordnet sind und auf diese
beliebiger Reihenfolge reproduzieren zu zurückgreifen. Strategien dienen kognitiven
können: Tisch – Hund – Roller – Jacke – Zielen (z. B. dem Verstehen oder Behalten)
und sind potentiell bewusste und kontrollier-
Stuhl – Bus – Hose – Lampe – Vogel – bare Aktivitäten. (Pressley, Forrest-Pressley,
Fahrrad – Socke – Schwein – Zug – Kom- Elliott-Faust & Miller, 1985, S. 4)
mode – Pferd – Pullover.
Um eine solche Behaltensanforderung Die Definition von Pressley et al. (1985) trifft
möglichst gut zu bewältigen, kann man schon die beiden Hauptmerkmale, die in
ganz unterschiedlich vorgehen. Erwachsene späteren Präzisierungen des Strategiebegriffs
setzen in der Regel eine oder mehrere der als notwendige Bestandteile identifiziert
folgenden Strategien ein: Sie memorieren die wurden: die Zielgerichtetheit und die Tatsa-
Liste, indem sie die gehörten Wörter mög- che, dass es sich bei Strategien stets um mehr
lichst mehrmals leise oder lautlos (innerlich) handeln muss als nur um die obligatorischen
nachsprechen; sie malen sich (innerlich) ein Vorgänge und Erfordernisse bei der Bearbei-
Bild aus oder stellen sich eine Szene bzw. eine tung von Reizinformationen. Nach einer
Szenenfolge vor, in der die in der Liste vor- Sichtung der einschlägigen Literatur konnte
kommenden Objekte enthalten sind oder sie Hasselhorn (1996) sechs weitere häufig an-
entdecken die kategoriale Ordnungsmög- geführte Merkmale von Strategien identifi-
lichkeit der Liste – nämlich dass darin vier zieren: dass Strategien (1) absichtlich, (2)
Einrichtungsgegenstände, vier Tiere, vier bewusst und (3) spontan eingesetzt werden,
Fahrzeuge und vier Kleidungsstücke enthal- dass sie vom Lernenden (4) ausgewählt und

91
Teil I Lernen

(5) kontrolliert werden und dass der Strate- stadium einer neu erworbenen Strategie zu-
gieeinsatz (6) Anteile der begrenzten Kapa- zutreffen. Je routinierter eine Strategie einge-
zität des Arbeitsgedächtnisses verbraucht. setzt werden kann, desto weniger Kapazität
Nahezu alle diese Bestimmungsmerkmale des Arbeitsgedächtnisses wird durch ihre
von Strategien sind bei der Strategienutzung Ausführung verbraucht werden.
in Lern- oder Behaltenskontexten anzutref-
fen, sind aber nicht zwingend notwendig.
Definition: Lernstrategien
Gegen die Merkmale der Absichtlichkeit und
der Bewusstheit lässt sich einwenden, dass Unter Lernstrategien versteht man Pro-
Lernende oftmals unbewusst und nahezu zesse bzw. Aktivitäten, die auf ein Lern-
intuitiv Strategien hervorbringen, die sich oder Behaltensziel ausgerichtet sind und
dann als ausgesprochen effektiv erweisen. die über die obligatorischen Vorgänge bei
Führt beispielsweise ein Lehrer im Mathe- der Bearbeitung einer Lernanforderung
matikunterricht die Technik des Zerlegens hinausgehen. Lernstrategien weisen we-
bei der Addition zweistelliger Zahlen ein (41 nigstens eine zusätzliche Eigenschaft auf,
+16 = 41+10+6), so wird er gelegentlich indem sie entweder intentional, bewusst,
feststellen, dass einige Schüler diese Technik spontan, selektiv, kontrolliert und/oder
bereits beherrschen und anwenden, ohne kapazitätsbelastend sind bzw. eingesetzt
sich dessen bewusst zu sein und ohne dass werden.
sie sich darüber jemals Gedanken gemacht
hätten.
Wollte man hingegen nur spontanes stra- Schon die sehr allgemeine definitorische Um-
tegisches Verhalten als Strategie klassifizie- schreibung von Strategien lässt erahnen,
ren, so handelte man sich das Folgeproblem dass die Qualität verfügbarer Strategien zu
ein, dass eine Lerntechnik, die erst aufgrund den entscheidenden individuellen Bedingun-
einer expliziten Aufforderung von den Schü- gen erfolgreichen Lernens gehört. Im GIV-
lern gezeigt wird, nicht mehr als Strategie Modell von Pressley et al. (1989) steht das
gelten könnte. Das Merkmal der Selektivität strategische Lernverhalten im Zentrum. Um
impliziert die Auswahl zwischen alternati- die Vielzahl der bereits untersuchten Lern-
ven Verhaltensoptionen. Da es aber durch- strategien zu ordnen, ist es hilfreich, sie
aus auch Lernanforderungen gibt, bei denen weiter zu klassifizieren (was im Übrigen
solche Optionen entweder nicht vorhanden zugleich eine effiziente Verstehensstrategie
oder nicht sinnvoll sind und in welchen eine darstellt, s. u.).
angemessene Strategieanwendung nur darin Zu den prominentesten Taxonomien von
besteht, die obligatorischen (und auto- Lernstrategien gehört die Unterscheidung
matisch ablaufenden) Verarbeitungsprozes- zwischen kognitiven Strategien, metakogni-
se einfach zu unterbinden, ist eine Auswahl tiven Strategien und Stützstrategien des ex-
zwischen alternativen Vorgehensweisen ge- ternen Ressourcenmanagements (Danse-
legentlich gar nicht notwendig. reau, 1985; Weinstein & Mayer, 1986).
Ähnliche Argumente sprechen dafür, dass Als externes Ressourcenmanagement be-
auch die Merkmale der Kontrolle und der zeichnet man alle Bemühungen zur Optimie-
Kapazitätsbelastung nicht notwendigerwei- rung der Lernumwelt, z. B. durch eine an-
se auf strategisches Verhalten zutreffen müs- gemessene Gestaltung des Arbeits- und Lern-
sen. So kann z. B. bei sehr vertrauten und oft platzes, durch die Nutzung institutioneller
geübten Strategien auf die Kontrolle verzich- Gegebenheiten wie z. B. Sprachlabore, Bü-
tet werden. Und das Merkmal der Kapazi- chereien oder Computerräume sowie durch
tätsbelastung scheint eher auf das Anfangs- die Bildung von Arbeits- bzw. Lerngruppen.

92
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Auf diese, das Lernarrangement betreffen- formationen, was sich insbesondere beim
den Stützstrategien (man nennt sie auch Auswendiglernen von Fakten als hilfreich
sekundäre »Studying Strategies« im Unter- erweist. Durch das stetige Wiederholen er-
schied zu den primären »Learning Strate- folgt eine leichtere Informationsübertragung
gies« der Informationsverarbeitung) gehen in den Langzeitspeicher. Die neuen Informa-
wir im Folgenden nicht weiter ein, da wir in tionen werden so zum Bestandteil des (Vor-)
diesem Kapitel die internen Bedingungen Wissens, auf das wir später zurückgreifen
erfolgreichen Lernens fokussieren. Um hier- können, ohne dafür Arbeitsgedächtniskapa-
zu ein möglichst differenziertes Bild zu zeich- zitäten erneut im nennenswerten Umfang zu
nen, erläutern wir zunächst, was unter ko- benötigen. Das Erlernen des kleinen Einmal-
gnitiven Strategien und was unter metako- eins ist hierfür ein gutes Beispiel.
gnitiven Strategien zu verstehen ist. Die Ihr besonderes Anwendungsgebiet finden
effektive Nutzung kognitiver und metako- die Mnemotechniken dort, wo es um das
gnitiver Strategien setzt weitere metakogni- Einprägen isolierter Fakten geht. In der an-
tive Kompetenzen voraus, die wir in einem gewandten Gedächtnispsychologie gibt es
dritten Schritt vorstellen. Vor diesem Hin- eine lange Tradition der Erforschung effek-
tergrund gehen wir anschließend der Frage tiver Behaltensstrategien bzw. Mnemotech-
nach, wie Strategien erworben werden und niken für das Einprägen sinnarmer Informa-
ob es dispositionelle strategische Präferen- tionen (vgl. Wippich, 1984). Besonders ef-
zen beim Lernen (Lerntypen bzw. Lernstile) fektive Behaltensstrategien nutzen eine
gibt. Kombination der Funktionsmechanismen
der unterschiedlichen Hilfssysteme des Ar-
beitsgedächtnisses, indem sie klanglich-
Kognitive Strategien sprachliche und bildliche Kodierungsformen
miteinander verknüpfen. Ein prominentes
Kognitive Strategien werden üblicherweise Beispiel einer insbesondere für das Erlernen
gemäß ihrer besonderen Funktionen im fremdsprachiger Vokabeln langfristig auch
Lernprozess unterteilt. Die Bezeichnungen effektiven Behaltensstrategie ist die Schlüs-
fallen dabei eher phänomenologisch aus, selwortmethode, die von Atkinson und
indem zwischen Memorier- oder Wieder- Raugh (1975; Raugh & Atkinson, 1975)
holungs- sowie Organisations- und Elabo- entwickelt wurde. Wichtig zu wissen: Mit
rationsstrategien unterschieden wird (z. B. Hilfe der Schlüsselwortmethode sollte man
Friedrich & Mandl, 1992; Wild, 2000). In sich nur die besonders »hartnäckigen« Vo-
Anlehnung an Mayer (2003 a) bevorzugen kabeln einprägen.
wir eine funktionale Beschreibung der un- Die strukturierenden Strategien (Mayer,
terschiedlichen Kategorien kognitiver Stra- 2003 a) zielen auf die internen Verknüpfun-
tegien und schlagen vor, von mnemonischen gen und Strukturen des Lernmaterials. Dabei
Strategien, strukturierenden Strategien und geht es darum, aus der Vielzahl von Infor-
von generativen Strategien zu sprechen. mationen die relevanten herauszusuchen
Mnemonische Strategien oder Mnemo- und in einer verstehens- und behaltensför-
techniken sind Techniken, die dabei helfen, derlichen Weise aufeinander zu beziehen.
neue Informationen im Arbeitsgedächtnis zu Strukturierungsstrategien dienen der Reduk-
halten, um eine Verknüpfung mit dem bereits tion der zu lernenden Inhalte auf das We-
vorhandenen (aber nicht spontan aktivier- sentliche und führen dadurch zu einer bes-
ten) Vorwissen zu unterstützen. Ein typi- seren Organisation der Lerninhalte. Durch
sches Beispiel für eine einfache mnemonische derartige Strategien werden die oft unver-
Strategie ist das pure Wiederholen von In- bundenen oder nur schwach strukturierten

93
Teil I Lernen

Beispiel: Die Schlüsselwortmethode


Bei der Schlüsselwortmethode geht es darum, das Erlernen der Verknüpfung zwischen einer
Fremdsprachenvokabel und ihrer muttersprachlichen Bedeutung zu erleichtern. Sie besteht
aus zwei »Brücken«, einer akustischen und einer bildlichen.
Angenommen, es soll die englische Vokabel »Bean« (Bohne) gelernt werden. Der erste
Schritt bei der Schlüsselwortmethode besteht nun darin, ein sogenanntes Schlüsselwort zu
finden, d. h. ein Wort der Muttersprache, das eine hohe Klangähnlichkeit mit der englischen
Vokabel aufweist. Für »Bean« ließe sich z. B. das klangähnliche deutsche Wort »Biene«
hierfür auswählen. Ist ein solches Schlüsselwort als akustische Brücke zwischen englischer
Vokabel und deutscher Bedeutung gefunden, dann wird im zweiten Schritt eine bildhafte
Vorstellung zwischen Schlüsselwort und der Wortbedeutung (der Sematik) des Fremd-
wortes hergestellt. In unserem Falle kann man sich das Bild einer Biene ausmalen, die
vergnüglich auf einer Bohne sitzt. Das ist die bildliche Brücke.
In der Prüfsituation »Was heißt ›Bean‹?« wird über die Klangassoziation zur Biene das
Vorstellungsbild einer Biene und damit die bildliche Brücke aktualisiert und genau das, was
an dem Bild »merkwürdig« ist – also, dass die Biene auf einer Bohne sitzt – ist die gesuchte
Übersetzung. Die Behaltenserleichterung ergibt sich daraus, dass die imaginale, die bild-
hafte Repräsentation der auf einer Bohne sitzenden Biene, zur verbalen hinzukommt.

Informationsfluten bei komplexen Lernan-


forderungen zu größeren Sinneinheiten zu- Studie: Wirksamkeit von
sammengefasst und gruppiert, was ihre Be- Strukturierungsstrategien
arbeitung angesichts der nur begrenzt ver- Chmielewski und Dansereau (1998) leg-
fügbaren Arbeitsgedächtniskapazität erheb- ten ihren Studierenden einen Text über
lich erleichtert. das menschliche Nervensystem vor, mit
Eine in der Grundlagenforschung häufig der Aufgabe, den Text lesen und sich die
untersuchte Strukturierungsstrategie ist das Inhalte zu merken. Es war nicht gestattet,
Kategorisieren von Informationen nach se- während des Lesens irgendwelche Noti-
mantischen Merkmalen (vgl. Hasselhorn, zen anzufertigen. Die Hälfte der Studie-
1996). Aus angewandter Perspektive sind renden hatte vorher an einem dreistündi-
die besonders beim Textlernen erfolgreichen gen Training teilgenommen, um die Kon-
Strategien der Konstruktion mentaler Mo- struktion mentaler Modelle einzuüben.
delle bzw. netzartig geordneter Wissens- Nach fünf Tagen sollten die Studierenden
strukturen (Mapping) oder des Anfertigens alles aufschreiben, was sie noch wussten.
zusammenfassender Exzerpte (Outlining) zu Die Trainierten erinnerten im Vergleich
erwähnen. Bei diesen Strategien geht es zu ihren Kommilitonen mehr als doppelt
darum, die Informationen eines gelesenen so viele Informationen.
Textes (oder eines gehörten Vortrages) in
Form von Flussdiagrammen oder anderer
Skizzen in ihren hierarchischen, zeitlichen Wittrock (1974) hat Lernen als eine »gene-
und/oder funktionalen Beziehungen dar- rative Aktivität« bezeichnet, weil der Ler-
zustellen. nende aktiv Beziehungen zwischen Ideen
bzw. Informationen herstellen muss. Solche
Aktivitäten bezeichnen wir in Anlehnung an

94
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

einen Vorschlag Mayers (2003 a) als gene- 1990; vgl. auch 䉴 Kap. 6.4). Kritisch-refle-
rative Strategien. Sie haben zum Ziel, ein xivem Lernen liegt ein Wechselspiel meta-
tieferes Verständnis zu erzeugen. Im Gegen- kognitiver Prozesse zugrunde, das sich je
satz zu den Strukturierungsstrategien geht es nach Phase des Lernprozesses, in dem sich
dabei nicht um eine Reduktion der Informa- die lernende Person gerade befindet, unter-
tionsvielfalt, sondern um eine Elaboration schiedlich ausgestaltet.
relevanter Informationen und um Maßnah- Die Planung steht am Beginn einer Auf-
men der Verknüpfung mit dem bereits ver- gabe, ist also essentiell für die frühen Pha-
fügbaren Vorwissen. sen eines Lernprozesses. Dazu gehört zum
Eine generative Strategie wäre z. B. die einen die Feststellung, welches Ziel über-
Analogienbildung. Analogien können hilf- haupt angestrebt wird, und zum anderen,
reich sein, um bestimmte Merkmale des neu wie dieses Ziel erreicht werden kann. Karl
zu Erlernenden besser zu verdeutlichen (z. B. Christof Klauer (2000) hat eine hilfreiche
die zuvor beschriebene Analogie zwischen Unterscheidung für die Zielfestlegung vor-
dem Röhrensystem der Wasserleitung und geschlagen, indem er zwischen den eigent-
dem Blutkreislauf). Eine weitere wirksame lichen Planungszielen (primäre Ziele) und
Strategie dieser Art ist die Selbstbefragung. den sogenannten Effizienzzielen des Ler-
Generiert der Lernende Fragen an den Text nens (sekundäre Ziele) differenziert. Effi-
und versucht diese unter Rückgriff auf den zient ist, wer mit den vorhandenen Res-
Text und auf sein verfügbares Vorwissen zu sourcen so schonend wie möglich umgeht,
beantworten, so führt dies zu besseren Ver- indem er Pläne verfolgt, die möglichst viele
stehens- und Behaltensleistungen (z. B. Sin- primäre Ziele auf einmal fördern. So könn-
ger, 1978). Ob es sich allerdings bei der te ein primäres Ziel z. B. darin bestehen,
Selbstbefragung noch um eine kognitive einen Text über den Niedergang der Wei-
oder schon um eine metakognitive Strategie marer Republik für eine angekündigte
handelt, ist zumindest fraglich. Klausur im Fach Geschichte durchzuarbei-
ten, während ein assoziiertes sekundäres
Ziel sein mag, dafür nicht mehr als drei
Metakognitive Strategien Stunden Arbeitszeit investieren zu müssen
und (dennoch) eine gute Benotung zu er-
Je höher die Ansprüche und Anforderungen halten. Günstig ist es, seine Ziele möglichst
des Lernens ausfallen und je anspruchsvoller konkret zu fassen, also Kriterien für die
die damit verbundenen Lernziele sind, desto Zielerreichung bzw. für deren relativen
schneller stößt die Nutzung der beschriebe- Ausprägungsgrad festzulegen. So macht
nen kognitiven Strategien an ihre Grenzen. es einen Unterschied, ob ein Leseziel schon
Der flexible, kritische und reflektierte Um- als erreicht gilt, wenn alle Seiten gelesen
gang mit kognitiven Strategien gewinnt mit wurden oder erst dann, wenn man die
zunehmender Komplexität der Lernanforde- Inhalte eines Textes mit eigenen Worten
rung an Bedeutung. Als Schlüssel eines kri- wiedergeben kann.
tisch-reflektierten Lernens gelten übergeord- Ebenso gehört zur Planung eine Vorstel-
nete Strategien der Planung, Überwachung, lung darüber, wie das gesetzte Ziel erreicht
Bewertung und der darauf basierenden Re- werden kann. Dazu bedarf es einer Auswahl
gulation des eigenen Lernprozesses. Diese von Strategien und der Festlegung einer
werden als metakognitive Strategien be- bestimmten Reihenfolge des strategischen
zeichnet, da sie auf die Steuerung und Kon- Vorgehens (»Erst werde ich den Text über-
trolle der kognitiven Strategien ausgerichtet fliegen, dann werde ich ihn abschnittsweise
sind (Brown, 1978; Borkowski & Turner, lesen und mir Notizen machen, anschließend

95
Teil I Lernen

. . .«). Genauso müssen die eigenen Ressour- den vorangegangenen Planungsprozess wird
cen eingeschätzt und geplant werden. Ein nun beurteilt, ob die Ergebnisse mit den
Lernender kann sich z. B. überlegen, wie viel gesetzten Zielen übereinstimmen. Gleichzei-
Zeit ihm zur Verfügung steht oder wie lange tig ist auch von Relevanz, ob der Lernprozess
seine Konzentration erfahrungsgemäß so wie vorgestellt abgelaufen ist. Waren die
reicht. Beim Planen geht es also darum, vorher ausgewählten Strategien wirklich
sowohl das Ziel als auch die Aufgabenan- hilfreich gewesen oder zeigte es sich schon
forderungen zu antizipieren und dement- während der Aufgabenbearbeitung, dass ei-
sprechend einen Handlungsplan zu entwer- nige Strategien nicht zum erwünschten Ef-
fen. fekt führten? Konnte der selbst gesetzte Zeit-
Überwachung bezieht sich nicht nur auf plan eingehalten werden, oder war die einge-
die Feststellung von Ist-Soll-Diskrepanzen, plante Zeit gar zu großzügig bemessen?
sondern auch auf die Korrektur einer Auf- Schraw und Moshman (1995) haben darauf
gabenbearbeitung bzw. auf das kritische hingewiesen, dass die Reflektion solcher
Begleiten des eigenen Bearbeitungsfort- Fragen auch Auswirkungen auf die Art
schritts. Hacker (1998) sieht eine wesentli- der Bearbeitung zukünftiger Aufgaben hat.
che Funktion der Überwachung darin, In- So trägt auch das Bewerten zu einer ständi-
formationen über den bereits erreichten gen Verbesserung und Verfeinerung des
Lernstand bzw. das erreichte Verständnis- Lernprozesses und zur strategischen Exper-
niveau zu sammeln. Dazu gehört auch, die zu tise bei.
bearbeitende Aufgabe in ihrer Zielvorgabe
genau zu identifizieren, die Weiterentwick-
lung bei der Aufgabenlösung zu beobachten Klassifikation metakognitiver
und vorherzusagen, welches Ergebnis wohl Kompetenzen
erzielt werden wird, wenn der Arbeitspro-
zess so wie bisher fortschreitet. Durch die Metakognitive Strategien gehören in die
Überwachung angeregt, werden Prozesse Rubrik der Metakognitionen. Diese umfas-
der Regulation ausgelöst, die das Verstehen sen Phänomene, Aktivitäten und Erfahrun-
und Behalten steuern. Im Ergebnis tragen gen, die mit dem Wissen und der Kontrolle
diese Regulationsprozesse dazu bei, die Res- über eigene kognitive Funktionen (z. B.
sourcen für eine Aufgabenbearbeitung kla- Wahrnehmen, Lernen, Verstehen, Denken)
rer zu definieren, eine konkrete Abfolge von zu tun haben. Von den übrigen mentalen
Schritten für die Bearbeitung festzulegen und Phänomenen, Aktivitäten und Erfahrungen,
die Intensität und Geschwindigkeit des stra- den sogenannten Kognitionen, heben sich
tegischen Vorgehens genauer zu bestimmen Metakognitionen dadurch ab, dass die ko-
(Hacker, 1998). Es leuchtet ein, dass die gnitiven Zustände oder Funktionen selbst
Handlungsüberwachung und die Hand- quasi zu den Objekten der Reflektion wer-
lungssteuerung sehr eng zusammenhängen den. Metakognitionen übernehmen sozusa-
und auch voneinander abhängig sind. Nur gen die Kommandofunktionen der Kontrol-
wem beim Lesen überhaupt auffällt, dass die le, Steuerung und Regulation während des
eigenen Gedanken ständig vom Text ab- Lernens. Somit weisen sie eine funktionale
schweifen, kann sich bewusst vornehmen, Überlappung zur zentralen Exekutiven des
konzentrierter zu arbeiten, oder aber dazu Arbeitsgedächtnisses auf (䉴 Kap. 2.1).
entschließen, eine Aufgabenbearbeitung ab- Schon die frühen Definitionen des Begriffs
zubrechen. (z. B. Flavell, 1976) enthalten die bis heute
Die Bewertung erfolgt nach Beendigung verbreitete Zwei-Komponenten-Sichtweise
einer Lernaufgabe. In enger Bezugnahme auf der Metakognition, der zufolge zwischen

96
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

dem Wissen über eigene kognitive Funktio- Kontrolle auch ist, so unzureichend ist sie
nen (den deklarativen Metakognitionen) für die Beschreibung der Vielfalt der Meta-
und andererseits der Kontrolle der eigenen kognitionsforschung. Hierfür bedarf es einer
kognitiven Aktivitäten (den prozeduralen detaillierteren Unterscheidung zwischen
Metakognitionen), unterschieden wird. So nicht weniger als fünf verschiedenen Sub-
sinnvoll die Unterscheidung zwischen meta- kategorien der Metakognition (䉴 Abb. 2.8).
kognitivem Wissen und metakognitiver

1. Systemisches Wissen
a) Wissen über das eigene kognitive System und seine Funktionsgesetze
b) Wissen über Lernanforderungen
c) Wissen über Strategien

2. Epistemisches Wissen
a) Wissen über eigene aktuelle Gedächtniszustände bzw. Lernbereitschaften
b) Wissen über die Inhalte und Grenzen eigenen Wissens
c) Wissen über die Verwendungsmöglichkeiten eigenen Wissens

3. Exekutive Prozesse (Kontrolle)


a) Planung eigener Lernprozesse
b) Überwachung eigener Lernprozesse
c) Steuerung eigener Lernprozesse

4. Sensitivität für die Möglichkeiten kognitiver Aktivitäten


a) Erfahrungswissen
b) Intuition

5. Metakognitive Erfahrungen bezüglich der eigenen kognitiven Aktivität


a) bewusste kognitive Empfindungen
b) bewusste affektive Zustände

Abb. 2.8: Klassifikation metakognitiver Komponenten nach Hasselhorn (1992)

Die ersten beiden Subkategorien weisen auf Davon unabhängig ist das Wissen über den
zwei voneinander abzugrenzende Facetten eigenen Wissensbestand und über seine Lü-
der wissensbezogenen Metakognition hin. cken, über den Erwerb des eigenen Wissens
In Anlehnung an einen Vorschlag von Ca- und über seine Verwendungsmöglichkeiten
vanaugh (1989) kann nämlich zwischen sowie das Wissen über die aktuelle kognitive
systemischem Wissen und epistemischem Verfassung und Lernbereitschaft. Dieses
Wissen unterschieden werden. Die systemi- Wissen darüber, was ich (über mich und
sche Wissensdomäne umfasst das Wissen meine Wissensbestände) weiß, ist die episte-
über die Gesetzmäßigkeiten, Einflussfak- mische Wissensdomäne der Metakognition.
toren sowie Stärken und Schwächen eigener Eine dritte Subkategorie bilden die exe-
kognitiver Funktionen. Wenn ich weiß, un- kutiven Metakognitionen, die identisch sind
ter welchen Bedingungen ich welche Inhalte mit der Kontrollkomponente der traditio-
besonders gut lernen kann, dann spricht nellen Zwei-Komponenten-Sichtweise Fla-
dies für die Qualität des systemischen Wis- vells. In diese Subkategorie gehören die be-
sens. reits beschriebenen metakognitiven Strate-

97
Teil I Lernen

gien der Planung, Überwachung, Bewertung erste Metaanalyse vorlegte. Aus 27 Publika-
und Steuerung eigener Lernprozesse. tionen mit statistischen Zusammenhangs-
Bereits Flavell war von der Bedeutung analysen zwischen Metakognition und Leis-
zweier weiterer Facetten der Metakognition tungen destillierte er einen mittleren Zusam-
überzeugt, deren Erforschung sich allerdings menhang von r =.41 – ein Ergebnis, das die
als vergleichsweise schwierig erwiesen hat. Zweifel an der Bedeutsamkeit der Metako-
Dabei handelt es sich zum einen um die gnitionen für den Lernerfolg auszuräumen
Sensitivität, zum anderen um die metako- vermochte.
gnitive Erfahrung. Unter Sensitivität ver- Doch wie nehmen Metakognitionen Ein-
steht man das Gespür für die derzeit verfüg- fluss auf das Lerngeschehen? Man geht da-
baren Möglichkeiten eigener kognitiver Ak- von aus, dass es nicht nur einen einzigen
tivitäten. Das ist für eine effiziente Nutzung Wirkmechanismus gibt. Komponenten der
exekutiver Überwachungsprozesse unerläss- verschiedenen Subkategorien von Metako-
lich. Vermutlich kann dieses Gespür sowohl gnition können dafür verantwortlich sein,
die Folge eines hinreichenden Erfahrungs- dass beim Bearbeiten einer Lernanforderung
wissens sein als auch der Ausdruck einer eine Reflexion über den eigenen Lernpro-
»intuitiven« Sensitivität. zess, über den erreichten Wissensstand und
Während diese Sensitivität keineswegs über die strategischen Lernmöglichkeiten in
bewusst sein muss, versteht man unter den Gang gesetzt wird. So kann z. B. beim Lesen
metakognitiven Erfahrungen bewusste ko- eines Textes eine metakognitive Erfahrung
gnitive Empfindungen (z. B. »verwirrt sein« bewusst werden, weil man Inkonsistenzen
über eine scheinbar widersprüchliche Infor- zwischen verschiedenen Textabschnitten
mation) oder affektive Zustände bezüglich empfindet. Oder man bemerkt bei dem Ver-
der eigenen kognitiven Aktivität (z. B. »be- such, die Inhalte des gelesenen Textes zu-
drückt sein« darüber, dass man eine neue sammenzufassen, dass man einen Text-
Information nicht versteht). abschnitt doch noch nicht verstanden hat
Im Verlauf eines Lernprozesses kommt es und beginnt deshalb von neuem mit der
zu einer komplizierten Vernetzung der ver- Planung und Ausführung von Aktivitäten,
schiedenen Subkategorien der Metakogniti- um das Verständnisproblem zu überwinden.
on. Aufgrund dieser Vernetzung ist es oft Bei aller Unterschiedlichkeit der Auslöser
kaum möglich, die verschiedenen Aspekte und der metakognitiven Komponenten, die
der Metakognition empirisch auseinander- an derartigen Lernprozessen beteiligt sind,
zuhalten. Dennoch erscheint uns die vor- lassen sich zwei Merkmale von Lernprozes-
gelegte differenzierte Klassifikation sinnvoll sen hervorheben, bei denen Metakognitio-
und notwendig. Denn erstens kann man nur nen offenbar eine zentrale Rolle spielen:
so den Versuch unternehmen, die Metako- Zum einen ist das die Reflexion über den
gnitionen von anderen Konzepten abgren- eigenen Lernprozess und zum anderen sind
zen. Und zweitens macht erst eine solche es die durch diese Reflexion ausgelösten
Differenzierung die Beschreibung und Erklä- strategischen Aktivitäten.
rung der mannigfaltigen Einflussnahme von Die Reflexion kann dabei sowohl vergan-
Metakognitionen auf das Lernverhalten genheitsbezogen als auch gegenwartsbezo-
möglich. gen sein: vergangenheitsbezogen als Nach-
Noch Anfang der 1980er Jahre war man denken über Handlungen, gegenwartsbezo-
skeptisch, ob es überhaupt einen Zusam- gen als Nachdenken während des Handelns.
menhang zwischen Metakognitionen und Beide Formen der Reflexion sind gleicher-
Lern- und Behaltensleistungen gibt. Dies maßen Ursprung wie Folge von Metakogni-
änderte sich erst, als Schneider (1985) eine tionen. So ist etwa das Nachdenken über

98
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Handlungen gleichzeitig die Folge exe- Strategien erworben werden, lässt sich nicht
kutiver Metakognitionen und der Ursprung leicht beantworten, weil dies in hohem
metakognitiver Erfahrungen und systemi- Maße von der Art und Komplexität der
schen Wissens. In ähnlicher Weise zeugt Strategien sowie von den instruktionalen
auch die metakognitive Aktivität des Nach- Rahmenbedingungen einer Lernsituation
denkens während einer Lernhandlung von abhängig ist.
metakognitiver Sensitivität und erzeugt Dennoch weiß man einiges darüber, wie
gleichzeitig epistemisches Wissen. Die Refle- Strategien überhaupt erworben werden. Be-
xion ist somit Bindeglied zwischen verschie- sonders gut erforscht ist die Entwicklung
denen metakognitiven Kompetenzen einer- basaler Behaltensstrategien im Grundschul-
seits und zwischen Metakognitionen und alter, z. B. das Wiederholen und Kategori-
Lernerfolg bzw. Lernleistung andererseits. sieren von Informationen. Im ersten Stadi-
Gleichzeitig macht sie den Lernprozess be- um des Strategieerwerbs bringen die Kinder
wusst und sorgt dafür, dass verfügbare Stra- eine Strategie weder spontan hervor, noch
tegien auch tatsächlich genutzt werden. So sind sie in der Lage, eine durch ein kom-
tragen die metakognitiven Kompetenzen des petentes Modell demonstrierte Strategie
Lernenden zum effizienten Ablauf von Lern- selbst zu übernehmen. Es scheint ihnen
prozessen und damit zum erfolgreichen Ler- an den notwendigen kognitiven Voraus-
nen bei. Dies wirft die Frage auf, wann und setzungen bzw. an den zur Strategieanwen-
wie solche Strategien als individuelle Voraus- dung notwendigen vermittelnden Vorbedin-
setzungen erfolgreichen Lernens eigentlich gungen (den sogenannten Mediatoren) zu
erworben werden. mangeln. Denn selbst wenn ein kompeten-
tes Modell die in Frage stehende Strategie
demonstriert und wenn die Kinder aufgefor-
Wie werden Strategien dert werden, die so demonstrierte Strategie
erworben? selbst zu nutzen, sind sie dazu nicht in der
Lage. Dieses Stadium wird in der Entwick-
Der Erwerb von Strategien ist ein müh- lungspsychologie mit dem Begriff des Me-
sames Geschäft. In den wenigsten Fällen diationsdefizits umschrieben – es ist in der
kommt es beiläufig und zufällig zum Stra- Regel nur bei sehr jungen Kindern anzu-
tegieerwerb, wie es mit vielen Bausteinen treffen.
unseres Vorwissens geschieht. Auch ein- Anders sieht es bei Kindern aus, die zwar
fache biologische Reifungsmechanismen spontan eine bestimmte Strategie nicht ein-
bringen keine kognitiven Strategien hervor. setzen oder nutzen, aber nach entsprechen-
Sie sind bestenfalls geeignet, die Genese den hilfreichen Hinweisen dazu in der Lage
basaler strategischer Verhaltensmöglichkei- sind und dann auch davon profitieren. Sie
ten zu erklären. Komplexe Lernstrategien befinden sich im zweiten Stadium des Stra-
werden in der Regel erst ab der Sekundar- tegieerwerbs, dem Stadium des sogenannten
stufe erworben. Baumert und Köller (1996) Produktionsdefizits. Hier verfügen die Kin-
berichten, dass sich ein Repertoire differen- der zwar im Prinzip über die zur Umsetzung
ziert einsetzbarer Lernstrategien überhaupt der Strategie notwendigen Prozeduren bzw.
erst im Alter von 15 bis 16 Jahren ausbildet. Mediatoren, sie übernehmen eine Strategie
Diese Einschätzung gilt sicherlich für aber nicht in ihr spontanes Verhaltensreper-
komplexe und vor allem metakognitive toire. Dass ihnen die Nachahmung der
Lernstrategien. Einzelne Behaltensstrategien Strategien noch schwer fällt, lässt sich da-
werden aber schon von Kindern im Grund- ran beobachten, dass sie eine Strategie wie-
schulalter spontan gezeigt. Die Frage, wann der aufgeben, sobald sie nicht mehr explizit

99
Teil I Lernen

dazu aufgefordert werden, sie zu nutzen. chende Automatisierung der Strategie und/
Vermutlich liegt das Produktionsdefizit da- oder auf die mangelnde Sensitivität dafür,
rin begründet, dass das Wissen über die wann und wie die Strategie wirkungsvoll
Nützlichkeit einer Strategie (als Teil des einsetzbar ist. Eine unzureichende Automati-
deklarativen systemischen Metagedächtnis- sierung der Strategienutzung hat auch zur
ses) noch nicht hinreichend ausgebildet ist Konsequenz, dass zu viel Kapazität des Ar-
(vgl. Hasselhorn, 1996). Mit anderen Wor- beitsgedächtnisses (s. o.) für die Ausführung
ten: Die Kinder sind noch nicht hinreichend der strategischen Prozeduren benötigt wird.
davon überzeugt, dass sich ein (zunächst Die mangelnde Sensitivität für den wir-
aufwendiger) Strategieeinsatz später einmal kungsvollen Einsatz der Strategie zeigt ein-
auszahlen wird. mal mehr die Bedeutung metakognitiver
Miller (1990) hat darauf hingewiesen, Kompetenzen für erfolgreiches strategisches
dass mit dem Übergang vom Produktions- Lernen.
defizit zum effektiven Strategiegebrauch in Auch wenn in der entwicklungspsycho-
der Regel noch ein weiteres Stadium zu logischen Grundlagenforschung mittlerwei-
beobachten ist, das mit den Begriffen Nut- le mit guten Argumenten bezweifelt wird,
zungsdefizit (Miller, 1994) bzw. Nutzungs- dass das Stadium der Nutzungsineffizienz
ineffizienz (Hasselhorn, 1996) umschrieben beim Strategieerwerb notwendigerweise
wird. In diesem Stadium bringen die Kinder auftreten muss (vgl. Sodian & Schneider,
zwar die betreffende Strategie spontan her- 1999), so dürfte dieses Stadium beim Er-
vor, jedoch wirkt sich die Strategienutzung werb komplexer Lernstrategien, wie sie in
noch nicht in der zu erwartenden Weise Schule und Unterricht vermittelt werden
günstig auf die entsprechende Lernleistung sollen, eher die Regel sein. Will man solche
aus. Miller und Seier (1994) vermuten, dass Strategien im Unterricht vermitteln, muss
diese (vorübergehende) Ineffizienz der Stra- also damit gerechnet werden, dass beim
tegienutzung hauptsächlich auf zwei Mecha- Erlernen einer neuen Strategie erhebliche
nismen zurückzuführen ist: auf die unzurei- motivationale Probleme auftreten können.
Lernleistung

Motivationstal

A B C D Abb. 2.9:
Motivationstal der Nut-
alte erste Nutzung spätere zungsineffizienz beim Er-
Strategie der neuen Srategienutzung werb einer Strategie nach
Strategie Miller & Seier (1994)

100
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Da nämlich die ersten Anwendungen der und materialen Lerntypen. Zu den materia-
neuen Strategie oftmals keineswegs zu den len Lerntypen gehören z. B. die in der Taxo-
erhofften Leistungssteigerungen führen, ist nomie von Charcot beschriebenen, da hier
zunächst eine Durststrecke, ein »Motivati- die individuellen Unterschiede am bevorzug-
onstal« zu überwinden, weil sich der erhoff- ten Inhalt bzw. am Material des Lernstoffs
te Nutzen nicht gleich realisieren lässt festgemacht werden. Die besonderen Lern-
(䉴 Abb. 2.9). Oft ist es sogar so, dass der und Gedächtnisleistungen mancher Maler,
anfängliche Einsatz einer neuen Strategie Musiker oder Sportler und das – im Erwach-
derart viel Arbeitsgedächtniskapazität er- senenalter höchst selten auftretende – Phä-
fordert, dass manchmal nicht nur kein nomen eines überaus stark und lange anhal-
neuer Nutzen entsteht, sondern die Leis- tenden Nachbildes sensorisch wahrnehm-
tungsresultate gegenüber dem Lernen mit barer Ereignisse (Eidetik) waren beliebte
Hilfe der alten Strategie sogar ungünstiger Belege für die vermeintliche Existenz der
ausfallen können. Erst wenn die neue materialen Lerntypen. Doch schon Offner
(mächtigere) Strategie hinreichend auto- (1924) musste feststellen, dass »ein ganz
matisiert ist, erlebt der Lernende den er- einseitiger Typus . . . eine Ausnahme [ist]
wünschten Leistungsvorteil. . . . Vorherrschend sind gemischte Disponi-
bilitätstypen« (S. 174).
Unter dem formalen Lerntyp verstand
Lerntypen und Lernstile: man die Präferenz für eine bestimmte Art
Individuelle Präferenzen in der des Lernens, also den von einer Person
Art strategischen Lernens? bevorzugten Lernstil. Offner (1924) unter-
scheidet zwischen »mechanischen«, »logi-
Seit langem weit verbreitet ist die im Lichte schen« und »mnemotechnischen« Lernsti-
vorliegender empirischer Befunde weit- len. Einige Jahre zuvor hatte Meumann
gehend kritisch zu hinterfragende Annah- (1911, S. 231) bereits zwischen »analyti-
me, dass sich Lernende systematisch darin schen« und »synthetischen Lernern« unter-
unterscheiden, welche Lernstrategien sie schieden. Aber auch die Differenzierungen
besonders effektiv und erfolgreich einsetzen nach formalen Lerntypen erwiesen sich als
können. Der französische Nervenarzt Char- problematisch und ließen sich empirisch
cot legte in den 80er Jahren des 19. Jahr- nicht stützen. Das Aufkommen faktoren-
hunderts eine erste Taxonomie verschiede- analytischer Untersuchungsmethoden führ-
ner Vorstellungs- bzw. Gedächtnistypen vor, te schon bald dazu, individuelle Differenzen
indem er zwischen einem visuellen, einem im Lernverhalten bzw. in den Lernleistun-
akustischen, einem motorischen und einem gen als Folge unterschiedlicher Ausprägun-
indifferenten Typus unterschied. Je nach gen einer Vielzahl von Fähigkeiten (z. B.
Typus – so glaubte er – würden eher visu- mechanisches Denken, logisches Denken)
elle, eher akustische oder eher motorisch- zu beschreiben. Erst zu Beginn der zweiten
enaktive Inhalte bzw. Materialien besser Hälfte des 20. Jahrhunderts griff man unter
gelernt werden. Anfang des 20. Jahrhun- dem Stichwort kognitive Stile ein den for-
derts wurde der Gedanke der individuellen malen Lerntypen ähnelndes Konzept wieder
Lerntypen in pädagogischen Kreisen lebhaft auf.
diskutiert. Im Unterschied zu den eher unipolaren
Das seinerzeit viel gelesene Lehrbuch von und eindimensionalen Fähigkeitskonzepten
Offner (1924) fasst die wesentlichen Ergeb- (z. B. Intelligenz) versteht man unter kogni-
nisse dieser Diskussionen zusammen. Da- tiven Stilen bipolar beschreibbare intraindi-
nach unterschied man zwischen formalen viduell stabile Präferenzen der Informations-

101
Teil I Lernen

verarbeitung. Nach Messick (1994) handelt jedoch mit quantitativen Leistungsunter-


es sich dabei um persönlichkeitsabhängige schieden beim Lernen einhergehe und dass
Vorlieben des Wahrnehmens, Erinnerns, diese Unterschiede intelligenzunabhängig
Denkens und Problemlösens, die relativ un- seien, hat sich jedoch empirisch nicht bestä-
abhängig sind von der allgemeinen Intelli- tigen lassen (McKenna, 1990; Tiedemann,
genz. Die bekanntesten empirisch untersuch- 1983). Am Beispiel der Feldabhängigkeit/
ten kognitiven Stile sind die »Impulsivität vs. Feldunabhängigkeit lässt sich gut zeigen,
Reflexivität« und die »Feldabhängigkeit vs. dass die sogenannten kognitive Stile eher
Feldunabhängigkeit«. Die Erwartung, dass intelligenzverwandte Fähigkeiten darstellen
die bipolare Differenzierung dieser kogniti- als individuelle und intelligenzunabhängige
ven Stile vor allem mit qualitativen, nicht Strategie-Präferenzen beim Lernen.

Fokus: Feldabhängigkeit vs. Feldunabhängigkeit


Um 1940 herum beobachtete der Psychologe Herman Witkin, dass einige Flugzeugpiloten,
wenn sie in eine Wolkenbank hineinflogen, häufig mit ihrem Flieger in gekippter Lage aus
der Wolkenbank wieder herauskamen, ohne zwischenzeitlich die Änderung der Lage des
Flugzeugs realisiert zu haben. Bei der Untersuchung dieses und anderer Phänomene der
Wahrnehmung einzelner Faktoren in einem visuellen Gesamtfeld, stieß Witkin auf syste-
matische interindividuelle Unterschiede, die er als Feldabhängigkeit vs. Feldunabhängigkeit
beschrieb (Witkin, Moore, Goodenough & Cox, 1977).
Feldabhängige Personen tendieren dazu, (visuelle) Muster ganzheitlich wahrzunehmen.
Sie haben Schwierigkeiten, wichtige Details aus einer Situation herauszulösen und zu
fokussieren und es fällt ihnen schwerer, beim Lernen den Einsatz von Lernstrategien selbst
zu überwachen. Diese Personen arbeiten gut in Gruppen, haben ein gutes Gedächtnis für
soziale Informationen und interessieren sich häufiger für Literatur und Geschichte. Im
Gegensatz dazu überwachen feldunabhängige Personen in höherem Maße ihre eigenen
Informationsverarbeitungsprozesse. Sie können die unterschiedlichen Teile eines Gesamt-
musters leichter wahrnehmen und separieren und sie können ein Muster komponenten-
weise analysieren. Ihre Interessen liegen eher in den Bereichen Mathematik und Natur-
wissenschaften.

Bereits Davis und Frank (1979) wiesen nem assoziativ damit verknüpften Hinweis-
darauf hin, dass sich Feldabhängige und wort bestanden (z. B. Pilz – SCHIMMEL).
Feldunabhängige nicht nur in der Art, son- Als Zielwörter wurden Homographen, also
dern auch in der Quantität ihrer Lernleis- Wörter mit zwei unterschiedlichen Bedeu-
tungen unterscheiden. Die Annahme, dass tungen gewählt. Die spätere Verfügbarkeit
Feldunabhängige Informationen flexibler des Gelernten wurde entweder unter Vor-
verarbeiten und deshalb auch weniger kon- gabe der in der Lernphase dargebotenen
textgebunden mental verfügbar haben, Hinweiswörter (z. B. Pilz) oder unter Vor-
prüfte Frank (1983) im Rahmen eines Ex- gabe von Wörtern, die mit der anderen
periments zum Paarassoziationslernen. Die Bedeutung des Homographen assoziativ
Versuchsteilnehmer mussten Wortpaare verknüpft waren (z. B. Pferd) oder aber
auswendig lernen, die aus einem mit Groß- ganz ohne Vorgabe eines Hinweiswortes
buchstaben geschriebenen Zielwort und ei- erfasst. Während sich die Behaltensleistung

102
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

von Feldunabhängigen und Feldabhängigen inhalte mit persönlichen Erfahrungen


bei Vorgabe des Original-Hinweiswortes herzustellen, und »oberflächlich« Lernende
nicht voneinander unterschieden, waren bedienen sich überwiegend einfacher Me-
die Feldunabhängigen in den beiden ande- morierstrategien.
ren Experimentalbedingungen den Feld- In ähnlicher Weise haben andere Arbeits-
abhängigen überlegen. Die Überlegenheit gruppen in den 1980er Jahren von Ober-
der Feldunabhängigen war besonders deut- flächen- und Tiefenlernern gesprochen, von
lich bei der schwierigsten Bedingung, der extrinsisch motiviert Lernenden mit einer
ohne Hinweiswort. »Reproducing Orientation« und von einer
Die größere Kontextunabhängigkeit des intrinsisch motivierten »Meaning Orientati-
Informationserwerbs Feldunabhängiger legt on« (vgl. Wild, 2000). Lernende mit einer
die Vermutung nahe, dass sie Lernstrategien Präferenz zur tiefen Verarbeitung haben In-
flexibler nutzen als Feldabhängige. Nach teresse am Lernen um des Lerngegenstandes
Cochran und Davis (1987) basiert die Über- willen und machen sich daher wenig Gedan-
legenheit feldunabhängiger Personen aber ken darum, wie ihre Lernleistungen bewertet
auch auf einer vergleichsweise größeren Ar- werden. Bevorzugt oberflächlich verarbei-
beitsgedächtniskapazität, die sich z. B. in tende Personen lassen sich in ihrem Lern-
einer größeren Gedächtnisspanne für Sätze verhalten eher durch die in Aussicht stehen-
niederschlägt. Durso, Reardon und Jolly den Belohnungen, wie gute Noten, beein-
(1985) fanden außerdem eine Überlegenheit flussen und es ist ihnen wichtiger als ande-
Feldunabhängiger in der Überwachung eige- ren, dass sie positiv bewertet werden (vgl.
ner kognitiver Prozesse und damit eines Snow, Corno & Jackson, 1996).
zentralen Aspektes exekutiver Metakogni- Es wurden auch etliche Fragebögen ent-
tionen. wickelt, mit deren Hilfe Lernstile und Lern-
Ein im Vergleich zum Konzept der ko- präferenzen diagnostiziert werden sollten.
gnitiven Stile weniger genereller Erklä- Sie sind jedoch aus pädagogisch-psychologi-
rungsanspruch ist mit dem Begriff der Lern- scher Sicht nur von begrenztem Nutzen.
stile verbunden. Im Gegensatz zu dem oben Einerseits findet man nämlich enge Zusam-
dargelegten Konzept der Lernstrategien um- menhänge zwischen dem »tiefen Verarbei-
fassen Lernstile nämlich die Präferenzen für ten« und der allgemeinen und verbalen In-
unterschiedliche Lernsituationen (z. B. Vor- telligenz sowie zwischen dem »elaborierten
trag, Diskussion, Projekt), für Merkmale Verarbeiten« und dem Vorstellungsver-
der Lernumgebung (z. B. Temperatur, Ge- mögen bzw. der räumlich-visuellen Intelli-
räuschpegel) sowie für das Ausmaß an genz. Andererseits ist die Zuverlässigkeit
sozialer Unterstützung (z. B. Tutorien, Ar- (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität) der
beitsgruppen). Schmeck (1988) unterschei- Instrumente für eine individuelle Lernstil-
det z. B. drei Muster von Informationsver- Diagnostik in der Regel nicht ausreichend
arbeitungsaktivitäten, die er als Lernstile (Stahl, 2002). Unklar bleibt auch, was aus
oder -präferenzen bezeichnet: eine tiefe, einer Lernstildiagnostik eigentlich folgen
eine elaborative und eine oberflächliche würde:
Verarbeitungspräferenz. Personen mit ei- Menschen sind verschieden und es gehört zur
ner »tiefen« Verarbeitungspräferenz gehen guten pädagogischen Praxis, individuelle Un-
beim Erwerb neuen Wissens kritisch prü- terschiede zu erkennen und sich darauf ein-
fend vor und bevorzugen konzeptuell-orga- zustellen. Ebenfalls gute Praxis ist es, neue
Informationen auf unterschiedliche Weise
nisierende Strategien, »elaborative« Infor-
und in verschiedenen Modalitäten darzubieten.
mationsverarbeiter sind bemüht, beim En- Aber es ist nicht klug, Lernende einfach zu
kodieren eine Verknüpfung der neuen Lern-

103
Teil I Lernen

klassifizieren und die Lernmethoden einzig auf propagierten Lerntypen offenbar gar nicht
der Grundlage von Testverfahren mit fragwür- existent sind (Pashler, McDaniel, Rohrer &
diger Güte festzulegen. . . . Die Idee der Lern-
stile ist verlockend, aber eine kritische Prüfung
Bjork, 2009). Es mag zwar sein, dass manche
dieses Ansatzes sollte Lehrende skeptisch ma- Personen davon überzeugt sind, dass sie eher
chen. (Snider, 1990, S. 53) von visuellen oder eher von akustischen
Unterstützungen ihrer Lernprozesse profitie-
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, ren. In der Regel wird dies jedoch die Folge
dass die nach wie vor große Popularität von von gewohnheitsbedingten Präferenzen von
Lerntypen-Klassifikationen in der einschlä- Modi der Informationsverarbeitung sein
gigen empirischen Befundlage eigentlich kei- und nicht die Folge entsprechender typolo-
ne Entsprechung findet und dass die häufig gisierbarer Dispositionen.

2.4 Motivation und Selbstkonzept

Es scheint zu den Binsenweisheiten des pä- aufgrund vielfältiger Probleme bei ihrer an-
dagogischen Alltags zu gehören, dass moti- gemessenen methodischen Analyse noto-
vationale Voraussetzungen zu den wichtigs- risch unterschätzt wird. Eines dieser Proble-
ten Determinanten erfolgreichen Lernens me kommt dadurch zustande, dass motiva-
zählen. Die Bereitschaft, sich Lernanforde- tionale Voraussetzungen mit den zuvor be-
rungen zu stellen, sich diesen gezielt und handelten kognitiven Voraussetzungen des
ausdauernd zu widmen und sich dabei an- Lernens – je nach Schwierigkeitsgrad der
zustrengen, gilt als Anzeichen für eine güns- Lernanforderung – einmal verzahnt, d. h.
tige motivationale Voraussetzung des Ler- gekoppelt sind und einmal nicht. Bei schwie-
nens. Überraschenderweise fallen jedoch die rigen Lernaufgaben scheint eher ein Kopp-
empirisch ermittelten Zusammenhänge zwi- lungsmodell zu greifen, was nichts anderes
schen derartigen motivationalen Parametern heißt, als dass sowohl eine hohe Ausprägung
und der beobachtbaren Lernleistung eher kognitiver Kompetenzen als auch große An-
bescheiden aus. In einer Metaanalyse über strengung für erfolgreiches Lernen notwen-
die Daten aus 355 empirischen Studien fan- dig ist. Bei leichteren Aufgaben hingegen
den Fraser, Walberg, Welch und Hattie wird ein Kompensationsmodell unterstellt
(1987) einen durchschnittlichen Zusammen- (geringere kognitive Fähigkeiten können
hang von r =.12 zwischen Motivation und durch große Anstrengungen kompensiert
Leistung; d. h. weniger als 2 % der Leis- werden und umgekehrt).
tungsvarianz ließ sich durch motivationale Zu den wichtigsten motivationalen Vo-
Unterschiede zwischen den Lernenden erklä- raussetzungen erfolgreichen Lernens gehört
ren. die Qualität des eigenen Lern- und Leis-
Hieraus den Schluss zu ziehen, dass der tungsmotivsystems, das sich durch Erfolgs-
Lernmotivation beim Lernen eine weitaus orientierung bzw. Misserfolgsängstlichkeit,
geringere Rolle zukommt, als es dem päda- den eng damit verknüpften Attributionsstil
gogischen Überzeugungswissen vieler Prak- sowie durch das leistungsbezogene Selbst-
tiker entspricht, wäre allerdings voreilig. vertrauen bzw. durch die lern- und leistungs-
Weinert (1990) hat überzeugend dargelegt, relevanten Selbstkonzepte gut charakterisie-
dass der Einfluss motivationaler Faktoren ren lässt. Bevor wir einige interindividuelle

104
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Unterschiede des Lern- und Leistungsmotiv- Interesse und intrinsische


systems skizzieren, ist es aber notwendig, auf Motivation
die Rolle des Interesses bzw. der intrinsi-
schen Motivation für den Lernerfolg ein-
zugehen. Interessante Tätigkeiten gehen uns leicht von
der Hand. Das Interesse an einer Fragestel-
lung bringt uns dazu, ein einschlägiges Buch
Definition: Motivation und Motiv
darüber zu lesen, ohne dass uns jemand dazu
Unter Motivation oder Motiviertheit ver- anhält oder dafür belohnt. Beobachtungen
steht man die Bereitschaft einer Person, dieser Art sprechen dafür, dass das Interesse
sich intensiv und anhaltend mit einem an einer Sache ein wichtiger Bestandteil der
Gegenstand auseinanderzusetzen. Moti- motivationalen Voraussetzungen erfolgrei-
vation kann als Prozess aufgefasst wer- chen Lernens ist. Schon zu Beginn des 20.
den, in dessen Verlauf zwischen Hand- Jahrhunderts beschäftigte man sich daher
lungsalternativen auswählt wird. Das mit dem Interesse als motivationalem Faktor
spätere Handeln wird dann auf die aus- des Lernens (z. B. Dewey, 1913; Kerschen-
gewählten Ziele ausrichtet und auf dem steiner, 1922). Eine systematische Interes-
Weg dorthin in Gang gehalten, also mit senforschung und eine Untersuchung der
psychischer Energie versorgt. motivationalen Auswirkungen von Interes-
Von Motiv sprechen wir, wenn es um sen für das Lernen setzte jedoch erst im
individuelle zeitüberdauernde Vorlieben letzten Quartal des 20. Jahrhunderts ein
für bestimmte Klassen von Zuständen (vgl. Krapp & Prenzel, 1992).
geht. So sprechen wir vom Anschluss- Aber was ist Interesse und wie wirkt es
motiv, wenn es jemand besonders attrak- sich auf das Lerngeschehen aus? Mit Prenzel,
tiv findet, sich in sozialen Gruppen auf- Krapp und Schiefele (1986) lässt sich Inte-
zuhalten, vom Machtmotiv, wenn die resse auffassen als eine besondere Beziehung
Beeinflussung anderer Menschen als be- einer Person zu einem Gegenstand. Ein sol-
sonders anziehend erlebt wird, und vom cher Gegenstand kann ein Objekt, ein The-
Leistungsmotiv, wenn man sich gerne im ma oder eine Tätigkeit sein.
Lösen herausfordernder Aufgaben als
Die Besonderheit einer interessenthematischen
kompetent und tüchtig erlebt. Beziehung äußert sich im subjektiven Erleben
Greifen wir nur ein einziges Motiv, wie durch die Verbindung von positiven emotiona-
z. B. das Lern- und Leistungsmotiv he- len Zuständen während der Interessenhand-
raus, so findet man systematische interin- lung und einer hohen subjektiven Wertschätz-
dividuelle Unterschiede (Dispositionen) ung des Interessengegenstandes (emotionale
und wertbezogene Valenz). (Krapp, 2010,
in der Art und Stärke der Annäherung S. 312)
an einen angestrebten (motivbezogenen)
Zielzustand. Um diesen Sachverhalt zu Interesse führt zu einer »epistemischen Ori-
charakterisieren, sprechen wir vom indi- entierung« (Prenzel, 1988), die sich vor
viduellen Motivsystem. allem für komplexe Lernziele als außer-
ordentlich hilfreich erweist: Dem Interesse
an einer Sache folgt der Wunsch, mehr über
diese Sache zu erfahren, sich ausführlicher zu
informieren und das eigene Wissen immer
wieder zu aktualisieren. Nicht selten geht mit
diesem Wunsch eine Identifikation mit dem
Gegenstand des Interesses einher, was nicht

105
Teil I Lernen

ohne Auswirkungen auf die Herausbildung Die zweite von Krapp (1998; 2010) beschrie-
des eigenen Selbstkonzepts (s. u.) bleibt bene Linie der Interessenforschung beschäf-
(Hannover, 1998). tigt sich mit situationsübergreifenden inter-
Krapp (2010) beschreibt in der pädago- individuellen Differenzen. Dort werden In-
gisch-psychologischen Interessenforschung teressen als individuelle Dispositionen be-
zwei unterschiedliche Forschungstraditio- trachtet. Im Kontext akademischen Lernens
nen. In der einen Tradition werden vorrangig sind hier vor allem thematische Interessen
situationsspezifische Prozesse fokussiert. angesprochen. Diese haben sich auch unab-
Streng genommen handelt es sich dabei hängig von allgemeinen kognitiven Fähig-
um die Analyse von Interessantheit (situa- keiten der Lernenden als bedeutsame Prä-
tionales Interesse). Empfindet ein Lernender diktoren erfolgreichen Lernens erwiesen
ein Thema oder eine Situation, in der ein (vgl. Evans, 1971). Schiefele, Krapp und
Lernstoff dargeboten wird (z. B. eine be- Schreyer (1993) trugen die empirischen Da-
stimmte Unterrichtsstunde) als interessant, ten aus 21 einschlägigen Studien im Zeit-
so hat das den Vorteil, dass sich sein kogni- raum zwischen 1965 und 1990 zusammen
tives System auf einem optimalen Funktions- und fanden einen durchschnittlichen Zu-
niveau befindet. Vor allem die Mechanismen sammenhang von r = .30 zwischen Interesse
der Aufmerksamkeitssteuerung und des Ar- und Lernleistung. Es zeigten sich dabei al-
beitsgedächtnisses (䉴 Kap. 2.1) funktionie- lerdings beträchtliche Unterschiede zwi-
ren dann »auf hohem Niveau«, da die starke schen den Fächern: Während das themati-
Valenz der Lernanforderung potenziellen sche Interesse relativ viel zum Lernerfolg in
Ablenkungen durch aufgabenirrelevante Mathematik, Physik, Chemie und in den
Reizinformationen wenig Raum lässt. Im Fremdsprachen beizutragen scheint, ist seine
Zusammenhang mit dem Unterrichtsmerk- Rolle sehr viel bescheidener in Fächern wie
mal der »Klassenführung« (䉴 Kap. 7.3) wer- Biologie, Sozialkunde und im Literatur-
den wir darauf zurückkommen. unterricht. Interessanterweise fiel der Zu-
sammenhang zwischen Interesse und Lern-
erfolg für Jungen generell höher aus als für
Beispiel: Interessanter Unterricht Mädchen, was vielleicht ein Hinweis darauf
Der Wunsch lernwilliger Schüler nach ist, dass Mädchen eher als Jungen bereit
»interessantem« Unterricht ist angesichts sind, sich ungeachtet ihrer Interessen in allen
der positiven Auswirkungen auf die In- Fächern anzustrengen.
formationsverarbeitung durchaus ver- Die Ergebnisse einer Längsschnittstudie
ständlich. Die Forderung nach interes- von Köller, Baumert und Schnabel (2001)
santem Unterricht ist jedoch leichter for- zum Zusammenhang zwischen Interesse an
muliert als umgesetzt. Zwar gibt es viel- Mathematik und den Mathematikleistungen
fältige didaktische Konzepte, um vom Ende der 7. bis Mitte der 12. Klasse
Unterricht interessant zu machen, aber sprechen dafür, dass sich der leistungsför-
Interessantheit ist nur in begrenztem derliche Einfluss des Interesses während der
Maße objektivierbar. So unterscheiden Sekundarstufe verändert: Ist das mathema-
sich Lernende darin, ob sie eine Lernsi- tische Interesse in der Sekundarstufe I eher
tuation für interessant halten oder nicht. geringfügig mit der Mathematikleistung as-
Ein und dieselbe Unterrichtssituation soziiert, nimmt die Stärke der Beziehung in
kann von manchen Lernenden als interes- der Sekundarstufe II deutlich zu, was sich
sant, von anderen aber als uninteressant vor allem auch an den Kurswahlen in der
empfunden werden. gymnasialen Oberstufe zeigt. Die Autoren
vermuten, dass das Lernverhalten der jün-

106
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

geren Schüler noch vorrangig durch extrin- trinsische Motivation eine Rolle. Das Inte-
sische Anreize (z. B. durch häufige schriftli- resse am Thema führt dazu, dass der Ler-
che Leistungsproben) reguliert wird, wäh- nende die Beschäftigung mit dem Lernstoff
rend in der Oberstufe die extrinsischen An- als etwas Angenehmes, ja sogar Lustvolles
reize an Valenz verlieren und die Selbst- erlebt. Warum es zu diesen motivierenden
bestimmungsmöglichkeiten zunehmen. Ein Empfindungen kommt, wird in der Motiva-
höherer Grad an Selbstbestimmung lässt tionsforschung durchaus kontrovers dis-
auch den Einfluss des Interesses auf die kutiert (vgl. Heckhausen, 1989). Als Antrieb
Regulation des eigenen Lernverhaltens an- gegenstandszentrierter intrinsischer Motiva-
steigen. tion im Bereich schulischen und akademi-
Möglicherweise wird der Einfluss des schen Lernens hat deCharms (1968) das
Interesses auf den Lernerfolg über die ver- Streben des Menschen nach einem persön-
mehrte Nutzung strukturierender und gene- lichen Verursachungserleben des eigenen
rativer Lernstrategien vermittelt. Der empi- Handelns genannt: Wo immer eigenes Han-
rische Nachweis dieser Annahme ist zwar deln nicht als fremdbestimmt, sondern in
bisher nur in Teilen gelungen (z. B. Schiefele, hohem Maße als selbst verursacht und selbst
Wild & Winteler, 1995). Man vermutet gewollt erlebt wird, entsteht ein innerer
jedoch, dass vor allem dann, wenn den Belohnungsmechanismus, der das Verhalten
Lernenden relativ große Spielräume bei (intrinsisch) motiviert. Deci und Ryan
der Auswahl und Bearbeitung eines Lern- (1985) haben diesen Grundgedanken weiter
gegenstandes eingeräumt werden, das vor- entwickelt und dabei herausgearbeitet, dass
handene Sachinteresse die Qualität der Stra- Lernen insbesondere in jenen Bereichen in-
tegienutzung mit beeinflussen wird (Krapp, trinsisch motiviert erfolgt, in denen man sich
1998; Wild, 2000). als selbstbestimmt, autonom und kompetent
Die thematischen Interessen sind eng ver- wahrnimmt.
knüpft mit dem auch in der Umgangssprache
Intrinsische Motivation basiert auf den ange-
mittlerweile weit verbreiteten Begriff der
borenen, organismischen Bedürfnissen nach
intrinsischen Motivation bzw. der intrinsi- Kompetenz und Selbstbestimmung. Sie ver-
schen Handlungsvalenz. Intrinsisch moti- sorgt eine Vielzahl von Verhaltensweisen und
viert sind solche Verhaltensweisen, die psychischen Prozessen mit Energie, wobei als
kein offensichtliches Ziel außerhalb der primäre Verstärker die erlebte eigene Wirksam-
keit und Autonomie fungieren. (Deci & Ryan,
Handlung selbst besitzen (Koch, 1956). Da- 1985, S. 32)
bei kann der Wunsch, ein Verhalten aus-
zuführen, durch Eigenschaften des Gegen- Aus seiner Theorie der Selbstverursachung
standes ausgelöst sein (gegenstandszentrier- als Leitprinzip intrinsischer Motivation hat
te intrinsische Motivation) oder aber durch DeCharms (1968) abgeleitet, dass die intrin-
die Freude an der Ausführung einer Hand- sische Motivation geschwächt wird, wenn
lung (tätigkeitszentrierte intrinsische Moti- das, was man aus freien Stücken gerne tut,
vation). Sportliche Aktivitäten liefern bis- zusätzlich von außen belohnt wird (extrin-
weilen ein gutes Beispiel für das Phänomen sischer Anreiz). Als Erklärung für dieses
der tätigkeitszentrierten intrinsischen Moti- Phänomen wird auf die wahrgenommene
vation: Der Jogger fühlt sich beim regel- Überveranlassung (Overjustification) des ei-
mäßigen Laufen gut; der Hobby-Fußballer genen Handelns verwiesen (Greene & Lep-
erfreut sich am Balltreten auch dann, wenn per, 1977). Wird man für etwas, was man
es gar keinen Wettkampfcharakter hat. ohnehin gerne tut (intrinsische Motivie-
Beim akademischen Lernen spielt vermut- rung), zusätzlich auch noch belohnt (extrin-
lich vor allem die gegenstandszentrierte in- sische Motivierung), so nimmt man das

107
Teil I Lernen

eigene Verhalten als »überveranlasst« wahr, innewohnt. Diese angeborene Tendenz wird
wird unsicher in der Frage, was eigentlich in intrinsisch motiviertem Verhalten deut-
der Grund des eigenen Handelns ist und lich, wie man es etwa beim kindlichen Spie-
beginnt zu zweifeln, dass man aus freien len beobachten kann. Drei grundlegende
Stücken gehandelt hat. universelle Bedürfnisse müssen der Theorie
Ein solcher Korrumpierungseffekt der in- zufolge beachtet werden, damit diese ange-
trinsischen Motivation durch Belohnungen borene Tendenz zur Entfaltung kommen
für Lernleistungen steht im krassen Gegen- kann: Das Bedürfnis nach Selbstbestim-
satz zu den Annahmen der in 䉴 Kap. 1.2 mung, nach Kompetenzerleben und nach
dargestellten behavioristischen Lerntheo- sozialer Eingebundenheit. Entscheidend ist
rien, die im pädagogischen Alltag weit ver- dabei weniger die Stärke als vielmehr die Art
breitet sind. Es ist daher nicht verwunder- der Motivation. Ryan und Deci (2000) pos-
lich, dass die Frage, was die experimentell tulieren verschiedene Arten oder Qualitäten
nachweisbaren negativen Effekte von Beloh- der Motivation, die sich darin unterschei-
nung für die Praxis akademischen Lernens den, wie weit dem Grad nach Selbstbestim-
bedeuten, Gegenstand heftiger Diskussionen mung Rechnung getragen ist. Die am we-
geworden ist (vgl. Cameron & Pierce, 1994; nigsten selbstbestimmte Form der Motivati-
Ryan & Deci, 1996). on wird demnach als externale Lernmotiva-
tion bezeichnet, weil Verhaltensweisen nur
ausgeführt werden, um eine Belohnung zu
Fokus: Korrumpiert Belohnung?
erhalten (z. B. eine gute Note) oder um eine
Edward Deci und Richard Ryan als Bestrafung zu vermeiden (z. B. einen Tadel).
Hauptvertreter der Korrumpierungsthese Ein Gefühl der Selbstbestimmung bleibt da-
haben sich mit Judy Cameron zu dieser bei aus. Eine zweite verbreitete Variante
Frage heftige Diskussionen geliefert (Ca- extrinsischer Motivation ist die introjizierte
meron, 2001; Deci, Koestner & Ryan, Lernmotivation. Sie ist dadurch charakteri-
1999; 2001; Eisenberger, Pierce & Ca- siert, dass die lernende Person das äußere
meron, 1999). Beide Seiten bedienen sich Belohnungssystem weitgehend verinnerlicht
der statistischen Metaanalyse, um ihre hat und z. B. durch ein schlechtes Gewissen
Argumentation zu stützen. Inhaltlich oder aus einem Pflichtgefühl heraus lernt,
scheint uns das Anliegen beider Positio- oder um Angst bzw. Scham zu vermeiden.
nen berechtigt zu sein: Extrinsische Be- Eine eher selbstbestimmte Form der ex-
lohnungen können tatsächlich die intrin- trinsischen Motivation ist die identifizierte
sische Motivation schwächen, was An- Lernmotivation. Die Person lernt dabei stär-
lass genug sein sollte, über die Praxis von ker von sich aus, weil sie die damit verbun-
Belohnungsstrategien im Bildungssystem denen Ziele selbst für wichtig erachtet. Dies
nachzudenken. Andererseits sind auch trifft etwa auf Schüler zu, die sich sehr
extrinsische Lernanreize häufig wirksam intensiv auf die Abiturprüfungen vorberei-
und können sich am Ende sogar förder- ten (was ggf. nicht immer Freude bereitet),
lich auf die intrinsische Motivation aus- um später einen Platz in ihrem Traumstu-
wirken. diengang zu erhalten. Die Person lernt also,
weil sie es wichtig für die Erfüllung persön-
lich relevanter Ziele und Wünsche findet.
In ihrer Selbstbestimmungstheorie gehen Die am stärksten selbstbestimmte Form der
Deci und Ryan (1985; Ryan & Deci, 2000) extrinsischen Motivation ist die integrierte
davon aus, dass uns Menschen eine ange- Motivation. Diese Art der Motivation ist
borene Tendenz zu Lernen und Entwicklung empirisch kaum von der intrinsischen Mo-

108
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

tivation abzugrenzen. Der einzige Unter- Leistungsmotiviert im psychologischen Sinne


schied besteht darin, dass die so motivierten ist ein Verhalten nur dann, wenn es auf die
Selbstbewertung eigener Tüchtigkeit zielt, und
Lernhandlungen durchgeführt werden, um zwar in Auseinandersetzung mit einem Güte-
ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen und maßstab, den es zu erreichen oder zu über-
nicht (wie bei der intrinsischen Motivation) treffen gilt. Man will wissen, was einem in
aus der reinen Freude an der Tätigkeit selbst. einem Aufgabenfeld gerade noch gelingt und
Untersuchungen haben gezeigt, dass eine was nicht, und strengt sich deshalb besonders
an. (Rheinberg & Vollmeyer, 2012, S. 60)
erhöhte Wahrnehmung von Selbstbestimmt-
heit und eigener Kompetenz zu einem stär- Die Motivation, sich mit einer vorgegebe-
keren Lernengagement, einem tieferen Ver- nen Lernanforderung auseinanderzusetzen,
ständnis und zu einem erhöhten subjektiven hängt also ab von einem subjektiv akzep-
Wohlbefinden führt (Ryan & Deci, 2009). tierten Gütemaßstab, der die Messlatte dafür
Der oben beschriebene Korrumpierungs- liefert, wann ich mich als tüchtig wahrneh-
effekt verdeutlicht dass das selbstbestimmte me. Dieser Gütemaßstab ist durchaus situa-
Lernen auch unterminiert oder »beschädigt« tionsabhängig definiert: Wenn ich z. B. aus
werden kann: Wird bei einem ursprünglich Krankheitsgründen nur an der Hälfte des auf
stark selbstbestimmt motivierten Verhalten eine Prüfung vorbereitenden Unterrichts teil-
der Grad der Selbstbestimmung, des Kom- nehmen konnte, wird der subjektive Güte-
petenzerlebens und/oder der sozialen Einge- maßstab niedriger angelegt als wenn ich
bundenheit nämlich reduziert (etwa durch nicht krank gewesen wäre. Ob die eigene
das Einführen externaler Belohnungssyste- Leistung in einer Prüfung subjektiv als Er-
me), dann kann eine verminderte Anstren- folg oder als Misserfolg erlebt wird, hängt
gungsbereitschaft die unerwünschte Folge also auch davon ab, was man sich vor-
sein (Ryan & Deci, 2000). genommen hatte. Dieser subjektive und
situationsabhängige Gütemaßstab wird in
der Motivationspsychologie als Anspruchs-
Lern- und Leistungsmotivation niveau bezeichnet.
Eine gute Beschreibung dessen, wovon die
Neben den thematischen Interessen, die den individuelle Anspruchsniveausetzung ab-
Lernerfolg in themenspezifischen Kontexten hängt, hat Atkinson (1957) in seinem Risi-
oder bei themenspezifischen Inhalten be- ko-Wahl-Modell geleistet, das als Prototyp
günstigen, haben Motivationspsychologen moderner Erwartungs-mal-Wert-Theorien
auch themenunspezifische dispositionelle der Motivation gilt (䉴 Abb. 2.10). Dieses
Merkmale identifiziert, die die Heran- Modell basiert auf der Annahme, dass die
gehensweise an Lern- und Leistungssituatio- Anspruchsniveausetzung von der Erfolgs-
nen prägen. Diese relativ zeitstabilen inter- wahrscheinlichkeit (Erwartungskomponen-
individuellen Unterschiede hängen mit dem te) und vom Erfolgsanreiz (Wertkomponen-
Lern- und Leistungsmotivsystem einer Per- te) abhängt. Eine subjektiv schwierige An-
son zusammen. Rheinberg und Vollmeyer forderung besitzt zwar einen sehr hohen
(2012) haben hat zu Recht darauf hingewie- Erfolgsanreiz, da allerdings die Erfolgswahr-
sen, dass umgangssprachliche Begriffe wie scheinlichkeit extrem niedrig ist, motiviert
»Fleiß«, »Anstrengung« oder »Strebsam- sie nicht wirklich zum Leistungshandeln.
keit« zwar etwas ähnliches ausdrücken, Umgekehrt motiviert auch eine subjektiv
nicht aber deckungsgleich sind mit einem als sehr leicht wahrgenommene Aufgaben-
günstig ausgeprägten Leistungsmotivsys- anforderung trotz extrem hoher Erfolgs-
tem. wahrscheinlichkeit nicht unbedingt zum
Handeln, weil kein besonderer Erfolgsanreiz

109
Teil I Lernen

extrem W
hoch ah
(E rsch es
rw e lg e)
ar inli rfo ent
tu ch s E n
ng ke
sk it de po
om de eiz om
po s E r k
ne rfo An ert
nt lg (W
e) es
Motivierung

mittel-
hoch

Abb. 2.10:
Abhängigkeit der Lern- und
Leistungsmotivierung von
der subjektiven Aufgaben-
extrem schwierigkeit (Erfolgswahr-
niedrig scheinlichkeit) und dem
extrem mittel- extrem Erfolgsanreiz gemäß dem
leicht schwer schwierig
Risiko-Wahl-Modell von
subjektive Aufgabenschwierigkeit Atkinson (1957)

gegeben ist. Besonders motivierend sind da- Erfolgsmotivierte


gegen subjektiv als mittelschwer erlebte Auf- vs. Misserfolgsängstliche
gaben, weil bei ihnen das Zusammenspiel
(das Produkt) aus Erfolgswahrscheinlichkeit
und Erfolgsanreiz (Erwartung mal Wert) Um die interindividuellen Unterschiede im
maximalen Gewinn verspricht. Leistungsmotiv zu erklären, postulierte At-
So plausibel das Atkinson’sche Risiko- kinson (1957), dass das individuelle Leis-
Wahl-Modell auch ist, in der Empirie ist tungsmotiv aus zwei unabhängigen Anteilen
zu beobachten, dass sich nicht alle Personen bestehe: dem sogenannten Erfolgsmotiv
modellgemäß verhalten und sich bevorzugt (Me) und dem sogenannten Misserfolgs-
den Anforderungen einer subjektiv als mit- motiv (Mm). Unter Erfolgsmotiv verstand
telschwierig erlebten Aufgabe stellen. Man- er dabei die Tendenz, Anforderungssituatio-
che Personen scheinen generell Aufgaben nen eher erfolgszuversichtlich anzugehen,
mittleren Schwierigkeitsniveaus zu meiden unter Misserfolgsmotiv die Tendenz, sie
und stattdessen – wenn sie frei wählen dür- aus Furcht vor Misserfolg eher zu meiden.
fen – sehr leichte (bisweilen auch sehr schwe- Obwohl beide Motivanteile grundsätzlich
re) Aufgaben zu bevorzugen. Offensichtlich bei jedem Menschen vorhanden seien, kom-
gibt es systematische interindividuelle Un- me es zu relativ zeitstabilen und situations-
terschiede im Leistungsmotiv bzw. im Lern- übergreifenden Dominanzen der einen oder
und Leistungsmotivsystem. Diese können der anderen Tendenz. Bei klarer Dominanz
aus unterschiedlichen theoretischen Per- des Erfolgsmotivs über das Misserfolgs-
spektiven beschrieben werden, von denen motiv werden Aufgaben mittlerer Schwierig-
drei der einflussreichsten im Folgenden et- keit bevorzugt, wie es das Risiko-Wahl-Mo-
was näher betrachtet werden. dell auch vorhersagt (䉴 Abb. 2.10). Bei Do-
minanz des Misserfolgsmotivs kommt es
dagegen zu einer Meidungstendenz für Auf-

110
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

gaben mittlerer subjektiver Schwierigkeit. nach dem Risiko-Wahl-Modell verhielten,


Das Misserfolgsmotiv lässt eine Person de- sondern dass sie tendenziell etwas riskanter
fensiv agieren. Sie denkt eher an die nega- agierten und eher höhere Aufgabenschwie-
tiven Konsequenzen eines Misserfolgs als an rigkeiten wählten. Die Misserfolgsmotivier-
die positiven Konsequenzen eines (für un- ten zeigten sich in den empirischen Studien
wahrscheinlich gehaltenen) Erfolgs. Wenn insgesamt als weniger konsistente Gruppe.
sie könnte, würde sie der Anforderungs- Wie von Atkinson vermutet wählten einige
situation ganz aus dem Weg gehen. Drängt von ihnen eher zu leichte, andere eher zu
man eine misserfolgsängstliche Person, eine schwere Aufgaben.
Aufgabe zu bearbeiten und lässt ihr dabei Aber nicht nur bei der Wahl unterschied-
die freie Wahl des Schwierigkeitsniveaus, so lich schwieriger Aufgaben unterscheiden
wird sie entweder sehr leichte oder sehr sich Erfolgszuversichtliche und Misserfolgs-
schwere Aufgabenanforderungen wählen. ängstliche. Auch hinsichtlich der Ausdauer,
Die eigentlich angemessenen Aufgaben ei- mit der sie vorgelegte Aufgaben bearbeiten,
nes subjektiv mittelschweren Anforderungs- zeigen sich systematische Unterschiede: Er-
niveaus sind für Personen mit dominieren- folgsmotivierte sind insgesamt ausdauernder
dem Misserfolgsmotiv am bedrohlichsten, als Misserfolgsängstliche. Zusätzlich zeigt
weil sie am ehesten ihre eigene Tüchtigkeit sich jedoch ein differenzielles Befundmuster:
erkennbar werden lassen. Da ihre Ge- Während Erfolgsmotivierte besonders aus-
danken aber vom möglichen Misserfolg dauernd sind, wenn sie mit einer als leicht
gefesselt sind, fürchten sie, bei der Bearbei- eingestuften, jedoch bislang nicht gelösten
tung solcher Aufgaben die eigene Inkom- Aufgabe konfrontiert werden, zeigen Miss-
petenz aufgezeigt zu bekommen. Sie wählen erfolgsängstliche eine größere Ausdauer,
also entweder sehr leichte Aufgaben, weil wenn die bislang noch nicht gelöste Aufgabe
dabei der Misserfolg so gut wie aus- als extrem schwer eingestuft war.
geschlossen ist, oder aber sehr schwere Angesichts der (modellhaft optimalen)
Aufgaben, weil dort das Scheitern keine Bevorzugung mittelschwerer Anforderun-
Schlussfolgerung auf die eigene Tüchtigkeit gen, eines realistischeren Anspruchsniveaus
erlaubt: Man muss nicht inkompetent sein, und den damit verbundenen »vernünftige-
wenn man bei einer sehr schweren Aufgabe ren« Zielsetzungen und angesichts der of-
versagt. fenkundig größeren Ausdauer von Lernen-
Heckhausen (1963, 1989) hat darauf den mit einer Dominanz der Erfolgszuver-
hingewiesen, dass es sich beim Atkin- sicht sollte man nun erwarten, dass die
son’schen Leistungsmotiv nicht um ein ty- Erfolgsmotivierten auch erfolgreicher ler-
pologisch trennscharfes Entweder-Oder- nen. In experimentellen Studien zum kurz-
Konzept handelt, sondern um ein Kontinu- fristigen Behalten von Informationen fand
um zwischen Erfolgszuversichtlichkeit und sich jedoch nur selten ein Leistungsvorteil
Misserfolgsängstlichkeit. Um die Auswir- Erfolgsmotivierter. Heckhausen (1989) und
kungen der individuellen Motivausprägung Rheinberg (1996) diskutieren verschiedene
auf das Verhalten in Lern- und Leistungs- Gründe für diese Befundlage: Zum einen ist
situationen besser zu verstehen, wurden in ein Zusammenhang zwischen dem Erfolgs-
der Regel Extremgruppenvergleiche durch- motiv und der Lernleistung nur bei einem
geführt, d. h. Personen mit überwiegender hinreichenden Anregungsgehalt der Lernsi-
Erfolgszuversicht wurden mit solchen ver- tuation zu erwarten. Nur wenn eine Lern-
glichen, bei denen die Misserfolgsängstlich- situationen überhaupt als ernsthafte Prüfsi-
keit überwog. Dabei zeigte sich, dass sich tuationen der persönlichen Tüchtigkeit ein-
auch die Erfolgszuversichtlichen nicht exakt geschätzt wird und nur wenn die Lernenden

111
Teil I Lernen

meinen, ein mögliches Handlungsergebnis spektiven Befragung von Studierenden fand


sei ausschließlich von ihrem persönlichen auch Ludwig (1982) Leistungsvorteile der
Einsatz und/oder von ihrer eigenen Kom- Erfolgsmotivierten. Wenn beim Leistungs-
petenz abhängig, können Unterschiede motiv die erfolgszuversichtlichen Anteile
im Leistungsmotiv zum Tragen kommen. dominierten, ließen sich 36 % der Varianz
Zum anderen ist für das Ausmaß der in- selbst berichteter Lernaktivitäten während
vestierten Anstrengung nicht nur die Do- des Studiums durch das Leistungsmotiv vor-
minanz des erfolgszuversichtlichen Leis- hersagen, 17 % der Varianz der Studienleis-
tungsmotivs, sondern vor allem auch die tungen und immerhin noch 12 % der Va-
Motivationsstärke entscheidend. So unter- rianz des Abiturdurchschnitts.
scheiden sich Erfolgsmotivierte in der Stär-
ke ihres Leistungsmotivs zum Teil erheblich
Studie: Auswirkungen des
voneinander und die Intensität und Aus-
Leistungsmotivs auf die Leistung bei
dauer ihrer Bemühungen hängen von der
komplexen Lernanforderungen
Motivstärke ab. Schließlich ist zu beachten,
dass vermehrte Lernanstrengungen und eine Bei komplexen Lernanforderungen geht
erhöhte Ausdauer, nicht zwangsläufig auch es oft darum, Probleme zu lösen, bei
zu einer besseren Lernleistung führen müs- denen eine Vielzahl von Parametern zu
sen. Ein Schüler mit stark ausgeprägtem berücksichtigen sind. Ein didaktisch be-
Leistungsmotiv mag viel Zeit und Anstren- liebtes Instrument zum Einüben komple-
gung in die Vorbereitung einer Klausur xen Problemlösens stellen Computersi-
investieren und dabei viele Seiten im Schul- mulationen dar. Hesse, Spies und Lüer
buch durchlesen. Das garantiert aber noch (1983) setzten ihre Versuchspersonen vor
lange nicht, dass die Inhalte auch so gründ- ein computersimuliertes Problem, das sie
lich verarbeitet werden, wie es für das lösen sollten. Es handelte sich dabei um
Beantworten der Klausurfragen erforderlich die Ausbruch einer Epidemie in einer
wäre. Der Umfang, also das zeitliche Aus- kleinen Stadt. Die Anforderung bestand
maß des motivierten Lernverhaltens und darin, als Leiter der Gesundheitsbehörde
seine Qualität können also durchaus aus- der Stadt innerhalb von 20 simulierten
einanderklaffen. Wochen die Zahl der erkrankten Per-
Betrachtet man anstelle der kurzzeitigen sonen so weit wie möglich zu reduzieren.
Lernergebnisse aus den laborexperimentel- Experimentell variiert wurde die »Stärke
len Studien die Resultate langfristiger kumu- der persönlichen Betroffenheit« über die
lativer Lernprozesse, so werden die Vorteile Gefährlichkeit der Epidemie, die Reali-
eines erfolgszuversichtlichen Leistungs- tätsnähe mit der die Situation vorgestellt
motivs eher deutlich. Ruhland, Gold und wurde und die Betonung der persönlichen
Feld (1978) berichteten über bessere Schul- Verantwortung. Während bei geringer
leistungen der Erfolgsmotivierten – zumin- persönlicher Betroffenheit die Lösungs-
dest dann, wenn sie bei ihrem Lernverhalten güte von Erfolgsmotivierten und Miss-
nicht in Rollenkonflikte verwickelt und in erfolgsmotivierten vergleichbar war, er-
ihren Klassen sozial gut integriert waren. Zu zielten die Erfolgszuversichtlichen bei ho-
Rollenkonflikten kann es für einen erfolg- her persönlicher Betroffenheit eine weit-
reichen Lerner kommen, wenn sein »vor- aus bessere Leistung.
bildliches« Lern- und Leistungsverhalten
von den Lehrpersonen (positiv) und von
den Mitschülern davon abweichend (zu-
rückhaltend) bewertet wird. In einer retro-

112
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Attributionsstile schiedliche Arten der Ursachenzuschreibung


einen Einfluss darauf haben, ob wir bei der
nächsten Lernanforderung eher einen Erfolg
Dass wir nach Gründen und Ursachen für oder einen Misserfolg erwarten, welche
die Ereignisse um uns herum suchen, scheint emotionalen Befindlichkeiten wir gegenüber
zur Natur des Menschen zu gehören. In der Lernanforderungen entwickeln und wie wir
Psychologie spricht man von Kausalattribu- uns in nachfolgenden Lern- und Leistungs-
tionen, wenn wir Ereignissen, die wir wahr- situationen verhalten.
nehmen, Ursachen zuschreiben. Zu solchen Weiner (1992) unterscheidet drei Dimen-
Ursachenzuschreibungen kommt es auch im sionen der Ursachenzuschreibung: die Loka-
Zusammenhang mit Leistungsergebnissen in tion (den Ort der vermeintlichen Ursache),
Lern- und Leistungssituationen, insbesonde- ihre zeitliche Stabilität und ihre subjektive
re in Folge von Leistungsbewertungen durch Kontrollierbarkeit. Die Lokationsdimension
Benotung. Erlebt man z. B. das Resultat in ist für die erlebten Selbstbewertungsaffekte
der letzten Klausur als einen persönlichen entscheidend. Der Ort einer Ursache kann
Erfolg, dann hat man dafür ebenso schnell entweder internal, d. h. in der Person selbst,
eine Erklärung parat (z. B. »Die Klausur war oder external, d. h. in äußeren Gegebenheiten
nicht besonders schwer«) wie im Falle eines liegen. Internale Ursachenzuschreibungen
subjektiv erlebten Misserfolgs (z. B. »Aus- (z. B. die eigene Fähigkeit oder die investierte
gerechnet das Thema, das behandelt wurde, Anstrengung) führen bei Erfolgserlebnissen
als ich krank war, kam dran«). zu Stolz, bei erlebtem Misserfolg zu Beschä-
Weiner (z. B. 1979, 1992) hat Kausalat- mung. Die wahrgenommene zeitliche Stabi-
tributionen in Leistungssituationen systema- lität einer Ursache beeinflusst dagegen die
tisch erforscht und auf schulisches Lernen Erwartungen darüber, wie man künftig ab-
bezogen. Er stellte dabei fest, dass unter- schneiden wird. Glaubt man, dass ein erleb-

Lokation
intern extern

zeitliche Stabilität zeitliche Stabilität


stabil variabel stabil variabel

Nachhilfe- Freunde
Kontrollierbarkeit
hoch

schlecht lehrer ist haben


Faulheit versäumt zu
vorbereitet inkompetent
helfen

Kopf-
geringe schmerzen hoher
niedrig

Fähigkeit während der Anspruch Pech


Prüfung des Lehrers

Abb. 2.11: Typische Ursachenzuschreibung nach Misserfolg im Rahmen des Klassifikationsschemas nach
Weiner (1992)

113
Teil I Lernen

ter Misserfolg auf zeitlich stabile Faktoren Hoffnung auf künftig besseres Abschneiden.
(z. B. auf eine geringe eigene Fähigkeit) (Rheinberg & Vollmeyer, 2012, S. 83 – 84)
zurückzuführen ist, reduziert sich die Er-
wartung, beim nächsten Versuch eine ent- Man unterscheidet zwischen selbstwert-
sprechende Aufgabe erfolgreich lösen zu unterstützenden und motivationsfördernden
können. Die Dimension der Kontrollierbar- Attributionen. Als selbstwertunterstützend
keit ist für die Intensität der Affekte und gelten Attributionen, die Leistungserfolge
Erwartungen verantwortlich. Handelt es eher internal, Misserfolge external attribu-
sich bei den Attributionen nach erlebtem ieren. Als motivationsförderlich gilt es da-
Erfolg um kontrollierbare Ursachen (z. B. rüber hinaus, einen erlebten Misserfolg in-
die investierte Anstrengung), dann werden ternal-variabel, d. h. durch eine zu geringe
der erlebte Stolz sowie die zuversichtliche eigene Anstrenung zu erklären.
Erwartung für künftige Leistungen umso
intensiver ausfallen. Einige typische Ursa-
chenzuschreibungen nach einem erlebten Lernrelevante Selbstkonzepte
Misserfolg in einer Klassenarbeit sind in
䉴 Abb. 2.11 dargestellt. Vergleicht man die Unterschiede in den At-
Interessanterweise unterscheiden sich die tributionsstilen von Erfolgsmotivierten und
eher erfolgsmotivierten von den eher miss- Misserfolgsängstlichen, so wird deutlich, dass
erfolgsängstlichen Personen in systemati- die Attributionen erfolgszuversichtlicher Per-
scher Weise in ihren Kausalattributionen sonen günstiger für die Selbstbewertung sind:
nach Erfolg und Misserfolg (vgl. Meyer, Die internale Attribuierung von Erfolgserleb-
1973), so dass man in der Literatur von nissen erhöht mit jedem Erfolgserlebnis zu-
Attributionsstilen spricht. gleich das Vertrauen in die eigenen Fähig-
keiten. Glücklicherweise tendieren Menschen
Danach haben Erfolgsmotivierte die Tendenz, häufig zu einer selbstwertdienlichen Verzer-
eigene Erfolge internalen Faktoren, insbesonde-
re der eigenen Fähigkeit zuzuschreiben. Bei Miß-
rung bei der Ursachenzuschreibung nach Er-
erfolg ist dagegen die Stabilitätsdimension ent- folg. So analysierten Möller und Köller (1999)
scheidend. Erfolgszuversichtliche schreiben die spontanen Attributionen von Studieren-
Mißerfolge zeitvariablen Faktoren (z. B. man- den nach Examensprüfungen und von Schü-
gelnder Anstrengung, Pech) zu. Diese Voreinge- lern nach der Rückgabe von Klassenarbeiten.
nommenheit der Ursachenerklärung macht Leis-
tungssituationen zu Gelegenheiten, bei denen Vor allem erwartungswidrige Noten führten
man im Erfolgsfall hoch positive Selbstbewer- zu vermehrter Ursachensuche. Selbst Schüler
tungsaffekte erlebt. Im Mißerfolgsfall kann zwar mit einem eher geringen Vertrauen in die
auch Ärger auftreten. Wegen der Zeitvariabilität eigene Leistungsfähigkeit begründeten eine
der Attribution bleibt aber die Aussicht auf
Erfolg bei einem erneuten Versuch. Dieses At-
erwartungswidrig gute Leistung häufig spon-
tributionsmuster wirkt also auf Erwartung und tan mit der eigenen Fähigkeit. Solche Ursa-
Anreiz motivational ausgesprochen günstig. chenzuschreibungen sind geeignet, das Selbst-
Die typische Ursachenerklärung von Miß- konzept der eigenen Begabung zu erhöhen.
erfolgsmotivierten fällt dagegen deutlich un-
Es ist wenig verwunderlich, dass bei Er-
günstiger aus. Im Vergleich zu Erfolgszuver-
sichtlichen erklären sie eigene Mißerfolge häu- folgsmotivierten im Vergleich zu Miss-
figer mit einem Mangel an Fähigkeit. Eigene erfolgsängstlichen in der Regel ein günstige-
Erfolge werden dagegen häufiger dem Glück res Selbstkonzept eigener Begabung zu fin-
oder der Aufgabenleichtigkeit zugeschrieben. den ist. Wir haben oben dargelegt, dass das
Damit haben Leistungssituationen im Erfolgs-
fall geringen Belohnungswert. Im Mißerfolgs- Anspruchsniveau und die subjektive Erfolgs-
fall führt dagegen dieses Attributionsmuster zu wahrscheinlichkeit in entscheidender Weise
starker Betroffenheit und nimmt zugleich die für die Motivierung in Lern- und Leistungs-

114
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

situationen verantwortlich sind. Diese indi- Das Fähigkeitsselbstkonzept ist in der Regel
viduelle Erwartungskomponente der Leis- zeitlich recht stabil. Dennoch verändert es
tungsmotivation hängt unmittelbar davon sich bisweilen erstaunlich schnell und deut-
ab, inwieweit sich eine Person im aktuellen lich, wenn sich der schulische Kontext ver-
Anforderungskontext als begabt oder fähig ändert und das mit ihm verbundene Leis-
einschätzt. Wer sich für sehr kompetent hält, tungsniveau der Lerngruppe. In einer Längs-
setzt sich auch hohe Ziele. schnittuntersuchung zum Wechsel von der
Die asymmetrischen Attributionsstile Er- Grundschule zur Sekundarschule mit über
folgsmotivierter und Misserfolgsängstlicher 600 Schülerinnen und Schülern fanden
lassen vermuten, dass sich letztere als weni- Jerusalem und Schwarzer (1992), dass sich
ger kompetent erleben. Tatsächlich finden das schulbezogene Fähigkeitsselbstkonzept
sich in der Mehrzahl einschlägiger Studien der leistungsschwächeren Viertklässler beim
auch entsprechende Zusammenhänge zwi- Wechsel auf die Hauptschule innerhalb we-
schen dem Leistungsmotiv und der Einschät- niger Monate deutlich verbesserte. Mit
zung der eigenen Fähigkeit. Interessanter- Marsh (1987, 2005) lässt sich dieses Phä-
weise deuten zudem die Befunde der von nomen auf den »Big-Fish-Little-Pond«-Ef-
Meyer (1984) zusammengetragenen Unter- fekt (BFLPE) zurückführen: Zwei Lernende
suchungen darauf hin, dass Erfolgsmotivier- mit gleichem Leistungsniveau besuchen
te im Vergleich zu Misserfolgsängstlichen Schulen mit unterschiedlichem Leistungs-
auch dann ein besseres und realistischeres anspruch. Der Lernende in der Schule mit
Fähigkeitsselbstkonzept zeigen, wenn sich dem niedrigeren Leistungsniveau zieht einen
beide Gruppen nicht in ihrem tatsächlichen für den Selbstwert günstigeren sozialen Ver-
Fähigkeitsniveau unterscheiden. gleich, da er zu den Leistungsstarken in
seiner Klasse gehört (großer Fisch im kleinen
Teich). Sein Fähigkeitsselbstkonzept ent-
Beispiel: Fähigkeitsselbstkonzept als wickelt sich deshalb positiv. Der andere,
Abbild der eigenen Fähigkeit? eigentlich gleich Leistungsfähige, der die
Individuelle Einschätzungen der eigenen leistungsstärkere Schule besucht, gehört
Begabungen und Fähigkeiten entsprechen eher zu den Leistungsschwächeren seiner
nicht immer den tatsächlichen Begabun- Klasse (kleiner Fisch im großen Teich); ent-
gen und Fähigkeiten. Häufig kommt es zu sprechend wird sich sein Fähigkeitsselbst-
Über- oder Unterschätzungen. Dennis konzept aufgrund der sozialen Vergleiche
glaubt z. B. ein guter Fußballspieler zu sein, negativ entwickeln.
obwohl ein (sozialer) Vergleich mit den Dem auf sozialen Vergleichen basierenden
Klassenkameraden im Sportunterricht negativen Bezugsgruppeneffekt kann biswei-
diese Selbsteinschätzung leicht widerlegen len die positive Tendenz entgegenwirken, das
könnte. Dennoch hat die (positive) Selbst- eigene Selbstkonzept deshalb höher einzustu-
einschätzung Konsequenzen, indem Den- fen, weil man sich des anspruchsvollen Kon-
nis einem Fußballverein beitritt und mit textes bewusst ist, innerhalb dessen man sich
der Zeit seine Spielstärke tatsächlich ver- bewegt (»Basking-In-Reflected-Glory«-Ef-
bessert. Andere glauben, nicht singen zu fekt). Dieser Effekt könnte beispielsweise
können, obwohl sie es nie richtig auspro- in Eliteschulen oder -universitäten auftreten.
biert haben. Aber das negative Selbstkon- In vielen Fällen wird es vermutlich zu einer
zept bewirkt, dass sie sich nicht zutrauen, Konfundierung von BFLP-Effekten mit Ef-
im Schulchor mitzusingen, obwohl sie es fekten der »ruhmreichen Umgebung« kom-
wegen der netten Leute gerne täten. men. In seiner Bedeutsamkeit für die schu-
lische Leistungsentwicklung scheint aller-

115
Teil I Lernen

dings der Effekt der sozialen Vergleiche der Sportlichkeit, ein Selbstkonzept des Aus-
stärkere zu sein (Marsh, Kong & Hau, 2000; sehens, ein Selbstkonzept für die Beziehun-
Trautwein & Lüdtke, 2005). gen zu Peers und eines für die Beziehung zu
Überschrieben haben wir dieses Teilkapi- den Eltern (Marsh, 1990). Das Selbstkon-
tel mit »Motivation und Selbstkonzept«, da zept im Allgemeinen wie auch das akademi-
dem Selbstkonzept eigener Fähigkeiten für sche Selbstkonzept sind hierarchisch auf-
ein motiviertes Lernverhalten eine entschei- gebaut. Die ursprüngliche Annahme von
dende Rolle zukommt. Sowohl in der Selbst- Shavelson et al. (1976), dass es so etwas
bestimmungstheorie der intrinsischen Moti- wie ein »globales« akademisches Selbstkon-
vation als auch in der Theorie der Leistungs- zept geben würde, hat sich allerdings empi-
motivation spielt der Grundgedanke eine risch nicht belegen lassen. Das akademische
zentrale Rolle, dass die Initiierung von Lern- Selbstkonzept differenziert sich vielmehr
handlungen etwas mit den Vorstellungen, schon im frühen Schulalter aus und umfasst
Einschätzungen und Bewertungen zu tun die Einschätzung und Bewertung so unter-
hat, die die eigene Person betreffen. Seit schiedlicher Inhaltsbereiche wie des Rech-
Mitte der 1970er Jahre hat sich daher eine nens sowie des Lesens und des Schreibens
eigene Forschungstradition zum Thema (Byrne, 1996). Marsh, Craven und Debus
Selbstkonzept etabliert. Als Selbstkonzept (1999) warfen darüber hinaus die Frage auf,
bezeichnet man die Wahrnehmung und Ein- ob nicht die Bereichsspezifität des akademi-
schätzung eigener Fähigkeiten und Eigen- schen Selbstkonzeptes noch weiter ausdiffe-
schaften. Vielfältige empirische Befunde ver- renziert werden müsste, indem jeweils zwi-
weisen auf eine multidimensionale Struktur schen einer Kompetenz- (wie gut meine ich
des Selbstkonzepts. Das Selbstbild einer Per- etwas zu können) und einer Affektdimension
son differenziert sich demnach zunächst ein- der Selbsteinschätzung (wie gerne mag ich
mal in verschiedene Inhaltsbereiche (Shavel- etwas) unterschieden wird. Vor kurzem ha-
son, Hubner & Stanton, 1976), vor allem in ben Arens, Yeung, Craven und Hasselhorn
einen akademischen und einen nicht-aka- (2011) eine Studie vorgelegt, deren Ergeb-
demischen Bereich. Wo der akademische nisse tatsächlich in diesem Sinne für eine
Bereich angesprochen ist, geht es um die »zweifache Multidimensionalität« des aka-
Selbstwahrnehmung eigener schulischer Fä- demischen Selbstkonzeptes sprechen. Dass
higkeiten. Das nicht-akademische Selbst- es funktional angemessen ist, zwischen einer
konzept umfasst hingegen körperbezogene Kompetenz- und einer Affektdimension der
und soziale Aspekte der Selbstwahrneh- Selbsteinschätzung zu unterscheiden, zeigte
mung, wie z. B. ein Selbstkonzept der eigenen sich nämlich daran, dass allein die Kom-

Studie: Dimensionalität des Selbstkonzepts


Den Nachweis der »zweifachen Multidimensionalität« des akademischen Selbstkonzepts
erbrachten Arens et al. (2011) durch zwei Analyseschritte: (1) eine konfirmatorische
Faktorenanalyse zur Überprüfung der internen Struktur des akademischen Selbstkonzepts
und (2) die Untersuchung des Zusammenhangs der Selbstkonzeptfacetten zur Schulleis-
tung.
Schülern der Klassenstufen 3 bis 6 wurden Fragen zu ihren Selbstwahrnehmungen
(Selbstkonzept) in Deutsch und Mathematik vorgelegt. Ein Teil der Fragen (Items) bezog
sich auf die Selbstwahrnehmung der eigenen Fähigkeiten in Deutsch und Mathematik (z. B.
»In Deutsch bin ich gut.«, »In Mathe lerne ich schnell.«), ein anderer Teil auf die

116
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

motivationalen und affektiven Reaktionen der Schüler bezüglich Deutsch und Mathematik
(z. B. »Ich freue mich auf Deutsch.«, »Ich mag Mathe.«). In einer konfirmatorischen
Faktorenanalyse wurde untersucht, ob die Variabilität der Antworten auf eine oder mehrere
Dimensionen zurückzuführen sind. Dazu wurden drei verschiedene Faktormodelle auf ihre
Güte getestet: ein erstes Modell, das von einem globalen Faktor für das akademische
Selbstkonzept ausgeht und daher weder zwischen Mathe und Deutsch, noch zwischen
kompetenzbezogen und affektbezogen unterscheidet; ein zweites Modell, in dem im Sinne
der Bereichsspezifität des akademischen Selbstkonzepts zwischen einem verbalen und
mathematischen Selbstkonzept differenziert wird; sowie einem dritten Modell, in dem
zusätzlich zu der Bereichsspezifität des akademischen Selbstkonzepts zwischen einer
Kompetenz- und Affektdimension unterschieden wird. Das dritte Modell zeigte eine bessere
Passung zu den Daten als die beiden anderen Modelle. Das spricht für eine »zweifache
Multidimensionalität« des akademischen Selbstkonzepts.
Zusätzlich wurde untersucht, ob die vier Facetten des akademischen Selbstkonzepts
(Mathe-Kompetenz, Mathe-Affekt, Deutsch-Kompetenz, Deutsch-Affekt) unterschiedliche
Zusammenhänge zu den Deutsch- und Mathematikleistungen aufweisen. Die Kompetenz-
dimensionen des mathematischen und verbalen Selbstkonzepts korrelierten jeweils höher
mit der Schulleistung als die Affektdimensionen. Dieses Muster zeigte sich sowohl innerhalb
der Kompetenzbereiche als auch zwischen den beiden Bereichen. Die Kompetenzdimension
des mathematischen Selbstkonzepts zeigte im Vergleich zur Affektdimension nicht nur einen
engeren Zusammenhang zur Mathematiknote, sondern auch zur Deutschnote. Parallel
dazu zeigte die Kompetenzdimension des verbalen Selbstkonzepts im Vergleich zur Affekt-
dimension einen engeren Zusammenhang zur Deutschnote, aber auch zur Mathemati-
knote. Dieses Befundmuster erweitert die empirische Evidenz zur »zweifachen Multi-
dimensionalität« des akademischen Selbstkonzepts um einen funktionalen Aspekt: Zur
Vorhersage und Erklärung von mathematischen und verbalen Leistungen erweist sich die
Kompetenzdimension des entsprechenden bereichsspezifischen akademischen Selbstkon-
zepts der Affektdimension als überlegen.

petenz- und nicht auf die Affektdimension bedeutsam. So vergleichen Schüler ihre ei-
des Selbstkonzepts mit dem Leistungsverhal- genen Fähigkeiten und Leistungen nicht nur
ten der Schüler kovariierte. mit denen der anderen Mitschüler (sozialer
Für die Genese des akademischen Selbst- Vergleich), sondern sie vergleichen auch ihre
konzepts sind vor allem Leistungsrückmel- eigenen Leistungen in den verschiedenen
dungen signifikanter Anderer (z. B. Lehrer) Lernbereichen miteinander, z. B. ihre Leis-
sowie soziale und dimensionale Vergleiche tungen in den sprachlichen mit ihren Leis-

Fokus: Das Modell des »Internal vs. External Frame of Reference« (I/E-Modell)
Das I/E-Modell von Marsh (1990) erklärt, wie es zur Ausdifferenzierung des akademischen
Selbstkonzepts in einen mathematischen und verbalen Bereich kommt. Grundlage ist das
Zusammenspiel von zwei simultan ablaufenden Vergleichsprozessen. In einem sozialen
(externalen) Vergleich vergleichen Schüler ihre eigenen fachlichen Leistungen mit den
Leistungen ihrer Mitschüler im gleichen Fach. Da im Grundschulalter jene Schüler, die gut

117
Teil I Lernen

in Deutsch sind, meist auch gut in Mathematik sind, sollte der soziale Vergleichsprozess
dazu führen, dass Schüler mit einem positiven verbalen Selbstkonzept auch über ein eher
positives mathematisches Selbstkonzept verfügen. Wenn diese Annahme stimmt, sollte es
also positive Korrelationen zwischen dem verbalen und dem mathematischen Selbstkonzept
geben.
Die Empirie sieht jedoch anders aus. Zumeist finden sich keine bedeutsamen Korrela-
tionen zwischen dem verbalen und dem mathematischen Selbstkonzept. Verantwortlich ist
dafür ein zweiter Vergleichsprozess. Beim dimensionalen (internalen) Vergleich werden die
eigenen Leistungen in einem Fach den eigenen Leistungen in einem anderen Fach gegenüber
gestellt. Dieser Vergleichsprozess bewirkt einen Kontrasteffekt, wodurch das Selbstkonzept
für denjenigen akademischen Bereich gestärkt wird, für den die individuell besten Leis-
tungen wahrgenommen werden. Nimmt ein Schüler z. B. wahr, dass er besser in Ma-
thematik ist als in Deutsch, so wird sein mathematisches Selbstkonzept gestärkt, sein
verbales Selbstkonzept jedoch geschwächt. Somit führt der dimensionale Vergleich am Ende
dazu, dass es zu einem negativen Zusammenhang zwischen dem mathematischen und
verbalen Selbstkonzept kommt. Durch das Zusammenspiel des externalen und des
internalen Vergleichsprozesses kommt es letztlich zu einer Unabhängigkeit des mathema-
tischen vom verbalen Selbstkonzept, da sich der positive Zusammenhang nach dem sozialen
Vergleichsprozess und der negative Zusammenhang nach dem dimensionalen Vergleichs-
prozess ausgleichen.
Das Zusammenspiel von sozialen und dimensionalen Vergleichsprozessen erklärt auch
die Bereichsspezifität von Einflüssen der Schulleistung auf das Selbstkonzept (vgl. Marsh &
Craven, 2006). So konnte gezeigt werden, dass gute Mathematikleistungen sich positiv auf
das Selbstkonzept in Mathematik, aber negativ auf das verbale Selbstkonzept auswirken.
Ebenso beeinflussen gute verbale Leistungen das verbale Selbstkonzept positiv, das
mathematische Selbstkonzept jedoch negativ. Der positive Einfluss von Leistung auf das
Selbstkonzept innerhalb eines Inhaltsbereichs lässt sich auf den vom I/E-Modell angenom-
menen sozialen Vergleichsprozess zurückführen, während der negative Einfluss auf das
Selbstkonzept in anderen Inhaltsbereichen durch den dimensionalen Vergleichsprozess
bedingt zu sein scheint.

tungen in den naturwissenschaftlichen Fä- dar, während der Skill-Development-Ansatz


chern (dimensionaler Vergleich). davon ausgeht, dass es die schulische Leis-
Für den individuellen Lernerfolg ist das tung ist, die das Selbstkonzept beeinflusst
Selbstkonzept von hoher Relevanz. Dies (Guay, Marsh & Boivin, 2003). Die Unter-
belegt vor allem der empirisch gesicherte scheidung dieser beiden Ansätze ist nicht nur
Zusammenhang zwischen Selbstkonzept von theoretischer, sondern auch von prak-
und schulischer Leistung (Guay, Ratelle, tischer Relevanz. So geht der Self-Enhance-
Roy & Litalien, 2010; Marsh & Craven, ment-Ansatz davon aus, dass sich eine Ver-
2006). Für die Erklärung des Zusammen- besserung des Selbstkonzepts direkt in einer
hangs von Selbstkonzept und Leistung findet Verbesserung des individuellen Lernzuwach-
man allerdings zwei gegensätzliche theoreti- ses niederschlägt (vgl. Haney & Durlak,
sche Erklärungsansätze. Nach dem Self-En- 1998). Von einer gezielten Förderung des
hancement-Ansatz stellt das Selbstkonzept Selbstkonzepts wären demnach positive Ef-
eine Determinante der schulischen Leistung fekte auf die schulische Entwicklung zu

118
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

erwarten. Auf der Grundlage des Skill-De- denen des Selbstkonzepts elaborierter aus-
velopment-Ansatzes wäre aufgrund der hy- fallen, scheint uns die Konzeption des Leis-
pothetisch gegenteiligen Wirkrichtung die tungsmotivs besser geeignet, interindividu-
pädagogische Konsequenz jedoch eine an- elle Unterschiede individueller motivationa-
dere. Da beide Ansätze in der Literatur ler Voraussetzungen des Lernens zu um-
vielfach Untermauerung gefunden haben schreiben. Um deutlich zu machen, dass
(Valentine, DuBois & Cooper, 2004), wird das Konzept der eigenen Begabung (oder
mittlerweile davon ausgegangen, dass so- andere verwandte Konzepte, wie z. B. das
wohl die schulische Leistung einen Einfluss Konzept der Selbstwirksamkeitserwartun-
auf das Selbstkonzept ausübt, als auch das gen) nicht schon vollständig in dem motiva-
Selbstkonzept die Leistungsentwicklung be- tionspsychologischen Konzept des Leis-
einflusst (Marsh & Craven, 2006). tungsmotivs enthalten sind, sprechen wir
Aber kommen wir abschließend noch vom Lern- und Leistungsmotivsystem als
einmal auf das Verhältnis von Leistungs- einem relativ zeitstabilen Personmerkmal,
motiv und Fähigkeitsselbstkonzept zurück. das durch die Einschätzungen der eigenen
Ob das Leistungsmotiv das Fähigkeitsselbst- Fähigkeit, durch differenzielle Attribuie-
konzept determiniert oder ob sich der Kau- rungstendenzen nach Erfolgs- bzw. Miss-
salzusammenhang gerade anders herum dar- erfolgserlebnissen und durch die assoziierten
stellt, ist genauso schwer zu beantworten wie Zielsetzungen, Selbstbewertungen und da-
das berüchtigte Henne-Ei-Problem. Da al- mit verbundenen emotionalen Empfindun-
lerdings die theoretischen Modellvorstellun- gen näher charakterisiert ist.
gen zum Leistungsmotiv im Vergleich zu

2.5 Volition und lernbegleitende Emotionen

Jahrzehntelang hat sich die Motivationspsy- gewollt sind – als volitional bezeichnet wer-
chologie mit den individuellen Voraus- den (Heckhausen & Kuhl, 1985).
setzungen erfolgreichen Lernens beschäftigt, Damit wird eine Thematik wieder auf-
die dazu führen, dass überhaupt Lernabsich- gegriffen, die bereits zu Beginn des 20. Jahr-
ten gebildet werden. Interesse an den spezi- hunderts von Narziß Ach (1905) unter der
fischen Inhalten einer Lernanforderung, die Bezeichnung »Willenstätigkeit« bzw. »Wil-
Hoffnung auf Lernerfolg und eine gute Leis- lensbetätigung« untersucht worden war. Um
tung sowie der damit verbundene Wunsch, die Volition einerseits von der Motivation
sich ein weiteres Mal in seinem eigenen abzugrenzen und andererseits deutlich zu
Leistungsvermögen bestätigt zu sehen, moti- machen, dass beide im Handlungsablauf
viert zum Lernen. Diese Motive können dazu eng aufeinander bezogen sind, haben Heck-
antreiben, eine Lernabsicht auszubilden und hausen, Gollwitzer und Weinert (1987) das
Anstrengungen in die Bewältigung von Lern- Rubikon-Modell zielgerichteter Handlun-
aufgaben zu investieren. Die Absicht, ein gen formuliert (䉴 Abb. 2.12). Der Grund-
Ziel zu erreichen, ist jedoch bekanntlich gedanke dieses Modells ist, dass in dem
nicht identisch mit ihrer Realisierung. Hier- Moment der Entscheidung für das Umsetzen
für bedarf es der Initiierung und Ausführung einer Handlung die Grenzlinie zwischen
geeigneter Handlungen, die – weil sie ja Motivation und Volition überschritten wird.

119
Teil I Lernen

Heckhausen et al. (1987) haben die Bezeich- war ein Staatsstreich. Caesar kam damit
nung Rubikon-Modell gewählt, um an die seiner geplanten Entmachtung durch den
folgenreiche Entscheidung Caesars zur be- römischen Senat zuvor. Von dem Moment
waffneten Überquerung des Grenzflusses an, in dem Caesar seine Absicht zum Über-
Rubikon zwischen Gallia Cisalpina und schreiten des Rubikon gefasst hatte, gab es
Rom (im Jahr 49 v. Chr.) zu erinnern. Das kein Zurück mehr.

Intentions- Intentions- Intentions- Intentions-


bildung initiierung realisierung deaktivierung

Motivation Volition Volition Motivation


prädezisional präaktional aktional postaktional
»Rubikon«

Abwägen Planen Handeln Bewerten

Abb. 2.12: Das Rubikonmodell des Handelns nach Heckhausen (1989; modifiziert übernommen aus
Rheinberg & Vollmeyer, 2012)

Verspürt eine Person einen hinreichend ernst- lage der Person schlagartig ändert. Die Per-
haften Wunsch, etwas zu tun, so beginnt sie son tritt in eine realisierungsorientierte Vo-
damit, die Machbarkeit und die Konse- litionsphase ein, in der vorzugsweise solche
quenzen seiner Umsetzung und die Wünsch- Informationen beachtet werden, die für die
barkeit dieser Konsequenzen zu beurteilen. Realisierung der Absicht relevant sind.
Dem Rubikon-Modell zufolge befindet sich Wenn die Absicht etwa darin besteht, einen
die Person dabei zunächst in einer realitäts- bestimmten schulischen Bildungsabschluss
orientierten motivationalen Phase, in der sie zu erreichen, dann gewinnen in der Voliti-
offen für alle entscheidungsrelevanten Infor- onsphase jene psychischen Kräfte an Bedeu-
mationen ist. Insbesondere werden auch ne- tung, die über das notwendige »Motiviert-
gative Informationen sondiert, geradezu so, sein« und über die notwendige Bereitschaft,
als wolle die Person sich selbst davon über- Anstrengung zu investieren, hinausgehen.
zeugen, dass es sich nicht lohne, dem Wun- Erst die volitionalen Kräfte ermöglichen
sche folgend zu handeln. Nur wenn sich die es, die Umsetzung der gebildeten Absicht
Überzeugung einstellt, dass die Folgen einer unbeirrt und hartnäckig zu verfolgen. Sie
Nicht-Realisierung des Wunsches im Ver- äußern sich z. B. in protektiv-handlungslei-
gleich zu den Folgen seiner Realisierung tenden Einstellungen und Überzeugungen,
unannehmbar sind, kommt es zur Intentions- so etwa in der Überzeugung, die bevorste-
bildung: Aus dem Wunsch wird eine Absicht. henden Ereignisse und Handlungen selbst
Das ist der entscheidende Punkt. vollständig kontrollieren zu können (Goll-
Mit der Absichtsbildung ist der Rubikon witzer, 1991). Erst wenn das eigene Handeln
überschritten, so dass sich die Bewusstseins- zur Realisierung der Absicht geführt hat,

120
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

lässt der volitionale Bewusstseinszustand Angemessen eingesetzte volitionale Kontrolle


nach. Es kommt dann zur Deaktivierung hilft Personen, das zu tun, was sie tun wollen,
indem sie ihre kognitiven, motivationalen und
der Intention und die Person kehrt zurück emotionalen Prozesse zielführend regulieren.
in einen realitätsorientierten Bewusstseins- (Corno & Kanfer, 1993, S. 303)
zustand. In der motivationale Phase konkur-
rieren dann erneut die unterschiedlichen Der funktionalen Beschreibung von Corno
Wünsche und Bedürfnislagen, bevor es zu und Kanfer (1993) ist zu entnehmen, dass die
einer neuen Absichtsbildung kommen mag. Kontrolle unterschiedlichster Prozesse wäh-
Die volitionalen Kräfte zeigen sich in rend des Lernens den Kern der Volition
besonderen Verhaltensweisen, die wir ge- ausmacht. Insofern hat das Konzept der
meinhin als Hinweise auf ein diszipliniertes Volition große Ähnlichkeiten mit dem in
und gewissenhaftes Lernen werten. Gewis- 䉴 Kap. 2.3 dargestellten Konzept der Meta-
senhaftigkeit wird übrigens auch in der Per- kognition, das die Potenziale zur Kontrolle
sönlichkeitspsychologie als eine der zentra- und Regulation kognitiver Prozesse be-
len Dispositionen angesehen, in der sich schreibt. Folgt man der Terminologie von
Menschen systematisch voneinander unter- Corno und Kanfer (1993), dann ließen sich
scheiden (McCrae & Costa, 1999). Metakognitionen auch als Teilmenge der
Volition auffassen, denn Volition bezieht
sich sowohl auf die Kontrolle der kognitiven
Beispiel: Gewissenhaftigkeit
als auch auf die Kontrolle der motivationa-
Seit einiger Zeit hat man sich um eine len und emotionalen Prozesse.
Klärung der Prädiktionskraft nicht-ko- Während wir kognitive und motivationa-
gnitiver Persönlichkeitsmerkmale für be- le Prozesse in den vorangehenden Abschnit-
rufliche Leistungen bemüht. Barrick und ten dieses Kapitels bereits kennen gelernt
Mount (1991) kommen nach einer Sich- haben, war von emotionalen Prozessen bis-
tung vorliegender Daten zu den von her noch nicht die Rede. Dies wird am Ende
McCrae und Costa (1999) postulierten dieses Kapitels nachgeholt mit einer kurzen
fünf Hauptfaktoren der menschlichen Skizze der bei Lernleistungen relevanten
Persönlichkeit (Extraversion, emotionale Emotionen. Zunächst führen wir aus, worin
Stabilität, Verträglichkeit, Gewissenhaf- die volitionalen Probleme beim Lernen be-
tigkeit und Offenheit für Erfahrungen) zu stehen können, welche Handlungskontroll-
folgendem Befund: Nur die Gewissenhaf- funktionen durch volitionale Prozesse erfüllt
tigkeit ist ein valider Prädiktor der Per- werden und welche stabilen interindividuel-
formanz über alle Stichproben und Be- len Differenzen (volitionale Stile) dabei zu
rufsgruppen hinweg. Vermutlich handelt beachten sind.
es sich bei diesem Konstrukt um ein
Konglomerat motivationaler und volitio-
naler Dispositionen. Volitionale Probleme

In der Willenspsychologie werden vor allem


Hoch ausgeprägte volitionale Kompetenzen drei Arten von Volitionsproblemen unter-
erhöhen die Selbstkontrolle und das Selbst- schieden (vgl. Heckhausen, 1989): die Ini-
regulationspotenzial. Dies kommt dem Ler- tiierung einer Handlung, ihre Persistenz und,
nenden insbesondere in solchen Lernsitua- damit eng verknüpft, die Überwindung von
tionen zu Gute, in denen die Lernziele relativ Handlungshindernissen. Viele Motivations-
global und vage sind. theorien gehen implizit davon aus, dass eine
Handlung automatisch initiiert wird, wenn

121
Teil I Lernen

nur eine hinreichend starke Motivationsten- (z. B. Ärger, dass ein intensiv bearbeiteter
denz entstanden ist. Häufig ist dies jedoch Sachverhalt doch nicht verstanden wurde;
nicht der Fall, da erst der »richtige Zeit- Einladung zum Kinobesuch), um eine ini-
punkt« zur Realisierung einer eigenen Ab- tiierte Handlungstendenz zu blockieren. Ler-
sicht kommen muss. Motivationstendenzen nende unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit,
erhöhen allerdings die Bereitschaft, eine be- einmal gefasste Lernentschlüsse gegen kon-
absichtigte Handlung auszuführen. kurrierende Handlungsimpulse abzuschir-
men und Persistenz im Lernverhalten zu
zeigen (»Warum sitze ich eigentlich hier
Beispiel: Handlungsinitiierung
und lerne, wenn ich doch nichts verstehe?«).
Ein durchaus begabter Schüler hat in den Auf einer ersten Stufe besteht Persistenz nur in
letzten Monaten in seinen schulischen der Fähigkeit einer unerledigten Handlungs-
Leistungen so deutlich nachgelassen, tendenz, sich wieder zu melden, wenn die
dass seine Versetzung gefährdet ist. Situation die Aufmerksamkeit nicht anderwei-
tig in Beschlag nimmt und wenn keine andere
Nach einem klärenden Gespräch mit sei-
Handlungstendenz stärker ist. Höhere Anfor-
nen Eltern entscheidet er sich, die Rück- derungen an Persistenz werden erfüllt, wenn
stände in den besonders kritischen Fä- die unerledigte Handlungstendenz die Anre-
chern systematisch aufzuarbeiten. Er lässt gungswirkung starker Stimuli der umgebenden
sich von den Lehrern einen Stoffplan Situation ausblenden kann. Diese Persistenz
auf zweiter Stufe könnte noch von einer Per-
aufstellen und nimmt sich vor, diesen sistenz auf dritter Stufe übertroffen werden,
Plan abzuarbeiten. Aber die Nachmittage wenn es gelänge, einer Handlungstendenz
vergehen, ohne dass er in sein Lernpro- selbst gegen konkurrierende Handlungsten-
gramm einsteigt. Irgendwie »steht er sich denzen von größerer Stärke zeitweiligen Vor-
rang zu geben. (Heckhausen, 1989, S. 192)
auf dem Fuß«; es gibt immer irgendwel-
che Umstände, warum es jetzt gerade
nicht gut passt und der Beginn immer Volition als Handlungskontrolle
wieder verschoben wird. Die Initiierung
der ersten Lernschritte, um den Ent-
schluss umzusetzen, wird zum Problem. Die Frage, wie es gelingen kann, Handlungs-
absichten tatsächlich zu realisieren, zielfüh-
rende Handlungen zu beginnen und sie allen
Ist die Handlungsinitiierung gelungen, in- konkurrierenden Handlungsimpulsen zum
dem beispielsweise der Einstieg in einen Trotz bis zur Zielerreichung andauern zu
komplexen Lernprozess vollzogen wurde, lassen, ist Gegenstand von Theorien der
können jedoch weitere volitionale Probleme Selbstregulation bzw. der Handlungskontrol-
hinzukommen: Vor allem muss die Hand- le. Kanfer (1996) hat in seinem Selbstregula-
lungstendenz andauern, d. h. sie muss so tionsmodell die Schritte eines selbstregulati-
lange das Handeln leiten, bis das Ziel einer ven Zyklus am Beispiel des Auftretens von
Handlung erreicht ist. In dem oben skizzier- Handlungshindernissen folgendermaßen be-
ten Beispiel wird das Erreichen des Lernzie- schrieben: Wenn es zur Unterbrechung einer
les vermutlich Wochen oder gar Monate in Lernhandlung gekommen ist, so wird die
Anspruch nehmen. In dieser Zeit wird der Situation (1) zunächst daraufhin beurteilt,
betroffene Schüler immer wieder neue Pro- ob sie überhaupt noch unter der Kontrolle
bleme der Handlungsinitiierung erleben, des Handelnden steht. Ist dies nicht mehr der
wenn es darum geht, einen nächsten Lern- Fall, wird der Selbstregulationsprozess abge-
schritt zu realisieren. Auch werden sich brochen. Erscheint die Situation hingegen als
Hindernisse unterschiedlichster Art auftun prinzipiell kontrollierbar, so wird (2) geprüft,

122
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

ob es sich bei dem aufgetretenen Hindernis lich verringern zu können, wird der Zyklus
um ein wichtiges Anliegen der Person han- der Selbstregulation allerdings abgebrochen.
delt. Ist das der Fall, dann kommt es (3) zu Eine eher funktionale Klassifikation der
einer Prüfung des erreichten Standes der un- unterschiedlichen Prozesse der volitionalen
terbrochenen Handlung. Dabei wird die Dis- Handlungskontrolle stammt von Julius Kuhl
krepanz zum Handlungsziel festgestellt und (1987, 1996). Kuhl unterscheidet sechs Ar-
es wird geprüft, inwieweit man sich selbst in ten von Strategien, die ein Lernender mit
der Lage sieht, diese Diskrepanz durch fort- günstigen volitionalen Voraussetzungen ein-
gesetzte Handlungen zu verringern. Sieht setzt, wenn sich innere oder äußere Hinder-
man die Möglichkeit, die Diskrepanz durch nisse der Absichtsrealisierung in den Weg
eigenes Tun merklich verringern zu können, stellen oder wenn die der Handlungsabsicht
werden (4) die notwendigen Bewältigungs- zugrunde liegende Motivation zu schwach
tätigkeiten initiiert. Bei großer wahrgenom- ist und gegen andere, stärkere Tendenzen
menen Diskrepanz und geringer Kompetenz- abgeschirmt werden soll.
überzeugung, diese durch eigenes Tun merk-

Fokus: Strategien der Handlungskontrolle (nach Kuhl, 1996)


1. Aufmerksamkeitskontrolle: Ausblenden von Informationen, die absichtswidrige Moti-
vationstendenzen stärken.
2. Enkodierungskontrolle: Fokussieren der Verarbeitungsfunktionen auf zielrelevante
Informationen.
3. Motivationskontrolle: Steigerung der eigenen Motivation, die beabsichtigte Handlung
auszuführen.
4. Emotionskontrolle: Beeinflussung eigener Gefühlslagen zur Steigerung der Handlungs-
effizienz.
5. Misserfolgs- bzw. Aktivierungskontrolle: Unterbinden von Tendenzen, einem Misserfolg
lange in Gedanken nachzuhängen und Abstandnehmen von unerreichbaren Zielen.
6. Initiierungskontrolle: Vermeiden übermäßig langen Abwägens von Handlungsalterna-
tiven.

Die Anwendung solcher Handlungskon- Volitionale Stile


trollstrategien ist hilfreich, aber nicht ein-
fach. Leicht vorstellbar ist, dass es zu man- Aus Alltagsbeobachtungen mag man biswei-
cherlei »Störungen« der Handlungskontrol- len den Eindruck gewinnen, dass sich Men-
le kommen kann. Versagt etwa die Emoti- schen systematisch in der Art und Weise
onskontrolle, dann kann es dazu kommen, unterscheiden, wie sie mit Handlungsstörun-
dass etwa ein Gefühl der Verärgerung über gen umgehen. Die Niedergeschlagenheit, die
eine Bemerkung eines Lehrers oder auch ein eine unangenehme Nachricht auslösen kann,
lähmendes Gefühl, das sich nach einer un- beeinträchtigt das Lernverhalten des einen
angenehmen Nachricht einstellt, nachfol- Schülers nur für wenige Stunden, das eines
gend zu einer fortgesetzten Unaufmerksam- anderen aber für Tage und Wochen. Bei ihm
keit im Unterricht führt, obwohl eigentlich hält das lähmende Gefühl fortwährend
die Absicht bestand, heute besonders gut an, so dass er nur noch über seine missliche
aufzupassen. Lage nachdenken kann und ihm jeglicher

123
Teil I Lernen

Schwung fehlt, sich auf die neu anstehenden Facetten des volitionalen Stils unterschieden,
Lernaufgaben zu konzentrieren. Kuhl die von den Autoren als prospektive Hand-
(1981) hat aufgrund von Beobachtungen lungs- vs. Lageorientierung (HOP-LOP), als
dieser Art auf stabile Persönlichkeitsunter- Handlungs- vs. Lageorientierung nach Miss-
schiede in der Herangehensweise an beab- erfolg (HOM-LOM) und als Handlungs- vs.
sichtigte Handlungen geschlossen. Er unter- Lageorientierung während der Tätigkeits-
scheidet in diesem Zusammenhang zwischen ausführung (HOT-LOT) bezeichnet werden.
lageorientierten und handlungsorientierten Diese drei Facetten beziehen sich auf die
Personen. Initiierung von Handlungen, die man sich
Der Begriff der Handlungsorientierung vorgenommen hat (d. h. auf die generelle
bezeichnet eine Disposition, die die erfolg- Handlungsbereitschaft), auf die Fähigkeit
reiche Umsetzung von Absichten in die Tat zur Misserfolgskontrolle (d. h. auf die »er-
begünstigt. Handlungsorientierten gelingt schwerte« Handlungsbereitschaft, nachdem
die Handlungskontrolle in der Regel beson- man bereits mit Misserfolgen oder anderen
ders gut (vgl. Kuhl & Kazen, 2003): Eine aversiven Ereignissen konfrontiert wurde)
missliche Lage führt bei ihnen nicht zu einem sowie auf die Persistenz des Handeln (d. h.
übermäßig langen Nachgrübeln darüber, auf die Bereitschaft, an einer Tätigkeit fest-
wie es dazu gekommen ist oder wer daran zuhalten).
Schuld habe. Stattdessen beginnen sie sehr
bald wieder damit, verschiedene Handlungs-
Beispiel: Der Fragebogen HAKEMP
möglichkeiten zu generieren. Lageorientierte
(nach Kuhl & Beckmann, 1994)
Personen dagegen verharren in einer Fixie-
rung auf eine eingetretene oder vorgestellte Wenn meine Arbeit als völlig unzurei-
missliche Lage, was ein Verhalten hervor- chend bezeichnet wird, dann
bringt, das wir in 䉴 Kap. 1.2 als Phänomen
der »erlernten Hilflosigkeit« beschrieben a) lasse ich mich davon nicht lange be-
haben. irren (HOM)
b) bin ich zuerst wie gelähmt (LOM)
Die Forschung hat zunächst gezeigt, dass La-
georientierung eigentlich durchaus etwas Po- Wenn ich sehr viele Dinge zu erledigen
sitives sein kann: Zögern und Nachdenken habe, dann
kann gegenüber einem allzu schnellen Handeln
Vorteile haben, besonders in komplexen Situa- a) überlege ich oft, wo ich anfangen soll
tionen, die zahlreiche, oft gar nicht sofort (LOP)
erkennbare Risiken bergen. Lageorientierte zei- b) fällt es mir leicht, einen Plan zu ma-
gen in der Tat auch bei [komplexeren] Alltags-
aufgaben . . . (z. B. Erarbeitung eines Lehrbuch- chen und ihn auszuführen (HOP)
textes) gegenüber Handlungsorientierten Leis-
Wenn ich mit einem Nachbarn über ein
tungsvorteile, wenn sie nicht unter Zeitdruck
gesetzt werden und sich überhaupt in einer interessantes Thema rede, dann
relativ entspannten Situation befinden . . . La-
georientierung bringt erst dann mehr Nachteile a) entwickelt sich leicht ein ausgedehntes
als Vorteile, wenn der Wechsel zur Handlungs- Gespräch (HOT)
orientierung auch dann nicht mehr gelingt, b) habe ich bald wieder Lust, etwas an-
wenn es wirklich Zeit ist zu handeln. (Kuhl deres zu tun (LOT)
& Kazen, 2003, S. 205 f)

Individuelle Unterschiede in der Handlungs-


versus Lageorientierung lassen sich anhand Dem aufmerksamen Leser wird nicht ent-
des Fragebogens HAKEMP erfassen (Kuhl gangen sein, dass der volitionale Stil der
& Beckmann, 1994). Dabei werden drei Handlungsorientierung an die motivationale

124
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Disposition der Erfolgszuversichtlichkeit er- Die bis hierhin beschriebenen Mechanismen


innert und dass auch Ähnlichkeiten zwi- und Prozesse der volitionalen Komponenten
schen der Lageorientierung und der Miss- des Lernens mögen dem kritischen Leser
erfolgsängstlichkeit bestehen. Offenkundig erstaunlich rational, kühl und in gewisser
besteht ein enger Zusammenhang zwischen Weise distanziert erscheinen. Aber entspricht
den motivationalen und den volitionalen das der von Lernenden subjektiv erlebten
Voraussetzungen des Lernens. Bei aller Ähn- Realität? Vermutlich nicht ganz, denn auch
lichkeit gibt es jedoch einen entscheidenden Emotionen spielen eine wichtige Rolle für
Unterschied: Während motivationale Dis- den Erfolg von Lernprozessen. Da ohne die
positionen entscheidend sind für die vom Berücksichtigung der oft mit dem erlebten
Lernenden bevorzugten Zielsetzungen und Erfolg oder Misserfolg in Lernsituationen
die Auswahl von Aktivitäten, wird die kon- einhergehenden Emotionen die Betrachtung
krete Realisierung motivierten Verhaltens der nicht-kognitiven individuellen Voraus-
durch die volitionale Orientierung determi- setzungen erfolgreichen Lernens unvollstän-
niert. Handlungsorientierte verfügen in der dig wäre, wird im Folgenden der Frage nach
Regel über vollständig und angemessen aus- der Rolle der Emotionen nachgegangen.
gebildete Absichten, indem ihnen vier As-
pekte der Verhaltensplanung gleichermaßen
deutlich sind (vgl. Kuhl & Beckmann, 1994): Welche Emotionen sind für
Lernleistungen relevant?
1. der angestrebte zukünftige Zustand,
2. der zu verändernde gegenwärtige Zu-
stand, Man stelle sich einmal vor, wie es wäre, wenn
3. die zu überwindende Diskrepanz zwi- man zwar denken und rational handeln,
schen Ist- und Soll-Zustand und aber nicht fühlen könnte. Man würde
4. die beabsichtigte Handlung, mit der die dann keine Angst, keine Wut und keine
Diskrepanz reduziert werden soll. Traurigkeit mehr verspüren, aber auch keine
Freude, keine Hoffnung, keine Zufrieden-
Bei Lageorientierten findet man demgegen- heit und keine Leidenschaft. Mit anderen
über häufig sogenannte degenerierte Absich- Worten: Man lebte ohne Emotionen.
ten (Kuhl, 1987) durch eine unausgewogene
Präsenz der skizzierten Aspekte. Nach einem
Misserfolgserlebnis kreisen z. B. ihre Gedan- Definition: Emotionen
ken nur um den gegenwärtigen Zustand Unter Emotionen versteht man komplexe
(also den 2. Aspekt). Mit einigem zeitlichen Muster körperlicher und mentaler Ver-
Abstand kommt vielleicht auch der Gedanke änderungen. Sie umfassen physiologische
ins Spiel, wie schön doch ein Erfolg gewesen Erregungen, Gefühle, kognitive Prozesse
wäre (1. Aspekt). Solange jedoch nicht da- und Reaktionen im Verhalten als Ant-
rüber nachgedacht wird, worin die aktuelle worten auf eine Situation, die als persön-
Diskrepanz zwischen dem erreichten und lich bedeutsam wahrgenommen wurde.
dem erwünschten Zustand besteht (3. As- Diese Muster können relativ überdauern-
pekt) und vor allem, was man tun könnte, der, dispositioneller Art sein oder aber
um sie zu überwinden (4. Aspekt), wird es in auch intraindividuell sehr variabel aus-
der aktuellen Lernsituation nur schwerlich fallen. Im letzteren Fall spricht man häu-
zur Realisierung einer notwendigen Hand- fig auch von Stimmungen und ihren
lung kommen. Schwankungen.

125
Teil I Lernen

Auch wenn man sich gelegentlich darüber als kontextgebundene Episode im Gedächt-
ärgern kann, dass negative Emotionen er- nis gespeichert wird. Durch die Einbindung
folgreiches Handeln behindern mögen, so einer Emotion in die Gedächtnisrepräsenta-
übernehmen Emotionen in unserem Leben tion kommt es zu einer stimmungskongru-
doch viele wichtige und nützliche Funktio- enten Verarbeitung von Informationen und
nen. Gefühle ermöglichen, dass wir rasch in der Folge auch zur Stimmungsabhängig-
und flexibel auf wichtige und gefährliche keit der Erinnerungsleistung. Unter stim-
Ereignisse reagieren können. Emotionen mungskongruenter Verarbeitung versteht
und Gestimmtheiten befördern auch die ko- man das Phänomen, dass Lernende selektiv
gnitiven Funktionen, indem sie sehr früh- solche Informationen verarbeiten (und spä-
zeitig im Prozess der Informationsverarbei- ter abrufen können), die zu ihrer gegenwär-
tung Einfluss darauf nehmen, worauf wir tigen Gestimmtheit passen. Stimmungskon-
achten (selektive Aufmerksamkeit) oder wie gruenter Information wird mit größerer
wir uns selbst wahrnehmen (Selbstkonzept). Wahrscheinlichkeit Aufmerksamkeit zuge-
Wichtige Überlegungen zur Rolle von wandt, so dass es für diese Information zu
Emotionen bei der Informationsverarbei- einer gründlicheren und tieferen Verarbei-
tung hat Bower (1981, 1991) angestellt. In tung kommt. Wer in trauriger Stimmung
seinem Modell geht er davon aus, dass ein einen Film anschaut, wird sich später eher
Gefühlszustand, den eine Person in einer an das Verhalten einer im Film ebenfalls
bestimmten Situation erlebt, zusammen traurig gestimmten Person und an traurige
mit den anderen in dieser Situation wahr- Details der Filmhandlung erinnern.
genommenen Ereignissen und Sachverhalten

Fokus: Neuroanatomie, Emotionen und Lernen


Der besondere Einfluss von Emotionen auf das Lernen und Behalten von Informationen
basiert auch darauf, dass in emotional gefärbten Situationen zusätzliche neuronale
Strukturen aktiviert sind. In 䉴 Kap. 1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Hirn-
struktur des Hippocampus (䉴 Abb. 1.1) am Lernen durch Konditionierung, aber auch bei
der Aktivierung deklarativer Gedächtnisinhalte beteiligt ist. Emotional bedeutsame Reize
(z. B. angstbesetzte Ereignisse) führen zu einem »Durchschalten« des Signals in die direkt an
den Hippocampus angrenzende Amygdala (Mandelkern). Eine zentrale Unterstruktur des
Mandelkerns (Nucleus centralis) leitet die emotionale Information breitgefächert an weitere
Systeme des Organismus weiter. Die Amygdala ist an der Enkodierung und beim Abruf von
emotionsbesetzten Erinnerungen maßgeblich beteiligt, ob sie auch den Speicherort für
solche Gedächtnisinhalte darstellt, ist ungeklärt.
Obwohl die Amygdala bei den nicht-deklarativen emotionalen Erinnerungen und der
Hippocampus bei den deklarativen Erinnerungen eine Rolle spielt, arbeiten beide Systeme
zusammen, was dazu führen kann, dass lernbegleitende Emotionen das Erinnerungs-
vermögen verbessern. Dies zeigte sich z. B. in Untersuchungen mit hirngeschädigten
Patienten, denen Geschichten erzählt wurden, die durch die Präsentation von Bildern
unterstützt wurden. In einer der Geschichten ging es um einen Jungen, der von einem Auto
angefahren wurde und notoperiert werden muss. Patienten mit spezifischen Verletzungen
der Amygdala erinnerten sich an die nicht-emotionalen Teile der Geschichte genau so gut
wie unverletzte Personen. Anders als diese erinnerten sie aber die gefühlsbeladenen Teile der
Geschichte nicht besser als die übrigen Inhalte. Patienten mit Verletzungen des Hippo-

126
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

campus bei intakter Amygdala erinnerten sich insgesamt an sehr viel weniger Details der
Geschichte, zeigten aber die auch bei den unverletzten Personen gefundene Tendenz, sich an
die emotional besetzten Inhalte der Geschichte besser zu erinnern als an die neutralen (vgl.
Cahill & McGaugh, 1998; Hamann, Cahill, McGaugh & Squire, 1997).

Eine systematische empirische Analyse der prozesse beeinträchtigen, die eigentlich einer
Wirkmechanismen, die für den Beitrag der optimalen Kapazitätsausnutzung des Ar-
Emotionen zum erfolgreichen oder weniger beitsgedächtnisses bedürften. Zusätzlich ist
erfolgreichen Lernen verantwortlich sind, bei Zuständen von Angst und Ärger mit
steht noch aus. Pekrun und Schiefele (1996) einer Reduktion der intrinsischen Motiva-
nehmen jedoch an, dass sich Emotionen auf tion zu rechnen.
wenigstens vier Arten von kognitiven Pro-
zessen auswirken: (1) auf die Auswahl und Insgesamt aber sind die Motivationsfolgen
solcher Emotionen komplexerer Art, was
Nutzung von Strategien, (2) auf die Prozesse man sich am Beispiel von Angst leicht klarma-
der Informationsspeicherung im Langzeitge- chen kann. Angst motiviert grundsätzlich zur
dächtnis und des Abrufs von Vorwissen, (3) Vermeidung einer bedrohlichen Situation bzw.
auf die Transformationsprozesse im Arbeits- zur Flucht aus dieser Situation. Im Leistungs-
bereich handelt es sich dabei vor allem um
gedächtnis und (4) auf die Prozesse und
befürchtete Mißerfolgssituationen. Misserfol-
Zustände der lern- und leistungsrelevanten ge aber lassen sich häufig nicht durch Vermei-
Motivationen. Dabei ist davon auszugehen, dung oder Flucht, sondern – im Gegenteil – nur
dass unterschiedliche Emotionen in durch- durch ein Hineingehen in die Situation und eine
aus unterschiedlicher Weise auf das Lern- Investition von Anstrengung vermeiden: Geht
ein Schüler nicht zu schulischen Prüfungen, so
und Leistungsverhalten einwirken. Pekrun ist ihm der schulische Misserfolg sicher. Folg-
und Schiefele (1996) unterscheiden diesbe- lich ist anzunehmen, dass Angst zwar die in-
züglich zwischen drei Sorten von Emotio- trinsische Motivation reduziert, gleichzeitig
nen: positiven, aktivierend negativen und aber extrinsische Motivation zu Mißerfolgs-
meidung produziert, die in entsprechend res-
desaktivierend negativen.
tringierten Situationen zu einer Steigerung der
Positive Emotionen wie Lernfreude, leis- Gesamtmotivation führt. Die Gesamteffekte
tungsbezogene Hoffnungen oder Stolz wir- von Angst und anderen aktivierenden negati-
ken sich günstig auf die intrinsische Hand- ven Emotionen dürften im Einzelfall davon
lungsmotivation aus. Obgleich sie – so wie abhängen, in welchen Relationen diese unter-
schiedlichen, teils gegenläufigen Aufmerksam-
auch negative Emotionen – das Arbeits- keits- und Motivationseffekte jeweils stehen.
gedächtnis belasten können, dürfte der mo- (Pekrun & Jerusalem, 1996, S. 12 f)
tivationsfördernde Effekt positiver Emotio-
nen den Nachteil einer zusätzlichen Kapazi- Hoffnungslosigkeit oder Langeweile fallen
tätsbelastung mehr als ausgleichen. in die Gruppe der desaktivierenden negati-
Zu den aktivierenden negativen Emotio- ven Emotionen, weil sie einer tieferen Ver-
nen gehören Angst und Ärger. Diese stimu- arbeitung von Informationen entgegenste-
lieren die psychische und physische Hand- hen und die intrinsische (wie auch die ex-
lungsbereitschaft und damit auch die Nut- trinsische) aufgabenbezogene Motivation
zung von Lernstrategien. Dennoch sind sie in reduzieren. Ebenso wie die aktivierenden
ihrer Auswirkung oftmals eher schädlich für negativen Emotionen beeinträchtigen auch
die resultierende Lernleistung, da sie zu- die desaktivierenden die notwendige Auf-
gleich Anteile der aufgabenbezogenen Auf- merksamkeitszuwendung bei der Aufgaben-
merksamkeit abziehen und damit jene Lern- bearbeitung.

127
Teil I Lernen

Die in 䉴 Kap. 2.3 begonnene Diskussion sichtigeren« Informationsverarbeitung füh-


über Lernstile lässt sich vor dem Hintergrund ren. Positive Emotionen sollen demgegen-
von Theorien und Befunden zum Einfluss über eher eine globale, intuitiv-holistische
von Stimmungen (d. h. zeitlich variablen Verarbeitung auslösen, deren Vorteil darin
Emotionen) auf Lernleistungen fortführen. bestehen soll, dass eine simultane Verarbei-
Es gibt einige Hinweise darauf, dass indivi- tung komplexer Informationen besser ge-
duelle Stimmungen und Gestimmtheiten wie lingt. Wenn sich negative Emotionen in in-
eine Art mentaler Schalter dafür verantwort- traindividuell stabilen Dispositionen nieder-
lich sind, ob und wenn ja, auf welche Art und schlagen (z. B. im Sinne einer manifesten
Weise, Information verarbeitet wird (vgl. Prüfungsangst) und wenn dadurch die Mög-
Abele, 1996). So geht z. B. Kuhl (1983) lichkeiten der Informationsverarbeitung
davon aus, dass Informationen je nach Stim- beim Lernen quasi habituell eingeschränkt
mungslage unterschiedlich verarbeitet wer- sind, kann diese Einschränkung durch Maß-
den. Negative Emotionen sollen demzufolge nahmen volitionaler Kontrolle relativiert
eher zu einer detailgenauen und systemati- werden.
schen, sequentiell-analytischen, also »vor-

Zusammenfassung
Erfolgreiches Lernen wird durch eine Reihe individueller Voraussetzungen erleichtert. Zu
den relevanten individuellen Voraussetzungen gehört die Funktionstüchtigkeit kognitiver
(selektive Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis, Vorwissen, Strategien und deren me-
takognitive Regulation), motivationaler und volitionaler Merkmale.
Die Funktionen der (selektiven) Aufmerksamkeit und der verschiedenen Teilsysteme des
Arbeitsgedächtnisses restringieren die in einer Zeiteinheit zu verarbeitenden Informationen.
Ein umfangreiches und elaboriertes Vorwissen kann diesen Flaschenhals weiten. Auch mit
Hilfe unterschiedlicher kognitiver und metakognitiver Strategien lässt sich die Informa-
tionsverarbeitung optimieren.
Günstige motivationale Voraussetzungen sind für den Erfolg des Lernens wichtig. Als
dispositionelle Merkmale gelten das Ausmaß an Erfolgszuversicht bzw. Misserfolgsängst-
lichkeit. Aber auch typische Ursachenzuschreibungen (Attributionen) nach Erfolg und
Misserfolg und die spezifischen Selbstkonzepte eigener Begabung sind bedeutsame Einfluß-
faktoren der Leistungsentwicklung.
Werden aus Wünschen Absichten, dann verändert sich der Bewusstseinszustand einer
Person von einer motivationalen Realitätsorientierung zu einer volitionalen Realisierungs-
orientierung, die psychische Kräfte der hartnäckigen Zielverfolgung mobilisiert.
Auch die den Lernprozess begleitenden Emotionen nehmen Einfluss auf die Art und auf
den Erfolg des Lernens, indem sie die Aktivierung der kognitiven und motivationalen
Mechanismen begünstigen oder behindern. Sie können auch die Wahrscheinlichkeit
erhöhen, dass eine Lernabsicht tatsächlich umgesetzt wird. Dieser Einfluss der Emotionen
wird wiederum durch einen dispositionellen Rahmen begrenzt, der durch die volitionalen
Besonderheiten des Lernenden vorgegeben ist: die Handlungsorientierung oder die Lage-
orientierung.

128
2 Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

Literaturhinweis
Pressley, M. & Harris, K. R. (2006). Cognitive
strategies instruction: From basic research to
classroom instruction. In P. A. Alexander &
P. E. Winne (Eds.), Handbook of educational
psychology (pp. 265–286). Mahwah, NJ: Erl-
baum.
Rheinberg, F. & Vollmeyer, R. (2012). Motivation
(8. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

129
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

Im vorangegangenen Kapitel haben wir er- übergreifenden Schlüsselkompetenzen und


folgreiches Lernen aus der Perspektive der schließlich um die Rekonstruktion gelun-
individuellen Voraussetzungen auf der Seite genen Lerntransfers. In der Expertisefor-
des Lernenden beschrieben. Die Frage nach schung geht es um die naheliegende Frage,
den Folgen bzw. Ergebnissen erfolgreichen nach welchen Gesetzmäßigkeiten der Er-
Lernens wurde dabei vergleichsweise wenig werb bereichsspezifischen Wissens und Kön-
thematisiert. Sicherlich: Der Erfolg des Ler- nens vonstattengeht (䉴 Kap. 3.1). Das Kom-
nens macht sich daran fest, wie gut etwas plement zu dieser Fragestellung ist die Suche
verstanden und wie vollständig es behalten nach bereichsübergreifenden Qualifikatio-
wurde. Betrachtet man einen einzelnen iso- nen bzw. Kompetenzen als Resultaten erfolg-
lierten Lernprozess, so mag es nicht sonder- reichen Lernens (䉴 Kap. 3.2). Um zu verste-
lich schwer fallen, den Grad des Lernerfolgs hen, wie neu erlernte Kenntnisse und Fertig-
zu bestimmen. Doch schulisches wie auch keiten in gänzlich anderen Bewährungs- und
außerschulisches Lernen lässt sich nur be- Anforderungssituationen genutzt werden
dingt als Summe isolierter Lernprozesse be- können, wird abschließend der Begriff des
schreiben. Zum Wesen menschlicher Lern- Lerntransfers behandelt (䉴 Kap. 3.3).
vorgänge gehört ihr kumulativer Charakter.
Die lernende Person verändert sich in diesem
Orientierungsfragen
kumulativen Lerngeschehen. Der Erfolg des
kumulativen Lernens zeigt sich am Ende ● Was ist eine »bereichsspezifische Ex-
darin, dass neue Kompetenzen entstehen. pertise«? In welchen Inhaltsbereichen
Doch wie sehen solche Kompetenzen aus, kann man Expertise erwerben?
die sich als Produkte eines längerfristig er- ● Wie kann man zum Experten in einem
folgreichen Lernens beschreiben lassen? Inhaltsbereich werden?
In der modernen Lernforschung lassen ● Was versteht man unter bereichsüber-
sich wenigstens drei, nicht ganz voneinander greifenden Schlüsselkompetenzen und
unabhängige Forschungstraditionen identi- wie kann man sie erwerben?
fizieren, in denen die resultierenden Kom- ● Wann und wodurch kommt es zur
petenzen erfolgreicher kumulativer Lernpro- Übertragung (zum Transfer) der erlern-
zesse analysiert und beschrieben werden. Es ten Kenntnisse und Fertigkeiten auf
handelt sich dabei um die Expertisefor- neue Anforderungen?
schung, um die Erforschung der bereichs-

130
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

3.1 Erwerb bereichsspezifischer Expertise

Wenn Personen viel über einen Gegenstands- schon in jungen Jahren Schachweltmeister
bereich wissen, ist eine notwendige Voraus- und wer Nobelpreisträger?
setzung für eine bereichsspezifische Experti- Die Beschäftigung mit Expertise verleitet
se erfüllt. Hinreichend ist das allerdings noch leicht zu dem Gedanken, dass dieses Thema
nicht, denn nicht selten kommt es vor, dass nur wenige Auserwählte betrifft. Dies ist
jemand zwar viel weiß, nicht jedoch in der aber keineswegs der Fall. Wir fassen den
Lage ist, dieses Wissen auch anzuwenden. Expertisebegriff breiter. Zu den Zielen von
Man bezeichnet solches Wissen auch als Schule und Bildung gehört es, vielfältige
»träge« (Renkl, 1996). bereichsspezifische Expertisen aufzubauen.
Bereits in 䉴 Kap. 2.2 hatten wir darauf Nicht nur wenige, sondern die Mehrzahl der
hingewiesen, dass Expertenwissen nicht al- Absolventen westlicher Schulsysteme sind –
lein durch ein umfangreiches Wissen in ei- so betrachtet – Experten in den Kulturtech-
nem Bereich charakterisiert ist, sondern dass niken des Lesens, Schreibens und Rechnens.
dieses Wissen auch wohlgeordnet und in In völlig unvertrauten Situationen und Kon-
umfangreiche Erfahrungen einbettet sein texten sind sie nämlich in der Lage, ohne
muss. Auch auf die Prinzipien, anhand derer große Anstrengung die Botschaft eines Tex-
Bransford et al. (2000) die spezifische Wis- tes zu entschlüsseln, eine unerwartete Beob-
sensqualität von Experten umschrieben ha- achtung schriftlich festzuhalten oder zu be-
ben (z. B. das Erkennen übergeordneter Be- urteilen, ob ein Produkt, das ihnen etwa im
deutungsmuster im Lernmaterial, die Ver- Urlaubsland zum Kauf angeboten wird, dort
knüpfung mit einer Vielzahl von Anwen- günstiger als zu Hause erworben werden
dungskontexten, der flexible Wissensabruf kann.
ohne große Anstrengung, die variablen und Um einen Eindruck darüber zu vermit-
flexiblen Reaktionsmuster in unvertrauten teln, wie breit das Spektrum der bereichs-
Situationen), wurde dort bereits eingegan- spezifischen Expertisen sein kann, die sich
gen. Der Begriff der Expertise wird oft so aufgrund kumulativ-erfolgreicher Lernpro-
verstanden, dass es sich um ganz außerge- zesse einstellen, skizzieren wir zunächst, wie
wöhnliche Leistungen handeln muss. Dabei die Kompetenzen in den grundlegenden Kul-
fallen uns beispielhaft herausragende Exper- turtechniken des Lesens und Rechnens er-
ten für spezifische Inhaltsbereiche ein: so worben werden. Dann gehen wir der Frage
etwa Steffi Graf im Tennis oder Günter nach, wie es überhaupt dazu kommt, dass
Netzer im Fußball, Herbert von Karajan Lernende in einem bestimmten Bereich zu
oder Sir Simon Rattle in der Musik, Bobby Experten werden. Sind solche Kompetenzen
Fischer oder Gary Kasparow im Schach oder angeboren oder erlernt? Wie viel Zeit benö-
Peter Grünberg, der für seine besonderen tigt man zum Erwerb einer Expertise? Wel-
Leistungen bei der Entdeckung des Riesen- che Rolle spielt dabei die gezielte Übung?
magnetwiderstands (GMR) den Nobelpreis
für Physik im Jahr 2007 erhielt. Alle diese
Experten haben exzellente Leistungen in Lesen
ihren Bereichen vorzuweisen. Aber wer
wird schon siebenmal Wimbledon-Siegerin, Um die Inhalte dieses Lehrbuchs verstehen
wer gleichzeitig Leiter der Berliner Philhar- zu können, müssen Sie zunächst einmal
moniker und der Wiener Staatsoper, wer Experte im Lesen sein. Lesen zu können
mag Ihnen trivial vorkommen. Schließlich

131
Teil I Lernen

können Sie ja lesen – und nicht nur Sie, Das angestrebte Ziel des Leseunterrichts im
sondern die meisten Personen, die Sie ken- Primarschulalter ist zunächst einmal das
nen, ebenfalls. Dennoch ist der Erwerb der »flüssige Lesen«. Um dieses Ziel zu errei-
Lesefertigkeit alles andere als trivial. Flüssi- chen, sind eine Reihe grundlegender Teil-
ges und verstehendes Lesen ist die Folge einer kompetenzen zu erwerben. Zu den wichtigs-
langen Kette von Lernprozessen und inten- ten Teilkompetenzen des flüssigen Lesens
siver Übungszeiten. Nicht immer wird Lesen gehören das rasche und sichere Erkennen
erfolgreich gelernt – obwohl es eine allgemei- bzw. Wiedererkennen von Phonemen, das
ne Schulpflicht gibt und der Erwerb schrift- korrekte Dekodieren von Wörtern, also das
sprachlicher Kompetenzen zu den grund- Erkennen von Wortbedeutungen und das
legenden schulischen Lernzielen gehört. Integrieren von Wörtern zu einem Satz.
Die Hamburger Erziehungswissenschaft- Das Erkennen von Phonemen gilt seit den
lerin Anke Grotlüschen kommt in einer 1980er Jahren als wichtigste Basiskom-
2010 durchgeführten Untersuchung zu petenz des gelingenden Schriftsprach-
dem Ergebnis, dass gut 4 % der Erwerbs- erwerbs. Um Phoneme erkennen und ver-
tätigen in Deutschland Analphabeten sind. arbeiten zu können, bedarf es der sogenann-
Verwendet man die von der UNESCO vor- ten phonologischen Bewusstheit, also der
geschlagene Kategorie des »funktionalen Bewusstheit der klanglichen Segmentierung
Analphabetismus«, so wären sogar 7,5 Mil- von Sprache (Blachman, 2000). Zur phono-
lionen Erwachsene in Deutschland (das sind logischen Bewusstheit gehört das Wissen,
mehr als 14 %) davon betroffen (Grotlüs- dass Wörter aus Klangeinheiten bestehen
chen, Riekmann & Bonna, 2010). Vom und dass über die unterschiedliche Kom-
funktionalen Analphabetismus wird gespro- bination solcher Klangeinheiten Wörter ge-
chen, wenn Personen nicht in der Lage sind, bildet werden. Eine Sichtung damals vorlie-
den Sinn einfachster Texte zu erschließen. In gender Längsschnittstudien wies schon in
den USA wird die Quote der funktionalen den 1980er Jahren auf einen engen Zusam-
Analphabeten unter den Erwachsenen sogar menhang zwischen Indikatoren der phono-
auf 20 % geschätzt (Adams, 1990). logischen Bewusstheit und den späteren Le-
Lesen ist ein komplexer Prozess. Beim seleistungen hin (Wagner & Torgesen,
Erwerb der Lesefertigkeit und des Lesever- 1987). Dieser Zusammenhang bestand un-
ständnisses lassen sich unterschiedliche Stu- abhängig von Intelligenzunterschieden zwi-
fen bzw. Niveaus identifizieren und es gibt schen den untersuchten Schülern.
unterschiedliche Komponenten der Lese- Defizite in der phonologischen Be-
kompetenz (vgl. Scheerer-Neumann, 1997). wusstheit gehören zu den wichtigsten Ur-

Fokus: Messung phonologischer Bewusstheit


Unterschiedliche Facetten der phonologischen Bewusstheit als einer Vorläuferfertigkeit des
Schriftspracherwerbs lassen sich bei Kindern im Grundschulalter mit Hilfe des Testver-
fahrens BAKO 1–4 (Stock, Marx & Schneider, 2003) erfassen. Das Verfahren enthält sieben
Subtests:
● Pseudowortsegmentierung: Hier werden Wortklänge (z. B. »frap«) vorgesprochen, die in
ihre klanglichen Einheiten segmentiert werden müssen (»/f/-/r/-/a/-/p/«).
● Vokalersetzung: In vorgesprochenen Wörtern muss regelhaft ein Vokal durch einen
anderen ersetzt werden (z. B. aus »a« wird »i«, d. h. aus dem Wort »Sand« wird damit
»sind«).

132
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

● Restwortbestimmung: Der Anlaut eines vorgegebenen Wortklanges soll entfernt werden


(aus »osarf« wird »sarf«).
● Phonemvertauschung: Die beiden ersten Laute eines vorgesprochenen Wortes müssen
vertauscht werden (aus »Tafel« wird »atfel«).
● Lautkategorisierung: Aus jeweils vier vorgesprochenen Wörtern muss das eine heraus-
gehört werden, das einen abweichenden Anfangslaut aufweist.
● Vokallängenbestimmung: Aus vier Pseudowörtern mit gleichem Vokal muss dasjenige
herausgehört werden, das im Vergleich zu den anderen einen deutlich kürzeren oder einen
deutlich längeren Vokal aufweist.
● Wortumkehr: Vorgesprochene Pseudowörter (z. B. »emat«) müssen in umgekehrter
Richtung (»tame«) wiedergegeben werden.

sachen von Lese-Rechtschreibstörungen zusammengesetzte Buchstaben, sondern als


(䉴 Kap. 4.2). Das erfolgreiche Trainieren Einheit zu lesen sind (sogenannte Sichtwör-
der phonologischen Bewusstheit im Vor- ter). In neuerer Zeit findet man eine Weiter-
schulalter ist deshalb die effektivste Präven- entwicklung der Ganzwort-Methode, die
tionsmaßnahme, um spätere Störungen beim man als Ganzsprach-Philosophie bezeichnen
Lesen und Rechtschreiben zu vermeiden könnte. Die Grundidee ist hier, dass das
(vgl. Schneider, 2001). Lesen am besten durch Schreiben und durch
Als phonologisches Rekodieren von Wör- das erneute Lesen des Geschriebenen erlernt
tern bezeichnet man den Prozess des Über- werde. Empirische Evaluationen zeigen
setzens von Schriftsymbolketten in Klang- leichte Vorteile der analytischen Methode
strukturen, also die Buchstaben-Laut-Über- im Hinblick auf das Erlernen der basalen
setzung (Lautieren). Die Lautfolgen werden Lesefertigkeiten (Worterkennung und Lese-
während des Lesens im Arbeitsgedächtnis flüssigkeit) und leichte Vorteile der Ganz-
bereit gehalten, um eine sinnentnehmende wort- bzw. Ganzsprach-Ansätze für das Le-
Bedeutungsanalyse zu ermöglichen (Deko- se- und Textverstehen (vgl. Stahl, McKenna
dieren). Es besteht kein Zweifel daran, dass & Pagnucco, 1994). Für die unterrichtliche
das phonologische Rekodieren von Wörtern Arbeit werden daher meist eher eklektische
zu den basalen Grundfertigkeiten des Lesens Verknüpfungen der unterschiedlichen Me-
gehört. Allerdings hat es seit Mitte des 19. thoden empfohlen, bei denen der Beginn des
Jahrhunderts wahre Glaubenskriege um die Erstleseunterrichts aus bewährten Elemen-
Frage gegeben, über welche Methode des ten der analytischen und der Ganzsprach-
Erstleseunterrichts das Worterkennen am Methode gestaltet wird (Pressley, 1998). Wie
besten zu vermitteln sei. Immer wieder stan- beim Erwerb jeder Expertise ist dabei ein
den sich Varianten der analytischen und der hinreichendes Ausmaß an Wiederholung
ganzheitlichen Methode gegenüber. Wäh- und Übung erforderlich, bis das Erkennen
rend die analytische Methode das Erlesen von Wörtern hinreichend automatisiert von-
von Wörtern über das Einüben von Korres- statten geht. Im sogenannten Zwei-Wege-
pondenzbeziehungen zwischen den Buchsta- Modell des Wortlesens wird das phonologi-
ben bzw. Buchstabengruppen und ihrer laut- sche Rekodieren übrigens als »indirekter«
lichen Aussprache zu erreichen versucht, Zugangsweg zur Wortbedeutung bezeichnet
setzt die Ganzwort-Methode auf den Lese- – der direkte Zugangsweg kommt bei den
einstieg über ganze Wörter, die nicht als zunehmend routinierten Lesern ohne den

133
Teil I Lernen

lautsprachlichen Umweg aus und erschließt ner Wörter voraus, sondern zusätzlich das
die Bedeutung eines Wortes durch Zugriff Integrieren von Wörtern zu einem Satz und
auf das semantische Lexikon (Coltheart, das Verstehen dieses Satzes. Blickbewe-
1978). gungsanalysen haben gezeigt, dass für diese
Die Phoneme eines Wortes zu erkennen Integrationsleistung zusätzlich Zeit benötigt
und die gedruckten Buchstaben eines Wortes wird. So ließen z. B. Singer, Revlin und Hall-
zu rekodieren sind notwendige Teilfertigkei- dorson (1990) die Teilnehmer eines Experi-
ten, um Schriftsymbol und Sprachklang zu- ments entweder die folgenden beiden Sätze
sammenzuführen. Darüber hinaus erfordert »Al ist ein Arzt. Bill ist auch ein Arzt« oder
das flüssige und das verstehende Lesen na- die beiden Sätze »Al ist ein Chirurg. Bill ist
türlich auch die Bedeutungsübersetzung auch ein Arzt« lesen. Der einzige Unter-
(Dekodieren) der phonologisch rekodierten schied zwischen diesen beiden Satzpaaren
Wörter, also das Erkennen von Wortbedeu- besteht darin, dass im zweiten Falle das
tungen. Ob eine Wortbedeutung erkannt inhaltliche Vorwissen des Lesers (das seman-
werden kann, hängt unmittelbar ab vom tische Lexikon) aktiviert werden muss, um
verfügbaren Sprachschatz und vom Welt- sich zu vergewissern, ob auch Chirurgen
wissen des Lernenden. So wird es z. B. einem Ärzte sind. Singer et al. (1990) fanden,
Leseanfänger in Afrika im Vergleich zu ei- dass für das Lesen von Satzpaaren der zwei-
nem Skandinavier sehr viel schwerer fallen ten Art etwa 500 ms mehr Zeit benötigt
das Wort »Schnee« zu dekodieren. Das in- wurde, was im Wesentlichen auf einer Ver-
dividuelle Lexikon der Wortbedeutungen längerung der Fixationszeit am Ende des
wird in den ersten Schuljahren angelegt – zweiten Satzes beruhte.
neue Einträge sind bis ins hohe Erwachse-
nenalter möglich. Nagy und Scott (2000)
Fokus: Blickbewegungen beim Lesen
schätzen, dass in den ersten Schuljahren
pro Jahr etwa 2000 neue Wörter Eingang Reichle, Pollatsek, Fischer und Rayner
in dieses Lexikon finden. (1998) haben die Befunde von über
Die Geschwindigkeit mit der die Bedeu- zwei Jahrzehnten Blickbewegungsfor-
tung eines prinzipiell bekannten Wortes er- schung beim Lesen zusammengefasst.
kannt werden kann, ist von seiner kontextu- Danach fixieren erfahrene Leser jeweils
ellen Einbettung abhängig. So erkennt ein für etwa 200 bis 250 ms eine einzelne
Kind die Bedeutung des Wortes »Schnee« Textstelle (Fixationspunkt). In dieser Zeit
etwas schneller, wenn es unmittelbar vorher können sie etwa sechs bis acht Buchsta-
einen Satz über weiße Winterlandschaften ben »sehen« (Fixationsspanne). Danach
statt über ein Sommerfest gehört oder gele- »springt« das Auge zum nächsten Fixa-
sen hat. Experimentelle Untersuchungen tionspunkt. Dieser Augensprung (Sakka-
zum Erkennen der Bedeutung dargebotener de) dauert etwa 15 bis 30 ms – während
Wörter belegen auch, dass schwächere und dieses Zeitraums kann keine neue Infor-
jüngere Leser in höherem Maße als leistungs- mation aufgenommen werden.
stärkere und länger unterrichtete von Kon-
textmerkmalen abhängig sind (z. B. West &
Stanovich, 1978). Dieser Befund spricht da- Die Expertise im flüssigen Lesen auf der
für, dass mit zunehmender Leseexpertise Wort- und Satzebene ist jedoch keineswegs
auch der Automatisierungsgrad des Erken- der Schlusspunkt beim Erwerb von Leseex-
nens von Wortbedeutungen zunimmt. pertise. Vor allem im Anschluss an die Pri-
Flüssiges und verstehendes Lesen setzt marschulzeit wird es in der Regel zu enor-
nicht nur die Bedeutungserkennung einzel- men Fortschritten hinsichtlich des Lesever-

134
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

ständnisses kommen – bleiben diese Ent- nen die Meisten einfache Aufgaben unter
wicklungen aus, wird die Kompetenz zur Verwendung der Grundrechenarten (Addi-
Informationsaufnahme aus Texten erheblich tion, Subtraktion, Multiplikation, Division)
beeinträchtigt bleiben (siehe dazu auch richtig lösen, jedoch scheitern sie bereits bei
䉴 Kap. 8.1 und 8.4). Kintschs (1996) Theo- solchen Anforderungen, die eine einfache
rie des Textverstehens thematisiert die Rolle Kombination der Grundrechenarten verlan-
konstruktiver und strategischer Verarbei- gen.
tungsprozesse beim Lernen aus Texten. Not-
wendige Voraussetzung für die Verstehens-
Beispiel: Ein einfaches
und Behaltensförderlichkeit dieser Prozesse
mathematisches Problem?
ist, dass das Rekodieren und Dekodieren
eines Textes auf der Wort- und Satzebene Wir wollen einen Kellerraum neu fliesen.
sicher und schnell (flüssig) vor sich gehen. Die Fliesen, die wir ausgesucht haben,
»Möglichst viel lesen!« ist hierfür eine eben- sind quadratisch mit einer Seitenlänge
so einfache wie wirksame Empfehlung. von 30 cm. Der rechteckige Kellerraum
Und das Schreiben? Auch hinsichtlich der ist 6,9 m lang und 5,1 m breit. Die Fliesen
Fertigkeit, Sachverhalte oder Empfindungen kosten Eur 1,15 das Stück. Wie viel
treffend und flüssig zu verschriftlichen, kann kosten die Fliesen für den gesamten Kel-
Expertise erworben werden. Wie bei der lerraum?
Textrezeption handelt es sich bei der Text- Hat man das Problem richtig verstan-
produktion um eine grundlegende Kultur- den und sich einen geeigneten Lösungs-
technik, die erlernt und unter geeigneter weg zurechtgelegt, dann findet man die
Anleitung perfektioniert werden kann richtige Lösung über die folgende Kette
(䉴 Kap. 8.4). von zwei Divisionen und zwei Multipli-
kationen:

Rechnen 6,9 / 0,3 = 23


5,1 / 0,3 = 17
Ähnlich wie das Lesen gehört auch das 2317 = 391
Rechnen (oder besser: das Lösen mathema- 3911,15 = 449,65.
tischer Probleme) zu den grundlegenden
Kompetenzen, die in unserem Schulsystem
möglichst allen Kindern vermittelt werden Notwendige Voraussetzung für das Lösen
sollten. Glaubt man allerdings den Ergeb- einfacher mathematischer Aufgaben ist die
nissen der großen Schulleistungsstudien der Beherrschung der Grundrechenarten. Es ist
vergangenen Jahre, so ist trotz positiver deshalb ein wesentliches Ziel des Primar-
Entwicklungen der Anteil derjenigen, die schulunterrichts im Fach Mathematik, diese
dieses Ziel nicht in zufriedenstellender Weise Fertigkeiten zu vermitteln.
erreichen, weiterhin groß und eher noch Den detaillierten Analysen zur Entwick-
größer als beim Lesen (vgl. Baumert et al., lung der Rechenfertigkeit im Grundschulalter
2001; Frey, Heinze, Mildner, Hochweber & von Grube (2005) ist zu entnehmen, dass es
Asseburg, 2010): Fast jeder Fünfte der 15- sich beim Erwerb mathematischer Kom-
jährigen in Deutschland ist nicht in der Lage, petenzen um eine komplexe Sequenz kumu-
die einfachsten rechnerischen Anforderun- lativer Lernprozesse handelt, die dann erfolg-
gen zu bewältigen, wie sie etwa im Rahmen reich verläuft, wenn ausreichend Arbeits-
der beruflichen Ausbildung in den meisten gedächtnisressourcen vorhanden sind und
Lehrberufen gefordert werden. Zwar kön- wenn geeignete Rechenstrategien entwickelt

135
Teil I Lernen

und genutzt werden. Von entscheidender Be- wenn Sie ein Lexikon oder eine andere Art
deutung für die Flüssigkeit (und damit den von Nachschlagewerk zur Hand hätten und
Expertisegrad) der Beherrschung der Grund- wüssten, wie man es bedient). Ohne dieses
rechenarten ist Grube (2005) zufolge die notwendige Vorwissen kann schon allein die
Qualität des basalen arithmetischen Wissens. Problemübersetzung nicht gelingen.
Wer früh über ein vollständiges und hoch- Bisweilen reicht die Übersetzung der ein-
automatisiert nutzbares Wissen hinsichtlich zelnen Aussagen eines mathematischen Pro-
der Ergebnisse der Addition, Subtraktion, blems nicht aus, um zu einer angemessenen
Multiplikation und Division zweier Ziffern Problemrepräsentation zu gelangen. Ins-
verfügt, besitzt einen enormen Vorteil beim besondere wenn es darum geht, konkrete
Bewältigen komplexerer Rechenanforderun- Situationen zur Veranschaulichung eines
gen. mathematischen Problems zu konstruieren,
Allerdings gehört zum erfolgreichen und wird deutlich, wie schwer es oft fällt, eine
effizienten Bewältigen komplexerer Rechen- kohärente Problemrepräsentation zu erzeu-
anforderungen weit mehr als die Verfügbar- gen. So bat die Mathematikdidaktikerin
keit basalen Ergebniswissens. Mayer Liping Ma (1999) amerikanische und chi-
(2003 a) identifiziert wenigstens vier weitere nesische Primarschullehrerinnen, eine Text-
Komponenten der fortgeschrittenen Rechen- aufgabe zu erfinden, die über die Gleichung
expertise: (1) allgemeines Weltwissen, das 1¾ geteilt durch ½ angemessen gelöst wird.
benötigt wird, um den Sachverhalt eines 96 % der amerikanischen Lehrerinnen fiel
mathematischen Problems in eine angemes- dazu entweder gar keine Musteraufgabe ein
sene interne Repräsentation zu übersetzen, oder nur eine unangemessene und irrefüh-
(2) konzeptuelles Wissen, um die wesentli- rende (wie z. B. »Wenn Du einen ganzen
chen Informationen einer Aufgabenanforde- Kuchen und einen weiteren dreiviertel Ku-
rung in eine kohärente Repräsentation zu chen hast – wie viel wäre dann die Hälfte
integrieren, (3) lösungsstrategisches Wissen, davon?«). Aber 90 % der chinesischen Leh-
mit dessen Hilfe ein Lösungsplan entwickelt rerinnen waren dazu in der Lage, eine an-
und seine Realisation überwacht werden gemessene Problemgeschichte zu konstruie-
kann und schließlich (4) operationales Wis- ren (wie z. B. »Die halbe Höhe einer Mauer
sen, mit dessen Hilfe die erforderlichen Be- beträgt 1¾ Meter – wie hoch ist die Mauer
rechnungen prozedural korrekt ausgeführt insgesamt?«). Dieses Beispiel zeigt, dass es
werden können. auch Lehrpersonen nicht immer leicht fällt,
Was versteht man unter der Problemüber- eine kohärente Repräsentation mathemati-
setzung in eine angemessene interne Reprä- scher Grundprobleme zu generieren. Zum
sentation? Nehmen wir unser Beispiel aus Erwerb mathematischer Expertise gehört
dem Kasten (s. o.): Um die Aufgabe über- daher der Aufbau einer Vielzahl angemesse-
haupt zu verstehen, bedarf es des allgemei- ner Konzepte für unterschiedliche Typen
nen und/oder mathematikbezogenen Welt- mathematischer Probleme.
wissens (z. B. darüber, dass ein Quadrat vier Die Planung von Lösungswegen und ihre
gleiche Seiten hat, dass ein Rechteck in jeder Überwachung sind weitere Merkmale fort-
Ecke rechtwinklig ist, dass ein Meter 100 geschrittener Rechenexpertise. Dazu bedarf
Zentimetern entspricht). Stellen Sie sich vor, es des strategischen Wissens, das gerade im
wir hätten die Ausmaße des Kellerraumes Grundschulalter oft nur in unzureichendem
nicht in Meter, sondern in Yard angegeben. Maße zur Verfügung steht. Nicht selten
Dann könnten Sie die Aufgabe nur lösen, behindern unproduktive Voreinstellungen,
wenn sie wüssten, dass ein Yard der Länge Voreingenommenheiten und Ängste ein
von 91,44 Zentimetern entspricht (oder planvolles Vorgehen beim Lösen von ma-

136
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

thematischen Problemen. So findet man Begabungen nimmt man an, dass sie zu
noch bei vielen Jugendlichen die Überzeu- einem Großteil genetisch determiniert oder
gung, dass es für jedes mathematische Pro- mitbeeinflusst sind. Aber ist Expertise in
blem nur eine korrekte Lösungsprozedur einer bestimmten Domäne wirklich die Folge
geben könne. angeborener Kompetenzen?
Schließlich gehört zur mathematischen Entgegen der Erblichkeits- bzw. Heridi-
Expertise die sichere Beherrschung der be- tätsvermutung fallen die Korrelationen zwi-
nötigten Lösungsoperationen. Die benötig- schen der allgemeinen Intelligenz und den
ten Prozeduren gehen zwar in der Sekundar- beruflichen Leistungen im Allgemeinen eher
stufe weit über die Grundrechenarten aus niedrig aus (vgl. Samson, Graue, Weinstein
dem Grundschulalter hinaus – dennoch gilt & Walberg, 1984). Bei Wissenschaftlern,
für sie, wie schon für das kleine Einmaleins: Ingenieuren und Ärzten, die ihre Ausbildung
Übung macht den Meister. erfolgreich abgeschlossen hatten, konnte
Die vorangegangenen Ausführungen zum Baird (1985) die wichtigsten Kriterien des
Erwerb von Expertise in Bereichen, die wir in beruflichen Erfolgs nur zu einem sehr gerin-
der Regel als selbstverständliche Kulturtech- gen Anteil (etwa 4 % der Gesamtvarianz)
niken ansehen, mögen genügen, um einen mit Hilfe allgemeiner Fähigkeitstests vorher-
Eindruck von der Vielfältigkeit der Ergeb- sagen. Hulin, Henry und Noon (1990) zeig-
nisse erfolgreichen Lernens zu vermitteln. ten zudem, dass die prognostische Validität
Für andere Inhaltsbereiche schulischen Ler- von Fähigkeitstests für die späteren beruf-
nens gilt dies analog. Im Handbuch von lichen Leistungen mit zunehmender Berufs-
Mayer und Alexander (2011) oder im Lehr- erfahrung immer geringer wird. Während
buch von Pressley und McCormick (1995) die Intelligenztestwerte anfänglich durchaus
ist das für die unterschiedlichen schulischen zufriedenstellende Vorhersagen der unter-
Domänen (Subject Matters) beschrieben. schiedlichen beruflichen Leistungen von Be-
Wir wenden uns nun den eher allgemeinen rufsanfängern zulassen, ist dies nach einer
Fragen zur Genese bereichsspezifischer Ex- langjährigen Berufstätigkeit kaum noch der
pertise zu: Handelt es sich dabei um die Fall.
Realisierung eines angeborenen Potenzials Offenkundig ist also die Annahme nicht
oder um grundsätzlich für jeden erlernbare zutreffend, dass aufgrund angeborener Fä-
Kompetenzen? Wie viel Zeit wird eigentlich higkeiten in einem speziellen Gebiet grund-
benötigt, um Experte in einem Gebiet zu sätzlich schneller und besser Wissen und
werden? Welche Rolle spielt die Übung? Fertigkeiten erworben werden können.
Wie wichtig ist die Begabung? Aber was ist dann für den Erwerb von
Expertise entscheidend, wenn es nicht die
angeborenen Fähigkeiten oder Talente sind?
Ererbte oder erlernte Expertiseforscher sind davon überzeugt,
Kompetenzen? dass gelenkte Erfahrungen und gezieltes
Üben die entscheidenden Faktoren sind
Experten sind in der Lage, im Inhaltsbereich (Ericsson et al., 1993; Ericsson & Lehmann,
ihrer Expertise sehr schnell, effektiv und 2011). Damit wird zum Ausdruck gebracht,
lösungsorientiert über Probleme nachzuden- dass es sich bei der bereichsspezifischen
ken. Dies legt die Vermutung nahe, dass vor Expertise eher um eine erlernte als um
allem Personen mit einer sehr hohen Intelli- eine angeborene Kompetenz handelt. Erlernt
genz oder einer besonderen bereichsspezi- werden die spezifischen Kenntnisse und Fer-
fischen Begabung Experten werden können. tigkeiten durch extensives bereichsspezi-
Von solchen allgemeinen und spezifischen fisches Üben, am besten angeleitet durch

137
Teil I Lernen

kompetente Trainer. Wer Konzertpianist Jahren gezielter Beschäftigung mit dem je-
werden will, muss vor allem üben, üben weiligen Inhaltsbereich – die überwiegende
und nochmals üben. Damit das Üben aber Mehrheit hat sogar noch weitaus längere
auch zielführend ist, bedarf es der Anleitung Zeiten der gezielten Vorbereitung und
durch eine Lehrperson, die möglichst selbst Übung hinter sich.
ein Experte auf dem entsprechenden Gebiet
ist und über die notwendige pädagogische
Fokus: Wie man Expertenwissen
Expertise verfügt, also die geeigneten
aufbaut (nach Gobet, 2005)
Anweisungen zum Üben geben kann.
Ein inhaltliches Interesse und eine aus- ● Gehe vom Einfachen und Bekannten
geprägte Leistungsbereitschaft sowie volitio- zum Komplexen und Unbekannten!
nale Kompetenzen, wie sie in 䉴 Kap. 2 be- ● Lerne spiralförmig, indem du immer
schrieben wurden, sind für das Durchhalten wieder zu zentralen Konzepten zurück-
auf dem Weg zur Exzellenz und damit für kehrst und dabei zunehmend komple-
den Erfolg beim Aufbau der angestrebten xere neue Informationen integrierst!
Expertise sehr viel entscheidender als die ● Fokussiere zunächst nur eine begrenzte
allgemeine Intelligenz. Anzahl typischer Standardprobleme!
● Wiederhole das Gelernte stets aus meh-
reren Perspektiven und anhand sehr
Die 10-Jahres-Regel unterschiedlicher Beispiele!
● Vermeide es, allzu viel Zeit mit anek-
Wie viel Zeit des gezielten Übens bzw. Aus- dotischen oder randständigen Details
einandersetzens mit einem Inhaltsbereich ist zu verbringen!
erforderlich, um zum Experten zu werden? ● Solange die Schlüsselkonzepte eines
Natürlich hängt dies nicht unwesentlich ab Problemraumes nicht bekannt sind,
vom Umfang und der Komplexität des In- sollte nicht nach Problemlösungen ge-
haltsbereiches und vom angezielten Leis- sucht werden!
tungskriterium. Der akademische Lehrer
der beiden Autoren dieses Lehrbuches pfleg-
te seinen Assistenten zu sagen: »Um Experte
in nur einem Gebiet der Psychologie zu Grenzen der gezielten Übung
werden, müssen Sie sich zehn Jahre lang
60 Stunden die Woche damit beschäftigen!«
Für die praktische Bedeutsamkeit dieser 10- Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich
Jahres-Regel spricht, dass Experten in den festhalten, dass die allgemeinen und be-
meisten Inhaltsbereichen ihre höchste Leis- reichsspezifischen Begabungen offenbar
tungsfähigkeit erst nach zehn oder mehr weit weniger wichtig sind für den Erwerb
Jahren erreichen. Ericsson et al. (1993) ha- bereichsspezifischer Expertise als die gezielte
ben verfügbare empirische Daten aus ganz und angeleitete jahrelange Beschäftigung
unterschiedlichen Bereichen ausgewertet und Übung. Diese Aussage ist aber nicht
und die 10-Jahres-Regel dabei vielfach be- als Erfolgsgarant im behavioristischen Sinne
stätigt gefunden. Nicht einmal die talentier- (䉴 Kap. 1.1) zu verstehen. Nicht jeder kann
testen Lernenden erreichen ein Leistungsver- in jedem Bereich zum Experten werden.
mögen auf internationalem Niveau im Natürlich bedarf es einer besonderen moto-
Schach- oder Klavierspielen, bei der Diag- rischen Begabung, um unter die Top Ten der
nose von Krankheiten oder beim Entwerfen Weltelite im Tennis zu kommen (aber bei
von Bauplänen vor Ablauf von etwa zehn weitem nicht alle, die eine solche Begabung

138
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

mitbringen, erreichen das hochgesteckte hatten Bös und Schneider (1997) die Gele-
Ziel). Ebenso werden überdurchschnittliche genheit, längsschnittlich erhobene psycho-
Fähigkeiten im analytischen Denken erfor- metrische Daten von etwa 100 hochtalen-
derlich sein, um später Schachweltmeister zu tierten Tennisspielern im Alter zwischen 10
werden. und 14 Jahren retrospektiv zu analysieren.
Die entwicklungspsychologischen Ana- Wie erfolgreich diese Talente im Erwachse-
lysen zum Expertiseerwerb machen deutlich, nenalter schließlich waren, ließ sich durch
dass man individuelle, teilweise angeborene ihre leistungsbezogene Positionierung auf
Fähigkeitsunterschiede nicht völlig ignorie- der Weltrangliste leicht erfassen. Zehn der
ren kann, wenn es darum geht, das Entstehen 100 Jugendlichen gelangten tatsächlich un-
bereichsspezifischer Expertise zu erklären. ter die Top 100 in der Weltrangliste. Zwei
Verschiedentlich sind daher Schwellenmo- von ihnen (Boris Becker und Steffi Graf)
delle hinsichtlich der Begabungsvorausset- gehörten lange Zeit sogar zu den weltbesten
zungen beim Erwerb von Expertise dis- Tennisspielern. Die aussagekräftigsten Prä-
kutiert worden (vgl. Schneider, 1997). diktoren für den späteren Platz in der Welt-
Schwellenmodellen zufolge ist ein gewisses rangliste waren die erlebte elterliche Unter-
(in der Regel überdurchschnittliches) Bega- stützung, der Umfang und die Intensität der
bungsniveau zunächst einmal eine notwen- Übung (also des Trainings) und die habitu-
dige Voraussetzung für den Erwerb einer elle Leistungsmotivation der Jugendlichen,
bereichsspezifischen Expertise. Ist diese Vo- was durchaus mit der zuvor genannten The-
raussetzung erfüllt, entscheiden begabungs- se übereinstimmt, dass eine domänenspezi-
ferne Merkmale einer Person, wie das Aus- fische Expertise durch eine langjährige ge-
maß der Selbstverpflichtung und der Aus- zielte Übung erworben wird. Allerdings zeig-
dauer, wie Konzentration, Motivation und te sich auch, dass die späteren Weltklasse-
Volition über das Leistungsniveau, das tat- spieler bereits als Kinder die vergleichsweise
sächlich erreicht werden kann. besseren Merkmalsausprägungen im Be-
Als Denkmodell scheint das plausibel. reich der allgemeinen und auf die Sportart
Dennoch weist Schneider (1997) darauf bezogenen motorischen Fähigkeiten besa-
hin, dass es für die praktische (pädagogische) ßen.
Arbeit unmöglich sein dürfte, einen exakten Schneider (1997) sieht darin einen Beleg
kritischen Schwellenwert der Begabungs- dafür, dass zusätzlich zum Schwellenmodell
voraussetzung für die verschiedenen Inhalts- die Annahme partieller Kompensationen
bereiche anzugeben. Es deutet allerdings notwendig ist, um den Aufbau bereichsspezi-
vieles darauf hin, dass es für Inhaltsbereiche, fischer Expertise zu erklären. Die Grundidee
bei denen die Durchführung komplexer und dieser Zusatzannahme besteht darin, dass
strategischer Denkprozesse erforderlich ist, eine bereits vorhandene Prädisposition die
einer überdurchschnittlichen analytischen Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine Person
Denkfähigkeit bedarf. In anderen Inhalts- Interesse für jenen spezifischen Bereich ent-
bereichen (z. B. beim Fachwissen über die wickelt, für den die bereits vorhandenen
Geschichte der Olympischen Spiele oder Fähigkeiten leistungsförderlich sind. Um
über Wagners Ring des Nibelungen) können das gleiche Leistungsniveau zu erreichen,
dagegen auch durchschnittlich intelligente muss diese Person zunächst deutlich weniger
Personen zur Expertise gelangen. Wo aber Anstrengung und Zeit investieren als andere
genau die Schwellenwerte im Einzelnen lie- mit geringer ausgeprägten Prädispositionen.
gen, ist kaum zu objektivieren. Das wird oft dazu führen, dass man eher
Außerdem gibt es empirische Befunde, die »am Ball bleibt«, weil sich erste Erfolge
ein Schwellenmodell in Frage stellen. So vergleichsweise rasch und mit wenig Auf-

139
Teil I Lernen

wand einstellen. Mit zunehmender Wissens- mative Vorgabe für bestimmte Bereiche auf-
akkumulation bzw. mit zunehmendem Ex- fassen kann. Bereichsspezifische Expertise-
pertisegrad verliert der anfängliche Fähig- grade, die diesen Standards mindestens ent-
keitsvorteil allerdings immer mehr an Be- sprechen, werden damit zum Leitanspruch
deutung und der Einfluss der motivationalen unseres Bildungssystems. Die Festlegung von
und volitionalen Merkmale, die für die Auf- Bildungsstandards kann aber nicht beliebig
rechterhaltung des erforderlichen extensiven ausfallen. Die Zeit- und Lernressourcen je-
Übens unerlässlich sind, tritt immer mehr des Einzelnen sind endlich. Vermessen wäre
zutage. sicherlich der Anspruch, ein Lernender kön-
Prinzipiell ist jedes Lernen zunächst ein- ne es zum Weltklassespieler im Tennis und
mal bereichsspezifisch. Je länger und inten- zum virtuosen Klavierspieler bringen und
siver wir erfolgreich in einem Bereich lernen, zusätzlich noch den Nobelpreis für Physik
desto mehr erwerben wir in diesem Bereich erhalten: Lassen sich die Lernenden auch nur
Expertise. Wann der erreichte Expertisegrad annähernd auf die erforderliche Übungs-
als hinreichend bezeichnet werden kann, intensität in einem dieser Bereiche ein,
hängt von unseren Erwartungen und An- dann bleibt ihnen vermutlich nicht genügend
sprüchen ab. Im deutschen Bildungssystem Zeit, um auch in anderen Bereichen einen
werden zunehmend Standards (sog. Bil- hohen Grad an Expertise zu erwerben.
dungsstandards) definiert, die man als nor-

3.2 Erwerb bereichsübergreifender Kompetenzen

Der Erwerb bereichsspezifischer Expertise der Angemessenheit dieser Überzeugung vgl.


entspricht ziemlich genau dem Ideal der 䉴 Kap. 3.3).
klassischen Bildungstheorie des didakti- Eine erste begriffliche Präzisierung der
schen Materialismus. Die Leitvorstellung Theorie der formalen Bildung hat Ernst
dieser im 19. Jahrhundert sehr verbreiteten Lehmensick (1926) mit seiner Unterschei-
und seither immer wieder vertretenen Bil- dung zwischen funktionaler Bildung und
dungsvorstellung war eher nüchtern als idea- methodischer Schulung geleistet. Unter
listisch: Alle Wissensinhalte, die erworben funktionaler Bildung verstand er Anstren-
werden – so das Credo der Vertreter dieses gungen zur Förderung der allgemeinen geis-
Ansatzes –, müssen mühsam und »Stück für tigen Kräfte, während sich die methodische
Stück« gelernt werden. Dem didaktischen Schulung auf die Vermittlung und Einübung
Materialismus entgegengesetzt wurde von von Denk-, Lern- und Gedächtnisstrategien
Anfang an die Idee der formalen Bildung, bezieht. Seit Lehmensick hat es immer wie-
der zufolge stets mehr gelernt wird als in- der Versuche gegeben, diese beiden Facetten
tendiert war bzw. als gelehrt werden kann. der formalen Bildung zu verknüpfen und
Die Kernannahme der formalen Bildungs- über eine gezielte methodische Schulung
theorie besteht darin, dass der Unterricht in die allgemeine Intelligenz bzw. die Lern-
bestimmten, formal-bildenden Schulfächern fähigkeit von Lernenden zu verbessern. Zu
wie Latein oder Mathematik, zugleich eine den interessantesten und erfolgreichsten An-
allgemeine Verbesserung des logischen sätzen dieser Art gehören das in den USA
Denkvermögens zur Folge habe (zur Frage und in Venezuela großflächig erprobte

140
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

Schulprogramm zur allgemeinen kognitiven den psychologisch präziser verankerbaren


Förderung von Feuerstein, Rand, Hoffman Begriff der bereichsübergreifenden Kom-
und Miller (1980) sowie der in Deutschland petenzen ein und bieten eine Taxonomie
weit verbreitete Trainingsansatz von Klauer solcher bereichübergreifenden (cross-curri-
(2001 b) zur Verbesserung des induktiven cularen) Kompetenzen an. Im Weiteren wird
Denkens (vgl. dazu auch 䉴 Kap. 8.1). Gera- dargestellt, inwiefern die Verfügbarkeit sol-
de zu letzterem Ansatz liegen eine Reihe cher Kompetenzen die Lernenden zu Exper-
beeindruckender Evaluationsbefunde vor ten ihres eigenen Lernens werden lässt, wie
(vgl. Hager & Hasselhorn, 1998). Gemessen man überhaupt zum Experten des eigenen
am Ideal, durch eine richtige formale Schu- Lernens werden kann und wo die Grenzen
lung Lernende bereichsübergreifend zu be- des Einflusses der bereichsübergreifenden
fähigen, ganz unterschiedliche Anforderun- Kompetenzen für das eigene Leistungsver-
gen in Unterricht, Alltag und Beruf besser mögen liegen.
bewältigen zu können, sind die Wirkungen
solcher Ansätze jedoch im Allgemeinen »ent-
täuschend gering« (Weinert, 1998 c, S. 37). Schlüsselqualifikationen
Dennoch spricht die prinzipielle Wirk- und bereichsübergreifende
samkeit der genannten Förderansätze dafür, Kompetenzen
dass es so etwas wie bereichsübergreifende
Kompetenzen gibt und dass sie sich – zumin- Mertens (1974) hat den Begriff der Schlüs-
dest bis zu einem gewissen Grade – erlernen selqualifikation eingeführt. Man versteht
lassen. Von daher ist es wenig verwunderlich, darunter ein Bündel dekontextuierter,
dass in der bildungspolitischen, vor allem entspezialisierter und funktional-autonomer
aber in der berufspädagogischen Diskussion Eignungen. Eine Schlüsselqualifikation wird
immer wieder die Forderung auftaucht, den in diesem Sinne als funktionales Merkmal
bereichsübergreifenden Kompetenzen in den der Befähigung einer Person verstanden.
Lehrplänen der allgemeinbildenden Schulen Dieses Merkmal gewährleistet »(a) die Eig-
Rechnung zu tragen. Meist wird das mit der nung für eine große Zahl von Positionen und
Aufforderung verbunden, die fachlichen Funktionen als alternative Option zum glei-
Curricula zu entschlacken, dabei den ver- chen Zeitpunkt und (b) die Eignung für die
meintlich vergänglichen bereichsspezifischen Bewältigung einer Sequenz von (meist un-
Wissensinhalten weniger und dem Aufbau vorhersehbaren) Änderungen von Anforde-
allgemeiner und bereichsübergreifender rungen im Laufe des Lebens« (Mertens,
Schlüsselqualifikationen mehr Raum zuzu- 1974, S. 40).
messen (Lernen lernen). Es überrascht keineswegs, dass es sich bei
Doch was genau sind eigentlich allgemei- den so verstandenen Schlüsselqualifikatio-
ne Schlüsselqualifikationen? Leider handelt nen um eine gesellschafts- wie bildungspoli-
es sich beim Begriff der Schlüsselqualifika- tisch mit einer hohen positiven Valenz be-
tionen (ebenso wenig präzise ist die häufig setzte Begrifflichkeit handelt. Sollten unsere
bevorzugte Umschreibung als »Soft Skills«) Schülerinnen und Schüler sowie unsere Aus-
mittlerweile mehr um ein inhaltsleeres zubildenden nicht gerade solche Schlüssel-
Schlagwort als um ein trennscharf definier- qualifikationen vermittelt bekommen, damit
tes pädagogisches Konzept. Ausgehend von sie die noch nicht bekannten Herausforde-
der berufspädagogischen Diskussion über rungen der Zukunft erfolgreich bewältigen
die Anforderungen und Eignungen im Hin- können? Niemand würde dagegen etwas
blick auf die beruflichen Ausbildungen und einzuwenden haben. Aber was genau sind
Tätigkeiten führen wir in diesem Teilkapitel die Schlüsselqualifikationen, die diesem An-

141
Teil I Lernen

spruch gerecht werden und den Schülerinnen fähigkeit. Was sollte gute Fremdsprachen-
und Schülern »die Zukunft erschließen«? kenntnisse von einer Expertise in einer
Allein bei einer Sichtung der deutschspra- Fremdsprache unterscheiden oder eine aus-
chigen berufspädagogischen Literatur fan- geprägte Kommunikationsfähigkeit von
den Didi, Fay, Kloft und Vogt (1993) nicht einer spezifischen Expertise im Bereich der
weniger als 654 (!) verschiedene Benennun- zwischenmenschlichen Kommunikation, die
gen von wünschenswerten Schlüsselqualifi- jeweils gemäß der in 䉴 Kap. 3.1 dargestellten
kationen. Sie reichen von den allgemeinen Prinzipien erworben werden?
intellektuellen Fähigkeiten mit ihren be-
kannten relativ stabilen interindividuellen
Unterschieden (z. B. im logischen Denken) Fokus: Die 25 am häufigsten
über mehr oder weniger gut erlernbare genannten Schlüsselqualifikationen
bereichsspezifische Kenntnisse und Fertig- (nach Didi et al., 1993)
keiten (z. B. in Fremdsprachen) bis hin zu ● Kommunikationsfähigkeit
strukturellen Persönlichkeitsausprägungen ● Kooperationsfähigkeit
(z. B. Flexibilität), Ausprägungen des Leis- ● Flexibilität
tungsmotivs (z. B. Leistungsbereitschaft), ● Kreativität
des Machtmotivs (z. B. Durchsetzungsver- ● Denken in Zusammenhängen
mögen), des Arbeitsverhaltens (z. B. Genau- ● Selbständigkeit
igkeit) sowie sozialer Kompetenzen (z. B. ● Problemlösefähigkeit
Kooperationsfähigkeit). Weinert (1998 b) ● Transferfähigkeit
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die ● Lernbereitschaft
Verwendungsvielfalt im Sinne eines »Omni- ● Durchsetzungsvermögen
busbegriffs« mehr Verwirrung als Ordnung ● Entscheidungsfähigkeit
stiftet. Nicht alle Bedeutungsvarianten des ● Zuverlässigkeit
Begriffs Schlüsselqualifikation lassen sich ● Verantwortungsgefühl
als psychologische Dispositionen auffassen. ● Lernfähigkeit
Aber selbst wenn man nur jene herausgreift, ● Konzentrationsfähigkeit
bei denen eine psychologische Fundierung ● Ausdauer
fraglos möglich ist, ergibt sich eine große ● Genauigkeit
Unsicherheit darüber, ob und in welchem ● Analytisches Denken
Ausmaße, unter welchen Voraussetzungen ● Logisches Denken
und wodurch sie eigentlich erworben wer- ● Abstraktes Denken
den können. ● Selbständiges Lernen
Einige der in der berufspädagogischen ● Leistungsbereitschaft
Literatur am häufigsten genannten Schlüs- ● Kritikfähigkeit
selqualifikationen lassen sich kaum abgren- ● Urteilsfähigkeit
zen von den bereichsspezifischen Expertisen. ● Fremdsprachenkenntnisse
Dies gilt zum Beispiel für das in 䉴 Kap. 3.1
als bereichsspezifische Expertise behandelte
Lesen: Erreicht die Lesekompetenz ein hohes
Niveau, dann wird sie zu einer bereichsüber- Weinert (1998 b) hat vorgeschlagen, eine
greifenden Schlüsselkompetenz, die es dem engere, lerntheoretisch verankerte Definiti-
Lernenden ermöglicht, sich selbständig In- on von Schlüsselqualifikation zu verwenden.
formationen in allen möglichen Bereichen Im Weiteren folgen wir diesem Vorschlag,
anzueignen. Andere Beispiele sind Fremd- sprechen jedoch – um Verwechselungen vor-
sprachenkenntnisse und Kommunikations- zubeugen – nicht weiter von Schlüsselquali-

142
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

fikationen, sondern von bereichsübergrei- kognitiver Kompetenzen voraus, darüber


fenden Kompetenzen. hinaus aber auch günstige motivationale
und volitionale Dispositionen, wie wir sie
in 䉴 Kap. 2.4 und 2.5 bereits skizziert haben.
Definition: Bereichsübergreifende
Wir schlagen daher vor, auch diese Disposi-
Kompetenzen
tionen unter die bereichsübergreifenden
Als bereichsübergreifend bezeichnet man Kompetenzen zu subsumieren und dement-
alle prinzipiell erlern- und vermittelbaren sprechend zwischen kognitiven, motivatio-
individuellen Erkenntnis-, Handlungs- nalen und volitionalen bereichsübergreifen-
und Leistungskompetenzen, die in sehr den Kompetenzen zu unterscheiden.
unterschiedlichen Situationen und In- Zu den kognitiven Kompetenzen dieser
haltsbereichen beim Erwerb von Spezial- Art gehören vor allem Techniken und Stra-
kenntnissen, bei der Verarbeitung rele- tegien des Lernens (z. B. aus Lehrbüchern
vanter Information sowie bei der Lösung wie diesem) und des Umgangs mit Informa-
schwieriger Aufgaben und neuer Proble- tionen und Informationsquellen. Außerdem
me mit Gewinn genutzt werden können. zählen hierzu allgemeine Fertigkeiten der
Planung, Steuerung, Überwachung und Be-
wertung eigenen Lernens, die wir in 䉴 Kap. 2
im Zusammenhang mit der metakognitiven
Eine Taxonomie bereichs- Regulation des Lernens eingeführt haben.
übergreifender Kompetenzen Kern der kognitiven bereichsübergreifenden
Kompetenzen ist daher die Verfügbarkeit
und metakognitive Regulation allgemeiner
Die zugrunde gelegte Definition bereichs- Lernstrategien. Die übrigen kognitiven
übergreifender Kompetenzen mag als Be- Komponenten des INVO-Modells erfolgrei-
schränkung auf kognitive Kompetenzen auf- chen Lernens (selektive Aufmerksamkeit,
gefasst werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Arbeitsgedächtnis, Vorwissen) zählen weni-
Erfolgreiches Handeln – zumal wenn es um ger dazu, da sie entweder nur sehr begrenzt
Handeln in Leistungssituationen geht – setzt erlernbar oder modifizierbar sind (wie etwa
zwar zusätzlich zum bereichsspezifischen die Speicherkapazität im phonologischen
Wissen eine Reihe bereichsübergreifender Arbeitsgedächtnis) oder aber im Rahmen

Fokus: Der Umgang mit Informationsquellen


Was man nicht weiß, lässt sich unschwer in Erfahrung bringen, vorausgesetzt, man weiß,
wie das geht. Sind die erforderlichen bereichsspezifischen Kenntnisse sehr umfangreich oder
aufgrund des raschen Erkenntnisfortschritts fortlaufenden Veränderungen unterworfen,
dann wird die Fähigkeit zur Nutzung geeigneter Informationssysteme zur Notwendigkeit.
Wie Enzyklopädien, Lexika und Wörterbücher aufgebaut sind, versteht leicht, wer die
alphabetische oder sachlogische Strukturierung dieser Nachschlagewerke durchschaut. Bei
den elektronischen Informationssystemen wie Google oder Wikipedia kommt neben der
notwendigen medialen Kompetenz im Umgang mit den Suchmaschinen ein weiteres hinzu:
Erfolgreich Suchen und Finden wird nur derjenige, der die richtigen Suchbegriffe (in der
richtigen Schreibweise) einzugeben versteht. So sind auch im Umgang mit den neuen
Informationstechnologien diejenigen im Vorteil, die es in den grundlegenden Kulturtech-
niken des Lesens und Schreibens zur Expertise gebracht haben.

143
Teil I Lernen

der bereichsspezifischen Expertise bereits motivsystem auswirkt (vgl. van Aken, Helm-
abgehandelt wurden (wie das Vorwissen). ke & Schneider, 1997). Ähnliche wechsel-
Zu den motivationalen bereichsübergrei- seitig unterstützende Wirkungen sind auch
fenden Kompetenzen zählen eine unspezi- zwischen kognitiven und volitionalen sowie
fische Interessiertheit und Aufgeschlossen- zwischen motivationalen und volitionalen
heit (im Sinne eines generellen Informations- Kompetenzen zu erwarten.
bedürfnisses), eine generelle Lernfreude so-
wie vor allem das in 䉴 Kap. 2.4 beschriebene
lernförderliche Leistungsmotivsystem, so- Bereichsübergreifende
weit es durch eine dispositionelle Erfolgs- Kompetenzen als Expertise des
zuversicht charakterisiert ist. Die motivatio- eigenen Lernens
nalen Kompetenzen führen dazu, dass die
Lernenden immer wieder aufs Neue die In ihrer Wissensdomäne verfügen Experten
Energie aufbringen, die für Lernen – wenn über umfangreiche, wohlgeordnete und in
es erfolgreich sein soll – erforderlich ist. Stellt zahlreiche Erfahrungskontexte eingebettete
man bei Lernenden eine solche allgemeine Kenntnisse und Fertigkeiten (䉴 Kap. 3.1).
Lernfreude fest, dann ist dies in der Regel ein Lernende, die zudem über die beschriebenen
Anzeichen für das Vorhandensein solcher bereichsübergreifenden Kompetenzen ver-
motivationaler Kompetenzen. fügen, wissen viel über das Lernen im all-
Verfügbare Selbstmanagementtechniken, gemeinen, haben umfangreiche Erfahrungen
mit deren Hilfe Lernende sich selbst und über ihr eigenes Lernen bereits gesammelt
ihr Handeln kontrollieren können, bilden und verfügbar, machen sich die motivatio-
die Grundlage für die Kategorie der volitio- nalen Dispositionen nutzbar, die ihnen die
nalen bereichsübergreifenden Kompetenzen. Energie und die Ausdauer verleihen, dieses
Kompetenzen dieser Art erhöhen die Ent- Wissen über Lernen in den jeweils neuen
scheidungsfähigkeit einer Person. Die voli- Lernsituationen gewinnbringend einzuset-
tionalen Kompetenzen manifestieren sich in zen, und sie verfügen über die geeigneten
selbst initiierten und selbst kontrollierten Strategien der Handlungskontrolle, um all
Lern- und Arbeitsgewohnheiten, in einer dies in koordinierter und adaptiver Weise
konzentrierten Aufgabenorientierung und zum Lernerfolg zu führen. Kurzum: Sie sind
in einem höheren Maße an Toleranz gegen- Experten im Bereich des eigenen Lernens.
über mehrdeutigen Informationen. So wie die Ausbildung der bereichsspezi-
Die vorgeschlagene Unterscheidung zwi- fischen Expertise vor allem von extensivem
schen kognitiven, motivationalen und voli- Üben und nur in geringerem Maße von den
tionalen bereichsübergreifenden Kompeten- als angeboren bezeichneten Fähigkeiten oder
zen darf nicht dahingehend missverstanden Prädispositionen abhängig ist (vgl. hierzu die
werden, als handele es sich dabei um wech- Ausführungen in 䉴 Kap. 3.1), so lässt sich
selseitig funktional unabhängige Kom- festhalten, dass die erfolgreich Lernenden im
petenzbereiche. Das Gegenteil ist der Fall. Vergleich zu den weniger Erfolgreichen bei
Leistungserfolge aufgrund kognitiver Kom- gleichen intellektuellen Voraussetzungen
petenzen führen auch dazu, dass sich Ler- (Lernfähigkeiten) über die besseren Lern-
nende als kompetent wahrnehmen; nicht strategien und über günstigere bereichsüber-
selten entfaltet sich daraus eine motivatio- greifende Kompetenzen im Allgemeinen ver-
nale Eigendynamik, die nicht nur ihren Nie- fügen.
derschlag in einer entsprechenden Interes- Wenn wir lernen, lernen wir zugleich, wie wir
senprofilierung findet, sondern sich auch lernen und wie wir besser lernen können!
günstig auf das gesamte Lern- und Leistungs- Beeinflußt vom individuellen Intelligenzniveau,

144
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

vom allgemeinen Entwicklungsstand und von auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft und
der jeweiligen domänspezifischen Expertise bei Bedarf korrigiert werden können. Dies
wird bei vielen Lernvorgängen (zumal im Rah-
men institutionalisierter Bildungsprozesse) Me-
sind gute Voraussetzungen dafür, dass sich
tawissen über das eigene Lernen generiert. . . . metakognitives Wissen über Lernstrategien
Allerdings scheint diese naturwüchsige Form herausbildet. Auch Weinert (1994, 1998 b)
des Lernen lernens in der Regel nicht zum ist davon überzeugt, dass dies besonders gut
Aufbau hinreichender Kompetenzen zum selb- und nachhaltig gelingt, wenn man die Ver-
ständigen und effizienten Lernen unter-
schiedlicher Inhalte zu führen. (Weinert & mittlung bereichsübergreifender Kompeten-
Schrader, 1997, S. 298 f) zen nicht von der Unterrichtung fachinhalt-
licher Wissenselemente (dem curricular vor-
gegebenen Lehrstoff) trennt, sondern im
Wie wird man zum Experten des Gegenteil, beides bewusst verbindet. Didak-
eigenen Lernens? tisch erfordert dies ein ständiges Ausbalan-
cieren von inhaltlicher Wissensvermittlung
Das vorangestellte Zitat macht deutlich, wie und der Hilfestellung zum Erwerb bereichs-
nah Hoffnungen und Enttäuschungen bei- übergreifender kognitiver wie volitionaler
einander liegen, wenn es um den Erwerb Kompetenzen. Kommen dabei subjektive
bereichsübergreifender Kompetenzen geht. Erfolgserlebnisse des Lernenden zustande,
Man könnte daraus folgern: Lasst die Kinder ist auch die Voraussetzung für den Erwerb
und Jugendlichen einfach lernen, damit sind oder die Festigung günstiger motivationaler
die besten Voraussetzungen geschaffen, dass Dispositionen gegeben.
sich auch die bereichsübergreifenden Kom- Die in der Philosophie wie in der Psychologie
petenzen herausbilden können. Allerdings: traditionsreiche analytische Trennung von In-
Eine Garantie ist damit nicht verbunden. Im halt und Funktion, von Stoff und Form muss
Gegenteil – so Weinert und Schrader (1997) überwunden werden, wenn man das Lernen-
lernen fördern will. Die sequentiellen Prozesse
– reicht das »normale« Lernen in der Regel
der gelenkten oder spontanen Induktion von
nicht zum Aufbau bereichsübergreifender Regeln, ihrer empirischen Generalisierung und
Kompetenzen aus. ihrer reflexiven Abstraktion kommen nicht
Aber was können wir tun, damit die zustande oder werden zu einem formalen Leer-
erhofften Kompetenzen sich beim Lernen- laufmechanismus, wenn sich die Regeln nicht
auf Inhalte beziehen, in engem Zusammenhang
den einstellen? Eine schlüssige Antwort hier- mit dem Aufbau von Wissenssystemen flexibel
auf findet sich bei Mayer (1989). Aufgrund erworben werden und auf diese Weise ihren
der einschlägigen Befunde hat er drei Emp- operativen Stellenwert für die Lösung inhalt-
fehlungen für die Förderung des Lernen licher Probleme erhalten. (Weinert, 1994,
S. 192)
Lernens formuliert:
1. Vermittle vielfältige Strategien des Denkens
und Lernens! Grenzen bereichsübergreifender
2. Konzentriere dich dabei stärker auf Lern- Kompetenzen
prozesse als auf die Lernergebnisse!
3. Vermittle die vielfältigen Denk- und Lern-
strategien stets im Kontext des Erwerbs von Die aus kognitionspsychologischer Sicht ge-
subjektiv wie objektiv wichtigem inhalt-
lichen Wissen! forderte Verknüpfung von inhaltlicher Wis-
sensvermittlung mit der Anleitung zum Auf-
Die Umsetzung dieser Regeln soll dazu füh- bau bereichsübergreifender Kompetenzen
ren, dass dem Lernenden die subjektiven erweist sich auch vor dem Hintergrund em-
Lernerfahrungen bewusst werden und dass pirischer Befunde als zielführend und not-
die beim Lernen verwendeten Lernstrategien wendig. Denn selbst wenn es gelingen könn-

145
Teil I Lernen

te, die kognitiven bereichsübergreifenden keiten (einschließlich der bereichsspezi-


Kompetenzen tatsächlich unabhängig von fischen Strategien und Metastrategien) eben-
der Vermittlung der inhaltlichen Wissensele- so wie die in diesem Abschnitt skizzierten
mente zu lehren, wäre ein positiver Effekt kognitiven, motivationalen und volitionalen
hinsichtlich des künftigen Lernerfolgs in der bereichsübergreifenden Kompetenzen.
Regel wohl nicht zu erwarten. Der Grund
hierfür ist ein empirisch gut abgesichertes Welche Quintessenz ergibt sich aus den in
Phänomen, dem Weinert (1994) die etwas diesem Teilkapitel skizzierten Grundlagen
sperrige Bezeichnung Anwendungsextensi- und Gesetzmäßigkeiten des Erwerbs be-
täts-Nutzungsintensitäts-Disproportionali- reichsübergreifender Kompetenzen? Das
tät gegeben hat. formale Bildungsideal übt nach wie vor
Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine gewisse Faszination aus. Auch wenn
ein einfacher Sachverhalt: »Je allgemeiner der klassische Ansatz der formalen Geistes-
eine Regel, eine Strategie oder eine Heuris- schulung nur bescheidene Effekte hervor-
tik, das heißt in je mehr Situationen sie bringt, bleibt die Vermittlung bereichsüber-
genutzt werden kann, desto geringer ist ihr greifender Kompetenzen ein unverzichtbares
Beitrag zur Lösung anspruchsvoller inhalts- Ziel erfolgreichen Lernens. Wissen, das wir
spezifischer Probleme« (Weinert, 1994, heute erwerben, veraltet zunehmend rasch.
S. 202). Das aber heißt, dass die bereichs- Um auf Dauer erfolgreich mit den sich ver-
übergreifenden allgemeinen kognitiven ändernden Anforderungen in der Gesell-
Kompetenzen (z. B. die metakognitiven Fer- schaft umgehen zu können, reicht daher
tigkeiten) zwar in sehr vielen Situationen der Erwerb von Wissen allein nicht aus.
sinnvoll angewendet werden können (An- Zusätzlich ist es notwendig, zu lernen, wie
wendungsextensität), dass jedoch ihr Wir- vorhandenes Wissen aktualisiert und neues
kungsgrad bzw. ihr spezifischer Nutzen Wissen erworben werden kann. Allerdings
(Nutzungsintensität) dabei eher gering bleibt funktioniert diese »formale« Idee von Bil-
(Disproportionalität). dung nicht ohne den Aufbau bereichsspezi-
Um das schulische, berufliche und alltäg- fischen Wissens: Nur indem bereichsspezi-
liche Lernen erfolgreich zu gestalten, ist fische Kompetenzen (Expertisen) aufgebaut
offenkundig beides erforderlich: Die für werden, können auch bereichsübergreifende
die Lösung von Problemen notwendigen Kompetenzen erworben werden, die diesen
bereichsspezifischen Kenntnisse und Fertig- Namen verdienen.

3.3 Lerntransfer

Von komplexeren Lernprozessen erhofft man bzw. der erworbenen Fertigkeiten im Rahmen
sich in der Regel den Aufbau von Fertigkeiten einer neuen, in der Situation der Wissens-
und Kenntnissen, die auch bei neuen Anfor- bzw. Fertigkeitsaneignung noch nicht ersicht-
derungen und in unvertrauten Situationen lichen Anforderung wird in der Lernpsycho-
genutzt werden können. Ist dies der Fall, logie als Transfer (aus latein. transferre =
sind in der Tat (neue) individuelle Kompeten- hinübertragen) bezeichnet. Genau genom-
zen aufgebaut worden. Die erfolgreiche An- men handelt es sich dabei um einen »pro-
wendung des zuvor angeeigneten Wissens aktiven«, positiven Transfer (vgl. Larkin,

146
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

1989). Gäbe es diesen Lerntransfer nicht, blems aber geeignet sind, wird oft eher
müssten wir unendlich viele hochspezifische skeptisch beurteilt (Steiner, 1996; Stern,
Verhaltensweisen im Einzelnen erlernen. 2001). Resnick (1989) vergleicht gar die
ständige Suche von Pädagogen und Psycho-
logen nach einer befriedigenden Transfer-
Definition: Proaktiver und
theorie mit der Suche nach dem Heiligen
retroaktiver Transfer
Gral: Je länger die Suche dauert und je mehr
Als proaktiver Transfer wird der Sach- empirische Studien und theoretische Ansätze
verhalt bezeichnet, dass die in einem ohne durchschlagenden Erfolg hierzu vor-
Anforderungsbereich A erworbenen gelegt werden, desto mehr erscheint eine
Kenntnisse und Fertigkeiten das spätere Theorie des Lerntransfers als eine trügeri-
Lernen in einem davon unabhängigen sche Fiktion. Dennoch ist es offensichtlich,
Anforderungsbereich B bzw. das Lösen dass es Lerntransfer gibt.
der dort gestellten Aufgaben erleichtern. Die Beschäftigung mit dem Transfer des
Kintsch (1982) hat darauf hingewiesen, Gelernten hat eine lange Forschungstraditi-
dass darüber hinaus auch ein retroaktiver on mit unterschiedlichen Positionen und
Transfer auftreten kann, wenn nämlich vielen Spielarten, Verwechslungen und Miss-
ein vorangegangenes Lernergebnis durch verständnissen. Der folgende Versuch, die
nachfolgendes Lernen modifiziert wird. wichtigsten theoretischen Vorstellungen
So kann z. B. das ursprüngliche Verständ- zum (proaktiven) Transfer zu skizzieren,
nis und das Behalten von lateinischen orientiert sich an einigen neueren Aufberei-
Vokabeln durch den späteren Geschichts- tungen des Themas (z. B. Barnett & Ceci,
unterricht über das Römische Reich rück- 2002; Hasselhorn & Mähler, 2000; Klauer,
wirkend noch verbessert werden. 2011; Mähler & Stern, 2010). Bevor wir die
einflussreichsten Transfertheorien im Einzel-
nen skizzieren, geben wir aber zunächst
Schul- und Bildungsverantwortliche verwen- einen Überblick über die in der lernpsycho-
den den Begriff Transfer häufig mit klagen- logischen Literatur vorzufindenden Trans-
dem Unterton. Sie monieren die schwachen ferbegriffe.
Leistungen der Schülerinnen und Schüler
und die nur gering ausgeprägte Fähigkeit
zur Anwendung des schulisch erworbenen Lerntransfer als Folge
Wissens in Alltagssituationen. Statt Wissens- erfolgreichen Lernens
transfer sei vielfach nur Wissensträgheit
(Renkl, 1996) zu beobachten. Erfolgreiches Vermutlich, weil der Transferbegriff den
Lernen sollte aber doch dadurch charakte- Heiligen Gral der angewandten Lernpsycho-
risiert sein, dass es zur Anwendung und zum logie symbolisiert, gehört er zu den beson-
Transfer des Gelernten kommt. Wie kann ders schillernden und sehr kontrovers dis-
das gelingen bzw. unter welchen Bedingun- kutierten Konzepten. Es gibt auch erhebliche
gen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Unterschiede in den Auffassungen darüber,
es zum Lerntransfer kommt? wie groß die Distanz zwischen dem Gelern-
In der Erfolgsgeschichte der Lernpsycho- ten und der späteren Aufgabenanforderung
logie des 20. Jahrhunderts wurde auch eine eigentlich sein muss, damit das Phänomen
Fülle von Detailbefunden zu Transferpro- als Lerntransfer bezeichnet werden darf. Ein
zessen zutage gefördert. Ob die daraus abge- Grund hierfür mag darin zu suchen sein,
leiteten Transfertheorien zur theoretischen dass der spontane Transfer in den meisten
und praktischen Lösung des Transferpro- Anwendungsfeldern der Psychologie nur

147
Teil I Lernen

höchst selten auftritt (Mandl, Prenzel & erworbenen Regelwissens gibt es noch wei-
Gräsel, 1992; Stern, 2001). Detterman tere Ursachen für negative Transferwirkun-
(1993) wirft sogar die Frage auf, ob es gen. Neu erworbene Lernstrategien haben
überhaupt so etwas wie Lerntransfer gibt, oftmals die Deautomatisierung einer bereits
oder ob wir uns nicht mit einem bloßen hoch-automatisierten und prozeduralisierten
Epiphänomen befassen. Handlungsroutine zur Folge, was – zumin-
Um die unterschiedlichen Qualitäten von dest vorübergehend – durchaus zu schlech-
Transfer näher bestimmen zu können, hat es teren Leistungsergebnissen bei der Bewälti-
immer wieder Versuche gegeben, verschie- gung entsprechender Anforderungen führen
dene Arten des Transfers voneinander ab- kann (vgl. z. B. Hasselhorn & Mähler, 1993).
zugrenzen (z. B. Gagné, 1965; Salomon &
Perkins, 1989). Selbst wenn man – wie auch Horizontaler vs. vertikaler Transfer. Eine
hier – retroaktive Transferphänomene aus- zusätzliche Differenzierung des positiven
klammert, bleibt eine ganze Reihe von klas- Transfers lässt sich dem hierarchischen Mo-
sifizierenden Dimensionen übrig, von denen dell des Wissenserwerbs von Gagné (1965)
die am häufigsten gebrauchten im Folgenden entnehmen. Gagné führte dort den Begriff
aufgezählt werden. des vertikalen Transfers ein – dies im Hin-
blick darauf, dass eine Fertigkeit oder Kennt-
Positiver vs. negativer Transfer. Wenn neues nis direkt zum Erwerb einer weiteren, jedoch
Lernen oder Problemlösen durch voran- übergeordneten Fertigkeit oder Kenntnis
gegangenes Lernen erleichtert wird, spricht beiträgt. Hilfreiche Wirkungen der Verall-
man von positivem Transfer; wirkt sich das gemeinerung auf Situationen gleicher Kom-
früher Gelernte hemmend auf die Lösung plexität bezeichnete Gagné dagegen als la-
neuer Aufgaben aus, hat negativer Transfer teralen bzw. horizontalen Transfer. Obwohl
stattgefunden. Obwohl der (proaktive) diese Unterscheidung von horizontalem und
Transferbegriff fast ausschließlich mit posi- vertikalem Transfer auf den ersten Blick
tiver Konnotation verwendet wird, sind durchaus plausibel und konsistent erscheint,
durchaus auch negative Transfereffekte fällt es nicht immer leicht, zu entscheiden, ob
bzw. negative Interferenzen denkbar (vgl. eine lernförderliche Übertragung übergeord-
Pennington & Rehder, 1995). Bisweilen neter Natur ist oder ob sie sich auf dem
kann man beobachten, dass der Erwerb einer gleichen Komplexitätsniveau bewegt.
(weiteren) Fremdsprache durch die bereits
verfügbaren Kenntnisse und Fertigkeiten in Literaler vs. figuraler Transfer. Diese Unter-
einer zuvor schon erlernten anderen Fremd- scheidung stammt von Royer (1979), der
sprache eher beeinträchtigt als gefördert damit den funktionalen Einsatz einer gelern-
wird. Aber auch in anderen Fällen kann es ten Fertigkeit bzw. Kenntnis fokussiert. Un-
negative Transfereffekte geben. So ist nicht ter literalem Transfer versteht Royer (1979)
selten nach der erfolgreichen Vermittlung von die Übertragung einer intakten Fertigkeit
Regeln oder Problemlösestrategien zu beob- bzw. Kenntnis auf neue Lernaufgaben des
achten, dass es zu Übergeneralisierungen des gleichen Typs (z. B. die Übertragung der
Gelernten und damit zu fehlerhaften Lösun- beim schriftlichen Addieren zweistelliger
gen bei der Bearbeitung neuer Aufgabenan- Zahlen erworbenen Technik auf das Addie-
forderungen kommt (wenn z. B. unregel- ren mehrstelliger Zahlen). Mit figuralem
mäßige Verben bei der Bildung des Präteri- Transfer bezeichnet Royer dagegen die
tums wie regelmäßige Verben behandelt wer- über einen Analogie-Schluss erfolgende
den). Neben mangelnden Kenntnissen über Übertragung der zuvor erlernten Fertigkei-
die Grenzen der Anwendbarkeit des neu ten bzw. Kenntnisse auf gänzlich neuartige

148
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

Problemstellungen (z. B. das Ableiten von geringere Übertragungsdistanzen zu über-


Regeln für das schriftliche Subtrahieren winden als beim vertikalen, figuralen und
aus der Kenntnis der entsprechenden Regeln unspezifischen Transfer. Der Grundgedanke,
für das schriftliche Addieren). dass nämlich der Grad der Unähnlichkeit
zwischen ursprünglicher Lernsituation und
Spezifischer vs. unspezifischer Transfer. Eine späterer Transfersituation ein wichtiges Be-
weitere, sehr verbreitete Unterscheidung, ist urteilungskriterium für die Transferwirkun-
die zwischen spezifischem und unspezi- gen darstellt, hat zum häufigen Gebrauch
fischem Transfer. Beim spezifischen Transfer der an sich wenig präzise definierten Unter-
überträgt die lernende Person eng umgrenzte scheidung zwischen proximalem (nahem)
neu erworbene Fertigkeiten oder sehr spezi- und distalem (weitem) Transfer geführt. Die-
fische inhaltliche Kenntnisse auf eine neue se Unterscheidung hat den Vorteil, relativ
Situation. So liegt z. B. ein spezifischer Trans- theorieneutral zu sein. Stärker als die bisher
fer vor, wenn eine Schülerin im Erdkunde- skizzierten, lenkt sie den Blick darauf, dass es
unterricht gelernt hat, welche Hauptstädte zu ein Kontinuum von Bewährungssituationen
welchen Bundesländern gehören, und wenn bzw. Leistungsanforderungen gibt, mit einer
sie dieses Wissen zur Lösung einer diesbezüg- zunehmend größer werdenden Unähnlich-
lichen Frage in einem Kreuzworträtsel zu keit zu der ursprünglichen Lernsituation
nutzen versteht. Der gleiche Unterricht bzw. Lernanforderung. Eine Transferwir-
kann aber auch unspezifische Transferwir- kung ist umso erstaunlicher, je weiter man
kungen – manche Autoren sprechen in diesem sich auf diesem Kontinuum von der ur-
Zusammenhang von generellen Transferwir- sprünglichen Lernsituation entfernt (Situati-
kungen – auslösen. So könnte die Schülerin in onstransfer) bzw. von der ursprünglichen
der besagten Erdkundestunde auch heraus- Lernanforderung (Anforderungstransfer).
gefunden haben, wie man überhaupt solche Barnett und Ceci (2002) haben ein Rah-
Fakten auswendig lernen kann oder wie man menmodell zur Beurteilung der Weite eines
sich selbst gut zum Lernen motiviert (das erzielten Transfers vorgelegt, das große Ähn-
könnte man dann auch als Erwerb bereichs- lichkeiten mit einer von Hager und Hassel-
übergreifender Kompetenzen bezeichnen, horn (2000) vorgeschlagenen Unterschei-
䉴 Kap. 3.2). Wenn solche Erkenntnisse oder dung aufweist. Dabei wird zwischen einer
erlernten Prinzipien in anderen Kontexten Inhaltskomponente (was wird transferiert?)
oder in gänzlich anderen Lernfeldern genutzt – das entspricht dem oben beschriebenen
werden, dann spricht man von unspezi- Anforderungstransfer – und einer Kontext-
fischem Transfer. komponente (wann und wo findet Transfer
statt?) – das entspricht dem Situationstrans-
Proximaler vs. distaler Transfer. Die drei fer – unterschieden. Die Inhaltskomponente
zuletzt skizzierten Unterscheidungen des gibt an, welche Fertigkeiten von der Lern- in
Transferbegriffs entstammen zwar unter- die Anwendungssituation übertragen wer-
schiedlichen theoretischen Denktraditionen, den. Sind es spezifische, sehr eng umschrie-
ähneln sich aber in einer Hinsicht: Bei der bene Regeln oder sind es eher generelle
jeweils benannten Dichotomie ist der Unter- Problemlösestrategien? Muss dabei die be-
schied bzw. die Distanz, die zwischen der reits erworbene Fertigkeit noch einmal ver-
ursprünglichen Lernsituation, in welcher ändert werden, und wenn ja, in welcher Art
eine Fertigkeit bzw. eine Kenntnis einstmals und Weise? Schließlich gehören zur inhalt-
erworben wurde, und der Transfersituation lichen Komponente der Übertragungsdis-
verschieden groß. So sind beim horizontalen, tanz auch die Annahmen über die kognitiven
literalen und spezifischen Transfer sehr viel Prozesse, die für das Gelingen des Transfers

149
Teil I Lernen

erforderlich sind. So macht es einen Unter- se werden die meisten mit der deutschen
schied, ob lediglich die Ähnlichkeit mit einer Sprache vertrauten Leser beim Erkennen
vorangegangenen Lernsituation erkannt der Worte dieses Satzes routiniert die ange-
und eine dort zielführende Strategie wieder messenen Fertigkeiten des Dekodierens ein-
angewendet werden muss, oder ob man sich setzen und damit eine automatische Trans-
zwischen mehreren möglichen Handlungs- ferleistung erbringen. Im Gegensatz dazu
alternativen zu entscheiden hat. erfordert der High-Road-Transfer eine be-
Zur Kontextkomponente zählen Barnett wusste Anstrengung: Zu solchem Transfer
und Ceci (2002) die Besonderheiten der je- kommt es dann, wenn ein Lernender aktiv
weiligen Wissensdomäne im Hinblick auf und bewusst über mögliche Unterschiede und
ihren zeitlichen, funktionalen und sozialen Gemeinsamkeiten oder über sonstige Ver-
Kontext und im Hinblick auf die Modalitä- knüpfungen zwischen einer aktuellen Auf-
ten der Informationsverarbeitung. Wie sehr gabenanforderung und seinen bisherigen
ähneln sich die Stoffgebiete von Lern- und Lernerfahrungen nachdenkt. Wenn z. B. ein
Transfersituation? Finden ursprüngliches Schüler im Geometrieunterricht das Volumen
Lernen und die spätere Lernanwendung an eines Pyramidenstumpfes ermittelt, indem er
unterschiedlichen Orten statt? Wenn ja: In seine bereits erworbenen Kenntnisse über die
welcher Hinsicht sind die Orte unterschied- Berechnung des Volumens einer Pyramide
lich? Wie groß ist der zeitliche Abstand nutzt, ist ein bewusster Transfer im Sinne
zwischen ursprünglichem Lernen und der von Salomon und Perkins (1989) vollzogen.
Lernanwendung? Wie unähnlich sind Zweck
und Ziel der Lern- und Anwendungssituati-
on? Wie unähnlich sind die sozialen Bezüge Transfertheorien: Wie kann
in der Lern- und der Anwendungssituation? Gelerntes erfolgreich transferiert
Wie sehr entsprechen sich die Verarbeitungs- werden?
modalitäten – etwa visuell vs. akustisch –
beim ursprünglichen Lernen und beim spä- Die Frage, wie der erfolgreiche Transfer von
teren Anwenden des Gelernten? bereits Gelerntem gelingen kann, wurde
schon in der schulpädagogischen Literatur
Automatischer vs. bewusster Transfer. Wäh- des 19. Jahrhunderts heftig und kontrovers
rend die bisher skizzierten Dimensionen von diskutiert. In diesen Kontroversen kam es
einer Betrachtung der zu bewältigenden An- immer wieder zu Polarisierungen zwischen
forderungen in Lern- und Transfersituatio- dem didaktischem Materialismus und dem
nen ausgingen, haben Salomon und Perkins didaktischem Formalismus. Die Anhänger
(1989) den Aspekt der von der Person inves- sogenannter materialer Bildungstheorien
tierten Anstrengung im Transfergeschehen vertraten die Ansicht, dass während der
fokussiert und in diesem Sinne zwischen Schulzeit im Prinzip all das Wissen erworben
zwei unterschiedlich steinigen Wegen des werden müsse, das man später im Erwach-
Lerntransfers, dem »Low-Road«- und dem senenalter benötige. Vertreter der sogenann-
»High-Road«-Transfer unterschieden. Der ten formalen Bildungstheorie waren dagegen
Low-Road-Transfer erfolgt quasi auto- davon überzeugt, dass im Unterricht das
matisch und erfordert keine bewusste Auf- Denkvermögen als solches gefördert werden
merksamkeit oder zusätzliche Anstrengung. könne, wenn man nur das Richtige in der
Bei dieser Art von Transfer werden die bereits rechten Weise lerne (vgl. hierzu auch die
vorhandenen Fertigkeiten bzw. Kenntnisse Diskussion zu den sogenannten Schlüssel-
wie von selbst bei der Lösung einer neuen qualifikationen in 䉴 Kap. 3.2).
Aufgabenanforderung genutzt. Beispielswei-

150
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

Theorie der identischen Elemente. Schon in der Anwendungssituation Wissensele-


früh verwarf Thorndike (1924) die Kern- mente vorhanden sind, die in identischer
annahme der formalen Bildungsdoktrin. In Weise in der Lernsituation bereits enthalten
einer Serie von Untersuchungen konnte er waren.
nämlich zeigen, dass auch Schüler, die sich Das wirft die Frage auf, für welche Be-
besonders intensiv mit Latein und/oder Ma- reiche menschlichen Lernens ein Transfer
thematik beschäftigten, in Intelligenztests nach der Theorie der identischen Elemente
und bei allgemeinen Denkaufgaben keine überhaupt denkbar ist und welche prakti-
besseren Leistungen erzielten als Schüler schen Implikationen damit verbunden sind.
mit anderen Fächerschwerpunkten. Schon Überaus deutlich hat Detterman (1993)
aus diesem Befund lässt sich folgern, dass empfohlen, nur das zu lehren, was auch
die allgemeinen Lern- und Denkfähigkeiten gelernt (und später angewandt) werden soll,
(die bereichsübergreifenden Kompetenzen) und zwar unter möglichst ähnlichen situati-
durch den Latein- und/oder Mathematik- ven Bedingungen. Die wiederholte Übung
Unterricht zumindest nicht nachhaltiger spezifischer Fertigkeiten und Routinen ent-
gefördert werden als durch einen beliebi- spricht dieser Empfehlung ebenso wie das
gen anderen (anspruchsvollen) Unterricht. mechanische Auswendiglernen von Voka-
Thorndikes Interpretation war jedoch radi- beln oder Formeln. So sind z. B. gut gelernte
kaler. Er zweifelte prinzipiell an der Möglich- und automatisiert abrufbare englische Vo-
keit, durch das Unterrichten von Sachinhal- kabeln eine große Hilfe beim anschließenden
ten generalisierbare Lern- und Denkfähig- Vokabeltest, aber auch beim späteren Lesen
keiten vermitteln zu können. Vielmehr müss- eines englischen Textes. Beim Einüben von
ten stets genau jene Wissenselemente gelernt komplexen Bewegungsmustern kann die
werden, die später in den Anwendungssitua- stark automatisierte Durchführung einzel-
tionen auch benötigt würden. Auf dieser ner Handgriffe oder Teilbewegungen den
Grundlage formulierte Thorndike die Theo- Erwerb des Gesamtmusters wesentlich er-
rie der identischen Elemente, der zufolge mit leichtern.
Lerntransfer nur dann zu rechnen sei, wenn

Fokus: Fördert der Lateinunterricht die allgemeine Denkfähigkeit?


Dass Lerntransfer ausbleibt, wenn eine hinreichende Übereinstimmung von Wissensele-
menten in der Lern- und der Anwendungssituation nicht gegeben ist, gehört zu den häufig
replizierten Befunden in der pädagogisch- psychologischen Grundlagenforschung. Das hat
jedoch nicht verhindern können, dass die Idee der formalen Bildung und die Vorstellung
vom unspezifischen Lerntransfer weiterhin unsere Schulkultur beeinflusst.
Vor allem dem Lateinunterricht wird noch immer eine unspezifische Verbesserung des
logischen Denkens und der allgemeinen Lernfähigkeit nachgesagt, obwohl schon Thorn-
dike (1924) keinerlei Transfereffekte des Lateinunterrichts auf die Leistungen in anderen
Schulfächern finden konnte. Neuerlich konnten Haag und Stern (2000, 2003) Thorndikes
Befunde in deutschen Gymnasien wiederum bestätigen. In Einklang mit der Theorie der
identischen Elemente zeigten sich teils positive und teils negative Transfereffekte auf einige
Sprachfertigkeiten außerhalb des Lateinischen, nicht aber Effekte auf die allgemeinen
Denkfähigkeiten.

151
Teil I Lernen

Obwohl also Anwendungsbereiche denkbar de bereits durch Judd (1939) in Frage ge-
sind, die einen Lerntransfer nach der Theorie stellt. Angeregt durch Arbeiten der Gestalt-
der identischen Elemente erwarten lassen, psychologie, vertrat er die Ansicht, dass
liegt die Begrenztheit dieses Ansatzes den- Lerntransfer nicht von identischen Elemen-
noch auf der Hand: die Orientierung an den ten abhängig sei, sondern von allgemeinen
vermeintlich »objektiven« Merkmalen einer Prinzipien oder Verallgemeinerungen, die
Lernsituation. Zwar berufen sich auch mo- beim Lernen als solche erkannt und in neuen
derne Lerntheorien auf die Theorie der iden- Anforderungssituationen wieder angewandt
tischen Elemente, indem sie den Vorteil iden- werden. Obwohl die Judd’sche Position die
tischer, verallgemeinerbarer Vorgehenswei- Möglichkeit spezifischen Transfers durch
sen und Strategien (Identity of Procedure) spezifische Fertigkeiten nicht ausschließt,
hervorheben. Thorndikes Orientierung an wird der Einsicht in allgemeine Regelhaftig-
festen Reiz-Reaktionsverbindungen und an keiten in der Lernphase für den späteren
hinreichend assoziierten situativen Kontex- Transfer die größere Bedeutung eingeräumt.
ten, die als Auslöser für den späteren Trans- Voraussetzung dafür ist selbstverständlich,
fer fungieren, spielen jedoch dabei keine dass dieselbe allgemeine Regel, die in einer
Rolle mehr. Stattdessen geht man davon Aufgabe A gelernt wurde, auch für die Be-
aus, dass es nicht die objektive Ähnlichkeit wältigung von Aufgabe B hilfreich ist.
von Lern- und Anwendungssituation ist, die In Übereinstimmung mit der Theorie iden-
den Lerntransfer ermöglicht, sondern die tischer Elemente geht auch die Auffassung
subjektiv wahrgenommene Ähnlichkeit. vom Lerntransfer durch allgemeine Prinzi-
Mit anderen Worten: Ob Elemente der ur- pien davon aus, dass ein Transfer nur dann
sprünglichen Lern- und der späteren Anfor- stattfindet, wenn die Basisaufgabe A und die
derungssituation identisch sind, muss von Zielaufgabe B die Anwendung gleicher Teil-
den Lernenden erst einmal aktiv erkannt prozesse erfordern. Das Individuum, das den
werden. Hinzu kommt: Die Elemente einer Lerntransfer vollbringt, hat in der ursprüng-
Lern- und einer Transfersituation können lichen Lernphase die Regeln oder Lösungs-
niemals vollkommen identisch sein – außer prinzipien kennen gelernt, die später als Abs-
bei einer bloßen Testwiederholung, weshalb traktionen für eine ganze Klasse von Auf-
diese auch als Prototyp von Transferwirkun- gabentypen und nicht nur für den bereits
gen aufgrund identischer Elemente gelten bearbeiteten Einzelfall anwendbar sind.
kann. Damit eröffnet sich für die neu erworbe-
nen inhaltlichen und verfahrensbezogenen
Theorie des Erkennens von Prinzipien. Die Kenntnisse ein potenziell breites Anwen-
Thorndikesche Sichtweise, dass ein spezi- dungsgebiet, und der Transferwert erworbe-
fischer Transfer nur durch das Erlernen ner Regeln und Lösungsprinzipien hängt ent-
spezifischer Fertigkeiten zu erzielen sei, wur- scheidend von ihrer Nutzungsflexibilität ab.

Studie: Transferwirkungen des Erkennens von Prinzipien


Wichtige Belege für das Transferieren eines generellen Lösungsprinzips entstammen der
gestaltpsychologischen Tradition. So instruierte Katona (1940) Studierende, sich einige
Karten- und Streichholz-Tricks entweder mit Hilfe einer einfachen Gedächtnismethode zu
erarbeiten, bei der die Abfolge der Lösungsschritte einfach auswendig gelernt wird, oder mit
einer Verstehensmethode, bei der das dem Kunststück zugrunde liegende Prinzip vermittelt
wird. Für den unmittelbar nach der Intervention erfassten Trainingserfolg erwies sich die

152
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

Gedächtnismethode als tendenziell überlegen. Neue Kunststücke (Transferanforderungen)


wurden aber deutlich besser von den mit der Verstehensmethode instruierten Studierenden
gemeistert. Katona (1940) interpretierte seine Befunde dahingehend, dass das Lernen durch
Memorieren zum Erwerb spezifischer Reaktionen führe, die nur auf analoge Probleme
angewendet werden könnten. Beim Lernen durch Verstehen entdeckten die Personen
hingegen ein grundlegendes Prinzip, das – vorausgesetzt, es wird erkannt – auf ganz
unterschiedliche Probleme Anwendung finden kann.

Die praktischen Implikationen liegen auf der Transfer durch Analogiebildung. Die
Hand: Nicht Auswendiglernen, Drill oder Judd’sche Transfertheorie hat seit den
Übung, sondern verstehensorientierte Me- 1980er Jahren unter dem Stichwort »analo-
thoden, die eine reflexive kognitive Informa- ger Transfer« eine wahre Renaissance erlebt.
tionsverarbeitung auslösen, werden als ge- Von Analogien spricht man, wenn zwei Pro-
eignet angesehen, bedeutsame Transferwir- bleme oder Anforderungen eine ähnliche
kungen zu erzielen. Erfolgreiches Lernen Tiefenstruktur besitzen. Entdeckt der Ler-
besteht demzufolge eben nicht darin, Wis- nende solche gemeinsamen Tiefenstrukturen
senselemente memorierend abzuspeichern, zwischen einer aktuellen Anforderung und
sondern setzt im Abstrahieren vom Spezi- einem von ihm bereits gut verstandenen
fischen das Generieren von Regelwissen und Inhaltsgebiet, dann kann er das bereits Ge-
Prinzipien voraus. lernte durch Analogiebildung auf die aktu-
elle Anforderung übertragen.

Beispiel: Positiver Transfer durch Analogiebildung


Zwei Freunde, Hermann und Fritz, besuchen einen Physik-Leistungskurs. Thema der
letzten Unterrichtsstunde war die Ausdehnung des Universums. Heute Nachmittag haben
sie sich getroffen, um ein schwierig erscheinendes Problem zu lösen. Es geht um die Frage,
wie man zeigen kann, dass sich Sterne nicht auf die Erde zu-, sondern von ihr wegbewegen.
Hermann hat schon ein wenig darüber nachgedacht. Aber eine richtige Lösung ist ihm noch
nicht eingefallen. Er hat sich überlegt, dass ja aufgrund der Leuchtkraft eines Sterns Licht
ausgestrahlt wird und dass dieses Licht auf der Erde empfangen werden kann. Vielleicht – so
seine Überlegung – lässt sich durch Veränderungen des auf der Erde beobachtbaren Lichts
über die Zeit etwas über die Bewegung eines Sterns erfahren.
Fritz findet diese Idee gut. Er erinnert sich an ein schon etwas länger zurückliegendes
Experiment im Physikunterricht, bei dem Lichtwellen mit einem Spektroskop sichtbar
gemacht wurden. Lichtwellen unterschiedlicher Länge führten dabei zu verschiedenen
Farbeindrücken. Aber kann man damit das Sich-Entfernen eines Sterns nachweisen?
Als Hermann vom Experiment mit dem Spektroskop hört, fällt ihm plötzlich ein Problem
wieder ein, über das er früher schon nachgedacht hat: Wie kann man erkennen, ob ein
Geräusch näher kommt oder sich entfernt? Damals war er in den großen Park an der
Bundesstraße gegangen und hatte bemerkt, dass sich die Geräusche der vorbeifahrenden
Autos in ihrer Tonhöhe systematisch veränderten. Bei heranfahrenden Autos stieg die
Tonhöhe zuerst an, während bei sich entfernenden Fahrzeugen das Geräusch immer
dumpfer wurde. Im Physikbuch hatte er auch die Erklärung dafür gefunden, nämlich

153
Teil I Lernen

dass man pro Zeiteinheit zunehmend mehr Schallwellen empfängt, wenn sich ein Auto
nähert und umgekehrt weniger, wenn sich ein Fahrzeug entfernt. Ob es vielleicht möglich ist,
dieses Wissen über die Schallwellen auf Lichtwellen zu übertragen?
Fritz ist von Hermanns Überlegungen begeistert: »Natürlich!«, ruft er. »Wenn bei einem
sich entfernenden Geräusch die Schallwellen am Ausgangspunkt sich verändern, dann
sollten bei einer sich entfernenden Lichtquelle die Lichtwellen am Ausgangspunkt sich
ebenfalls ändern.«
»Dann war deine Idee vom Spektroskop ja bereits die richtige«, meint Hermann. »Im
Spektroskop müsste sich das Entfernen eines Sterns an charakteristischen Farbänderungen
zeigen lassen«.

Der Transfer durch Analogiebildung lässt te, dass die aus einem gut verstandenen
sich leicht durch die vier Stufen der Infor- Inhaltsgebiet abgeleiteten Prinzipien erfolg-
mationsverarbeitung charakterisieren: Auf reich auf ein neues Gebiet übertragen wer-
der ersten Verarbeitungsstufe geht es zu- den (z. B. Holyoak & Thagard, 1989), so ist
nächst einmal um die Kodierung der Anfor- dieses Vorgehen doch auf Fälle beschränkt,
derungsmerkmale; dann muss es zu einem bei denen ein Lernender ein Inhaltsgebiet
Abruf der verfügbaren Informationen aus bereits so gut verstanden hat, dass ganz
bereits gelernten Inhaltsbereichen kommen; unterschiedliche Aufgaben gelöst werden
auf der dritten Stufe geht es um die Auswahl können. Wenn das verfügbare Wissen einer
brauchbaren Wissens und um das Abbilden Person aber noch nicht so gut organisiert ist,
dieses Wissens auf die Gegebenheiten der dass die für die Bewältigung einer Aufgabe
Zielaufgabe; und schließlich muss es zum entscheidenden Gemeinsamkeiten zwischen
Abstrahieren der gemeinsamen Wissens- zwei Anforderungssituationen erkannt wer-
strukturen von Lern- und Transferanforde- den, scheitert der Transfer. Es kann sogar
rung kommen und damit zur eigentlichen zum negativen Transfer kommen, wenn
Wissensintegration (Holyoak, 1985). nämlich Gemeinsamkeiten zwischen ur-
Die meisten Forscher stimmen diesen Stufen und
sprünglicher Lernanforderung und Trans-
den entsprechenden Subprozessen des Transfers feranforderung gesehen werden, die nicht
zu; sie unterscheiden sich allerdings hinsichtlich zur Lösung beitragen, weil unangemessene
der Einschätzung der Bedeutung, die die Ober- Analogien hergestellt werden. Lernende, die
flächenmerkmale von Aufgaben gegenüber den
sich fälschlich von (irrelevanten) Oberflä-
Tiefenstrukturen haben. Gentner (1989) und
Holyoak (1985) schreiben den zugrunde liegen- chenähnlichkeiten bei der Analogiebildung
den Strukturen die größte Bedeutung im Trans- leiten lassen, können eine für die erfolgreiche
ferprozess zu: Gentner vertritt den Struktur- Aufgabenlösung völlig falsche Richtung ein-
Abbildungs-Ansatz, d. h., sie sieht den Transfer schlagen. Dies konnte für mathematische
in der Abbildung (mapping) der Struktur der
Basisaufgabe auf die neue Zielaufgabe. Holyo- Textaufgaben (Bassok & Holyoak, 1989)
ak propagiert den Ansatz der pragmatischen ebenso gezeigt werden wie für wissenschaft-
Schema-Abstraktion, der den Prozess der liches Denken, z. B. aus dem Bereich der
Schema-Abstraktion angesichts der beiden voll- Physik (White, 1993).
endeten Problemlösungen als Kernstück des
Transfers sieht. (Steiner, 2006, S. 194)
Transfer durch Nutzung mentaler Werkzeu-
Die Analogiebildung führt jedoch nicht au- ge. In den 1990er Jahren kam es zu einer
tomatisch zu einem positiven Transfer. Auch fundamentalen Kritik an der Kognitionspsy-
wenn in einigen Fällen gezeigt werden konn- chologie, wie sie z. B. auch der Theorie des

154
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

Transfers durch Analogiebildung zugrunde halten sie spezifische Handlungsangebote


liegt. Unter dem Schlagwort der »situierten (Affordances). Die Handlungsangebote be-
Kognition« wurde radikal in Frage gestellt, ziehen sich dabei auf die Unterstützung be-
ob es überhaupt Wissen in Form abgespei- stimmter Aktivitäten durch relevante Eigen-
cherter und dekontextualisierter Bedeu- schaften der Dinge und Materialien in der
tungsrepräsentationen gebe, welches in (spä- jeweiligen Situation. Sie sind es, die den
teren) Anwendungssituationen aktiviert und Erwerb von Kompetenzen ermöglichen. So
übertragen werden könne. Wissen sei näm- kann man das Fahrradfahren nur in solchen
lich nicht in den Köpfen von Personen lo- Situationen erlernen, in denen ein Fahrrad
kalisiert, sondern entstünde vielmehr stets und entsprechende Fahrstrecke zur Ver-
neu in situ als Relation zwischen der Person fügung stehen. Handlungsangebote müssen
eines Lernenden und der aktuellen Lernsi- nicht symbolisch repräsentiert werden, da
tuation (Clancey, 1993; Greeno, Smith & ihre funktionalen Merkmale direkt wahr-
Moore, 1993; 䉴 Kap. 5.1). genommen werden. Nach Greeno et al.
Doch wie soll man sich dieses relationale (1993) kommt es zum Transfer des in einer
Wissen vorstellen? Greeno et al. (1993) ha- Situation erworbenen Wissens, wenn etwas
ben dazu eine Analogie aus der Physik be- bereits Gelerntes zu den Handlungsangebo-
müht: Die Beschreibung sich bewegender ten einer Anwendungssituation passt oder
Objekte über die Parameter Geschwindig- wenn das Gelernte erfolgreich transformiert
keit, Richtung und Beschleunigung macht werden kann.
nur Sinn, wenn sie sich auf einen Referenz- Transformationen, die erlernte Aktivitä-
rahmen bezieht. Bewegung ist daher nicht ten zu geeigneten mentalen Werkzeugen wer-
Eigenschaft eines Objekts, sondern charak- den lassen, können nach Auffassung von
terisiert die Relation eines Objekts zu einem Greeno et al. (1993) durch drei Arten von
Referenzrahmen. In ähnlicher Weise seien Prozessen unterstützt werden. Es handelt
Kenntnisse und Wissenselemente auch nicht sich dabei um die Prozesse der Abstimmung
Merkmale einer Person, sondern kennzeich- (Attunement) auf die veränderten situativen
neten eher die Relation einer handelnden Handlungsangebote, um die Prozesse der
Person zu der Situation, in der sie handelt. Antizipation möglicher situativer Zustände
Vor diesem Hintergrund haben Greeno et (Potential States of Affairs) sowie um die
al. (1993) einen theoretischen Ansatz ent- Prozesse des Nachdenkens (Reasoning) im
wickelt, der erklären soll, unter welchen Sinne der Flexibilisierung repräsentierten
Bedingungen erfolgreicher Wissenstransfer Wissens. Gerade der zuletzt genannte Unter-
möglich ist. Zentral für diesen Ansatz ist stützungsprozess des Nachdenkens macht
das Konzept der mentalen Werkzeuge (Men- deutlich, dass die Vertreter dieses Ansatzes
tal Tools). Darunter versteht man Aktivitä- die Existenz individuellen Wissens zwar
ten (repräsentiert als Handlungsschemata), nicht grundsätzlich bezweifeln, wohl aber
die sich in früheren Situationen bei der betonen, dass die Anwendung von Wissen in
erfolgreichen Lösung eines Problems be- Transfersituationen nur über die Nutzung
währt haben. Gibt es nun funktionale Ähn- erlernter Aktivitäten erfolgen kann.
lichkeiten zwischen den ursprünglichen An- Was kann man sich nun unter transfer-
forderungen einer Lernsituation und der geeigneten mentalen Werkzeugen vorstel-
aktuellen Anforderungssituation, dann ist len? Neben den formalen und natürlichen
Transfer möglich. Sprachen können etwa graphische Darstel-
Lernsituationen und Lerngelegenheiten lungen als mentale Werkzeuge genutzt wer-
schränken einerseits die Handlungsmöglich- den. So kann man sich z. B. unterschiedliche
keiten ein (Constraints), andererseits bein- Quantitäten durch unterschiedlich hohe

155
Teil I Lernen

Säulen in einem Diagramm verdeutlichen So wird Mathematik von den Schülern weit-
oder die Linien und Felder eines Stadtplans gehend als Selbstzweck erlebt. Von der Mög-
lichkeit, mathematische Symbole in flexibler
oder einer Landkarte nutzen, um die Hand- Weise zur Modellierung von Situationen zu
lungsoptionen der Bewegung im realen nutzen, wird in allen Klassenstufen nur selten
Raum zu planen und zu verstehen. Gebrauch gemacht. Welche Prinzipien bei der
Die Bewältigung einer kognitiven Anfor- Neukombination von sprachlichen Elementen
derung erfordert die Antizipation potenziel- zu beachten sind, wird nur selten im Deutsch-
unterricht thematisiert. Der Umgang mit gra-
ler Handlungsfolgen. Mentale Werkzeuge phischen Darstellungsformen wird im Mathe-
werden genutzt, um unter Berücksichtigung matikunterricht bisher nur unzureichend ge-
der für das Handlungsziel relevanten Aspek- übt.
te der externen Umgebung sogenannte Si- Wem es beispielsweise gelingt, einen komple-
xen kausalen Sachverhalt in einem Inhalts-
tuationsmodelle einer Problemanforderung gebiet eloquent darzustellen, der kann bei
zu konstruieren. Der Transfer zwischen An- der Beschreibung von vergleichbaren Zusam-
forderungssituationen gelingt dann, wenn menhängen in anderen Gebieten auf bestimmte
es durch die Nutzung mentaler Werkzeuge Redewendungen zurückgreifen und hat damit
einen Startvorteil. Als Ergebnis einer häufigen
zur Konstruktion von Situationsmodellen
und intensiven Auseinandersetzung mit schrift-
kommt, die vergleichbar sind mit den Hand- lichem Material in bestimmten Inhaltsberei-
lungsangeboten und Handlungseinschrän- chen kann sich Strategiewissen zum Lesen
kungen bereits erfolgreich gemeisterter Ler- von Texten entwickeln, das bei der Einarbei-
nanforderungen. tung in neue Gebiete Vorteile bringt. Dazu
bedarf es nicht eines direkten Strategietrai-
Unterschiede in Details der Anforde- nings, sondern einer Vielzahl von Texten unter
rungssituationen können Lerntransfer er- den verschiedensten Aufgabenstellungen.
schweren oder verhindern. Greeno et al. (Mähler & Stern, 2010, S. 865 f)
(1993) haben dies am Beispiel mathemati-
scher Textaufgaben demonstriert und darauf Transfer durch metakognitive Kontrolle.
hingewiesen, dass etwa die Beschleunigungs- Mit der Kognitiven Wende in den 1960er
formel aus der Physik nur selten spontan auf Jahren kam es zu vielen theoretischen Um-
die Zinseszinsrechnung angewendet wird – orientierungen in der Psychologie, die nicht
obgleich dies möglich wäre –, weil die Ge- ohne Konsequenzen für theoretische Kon-
schwindigkeit eine kontinuierliche Größe, zeptionen des Transfers blieben. Im Zuge der
Geld dagegen eine diskrete Größe ist. Analyse von Informationsverarbeitungspro-
Geht man wie Greeno und Hall (1997) zessen kristallisierte sich ein neuer Typus von
davon aus, dass mentale Werkzeuge die Transfertheorien heraus, bei dem die Rolle
Grundlagen des Wissenstransfers bilden, der metakognitiven Kontrolle und Über-
so sollte das Erlernen des Umgangs mit wachung von Informationsverarbeitungs-
solchen mentalen Werkzeugen im Mittel- prozessen bzw. Fertigkeiten besonders be-
punkt schulischer Lernangebote stehen. tont wurde (䉴 Kap. 2.3). Da die metakogni-
Mähler und Stern (2010) haben zu Recht tiven Prozesse im Allgemeinen bereichsüber-
die Frage aufgeworfen, was an dieser For- greifender Natur sind, ist mit ihnen seit
derung eigentlich neu sei, da doch die Ver- langem die Hoffnung auf Transfer verknüpft
mittlung von Kulturtechniken schon immer (vgl. Belmont, Butterfield & Ferretti, 1982;
das zentrale Anliegen der Schule war und die Hasselhorn & Körkel, 1983).
Kulturtechniken so etwas wie grundlegende In der Theorie des Transfers durch meta-
mentale Werkzeuge darstellen. Möglicher- kognitive Kontrolle werden Merkmale der
weise aber verfolgt die Schule ihr zentrales formalen Bildungstheorie sowie der bislang
Anliegen nicht immer mit der nötigen Kon- dargestellten Transfertheorien integriert: die
sequenz. Vorstellung eines generellen Transfers über

156
3 Ergebnisse erfolgreichen Lernens

den Aufbau allgemeiner Schlüsselqualifika- häufiger gezeigt, dass die Wirkungsintensität


tionen, die Thorndikesche Annahme des solcher Interventionen relativ bescheiden
spezifischen Transfers durch spezifische Fer- ausfällt. Die bloße Vermittlung metakogni-
tigkeiten, die Judd’sche Position des spezi- tiver Fertigkeiten kann daher mittlerweile als
fischen Transfers durch verallgemeinerbare überholter Ansatz eingestuft werden. Aller-
Prinzipien, die von Holyoak sowie von Gent- dings dienen metakognitive Instruktionen
ner bevorzugte Sicht des Lerntransfers durch als erfolgreiche Transfervehikel für bereichs-
Analogiebildung sowie die von Greeno ver- spezifische (sachinhaltliche) Fördermaßnah-
tretene Auffassung des Transfers durch die men: Bereichsspezifische Kenntnisse und
Nutzung mentaler Werkzeuge. Mayer und Fertigkeiten aus dem inhaltlichen Ziel-
Wittrock (1996) haben die Gemeinsamkei- bereich der Interventionsmaßnahme und
ten und Unterschiede zwischen den traditio- metakognitive Fertigkeiten sind gezielt ein-
nellen Positionen und der metakognitiven zuüben. Ein solches Vorgehen trägt der Tat-
Transfertheorie prägnant zusammengefasst: sache Rechnung, dass sich Experten auf
einem Gebiet von Anfängern nicht nur durch
In Übereinstimmung mit der Vorstellung all- vertiefte inhaltliche Kenntnisse, sondern vor
gemeinen Transfers basiert Metakognition auf allem durch das Bewusstsein für vertraute
sehr allgemeinen intellektuellen Fertigkeiten –
Fertigkeiten, die sich vermutlich durch menta- Routinen beim Problemlösen unterscheiden
les Üben beim Lösen vielfältiger Probleme oder (vgl. Gruber, 1994). Daraus ergeben sich
bei der Beobachtung von Lösungen entwickeln. zahlreiche Empfehlungen für die Unter-
Im Unterschied allerdings zur Sichtweise des richtsgestaltung – dies vor allem, wenn es
allgemeinen Transfers von Fertigkeiten ist Me-
takognition eher als Sammlung übergeordneter
um nachhaltige Lernergebnisse gehen soll,
Fertigkeiten und weniger als eine einzige all- die nicht nur im schulischen Kontext selbst,
gemeine Fähigkeit aufzufassen. In Übereinstim- sondern auch im Leben außerhalb und nach
mung mit der Position eines spezifischen Trans- der Schule von Nutzen sein sollen:
fers allgemeiner Fertigkeiten wird die Verfüg-
barkeit von Wissen über allgemeine Prinzipien
und in Übereinstimmung mit der Idee des
● Inhalte direkt vermitteln
spezifischen Transfers spezifischen Verhaltens ● Den Gebrauch von Hilfsmitteln und Ar-
wird die Verfügbarkeit bereichsspezifischer beitstechniken erläutern
Fertigkeiten vorausgesetzt. Im Unterschied zu ● Beispiele und Anwendungen des Gelern-
all diesen Sichtweisen werden jedoch präzisere
Beschreibungen der Informationsverarbei-
ten in möglichst realistischen Situationen
tungsprozesse und Strategien geleistet bei der demonstrieren und erproben
Charakterisierung der allgemeinen und spezi- ● Möglichst vielseitige Übungsvarianten
fischen Voraussetzungen für Transfer. In der nutzen, um Lernschritte und Vorgehens-
metakognitiven Sicht von Transfer sind erfolg- weisen explizit zu machen
reich Lernende Manager ihres allgemeinen und
spezifischen Wissens. Sie müssen über relevan-
tes spezifisches und allgemeines Wissen ver- Obwohl vor allem der zuletzt beschriebene
fügen, müssen allerdings zusätzlich auch wis- theoretische Ansatz des Transfers durch me-
sen, wie dieses Wissen im Kontext von An- takognitive Kontrolle zu großem Optimis-
wendungsanforderungen genutzt werden
kann. (Mayer & Wittrock, 1996, S. 51) mus berechtigt, scheinen doch alle Trans-
fertheorien an eine natürliche Grenze zu
Aus dem metakognitiven Ansatz ergibt sich stoßen: Positiver Transfer hängt nämlich
zunächst einmal die praktische Implikation, nicht nur von den bereits genannten Merk-
die metakognitiven Fertigkeiten zur Über- malen und Prinzipen ab – von entscheiden-
wachung und Regulation der eigenen Infor- der Bedeutung ist darüber hinaus die indi-
mationsverarbeitung direkt zu vermitteln. viduelle Motivations- und Volitionslage des
Jedoch hat sich in den letzten Jahren immer Lernenden. Hier ist zu beachten, dass jeg-

157
Teil I Lernen

licher Lerntransfer nur dann zu erwarten ist, volitionale Handlungskontrolle das beharr-
wenn die Lernmotivation zur Aufgabenbear- liche und aufwendige Transferbemühen in
beitung sowohl in der Lernphase (Basisauf- der Anwendungssituation erfolgreich gegen
gabe) als auch in der Anwendungsphase konkurrierende Handlungsimpulse abschir-
(Zielaufgabe) hoch ist und möglichst intrin- men kann.
sisch gespeist (Steiner, 1996) und wenn die

Zusammenfassung
Wissen und Können sind die Ergebnisse erfolgreichen Lernens. Der Erwerb von Kom-
petenzen bezieht sich zunächst auf einen spezifischen Inhaltsbereich – ob und in welchem
Maße es darüber hinaus zum Aufbau bereichs- und situationsübergreifender Kompetenzen
kommen kann, ist eine wichtige Frage.
Bereichsspezifische Expertise ist das Ergebnis kumulativer Lernprozesse, die durch die
Tätigkeiten des gezielten und angeleiteten Übens am besten zu charakterisieren sind. Dies
gilt auch für die Kulturtechniken des Lesens und Rechnens. Auch um Spitzenleistungen in
einer Domäne zu erbringen, ist das extensive Üben entscheidend.
Der Erwerb bereichsübergreifender Kompetenzen wie Problemlösefähigkeit, Kommuni-
kationsfähigkeit oder Selbständigkeit, entspricht dem Ideal der Formalbildung. Als so-
genannte Schlüsselqualifikationen zur Bewältigung sich ständig ändernder beruflicher
Anforderungen werden sie zunehmend eingefordert. Sie lassen sich allerdings nur in
Kombination mit dem Erwerb bereichsspezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben.
Als proaktiver Lerntransfer gilt die Erleichterung nachfolgenden Lernens durch das zuvor
Gelernte. Die gelingende Übertragung oder Anwendung von Kenntnissen und Fertigkeiten
auf neuartige, von der ursprünglichen Lernsituation verschiedene Anforderungen, ist ein
wichtiges Erfolgskriterium des Lernens. Damit es zum Lerntransfer kommt, müssen
Gemeinsamkeiten oder gemeinsame Prinzipien in Lern- und Transfersituation erkannt
werden.

Literaturhinweis
Bransford, J. D., Brown, A. L. & Cocking, R. R.
(Eds.) (2000). How people learn. Washington:
National Academy Press.
Klauer, K. J. (2011). Transfer des Lernens. Stutt-
gart: Kohlhammer.

158
4 Besonderheiten des Lernens

In den bisherigen Kapiteln dieses Lehrbuches verschiedener Hinsicht als nicht erfolgreich
haben wir zunächst die allgemeinpsycholo- gelten kann. Gemeint sind jene Kinder, die in
gischen Auffassungen über Lernen vor- der pädagogischen Arbeit als »lernbehin-
gestellt (䉴 Kap. 1) und anschließend eine dert« oder als »teilleistungsgestört« klassi-
differenzielle Perspektive eingenommen, in- fiziert werden (䉴 Kap. 4.2). Lassen sich die
dem skizziert wurde, welche individuellen Lernschwierigkeiten dieser Kinder auf spezi-
Voraussetzungen für den Erfolg von Lernen fische Defizite oder auf Entwicklungsauffäl-
verantwortlich sind (䉴 Kap. 2) und was ligkeiten in den beschriebenen individuellen
die Folgen erfolgreichen Lernens sind Voraussetzungen des Lernens zurückführen?
(䉴 Kap. 3). In diesem vierten Kapitel domi- Im dritten Teilabschnitt richtet sich der
niert wiederum die differenzielle Perspekti- Blick auf die besonders leistungsstarken un-
ve, wenn nach den Besonderheiten individu- ter den Lernenden (䉴 Kap. 4.3). Was ist
eller Lernvoraussetzungen gefragt wird. Da- Hochbegabung? Sind Hochbegabte einfach
bei wird es um Lernende mit Lernschwierig- hinsichtlich aller individuellen Lernvoraus-
keiten gehen, aber auch – um das andere setzungen besser ausgestattet als andere,
Extrem zu benennen – um solche, die als oder beruhen ihre besonderen Lernvorteile
hochbegabt gelten. auf der exzeptionellen Konstellation eines
Wir nehmen im vierten Kapitel zudem oder weniger der im INVO-Modell erfolg-
eine entwicklungspsychologische Perspekti- reichen Lernens spezifizierten Bereiche?
ve ein, indem gezeigt wird, dass die indivi- Schließlich widmen wir den vierten Teil-
duellen Voraussetzungen erfolgreichen Ler- abschnitt dieses Kapitels den Besonderheiten
nens, wie sie im zweiten Kapitel ausführlich des Lernens im hohen Erwachsenenalter.
beschrieben sind, keineswegs im individuel- Dass dieses Thema in ein Lehrbuch der
len Lebenslauf unveränderlich bleiben. Nie- Pädagogischen Psychologie aufgenommen
mand zweifelt ernsthaft daran, dass Klein- wird, mag überraschen. Zumindest handelt
kinder in ihrem ersten Lebensjahr sehr viel es sich dabei um ein in einschlägigen Lehr-
lernen. Aber ebenso klar scheint, dass sich werken der Pädagogischen Psychologie bis-
die Lernmöglichkeiten eines einjährigen her kaum behandeltes Thema. Angesichts
Kindes von den Möglichkeiten eines 18- der zunehmenden Notwendigkeit lebenslan-
Jährigen deutlich unterscheiden. Deshalb gen Lernens für einen immer größeren Anteil
wird im ersten Abschnitt dieses Kapitels der Bevölkerung erscheint es jedoch drin-
versucht, für die im INVO-Modell erfolg- gend geboten, dies zu ändern. Auch für die
reichen Lernens spezifizierten individuellen Gruppe der älteren Lernenden bzw. der ler-
Kompetenzen allgemeine und systematische nenden Älteren gehen wir deshalb der Frage
Entwicklungsveränderungen nachzuzeich- nach, für welche Bereiche der individuellen
nen (䉴 Kap. 4.1). Voraussetzungen erfolgreichen Lernens mit
Der zweite Teilabschnitt befasst sich mit systematischen, alterskorrelierten Verände-
Schülerinnen und Schülern, deren Lernen in rungen zu rechnen ist (䉴 Kap. 4.4).

159
Teil I Lernen

Orientierungsfragen
● Gibt es eine altersbezogene Entwicklungssystematik der individuellen Voraussetzungen
erfolgreichen Lernens?
● Welche spezifischen Defizite oder Dysfunktionen in den individuellen Lernvorausset-
zungen führen zu Lernschwierigkeiten?
● Sind Hochbegabte so lern- und leistungsfähig, weil bei ihnen alle oder einige der
individuellen Lernvoraussetzungen weit überdurchschnittlich stark ausgeprägt sind?
● Wie verändern sich die individuellen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens im hohen
Erwachsenenalter?

4.1 Allgemeine Entwicklungsvoraussetzungen


erfolgreichen Lernens

In 䉴 Kap. 2 dieses Lehrbuches hatten wir typische, d. h. allgemeingültige Entwick-


fünf Inhaltsbereiche individueller Voraus- lungsverläufe für diese Inhaltsbereiche iden-
setzungen erfolgreichen Lernens identifi- tifizieren? Gibt es allgemeine Entwicklungs-
ziert, die das INVO-Modell konstituieren: voraussetzungen, die die Möglichkeiten und
Grenzen des Lernvermögens auf den einzel-
● die Funktionstüchtigkeit von Aufmerk- nen Altersstufen bestimmen?
samkeitsprozessen und des Arbeits- 䉴 Kap. 4.1 gibt Antworten auf diese Fra-
gedächtnisses bei der Aufnahme und Ver- gen. Dazu skizzieren wir zunächst für die
arbeitung von Informationen, fünf oben genannten Inhaltsbereiche die all-
● den Umfang und die Qualität des im gemeinen Entwicklungslinien im Kindes-
Langzeitgedächtnis bereits verfügbaren und Jugendalter, um auf dieser Grundlage
Vorwissens, aufbauend die besonderen Wendepunkte in
● die Nutzung und die metakognitive Re- der Entwicklung der individuellen Voraus-
gulation von Lernstrategien, setzungen erfolgreichen Lernens zu markie-
● die Qualität des lernbezogenen Leistungs- ren.
motiv-Systems, einschließlich des aka-
demischen Selbstkonzepts sowie
● die für die Kontrolle von Absichtsreali- Entwicklung selektiver
sierungen erforderlichen volitionalen Dis- Aufmerksamkeit
positionen.
Bei der Vielfalt der ständig auf uns einwir-
Wir hatten darauf hingewiesen, dass es in all kenden Reize wäre unser Informationsver-
diesen Bereichen relativ zeitstabile interindi- arbeitungssystem schlicht überfordert, gäbe
viduelle Unterschiede zwischen Lernenden es keine Selektion der Reizinformation da-
gibt. Aber sind diese Unterschiede »von nach, ob sie uns relevant oder irrelevant
Anfang an« vorhanden oder bilden sie scheint. In 䉴 Kap. 2.1 haben wir auf die
sich erst nach und nach im Laufe der indi- von Neisser (1967) vorgenommene Unter-
viduellen Lerngeschichte heraus? Lassen sich scheidung zwischen den zwei für absicht-

160
4 Besonderheiten des Lernens

liches Lernen wesentlichen Funktionen der jahr nur unwesentlich anstiegen und danach
selektiven Aufmerksamkeit hingewiesen. sogar deutlich abfielen. Hagen und Hale
Das war zum einen die Diskrimination, (1973) interpretierten dieses Ergebnismuster
die verantwortet, dass die in den sensori- im Sinne einer Fokussierungsdominanz: Zu-
schen Speichern registrierte Information da- nächst wird die notwendige Fähigkeit aus-
nach beurteilt wird, ob sie relevant oder gebildet, die Aufmerksamkeit den relevanten
irrelevant ist. Ist diese Unterscheidung ge- Informationen zuzuwenden, und erst ab dem
troffen, kommt die zweite Funktion, die der 12. Lebensjahr entwickelt sich zusätzlich die
Kapazitätszuweisung, ins Spiel. Dabei geht Fähigkeit, irrelevante Informationen zu
es darum, die nur begrenzt verfügbare Ver- ignorieren oder auszublenden. In nachfol-
arbeitungskapazität von den als irrelevant genden Arbeiten konnte dies bestätigt wer-
bewerteten Informationen abzuziehen, um den. Die Fähigkeit zur selektiven Fokussie-
sie den als relevant bewerteten zuzuweisen. rung relevanter Informationen gewinnt bis
Die beiden von Neisser unterschiedenen ins junge Erwachsenenalter an Effizienz und
Funktionen wurden ursprünglich im Sinne bleibt dann bis ins hohe Erwachsenenalter
zweier singulärer Prozesse aufgefasst. Es hat erhalten (Hasselhorn, Kamm & Ueffing,
sich in den Analysen zur selektiven Aufmerk- 1989).
samkeit jedoch gezeigt, dass die Funktion Ein verwandtes Phänomen lässt sich üb-
der Kapazitätszuweisung über wenigstens rigens beim Wissensabruf aus dem Lang-
zwei weitere, sich durchaus in unterschied- zeitgedächtnis beobachten. Auch hier
licher Weise entwickelnde Prozesse realisiert scheint sich die Fähigkeit zur Unterdrückung
wird: (1) durch das Fokussieren relevanter (Hemmung) irrelevanter Informationen erst
Information und (2) durch das hemmende im Alter zwischen neun und zwölf Jahren
Unterdrücken irrelevanter Information. herauszubilden. Dafür sprechen zumindest
Allgemeine Entwicklungsveränderungen die Befunde einiger Untersuchungen zum
dieser beiden Prozesse der selektiven Auf- »absichtlichen Vergessen« unter Verwen-
merksamkeit sind anhand eines besonderen dung des sogenannten Directed Forgetting-
Aufgabentyps, den von Hagen (1967) einge- Paradigmas (vgl. Wilson & Kipp, 1998).
führten »Central-Incidental Tasks«, unter- Beim Directed Forgetting-Paradigma wer-
sucht worden. Bei diesem Aufgabentyp wer- den in der Lernphase Items vorgegeben,
den Bilder unterschiedlichen Informations- von denen einige behalten (Remember-
gehalts präsentiert (z. B. kann auf einem bzw. R-Items) und andere vergessen werden
solchen Bild zugleich ein Tier und darüber sollen (Forget- bzw. F-Items). In anschlie-
hinaus ein Haushaltsgegenstand zu sehen ßenden Behaltenstests werden aber nicht nur
sein). Der Versuchsleiter deklariert einen die R-Items, sondern auch die F-Items abge-
Teil der Bildinformation während der Lern- fragt. Normalerweise zeigt sich, dass wesent-
phase als lernrelevant (zentral) und einen lich mehr R-Items als F-Items erinnert wer-
anderen Teil als irrelevant (inzidentell). In den können.
der Behaltensphase wird aber die Erinne- In der entwicklungspsychologischen Li-
rungsleistung für die zentralen wie für die teratur zum absichtlichen oder gelenkten
inzidentellen Informationsanteile geprüft. In Vergessen findet man zwei unterschiedliche
Studien mit Kindern unterschiedlichen Al- Varianten des Paradigmas. Bei der soge-
ters ließ sich nachweisen, dass die Behaltens- nannten Wortmethode wird für jedes einzel-
leistungen für die als zentral deklarierten ne Item schon während der sukzessiven
Informationen mit dem Alter zunahmen, Darbietung der Lernwörter angegeben, ob
während die Behaltensleistungen für inzi- das Wort behalten oder wieder vergessen
dentelle Informationen bis zum 12. Lebens- werden soll. Das soll in der Folge zu unter-

161
Teil I Lernen

schiedlichen Enkodierungen der R- und der gnitiver Einsicht vermittelt, die explizit auf
F-Items führen, so dass die Differenz zwi- die Nützlichkeit des Vergessens gerade in
schen der Anzahl reproduzierter R- und F- dieser konkreten Situation hinweist (vgl.
Items auf die Effizienz der selektiven Ver- Kress & Hasselhorn, 2000; Hasselhorn &
arbeitungsprozesse zurückzuführen wäre Richter, 2002).
(vgl. Basden & Basden, 1998). Diese Fähig- Zusammengefasst ergibt sich folgendes
keit zur selektiven Verarbeitung von Infor- Bild: Die Fokussierung auf relevante Infor-
mationen wurde bereits bei Kindern im Alter mation gelingt Kindern bereits vergleichs-
von ca. sieben Jahren gefunden (Hasselhorn, weise früh. Mit zunehmendem Alter nimmt
Hille & Elster, 1997). die Effizienz des selektiven Fokussierens im-
Anders verhält es sich bei der Listen- mer mehr zu. Zum Zeitpunkt der Einschu-
methode. Hier wird der Vergessensauftrag lung ist die Fertigkeit bereits recht gut aus-
erst nach der Darbietung einer längeren Liste geprägt und verändert sich bis ins Jugend-
von Items erteilt. Aber auch unter dieser alter lediglich im dafür benötigten Zeitbe-
Bedingung reproduzieren die Versuchsteil- darf: Jugendlichen gelingt die selektive
nehmer weniger F- als R-Items. Dabei wer- Fokussierung relevanter Informationen
den die F-Items und die R-Items zunächst mit schneller als jüngeren Kindern. Was sich
vergleichbarer Intensität enkodiert, da erst aber im Alter zwischen zehn und zwölf
im Anschluss an die Präsentation der Item- Jahren durchaus noch einmal qualitativ ver-
liste mitgeteilt wird, welche Items als irrele- ändert und dann bis zum 16. Lebensjahr
vant zu vergessen oder als relevant zu be- deutlich an Effizienz gewinnt, ist die Fähig-
halten sind. Die zu beobachtende Leistungs- keit, irrelevante Information auszublenden,
differenz wird dementsprechend nicht auf und zwar sowohl bei der Aufnahme von
selektives Enkodieren sondern auf eine Ab- Informationen als auch beim Abrufen vor-
rufhemmung zurückgeführt (Bjork, 1989). handenen Wissens.
Die Befunde einiger entwicklungspsycholo-
gischer Studien unter Verwendung der Lis-
tenmethode weisen darauf hin, dass bei Entwicklung des
Kindern unter neun Jahren kein »Directed Arbeitsgedächtnisses
Forgetting«-Effekt auftritt, dass also mithin
die sogenannte Abrufhemmung noch nicht Dem Arbeitsgedächtnis kommt die Aufgabe
hinreichend entwickelt ist (Harnishfeger & zu, unterschiedliche Informationen vorüber-
Pope, 1996; Lorsbach & Reimer, 1997). gehend zu speichern, simultan bereit zu
Diese Befunde bedeuten jedoch nicht halten sowie miteinander und zum bereits
zwangsläufig, dass Kinder dieses Alters vorhandenen Wissen in Beziehung zu setzen
grundsätzlich nicht in der Lage wären, irre- (䉴 Kap. 2.1). Auch das Arbeitsgedächtnis
levante Informationen zu hemmen. Zelazo unterliegt systematischen allgemeinen Ent-
und Frye (1999) vermuten nämlich, dass eine wicklungsveränderungen. Besonders augen-
Hemmungskompetenz prinzipiell zwar vor- fällig ist dies am Beispiel des alterskorrelier-
handen sei, aufgrund der noch unzureichend ten Anstiegs der Gedächtnisspanne, einem
ausgebildeten metakognitiven Strategien je- globalen Indikator der Kurzzeitgedächtnis-
doch nicht adäquat nutzbar. Tatsächlich kapazität, zu beobachten (䉴 Abb. 4.1).
konnte gezeigt werden, dass schon Schul- Legt man das mehrsystemige Modell des
anfänger zum absichtlichen Vergessen in der Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley (1986,
Lage sind, wenn man die Aufgabenstellung 2000; 䉴 Kap. 2.1) zugrunde, ist allerdings
entsprechend kindgerecht und motivierend der alterskorrelierte Leistungsanstieg in der
gestaltet und wenn man eine Art metako- Gedächtnisspanne zu unspezifisch, um ge-

162
4 Besonderheiten des Lernens

Ziffernspanne (ZS)
Wortspanne (WS)
Buchstabenspanne (BS)
Spanne

Alter
Abb. 4.1: Alterskorrelierter Anstieg der Gedächtnisspanne (Mittelwerte und Range dieser Mittelwerte)
für verschiedenes Itemmaterial in verschiedenen Studien nach Dempster (1981)

nauere Aussagen über die Entwicklung der Block-Aufgaben (z. B. Isaacs & Vargha-Kha-
Arbeitsgedächtniskapazität in den verschie- dem, 1989). Unklar ist jedoch, inwiefern
denen Teilbereichen zuzulassen. Mittlerwei- diese alterskorrelierten Leistungssteigerun-
le liegen aber etliche Analysen vor, die ein gen tatsächlich spezifische Entwicklungsver-
detaillierteres Bild von den allgemeinen Ent- änderungen in der Funktionstüchtigkeit des
wicklungsveränderungen der Teilfunktionen visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses wi-
des visuell-räumlichen und des phonologi- derspiegeln. Wilson et al. (1987) fanden
schen Arbeitsgedächtnisses geben. Empi- nämlich zugleich eine mit dem Lebensalter
risch weniger gut abgesichert ist dagegen zunehmende Beeinträchtigung der Rekon-
unser Wissen über die Entwicklungsver- struktionsleistung für visuelle Muster,
änderungen im Bereich der zentralen Exe- wenn die Kinder zwischen der Darbietung
kutive (vgl. Henry, 2012). des Materials und der Reproduktion der
Muster laut zählen mussten. Dass sich der-
Visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis. Die artige Zusatzanforderungen mit zunehmen-
Altersabhängigkeit des visuell-räumlichen dem Lebensalter in höherem Maße »stö-
Hilfssystems ist mit unterschiedlichen Auf- rend« auswirken, könnte ein Beleg dafür
gabenvarianten untersucht worden. Dabei sein, dass mit zunehmendem Lebensalter
zeigten sich ausgeprägte Leistungsverbes- die (besseren) Leistungen bei visuell-räumli-
serungen zwischen dem 5. und 12. Lebens- chen Anforderungen vermehrt durch andere
jahr für die in 䉴 Kap. 2.1 beschriebenen Komponenten des Arbeitsgedächtnisses, wie
Muster-Rekonstruktionsaufgaben (z. B. Wil- die phonologische Schleife oder die zentrale
son, Scott & Power, 1987) und für Corsi- Exekutive, mit determiniert werden.

163
Teil I Lernen

Die Unterscheidung zwischen einer eher sta- ten mit nur wenigen gemeinsamen Merkma-
tisch-visuell formatierten und einer eher dy- len (z. B. Puppe, Handschuh, Löffel), waren
namisch-räumlich geprägten Komponente sie vergleichsweise besser. Im Gegensatz
des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses dazu war die Leistung der Zehnjährigen
wird durch neuropsychologische Befunde zu durch die visuelle Ähnlichkeit der Bilder
spezifischen Gehirntraumata und die mit ih- weitgehend unbeeinflusst, wohl aber durch
nen verbundenen Gedächtnisstörungen ge- die Länge der Objektbezeichnungen (Wort-
stützt (vgl. Markowitsch, 1999). Auch ent- längeneffekt).
wicklungspsychologische Arbeiten zeigen Derartige Befunde (vgl. auch Pickering,
trotz eines durchaus parallelen alterskorre- 2001) legen nahe, dass erst achtjährige Kin-
lierten Leistungsanstiegs der Gedächtnis- der damit beginnen, visuelle Bildinformation
spannen für visuelle Muster und für räumli- auch verbal zu rekodieren, um sie dann
che Sequenzen keine bedeutsamen Kovaria- zusätzlich mit Hilfe der phonologischen
tionen der beiden Leistungsbereiche (z. B. Schleife (weiter) zu bearbeiten. Da jüngere
Pickering, Gathercole, Hall & Lloyd, 2001). Kinder noch nicht in der Lage sind, phono-
Allerdings sind die alterskorrelierten Leis- logische Codes für die visuellen Objekte
tungszunahmen für das Behalten visueller spontan zu generieren, wird ihre Behaltens-
Muster viel deutlicher ausgeprägt als die leistung noch ausschließlich durch die funk-
für das Behalten räumlicher Sequenzen (Logie tionale Kapazität des visuellen Speichers
& Pearson, 1997) – ein Indiz dafür, dass die determiniert.
räumliche Komponente vergleichsweise ge-
ringeren Altersveränderungen unterliegt. Stu- Phonologisches Arbeitsgedächtnis. Hinwei-
dien, in denen alternative Aufgabenanforde- se auf bedeutsame Altersveränderungen des
rungen, wie die Identifikation und die Relo- phonetischen Speichers konnten in frühen
kation von Bildern verwendet wurden, er- Arbeiten nicht gefunden werden (vgl. Case,
brachten sehr ähnliche Befunde. So konnte 1985). Schon sehr junge Kinder scheinen
z. B. Schumann-Hengsteler (1995) in einer nämlich den phonetischen Speicher gewinn-
Serie von Experimenten zum räumlichen Be- bringend zu nutzen, um Sprachklänge zu
halten nach dem 5. Lebensjahr keine nennens- verarbeiten. So ließ sich der Effekt der akus-
werten Altersveränderungen mehr feststellen. tischen Ähnlichkeit bereits bei 3- bis 5-jäh-
Ob neben der räumlichen Komponente rigen Kindern aufzeigen (Ford & Silber,
auch die visuelle Teilkomponente bereits im 1994; Gathercole & Adams, 1994).
frühen Kindesalter voll funktionsfähig ist, Die Diskussion darüber, ob tatsächlich
lässt sich nicht abschließend beantworten. von einer Altersinvarianz der Kapazität
Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass bei des phonetischen Speichers ab dem 4. Le-
jüngeren Kinder im Vergleich zu älteren bensjahr auszugehen sei, wurde neu belebt
beim Verarbeiten visuellen Materials sehr durch eine Studie von Hulme (1984), deren
viel mehr auf das visuelle Arbeitsgedächtnis Ergebnisse einen alterskorrelierten Anstieg
angewiesen sind. Hitch, Halliday, Schaafstal im Ausmaß des Effekts der akustischen Ähn-
und Schraagen (1988) demonstrierten dies lichkeit zwischen dem 4. und dem 10. Le-
anhand einer Aufgabe, bei der Serien von bensjahr auswiesen. Hulme selbst blieb al-
Bildern mit benennbaren Objekten zum spä- lerdings weiterhin der Auffassung, dass die
teren Reproduzieren dargeboten wurden. Kapazität des phonetischen Speichers alters-
Fünfjährige zeigten schlechtere Leistungen invariant sei. Der vermeintliche Entwick-
bei solchen Objekten, die viele gemeinsame lungseffekt sei auf alterskorrrelierte Ver-
(ähnliche) visuelle Merkmalen aufwiesen änderungen in der Geschwindigkeit des »in-
(z. B. Gabel, Kamm, Schlüssel) – bei Objek- neren Nachsprechens« (Subvocal Rehearsal)

164
4 Besonderheiten des Lernens

Definition: Effekt der akustischen Ähnlichkeit


Benutzt man bei der klassischen Gedächtnisspannen-Anforderung klangähnliche Items
(z. B. Schwan, Kran, Bahn, Zahn), so fällt die Leistung schlechter aus als bei der im
Standardverfahren üblichen Verwendung klangunähnlicher Items (z. B. Schwan, Boot,
Topf, Baum).
Diesen Effekt der akustischen Ähnlichkeit führt Baddeley (1986) auf die Funktionsweise
und auf die kapazitative Begrenztheit des phonetischen Speichers zurück. Das schlechtere
Reproduzieren klangähnlicher Items sei Folge einer Konfusion, die durch die ähnlichen
Klangcodes entstehe.

zurückzuführen. Diese Interpretation wird konstruktionsmechanismus zumindest im


zusätzlich durch eine positive Korrelation Altersbereich zwischen sieben und 13 Jahren
zwischen dem Ausmaß des Ähnlichkeits- keinen nennenswerten Altersveränderungen
effekts und der Sprechrate, einem Indikator mehr zu unterliegen scheint (Hasselhorn &
der Geschwindigkeit des inneren Nachspre- Grube, 2003).
chens, unterstützt (Hulme & Tordoff, 1989). Die alterskorrelierte Leistungszunahme
In nachfolgenden Studien konnten Hulmes der Gedächtnisspanne bis zum frühen Er-
Überlegungen aber nicht bestätigt werden. wachsenenalter lässt sich also recht gut mit
In einer Untersuchung mit 7-, 8-, 9- und 10- Verweis auf die Rehearsalkomponente der
jährigen Kindern konnten Hasselhorn, Lin- phonologischen Schleife erklären (Hassel-
gelbach und Gabert (1991) weder eine Al- horn, 1988). Man nimmt an, dass beim
tersabhängigkeit des Ähnlichkeitseffekts sofortigen seriellen Reproduzieren von Lern-
noch eine positive Korrelation zwischen material das sogenannte innere Nachspre-
dem Ähnlichkeitseffekt und der Sprechrate chen, also das Wiederholen, als unwillkür-
finden. Allerdings zeigte sich, dass im Alters- licher bzw. automatischer Prozess eine ent-
bereich zwischen sieben und 13 Jahren das scheidende Rolle spielt. Das innere (sub-
Ausmaß des Ähnlichkeitseffekts durch die vokale) Nachsprechen tritt erstmals im
Anwendung der Technik der artikulatori- Alter von sieben Jahren auf – bei Siebenjäh-
schen Unterdrückung reduziert werden rigen lässt sich auch der Wortlängeneffekt
kann (Hasselhorn & Grube, 2003). Die erstmals nachweisen (Gathercole, 1998). Bis
gesamte Befundlage passt gut zu der Annah- zum frühen Erwachsenenalter nimmt die
me, dass ein phonetischer Ähnlichkeitseffekt Geschwindigkeit des inneren Nachsprechens
vornehmlich durch Klangkonfusionen bei zu (Hasselhorn, 1988; Hulme, Thomson,
der Rekonstruktion schwächer werdender Muir & Lawrence, 1984).
Repräsentationen im phonetischen Speicher Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
zu Stande kommt. Solche Konfusionen wer- sich die Arbeitsweise des phonologischen
den bei klangähnlichen Items mit größerer Arbeitsgedächtnisses im Laufe der Entwick-
Wahrscheinlichkeit auftreten als bei klang- lung verändert. Zwar scheint die Kapazität
unähnlichen (vgl. Li, Schweickert & Gan- des phonologischen Speichers ab dem dritten
dour, 2000). Die Rekonstruktionsprozesse Lebensjahr – ungeachtet der stets vorhande-
basieren auf Wechselwirkungen zwischen nen interindividuellen Unterschiede – weit-
den in der Wissensbasis bereits verfügbaren gehend altersinvariant. Jedoch lassen sich
Repräsentationen mit den aktuellen Inhalten zwei entscheidende Entwicklungsverände-
des phonetischen Speichers, wobei der Re- rungen bezüglich der Prozesskomponente

165
Teil I Lernen

Fokus: Warum nimmt die Gedächtnisspanne mit dem Alter zu?


Bei Kindern ab dem 7. Lebensjahr scheint die Geschwindigkeit des inneren Nachsprechens
(Subvocal Rehearsal) die entscheidende Determinante der Gedächtnisspanne zu sein.
Dennoch klärt sie die alterskorrelierten Leistungsunterschiede nicht vollständig auf. Selbst
wenn der Einfluss der Geschwindigkeit des inneren Nachsprechens kontrolliert wird,
bleiben nämlich Leistungsunterschiede zwischen Kindern unterschiedlichen Alters bestehen
(Henry & Millar, 1991; Roodenrys, Hulme & Brown, 1993). Es wird vermutet, dass die
verbleibenden Unterschiede auf die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe der zentral-
exekutiven Funktionen zurückzuführen sind.

des inneren Nachsprechens identifizieren. Aktivierungskapazität des Systems spre-


Die Geschwindigkeit dieses Nachsprechens chen. Überschreitet eine Aufgabenanforde-
und damit die Effizienz des gesamten pho- rung die individuell verfügbare Aktivie-
nologischen Arbeitsgedächtnisses nimmt bis rungskapazität einer Person, so kommt es
ins 16. Lebensjahr hinein kontinuierlich zu. zu einem »trade-off« zwischen der mentalen
Es ändert sich aber nicht nur die Geschwin- Repräsentation der Aufgabenanforderung
digkeit, sondern auch die Leichtigkeit, mit und ihrer (danach noch möglichen) Bearbei-
der dieser Prozess aktiviert wird. Ist der tung: Wird nämlich zu viel Speicherkapazi-
Automatisierungsgrad des inneren Nach- tät benötigt, um allein die Aufgabenanfor-
sprechens noch unzureichend, kommt es derung zu repräsentieren, so bleibt zu wenig
zu Schwierigkeiten in der Enkodierphase. Aktivierungskapazität für die notwendige
Das rührt daher, dass nicht immer alle In- Verarbeitung der Informationen, also die
formation (simultan) präsent sind, die benö- eigentliche Aufgabenlösung, übrig.
tigt werden, um eine gestellte Aufgabe an- Typische Aufgabenbeispiele für komplexe
gemessen repräsentieren und lösen zu kön- Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis,
nen. Erst mit dem 6. Lebensjahr kommt es die auf die Kapazität der zentralen Aktivie-
bei den meisten Kindern zum automatisier- rung zielen sollen, sind die »Satzspanne«
ten inneren Nachsprechen. und das »Ziffernnachsprechen rückwärts«
(siehe dazu ausführlicher 䉴 Kap. 2.1). Bei
Zentrale Exekutive. Dem übergeordneten beiden Aufgabentypen müssen Informatio-
Teilsystem des Arbeitsgedächtnisses werden nen nicht nur kurzfristig gespeichert, son-
alle (höheren) Prozesse der Planung, Regu- dern darüber hinaus auch noch transfor-
lation und Kontrolle der Informationsver- miert werden. Es ist nicht erstaunlich, dass
arbeitung zugeordnet. Um die Funktions- die Leistungen bei solch komplexen Prüf-
tüchtigkeit der zentralen Exekutive empi- aufgaben bis ins junge Erwachsenenalter
risch zu untersuchen, wurden vornehmlich hinein kontinuierlich besser werden (vgl.
solche Aufgabenanforderungen verwendet, Siegel, 1994). Morra (1994) ließ in einer
die das Gesamtsystem an seine kapazitativen Stichprobe von Kindern komplexe und ein-
Grenzen führen. Das sind beispielsweise fache Aufgaben zur Erfassung der Gedächt-
Aufgaben, die eine Koordination unter- nisspanne bearbeiten, darunter z. B. das Zif-
schiedlicher kognitiver Anforderungen zur fernnachsprechen vorwärts und rückwärts.
gleichen Zeit erfordern (Doppelaufgaben). Dabei erwies sich die Variabilität der kom-
Just und Carpenter (1992) greifen diesen plexeren Maße als relativ unabhängig von
Gedanken auf, indem sie von der maximalen der Variabilität der einfachen Maße – ein

166
4 Besonderheiten des Lernens

weiteres Argument für die Trennung zwi- nehmlich handlungs- oder bewegungsbasier-
schen einer phonologischen und einer zen- te). Diese würde zunächst durch eine bild-
tralen Aktivierungskapazität auf der Mo- hafte, später durch eine sprachlich-symboli-
dellebene. Wenig weiß man allerdings der- sche Repräsentationsform abgelöst. Die An-
zeit darüber, welche Funktionen der zentra- nahme, dass im Laufe der individuellen
len Exekutive sich wann und wie im Denkentwicklung unterschiedliche Formen
Entwicklungsverlauf verändern. Sicher ist der Wissensrepräsentation sukzessive erwor-
nur, dass sich die Funktionstüchtigkeit der ben würden, hat sich jedoch als nicht haltbar
zentralen Prozesse insgesamt mit zunehmen- erwiesen. Vielmehr zeigte sich, dass von
dem Alter verbessert. früher Kindheit an verschiedene Repräsen-
tationsformen zur gleichen Zeit nebeneinan-
der existieren können (vgl. Krist & Wilke-
Entwicklung des Vorwissens ning, 1991; Sodian, 2002).
Die Tatsache, dass das verfügbare Vor-
So bedeutsam das Ausmaß und die Qualität wissen – wenn es bereichsbezogen ist – das
des inhaltsbezogenen Vorwissens für den weitere Lernen günstig beeinflusst, legt die
Lernerfolg auch sind (䉴 Kap. 2.2), so wenig Frage nahe, ob sich an der Natur dieses
ergiebig erweist sich diese individuelle Lern- Einflusses im Laufe der Entwicklung etwas
voraussetzung dann, wenn man nach quali- ändert. Wäre dies der Fall, dann sollten sich
tativen Veränderungen im allgemeinen Ent- in jenen experimentellen Studien, in denen
wicklungsverlauf sucht. Natürlich wächst das Lebensalter und das bereichsbezogene
mit zunehmendem Lebensalter der individu- Vorwissen unabhängig voneinander variiert
elle Wissensbestand. In Netzwerkmodellen werden, entsprechende statistische Interakti-
menschlichen Wissens werden solche Ver- onseffekte zeigen. Mittlerweile liegen einige
änderungen als eine Zunahme von Knoten solcher Studien vor, in denen Lernende tat-
und Relationen beschreiben. Das Wissens- sächlich vom frühen Grundschulalter bis ins
netz des erfahrenen Lernenden wird immer junge Erwachsenenalter untersucht wurden
dichter und es steigt die Wahrscheinlichkeit, (z. B. Schneider et al., 1993; Schneider,
dass die Aktivierung eines spezifischen Kno- 2008). Sie haben durchwegs keine Interakti-
tens den Zugriff auf benachbarte Knoten on der beiden Faktoren gezeigt, was dafür
erleichtert. Aber liegt dieser alterskorrelier- spricht, dass der Einfluss des Vorwissens auf
ten Wissenszunahme eine eigene Entwick- das Lernen und Behalten altersunabhängig
lungssystematik zugrunde, oder handelt es von großer Bedeutung ist (zum Einfluss des
sich dabei lediglich um das (triviale) Resultat Vorwissens auf das Lernen im höheren Er-
der im Laufe der Zeit kumulierenden Lern- wachsenenalter 䉴 Kap. 4.4).
erfahrungen?
In der Mitte des 20. Jahrhunderts war
man in der Entwicklungspsychologie davon Entwicklung von Lernstrategien
überzeugt, dass die Repräsentationsformen und deren metakognitiver
des Wissens im Laufe der Kindheit fun- Regulation
damentalen qualitativen Veränderungen un-
terliegen. Bruner, Olver und Greenfield In 䉴 Kap. 2.3 haben wir bereits die Sequenz
(1966) postulierten etwa, dass es drei ver- der typischen Phasen beim Erwerb einer
schiedene Formen der Wissensrepräsentati- kognitiven oder metakognitiven Strategie
on gebe, die im Verlauf der Ontogenese beschrieben. Solange der Lernende nicht
nacheinander erworben würden. Die zuerst über die notwendigen kognitiven Voraus-
verfügbare Ebene sei eine enaktive (vor- setzungen zum Ausführen einer Strategie

167
Teil I Lernen

(z. B. des semantischen Kategorisierens) ver- duktionsdefizite beeinträchtigen das selb-


fügt, spricht man von einem Mediations- ständige Lernen.
defizit. Aber selbst dann, wenn sich die Je nach Art der Strategie und je nach
erforderlichen kognitiven Voraussetzungen Übungsintensität wird ein Produktionsdefi-
bereits herausgebildet haben, findet man zit früher oder später überwunden. Die Ler-
typischerweise eine weitere Phase, in der nenden sind dann in der Lage, von sich aus
die Lernenden die in Frage stehende Strategie und spontan eine bestimmte Strategie her-
noch nicht spontan einsetzen – das ist die vorzubringen (ob sie es tatsächlich tun,
Phase des Produktionsdefizits. hängt von weiteren, in 䉴 Kap. 2 bereits an-
gesprochenen Bedingungen erfolgreichen
Lernens ab). Aber auch in der Phase des
Studie: Mediations- und
bereits überwundenen Produktionsdefizits
Produktionsdefizit
ist häufig noch ein weiteres Defizit zu be-
Eine Studie von Moely et al. (1969) illus- obachten: Die fragliche Strategie wird zwar
triert den Unterschied zwischen einem selbständig hervorgebracht, sie bleibt aber
Mediations- und einem Produktionsdefi- ineffizient (Nutzungsdefizit). Das lernende
zit. Die Autoren forderten Erst-, Dritt- Kind kennt die Strategie und kann sie auch
und Fünftklässler auf, sich eine Anzahl zur Ausführung bringen. Es wird aber zur
kategorial organisierbarer Bilder ein- angemessenen Ausführung der Strategie so
zuprägen. Die Bilder wurden zusammen viel der verfügbaren Kapazität des Arbeits-
mit dem Hinweis vorgelegt, man könne gedächtnisses verbraucht, dass die Lernleis-
sie beliebig »verschieben« oder sonst et- tung letztendlich deutlich hinter den Erwar-
was mit ihnen tun, was das Lernen und tungen zurück bleibt. Erst wenn auch dieses
Behalten erleichtern könnte. Es zeigte Nutzungsdefizit überwunden ist, kommt es
sich, dass nur die Fünftklässler die Bilder zur wirklich kompetenten Strategienutzung.
spontan nach Kategorien ordneten und Das mit dem Nutzungsdefizit umschrie-
anschließend auch überzufällig oft geord- bene Phänomen wirft die Frage auf, warum
net reproduzierten. Die Drittklässler Kinder überhaupt Strategien hervorbringen,
konnten das auch – aber nur auf Anwei- die zunächst einmal gar nicht leistungsdien-
sung. Wies der Versuchsleiter auf die lich sind (䉴 Kap. 2.3). Eine so innovative wie
vorhandenen Kategorien hin, so setzten naheliegende Antwort hat Siegler (1996)
sie eine Kategorisierungsstrategie ein. gegeben: Kinder müssen im Laufe ihrer
Spontan nutzten sie die Strategie aber kognitiven Entwicklung notwendigerweise
nicht. Den Erstklässlern half auch der eine Vielzahl von Strategien erfinden und
Hinweis auf die unterschiedlichen Kate- ausprobieren, um die vielfältigen Lern- und
gorien nicht weiter. Bei den Drittklässlern Behaltensanforderungen überhaupt bewäl-
ist demnach ein Produktions-, bei den tigen zu können (multipler Strategie-
Erstklässlern ein Mediationsdefizit zu be- gebrauch). Je nach Art der Anforderung
obachten. und je nach Lernziel werden bestimmte (in
der Vergangenheit erfolgreiche) Strategien
mit der Zeit häufiger verwendet, während
Schulkinder zeigen häufig Produktionsdefi- andere, die sich als weniger effektiv erwiesen
zite. Das heißt, obwohl sie durch systemati- haben, seltener benutzt werden. Diese evo-
sche Anleitung dazu gebracht werden kön- lutionäre Sichtweise impliziert, dass die Ent-
nen, angemessene Lern- und Problemlöse- wicklung kognitiver Strategien eben nicht als
strategien einzusetzen, produzieren sie diese stufenweise Ablösung der weniger angemes-
nicht spontan und von sich aus. Diese Pro- senen Strategien durch zunehmend verfei-

168
4 Besonderheiten des Lernens

nerte und effizientere Strategien aufzufassen vorzugte Strategie gezielter zu nutzen. Sie
ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass lernen aber auch, dass es sinnvoll ist, weitere
Strategien in einer Art Nutzungswettstreit Strategien im Verhaltensrepertoire zu haben
miteinander liegen. Kinder lernen, eine be- (䉴 Abb. 4.2).

Strategie 1
Strategie 4

Strategie 5
Strategie 2
Nutzungsintensität

Abb. 4.2:
Das Modell der überlappen-
den Nutzung multipler Strategie 3
Strategien im Entwicklungs-
verlauf nach Siegler (1996) Alter

Die Nutzungshäufigkeit von Strategien än- selhorn (1996) formulierten Strategie-Emer-


dert sich mit dem Lebensalter. So kann es im genz-Theorie ein Ansatz vor, der die
Laufe der Entwicklung einer Strategie dazu Entwicklungsänderungen zwischen dem 8.
kommen, dass es zu einem bestimmten Zeit- und dem 10. Lebensjahr erklärt. Basis dieses
punkt einen Nutzungshöhepunkt gibt und Erklärungsansatzes ist die Emergenz der
die Nutzung danach wieder abnimmt. Es strategischen Wissensaktivierung um das
kommt auch vor, dass Strategien zu einem 10. Lebensjahr herum. Zwar sind schon
späteren Zeitpunkt eine neuerliche Renais- Kleinkinder in der Lage, kategorial zu orga-
sance erfahren, wenn nämlich eine »alte« nisieren, diese Art des Organisierens voll-
Strategie in neuen Kontexten wieder als hilf- zieht sich jedoch weder absichtlich noch
reich erlebt wird. Eine Folge davon ist, dass zielgerichtet, sondern ist eher die Folge einer
wir auf jeder Altersstufe vielfältige Strategien automatischen Aktivationsausbreitung in-
beobachten können. nerhalb des semantischen Netzes einer Wis-
Vor allem beim erstmaligen Entdecken sensbasis. Mit zunehmendem Alter wird das
bzw. Herausbilden von Strategien (Strate- semantische Netz immer umfangreicher und
gie-Emergenz) spielt das metakognitive Wis- strukturierter. Als Folge davon nimmt die
sen über die Nützlichkeit einer Strategie eine Tendenz zum kategorialen Organisieren ste-
entscheidende Rolle. Für den seit den 1970er tig zu – allein in Folge der automatischen
Jahren vielleicht am ausführlichsten unter- Aktivationsausbreitungen. Zu qualitativen
suchten Bereich der Entwicklung lernerleich- Veränderungen beim Enkodieren und Abru-
ternder Strukturierungsstrategien, das kate- fen von Informationen kommt es dann im
goriale Organisieren, liegt mit der von Has- 10. Lebensjahr. Sie sind die Folge einer

169
Teil I Lernen

beschleunigten Entwicklung des erfahrungs- kategorialer Organisationsmöglichkeiten er-


basierten Wissens über die Organisations- kennt, desto eher wird es Organisationsstra-
strategien selbst (Metagedächtnis). Dieses tegien selbst einsetzen und je mehr es diese
metastrategische Wissen entsteht aufgrund einsetzt, desto elaborierter wird das entspre-
einer zunehmend »abstrahierenden Reflexi- chende metakognitive Wissen ausgebildet.
on« der (bislang) automatischen Kategori- Man spricht hier von einem bidirektionalen
sierungsvorgänge und aus der Erkenntnis, Entwicklungszusammenhang im Sinne einer
dass die kategorialen Organisationsprin- Rückkopplung zwischen Strategieprodukti-
zipien hilfreich sein können für das Enko- on und Metagedächtnis (vgl. dazu auch
dieren und Abrufen von Informationen. Je Schneider & Büttner, 2002).
eindrücklicher ein Kind die Nützlichkeit

Studie: Altersveränderungen in den Rehearsal-Aktivitäten


Zu den am besten untersuchten Gedächtnisstrategien bei Kindern gehören die unterschied-
lichen Wiederholstrategien, die sog. Rehearsal-Aktivitäten. Gibt man Kindern eine Liste
von Wörtern seriell vor und fordert sie auf, nicht leise für sich, sondern laut sprechend zu
lernen, so lassen sich mit zunehmendem Alter systematische Veränderungen feststellen.
Jüngere Kinder zeigen oft passive Varianten von Wiederholstrategien, wie das einfache
Benennen einzelner Wörter oder Objekte (Labeling), indem sie nach jeder Präsentation
eines Wortes dieses Wort zunächst einmal nur wiederholen – nichts weiter. Nach der
Präsentation des nächstfolgenden Wortes wiederholen sie das nun präsentierte Wort. Um
eine andere passive Form von Rehearsal handelt es sich beim mehrfachen Wiederholen
desselben Wortes. Diese Strategie wird als Singuläres Rehearsal bezeichnet. Hier wiederholt
ein Kind das ihm vorgegebene Wort mehrfach (z. B. »Tulpe, Tulpe, Tulpe, . . ., Tulpe«) bis ein
weiteres Wort präsentiert wird. Von diesen beiden passiven Varianten einer Wiederhol-
strategie lässt sich das Kumulative Rehearsal abgrenzen, bei dem verschiedene Wörter
(mindestens zwei) aktiv gemeinsam in einer funktionalen Wiederholungseinheit (Rehearsal-
Sets) memoriert werden.
In einer Längsschnittstudie wurden Kinder ab dem Ende der 2. Klasse im Halbjahres-
abstand fünf Mal im Hinblick auf ihre Rehearsalstrategien untersucht (Lehmann &
Hasselhorn, 2007, 2010). Dabei zeigte sich eine große Variabilität des Lernverhaltens
selbst während eines Erhebungszeitpunktes. Mehr als die Hälfte der untersuchten Kinder
verwendete zwei bis vier qualitativ unterschiedliche Strategien. Die auffälligste Verände-
rung im Strategiegebrauch war ein allmählicher Übergang von den einfachen Labeling- zu
den kumulativen Rehearsalstrategien. Dieser allmähliche Wechsel war nicht nur im Zeit-
verlauf vom 8. bis zum 10. Lebensjahr zu beobachten, sondern auch in den individuellen
Lernverläufen innerhalb eines Erhebungszeitpunktes. Die Kinder waren aber auch in der
Lage, während eines Lerndurchgangs zwischen den Strategien zu wechseln. Wenn sie zu
Beginn einer Itemliste mit kumulativem Rehearsal begonnen hatten und die Anzahl der
präsentierten Wörter zu umfangreich wurde, griffen sei meist wieder auf die einfachere
Labeling-Strategie zurück.

170
4 Besonderheiten des Lernens

Auch bei den exekutiven Metakognitionen, und Selbstregulation immer besser funktio-
also den Prozessen der Selbstregulation und niert. Passend zu der oben beschriebenen
der Selbstkontrolle, sind Alterstrends zu be- Strategie-Emergenz-Theorie scheint also
obachten. Dies lässt sich gut bei Lernan- auch die Fähigkeit zur metakognitiven Re-
forderungen feststellen, die eine eigenverant- gulation des strategischen Lernverhaltens
wortliche Allokation von Lernzeiten erfor- nach dem 9. Lebensjahr besondere Fort-
dern. Im Vordergrund des Interesses steht schritte zu machen.
dabei die Frage, inwieweit die Lernenden
ihren eigenen Lernfortschritt während des
Lernens kontrollieren, um ihr Lernverhalten Entwicklung motivationaler
möglichst effizient zu gestalten. Lernvoraussetzungen

In 䉴 Kap. 2.4 wurden die motivationalen


Studie: Lernzeitallokation
Voraussetzungen erfolgreichen Lernens skiz-
Dufresne und Kobasigawa (1989) ließen ziert. Dabei wurde herausgearbeitet, dass
Acht- bis Zwölfjährige eine Liste von die Qualität des individuellen Lern- und
Wortpaaren auswendig lernen. Die Hälf- Leistungsmotivsystems zu den wichtigsten
te der Wortpaare bestand aus assoziativ motivationalen Voraussetzungen erfolgrei-
stark miteinander verknüpften Begriffen, chen Lernens gehört. Dieses Lern- und Leis-
die leicht einzuprägen waren (z. B. Tiger – tungsmotivsystem wurde aus drei Perspek-
Löwe). Die andere Hälfte bestand aus tiven charakterisiert: der Erfolgsorientie-
unzusammenhängenden Begriffen (z. B. rung bzw. Misserfolgsängstlichkeit, des da-
Auto – Käse). Die Kinder sollten die mit eng verknüpften Attributionsstils und
Wortpaare solange lernen, bis sie sicher des Selbstkonzepts eigener Kompetenzen.
waren, sie perfekt wiedergeben zu kön- Aus der hier eingenommenen Entwick-
nen. Sie konnten die Lernzeit für jedes lungsperspektive ist zunächst festzuhalten,
Wortpaar frei bestimmen. dass das in 䉴 Kap. 2.4 skizzierte Bild der
Während die Sechsjährigen ungeachtet individuell relativ stabilen Lern- und Leis-
der unterschiedlichen Schwierigkeiten der tungsmotive erst im Jugendalter anzutreffen
Behaltensanforderungen für alle Wort- ist. Der Weg dorthin führt über eine Reihe
paare ungefähr gleich viel Lernzeit inves- von Etappen. Auf jeder dieser Etappen
tierten, verschob sich mit zunehmendem kommt es zu Weichenstellungen, die eher
Alter der relative Zeitaufwand immer in Richtung auf eine Erfolgsorientierung
mehr zu Gunsten der schwierigeren Item- oder auf eine Misserfolgsängstlichkeit wei-
paare. Die Zwölfjährigen wendeten sen. Noch stärker als bei den kognitiven
durchschnittlich mehr als doppelt so Voraussetzungen erfolgreichen Lernens wer-
viel Zeit für die schwierigeren im Ver- den diese Weichenstellungen durch Erfah-
gleich zu den leichteren Wortpaaren auf. rungen im sozialen Kontext mitbestimmt.

Genese des Leistungsmotivs. Holodynski


Das von Dufresne und Kobasigawa (1989) und Oerter (2008) haben die seit Anfang
berichtete Befundmuster einer adaptiven der 1960er Jahre zahlreich vorgelegten em-
Lernzeitallokation konnte mehrfach repli- pirischen Analysen zur Entwicklung der Leis-
ziert werden (z. B. Lockl & Schneider, 2002, tungsmotivation zusammengetragen und da-
2003). Es legt den Schluss nahe, dass mit raus eine acht Teiletappen umfassende Ent-
zunehmendem Alter das Zusammenspiel wicklungssequenz bis zum frühen Jugend-
zwischen Prozessen der Lernüberwachung alter abgeleitet. Kinder müssen diese Etappen

171
Teil I Lernen

durchlaufen, bevor sich ein überdauerndes Erfolgs- und Misserfolgsattributionen in


Lern- und Leistungsmotivsystem in je indi- entscheidender Weise gebahnt.
vidueller Ausprägung stabilisiert hat:
Studie: Glück oder Anstrengung?
● Sichtbare Freude über absichtlich herbei-
geführte Effekte (im ersten Lebensjahr) Nicholls und Miller (1985) ließen Kinder
● Alles »selber machen wollen« (im zweiten unterschiedlichen Alters zwei Varianten
und dritten Lebensjahr) einer Aufmerksamkeitsaufgabe bearbei-
● Verknüpfung von Handlungsergebnissen ten. Die eine Variante konnte durch An-
mit der eigenen Tüchtigkeit; dies gefolgt strengung und durch Geschicklichkeit
von erfolgsabhängigen Emotionen wie gelöst werden, die andere nur durch Zu-
Stolz über Gelungenes und Beschämung fall, d. h. mit Glück. Die Fünfjährigen
bei Misserfolg (etwa ab dreieinhalb Jah- glaubten, dass nur das Ausmaß an An-
ren) strengung über das erfolgreiche Lösen
● Unterscheidung zwischen Tüchtigkeit beider Aufgaben entscheide. Ältere
und Aufgabenschwierigkeit (ab etwa Grundschulkinder konnten zwar zwi-
fünf Jahren) schen den Konzepten »Anstrengung«
● Setzung von Anspruchsniveau und ersten und »Glück« unterscheiden, glaubten
individuellen Zielen (mit etwa viereinhalb aber immer noch, auch die Zufallsauf-
Jahren über die Einschätzung des eigenen gabe ließe sich durch vermehrte Anstren-
Könnens anhand einer individuellen Be- gung besser lösen. Erst die Zwölfjährigen
zugsnorm, später, mit etwa acht Jahren, realisierten, dass die eigene Anstrengung
anhand des sozialen Vergleichs mit ande- die Lösungswahrscheinlichkeit der Zu-
ren) fallsaufgabe nicht beeinflusste.
● Wahrnehmung von Anstrengung als Ur-
sache eigener Leistung (ab dem sechsten
Lebensjahr) Ausdifferenzierung von Ursachenzuschrei-
● Wahrnehmung von Fähigkeit als Ursache bungen. In ihren Studien zur Entstehung
eigener Leistung (etwa ab dem 11. Le- von Kontrollüberzeugungen bei Kindern –
bensjahr) solche Überzeugungen sind Teil des lern- und
● Unterscheidung, ob eine Leistung nur leistungsrelevanten Selbstkonzepts einer Per-
durch Glück oder Zufall oder aber durch son – hat sich Ellen Skinner (1995) mit den
eigene Anstrengung zustande kam (etwa Ursachenzuschreibungen für gute Lernleis-
ab dem 12. Lebensjahr) tungen beschäftigt. Sie befragte Kinder im
Alter zwischen sieben und 12 Jahren nach
Anhand der von Holodynski und Oerter ihrer Meinung, wie denn gute Leistungen in
(2008) skizzierten Sequenz der Leistungs- der Schule zustande kämen. Die Antworten
motivgenese wird deutlich, wie komplex klassifizierte sie nach den von Weiner (1979)
und langwierig die Genese eines sich selbst vorgeschlagenen vier Grundvarianten der
stabilisierenden Systems von Anspruchs- Ursachenzuschreibung in Leistungssituatio-
niveausetzung, Ursachenzuschreibung und nen: Anstrengung (internal-variabel), Fähig-
Selbstbewertung verläuft. Besonders für keit (internal-stabil), Aufgabenschwierigkeit
die entscheidende Zeit vor dem 12. Lebens- (external-stabil) und Zufall (external-varia-
jahr wird den notwendigen Bausteinen des bel). Außerdem fügte sie eine fünfte Kategorie
Lern- und Leistungsmotivsystems häufig zu für die von Kindern häufig gegebene Antwort
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei »weiß nicht« hinzu. Die faktorenanalytische
wird dort die spätere Verfügbarkeit von Auswertung ergab ein interessantes Muster

172
4 Besonderheiten des Lernens

alterskorrelierter Veränderungen. Die Ant- fragt, wer denn der Beste in der Klasse sei,
worten der Sieben- und Achtjährigen ließen dann nennen sich fast alle Kinder auch
sich im Wesentlichen durch zwei Faktoren selbst, wenn sie die Leistungsstärksten auf-
zusammenfassen, nämlich durch »weiß listen (z. B. Nicholls, 1979). Dieser natürli-
nicht« und durch einen undifferenzierten che (aber unrealistische) Überoptimismus
gemeinsamen Generalfaktor der vier von erfüllt eine ganz wichtige Funktion – er
Weiner (1979) vorgeschlagenen Grundvari- vermittelt die Überzeugung, dass sich mit
anten. Bei den Antworten der Neun- und Anstrengung alles erreichen lässt. Es gibt
Zehnjährigen differenzierten sich die Grund- praktisch nichts, was ein anderer kann,
varianten bereits nach externalen und inter- was man nicht auch könnte, wenn man
nalen Ursachen auf, so dass insgesamt drei sich nur genügend anstrengen würde. Viele
Faktoren (einschließlich »weiß nicht«) resul- Kinder ahnen schon früh, dass das nicht
tierten. Eine weitere Binnendifferenzierung ganz stimmen wird, sie wollen es aber weiter
der internalen Ursachen zeigte sich erst in glauben. Diese selbstwertschützende Grund-
den Antwortmustern der elf- bis zwölfjäh- überzeugung führt jedenfalls dazu, dass bei
rigen Kinder. Dort wurde bei den internalen Schulanfängern die eigenen Fähigkeiten in
Ursachen zusätzlich zwischen »Anstren- der Regel übermäßig optimistisch einge-
gung« und »Fähigkeit« unterschieden. schätzt werden. Das überoptimistische und
Die Ergebnisse dieser Untersuchung legen unrealistische Wunschdenken macht erst mit
den Schluss nahe, dass eine differenzierte etwa acht Jahren einer realistischeren Selbst-
Repräsentation von Anstrengung und Fähig- einschätzung Platz. Dass die Kinder ihren
keit erst zu Beginn der Sekundarstufe verfüg- Optimismus verlieren, macht sich übrigens
bar ist. Wie in 䉴 Kap. 2.4 ausgeführt wurde, auch in einem Rückgang der allgemeinen
ist es aber genau diese Unterscheidung, der Lernfreude bemerkbar (Helmke, 1993).
eine besondere Bedeutung zukommt. Sie er- Eng verknüpft mit dem frühkindlichen
laubt es nämlich, auch einen erlebten Miss- Überoptimismus ist auch der Entwicklungs-
erfolg selbstwertdienlich zu verarbeiten. Zur verlauf von Kompetenzüberzeugungen. So
Erinnerung: Die weniger vorteilhafte Attri- ist im Altersbereich zwischen vier und sechs
bution »mangelnde Fähigkeit« führt zu einer Jahren überhaupt noch kein Konzept eigener
Begünstigung von Misserfolgsängstlichkeit Fähigkeiten feststellbar. Das erkennt man
und kann ein Vermeidungsverhalten zur Fol- zum Beispiel daran, dass (negative) Hand-
ge haben. Die vorteilhaftere Attribution lungsergebnisse kaum einen Einfluss darauf
»mangelnde Anstrengung« kann dagegen haben, welche Prognose die Kinder für den
die künftige Anstrengungsbereitschaft stei- wahrscheinlichen Handlungsausgang bei ei-
gern. Zeitstabile und situationsübergreifende ner erneuten Bearbeitung des gleichen Pro-
Motivstrukturen, die sich auf diesem Kon- blems abgeben (vgl. Dweck, 2002). Die
tinuum zwischen den Polen »Erfolgszuver- Fünfjährige, die gerade ein Fahrrad ge-
sicht« und »Misserfolgsängstlichkeit« ein- schenkt bekommen hat und beim Versuch,
ordnen lassen, sind in der Regel erst bei ohne Hilfen und Stützräder damit zu fahren,
Schülerinnen und Schülern nach dem Ende schon 20-mal gescheitert ist, wird auch den
der Primarschulzeit zu beobachten. 21. Versuch mit der Überzeugung angehen:
»Diesmal schaffe ich es!«
Schutzmechanismen der Leistungsmotivge- Bis in das 7. Lebensjahr hinein scheinen
nese. Auf dem Weg zu einem relativ zeit- auch soziale Vergleiche mit anderen Kindern
stabilen Motivsystem gibt es eine Reihe von kaum von Interesse und schon gar nicht
Schutzmechanismen, es gibt aber auch Risi- bedeutsam für die Beurteilung der eigenen
ken. Wenn man Kinder nach Schuleintritt Kompetenzen. Dies ändert sich erst langsam.

173
Teil I Lernen

Bei Achtjährigen sind die ersten bereichs- Ist der natürliche und selbstwertdienliche
spezifischen Fähigkeits(selbst)konzepte zu Schutz des Überoptimismus abhanden ge-
beobachten. Sie werden vornehmlich aus kommen, so ist der Lernende in seiner Lern-
den Erfahrungen eigener Handlungsergeb- und Leistungsmotivgenese angewiesen auf
nisse gespeist, zunehmend aber auch durch die protektiven Mechanismen in seiner Lern-
soziale Vergleiche (Dweck, 2002). Die Folge umgebung. Die Fähigkeit zum Auslösen sol-
davon ist, dass die noch zu Schulbeginn cher Mechanismen sollte im Verhaltens-
übermäßig optimistischen Selbsteinschät- repertoire eines Lehrers vorhanden sein.
zungen mehr und mehr realistischeren Ein- Rheinberg, Schmalt und Wasser (1978) wie-
schätzungen weichen. Dementsprechend ist sen erstmals darauf hin, dass bei der Bewer-
auch für die schulbezogenen Fähigkeits- tung und Rückmeldung von Lernergebnis-
selbstkonzepte der Kinder mit zunehmen- sen die Orientierung an einer individuellen
dem Alter mit rückläufigen Ausprägungen Bezugsnorm von Vorteil für die weitere Leis-
zu rechnen (van Aken, Helmke & Schneider, tungsmotivgenese ist. Rückmeldungen an
1997). den Lernenden, bei denen nicht der soziale
Vergleich mit den Mitschülern und auch
nicht der kriteriale Vergleich zu den ange-
Fokus: Geschlechterunterschiede
strebten Leistungsstandards als Maßstab
Schaut man sich Leistungsselbsteinschät- (Bezugsnorm) herangezogen werden, son-
zungen von Kindern in den ersten beiden dern vielmehr der vom Lernenden bislang
Klassenstufen etwas genauer an, indem (ipsativ) erreichte Lern- und Leistungsstand,
man etwa fragt: »Wer sind die Besten in haben günstige Auswirkungen auf die wei-
deiner Klasse?« oder »Was glaubst du, tere Motivgenese und auf die künftige Lern-
wie gut wirst du bei der folgenden Auf- geschichte (vgl. auch Trudewind & Kohne,
gabe abschneiden?«, dann stellt man häu- 1982). Insbesondere führen sie zu:
fig folgendes fest: Mit dem Überoptimis-
mus ist es bei den Mädchen etwa ein ● realistischeren Zielsetzungen,
halbes Jahr früher vorbei als bei den ● günstigeren Ursachenzuschreibungen und
Jungen. Vermutlich basiert diese Diskre- Selbstbewertungen,
panz auf einer generellen Akzeleration ● angemesseneren Begabungsselbstkonzep-
der Mädchen im kognitiven Bereich. ten und Kontrollüberzeugungen und
Zu Recht mag man sich jedoch fragen, ● einer größeren Anstrengungsbereitschaft.
ob der vermeintliche (kognitive) Entwick-
lungsvorteil den Mädchen nicht letztlich Aber nicht nur eine individuelle Bezugsnorm
zum (motivationalen) Nachteil gerät. So- bei der Bewertung von Lernergebnissen
lange ein Junge – gerechtfertigt oder nicht wirkt sich günstig auf die Genese des Lern-
– davon überzeugt ist, durch bloße An- und Leistungsmotivsystems aus, sondern die
strengung alles erreichen zu können, so Gesamtheit des instruktionalen Verhaltens-
lange wird er auch schwierige Anforde- musters eines Lehrers. Dies bestätigen die
rungen selbstbewusst und zuversichtlich Befunde einer Längsschnittuntersuchung
angehen und eher bereit sein, ein hohes von Skinner, Zimmer-Gembeck und Connell
Maß an Anstrengung zu investieren – und (1998). Die Autorinnen suchten nach den
damit für eine günstigere Lernvorausset- Determinanten und den Folgewirkungen
zung sorgen. von Kontrollüberzeugungen in einer Stich-
probe von 1600 Schülerinnen und Schülern
der 3. bis 7. Klasse. Kinder, die ihre Lehrer
als warmherzig, zuverlässig und in ihrem

174
4 Besonderheiten des Lernens

Verhalten als vorhersagbar beschrieben, ent- nach Erfolgen. Das führt zu einem dysfunk-
wickelten ein besonders positives Muster tionalen Risikomechanismus besonderer Art,
eigener Kontrollüberzeugungen. Die positi- der mittelfristig zur Stabilisierung eines un-
ven Kontrollüberzeugungen gingen einher günstigen Leistungsmotivsystems beiträgt:
mit einer aktiveren Unterrichtsbeteiligung Kinder mit übermäßig vielen Misserfolgs-
und mit besseren Schulleistungen. erfahrungen sind in der Folge von ihren
Fähigkeiten und Kompetenzen nur noch we-
Risikomechanismen der Leistungsmotivge- nig überzeugt. Sie verbinden dies mit der
nese. Die Ergebnisse der Studie von Skinner Auffassung »Anstrengung lohnt sich nicht,
et al. (1998) machen aber auch deutlich, dass ich kann es ja doch nicht!« Die verheerende
das von Lernenden wahrgenommene Lehr- Folge solcher Überzeugungen besteht darin,
verhalten im ungünstigen Fall zu einem Ri- dass die Lernenden auf ihre durchaus verfüg-
sikofaktor der eigenen Leistungsmotivgene- baren kognitiven Ressourcen gar nicht mehr
se werden kann. Kinder, die ihre Lehrer als zurückgreifen. Vor allem neigen sie dazu, die
wenig unterstützend erlebten, neigten dazu, aufwendige Nutzung und metakognitive Re-
eigene Erfolge eher external zu attribuieren. gulation von Lernstrategien nahezu ein-
Dies setzt mit der Zeit eine Abwärtsspirale in zustellen (Pintrich & Zusho, 2002), was in
Gang, die durch eine wachsende Schulver- der Folge tatsächlich schlechtere Lernleistun-
drossenheit und durch zunehmend schlech- gen nach sich zieht. Das Scheitern wird als
tere Leistungen charakterisiert sein kann. Misserfolg erlebt – die »beste« Voraus-
Das erlebte Leistungsversagen wiederum setzung für die Stabilisierung eines miss-
nährt den Zweifel an den eigenen Fähig- erfolgsängstlichen Leistungsmotivs.
keiten. Die Autorinnen interpretieren diese
komplexen Zusammenhänge als Ausdruck
eines sich selbst verstärkenden Rückkopp- Entwicklung volitionaler
lungssystems, bei dem die (tatsächlich) Lernvoraussetzungen
schlechter werdenden Leistungen zu einer
Erosion des (ursprünglich positiven) Fähig- Bei der Auflistung der individuellen Voraus-
keitsselbstkonzeptes führen und zu dysfunk- setzungen erfolgreichen Lernens in 䉴 Kap. 2
tionalen Kontrollüberzeugungen – was wie- hatten wir darauf hingewiesen, dass selbst
derum mit einer größeren Wahrscheinlich- bei hinreichender Lernmotivation die kon-
keit weitere Misserfolge nach sich ziehen krete Realisierung einer Lernhandlung
wird. Bei massiven und fortgesetzten Miss- dennoch scheitern kann. Als Hauptgrund
erfolgserlebnissen bricht bisweilen ein an- dafür wurden hinderliche Emotionen und
sonsten gut funktionierender Schutzmecha- suboptimale volitionale Prozesse diskutiert
nismus rasch zusammen. So berichteten (䉴 Kap. 2.5). Die Frage nach der Entwick-
Chapman, Tunmer und Prochnow (2000), lung volitionaler Lernvoraussetzungen lässt
dass Kinder mit einer sehr schwachen Lese- sich in einer ersten Annäherung sinnvoller-
leistung schon sechs bis acht Wochen nach weise auf die von Kuhl (1996) unterschie-
der Einschulung eine außerordentlich nega- denen Strategien der willentlichen Hand-
tive Einschätzung ihrer eigenen schulischen lungskontrolle beziehen: In welchem Alter
Kompetenzen aufgebaut haben. sind die Lernenden im Allgemeinen dazu in
Aus der permanenten Erfahrung von Lern- der Lage, irrelevante Informationsanteile
misserfolgen resultiert auch eine ungünstige auszublenden (Aufmerksamkeitskontrolle)?
Selbstbewertungsbilanz. Die Kinder erleben Ab wann können sie ihre Verarbeitungsres-
in der Summe stärker den negativen Affekt sourcen auf die zielrelevanten Informationen
von Misserfolgen als den positiven Affekt fokussieren (Enkodierungskontrolle)? Ab

175
Teil I Lernen

wann können sie sich selbst motivieren, dass Andererseits haben auch viele Jugendliche
sie eine beabsichtigte Handlung auch tat- und Erwachsene in solchen Entscheidungs-
sächlich ausführen (Motivationskontrolle)? situationen durchaus noch Mühe, den Im-
Ab wann können sie ihre eigene Gefühlslage puls, die sofort verfügbare kleinere Beloh-
so beeinflussen, dass die Handlungseffizienz nung zu wählen, abzuwehren.
gesteigert wird (Emotionskontrolle)? Ab Die Arbeitsgruppe um Walter Mischel hat
wann sind sie in der Lage, Misserfolgsgedan- interindividuelle Unterschiede des Beloh-
ken zu unterbinden und sich gedanklich von nungsaufschubs im Vorschulalter beobach-
unerreichbaren Zielen zu verabschieden tet und im Rahmen einer Längsschnittstudie
(Aktivierungskontrolle)? Wann gelingt es die gleichen Kinder hinsichtlich der Entwick-
ihnen, aktuelle Lernabsichten trotz konkur- lung ihrer Selbstkontrollstrategien bis ins
rierender Handlungsimpulse in die Tat um- Jugendalter weiter verfolgt. Es zeigte sich,
zusetzen (Initiierungskontrolle)? dass im Laufe der Jahre die Zahl der Kinder
In der entwicklungspsychologischen Li- anstieg, die sich für das Warten auf die
teratur sind diese Fragen Gegenstand empi- größere Belohnung entschieden. Zudem er-
rischer Untersuchungen gewesen. Je nach wies sich die frühe Fähigkeit zum Beloh-
Fokus und Komplexitätsgrad der Anforde- nungsaufschub als guter Prädiktor für die
rung und je nach gewählter Operationalisie- Kompetenzentwicklung im Jugendalter
rung der fraglichen Merkmale ergaben sich (Shoda, Mischel & Peake, 1990): Kinder,
dabei sehr unterschiedliche Altersschätzun- die schon früh der Versuchung einer raschen
gen (vgl. Friedlmeier & Holodynski, 1999; Belohnung widerstanden, waren als Jugend-
Holodynski & Oerter, 2008). Ein gutes Bei- liche in höherem Maße frustrationstolerant
spiel ist die Entwicklung der Fähigkeit zum und selbstsicher und erwiesen sich insgesamt
sogenannten Belohnungsaufschub. Der Be- als die leistungsstärkeren Schüler.
lohnungsaufschub (Delay of Gratification) Aus den Befunden von Shoda et al. (1990)
gilt als zentrale Entwicklungsvoraussetzung sollte man allerdings nicht den Schluss zie-
für die Ausbildung von Initiierungs-, Akti- hen, dass über die Grundkompetenzen er-
vierung- und Emotionskontrolle. Typischer- folgreicher volitionaler Handlungsregulati-
weise wird die Fähigkeit, einen Belohnungs- on schon im Vorschulalter entschieden sei
aufschub zu akzeptieren, mit Hilfe einer und dass deshalb entsprechende Lernge-
einfachen Experimentalanordnung unter- wohnheiten und Arbeitsstile später kaum
sucht, die den Untersuchungsteilnehmern noch erworben werden könnten (Corno,
die folgende Entscheidung abverlangt: Ent- 2004). In anspruchsvollen Lernkontexten
weder gibt es eine kleine Belohnung sofort ist nämlich eine volitionale Handlungskon-
oder es gibt eine größere Belohnung nach trolle ohne den Einsatz von Strategien der
einer gewissen Zeit des Wartens. In Abhän- metakognitiven Regulation schlichtweg
gigkeit von der Art der in Aussicht gestellten nicht denkbar. Schon deshalb ist davon aus-
Belohnung und von der in der Wartezeit zugehen, dass sich eine effiziente Form der
geforderten Tätigkeit können unter Umstän- volitionalen Kontrolle erst relativ spät, d. h.
den schon Fünfjährige zugunsten einer gro- nach dem 10. Lebensjahr, herausbilden wird.
ßen Belohnung kurzfristig auf eine kleinere
Belohnung verzichten (Mischel, Shoda &
Rodriguez, 1989). Zumindest ahnen sie,
dass der Belohnungsaufschub die klügere
Wahl wäre, auch wenn sie gelegentlich
dazu neigen, sich für die sofortige Belohnung
zu entscheiden (Nisan & Koriat, 1977).

176
4 Besonderheiten des Lernens

Synopse der allgemeinen innere Nachsprechen ist die funktionale Ka-


Entwicklung individueller pazität des phonologischen Arbeitsgedächt-
nisses auf die reine Speicherkapazität der
Lernvoraussetzungen phonologischen Schleife beschränkt.
Mit etwa acht Jahren – bei Mädchen in
Vor dem Hintergrund der bislang skizzierten der Regel etwas früher als bei Jungen – ist ein
kognitiven, motivationalen und volitionalen zweiter Wendepunkt der Entwicklung aus-
Entwicklungsbedingungen lassen sich vier zumachen. Er ist vorrangig durch eine Ver-
Wendepunkte der allgemeinen Entwicklung änderung der motivationalen Voraus-
individueller Lernvoraussetzungen zwischen setzungen gekennzeichnet. Der kindliche
dem 6. und dem 16. Lebensjahr beschreiben Überoptimismus, der dem Kind das Gefühl
(vgl. Hasselhorn, 2004). Die Wendepunkte der Omnipotenz vermittelte, geht verloren.
sind jeweils durch eine qualitative Entwick- Soziale Vergleiche – vor allem solche mit
lungsveränderung in wenigstens einem der Gleichaltrigen – bestimmen mehr und mehr
identifizierten Bereiche charakterisiert. Sie die Selbstwahrnehmung und die Selbst-
markieren jene Altersabschnitte, während bewertung. Es kommt zu einer zunehmend
derer die individuellen Lernvoraussetzungen realistischeren Selbsteinschätzung. Eine
einer markanten Veränderung unterliegen. Spur des kindlichen Überoptimismus bleibt
Darüber hinaus gibt es weitere qualitative allerdings zurück – beim Einen mehr, beim
Wendepunkte der kognitiven Entwicklung, Anderen weniger. Sie macht sich noch im
die in der frühen Kindheit liegen (vgl. dazu Erwachsenenalter bemerkbar, wenn leis-
Sodian, 2002). Sie bleiben bei der nachfol- tungsrelevante Informationen selbstwert-
genden Beschreibung außer Acht. dienlich verzerrt interpretiert werden und
Der erste Wendepunkt ist etwa im sechsten wenn sich Erwachsene – gemessen an den
Lebensjahr auszumachen. Er ist gekenn- objektiven Leistungsdaten – tendenziell
zeichnet durch eine enorme Steigerung der noch immer überschätzen (z. B. Taylor &
Effizienz des Arbeitsgedächtnisses, insbeson- Brown, 1988). Der motivationale Selbst-
dere des für die kognitive Verarbeitung schutz des Überoptimismus wird ab dem
sprachlicher und akustischer Informationen neunten Lebensjahr sehr fragil. Vor allem
zuständigen phonologischen Teilsystems. bei jenen Kindern, die aufgrund ihrer Lern-
Dies eröffnet – im Vergleich zum Vorschul- erfahrungen zu einer niedrigen Kompetenz-
alter – neue Möglichkeiten zur Verarbeitung einschätzung gelangen, geht die motivatio-
sehr viel größerer Informationsmengen pro nal günstige Tendenz der Selbstwerterhö-
Zeiteinheit. Im sechsten Lebensjahr kommt hung rasch verloren. Sie bezweifeln zu
es nämlich zur Automatisierung des inneren Recht, dass ein positiveres Selbstkonzept
Nachsprechens in der phonologischen auf Dauer der Realität standhalten könnte
Schleife (subvokales Rehearsal). Irgendwann (Baumeister, Tice & Hutton, 1986).
zwischen dem fünften und sechsten Geburts- Mit ungefähr zehn Jahren kommt es zum
tag beginnt bei den meisten Kindern das dritten Wendepunkt. Er ist charakterisiert
automatische Aktivieren des inneren Nach- durch das erstmalige Auftreten »abstrakter
sprechens. Das könnten zwar auch schon Selbstreflexivität« (Piaget, 1971). Der ab-
jüngere Kinder, aber sie tun es nicht spontan. strakten Selbstreflexivität kommt eine große
Durch entsprechende Anweisungen lassen Bedeutung für die zentral exekutiven sowie
sich zwar Vierjährige schon zum inneren für die metakognitiven Facetten von Lern-
Nachsprechen bewegen, man muss aber wis- voraussetzungen zu. Vermutlich geht die
sen, dass dies einer intensiven und fortgesetz- Fähigkeit zur Selbstreflexion auf den glei-
ten Anleitungskomponente bedarf. Ohne das chen Entwicklungsprozess zurück, der schon

177
Teil I Lernen

die motivationalen Veränderungen im ach- unterschieden. Eine Vorstellung von Fähig-


ten Lebensjahr auslöste. Im Alter zwischen keit haben zwar auch schon die jüngeren
acht und zehn Jahren kommt es zu einem Kinder, ohne dass sie dies jedoch vom Kon-
deutlichen Anstieg systemischer und exe- zept der Anstrengungen trennen könnten.
kutiver Metakognitionen. Die Kinder begin- Erst die Dissoziation verleiht den Fähigkeits-
nen mehr und mehr über sich selbst nach- attributionen ihren internal-stabilen Cha-
zudenken, über »Gott und die Welt«, über rakter. Jüngere Kinder reagierten auf Miss-
ihr eigenes Wissen und ihr eigenes Lernen. erfolgserlebnisse noch mit Überlegungen der
Als Konsequenz dieser Reflexionen wenden folgenden Art: »Ich bin zwar nicht so gut in
sie zunehmend selbständig Lernstrategien Mathe, aber wenn ich mich jetzt anstrenge,
an, um ihr Lernverhalten zu verbessern dann werde ich bald auch so gut sein wie die
(䉴 Kap. 2.3). Das allmähliche Verschwinden anderen«. Diese Variabilität geht nun ver-
der Produktionsdefizite vieler kognitiver loren, da die eigene Fähigkeit als internal-
Strategien am Ende der Grundschulzeit ist stabil aufgefasst wird: »Wenn ich schlecht in
vermutlich Folge der abstrakten Selbstrefle- Mathe bin, kann ich das eben nicht!«
xivität, die zu einer Zunahme metakogniti- Außerdem kommt es zu weiteren Korrek-
ven Wissens führt. turen in den subjektiven Kompetenzein-
Im elften und zwölften Lebensjahr kommt schätzungen, die bei jüngeren Kindern un-
es dann zu einer Stabilisierung einer eher realistisch hoch ausfielen und bereits um das
erfolgsorientierten oder eher misserfolgs- achte Lebensjahr herum zu erodieren begin-
ängstlichen Ausprägung des individuellen nen. Daraus erwächst potenziell ein Risiko-
Leistungsmotivsystems. Hierin sehen wir feld, das durch die beginnende reflexive
einen vierten wichtigen Wendepunkt im Ent- Selbstabstraktion der Kinder noch zusätzli-
wicklungsverlauf der individuellen Voraus- che Brisanz erhält. Kinder neigen nämlich
setzungen erfolgreichen Lernens. Er liegt in zur Übergeneralisierung von Begründungs-
einem Altersbereich, der charakterisiert ist strukturen für den erlebten Erfolg und Miss-
durch einen rasanten Anstieg des systemischen erfolg. Das birgt die Gefahr, dass sich nach
metakognitiven Wissens, die rasch zunehmen- ungünstig erlebten Serien von Misserfolgen
de Fähigkeit zur exekutiven Kontrolle eigenen und nach Beschädigungen des eigenen
Handelns sowie eine vermehrte selbständige Selbstkonzeptes eine misserfolgsängstliche
Strategienutzung in Lernsituationen. Bei Disposition verfestigt.
leistungsstarken Kindern treten solche Ver- Zwischen dem 12. und dem 16. Lebens-
änderungen deutlicher und bisweilen auch jahr lässt sich kein weiterer Wendepunkt im
wesentlich früher ein (䉴 Kap. 4.3). Die Ver- hier verwendeten Sinne identifizieren. Man
änderungen führen in ähnlicher Weise wie die könnte deshalb annehmen, nun sei mit wei-
Effizienzsteigerung des phonologischen Ar- teren Entwicklungsveränderungen der indi-
beitsgedächtnisses im sechsten Lebensjahr zu viduellen Voraussetzungen erfolgreichen
einem qualitativen Sprung hinsichtlich der Lernens nicht mehr zu rechnen. Dies wäre
individuellen Lernmöglichkeiten – ein Sprung jedoch ein Trugschluss. Natürlich kommt es
allerdings, der auch Gefahren birgt. Denn dem zu weiteren Veränderungen im kognitiven,
Vorteil der Herausbildung eines stabilen, er- motivationalen und volitionalen Bereich.
folgszuversichtlichen Leistungsmotivsystems Anzeichen für solche Veränderungen finden
steht die Gefahr gegenüber, dass es zu einer sich z. B. bei der Aufmerksamkeitssteuerung
misserfolgsängstlichen Ausprägungsrichtung und bei der Selbstregulation – zwei Berei-
kommen kann. chen, die als individuelle Voraussetzungen
In der Wahrnehmung der Lernenden wer- für das selbständige Lernen im Jugendalter
den nun Fähigkeiten von Anstrengungen zunehmend an Bedeutung gewinnen.

178
4 Besonderheiten des Lernens

4.2 Lernschwierigkeiten, -schwächen und -störungen

Offenkundig unterscheiden sich Lernende viduellen Bezugsnormen liegen oder wenn das
im Erfolg ihrer Lernbemühungen erheblich. Erreichen von Standards mit Belastungen ver-
bunden ist, die zu unerwünschten Nebenwir-
Besonders deutlich sichtbar wird das an den kungen im Verhalten, Erleben oder in der
mitunter eklatanten Leistungsunterschieden Persönlichkeitsentwicklung des Lernenden
zwischen Schülern, aber auch an den Zerti- führen. (Zielinski, 1995, S. 13)
fikaten und Abschlüssen, die sie erwerben
oder verfehlen. Bei einem bedeutsamen und Unstrittig ist, dass die dauerhaft unterhalb
zeitlich überdauernden Leistungsversagen eines Mindeststandards liegenden Leistun-
einzelner Lernender spricht man im All- gen auf besondere Schwierigkeiten bzw. Be-
gemeinen von Lernschwächen oder -störun- einträchtigungen des Lernens hinweisen. Bei
gen (Zielinski, 1995, 1996; Gold, 2011 a). der Frage, welche Standards oder welches
Der bisweilen ebenfalls in der Literatur ver- Kompetenzniveau eigentlich zu erreichen
wendete Begriff der Lernschwierigkeiten ist sind und ab wann man demnach beim Ver-
weiter gefasst und beinhaltet auch weniger fehlen dieser Standards von Lernschwierig-
zeitlich überdauernde Phänomene des Leis- keiten sprechen sollte, gehen die Ansichten
tungsversagens. Lernschwierigkeiten haben allerdings weit auseinander. Die Uneinigkeit
also mit schulischen Minderleistungen zu nimmt noch zu, wenn es um die vermutli-
tun. Oftmals werden diese Minderleistungen chen Ursachen der Minderleistungen geht.
zudem als »erwartungswidrig« bezeichnet, Die Spuren dieser Uneinigkeit finden sich in
weil es trotz einer »normalen« allgemeinen erheblichen terminologischen Unklarheiten
Lernfähigkeit (Intelligenz) der Kinder wider schon auf der begrifflich-definitorischen
Erwarten dennoch zum schulischen Leis- Ebene, die leicht den Eindruck einer »baby-
tungsversagen gekommen ist. Aufgrund lonischen Sprachverwirrung« erwecken mö-
der kognitiven Fähigkeiten der betreffenden gen.
Kinder wird von Eltern und Lehrpersonen Im Bemühen um begriffliche Klarheit er-
eigentlich eine bessere Schulleistung erwar- weisen sich auch einschlägige Lehrbücher als
tet. In Werner Zielinskis Definition der Lern- nur begrenzt hilfreich, wenn dort Lern-
schwierigkeiten spielt die Abweichung vom schwierigkeiten, -schwächen und -störungen
Erwarteten auch eine wichtige Rolle, aller- gemeinsam mit dem Phänomen der Hoch-
dings geht es dort weniger um das Abwei- begabung unter der verbindenden Über-
chen des Schulleistungs- vom vermeintlichen schrift »Exzeptionalität« (z. B. Keogh &
oder tatsächlichen Intelligenzniveau eines MacMillan, 1996) oder »Diversität«
Kindes, sondern um das Abweichen von (McCormick & Pressley, 1997; Pressley &
einer Norm und um das Verfehlen eines McCormick, 2007) abgehandelt werden.
Leistungsziels, also um ein Missverhältnis Das wird dem Ausmaß und der besonderen
zwischen einer (zu schlechten) Leistung und Problematik von Lernschwierigkeiten nicht
einer institutionell vorgegebenen Leistungs- gerecht. Im Folgenden wird daher zunächst
erwartung, ohne dabei auf die (vermeintli- eine Systematisierung der unterschiedlichen
che) Lernfähigkeit des Individuums zu rekur- Begrifflichkeiten vorgenommen, die auch
rieren. Von Lernschwierigkeiten muss man den schulorganisatorischen Besonderheiten
deshalb sprechen: in den deutschsprachigen Ländern Rech-
[. . .] wenn die Leistungen eines Schülers unter-
nung trägt. Daran schließt eine nähere Be-
halb der tolerierbaren Abweichungen von ver- trachtung zweier großer Teilgruppen von
bindlichen institutionellen, sozialen und indi- Kindern mit Lernschwierigkeiten an: jener

179
Teil I Lernen

mit einer Lernbehinderung und jener mit die Psychologie) und innerhalb dieser Dis-
einer spezifischen Lernstörung. Dabei wer- ziplinen wiederum viele verschiedene Aus-
den auch mögliche Ursachen von Lern- richtungen und Traditionen mit dem Gebiet
schwierigkeiten behandelt – und zwar bezo- der Lernstörungen und -schwächen beschäf-
gen auf die Schwierigkeiten beim Erwerb tigen, und dies mit ganz unterschiedlichen
von Lese-, Schreib- und Rechenfertigkeiten. wissenschaftlichen Methoden (hermeneu-
tisch, psychoanalytisch, empirisch) und im
Rückgriff auf ihre jeweils eigenen fachlichen
Definitorische Klärungen Begrifflichkeiten tun. Hinzu kommt, dass
es immer wieder sprachreformerische Be-
Ein Teil der terminologischen Unklarheiten mühungen gegeben hat, um die vermeint-
beruht nicht zuletzt darauf, dass sich viele lich diskriminierenden Bezeichnungen wie
verschiedene Disziplinen und Teildisziplinen »Hilfsschüler« oder «Sonderschüler« durch
(vor allem die Schulpädagogik, die Sonder- vorgeblich weniger problematische Um-
und die Heilpädagogik, aber auch die Me- schreibungen wie »Schüler mit sonderpäda-
dizin, die Kinder- und Jugendpsychiatrie und gogischem Förderbedarf« zu ersetzen.

Fokus: Sonderpädagogischer Förderbedarf


Im Schuljahr 2010/11 lag der sonderpädagogische Förderbedarf im Förderschwerpunkt
Lernen (Lernbehinderung) in Deutschland bei 2,6 % eines Altersjahrgangs; nimmt man die
anderen Förderschwerpunkte (Sehen, Hören, Sprache, körperliche Entwicklung, geistige
Entwicklung, emotionale und soziale Entwicklung) hinzu, liegt die Gesamtquote des
sonderpädagogischen Förderbedarfs bei 6,4 %. Das sind knapp 500 000 Schülerinnen
und Schüler. Die Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sind in
den Vereinbarungen der Kultusminister-Konferenzen beschrieben und in den Schulgesetzen
der Länder verankert. Hauptkriterien für die Feststellung von Förderbedarf im Bereich
Lernen sind ein erheblicher Rückstand der schulischen Leistungen und eine Intelligenz-
minderung. Nicht vorgeschrieben ist, ob die förderbedürftigen Kinder in eigenen Sonder-
oder Förderschulen oder inklusiv, d. h. gemeinsam mit den anderen Kindern in den
allgemeinen Schulen unterrichtet werden sollen. Derzeit liegt die Inklusionsquote bei
etwa 29 %, wobei es deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. In Bremen
werden 70 % der förderbedürftigen Kinder, in Niedersachsen nur 9 % inklusiv unterrichtet.
Im Zuge der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behin-
derungen wird sich die Inklusionsquote vermutlich deutlich erhöhen.

In der Folge haben sich viele ganz ähnlich So kann man personale Mängel mit Beein-
klingende Bezeichnungen eingebürgert, die trächtigungen, Schwächen, Behinderungen,
Störungen, Schwierigkeiten, Benachteiligungen
häufig glauben machen, es handele sich um
und ähnlichen Ausdrücken belegen, die sich
synonym verwendbare Begriffe. Sieht man ihrerseits mit Bereichsmarkierungen belegen
jedoch genauer hin, so erweist sich dieser lassen wie etwa Lernen, Leistung, Entwick-
Eindruck als trügerisch. Klauer und Lauth lung, Sprache und dergleichen mehr. Dann
(1997) haben diese Heterogenität für die in ergibt sich rasch die Frage, ob etwa Lernbeein-
trächtigungen, Lernschwächen, Lernbehin-
der Psychologie verwendeten Begrifflichkei- derungen, Lernstörungen, Lernschwierigkei-
ten thematisiert:

180
4 Besonderheiten des Lernens

ten, Lernbenachteiligungen usw. dasselbe sei- schen: des sonderpädagogischen Förderbe-


en, eine Frage, die man klar verneinen kann, darfs im Förderschwerpunkt Lernen) ent-
wenn man die Bedeutungsnuancen subtil mit-
einander vergleicht. (Klauer & Lauth, 1997,
spricht nämlich nicht der in England und
S. 701) in den USA weithin üblichen Bezeichnung
der »Learning Disabilities«. Die (deutsche)
Die begriffliche Verwirrung wird übrigens Lernbehinderung findet ihre Entsprechung
nicht geringer, wenn man die deutsche mit eher in der Begrifflichkeit der »Borderline
der internationalen Perspektive zu verbinden Mental Retardation«, also einer Verzöge-
versucht. Die im deutschen Sprachraum tra- rung der geistigen Entwicklung bzw. einer
ditionell schulorganisatorisch verwendete leichten, von der geistigen Behinderung ab-
Kategorie der »Lernbehinderung« (inzwi- zugrenzenden Intelligenzminderung.

Fokus: Klassifikationssysteme psychischer Störungen


Weltweit verbreitet sind die Klassifkationssysteme der American Psychiatric Association
(Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders; DSM) und der Weltgesundheits-
organisation (International Classification of Diseases; ICD). In ihnen werden über 200
psychische Störungen klassifiziert, definiert und beschrieben. Dazu zählen auch die
»umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten« und die »mentale Re-
tardierung« im ICD sowie die »Lernstörungen« im DSM. Die beiden Klassifikations-
systeme sind terminologisch mittlerweile weitgehend aufeinander abgestimmt. So finden
sich z. B. in der deutschen Ausgabe des DSM-IV-TR (Saß, Wittchen & Zaudig, 1996) die
korrespondierenden Diagnoseschlüssel des ICD-10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 2000).

Das international gebräuchliche Konzept amerikanischen Bundesstaaten erst bei einer


der »Learning Disabilities« ähnelt hingegen »geistigen Behinderung«, einer Diagnose,
eher dem deutschsprachigen Begriff der die im Allgemeinen nur bei IQ-Werten unter
»Lernstörung«, also einem erheblichen 70 vergeben wird. In Deutschland werden
Schulleistungsversagen bei eigentlich intak- hingegen oftmals auch Kinder mit IQ-Wer-
ter (unauffälliger) Intelligenz. Die gänzlich ten zwischen 70 und 85 in Sonder- oder
unterschiedlichen Schulsysteme und päda- Förderschulen für Lernhilfe unterrichtet –
gogischen Traditionen sowie die institutio- nicht selten übrigens zusammen mit schul-
nellen Antworten, die auf besondere Förder- leistungsschwachen Kindern, für die eher die
bedarfe gegeben werden, erschweren zudem Diagnose einer Lernstörung zutreffen wür-
die Vergleichbarkeit der Begrifflichkeiten. de.
Während in Deutschland die Diagnose einer In jüngerer Zeit findet man auch in der
»Lernbehinderung« in der Regel auch heute deutschsprachigen Literatur Bemühungen,
noch eine Sonderbeschulung nach sich zieht, sich an den amerikanischen Sprach- und
verbleiben in den USA nicht nur die Schüler Definitionsgebrauch anzupassen. Vor allem
mit »Learning Disabilities« (also Lernstö- für die Planung, Durchführung und Inter-
rungen), sondern oft auch die schulleistungs- pretation empirischer Studien zu den Ursa-
schwachen Kinder mit einer niedrigeren In- chen von und zu den Interventionen bei
telligenz meist auf ihrer Regelschule und Lernschwierigkeiten wäre eine verbindliche
werden dort integrativ unterrichtet. Eine Sprachregelung hilfreich, auf welche Per-
Sonderbeschulung erfolgt in den meisten sonengruppe sie sich eigentlich beziehen.

181
Teil I Lernen

Definition: Lernbehinderung als schulorganisatorischer Begriff


Lernbehindert sind Kinder und Jugendliche, die an Schulen für Lernbehinderte (für
Lernhilfe) bzw. an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen unterrichtet werden,
oder an allgemeinbildenden Schulen spezifische Fördermaßnahmen im Bereich Lernen
erhalten. Kriterien der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs sind a) ein erheb-
liches Schulleistungsversagen (meist versteht man darunter einen Leistungsrückstand von
mehr als zwei Schuljahren) und b) erhebliche Defizite in der Lernfähigkeit (meist versteht
man darunter Intelligenztestwerte < 85). Gelegentlich wird hinsichtlich des Kriteriums der
Lernfähigkeit der Grenzbereich der intellektuellen Leistungsfähigkeit (70 < IQ < 85) noch
dem Normalbereich zugeschlagen, so dass von erheblichen Defiziten in der Lernfähigkeit
erst bei IQ-Werten < 70 zu sprechen wäre.

Stets sind es Personen mit Schulleistungs- lischen Minderleistungen im Lesen, Schrei-


problemen – manchmal mit, manchmal ohne ben und Rechnen allerdings mit niedrigeren
eine begleitende Intelligenzminderung. Aller- Intelligenztestwerten einhergehen, spricht
dings dominiert anders als in der US-ame- man nicht mehr von einer allgemeinen Lern-
rikanischen Tradition in Deutschland noch schwäche, sondern von einer Lernbehin-
immer die Vorstellung, dass es bei den Lern- derung. Über eine mehr oder weniger will-
störungen einen grundsätzlichen Unter- kürliche Grenzziehung wird so also die all-
schied gibt zwischen einer allgemeinen, be- gemeine Lernschwäche, die im Sinne einer
reichsübergreifenden Problematik und den Lernstörung (IQ > 69) definiert ist, von der
spezifischen Problematiken in den Teilberei- Lernbehinderung (IQ < 70) unterschieden.
chen schulischer Fertigkeiten, sogenannten Verwirrend ist, dass diese Grenzziehung ge-
Teilleistungsstörungen. So bezeichnet man legentlich auch erst bei IQ-Werten von 85
eine ausgeprägte Minderleistung in den vorgenommen wird, was im Ergebnis zu
Lernbereichen des Lesens, Schreibens und einer größeren Anzahl von Behinderungs-
Rechnens, also die »kombinierte Störung diagnosen und einer geringeren Anzahl von
schulischer Fertigkeiten«, als »allgemeine Störungsdiagnosen führen muss (Lauth,
Lernschwäche«, wenn der IQ-Wert nicht 2004 a; Grünke, 2004; Linderkamp &
unter 70 liegt. Wenn die ausgeprägten schu- Grünke, 2007; Souvignier, 2008).

Definition: Lernstörungen
Im Vergleich zur Lernbehinderung ist die Lernstörung der weniger schwerwiegende Fall.
Lerngestörte und lernbehinderte Kinder teilen das Schicksal des Schulleistungsversagens.
Ein wichtiger Unterschied ist aber, dass Lernstörungen nicht mit Defiziten in der all-
gemeinen Intelligenz einhergehen. Im Gegenteil: Lernstörungen – als erhebliche Schul-
leistungsstörungen beim Lesen, in der Rechtschreibung und/oder beim Rechnen – treten
auf, obwohl man es aufgrund des allgemeinen Intelligenzniveaus (IQ-Werte > 70) eigentlich
nicht erwarten würde. Im international gebräuchlichen Klassifikationssystem ICD-10
werden Lernstörungen als umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten
bezeichnet und mit dem Diagnoseschlüssel F 81 versehen. Dass auch Kinder mit Lern-
störungen gelegentlich an Sonderschulen für Lernbehinderte bzw. an Förderschulen unter-

182
4 Besonderheiten des Lernens

richtet werden (z. B. bei IQ-Werten zwischen 70 und 85), ergibt sich aus der diagnostisch
unscharfen Abgrenzung zur Lernbehinderung (s. o.) und aufgrund von Fehldiagnosen.
Neben der allgemeinen bzw. kombinierten Lernstörung (F 81.3) gibt es inhaltlich begrenzte
Lernstörungen des Lesens bzw. des Lesens und Rechtschreibens (F 81.0), des Recht-
schreibens (F 81.1) oder Rechnens (F 81.2). Bei den Teilleistungsstörungen sind die
Abgrenzungen zur Lernbehinderung präzise gefasst: Sie werden diagnostiziert, wenn die
Schulleistungen im Lesen, Schreiben oder Rechnen erheblich beeinträchtigt sind, die IQ-
Werte aber größer als 84.

Inhaltlich begrenzte Lernstörungen (Teilleis- beeinträchtigt, sind dann andere Bedin-


tungsstörungen) sind signifikante schulische gungsfaktoren für das Leistungsversagen
Minderleistungen, die nur in Teilbereichen ursächlich und andere pädagogische Inter-
auftreten, also entweder in den Teilbereichen ventionsstrategien zu empfehlen als bei Kin-
des Lesens und Schreibens oder des Rech- dern mit Lernstörungen? Im Ergebnis stellen
nens – und dies wiederum in einem Ausmaß, die wissenschaftlichen Kontroversen die
das aufgrund der allgemeinen Intelligenz Nützlichkeit der Diskrepanzdefinition
und aufgrund der Leistungsfähigkeit in (»schulische Minderleistungen bei sonst in-
den anderen Inhaltsbereichen schulischen takter Intelligenz«) zunehmend in Frage,
Lernens unerwartet scheint (Gasteiger- zumindest, soweit es um den angemessenen
Klicpera & Klicpera, 2004; Lauth et al., pädagogischen Umgang mit schulleistungs-
2004; Lorenz, 2004; Mähler, Hasselhorn schwachen Kindern geht (Büttner & Has-
& Grube, 2008; Hasselhorn, Mähler & selhorn, 2011; Gold, 2011 a). Wie viele an-
Grube, 2008). dere Autoren plädiert auch Linda Siegel
Nicht das Ausmaß der Normabweichung (2003) für den Verzicht auf das Diskrepanz-
im Schulleistungsbereich und auch nicht die kriterium, da weder den IQ-Werten noch der
Beliebigkeit der Grenzziehungen hinsichtlich Größe der Diskrepanz zwischen den Intelli-
der intellektuellen Fähigkeiten an sich, son- genz- und den Schulleistungswerten (im All-
dern das Kriterium der bedeutsamen oder gemeinen wird eine Diskrepanz von mindes-
nicht bedeutsamen erwartungswidrigen Dis- tens 1.5 Standardabweichungen zwischen
krepanzen zwischen den schulischen Leis- beiden gefordert) eine Bedeutsamkeit für
tungen und dem intellektuellen Potenzial die nachfolgende Planung und Durchfüh-
lässt die obige Definition der Lernstörung rung von Interventionen bei allgemeinen
problematisch erscheinen. An diesem Begriff und spezifischen Lernstörungen zukomme.
der Erwartungswidrigkeit der schlechten Nicht nur die Diskrepanzproblematik ist
Schulleistung haben sich deshalb – dies gilt aber zu beachten, wenn man sich mit der
sowohl für die allgemeine Lernschwäche als Begriffsbestimmung von Lernstörungen aus-
auch für die Teilleistungsstörungen – anhal- einandersetzt. Das National Joint Commit-
tende Kontroversen entzündet. Wie groß tee for Learning Disabilities (NJCLD) be-
muss die Diskrepanz zwischen den (norma- zeichnet Lernstörungen
len) intellektuellen Fähigkeiten und den [. . .] als allgemeinen Begriff für eine heterogene
(schlechten) Schulleistungen eigentlich sein, Gruppe von Störungen, die sich in bedeut-
um von einer Lernstörung zu sprechen? Und samen Schwierigkeiten beim Erwerb und Ge-
wenn die Schulleistungen schlecht sind, die brauch des Zuhörens, des Sprechens, des Le-
sens, des Schreibens, des Denkens oder der
intellektuellen Fähigkeiten aber – wie es bei
mathematischen Fähigkeiten ausdrücken. Die-
der Lernbehinderung der Fall ist – ebenfalls

183
Teil I Lernen

Definition: Lernschwierigkeiten
Lernschwierigkeiten. Wenn das Lernen beeinträchtigt ist, sind Schulleistungsprobleme die
sichtbare Folge. Die Lernbehinderung ist die gravierendere Form der Lernbeeinträchtigung
als die Lernstörung. Beiden Kategorisierungen ist aber gemeinsam, dass das erhebliche
Ausmaß des Schulleistungsversagens in Beziehung gesetzt wird zur allgemeinen Intelligenz –
im ersten Fall ist das Leistungsversagen kongruent, im anderen Fall diskrepant zur
intellektuellen Befähigung. Die Diskrepanzdefinition hat insbesondere für die inhaltlich
begrenzten Lernstörungen des Lesens, Schreibens oder Rechnens breite Anwendung
gefunden. Wegen der herausragenden Bedeutung des intellektuellen Leistungsvermögens
für das schulische Lernen scheint die Bezugnahme auf die Intelligenz zwar nicht unplausibel,
sie engt durch den ihr immanenten Erklärungsanspruch die Sichtweise auf das problema-
tische Lernen allerdings unnötig ein. Mit der formal-klassifikatorisch nicht eingeführten
Bezeichnung der Lernschwierigkeit ist ein allgemeiner, zugleich voraussetzungsfreier Ober-
begriff vorhanden, der diese Problematik umgeht. Lernschwierigkeiten sind Schwierig-
keiten in der Auseinandersetzung mit Lernanforderungen aller Art, die sich in minderen
Schulleistungen beim Lesen, in der Rechtschreibung und/oder beim Rechnen niederschla-
gen. Auch langsame und schwache Lerner lassen sich darunter fassen (Gold, 2011 a).

se Störungen liegen im Individuum selbst, ver- tionaler, sozialer oder emotionaler Bedin-
mutlich hervorgerufen durch zentralnervöse gungen und Begleitumstände des Lernens
Dysfunktionen, und sie können während der
gesamten Lebensspanne auftreten. Probleme
sein können. Das heißt: Lernschwächen
bei der Selbstregulation von Verhaltensweisen, und -störungen sind als exklusiv-endogene
bei der sozialen Wahrnehmung und in der Restkategorie definiert – Restkategorien
sozialen Interaktion können im Zusammen- deshalb, weil den notwendigen und hinrei-
hang mit einer Lernschwäche auftreten, sind chenden Bedingungen erfolgreichen Lernens
aber selbst nicht konstituierend für sie. Obwohl
Lernschwächen gemeinsam mit anderen Beein- im Sinne einer Ausschlussdiagnostik bereits
trächtigungen (z. B. sensorischen Behinderun- zufriedenstellend Rechnung getragen wurde
gen, geistigen Behinderungen, schweren emo- – eine unangemessene Beschulung und an-
tionalen Störungen) oder mit ungünstigen äu- dere Belastungsfaktoren also beispielsweise
ßeren Einflüssen (wie kulturellen Differenzen,
ungenügendem oder inadäquatem Unterricht)
nicht vorhanden waren. Dies aber scheint
auftreten können, sind sie nicht die Folge sol- realitätsfremd. Schon allein die Begrenztheit
cher Bedingungen oder Einflüsse. (National der diagnostischen Möglichkeiten lässt es als
Joint Committee for Learning Disabilities, wenig plausibel erscheinen, dass sich eine
1988, zitiert nach Torgesen, 1998, S. 20) solche Ausschlussdiagnose überhaupt ver-
lässlich vornehmen lässt. Wer kann schon
Damit wird auf Seiten der möglichen Ursa- beurteilen, ob die schulischen Lernleistun-
chen für die beobachtbaren Leistungspro- gen eines Kindes auch unter günstigeren
bleme eine entscheidende Einschränkung sozialen und pädagogischen Kontextbedin-
vorgenommen, indem ausschließlich endo- gungen weiterhin so deutlich hinter den
gene Faktoren (zentralnervöse Dysfunktio- altersüblichen Leistungsstandards zurück
nen) für Lernstörungen und -schwächen bleiben würden?
verantwortlich gemacht werden. Aus- So argumentiert auch Siegel (2003) gegen
geschlossen wird so, dass Schulleistungspro- die Definition des NJCLD, die den Blick-
bleme auch die Folge ungünstiger instruk- winkel auf die möglichen Verursachungs-

184
4 Besonderheiten des Lernens

bedingungen von Lernschwächen unnötig auf die schulorganisatorischen Besonderhei-


einengt. Alle Bedingungsfaktoren schu- ten in Deutschland anbietet, liegt darin, die
lischer Leistungen, die für den Lernerfolg intelligenzdiskrepanten spezifischen Lern-
verantwortlich sind, sind natürlich auch störungen des Lesens, Schreibens oder Rech-
dann in Rechnung zu stellen, wenn es um nens auf der einen Seite von der Lernbehin-
die Erklärung und Behandlung des Leis- derung als besonders stark ausgeprägter
tungsversagens geht. Das schließt selbstver- Form einer allgemeinen Lernschwäche auf
ständlich die Möglichkeit ein, dass es auch der anderen Seite zu unterscheiden. Nicht
»didaktogene« Lernprobleme geben kann, ganz trennscharf würden zu dieser zweiten
also solche, bei denen die Art bzw. Qualität Gruppe allerdings neben den schulleistungs-
(nicht angemessen) und der Umfang (nicht schwachen Kinder mit einer Intelligenzmin-
ausreichend) des Unterrichts als Haupt- derung (IQ < 85), also den im eigentlichen
ursachen ihrer Genese gelten können Sinne »Lernbehinderten«, auch schulleis-
(䉴 Kap. 8.4). Andere Autoren sehen das al- tungsschwache Kinder ohne Intelligenzmin-
lerdings anders und betrachten die Aufwei- derung gehören, die das Diskrepanzkriteri-
chung des exklusiv-endogenen Definitions- um der spezifischen Lernstörung nicht er-
kerns der allgemeinen Lernschwäche und füllen. Schulrechtlich und -organisatorisch
der spezifischen Lernstörung bereits als betrachtet, besteht für die meisten Kinder der
Hauptgrund für die oben angesprochenen zweiten Gruppe der Lernbehinderten und
begrifflichen Unklarheiten und Verwirrun- Lernschwachen sonderpädagogischer För-
gen: derbedarf im Bereich Lernen, der bislang
in aller Regel an Sonder- und Förderschulen
Einige Pädagogen und Psychologen sind der
Meinung, dass das Etikett »Lernbehinderung« gedeckt wird, während für die Kinder mit
überbeansprucht und sogar missbräuchlich he- spezifischen Lernstörungen spezifische För-
rangezogen wird. Sie weisen darauf hin, dass derbedarfe in ihren jeweiligen Problemberei-
viele der Schüler, die als lernbehindert be- chen bestehen, die meist in den allgemein-
zeichnet werden, in Wirklichkeit sein können:
langsame Lerner in Regelklassen, durchschnitt-
bildenden Schulen gedeckt werden. Daraus
liche Lerner in Hochleistungsschulen, Schüler folgt, dass wir uns bei der Charakterisierun-
mit Zweisprachigkeitsproblemen oder einfach gen der Lernbesonderheiten bei spezifischen
Schüler, die durch längere Abwesenheit vom Lese-Rechtschreibstörungen (Legasthenie)
Unterricht den Unterrichtsstoff versäumt ha- und bei spezifischen Rechenstörungen (Dys-
ben oder oft die Schule wechseln mussten.
(Woolfolk, 2008, S. 163) kalkulie) enger an die Definition der interna-
tionalen Klassifikationssysteme halten kön-
Aufgrund der vielschichtigen Implikationen, nen als bei der Charakterisierung der Lern-
die jeder Definition der allgemeinen Lern- besonderheiten von Kindern mit einer Lern-
schwäche und der Teilleistungsstörungen behinderung oder Lernschwäche.
innewohnen, scheint eine zufriedenstellende
Auflösung der begrifflichen Unschärfen
nicht leicht möglich (Büttner & Hasselhorn, Die Lernbehinderung (IQ < 85)
2011). Ein Vorschlag von Gold (2011 a)
läuft darauf hinaus, einfach den Begriff Es fällt nicht leicht, anhand der einschlägigen
»Lernschwierigkeiten« zu verwenden und Literatur zu belegen, in welchen Bereichen
das gestörte, schwache und behinderte Ler- des INVO-Modells (䉴 Kap. 2) die Minder-
nen darunter zu subsumieren. Ein anderer, in leistungen der Lernbehinderten ihre Ursa-
gleicher Weise pragmatischer Umgang, der chen haben könnten. Es finden sich nämlich
sich im Rückgriff auf die internationalen international kaum empirische Untersuchun-
Klassifikationssysteme und im Hinblick gen mit (unspezifisch) lernbehinderten Kin-

185
Teil I Lernen

dern, da für Kinder mit Lernschwierigkeiten wie Defizite bei der metakognitiven Re-
entweder eine Lernstörung (wenn das Dis- gulation verfügbarer Strategien und ein
krepanzkriterium zum IQ erfüllt war) oder misserfolgsängstliches Leistungsmotivsys-
aber eine ausgeprägte Intelligenzminderung tem und unzureichend entwickelte volitio-
(wenn die IQ-Werte unter 70 liegen) diag- nale Strategien der Handlungskontrolle?
nostiziert wurde. Man mag nun von der Eine solche Verknüpfung von Ursachenfak-
Intelligenzdiagnostik halten, was man will: toren muss nicht notwendigerweise gegeben
Allein die hier beschriebene Spannweite in- sein, denn erstens mögen einige der beob-
tellektuellen Vermögens indiziert, dass es sich achteten Defizite und Dysfunktionen eher
bei den so zusammengefassten »Lernbehin- die Folge als die Ursache des andauernden
derten« um eine ausgesprochen heterogene Leistungsversagens Lernbehinderter sein
Personengruppe handeln muss, für die man und zweitens ist hinsichtlich der individuel-
sich Aufschluss über die Spezifität ihrer In- len Merkmalsausprägungen auf das hohe
formationsverarbeitung erhofft. Ausmaß an Variabilität und auf die wech-
Zurück zum deutschen Schulsystem: Als selseitige Kompensierbarkeit von Bedin-
lernbehindert gelten Kinder und Jugend- gungsmerkmalen in den besonders auffäl-
liche, bei denen ein erhebliches Schulleis- ligen Defizitbereichen zu verweisen.
tungsversagen vorliegt und deren Intelli-
genztestwerte zwischen 55 und 85 IQ-Punk-
ten liegen (bei IQ-Werten zwischen 70 und Fokus: Wie lernen Lernbehinderte?
85 wird allerdings häufig auch von einer
»Borderline-Intelligenz« bzw. vom Grenz- Das Lernverhalten Lernbehinderter ist
bereich der intellektuellen Leistungsfähig- sehr heterogen. Einige lassen sich leicht
keit gesprochen; Zetlin & Murtaugh, 1990; ablenken, zeigen vermehrt sozial unange-
Souvignier, 2008; Grünke, 2004). Empiri- passte Verhaltensweisen, haben allgemei-
sche Analysen zu den individuellen Lern- ne sprachliche Auffälligkeiten, sind emo-
voraussetzungen Lernbehinderter im Hin- tional instabil, uninteressiert und wenig
blick auf die im INVO-Modell erfolgreichen bereit, sich anzustrengen, um ein Lernziel
Lernens definierten Bereiche der selektiven zu erreichen. Bei anderen sind solche
Aufmerksamkeit und des Arbeitsgedächtnis- Auffälligkeiten nicht oder nur teilweise
ses, des Vorwissens, der Lernstrategien und zu beobachten. Bei all dieser Heterogeni-
ihrer metakognitiven Regulation, der moti- tät finden sich allerdings auch einige
vationalen Dispositionen und der volitiona- Charakteristika, die für nahezu alle Lern-
len Handlungskontrolle ergeben ein ernüch- behinderte zutreffen mögen. Büttner
terndes Muster: In allen diesen Bereichen (2008) spricht von passiven und unreifen
scheint es Defizite und Dysfunktionen zu Lernern und von Defiziten in allen grund-
geben (vgl. Klauer & Lauth, 1997; Lauth, legenden Komponenten der Informati-
Grünke & Brunstein, 2004; Büttner, 2008). onsverarbeitung. Grünke (2004) hat die
Offenbar sind Lernbehinderte in allen rele- Leitmerkmale in Bezug auf die Lernpro-
vanten Merkmalsbereichen erfolgreichen zesse und -ergebnisse folgendermaßen
Lernens in ihrer Informationsverarbeitung charakterisiert:
beeinträchtigt. ● Sie lernen wesentlich langsamer.
Doch was bedeutet das? Kommt es zur ● Sie lernen insgesamt weniger.
Lernbehinderung, wenn es Probleme bei der ● Sie vergessen einmal Gelerntes schnel-
Steuerung der Aufmerksamkeit gibt und eine ler.
reduzierte Arbeitsgedächtniskapazität und ● Sie zeigen sehr viel weniger Transfer.
ein eingeschränktes Strategierepertoire so-

186
4 Besonderheiten des Lernens

Klauer und Lauth (1997) haben den Versuch nicht vollständig nutzen (vgl. auch Brown &
unternommen, aus den vorliegenden Befun- Campione, 1986).
den ein pointiertes Bild der Lernbesonder- Die Folge einer defizitären Strategienut-
heiten der hier fokussierten Gruppe zu zeich- zung sowie eines metakognitiv und volitio-
nen: nal nur unzureichend kontrollierten Lern-
verhaltens sind leistungsbezogene Miss-
Leistungsschwache/lernbehinderte Kinder erfolgserlebnisse. Im Gegensatz zu schwer
zeichnen sich weniger durch dauerhafte Fähig- geistig behinderten Personen nehmen lern-
keitsdefizite (z. B. im Bereich des Gedächtnisses behinderte Kinder ihr Leistungsversagen
oder des Denkens), als vielmehr durch die Art
aus, wie sie Lernvorgänge bewältigen (z. B.:
subjektiv durchaus als Misserfolg wahr.
»Raten« statt systematischer Inspektion der Sie bemerken, dass sie im Vergleich zu an-
Materialvorlage). Für sie gilt als charakteris- deren in Situationen mit verbindlichen Leis-
tisch, dass sie tungsanforderungen weniger gut abschnei-
● Strategien zur Informationsentnahme und
den. Das bleibt nicht ohne (negative) Aus-
Verarbeitung (z. B. Memorierungsstrate-
gien, Bildung von Bedeutungsverknüpfun- wirkungen auf ihr Fähigkeitsselbstkonzept,
gen), ihre künftigen Lernzielsetzungen sowie auf
● Maßnahmen zur Organisation (z. B. Zeit- die Ergebniserwartungen in künftigen leis-
planung, Vorausplanung, Ableitung des ei- tungsthematisch definierten Situationen
genen Vorgehens, Einplanung schwieriger
Handlungsschritte), (Lauth & Wolff, 1979). Die mit dem Miss-
● eine begleitende Handlungskontrolle (z. B. erfolgserleben einhergehenden selbstabwer-
Steuerung und Überwachung des eigenen tenden Attribuierungen (䉴 Kap. 2.4) beein-
Handelns/Lernprozesses, Regulation der ei- trächtigen die Anstrengungsbereitschaft in
genen Emotionalität) sowie
künftigen Lernsituationen und erschweren
● eine verbale Handlungsanleitung (z. B. Nut-
zung verbaler Vermittler, an sich selbst ge- damit auch den Erwerb und den späteren
richtete – metakognitive – Fragen) Einsatz angemessener Lernstrategien. Auf
in geringerem Maße als unauffällige Kinder diese Weise wird es wahrscheinlich nur zu
nutzen. (Klauer & Lauth, 1997, S. 707) einem lückenhaften Aufbau von Kenntnis-
sen und Fertigkeiten kommen. So kumulie-
Ordnen wir die so beschriebenen Lernbeson- ren Vorkenntnisdefizite, was im Verlauf der
derheiten lernbehinderter Kinder den in Schulzeit eine sehr unterschiedliche und zu-
䉴 Kap. 2 dargestellten individuellen Voraus- nehmend diskrepant verlaufende Leistungs-
setzungen erfolgreichen Lernens zu, dann entwicklung der lernbehinderten und der
liegen die Kernprobleme dieser Kinder offen- (lern-)unauffälligen Kindern hoch wahr-
bar vornehmlich – lässt man die Funktions- scheinlich macht. Die Spreizung der Leis-
tüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses einmal tungsunterschiede ist übrigens bei sprach-
außer Acht – in den Bereichen der Lern- lichen Aufgaben und bei Anforderungen, die
strategien und ihrer metakognitiven Regu- ressourcen-intensive Prozesse der Informati-
lation sowie bei der volitionalen Handlungs- onsverarbeitung beinhalten, besonders groß.
kontrolle. Eine solche Sichtweise impliziert Die von Klauer und Lauth (1997) skiz-
keineswegs, dass sich Lernbehinderte in al- zierten Lernbesonderheiten markieren zu-
len Lernsituationen stets inaktiv oder passiv gleich den Ausgangspunkt für die Konzep-
verhalten. Allerdings bringen sie bei ihren tion von Förderprogrammen (Souvignier,
Lernaktivitäten vermehrt ineffektive Strate- 2003, 2008; 䉴 Kap. 8.1 und 8.4). Das heißt
gien zur Ausführung, wenn sie etwa ganze aber noch lange nicht, dass mit den kogni-
Teile einer Lernanforderung unberücksich- tiven, den metakognitiven und den volitio-
tigt lassen oder wenn sie die ihnen zur Ver- nalen Strategien die defizitären und dysfunk-
fügung stehenden Verarbeitungsressourcen tionalen Bereiche bereits hinreichend iden-

187
Teil I Lernen

tifiziert wären. Die Wirkmechanismen und tionen der phonologischen Schleife bei Kin-
ihr Zusammenwirken sind nämlich noch dern mit Lernbehinderung beeinträchtigt
weitgehend ungeklärt. Nicht auszuschlie- sind (Hasselhorn & Mähler, 2007; Büttner,
ßen, dass es sich bei den strategischen De- 2008; Hasselhorn, Mähler, Grube, Büttner
fiziten auch um Folgen oder Begleiterschei- & Gold, 2010). Das zeigt sich beispielsweise
nungen des Leistungsversagens handeln in den schwächeren Leistungswerten in Test-
könnte – um reine Epiphänomene also. verfahren zur Bestimmung der funktionalen
Noch nicht vollständig geklärt ist auch, Kapazität des phonologischen Arbeits-
welche Rolle Defizite im Bereich des Arbeits- gedächtnisses, also bei der verbalen Ge-
gedächtnisses spielen, wenngleich sich die dächtnisspanne (z. B. Mähler & Hasselhorn,
Befunde häufen, dass jedenfalls die zen- 1990).
tral-exekutiven Funktionen und die Funk-

Fokus: Exekutive Funktionen


Der Begriff der »exekutiven Funktionen« wird in der neurowissenschaftlichen und in der
kognitionspsychologischen Forschungstradition in unterschiedlicher Weise verwendet.
Häufig werden exekutive Funktionen als metakognitive Prozesse oder metakognitive
Aktivitäten verstanden. Dazu gehört z. B. das Setzen von (Handlungs-)Zielen und die
Überwachung der Zielerreichung, die Regulation der Aufmerksamkeit, die motorische
Steuerung oder die Kontrolle und Korrektur von Handlungsergebnissen. Verschiedene
Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren versucht, das Konstrukt der exekutiven
Funktionen zu systematisieren. Miyake und Kollegen (2000) unterscheiden drei, teilweise
überlappende Faktoren: 1. das Shifting/Switching (den flexiblen Aufmerksamkeits- oder
Aufgabenwechsel), 2. das Updating (die kontinuierliche Aktualisierung von Arbeits-
gedächtnisrepräsentationen) und 3. die Inhibition (die Unterdrückung von vorschnellen
und dominanten Reaktionen). Hier gibt es Entsprechungen zu den Prozessen und Auf-
gaben, die der zentralen Exekutive des Arbeitsgedächtnisses zugeschrieben werden.
Bei Kindern mit Lernschwierigkeiten (und mit ADHS) werden Defizite in den exekutiven
Funktionen vermutet (Gawrilow, 2012; Gold, 2011 a). Vor allem Defizite in der Hand-
lungsüberwachung und -kontrolle werden mit Lern- und Verhaltensauffälligkeiten in
Zusammenhang gebracht. Einer amerikanischen Längsschnittstudie ist zu entnehmen,
dass den selbstregulativen Fähigkeiten eine hohe Prädiktionskraft im Hinblick auf ein
Bündel von Kriterien des gesundheitlichen, sozialen, ökonomischen und beruflichen
Wohlergehens bis ins mittlere Erwachsenenalter zukommt (Moffitt et al., 2011).

Aus den bisherigen Ausführungen zu spezi- Lernbehinderung um eine sehr heterogene


fischen Defiziten lernbehinderter Personen Gruppe von Personen handelt, was dazu
lässt sich zusammengefasst folgendes Fazit führen mag, dass in empirischen Unter-
ziehen: Bei nahezu allen individuellen Vo- suchungen ein spezifischer Defekt oder
raussetzungen erfolgreichen Lernens schei- eine Dysfunktion in einem der angeführten
nen lernbehinderte Schüler ungünstige Aus- Bereiche im Einzelfall oder für eine Teilgrup-
prägungen aufzuweisen. Vielleicht kommt pe von Personen tatsächlich der verantwort-
aber dieses Befundmuster deshalb zustande, liche Faktor für die Entstehung von Lern-
weil es sich bei den Personen mit einer problemen und Leistungsdefiziten ist, und

188
4 Besonderheiten des Lernens

dass aus der Summierung der Einzelfälle der Parallelisierung von Vergleichsgruppen: In
Eindruck entsteht, es gäbe ein multiples einem sogenannten Drei-Gruppenplan wer-
Ursachensyndrom. Gibt es also doch einen den Personen mit einer Lernbehinderung
oder zwei allgemeine Bedingungsfaktoren, sowohl mit unauffälligen Personen des glei-
die ursächlich für die (meisten) Lernbehin- chen chronologischen Alters (CA-Kontroll-
derungen sind? Mit einer besonderen Art der gruppe), als auch mit unauffälligen Personen
Versuchsplanung hat man versucht, eine des gleichen Intelligenzalters bzw. mentalen
Antwort auf diese Frage zu erhalten. Die Alters (MA-Kontrollgruppe) verglichen.
Besonderheit besteht in der Auswahl und

Fokus: Drei-Gruppenplan
Untersucht man die ursächlichen individuellen Voraussetzungen 10-jähriger lernbehinder-
ter Kinder, so berücksichtigt der Drei-Gruppenplan zwei Gruppen mit 10-jährigen Kindern
und eine Gruppe mit 7-Jährigen. Die erste Gruppe setzt sich aus 10-jährigen lernbehin-
derten Kindern zusammen, die IQ-Werte unter 85 aufweisen. Die zweite Gruppe besteht aus
7-jährigen, in ihren schulischen Leistungen »unauffälligen« Kindern, die ein vergleichbares
mentales Alter aufweisen wie die lernbehinderte Gruppe (operationalisiert über die Anzahl
richtig gelöster Aufgaben in einem Intelligenztest, also unter der Verwendung von »Roh-
werten« anstelle altersnormierter Werte). Diese Siebenjährigen bezeichnet man deshalb
auch als MA-Kontrollgruppe (MA = mentales Alter), also als Kinder gleichen Intelligenz-
alters. Die dritte Gruppe setzt sich aus 10-jährigen, in jeder Hinsicht »unauffälligen«
Kindern zusammen. Sie haben mit den Lernbehinderten (also den Kindern der ersten
Gruppe) das chronologische Lebensalter gemein und werden deshalb auch als CA-
Kontrollgruppe (CA = chronologisches Alter) bezeichnet. Ihre Intelligenztestwerte liegen
im altersentsprechenden Normalbereich.
Erfasst man nun die Funktionstüchtigkeit von Strukturen oder Prozessen, die als
individuelle Voraussetzungen erfolgreichen Lernens gelten, so indiziert eine Minderleistung
der Lernbehinderten (erste Gruppe) gegenüber den Kindern der CA-Kontrollgruppe das
Ausmaß ihrer Behinderung bzw. den Ausprägungsgrad des altersbezogenen Defizits. Die
Funktionsdefizite können allerdings entweder Folgen oder Auslöser eines problematischen
Lernverhaltens der lernbehinderten Kinder sein. Fällt auch der Vergleich mit den Leistungen
der Kinder in der MA-Kontrollgruppe zu Ungunsten der Lernbehinderten aus, so wertet
man das als Indiz dafür, dass es sich bei der entsprechenden Dysfunktion eher um einen
Auslösefaktor als um eine Folge der Lernbehinderung handelt.

Mähler und Hasselhorn (2003) gingen unter effekt gilt als Hinweis auf die automatische
Verwendung des skizzierten Drei-Gruppen- Aktivierung des inneren Nachsprechens im
plans der Frage nach, ob spezifische Dys- phonologischen Teilbereich des Arbeits-
funktionen im phonologischen Arbeits- gedächtnisses (䉴 Kap. 2.1). Überraschender-
gedächtnis als Auslösefaktor der Lernbehin- weise fand sich kein solcher Wortlängen-
derung in Frage kommen. Unter anderem effekt bei 10-jährigen Lernbehinderten, die
untersuchten sie den Wortlängeneffekt, der einen IQ-Wert unter 85 und ein Intelligenz-
im Allgemeinen ab dem 6. Lebensjahr nach- alter von etwa sieben Jahren aufwiesen.
zuweisen ist (䉴 Kap. 4.1). Der Wortlängen- Dieser Befund ließ sich in einer Serie von

189
Teil I Lernen

drei Experimenten replizieren – in einer dere, in diesem Abschnitt skizzierte Lernde-


neueren Studie allerdings nicht (Schuchardt, fizite der Lernbehinderten auslösen und
Mähler & Hasselhorn, 2011). In der MA- nach sich ziehen kann.
Kontrollgruppe dagegen fand sich – wie
erwartet – der Wortlängeneffekt (Hassel-
horn & Mähler, 2007). Dieses Befundmuster Lese-/Rechtschreibstörung (LRS)
erhärtet die Hypothese, dass es zwischen den
unauffälligen und den lernbehinderten Kin- Offenkundig hat ein nicht unbedeutender
dern einen bedeutsamen Unterschied in Be- Anteil unserer Schulkinder gravierende Pro-
zug auf den erreichten Entwicklungsstand bleme beim Erlernen des Lesens und Recht-
des phonologischen Arbeitsgedächtnisses schreibens. Aus einer umfangreichen öster-
(genauer: seiner funktionellen Kapazität) reichischen Längsschnittstudie ist ersichtlich,
zu geben scheint. Möglicherweise kommt dass diese Probleme nicht immer früh er-
es bei intelligenzbeeinträchtigten Kindern kannt werden: So zeigten sich die Probleme
überhaupt nicht zu dem entscheidenden qua- am Ende der 1. Klasse bei 6 % der Kinder, am
litativen Entwicklungsschritt des automati- Ende der 2. Klasse bei 16 % und am Ende der
schen »inneren Nachsprechens«, einem der 4. Klasse sogar bei 20 % (Klicpera & Gas-
wichtigsten Wendepunkte der Entwicklung teiger-Klicpera, 1998). Bei etwa einem Drittel
individueller Lernvoraussetzungen. dieser Kinder sind die Schwächen beim Lesen
Es ist allerdings auch denkbar, dass die und Schreiben deshalb besonders erstaun-
lernbehinderten Kinder mit zeitlicher Ver- lich, weil eine durchschnittliche oder gar
zögerung diesen Entwicklungsschritt nach- überdurchschnittliche Intelligenz vorhanden
holen (Büttner, 2008). Offenkundig ist dies ist. Diese Kinder lesen nur mit Mühe und
auch der Fall: Mähler und Hasselhorn anhaltend hoher Fehlerquote. Die Lesepro-
(2003) fanden bei erwachsenen Lernbehin- bleme manifestieren sich bereits beim Erwerb
derten den Wortlängeneffekt auf die Ge- der basalen Lesefertigkeiten, wie dem Erken-
dächtnisspanne deutlich ausgeprägt und ver- nen von Wörtern und Buchstaben (Graphe-
gleichbar den »unauffälligen« jungen Er- me) und bei der Übersetzung in die entspre-
wachsenen gleichen Alters (CA-Kontroll- chenden klanglichen Muster (Phoneme).
gruppe). Dies spricht dafür, dass der Mittlerweile lässt sich ein sehr differenziertes
üblicherweise im 6. Lebensjahr stattfindende Bild der Lese-/Rechtschreibstörung (LRS)
Prozess der Automatisierung des »inneren skizzieren (vgl. Klicpera, Schabmann & Gas-
Nachsprechens« bei Lernbehinderten später, teiger-Klicpera, 2007; Vellutino, Fletcher,
möglicherweise erst zwischen dem 10. und Snowling & Scanlon, 2004; Wolf, 2009).
18. Lebensjahr vollzogen wird. Es ist gut Im Folgenden geben wir eine pointierte Dar-
möglich, dass diese Entwicklungsverzöge- stellung der defizitären Lernvoraussetzun-
rung in einem der wichtigsten Funktions- gen, die für diese Teilleistungsstörung ver-
bereiche des Arbeitsgedächtnisses auch an- antwortlich gemacht werden.

Definition: Lese-/Rechtschreibstörung (LRS) nach ICD-10


Das Hauptmerkmal der LRS ist eine umschriebene und schwerwiegende Beeinträchtigung
der Entwicklung der Lese- und/oder Rechtschreibfertigkeiten (Diagnoseschlüssel F 81.0 im
ICD-10). Die Lese- und ggf. zusätzlich die Rechtschreibleistungen des Kindes liegen
unterhalb eines Niveaus, das aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der

190
4 Besonderheiten des Lernens

Beschulung zu erwarten wäre. Das Leseverständnis, die basale Fähigkeit, geschriebene


Worte zu erkennen, die Fähigkeit, flüssig laut vorlesen zu können und die Leistungen bei
Aufgaben, die ihrerseits Lesekompetenzen voraussetzen, können sämtlich oder teilweise
betroffen sein. Nicht immer treten Lesestörungen und Rechtschreibstörungen gemeinsam
auf. Die Rechtschreibprobleme persistieren aber in aller Regel auch dann, wenn beim Lesen
Fortschritte gemacht werden. Die isolierte Rechtschreibstörung (F 81.1) gibt es auch, sie ist
aber der vergleichsweise seltenere Fall. Die Begriffe Legasthenie oder Dyslexie (eigentlich:
Leseschwäche) werden manchmal synonym für LRS, manchmal aber auch als Oberbegriff
zur Beschreibung von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten unterschiedlicher Art verwendet
(Gold, 2011 a; Valtin, 2001).
Zur LRS-Diagnostik werden standardisierte Rechtschreib- und Lesetests eingesetzt sowie
ein standardisierter Intelligenztest. Zusätzlich empfiehlt es sich, Explorationen der Hör-,
Seh- und Sprachfunktionen sowie ggf. neurologische und internistische Untersuchungen
vorzunehmen (Schwenck & Schneider, 2006; Weber & Marx, 2008). Für eine LRS-
Diagnose werden mindestens 1.2, am häufigsten 1.5 und gelegentlich sogar 2.0 Standard-
abweichungen Differenz zwischen den Lese- bzw. Rechtschreibleistungen und der Intel-
ligenz verlangt.

Kognitive Funktionsdefizite. Die Frage, wa- visuell ebenfalls ähnlichen, phonetisch


rum einigen Kindern trotz hinreichender aber unähnlichen Buchstaben n und u.
Intelligenz der Schriftspracherwerb so Spätestens in den 1980er Jahren setzte
schwer fällt, hat die pädagogisch-psycho- sich die Überzeugung durch, dass es sich bei
logische Forschung seit langem beschäftigt. der LRS vornehmlich um eine sprachlich-
Die unterschiedlichsten Hypothesen wurden phonologische Störung handelt (z. B. Shank-
dabei diskutiert, von denen sich die meisten weiler & Crain, 1986). Dieser Hypothese
als empirisch nicht haltbar herausstellten. zufolge lassen sich Leseprobleme auf Eng-
Dies gilt auch für die bereits sehr früh von pässe und Defizite in der Entwicklung pho-
Orton (1937) formulierte Annahme, dass es nologischer Fertigkeiten zurückführen. Le-
sich bei der LRS vornehmlich um eine visu- seanfänger und schwache Leser aller Alters-
elle Gedächtnisstörung handele. War man stufen haben demnach Schwierigkeiten beim
lange Zeit davon überzeugt, dass die Ver- Dekodieren von Schriftzeichen und Wör-
wechslung formähnlicher Buchstaben (z. B. tern, weil ihr Verständnis der phonologi-
d und b) ein charakteristisches Merkmal der schen Struktur von Sprache vergleichsweise
Störung sei, konnte schon Anfang der schlecht ausgeprägt ist. Entsprechend kön-
1970er Jahre nachgewiesen werden, dass nen sie die phonologischen Strukturen beim
es phonetische (also lautsprachliche) und lautierenden Lesen und beim Schreiben nach
nicht visuelle Verwechslungen sind, die Gehör weniger gut nutzen (vgl. Bruck,
den Leseschwierigkeiten von Kindern mit 1992). Die Frage, worin denn die phonolo-
LRS zugrunde liegen (Liberman, Shankwei- gischen Verarbeitungsdefizite von Kindern
ler, Orlando, Harris & Bell-Berti, 1971). So mit LRS im Einzelnen bestehen und welcher
werden zwar im Anfangsstadium des Schrift- Art die phonologischen Verarbeitungspro-
spracherwerbs häufig die visuell und pho- bleme genau sind, wurde in den letzten Jahr-
netisch ähnlichen Buchstaben d und b mit- zehnten zum dominanten Thema der LRS-
einander verwechselt, nur selten aber die Forschung. Dabei erwies sich eine ursprüng-

191
Teil I Lernen

lich von Wagner und Torgesen (1987) einge- tionstüchtigkeit des phonologischen Arbeits-
führte Klassifikation als äußerst hilfreich. gedächtnisses bestimmt wird (䉴 Kap. 2.1),
Wagner und Torgesen unterscheiden bei sind besonders wichtig für das Wort- und
der Nutzung von Informationen über die Satzverstehen. Der Abruf phonologischer
Lautstruktur gesprochener und geschriebe- Codes aus dem Langzeitgedächtnis beinhal-
ner Sprache drei Komponenten: tet schließlich den raschen Zugriff auf die
Aussprache und die Betonung von Buchsta-
1. die phonologische Bewusstheit, ben, Zahlen und Wörtern, die in der Wissens-
2. das phonetische Rekodieren im Arbeits- basis einer Person bereits repräsentiert sind.
gedächtnis und Es hat sich eingebürgert, die letztgenannte
3. den Abruf phonologischer Codes aus dem Komponente der phonologischen Verarbei-
Langzeitgedächtnis. tung über die Schnelligkeit des Benennens
vertrauter Begriffe zu erfassen, also über die
Alle drei Faktoren zusammen bezeichnet Schnelligkeit des Abrufs von Wortbedeutun-
man als »phonologische Informationsver- gen aus dem semantischen Lexikon (z. B.
arbeitung«. Unter der phonologischen Be- Torgesen, Wagner & Rashotte, 1994; Wolf
wusstheit versteht man die Sensitivität für die & Obregon, 1992).
Lautstruktur einer Sprache und den routi- Eine Reihe von Studien aus den englisch-
nierten Zugriff auf die Klänge bzw. Phoneme sprachigen Ländern haben die Bedeutsam-
der gesprochenen Sprache. Die Fähigkeit zur keit der drei Komponenten der phonologi-
Lautanalyse und -synthese gehört dazu, aber schen Verarbeitung für die schriftsprachliche
auch das Reimen oder das silbenhaft Seg- Leistungsentwicklung bestätigt, vor allem
mentieren-Können. Das phonetische Reko- gilt dies für die phonologische Bewusstheit,
dieren im Arbeitsgedächtnis bezieht sich auf also die erste Komponente, und für die
die Fähigkeit, Laut- und Klanginformatio- Schnelligkeit des Abrufs phonologischer
nen unter den restriktiven kapazitativen Codes aus dem Langzeitgedächtnis. Lese-
Rahmenbedingungen der phonologischen schwache Kinder schneiden dabei schlechter
Schleife eine Zeitlang bereitzuhalten und ab (z. B. Wagner et al., 1997). Gelegentlich
zu transformieren. Die dabei mit diesen wird daher bisweilen auch von einem dop-
Klanginformationen vollzogenen Prozesse pelten phonologischen Defizit (Double De-
der verbalen Informationsverarbeitung, de- ficit Hypothesis) der Dyslexie gesprochen
ren Qualität entscheidend durch die Funk- (z. B. Wolf, 2009; Wolf & Bowers, 1999).

Fokus: Das doppelte phonologische Defizit


Bei leseschwachen Kindern scheint ein mentaler Abstimmungsmechanismus gestört, der im
Normalfall die Integration der Phonem- und Grapheminformation geschriebener Worte
regelt. Wolf, Bowers und Biddle (2000) haben Befunde aus empirischen Studien zusammen-
getragen, die ursächlich auf ein doppeltes phonologisches Defizit dieser Kinder hinweisen.
Zum einen gelingt der Abruf phonologischer Codes aus dem Langzeitgedächtnis weniger
gut, was man an einer fehlerhaften oder verzögerten Aussprache von Worten und einem
verlangsamten Erkennen von Wortbedeutungen erkennen kann. Zum anderen ist die als
phonologische Bewusstheit bezeichnete Sensitivität für die Lautstruktur (also für den Klang
eines Wortes) weniger gut ausgeprägt.
Während die beeinträchtigte phonologische Bewusstheit eher die Genauigkeit der
Worterkennung tangiert, scheint die beeinträchtigte Funktionstüchtigkeit beim Abruf

192
4 Besonderheiten des Lernens

der phonologischen Codes aus dem Langzeitgedächtnis eher Auswirkungen auf die
Geschwindigkeit dieser Prozesse zu haben. Sowohl die Genauigkeit als auch die Geschwin-
digkeit der Worterkennung gelten als zentrale Komponenten der Leseflüssigkeit, einer
wichtigen Determinante des Textverstehens.

Aus der Hypothese des doppelten phonolo- & Näslund, 1993) ist darüber hinaus zu
gischen Defizits ließe sich folgern, dass dem entnehmen, dass sich die phonologische Be-
phonetischen Rekodieren im phonologi- wusstheit und das phonologische Arbeits-
schen Teilsystem des Arbeitsgedächtnisses gedächtnis sozusagen im Parallelschwung
bei der Genese von LRS offenbar keine große entwickeln und dass dies in einem reziproken
Bedeutung beizumessen sei. Eine solche Fol- Verhältnis zur fortschreitenden Entwicklung
gerung wäre aber voreilig, weil sich die im der Lese- und Rechtschreibfertigkeiten steht.
anglo-amerikanischen Sprachraum für das Dass es im deutschen Sprachraum auch Zu-
Störungsbild der Dyslexie entwickelten Kon- sammenhänge zwischen den Maßen des pho-
zepte nur bedingt auf den deutschen Sprach- nologischen Arbeitsgedächtnisses und der
raum übertragen lassen. Nicht umsonst wird Leseleistung gibt, mag auch damit zusam-
im deutschen Sprachraum weniger von der menhängen, dass deutsche Wörter im Durch-
Dyslexie und häufiger von einer LRS gespro- schnitt länger sind als englische, so dass beim
chen. Bereits in der unterschiedlichen Be- Schriftspracherwerb insgesamt höhere An-
grifflichkeiten kommt zum Ausdruck, dass forderungen an den phonetischen Speicher
es im deutschen Sprachraum im Unterschied gestellt werden.
zum englischen nicht allein und nicht vor Auch die Befunde einer holländischen
allem um die Leseprobleme geht, sondern Längsschnittstudie von de Jong und van
auch um Rechtschreibprobleme der Kinder der Leij (1999) sprechen dafür, das Modell
und Jugendlichen. Und es ist zu erwarten, dreier relevanter Komponenten der phono-
dass der Funktionstüchtigkeit des phonolo- logischen Informationsverarbeitung bei-
gischen Arbeitsgedächtnisses beim Schrei- zubehalten, wenn es um die Erklärung von
ben eine noch größere Bedeutung zukommt Lese-/Rechtschreibstörungen geht. Wie in
als beim Lesen. den deutschsprachigen Studien trugen alle
Die Ergebnisse von Längsschnittstudien in drei Komponenten unabhängig voneinander
Deutschland (Näslund & Schneider, 1996) zur Varianzaufklärung späterer Leseleistun-
und Österreich (Klicpera & Gasteiger- gen bei. De Jong und van der Leij (1999)
Klicpera, 1998) unterstreichen das. Für die konnten darüber hinaus zeigen, dass Maße
Prognose einer späteren LRS waren nämlich des phonologischen Arbeitsgedächtnisses
nicht nur die phonologische Bewusstheit und auch mit Leistungsunterschieden beim Rech-
die Schnelligkeit des Abrufs der phonologi- nen kovariieren (s. u.).
schen Codes aus dem Langzeitgedächtnis
von Bedeutung, sondern auch die Funktions- Heterogenität von Lese-/Rechtschreibstö-
tüchtigkeit des phonologischen Arbeits- rungen. Nicht nur der Sprachraum, sondern
gedächtnisses. Alle drei Komponenten der auch die offenkundige Heterogenität des
phonologischen Informationsverarbeitung Erscheinungsbilds der LRS innerhalb eines
erwiesen sich als brauchbare Prädiktoren Sprachraumes ist von großer Bedeutung,
späterer Lese- und Rechtschreibleistungen. wenn Bedingungsfaktoren der LRS erforscht
Den Daten der Münchner Längsschnittstu- werden. Aus einer pädagogisch-anwen-
die (Näslund & Schneider, 1996; Schneider dungsbezogenen Perspektive wäre eine ge-

193
Teil I Lernen

Fokus: Neurologische Besonderheiten der Dyslexie


Mittlerweile liegen auch umfangreiche neuroanatomische Arbeiten zur Dyslexie vor (vgl.
Miller, Sanchez & Hynd, 2003; Vellutino et al., 2004; Warnke, 2005; Wolf, 2009). Dabei
zeigte sich bei Dyslektikern eine unerwartete Symmetrie zwischen linker und rechter
Gehirnhälfte im Bereich des Planum temporale. In der Regel ist das linkshemisphärische
Planum temporale, dem eine besondere Rolle bei der Sprachverarbeitung zukommt, größer
ausgeprägt als das entsprechende rechtshemisphärische Areal. Auch sind bei den Dys-
lektikern kleinere »fokale« Anomalien in der linken Hirnhälfte berichtet worden, sowie
kleinere Auffälligkeiten im Bereich des Thalamus und des prämotorischen Cortex, die
üblicherweise mit visuellen und motorischen Funktionen in Zusammenhang gebracht
werden.
Vorliegende Befunde mit bildgebenden Methoden, wie z. B. der funktionellen Mag-
netresonanz-Tomographie (fMRT), der Positronemmissions-Tomographie (PET) oder der
magnetischen Resonanz-Spektroskopie (MRS), ergeben insgesamt ein heterogenes Bild der
Besonderheiten der Gehirnfunktionen von Dyslektikern (Linkersdörfer, 2011). Obwohl die
neurobiologischen Auffälligkeiten bis ins Erwachsenenalter persistieren, scheinen sie teil-
weise durch gezielte Interventionen beeinflussbar zu sein (Keller & Just, 2009). So konnten
Simos et al. (2002) zeigen, dass sich neuronale Aktivierungsauffälligkeiten betroffener
Kinder beim Worterkennen durch Therapiemaßnahmen abbauen lassen.
Einige Studien zeigen genetische Auffälligkeiten von Dyslektikern auf den Chromosomen
6 und 15, aber auch auf den Chromosomen 1, 2 und 18 (Thomson & Raskind, 2003).
Grigorenko (2001) vertritt die Auffassung, dass ein Großteil der interindividuellen
Unterschiede in den basalen Lesefertigkeiten durch genetische Unterschiede bedingt sei.
Dabei ist zu beachten, dass auch nicht-additive Anteile in eine solche Schätzung genetisch
bedingter Unterschiede eingehen, also Effekte, die durch Kovariationen und Interaktionen
von Anlage- und Umweltfaktoren zustande kommen.

nauere Kenntnis spezifischer Subtypen der wenn die Lese- bzw. Rechtschreibleistungen
LRS hilfreich, um förderliche Interventionen in einem deutlichen Gegensatz zum allge-
besser planen und zielgerichteter durchfüh- meinen Intelligenzniveau des Betroffenen lie-
ren zu können und um damit zu günstigeren gen. Stanovich (1988) hat ein Modell zur
Behandlungsergebnissen zu gelangen. Diskussion gestellt, das von einem Kern-
Die meisten Versuche, unterschiedliche defizit im Bereich der phonologischen Ver-
Merkmals-Cluster unter den LRS-Diagnos- arbeitung ausgeht. Demzufolge sind die
tizierten zu identifizieren, können auf eine phonologischen Verarbeitungsdefizite bei al-
ebenso lange wie theorieferne Tradition zu- len Schülern mit LRS vorhanden, darüber
rückblicken. Erst in jüngerer Zeit gibt es hinaus können jedoch noch eine Reihe wei-
theoretisch begründete Subklassifikations- terer sprachlicher und kognitiver Auffällig-
ansätze. Motiviert wurden diese Bemühun- keiten hinzukommen. Entsprechend unter-
gen durch die am Ende des 20. Jahrhunderts scheidet Stanovich zwischen »spezifischen
erneut entfachten Diskussionen über Sinn Leseschwierigkeiten« mit ausschließlich
und Unsinn der Diskrepanz-Definition der phonologischen Verarbeitungsdefiziten und
LRS, wonach LRS nur dann als spezifische unspezifischen, Feld-Wald-und-Wiesen-Le-
Teilleistungsstörung zu klassifizieren sei, seschwierigkeiten (Garden Variety Dyslexia).

194
4 Besonderheiten des Lernens

Wie bei einem bunten Blumenstrauß könnten auf, dann handelte es sich vorrangig um
bei letzteren alle möglichen Defizite ursäch- Beeinträchtigungen beim Abruf phonologi-
lich mit beteiligt sein. scher Codes aus dem Langzeitgedächtnis
Zu einer ähnlichen Subklassifikation ge- (12 %). Bei diesen Personen war auch die
langten auch Castles und Coltheart (1993), Sprechgeschwindigkeit für kurze Wörter –
allerdings auf der Basis theoretischer Mo- einem Indikator des inneren Nachsprechens
delle der Worterkennung. Im Rahmen von – deutlich reduziert. Störungen der phono-
Fallstudien mit lesegestörten Erwachsenen logischen Bewusstheit fanden sich zwar bei
(alexics) führten diese Autoren die Unter- allen anderen der klassifizierten Kinder
scheidung zwischen einer »phonologischen auch, jedoch traten sie immer nur gemein-
Dyslexie« und einer »oberflächlichen Dys- sam mit Defiziten in wenigstens einer der
lexie« ein. Die phonologische Dyslexie ist beiden anderen phonologischen Verarbei-
gekennzeichnet durch eine Störung beim tungskomponenten auf. Bei immerhin
Extrahieren phonologischer Information 85 % der untersuchten Kinder mit phono-
aus der geschriebenen Sprache, während logischer Dyslexie wurden Minderleistun-
bei der Oberflächen-Dyslexie Probleme gen im Bereich des phonologischen Arbeits-
beim Erlernen und bei der Repräsentation gedächtnisses registriert. Darüber hinaus be-
korrekter Graphem-Sequenzen (also in der richten Morris et al. (1998) von einer recht
Orthographie) bestehen. Stanovich, Siegel hohen Komorbidität der LRS mit Aufmerk-
und Gottardo (1997) konnten in einer Studie samkeits- bzw. Hyperaktivitätsproblemen.
LRS-Subtypen ausmachen, die mit der Un-
terscheidung zwischen phonologischer und
Oberflächen-Dyslexie vereinbar sind. Dabei Rechenstörung (Dyskalkulie)
scheint die phonologische Dyslexie der ro-
bustere Subtyp zu sein, bei dem im Übrigen Im Gegensatz zu den Störungen beim Erwerb
das phonologische Defizit auch mit beson- des Lesens und Rechtschreibens, die spätes-
deren Problemen beim Lesen von Pseudo- tens seit Mitte des 20. Jahrhunderts unter
wörtern einhergeht. Bei der Oberflächen- dem Schlagwort »Legasthenie« immer wie-
Dyslexie scheint es sich dagegen – ähnlich der öffentliches und wissenschaftliches Inte-
wie in Stanovichs Modell beschrieben – um resse geweckt haben, ist das Vorhandensein
einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von spezifischer Teilleistungsstörungen im Be-
Störungsbildern ganz unterschiedlicher reich der Mathematik bzw. des Rechnens
Ätiologie zu handeln. lange Zeit unbeachtet geblieben. Bis in die
Eine sehr viel differenziertere Subklassi- 1990er Jahre hinein findet man sogar in
fikation der LRS haben Morris et al. (1998) einigen Lehrbüchern noch den Hinweis,
ausgearbeitet und empirisch überprüft. Ne- dass es spezielle Rechenstörungen gar nicht
ben den drei Komponenten der phonologi- gäbe, denn wenn die Rechenleistungen
schen Verarbeitung (s. o.) berücksichtigen sie schlecht ausfielen, sei auch die allgemeine
noch weitere kognitive Funktionsbereiche. Intelligenz beeinträchtigt (z. B. Krantz,
Es resultieren auf diese Weise fünf verschie- 1994). Um Missverständnissen vorzubeu-
dene Subtypen der phonologischen Dyslexie. gen: Es wurde auch früher keineswegs be-
Die meisten (35 %) der von Morris et al. stritten, dass es sehr viele Kinder mit schwa-
(1998) klassifizierten Dyslektiker wiesen De- chen Leistungen im Bereich der Mathematik
fizite in allen drei Kernkomponenten der und des Rechnens gibt, wohl aber, dass es zu
phonologischen Verarbeitung auf. Trat nur solch schwachen Leistungen kommen kann,
in einem der drei Bereiche phonologischer wenn ein Kind über durchschnittliche oder
Verarbeitung eine identifizierbare Störung gar überdurchschnittlich gute allgemeine in-

195
Teil I Lernen

tellektuelle Fähigkeiten verfügt. Mathematik ligenz einen deutlichen Leistungsrückstand


sei im Gegensatz zum Lesen und Recht- beim Lösen schulischer Mathematikaufga-
schreiben so hochgradig mit der allgemeinen ben aufwiesen. Kosc bezeichnete dieses Phä-
Intelligenz korreliert (um nicht zu sagen: nomen als Entwicklungsdyskalkulie (Deve-
konfundiert), dass es zu spezifischen Re- lopmental Dyscalculia), um die beobachtete
chenstörungen eigentlich gar nicht kommen Störung von der schon von Gerstmann
dürfe. (1930) beschriebenen Mathematikschwäche
Erwachsener nach Hirnschädigungen im
linkshemisphärischen Bereich des Gyrus an-
Definition: Rechenstörung nach
gularis abzugrenzen.
ICD-10
Zu ganz ähnlichen Prävalenzschätzungen
Die Rechenstörung (Diagnoseschlüssel F wie Kosc kommen auch neuere Studien aus
81.2 im ICD-10) gilt als umschriebene Deutschland, der Schweiz, den USA, Israel
Beeinträchtigung der Rechenfertigkeiten, und Indien (vgl. Geary, 2003; Jacobs &
die nicht allein durch eine allgemeine Petermann, 2005; Lorenz, 2003). Demnach
Intelligenzminderung oder durch eine un- liegt die Auftretenshäufigkeit der Dyskalkulie
angemessene Beschulung erklärbar ist. mit 4 bis 8 % in einer ähnlichen Größen-
Das Defizit betrifft vor allem die Beherr- ordnung wie die LRS (s. o.). Viele Kinder mit
schung grundlegender Rechenfertigkei- diagnostizierter Dyskalkulie weisen aller-
ten wie Addition, Subtraktion, Multipli- dings zusätzliche Störungsbilder auf, vorran-
kation und Division. Schwächen der hö- gig eine LRS oder eine Aufmerksamkeitsdefi-
heren mathematischen Fertigkeiten, die zit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Unter-
für Algebra, Trigonometrie oder Geo- schiedliche Angaben findet man zu der Frage,
metrie und für die Differential- sowie ob die Dyskalkulie häufiger bei Mädchen als
Integralrechnung benötigt werden, be- bei Jungen auftrete. Nur wenn man die Stö-
zeichnet man im Allgemeinen nicht als rungsdefinition im engeren Sinne verlässt und
Rechenstörung. die schwachen Rechenleistungen insgesamt
Zur Diagnostik der Rechenstörung betrachtet – also ohne Beachtung des Dis-
(Dyskalkulie) werden standardisierte Re- krepanzkriteriums zur allgemeinen Intelli-
chentests eingesetzt sowie ein standardi- genz – so findet man tendenziell mehr be-
sierter Intelligenztest (Jacobs & Peter- troffene Mädchen als Jungen (z. B. Klauer,
mann, 2005; Grube, 2008; Weber & 1992). Sonst weisen die vorliegenden Studien
Marx, 2008). Als Diskrepanz zwischen zur Prävalenz der Störung mehrheitlich nicht
den Rechenleistungen und der Intelligenz auf bedeutsame Unterschiede zwischen den
werden – wie bei der LRS – mindestens Geschlechtern hin. In einer in Frankfurt
1.2, häufiger 1.5 und gelegentlich sogar durchgeführten Studie (Labuhn et al., 2009)
2.0 Standardabweichungen zugrunde ge- zeigt sich allerdings unter 1028 untersuchten
legt. Drittklässlern eine deutlich höhere Störungs-
anfälligkeit bei Mädchen (8,3 %) als bei
Jungen (3,0 %).
Die systematische Erforschung spezifischer
Rechenstörungen begann erst in den 1970er
Jahren. Eine der ersten umfangreicheren
Untersuchungen stammt von Ladislav
Kosc (1974). Er entdeckte in einer Stich-
probe von 375 tschechischen Kindern 24
(6 %), die trotz normaler allgemeiner Intel-

196
4 Besonderheiten des Lernens

schwierigkeiten«), des Arbeitsgedächtnisses


Fokus: Gibt es dyskalkuliespezifische (»visuelle Durchgliederungs- und Speiche-
Rechenfehler? rungsschwäche« und »auditive Kurzzeit-
Vor allem für die frühzeitige Diagnose speicherungsschwäche«), des Vorwissens
von Rechenschwächen wäre es vorteil- (»Zahlbegriffsschwäche« und »Lücken im
haft, man könnte Rechenfehler bzw. Feh- Voraussetzungsrepertoire«), der Strategie-
lermuster erkennen, die typisch für die nutzung und ihrer metakognitiven Regula-
Störung sind. Versuche, solche Fehler- tion (»Richtungsstörungen im Ablauf von
muster zu identifizierten, sind aber ge- Teiloperationen« und »Transferschwäche«),
scheitert. Offenkundig produzieren re- der Lernmotivation (»spezielle Rechenmoti-
chenschwache Kinder nicht besondere, vationsstörung«) und auch der Volition
sondern nur besonders viele Fehler (vgl. (»Störung der Arbeitshaltung« und »man-
Dockrell & McShane, 1993). gelndes Durchhaltevermögen«). Der über-
Auch wenn es im Einzelfall didaktisch wiegende Teil der empirischen Befunde,
und therapeutisch hilfreich sein mag, die zu solchen Störungskatalogen führen,
durch Fehleranalysen die Fehlerarten ge- ist allerdings nicht geeignet, um daraus auf
nauer bestimmen und die Fehlkonzepte belastbare Verursachungsfaktoren der Dys-
gezielter korrigieren zu können, so kalkulie schließen zu können. Es handelt sich
scheint eine qualitative Fehleranalyse ins- bei den untersuchten Personen zwar stets um
gesamt wenig geeignet, um zu allgemei- solche mit schwachen Rechenleistungen,
nen Aussagen über das Entwicklungsrisi- aber nur jede vierte von ihnen erfüllt auch
ko einer Dyskalkulie zu gelangen. Gleich- das Diskrepanzkriterium zur allgemeinen
wohl sind mittlerweile Ansätze entwickelt Intelligenz – mithin liegt eine Dyskalkulie
worden (z. B. Krajewski, 2003, 2005; meist gar nicht vor.
Lorenz, 2005), die über die Erfassung Seit Mitte der 1990er Jahre wurden in
der vorschulischen Mengenbewusstheit systematischer Form empirische Analysen
von Zahlen und des Zahlensinns eine der mathematischen Basiskompetenzen
recht gute Identifikation von Kindern von Kindern mit diagnostizierter Dyskalku-
mit einem hohem Risiko für eine spätere lie durchgeführt (vgl. Landerl & Kaufmann,
Rechenstörung zulassen. 2008). Zu den mathematischen Basiskom-
petenzen rechnet man das Zahlenverständ-
nis, das Zählverständnis und die Nutzung
Kognitive Funktionsdefizite. Auf der Suche basaler arithmetischer Strategien. Unter
nach den Auslösern oder Ursachen der Dys- Zahlenverständnis versteht man das Identi-
kalkulie wurden zahlreiche Studien durch- fizieren arabischer Zahlen und das Erken-
geführt, in denen nach Besonderheiten von nen, welche von zwei Zahlen die größere ist.
rechenschwachen Kindern im Vergleich zu Das Zahlenverständnis ist bei Kindern mit
Kindern mit durchschnittlichen Rechenleis- Dyskalkulie weitgehend intakt – zumindest
tungen gesucht wurde. Wie nicht anders zu im Zahlenraum bis 20 (Geary, 2004). Er-
erwarten, findet man über eine solche Om- weitert man allerdings den Zahlenraum bis
nibus-Suche in nahezu allen der im INVO- 1000, so findet man bei rechengestörten
Modell erfolgreichen Lernens aufgelisteten Kindern noch in der 3. und 4. Klassenstufe
Bereiche Defizite der Rechenschwachen. So erhebliche Defizite des Zahlenverständnisses
berichten Grissemann und Weber (2000) (Gaupp, Zoelch & Schumann-Hengsteler,
von Störungen im Bereich der selektiven 2004).
Aufmerksamkeit (sie sprechen von »Wahr- Dem frühen Zählverständnis liegen nach
nehmungsstörungen« und »Konzentrations- Gelman und Gallistel (1978) fünf implizite

197
Teil I Lernen

Zählprinzipien zugrunde. Dabei handelt es ist bereits sehr früh zu beobachten. Dabei
sich um die Eins-zu-Eins-Zuordnung (eine werden Zahlen als konkrete Mengen reprä-
und nur eine Wortmarke wird jedem Objekt sentiert, indem die Finger als Summanden
zugeordnet), die stabile Reihenfolge (die benutzt werden, oder indem das Kind z. B.
Reihenfolge der Zahlworte ist von Zählvor- bei der Bearbeitung der Aufgabe »5 + 3«
gang zu Zählvorgang identisch), die Kardi- einmal fünf und einmal drei Steine auf dem
nalität (das zuletzt genannte Zahlwort gibt Tisch aufreiht und anschließend alle Elemen-
die Menge der gezählten Objekte an), die te der Gesamtmenge zusammenzählt. In der
Abstraktion (unterschiedliche Arten von Regel etwas später werden verbale Zähl-
Objekten können gezählt werden) und die strategien angewandt. In der Frühform wer-
Reihenfolge-Beliebigkeit (Objekte einer ge- den dabei alle Elemente laut gezählt (Coun-
gebenen Menge können in jeder beliebigen ting All), um zum Ergebnis zu kommen.
Reihenfolge gezählt werden). Während die Etwas elaborierter ist die Variante, nicht
ersten vier dieser Prinzipien auch bei rechen- mehr vollständig, sondern nur noch von
gestörten Kindern zu funktionieren schei- der in der Aufgabe erstgenannten Zahl an
nen, haben Erst- und Zweitklässler mit Dys- weiterzuzählen (Counting On). Falls bei der
kalkulie erhebliche Probleme mit dem letzt- Anwendung verbaler Zählstrategien zusätz-
genannten Prinzip der Reihenfolge-Beliebig- lich die Finger zu Hilfe genommen werden,
keit. Sie scheinen zu glauben, dass die werden sie nicht – wie beim eigentlichen
räumliche Nachbarschaft zweier Objekte Fingerzählen – zum Repräsentieren einer
ein notwendiges Merkmal des Zählens dar- konkreten Menge benutzt, sondern zur Kon-
stellt. Außerdem bemerken sie den Fehler des trolle der Anzahl der durchgeführten Zähl-
doppelten Zählens ein und desselben Ob- schritte, d. h. zur Unterstützung des verbalen
jektes nur dann, wenn die falsche Doppel- Zählvorgangs. Eine in der Fachliteratur be-
zählung am Schluss eines Zählprozesses er- sonders hervorgehobene verbale Zählstrate-
folgt, nicht aber, wenn der Zählfehler bereits gie ist die min-Strategie. Dabei identifiziert
zu Beginn des Zählprozesses geschah (Geary, das Kind zunächst den größeren von zwei
Hamson & Hoard, 2000). Geary (2004) Summanden, um diesen anschließend zum
interpretiert dies als deutlichen Hinweis Ausgangspunkt des Zählvorgangs zu neh-
auf ein Arbeitsgedächtnisdefizit, zumal die men. Bei der Aufgabe »3 + 5« wird es also
Rechenschwachen auch sonst Schwierigkei- nicht von der »3« aus fünf Schritte weiter-
ten damit haben, sich einen Fehler (weiter- zählen, sondern von der »5« aus nur noch
hin) zu merken, während sie den Fortgang drei Schritte. Zur Lösung gelangt es dadurch
eines Zählprozesses überwachen (Hoard, in der Regel schneller und die Prozedur ist
Geary & Hamson, 1999). weniger fehleranfällig. Die min-Strategie ist
Auch die Nutzung basaler arithmetischer schon bei Kindern im 1. Schuljahr weit
Strategien bei rechengestörten Kindern ist verbreitet (Grube, 2006). Mit zunehmender
mittlerweile vergleichsweise differenziert un- Vertrautheit einfacher Additionsaufgaben
tersucht worden. In Anlehnung an Carpen- kommt es zur strategischen Nutzung des
ter und Moser (1983) wird dabei die folgen- Wissensabrufs aus dem Langzeitgedächtnis.
de allgemeine Entwicklungssequenz basaler Ist die Lösung einer Aufgabe bereits bekannt
Strategien zur Lösung einfacher Arithmeti- (d. h. in der Wissensbasis repräsentiert), so
kaufgaben zugrunde gelegt: Fingerzählen, kann sie unmittelbar abgerufen werden und
verbale Zählstrategien, Strategien des Wis- die Anwendung aufwendiger Lösungspro-
sensabrufs und Zerlegungsstrategien. Die zesse erübrigt sich. Zusätzlich und damit
Strategie des Fingerzählens (es können überlappend bilden sich Zerlegungsstrate-
auch andere Hilfsmittel als die Finger sein) gien heraus, wenn die Lösung einer Aufgabe

198
4 Besonderheiten des Lernens

zwar nicht direkt aus der Wissensbasis ex- senstufe nutzen sie weiterhin die sehr rudi-
trahiert werden kann, wenn aber Wissen mentäre Strategie des Fingerzählens (Jordan,
über eine verwandte oder ähnliche Aufgaben Hanich & Kaplan, 2003). Auch die Fähig-
genutzt werden kann, um zur Lösung zu keit, einfaches arithmetisches Faktenwissen
gelangen. So kann – um ein einfaches Bei- (Basic Arithmetic Facts) abzurufen, verbes-
spiel zu wählen – die Aufgabe 5 + 7 über das sert sich bei rechengestörten Kindern im
direkt abrufbare Wissen um die Gleichung 5 Verlauf der Primarschuljahre kaum (Geary,
+ 5 = 10 leichter gelöst werden: Durch 2004). Zudem ist bei Kindern mit Dyskal-
Zerlegung der Aufgabe ergibt sich nämlich: kulie eine deutlich verzögerte Entwicklung
5 + 7 = 5 + 5 + 2 = 10 + 2 = 12. der Strategienutzung bei einfachen Arithme-
Hanich, Jordan, Kaplan und Dick (2001) tikaufgaben festzustellen. Das Ausmaß der
stellten fest, dass Erstklässler mit einer Re- Verzögerung beträgt bis zur 5. Klasse bei der
chenstörung oftmals länger bei der Strategie Bearbeitung altersangemessen komplexen
des Fingerzählens verharren und deutlich Arithmetik-Aufgaben etwa zwei Jahre (Gea-
weniger Gebrauch von der effizienteren ry, Hoard, Byrd-Craven & DeSoto, 2004).
min-Strategie machen. Selbst in der 3. Klas-

Studie: Rechenschwäche und Arbeitsgedächtnis


Schuchardt, Mähler und Hasselhorn (2010) untersuchten 38 rechenschwache Kinder der 2.
bis 4. Klassenstufe mit einer umfangreichen Testbatterie (AGTB 5 – 12) zu den drei
Komponenten des Arbeitsgedächtnisses. Für die Hälfte der Kinder war auf der Grundlage
des Diskrepanzkriteriums eine Dyskalkulie diagnostiziert worden, bei den anderen gingen
die schwachen Rechenleistungen (»kongruent«) mit niedrigeren Intelligenztestwerten
einher. Nach Alter parallelisierte Kontrollkinder (N = 38) ohne Rechenschwäche wurden
ebenfalls getestet. Defizite der rechenschwachen Kinder – mit und ohne Intelligenzmin-
derung – zeigten sich allein bei den Aufgaben zum visuell-räumlichen Teilbereich des
Arbeitsgedächtnisses. Wenn man die beiden Gruppen der rechenschwachen Kinder unter-
einander vergleicht, gibt es keine bedeutsamen Unterschiede im Hinblick auf die Leistungen
des Arbeitsgedächtnisses. Die Arbeitsgedächtnisfunktionen sind also offenbar nicht ge-
eignet, um Kinder mit einer Rechenstörung von den allgemein rechenschwachen Kindern zu
unterscheiden. Für Kinder mit einer Lesestörung gilt das analog (Mähler & Schuchardt,
2011).

Neben den rechenspezifischen Determinan- macht, sondern auch spezifische zahlenbe-


ten können auch Merkmale der allgemeinen zogene Repräsentationsdefekte im Langzeit-
kognitiven Funktionstüchtigkeit, z. B. im Be- gedächtnis. Im Rahmen unseres INVO-Mo-
reich des Arbeitsgedächtnisses, an der Aus- dells erfolgreichen Lernens lässt sich dies
bildung von Rechenproblemen beteiligt sein dem Funktionsbereich des inhaltsbezogenen
(Landerl & Kaufmann, 2008). Aber nicht Vorwissens zuordnen. Es sind vor allem
nur Dysfunktionen im Arbeitsgedächtnis – Arbeiten des französischen Neurowissen-
und dort vornehmlich im visuell-räumli- schaftlers Stanislas Dehaene, die diese These
chen, bisweilen auch im zentral-exekutiven stützen (Dehaene, 1997; Dehaene & Cohen,
Bereich – werden für die Ausbildung spezi- 1995). Dehaene geht davon aus, dass bei der
fischer Rechenstörungen verantwortlich ge- Bewältigung mathematischer Anforderun-

199
Teil I Lernen

gen auf drei unterschiedliche Kodierungen Repräsentation von (arabischen) Ziffern


bzw. Repräsentationsformen in der Wissens- und ihrer Bedeutung und auf eine verbal-
basis (»Triple-Code«) zurückgegriffen wird: phonologische Repräsentation der Zahlen in
auf eine analoge Repräsentation von Größen Form von Zahlwörtern und Wortmarken
bzw. Mengen, auf eine visuell-symbolische (䉴 Abb. 4.3).

vorsprachliches System

Analoge
Größen-
Repräsentation

ungenaue
Menge

Visuell- Auditiv-
arabische verbale
Repräsentation Repräsentation

Ziffernform Wortform
Abb. 4.3:
»Triple-Code-Model« nach
sprachverarbeitende Systeme Dehaene (1992)

Die analoge Größenrepräsentation macht es von Zahlen im Langzeitgedächtnis, nämlich


möglich, Mengen ohne exaktes Zählen oder zu einer auditiv-verbalen als Zahlwort und
Rechnen rasch und recht grob als Einheiten zu einer visuell-symbolischen in arabischer
wahrzunehmen und in ihrer Mächtigkeit zu Ziffernform. Diese beiden Arten der Zahlre-
vergleichen. Diese Analogrepräsentation ist präsentation sind an die Sprache gebunden
für Überschlagsrechnungen, für schnelle und müssen verfügbar sein, wenn mit mehr-
Vergleiche und für das Abschätzen von gro- stelligen Zahlen exakte Ergebnisse berechnet
ßen Anzahlen, aber auch für das unmittel- werden sollen. Zwar sind nicht an allen
bare Erfassen von kleinen Anzahlen auf Rechenoperationen beide Formate beteiligt
einen Blick (Subitizing) wichtig und ausrei- – grundsätzlich benötigt werden sie aber
chend. Vermutlich handelt es sich bei dieser beide. Schriftliche Additionen mit vierstel-
Repräsentationsform um eine Art angebo- ligen oder größeren Zahlen werden vermut-
rene Mengenbewusstheit, die übrigens schon lich nur noch unter Rückgriff auf die visuell-
Säuglingen eine näherungsweise Unterschei- symbolische Repräsentation durchgeführt.
dung von Anzahlen ermöglicht (vgl. Bran- Geht es hingegen darum, Rechenergebnisse
non, 2002; Mack, 2002; Xu, 2003). Mit im Rahmen des kleinen Einmaleins aus dem
zunehmendem Entwicklungsalter kommt es Langzeitgedächtnis abzurufen, wird vermut-
zu zwei weiteren Repräsentationsformen lich auf die auditiv-verbale Repräsentation

200
4 Besonderheiten des Lernens

der Zahlen zurückgegriffen, ohne die visuell- von neuronalen Modulen gesprochen) oder
symbolische Ebene zu beteiligen. Die visuelle aber auf eine Störung der Verknüpfung der
und die auditive Repräsentationsform erlau- unterschiedlichen Kodierungen bzw. Modu-
ben im Gegensatz zur analogen Größenre- le zurückzuführen. Aufgrund neuropsycho-
präsentation ein exaktes Bestimmen von logischer Untersuchungen an hirngeschädig-
Anzahlen. ten Erwachsenen mit Rechenproblemen ver-
Dehaene nimmt an, dass die Probleme mutet man, dass die zahlenbezogenen Re-
rechengestörter Kinder schon bei der Erfas- präsentationsdefizite mit neurologischen
sung und Enkodierung von Zahlen und ihrer Störungen im Bereich der Basalganglien
Bedeutung beginnen. Sie seien möglicher- und des parietal-occipitalen Temporallap-
weise die Folgen eines Defektes in einer pens zusammenhängen (Dehaene, Molko,
der drei Repräsentationsformen (gelegent- Cohen & Wilson, 2004).
lich wird in diesem Zusammenhang auch

Studie: Rechenarten und spezifische neurologische Besonderheiten


Dehaene und Cohen (1991) identifizierten zwei cerebral lokalisierbare Routen für das
Rechnen. Die verbale Route spielt bei Additions- und Multiplikationsrechnungen eine
große Rolle, die Mengenwissen-Route eher bei Subtraktions- und Divisionsrechnungen. Bei
einem Patienten, der unter einer linkshemisphärischen subkortikalen Läsion litt und
Defizite im Bereich der verbalen Route aufwies, kam es zur Störung des Abrufs von
arithmetischem Faktenwissen während das semantische Zahlengrößen- oder auch Men-
genwissen weitgehend intakt war. Bei einem anderen Patienten mit einer rechtshemisphä-
rischen inferioren parietalen Läsion ergab sich hingegen eine Beeinträchtigung des seman-
tischen Zahlengrößen- bzw. Mengenwissens. Dieser Patient zeigte vor allem auch Schwie-
rigkeiten bei Subtraktionsaufgaben, konnte aber nach wie vor auf sein arithmetisches
Faktenwissen zurückgreifen.
Lemer, Dehaene, Spelke und Cohen (2003) konnten zeigen, dass Beeinträchtigungen bei
der Subtraktion mit solchen im Mengenwissen (analoge Repräsentation von Größen) und
Beeinträchtigung der Multiplikation eher mit Sprachstörungen (auditiv-sprachliche Re-
präsentation) einhergehen. Neuronale Korrelate der Zahlenverarbeitung werden für die
analoge Mengenrepräsentation im Parietallappen, für die verbal-phonologische Reprä-
sentation in der perisylvischen Furche und in subkortikalen Regionen und für die visuell-
symbolische Repräsentation in okzipitalen Regionen des Hinterhauptlappens gesehen.
Hinzu kommen – weil an den Rechenoperationen selbst das Arbeitsgedächtnis immer
beteiligt ist – Regionen im frontalen Cortex (Lonnemann, Linkersdörfer, Hasselhorn &
Lindberg, 2011).

Heterogenität und Klassifizierungsansätze erwähnten frühen Studie von Kosc (1974)


der Rechenstörungen. Nicht erst die Ergeb- wurden auf der Grundlage der beobachteten
nisse neuropsychologischer Funktionsana- Rechenfehler sechs Unterformen der Ent-
lysen werfen die Frage auf, ob die Dyskal- wicklungsdyskalkulie unterschieden. Die
kulie eigentlich ein homogenes Phänomen verbale Dyskalkulie manifestiert sich dem-
darstellt oder ob es verschiedene Arten von zufolge in einer Störung der Fähigkeit, Zif-
Rechenstörungen gibt. Bereits in der oben fern und mathematische Symbole zu benen-

201
Teil I Lernen

nen. Die praktognostische Rechenstörung Auf der Basis von Informationsverarbei-


bezeichnet eine Störung der mathematischen tungs-Analysen rechengestörter Kinder un-
Manipulation von Objekten und führt zu terscheidet Geary (1993, 2003, 2010) drei
Problemen bei der Entscheidung, welche von Subtypen der Rechenstörung: einen pro-
zwei konkreten Anzahlen von Objekten grö- zeduralen (Procedural), einen auf Gedächt-
ßer ist. Von einer lexikalischen Dyskalkulie nisrepräsentationen bezogenen (Semantic
spricht Kosc (1974), wenn mathematische Memory) und einen visuell-räumlichen (Vi-
Symbole zwar benannt, nicht aber gelesen suospatial). Beim prozeduralen Subtyp wen-
werden können. Graphische Dyskalkulie den die Kinder die alters- und aufgabenge-
liegt vor, wenn mathematische Symbole mäßen Rechenstrategien nicht an. Es kommt
nicht geschrieben werden können. Bei der zu häufigen Fehlern beim Ausführen von
ideognostischen Dyskalkulie fehlt es am Ver- Rechenoperationen, für die möglicherweise
ständnis mathematischer Ideen und Relatio- eine Entwicklungsverzögerung in der Aneig-
nen, und bei der operationalen Dyskalkulie nung der zugrunde liegenden mathema-
beobachtet man häufig Verwechslungen ma- tischen Konzepte verantwortlich ist. Man
thematischer Operationen (z. B. werden bei findet bei diesem Subtyp häufig auch
einer Multiplikationsaufgabe die Zahlen ad- linkshemisphärische Funktionsbeeinträchti-
diert). gungen, bisweilen auch präfrontale Dys-
In den 1980er Jahren führte die Arbeits- funktionen.
gruppe von Byron Rourke in Kanada etliche Der von Geary mit »Semantic Memory«
Untersuchungen über Zusammenhänge zwi- bezeichnete Subtyp zeichnet sich durch un-
schen schulischen Lernschwierigkeiten und verhältnismäßig viele Fehler beim Abruf
neuropsychologischen Funktionsstörungen mathematischen Faktenwissens aus (z. B.
durch. Auf der Grundlage der dabei zusam- wenn das Ergebnis der Aufgabe 3 x 5 aus
mengetragenen Befunde postulierte Rourke dem Gedächtnis abzurufen ist). Das korrekte
(1993) zwei Subtypen der Rechenschwäche: Abrufen und die für die richtigen Lösungen
einen nonverbalen, der vor allem durch benötigte Abrufzeit unterliegen großen in-
visuell-räumliche Defizite gekennzeichnet traindividuellen Schwankungen. Geary
ist, und einen verbalen Subtyp, bei dem (2003) vermutet hier linkshemisphärisch
zusätzliche Probleme beim Lesen und Recht- verortete Funktionsdefizite, teilweise in
schreiben bestehen. Beim nonverbalen Typ den posterioren, teilweise in den präfronta-
sind die verbalen Fähigkeiten normal ent- len Regionen der linken Hemisphäre. Mög-
wickelt, nicht aber die visuell-räumlichen licherweise sind auch subkortikale Regionen
sowie die taktil-kinästhetischen. Kinder die- involviert, wie etwa die Basalganglien. Bei
ses Typs zeigen besonders häufig und be- Kindern dieses Typs beobachtet man beson-
sonders viele verschiedene Rechenfehler. ders häufig das komorbide Auftreten von
Rourke (1993) ist der Ansicht, dass sie Lese-/Rechtschreibstörungen. Da die Verhal-
kein Verständnis der grundlegenden mathe- tensauffälligkeiten dieser Kinder auch mit
matischen Algorithmen haben. Ein komple- zunehmendem Alter bestehen bleiben,
mentäres Muster der Schwächen zeigt sich scheint es sich im Unterschied zum prozedu-
beim verbalen Typ der Dyskalkulie. Neben ralen Typus nicht nur um eine Entwicklungs-
den zusätzlichen Lese- und Rechtschreibpro- verzögerung zu handeln. Eine genetische
blemen stehen im Vordergrund akustisch- Prädisposition der Störung gilt als sehr wahr-
verbale Verarbeitungsdefizite, die sich be- scheinlich.
sonders in Fehlern bei der mechanischen Der visuell-räumliche Subtyp ist durch
Anwendung vorhandenen mathematischen Schwierigkeiten charakterisiert, die sich
Wissens äußern. aus der räumlichen Präsentation von Zahlen

202
4 Besonderheiten des Lernens

ergeben. So kommt es häufig zu Verschie- tationsformen von Zahlen nach Dehaene


bungen beim Untereinanderschreiben von (1992), dass beim sprachlichen Subtyp die
Zahlen oder zu Fehlern durch Zahlendreher. auditiv-verbale Repräsentation gestört ist,
Geary (2003) sieht hier Zusammenhänge beim arabischen Subtyp die visuelle Reprä-
mit Beeinträchtigungen der posterioren Re- sentationsform und beim tiefgreifenden Sub-
gionen der rechten Hemisphäre. Ein syste- typ zusätzlich die analoge Größenrepräsen-
matischer Zusammenhang mit Lese-/Recht- tation.
schreibstörungen scheint nicht vorzuliegen. Für Kinder mit dem »tief greifenden« Subtyp
Unklar ist die Frage der genetischen Prädis- kann angenommen werden, dass zum Beispiel
position. infolge genetischer Dispositionen oder früh-
Im deutschen Sprachraum hat Michael kindlich bedingter Hirnfunktionsstörungen
sich bereits die vorsprachlichen numerischen
von Aster (2000, 2003) eine weitere Sub-
Kompetenzen nicht angemessen haben ausprä-
klassifikation der Dyskalkulie vorgelegt. Sie gen und entwickeln können, die aber nötig
basiert auf der clusteranalytischen Auswer- sind, um . . . überhaupt zu verstehen, wie und
tung der Leistungen rechenschwacher Kin- wozu Zahlworte, Arabische Zahlen und arith-
der der 2. bis 4. Klassenstufe in einer um- metische Konzepte gebraucht werden. Kinder
mit dem »sprachlichen« Subtyp machen häufig
fangreichen, neuropsychologisch begründe- Fehler beim Abzählen (zum Beispiel infolge
ten Testbatterie (ZAREKI; von Aster, 2002). Sprachentwicklungs- oder Aufmerksamkeits-
Von Aster unterscheidet ähnlich wie Dehae- störungen) und demzufolge sind auch die Zähl-
ne einen »sprachlichen«, einen »tiefgreifen- strategien beim Addieren und Subtrahieren
fehleranfällig. Dies wiederum erschwert den
den« und einen »arabischen Subtyp«. Beim
Aufbau von Abrufstrategien und das Anlegen
sprachlichen Subtyp treten Fehler vermehrt von arithmetischem Faktenwissen. Die Kinder
nur bei den einfachen Kopfrechenaufgaben verharren in unreifen, langsamen Zählstrate-
(Addition, Subtraktion) auf, beim Abzählen gien und fallen schulisch zurück. Kindern mit
von Mengen sowie beim Rückwärtszählen. dem »Arabischen« Subtyp schließlich fällt das
Erlernen des Arabischen Notationssystems und
Beim arabischen Subtyp dominieren die Feh- der entsprechenden Transkodierungsregeln be-
ler beim Transkodieren (Übertragen von sonders schwer. (von Aster, 2003, S. 173 f)
Zahlworten in die arabische Zahlform
und umgekehrt). Beim tiefgreifenden Subtyp Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich das
sind die Leistungen in fast allen Bereichen durch von Aster zur Diskussion gestellte
der verwendeten Testbatterie auffallend Subklassifikationssystem im Vergleich mit
schlecht. Von Aster (2003) vermutet unter dem Modell von Geary (2004) bewähren
Rückgriff auf das Modell der drei Repräsen- wird.

4.3 Lernbesonderheiten Hochbegabter

Das Ausmaß an interindividuellen Unter- die andere Richtung. Wenn besonders gute
schieden, mit denen Lehrkräfte in ihrem Leistungen einzelner Personen konsistent
Schulalltag konfrontiert werden, kommt und stabil zu beobachten sind, vermuten
nicht allein daher, dass es Kinder mit Lern- wir meist, dass es sich um hochbegabte
schwächen und Teilleistungsstörungen gibt. Lernende handelt.
Auffällige Abweichungen vom »normalen« Nicht immer trifft diese Vermutung aller-
Lern- und Leistungsvermögen gibt es auch in dings zu. So führt z. B. ein begabungsdiag-

203
Teil I Lernen

nostisches Vorgehen nur teilweise zur Iden- ● Kreatives oder produktives Denken
tifikation der Schülerinnen und Schüler mit ● Führungsqualität
hoher Leistung. In der breit angelegten Mar- ● Bildnerische und darstellende Künste
burger Hochbegabtenstudie fanden sich ● Psychomotorische Fähigkeiten
deutlich mehr Mädchen als Jungen unter
den Hochleistenden, aber deutlich mehr Jun- Das dadurch aufgespannte Spektrum der
gen als Mädchen unter den Hochbegabten Hochbegabung ist sehr breit. Unter der
(vgl. Rost, 2000). Offenkundig hat eine Zielsetzung, das Phänomen Hochbegabung
besonders hohe Begabung nicht zwangsläu- möglichst eindeutig zu fassen, hat man sich
fig hervorragende Lernleistungen zur Folge; seither um eine engere Definition von Hoch-
sie scheint nicht einmal eine notwendige begabung bemüht. Nicht zuletzt aufgrund
Voraussetzung für den herausragenden der langen Tradition der Intelligenztests und
schulischen Lernerfolg zu sein. Was aber weil die Intelligenztestleistungen zu den bes-
ist Hochbegabung? Lernen Hochbegabte ten Prädiktoren für ganz unterschiedliche
einfach nur mehr und schneller oder auch kulturelle Leistungen zählen, spricht man
anders als durchschnittlich Begabte? Um heute in der Regel von Hochbegabung nur
diese Fragen zu beantworten, werden wir noch bei ausgeprägten allgemeinen intellek-
zunächst zu definieren versuchen, was man tuellen Fähigkeiten. Die übrigen im Report
unter Hochbegabung versteht. Anschließend von Marland (1971) aufgeführten Kom-
werden die kognitiven, die motivationalen petenzen werden dagegen mit der Bezeich-
und die volitionalen Lernvoraussetzungen nung »Sonderbegabungen« bzw. »besonde-
Hochbegabter näher betrachtet und es re Talente« versehen.
wird thematisiert, weshalb nicht alle der
hochbegabten Kinder und Jugendlichen
Definition: Hochbegabung
die in sie gesetzten Leistungserwartungen
erfüllen. Gelegentlich kann es nämlich trotz Obgleich in den theoretischen Konzep-
einer tatsächlichen oder vermeintlichen tionen die Hochbegabung häufig als
Hochbegabung zu Teilleistungsstörungen Schnittmenge unterschiedlicher Kom-
in der schulischen Lernentwicklung kom- petenzbereiche konzipiert wird (z. B. Ren-
men. zulli, 2000), dominiert in der wissen-
schaftlichen Forschung und in der diag-
nostischen Praxis bis heute die IQ-Defi-
Was ist Hochbegabung? nition bzw. die quantitative Definition
von Hochbegabung über den Intelligenz-
Anfang der 1970er Jahre veröffentlichte die testwert (vgl. Rost & Buch 2010). Da-
amerikanische Regierung einen Bericht über nach spricht man von Hochbegabung,
die Bildungsmöglichkeiten und Förderinitia- wenn die allgemeine intellektuelle Leis-
tiven für Hochbegabte, der unter der Feder- tungsfähigkeit mindestens zwei Stan-
führung des damaligen Bildungsbeauftrag- dardabweichungen über dem Mittelwert
ten Sidney Marland entstanden war. Hoch- der Referenzpopulation liegt. Diesen
begabung wurde in diesem Bericht als he- Wert erreichen nur etwa 2 % der Bevöl-
rausragendes Verhaltenspotenzial in einem kerung. In der gebräuchlichen Metrik des
oder mehreren der folgenden Bereiche de- Intelligenzquotienten (M = 100; SD = 15)
finiert: ist also ein IQ-Wert von mindestens 130
erforderlich (䉴 Abb. 4.4).
● Allgemeine intellektuelle Fähigkeit
● Spezifische schulische Leistungen

204
4 Besonderheiten des Lernens

0,13% 2,14% 13,59% 34,13% 34,13% 13,59% 2,14% 0,13%

Häufigkeit

40 55 70 85 100 115 130 145 160


Abb. 4.4:
Intelligenzverteilung Intelligenzquotient

Selbst wenn man die zahlreichen Alternati- Hochbegabter aus, wie die beiden folgenden
ven zur IQ-Definition der Hochbegabung Zitate belegen:
unberücksichtigt lässt, ist es bei jährlich Hochbegabte unterscheiden sich von durch-
mehr als 100 empirischen Beiträgen zur schnittlich Begabten insbesondere in bezug
Hochbegabtenforschung (vgl. Dai, Swanson auf . . .
& Cheng, 2011) nicht leicht, sich ein verläss- ● effizientere Informationsverarbeitungs- und
Gedächtnisstrategien,
liches Bild von den Besonderheiten Hoch- ● internale Kontroll- bzw. Selbstwirksam-
begabter zu machen. Dies hat vor allem zwei keitsüberzeugungen,
Gründe: Zum einen existiert eine Vielzahl ● realistische Einschätzungen des Begabungs-
unterschiedlicher Intelligenztests, und es ist selbstkonzeptes,
keineswegs ausgemacht, dass ein IQ-Wert ● kognitive Neugier und Erkenntnisstreben,
● aufgabenorientierte (intrinsische) Leistungs-
von 130 oder mehr, der mit einem bestimm- motivation.
ten Testverfahren ermittelt wurde, in einem (Heller & Hany, 1996, S. 482)
anderen Test durch einen ähnlich hohen IQ-
Wert bestätigt wird. Zum anderen ist die Da es bislang noch nicht gelungen ist, qualita-
tive Unterschiede (differente Denkstrukturen)
Prävalenz der Hochbegabung definitions-
zwischen Hochbegabten und durchschnittlich
gemäß – mit nur 2 % der Bevölkerung – Begabten ausfindig zu machen, wird weltweit
sehr gering, so dass in der Hochbegabungs- eine quantitative Hochbegabungsdefinition
forschung häufig auch weniger strenge Kri- verwendet. (Rost & Buch, 2010, S. 258)
terien akzeptiert werden, wenn es um die
Auswahl von Personen für eine Studie geht Bei aller Uneinheitlichkeit der Vorgehens-
(z. B. IQ > 120). Durch ein solches Vorgehen weise und trotz der divergierenden Befunde
werden aber möglicherweise subtile Unter- zu möglichen Besonderheiten Hochbegabter,
schiede zwischen überdurchschnittlich »gut wird im Folgenden der Versuch unternom-
begabten« und tatsächlich »hochbegabten« men, die individuellen kognitiven, motiva-
Lernenden verdeckt. tionalen und volitionalen Lernvoraussetzun-
Dementsprechend unterschiedlich fallen gen von Lernenden mit einem IQ von min-
die Einschätzungen führender Fachkollegen destens 130 näher zu beschreiben.
bezüglich der lernrelevanten Besonderheiten

205
Teil I Lernen

Kognitive Lernvoraussetzungen tungen in der Lage sind. So interessierte man


Hochbegabter sich mehr für die Frage, wie glücklich, erfolg-
reich oder sozial-integriert Hochbegabte
sind. Um zu beschreiben, worin die kogni-
Erstaunlicherweise findet man in der ein- tiven Vorteile hochbegabter Lernender be-
schlägigen Literatur kaum systematische stehen, verwies man lange Zeit auf die Be-
Forschung zu den kognitiven Funktionen funde der berühmten Terman-Studie, in der
von Hochbegabten. Wegen der IQ-Definiti- die Eltern hochbegabter Kinder über deren
on der Hochbegabung schien es trivial, dass Entwicklungsbesonderheiten berichtet hat-
Hochbegabte generell zu besseren Denkleis- ten.

Studie: Die Hochbegabten-Studie von Terman


Die erste breit angelegte Längsschnittstudie wurde 1921 von Lewis Terman an der Stanford-
Universität initiiert. Mit einem ausgeklügelten Verfahren identifizierte Terman ca. 1500
kalifornische Schüler, die zwischen 1903 und 1917 geboren waren und einen IQ von 135
oder mehr aufwiesen. Die Eltern dieser Kinder berichteten eine Reihe besonderer Auffäl-
ligkeiten: Die hochbegabten Kinder begannen durchschnittlich 3 ½ Monate früher mit dem
Sprechen, als es der Norm entsprach, sie fielen früh durch eine schnelle Auffassungsgabe,
eine unstillbare Neugier und ein exzellentes Gedächtnis auf.
Das von Terman (1925) skizzierte Bild der kognitiven Lernvoraussetzungen hoch-
begabter Schüler lassen diese als »Traumschüler« eines jeden Lehrers erscheinen. Sie
scheinen mit sehr wenig Hilfe durch Erwachsene zu lernen. Sie lernen schnell und häufig
mit einem hohen Ausmaß an Ausdauer und Konzentration; sie erleben intensives und
konzentriertes Lernen als sehr lustvoll, sind sich ihrer eigenen Lernstrategien in unge-
wöhnlichem Ausmaße bewusst und gehen einem Problem so lange nach, bis sie eine
zufriedenstellende Antwort gefunden haben. Die Terman-Kinder wurden übrigens ihr
ganzes Leben lang wissenschaftlich begleitet. Friedman und Martin (2012) haben kürzlich
die Erkenntnisse zu ihrer Lebensdauer und zu ihrer Lebenszufriedenheit zusammengefasst.

Eine der wenigen Übersichtsarbeiten zu den qualitativen Unterschiede zu den Normal-


kognitiven Besonderheiten Hochbegabter begabten gibt.
stammt von Rogers (1986). Für diese Arbeit Diese Schlussfolgerung ist nicht unpro-
wurden vor allem Vergleichsstudien zwi- blematisch: Quantitative Unterschiede hin-
schen Hochbegabten und durchschnittlich sichtlich der kognitiven Lernvoraussetzun-
Begabten zu ihren kognitive Stilen gen können sehr wohl auch die Folge qua-
(䉴 Kap. 2.3), zur allgemeinen kognitiven litativer Unterschiede sein. Es gibt hierfür
Entwicklung und zur Nutzung kognitiver aber keine Belege. In allen drei der in
Strategien ausgewertet. In allen Bereichen 䉴 Kap. 2 skizzierten Bereiche kognitiver Vo-
fanden sich bedeutsame Vorteile der Hoch- raussetzungen erfolgreichen Lernens findet
begabten. Rogers (1986) gelangt aufgrund man Funktionsvorteile Hochbegabter. So
dieser Befunde zu der Schlussfolgerung, dass berichten z. B. Gevins und Smith (2000)
die kognitiven Lernvoraussetzungen Hoch- bei hohen IQ-Werten von vermehrten neu-
begabter zwar in jeder Hinsicht (quantitativ) rophysiologisch erfassbaren Aktivitäten in
besser ausgeprägt sind, dass es jedoch keine den zentral-nervösen Systemen, die das Ar-

206
4 Besonderheiten des Lernens

beitsgedächtnis und die Aufmerksamkeits- Untersuchungen zum spontanen Gebrauch


kontrolle unterstützen. Auch Butterfield und von Gedächtnisstrategien können die An-
Feretti (1987) berichten von einer höheren nahme vom Strategievorteil Hochbegabter
Effizienz des Arbeitsgedächtnisses bei Per- nur teilweise bestätigen. Borkowski und
sonen mit sehr hohem IQ. Zusätzlich führen Peck (1986) untersuchten z. B. die Nutzung
sie weitere Vorteile an, die in der reichhal- von Strukturierungsstrategien bei einfachen
tigeren und differenzierter organisierten Behaltensanforderungen und verglichen 7-
Wissensbasis sowie in der vermehrten Nut- bis 8-jährige Hochbegabte mit durchschnitt-
zung komplexer kognitiver Strategien beste- lich Begabten, ohne einen bedeutsamen Un-
hen. terschied zu finden. Kurtz und Weinert
(1989) untersuchten sehr ähnliche Strategien
bei 10- bis 12-jährigen Kindern und fanden
Fokus: Arbeitsgedächtnis bei in diesem Alter einen bedeutsamen Vorteil
Hochbegabten der Hochbegabten. Das auf den ersten Blick
Vock und Holling (2008) untersuchten inkonsistente Befundmuster wird durch die
die Funktionstüchtigkeit des Arbeits- Ergebnisse einer weiteren Studie von Muir,
gedächtnisses von durchschnittlich und Masterson, Wiener, Lyon und White (1989)
hochbegabten Viert- bis Sechstklässlern bestätigt. Diese Autoren verglichen 9- und
zwischen 8;6 und 13;11 Jahren, deren 12-jährige Hochbegabte mit gleichaltrigen
Intelligenzwerte mit dem CFT 20 be- durchschnittlich begabten Kindern und fan-
stimmt worden waren. Es wurden sechs den dabei, dass mit neun Jahren kein Vorteil
klassische, für die Darbietung am Com- der Hochbegabten in der Nutzung von Stra-
puter adaptierte Arbeitsgedächtnisaufga- tegien auftrat, wohl aber mit 12 Jahren.
bentypen eingesetzt, die zentral-exekutive Aber bereits bei 13-Jährigen konnte der
Prozesse fokussierten und sich zu zwei Strategienutzungsvorteil nicht mehr fest-
Skalen, einer verbal-numerischen und ei- gestellt werden (vgl. Harnishfeger & Bjor-
ner figuralen Skala, zusammenfassen lie- klund, 1990). In ihrer Gesamtheit passen
ßen. Die Hochbegabten zeigten im Ver- diese Befunde gut zu der Annahme, dass
gleich zu den durchschnittlich begabten Hochbegabung nicht zu einem prinzipiellen
Schülern bessere Leistungen in den Ar- Vorteil bei der Strategienutzung führt, son-
beitsgedächtnisaufgaben mit Effektstär- dern lediglich zu einer beschleunigten Stra-
ken im Bereich von d = 0.71 bis d = 1.02. tegieentwicklung. Die in den berichteten
Die verbal-numerische korrelierte mit der Studien betrachteten Strategien erfahren
figuralen Skala und beide korrelierten im normalen Entwicklungsverlauf zwischen
substantiell mit dem CFT 20 zu r =.56 zehn und zwölf Jahren einen wichtigen Ent-
(verbal-numerische Skala) bzw. r =.61 wicklungsschub durch die erwachende Fä-
(figurale Skala). Schließlich eigneten higkeit zur abstrakten Selbstreflexion und
sich die beiden Skalen – ebenso wie klas- die mit dieser Fähigkeit einhergehende me-
sische Intelligenzskalen – dazu, die schu- takognitive Kontrolle und Regulation stra-
lischen Leistungen von Schülern vorher- tegischen Verhaltens. Offensichtlich haben
zusagen; die Arbeitsgedächtnisskalen er- Hochbegabte in diesem Zeitfenster einen
wiesen sich in dieser Studie den Intelli- spezifischen Vorteil, der eher mit der meta-
genztests sogar teilweise als überlegen, da kognitiven Regulation als mit der Nutzung
sie zusätzliche Varianz aufklärten, die der Strategien an sich zu tun hat.
durch Intelligenzskalen nicht erklärt wer- In einer Übersichtsarbeit von Alexander,
den konnte. Carr und Schwanenflugel (1995) finden sich
weitere Hinweise auf metakognitive Vorteile

207
Teil I Lernen

Hochbegabter. Allerdings scheinen diese ter findet sich bei Schütz (2004). Insbe-
eher im Bereich des Wissens über Strategien sondere hinsichtlich der schulleistungs-
(deklarative Metakognition) zu liegen als im bezogenen Kontrollüberzeugungen und im
Bereich der metakognitiven Kontrolle (abge- Hinblick auf die leistungsbezogenen Kausa-
sehen von der beschleunigten Entwicklung lattributionen gibt es demnach deutliche
der entsprechenden Kontrollkompetenzen). Vorteile der Hochbegabten. Allerdings fallen
Insofern spricht vieles dafür, den kognitiven die Befunde so differenziert aus, dass es nicht
Vorteil Hochbegabter vor allem im Bereich leicht ist, die Vorteile genauer zu charakte-
des Arbeitsgedächtnisses und der Wissens- risieren. In der bereits erwähnten Studie von
basis zu lokalisieren. Eine ähnliche Einschät- Kurtz und Weinert (1989) führten die Hoch-
zung geben auch Robinson und Clinken- begabten ihre Lernerfolge stärker auf Bega-
beard (1998) in ihrer Bestandsaufnahme bung und weniger auf Anstrengung zurück
der Ergebnisse der Hochbegabungsfor- als die durchschnittlich Intelligenten. Dage-
schung: gen berichtet Chan (1996) für 13-jährige
Hochbegabte Kinder . . . haben gegenüber Mit-
Hochbegabte, dass sie Erfolge wie Miss-
schülern einige Vorteile, besonders hinsichtlich erfolge eher internal variabel (also mit An-
der Quantität, Schnelligkeit und Komplexität strengung und geeigneter Strategienutzung)
ihrer Kognitionen. Sie verfügen über ein bes- erklären.
seres metakognitives Wissen und können Stra-
Volitionale Besonderheiten Hochbegab-
tegien besser in neuen Kontexten nutzen. Al-
lerdings zeigen sie keine größere Variations- ter sind bisher nicht systematisch untersucht
breite als andere Schüler in der Nutzung me- worden. So muss zunächst offen bleiben, ob
takognitiver Strategien und auch bei der neben den kognitiven auch die volitionalen
Überwachung von Strategien zeigen sich keine Lernvoraussetzungen bei den Hochbegabten
offensichtlichen Unterschiede. (Robinson &
Clinkenbeard, 1998, S. 125) günstiger ausfallen als bei Lernenden mit
einem durchschnittlichen Intelligenztest-
wert. Trotz weitgehend fehlender empiri-
Motivationale und volitionale scher Belege schreibt man allerdings dem
Lernvoraussetzungen motivational-volitionalen Bereich in der
Hochbegabter Hochbegabtenliteratur große Bedeutung
zu. Denn wenn die Hochbegabten erwar-
tungswidrig keine Spitzenleistungen erzielen
Ob sich Hochbegabte in ihren motivationa- oder gar schulische Leistungsprobleme zei-
len Dispositionen von anderen Lernern un- gen, werden nicht selten ein ungünstiges
terscheiden, ist häufiger untersucht worden Selbstkonzept und eine fehlende Willenskon-
als die Besonderheiten ihrer kognitiven trolle zur Erklärung dieses Phänomens an-
Funktionen (vgl. Dai et al., 2011). Robinson geführt (vgl. Holling & Kanning, 1999).
und Clinkenbeard (1998) fassen die Befunde
einschlägiger Arbeiten dahingehend zusam-
men, dass Hochbegabung mit positiven Hochbegabte »Underachiever«
Selbstkonzepten, einer hohen intrinsischen
Lernmotivation sowie mit günstigeren At- Nicht immer ist das schulische Lernen Hoch-
tribuierungen für Erfolg und Misserfolg ein- begabter erfolgreich. Lernende, die trotz
hergeht. Allerdings gibt es auch Hinweise sehr hoher Intelligenz nur bestenfalls durch-
darauf, dass Hochbegabte schlechter mit schnittliche Schulleistungen erbringen, wer-
Misserfolgserlebnissen fertig werden. den als »Underachiever« bezeichnet. Schät-
Ein Überblick über die lern- und leistungs- zungen darüber, wie oft solche Minderleis-
motivationalen Besonderheiten Hochbegab- tungen bei intellektuell Hochbegabten auf-

208
4 Besonderheiten des Lernens

treten, fallen sehr unterschiedlich aus. Dies rückgewiesene Kinder, um Kinder geschie-
hängt nicht zuletzt natürlich davon ab, wie dener Eltern oder um Kinder aus ethnisch-
eng man die Kriterien dafür festlegt, ob eine kulturellen Minderheiten zu handeln. Die
Diskrepanz zwischen Intelligenztest- und genannten Konstellationen können sich of-
Schulleistung schon mit dem Etikett »Min- fenbar ungünstig auf die Selbstwerteinschät-
derleistung« zu versehen ist. Allerdings zungen und auf die Selbstkonzepte auswir-
scheinen ältere Schätzungen, die davon aus- ken, was zu Vermeidungsverhalten bei schu-
gingen, dass bis zu 50 % der Hochbegabten lischen Anforderungen und nicht selten zu
Minderleistungen zeigen (z. B. Tolor, 1969), einer allgemein negativen Einstellung gegen-
nicht haltbar zu sein. In der Marburger über der Schule führen kann.
Hochbegabungsstudie identifizierten Rost Eine ausführliche Liste der Besonderhei-
und Hanses (1997) 141 hochbegabte Kinder, ten hochbegabter Underachiever findet sich
von denen nur 12 % einen überdurch- bei Fels (1999, S. 85 f). Die Auflistung macht
schnittlich guten Notenschnitt (Prozentrang deutlich, dass neben den auffälligen Proble-
> 50) in den Fächern »Deutsch«, »Mathe- men im Bereich der Motivation und des
matik« und »Sachkunde« verfehlten. Selbstkonzepts auch Konzentrationsproble-
Aber selbst wenn man davon ausgeht, me und soziale Unsicherheiten (bis hin zu
dass es lediglich bei 10 bis 15 % der Hoch- einer Neigung zu aggressivem und feindse-
begabten zu schulischen Minderleistungen ligem Verhalten) charakteristisch sind. Dass
kommt, stellt sich die Frage nach den Ur- die betroffenen Kinder nur selten im Unter-
sachen. Einen ersten Hinweis darauf geben richt initiativ werden und zudem Leistungs-
die Selbstbeschreibungen hochbegabter Un- situationen meiden, führt überdies zu einer
derachiever. Sie bezeichnen sich als unglück- Fehleinschätzung des Leistungspotenzials
lich und unzufrieden, als unbeliebt, psy- dieser Kinder und zu einer chronischen schu-
chisch instabil und wenig attraktiv (Hanses lischen Unterforderung (vgl. Feger, 1988).
& Rost, 1998). Ein ähnliches Bild zeigen die
Ergebnisse objektiver Persönlichkeitstests:
Im Vergleich zu leistungsstarken Hoch- Hochbegabte mit
begabten und auch zu durchschnittlich Be- Teilleistungsstörungen
gabten mit vergleichbaren durchschnitt-
lichen Schulleistungen verfügen die hoch- Während das Phänomen der schulischen
begabten Underachiever über ein niedrigeres Minderleistung trotz intellektueller Hoch-
Niveau an Willenskontrolle, sind impulsiver begabung weitläufig bekannt ist, trifft dies
und leichter erregbar, zugleich aber sozial nicht in gleicher Weise für das Gebiet der
zurückhaltend und scheu (Hanses & Rost, Teilleistungsschwächen zu. Die im vorigen
1998). Auch aus den Beschreibungen von Abschnitt beschriebene Lese-/Rechtschreib-
Eltern und Lehrern bezüglich des Sozialver- störung (LRS) ist durchaus auch unter Hoch-
haltens geht hervor, dass es sich bei Hoch- begabten zu finden (McGuire & Yewchuk,
begabten mit Minderleistung in dieser Hin- 1996). Allerdings wird diese Form einer
sicht offenbar um »Problemfälle« handelt. Teilleistungsstörung bei Hochbegabten
Als besondere Risikofaktoren, die dazu leicht übersehen. Dies hat vor allem zwei
führen können, dass hochbegabte Kinder im Gründe: Einerseits ist die Vorstellung weit
Hinblick auf ihre schulischen Leistungen verbreitet, dass Hochbegabung und Teilleis-
unter ihren Möglichkeiten bleiben, gelten tungsstörungen sich gegenseitig ausschlie-
vor allem familiäre Umstände (Butler-Por, ßen. So liegt der Gedanke fern, ein Kind
1995). Häufig scheint es sich demnach bei mit Lese-Rechtschreibproblemen für hoch-
Underachievern um unerwünschte oder zu- begabt zu halten, oder ein hochbegabtes

209
Teil I Lernen

Kind für lese- und oder rechtschreibgestört. Ein Resümee


Andererseits verfügen hochbegabte Lernen-
de zumeist über ein ausgeprägtes Kompen-
sationspotenzial (z. B. über extrem gute Ge- Obwohl Hochbegabte oft zu erstaunlichen
dächtnisfähigkeiten), so dass sie eine Teil- kognitiven Leistungen in der Lage sind, gibt
leistungsstörung häufig lange Zeit verbergen es keine Hinweise darauf, dass sie prinzipiell
können. In solchen Fällen ist das Erstaunen anderes lernen als andere Personen. Aller-
auf Seiten von Eltern und Lehrern groß, dings können sie oft sehr viel schneller und
wenn sich erst am Ende der Grundschulzeit effizienter lernen, weil sie in nahezu allen
erhebliche Rechtschreibprobleme offen- Bereichen der individuellen Voraussetzungen
baren, die das hochbegabte Kind durch erfolgreichen Lernens im Vorteil sind. Trotz-
das »Auswendiglernen« von Diktatvorlagen dem kann es auch bei den Hochbegabten zu
oder Rechtschreibproben jahrelang erfolg- ernsthaften Problemen im Lernverlauf kom-
reich kaschiert hat. Teilleistungsstörungen men.
bei Hochbegabten sind allerdings keines-
wegs die Regel, sondern im Gegenteil ein
sehr seltenes Ereignis.

4.4 Lernen im (hohen) Erwachsenenalter

Kommen wir von den Hochbegabten zu den Neues zu lernen, im Erwachsenenalter so wie
Hochbetagten. Pädagogisch-psychologische in der Kindheit bestehen bleiben? Dagegen
Abhandlungen zum Lernen beschränken steht die Auffassung, dass sich das Gedächt-
sich in der Regel auf schulisches Lernen nis im Alter verschlechtert und dass das
bei Kindern, Jugendlichen und jungen Er- Denken langsamer wird, so dass Lernen
wachsenen. In jüngerer Zeit ist allerdings immer weniger erfolgreich verläuft. Im vor-
auch in der Lernforschung zunehmend ein liegenden Abschnitt skizzieren wir die Er-
Interesse an den Gesetzmäßigkeiten des gebnisse der alterspsychologischen For-
Kompetenz-, Wissens- und Fertigkeits- schung zu den individuellen Lernvorausset-
erwerbs bei älteren Menschen zu verzeich- zungen. Dabei wird deutlich werden, dass
nen. Der schnelle Wandel unserer zuneh- sich die Altersveränderungen in den unter-
mend wissenschaftlich-technisch geformten schiedlichen Bereichen individueller Lern-
Welt hat dazu geführt, dass Menschen bis ins voraussetzungen sehr unterschiedlich dar-
hohe Alter hinein permanent umlernen müs- stellen. Auch wenn im Folgenden eher ein
sen oder auch lernen wollen. Das Sprichwort allgemeines Bild der Besonderheiten der
»Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nim- Lernvoraussetzungen bei alten Menschen
mer mehr« verliert dadurch zunehmend an gezeichnet wird, darf nicht außer Acht ge-
Gültigkeit. Viel treffender wäre es, dieses lassen werden, dass die interindividuellen
Sprichwort umzuwandeln in: »Was Lieschen Unterschiede in den Lernmöglichkeiten im
nicht gelernt hat, muss Lisa immer mehr Verlauf des Erwachsenenalters noch deutlich
lernen«. zunehmen.
Lässt sich diesem Wandel entnehmen, Neben körperlichen Ausfallerscheinun-
dass auch die individuellen Möglichkeiten, gen gehört das Nachlassen der geistigen

210
4 Besonderheiten des Lernens

Leistungsfähigkeit zu den am meisten ge- völlig unbegründet. Die Auftretenswahr-


fürchteten Altersproblemen. Die Angst vor scheinlichkeit dementieller Erkrankungen
dementiellen Erkrankungen, wie z. B. der ist allerdings bis zum siebten Lebensjahr-
neurodegenerativen Alzheimer-Krankheit zehnt äußerst gering, sie nimmt erst im
in Folge einer pathologischen Hirnschrump- achten und neunten Lebensjahrzehnt stark
fung, bei der nach und nach Neurone atro- zu und bei den über 90-Jährigen leidet be-
phieren und Proteinablagerungen (senile reits jede dritte Person an dementiellen Aus-
Plaques) an deren Stelle treten, ist angesichts fallerscheinungen (䉴 Abb. 4.5).
der steigenden Lebenserwartung auch nicht
mittelschwer und schwer Erkrankte (%) 40

35

30

25

20

15

10

Abb. 4.5: 5
Prozentanteile demenzieller
Erkrankungen bei älteren 0
Menschen in Deutschland 65 - 69 70 - 74 75 - 79 80 - 84 85 - 89 90 und älter
nach Bickel (2000) Altersgruppe

Störungen des Arbeits- und Langzeitge- schwert. So zeigen sich in einer Studie von
dächtnisses sind zentrale Charakteristika Walters (2010) mit Daten von 10 775 älteren
der Demenz. Hinzu kommen Beeinträchti- Erwachsenen in einer Reihe kognitiver Auf-
gungen des abstrakten Denkens, des Urteil- gaben zwischen Demenz und normalem Al-
vermögens und andere Störungen höherer tern eher kontinuierliche bzw. graduelle als
kortikaler Funktionen. kategoriale Übergänge.
Trotz des vorhandenen Risikos der Alters- Beim Studium kognitiver Veränderungen
demenz bleibt der Großteil der Bevölkerung im Alter werden oft Altersveränderungen
auch im hohen Alter von dementiellen Er- sensorischer Funktionen vernachlässigt.
krankungen verschont. Derartige Erkran- Möglicherweise werden daher spezifische
kungen gehören daher nicht zum typischen, kognitive Leistungsprobleme älterer Men-
normalen Altersbild, sondern sind patholo- schen bisweilen fälschlicherweise auf Defi-
gisch und Gegenstandsbereich der Geronto- zite in übergeordneten kognitiven Funktio-
psychiatrie (vgl. Bruder, 1994). Im Weiteren nen zurückgeführt. Man muss sich jedoch
wird das pathologische kognitive Altern vor Augen halten, dass die Sinnessysteme mit
weitgehend ausgeklammert, auch wenn zunehmendem Alter immer weniger sensitiv
der meist schleichende Beginn dementieller auf Reize aus der Umwelt ansprechen (vgl.
Symptome die Abgrenzung zu den eher Tesch-Römer & Wahl, 1996). Dieser Befund
wahrscheinlichen (normativen) Leistungs- ist teilweise eine Folge des alterskorrelierten
einbußen im Alter empirisch bisweilen er- Anstiegs im Prozentsatz von Personen mit

211
Teil I Lernen

gravierenden sensorischen Defiziten, die frühen Erwachsenenalter einsetzenden Al-


durch Schädigungen der Rezeptoren, Dege- tersabbau auf (䉴 Abb. 4.6).
nerationen im peripheren Nervensystem und Diese Unterscheidung nach der Cattell-
Veränderungen im zentralen Nervensystem Horn-Theorie ist bis heute Grundlage vieler
bedingt sein können. Woodruff (1983) hat Arbeiten zum kognitiven Altern, wobei ei-
deshalb darauf hingewiesen, dass sich Senio- nem Vorschlag von Baltes (1990) folgend
ren im Vergleich zu jungen Personen in auch von der wissensfreien Mechanik (fluide
einem Zustand sensorischer Deprivation be- Intelligenz) und der wissensbasierten Prag-
finden, was zu kognitiv weniger anregenden matik der Kognition (kristallisierte Intelli-
Interaktionen mit der Umwelt führt. Die genz) gesprochen wird. Die Qualität der
damit einhergehenden sensorischen Fähig- Mechanik definiert sich durch die Geschwin-
keitseinbußen hängen mit zunehmendem digkeit, Genauigkeit und den Koordinati-
Alter zusätzlich auch immer enger mit den onserfolg elementarer kognitiver Prozesse,
intellektuellen Fähigkeiten zusammen (vgl. wie sie z. B. in Aufgaben zur selektiven Auf-
Baltes & Lindenberger, 1997), so dass allein merksamkeit und den verschiedenen Kom-
aufgrund der reduzierten Funktionstüchtig- ponenten des Arbeitsgedächtnisses zum Aus-
keit der Sinnessysteme im Laufe der Zeit mit druck kommen. Im Gegensatz zur Mechanik
einem immer niedrigeren intellektuellen bezieht sich die Pragmatik intellektueller
Funktionsniveau zu rechnen ist. Fähigkeiten auf wissensbasierte Leistungen.
Pragmatisches Wissen ist kulturell ver-
ankert. Seine Ausprägung steht im Vergleich
Entwicklung intellektueller zur Mechanik in einem engeren Zusammen-
Fähigkeiten im Alter hang mit soziobiographischen Merkmalen
(z. B. mit den Nutzungsmöglichkeiten und
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat man der Nutzung von Bildungschancen).
unter Verwendung von Intelligenztests auch Eine differenzierte Betrachtung des Al-
die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten tersverlaufs wichtiger Teilfähigkeiten der
über die Lebensspanne hinweg analysiert. mechanisch-fluiden Intelligenz hat Schaie
Bereits früh stellte man fest, dass es bei (1994) vorgelegt. Danach ist es vor allem
unterschiedlichen Dimensionen der Intelli- die Wahrnehmungsgeschwindigkeit, die be-
genz zu unterschiedlichen Altersverläufen reits im dritten Lebensjahrzehnt deutlich
kommt. Die Beobachtung, dass einige intel- nachlässt. Die Leistungseinbußen werden
lektuelle Leistungen bis ins hohe Alter relativ bis ins hohe Alter hinein immer größer.
unverändert bleiben und andere einem deut- Die Geschwindigkeit, mit der visuelle Kon-
lichen Altersabbau unterliegen, lässt sich mit figurationen identifiziert und verglichen wer-
dem von Cattell (1971) und Horn (1982) den können, nimmt entsprechend ab.
propagierten Bild eines differenziellen Al- Für die übrigen mechanisch-fluiden Teil-
tersverlaufs intellektueller Fähigkeiten mit fähigkeiten liegt der Höhepunkt der Leis-
der Unterscheidung zwischen einer »flui- tungsfähigkeit den Schätzungen Schaies
den« und einer »kristallisierten Intelligenz« (1994) zufolge eher im fünften als im drit-
gut in Einklang bringen. Während die Leis- ten Lebensjahrzehnt. Außerdem ist ein po-
tungen im Bereich der kristallisierten Intel- sitiver säkularer Trend zu verzeichnen, d. h.
ligenz bei vielen Menschen bis ins achte das mittlere intellektuelle Leistungsniveau
Lebensjahrzehnt stabil bleiben oder gar an- scheint von Generation zu Generation bes-
steigen, weisen Leistungen aus dem Bereich ser zu werden. Letzteres gilt im Übrigen
der fluiden Intelligenz einen oft schon im auch für die pragmatisch-kristallisierten
Teilfähigkeiten, für die der durchschnitt-

212
4 Besonderheiten des Lernens

Intelligenz als Kulturwissen


(kristallisierte Intelligenz)

Leistung

Intelligenz als Basisfähigkeit


der Informationsverarbeitung
(fluide Intelligenz)
Abb. 4.6:
Entwicklungsverlauf
intellektueller Fähigkeiten Lebensspanne

liche Leistungszenit erst im siebten Lebens- Altersveränderungen in den


jahrzehnt erreicht wird. kognitiven Voraussetzungen des
Dieses tendenziell eher positive Bild des Lernens
kognitiven Alterns wird durch Analysen der
Veränderungen ab dem neunten Lebensjahr-
zehnt jedoch relativiert. Schaies (1994) Die beschriebenen Entwicklungsverände-
längsschnittliche Schätzungen der Altersver- rungen intellektueller Fähigkeiten im hohen
läufe für verschiedene intellektuelle Fähig- Erwachsenenalter – insbesondere hinsicht-
keiten ergeben ausnahmslos Minderungen lich der sogenannten Mechanik der Intelli-
der Leistungsfähigkeit, wobei sich der Un- genz – legen nahe, dass es auch zu Verände-
terschied zwischen den mechanisch-fluiden rungen in einigen basalen kognitiven Funk-
und den pragmatisch-kristallisierten Fähig- tionsbereichen kommt, die wir in 䉴 Kap. 2
keiten nur noch in der Deutlichkeit dieser im Zusammenhang mit den individuellen
Verluste widerspiegelt. Durch diese Homo- Voraussetzungen erfolgreichen Lernens auf-
genisierung der Fähigkeitsprofile finden sich gelistet haben. Insbesondere die Funktions-
in neueren Untersuchungen auch keine An- tüchtigkeit im Bereich der selektiven Auf-
haltspunkte mehr dafür, dass im sehr hohen merksamkeit und des Arbeitsgedächtnisses
Alter eine Unterscheidung zwischen mecha- scheint mit dem Alter nachzulassen – damit
nisch-fluiden und pragmatisch-kristallisier- wird das Lernpotenzial generell einge-
ten Fähigkeiten besonders sinnvoll sei (Lin- schränkt. Im Folgenden gehen wir zunächst
denberger, 2000). Im hohen Alter scheint es auf die Altersbesonderheiten in diesem Be-
mithin eher zu einer Dedifferenzierung in- reich ein, bevor wir die Befundlage zur Wis-
tellektueller Fähigkeiten zu kommen. sensrepräsentation und Wissensaktivierung
sowie zur Strategienutzung und ihrer meta-
kognitiven Regulation im Alter skizzieren.

Selektive Aufmerksamkeit und Arbeits-


gedächtnis. Wir hatten bereits in 䉴 Kap. 2.1
darauf hingewiesen, dass die wichtige Funk-

213
Teil I Lernen

tion der selektiven Aufmerksamkeit darin ten bei alten Menschen (Kane, Hasher,
besteht, sensorisch wahrgenommene Reize Stoltzfus, Zacks & Connelly, 1994; Tipper,
zu filtern, damit zum einen nur bestimmte 1991).
Reize weiter verarbeitet werden und zum Neuere Studien fanden allerdings gleich
anderen die begrenzten Verarbeitungsres- große oder sogar tendenziell größere Ver-
sourcen gezielt den für einen Lernprozess zögerungseffekte bei älteren Erwachsenen
relevanten Informationen gewidmet werden. im Vergleich zu jüngeren (Kramer & Strayer,
Die neuere Altersforschung hat sich ins- 2001; Titz, Behrendt & Hasselhorn, 2003).
besondere der Analyse der letztgenannten Inzwischen liegen sorgfältige Metaanalysen
Funktion gewidmet, da man hier eine poten- und Überblicksarbeiten empirischer Alters-
zielle Quelle der Effizienzeinbußen der In- vergleiche zum Phänomen des negativen
formationsverarbeitung im Alter vermutete Priming vor, die zu dem Schluss kommen,
(Rogers, 2000). dass es sich dabei um ein altersinvariantes
Hasher, Zacks und May (1999) gingen in Phänomen handelt (Gamboz, Russo & Fox,
ihren Analysen von der Annahme aus, dass 2002; Verhaeghen & Cerella, 2002). Diffe-
bei dieser Aufmerksamkeitsfunktion mindes- renziertere Analysen legen jedoch nahe, dass
tens zwei unterschiedliche Prozesse zusam- Hemmungsfunktionen bei der frühen per-
menwirken, nämlich die Selektion relevanter zeptuellen Verarbeitung, nicht aber auf der
Informationen und die Unterdrückung oder Ebene späterer semantischer Verarbeitung
Hemmung irrelevanter Informationen. Vor eine Altersbeeinträchtigung aufweisen (Titz,
allem bei der Hemmungskomponente der Behrendt, & Hasselhorn, 2010; Titz, Beh-
selektiven Aufmerksamkeit – so die These rendt, Menge, & Hasselhorn, 2008).
der Autorinnen – käme es zu Altersdefiziten, Natürlich ist das Phänomen des negativen
die für viele der beobachtbaren kognitiven Priming nicht der einzige empirische Indika-
Leistungseinbußen im Alter verantwortlich tor für die Hemmungskomponente der se-
seien (vgl. auch Hasher, Lustig & Zacks, lektiven Aufmerksamkeit. In der Literatur
2007; Zacks & Hasher, 1997). findet sich eine ganze Reihe von alternativen
Als eine Möglichkeit, die Effizienz kogni- empirischen Untersuchungsansätzen. Meist
tiver Hemmung experimentell zu erfassen, handelt es sich dabei um Aufgaben, bei
wurde lange Zeit das Phänomen des »nega- denen Personen eine starke Handlungsten-
tiven Priming« angesehen. Darunter versteht denz unterdrücken müssen, um zu einer
man die verlangsamte Reaktion auf ein Ziel- angemessenen Antwort zu gelangen, wie
Item, das unmittelbar vorher schon einmal z. B. im Stopp-Signal Paradigma (May &
als irrelevanter Distraktor (Ablenk-Item) Hasher, 1998), oder es werden Aufgaben
dargeboten wurde. Wenn also im Experi- vorgelegt, bei denen die Versuchsteilnehmer
ment auf dem Bildschirm für kurze Zeit ein zwischen unterschiedlichen Anforderungen
roter und ein grüner Gegenstand gezeigt wechseln müssen, wie beim task-switching
werden mit der Aufforderung, nur den roten (Kray, Eber & Lindenberger, 2004; Kray &
Gegenstand laut zu benennen, dann wird der Eppinger, 2006). Beim letztgenannten Auf-
rote Gegenstand langsamer erkannt, wenn er gabentyp kann man die Frage aufwerfen, ob
in einem früheren Versuchsdurchgang als es dabei noch um die Erfassung selektiver
grüner, also irrelevanter Gegenstand ver- Aufmerksamkeit geht, oder nicht viel eher
wendet worden war. Während bei jungen um die geteilte Aufmerksamkeit bei der Be-
Erwachsenen dieser Effekt des negativen wältigung komplexerer Aufgabenanforde-
Priming relativ zuverlässig erzeugt werden rungen, denn häufig wird das Task-Swit-
kann, berichteten einige Autoren von feh- ching oder »Mental-Set-Shifting« zentral-
lenden bzw. niedrigeren Verzögerungseffek- exekutiven Arbeitsgedächtnisfunktionen zu-

214
4 Besonderheiten des Lernens

geschrieben (Miyake et al., 2000). Auch für Experimentelle Analysen zum phonologi-
diese Funktion zeigt sich ein differenziertes schen Arbeitsgedächtnis ergaben, dass die
Muster von Alterssensitivität für das Auf- Kapazität des phonetischen Speichers bis ins
rechterhalten von Aufgabeninformation achte Lebensjahrzehnt unbeeinträchtigt zu
während eines Anforderungswechsels bei bleiben scheint, nicht jedoch die Geschwin-
gleichzeitiger Altersinvarianz der Geschwin- digkeit des subvokalen Rehearsalprozesses
digkeit des Wechsels (Kray & Lindenberger, (Hasselhorn, 1990). Das Tempo des bei
2000). Wie dem auch sei: Metaanalysen zu Erwachsenen automatisch einsetzenden in-
den am meisten verbreiteten Aufgabentypen neren Nachsprechens verbaler Informatio-
der Hemmungskomponente selektiver Auf- nen lässt offenkundig im Alter deutlich nach.
merksamkeit belegen, dass die basalen Funk- Die regelmäßig beobachteten Altersdiffe-
tionen der selektiven Aufmerksamkeit auch renzen in der bereits mehrfach erwähnten
im Alter noch weitgehend unversehrt sind Gedächtnisspanne lassen sich allerdings
und dass eher bei komplexeren Anforderun- nicht vollständig über die nachlassende Ge-
gen Aufmerksamkeitsdefizite im Alter vor- schwindigkeit des inneren Nachsprechens
liegen. erklären. Dies spricht für die von Baddeley
(1986) geäußerte Vermutung, dass auch die
Unsere Meta-Analysen belegen, dass Prozesse,
die traditionell als Marker der selektiven Auf- Kapazität der zentralen Exekutive, die für
merksamkeit angesehen wurden – z. B. Interfe- die Überwachung und Kontrolle kognitiver
renzwiderstand und lokaler Anforderungs- Aktivitäten (z. B. durch selektive Aufmerk-
wechsel – weitgehend verschont bleiben im samkeit) zuständig ist, Alterseinbußen er-
Alterungsprozess. Andererseits findet man
bei traditionell unter der Rubrik geteilter Auf-
fährt. Die Ergebnisse einer Studie von Me-
merksamkeit eingeordneten Anforderungen guro et al. (2000) sprechen beispielsweise
der Koordination und des Anforderungswech- dafür, dass zwar Leistungsunterschiede in
sels globaler Art deutliche Alterseinbußen. der Gedächtnisspanne zwischen jüngeren
(Verhaeghen, Cerella, Bopp & Basak, 2005, (20 bis 39 Jahre) und etwas älteren (40 bis
S. 179)
59 Jahre) Erwachsenen Ausdruck eines Ka-
Solche komplexeren Selektionsleistungen pazitätsverlusts der phonologischen Schleife
der Aufmerksamkeit werden auch im Rah- des Arbeitsgedächtnisses sind, dass aller-
men der Arbeitsgedächtnisforschung thema- dings Leistungsdifferenzen zwischen den äl-
tisiert und dort als Funktionsmerkmal der teren und den alten Erwachsenen (60 bis
zentralen Exekutive betrachtet. Wie in 82 Jahre) eher auf eine abnehmende Effi-
䉴 Kap. 2.1 bereits ausführlich dargelegt, zienz zentralexekutiver Prozesse zurückführ-
sind es die Funktionen des Arbeitsgedächt- bar sind. In weiteren Studien konnte diese
nisses, die die Bewältigung komplexer Annahme allerdings nicht zweifelsfrei bestä-
kognitiver Anforderungen ermöglichen. Da tigt werden (Salthouse, Fristoe, Lineweaver
Altersdefizite im kognitiven Bereich in der & Coon, 1995). Viele Autoren favorisieren
Regel umso deutlicher ausfallen, je komple- daher die Hypothese einer im Alter reduzier-
xer die gestellte Anforderung ist, liegt die ten Geschwindigkeit, mit der elementare
Vermutung nahe, dass es im Alter zu ei- kognitive Operationen ausgeführt werden
ner Reduzierung der verfügbaren Arbeits- können. Damit vereinbar ist nicht nur
gedächtniskapazität kommt. Aber in wel- der Nachweis der reduzierten subvokalen
chem Teilsystem des Arbeitsgedächtnisses Rehearsalgeschwindigkeit im Alter, sondern
bzw. bei welchen Funktionen des Arbeits- auch der Befund, dass sich die Verarbei-
gedächtnisses kommt es im Alter zu Ver- tungsgeschwindigkeit bei der Bewältigung
änderungen, die diese Kapazitätseinbuße visuell-räumlicher Gedächtnisanforderun-
bedingen?

215
Teil I Lernen

gen insgesamt verringert (z. B. Gold & Has- kognitiven Anforderungen mit »Speed«-
selhorn, 1991). Charakter (also unter Zeitdruck) und 55
Die empirischen Belege für die zentrale bis 75 % der Altersvarianz bei kognitiven
Bedeutung der nachlassenden allgemeinen Anforderungen ohne Zeitdruck (sog. »Po-
Verarbeitungsgeschwindigkeit sind beein- wer«-Tests) auf die nachlassende Verarbei-
druckend. So lassen sich 80 bis 95 % (!) tungsgeschwindigkeit zurückführen (Salt-
der Altersdifferenzen in den Leistungen bei house, 1993, 1994).

Fokus: Tageszeitliche Schwankungen der Lern- und Behaltensleistungen


Schon Ebbinghaus (1885) berichtete von tageszeitlichen Schwankungen der Lerneffizienz.
So stellte er fest, dass die Leistung beim Lernen von sinnfreien Silben im Verlauf des Tages
bis in den Abend hinein deutlich ansteigt. Horne, Brass und Pettitt (1980) stellten allerdings
fest, dass es diesbezüglich systematische interindividuelle Unterschiede gibt. Es gibt also
Morgen- und Abendtypen.
Wahrscheinlich verändert sich die individuelle Typenzuordnung im Laufe der Lebens-
spanne. Während in jungen Jahren der Abendtypus dominiert, findet sich im hohen Alter
eine ausgeprägte Dominanz des Morgentypus, bei dem die Funktionstüchtigkeit der
Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisprozesse in den Morgenstunden am höchsten
ist (Hasher, Zacks & May, 1999; Hogan et al., 2009). West, Murphy, Armilio, Craik und
Stuss (2002) konnten zeigen, dass sich im Alter nicht nur der tageszeitliche Leistungs-
höhepunkt verändert, sondern dass zusätzlich das Ausmaß der Tageszeitabhängigkeit
deutlich zunimmt: Die Leistungsfähigkeit nimmt bei alten Menschen im Laufe eines Tages
sehr viel stärker ab als sie bei jungen Erwachsenen im Laufe des Tages zunimmt.
Einen paradoxen Effekt der Tageszeitabhängigkeit individueller Lern- und Behaltens-
leistungen berichten May, Hasher und Foong (2005). Die Autorinnen fanden Hinweise
darauf, dass die Effizienz impliziter Lernvorgänge genau entgegengesetzte tageszeitliche
Schwankung aufweist: Während die impliziten Behaltensprozesse bei jungen Erwachsenen
des Abendtypus am Morgen besonders effizient sind, funktionieren sie bei alten Menschen
des Morgentypus am späten Nachmittag am besten. Offenbar ist die Effizienz der auto-
matischen, eher unbewusst ablaufenden Informationsverarbeitungsprozesse komplemen-
tär zu den absichtlichen bewussten Lernprozessen: Zu Tageszeiten, in denen das bewusste
Lernen nicht so gut funktioniert, gelingen die unbewussten Verarbeitungsprozesse beson-
ders gut.

Repräsentation und Aktivierung von Wis- spricht auch der dominierenden subjektiven
sen. Angesichts der nachlassenden Mecha- Einschätzung, wonach die eigene kognitive
nik der Kognition, die großenteils durch eine Kompetenz von 60- bis 70-jährigen Per-
Verlangsamung der Prozesse im Arbeits- sonen keineswegs geringer eingeschätzt
gedächtnis erklärbar ist, mag man darüber wird als die von 20- bis 30-jährigen. Auch
verwundert sein, dass führende Positionen in Untersuchungen über die Bewältigung von
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bevor- Alltagsproblemen bzw. über das Lösen so-
zugt mit vergleichsweise alten Personen be- zialer und praktischer Probleme kommen zu
setzt werden. Das Bild vom Altern im Sinne einer viel positiveren Einschätzung der ko-
einer geistigen Zerfallserscheinung wider- gnitiven Möglichkeiten alter Menschen, als

216
4 Besonderheiten des Lernens

aufgrund der Befunde zur Mechanik der bietet die Expertiseforschung (䉴 Kap. 3.1).
Kognition zu erwarten wäre (z. B. Heidrich Danach sind es (a) die Quantität und Qua-
& Denney, 1994). Dies wirft die Frage auf, lität des inhaltsspezifischen Wissens, (b) die
warum alte Menschen trotz nachteiliger ko- persönlichen Erfahrungen und (c) einige
gnitiver Veränderungen (s. o.) noch zu so hoch-automatisierte Routinen, die für die
guten Leistungen in der Lage sind. Bewältigung von kognitiven Anforderungen
Eine Antwort auf diese Frage lässt sich im Alltag entscheidend sind und somit die
bereits der Annahme der altersintakten prag- Expertise für ein bestimmtes Themengebiet
matisch-kristallisierten Intelligenz entneh- charakterisieren (vgl. Weinert, 1992).
men. Gegenwärtig werden verschiedene Das Expertisekonzept liefert auch einen
Konzepte herangezogen, um die kognitiven geeigneten Rahmen, um das Prinzip der
Alterskompetenzen zu beschreiben. Gemein- Kompensation durch selektive Optimierung
same Grundannahme dieser Konzepte, von (Baltes & Baltes, 1990; Freund, 2007) zu
denen hier nur kurz auf die bedeutendsten veranschaulichen, das eine gelungene Cha-
eingegangen werden kann, ist die Überzeu- rakterisierung der Alterskompetenzen nicht
gung, dass bei allem Nachlassen basaler nur im kognitiven Bereich erlaubt. Das Prin-
(mechanisch-fluider) kognitiver Funktionen zip leugnet nicht die Abbauphänomene im
vor allem die Repräsentation und Aktivie- Alter. Vielmehr präzisiert es die besondere
rung von Wissen im Langzeitgedächtnis Funktion intakter Wissensbestände, die eine
nicht nur unversehrt bleibt, sondern sich partielle Kompensation von Abbauprozes-
bis ins hohe Alter sogar noch verbessert. sen im mechanisch-fluiden Bereich ermögli-
Damit einhergehend kann sich die Qualität chen. Indem intakte Kompetenzen selektiv
des Denkens im Alter verändern, was oft mit optimiert werden, werden sie zu bedeut-
den Begriffen Weisheit und Erfahrung um- sameren Leistungsgaranten als sie es in jun-
schrieben wird. gen Jahren waren. Die bisweilen geäußerte
Baltes (1990) definiert Weisheit als »Ex- Hoffnung, dass kognitive Leistungsein-
pertenwissen im Bereich grundlegender Le- bußen im Alter durch eine geschickte selek-
bensfragen«. Dies wird daran deutlich, dass tive Optimierung der weiterhin intakten
die Weisen eine Reihe von Wissensvorteilen Kompetenzen vollständig kompensiert wer-
besitzen. Dazu gehören (1) Faktenwissen zu den könnten, wird jedoch eher zurückhal-
verschiedenen Lebensbereichen, (2) reich- tend beurteilt (vgl. Gold, 1995).
haltiges Handlungswissen, (3) ein hohes
Maß an Verständnis der unterschiedlichen Nutzung und metakognitive Regulation von
(oft auch widersprüchlichen) Kontextgebun- Strategien. In den 1970er Jahren wurden
denheiten des Lebens, (4) Wissen, dass jedes eine Reihe empirischer Studien vorgelegt,
Urteil immer nur relativ zu kulturellen und deren Ergebnisse auf einen Altersabbau
persönlichen Wertesystemen gültig ist, und strategischer Lern- und Erinnerungskom-
(5) die Erkenntnis, dass jede Analyse von petenzen hindeuteten. Insbesondere Strate-
Lebensproblemen zwangsläufig unvollstän- gien des Abrufens von Wissen aus dem
dig bleibt. Diese Aufzählung macht deutlich, Langzeitgedächtnis schienen bei alten Men-
dass sich Weisheit zwar über Wissensvorteile schen nicht mehr oder nicht mehr in ver-
beschreiben lässt, aber offenkundig nicht gleichbarer Qualität verfügbar zu sein (Bur-
nur von kognitiven Möglichkeiten abzuhän- ke & Light, 1981). Es zeigte sich jedoch,
gen scheint, sondern auch von weiteren dass die Abrufprobleme alter Menschen
Merkmalen der Persönlichkeit. nicht einfach dadurch entstehen, dass sie
Eine alternative theoretische Beschrei- Strategien in geringerem Maße selbst pro-
bung der pragmatischen Alterskompetenzen duzieren als junge Erwachsene (Produkti-

217
Teil I Lernen

onsdefizit). Oft zeigen sich keine prinzipiel- ren Erwachsenen erneut aufgeworfen, da
len Altersunterschiede im Ausmaß der spon- Naveh-Benjamin, Brav und Levy (2007)
tanen Strategieproduktion, wohl aber ver- eine Verringerung von Altersunterschieden
ändert sich die Qualität der Strategienut- in einer assoziativen Gedächtnisaufgabe
zung im Alter (Salthouse, 1991). So zeigt nachwiesen, wenn explizit auf geeignetes
sich etwa, dass alte Menschen beim Abrufen strategisches Verhalten hingewiesen wurde.
von Informationen, die sie sich in einer Spontan produzierten ältere Erwachsene in
Lernepisode angeeignet haben, besondere der genannten Studie seltener Strategien als
Probleme haben, Merkmale des Kontexts jüngere Erwachsene. Dunlosky, Hertzog
(sogenannte Quelleninformationen) zu ak- und Powell-Momann (2005) untersuchten,
tualisieren (vgl. Hasselhorn, Hager & Cien- ob bei älteren Erwachsenen (a) ein Produk-
ciala, 1989). Dieses Problem beim Aktuali- tionsdefizit vorliegt, (b) ein Mediationsdefi-
sieren von Merkmalen des Lernkontextes zit, bei dem trotz Instruktion eine Strategie
wird umso offenkundiger, je mehr Zeit zwi- nicht angewendet wird, (c) eine Nutzungs-
schen Informationsaufnahme und -abruf ineffizienz, (d) ein Abrufproblem strategi-
vergangen ist. schen Verhaltens zum Zeitpunkt der Wie-
Aufgrund umfangreicher Analysen zum dergabe oder (e) ein Dekodierproblem, bei
strategischen Gedächtnisverhalten hat dem strategische Hinweisreize zwar abge-
Knopf (1987) die These vom Wirksamkeits- rufen, aber ungenau dekodiert werden. Die
defizit (ähnlich zu der bei Kindern beob- Ergebnisse sprechen für im Alter zuneh-
achtbaren Nutzungsineffizienz, 䉴 Kap. 2.3) mend auftretende Abrufprobleme strategi-
formuliert. Danach produzieren zwar auch scher Hinweisreize.
alte Menschen spontan geeignete Strate-
gien, diese sind jedoch weniger effizient,
d. h. weniger leistungsdienlich als bei jungen Altersbesonderheiten in den
Erwachsenen. Leider erklärt diese These motivationalen und volitionalen
nicht, warum es zu der Ineffizienz kommt. Voraussetzungen des Lernens
Deshalb prüften Hasselhorn und Hager
(1993) verschiedene Hypothesen der Ver- Über Besonderheiten motivationaler und
ursachung der Nutzungsineffizienz von Ab- volitionaler Dispositionen im Alter ist nur
rufstrategien bei Senioren. Dabei erwies wenig bekannt. Die Leistungsmotiviertheit
sich das metakognitive Wissen über Strate- bzw. die Stärke des Motivs, die eigenen
gien und die Nutzung dieses Wissens für die Kompetenzen in Leistungssituationen unter
Planung und Initiierung des strategischen Beweis zu stellen, scheint allgemein im Alter
Verhaltens altersübergreifend als vergleichs- abzunehmen, da auf die eigene Zukunft
weise stabil (vgl. auch Knopf, 1998). Im ausgerichtete Ziele immer mehr an Bedeu-
Unterschied zur metakognitiven Regulation tung verlieren. Raynor und Entin (1983)
erwies sich aber die Kapazität des Arbeits- haben diese Grundauffassung mit der These
gedächtnisses als entscheidend für die Frage verknüpft, dass es mit zunehmendem Alter
der Nutzungsineffizienz von Abrufstrate- zu einer Umorientierung von eher extrinsi-
gien im Alter. Offenkundig handelt es schen zu eher intrinsischen Motiven komme
sich bei dieser im Alter zu beobachtenden und dass damit einhergehend Ziele des in-
Nutzungsineffizienz von Lern- und Behal- dividuellen Vorankommens zugunsten von
tensstrategien um ein Folgeproblem der Zielen, die mit der Integration der verschie-
Arbeitsgedächtnisveränderungen im Alter. denen Facetten des eigenen Lebens zu tun
In jüngerer Zeit wurde die Hypothese eines haben, in den Hintergrund treten.
Produktionsdefizits von Strategien bei älte-

218
4 Besonderheiten des Lernens

Die bekannteste empirische Analyse zu Al- darstellen. Nachweisbar war jedoch eine
tersbesonderheiten von Motivausprägungen Veränderung in Bezug auf die Selektivität
stammt von Veroff, Reuman und Feld innerhalb des Leistungsmotivs. Ältere Er-
(1984). Auf der Basis zweier repräsentativer wachsene wenden kognitive Ressourcen
Datenerhebungen aus den Jahren 1957 und eher dann auf, wenn Leistungsziele persön-
1976 berichteten die Autoren eine Alters- lich bedeutsam sind (Germain & Hess,
abnahme in der Stärke des Leistungsmotivs, 2007; Hess, Germain, Swaim & Osowski
die bei Frauen besonders deutlich ausgeprägt 2009).
war. Dieser Effekt war allerdings bei verhei- Es finden sich allerdings auch Hinweise
rateten Frauen und in der früher erhobenen darauf, dass sich die Qualität des Leistungs-
Stichprobe deutlicher ausgeprägt. Nimmt motivsystems im Alter ändert. So berichten
man hinzu, dass neuere Untersuchungen einige Autoren, dass ältere Menschen in
das altersabhängige Nachlassen der Stärke Bezug auf ihre Gesundheit und ihr kognitives
des Leistungsmotivs nicht bestätigen konn- Leistungsvermögen niedrigere internale und
ten (z. B. McClelland, Scioli & Weaver, höhere externale Kontrollüberzeugungen
1998), so legt das die Vermutung nahe, aufweisen als junge Menschen (Lachman,
dass Altersunterschiede in der Stärke des 1991). Auch scheint ein motivational un-
Leistungsmotivs eher durch gesellschaftliche günstiger Attributionsstil im Alter die Ober-
Bedingungen zu erklären sein mögen und hand zu gewinnen.
weniger ein allgemeines Altersphänomen

Studie: Ursachenzuschreibung von Erfolg und Misserfolg im Alter


Lachman und McArthur (1986) ließen junge und ältere Erwachsene Ursachenzuschrei-
bungen für hypothetische Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse fiktiver junger oder alter
Personen vornehmen. Junge wie alte Erwachsene neigten dazu, Erfolge älterer Menschen
seltener deren Fähigkeiten zuzuschreiben. Für Misserfolge älterer Menschen haben sie das
Nachlassen ihrer kognitiven Fähigkeiten als vermutliche Ursache benannt. Weitere Unter-
suchungen (z. B. Bieman-Copland & Ryan, 1998) belegen, dass Misserfolge alter Menschen
bevorzugt auf Ursachen zurückgeführt werden, die internal, stabil und unkontrollierbar
sind (z. B. mangelnde Fähigkeit), die Misserfolge junger Erwachsener hingegen auf internal,
variable und kontrollierbare Ursachen (z. B. mangelnde Anstrengung). Aber wird dieses
allgemeine gesellschaftliche Stereotyp auch als ungünstiges Attributionsmuster von alten
Erwachsenen für sich selbst übernommen?
Obwohl dies in der einschlägigen Literatur des Öfteren vermutet wurde, sprechen die
Befunde von Blatt-Eisengart und Lachman (2004) dagegen. Die Autorinnen fanden bei
alten Personen eher einen günstigen adaptiven Attributionsstil. Im Unterschied zu jungen
Erwachsenen bevorzugten sie für die Erklärung guter eigener Leistungen internal-unkon-
trollierbare Faktoren (z. B. Gene oder Fähigkeiten), nicht aber für die Erklärung schwä-
cherer eigener Leistungen. Dieser Attributionsstil ist zwar als motivationaler Schutzfaktor
für das eigene Selbstkonzept günstig, birgt aber die Gefahr, den leistungsförderlichen
Nutzen internal-kontrollierbarer Faktoren, wie der Strategienutzung, zu unterschätzen.

219
Teil I Lernen

Kausler (1990) ging zusätzlich der Frage von Arbeitsgedächtnisfunktionen zu ver-


nach, ob es auch Altersunterschiede im Zu- zeichnen. Diese machen sich insbesondere
sammenhang zwischen Motivation und bemerkbar, wenn verschiedene Anforderun-
Leistung gibt. Sollte dies der Fall sein, gen koordiniert werden müssen sowie beim
dann wären grundsätzlich zwei verschiedene Wechsel von Anforderungen und hier im
Konstellationen denkbar. Einerseits wäre es Besonderen beim Aufrechterhalten von In-
möglich, dass sich der Zusammenhang zwi- formationen. Diese Einbußen machen sich
schen Motivation und Leistung im Alter bei den meisten alten Menschen am stärks-
abschwächt. Dies hätte zur Folge, dass ten in den späten Nachmittags- und Abend-
auch bei ungünstigen motivationalen Alters- stunden bemerkbar, weniger am frühen Vor-
veränderungen nicht unbedingt ein Leis- mittag. Auch scheinen die älteren Menschen
tungsnachteil alter Menschen gegenüber im Vergleich zu jüngeren vermehrt Probleme
jungen resultieren würde. Andererseits bei der Rekonstruktion von Quellkontexten
wäre auch denkbar, dass ungünstige moti- ihres Wissens zu bekommen, d. h. sie sind
vationale Konstellationen im Alter noch sich häufiger nicht mehr darüber im Klaren,
stärker als in jungen Jahren Leistungsaus- woher sie wissen, was sie wissen.
wirkungen haben. Die von Kausler (1990) Auch um die motivationalen und voli-
zusammengetragenen Befunde bestätigen tionalen Voraussetzungen des Lernens im
keine der beiden theoretischen Grundüber- Alter ist es besser bestellt, als man lange
legungen, sondern sprechen eher dafür, dass Zeit glaubte. Die entsprechenden Disposi-
die Rolle motivationaler Dispositionen für tionen müssen sich keineswegs verschlech-
leistungsbezogenes Verhalten keinen syste- tern. Im Gegenteil findet sich bei älteren
matischen Altersunterschieden unterworfen Menschen eher eine Tendenz, subjektiv er-
ist. lebten Misserfolg in Leistungssituationen
eher selbstwertdienlich zu attribuieren. Hier-
bei kann man von einem motivationalen
Ein Resümee Schutzmechanismus sprechen, der die Zu-
versicht in die eigenen Fähigkeiten bis ins
Fassen wir unsere Ausführungen über Al- hohe Alter hinein stützt. Allerdings birgt
tersveränderungen der kognitiven Voraus- dieser Schutzmechanismus andererseits
setzungen sowie der motivationalen und auch eine Gefahr: Die selbstwertdienliche
volitionalen Voraussetzungen erfolgreichen Attribution von Erfolgserlebnissen auf inter-
Lernens zusammen, kommen wir zu einem nale, nichtkontrollierbare Faktoren, wie die
differenzierten Bild. Das verbreitete Stereo- eigenen Fähigkeiten, kann zur Unterschät-
typ, wonach es im Alter zu einem allgemei- zung der Nützlichkeit strategischen Lernens
nen Abbau sämtlicher kognitiver Funktio- führen. Dies aber wäre ein Trugschluss, weil
nen kommt und damit zu einer deutlichen es aufgrund der nachlassenden funktionalen
Beeinträchtigung der Lernfähigkeit, scheint Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zuneh-
unangemessen zu sein. Wichtige kognitive mend wichtiger wird, gezielt Lernstrategien
Voraussetzungen bleiben bis ins hohe Alter einzusetzen.
in ihrer Funktionstüchtigkeit unbeeinträch- Für die Praxis der Gestaltung von Lern-
tigt. Dazu gehören die prinzipielle Nutzung angeboten im Alter lassen sich daraus Emp-
und metakognitive Regulation von Strate- fehlungen ableiten, von denen wir die Fol-
gien, die Repräsentation und Aktivierung genden für besonders wichtig halten:
von Vorwissen und offenbar auch die basa-
len Funktionen der selektiven Aufmerksam-
keit. Einbußen sind dagegen bei der Effizienz

220
4 Besonderheiten des Lernens

● Wo möglich, sollten eher die Vormittage plex sind und nicht unnötige Anforde-
zum gezielten Lernen genutzt werden als rungswechsel enthalten.
die Nachmittage. ● Es sollten stets explizite Hinweise auf
● Lernangebote sollten didaktisch so auf- Möglichkeiten und Nutzen des strategi-
bereitet sein, dass sie nicht unnötig kom- schen Lernens gegeben werden.

Zusammenfassung
Die im INVO-Modell erfolgreichen Lernens beschriebenen kognitiven und motivationalen
Voraussetzungen unterliegen systematischen Altersveränderungen, aus deren Zusammen-
spiel sich vier Wendepunkte im Entwicklungsverlauf zwischen 6 und 16 Jahren ergeben. Im
sechsten Lebensjahr kommt es zu einer enormen Steigerung der Leistungsfähigkeit des
phonologischen Arbeitsgedächtnisses, mit etwa acht Jahren geht das frühkindliche über-
optimistische Vertrauen in die eigene Leistung verloren. Mit ungefähr 10 Jahren ermöglicht
die einsetzende Fähigkeit zur abstrakten Selbstreflexion ein neues Niveau selbstregulierten
Lernens, und im 11. bzw. 12. Lebensjahr stabilisiert sich die Ausrichtung des individuellen
Leistungsmotivsystems.
Die skizzierten individuellen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens lassen sich auch zur
Erklärung von Lernbeeinträchtigungen und Teilleistungsstörungen heranziehen – auch
wenn sie nicht die einzigen Ursachen sind. Schwierigkeiten und Störungen beim Erlernen
des Lesens und Rechtschreibens oder des Rechnens haben etwa 10 % aller Schülerinnen
und Schüler.
Hochbegabte sind in vielerlei Hinsicht im Vergleich zu ihren Altersgenossen im Vorteil.
Aufgrund ihrer günstigeren Lernvoraussetzungen können sie meist leichter und schneller
lernen. Dennoch kann es in Einzelfällen auch bei Hochbegabten zu erheblichen Schul-
leistungsproblemen, ja sogar zu Teilleistungsstörungen kommen.
Die gesellschaftlichen Veränderungen in den westlichen Industrienationen machen es
zunehmend erforderlich, bis ins hohe Alter hinein Neues zu lernen. Trotz offenkundiger
Einbußen in einzelnen individuellen Lernvoraussetzungen – insbesondere lässt die Leis-
tungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses nach – verfügen viele Menschen auch im Alter noch
über genügend Potenzial für erfolgreiches Lernen.

Literaturhinweis
Schneider, W. & Lindenberger, U. (2012). Ent-
wicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.
Gold, A. (2011 a). Lernschwierigkeiten. Stuttgart:
Kohlhammer.

221
Teil II Lehren
Teil II Lehren

Nach dem Lernen nun zum Lehren. Ist es aus der Perspektive der empirischen Lehr-
überhaupt notwendig, dass wir uns eigens Lern-Forschung behandelt.
mit dem Lehren befassen? Und wenn ja, In 䉴 Kap. 6 werden einzelne Methoden
weshalb in dieser Reihenfolge? Geht das erfolgreichen Lehrens näher betrachtet. Es
Lehren nicht eigentlich dem Lernen voran werden unterschiedliche Lehrmethoden und
und setzt dieses überhaupt erst in Gang? unterrichtliche Vorgehensweisen beschrie-
Müsste man nicht zuerst über Prinzipien ben, in einen theoretischen Begründungs-
und Methoden des Lehrens sprechen und zusammenhang gestellt und hinsichtlich ih-
anschließend die Lernerfolge der Schülerin- rer Wirksamkeit beurteilt. Aussagen zur
nen und Schüler als Folge des Lehrens be- Wirksamkeit der Lehrmethoden und -stra-
trachten? Lehren gelingt nur, wenn die Ge- tegien stützen sich wiederum auf Ergebnisse
setzmäßigkeiten des Lernens zuvor bekannt der empirischen Lehr-Lern-Forschung. Die
sind und wenn sich die Lehrtätigkeit daran Darstellung der Lehr- und Unterrichts-
orientiert. Daher die in diesem Lehrbuch methoden ist dabei nicht normativ-präskrip-
gewählte Reihenfolge. tiv im Sinne einer konkreten Methodenemp-
Das Auslösen und Optimieren von Lern- fehlung für die Unterrichtspraxis zu verste-
prozessen ist das Ziel des Lehrens, insoweit hen, sondern als systematischer Überblick
ist es dem Lernen zweckrational vor- und der Methoden, die, empirisch belegt, ver-
untergeordnet zugleich. Im zweiten Teil die- ständnisvolles Lernen befördern können.
ses Buches geht es um das komplexe Zu- Zur besseren Abgrenzung werden Unter-
sammenspiel von Lehren und Lernen und schiede zwischen den Methoden besonders
um die Beschreibung von Prinzipien und hervorgehoben – in der Unterrichtspraxis
Methoden, die das erfolgreiche Lehren aus- werden eher Mischformen und Kombinatio-
zeichnen. Außer den konkreten Lehrmetho- nen überwiegen.
den und den ihnen zugrundeliegenden theo- In 䉴 Kap. 7 werden Rahmenbedingungen
retischen Auffassungen über das Lehren des Lehrens betrachtet. Mit der Konzentra-
werden in den Kapiteln von Teil II auch tion auf den schulischen Unterricht werden
Rahmenbedingungen und Besonderheiten zugleich die besonderen gesellschaftlichen
des Lehrens behandelt: Erwartungen deutlich, die an die Pädagogi-
sche Psychologie als Wissenschaft vom Ler-
5. Auffassungen über Lehren nen und Lehren herangetragen werden: eine
6. Methoden erfolgreichen Lehrens Richtschnur zu geben bei den Bemühungen
7. Rahmenbedingungen des Lehrens um eine Verbesserung von Bildung und Er-
8. Besonderheiten des Lehrens ziehung. Zum erfolgreichen Lehren gehören
viele Bausteine, so beispielsweise ein gutes
In 䉴 Kap. 5 werden – spiegelbildlich zu der Klassenmanagement, der zweckmäßige Ein-
in 䉴 Kap. 1 für das Lernen gewählten Vor- satz von Lernmedien und ein gerechtes Beur-
gehensweise – begriffliche Klärungen vor- teilen und Bewerten von Lernfortschritten.
genommen und historische Entwicklungs- Aber auch unabhängig von solchen Lehr-
linien nachgezeichnet, die zu den gegenwär- tätigkeiten gibt es Bedingungen, die den
tigen Auffassungen von Lehren geführt ha- Verlauf und den Erfolg schulischen Lernens
ben. Unterricht gilt als das »Kerngeschäft« beeinflussen. Dazu gehören etwa die Schul-
von Schule, und »guter Unterricht« hat zum fähigkeit eines Kindes zum Zeitpunkt der
Ziel, verständnisvolle Lernprozesse auszulö- Einschulung und die Zusammensetzung ei-
sen. Welche Dimensionen der Unterrichts- ner Schulklasse, auf die ebenfalls in diesem
qualität dabei wichtig und was die Voraus- Kapitel eingegangen wird. Differenzielle As-
setzungen erfolgreichen Lehrens sind, wird pekte des Lehrens werden in 䉴 Kap. 8 be-

225
Teil II Lehren

handelt. Sie betreffen vor allem besondere (䉴 Kap. 1.2). Wir teilen im Folgenden die
unterrichtliche oder extracurriculare Maß- Sichtweise, Lehren wissenschaftlich und
nahmen, die sich an Teilgruppen von Ler- nicht als »Kunst« zu betrachten, ohne aller-
nenden richten. Ein Schwerpunkt liegt dabei dings Skinners behavioristische Lerntheorie
auf den Möglichkeiten der Förderung indi- und seine unterrichtstechnologischen Folge-
vidueller Lernvoraussetzungen, was den Bo- rungen zu übernehmen.
gen zu den Kapiteln des ersten Teils dieses Zum Lehrer wird man also nicht geboren.
Lehrbuches wieder spannt. Dem würde auch Hans Aebli, einer der
wenigen Wissenschaftler, die in der Psycho-
Lehren lernen. Kann man Lehren lernen? logie und in der Pädagogik gleichermaßen
Burrhus Frederic Skinner, der bereits er- Anerkennung gefunden haben, zustimmen.
wähnte einflussreiche und streitbare Lern- Aebli weist aber auf einen zusätzlichen As-
theoretiker des 20. Jahrhunderts, hat 1954 pekt hin:
eine kleine Schrift mit dem Titel Die Wis-
Lehrbegabung ist weder eine geheimnisvolle
senschaft vom Lernen und die Kunst des
Naturanlage noch eine Wissenschaft, die
Lehrens veröffentlicht. Der Titel – nicht man im Menschen aus dem Nichts aufbauen
ohne Hintersinn gewählt – war Programm kann. Lehrbefähigung baut sich aus elementa-
und Provokation zugleich. Skinner para- ren Verhaltensweisen auf, die sich im Alltag
phrasiert damit William James, einen der entwickelt haben, und sie differenziert sich aus
Tätigkeiten heraus, die jeder Mensch im Kon-
Pioniere der amerikanischen Psychologie, takt mit seinen Mitmenschen an den Tag legt.
der am Ende des 19. Jahrhunderts in einer (Aebli, 1983, S. 20)
Vortragsreihe für Lehrer die hochgesteckten
Erwartungen seiner Zuhörer unter anderem Kompetentes Lehren knüpft demnach an
mit dem Hinweis dämpfte: jene Verhaltensweisen an, die auch in natür-
lichen, nichtinstitutionellen Interaktions-
[. . .] man macht einen großen, einen sehr gro- situationen zum Tragen kommen. Aebli
ßen Fehler, wenn man glaubt, dass die Psycho- hat mit diesem Hinweis den Anspruch ver-
logie als Wissenschaft von den Gesetzen des
Geistes die Möglichkeit bietet, aus ihr bestimm- bunden, diese elementaren Lehrtätigkeiten
te Programme, Schemata und Lehrmethoden als didaktische Kernprozesse des Unterrichts
für den unmittelbaren Gebrauch in der Schule zu betrachten, und die Tätigkeiten des Er-
abzuleiten. Psychologie ist eine Wissenschaft, zählens oder des Vorzeigens kognitionspsy-
und Lehren ist eine Kunst und Wissenschaften
bringen niemals Kunst direkt aus sich hervor.
chologisch zu begründen.
(James, 1899/1900, S. 7) Professionelles unterrichtliches Handeln
ist planvoll und strukturiert und zielt darauf
Ähnliche Ansichten vertrat Eduard Spranger ab, individuelle Lernprozesse bei den Schüle-
bei seinen Überlegungen zum »geborenen rinnen und Schülern auszulösen, zu begleiten
Erzieher« – so lautet ein bekannter Buchtitel und zum Erfolg zu führen. Solches Lehrer-
des einflussreichen deutschen Pädagogen aus handeln lässt sich mit wissenschaftlichen
dem Jahr 1958. Skinner allerdings war ent- Methoden analysieren und rekonstruieren.
schieden anderer Auffassung als die beiden. Wichtiger noch: Die professionellen Kom-
Auch das Lehren, so Skinner in der Tradition petenzen, die solchem Handeln zugrunde
Edward Thorndikes (䉴 Kap. 1), sei eine Wis- liegen, lassen sich erlernen. Dass dennoch
senschaft, und zwar im Wesentlichen die der ein »künstlerischer Restanteil« verbleibt,
angewandten Lernpsychologie. Skinner skiz- dass erfolgreiches Unterrichten nicht
zierte aus dieser Überlegung heraus eine zwangsläufig aus der wissenschaftlichen Er-
Technologie des Unterrichtens auf der kenntnis über Lerntheorien und Lehrprinzi-
Grundlage der operanten Konditionierung pien folgt, ist Ausdruck der gegebenen Un-

226
Teil II Lehren

terschiedlichkeit zwischen den Lehrenden, Lernen und Instruktion mit dem unterrichts-
ihrer Individualität und ihrer Kreativität, praktischen Handeln der Lehrenden zu ver-
jede pädagogische Situation in eigener Weise binden. Dies gelingt dort, wo die theoreti-
zu gestalten. Es ist aber auch dem Umstand schen Konzepte tatsächlich pädagogisch
geschuldet, dass unterschiedliche Wege zum handlungsleitend sind und wo das unter-
gleichen Ziel führen und dass es meist nicht richtspraktische Lehrerhandeln reflexions-
nur eine, sondern mehrere Methoden des fähig und zur empirischen Forschungsfrage
Lehrens gibt, um ein bestimmtes Ziel zu wird.
erreichen. Hinzu kommt, dass guter Unter- Die Herausforderungen und Probleme
richt allein den individuellen Lernerfolg der pädagogischen Praxis sind ebenso viel-
noch nicht garantieren kann – die Schüle- fältig wie dringlich. Das Bedürfnis nach einer
rinnen und Schüler müssen die gebotenen pädagogisch relevanten Theorie des Lehrens
Lerngelegenheiten auch aktiv nutzen. Das und Lernens ist deshalb nur allzu verständ-
muss man berücksichtigen, wenn wir über lich. Richard Mayer ist der Ansicht, dass das
»gute Lehre« und deren Resultate sprechen. kognitionspsychologische Paradigma hier-
So wie die Unterschiedlichkeit zwischen den für einen geeigneten Rahmen bietet. Es sei
Lernenden – den Adressaten der Lehre – stets nämlich ein großer Vorteil, wenn Kognition
mitbedacht werden muss. Dennoch lohnt es, und Instruktion, Lernen und Lehren, Psy-
den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten erfolg- chologie und Pädagogik unter dem Dach
reichen Lehrens nachzuspüren – ohne dabei einer kognitiven Pädagogischen Psychologie
die Notwendigkeit einer differenziellen Be- zusammenfänden:
trachtungsweise aus den Augen zu verlieren.
Kurz gesagt sind Psychologie und Pädagogik
von beiderseitigem Nutzen. Zur Rolle der Psy-
Theorie einer Praxis. Die Frage, was gute chologie in der Pädagogik ist zu sagen, dass es
Lehre ausmacht und auf welche Weise unter- nichts Nützlicheres für die Praxis gibt, als eine
richtliches Handeln den Wissensfortschritt gute Theorie. Zur Rolle der Pädagogik in der
der Lernenden begünstigen kann, ist so alt Psychologie ist zu sagen, dass es nichts Nütz-
licheres für die Theoriebildung gibt, als ein
wie die Schule selbst. Die in 䉴 Kap. 6 vor- gutes praktisches Problem. (Mayer, 2001,
gestellten Methoden und Strategien erfolg- S. 87)
reicher Lehre repräsentieren den Ertrag einer
anwendungsorientierten Pädagogischen Psy- Am Mangel an »guten praktischen Proble-
chologie und Empirischen Pädagogik. Wir men« im Bereich des Lehrens und Lernens
sehen die Aufgabe der Pädagogischen Psy- sollte Mayers visionärer Ausblick jedenfalls
chologie darin, das theoretische Wissen über nicht scheitern. Es gibt genug davon.

227
5 Auffassungen über Lehren

Es gibt sehr unterschiedliche theoretische alformen unterrichtlichen Handelns dar-


Auffassungen über das Lehren. Auf den gestellt, die geeignet sind, verständnisvolles
ersten Blick wirken die Unterschiede zwi- Lernen zu befördern. Die meisten Systema-
schen diesen so grundsätzlich, dass den je- tisierungen benennen in großer Übereinstim-
weiligen Auffassungen gänzlich unterschied- mung die folgenden Dimensionen der Unter-
liche Menschenbilder zugrunde zu liegen richtsqualität: Maßnahmen (1) zur kogniti-
scheinen. Oft sind sie aber nur künstlich ven Aktivierung der Lernenden, (2) zur kon-
überhöht, um die eigene Lehrphilosophie struktiven Unterstützung der individuellen
möglichst prägnant zu positionieren. Dia- Lernprozesse, (3) zur prozessbegleitenden
metral entgegengesetzte Auffassungen über Diagnostik sowie (4) zur effizienten Klassen-
das Lehren werden in 䉴 Kap. 5.1 in ihren führung, in deren Folge es zur Maximierung
Grundzügen dargestellt. Auf der einen Seite der effektiven Lernzeit kommt.
wird unter dem Primat der Instruktion die Auf den Lehrer kommt es also an! Lehre-
Anleitungs-, Darbietungs- und Steuerungs- rinnen und Lehrer selbst werden zum Gegen-
komponente der Lehrperson besonders her- stand der Betrachtung in 䉴 Kap. 5.3. Welche
vorgehoben, auf der anderen Seite wird für professionellen Kompetenzen werden benö-
offene, problemorientierte und entdecken- tigt, um so zu unterrichten, wie in 䉴 Kap. 5.2
lassende Lerngelegenheiten plädiert. Die beschrieben? Wenn Unterricht das Kern-
Schlagworte von der »direkten« und der geschäft von Schule ist, was muss ein Lehrer
»indirekten« Instruktion bzw. von den »ge- dann wissen und können, um dieses Ge-
genstandsorientierten« und den »konstruk- schäft möglichst erfolgreich zu betreiben?
tivistischen« Ansätzen werden häufig ver- Eine personzentrierte Sichtweise – die Suche
wendet, um diese Unterschiede hervorzuhe- nach dem kompetenten Lehrer – hat lange
ben. Theorien und Modelle des Lehrens sind Zeit die empirische Lehr-Lern-Forschung
in der Allgemeinen Didaktik und im Zuge dominiert. Im Experten-Paradigma (Brom-
der empirischen Lehr-Lern-Forschung auch me, 1992; 1997; 2008) hat das seinen sicht-
in der Pädagogischen Psychologie entwickelt baren Ausdruck gefunden: der Lehrer als
worden. Die psychologischen Theorien des Experte für Lehren und Lernen in der Schule.
Lehrens beschreiben und erklären die Wirk- Genauso kontrovers wie zu William James’
samkeit von Unterricht. Sie fußen auf beha- Zeiten wird auch heute noch die Frage dis-
vioristischen, kognitivistischen oder kon- kutiert, ob die besonderen Kompetenzen der
struktivistischen Grundannahmen über Ler- guten Lehrerinnen und Lehrer eher Folge
nen. ihres angeborenen Talents (Eignung) oder
Welches die Qualitätsmerkmale guten einer qualifizierten Ausbildung sind. Mit
Unterricht sind, wird in 䉴 Kap. 5.2 behan- Verweis auf empirische Studien halten wir
delt. Dabei geht es nicht um konkrete Lehr- die zweitgenannte These für die zutreffende-
methoden wie später in 䉴 Kap. 6. Metho- re. Es wird dargestellt, welche Kernelemente
denübergreifend werden Prinzipien und Ide- des Wissens, welche individuellen Werthal-

228
5 Auffassungen über Lehren

tungen und motivationalen Überzeugungen wir dagegen derzeit nicht. Vielmehr sehen
und welche Kompetenzen der Selbstregula- wir die Gefahr, dass mit der Fokussierung
tion dem professionellen Lehrerhandeln zu- auf ein vermeintlich hirnfreundliches oder
grunde liegen. hirngerechtes Lernen aus dem Blick gerät,
Nicht in einem eigenen Gliederungspunkt dass nicht isolierte Gehirne, sondern Schüle-
behandelt wird die seit einiger Zeit unter rinnen und Schüler mit ihrer Gesamtpersön-
dem Schlagwort Neurodidaktik in der Er- lichkeit lernen. Bislang – so scheint es zu-
ziehungswissenschaft diskutierte Thematik mindest – sind zwar die einfachen Lernphä-
des »hirngerechten« Lehrens und Lernens nomene, nicht aber die Komplexität der
(Herrmann, 2006; Speck, 2009). Die in pädagogischen Interaktionen auf der neuro-
diesem Lehrbuch vorgestellten Modelle nalen Prozessebene angemessen modelliert
und Methoden des Lehrens stehen in der (Becker, 2006; Goswami, 2006; zusammen-
Tradition der empirischen Lehr-Lern-For- fassend: Gold, 2011 a).
schung der Pädagogischen Psychologie. Sie
beziehen allgemein- und entwicklungspsy-
chologische und auch neurowissenschaftli- Orientierungsfragen
che Erkenntnisse über Lernen und Entwick- ● Wie hängen Lernen und Lehren mit-
lung mit ein. In Teil I ist bereits auf neuro- einander zusammen?
wissenschaftliche Beiträge hingewiesen wor- ● Wie wichtig sind die Lehrerinnen und
den, die unser Verständnis kognitiver Lehrer für den Lernerfolg?
Prozesse und Strukturen, zum Beispiel im ● Was ist guter Unterricht?
Zusammenhang mit dem Erwerb des Lesens ● Lernt man besser durch Anleitung und
und Rechnens, geschärft haben. Neuropä- Außensteuerung oder durch selbstän-
dagogische Einsichten, die im Hinblick auf diges Entdecken?
die Gestaltung von Lehr-Lern-Situationen ● Kann man Lehren lernen oder ist die
daraus folgten und die über das in der Lehrbefähigung ein angeborenes Ta-
pädagogisch-psychologischen Modellbil- lent?
dung bereits Bekannte hinausgingen, sehen

5.1 Lehren und Lernen

Im ersten Kapitel dieses Buches haben wir tegien des unterrichtlichen Lehrens bedarf
Lernen als einen Prozess definiert, der Än- eines hohen Ausmaßes an Professionalität.
derungen im Verhaltenspotenzial eines Indi- Explizit ist das methodische Vorgehen der
viduums zur Folge hat. Als Lehren bezeich- Lehrerinnen und Lehrer schon deshalb zu
nen wir ein methodisches Vorgehen, das nennen, weil schulische Lehrsituationen aus-
explizit und bewusst, absichtlich und ge- drücklich zum Zwecke des Lernens gestaltet
plant eingesetzt wird, um erfolgreiche Lern- werden. Lehren ist nicht nur Gegenstand der
vorgänge unterschiedlicher Art auszulösen Pädagogischen Psychologie (bisweilen auch
oder zu beeinflussen. Die Absicht besteht in Instruktionspsychologie genannt) und nicht
pädagogischen Kontexten in aller Regel da- nur auf schulische Kontexte beschränkt. Im
rin, den Erwerb von Kenntnissen und Fer- Unterschied zu anderen Disziplinen (z. B. der
tigkeiten oder die Entwicklung von Interes- Allgemeinen Didaktik oder den Fachdidak-
sen und Werthaltungen zu befördern. Der tiken) hat die Psychologie des Lehrens und
planvolle Einsatz von Methoden und Stra- Lernens vornehmlich die Individuen und die

229
Teil II Lehren

Interaktionen der in pädagogischen Situa- schung hat sich dabei an zwei Fragen orien-
tionen Handelnden im Blick, also die Be- tiert: (1) Was sind die Resultate guten Unter-
schreibung und Erklärung des Lehrerhan- richts? (2) Mit welchen Mitteln werden diese
delns und des Unterrichtsgeschehens sowie Resultate erreicht? In der Tradition einer am
die Analyse der auf Schülerseite resultieren- guten Resultat – dem erfolgreichen Lernen
den Lernprozesse. Eine fachgegenständliche und der entsprechenden Lernleistung von
Diskussion über Lernziele und -inhalte und Schülerinnen und Schülern – orientierten
die Betrachtung der bildungstheoretischen Forschungslinie wurde zunächst nach all-
und -soziologischen Bedingungen und Im- gemeinen Merkmalen der Lehrerpersönlich-
plikationen von Schule und Unterricht findet keit gesucht, die mit den Lernerfolgen ihrer
eher in anderen Disziplinen statt. Schüler zusammenhängen. Heute bezeichnet
man diesen frühen Ansatz als Produkt-For-
schung (Gage, 1963; Rosenshine & Furst,
Paradigmen der 1973), als Versuch einer Rekonstruktion des
Lehr-Lern-Forschung von den erfolgreichen Lehrpersonen pro-
duzierten Lernerfolgs. Die Hoffnung, das
Lehren und Lernen hängen in der Pädago- prototypische Persönlichkeitsprofil der er-
gischen Psychologie eng miteinander zusam- folgreichen Lehrperson zu rekonstruieren,
men. Im Interesse am menschlichen Lernen zerschlug sich vor dem Hintergrund empiri-
überschneidet sich die empirisch ausgerich- scher Befunde. Das führte dazu, sich mehr
tete Pädagogische mit der Kognitiven Psy- am unterrichtlichen Geschehen als an der
chologie, weshalb auch die Erkenntnis von Lehrerpersönlichkeit zu orientieren – also an
Snow und Swanson (1992) nicht verwun- den konkreten Aktivitäten des Lehrens und
dert, dass es sich bei den Kognitionswissen- an den Interaktionsprozessen, die im Unter-
schaftlern und den Instruktionspsychologen richt zu beobachten sind. Es entstand ein
im Wesentlichen um die gleichen Personen neuer Forschungsansatz, bei dem die Merk-
handelt. Was haben diese Wissenschaftler male des Unterrichtsgeschehens zu den Lern-
über die Gesetzmäßigkeiten des Lernens erfolgen der Schüler in Beziehung gesetzt
und Lehrens herausgefunden? Und wie wurden. Diese Art der Rekonstruktion er-
sind sie dabei vorgegangen? folgreichen unterrichtlichen Handelns be-
Am Anfang stand die Suche nach dem zeichnet man als Prozess-Produkt-For-
guten Lehrer. Die empirische Unterrichtsfor- schung (Brophy & Good, 1986).

Fokus: Geschichte der Lehr-Lern-Forschung


Wie sich die Auffassungen über Lehren und Lernen entwickelt haben und welche Ergebnisse
die Unterrichtsforschung erbracht hat, kann man am besten anhand der zusammenfas-
senden Darstellungen in den vier bislang erschienenen Auflagen des Handbook of Research
on Teaching nachlesen (Gage, 1963; Travers, 1973; Wittrock, 1986; Richardson, 2001).
Darüber hinaus sind die zusammenfassenden Darstellungen von Shuell (1996) sowie von
Greeno, Collins und Resnick (1996) im von Berliner und Calfee herausgegebenen Hand-
book of Educational Psychology zu empfehlen. Die zweite Auflage dieses Handbuchs
wurde 10 Jahre später von Alexander und Winne herausgegeben. Für die Lehr-Lern-
Forschung am wichtigsten sind darin die Beiträge von Pressley und Harris (2006) und von
Bransford et al. (2006). Auch im Jahrbuch Annual Review of Psychology lässt sich der
Wissensstand zur Instruktionspsychologie kontinuierlich verfolgen, zunächst noch um-

230
5 Auffassungen über Lehren

fassend (z. B. Gagné & Rohwer, 1969; Glaser & Bassok, 1989; Glaser & Resnick, 1972;
McKeachie, 1974; Resnick, 1981), später nur noch Einzelaspekte betreffend (z. B. Gal-
lagher, 1994; Mayer, 2004 b; Palincsar, 1998; Snow & Swanson, 1992; Weinstein, 1991).
Hattie (2009) hat eine viel beachtete Monographie vorgelegt, die eine zusammenfassende
Darstellung von Metaanalysen zur Wirksamkeit von Unterricht enthält.

Produkt-Forschung. Gute Leistungsentwick- eine am Output bzw. Produkt (dem Lern-


lungen der Schülerinnen und Schüler werden ergebnis) orientierte Systembetrachtung vor-
zum Anlass genommen, die dafür verantwort- zunehmen, um etwas über die »Produktions-
lichen Lehrpersonen näher zu betrachten – bedingungen« zu erfahren. Sie wurde viele
der produzierte Lernerfolg wird so im Rück- Jahre später in den professionsorientierten
schlussverfahren zur Messlatte der Lehrqua- Ansätzen zur Lehrerexpertise erneut auf-
lität. Welche Merkmale der erfolgreichen gegriffen (vgl. Bromme, 1997). Problema-
Lehrpersonen waren aber für die größeren tisch daran ist aus heutiger Sicht allerdings
Lernerfolge ihrer Schülerinnen und Schüler die theoretische Beliebigkeit, mit der nach
verantwortlich? Das war die Ausgangsfrage Korrelaten des Lernerfolgs gesucht wurde;
einer vergleichsweise theoriearmen Effektivi- als zu kurz gegriffen erwies sich auch die
tätsforschung in den 1960er und 1970er ausschließliche Orientierung an den indivi-
Jahren. Die Befundlage lässt sich wie folgt duellen Personmerkmalen der Lehrenden.
zusammenfassen: Klarheit der Präsentation, Unter methodischen Aspekten ist die vor-
Variabilität und Flexibilität der Methode, nehmlich korrelative Struktur der empiri-
Enthusiasmus, eine hohe Aufgabenorientie- schen Daten der Produkt-Forschung zu be-
rung und das Gewähren ausreichender Lern- mängeln.
zeiten zeichnen die Person des erfolgreich
Lehrenden aus (Rosenshine & Furst, 1973; Prozess-Produkt-Forschung. Der Wechsel in
Rosenshine & Stevens, 1986). Persönlich- der forschungsleitenden Perspektive geht auf
keitsmerkmale im engeren Sinn (wie der En- ein Rahmenmodell von Dunkin und Biddle
thusiasmus) und Merkmale unterrichtlichen (1974) zurück. Dort wurden vier Klassen von
Handelns (wie die Klarheit der Präsentation Variablen bei der Analyse von Lehr-Lern-
und das Gewähren ausreichender Lernzeiten) Prozessen unterschieden: Voraussetzungs-,
vermischen sich dabei. Die Suche nach Opti- Kontext-, Prozess- und Produktvariablen.
mal- oder Positivklassen, in denen überdurch- Die Merkmale der Lehrerpersönlichkeit
schnittliche Leistungsfortschritte erzielt wer- (wie wir sie aus dem Produkt-Paradigma
den, ohne dass es zu einer übermäßigen Leis- kennen) spielen weiterhin eine Rolle. Sie
tungsspreizung zwischen den Kindern gehören nun, zusammen mit den in der Leh-
kommt, und in denen nicht nur kognitive rerbildung erworbenen beruflichen Kom-
Lernziele erreicht werden, sondern zugleich petenzen, zu den lehrerseitigen Vorausset-
die Lernfreude und die Lernmotivation auf- zungsvariablen. Zwischen diesen Vorausset-
recht erhalten bleiben, ist typisch für diese zungsvariablen und den schülerseitigen sowie
Forschungstradition. In 䉴 Kap. 7.2 wird am auf die Schule insgesamt bezogenen Kontext-
Beispiel einiger Studien noch genauer darauf variablen (vor allem den individuellen Lern-
eingegangen (Helmke, 1988; Helmke & voraussetzungen) auf der einen Seite und der
Schrader, 1990; Helmke & Weinert, 1997 b). Produktvariable (dem Lernergebnis) auf der
Plausibel schien jedenfalls die einfache anderen vermitteln die Prozessvariablen des
Grundüberlegung des Produkt-Paradigmas, Unterrichts (䉴 Abb. 5.1). Diese Prozessvaria-

231
Teil II Lehren

blen stehen im Mittelpunkt des Interesses. stützungen) auf die Lern- und Leistungsent-
Gemeint sind damit die im Unterricht beob- wicklung der Schülerinnen und Schüler. Die
achtbaren Lehrer-Schüler-Interaktionen, also Beobachtung solcher Unterrichtsprozesse hat
das eigentliche Unterrichtsgeschehen (nicht durch die Videostudien, die im Kontext der
gemeint sind die kognitiven Prozesse, die großen internationalen Vergleichsunter-
während des Lernens in den Köpfen der suchungen durchgeführt wurden, im letzten
Schüler stattfinden!). Die Fokussierung sol- Jahrzehnt eine Renaissance erfahren (Pauli &
cher Unterrichtsprozesse eröffnete eine wah- Reusser, 2006; Hugener, 2008; zusammen-
re Flut von empirischen Untersuchungen, fassend: Helmke, 2009). Rosenshine und
wobei zusätzlich zu den bereits aus der Pro- Stevens (1986) haben die wesentlichen Be-
dukt-Forschung bekannten korrelativen Stu- funde der Prozess-Produkt-Forschung als di-
dien nun auch längsschnittliche Verlaufsmes- daktische Empfehlungen bereits vor mehr als
sungen und feldexperimentelle Unter- 25 Jahren wie folgt zusammengefasst: Lern-
suchungspläne realisiert wurden. Untersucht voraussetzungen diagnostizieren, den Lern-
wurden also Auswirkungen des »natürlicher- stoff darstellend vermitteln, zum Üben anlei-
weise auftretenden« und/oder des gezielt in- ten und das selbständige Üben ermöglichen,
duzierten Lehrerhandelns (wie z. B. der Ein- korrigierende Rückmeldungen geben, fort-
satz systematischer Bekräftigungen oder das laufende Lernerfolgskontrollen durchführen.
Gewähren besonderer individueller Unter-

Voraussetzungsvariablen Prozessvariablen Produktvariablen

Frühere Kurzfristiger
Erfahrungen des Lernzuwachs
Lehrers • Wissen
• soziale Schicht • Einstellungen
Lehrermerkmale Lehrer- • Fähigkeiten
• Alter
• »teaching skills« verhalten
.... ...
• Intelligenz Änderun-
• Motivation gen des
Erfahrungen aus …
Schüler- Langfristige
der Lehrerausbil-
verhaltens Lernergebnisse
dung
• welche Uni?
Schüler- • Identität
• welches Fach? verhalten • Berufsqualifizierung
... ...

Kontextvariablen

Schüler-
Frühere
eigenschaften
Erfahrungen • Fähigkeiten
des Schülers • Wissen
• Geschlecht • Einstellungen
... ....

Schule und Klassenraum


Gemeinde • Klassengröße
• Sozialklima • Ausstattung
• ethnische ...
Zusammensetzung
...

Abb. 5.1: Relevante Einflussgrößen des Lernerfolgs nach den Befunden der Prozess-Produkt-Forschung
nach Terhart (2000, S. 86)

232
5 Auffassungen über Lehren

Mittlerweile wird allerdings auch der theo- plizit anleitenden Lehrverhaltens. Im Folgen-
retische Erklärungsgehalt der Prozess-Pro- den wird zunächst diese aktiv wissensver-
dukt-Forschung als eher gering eingestuft: mittelnde (transmissive) Lehrphilosophie be-
Unbeachtet blieben im Prozess-Produkt-Pa- schrieben, bevor alternative Sichtweisen
radigma nämlich die kognitiven, affektiven über Lehren und Lernen, die stärker auf
und motivationalen Prozesse, die durch das die Selbststeuerung von Lehr-Lern-Pro-
Instruktionsverhalten der Lehrenden bei den zessen setzen, dargestellt werden. Für die
Lernenden ausgelöst oder beeinflusst wer- alternativen Sichtweisen sind auch Kenn-
den. Es wurden auch keine Überlegungen zeichnungen wie »konstruktivistisch« oder
darüber angestellt, wie das Lehrverhalten »handlungstheoretisch« gebräuchlich.
und wie die individuellen Lernprozesse
durch die vielfältigen Voraussetzungs- und
Kontextvariablen im Einzelnen moderiert Wissen vermitteln: Zum Lernen
werden. Dennoch hat die Betrachtung der anleiten, Lernprozesse steuern
Unterrichtsprozesse in ihrer Bedeutsamkeit und überwachen
für den Lernerfolg wertvolle Einsichten zum
effektiven Unterrichten in Schulklassen er- Lehren soll Lernprozesse auslösen, begleiten
bracht. Dazu gehören die Erkenntnisse zur und zielführend erleichtern. Das neu erwor-
Bedeutsamkeit einer effizienten Klassenfüh- bene Wissen und Können – die Kenntnisse
rung und zur Funktion von Leistungsrück- und Fertigkeiten – sind als eigentliche Ziel-
meldungen ebenso wie die Hinweise auf die Variablen der Instruktion sichtbares Resul-
Strukturiertheit und Klarheit des Unterrichts tat dieser Lernprozesse. Wie sind nun Ler-
und die Notwendigkeit der Lernstandsdiag- nende zu instruieren, zu belehren, damit es
nostik (Brophy & Good, 1986; Doyle, 1986; zu einem erfolgreichen Erwerb neuer Kennt-
Walberg, 1986; Wang et al., 1993; Scheerens nisse und Fertigkeiten kommt? Nach Robert
& Bosker, 1997; Hattie, 2009). Unbefriedi- Gagné (1962, 1965; Gagné & Rohwer,
gend ist allerdings, dass die Effekte einzelner 1969), der den Begriff der rationalen Unter-
instruktionaler Maßnahmen nicht ohne wei- richtsplanung (Instructional Design) einge-
teres replizierbar waren und dass sich ganz führt hat, ist dafür eine möglichst engfüh-
unterschiedliche Maßnahmen oftmals in rende, kleinschrittige und systematisch
gleicher Weise als erfolgversprechend erwie- durch den Lernstoff leitende Instruktion
sen. geeignet, bei der die Lernenden mit Darstel-
Im Grunde lassen sich die Erkenntnisse lungen, Erklärungen und Aufgabenanforde-
der Prozess- und der Prozess-Produkt-For- rungen zunehmender Schwierigkeit kon-
schung ganz unabhängig davon nutzen, wel- frontiert werden. Lernaufgaben oder -ziele
cher Lehrphilosophie beim Unterrichten der lassen sich ihrer sachlogischen Struktur ent-
Vorzug gegeben wird und welchen Grund- sprechend stets in Teilkomponenten zerle-
überzeugungen über Lehren und Lernen eine gen, und es können für diese Teilkomponen-
Lehrperson anhängt. Wie wir noch sehen ten jeweils die notwendigen kognitiven Pro-
werden, sind aber die meisten Empfehlungen zesse oder Basisfertigkeiten benannt werden,
und Handlungsanweisungen, die aus den die Voraussetzung zur Zielerreichung sind.
genannten Forschungstraditionen erwach- Unterricht hat demnach die Aufgabe, in
sen sind, mit einer bestimmten Auffassung systematischer Weise aufsteigend die zum
über die Aufgaben und über das Rollenver- Verstehen eines Sachverhalts erforderlichen
ständnis der Lehrerinnen und Lehrer ver- kognitiven Prozesse auszulösen und damit
knüpft, und zwar mit der Auffassung eines das Erreichen der Teilziele sicherzustellen
darstellend-erklärenden und zum Lernen ex- oder zumindest wahrscheinlicher zu ma-

233
Teil II Lehren

chen. Aus solchen Überlegungen heraus sind notwendige Bedingung für den vertikalen
zunächst neo-behavioristische, später kogni- Transfer (䉴 Kap. 3.3). Für jede Lernaufgabe
tivistische Modelle der Planung und der lässt sich fragen, welche unmittelbaren Vor-
Gestaltung von Unterricht entstanden, so- wissenskomponenten vorhanden sein müs-
genannte Instructional-Design-Modelle (zu- sen, um die Aufgabe zu lösen. Für jede dieser
sammenfassend: Ertmer, Driscoll & Wagner, Komponenten lässt sich die Frage wieder-
2003; Lipowsky, 2009; Reinmann & holen (Modell des kumulativen Lernens).
Mandl, 2006). Aus dieser Hierarchie von Vorkenntnis-
bzw. Voraussetzungsebenen des Wissens er-
Instructional Design. Gagné lenkte den Blick gibt sich für den Unterricht sachlogisch eine
des Unterrichtsplaners vom Lernziel auf den Vorschrift zur Anordnung und Sequenzie-
strukturellen Aufbau der zu lernenden In- rung der Wissensvermittlung. Damit werden
halte und auf die Lernprozesse, die zum die inhaltliche Systematik des Sachwissens
Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten zur didaktischen Grundlage des Lehrens und
führen: Indem ein Lernziel in Komponenten die Diagnose der individuellen Lernvoraus-
zerlegt und diese Komponenten hierarchisch setzungen zum notwendigen Ausgangs-
im Sinne von Voraussetzungsrelationen an- punkt einer rationalen Lehrtätigkeit.
geordnet werden, ergibt sich das unterricht-
liche Vorgehen wie von selbst. Wenn bei-
Fokus: Planung und Durchführung
spielsweise das Lernziel darin besteht, das
von Unterricht (Instructional Design)
Addieren ungleichnamiger Brüche zu beherr-
schen, muss nach den Voraussetzungen ge- Weinert (1974 b) hat die Empfehlungen
fragt werden, die dafür benötigt werden. für die Planung und Durchführung von
Dazu gehört etwa, dass die Regeln zum Unterricht, die sich aus den Instructional-
Addieren natürlicher Zahlen und zum Um- Design-Modellen ableiten lassen, wie
gang mit gleichnamigen Brüchen bereits ver- folgt zusammengefasst:
traut sind und dass auch die Regeln der 1. Lernziele konkretisieren
Multiplikation bekannt sind, um die un- 2. Individuelle Lernvoraussetzungen di-
gleichnamigen in gleichnamige Brüche trans- agnostizieren
formieren zu können. Es muss auch Wissen 3. Lernvoraussetzungen vor Beginn des
über die Zerlegbarkeit von Zahlen, über das Unterrichts möglichst angleichen
Erweitern und Kürzen von Brüchen und 4. Lernaufgaben in Lernzielkomponen-
über Primfaktoren vorhanden sein, um sol- ten zerlegen und diese in Vorausset-
che Transformationen vornehmen zu kön- zungsrelationen anordnen
nen. Bei der Unterrichtsplanung ist darauf zu 5. Schüler motivieren
achten, dass die notwendigen Voraus- 6. Individuelle Lernprozesse anleiten,
setzungen oder Teilkomponenten vermittelt steuern und unterstützen
werden, bevor die komplexeren Aufgaben- 7. Individuelle Lernfortschritte überprü-
anforderungen gestellt werden, die auf diese fen
Voraussetzungen Bezug nehmen. Der Unter- 8. Wo nötig, zusätzliche Lernhilfen be-
richt ist also so zu planen und zu gestalten, reitstellen
dass der vertikale Lerntransfer, d. h. die
Lernübertragung zwischen den einander vo-
raussetzenden Teilkomponenten des Wis- Bekannte Modelle der rationalen Unter-
sens und Könnens, maximiert wird. Die richtsplanung und -durchführung sind im
Beherrschung der jeweils vorgeordneten Fer- Anschluss an Gagné z. B. von Carroll
tigkeiten oder Regeln gilt nämlich als eine (1963) und Bloom (1976) sowie von Aus-

234
5 Auffassungen über Lehren

ubel (1968) entwickelt worden. Die in 8. Unterstützende Lerngerüste verwenden


䉴 Kap. 6.1 vorgestellten Methoden berufen 9. Angeleitetes und selbständiges Üben si-
sich auf diese Modelle. Carroll und Bloom cherstellen
haben insbesondere die Bedeutung einer 10. Lernfortschritte überwachen und Rück-
ausreichenden Lernzeit für das zielerreichen- meldungen geben
de Lernen (Mastery Learning) betont. Aus- 11. Regelmäßige Lernerfolgskontrollen
ubel hat vor allem auf den Vorkenntnisbezug durchführen
beim Wissensaufbau und auf die hierar- 12. Anwendung und Transfer des Gelernten
chische Struktur von Wissen hingewiesen vorbereiten und unterstützen
und auf die Notwendigkeit, neue Informa-
tionen stets sequentiell in Anknüpfung an die Die Lehrfunktionen beschreiben, was Leh-
bereits vorhandenen Wissensbestände dar- rende tun sollten, um Lernprozesse zu för-
zubieten (Expository Teaching). Gemeinsam dern. Sie lassen sich im Grunde weder den
ist diesen Ansätzen das Primat der Instruk- Instructional-Design-Modellen noch den im
tion im Sinne einer außengesteuerten Opti- Folgenden beschriebenen konstruktivisti-
mierung der Lehrsituation, also eine Sicht- schen Ansätzen zuordnen, sondern beruhen
weise des Lehrenden als »Didactic Leader« auf einer Auffassung vom Lernen als einem
eines rational und im Voraus planbaren mehrstufigen Prozess strategischer Informa-
Lerngeschehens. Erfolgreiches Lehrerhan- tionsverarbeitung mit einer Abfolge struk-
deln lässt sich demnach kennzeichnen (1) turierender, elaborativer und wiederholen-
durch eine systematische strukturelle Lern- der Enkodierstrategien (䉴 Kap. 2.3). Wenn
ziel- und Aufgabenanalyse, (2) durch eine diese Informationsverarbeitung in hohem
sorgfältige Diagnostik der individuellen Maße unter Anleitung von außen (Teacher
Lernvoraussetzungen, (3) durch eine daraus Initiated) geschieht, sprechen wir von fremd-
resultierende sachlogische Sequenzierung gesteuertem Lernen, wenn die Lerner ihre
der unterrichtlichen Darbietungen und (4) Lernaktivitäten vornehmlich selbst planen
durch eine lernprozessbegleitende Unterstüt- und überwachen (Learner Initiated) von
zung und Überprüfung der individuellen selbstgesteuertem.
Fortschritte. Ob sich individuelle Lernprozesse und
Greeno, Collins und Resnick (1996) ha- unterrichtliche Lehrtätigkeit in der Praxis
ben diese Prinzipien zur Grundlegung einer tatsächlich so rational planen und gestalten
kognitionspsychologischen Didaktik ge- lassen, ist natürlich in Frage gestellt worden
nutzt und die folgenden 12 Lehrfunktionen (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 1998;
formuliert (vgl. auch Shuell, 1996; Vermunt Reinmann & Mandl, 2006; Renkl, 1997;
& Verloop, 1999; Gold, 2008; Köller, 2008; 2008; Lüders & Rauin, 2008). Denn das
Helmke, 2009) – die wesentlichen Empfeh- dargestellte kleinschrittige, vom Einfacheren
lungen aus der Prozess-Produkt-Forschung zum Komplexeren voranschreitende Vor-
(s. o.) spiegeln sich in diesen Funktionen gehen erinnert an eine mechanistisch-asso-
wider: ziative Auffassung von Lernen und lässt
wenig Raum für ein ganzheitliches und ein-
1. Über Ziele einer Lerneinheit informieren sichtiges Lernen, wie es der gestaltpsycholo-
2. Vorkenntnisse diagnostizieren gischen Tradition entsprechen würde. Ver-
3. Aufmerksamkeit sicherstellen nachlässigt werden auch die Potenziale des
4. Aktivierung des Vorwissens fördern selbständigen Lernens und der entdecken-
5. Darstellende Stoffvermittlung lassenden Lehrmethoden der reformpädago-
6. Zu kognitiven Elaborationen anregen gischen und strukturgenetischen Tradition
7. Selbstregulative Lernprozesse fördern (vgl. dazu die in 䉴 Kap. 6.2 und 6.3 vor-

235
Teil II Lehren

gestellten Methoden). Dies nährt die Sorge, tivenwechsel an, der mit einer anderen Auf-
dass durch das darbietende Lehren nur fassung von Lehren verbunden ist. Diese
flüchtige, »träge« sowie unzureichend trans- neue Auffassung ist durch eine stärkere Ak-
ferierbare Wissensbestände erworben wer- zentuierung der Eigenverantwortung des
den (Renkl, 1996). Welche Alternativen gibt Lernenden und der Selbststeuerung des Ler-
es zur transmissiven Auffassung über Leh- nens gekennzeichnet. In ihrer Folge wurden
ren? sogenannte offene oder problemorientierte
Lernumgebungen propagiert und die Ein-
bettung des Lernens in authentische Hand-
Die Konstruktion von Wissen lungskontexte. Damit ging eine Abkehr von
ermöglichen: Lernen auslösen der traditionellen »Lerngegenstandsorien-
und begleiten tierung« des Lehrens einher und eine Zu-
wendung zu einer »konstruktivistischen«
Warum lernen Schüler eigentlich nicht, was oder »situierten« Sichtweise auf Lernen
die Lehrer ihnen beibringen? Diese über- und Lehren (Reinmann-Rothmeier &
spitzt formulierte Frage deutet den Perspek- Mandl, 1998).

Definition: Konstruktivismus
Der Begriff wird in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und in unterschiedlichen
wissenschaftlichen Disziplinen gebraucht. Wir beschränken uns hier auf den lern- und
instruktionspsychologischen Kontext (nach Terhart, 2000, S. 181–201).
● Lernen, konstruktivistisch betrachtet, ist nicht nur die Verarbeitung von Informationen,
sondern auch ihre (stets subjektive) Interpretation. Diese Interpretation wird sehr viel
weniger als in den kognitionspsychologischen Modellen durch strukturelle und pro-
zessuale Parameter des kognitiven Apparats bestimmt, als vielmehr durch die aktuellen
Situationen, Kontexte und Vorbedingungen, unter denen sie stattfindet.
● Lernen, konstruktivistisch betrachtet, ist nicht von außen steuerbar. Lernprozesse sind
deshalb auch nur bedingt vorhersehbar. Ob Instruktion prinzipiell unmöglich ist, wird
kontrovers beurteilt. »Gemäßigte« Konstruktivisten gehen davon aus, dass Lernen »von
außen« durch das Gestalten von Lernumgebungen angestoßen und erleichtert werden
kann.
● Dass Lernen und Unterrichten stets vom bereits vorhandenen Wissen ausgehen müssen,
ist die Kernaussage einer konstruktivistischen Didaktik. Sie liegt den meisten Lehr-Lern-
Theorien zugrunde.

Konstruktivistische Ansätze. Im zuvor dar- Lehrer zum Lernenden transportieren, so


gestellten kognitionspsychologischen Para- wie sich ein Paket von einem Ort zum
digma der regelhaften und symbolischen anderen transportieren lässt. Die konstruk-
Informationsverarbeitung orientiert sich tivistische Sichtweise des Lernens und Leh-
das Lehren an den sachlogischen Inhalten rens ist eine andere. Im konstruktivistischen
des Lerngegenstandes. Aus dieser Lern- Paradigma, das seit den 1990er Jahren zu-
gegenstandsorientierung ist die Vorstellung nehmend einflussreicher wurde, gibt es keine
erwachsen, Lerninhalte ließen sich in hand- Wissenspakete und kein Portionieren und
lichen Portionen als Wissenspakete vom Sequenzieren von Wissenselementen zum

236
5 Auffassungen über Lehren

Zwecke ihrer leichteren »Übermittlung«. Die Hinwendung zum selbsttätig, konstruk-


Statt dessen wird betont, dass jedwedes tiv, selbstorganisiert und im sozialen Aus-
Lernen hochgradig kontextgebunden (situ- tausch Lernenden verbindet mittlerweile ein
iert) und individuell vonstatten gehe und breites Spektrum unterschiedlicher lehr-lern-
dass man solches Lernen durch Aktivitäten theoretischer Traditionen miteinander, die
des Lehrens allenfalls begleiten und ermög- unter der nicht sonderlich trennscharfen
lichen, nicht aber von außen planen und Bezeichnung »konstruktivistische Ansätze«
kontrollieren könne. Es gibt allerdings zusammengefasst werden (Gold & Borsch,
ganz unterschiedliche unterrichtsmetho- 2011; Lipowsky, 2009; Reinmann &
dische Vorgehensweisen, die sich auf eine Mandl, 2006; Shuell, 1996). Diese Ansätze
konstruktivistische Sichtweise von Lernen eint das Unbehagen bezüglich am »Instruc-
beziehen. Sie reichen von den stärker ange- tional Design« und die Ablehnung der Ver-
leiteten (gelenktes Entdeckenlassen) bis zu mittlungsperspektive eines »Didactic Lead-
den weniger strukturierten (offenen) Lehr- er«. Dabei wird nicht etwa bestritten, dass
formen. unter den Bedingungen gegenstandsorien-
Die konstruktivistische Auffassung ba- tierter Unterrichtsgestaltung Lernen stattfin-
siert auf der Grundidee eines selbstgesteuer- det und Kenntnisse und Fertigkeiten auf-
ten, auf Eigentätigkeit beruhenden, indivi- gebaut werden. Bemängelt wird vielmehr
duell unterschiedlich verlaufenden und meist die unzureichende Qualität des so erworbe-
in sozialen Kontexten verankerten Lernpro- nen Wissens, das oftmals träge, unverbun-
zesses. Im Verlauf eines solchen Prozesses den und fragmentarisch bleibe, weil die
wird nicht etwa ein vorab bereits feststehen- wertvollste Ressource des Lehr-Lern-Ge-
des Wissen »von außen« vermittelt, sondern schehens – die konstruktive Eigenaktivität
die Bedeutung von Inhalten wird individuell der Lernenden – weitgehend ungenutzt sei.
und stets subjektiv konstruiert. Die Rolle des Vernachlässigt wird in den transmissiven
Unterrichts wird darin gesehen, Lern- Ansätzen auch die Rolle motivationaler
umgebungen bereitzustellen, die solche Kon- und sozialer Aspekte beim Wissenserwerb.
struktionsprozesse begünstigen. Das sind Der Vergleich konstruktivistischer mit
kognitiv anregende, meist situierte und pro- transmissiven Auffassungen führt uns zu
blemorientierte Lernumgebungen mit kom- einem entscheidenden Punkt: Aus konstruk-
plexen und »authentischen« Problemen. Das tivistischen Auffassungen darüber, wie ge-
erfolgreiche Bearbeiten solcher Problemstel- lernt wird, lässt sich eine instruktionale Vor-
lungen setzt die konstruktive Eigenaktivitä- schrift, wie Lerninhalte konkret zu vermit-
ten des Lernenden voraus, dazu Kompeten- teln seien, nicht ohne weiteres ableiten. John
zen der Selbststeuerung und – zumindest in Bransford und seine Kollegen formulieren
den sozial-konstruktivistischen Ansätzen – diese Problematik folgendermaßen:
Prozesse des sozialen Aushandelns (Pa- Ein häufiges Missverständnis bezüglich »kon-
lincsar, 1998; Reinmann & Mandl, 2006). struktivistischer« Theorien des Wissenser-
Ganz so neu ist diese Sichtweise allerdings werbs (dass also vorhandenes Wissen benutzt
nicht: Kurt Reusser (2001) spricht von »al- wird, um neues Wissen aufzubauen) ist, dass
Lehrer ihren Schülern niemals etwas direkt
ten Sackgassen und neuen Wegen«, Karl
mitteilen dürften, sondern ihnen immer ermög-
Josef Klauer (1999) sieht »alten Wein in lichen sollten, ihr neues Wissen selbst zu
neuen Schläuchen«. Frühe Vorbilder aus konstruieren. Diese Ansicht verwechselt eine
der Reformpädagogik und aus der Psycho- Theorie des Unterrichtens mit einer Theorie des
logie gibt es in der Tat (vgl. dazu 䉴 Kap. 1.4, Wissenserwerbs. Konstruktivisten nehmen an,
dass alles Wissen aus bereits vorhandenen
sowie die in 䉴 Kap. 6.2 folgenden Ausfüh- Wissensbeständen konstruiert wird, unabhän-
rungen).

237
Teil II Lehren

gig davon, wie gelehrt wird. Selbst das Zuhören tigkeitstheorien der sowjetischen kulturhis-
bei einer Vorlesung kann in diesem Sinne als ein torischen Tradition – hier ist nicht nur auf das
durchaus aktiver Versuch angesehen werden,
neues Wissen zu konstruieren. (Bransford et al.,
Gedankengut des bereits mehrfach erwähn-
2000, S. 11) ten Wygotski, sondern auch auf die Über-
legungen von Pjotr Galperin (z. B. Galperin &
So argumentiert auch Richard Mayer, wenn Leontjew, 1972) zu verweisen – und anderer-
er einer konstruktivistischen Sichtweise auf seits in den kognitivistischen Theorien be-
das Lernen zwar zustimmt, eine nur auf wussten, geplanten und zielorientierten Han-
Entdeckenlassen, Experimentieren und Pro- delns. Die enge Verbindung zwischen Denken
blemlösen ausgerichtete Philosophie des und Handeln bringt der Schweizer Piaget-
Lehrens aber verwirft (Mayer, 2004 a; Schüler Hans Aebli im Titel seines zwei Bände
Kirschner, Sweller & Clark, 2006). Kon- umfassenden Hauptwerks prägnant zum
struktivistisch im Sinne einer auf Piaget Ausdruck – Denken: Das Ordnen des Tuns
und Wygotski, auf die Gestaltpsychologie (Aebli, 1980, 1981).
und auf Bartletts Gedächtnispsychologie zu- In seinen zwölf »Grundformen des Leh-
rückgehenden Tradition ist also eine be- rens« begründet Aebli (1983) unterricht-
stimmte Auffassung über Lernen und Wis- liches Handeln im Rückgriff auf die struk-
senserwerb als individuelle, aktive Kon- turgenetische Theorie von Jean Piaget und
struktion von Bedeutung. Es ist eine ganz deren lerntheoretische Annahmen. Das Er-
andere Frage, welche Prinzipien und Metho- gebnis ist eine Allgemeine Didaktik auf psy-
den des Lehrens geeignet sind, solche Kon- chologischer Grundlage. Aus der Grundidee
struktionsprozesse zu unterstützen und wel- vom handelnden Ursprung des Denkens lei-
ches Ausmaß an Anleitung und Steuerung tet Aebli für den Prozess der individuellen
diese Methoden beinhalten. Alexander Wissenskonstruktion folgende didaktische
Renkl (2009) hat das pointiert zum Aus- Sequenz ab: Von der Handlung über die
druck gebracht: Bedeutungs- bzw. verständ- Operation zum Begriff. Aebli zufolge sollte
nisvolles Lernen ist immer ein konstruktiver eine Unterrichtsstunde mit dem »problem-
mentaler Akt – ganz gleich, durch welche Art lösenden Aufbauen« eines Stoffinhalts kon-
von Lernumgebung es ausgelöst worden ist. kret-handelnd beginnen und über das
»Durcharbeiten« sowie das »Üben und Wie-
derholen« schließlich zum »Anwenden« des
Lehren in handlungs- neu Gelernten führen.
theoretischen Ansätzen Bei Aebli, aber auch in anderen hand-
lungstheoretischen Didaktiken, wird also
Handlungstheoretische Auffassungen über eine bestimmte Sequenz von Unterrichts-
Lehren und Lernen gehen – ähnlich wie die schritten oder Lernphasen empfohlen. Sol-
konstruktivistischen Vorstellungen – von der che Auffassungen wurzeln in der idealis-
These aus, dass die aktiv-selbsttätige Aus- tisch-rationalistischen Tradition der unter-
einandersetzung mit einem Lerngegenstand richtlichen Formalstufenlehre Herbarts
lernförderlich sei. Folglich kann umso besser (1776–1841) und seiner Schüler. Danach
gelernt werden, je mehr eine neue Lernan- sollte Unterricht einer Sequenz folgen, die
forderung solche Schüleraktivitäten zulässt von der klaren Darbietung über die Ver-
bzw. einfordert und an bereits vorhandene knüpfung und Ordnung der neuen Inhalte
Kenntnisse und Fertigkeiten anschlussfähig zum Üben und Anwenden des Gelernten
ist. Die handlungsorientierten Unterrichts- führt. Diese Vorstellungen von Lehrtätigkeit
konzepte haben ihre Ursprünge einerseits in entsprechen spiegelbildlich einer Auffassung
den materialistischen Aneignungs- und Tä- vom Lernprozess, die eine Abfolge vom

238
5 Auffassungen über Lehren

Verstehen über das Behalten bis zum Trans- einfachen assoziativen Verknüpfungen. Bei
ferieren des neu erworbenen Wissens postu- Gagné ist das genau anders herum. Als letzter
liert. Weinert (1996 c) hat darauf hingewie- didaktischer Schritt folgt die Anleitung zur
sen, dass die Postulate der weitgehend spe- Anwendung des Gelernten. Neu aufgebaute
kulativen Formalstufenmodelle in den ko- Begriffe, Handlungsschemata und Operatio-
gnitionspsychologischen Stadienmodellen nen sind letztendlich nur Instrumente, um
des Wissenserwerbs (Anderson, 1982; Shu- andere Probleme ähnlicher Art zu lösen.
ell, 1990) wieder auftauchen. Im Übrigen Schließlich soll das neu aufgebaute Wissen
erinnern die normativen Empfehlungen in in anderen Zusammenhängen, d. h. in neu-
vielerlei Hinsicht an die empirisch gestützten artigen, aber vergleichbaren Problemsitua-
Empfehlungen in der Tradition der Produkt- tionen zur Anwendung kommen (Lerntrans-
Prozess-Forschung (s. o.). fer). Dabei ist schrittweise von der geleiteten
zur selbständigen Anwendung überzugehen.
Aeblis Psychologische Didaktik. Weil das Aeblis psychologische Didaktik verbindet
Lernen Aebli zufolge am besten durch leben- Erkenntnisse der verhaltensorientierten
dig empfundene Probleme in Bewegung ge- (䉴 Kap. 1.1 und 1.2) mit der kognitiv-kon-
setzt wird, steht das problemlösende Auf- struktivistischen Tradition des Lernens
bauen einer neuen Wissensstruktur am An- (䉴 Kap. 1.3 und 1.4). Sie wirkt damit in
fang eines Lehrprozesses. Der Lehrende stellt hohem Maße integrativ und ist anschluss-
ein Problem bereit. Die Aufgabe der Lernen- fähig an die aktuelle Unterrichtsforschung.
den besteht darin, für das Problem eine Alles Wissen muss der Lernende selbst auf-
Lösung zu entwickeln. Das problemlösend bauen – den Anstoß dazu geben Probleme,
erarbeitete Wissen ist aber zunächst noch die im Unterricht planvoll präsentiert wer-
fragil und unbeweglich. Zu sehr sind die den. Beim Problemlösen werden zunächst
neuen Begriffe an den Beispielen verhaftet, Handlungsschemata entwickelt, später Ope-
an denen sie erarbeitet worden sind. An die rationen, erst die Operationen »hinter« den
Phase des problemlösenden Aufbauens Handlungen führen schließlich zum Begriff.
schließt deshalb eine Phase des Durcharbei- Aebli teilt mit Piaget die konstruktivistische
tens an. Erst sie führt zu Beweglichkeit im Grundhaltung, weist aber dem Lehrer oder
Handeln und gedanklichen Operieren. Zum Erzieher eine weitaus aktivere Aufgabe zu:
Durcharbeiten von Begriffen gehört es, einen das Anregen von Lernprozessen durch das
Begriff auf verschiedene Weise zu erklären Bereitstellen von Lernangeboten und Pro-
und dabei die Perspektive zu wechseln. Das blemen, das Anleiten beim Aufbau von
Üben und Wiederholen konsolidiert das Ge- Handlungsstrukturen und Operationen,
lernte. Es dient der Routinisierung und Auto- das Begleiten des Durcharbeitens, Übens
matisierung von gedanklichen Abläufen. und Anwendens der neu aufgebauten Struk-
Hierbei wird den Gesetzmäßigkeiten des ver- turen. Und doch kann die Lehrperson dem
knüpfenden Lernens Rechnung getragen. Es Lernenden das Lernen letztendlich nicht ab-
ist auf den korrekten Vollzug der Abläufe nehmen – vor diesem didaktischen Kurz-
oder Operationen zu achten. Wichtig ist die schluss wird deshalb besonders gewarnt.
besondere Stellung der Übung im Lernpro-
zess: Das »Auswendiglernen« soll erst nach Die große Gefahr besteht darin, dass Wissens-
dem Durcharbeiten stattfinden. In diesem stoffe unabhängig von den unterrichtlichen
Punkt stellt Aebli übrigens Gagnés Lernhie- Tätigkeiten gesehen werden, deren Nieder-
schlag und Ergebnis sie eigentlich darstellen
rarchien (Gagné, 1965) auf den Kopf: Aeblis sollten. Sie werden dem Schüler unmittelbar
Lernen beginnt mit dem komplexen Pro- vorgetragen oder zum Lesen im Lehrbuch »auf-
blemlösen und endet mit der Festigung der gegeben«. Einige Unglücksraben lernen sie aus-

239
Teil II Lehren

wendig, auch wenn sie sie nicht verstehen. genüberstellen, dient das – unter Verzicht auf
Stoffsammlungen, also Beschreibungen von viele mögliche Differenzierungen – allein
Wissen, Zusammenfassungen von Unterrichts-
ergebnissen, sind dann gefährlich, wenn sie im
ihrer leichteren Abgrenzung, um so eine
Unterricht nicht in Tätigkeiten zurückverwan- Anknüpfung dieser Positionen an das über
delt werden, die von lebendigen Problemen Lehren und Lernen bereits vorhandene Wis-
ausgehen und vom Schüler eigenes Handeln, sen der Leserinnen und Leser zu ermögli-
Beobachten und Nachdenken erfordern. Der chen. Zwei Binnendifferenzierungen müssen
didaktische Kurzschluss besteht darin, bloße
Ergebnisse zu vermitteln und zu meinen, man allerdings vorangestellt werden: (1) Bei den
habe nicht die Zeit oder es sei zu umständlich, Instructional-Design-Modellen ist zwischen
mit den Schülern jene Tätigkeiten in Gang zu den frühen, behavioristisch orientierten und
setzen, deren Ergebnis die Einsicht, die Pro- den späteren, kognitionspsychologisch be-
blemlösung, der Begriff ist. (Aebli, 1987,
S. 30–31)
gründeten zu unterscheiden. (2) Bei den
konstruktivistischen Ansätzen ist es dagegen
üblich, zwischen den kognitiv- und den so-
Versuch einer Systematik zial-konstruktivistisch geprägten zu diffe-
renzieren. Die zuletzt beschriebenen hand-
Wenn wir die am Instructional Design ori- lungsorientierten Ansätze sind in der hier
entierten transmissiven Auffassungen über vorgestellten Systematik unter den kon-
Lehren den konstruktivistischen Ansätzen struktivistischen einzuordnen. In 䉴 Abb. 5.2
einschließlich ihrer handlungstheoretischen sind die vier lehr-lern-theoretischen Tradi-
Varianten im Folgenden schlagwortartig ge- tionen im Überblick skizziert.

Traditionen Lerntheorie (Lernen als) Lehrtheorie (Lehren als) Lehrtätigkeit

verhaltensorientiert-
• Wissenserwerb • Primat der Instruktion • Lehrzielanalyse und
empiristisch
durch Assoziations- • Verhaltenskontrolle Sequenzierung
Thorndike
lernen • Aktives Lehren • Leistungsrück-
Skinner
• Reaktionslernen meldung und
Gagné
-kontrolle

kognitiv- • Wissenserwerb • Primat der Kognition • Anleiten, Darbieten,


rationalistisch durch symbolische • Veränderung der Erklären
Gagné Informationsver- kognitiven Strukturen • Lernstrategien
Ausubel arbeitung • Aktives Lehren • Lerntransfer
Mayer • Verstehendes Lernen

kognitiv- • Wissenskonstruktion • Primat der Konstruktion • Problemsituationen


konstruktivistisch • Entdeckendes Lernen • Reaktives Lehren und Werkzeuge
Piaget • Entdeckenlassendes bereitstellen
Bruner Lehren • Kognitive Konflikte
Aebli erzeugen

sozio- • Wissenskonstruktion • Primat der • Kooperative Settings


konstruktivistisch • Lernen durch Ko-Konstrukion und authentische
Wygotski geteilte Kognitionen • Entdeckenlassendes Problemsituationen
Rogoff Lehren bereitstellen
Brown

Abb. 5.2: Auffassungen über Lehren und Lernen

240
5 Auffassungen über Lehren

Die beiden transmissiven Traditionen, die Deutlicher auf die Eigenaktivität des Lernen-
eine rationale Unterrichtsplanung nach den bezogen ist die konstruktivistische Sicht
dem Instructional Design auf der Grundlage auf das Lehren. Auch sie setzt am Vorwissen
behavioristischer, später kognitivistischer der Lernenden an und nimmt die bereits
Theorien des Lernens vertreten, sehen die vorhandenen Wissensstrukturen zum Aus-
Verantwortung für das gelingende Lernen gangspunkt. Die instruktionale Außensteue-
vor allem bei der Lehrperson und in der Art rung ist aber nicht so dominant, vielmehr
des Unterrichts, den sie plant und gestaltet. wird auf die Eigentätigkeit der Lernenden
In höherem Maße als die konstruktivisti- und auf das Auslösen und hilfreiche Beglei-
schen Traditionen stützen sie sich auf empi- ten von Lernprozessen gesetzt und weniger
rische Befunde, um ihre didaktischen Emp- auf die Anleitung: Lernen ist individuelle
fehlungen zum Unterrichten zu begründen. Wissenskonstruktion, nicht Wissenserwerb
In der verhaltensorientierten (behavioralen) durch Vermittlung. Diese Perspektive steht
Sichtweise stehen eine systematische Lern- in der Tradition des entdeckenden, problem-
zielanalyse, die Sequenzierung der einzelnen lösenden Lernens in offenen oder problem-
Lehrschritte und die unmittelbaren Rück- orientierten Lernumgebungen. In ihrer ko-
meldungen im Hinblick auf das Ausmaß gnitiv-konstruktivistischen Ausgestaltung
der individuellen Zielerreichung im Vorder- nimmt sie Bezug auf das Prinzip des indivi-
grund. Präzise operationalisierte Lernziele, duellen »kognitiven Konflikts«, wie Piaget
eine kleinschrittige Darbietung von Stoff- oder Bruner es formuliert haben. Kognitive
inhalten, die sich sachlogisch an einer Se- Konflikte führen zur Umstrukturierung und
quenz von Teilzielen orientiert, das wieder- Erweiterung von Wissen. Lehrende präsen-
holte und überwachte Üben sowie unmittel- tieren konfliktträchtige Problemsituationen
bare Leistungsrückmeldungen und regel- und stellen die Werkzeuge bereit, mit denen
mäßige Ergebniskontrollen kennzeichnen sie sich bewältigen lassen. In der sozio-kon-
Lehrtätigkeiten dieser Tradition (Explicit struktivistischen Variante wird auf die Be-
Teaching). Theorien des assoziativen und deutsamkeit von Prozessen des sozialen Aus-
operanten Lernens (䉴 Kap. 1.1 und 1.2) tauschs bei der Wissenskonstruktion verwie-
standen dafür ursprünglich Pate. Die be- sen. In diesem Zusammenhang wird oft von
schriebenen Lehrtätigkeiten lassen sich »geteilten Kognitionen« und ihrer Bedeut-
aber auch kognitionspsychologisch be- samkeit für den Wissensaufbau gesprochen.
gründen. Aus kognitivistischer Perspektive Die Überlegungen des russischen Psycho-
sollen durch Unterricht (kognitive) Prozesse logen Wygotski, aber auch qualitativ-ethno-
des Wissenserwerbs gefördert werden graphische Modelle des situierten Lernens
(䉴 Kap. 1.3), indem »verstehendes« Lernen liefern hier die Bezüge. In 䉴 Kap. 6.2 und 6.3
ausgelöst wird. Dies geschieht, indem rele- werden solche Lehrmodelle im Einzelnen
vantes Vorwissen aktiviert und der Lern- dargestellt.
transfer durch geeignete Hilfen gebahnt
wird (Comprehension Teaching). In der Be-
tonung der individuellen Lernvoraussetzun- Wie passt das alles zusammen?
gen begegnen sich die verhaltensorientierten
und die kognitivistischen Instruktions- Nun haben wir viel Unterschiedliches über
modelle. Die zu diesem transmissiven Ansatz Lehren zusammengetragen. Lehren soll zum
entwickelten Methoden des direkten Unter- Lernen anleiten und das selbständige Lernen
richtens werden später in 䉴 Kap. 6.1 aus- ermöglichen. Lernen ist Wissenserwerb und
führlicher vorgestellt. die Konstruktion von Bedeutung. Aus den
empirischen Untersuchungen in der Tradi-

241
Teil II Lehren

tion der Prozess-Produkt-Forschung lassen 1976), also einer eigentlich unauflösbaren


sich didaktische Empfehlungen für den Un- Relativität von Wirklichkeit, außen vor.
terricht ableiten und aus den normativ-phi- Neue Wissensstrukturen – so die Kernthese
losophischen Grundüberlegungen der kon- eines gemäßigten Konstruktivismus – kön-
struktivistischen bzw. handlungstheoreti- nen nur aktiv-generativ aus der Restruktu-
schen Ansätze ebenso. Im einen Fall sind rierung bereits bestehenden Wissens hervor-
sie eher empirisch, im anderen Fall rational gebracht werden und nicht durch eine Ver-
begründet. Die Positionen sind nicht so un- mittlung neuer Wissenspakete »von außen«.
vereinbar, wie es zunächst scheinen mag. Solches Lernen ist stets in hohem Maße
Lehrtätigkeit lässt sich auf der Grundlage individuell – schon weil die jeweiligen Aus-
konstruktivistischer, kognitivistischer und gangspunkte der Konstruktionsprozesse ver-
verhaltensorientierter Auffassungen von schieden sind. Fügt man hinzu, dass die
Lernen begründen und gestalten. Bei der Verantwortung für das Initiieren und Fort-
Auswahl einer Lehrmethode wird vor allem führen der Lernprozesse stets bei den Ler-
eine Rolle spielen, welche Lernziele durch nenden selbst liegt und dass neues Wissen in
den Unterricht erreicht werden sollen. Der aller Regel durch die Einbindung in einen
Erwerb systematischen Wissens oder moto- sozial und kulturell geprägten Kontext er-
rischer Fertigkeiten, der Aufbau allgemeiner zeugt wird, so sind die wesentlichen Grund-
Lernkompetenzen und von Schlüsselqualifi- bausteine einer moderat konstruktivisti-
kationen und das Erlernen sozialer Verhal- schen Lehr-Lern-Theorie zusammenfassend
tensweisen und Wertorientierungen – um benannt: Konstruktiv, aktiv, selbstregulativ,
nur die wichtigsten Ziele zu nennen – werden situiert und sozial (Reinmann-Rothmeier &
vermutlich nicht durch eine einzige Lehr- Mandl, 1998; Shuell, 1996). Sie werden im
methode zu bewerkstelligen sein (Weinert, Folgenden näher charakterisiert. Eine mo-
2000 b). Dass unterschiedliche Auffassun- derat-konstruktivistische Auffassung weist
gen über das Lernen nebeneinander existie- dem Lehrenden quasi eine mittlere Position
ren, wurde bereits im ersten Kapitel darge- zu, gleich weit entfernt von einem radikal-
legt. Das ist auch für das Lehren so – in konstruktivistischen Lehrverbot (Lehren ist
䉴 Kap. 6 werden die unterschiedlichen Lehr- unmöglich, weil das lernende System von
methoden, die auf diesen Auffassungen fu- außen prinzipiell unzugänglich ist) und einer
ßen, dargestellt. Die gemeinsame Plattform, behavioral-kognitivistischen Lehrverpflich-
die im Hinblick auf das Lehren tragfähig tung (Lehren ist notwendig, weil Lernen
scheint, kann man als kognitionspsycholo- erst dadurch möglich wird). Die moderat-
gisch, gemäßigt-konstruktivistisch bezeich- konstruktivistische Sichtweise betrachtet
nen (Mayer, 2004 a; Terhart, 2000; Weinert, Lehren als möglich und nützlich, wenn es
2000 b). Lernen wird dabei als aktiver, be- kognitive Aktivitäten fördert und die Schüler
reichsspezifischer, systematischer, mehrstufi- in verständnisvolle Lernprozesse verwickelt
ger und kumulativer Prozess der Informati- (Mayer, 2004 a; Reinmann-Rothmeier &
onsverarbeitung betrachtet, in dessen Ver- Mandl, 1997; Terhart, 2000, 2002).
lauf Wissensstrukturen aufgebaut und fort-
während verändert werden. Kernelemente moderat-konstruktivistischer
Die »Mäßigung« der konstruktivisti- Auffassungen des Lehrens. Um das aktive
schen Sichtweise drückt sich in einer prag- Lernen zu fördern, muss der Unterricht
matischen Ausblendung ihrer erkenntnis- kognitiv anregend sein. Inhaltliches Interesse
theoretischen Dimension aus. So bleibt die am Lerngegenstand ist dafür stets eine güns-
radikal-konstruktivistische Position einer tige Lernvoraussetzung. Konstruktive Lern-
»konstruierten Wirklichkeit« (Watzlawick, prozesse werden begünstigt, wenn anstelle

242
5 Auffassungen über Lehren

vereinfachender Darstellungen reale und schung. In Anlehnung an Weinert (2000 b)


komplexe Probleme im Unterricht behandelt lassen sich die Kernelemente erfolgreichen
werden. Das Konzept des entdeckenlassen- Lehrens und Lernens im Sinne des Lern-
den Lernens basiert auf der angeleiteten Dreiecks in 䉴 Abb. 5.3 illustrieren. Die
Auseinandersetzung mit solchen Problemen. grundlegenden Auffassungen über Lehren
Es entspricht Piagets These, wonach die und Lernen aus 䉴 Abb. 5.2 finden sich darin
komplementären kognitiven Mechanismen wieder.
der Assimilation und Akkommodation zur
Auflösung interner kognitiver Konflikte bei- kognitivistische Sichtweise

e
tragen und damit zur Reorganisation und

eis
so

ich ig
sit
zio

d
tw
Erweiterung von Wissen. Situiertes Lernen

uie

ch stän
-ko
ist Lernen in authentischen Kontexten. Da-

rt,

vis , selb
eS
ns
ko
mit werden der spätere Anwendungsbezug Lernen

tru

op istisc
und die Verwertbarkeit von Wissen gebahnt.

v
tis
kti
era

tru ukti
Die Forderung nach Authentizität lässt sich

tiv

r
kti
-ko onst
durch den motivierenden Charakter interes-

,p
santer, realer Anforderungssituationen be-

art
he

k
ns
gn ktiv,
izi
gründen. Wenn Lernanforderungen so ge-

Sic

pa
htw

itiv
staltet werden, dass sie ein hohes Maß an

a
tiv
Selbststeuerung des Lernens voraussetzen

eis

ko
e
und ermöglichen, werden die selbstregulati-
ven Lernkompetenzen gestärkt. Für die Ver- Abb. 5.3: Kernelemente erfolgreichen Lehrens
wendung kooperativer Lehr-Lern-Arrange- und Lernens nach Weinert (2000 b)
ments spricht, dass der Wissensaufbau in
den meisten Fällen nicht nur eine individu-
elle, sondern auch eine soziale Angelegenheit
Unterricht als Angebot –
ist. Der soziale Aspekt von Lehr-Lern-Pro- Lernen als Nutzung
zessen ist in den transmissiven Instructional-
Design-Modellen kaum beachtet worden. Es muss daran erinnert werden, dass guter
Diese fünf Kernelemente moderat-kon- Unterricht nicht automatisch gute Lern-
struktivistischen Lehrens bedürfen aber ei- ergebnisse nach sich zieht. Schulisches Ler-
ner Ergänzung, wie Franz Weinert (1996 a; nen fällt aber leicht(er), wenn es ein gutes
1998 a) und andere Unterrichtsforscher unterrichtliches Angebot gibt, das die Schü-
(Mayer, 2004 a; Kirschner et al., 2006; ler nutzen können. Andreas Helmke hat
Helmke, 2009) anmerken: Erfolgreich ge- diesen Zusammenhang in seinem Ange-
lernt wird nämlich auch, wenn Lerninhalte bots-Nutzungs-Modell (Helmke, 2009;
in systematischer Weise und zielgerichtet 2010) folgendermaßen formuliert: Schu-
dargeboten werden, sachlogisch angeordnet lischer Lernerfolg ergibt sich aus dem Zu-
und auf den Vorkenntnisstand abgestimmt sammenwirken einer Reihe von Faktoren –
sind, wenn Fragen unterschiedlicher Schwie- der angebotene Unterricht ist einer der wich-
rigkeit gestellt und die Lernfortschritte fort- tigsten davon, aber eben nicht der einzige.
laufend kontrolliert werden und wenn für Neben der Quantität und Qualität des unter-
ausreichend Übung gesorgt ist. Die notwen- richtlichen Lernangebots entscheiden die ko-
dige Ergänzung besteht demnach im Hin- gnitiven, motivationalen und emotionalen
zufügen einer expliziten Darstellungs- und Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und
Anleitungskomponente in der Tradition der Schüler darüber, ob und wie ein Lernangebot
kognitivistisch orientierten Lehr-Lern-For- tatsächlich genutzt wird (䉴 Abb. 5.4). Unter-

243
Teil II Lehren

richt wird also modellhaft »gerahmt«, in- trachtet werden. Denn nur wenn sich indi-
dem die Lehrerkompetenzen und -überzeu- viduelle Lernpotenziale der Lernenden in
gungen auf der einen Seite sowie die kogni- zielgerichteten (kognitiven) Lernaktivitäten
tiven und motivationalen Lernvoraussetzun- niederschlagen, kann die Qualität eines un-
gen der Schülerinnen und Schüler auf der terrichtlichen Angebots überhaupt zum Tra-
anderen Seite in ihrem Zusammenspiel be- gen kommen.

Lehrperson Familie
strukturelle Merkmale (Schicht, Sprache, Kultur,
Professionswissen Bildungsnähe); Prozessmerkmale der
Unterricht Erziehung und Sozialisation
(Angebot)
fachliche,
Lernpotenzial
didaktische, Prozessqualität Vorkenntnisse, Sprache(n), Intelligenz,
diagnostische des Unterrichts Lern- und Gedächtnisstrategien;
und Lernmotivation, Anstrengungbereitschaft,
Klassenführungs- -fachübergreifend Ausdauer, Selbstvertrauen
Kompetenz
-fachspezifisch
Lernaktivitäten Wirkungen
(Nutzung) (Ertrag)
pädagogische Wahrneh-
Qualität des mung aktive Lernzeit fachliche
Orientierungen
Lehr- und im Unterricht Kompetenzen
Lern- Interpre-
Erwartungen außerschulische fachübergreifende
Materials tation
und Ziele Lernaktivitäten Kompetenzen

Engagement, Unterrichtszeit erzieherische


Geduld, Humor Wirkungen der
Schule

Kontext
kulturelle Rahmen- regionaler Schulform, Klassenzusammen- didaktischer Schulklima,
bedingungen Kontext Bildungsgang setzung Kontext Klassenklima

Abb. 5.4: Angebots-Nutzungs-Modell unterrichtlicher Wirkungen (Helmke, 2012, S. 71)

Wie gut ein unterrichtliches Angebot letzt- ligen Schulklasse, kulturelle, ökonomische
lich ist, hängt, wie bereits ausgeführt, in und schulorganisatorische Rahmenbedin-
hohem Maße von der handelnden Lehrper- gungen, Faktoren des Schul- und Klassen-
son ab, vor allem von ihren professionellen klimas sowie Merkmale der Schülerfamilien
Kompetenzen, die beim Unterrichten eine und des außerschulischen Lernumfelds.
Rolle spielen. Besonders wichtig sind die Nicht mit jeder Lerngruppe lässt sich so
fachwissenschaftlichen und fachdidakti- arbeiten, wie man es möglicherweise geplant
schen Wissensbestände der Lehrenden so- hat.
wie ihre handlungsleitenden pädagogischen Helmke hebt hervor, dass ein Unterrichts-
Überzeugungen (䉴 Kap. 5.3). Über diesen angebot nur dann verstehende Lernprozesse
»Modellkern« des Angebots-Nutzungs-Mo- auslösen und den Wissensaufbau befördern
dells hinaus führt Helmke eine Reihe von kann, wenn es die Lernenden zu eigenstän-
Kontextfaktoren ein, die ohne Zweifel eben- digen Lernaktivitäten anregt, also tatsäch-
falls auf die Dynamik der Angebots-Nut- lich genutzt wird. Das ist der eigentliche
zungs-Beziehung einwirken. Dazu gehören Kern der »Nutzungskomponente« seines
Merkmale der Zusammensetzung der jewei- Modells: Dass das Angebot zum Ausgangs-

244
5 Auffassungen über Lehren

punkt verständnisvoller Lernprozesse wird, könnten, wie etwa ein Angebot im


dass also in der Unterrichtszeit tatsächlich Geschäftsleben (Gruschka, 2011), sondern
gelernt wird. Dass die »Angebotskomponen- um die Merkmale der Prozessqualität des
te« gelegentlich missverstanden wird über- Unterrichts. Daher werden diese im nach-
rascht, denn es geht ganz offenkundig nicht folgenden 䉴 Kap. 5.2 ausführlicher beschrie-
um ein beliebiges merkantiles Angebot, das ben.
die Lernenden annehmen oder ausschlagen

5.2 Dimensionen der Unterrichtsqualität

Welches sind die Dimensionen der Unter- baren methodologischen Standards ver-
richtsqualität? Wie sieht ein qualitativ gutes pflichtet fühlt, gegeben. Den ordnenden
unterrichtliches Angebot aus? Was sind die Rahmen liefert wiederum Helmkes An-
Ergebnisse guten Unterrichts? Auf diese Fra- gebots-Nutzungs-Modell (䉴 Kap. 5.1), an
gen werden nachfolgend Antworten aus der das wir in einer vereinfachenden, das un-
Perspektive einer empirisch orientierten Pä- terrichtliche Angebot hervorhebenden Dar-
dagogischen Psychologie und einer Empiri- stellungsweise hier nochmals erinnern
schen Bildungsforschung, die sich vergleich- (䉴 Abb. 5.5).

Lehrer Unterricht Schüler

Professionswissen Kognitive Mathematische


Aktivierung Kompetenzen
Motivation
Klassenführung Motivation
Überzeugungen
Konstruktive Überzeugungen
Selbstregulation Unterstützung
Selbstregulation
Verständnisvolle
Lernprozesse

Abb. 5.5: Wirkmodell professioneller Kompetenzen von Lehrkräften in der COACTIV-Studie (Löwen et
al., 2011, S. 70)

Zwischen den Lehrpersonen mit ihrem Pro- 2011; Lipowsky, 2009). In 䉴 Abb. 5.5 sind
fessionswissen, ihren subjektiven Überzeu- in dieser »Zwischenposition« drei wichtige
gungen, motivationalen und selbstregulati- Dimensionen der Unterrichtsqualität be-
ven Kompetenzen und den Lernerfolgen nannt – die kognitive Aktivierung, die kon-
ihrer Schülerinnen und Schüler steht der struktive Unterstützung und eine effiziente
Unterricht, der den Aufbau von Wissen Klassenführung. Sie werden weiter unten
und Können möglich macht, indem er Ge- ausführlicher behandelt.
legenheiten für verständnisvolle Lernprozes- Empirische Erkenntnisse über Merkmale
se bietet (Helmke, 2009; Kunter & Voss, guten Unterrichts verdanken wir der älteren

245
Teil II Lehren

Prozess-Produkt-Forschung (Rosenshine & ness), die Motivierungsqualität (I = Incen-


Stevens, 1986; Brophy & Good, 1986), den tives) und die zum Lernen eingeräumte Zeit
metaanalytisch aggregierten Destillaten die- (T = Time). Hattie (2009) listet allein für den
ser Forschungstradition (z. B. Hattie, 2009; Bereich der Unterrichtsqualität (Teaching)
Seidel & Shavelson, 2007) und einigen mehr als 500 Metaanalysen auf, die sich
längsschnittlich angelegten Studien, zum auf Teilaspekte der Unterrichtsqualität
Beispiel aus dem Münchner Max-Planck- beziehen – und es gibt weitere Metaanaly-
Institut für Psychologische Forschung (Wei- sen zur Wirksamkeit von Lehrpersonen
nert & Helmke, 1997 a, 1997 b) sowie (Teachers) sowie zur Bedeutung curricularer
aus dem Berliner Max-Planck-Institut für Aspekte von Unterricht. Wie behält man da
Bildungsforschung (Baumert & Kunter, den Überblick?
2011 a). In 䉴 Kap. 5.1 haben wir mit Verweis Einen ordnenden Rahmen für solche und
auf Weinerts (1974 b) frühe Empfehlungen andere Aufzählungen bietet die von Kunter
und die späteren zusammenfassenden Dar- und Voss (2011) in Anlehnung an Oser und
stellungen (z. B. Greeno et al., 1996; Helmke Baeriswyl (2001) vorgeschlagene Unter-
& Weinert, 1997 b; Shuell, 1996) bereits die scheidung von Tiefen- und Sichtstrukturen
wichtigsten Merkmale der Unterrichtsquali- des Unterrichts. Die Autoren bezeichnen als
tät aufgezählt. Sie seien hier nochmals be- Sichtstrukturen des Unterrichts die ober-
nannt: (1) Lernziele explizit machen, (2) flächlichen und daher leicht sichtbaren Rea-
Vorkenntnisse diagnostizieren, (3) die Schü- lisierungsformen des unterrichtlichen Vor-
ler motivieren, (4) die Aktivierung des Vor- gehens, wie die konkret eingesetzten Lehr-
wissens fördern und zu kognitiven Elabora- methoden und die Organisationsformen des
tionen anregen, (5) selbstregulative Lernpro- Unterrichts (den Lehrervortrag, das gelenkte
zesse fördern, (6) effiziente Klassenführung, Unterrichtsgespräch, die kooperativen Un-
(7) klare und strukturierte Stoffdarbietung, terrichtsformen), die Methoden der Lern-
(8) ausreichende Lernzeiten gewähren, (9) standsmessung (formativ, summativ) oder
intensive Übungsphasen vorsehen, (10) eine die Verwendung von Lernmedien. Tiefen-
hohe Aufgabenorientierung, (11) unterstüt- strukturen betreffen dagegen die Qualität
zende Lerngerüste verwenden, (12) Varia- der unterrichtlichen Lehr-Lern-Prozesse im
bilität und Flexibilität der Lehrmethoden, engeren Sinne – sie lassen sich durch ganz
(13) ein unterstützendes Lernklima herstel- unterschiedliche Oberflächenmerkmale,
len, (14) Rückmeldungen geben und fort- aber auch weitgehend unabhängig von die-
laufende Lernerfolgskontrollen durchfüh- sen realisieren. Als wichtigste Tiefenstruktu-
ren, (15) ein angemessener Umgang mit ren des Unterrichts gelten (1) die kognitive
Heterogenität. Andreas Helmkes (2009) Aktivierung der Lerner, (2) die konstruktive
zehn Merkmale der Unterrichtsqualität Unterstützung der individuellen Lernprozes-
sind in dieser Aufzählung ebenso enthalten se und (3) eine effiziente Klassenführung. In
wie die Schlüsselbegriffe aus Slavins (1994) ähnlicher Weise sprechen andere Autoren
QAIT-Modell. Slavin hebt in Anlehnung an von einer strukturierten Klassenführung, ei-
John Carroll (Carroll, 1963; 䉴 Kap. 7.2) nem unterstützenden Sozialklima (emotio-
jene Aspekte des Unterrichts hervor, die im naler Unterstützung) und von einer instruk-
unmittelbaren Verantwortungsbereich der tionalen Unterstützung (Pianta & Hamre,
Lehrpersonen stehen und deshalb als (ver- 2009; Klieme, Pauli & Reusser, 2009).
gleichsweise leicht) modifizierbar gelten: die
Qualität der Instruktion (Q = Quality of
Instructions), die Adaptivität und Angemes-
senheit des Vorgehens (A = Appropriate-

246
5 Auffassungen über Lehren

Kognitive Aktivierung Interaktion mit dem kompetenten Anderen


als bedeutsam für den Aufbau von Kennt-
nissen und Fertigkeiten hervor. Das heißt
Dieses Merkmal ist das wohl wichtigste aber nicht, dass sich das Potenzial zur ko-
Qualitätsmerkmal erfolgreichen Unter- gnitiven Aktivierung nur in problemlösen-
richts. Guter Unterricht zeichnet sich da- den, entdeckenlassenden oder kooperativ
durch aus, dass die Lerngegenstände inhalt- angelegten Lehr-Lern-Arrangements entfal-
lich klar und verständlich erklärt und erar- ten könnte. Auch der lehrergeleitet-darstel-
beitet werden, dass dabei auf die individu- lende Unterricht kann kognitiv aktivierend
ellen Lernvoraussetzungen Rücksicht und gestaltet werden, indem Widersprüche, neue
Bezug genommen und an die bereits vor- Ideen und weiterführende Interpretationen
handenen Vorkenntnisse und Konzepte an- durch eine geschickte Sequenzierung des
geknüpft wird. Durch herausfordernde Fra- Unterrichtsstoffes und durch Lehrerfragen
gen und durch eine geschickte Auswahl von an geeigneten Stellen provoziert werden.
Aufgaben und Problemstellungen wird zum Eckhard Klieme und Kollegen haben an-
vertieften Nachdenken angeregt. Solche He- hand von Videoanalysen von Unterrichts-
rausforderungen befördern die aktive Aus- einheiten zu den »Sätzen des Pythagoras«
einandersetzung mit dem Lernstoff. »Aktiv« gezeigt, dass der Lernzuwachs in einer Klas-
meint in diesem Zusammenhang eine men- se tatsächlich mit dem Ausmaß der kogni-
tale kognitive Aktivität im Sinne einer guten tiven Aktivierung zusammenhängt (Klieme,
Informationsverarbeitung und nicht eine nur Pauli & Reusser, 2009; Lipowsky et al.,
verhaltensbezogene Aktivität der Lerner 2009). Herausfordernde Aufgaben, anre-
(䉴 Kap. 5.1). Für das Auslösen solcher men- gende Fragen, das Hinweisen auf Unter-
taler Aktivitäten ist die Konfrontation mit schiede und Gemeinsamkeiten von Proble-
herausfordernden Aufgaben, die stets über men, Konzepten und Lösungen sowie die
das bereits Bekannte hinausgehen und zu Erfordernis, eigene Ideen zu erläutern, zu
ihrer Bewältigung eine neuartige Verknüp- begründen und zu verteidigen führen zu
fung zuvor unverbundener Wissenselemente einer »tieferen« Informationsverarbeitung
erfordern, eine geeignete Strategie. In der und zu einem höheren Lernerfolg. Unab-
Tradition der konstruktivistischen Theorien hängige Beobachter hatten die Unterrichts-
würde man von induzierten »kognitiven mitschnitte im Nachhinein beurteilt, um zu
Konflikten« sprechen, im kognitionspsycho- Einschätzungen über das Aktivierungs-
logischen Paradigma von »kognitiven Ela- potenzial des Unterrichts zu gelangen. In
borationen«. Wichtig ist, dass das selbstän- welchem Maße den Lehrern die kognitive
dige Überprüfen und Verteidigen oder Ver- Aktivierung ihrer Schüler im Unterricht ge-
werfen von Lösungsvorschlägen als wesent- lungen ist, lässt sich letztlich nicht direkt
licher Teil der Lernaktivitäten betrachtet beobachten, sondern nur aufgrund von ge-
wird, weil auf diese Weise die neuen Infor- nau festgelegten Indikatoren des Lehrerver-
mationen »erzwungenermaßen« weniger haltens erschließen (zur Problematik solcher
oberflächlich, sondern tiefer verarbeitet wer- Unterrichtsbeobachtungen 䉴 Kap. 7.2).
den müssen, oft auch im Dialog mit einem Interessant ist auf der Schulklassen-
Lernpartner. ebene der Zusammenhang zwischen dem
Lipowsky (2009) nennt folglich eine »dis- professionellen Wissen von Lehrkräften
kursive Unterrichtskultur« als charakteristi- (䉴 Kap. 5.3), ihrem mehr oder weniger ko-
sches Merkmal des kognitiv aktivierenden gnitiv aktivierenden unterrichtlichen Vor-
Unterrichts und hebt (wiederum mit Verweis gehen und den zu beobachtenden Lernerfol-
auf Wygotski) die Rolle der fachgebundenen gen ihrer Schüler. Baumert und Kunter

247
Teil II Lehren

Fokus: Videostudien
Zur Erforschung der Unterrichtsqualität werden seit etwa 20 Jahren in größerem Maßstab
Videostudien durchgeführt, d. h. Mitschnitte von Unterrichtsstunden, die nachträglich von
externen Beobachtern nach bestimmten Kriterien eingeschätzt und bewertet werden.
Beginnend mit der 1995er TIMSS-Videostudie ist mittlerweile eine Reihe von video-
grafierten (und kommentierten) Unterrichtseinheiten, meist aus dem mathematisch-natur-
wissenschaftlichen Bereich, verfügbar. Oftmals wurden dabei die Unterrichtsskripte bzw.
-kulturen in unterschiedlichen Ländern miteinander verglichen, vor allem solcher Länder,
die in den großen Schulleistungsstudien durch sehr unterschiedliche Rangplätze aufgefallen
waren. Die Aussagekraft solcher Vergleiche blieb allerdings begrenzt, weil die beobachteten
Unterrichtsmerkmale meist nicht direkt auf die Leistungsentwicklungen der Kinder und auf
die Rahmenbedingungen des Unterrichts, die Vorgaben des Curriculums und die Struktur
von Schule bezogen werden konnten (Kunter & Trautwein, 2013). Nur in wenigen Studien
– wie etwa in der bereits angesprochenen Pythagoras- oder in der DESI-Studie – konnten die
Unterrichtsbeobachtungen und die Erfassung der Leistungsfortschritte in den gleichen
Klassen realisiert werden, so dass direkte Rückschlüsse möglich sind. Diese Rückschlüsse
unterstreichen die lernförderliche Wirkung der beschriebenen Qualitätsdimensionen von
Unterricht (Lipowsky et al., 2009).

(2011 b) beschreiben diesen Zusammenhang lich »mediiert« (vermittelt) durch Maßnah-


anhand eines Datensatzes von knapp 200 men der kognitiven Aktivierung und der
Klassen der 10. Jahrgangsstufe mit mehr als individuellen Lernunterstützung.
4000 Schülern folgendermaßen: Auf der Es wurde bereits erwähnt, dass die meis-
Klassen- bzw. Lehrerebene beeinflussen ten Studien zum kognitiv aktivierenden Un-
das fachliche und das fachdidaktische Pro- terricht im Fach Mathematik oder in den
fessionswissen der Lehrkräfte in der Tat die naturwissenschaftlichen Fächern durch-
Leistungsentwicklung ihrer Schüler. Aus- geführt wurden. Es gibt aber Ausnahmen.
schlaggebend ist dabei das fachdidaktische In der PERLE-Studie wurden Videoanalysen
Wissen – Lehrer mit höherem fachdidakti- in 37 ersten Klassen im Rahmen des Erst-
schem Wissen erreichten innerhalb eines leseunterrichts durchgeführt (Lotz, Lipow-
Schuljahres einen signifikant höheren Leis- sky & Faust, 2011). Dabei ließen sich vier
tungszuwachs in ihren Klassen. Dieser Effekt Aspekte kognitiv aktivierender Unterrichts-
erklärt sich vollständig durch die Fähigkeit gespräche identifizieren, die sich bei der
der Lehrkräfte, kognitiv aktivierende Auf- Aufgabenstellung, während der Aufgaben-
gaben zu stellen, die ausgewählten Aufgaben bearbeitung und nach der Aufgabenlösung
eng am Curriculum auszurichten und eine mehr oder weniger ausgeprägt im Vorgehen
individuelle Lernunterstützung zu gewähr- der Lehrpersonen in den einzelnen Klassen
leisten. Die Autoren sprechen deshalb im finden lassen: (1) das explizite Benennen von
Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Übungszielen, (2) das anregend-herausfor-
dem Professionswissen und dem unterricht- dernde Fragen, (3) ein informierend-anre-
lichen Vorgehen von einem »Mediations- gendes Feedback und (4) eine angeleitet-
modell«: Der Einfluss des fachdidaktischen rückschauende Reflexion. In systematischer
Wissens, das allerdings auf profunden Fach- Form finden sich diese Elemente übrigens
kenntnissen beruhen muss, wird unterricht- auch in den Prinzipien bewährter Leseför-

248
5 Auffassungen über Lehren

derprogramme wieder (Souvignier, 2009; aktivitäten eher gebremst. Natürlich ist ein
Philipp & Schilcher, 2012). möglichst fehlerfreies Beherrschen einer Auf-
gabe oder Fertigkeit letztendlich das Ziel des
Lernens. Allerdings sind Fehler, die während
Konstruktive Unterstützung eines Lernprozesses gemacht werden etwas
anderes als Fehler, die bei der abschließenden
Maßnahmen zur konstruktiven Unterstüt- Leistungsüberprüfung unterlaufen. Aus ei-
zung der individuellen Lernprozesse werden ner Prozessperspektive des Lernens betrach-
gelegentlich auch als Maßnahmen zur Her- tet, wird eine positive Fehlerkultur jedenfalls
stellung eines günstigen bzw. unterstützen- produktive Wirkungen entfalten.
den Lernklimas bezeichnet. Damit ist die
Erwartung verbunden, positive Beziehungs-
Fokus: Angst
qualitäten der Schüler untereinander und zu
den Lehrpersonen schafften günstige Rah- Angst – vor allem in ihren Facetten als
menbedingungen für Lernprozesse. Wenn Prüfungs- und Leistungsangst – ist ein
sich alle Beteiligten wertschätzen und akzep- ungünstiger Begleiter von Lernen. Sie
tiert fühlen – so die These –, kann leichter kann in allen Phasen der Informations-
und besser gelernt werden. Für einen solchen verarbeitung negative Wirkungen entfal-
Einfluss des Unterrichtsklimas gibt es auch ten und die für den eigentlichen Lern-
einige Hinweise, wenngleich das Klima- vorgang benötigten Ressourcen schwä-
Konstrukt operational nur schwer zu fassen chen. Insbesondere im Hinblick auf den
ist (Helmke, 2009; Lipowsky, 2009). Häu- Informationsabruf aus dem Langzeitge-
figer wird die konstruktive Unterstützung dächtnis sind leistungsbeeinträchtigende
deshalb unter Vermeidung des unscharfen Blockaden zu erwarten, wenn die nega-
Klimabegriffs als emotional wertschätzen- tiven Emotionen bei der Lernerfolgskon-
der und sensibler Umgang der Lehrpersonen trolle zu stark überhand nehmen. Wäh-
mit den individuellen Verständnisproblemen rend des Lernens können eine Kultur des
und Fehlern der Lernenden definiert. Das Vertrauens, ein ermutigendes, an indivi-
schlägt sich in der Art und Weise nieder, wie duellen Bezugsnormen orientiertes Feed-
geduldig die zusätzlichen Erklärungen und back und ein kooperatives Lernklima
wie sachbezogen die Leistungsrückmeldun- Ängste vermindern helfen. In leistungs-
gen gegeben werden und im respektvollen thematischen Situationen kann es zudem
und anerkennenden Umgang insgesamt. hilfreich sein, wenn die Prüfungsanforde-
Man kann die konstruktive Lernunterstüt- rungen berechenbar und transparent und
zung auch als hilfreiche emotional-motiva- dadurch vorhersehbar gestaltet werden
tionale Flankierung der kognitiven Prozesse (Helmke, 2009). Bei habitualisierten
betrachten. Ängsten wird es allerdings zusätzlich zu
Vor allem im Umgang mit den unver- den präventiven besonderer therapeuti-
meidlichen Fehlern zeigt sich die Qualität scher Maßnahmen bedürfen.
des konstruktiv unterstützenden Vorgehens.
Nur wo Fehler nicht peinlich sind und nicht
beschämend wirken, werden sie nicht zu Konstruktiv unterstützend wirken auch ein
Lernbarrieren, sondern zu hilfreichen angemessenes Unterrichtstempo und die Ge-
Durchgangsstationen auf dem Weg zum duld, die Lehrer aufbringen, um auf Schüler-
Wissen und Können (Helmke, 2009). Wo antworten zu warten. Helmke (1988) hat
hingegen der Eindruck entsteht, Fehler unbe- das treffend als »Langsamkeitstoleranz« be-
dingt vermeiden zu müssen, werden Lern- zeichnet. Damit ist gemeint, dass im Unter-

249
Teil II Lehren

richt angemessen langsam vorgegangen elaboriertes Feedback aber auch ungünstig


wird, nicht etwa, dass zu lange gewartet auswirken. Zum einen, weil es die kogniti-
wird oder dass es überhaupt nicht voran- ven Verarbeitungsressourcen der Lernenden
geht. In der Praxis kommt es allerdings unnötig belastet, zum anderen, weil es zu
häufiger vor, dass zu schnell vorgegangen missverständlichen Rückschlüssen über das
wird als zu langsam. Borich (2007) fasst die von den Lehrpersonen vermeintlich unter-
Fülle der Befunde zu den Wartezeiten nach stellte Leistungsvermögen Anlass geben
Lehrerfragen wie folgt zusammen: Warte- kann. Zu beachten ist im Übrigen, dass
zeiten unter 3 Sekunden gelten im Allgemei- sich die leistungsbezogenen Rückmeldungen
nen als zu gering und sind pädagogisch eher nicht nur direkt auf die Leistungsentwick-
ungünstig. Helmke et al. (2008) haben die lung, sondern auch auf das Selbstkonzept
Unterrichtsmitschnitte der DESI-Studie hin- und auf die Lernfreude der Schüler auswir-
sichtlich der Wartezeiten nach Lehrerfragen ken können.
ausgewertet. Am interessantesten dabei war, Dass eine Rückmeldung über individuelle
dass etwa 40 % der Lehrerfragen von den Lernfortschritte als Bestandteil der Diagno-
Schülern unbeantwortet blieben und ohne sekompetenz von Lehrkräften zu betrachten
weiteres Zuwarten durch die Lehrer selbst ist, wird mit dem Begriff des formativen
beantwortet wurden (indem sie zusätzliche Assessment zum Ausdruck gebracht (Klauer,
Hilfestellungen gaben, die Frage umformu- 2006; Maier, 2010). Formatives Assessment
lierten oder im Stoff einfach weitergingen). (formative Diagnostik) meint eine fort-
Auf etwa 50 % der Lehrerfragen erfolgten laufende lernprozessbezogene Leistungs-
spontan – innerhalb von 3 Sekunden – rich- beurteilung, die einen aktuellen individuel-
tige oder fehlerhafte Antworten durch die len Leistungsstand zu einem vorgegebenen
Schülerinnen und Schüler. Nur für etwa Lernziel in Beziehung setzt. Die Ergebnisse
10 % der Lehrerfragen galt, dass im Sinne solcher Lernfortschrittsmessungen sind aber
der Langsamkeitstoleranz genügend Warte- nicht nur für die Lernenden interessant, sie
zeit eingeräumt wurde, damit sich der an- eröffnen zugleich Möglichkeiten zur Modi-
gesprochene Schüler eine Antwort überlegen fikation des unterrichtlichen Vorgehens und
konnte. Manche Lehrer können ein solches zur Einleitung individueller Fördermaßnah-
Zuwarten bis zu 10 Sekunden lang aushal- men.
ten – das ist eine unendlich lange scheinende
Zeitspanne.
Auch an der Art und Weise, wie Rück- Klassenführung
meldungen (Feedback) gegeben werden,
lässt sich die Qualität der konstruktiven Eine gute Klassenführung zeichnet sich
Unterstützung bemessen. John Hattie (2009; durch die Verabredung klar formulierter
Hattie & Timperley, 2007) hat das leistungs- und konsequent eingehaltener Regeln und
bezogene Feedback als eine der wichtigsten durch ein an lernpsychologischen Prinzipien
Komponenten gelingender Lehr-Lern-Pro- orientiertes unterrichtliches Verhaltens-
zesse bezeichnet – auch in den Instructio- management aus. Dazu gehören auch ein
nal-Design-Modellen spielt es eine große professioneller Umgang mit disziplinari-
Rolle (䉴 Kap. 5.1). Vor allem Formen ela- schen Störungen und ein interessant, anre-
borierten Feedbacks, die über einfache gend und flüssig gehaltener Unterricht, der
»Richtig/falsch-Rückmeldungen« hinaus- Langeweile und Abschweifungen, die meist
gehen, sind demnach lernförderlich – jeden- die Ursachen unterrichtlicher Störungen
falls gilt das für komplexere Lernaufgaben. sind, weniger wahrscheinlich macht. Die
Bei einfachen Lernaufgaben kann sich ein effiziente Klassenführung nimmt unter den

250
5 Auffassungen über Lehren

Merkmalen der Unterrichtsqualität eine ausgerichtet: (1) Allgegenwärtigkeit der


Sonderrolle ein, denn sie schafft erst die Lehrperson, um alles im Blick zu haben,
notwendigen Rahmenbedingungen, damit (2) ein reibungsloser Unterrichtsablauf, (3)
im Unterricht überhaupt gelernt werden die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu
kann. Insofern ist sie als notwendige (aber tun, (4) die Fähigkeit, die gesamte Lern-
nicht hinreichende) Voraussetzung gelingen- gruppe und zugleich einen Einzelnen zu
der Lehr-Lern-Prozesse anzusehen und den aktivieren, (5) die Vermeidung von Über-
beiden bereits beschriebenen Merkmalen der druss. Ein in diesem Sinne störungsarm ge-
Unterrichtsqualität eigentlich vor- und über- stalteter Unterricht geht mit einer höheren
geordnet. Anders als die kognitive Aktivie- Wahrscheinlichkeit mit günstigeren Lern-
rung und die konstruktive Unterstützung ist und Leistungsentwicklungen in der Klasse
sie auch schon immer (und unbeeinflusst von einher (Kunter, Baumert & Köller, 2007;
den lehr-lern-theoretischen Paradigmen- Rakoczy, 2007).
wechseln) Gegenstand der empirischen
Lehr-Lern-Forschung zumindest in den eng- Adaptivität. Im Kontext der Unterrichtsqua-
lischsprachigen Ländern gewesen (Borich, lität ist darüber hinaus der Begriff der unter-
2007; Evertson & Weinstein, 2006; Seidel, richtlichen Adaptivität gebräuchlich. Dabei
2009) – in Deutschland hat sich die Klas- ist allerdings nicht ganz klar, ob die Adap-
senführung dagegen lange Zeit nicht als tivität mehr oder weniger automatisch aus
Thema der Unterrichtsforschung etablieren qualitativ gutem Unterricht resultiert oder
können. Helmke (2009) führt das darauf ob die Berücksichtigung adaptiver Prinzi-
zurück, dass sie in unzulässiger Weise ver- pien als eine notwendige Voraussetzung ei-
kürzt als »Umgang mit Disziplinproblemen« nes kognitiv aktivierenden und konstruktiv
aufgefasst worden sei. unterstützenden Unterrichtens anzusehen
Dabei hängt eine effiziente Klassenfüh- ist. Oft wird die Adaptivität nämlich als
rung eng mit den anderen Qualitätsmerk- Omnibus-Begriff gebraucht, der alles um-
malen des Unterrichts zusammen und ist fasst, was offenkundig zum guten Unterricht
vornehmlich präventiv und gerade nicht gehört, ohne selbst richtig fassbar zu sein.
intervenierend definiert. Indem weniger In aller Regel wird der adaptive als ein
Zeit für den Umgang mit Störungen auf- »sich an die unterschiedlichen (vor allem
gewendet werden muss, maximiert die stö- kognitiven) Lernvoraussetzungen der Kin-
rungspräventive Klassenführung die aktive der anpassender« Unterricht beschrieben.
Lernzeit und begünstigt die Lernmotivation. Die Anpassung des unterrichtlichen Vor-
Für die Lehrperson lässt sich bei effizienter gehens erfolgt in der Art und Geschwindig-
Klassenführung nicht nur besser, sondern keit der Stoffdarbietung und des didakti-
auch leichter, also weniger belastend unter- schen Vorgehens, in der Verwendung von
richten. Lehrmethoden, in der Auswahl von Auf-
Wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung gaben und in der Festlegung von Lernzielen.
für das gelingende Lernen und Lehren wird Adaptiv heißt in diesem Sinne, in einer pä-
die Klassenführung später in einem eigenen dagogischen Situation mit den gegebenen
Abschnitt (䉴 Kap. 7.3) als Rahmenbedin- Unterschieden zwischen den Lernenden be-
gung erfolgreichen Lehrens ausführlicher darfsgerecht und angemessen umzugehen
behandelt. Im Vorgriff seien an dieser Stelle (Helmke, 2009; Slavin, 2011 b). So formu-
aber die auf Kounins (1970) wegweisende liert wird aus Adaptivität allerdings eine
Arbeiten zurückgehenden Prinzipien effi- zeitlose und selbstverständliche Maxime al-
zienter Klassenführung schon einmal ge- len pädagogischen Handelns.
nannt. Sie sind allesamt störungspräventiv

251
Teil II Lehren

Mangelnde Adaptivität des Unterrichts gilt -präsentation auf die unterschiedlichen


als mögliche (didaktogene) Ursache von Lernfähigkeiten und Vorkenntnisniveaus
Lernschwierigkeiten, zumindest kann sie Rücksicht genommen wird, indem Übungs-
die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen beispiele unterschiedlicher Komplexität ver-
solcher Schwierigkeiten erhöhen (Gold, wendet werden, indem unterschiedlich lange
2011 a). Ob es deshalb sinnvoll ist, eine Lernzeiten gewährt und unterschiedlich in-
»adaptive Lehrkompetenz« als wichtige Vo- tensive Hilfestellungen angeboten werden
raussetzung erfolgreichen Unterrichtens zu (Gold, 2011 a).
betrachten, sei dahingestellt. Letztlich ist
damit nichts anderes gemeint, als das pro- Was ist also guter Unterricht? Auf einen
fessionelle Wissen über Unterschiede zwi- einfachen Nenner gebracht, ist das ein Unter-
schen Lernenden und die Kompetenz, bei richt, in dem es der Lehrperson gelingt, das
der Planung und bei der Durchführung von Lernangebot so zu gestalten, dass es mög-
Unterricht mit solcher Heterogenität ange- lichst viele Schüler an- bzw. aufnehmen
messen umzugehen. (nutzen) und so ihre Kenntnisse und Fertig-
Adaptivität wäre demnach ein flexibles keiten erweitern (Kunter & Trautwein,
und situationsangemessenes Reagieren auf 2013). Mit anderen Worten also ein Unter-
sich ständig verändernde Zustände und Ent- richt, der verständnisvolle Lernprozesse er-
wicklungen in Lehr-Lern-Situationen (Cor- möglicht und aufrechterhält, indem eine
no, 2008). Es geht also gerade nicht darum, »selbständige und aktive Auseinanderset-
auf der Suche nach einer bestmöglichen zung mit neuem und bereits vorhandenem
Passung die (anfänglich diagnostizierten) eigenem Wissen« initiiert und unterstützt
Lernvoraussetzungen mit den als geeignet wird (Kunter & Voss, 2011, S. 86). Solcher
erachteten Lehrmethoden oder Förderpro- Unterricht lässt sich durch ein geschicktes
grammen in Einklang zu bringen, sondern Ausbalancieren der genannten Tiefenstruk-
um eine kontinuierliche, produktive und turen der Unterrichtsqualität gut beschrei-
flexible Anpassung an erwartete und uner- ben, also durch eine effektive Klassenfüh-
wartete Lernfortschritte und -schwierigkei- rung und ein hohes Maß an kognitiver
ten im Verlauf von Lehr-Lern-Prozessen. Aktivierung, verbunden mit einer besonde-
Solche mikroadaptiven Anpassungen sind ren Aufmerksamkeit und wertschätzenden
eng mit einer prozessorientierten und ver- Rücksichtnahme für die Verständnisproble-
änderungssensitiven Individualdiagnostik me beim Lernen, also eine konstruktive
verbunden (formatives Assessment) und Unterstützung der individuellen Lernprozes-
mit einer mehrstufigen Strategie lernförder- se. Das Ergebnis bezeichnen manche Lehr-
licher Unterstützungen, die bis zur Einzel- Lern-Forscher dann als adaptiven Unter-
förderung außerhalb des Klassenverbands richt. Wie sich diese Qualitätsmerkmale
reichen können. Die bereits geschilderten durch ganz unterschiedliche Organisations-
Qualitätsmerkmale der kognitiven Aktivie- formen und Methoden des Unterrichts – die
rung und der konstruktiven Unterstützung sogenannten Sichtstrukturen – realisieren
beinhalten solche Anpassungsleistungen: In- lassen, wird in 䉴 Kap. 6 erläutert.
dem schon bei der Aufgabenauswahl und

252
5 Auffassungen über Lehren

5.3 Voraussetzungen erfolgreichen Lehrens

Merkmale erfolgreichen Unterrichts sind von mensionen des Professionswissens unter-


Merkmalen der Lehrpersonen, die den Unter- schied, die sich mittlerweile in vielen empi-
richt gestalten, nicht leicht zu trennen. Den- rischen Studien zur Lehrerexpertise als zen-
noch wird im Folgenden der Versuch unter- tral erwiesen haben: das fachliche und das
nommen, eine personzentrierte Perspektive curriculare Wissen, das allgemeine pädago-
einzunehmen, um etwas über die professio- gische und das fachdidaktische Wissen sowie
nellen Kompetenzen von Lehrkräften zu er- die diagnostische Kompetenz. Die Grund-
fahren. Was zeichnet die Personen aus, die annahme ist, dass es in all diesen Bereichen
guten Unterricht machen? Damit entfernen interindividuelle Unterschiede des professio-
wir uns von der dimensionsorientierten Be- nellen Wissens gibt und dass diese Unter-
trachtungsweise, mit der wir im voranstehen- schiede im mehr oder weniger erfolgreichen
den Abschnitt versucht haben, Aufschluss Unterrichten ihren Niederschlag finden.
über die wichtigsten Qualitätsmerkmale Unterrichten und Erziehen sind an-
von Unterricht zu geben (䉴 Kap. 5.2). spruchsvolle Tätigkeiten. Lehr-Lern-Prozes-
In ihren Standards für die Lehrerbildung se müssen sorgfältig geplant, aufwendig or-
hat die Kultusministerkonferenz das Planen ganisiert und verantwortungsvoll evaluiert
und Organisieren von Lehr-Lern-Prozessen, werden. Den unterschiedlichen Lernvoraus-
verbunden mit dem Diagnostizieren indivi- setzungen der Schülerinnen und Schüler ist
dueller Lernvoraussetzungen und dem Beur- dabei Rechnung zu tragen. In der Schule
teilen von Lernfortschritten – kurz: das Unter- sollen aber nicht nur Kenntnisse und Fertig-
richten – neben dem Erziehen als Kernbereich keiten, sondern auch überfachliche Kom-
professioneller Kompetenz benannt (KMK, petenzen vermittelt und erworben werden
2004). Das sollen Lehrpersonen also können. (䉴 Kap. 3.2), dazu Wertorientierungen und
Denn sie sind, wie es dort heißt, »Fachleute soziale Verhaltensweisen. An den Ergebnis-
für das Lehren und Lernen«. Aber trifft dies sen der Studien zur Belastung und Erschöp-
auf alle Lehrer gleichermaßen zu? fung (Burnout) von Lehrpersonen kann man
»Teachers make a difference« war einst sehen, dass diese hohen beruflichen Anfor-
ein Lehrbuch zur Pädagogischen Psycho- derungen nicht von allen Lehrerinnen und
logie überschrieben (Good, Biddle & Bro- Lehrer in der gleichen Weise bewältigt wer-
phy, 1975). Das war eine naheliegende den können. Ein ressourcenschonender Um-
Schlussfolgerung aus den empirischen Be- gang mit Stress und Belastung (nicht zu
funden der Produkt- und der Prozess-Pro- verwechseln mit mangelndem Engagement
dukt-Forschung, in der sich gezeigt hatte, oder Arbeitsverweigerung) gehört deshalb
dass unterschiedliche Lehrpersonen und un- auch zu den Bereichen professioneller Kom-
terschiedliches Lehrerhandeln unterschiedli- petenz. Die Fähigkeit, persönliches Engage-
che Lernresultate zur Folge hatten. Rainer ment und notwendige Distanzierung ange-
Bromme (1992; 1997; 2008) hat das Thema messen dosieren und regulieren zu können,
als einer der ersten in Deutschland aufge- ist aber nur eine Facette dieser Kompetenz.
griffen und die Lehrerpersönlichkeit und Sie wird uns weiter unten noch beschäftigen.
das Lehrerhandeln aus der Perspektive der Zur Veranschaulichung des gesamten Kom-
kognitionspsychologischen Expertisefor- petenzspektrums greifen wir auf eine Rah-
schung betrachtet. Dabei nahm er Bezug menmodell zurück, das Baumert und Kunter
auf Lee Shulmans (1986; 1987) Taxonomie (2006; 2011 a) für das Projekt COACTIV
professionellen Wissens, die bereits jene Di- vorgeschlagen haben.

253
Teil II Lehren

Fokus: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften (COACTIV)


Im Forschungsprogramm »Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv aktivierender
Mathematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz (COACTIV)«
wurden das Wissen, die Überzeugungen, die berufliche Motivation und die selbstregula-
tiven Fähigkeiten von Mathematiklehrkräften sowie -studierenden und von Lehramts-
anwärtern (Referendaren) untersucht und zu ihrem unterrichtlichen Vorgehen sowie zur
Leistungsentwicklung in ihren Klassen in Beziehung gesetzt. Thema ist auch die Entwick-
lung der professionellen Kompetenzen in Ausbildung und Beruf. Dazu werden umfang-
reiche längsschnittliche Datensätze genutzt, die es erlauben, lehrerbezogene mit schüler-
bezogenen Daten zu verknüpfen. Eine erste Längsschnittstudie (Lehrer im Beruf) wurde in
Fortführung von PISA 2003 begonnen. Später kamen weitere hinzu, die sich auf die
spezifische Situation im Vorbereitungsdienst bzw. im Studium beziehen.
Dem Forschungsprogramm liegt die Überlegung zugrunde, dass das Potenzial zur
kognitiven Aktivierung das entscheidende Qualitätsmerkmal guten Unterrichts ist. Der
kognitiv herausfordernde Unterricht muss aber durch Maßnahmen der individuellen
konstruktiven Unterstützung und durch ein effizientes Klassenmanagement ergänzt wer-
den. In den bislang vorliegenden COACTIV-Analysen ist vor allem untersucht worden,
welche Lehrermerkmale Voraussetzungen für einen in diesem Sinne qualitativ guten
Unterricht sind. Als wichtige Merkmalsbereiche gelten vor allem das deklarative und
prozedurale fachliche, fachdidaktische und pädagogisch-psychologische Wissen. Profes-
sionelles Lehrerhandeln wird aber auch von subjektiven Überzeugungen und Werthaltun-
gen, von motivationalen Orientierungen und von der Fähigkeit zur Selbstregulation
beeinflusst (Baumert & Kunter, 2011 a; Kunter, Kleickmann, Klusmann & Richter, 2011).

Ein Modell der professionellen und Können unterscheiden und dass das
Kompetenz Ausmaß professioneller Kompetenz tatsäch-
lich einen Teil der Leistungsentwicklung in
Schulklassen erklären kann.
Baumert und Kunter zufolge hängt profes-
sionelles Lehrerhandeln im Unterricht (1) Professionswissen. Das professionelle Wis-
von spezifischen Wissensbeständen, (2) von sen von Lehrern wird häufig auch als Ex-
pädagogischen Überzeugungen, Werthaltun- pertenwissen oder Expertise bezeichnet. Es
gen und Zielsetzungen, (3) von motivationa- gilt als Kern der Professionalität (Kunter &
len Orientierungen und (4) von den bereits Pohlmann, 2009; Baumert & Kunter,
angesprochenen Fähigkeiten der Selbstregu- 2011 a). Man fasst darunter vor allem das
lation ab, also dem verantwortungsvollen fachinhaltsbezogene Wissen, also ein vertief-
Umgang mit den eigenen Ressourcen in be- tes Verständnis der Inhalte des zu unterrich-
lastenden Situationen (䉴 Abb. 5.6). tenden Stoffes (»dass man sich fachlich gut
Im Folgenden werden diese Aspekte nä- auskennt«), sowie das unterrichts- und schü-
her gekennzeichnet. Es wird dabei auch lerbezogene fachdidaktische Wissen. Letzte-
gezeigt, dass sich erfahrene Lehrpersonen res umfasst das Wissen darüber, welche
(Experten) von Anfängern (Novizen) im kognitiven Anforderungen mit bestimmten
Hinblick auf ihr professionelles Wissen Lernaufgaben verbunden und welche Wis-

254
5 Auffassungen über Lehren

Motivationale
Überzeugungen/ Orientierungen
Werthaltungen/ Selbstregulation
Ziele
Aspekte professioneller Kompetenz

Professionswissen

Päda-
Fach- gogisch-
Fachwissen psycho- Organisati- Beratungs-
Kompetenzbereiche didaktisches
Wissen logisches onswissen wissen
Wissen

Tiefes Erklärungs- Wissen Wissen Wissen Wissen Wissen


Verständnis wissen über über um über über
der das mathe- Leistungs- Lern- effektive
Schul- mathe- matische beurteil- prozesse Klassen-
Kompetenzfacetten mathe- matische Auf- ungen führung
matik Denken gaben
von
Schüler-
(inne)n

Abb. 5.6: Das Kompetenz-Modell der COACTIV-Studie (Baumert & Kunter, 2011 a, S. 32)

sensvoraussetzungen beim unterrichtlichen Nur so wird Wissen zum Können. Neben


Vorgehen zu beachten sind, wie man Lern- dem fachlichen und fachdidaktischen Pro-
aufgaben angemessen ordnet und welche fessionswissen gibt es fächerübergreifend ein
Lehrstrategien geeignet sind, die intendierten bildungswissenschaftliches allgemeines pä-
Lernprozesse auszulösen (»wie man etwas dagogisches Wissen, zum Beispiel über effi-
gut erklären kann«). Zum fachdidaktischen ziente Klassenführung, die Gestaltung von
Wissen gehört auch das Wissen darüber, Lehr-Lern-Prozessen, über die Gesetzmäßig-
welche »typischen Schülerfehler« zu erwar- keiten von Entwicklung und Lernen, über
ten sind und wie man den Wissensstand und den Umgang mit Differenz und über die
die Fehlkonzepte von Schülern zuverlässig Beurteilung von Leistungen. Im Wesentli-
diagnostizieren kann. Gelegentlich wird chen handelt es sich bei dem pädagogischen
auch das curriculare Wissen, d. h. das Wissen allerdings um pädagogisch-psychologisches
darüber, welche Inhalte und Aufgaben Teile Wissen.
von Lehrplänen oder Kompetenzmodellen In einer Reihe von Studien hat sich he-
sind und warum, als Teil des fachdidakti- rausgestellt, dass a) die oben genannten
schen Wissens bezeichnet. Dimensionen des Expertenwissens auch em-
Fachinhaltliches und fachdidaktisches pirisch differenziert werden können und b)
Wissen sind fachbezogen strukturiert, orien- dass sich die fachliche und die fachdidakti-
tieren sich also an den spezifischen Sachlo- sche Expertise tatsächlich auf das Vorgehen
giken der Unterrichtsfächer. Um erfolgreich im Unterricht und auf die Leistungsentwick-
zu unterrichten, müssen sie eng miteinander lung der Schülerinnen und Schüler auswir-
verknüpft sein – deklarativ und prozedural. ken (Baumert & Kunter, 2011 b; Blömeke,

255
Teil II Lehren

Fokus: Kompetenzen deutscher Mathematiklehrer (TEDS-M)


Im Rahmen der Teacher Education and Development Study in Mathematics (TEDS-M)
wurden etwa 1000 angehende Grundschullehrkräfte sowie etwa 700 angehende Lehrkräfte
der Sekundarstufe I, jeweils mit dem Unterrichtsfach Mathematik, im letzten Jahr ihrer
Ausbildung (im Referendariat) in Bezug auf ihr fachliches und fachdidaktisches Wissen
getestet. Im internationalen Vergleich war das fachliche und fachdidaktische Wissen
angehender Grundschullehrkräfte nur durchschnittlich – als Resultat einer weitgehend
fehlenden mathematikbezogenen Ausbildung. Denn in deutschen Grundschulen wird
Mathematik häufig »fachfremd« unterrichtet. War Mathematik als Unterrichtsfach der
Primarstufe dagegen explizit studiert worden, wurden sehr gute Testwerte erzielt. Für die
angehenden Lehrkräfte der Sekundarstufe I resultierten ebenfalls vergleichsweise gute
Werte – herausragende insbesondere für die angehenden Gymnasiallehrer. Fast die Hälfte
der angehenden Haupt- und Realschullehrer wiesen allerdings Schwächen in ihrem
mathematischen und mathematikdidaktischen Wissen auf (Blömeke, Kaiser & Lehmann,
2008; 2010 a; 2010 b).

Kaiser & Lehmann, 2010 a; 2010 b). Die das zu einem Problem der Bildungsgerechtig-
meisten Untersuchungen in diesem Bereich keit – denn dort sind die leistungsschwäche-
sind für das Fach Mathematik durchgeführt ren Schüler, diejenigen aus Zuwandererfami-
worden. Im Rahmen der COACTIV-Studie lien und aus unteren sozialen Schichten
wurde ein Erhebungsinstrument zur Erfas- häufiger vertreten (Gold, 2011 b). Auf den
sung des fachbezogenen Professionswissens, möglichen Zusammenhang zwischen der
also des fachdidaktischen und des fachlichen schulformbezogenen Lehrerbildung und
Wissen von Mathematiklehrkräften der Mit- den differenziellen Lern- und Entwicklungs-
telstufe entwickelt. Nach Baumert und Kun- milieus an Gymnasien und anderen Schulen
ter (2011 b) kommt dem fachdidaktischen wurde schon in anderen Zusammenhängen
Wissen der Lehrpersonen zwar die ver- hingewiesen (Baumert, Maaz, Stanat & Wa-
gleichsweise größere Prädiktionskraft im termann, 2009; Hopf, 2010; Köller & Bau-
Hinblick auf die Lernfortschritte der Schüle- mert, 2008; Nikolova, 2011).
rinnen und Schüler zu als dem fachlichen
Wissen. Allerdings ist zu vermuten, dass Überzeugungen und Werthaltungen. Einen
fachinhaltliche Wissenslücken und -mängel ganz anderen Status als das Professionswis-
die Entfaltungsmöglichkeiten fachdidakti- sen beanspruchen die individuellen Überzeu-
scher Ressourcen und damit die Unterrichts- gungen, motivationalen Orientierungen und
qualität beeinträchtigten. Kritisch haben selbstregulativen Fähigkeiten, die beim Leh-
Baumert und Kunter in diesem Zusammen- rerhandeln auch eine Rolle spielen. Ging es
hang darauf hingewiesen, dass sich das Pro- beim Professionswissen um den »objektivier-
fessionswissen von Lehrkräften unterschied- baren« harten Kern der beruflichen Kom-
licher Schulformen (zu) deutlich voneinan- petenz, so geht es bei den Überzeugungen
der unterscheidet (Baumert & Kunter, und Werthaltungen um »subjektiv« für wahr
2011 b; Krauss et al., 2011; Blömeke, Kaiser gehaltene Sachverhalte, die aber ebenso wie
& Lehmann, 2010 b). Wenn aber an den das professionelle Wissen durchaus hand-
Haupt- und Realschulen fachlich weniger lungsleitende Wirkungen entfalten. Solche
gut ausgebildete Lehrer unterrichten, wird Überzeugungen beziehen sich zum Beispiel

256
5 Auffassungen über Lehren

auf den Unterrichtsstoff selbst (epistemolo- mension auffassen (Voss et al., 2011). Der
gische Überzeugungen), auf das Lernen und Zusammenhang zwischen den lerntheoreti-
Lehren insgesamt (subjektive Theorien), auf schen Überzeugungen der Lehrpersonen und
die Ziele eigenen pädagogischen Handelns, den Lernerfolgen ihrer Schüler war – wie
das eigene Rollenverständnis und die eigenen nicht anders zu erwarten – überaus komple-
Fähigkeiten als Lehrerin oder Lehrer (Berufs- xer Natur. Dubberke, Kunter, McElvany,
ethik) oder auf die Funktion von Schule und Brunner und Baumert (2008) berichten auf-
das Bildungssystem insgesamt (Woolfolk grund der Datenanalyse einer PISA-Ergän-
Hoy, Davis & Pape, 2006; Voss, Kleickmann, zungsstichprobe folgendes Ergebnismuster:
Kunter & Hachfeld, 2011). In allen beruf- Transmissive Überzeugungen waren negativ,
lichen Tätigkeitsfeldern sind die dort Han- konstruktivistische Orientierungen positiv
delnden von Wertvorstellungen und Normen mit den mittleren Lernfortschritten assozi-
motiviert und geprägt, die jenseits des Fach- iert. Ähnliche Befunde hatten schon Staub
lichen mehr oder weniger stark ihr professio- und Stern (2002) mitgeteilt. Das im Unter-
nelles Handeln beeinflussen. Die subjektiven richt zum Ausdruck kommende Potenzial zur
Überzeugungen und Werthaltungen als »un- kognitiven Aktivierung und zur konstrukti-
wissenschaftlich« oder »irrational« zu be- ven Unterstützung (䉴 Kap. 5.2) vermittelte
zeichnen, ginge daher an der Sache vorbei. allerdings zwischen den subjektiven Über-
Wichtig ist, dass man sich solcher Wirk- zeugungen der Lehrpersonen und der Leis-
mechanismen bewusst ist und dass eine Re- tungsentwicklung in den Klassen in zweierlei
flexion darüber möglich wird. Nur wenn eine Hinsicht. Es zeigte sich nämlich, dass (1) von
reflektierte Auseinandersetzung mit den ei- den konstruktivistisch geprägten Lehrper-
genen Überzeugungen und ein kritisches sonen ein höheres Maß an kognitiver Akti-
Überprüfen dieser Überzeugungen stattfin- vierung und konstruktiver Unterstützung
den kann, wird es auch zu notwendigen ausging, was sich als leistungsförderlich er-
Differenzierungen und konstruktiven Relati- wies, und dass (2) Lehrer mit transmissiven
vierungen kommen. Ohnehin können die Überzeugungen in geringerem Maße kogni-
subjektiven Überzeugungen mehr oder weni- tiv aktivierend vorgingen, was sich für die
ger stark differenziert ausfallen und mehr Lernentwicklung als nachteilig herausstellte.
oder weniger stark im Einklang mit wissen-
schaftlichen Theorien und Befunden stehen. Motivationale Orientierungen und selbst-
In der COACTIV-Studie wurde hinsicht- regulative Fähigkeiten. Als weitere fachun-
lich der lerntheoretischen Überzeugungen spezifische Aspekte der professionellen
zum Lehren und Lernen im Fach Mathema- Handlungskompetenz von Lehrpersonen
tik zwischen zwei grundlegenden Perspekti- gelten die individuelle Berufswahlmotivati-
ven unterschieden: (1) der Auffassung, dass on (»Warum ich Lehrerin geworden bin«),
Lernen vorwiegend im Sinne einer Wissens- die auf den Unterricht bezogenen Selbst-
vermittlung durch die Lehrperson (transmis- wirksamkeitsüberzeugungen (»Ich weiß,
siv) stattfinde, und (2) der Auffassung, dass dass ich auch die lernschwachen Kinder
Lernen als ein individueller Vorgang der erreichen kann, wenn ich genügend Zeit
aktiven Bedeutungskonstruktion (konstruk- investiere«) und die Fähigkeit zur ressour-
tivistisch) zu betrachten sei (䉴 Kap. 5.1). censchonenden emotionalen Selbstregulati-
Über einen Fragebogen wurde versucht, on im Umgang mit beruflichen Belastungen
die beiden Auffassungen messbar zu machen. (»Ich bin nicht für alles verantwortlich«).
Sie erwiesen sich als negativ korreliert, dabei In der Tradition der frühen Produkt-For-
aber abgrenzbar distinkt, ließen sich also schung (䉴 Kap. 5.1) hatte man insbesondere
nicht als Extrempole ein und derselben Di- den Enthusiasmus – als sichtbares Zeichen

257
Teil II Lehren

des besonderen Lehrerengagements im Un- pädagogische Begeisterung, die mit einer


terricht – als Kompetenzmerkmal betrachtet. höheren Unterrichtsqualität und einer bes-
Kunter (2011) hat jedoch zeigen können, seren Leistungsentwicklung der Schülerin-
dass es sinnvoll ist, zwischen Enthusiasmus nen und Schüler einhergeht (Kunter, 2011).
als habitueller motivationaler Disposition Die Liebe zum Fach allein genügt also nicht.
(als Persönlichkeitsmerkmal) und einem en- Im Zusammenhang mit den Untersuchungen
thusiastischen Lehrverhalten bzw. Lehrer- zum Studienwahlverhalten der angehenden
handeln zu unterscheiden und darüber hi- Lehrer und im Hinblick auf die Vergabe von
naus zwischen einem pädagogischen Enthu- Studienplätzen ist das ein wichtiger Hinweis
siasmus für das Unterrichten generell und (Brookhart & Freeman, 1992; Gold & Gie-
einem sachinhaltlichen, auf das Unterrichts- sen, 1993; Rothland & Terhart, 2009).
fach, also Mathematik, Englisch oder Sport Kunter weist im Übrigen darauf hin, dass
bezogenen. Schon bei der Entscheidung, ein die funktionalen motivationalen Orientie-
Lehramtsstudium aufzunehmen, zeigt sich, rungen der Lehrerinnen und Lehrer, wie
dass bei manchen Studienanfängern die Be- der Enthusiasmus oder die Selbstwirksam-
geisterung für ihr Fach, bei anderen das keitsüberzeugungen, ständigen Entwick-
Interesse an den pädagogischen Interaktio- lungsprozessen unterliegen – dass sie also
nen den Ausschlag zu geben scheint (Pohl- schon in der Ausbildungsphase und erst
mann & Möller, 2010). Anhand der CO- recht im Verlauf der beruflichen Sozialisati-
ACTIV-Daten lässt sich zeigen, dass es vor on bedeutsame Veränderungen erfahren.
allem die zweite Dimension ist, also die auf Häufig thematisiert wird auch das Belas-
die Tätigkeit des Unterrichtens bezogene tungserleben bzw. der angemessene Umgang

Fokus: Burnout
Berufstypische Belastungsfaktoren von Lehrern sind ein hoher Lärmpegel im Unterricht, die
Arbeit mit schwierigen Schülern und mit leistungsheterogenen Lerngruppen, eine hohe
Stundenbelastung mit einer zeitintensiven Vor- und Nachbereitung, die zunehmende
Übertragung elterlicher Erziehungsaufgaben bei einer zugleich rückläufigen elterlichen
Kooperationsbereitschaft sowie geringe gesellschaftliche Anerkennung. Einige Lehrer
reagieren auf enttäuschte Erwartungen und erlebte Überforderungen mit Erschöpfung
und Stresserkrankung. Charakteristisch für das Burnout-Syndrom (Ausgebranntsein) sind
eine emotionale Erschöpfung und eine verminderte Leistungsfähigkeit. Oft ist es so, dass mit
der emotionalen Erschöpfung Resignation und Gleichgültigkeit (auch Zynismus) einher-
gehen – und dass ein zuvor besonders hohes Engagement und Pflichtbewusstsein durch
Antriebsschwäche, Distanz und Mattigkeit abgelöst wird. Verlässliche Daten über das
Ausmaß der Burnout-Problematik bei Lehrpersonen gibt es nicht. Schaarschmidt (2005)
sieht aufgrund einer negativen Emotionsbilanz bei bis zu 30 % der Lehrerinnen und Lehrer
die Gefahr einer Erschöpfungsdepression. Rauin und Maier (2007) vermuten, dass es vor
allem die für den Beruf weniger gut Geeigneten sind, die solche Krankheitssymptome
entwickeln. Pohlmann und Möller (2010) haben einen Fragebogen entwickelt, der die
Motivation für die Wahl eines Lehramtsstudiums erfassen soll, um das Risiko eines
Burnout-Syndroms einzuschätzen. Richter, Kunter, Lüdtke, Klusmann und Baumert (2011)
weisen auf die wichtige Funktion der sozialen Unterstützung durch Mentoren und
Mitreferendare beim Berufseinstieg hin, die sich präventiv gegenüber einem Burnout
auswirken kann.

258
5 Auffassungen über Lehren

mit berufsbezogenen Belastungen als Aspekt Vorteil. Dabei darf die Tendenz zur Ressour-
professioneller Kompetenz (Klusmann, cenerhaltung allerdings nicht in eine Strate-
Kunter & Trautwein, 2009; Retelsdorf, But- gie der »primären Schonung« umschlagen,
ler, Streblow & Schiefele, 2010; Schaar- die in minimalistischer Weise jedwede An-
schmidt, 2005). Als Fähigkeit zur Selbst- strengungen vermeidet (Klusmann, 2011).
regulation wird dabei ein professioneller
Umgang mit den eigenen Ressourcen im
beruflichen Kontext verstanden. Dabei ist Was heißt das für die
von besonderem Interesse, welche persona- Lehrerbildung?
len berufsbezogenen Ressourcen den erleb-
ten beruflichen Risiken und Belastungen In den Studien zur Lehrerexpertise und zur
idealerweise gegenüberstehen sollten. Lehrer professionellen Kompetenz von Lehrkräften
unterscheiden sich im Hinblick auf ihr Be- und angehenden Lehrerinnen und Lehrern
lastungserleben und im Hinblick auf ihre (COACTIV und TEDS-M) wurden nach
Belastungsbewältigung voneinander. Als dem sogenannten Expertenansatz berufliche
problematisch gelten insbesondere (1) eine Anfänger oder noch in der Ausbildung Be-
Tendenz zur Selbstüberforderung, gekenn- findliche mit berufserfahrenen Personen ver-
zeichnet durch ein besonders großes Enga- glichen, um etwas über die Natur von Ex-
gement bei gleichzeitig verminderter Erho- pertise und über ihre Genese zu erfahren.
lungs- und Widerstandsfähigkeit, oder (2) »Lehren kann man lernen« ist eine zentrale
eine Neigung zur Resignation, mit nur noch Erkenntnis aus diesen und anderen Studien,
geringem Engagement und geringer Wider- weil sie gezeigt haben, dass die Wissens- und
standsfähigkeit (Schaarschmidt, 2005). Auf Überzeugungsstrukturen von Anfängern
die Unterrichtsqualität wirkt sich beides ne- und von erfahrenen Lehrpersonen sich deut-
gativ aus. Vor allem für eine auf lange Sicht lich voneinander unterscheiden und dass
erfolgreiche Berufsausübung sind selbst- professionelles Wissen und Können mit einer
regulative Bewältigungsstrategien sehr be- höheren Unterrichtsqualität und einer bes-
deutsam (Kunter & Klusmann, 2010). seren Leistungsentwicklung einhergehen.
Wer mit den eigenen Ressourcen haushalten Auch Hattie (2012) arbeitet diesen Punkt
und eine Balance zwischen Engagement und heraus, wenn er im »oberen Kompetenz-
Widerstandsfähigkeit finden kann, ist hin- bereich« der Expertise nochmals zwischen
sichtlich des eigenen Wohlbefindens und im exzellenten (Expert Teachers) und erfahre-
Hinblick auf die Unterrichtsqualität klar im nen (Experienced) Lehrern differenziert.

Fokus: Struktur der Lehrerbildung


Auf die bildungspolitischen Kontroversen darüber, wie Lehrerbildung im Einzelnen
strukturiert sein sollte, wird im Folgenden nicht eingegangen. Unstrittig scheint, dass
die Vermittlung (und der Erwerb) von Professionswissen und der Aufbau professioneller
Handlungskompetenzen zu ihren Hauptaufgaben gehört. Dazu ist ein enger Berufsfeld-
bezugs der Studieninhalte, vor allem in den sogenannten Bildungs- oder pädagogischen
Wissenschaften, dringend geboten. Wichtig ist auch, dass fachwissenschaftliche und
fachdidaktische Inhalte im Studium aufeinander bezogen werden und dass sich die
Fachdidaktiken und die Erziehungswissenschaft als empirische, über den Unterricht
forschende Disziplinen verstehen. Ob die professionellen Handlungskompetenzen schon
während des Studiums (1. Phase) oder erst im Referendariat (2. Phase) vermittelt bzw.

259
Teil II Lehren

eingeübt werden sollten, hängt von der Aufgabenteilung zwischen beiden Phasen und von
den jeweiligen Funktionszuschreibungen ab. Einiges spricht dafür, die Zweiphasigkeit der
Ausbildung grundsätzlich beizubehalten und in der universitären Phase ausreichend
Lerngelegenheiten zu schaffen, um in systematischer Weise und für alle Schulformen die
konzeptionell-analytischen fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und pädagogisch-
psychologischen Wissensbestände aufzubauen (Hopf, 2010; Kunter et al., 2011). Dass
dabei den Primar- und den Unterstufenlehrern ein größerer fachwissenschaftlicher und im
Gegenzug den Gymnasiallehrern ein größerer bildungswissenschaftlicher Input als bislang
üblich zugute käme, gilt im Allgemeinen als Konsens.

Die Entwicklung professioneller Kom- (2010) bei ihrer typologischen Unterschei-


petenz, so wird es in der COACTIV-Studie dung zwischen den Problem- und den Mus-
gesehen, vollzieht sich im Zusammenwirken terlehrern hingewiesen. Sogenannte Muster-
der Lerngelegenheiten, die Universität (Stu- lehrer wissen mehr als Problemlehrer, sind
dium) und Vorbereitungsdienst (Referenda- enthusiastischer und unterrichten besser. Sie
riat) bereitstellen, mit den individuellen Ein- weisen auch das weitaus engagiertere Fort-
gangsvoraussetzungen der angehenden Leh- bildungsverhalten auf und profitieren offen-
rer, die je nach Eignung und Neigung der sichtlich davon. Es gibt aber noch eine dritte
Kandidaten mehr oder weniger günstig sein Lehrergruppe: Die sogenannten Selbstregu-
können. Das heißt, die Anteile der notwen- lierer stehen den Musterlehrern im Hinblick
digen Eignung und einer ebenso notwendi- auf die Unterrichtsqualität, bei den Merk-
gen professionellen Qualifizierung sind glei- malen des beruflichen Wohlbefindens und
chermaßen wichtig. Weder wird also eine hinsichtlich der Belastungsresistenz nicht
allzu mechanistische Qualifikationshypo- nach, ohne sich allerdings in der fachlichen
these (»Jeder kann ein guter Lehrer wer- Fortbildung besonders hervorzutun. Offen-
den«) noch die These vom angeborenen bar können besonders günstige selbstregu-
Talent zum Unterrichten und Erziehen als lative Kompetenzen – vor allem eine hohe
allein zutreffend erachtet. Ein gewisses Inte- Widerstandsfähigkeit – im Einklang mit ei-
resse an Kindern und an der pädagogischen nem konstruktiv unterstützenden Lehrver-
Situation sollten Kandidaten für den Lehrer- halten die fachlichen Wissensvorteile der
beruf aber schon mitbringen. Die Kom- Musterlehrer kompensieren.
petenzentwicklung der Lehrerinnen und
Lehrer endet nicht mit dem Abschluss ihrer
Ausbildung. Zusätzlich zur grundständigen
Lehrerausbildung sind deshalb Angebote
der Lehrerfort- und Weiterbildung dringend
notwendig. Dazu gehören Trainings und
Programme zur Optimierung unterricht-
licher Lehr-Lern-Prozesse, aber auch all-
gemeinere Trainings zur Steigerung sozialer
und kommunikativer Kompetenzen und zur
Stressbewältigung sowie zur Einübung von
Methoden der Supervision (Bromme et al.,
2006). Auf die Bedeutsamkeit der Weiter-
bildung haben auch Kunter und Klusmann

260
5 Auffassungen über Lehren

Zusammenfassung
Die Auffassungen über Lehren sind sehr verschieden. Den meisten Lehrtheorien ist aber
gemein, dass sie Aussagen über Lehrziele, über Eingangsvoraussetzungen der Lernenden,
über die Natur von Lernprozessen sowie über instruktionale Prinzipien und Methoden zur
Förderung dieser Prozesse treffen. Einflussreiche Theorien des Lehrens wurden aus der
Perspektive des Instructional Design (zunächst verhaltensorientiert, später kognitions-
psychologisch begründet) und aus konstruktivistischer Perspektive entwickelt.
Aus verhaltensorientierter Sicht lässt sich Unterricht rational planen und gestalten. Die
Strukturierung, Sequenzierung und kleinschrittige Darbietung von Stoffinhalten, verbun-
den mit geeigneten Maßnahmen der Lernstandskontrolle, gewährleisten effektives Unter-
richten. Aus kognitionspsychologischer Sicht sind diese Faktoren um motivationale
Aspekte und um die Kompetenz zur Selbststeuerung von Lernprozessen zu ergänzen.
Aus konstruktivistischer Sicht wird Wissen situiert und kontextbezogen konstruiert. Die
individuelle Wissenskonstruktion lässt sich durch das Bereitstellen authentischer, problem-
orientierter Lernangebote erleichtern, nicht aber steuern. Das Rahmenmodell der mehr-
stufigen Informationsverarbeitung bietet eine kognitionspsychologische Plattform für eine
gemäßigt-konstruktivistische Auffassung von Lernen und Lehren. Guter Unterricht löst
verständnisvolle Lernprozesse aus, indem eine aktive mentale Auseinandersetzung mit
neuem und bereits vorhandenem Wissen gefördert wird.
Auf Seiten der Lehrpersonen gelten das fachliche und das fachdidaktische Wissen als
wichtige individuelle Voraussetzungen professioneller Kompetenz. Das professionelle
Wissen und Können lässt sich grundsätzlich erlernen – habituelle Neigung und Eignung
für den Lehrberuf sind daher weniger konstitutiv für guten Unterricht als eine angemessene
Qualifizierung. Neben dem Professionswissen spielen auch Überzeugungen und selbst-
regulative Fähigkeiten eine wichtige Rolle für das Lehrverhalten. Kompetente Lehrper-
sonen können mit ihren Schülerinnen und Schülern größere Lernfortschritte erreichen.
Professionelle Kompetenzen schlagen sich in qualitativ gutem Unterricht nieder. Als
Tiefenstrukturen guten Unterrichts gelten die Effizienz der Klassenführung, das Potenzial
zur kognitiven Aktivierung der Schülerinnen und Schüler und das Ausmaß an konstruktiver
Unterstützung der individuellen Lernprozesse. Eine angemessene Balance dieser Qualitäts-
dimensionen bezeichnet man auch als unterrichtliche Adaptivität.

Literaturhinweis
Kunter, M. & Pohlmann, B. (2009). Lehrer. In E.
Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psy-
chologie (S. 261–282). Heidelberg: Springer.
Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und Leh-
rerprofessionalität. Seelze-Velber: Kallmeyer.

261
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Individuelle Lernprozesse können durch Problemlösen und im fragend-entwickeln-


Lehrtätigkeiten ausgelöst, aufrechterhalten, den Unterricht, durch animierte Computer-
unterstützt und gefördert werden. Insoweit simulationen ebenso wie durch das gelenkte
stehen Lehren und Lernen in einem kom- Entdeckenlassen, durch Selbststudium eben-
plementären Verhältnis zueinander. Es wur- so wie in kollaborativen Umgebungen. Aber
de jedoch bereits darauf hingewiesen, dass nicht jeder Lernende kann alles gleich gut
Lernen auch ohne Lehren stattfinden kann lernen und nicht jeder kann durch die gleiche
und dass Lehrtätigkeiten nicht immer die Methode in gleicher Weise effizient und
intendierten Lernprozesse zur Folge haben. nachhaltig lernen. Wichtig ist, dass wir die
Zusätzlich gilt: Es gibt nicht nur unterschied- individuellen Lernvoraussetzungen und die
liche Lernphänomene und unterschiedliche spezifischen Lerninhalte und -anforderun-
individuelle Voraussetzungen erfolgreichen gen – also das Lernvermögen des Schülers
Lernens (䉴 Kap. 2), sondern auch unter- und die Lernziele – bei der Auswahl von
schiedliche Methoden des Lehrens, die das Lehrmethoden in geeigneter Weise aufeinan-
Lernen begünstigen können. Dabei ist die der abstimmen.
Frage nach einer geeigneten Lehrmethode Nicht alle in der Praxis anzutreffenden
nicht unabhängig von dem zu vermittelnden Lehrmethoden sind allerdings geeignete Me-
Inhalt zu beantworten: Die Unterstützung thoden. Ein erstes Kriterium zur Bewertung
beim Aufbau des deklarativen und konzep- der Qualität einer Methode ergibt sich da-
tuellen Wissens über den Blutkreislauf wird raus, inwiefern die in 䉴 Kap. 5.2 beschriebe-
z. B. einer anderen Form der Instruktion nen Prinzipien und Dimensionen der Unter-
bedürfen, als dies zum Aufbau von Anwen- richtsqualität beachtet werden. Zwar kommt
dungswissen, Handlungsroutinen und von nicht allen diesen Dimensionen in allen Lehr-
prozeduralen Fertigkeiten zur Durchfüh- methoden die gleiche Bedeutung zu. Entschei-
rung einer Blutentnahme zweckmäßig ist. dend ist jedoch stets, wie gut eine Methode
Es gibt deshalb keine allerbeste, für alle angewandt wird und wie gut das methodische
Lerninhalte, Lerner und Kontexte angemes- Vorgehen auf die individuellen Lernvoraus-
sene Lehrmethode. setzungen und mit den angestrebten Lernzie-
len abgestimmt ist. Denkbar ist auch, dass
Nach der besten Unterrichtsmethode zu fragen
andere als die im Folgenden vorgestellten
ist wie nach dem besten Werkzeug zu fragen –
Hammer, Schraubenzieher, Messer oder Zan- Lehrmethoden verständnisvolles Lernen
ge. Beim Unterrichten wie beim Handwerken ebenso befördern. Die Auswahl der nach-
hängt die Auswahl der Werkzeuge von der folgend beschriebenen Methoden erfolgte je-
Aufgabe ab und von den Materialien, mit doch danach, ob sie theoretisch begründet
denen gearbeitet wird. (Bransford et al., 2000,
S. 22) sind und ob sie sich in der empirischen Lehr-
Lern-Forschung als wirksam erwiesen haben.
Man kann aus Vorträgen und aus Vorlesun- Es gibt unterschiedliche, aber durchaus
gen ebenso lernen wie vom exemplarischen nicht beliebige methodische Vorgehenswei-

262
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

sen erfolgreichen Lehrens. Sie werden in der haltensorientierten, später in kognitionstheo-


Allgemeinen Didaktik und in der Empiri- retischen Rahmenmodellen des Instructional
schen Lehr-Lern-Forschung uneinheitlich Design ihren Ursprung haben (䉴 Kap. 6.1). In
entweder als Unterrichtsmethoden, -modelle ihnen ist die Sichtweise vom aktiv und sicht-
oder -skripte, als Lehrformen oder auch als bar den Lernstoff darbietenden Lehrenden
Lehrstrategien bezeichnet (Gold, 2008; vorherrschend, der den Aufbau von Verhal-
Lompscher & Giest, 2010; Wiechmann, tensweisen und den Erwerb von Wissens-
2008). Für Baumert und Kunter (2006) strukturen planvoll vorbereitet sowie explizit
sind sie ein wesentlicher Teil der Sichtstruk- steuert und überwacht. Oft werden solche
turen des Unterrichts (䉴 Kap. 5.2). Wir ha- Methoden auch als »lehrerzentriert« bezeich-
ben in 䉴 Kap. 5.1 zwischen vier grundlegen- net oder – wenn man sich vornehmlich an der
den Perspektiven unterschieden, aus denen Sozialform orientiert – als »Klassenunter-
heraus solche Lehrmethoden entwickelt richt«. Wir bevorzugen für die darstellenden
wurden: zwei transmissiven in der Tradition Methoden eher die Begrifflichkeit der lehrer-
des Instructional Design (verhaltensorien- gelenkten, -gesteuerten oder -geleiteten Vor-
tiert-empiristische und kognitiv-rationalisti- gehensweise.
sche Perspektive) und zwei konstruktivisti- Dieser lehrergeleiteten Sichtweise von
schen (kognitiv-konstruktivistische und so- Unterricht wird eine stärker schülergesteu-
zio-konstruktivistische Perspektive). In an- erte Auffassung gegenübergestellt, welche
deren Darstellungen ist eine Tendenz zur die Selbsttätigkeit und die Eigenverantwort-
vereinfachenden Zweiteilung festzustellen. lichkeit des Lernenden beim Aufbau von
Dabei wird eine kognitivistische Sichtweise Wissen und Können besonders hervorhebt.
über das Lernen und Lehren auf der einen Sie findet ihren klassischen Ausdruck in
Seite der konstruktivistischen auf der ande- Bruners Konzeption des entdeckenden Ler-
ren gegenübergestellt (z. B. Kirschner, Swel- nens bzw. des entdeckenlassenden Lehrens
ler & Clark, 2006; Mayer, 2003 a; Pressley et (䉴 Kap. 6.2). Damit ist zugleich der Einstieg
al., 2003). Bei aller Unterschiedlichkeit in in die konstruktivistische Sichtweise des Ler-
der theoretischen Fundierung sind die Lehr- nens und Lehrens vollzogen, mit einem mehr
strategien in ihrer konkreten unterricht- oder minder stark ausgeprägten Weiterwir-
lichen Realisierung einander allerdings oft- ken der Anleitungskomponente. Ohnehin
mals sehr viel ähnlicher, als dies in der Lehr- gilt das Ausmaß der Anleitung oder Lenkung
buchdarstellung aus Gründen der Klarheit (Guidance) als ein wichtiges Merkmal bei
und Vereinfachung den Anschein haben der Unterscheidung von Lehrmethoden. An
mag. Häufig sind es nämlich die pragma- den Beispielen der kognitiven Strukturierung
tisch-gemäßigten Zwischenformen und die (Scaffolding) und der kognitiven Meisterleh-
Kombinationen von Methoden und Prinzi- re (Cognitive Apprencticeship) wird dieses
pien, die sich in den Sichtstrukturen erfolg- Unterscheidungsmerkmal in 䉴 Kap. 6.2
reichen Lehrens offenbaren und die den noch ausführlicher diskutiert werden. Am
größten Unterrichtserfolg mit sich bringen. Begriff des »gelenkten Entdeckenlassens«,
Die erfolgreichen Lehrstrategien lassen einem charakteristischen Merkmal vieler
sich aus unserer Sicht in drei übergreifende Methoden des individualisierten, problem-
Kategorien subsumieren (vgl. Gold, 2008; oder handlungsorientierten Lehrens in situ-
Gold & Borsch, 2011; Kunter & Trautwein, ierten oder »offenen« Lernumgebungen,
2013). Am Anfang der folgenden detaillierten kann man leicht erkennen, dass auch die
Beschreibung stehen die darstellenden (dar- schülergesteuerten Methoden auf Lenkung
bietenden) Methoden der direkten und der und Anleitung nicht unbedingt verzichten.
adaptiven Instruktion, die zunächst in ver-

263
Teil II Lehren

Empirisch vergleichsweise gut untersucht ist zur Selbstregulation von Lernprozessen so


die Wirksamkeit kooperativer Lehrmetho- wichtig sind, wird den unterrichtlichen Me-
den (䉴 Kap. 6.3), die sich einer anderen thoden zur Förderung des strategischen und
Sozialform des Unterrichts bedienen als selbstregulierten Lernens am Ende des sechs-
die individualistischen Ansätze und die des ten Kapitels ein eigener Gliederungspunkt
Frontalunterrichts. Die kooperativen Lehr- eingeräumt (䉴 Kap. 6.4). Die Selbststeue-
methoden gelten ebenfalls als Alternative zu rungskompetenz beruht ganz wesentlich
den lehrergeleiteten Methoden, weil der Leh- auf der Kontrolle über die Prozesse der
rende seine didaktische Führerschaft – zu- Informationsverarbeitung, genauer gesagt:
mindest im Hinblick auf die sichtbaren auf der Fähigkeit zur kognitiven, metako-
Strukturen des Unterrichts – offenkundig gnitiven, motivationalen und volitionalen
aufgibt und weil die Prozesse des sozialen Regulation des eigenen Lernens.
Aushandelns und der Interaktion unter den
Lernenden anstelle des lehrergeleiteten Dar-
Orientierungsfragen
bietens von Wissensbausteinen als Motor
des Wissensaufbaus betrachtet werden. ● Wann ist eine Lehrmethode erfolg-
»Offene« und entdeckenlassende Metho- reich?
den setzen aber voraus, dass die Lernenden ● Welche Lehrmethode ist die beste?
aktiv bei der Sache sind und in der Lage, ihr ● Weshalb wird die Methode des Frontal-
eigenes Lernen selbst in die Hand zu neh- unterrichts eigentlich so sehr kritisiert?
men. Das Ausmaß und die Kompetenz der ● Ist es besser, wenn man etwas selbst
Selbststeuerung von Lernprozessen gelten entdeckt, anstatt es sich erklären zu
deshalb als weitere Unterscheidungsmerk- lassen?
male zwischen den eher lehrergelenkten ● Was sind »offene« Unterrichtsmetho-
und den eher offenen und problemorientier- den?
ten Methoden. Weil die Anleitung zum ● Kann man in Gruppen besser lernen als
selbstgesteuerten Lernen und die Fähigkeit alleine?

6.1 Darstellende Methoden

Darstellende (darbietende) Unterrichts- stellende Methoden – hinreichend trenn-


methoden erkennt man leicht daran, dass scharf auseinanderzuhalten sind diese Me-
die Lehrperson das Unterrichtsgeschehen thoden allerdings nicht. Das hängt auch
sichtbar leitet und dominiert, indem sie die damit zusammen, dass die Begrifflichkeiten
neu zu erlernenden Wissensinhalte und Fer- in unterschiedlichen wissenschaftlichen Tra-
tigkeiten systematisch erklärt oder vorführt, ditionen beheimatet sind und dass die Be-
zum Wissenserwerb anleitet und die Prozes- zeichnungen der Lehrmethoden in schuldi-
se der Wissenskonsolidierung und des Wis- daktischen Zusammenhängen häufig unein-
senstransfers aktiv unterstützt. Der Lehrer- heitlich sind (Lüders & Rauin, 2008). Wir
vortrag, das gelenkte Unterrichtsgespräch, schlagen vor, zusammenfassend von den
der Klassen- oder Frontalunterricht und die darstellenden Methoden oder von den Me-
Prinzipien der Direkten Instruktion (siehe thoden der Direkten und adaptiven Instruk-
unten) gelten als typische Beispiele für dar- tion zu sprechen. Eine vergleichsweise hohe

264
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Anleitungs- und Steuerungskomponente ist problemorientierten (und auch von den ko-
ein gemeinsames Merkmal dieser Methoden, operativen) unterscheidet.
das sie von den entdeckenlassenden und

Definition: Formen lehrergelenkten Unterrichtens


Frontalunterricht
Weit verbreitete Methode des lehrergelenkten Unterrichts, die vornehmlich in größeren,
alters- bzw. leistungshomogen zusammengesetzten Gruppen (z. B. in Jahrgangsklassen)
zum Einsatz kommt. Die Lerngruppe wird gemeinsam und in der gleichen Weise unter-
richtet. Wichtige Prinzipien der Direkten Instruktion (z. B. die Hausaufgaben- und Lern-
erfolgskontrolle oder ein kleinschrittiges und systematisches Darbieten des Lernstoffs)
werden im Frontalunterricht realisiert. Als vorteilhaft gilt, dass in vergleichsweise kurzer
Zeit sehr viele Informationen an viele Lernende vermittelt werden können. Ist der kognitive
Anregungsgehalt der Darbietung allerdings zu gering, können passive und rezeptive
Lernhaltungen die Folge sein.
Darbietender Unterricht
Oft wird das Darbieten von Grundlagenwissen als Kernphase des Frontalunterrichts (s. o.)
bezeichnet. Das Prinzip der explizit darbietenden (expositorischen) Stoffentwicklung
entspricht jedenfalls dem inhaltlichen Kern der Direkten Instruktion – der Präsentations-
phase. Das unterrichtliche Darbieten von Lerninhalten kann unterschiedlich anregend sein
und in unterschiedlichen sozialen Organisationsformen erfolgen – frontal, individuell oder
kooperativ.
Unterrichtsvortrag
Ein Vortrag (eine Vorlesung, ein Referat) gilt als Prototyp des frontalen-darbietenden
Unterrichtens. Hauptziel des Unterrichtsvortrags ist die einführende Informationsvermitt-
lung über einen Lerngegenstand. Ein guter informierender Vortrag zeichnet sich vor allem
durch sachbezogene Klarheit und durch den unterstützenden Einsatz aufmerksamkeits-
steuernder Elemente (z. B. Advance Organizer) aus.
Unterrichtsgespräch (gelenktes)
Auch eine Erscheinungsform des lehrergelenkten Unterrichtens – allerdings nur auf den
ersten Blick mit einem geringeren Strukturierungs- und Steuerungsgrad als das darbietende
oder vortragende Vorgehen. Das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch besteht in einer
Abfolge von (Lehrer-)Fragen und (Schüler-)Antworten. Es findet in der Regel in Kom-
bination mit der darbietenden Stoffentwicklung statt. Völlig offen und gleichberechtigt
verlaufen die Unterrichtsgespräche aufgrund des vorhandenen Wissensgefälles (der Lehrer
kennt die richtigen Antworten) und der unterschiedlichen Funktionen der Gesprächs-
partner allerdings nicht.
Unterrichtsdiskussion
Wenn Kenntnisse und Sachinformationen bereits vorhanden sind, eignet sich die Dis-
kussionsmethode zur Vertiefung und Bewertung des neuen Wissens sowie zur Erprobung
seiner Anwendung und Feststellung seiner Begrenztheiten. Diskussionen fördern das
Erreichen komplexer kognitiver Lernziele. Wie die anderen Formen lehrergelenkten Unter-
richtens müssen unterrichtliche Diskussionen gut vorbereitet und vorstrukturiert werden.

265
Teil II Lehren

Direkte Instruktion ● Einführend ein Rückblick auf die voran-


gegangene Stunde, eine Wiederholung
bereits gelernter Inhalte und eine Prüfung
Anders als in der Erziehungswissenschaft ist der Lernvoraussetzungen
in der Pädagogischen Psychologie der Begriff ● Eine darbietende (expositorische) Stoff-
der Direkten Instruktion weit verbreitet, vermittlung
wenn es um die Beschreibung und Erfor- ● Die Anleitung zum gemeinsamen Üben,
schung des lehrergelenkten Unterrichts geht. verbunden mit korrigierenden Rückmel-
Was versteht man unter direkter Instruk- dungen
tion? ● Eine kontinuierliche Lernüberwachung,
korrigierende Rückmeldungen und fort-
»Setzt Euch gerade hin! Legt Eure Hände auf laufende Verstehensprüfungen
den Tisch, sonst nichts! Schaut mich an!« Der
Lehrer liest aus einem Textbook den neuen
● Die Anleitung zum selbständigen indivi-
Stoff in Regelform vor. Darin wird abstrakt duellen Üben
beschrieben, was eine Erzählung ist, welches ● Abschließend ein wöchentlicher oder mo-
ihre Merkmale sind, woran man sie erkennen natlicher Rückblick auf die gelernten In-
kann. Die Schüler wiederholen einzelne Aus-
sagen im Chor, danach fragt sie der Lehrer
halte und eine Überprüfung des Lernfort-
einzeln ab. Anschließend geht der Lehrer dazu schritts
über, die Regeln in ungeordneter Reihenfolge
noch einmal vorzutragen und abzufragen, die Vor allem Barak Rosenshine (1979; Rosen-
Kinder haben darauf im Chor zu antworten. shine & Stevens, 1986) hat sich in seiner
Die Definition, was eine Erzählung ist, muss
auswendig gekonnt werden [. . .]. Nach 20 Mi- Forschungstätigkeit mit der Methode der
nuten erhalten die Schüler Arbeitsblätter, in Direkten Instruktion beschäftigt. Der betref-
denen nach den Regeln bzw. nach den Merk- fende Unterricht ist direkt und explizit, weil
malen von Erzählungen gefragt wird und in die er den unmittelbaren Zugang vom Lernstoff
die Antworten in Lückentexte eingetragen wer-
den müssen. Diese Arbeitsbögen werden vom
zum Lernenden sucht. Leitbild ist die Über-
Lehrer nach der Bearbeitung sofort eingesam- mittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten
melt. (Dichanz & Zahorik, 1986, S. 299) im Sinne eines Wissenstransports (Transmis-
sion). Die Zusammenstellung der Haupt-
So oder ähnlich ist nicht selten eine unter- merkmale des direkten Unterrichtens macht
richtliche Lehrmethode karikiert worden, bereits deutlich, dass es sich bei der Direkten
die sich allen Anfeindungen zum Trotz als Instruktion weniger um eine kohärente
ausgesprochen wirksam erwiesen hat. Die Theorie als vielmehr um ein empirisch ge-
Lehrmethode der Direkten Instruktion gilt wonnenes Muster effektiven Unterrichtens
als Kennzeichnung einer Reihe von lehrer- handelt. Sichtbar-lenkende Lehreraktivität
initiierten Gestaltungsmerkmalen des Unter- und ein hohes Maß an Außensteuerung
richts, die zusammengenommen ein Muster des (Schüler-)Lernens sind zwei wesentliche
effektiven Lehrerhandelns in Schulklassen Säulen dieses Musters. Die Lehrenden sind
nach dem Kriterium des Unterrichtserfolgs verantwortlich. Sie planen und steuern die
ergeben. Mit anderen Worten: Als Direkte Lerntätigkeit der Schülerinnen und Schüler
Instruktion bezeichnen wir ein Bündel me- und zielen damit direkt auf die individuellen
thodischer Prinzipien des Klassenunter- Lernprozesse. Die Systematik des unterricht-
richts, die sich empirisch nachweislich als lichen Vorgehens ergibt sich aus der Sach-
wirksam erwiesen haben. Zu diesen Maß- struktur des Lerngegenstandes sowie aus der
nahmen erfolgreichen Lehrerhandelns gehö- angemessenen Berücksichtigung der indivi-
ren wesentlich die folgenden (Brophy & duellen Lernvoraussetzungen.
Good, 1986; Rosenshine & Stevens, 1986):

266
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Zwar wurden zunächst vornehmlich die Steuerung des Lerngeschehens geprägt ist.
verhaltensorientierten Theorien des ver- Die Ausgestaltung der instruktionalen Steue-
knüpfenden, assoziativen Lernens zur Be- rung mag dann auf ganz unterschiedlichen
gründung des Direkten Unterrichtens heran- Prinzipien, wie der operanten Konditionie-
gezogen, jedoch lassen sich für die oben rung oder dem Modell des kumulativen
genannten Formen des Lehrerhandelns Lernens nach Gagné oder auf Ausubels Vor-
ebenso leicht kognitionspsychologische Be- stellungen zum sinnvollen rezeptiven Lernen
gründungen geben (䉴 Kap. 5.1). Entschei- beruhen. Wichtig ist – und darin liegt das
dend ist nämlich weniger, ob man sich den Wesensmerkmal der direkten Instruktion –,
Lernprozess als assoziativ-mechanistisches dass die Systematik des Lernens von außen
Reaktionslernen, als operantes Lernen vorbereitet und geplant, organisiert und
oder als symbolische Informationsverarbei- überwacht wird. Von »außen« meint dabei
tung vorstellt. Entscheidend ist vielmehr, außerhalb des Lernenden, d. h. durch die
dass die Direkte Instruktion durch die Auf- Lehrperson.
fassung von der notwendigen externalen

Beispiel: Direkte Instruktion


Über Lernziele informieren
»Heute wollen wir etwas über die Französische Revolution erfahren. Was ist da genau
passiert, wie ist es dazu gekommen? Die Französische Revolution hat weit reichende Folgen
für Europa und die Welt nach sich gezogen. Wahrscheinlich ist der Umsturz in Frankreich
das wichtigste Ereignis im 18. Jahrhundert gewesen und vieles von dem, was uns heute
selbstverständlich scheint, hat seinen Ursprung in dieser Zeit.«
Rückblick und Prüfung von Lernvoraussetzungen
»Ich habe eine Landkarte mitgebracht, auf der die Länder in Mitteleuropa in der Zeit vor
1789 eingezeichnet sind. Was fällt auf, wenn man dies mit einer Landkarte von heute
vergleicht? (. . .) Wir haben in den vergangenen Wochen über das Zeitalter des Absolutismus
gesprochen. Was versteht man denn unter einer absolutistischen Monarchie? (. . .) Wir
haben uns auch mit der Gründung der Vereinigten Staaten (1776) beschäftigt, d. h. mit der
Ablösung der vormaligen Kolonien vom englischen Königreich. Was waren die Beweg-
gründe der amerikanischen Revolutionäre? Welche Grundsätze haben sie in die Unab-
hängigkeitserklärung geschrieben? (. . .) In Frankreich, wie auch in England und in anderen
Ländern, war es im 18. Jahrhundert zu großen Veränderungen im wirtschaftlichen und
sozialen Gefüge gekommen. Die Förderung des Handels und die Fortentwicklung der
handwerklichen Produktionsprozesse zu Manufakturen hatte ein wirtschaftlich starkes,
politisch aber einflussloses Bürgertum entstehen lassen. Was ist eine Manufaktur?«
Darbietende Stoffvermittlung
»Die absolutistische Monarchie war in eine schwere Krise geraten. Dazu hatten wirt-
schaftliche Probleme, der Verlust der Kolonien und Niederlagen in kriegerischen Aus-
einandersetzungen beigetragen (näher ausführen). Im Inneren begann das wirtschaftlich
erstarkende, politisch aber weitgehend rechtlose Bürgertum – der 3. Stand – zunehmend
stärker zu opponieren, dies auch unter dem Einfluss der geistigen Wortführer der politischen
Aufklärung wie Voltaire, Rousseau und Montesquieu (anhand von Schriften, Aufrufen u. ä.
verdeutlichen). Nachdem Ludwig XVI. und mit ihm die beiden privilegierten Stände des

267
Teil II Lehren

Adels und des Klerus die vom 3. Stand gestellten Forderungen nur unzureichend erfüllten,
erklärte sich der 3. Stand zur Nationalversammlung. Der Pariser Volksaufstand vom
14. 07. 1789« (. . .)
Angeleitetes Üben und Verstehensprüfung
»Warum hat Ludwig XVI. die Generalstände einberufen? Wie waren die Bevölkerungs-
gruppen in dieser Ständeversammlung repräsentiert? Was ist mit den Bauern? Kannst du die
Forderungen des 3. Standes einmal in eigenen Worten zusammenfassen?« (. . .)
Selbständiges Üben
»Versucht einmal, euch in die Menschen der damaligen Zeit hineinzuversetzen? Ihr dürft es
euch aussuchen, ob ihr ein Adliger, ein Bischof, ein Arzt oder ein Handwerker oder ein
einfacher Bauer sein wollt. Schreibt auf, wie ihr als eine solche Person einen Tagesablauf
erlebt! (. . .)
Was hätte der König tun können, um den Aufstand zu verhindern? Überlege dir einige
Vorschläge und versuche, die Erfolgsaussichten zu bewerten.« (. . .)
Hausaufgabe
»Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Was haben die französischen Revolutionäre damit
gemeint? Und was bedeutet das für dich?« Oder: »Wie ist das heute, wenn eine Revolution
stattfindet? Kannst du Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den jüngsten Umwälzungen
in den nordafrikanischen und arabischen Ländern beschreiben?«

Rosenshine und Stevens haben die oben Rückblick und Prüfung von
bereits genannten Prinzipien effektiven Un- Lernvoraussetzungen
terrichtens zu folgender Beschreibung ver-
dichtet:
Die Hauptkomponenten systematischen Unter-
Indem der orientierende Einstieg in eine neue
richtens beinhalten das Vorgehen in kleinen Lerneinheit mit einer rückblickenden Prü-
Schritten mit Übungsphasen nach jedem fung der Vorkenntnisse beginnt, wird Ein-
Schritt, das Anleiten der Schüler während der gangsdiagnostik betrieben und das zuvor
anfänglichen Übungen und das Ermöglichen
Gelernte nochmals gefestigt (man bezeichnet
eines großen Ausmaßes erfolgreichen Übens für
alle Schüler. Natürlich verwirklichen alle Leh- das in den verhaltensorientierten Ansätzen
rer irgendwann einige dieser Prinzipien, aber als »Überlernen«) bzw. in Erinnerung geru-
die effektivsten Lehrer verwirklichen die meis- fen, um so die Aufnahme neuer Informatio-
ten dieser Aspekte fast jeden Tag. (Rosenshine nen zu erleichtern (»Aktivierung des relevan-
& Stevens, 1986, S. 377)
ten Vorwissens« in den kognitivistischen
Prägnanter lässt sich der programmatische Ansätzen). Ein solcher Rückblick kann bei-
Anspruch des Direkten Unterrichtens kaum spielsweise durch die Besprechung von Haus-
ausdrücken. Die sechs oben genannten aufgaben erfolgen, durch gezieltes Abfragen
grundlegenden Prinzipien der Direkten In- der wichtigsten Lerninhalte der vergangenen
struktion werden im Folgenden näher be- Stunde oder durch allgemeine Nachfragen
schrieben. (Wo haben wir aufgehört? Gab es Probleme
mit den Hausaufgaben?). Es ist durchaus
möglich, dass im Anschluss an den Rückblick
ein erneutes Unterrichten bereits präsentier-

268
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

ter Wissensinhalte erfolgen muss, um sicher- immer wird das allerdings gelingen. Der
zustellen, dass die notwendigen Wissens- Stoffinhalt soll kleinschrittig und klar, moti-
grundlagen tatsächlich gegeben sind. vierend und mit Enthusiasmus präsentiert
werden. Dabei sind wichtige Punkte beson-
ders hervorzuheben. Abstrakte Prinzipien
Darbietende Stoffvermittlung und Begriffe sind an konkreten Beispielen
zu erläutern. Durch eingeschobene Fragen
Die explizite Präsentation des Lernstoffes ist wird bereits während der Präsentation das
der inhaltliche Kern der Direkten Instrukti- Verstehen überprüft, bevor im Stoff weiter
on. Hier kommt es darauf an, zunächst das vorangegangen wird. Wenn nötig, müssen
Thema und das Ziel einer Unterrichtsstunde Erklärungen wiederholt und zusätzliche Bei-
zu benennen und eine Vorausschau auf die spiele und Illustrationen gegeben werden.
nachfolgenden Stoffinhalte zu geben. Idea- Wenn es darum geht, Fertigkeiten zu erler-
lerweise wird durch diese Form der Einlei- nen, wird das Zielverhalten am besten vor-
tung auch zum Lernen motiviert – nicht gemacht und modellhaft demonstriert.

Fokus: Aktives Zuhören


Einer Erklärung, einer Darbietung, einem Vortrag muss man auch zuhören können. Es
erstaunt, dass dem Zuhören-Können in der Pädagogischen Psychologie vergleichsweise
wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dass die Lernenden gut zuhören können, wird oft
als gegeben vorausgesetzt.
Margarete Imhof gehört zu den wenigen Forscherinnen, die sich näher mit Aspekten
auditiver Informationsverarbeitung akustisch vermittelter Information befasst haben (z. B.
Imhof, 2003; Imhof & Bernius, 2010). Sie folgert, dass sich die Zuhörfertigkeiten nicht
automatisch entwickeln, sondern erlernt und gefördert werden müssen. Dies kann bereits
im Vorschulalter mit dem Ziel des Erkennens lautsprachlicher Muster im Hinblick auf den
Schriftspracherwerb geschehen (Küspert & Schneider, 1999), im Grundschulalter (Eller-
meyer, 1993) oder noch bei Erwachsenen (Brownell, 2002; Lebauer, 2000). In den
Förderprogrammen wird das aktive Zuhören trainiert, indem auf inhaltliche, lautliche
und rhetorische Merkmale der gesprochenen Sprache eingegangen wird und indem
elaborative und reduktive Zuhörstrategien vermittelt werden.

Angeleitetes Üben und gut die vorangegangenen Demonstrationen


Verstehensprüfung und Erklärungen verstanden wurden. Durch
gezielte Fragen werden die Schüler beim an-
geleiteten Üben erneut durch den Lernstoff
Das angeleitete, gelenkte gemeinsame Üben geführt. Erfolgreich Lehrende verwenden viel
bereitet das selbständige Üben vor. Zugleich Zeit für das gemeinsame Üben unter Anlei-
lässt sich die Übungsphase als wichtige In- tung und die damit verbundene Behaltens-
formationsquelle im Hinblick auf die Effek- prüfung, denn so können mögliche Fehlkon-
tivität der vorangegangenen Präsentations- zepte der Lernenden aufgedeckt werden. In
phase nutzen, denn aus den Schüleräußerun- dieser Phase können auch individuelle Hilfen
gen und -aktivitäten während der Übungs- gegeben und, wenn notwendig, zusätzliche
phase lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie Erklärungen angeboten werden. Die Lernen-

269
Teil II Lehren

den sollen ihre neu erworbenen Kenntnisse Antworten auf Lehrerfragen müssen in ge-
und Fertigkeiten in der Unterrichtsphase des eigneter Weise kommentiert werden (Feed-
angeleiteten Übens sichtbar zeigen oder aus- back). Auch zur Funktion und Wirksamkeit
führen. Möglichst alle Lernenden sollen die solcher Rückmeldungen gibt es eine lange
gestellten Fragen beantworten (was sich Forschungstradition (zusammenfassend:
leicht realisieren lässt, wenn Fragen schrift- Hattie & Timperley, 2007; Hattie & Gan,
lich zu beantworten sind). Besonders wichtig 2011). Feedback informiert einerseits über
ist, dass die Schüler eine Rückmeldung zu
ihrer Antwort erhalten. Auf die zentrale
Funktion solcher Rückmeldungen wird im Beispiel: Feedback und Lernen
Folgenden näher eingegangen. Legen Sie Ihren Personalausweis auf den
Boden, es kann auch eine Kreditkarte
oder eine Visitenkarte sein. Setzen Sie
Lernüberwachung und
sich etwa einen Meter entfernt davon
Rückmeldung ebenfalls auf den Boden und schließen
Sie die Augen. Nehmen Sie nun zehn Ein-
Lehrerfragen sind ein wichtiges Strukturele- Cent-Münzen in die Hand und versuchen
ment des Unterrichts – zum einen um zum Sie, die Münzen nacheinander auf die
Lernen anzuregen, zum anderen um die Karte zu werfen. Die Augen bleiben wäh-
individuellen Wissensbestände zu ermitteln rend der ganzen Zeit geschlossen. Dann
und zur Ergebnissicherung des Lehrens. öffnen Sie die Augen wieder und messen
Durch Lehrerfragen werden Lernaktivitäten die Abstände der geworfenen Münzen
und -resultate sichtbar gemacht. Denn in- zur Karte (für Münzen, die auf der Karte
dem sie auf Fragen antworten, wenden die gelandet sind, ist der Abstand 0 cm).
Schüler das neu Gelernte an. Zur Technik Tragen Sie die zehn Abstände in Zenti-
von Lehrerfragen und zum richtigen Um- metern in eine kleine Tabelle ein und
gang mit korrekten, ausbleibenden oder berechnen Sie den mittleren Abstand –
fehlerhaften Schülerantworten ist in den das ist Ihre Baseline.
vergangenen Jahrzehnten eine eigene For- Nun dürfen Sie es weitere 20 Mal ver-
schungstradition entstanden (zusammenfas- suchen. Nur sollen Sie jetzt nach jedem
send: Good & Brophy, 1997; Gayle, Preiss Wurf die Augen wieder öffnen, um zu
& Allen, 2006). Fragen sollten klar, kurz und sehen, wie gut Sie geworfen haben (infor-
verständlich formuliert werden; sie sollen matives Feedback). Am Ende tragen Sie
durch Nachdenken zu beantworten sein. die Abstände wieder in eine kleine Tabelle
Es sollten Fragen unterschiedlichen Niveaus ein – das ist Ihre Trainingsleistung. Sie
gestellt werden, also solche, die sich auf die sollte besser ausfallen als zuvor!
reine Wiedergabe von Informationen und Wenn es Ihnen noch nicht langweilig
Fakten beziehen, und solche, deren Beant- geworden ist, machen Sie noch einen
wortung eine neuartige Verknüpfung von dritten Durchgang, unter den gleichen
Informationen und Wissenselementen erfor- Bedingungen wie in der Baseline-Phase.
derlich macht. Die Fragen sollten nicht rand- Tragen Sie die Abstände wieder in eine
ständige, sondern bedeutsame Unterrichts- Tabelle ein. Nun können Sie sehen, ob das
ziele betreffen und in einer vernünftigen Feedback zu einer überdauernden Leis-
Abfolge präsentiert werden. Oft wird auch tungssteigerung geführt hat. (mit leichten
empfohlen, die Fragen an die ganze Klasse Modifikationen aus Mayer, 2003 a,
und nicht an einen einzelnen Schüler zu S. 240 ff)
richten und genügend Wartezeit zuzulassen.

270
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

die Richtigkeit einer Antwort; durch Feed- Ich mache es dir vor, dann machen wir es
back können aber auch unterstützende Hil- gemeinsam, und dann wirst du es alleine ma-
chen. (Rosenshine & Stevens, 1986, S. 380)
fen zum Verstehen und Behalten neuer In-
formationen gegeben werden. Schnell, sicher Hinweise darauf, wann das selbständige
und richtig gegebene Antworten sollten als Üben beginnen kann, sind der Phase des
solche sachlich anerkannt werden (»Das ist angeleiteten Übens zu entnehmen, deren
richtig!«) und es kann, eine richtige Antwort erfolgreichen Abschluss Brophy und Good
gleichsam belohnend, eine zweite Frage di- (1986) pauschal über das 80 %-Kriterium
rekt daran angeschlossen werden. Zögerli- definieren: Mindestens 80 % der Lehrerfra-
che, aber dennoch richtig gegebene Antwor- gen sollten korrekte Antworten gefunden
ten sollten etwas ausführlicher kommentiert haben. Das gilt für jeden einzelnen Lernen-
werden, um das offenkundig noch nicht den. Die Stillarbeit in der Klasse muss aktiv
konsolidierte Wissen auf diese Weise zu überwacht und vor allem müssen die Ergeb-
festigen (»Ja, Judith, das ist richtig, weil nisse selbständigen Übens kontrolliert wer-
. . .«). Solche Formen elaborierter Rückmel- den. Selbständiges Üben ist besonders wich-
dung sind aber nicht grundsätzlich »besser« tig, wenn um den Erwerb grundlegender
als einfache Rückmeldungen, weil sie auch Kenntnisse und Fertigkeiten geht, z. B. in
verwirren können. Denn die Komplexität der Mathematik, beim Lesen und Schreiben
der gestellten Frage, die selbst eingeschätzte oder beim Erlernen einer Fremdsprache.
Leistungsfähigkeit und die das eigene Selbst- Durch das selbständige Üben wird das neu
konzept betreffenden Rückschlüsse, die auf- Gelernte verfestigt und automatisiert.
grund der Rückmeldungen gezogen werden,
können die Wirkung der Rückmeldung ne-
gativ moderieren (Lipowsky, 2009). Falsche Rückblick und Überprüfung des
Antworten müssen in jedem Fall korrigiert Lernfortschritts
werden. Nach falschen oder ausbleibenden
Antworten sollte man die zur richtigen Be- In regelmäßigen Abständen, am besten ein-
antwortung erforderlichen Hinweise geben. mal wöchentlich, sollte ein zusammenfassen-
Man kann aber auch die gestellte Frage in der Rückblick auf die unterrichteten Inhalte
vereinfachter Form wiederholen, die zur erfolgen. Solche Zusammenfassungen kön-
Beantwortung notwendigen Vorkenntnisse nen auch im Zuge von Hausaufgaben einge-
in Erinnerung rufen oder zusätzliche Erklä- fordert werden. Darüber hinaus liefern wö-
rungen anbieten. Keine Lehrerfrage sollte chentliche oder monatliche Leistungstests
unbeantwortet bleiben! Notfalls müssen dem Lehrenden wichtige Informationen
die Lehrenden selbst die Antworten geben. zum Leistungsstand und -vergleich in seiner
Lerngruppe. Solche Tests sind auch als
Rückmeldungen über die Angemessenheit
Selbständiges Üben der vorangegangenen Stoffvermittlung auf-
zufassen – die Resultate können auf die
Das selbständige, individuelle Üben (zu- Notwendigkeit erneuter Darbietungs- oder
nächst noch unter Aufsicht, später ohne), Übungsphasen verweisen.
wie es z. B. in Phasen der Stillarbeit oder
durch das Bearbeiten von Hausaufgaben
geschieht, sollte erst dann stattfinden, Wirksamkeit Direkter Instruktion
wenn die neu präsentierten Inhalte bereits
sicher verstanden und hinreichend gefestigt Die beschriebenen Prinzipien effektiven Leh-
sind. rens in Klassen sind das präskriptive Des-

271
Teil II Lehren

tillat aus vielen empirischen Untersuchungen 2. Durch systematische Unterrichtsbeob-


zur Unterrichtsqualität. Sie haben sich als achtungen werden Muster oder Merkma-
ausgesprochen wirksam erwiesen. Für das le des Lehrerhandelns in diesen Klassen
regelmäßige Feedback und für die kontinu- erfasst.
ierlichen Lernfortschrittsmessungen der Di- 3. Durch statistische Analysen wird nach
rekten Instruktion berichtet Hattie in seiner systematischen Zusammenhängen zwi-
zusammenfassenden Darstellung besonders schen den Merkmalen des Lehrerhan-
hohe Effektstärken (Hattie, 2009). Die meis- delns und dem Lernerfolg gesucht.
ten dieser Erkenntnisse wurden allerdings in
korrelativen Studien gewonnen, indem Un- Terhart (2000) bezeichnet dieses Vorgehen
terricht in natürlichen Situationen beobach- treffend als »Rückschlussverfahren«: Guter
tet wurde. Seltener wurden in der Unter- Unterricht wird demnach zunächst über das
richtsforschung quasi-experimentelle Studi- Resultat oder Produkt desselben – den Un-
en durchgeführt, in denen einzelne Aspekte terrichtserfolg – definiert. Anschließend
des Lehrerhandelns systematisch variiert wird in den Mustern unterrichtlichen Han-
werden. Die korrelativen Studien folgten delns nach jenen gesucht, die in statistisch
dabei einem einfachen Schema: bedeutsamem Zusammenhang mit dem Un-
terrichtserfolg stehen (vgl. dazu die Ausfüh-
1. Über Leistungstests werden mehr oder rungen zur Prozess-Produkt-Forschung in
weniger erfolgreiche Schulklassen identi- 䉴 Kap. 5.1).
fiziert.

Studie: Effektiver Unterricht


Seit den 1980er Jahren sind immer wieder Metaanalysen und Synthesen von Metaanalysen
zum Einfluss des Unterrichts auf die Schulleistung veröffentlicht worden (Fraser et al., 1987;
Walberg, 1986; Wang et al., 1993; Scheerens & Bosker, 1997; Seidel & Shavelson, 2007;
Hattie, 2009). Die Arbeitsgruppe um Walberg kommt resümierend zu dem Schluss, dass die
lernprozessnahen proximalen Bedingungsfaktoren, und zwar sowohl auf Seiten der
Lernenden wie auch der Lehrenden, einen größeren Einfluss auf die Schulleistung haben
als die weiter entfernten distalen (wie etwa die Strukturmerkmale von Schule, die soziale
Herkunft oder das Freizeitverhalten der Schüler). Unter den proximalen Faktoren scheinen
zwei Variablenbündel besonders bedeutsam: die individuellen Lernvoraussetzungen der
Lernenden – insbesondere ihre Vorkenntnisse und ihre Intelligenz – sowie die Prozess-
merkmale der Unterrichtsqualität, also das konkrete Lehrerhandeln im Unterricht. Für
diesen letztgenannten Aspekt der Unterrichtsqualität sind vor allem die folgenden Merk-
male bedeutsam: die Klassenführung, die Art der lernbezogenen Lehrer-Schüler-Inter-
aktionen, das Feedback, die verfügbare Lernzeit sowie die fortlaufenden Leistungsmes-
sungen.

Je höher die Aufgabenorientierung, je mehr disziplinierende und organisatorische Maß-


Stoff im Unterricht behandelt und eingeübt nahmen verwendet werden muss, desto
wird, je besser die Präsentationen struktu- günstiger ist nach den Ergebnissen der ein-
riert sind, je mehr Unterrichtszeit zur klaren schlägigen Metaanalysen die Leistungsent-
und sinnvoll gegliederten Präsentation ge- wicklung in der Klasse. Bei dieser Aufzäh-
nutzt wird, je weniger Unterrichtszeit für lung darf man eines allerdings nicht aus dem

272
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Blick verlieren: Die reine Häufigkeit, mit der prüfen, wurden auch (feld-)experimentelle
die eine oder andere Verhaltensweise durch Untersuchungen durchgeführt. Sie waren
einen Lehrenden gezeigt wird, sagt nur we- wie folgt angelegt:
nig darüber aus, ob sie in jeweils angemes-
sener Weise zum Einsatz kommt. 1. Über Eingangstests werden zunächst
Erfolgreiche Verhaltensmuster darstellen- (zwei oder mehr) in ihrem Leistungs-
den Unterrichtens finden sich auch in den niveau vergleichbare Gruppen von Ler-
Ergebnissen zweier breit angelegter Schul- nenden definiert.
leistungsstudien des früheren Münchner 2. In diesen Gruppen kommen in systema-
Max-Planck-Instituts für Psychologische tischer Weise unterschiedliche Lehr-
Forschung. Die eine Untersuchung wurde methoden zur Anwendung, um den glei-
in 39 Hauptschulklassen der 5. und 6. Jahr- chen Lerninhalt zu vermitteln.
gangsstufe im Fach Mathematik durch- 3. Über einen Leistungstest am Ende der
geführt (Helmke, 1988), die andere in 54 Lerneinheit wird die Wirksamkeit der
Grundschulklassen der 3. und 4. Jahrgangs- beiden Methoden vergleichend überprüft.
stufe, ebenfalls im Fach Mathematik (Wei-
nert & Helmke, 1997 a). In beiden Studien Interventionsstudien dieser Art haben die
(sie werden ausführlicher in 䉴 Kap. 7.2 be- Befunde aus den korrelativen Analysen im
handelt) zeigt sich, dass »gute Lehrer« eine Wesentlichen bestätigt (z. B. Good &
besonders effiziente Form der Klassenfüh- Grouws, 1979). Sie belegen zugleich, dass
rung betreiben, die Unterrichtszeit beson- die Prinzipien der Direkten Instruktion
ders intensiv für die Präsentation des Unter- »leicht vermittelbar« sind und dass sich
richtsstoffes nutzen, in ihren Darstellungen das Instruktionsverhalten mithin »experi-
in hohem Maße klar, verständlich und struk- mentell manipulieren« lässt. Zu Recht
turiert erscheinen, durch geeignete Problem- wird bei solchen Studien jedoch auf ein
stellungen aufgabenbezogene Schüleraktivi- anderes Problem hingewiesen: dass nämlich
täten fördern, das Anforderungsniveau ihres die Suche nach der besten Lehrmethode der
Vorgehens an die unterschiedlichen Fähig- Suche nach der besten Medizin gleicht, »oh-
keiten der Schüler anpassen und »in zweck- ne die Krankheit, die es zu heilen und den
mäßiger Weise Klassen-, Gruppen- und Ein- Patienten, den es zu behandeln gilt«, genü-
zelarbeit«, also unterschiedliche Sozialfor- gend im Blick zu haben (Terhart, 2000,
men, kombinieren (Weinert, 1996 a, S. 8). S. 81). Die »beste« Lehrmethode gibt es
Es zeigt sich aber auch, dass erfolgreicher nämlich nicht, denn jede Lehrmethode
Unterricht »auf eine sehr verschiedene, aber kann nur in Bezug auf konkrete Lernziele
nicht beliebige Weise realisiert werden« und Lerninhalte und für Lernende mit be-
kann (Weinert & Helmke, 1997 a, S. 472). stimmten Lernvoraussetzungen mehr oder
Um die Wirksamkeit von Unterrichts- weniger gut geeignet sein.
maßnahmen der Direkten Instruktion zu

Fokus: Inhalte eines Lehrer-Trainingsprogramms zu den Prinzipien Direkter


Instruktion im Mathematikunterricht (nach Good & Grouws, 1979)
1. Wiederholung (jeweils 8 Minuten, außer montags)
● Wiederhole die Konzepte und Fertigkeiten, die in den Hausaufgaben angesprochen

wurden.
● Überprüfe die Hausaufgaben.

● Führe ein paar Kopfrechenübungen durch.

273
Teil II Lehren

2. Stoffvermittlung (ungefähr 20 Minuten)


● Gehe kurz auf Fertigkeiten und Konzepte ein, die als Lernvoraussetzungen benötigt

werden.
● Führe die neuen Inhalte ein und fördere das Verständnis durch lebendige Erklärungen,

Demonstrationen, Illustrationen usw.


● Überprüfe das Verständnis durch Fragen und durch angeleitetes, kontrolliertes Üben.

● Wiederhole und erarbeite die neuen Inhalte so oft wie notwendig.

3. Stillarbeit (ungefähr 15 Minuten)


● Ermögliche ungestörtes erfolgreiches Üben.

● Halte das Geschehen in Gang, sorge dafür, dass alle beteiligt sind, halte die Beteiligung

aufrecht.
● Kündige an, dass die Arbeit der Schüler am Ende dieser Phase überprüft werden wird.

● Fördere die Verantwortlichkeit – überprüfe die Arbeit der Schüler.

4. Hausaufgaben
● Erteile routinemäßig am Ende jeder Mathematikstunde Hausaufgaben, außer freitags.

● Die Hausaufgaben sollten nicht mehr als 15 Minuten Bearbeitungszeit erfordern.

● Die Hausaufgaben sollten auch Wiederholungsaufgaben beinhalten.

5. Zusätzliche Wiederholungen
● Wiederhole die Inhalte der letzten Woche während der ersten 20 Minuten an jedem

Montag.
● Gehe auf die Fertigkeiten und Konzepte ein, die während der letzten Woche behandelt

wurden.
● Wiederhole die Inhalte des letzten Monats an jedem vierten Montag.

● Gehe auf die Fertigkeiten und Konzepte ein, die während des Monats behandelt

wurden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das chung sozialer, affektiver oder emanzipato-
Direkte Unterrichten ist erfolgreich. Man rischer Ziele.
kann die Prinzipien des Direkten Unterrich- Allerdings wird es kaum eine Methode
tens allerdings – wie jede andere Methode des Unterrichtens in Schulklassen geben, in
auch – mehr oder weniger gut umsetzen. der sich nicht einige Prinzipien der Direkten
Direkte Unterweisung ist auch nicht unbe- Instruktion wiederfinden lassen. Der alltäg-
dingt für alle Lernziele und für alle Schüler liche Unterricht an deutschen Schulen ist in
stets die richtige Methode. Es gibt Hinweise hohem Maße durch einen direkt-instrukti-
darauf, dass sich die Direkte Instruktion für ven, fragend-entwickelnden Unterrichtsstil
sequentiell gut strukturierbare Stoffinhalte geprägt, in Verbindung mit dem Lehrervor-
besser eignet und dass sie den Aufbau von trag sowie den Phasen des angeleiteten und
Kenntnissen (Wissen) und das Verstehen selbständigen Übens und der Stillarbeit (Ha-
neuer Inhalte eher fördert als die Fähigkeit ge et al., 1985; Wiechmann, 2008; Grell &
zum flexiblen Anwenden und zum Transfer Wiechmann, 2008). Das hohe Ausmaß an
dieser Kenntnisse. Es wird auch berichtet, Lehrersteuerung und Lernüberwachung –
dass die Kernelemente der Direkten Instruk- also die Organisation und Kontrolle der
tion wirksamer zur Erreichung kognitiver Lernprozesse durch die Lehrperson – unter-
Lernziele eingesetzt werden als zur Errei- scheidet die Direkte Instruktion in charak-

274
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

teristischer Weise von den anderen Formen schen Fundierung der Unterrichtsplanung
des Unterrichtens. eingeleitet. Ausubel stellt gar nicht in Ab-
rede, dass es auch andere Formen des Ler-
nens gibt, die sich durch das von ihm pro-
Andere darstellende Methoden pagierte darstellende Unterrichten weniger
gut fördern lassen. Nur sind diese Lern-
Die von Michael Pressley (z. B. McCormick formen nicht sein eigentliches Anliegen.
& Pressley, 1997) propagierte Methode der Schulisches Lernen in den unterrichtlichen
Direkten Erklärungen (Direct Explanation Kernfächern – so Ausubel – erfolgt im
Method) wurde ursprünglich von Duffy und Wesentlichen durch das sinnvoll-rezeptive
Kollegen zur Förderung der Lesekompeten- Nachvollziehen von Zusammenhängen,
zen entwickelt (Duffy & Roehler, 1989). Sie die in geeigneter Form präsentiert werden
greift die Kernprinzipien der Direkten In- müssen. Entscheidend für den Lernerfolg sei,
struktion auf, allerdings aus einer kogni- dass es beim Nachvollzug zu einer Verknüp-
tionspsychologischen Perspektive. Beim Di- fung des neu präsentierten Lernstoffs mit
rekten Erklären (z. B. von Lesestrategien) dem komme, was der Lernende bereits vor-
wird deshalb auf die Phase des mentalen her weiß. Es sei die Aufgabe des Unterrichts,
Modellierens im Sinne eines Lerngerüsts dies zu gewährleisten.
(Scaffolding) ein besonders großer Wert Für Ausubel ist das rezeptive dem ent-
gelegt. Das Prinzip des Lerngerüsts deckenden Lernen stets vorzuziehen. Beim
(䉴 Kap. 6.2) verbindet die Anleitungs- und rezeptiven Lernen werden die Lerninhalte in
die Steuerungskomponente mit der Kom- ihrer endgültigen (fertigen) Form, z. B. als
ponente des selbständigen Übens und der Lehrbuchwissen oder im Rahmen eines Un-
schrittweisen Übernahme eigener Verant- terrichtsvortrags, explizit präsentiert und es
wortlichkeit. Zum mentalen Modellieren werden Hilfen gegeben, um die Zusammen-
gehört aber auch, dass die Lehrperson ihre hänge leichter nachzuvollziehen. Entschei-
eigenen Denk- und Lösungsprozesse kom- dend ist die Erleichterung des Nachvollzugs.
petent verbalisiert und dass die Lernenden Beim entdeckenden Lernen ist das anders.
angehalten werden, ihre eigenen Überlegun- Der Lerninhalt wird nicht in seiner endgül-
gen beim Problemlösen laut zu äußern. Sol- tigen Form vorgegeben Vielmehr müssen die
che Vorgehensweisen gehen über das hinaus, neuen Zusammenhänge selbst entdeckt und
was üblicherweise zum Methodenrepertoire Schlussfolgerungen selbst gezogen werden
der Direkten Instruktion gerechnet wird. Die (䉴 Kap. 6.2). Das sinnvolle rezeptive Lernen
Methode des Direkten Erklärens hat auch lässt sich – so Ausubel – am besten durch das
Ähnlichkeiten zum wechselseitigen (rezipro- darstellende (expositorische) Unterrichten
ken) Lehren (Palincsar & Brown, 1984) und fördern. Ziel des expositorischen Unter-
der kognitiven Meisterlehre (Collins et al., richts ist der Aufbau einer neuen Wissens-
1989; 䉴 Kap. 6.2); zwei Vorgehensweisen, struktur. Diese Wissensstruktur soll stabil
mit denen wir uns im nächsten Kapitel aus- und hierarchisch gegliedert, aber auch hin-
führlicher beschäftigen werden. reichend flexibel aufgebaut sein. Auf den
Auch der auf David Ausubel zurück- unteren Hierarchieebenen einer solchen
gehende Begriff des darstellenden Unterrich- Wissensstruktur sollten die konkreten Ein-
tens (Expository Teaching) beinhaltet Kern- zelerfahrungen ihren Platz finden, an der
elemente der Direkten Instruktion. Mit dem Spitze einer Wissenshierarchie haben die
Buch Educational Psychology: A Cognitive allgemeinen Konzepte und Begriffe ihren
View hat Ausubel 1968 eine Abkehr von der Ort. Eine solche Wissensstruktur lässt sich
damals vornehmlich verhaltenspsychologi- nach dem Prinzip der progressiven Differen-

275
Teil II Lehren

zierung aufbauen, indem die unterrichtliche Rechnung zu tragen – vor allem durch For-
Stoffdarbietung vom Allgemeinen zum Be- men der Individualisierung bzw. Binnendif-
sonderen fortschreitet. Als Vorgehensweise ferenzierung und durch besondere Maßnah-
hierfür eignet sich etwa die Regel-Beispiel- men der lernprozessbegleitenden Unterstüt-
Regel-Technik: Eine grundlegende Regel zung (䉴 Kap. 5.2).
wird anhand einiger Beispiele illustriert (de- In 䉴 Kap. 2 haben wir individuelle Merk-
duktives Prinzip). Aufgrund des Informati- male beschrieben, die für den Lernerfolg und
onsüberschusses aus den gegebenen Beispie- für die schulische Leistungsentwicklung des
len lässt sich leicht eine weitere (zweite) Lernenden eine wichtige Rolle spielen. In
Regel ableiten (induktives Prinzip) oder es allen leistungsheterogen zusammengesetzten
lassen sich präzisierende Aussagen über den Lerngruppen – also auch in den schulischen
Geltungsbereich der Regel formulieren. An- Jahrgangsklassen – wird es im Hinblick auf
dere wichtige Prinzipien des darstellenden solche Merkmale zu Beginn einer Lernein-
Unterrichtens sind das integrierende Verbin- heit stets erhebliche interindividuelle Unter-
den der einzelnen Lerninhalte und die se- schiede geben (Gustafsson & Undheim,
quentielle, sachlogische Organisation der 1996; Snow, Corno & Jackson, 1996). So
Stoffdarbietung. sind manche Schülerinnen und Schüler kräf-
Ein weiteres, in besonderer Weise mit tiger und größer (und tun sich deshalb
Ausubels Namen verknüpftes Prinzip wurde leichter, schneller zu laufen oder höher zu
bereits in 䉴 Kap. 1.3 erläutert. Es handelt springen), erfolgszuversichtlicher und weni-
sich dabei um das Prinzip der vorstrukturie- ger ängstlich (und können deshalb mit Miss-
renden Hinweise (Advance Organizer). Die- erfolgen besser umgehen), sind simultan
sen Hinweisen kommt die wichtige Funktion oder sukzessiv zweisprachig aufgewachsen
zu, vor Beginn des eigentlichen Lernprozes- (und könnten deshalb Vorteile haben, wenn
ses das relevante Vorwissen zu aktivieren, die Zweitsprache zum Unterrichtsfach wird)
um die nachfolgenden Assimilationsprozes- oder sie haben Lesen und Schreiben schon
se zu erleichtern. vor der Schule gelernt (und langweilen sich
deshalb im ersten Halbjahr der 1. Klasse).
Sind solche Schülermerkmale im Sinne von
Adaptive Instruktion Eignungen und Lernfähigkeiten (unter-
richts-)zielrelevant, indem sie das Erreichen
Adaptivität ist keine eigene Lehrmethode eines Lernziels erleichtern oder erschweren,
und auch kein charakteristisches Merkmal so wird ein Unterrichtsvortrag, der alle Schü-
der darstellenden Methoden, es erscheint ler in der gleichen Weise behandelt, mit
aber zweckmäßig, die Frage der Adaptivität großer Wahrscheinlichkeit die im Hinblick
instruktionaler Maßnahmen bereits im Zu- auf den Vortragsgegenstand bereits vorhan-
sammenhang mit den darstellenden Metho- denen Eingangsunterschiede festigen und
den zu behandeln. Weil Unterricht in Schul- reproduzieren, wahrscheinlich sogar vergrö-
klassen oft vor der Herausforderung steht, ßern. Vor allem beim lehrergelenkten Fron-
mit sehr heterogenen Lern- und Leistungs- talunterricht, der viele Prinzipien der Direk-
voraussetzungen umgehen zu müssen, ist das ten Instruktion vereint, wird diese Proble-
Problem der Anpassung (Adaptivität) des matik offenkundig – ein Grund mehr, das
unterrichtlichen Vorgehens an diese Unter- Konzept der Adaptivität im Kontext der
schiede eines der zentralen Probleme des darstellenden Methoden zu behandeln.
Lehrens überhaupt. Als adaptiv gilt der Un-
terricht dann, wenn es gelingt, den vorhan-
denen Unterschieden in geeigneter Weise

276
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Von der Direkten zur Adaptiven immer schon bekannt, nur hat man sich bei
Instruktion der Vorbereitung und Durchführung des
Unterrichts in Schulklassen traditionell an
der »mittleren Lernfähigkeit« einer Lern-
Adaptieren heißt anpassen. Man kann die gruppe orientiert und – anstelle einer Indivi-
Unterrichtszeit den besonderen Erfordernis- dualisierung oder Binnendifferenzierung –
sen und Bedürfnissen der Lernenden anpas- eher dafür Sorge getragen, das Ausmaß
sen, aber auch das Lernziel selbst, indem der Heterogenität durch institutionell vor-
man es mehr oder weniger anspruchsvoll geschaltete homogenisierende Maßnahmen
gestaltet. Die Anpassung des pädagogischen zu verringern. Weniger aufwendig ist das
Vorgehens kann sich aber auch auf weitere adaptive Vorgehen natürlich dann, wenn
Aspekte der Lehr-Lern-Situation beziehen sich die Unterweisung nur an einen einzigen
(䉴 Kap. 5.2). Der Begriff der Adaptiven In- Lernenden richtet (Hauslehrerprinzip). Erst
struktion ist ähnlich wie die Direkte Instruk- das Unterrichten in leistungsheterogenen
tion eine Sammelbezeichnung für den unter- Jahrgangsklassen – das aber ist der Regelfall
richtlichen Umgang mit interindividuellen schulischen Lernens – macht die Adaptivität
Differenzen, ganz gleich, ob es sich um zum Thema. Lyn Corno (2008) hat in diesem
lehrer- oder schülergelenkte Methoden han- Zusammenhang dafür geworben, die inter-
delt. Dabei wird das unterrichtliche Vor- individuellen Unterschiede nicht nur als leid-
gehen systematisch und gezielt an vorgefun- liche Hindernisse und Erschwernisse des
dene Unterschiede angepasst, um individu- Unterrichtens zu betrachten, sondern als
elle Lernprozesse zu optimieren (Corno & besondere Chancen und Möglichkeiten einer
Snow, 1986; Cronbach & Snow, 1977). Ob pädagogischen Situation. Corno betont
eine solcherart individualisiert optimierte auch den dynamischen Charakter der unter-
Förderung individuelle Leistungsdefizite richtlichen Adaptivität. Damit ist gemeint,
letztendlich ausgleichen und zu einer Ver- dass Lehrer stets aufs Neue flexibel und
ringerung der Leistungsvariabilität in hete- situationsangemessen auf die sich ständig
rogenen Lerngruppen beitragen kann (und ändernden Bedingungen und Zustände in
soll), wird allerdings kontrovers beurteilt Lehr-Lern-Situationen reagieren müssen
(Bloom, 1976; Neber, 1996; Gold, 2011 b). und dass sie solche Anpassungsleistungen
Dennoch scheint die Notwendigkeit des fortlaufend und auf unterschiedlichen
adaptiven Unterrichtens unstrittig und das Handlungsebenen (mikroadaptiv) erbringen
Prinzip der individuellen Förderung in ho- müssen. Sie müssen also beispielsweise in der
hem Maße »positiv kodiert« (Klieme & Lage sein, ihre Planungen und Vorhaben
Warwas, 2011). Sie leiten sich aus der grund- kurzfristig zu verändern, wenn die Diagnose
sätzlichen Problematik nahezu jeder Grup- der individuellen Lernverläufe das notwen-
penunterweisung in den nicht vollständig dig erscheinen lässt.
leistungsselegierten Lerngruppen ab: der
enormen Unterschiedlichkeit zwischen den
Lernenden. Modelle der Adaptivität
Mit dem Perspektivenwechsel von der
direkten zur adaptiven Instruktion ist eine Detlev Leutner (1992) hat die Facetten der
Fokussierung der Unterschiedlichkeit zwi- Adaptivität (Leutner verwendet allerdings
schen den Lernenden und der daraus resul- den Begriff der Adaptation) in pädagogi-
tierenden Folgerungen für das Lehren ver- schen Zusammenhängen systematisiert. Er
bunden. Dass es Unterschiede in den indivi- unterscheidet zwischen dem Adaptations-
duellen Lernvoraussetzungen gibt, war zwar zweck, der Art einer Adaptationsmaßnahme

277
Teil II Lehren

und dem zeitlichen Abstand zwischen sol- Die Lernenden unterscheiden sich nun aber
chen Maßnahmen oder Entscheidungen, der darin, wie viel Zeit sie benötigen (und auch
Adaptationsrate. Wichtig für das konkrete tatsächlich einsetzen), um etwas zu erlernen
unterrichtliche Vorgehen sind vor allem die (䉴 Kap. 7.2). Diese Erkenntnis ist nicht neu –
beiden letztgenannten Differenzierungen. jedoch ist die unterrichtspraktische Umset-
Überlegungen über den Adaptationszweck zung der Lernzeitdifferenzierung unter den
sind eher grundsätzlicher und vorgeordneter Bedingungen des Schulklassenunterrichts al-
Natur. Zweck oder Ziel des adaptiven Leh- les andere als trivial. Eine Analogie zum
rens kann nämlich a) die Verringerung oder sportlichen Wettkampf mag das verdeutli-
Beseitigung manifest sichtbarer Wissens- chen: Niemand käme auf die Idee, bei einem
oder Leistungsdefizite sein, indem durch Marathonlauf für alle Teilnehmer eine
zusätzlichen (Nachhilfe-)Unterricht direkt Richtzeit von drei Stunden festzulegen und
auf der Ebene der defizitären schulischen danach den Wettbewerb abzubrechen. Die
Leistungen angesetzt wird, b) die Behand- starre Zeitvorgabe ist für die Zwei-Stunden-
lung der Ursachen von Wissens- bzw. Leis- Läufer unnötig, für die Vier-Stunden-Läufer
tungsdefiziten sein, indem besondere kom- verhängnisvoll. Sie müssten das Unterneh-
pensatorische Maßnahmen zur Förderung men erfolglos einstellen, obgleich viele von
der ungünstigen Lern- und Leistungsvoraus- ihnen vermutlich doch noch ins Ziel gekom-
setzungen unternommen werden, oder c) das men wären, wenn man ihnen die Zeit dazu
Auffinden und Ausnutzen besonderer Stär- gelassen hätte. Eine gleiche unterrichtliche
ken und Vorlieben der Lernenden sein, in- Lernzeit für alle ist genauso unsinnig. Wie
dem z. B. die Wahl eines Lehrmediums an die lässt sich aber im vorgegebenen Zeitrahmen
individuellen Stärken oder Präferenzen eines des Schulunterrichts die Notwendigkeit un-
Lernenden angepasst wird. Leutner (1992) terschiedlicher Lernzeiten praktisch realisie-
spricht im ersten Fall von einem Fördermo- ren?
dell der Adaptation und in den beiden an- Benjamin Blooms Prinzip des zielerrei-
deren Fällen von einem Kompensations- chenden Lernens (s. u.) ist ein Beispiel für
bzw. einem Präferenzmodell. Wo adaptiver die variable (und daher adaptive) Hand-
Unterricht im Sinne des Kompensations- habung der Unterrichtszeit, während am
modells ungünstige Lernvoraussetzungen verbindlichen (gemeinsamen) Lernziel und
ausgleichen soll, passt er sich nicht nur an an einer einheitlichen Lehrmethode fest-
die individuellen Lernfähigkeiten an, son- gehalten wird. Wer mehr Zeit benötigt, be-
dern zielt zugleich darauf, diese nachhaltig kommt sie einfach! Maßnahmen der Lern-
und ausgleichend zu entwickeln. Es gibt zeitadaptivität sind in Folge der von Carroll
allerdings Hinweise darauf, dass jüngere (1963) und Bloom (1968) entwickelten Mo-
Schüler und Lernende mit besonders un- delle schulischen Lernens besonders populär
günstigen Lernvoraussetzungen bei all die- geworden. Allerdings muss nicht nur dieser
sen Formen des remedial-ausgleichenden quantitative Aspekt des Unterrichts ange-
Lernens einer stärker strukturierenden (ex- passt werden: Wenn eine Schülerin die Regel
pliziten) Anleitungskomponente bedürfen. der Addition mit Zehnerüberschreitung in
Ein besonders augenfälliges Merkmal von der »normalen« Zeit nicht verstanden hat,
Unterricht ist seine zeitliche Erstreckung, wird es oftmals nicht ausreichen, lediglich
also die Zeitdauer, die der Lehrende für einen das Zeitbudget zu erhöhen. Zusätzlich dürf-
Vortrag oder für eine Erklärung, für das te auch eine Variation des didaktischen Vor-
Vorzeigen oder Vormachen einer Fertigkeit gehens bei der Stofferarbeitung erforderlich
einplant und aufwendet oder für das ange- werden.
leitete und das selbständige Üben zugesteht.

278
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Unterricht lässt sich auch an die Heteroge- werden also über den eigentlichen Unterricht
nität seiner Adressaten anpassen, indem man hinaus zusätzliche Angebote gemacht.
das Lernziel und/oder die Lehrmethode in Wird hingegen im Klassenverband für
besonderer Weise auf die Lernenden ab- einzelne Schülerinnen und Schüler die Me-
stimmt. Das Lernziel beschreibt eine ange- thode und/oder das Ziel adaptiert, spricht
strebte bzw. geforderte Kompetenz am Ende man in der Schulpädagogik meist von For-
eines Lehrgangs oder einer unterrichtlichen men innerer unterrichtlicher Differenzierung
Maßnahme – diese Kompetenz lässt sich oder Binnendifferenzierung. Die verfügbare
durch unterschiedliche Niveaus oder Stufen Lernzeit wird dagegen in der Regel aus
im Allgemeinen näher qualifizieren. Die organisatorischen Gründen gleich bleiben.
Lehrmethoden beschreiben – wie oben be- Der reformpädagogisch inspirierte Begriff
reits ausgeführt – Muster und Strategien des »offenen Unterrichts« wird häufig mit
unterrichtlichen Vorgehens, die sich z. B. diesem Ansatz in Verbindung gebracht. In
im Ausmaß der Lenkungsintensität und in 䉴 Kap. 6.2 werden wir uns damit noch be-
den verwendeten Sozialformen voneinander schäftigen.
unterscheiden. Lernziele und Lernwege kön- Formen äußerer schulischer Differenzie-
nen auf vielfältige Weise an die Eignungen rung (z. B. das in Deutschland traditionell
und Fähigkeiten der Lernenden angepasst stark gegliederte Sekundarschulwesen) sind
werden. Liegen aber das Lernziel (z. B. das natürlich auch adaptiv, allerdings in ganz
Verstehen des osmotischen Prinzips) und die anderer Weise als bislang thematisiert. Die
Lehrmethode (z. B. ein Lehrervortrag) be- Zieladaptivität der äußeren oder institutio-
reits fest und ist auch die verfügbare Zeit nellen Differenzierung besteht darin, dass
begrenzt (z. B. 45 Minuten), so resultiert als möglichst homogene Lerngruppen gebildet
Ergebnis eines nicht-adaptiven Unterrichts werden und dass für diese Gruppen verbind-
nur eine »fortschreitende Auslese« nach je- liche Lernziele festgelegt werden, die sich in
nen kognitiven, motivationalen und affekti- ihrem Niveau unterscheiden. Aber auch den
ven Lernvoraussetzungen, wie sie zu Beginn Leistungsbewertungen im leistungsheteroge-
des Unterrichts bereits bestanden. Die indi- nen Klassenverband – wenn also unter Ver-
viduellen Vorkenntnisse und die Lernfähig- wendung sozialer Bezugsnormen Vergleiche
keiten werden in diesem Fall einen entschei- vorgenommen werden – wohnt eine ziel-
denden Einfluss auf die Lernentwicklung adaptive Komponente inne. Als »mittlere«
nehmen. Form der Zieladaptivität – bei fixierter Lern-
Typische Formen des adaptiven Unter- zeit und mit angepasster lehrmethodischer
richtens sind der Nachhilfe- und Zusatz- Vorgehensweise – könnte man die fähigkeits-
unterricht außerhalb des Klassenkontexts orientierte Zuweisung in Grund- und Leis-
sowie Maßnahmen der inneren Differenzie- tungskurse (oder in A-, B- und C-Kurse)
rung in der Klasse. Beim individualisierten, bezeichnen, wie sie üblicherweise in der
unterrichtsadditiven Nachhilfeunterricht Mittelstufe von Gesamtschulen vorgenom-
werden meist Lernzeit und Lehrmethode men wird.
den Eignungen und Vorkenntnissen der Ler- Mit dem Begriff der Adaptationsrate soll
nenden angepasst: Außerhalb des regulären ausgedrückt werden, dass adaptive Maß-
Unterrichts, d. h. während die anderen Kin- nahmen sowohl einen statischen als auch
der Freizeit haben, erklärt ein Nachhilfe- einen dynamischen Charakter haben kön-
lehrer einem einzelnen Schüler den Lernstoff nen. Zwar sind selbst Maßnahmen äußerer
erneut, vielleicht macht er das auf eine an- (institutioneller) Differenzierung, wie etwa
dere Weise, ausführlicher und intensiver, als die Überweisung eines Schülers in eine För-
es zuvor im Unterricht geschehen ist. Es derschule, prinzipiell reversibel, jedoch ge-

279
Teil II Lehren

schieht dies in der Regel erst – wenn über- ● Der Lerninhalt wird in kleine Einheiten
haupt – nach längeren Zeitabständen. Wird aufgeteilt und kleinschrittig dargeboten;
eine eingeführte adaptive Maßnahme erst auf eine Informationseinheit folgt jeweils
nach Wochen oder Monaten überprüft eine einfache Frage.
und gegebenenfalls korrigiert, bezeichnet ● Alle Lernenden müssen auf jede Frage mit
man dies als Makroadaptation. Makroadap- einer Antwort, meist in schriftlicher
tiv ist demnach auch die mittel- und lang- Form, reagieren. Sie arbeiten nach ihrem
fristige Zuweisung von Lernenden zu Lehr- eigenen Tempo.
bedingungen und Unterrichtsmethoden auf- ● Auf jede dieser Antworten erhalten die
grund von vorab diagnostizierten Lern- Lernenden eine unmittelbare Rückmel-
voraussetzungen und -fähigkeiten oder dung.
von Lernpräferenzen. Bei Makroadaptatio- ● Um kumulative Lerndefizite gar nicht erst
nen werden die adaptiven Entscheidungen entstehen zu lassen, sollten die Lernein-
also vor Beginn einer Lehreinheit getroffen, heiten so einfach gestaltet sein, dass sie
um die Lernvoraussetzungen möglichst an- das 90/90-Kriterium erfüllen: 90 % der
zugleichen. Auf der anderen Seite müssen in Lernenden sollen 90 % der Lernaufgaben
jeder Unterrichtsstunde fortwährend neue richtig lösen können. Zur nächsten Lern-
Entscheidungen über die Anpassung von einheit darf nur vorangehen, wer 90 %
Lehrmethode und Schwierigkeitsgrad an der Aufgaben einer Lerneinheit richtig
die Bedürfnisse und an die Leistungsent- gelöst hat. Wer mehr als 10 % fehlerhafte
wicklung einzelner Schülerinnen und Schü- Antworten gegeben hat, muss die gesamte
ler getroffen werden. Dies bezeichnet man Einheit wiederholen.
als Mikroadaptation. Bei einer Mikroadap-
tation werden fortwährend, oft in sehr kur- Ein programmiertes Lehrbuch besteht aus
zen Zeitabständen und während des laufen- einer sachlogischen Abfolge solcher Lern-
den Unterrichts, notwendige adaptive Ent- schritte. In den 1960er und 70er Jahren
scheidungen vorgenommen. Dazu bedarf es waren selbstinstruktive, gedruckte Lehrpro-
besonderer Formen der lernprozessbeglei- gramme dieser Art weit verbreitet, sie waren
tenden Verlaufsdiagnostik (vgl. Gold, Vorläufer der späteren Computer-basierten
2011 a; Klauer, 2006). Lehrsysteme, die sich mit dem Aufkommen
der dezentralen Personal Computer durch-
setzten (Leutner, 1992). Skinners PU gilt als
Beispiele Adaptiver Instruktion Wegbereiter moderner, technologisch-adap-
tiver Lehrsysteme der Computer-unterstütz-
Skinners Methode des Programmierten Un- ten Instruktion (CUI) und der Computer-
terrichts (PU) folgt dem Prinzip der Indivi- basierten intelligenten tutoriellen Systeme
dualisierung der Instruktion und gilt als (ITS). Die adaptive Präsentation von Infor-
Prototyp einer mikroadaptiven Maßnahme mationen und Aufgaben in Abhängigkeit
im Sinne des oben beschriebenen Fördermo- vom Niveau des individuellen Vorwissens
dells. Die programmierten Lehrbücher und und von den Lernfortschritten – eine Fort-
die aus heutiger Sicht kurios anmutenden entwicklung der sogenannten verzweigten
apparativen Lehrmaschinen der 1960er und Programme des PU – ist ein wesentliches
70er Jahre beruhten auf den folgenden be- Kennzeichen intelligenter tutorieller Syste-
währten Prinzipien der operanten Konditio- me. Sie wird realisiert durch den Rückgriff
nierung (zusammenfassend: Morris, 2003): auf die Inhalte zweier Systemmodule: auf die
im Expertenmodul repräsentierte (objektive)
Wissensbasis des Lerngegenstands ein-

280
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

schließlich der für den Wissensaufbau gramm –, die für den positiven Effekt ver-
zweckmäßigen Lernsequenzen und auf den antwortlich zeichnet, sondern der beiden
im »Lernermodul« repräsentierten (subjek- Medien gemeinsame adaptive Aspekt der
tiven) Stand des Wissensaufbaus, der Diag- Individualisierung von Unterricht. Program-
nosekomponente des Systems. mierte Instruktion trägt nämlich den Unter-
Programmierter Unterricht ist effektiv schieden zwischen den Lernenden Rech-
und effizient – so die Untersuchungen aus nung, indem ein individuelles Lerntempo
der damaligen Zeit. Gottschaldt (1972) be- zur Zielerreichung zugelassen (Zeitadaptivi-
richtet für das Bruch-, Dreisatz- und Prozent- tät) und indem, wenn erforderlich, erneute
rechnen in 6. und 7. Klassen über eine Lern- Erklärungen und weitere Beispiele angebo-
zeitersparnis in beträchtlicher Größenord- ten werden. Sie fordert die Selbsttätigkeit des
nung bei gleichem Lernerfolg wie in her- Lernenden ein und nutzt zwei bewährte
kömmlich unterrichteten Kontrollklassen. Wirkmechanismen der operanten Konditio-
Eine Metaanalyse zur Wirksamkeit des nierung: das fehlerfreie Lernen und die un-
Computer-unterstützten Unterrichts kommt mittelbare Rückmeldung. Hattie (2009) be-
zu ähnlichen Ergebnissen (Kulik & Kulik, richtet in seiner zusammenfassenden Über-
1989). Heute weiß man, dass es nicht die sicht allerdings nur bescheidene Effekte der
mediale Realisation war – also das program- Programmierten Instruktion.
mierte Lehrbuch bzw. das Computer-Pro-

Beispiel: Ein programmiertes Lehrbuch


Verstärkung, die darin besteht, Stimuli zu präsentieren (z. B. Futter) wird positive Ver-
stärkung genannt. Im Gegensatz dazu wird Verstärkung, die darin besteht, Stimuli zu
beenden (z. B. Schmerzreize), Verstärkung genannt. [Antwort: negative]
Einen Werbespot im Fernsehen wegzuschalten, wird verstärkt durch die Beendigung
eines Verstärkers; ein sehr lustiges Fernsehprogramm anzustellen, wird verstärkt
durch die Präsentation eines Verstärkers. [Antworten: negativen, positiven]
(aus Holland & Skinner, 1961, S. 52–56)

Ein weiteres Beispiel für adaptive Lehr- Was irgendein Mensch auf der Welt lernen
methoden ist das auf Benjamin Bloom kann, können fast alle Menschen lernen,
wenn sie mit angemessenem Vorwissen und
(1976) zurückgehende Konzept des zielerrei- angemessenen aktuellen Lernbedingungen aus-
chenden Lernens (Learning-for-Mastery). gestattet werden. (Bloom, 1976, S. 7)
Unter den Bedingungen des Unterrichts in
Schulklassen ist das zielerreichende ein indi- »Alle Schüler schaffen es!« lautet die deut-
vidualisiertes, an die Lernvoraussetzungen sche Übersetzung von Blooms visionärem
angepasstes Lernen, wobei die wesentliche Programm. Das auf den schulischen Unter-
Adaptivitätsmaßnahme in der Gewährung richt bezogene zielerreichende Lernen fußt
unterschiedlicher Lernzeiten zur Bewälti- auf John B. Carrolls Vorüberlegungen zur
gung vorgegebener Lernaufgaben besteht. Bedeutsamkeit der aktiven Lernzeit für den
Schulerfolg (Carroll, 1963). Auch Carrolls
richtungsweisender Aufsatz hatte übrigens

281
Teil II Lehren

eine vergleichbar plakative deutsche Über- entsprechend der Bedürfnisse der Lernenden
setzung gefunden: »Lernerfolg für alle«. durch adaptiv-variable Lernzeiten ersetzt.
Carroll formuliert das Ausgangsproblem Bei aller Plausibilität birgt das Lernzeit-
so: Individuen unterscheiden sich – aus wel- konzept jedoch ein fundamentales Problem:
chen Gründen auch immer – hinsichtlich Ein beliebig verfüg- und vermehrbares Zeit-
ihrer Lernfähigkeiten und benötigen daher budget gibt es im schulischen Alltag nicht.
unterschiedlich viel Zeit, um ein bestimmtes Jede erbrachte Lern-Leistung ist immer auch
Lernziel zu erreichen. Für diejenigen mit eine Leistung in einer Zeiteinheit. Die Allo-
geringeren Lernfähigkeiten muss daher kation von Lehr-Lern-Zeit im Unterricht
über die zugestandene Lernzeit ein Zeitaus- kann nicht beliebig erfolgen – die Unter-
gleich erfolgen, um ihren besonderen Be- richtszeit ist ein knappes Gut. Nur bei unbe-
dürfnissen zu entsprechen. Bei sehr schwie- grenzt verfügbarer Unterrichtszeit und wenn
rigen Aufgaben allerdings – das hat Carroll die schneller Lernenden während des lang-
eingeräumt – wird auch ein solcher Zeit- sameren Vorgehens eine Auszeit nehmen,
ausgleich nicht genügen. kann sich deshalb der »hypertrophe An-
Carrolls für die damalige Zeit innovativer spruch« (Weinert, 1998 b, S. 206) Blooms
Perspektivenwechsel besteht darin, dass er erfüllen, dass das zielerreichende Lernen zu
stabile (und offenkundig schwer veränderli- einer Verringerung der Leistungsvarianz in
che) Parameter der individuellen Begabung einer Lerngruppe führen werde. Mit anderen
und der Lernfähigkeit in variable (und daher Worten: Nur wenn man bewusst »Robin-
beeinflussbare) Parameter der aufzubringen- Hood-Effekte« einkalkuliert, d. h., ein aus-
den Anstrengung und des zu investierenden gleichendes Umverteilen der pädagogischen
Zeitaufwands umdefiniert, um pädagogi- Bemühungen und Ressourcen auf die Leis-
schen Handlungsspielraum zu gewinnen. tungsschwächeren oder wenn man die Leis-
Fast deckungsgleich mit Blooms späterem tungsanforderungen spürbar senkt, wird das
Anspruch (s. o.) formuliert schon Carroll: zielerreichende auch ein ausgleichendes Ler-
nen.
[. . .] ein Lernender wird beim Meistern einer Deutlicher als Bloom, der über dem
bestimmten Aufgabe in dem Ausmaß erfolg- scheinbar Möglichen gelegentlich das tat-
reich sein, in dem er die Lernzeit aufwendet, die
er benötigt, um die Aufgabe zu meistern. (Car- sächlich Machbare aus dem Auge zu ver-
roll, 1963, S. 725) lieren scheint, verweist Carroll ausdrücklich
auf die notwendige Ausdauer (die Motiva-
Im herkömmlichen Unterricht werden bei tion) des Lernenden, d. h. auf das Ausmaß
gleicher Lernzeit einige Schüler das gesetzte der tatsächlich lernzielbezogen aufgewende-
Lernziel erreichen, andere nicht. Nur ein ten aktiven Lernzeit. Die langsameren Ler-
gutes Drittel der Schülerinnen und Schüler, ner müssen das »Zeitgeschenk« auch anneh-
so schätzt Bloom, wird ohne Mühe erfolg- men. Nicht die zeitadaptiv zugestandene,
reich lernen, bei den anderen werden sich sondern die tatsächlich zielbezogen genutzte
Leistungsdefizite kumulieren. Im Resultat ist im Vergleich zur benötigten Lernzeit ist des-
der herkömmliche mithin im negativen Sinne halb für Carroll die entscheidende Determi-
ein ziel-adaptiver Unterricht, weil er zur nante des Lernerfolgs (䉴 Kap. 7.2). Carroll
Folge hat, dass nicht alle das Ziel erreichen betont im Übrigen, dass die benötigte Lern-
können. Bloom setzt dem das Instrument der zeit nicht nur von der Begabung und den
Lernzeitadaptivität entgegen, um möglichst spezifischen Vorkenntnissen des Lernenden
alle Lerner zum verbindlichen Lernziel (mas- abhängt, sondern auch von der Qualität der
tery) zu führen. Die fixierten Lernzeiten des Instruktion.
herkömmlichen Unterrichts werden deshalb

282
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Zeitadaptive Maßnahmen des zielerreichen- X besser bei Methode A lernen und solche
den Lernens sind prinzipiell wirksam (Gus- mit der Eigenschaft Y besser bei Methode B.
key, 1987; Kulik, Kulik & Bangert-Drowns,
1990; Slavin, 1987). Hattie (2009) berichtet
Analyse: Ängstlichkeit und
Effektstärken mittlerer Größenordnung. Al-
Lehrmethode
lerdings profitieren vornehmlich die Lern-
schwachen von den zeitausgleichenden Dowaliby und Schumer (1973) haben in
Maßnahmen (Arlin, 1984). Die schneller einer experimentellen Studie heraus-
Lernenden werden in ihrer Leistungsent- gefunden, dass ängstliche College-Stu-
wicklung natürlich eher gebremst, wenn ins- denten, die über die Vortragsmethode
gesamt langsamer vorgegangen wird. Daran (also lehrergesteuert) unterrichtet wur-
ändern in aller Regel auch die vielfältigen den, in einem Leistungstest zu Semester-
»Enrichment Activities« nichts, die man ih- ende besser abschnitten, als wenn sie
nen anbietet, indem man sie als Tutoren (selbstgesteuert) nach der Diskussions-
einsetzt, ihnen ergänzendes Lernmaterial methode lernten. Für die weniger Ängst-
vorlegt und sie mit extracurricularen Arbei- lichen ergab sich genau das umgekehrte
ten ihrer Wahl beschäftigt. Slavin (1987) Bild. Sie waren erfolgreicher, wenn man
bringt es auf den Punkt: Die Unterrichtszeit, sie selbständig lernen ließ. Während die
die benötigt wird, um auch die Lernschwä- Ängstlicheren auf häufige, zustimmende
cheren zum Lernziel zu führen, muss irgend- Rückmeldungen und Bekräftigungen
wo herkommen. Nur wenn man die zeit- durch die Lehrpersonen angewiesen wa-
adaptiven Stützkurse für die lernschwäche- ren, kamen die weniger Ängstlichen bes-
ren Schüler additiv, d. h. zusätzlich zum ser ohne solche Ermutigungen zurecht.
regulären Unterricht anbietet, muss es eine Beim hier beschriebenen Typ einer Wech-
Benachteiligung der schneller Lernenden selwirkung zwischen Lernermerkmal und
nicht geben. Lehrmethode handelt es sich im varianz-
analytischen Sinne um eine disordinale
Interaktion. Einen Haupteffekt zuguns-
ATI-Forschung ten einer der beiden Lehrmethoden gab es
in der Studie von Dowaliby und Schumer
Oft werden Ergebnisse der ATI-Forschung übrigens nicht.
zur theoretischen Grundlegung der Adap-
tiven Instruktion herangezogen. Das Akro-
nym ATI steht für Aptitude-Treatment-Inter- Dass (unangemessen) häufige Rückmeldun-
action und bezeichnet die differenzielle gen bei guten Schülern sogar zu schlechteren
Wirksamkeit pädagogischer Interventionen. Lernergebnissen führen können, berichten
Eine brauchbare deutsche Übersetzung hat Cope und Simmons (1994) für das Lösen
sich nicht durchgesetzt. Als »Aptitudes« von Programmieraufgaben. Soweit muss es
bezeichnet man die Eigenschaften oder nicht unbedingt kommen, es bleibt aber
Merkmale (eigentlich: die Eignungen) der festzuhalten, dass offenbar nicht jede in-
Lernenden, als »Treatment« die unterricht- struktionale Maßnahme allen Lernenden
lichen Maßnahmen (eigentlich: die Behand- in gleicher Weise gut tut. Trifft die richtige
lung) durch die Lehrenden, also in der Regel Maßnahme jedoch den richtigen Adressaten,
die Lehrmethode, und die »Interaction« ist so tritt der angestrebte Effekt auf. Tausch,
im Sinne eines statistischen Wechselwir- Barthel, Fittkau, Langer und Theunißen
kungseffektes gemeint, der zum Ausdruck (1969) haben das in einer Studie zum Sport-
bringt, dass Lernende mit einer Eigenschaft unterricht bei Zwölfjährigen illustriert. Sie

283
Teil II Lehren

untersuchten die Wirksamkeit ermutigender des) lernen also offensichtlich besser, wenn
Lehreräußerungen wie »Weiter so«, »Gut« sie nach einer bestimmten Methode (Treat-
oder »Bravo« nach guten Leistungen, aber ment) unterrichtet werden; für andere ist
auch »Wird schon noch« oder »Schon bes- wiederum eine andere Methode günstiger.
ser« nach suboptimalen Trainingsversuchen. Die vielfach aufgefundene Wechselwirkung
Es zeigte sich, dass vor allem hochängstliche (Interaction) zwischen Schülereigenschaften
Schüler von den ermutigenden Verstärkun- und bestimmten Unterrichtsmerkmalen er-
gen profitierten. Für die weniger ängstlichen öffnet allerdings auf der Theorie- wie auf der
Schüler waren die Ermutigungen wie auch Praxisebene weit mehr Probleme, als sie zu
deren Ausbleiben weniger wichtig – wenn lösen vorgibt (Cronbach, 1975). So wissen
auch nicht schädlich. wir wenig darüber, welche Methoden bei
Schülerinnen und Schüler mit bestimmten welchen Schülermerkmalen für welche Lern-
Eignungen und Voraussetzungen (Aptitu- ziele besonders geeignet sind.

Studie: Lernpräferenz und Lehrmethode (Domino, 1971)


Problemstellung
Lernende unterscheiden sich darin, ob sie eher einen strukturierenden, gegenstandsorien-
tierten und lehrergesteuerten Unterrichtsstil bevorzugen oder ein kollegiales, problem-
orientiertes und offenes Lehrerverhalten (d. h., ob sie lieber rezeptiv und durch Anpassung
[A] oder durch Selbständigkeit [S] lernen wollen). Lehrende ihrerseits unterscheiden sich
ebenfalls darin, welchen Unterrichtsstil sie persönlich bevorzugen.
Hypothese
Lernerfolge lassen sich optimieren, wenn eine Passung (Interaktion) zwischen Lerner-
eigenschaften (Aptitudes) und Lehrerverhalten (Treatment) hergestellt wird.
Methode
900 Erstsemester bearbeiten einen Fragebogen, der ihre individuellen Vorlieben hinsichtlich
des Unterrichtsstils erfassen soll. 100 von ihnen werden für ein Quasi-Experiment aus-
gewählt, und zwar jene 50, die besonders deutlich offene Unterrichtsformen ablehnen und
stattdessen einen lehrerzentrierten Unterricht befürworten (A), sowie jene 50, die genau
entgegen gesetzter Meinung sind (S). Im 2x2-Design werden die Studierenden auf insgesamt
vier Seminare aufgeteilt, wobei in zwei der vier Seminare den studentischen Vorlieben
entsprechend erwartungs- und wunschkonform unterrichtet wird (A/A bzw. S/S), in den
beiden anderen jedoch erwartungswidrig (A/S bzw. S/A). Am Ende des Semesters wird der
individuelle Lernzuwachs festgestellt. Der verwendete Leistungstest enthält sowohl Multi-
ple Choice- als auch offene Textaufgaben, bei deren Lösung neben dem Faktenwissen auch
die Originalität der Ideen bewertet wird.
Ergebnisse
Es besteht kein Haupteffekt für eine der beiden Lehrmethoden (Treatment). Für die
Originalität von Ideen gibt es allerdings einen Haupteffekt Lernereigenschaften (Aptitudes)
zugunsten der lieber selbständigkeitsorientiert Lernenden. Für die Leistungen im Multiple-
Choice-Test und für das Faktenwissen bei den offenen Testaufgaben finden sich die
erwarteten statistischen Interaktionen im Sinne des ATI-Paradigmas: Wenn die Lernvor-
lieben und die Lehrmethoden zusammen passen, ist der Lernzuwachs am größten.

284
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Auch wenn ihr unmittelbarer unterrichts- Fazit


methodischer Nutzen äußerst eingeschränkt
ist, kommt der ATI-Forschung im Rückblick
eine wichtige Bedeutung zu. Sie hat, wie Ganz unterschiedliche instruktionale Vor-
Terhart (2000, S. 84) treffend formuliert, gehensweisen können also im Endeffekt
»die Möglichkeit des einfachen Methoden- dazu führen, dass die Lernenden individuell
vergleichs endgültig sabotiert«. Denn die optimal gefördert werden. Maßnahmen der
naive Suche nach der besten Lehrmethode, adaptiven Instruktion sind naheliegend und
dem besten Unterrichtsmedium, dem erfolg- notwendig, um Lernprozesse an individuelle
reichsten Lehrerverhalten war damit in ihrer Lernvoraussetzungen anzupassen. Sie setzen
Ausschnitthaftigkeit als zu kurz gegriffen allerdings eine sorgfältige Lernstandsdiag-
entzaubert. Was neben dieser ernüchternden nostik voraus. Die Anpassung kann sich,
Erkenntnis bleibt, sind die vielfältigen, aber wie bereits aufgeführt, auf die Auswahl
uneinheitlichen ATI-Befunde zur Wirksam- (erreichbarer) Lernziele, auf den Einsatz (ge-
keit instruktionaler Medien in Abhängigkeit eigneter) Lehrmethoden und das Verfolgen
von spezifischen individuellen Lernvoraus- unterschiedlicher Lernwege sowie auf die
setzungen (z. B. Plass, Chun, Mayer & Leut- Variabilität der zur Zielerreichung gewähr-
ner, 1998; Tuovinen & Sweller, 1999; vgl. ten Lernzeit beziehen. Befunde der ATI-For-
䉴 Kap. 7.5). Auch gibt es ganz offensichtlich schung weisen darauf hin, dass bei einer
Interaktionen zwischen der Ängstlichkeit, Passung individueller Lernvoraussetzungen
der Intelligenz und dem Vorkenntnisniveau mit bestimmten Strukturmerkmalen unter-
der Lernenden mit Merkmalen der Instruk- richtlichen Handelns Lernergebnisse in der
tion: Ängstlichere und Leistungsschwächere Tat optimierbar sind (Präferenzmodell). Die
scheinen von hochstrukturierten Unter- Erfahrungen mit Blooms zielerreichendem
richtsumgebungen mit klar definierten Auf- Lernen haben gezeigt, dass Leistungsdefizite
gabenstellungen, von einer schrittweisen durch Erhöhung des Zeitaufwandes beho-
Stoffpräsentation und einer stärkeren Len- ben werden können (Fördermodell). Die
kung vergleichsweise mehr zu profitieren vielfältigen Ergebnisse zum remedialen Ler-
(Snow & Swanson, 1992; Swanson, 1999). nen belegen zudem, dass Leistungsdefizite
Das scheint plausibel, weil die leistungs- auszugleichen sind, wenn die Ursachen de-
schwächeren Schüler mit ihren defizitären fizitärer Lernleistungen durch Trainings-
kognitiven oder motivationalen Lernvoraus- und Zusatzangebote angegangen werden
setzungen durch äußere Vorgaben, zusätzli- (Kompensationsmodell). Aus der kognitiven
che Hilfen und klarere Strukturen in ihrer Trainingsforschung ist seit langem bekannt,
Informationsverarbeitung besser unterstützt dass Schülerinnen und Schüler mit Lern-
werden und weil ängstliche Schüler fehlende schwierigkeiten einer besonders strukturier-
Strukturen und eine hohe Eigenverantwor- ten Art von Trainingsmaßnahmen bedürfen
tung als Belastung empfinden. Lernende (Gersten et al., 2001; Swanson, 1999; vgl.
hingegen, die aufgrund ihrer günstigeren auch 䉴 Kap. 8.4). Es scheint mithin unstrit-
Lernvoraussetzungen zu selbstregulativem tig, dass adaptive Maßnahmen die Leis-
Lernverhalten in der Lage sind, profitierten tungsentwicklung der langsamer Lernenden
offenbar eher von offenen und entdecken- in positiver Weise befördern können. Alle
lassenden Unterrichtsverfahren, die ihnen Maßnahmen der Lernziel- und der Lehr-
mehr Freiräume lassen. methoden-Adaptivität sollten aber eigentlich
den schnelleren und den langsameren, den
besseren und den schwächeren Lernern in
gleicher Weise zugutekommen.

285
Teil II Lehren

Die bisher vorgestellten adaptiven Maßnah- betont werden, dass die Adaptivität des
men sind in der Regel lehrerinitiiert. Merrill methodischen Vorgehens kein besonderes
(1975) hat darauf hingewiesen, dass auch die Kennzeichen der darstellenden Methoden
Lernenden selbst adaptiv vorgehen können, Direkter Instruktion darstellt, sondern als
indem sie selbst die Lernzeit erhöhen, selbst übergeordnetes Qualitätsmerkmal aller
andere Lernstrategien einsetzen, selbst an- Lehrmethoden zu betrachten ist. Auf die
dere mediale Darstellungen auswählen, mit Notwendigkeit adaptiven Vorgehens ist
denen sie besser lernen können. Wir werden aber im Zusammenhang mit den Methoden
im Abschnitt zum selbstgesteuerten Lernen der Direkten Instruktion besonders häufig
(䉴 Kap. 6.4) darauf zurückkommen. Am verwiesen worden.
Ende dieses Abschnitts soll noch einmal

6.2 Entdeckenlassende und problemorientierte Methoden

Wenn die Lehrer-Steuerung der darstellen- den Unterschied zum herkömmlichen Klas-
den Methoden zugunsten einer stärkeren senunterricht deutlich zu machen (z. B. Kun-
Selbststeuerung des Lernenden reduziert ter & Trautwein, 2013; Wiechmann, 2008),
wird und wenn anstelle vorbereiteter Erklä- oder auch als »konstruktivistische« Metho-
rungen und Darbietungen der Lehrpersonen den. Den Methoden ist die Zielvorstellung
fragend-erkundende Problemlöseversuche gemeinsam, durch die Anregung zum selbst-
der Lernenden in ihrer wissensaufbauenden tätigen und selbständigen Lernens ein mög-
Funktion betrachtet werden, spricht man lichst hohes Maß an individueller Lernför-
vom entdeckenlassenden und problemorien- derung zu erreichen. Welche Bedingungen
tierten Lehren. Bisweilen bezeichnet man für die erfolgreiche individuelle Lernför-
entsprechende Verfahren auch als »indivi- derung besonders wichtig sind, ist in
dualisierte« oder »offene« Methoden, um 䉴 Kap. 5.2 bereits dargestellt worden.

Fokus: Die Methode des Sokrates


Die Sokrates zugeschriebene Form der Belehrung in Frage und Antwort, auch als geistige
Mäeutik (»Geburtshilfe« oder »Hebammenkunst«) bezeichnet, sucht durch geschicktes
Fragen, die einem Menschen bereits inne wohnende richtige Erkenntnis gleichsam »heraus-
zuholen«. Indem die sokratischen Dialoge auf die Unzulänglichkeit des eigenen Wissens
verweisen, regen sie zu weiterem Nachdenken an. Auf das Unterrichten übertragen bedeutet
dies, dass das bereits vorhandene Wissen in behutsamer Weise zum Ausgangspunkt einer
schrittweisen Erweiterung und Modifikation dieses Wissens genutzt werden soll. Der
sokratische Dialog lässt uns also erkennen und verstehen, was wir bereits wissen, ohne uns
dessen bewusst zu sein.

286
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Die konstruktivistische Grundidee lässt sich deckungslernen zur Familie der kognitiv-
am besten am Begriff des Entdeckungsler- konstruktivistischen Lehr-Lern-Theorien
nens illustrieren. Das Entdeckungslernen (䉴 Kap. 5.1) mit einer vergleichsweise gering
(eigentlich: das entdeckenlassende Lehren) ausgeprägten externalen Anleitungs- und
basiert auf einer Art indirekter, sokratischer Steuerungskomponente. Beim Durcharbei-
Instruktion, bei der die als Ziel des Lernens ten des folgenden Unterrichtsbeispiels kön-
angestrebten Wissensstrukturen eben nicht nen Sie wichtige Prinzipien des entdecken-
instruktional präsentiert und vorgegeben, lassenden Lehrens finden – zusammen mit
sondern vom Lernenden selbst aktiv gene- weiteren Kennzeichen konstruktivistischer
riert (hergeleitet) und individuell konstruiert Ansätze.
werden müssen. Deshalb zählt das Ent-

Beispiel: Frau Mayers Zylinder


»Wenn ihr euch erinnert,« beginnt Frau Mayer ihre Mathematikstunde in der 8. Klasse,
»dann wisst ihr noch, wie man die Fläche eines Kreises und den Rauminhalt (das Volumen)
eines Würfels ausrechnet. Heute wollen wir das Volumen eines Zylinders bestimmen. Aber
ihr müsst es selbst herausfinden.«
(An sechs großen Arbeitstischen sitzen jeweils vier Kinder. Die Kinder arbeiten häufig in
festen Gruppen zusammen: Es gibt die Monster-, die Barbie-, die Tiger-, die Zombie-, die
Bad-Girls- und die Superstar-Gruppe. Auf jedem Arbeitstisch liegen fünf Zylinder unter-
schiedlicher Größe, dazu ein Taschenrechner und ein Lineal.)
»Ihr habt alles, was ihr braucht! Am Waschbecken neben der Tafel könnt ihr euch Wasser
holen, wenn ihr wollt. Das wichtigste aber ist: Benutzt euren Kopf und arbeitet zusammen!
Am Ende der Stunde sollt ihr nicht nur die richtige Formel wissen, ihr sollt auch erklären
können, wie ihr sie gefunden habt.«
(Die Monster füllen alle fünf Zylinder mit Wasser.)
»Was machen wir jetzt?« fragt Luisa. »Wir messen die Zylinder ab,« schlägt Jan vor. Er
nimmt das Lineal und diktiert Philipp die Maße. »Im kleinsten Zylinder steht das Wasser
36 mm hoch und die Grundfläche unten hat einen Durchmesser von 42 mm.« »Das hilft uns
auch nicht weiter. Wir müssen nachdenken, bevor wir einfach nur messen,« klagt Esther.
»Stimmt, wir müssen einen Plan machen!«
(Luisa hat eine Idee.)
»Es hat bestimmt einen Grund, dass uns die Mayer vorhin an die Fläche eines Kreises und
an das Volumen eines Würfels erinnert hat. Wahrscheinlich sollten wir darüber nach-
denken.«
»Nicht schlecht«, sagt Frau Mayer, die gerade am Tisch der Monster vorüber geht, »aber
was fangt ihr damit an?«
(Die Monster überlegen.)
Dann sagt Jan: »Nehmen wir doch den kleinsten Zylinder. Der Boden ist ja ein Kreis. Wie
groß wäre denn die Bodenfläche?« Luisa: »Die Formel ist Pi mal r2.« »Du hast doch vorhin
42 mm gemessen. Also 42 im Quadrat mal . . .« »Nein, nicht 42, sondern 21 musst du ins
Quadrat setzen. Der Durchmesser war 42, der Radius ist 21 mm,« verbessert Luisa Jan.
»Das hätte ich schon noch selbst gemerkt.« »21 im Quadrat ist 441 und das mal 3,14 ergibt
13 847,« sagt Philipp. »Kann nicht sein, du hast dich um eine Kommastelle vertan. Dreimal
400 ist 1200; viel mehr als 1300 kann das nicht werden.« »Du hast recht: 1384.«

287
Teil II Lehren

Esther: »Aber was hilft uns das? Wir suchen das Volumen des Zylinders und bis jetzt wissen
wir nur, wie groß die Bodenfläche ist.«
Luisa ist ganz aufgeregt: »Wir müssen das malnehmen. Wir müssen die Bodenfläche mit
der Höhe des Wassers malnehmen.« »Aber warum?« »Als wir das Wasser eingefüllt haben,
haben wir Schicht für Schicht den Boden mit Wasser bedeckt, so lange, bis wir die Höhe
erreicht hatten, die wir dann gemessen haben,« erklärt Luisa. »Und beim Würfel war es
auch so: Wir haben Länge mal Breite mal Höhe gerechnet, um das Volumen zu bestimmen,«
fügt Esther hinzu. »Das glaube ich nicht,« sagt Philipp, »das eine waren doch lauter Flächen
und hier haben wir einen Kreis und eine Höhe.« »Ich weiß, wie wir es beweisen können,«
ergänzt Jan. »Wir wissen zwar noch nicht, wie groß das Volumen dieses kleinen Zylinders
hier ist, aber wir wissen, dass das Wasservolumen gleich bleiben wird, wenn wir das Wasser
in einen größeren Zylinder umschütten.«
(Jan entfernt das Wasser aus vier der fünf der Zylinder und schüttet das Wasser aus dem
kleinsten in den nächst größeren um. Auch bei diesem misst er dann den Kreisdurchmesser
und die Höhe des Wasserstandes. Er bestimmt nun die Bodenfläche dieses Zylinders und
setzt diesen Wert in die Formel ein, die Luisa vorgeschlagen hat. Das Wasservolumen
entspricht dem für den kleineren Zylinder bereits berechneten.)
Die Monster rufen nach Frau Mayer und erklären ihr Vorgehen. »Wunderbar! Jetzt könnt
ihr mir helfen, die anderen Gruppen auf den richtigen Weg zu bringen. Sagt ihnen nicht die
Lösung, aber helft ihnen, die richtige Spur zu finden. Ihr beiden geht bitte zu den Bad Girls,
Philipp und Jan unterstützen die Superstars.«
(Beispiel nach Slavin, 2006, pp. 241–242; hier gekürzt und modifiziert)

Entdeckendes Lernen und stellen und ihre Vermutungen handelnd


entdeckenlassendes Lehren überprüfen. Sie werden dabei, wo notwen-
dig, durch die Lehrerin unterstützt.
Entdeckendes Lernen wird durch ent-
Prinzipien des entdeckenden Lernens finden deckenlassendes Lehren möglich. Der we-
sich in zahlreichen Unterrichtsmodellen. sentliche Unterschied zu den darbietenden
Streng genommen handelt es sich dabei we- Verfahren im Sinne Ausubels und zu den
niger um eine spezifische Lehrmethode als kleinschrittig-kumulativen Stoffpräsentatio-
vielmehr um ein grundlegendes Prinzip, das nen im Sinne Gagnés (䉴 Kap. 6.1) besteht in
sich in nahezu allen dem Konstruktivismus der Gewährung dieses individuellen Ent-
folgenden Lehr-Lern-Modellen wiederfin- deckenlassens und in der konstruktiven Be-
det: In Aeblis handlungsorientierter Didak- gleitung des Entdeckungsprozesses. Denn
tik etwa in der Phase des problemlösenden was erklärt wird, so die Grundidee des Ent-
Aufbauens (䉴 Kap. 5.1) und beim koope- deckungslernens, kann nicht mehr entdeckt
rativen Lernen ebenso – wie im nachfolgen- werden. Verknüpft wird diese Grundidee mit
den 䉴 Kap. 6.3 noch gezeigt werden wird. der Annahme, dass das selbst Erkannte und
Im vorgestellten Illustrationsbeispiel aus selbst Entdeckte besser behalten wird als das
dem Mathematikunterricht lösen die Ler- durch eine Erklärung vermittelte und rezep-
nenden in Kleingruppen selbsttätig und ge- tiv lediglich nachvollzogene Wissen. Denn
meinsam (kooperativ) ein komplexes Pro- das »allerpersönlichste Wissen«, das man
blem, indem sie selbständig Hypothesen auf- besser behalten und leichter abrufen könne,

288
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

sei nun einmal jenes, welches man »selbst ern und eine konsolidierende Form der Er-
entdeckt hat«, wie es Bruner (1961/1973, gebnissicherung am Ende des Lernprozesses
S. 21) einmal formuliert hat. zu gewährleisten. Ganz ohne Lenkung
Für die Lehrenden ist das entdeckenlas- kommt nämlich das erfolgreiche entdecken-
sende Lehren (vor allem in der Vorberei- de Lernen nicht aus – ganz im Gegenteil. In
tungsphase) übrigens nicht weniger aufwen- der eigentlichen Lernsituation tritt sie aber
dig, als es die darstellenden Verfahren der möglichst in den Hintergrund. Üblicherwei-
Direkten Instruktion sind, denn die sorgfäl- se ist das entdeckenlassende Lehren durch
tige und im Voraus zu planende Bereitstel- eine Abfolge dreier Phasen charakterisiert:
lung von Lerngelegenheiten und -hilfen und Es beginnt mit einer Konfrontationsphase, in
die subtile Begleitung des Entdeckungspro- der die Lehrperson ein neuartiges Problem
zesses erfordern ein besonderes professionel- präsentiert, wird dann fortgesetzt mit der
les Geschick. Insbesondere kommt es darauf eigentlichen Entdeckungsphase, in der die
an, vorab angemessene Probleme auszuwäh- Lernenden aktiv und eigenständig an der
len, die Schüler durch anspruchsvolle und Problemlösung arbeiten und endet schließ-
spannende Aufgaben überhaupt zur Selbst- lich mit einer Auflösungs- oder Präsentati-
tätigkeit zu motivieren, der möglichen Ver- onsphase, in der die selbständig oder ge-
festigung von Fehlkonzepten während des meinsam erarbeiteten Problemlösungen dar-
Entdeckungslernens frühzeitig gegenzusteu-

Fokus: Konfrontation mit einem Problem


Das Problem
Bereits im 17. Jahrhundert beschäftigte man sich mit der Frage, wie der Wasseraustausch
zwischen Mittelmeer und Atlantik durch die Straße von Gibraltar vonstattengehe. In
Seefahrerkreisen war nämlich bekannt, dass ein starker Einstrom aus dem Atlantik die
Durchfahrt in westlicher Richtung erschwerte. Unklar blieb, wie sich das Mittelmeer dieses
zufließenden Wassers wieder entledigte. Denn die einströmende Wassermenge von einer
Million Kubikmeter pro Sekunde würde den Spiegel des Mittelmeeres pro Jahr um zehn
Meter steigen lassen. Gibt es einen »zweiten« Abfluss? Verdunstet das Mittelmeerwasser?
Die Rolle der Lehrenden
Den Lernenden dabei helfen, geeignete Lösungsgedanken aus ihrem Wissen abzurufen. Der
Lehrende kennt die Lösung, kennt auch die Elemente, die auf den Schritten des Lösungs-
prozesses benötigt werden. Er gibt Zusatzinformationen (minimale Hilfen). Statt die
Lösung mitzuteilen, lässt er die Lernenden selbst die Lösung finden. Er antwortet auf
Fragen.
Die Lösung
Einen zweiten Abfluss gibt es nicht, und die höhere Verdunstung reicht bei weitem nicht aus,
um den Zufluss aus dem Atlantik zu kompensieren. Also muss das Wasser in irgendeiner
Form in den Atlantik zurückfließen. Das geschieht durch einen starken Unterstrom.
Ursächlich für den Wasseraustausch ist der Dichteunterschied zwischen Atlantik- und
Mittelmeerwasser. Weil die mittlere Verdunstungsrate über dem relativ warmen Mittelmeer
größer ist als über dem Atlantik, ist Mittelmeerwasser salzhaltiger und wiegt pro Kubik-
meter etwa zwei Kilogramm mehr als Atlantikwasser an der Oberfläche. Es sinkt unter dem
Einfluss der Schwerkraft auf der westlichen Seite der Schwelle von Gibraltar in das

289
Teil II Lehren

Atlantikbecken ab, bis es in einer Tiefe von rund 1000 Metern das ihm entsprechende
Dichteniveau erreicht. Wegen der abnehmenden Temperatur nimmt die Dichte von Meer-
wasser mit zunehmender Tiefe zu. Zum Ausgleich dafür strömt an der Oberfläche (und
mithin für die Seefahrer zu beobachten) spezifisch leichteres Atlantikwasser ins Mittelmeer.
(Problemstellung nach einer Vorlage von Käse und Zenk, 1993)

gestellt, erprobt und diskutiert werden (Ha- Bruner war Ende der 1950er Jahre in Ame-
meyer & Rößer, 2008). rika einer der Wegbereiter der Kognitiven
Auch für die Schülerinnen und Schüler ist Wende in der Psychologie, die eine Abkehr
das entdeckende Lernen kein Kinderspiel. von den behavioristischen Konditionie-
Die induktiv-konstruktiven Denkprozesse rungstheorien des Lernens einleitete. Die
– also das selbständige Erkennen einer Regel auf den sogenannten Sputnik-Schock in
oder eines Zusammenhangs – stellen nicht den 1960er Jahren folgende Bildungsoffen-
nur höhere Anforderungen an den kogniti- sive in den USA hat er durch seine Arbeiten
ven Apparat, als es beim rezeptiven Lernen entscheidend mitgeprägt. »Schockiert« war
der Fall ist. Sie sind auch mit mehr Anstren- die amerikanische Öffentlichkeit im Jahre
gungen und Zeitaufwand verbunden. Ent- 1957 deshalb, weil es im Zeitalter des Wett-
decker probieren etwas aus. Sie bedienen bewerbs der politischen Systeme der dama-
sich dabei der vorhandenen Hilfsmittel ligen Sowjetunion (und eben nicht den USA)
und des Vorwissens, das sie bereits besitzen. zuerst gelungen war, einen Satelliten in einer
Vor allem aber bedienen sie sich ihres eige- Erdumlaufbahn erfolgreich zu platzieren.
nen Verstandes. Durch Nachdenken und Die Debatte um die Qualität schulischen
Ausprobieren gelangen sie so zu neuen Ein- Lernens und die Effizienz des Bildungssys-
sichten, indem sie Elemente einer gegebenen tems im Allgemeinen und über die Vorzüge
Situation umordnen und damit über das des entdeckenden Lernens im Besonderen –
Gegebene hinausgehen. Natürlich ist das vor allem im Hinblick auf die technologisch-
entdeckende Lernen letztendlich auch nur naturwissenschaftlichen Inhalte – hatte hier
ein Entdecken aus zweiter Hand, also ein ihren gesellschaftspolitischen Ausgangs-
»Nach-Entdecken« (Terhart, 2000). Aber es punkt. Verbunden war sie von Anfang an
ist ein verstehend-konstruktives Nach-Ent- mit der Zielvorstellung, Verbesserungen im
decken, welches ein hohes Maß an Eigen- Bildungswesen herbeizuführen (Lutkehaus
tätigkeit und aktiver Auseinandersetzung & Greenfield, 2003; Roeder, 2002). Ent-
erforderlich macht. deckendes Lernen, so versprach Bruner da-
mals sinngemäß, werde den Erfordernissen
der modernen Wissensgesellschaft besser ge-
Bruners Beitrag recht, weil beim Entdeckungslernen über das
(leicht vergängliche) Sachwissen hinaus spe-
Der Begriff des Entdeckungslernens geht zifische Strategien und allgemeine Heuristi-
auf den amerikanischen Psychologen Jero- ken des Problemlösens erworben würden,
me Bruner (1961; 1966) zurück. Bruner die auf viele zukünftige Problemsituationen
steht dabei in der reformpädagogischen in flexibler Weise anwendbar seien.
Tradition John Deweys und ist beeinflusst Meiner Meinung nach kann man nur durch
von der strukturalistischen Theorie Piagets Üben des Problemlösens und dadurch, dass
und der sozio-kulturellen Theorie Wygots- man sich um Entdeckung bemüht, die heuris-
kis (䉴 Kap. 5.1). tischen Methoden der Entdeckung lernen; je

290
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

mehr man geübt ist, umso eher wird man das deckung der Problemlösungen begleitet (ge-
Gelernte zu einem Problemlösungs- oder Fra- lenktes Entdeckenlassen). Bruners Grund-
gestil verallgemeinern können, der sich auf jede
oder fast jede angetroffene Aufgabenart an-
idee ist dabei die des Lernens durch Induk-
wenden lässt. (Bruner, 1961/1973, S. 26) tion: das Schlussfolgern aufgrund von
Einzelinformationen, die neu zusammenge-
Man erkennt hier unschwer die Wiederkehr fügt werden, das Erkennen von Zusammen-
der alten Idee von der formalen Bildung und hängen, die zuvor verborgen waren, das
das Desiderat des (horizontalen) Lerntrans- Transzendieren des bereits Bekannten. Von
fers, die seit Thorndikes Zeiten die Pädago- den Lernenden fordert dies ein aktives, selb-
gische Psychologie immer wieder beschäftigt ständiges und erkundendes Lernverhalten
haben (䉴 Kap. 3.3). Wie aber lässt sich die ein. Triebfeder solcher Selbsttätigkeit ist
allgemeine Problemlösefähigkeit im Unter- die natürliche Neugier der Schülerinnen
richt einüben? Bruner würde die folgende und Schüler; sie gilt es nutzbar zu machen.
Antwort geben: indem man geeignete (also Wie müssen die Lernarrangements gestaltet
authentische, realistische und spannende) werden, um solchen Wissensdrang auszulö-
Probleme vorgibt und indem man die Schüle- sen, und welche pädagogischen Maßnahmen
rinnen und Schüler behutsam bei der Ent- fördern die selbstinitiierten Lerntätigkeiten?

Fokus: Offener Unterricht


In Abgrenzung zu den lehrergelenkten Methoden der Direkten Instruktion wird in der
Pädagogik oftmals der Begriff des »offenen Unterrichts« oder der »offenen Methoden«
verwendet, wenn es um das entdeckende und problemorientierte Lernen geht. Offen ist die
Lehr-Lern-Situation dabei insofern, als unterschiedliche Wege der Zielerreichung sowie
unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten und -abfolgen für solchen Unterricht charakte-
ristisch sind. Offene Methoden setzen auf die Selbsttätigkeit der Lernenden und auf ihre
Eigeninitiative. Beispiele für offene Methoden sind die Stationen- und die Wochenplan-
arbeit, die Freiarbeit oder auch die Arbeit an einem Unterrichtsprojekt (Hegele, 2008;
Vaupel, 2008). Auch wenn sie sich in ihrer konkreten Ausgestaltung voneinander unter-
scheiden – gemeinsam ist den offenen Unterrichtsformen ihre Ausrichtung an den Prinzipien
der Differenzierung, Individualisierung und Selbsttätigkeit (Brügelmann, 1998).

Wenn es um die didaktische Umsetzung des Instruktion« und der »situierten Konstruk-
Entdeckungslernens geht, wird häufig der tion« hervorgehoben und eine unnötige Kon-
Begriff des »problemorientierten Unter- trastierung auf diese Weise vermieden wird.
richts« gebraucht (Terhart, 2000). Oftmals Zu den in diesem Sinne pragmatisch-pro-
ist auch der unschärfere Begriff des »offenen blemorientierten Lernumgebungen zählen
Unterrichts« zu finden. Reinmann-Rothmei- Reinmann und Mandl (2006) bewährte in-
er und Mandl (1998) schlagen vor, den Be- struktionale Vorgehensweisen wie die Me-
griff der Problemorientierung als pragma- thode der Verstehensanker, das Lernen durch
tisch-verbindende Klammer zwischen den Lösungsbeispiele und das fall- oder projekt-
konstruktivistischen und den kognitivisti- basierte Lernen. Sie werden im weiteren Ver-
schen Lehr-Lern-Modellen zu verwenden. lauf dieses Kapitels noch beschrieben. Zuvor
Das hat den Vorteil, dass die nützliche Kom- soll jedoch auf die Vorbehalte gegen Bruners
plementarität der »gegenstandsorientierten Ansichten eingegangen werden.

291
Teil II Lehren

Fokus: Die Ausubel-Bruner-Kontroverse


Man kann die Kritik des Entdeckungslernens leicht personalisieren, indem man auf die
intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen Jerome Bruner und David Aus-
ubel verweist. Die Debatte zwischen Bruner und Ausubel liegt zwar einige Jahrzehnte
zurück; in ihrer exemplarischen Zuspitzung trägt sie jedoch auch heute noch zum besseren
Verständnis der entdeckenlassenden im Vergleich zur darbietenden Unterrichtsphilosophie
bei. Die Kontroverse ist in der von Neber (1981) herausgegebenen Textsammlung in
deutscher Übersetzung dokumentiert.
Ausubel kritisiert das dem entdeckenden Lernen zugrunde liegende Menschenbild als
übertrieben optimistisch. Dabei könnten die meisten Lernenden alle Konzepte und
Prinzipien, die sie beim Entdeckungslernen zeitaufwendig und fehleranfällig entdecken
müssten, fehlerfrei und in wesentlich kürzerer Zeit sinnvoller erlernen – nämlich durch das
darbietende Lehren.
Ausubel und Bruner fokussieren allerdings unterschiedliche Aspekte des Lernens: Bruner
geht es um den Prozess des Verstehens, Ausubel um das Produkt der Wissensaneignung, also
um das Lernergebnis. Während für Bruner die intrinsische Motivation, die Lernfreude und
die Neugier den Wissensaufbau konstruktiv vorantreiben und den Lernprozess struktu-
rieren, ist für Ausubel die organisierende und lenkende Rolle der Lehrperson beim
darstellenden Lehren konstitutiv. Vor allem für die leistungsschwächeren Schüler, so
Ausubel, setzt der Aufbau einer soliden Wissensstruktur notwendigerweise die Vorstruk-
turierung der Wissensinhalte durch darstellende Verfahren voraus. Wenn solche Strukturen
fehlten, müssten die Lernversuche scheitern. Im Kern kreist die Auseinandersetzung
zwischen Bruner und Ausubel also um die Frage, ob der Aufbau der angezielten Wissens-
strukturen allein der Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler überlassen bleiben kann,
oder ob und in welchem Maße Organisationshilfen gegeben werden müssen.
Ausubel wechselt von der wissenschaftlichen auf die bildungs- und gesellschaftspolitische
Ebene, wenn er die Befürworter der Entdeckungsmethode pauschal dem liberalen »Lager
der progressiven Erziehung« und des »kritischen Denkens« zuordnet und wenn er von einer
»primitiven Mystifizierung« der direkten Erfahrung und der autonom erzielten Einsicht
spricht. In Abgrenzung zu Bruners idealistischen Bildungsvorstellungen sieht sich Ausubel
selbst als pragmatischen Realisten, aber auch als Anwalt der weniger lernfähigen Schüler.
Denn die Vernachlässigung des stoffinhaltlichen Lernens beim Entdeckungslernen und die
Dominanz der entdeckenlassenden Methode über die fachlich inhaltliche Systematik
benachteilige stets die Lernschwächeren.

Ausubels Kritik an Bruner lässt sich leicht de. Zudem bestehe die Gefahr, dass beim
zusammenfassen: Das reine Entdeckungsler- Entdeckungslernen unangemessene Strate-
nen (Pure Discovery) sei ineffizient, weil gien des Problemlösens erworben und sach-
zeitraubend, diskriminierend, weil es die inhaltliche Fehlkonzepte ausgebildet wür-
Lernschwächeren systematisch benachtei- den.
lige und in der Sache unverantwortlich, Richard Mayer bringt aus heutiger Sicht
weil die Vermittlung materialer Wissens- die folgenden Argumente gegen das reine
inhalte zugunsten des Erwerbs formaler Entdeckungslernen vor: (1) dass es beim
Schlüsselqualifikationen vernachlässigt wer- selbsttätig-aktiven Lernen nur auf die kogni-

292
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

tiven Aktivitäten und nicht auf die Erkun- Lernen durch Problemlösen. Klassische ko-
dungsaktivitäten auf der Verhaltensebene gnitionspsychologische Phasenmodelle, die
(Hands-on-Activity) ankomme und (2) den Erwerb von Wissen und von Fertigkeiten
dass erfolgreiche Problemlösestrategien beschreiben (Anderson, 1982; Shuell, 1990),
nachweislich besser durch tutorielle Hilfen lassen durchaus Raum für lehrergesteuerte
und durch gezielte Anleitung erworben wer- und für entdeckenlassende Lehrtätigkeiten.
den als selbständig entdeckt. Erstaunlich Konkret befördern lässt sich das problem-
eigentlich, so Mayer (2004), dass die Idee lösende Entdeckungslernen vor allem über
des reinen Entdeckungslernens weiterhin so das Induzieren kognitiver Konflikte, wie sie
viel Zuspruch finde. etwa durch die Präsentation unerwarteter,
kontraintuitiver oder widersprüchlicher Er-
Wie ein Zombie, der immer wieder aus der gebnisse im Rahmen eines naturwissen-
Gruft steigt, findet das reine Entdeckungsler-
nen stets neue Fürsprecher. Wem aber an evi- schaftlichen Experiments ausgelöst werden
denzbasierten Unterrichtsmethoden gelegen können (z. B. Chinn & Brewer, 1993). Dass
ist, muss sich die folgende Frage stellen: Gibt es dabei vorteilhaft und sogar notwendig
es empirische Belege dafür, dass das Ent- sein wird, nach dem Prinzip des gelenkten
deckungslernen tatsächlich funktioniert? Seit
Entdeckenlassens vorzugehen, ist immer
einigen Jahrzehnten wird nach solchen Belegen
erfolglos gesucht. (Mayer, 2004 a, S. 17) wieder betont worden: unterstützende Hil-
fen anbieten, Lösungsstrategien modellie-
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ren, zusätzlich direkte Erklärungen geben
die entdeckenlassenden Verfahren offenbar und Problemaufgaben unterschiedlicher
einer behutsamen Lenkungskomponente be- Schwierigkeit bereitstellen (Mayer, 2004 a;
dürfen (Guided Discovery), um ihr Potenzial Neber, 1997).
zu entfalten (Alfieri, Brooks, Aldrich &
Tenenbaum, 2011). Das sah im Übrigen Lernen durch Beispiele. Bruners lerntheore-
auch Bruner schon so. Sind die Anforderun- tische Grundidee war eigentlich entdecken-
gen nicht zu hoch und werden die notwen- des Lernen als induktive Begriffsbildung
digen Hilfen und Anleitungen zur Problem- durch die Abstraktion von Merkmalen aus
lösung bereitgestellt, dann kann sich das Einzelbeispielen. Im Folgenden sind jedoch
entdeckende Lernen erfolgreich bewähren. andere Formen der Verwendung von Beispie-
Einige Grundformen des in diesem Sinne len gemeint. Zum einen werden Beispiele als
geleiteten entdeckenlassenden Lehrens wer- »exemplarische Fälle« verwendet, die sich
den im Folgenden vorgestellt. verallgemeinern lassen. Solcherart »fall-
basiertes Lernen« wird seit jeher in der be-
ruflichen Ausbildung von Medizinern oder
Grundformen entdeckenden Juristen eingesetzt (z. B. Gräsel, 1997), aber
Lernens auch zur Wissensvermittlung in der Mathe-
matik und in den Naturwissenschaften und
Neber (1999 a, 2010) unterscheidet drei ty- in der kaufmännischen Ausbildung (z. B.
pische Formen instruktionalen Vorgehens, in Neber, 1997, 2010; Stark, Gruber, Renkl
denen zentrale Prinzipien des entdeckenden & Mandl, 2000). Zum anderen gibt es
Lernens verwirklicht sind: (1) das problem- eine Tradition der Verwendung sogenannter
basierte bzw. das problemlösende Lernen, (2) ausgearbeiteter Lösungsbeispiele (Beispiellö-
das nachahmende Lernen bzw. das Lernen sungen). Dabei werden vollständig explizier-
mit ausgearbeiteten Lösungsbeispielen und te Lösungsbeispiele (Worked-out Examples),
(3) das selbständig erkundende Lernen durch zur Bearbeitung vorgegeben (Reimann,
freies Explorieren und Experimentieren. 1997; Renkl & Atkinson, 2003; Renkl,

293
Teil II Lehren

2011). Ein wesentlicher Vorteil gegenüber timieren (z. B. O’Reilly, Symons & MacLat-
dem induktiv-problemlösenden Lernen chy-Gaudet, 1998; Renkl, 1999; Stark,
wird vor allem in der geringeren Belastung 1999). Ob das Lernen aus Lösungsbeispielen
des Arbeitsgedächtnisses gesehen (z. B. Tuo- allerdings überhaupt noch zu den entdecken-
vinen & Sweller, 1999; 䉴 Kap. 7.5). Entschei- lassend-problemorientierten Verfahren ge-
dend für die wissensgenerierende Wirksam- hört oder wegen seiner sichtbar-darbieten-
keit von Lösungsbeispielen ist allerdings die den Komponente bereits eine »Kompromiss-
Qualität der »Selbsterklärungen«, die sie form des Lehrens« (Klauer & Leutner, 2007)
auslösen (Fonseca & Chi, 2011). darstellt, wird kontrovers eingeschätzt. Das
Gleiche gilt auch für andere Verfahren, die
auf Mischformen des darbietenden und des
Fokus: Selbsterklärungen
entdeckenlassenden Lehrens setzen, wie die
Beim Lernen mit (ausgearbeiteten) Lö- kognitive Meisterlehre, die Methode der
sungsbeispielen ist die Qualität der gene- Verstehensanker oder das wechselseitige (re-
rierten Selbsterklärungen entscheidend. ziproke) Unterweisen.
Werden Lösungsbeispiele nämlich nur
passiv und oberflächlich verarbeitet, Lernen durch Explorieren und Experimen-
d. h. nur flüchtig nachvollzogen, dann tieren. Für die Inhaltsdomäne Physik haben
sind sie wenig lernwirksam. Um aus bei- White und Frederiksen (1998) einen soge-
spielhaft bereits gelösten Aufgaben effek- nannten Fragezirkel vorgestellt, der geeignet
tiv lernen zu können, müssen die Lernen- sein soll, explorierendes Lernen zu beför-
den aktiv sogenannte Elaborationsstrate- dern:
gien anwenden, um sich die Aufgaben
selbst zu erklären, d. h. sie müssen über ● Eine Frage formulieren
das in der Aufgabe Gegebene hinaus ● Hypothesen aufstellen (ein Ergebnis
Inferenzen ziehen, Zusammenhänge er- prognostizieren)
kennen und den gesamten Verstehenspro- ● Ein Experiment durchführen (häufig über
zess metakognitiv überwachen. Erst sol- eine Computersimulation)
che Selbsterklärungen bewirken eine ak- ● Anhand der Ergebnisse eine Gesetz-
tive Verarbeitung von Lösungsbeispielen. mäßigkeit erkennen
Selbsterklärungen können durch Anlei- ● Die entdeckte Gesetzmäßigkeit auf ande-
tungen und Übungen zur Verbalisierung re Situationen anwenden
gefördert werden. Stark (1999) hat vor-
geschlagen, unvollständige Lösungsbei- Durch solche fragend-erkundenden Aktivi-
spiele zu verwenden, um der Gefahr eines täten wird neues Wissen aktiv generiert.
passiv-rezeptiven und oberflächlichen Wichtig ist die begleitende Selbstverbalisie-
Lernens zu begegnen. rung, um die Denkprozesse explizit zu ma-
chen und um eine Fokussierung der meta-
kognitiven Kontrollfunktionen des Wissens-
Die direkte Förderung und instruktionale aufbaus zu ermöglichen. Beides zusammen,
Unterstützung der Qualität von Selbsterklä- das Generieren und das metakognitive Kon-
rungen ist vorteilhaft, bei Lernschwächeren trollieren, bezeichnet Neber (1999 a, 1999 b)
sogar notwendig, damit aus Lösungsbeispie- als »epistemische«, also erkenntnisförderli-
len gelernt werden kann. Aber auch über die che Lernaktivitäten. Eine Anleitung zum
konkrete Gestaltung der Lösungsbeispiele epistemischen Fragen hat er am Beispiel
und über die Art ihrer medialen Präsentation der Inhaltsdomäne des Geschichtsunter-
lassen sich die lernförderlichen Effekte op- richts beschrieben.

294
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

kooperativen Fragens (䉴 Kap. 6.3). Die Me-


Studie: Epistemisches Fragen thode beruht darauf, dass in der Erarbei-
Fragestellung tungsphase allgemeine Fragenformate (soge-
Wenn Selbstbefragungen zur Förderung nannte Fragenstämme) verwendet werden,
des Wissenserwerbs eingesetzt werden, die sich leicht zu konkreten Fragen vervoll-
nennt man das »epistemisches Fragen«. ständigen lassen. Man geht davon aus, dass
Durch epistemische Fragen wird aber dies eine elaborative Informationsverarbei-
nicht nur der Aufbau inhaltlichen Wis- tung befördert. Formal zielen die Fragen-
sens erleichtert (Generierungsfunktion), stämme auf das Generieren interner und
sondern es wird darüber hinaus die Fä- externer Verknüpfungen in Bezug auf die
higkeit zur metakognitiven Steuerung des neu präsentierten Lerninhalte:
eigenen Lernprozesses gefördert (Kon-
trollfunktion). Neber (1999 a) hat sich ● Was wäre ein Beispiel für . . .?
die Frage gestellt, ob sich der Wissens- ● Worin unterscheiden sich . . .?
aufbau besser durch ein Generierungs- ● Was würde passieren, wenn . . .?
training oder durch ein Prozesskontroll- ● Erkläre, warum . . .!
training fördern lässt.
King hat zeigen können, dass ein solches
Methode Fragetraining zu einer intensiveren Informa-
Im Geschichtsunterricht zweier Gymna- tionsverarbeitung und zu besseren Verste-
sialklassen wird das epistemische Schüler- hens- und Behaltensleistungen führt (King,
fragen trainiert. In der einen Klasse wird 1991, 1994). Ob auf eine Frage in einer
ein (metakognitives) Prozesskontrolltrai- Lerngruppe richtig oder falsch geantwortet
ning durch die Vermittlung sogenannter wurde, war dabei gar nicht so entscheidend:
Fragestämme in Anlehnung an King Allein das Formulieren von Fragen führte
(1991) realisiert (z. B. »Ich wollte wissen, schon zu einer in höherem Maße elaborati-
. . .«; »Beim Lernen habe ich darüber ven Informationsverarbeitung.
nachgedacht, . . .«). In der anderen Klasse Das Lernen durch Explorieren und Ex-
wird ein Generierungstraining realisiert perimentieren wird oftmals auch als Inquiry-
(z. B. durch Fragen wie: »Was ermöglich- Based Learning (IBL) bezeichnet oder als
te . . .?«, »In welcher Absicht . . .?«). Der Lehrmethode des Inquiry-Based Teaching
Wissenszuwachs der Schüler wird über (IBT; Loyens & Rikers, 2011). Es gibt un-
ihre Leistungen in Aufsätzen (offenes terschiedliche Ausgestaltungen der fragend-
Format) und durch einen Wissenstest erkundenden Methoden, die sich vor allem
im geschlossenen Format erfasst. im Ausmaß ihrer Lenkungskomponente un-
Ergebnisse terscheiden. Beim strukturierten Explorieren
Das Training des wissensgenerierenden wird z. B. eine konkrete Fragestellung vor-
epistemischen Fragens führte zu ver- gegeben (Beispiel: In welcher Weise ver-
gleichsweise besseren Lern- und Behal- ändern sich Form und Position des von
tensleistungen. Vor allem ist die Qualität der Erde aus sichtbaren Mondes im Verlauf
der Erklärungen in den Aufsätzen besser eines Monats?) und es werden geeignete
als in der Gruppe, die das Prozesskon- Vorgehensweisen, die zur Antwort führen
trolltraining erhielt. sollen, skizziert (Beispiel: Regelmäßige Be-
obachtungen zur gleichen Tageszeit durch-
führen und darüber ein Protokoll anfer-
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Alison King tigen). Beim gelenkten Explorieren wird
(1991, 1994) mit der Methode des gelenkten nur die Frage präsentiert, ohne auf die zur

295
Teil II Lehren

Beantwortung benötigten Erkundungspro- hierzu ist uneinheitlich (vgl. McDaniel &


zeduren zu verweisen (Beispiel: Warum reg- Schlager, 1990; Neber, 1981; Hattie, 2009).
net es?), während beim offenen (authenti- Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass die
schen) Explorieren die Schülerinnen und Entdeckungsmethode eher das längerfristige
Schüler sowohl herausfinden müssen, wel- als das kurzzeitige Behalten befördert (z. B.
ches die relevanten Fragen sind als auch wie Worthen, 1973). Außerdem gibt es Hinweise
sie eine Antwort darauf finden können. auf differenzielle Effekte: Die leistungs-
Die meisten empirischen Studien zu den schwächeren und die jüngeren Schülerinnen
Inquiry-Methoden wurden in naturwissen- und Schüler bedürfen einer stärkeren Len-
schaftlichen Wissensdomänen durchgeführt, kungskomponente, wenn das Entdeckungs-
die Ergebnisse sind allerdings uneinheitlich. lernen gelingen soll (Hardy, Jonen, Möller &
Hattie (2009) berichtet zusammenfassend Stern, 2006; Hardy & Stern, 2011; Heller &
nur geringe bis mittlere Effektstärken. Loy- Hany, 1996; Neber, 1996; Swanson, 1999).
ens und Rikers (2011) berichten, dass die Größere Effekte sind jedenfalls zu erwarten,
fragend-erkundenden Methoden dann grö- wenn die Methoden einen höheren Struktu-
ßere Effekte erzielen, wenn sie mit einer rierungsgrad aufweisen oder wenn es sich
ausgeprägteren Strukturierungskomponente um Mischformen darbietender und pro-
verbunden sind und dass die Effekte dann blemorientierter Verfahren handelt. Für
größer sind, wenn bereichsspezifisches Vor- das reziproke Lehren und Lernen (s. u.)
wissen bereits vorhanden ist. Für den pro- wird etwa eine Effektstärke von d = 0.74
blembasierten Unterricht in der medizi- berichtet und für das Lernen aus Lösungs-
nischen Ausbildung hat sich gezeigt, dass beispielen von d = 0.57 (Hattie, 2009).
er im Hinblick auf den Erwerb von Grund- Von den Vorteilen einer Mischform ent-
lagenwissen weniger vorteilhaft ist als im deckenlassender und darstellender Verfah-
Hinblick auf den Erwerb anwendungsbezo- ren berichten Schwartz und Bransford
genen klinischen Wissens (Dochy et al., (1998). Sie führten in einer quasi-experimen-
2003; Gijbels et al., 2005). Allerdings gibt tellen Versuchsanordnung 36 Studienanfän-
es sehr unterschiedliche Varianten des pro- ger in das Schema-Konzept der Kognitiven
blembasierten Vorgehens, die sich teilweise Psychologie ein, und zwar entweder (1)
deutlich voneinander unterscheiden (Loyens durch induktives Entdeckungslernen, (2)
& Rikers, 2011). durch den Gebrauch eines Lehrbuchs und
den Besuch einer Vorlesung oder (3) durch
eine Kombination beider Vorgehensweisen.
Fazit Die letztgenannte Mischform – Schwartz
und Bransford nennen sie »Entdeckendes
Dem entdeckenlassenden und problemori- Darbieten« – war den beiden anderen Vor-
entierten Lehren werden im Allgemeinen gehensweisen in ihrer Wirksamkeit über-
eine Reihe erwünschter inhaltsübergreifen- legen. Die größten Lerneffekte ließen sich
der Effekte zugeschrieben: Es fördere das erzielen, wenn durch eine vorgeschaltete
Neugierverhalten und die (intrinsische) Entdeckungsphase der Boden für das expo-
Lernmotivation, es unterstütze die Ausbil- sitorische Unterrichten – über einen Vortrag
dung metakognitiver Kompetenzen und es oder das Lehrbuch – bereitet wurde. Dieser
führe zum Erlernen generalisierter Problem- Synergieeffekt trat aber nur bei dieser Rei-
lösestrategien. Zudem soll es das Erreichen henfolge der Methoden auf.
der höherwertigen Lernziele, wie »Verste-
hen« und »Anwenden« begünstigen und
den Lerntransfer. Die empirische Befundlage

296
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Misch- und Kompromissformen anfänglich als Expertenmodell fungiert,


des Lehrens mehr und mehr aus dem Lehr-Lern-Prozess
zurückzieht, um den Schülerinnen und Schü-
lern ein zunehmend selbständiges Handeln
Als Alternativen zum Klassenunterricht sind und Problemlösen zu ermöglichen.
in der Tradition reformpädagogischer und Das Prinzip des kognitiven Lernens durch
konstruktivistischer Auffassungen Unter- angeleitete Partizipation, das dem Grund-
richtskonzepte und didaktische Vorgehens- modell des Ausbildungsverhältnisses Meis-
weisen entwickelt worden, die auf eine ter-Lehrling entspricht, ist von Collins et al.
Synthese der Fremd- und Selbststeuerungs- (1989) erstmals beschrieben worden. Dabei
anteile von Lernen setzen und dabei die hatten die Autoren weniger die Analogie zu
Selbsttätigkeit des Lerners mit einer unter- den gegenwärtigen Formen der gewerb-
stützenden Anleitungskomponente durch lichen oder kaufmännischen Ausbildung
die Lehrperson verbinden. In uneinheitlicher im Sinn, als vielmehr einen eher verklärten
Weise werden solche Mischkonzepte in den Blick auf den vermeintlich »natürlichen Ur-
einschlägigen Lehrbüchern entweder im zustand« des Lernens.
Kontext der darstellenden, der problemori- Die Meisterlehre ist die Art, auf die wir am
entierten oder der kooperativen Methoden natürlichsten lernen. Sie bestimmte das Lernen,
behandelt. Drei solche Kompromissformen bevor es Schulen gab, vom Erlernen der Spra-
des Lehrens (Klauer & Leutner, 2007) wer- che bis hin zum Regieren eines Königreichs
[. . .]. Vor allem in Lernumgebungen, in denen
den im Folgenden abschließend skizziert: (1)
individualisiert und sehr personalintensiv un-
die kognitive Meisterlehre, (2) das wechsel- terrichtet wird, wie beim Tennistraining, beim
seitige Lehren und (3) die Methode der Fremdsprachen-Lernen in einer Berlitz-Schule
Verstehensanker. oder bei der Ausbildung in medizinischer Di-
agnostik, werden Methoden der Meisterlehre
auch heute noch eingesetzt. Mit Hilfe der neuen
(1) Kognitive Meisterlehre (Cognitive Ap- Medien lassen sich Techniken des Modellierens
prenticeship Learning). Schüler lassen sich in und des angeleiteten Übens nunmehr in einer
gewisser Weise als Novizen oder Lehrlinge Weise optimieren, die diese Art zu lehren (die
betrachten und ihre Lehrer als Experten oder Meisterlehre), kostengünstig und effektiv ge-
staltet und somit einer breiteren Verwendung
Meister in der Wissensdomäne, in welcher
zuführen kann. (Collins et al., 1989, S. 491)
sie unterrichten. Das Prinzip der kognitiven
Meisterlehre überträgt das »Vormachen – Impulsgebend für die kognitive Meisterlehre
Nachmachen lassen« der klassischen Hand- waren vor allem die Fallberichte zu Lern-
werkslehre auf das kognitive schulische Ler- und Kommunikationsformen in vorindus-
nen. Mit dem Entdeckungslernen im eigent- triellen, nichtwestlichen Kulturen, wie sie
lichen Sinne hat die kognitive Meisterlehre beispielsweise den ethnographischen Arbei-
nur noch wenig zu tun – eher mit dem Lernen ten von Lave (1988) und Rogoff (1990) zu
durch Beobachtung und Nachahmung. Die entnehmen sind. Diese Studien weisen auf
Nähe zu den konstruktivistischen Ansätzen die zentrale Bedeutung des Handlungskon-
verdankt sie der Verwendung praxisnaher, texts und des sozialen Austauschs für den
authentischer Probleme und dem Prinzip der Wissenserwerb hin. So wird z. B. berichtet,
zunehmenden Teilhabe und Beteiligung der dass liberianische Schneider ihr Handwerk
Lernenden an einer Expertenkultur. Gelenk- praktisch ohne institutionalisierte Instrukti-
te Beobachtung, minimale Anleitung und on erlernen, nur durch einfache Partizipati-
konstruktive Unterstützung sind dabei die on am Produktionsprozess.
wichtigsten Prinzipien. Charakteristisch ist
auch, dass sich der kognitive Meister, der

297
Teil II Lehren

Der Schneiderlehrling beginnt damit, Arbeits- 1. Modellieren. Die Lehrperson führt die
schritte zu übernehmen, die relativ wenig spe- Lösung einer Aufgabe oder eines Pro-
zialisierte Fertigkeiten erfordern und, im Falle
des Scheiterns, nur ein geringes finanzielles
blems modellhaft in kompetenter Weise
Risiko beinhalten. Mit der Zeit wechselt er vor – sie demonstriert also eine neue
dann zu spezialisierteren, risikoreicheren und Fertigkeit. Wenn es dabei um Denkpro-
als wichtiger bewerteten Teilaufträgen. Wann zesse geht, wie z. B. das Verstehen eines
immer »Lernen« auftrat, war es mehr oder Textabschnitts, erfordert dies eine Exter-
weniger beiläufig während der gemeinsamen
Arbeit mit anderen in unterschiedlichen Phasen nalisierung der mentalen Prozesse durch
der Kleidungsproduktion entstanden und nicht begleitendes Verbalisieren. Der Kognitive
als Ergebnis einer isolierten instruktionalen Meister legt also seine Lernprozesse offen,
Lektion. (Bredo, 1997, S. 37) er zeigt, wie er lernstrategisch vorgeht.
Damit wird Gelegenheit zur Nach-
Lernen nach dem Modell der kognitiven ahmung geboten.
Meisterlehre knüpft als praxisnah angelei- 2. Angeleitetes Üben (Coaching). Nun muss
tetes, individualisiertes Lernen daran an. Es der Lernende die Aufgabe selbst ausfüh-
orientiert sich dabei an den beschriebenen ren oder lösen. Er wird dabei vom Leh-
Formen der Partizipation in einer Gemein- renden betreut und unterstützt. Die Un-
schaft praktisch tätiger Menschen. Rein- terstützung kann aus hilfreichen Hinwei-
mann und Mandl (2006) sprechen von der sen bestehen, aus Rückmeldungen über
»Einführung in eine Expertenkultur«. den Stand der erzielten Fortschritte und
Das didaktische Vorgehen bei der kogni- aus Erinnerungen daran, was noch zu tun
tiven Meisterlehre lässt sich als eine lehrer- bleibt.
gesteuerte Abfolge von Modellierung, An- 3. Lernhilfen und Lernsteuerung (Scaffol-
leitung und Unterstützung beschreiben so- ding and Fading). Zur Erleichterung des
wie als Förderung und Einforderung der individuellen Wissensaufbaus wird wäh-
Selbsttätigkeit – häufig geschieht dies unter renddessen ein sicherndes »Lerngerüst«
Nutzung moderner Medien oder Technolo- aufgebaut (Scaffolding). Vorübergehend
gien. Typischerweise wird bei der kognitiven kann der Lehrende die Bearbeitung von
Meisterlehre mit dem modellhaften De- Teilaufgaben, die noch zu schwierig sind,
monstrieren eines Denk- oder Problemlöse- auch vollständig selbst übernehmen. Das
prozesses durch den Meister-Lehrer begon- Lerngerüst erlaubt ein unterstütztes Er-
nen und der Lehrling wird zum Beobachten proben von Methoden und Strategien, die
angeleitet, gefolgt vom unterstützten und der Lernende noch nicht allein vollziehen
kontrollierten Nachahmenlassen. Dabei kann. Schrittweise werden die Hilfestel-
kommen instruktionale Techniken zum Ein- lungen wieder ausgeblendet (Fading) und
satz, die man als »Scaffolding« (Einrüsten) das Lerngerüst wird wieder abgebaut.
und »Fading« (Ausblenden) bezeichnet und 4. Artikulation. Weil Denkprozesse eigent-
die nichts anderes bedeuten, als dass ein lich unsichtbar sind, müssen sie sichtbar
helfendes Lerngerüst zunächst auf- und gemacht werden. Die Lernenden werden
dann schrittweise wieder abgebaut wird. aufgefordert, während der Aufgabenbear-
Mit anderen Worten: dass sich der »Kogni- beitung ihre Gedanken zu artikulieren;
tive Meister« beim Fortschreiten des Lern- gelegentlich werden dazu auch explizite
prozesses, den er anfänglich eng begleitet, Nachfragen gestellt. Nur so kann die Lehr-
sukzessive wieder zurückzieht. person etwas über die Angemessenheit des
Collins et al. (1989) haben das metho- internalen kognitiven Modells erfahren,
dische Vorgehen in einer Sequenz von sechs das beim Lernen entsteht. Wer sich seiner
Stufen wie folgt zusammengefasst: Denkprozesse selbst bewusst wird, wird

298
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

später in der Lage sein, selbständig stra- (2) Wechselseitiges Lehren (Reciprocal
tegische Entscheidungen zu treffen. Teaching). Die Methode des wechselseitigen,
5. Reflexion. Die Lernenden werden auf- rollentauschenden Lehrens ist eng mit den
gefordert, ihr eigenes lernmethodisches Prinzipien der kognitiven Meisterlehre ver-
Vorgehen – die kognitiven Strategien, knüpft. Ursprünglich ist das Verfahren für
die man eingesetzt hat – mit dem strate- lernschwache Schüler siebter Klassen zur
gischen Vorgehen der anderen Lernenden Erleichterung des Lernens aus Sachtexten
und dem Vorgehen des Kognitiven Meis- entwickelt worden (Palincsar & Brown,
ters zu vergleichen. Durch diesen Ver- 1984). Die beiden Autorinnen berufen sich
gleich wird eine neue Abstraktionsebene auf Wygotskis Theorie der Internalisierung
des Denkens erreicht. durch soziales Handeln – deshalb die Rol-
6. Exploration. Die Anregung, neue Proble- lenwechsel und strukturierten Interaktionen
me selbständig zu explorieren, beschließt zwischen den Schülern. Bei der Durchfüh-
den Unterrichtszyklus. rung der Methode müssen die Lernenden
untereinander kooperieren: Die Schüler
Beispiele für Trainingsprogramme, die nach übernehmen wechselseitig die Lehrer-Rolle,
den Prinzipien der Meisterlehre aufgebaut indem sie anderen Schülern Fragen stellen
sind, sind das »Reciprocal Teaching of oder das Gelesene zusammenfassen, sowie
Reading« von Palincsar und Brown (1984), die Schüler-Rolle, indem sie z. B. auf Fragen
das »Procedural Faciliation of Writing« von Anderer antworten. Im wiederholten Rol-
Scardamalia und Bereiter (1985) und das len- bzw. Funktionswechsel liegt das rezipro-
»Teaching Mathematical Problem Solving« ke Moment. Die Rollenwechsel allein rei-
von Schoenfeld (1985). Diese Programme, chen aber nicht aus. Als »kognitive Werk-
aber auch zahlreiche andere Ansätze, die sich zeuge« zum besseren Erarbeiten eines Textes
Elemente der Meisterlehre zu Eigen mach- werden eingangs die folgenden vier Strate-
ten, haben sich in Evaluationsstudien mitt- gien des Textverstehens eingeübt:
lerweile als wirksam erwiesen (Brown, 1997;
Rosenshine & Meister, 1994; zusammenfas- 1. Einen Text selbständig zusammenfassen
send: Gräsel, 1997; Stark, 1999; Hattie, (Sum)
2009; van de Pol, Volman & Beishuizen, 2. Fragen zum Text formulieren (Question)
2010). Das ist nicht überraschend, vereinen 3. Vorhersagen über den Fortgang machen
sie doch die bekanntermaßen wirksamen (Predict)
Merkmale direkter Instruktion mit den Vor- 4. Das Gelesene erklären (Clarify)
teilen des selbsttätigen, nachahmenden und
sozialen Lernens.

Fokus: Wechselseitiges Lehren (Reciprocal Teaching)


Die Methode des wechselseitigen Lehrens beginnt damit, dass eine kompetente Lehrperson
in den korrekten Gebrauch der vier wichtigsten Strategien des Textverstehens (s. o.)
einführt. Idealerweise geschieht dies modellhaft, wie am Beispiel der kognitiven Meister-
lehre bereits beschrieben. In der Folge hält sich die Lehrperson (LP) im Hintergrund, steht
für Hilfen und Beratung zur Verfügung und greift nur ein, wenn es notwendig ist. Brown
und Palincsar illustrieren den Ablauf der Methode anhand eines Dialogs, der hier in
Ausschnitten wiedergegeben wird. Welcher Schüler die Lehrer- und welcher die Schülerrolle
übernommen hat, ist entsprechend kenntlich gemacht (L und S).

299
Teil II Lehren

Alle Schülerinnen und Schüler haben eingangs einen kurzen Textabschnitt folgenden Inhalts
gelesen: »In den Vereinigten Staaten wird Salz auf dreierlei Weise gewonnen: Verdunstung
durch die Sonne, Abbau aus Salzminen und Verdunstung durch künstliche Hitze. Um Salz
durch Sonneneinstrahlung zu gewinnen, muss das Wetter heiß und trocken sein. Deshalb
wird dieses solare Salz in den tropenähnlichen Gegenden an unseren südlichen Küsten und
am Great Salt Lake gewonnen.«
Schüler C (L): »Nenne drei verschiedene Methoden, wie Salz produziert wird.«
Schüler A (S): »Verdunstung, Abbau aus Salzminen, Verdunstung . . . Verdunstung durch
künstliche Hitze.«
Schüler C (L): »Korrekt, sehr gut. Meine Zusammenfassung dieses Abschnitts geht über die
drei Methoden, wie Salz produziert wird.«
Lehrperson (LP): »Sehr gut. Kannst du den nächsten Lehrer auswählen!« (Schüler C wählt
Schüler U aus, der mit dem Textvorlesen fortfährt.) »Die zweitälteste Form der Salz-
produktion ist der Abbau aus Salzminen. Im Gegensatz zu frühen Methoden, die die Arbeit
extrem gefährlich und schwierig machten, werden heute spezielle Maschinen verwendet
und die Arbeit in Salzminen ist einfacher und sicherer geworden. Der alte Ausdruck ›zurück
in die Salzmine‹ passt heute eigentlich nicht mehr.«
Schüler U (L): »Nenne zwei Begriffe, die früher gebräuchlich waren, um die Arbeit in
Salzminen zu beschreiben.«
Schüler K (S): »Zurück in die Salzmine?«
Schüler U (L): »Nein. Angela?«
Schüler A (S): »Gefährlich und schwierig.«
Schüler U (L): »Richtig. Dieser Abschnitt geht über einen Vergleich zwischen den alten
Salzminen und dem heutigem Salzabbau.«
Lehrperson (LP): »Sehr schön!«
Schüler U (L): »Ich habe eine Vorhersage.«
Lehrperson (LP): »Gut.«
Schüler U (L): »Ich glaube, der Text könnte so weitergehen, dass beschrieben wird, wie das
Salz erstmals entdeckt wurde, und dann, woraus Salz besteht und dann, wie es entsteht.«
Lehrperson (LP): »O. K. Können wir einen anderen Lehrer wählen?«
»Speisesalz wird durch die dritte Methode gewonnen, die künstliche Verdunstung. In ein
unterirdisches Salzbett wird Wasser gepumpt, um das Salz aufzulösen und eine Lake
herzustellen, die an die Oberfläche gebracht wird. Nach der Reinigung bei hohen
Temperaturen ist das Salz fertig für unseren Tisch.«
Schüler K (L): »Nach der Reinigung bei hohen Temperaturen ist das Salz fertig für was?«
Schüler C (S): »Unseren Tisch.«
Schüler K (L): »Das stimmt. Zum Zusammenfassen: Nach der Reinigung kommt das Salz
auf unsere Tische.«
Lehrperson (LP): »Das war sehr schön, Ken, und ich finde eure Arbeit sehr gut, aber ich
glaube da gehört noch etwas anderes in unsere Zusammenfassung. Es gibt noch mehr
wichtige Informationen, die wir einbeziehen sollten . . ..«
(nach Brown & Palincsar, 1989, S. 421)

300
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Rosenshine und Meister (1994) haben eine (2009) fasst die Ergebnisse zweier Metaa-
erste Metaanalyse zum wechselseitigen Leh- nalysen zusammen, die eine Effektstärke von
ren vorgelegt, in der zwischen Studien mit d = 0.74 für das reziproke Lehren ermittelten
und ohne vorherige explizite Modellierung – die Methode erreicht damit einen Platz
der Strategien des Textverstehens durch die unter seinen Top Ten wirksamer Lehrmetho-
Lehrperson unterschieden wurde. Bei einer den. Die Wirksamkeit des Reciprocal Tea-
mittleren Effektstärke von d = 0.32 bei Ein- ching wird auf die gelungene Verknüpfung
satz standardisierter und von d = 0.88 bei von strategischen und metastrategischen
Einsatz selbst konstruierter Testverfahren Elementen und auf die Verbindung von ko-
zur Erfolgsmessung zeigten sich erwartungs- gnitivem Modellieren, Einüben und Selbst-
gemäß größere Effekte nach vorherigem tätigkeit zurückgeführt.
Modellieren der vier Strategien. Hattie

Fokus: Polyas Problemlösestrategien


Auf George Polya (1957) und Alan Schoenfeld (1985) geht die Vermittlung heuristischer
Strategien zum Lösen mathematischer Probleme zurück. Eine Metaanalyse von Hembree
(1992) und eine vergleichbare Literaturanalyse von Burkell, Schneider und Pressley (1990)
haben gezeigt, dass den meisten Problemlösetrainings Polyas vier Prinzipien zugrunde
liegen – auch wenn sich die wenigsten Autoren explizit auf ihn beziehen. Im Folgenden wird
eine für den Grundschulbereich adaptierte Version von Polyas Allgemeinen Problemlöse-
strategien dargestellt (nach Burkell et al., 1990; leicht gekürzt).
1. Verstehe die Aufgabe (das Problem)!
● Lies die Aufgabe langsam und sorgfältig, identifiziere genau, wonach gefragt wird.

● Identifiziere wichtige Informationen, vielleicht indem du eine Liste oder Tabelle

erstellst.
● Definiere die Bedingungen in der Aufgabe.

● Paraphrasiere die Problemstellung.

● Bilde eine Repräsentation der Problemstellung, z. B. durch das Anfertigen eines

Diagramms oder einer Zeichnung.


2. Entwirf einen Plan zur Lösung der Aufgabe!
● Setze die Aufgabe in Bezug zu Aufgaben, die du schon kennst.

● Identifiziere ein vertrautes Muster in der Aufgabe, das du schon in früheren Aufgaben

gesehen hast.
● Entwickle eine Vermutung (Hypothese) über die Aufgabenstellung und über mögliche

Lösungen.
● Versuche einen Teil der Aufgabe zu lösen.

● Versuche eine verwandte Aufgabe zu lösen.

3. Führe deinen Plan aus!


4. Schau zurück!
● Überprüfe deine Antwort, einschließlich aller Berechnungen.

● Vergleiche die Antwort, die du gefunden hast, mit deiner zuvor aufgestellten Ver-

mutung.
● Löse die Aufgabe auf eine andere Art.

● Fasse zusammen, was du getan hast, um die Aufgabe zu lösen.

● Denk dir eine Aufgabe aus, die ähnlich gelöst werden könnte.

301
Teil II Lehren

(3) Verstehensanker (Anchored Instruction). mathematisches Problem zu erkennen, die-


Neben der kognitiven Meisterlehre ist die ses in Termini der zur Lösung notwendigen
Methode der Verstehensanker (Anchored Operatoren zu definieren und schließlich zu
Instruction) ein weiteres Beispiel dafür, wie lösen. Der didaktische Clou besteht darin,
sich das entdeckende Lernen im Unterricht dass die Kinder, die den Film sehen, Jasper
einsetzen lässt. Die Verstehensanker stehen und Larry bei der Problemlösung behilflich
in der Tradition Piagets und zeichnen sich sein sollen. In einer Folgeserie Scientists in
dadurch aus, dass weniger Anleitung und Action werden in ähnlichem Format kom-
Strukturierung als bei der kognitiven Meis- plexe naturwissenschaftliche Probleme be-
terlehre gegeben werden. Kennzeichnend für handelt (CTGV, 1997; Goldman et al.,
die Methode der Verstehensanker ist vor 1994).
allem der Einsatz besonderer medialer Ge- Der Entwicklung der CTGV-Lernmate-
staltungselemente. rialien lagen sechs Gestaltungsprinzipien zu-
Die Methode funktioniert folgenderma- grunde:
ßen: Zur Förderung des verstehenden Wis-
senserwerbs in der Mathematik und in den 1. Videobasiertes Format. Durch die fil-
Naturwissenschaften werden spannende mische Darstellung lassen sich komplexe
(kindgemäße) Abenteuergeschichten im und authentische Problemsituationen
Filmformat angeboten, in die das zu erler- leicht im Handlungsverlauf präsentieren.
nende konzeptuelle Wissen (vorwiegend ma- 2. Narrative Struktur. Die Filme erzählen
thematischer und naturwissenschaftlicher abenteuerliche Geschichten – zugleich
Domänen) eingebettet ist. Diese Form der wird über die handelnden Personen und
szenischen Verankerung der Lerninhalte – durch einen vertrauten Kontext ein Zu-
die Autoren sprechen von narrativen Ankern sammenhang zu den Vorerfahrungen der
– soll das Interesse wecken, Identifikations- Lernenden hergestellt.
prozesse bei den Schülern auslösen und da- 3. Generatives Problemlösen. Die Film-
mit Vorteile des problemlösenden, selbst- geschichten haben ein offenes Ende.
gesteuerten und kooperativen Lernens eröff- Der Film endet mit einem Problem, das
nen und nutzen. von den handelnden Personen (und den
Wissenschaftler der »Cognition and Schülern) selbständig zu lösen ist. Es gibt
Technology Group« an der Vanderbilt-Uni- eine Beispiellösung (der Film kann fort-
versität in Nashville (CTGV) haben das gesetzt werden), die allerdings erst nach
Prinzip der Verstehensanker mit der soge- der Problemlösung in der Lerngruppe
nannten Jasper-Abenteuerserie Adventures präsentiert und besprochen wird.
of Jasper Woodbury für die Inhaltsdomäne 4. Selbständiges Lernen. In den Film-
Mathematik als praxistaugliche Unterrichts- geschichten sind alle Informationen ent-
technologie realisiert, und zwar auf Videos, halten, die zur Problemlösung erforder-
Bildplatten und CD-ROM (http://peabody. lich sind. Es ist Aufgabe der Lernenden,
vanderbilt.edu/projects/funded/jasper/Jaspe die relevanten Informationen selbständig
rhome.html). In der Jasperserie gibt es Lern- (und kooperativ) zu finden und zu inte-
material zu unterschiedlichen mathemati- grieren.
schen Inhaltsbereichen der Sekundarstufe, 5. Authentische Probleme. Die Problemstel-
z. B. zu Statistik und zur Wahrscheinlich- lungen sind komplex und lebensnah. Des-
keitsrechnung, zur Geometrie und zur Al- halb werden in den Geschichten auch
gebra. Der Serienheld Jasper und sein überflüssige und widersprüchliche Infor-
Freund Larry stehen in den jeweiligen Film- mationen gegeben.
episoden vor der Aufgabe, ein komplexes

302
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

6. Transfer. Zu jedem Lerngegenstand (z. B. 1997; Vye et al., 1997) – vor allem für Schüler
»Satz des Pythagoras«) können zwei mit ungünstigen Lernvoraussetzungen. Hi-
Filmgeschichten und damit zwei unter- ckey, Moore und Pellegrino (2001) haben die
schiedliche situative Einbettungen prä- Lernwirksamkeit von Jasper-Lernumgebun-
sentiert werden. Das soll die Flexibilisie- gen in 19 fünften Klassen an vier unterschied-
rung und Dekontextualisierung der neu lichen Schulen untersucht. Neben der Jasper-
erworbenen Wissensstrukturen erleich- Intervention (in zehn der 19 Klassen) unter-
tern. schieden sich die teilnehmenden Schulen und
Klassen allerdings zusätzlich in systemati-
scher Weise hinsichtlich ihres pädagogischen
Beispiel: Ein Jasper-Abenteuer
Profils (es gab Schulen mit mehr oder weniger
Filmbeschreibung »Rescue at Boone’s Reformorientierung) sowie hinsichtlich der
Meadow«: Sozialschichtzugehörigkeit ihrer Schüler-
»Ein Wildhüter findet in schwer zu- schaft. Abhängige Variablen waren der Leis-
gänglichem Gelände einen verletzten Ad- tungszuwachs und die Entwicklung der Lern-
ler, der dringend medizinisch versorgt motivation. Nur in ihrer Problemlösekom-
werden muss. Es stellt sich bald heraus, petenz (nicht aber hinsichtlich ihres konzep-
dass es nur eine einzige Möglichkeit gibt, tuell-mathematischen Wissens und auch
den Rettungstransport zu bewerkstel- nicht in ihren Rechenfertigkeiten) erwiesen
ligen: den Einsatz eines Lenkdrachens sich die Jasper-Klassen am Ende als über-
(eines Ultraleichtflugzeugs). Der Ret- legen. Bessere Problemlösekompetenzen be-
tungsaktion stehen jedoch einige Schwie- saßen aber auch – mit oder ohne die Jasper-
rigkeiten und Hindernisse im Wege, so die Filme – die Schüler aus den eher reform-
begrenzte Ladungskapazität des Flugge- orientierten Schulen insgesamt. Die größte
räts, der kleine Tank und die vergleichs- Wirksamkeit zeigte sich allerdings in jenen
weise große Entfernung zwischen dem fünf Klassen, bei denen Reformorientierung
aktuellen Standort (dem Startplatz) des der Schule und der Einsatz der Jasper-Me-
Lenkdrachens, dem Fundort des Adlers thode zusammentrafen, und zwar unabhän-
und dem Zielort, der Tierklinik.« gig vom Einzugsbereich der Schule. Ins-
Die zur Problemlösung notwendigen gesamt waren die Effekte der Intervention
Informationen sind in der Geschichte jedoch eher gering. Ein interessantes Phäno-
enthalten: die maximale Nutzlast des men ist der Diskussion der Studie zu entneh-
Leichtflugzeugs und das Gewicht des Pi- men: »Die Jasper-Geschichten wurden nicht
loten sowie das Tankvolumen sowie die immer so eingesetzt, wie es sich die Erfinder
mögliche Fluggeschwindigkeit. Sie in lö- vorgestellt hatten«. Die Lehrkräfte in den
sungsdienlicher Weise miteinander zu leistungsschwächeren Klassen adaptierten
verknüpfen, erfordert mathematische nämlich die Programmprinzipien in einer
Kenntnisse und Fertigkeiten. Weise, die den Intentionen der Programm-
entwickler eigentlich entgegenlief: Sie trivia-
lisierten das Lernprogramm, indem sie meh-
Die Jasper-Materialien sind inzwischen viel- rere Episodenfilme am gleichen Tag (zur
fach erprobt und modifiziert worden. Wie bei Unterhaltung) vorführten, als Begleitmateri-
anderen entdeckenlassenden Verfahren al strukturierende Arbeitsblätter aushändig-
auch, hat es sich als notwendig erwiesen, ten und selbst die Fragen stellten, die eigent-
zusätzliche instruktionale Hilfestellungen lich die Kinder hätten generieren sollen. Dies
im Sinne einer höheren Lenkungskomponen- ist ein Musterbeispiel dafür, was bei der
te zu gewähren und zu optimieren (CTGV, Beurteilung der Wirksamkeit pädagogisch-

303
Teil II Lehren

psychologischer Interventionen zu beachten Die Wurzeln. Der von der Arbeitsgruppe um


ist, dass nämlich der Nachweis der Wirk- John Seely Brown verfasste Aufsatz Situated
samkeit eines Interventionsprogramms, aber cognition and the culture of learning
auch sein tatsächlicher Nutzen in der Praxis (Brown, Collins & Duguid, 1989) gilt als
in hohem Maße von der Zuverlässigkeit und Ausgangspunkt der situationistischen Argu-
Angemessenheit seiner praktischen Umset- mentation. Die Autoren berufen sich dabei
zung abhängen (Gräsel & Parchmann, 2004; auf den in den 1970er Jahren wiederent-
Souvignier, Küppers & Gold, 2003). deckten Wygotski (1934/1977). Eine Lern-
situation – so Wygotski – wird meist von
mehreren Individuen geteilt: Neben dem
Situiertheit von Lernen Lernenden selbst wird in der Regel ein Leh-
render Teilhaber sein, aber auch andere,
Die Situiertheit von Lernen, also das Einge- kollaborierende Mitlernende wird es geben.
bundensein der Lernprozesse in die Lebens- Im Prozess des sozialen Austauschs (also im
wirklichkeit, haben wir sowohl bei der ko- Gespräch) werden nun unter den am Lern-
gnitiven Meisterlehre als auch bei der Me- prozess Beteiligten sogenannte Bedeutungs-
thode der Verstehensanker als Argumentati- zuschreibungen gemeinsam entwickelt und
onsfigur vorgefunden. Dabei ist bisher die ausgehandelt. Es bedarf also stets einer so-
Frage offen geblieben, »wie konkret« Lernen zialen Gemeinschaft von Lernenden, um
eigentlich sein darf (oder sein muss), damit etwas zu erlernen. Lernen und Wissenskon-
am Ende mehr gewusst und gekonnt wird als struktion sind mithin genuin soziale Prozes-
der ganz spezifische Inhalt, der gelehrt wurde. se. Aus heutiger Sicht verbindet Wygotski
Ganz gleich, ob wir das operante oder das damit die Individuumszentrierung der ko-
kognitive, das assoziative oder das einsich- gnitionspsychologischen Sicht auf Lernen
tige, das entdeckende oder das rezeptive mit der Umweltzentrierung der verhaltens-
Lernen betrachten: Es wird stets von situa- orientierten Tradition und beide zusammen
tions- und gegenstandsübergreifenden Ge- mit der sozial-interaktionistischen Perspek-
setzmäßigkeiten der individuellen Lernpro- tive von George Herbert Mead (1934).
zesse ausgegangen und von prinzipiell ge-
neralisierbaren, d. h. auf neue Situationen Grundannahmen. Wird (schulisches) Wis-
grundsätzlich übertragbaren Kompetenzen sen anhand ungeeigneter Beispiele erwor-
und Fertigkeiten als Ergebnissen dieser Pro- ben, ist es nicht transferierbar und kann in
zesse. Die Vertreter des Situiertheitsansatzes realen Situationen (»im wirklichen Leben«)
betonen demgegenüber die Situations- und nicht genutzt werden. Die Vertreter des Si-
Kontextgebundenheit von Lernen. Weil sich tuationsansatzes ziehen aus dieser vermeint-
jeder einzelne Lernprozess in einer konkre- lichen Sollbruchstelle zwischen dem Schul-
ten Lernepisode vollzieht, so die Grund- wissen und der Lebenspraxis den Schluss,
annahme der Situationisten, bleibt auch dass die Lernsituationen in der Schule den
die Nutzbarkeit (also die Anwendung) des späteren Anwendungs- und Nutzungssitua-
Gelernten in hohem Maße an den jeweiligen tionen möglichst ähneln sollten, dass also
Lernkontext gebunden. Aus dieser Situati- das schulische Lernen realitäts- und lebens-
onsgebundenheit von Lernen wird nun die näher bzw. »authentischer« zu gestalten sei
Forderung abgeleitet, der Ausgestaltung von (Brown et al., 1989; Collins, Brown &
Lernsituationen eine größere Aufmerksam- Newman, 1989; Greeno et al., 1996).
keit zu widmen, denn die Besonderheiten Gespeist wird diese Argumentation zu-
einer Lernsituation determinieren die spätere sätzlich durch eine oftmals beklagte Schwä-
Anwendbarkeit des Gelernten. che des herkömmlichen, nicht-situiert erwor-

304
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Fokus: Wygotskis sozio-kulturelle Theorie


Wygotski zufolge sind individuelle Lernprozesse ohne soziale Austauschprozesse gar nicht
denkbar. Lernen sei Interaktion mit anderen Personen, am besten mit solchen, die etwas
kompetenter sind als man selbst.
Die Richtung der Entwicklung des kindlichen Denkens, so Wygotski in seinem Haupt-
werk Denken und Sprechen (1934; deutsche Ausgabe: 1977) am Beispiel der Sprach-
entwicklung, sei eine andere, als bei Piaget dargestellt. Insbesondere liege das Soziale nicht
am Ende der Entwicklung, sondern sei deren Beginn. »Die Entwicklung des kindlichen
Denkens verläuft nicht vom Individuellen zum Sozialisierten, sondern vom Sozialen zum
Individuellen« (Wygotski, 1934/1977, S. 44). Das entspricht einer Umkehrung der kogni-
tivistischen Individuumszentrierung: Der Aufbau individuellen Wissens ist demnach die
Folge nachahmenden sozialen Lernens im Rahmen arrangierter Interaktionen.
Anders als bei Piaget sind es für Wygotski nicht die kognitiven Konflikte an sich, sondern
die konstruktiven Prozesse des sozialen Austauschs mit kompetenten Partnern, d. h. die
kooperativen Dialoge und das geleitete Herbeiführen und Aushandeln von Übereinstim-
mung, die den Wissensaufbau vorantreiben. Insoweit ist Lernen tatsächlich das Hinein-
wachsen in eine Expertenkultur, begleitet durch ein Unterstützungssystem kompetenter
Interaktionspartner. Palincsar und Brown (1984) haben das später als »Scaffolding«
beschrieben.

benen Schulwissens: Das in der Schule er- ze, bleibt oft träge und ist damit unbrauch-
worbene Wissen, z. B. über mathematische bar, weil es in außerschulischen, leicht ver-
Operationen oder über physikalische Geset- fremdeten Kontexten häufig gar nicht abge-

Beispiel: Träges Wissen


Im Mathematikunterricht ist Bruchrechnen dran. Daniela muss nicht weiter nachdenken,
um die folgende Aufgabe zu lösen: 3/42/3 = 1/2 (»Dreimal zwei ist sechs, viermal drei ist
zwölf, und sechs Zwölftel ist das Gleiche wie ein halb«).
Zu Hause ist eine strenge Diät angesagt und Daniela will sich genau an die Regeln halten.
Heute ist Hüttenkäse-Tag. Daniela darf jedoch nur eine bestimmte Menge davon essen und
hat ihren »Diät-Becher« am Morgen entsprechend nur zu zwei Dritteln gefüllt. Der Becher
weist eine Markierung der Drittel auf, zusätzlich eine, die den Inhalt vierteilt. Das Problem
ist nun, dass sie in der großen Pause bereits einen Apfel gegessen hat, so dass ihr jetzt nur
noch drei Viertel ihrer vorgesehenen Zweidrittel-Portion zustehen. Was tun?
Daniela kippt den Zweidrittel-Inhalt des Bechers auf ein Schneidebrett, so dass eine Art
Kuchenform entsteht. Dann nimmt sie ein Messer, markiert ein Kreuz und schneidet den
Hüttenkäsekuchen in vier Teile. Drei davon isst sie auf, den vierten gibt sie zurück in den
großen Behälter.
Das in der Schule gelernte begriffliche und operative Wissen über die Multiplikation von
Brüchen war offenbar nicht zugänglich (träge), so dass auf handelndes Problemlösen
zurückgegriffen wurde.
(nach Brown, Collins & Duguid, 1989, vgl. auch Mayer, 2003 a, S. 430)

305
Teil II Lehren

rufen werden kann (Renkl, 1996; Resnick, sprechen für den Erfolg eines vertikalen und
1987) (vgl. dazu auch 䉴 Kap. 3.3). horizontalen Wissenstransfers zwischen un-
Eng mit dem Problem der Trägheit ver- terrichtlichen Lernaufgaben und für die
knüpft ist die vermeintliche Dissoziation Wirksamkeit allgemeiner und spezifischer
zwischen dem impliziten und dem expliziten kognitiver Trainings. Zumal dann, wenn
Wissen, die auch unter dem Begriff der in solchen Trainings Phasen einer abstrakt-
»Wissenskompartmentalisierung« (Mandl, informierenden Instruktion mit Phasen an-
Gruber & Renkl, 1993; Verschaffel, De geleiteten und selbständigen Übens kom-
Corte & Lasure, 1994) bekannt ist. Es han- biniert werden. Mit anderen Worten: Auch
delt sich dabei um die »getrennte mentale in Lernumgebungen, die weder authentisch
Aufbewahrung« von Schul- (oder Univer- noch sozial gestaltet sind, kann offenbar
sitäts-) und Alltagswissen. hinreichend gut gelernt werden.
Situiertes Lernen ist die konstruktive Aus- Die kritische Prüfgröße des Situiertheits-
einandersetzung mit Aufgaben oder Proble- ansatzes sollte wie auch bei anderen Ansät-
men in einer konkreten Situation. Um an- zen der empirische Nachweis der Wirksam-
hand komplexer und realitätsnaher Proble- keit des Vorgehens sein. Fallbeispiele und
me jedoch überhaupt lernen zu können, sind teilnehmende Beobachtungen aus der quali-
besondere Kompetenzen der Selbststeuerung tativ-narrativen Feldforschung können zwar
und der metakognitiven Kontrolle not- wichtige Anregungen geben, kontrollierte
wendig – sie müssen vor oder während (wenn möglich: experimentelle) Studien je-
des Lernens eigens eingeübt werden doch nicht ersetzen. Damit sich der Situiert-
(䉴 Kap. 6.4). heitsansatz nicht im Anekdotischen er-
schöpft, sind Implementationsstudien und
Wirksamkeitsprüfungen notwendig. Dass
Situativ oder abstrakt? Schluss das träge Unvermögen, sich an die Regeln
mit der Debatte! zur Multiplikation von Brüchen zu erinnern,
um zur Lösung des Hüttenkäse-Beispiels
Seit Jahren wird immer wieder über die (s. o.) zu gelangen, nicht automatisch auf
Tragfähigkeit und Nützlichkeit des Situiert- die Überlegenheit des situativ-problemlö-
heitsansatzes diskutiert. Im Kern geht es send erworbenen Wissens verweist, haben
dabei um die von Weinert (1998 a, S. 208) schon Anderson, Reder und Simon (1996,
ironisch zugespitzte Frage, ob das Lernen 1997; vgl. auch Klauer, 2000) gezeigt: Denn
»im Kopf der Lernenden« stattfindet oder in das legendäre Hüttenkäsebeispiel ver-
»der Interaktion mit sozialen, kulturellen anschaulicht zugleich die Begrenztheit des
und physikalischen Kontexten«. situativen Lernens. Nur durch kreative Zu-
Den zentralen Thesen der Situationsver- satzüberlegungen (zuvor ins Gefrierfach stel-
ankerung von Lernvorgängen, also des prin- len) lässt sich die handelnd gewonnene Er-
zipiell geringen, wenn nicht unmöglichen kenntnis auf flüssige Materialien übertra-
Wissenstransfers, des begrenzten Nutzens gen. Daraus zu folgern, der Schulunterricht
abstrakter Prinzipien und der grundsätzlich müsse sich ändern, um den Erfordernissen
sozialen Bedingtheit des Wissenserwerbs, der Lebenswirklichkeit zu entsprechen,
werden aus kognitivistischer Sicht empiri- scheint wenig durchdacht. Vor allem wird
sche Befunde entgegengehalten, die eine aber das Transfer- oder Anwendungspro-
breite Generalisierbarkeit erlernter Basis- blem von Wissen nicht gelöst, wenn in der
kompetenzen belegen – sichtbar vor allem Alltagspraxis für die Alltagspraxis gelernt
am Beispiel des Kompetenzerwerbs im Le- wird.
sen, Schreiben und Rechnen. Solche Befunde

306
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Aus lerntheoretischer Sicht ist das Transfer- textgebundenheit und die Handlungsver-
problem zweifellos zentral (䉴 Kap. 3.3). ankerung von Wissen lässt sich durchaus
Streng genommen gibt der Situiertheits- unterrichtlich berücksichtigen und nutzen,
ansatz jeglichen Transferanspruch auf. Un- ohne zugleich den Anspruch der Abstraktion
ter den Rahmenbedingungen sich rasch und der Systematik gänzlich fallen zu lassen.
wandelnder beruflicher Anforderungen Klauer (2000) sieht im Situationismus
scheint dies aber nicht unproblematisch. eine weitere Gefahr, nämlich die der Dis-
Es kann doch kaum Anspruch von Schule soziation des wissenschaftsorientierten vom
sein, auf einen bestimmten Beruf vorzube- »gemeinschaftsorientierten« Lernen für die
reiten. Anders als in der handwerklichen breite Masse, im Sinne einer allgemeinen
Meisterlehre werden die Situation des Wis- Volksbildung:
senserwerbs und die Situation der späteren
Wissensanwendung in der heutigen Zeit Wie lange wird es wohl dauern, bis offenbar
wird, dass Wissen vornehmlich bei schwachen
eben gerade nicht mehr zusammenfallen. Lernern im Kontext des Erwerbs situiert bleibt
Daraus aber folgt: Wenn im Unterricht kon- und dass leistungstüchtigere viel rascher zum
textgebunden und situiert gelernt wird, dann flexiblen Einsatz und Transfer fähig sind? Oder
ist ebendort die Option zur Flexibilisierung bis offenbar wird, dass ein Unterricht gemäß
dem Situiertheitskonzept gut befähigte Lernen-
und Dekontextualisierung des Gelernten mit de unterfordert und auf Dauer langweilt?
anzulegen, um späteren Lerntransfer zu er- (Klauer, 2000, S. 10)
möglichen. Was aber heißt das für die Schul-
entwicklung? Wenn Schule Bildung und Klauers Befürchtung mag übertrieben sein.
nicht nur Wissen, Allgemeinbildung und Gleichwohl wird man über die notwendigen
nicht nur berufsqualifizierende Ausbildung Lernvoraussetzungen und über die Vor- und
ermöglichen will, muss sie zu den abstrakten Nachteile der Prinzipien des situierten Leh-
und formalen Konzepten führen. Die Kon- rens nachdenken müssen.

6.3 Kooperative Methoden

»Jetzt wollen wir den Wissenserwerb als sche Originalarbeit (z. B. Borsch, Jürgen-
Gruppenprozess organisieren. Bilden Sie zu- Lohmann & Giesen, 2002) zu lesen und
sammen mit drei weiteren Kommilitonen in ihren Kernaussagen zusammenzufassen.
eine Kleingruppe und teilen Sie sich die Die beiden anderen sollen sich intensiver mit
Arbeit am folgenden 䉴 Kap. 6.3 untereinan- den Metaanalysen von Rohrbeck, Ginsburg-
der auf. Alle vier sollen den gesamten Text Block, Fantuzzo und Miller (2003) sowie
einmal gründlich durcharbeiten, aber die Ginsburg-Block, Rohrbeck und Fantuzzo
weiter gehenden Arbeitsaufträge, die zur (2006) zur Wirksamkeit kooperativer Lern-
Vertiefung des Verstehens führen sollen, formen beschäftigen. Sie sollen sich bei der
sind arbeitsteilig: Zwei von Ihnen sollen Gelegenheit auch mit dem methodischen
sich in Theorie und Praxis einer bestimmten Vorgehen der Metaanalyse auseinanderset-
kooperativen Methode – des sogenannten zen. Die Lernergebnisse beider Teams müs-
Gruppenpuzzles – einarbeiten. Die Methode sen dann in geeigneter Weise schriftlich do-
ist zwar im Text ausführlich beschrieben, es kumentiert und in einer gemeinsamen Sit-
wäre aber sinnvoll, zusätzlich eine empiri- zung den Lernenden der jeweils anderen

307
Teil II Lehren

Gruppe vorgetragen werden. Nur so können rogen zusammengesetzt und bleiben in ihrer
alle von den vertiefenden Arbeiten der je- Zusammensetzung oftmals über einen län-
weils anderen profitieren.« geren Zeitraum hinweg bestehen. Wie das
So oder ähnlich könnte man Studenten gemeinsame Lernen in diesen Lerngruppen
zum kooperativen Lernen anleiten. Viele genau strukturiert ist, wird in den verschie-
Lehrer, Schüler und deren Eltern sowie Stu- denen kooperativen Methoden sehr unter-
dierende sind allerdings skeptisch, was die schiedlich gehandhabt. Für alle Methoden
Praktikabilität und die Effizienz koope- gilt aber, dass es hilfreich oder gar notwendig
rativer Lehr-Lern-Methoden betrifft. Bevor ist, vor Beginn des kooperativen Arbeitens
wir auf mögliche Schwierigkeiten beim ge- kommunikative Basiskompetenzen und
meinsamen Lernen eingehen und darauf, wie grundlegende kooperative Fertigkeiten ein-
man sie überwinden kann, sollen zunächst zuüben, wie z. B. die Fertigkeit zum (eindeu-
die grundlegenden Prinzipien und Gelin- tigen) Übermitteln kongruenter Botschaften,
gensbedingungen des kooperativen Lernens zum (wertungsfreien) Paraphrasieren einer
skizziert werden. Denn das gemeinsame, Nachricht oder zum (gleichberechtigten)
kollaborative Lernen gilt – wenn es gelingt Aushandeln von Bedeutungsübereinstim-
– als eine ausgesprochen vielversprechende mungen. Auch das Beherrschen elementarer
Methode, um verstehende und bedeutungs- Gruppenregeln, wie z. B. der Fähigkeit zum
volle Lernprozesse auszulösen. Zuhören und Zu-Wort-kommen-Lassen ist
eine wichtige Voraussetzung des kooperati-
ven Arbeitens, ebenso ein offener Umgang
Definition: Kooperatives Lernen
mit sachlichen Kontroversen und mit zwi-
Beim kooperativen (kollaborativen) Ler- schenmenschlichen Konflikten. Seit den
nen arbeiten Schülerinnen und Schüler 1970er Jahren ist vor allem in den USA
gemeinsam in kleinen Gruppen, um und in Israel eine vermehrte Sympathie für
sich beim Aufbau von Kenntnissen und kooperative Lehr-Lern-Formen zu beobach-
beim Erwerb von Fertigkeiten gegenseitig ten, die übrigens auch schon in den reform-
zu unterstützen. Das kooperative ist ein pädagogischen Ansätzen zu Beginn des 20.
aktives, selbständiges und soziales Ler- Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben (Hu-
nen. Kooperative Lehrformen sind lerner- ber, 1993). Woher rührt die Beliebtheit ko-
zentriert, denn während des Lernprozes- operativer Methoden? Hier lassen sich ver-
ses tritt die Lehrperson im Allgemeinen in schiedene Begründungsebenen ausmachen:
den Hintergrund. Mindestens zwei, meist
aber drei bis fünf Lernende konstituieren ● Das kooperative Lernen soll helfen, dass
eine Lerngruppe. Einige Methoden sind im Unterricht nicht nur kognitive, son-
speziell für das dyadische, tutorielle Ler- dern auch motivationale und emotionale
nen entwickelt worden. Gelegentlich wer- Lernziele erreicht werden.
den auch die Begriffe des Peer-Assisted ● Durch kooperative Lehr-Lern-Formen
Learning (PAL), des Peer Learning (PL) sollen die Qualität und die Anwendbar-
oder des Peer Tutoring (PT) verwendet, keit des erworbenen Wissens verbessert
um das dyadische und das Lernen in werden.
(meist heterogenen) Kleingruppen thema- ● Der Einsatz kooperativer Lehr-Lern-For-
tisch zusammenzufassen. men soll sozialintegrative Wirkungen ent-
falten.

Beim schulischen kooperativen Lernen sind Zur Verortung und Charakterisierung der
die Lerngruppen in der Regel leistungshete- kooperativen Methoden im Gesamtgefüge

308
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

aller Lehr-Lern-Methoden haben Johnson ich mit meinem Konkurrenten kooperiere,


und Johnson (1994) den Begriff der unter- desto mehr wird er davon profitieren und
schiedlichen Zielstrukturen von Lehr-Lern- umso mehr vermindert sich die Wahrschein-
Situationen eingeführt. In ihrer Systematik lichkeit des eigenen Erfolgs. Johnson und
werden drei Arten von Zielstrukturen un- Johnson nennen das eine »negative Interde-
terschieden, wenn es um das Erreichen von pendenz«.
Lernzielen geht: kooperative, kompetitive Eine weitere Form nicht-kooperativer
und individualistische. Zielstrukturen bezeichnen Johnson und
Von einer kooperativen Zielstruktur Johnson als individualistische Zielstruktu-
spricht man dann, wenn eine Gruppe von ren. Individualistische Zielstrukturen kenn-
Lernenden eine gestellte Aufgabe nur ge- zeichnen Lehr-Lern-Situationen ohne Inter-
meinsam, also durch Zusammenarbeit, er- dependenzen, in denen die Lernenden un-
folgreich bewältigen kann. Das Lernziel, das abhängig voneinander mehr oder weniger
jeder Einzelne anstrebt, kann nur erreicht erfolgreich sein können, weil das Erreichen
werden, wenn auch alle anderen seiner Lern- eines Ziels und die Bewertung einer Leistung
gruppe zum Ziel kommen – wie etwa beim überhaupt nicht von den Leistungen der
Staffellauf in der Leichtathletik. Auch wenn Mitlerner oder Mitbewerber abhängig ist.
individuelle Leistungsbewertungen grund- Das ist der Fall, wenn ein Lernergebnis nicht
sätzlich möglich sind – ausschlaggebend nach sozialen Bezugsnormen, sondern nach
für die Zielerreichung jedes Einzelnen ist absoluten Maßstäben bewertet wird: Wenn
letztlich die Zielereichung der gesamten also im Hochsprung die Qualifikationshöhe
Gruppe (»positive Interdependenz«). Ist von 1,80 m übersprungen wurde, ist dieses
die Gruppenleistung nicht ausreichend, hat Ziel erreicht, ganz gleich, wie viele Mit-
auch jeder Einzelne verloren. Die Zielstruk- bewerber die Latte ebenfalls überquert ha-
turen der Einzelnen sind also in ihren wech- ben.
selseitigen Abhängigkeiten positiv miteinan- Schule ist zwar kein Leistungssport und
der verknüpft. Unterricht kein Wettbewerb. Dennoch liegen
Ganz anders verhält es sich in Lehr-Lern- der Organisation schulischer Lernprozesse
Situationen, denen kompetitive Zielstruktu- häufig kompetitive Zielstrukturen zugrun-
ren eigen sind. Dort werden die Bewertung de, die für einzelne Schüler durchaus nach-
der Zielerreichung und der individuellen teilig sein können: Ungünstig verlaufende
Leistung aufgrund des sozialen Vergleichs soziale Vergleichsprozesse können sich de-
zwischen den Lernenden vorgenommen. Sie motivierend auswirken und das akademi-
stehen im Wettbewerb miteinander, und die sche Selbstkonzept beeinträchtigen. Wenn
Aufgaben sind so gestellt, dass sie jeder für sich im Unterricht 15 Schüler melden, weil
sich allein lösen kann. Zusammenarbeit ist sie eine Antwort auf eine Lehrerfrage geben
möglich und zeitweise auch sinnvoll, aber möchten, konkurrieren sie in diesem Mo-
nicht notwendigerweise erforderlich und am ment um die Aufmerksamkeit und um eine
Ende auch dysfunktional – wie es etwa bei positive Rückmeldung durch die Lehrperson
der Übernahme von Führungsarbeit in einer – nur einer von ihnen kommt aber dran.
Ausreißergruppe in einem Radrennen gut zu Wenn die anderen die Lernfreude und -mo-
beobachten ist. Die Lernenden wie die Sport- tivation verlieren oder wenn sich Schüler
ler konkurrieren letztendlich miteinander nichts mehr zutrauen, weil sie schon wieder
um eine möglichst gute individuelle Leis- schlechter als die anderen abgeschnitten ha-
tungsbewertung. Wenn es nur einen Sieger ben, werden sie sich künftig wahrscheinlich
geben kann, sind die Zielstrukturen negativ weniger anstrengen. Vom Einsatz koope-
miteinander verknüpft. Je mehr und je länger rativer Lehrmethoden erhofft man sich

309
Teil II Lehren

hier Abhilfe. Es wird erwartet, dass das gemeinsamen Zielerreichung eine koor-
gemeinsame Lernen nicht nur für die kogni- dinierte Zusammenarbeit zwischen den Ler-
tiven, sondern auch für die motivationalen nenden überhaupt und unbedingt erforder-
und emotionalen Lernziele günstig ist. Al- lich machen, sind deshalb für kooperative
lerdings setzt das voraus, dass die Lernauf- Lehrformen geeignet (Zielinterdependenz).
gaben und -anreize sowie die eingesetzten Positive Interdependenz lässt sich durch
Bewertungs- und Belohnungsmechanismen ganz unterschiedliche instruktionale Eingrif-
in besonderer Weise gestaltet werden. Es fe herstellen: durch die Zuweisung unter-
reicht nämlich nicht aus, eine Gruppe von schiedlicher und spezieller, aber in gleicher
Lernenden zusammenzustellen und sie zu Weise für das Lernprodukt wichtiger Rollen
gemeinsamem Tun aufzufordern, wie die an die einzelnen Lerngruppenmitglieder
Instruktion zu Beginn dieses Kapitels nahe- (Rolleninterdependenz), durch die Vergabe
legt. Nicht jede Gruppenarbeit ist auto- von Gruppengratifikationen im Sinne einer
matisch kooperativ. kollektiven Mannschaftswertung anstelle
von Individualwertungen (Belohnungsinter-
dependenz) sowie durch die absichtliche
Fünf Basismerkmale Fragmentierung und Zergliederung des Un-
kooperativen Lernens terrichtsstoffes in sich ergänzende und von-
einander abhängige Teilaufgaben bei gleich-
Um den Voraussetzungen echten kooperati- zeitiger Verknappung der bereitgestellten
ven Lernens eine Systematik zu unterlegen, Arbeits- und Hilfsmaterialien (Aufgaben-
haben Johnson und Johnson (1994) fünf und Ressourceninterdependenz). Mit dem
Basismerkmale kooperativen Lernens formu- letztgenannten Aspekt ist gemeint, dass ein
liert – neben der bereits erwähnten positiven Arbeitstext absichtlich nicht in Klassenstär-
Interdependenz sind das die individuelle Ver- ke zur Verfügung gestellt wird oder dass es
antwortlichkeit, die förderlichen Interakti- nur eine begrenzte Anzahl von Messinstru-
onsstrukturen, die kooperativen Arbeitstech- menten, Präparaten oder Computern zur
niken und die Gruppenreflexionen. Diese Online-Recherche geben mag; gleichzeitig
Basismerkmale sind notwendige Elemente jedoch eine so große Anzahl an Teilaufgaben
kognitiver Methoden (Johnson, Johnson & und Arbeitsaufträgen, dass sie unmöglich ein
Stanne, 2000; Borsch, 2010), wobei dem Schüler alleine in der verfügbaren Zeit be-
Merkmal der positiven Interdependenz si- wältigen kann.
cherlich eine herausragende Rolle zukommt:
Ohne positive Interdependenzen kann ko- (2) Individuelle Verantwortlichkeit. Damit
operativ praktisch nicht gelernt werden. kooperative Lernprozesse erfolgreich verlau-
fen, muss der individuelle Beitrag des Einzel-
(1) Positive Interdependenz. Kooperative nen am Zustandekommen der kollektiven
Lernsituationen zeichnen sich durch eine Gruppenleistung – und damit dessen indivi-
wechselseitige Abhängigkeit der Lernenden duelle Verantwortlichkeit für diese Leistung
untereinander aus, das aber heißt: durch eine – erkennbar bleiben. Nur so können das
wechselseitige Verantwortlichkeit gemein- vielfach als unerwünschte Nebenwirkung
sam zum Gelingen von Lernprozessen bei- nicht-kooperativer Gruppenarbeit beschrie-
zutragen. Charakteristisch dafür ist, dass die bene Trittbrettfahren der Arbeitsunwilligen
Mitglieder einer Lerngruppe tatsächlich wis- (Free Rider Effect) und das Sich-ausgenutzt-
sen, dass sie ein angestrebtes Ziel nur ge- Fühlen der Arbeitswilligen (Sucker Effect)
meinsam erreichen können (»alle sitzen in vermieden werden. Das Problem einer un-
einem Boot«). Nur Lernaufgaben, die zur erkannt oder offensichtlich ungleichen Ar-

310
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

beitsteilung bei der Gruppenarbeit führt aber (4) Kooperative Arbeitstechniken. Er-
nicht nur zu Ungerechtigkeiten bei der Leis- folgreiches kooperatives Lernen setzt
tungsbewertung, wenn nämlich alle Grup- voraus, dass die Lernenden gewillt und
penmitglieder das Zertifikat oder den Leis- in der Lage sind, angemessen miteinander
tungsnachweis erhalten, ganz gleich, ob sie zu kommunizieren, ein vertrauensvolles
zur Gruppenleistung beigetragen haben oder Gruppenklima aufzubauen, Führungsauf-
nicht. Gravierender ist, dass der Erwerb von gaben zu übernehmen und anzuerkennen,
Kenntnissen und Fertigkeiten je nach aktiver sich einer Führung unterzuordnen und Kon-
Beteiligung an der Gruppenarbeit in ganz troversen konstruktiv zu bewältigen. Kom-
ungleicher Weise gelingt und dass es deshalb munikative Fertigkeiten sind grundlegende
zu einem kontinuierlich wachsenden Sche- Voraussetzungen jeder kooperativen Zu-
reneffekt zwischen den tatsächlich aktiv Ler- sammenarbeit. Ideen, Entwürfe und persön-
nenden und den passiven Mitläufern einer liche Ansichten werden in der Gruppe leichter
Lerngruppe im Hinblick auf ihre Kom- offenbart, wenn sich die Gruppenmitglieder
petenzentwicklung kommen kann. Auf Sla- gegenseitiger Unterstützung und uneinge-
vin (1995) gehen verschiedene Lösungsvor- schränkter persönlicher Wertschätzung und
schläge für dieses Dilemma zurück, die im Akzeptanz sicher sein können. Die einzelnen
Wesentlichen auf Maßnahmen des Hervor- Lernenden werden nämlich nur dann bereit
hebens und Herausstellens der individuellen sein, »ihre Kognitionen mit anderen zu tei-
Anteile am Gruppenprodukt (Task Accoun- len«, wenn sie nicht befürchten müssen, als
tability) beruhen oder, damit zusammenhän- Personen abgewertet oder um den Ertrag
gend, auf einer Verknüpfung der zielinterde- ihrer Ideen gebracht zu werden.
pendenten Gruppenbelohnungen mit indivi- Zur Gruppenarbeit gehört notwendiger-
duellen Belohnungen (Reward Accountabi- weise auch die Bewältigung sachlicher und
lity). persönlicher Konflikte. Sachliche Kontro-
versen sind bei der Gruppenarbeit nicht
(3) Förderliche Interaktionen. Es ist wichtig, nur unvermeidlich, sie treiben im Idealfall
dass die Aufgabenspezialisierung nicht zur die Klärung von Lern- und Verstehenspro-
bloßen Aufgabenteilung ohne kooperative zessen voran. Wichtig ist, dass individuelle
Zusammenarbeit führt. Nur in den realen Beiträge oder Meinungen während der ge-
sozialen Interaktionen kommen nämlich die meinsamen Arbeit nicht vorschnell als rich-
Vorteile des Gruppenlernens gegenüber dem tig oder falsch, sondern grundsätzlich als
individualisierten arbeitsteiligen Lernen zum bereichernd anerkannt werden. Auch später
Tragen. Erst die sozialen Interaktionen er- verworfenen Beiträgen und Ideen kommt in
möglichen und erfordern das wechselseitige ihrer prozesshaften Bedeutsamkeit häufig
Erklären und Korrigieren, das Erproben, eine wichtige Funktion zu. Unterschiedliche
Verteidigen und Modifizieren von Stand- Ideen und Ansichten sind in diesem Sinne
punkten und das Erkennen und Akzeptieren stets als notwendige Zwischenphasen auf
unterschiedlicher Perspektiven. Mithin ist es dem Weg zur abschließenden Lösung einer
notwendig, dass sich die kooperativ Lernen- Lernaufgabe anzusehen – sie dürfen nicht
den tatsächlich face-to-face zu Arbeitssitzun- vorschnell geglättet und integriert werden.
gen zusammenfinden. In solchen Arbeitssit-
zungen übernehmen die Mitlernenden wich- (5) Reflexive Prozesse. Nicht nur das gemein-
tige motivierende und verstärkende Funk- same Arbeiten am Lerninhalt ist wichtig. Es
tionen im Lernprozess, wie sie üblicherweise ist auch notwendig, dass sich die Lernenden
die Lehrenden in den Unterrichtsmodellen über hilfreiche oder den Lernverlauf beein-
Direkter Instruktion wahrnehmen. trächtigende Gruppenprozesse untereinan-

311
Teil II Lehren

der austauschen. Eine konstruktive Form der (1) Die Entwicklungsperspektive. Sie ent-
Gruppenreflexion kann die Effektivität der stammt einer kognitiv-konstruktivistischen
gemeinsamen Arbeit voranbringen. Die re- Auffassung über Lernen und Lehren. Im
flexiven Prozesse, d. h. das Fokussieren und Hinblick auf die Entwicklung kognitiver
Kommentieren der eigenen Lernprozesse in Leistungen und Funktionen wird der Vorteil
der Gruppe, lassen sich in Termini metako- eines kooperativen Vorgehens im Wesentli-
gnitiver Aktivitäten (䉴 Kap. 2.3) beschrei- chen darin gesehen, dass das gemeinsame
ben: als ein regelmäßiges Überprüfen, ob Lernen kognitive bzw. sozio-kognitive Kon-
vereinbarte Verhaltensregeln eingehalten flikte auslöst und zugleich einer Lösung
und ob gesetzte Ziele erreicht wurden, und näher bringt. In der allgemeinen Formulie-
als ein selbstregulatives Anpassen von Vor- rung der Entwicklungsperspektive lassen
gehensweisen und Strategien, die sich nicht sich zwei ganz unterschiedliche theoretische
als zielführend erwiesen haben. Der Ertrag Wurzeln, nämlich die auf Piaget und die auf
einer Lerngruppe hängt auch davon ab, ob Wygotski zurückgehenden, vereinen. In Wy-
störende und leistungsbeeinträchtigende Ak- gotskis sozio-kultureller Theorie werden vor
tivitäten und Verhaltensweisen erkannt, an- allem die Einflüsse der Kultur und des Dia-
gesprochen und verändert werden. logs zwischen den Lernenden untereinander
als treibende Kraft des Wissensaufbaus be-
Das sind die Basismerkmale und Grund- trachtet und es wird auf die Bedeutsamkeit
voraussetzungen kooperativen Lernens. Da der sozialen Interaktion mit dem Anderen
die kooperativen Methoden aus ganz unter- hingewiesen. In Piagets strukturgenetischer
schiedlichen theoretischen Traditionen he- Theorie ist es eher das einzelne Individuum,
raus entwickelt wurden, lohnt es sich aber, welches mit seiner Lernumgebung in kon-
auf diese Traditionen hinzuweisen. Das Ver- flikthafter Weise interagiert, um sein Wissen
stehen und die Einordnung der kooperativen und seine Schemata zu erweitern. Einen
Methoden werden uns leichter fallen, wenn Lernpartner wie bei Wygotski gibt es bei
wir zuvor die wichtigsten theoretischen Per- Piaget nicht notwendigerweise – allenfalls
spektiven kennen lernen, aus denen heraus erleichtert der Lehrer die individuellen Lern-
sie sich entwickelt haben. Erst danach wer- prozesse, ohne sie jedoch zu modellieren und
den wir die unterrichtspraktischen Realisie- aktiv zu unterstützen.
rungen kooperativer Lehrmethoden näher Beim Übergang vom Sozialen zum Indi-
betrachten. viduellen spielt Wygotskis Konzept der Zo-
nen der nächsten Entwicklung eine große
Rolle: Der einzelne Lernende kann nicht aus
Vier theoretische Perspektiven eigener Kraft, sondern nur mit Hilfe und am
des kooperativen Lernens und Vorbild eines kompetenteren Lernpartners
Lehrens oder Tutors den jeweils nächsten notwendi-
gen Entwicklungsschritt vollziehen. In den
Versuche zur systematischen Begründung heterogen zusammengesetzten Lerngruppen
kooperativer Lehrformen unterscheiden der kooperativen Arrangements repräsentie-
meist zwischen einer entwicklungspsycholo- ren die Leistungsniveaus der Stärkeren zu-
gischen, einer elaborativ-kognitionspsycho- gleich das proximale Entwicklungsziel für
logischen, einer motivationalen und einer die weniger Leistungsfähigen. Es ist immer
sozial-kohäsiven Perspektive (Slavin, 2011 a; wieder betont worden, dass das Konzept der
O’Donnell, 2006). Zonen der nächsten Entwicklung das koope-
rative Lehrmodell in besonderer Weise legi-
timiert (Brown & Palincsar, 1989; Palincsar,

312
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Fokus: Piaget und Wygotski


Für Wygotski sind die Prozesse des individuellen Wissensaufbaus dem sozialen Lernen
nachgeordnet – den späteren Internalisierungsprozessen der Wissensaneignung gehen stets
die notwendigen Prozesse des sozialen Ausgleichs und Aushandelns voraus. Lernen kann
deshalb in Wygotskis Sichtweise überhaupt nur in sozialen Situationen stattfinden. Ganz
anders bei Piaget. Für Piaget ist der kollaborative Sozialpartner zweitrangig – sein
Hauptinteresse gilt der Natur der individuellen Konstruktionsprozesse. Die Funktion
der Lernpartner besteht für Piaget allenfalls darin, Störungen (Perturbationen) des indi-
viduellen kognitiven Gleichgewichts beim Gegenüber auszulösen. Im individuellen Be-
streben, ein kognitives Ungleichgewicht durch das Lösen des (internalen) kognitiven
Konflikts wieder zu beseitigen, liegt für Piaget der eigentliche Motor des Wissensaufbaus.

1998). Anders als bei der traditionellen Als elaborativ bezeichnet man aus kogniti-
Lehrer-Schüler-Interaktion soll es nämlich onspsychologischer Sicht ein lehr-lernstrate-
bei der Schüler-Schüler-Interaktion auf- gisches Vorgehen, bei dem solche Anknüp-
grund des geringeren Autoritäts- und Wis- fungspunkte gezielt generiert und expliziert
sensgefälles mit größerer Wahrscheinlichkeit werden, z. B. durch Erklärungen und durch
zu adaptiv-unterstützenden Lehraktivitäten das Fragenstellen oder durch das Suchen
und zu Hilfestellungen in den Bereichen der nach Beispielen und Gegenbeispielen. Es
jeweils nächsten Entwicklungszonen kom- ist offensichtlich, dass kooperative Lehr-
men: Den Gleichaltrigen wird es leichter als situationen hierfür gut geeignet sind, denn
der Lehrperson fallen, Hilfen zu geben, die der sprachliche Diskurs ist das natürliche
sie kurz zuvor noch selbst benötigt haben, Bindeglied zwischen dem Sozialen und dem
und den noch nicht so weit mit dem Wissens- Individuellen. Der Vorteil kooperativer Si-
aufbau Fortgeschrittenen wird es leichter tuationen ist naheliegend, weil die soziale
fallen, solche Hilfen anzunehmen. Ihnen Situation elaborative (anreichernde) Strate-
wird zugleich das in Reichweite befindliche gien der Wissenskonstruktion und damit
Ziel modellhaft in seiner Erreichbarkeit eine »tiefere« Form der Informationsver-
durch Gleichaltrige vor Augen geführt. arbeitung geradezu erzwingt:
Lernumgebungen, die das Hinterfragen, Be-
(2) Die Perspektive der kognitiven Elabora-
werten und Kritisieren befördern und die
tion. Ähnlich wie die entwicklungstheoreti- ganz allgemein zum Anzweifeln von Wissen
sche Perspektive beruht die Elaborationsper- ermutigen [. . .] gelten als besonders fruchtbarer
spektive auf bestimmten Vorstellungen über Nährboden für die notwendige Restrukturie-
die Funktionsweise kognitiver Prozesse. Ko- rung, d. h. den Neuaufbau von Wissen [. . .]. Zu
Wissensveränderungen kommt es mit höherer
gnitionspsychologische Modelle der Infor- Wahrscheinlichkeit, wenn man etwas erklären,
mationsverarbeitung betrachten Lernen als elaborieren oder die eigene Position vor ande-
Veränderung von Wissensstrukturen durch ren oder vor sich selbst verteidigen muss; denn
die fortlaufende Integration neuer Informa- erst das Bemühen um eine Erklärung zwingt
den Lernenden häufig dazu, sein Wissen zu
tionen in bereits vorhandene Wissensbestän-
integrieren und in neuer Weise zu elaborieren.
de. Diese Integration wird umso leichter (Brown & Palincsar, 1989, S. 395)
gelingen, je leichter und reichhaltiger sich
Anknüpfungspunkte zwischen den neuen All dies geschieht aber nicht automatisch,
Informationen und den bereits vorhandenen indem Lerngruppen einfach nur zusammen-
Wissenseinheiten finden lassen. gestellt und beliebige Lernaufgaben formu-

313
Teil II Lehren

liert werden. Vielmehr müssen geeignete Die von Slavin und Mitarbeitern entwickel-
Strukturierungen der kooperativen Situation ten Methoden der Gruppenrallye (STAD;
vorgenommen werden, insbesondere durch Student Teams Achievement Divisions),
die Vorgabe von Rollen- oder Aufgabenver- des Gruppenturniers (TGT; Teams Games
teilungen und durch die Bereitstellung not- Tournaments) und des Gruppenwettbe-
wendiger Ressourcen, also durch strukturie- werbs (TAI; Team Accelerated Instruction)
rende und lenkende Maßnahmen. Bekannte sind bekannte Beispiele für die Realisierung
Realisierungen auf der Grundlage der kogni- interdependenter Belohnungssysteme im
tiven Elaborationsperspektive sind das soge- schulischen Unterricht. Bei der STAD-Me-
nannte Cooperative Scripting zum Lernen thode und bei TGT wird durch das unter-
aus Texten mit der Methode der verteilten richtliche Arrangement der Leistungswett-
Rollen (O’Donnell, 1996), das sich vornehm- bewerb zwischen zwei oder mehr Lernteams
lich für Lernende auf College-Niveau eignet, forciert. Die Belohnungen erfolgen zwar in
oder das »CIRC-Programm« (Cooperative erster Linie teambezogen, aber es wird dabei
Integrated Reading and Composition) zum sichergestellt, dass jedes Gruppenmitglied zu
Lesen und Schreiben im fortgeschrittenen gleichen Anteilen zur Gesamtbewertung ei-
Grundschulalter (Stevens & Slavin, 1995). ner Gruppe beitragen kann und soll. Eine
Die Perspektive der kognitiven Elaboration Aufgabenspezialisierung innerhalb der
spielt aber auch in vielen anderen tutoriellen Gruppe findet bei den Wettbewerbsmetho-
und kooperativen Arrangements, wie z. B. den im Allgemeinen nicht statt.
dem reziproken Lehren (Palincsar & Brown,
1984), eine wichtige Rolle. (4) Die Perspektive der sozialen Kohäsion.
Neben der Ziel- und der Belohnungsinter-
(3) Die motivationale Perspektive. Aus der dependenz, die sich aus einer pragmatischen
Tradition behavioraler Lerntheorien ist die Sichtweise heraus gut begründen lassen, gilt
motivationale Perspektive des Gruppenler- die soziale Interdependenz als ein weiterer
nens entstanden – sie betont vor allem die grundlegender Wirkmechanismus koope-
Wirksamkeit von Gruppenbelohnungen. rativen Lernens. Im Unterschied zu den zu-
Motivation wird dabei vornehmlich als ex- vor genannten kognitiv-konstruktivistischen
trinsische, über Zielstrukturen oder Bekräf- und motivationalen Perspektiven enthält die
tigungen aufgebaute und aufrechterhaltene Perspektive der sozialen Kohäsion jedoch
Verhaltenstendenz zum individuellen Enga- eine idealistische Nuance. Kooperiert wird
gement und zur Zusammenarbeit verstan- dieser Sichtweise zufolge nicht etwa, weil
den. Wenn Belohnungs- und Zielstrukturen man etwas dafür bekommt oder weil man
so gestaltet werden, dass Zusammenarbeit dazu gezwungen wird, sondern weil man
zur Zielerreichung notwendig wird, ist ein sich zusammengehörig fühlt. Soziale Kohä-
externer Anreiz zur Lernkooperation gege- sion meint, dass die Mitglieder einer Lern-
ben. Aus dieser Perspektive ergeben sich gruppe aus eigenem Antrieb »zusammenhaf-
Ansätze, Gruppenbelohnungen in unter- ten« und dass sie notwendige Teile eines
schiedlicher Weise mit individuellen Aner- Ganzen sind, so wie Teile eines Puzzles
kennungen für spezifische Anteile am Zu- zusammengehören.
standekommen eines Gruppenprodukts zu
[. . .] Schüler helfen einander beim Lernen, weil
kombinieren. Die Verknüpfung individueller ihnen etwas an der Gruppe und an ihren Mit-
mit kollektiven Gratifikationssystemen gilt gliedern liegt und weil die Mitgliedschaft in der
dabei, wie bereits erwähnt, als besonders Gruppe für ihre eigene Identität wichtig ist.
erfolgversprechend (vgl. Johnson & John- (Brown & Palincsar, 1989, S. 395)
son, 1994; Slavin, 1983, 1995).

314
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Die sozial-kohäsive Perspektive ist sozusa- ve Lernarrangements ausführlicher vor-


gen das intrinsisch-motivierte Gegenstück gestellt: die Gruppenrallye als Prototyp
der zuvor dargestellten extrinsisch-orientier- der motivationstheoretischen Perspektive,
ten motivationstheoretischen Sichtweise. das Gruppenpuzzle, als Beispiel für eine
Daraus folgt eine strikte Ablehnung der Methode, welche die sozial-kohäsive Tradi-
Belohnungsinterdependenz: tion begründet hat, die Gruppenrecherche,
die ebenfalls der sozial-kohäsiven Sichtweise
Wenn die Aufgabe herausfordernd und interes-
verpflichtet ist, und die Skriptkooperation,
sant ist und wenn die Schüler ausreichend über
kooperative Fertigkeiten verfügen, werden sie die sich auf die Sichtweise der kognitiven
den Prozess der Gruppenarbeit selbst als stark Elaboration beruft. Eine weitere, mit der
belohnend empfinden [. . .] Niemals aber sollte Skriptkooperation verwandte kooperative
man die Schüler nach ihren individuellen Bei- Methode ist das reziproke Lehren. Es wurde
trägen zum Gruppenprodukt benoten oder
bewerten. (Cohen, 1986, S. 69–70) bereits in 䉴 Kap. 6.2 ausführlicher behandelt
und lässt sich sowohl aus der Sichtweise der
Unter der Perspektive der sozialen Kohäsion kognitiven Elaboration als auch aus der
wird die positive Interdependenz deshalb Perspektive der kognitiven Entwicklung be-
ausschließlich über Aufgabenspezialisierun- gründen. In den Darstellungen der vier Me-
gen und über unterschiedliche Rollenzu- thoden werden die bereits aufgezeigten
weisungen hergestellt. Zwei unterrichtliche Überlappungen der Begründungszusam-
Realisierungen der sozial-kohäsiven Per- menhänge nochmals deutlich. In 䉴 Abb. 6.1
spektive werden später näher beschrieben sind deshalb die Methoden meist mehr als
– das Gruppenpuzzle (Jigsaw I) von Aronson nur einer theoretischen Perspektive zugeord-
und die Methode der Gruppenrecherche von net.
Sharan und Sharan. Weiterentwicklungen Allen kooperativen Methoden ist gemein-
und Modifikationen solcher Methoden wie sam, dass kooperative Basiselemente reali-
Slavins Jigsaw II (Slavin, 1985) oder die siert werden, die aus dem gemeinsamen
sogenannten Learning-together-Umgebun- Arbeiten »mehr machen« als ein bloßes
gen von Johnson und Johnson (1994), ver- Nebeneinanderher-Arbeiten; dass also ein
binden in vielversprechender Weise die so- gemeinsamer Arbeitsprozess initiiert wird,
zial-kohäsive Perspektive mit den Beloh- von dem alle Gruppenmitglieder profitieren
nungs- und Verantwortlichkeitsstrukturen können. Das wichtigste Basiselement ist die
der motivationalen Theorie. positive Interdependenz. Kehren wir zur
Kooperationsaufgabe am Anfang dieses Ka-
pitels zurück: Um eine wechselseitige Ab-
Vorläufiges Fazit hängigkeit zwischen den Lernern zu gewähr-
leisten, müsste die Instruktion z. B. um den
Die vier Perspektiven schließen sich nicht Hinweis ergänzt werden, dass alle vier Stu-
gegenseitig aus, sondern fokussieren einan- dierenden am Ende einen Wissenstest zu
der sinnvoll ergänzende Aspekte des Grup- bearbeiten haben, der sich aus Fragen zu
penlernens (O’Donnell, 2006; Slavin, beiden Teilbereichen (also zur Theorie und
2011 a). Hinzu kommt, dass die auf sie Praxis des Gruppenpuzzles und zu den Me-
zurückgehenden kooperativen Verfahren in taanalysen) zusammensetzt. Nur so wird
ihren unterschiedlichen Realisierungen für erreicht, dass jeder Einzelne auch für den
unterschiedliche Lerninhalte und für unter- Lernerfolg der anderen mit verantwortlich
schiedliche Zielgruppen von Lernenden un- ist.
terschiedlich gut geeignet scheinen. Im Fol-
genden werden exemplarisch vier kooperati-

315
Teil II Lehren

Methoden Gruppen- Skript- Gruppen- Gruppen- Reziprokes


recherche kooperation rallye puzzle Lehren
Theoretische
Perspektiven

Entwicklung

Kognitive
Elaboration
Abb. 6.1: Motivation
Kooperative Methoden
und ihre Zuordnung zu Soziale
theoretischen Perspektiven Kohäsion

Gruppenrecherche einem speziellen Teilaspekt eines Unterthe-


mas. Durch organisatorische Vorkehrungen
Die Methode der Gruppenrecherche (Group wird gewährleistet, dass die Zugänglichkeit
Investigation) wurde von Shlomo und Yael zu Lernmaterialien und zu Informationen
Sharan (1992) für Kleingruppen von bis zu und die Möglichkeit zu Kommunikation
sechs Teilnehmern entwickelt. Sie lässt sich und Informationsaustausch stets gegeben
bereits in der Grundschule einsetzen und sind. Die individuellen Erarbeitungen wer-
kommt in ihrer unterrichtlichen Realisie- den später in den einzelnen Teilgruppen
rung dem nahe, was in der Grundschuldi- zusammengetragen und dort präsentiert.
daktik in der Tradition Deweys als Projekt- Jede der Teilgruppen bereitet abschließend
arbeit oder als Projektmethode bezeichnet eine Teampräsentation ihrer Arbeit in der
wird. Im Unterschied zum Gruppenpuzzle Gesamtgruppe, also der gesamten Schulklas-
und zur Skriptkooperation ist die Gruppen- se, vor. Die Bewertung der Güte der Arbeits-
recherche eine »offene« und wenig vorstruk- leistung obliegt allein den Teammitgliedern
turierte Unterrichtsform. einer Teilgruppe selbst und der gesamten
Die Gruppenarbeit beginnt bei der Grup- Schulklasse. Gruppenbelohnungen und -be-
penrecherche damit, dass die Lehrperson wertungen durch die Lehrpersonen sind
einer größeren Gruppe von Schülern (in nicht vorgesehen.
der Regel der gesamten Schulklasse) ein Die positive Interdependenz wird bei der
Rahmenthema (z. B. das Wetter) zur Bear- Gruppenrecherche durch Aufgabeninterde-
beitung vorgibt und dass die Schüler selbst pendenz, d. h. durch die Übertragung indi-
überlegen und entscheiden, welche Teilas- vidueller Verantwortlichkeiten für die Teil-
pekte dieses Themas für sie interessant und beiträge eines Teams hergestellt. Allein die
wichtig sind und welche Fragestellungen sie Prozesse der sozialen Kohäsion sichern die
im Detail bearbeiten möchten. Teilgruppen Wirksamkeit der Methode, bei der Vorberei-
der Lernenden sollen dann in Gruppenarbeit tung und Durchführung der Präsentationen
je eines dieser unterschiedlichen Unterthe- in den Teilgruppen werden Prozesse der
men bearbeiten. Die Mitglieder einer solchen kognitiven Elaboration hinzukommen. Die
Teilgruppe einigen sich untereinander, wel- erfahrene Wertschätzung durch die kollabo-
chen Beitrag sie mit welchen Hilfsmitteln rierenden Mitlernenden, das Selbstwirksam-
und in welcher Weise (wiederum arbeitstei- keitserleben und der Stolz auf das gemein-
lig) leisten wollen. Jedes Gruppenmitglied sam erstellte Produkt gelten als die entschei-
arbeitet dann weitgehend selbständig an denden Wirkmechanismen. Die Methode

316
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

der Gruppenrecherche steht im Einklang mit tauscht. Durch das partnerschaftliche Zu-
der Selbstbestimmungstheorie motivierten hören, Korrigieren und Ergänzen und durch
Handelns (Ryan & Deci, 2000; 䉴 Kap. 2.4), das Fragenstellen kommt zu weiterführen-
weil den Grundbedürfnissen nach Auto- den kognitiven Elaborationen – es entstehen
nomie und Kompetenzerleben durch das auf diese Weise sogenannte kooperative
selbständige Fragengenerieren und durch Skripts des Gelesenen. Insbesondere wegen
das eigenverantwortliche Themenauswäh- des evozierten Erklärens und Nachfragens
len entsprochen wird. wird aus kognitionspsychologischer Per-
Für die Methode der Gruppenrecherche spektive ein Vorteil der Skriptkooperation
werden positive Effekte berichtet – wenn die gegenüber dem individuellen Textlernen ge-
Projektarbeit durch die Lehrperson sorgfäl- sehen. Strittig ist, ob sich dieser Vorteil text-
tig vorbereitet war (Sharan & Shachar, abschnittsbezogen nur zugunsten des jeweils
1988). Allerdings ist zu bedenken, dass erklärenden Partners auswirkt oder ob man
eine externe Bewertung des Gruppenpro- auch dann profitiert, wenn man für einen
dukts nicht ohne weiteres möglich ist, Textabschnitt nur die Zuhörerrolle innehat
wenn man die Methode ernst nimmt. Un- (Renkl, 1997).
strittig scheint jedenfalls, dass in »funktio- Im Bruner’schen Sinne hat diese stark
nierenden« Teilgruppen sehr gute Lernerfol- strukturierte Methode nur wenig Ent-
ge erzielt werden können. Strittig ist, inwie- deckenlassendes. Im Gegenteil: Die aus-
weit die in den Teilgruppen neu erworbenen geprägte Instruktionskomponente struktu-
Kenntnisse durch die abschließende Team- riert die Lehr-Lern-Situation akribisch vor.
präsentation in der Klasse auch in die Ge- Es werden detaillierte Anweisungen gege-
samtgruppe »transferiert« werden können. ben, wer wann welche Rolle und welche
Neben der Gruppenrecherche gibt es auch Aufgaben übernehmen soll. Die positive In-
andere kooperative Methoden, die auf der terdependenz wird über eine strikte Rollen-
Grundlage der sozialen Kohäsion argumen- und Aufgabenteilung hergestellt, die im
tieren. Die ursprüngliche Variante des Grup- Lernverlauf reziprok wechselt. Durch diesen
penpuzzles JIGSAW I (Aronson et al., 1978) Rollenwechsel wird sichergestellt, dass beide
ist hier vor allem zu nennen – sie wird im Lernpartner mit gleichen Rechten und
weiteren Verlauf noch beschrieben. Pflichten am gemeinsamen Erfolg arbeiten.
Die wechselseitige Abhängigkeit der Lernen-
den untereinander und ein hohes Maß an
Skriptkooperation Gleichheit und Gegenseitigkeit sind damit
gegeben.
Dansereau und Kollegen haben kooperative Die Wirksamkeit der Skriptkooperation
dyadische Methoden entwickelt, die sich vor lässt sich ähnlich dem reziproken Lehren
allem für das Lernen aus Lehrbuchtexten (Brown & Palincsar, 1989; Palincsar &
eignen (O’Donnell, 1996; O’Donnell & Brown, 1984; 䉴 Kap. 6.2), dem reziproken
Dansereau, 1992). Die Partner eines Lern- Peer-Tutoring (Fantuzzo et al., 1989, 1995)
tandems lesen bei der Skriptkooperation und dem angeleiteten Fragen (King, 1991,
beide einen bestimmten Textabschnitt, der 1994) vor allem auf Prozesse der kognitiven
eine muss anschließend den Inhalt in eigenen Elaboration, also auf eine reichhaltigere und
Worten zusammenfassen, also die Rolle des tiefere Informationsverarbeitung, zurück-
Lehrers übernehmen, der andere hört zu, führen. Auch die Entwicklungsperspektive
korrigiert und ergänzt das Vorgetragene. ließe sich aber anführen. Während sich die
Für den nächsten Textabschnitt werden die Methode der Skriptkooperation vornehm-
Rollen des Lehrers und des Zuhörers ge- lich für Jugendliche und Erwachsene als

317
Teil II Lehren

Studie: Methode der Lautlese-Tandems


Die Methode der Lautlese-Tandems setzt auf einer hierarchieniedrigen Ebene des Lese-
prozesses, anders als die Skriptkooperation oder das reziproke Textlesen. Bei den Lautlese-
Tandems geht es um die Förderung der Leseflüssigkeit. Im Lautlese-Tandem lesen ein
schwächerer Schüler (Tutand) und ein stärkerer Schüler (Tutor) laut und gemeinsam
mehrfach einfache Texte – so lange, bis sie flüssig gelesen werden können. Die Methode
beruht auf Prinzipien und Routinen des wiederholten, begleiteten und korrigierenden
Lesens und ist bei Nix (2011; Rosebrock, Nix, Rieckmann & Gold, 2011) ausführlich
beschrieben. Dass die Lautlese-Tandems einer Klasse im Sinne einer »Lese-Meisterschaft«
miteinander konkurrieren, realisiert zusätzlich eine Belohnungsinterdependenz.
In einer Trainingsstudie mit leseschwachen Schülerinnen und Schülern sechster Haupt-
schulklassen kam die Methode über ein Schulhalbjahr hinweg zum Einsatz. Verglichen mit
der Leistungsentwicklung in einer Kontrollgruppe, die herkömmlichen Deutschunterricht
erhielt, profitierten die trainierten Kinder sowohl im Hinblick auf die Leseflüssigkeit (d =
0.84) als auch hinsichtlich des Textverstehens (d = 0.36). Die Kompetenzsteigerungen
waren sowohl bei den Tutanden als auch bei den Tutoren zu beobachten (Rosebrock,
Rieckmann, Nix & Gold, 2010; Gold, Behrendt, Lauer-Schmaltz & Rosebrock, 2013).

wirksam erwiesen hat, sind für das reziproke totyp eines kooperativen Arrangements auf
Lehren und für das angeleitete Fragen auch der Grundlage der Theorie motivationaler
positive Erfahrungen aus dem Grundschul- Gruppenanreize. Bezeichnungen wie Rallye
bereich berichtet worden (z. B. Hacker & oder Turnier weisen bereits auf den Wett-
Tenent, 2002; Rosenshine, Meister & Chap- bewerbscharakter hin: Es handelt sich um
man, 1996). Lernspiele, bei denen Lerngruppen »gegen-
einander antreten«, um zu gewinnen. Für
solche Wettbewerbsmethoden ist von vorn-
Gruppenrallye herein eine vergleichsweise große Akzeptanz
bei Schulkindern gegeben: Meist reagieren
Die Gruppenrallye Student Teams-Achieve- sie mit Freude und Begeisterung, wenn ein
ment Divisions (STAD) gilt, wie die ver- spielerischer Wettbewerb oder ein Quiz an-
wandte Methode des Gruppenturniers gekündigt wird. Die Frage ist nur, wie gut
Teams-Games-Tournament (TGT), als Pro- dabei gelernt wird.

Beispiel: Methode der Gruppenrallye im Unterricht


»In der letzten Stunde habe ich euch erzählt, wie die 16 Bundesländer heißen und welches
ihre Hauptstädte sind. Heute wollen wir die einzelnen Bundesländer etwas besser kennen
lernen. Dafür teile ich euch in 6 Arbeitsgruppen ein, mit jeweils 4 Mitgliedern in einer
Gruppe. Ich bin gespannt, welche Gruppe am besten lernen kann! Jede Gruppe bekommt
von mir eine Umrisskarte von Deutschland und einen Textauszug aus einem Buch, der die
wichtigsten Informationen zu den Bundesländern enthält. In euren Arbeitsgruppen sollt ihr
euch heute damit beschäftigen und euch auch gegenseitig helfen, um die Dinge besser
verstehen und behalten zu können. Denn ihr möchtet ja sicher, dass eure Gruppe am Ende

318
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

ein gutes Ergebnis erzielt. In der nächsten Stunde – also morgen – wird jeder von euch einen
Wissenstest bearbeiten (ein Quiz), mit insgesamt 10 Fragen zu den Bundesländern. Für
jeden einzelnen von euch und für jede Gruppe wird ein Leistungswert aus den richtigen
Antworten errechnet. Jede Gruppe, die im Durchschnitt mehr als 8 der Fragen richtig
beantwortet hat, bekommt zur Belohnung ein ›Supergruppenzeugnis‹ und jedes Mitglied
aus der allerbesten Gruppe bekommt einen ›Hausaufgabengutschein‹. Ihr könnt den
Gutschein an einem Tag eurer Wahl einlösen und braucht dann an diesem Tag keine
Hausaufgaben zu machen. Und nun an die Arbeit!« (nach Borsch, 2010).

Bei der Gruppenrallye haben die Mitglieder arbeiten müssen. Um den individuellen Lern-
einer Lerngruppe ein gemeinsames Grup- fortschritt jedes Einzelnen festzustellen, wer-
penziel und bekommen eine Gruppenbeloh- den die dabei erzielten Leistungswerte mit
nung, wenn sie dieses Ziel erreichen. Zu- den individuellen Basiswerten aus der Ein-
gleich sind sie für ihre eigenen Beiträge zur gangsdiagnostik verglichen. Eine Verbes-
Gruppenarbeit selbst verantwortlich. Da die serung der Basiswerte wird durch individu-
Einzelbeiträge zum Gruppenprodukt am elle »Fortschrittspunkte« belohnt. Die Fort-
Ende aufaddiert werden, nutzt es ihnen schrittspunkte werden über die Gruppen-
aber wenig, wenn sie allein ihr gestecktes mitglieder hinweg aufaddiert, um einen
Individualziel erreichen, während die ande- Gesamtzuwachswert für die Gruppe zu be-
ren Gruppenmitglieder hinter ihren Mög- stimmen. Durch den Vergleich der Gesamt-
lichkeiten zurückbleiben. Die positive Inter- zuwachswerte lässt sich am Ende ermitteln,
dependenz wird demnach durch die Grup- welche der Lerngruppen einer Klasse oder
penbewertung und durch das gemeinsame welche der Klassen einer Schule den Wett-
Ziel, gewinnen zu wollen, aufgebaut. bewerb gewonnen hat.
Üblicherweise besteht eine Lerngruppe Die Individualtestungen am Ende der ko-
aus vier bis fünf Mitgliedern. Für den Schul- operativen Lernphase und die Ermittlung
unterricht gilt die Empfehlung, möglichst eines Gruppengesamtwertes auf der Grund-
leistungsheterogene, aber über die Teams lage der individuellen Lernfortschrittswerte
hinweg vergleichbar leistungsfähige Grup- sollen gewährleisten, dass in der kooperati-
pen zusammenzustellen. Auch nach Ge- ven Phase auch tatsächlich zielbezogen und
schlecht sollten die Gruppen einigermaßen kooperativ gelernt wird. Vor allem Slavin
ausbalanciert sein. Die eigentliche Gruppen- weist auf die Unverzichtbarkeit solcher In-
arbeit wird durch ein individuelles Bearbei- dividualtestungen hin:
ten von Arbeitsblättern eröffnet, die selb-
ständig von den Kindern gefundenen Ant- Für das Team gibt es nur einen einzigen Weg
worten und Lösungsvorschläge werden da- zum Erfolg: sicherzustellen, dass alle Mitglie-
ran anschließend mit denen der anderen der gelernt haben. Daher konzentrieren sich die
Aktivitäten der Gruppenmitglieder darauf, sich
Gruppenmitglieder verglichen und zur Über- gegenseitig die Konzepte zu erklären, sich beim
einstimmung gebracht. Dies ist die im ei- Üben zu helfen und zu Leistungen anzuspor-
gentlichen Sinne kooperative Phase der Ral- nen. Im Gegensatz dazu gibt es nur wenig
lye. Eine Aufgabenspezialisierung findet Anreize zur Kooperation, wenn die Gruppen-
belohnungen auf der Basis eines Gesamtpro-
während des Lernens nicht statt. Am Ende
dukts der Gruppe gegeben werden. Dann kön-
dieser Phase wird ein Test geschrieben, den nen nämlich auch ein oder zwei Gruppenmit-
die Gruppenmitglieder individuell, d. h. glieder die gesamte Arbeit tun. (Slavin et al.,
ohne sich gegenseitig helfen zu dürfen, be- 2003, S. 180)

319
Teil II Lehren

Für die Gruppenrallye und das verwandte allerdings nicht in gemeinsamer Gruppen-
Gruppenturnier, aber auch für weitere be- arbeit, sondern arbeitsteilig, indem nämlich
lohnungsorientierte Methoden wie die Team jedes Gruppenmitglied nur für eines der
Assisted Individualization (TAI) und das Teilgebiete des Lernstoffes Verantwortung
Cooperative Integrated Reading and Com- übernimmt. Das eigentliche Lernen findet
position (CIRC) liegen eine Reihe positiver in der zweiten, der Erarbeitungsphase statt.
Evaluationsstudien vor, wobei sich die bei- Hier treffen sich die Lernenden aus den
den letztgenannten Methoden eher im Pri- verschiedenen Stammgruppen, die dasselbe
marschulbereich, die Gruppenrallye und das Teilgebiet gewählt haben, in sogenannten
-turnier mehr mit älteren Schülern bewährt Expertengruppen. In den Expertengruppen
haben (zusammenfassend: Slavin, 2011 a). wird der Lernstoff eines Teilgebiets selbstän-
dig (aber gemeinsam) erarbeitet und für die
spätere Präsentation in den jeweiligen
Gruppenpuzzle Stammgruppen vorbereitet. In dieser Ar-
beitsphase werden die Lernenden zu Exper-
Das ursprüngliche Gruppenpuzzle JIGSAW I ten in ihrem Teilgebiet. In der dritten, der
(Aronson et al., 1978; Aronson & Patnoe, Vermittlungsphase, müssen sie ihr neu er-
1997) beruht, wie die anderen kooperativen worbenes Wissen an ihre Stammgruppe wei-
Methoden der Sharans, auf sozial-kohäsiven tergeben. Im Austausch dafür erhalten sie
Vorstellungen. Die notwendige positive In- jenes Wissen, das sich ihre Stammgruppen-
terdependenz soll vornehmlich durch spezi- kollegen in den anderen Expertengruppen
fische Teil-Aufgabenstellungen erzeugt wer- angeeignet haben. Einem Puzzle gleich wer-
den – ein Gesamtprodukt kann nur entste- den in dieser Vermittlungsphase die einzel-
hen, wenn alle Teilaufgaben erfüllt worden nen Wissensteile zu einem Ganzen zusam-
sind, so wie sich die Teile eines Puzzles nur mengesetzt. In einer abschließenden Phase
dann zum ganzen Bild zusammenfügen, der Evaluation und Integration bearbeiten
wenn sie alle an den jeweils richtigen Stellen die Lernenden individuell, in Kleingruppen
zum Liegen kommen. In Aronsons ursprüng- oder der gesamten Klasse Aufgaben, bei
licher Konzeption ist die Methode des Grup- denen alle Wissensteile integriert werden
penpuzzles explizit nicht-kompetitiv ange- müssen.
legt. Diese als JIGSAW I bezeichnete Form Slavin (1985) hat Aronsons Konzeption
des Gruppenpuzzles wird im Folgenden vor- weiterentwickelt und die sozial-kohäsive
gestellt (䉴 Abb. 6.2). Perspektive anreizbezogen ergänzt (JIGSAW
Clarke (1994) beschreibt die vier Arbeits- II). Zusätzlich zur Aufgabeninterdependenz
phasen beim Gruppenpuzzle folgenderma- hat er eine Belohnungsinterdependenz einge-
ßen: Vorbereitend gliedern die Lehrenden führt, die über Gruppenbelohnungen für die
den Lernstoff einer Lerneinheit in Teilgebie- in der Phase der Integration erfolgreichste
te, für die sie Lernmaterialien auswählen und Gruppe wirksam werden soll. Dadurch wird
vorbereiten. In der ersten, der Einführungs- allerdings eine kompetitive Situation zwi-
phase, gibt der Lehrende für die Gesamt- schen den Gruppen erzeugt und es besteht
gruppe einen Überblick zur Gesamtthema- die Gefahr, dass sich die Mitglieder der
tik. Danach werden die Lernenden in soge- verschiedenen Stammgruppen bei ihrer ge-
nannte Stammgruppen mit 4 bis 6 Personen meinsamen Arbeit in den Expertengruppen
eingeteilt. Diese Stammgruppen sollten mög- nicht mehr wechselseitig unterstützen, um
lichst leistungsheterogen zusammengesetzt den Erfolg der eigenen Gruppe zu sichern.
sein. Jede Stammgruppe hat den gesamten Beim Gruppenpuzzle fließen mehrere Be-
Lernstoff einer Lerneinheit zu bearbeiten, gründungsperspektiven kooperativer Lehr-

320
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

1. Einführungsphase
Stammgruppenbildung
Themenverteilung

Sonne Regen

2. Erarbeitungsphase
Erarbeitung der Teilgebiete in
Expertengruppen

Wolken Wind

3. Vermittlungsphase
Vermittlung der Teilgebiete in
Stammgruppen

4. Individuelle Wissensprüfung

5. Phase der Evaluation und Integration


Abb. 6.2: Arbeitsphasen des Gruppenpuzzles (Borsch, 2010, S. 51)

321
Teil II Lehren

Studie: Gruppenpuzzle in der Grundschule


Borsch, Jürgen-Lohmann und Giesen (2002) haben untersucht, ob das Gruppenpuzzle
schon bei Grundschulkindern eingesetzt werden kann.
Methode
An acht Schulen wurden in je einer 3. oder 4. Klasse zwei einwöchige Unterrichtseinheiten
nach der Gruppenpuzzle-Methode durchgeführt (Themenauswahl: Ritter und Burgen,
Wetter, Vulkane, Astronomie). Zum Vergleich wurden dieselben Themen in einem her-
kömmlichen Unterricht in je einer Parallelklasse durchgenommen.
Ergebnisse
Die Kinder in den Gruppenpuzzle-Klassen erzielten einen höheren Wissenszuwachs als die
herkömmlich unterrichteten Kinder. Dieser Vorsprung blieb auch vier Monate nach Ende
der Unterrichtseinheiten erhalten. Alle Kinder profitierten, unabhängig von ihrem Vor-
wissen zu den Themen, von der kooperativen Unterrichtsform. Die Kinder lernten am
meisten in ihren jeweiligen Expertengebieten, es konnte aber auch ein deutlicher Wissens-
zuwachs der Zuhörer in den Stammgruppen erreicht werden. Die kooperative Unterrichts-
form war besonders erfolgreich in Schulen mit flexiblen Organisationsformen und einer
aufgeschlossenen Haltung gegenüber dem kooperativen Lernen sowie in Klassen mit einem
positiven Klassenklima.
Schon Drittklässler können also kooperativ nach der Gruppenpuzzle-Methode arbeiten.
Detailliertere Zusatzanalysen zeigten, dass das wechselseitige Erklären in der Vermitt-
lungsphase allerdings zusätzlicher strukturierender Hilfen bedarf (Borsch, Gold, Kronen-
berger & Souvignier, 2007).

Lern-Modelle zusammen und es sind alle gigkeit von den verglichenen Referenz-
fünf Basiselemente erfolgreicher Kooperati- methoden werden meist positive Effekte
on nach Johnson und Johnson (1994) ver- für den Einsatz des Gruppenpuzzles berich-
wirklicht. Eine positive Interdependenz wird tet (Slavin, 1995; Johnson, Johnson & Stan-
über das gemeinsame Lernziel und über die ne, 2000), die in ihrer Größenordnung den
Aufgabenspezialisierung sowie bei JIGSAW mittleren Bereich allerdings nicht überschrei-
II über das zusätzliche Instrument der Grup- ten. Dass es vor allem in der Vermittlungs-
penbewertung realisiert. phase zu Verstehensproblemen bei den
Das Gruppenpuzzle hat seit vielen Jahren »Nicht-Experten« kommen kann, die die
Eingang in die pädagogische Arbeit an Schu- Effizienz der Methode beeinträchtigen, wur-
len und Hochschulen gefunden. Es lässt sich de in den Untersuchungen von Borsch
unabhängig vom Alter und von den Lern- (2005) und Kronenberger (2004) in der 3.
voraussetzungen anwenden. Souvignier Grundschulklasse gezeigt (vgl. auch Hänze
(1999) hat gezeigt, dass auch lernbehinderte & Berger, 2007; Souvignier & Kronenber-
Kinder davon profitieren können. In Abhän- ger, 2007).

322
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Studie: Gruppenpuzzle im Studium


Jürgen-Lohmann, Borsch und Giesen (2001) haben untersucht, ob Studierende mit der
Methode des Gruppenpuzzles größere Lernerfolge erzielen, als wenn sie herkömmliche
Referate-Seminare besuchen.
Methode
Das Gruppenpuzzle wurde in zwei Seminaren der Pädagogischen Psychologie eingesetzt
und hinsichtlich seiner Wirksamkeit jeweils mit einem herkömmlichen Referate-Seminar
verglichen.
Ergebnisse
In Gruppenpuzzle- und in Referate-Seminaren wurde ein vergleichbarer Lernerfolg (Ab-
schlussklausur) erzielt. Die Zufriedenheit mit dem Seminarverlauf war jedoch in der
kooperativen Seminarform deutlich positiver. Die Studierenden hielten die Gruppenpuzz-
le-Seminare für effektiver, interessanter und kognitiv anregender als die Referate-Seminare
und schätzten ihre eigene Beteiligung und ihren Fleiß höher ein.

Fazit 0.06) und Gruppenpuzzle (d = 0.12) zeigten


sich nur sehr geringe Effekte und für die
Einer von Antil, Jenkins, Wayne und Vadasy Gruppenrallye (d = 0.32) ein etwas größerer.
(1998) durchgeführten Befragung zufolge Johnson (2003) ermittelte auf der Basis von
werden kooperative Lernformen nahezu flä- 754 Studien dagegen eine mittlere Effektstär-
chendeckend in amerikanischen Grundschu- ke des kooperativen Lernens von d = 0.67 im
len eingesetzt. Das überrascht, sollte jedoch Vergleich zu Lehr-Lern-Prozessen mit kom-
mit Vorsicht bewertet werden. Besser wäre es petitiven Lernzielstrukturen. In der differen-
vermutlich, von Formen der »Gruppen- zierteren Aufstellung von Johnson, Johnson
arbeit« sprechen, denn keiner der von Antil und Stanne (2000) wurden die drei koope-
et al. befragten Lehrer bezog sich explizit auf rativen Methoden entweder mit kompetitiv
eine der oben beschriebenen Methoden ko- strukturierten Kontrollbedingungen (Grup-
operativen Lehrens. Meist wird bei einer penrecherche: d = 0.37, Gruppenrallye: d =
»nicht kooperativen« Gruppenarbeit zwar 0.51, Gruppenpuzzle: d = 0.29) oder mit
ein Gruppenprodukt erwartet, und es wer- individualistisch strukturierten Kontroll-
den oft auch unterschiedliche Aufgaben an bedingungen (Gruppenrecherche: d = 0.62,
unterschiedliche Schüler delegiert. Es fehlt Gruppenrallye: d = 0.29, Gruppenpuzzle: d =
aber in der Regel an strukturierenden Maß- 0.13) verglichen. Hattie (2009) berichtet eine
nahmen, die die individuelle Verantwortlich- in der Größenordnung vergleichbare Effekt-
keit und damit eine der zentralen Voraus- stärke von d = 0.54 im Vergleich mit dem
setzungen erfolgreicher Kooperation ge- kompetitiven Lernen und von d = 0.59 im
währleisten könnten. Vergleich mit dem individualistischen Lernen.
Es gibt viele unterschiedliche kooperative Kooperative Lernformen insgesamt sieht
Methoden, einige davon wurden in diesem Hattie mit d = 0.41 im Vorteil, die dyadischen
Kapitel exemplarisch vorgestellt. In der Me- Peer-Tutoring-Methoden (d = 0.55) scheinen
taanalyse von Slavin (1995) wird eine mittlere dabei wirksamer als die Gruppenmethoden.
Effektstärke von d = 0.26 zugunsten des Mithin sprechen die Metaanalysen zwar für
kooperativen Lernens insgesamt berichtet. einen Leistungsvorteil kooperativ lernender
Für die Methoden Gruppenrecherche (d = Schüler gegenüber individualistisch oder

323
Teil II Lehren

kompetitiv strukturiertem Unterricht. Aller- allerdings bei der Interpretation des zuletzt
dings gibt es eine sehr große Variabilität der aufgeführten Moderatoreffekts angebracht.
Effekte, was auf den bedeutsamen Einfluss Insgesamt spricht die Metaanalyse von
moderierender Bedingungen hinweist (s. u.). Rohrbeck et al. (2003) aber für eine kom-
Rohrbeck, Ginsberg-Block, Fantuzzo und pensatorische Wirksamkeit der kooperati-
Miller (2003) legten eine Metaanalyse zum ven Methoden:
»Peer-Assisted Learning« (PAL) im Grund- Die größten Effekte gibt es bei den schwächsten
schulalter vor. PAL steht dabei für ein breites Schülern [. . .]. Diese Befunde sind insgesamt
Spektrum kooperativer Lernformen, sowohl sehr ermutigend, da Schüler aus ethnischen
für das Lernen in Dyaden als auch in Klein- Minderheiten, die in einer städtischen Umge-
bung aufwachsen, die am stärksten gefährdete
gruppen. Insofern ergänzt die Metaanalyse
Gruppe von Grundschülern in den Vereinigten
von Rohrbeck et al. die Befundlage voran- Staaten sind. (Rohrbeck et al., 2003, S. 250)
gegangener Zusammenfassungen, die sich
vornehmlich auf das Lernen in Gruppen Im Übrigen gibt es Hinweise darauf, dass vor
konzentrierten. Ein zusätzlicher Erkenntnis- allem die leistungsschwächeren Schüler von
gewinn war damit verbunden, dass die Auto- der gemeinsamen Arbeit in leistungshetero-
rengruppe bedeutsame Teilkomponenten gen zusammengesetzten Gruppen profitieren
der kooperativen Methoden in ihrer Wirk- (Lou et al., 1996; Webb & Palincsar, 1996;
samkeit vergleichend analysierte und dass Webb, Nemer, Chizhik & Sugrue, 1998;
nach differenziellen Effekten (Moderatoren) Saleh et al., 2005). Durchschnittlich Begabte
der Wirksamkeit gesucht wurde. In die Me- kommen offenbar in leistungshomogen zu-
taanalyse waren 90 Interventionsstudien sammengesetzten Lerngruppen besser zu-
einbezogen, die den Kriterien einer (quasi-) recht und für überdurchschnittlich Begabte
experimentellen Versuchsanordnung genüg- ist es nicht so wichtig, wie leistungsstark die
ten. Über alle spezifischen Interventionsfor- mit ihnen in der Gruppe Lernenden sind.
men hinweg ließ sich für die kooperativen/ Ginsburg-Block, Rohrbeck und Fantuzzo
tutoriellen Arrangements eine moderate (2006) führten eine weitere Metaanalyse
Überlegenheit gegenüber herkömmlichen durch und untersuchten auch die sozialen,
Lehrformen feststellen (d = 0.33). Größere affektiven, motivationalen und das Selbst-
Effekte ließen sich dann finden, wenn konzept betreffenden Effekte kooperativer
Methoden. Auf der Basis von 36 Studien
● den Lernenden ein höheres Maß an Auto- ergaben sich dabei wiederum stark variie-
nomie übertragen wurde (z. B. durch eine rende Effektgrößen zwischen d = –0.62 und
höhere Eigenverantwortlichkeit bei der d = 2.26, mit mittleren Effektstärken im
Festlegung von Lernzielen und bei der moderat positiven Bereich. Der Einsatz
Auswahl von Belohnungen) und von PAL-Interventionen führte demnach
● interdependente Belohnungssysteme ein- zu einer Verbesserung sozialer Kompetenzen
gesetzt wurden, also Gruppenbelohnun- (d = 0.52) und kooperativer Verhaltenswei-
gen auf Grundlage individueller Leis- sen (d = 0.65) sowie zu einer Steigerung des
tungsfortschritte. Selbstkonzepts eigener Fähigkeiten (d =
0.40). Wie für die Leistungseffekte bereits
Es zeigte sich auch, dass das kooperative berichtet, waren die Effektstärken größer,
Lernen in gleichgeschlechtlichen Gruppen wenn interdependente Belohnungssysteme
besser funktionierte und dass besonders zum Einsatz kamen und wenn genügend
die sozial benachteiligten Kinder von den Freiheitsgrade für autonomes und selbst ver-
kooperativen Methoden profitierten. Vor- antwortetes Lernhandeln gewährt wurden
sicht ist aufgrund der schmalen Datenbasis (vgl. ausführlich Borsch, 2010).

324
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

6.4 Selbstreguliertes Lernen

Alle Lernprozesse weisen eine Steuerungs- also die Anleitung zur Selbstregulation, wird
komponente auf – ist diese außerhalb des deshalb im Folgenden als eigenständige
Lernenden lokalisiert, spricht man von Lehrmethode vorgestellt und zwar unter
fremdgesteuertem Lernen, liegt die Regula- den gebräuchlichen Begriffen des »selbst-
tionsinstanz im Lernenden selbst, ist vom gesteuerten« bzw. »selbstregulativen« Ler-
selbstgesteuerten oder selbstregulierten Ler- nens. Dabei darf die normative Komponente
nen die Rede. Bei realen Lernprozessen im (Kinder sollen selbstreguliert lernen kön-
Schulalter kommt es in der Regel zu Misch- nen!) nicht mit den instruktionalen Metho-
formen der Selbst- und Fremdsteuerung. So den zur Zielerreichung (wie bringt man
wird die Planung einer Lernhandlung häufig Kindern die notwendigen selbstregulativen
aufgrund externer (fremdbestimmter) Vor- Kompetenzen bei?) verwechselt werden.
gaben in Gang gesetzt, und auch die Bewer- Gibt es geeignete Lehrmethoden, um das
tung eines abgeschlossenen Lernprozesses Lernen zu lernen?
wird beim Lernen in institutionellen Settings Um diese Frage beantworten zu können,
häufig von außen – üblicherweise durch eine werden zunächst wichtige Merkmale des
Lehrperson – vorgenommen. Es gibt sehr selbstregulierten Lernens beschrieben und
unterschiedliche Lernsituationen, die in ihrer die Komponenten und Prozesse benannt,
Ausgestaltung mehr oder weniger Selbst- die beim selbstgesteuerten Lernen eine Rolle
und Fremdsteuerung der eigenen Lernakti- spielen. Dabei wird auch gefragt, welcher
vitäten einfordern und zulassen, wie etwa besonderen Kompetenzen es zur erfolgrei-
das individuelle Vorbereiten auf eine Prü- chen Selbststeuerung bedarf, wie sich diese
fung oder Klassenarbeit und das eigenstän- Kompetenzen entwickeln und wie sich die
dige Bearbeiten einer Hausaufgabe auf der selbstregulativen Fertigkeiten fördern und
einen Seite oder das angeleitete, gemeinsame trainieren lassen. Als Kernbereiche der ko-
Lernen im Klassenunterricht bzw. das Hören gnitiven Selbststeuerung gelten strategische
eines Vortrags auf der anderen. und metastrategische Lernaktivitäten
Natürlich ist das selbstregulierte Lernen (䉴 Kap. 2.3).
keine Lehrmethode im strengen Sinne. Franz (aus dem Beispiel im Kasten) lernt
Selbstreguliertes Lernen ist zwar wie das selbstgesteuert – Anteile von Außensteue-
kooperative oder das entdeckende Lernen rung sind dabei nur durch das Lernziel
eine Methode des Wissenserwerbs – zugleich gegeben, nämlich die verbindlich angekün-
ist es aber eine Zielperspektive nahezu aller digte Klassenarbeit, die die Lernaktivitäten
methodischen und didaktischen Bemühun- auslöst. Die antizipierte Leistungsanforde-
gen, Schülerinnen und Schüler zum selbstän- rung führt zu Franz’ selbständigen, eigen-
digen und selbstgesteuerten Lernen anzulei- verantwortlichen und strategischen Lern-
ten. Prinzipien des selbstregulierten Lernens handlungen mit dem Ziel, Wissen zu erwer-
wurden teilweise schon in 䉴 Kap. 1 und 2 ben. Dabei werden die einzelnen Lernhand-
dieses Lehrbuchs behandelt. Eine systema- lungen selbständig geplant, durchgeführt
tisch-zusammenfassende Darstellung der Be- und fortlaufend hinsichtlich ihrer Angemes-
sonderheit des selbstregulierten Lernens ist senheit und Effektivität bewertet.
jedoch erst nach der Kenntnis unterschied- Die grundlegende Unterscheidung zwi-
licher Auffassungen über Lehren und erfolg- schen Selbst- und Fremdsteuerungsmecha-
reicher Lehrmethoden zu verstehen. »Das nismen des Lernens ist in diesem Buch schon
Lernen lehren« (Klauer & Leutner, 2007), häufiger angeklungen (etwa in 䉴 Kap. 2.3

325
Teil II Lehren

Beispiel: Selbstreguliertes Lernen


Der 15-jährige Franz bereitet sich auf eine Französischarbeit vor. Es geht um die
Anwendung der Vergangenheitsformen. Aus Erfahrung weiß er, wie er dabei am besten
vorgeht. Erst stellt er sich vor, was genau gefragt werden könnte. Dann überlegt er, auf
welche Fragen er schon jetzt Antworten geben kann. Textpassagen mit Inhalten, die ihm
bereits vertraut sind, überfliegt er noch einmal zur Sicherheit. Nachdem er seine Kennt-
nislücken identifiziert hat, geht er sie an, und dafür macht er sich einen Plan. Er nimmt sich
vor, an den nächsten drei Tagen jeweils zweimal eine Stunde zusätzlich zu investieren und
motiviert sich selbst, indem er sich eine Belohnung nach getaner Arbeit ausdenkt. Er weiß
auch, dass er leicht abzulenken ist, deshalb macht er während des Lernens die Zimmertür zu
und schaltet sein Handy aus. Um neue Inhalte zu verstehen, aktiviert er sein Vorwissen und
versucht, Verknüpfungen zwischen neuen und schon vorhandenen Wissenselementen
herzustellen. Zum Beispiel erinnert er sich an die Zeitenfolge im Lateinunterricht. Wenn
er nicht weiterkommt, fragt er seinen älteren Bruder um Rat. Wenn er etwas verstanden hat,
dann weiß er, dass es damit noch nicht getan ist. Er muss das neue Wissen im Hinblick auf
seinen Anwendungs- und Geltungsbereich prüfen. Um sicherzustellen, dass das Verstan-
dene auch behalten wird, festigt er das neu Gelernte durch gezieltes Wiederholen und Üben.
Abschließend lässt er sich von seinem Bruder abfragen und versucht, seiner Mutter zu
erklären, was er gelernt hat.

und 5.1 sowie 6.1). Am Beispiel der Lern- Bildungsinstitutionen erheblich an Bedeut-
zeitadaptivität, die im Zusammenhang mit samkeit verliert und weil wir über den ge-
den darstellenden Methoden (䉴 Kap. 6.1) als samten Lebenslauf hinweg stets aufs Neue
notwendige pädagogische Maßnahme im unser Wissen und unsere Fertigkeiten erwei-
Umgang mit den unterschiedlichen Lern- tern und verändern müssen. Wenn aber die
fähigkeiten der Kinder bezeichnet wurde, notwendigen selbstregulativen Lernkom-
lässt sich die Plausibilität der Selbstregula- petenzen nicht bereits in der Schule erwor-
tion besonders augenfällig begründen: Ler- ben wurden, wird es später nicht einfach
nende, die mehr Zeit als andere zum Errei- sein, jenseits der formellen Unterrichtssitua-
chen eines Lernziels benötigen, brauchen tionen die eigenen Lernprozesse selbst in die
eigentlich nicht darauf zu warten, bis ihnen Hand zu nehmen.
die zusätzliche Lernzeit »von außen« ver-
ordnet oder zugestanden wird. Sie können
sich vielmehr außerhalb des Unterrichts Lernsteuerung
selbst die Zeit zumessen, derer sie zusätzlich
bedürfen. Selbststeuerung ist damit eine not- Lernprozesse lassen sich beeinflussen. Als
wendige, sinnvolle und zielführende Form grundlegende Steuerungs- und Kontroll-
der individuellen Anpassung, die die Lernen- instanzen des Lernens kommen a) der Ler-
den selbst vornehmen können (und sollen). nende selbst sowie b) die außerhalb seiner
Selbstgesteuert Lernende nehmen ihr Lernen Person liegenden personalen und materialen
selbst in die Hand! Bedingungen der Lernumgebung in Be-
Selbstgesteuert lernen zu können ist wich- tracht. Im einen Fall gestaltet und verant-
tig, weil das fremdgesteuert-angeleitete Ler- wortet die lernende Person selbst in hohem
nen nach dem Durchlaufen der klassischen Maße den eigenen Lernprozess (Selbststeue-

326
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

rung), im anderen Fall wird das Lernen quasi tiven Wende in den 1970er Jahren im Pa-
»von außen verwaltet« und kontrolliert radigma der Informationsverarbeitung die
(Fremdsteuerung). Das Ausmaß, in welchem Voraussetzungen geschaffen, um Selbst-
dem Lernenden selbst die Verantwortung für steuerungsmaßnahmen kognitiver, metako-
bzw. die Kontrolle über den individuellen gnitiver und motivationaler Art nicht nur für
Lernprozess ermöglicht oder zugeschrieben möglich zu halten, sondern für das Gelingen
wird, unterscheidet die verhaltensorientier- von Lernprozessen gleichsam als konstitutiv
ten von den kognitivistischen Lehr-Lern- zu betrachten. In einer für die Entwicklung
Theorien und innerhalb des kognitivisti- des Selbststeuerungsansatzes wegweisenden
schen Paradigmas die kognitiv-rationalisti- Arbeit unterscheiden Weinstein und Mayer
schen von den kognitiv-konstruktivistisch (1986) vier Phasen im Prozess der Informa-
orientierten Theorien (䉴 Abb. 5.2). Die tionsverarbeitung, in denen die selbststeu-
Lehrmethoden der direkten und der adap- ernden Aktivitäten potenziell ansetzen kön-
tiven Instruktion, die Methode des direkten nen: bei der Selektion, der Konstruktion,
Erklärens und Ausubels darstellendes Unter- dem Erwerb bzw. der Speicherung und bei
richten sind Beispiele für die außengesteuer- der Integration von Informationen. Richard
ten Ansätze der gegenstandsorientierten Mayer (2003 a) hat dies später in seinem
Lernumgebungen (䉴 Kap. 6.1). Bei Bruners bekannten SOI-Modell auf die drei Kern-
entdeckenlassendem Lehren sowie in den phasen der Selektion, Organisation (frü-
situierten und kooperativen Lehr-Lern- her Konstruktion) und Integration (früher
Arrangements wird hingegen die Betonung Erwerb und Speicherung) verdichtet
der internen Steuerungskomponente der (䉴 Kap. 7.5). Ganz gleich, ob man nun
eher problemorientierten Lehr-Lern-Model- drei oder vier Phasen der Informationsver-
le sichtbar (䉴 Kap. 6.2 und 6.3). arbeitung annehmen mag: Selbstinitiierte,
Ganz neu ist das Thema der Selbststeue- aktive und strategische Steuerungsmaßnah-
rung des Lernens nicht. In der psychologi- men ermöglichen, befördern und verbessern
schen Tradition hat die Selbststeuerung von die Informationsverarbeitung in allen diesen
Lernverhalten sogar eine behavioristisch- Phasen.
operante Vorgeschichte, der eigentliche Definitionen selbstgesteuerten (selbst-
Durchbruch gelang aber erst mit dem Sieges- regulierten) Lernens stellen übereinstim-
zug der kognitionspsychologischen Modelle mend den strategischen und zieladaptiven
(Schunk & Zimmerman, 2003). Zu Recht Aspekt des eigenverantwortlichen Lernver-
hat allerdings der Erziehungswissenschaftler haltens heraus: die Auswahl, die Anwen-
Jürgen Oelkers darauf hingewiesen, dass der dung, die Überwachung und die Bewertung
reformpädagogische Impetus des selbstregu- des Einsatzes von Lernstrategien oder ande-
lierten Lernens viel weiter zurückreicht. Als ren Aktivitäten kognitiver, motivationaler
Methodenideal der Lehrerbildung zu Beginn oder volitionaler Art. Das ist der Kern der
des 20. Jahrhunderts hat nämlich die Selbst- Selbstregulation. Wird in diesem Sinne stra-
steuerung des Lernens dort ihren histori- tegisch und selbstgesteuert gelernt, so sind
schen Ursprung und nicht in der Tradition günstige Auswirkungen auf den Wissens-
der akademischen Psychologie (Oelkers, erwerb und für die Entwicklung des Selbst-
2010). Ganz gleich, wo der Gedanke und konzepts eigener Tüchtigkeit, auf das Kom-
die Zielvorstellung der Selbstregulation petenzerleben und auf die Lernfreude zu
letztlich herkommen – sie haben seither erwarten. Zugleich festigt das erfolgreiche
eine enorme und anhaltende Anziehungs- selbstgesteuerte Lernen die notwendigen
kraft ausgeübt. In der pädagogisch-psycho- Kompetenzen der Selbststeuerung.
logischen Tradition waren nach der Kogni-

327
Teil II Lehren

Definition: Selbstreguliertes Lernen


Selbstregulation (oder selbstreguliertes Lernen) ist Lernen, das aus den selbstgenerierten
Gedanken der Lernenden resultiert und aus jenen Verhaltensweisen, die systematisch auf
das Erreichen ihrer Lernziele ausgerichtet sind (Schunk & Zimmerman, 2003, S. 59).
Lernende, die ihr eigenes Lernen regulieren, sind in der Lage, sich selbständig Lernziele zu
setzen, dem Inhalt und Ziel angemessene Techniken und Strategien auszuwählen und sie
auch einzusetzen. Ferner erhalten sie ihre Motivation aufrecht, bewerten die Zielerreichung
während und nach Abschluss des Lernprozesses und korrigieren – wenn notwendig – die
Lernstrategie (Artelt, Demmrich & Baumert, 2001, S. 271).
Selbst reguliertes Lernen ist eine Form des Lernens, bei der die Person in Abhängigkeit von
der Art ihrer Lernmotivation selbstbestimmt eine oder mehrere Selbststeuerungsmaßnah-
men (kognitiver, metakognitiver, volitionaler oder verhaltensmäßiger Art) ergreift und den
Fortgang des Lernprozesses selbst überwacht (Schiefele & Pekrun, 1996, S. 258).

Zu Unrecht werden solche Kompetenzen und die Förderung selbstregulativer Kom-


vielfach als »gegeben« vorausgesetzt, oder petenzen geht, haben wir in 䉴 Kap. 4.1 be-
es wird darauf vertraut, dass sie sich zur reits erwähnt. Denn erst am Ende der Grund-
rechten Zeit »von alleine« einstellen werden schulzeit kommt es zu einer merklichen Zu-
– so ist es jedenfalls an den unterrichtlichen nahme der metakognitiven Kompetenzen in
Traditionen im sekundären und tertiären Folge der sich ausbildenden Fähigkeit zur
Bildungsbereich abzulesen, die eine För- abstrakten Selbstreflexion.
derung der Selbstregulation im Allgemeinen
nicht vorsehen. Kaum eine Lehrerin erklärt
ihren Schülern, wie sie eine Hausaufgabe Modelle selbstregulierten
selbständig angehen oder eigenverantwort- Lernens
lich ihren häuslichen Arbeitsplatz gestalten
sollen. Kaum ein Oberstufenlehrer oder Uni- Selbstgesteuertes ist selbstorganisiertes, ist
versitätsdozent vermittelt seinen Schülerin- selbstbestimmtes, ist selbstreguliertes Ler-
nen und Studentinnen, welche Strategien des nen. In der englischsprachigen Forschungs-
Textverstehens einen Lehrbuchtext leichter landschaft ist meist der Terminus »Self-Re-
erschließbar machen oder wie man sich gulated Learning« (SRL) gebräuchlich –
selbst belohnen kann, wenn man ein Zwi- weitgehend hat er sich mittlerweile auch in
schenziel erreicht hat. Wenn das selbstregu- den deutschsprachigen Texten durchgesetzt.
lierte Lernen nicht gelernt wurde, sind Lern- Wichtig und allen Konzeptionen gemeinsam
probleme häufig die Folge. Oftmals wird ist: Der Lernende kann und muss sein Lern-
nämlich vergessen, dass das selbstgesteuerte verhalten selbst beeinflussen und aktiv ge-
Lernen »jeweils seine eigene Voraussetzung stalten, um erfolgreich zu sein. Modelle und
und zugleich seine langfristige Zielperspek- Theorien selbstgesteuerten Lernens stellen
tive« darstellt (Weinert, 1996 a, S. 5). Mit entweder die verschiedenen Komponenten
anderen Worten, dass auch das selbstgesteu- und inhaltlichen Ebenen der Selbstregulati-
erte Lernen erst gelernt werden muss! Dass on in den Vordergrund oder die Spezifität
allgemeine Entwicklungsvoraussetzungen und den Verlauf der selbstregulativen Pro-
zu beachten sind, wenn es um den Aufbau zesse (vgl. Landmann, Perels, Otto &

328
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Schmitz, 2009; Otto, Perels & Schmitz, Wirksamkeit geschlossen werden. Im Grun-
2011). Bekannte Prozessmodelle sind etwa de geht es beim strategischen und meta-
von Zimmerman (2000) und von Schmitz strategischen Lernen stets darum, durch
(2001) sowie von Schiefele und Pekrun den Einsatz von Lernstrategien Kontrolle
(1996) entwickelt worden, ein bekanntes über die (hypothetischen) Prozesse der In-
Ebenen-, Schichten- oder Komponenten- formationsverarbeitung zu gewinnen.
modell stammt von Boekaerts (1999). Bevor
diese Modelltypen vorgestellt werden, wird
Fokus: Selbstregulation und
noch einmal daran erinnert, dass dem Kon-
Verhaltensmodifikation
zept der Lernstrategien und der »guten In-
formationsverarbeitung« (䉴 Kap. 2.3) eine Das Paradigma der Informationsver-
zentrale Bedeutung beim selbstregulierten arbeitung ist die wichtigste, aber nicht
Lernen zukommt (Klauer & Leutner, 2007; die einzige psychologische Wurzel der
Mandl & Friedrich, 2006). Selbstregulationsmodelle des Lernens.
Vielfältige Einflussmöglichkeiten zur Re- Auf die selbstbezogenen Regulations-
gulation des eigenen Lernverhaltens sind möglichkeiten, die sich aus der operanten
zunächst einmal auf der Verhaltensebene Lerntheorie ergeben, wurde bereits hin-
gegeben, z. B. durch eine auskömmliche gewiesen. Sie wurden und werden erfolg-
und effiziente Lernzeitplanung und -nut- reich für Maßnahmen und Programme
zung, durch die vorausschauende Bereitstel- der (vornehmlich klinischen) Verhaltens-
lung von Hilfsmitteln vor dem Lernen und modifikation genutzt – die dafür grund-
durch das Ausschalten potenzieller Ablen- legenden theoretischen Arbeiten sind von
kungen. Friedrich und Mandl (1997) be- Kanfer (1977) und Meichenbaum (1977)
zeichnen solche lernförderlichen Aktivitäten verfasst worden. Bewährte Interventions-
auf der (sichtbaren) Verhaltensebene, die programme zum Umgang mit aufmerk-
sich der Optimierung der äußeren Lernbe- samkeitsgestörten Kindern greifen darauf
dingungen widmen, auch als »Ressourcen- zurück (Döpfner, Schürmann & Frölich,
Management« oder in Anlehnung an Wein- 2007; Lauth & Schlottke, 2002). Ein
stein und Mayer (1986) als »Anwendung weiterer Vorläufer der selbstregulatori-
von Stützstrategien«. Häufig wird auch die schen Ansätze ist Banduras sozial-kogni-
Selbstregulation der Lernmotivation und der tive Lerntheorie (1986).
begleitenden Emotionen sowie der Willens-
kräfte (䉴 Kap. 2.4 und 2.5) im Sinne solcher
stützenden Strategien interpretiert. Andere
Einflussmöglichkeiten setzen unmittelbar Prozessmodelle selbstregulierten
auf der Ebene der kognitiven und metako- Lernens
gnitiven Prozesse an: Durch willentlich und
bewusst eingesetzte strategische Aktivitäten
des Wiederholens, Elaborierens und Orga- Barry Zimmerman (1998; 2000; Schunk &
nisierens von Informationen bzw. des Pla- Zimmerman, 2003) hat ein zyklisch-iterati-
nens, Überwachens und Korrigierens dieser ves Prozessmodell der Selbstregulation vor-
Tätigkeiten wird die Funktionsweise der gestellt, Bernhard Schmitz (2001) ein verein-
kognitiven Prozesse in lernförderlicher Wei- fachtes Prozessmodell, das auf Zimmermans
se beeinflusst. Die strategischen Aktivitäten Überlegungen basiert. Beide Modelle wer-
sind in ihrer Wirkungsweise zwar nicht di- den im Folgenden beschrieben, ebenso in
rekt beobachtbar, allerdings kann aufgrund Grundzügen das Selbstregulationsmodell
der sich einstellenden Lernerfolge auf ihre von Schiefele und Pekrun (1996).

329
Teil II Lehren

a)
Beobachtung
und Bewertung
eigenen Lern-
verhaltens

d) b)
Bewertung der Zielsetzung und
Effektivität des strategisches
Strategieeinsatzes Planen

c)
Strategieeinsatz
Abb. 6.3:
und Überwachung Prozessmodell der Selbst-
regulation (Zimmerman,
1998, S. 83)

Regulationszyklen. Zimmerman versteht die und Festlegung geeigneter und verfügbarer


Selbstregulation des Lernens als einen zykli- Strategien und Maßnahmen zur Zielerrei-
schen, immer aufs Neue zu durchlaufenden chung. Das Lernen wird also geplant. In der
Prozess der Aufeinanderfolge von Phasen zweiten, der eigentlichen Lernphase, werden
der Lernvorbereitung, der eigentlichen Lern- c) die zur Aufgabenbearbeitung und Pro-
handlung und der nachbereitenden Analyse blemlösung ausgewählten und vorgesehenen
und Bewertung des Lernergebnisses Strategien tatsächlich eingesetzt, und der
(䉴 Abb. 6.3). In ganz ähnlicher Weise spre- Einsatz dieser Strategien sowie das gesamte
chen andere Autoren von »präaktionalen, eigene Lernverhalten werden fortwährend
aktionalen und postaktionalen« Lernphasen überwacht. In der dritten, der nachbereiten-
(Schmitz, 2001) oder von Phasen »vor dem den Phase, werden d) die Ergebnisse des
Lernen, während des Lernens und nach dem Strategieeinsatzes und der Lernanstrengun-
Lernen« (Hasselhorn & Körkel, 1983). gen im Hinblick auf das Ausmaß der Ziel-
In der ersten, der Phase der Lernvorberei- erreichung (s. o.) bewertet.
tung, spielen in Zimmermans Modell zwei Die beschriebenen Aktivitäten dieses
aufeinander bezogene Teilprozesse der Lernzyklus charakterisieren in Zimmermans
Selbstregulation eine wichtige Rolle: a) die Modell die Prozesskomponenten selbst-
Prozesse der Selbstbeobachtung und der gesteuerten Lernens: die vorbereitende
Selbstbewertung der eigenen Wissensbestän- Selbstbeobachtung und -diagnose, die Ziel-
de und des eigenen Lernvermögens, im Sinne setzung und Auswahl geeigneter Mittel der
einer Bestandsaufnahme der aktuellen Lern- Zielerreichung, den Einsatz und die Über-
voraussetzungen und der Lernvorgeschichte, wachung der ausgewählten Strategien im
und b) die aus dieser Selbstdiagnose resul- Sinne einer Verlaufskontrolle und die Bewer-
tierende Festlegung und Formulierung kon- tung des Strategieeinsatzes im Sinne einer
kreter Lernziele, einschließlich der Auswahl Erfolgskontrolle. Ein solcher Steuerungs-

330
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

zyklus wird beim selbstregulierten Lernen richtigen betrachtet (Otto, Perels & Schmitz,
immer wieder neu durchlaufen. Damit sind 2011).
die allgemeinen Basiskomponenten einer In- Auch in der Systematik von Schiefele und
struktionstheorie, wie sie Robert Glaser Pekrun (1996) werden drei Phasen unter-
(1976; 䉴 Kap. 5.1) formuliert hat, selbst- schieden: die Phase der Lernplanung, die
regulativ reformuliert: Eingangsvorausset- eigentliche Lernphase und die Phase der Be-
zungen selbst diagnostizieren, Ziele selbst wertung von Lernergebnissen (䉴 Abb. 6.4).
definieren, instruktionale Maßnahmen (d. h. Möglichkeiten der »internen Selbststeue-
geeignete Lernstrategien) selbst spezifizie- rung«, wie die Autoren es nennen, sind in
ren, den Lernfortschritt selbst erfassen. allen drei Phasen gegeben. Die interne Lern-
Bernhard Schmitz (2001) beschreibt den steuerung zielt in allen drei Lernphasen auf
Selbstregulationsprozess ganz ähnlich. In vier der grundlegenden Funktionsbereiche
der präaktionalen Phase werden konkrete erfolgreichen Lernens, nämlich auf das Vor-
Lernhandlungen geplant und vorbereitet. wissen, auf die Lernstrategien und deren
Diese Planungsprozesse werden durch eine metakognitive Regulation sowie auf Motiva-
aktuelle Lernaufgabe in Gang gesetzt, beein- tion und Volition (das sind zugleich die we-
flusst werden sie von begleitenden Über- sentlichen Komponenten des INVO-Modells
legungen und Zuständen motivationaler aus 䉴 Kap. 2).
und emotionaler Art. So kann es beispiels- Steuerungsmaßnahmen vor dem Lernen
weise sein, dass eine konkrete Lernanforde- sind planender, vorbereitender und willens-
rung (z. B. das Volumen eines Zylinders bildender Natur. Dazu gehören die Heraus-
berechnen) nicht nur Begeisterung und ra- bildung einer Lernabsicht und die Abschir-
tionales Planungsverhalten auslöst, sondern mung und Verteidigung dieser Intention ge-
auch Versagensängste und Vermeidungsver- genüber störenden und ablenkenden Einflüs-
halten. In der aktionalen Phase werden die sen (Funktionsbereiche Motivation und
Planungen in Lernhandlungen umgesetzt, Volition). Weitere Aspekte der Lernvorberei-
und es werden Lernzeit und Anstrengung tung sind das Aktualisieren und Bewusst-
investiert, um dem Zielzustand näher zu machen der lerninhaltsbezogenen Vorkennt-
kommen. Dabei werden das eigene Lernver- nisse (Funktionsbereich Vorwissen), das vor-
halten und die Lernfortschritte überwacht, sorgliche Bereitstellen benötigter Hilfsmittel
und auftretenden Schwierigkeiten wird be- des Lernens sowie das Formulieren konkre-
gegnet, indem Strategien modifiziert oder die ter Lernziele, aber auch die Auswahl von
Anstrengungen intensiviert werden. Idealer- Lernstrategien und das Überlegen von
weise steht am Ende der aktionalen Phase ein Handlungsplänen zur Zielerreichung (Funk-
Lernergebnis. Die postaktionale Phase dient tionsbereich Lernstrategien und deren me-
der Einschätzung und Bewertung dieses takognitive Regulation).
Lernergebnisses und dem Ziehen von Steuerungsmaßnahmen während des Ler-
Schlussfolgerungen, die das künftige Lern- nens dienen wiederum der Abschirmung, vor
verhalten betreffen. In der postaktionalen allem aber der Aufrechterhaltung der gefass-
Phase wird auch darüber nachgedacht, ten Lernintention gegenüber konkurrieren-
was man hätte besser machen können, den Handlungsabsichten und Alternativen
wenn das Lernergebnis nicht zufriedenstel- (z. B. »ins Schwimmbad gehen« oder »Mails
lend ausgefallen ist. Ist ein Lernziel wie checken«). Von zentraler Bedeutung wäh-
geplant erreicht worden, werden sich in rend des Lernens ist jedoch der Einsatz
der postaktionalen Phase positive Emotio- kognitiver Strategien der Informationsver-
nen einstellen, und die eingesetzten Lern- arbeitung (im Wesentlichen sind das Strate-
strategien werden im Nachhinein als die gien des Wiederholens, des Organisierens

331
Teil II Lehren

und des Elaborierens) sowie metakognitiver Steuerungsmaßnahmen nach dem Lernen


Strategien der Überwachung und Regulation sind vornehmlich bewertender Natur. Sie
des Lernprozesses. Dazu gehören auch das beinhalten Vergleichsprozesse individueller
Aufrechterhalten und die Regulation der und sozialer Art. Sie geben Auskunft über die
Aufmerksamkeit sowie das Erkennen von Angemessenheit des zuvor gewählten Stra-
und das Umgehen mit Verständnisproble- tegieeinsatzes. Bei einem positiven Lernaus-
men. Erst die metakognitive Kontrolle si- gang wird die Selbstbewertung zur Selbst-
chert eine zielführende Nutzung der kogni- verstärkung führen.
tiven Strategien.

Interne Lernsteuerung

Merkmale vor während nach


des Lernenden dem Lernen des Lernens dem Lernen
Metakognitives Planung Überwachung und Selbstbewertung
Wissen Zielsetzung Regulation erreichter
Aufgaben- Lernergebnisse,
analyse Vergleich mit
Standards

Fähigkeiten Vorbereitendes Kognitive Lernstrate-


Vorwissen Ressourcen- gien und Ressourcen-
management management

Motivationale Absichts- Selbst-


Orientierungen bildung verstärkung

Abschirmung Abschirmung und


Volitionale
und Aufrecht- Aufrechterhaltung
Merkmale
erhaltung der der Lernintention
Lernintention

Lernprodukte
Lernprozess: Planung Durchführung Bewertung
Merkmale des
erworbenen Wissens:
(z. B. Umfang,Tiefe,
z. B. Lehrerverhalten, Verstärkung, Unterrichtsmethoden,
Differenziertheit,
Lernumwelt, Prüfungen
Kohärenz)

Externe Lernsteuerung

Abb. 6.4: Drei-Phasen-Modell nach Schiefele & Pekrun (1996, S. 271)

Jede Lernepisode wird so zum Teil der indi- tuell mitbestimmen: das inhaltliche Vorwis-
viduellen Lerngeschichte einer Person. Die sen, das strategische und das metastrategi-
kumulative Lerngeschichte wiederum prägt sche Wissen, die prozeduralen strategischen
die Ausgestaltung derjenigen Lernermerk- und metastrategischen Kompetenzen, die
male, die als personale Vor-Bedingungen motivationalen Orientierungen und Über-
einen jeden (weiteren) Lernprozesses habi- zeugungen. Bernhard Schmitz’ (2001) pro-

332
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

zessuales Selbstregulationsmodell ist in den geschilderten) Prozesse der Ziel- und Wil-
Lernphasen ganz ähnlich wie das Drei-Pha- lensbildung aus, sondern auch eine Reihe
sen-Modell von Schiefele und Pekrun kon- unterschiedlicher emotionaler Zustände, zu-
zipiert, betont aber stärker die Rückkopp- sätzlich zu den in einer beliebigen Lernsitua-
lungsschleife, die von der Phase nach dem tion ohnehin vorhanden emotionalen Ge-
Lernen, also der postaktionalen, zur erneut stimmtheiten. Lernbezogene Emotionen ha-
folgenden lernvorbereitenden, also prä- ben nicht nur Einfluss auf die Willensbildung
aktionalen Lernphase eines neuen Lern- und auf die Auswahl von Lernstrategien in
zyklus, führt. Solche Rückkopplungen spie- der präaktionalen Phase, sie beeinflussen
len eine wichtige Rolle bei der Entwicklung auch den Einsatz von Lernstrategien in der
fähigkeitsbezogener Selbstkonzepte und bei aktionalen Phase. Empirische Studien haben
der Genese von Selbstwirksamkeitsüberzeu- gezeigt, dass eine ängstliche Gestimmtheit
gungen. vor dem Lernen mit einer verminderten
Jede Lernanforderung, mit der ein Ler- Lernmotivation und einem wenig effektiven
nender konfrontiert wird, löst in der prä- Lernverhalten einhergeht (Pickl et al., 2001;
aktionalen Phase nicht nur (die bereits Schmitz & Wiese, 1999).

Beispiel: Selbstreguliertes Lernen


Katja (22) soll ein Lerntagebuch führen. Über einen Zeitraum von zwei Wochen trägt sie
täglich ein, wie viel Zeit sie für die Vorbereitung auf die Abschlussklausur im Seminar
»Gedächtnisentwicklung« aufwendet. Sie notiert auch, wo und mit wem sie gelernt hat und
ob es dabei Störungen oder Besonderheiten gab. Für die bearbeiteten Texte gibt sie an, wie
viele Seiten sie jeweils gelesen hat und welche strategischen Verhaltensweisen sie während
des Lernens eingesetzt hat.
Selbstbeobachtung
Nach 14 Tagen stellt sie fest, dass sie zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten und zudem an
sechs Tagen gar nicht, an drei Tagen jeweils eine Stunde, an zwei Tagen zweieinhalb Stunden
und an drei Tagen vier Stunden gelernt hat. Wenn sie spät abends gelernt hat, ist sie mit dem
Ertrag eher unzufrieden, und während des Lernens wird sie häufig durch Telefonanrufe
abgelenkt. Um Textinhalte besser behalten zu können, unterstreicht sie wichtige Stellen.
Unbekannte Begriffe schlägt sie in einem Fachlexikon nach. Katja ist sich unsicher, wie viel
sie behalten hat.
Zielsetzung und strategische Planung
Katja interessiert sich für das Thema. Sie nimmt sich vor, in der Klausur möglichst gut
abzuschneiden. Wenn sie sich genügend anstrengt, müsste das auch gelingen. Um zu
regelmäßigen Lernzeiten zu kommen, setzt sie Zeitvorgaben fest (eine Stunde am frühen
Morgen und eine Stunde am späten Nachmittag). Während dieser Zeiten sorgt sie für eine
störungsfreie Lernumgebung. Innerhalb der nächsten sieben Tage will sie insgesamt 80
Seiten lesen. Wichtige Inhalte will sie unterstreichen und in eigenen Worten zusammen-
fassen. Am Ende eines Tages will sie ihrem Freund erklären, was sie gelernt hat.
Einsatz und Überwachung von Lernstrategien
Das Zeitmanagement wird wie vorgesehen durchgeführt. Das Unterstreichen und das
Zusammenfassen funktionieren so, wie sie es sich vorgestellt hat. Nur beim Erklären merkt

333
Teil II Lehren

sie manchmal, dass sie die Inhalte zwar behalten, aber offenbar nicht ganz verstanden hat.
Solche Textstellen muss sie am nächsten Tag noch einmal lesen. Wenn sie beim Lernen
merkt, dass sie nicht ganz bei der Sache ist, liest sie den Abschnitt noch einmal halblaut und
macht danach eine kleine Pause.
Bewertung des Strategieeinsatzes
Mit dem Zeitmanagement ist Katja zufrieden. Sie merkt, dass das Festlegen von Lernzeiten
Freiräume für andere Aktivitäten geschaffen hat. Vor allem hat sie in den lernfreien Zeiten
nicht länger ein schlechtes Gewissen. Die Behaltensstrategien des Unterstreichens und des
Zusammenfassens haben sich als hilfreich erwiesen. Auf Seiten der Verstehensstrategien
gibt es aber noch Defizite. Katja muss vor dem Einprägen sicherstellen, dass sie die Inhalte
auch verstanden hat. Dazu kann sie sich Fragen zum Text stellen, Anwendungsbeispiele
ausdenken oder sie kann in ihrem Vorwissen nach Analogien oder Widersprüchen zum neu
Gelesenen suchen.

Komponentenmodelle formationsverarbeitung. Damit sind die von


selbstregulierten Lernens Lernenden quasi habituell bevorzugten He-
rangehensweisen oder Lernstile gemeint, die
gelegentlich auch mit den Gegensatzpaaren
Komponentenmodelle selbstregulierten Ler- der »Tiefen- oder Oberflächenverarbeitung«
nens beschreiben die Kompetenzen der bzw. der »Leistungs- oder Verstehensorien-
selbstregulativ Lernenden sowie die Ebenen tierung« umschrieben worden sind (vgl.
oder Inhaltsbereiche, auf die sich die Selbst- dazu Artelt, 2000; Wild, 2000). Regulation
regulation bezieht. Besonders wichtig sind auf dieser Ebene setzt notwendigerweise
die kognitive und die metakognitive sowie voraus, dass unterschiedliche Primärstrate-
die motivationale und die volitionale Ebene. gien verfügbar sind, zwischen denen Lernen-
Dass sich die Kompetenzen der Selbststeue- de auswählen können. Boekaerts spricht auf
rung nicht nur auf die Regulation »kalter« dieser Ebene von »Was-Fragen« des Ler-
kognitiver und metakognitiver Prozesse be- nens, wie z. B.: »Was kann ich tun, um
schränken dürfen, hat vor allem Monique den Inhalt eines Textes zu behalten?«
Boekaerts (1996, 1997) betont. Insbesonde- Die mittlere Schicht des Modells adres-
re weist Boekaerts (wie übrigens auch Schie- siert die nächst höhere Regulationsebene, die
fele und Pekrun) auf den wichtigen Aspekt des gesamten Lernprozesses. Damit legt sich
der motivationalen Selbstregulation hin und die zweite Schicht über die erste, so wie sich
auf die wechselseitigen Verknüpfungen und die übergeordneten (metakognitiven) auf die
Bedingtheiten der motivationalen und der untergeordneten (kognitiven) Strategien der
kognitiven Regulationsebenen. Informationsverarbeitung beziehen. Es geht
Boekaerts (1999) hat ein Drei-Schichten- darum, den Einsatz der kognitiven Primär-
Modell konzentrischer Ellipsen vorgelegt, das strategien zu kontrollieren und zu optimie-
unterschiedliche Traditionen selbstgesteuer- ren. Boekaerts spricht hier von »Wie-Fra-
ten Lernens berücksichtigt (䉴 Abb. 6.5). gen« des Lernens, wie z. B.: »Wie kann ich
Die innere Schicht von Boekaerts Drei- kontrollieren, ob ich die Hauptaussagen
Schichten-Modell thematisiert die Ebene der eines Textes wirklich behalten habe?« Re-
kognitiven Prozesse und der auf sie einwir- gulation auf dieser Ebene setzt metakogni-
kenden kognitiven Primärstrategien der In- tives Wissen voraus und darüber hinaus die

334
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

metakognitiven prozeduralen Fertigkeiten grundsätzlicher Bedeutung für das Initiieren


des Planens, Überwachens und Korrigierens. und den Verlauf von Lernhandlungen. Das
Die äußere Schicht des Modells soll ver- heißt aber nicht, dass die Was- und die Wie-
deutlichen, dass der gesamte Lernprozesses Fragen des Lernens und die Lern- und Kon-
(und die kognitiven Prozesse, die ihn prägen) trolltechniken nur von nachgeordneter Be-
in das kognitive und motivationale Selbst- deutung seien. Denn es ist notwendig, die
konzept und in die selbstbezogenen Über- operative Ebene des »Was« und des »Wie«
zeugungen einer Person eingebettet ist. Hier der Lernregulation gut zu beherrschen, weil
geht es um die »Warum-Fragen« der motiva- eine positive Antwort auf die Warum-Frage
tionalen, emotionalen und volitionalen nur eine notwendige, keinesfalls aber eine
Selbstkontrolle des Lernens, wie z. B.: »Wa- hinreichende Bedingung erfolgreicher Lern-
rum soll ich diesen Text überhaupt lesen?« steuerung darstellt.
Die Warum-Fragen sind natürlich von ganz

Regulation des Selbst

Regulation des Lernprozesses

Regulation der
Informationsverarbeitungsprozesse

Kognitive Strategien

Metakognitives Wissen und


Abb. 6.5: metakognitive Strategien
Drei Schichten der Selbst-
regulation (Boekaerts, 1999, Ziele und Ressourcen
S. 449)

Fazit. Selbstgesteuertes Lernen beruht auf Erfolgreiche Selbstregulation


dem Vorhandensein und Zusammenwirken
spezifischer Strukturen und Prozesse auf der Franz (15) aus dem Eingangsbeispiel dieses
kognitiven und auf der motivational-voli- Kapitels motiviert sich selbst, indem er sich
tionalen Funktionsebene: »SRL is the fusion nach getaner Arbeit mit einer angenehmen
of skill and will«, haben Paris und Paris Tätigkeit belohnt. Weil er von vornherein
(2001, S. 98) das treffend formuliert. Es mit lernintentionsbedrohlichen Ablenkun-
sind sehr unterschiedliche Klassifikations- gen rechnet, macht er während des Lernens
systeme denkbar, um zu einer genaueren die Zimmertür zu und schaltet sein Handy
Systematisierung dieses SRL-Kerns zu gelan- aus. Katja (22) ist intrinsisch motiviert, weil
gen. Wir haben im 䉴 Kap. 2 dieses Buches sie sich für das Seminarthema besonders
mit dem INVO-Modell eine Systematisie- interessiert. Beides sind gute Voraus-
rung vorgeschlagen, die sich auch für das setzungen für den Einsatz anspruchsvoller
selbstregulative Lernen nutzen lässt. Verstehensstrategien. Franz setzt während
des Lernens elaborative Verstehensstrate-
gien ein. Dazu aktiviert er sein inhaltsbezo-

335
Teil II Lehren

genes Vorwissen und versucht, Verknüpfun- sonen, die ihre besondere Expertise selb-
gen zwischen neuen und schon vorhandenen ständig in einem außerschulischen, nicht-
Wissenselementen herzustellen, so etwa, institutionellen Lernumfeld erworben haben
wenn er für die Zeitenfolge im Französischen – in besonderer Weise über die genannten
nach Analogien zur ihm bekannten conse- Selbststeuerungskompetenzen. Anhand von
cutio temporum im Lateinunterricht sucht. Fallbeispielen herausragender Persönlich-
Um sicherzustellen, dass er das Verstandene keiten hat er besondere Lernprinzipien sol-
auch behalten hat, wendet er abschließend cher »Lernexperten« beschrieben, um gene-
eine Wiederholungsstrategie an. Katja (22) ralisierbare Merkmale erfolgreicher Selbst-
setzt Organisationsstrategien zur Informati- steuerung zu charakterisieren.
onsreduktion ein, indem sie Zusammenfas-
sungen anfertigt und wichtige Textstellen
Fokus: Selbstregulation und
unterstreicht. Für das Verstehen des Gelese-
Arbeitsdisziplin
nen wäre es gut gewesen, wenn sie sich
zusätzlich Fragen zum Text überlegt und Eine augenfällige und leicht beobacht-
Anwendungsbeispiele ausgedacht hätte. bare Gemeinsamkeit erfolgreicher
Franz hat sich vor dem Lernen überlegt, Schriftsteller, Musiker und Sportler zeigt
was genau gefragt sein könnte – entspre- sich übrigens in der disziplinierten Selbst-
chend plant er sein Lernverhalten. Er kennt regulation der Arbeits- oder Übungszei-
den Unterschied zwischen Verstehen und ten. Die Einhaltung täglicher, regelmäßi-
Behalten. Zur Lernkontrolle lässt er sich ger Übungsstunden ist für exzellente
von seinem Bruder abfragen und er versucht, Sportler und Musiker von großer Wich-
seiner Mutter zu erklären, was er gelernt hat. tigkeit. Selbst für die Produktivität von
Katja hat erst beim Lernen gemerkt, dass Schriftstellern scheint eine gewisse Regel-
man Dinge auch behalten kann, ohne sie haftigkeit der Schreibphasen vorteilhaft,
verstanden zu haben. Deshalb korrigiert sie auch wenn es Gegenbeispiele gibt. Von
später ihr Lernverhalten. Schwierige Text- Thomas Mann ist beispielsweise ein be-
stellen liest sie nun ein zweites Mal. sonders striktes Zeitmanagement über-
Den aufmerksamen Lesern wird nicht liefert: Am frühen Vormittag schloss er
entgangen sein, dass selbstreguliertes Lernen sich regelmäßig in seinem Arbeitszimmer
nur dann gelingen kann, wenn die im zwei- ein – Störungen waren danach nicht mehr
ten Kapitel aufgeführten individuellen Vo- erlaubt. Selbst die im November des Jah-
raussetzungen erfolgreichen Lernens gege- res 1929 im Hause Mann zur Unzeit
ben sind: wenn Lernstrategien genutzt und eingetroffene Mitteilung, das Stockhol-
metakognitiv reguliert werden (䉴 Kap. 2.3), mer Komitee habe ihm den Nobelpreis
wenn die motivationalen Voraussetzungen – für Literatur zuerkannt, durfte dem Dich-
zu denen auch die entsprechend positiven ter erst überbracht werden, als er sein
Fähigkeitsselbstkonzepte zählen – vorhan- Tageswerk beendet hatte.
den sind (䉴 Kap. 2.4) und wenn die voli-
tionale Kontrolle des eigenen Lernverhaltens
gewährleistet ist (䉴 Kap. 2.5). Erfolgreich Lernende setzen sich anspruchs-
Die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Ler- volle und konkrete Ziele (Wie viele Seiten
nen scheint auch ein »kritisches Merkmal« will ich heute schreiben? Wie viele Bahnen
bei der Herausbildung (außerschulischer) will ich heute schwimmen? In welcher Zeit?)
Exzellenz zu sein. Wie Zimmerman (1998) und sind überzeugt davon, diese Ziele durch
illustriert, verfügen herausragende Schrift- eigene Anstrengung auch erreichen zu kön-
steller, Musiker oder Sportler – also Per- nen. Erfolgreich Lernende verfügen über ein

336
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

reichhaltiges Repertoire bereichsbezogener eingeflossen. Der Fragebogen WLS ist in einer


Lernstrategien, sie kennen den Nutzen und für Oberstufenschüler konzipierten Form auf
die Anwendungsbedingungen dieser Strate- der folgenden Seite zusammen mit der not-
gien und sind in der Lage, ihr strategisches wendigen Auswertungsanweisung abge-
Lernverhalten durch Methoden der motiva- druckt (䉴 Abb. 6.6), um das Spektrum stra-
tionalen und volitionalen Kontrolle abzu- tegischen Lernens zu illustrieren. Die 35 Items
schirmen. Sie wenden dazu Techniken der der 6 WLS-Skalen sind auf der Basis der oben
Selbstinstruktion und der Selbstverstärkung erwähnten Instrumente ausgewählt, modifi-
an. Erfolgreich Lernende beobachten sorg- ziert und ergänzt worden (für eine Übersicht
fältig ihre Lernfortschritte und kontrollieren vgl. Wild, 2000). Die Skalen »Memorieren«
fortlaufend, ob und was sie gelernt haben. und »Elaborieren« zielen auf die beiden von
Sie bewerten ihren Lernfortschritt selbst und Weinstein und Mayer (1986) ebenso bezeich-
ziehen daraus Konsequenzen. neten kognitiven Primärstrategien des
Lernens, die Skalen »Veranschaulichen«
und »Transformieren« auf das Organisieren
Diagnostik der Selbstregulation und Zusammenfassen von Lernmaterial. Die
beiden anderen Skalen zielen auf die Regu-
Selbstregulative Kompetenzen lassen sich lation von Anstrengung und Zeitmanage-
durch geeignete pädagogische Maßnahmen ment – also auf sogenannte Stützstrategien.
unterstützen und fördern. Wenn eine solche Die über Fragebogen diagnostizierten
Förderung gezielt stattfinden und in ihrer Lerngewohnheiten haben allerdings oftmals
Wirksamkeit evaluiert werden soll, setzt das nur wenig mit dem über Leistungstests oder
eine zuverlässige Eingangsdiagnostik vo- Noten erfassten Lernerfolg von Schülern
raus. Dass dies nicht einfach ist, liegt auf und Studierenden zu tun. In einer Studie
der Hand, denn das Wissen über und die mit fast 400 Studierenden zeigten sich für
situationsgerechte Anwendung von selbst- den WLS nur niedrige korrelative Zusam-
regulative(n) Strategien sind durchaus nicht menhänge mit den Leistungsmaßen, am
deckungsgleich. Deshalb reichen Selbstaus- ehesten war noch die Anstrengungsregula-
künfte über dispositional-habituelle Aspekte tion mit besseren Lernleistungen assoziiert.
der Selbstregulation beim Lernen allein nicht Es zeigt sich aber, dass die Zusammenhänge
aus (Jamieson-Noel & Winne, 2003; Spörer zwischen den selbstberichteten Lernstrate-
& Brunstein, 2006; Veenman, 2011). gien und dem Lernerfolg dann höher aus-
Zur Diagnostik der selbstregulativen fallen, wenn das Lernerfolgskriterium an-
Kompetenzen eignen sich neben Lerntage- spruchsvoller als das Lösen von Mehrfach-
büchern, Online-Beobachtungsverfahren, In- wahlaufgaben in einer Klausur definiert
terviews und Denkprotokollen auch Selbst- wird. Muss ein Aufsatz geschrieben oder
berichte in Form von Fragebögen (Landmann ein Referat gehalten werden, dann gehen
et al., 2009; Spörer & Brunstein, 2006). Zur mit den besonders gut bewerteten Leistun-
lernstrategischen Schnelldiagnostik haben gen zugleich höhere Ausprägungen auf den
sich der Motivated Strategies for Learning WLS-Skalen »Elaborieren«, »Veranschauli-
Questionnaire (MSLQ) von Pintrich, Smith, chen« und »Transformieren« einher (Gold,
Garcia und McKeachie (1991) bewährt und 2005; Souvignier & Gold, 2004). Mit an-
das Learning and Study Strategies Inventory deren Worten: Wenn in Leistungssituationen
(LASSI) von Weinstein, Zimmerman und reflexives und anspruchsvolles anstelle von
Palmer (1988). In den deutschsprachigen reproduktivem Wissen eingefordert wird,
Fragebogen WLS »Wie lernen Sie?« (Souvi- dann erweist sich das strategische Lernver-
gnier & Gold, 2004) sind diese Arbeiten mit halten offenbar als nützlich.

337
Teil II Lehren

Abb. 6.6-1: Fragebogen WLS mit Angaben zur Auswertung. Die Skalenmittelwerte (M) und Stan-
dardabweichungen (SD) beziehen sich auf eine Stichprobe von Studierenden.

338
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

Abb. 6.6-2

339
Teil II Lehren

Abb. 6.6-3

Nicht nur die Zusammenhänge zwischen Förderung selbstregulierten


den Instrumenten zur Erfassung von Lern- Lernens
strategien und dem Lernerfolg sind aber
uneinheitlich – auch die unterschiedlichen
Erfassungsmodi (Selbstauskünfte oder Be- Das selbstregulierte Lernen lässt sich för-
obachtungsverfahren) führen zu unter- dern, indem (schulische) Lernumgebungen
schiedlichen Ergebnissen. Über Selbstberich- und Leistungsanforderungen so gestaltet
te (Fragebogen) wird man vor allem das werden, dass Selbststeuerung nahegelegt
Wissen über Lern- und Regulationsstrate- und eingefordert wird. Damit sind vor allem
gien erfassen können und die Häufigkeit der die in 䉴 Kap. 6.2 beschriebenen Lehrmetho-
Strategieanwendung – nicht aber, ob die den des entdeckenlassenden und problem-
berichteten Strategien je nach den spezi- orientierten Lehrens gemeint. Zum Lernen
fischen Anforderungen einer Lernsituation durch Experimentieren haben beispielsweise
in jeweils angemessener Weise ausgewählt Detlev Leutner und Mitarbeiter (Marschner,
und eingesetzt werden. 2011; Thillmann, Künsting, Wirth & Leut-
ner, 2009; Wirth, Thillmann, Künsting, Fir-
scher & Leutner, 2008) einige Arbeiten vor-
gelegt, die deutlich machen, wie sich die
selbstregulativen Lernprozesse im naturwis-
senschaftlichen Unterricht nutzen und för-

340
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

dern lassen. Leutner und Leopold (2006) hat ein Hausaufgaben-Training entwickelt,
haben das in ähnlicher Weise auch für ein um das selbstregulierte Lernen bei der Be-
Training zum selbstregulativen Lernen aus arbeitung mathematischer Textaufgaben zu
Sachtexten gezeigt: Trainiert wurde dabei die unterstützen. Im Sinne der oben beschriebe-
Kompetenz zum selbstregulativen Einsatz nen Prozessmodelle der Selbstregulation
einer Textmarkierungsstrategie bei Schülern werden dabei mathematische Problemlöse-
der 10. Jahrgangsstufe. In der Regel sind strategien und deren selbstregulativer Ein-
Jugendliche oder junge Erwachsene die satz vermittelt, und zwar sowohl für die
Adressaten von selbstregulationsförderli- handlungsvorbereitende (präaktionale) Pha-
chen Programmen, weil bei jüngeren Kin- se als auch für die Handlungsphase und die
dern die erforderlichen Entwicklungs- reflexive (postaktionale) Lernphase. Trai-
voraussetzungen oftmals noch nicht gegeben niert werden beispielsweise Zielsetzungen
sind. und Überschlagsrechnungen, die Auswahl
und Fokussierung von Informationen, die
Zerlegung von Aufgaben, der Umgang mit
Studie: Förderung der Selbst-
Ablenkungen und Störungen und der Um-
regulation im Biologieunterricht
gang mit Fehlern. Otto (2007) hat die Eltern
Labuhn, Bögeholz und Hasselhorn der Kinder mit einbezogen und ein Trai-
(2008 a, 2008 b) haben in 7 Klassen der ningsprogramm für Eltern konzipiert, die
7. Jahrgangsstufe in einer Unterrichtsein- ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen
heit zum Thema Ernährung selbstregula- möchten. Das Ziel des Elterntrainings be-
tive Elemente implementiert. Zu diesen steht darin, Informationen über die Selbst-
Elementen gehörten die Kompetenzen zur regulation von Lernen zu vermitteln sowie
Zielsetzung eigenen Lernverhaltens, zur Techniken und Strategien einzuüben, um es
Selbstreflexion, zur Selbstmotivierung den Eltern zu ermöglichen, modellhaft das
von Lernhandlungen, zur Willenskon- selbstregulierte Lernen ihrer Kinder zu för-
trolle und zum lernstrategischen Vor- dern und zu begleiten.
gehen insgesamt. Wenn die selbstregula- Kramarski und Mevarech (2003) verbin-
tiven Elemente in die Vermittlung der den die Einübung kooperativer Arbeitstech-
unterrichtsfachlichen Inhalte integriert niken im Fach Mathematik bei Schülerinnen
worden waren, zeigten sich positive Aus- und Schülern 8. Klassen mit einer Förderung
wirkungen auf den fachlichen Wissens- metakognitiver Strategien. Das Trainings-
zuwachs. Zugleich wurden die selbst- programm IMPROVE (Introducing – Meta-
regulativen Kompetenzen auf diese Weise cognitive questioning – Practicing – Revie-
gesteigert. Wie in anderen Studien hat wing – Obtaining mastery – Verification –
sich damit gezeigt, dass eine Vermittlung Enrichment) thematisiert den gesamten
selbstregulativer/metakognitiver Kom- Lernprozess, beginnend mit dem Einführen
petenzen am besten in Kombination mit neuer Begriffe (Introducing) bis hin zur An-
einer sachinhaltlichen Wissensvermitt- reicherung und Anwendung des Gelernten
lung gelingt. auf neue Aufgaben und Problemstellungen
(Enrichment). Durch den selbstregulativen
Programmbaustein (Metacognitive questio-
Auch in der Arbeitsgruppe von Bernhard ning) soll eine tiefere Informationsverarbei-
Schmitz (Landmann & Schmitz, 2007; Otto, tung evoziert werden. Die Anleitungen zum
Perels & Schmitz, 2011) sind Programme metakognitiven Fragen bezieht sich vor al-
zur Förderung der Selbstregulation ent- lem auf die präaktionale Phase (Begriffe
wickelt und erprobt worden. Perels (2007) verstehen, die Aufgabenstellung verstehen,

341
Teil II Lehren

verstehen, was eigentlich gesucht ist) und auf van Ewijk, Büttner & Klieme, 2010). Hattie
die Aktionsphase (welches Vorgehen sich zur (2009) berichtet für die Implementation ko-
Problemlösung eignet, worin die Besonder- gnitiver und metakognitiver Strategien zur
heit dieser Aufgabenstellung besteht, ob sich Förderung des selbstregulierten Lernens im
Verknüpfungen zum bereits Bekannten her- Unterricht Effekte, die deutlich über einer
stellen lassen). Kramarski und Mevarech halben Standardabweichung liegen, wobei
(2003) fanden heraus, dass das kooperative sich vor allem die Methode der expliziten
Lernen in den Arbeitsgruppen besser gelingt, Einführung von Strategien bewährt hat.
wenn der metakognitive Trainingsbaustein Hattie, Biggs und Purdie (1996) finden die
im Programm enthalten ist. Mevarech und größten Effekte dann, wenn die Lernstrate-
Fridkin (2006) haben die metakognitiven gien kontextgebunden (d. h. im Rahmen der
Fragetechniken erfolgreich auch bei Col- Wissensvermittlung in einer konkreten In-
lege-Anfängern eingesetzt. haltsdomäne) eingeübt werden und wenn
Metaanalysen zur Wirksamkeit von Trai- das metakognitive Wissen über die Möglich-
ningsprogrammen zur Förderung der Selbst- keiten und Begrenztheiten solcher Strategien
regulation berichten Effektstärken in mitt- zusätzlich vermittelt wird. Veenman (2011)
lerer Höhe (Dignath, Büttner & Langfeldt, spricht in diesem Zusammenhang auch von
2008; Dignath & Büttner, 2008; Sitzmann & den notwendigen Wenn-Dann-Verknüpfun-
Ely, 2011), wobei sich sowohl direkte Inter- gen. Das prozedurale Wissen über geeignete
ventionen (die Fördermaßnahmen werden Maßnahmen und Strategien des Lernhan-
im Unterricht mit den Schülern selbst durch- delns muss regelhaft mit den aufgaben- und
geführt) als auch indirekte Interventionen problemspezifischen Bedingungen seiner
(die Lehrer und/oder Eltern der Kinder er- Anwendung verbunden werden: »Learners
halten eine Einweisung in die Prinzipien should be instructed, modeled and trained
selbstregulierten Lernens) bewährt haben – when to apply what skill, why and how in
mit einem Vorteil für die direkten Interven- the context of a task« Veenman (2011,
tionen (Otto, Kistner, Perels, Schmitz & S. 210). Diese Regel wird gelegentlich als
Büttner, 2009; Kistner, Racoczy, Dignath- WWW&H-Regel bezeichnet.

Fokus: Wenn-Dann-Pläne und Selbstregulation


Häufig gelingt es Schülerinnen und Schülern trotz vorhandener Motivation und trotz einer
ausreichenden Verpflichtung zu akademischen Zielen nicht, diese Ziele tatsächlich zu
erreichen. Ein effektives Instrument zur erfolgreichen Umsetzung von Lernzielen sind
Wenn-Dann-Pläne (Gollwitzer & Sheeran, 2006). Dabei werden Ziele (»Ich möchte im
nächsten Zeugnis eine bessere Englischnote haben«) mit der konkreten Formulierung eines
Handlungsplans verknüpft (»Wenn ich mit dem Abendessen fertig bin, dann lerne ich
mindestens 10 Englischvokabeln«).
Im pädagogischen Kontext zeigt eine aktuelle Studie, dass Kinder mit und ohne Risiko für
eine ADHS-Diagnose von Wenn-Dann-Plänen im Schulalltag profitieren können. Kinder
der 6. und 7. Klasse wurden im Rahmen eines Projekts zur Förderung von Lernstrategien
zufällig einer von zwei Bedingungen eines Gruppentrainings zugeteilt. In einer Bedingung
wurde über Lernstrategien und über unterschiedliche Lernstile lediglich informiert; in der
zweiten Bedingung schloss sich ein Selbstregulationstraining an diese Informationen an. Die
Kinder sollten dabei individuelle Wenn-Dann-Pläne formulieren und das Formulieren von
Wenn-Dann-Plänen über einen Zeitraum von zwei Wochen praktizieren und dokumen-

342
6 Methoden erfolgreichen Lehrens

tieren. Zwei Wochen nach der Intervention wurden die Eltern, die nicht wussten an
welchem der beiden Trainings ihre Kinder teilgenommen hatten, zur Selbstregulation der
Kinder im schulischen Bereich befragt. Es zeigte sich, (a) dass alle Kinder von der
Selbstregulationsintervention profitierten und (b) dass der Nutzen für die Kinder mit
einem erhöhten Risiko für eine ADHS-Diagnose besonders groß war (Gawrilow, Morgen-
roth, Schultz, Oettingen & Gollwitzer, 2012).

Paris und Paris (2001) haben auf einer all- trainieren – schon bei Kindern am Ende der
gemeinen Ebene Prinzipien der Unterrichts- Grundschulzeit. Angesichts der überragen-
gestaltung aufgeführt, die das selbstgesteu- den Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens
erte Lernen begünstigen. Dazu gehören An- als einer wichtigen Schlüsselkompetenz für
leitungen zur Selbstbeobachtung, zur Selbst- das lebenslange Lernen erstaunt es aller-
bewertung und zur Selbstverstärkung, das dings, dass der Vermittlung von Selbststeue-
Modellieren und Erklären von Maßnahmen rungskompetenzen in der Schule nur wenig
der Selbstregulation von Lernprozessen und Beachtung geschenkt wird. Hier scheint es
das Übertragen der Verantwortlichkeit für dringend empfehlenswert, das explizite Er-
das Selbstmanagement von Lernzeit und klären, Erlernen und Einüben von kogniti-
Anstrengung. Insgesamt lässt sich festhalten, ven und metakognitiven Strategien im Unter-
dass es möglich ist, selbstregulative Kom- richt stärker zu fokussieren, als dies bisher
petenzen erfolgreich zu vermitteln und zu üblich ist.

Zusammenfassung
Es gibt unterschiedliche Vorgehensweisen erfolgreichen Lehrens. Sie unterscheiden sich vor
allem im Hinblick auf ihre Steuerungsintensität. Auf verhaltens- und kognitionspsycho-
logischen Lerntheorien fußen die darstellenden Methoden der Direkten Instruktion. Für sie
gilt, dass die Lehrenden den Unterricht rational planen, detailliert vorbereiten, von außen
steuern und verantwortlich überwachen. Sie fungieren als »Didactic Leader«. Das ent-
deckenlassende und das problemorientierte Lehren sind dagegen lehr-lerntheoretischen
Ansätzen verpflichtet, welche die Selbsttätigkeit und die Eigenverantwortlichkeit des
Lernenden betonen. Solche Ansätze setzen auf die Fähigkeit zur Selbststeuerung des
Lernens, also auf ein eigenverantwortliches Zielsetzungs- und Bewertungsverhaltens
und auf eine individuelle Kontrolle über die Prozesse der Informationsverarbeitung.
Auch das kooperative Lernen beruht auf einer Lehrmethode mit hohen Selbststeuerungs-
anteilen und individuellen Verantwortlichkeiten.
Die Hauptmerkmale der Direkten Instruktion (Eingangsprüfung, darstellende Stoff-
vermittlung, angeleitetes und selbständiges Üben, regelmäßige Überprüfung des Lern-
erfolgs) haben sich als effektiv erwiesen. Allerdings muss das unterrichtliche Vorgehen an
die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen angepasst (adaptiert) werden. Blooms ziel-
erreichendes Lernen ist ein typisches Beispiel für eine lernzeitadaptive Maßnahme. Den
Methoden des entdeckenlassenden und problemorientierten Lehrens liegt die Annahme
zugrunde, dass das selbst Entdeckte von einer besseren Verstehens- und Behaltensqualität
sei als das durch eine Erklärung Vermittelte. Die in den 1960er Jahren zwischen Bruner und

343
Teil II Lehren

Ausubel geführte Kontroverse über das Entdeckungslernen ist gut geeignet, um die
gegensätzlichen Positionen zu illustrieren.
Die Vertreter der situierten Kognition und des entdeckenlassenden Lehrens berufen sich
auf kulturanthropologische Studien und auf die frühen Arbeiten von Wygotski. Mit der
kognitiven Meisterlehre, dem reziproken Lehren und der Methode der Verstehensanker
liegen bewährte unterrichtspraktische Umsetzungen der situiert-konstruktivistischen Lern-
prinzipien vor – sie sind allesamt mit einer stärker ausgeprägten Lenkungskomponente
versehen.
Beim kooperativen Lernen arbeiten die Lernenden zusammen, um Wissen zu erwerben.
Kooperative Methoden sind effektiv, wenn bestimmte Voraussetzungen beachtet werden –
vor allem muss die Aufgabenstellung geeignet sein, kooperative Lernprozesse auszulösen,
müssen über die Ziel- oder Belohnungsstrukturen oder über die Ressourcenallokation
positive Interdependenzen hergestellt werden und es müssen die individuellen Verantwort-
lichkeiten und Beiträge zu den Gruppenprodukten sichtbar bleiben. Bekannte kooperative
Methoden sind die Gruppenrecherche, die Gruppenrallye und das Gruppenpuzzle.
Modelle selbstregulierten Lernens gehen davon aus, dass die Lernenden selbst ihr
Lernverhalten initiieren, gestalten und kontrollieren müssen, um erfolgreich zu sein. Die
Verfügbarkeit strategischer, metakognitiver, motivationaler und volitionaler Kompetenzen
macht den Kern der Selbstregulation aus. Diese Kompetenzen müssen früh eingeübt
werden, damit außerhalb institutioneller Settings und im Erwachsenenalter erfolgreich
und selbstgesteuert gelernt werden kann.

Literaturhinweis
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Alexander (Eds.), Handbook of Research on
Learning and Instruction (pp. 197–218). New
York: Routledge.

344
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Die in 䉴 Kap. 6 beschriebenen Methoden viduelle Schulreife früher vornehmlich als


des Lehrens beeinflussen das Lernen und Bringschuld des Kindes, so ist die Schulfähig-
den Aufbau von Wissen und Können bei keit mit Erwartungen und Anforderungen in
den Adressaten der instruktionalen Maß- beide Richtungen verbunden: mit Erwartun-
nahmen. Sie sind aber nicht die einzigen gen an die Jungen und Mädchen, die Vo-
Einflussgrößen. Ihre Wirksamkeit bemisst raussetzungen für das schulische Lernen
sich aus dem Vorhandensein und Zusam- mitzubringen, und mit Erwartungen an
menspiel wichtiger Rahmenbedingungen des den schulischen Anfangsunterricht, der
Lehrens. In 䉴 Kap. 7 werden die wichtigsten sich durch Art und Tempo des Vorgehens
Rahmenbedingungen erfolgreichen Lehrens an der Variabilität solcher Lernvorausset-
behandelt, und es wird das Zusammenwir- zungen zu orientieren hat. Es folgt eine
ken der unterschiedlichen Aspekte und Be- Systematik der Bedingungsfaktoren schu-
dingungen von Unterricht näher beschrie- lischen Lernens, die sich an den empirischen
ben. Studien zur Wirksamkeit von Schule und
Merkmale der Qualität und Quantität Unterricht orientiert (䉴 Kap. 7.2). Die syste-
von Unterricht, die individuelle Lernprozes- matisch-ordnende Betrachtungsweise hat
se auslösen und begünstigen, werden im eine lange Tradition, die sich aus den klas-
Folgenden in einen größeren Zusammen- sischen Modellen schulischen Lernens und
hang gestellt. Was sind die Ziele von Unter- aus vielen Studien zur Erforschung der Wirk-
richt und Schule insgesamt? Welche notwen- samkeit von Lehrmethoden und Schulsyste-
digen Voraussetzungen müssen gegeben men, zur Leistungsentwicklung von Schulen
sein, um durch unterrichtliches Handeln und Schulklassen speist. Die aufzählende
diese Ziele erreichen zu können? Welche Betrachtung der Bedingungsfaktoren – in-
pädagogischen Fertigkeiten der Klassenfüh- nerhalb und außerhalb von Schule und Un-
rung und des -managements, welche diag- terricht sowie innerhalb und außerhalb des
nostischen Fertigkeiten des Beurteilens und Lernenden selbst – schließt die Behandlung
Bewertens muss eine Lehrerin besitzen? Wo- grundsätzlicher Fragen mit ein. Dazu gehö-
von hängt die Effektivität von Unterricht, ja ren z. B. die Problematik der multiplen Ziel-
von Schule noch ab? Wie wirken unterricht- kriterien von Unterricht und Schule sowie
liche Bedingungen, Kontextbedingungen das Problem der Vereinbarung disparater
schulischen Lernens und die individuellen Unterrichtsziele, die multiple Determiniert-
Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und heit von Schulerfolg sowie die Frage der
Schüler zusammen? Kopplung oder Kompensation von Bedin-
An den Anfang wird eine Betrachtung der gungsfaktoren.
Schulbereitschaft und der Schulfähigkeit der Pädagogische Fertigkeiten der Klassen-
Kinder gestellt (䉴 Kap. 7.1). Das ist eine führung und des Managements von Unter-
Thematik, die lange Zeit mit dem Begriff richtsabläufen und -problemen sind notwen-
der Schulreife assoziiert war. Galt die indi- dige Bestandteile erfolgreichen Lehrerhan-

345
Teil II Lehren

delns. Als leicht beobachtbare Prozessvaria- mit Medien ist zu beachten, dass die medial
blen des Lehrverhaltens gehören sie zugleich auf die eine oder andere Weise präsentierten
zum inhaltlichen Kern der Forschungstradi- Stoffinhalte bestimmte Anforderungen an
tion des Prozess-Produkt-Paradigmas schu- die menschliche Informationsverarbeitung
lischen Lernens. Ihre besondere Attraktivität stellen. Eine pädagogische Psychologie der
verdanken sie auch einer vergleichsweise Instruktionsmedien muss beides berücksich-
geringen Modifikationsresistenz. Mit ande- tigen: die Angebotsseite, d. h. die Realisatio-
ren Worten: Solche Fertigkeiten kann man nen und Möglichkeiten multimedialer Infor-
erlernen. Vor allem in den amerikanischen mationsdarbietung und die Nutzerseite, d. h.
Lehrbüchern nehmen die Prinzipien effizien- die kognitiven Prozesse der Informationsver-
ter Klassenführung breiten Raum ein. In den arbeitung beim Text- und Bildverstehen. In
jüngeren Studien zur professionellen Kom- 䉴 Kap. 7.5 wird zu zeigen sein, dass unter-
petenz von Lehrkräften wird ebenfalls da- schiedliche Medien und Medienattribute für
rauf verwiesen. In 䉴 Kap. 7.3 werden solche unterschiedliche Lernziele und für Lernende
Prinzipien dargestellt. mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen
Leistungen oder Zielerreichungen der unterschiedlich gut geeignet sind. Dabei
Lernenden müssen gemessen und bewertet wird auch auf die Frage der Überlastung
werden, vor allem auch, weil die Wirksam- des Informationsverarbeitungssystems bei
keit pädagogischer Maßnahmen einer kon- multimedialen Lernangeboten eingegangen.
tinuierlichen Überprüfung bedarf. Wer Bil-
dungs-, Lern- oder Unterrichtsziele setzt
Orientierungsfragen
oder vereinbart, muss sich auf Kriterien
und Verfahren der Zielerreichungsmessung ● Was ist Schulbereitschaft?
verständigen. Die Beurteilung und das Be- ● Lässt sich Schulerfolg vorhersagen?
werten schulischer Leistungen kann sich auf Welches sind die wichtigsten Prädikto-
Individual-, Schulklassen-, Schul- oder ren für schulische Leistungen?
Schulsystemebene vollziehen, und es können ● Kann man in kleinen Klassen besser
unterschiedliche Vergleichsmaßstäbe dabei lernen als in großen?
zum Tragen kommen. Werden Lernleistun- ● Was sind Merkmale effizienter Klassen-
gen einzelner Schülerinnen und Schüler im führung?
Unterricht beurteilt und bewertet, so ist in ● Wie lassen sich schulische Leistungen
erster Linie die diagnostische Kompetenz der angemessen beurteilen?
Lehrerinnen und Lehrer gefragt. 䉴 Kap. 7.4 ● Kann man mit Bildern oder Texten
setzt sich mit den Grundlagen der Beurtei- besser lernen? Oder mit dem Compu-
lung und Bewertung schulischer Leistungen ter?
auseinander.
Lehrende setzen unterrichtliche Medien
ein, um Lehrziele zu erreichen. Beim Lehren

7.1 Schulbereitschaft und Einschulung


Der individuelle Entwicklungsstand und die den entscheidenden Rahmenbedingungen
unterschiedlichen Vorkenntnisse und Fertig- erfolgreichen Unterrichtens. Glaubt man
keiten, der eingeschulten Kinder gehören zu dem Volksmund, so beginnt der »Ernst

346
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

des Lebens« zwar erst mit dem Schuleintritt hen. Ein zunehmender Anteil der Familien
– wichtige Lernvoraussetzungen entwickeln sei nämlich alleine nicht mehr in der Lage,
sich aber schon vorher. Je problemloser die eine hinreichende Vorbereitung ihrer Kinder
frühen Anforderungen bewältigt werden, auf schulisches Lernen zu realisieren.
desto günstiger ist die Prognose für den Dass Bildungsbiografien von Kindern
langfristigen schulischen Lernerfolg. Schon nicht erst mit der Einschulung beginnen,
Ende der 1960er Jahre forderte der Deutsche macht der Nationale Bildungsberichts deut-
Bildungsrat ausdrücklich, die pädagogische lich. Kinder, die mehr als ein Jahr eine vor-
Betreuung in vorschulischen Kindertagesein- schulische Einrichtung besucht haben, ver-
richtungen als Teil des Bildungssystems auf- fügen in der 4. Klasse über eine höhere
zufassen und entsprechend auszubauen. In Lesekompetenz als Kinder, die gar nicht
der Folge wurden Eckpunkte eines Pro- oder weniger als ein Jahr einen Kindergarten
gramms zur Stimulation und Vorbereitung besucht haben (Autorengruppe Bildungs-
von Lernprozessen im vorschulischen Alter berichterstattung, 2008). Auch wenn dieser
vorgeschlagen. Die Förderung von Auto- Effekt nicht groß genug ist, um die Nachteile
nomie und Selbständigkeit, von Kooperati- der Kinder aus bildungsfernen Haushalten
onsfähigkeit und Kreativität gehörte zu die- und aus Familien, bei denen zu Hause nicht
sen Eckpunkten (Deutscher Bildungsrat, deutsch gesprochen wird, vollständig aus-
1973). Schon damals war man sich darüber zugleichen, spricht dies für die Wirksamkeit
im Klaren, dass sich Entwicklungsverzöge- einer vorschulischen Intervention. Der Be-
rungen und frühe Kompetenzdefizite im wei- such eines Kindergartens kann also den
teren Entwicklungsverlauf potenzieren wür- späteren Erwerb schulischer Kompetenzen
den und dass damit die Wahrscheinlichkeit nachhaltig fördern. So ist es nur folgerichtig,
für eine misslingende Lernbiografie größer dass Bildungsaufgaben des Kindergartens
sei. Dementsprechend sah man in der geziel- immer mehr in den Fokus der bildungspoli-
ten Entwicklungsförderung schulrelevanter tischen Debatte rücken. Dass es mittlerweile
Kompetenzen eine zentrale Aufgabe der pä- in allen Bundesländern eigene Bildungs- und
dagogischen Arbeit in Kindertageseinrich- Orientierungspläne gibt, die diese Aufgaben
tungen. verbindlich festschreiben, zeugt von dem
Mit dieser Begründung wurden in der hohen gesellschaftlichen Stellenwert der frü-
Folge Forderungen nach einer Umstruktu- hen, vorschulischen Bildung. Damit haben
rierung der Kindertagesbetreuung laut. Das sich durchaus einschneidende Veränderun-
traditionelle Verständnis vom Elternhaus als gen in der Zielsetzung und Gestaltung der
primär verantwortlicher Institution der frü- Erziehungsarbeit in deutschen Kindertages-
hen Bildung wurde mehr und mehr als er- stätten vollzogen.
gänzungs- und revisionsbedürftig angese-

Fokus: Schulreife, Schulfähigkeit, Schulbereitschaft


Die Frage, ob ein Kind von seinen individuellen Voraussetzungen her zu einem erfolgreichen
Schulbesuch in der Lage sein wird, ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts unter den Begriffen
»Schulreife«, »Schulfähigkeit« und »Schulbereitschaft« immer wieder neu diskutiert
worden. Das historisch ältere Konzept der Schulreife basierte auf der Annahme, dass
ein Kind einen bestimmten reifungsabhängigen Entwicklungsstand erreicht haben muss,
um die Anforderungen des Anfangsunterrichts erfolgreich bewältigen zu können. Hat ein
Kind diesen Entwicklungsstand bei Erreichen des Schulpflichtalters noch nicht erreicht, so

347
Teil II Lehren

ging man ursprünglich davon aus, dass – extreme Fälle ausgenommen – bei Gewährung
einer Zeit der »Nachreife« die wichtigsten Entwicklungsschritte von selbst, d. h. ohne
Eingreifen nachgeholt würden, die für einen erfolgreichen Schulstart erforderlich sind
(Kern, 1970, S. 4).
Zusammen mit der in Deutschland weit verbreiteten Einstellung, dass Kindern möglichst
lange eine Kindheit abseits vom »Ernst des Lebens« bewahrt bleiben solle, führte das zu
einer pädagogisch eher abwartenden – auf Nachreifung hoffenden – Grundhaltung und zu
einem kontinuierlichen Anstieg an Zurückstellungen. Allerdings nährten in den USA
durchgeführte Trainingsstudien zunehmend die Hoffnung, dass sich der kognitive Entwick-
lungsstand jüngerer Kinder durch gezielte Fördermaßnahmen beeinflussen lasse (vgl. Lee,
Brooks-Gunn & Schur, 1988). In der Folge wurde das Schulreifekonzept durch das von
impliziten Reifungsannahmen weniger belastete Konzept der Schulfähigkeit abgelöst.
Unter Schulfähigkeit wird die Fähigkeit des Kindes verstanden, sich unter den Rah-
menbedingungen der Schule die grundlegenden Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rech-
nen) anzueignen. Welche physischen, kognitiven, motivationalen und sozial-emotionalen
Merkmale bzw. Merkmalskonstellationen dafür notwendig und hinreichend sind, lässt sich
empirisch jedoch nicht eindeutig bestimmen. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass die
individuelle Schulfähigkeit nicht nur vom Entwicklungsstand eines Kindes, sondern ebenso
von der Qualität des Anfangsunterrichts abhängig ist (Tent, 2010).
Im internationalen Diskurs wird meist der Begriff der »School Readiness« (Denham,
2006) – also der Schulbereitschaft – verwendet. Anders als bei der Schulfähigkeit wird damit
eine einseitige Betonung der kognitiven Voraussetzungen für einen erfolgreichen Schul-
beginn vermieden, und es wird besser zum Ausdruck gebracht, dass neben den kognitiven
auch sozial-emotionale und volitionale Kompetenzen bedeutsam sind (䉴 Kap. 2).

Schulbereitschaft als tersuchungen sogenannte Einschulungsemp-


Entwicklungsaufgabe fehlung abgegeben. Aber hat sich aus dieser
Verfahrenspraxis im Laufe der Jahrzehnte
ein klar umrissener Kriterienkatalog ent-
Definiert man Schulbereitschaft als ein indi- wickelt, bei dessen konsequenter Anwen-
viduelles Merkmal, also als ein Merkmal des dung sich die Frage nach einer individuell
Kindes, das darüber Auskunft gibt, ob die vorhandenen oder nicht vorhandenen Schul-
wichtigsten individuellen Voraussetzungen bereitschaft leicht beantworten lässt?
für eine erfolgreiche Bewältigung der schu- Offenkundig ist das nicht der Fall. Und so
lischen Anforderungen (zumindest des An- ist man mehr und mehr dazu übergegangen,
fangsunterrichts) gegeben sind, dann drängt die Feststellung der Schulbereitschaft nicht
sich die Frage auf, um welche Voraus- mehr den Medizinern, sondern den Experten
setzungen es sich dabei eigentlich handelt für das schulische Lernen – insbesondere für
Die Beantwortung dieser Frage hat man in den schulischen Anfangsunterricht –, also
der Vergangenheit oft den Schulärzten über- den Lehrern zu überlassen. Auf diese Weise
lassen, weil sich alle demnächst schulpflich- sind – oftmals implizite – Konzepte von
tig werdenden Kinder einer ärztlichen Schul- Schulbereitschaft entstanden, die den Schul-
eingangsuntersuchung unterziehen müssen. eintritt als eine zu bewältigende Entwick-
Die Schulärzte haben aufgrund solcher Un- lungsaufgabe betrachten, mit welcher neu-

348
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

artige Anforderungen an das Kind verbun- richtsvormittage) und an die Notwendigkeit


den sind. Im Einzelnen lassen sich diese zielgerichteten Arbeitens (trotz gelegentli-
Anforderungen dem sozial-emotionalen Be- cher Frustrationen, fehlender Motivation
reich, dem sprachlich-kognitiven Bereich und Ablenkungsmöglichkeiten) hervorzuhe-
und dem Bereich von Selbstkontrolle bzw. ben.
Selbstregulation zuordnen. Im Bereich der Vor dem Hintergrund solcher Überlegun-
sozial-emotionalen Kompetenzen gehören gen sind in der Einschulungspraxis vielfälti-
hierzu die Bewältigung des Beziehungs- ge, oftmals sehr kreative Strategien zur Fest-
abbruchs zu den Erzieherinnen aus den Kin- stellung der Schulbereitschaft von Kindern
dertagesstätten sowie der Aufbau neuer Be- entstanden. Wie gut sie geeignet sind, um
ziehungen zu Lehrern und Mitschülern. Im eine zuverlässige und objektive Feststellung
sprachlich-kognitiven Bereich sind das Ver- der tatsächlichen Schulbereitschaft zu er-
ständnis und Befolgen sprachlicher Anwei- möglichen, lässt sich bestenfalls schätzen.
sungen besonders wichtig, aber auch die Zum einen ist die Heterogenität der benutz-
erforderliche sprachliche Artikulations- ten Verfahren und Bewertungskriterien viel
fähigkeit sowie die Bewältigung der erhöh- zu groß. Zum anderen fehlt es nahezu voll-
ten kognitiven Anforderungen. Im Bereich ständig an empirischen Befunden, die es
der Selbstkontrolle und Selbstregulation erlaubten, die Vorhersagekraft der getroffe-
sind die Gewöhnung an die veränderten nen Entscheidungen zu bewerten.
Zeitrhythmen (Unterrichtsstunden, Unter-

Beispiel: Formen der Bewältigung des Schuleintritts


Beelmann (2006) hat Anpassungsprobleme beim Übergang vom Kindergarten in die
Grundschule untersucht. Dazu wurden 60 Kinder drei Monate vor und nach der Ein-
schulung beobachtet sowie die Eltern und Erzieherinnen befragt. Die kindlichen Anpas-
sungsprobleme unterschieden sich nicht gravierend zwischen den beiden Befragungszeit-
punkten, was dafür spricht, dass die mit dem Übergang einhergehenden Anforderungen im
allgemeinen von den Kindern gut bewältigt wurden.
Allerdings ließen sich verschiedene Verlaufstypen identifizieren, die Beelmann (2000) als
Übergangsgestresste, Übergangsgewinner, Geringbelastete und Risikokinder bezeichnete.
Bei den Übergangsgestressten handelt es sich um eine Gruppe, bei der die Anpassungs-
probleme beim Eintritt in die Grundschule zunehmen (14 % der Kinder). Hier führt der
Schuleintritt zu einer Destabilisierung, wobei die vorhandenen Ressourcen offenbar nicht
ausreichen, um unmittelbar eine Restabilisierung herbeiführen zu können. Vergleichbar
groß ist die Gruppe der Übergangsgewinner (15 % der Kinder), bei denen es mit der
Änderung der Umgebungsbedingungen (Schuleintritt) zu einer verbesserten Individuum-
Umwelt-Passung kommt. Die Gruppe der Geringbelasteten (42 % der Kinder) ist durch
konsistent geringe Anpassungsprobleme über beide Messzeitpunkte gekennzeichnet und
weist damit ein recht stabiles Gleichgewicht zwischen Person und Umwelt auf. Diese Kinder
verfügen offenbar bereits im Vorfeld über ausreichende Ressourcen, um die neuen
Anforderungen ohne größere Schwierigkeiten zu bewältigen. Die als Risikokinder bezeich-
nete Gruppe (29 % der Kinder) verfügt dagegen über beide Messzeitpunkte hinweg
konsistent über hohe Belastungswerte. Bei diesen Kindern besteht die Gefahr der Chro-
nifizierung von Problembelastungen, was wiederum ein erhöhtes Risiko für die weitere
Entwicklung darstellt.

349
Teil II Lehren

Neben den unterschiedlichen Verlaufstypen lassen sich Risiko- und Schutzfaktoren iden-
tifizieren, die den Übergang in die Schule erschweren bzw. erleichtern können. Beim
Übergang zur Grundschule ist hier nach den Befunden von Beelmann (2006) vor allem die
Qualität der sozial-emotionalen Eltern-Kind-Beziehung zu nennen. Eine von Eltern und
Kindern positiv und sicher erlebte Beziehung erweist sich auch für den Schuleintritt als
günstig, was die Bedeutung der sozialen Ressourcen bei der Bewältigung des Schuleintritts
unterstreicht.

Eine empirisch fundierte Festlegung von sucht, die zur Vorhersage ihrer späteren
Kriterien oder Richtwerten, die zur Feststel- schulischen Leistungen bzw. der schulischen
lung der Schulbereitschaft eines Kindes ge- Entwicklungsrisiken (vor allem in den Be-
eignet sind, setzt voraus, dass man sich über reichen Lesen, Schreiben und Rechnen) ge-
die individuellen Voraussetzungen im Klaren eignet sind. Die dabei identifizierten Fertig-
ist, die eine gute Vorhersage der erfolgrei- keiten bzw. Verhaltensmerkmale sind in der
chen Bewältigung der anstehenden schu- Mehrzahl kognitiver Art. So hat man spezi-
lischen Anforderungen erlauben. Solche Vor- fische Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb
hersagen sind aber naturgemäß schwierig, der Schriftsprache identifiziert (insbesondere
und die Determinanten des Schulerfolgs sind Fertigkeiten der lautsprachlichen Informati-
nicht nur vielfältig, sondern auch auf kom- onsverarbeitung; vgl. dazu auch 䉴 Kap. 3.1)
plexe Weise miteinander verknüpft. Vorher- und entsprechende Verfahren zur Diagnos-
sagen zu treffen über den mutmaßlichen tik dieser Fertigkeiten im Vorschulalter ent-
Erfolg beim Erwerb schulischer Kompeten- wickelt (vgl. Marx & Lenhard, 2011; Schö-
zen aufgrund von Fertigkeiten und anderen ler, 2011). In ähnlicher Weise konnten ma-
Entwicklungsmerkmalen im vorschulischen thematische Basiskompetenzen identifiziert
Alter, ist in mehrerer Hinsicht ein riskantes und darauf aufbauende Verfahren zur frü-
Unterfangen. Einerseits unterliegen die Fer- hen Diagnostik entwickelt werden (vgl. Sin-
tigkeiten und Entwicklungsmerkmale häufig ner, Ennemoser & Krajewski, 2011). Die
selbst – bisweilen auch kurzfristigen – Ver- Vorläuferfertigkeiten der schriftsprachlichen
änderungen, andererseits ist der erfolgreiche Kompetenzentwicklung und die mathema-
Erwerb schulischer Kompetenzen nicht nur tischen Basiskompetenzen sind zentrale
von individuellen Merkmalen eines Lernen- Bausteine der Schulbereitschaft im Sinne
den, sondern auch von den Merkmalen des schulrelevanter Lernvoraussetzungen. Hin-
in der Schule realisierten Unterrichts abhän- zu kommen volitionale Kompetenzen der
gig (䉴 Kap. 7.2). Selbst- und Handlungskontrolle wie bei-
In einer Reihe von Längsschnittstudien spielsweise die Fähigkeit zum sog. Beloh-
hat man nach charakteristischen individuel- nungsaufschub (vgl. dazu 䉴 Kap. 4.1).
len Merkmalen bei Vorschulkindern ge-

Fokus: Regelung und Praxis der Einschulung in Deutschland


Im Hamburger Abkommen von 1964 wurde der Beginn der Schulpflicht bundeseinheitlich
festgelegt: Alle Kinder, die bis zum 30. Juni eines Jahres sechs Jahre alt sind, wurden zum 1.
August schulpflichtig. Zwei Ergänzungen sollten individuelle Entwicklungsunterschiede im
Erreichen der Schulbereitschaft regeln: Für schulfähige, aber noch nicht schulpflichtige

350
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Kinder, die das sechste Lebensjahr zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezember des
Einschulungsjahrs vollenden, wurde eine vorzeitige Einschulung ermöglicht. Für den
umgekehrten Fall der fehlenden Schulbereitschaft trotz Schulpflicht wurde die Möglichkeit
geschaffen, den Schuleintritt um ein Jahr hinauszuschieben (Zurückstellung).
1997 wurde die Stichtagsregelung der Kultusministerkonferenz gelockert, da man im
internationalen Vergleich mittlerweile aufgrund einer übermäßigen Nutzung der Zurück-
stellungsregelung ein sehr hohes durchschnittliches Schuleintrittsalter erreicht hatte. Die
Bundesländer konnten nun den Stichtag im Zeitraum 30. Juni bis 30. September festlegen,
ja sogar Einschulungstermine während des Schuljahrs vorsehen. Abweichend davon wählte
Berlin den 31. Dezember als Stichtag. Die Eltern sollten zu vorzeitigen Einschulungen
ermutigt werden, und in Einzelfällen sollte der Schuleintritt auch für Kinder möglich sein,
die erst nach dem 31. Dezember das sechste Lebensjahr vollenden. Zurückstellungen sollten
sich auf Ausnahmen beschränken. Etwa die Hälfte der Länder beließ es beim Stichtag
30. Juni, andere – wie etwa Baden-Württemberg – wählten den 30. September.
Als Konsequenz dieser Änderungen sind die Statistiken der einzelnen Bundesländer über
Zurückstellungen und vorzeitige Einschulung nicht mehr unbedingt vergleichbar, weil etwa
ein im August geborenes Kind, das im Spätsommer eingeschult wird, in Hessen als vorzeitig
eingeschult gewertet wird, in Baden-Württemberg oder Berlin jedoch als fristgerecht
eingeschult. Dem Bildungsbericht 2010 war zu entnehmen, dass die Quote der Zurück-
stellungen und der vorzeitigen Einschulungen sich mit etwa 5 bis 6 % ungefähr die Waage
hielten, Jungen tendenziell eher als Mädchen und Kinder aus Familien mit Migrations-
hintergrund im Vergleich zu denen ohne Migrationshintergrund zurückgestellt wurden
(Autorengruppe Bildungsberichtserstattung, 2010). Mittlerweile ist in den Ländern mit sehr
frühen Einschulungszeitpunkten die Quote der Zurückstellungen wieder deutlich ange-
stiegen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012).

Sicherstellung der Prävention gegen mangelnde Schulbereit-


Schulbereitschaft in schaft?
Kindertageseinrichtungen Wenn es um Prävention geht, hat sich die
Unterscheidung verschiedener Ebenen be-
währt, die als universelle (primäre), selektive
Wenn im Regelfall Kinder mit Erreichen der (sekundäre) und indizierte (tertiäre) Präven-
gesetzlichen Schulpflicht in hinreichendem tionen bezeichnet werden (vgl. Ziegenhain,
Maße Schulbereitschaft entwickelt haben 2008). Im Bereich der frühen Bildung bezieht
sollten, müsste die Sicherstellung der indivi- sich universelle Prävention auf Angebote, die
duellen Schulbereitschaft zu den zentralen allen Kindern bzw. ihren Familien zur Ver-
Aufgaben vorschulischer Kindertagesein- fügung stehen (also z. B. das Betreuungs-
richtungen gehören. Aufbauend auf dieser angebot eines Kindergartens oder die Vor-
Schlussfolgerung stellt sich die Frage, wie gut sorgeuntersuchungen U1 bis U9). Frühför-
Kindertagesstätten das Ziel erreichen, dass derung im eigentlichen Sinne bezieht sich auf
nahezu alle Kinder mit etwa sechs Jahren in besondere Angebote, die selektiv für be-
hinreichendem Maße schulbereit sind. An- stimmte Risikogruppen konzipiert sind
ders formuliert: Leistet die pädagogische und den befürchteten ungünstigen Entwick-
Arbeit in Kindertageseinrichtungen wirksam lungsverläufen im Einzelfall entgegenwirken

351
Teil II Lehren

sollen (z. B. Angebote zur Sprachförderung Elliot & Totsika, 2006). Ein positiver Trans-
für Kinder aus Familien mit Migrationshin- fer dieser frühen Entwicklungsvorteile auf
tergrund). Liegen bereits diagnostizierte Stö- schulische Leistungen war noch am Ende der
rungen oder Beeinträchtigungen vor, so sind 9. Klasse nachzuweisen – selbst dann, wenn
indizierte Interventionen zur Kompensation man vielfältige Familien- und Schulmerkma-
der Defizite angebracht. le statistisch kontrollierte. Die Effektstärken
Seit Ende der 1980er Jahre wurden etliche der institutionellen Betreuung bewegten sich
umfangreiche Studien durchgeführt, auf de- im mittleren und unteren Bereich (d <=.36).
ren Basis eine gute Einschätzung der Wirk- Zudem profitierten die Kinder langfristig
samkeit der pädagogischen Arbeit in Kinder- auch im Bereich des Sozialverhaltens (Sylva,
tageseinrichtungen in einigen europäischen Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford &
Ländern (insbesondere in Deutschland, den Taggart, 2012).
Niederlanden und England), in den USA und Diese und andere Studien lassen keinen
in Kanada im Hinblick auf die kognitive Zweifel daran, dass die vielfältigen Erfah-
Entwicklung der Kinder möglich ist (vgl. rungen im Umgang mit anderen Kindern
die Übersichtsarbeiten von Burger, 2010; und die pädagogischen Angebote der insti-
Camilli, Vargas, Ryan & Barnett, 2010). tutionellen Einrichtungen in aller Regel dazu
Zu den Großprojekten, in denen die För- beitragen, dass grundlegende Kompetenzen
derqualitäten vorschulischer Kindertages- im sozial-emotionalen wie auch im kogniti-
einrichtungen untersucht wurden, gehört ven Bereich erworben werden. Zu Recht darf
eine britische Studie, die unter dem Kürzel daher von dem Besuch einer Kindertages-
EPPE (Effective Provision of Preschool-Edu- stätte – zumal bei einer hinreichenden Qua-
cation) bekannt geworden ist. Die EPPE- lität der Einrichtung und der Betreuung –
Studie eignet sich gut zur Veranschaulichung erwartet werden, dass sich im Sinne einer
des empirischen Erkenntnisstandes darüber, primären Prävention günstige Effekte im
ob mit dem Besuch vorschulischer Kinder- Hinblick auf die kindliche Entwicklung
tageseinrichtungen ein höheres Maß an und für die Schulbereitschaft zeigen (Roß-
Schulbereitschaft der Kinder einhergeht. bach, Kluczniok & Kuger, 2008).
EPPE begann 1997 als nationale Längs-
schnittstudie mit etwa 3000 Kindern aus Qualitätsmerkmale. Forschungen zur Güte
141 vorschulischen Einrichtungen, wobei und zur Angebotsvielfalt frühpädagogischer
darauf geachtet wurde, dass die beteiligten institutioneller Bildung fokussieren zwei un-
Einrichtungen repräsentativ für die in Eng- terschiedlich komplexe Merkmale. Das ist
land vorhandenen frühpädagogischen Ein- zum einen das Ausmaß der Betreuung, also
richtungstypen waren. Zu Kontrollzwecken die durchschnittliche Dauer und Intensität
wurden weitere 300 Kinder rekrutiert, die im des Aufenthaltes einzelner Kinder in den ent-
Elternhaus betreut wurden. Im Vergleich zu sprechenden Einrichtungen, und zum ande-
den Kindern der Kontrollgruppe wiesen Kin- ren die dort vorgefundene Qualität der Be-
der, die eine institutionelle vorschulischen treuung. In Ländern wie Deutschland, in
Betreuung erhalten hatten, bei Schuleintritt denen mehr als 90 % aller über dreijährigen
günstigere Ausprägungen in verschiedenen Kinder und mehr als 97 % aller Fünfjährigen
kognitiven Kompetenzmaßen (insbesondere eine Kindertageseinrichtung besuchen (Auto-
im Wortschatz, in ihren sprachlichen und in rengruppe Bildungsberichterstattung, 2012),
ihren frühen mathematischen Fertigkeiten) ist die Betrachtung der Betreuungsqualität
sowie in Merkmalen des sozialen Verhaltens von besonderem Interesse. In der britischen
auf (vgl. Sylva & Pugh, 2005; Sylva, Siraj- EPPE-Studie wurde der Versuch unternom-
Blatchford, Taggart, Sammons, Melhuish, men, die Qualität der vorschulischen Einrich-

352
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

tungen zu erfassen und zu prüfen, welche hatten und je besser die sprachliche und
Qualitätsmerkmale der Einrichtungen sich kognitive Anregungsqualität in der besuch-
nachweislich besonders günstig auf die Ent- ten Einrichtung eingestuft worden war. Die
wicklung der Kinder auswirken. Durch Be- Qualität der strukturellen Merkmale hatte
fragungen und Beobachtungen wurden zu demgegenüber nur geringe Auswirkungen.
diesem Zweck sowohl strukturelle Charak-
teristika (z. B. Größe, Betreuungsverhältnis, Kompensatorische Wirkungen. Der Gedan-
Betreuungszeiten, Ausbildung der Fachkräf- ke, dass der Besuch einer Kindertagesstätte
te) als auch Prozessmerkmale (z. B. Aktivitä- familiäre bzw. soziale Benachteiligungen
ten, Curriculum, Interaktionen) erfasst. Die in kompensiert, gehört zu den Grundforderun-
der Studie eingesetzte Early Childhood Envi- gen an die Frühpädagogik. Auch zur Frage
ronment Rating Scale (ECERS), für die es eine solcher kompensatorischen Wirkungen von
deutsche Fassung von Tietze, Schuster, Gren- Kindertageseinrichtungen finden sich Hin-
ner und Roßbach (2005) gibt, erlaubt eine weise aus dem EPPE-Projekt (vgl. Taggart et
Einschätzung der Einrichtungen auf den fol- al., 2006; Siraj-Blatchford, Mayo, Melhuish,
genden sieben globalen Qualitätsmerkmalen: Taggart, Sammons & Sylva, 2011). Kom-
pensatorische Effekte für die sozial benach-
(1) Platz und Ausstattung (Space and Fur- teiligten Kinder zeigten sich im Bereich der
nishing), sprachlichen Fähigkeiten sowie der Vorläu-
(2) Betreuung und Pflege der Kinder (Per- ferfertigkeiten der schriftsprachlichen Kom-
sonal Care Routines), petenzentwicklung. Sie waren noch bis zum
(3) Sprachliche und kognitive Anregungen fortgeschrittenen Jugendalter nachzuweisen,
(Language-Reasoning), wenn zusätzlich günstige Anregungsbedin-
(4) Aktivitäten (Activities), gungen in der Familie und der Schule gege-
(5) Interaktionen (Interaction), ben waren. Die Hoffnung auf eine kompen-
(6) Strukturierung der pädagogischen Ar- satorische Wirksamkeit des Kindergarten-
beit (Program Structure) und besuchs wird auch durch Analysen der
(7) Eltern und Erzieherinnen (Parents and Daten des deutschen Sozio-ökonomischen
Staff). Panels (SOEP) genährt. So berichten etwa
Spiess, Büchel und Wagner (2003), dass in
Um zusätzlich inhaltliche Aspekte der An- Deutschland Kinder aus Familien italie-
regungsqualität zu erfassen, kamen weitere nischer, griechischer, türkischer, spanischer
Befragungs-und Beobachtungsinstrumente oder jugoslawischer Herkunft bei längerem
zum Einsatz, die auf besondere Aktivitäten regelmäßigen Kindergartenbesuch weniger
im Bereich Lesen und Sprache (Literacy), im häufig von der regulären Einschulung zu-
Bereich des Rechnens (Maths), der Natur- rückgestellt werden (vgl. auch Kratzmann &
wissenschaften (Science) sowie des Themen- Schneider, 2009).
kreises der Individualität und Verschieden- Die Metaanalyse von Burger (2010) zu
artigkeit (Diversity) zielen. Die positiven den Effekten vorschulischer Betreuung für
Effekte, die mit dem Besuch einer Kinder- Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft
tageseinrichtung im Hinblick auf die Ent- zeigt allerdings, dass allzu großer Optimis-
wicklung der sprachlichen, schriftsprach- mus hinsichtlich des Ausmaßes der kompen-
lichen und mathematischen Kompetenzen satorischen Effekte nicht angebracht ist. Bei
verbunden waren, fielen für die Kinder der 26 kontrollierten Evaluationsstudien aus
EPPE-Stichprobe umso deutlicher und nach- drei Kontinenten konnte nur in sieben Fällen
haltiger aus, je früher die Kinder an der eine solche kompensatorische Wirkung auf
institutionellen Förderung teilgenommen die kognitive Entwicklung der Kinder nach-

353
Teil II Lehren

gewiesen werden (z. B. im EPPE-Projekt). In sondern vergrößerte diese eher noch in den
nicht weniger als neun Projekten führte für die Schulbereitschaft relevanten Ent-
dagegen der Besuch einer Kindertagesstätte wicklungsmerkmalen.
nicht zu einem Abbau sozialer Disparitäten,

Fokus: Grenzen kompensatorischer Wirkungen


Im Herbst 2005 begann eine interdisziplinäre Gruppe von Bildungsforschern an der
Universität Bamberg mit finanzieller Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemein-
schaft (DFG) mit der Erhebung von Längsschnittdaten zu Bildungsprozessen, Kompetenz-
entwicklung und Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter« (BiKS) in 97
repräsentativen Kindertageseinrichtungen in Bayern und Hessen von Beginn des Kinder-
gartenbesuchs bis ins Schulalter hinein. Die Analyse der Daten hinsichtlich möglicher
kompensatorischer Wirkungen in Abhängigkeit von der institutionellen Anregungsqualität
erbrachten ein Ergebnismuster, das für die Debatte um die kompensatorische Wirkung des
Kindergartenalltags in Deutschland hinsichtlich der Sicherstellung der Schulbereitschaft
ernüchternd ist.
Wichtig ist die Erkenntnis, dass es weiterhin in entscheidender Weise auf die familiäre
Situation eines Kindes ankommt. Es zeigte sich nämlich eine Wechselwirkung zwischen der
Anregungsqualität im Kindergarten und in der Familie (vgl. Anders, Roßbach, Weinert,
Ebert, Kuger, Lehrl & von Maurice, 2012): Kinder, die zu Hause gute Anregungsbedin-
gungen vorfinden, profitieren mehr als andere von guter institutioneller Anregungsqualität.
Außerdem ist die Anregungsqualität in den Einrichtungen im Allgemeinen weniger gut,
wenn ein hoher Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund die Einrichtung besucht
(Kuger & Kluczniok, 2008). Dieser Nachteil wird auch durch günstige organisatorische
Rahmenbedingungen (z. B. Gruppengröße, Erzieher-Kind-Schlüssel, Räumlichkeiten und
Fachkraftcharakteristika) nicht ausgeglichen. Insbesondere Kinder aus Wohnquartieren
mit einem hohen Ausländeranteil haben deshalb schlechtere Chancen, in den Einrichtun-
gen, die sie besuchen, die erforderlich gute Anregungsqualität vorzufinden.

Sicherstellung der Schulbereit- vier nachfolgend aufgeführten, inzwischen


schaft von sozial benachteiligten klassischen US-amerikanischen Projekten
Kindern versprach erste Antworten auf diese Frage:
Das Abecedarian Projekt (Campbell Ramey,
Pungello, Sparling & Miller-Johnson 2002),
Die »traditionelle« pädagogische Betreuung das High/Scope Perry Preschool Projekt
in vorschulischen Kindertageseinrichtungen (Schweinhart, Montie, Xiang, Barnett, Bel-
reicht offensichtlich nicht aus, um die Schul- field & Nores, 2005), das Chicago Child-
bereitschaft bei Kindern mit ungünstigem Parent Center Program (Reynolds & Haya-
sozialen Hintergrund in dem Maße wie kawa, 2011) und die Head-Start Initiative
bei anderen Kindern sicherzustellen. Es stellt (U. S. Department of Health and Human
sich daher die Frage, ob die erhofften Wir- Services, 2010) gelten als besonders hoch-
kungen durch besonders hochwertige Be- wertige Angebote gerade für sozial benach-
treuungsangebote erreicht werden können. teiligte Kinder. Das Abecedarian Projekt und
Ein Blick auf die Evaluationsergebnisse aus das High/Scope Perry Preschool Projekt rea-

354
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

lisierten aufwendige und breit angelegte In- vor allem auch im Vergleich zur Regelför-
terventionsansätze in kleinen Stichproben derung – durch Ihre Breite und Intensität der
(mit regelmäßigen Hausbesuchen und El- implementierten Maßnahmen aus. Beson-
terntrainings, mit einer medizinischen Vor- ders förderliche Programme weisen eine
sorge und Ernährungstipps, mit einer guten hohe Anregungsqualität auf, umfassende,
Struktur- und Prozessqualität in den betei- in den pädagogischen Alltag integrierte
ligten Einrichtungen und mit einer teilweise Maßnahmen, die Einbeziehung der Eltern
sehr engen curricularen Führung der Pro- und evtl. anderer Institutionen (z. B. Schule,
gramme). Das Chicago Child-Parent Center Frühförderung). Sie beinhalten auch beson-
Programm und die Head-Start Initiative dere fachspezifische Anregungskomponen-
wurden für einen größeren Teilnehmerkreis ten.
angelegt, so dass sie in der Umsetzung
zwangsläufig inhaltlich weniger intensiv
ausfielen. Die vier Projekte wurden ins- Ansätze zur »kompen-
besondere durch ökonomische Analysen be- satorischen« Förderung der
rühmt, die jenseits nachweisbarer Wirkun- Schulbereitschaft
gen für die kindliche Entwicklung positive
gesellschaftliche Renditen der Programme in Aber nicht nur soziale Benachteiligungen
Form von Kosten-Nutzen-Analysen feststell- gefährden eine angemessene Entwicklung
ten (vgl. z. B. Heckman, 2006). In allen vier der für die Schulbereitschaft maßgeblichen
Projekten, die sich an Kinder aus multipel Kompetenzen. Auch unabhängig vom sozia-
benachteiligten Familien richteten, zeigten len Hintergrund beobachten Kinderärzte
sich langfristige Interventionseffekte im Sin- und Frühpädagogen in zunehmendem
ne einer verringerten Auftretenswahrschein- Maße Kinder, die bereits vor Erreichen der
lichkeit von volkswirtschaftlich sehr kosten- gesetzlichen Schulpflicht durch schulrele-
intensiven Phänomenen, wie z. B. Krimina- vante Entwicklungsrückstände in einzelnen
lität, dauerhafte Abhängigkeit von sozialen eng umschriebenen Entwicklungsbereichen
Sicherungssystemen, Teenager-Schwanger- (z. B. im Bereich der schriftsprachlichen Vor-
schaften, Krankheiten oder Drogenkonsum. läuferfertigkeiten oder der frühen mathema-
Diese frühen sozial-kompensatorischen tischen Kompetenzen) auffallen. Zu Recht
Bemühungen setzten sich in einer Vielzahl wird daher nach Ansätzen gesucht, mit de-
kleinerer Initiativen fort. Gegen Ende des nen solche Entwicklungsrückstände erfolg-
vergangenen Jahrhunderts wurde am Insti- reich kompensiert werden können.
tute for Education Science begonnen, die US- Ein aktuelles Fördercurriculum aus den
amerikanischen Einzelprojekte zu sammeln USA, das auch in Deutschland aufmerksam
und zu systematisieren. Es entstanden unter verfolgt wurde, ist das von Bodrova und
anderem ein gemeinsamer Bericht über die Leong (2001) entwickelte und zunächst in
Evaluation neuerer Implementationsstudien der Umgebung von Boston realisierte Projekt
verschiedener Curricula (Preschool Curricu- Tools of the Mind. Umgesetzt werden hierbei
lum Evaluation Research Consortium, Interventionsmaßnahmen mit der Zielset-
2008) sowie eine Homepage auf der abge- zung, selbstregulatorische und akademische
sicherte Evaluationsergebnisse getrennt Fähigkeiten (Sprache, mathematisches Ver-
nach Altersgruppe, untersuchtem Entwick- ständnis, symbolisches Denken) zu fördern.
lungsbereich und curricularem Ansatz do- Die Selbstregulation wird als Kernfähigkeit
kumentiert werden (http://ies.ed.gov/ncee/ aller akademischen Fertigkeiten angesehen.
wwc/). Insgesamt gesehen zeichnen sich Ihre Förderung wird durch Übungen kogni-
die erfolgreichen Interventionen speziell – tiver Kontrollaktivitäten zu erzielen ver-

355
Teil II Lehren

sucht, die den drei Bereichen Hemmung unterstützte Planung, Handlungssteuerung


(Resistenz gegen Ablenkungen und alterna- und Reflexion der eigenen Vorhaben, Nut-
tive Verlockungen, aktuelle Stimmungen zur zen von »Schrift« als Symbol und Informa-
Konzentration und Fokussierung einer be- tionsträger (»Verschriftlichung« von Vor-
stimmten Anforderung), Arbeitsgedächtnis haben in Skizzen und Plänen), Partner-»Le-
(bewusste, willentliche Speicherung sowie sen« (bei dem sich die Kinder abwechselnd
Abruf und Nutzung von Informationen) Geschichten »Vorlesen« oder Erzählen; die
und kognitive Flexibilität (Anpassung men- Rollenverteilung Sprecher und Zuhörer wird
taler Funktionen und Prozesse an externe durch Spielkarten festgelegt und erinnert)
und interne Veränderungen) zugeordnet oder das »Einfrierspiel« (beim Abstellen
werden können. Tools of the Mind ist auf von Musik dürfen sich die Kinder nicht
eine etwa zweijährige Implementation ange- mehr bewegen). Diamond, Barnett, Thomas
legt und umfasst etwa 40 verschiedene Ak- und Munro (2007) verglichen die Wirksam-
tivitäten zur Förderung von Selbstregulation keit des Tools of Mind-Ansatzes mit einer
und der Vorbereitung akademischer Fertig- Kontrollgruppe, deren Kinder ein bewährtes
keiten, deren Durchführung etwa 80 % der vorschulisches Programm besuchten. Beson-
verfügbaren Zeit in Anspruch nehmen soll. ders deutliche Vorteile gegenüber den tradi-
Die direkt oder kollaborativ instruierten tionellen vorschulischen Förderprogram-
Anleitungen sind stark individualisiert. Ty- men berichten die Autoren für die Bereiche
pische Spiele sind in diesem Ansatz z. B. das Sprache, mathematische Kompetenzen so-
Rollenspiel (Dramatic Play), angeleitete und wie induktives Denken.

Fokus: Das Projekt »Schulreifes Kind«


Um auch Kindern mit einem erhöhten Risiko bessere Chancen auf einen erfolgreichen
Schulstart zu ermöglichen, hat das Land Baden-Württemberg 2006 das Modellprojekt
»Schulreifes Kind« ins Leben gerufen. Es zielt auf eine Optimierung des Übergangs vom
Kindergarten in die Grundschule durch die kompensatorische Förderung schulrelevanter
Kompetenzen bei Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten. Hierzu wurde ein Konzept mit
drei zentralen Elementen entwickelt. Erstens wird die Einschulungsuntersuchung auf das
vorletzte Kindergartenjahr vorverlegt, um Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, sons-
tigen Beeinträchtigungen und besonderem Unterstützungsbedarf frühzeitig zu erkennen.
Zweitens wird bei festgestellten Auffälligkeiten für jedes betroffene Kind ein »Runder
Tisch« am Ende des vorletzten Kindergartenjahres abgehalten, bei dem die pädagogischen
Fachkräfte von Kindergarten und Schule mit den Eltern des Kindes gemeinsam den
individuellen Förderbedarf sondieren und ggf. über entsprechende Maßnahmen entschei-
den. Hat der »Runde Tisch« sich auf eine zusätzliche Förderung geeinigt, so werden drittens
kompensatorische Zusatzförderungen in der Kindertagesstätte oder in der Schule ange-
boten von eigens dafür fortgebildeten Fachkräften der entsprechenden Einrichtungen.
Am Modellprojekt »Schulreifes Kind« beteiligten sich anfänglich 50 Standorte. Später
kamen weitere 195 Standorte hinzu. In der Regel nehmen pro Standort eine Grundschule
und mehrere kooperierende Kindergärten teil. Im Rahmen einer Evaluation des Projektes
wurden mehr als 900 Kinder des Einschulungsjahrgangs 2009 zu drei Messzeitpunkten vor
Schuleintritt und zwei weiteren nach Schuleintritt untersucht. Dabei zeigte sich, dass die
kompensatorischen Fördermaßnahmen zur Verbesserung schulrelevanter Fertigkeiten bis
zum Ende der Kindergartenzeit führen und dass sich in Folge die Einschulungswahr-

356
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

scheinlichkeit für Kinder mit entsprechenden Entwicklungsrisiken erhöht (vgl. Hasselhorn,


Schöler et al., 2012).

Ausgearbeitete Curricula lassen sich oft nur der verbalen Selbstinstruktion die Fähigkeit
schwer auf Institutionen anderer Länder zum induktiven Denken, was durch eine
übertragen. Das erfordert immer wieder verbesserte allgemeine Intelligenz auch zur
Überlegungen darüber, mit welchen Maß- Förderung schulischen Lernens beitragen
nahmen welche Fördereffekte erzielt werden soll. In verschiedenen Evaluationsstudien
können. Pädagogische Psychologen haben hat sich das Training bewährt, und die
daher fokussiert Programme für spezifische Trainingseffekte haben sich als recht stabil
Förderzwecke entwickelt und evaluiert, die erwiesen (Klauer, 2004). Mittlerweile liegt
im Sinne sekundärer Prävention (s. o.) vor das Trainingsprogramm auch computerba-
dem Eintritt in die Schule Anzeichen spezi- siert vor (Lenhard & Lenhard, 2011).
fischer Lernrisiken beseitigen oder kompen-
sieren sollen. Solche Programme werden Förderung relevanter Vorläuferfertigkeiten
bereits vielfach in Heilpädagogischen Kin- der Schriftsprache. Als einer der besten Prä-
dergärten, Schulkindergärten, Vorklassen diktoren für den erfolgreichen Erwerb der
oder Integrationsgruppen in Kindergärten Schriftsprache hat sich die phonologische
durchgeführt. Sie heben sich insbesondere Bewusstheit erwiesen. Darunter wird die
durch ihre starke Funktionalität, eine klar Fähigkeit verstanden, die Lautstruktur der
definierte, spezifische Zielgruppe und durch Sprache analysieren und nutzen zu können.
eine hohe Standardisierung in der Umset- Diese Fähigkeit ist erforderlich, um größere
zung von dem eher breit angelegten und in Einheiten der Sprache, wie Sätze, Wörter,
den Alltag integrierten Regelangebot von Silben oder Reime identifizieren zu können,
Kindertageseinrichtungen ab. Die hinsicht- vor allem aber, um kleine Einheiten wie
lich ihrer Wirksamkeit empirisch bewährten einzelne Phoneme zu erkennen. Defizite in
Programme setzen insbesondere an Aspek- der phonologischen Bewusstheit bergen ein
ten der kognitiven Entwicklung an. großes Risiko für den ungestörten Erwerb
der Schriftsprache, wie einschlägige Längs-
Förderung des Denkens. Das Denktraining I schnittstudien nahelegen (䉴 Kap. 3.1 und
für Kinder von 5 bis 7 Jahre (Klauer, 1989) 4.1). Mit dem »Bielefelder Screening« (BISC,
hat zum Ziel, intellektuell retardierte Kinder Jansen, Mannhaupt, Marx & Skowronek,
zu fördern, indem ihnen Strategien des in- 1999) ist eine Früherkennung dieses Risiko-
duktiven Denkens intensiv vermittelt wer- faktors bereits im Vorschulalter möglich, um
den. Klauer definiert induktives Denken als Aufschluss darüber zu erhalten, ob eine an-
die Entdeckung von Regelhaftigkeiten durch schließende Präventionsmaßnahme ange-
Vergleichen, also durch Feststellen der zeigt ist. Im deutschen Sprachraum liegen
Gleichheit und/oder Verschiedenheit von für eine vorschulische Förderung die bewähr-
Merkmalen von Objekten oder Relationen. ten Trainingsprogramme »Hören, lauschen,
Anhand von 120 Aufgaben mit verschiede- lernen 1« (Küspert & Schneider, 2006) zur
nen Materialien, die in zehn Sitzungen, vor- phonologischen Bewusstheit und »Hören,
zugsweise verteilt auf fünf Wochen durch- lauschen, lernen 2« (Plume & Schneider,
gearbeitet werden sollen, erwerben und fes- 2004) mit nachfolgenden Übungen zur Buch-
tigen die Kinder unter den Anleitungsprin- staben-Laut-Zuordnung vor. Das erste
zipien des gelenkten Entdeckenlassens und Trainingsprogramm wird in Kleingruppen

357
Teil II Lehren

durchgeführt und besteht aus 57 Sprachspie- Schriftspracherwerb und seine Vorläuferfer-


len in sechs Förderbereichen und soll über tigkeiten ist der erfolgreiche frühe Erwerb
einen Zeitraum von 20 Wochen in täglichen basaler arithmetischer und anderer mathe-
Sitzungen von 10 bis 15 Minuten im letzten matischer Fertigkeiten (䉴 Kap. 3.1). Erste
Kindergartenhalbjahr durchgeführt werden. Schritte einer mathematischen Frühför-
Das zweite Programm hat zum Ziel, die derung zielen auf das Verstehen des Zahlen-
akustische Wahrnehmung eines Buchstaben- raumes und auf die Mengenbewusstheit von
lautes mit dessen visueller Repräsentation zu Zahlen und Zahlrelationen. Das Würzbur-
verbinden. Es ist mit acht bis zehn Wochen ger Trainingsprogramm »Mengen, zählen,
und ebenfalls 10- bis 15-minütigen Sitzungen Zahlen« zur vorschulischen Förderung der
etwas kürzer. In groß angelegten Evaluati- Mengenbewusstheit von Zahlen und Zahl-
onsstudien haben sich beide Programme relationen (Krajewski, Nieding & Schneider,
mehrfach als kurz- und langfristig effektiv 2007) hat eine darüber hinaus gehende För-
erwiesen (vgl. Schneider & Marx, 2008), derung zum Ziel. Mathematische Grund-
wobei insbesondere die Kombination beider kenntnisse werden systematisch aufgebaut
Trainingsprogramme bei Kindern mit kogni- über Mengenvergleiche, Zählfertigkeiten,
tiven und sozialen Risiken zu einer weit- Zahlsymbolkenntnis, Erfassung der Zahlen-
gehend normalen Entwicklung des Schrift- reihe, Zunahme-um-eins-Prinzip und Teil-
spracherwerbs während der ersten drei Ganzes-Prinzip. Das Programm wird über
Grundschuljahre geführt hat. einen Zeitraum von 10 Wochen in täglichen
Sitzungen durchgeführt. Die generelle Wirk-
Förderung früher mathematischer Kom- samkeit des Trainings ist empirisch belegt
petenzen. Weit weniger erforscht als der (Krajewski, Nieding & Schneider, 2008).

7.2 Determinanten schulischer Leistungen

»Schulleistungen sind stets Leistungen der vornehmlich die individuellen schulischen


Schule und der Schüler!« So beantwortet Leistungen von Schülern thematisiert und
Weinert (2001 b, S. 73) die zuvor selbst ge- die anteilige (und gemeinsame) Verantwort-
stellte Frage »Wie kommen Schulleistungen lichkeit von Schule, Lehrern und Unterricht
zustande?« und benennt damit zwei von drei sowie von Schülern und Eltern am Zustande-
zentralen Einflussgrößen auf den Lernerfolg: kommen dieser Leistungen. Zur Systemati-
die lernende Person selbst mit ihren indivi- sierung dieser Determinanten des Schul-
duellen Lernvoraussetzungen und ihrem tat- erfolgs werden klassische und aktuelle Mo-
sächlichen Lernverhalten sowie die Institu- delle schulischen Lernens vorgestellt. Eine
tion Schule, insbesondere die Quantität und weitere Thematik ist die der Leistungsfähig-
die Qualität der mit dem Schulunterricht keit von Schulen oder Schulformen auf der
verbundenen Lernangebote. Darüber hinaus Systemebene, insbesondere im nationalen
ist als dritte wichtige Kategorie der Einfluss oder internationalen Vergleich. Im Sinne
von Kontextfaktoren auf den Erfolg schu- eines System-Monitorings zur Diagnose
lischen Lernens zu nennen, seien sie schul- und Qualitätssicherung des Bildungswesens
oder klassenspezifischer oder außerschu- ist diese in den vergangenen Jahren in den
lischer Art. Im folgenden Abschnitt werden großen nationalen und internationalen Ver-

358
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

gleichsuntersuchungen ausführlich behan- Angebots eine so geringe Wirksamkeit haben.


delt und popularisiert worden. Darauf wur- (Fend, 2002, S. 144)
de in der Einleitung dieses Lehrbuchs bereits
eingegangen. Die scheinbare Diskrepanz zwischen An-
Gelegentlich wird in Zweifel gezogen, ob spruch und tatsächlicher Wirksamkeit von
Merkmale der Schule und des Unterrichts Schule relativiert sich, wenn man die Frage
überhaupt in nennenswerter Weise mit den nach den Schuleffekten präziser formuliert.
Lern- und Leistungsfortschritten der Schüler Geht es um den Beitrag von Schule zum
zu tun haben und vor allem, ob sie dafür (mit- Kompetenzerwerb, oder geht es um den
)verantwortlich sind, so Weinert (2001 b) mit Beitrag von Schule zum Ausgleich von Kom-
Verweis auf die Sekundäranalyse des legen- petenzunterschieden? Schulen sind sicher-
dären Coleman-Reports durch Jencks et al. lich wirksam, indem sie Wissen, Können
(1972): Dort war den amerikanischen Schu- und Bildung vermitteln. Der schulische Un-
len – vereinfachend zusammengefasst – nur terricht ist besser als die inzidentellen vor-
eine beschränkte Wirksamkeit im Hinblick und außerschulischen Lerngelegenheiten ge-
auf die Kompetenzentwicklung der Schüle- eignet, inhaltsspezifisches und anwendungs-
rinnen und Schüler attestiert worden. Das ist fähiges Wissen und Können in systemati-
in dieser Pauschalisierung sicherlich unbe- scher und zielführender Weise effizient zu
rechtigt, da es genügend Belege für die all- vermitteln und aufzubauen. Formen organi-
gemeine Wirksamkeit von Beschulung gibt. sierten Unterrichts gelten in den arbeitstei-
Nicht zuletzt weisen die Studien zum soge- ligen modernen Gesellschaften als notwen-
nannten Sommerloch-Effekt, also zu den dige Voraussetzungen für die Entwicklung
Leistungseinbußen der Kinder während der anspruchsvoller kognitiver Leistungen (Gea-
Sommerferien, wenn kein Unterricht statt- ry, 1995). Schulen sind aber offenbar nicht
findet, auf die förderlichen Einflüsse der so erfolgreich, wenn es um die Zielsetzung
schulischen Lernumgebungen hin (Alexan- der Divergenzminderung oder des Chancen-
der, Entwisle & Olsen, 2001; Becker, Stanat, ausgleichs geht, also um das Ausgleichen
Baumert & Lehmann, 2008). Dennoch nei- von Nachteilen zwischen den Lernenden
gen die Lehrerinnen und Lehrer selbst eher zu oder um das Aufholen von Rückständen.
Skepsis hinsichtlich der Wirksamkeit von Es gelingt im Allgemeinen weniger gut, in-
Schulen und Unterricht. Sie glauben, dass terindividuelle Unterschiede, die im Hinblick
»Begabungsdifferenzen, Motivationsunter- auf die Lernvoraussetzungen der Kinder und
schiede und außerschulische Einflüsse« (Wei- im Hinblick auf den Anregungsgehalt ihrer
nert, 2001 b, S. 75) wichtigere Einflussfak- häuslichen Lernumwelten ohnehin bestehen,
toren der Leistungsentwicklung seien als durch Schule und Unterricht auszugleichen,
Umfang und Art ihres eigenen Unterrichtens so dass parallele oder gar konvergierende
– und das trotz der mehr als 10 Jahre an mehr Leistungsentwicklungen möglich werden
als 200 Tagen pro Jahr von ihnen verant- (Weinert & Helmke, 1995). Am ehesten
worteten fünf und mehr Unterrichtsstunden. gelingt der Chancenausgleich noch in der
Kann, oder besser gesagt, darf das wahr sein? Grundschule, am wenigsten gut im Unter-
richt der Sekundarstufe. Ob ein solcher Aus-
Wer sich mit dem Aufwand beschäftigt, der gleich überhaupt zu den Aufgaben von Schu-
hinter der Organisation und Durchführung von le und Unterricht gehört und welche Legi-
Unterricht für alle Schüler von mindestens timations- und Folgeprobleme damit ver-
15 000 Stunden steckt, und wer die Kosten
bedenkt, die bei etwa Eur 5000 pro Jahr und bunden sind, wird seit jeher unter dem
Schüler liegen, für den ist es fast unvorstellbar, Schlagwort »Bildungsgerechtigkeit« dis-
dass verschiedene Gestaltungsfaktoren dieses kutiert (Brenner, 2010; Gold, 2011 b). Auf

359
Teil II Lehren

die Problematik der Forderung nach einer anderen Kindern seiner Klasse den gleichen
Angleichung der Kompetenzentwicklung Unterricht und einen mehr oder weniger
wird in diesem Kapitel noch ausführlich »guten« Lehrer, der die individuellen Lern-
eingegangen. Klar ist: Ein Ausgleichen von prozesse kollektiv beeinflusst, gemeinsam
Eingangsunterschieden – wenn es pädago- hat, und dabei (3) die eigene Schulklasse
gisch angezielt wird – kann nur kompensa- mit anderen Klassen dieser Schule ein Schul-
torisch und hochgradig adaptiv gelingen, und Lernklima und eine Leistungsanforde-
indem nämlich Teilgruppen von Lernenden, rung, die für Schulen dieser Schulart gelten,
die besonderer Förderung und Zuwendung teilt.
bedürfen, diese Förderung auch in besonde- Uneinheitliche oder gar widersprüchliche
rer Weise erhalten, also beispielsweise länger empirische Befunde sind auch in Abhängig-
und intensiver unterrichtet werden. keit von den gewählten Operationalisierun-
Die Erklärung schulischer Leistungen gen der vielfältigen Einflussgrößen zu erwar-
»gehört zu den ältesten und zugleich schwie- ten und in Abhängigkeit davon, wie viele
rigsten Problemen der Pädagogischen Psy- Bedingungsvariablen und welche der Aggre-
chologie« (Helmke & Schrader, 2010, gatebenen in einer Analyse überhaupt be-
S. 90). Mit anderen Worten: Zwar wird rücksichtigt werden. Helmke und Weinert
seit vielen Jahrzehnten intensiv über die (1997 a, S. 75) sprechen mit Blick auf den
Determinanten des Schulerfolgs geforscht letzten Punkt auch von einer gewissen »›Ku-
(zusammenfassend z. B. Wang, Haertel & lissenhaftigkeit‹ der Schulleistungsdetermi-
Walberg, 1993; Helmke & Weinert, 1997 a; nanten, die auf immer neue und verschach-
Scheerens & Bosker, 1997; Helmke & Schra- telte proximale wie distale Einflussfaktoren
der, 2010; Lipowsky, 2009), dennoch blei- und Wirkungsmechanismen verweist.« Be-
ben nach wie vor viele Fragen offen. Bei der ginnen wir aber zunächst mit der Kriteriums-
Analyse des Schulerfolgs lassen sich mehrere problematik. Was ist eigentlich Schulleis-
Problemlagen unterscheiden, die einfache tung?
Aussagen erschweren: das Problem der kri-
terialen Definition des Schulerfolgs, das Pro-
blem der multiplen Bedingtheit von Schul- Ziele von Bildung und Unterricht
leistung und das Problem der Überlagerung
unterschiedlicher Aggregat- oder Betrach- Schule und Unterricht können angestrebte
tungsebenen. Mit dem letztgenannten Pro- und unbeabsichtigte Auswirkungen und Ef-
blem ist gemeint, dass einige der Schulleis- fekte zur Folge haben. Unter den intendier-
tungsdeterminanten vornehmlich auf der ten Lernzielen des Schulunterrichts sind vor
Individualebene wirksam sind, andere auf allem die kognitiven Entwicklungen (Wissen
der Ebene der Lerngruppe oder Schulklasse erwerben) und die affektiven Entwicklungen
(und auf der Individualebene zugleich) und (Interessen, Einstellungen und Werthaltun-
wieder andere auf der schulsystemischen gen ausbilden) zu nennen. Blooms klassische
Ebene, und dass diese Wirkmechanismen Taxonomie der kognitiven Lernziele ist in
nicht unabhängig voneinander sind, sondern sechs Stufen hierarchisch ansteigend auf-
ineinandergreifen. Hierzu ein Beispiel: (1) gebaut: Kennen, Verstehen, Anwenden,
Auf der Ebene seines konkreten Lernverhal- Analysieren, Synthetisieren und Bewerten
tens wird die individuelle Lernmotivation (Bloom, 1976). Demnach kann man die
eines Kindes für eine mehr oder weniger richtige Antwort auf eine Frage kennen
günstige Ausgangslage individueller Lern- (niedrigste Stufe), man kann zudem verstan-
prozesse sorgen, während (2) auf der Ebene den haben, weshalb diese und keine andere
der Schulklasse dieses eine Kind mit allen Antwort richtig ist, sein Wissen also begrün-

360
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

den (zweite Stufe), man kann das vorhande- den Studien- und Prüfungsordnungen leicht
ne Wissen zur erfolgreichen Bearbeitung nachlesen lässt. Die Formulierung von Kom-
weiterer Aufgaben nutzen können (dritte petenzen und Standards, die von Schülern
Stufe) usw. Zur Systematisierung kognitiver bestimmter Jahrgangsstufen in den einzelnen
Lernziele in der Allgemeinen Didaktik und Lernbereichen erwartet werden, hat auf Wei-
zur Diagnose der Zielerreichung hat sich nerts Bildungsziele von Schule Bezug genom-
Blooms Taxonomie als ausgesprochen men (Klieme et al, 2003). Bildungsstandards
fruchtbar erwiesen. Auch bei der Konstruk- definieren, was Schüler können sollen. An-
tion von Testaufgaben unterschiedlichen Ni- ders als Lehrpläne beschreiben sie nicht,
veaus und zur Operationalisierung von Bil- welche Inhalte im Unterricht (und mit wel-
dungsstandards wird sie als nützliche Hilfe cher Methodik) behandelt werden sollen,
gesehen (Bremerich-Vos, 2008). damit diese Kompetenzen erworben werden.
Weinert hat im Hinblick auf die von ihm
formulierten Bildungsziele die folgenden
Fokus: Bildungsziele von Schule
Empfehlungen zum unterrichtlichen Vor-
(nach Weinert, 2000 b)
gehen gegeben: Das erste und wichtigste
1. Intelligentes Wissen (fachliches Wis- Bildungsziel, der Erwerb intelligenten Wis-
sen) sens, erfordert einen systematischen lehrer-
2. Strategien und Kompetenzen zur Nut- gesteuerten, aber schülerzentrierten Unter-
zung und Anwendung von Wissen richt mit einem hohen Maß an Anpassung an
3. Strategien und Kompetenzen zur das Vorwissen der Lernenden. Für alle an-
Selbstregulation von Lernprozessen deren Bildungsziele gilt eine Variation und
4. Schlüsselqualifikationen wie sprach- Kombination lehrer- und schülergesteuerter
liche und mediale Kompetenzen Unterrichtsformen als förderlich, mit Phasen
5. Sozialkompetenz des Projektunterrichts, des Explorierens
6. Wertorientierte Einstellungen und bzw. des entdeckenlassenden Lehrens und
Handlungskompetenzen des Anleitens zum selbständigen Planen und
Überwachen des eigenen Lernverhaltens.
Der Erwerb sozialer Kompetenzen wird
Auf einer globaleren Ebene als Bloom erin- durch soziale Interaktionen im Unterricht
nert Weinert (2001 b) daran, dass es neben erleichtert, wie sie z. B. durch Formen koope-
den kognitiven Lernzielen auch andere rele- rativen Lernens forciert werden. Der Erwerb
vante Lernbereiche gibt. Zwar sei die Ver- von Werthaltungen, wie z. B. Fairness, Tole-
mittlung von Wissen und Können und die ranz oder Gerechtigkeit, kann nicht durch
Förderung der kognitiven Entwicklung im spezielle Unterrichtsmethoden vermittelt,
Allgemeinen das vordringlichste Ziel jedes sondern nur durch eine entsprechende Schul-
Schulsystems. Daneben umfasse der Bil- kultur vorgelebt und erfahren werden.
dungsauftrag der Schule aber auch die Ent- Unterricht verfolgt, mit unterschiedlicher
wicklung und Förderung sozialer und affek- Intensität, die meisten dieser Ziele zur glei-
tiver Kompetenzen, also die Persönlichkeits- chen Zeit – nicht immer sind sie allerdings
bildung und die Vermittlung von Werthal- miteinander vereinbar. Helmke und Schra-
tungen und Einstellungen. Übrigens sind der (1990) konnten immerhin zeigen, dass
auch die Universitäten mit einem über die affektive und kognitive Zielkriterien des
fachwissenschaftlichen Bildungsziele hi- Unterrichts nicht notwendigerweise inkom-
nausgehenden Bildungsauftrag versehen, patibel sein müssen. Sie konnten fünf der 39
wie sich in den entsprechenden Passagen Klassen der Münchner Hauptschulstudie
der Hochschulgesetze der Länder sowie in (Helmke, Schneider & Weinert, 1986) iden-

361
Teil II Lehren

tifizieren, in denen es gelang, kognitive, alle profitieren in gleicher Weise, und nicht
affektive und motivationale Zielkriterien alle Kinder einer Klasse können am Ende
des Unterrichts auszubalancieren. Über- einer Lerneinheit den gleichen Wissensstand
durchschnittliche kognitive Leistungsent- erreichen – selbst dann nicht, wenn man sie
wicklungen gingen in diesen Klassen auch lange genug und unter den für sie optimalen
mit einer positiven Entwicklung des Selbst- Bedingungen lernen lässt. Alles andere wäre
konzepts und der Lernfreude einher. Vier der auch erstaunlich, sind doch die individuellen
fünf Lehrer zeichneten sich durch eine Unter- Voraussetzungen der Kinder für erfolgrei-
richtsgestaltung aus, die sich wie folgt zu- ches Lernen schon zu Schulbeginn zu ver-
sammenfassen lässt: 1. Die verfügbare Un- schieden.
terrichtszeit wird in effizienter Weise zur Auf Ausmaß und Stabilität vorschulischer
Stoffvermittlung (und nicht für andere Ak- Unterschiede in den sprachlichen und kogni-
tivitäten) genutzt, 2. das unterrichtliche Vor- tiven Kompetenzen, die für das schulische
gehen passt sich in hochadaptiver Weise den Lernen wichtig sind, haben bereits die Ergeb-
unterschiedlichen individuellen Voraus- nisse der Münchner LOGIK-Studie (Wei-
setzungen der Schüler an und 3. das Tempo nert, 1998 a; Schneider, 2008) und der Bam-
des unterrichtlichen Vorgehens wird nicht berger BiKS-Studie (S. Weinert, Ebert &
forciert, so dass allen Lernern genügend Zeit Dubowy, 2010) aufmerksam gemacht. Im
zum Überlegen und Antworten bleibt. Vor Regelfall wird es so sein, dass der Schul-
allem diese »Langsamkeitstoleranz« scheint unterricht die anfänglichen Unterschiede
von großer Bedeutung zu sein. Die Autoren zwischen den Kindern noch weiter akzentu-
sprechen von »Positivklassen«, weil es den iert. Der Ausgleich von Leistungsunterschie-
Lehrern gelungen ist, günstige Entwicklun- den (Egalisierung) gilt aber vielfach als eine
gen im kognitiven und im affektiv-motiva- zweite wichtige Zielgröße von Unterricht.
tionalen Bereich zugleich zu bewirken. Eine Egalisierung ließe sich mühelos im
Sinne eines intellektuellen »Downgradings«
erreichen, wenn also die Lernanforderungen
Qualifizierung und Egalisierung insgesamt gesenkt würden. Da man die lern-
fähigeren Kinder damit aber benachteiligen
Schule muss aber nicht nur versuchen, ko- würde, weil sie so unter ihren Möglichkeiten
gnitive und affektive Lernziele zugleich zu blieben, ist dieses Vorgehen im Sinne einer
erreichen – Schule hat auch den Anspruch, optimalen Ausschöpfung des vorhandenen
jeden Einzelnen möglichst optimal und be- Lernpotenzials nicht wünschenswert.
darfsgerecht zu fördern. Deshalb stellt sich Besonders ernüchternd ist zudem, dass ein
das Problem der Vereinbarkeit von Unter- egalisierender Unterrichtsstil nicht nur den
richtszielen nicht nur für die unterschiedli- Lernfortschritt der Leistungs- und Lernfähi-
chen Zielkriterien des affektiven und kogni- geren unvorteilhaft hemmt, sondern den Be-
tiven Bereichs, sondern auch im Hinblick auf gabungsschwächeren, denen er eigentlich
die Erfolgskriterien des Kompetenzzuwach- zugutekommen soll, auch nicht unbedingt
ses und des Chancenausgleichs innerhalb zum Vorteil gereicht. Dies berichtet jedenfalls
einer Klasse. Bleiben wir bei den kognitiven Helmke (1988), wiederum auf der Daten-
Lernzielen: Bezogen auf den Wissens- und basis der Münchner Hauptschulstudie und in
Kompetenzerwerb ist zunächst der individu- weitgehender Übereinstimmung mit entspre-
elle Leistungsfortschritt (Qualifizierung) die chenden Befunden aus der Heidelberger
primäre Zielgröße von Unterricht. Leis- Hauptschul- (Treiber & Weinert, 1985) so-
tungsfortschritte können (nahezu) alle Kin- wie der Berliner Gymnasialstudie (Baumert
der durch Unterricht erreichen. Aber nicht et al., 1986). Aufschlussreich ist in diesem

362
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Zusammenhang Helmkes Differenzierung richtsmuster in den »Optimalklassen« fol-


der Leistungsschwächeren in Kinder mit Be- gendermaßen:
gabungs- und solche mit (bloßen) Vorkennt-
nisdefiziten. Für Schülerinnen und Schüler ● Konsequente Lehrstofforientierung, Klar-
mit defizitären Vorkenntnissen fällt nämlich heit und Verständlichkeit der Instruktion
die Effektbilanz eines leistungsegalisierenden ● Effiziente Klassenführung
Mathematikunterrichts günstiger aus als für ● Ausgeprägte Förderorientierung im Sinne
die weniger Lernfähigen: Wo sich »lediglich« einer Anpassung des Vorgehens an we-
Kenntnisdefizite angehäuft haben, die grund- sentliche Merkmale der Lernenden und
legende intellektuelle Lernfähigkeit aber vor- des Kontextes
handen ist, kann ein ausgleichender Unter- ● Hohe Leistungsansprüche, die unter Ver-
richt offenbar durchaus Wirksamkeit entfal- zicht auf geschwindigkeitsbetonte Anfor-
ten. derungen formuliert werden
Eine Verringerung von Leistungsunter-
schieden lässt sich – wenn auch in Maßen, Wie man sieht, sind das im Wesentlichen jene
aber durchaus im Einklang mit dem erst- Unterrichtsmerkmale, die auch für das Kri-
genannten Zielkriterium der Qualifizierung terium der kognitiven und affektiven Lern-
– unter günstigen Rahmenbedingungen und zielerreichung als die entscheidenden ge-
bei Realisierung geeigneter Unterrichtsprin- nannt worden waren (s. o.). Weder ein aus-
zipien dennoch erreichen (Baumert et al., schließlich auf die Leistungssteigerung und
1986; Treinies & Einsiedler, 1996). Andreas rasches Lernen fixierter, noch ein vornehm-
Helmke (1988) spricht in diesem Fall von lich ausgleichend angelegter Unterricht al-
»Optimalklassen« der doppelten Zielerrei- lein können also den multiplen Zielsetzun-
chung. Optimalklassen sind die Klassen, bei gen genügen. Erst wenn hohe Leistungs-
denen die Leistungsstreuung kleiner wird, ansprüche mit einer proaktiven Anpassung
ohne dass es dabei zu Einbußen bei den an die heterogenen Lernvoraussetzungen
Leistungsstärkeren und im Hinblick auf kombiniert werden, sind überdurchschnitt-
das mittlere Leistungsniveau der Klasse liche Lernfortschritte für alle (Qualifizie-
kommt. Ein Ergebnismuster also, das durch rung) und eine Verringerung von Leistungs-
überdurchschnittliche Gewinne der leis- unterschieden (Egalisierung) zu erwarten.
tungsschwächeren Kinder zustande kommt, Dies wohl vor allem deshalb, weil die Lern-
während die Leistungsfähigeren in ihrer Ent- schwächeren in höherem Maße von gut
wicklung dennoch nicht gebremst werden. strukturierten Unterrichtsstunden, von einer
Helmke charakterisiert das typische Unter- effizienten Klassenführung und von einem
hochadaptiven Vorgehen profitieren.

Fokus: Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit


Die Gleichheit der Bildungschancen wird in der anglo-amerikanischen Diskussion vor-
nehmlich inputgesteuert unter dem Gesichtspunkt egalitärer Bildungsmöglichkeiten für die
Angehörigen aller sozialen und ethnischen Bevölkerungsgruppen betrachtet, also als
Angebotsgleichheit. In Deutschland wird die Angebotsgleichheit oft mit der zusätzlichen
Forderung eines korrigierenden Chancenausgleichs verknüpft. Am Beispiel der in den
1970er Jahren schon einmal geführten und seither immer wieder aufgefrischten Aus-
einandersetzung über die Berechtigung koedukativer Beschulungsformen lässt sich das
leicht deutlich machen: Weil es geschlechtsspezifische Disparitäten bei den Studienfach-

363
Teil II Lehren

wahlen und in den beruflichen Karrieren gibt, hat man die unterrichtliche Separierung der
Geschlechter im naturwissenschaftlichen Unterricht (wieder) erprobt, um der Ausprägung
geschlechterstereotyper Interessenstrukturen – die solchen Entscheidungen mutmaßlich
zugrunde liegen – korrigierend entgegenzuwirken (Giesen, Gold, Hummer & Weck, 1992;
Gisbert, 1995, 2001), mit gemischten Erfolgen (䉴 Kap. 8.3).
Gerechtigkeit im Bildungswesen darf allerdings nicht mit den Prinzipien der Gleichheit
oder der Gleichverteilung verwechselt werden. Auch hat sie mit Ergebnisgleichheit nichts zu
tun. Ungleiche individuelle Lernvoraussetzungen und die unterschiedlichen Unterstüt-
zungsqualitäten in der Familie sind wesentliche Ursachen ungleicher Lern- und Leistungs-
entwicklungen im Unterricht. Schule und Unterricht müssen bestrebt sein, diese primären
Ungleichheiten a) nicht weiter zu akzentuieren und b) ausgleichende Anstrengungen zu
unternehmen, bis möglichst alle einen Mindeststandard an Bildung erreichen. Jenseits der
Mindeststandards (z. B. eines mittleren Schulabschlusses) darf es aber ungleiche Lern-
ergebnisse geben – denn die Ausdifferenzierung von Ungleichheiten ist die natürliche Folge
guten Unterrichts (Brenner, 2010).

Man darf aber nicht übersehen, dass es eine Deshalb gelten Schulen und Schulformen
Reihe von Studien gibt, die im Hinblick auf auch als »differenzielle Entwicklungs-
die Vereinbarkeit der beiden Zielkriterien milieus«. Aber auch wenn die Kinder nicht
Qualifizierung und Egalisierung zu weniger auf unterschiedliche Schulformen verteilt,
optimistischen Einschätzungen gelangen. sondern gemeinsam unterrichtet werden,
Dazu gehören auf der schulsystemischen scheint eine Divergenzminderung eher die
Ebene Untersuchungen, die auf Scheren- Ausnahme. Borman und Kimball (2005)
effekte – also auf eine zunehmende Leis- haben in einer Stichprobe von fast 400
tungsdivergenz – hinweisen, wenn Kinder Lehrerinnen und Lehrern herausgefunden,
vergleichbarer Lernfähigkeit nach der dass höhere Lernzuwächse in den Klassen in
Grundschulzeit entweder auf einem Gymna- aller Regel gerade nicht mit einer Verringe-
sium (dort verlaufen die Leistungsentwick- rung der Leistungsstreuung einhergingen.
lungen günstiger) oder an einer Haupt-, Am ehesten wird offenbar noch der Grund-
Real- oder Gesamtschule weiter unterrichtet schulunterricht dem doppelten Anspruch
werden (Becker, Lüdtke, Trautwein & Bau- von Leistungssteigerung und Leistungsaus-
mert, 2006; Köller & Baumert, 2008; Bau- gleich gerecht (Ditton, 2010).
mert, Maaz, Stanat & Watermann, 2009).

Studie: Leistungssteigerung und Leistungsausgleich


Wie man in leistungsheterogen zusammengesetzten Grundschulklassen ausgleichend för-
dernd und qualifizierend zugleich unterrichten kann, haben einige Längsschnittstudien zum
Forschungsthema gemacht. In der Studie PERLE (PERsönlichkeits- und LErnentwicklung
von Grundschulkindern) wurde die Entwicklung in 38 Grundschulklassen, beginnend mit
der 1. Klassenstufe, untersucht. Dabei zeigte sich, dass a) die Verringerung von Leistungs-
unterschieden innerhalb von Klassen in aller Regel mit einer gebremsten Leistungsentwick-
lung der leistungsfähigeren Schüler einhergeht und b) das Ausmaß der Leistungshetero-
genität einer Klasse nicht als »Risikofaktor« der individuellen Lernentwicklung gelten kann

364
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

(Künsting, Post, Greb, Faust & Lipowsky, 2010). In eine ähnliche Richtung weisen die
Befunde der Studie KOALA-S (KOmpetenzAufbau und LAufbahnen im Schulsystem) mit
mehr als 70 Klassen der 2. bis 4. Jahrgangsstufe. In den Domänen Deutsch und Mathematik
wurde die Leistungsstreuung über die Grundschuljahre geringer. Für den ausgleichenden
Effekt waren die überproportionalen Zugewinne der Kinder mit den schwächeren Ein-
gangsleistungen ursächlich (Ditton & Krüsken, 2009; Ditton, 2010). Die Studie gibt keine
Hinweise darauf, dass das Ausmaß der Egalisierungseffekte durch Merkmale der Klassen-
zusammensetzung oder des Unterrichts moderiert wird.
Die in Hamburg durchgeführte Studie KESS (Kompetenzen und Einstellungen von
Schülerinnen und Schülern) geht über den Grundschulbereich hinaus. In einer Verknüpfung
von Daten aus 4. und 6. Schulklassen wurde geprüft, ob die Leistungsstreuungen in den
mehr als 500 untersuchten Grundschulklassen mit den späteren Lernerfolgen der Schüle-
rinnen und Schüler in der Sekundarstufe I assoziiert sind. Es zeigt sich, dass das Ausmaß der
grundschulischen Leistungsheterogenität keine Rolle für die nachfolgende Leistungsent-
wicklung spielt (Gröhlich, Scharenberg & Bos, 2009).

Forschungsmethodische Faktoren). Beispiele für proximale Faktoren


Herausforderungen sind die individuellen Lernvoraussetzungen
sowie die Prozessmerkmale des Unterrichts
Empirische Studien zur Erklärung und Vor- und der Erziehung. Beispiele für distale Fak-
hersage des Schulerfolgs stehen aufgrund der toren sind die sozio-strukturellen Merkmale
Komplexität der Thematik vor einer Reihe von Familien, das Schul- und Unterrichtskli-
von Herausforderungen forschungsmetho- ma, das unterrichtliche Curriculum oder die
discher Art. Diese Herausforderungen be- Persönlichkeitsmerkmale der Lehrenden. Die
treffen sowohl die Planung und Anlage der distalen Faktoren sind nicht weniger bedeut-
Studien als auch die Strategien der Daten- sam, sie sind aber in der Wirkungskette weiter
auswertung. Vor allem ist zu berücksichti- vom Explanandum, also von der schulischen
gen, dass sich die Einflussfaktoren und Leistung, entfernt: So kommt der Sozial-
Wirkmechanismen auf ganz unterschiedli- schicht der Eltern und ihrer Schulbildung
chen Betrachtungs- und Analyseebenen mo- an sich kein eigenständiger Erklärungswert
dellieren lassen und dass es notwendig ist, im Hinblick auf die unterschiedlichen Lese-
möglichst viele Einflussfaktoren gemeinsam kompetenzen ihrer Kinder zu. Es sind aber die
und simultan zu betrachten, weil wir nur auf mit der sozialen Schichtzugehörigkeit und
diese Weise etwas über ihr Zusammenwir- dem Bildungsniveau eng assoziierten Prozess-
ken erfahren können. merkmale des Erziehungsverhaltens, wie das
modellhafte elterliche Leseverhalten, die el-
Unterschiedliche Analyseebenen. Determi- terlichen Leistungserwartungen, die Unter-
nanten der Schulleistung lassen sich nicht stützungen und Bekräftigungen sowie die
nur auf unterschiedlichen Betrachtungsebe- Art der sprachlichen Kommunikation, die
nen, sondern auch in unterschiedlicher Ent- auf der Wirkebene familiärer Interaktionen
fernung zum Kriterium lokalisieren. Es gibt die Entwicklung der kindlichen Lesekom-
Einflussgrößen, die der schulischen Leistung petenz entscheidend beeinflussen. Könnten
kausal »näher« stehen (proximale Faktoren) durch Verhaltensbeobachtungen all diese
oder »weiter« von ihr entfernt sind (distale Merkmale der familiären Lesesozialisation

365
Teil II Lehren

zuverlässig erfasst werden, würden die dis- der Prozessebene des Lernens letztendlich
talen Strukturmerkmale der Sozialschicht von entscheidender Bedeutung für das Ge-
und des Bildungsniveaus zweifellos an Prä- lingen sind (䉴 Abb. 7.1). Es ist kaum mög-
diktionskraft verlieren. lich, in der empirischen Forschung Einfluss-
Andreas Helmke (Helmke & Weinert, faktoren auf all diesen Ebenen gleichzeitig zu
1997 a; Helmke & Schrader, 2010) spricht berücksichtigen. Kognitionspsychologen –
auf einer Makroebene der Modellbildung um ein Beispiel zu nennen – beschränken
von den (distalen) soziokulturellen Rahmen- sich meist auf die Ebene der individuellen
bedingungen der Schulleistung, von struk- kognitiven Voraussetzungen, wenn es um die
turellen schulorganisatorischen und familiä- Analyse von Schulleistungen oder um die
ren Einflüssen, vom Einfluss der Lehrerper- Erklärung von Lernproblemen geht. Die
sönlichkeit und der Eltern, von Prozessmerk- Bildungssoziologie blendet dagegen diese
malen des Unterrichts und der elterlichen Prozessebene weitgehend aus und themati-
Erziehung, dem Einfluss der Medien und der siert stattdessen auf der Meso- oder Makro-
Gleichaltrigen und schließlich – auf einer ebene den Einfluss, der von Institutionen
sehr proximalen Ebene – von den kognitiven sowie von ökonomischen und kulturellen
und nicht-kognitiven Kompetenzen, den in- Restriktionen ausgeht.
dividuellen Lernvoraussetzungen, die auf

Schulumwelt Lehrerpersönlichkeit
und Klassenkontext
Soziokulturelle Rahmenbedingungen

Prozessmerkmale des Unterrichts

Medien Persönlichkeit des Kindes:


Kognitive und metakognitive Schulische
Kompetenzen, soziale und Leistungen
konstitutionelle Merkmale,
Gleichaltrige Bildungs- und Sprachlernbiographie

Prozessmerkmale des elterlichen Erziehungsverhaltens

Familiäre Lernumwelt Persönlichkeit der Eltern

Abb. 7.1: Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen (Helmke & Schrader, 2010, S. 91)

Hinzu kommt, dass die thematisierten Ein- den. Analysen auf der Individualebene ver-
flussfaktoren nicht nur auf ganz unterschied- kennen meist, dass die untersuchten Schüle-
lichen Betrachtungsebenen sowie mehr oder rinnen und Schüler tatsächlich einer be-
weniger entfernt vom Kriterium gelegen stimmten Schulklasse angehören und dass
sind, sondern sich zudem auf ganz unter- sie damit eine gemeinsame schulklassenbe-
schiedlichen Aggregatebenen auswirken zogene Lernumwelt mit ihren Mitschülern
können und daher in ihrem komplexen Zu- teilen, die sich von den Lerngegebenheiten in
sammenwirken leicht fehlinterpretiert wer- anderen Klassen unterscheidet. Will man

366
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

etwa die Effekte einer unterrichtlichen In- lativen Einflüsse, die auf der Individual- und
tervention zur Förderung der Lesekom- auf der Schulklassenebene wirken. Vor allem
petenz bei 100 Kindern aus fünf Schulklas- der Einfluss von schulischen und außerschu-
sen überprüfen, dann können diese 100 lischen Kontext- sowie von Klassenkom-
Kinder nur dann als »gemeinsame Stichpro- positionsmerkmalen (Größe und Zusam-
be« im Hinblick auf die Wirksamkeitsprü- mensetzung einer Schulklasse) lässt sich so
fung betrachtet und einer Kontrollgruppe angemessen modellieren. Analysen, die zu-
gegenübergestellt werden, wenn zuvor si- sätzlich die systemische Meso- und Makro-
chergestellt ist, dass die pädagogische Inter- ebene einbeziehen, sind äußerst selten.
vention in allen fünf Klassen überhaupt in
der gleichen Weise erfolgt ist. Meist wird das
Fokus: Mehrebenenanalyse
nämlich nicht der Fall sein. Analysen, die die
Mikroebene der Schulklasse mit einbeziehen Herkömmliche regressionsanalytische
(sogenannte Mehrebenenmodelle), »mit- Verfahren sind zur Verrechnung ge-
teln« die Individuen einer Klasse deshalb schachtelter Datensätze ungeeignet, da
unter dem Aspekt der gemeinsamen Unter- die Voraussetzung unabhängiger Stich-
richtung. Sie negieren aber in vielen Fällen probenelemente verletzt ist. Im Hierar-
weiterhin den Einfluss, der auf der nächst- chisch Linearen Modell (HLM) lassen
höheren Mesoebene von den unterschiedli- sich hingegen Einflussfaktoren auf unter-
chen Schulkulturen und -klimata der Schul- schiedlichen Ebenen spezifizieren. Meist
arten und Schulen ausgeht. Strukturunter- sind das a) die Ebene des Individuums (1.
schiede auf der Makroebene eines Systems Ebene), b) die Ebene des Klassenkollek-
werden in der Regel erst im interkulturellen tivs (2. Ebene) und c) die Ebene der
Vergleich sichtbar. Institution Schule oder des Schulsystems
Das aber heißt, dass die Schüler einer (3. Ebene). Entsprechend können Effekte
Klasse, die Klassen einer Schule und die von Individual- und von Aggregatvaria-
Schulen eines Landes nicht als voneinander blen der Ebenen 2 und 3 unabhängig
unabhängige Beobachtungseinheiten gelten voneinander bestimmt werden, indem
können. Folglich sind die meist üblichen die (herkömmliche) Regressionsanalyse
Analysen auf der Individualebene (Beispiel: um eine oder mehrere Ebenen erweitert
Wie hängen die Leistungsmotivation und die wird. Die auf Individualebene geschätz-
Intelligenz eines Schülers mit dem Leistungs- ten Regressionsgewichte lassen sich mit-
fortschritt im Fach Mathematik zusam- hin als abhängige Variablen betrachten,
men?) durch systematisch wirksame Einflüs- deren Ausprägungen teilweise durch sys-
se der »höheren Ebenen« belastet, weil die tematische Einflüsse der Aggregatvaria-
Beziehungen auf der Individualebene zwi- blen anderer Ebenen vorhergesagt wer-
schen unterschiedlichen Klassen (also in Ab- den können.
hängigkeit vom Unterricht) oder zwischen
unterschiedlichen Schulstufen variieren kön-
nen. Im varianzanalytischen Sinne handelt es Die Einleitung schuladministrativer und re-
sich um geschachtelte oder »Nested« De- formerischer Maßnahmen, wie sie im An-
signs. Geschachtelte Designs erfordern den schluss an die Schulleistungsstudien TIMSS,
Einsatz struktur- und mehrebenenanalyti- PISA oder IGLU zu beobachten waren (z. B.
scher statistischer Auswertungsverfahren das Programm zur Einrichtung von Ganz-
(Bryk & Raudenbush, 1992; Ditton, 1998; tagsschulen oder die Einführung von Bil-
Lüdtke & Köller, 2010). Dieses Vorgehen dungsstandards und Vergleichsarbeiten),
ermöglicht eine separate Schätzung der re- unterliegt in den bildungspolitischen Be-

367
Teil II Lehren

gründungsmustern leicht einem »ökologi- Multiple Determiniertheit. Schulleistungen


schen Fehlschluss« – wenn nämlich aus sind multipel, also durch eine Vielzahl von
den Ergebnissen internationaler Vergleichs- Faktoren determiniert. Das Rahmenmodell
untersuchungen (also aus Zusammenhän- von Helmke (䉴 Abb. 7.1) vermittelt einen
gen auf der Makroebene des Schulsystem- Eindruck davon. Das aber heißt, wir haben
vergleichs) Konsequenzen auf der (empirisch es mit multiplen Kriterien und multiplen
eigentlich gar nicht systematisch thematisier- Prädiktoren auf unterschiedlichen Ebenen
ten) Aggregatebene der deutschen Schulen zu tun, die in vielfältiger Weise funktional
und Schulformen gezogen werden. Da die miteinander verknüpft sind. Auf und zwi-
administrativ verordneten Veränderungen schen diesen Ebenen existieren additive und
(z. B. die Einrichtung von Ganztagsschulen, multiplikative, lineare, moderierende sowie
das Auflösen von Förderschulen oder die einander unterdrückende oder verstärkende
Verkürzung der gymnasialen Schulzeit) zu- Beziehungen. Es gibt auch komplexere Inter-
dem sehr weit von der eigentlichen Wirk- aktionsmuster, die auf eine schwellenwert-
ebene (also von den individuellen Lernpro- bezogene Kopplung oder auf eine kompen-
zessen und den unterrichtlichen Maßnah- satorische Austauschbarkeit von Einfluss-
men ihrer Förderung) entfernt sind, bleibt größen hinauslaufen.
unklar, welche Wirkungen sie überhaupt
entfalten können.

Fokus: Kopplung und Kompensation


Spitzenleistungen im sportlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Bereich setzen das
Vorliegen von zwei Faktoren voraus: »Skill and Will«, d. h. eine besondere Begabung und
ein hohes Maß an Anstrengung und Neigung zugleich – eines allein reicht nicht aus
(Kopplung). Um durchschnittliche Leistungen zu erzielen, mag hingegen ein minimaler
Schwellenwert in einer der beiden Determinanten hinreichen, sofern die andere Determi-
nante das Manko substituiert. Das würde bedeuten: Mangelnde Begabung lässt sich durch
erhöhte Anstrengung ausgleichen und umgekehrt (Kompensation). Im Abschnitt zur Rolle
der Lernmotivation (䉴 Kap. 2.4) ist das bereits thematisiert worden.
Für Mathematikleistungen hat man beispielsweise zeigen können, dass leichtere Auf-
gaben eine Kompensation von Vorkenntnisdefiziten durch eine hohe allgemeine Intelligenz
zulassen. Es lässt sich sogar zeigen, dass gute bereichsbezogenen Vorkenntnisse Intelli-
genzdefizite weitgehend kompensieren können. Für die Lösung schwieriger Aufgaben ist es
hingegen notwendig, dass die relevanten Vorkenntnisse vorhanden sind (Simons, Weinert
& Ahrens, 1975).

Zieht man daraus den Schluss, sich in den gen ist, wird es hinsichtlich der übrigen
Vorhersagemodellen auf einige wenige Prä- Prädiktoren zu anderen Schätzungen kom-
diktoren der Schulleistung zu beschränken, men als wenn sie im Modell enthalten wäre.
schmälert das naturgemäß die Validität und Stets sind also Varianzanteilsschätzungen
den Erklärungsgehalt eines Prognosemo- einzelner Faktoren im Hinblick auf jene
dells. Wenn z. B. die allgemeine Intelligenz Modellvariablen zu relativieren, mit denen
auf Seiten der individuellen Lernvorausset- sie gemeinsam »in eine statistische Analyse
zungen nicht in ein Prognosemodell einbezo- geschickt wurden«.

368
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Fend (2002) ein integratives Angebots-Nut-


Fokus: Bedingungen des zungs-Modell unterrichtlicher Wirkungen
Studienerfolgs entwickelt, das bereits in 䉴 Kap. 5.1 vor-
In der Arbeitsgruppe von Heinz Giesen gestellt wurde.
wurde im Rahmen einer umfänglichen
Längsschnittstudie über individuelle Carrolls Modell. John Carroll (1963) be-
und institutionelle Bedingungen des Stu- trachtet Lernerfolg als Funktion der auf-
dienerfolgs geforscht. Dabei wurden als gewandten im Verhältnis zur benötigten
Erfolgskriterien beispielsweise die Exa- Lernzeit (䉴 Kap. 6.1). In dieser Schlichtheit
mensnoten (Giesen, Gold, Hummer & ist Carrolls’ Modell die Mutter aller Modelle
Jansen, 1986; Gold, 1988, 1999; Gold schulischen Lernens. Die Relation der beiden
& Souvignier, 2005), die Studiendauer finalen Determinanten definiert den indivi-
(Giesen & Gold, 1996) und die subjektive duellen Lernerfolg. Wird so viel Zeit auf-
Studienzufriedenheit (Gold & Souvignier, gewendet, wie zum Erreichen eines Lernziels
1997) zugrunde gelegt. Der Studienerfolg benötigt wird, sollte das Lernergebnis po-
lässt sich – ähnlich wie der Schulerfolg – sitiv ausfallen. Wird zur Aufgabenbearbei-
in erster Linie durch die individuellen tung hingegen mehr Zeit benötigt, als tat-
Determinanten (vornehmlich durch sächlich investiert, sollten Leistungsproble-
Merkmale der Leistungsfähigkeit und me die Folge sein (䉴 Abb. 7.2).
-bereitschaft) prognostizieren. Die (tatsächlich) benötigte Lernzeit ergibt
sich in Carrolls Modell aus der aufgaben-
spezifischen Begabung (weniger begabte Ler-
ner brauchen mehr Zeit, um etwas zu lernen)
Modelle schulischen Lernens und der Fähigkeit, die Aufgabenanforderung
zu verstehen (wer die Instruktionen nicht gut
versteht, braucht ebenfalls mehr Zeit). Heute
Theoretische Modelle schulischen Lernens würde man nicht von einer »aufgabenspezi-
sind in der Regel auf der »mittleren« Ag- fischen Begabung«, sondern vom »inhalt-
gregatebene des Lernens in der Schulklasse lichen Vorwissen« sprechen und anstelle
formuliert. Sie sind damit »über« den auf der des »Instruktionsverständnisses« von der
Individualebene angesiedelten Prozess- »allgemeinen und der verbalen Intelligenz«.
modellen selbst- und fremdgesteuerten Ler- Hinzu kommt der Einfluss der Unterrichts-
nens (䉴 Abb. 5.3 und 6.5) und »unterhalb« qualität (um unklare und schlecht struktu-
der Makromodelle des Schul- und Bildungs- rierte Darbietungen zu verstehen, wird mehr
systemvergleichs spezifiziert. Die Modelle Zeit benötigt). Die Qualität des Unterrichts
strukturieren die Empirie und ermöglichen interagiert auch mit dem Instruktionsver-
eine Ordnung der Befundlage. Die frühen ständnis der Lernenden und mit ihrer Lern-
Modelle von Carroll (1963) und Bloom motivation: Guter Unterricht wird sich güns-
(1976) thematisieren vor allem die Bedeu- tig auf die Lernbereitschaft auswirken und
tung der Lernzeit und der individuellen Lern- wenn der Unterricht weniger gut ist, wird es
voraussetzungen für den Lernerfolg. Das einer höheren allgemeinen Intelligenz bedür-
Produktivitätsmodell von Walberg (1986) fen, um dennoch etwas zu lernen.
ist eigentlich völlig untheoretisch konzipiert Die (tatsächlich) aufgewendete Lernzeit
und systematisiert bzw. ergänzt diese be- hängt von der individuellen Lernmotivation
kannten Einflussfaktoren um distale Merk- ab (wer sich für einen Lerngegenstand inte-
male der Lernumwelt. Helmke (2009, 2010) ressiert, wird bereit sein, mehr Lernzeit auf-
hat mit Bezug auf die Überlegungen von zuwenden) sowie von der durch die Lehr-

369
Teil II Lehren

Aufgabenspezifische
Begabung

Benötigte
Instruktionsverständnis
Lernzeit

Ausmaß des
Qualität des Unterrichts Lernerfolgs

Aufgewendete
Lernzeit
Ausdauer
(Lernmotivation)

Zugestandene Lernzeit

Abb. 7.2: Modell schulischen Lernens von Carroll (1963)

person überhaupt zugestandene Lernzeit. vor allem im Umgang mit der Lernzeit. Das
Die individuelle Bereitschaft, Lernzeit zu Modell lässt allerdings offen, in welchem
investieren, wird wiederum durch die Unter- Maße die beiden finalen Determinanten
richtsqualität mit beeinflusst. Die zugestan- auf wechselseitig kompensierbaren (d. h. ad-
dene Lernzeit wird zunächst durch die in ditiven) Einflüssen beruhen. Bei einer hohen
Stundentafel und Lehrplan eigentlich vor- aufgabenspezifischen Begabung (wenn also
gesehene, also nominal »zugeteilte« Lernzeit bereichsbezogenes Vorwissen in hohem
bestimmt. Ob die nominal laut Stundenplan Maße vorhanden ist) und bei einer hohen
vorgesehenen Unterrichtszeit, ihren Nieder- allgemeinen Intelligenz (Instruktionsver-
schlag in »tatsächlich« gehaltenen Unter- ständnis) wird die Unterrichtsqualität
richtsstunden findet, ist eine andere Frage. wohl weniger wichtig sein. Auf der anderen
Ebenso ist fraglich, welche Anteile dieser Seite sollte ein gut strukturierter, adaptiver
Stunden tatsächlich »curricular genutzt« und kognitiv anregender Unterricht die Be-
und nicht durch disziplinarische oder andere deutsamkeit der allgemeinen Intelligenz re-
außercurriculare Aktivitäten verbraucht lativieren. Slavin (2006) hat dieser additiven
werden. Helmke und Weinert (1997 a) ha- Sichtweise widersprochen. In seinem QAIT-
ben die vom Lernenden aufgabenbezogen Modell der Unterrichtsqualität (Quality, Ap-
tatsächlich genutzte als »aktive Lernzeit« propriateness, Incentives, Time) fasst er die
bezeichnet. durch Instruktion modifizierbaren Stellgrö-
Carrolls Modell eröffnet vielfältige Mög- ßen des Carroll-Modells prägnant zusam-
lichkeiten zur pädagogischen Intervention, men (䉴 Kap. 5.2). Alle vier QAIT-Kom-

370
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

ponenten, also die Unterrichtsqualität im blick auf die Zielkriterien (kognitive vs. af-
engeren Sinne (die Strukturiertheit, Klarheit fektive Lernergebnisse) als auch im Hinblick
und Verständlichkeit der Darbietung), die auf die Effizienz der unterrichtlichen Maß-
Angemessenheit und Adaptivität des Vor- nahmen – die erzielten Lernresultate werden
gehens (ein angemessenes Tempo und eine also in Relation zur dafür benötigten Zeit
individuelle Unterstützung und Förderung), gesetzt. Bloom unterscheidet bei den indivi-
die Motivierungsqualität (durch Bekräfti- duellen Lernvoraussetzungen zwischen ko-
gungen und Rückmeldungen) und das Zeit- gnitiven und affektiven Merkmalen und be-
management (das Maximieren der aktiven nennt als Merkmale der Unterrichtsqualität
Lernzeit) seien unbedingt notwendige, nicht im Wesentlichen die bekannten Prinzipien
ohne weiteres kompensierbare und mithin der direkten Instruktion (䉴 Kap. 6.1). Lern-
»multiplikativ« verknüpfte Erfolgsdetermi- aufgaben werden dann erfolgreich bewältigt,
nanten von Unterricht. wenn diesen Prinzipien Rechnung getragen
wird und wenn Lernaufgaben präsentiert
Blooms Modell. Benjamin Bloom (1976) werden, die sich am Niveau der Lernvoraus-
differenziert den Lernerfolg sowohl im Hin- setzungen orientieren (䉴 Abb. 7.3).

Individuelle Lernvoraussetzungen Unterricht Lernergebnisse

Kognitive Kognitive Lern-


Lern- ergebnisse
voraussetzungen (Ausmaß, Effizienz)
Lernaufgaben

Affektive
Lern- Affektive Lern-
voraussetzungen ergebnisse
Qualität des
Unterrichts
Abb. 7.3: Darbietung
Modell schulischen Lernens Bekräftigung
von Bloom (nach Helmke Eigenaktivität
Rückmeldungen
& Weinert, 1997 a, S. 81)

Entscheidende Stellgröße der Intervention ist zusätzliche Übungsaufgaben und zusätz-


in diesem Modell die Unterrichtsqualität. liche Lernzeit
Diese ist durch vier Aspekte näher bestimmt,
die allesamt eine vergleichsweise hohe So betrachtet lässt sich Unterrichtsqualität
(Fremd-)Steuerungskomponente auszeich- leicht im Sinne eines »Je-mehr-desto-Besser«
net: missverstehen. Das ist aber nicht gemeint.
Vielmehr erinnert Blooms Ansatz im Kern an
● Schrittweise Darbietung der Lerninhalte das grundlegende Prinzip der Lernzeitadap-
● Bekräftigendes Lehrverhalten bei auf- tivität, wie wir es im Konzept des zielerrei-
gabenbezogenen Lernaktivitäten chenden Lernens bereits kennen gelernt ha-
● Hohe Anteile an aktiver Lernzeit durch ben: Wenn ausreichend Lernzeit gewährt
Forcierung der Eigenaktivität der Lernen- wird, können fast alle Lerner fast alles lernen
den (䉴 Kap. 6.2).
● Unmittelbare Leistungsrückmeldungen
sowie Korrekturen und – wenn nötig –

371
Teil II Lehren

Walbergs Produktivitätsmodell. Walberg den, »der nicht unter einem der neun Fakto-
und Kollegen haben nach der Sichtung vieler ren zu subsumieren wäre oder zumindest
tausend Einzelstudien eine Systematisierung mittelbar über diese wirkt«. Unterschiedlich
von Einzelbefunden in Form eines Neun- sind allerdings die Auffassungen darüber, wie
Faktoren-Modells der Schulleistung vor- die Faktoren zusammenwirken. Für die fünf
genommen (Fraser, Walberg, Welch & Hat- Kernfaktoren aus dem Bereich der Person-
tie, 1987; Walberg, 1986; Wang et al., 1993). merkmale und des Unterrichtsgeschehens
Demnach sind drei Variablenbereiche für wird eine wechselseitige Substituier- bzw.
den Lernerfolg des Einzelnen, für die Leis- Kompensierbarkeit häufig verneint – mithin
tungsentwicklung einer Schule oder einer wären alle diese Faktoren notwendige Bedin-
Schulklasse ausschlaggebend: (1) die Kom- gungen des Lernerfolgs. Anders ausgedrückt:
petenzen der Schülerinnen und Schüler (vor Für keinen dieser Faktoren darf es einen
allem ihre kognitiven und motivationalen »Totalausfall« geben. Für die vier restlichen
Lernvoraussetzungen), (2) die Art des Lern- Kontextfaktoren des häuslichen und schu-
angebots (insbesondere die Qualität und der lischen Umfelds wird hingegen eine wechsel-
Umfang des Unterrichts) und (3) eine Reihe seitige Substituierbarkeit ihres Einflusses
von Umwelt- oder Kontextvariablen des nicht ausgeschlossen. Den Kontextfaktoren
Lernens. In 䉴 Abb. 7.4 finden sich neben kommt ohnehin eher ein moderierender Ein-
Walbergs neun Produktivitätsfaktoren die fluss zu: Ungünstige häusliche Lernbedingun-
über viele Studien hinweg aggregierten mitt- gen, übermäßiger Medienkonsum und »fal-
leren (unkorrigierten) Korrelationskoeffi- sche Freunde« würden demnach schlechtere
zienten der jeweiligen Faktoren mit der Schulleistungen nicht ursächlich bedingen,
Schulleistung. aber doch in ihrem Schweregrad beeinflussen
können. Walberg selbst hat übrigens die Auf-
fassung vertreten, dass die Produktivitätsfak-
Korrelation mit toren untereinander multiplikativ und nicht
Produktivitätsfaktoren Schulleistung additiv verbunden seien. Ist eine der notwen-
Personmerkmale digen Determinanten (z. B. die Lernmotiva-
• Kognitive Fähigkeiten/ .44
tion) defizitär, werden Kompensationen
Vorwissen
»umso schwieriger, je niedriger die Ausprä-
• Entwicklungsstand .10
• Motivation .29 gung dieser notwendigen Determinante ist; in
Unterrichtsvariablen diesem Fall muss das Defizit durch unver-
• Quantität des Unterrichts .38 hältnismäßige ›Mehrleistungen‹ bei anderen
• Qualität des Unterrichts .48 Faktoren wettgemacht werden« (Helmke &
Psychologisches Umfeld Weinert, 1997 a, S. 140).
• Häusliche Umwelt .31
• Klassen- und Schulklima .20
• Außerschulische Peer- .19 Komponenten wirksamen
Beziehungen Unterrichts
• Massenmediennutzung -.06
Abb. 7.4: Produktivitätsfaktoren des Lernerfolgs John Hattie, der schon an den Metaanalysen,
in Walbergs Modell (nach Cortina, die zu Walbergs Produktivitätsmodell führ-
2006, S. 491) ten, beteiligt war, hat vor wenigen Jahren
(Hattie, 2009) eine Synthese über 816 Me-
Es dürfte kaum möglich sein, so resümiert Kai taanalysen vorgelegt und die Befundlage aus
Cortina (2006, S. 492), auf dieser globalen über 50 000 empirischen Studien mit mehr
Ebene einen weiteren Einflussfaktor zu fin- als 83 Millionen Untersuchungsteilnehmern

372
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

zusammenfasst. Hattie unterscheidet hin- negative Effekte auf den Lernzuwachs


sichtlich der wichtigsten Einflussvariablen bewirken dagegen (schul-)organisatorische
auf den Schulerfolg zwischen sechs Faktoren: Maßnahmen wie Klassenwiederholungen
Schüler, Familie, Schule, Curriculum, Lehrer bei Leistungsversagen oder eine Verringe-
und Unterricht. Nicht immer allerdings ist rung der Klassengröße. Aber auch »genera-
diese kategoriale Einteilung ganz trenn- lisierte« Unterrichtsformen des offenen, jahr-
scharf, insbesondere nicht, wenn es um die gangsübergreifenden oder entdeckenlassen-
Zuordnung von Studien und Studienergeb- den Lehrens im Sinne der sogenannten Sicht-
nissen zu den Kategorien »Lehrer« oder strukturen des Unterrichts gehen meist nur
»Unterricht« geht. Sind die Klarheit und mit kleinen Effekten einher. Ein lohnender
Verständlichkeit von Erklärungen beispiels- Ansatzpunkt für Veränderungen, so lässt sich
weise Merkmale der Lehrperson oder Merk- resümieren, liegt in der Optimierung von
male des Unterrichts? Wenn man die sechs Lehr-Lern-Prozessen (und in Anstrengungen
Faktoren in Relation zueinander betrachtet, in der Lehrerbildung, die dem vorgeordnet
misst Hattie den Schülermerkmalen (vor al- sind) und weniger auf der schulorganisato-
lem den individuellen Lernvoraussetzungen, risch-strukturellen Ebene.
die ein Kind »mitbringt«) einen erklärenden
Anteil von etwa 50 % in Bezug auf die ins-
gesamt erklärte Kriteriumsvarianz zu und Individuelle Lern-
der Wirksamkeit von Lehrern und Unterricht voraussetzungen, Unterricht
zusammen etwa 30 %. Wenn man sich die und Kontextfaktoren
Größe der Effekte ansieht, die durch syste-
matische Eingriffe auf der Unterrichtsebene In großer Übereinstimmung lassen sich in
zu erzielen sind, wird der beachtliche und den theoretischen Modellen und in den heu-
dennoch begrenzte Gestaltungsspielraum ristischen Klassifikationen der empirischen
pädagogischer Maßnahmen deutlich. Den Befunde drei Arten von Einflussfaktoren
hier interessierenden Kategorien »Unter- identifizieren, und zwar (1) solche, die mit
richt«, »Lehrer« und »Schule« lassen sich den individuellen Lernvoraussetzungen zu-
spezifische Methoden oder Maßnahmen un- sammenhängen, (2) solche, die den Unter-
terordnen, die konkrete Vorgehensweisen richt, die Lehrperson und die Schule betref-
beschreiben. Für diese hat Hattie Effektstär- fen und (3) solche, die kontextuelle Einflüsse
ken (d) berechnet, um ihre Bedeutsamkeit für repräsentieren. Sie werden in Anlehnung an
den schulischen Lernerfolg vergleichend die auch von Helmke und Weinert (1997 a)
quantifizieren zu können. Erst bei Effekt- bzw. von Hattie (2009) gewählte Form der
stärken d >.40 spricht er von pädagogisch Kategorisierung im Folgenden noch etwas
relevanten Effekten und ist der Auffassung, näher beschrieben. Dabei ist zu bedenken,
dass es nur solche Effekte wert sind, sich dass eigentlich nur eine simultane Berück-
näher mit ihnen zu beschäftigen. Große Ef- sichtigung aller Einflussgrößen eine realisti-
fekte (d >.60) berichtet Hattie beispielsweise sche Abschätzung ihres je spezifischen Er-
für die Durchführung von Programmen zur klärungsbeitrags liefern kann. Nur in weni-
Leseförderung und für Programme zur För- gen großen Längsschnittstudien, wie etwa in
derung von Lernstrategien, aber auch für ein der bereits abgeschlossenen SCHOLASTIK-
unterstützend eingesetztes Lehrer-Feedback (Weinert & Helmke, 1997 a) oder in der
und für andere Qualitätsmerkmale des Un- derzeit noch laufenden BiKS-Studie (Anders
terrichts im Sinne der sogenannten Tiefen- et al., 2012; Blossfeld, Schneider & von
strukturen (Baumert & Kunter, 2006; Kunter Maurice, 2010), werden aber individuelle,
& Voss, 2011; 䉴 Kap. 5.2). Keine oder sogar schulische und unterrichtliche sowie fami-

373
Teil II Lehren

liäre Bedingungsfaktoren zumindest aus- daran, dass der Lernende mit seinen
schnittweise gemeinsam betrachtet, wäh- dispositionalen Merkmalen und seinem ak-
rend in aller Regel eine isolierte Betrachtung tuellen Verhalten die wichtigste dynamische
einzelner Faktoren vorherrschend ist. Determinante der Schulleistungen und der
Entstehung von Schulleistungsunterschie-
den darstellt«. Die individuellen Voraus-
Fokus: Die SCHOLASTIK-Studie
setzungen erfolgreichen Lernens wurden in
Die Münchner Grundschulstudie SCHO- Teil I dieses Lehrbuchs ausführlich themati-
LASTIK (SCHulOrganisierte LernAnge- siert. Zu ihnen zählen, wie dort bereits aus-
bote und Sozialisation von Talenten, In- geführt, konstitutionelle Faktoren wie der
teressen und Kompetenzen) zielte auf die Entwicklungsstand oder das Geschlecht, ko-
längsschnittliche Beschreibung individu- gnitive Faktoren wie die allgemeine Intelli-
eller Entwicklungsverläufe im Grund- genz und die bereichsspezifischen Vorkennt-
schulalter und auf die Analyse von Be- nisse, sowie motivationale, volitionale und
dingungsfaktoren dieser Entwicklung. Sie affektive Faktoren wie das Interesse und die
umfasst eine Stichprobe von 1150 Kin- Lernfreude, das Fähigkeitsselbstbild und die
dern in 54 Schulklassen. Über einen Zeit- Prüfungsangst.
raum von vier Jahren wurden schulische In 䉴 Kap. 2 hatten wir dargelegt, dass wir
Leistungen, individuelle Determinanten bei der Beschreibung individueller Voraus-
der Schulleistung sowie Unterrichts- setzungen erfolgreichen Lernens auf das tra-
und Kontextmerkmale der schulischen ditionelle Konzept der Intelligenz verzichten.
Lernumwelt erfasst. Neben den Heidel- Er entstammt nämlich einer psychometri-
berger (Treiber & Weinert, 1985) und schen Tradition der Beschreibung individu-
den Münchner Hauptschulstudien eller Lernpotenziale, die im Rahmen des
(Helmke, Schneider & Weinert, 1986) Informationsverarbeitungsansatzes durch
sowie der Berliner Gymnasialstudie (Bau- die aus pädagogisch-psychologischer Sicht
mert et al., 1986) gehört die Münchner sehr viel fruchtbareren Konzepte der Auf-
Grundschulstudie SCHOLASTIK (Wei- merksamkeit, des Arbeitsgedächtnisses, des
nert & Helmke, 1997 a) zu den klassi- Vorwissens sowie der Lernstrategien und
schen längsschnittlichen Schulleistungs- deren metakognitiver Regulation ersetzt
studien. Die Studie TOSCA (Trautwein, worden ist (vgl. dazu 䉴 Kap. 2). Bei kumu-
Köller, Lehmann & Lüdtke, 2007) setzt lativen Lernprozessen, wie sie beim schu-
erst bei Schülern der 10. Klassenstufe ein, lischen Lernen die Regel sind, ist die Reich-
auf die neueren Längsschnittstudien PER- haltigkeit und die Strukturiertheit des lern-
LE, KOALA und KESS war an anderer inhaltlichen Vorwissens besonders wichtig
Stelle bereits hingewiesen worden (vgl. (䉴 Kap. 2.2). Weinert und Helmke (1995)
auch Blossfeld, Schneider & von Mauri- belegen mit Daten der SCHOLASTIK-Studie
ce, 2010). die überragende Bedeutsamkeit der mathe-
matischen Vorkenntnisse für spätere Mathe-
matikleistungen (䉴 Abb. 7.5). Ganz im Sinne
der Wissenskumulation zeigt sich nämlich,
Individuelle Voraussetzungen dass die Mathematikkenntnisse aus der 2.
erfolgreichen Lernens Klasse eng mit den Mathematikleistungen in
der 4. Klasse zusammenhängen (r =.57) und
dass dieser Zusammenhang erhalten bleibt (r
Nach Helmke und Weinert (1997 a, S. 99) =.53), wenn man den Einfluss der Intelligenz
»gibt es doch keinen vernünftigen Zweifel statistisch kontrolliert. Die Intelligenz ist

374
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

hingegen weniger eng mit den mathemati- den motivationalen Faktoren kam stets
schen Leistungen in der 4. Klasse assoziiert (r den kognitiven Merkmalen eine höhere Prä-
=.26), und selbst diese Assoziation kommt diktionskraft zu (Helmke, 1997).
zum Verschwinden, wenn man das Vor-
kenntnisniveau aus der 2. Klasse statistisch
kontrolliert (r =.05). Unterrichtliche Determinanten

Mit Weinert, Schrader und Helmke (1989,


Einfache Korrelationen und Partialkorrela- S. 899) kann man Unterrichtsqualität prag-
tionen zwischen Mathematikleistung und
matisch definieren als »stabile[s] Muster von
Intelligenztestleistungen
Instruktionsverhalten, das als Ganzes oder
Korrelation r
durch einzelne Komponenten die substan-
Einfache Korrelationen
tielle Vorhersage und/oder Erklärung von
• Mathematikleistung (2. Klasse) mit .57* Schulleistung erlaubt«. Wie gut Lehrerinnen
Mathematikleistung (4. Klasse) und Lehrer unterrichten, hängt von ihren
professionellen Kompetenzen und Fertigkei-
• Intelligenztestleistung (1. Klasse) mit .26*
ten ab und von den Methoden und Vor-
Mathematikleistung (4. Klasse)
gehensweisen, die im Unterricht zum Einsatz
kommen. Hinsichtlich der spezifischen Un-
Partialkorrelationen terrichtsmethoden (wie sie in 䉴 Kap. 6 be-
schrieben sind) und in Bezug auf die leicht
• Mathematikleistung (2. Klasse) mit
Mathematikleistung (4. Klasse) bei
.53* sichtbaren Organisationsmerkmale von Un-
Auspartialisierung der Intelligenztest- terricht (wie z. B. Stillarbeit, Partnerarbeit,
leistung (1. Klasse) Unterrichtsgespräch) sprechen Kunter und
Voss (2011) auf einer Makroebene von
• Intelligenztestleistung (1. Klasse) mit
.05*
Sichtstrukturen des Unterrichts. Lernsteu-
Mathematikleistung (4. Klasse) bei ernde oder -erleichternde Verhaltensweisen
Auspartialisierung der Mathematik- auf der Mikroebene des unterrichtlichen
leistung in der 2. Klasse
Handelns (wie z. B. Aktivitäten der Klassen-
Anmerkung: *p<.01 führung, der kognitiven Aktivierung und der
Abb. 7.5: Zusammenhang zwischen Vorkennt- konstruktiven Unterstützung) gelten dage-
nissen, Intelligenz und Schulleistung gen als Tiefenstrukturen des Unterrichts. Es
(Weinert, 1996 c, S. 20) sind vor allem die Tiefenstrukturen, die
gemeinhin als Qualitätsmerkmale von Un-
In der SCHOLASTIK-Studie ließen sich die terricht bezeichnet werden (䉴 Kap. 5.2). Sie
Leistungen in eigens konstruierten Schulleis- zielen auf die Gestaltung der Lehr-Lern-Pro-
tungstests (als Kriterium des Lernerfolgs) zesse im engeren Sinne, beschreiben die Art
durch die kognitiven und die motivationalen des Umgangs mit dem Lernstoff und die
Bedingungsfaktoren übrigens besser vorher- Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern
sagen als die Schulnoten, die die Lehrer während des Lernens. Kunter und Voss
erteilten. Dies deutet auf den zusätzlichen (2011) haben für die Tiefenstrukturen des
Einfluss anderer Variablen bei der Noten- Unterrichts zeigen können, dass sie in einem
vergabe durch die Lehrer hin (䉴 Kap. 7.4). systematischen und positiven Zusammen-
Zudem ließ sich für die Leistungen im Fach hang mit der Kompetenzentwicklung der
Mathematik deutlich mehr Kriteriumsvari- Schüler stehen. Eine hohe Unterrichtsquali-
anz aufklären als für die Leistungen im Fach tät zeichnet sich durch eine effektive Klas-
Deutsch (Rechtschreiben). Verglichen mit senführung (䉴 Kap. 7.3) und durch ein ho-

375
Teil II Lehren

hes Maß an persönlicher Unterstützung aus, Bereits Helmke und Weinert (1997 a; Helm-
sowie durch den Umstand, dass es den Lehr- ke, 2010) hatten darauf hingewiesen, dass
personen gelingt, bei den Schülern aktive sich der spezifische Erklärungsbeitrag der
mentale Auseinandersetzungen mit dem Unterrichtsmerkmale in Relation zu anderen
Lernstoff auszulösen. Determinanten des Lernerfolgs nicht einfach
bestimmen lässt. So lässt sich zwar durch alle
Fokus: Schulqualität und in 䉴 Kap. 6 beschriebenen Instruktions-
Unterrichtsqualität methoden auf der Ebene der Sichtstrukturen
qualitativ guter Unterricht gestalten; die
Der Unterrichtsqualität und dem Han- metaanalytischen Befunde hinsichtlich der
deln der Lehrpersonen wird im Allgemei- spezifischen Wirksamkeit einzelner Metho-
nen ein größerer Einfluss auf die Lern- den fallen aber eher enttäuschend aus und
und Leistungsentwicklung zugeschrieben geben keine Hinweise, für welche Lerninhal-
als den Qualitätsmerkmalen einer Schule te und bei welchen gegebenen Lernvoraus-
(Hattie, 2009; Seidel & Shavelson, 2007; setzungen welche Instruktionsmethode be-
Scheerens & Bosker, 1997; Lipowsky, sonders erfolgreich sein wird. Berücksichtigt
2009). Dies und die vergleichsweise große man aber
Distanz der Schulebene zu den konkreten
[. . .] die relevanten Kontextbedingungen, spe-
Lehr-Lern-Prozessen im Unterricht dür- zifiziert man einen sinnvollen Ausschnitt aus
fen aber nicht darüber hinweg täuschen, dem zu untersuchenden Phänomenbereich, er-
dass die Schulen und die Lehrerkollegien fasst man in reliabler Weise valide Indikatoren
die »natürlichen« Adressaten sind, wenn der simultan wie sukzessive ablaufenden Un-
terrichts- und Lernprozesse, wählt man zu-
es um die Einführung innovativer Kon-
gleich ein zweckmäßiges Aggregierungsniveau
zepte geht – man denke nur an den für die Daten [. . .], so ändert sich das Bild
Ausbau der Ganztagsschulen. völlig: Qualitätsunterschiede des Unterrichts
Eckhard Klieme und Mitarbeiter (Klie- werden für die Schulleistungen und ihre inter-
me, Steinert & Hochweber, 2010) haben individuellen Differenzen zu Determinanten
von begrenzter, aber erheblicher Wichtigkeit.
gezeigt, dass Faktoren auf der Schulebe- (Helmke & Weinert, 1997 a, S. 126)
ne, wie die gemeinsam geteilten Leis-
tungserwartungen oder die Kooperati- Helmke und Weinert haben die Begrenztheit
onsfähigkeit eines Kollegiums, für die des Erkenntnisstandes nicht zuletzt auf un-
unterschiedlichen Leistungsentwicklun- terschiedliche »Kernannahmen über die zen-
gen der Schüler ohne große Bedeutung tralen Gesetzmäßigkeiten des Lernens und
sind. Stattdessen haben sich auf der Ebene Lehrens« zurückgeführt sowie auf Unter-
des Unterrichts in den Schulklassen die schiede zwischen einer »variablen- und einer
Tiefenmerkmale der Unterrichtsqualität personzentrierten« Sichtweise bei der Ana-
als erklärungsmächtig erwiesen. Bemer- lyse von Lehr-Lern-Prozessen. Die zuletzt
kenswert dabei ist, dass die berichteten genannte Unterscheidungsebene bietet einen
Zusammenhänge die Leistungsentwick- weiteren Ansatzpunkt für eine Systematisie-
lung im Fach Deutsch betreffen – bislang rung empirischer Befunde zur Wirksamkeit
hatte man solche Zusammenhänge zwi- von Unterricht (vgl. auch Bromme, 1992,
schen der Unterrichtsqualität und der 1997; Helmke, Helmke & Schrader, 2007;
individuellen Leistungsentwicklung meist Helmke, 2009): die Betrachtung der Lehrer-
nur für die naturwissenschaftlich-mathe- persönlichkeit.
matischen Fächer gefunden.
Lehrerpersönlichkeit. Es ist nur auf den
ersten Blick ein Widerspruch, gleichzeitig

376
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Aspekte der Lehrerpersönlichkeit und Merk- Merkmalen der Unterrichtsqualität nach-


male der konkreten Gestaltung von Lehr- weisen (Helmke & Weinert, 1997 b;
Lern-Prozessen im Klassenzimmer in den 䉴 Abb. 7.6): In den erfolgreicheren Klassen
Blick zu nehmen, wenn es um die Determi- ist eine effizientere Klassenführung zu be-
nanten guten Unterrichts geht. Denn ein obachten. Sie zeichnen sich aus durch eine
gutes unterrichtliches Angebot, das die Schü- hohe Strukturiertheit des Lehrervortrags,
ler gewinnbringend für den Aufbau von durch ein höheres Maß an individueller
Wissen und Können nutzen können, hängt fachlicher Unterstützung (im Sinne einer
nicht nur vom professionellen Wissen und fortwährenden Diagnose und Kontrolle
Können des Lehrers ab, sondern auch von des Lernverhaltens) und durch die Variation
seinen Werthaltungen und Überzeugungen unterrichtlicher Sozialformen. Es verwun-
und von Persönlichkeitsmerkmalen (wie En- dert nicht, dass diese Form des Unterrichtens
thusiasmus, Geduld oder Humor), die nicht mit einer höheren Motivierungsqualität und
unbedingt spezifisch für den Lehrerberuf Klarheit einhergeht (䉴 Kap. 7.3).
sind. Hattie (2009) hat in seiner Synopse –
nicht immer überzeugend – zwischen Leh-
rern (als Personen) und Unterricht (als Leistungszuwachs
(Residualisierte
Handlungsmuster dieser Personen) unter-
Nachtestwerte)
schieden und den Lehrpersonen mit einer Mathe- Recht-
mittleren Effektstärke von d = 0.49 einen Unterrichtsmerkmale
matik schreiben
etwas größeren Einfluss auf die Leistungs- Klassenführung .36** .26
entwicklung zugeschrieben als den Merkma- Strukturiertheit .28* .17
len des Unterrichts (d = 0.42). Individuelle Unterstützung .32* .16
Förderungsorientierung .17 -.02
»Lehrer können sowohl guten als auch Variabilität Sozialformen .28* -.04
schlechten Unterricht auf eine sehr verschie- Soziales Klima .18 .02
dene Weise halten« (Helmke & Weinert, Klarheit .34* .17
1997 a, S. 130). Ein Blick auf die bereits Motivierungsqualität .35* .27*
erwähnten Optimal- oder Positivklassen be- Anmerkung: *p<.05, **p<.01.
legt dies – ganz unterschiedliche Aktions- Abb. 7.6: Merkmale der Unterrichtsqualität und
muster führten dort zum Unterrichtserfolg Lernerfolg (Helmke & Weinert, 1997 b,
(Helmke, 1988; Helmke & Schrader, 1990). S. 248)
Auch die sechs »Meisterlehrer« aus der
SCHOLASTIK-Studie (s. o.) – das waren Für den Leistungszuwachs im Rechtschrei-
die Lehrer der Klassen mit den höchsten ben spielen die angeführten Qualitätsmerk-
Leistungszugewinnen im Fach Mathematik male von Unterricht allerdings keine große
– zeigten durchaus variable Muster erfolg- Rolle. Offenbar wird die Leistungsentwick-
reichen Unterrichtens (Helmke & Weinert, lung im Rechtschreiben im Gegensatz zur
1997 b). Nur zwei der sechs Lehrer wiesen Mathematik stärker durch außerschulische
bei allen erfassten Indikatoren der Unter- und/oder fachinhaltsspezifische Bedingungs-
richtsqualität überdurchschnittliche Werte faktoren beeinflusst, die hier nicht erfasst
auf. Und nur einer von acht Indikatoren – wurden (Helmke & Weinert, 1997 a; Lomp-
nämlich die Klarheit der Lehreräußerungen scher, 1997).
– hat sich als notwendige Bedingung guten
Unterrichtens erwiesen. Zumindest für den
Leistungszuwachs im Fach Mathematik las-
sen sich auf Schulklassenebene konsistent
substantielle Beziehungen zu den genannten

377
Teil II Lehren

werden, die auf das schulische Lernen ein-


Fokus: Beobachtungen von Unterricht wirken. Auch nicht auf alle ihrer vielfältigen
Die Qualität von Unterricht wird in der Wechselwirkungen. Schulexterne und -inter-
Regel durch Verfahren der standardisier- ne Faktoren wirken auf den Unterricht im
ten Beobachtung erfasst. Niedrig-inferen- Klassenzimmer und auf die Schüler direkt
te Beobachtungen fokussieren Aspekte ein. Merkmale des Schulsystems wirken sich
des Zielverhaltens, die »einfach« und vermittelt über die schulischen Organisati-
schlussfolgerungsfrei quantitativ kodier- onsformen auf die konkreten Lernbedingun-
bar sind, wie z. B. die Auftretensdauer gen im Unterricht aus. Die Qualität der
oder die Häufigkeit eines Merkmals Lehrerbildung beeinflusst die Qualifizierung
oder einer Tätigkeit (z. B. das »Zuspät- der künftigen Lehrer und damit die Art und
kommen des Lehrers«). Dagegen erfor- Weise, wie sie später unterrichten werden.
dern hoch-inferente Ratings, z. B. zur Kompositionsmerkmale einer Schulklas-
»Strukturiertheit« oder zur »Förderori- se, wie die Klassengröße oder die Zusam-
entierung« von Unterricht, interpretative mensetzung nach Sozialschicht und Ge-
Schlussfolgerungen. Um Einschränkun- schlecht, können sowohl die Qualität des
gen hinsichtlich der Objektivität und Re- Unterrichts als auch die Leistungsentwick-
liabilität der erfassten Daten möglichst zu lung der Schüler beeinflussen. Beispielsweise
vermeiden, bedarf es dabei inhaltlich gut gibt es Hinweise darauf, dass es bei einer
geschulter Beobachter. Die methodische leistungs- und herkunftsbedingt homogen
Problematik stellt sich bei videografierten ungünstigen Zusammensetzung einer Schul-
Unterrichtsstunden in gleicher Weise wie klasse zu Nachteilen bei der Lern- und Leis-
für die Direktbeobachtungen. Clausen, tungsentwicklung der einzelnen Schüler
Reusser und Klieme (2003) haben an- kommen kann (Becker, Lüdtke, Trautwein
hand der TIMSS-Video-Daten die Unter- & Baumert, 2006; Trautwein, Baumert &
richtsqualität in Mathematik in einer Maaz, 2007; Stanat, Schwippert & Gröh-
deutschen und einer schweizerischen lich, 2010). Solche negativen Kompositions-
Stichprobe unter Verwendung eines effekte sind insbesondere für Hauptschulen
hoch-inferenten Verfahrens verglichen. in schwierigen Milieus beschrieben worden,
Die Schweizer Unterrichtsstunden zeich- wo im Hinblick auf die Herkunftsfamilien
neten sich durch eine effizientere Klassen- der Kinder eine Reihe von Risiko- und Be-
führung und durch eine ausgeprägtere lastungsfaktoren zusammentreffen.
Schülerorientierung (Individualisierung) Entgegen der weit verbreiteten Meinung
aus. In der TIMSS-Studie hatte die unter Lehrern und Eltern gibt es – abgesehen
deutschsprachige Schweiz im internatio- von extrem großen oder sehr kleinen Klassen
nalen Vergleich der Mathematikleistun- und von den besonders betreuungsintensi-
gen einen Spitzenplatz eingenommen. ven Anfangsklassen in der Primarstufe –
keine empirischen Hinweise darauf, dass
in größeren Klassen schlechter und in klei-
neren besser gelernt wird (Ehrenberg, Bre-
Kontextfaktoren wer, Gamoran & Willms, 2001). In Hatties
(2009) Synopse wird einer Verringerung der
Klassengröße von 25 auf 15 Kinder nur ein
An dieser Stelle kann natürlich nicht auf alle verschwindend geringer Effekt auf die Leis-
genetischen, strukturellen und prozessbezo- tungsentwicklung bescheinigt – trotz der
genen familiären, gesellschaftlichen, kultu- nicht unerheblichen Kosten, die damit ver-
rellen und sozialen Faktoren eingegangen bunden sind. In der SCHOLASTIK-Studie

378
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

waren in den größeren Klassen sogar eine che Hausaufgabenkontrolle. Helmke, Schra-
effizientere Klassenführung, ein strukturier- der und Lehneis-Klepper (1991) haben in
terer Unterricht, ein höheres Ausmaß an einer Teilstichprobe der Münchner Haupt-
individueller Unterstützung und ein güns- schulstudie untersucht, welche Bedeutung
tigeres Sozialklima beobachtet worden den elterlichen Leistungserwartungen im
(Helmke & Weinert, 1997 b). Dieser auf Hinblick auf die Schulleistungen zukommt.
den ersten Blick kontraintuitive Befund lässt Mütter, deren Kinder eine günstige schu-
sich gut durch einen »erzwungenen« Anpas- lische Leistungsentwicklung nahmen, waren
sungsprozess des Lehrerverhaltens an die demnach eher solche mit hohen Leistungs-
durch eine größere Schülerzahl gegebenen erwartungen und mit einer Tendenz zur
Notwendigkeiten erklären. Möglich ist al- Überschätzung der tatsächlichen Kompeten-
lerdings auch, dass Schulleitungen die »kom- zen ihrer Kinder. Wenn sie sich bei der Haus-
petenteren Lehrkräfte« gezielt in den zahlen- aufgabenkontrolle einschalteten, dann »eher
mäßig größeren Klassen einsetzten. prozess- als produktorientiert«. Neuere Stu-
dien zu den Hilfestellungen der Eltern bei der
Familiäre Faktoren. Für die häuslichen (fa- Erledigung von Hausaufgaben zeichnen ein
miliären) Determinanten lassen sich auf der differenzierteres Bild. Vor allem wird berich-
Prozessebene des elterlichen Erziehungsver- tet, dass sich eine engführende Unterstüt-
haltens mit Helmke und Weinert (1997 a) zung und Kontrolle durch die Eltern auch
vor allem drei Funktionsbereiche benennen, negativ und im Hinblick auf das Lernver-
die für die Entwicklung der schulischen halten der Kinder kontraproduktiv auswir-
Leistungen von Bedeutung sind: ken kann: wenn nämlich die Beziehungsebe-
ne zwischen Eltern und Kindern durch die
● Stimulation (durch eine anregende häus- Übernahme zusätzlicher Kontrollfunktionen
liche Lernumwelt) Schaden nimmt und wenn die Lernautono-
● Bereitstellung zusätzlicher Lerngelegen- mie und die Eigenverantwortlichkeit des
heiten (z. B. durch Nachhilfe oder gemein- Lernens leiden (Cooper, Robinson & Patall,
sames Üben) 2006; Trautwein, 2008).
● Unterstützende Förderung beim Aufbau Für alle Kontextfaktoren schulischen Ler-
leistungszuversichtlicher Motivsysteme nens und Lehrens gilt, dass sie eigentlich nur
und bei der Selbstkonzeptentwicklung mehrebenenanalytisch angemessen model-
liert und in ihrer relativen Bedeutsamkeit
Aus einer bildungssoziologischen Perspekti- empirisch geprüft werden können. Hinzu
ve wird eine Betrachtung dieser Zusammen- kommt ein weiteres, bislang unterschlagenes
hänge meist mit der Feststellung verknüpft, Problem, das aber aus 䉴 Kap. 6.1 noch be-
dass in den höheren Sozialschichten für sol- kannt sein dürfte: Das Phänomen einer ent-
ches Unterstützungsverhalten umfangreiche- weder lernförderlichen oder lernbeeinträch-
re Ressourcen zur Verfügung stehen (Bour- tigenden Interaktionen zwischen den Unter-
dieu, 1983). Hattie (2009) berichtet mittel- richts- und den Schülermerkmalen, also der
hohe Effekte des sozioökonomischen Status mehr oder weniger guten Übereinstimmun-
(d = 0.57) und einer intellektuell stimulieren- gen zwischen den individuellen Lernvoraus-
den häuslichen Lernumwelt (d = 0.57) auf die setzungen und den für die Schüler »passen-
schulischen Leistungen. den« unterrichtlichen Methoden und Ver-
Unter den vier Kontextfaktoren des Wal- haltensweisen gibt es auch auf der Ebene der
berg’schen Produktivitätsmodells galt die Kontextvariable. Eine ungünstige häusliche
»häusliche Umwelt« als der bedeutsamste, Lernumgebung, »falsche Freunde« oder ein
beispielhaft charakterisiert durch die elterli- übermäßiger Medienkonsum führen näm-

379
Teil II Lehren

lich nicht bei jedem Kind zu Lern- und Jahren) und die Verfügbarkeit eines Emp-
Leistungsproblemen. fangsgeräts oder einer Spielkonsole im Kin-
Das gilt auch für den Fernsehkonsum, den derzimmer abträglich auf die Entwicklung
einzigen der Walberg’schen Produktivitäts- kognitiver Fertigkeiten und schulischer Leis-
faktoren des häuslichen Umfelds, der negativ tungen auswirken (Borzekowski & Robin-
mit der Schulleistung assoziiert ist, wenn son, 2005; Ennemoser & Schneider, 2007;
auch nur in geringer Höhe (Razel, 2001; Zimmerman & Christakis, 2005; Zimmer-
Rideout & Hamel, 2006; Hattie, 2009). man, Christakis & Meltzoff, 2007). Erklä-
Ignorieren sollte man die korrelativen Be- rend wird in diesem Zusammenhang meist
funde allerdings nicht, vermutlich sind die die sog. Verdrängungshypothese angeführt.
Zusammenhänge ohnehin nicht linear, son- Sie begründet die negativen Wirkungen des
dern komplexerer Natur. Neuere Studien übermäßigen Medienkonsums damit, dass
belegen jedenfalls, dass sich zumindest frü- die Fernsehzeit andere, eher schulbezogene
her hoher Fernsehkonsum (das sind mehr als Aktivitäten verdrängt (Ennemoser, 2008).
zwei Stunden täglich bei Kindern unter drei

Fokus: Unterhaltungsmedien
Studien zum Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Schulleistungen sind meist
korrelativer Natur, so dass unklar bleibt, ob der übermäßige Medienkonsum ursächlich die
schlechteren Schulleistungen nach sich zieht oder ob die Schulversager häufiger zur
Videokonsole greifen, um sich »abzulenken«. Auch ist das Ausmaß des Medienkonsums
mit einer Reihe von familiären Statusmerkmalen konfundiert. Weis und Cerankosky (2010)
haben eine experimentelle Studie durchgeführt und per Zufall 64 Achtjährige in zwei
Gruppen aufgeteilt. Die Kinder der einen Gruppe bekamen eine Spielkonsole mit Spielen
(Sony Playstation II) als Geschenk, die Kinder der anderen Gruppe mussten vier Monate
warten, dann bekamen sie die Konsole ebenfalls. Während dieser Zeit wurden das Spiel-
und Freizeitverhalten aller Kinder und ihre schulische Leistungsentwicklung verfolgt.
Wenig überraschend: Die »Spielkinder« spielten häufiger und öfter (und hatten sich weitere
Spiele gekauft) und ihre Leistungsentwicklung im Lesen und Rechtschreiben war beein-
trächtigt – bis hin zu Schulleistungsproblemen. Die Effekte waren umso deutlicher, je mehr
Zeit mit der Spielkonsole verbracht wurde.
Eine für die Vereinigten Staaten repräsentative Studie (Gentile, 2009) schätzt den Anteil
exzessiver Video-Vielspieler auf etwa 8 % der 8- bis 18-Jährigen. Mit dem pathologischen
Vielspielen gehen oft Aufmerksamkeitsstörungen und schlechtere Schulleistungen einher. In
die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse einer Studie von Sharif und Sargent (2006). Die
Längsschnittstudie von Willoughby (2008) zu den Auswirkungen häufiger Internetnutzung
zeichnet ein differenzierteres Bild: Jungen nutzen das Internet zwar sehr viel häufiger als
Mädchen für Spielaktivitäten, eine »moderate« nicht spielbezogene Nutzungsfrequenz ging
aber durchaus mit einer günstigeren akademischen Entwicklung einher. Allerdings waren
die Jugendlichen, die hier untersucht wurden, bereits in der 9. oder 10. Klassenstufe.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen berichtet anhand eines umfang-
reichen Datensatzes, dass eine intensivere Mediennutzung mit schlechteren Schulleistungen
und niedrigeren Übertrittsempfehlungen am Ende der Grundschuljahre einhergeht. Au-
ßerdem zeigt sich, dass das Geschlecht, die Wohnregion, der Bildungs- und der Migrations-
status mit dem Ausmaß des Medienkonsums assoziiert sind: In Norddeutschland, in

380
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Familien mit geringerem Bildungsniveau und mit Migrationshintergrund wird mehr


ferngesehen und elektronisch gespielt – vor allem von den männlichen Kindern (Pfeiffer
et al., 2007; Baier et al., 2010).

Die Bedeutung der Rahmenbedingungen für Schulerfolgs insgesamt. Über komplexe


das Unterrichtsgeschehen und für den indi- Wirkmechanismen sind die persönlichen
viduellen Lernerfolg lässt sich zusammenfas- Merkmale der Schüler, ihre familiäre Situa-
send durch die plakative Aussage charakte- tion und andere außerschulische Bedingun-
risieren: Alles hängt mit allem zusammen. gen mit den Bedingungen des Unterrichts
Das gilt auch für die Determinanten des und die Schule verbunden.

7.3 Klassenführung und Klassenmanagement

Im vorigen Abschnitt haben wir von Opti- blick über wichtige Prinzipien effizienter
malklassen gesprochen. Unterrichtsforscher Klassenführung. Die konsequente Umset-
benutzen diesen Begriff, wenn sie Schulklas- zung solcher Prinzipien trägt zum Aufbau
sen identifizieren, in denen die schulische und zur Aufrechterhaltung einer lernförder-
Leistungsentwicklung überdurchschnittlich lichen Umgebung bei und hat sich zur Ver-
gut ausfällt, ohne dass die Leistungsstreuung meidung von Unterrichtsstörungen als hilf-
zwischen den Kindern übermäßig groß ist. reich erwiesen.
Lehrkräfte von Optimalklassen unterschei-
den sich von ihren Kolleginnen und Kollegen
hinsichtlich der Effizienz ihrer Klassenfüh- Das Lernen ermöglichen
rung und ihres Klassenmanagements. Ein
wichtiges Ergebnis der bereits erwähnten Fortgesetzte Unterrichtsstörungen gelten als
Metaanalyse von Wang et al. (1993) bezog Hinweis darauf, dass es der Lehrperson nicht
sich auf den Einfluss der Klassenführung: gelingt, in hinreichendem Maße Unterrichts-
Kein anderes Unterrichtsmerkmal war so disziplin herzustellen. Oftmals sind Störun-
stark mit dem Leistungsniveau und dem gen die Folge mangelhafter Klassenführung
Leistungsfortschritt von Schulklassen ver- bzw. unzureichenden Klassenmanagements.
knüpft, wie das Klassenmanagement. Aber Sie stehen in ihrer Häufigkeit und Intensität
was versteht man eigentlich unter Klassen- meist in inverser Beziehung zur effektiven
führung und Klassenmanagement? Und wa- Lernzeit und zu den Leistungen der Schüle-
rum sind sie wichtig für erfolgreiches Leh- rinnen und Schüler (Seidel & Shavelson,
ren? 2007). Ganz allgemein versteht man unter
Diesen beiden Fragen gehen wir im Fol- Klassenführung (Classroom Management)
genden nach. Zunächst werden Empfehlun- jene Aktivitäten der Lehrkräfte, die darauf
gen zur Vereinbarung und erfolgreichen Ein- gerichtet sind, die unterrichtlichen Lernmög-
führung von Regeln vorgestellt, die als Vo- lichkeiten ihrer Schüler zu maximieren.
raussetzungen effizienter Klassenführung
gelten. Anschließend geben wir einen Über-

381
Teil II Lehren

Je mehr Unterrichtszeit für die Reduktion stö- der zentralen Dimensionen guten Unter-
render Aktivitäten verbraucht bzw. verschwen- richts. Denn der Unterricht ist ein komplexes
det wird, desto weniger aktive Lernzeit steht
zur Verfügung. Je häufiger einzelne Schüler im
soziales Geschehen und die Fähigkeit zur
Unterricht anwesend und zugleich geistig ab- Klassenführung im Sinne eines proaktiven
wesend sind, umso weniger können sie lernen. Handelns und gezielten Eingreifens gilt als
Der Klassenführung kommt deshalb eine wichtige Steuerungsleistung.
Schlüsselfunktion im Unterricht zu. (Weinert, Es liegt auf der Hand, dass gutes Klas-
2000 b, S. 15)
senmanagement eine gute Planung und Vor-
Modelle der Unterrichtsqualität, wie z. B. bereitung des Unterrichts selbst voraussetzt.
das im Rahmen des COACTIV-Projekts Gut geplanter und gut vorbereiteter Unter-
zur professionellen Kompetenz von Lehr- richt vermittelt klare Ziele und eindeutige
kräften konzipierte Modell (vgl. Kunter et Anforderungen und optimiert die Nutzbar-
al., 2011) oder Slavins QAIT-Modell (Slavin, keit der Unterrichtszeit für die aktive Aus-
2006), benennen die Klassenführung als eine einandersetzung mit den Lerninhalten.

Definition: Klassenführung und Klassenmanagement


Klassenführung (Classroom Management) meint die »Koordination und Steuerung (des)
komplexen sozialen Geschehens im Klassenzimmer mit dem Ziel, die zur Verfügung
stehende Lernzeit optimal zu nutzen und Zeitverluste durch nicht lernbezogene Aktivitäten
zu vermeiden« (Kunter & Voss, 2011, S. 88). Zu den Methoden und Vorgehensweisen des
Klassenmanagements gehören die Sicherstellung angemessener räumlicher und sächlicher
Strukturen sowie die Anwendung von Regelsystemen und Prinzipien, die eine Maximierung
von Lernzeit im Unterricht ermöglichen, eine fröhliche und effektive Lernumgebung
schaffen und Verhaltensprobleme und andere Störungen möglichst minimieren (Slavin,
2006; Evertson & Weinstein, 2006).

Die Effizienz der Klassenführung gelingt und Shavelson auch, dass der Initiierung und
schulformabhängig offenbar unterschiedlich Unterstützung von Lernaktiviäten ein deut-
gut. Schüler wie auch Lehrer an Hauptschu- lich stärkerer Einfluss auf die Leistungen der
len und an Gesamtschulen berichten häufi- Schüler zukommt als der Klassenführung.
ger von Unterrichtsstörungen und diszipli- Gute Klassenführung allein genügt also nicht
narischen Problemen, als das an Gymnasien – unterstützt aber mittelbar die zielführende
der Fall ist. Empirisch belegt ist auch, dass Ausführung von Lernaktivitäten. Unter-
die Klassenführung eine wichtige Einfluss- richtsstörungen und Disziplinprobleme ge-
größe von Lernfreude und Lernmotivation hen jedoch nicht nur zu Lasten der aktiven
ist, d. h. eine regelhaft strukturierte und Lernzeit der Schüler, sie gehören auch zu den
störungsarme Lernumgebung wirkt sich po- am häufigsten genannten Belastungsfak-
sitiv auf die Lernbereitschaft aus (Kunter & toren für Lehrer.
Voss, 2011). Von einem guten Klassenmanagement
In der Metaanalyse von Seidel und Sha- und einer effizienten Klassenführung ver-
velson (2007) gibt es positive Effekte der spricht man sich zu Recht eine Verringerung
Klassenführung sowohl auf kognitive als von Disziplinproblemen. Dennoch ist ein
auch auf motivational-affektive Erfolgskri- hohes Maß an Disziplin in der Klasse nicht
terien des Lernens. Allerdings zeigen Seidel gleichzusetzen mit effizienter Klassenfüh-

382
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

rung. Die Sicherstellung von Ruhe und Ord- interessanten Lehrmaterials sowie das recht-
nung kann nämlich auf sehr unterschiedliche zeitige und entschiedene Einführen klarer
Weise erreicht werden. »Erzwingt« man sie Verhaltensregeln in der Klasse.
durch ein autoritäres Verhalten, gehen die
Vorteile des gelungenen Klassenmanage-
ments leicht wieder verloren (vgl. Einsiedler, Voraussetzungen effizienter
2000). Als autoritär gilt ein stark reglemen- Klassenführung: Verhaltens-
tierendes, oft auch zurückweisendes Verhal- regeln und -routinen
ten, das ein Hinterfragen oder Begründen
von Regeln und Normen nicht zulässt. Bes- Als Voraussetzung effizienter Klassenfüh-
ser ist ein autoritativer Unterrichtsstil, bei rung und erfolgreichen Klassenmanage-
dem die Lehrkraft zwar ebenfalls feste Re- ments gilt die frühzeitige und konsequente
geln und Normen vorgibt, diese jedoch er- Einführung von Regeln und Routinen für
klärt und begründet, mit dem Ziel, die das Verhalten in der Klasse. Routinen sind
Schüler von der Nützlichkeit der Regeln spezifische Verhaltensmuster für immer wie-
zu überzeugen. derkehrende Situationen, wie etwa das Aus-
Helmke und Renkl (1993) haben berich- teilen und Einsammeln von Materialien, das
tet, dass das Aufmerksamkeitsniveau in ei- Wann und Wie des Redens im Unterricht
ner Grundschulklasse weniger von den in- oder das geordnete Verhalten beim Verlassen
dividuellen Schülermerkmalen abzuhängen des Klassenraums. Routinen sind selten
scheint, als vielmehr von der Art der Klas- schriftlich festgelegt, dennoch kann es
senführung. Wie Nolting (2002) jedoch zu ohne sie keine effiziente Klassenführung ge-
Recht betont, sind die entsprechenden Ver- ben.
haltensweisen der Lehrpersonen nicht nur Claire Weinstein (2003; Weinstein & Mi-
Ausdruck ihrer Persönlichkeit und ihrer gnano, 2003) erachtet für das Klassenma-
Führungskompetenzen, sondern auch die nagement im Primar- und Sekundarbereich
Folge von Notwendigkeiten und wechselsei- die folgenden Arten von Routinen als not-
tigen Lehrer-Schüler-Interaktionen. wendig:
Helmke (2003) hat darauf hingewiesen,
dass sich die Unterscheidung zwischen »Dis- ● Verwaltungsroutinen, die sich z. B. auf die
ziplin« und »effizienter Klassenführung« unterrichtliche Anwesenheitspflicht be-
offenkundig erst mit zunehmender Berufs- ziehen
erfahrung der Lehrkräfte herausbildet. Bei ● Mobilitätsroutinen, die sich z. B. darauf
Befragungen von Berufsanfängern und er- beziehen, wie und wann das Klassenzim-
fahrenen Lehrkräften zur Bedeutsamkeit des mer während des Unterrichts verlassen
Themas Klassenführung für den eigenen werden darf
Unterricht zeigte sich, dass Berufsanfänger ● Routinen für das Beginnen und Beenden
zwischen »effizienter Klassenführung« und einer Unterrichtsstunde, wie z. B. das
»Disziplin« kaum unterschieden: Klassen- Überprüfen oder Erteilen von Hausauf-
führung bedeutet für sie, die Schüler unter gaben
Kontrolle zu haben und klar zu machen, wer ● Routinen der Lehrer-Schüler-Interaktion,
»der Chef« in der Klasse ist. Bei den Ant- die sich z. B. auf die Art des Fragestellens
worten der berufserfahrenen Lehrkräfte im Unterricht oder auf das Anzeigen von
kam der Begriff »Disziplin« dagegen kaum Hilfsbedürftigkeit beziehen
vor. Unter Klassenführung subsumierten sie ● Routinen der Kommunikation zwischen
vor allem das sorgfältige und rechtzeitige Schülern, die die Zulässigkeit und Er-
Planen der Unterrichtsstunde, die Auswahl wünschtheit von Schüler-Schüler-Inter-

383
Teil II Lehren

aktionen während des Unterrichts be- Routinen. Häufig werden sie sogar schrift-
schreiben. lich festgehalten, den Schülern und gelegent-
lich auch den Eltern ausgehändigt oder auf
Wie solche Routinen im Einzelnen aussehen, eine andere Weise bekannt gemacht. McPhil-
ist natürlich von der Jahrgangsstufe und von limy (1996) schlägt vor, drei Metaregeln bei
anderen Besonderheiten der jeweiligen Klas- der Einführung von Regeln zu beachten: (a)
se abhängig. Es sollten so wenig Regeln wie möglich
Im Unterschied zu diesen spezifischen eingeführt werden, (b) diese sollten so ein-
Verhaltensmustern spricht man von Regeln, sichtig wie möglich sein, und (c) Regeln
wenn es um allgemeine Standards des Ver- sollten möglichst positiv formuliert sein.
haltens geht. Üblicherweise existieren für ein Die zur effizienten Klassenführung vor-
erfolgreiches Klassenmanagement mehr geschlagenen Regeln beziehen sich meist
Routinen als Regeln. Dafür sind die Regeln auf allgemeine Normen des Miteinanders
sehr viel expliziter und verbindlicher als die in der Schule.

Beispiel: Verhaltensregeln einer Gesamtschule


● Das Schulgelände wird von uns gepflegt und sauber gehalten.
● Es darf niemand verletzt werden. Deshalb dürfen Streitigkeiten nicht durch Treten,
Schlagen, Beißen oder durch Beschimpfungen ausgetragen werden.
● Das Werfen von Schneebällen ist nicht erlaubt.
● Essen und Trinken, Kaugummi kauen und Bonbons lutschen sind während des Unter-
richts nicht erlaubt.
● Der Unterricht beginnt um 7.45 Uhr. Damit er pünktlich beginnen kann, sind alle Schüler
um 7.40 Uhr im Klassenraum.
● In den Pausen muss den Anweisungen der Aufsicht führenden Lehrer gefolgt werden.
● Der Gebrauch und das sichtbare Mitführen von elektronischen Geräten ist auf dem
Schulgelände nicht erlaubt.
● Mobiltelefone müssen auf dem Schulgelände ausgeschaltet sein.

Entscheidend dafür, ob die Einführung von rern zu beobachten, die vom ersten Schultag
Routinen und Regeln gelingt und damit das an die wichtigsten Verhaltensregeln kon-
für ein gelungenes Klassenmanagement cha- sequent eingeführt und ihre Umsetzung bei-
rakteristische Lernklima in einer Klasse ent- spielhaft modelliert hatten. Besonders rei-
stehen kann, ist deren frühzeitige und kon- bungslos verlief der Unterricht, wenn zusätz-
sequente Einführung. Das Adjektiv »früh- lich auch die (günstigen) Konsequenzen für
zeitig« ist dabei wörtlich gemeint. Bereits die regelkonformes und die Sanktionen für re-
ersten Tage und Wochen eines Schuljahres – gelwidriges Verhalten von Anfang an deut-
insbesondere wenn die Lehrkraft eine Klasse lich gemacht worden waren. Lehrkräfte, die
neu übernimmt – sind entscheidend. Das sowohl frühzeitig als auch konsequent Re-
belegt beispielsweise eine Untersuchung geln und Routinen eingeführt hatten, konn-
von Emmer, Evertson und Anderson (1980) ten sich im Unterricht viel besser auf die
in 28 Klassen des 3. Schuljahres. Ein rei- eigentlichen Lernaktivitäten konzentrieren.
bungsloser Unterrichtsverlauf mit hohen Sie konnten Aufgabenstellungen leichter er-
Anteilen aktiver Lernzeit war bei jenen Leh- läutern, wo nötig Korrekturen und Wieder-

384
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

holungen anbringen sowie differenziertere noch tolerierten Abweichens von den Regeln
Rückmeldungen geben. Disziplinprobleme, auszuloten.
die Sanktionsandrohungen nach sich zogen,
spielten bei ihnen keine große Rolle.
Beispiel: Reflexion über einen
Regelverstoß
Fokus: Wenn Regeln nicht
Max (12) hat während des Unterrichts
eingehalten werden
mit Krampen geschossen, das sind kleine
Weinstein und Mignano (2003) beobach- Papierkugeln, die über ein zwischen Dau-
teten das Verhalten von vier berufserfah- men und Zeigefinder gespanntes Gummi-
renen und besonders erfolgreichen Pri- band auf ein Ziel – meist einen Mitschüler
marschullehrern. Auch sie hatten gele- – katapultiert werden. Um Einsicht über
gentlich mit Regelverletzungen im Unter- sein Fehlverhalten zu bewirken, soll er
richt zu tun. Die von ihnen bevorzugten sich schriftlich mit der Gefährlichkeit
Sanktionen lassen sich den folgenden seines Tuns auseinandersetzen. Max lie-
Kategorien zuordnen: fert die folgende schriftliche Reflexion ab:
»Die Krampe kann einem Kind ins
● Die eigene Enttäuschung zum Aus-
Auge fliegen und das Kind kann dann
druck bringen
vielleicht nicht mehr so gut sehen. Es
● Privilegien entziehen
kann auch passieren, dass das Kind blind
● Schüler kurzzeitig aus der Lerngruppe
werden kann. Die Krampe kann auch
ausschließen
einem Menschen ins Ohr fliegen und
● Eine schriftlich abgefasste Reflexion
das ist unangenehm. Ich habe schon
über die begangene Regelverletzung
mal eine Krampe an die Nase bekommen
einfordern
und das war sehr unangenehm. Die
● Schüler nach der Schulstunde zum Ge-
Krampe ist überhaupt eigentlich schon
spräch einbestellen
ganz schön gefährlich. Und wenn man
● Die Schulleitung informieren
im Fachunterricht einfach in die Klasse
● Kontaktaufnahme mit den Eltern
hinein schießt, dann stört das auch die
Lehrer und andere Kinder. Und ich hoffe,
ich bekomme nicht noch mal so eine
Nolting (2002) hat darauf hingewiesen, dass Strafarbeit von einem Lehrer auf«.
das frühzeitige Einführen von Regeln nicht
notwendigerweise bedeutet, dass alle Regeln
und Routinen gleichzeitig eingeführt werden Effiziente Klassenführung umfasst aber
sollten. Das gleichzeitige Einführen von sehr nicht nur den angemessenen Umgang mit
vielen Regeln kann nämlich leicht zur Über- Störungen und die frühzeitige Einführung
forderung führen. Außerdem erfordert ein von Regeln und Routinen, sondern auch
konsequentes Einführen von Regeln, dass ein geschicktes Management der verfüg-
die Lehrkraft durch ihr eigenes Handeln baren Lernzeit. Hierunter versteht man
zeigt, dass sie die eingeführten Regeln selbst eine klare Vorstrukturierung des Unterrichts
ernst nimmt. Nimmt man nämlich von Ver- und realistische Zielsetzungen, um zu einer
letzungen fest geregelter Verhaltensmuster optimalen Nutzung der verfügbaren Unter-
keine Notiz, dann ist der notwendige Grad richtszeit zu gelangen – also ein Maximum
an Konsequenz nicht erfüllt. Schüler nehmen an Zeit für die aktive Auseinandersetzung
dies nicht selten zum Anlass, die Grenzen des mit den Lerninhalten zu gewährleisten
(Helmke & Weinert, 1997; Seidel, 2009).

385
Teil II Lehren

Prinzipien effizienter Tageszeitung las, statt aufmerksam den Aus-


Klassenführung führungen zu folgen. Die Rüge bewirkte
mehr, als er geahnt hatte. Nicht nur führte
sie dazu, dass der Gescholtene seine Zeitung
Empirische Forschung zum erfolgreichen zur Seite legte. Vielmehr gab es eine Art
Klassenmanagement ist bereits in den Welleneffekt – die Rüge schien sich auch
1970er und 1980er Jahren in den USA auf das Verhalten der nicht gerügten Studie-
durchgeführt worden. Im deutschsprachigen renden im Hörsaal auszuwirken: Es wurde
Raum ist das Thema Klassenmanagement schlagartig still im Raum, das Flüstern unter-
und Klassenführung empirisch weitgehend einander wurde eingestellt, Seitenblicke un-
unbearbeitet geblieben. Helmke (2003, terblieben, die Augen wandten sich vom
S. 82) stellt sogar die These auf, dass es Lehrer ab und die Studierenden vergruben
sich bei der Klassenführung in Deutschland sich in ihren Mitschriften. Dass eine solche
geradezu um ein »Tabuthema« handele. Stimmung nicht gerade lernförderlich ist,
Dabei ist seine praktische Bedeutsamkeit leuchtete Kounin unmittelbar ein. Er begann
keineswegs zu übersehen. Erst mit der Re- mit einer Serie empirischer Untersuchungen
zeption der aus deutscher Sicht unbefriedi- zu der Frage, welche Arten von Interventio-
genden Ergebnisse der internationalen nen sich auf den Unterrichtsfluss und auf das
Schulleistungsstudien wie PISA, TIMSS aktive Lernen in der Klasse günstiger aus-
und IGLU wurde das Thema auch in wirken würden. Die mehrjährigen For-
Deutschland aufgegriffen, so in der bereits schungsbemühungen blieben zunächst
erwähnten COACTIV-Studie (Kunter et al., ohne befriedigendes Resultat. Dies änderte
2011). sich erst, als Kounin die Perspektive wech-
Unsere Ausführungen zum frühzeitigen selte und im Rahmen von groß angelegten
und konsequenten Einführen von Regeln Videostudien der sachlogisch vorgeordneten
haben bereits deutlich gemacht, dass eine Frage nachging, worin sich Lehrkräfte von
effiziente Klassenführung vorrangig auf dem Klassen mit einem hohen Ausmaß an aktiver
Prinzip der Prävention basiert, d. h. auf einer Lernzeit und einer geringen Störungsrate
proaktiven und präventiven Steuerungsleis- von solchen unterschieden, die über Diszip-
tung der Lehrkräfte (Kounin, 1970). Vor- linprobleme klagten.
beugend wird so verhindert, dass etwas Aus solchen Rekonstruktionen erfolgrei-
»anbrennt«, so dass man nicht erst dann chen Klassenmanagements leitete Kounin
handeln muss, wenn es bereits »brennt«. Die (1970) Grundsätze effizienter Klassenfüh-
frühen Forschungen von Jacob Kounin rung ab, die sich vier übergeordneten Prin-
(1970; deutsch 1976, Nachdruck 2006) ha- zipien zuordnen lassen: (1) der Allgegenwär-
ben die Bedeutsamkeit des Einhaltens prä- tigkeit der Lehrkraft, (2) der Reibungslosig-
ventiver Prinzipien für die Aufrechterhal- keit des Unterrichtsablaufs, (3) der Aufrecht-
tung störungsfreien Unterrichts eindrücklich erhaltung des Gruppenfokus und (4) der
belegt. Dabei war Kounin ursprünglich der Überdrussvermeidung. Ursprünglich hatte
Frage nachgegangen, was denn die wirk- er auch noch das Prinzip der Disziplinierung,
samsten Interventionsmaßnahmen beim unterteilt in die drei Aspekte Klarheit, Festig-
Auftreten von Unterrichtsstörungen seien – keit und Härte, benannt; diese Verhaltens-
was also zu tun wäre, wenn schon etwas muster zeigten jedoch keine systematischen
angebrannt ist. Ein Erlebnis in seiner eigenen Effekte auf das Lern- und Arbeitsverhalten
Vorlesung hatte ihn zu dieser Fragestellung der Schüler.
gebracht: Kounin hatte einen Studenten ge- Auch wenn die im Folgenden näher be-
rügt, der während der Vorlesung in der schriebenen Prinzipien nicht immer begriff-

386
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

lich klar von der zugleich verwendeten Un-


terrichtsmethodik abzugrenzen sind, gelten Fokus: Allgegenwärtigkeit
sie bis heute als die Hauptmerkmale für eine Fetsco und McClure (2005, S. 322 ff)
effiziente Klassenführung. haben einige Techniken aufgeführt, die
geeignet sind, den Eindruck der Allgegen-
Allgegenwärtigkeit. Streng genommen ist die wärtigkeit zu erhöhen:
Allgegenwart der Lehrkraft natürlich eine an
Allmachtsphantasien erinnernde Fiktion.
● Regelmäßig den Klassenraum mit den
Auch ein noch so erfahrener und versierter Augen forschend absuchen und nicht
Lehrer kann nicht wirklich immer über alles zu lange einen einzelnen Schüler fokus-
im Bilde sein, was in der Unterrichtsstunde sieren
oder gar in der Klasse insgesamt, also auch
● Im Unterricht stehen anstatt zu sitzen
vor und nach dem Unterricht, abläuft. Den- und dabei Positionen einnehmen, aus
noch wird diese Fiktion leicht zur subjekti- denen heraus der gesamte Klassenraum
ven Realität, nämlich dann, wenn eine Lehr- überblickt werden kann
kraft bei den Schülern den Eindruck er-
● In Phasen der Gruppenarbeit durch den
weckt, jederzeit über alles, was in der Klasse Raum wandern und die Aktivitäten
geschieht, genau Bescheid zu wissen. Diese überwachen
erste Dimension effizienter Klassenführung
● Darauf achten, dass die Sicht auf die
wird von Kounin (1970) durch zwei Kom- ganze Klasse nicht blockiert wird
petenzen des Lehrenden näher umschrieben,
die er als Präsenz (Withitness) und Über-
lappung (Overlapping) bezeichnet. Präsenz Reibungsloser Unterrichtsablauf. In jedem
bedeutet, dass die Lehrkraft alle Aktivitäten Unterricht kommt es notwendigerweise zu
der Schüler im Blick hat und so bei aufkei- Übergängen zwischen verschiedenen Pha-
menden Störungen in der Lage ist, rechtzeitig sen, Aktivitäten oder wechselnden Anforde-
und präventiv einzugreifen. Das geht so weit, rungen. Erfolgreiches Klassenmanagement
dass die Unterrichteten das Gefühl haben, ist nun dadurch charakterisiert, dass die
die Lehrperson habe auch im Rücken Augen Unterrichtsdynamik auch bei solchen Über-
und Ohren. Dieser Eindruck wird vermittelt, gängen erhalten bleibt und dass Verzögerun-
indem Störungen und heikle Entwicklungen gen im Unterrichtsfluss möglichst vermieden
nicht geflissentlich übersehen und schon gar werden. Kounin (1970) benennt zwei Merk-
nicht ignoriert werden. Mit Überlappung ist male gelungener Klassenführung, mit denen
die Kompetenz der Lehrperson gemeint, sich dies erreichen lässt, nämlich den
mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Gelingt Schwung (Momentum) und die Geschmei-
es, sich einem spezifischen Verhaltenspro- digkeit (Smoothness). Um den Schwung auf-
blem zu widmen, ohne gleichzeitig die Über- recht zu erhalten, dürfen zufällige und un-
sicht und Kontrolle über die gesamte Klasse wichtige Unterbrechungen keine große Auf-
zu verlieren, dann stärkt auch das den sub- merksamkeit erhalten. Zu den typischen
jektiven Eindruck, dass der Lehrer allgegen- Verstößen gegen das Prinzip des Unterrichts-
wärtig sei. Die Folge ist, dass es wenig Anlass schwungs gehören z. B. abschweifende Aus-
gibt, die Kompetenzen der Lehrperson durch führungen und das Problematisieren von
Störmanöver weiter auszuloten oder in Fra- Nebensächlichkeiten und Kleinigkeiten.
ge zu stellen. Das Vermeiden unnötiger Unterbrechungen
ist also die oberste Maxime für das Prinzip
der Schwungerhaltung. Die Geschmeidigkeit
des Unterrichts wird durch Sprunghaftigkei-

387
Teil II Lehren

ten (wie z. B. durch einen abrupten Themen- von den Schülern subjektiv wahrgenommene
wechsel) und durch Inkohärenzen (wie z. B. Wichtigkeit der Leistung an und damit auch
durch sachlogische Brüche oder durch sach- das Gefühl einer Verantwortlichkeit für die
liche Fehler) gefährdet. Die allgemeine eigene Leistung.
Faustregel zur Aufrechterhaltung der Ge-
schmeidigkeit lautet also: Vermeide thema- Überdrussvermeidung. Langeweile ist der
tische Sprünge. Feind aktiven Lernens; sie entzieht die motiva-
tionale Grundlage für erfolgreiches Lernen.
Kounin (1970) weist darauf hin, dass sich
Fokus: Wie man es nicht machen soll –
Überdruss am besten durch Abwechslung und
Reibungsverluste im Unterricht
durch eine anregende intellektuelle Heraus-
(nach Nolting, 2002)
forderung vermeiden lässt – ohne dabei zu
● Während einer Rechenübung ermahnt überfordern. Abwechslungen können auf
der Lehrer einen Schüler, aufrecht zu sehr unterschiedliche Weise realisiert werden,
sitzen und demonstriert, wie man rich- so z. B. durch die Variation der Aufgaben-
tig sitzt. schwierigkeit, durch den Wechsel der Inhalte
● Mitten in die Stillarbeitsphase einer oder der geforderten Lernaktivität. Zügige
Unterrichtsstunde hinein fragt die Leh- und stimulierende Überleitungen in neue Un-
rerin unvermittelt, ob jemand wisse, terrichtsphasen dienen nicht nur der Auf-
warum Dennis heute fehle. rechterhaltung eines reibungslosen Unter-
● Während eines Unterrichtsgesprächs richts (s. o.), sondern darüber hinaus der Un-
entdeckt der Lehrer ein Abfallpapier terbindung von Überdruss und Langeweile.
auf dem Boden und macht zu dieser Die in diesem Abschnitt zusammengetra-
Beobachtung einige grundsätzliche Be- genen Facetten sollten deutlich machen, dass
merkungen. die Einführung von Regeln und Routinen
und das Prinzip der Prävention mit den von
Kounin benannten Dimensionen wichtige
Aufrechterhaltung des Gruppenfokus. Schul- Elemente sind, aus denen sich ein gelungenes
unterricht erfolgt in der Regel in der Gruppe. Klassenmanagement zusammensetzt. In
Gute Klassenführung hat also zum Ziel, nicht Deutschland wurde dieses Thema lange
nur einzelne, sondern möglichst viele Schüler Zeit ausgespart, vermutlich deshalb, weil
zu aktivieren. Kounins (1970) Analysen er- der Begriff der Klassenführung negative As-
gaben, dass hierzu vor allem zwei Aspekte soziationen zu Begriffen wie »Recht und
beitragen, nämlich die Stimulierung einer Ordnung« oder »Autoritarismus« hervor-
breiten Aufmerksamkeit in der Klasse (Group rufen könnte. Beschäftigt man sich jedoch
Alerting) und die Zuweisung der Leistungs- mit der Frage der Unterrichtsgestaltung un-
verantwortlichkeit an die ganze Klasse (Ac- ter der Perspektive des »erfolgreichen« Leh-
countability). Der Gruppenfokus wird be- rens (䉴 Kap. 6), kommt man an dem Thema
sonders von der Art und Weise beeinflusst, Klassenführung und Klassenmanagement
wie neue Themen eingeführt und wie Leis- nicht vorbei. In der COACTIV-Studie wird
tungskontrollen realisiert werden. Müssen die Qualität der Klassenführung sogar als
alle Schüler ständig damit rechnen, im Ver- eine von drei Tiefenstrukturen des Unter-
lauf einer Stunde befragt zu werden, erhöht richts bezeichnet – mit nachweislichen Ef-
dies das Aufmerksamkeitsniveau in der Klas- fekten auf die Leistungsentwicklung der
se. Zeigt der Lehrer verbindlich an, dass er die Schüler (Kunter & Voss, 2011; vgl. auch
Leistungsnachweise (Hausaufgaben, Heft- Seidel & Shavelson, 2007). Erfolgreich ist
einträge) kontrollieren wird, so steigt die Lehren nur dann, wenn gut gelernt wird.

388
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Fokus: Wenn Prävention versagt


Levin und Nolan (2000) empfehlen eine Reihe einfacher Techniken, um störendes Verhalten
schnell zu unterbinden:
● Blickkontakt aufnehmen oder dicht an den Störenfried herantreten
● Verbal beiläufig intervenieren, z. B. durch das namentliche Benennen des betreffenden
Schülers – ohne den Unterrichtsfluss zu unterbrechen
● Den Störenfried fragen, ob er sich über die negativen Konsequenzen seines Verhaltens im
Klaren ist
● An die vereinbarten Regeln erinnern (und die vereinbarten Konsequenzen in Erinnerung
rufen)
● Den Störenden auffordern, die vereinbarten Routinen oder Regeln zu benennen und
ihnen Folge zu leisten
● Den Störenden unmissverständlich auffordern, seine Störung zu unterlassen
● Eine Wahlalternative anbieten (z. B. »Du hast jetzt die Wahl. Unterlasse das Reinrufen von
Antworten und melde Dich, wenn Du eine Antwort weißt, oder setze dich in eine Ecke des
Klassenraumes und wir beide diskutieren später über dein Verhalten!«)

Dies wird wahrscheinlichster, wenn es Lern- Genau dies wird durch gutes Klassenmana-
umgebungen gibt, die einen möglichst hohen gement und effiziente Klassenführung er-
Prozentsatz an aktiver Lernzeit sicherstellen. reicht.

7.4 Beurteilen und Bewerten schulischer Leistungen

Zu den alltäglichen Anforderungen an Un- Die Besorgnis, dass es mit der Angemessen-
terrichtende gehört es, Leistungen zu beur- heit und Fairness der Leistungsbeurteilungen
teilen und zu bewerten. Das summative von Lehrkräften nicht zum Besten bestellt
(abschließende) Benoten ist die bekannteste sei, hat eine lange Tradition. Verstärkt wurde
Beurteilungsaufgabe von Lehrkräften. Da- diese Sorge durch die Ergebnisse empirischer
rüber hinaus sind aber unterrichtsbegleitend Untersuchungen zur Beurteiler-Übereinstim-
fortlaufend weitere Leistungsbeurteilungen mung. Dabei zeigte sich, dass die Benotung
vorzunehmen, die die Grundlage für die von Aufsätzen – aber auch von Klausuren in
weitere Unterrichtsgestaltung und zur Opti- den naturwissenschaftlichen Fächern –
mierung von Lehr-Lern-Prozessen bilden. durch unterschiedliche Fachlehrer nicht son-
All diese Tätigkeiten des Beurteilens und derlich gut übereinstimmte. Die Vermutung,
Bewertens fasst man unter dem Begriff des dass Voreinstellungen und Erwartungen die
Diagnostizierens zusammen. Neben einer Urteilsgüte beeinträchtigen, wurde z. B.
effizienten Klassenführung zählt die diag- durch die Befunde einer Untersuchung von
nostische Expertise zu den basalen Kom- Weiss (1965) bestätigt. Weiss legte einer
petenzen, die professionell Lehrende benö- Gruppe von Deutschlehrern den Aufsatz
tigen (Weinert, 2001 a, 2001 c). eines Schülers vor mit der Bitte, für diesen

389
Teil II Lehren

Aufsatz eine Note vorzuschlagen. Einigen sen Vater Redakteur einer großen Tageszei-
Lehrern wurde beiläufig mitgeteilt, es han- tung sei. Die Lehrer der zweiten Gruppe
dele sich um einen eher durchschnittlich benoteten die Aufsatzleistung insgesamt bes-
begabten Schüler. Den anderen wurde der ser, selbst im Hinblick auf vergleichsweise
Hinweis gegeben, es handele sich um einen gut objektivierbare Teilkomponenten des
sprachlich besonders begabten Schüler, des- Aufsatzes, wie die Rechtschreibung.

Fokus: Erwartungseffekte
Ovid berichtet, dass sich der zyprische Stadtkönig und Bildhauer Pygmalion eine wun-
derschöne Frauenstatue geschaffen hatte, in die er sich unsterblich verliebte. Er wünschte
sich nichts sehnlicher, als dass die Statue »aufblühe« und zum Leben erweckt werde, damit
er sie ehelichen könnte. Die Götter hatten ein Einsehen – und die sehnliche Erwartung des
Pygmalion und alle seine Wünsche wurden Wirklichkeit.
Der Sozialpsychologe Robert Rosenthal und die Schulleiterin Leonore Jacobsen (1968)
berichteten vom »Aufblühen« von Schulkindern aufgrund einer entsprechend induzierten
Leistungserwartung ihrer Lehrer. In Anlehnung an Pygmalions Geschichte haben sie das
Phänomen als Pygmalion-Effekt im Unterricht bezeichnet. In mehreren Klassen einer
Grundschule hatten die Forscher einen Intelligenztest durchgeführt, vorgeblich mit dem
Ziel, die weitere Leistungsentwicklung der Kinder vorherzusagen. Im Anschluss wurden
den Lehrern einige dieser Schüler als vermeintlich Hochbegabte namentlich benannt – für
sie sei ein besonders deutlicher Leistungsfortschritt im nächsten Schuljahr zu erwarten.
Tatsächlich waren diese Schüler aber per Zufall ausgewählt worden. Dennoch erzielten sie
am Ende des Schuljahres im Mittel bessere Leistungswerte als die Schüler mit objektiv
gleichen ursprünglichen Testwerten, die den Lehrern nicht als besonders begabt benannt
worden waren.
Was war passiert? Die Lehrer gingen mit den vermeintlich Hochbegabten freundlicher
und nachsichtiger um und sie gaben ihnen vermehrt Gelegenheit, sich am Unterricht zu
beteiligen (zu einer umfassenden Darstellung und Diskussion vgl. Rosenthal, 1991; Ludwig,
2001).

Auch aus den Ergebnissen der ersten PISA- Hauptschülern, deren tatsächlich gemessene
Studie im Jahre 2000 lässt sich folgern, dass Lesekompetenz noch unterhalb der basalen
es um die diagnostische Kompetenz von Lesekompetenzstufe 1 lag, wurde aber nur
Lehrkräften nicht immer gut bestellt ist. jeder Zehnte von den Lehrern als zur Risi-
Die Lehrer der an der PISA-Studie beteiligten kogruppe gehörig eingestuft.
Hauptschulen wurden nämlich gebeten, jene Auch wenn die aufgeführten Befunde
Schüler zu nennen, »deren Lesefähigkeit so keineswegs zu der Schlussfolgerung verfüh-
gering ausgeprägt ist, dass sie sich als ernst- ren sollten, die diagnostischen Kompetenzen
haftes Problem beim Übergang ins Berufs- von Lehrkräften seien durchwegs mangel-
leben erweisen wird . . . [weil sie] deutlich haft, so machen sie doch deutlich, wie
unterhalb der Lesefähigkeit gleichaltriger schwierig das zutreffende und zuverlässige
Schülerinnen und Schüler derselben Schul- Beurteilen und Bewerten von Schulleistun-
form [liegt]« (Artelt, Stanat, Schneider & gen sein kann. In diesem Abschnitt werden
Schiefele, 2001, S. 119). Von den etwa 23 % wir über wichtige Grundlagen einer profes-

390
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

sionellen Leistungsdiagnostik in Schule und Diagnose und Prognose


Unterricht informieren. Zunächst werden
die grundlegenden Begriffe der Diagnose
und Prognose erläutert, um anschließend Auf den ersten Blick ist jede Beurteilung und
auf zentrale Themenbereiche im Zusammen- Bewertung der Leistungen von Schülern eine
hang mit der Beurteilung und Bewertung Diagnose. Der griechische Ursprung des
schulischer Leistung einzugehen. Da stan- Wortes Diagnose bedeutet so viel wie »eine
dardisierte Schulleistungstests in jüngerer unterscheidende, zusammenfassende Beur-
Zeit im deutschen Sprachraum sehr an Be- teilung«. Es geht also um eine Bewertung
deutung gewonnen haben, wird auch er- bisher erbrachter Leistungen. Für eine Di-
klärt, was standardisierte Tests eigentlich agnose ist die Vorgabe eines Unterschei-
sind, wozu sie benötigt werden, welche Kon- dungskatalogs, eines Kategorien- bzw. sons-
struktionsprinzipien ihnen zugrunde liegen tigen Klassifikationssystems erforderlich.
und wie die Testwerte zu interpretieren sind. Das am meisten verbreitete Klassifikations-
Es gibt eine Reihe von Gütekriterien, die an system im Kontext von Schule und Unter-
diagnostische Urteile anzulegen sind, damit richt sind Zensuren. Die Bewertung einer
sie als angemessen und fair gelten können. erbrachten Leistung durch die Vergabe einer
Deshalb erläutern wir diese Gütekriterien Zensur ist eine Diagnose im Sinne einer
und ihre Relevanz für das tägliche Urteils- Schlussfolgerung über den erreichten Leis-
verhalten von Lehrern. Des Weiteren geht es tungsstand auf der Grundlage des gezeigten
in diesem Abschnitt um die unterschied- Leistungsverhaltens und der für die Jahr-
lichen Bezugsnormen, an denen sich Leis- gangsstufe definierten Leistungserwartung.
tungsbeurteilungen orientieren. Die bloße In der schulischen Praxis sind Leistungs-
Feststellung oder Messung einer Leistung bewertungen jedoch häufig weit mehr als
ist lediglich die Voraussetzung dafür, eine eine Schlussfolgerung über das bisher ge-
Leistungsbewertung vornehmen zu können. zeigte Lern- und Leistungsverhalten. Oft-
Erst der Vergleich einer Leistungsfeststellung mals haben Beurteilungen und Zensuren
mit einer Norm oder mit einem Standard auch die Funktion, die Eignung eines Schü-
macht deutlich, ob es sich um eine gute oder lers etwa für bestimmte weiterführende Bil-
um eine weniger gute Leistung handelt. Des dungsgänge abzuschätzen. Aus der Diagno-
Weiteren wird thematisiert, wie es um die se eines bisher erreichten Leistungsniveaus
Genauigkeit von Leistungsbeurteilungen wird somit eine Prognose über zukünftig
steht. Es gibt unterschiedliche Komponenten erreichbare Lernziele (wie z. B. bei der Über-
der Urteilsgenauigkeit und typische Fehler- trittsempfehlung am Ende der Grundschul-
quellen, die die Genauigkeit von Leistungs- jahre).
beurteilungen beeinträchtigen. Schließlich Eine kompetente diagnostische Beurtei-
geht es auch um die Wirkungen von Lehrer- lung der bisher gezeigten schulischen Leis-
urteilen, denn den Bewertungen und Leis- tungen hat sich in den meisten Fällen durch-
tungsrückmeldungen kommt eine große Be- aus als angemessene Grundlage für eine
deutung für das künftige Lern- und Leis- prognostische Entscheidung erwiesen. Aus
tungsverhalten der Schülerinnen und Schüler der Expertiseforschung, aus den Studien
zu. zum kumulativen Lernen und aus den Stu-
dien zur Vorhersage schulischer und aka-
demischer Leistungen wissen wir: Die besten
Prädiktoren für zukünftige Leistungen sind
die vergangenen Leistungen (Helmke &
Weinert, 1997 a).

391
Teil II Lehren

Definition: Diagnose und Prognose


Unter Diagnose versteht man die bewertende Schlussfolgerung über eine Person (gele-
gentlich auch über eine Sache oder Institution) im Rahmen eines vorgegebenen Klassifi-
kationssystems. Eine gute Diagnose ist das Ergebnis eines systematischen Sammelns und
Aufbereitens von Informationen mit dem Ziel, eine diagnostische Schlussfolgerung zu
begründen und zu optimieren. Den gesamten Prozess nennt man Diagnostizieren.
Auch der Prognose liegt ein Prozess des Diagnostizierens zugrunde. Eine Prognose wird
sich allerdings erst in der Zukunft als zutreffend oder verfehlt erweisen, denn bei Prognosen
geht es stets um die Vorhersage bzw. Einschätzung einer zukünftigen Entwicklung von
Personen oder Sachverhalten.

Über die Qualität von Diagnosen und Pro- Was sind standardisierte Tests?
gnosen entscheidet der Prozess des Diagnos-
tizierens. Es verwundert daher nicht, dass die Im Sprachgebrauch hat es sich eingebürgert,
Fähigkeit zur vielseitigen, gerechten und ef- Leistungsüberprüfungen als Tests zu be-
fizienten Überprüfung von Schulleistungen zeichnen. So kündigt der Lehrer am Ende
zu den Kernkompetenzen pädagogischen einer curricularen Einheit an: »Morgen
Handelns gerechnet wird (Oser, 2004). schreiben wir einen kleinen Test, damit ich
Aber wie lässt sich die Qualität dieses Di- sehe, ob ihr das Thema verstanden habt«.
agnostizierens sichern? Pädagogische Psy- Bei einem solchen Test handelt es sich streng
chologen sind davon überzeugt, dass im genommen um eine Leistungsprobe, die sich
Hinblick auf die Qualitätssicherung von Di- unmittelbar auf den Stoff des vorausgegan-
agnosen die Bereitstellung geeigneter diag- genen Unterricht bezieht. Gewinnen die
nostischer Werkzeuge eine ganz entscheiden- Schüler den Eindruck, dass die Aufgaben
de Voraussetzung ist. Wie an den zahlreichen der Leistungsprobe nicht viel mit den Inhal-
Bänden der Reihe Tests und Trends. Jahr- ten des Unterrichts zu tun haben oder ent-
buch der pädagogisch-psychologischen Di- schließt sich der Lehrer gar, unterschiedli-
agnostik zu ersehen ist, gibt es mittlerweile chen Schülern unterschiedliche Aufgaben
für nahezu alle schulische Leistungsbereiche vorzulegen, dann entsteht bisweilen der Ein-
und für die meisten individuellen Lern- druck, die Leistungsprobe sei nicht »fair«.
voraussetzungen bewährte diagnostische Der Erfolg des Einzelnen bei einer solchen
Testverfahren, die den Prozess des unterricht- Leistungsprobe hängt übrigens nicht nur
lichen Diagnostizierens entscheidend verbes- davon ab, ob die Inhalte der letzten curri-
sern helfen. Im Folgenden wird auf die Prin- cularen Einheit verstanden und behalten
zipien der Konstruktion und den Nutzen wurden, sondern auch von einer Reihe an-
solcher Tests eingegangen sowie auf die In- derer Faktoren. Haben die Prüfaufgaben nur
terpretation von Testergebnissen. Standardi- wenig mit den Inhalten des vorangegange-
sierte Testverfahren bieten eine Reihe von nen Unterrichts zu tun, entscheiden die Qua-
Vorteilen. Aber auch strukturierte Inter- lität und Verfügbarkeit des vorhandenen
views, vorbereitete Checklisten und systema- Vorwissens über das individuelle Leistungs-
tische Verhaltensbeobachtungen können ergebnis. Ähnliches gilt für den Fall, dass ein
taugliche diagnostische Instrumente sein, Test für jeden Schüler eine jeweils andere
wenn es um die Feststellung von Lernvoraus- Aufgabe bereithält: Schülerin A ist sich im
setzungen geht (vgl. dazu Lukesch, 1998). Nachhinein oftmals sicher, dass sie die von

392
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Schüler B zu bearbeitende Aufgabe besser des individuellen Leistungsstandes minimie-


gelöst hätte als die eigene. ren lässt. Die Antwort der Pädagogischen
Psychologie auf diese Frage lautet: Verwen-
de, wenn möglich, einen standardisierten
Definition: Test
Leistungstest!
Ein psychologischer Test ist ein systema- Doch was versteht man unter einem stan-
tisch und routinemäßig einsetzbares Ver- dardisierten Leistungstest? Wie der Begriff
fahren zur Messung definierter Aus- schon sagt, handelt es sich um einen Test, bei
schnitte menschlichen Verhaltens. Die dessen Entwicklung und Anwendung gewis-
Messung wird verwendet, um den Grad se Standards einzuhalten sind, um die Gefahr
der Ausprägung einer Eigenschaft, einer eines Messfehlers möglichst gering zu halten.
Fähigkeit, eines Kenntnisstandes oder ei- Die minimale Voraussetzung, um von einer
ner Fertigkeit festzustellen und/oder um Standardisierung sprechen zu können, be-
ein zukünftiges Verhalten vorherzusagen. steht in der formellen Festlegung der Art der
Testdurchführung und -auswertung. Hinzu
kommt die Festlegung von Bewertungsnor-
Zu Recht mag man sich fragen, wie sich die men, auf deren Basis die individuellen Test-
Objektivität der Leistungsprobe erhöhen leistungen einzuordnen sind.
und die Fehleranfälligkeit beim Feststellen

Fokus: Standardisierte Schulleistungstests


In den USA gibt es eine lange Tradition der Nutzung standardisierter Schulleistungstests.
Damit diese Tests verlässliche Schätzungen individueller Kompetenzen im Lesen, Recht-
schreiben und Rechnen zulassen, müssen sie sorgfältig entwickelt und an repräsentativen
Stichproben normiert werden. Schon unter der Präsidentschaft von Bill Clinton wurden
landesweit standardisierten Schulleistungstests für die 4. und 8. Klassenstufe eingerichtet.
Die Testergebnisse dienen oft als Grundlage für Platzierungsentscheidungen (z. B. wenn es
um die Zulassung zu einem spezifischen High-School-Programm geht).
Auch im deutschen Sprachraum gibt es eine große Vielfalt standardisierter Schulleistungs-
tests. Eine gute Übersicht findet man in Brickenkamp Handbuch psychologischer und
pädagogischer Tests (Brähler, Holling, Leutner & Petermann, 2002) sowie in der Reihe
Deutsche Schultests der Testzentrale. Über aktuelle Entwicklungen auf diesem Gebiet
informiert die Buchreihe Tests und Trends: Jahrbuch der pädagogisch-psychologischen
Diagnostik.

Wie werden Leistungstests das Anwenden von spezifischen Inhalten.


konstruiert? Je nach Fach und curricularer Vorgabe las-
sen sich diese Kompetenzbereiche der
Bloom’schen Lehrzieltaxonomie noch wei-
Die Konstruktion eines Schulleistungstests ter ausdifferenzieren. Bei der Konstruktion
beginnt mit der Lehrzielanalyse, um fest- eines Leistungstests sollten jedenfalls das
zulegen, was genau durch den Test geprüft Kennen, Verstehen und Anwenden im Hin-
werden soll. Beim schulischen Lernen geht es blick auf einen konkreten Gegenstands-
meist um die Kenntnis, das Verstehen und bereich in gleicher Weise Berücksichtigung

393
Teil II Lehren

finden (䉴 Abb. 7.7). Die vor dem Hinter- pflichtende Zeitvorgaben, d. h., die zur Auf-
grund der Lehrzielanalyse ausgewählten gabenlösung zur Verfügung stehende Zeit ist
Aufgaben (Items) sollten eine repräsentative genau festgelegt (Speed-Tests) – es gibt aber
Auswahl der im Unterricht verwendeten auch Tests ohne Zeitbegrenzung (Power-
bzw. im Curriculum verankerten Lernaufga- Tests).
ben sein. In den meisten Tests gibt es ver-

Kompetenzen
Kennen Verste
erstehen
ehen Anw
Anwenden
wenden ... ...

Tonarten

Instrumente
Inhalte

Kompososii -
Komposi
Komp
tionsstile

...

...

Abb. 7.7: Matrix der Lehrzielanalyse als Grundlage zur Konstruktion standardisierter Tests (Beispiel für
den Bereich Musik)

Neben der Lehrzielanalyse und dem Gene- auf, so führt dies frühzeitig zu einer entspre-
rieren von Testaufgaben – was im Übrigen chenden Revision der betroffenen Items.
auch beim Erstellen einer »normalen« Klas- Ist aufgrund der Vorerprobung gesichert,
senarbeit geschieht – sind aber weitere Kon- dass die Testitems verständlich und eindeutig
struktionsschritte erforderlich, um eine Stan- sind, kann eine erste Testdurchführung unter
dardisierung im engeren Sinne zu gewähr- realen Bedingungen an einer kleinen Stich-
leisten. Lukesch (1998) nennt hier eine Ab- probe (die Anzahl der Testteilnehmer sollte
folge von fünf Schritten: Vorerprobung, sich aber schon im dreistelligen Bereich be-
Testdurchführung an einer kleinen Stichpro- wegen) erfolgen. Häufig werden Schüler und
be, Aufgaben- und Testanalyse, Testvalidie- Lehrer nach der Testung zusätzlich um eine
rung und Testeichung. allgemeine Einschätzung der Angemessen-
Sind die Testaufgaben (Items) für das heit und Schwierigkeit der Aufgaben und
geplante Testverfahren in einem ersten Ent- der Testinstruktionen gebeten.
wurf zusammengestellt, sollten sie an einigen Anhand der Daten dieser Vorerprobung
Personen erprobt werden. Im Wesentlichen wird eine Aufgaben- und Testanalyse durch-
geht es bei dieser Vorerprobung um eine geführt, bei der bestimmte Itemkennwerte
Überprüfung der Verständlichkeit und Ein- und Testindikatoren berechnet werden. Die
deutigkeit der Aufgabenformulierungen und beiden wichtigsten Kennwerte sind die Auf-
um eine erste Abschätzung der Durchfüh- gabenschwierigkeit und die Trennschärfe
rungspraktikabilität. Treten hier Probleme einer Aufgabe. Die Aufgabenschwierigkeit

394
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

(Pi) gibt an, wie viele Personen eine Aufgabe Items mit dem Abschneiden im Gesamttest
richtig gelöst haben. Aufgaben mit hoher übereinstimmt, d. h., wie trennscharf eine
Schwierigkeit (also mit einem kleinen Pro- einzelne Aufgabe ist. Trennschärfen sind
zentsatz richtiger Lösungen) sind gut geeig- als statistische Zusammenhänge (Korrela-
net, um Leistungsunterschiede zwischen leis- tionen) zwischen der Lösung des jeweiligen
tungsstarken Personen abzubilden. Leichte Einzelitems und dem Abschneiden im ge-
Aufgaben, die von sehr vielen Personen samten Test definiert. Die Trennschärfen
richtig beantwortet werden, sind dagegen können, wie bei Korrelationskoeffizienten
zur Erfassung von Unterschieden zwischen üblich, Werte zwischen –1 und +1 anneh-
den leistungsschwächeren Personen geeig- men, wobei eine Trennschärfe von 0 indi-
net. Die besten Differenzierungsmöglichkei- ziert, dass eine Aufgabe von leistungsstarken
ten bieten Aufgaben mit einer mittleren wie leistungsschwachen Personen gleich
Schwierigkeit, es sollte aber auch einige häufig richtig gelöst wird. Aufgaben mit
sehr schwierige und einige sehr leichte Auf- geringer Trennschärfe sind wenig aussage-
gaben geben. Empfehlenswert sind Testver- kräftig und sollten wieder aus dem Testent-
fahren, bei denen die Aufgabenschwierig- wurf herausgenommen werden. Anzustre-
keiten zwischen Pi = .20 (jeder Fünfte kennt ben ist eine Auswahl von Items mit einer
die richtige Lösung) und Pi = .80 (vier von möglichst hohen positiven Trennschärfe.
fünf Personen kennen die richtige Lösung) Ist über die Aufgaben- und Testanalyse
streuen. eine Reihe unterschiedlich schwieriger und
hinreichend trennscharfer Items zusammen-
gestellt, werden in der Endform des Tests
Beispiel: Aufgabenschwierigkeit
oftmals die Items nach ansteigendem
In dem von Roick, Gölitz und Hasselhorn Schwierigkeitsgrad angeordnet. Dies gilt je-
(2004) vorgelegten Mathematiktest für 3. denfalls für Leistungstests und hat den Vor-
Klassen (DEMAT 3+) werden z. B. Items teil, dass zunächst die leichteren Aufgaben
zur Subtraktion vorgegeben. Eines lautet: zu bearbeiten sind. Sie werden mit einer
6 6 2 größeren Wahrscheinlichkeit richtig gelöst
–䊐 0 4 – und wenn die ersten Aufgaben erfolgreich
3 䊐䊐 gemeistert werden, entsteht eine günstige
Testmotivation. Im Hinblick auf die weniger
In einer Voruntersuchung mit 200 Schul-
leistungsfähigen Schüler hat dies darüber
kindern am Ende der 3. Klassenstufe, in
hinaus den Vorteil, dass der Test im unteren
der dieses Item zusammen mit einer Reihe
Leistungsbereich überhaupt differenzierte
ähnlicher Items unter einer Zeitvorgabe
Aussagen zulässt. Müssten die schwächeren
zu bearbeiten war, lösten 98 Kinder die
Lerner zuerst die schwierigen Aufgaben
Aufgabe richtig. Die Aufgabenschwierig-
bearbeiten, würden sie wahrscheinlich zu
keit P beträgt daher
den leichteren Aufgaben gar nicht vordrin-
Pi = 98/200 =.49
gen, weil sie schon zu viel Zeit verbraucht
Das Item ist mittelschwer, da es mit einer
hätten.
Wahrscheinlichkeit von 49 % richtig ge-
Nach der Aufgaben- und Testanalyse ver-
löst wird.
bleiben zwei weitere Schritte der Testkon-
struktion: die Testvalidierung und die Test-
Ein zweiter Kennwert, der bei der Konstruk- eichung. Bei der Testvalidierung geht es um
tion eines Testverfahrens von zentraler Be- die empirische Überprüfung der Gültigkeit
deutung ist, ist die Trennschärfe. Sie gibt an, (Validität) des Testverfahrens. Ein Test ist
wie gut die Lösung eines jeden einzelnen dann valide, wenn er tatsächlich das misst,

395
Teil II Lehren

was er messen soll. Die Gültigkeit eines Prozenträngen (PR) lässt sich direkt ablesen,
Mathematiktests lässt sich beispielsweise ob eine Person zu den Schlechtesten oder
danach bewerten, ob die Testergebnisse in Besten einer Stichprobe gehört.
einem Zusammenhang stehen mit der Ein-
schätzung des mathematischen Leistungs-
Fokus: Prozentrangnormen
vermögens durch einen entsprechenden
Fachlehrer oder mit den Ergebnissen in ei- Um zu Prozentrangnormen zu gelangen,
nem anderen Mathematiktest. Für den oben fasst man die Rohwerte (z. B. die Anzahl
erwähnten DEMAT 3+ konnte z. B. bei einer der richtig gelösten Testitems) so zu Roh-
Testvalidierung ein statistischer Zusammen- wertklassen zusammen, dass sie jeweils
hang von r = –.61 zwischen der Testleistung gleiche Prozentanteile der Gesamtvertei-
und der schulischen Mathematiknote fest- lung der Rohwerte ausmachen. Auf diese
gestellt werden: Das bedeutet, dass Kinder Art und Weise kann man allen Rohpunkt-
mit einem hohen Testpunktwert mit hoher werten eines Tests einen bestimmten Pro-
Wahrscheinlichkeit eine bessere (d. h. nume- zentrang zuordnen. Der Prozentrang gibt
risch kleinere) Note in Mathematik aufwei- an, wie viel Prozent der Eichstichprobe
sen. diese oder eine schlechtere Leistung ge-
Der letzte Schritt bei der Konstruktion zeigt haben. Ein Prozentrang PR = 60
eines standardisierten Testverfahrens ist die bedeutet z. B., dass 60 % der Personen
Eichung bzw. die Normierung im engeren der Eichstichprobe genauso viele oder
Sinne. Hierzu kommt der Test in einer gro- weniger Testitems richtig gelöst haben.
ßen und repräsentativen Stichprobe zur An- Prozentränge sind gleichverteilt. Im
wendung, um einen Vergleichsmaßstab zu mittleren Leistungsbereich differenzieren
generieren, der später die Grundlage für die die Prozentrangnormen sehr stark, d. h.
Bewertung von Einzelleistungen abgeben schon kleine Unterschiede in den Roh-
wird. Man nennt die Testeichung auch Nor- werten machen sich deutlich in den Pro-
mierung, weil auf diese Weise Bewertungs- zentrangunterschieden bemerkbar. In den
normen für die Interpretation von Testwer- Extrembereichen der Leistung hingegen
ten gewonnen werden. machen selbst größere Rohwertunter-
In der testdiagnostischen Praxis haben sich schiede in den Prozenträngen kaum
ganz unterschiedliche Normierungen einge- noch einen Unterschied. Weil die Prozen-
bürgert. Weitläufig bekannt ist die IQ-Nor- tränge nicht normal- sondern gleichver-
mierung, die vor allem bei Intelligenztests teilt sind, kann man mit den Prozentrang-
Verwendung findet. In den Abschnitten normen in der schlussfolgernden Statistik
über Lernschwierigkeiten (䉴 Kap. 4.2) und nur wenig anfangen. In der diagnosti-
über Hochbegabung (䉴 Kap. 4.3) war davon schen Praxis sind sie jedoch sehr beliebt,
bereits die Rede. Bei einer mittleren Testleis- weil sie eine rasche Bestimmung der re-
tung wird hier der Wert 100 vergeben. Der lativen Position einer getesteten Person
IQ-Normierung liegt eine theoretische (Stan- zulassen.
dard-)Normalverteilung zugrunde, die für
68 % der in der Eichstichprobe untersuchten
Personen IQ-Leistungen zwischen 85 und
115 Punkten postuliert. Bei schulischen Leis-
tungstests werden nur selten IQ-Normierun-
gen verwendet. Weit verbreitet sind die ohne
besondere Verteilungsannahmen operieren-
den Prozentrangnormierungen. An den

396
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Wie werden Testwerte Für das Verstehen und Interpretieren von


interpretiert? Testwerten bedarf es der Kenntnis grund-
legender statistischer und messtheoretischer
Konzepte. So muss man z. B. etwas über
In Ländern, in denen die Anwendung stan- Häufigkeitsverteilungen wissen und über
dardisierter Tests zum Schulalltag gehört, die Maßzahlen der zentralen Tendenz und
wird von den Lehrkräften erwartet, dass der Streuung, einen Rohwert von einem
sie wissen, wie man die Ergebnisse solcher Normwert unterscheiden können und
Tests interpretiert. Bei genauem Hinschauen auch wissen, was man unter dem »wahren«
zeigt sich jedoch, dass die Interpretation von Wert einer Person versteht. Unter den Stich-
Testwerten keineswegs trivial ist. Oft genug worten Deskriptivstatistik, Wahrscheinlich-
enthalten die Testmanuale zwar die dazu keitsrechnung und Testtheorie finden sich
benötigten Kennwerte und Kennziffern – einführende Darstellungen hierzu in nahezu
es fällt dem Anwender aber nicht leicht, jedem Standardwerk der Psychologie (vgl.
ihre Bedeutung und ihre Implikationen zu z. B. Gerrig & Zimbardo, 2008).
überblicken.

Fokus: Grundlegende statistische Konzepte


Häufigkeitsverteilung. Führt man einen Leistungstest an einer größeren Anzahl von
Personen durch, dann kann man die Personen nach ihren individuell erzielten Werten
auflisten und so die absoluten (mit Bezug auf die Gesamtanzahl der Personen auch die
relativen) Häufigkeiten für jeden Leistungswert bestimmen. Trägt man nun diese Häufig-
keiten auf der Ordinate (senkrecht) gegen alle möglichen Ausprägungen der Testwerte auf
der Abszisse (waagrecht) ab, so erhält man eine Veranschaulichung der Häufigkeits-
verteilung als Säulendiagramm. 䉴 Abb. 7.8 zeigt ein Beispiel für eine solche Häufigkeits-
verteilung anhand der Normierungsdaten für den Deutschen Mathematiktest für 4. Klassen
(Gölitz, Roick & Hasselhorn, 2006).

180 ...................................................................................

160 ...................................................................................

140 ...................................................................................
120 ...................................................................................
Häufigkeit

100 ...................................................................................

80 ...................................................................................

60 ...................................................................................

40 ...................................................................................

20 ...................................................................................

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40
Rohwert
Abb. 7.8: Normalverteilung und Häufigkeitsverteilung der individuellen Testwerte des Deutschen
Mathematiktests für 4. Klassen in der Normierungsstichprobe (N = 3016)

397
Teil II Lehren

Die Häufigkeitsverteilung ist zum Verständnis der Bedeutung von Prozenträngen hilfreich.
Zu unterscheiden ist allerdings zwischen der relativen und der kumulativen Häufigkeit. Die
relative Häufigkeit bezieht sich auf die jeweilige Anzahl der Testteilnehmer, die einen
bestimmten Testwert erreicht haben. Die kumulative Häufigkeit dagegen bezieht sich auf
die bis zu einem bestimmten Testwert aufsummierten Häufigkeiten.
Maße der zentralen Tendenz. Um den individuell erreichten Testwert einer Person zu
bewerten, genügt die Kenntnis der Häufigkeitsverteilung nicht – zusätzlich muss man
wissen, was der »typische«, also der üblicherweise zu erwartende Wert ist. Maße der
zentralen Tendenz zeigen den typischen oder charakteristischen Wert einer Verteilung an
und damit den allgemeinen Trend hinsichtlich der Ausprägung eines Merkmals in der
Population, für die der Test normiert wurde. Die drei bekanntesten Maße der zentralen
Tendenz sind der Mittelwert, der Median und der Modalwert. In einer Schulklasse
entspricht der Mittelwert dem Klassendurchschnitt, z. B. bei einem Leistungstest. Es handelt
sich dabei um das arithmetische Mittel – die Einzelwerte werden aufaddiert und die Summe
wird durch die Anzahl der Einzelwerte dividiert. Der Mittelwert ist eine hervorragende
Schätzung für den zu erwartenden Wert, solange die Häufigkeitsverteilung der Werte in
etwa einer Normalverteilung entspricht. Der Median ist der Messwert, der genau in der
Mitte einer Verteilung von Messwerten steht, wenn man die Messwerte zuvor der Größe
nach ansteigend geordnet hat. Zur Ermittlung des Medians bringt man die verfügbaren
Einzelwerte deshalb zunächst in eine aufsteigende Rangreihe. Bei einer ungeraden Anzahl
von Messwerten entspricht dann der Median der Merkmalsausprägung des Rangplatzes,
der die Werteverteilung in zwei Hälften teilt. Der Median entspricht zugleich einem
Prozentrang von 50 (PR = 50). Beim Modalwert handelt sich um den am häufigsten
vorkommenden Einzelwert einer Messwertverteilung. Sind die Messwerte exakt normal-
verteilt, so sind die Ausprägungen von Mittelwert, Median und Modalwert identisch.
Maße der Variabilität. Wir haben bereits erläutert, was unter einer Verteilung von Werten zu
verstehen ist. Beispielsweise können die individuellen Testwerte weit streuen, oder auch sehr
eng beieinander liegen. Liegen die Werte weit auseinander, so fällt es im Allgemeinen sehr viel
leichter, Unterschiede zwischen Einzelwerten zu interpretieren. Zwei häufig verwendete Maße
zur Beschreibung der Variabilität oder Streuung einer Verteilung sind die Bandbreite und die
Standardabweichung. Unter der Spannweite (Variationsbreite) versteht man den Abstand
zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Wert in einer Verteilung. Dieses Maß der
Variation ist hinsichtlich seiner Aussagekraft relativ anfällig für sogenannte Ausreißer in einer
Häufigkeitsverteilung. Informativer ist hier die Standardabweichung als Maß für die durch-
schnittliche Abweichung der Einzelwerte vom Mittelwert einer Verteilung. Sie wird berechnet
als Quadratwurzel aus der Varianz – der Summe der mittleren quadrierten Abweichungen
aller Einzelwerte vom Gesamtmittelwert. Haben alle Testteilnehmer den gleichen Wert erzielt,
so gibt es keine Variabilität und auch die Standardabweichung ist null (SD = 0).

Rohwerte und Normwerte. Bisher haben wir und zählen aus, ob eine Aufgabe richtig
immer von den Testwerten gesprochen, also beantwortet wurde oder nicht, dann ist
von Punktwerten, die Personen bei einem der Rohwert die Anzahl richtig gelöster
Test erzielen. Lassen wir z. B. einen Test Aufgaben. Allein aufgrund des erreichten
bearbeiten, der aus zehn Aufgaben besteht Rohwertes einer Person kann man aber –

398
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

von Extremfällen einmal abgesehen – das stichprobe lässt sich jedem Rohwert ein
Leistungsvermögen einer Person nicht wirk- entsprechender Normwert zuordnen, um
lich bewerten. Hierfür bedarf es eines Ver- die Position einer getesteten Person im Hin-
gleichsmaßstabes, der bei standardisierten blick auf diesen Maßstab zu bestimmen. Zu
Tests durch die Normierung bzw. Eichung den gängigsten Normwerten gehören Z-
zur Verfügung steht. Aufgrund der mittleren Werte, IQ-Werte und T-Werte (䉴 Abb. 7.9).
Leistung und der Verteilung in einer Eich-

Fokus: Testnormen
Es gibt lineartransformierte und flächentransformierte Testnormwerte. Die gängigsten
lineartransformierten Normwerte sind Standardwerte (Z-Werte), IQ-Werte und T-Werte.
Den Z-, IQ- und T-Werten liegt die Annahme zugrunde, dass die Messwerte normalverteilt
sind. Sie sind als Vielfache der Standardabweichung definiert und durch Lineartrans-
formation ineinander überführbar. Sie unterscheiden sich nur hinsichtlich der Metrik von
Mittelwert und Streuung voneinander. Z-Werte haben einen Mittelwert von 100 und eine
Standardabweichung von 10; IQ-Werte haben ebenfalls den Mittelwert von 100, jedoch
eine Standardabweichung von 15 und T-Werte haben einen Mittelwert von 50 und eine
Standardabweichung von 10. Die Prozentränge (PR) sind dagegen aus der Dichtefunktion
der Normalverteilung abgeleitet und als kumulative relative Häufigkeit aus der Verteilung
aller Testwerte der Eichstichprobe definiert.
...................................................................................
Häufigkeit

......................

....................

Intelligenzquotient 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 140 145
(MW=100 s=15)
T-Wert 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
(MW=50 s=10)
Prozentrang 0 0 1 2 5 9 16 25 37 50 63 75 84 91 95 98 99 99 100
Schulnote
(MW=3 s=1) 5 4 3 2 1

Abb. 7.9: Verhältnis gängiger Normwerte zueinander und zu (idealisierten) Schulnoten

Der wahre Wert. Eine weitere wichtige Un- Person hat beispielsweise 60 von 100 Test-
terscheidung bei der Testdiagnostik ist die aufgaben richtig beantwortet (Rohwert) und
zwischen beobachteten und wahren Werten. aufgrund der Normierungsdaten wird dieser
Der beobachtete Wert ist offenkundig: Eine Leistung ein Normwert (z. B. Z = 105) zu-

399
Teil II Lehren

geordnet. Nun ist allerdings kein Test völlig gebräuchlich, Vertrauens- bzw. Konfidenz-
messfehlerfrei. Daraus folgt, dass man bei intervalle festzulegen. Sie geben den Bereich
einem beobachteten Testwert nicht genau an, innerhalb dessen mit einer festgelegten
wissen kann, inwieweit er punktgenau das Irrtumswahrscheinlichkeit das wahre Leis-
Leistungsvermögen einer Person (den »wah- tungsvermögen der Person liegt. Dieses Ver-
ren« Wert in der Terminologie der Testtheo- trauensintervall wird umso kleiner sein, je
rie) tatsächlich abbildet. Der beobachtete weniger messfehlerbehaftet der Test ist bzw.
Wert ist deshalb nur eine Schätzung des je kleiner die Irrtumswahrscheinlichkeit fest-
»wahren« Wertes einer Person. Zur Beur- gelegt wird (䉴 Abb. 7.10).
teilung der Güte dieser Schätzung ist es

Beobachtbare Testleistung
....................................

.........................................

.......................
.........................

Testscore
68 %

95 %

Vertrauensintervalle für wahre Testleistung


Abb. 7.10: Vertrauensintervalle für unterschiedliche Konfidenzwahrscheinlichkeiten

Wozu werden standardisierte empfehlenswert ist, stehen zu ganz unter-


Tests benötigt? schiedlichen Anlässen im Bildungslebenslauf
an. Häufig sind diese Anlässe mit weit rei-
chenden Weichenstellungen verbunden.
Es wurde bereits erwähnt, dass standardi- Manchmal wird es sich um Selektionsent-
sierte Tests vor allem dann benötigt werden, scheidungen handeln, so etwa, wenn es um
wenn die Bewertung einer Leistung mög- die Frage geht, wer aus einer Gruppe von
lichst objektiv und zuverlässig erfolgen soll. Bewerbern vermutlich die leistungsfähigste
Das ist bei vielen Selektions- oder Förder- Person sein wird und deshalb für ein Stipen-
entscheidungen im pädagogischen Bereich dium ausgewählt werden soll. Manchmal
sicherlich der Fall. wird es auch um die Frage gehen, ob ein
Wichtige Entscheidungen, bei denen der Schüler tatsächlich eine Rechenschwäche
Einsatz standardisierter Tests zumindest oder eine besondere Aufmerksamkeitsstö-

400
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

rung aufweist. Dann geht es nicht um eine ten die Beurteilungen von Schüleraufsätzen
Selektion, sondern um die richtige Zuwei- durch Fachlehrer als wenig objektiv. Dies hat
sung zu einer spezifischen Fördermaßnahme in der Ausbildung von Lehramtsstudieren-
oder Therapie. den zu erhöhten Anstrengungen hinsichtlich
Gerade bei Entscheidungen darüber, wel- der Sensibilisierung für Probleme der Leis-
che besonderen Fördermaßnahmen bei spe- tungsbeurteilung geführt, um die Objektivi-
zifischen Lernproblemen im Einzelnen ange- tät der Notengebung zu steigern. Dennoch
zeigt sind (Förderentscheidungen), hat sich lässt sich leicht zeigen, dass unterschiedliche
die Verwendung standardisierter Tests sehr Lehrpersonen sehr unterschiedliche Noten
gut bewährt. Dass sie eigens normiert sein für ein und dieselbe Klassenarbeit vergeben
müssen, wurde bereits beschrieben. Dane- (z. B. Birkel & Birkel, 2002).
ben müssen sie weitere Gütemerkmale auf- Objektivitätseinbußen können an unter-
weisen. schiedlichen Stellen des diagnostischen Ur-
teilsprozesses auftreten: Bei der Durchfüh-
rung einer Leistungsprobe oder eines Tests,
Gütekriterien für diagnostisches bei der Auswertung des Tests und schließlich
Urteilen bei der Interpretation der Testergebnisse. Die
Durchführungsobjektivität versucht man zu
Nicht jedes diagnostische Urteil muss sichern, indem die Durchführungsbedingun-
zwangsläufig auf der Basis standardisierter gen standardisiert werden. Man muss sich
Tests erfolgen. Dennoch sollte die Qualität also bei der Testdurchführung eines standar-
jedes Urteils möglichst hoch sein. Um dies zu disierten Verfahrens genau an die Anweisun-
gewährleisten, wird für die pädagogischen gen im Testmanual halten. Ein Problem bei
und psychologischen Testverfahren das Ein- der Auswertungsobjektivität sind die Fehler,
halten bestimmter Gütekriterien verbindlich die möglicherweise bei der Auszählung oder
gefordert (Häcker, Leutner & Amelang, Verrechnung des von der Testperson gezeig-
1998). Ob ein Gütekriterium erfüllt ist, ist ten Verhaltens gemacht werden. Handelt es
allerdings in der Regel keine einfache Ja- sich bei dem Antwortverhalten um Richtig-
Nein-Entscheidung. Aber das Streben nach Falsch-Antworten etwa auf der Basis von
einer möglichst hohen Ausprägung hinsicht- Multiple-Choice-Aufgaben, so wird die Aus-
lich der zentralen Gütemerkmale eines Tests wertungsobjektivität vergleichsweise hoch
ist zum Kriterium der Qualitätssicherung sein. Je komplexer die Testanforderung je-
diagnostischer Urteile im Allgemeinen ge- doch ist, desto eher werden sich Probleme
worden. Als wichtigste Gütekriterien gelten einer objektiven Testauswertung ergeben. So
die Objektivität, die Zuverlässigkeit (Relia- muss beispielsweise bei einem Mathematik-
bilität) und die Gültigkeit (Validität) eines test genau festgelegt werden, ob nur bei einer
Tests. Hinzu kommt eine Reihe von Neben- vollständig richtigen Lösung einer Aufgabe
gütekriterien. oder auch schon bei richtigen Teilschritten
Bewertungspunkte vergeben werden.
Objektivität. Ein Test oder eine Beurteilung Schließlich muss auch die Interpretations-
ist objektiv, wenn das diagnostische Urteil eindeutigkeit eines Ergebnisses gewährleistet
über die zu beurteilende Person von der sein (Interpretationsobjektivität). Bei stan-
Person/Persönlichkeit des Beurteilers nicht dardisierten Tests ist dies unproblematisch,
beeinflusst ist. Vollkommen objektiv sind da der erzielte Rohwert nach Vorschrift in
demnach Urteile, wenn alle in Frage kom- einen Normwert umgewandelt wird. Ist al-
menden und befragten Beurteiler genau zum lerdings eine solche Normierung nicht mög-
gleichen Ergebnis kommen. Seit langem gel- lich – wenn etwa eine Zeugnisnote aus ver-

401
Teil II Lehren

schiedenen schriftlich und mündlich er- freie Erfassung von individuellen Lern- und
brachten Einzelleistungen aggregiert werden Leistungspotenzialen kaum möglich. Im
muss – kann es leicht zu Einschränkungen Rahmen der klassischen Testtheorie (vgl.
der Objektivität kommen. Moosbrugger & Hartig, 2003) hat man
sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit
Reliabilität. Das Gütemerkmal der Reliabi- von den gemessenen (beobachteten) Werten
lität bezieht sich auf die Zuverlässigkeit bzw. auf die situationsunabhängigen »wahren«
Genauigkeit des diagnostischen Urteils. Von Merkmalsausprägungen geschlussfolgert
einem reliablen diagnostischen Werkzeug werden kann. Die Axiome der klassischen
erwartet man, dass es präzise und exakt Testtheorie eröffnen verschiedene Möglich-
misst. Wie wir beim Thema »wahrer Wert« keiten zur empirischen Abschätzung der Re-
bereits erläutert haben, ist die messfehler- liabilität eines Testverfahrens.

Definitionen: Axiome der klassischen Testtheorie


Existenzaxiom: Zu jedem beobachteten Testwert existiert ein über alle Situationen hinweg
konstanter »wahrer Wert«.
Verknüpfungsaxiom: Der beobachtete Wert X setzt sich additiv aus dem »wahren Wert« W
und einem Fehlerwert F zusammen (X = W + F).
Fehleraxiom: Messfehler treten zufällig auf und sind unabhängig vom wahren Wert.
Wahrer Wert und Fehlerwert sind nicht miteinander korreliert (rWF = 0).
Zusatzaxiome: Messfehler zweier beliebiger Items für dieselbe Person oder zweier Be-
obachtungen an beliebigen Personen mit demselben Item sind nicht korreliert.

Bei der empirischen Bestimmung der Relia- sistenz. Bei all diesen Ansätzen werden
bilität (Messgenauigkeit) eines Tests wird Reliabilitätskoeffizienten ermittelt, die Wer-
der Anteil der Varianz der »wahren Werte« te zwischen 0 und 1 annehmen können. Ein
an der Varianz der beobachteten Werte ge- Wert von 0 bedeutet, dass die Varianz der
schätzt. Hierfür gibt es mehrere Möglich- beobachteten Werte nur aus Fehlervarianz
keiten: die Berechnung der Retest-Reliabili- besteht, ein Wert von 1 besagt, dass das
tät, die Ermittlung der Paralleltest-Reliabili- Verfahren messfehlerfrei misst. Je höher
tät sowie die Bestimmung der internen Kon- die Reliabilität eines Testverfahrens ausfällt,

Fokus: Methoden zur Reliabilitätsbestimmung


Retest-Reliabilität. Die einfachste Methode, um den Grad der Messgenauigkeit eines
diagnostischen Verfahrens zu überprüfen, besteht darin, das Verfahren im Abstand von
wenigen Tagen oder Wochen in der gleichen Gruppe von Personen zu wiederholen. Das
Ausmaß, in dem die Rangreihen der Personen auf der Basis der beobachteten Werte bei der
ersten und zweiten Testdurchführung übereinstimmen, lässt sich über eine Korrelation
ermitteln. Diese Test-Retest-Korrelation wird als Reliabilitätskoeffizient interpretiert.
Paralleltest-Reliabilität. Eine alternative Vorgehensweise ist möglich, wenn wenigstens zwei
als gleichwertig betrachtete (parallele) Testvarianten eines Verfahrens vorliegen. Gibt man
einer Gruppe von Personen beide parallelen Testvarianten zur Bearbeitung vor, so lässt sich

402
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

über die Korrelation der parallelen Testvarianten das Ausmaß ihrer Übereinstimmung
(Äquivalenz) bestimmen. Der erhaltene Korrelationskoeffizient gilt wiederum als Schätz-
wert für die Reliabilität.
Interne Konsistenz. Die Reliabilität lässt sich auch bestimmen, indem der Test nur ein
einziges Mal durchgeführt und dann geprüft wird, ob die Bearbeitungen der unterschied-
lichen Teile eines Tests zu ähnlichen Rangreihen der untersuchten Personen hinsichtlich der
Testleistungen führen. Besteht das Testverfahren aus zwei etwa gleichlangen Teilen, die
beide für sich das zu beurteilende Merkmal zu messen beanspruchen, so bietet sich hierfür
die Reliabilitätsbestimmung über die Testhalbierungsmethode (»Split-half-Reliabilität«)
an. Ähnlich wie bei der Bestimmung der Paralleltest-Reliabilität wird dabei die Korrelation
zwischen beiden Testteilen ermittelt. Diese stellt allerdings im Falle der Testhalbierungs-
methode noch eine Unterschätzung der tatsächlichen Reliabilität dar. Die Verlängerung
eines Tests durch die Hinzunahme weiterer paralleler Testteile führt zu einer Erhöhung der
Reliabilität. Bei der Verdoppelung eines Tests durch die Verwendung zweier paralleler
Testteile gleicher Länge kommt es z. B. zu einer Verdoppelung der Fehlervarianz, aber zu
einer Vervierfachung der »wahren« Varianz (vgl. Moosbrugger & Hartig, 2003, S. 411).
Der Zusammenhang zwischen Testlänge und Reliabilität wird bei der Testhalbierungs-
methode berücksichtigt: Die Korrelation r1,2 zwischen den beiden Testhälften wird in der
folgenden Weise auf die doppelte Länge des Tests aufgewertet:
2  r1;2
Reliabilität ¼
1 þ r1;2
Handelt es sich um ein Testverfahren, bei dem jedes Item beansprucht, das zu beurteilende
Merkmal einer Person zu messen, bietet sich eine Reliabilitätsbestimmung über Homo-
genitätskoeffizienten an. Das am meisten verbreitete Maß zur Bestimmung der inneren
Konsistenz im Sinne der Homogenität der Testitems ist der Cronbachs Alpha-Koeffizient.
Der Koeffizient basiert auf der Korrelation aller Testteile untereinander. Er gilt als besonders
strenge Reliabilitätsprüfung, weil er die untere Grenze der Messgenauigkeit abschätzt.

desto sicherer gelingt der Schluss vom be- tischen Verfahrens, auf die Frage also, wie
obachteten auf den »wahren« Wert. gut das Verfahren genau jenes Merkmal
Validität. Das Gütemerkmal der Validität erfasst, das es zu messen beansprucht.
bezieht sich auf die Gültigkeit eines diagnos-

Beispiel: Disparate Gütekriterien


Nehmen wir an, ein Instrumentallehrer möchte die Musikalität seiner Schüler diagnosti-
zieren. Da er sich mit dem Thema »standardisierte Tests« bereits beschäftigt hat, entschließt
er sich, zu diesem Zweck ein Testverfahren zu konstruieren. Um die Objektivität zu
maximieren, entscheidet er sich für ein Verfahren auf Multiple-Choice-Basis. Dazu sammelt
er Bilder von Musikinstrumenten und von Musikern und erfragt, um welches Instrument
bzw. um welchen Musiker es sich jeweils handelt. Durch genaue Instruktions-, Auswer-
tungs- und Interpretationsvorgaben wird ein hohes Niveau an Objektivität erreicht.
Konsistenzanalysen zeigen, dass auch die Reliabilität, d. h. die Zuverlässigkeit der Messung

403
Teil II Lehren

gut ist. Aber ist das Verfahren valide? Sind die Schüler, die mehr Musikinstrumente und
mehr Musiker erkennen auch musikalischer als andere? Oder haben sie nur ein differen-
zierteres Wissen über zwei musikbezogene Themenbereiche?

Ähnlich wie bei der Reliabilität handelt es zung des diagnostischen Urteilsprozesses an-
sich bei der Validität um ein Gütemerkmal, gesehen. Es ist daher wenig verwunderlich,
das nur graduell zu bestimmen ist. Es geht dass sich mittlerweile eine Vielzahl unter-
also um den Grad der Genauigkeit, mit dem schiedlicher Methoden zur Bestimmung der
ein Verfahren tatsächlich jenes Merkmal empirischen Validität etabliert hat (vgl. zum
misst, das es zu messen vorgibt. Bezogen Überblick Lukesch, 1998, S. 58 ff).
auf die Beurteilung und Bewertung schu-
lischer Leistungen sind vor allem zwei Spiel- Normierung. Im Zusammenhang mit der
arten der Validität von Bedeutung: die In- Konstruktion standardisierter Tests und der
haltsvalidität und die Kriteriumsvalidität. Interpretation von Testergebnissen haben wir
Von Inhaltsvalidität spricht man, wenn bereits über Normwerte gesprochen. Norm-
die Testanforderungen den zu beurteilenden werte dienen, wie bereits beschrieben, der
Bereich in optimaler Weise repräsentieren. Bewertung individueller Testergebnisse auf
Bei der Testkonstruktion greift man gerne der Basis der in einer geeigneten Referenzpo-
auf sogenannte Experten zurück, um die pulation erbrachten Leistungen. Insbesonde-
Inhaltsvalidität zu bestimmen. Kommen re im Zusammenhang mit der Beurteilung
die Experten übereinstimmend zu dem Er- von Leistungen wird die Normierung eines
gebnis, dass ein Test gut geeignet ist, um den Tests vielfach als viertes Hauptgütekriterium
interessierenden Bereich zu messen, gilt das eines diagnostischen Verfahrens aufgefasst.
Verfahren als inhaltsvalide. Nicht-normierte Tests sind für die Praxis der
Wenn es empirische Untersuchungen gibt, Beurteilung schulischer Leistungen aus päda-
die belegen, dass die Testergebnisse mit ei- gogisch-psychologischer Sicht heute nicht
nem (zuvor) festgelegten Außenkriterium mehr akzeptierbar. Nach Kubinger (1996)
gut übereinstimmen (Kriteriumsvalidität), gilt das Gütekriterium der Normierung als
hat dies oft eine größere Überzeugungskraft erfüllt, wenn zur Relativierung individueller
als die Inhaltsvalidität. Cronbach (1970) hat Testergebnisse Normen einer definierten Po-
diese Art der empirischen Validität danach pulation anhand der Daten einer repräsenta-
unterteilt, ob die empirische Übereinstim- tiven Eichstichprobe vorliegen.
mung mit einem zeitgleich erfassten Kriteri-
um (konkurrente Validität) oder mit einem Nebengütekriterien. Neben den Hauptgüte-
zeitlich später beobachtbaren Kriterium merkmalen (Objektivität, Reliabilität, Vali-
nachgewiesen wird (prognostische Validi- dität, Normierung) gibt es eine Reihe soge-
tät). Ein Beispiel für eine gegebene prognos- nannter Nebengütekriterien von Tests. Zu
tische Validität wäre etwa ein hoher empi- den häufig aufgezählten Nebengütekriterien
rischer Zusammenhang zwischen den Test- zählen die Ökonomie, die Nützlichkeit, die
werten in einem Auswahltest und dem spä- Zumutbarkeit, die Unverfälschbarkeit und
teren Studienerfolg von Personen. die Fairness.
Die empirische Validitätsbestimmung Stehen zwei oder mehrere diagnostische
wird von vielen Autoren als die größte He- Verfahren zur Verfügung, um die gleiche
rausforderung bei der Konstruktion und schulische Leistung zu beurteilen und unter-
Entwicklung von Verfahren zur Unterstüt- scheiden sich diese Verfahren nicht wesent-

404
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

lich hinsichtlich der Hauptgütemerkmale, hatten, nun mit geringerer Wahrscheinlich-


dann ist jenes Verfahren vorzuziehen, das keit eine gute Leistung erreichen werden.
am wirtschaftlichsten von allen ist (Öko-
nomie). Die Wirtschaftlichkeit wird meist
über den finanziellen Aufwand und über Leistungsbeurteilungen und
die zeitliche Belastung für den Urteilenden Bezugsnormen
und den zu Beurteilenden eingeschätzt.
Auch die Nützlichkeit ist ein sinnvolles Standardisierte Tests orientieren sich hin-
Nebengütekriterium. Sie bezieht sich auf den sichtlich der Bewertung einer Testleistung
praktischen Bedarf für das Verfahren. Gibt zumeist an einer Bezugsgruppe Gleichalt-
es kein alternatives Verfahren, um die rele- riger (Altersnormen oder Klassenstufennor-
vante Leistung zu messen, dann ist die Nütz- men). Wenn aber für die Beurteilung und
lichkeit hoch zu veranschlagen. Bewertung schulischer Leistungen keine
Bezieht sich die Nützlichkeit vor allem auf standardisierten Tests zur Verfügung stehen,
den Beurteiler im diagnostischen Prozess, so stellt sich die Frage nach den Vergleichsstan-
fokussiert das Kriterium der Zumutbarkeit dards oder Bezugsnormen, die die Grund-
die Belastung der zu beurteilenden Person. lage für die Bewertung einer gezeigten Leis-
Diesem Kriterium gemäß sollte jeweils jenes tung bilden sollen. Rheinberg (2001) hat drei
Verfahren bevorzugt werden, bei dem die verschiedene Arten von Bezugsnormen be-
physische und psychische Belastung der ge- nannt, die als Vergleichsmaßstab bei der
testeten Person möglichst gering gehalten Beurteilung der Güte einer individuell er-
wird. brachten Leistung Verwendung finden: die
Bisweilen ist darüber diskutiert worden, soziale Bezugsnorm, die individuelle Bezugs-
inwieweit die Durchschaubarkeit von Test- norm und die sachliche Bezugsnorm. Alle
anforderungen die Validität beeinträchtigt. drei Bezugsnormen haben spezifische Vor-
Da Validitätsbeeinträchtigungen dieser Art teile, aber auch Nachteile.
nicht unbedingt zu einer Minderung empi-
risch ermittelter Validitätskoeffizienten füh- Soziale Bezugsnorm. Wird eine individuelle
ren müssen, wird die Unverfälschbarkeit Leistung im Vergleich zu den Leistungen der
mitunter auch als eigenständiges Nebengüte- anderen Kinder einer Lerngruppe (z. B. einer
kriterium aufgeführt. Klasse) bewertet, spricht man von einer
Benachteiligt schließlich ein Testverfahren sozialen Bezugsnorm. Entscheidend für die
bestimmte Personen aufgrund ihrer eth- relative Bewertung der Individualleistung
nischen, soziokulturellen oder geschlecht- sind dabei der Mittelwert und die Varia-
lichen Gruppenzugehörigkeit, so ist das Kri- bilität der Leistungen in der eigenen Lern-
terium der Testfairness verletzt (Testkurato- gruppe. Der Vorteil der sozialen Bezugsnorm
rium, 1986). In schulischen Kontexten kann besteht darin, dass sich mit ihrer Hilfe recht
es auch andere Varianten »unfairer« Leis- gut zeitlich stabile Leistungsunterschiede
tungstests geben. Lässt ein Lehrer beispiels- zwischen Lernenden identifizieren lassen,
weise eine curriculare Einheit weitgehend in die als verlässliche Hinweise auf überdau-
Kleingruppen bearbeiten, und diese Klein- ernde Kompetenzunterschiede gelten kön-
gruppen arbeiten entweder anhand des Bei- nen. Die Orientierung an sozialen Bezugs-
spielsstoffes A oder B, dann wird ein abschlie- normen ist sinnvoll, wenn es darum geht, die
ßender Leistungstest »unfair« sein, wenn er dauerhaft (relativ) Besten oder – etwa zu
sich ausschließlich auf den Beispielsstoff A Förderzwecken – die besonders Schwachen
bezieht, da die Schüler, die in Gruppen mit in einer Lerngruppe herauszufinden.
dem Beispielsstoff B die Materie bearbeitet

405
Teil II Lehren

Diesem Vorteil stehen wenigstens drei Nach-


teile gegenüber. Zum einen führt die Orien- Fokus: Positive Effekte individueller
tierung an sozialen Vergleichen zu einem Bezugsnormorientierung
ausschnitthaften und sehr eng gefassten Be- Rheinberg (1980) geht davon aus, dass
zugssystem, das sich häufig nur auf die Kin- sich die Verwendung individueller Be-
der einer Klasse bezieht. Das aber kann zur zugsnormen in positiver Weise auf das
Folge haben, dass Kinder mit einer »objektiv Lernverhalten der Schüler auswirkt. Im
gleichen« Leistung je nach der Leistungsstär- einzelnen seien zu erwarten:
ke ihrer Bezugsgruppe einmal als leistungs-
stark und ein anderes Mal als leistungs-
● Eine geringere Furcht vor Misserfolg
schwach eingestuft werden. Schließen sich und mehr Hoffnung auf Erfolg
Selektionsentscheidungen aufgrund der Test-
● Weniger Prüfungsangst und weniger
ergebnisse an, ist das nicht unproblematisch. Schulunlust
Eine zweite Gefahr besteht darin, dass die
● Ein zunehmend realistischeres Zielset-
Lehrkraft den allgemeinen Lernzuwachs der zungsverhalten
Klasse aus dem Blick verliert. Die Konzen-
● Günstigere Attributionen und Selbst-
tration auf die interindividuellen Unterschie- bewertungen nach erfahrenen Erfolgen
de zwischen den Lernenden kann dazu führen, und Misserfolgen
dass Stagnationen oder gar Rückentwicklun-
● Eine positivere Selbsteinschätzung der
gen der ganzen Klasse hinsichtlich einer ob- eigenen Fähigkeiten
jektiven Zielvorgabe übersehen werden.
● Mehr Lernfreude und mehr Beteiligung
Schließlich verdeckt die Orientierung an am Unterricht sowie bessere Leistungen
sozialen Bezugsnormen, dass es erhebliche
Variabilitäten hinsichtlich des Ausmaßes der
individuellen Lernfortschritte geben kann. Eine durchgängige Orientierung an indivi-
Hat z. B. ein sehr schwacher Schüler durch duellen Bezugsnormen ist im schulischen
sehr große Anstrengungen wieder den An- Alltag nicht immer möglich. Die positiven
schluss an den Leistungsstand der Klasse Effekte der individuellen Bezugsnormorien-
hergestellt, so bleibt dies unbemerkt, solange tierung werden aber schon dann berichtet,
er nicht andere (weiter zurückfallende) Mit- wenn die individuelle Bezugsnorm als zu-
schüler in ihren Leistungswerten überholt. sätzliche (nicht ausschließliche) Beurtei-
lungsperspektive eingebracht wird. Das ist
Individuelle Bezugsnorm. Gerade der letzt- wohl auch gut so, denn bei allen Vorzügen
genannte Nachteil der sozialen Bezugsnorm birgt die Orientierung an individuellen Be-
wird bei Verwendung einer individuellen zugsnormen die Gefahr, dass vorhandene
Bezugsnorm vermieden. Bei diesem Ver- Leistungsunterschiede zwischen den Schü-
gleichsmaßstab basiert die Leistungsbewer- lern ausgeblendet werden. Für Selektions-
tung nicht auf dem Vergleich mit den Mit- entscheidungen ist die Orientierung an indi-
schülern seiner Klasse, sondern auf dem viduellen Bezugsnormen nicht hilfreich.
Vergleich mit den zuvor gezeigten Leistun-
gen des einzelnen Lernenden. In die Leis- Sachliche Bezugsnorm. Bezieht man sich bei
tungsbeurteilung geht also der individuelle der Bewertung von Leistungen weder auf die
Lernzuwachs maßgeblich ein (das kann auch Leistungen der übrigen Personen einer Lern-
ein negativer Zuwachs, also ein Rückschritt gruppe (soziale Bezugsnorm), noch auf die
sein). Dies ist in der Regel ein Vorteil für die bisher erbrachten eigenen Leistungen (indi-
leistungsschwächeren Schüler, ohne dass es viduelle Bezugsnorm), sondern auf einen in-
den anderen zum Nachteil gereicht. haltlich verankerten Leistungsstandard, so

406
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

spricht man von einer sachlichen Bezugs- tungsfehler von Beurteilungsfehlern abgren-
normorientierung. Sachliche Bezugsnormen zen. Von Beobachtungsfehlern spricht man,
werden überall dort angelegt, wo bestimmte wenn Fehler auftreten, die mit dem begrenz-
Mindestkompetenzen erforderlich sind oder ten Vermögen bzw. dem fehlenden guten
eingefordert werden. Im schulischen Bereich Willen des Beobachters zu tun haben. Geringe
waren lange Zeit die Lehrpläne der Anker- Sorgfalt, Langeweile, Müdigkeit oder auch
punkt für die Festlegung solcher Kompeten- Unvertrautheit mit der Situation der Leis-
zen. Mittlerweile sind die Lehrpläne durch tungsbeurteilung können dazu führen, dass
Bildungsstandards abgelöst worden, die noch nicht alle für das Urteil relevanten Verhaltens-
unmittelbarer als die Lehrpläne die Kom- weisen und Phänomene von der urteilenden
petenzen beschreiben, die in einer bestimmten Person wahrgenommen werden. Die Folge
Klassenstufe und in einem bestimmten Unter- ist, dass die Objektivität des Urteils leidet.
richtsfach erreicht werden sollten. Aber auch, wenn die Beobachtung der
leistungsrelevanten Verhaltensmerkmale feh-
Liest man amtliche Zensurendefinitionen, so lerfrei erfolgt, können Fehler auftreten. Be-
erkennt man häufig den allerdings etwas halb-
herzigen Versuch, Zensuren über solche sach- sonders typisch sind dabei die folgenden
lichen Bezugsnormen zu bestimmen. Halbher- Beurteilungsfehler:
zig ist der Versuch insofern, als meist die
»durchschnittlichen Anforderungen« als in- ● Milde-Effekt: Eine zu beurteilende Person
haltlicher Anker genannt werden, ohne diese
wird zu positiv beurteilt. Die Ursache
genauer zu bestimmen. Wollte man die Zen-
surengebung tatsächlich an sachliche Bezugs- hierfür ist eine positive Voreingenommen-
normen knüpfen, so müsste man dem beur- heit gegenüber der zu beurteilenden Per-
teilenden Lehrer pro Fach, Jahrgangsstufe und son.
Schulform sehr genau sagen, was jemand kön- ● Großzügigkeitsfehler: Alle Personen wer-
nen muß, um ein »ausreichend« oder ein »gut«
zu bekommen. Dabei würde es sicher nicht nur den günstiger beurteilt, als es der Sache
theoretisch, sondern auch tatsächlich gesche- nach angemessen wäre. Zu diesem Fehler
hen können, dass ganze Schulklassen ein »gut« kann es kommen, wenn der Bezug zur
oder »sehr gut«, aber auch ganze Schulklassen sachlichen Norm verloren gegangen ist.
(vielleicht sogar ganze Schulen) nur »mangel- ● Halo- oder Hof-Effekt: Das Urteil wird
haft« oder »ungenügend« erhielten. (Rhein-
berg, 2001, S. 66 f) von einer markanten Eigenschaft der zu
beurteilenden Person (z. B. vom Aussehen
Die standardisierten Tests und Lernstands- oder von der Mundart) beeinflusst. Die
erhebungen zeigen einen Weg auf, die An- daraus resultierende Verzerrung des Ur-
wendung sachlicher Bezugsnormen weiter teils kann sich sowohl zu Gunsten als
zu befördern – im Zuge der Normierung auch zu Ungunsten der zu beurteilenden
von Testverfahren fließt allerdings auch die Person auswirken.
soziale Bezugsnorm wieder mit ein. ● Logischer Fehler: Eine subtile Variante
des Hof-Effekts ist der logische Fehler.
Er tritt auf, wenn eine fälschliche An-
Typische Fehler bei der nahme über den Zusammenhang zweier
Urteilsbildung Merkmale das Urteil beeinflusst. Glaubt
beispielsweise ein Lehrer, dass viele
Vor allem dann, wenn Leistungsbeurteilun- Rechtschreibfehler die Folge einer gerin-
gen nicht auf der Grundlage standardisierter gen Intelligenz seien, kommt er gar nicht
Tests erfolgen, sondern aufgrund alltäglicher erst auf den Gedanken, es könne eine
Beobachtungen, ist die Objektivität des Ur- spezifische Lese-Rechtschreibstörung vor-
teils gefährdet. Hier lassen sich Beobach- liegen (䉴 Kap. 4.2).

407
Teil II Lehren

● Tendenz zur Mitte: Manche Beurteiler Welche Wirkungen haben


meiden extreme Urteile. Die Folge davon Lehrerurteile?
ist, dass nur mittlere Bewertungen (z. B.
nur Zensuren zwischen 2 und 4) gegeben
werden. In den bisherigen Ausführungen haben wir
● Tendenz zu extremen Urteilen: Andere viel über die Möglichkeiten und Gefahren
Personen hingegen überhöhen in ihrer auf dem Weg zu einer angemessenen Leis-
Bewertung die Unterschiede zwischen tungsbeurteilung berichtet. Dies zu wissen ist
Personen. Sie sind von einer Leistung wichtig, um Bewertungen möglichst objek-
entweder völlig begeistert oder völlig ent- tiv, reliabel, valide und fair zu gestalten. Das
täuscht. In der Folge werden mittlere Thema Leistungsbeurteilung ist damit aber
Bewertungen vermieden und es werden noch nicht hinreichend behandelt. Zumin-
bevorzugt die Extrempunkte der Bewer- dest liegt es nahe, sich auch der Frage zu
tungsskala verwendet. widmen, was Leistungsurteile – seien sie
angemessen oder nicht –, bei den Beurteilten
Fokus: Komponenten der eigentlich auslösen. Auf einer rationalen
Urteilsgenauigkeit Ebene ist diese Frage schnell beantwortet.
Haben Leistungsbeurteilungen doch vor al-
Schrader und Helmke (1987) haben drei lem die Funktion, den Lernenden eine wer-
voneinander unabhängige Komponenten tende Rückmeldung zu geben. Man darf
der Urteilsgenauigkeit beschrieben: Die dabei jedoch nicht übersehen, dass es sich
Niveaukomponente charakterisiert die um die wertende Rückmeldung zu einer
Tendenz, das Leistungsniveau der eigenen persönlichen Leistung handelt. Rückmel-
Klasse im Vergleich zu den tatsächlichen dungen dieser Art sind in hohem Grade
Gegebenheiten insgesamt eher zu über- selbstwertrelevant. Obwohl die Erforschung
oder zu unterschätzen. Die Differenzie- der Auswirkungen von Leistungsurteilen auf
rungskomponente kennzeichnet die Ten- die beurteilte Person zu den eher vernach-
denz, die Streuung der Schülerleistungen lässigten Forschungsgebieten der Pädagogi-
in der Klasse zu über- oder zu unterschät- schen Psychologie gehört, ist gut belegt, dass
zen. Die Vergleichskomponente schließ- wertende Lehrerurteile einen erheblichen
lich bezieht sich auf die (un-)zutreffende Einfluss darauf haben können, wie und
Einschätzung der relativen Leistungsposi- was Schüler zukünftig lernen (Crooks,
tion der einzelnen Schüler innerhalb der 1988).
Klasse. Insbesondere die Lernmotivation wird
Spinath (2005) kommt in einer empi- durch erfahrene Leistungsbeurteilungen be-
rischen Untersuchung ebenfalls zu dem einflusst. Dieser Einfluss kann in seiner Aus-
Schluss, dass man von einer allgemeinen wirkung positiv (Ermutigung) oder negativ
»diagnostischen Kompetenz« nicht spre- (Entmutigung) für das weitere Lernverhalten
chen kann, da die verschiedenen Kom- ausfallen. Die naheliegende Annahme, gute
ponenten der Urteilsgenauigkeit relativ Beurteilungen wirkten generell ermutigend
unabhängig voneinander ausgeprägt vor- und schlechte Beurteilungen stets entmuti-
handen sein können. Vergleichsweise ak- gend, erweist sich bei genauerer Betrachtung
kurat fielen in ihrer Untersuchung ledig- allerdings als eine zu grobe Vereinfachung.
lich die Beurteilungen hinsichtlich der Erst wenn eine erfahrene Leistungsbewer-
Differenzierungskomponente aus. tung vom Lernenden selbst subjektiv eben-
falls als »gut« wahrgenommen wird, stellt
sich ein subjektives Erfolgserlebnis ein, wel-

408
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

ches die Bereitschaft erhöhen wird, sich auch dann, wenn die Leistung zumindest in
zukünftig auf diesem Feld zu engagieren. Teilen positiv bewertet wurde.
Dass es auch »paradoxe Effekte von Aus diesen kurzen Ausführungen könnte
Lob und Tadel« geben kann, ist in der man den Schluss ziehen, dass Leistungsurtei-
pädagogisch-psychologischen Motivations- le möglichst so zu gestalten sind, dass sie von
forschung seit längerem bekannt. Nicht im- den Lernenden als positive Rückmeldungen
mer wird eine lobende Beurteilung nämlich aufgefasst werden können. Dieser Schluss ist
auch subjektiv als positive Rückmeldung jedoch voreilig. Auch der Umgang mit Miss-
wahrgenommen. erfolgen will gelernt sein. Bei erfolgreichen
Positive motivationale Effekte lassen Lernern führen Misserfolge nicht zur Ent-
sich durch Leistungsbeurteilungen ins- mutigung, sondern werden zum Ansporn für
besondere dann hervorrufen, wenn die Be- vermehrte Lernaktivitäten. Wie man negativ
urteilungen – zumindest zusätzlich – eine gefärbte Leistungsrückmeldungen so vermit-
Orientierung an einem individuellen Be- telt, dass sie nicht entmutigend wirken, ge-
zugsmaßstab mit enthalten (s. o.) und hört zu den spannenden Fragen für die
wenn die Bewertungen zeitnah zur erbrach- zukünftige pädagogisch-psychologische For-
ten Leistung erfolgen. Zumindest gilt das schung.

7.5 Instruktionsmedien

Alle Methoden des Lehrens nutzen Medien am besten einsetzen, um das Lernen zu
(Mittler), um die Lerninhalte und die lernen- erleichtern? Auch die unterrichtlichen Fach-
den Personen zusammenzubringen. Lernme- didaktiken sind hauptsächlich an dieser Fra-
dien können in zweierlei Hinsicht Gegen- gestellung interessiert. Im zweiten Fall geht
stand einer pädagogisch-psychologischen es um eine kognitionspsychologische Heran-
Betrachtung sein: einerseits im Hinblick gehensweise. Die Analyse der Wirkungen
auf die Art und Optimierung ihrer Gestal- und der Wirksamkeit einzelner Gestaltungs-
tung bzw. ihres Einsatzes und andererseits im merkmale von Medien sowie der dabei zu
Hinblick auf die (kognitiven) Verarbeitungs- beobachtenden Interaktionen mit den Be-
prozesse, die sie beim Lernenden auslösen grenztheiten des kognitiven Systems und
oder auslösen sollen. Im erstgenannten Fall den (unterschiedlichen) individuellen Lern-
geht es um den instruktionalen Umgang mit fähigkeiten sind für die instruktions- und
medialen Lehrmaterialien wie Texten, Bil- kognitionspsychologischen Arbeiten zum
dern, Filmen, Tonträgern oder computer- Verständnis (multi-)medialer Informations-
gestützten Lern- oder Simulationsprogram- verarbeitung charakteristisch.
men und um die konkrete Ausgestaltung Im Folgenden wird der Medienbegriff in
dieser Materialien. Mit Blick auf den Lehr- seiner instruktionspsychologischen Ausfor-
Lern-Prozess geht es dabei meist um Fragen mung näher beschrieben und es wird nach
des leichteren und besseren Verstehens und dem »Neuen« bei den »neuen Medien«
Behaltens neuer Informationen durch die gefragt. Danach wird ein theoretisches Mo-
medialen Materialien. Diese Blickrichtung dell multimedialen Lernens vorgestellt, das
ist für mediendidaktische Fragestellungen auf Arbeiten von Richard Mayer zurückgeht
typisch: Wie lassen sich welche Medien (Mayer, 2003 b; Mayer & Moreno, 2003).

409
Teil II Lehren

Wolfgang Schnotz (2002, 2005; Schnotz & re Rolle. Dort wurde argumentiert, dass
Bannert, 1999) hat hierzu eine alternative Filme und andere animierende Technologien
Sichtweise entwickelt. Für viele Modelle die Umsetzung situierter Lernprinzipien we-
multimedialen Lernens ist Swellers Theorie sentlich erleichtern, indem sie das Modellie-
der kapazitären Begrenztheit und der men- ren »authentischer« und komplexer Pro-
talen Belastung des Arbeitsgedächtnisses – blemsituationen ermöglichen, wo direkte
die sogenannte Cognitive Load Theory, kurz Erfahrungen nur schwer möglich sind.
CLT – von Bedeutung (Sweller, van Merrien- In der Instruktionspsychologie interes-
boer & Paas, 1998). In einer sehr frucht- siert man sich weniger für die technologische
baren, grundlagen- und anwendungsorien- Seite von Medien als vielmehr für die ko-
tierten Forschungstradition wird auf der gnitiven Prozesse, die während des Lernens
Basis der CLT seit einigen Jahren über Ge- im Zuge der (multi-)medialen Informations-
staltungsprinzipien multimedialer Lernsi- verarbeitung ablaufen. Das heißt: Nicht die
tuationen geforscht, um deren Vorteile zu Medien selbst stehen im Vordergrund des
nutzen und um der mentalen Überlastung Interesses, sondern die durch sie initiierten
vieler Lernenden entgegenzuwirken (Kirsch- Prozesse des Verstehens und Behaltens, die
ner, 2002; Mayer & Moreno, 2003; van durch die instruktionalen Gestaltungsmerk-
Merrienboer, Kirschner & Kester, 2003). male der Medien befördert (oder erschwert)
Idealerweise lassen sich aus den Modellen werden können. Deshalb führt uns auch an
multimedialen Lernens nämlich didaktische dieser Stelle McLuhans griffige Formel »The
Schlussfolgerungen über mehr oder weniger Medium is the Message« (1965) nicht weiter,
lernförderliche Gestaltungsmerkmale von weil es McLuhan vornehmlich auf die Be-
Lernmedien ziehen. Es werden einige Unter- schreibung und Erklärung von Phänomenen
suchungen zur Wirksamkeit medialer Inter- der Medienrezeption ankommt und darauf,
ventionen und zum Umgang mit der menta- wie Medien die Welt und die Menschen
len Belastung exemplarisch dargestellt. Sie verändern. Unser Grundgedanke besteht
zeigen allerdings auch, dass es beim (media- vielmehr darin, dass sich Lerninhalte medial
len) Lernen nicht nur auf die Medienseite, in ganz unterschiedlicher Weise kodieren
sondern vor allem auf den Lernenden selbst und darbieten lassen. In institutionellen
ankommt. Lehr-Lern-Situationen werden vor allem
sprachliche (verbale) und bildhafte (pikto-
riale) Symbolsysteme eingesetzt, um eine zu
Lernen mit Medien vermittelnde Botschaft zum Lernenden »zu
tragen«. Durch die beiden Symbolsysteme
In Aeblis (1983) psychologischer Didaktik können unterschiedliche Sinnesmodalitäten
ist von fünf Medien der (inneren) Erfah- (Sinneskanäle) der Lerner angesprochen
rungsbildung die Rede, bei dreien davon werden (nämlich die Augen und/oder die
(dem Erzählen, Lesen und Schreiben) treibt Ohren). Sie lösen im Folgenden sowohl mo-
der Lehrende die Erfahrungsbildung über dalitätsspezifische als auch -unspezifische
das Symbolsystem der Sprache voran, bei Formen der Informationsverarbeitung aus.
den beiden anderen (dem Vorzeigen und Wenn man Medien, wie es häufig ge-
Anschauen) ist die Sprache nicht oder nur schieht, in visuelle, auditive oder audiovisu-
begleitend am Lernprozess beteiligt. Beim elle klassifiziert, nimmt man – aus der Per-
situierten Lernen, insbesondere bei der Ge- spektive des wahrnehmenden Subjekts – eine
staltung von Lernumgebungen nach der Me- Einteilung nach der Art der Sinnesrezeption
thode der Verstehensanker (䉴 Kap. 6.2), (Modalität) des Reizmaterials vor: Ein still
spielten Filme als Lehrmedien eine besonde- gelesener Text »spricht« modal das Auge

410
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

(visuell) an, und zwar zunächst einmal nur tenden Professor) von den nicht personalen
das Auge (monomodal), ebenso wie eine Medien (z. B. der Tafel) unterscheiden. Wenn
betrachtete Fotografie oder das Bild eines die Realisierung nicht-personaler Medien
Bilderbuchs. Die Musik einer Musikkassette auf modernen Informationstechnologien be-
oder eines MP3-Players »spricht« mono- ruht, werden sie häufig auch als »neue«
modal (nur) das Ohr an (auditiv), ebenso Medien bezeichnet. »Alte« Medien wären
eine im Rundfunk gehörte Rede oder Dis- demnach Kreide und Tafel oder die bedruck-
kussionsrunde. Ein Musikvideo oder ein ten Buchseiten, während z. B. die Nutzung
Film auf DVD »sprechen« multimodal Au- des Internets oder allgemeiner eines Com-
gen und Ohren zugleich an (audiovisuell), puters unter die Bezeichnung »neue Me-
gelegentlich können die Filminhalte auch dien« fallen würde. Ständig fortschreitende
Empfindungen in der Magengegend zur Fol- technologische Neuentwicklungen lassen
ge haben (Letzteres trifft natürlich gleicher- solche Unterscheidungen allerdings fragil
maßen auf die monomodalen Medien zu). und unbeständig erscheinen. Bei der Mate-
Wenn man Medien dagegen nach den rialität von Medien kann man hinsichtlich
Symbolsystemen klassifiziert, derer sie sich der Flexibilität ihrer Nutzbarkeit zwischen
bedienen, um Informationen zu vermitteln, einseitig (mono-) und vielfältig (multimedi-
nimmt man eine Einteilung nach der Kodie- al) nutzbaren unterscheiden. Als multimedi-
rungsform (Kodalität) vor. Ein Buchtext al gelten alle Arten von Kombinationen von
ohne Bilder und ohne Grafiken ist mono- Kodierungen und Modalitäten, die bei ge-
kodal rein sprachlich (verbal) kodiert, ganz gebener Materialität möglich sind. Auf einer
gleich, ob er auf dem Computerbildschirm umgangssprachlichen Ebene versteht man
erscheint, auf einem Blatt Papier oder ob er unter multimedial aber auch alle möglichen
von einem Sprecher vorgelesen wird. Ein Kombinationen von Geräten und Technolo-
Bild ohne Worte ist, wie der Stummfilm, gien. Als monomedial ist z. B. dieses Lehr-
monokodal rein bildhaft kodiert. Wenn buch zu bezeichnen, wenn man es, seiner
der Text zusätzlich Abbildungen enthält, materialen Stofflichkeit entsprechend, »line-
ist er multikodal gestaltet (verbal und pik- ar-analog« durchlesend verwendet, ohne auf
torial), ebenso werden im Tonfilm bewegte die Abbildungen zu achten (und wenn keine
Bilder und Sprache zugleich, also wiederum begleitenden Folienvorlagen, PowerPoint-
multikodal präsentiert. Computerspiele und Präsentationen oder zusätzliche Animatio-
elektronische Lernprogramme sowie elek- nen angeboten und genutzt werden).
tronische Nachschlagewerke mit Texten, Weidenmann (2006) fasst die wesentli-
eingebundenen Videos, Dialogen und Ge- chen Aspekte des Lernens mit Medien so
räuschen sind ebenfalls multikodal kon- zusammen:
zipiert und machen eine multimodale Rezep-
tion erforderlich (Weidenmann, 2002, ● Alle Informationen (die zu vermittelnden
2006). Die Kodalität eines Mediums stellt Botschaften) werden in einem Symbolsys-
bestimmte Anforderungen an seine mentale tem kodiert.
Rezeption (das Dekodieren), sie determiniert ● Die Übermittlungsmedien selbst (also das
allerdings nicht vollständig die Modalität Buch oder die Tafel oder der Lehrfilm
der Informationsverarbeitung beim Lernen- oder der vortragende Professor) struktu-
den. rieren aufgrund ihrer inhärenten Eigen-
Wenn man Medien nach ihrer tech- schaften (also ihrer Begrenztheiten und
nischen Basis oder Stofflichkeit (Materialität besonderen Möglichkeiten) dieses Sym-
oder Medialität) einteilt, kann man zunächst bolsystem ins spezifischer Weise.
einmal die personalen (z. B. den unterrich-

411
Teil II Lehren

● Die so kodierte und medienspezifisch belegen – auch nicht, wenn man die Theorie
strukturierte Information ist als Lernan- der Doppelkodierung (Paivio, 1986) oder
forderung der eigentliche Ausgangspunkt das multimediale Lernmodell von Mayer
der individuellen Lernprozesse. (2003 b) heranzieht. Und was den unterstell-
ten Vorteil der Additivität von Sinnesmoda-
Es sind also weniger die Modalitäten der litäten angeht, so sind vor dem Hintergrund
Sinnesrezeption als vielmehr die Kodalitäten der mentalen Belastungstheorie (Cognitive
der Informationsdarbietung und vor allem Load Theory, CLT) wesentlich differenzier-
die Formen ihrer internen Repräsentation tere Betrachtungsweisen zu Kontiguität und
und Weiterverarbeitung, die sie zur Folge Kohärenz multimodaler Präsentationen
haben, die für die Psychologie des Lernens möglich und notwendig (Mayer & Moreno,
mit Medien von Interesse sind. Wichtiger als 2003). Wenig hilfreich ist auch der beliebte
die Modalität der Sinnesrezeption ist dabei Verweis auf die Funktionsweise hirnphysio-
die Kodalität der Informationsdarbietung logischer Prozesse und auf hirnanatomische
(Weidenmann, 2002). Bei alledem darf Spezialisierungen, vor allem im Sinne einer
man nicht vergessen, dass es der notwendi- Lateralität der kognitiven Verarbeitung vi-
gen Eigenaktivität des Lernenden bedarf, sueller und verbaler Reize. In den Bereich der
damit eine Lehrmethode und der damit ver- naiven Annahmen fällt auch die populärwis-
bundene mediale Aufwand lernförderliche senschaftlich weit verbreitete Typisierung
Wirkungen überhaupt entfalten können. von Lernenden (vgl. dazu den Überblick
bei Hasselhorn, 1995) nach den von ihnen
angeblich bevorzugten Modalitäten der In-
Lernwirksamkeit von Medien formationsaufnahme (䉴 Kap. 2.3).
Der Vorteil von unmittelbarer Erfahrung
Über die Lernwirksamkeit von Medien kur- und die Wirksamkeit der Additivität von
sieren bisweilen recht kuriose Annahmen. Sinneskanälen sind empirisch nicht so leicht
Viele Darstellungen zur mehrkanaligen In- zu belegen. Bereits die Ergebnisse der viel
formationsverarbeitung berufen sich auch zitierten Studie von Düker und Tausch
heute noch auf den berüchtigten »Erfah- (1957), einem frühen Klassiker der Medien-
rungskegel« von Dale (1946), wonach wir wirkungsforschung, lassen in dieser Hinsicht
90 % dessen behalten, was wir tun, aber nur Raum für vielerlei Interpretationen offen,
30 % dessen, was wir sehen und gar nur wie es z. B. auch in der originellen Replika-
20 % dessen, was wir hören (wenn man tion durch Heller (1981) geschieht (vgl.
Hören und Sehen multimodal kombiniert, Kasten).
resultiert immerhin eine Behaltensleistung Die Ergebnisse beider Untersuchungen
von 50 %). Ganz schlecht ist es dieser Theo- deuten zwar auf den ersten Blick darauf
rie zufolge übrigens um das Behalten durch hin, dass die unterschiedlichen Veranschau-
Lesen bestellt (nur 10 % dessen, was wir lichungsmedien (hier: Bilder, Präparate, le-
lesen, können wir auch behalten), aber das bendige Tiere) zu unterschiedlich guten
wissen Sie vermutlich schon aus eigener Lernergebnissen führen. Sie zeigen aber
Erfahrung. Dales »Realitätskontinuum« nur, dass die unterschiedlichen Medien un-
deckt sich in den Kernaussagen mit älteren terschiedlich gut verwendet werden. Wenn
und neueren (überwiegend reform-pädago- nämlich der gleiche, über eine Tonkassette zu
gisch inspirierten) Konzepten, wonach umso Gehör gebrachte Vortragstext mit Informa-
leichter gelernt werde, je unmittelbarer und tionen über das Meerschweinchen, zweimal
konkreter eine Erfahrung sei. Die These lässt von der Präsentation eines Gegenstandes
sich in dieser Allgemeinheit allerdings nicht (eines präparierten oder eines lebendigen

412
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Studie: Die Küchenschabe und das Meerschweinchen


In der Studie von Düker und Tausch (1957) ging es um die Wirkung der Veranschaulichung
auf das Verstehen und Behalten des Unterrichtsstoffs. Über Tonband wurde in Schulklassen
der 5. Klassenstufe eine Lehreinheit aus der Biologie dargeboten – inhaltlich ging es über die
Beschaffenheit, Lebensweise und Verhaltensgewohnheiten von Insekten (z. B. der Küchen-
schabe). In der Experimentalgruppe hatten die Kinder während des Vortrags zusätzlich ein
präpariertes Insekt vor Augen (Anschauung). In einem Behaltenstest erwies sich diese
Bedingung als überlegen.
Im Folgeexperiment – Thema der Unterrichtsstunde war das Meerschweinchen – wurden
verschiedene Grundformen der Veranschaulichung variiert. In einer von drei Experimental-
gruppen hatten die Kinder während des Vortrags ein Bild eines Meerschweinchens vor
Augen, in einer zweiten Gruppe ein präpariertes Modell eines Meerschweinchens und eine
dritte Gruppe bekam ein lebendiges Tier in einem Käfig zu sehen. In der Gruppe mit der
Veranschaulichung durch das präparierte Modell wurde eine bessere Behaltensleistung
erzielt als in der Gruppe mit der Fotografie. Die Anschauungsgruppe mit dem lebendigen
Tier erzielte aber die beste Behaltensleistung. Die Autoren schlussfolgerten, dass durch die
Veranschaulichung des Vortragsinhalts das Interesse am Unterrichtsstoff günstig beeinflusst
wird.
Heller (1981) hat in Anlehnung an diese Studie zeigen können, dass eine bessere
Behaltensleistung allerdings auch dann resultiert, wenn während des Vortrags über ein
Meerschweinchen ein gänzlich anderes Anschauungsobjekt (Goldhamster) zu sehen ist.
Heller interpretiert das als unspezifischen Effekt eines »durch ein lebendiges Tier«
gesteigerten Interesses am Unterricht. Wenn nur eine Schildkröte zu sehen war, blieb
der Effekt allerdings aus.

Meerschweinchens) und einmal von der Dar- liche Ausgestaltungen der medialen und
bietung eines Tierfotos begleitet wird, dann multimedialen Präsentation von Lerninhal-
sind aus heutiger Sicht weder die Kodalität ten auf »neuen Plattformen« realisiert wer-
noch die Modalität von medialer Präsenta- den können. Neben den inzwischen in Lehr-
tion und kognitiver Verarbeitung angemes- kontexten fest etablierten Formen neuer
sen variiert. Vielmehr fällt auf, dass in sämt- Medien, wie der computergesteuerten Lern-
lichen Experimentalbedingungen das Medi- programme oder der Internetnutzung, wird
um der sprachlichen Erzählung in hohem in den nächsten Jahren die Weiterentwick-
Maße artifiziell und weit unter Wert genutzt lung und damit der gesellschaftliche Einfluss
wird, weil nämlich eine Tonkassette für den neuer Kommunikationsformen, wie z. B.
Vortrag eingesetzt wird, wo doch der leben- Podcasts, Blogs oder Wikis, noch zunehmen.
dige Erzähler vermutlich viel besser in der Zusätzlich wird der Einsatz mobiler Geräte
Lage gewesen wäre, das Interesse der Kinder dazu führen, dass Informationen jederzeit
zu wecken. und an jedem Ort zugänglich sind (vgl.
Zumbach, 2010). »Alte« oder analoge Me-
Alte und neue Medien. Neue technologische dien, wie Bücher, Bilder oder Tonbänder
Rahmenbedingungen, insbesondere der Sie- häufig genannt werden, sind aber im Hin-
geszug der elektronischen Datenverarbei- blick auf ihre didaktischen Prinzipien und
tung, haben dazu geführt, dass herkömm- Einsatzmöglichkeiten nicht automatisch ver-

413
Teil II Lehren

altet, nur weil es sie schon länger gibt. Aber Begriffe auszeichnen, sind neben der Grund-
ein interaktives computerbasiertes Lernpro- voraussetzung einer guten Lesekompetenz
gramm bietet ganz andere Gestaltungsmög- auch ein gutes thematisches Vorwissen
lichkeiten als die klassischen Textbücher des und hinreichende Erfahrungen mit compu-
Programmierten Unterrichts sensu Skinner terbasierten Lernmedien sehr hilfreich, da-
(䉴 Kap. 6.1). Als weitere Vorteile neuer Me- mit es nicht zur Desorientierung der Lernen-
dien nennt Zumbach (2010) z. B. ihre Glo- den kommt, dem sogenannten Lost-in-Hy-
balität (die kulturübergreifende Nutzbar- perspace-Phänomen (Conklin, 1987). Zu
keit), Synchronizität (die ständige Verfüg- den notwendigen Lernvoraussetzungen im
barkeit) und die Kostenersparnis (wenn Umgang mit neuen Medien gehören auch ein
etwa Online-Kurse anstelle von Präsenzver- gutes räumliches Vorstellungsvermögen und
anstaltungen angeboten werden). Außerdem eine positive Einstellung gegenüber den neu-
arbeiten viele computergestützte Lernpro- en Technologien (Blömeke, 2003; Brünken
gramme adaptiv, sind also darauf ausgelegt, & Leutner, 2000). Eine ausführliche Aus-
dem aktuellen Wissensstand und den Be- einandersetzung mit den verschiedenen For-
dürfnissen des Lernenden optimal Rechnung men neuer Medien, ihrer effektiven Nutzung
zu tragen. und dem damit verbundenen Implikationen
Die wichtigen Fragen der Passung von findet sich bei Zumbach (2010).
Informationskodalität und Verarbeitungs-
modalität stellen sich bei alten wie bei neuen Multimedia. Als »Breitbandbegriff« (Wei-
Medien gleichermaßen. Entsprechend hebt denmann, 2002) ist der Begriff Multimedia
Zumbach (2010) die Bedeutung grundlegen- für eine instruktionspsychologische Verwen-
der instruktions- und kognitionspsychologi- dung eigentlich weniger gut geeignet, zumal
schen Theorien und Befunde auch in Bezug er in der öffentlichen Wahrnehmung eher mit
auf neue Medien hervor. Mit der raschen einem integrierten medialen Hard- und Soft-
Verbreitung digitaler Medien in den letzten ware-Angebot der Unterhaltungsindustrie in
beiden Jahrzehnten hat sich der Schwer- Verbindung gebracht wird. Auch Horz
punkt der Forschung im Bereich der Medien- (2009) weist darauf hin, dass nicht nur
psychologie auf die Mensch-Computer-In- digitale Medien, sondern nahezu jedes Lehr-
teraktion verlagert (Horz, 2009). buch, jeder Lehrfilm und jede Unterrichts-
Neu an derartigen Medienformen ist, form im eigentlichen Sinne als multimedial
dass die computerbasierten Medien eine zu bezeichnen sind, da sie sich in der Regel
leichtere Realisierung und Integration einer unterschiedlicher Kodierungsformen zur
multikodalen und multimodalen Präsentati- gleichen Zeit bedienen. Aus instruktionspsy-
on bzw. Verarbeitung zulassen (Goldman- chologischer Sicht kann der Multimedia-
Segall & Maxwell, 2003). Wie bei anderen begriff aber auch beibehalten werden,
Medien auch, setzt der unterrichtliche Ein- wenn man der oben eingeführten Differen-
satz neuer Medien aber immer voraus, dass zierung in eine kodale, die Eigenschaften des
spezifische Kompetenzen zu ihrer Nutzung Symbolsystem betreffende, und eine modale,
vorhanden sind. Viele der neuen multimedia- die Art der Sinnesrezeption betreffende Di-
len Lehrsysteme stellen beispielsweise hohe mensionalität folgt. Multimedial wären
Anforderungen an die selbstregulativen dann nur jene integrierten Informations-
Lernkompetenzen. Insbesondere für die ge- angebote und Präsentationen zu nennen,
winnbringende Nutzung sogenannter Hy- die sich auf der kodalen Ebene unterschied-
per-Texte, also am Computer dargebotener licher Formate und -technologien zugleich
Texte, die sich durch zahlreiche Verknüp- bedienen.
fungen inhaltlich verwandter Texte oder

414
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Textverstehen Textoberfläche hinaus. Versuchen Sie ein-


mal, den Text im nachfolgenden Beispiel-
kasten zu verstehen. Er enthält Auszüge aus
Geschriebene Texte sind auch heute noch die der deutschen Zusammenfassung einer US-
am häufigsten eingesetzten Lernmedien, sei amerikanischen Studie von Beck, McKeown,
es in traditioneller Buch- oder Artikelform Sinatra und Loxterman (1991), die in Rea-
oder in der elektronischen Darbietung. Um ding Research Quarterly veröffentlicht wur-
verbal kodierte Informationen sinnvoll nut- de.
zen zu können, ist die Lesekompetenz (Text-
verstehen) eine entscheidende Grundvoraus-
Beispiel: Schwieriges Textverstehen
setzung. Die Theorie des Textverstehens von
am Beispiel der Übersetzung einer
Walter Kintsch (1996; Kintsch & van Dijk,
Zusammenfassung
1978) geht davon aus, dass beim Lesen eines
Textes multiple mentale Repräsentationen Zusammenfassung. Zweck dieser Studie
auf unterschiedlichen, miteinander verbun- war es, Forschungsergebnisse im Bereich
denen Verstehensebenen gebildet werden. Im der kognitiven Verarbeitung anzuwen-
Durchlaufen hierarchieniedriger kognitiver den, um landeskundliche Texte des 5.
Verarbeitungsprozesse wird auf dem Wege Schuljahres zu revidieren, diese Bearbei-
von der Buchstaben-, über die Wort- und tungen zu beschreiben und deren Wir-
Satzidentifikation zunächst eine basale text- kungen empirisch nachzuweisen. Aus ei-
immanente (mikro-)propositionale Form nem amerikanischen Lehrbuch wurden
der Textrepräsentation aufgebaut. Prozesse dazu vier Textabschnitte, die die Zeit
der lokalen Kohärenzbildung sorgen dafür, vor der Amerikanischen Revolution be-
dass auf dieser Ebene einzelne Propositionen handelten, revidiert. Die Original-
miteinander verbunden werden und dass abschnitte und die revidierten Fassungen
sich so eine zunehmend umfangreichere, wurden 85 Schülern des 4. und 5. Schul-
zusammenhängende mentale Textrepräsen- jahres vorgelegt [. . .]. Die Schüler, die den
tation des Gelesenen (die Textbasis) heraus- revidierten Text gelesen hatten, konnten
bildet. Die hierarchiehöheren kognitiven mehr Informationen nacherzählen und
Prozesse der Verknüpfung, Reduktion und mehr Fragen richtig beantworten als die
Verdichtung von propositionalen Sequenzen Schüler, die den Originaltext gelesen hat-
dieser Textbasis dienen im Zuge einer glo- ten [. . .]. Im Ganzen zeigen die Auswir-
balen Kohärenzbildung der Herstellung kungen der Revisionen, dass ein textver-
übergeordneter semantischer und syntakti- arbeitendes Verfahren beim Aufstellen
scher Relationen zwischen Sätzen und Text- von Verständnistexten sinnvoll ist.
abschnitten. Das Resultat dieser Prozesse
nennt man die Makrostruktur eines Textes
– das sind seine Hauptideen. Integriert in die Man hätte zu Illustrationszwecken vermut-
beim Leser bereits vor dem Lesen vorhan- lich auch die spanische oder die französische
denen Vorwissensstrukturen, Gefühle, Ein- Zusammenfassung der Studie abdrucken
stellungen und Bedürfnisse und losgelöst von können. Sie sind offenbar allesamt lieblos
der Wortebene der Textvorgabe entsteht so mit einem Sprachcomputer erstellt worden
im Ergebnis ein mentales Modell der Text- (Achten Sie einmal darauf – das kommt bei
bedeutung. Kintsch (1993) bezeichnet dies Zusammenfassungen oder Gebrauchsanlei-
als Situationsmodell. tungen nämlich gar nicht so selten vor!).
Das Verstehen und Behalten von Texten Trotz der sprachoberflächlichen Holprigkei-
geht also weit über das Dekodieren der ten haben Sie aber aufgrund Ihres wissen-

415
Teil II Lehren

schaftlichen Vorwissens vermutlich einen Modelle multimedialen Lernens


Eindruck davon gewinnen können, worum
es in der Studie geht. Verständlicher wäre
dennoch die Originalzusammenfassung in In der englischsprachigen Literatur gibt es im
der englischen Originalsprache gewesen. Vergleich zur deutschen weniger Probleme
Sie beschreibt die Studie übrigens als einen mit dem Begriff des »Multimedia Learning«.
überaus gelungenen Versuch, Lehrbuchtexte Mayer (2003 b) hat sein SOI-Modell nur
in verstehensförderlicher Weise zu optimie- geringfügig erweitert, um die Kodierungs-
ren. form der präsentierten Informationen und
die Modalität ihrer internen Repräsentatio-
nen im Modell multimedialen Lernens ent-
Beispiel: Leichteres Textverstehen am
sprechend unterzubringen (䉴 Abb. 7.11).
Beispiel einer Zusammenfassung
(englischsprachiges Original)
Die Cognitive Theory of Multimedia Lear-
Abstract. The purpose of the present ning (CTML) von Mayer. Wie schon aus
study was to use a cognitive processing dem SOI-Modell (䉴 Kap. 6.4) bekannt, sind
perspective to revise fifth-grade social die aufeinander folgenden kognitiven Pro-
studies texts, to describe those revisions, zesse der Selektion (S), Organisation (O) und
and to demonstrate their effects empiri- Integration (I) von Informationen die ent-
cally. Four segments of texts from a U. S. scheidenden Determinanten des Wissens-
textbook about the period leading to the erwerbs. Ihre Beherrschung erfordert ein
American Revolution and their revised hohes Maß an konstruktiver Eigenaktivität
counterparts were presented to 85 fourth- des Lernenden. Die hierarchieniedrigen Ver-
and fifth-grade students. [. . .] Students arbeitungsprozesse für bildhaft und verbal
who read the revised text recalled more kodiertes Material laufen zunächst in zwei
material and answered more questions separaten Selektionsprozessen »nebeneinan-
correctly than students who read the der her«, resultieren in zwei getrennten
original text. [. . .] Overall, the effects of Oberflächenrepräsentationen und führen
the revisions demonstrate that a text- nach zwei (wiederum separaten) Ordnungs-
processing approach to creating compre- und Organisationsprozessen schließlich zu
hensible text is a viable one. mentalen Modellen für Worte und Bilder.
Für Information, die sowohl verbal als auch
piktorial repräsentiert ist, kommt es in der
Das Textbeispiel illustriert erneut, dass Lern- Integrationsphase zu referentiellen Verknüp-
medien (hier Texte) in zweierlei Hinsicht fungen zwischen diesen Modellen. Paivio
Gegenstand einer instruktionspsychologi- (1986) bezeichnete dies als den Bildvorteil
schen Betrachtung sein können: einerseits der »dualen Kodierung«; bei Mayer (2003 b)
in der Art (und Optimierung) ihrer medialen begründet diese Verknüpfung den »Multi-
Gestaltung und instruktionalen Verwen- mediaeffekt« des multimedialen Lernens.
dung und andererseits im Hinblick auf die Weil auch Wiederholungen und Redundan-
Analyse der (kognitiven) Verarbeitungspro- zen zum besseren Verstehen und zur Kon-
zesse, die sie beim Lernenden auslösen oder solidierung des Verstandenen beitragen, die-
auslösen sollen. se Modellbeschreibung nochmals in Mayers
eigenen Worten:
Die Pfeile repräsentieren kognitive Prozesse.
Der Pfeil von den Worten zu den Augen steht
für geschriebene Worte, die auf die Augen

416
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Multimediale Sensorisches Arbeits- Langzeit -


Präsentation Register gedächtnis gedächtnis

Worte Worte
Worte Ohren Klänge
ordnen Verbale Kodierung inte-
aus-
wählen grieren
Vorwissen
Bilder Abbilder
Bilder Augen Abbilder Bildhafte Kodierung
ordnen
aus-
wählen

Abb. 7.11: Modell des multimedialen Lernens (Mayer & Moreno, 2003, S. 44)

treffen; der Pfeil von den Worten zu den Ohren verstehens von Kintsch (1996) zu erkennen.
steht für gesprochene Worte, die auf die Ohren Wichtig ist: In der phonologischen Schleife
treffen; und der Pfeil von den Bildern zu den
Augen steht für Bilder, die auf die Augen
des Arbeitsgedächtnisses werden mit den
treffen. Der Pfeil mit der Aufschrift Worte Ohren gehörte und mit den Augen gesehene
Auswählen zeigt an, dass der Lernende seine (gelesene) sprachliche Informationen ver-
Aufmerksamkeit auf einige der auditorischen arbeitet, im visuell-räumlichen Notizblock
Reize lenkt, die durch die Ohren hereinkom- aber nur die visuell-räumlichen. Die Annah-
men; der Pfeil mit der Aufschrift Abbilder
Auswählen dagegen zeigt an, dass der Lernende me zweier getrennter operativer Teilsysteme
seine Aufmerksamkeit auf einige der visuellen des Arbeitsgedächtnisses und die Überlegun-
Reize lenkt, die durch die Augen hereinkom- gen zur aktiven, bedeutungserzeugenden In-
men. Der Pfeil mit der Aufschrift Worte Orga- formationsverarbeitung bilden die Basis für
nisieren zeigt an, dass der Lernende eine ko-
härente verbale Repräsentation aus den herein-
zwei weitere Grundannahmen Mayers:
kommenden Wörtern bildet; der Pfeil mit der
Aufschrift Abbilder Organisieren dagegen ● Weil die jeweiligen Verarbeitungskapazi-
zeigt an, dass der Lernende eine kohärente täten im auditiv-verbalen und im bildhaft-
bildhafte Repräsentation aus den hereinkom- piktorialen Teilsystem des Gedächtnisses
menden Bildern konstruiert. Der Pfeil mit der
Aufschrift Integrieren schließlich steht für die begrenzt sind, kann eine kombinierte au-
Verschmelzung des verbalen Modells, des bild- dio-visuelle Informationsdarbietung un-
haften Modells und des Vorwissens. Zusätzlich ter bestimmten Bedingungen vorteilhaft
gehen wir davon aus, dass die Selektions- und sein.
Organisationsprozesse durch das Vorwissen
gesteuert werden, welches der Lernende akti-
● Nur das aktive, generative und strategi-
viert. Beim multimedialen Lernen erfordert die sche Lernen kann den verstehenden Wis-
aktive Informationsverarbeitung fünf unter- sensaufbau begünstigen. Durch eine
schiedliche kognitive Prozesse: die Auswahl »passive« Informationsaufnahme allein
bzw. Selektion von Wörtern, die Selektion kann intelligentes und anwendungsfähi-
von Abbildern, die Organisation von Wörtern,
die Organisation von Abbildern und die Inte- ges Wissen nicht entstehen.
gration. Die Prozesse beanspruchen die kogni-
tive Kapazität des Informationsverarbeitungs- Mayer und seine Mitarbeiter haben in einer
systems. (Mayer & Moreno, 2003, S. 44) Reihe von experimentellen Studien zum mul-
timedialen Lernen die Lernwirksamkeit mul-
Mayer bezieht sich bei seinen Überlegungen tikodaler und multimodaler Präsentations-
auf Paivios Theorie der dualen Kodierung und Verarbeitungsprinzipien ausführlich un-
(Paivio, 1986) und auf Baddeleys Theorie des tersucht (zusammenfassend: Mayer & Mo-
Arbeitsgedächtnisses (Baddeley, 1986), es reno, 2003; Brünken & Leutner, 2008).
sind aber auch Bezüge zur Theorie des Text- Zunächst zur Multikodalität: Wenn Infor-

417
Teil II Lehren

mationen in Text und Bild zugleich präsen- 2005). Dieser sogenannte Modalitätseffekt
tiert werden, wird besser gelernt (Multi- wird von den meisten Autoren damit erklärt,
mediaeffekt). Während Sie diesen Text- dass das visuell dargebotene Textmaterial
abschnitt lesen, entsteht als kognitive Re- und die (ebenfalls visuell dargebotenen) Bil-
präsentation dieses Textes ein verbal basier- der in den frühen Verarbeitungsstufen das-
tes mentales Modell seines Inhalts. Enthält selbe Teilsystem des Arbeitsgedächtnisses
der Text zusätzlich eine Grafik oder Abbil- beanspruchten, nämlich das visuell-räumli-
dung (wie z. B. 䉴 Abb. 7.11), werden Sie che, und damit zeitgleich um dieselbe Res-
zusätzlich ein piktorial basiertes mentales source konkurrierten, während die auditive
Modell dieses Inhalts konstruieren. In bei- Darbietung des Textmaterials früh ein sepa-
den Fällen werden über referentielle kogni- rates Teilsystem, nämlich das phonologi-
tive Prozesse wechselseitige Repräsentatio- sche, aktiviere (Mayer, 2001). Dieser Sicht-
nen auf der jeweils anderen Ebene erzeugt – weise zufolge wird das visuell präsentierte
so wie es Paivio (1986) in seinem Doppel- verbale Material zuerst im visuell-räumli-
kodierungsmodell beschreibt. Die Betrach- chen Arbeitsgedächtnis verarbeitet und
tung der Abbildung wird also auch sprach- erst später für die phonologische Schleife
liche Repräsentationen hervorbringen, und rekodiert. Andere Autoren (Rummer,
das Lesen der Worte und Sätze kann – wo das Schweppe, Scheiter & Gerjets, 2008) stellen
möglich ist – auch bildhafte Vorstellungen diese Annahme in Frage, da nach ihrem
auslösen. Zum Vorteil gereicht diese Dop- Verständnis des zugrunde liegenden Arbeits-
pelkodierung aber nur dann, wenn durch die gedächtnismodells von Baddeley sowie nach
Art der Präsentation die zeitliche und räum- den Ergebnissen empirischer Studien (z. B.
liche Integration von Text- und Bildinforma- Gathercole & Baddeley, 1993) auch die
tionen gut gewährleistet ist, wenn also Bilder frühe Verarbeitung kodalitäts- und nicht
und Texte gleichzeitig und nicht nacheinan- modalitätsspezifisch verläuft, d. h. jedweder
der dargeboten werden (Kontiguitätseffekt). verbaler Input wird grundsätzlich im pho-
Besonders für Lernende mit ungünstigen nologischen Teilsystem verarbeitet, unab-
Lernvoraussetzungen ist die instruktionale hängig von der Aufnahmemodalität. Diese
Beachtung des Kontiguitätsprinzips von gro- Autoren sehen daher den Modalitätseffekt
ßer Bedeutung. Wichtig ist auch, dass Text- eher als Ausdruck eines Split-Attention-Phä-
und Bildinformation explizit aufeinander nomens, da der Lernende im frühen, der
bezogen sind oder referentiell aufeinander weiterführenden Informationsverarbeitung
bezogen werden können (Kohärenzeffekt) vorangehenden Prozess der selektiven Wahr-
und nicht unverbunden nebeneinander ste- nehmung seine Augen nicht gleichzeitig auf
hen. Wenn Text und Bild nichts miteinander zwei Quellen (das Bild und den Text) richten
zu tun hätten, würde die zusätzliche Stimu- kann, so dass es notwendigerweise zu einer
lierung nicht hilfreich sein, sondern im Ge- sequenziellen und damit langsameren Ver-
genteil nur eine dysfunktionale Zusatzbelas- arbeitung der multimedialen Informationen
tung verursachen. komme. Der bekannte Modalitätseffekt läge
Mehrere Studien konnten zeigen, dass bei somit nicht in der unterschiedlichen Ver-
gleichzeitiger Präsentation von Text und Bild arbeitung der verschiedenen Reize in den
der Lernerfolg dann am größten ist, wenn Teilsystemen des Arbeitsgedächtnisses be-
das verbale Material nicht visuell dargebo- gründet, sondern in den Begrenzungen des
ten, sondern auditiv (z. B. über Lautsprecher Wahrnehmungssystems.
oder Kopfhörer) präsentiert wird (Moreno
& Mayer, 1999, 2000, Brünken, Plass &
Leutner, 2004, zusammenfassend: Ginns,

418
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Gedächtnispsychologie postulieren sie eben-


Studie: Multimodales Lernen und falls eine kurzzeitige Enkodierung der Infor-
Overload mation in den modalitätsspezifischen senso-
Um die Wirkung (unspezifischer) instru- rischen Registern, die einer durch selektive
mentaler Hintergrundmusik und von Aufmerksamkeitsprozesse gesteuerten Aus-
(sachbezogen) illustrierenden Hinter- wahl eines kleinen Teils dieser Informatio-
grundgeräuschen auf den Lernprozess nen für die weiterführenden Verarbeitungs-
zu untersuchen, wurden zwei computeri- prozesse im Arbeitsgedächtnis vorangeht.
sierte Lerneinheiten (zu den Themen Im Gegensatz zum Modell von Mayer
»Wetter« und »Funktionsweise von verwerfen Schnotz und Kollegen jedoch für
Bremsen«) entsprechend akustisch ani- die nachfolgenden Phasen der Informations-
miert (Moreno & Mayer, 2000). In bei- verarbeitung die Annahme einer modalitäts-
den Lerneinheiten wurden die inhalt- spezifischen mentalen Repräsentation. Statt-
lichen Informationen zugleich durch ei- dessen gehen sie davon aus, dass schon in
nen Sprecher (auditiv) und durch eine dieser Stufe der Verarbeitung sogenannte
begleitende Illustration (visuell) dargebo- propositionale Repräsentation sensu Kintsch
ten. In drei Experimentalgruppen wurden (1996) gebildet werden, die unabhängig von
darüber hinaus die akustischen Hinter- Merkmalen der Textoberfläche die Semantik
grundreize (also die Musik und/oder die (also den Bedeutungsinhalt) des Textes um-
Geräusche) hinzugefügt. fassen und damit modalitätsunabhängig
Zusätzliche Geräusche und zusätzliche sind. Darauf aufbauend werden in den hie-
Hintergrundmusik führten generell zu rarchiehöchsten Verarbeitungsstufen unter
schlechteren Verstehens- und Behaltens- Einbezug des Vorwissens und in Verknüp-
leistungen. Offensichtlich wurde die Ver- fung mit den bereits vorhandenen Wissens-
arbeitung der akustischen Reize im ver- strukturen komplett modalitätsunabhängige
balen Teilsystem des Arbeitsgedächtnisses mentale Repräsentationen erzeugt. Es wer-
durch die für das Verstehen irrelevanten den also nur die Oberflächenmerkmale eines
(Extraneous) Informationen zusätzlich Textes oder Bildes im Arbeitsgedächtnis mo-
und »unnötig« belastet (Overload). Die dalitätsspezifisch repräsentiert. Die darauf
Ergebnisse lassen sich im Sinne eines Ko- aufbauenden bedeutungsgenerierenden Pro-
härenzeffekt des multimodalen Lernens in zesse haben aber eine propositionale, also
Übereinstimmung mit der Overload- modalitätsunspezifische Repräsentation zur
Theorie (s. u.) interpretieren. Folge.

Die Cognitive Load Theory von Sweller. In


Das integrierte Modell des Hör- und Lese- einer anderen Forschungstradition sind John
verstehens von Kürschner und Schnotz. Swellers Arbeiten zu den Auswirkungen der
Auch Christian Kürschner und Wolfgang modalitätsspezifischen mentalen Belastun-
Schnotz (2008, vgl. auch Schnotz, 2002, gen des Arbeitsgedächtnisses entstanden
2005; Schnotz & Bannert, 1999) gehen in (Sweller, van Merrienboer & Paas, 1998).
ihrem mehrstufigen Modell multimedialen Swellers Cognitive Load Theory (CLT) geht
Lernens für die anfänglichen Prozessphasen davon aus, dass eine multimodale Informa-
der Informationsverarbeitung von separaten tionsverarbeitung zu einer besseren Aus-
Verarbeitungsprozessen in Abhängigkeit schöpfung der kognitiven Ressourcen füh-
von der Modalität der Informationsrezepti- ren, allerdings auch gegenteilige Effekte ha-
on (Sehen und Hören) aus. Im Einklang mit ben kann. Sweller zufolge hängt die mentale
den bekannten Mehrspeichermodellen der Belastung des Arbeitsgedächtnisses von der

419
Teil II Lehren

begrenzten Verarbeitungskapazität der au- nen zurückgeht, und (3) einen für jeden
ditiven und der visuellen Subsysteme in Re- Lernprozess aus der Informationsverarbei-
lation zu den durch die medialen Merkmale tung notwendigerweise erwachsenden effek-
des Lernmaterials gestellten Anforderungen tiven Anteil (Germane Load), der aus dem
ab. Gut vorstrukturierte, textlich-bildhaft Aufwand beim Aufbau neuer Wissensstruk-
und/oder akustisch-visuell integrierte, kon- turen resultiert (䉴 Abb. 7.12). Die Kunst der
tingent und kohärent präsentierte Informa- pädagogischen Instruktion besteht nun da-
tionen sind demnach mental weniger bean- rin, dass mehr Kapazität für das effektive
spruchend. Eine hohe Beanspruchung resul- Aufbauen der neuen Wissensstrukturen er-
tiert aber, wenn disparate Informationen öffnet oder bereitgestellt wird als für das
simultan zu verarbeiten sind (fehlende Ko- Verstehen der instruktionalen Anforderun-
härenz) oder wenn Teilinformationen über gen währenddessen »ineffektiv verbraucht«
einen längeren Zeitraum im Arbeitsgedächt- wird (Gerjets, Scheiter & Schuh, 2005).
nis präsent zu halten sind (fehlende Kon- Konventionelle Instruktion neigt dazu, das
tingenz). Arbeitsgedächtnis durch ineffektive mentale
Sweller unterscheidet unterschiedliche Belastung (extraneous load) zu beanspruchen,
Anteile der mentalen Belastung: (1) einen wohingegen das erfolgreiche Lernen den Über-
gang von ineffektiver zu effektiver Belastung
notwendigen intrinsischen Anteil (Intrinsic
(germane load) verlangt. Die CLT geht davon
Load), der durch die inhaltliche Komplexität aus, dass instruktionale Interventionen die in-
einer Lernaufgabe vorgegeben ist, aber auch trinsische CL nicht verändern können, weil sie
davon abhängt, wieviel Vorwissen bereits in dem zu behandelnden Material begründet
vorhanden ist. (2) Einen ineffektiven Anteil liegt. Das Ausmaß der ineffektiven (extraneous
load) und der effektiven (germane load) Belas-
(Extraneous Load), der auf eine suboptimale tung werden dagegen durch die Art der Lern-
instruktionale Gestaltung von Lernsituatio- umgebung bestimmt. (Kirschner, 2002, S. 4)

Instruktionale Lern-
Gestaltung aktivität Darbietungs-/
verarbeitungs-
abhängige
Belastung
Lern-
ergebnis

Vorwissen Material-
abhängige
Abb. 7.12:
Belastung Modell der Cognitive Load
Aufgaben-
komplexität Theory (nach Gerjets, Scheiter
& Schuh, 2005, S. 35)

Aus der theoretisch plausiblen Verknüpfung son (2003) geben dazu übersichtliche Dar-
von kognitiver Architektur und instruktio- stellungen. Kirschner (2002) erinnert noch-
naler Methode lassen sich eine Reihe von mals an die Ausgangsfrage:
Schlussfolgerungen zur Optimierung der
Die CLT beschäftigt sich also mit den Kapazi-
medialen Gestaltung von Lehr-Lern-Situa- tätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses und mit
tionen ziehen. Van Merrienboer, Kirschner den Maßnahmen, die ergriffen werden können,
und Kester (2003) sowie Renkl und Atkin- um das Lernen zu fördern [. . .]. In anderen

420
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

Worten: Wie kann man beim Planen und Ge- In den empirischen Studien noch nicht be-
stalten einer Lernumgebung sicherstellen, dass friedigend gelöst ist das methodische Pro-
die Grenzen der Belastbarkeit des Arbeits-
gedächtnisses nicht überschritten werden, wäh-
blem der sauberen Trennung und separaten
rend die Lernerin oder der Lerner der Instruk- Erfassung der unterschiedenen Belastungs-
tion folgt? (Kirschner, 2002, S. 3) anteile. In der Regel wird im Rückschluss-
verfahren argumentiert, d. h. wenn die Ver-
Aus der CLT und aus den empirischen Stu- stehens- und Behaltensleistung im Anschluss
dien zur kognitiven Belastung lässt sich ganz an eine CL-Optimierung besser geworden
pauschal die Schlussfolgerung ziehen, dass sind, schließt man auf eine vorangegangene
bei der Art, beim Ausmaß und bei der Reduktion der »extraneous« Belastung zu-
Geschwindigkeit der Informationsdarbie- gunsten zusätzlicher, für den Wissensaufbau
tung zunächst einmal das Leistungsniveau frei gewordener Kapazität. Das aber birgt
der jeweiligen Zielgruppe zu berücksichtigen die Gefahr der Zirkularität (vgl. Brünken,
ist, damit es nicht zur kognitiven Überlas- Plass & Leutner, 2003; Paas, Tuovinen,
tung kommt. So konnten z. B. Horz, Winter Tabbers & van Gerven, 2003).
und Fries (2009) zeigen, dass sich bei Stu-
dierenden in fortgeschrittenen Semestern ein
bestimmter Hinweisreiz und die dadurch Zurück zu den Medien
bewirkte höhere Nutzung von zusätzlichen
Hilfsangeboten beim computerbasierten Wie bereits beschrieben, werden die »intrin-
Lernen positiv auf die Lernleistung auswirk- sischen« Belastungen als notwendigerweise
te, während ein solcher Hinweis bei den anfallende Kosten einer korrekten Repräsen-
weniger fortgeschrittenen Studenten eher tation der Aufgabenanforderung bezeichnet,
das Gegenteil bewirkte. Sie fühlten sich in die »effektiven« Belastungen als notwendige
der Hinweisreiz-Bedingung kognitiv stärker Aufwendungen der zur Aufgabenlösung es-
belastet – es zeigte sich also der durch die CL- sentiell benötigten Informationsverarbei-
Theorie vorhergesagte negative Effekt zu- tungsprozesse und die »ineffektiven« Belas-
sätzlicher, aber nicht nutzbarer Informati- tungen gelten als Ausdruck beiläufiger, inzi-
onsdarbietung. denteller (und eigentlich »überflüssiger«)
Zu den im CL-Paradigma durchgeführten Verarbeitungsprozesse. Das essentielle Ver-
Studien zählen übrigens nicht nur die bereits arbeiten umfasst die sinnstiftenden Prozesse
erwähnten zum multimedialen Lernen (zu- des Auswählens, Organisierens und Integrie-
sammenfassend: Sweller et al., 1998), son- rens verbalen und bildhaften Materials –
dern auch Studien zur Überlegenheit des also die Kernprozesse von Mayers SOI-Mo-
Lernens aus Lösungsbeispielen (z. B. Mwan- dell. Das inzidentelle Verarbeiten bezieht
gi & Sweller, 1998) und zur Wirksamkeit sich dagegen auf die für das Verstehen und
vorbereitender Texte (z. B. Pollock, Chand- Behalten irrelevanten, unnötig belastenden
ler & Sweller, 2002). Vor allem die Studien Materialaspekte der Instruktion. Wo die
zu den Lösungsbeispielen haben gezeigt, inzidentellen Verarbeitungsprozesse zu
dass der entlastete Arbeitsspeicher – bei sehr im Vordergrund stehen, sind Zweifel
sinnvoller Verwendung der gewonnenen an der Funktionalität des Medieneinsatzes
Ressourcen – für neue lernförderliche Ak- angebracht. Mayer und Moreno (2003) ha-
tivitäten, z. B. für Selbsterklärungen, genutzt ben neun instruktionale Strategien zum hilf-
werden kann (Renkl & Atkinson, 2003; reichen Umgang mit der mentalen Belastung
Renkl, Gruber, Weber, Lerche & Schweizer, vorgestellt. Die Empfehlungen beruhen auf
2003). Ergebnissen aus experimentellen Studien
zum multimedialen Lernen. Sie werden im

421
Teil II Lehren

Folgenden nach fünf Overload-Szenarien im halten: Die mediale Aufbereitung des Lern-
Hinblick auf die beiden »Eingangskanäle« materials sollte möglichst einfach, klar und
der Informationsverarbeitung gruppiert: sparsam sein – Überflüssiges und Irrelevan-
tes ist nämlich nicht lernförderlich, sondern
1. Bei Überlastung des visuellen Kanals belastet die Informationsverarbeitung. Die
durch essentielle Verarbeitungsprozesse multimediale Präsentation und die Nutzung
● Partielle Verlagerung der Informati- verbaler und bildhafter Modalitäten zur
onsaufnahme in den auditiven Kanal gleichen Zeit sind grundsätzlich von Vorteil,
(Off-Loading) weil dadurch das visuelle Teilsystem und/
2. Bei Überlastung beider Kanäle durch es- oder das auditive Teilsystem entlastet wer-
sentielle Verarbeitungsprozesse den. Es ist aber dann auf räumliche und
● Zeitliche Streckung der dargebotenen zeitliche Kontiguität der Darbietung zu ach-
Informationseinheiten (Segmenting) ten. Lernen mit computergestützten Medien
● Vorziehen vorbereitender Informati- ist dann in hohem Maße lernzeitadaptiv,
onseinheiten (Pretraining) wenn Möglichkeiten der Selbststeuerung ge-
3. Bei Überlastung eines Kanals oder beider nutzt werden – wenn also die Lerner je nach
Kanäle durch essentielle und inzidentelle ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten die Ge-
Verarbeitungsprozesse schwindigkeit der Informationsdarbietung
● Entfernung irrelevanter Informationen und die Dauer des Lernprozesses selbst be-
(Weeding) stimmen. Die herkömmliche kontinuierlich-
● Verwendung von Hinweisreizen zur lineare (und auf die Lernvoraussetzungen
lernerleichternden Vereinfachung (Sig- wenig Rücksicht nehmende) Darbietung ist
naling) nämlich in kumulativen Lernprozessen pro-
4. Bei Überlastung eines Kanals oder beider blematisch, weil lokale Verständnisschwie-
Kanäle durch essentielle und inzidentelle rigkeiten Folgeprobleme nach sich ziehen.
Verarbeitungsprozesse, verursacht durch Beim selbstgesteuerten computerunterstütz-
Präsentationsfehler ten Lernen kann der Lernende über Reihen-
● Optimieren der Text-Bild-Kohärenzen folge und Geschwindigkeit der Präsentation
oder Verbesserung der syntaktischen selbst entscheiden.
und semantischen Klarheit (Aligning)
● Verzicht auf monokodal doppelt dar-
gebotene Information (Eliminating Re- Gestaltung von Lehrmaterialien
dundancy)
5. Bei Überlastung von Kanälen durch es- Um Lerntexte zu optimieren, sollte man sich
sentielle Verarbeitungsprozesse und an den folgenden Prinzipien orientieren (vgl.
durch intrinsische Belastungen Ballstaedt, 1997; Schnotz, 1994):
● Verbesserung der zeitlichen Kontigui-
tät (Synchronizing) ● Verständlichkeit oder Lesbarkeit des Tex-
● Bessere Anpassung an medien- und tes (z. B. einfacher Satzbau, Gliederung,
vorkenntnisbezogene Lernvorausset- Prägnanz, Anregungsgehalt)
zungen (Individualizing). ● Kohärenz oder Sinnhaftigkeit der inhalt-
lichen Argumentation (z. B. sprachliche
Die vorgeschlagenen Überlast-reduzieren- Verknüpfungen, Ankündigungen oder
den Maßnahmen begründen sich aus den Signale)
oben angeführten Modalitäts-, Kohärenz- ● Verwendung von Organisationshilfen
und Kontiguitätseffekten des multimedialen (z. B. im Sinne von Ausubels »Advance
Lernens. Zusammengefasst lässt sich fest- Organizer«, 䉴 Kap. 1.3)

422
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

● Vernünftige Sequenzierung (im Sinne ei- gegenstand ablenken und kognitive Ressour-
ner lernerleichternden Reihung von Infor- cen unnötig beanspruchen.
mationen)

Auch das Hamburger Verständlichkeitskon- Spanien Tiefe


zept (Langer, Schulz von Thun & Tausch, (m)
1974) und seine Weiterentwicklungen ver- 0
weisen mit den vier Dimensionen der sprach- Atlantikwasser
200
lichen Einfachheit, der kognitiven Glie-
Mittelmeer-
derung und der inhaltlichen Ordnung, der
wasser 400
Kürze und Prägnanz sowie der zusätzlichen Marokko
motivationalen Stimulanz auf ganz ähnliche 600
Aspekte.
Abb. 7.13: Der Wasseraustausch zwischen Mit-
Wir haben uns – wie andere Lehrbuch-
telmeer und Atlantik (vgl. Käse &
autoren auch – bemüht, diesen Kriterien zu Zenk, 1993)
entsprechen. Es ist in der Lesedidaktik al-
lerdings nicht unstrittig, wie weitgehend eine
Verständlichkeitsoptimierung und die Be- Wie müssen die Illustrationen gestaltet wer-
reitstellung von Lesehilfen sinnvoll sind den, damit sie den Aufbau eines mentalen
(Christmann & Groeben, 2002; McNamara Modells unterstützen? Ein wichtiger Grund-
et al., 1996; vgl. hierzu auch der Abschnitt: satz ist, dass (neue) Information und bereits
»Wie man mit diesem Buch arbeiten kann«, vorhandenes konzeptuelles (Vor-)Wissen op-
Seite 9). Übertriebene Maßnahmen der Di- timal zusammenwirken. Bei Lernenden mit
daktisierung und Vereinfachung können geringem Vorwissen werden weniger detail-
nämlich auch einer passiven Textverarbei- lierte, schematische Bilder günstiger sein als
tung Vorschub leisten (was allerdings nicht detaillierte. Semantische und syntaktische
als Plädoyer für unverständliche Texte ver- Klarheit gibt es nicht nur bei Texten, sondern
standen werden soll!). Ohnehin gilt: Nicht auch bei Bildern. Das heißt: Auch Abbildun-
nur die Lesbarkeit von Texten, auch die gen sollten möglichst sparsam gestaltet sein
Effizienz des strategischen Leseverhaltens, und eine rasche und eindeutige perzeptuelle
d. h. die individuellen Vorgehensweisen Erfassung ermöglichen, um Ambiguitäten zu
beim Verstehen und Behalten von Texten, vermeiden (Schnotz, 2002, 2010).
lassen sich optimieren.
Was die Gestaltung des Textes angeht, ist
die positive Wirkung von zusätzlichen Illus- Die Rolle der Lernenden
trationen gut belegt – wenn die räumliche
und zeitliche Kontiguität zu den schriftlichen Die lernende Person spielt stets die Haupt-
Inhalten gewahrt bleibt. So gesehen, hätte rolle in ihrem eigenen Lernprozess. Sie muss
䉴 Abb. 7.13 vermutlich weniger hier, son- Kontrolle über die essentiellen kognitiven
dern eher in 䉴 Kap. 6.2 ihre maximale Wirk- Prozesse der Selektion, Organisation und
samkeit entfaltet. Voraussetzung für die lern- Integration von Informationen gewinnen
förderliche Wirksamkeit der Illustrationen und behalten. Das multimediale Lernen er-
ist natürlich auch, dass die Bilder lernrele- öffnet Möglichkeiten, stellt aber auch hohe
vante Inhalte enthalten. Bilder, die einen rein Anforderungen an die Lesefertigkeiten und
dekorativen Zweck erfüllen, können auch die Selbststeuerungskompetenz des Lernens.
gegenteilige Effekte auslösen, indem sie die Darüber hinaus gibt es weitere Merkmale
Aufmerksamkeit des Lerners vom Lern- der Lernenden, die auf die Lernwirksamkeit

423
Teil II Lehren

von Instruktionsmedien Einfluss haben, vor Stelle beschriebenes Notwendigkeit und auf
allem das bereichsspezifische Vorwissen und eine besondere Herausforderung an Schule
die medienspezifischen Kompetenzen. Auch und Unterricht: sicherstellen, dass instruk-
die Einstellung zum Medium kann eine Rolle tionale Lernerleichterungen von jenen Ler-
spielen. Wird ein Medium als »zu leicht« nenden tatsächlich genutzt werden (kön-
eingestuft, fehlt es möglicherweise an der nen), die ihrer am dringlichsten bedürfen,
konstruktiven Eigentätigkeit der Lernenden. und gleichzeitig die Leistungsstarken im
Gilt ein Medium als »zu schwierig«, kann Auge behalten, indem sie Anregungen und
ein ausweichendes Vermeidungshalten die Anreize erhalten, sich ihren Möglichkeiten
Folge sein. entsprechend zusätzlich zu qualifizieren.

Bereichsspezifisches Vorwissen. Seine he- Medienspezifische Kompetenzen. Lernende


rausragende Bedeutung für das Lernen ins- müssen in der Lage sein, die Kodalität der
gesamt gilt auch für das Lernen mit Medien. Symbolsysteme zu entschlüsseln. Das heißt,
Beim Lernen mit sogenannten Hypertexten sie müssen Texte und Bilder (auch bewegte
profitieren z. B. Schüler mit bereichsspezi- Bilder) verarbeiten, Grafiken und Tabellen
fischen Vorkenntnissen von der Mediennut- »lesen« können. Werden Computer als Me-
zung vergleichsweise mehr (Möller & Mül- dien eingesetzt, muss man sie auch bedienen
ler-Kalthoff, 2000, Horz, 2004). Dies gilt können. Plass, Chun, Mayer und Leutner
insbesondere dann, wenn begleitende Len- (1998) haben gezeigt, dass der individuelle
kungs- und Strukturierungshilfen nicht ge- Lernzuwachs davon abhängt, ob den indi-
geben werden und wenn die Lernschwäche- viduellen Präferenzen der Lernenden für
ren sich selbst überlassen bleiben. Denn bildliches oder verbales Informationsmate-
bekanntlich kommt jede Form der zusätzli- rial im Sinne einer Person-Material-adap-
chen Strukturierungshilfe, tiven Passung entsprochen wird oder nicht.
sei sie auf die Anordnung von Texten und
Dazu haben sie sogenannte Visualisierer mit
Bildern, auf das Vermeiden von kognitiver sogenannten Verbalisierern im Hinblick auf
Überlastung oder auf die Steuerung des Lern- ihre Lernleistungen verglichen, die bei der
prozesses bezogen, in erster Linie Schülerinnen akustischen und/oder visuellen Präsentation
und Schülern mit geringen Lernvoraussetzun-
von Reizmaterial resultierten. Die Visuali-
gen zugute. (Blömeke, 2003, S. 69)
sierer erlebten einen Leistungseinbruch,
Es ist aber auch verschiedentlich darauf wenn man ihnen die Bilder während der
hingewiesen worden, dass die aus der CLT Einprägungsphase vorenthielt. Allerdings
resultierenden instruktionalen Empfehlun- drängt sich bei dieser Studie die Frage
gen (s. o.) für die »inhaltlichen Novizen« nach der ökologischen Validität solcher Ex-
und für Lernende mit ungünstigen Lern- perimente auf: Zu prüfen, was geschieht,
voraussetzungen von besonders großer Be- wenn man den Visualisierern das von ihnen
deutung sind, weil sie die Lernprozesse er- eigentlich präferierte Lernmaterial vorent-
leichtern (z. B. Kalyuga, Ayres, Chandler & hält, ähnelt einem Weitsprungwettbewerb,
Sweller, 2003). Von den Wirkungen der bei welchem einigen Springern zuvor die
instruktionalen Optimierung würden dem- Beine mit einem Tau verknüpft werden.
nach die Experten gar nicht mehr profitieren Mayer und Sims (1994) berichten, dass
– mithin ein Umkehreffekt der Expertise das räumliche Vorstellungsvermögen mit der
oder ein sogenanntes Experten-Paradoxon. Lernwirksamkeit bildlicher Informations-
Das spricht aber nicht gegen die Nützlichkeit präsentation kovariiert. Lernende mit
solcher Empfehlungen. Vielmehr verweist schwach ausgeprägten räumlichen Fähigkei-
dieses Phänomen auf eine bereits an anderer ten haben demnach größere Schwierigkeiten

424
7 Rahmenbedingungen des Lehrens

bei bildhaft präsentierten Informationen Förderung räumlicher Fähigkeiten gibt –


(䉴 Kap. 4.2). Brünken, Steinbacher und auch der Einsatz von Computerspielen hat
Leutner (2000) zeigten in zwei Experimenten sich dabei bewährt (Souvignier, 2000, 2001;
mit Schülern und Studierenden, dass hohes 䉴 Kap. 8.1). Werden die notwendigen me-
räumliches Vorstellungsvermögen den Wis- dienspezifischen Voraussetzungen – wie am
senserwerb begünstigt. Dies gilt vor allem Beispiel des räumlichen Vorstellungsver-
dann, wenn Informationsdarbietung und mögens beschrieben – in geeigneter Weise
Lernerfolgskontrolle ausschließlich in einem trainiert, lassen sich die ungünstigeren Lern-
grafischen Präsentationsmodus erfolgt. Er- voraussetzungen ausgleichen. Erst dann
mutigend ist in diesem Zusammenhang, dass kann eine spezifische mediale Gestaltung
es eine Reihe von Trainingsprogrammen zur ihre Lernwirksamkeit entfalten.

Zusammenfassung
Als schulbereit gilt ein Kind dann, wenn es aufgrund des Entwicklungsstandes seiner
individuellen Lernvoraussetzungen mit großer Wahrscheinlichkeit dazu in der Lage sein
wird, erfolgreich am schulischen Anfangsunterricht teilzunehmen. Die »Bringschuld« liegt
allerdings nicht allein auf Seiten des Kindes – die Gestaltung des Anfangsunterrichts hat den
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und der Besonderheit der Übergangssituation
proaktiv Rechnung zu tragen.
Ob schulisches Lernen gelingt, hängt nicht nur vom Einsatz geeigneter Lehrmethoden ab.
Neben der Qualität und Quantität des unterrichtlichen Angebots sind es vor allem die
lernrelevanten Personmerkmale der Schülerinnen und Schüler – also die individuellen
Lernvoraussetzungen –, die die schulischen Leistungen beeinflussen. Hinzu kommt der
Einfluss von Kontextbedingungen außer- und innerschulischer Art.
Die Quantität des unterrichtlichen Angebots – die bereitgestellte bzw. tatsächlich genutzte
Lernzeit – spielt in den klassischen Lehr-Lern-Zeit-Modellen eine große Rolle. Wichtige
Merkmale der Unterrichtsqualität sind eine effiziente Klassenführung sowie ein hohes Maß
an kognitiver Aktivierung und individueller fachlicher Unterstützung. »Meisterlehrer«
verstehen es, in diesem Sinne auf durchaus individuelle und variable Weise erfolgreich zu
unterrichten.
Eine effiziente Klassenführung schafft störungsarme Lernumgebungen und gewährleistet
einen reibungslosen Unterrichtsablauf – beides begünstigt erfolgreiches Lernen. Effiziente
Klassenführung basiert ganz wesentlich auf dem Prinzip der Prävention. Besonders wichtig
ist dabei die frühzeitige Einführung und Einforderung von Regeln und Routinen für das
Verhalten im Unterricht. Es muss aber auch klar sein, was geschieht, wenn Regeln nicht
eingehalten werden.
Schulische Leistungen müssen zutreffend, zuverlässig und fair gemessen und bewertet
werden. Dies erfordert besondere diagnostische Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer.
Durch den Einsatz standardisierter Testverfahren wird versucht, die Genauigkeit und
Objektivität von Leistungsbeurteilungen zu erhöhen. Bei der Interpretation individueller
Testwerte wird in der Regel eine soziale Bezugsnorm zugrunde gelegt – der Vergleich mit
Gleichaltrigen. Andere mögliche Bezugsnormen sind die individuelle – der Vergleich mit den
bisher gezeigten eigenen Leistungen – oder die sachliche Bezugsnorm – die Orientierung an
einem inhaltlich verankerten Leistungsstandard.

425
Teil II Lehren

Instruktionsmedien sind bei allen Spielarten des Lehrens präsent. Sie lassen sich nach den
Symbolsystemen klassifizieren, derer sie sich bedienen. Die Kodierungsform einer Infor-
mation stellt jeweils spezifische Anforderungen an die Lernenden. Modelle multimedialen
Lernens thematisieren dies und beschreiben die Lernwirksamkeit und die Lernhindernisse
in Abhängigkeit von Medienattributen, Lernzielen und individuellen Lernvoraussetzungen.

Literaturhinweis
Helmke, A. & Weinert, F. E. (1997 a). Bedingungs-
faktoren schulischer Leistungen. In F. E. Wei-
nert (Hrsg.), Psychologie des Unterrichts und
der Schule, D/I/3, Enzyklopädie der Psycho-
logie (S. 71–176). Göttingen: Hogrefe.
Hesse, I. & Latzko, B. (2009). Diagnostik für
Lehrkräfte. Opladen: Budrich.
Horz, H. (2009). Medien. In E. Wild & J. Möller
(Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 103–
133). Heidelberg: Springer.
Seidel, T. (2009). Klassenführung. In E. Wild & J.
Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie
(S. 135–148). Heidelberg: Springer.

426
8 Besonderheiten des Lehrens

Eine Antwort auf die Frage, welche Lehr- Trainingsgestaltung und Bedingungen der
methoden für das Erreichen bestimmter Wirksamkeit kognitiver Trainings dar-
Lernziele angemessen und wirksam sind, gestellt. Dabei wird deutlich, dass kognitive
ist von vielen Aspekten der Lehr-Lern-Situa- Fähigkeiten durch Anleitung und Übung vor
tionen abhängig. Ein ganz zentraler Aspekt allem dann nachhaltig gefördert werden,
ist das Ausmaß der Unterschiedlichkeit der wenn ein Trainingsprogramm selbstregula-
Lernenden und die daraus folgenden Kon- tive und motivationale Komponenten mit
sequenzen für die Planung und Gestaltung einschließt.
von Unterricht. Das achte Kapitel behandelt Gute Informationsverarbeitung beruht
solche differenziellen Aspekte. Dabei werden auf dem Zusammenspiel kognitiver, selbst-
zunächst Prinzipien und Maßnahmen zur regulativer, motivationaler und volitionaler
allgemeinen Förderung kognitiver und mo- Prozesse – wie es in 䉴 Kap. 2 beschrieben
tivationaler Lernvoraussetzungen vor- wurde. Dem Abschnitt über kognitives Trai-
gestellt, bevor auf die spezifischeren The- ning ist deshalb ein weiterer über die För-
menbereiche der Koedukation sowie der derung von Motivation und Interesse zur
Instruktion bei besonderen Lernvorausset- Seite gestellt (䉴 Kap. 8.2). Denn: Schulleis-
zungen eingegangen wird. tungsprobleme gehen häufig mit selbst-
Wenn besonderer Förderbedarf besteht, abwertenden Attributionen, misserfolgsori-
wird häufig eine individuelle, unterrichts- entierten Ergebniserwartungen und dys-
additive Förderung die Methode der Wahl funktionalen Selbstwirksamkeitsüberzeu-
sein. Es gibt eine Reihe von Trainingspro- gungen einher. Oft ist die Lern- und
grammen, die einen wichtigen Beitrag zur Anstrengungsbereitschaft von Kindern mit
Verbesserung und Optimierung der kogniti- Lern- und Leistungsproblemen durch die
ven Lernvoraussetzungen für Lernende un- beim bisherigen Lernen erfahrenen Entmu-
terschiedlichen Lebensalters und Leistungs- tigungen reduziert. Damit kognitive Trai-
niveaus leisten können. So werden in den nings ihre Wirksamkeit entfalten können,
Programmen zur Denkförderung von Klauer sind sie deshalb um selbstwertförderliche
(Klauer & Marx, 2010) Operationen des Maßnahmen zur Steigerung von Motivation
induktiven Denkens, die bei vielen schu- und Lerninteresse zu ergänzen. Ausgehend
lischen und außerschulischen Lernanforde- von (fremd-)motivierenden Maßnahmen der
rungen eine Rolle spielen, systematisch ein- Verhaltenssteuerung durch Feedback und
geübt. Andere Trainingsprogramme zielen Belohnung wird in den Motivationstrainings
auf die Vermittlung kognitiver und metako- eingeübt, die notwendigen Aufgaben der
gnitiver Strategien der Informationsver- motivationalen Regulation schrittweise
arbeitung, auf die Verbesserung der Pla- selbst zu übernehmen. Neben Techniken
nungsfähigkeit, der Konzentration, des der Selbstverstärkung werden dabei vor al-
räumlichen Denkens oder des Gedächtnis- lem ein realistisches Zielsetzungsverhalten
ses. In 䉴 Kap. 8.1 werden Prinzipien der und eine lernförderliche Form der Selbst-

427
Teil II Lehren

bewertung von Lernergebnissen vermittelt. dauernde Beeinträchtigungen im Lesen,


Wichtig ist, dass dies nicht »inhaltslos«, Schreiben und Rechnen. Adams (1990) zu-
sondern anhand konkreter und relevanter folge liegt der Anteil funktionaler Analpha-
Lerninhalte geschieht. Erfolgreiche Trai- beten unter den erwachsenen Amerikanern
ningsprogramme – z. B. zur Förderung der bei 20 % – unter den Arbeitslosen sogar bei
Lesekompetenz –, verbinden meist Formen 75 % und bei den wegen Straftaten inhaf-
der motivationalen und kognitiven Selbst- tierten Erwachsenen bei 60 %. Daraus folgt:
regulation. Lernschwache bedürfen in der Schule einer
Dass sich Männer und Frauen, Mädchen besonderen Form der Unterrichtung und
und Jungen in vielfältiger Weise voneinander Förderung. Und wie sieht es am anderen
unterscheiden, ist genauso richtig wie die Ende des Begabungskontinuums, also bei
Feststellung, dass es einen großen Überlap- den Hochbegabten aus? Bedürfen nicht
pungsbereich hinsichtlich der Leistungs- auch sie einer besonderen Form der Unter-
variabilität der beiden Geschlechter in den richtung und Förderung? In 䉴 Kap. 8.4 wird
kognitiven, konativen und motivationalen die Thematik der Instruktion bei besonderen
Funktionen gibt. Über die Funktion, Genese Lernvoraussetzungen vertieft. Dies schließt
oder Modifizierbarkeit von Geschlechter- die Frage nach der inklusiven oder segregier-
unterschieden soll hier nicht berichtet wer- ten Beschulung der förderbedürftigen Schü-
den (vgl. dazu Giesen, 2000; Maccoby & lerinnen und Schüler und die der praktischen
Jacklin, 1974). Es wird aber die Frage ge- Realisierbarkeit individueller Fördermaß-
stellt, in welcher Weise der schulische Unter- nahmen in den allgemeinbildenden Schulen
richt zur Ausbildung oder Verringerung von mit ein.
Geschlechterunterschieden einen Beitrag
leistet. Die Geschlechterfrage wird vor allem
Orientierungsfragen
im Hinblick auf die unterrichtliche (Gleich-)
Behandlung von Jungen und Mädchen in ● Wie muss ein erfolgreiches kognitives
gemischten Klassen diskutiert (䉴 Kap. 8.3). Training aufgebaut sein?
Geht es »gerecht« zu, wenn Jungen und ● Wie lässt sich die Lernmotivation för-
Mädchen gemeinsam (koedukativ) unter- dern?
richtet werden? Oder werden Mädchen ● Warum sollten Mädchen und Jungen
im mathematisch-naturwissenschaftlichen, gemeinsam unterrichtet werden?
Jungen im sprachlichen Unterricht in je sub- ● Trägt der koedukative Unterricht dazu
tiler Weise im gemeinsamen Unterricht be- bei, dass sich Leistungs- und Interes-
nachteiligt? senunterschiede zwischen Jungen und
Schülerinnen und Schüler sind auch in Mädchen verstärken?
unterschiedlichem Maße von Lernschwä- ● Ist es besser, Lern- und Leistungsschwa-
chen und Teilleistungsstörungen betroffen. che inklusiv, d. h. in Regelschulen zu
Zwei- bis dreimal häufiger sind Jungen unter unterrichten? Für wen?
den Kindern und Jugendlichen mit Lern- und ● Welche Instruktionsmethoden oder
Verhaltensstörungen vertreten. Fast 8 % ei- -prinzipien sind für Lernschwache be-
nes Jahrgangs verlassen das deutsche Schul- sonders geeignet? Welche nicht?
system ohne einen anerkannten Schul-
abschluss. Besonders schwer wiegen über-

428
8 Besonderheiten des Lehrens

8.1 Kognitives Training

Die Hoffnung, durch eine systematische För- Der Unterschied zwischen Training und
derung der individuellen kognitiven Lern- Coaching lässt sich an den Interventions-
voraussetzungen das Lernpotenzial und die zielen festmachen. Während Coaching-Pro-
Lernerfolge nachhaltig steigern zu können, gramme auf die Optimierung einer eng um-
charakterisierte bereits die Theorie der for- schriebenen Leistung abzielen, sind es »brei-
malen Bildung im ausgehenden 19. Jahrhun- tere« kognitive Fertigkeiten oder Funktio-
dert (䉴 Kap. 3.2). Es würde den Rahmen nen (also Leistungspotenziale), die durch ein
dieses Lehrbuches sprengen, wollten wir Training verbessert werden sollen. Gegen
alle Ansätze vorstellen und diskutieren, die diese Feststellung mag man einwenden,
in der einschlägigen Literatur seither zur dass auch breitere kognitive Kompetenzen
Förderung der kognitiven Voraussetzungen in der Regel erst über entsprechende kon-
erfolgreichen Lernens vorgeschlagen wur- krete Testleistungen sichtbar gemacht wer-
den. Stattdessen beschränken wir uns auf den. Dennoch gibt es einen Unterschied
die Darstellung und Bewertung ausgewähl- zwischen Leistungen und Kompetenzen.
ter, empirisch evaluierter Trainingsprogram- Bond (1989) hat das in Anlehnung an
me, die zum Ziel haben, kognitive Fertig- Pike (1978) folgendermaßen umschrieben:
keiten und Funktionen bzw. die allgemeine Lässt man einmal die bei psychologischen
Lernfähigkeit nachhaltig zu verbessern. Testverfahren nie ganz auszuschließende
Trainingsprogramme dieser Art werden ver- Fehlerkomponente beim Zustandekommen
kürzt auch als kognitive Trainings bezeich- eines Leistungswertes außer Acht, so setzt
net. Sie stellen eine besondere Form der sich die erzielte Testleistung einer Person (die
individualisierten Intervention dar, die sich Performanz) aus drei Komponenten zusam-
von der psychologischen Therapie wie auch men: einer Alpha-, einer Beta- und einer
von den pädagogischen Drill & Practice- testspezifischen Komponente. Die Alpha-
Programmen bzw. vom Coaching abgrenzen Komponente repräsentiert die der Leistung
lässt (vgl. Hasselhorn, 1995; Hasselhorn & zugrunde liegenden spezifischen individuel-
Hager, 2010). len kognitiven Fertigkeiten und Funktionen,
Die Unterscheidung zwischen einem ko- die durch ein Training grundsätzlich verbes-
gnitiven Training und einer psychologischen sert werden können und die das Testverfah-
Therapie ist natürlich bis zu einem gewissen ren zu erfassen beabsichtigt (䉴 Kap. 7.4 und
Grade willkürlich. Wir halten sie dennoch die Problematik der Schätzung »wahrer«
für sinnvoll, weil sie vor allem bedeutsam ist Werte). Die Beta-Komponente bezieht sich
im Hinblick auf den Personenkreis, der für auf allgemeine Kompetenzen im Umgang
die verantwortliche Durchführung der Inter- mit Leistungstests, die in der einschlägigen
ventionsmaßnahmen in Frage kommt. Die Literatur unter Begriffen wie Testweisheit
Anwendung einer zumeist mit vergleichs- oder Testvertrautheit diskutiert werden.
weise größerem Aufwand verbundenen The- Sie manifestiert sich etwa über Strategien
rapie setzt nämlich eine spezielle therapeu- der Zeitaufteilung bei der Testbearbeitung
tische Fachausbildung voraus, während oder auch über den Einsatz von Ratestrate-
Maßnahmen eines kognitiven Trainings gien, wenn Testaufgaben nicht gelöst werden
nach einer gründlichen Vorbereitungs- und können. Die testspezifische Komponente
Einarbeitungszeit auch von Personen ohne schließlich umfasst die situativen Verhaltens-
spezifische Therapieausbildung durchge- aspekte während der Testbearbeitung, wie
führt werden können.

429
Teil II Lehren

etwa den Grad der Zuversicht, einen Test gut (2) das Arbeitsgedächtnis sowie (3) die Lern-
bewältigen zu können. strategien und deren metakognitive Regula-
Coaching-Maßnahmen zielen auf reine tion. Spezifische Förderansätze für den mo-
Performanzsteigerungen. Dies erreichen sie tivationalen und den volitionalen Bereich
vor allem durch eine Optimierung der Beta- werden in 䉴 Kap. 8.2 dargestellt.
Komponente und/oder der testspezifischen
Komponente. Ein kognitives Training ist
dagegen stets mit dem Anspruch verbunden, Kognitive Trainings zur
die Alpha-Komponente einer Testleistung zu Verbesserung von Aufmerk-
erreichen, d. h. die einer manifesten Leistung samkeits- und Wahrnehmungs-
zugrunde liegenden Kompetenzen (nachhal- funktionen
tig) zu verbessern. Im Gegensatz zum
Coaching sollte man daher von einem ko-
gnitiven Training auch Transferwirkungen Lehrkräfte klagen in zunehmendem Maße
erwarten, also nachhaltige Effekte der erziel- über Aufmerksamkeitsprobleme und Kon-
ten Leistungsverbesserungen über die Zeit zentrationsschwächen von Schülern. Die
und eine Übertragung auf andere, nicht Hoffnung, dass es durch intensive und
direkt trainierte Aufgabenbereiche (zum gezielte Konzentrationsübungen gelingen
Transferbegriff 䉴 Kap. 3.3). könnte, die Konzentrationsfähigkeit nach-
Die meisten Trainingsprogramme haben haltig zu verbessern, konnte jedoch bisher
die Förderung spezifischer kognitiver Funk- nicht erfüllt werden. Solche Übungen führ-
tionen zum Ziel, wie z. B. der Konzentra- ten weder zu zeitlich stabilen Leistungsstei-
tion oder des räumlichen Vorstellungsver- gerungen, noch zeigte sich eine Generalisie-
mögens. Sie berücksichtigen dabei die rung auf andere als die in den Übungen
allgemeinen Entwicklungsvoraussetzungen verwendeten Konzentrationsleistungstests
und die besonderen Lernvoraussetzungen (vgl. Westhoff & Hagmeister, 2001). Die
der Adressaten (䉴 Kap. 4). Angesichts der Wirksamkeit spezifischer Konzentrations-
großen und ständig wachsenden Zahl (er- übungen genügt somit allenfalls den Anfor-
folgreicher) kognitiver Trainings kann es im derungen an ein Coaching-Programm, nicht
Folgenden keinen systematischen Überblick aber jenen, die an ein kognitives Training zu
über die vorhandenen Trainingsprogramme stellen sind.
geben. Vielmehr wird anhand typischer Bei- Wenn auch das wiederholte Üben von
spiele aufgezeigt, inwiefern die in 䉴 Kap. 2 Konzentrationsaufgaben kaum zu nachweis-
dieses Buches aufgelisteten kognitiven Vo- baren Kompetenzsteigerungen führt, so
raussetzungen erfolgreichen Lernens durch finden sich in der einschlägigen Literatur
ein Training gesteigert werden können. Da- durchaus Konzentrationstrainings für jün-
bei bleibt der Bereich des Vorwissens aus- gere Grundschulkinder (Hippenstiel &
gespart. Der Aufbau von Vorwissen ist nicht Krautz, 1992) und für Kinder bis zur 8.
eigentlich Gegenstand eines kognitiven Trai- Klassenstufe (Krowatschek, Albrecht &
nings zur Verbesserung des individuellen Krowatschek, 2004). Sie setzen – anders
Lernpotenzials. Der Erwerb bereichsspezi- als die Coaching-Ansätze – auf Techniken
fischen Wissens und Könnens ist vielmehr der sogenannten Selbstinstruktion (Wagner,
das Hauptziel von Lehren und Lernen im 1976), um die Selbststeuerung von Aufmerk-
Allgemeinen. Als mögliche Inhaltsbereiche samkeitsprozessen und damit in der Folge
kognitiver Trainings verbleiben somit die auch die Konzentrationsleistung insgesamt
folgenden drei Bereiche individueller Lern- zu verbessern.
voraussetzungen: (1) die Aufmerksamkeit,

430
8 Besonderheiten des Lehrens

Ansätze eher in die Nähe metakognitiver


Definition: Verbale Selbstinstruktion Trainings rückt (s. u.). Umfangreichere
Bei der Technik der verbalen Selbst- Wirksamkeitsanalysen sind noch nicht be-
instruktion handelt es sich in der ur- kannt, so dass eine fundierte Bewertung der
sprünglichen Version um einen fünfstufi- Programme derzeit nicht möglich ist.
gen Prozess (vgl. Meichenbaum, 1977): Wirksame Trainings zur Verbesserung der
Zunächst modelliert ein Trainer in Wor- Aufmerksamkeitsleistung vermitteln – an-
ten den Verlauf eines komplexen Pro- ders als die Konzentrationsübungen – gezielt
blemlöse- bzw. Lernprozesses, indem er (höhere) Strategien der Aufmerksamkeits-
laut über das Lernziel, über die Ausrich- zuwendung und -fokussierung und die me-
tung der eigenen Aufmerksamkeit, über takognitive Regulation solcher Strategien
mögliche Lösungsschritte, die Überprü- (s. u.). Sie zielen weniger auf die Optimie-
fung der Richtigkeit einer Lösung und rung reiznaher (basaler) Aufmerksamkeits-
über Maßnahmen der Selbstverstärkung prozesse. Aber gerade die Funktionstüchtig-
nachdenkt (1. Schritt). Anschließend soll keit der basalen Wahrnehmungsprozesse ist
die zu trainierende Person die gleiche natürlich eine notwendige Grundvorausset-
Aufgabe selbst lösen und dabei die vom zung des Lernens. Aus dieser Überzeugung
Trainer zuvor demonstrierte Vorgehens- heraus wird immer wieder der Hoffnung
weise übernehmen. Anfänglich wird ihr Ausdruck gegeben, dass mit einem gut
Verhalten durch begleitende Kommenta- und effizient funktionierenden perzeptiven
re des Trainers extern gesteuert (2. System alle notwendigen (basalen) Voraus-
Schritt), später steuert der Lernende setzungen für die Informationsverarbeitung
den Lernprozess selbst durch eigenes lau- und für die Wirksamkeit von Instruktions-
tes Denken (3. Schritt), dann durch leises methoden gegeben seien. Ließe sich bei Kin-
Mitsprechen des Handlungsablaufes (4. dern die Funktionstüchtigkeit des Wahrneh-
Schritt) und schließlich durch verdecktes mungssystems durch ein Training nachhaltig
inneres Sprechen (5. Schritt). Das Verfah- verbessern, dann sollte sich dies günstig auf
ren soll dazu beitragen, dass die strategi- die Effizienz von Lernprozessen auswirken.
schen Verhaltensweisen leichter ins eigene
Verhaltensrepertoire übernommen wer- Frostig-Training. Eines der bekanntesten ko-
den. Durch die induzierte Selbstreflexion gnitiven Trainings in der vorschulischen und
wird zugleich die metakognitive Über- schulischen Praxis wurde in den 1960er
wachung gestärkt. Es sind vor allem Jahren von Marianne Frostig in der Tradition
sehr globale metakognitive Strategien der Humanistischen Psychologie entwickelt
wie z. B. »Halt! Erst zuhören! Nachden- (deutsch: Reinartz & Reinartz, 1979). Aus-
ken! Dann handeln! Ergebnis überprü- gehend von der These, dass eine gut funk-
fen!«, deren Anwendung durch verbale tionierende visuelle Wahrnehmung die ent-
Selbstinstruktion gefördert werden kann. scheidende Voraussetzung aller »nachfol-
genden« kognitiven Leistungen sowie für
den Erwerb schriftsprachlicher Fertigkeiten
Techniken der verbalen Selbstinstruktion und Kenntnisse sei (zur Fragwürdigkeit die-
sind auch in das von Schöll (1997) ent- ser Annahme 䉴 Kap. 4.2), wurden vielfältige
wickelte Gruppentraining für Drittklässler Übungen zum Erkennen, Unterscheiden und
einbezogen. In diesem wie in einigen anderen Interpretieren von visuellen Reizen zusam-
Aufmerksamkeits- und Konzentrationstrai- mengestellt. Dabei hat Frostig fünf Teilberei-
nings wird vor allem die Förderung eines che der visuellen Wahrnehmung berücksich-
reflexiven Arbeitsstils angestrebt, was die tigt: die visuomotorische Koordination, die

431
Teil II Lehren

Figur-Grund-Wahrnehmung, die Wahrneh- aber als Folge der intensiveren Beschäftigung


mungskonstanz, die Wahrnehmung der Stel- mit den Kindern während des Trainings
lung im Raum und die Wahrnehmung von resultierte (mit trainingsunspezifischen Wir-
räumlichen Beziehungen. Zusätzlich sieht kungen dieser Art muss bei kognitiven Trai-
das Frostig-Training spezifische Übungen nings stets gerechnet werden; vgl. dazu Ha-
zur subjektiven Erfahrung (z. B. das Erfühlen ger & Hasselhorn, 1995). Im Falle des Fros-
eines Körpers) und zur Bewegungserziehung tig-Trainings ginge ein solcher Vorwurf al-
vor. Das Training ist für Kinder im Alter lerdings ins Leere: Der ganzheitliche Ansatz
zwischen drei und acht Jahren konzipiert, bezieht die Zuwendungskomponente expli-
wird häufig in der Ergotherapie eingesetzt zit als Teil des Wirkmechanismus mit ein
und kann sowohl als Einzeltraining als auch (Lockowandt, 1996; Reinartz & Reinartz,
in Gruppen durchgeführt werden. Für die 1979). Solcherart immunisiert entzieht es
Durchführung des vollständigen Trainings- sich letztlich einer Wirkanalyse.
programms mit ca. 300 Übungen werden 12 Lopez-Justicia und Martos (1999) führ-
bis 18 Monate veranschlagt. ten eine Wirksamkeitsevaluation des Fros-
Obgleich immer wieder Zweifel an seiner tig-Trainings mit 4- bis 6-jährigen Kindern
Wirksamkeit laut wurden, erfreut sich das durch, bei denen zuvor visuelle Wahrneh-
Frostig-Training seit Jahrzehnten erstaunli- mungsstörungen diagnostiziert worden wa-
cher Beliebtheit – speziell im vorschulischen ren. Im Vergleich mit einer anderen Gruppe,
Bereich. Die Ergebnisse der Metaanalyse von die ein Kontrolltraining erhielt, ließ sich eine
Kavale (1984) haben eine Wirksamkeit des Wirksamkeit des Frostig-Trainings nicht
Frostig-Programms nicht belegen können. nachweisen. Auch sind langfristige Trai-
Dabei muss allerdings berücksichtigt wer- ningswirkungen auf die allgemeine Entwick-
den, dass sich die von Kavale analysierten lung schulischen Lernens nicht bekannt.
Wirksamkeitsstudien am weit reichenden
Anspruch des Trainings orientierten, eine
wirksame Prävention im Hinblick auf zu- Kognitive Trainings zur
künftige schulische Lern- und Leistungspro- Funktionssteigerung des
bleme zu gewährleisten. Lockowandt (1996) Arbeitsgedächtnisses
hat an der Metaanalyse von Kavale (1984)
außerdem kritisiert, dass viele der dort be- Auf der Basis des in 䉴 Kap. 2.1 dargestellten
rücksichtigten Studien zum Frostig-Pro- Mehrkomponenten-Modells lassen sich
gramm aus methodischer Sicht von eher sprachlich-phonologische und visuell-räum-
zweifelhaftem Wert seien. Die relativ weni- liche Grundfunktionen des Arbeitsgedächt-
gen deutschsprachigen Untersuchungen zur nisses unterscheiden. Hinzu kommen die zen-
Wirksamkeit des Frostig-Trainings beziehen tral-exekutiven Funktionen, die allerdings
sich auf verschiedene seiner Kurzformen. praktisch kaum von den metakognitiven
Die dabei erzielten Befunde zeigen, dass Funktionen der Strategieregulation zu tren-
das Frostig-Training – auch wenn nur Teile nen sind. Letztere werden deshalb nicht hier,
daraus eingesetzt werden – tatsächlich eine sondern unter dem Stichwort der metakogni-
Verbesserung der visuellen Wahrnehmung tiven Regulation weiter unten behandelt.
ermöglicht (Elsner & Hager, 1995). Aller-
dings kann aufgrund der vorliegenden Eva- Sprachlich-phonologische Funktionen. Die
luationen nicht geklärt werden, ob die spezi- strukturelle Komponente des phonologi-
fische Wirksamkeit des Wahrnehmungstrai- schen Arbeitsgedächtnisses – der phoneti-
nings tatsächlich auf die Übungen mit dem sche Speicher – gilt ab dem dritten Lebens-
Frostig-Material zurückzuführen ist oder jahr als relativ altersinvariant (䉴 Kap. 4.1).

432
8 Besonderheiten des Lehrens

Er scheint auch durch Trainingsmaßnahmen Trainingsstudien ein, die mit unauffälligen


nicht wesentlich beeinflussbar (Barclay, bzw. lernbeeinträchtigten Kindern und Er-
1981; Mähler & Hasselhorn, 2001). Ver- wachsenen durchgeführt wurden. Es zeigten
suche, die Funktionstüchtigkeit des phono- sich zwar kurzfristig bedeutsame Leistungs-
logischen Arbeitsgedächtnisses durch Trai- steigerungen in den trainierten Anforde-
ningsmaßnahmen zu steigern, müssen sich rungsbereichen (Coaching), die längerfristig
mithin auf die prozessualen Komponenten allerdings nicht aufrechterhalten blieben
richten. Sie haben sich vor allem darauf (fehlender zeitlicher Transfer) und auch
konzentriert, durch geeignete Übungen die nicht auf nicht-trainierte Anforderungs-
Geschwindigkeit des »inneren Nachspre- bereiche der Verarbeitung sprachlich-klang-
chens« (Subvocal Rehearsal) zu erhöhen. licher Informationen übertragen wurden
Aber auch diesen Bemühungen war nur (fehlender distaler Transfer, 䉴 Kap. 3.3).
wenig Erfolg beschieden (vgl. Hulme &
Muir, 1985; Kurland, 1981, zit. nach Case, Visuell-räumliche Funktionen. Etwas güns-
1999). tiger fallen die Ergebnisse der erwähnten
Metaanalyse im Hinblick auf die Trainier-
barkeit der Funktionstüchtigkeit des visuell-
Studie: Lässt sich das »innere Nach-
räumlichen Arbeitsgedächtnisses aus. Immer-
sprechen« durch Übung verbessern?
hin zeigten sich hier Übungssteigerungen, die
Kurland (1981) unternahm den Versuch, auch einige Monate nach Trainingsende noch
die Geschwindigkeit des »inneren Nach- feststellbar waren (zeitlicher Transfer). Mel-
sprechens« im phonologischen Speicher by-Lervåg und Hulme (2013) kommen aller-
durch intensives Üben zu erhöhen. Über dings auch hier zu dem Schluss, dass es bisher
einen Zeitraum von drei Monaten ließ sie an überzeugenden Belegen für distale Trans-
Erstklässler täglich 15 bis 25 Minuten fereffekte etwa im Hinblick auf die Aufmerk-
das Benennen von Ziffern, Farben, Buch- samkeitssteuerung oder auf das schulische
staben und Bildern mit Hilfe vorbereiteter Lernen fehle. Auch wenn man sich also mit
Übungsmaterialien üben. In diesem Zeit- proximalen Transfereffekten (䉴 Kap. 3.3) be-
raum wurden etwa 5000 Übungsbögen gnügen muss, so scheint es für den Bereich der
bearbeitet. visuell-räumlichen Funktionen dennoch eher
Die Rehearsal-Geschwindigkeit wurde einen Anlass zu einer optimistischen Ein-
vor und nach dem Training erfasst. Bei schätzung ihrer prinzipiellen Beeinflussbar-
den trainierten Kindern stieg sie um etwa keit zu geben als im Bereich der sprachlich-
18 %. Allerdings fand sich in einer phonologischen Funktionstüchtigkeit. Dies
Kontrollgruppe nicht Trainierter eine ist auch deshalb von Interesse, weil räumliche
vergleichbare Steigerungsrate von etwa Fähigkeiten in vielen theoretischen Modellen
15 %. der Intelligenz eine zentrale Stellung einneh-
men. Intelligenzforscher subsumieren sie un-
ter die fluide Intelligenzkomponente (z. B.
Eine neuere Metaanalyse vorliegender em- Carroll, 1993). Aus der Perspektive des
pirisch aussagekräftig evaluierter Trainings INVO-Modells erfolgreichen Lernens cha-
des Arbeitsgedächtnisses bestätigt weit- rakterisieren die räumlichen Funktionen ei-
gehend die Skepsis gegenüber den Möglich- nen wichtigen Bereich, der insbesondere bei
keiten einer nachhaltigen Steigerung der der Verarbeitung bildhaften Lernmaterials
Funktionstüchtigkeit des phonologischen (Kirby, 1993) eine große Rolle spielt.
Arbeitsgedächtnisses (Melby-Lervåg & Hul- Einen guten Überblick über Trainings-
me, 2013). In die Metaanalyse gingen 33 ansätze zur Förderung räumlicher Fähigkei-

433
Teil II Lehren

ten gibt Souvignier (2001). Danach scheint gen in virtuellen Realitäten erfolgreich zu
ein besonders aussichtsreicher Förderansatz trainieren (Lehnung & Leplow, 2001).
in der Beschäftigung mit entsprechenden
Computerspielen zu bestehen. Solche Spiel-
programme besitzen mehrere Eigenschaften, Kognitive Trainings zur
die sich als wirksam zur Verbesserung räum- Verbesserung von Lernstrategien
licher Fähigkeiten erwiesen haben: (a) Es und ihrer metakognitiven
werden zentrale visuell-räumliche Anforde- Regulation
rungen gestellt, wie das schnelle Überblicken
und Absuchen einer komplexen Szenerie,
wie das mentale Transformieren abgebilde- Strategietrainings gelten als die effektivsten
ter Objekte und das rasche Vergleichen von kognitiven Trainings. Insbesondere dann,
Formen und Mustern; (b) den Spielen wohnt wenn die selbständige Strategieanwendung
ein hoher Aufforderungscharakter inne, sich modellhaft und unter Variation des Auf-
aktiv mit den visuell-räumlichen Anforde- gabenkontextes und der Aufgabenstellung
rungen auseinanderzusetzen; (c) es können eingeübt wird, wenn die Lernenden explizit
in systematischer Weise unmittelbare Rück- über die Grenzen und Möglichkeiten einer
meldungen zur Leistung gegeben werden; (d) Strategie informiert werden, wenn allgemei-
durch die variable Gestaltung des Schwierig- ne Techniken der Selbstkontrolle und Lern-
keitsniveaus ist ein hohes Maß an Adap- regulation direkt mit eingeübt werden und
tivität gewährleistet. wenn es zusätzlich gelingt, eine inhaltliche
In aller Regel zeigten sich im Vergleich mit einer
Nähe zum schulischen Lernen herzustellen
Kontrollgruppe signifikante Verbesserungen und die trainierten Strategien mit Aspekten
räumlicher Fähigkeiten in der Folge einer För- der persönlichen Zielmotivation der Lernen-
derung mit Computerspielen [. . .] Die förder- den zu verknüpfen (vgl. Mähler & Hassel-
liche Wirkung konnte sowohl für unterschied-
horn, 2001). Diese Prinzipien sind in vielen
liche Computerspiele als auch in bezug auf
unterschiedliche Testverfahren – mit Schwer- Strategietrainings umgesetzt worden. Auf
punkten bei Leistungen der Visualisierung und einige dieser Trainingsansätze gehen wir
der mentalen Rotation – nachgewiesen werden. im Folgenden exemplarisch ein.
Die Trainingsdauer umfasste bei den meisten
Untersuchungen vier bis sechs Stunden. Auch
im Hinblick auf das Alter und die allgemeine Aufmerksamkeitskontrollstrategien. Das
intellektuelle Leistungsfähigkeit der Probanden von Lauth und Schlottke (2002) entwickelte
zeigten sich keine differenziellen Effekte. So- »Training mit aufmerksamkeitsgestörten
wohl Kinder und Jugendliche – Regelschüler Kindern« beansprucht, die Kompetenzen
wie Lernbeeinträchtigte – als auch Erwachsene
zur Aufmerksamkeitskontrolle zu verbes-
profitierten von der Beschäftigung mit den
Computerspielen. (Souvignier, 2001, S. 307 f.) sern. Das Trainingsprogramm vermittelt,
wie Lernhandlungen eigenständig und pro-
In einer Untersuchungsreihe, in der das be- blemangemessen zu steuern sind, wie an
kannte Computerspiel Tetris Verwendung Aufgaben und Probleme bedacht und plan-
fand, konnte Souvignier (2000) zeigen, voll heranzugehen ist, wie Handlungsvoll-
dass insbesondere die Kombination eines züge möglichst selbständig zu organisieren
Computerspiel-Trainings mit einem zusätz- sind und wie man einen Lernprozess selbst-
lichen Strategietraining, wobei Techniken reflexiv begleitet. Zu den Trainingsbaustei-
der verbalen Selbstinstruktion eingeübt wur- nen gehören ein Basistraining, ein Strategie-
den, zu großen Effekten führte. Das Com- training im eigentlichen Sinne sowie zusätz-
putermedium erlaubt es im Übrigen auch, liche Einheiten zur Wissensvermittlung und
defizitäre räumliche Orientierungsleistun- zur Vermittlung sozialer Kompetenzen. Im

434
8 Besonderheiten des Lehrens

Basistraining steht die Vermittlung perzep- Zu Recht gilt im deutschen Sprachraum das
tiver Grundfertigkeiten im Vordergrund, wie von Klauer (1989, 1991, 1993 a, 2002) ent-
z. B. genau hinzusehen, genau zuzuhören, wickelte Programm »Denktraining«, in sei-
Dinge genau zu beschreiben und Wahr- nen unterschiedlichen Varianten für Kinder,
genommenes genau wiederzugeben. Weitere Jugendliche und Senioren als besonders ein-
Schwerpunkte des Basistrainings liegen in schlägig. In 䉴 Kap. 7.1 haben wir bereits auf
der Einübung einer selbständigen Reaktions- die Version des Denktrainings für Kinder im
verzögerung und Handlungsregulation so- Vorschul- und Einschulungsalter hingewie-
wie in der Einübung eines angemessenen sen. An der potenziellen Wirksamkeit der
Umgangs mit Ablenkungen. Im eigentlichen verschiedenen Varianten des Klauer-Trai-
Strategietraining sollen die Kinder lernen, nings gibt es keinen Zweifel. Sie ist vielfach
wie sie mit Hilfe einer situationsübergreifen- belegt, zumal kein anderes Denktraining
den allgemeinen Handlungsstrategie Proble- auch nur annähernd so oft und umfassend
me und Aufgaben präzise erkennen und evaluiert worden ist.
definieren können – bevor sie sich mögliche Der Anspruch des Klauer-Trainings be-
Lösungswege überlegen und ihr Lösungsver- steht darin, die Strategien des induktiven
halten überprüfen. Denkens und damit die Fähigkeit zur intel-
Es lässt sich trefflich streiten, ob es sich bei ligenten Informationsverarbeitung nachhal-
der verhaltenorientierten Intervention von tig zu verbessern. Als »induktiv« bezeichnet
Lauth und Schlottke um ein Training im Klauer jene Denkvorgänge, die sich auf die
oben definierten Sinne oder bereits um eine Feststellung der Gleichheit und/oder Ver-
therapeutische Maßnahme handelt (vgl. schiedenheit von Merkmalen oder Relatio-
Beck, 1998): Die Intervention ist für spezielle nen bei beliebigen Materialien beziehen. Mit
Adressaten gedacht, der Einarbeitungs- und anderen Worten: Es geht beim induktiven
Durchführungsaufwand ist vergleichsweise Denken um den Kernbereich des logischen
hoch, und es ist eine Phase der differenzierten Denkens. Alle Anforderungen des indukti-
psychologischen Diagnostik notwendig und ven Denkens, denen ein zentraler Stellenwert
auch vorgesehen, die von entsprechend aus- für das erfolgreiche Bewältigen von intellek-
gebildeten Fachkräften durchgeführt werden tuellen Anforderungen zukommt, lassen sich
sollte. Dennoch lässt sich das Programm – Klauer zufolge unter diese Definition des
nach einer entsprechenden Einarbeitungszeit induktiven Denkens subsumieren. Aus Klau-
– auch von pädagogischen Fachkräften ohne ers Theorie des induktiven Denkens resul-
Therapieausbildung durchführen (vgl. Lauth tieren sechs paradigmatische Aufgaben-
& Linderkamp, 1998). typen: Generalisierung, Diskrimination,
Kreuzklassifikation, Beziehungserfassung,
Denkstrategien. Im Zuge der Weiterentwick- Beziehungsunterscheidung und Systembil-
lung kognitiver Theorien und einer immer dung. Die anspruchsvollsten Aufgaben
stärker werdenden Prozessorientierung in sind solche der Kreuzklassifikation (d. h.
der Intelligenzforschung kam es in den das Feststellen der Gleichheit und Verschie-
1980er Jahren zu einer Intensivierung der denheit von Merkmalen) und der System-
Bemühungen, kognitive Trainings zur direk- bildung (d. h. das Feststellen der Gleichheit
ten Förderung von Denkkompetenzen zu und Verschiedenheit von Relationen).
entwickeln. Solche Denktrainings erheben
den weit reichenden Anspruch, durch die
Einübung kognitiver Strategien eine nach-
haltige Verbesserung der intellektuellen Leis-
tungsfähigkeit zu erreichen.

435
Teil II Lehren

sichtlich der spezifischen Wirkungen, die der


Beispiel: Kreuzklassifikationen Wirksamkeit zugrunde liegen. So lassen sich
Hunde unterscheiden sich u. a. in der aus einer Metaevaluation von Hager und
Größe und hinsichtlich der Art ihrer Be- Hasselhorn (1998) und aus einer Meta-
haarung. So lassen sich z. B. große, mittel- analyse von Klauer (2001 b) die folgenden
große und kleine Hunde voneinander vier Schlussfolgerungen ziehen:
unterscheiden, die entweder welliges
oder glattes Haar haben. In welche der 1. Die verschiedenen Varianten des Denk-
daraus resultierenden Kategorien kann trainings sind effektiver, wenn sie als
man die folgenden Hunderassen einord- Individualtraining durchgeführt werden.
nen? 2. Die Wirksamkeit des Denktraining I für
5- bis 8-jährige Kinder scheint weniger
● Rehpinscher auf einer Verbesserung des induktiven
● Cockerspaniel Denkens im eigentlichen Sinne (also
● Bernhardiner dem Entdecken von Regelhaftigkeiten)
● Langhaardackel zu basieren als vielmehr auf einer Verbes-
● Dogge serung der visuellen Wahrnehmungs-
● Boxer geschwindigkeit (vgl. Hager & Hassel-
horn, 1993; Hasselhorn & Hager, 1995).
3. Das Denktraining II für 9- bis 12-jährige
Die Grundidee des Klauer-Trainings besteht Kinder ist im Vergleich zum Denktraining
nun darin, durch das Bearbeiten einer reich- I weniger effektiv im Hinblick auf den
haltigen Aufgabenauswahl aus den sechs engeren Trainingsanspruch, also die Ver-
Aufgabentypen (in der Regel werden 20 besserung der intellektuellen Leistungen.
Aufgaben pro Aufgabentyp zur Verfügung Es zeigen sich jedoch beachtliche Trans-
gestellt) Strategien des Vergleichens von fereffekte auf das schulische Lernen (z. B.
Merkmalen und Relationen übend zu ver- Klauer, 1993 b, 1993 c). Dies legt die Ver-
mitteln. Als instruktionale Methoden wer- mutung nahe, dass mit dem Denktraining
den dafür das »gelenkte Entdeckenlassen«, vor allem eine Steigerung bereichsüber-
die Methode der »Verbalisierung und Selbst- greifender metakognitiver Fertigkeiten er-
reflexion« sowie die »verbale Selbstinstruk- reicht wird.
tion« (s. o.) empfohlen. Das Vorgehen ist 4. Die Programmversionen für ältere Kinder
unbedingt auf das Fähigkeitsniveau der zu und für Jugendliche sind besonders wirk-
trainierenden Personen abzustimmen und sam bei Jugendlichen mit gravierenden
wird sicherlich von Trainer zu Trainer un- Lernschwierigkeiten (Klauer, 2001 b)
terschiedlich gut umgesetzt werden (ohnehin und bei Erwachsenen mit Minderleistun-
fällt auf, dass in Klauers Darstellungen die gen im Bereich der Intelligenz (Hassel-
Trainingsinhalte und -ziele vorrangig behan- horn, Hager & Boeley-Braun, 1995).
delt werden – Angaben zur Trainingsdurch-
führung bleiben eher vage). Für die Durch- Gedächtnisstrategien. Gedächtnistrainings
führung des Klauer-Trainings sind zehn oder scheint es wie Sand am Meer zu geben.
mehr Sitzungen von jeweils 20 bis 40 Mi- Allerdings sind die wenigsten dieser Pro-
nuten Dauer vorgesehen. gramme theoretisch begründet und empi-
Aus den zahlreichen Evaluationsstudien risch evaluiert worden. Im Vordergrund ste-
zum Klauer’schen Denktraining ergibt sich hen in der Regel Übungen der Grundfunk-
ein recht differenziertes Bild hinsichtlich der tionen des Gedächtnisses, wie z. B. der Ge-
Wirksamkeit des Trainingsansatzes und hin- schwindigkeit der Informationsverarbeitung

436
8 Besonderheiten des Lehrens

oder des Aktivierens und Verknüpfens meh- Grundeinheiten stehen Übungen zur Ver-
rerer Sinneskanäle zur gleichen Zeit. Dazu mittlung von Gedächtnisstrategien (Mne-
werden spezifische verbale und visuelle Ge- motechniken) im Vordergrund. In kreativer
dächtnisstrategien vermittelt, wie z. B. Tech- und kindgerechter Verpackung werden da-
niken des Kategorisierens und Ordnens von bei Fokussierung, multimodales Erfassen,
Lernmaterial oder elaborative Techniken, symbolisches Kodieren, Visualisierung, Ket-
wie die Loci-, die Geschichten- oder die tenbildung, Verbalisierung, symbolisches
Schlüsselwort-Methode. Bei neueren Trai- Kodieren und Wiederholen, eine Lesemetho-
ningsprogrammen kommen Informationen de sowie das Kategorisieren eingeübt. Eine
über die Funktionsweise des Gedächtnisses erste Evaluationsstudie, in die 21 Kinder mit
(metakognitives Wissen) als dritte Kom- Gedächtnisstörungen einbezogen waren,
ponente hinzu. Obwohl die meisten Ge- spricht für die Effektivität des Trainingspro-
dächtnistrainings aus einer Mischung dieser gramms – im Vergleich mit Kindern einer
drei Komponenten bestehen, unterscheiden unbehandelten Kontrollgruppe (vgl. Lepach
sie sich im Detail darin, ob sie eher bereichs- & Petermann, 2009). Katamnestische Daten
spezifisch oder eher bereichsübergreifend einer Teilgruppe der untersuchten Kinder
konzipiert sind. sprechen darüber hinaus für eine längerfris-
Bereichsspezifische Gedächtnistrainings tige Stabilität der Effekte.
zielen auf die Verbesserung einer spezi-
fischen Gedächtnisfunktion bzw. eines ein- Metakognitive Regulation. Die vergleichs-
gegrenzten Anforderungsbereichs. Das Ein- weise geringen Transfereffekte traditioneller
üben der Schlüsselwortmethode zum Erler- Strategietrainings führten Brown, Bransford,
nen fremdsprachlicher Vokabeln ist hierfür Ferrara und Campione (1983) auf die man-
ein gutes Beispiel (䉴 Kap. 2.3). Bereichsspe- gelnde Informiertheit der trainierten Per-
zifische Trainings dieser Art erzielen recht sonen über den Nutzen und die Anwendungs-
große Effekte (vgl. Schneider & Pressley, möglichkeiten der vermittelten Strategien zu-
1997). Ihr Nachteil liegt allerdings wie bei rück (Uninformed Training). Sie vertraten die
allen spezifischen Fördermaßnahmen darin, These, dass eine nachhaltige Wirksamkeit
dass sie nur in Bezug auf einen bestimmten kognitiver Trainings nur dann zu erreichen
Anforderungsbereich (hier für das Vokabel- sei, wenn zugleich Wissen über das eigene
lernen) einen Nutzen haben – ihre allgemeine kognitive System, über Lernanforderungen
Wirkung ist gering. und über Strategien sowie Prozeduren der
Bereichsübergreifende Gedächtnistrai- Planung, Überwachung und Steuerung eige-
nings sind bisher kaum einer wissenschaft- ner Lernprozesse (kurz: metakognitives Wis-
lichen Evaluation unterzogen worden. Dies sen) vermittelt würde. Metakognitive Kom-
trifft auch für das Lepach, Heubrock, Muth ponenten gelten daher als ein ideales Trans-
und Petermann (2003) herausgegebenen fervehikel für die Inhalte kognitiver Trainings
»Training für Kinder mit Gedächtnisstörun- (䉴 Kap. 3.3). Dementsprechend sind metako-
gen (REMINDER)« zu. Das Einzeltraining gnitive Anteile häufig Bestandteile eines ko-
ist neuropsychologisch begründet und für gnitiven Trainings und nicht unbedingt einer
Kinder zwischen 7 und 14 Jahren konzipiert. eigenständigen Kategorie zuzuordnen. Es
Es besteht aus zehn 60-minütigen Einheiten gab zwar Versuche, Metakognition isoliert
(Grundprogramm) und einem begleitenden zu vermitteln (z. B. Überwachungs- und Su-
Übungsprogramm für zu Hause. Hinzu pervisionstechniken des eigenen Lernens).
kommen fünf Aufbaueinheiten, die der Bewährt hat sich das allerdings nicht.
vertiefenden Anwendung der Elemente des Der kognitiv-metakognitive Ansatz wur-
Grundprogramms dienen sollen. In den zehn de erfolgreich in verschiedenen Lesetrainings

437
Teil II Lehren

umgesetzt, die das bessere Verstehen und ten). Die Lernenden werden in ausführlicher
Behalten von Textinformationen zum Ziel Weise über die Notwendigkeit, die Möglich-
haben. Ein im deutschen Sprachraum gut keiten und die Grenzen sowie über den zu
bewährtes Konzept hierzu stammt von Has- erwartenden persönlichen Nutzen des Stra-
selhorn und Körkel (1986). Es wurde von tegieeinsatzes informiert, und es wird Schritt
Schreblowski und Hasselhorn (2001; Schre- für Schritt die Eigenverantwortlichkeit der
blowski, 2004) um motivationale Trainings- Strategienutzung gesteigert.
komponenten erweitert und konnte mittler-
weile in einer für den Unterricht optimierten
Fokus: Wirksamkeit des Reciprocal
Fassung erfolgreich im regulären Deutsch-
Teaching
unterricht implementiert werden (Gold et
al., 2004; Gold, 2010). Das Reciprocal Teaching ist häufig eva-
Ein sehr erfolgreiches Training ist das luiert worden. Eine Zusammenfassung
bereits in 䉴 Kap. 6.2 erwähnte »Reciprocal der frühen Arbeiten haben Rosenshine
Teaching of Reading« von Palincsar und und Meister (1994) vorgenommen. Dabei
Brown (1984), das ursprünglich ebenfalls zeigten sich beeindruckende längerfristi-
zur Förderung des Textverstehens entwickelt ge Effekte in der Größenordnung von
wurde, mittlerweile aber auch zur Förderung etwa 0.8 Standardabweichungen gegen-
des mathematischen Denkens im Grund- über traditionell trainierten Kontroll-
schulalter und für die bessere Verarbeitung gruppen. Die großen Effekte resultierten
akustischer Informationen bei Schulanfän- jedoch lediglich bei trainingsnahen An-
gern genutzt wird. Das wechselseitige (rezi- forderungen; bei standardisierten Lese-
proke) Lehren basiert auf einer Abfolge von tests fielen die Effektgrößen wesentlich
Lehr-Lern-Schritten, in deren Verlauf Leh- geringer aus. Das Befundmuster erinnert
rende und Lernende mehrmals ihre Rollen daran, dass bei der Bewertung der Wirk-
tauschen. In der ursprünglichen Variante samkeit kognitiver Trainings nicht nur
wird die Förderung des Leseverständnisses die Effektgrößen, sondern auch die
und der selbständigen Verstehenskontrolle Transferdistanzen zu beachten sind. Hat-
angestrebt. Vier konkrete strategische Akti- tie (2009) hat für das wechselseitige Leh-
vitäten werden für das Training ausgewählt: ren eine mittlere Effektstärke von ES =.74
das Zusammenfassen wesentlicher Inhalte, berichtet.
das Generieren verstehensbezogener Fragen,
die Vorhersage des weiteren Textgeschehens
und das Klären von mehrdeutigen Textpas- Der Einbezug metakognitiver Elemente hat
sagen. Wie diese Strategien funktionieren sich auch bei anderen kognitiven Trainings
und wofür sie gut sind, wird zu Beginn bewährt. So zielen Lauth und Schlottke
des Trainings in einer Art des »sokratischen (2002) in ihrem Training für aufmerksam-
Dialogs« vermittelt bzw. erarbeitet. Das Pro- keitsgestörte Kinder ausdrücklich auf die
gramm umfasst etwa 20 Trainingssitzungen (metakognitiven) Bereiche der Planungs-
von jeweils 25 Minuten Dauer und kann fähigkeit und Selbstreflexivität. Auch Sou-
sowohl als Individualtraining als auch in vignier (2001) resümiert, dass die Verbes-
Gruppen von bis zu 20 Kindern durch- serung räumlicher Fähigkeiten auf dem Er-
geführt werden. Während des Trainings wer- werb einer höheren strategischen Flexibilität
den verschiedene Instruktionselemente rea- beruhe und dass sich dementsprechend auch
lisiert: Die Lehrperson demonstriert selbst keine verbindlichen Vorgaben für ein
die jeweiligen strategischen Aktivitäten (also »räumliches Strategietraining« formulieren
z. B. das Zusammenfassen von Textinhal- ließen. Folgerichtig plädiert er dafür, bei den

438
8 Besonderheiten des Lehrens

Adressaten von Trainingsmaßnahmen ein Zwar ist die Euphorie der 1960er Jahre
möglichst hohes Maß an Reflexion über längst verflogen. Denn die Effekte der da-
die eigenen Vorgehensweisen anzustreben. mals mit großem Aufwand eingeleiteten Vor-
Auch das oben erwähnte Denktraining nach schulprogramme fielen häufig enttäuschend
Klauer zielt auf die Entwicklung der Selbst- gering aus. Der pädagogische »Stein der
reflexion. Weisen«, der es möglich machen würde,
das allgemeine kognitive Entwicklungstem-
po sowie das erreichbare kognitive Lern-
Was kann ein Kognitives Training und Leistungsniveau bereichsübergreifend
bewirken? zu fördern, hat sich bis heute nicht finden
lassen. Dennoch ist die anfängliche Euphorie
In seinem einflussreichen Buch Intelligence zu Recht nicht in fatalistische Resignation
and Experience vertrat Hunt (1961) die The- umgeschlagen (vgl. Schmidt-Denter, 2002).
se, dass es im Wesentlichen eine Funktion des Die durch sie angestoßene Interventionsfor-
Anregungsgehalts der Lernumwelt sei, wie schung hat einige Ergebnisse hervor-
sich die individuellen kognitiven Lernvoraus- gebracht, die einen gedämpften Optimismus
setzungen entwickelten. Man kann sich vor- gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. dazu
stellen, welch außergewöhnlich große Wir- die in 䉴 Kap. 7.1 dargestellten Förderansät-
kungen eine solche These vor allem im Hin- ze). Zwar hat auch die endogenistische Kern-
blick auf die Diskussion um die vorschulische annahme, wonach die individuelle kognitive
Förderung entfalten sollte (䉴 Kap. 7.1). Der Leistungsfähigkeit in hohem Maße genetisch
naheliegende Schluss, möglichst viele Kinder determiniert sei, durch Befunde der differen-
möglichst früh mit möglichst reichhaltigen ziellen Verhaltensgenetik wieder stark an
Angeboten und Anregungen zu fördern, er- Reputation gewonnen (vgl. Rowe, 1997).
hielt durch eine Monographie von Bloom Doch belegen die Befunde der kognitiven
(1964) neue Nahrung. In seiner Schrift Trainingsforschung eindrücklich, dass die
über die »Stabilität und Veränderung individuellen kognitiven Leistungspotenzia-
menschlicher Merkmale« behauptete Bloom, le durchaus gezielt gefördert werden können
dass das Lernpotenzial eines 17-Jährigen (vgl. Asendorpf & Hasselhorn, 2004; Has-
etwa zur Hälfte bereits im Alter von vier selhorn & Hager, 2010; Klauer, 2001 b).
Jahren determiniert sei und dass sich weitere
30 % bis zum 8. Lebensjahr herausbilden Wirksamkeit und Wirkungen. Wirksame
würden. Kritische Anmerkungen, dass die Trainingsmaßnahmen sollten nicht nur zu
empirische Basis für eine solche Auffassung einer Leistungssteigerung im Bereich der
keineswegs gut begründet war (Blooms Da- trainierten kognitiven Funktionen führen,
ten zeigten nämlich lediglich an, dass die mit sondern darüber hinaus einen Transfer auf
vier Jahren gemessene Intelligenztestleistung neue Anwendungsbereiche unterstützen. Es
etwa 50 % der Leistungsvariabilität 17-Jäh- stellt sich daher die Frage, wie spezifisch
riger vorhersagen konnte), wurden geflissent- oder wie allgemein ein Trainingskonzept
lich überhört. Die willkommene Überzeu- beschaffen sein muss, um beiden Anforde-
gung, dass es durch gezielte Maßnahmen in rungen gerecht zu werden. Bei den kogniti-
den frühen Lebensjahren gelingen könne, die ven Trainings scheint es ein Gesetz des re-
größtmöglichen Wirkungen bei der För- ziproken Zusammenhangs zwischen dem
derung der allgemeinen kognitiven Leis- Allgemeinheitsgrad des Trainings und der
tungsfähigkeit zu erzielen, war zum Credo Größe der erzielten Trainingseffekte zu ge-
einer ganzen Generation engagierter Pädago- ben: Je bereichsspezifischer das Training ist,
gen geworden. desto größer (Effektstärke), aber auch desto

439
Teil II Lehren

schmaler (Transfer) fallen die Effekte aus. (Coaching-Effekt)? Die oben erwähnte Me-
Ein sehr spezifisches Training löst damit die taanalyse von Melby-Lervåg und Hulme
erstgenannte Forderung ein, indem große (2013) zumindest legt nahe, dass bei den
Trainingseffekte erzielt werden – diese blei- Arbeitsgedächtnistrainings die letztere Inter-
ben jedoch häufig eng auf den trainierten pretation der Realität näher kommt.
Aufgaben- oder Inhaltskontext beschränkt, Fragen dieser Art verdeutlichen, dass
innerhalb dessen trainiert wurde. Wirksamkeit und Wirkung einer Trainings-
maßnahme durchaus nicht dasselbe sind. Ein
Training, das eine spezifische kognitive
Fokus: Wirksamkeit und Wirkungen
Funktion verbessern soll, kann seine Wirk-
kognitiver Trainings
samkeit auch einer eher allgemeinen kogni-
Eine Fehlüberzeugung ganz anderer Art tiven Anregung oder Anreicherung verdan-
haben Hager und Hasselhorn (2000) auf- ken. Ebenso ist es denkbar, dass ein Training
gezeigt. Diese Fehlüberzeugung besteht mit einem allgemeinen bereichsübergreifen-
darin, dass man die empirisch nachgewie- den Wirksamkeitsanspruch nur sehr spezi-
sene Wirksamkeit einer Trainingsmaß- fische kognitive und/oder motivationale
nahme häufig gleichsetzt mit dem Nach- Merkmalsänderungen auslösen wird.
weis spezieller kognitiver Wirkungen des Daraus sollte man nicht voreilig den
Trainings. Auch wenn ein theoretisches Schluss ziehen, dass die breiter angelegten,
Wirkmodell explizit angibt, auf welche nicht auf spezifische kognitive Funktionen
kognitiven Funktionen ein Training zielt, ausgerichteten Trainingskonzepte als Mittel
kann doch die Wirksamkeit eines Trai- der Wahl gelten müssen, um möglichst breite
nings auf ganz anderen als den postulier- Transferwirkungen zu erzielen. Ein gänz-
ten Wirkungen beruhen. lich unspezifisches Denktraining garantiert
nämlich keineswegs den erwünschten Trans-
fer.
So mag ein Training, mit dem die Kapazität Seit den 1980er Jahren wird daher immer
des Arbeitsgedächtnisses gesteigert werden wieder gefordert, kognitive Trainings stets
soll, dann als wirksam eingestuft werden, mit Komponenten anzureichern, die sich
wenn sich im Anschluss bessere Leistungen günstig auf die spätere Generalisierung der
in einem Arbeitsgedächtnistest nachweisen im Training vermittelten neuen Kompeten-
lassen. Welche Wirkungen dieses Training zen auswirken. In diesem Zusammenhang
jedoch bei den trainierten Personen tatsäch- haben sich insbesondere gezielte Informatio-
lich ausgelöst hat, ist mit dem Nachweis der nen über die Nützlichkeit der vermittelten
Leistungssteigerungen noch nicht beantwor- Strategien und das direkte Einüben von
tet: Sind die Trainierten planvoller und stra- Techniken der Selbstkontrolle und Lernregu-
tegischer geworden oder haben sie mehr lation als wirksam erwiesen (vgl. Hassel-
Zuversicht in die eigenen Gedächtnisfähig- horn, 1987; Mähler & Hasselhorn, 2001).
keiten gewonnen, was sie dazu geführt ha- Diese Komponenten gehören zu den zentra-
ben mag, dass sie sich bei den Prüfaufgaben len Bausteinen metakognitiv orientierter
mehr angestrengt haben? Ist tatsächlich die Trainings. Wichtiger als die Frage nach
Kapazität des Arbeitsgedächtnisses größer dem Allgemeinheitsgrad oder der Spezifität
geworden oder haben die Trainierten ge- eines Trainingsprogramms scheint daher die
lernt, mit den Begrenztheiten besser umzu- metakognitive Einbindung der neu vermit-
gehen und die vorhandene Kapazität geziel- telten kognitiven Kompetenzen. Die größte
ter und selektiver im Hinblick auf die trai- Wirksamkeit versprechen deshalb kognitive
nierten Anforderungen hin zu nutzen Trainings, die eine solche Einbindung ge-

440
8 Besonderheiten des Lehrens

währleisten. Wie in 䉴 Kap. 6.4 ausführlich satz ist auch deshalb besonders interessant,
dargelegt, erfüllen insbesondere die Maß- weil er sich als verbindende Klammer anbie-
nahmen zur Förderung des selbstregulierten tet, wenn es um die Förderung kognitiver
Lernens diese Voraussetzungen – sie können und motivationaler Prozesse des Lernens
etwa ab dem 10. Lebensjahr erfolgreich geht.
eingesetzt werden. Der metakognitive An-

Beispiel: Unterrichtsintegriertes Selbstregulationstraining


Im Rahmen einer Interventionsstudie wurde die Wirksamkeit eines in den regulären
Unterricht integrierten Selbstregulationstrainings überprüft. Kognitive Trainings im realen
Schulkontext stehen vor besonderen Herausforderungen: Einerseits soll die Einbindung
von Trainingselementen nicht viel Unterrichtszeit »kosten«, um den fachbezogenen
Wissenserwerb nicht zu gefährden; andererseits sollte gewährleistet sein, dass alle Schüler
gleichermaßen profitieren und dass nicht die Schwächeren benachteiligt werden (Scheren-
effekt oder Matthäus-Effekt).
Labuhn, Bögeholz und Hasselhorn (2008 a, 2008 b) realisierten ein solches Training im
Rahmen des naturwissenschaftlichen Unterrichts der 7. Klassenstufe an einer Gesamt-
schule. In enger Kooperation mit Lehrkräften wurde eine Unterrichtseinheit zum Thema
Ernährung konzipiert und entweder mit oder ohne zusätzliche Anregungen zum selbst-
regulierten Lernen mit 199 Schülern durchgeführt. Die Trainingsbausteine bezogen sich
vorrangig auf die Vermittlung von Lernstrategien und Techniken der Selbstregulation, aber
auch auf motivational relevante Zielsetzungen. Alle Trainingsbausteine wurden eng mit den
fachlichen Inhalten der Unterrichtseinheit verknüpft.
Die zusätzlichen Anregungen führten zu einem Anstieg selbstregulierten Lernens.
Obwohl ein geringerer Anteil der Unterrichtszeit für die Beschäftigung mit den fachbe-
zogenen Inhalten zur Verfügung stand, wurde unter der Bedingung mit Selbstregulations-
anregungen fachlich ebenso viel gelernt wie in der Vergleichsgruppe. In einer anschlie-
ßenden neuen und für beide Gruppen identischen Unterrichtseinheit konnte darüber hinaus
ein Vorteil der Trainingsgruppe nachgewiesen werden. Noch sechs Monate nach der
Intervention übertrafen die trainierten Schüler in ihren Leistungen die Leistungen der
Kontrollgruppenschüler. Differenzielle Analysen ergaben, dass Schüler mit unterschiedli-
chen Ausgangsvoraussetzungen im selbstregulierten Lernen sowie Schüler mit Migrations-
hintergrund gleichermaßen von der unterrichtsintegrierten Förderung profitierten.

8.2 Förderung von Motivation und Interesse

Fragt man Lehrer nach den besonders gra- gen. Was aber verbirgt sich hinter dem Be-
vierenden Problemen im Unterricht, dann griff der Lernmotivation? Oft wird die Lern-
gehören Beschwerden über die Lustlosigkeit motivation umschrieben als die Tendenz
von Schülern und über deren mangelnde oder Bereitschaft von Lernenden, akademi-
Lernmotivation zu den häufigsten Nennun- sche bzw. schulische Lernaktivitäten für

441
Teil II Lehren

sinnvoll und wertvoll zu halten und sie bei diesen drei Perspektiven erkennbar wech-
auszuführen, weil man sich von ihnen per- selt, gibt es insbesondere hinsichtlich der
sönlich einen nützlichen Lernzuwachs ver- theoretischen Grundlagen viele Gemeinsam-
spricht (䉴 Kap. 2.4). Doch wie bringt man keiten. Im folgenden Abschnitt wird ver-
Lernende dazu, Lernaktivitäten für so sinn- sucht, die wichtigsten Antworten auf die
voll und wertvoll zu halten, dass sie ver- Frage »Wie lässt sich Lernmotivation för-
suchen, den intendierten Nutzen daraus zu dern?« aus diesen drei Perspektiven zu skiz-
ziehen? zieren. Dazu werden zunächst zentrale Prin-
Diese Frage ist so alt und allgegenwärtig zipien eines motivierenden Unterrichts, an-
wie die Erfahrungen von Lehrenden, die die schließend geeignete Ansätze zur Förderung
Lustlosigkeit und das Desinteresse ihrer Ler- individueller motivationaler Dispositionen
ner erlebt haben. Es verwundert daher nicht, und schließlich Überlegungen zu der Frage,
dass man in der einschlägigen Literatur eine wie sich das Interesse für einen Lerngegen-
kaum überschaubare Vielfalt von Antwor- stand wecken lässt, präsentiert.
ten auf diese Frage findet. Je nach theoreti-
scher Grundorientierung fallen sie recht un-
terschiedlich aus. Viele der unterschiedlichen Prinzipien zur motivationalen
Antworten ergänzen sich in sinnvoller Wei- Optimierung von Unterricht
se. Vergleicht man die empfohlenen Maß-
nahmenkataloge zur Förderung der Lern- Einflussreiche Theorien der Lern- und Leis-
motivation (z. B. Rheinberg & Krug, 2005; tungsmotivation gehen davon aus, dass die
Woolfolk, 2008), so wird rasch deutlich, Bereitschaft, eine Lerntätigkeit auszuführen,
dass der Begriff der Motivationsförderung dann besonders hoch ist, wenn der Lernende
sehr unterschiedliche Facetten umfasst. mit dieser Tätigkeit positive Gelingenserwar-
Während einige Empfehlungen den Unter- tungen und subjektiv als wertvoll erlebte
richt fokussieren und damit die Frage, wie Folgeerwartungen verknüpft. Man spricht
dieser besser gestaltet werden kann, stellen in diesem Zusammenhang von sogenannten
andere Empfehlungen die individuellen mo- Erwartungs-mal-Wert-Theorien, wobei die
tivationalen Dispositionen von Lernenden in beiden Faktoren in einer multiplikativen
den Vordergrund. Wieder andere Autoren Verknüpfungsbeziehung stehen sollen
sind davon überzeugt, dass alle motivatio- (䉴 Kap. 2.4). Dementsprechend finden sich
nalen Probleme verschwinden würden, in der einschlägigen Literatur viele Vorschlä-
wenn es nur gelingen könnte, das Interesse ge zur motivationalen Optimierung von Un-
der Lernenden für das jeweilige Lerngebiet terricht, die sich auf die Gestaltung der
zu wecken. Erwartungs- und Wertseite der Lerntätigkei-
Die beiden erstgenannten Empfehlungen ten beziehen. Hinzu kommen weitere Emp-
lassen sich gut der in 䉴 Kap. 2.4 eingeführten fehlungen, die zum Ziel haben, Grund-
Unterscheidung zwischen der Motivation voraussetzungen für ein erfolgreiches Lernen
(als einem situativen Zustand) und dem Mo- zu schaffen.
tiv (als einem relativ situationsunabhängigen
dispositionalen Merkmal eines Lernenden) Basale Voraussetzungen. Woolfolk (2008)
zuordnen. Im ersten Fall wird die Situation hat darauf hingewiesen, dass die eigentlichen
fokussiert, im zweiten Fall die Person des Motivierungsstrategien erst greifen können,
Lernenden. Der dritte Ansatzpunkt der Mo- wenn vier Grundvoraussetzungen des Unter-
tivationsförderung schließlich hat die Bezie- richts erfüllt sind. Die erste Grundvoraus-
hung des Lernenden zum Gegenstand im setzung besteht darin, dass ein geordneter
Blick. Auch wenn der Fokus der Betrachtung und angemessener Lernkontext geschaffen

442
8 Besonderheiten des Lehrens

wird. Wenn im Klassenraum Unordnung her auf diese Erwartungsseite, indem sie den
und Unruhe herrschen, ist diese basale Vo- Aufbau von (Selbst-)vertrauen und die Ver-
raussetzung nicht erfüllt. Häufige Unterbre- mittlung einer positiven Erwartungshaltung
chungen und Störungen verhindern, dass ein fördern. Dazu gehören Maßnahmen, die die
Lernkontext hinreichend geordnet und an- Überzeugung stärken, durch eigenes Han-
gemessen ist (vgl. dazu 䉴 Kap. 7.3). deln auch schwierige Aufgaben erfolgreich
Eine zweite Grundvoraussetzung ist das bewältigen zu können. Nach Woolfolk
Ausmaß an unterstützendem Verhalten (2008) beginnt dies bereits damit, dass Ler-
durch den Lehrenden – und zwar so, wie nende an ihrem individuellen Leistungs-
es die Lernenden wahrnehmen. Wird die niveau »abgeholt« werden und dass ein
lehrende Person als geduldig und unterstüt- angepasstes kleinschrittiges Vorgehen ge-
zend erlebt, dann kann ein Unterrichts- und wählt wird, bei dem erst dann zum jeweils
Lernklima entstehen, in dem individuelle nächsten Schritt übergegangen wird, wenn
Fehler nicht als Misserfolge, sondern als der vorherige Schritt verstanden worden ist.
gute Gelegenheiten zum Lernen aus Fehlern Die Vorgabe klarer, spezifischer und mit
aufgefasst werden (Clifford, 1991). Anstrengung erreichbarer Lernziele hat sich
Die dritte Voraussetzung hat etwas mit ebenfalls als geeignete Motivierungsstrategie
dem Schwierigkeitsniveau von Lernanforde- im Sinne des Aufbaus positiver Erwartungen
rungen zu tun. Die geforderten Lerntätig- erwiesen. Schlag (1995) spricht in diesem
keiten müssen einerseits herausfordernd Zusammenhang von Zieltransparenz und
sein, andererseits aber auch von den Lernen- Zielaktivierung:
den zu bewältigen sein. Sind die Anforde- Die Forderung nach Zieltransparenz gilt für
rungen zu leicht oder zu schwer, können alle Aspekte der Lehrer-Schüler-Interaktion: Sie
motivierende Mechanismen nicht so gut gilt in bezug auf längerfristige, beispielsweise
greifen. Bei zu leichten Aufgaben ist der die Schullaufbahn oder das Schuljahr umfas-
sende Leistungsziele; sie gilt jedoch genau so für
mit der erwarteten Aufgabenlösung verbun-
die einzelne Unterrichtsstunde und in bezug auf
dene subjektive Wert zu gering, bei zu schwe- Aspekte des Sozialverhaltens. Da die Ziele des
ren Aufgaben ist die Lösungswahrschein- Lehrers nicht immer die Ziele seiner Schüler
lichkeit zu gering, um eine positive Erwar- sind, muß auf die Vermittlung wichtiger Ziele
tung zu erzeugen. viel gemeinsame Zeit verwendet werden.
(Schlag, 1995, S. 129)
Schließlich gehört es zu den basalen Vo-
raussetzungen für die potenzielle Wirksam- Auch die Art und Form der Rückmeldungen
keit von Motivierungsstrategien, dass die kann entscheidend für den Aufbau motiva-
Lernanforderungen als sinnvoll und loh- tional günstiger Erwartungen sein. Hilft man
nenswert wahrgenommen werden. Stipek den Lernenden dabei, ihre eigenen Lernfort-
(2002) weist darauf hin, dass sogenannte schritte auf die Anwendung von Selbstmana-
authentische Lernanforderungen eher als gementstrategien zurückzuführen, wird der
sinnvoll wahrgenommen werden. Im Fol- Selbstvergleich bei der Bewertung eigenen
genden werden einige Motivierungsstrate- Lernerfolgs gestärkt. Durch geeignete Rück-
gien vorgestellt. meldungen können Lernende den Fortschritt
in den eigenen Lernbemühungen wahrneh-
Aufbau positiver Erwartungen. Hat der Ler- men. Das stärkt ihr Selbstvertrauen in die
nende den Eindruck, die vorgegebenen Ler- eigenen Lernkompetenzen und damit die
nanforderungen erfolgreich bewältigen zu Erwartung, auch bei zukünftigen Lernauf-
können, wird er mehr Anstrengung investie- gaben erfolgreich abschneiden zu können.
ren, um ein Lernziel zu erreichen. Eine Reihe Als motivational besonders günstig gelten
bewährter Motivierungsstrategien zielen da- Rückmeldungen, die im Erfolgsfall bei den

443
Teil II Lehren

Schülern eine Attribuierung auf die eigene ten hier Sport, Musik, Politik und Gesell-
Anstrengung nahelegen und im Falle eines schaft, Mode oder Film und Fernsehen.
Misserfolgs die Ursache in einer zu geringen Wichtig dabei ist, dass der Lehrende über
Anstrengung vermuten lassen (䉴 Kap. 2.4). den jeweiligen Interessenbereich, den er als
Eine weitere motivationsförderliche Re- »Vehikel« benutzen will, hinreichend gut
gel, die die Erwartungsseite des motivatio- Bescheid weiß. Anderenfalls ist die Gefahr
nalen Geschehens positiv beeinflussen kann, groß, dass er als inkompetent wahrgenom-
hat mit der Einstellung zu tun, dass indivi- men wird, was sich besonders ungünstig
duelle Leistungspotenziale veränderbar auswirken kann, weil diese Inkompetenz
sind. Durch die Befunde der differenziellen demotivierend wirken muss.
Verhaltensgenetik hat die Auffassung von Fehlt die individuelle Einsicht in die Nütz-
der genetischen Determiniertheit der kogni- lichkeit des gegenwärtigen Lernens für das
tiven Leistungsfähigkeit des Menschen in spätere Leben, empfiehlt Woolfolk (2008),
den letzten Jahren wieder stark an Reputa- die Lernaktivitäten in solche Tätigkeiten und
tion gewonnen. Leider hat sich diese Über- Kontexte einzubetten, die den Lernenden
zeugung in den Köpfen vieler fälschlicher- Spaß machen. Spaß an einer Sache zu haben,
weise mit der Zusatzannahme gekoppelt, gehört zu den intrinsisch motivierenden Zu-
dass aufgrund der genetischen Determiniert- ständen, die die hilfreiche Eigenschaft ha-
heit kaum mehr Möglichkeiten bestünden, ben, dass Investition von Anstrengung nicht
die individuellen Leistungsmöglichkeiten als belastend, sondern als beglückend emp-
durch gezielte Förderung zu verändern. funden wird (vgl. zum sogenannten Flow-
Dem ist aber keineswegs so (䉴 Kap. 8.1). Erleben: Csikszentmihalyi, 1985).
Die Überzeugung, durch eigene Lernanstren- Eine weitere Strategie kann man als We-
gungen das individuelle Leistungsvermögen cken von Neugier bezeichnen. Neugierig
verbessern zu können, entspricht nicht nur werden Kinder dann, wenn es überraschen-
den Befunden der kognitiven Trainingsfor- de oder kontraintuitive Diskrepanzen zwi-
schung – sie hat auch positive Wirkungen auf schen bereits vorhandenen Überzeugungen
die motivational günstigen Erwartungen in der Lernenden und den neuen Informationen
Lehr-Lern-Situationen: nämlich dass durch gibt.
intensive Lernanstrengungen das eigene Sind die bislang beschriebenen Bemühun-
Leistungspotenzial gesteigert werden kann. gen, die intrinsische Motivation zu erhöhen,
nicht erfolgreich, bleibt immer noch die
Den Wert des Lernens verdeutlichen. Nicht Möglichkeit, die Nützlichkeit oder den sub-
nur das Vertrauen der Lernenden in die jektiven Wert einer Lerntätigkeit durch die
eigenen Möglichkeiten erfolgreichen Ler- Inaussichtstellung einer externen Belohnung
nens kann gestärkt werden. Es gibt weitere zu erhöhen. Dabei sollte allerdings bedacht
motivationsfördernde Strategien, die darauf werden, dass die extrinsische Belohnung für
ausgerichtet sind, den persönlichen Wert eine schon intrinsisch motivierte Handlung
und den Nutzen von Lernaktivitäten zu das Ausmaß an intrinsischer Motivation
verdeutlichen. Gelingt dies, dann steigt die untergraben kann (䉴 Kap. 2.4).
Tendenz, sich mit den Lernanforderungen
auseinandersetzen zu wollen. Hilfestellungen für ausdauernde Aufgaben-
Eine typische Strategie, um dieses Ziel zu bezogenheit. Sind die Lernanforderungen
erreichen, besteht in der Verknüpfung der anspruchsvoll, dann bleibt es nicht aus,
Lernaktivitäten mit den (ohnehin vorhande- dass Lernende bisweilen auf Schwierigkeiten
nen) Interessen der Lernenden (Schiefele, stoßen. Beispielsweise werden Sachverhalte
1991). Als besonders geeignete Bereiche gel- nicht auf Anhieb klar, oder man bekommt

444
8 Besonderheiten des Lehrens

Beteiligung dadurch steigern, dass man


Beispiel: Motivieren durch Neugier den Lernenden durch das Beantworten
Wie durch offenkundige Diskrepanzen von Fragen, durch das Erteilen kleiner Auf-
zwischen (vorhandenen) Überzeugungen träge oder durch das Demonstrieren von
und (neuen) Fakten motiviert werden Fertigkeiten Gelegenheit gibt, Erfolge zu
kann, zeigt ein von Stipek (1993) be- erleben. Wichtig auch, dass man Sorge dafür
schriebenes Beispiel: Eine Lehrerin stellt trägt, dass »fertige Produkte« erzeugt wer-
ihren Schülern (5. Klassenstufe) die Fra- den und dass vollständige Handlungen er-
ge, ob wohl auf den anderen Planeten bracht werden können; dass man das Risiko-
unseres Sonnensystems »Leute« wohn- potenzial einer Aufgabe (also die Wahr-
ten. Auf die prompte Antwort »ja« fragt scheinlichkeit des Scheiterns) reduziert,
sie als nächstes, ob Leute Sauerstoff zum ohne die Aufgabe zu sehr zu vereinfachen;
Atmen bräuchten. Da die Klasse im Bio- dass man eine Überbetonung der Leistungs-
logieunterricht gerade die Atmung als bewertung vermeidet und dass die Lehren-
notwendiges Merkmal von Leben kennen den ihren eigenen Enthusiasmus und ihr
gelernt hat, wird auch diese Frage bejaht. eigenes Interesse am Lernstoff durch die
Daraufhin berichtet die Lehrerin, dass es Art ihres Vorgehens deutlich werden lassen.
in der Atmosphäre der anderen Planeten
Sauerstoff nicht gäbe.
Ansätze zur Förderung
Einige Schüler bemerken sofort die Dis-
krepanz. Es entsteht eine lebhafte Dis- individueller motivationaler
kussion über die Atmosphäre anderer Dispositionen
Planeten, aber auch über die Arten von
Lebewesen, die vielleicht ohne Sauerstoff Die skizzierten Prinzipien zur motivationa-
leben könnten und über ähnliche Fragen. len Optimierung von Unterricht lassen er-
kennen, dass eine Erhöhung des reinen Un-
terhaltungswertes von Unterricht nicht im-
mer ausreichen wird, um die Lernmotivation
das Gefühl, dass noch irgendwelche Infor- wirkungsvoll und dauerhaft zu steigern. All-
mationen fehlen, um ein Problem lösen zu zu häufig führt die Verwendung neuartiger
können. In solchen Situationen ist es beson- Materialien und/oder der Einbezug beliebter
ders wichtig, einer Aufgabe die volle Auf- Tätigkeiten in den Unterricht lediglich zu
merksamkeit zu widmen. Oftmals aber einer höheren Anfangsmotivierung, die
schweifen die Gedanken des Lernenden schnell wieder verblassen kann und bei vie-
ab, wie man es z. B. bei Leistungsängstlichen len Lernenden nicht bis in die eigentliche
beobachten kann, die – anstatt sich auf die Lernphase hinein erhalten bleibt (Brophy,
Aufgabe zu konzentrieren – damit anfangen, Rohrkemper, Rashid & Goldberger, 1983).
sich Sorgen um ihre eigene Leistung zu Offensichtlich erzielen die skizzierten
machen oder darüber, welchen Eindruck Motivierungsmaßnahmen auch nicht bei al-
sie bei den anderen hinterlassen. Dies redu- len Lernenden die gewünschten Wirkungen
ziert die Aufgabenbezogenheit, die nötig ist, auf das Lernverhalten. Verfügt eine Person
um die Lernanforderung in hinreichendem bereits über ein ausgeprägtes Lern- und
Maße zu fokussieren. Leistungsmotiv mit erfolgsorientierter Aus-
Um zu verhindern, dass Lernende von der prägung (䉴 Kap. 2.4), dann führen die Moti-
eigentlichen Lernanforderung abschweifen, vierungstechniken in der Regel zur er-
gibt es eine Reihe von Maßnahmen (vgl. wünschten Steigerung der Lernmotivation.
Woolfolk, 2008). So lässt sich die aktive Entscheidend dafür ist, dass man in den

445
Teil II Lehren

Lernanforderungen und in den damit ein- hat, selbst über das eigene Verhalten bestim-
hergehenden Aktivitäten eine realistische men zu können und mit Aussicht auf Erfolg
Möglichkeit zum Erreichen eines erwünsch- selbstverantwortlich die eigenen Ziele ange-
ten Kompetenzzuwachses sieht. Lernende hen zu können, wird man sich in höherem
mit einer eher misserfolgsängstlichen Aus- Maße anstrengen.
prägung des Leistungsmotivs sehen dagegen
in anspruchsvolleren Lernanforderungen
Fokus: Facetten des
eher die Gefahr, ihre mangelnde Kompetenz
Selbstverursachungserlebens
bestätigt zu bekommen. Die damit einher-
(deCharms, 1979)
gehenden Gedanken lähmen und führen
dazu, dass keine zusätzlichen Anstrengun- ● Sich selbst erreichbare, aber anspruchs-
gen in die Lernaktivitäten investiert werden. volle Ziele setzen
Sind die motivationalen Dispositionen ● Um die eigenen Stärken und Schwä-
ungünstig, helfen auch die bewährten Moti- chen wissen
vierungsstrategien des Unterrichts wenig. ● Vertrauen in die Wirksamkeit des ei-
Vielmehr muss versucht werden, diese Dis- genen Handelns haben
positionen zu modifizieren. Dies ist nicht ● Selbst die Wege und Schritte bestim-
ganz einfach, da es sich bei motivationalen men, mit denen man die eigenen Ziele
Dispositionen (zumindest im Sekundarstu- erreichen will
fenalter) bereits um relativ zeitstabile und ● Rückmeldungen einholen und bewer-
änderungsresistente Merkmale handelt. ten, ob man sein Ziel bereits erreicht
Dennoch haben sich einige Ansätze als wirk- hat
sam zur positiven Beeinflussung motivatio- ● Sich selbst für die eigenen Handlungen
naler Dispositionen erwiesen (vgl. Rhein- und deren Folgen verantwortlich füh-
berg & Krug, 2005). Dazu gehören ins- len
besondere Maßnahmen zur Steigerung des
Selbstverursachungserlebens, Trainings zur
Änderung von ungünstigen Attributions- Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten hat
mustern (Reattribuierung) und kognitive deCharms (1979) Sekundarstufenlehrer mit
Motivänderungsprogramme auf der Basis dem Konzept des Selbstverursachungserle-
individueller Bezugsnormen. bens vertraut gemacht. Die Lehrer ent-
wickelten während eines Workshops kon-
Selbstverursachungserleben. Viele der aktu- krete Unterrichtsideen und erarbeiteten
ellen motivationspsychologischen Ansätze Lernmaterialien, die das Selbstverursa-
sehen im Erleben eigener Kompetenz und chungserleben ihrer Schüler stärken sollten.
in der subjektiven Überzeugung einen Men- In ihrem Unterricht haben die Lehrer nach-
schen, dass er für die sichtbaren Ergebnisse folgend darauf geachtet, dass sich ihre Schü-
eigenen Handelns selbst verantwortlich war, ler verbindliche Lernziele setzten, sich selbst
den zentralen Schlüssel zum motivierten beobachteten und sich als Urheber erfolg-
Handeln. Richard deCharms (1979) hat reichen eigenen Handelns erleben konnten.
als einer der ersten Motivationspsychologen Kontinuierliche Unterrichtsbeobachtungen
versucht, die lernrelevanten motivationalen haben gezeigt, dass die Lehrkräfte nach
Dispositionen von Schülern durch eine sys- und nach ihr unterrichtliches Vorgehen im-
tematische Beeinflussung ihres Selbstver- mer besser an die Leitideen des Origin-An-
ursachungserlebens (Origin-Feeling) zu stei- satzes anpassten. Die motivationalen Dis-
gern. Das Selbstverursachungserleben moti- positionen ihrer Schüler entwickelten sich
viert den Lernenden. Wenn man das Gefühl in der erwünschten Weise. Es war auch zu

446
8 Besonderheiten des Lehrens

beobachten, dass es weniger Fehlzeiten gab Individuelle Bezugsnorm. Auf der Basis der
und dass die Schüler pünktlicher zum Unter- von Heckhausen (1975) entwickelten Theo-
richt erschienen. Nach zwei Schuljahren rie leistungsmotivierten Verhaltens haben
konnten bedeutsame schulische Leistungs- Krug und Hanel (1976) im Rahmen des
steigerungen im sprachlichen und im mathe- Förderunterrichts in der 4. Klassenstufe
matischen Bereich nachgewiesen werden. ein noch komplexeres Motivänderungspro-
gramm konzipiert und erprobt. In der Theo-
Reattribuierung. Einen etwas anderen Aus- rie von Heckhausen ist das Leistungsmotiv
gangspunkt wählte Carol Dweck (1975), als Selbstbekräftigungssystem konzipiert,
indem sie auf die in 䉴 Kap. 2.4 beschrie- das sich aus drei Bestimmungsstücken zu-
benen Attributions-Voreingenommenheiten sammensetzt: dem Gütemaßstab bzw. der
von misserfolgsängstlich Lernenden zurück- Zielsetzung, der Attributions-Voreingenom-
griff. Sie stellte fest, dass Schüler, die nach dem menheit und der Selbstbekräftigungsstrate-
erfolglosen Bearbeiten von Mathematikauf- gie. Über diese drei Bestimmungsstücke las-
gaben den Misserfolg auf die mangelnde sen sich die Unterschiede im Leistungsver-
eigene Begabung zurückführten, künftig we- halten zwischen Erfolgsmotivierten und
niger Initiative entwickelten, sich weiterhin Misserfolgsängstlichen gut erklären:
mit Mathematikaufgaben auseinanderzuset-
zen. Dweck entwickelte ein Interventionspro- Misserfolgsmotivierte setzen sich im Vergleich
zu Erfolgsmotivierten Ziele, die gemessen an
gramm, um den betroffenen Schülern Stück ihren tatsächlichen Fähigkeiten entweder zu
für Stück günstigere Ursachenzuschreibun- hoch oder zu niedrig sind [. . .] Die Handlungs-
gen für ihr Lern- und Leistungsverhalten zu ergebnisse, die aus diesem unrealistischen Ziel-
ermöglichen: in Richtung auf die internal- setzungsverhalten (Normwerte) resultieren, er-
klären sie in der Weise, daß sie Erfolge [. . .] auf
variable Dimension »Anstrengung«. Gelang
Glück und auf Aufgabenleichtigkeit zurück-
dies, dann fühlten sich die Schüler eher ver- führen, während sie für Misserfolge eher ihre
antwortlich für das Bewältigen ihrer Lern- schlechten Fähigkeiten [. . .] verantwortlich ma-
aufgaben, sahen Misserfolge nicht länger als chen [. . .] Diese negative Selbstbewertung der
unvermeidbar an und zeigten mehr Anstren- eigenen Tüchtigkeit (Attribuierungsvoreinge-
nommenheit) ruft nicht nur eine entsprechende
gungen, um eine Lösung zu finden. negative Selbstbekräftigung hervor. . ., sondern
Der Reattribuierungsansatz lässt sich gut bedingt auch die Stabilität des misserfolgsori-
auf den regulären Klassenunterricht über- entierten Leistungsverhaltens. Um die erwarte-
tragen, wenn man sich entsprechender Mo- ten negativen Selbstbewertungen und Selbst-
bekräftigungen zu vermeiden, gehen Miss-
dellierungs- und/oder Kommentierungstech-
erfolgsmotivierte leistungsorientierten Tätig-
niken bedient (vgl. Ziegler & Schober, keiten zumeist aus dem Weg. (Krug &
1997). Bei den Modellierungstechniken ver- Hanel, 1976, S. 275)
balisiert die Lehrperson stellvertretend die
erwünschten Ursachenzuschreibungen (in Um die Negativspirale einer ungünstigen
der Regel die eigene Anstrengung, sowohl Konstellation des Selbstbekräftigungssys-
nach einem Erfolgs- als auch nach einem tems aufzubrechen, verfolgt das Trainings-
Misserfolgserleben). Anschließend wird programm von Krug und Hanel (1976) drei
über die Gefahren unerwünschter/ungüns- Ziele: (1) Die unrealistischen Ziele sollen den
tiger Attributionsstile aufgeklärt. Indirekter eigenen realistischen Leistungsmöglichkei-
sind die Kommentierungstechniken. Dabei ten angepasst werden; (2) das Begabungs-
greift die Lehrperson sichtbare Handlungs- selbstkonzept soll durch die Vermittlung
ergebnisse von Lernenden auf und kommen- günstiger Attributionsmuster verändert wer-
tiert diese im Sinne der erwünschten internal- den und (3) der Anreizwert leistungsorien-
variablen Attributionen. tierten Verhaltens soll durch den Aufbau

447
Teil II Lehren

positiver Selbstbekräftigungen gesteigert Der Ansatz von Krug und Hanel (1976) ist
werden. mittlerweile in vielfältiger Weise in schu-
lischen Kontexten und für Lernende unter-
schiedlichen Alters erfolgreich umgesetzt
Studie: Motivänderung im Unterricht
worden (vgl. Rheinberg & Krug, 2005;
In einer Studie von Krug und Hanel Schreblowski, 2004). Dabei hat sich die
(1976) wurde über einen Zeitraum von Verknüpfung von Motivänderungsstrate-
viereinhalb Monaten das Selbstbekräfti- gien mit bereichsspezifischen Lernstrategie-
gungssystem von misserfolgsängstlichen trainings als besonders effektiv heraus-
Viertklässlern angegangen. Als wirksam gestellt. Allerdings scheint der Aufbau eines
erwiesen sich wiederholtes Üben der er- positiven Selbstbekräftigungssystems sehr
wünschten Verhaltensweisen, gezieltes viel Zeit zu erfordern.
Lob, Lernen am Vorbild des Trainings-
leiters sowie Selbstbeobachtung, Pro- Integrierte Förderung motivationaler Dis-
tokollierung und inneres Sprechen aller positionen und bereichsspezifischer kogniti-
motivrelevanten Überlegungen. Das Pro- ver Fertigkeiten. Ähnlich wie sich metako-
gramm begann mit attraktiven schulfer- gnitive Trainings dann als besonders wirksam
nen Aufgaben (z. B. Ringwurfspiel) und herausgestellt haben, wenn sie mit der Ver-
ging mehr und mehr zu unterrichtsnahen mittlung bereichsspezifischer Inhalte und Fer-
Rechen- und Rechtschreibübungen über. tigkeiten kombiniert werden (䉴 Kap. 8.1),
Die Zusammenhänge zwischen An- scheint auch die wirksame Veränderung mo-
spruchsniveau-Setzung, Ursachenzu- tivationaler Dispositionen besonders gut zu
schreibung und Selbstbewertung wurden gelingen, wenn sie in konkrete Lernaktivitä-
anhand konkreter Aufgaben erörtert und ten eingebunden sind. So haben z. B. Wigfield
vom Trainingsleiter vorbildhaft bei der und Guthrie (2010) ein Trainingsprogramm
Bearbeitung von Aufgaben demonstriert, zur simultanen Förderung von Lesemotiva-
indem er laut über die Anspruchsniveau- tion und Leseverständnis für Schüler der
Setzung, die Ursachenzuschreibung und Klassenstufen 3 bis 6 entwickelt. Sie nennen
die Selbstbewertung nachdachte. An- dieses Programm CORI (Concept-Oriented
schließend kamen die Schülerinnen und Reading Instruction). Es soll das Lese-Enga-
Schüler an die Reihe und sollten es dem gement (Reading Engagement) der Schüler
Trainer nachtun. Zwischendurch fanden erhöhen. Dies wird über die folgenden fünf
immer wieder individuelle Beratungen Instruktionsprinzipien versucht:
statt.
Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, 1. Inhalts- und Wissensziele. Lesen wird
die herkömmlichen Förderunterricht er- explizit in ein Wissensgebiet eingebettet,
hielt, zeigten die Trainingsteilnehmer rea- in dem sich die Schüler spezifisches Wis-
listischere Zielsetzungen, günstigere Kau- sen aneignen sollen (bisher wurde CORI
salattribuierungen nach Misserfolg und vor allem im Bereich von Naturwissen-
eine intensivere positive Selbstbewertung schaften erprobt). Durch die explizite
nach Erfolg. Hinzu kam eine verbesserte Funktion des Lesens zum Wissenserwerb
Testintelligenz. Hinsichtlich der Schulno- wird den Schülern die Bedeutsamkeit und
ten bzw. der Leistungen bei Schultests die Nützlichkeit der ihnen vermittelten
zeigten sich allerdings keine Unterschiede. Lesestrategien deutlich.
2. Wahl und Entscheidungsmöglichkeiten.
Die Schüler können sich je nach eigener
Kompetenzeinschätzung Texte unter-

448
8 Besonderheiten des Lehrens

schiedlichen Schwierigkeitsgrades aus- Wie lässt sich Interesse für ein


wählen. Damit wird ihnen Autonomie neues Lerngebiet wecken?
und Selbstbestimmung über den eigenen
Lernprozess eingeräumt (䉴 Kap. 2.4,
Selbstbestimmungstheorie von Ryan & Ausgeprägtes bereichsspezifisches Interesse
Deci, 2000). führt zu einer persönlichen Identifikation
3. Praktische Tätigkeiten. Durch praktische mit dem Interessengegenstand und kann
Tätigkeiten wie Beobachten oder Experi- Lernende in einen Zustand intrinsischer
mentieren soll das Interesse und die Neu- Lernmotivation versetzen, der zu intensi-
gier der Schüler am behandelnden Wis- veren Lernaktivitäten führt (vgl. Krapp,
sensgebiet gestärkt werden. Die prakti- 2010). Gelingt es, echtes Interesse für ein
schen Aktivitäten sollen stets einen Bezug Lerngebiet zu wecken, dann braucht der
zu den behandelten Texten haben. Lehrende sich kaum mehr um das Problem
4. Interessante Texte. Den Schülern werden der Lernmotivation zu kümmern. Die Be-
Texte (narrative wie expositorische) zur reitschaft, anstrengende Lernaktivitäten zu
Bearbeitung gegeben, die durch Illustra- unternehmen, entsteht bei vorhandenem In-
tionen oder multimediale Komponenten teresse gewissermaßen von selbst. So ver-
ansprechend gestaltet werden. wundert es nicht, dass der Genese und För-
5. Soziale Kollaboration. Den Schülern wer- derung von Sachinteressen in der Pädagogik
den verschiedene Möglichkeiten zur Ko- und Psychologie unterrichtlichen Gesche-
operation und Zusammenarbeit mit an- hens große Aufmerksamkeit gewidmet wird.
deren Schülern gegeben, um dem von der Doch eine befriedigende Antwort auf die
Selbstbestimmungstheorie postulierten Frage, wie sich Interesse für ein Sachgebiet
Grundbedürfnis nach sozialer Einbettung wecken lässt, zeichnet sich bisher bestenfalls
Rechnung zu tragen (䉴 Kap. 2.4). schemenhaft ab. Sicherlich findet man eine
Reihe von Empfehlungen, wie man den Ein-
Die motivationsfördernden Trainingsbau- stieg in ein Themengebiet »interessant ma-
steine werden direkt mit dem Vermitteln chen« kann (s. o.). Ob aus einem so geweck-
von Lesestrategien (z. B. Aktivierung von ten Interesse allerdings ein überdauerndes
Vorwissen, Fragenstellen, Zusammenfassen, Interesse wird, hängt von einer Reihe höchst
graphische Organisation des Textes, Erken- individueller Voraussetzungen ab. Krapp
nen der Textstruktur) kombiniert. Dabei (1998) weist darauf hin, dass hier den
agiert der Lehrer als Modell der erfolgreichen mehr oder weniger bewusst wahrgenom-
Anwendung der Lesestrategien, leitet zur menen Erlebensqualitäten eine entscheidende
gezielten Übung an und vermittelt gleich- Rolle zukommt.
zeitig Wissen über die Anwendungsbedin- Dabei geht es keineswegs um die Optimierung
gungen der Strategien. Das CORI-Programm eines ganzheitlichen Gefühls des subjektiven
ist umfangreich evaluiert worden und erwies Wohlbefindens, sondern um die positive Bilan-
zierung der Erfahrungen im Hinblick auf die
sich als effektiv zur Förderung von Lesever-
grundlegenden psychologischen Bedürfnisse
ständnis, Lesemotivation, Strategienutzung nach Kompetenzerfahrung (z. B. bei selbstän-
und Lesehäufigkeit. Dabei war es dem her- dig gelösten Aufgaben), nach autonomer
kömmlichen Unterricht und einem alterna- Handlungssteuerung (z. B. bei der Planung
tiven Trainingsprogramm überlegen, bei dem und Realisierung der Lerntätigkeit) und nach
sozialer Eingebundenheit in Bezug auf jene
den Schülern zwar die gleichen Lesestrate- Personen, die vom Lerner zur Gruppe der
gien wie in CORI, jedoch ohne die fünf Experten oder Fachkollegen im weitesten Sinne
motivationalen Bausteine vermittelt werden gerechnet werden (z. B. Lehrer oder fachlich
(vgl. Wigfield & Guthrie, 2010). kompetente Peers). (Krapp, 1998, S. 198)

449
Teil II Lehren

8.3 Jungen und Mädchen im Bildungssystem

Die Thematik von Geschlechterdifferenzen Kompetenzunterschiede


im Bildungssystem hat seit ihrem erstmali- zwischen den Geschlechtern
gen Aufkommen eine äußerst wechselhafte
Entwicklung mit sehr unterschiedlichen Pha-
sen durchlaufen. Ging es anfangs – in der Als übereinstimmendes Muster sämtlicher
Mitte des 19. Jahrhunderts – noch darum, Schulleistungsstudien, das stabil und über
Frauen überhaupt einen Zugang zu höherer alle Altersgruppen hinweg und in allen un-
Bildung zu ermöglichen, also im Geiste der tersuchten Länder auftritt, zeigt sich, dass
Emanzipation die Grundlagen gesellschaft- die Mädchen im Lesen den Jungen überlegen
licher Gleichberechtigung zu schaffen, wur- sind, während die Jungen bessere Leistungen
de seit den 1980er Jahren die mühsam im mathematisch-naturwissenschaftlichen-
erkämpfte Koedukation wieder in Frage technischen Bereich erzielen. Vom letzt-
gestellt, als sich die bildungspolitische Auf- genannten Bereich spricht man auch als
merksamkeit auf Defizite und vermeintliche den sogenannten MINT-Fächern. Damit
Benachteiligungen der Mädchen im ma- spiegeln die empirischen Befunde das in
thematisch-naturwissenschaftlichen Bereich der Bevölkerung weit verbreitete Klischee
richtete, deren Ursachen im gemeinsamen der unterschiedlichen Begabungen und Inte-
Unterricht vermutet wurden. In den letzten ressen von Jungen und Mädchen wider.
Jahren nimmt die Rezeption des Themas Die genannten Unterschiede zeigen sich
abermals eine gänzlich neue Entwicklung: bereits im Grundschulalter: In den Studien
Erstmals richtet sich das Interesse nicht aus- IGLU 2001 (Bos et al., 2003) und IGLU
schließlich auf die Mädchen als die vom 2006 (Bos et al., 2007) erreichten die Mäd-
Bildungssystem Benachteiligten, sondern es chen in Deutschland ebenso wie in allen
werden zunehmend auch Defizite und Nach- anderen teilnehmenden Nationen höhere
teile von Jungen diskutiert. Als charakteris- Kompetenzwerte im Lesen als die Jungen.
tisch für diese neuen Tendenzen kann das seit Zwischen 2001 und 2006 sind allerdings in
einiger Zeit in den Medien kursierende Deutschland die Leseleistungen insgesamt
Schlagwort von den Jungen als »neuen Bil- und in besonderer Weise bei den Jungen
dungsverlierern« gelten. besser geworden, so dass der Unterschied
Im Folgenden wird versucht, die verschie- zwischen den Geschlechtern im Jahr 2006 im
denen Aspekte der aktuellen Auseinander- Gegensatz zu früher keine statistische Sig-
setzung um das Thema Geschlechterdiffe- nifikanz mehr erreichte. In IGLU 2006 lag
renzen im Bildungswesen zu beleuchten. Wir die mittlere Differenz aller teilnehmenden
beginnen mit empirischen Untersuchungen EU-Staaten bei 13 Leistungspunkten, in
zu Kompetenzunterschieden zwischen Jun- Deutschland waren es nur noch 7 Punkte.
gen und Mädchen, bevor wir die Rolle des Diese Differenz war einer der geringsten
Unterrichts, genauer: die Effekte koeduka- Unterschiede unter den Teilnehmerländern
tiven bzw. monoedukativen Unterrichts auf überhaupt.
die Schulleistungen und das Selbstkonzept Die frühen Unterschiede setzen sich im
von Mädchen und Jungen behandeln. Ab- Sekundarbereich fort: In der PISA-Studie
schließend wird auf die derzeit aktuelle Dis- 2001 (Baumert et al., 2001) betrug bei
kussion über Jungen als Bildungsverlierer den 15-Jährigen der Vorsprung der Mäd-
eingegangen. chen im Lesen im OECD-Durchschnitt 38

450
8 Besonderheiten des Lehrens

Punkte. In Deutschland lag die Differenz mit als auch bei den Interessen und bei der
42 Punkten sogar noch etwas höher. In Lesemotivation.
Schuljahren ausgedrückt bedeutet das, Bezüglich der mathematischen und natur-
dass die Jungen in ihren Lesekompetenzen wissenschaftlich-technischen Fachleistungen
ein ganzes Jahr gegenüber den Mädchen dokumentieren die Schulleistungsstudien
zurückliegen. Auch in PISA 2009 (Klieme ebenfalls durchgängig substanzielle Ge-
et al., 2010) lag die Geschlechterdifferenz in schlechterunterschiede – nun aber zuun-
der Lesekompetenz in Deutschland mit 40 gunsten der Mädchen. Hier zeigen die Ergeb-
Punkten ungefähr im OECD-Durchschnitt. nisse aus IGLU 2001 und 2006 deutlich
Der Vergleich der Ergebnisse über die vier bessere Ergebnisse der Jungen bereits im
bisherigen PISA-Erhebungen (2000, 2003, Grundschulalter.
2006, 2009) hinweg zeigt, dass bei insgesamt Für den Sekundarbereich dokumentiert
verbesserter Leseleistung aller Schüler keine PISA 2006 in Mathematik im OECD-Durch-
Veränderung im Ausmaß der Geschlechter- schnitt eine Differenz von 11 Leistungspunk-
differenzen über den Zeitraum von fast ten zugunsten der Jungen; in Deutschland
10 Jahren hinweg zu beobachten ist (Klieme betrug dieser Unterschied sogar 19 Punkte.
et al., 2010). Auch in PISA 2009 war der Unterschied in
In PISA und IGLU wurden die Kinder den Mathematikleistungen signifikant; hier
ihren Leistungen entsprechend in fünf Kom- zeigte sich zudem, dass die Jungen ihre Leis-
petenzstufen eingeteilt. In der höchsten tungen im Zeitraum von 2003 bis 2009
Kompetenzstufe, deren Erreichen ein fort- signifikant steigern konnten, während der
geschrittenes, über die Textoberfläche deut- Anstieg bei den Mädchen nicht signifikant
lich hinausgehendes Verständnis des Text- war.
inhalts voraussetzt, gibt es in IGLU 2006 nur In den Naturwissenschaften waren dage-
eine geringe Differenz im Anteil der Ge- gen die Unterschiede im Vergleich zu denen
schlechter. Auf den beiden niedrigsten Kom- im Lesen und der Mathematik in PISA 2009
petenzstufen dagegen, die basale Lesefähig- eher gering ausgeprägt, in Deutschland wa-
keiten indizieren, sind deutlich mehr Jungen ren sie nicht signifikant. Allerdings lohnt
als Mädchen zu finden. In PISA 2009 zeigt hier eine differenzierte Betrachtungsweise:
sich bezüglich der Verteilung auf die ver- So lag z. B. in PISA 2006 der Geschlechter-
schiedenen Kompetenzstufen ein spiegelbild- unterschied bei 7 Punkten, wenn man die
liches Muster: Während die Jungen häufiger naturwissenschaftlichen Fächer als Bündel
auf den niedrigeren Kompetenzstufen zu betrachtet. Fächerspezifisch war es aber so,
finden sind als die Mädchen (8 % gegenüber dass die Jungen nur in Physik deutlich besser
3 %), sind die Mädchen auf den beiden abschnitten, während sich in Biologie kaum
höchsten Stufen stärker vertreten (11 % ge- Unterschiede zeigen. Der Vergleich über die
genüber 4 %). Die vergleichsweise schwa- verschiedenen PISA-Erhebungen hinweg
chen Leseleistungen der Jungen spiegeln sich zeigt zudem, dass der Abstand zwischen
auch in ihren Angaben zum außerschu- den Geschlechtern von 2006 bis 2009 unver-
lischen Leseverhalten wider: Mädchen lesen ändert geblieben ist (Klieme et al., 2010).
schon in der Grundschule erheblich mehr als Auch in der dritten internationalen Ver-
Jungen, sowohl leise für sich selbst in ihrer gleichsstudie für Mathematik und Naturwis-
Freizeit als auch laut in der Klasse, und geben senschaften (TIMSS) lagen die Leistungen
häufiger an, selbst gewählte Bücher zu lesen der Schülerinnen in der gymnasialen Ober-
als Jungen (Bos et al., 2003). In der Sekun- stufe etwa um 0.3 (in der mathematisch-
darstufe vergrößern sich die berichteten Dif- naturwissenschaftlichen Grundbildung und
ferenzen weiter, sowohl bei den Leistungen in Mathematik) bzw. etwa um 0.5 Standard-

451
Teil II Lehren

abweichungen (in Physik) unter denen ihrer Effekte koedukativen und


männlichen Klassenkameraden (Baumert, monoedukativen Unterrichts
Bos & Watermann, 1998; Baumert, Bos &
Lehmann, 2000).
Weil Mädchen nicht nur geringere Kom- Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist immer
petenzwerte, sondern auch ein geringeres wieder die Frage diskutiert worden, ob Mäd-
Interesse an mathematisch-naturwissen- chen und Jungen trotz oder wegen ihrer
schaftlich-technischen Themen aufweisen, Verschiedenartigkeit gemeinsam (Koeduka-
wurde in der Diskussion häufig vermutet, tion bzw. Koinstruktion) oder besser ge-
dass sie in ihrer Lerngeschichte möglicher- trennt (Monoedukation) unterrichtet wer-
weise durch eine in Relation zu den Jungen den sollten (vgl. Kraul, 1994; Rendtorff,
schlechtere Benotung und die damit einher- 2011). Von Anfang an stand dabei die Frage
gehenden negativen Erfahrungen entmutigt der Gleichstellung im Vordergrund, denn die
würden. Ein Vergleich der tatsächlichen höhere schulische Bildung war lange Zeit
Leistungen mit den Schulnoten zeigt jedoch ausschließlich den Jungen vorbehalten. Geg-
das Gegenteil: Jungen wiesen bei gleicher ner der Koedukation argumentierten am
Mathematiknote eine höhere Kompetenz Ende des 19. Jahrhunderts, dass die Jungen
auf als Mädchen, d. h. die Mädchen wurden vor den Mädchen geschützt werden müss-
von den Lehrern eher »milder« benotet als ten. Ende des 20. Jahrhundert finden sich
Jungen (vbw, 2009). Das Gleiche gilt übri- ganz ähnliche Argumente – allerdings mit
gens in umgekehrter Richtung für das Lesen: veränderten Vorzeichen. Wurde doch nun-
Hier entsprach der gleichen Note bei den mehr angeführt, dass die Mädchen vom
Jungen eine geringere Leseleistung als bei gemeinsamen Unterricht Nachteile zu be-
den Mädchen. Lehrer gleichen also die wahr- fürchten hätten und – zumindest im mathe-
genommenen Kompetenzunterschiede zwi- matisch-naturwissenschaftlichen Bereich –
schen den Geschlechtern »implizit« aus, in- einen Schutzraum bräuchten, um sich in
dem sie das im Durchschnitt schwächere Abwesenheit des anderen Geschlechts besser
Geschlecht bei der Notenvergabe eher bevor- entwickeln zu können. Dass in allerjüngster
zugen. Zeit wieder vermehrt Stimmen laut werden,
Der Aktionsrat Bildung zieht aus den sich mehr um die Jungen sorgen zu müssen,
beschriebenen Kompetenzunterschieden in wurde bereits erwähnt.
seinem Gutachten das Fazit, dass sich die Aber erwächst den Mädchen aus dem
schulische Leseförderung inhaltlich stärker gemeinsamen Unterricht mit Jungen über-
an den Interessen von Jungen orientieren haupt ein Nachteil? Und wenn ja, weshalb?
sollte, um über eine höhere Lesemotivation Um diese Fragen auf der Grundlage empiri-
auch deren Lesekompetenz zu verbessern. scher Daten beantworten zu können, sind
Für die Mädchen wird in den naturwissen- die Auswirkungen monoedukativen vs. ko-
schaftlichen Fächern eine stärkere Fokussie- edukativen Unterrichts im Hinblick auf eine
rung des Unterrichts auf bedeutungsvolle ganze Reihe von Zielvariablen untersucht
Kontexte gefordert und ein in höherem worden. Zu diesen Zielvariablen zählen die
Maße argumentatives Herangehen an Pro- schulischen Leistungen und die tertiären
blemstellungen, da diese Bedingungen den Karriereaspirationen, das Wahlverhalten
Neigungen der Mädchen mehr entgegen- im Hinblick auf schulische Leistungskurse
kämen (vbw, 2009). und auf Studienfächer, die Selbstkonzepte
eigener Fähigkeiten, das soziale Engagement
und das Sozialverhalten, die Einstellungen
und Interessen sowie das Denkvermögen

452
8 Besonderheiten des Lehrens

und das Problemlöseverhalten (vgl. Her- Strathdee, 1996; Marsh, 1989; Rohr &
wartz-Emden, Schurt & Waburg, 2005; Rollett, 1992). Diane Halpern sieht resümie-
2012). Insbesondere im Bereich der natur- rend keine wissenschaftliche Basis zugunsten
wissenschaftlichen Fächer – so legen einige des getrennten Unterrichtens und zudem die
Studien nahe – scheint sich der koedukative Gefahr, dass sich geschlechterstereotype Vor-
Unterricht ungünstig auf die Interessen und einstellungen in monoedukativen Umgebun-
das Selbstkonzept von Mädchen auszuwir- gen eher verfestigen (Halpern et al., 2011).
ken (Giesen, Gold, Hummer & Weck, Auch sind viele der Befunde, die für eine
1992). Bei einem Vergleich koedukativ positive Wirkung der Monoedukation zu
und monoedukativ unterrichtender Gymna- sprechen scheinen, nicht leicht zu interpre-
sien beobachtete Baumert (1992) eine Ver- tieren (vgl. Mael, 1998; Rost & Pruisken,
stärkung der geschlechtsspezifischen Interes- 2000), da sich die monoedukativen von den
senpolarisierungen in den Kernfächern koedukativen Schulen häufig noch in einer
Deutsch, Englisch und Mathematik durch Reihe weiterer Merkmale unterscheiden, so
die Koedukation. Zudem fanden sich die dass letztlich unklar bleibt, ob es wirklich die
oben bereits berichteten Leistungsunter- Ko- bzw. Monoedukation ist, die für die
schiede zwischen den Geschlechtern in der berichteten Effekte verantwortlich zeichnet.
jeweils erwarteten Richtung. Unterschiede Monoedukative Schulen sind in Deutsch-
im fachspezifischen Selbstvertrauen gingen land meist Schulen in privater Trägerschaft,
damit einher. oftmals konfessionell gebunden und durch
Verschiedene Studien deuten darauf hin, Schulgebühren finanziert. Bei einer verglei-
dass die schwächeren Leistungen der Mäd- chenden Untersuchung öffentlicher und pri-
chen in Mathematik und in den Naturwis- vater Schulen sind die Effekte der schu-
senschaften im Jugendalter durch ein un- lischen Sozialisation daher stets vermischt
günstigeres Selbstkonzept mathematisch-na- mit den selektiv unterschiedlichen Rahmen-
turwissenschaftlicher Fähigkeiten und durch bedingungen, wie der besonderen Schüler-
ein geringeres Interesse an diesen fachlichen schaft an den privaten Schulen (z. B. hin-
Domänen bereits im Primarschulalter ge- sichtlich der religiösen Bindung, des sozio-
bahnt bzw. angekündigt werden (z. B. Eccles, ökonomischen Status und des Engagements
Barber, Updegraff & O’Brien, 1998; Ruste- des Eltern) und einer besseren materiellen
meyer, 1998). Dies wirft die Frage auf, wie Ausstattung dieser Schulen (z. B. Signorella,
sich die disparaten Selbstkonzept- und Inte- Frieze & Hershey, 1996).
ressenentwicklungen verhindern ließen. Einige Autoren haben Schulen vor und
In diesem Zusammenhang wird häufig nach der Einführung des koedukativen Un-
auf Studien verwiesen, die für Mädchen terrichts untersucht (z. B. Canada & Pringle,
aus reinen Mädchenschulen von einem ver- 1995; Marsh, Owens, Myers & Smith,
gleichsweise günstigeren Selbstkonzept der 1989; Signorella et al., 1996). Auch hier
eigenen mathematisch-naturwissenschaftli- kommt es aber zu Konfundierungen mit
chen Fähigkeiten, von einem größeren Inte- anderen Faktoren, z. B. mit einhergehenden
resse an diesen Unterrichtsfächern sowie von Effekten gesellschafts- und bildungspoliti-
besseren Leistungen berichten (z. B. Cipria- scher Veränderungen, die zur Überführung
ni-Sklar, 1997; Giesen et al., 1992). Bei der monoedukativen Schulen in koedukative
genauerer Betrachtung des Forschungs- geführt haben. Zusammenfassend lässt sich
stands zum monoedukativen Unterricht fin- daher festhalten, dass die nichtexperimen-
den sich aber durchaus auch Studien, die tellen Studien keine eindeutig interpretier-
solche Unterschiede nicht nachweisen konn- baren Ergebnisse liefern können und dass es
ten (z. B. Harvey, 1985; Hughes, Lauder & deshalb sinnvoll erscheint, innerhalb einer

453
Teil II Lehren

Schule oder Klasse unter kontrollierten Be- Schleswig-Holstein üblicherweise geltenden


dingungen solche Lerngruppen miteinander Lehrplans konzipiert wurde. Vor und nach
zu vergleichen, die entweder monoedukativ der Intervention wurden der Wissensstand,
oder koedukativ unterrichtet werden. Über das Interesse an Physik und das Selbstkon-
zwei derartige Untersuchungen wird im Fol- zept eigener Fähigkeiten erfasst.
genden berichtet. Die zeitweise getrennt geschlechtlich un-
terrichteten Schülerinnen erwarben ein um-
fangreicheres physikalisches Wissen als die
Der Kieler Modellversuch Mädchen in allen anderen Gruppen. Weder
die Unterrichtung in koedukativen Halb-
Ein groß angelegter Schulversuch zur Wirk- klassen noch die Einführung des neuartigen
samkeit eines monoedukativ angelegten na- didaktischen Konzepts hatten dagegen einen
turwissenschaftlichen Unterrichts ist in den Effekt auf den Erwerb physikbezogenen
Jahren 1991 bis 1994 in Kiel von Hoffmann, Wissens. Die Auswertungen zum Sachinte-
Häußler und Peters-Haft (1997) durch- resse an Physik ergaben, dass das üblicher-
geführt worden. Hier wurde in sechs Gym- weise zu beobachtende Nachlassen des In-
nasien der Anfangsunterricht in Physik in teresses in den Modellversuchsklassen mit
den 7. Klassen einer jeden Schule entweder a) zeitweiliger Monoedukation geringer ausfiel
wöchentlich wechselnd in monoedukativen – und zwar bei den Jungen und bei den
Halbklassen angeboten (d. h. jede Klasse Mädchen. Nur in diesen Klassen blieben
wurde aufgeteilt in eine Mädchen- und die Interessen und fachspezifische Selbstkon-
eine Jungenhalbklasse) und im gesamten zept vergleichsweise stabil.
Klassenverband durchgeführt (d. h. koedu- Offenbar hat sich das Maßnahmenpaket
kativ), oder b) wöchentlich wechselnd in in seiner Gesamtheit günstig vor allem für
koedukativen Halbklassen durchgeführt die Mädchen ausgewirkt und es hat zu einer
(d. h. jede Klasse wurde in zwei geschlech- positiveren Selbstkonzeptentwicklung ge-
tergemischte Halbklassen aufgeteilt) und im führt. Dabei führte die zeitweilige Auf-
gesamten Klassenverband (s. o.) oder es hebung der Koedukation zwar nicht zu einer
wurde c) durchgängig im gesamten Klassen- Steigerung des physikbezogenen Selbstver-
verband koedukativ unterrichtet (Kontroll- trauens – wohl aber dazu, dass die Mädchen
bedingung). Die beteiligten Lehrkräfte unter- den eigenen Kompetenzgewinn durch den
richteten jeweils unter zwei der drei mögli- Physikunterricht höher einschätzten. Zu-
chen Experimentalbedingungen. Gemein- sammengenommen zeigen die Befunde der
sam mit den am Modellversuch beteiligten Kieler Studie, dass sich das zeitweilige Ler-
Lehrkräften wurden aus dem Lehrplan des nen in monoedukativen Gruppen positiv auf
Landes Schleswig-Holstein fünf Themen die Wissensentwicklung, das Interesse und
ausgewählt und didaktisch neu gestaltet, das fachbezogene Selbstkonzept in Physik –
so dass sie für Jungen und Mädchen glei- insbesondere bei Schülerinnen – auswirken
chermaßen interessant sein sollten, wie z. B.: kann.
»Wir bauen Musikinstrumente und messen Weil in der Kieler Studie aufgrund der
Lärm« (Schall) oder »Wir untersuchen den experimentellen Untersuchungsanlage die
Fahrradhelm und messen Geschwindigkei- oben diskutierten Konfundierungsprobleme
ten und Kräfte« (Geschwindigkeit und früherer Studien nicht zu erwarten sind, las-
Kraft). Die neuen Unterrichtseinheiten wur- sen sich die berichteten positiven Effekte wohl
den in sämtlichen Experimentalklassen rea- tatsächlich auf die Variation der Geschlech-
lisiert, wohingegen der Unterricht in den terkomposition in den Lerngruppen zurück-
Kontrollklassen auf der Grundlage des in zuführen. Allerdings sind die Kieler Ergeb-

454
8 Besonderheiten des Lehrens

nisse nicht ohne weiteres zu verallgemeinern. Um die Effekte der Geschlechterkonstellati-


Zum einen beziehen sie sich allein auf den on in den Lerngruppen abschätzen zu kön-
Unterricht und auf die Lernentwicklung an nen, wurden zum Halbjahr und zum Ende
Gymnasien. Zum anderen ist die Besonder- der 8. Klasse Befragungen zur allgemeinen
heit zu bedenken, dass der monoedukative Lernmotivation und zum physikbezogenen
Unterricht stets im wöchentlichen Wechsel Selbstkonzept durchgeführt. Um den Ein-
mit koedukativem Unterricht durchgeführt fluss von Eingangsvoraussetzungen zu kon-
wurde. Die Befunde können somit nicht auf trollieren, wurden die Vornote in Mathema-
die Praxis einer durchgängig monoedukati- tik und bereits vorhandene Erfahrungen bei
ven Unterrichtung übertragen werden. der Bearbeitung alltäglicher Technikaufga-
Es ist nicht auszuschließen, dass ein per- ben (»Hast du schon einmal ein Fahrradlicht
manentes Angleichen der Leistungsniveaus repariert?«) erfasst. Solche Variablen hatten
in den beiden Lerngruppen, wie er durch den sich in einer Studie von Hannover und Bettge
wöchentlichen Wechsel zur Koedukation im (1993) für das Interesse an Physik und für
Kieler Modellversuch unabdingbar war, Vo- Physikleistungen als prädiktiv erwiesen. Der
raussetzung für den Erfolg der zeitweiligen Leistungsstand der Jugendlichen wurde an-
Trennungen war. Insofern lassen die Kieler hand ihrer Physikzensuren am Ende der 8.
Befunde die alternative Interpretation durch- Klasse erfasst. An den Gesamtschulen wer-
aus zu, dass sich die monoedukative Unter- den Schüler und Schülerinnen mit einem als
richtung nur dann motivierend und leis- gering eingeschätzten Leistungspotenzial
tungsförderlich auswirkt, wenn den Schüle- nach Abschluss des ersten Unterrichtsjahres
rinnen und Schülern durch den wöchentli- (also zu Beginn der 9. Klassenstufe) einem
chen Wechsel die Unterschiede zwischen Grundkurs Physik zugewiesen, jene mit ei-
beiden Lernsituationen unmittelbar vor Au- nem höheren Leistungspotenzial einem Fort-
gen geführt werden. Es kann aber auch nicht geschrittenenkurs. Entsprechend wurde als
ausgeschlossen werden, dass die starke Auf- zweiter Indikator des Leistungsvermögens
merksamkeit, die die Geschlechtertrennung die Kurszuweisung im 9. Schuljahr heran-
durch den wöchentlichen Wechsel erfahren gezogen.
hat, bei den betroffenen Schülerinnen ein Zum Schulhalbjahr und zum Schuljahres-
Gefühl der Besonderheit ausgelöst und po- ende der 8. Klasse zeigten sich Vorteile der
sitive Effekte (mehr Anstrengung) nach sich monoedukativ unterrichteten Schülerinnen:
gezogen hat. Sie waren motivierter und hatten ein positi-
veres physikbezogenes Selbstkonzept als die
Mädchen, die koedukativ unterrichtet wor-
Der Berliner Schulversuch den waren. Weil die Schülerinnen den beiden
Bedingungen per Zufall zugewiesen worden
Hannover und Kessels (2002, Kessels, Han- waren, lassen sich diese Unterschiede als
nover & Janetzke, 2002) haben einen Schul- Ergebnis der unterrichtlichen Erfahrungen
versuch in Berlin wissenschaftlich begleitet, in interpretieren. Die koedukativ unterrichte-
dem der Physikunterricht in der 8. Klasse an ten Mädchen zeigten im Vergleich mit Jun-
Gesamtschulen entweder in ko- oder in mo- gen koedukativer wie monoedukativer
noedukativen Gruppen durchgeführt wurde. Gruppen das aus der Literatur bekannte
Hierzu wurden die Schülerinnen und Schüler Muster: Sie fühlten sich in ihren Interessen
aus jeweils zwei Klassen pro Schule per Zufall weniger durch den Unterricht angesprochen
in drei etwa gleich große Lerngruppen einge- und berichteten weniger oft von eigenen
teilt: eine Jungengruppe, eine Mädchengrup- Aktivitäten. Sie glaubten auch, den Anfor-
pe und eine koedukative Gruppe. derungen des Physikunterrichts weniger gut

455
Teil II Lehren

entsprechen zu können und schätzten ihre Vergleichsprozesse für die Jungen günstiger
Begabung für Physik schlechter ein als die ausfallen.
Jungen. Diese Stereotypien waren bei den Die Ergebnisse des Berliner Schulversuchs
monoedukativ unterrichteten Mädchen bestätigen die allgemeinen Ausführungen
nicht festzustellen. Auf die Lernmotivation zur Entwicklung der Motivation und des
und das Selbstkonzept der Jungen hatte die Selbstkonzepts (䉴 Kap. 2.4) und erinnern
Geschlechterkonstellation im Physikunter- an die Phänomene des frühkindlichen Über-
richt hingegen keine Auswirkungen. optimismus (䉴 Kap. 4.1). Eine ungünstige
Weniger eindeutig als die motivationalen Motivationslage und ein negatives physik-
waren die leistungsbezogenen Effekte. Zwar bezogenes Selbstkonzept sind als Risikofak-
waren zu Beginn und auch zum Ende der 9. toren einer fachbezogenen Leistungsent-
Klasse die monoedukativ unterrichteten wicklung zu betrachten – die entsprechenden
Mädchen erwartungsgemäß häufiger in ei- Leistungsdefizite der Mädchen sind in den
nem Fortgeschrittenenkurs zu finden. Aber großen Schulleistungsstudien hinreichend
auf das im Abschlusszeugnis dokumentierte dokumentiert (Baumert et al., 1998, 2000).
Leistungsniveau – also auf ihre Physiknote – Weil der Unterricht in den koedukativen
hatte die monoedukative Unterweisung kei- Lerngruppen die Schülerinnen offenbar we-
nen Einfluss. Interessanterweise wechselten niger gut motivieren kann, trauen sie sich in
die Jungen nach einer monoedukativen Un- der Folge auch weniger zu und vermeiden die
terrichtung in Klasse 9 seltener in einen anspruchsvolleren Kurswahlen – in der Kon-
Fortgeschrittenenkurs als nach einer koedu- sequenz fallen sie dann in ihrem Leistungs-
kativen. Dieses Ergebnis stimmt überein mit niveau tatsächlich hinter ihre männlichen
den Befunden von Holz-Ebeling, Grätz- Klassenkameraden zurück (Eccles et al.,
Tümmers und Schwarz (2000). Dort hatte 1998). Ein monoedukativer Anfangsunter-
sich für Oberstufenschüler aus katholischen richt im Fach Physik kann offenbar dazu
Gymnasien gezeigt, dass die Jungen aus den beitragen, dass es nicht dazu kommen muss.
koedukativen Schulen über die besseren
Physikkenntnisse verfügten, häufiger Physik Geschlechterspezifischer oder geschlechter-
als Leistungskurs wählten und eher ein Fach getrennter Unterricht? Die beiden Schulver-
aus dem mathematisch-naturwissenschaftli- suche weisen im Hinblick auf die Leistungs-
chen Bereich studieren wollten als die Jun- entwicklung der Mädchen langfristig auf
gen aus den monoedukativen Schulen. Das günstigere Wirkungen des monoedukativen
spiegelbildliche Ergebnismuster im Hinblick Unterrichtens hin – vermutlich sind sie über
auf die Kurswahlen hat möglicherweise da- motivationale Mechanismen (Interessen,
mit zu tun, dass die monoedukativen Lern- Selbstkonzepte) vermittelt. Dieser Befund
gruppen für die Schülerinnen eine günstige, scheint nicht nur für das deutsche Schul-
für die Schüler dagegen eine ungünstige system zutreffend. Ähnliche Effekte monoe-
soziale Vergleichssituation repräsentieren: dukativer Schulen werden auch für die USA,
In den Mädchengruppen müssen sich die Australien, Neuseeland, Großbritannien,
Schülerinnen nicht mit den Jungen verglei- Hongkong und Belgien berichtet (vgl. Her-
chen, die oft bereits vor dem Beginn des wartz-Emden et al., 2005). Damit stellt sich
schulischen Physikunterrichts auf viel um- aber die folgende Frage: Findet in den Mäd-
fangreichere einschlägige Erfahrungen zu- chenklassen oder -schulen eine andere Art
rückblicken können (z. B. Hannover & Kes- von naturwissenschaftlichem Unterricht
sels, 2000; Hoffmann et al., 1997; Ziegler, statt, oder ist es allein die Andersartigkeit
Broome, Dresel & Heller, 1996), während der sozialen Vergleichsprozesse, die den Ef-
in den gemischten Gruppen die sozialen fekt bedingt?

456
8 Besonderheiten des Lehrens

Sollte sich die erste Annahme als zutreffend seltener eine Klasse wiederholen als ihre
erweisen, so ließe sich die Forderung nach männlichen Altersgenossen (vbw, 2009).
einer geschlechterspezifischen Optimierung So kamen am Ende des Schuljahres 2008/
und Adaptivität von Unterricht daraus ab- 2009 auf zehn Jungen, die die Schule ohne
leiten, also nach einer geschlechtergerechten Abschluss verließen, nur sechs Mädchen,
Instruktion. Die vorliegenden Befunde erlau- während umgekehrt vier Jungen, die die
ben derzeit keine befriedigende Antwort auf Hochschul- oder Fachhochschulreife er-
die Frage, ob es für Jungen und Mädchen reichten, fünf Mädchen gegenüberstanden.
unterschiedlich geeignete Arten des Unter- Der Aktionsrat Bildung weist allerdings
richtens gibt. Plausibler scheint die Annah- in seinem Gutachten zu Geschlechterdiffe-
me, dass eine zeitweise unterrichtsorganisa- renzen im Bildungssystem darauf hin, dass
torische Trennung von Jungen und Mädchen sich die gute Ausgangsposition der Mädchen
(vor allem in der Mittelstufe, also zu Beginn im Verlauf des späteren Berufslebens nicht
des naturwissenschaftlichen Unterrichts) für immer auszahlt: Sind die Frauen noch hin-
die Mädchen die bereits beschriebenen mo- sichtlich des Anteils an Hochschulabsolven-
tivationalen Vorteile mit sich bringt: güns- ten im Vorteil, liegen die Männer bezüglich
tigere soziale Vergleichsprozesse, die mit der weiteren beruflichen Laufbahn, der Er-
einer positiveren Selbstkonzept- und Interes- werbsbeteiligung, des Einkommens und des
senentwicklung einhergehen. Erreichens höherer akademischer Abschlüs-
se wieder vorne. Einer der Gründe dafür,
dass die Vorteile der Mädchen gegenüber
Jungen als neue Bildungs- den Jungen mit dem Start ins Berufsleben
verlierer? wieder verloren gehen, liegt im spezifischen
Berufswahlverhalten von Mädchen.
Allen im vorausgegangenen Abschnitt be- Im Folgenden soll es jedoch weniger um
schriebenen Nachteilen in den mathe- die berufliche Laufbahn als vielmehr um die
matisch-naturwissenschaftlichen Leistungs- Frage gehen, welche Erklärungen für das
domänen zum Trotz: Mädchen sind eindeu- schlechtere Abschneiden der Jungen im
tig die Gewinner der allgemeinen Bildungs- Schulsystem in Frage kommen – gerade
expansion der 1960er und 1970er Jahre. unter Berücksichtigung der zuvor berichte-
Hatten sie noch zu Beginn des 20. Jahrhun- ten Kompetenz- und Leistungsunterschiede
derts kaum Zugang zu höherer Bildung und zwischen den Geschlechtern. Bettina Han-
noch vor wenigen Jahrzehnten deutlich ge- nover und Ursula Kessels (2011) haben zu
ringere Chancen als Jungen auf einen höhe- dieser Thematik einen umfassenden Über-
ren Bildungsabschluss, so zeigen die aktuel- sichtsartikel vorgelegt. Die beiden Autorin-
len Zahlen ein völlig gegensätzliches Bild: nen diskutieren fünf mögliche Erklärungs-
Mädchen erhalten im Mittel die besseren ansätze für das vergleichsweise schlechte
Abschlusszertifikate als Jungen und errei- Abschneiden der Jungen im Bildungswesen
chen häufiger das Abitur als höchste Qua- und prüften ihre Angemessenheit auf der
lifikationsstufe. Mädchen sind anteilsmäßig Basis vorliegender empirischer Befunde.
an den Gymnasien und Realschulen über- Nur zwei der fünf verbreiteten Erklärungen,
repräsentiert, an Haupt- und Förderschulen nämlich (1) dass Jungen bei gleichen Kom-
dagegen weniger oft vertreten. Mädchen petenzen schlechtere Noten erhalten als
verlassen seltener die Schule ohne Abschluss Mädchen und (2) dass Mädchen über bes-
als Jungen, werden häufiger vorzeitig einge- sere überfachliche Kompetenzen verfügen,
schult und seltener von der Einschulung ihre Lernprozesse besser organisieren und
zurückgestellt als diese und müssen auch sich besser den schulischen Lernerfordernis-

457
Teil II Lehren

sen anpassen, sind danach empirisch haltbar. als innerhalb eines Schultyps (Hosenfeld,
Der empirischen Überprüfung nicht stand- Köller & Baumert, 1999).
halten konnten dagegen die Erklärungs- Weshalb aber werden die Mädchen besser
ansätze, (3) dass sich die Dominanz weibli- benotet? Mögliche Ursachen sehen Hanno-
cher Lehrkräfte im Schulsystem negativ auf ver und Kessels in den überfachlichen, lern-
die Leistungsentwicklung der Jungen aus- förderlichen Kompetenzen der Mädchen
wirkt, (4) dass es bei den Jungen mehr und ihren Auswirkungen auf das Leistungs-
extrem leistungsschwache Subgruppen gibt verhalten. Es gibt Geschlechterunterschiede
und (5) dass ein stark die eigene »Männlich- in einer Reihe von Persönlichkeitsmerkma-
keit« betonendes Verhalten von Jungen an len, die mit einem besser angepassten Sozial-
Schulen nicht erwünscht sei. und Arbeitsverhalten und mit einer höheren
Insbesondere für den Verdacht, dass Jun- Lernmotivation der Mädchen einher gehen
gen bei gleichen Kompetenzen oftmals und damit als Mediatoren der schulischen
schlechtere Noten erhalten als Mädchen Leistungsbewertung gelten können. Wenn
und deswegen seltener den höherwertigen Lehrerinnen und Lehrer das Lernverhalten
Schulformen zugewiesen werden und die von Jungen und Mädchen einschätzen sol-
qualifizierten Abschlüsse seltener erreich- len, erhalten die Jungen z. B. geringere Werte
ten, gibt es Belege. Schon in der Grund- hinsichtlich der Merkmale Selbstregulation
schule erzielen die Mädchen im Schnitt die und Selbstdisziplin und werden als weniger
besseren Noten, auch wenn sie ausweislich selbständig in ihrem Lernverhalten wahr-
der standardisierten Testverfahren im All- genommen. Anders, McElvany und Baumert
gemeinen keine besseren Kompetenzwerte (2010) konnten zeigen, dass Mädchen hin-
aufweisen als Jungen (vbw, 2009). Da die sichtlich ihrer sozialen Fähigkeiten und ihres
Schulnoten aber eine wichtige Grundlage Sozialverhaltens sowie hinsichtlich ihrer
für die Übergangsempfehlung auf die wei- Lernmotivation von den Lehrerinnen und
terführende Schule darstellen, erhalten Lehrern der Grundschulen positiver einge-
Mädchen häufiger eine Gymnasialempfeh- schätzt werden als die Jungen. Allerdings ist
lung. Analysen unter Rückgriff auf IGLU- bei den Lehrereinschätzungen nicht klar, ob
Daten haben gezeigt, dass Jungen für eine es sich dabei um tatsächliche Unterschiede
Gymnasialempfehlung im Schnitt eine um handelt, oder ob die Jungen aufgrund von
28 Leistungspunkte höhere Lesekompetenz Geschlechtsrollenstereotypen nur schlechter
aufweisen müssen als Mädchen – damit eingeschätzt werden. Die Mädchen selbst
haben Mädchen bei gleicher Leistung also weisen jedoch auch in ihren Selbsteinschät-
eine höhere Chance auf eine Gymnasial- zungen höhere Werte für die Merkmale
empfehlung. Die unterschiedliche Vertei- Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit
lung der Geschlechter auf die Schulformen auf, zwei der Big-Five Faktoren, die positiv
führt wiederum dazu, dass Mädchen im mit Schulleistungen assoziiert sind. Mäd-
Mittel in anspruchsvolleren, der weiteren chen sind öfter »an Schule« interessiert,
Lernentwicklung eher förderlichen Lern- tendieren seltener zur Arbeitsvermeidung
umwelten unterrichtet werden und daher und arbeiten mehr und freiwilliger zu Hause
den Jungen gegenüber im Vorteil sind, als Jungen (Costa, Terracciano & McCrae,
auch wenn die Geschlechter innerhalb jeder 2001).
Schulform formal gleich behandelt werden. Während Geschlechterunterschiede in
Dies erklärt im Übrigen auch, warum sich schulrelevanten überfachlichen Kompeten-
bei Mittelung über die verschiedenen Schul- zen, die sich positiv auf die Leistung und
typen hinweg geringere Leistungsunter- die Leistungsbewertung (und damit letztlich
schiede zwischen den Geschlechtern zeigen auf die Übergangsempfehlungen) auswir-

458
8 Besonderheiten des Lehrens

ken, als relativ gesichert angesehen werden Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten, dass
können, gibt es keine belastbaren empiri- nur ein geringer Anteil der Jungen zu den
schen Ergebnisse zur Stützung der anderen sogenannten Problemschülern zählt und
Thesen (s. o.). Vor allem ist die in den Medien dass es auch »problematische« Mädchen
verbreitete Sorge, dass den Jungen durch die gibt. Schlagzeilen von der »Krise der kleinen
Überrepräsentation von Frauen in Lehrberu- Männer« (Die Zeit) oder den »Schlaue(n)
fen in ihrer Lernentwicklung ein Nachteil Mädchen, dumme(n) Jungen« (Der Spiegel)
erwachse, bisher zumindest empirisch nicht sind daher in ihrer Einseitigkeit zu pauschal.
gestützt. Die vorliegenden Ergebnisse deuten Jungen sind ausweislich der großen Schul-
eher darauf hin, dass der Lehrerinnenanteil leistungsstudien nicht nur im unteren, son-
an den Grundschulen nicht mit den Kom- dern auch im oberen Leistungsspektrum
petenzentwicklungen und den Benotungen stark vertreten und in bestimmten Kom-
von Jungen und Mädchen variiert. Eine petenzdomänen den Mädchen weiterhin
weitere, plausibel anmutende Erklärung ist durchschnittlich überlegen. Nicht zuletzt
ebenfalls empirisch nur schwer zu unter- verbietet auch die Tatsache, dass Mädchen
suchen: dass nämlich das schulische Ver- in ihrer weiteren Berufslaufbahn im All-
sagen der Jungen mit einer schulischen Dis- gemeinen keinen langfristigen Vorteil aus
kriminierung typisch »männlicher« Verhal- ihren guten Startchancen ziehen können,
tensweisen zusammenhänge, indem die eine einseitige Fokussierung auf Jungen als
übersteigerte Inszenierung der männlichen »Bildungsverlierer«.
Geschlechtsidentität – z. B. durch das Beto- Dennoch bleibt der Befund divergieren-
nen körperlicher Stärke oder eine explizite der Bildungsverläufe bei Mädchen und Jun-
Anti-Lernhaltung – negative Bewertungen gen erklärungsbedürftig und gibt Anlass,
durch die Lehrpersonen nach sich ziehe. über geschlechtergerechten Unterricht nach-
Dass sich in bestimmten Subgruppen, zudenken. Der Aktionsrats Bildung be-
insbesondere den Schülerinnen und Schülern schreibt die Situation bei den männlichen
mit Migrationshintergrund, so ausgeprägte Jugendlichen als »Chancenspreizung« (vbw,
Disparitäten zuungunsten der Jungen zeigen, 2009, S. 41): Einerseits haben sie bessere
die womöglich die Gesamtergebnisse zuun- Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sind
gunsten der Jungen verzerren, ist ein großes später überproportional häufig in Führungs-
Problem. So verlassen unter den Jugend- positionen anzutreffen, andererseits betreten
lichen mit Migrationshintergrund 20 % sie das Berufsleben aber auch überpropor-
der Jungen, aber »nur« 13 % der Mädchen tional häufig ohne Schulabschluss oder mit
die Schule ohne Abschluss. In der einschlä- geringerer Qualifikation. Dieses Auseinan-
gigen Literatur wird in Anlehnung an Georg derdriften der Entwicklung, das offensicht-
Picht von einer Verschiebung der Risiko- lich mit sozioökonomischen Hintergrund-
gruppe »von der Arbeitertochter zum Mig- variablen und der familiären Herkunft der
rantensohn« gesprochen (Geißler, 2005). Schüler kovariiert, stellt eine große Heraus-
Noch wissen wir jedoch zu wenig über die forderung für die Bildungsforschung wie
Ursachen der schlechteren schulischen Inte- Bildungspolitik dar.
gration der Jungen mit Migrationshinter-
grund im Vergleich zu den Mädchen.

459
Teil II Lehren

8.4 Instruktion bei besonderen Lernvoraussetzungen

Schulische Leistungen, »als Leistungen der tionen, soziokulturelle Randständigkeit und


Schule und der Schüler« (Weinert, 2001 b), verminderte kognitive Aneignungstätigkeit
die Kompensationsmöglichkeiten erschweren.
sind ein sichtbares Resultat institutioneller (Ahrbeck, Bleidick & Schuck, 1997, S. 746)
Lehr-Lern-Prozesse. Sind die Lernleistungen
in einem oder mehreren schulischen Inhalts- Wie können solche Bedingungen aussehen?
bereichen über einen längeren Zeitraum hin- Im Folgenden werden besondere Maßnah-
weg beeinträchtigt, so spricht man im All- men der Lernförderung und allgemeine Prin-
gemeinen von Lernschwächen oder Lern- zipien der Unterrichtsgestaltung dargestellt,
schwierigkeiten – sind die Minderleistungen die sich im Umgang mit lern- und leistungs-
darüber hinaus »erwartungswidrig«, werden schwachen Kindern bewährt haben. Dabei
sie auch als allgemeine Lernstörungen bzw. wird zwischen (schul-)organisatorischen
spezifische Störungen in Teilbereichen, soge- Maßnahmen der äußeren und (pädago-
nannte Teilleistungsstörungen (䉴 Kap. 4.2) gisch-)didaktischen Maßnahmen der inne-
bezeichnet. Schülerinnen und Schülern mit ren Differenzierung unterschieden. Die
einer allgemeinen Lernstörung oder mit spe- schulorganisatorische Ebene wird allerdings
ziellen Teilleistungsstörungen im Bereich des nur kurz gestreift. Ausführlicher wird diese
Lesens und Rechtschreibens oder des Rech- Thematik im Lehrbuch Lernschwierigkeiten
nens gilt seit jeher ein besonderes Interesse der (Gold, 2011 a) und in Büchern zum Thema
Pädagogischen Psychologie. Wir greifen diese Inklusion behandelt (z. B. Speck, 2010; Ahr-
Störungsbilder, aber auch den Phänotyp der beck, 2011). Unter den pädagogisch-didak-
»erwartungsgemäß« lern- und leistungs- tischen Maßnahmen werden allgemeine pä-
schwachen Schülerinnen und Schüler (Lern- dagogische Prinzipien und konkrete un-
behinderung) hier noch einmal auf, um der terrichtliche Methoden getrennt von den
Frage nachzugehen, ob und unter welchen spezifischen, meist unterrichtsergänzenden
Bedingungen adaptive instruktionale Maß- Maßnahmen der individuellen Förderung
nahmen geeignet sind, Kindern mit Lern- betrachtet. Solche spezifischen Fördermaß-
schwierigkeiten eine möglichst optimale Aus- nahmen können sich sowohl auf die defizi-
nutzung ihrer Lernpotenziale und damit in- tären Lernvoraussetzungen von Kindern mit
dividuelle Lernerfolge zu ermöglichen. Zwar Lernschwierigkeiten beziehen als auch der
gilt die Notwendigkeit einer bestmöglichen »nachhelfenden« stoffinhaltlichen Wissens-
Adaptivität der Lernangebote grundsätzlich vermittlung dienen. Aus der Kenntnis der in
für jeden Lernenden und für jeden Unterricht. 䉴 Kap. 2 und 4 dieses Buches skizzierten
Während aber die meisten Schülerinnen und individuellen Lernvoraussetzungen und ih-
Schüler von nahezu jeder Unterrichtsform rer Besonderheiten sowie nach einer Analyse
profitieren, benötigen diejenigen mit größe- der mutmaßlich defizitären Bereiche bei Kin-
ren Leistungsrückständen bzw. mit Lern- dern mit Lernstörungen oder -behinderun-
schwächen und -störungen besonders förder- gen lassen sich – mit Aussicht auf Erfolg –
liche Bedingungen. eine ganze Reihe ausgleichend-abhelfender
(remedialer) Maßnahmen zur Förderung
Es spricht allerdings alles dafür, dass die Aus- konzipieren. Am Ende des Abschnitts wird
nutzung von Lernpotentialen bei der schwä- auf spezifische Fördermaßnahmen in den
cheren Schülergruppe wesentlich geringer ist
und sich ihre Lernrückstände und Chancen- Inhaltsbereichen des Lesens, Schreibens
ungleichheit in einem nicht differenzierten Un- und Rechnens eingegangen. In diesen Berei-
terricht vergrößern, weil organische Disposi- chen »überdauern« die Lernprobleme häufig

460
8 Besonderheiten des Lehrens

bis ins Erwachsenalter. Zunächst geht es 2004 b). ADHS ist allerdings keine Lern-
allerdings um die Förderung der individuel- sondern eine Verhaltensstörung, eine Stö-
len Lernvoraussetzungen und um allgemeine rung jedoch, zu deren Kernsymptomen das
unterrichtliche Maßnahmen für Schülerin- Aufmerksamkeitsdefizit zählt. In aller Regel
nen und Schülern mit defizitären Lern- gefährden solche Aufmerksamkeitsdefizite
voraussetzungen. Wie lassen sich defizitäre den schulischen Lernerfolg, wenngleich es
individuelle Lernvoraussetzungen am besten keine Belege für eine ursächliche Beziehung
aus- bzw. angleichen? Wie kann Unterricht gibt (Conte, 1998; Swanson, Mink &
dazu beitragen, bereits vorhandene Lern- Bocian, 1999). Neben (bzw. begleitend zu)
und Leistungsprobleme zu reduzieren oder den medikamentösen Therapien sind im
gar zu beheben? Wie müssen Lernsituatio- deutschsprachigen Raum seit vielen Jahren
nen beschaffen sein, damit Schülerinnen und zwei bewährte kognitiv-behaviorale Trai-
Schüler mit einer Lernbehinderung oder mit ningsprogramme im Umgang mit aufmerk-
spezifischen Lernstörungen im Unterricht samkeitsgestörten Kindern verbreitet, und
möglichst optimal gefördert werden? zwar das »Therapieprogramm für Kinder
mit hyperkinetischem und oppositionellem
Problemverhalten« (THOP) von Döpfner,
Förderung der individuellen Schürmann und Frölich (2007) und das
Lernvoraussetzungen »Trainingsprogramm mit aufmerksamkeits-
gestörten Kindern« (TmaK) von Lauth und
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl kognitiver Schlottke (2002; 䉴 Kap. 8.1). In beiden Pro-
Fördermaßnahmen für Lernende mit spezi- grammen wird das planvolle und selbstrefle-
fischen Defiziten oder allgemeinen Lern- xive Herangehen an Aufgaben und Proble-
schwierigkeiten (vgl. Gersten et al., 2001; me eingeübt – Defizite in der Selbstregulati-
Linderkamp & Grünke, 2007; Wong, 2008; on des Lernverhaltens gelten nämlich als
Swanson, Harris & Graham, 2003). Lauth, wesentliche Ursache von Aufmerksamkeits-
Grünke und Brunstein (2004) haben das für störungen, aber auch von Lernstörungen im
die praktische Anwendung hierzu Wichtigs- Allgemeinen (Harris, Reid & Graham,
te in einem Band übersichtlich zusammen- 2008). Beide Programme setzen die unter-
gestellt. Auch bei Langfeldt und Büttner stützende Mitarbeit der Eltern voraus. Pur-
(2008) und bei Berger und Schneider (2011) die, Hattie und Carroll (2002) haben eine
finden sich auch hilfreiche Kurzbeschreibun- Metaanalyse zur Wirksamkeit pädagogisch-
gen bewährter kognitiver Trainings. Die fol- psychologischer und medizinischer Interven-
gende Darstellung orientiert sich an der ver- tionen bei ADHS vorgelegt und darauf hin-
trauten Systematik des INVO-Modells aus gewiesen, dass Elterntrainings und der damit
䉴 Kap. 2. kombinierte Einsatz schulischer Interventi-
onsprogramme die größten Effekte hinsicht-
Aufmerksamkeit. Störungen der Aufmerk- lich der kognitiven Zielkriterien erwarten
samkeit und Konzentration stellen eine lassen. Die medikamentöse Behandlung
funktionelle Beeinträchtigung des Lernens wirkt sich meist positiv auf der sichtbaren
dar. Sie gehen häufig, aber nicht notwendi- Verhaltensebene aus: Impulsivität und Hy-
gerweise mit einer erhöhten Impulsivität und peraktivität werden geringer, die Aufmerk-
motorischen Hyperaktivität einher, zwei samkeitsleistung wird besser. Walther und
weiteren Komponenten, die das Vollbild Ellinger (2008) kommen nach einer Bewer-
einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi- tung der beiden oben genannten verhaltens-
tätsstörung (ADHS) komplettieren (Cutting therapeutischen Programme zu einer ähnlich
& Denckla, 2003; Döpfner, 2000; Lauth, positiven Einschätzung. Zusammenfassende

461
Teil II Lehren

Darstellungen dieser Programme finden sich nahmen zugänglich sind, als vielmehr die
bei Langfeldt und Büttner (2008) oder bei strategischen Kontroll- und Verarbeitungs-
Suchodoletz et al. (2010). prozesse, die auf diesen Strukturen operie-
ren. Die Effizienz dieser Prozesse lässt sich
durch geeignete Trainingsmaßnahmen stei-
Studie: Stimulation durch Zusatzreize
gern. Es ist mittlerweile hinreichend belegt,
In einer originellen Versuchsanordnung dass auch lernschwache Kinder von der
hat Margarete Imhof (1995, 2004; Imhof Anwendung sogenannter Mnemotechniken
& Scherr, 2000) gezeigt, dass Kinder mit profitieren können, um bessere Gedächtnis-
hyperaktiven Aufmerksamkeitsstörun- leistungen zu erzielen (z. B. Wong, Harris,
gen durch eine einfache aufgabenneutrale Graham & Butler, 2003; Scruggs & Mastro-
Zusatzstimulation (Verwendung bunten pieri, 2000). Swanson et al. (2008) weisen
Schreibpapiers) zu besseren Lernleistun- aber einschränkend darauf hin, dass gute
gen fähig sind: Die ADHS-Kinder mach- Gedächtnisstrategien für die leistungsfähige-
ten auf buntem Papier weniger Recht- ren Lerner nicht unbedingt auch gute Stra-
schreibfehler und hatten eine besser les- tegien für die lernschwächeren Kinder und
bare Schrift. Der Befund steht im Einklang Jugendlichen sein müssen, weil nicht sicher
mit der sogenannten Stimulationshypo- ist, ob die Lernschwächeren eine mühsam
these, wonach ADHS-Kinder unter einem neu erlernte Strategie auch längerfristig in
Mangel an Stimulation leiden und sie sich ihr strategisches Repertoire übernehmen.
daher durch »hyperaktive« Verhaltens- Deshalb ist für ein wirksames Training in
weisen selbst zusätzlich stimulieren müss- jedem Fall das Prinzip der Sparsamkeit (Law
ten. Durch die optischen Zusatzreize wird of Parsimony) zu beachten, um kognitive
die Unterstimulation der hyperaktiven Überforderungen zu vermeiden. »Less is
Kinder zumindest zum Teil (und auch More« formulieren Ellis und Larkin (1998).
nur vorübergehend) ausgeglichen. Ge- Zusammenfassend gilt:
wöhnungsprozesse heben jedoch in kur- Die besten dieser Programme zeichnen sich
zer Zeit den Erfolg dieser »bunten Inter- dadurch aus, dass sie (a) einige wenige Fertig-
vention« wieder auf. keiten gründlich und nicht nur oberflächlich
vermitteln; (b) den Schülern beibringen, die
eigene Leistung zu beobachten; (c) den Schü-
lern beibringen, wann und wo sie eine be-
Arbeitsgedächtnis. Strukturelle und prozes- stimmte Strategie einsetzen und eine Generali-
suale Besonderheiten des Gedächtnisses sierung erreichen können; (d) Strategien als
lernschwacher Kinder können das Aufneh- integrierten Bestandteil des Lehrplans vermit-
men und Behalten neuer Informationen er- teln und (e) auf ein großes Maß an Übung und
Rückmeldung der Schüler Wert legen. (Swan-
schweren (Swanson & Sáez, 2003; Swanson, son et al., 2008, S. 79)
Cooney & McNamara, 2008; Holmes, Gat-
hercole & Dunning, 2010). Bewährte För- Diese Grundsätze ähneln dem, was auch
dermaßnahmen setzen vor allem bei den andere Autoren bei der Gestaltung wirk-
Komponenten des Arbeitsgedächtnisses an, samer kognitiver Trainings zu bedenken ge-
bei den zentral-exekutiven Kontrollprozes- ben (Hasselhorn & Hager, 2006; Mähler &
sen sowie beim Wissen über die Funktions- Hasselhorn, 2001; 䉴 Kap. 8.1). Unnötig
weise des eigenen Gedächtnisses (Büttner & schwierige Anforderungen an das Arbeits-
Mähler, 2004; Mähler & Hasselhorn, 2001; gedächtnis sollten vermieden werden, denn
Büttner, Gold & Hasselhorn, 2010). Aller- eine zu hohe kognitive Belastung birgt die
dings sind es weniger die strukturellen Kom- Gefahr des Scheiterns, mit ungünstigen Fol-
ponenten des Gedächtnisses, die Fördermaß- gen für das weitere Lernverhalten. Mit an-

462
8 Besonderheiten des Lehrens

deren Worten: Wenn es um die Lernför- Problematik des Leistungsversagens gleich-


derung bei Kindern mit Lernschwierigkeiten sam »an der Wurzel« zu packen (vgl. Neber,
geht, müssen die ohnehin begrenzten (und 1996; Mackowiak, 2004; Mackowiak,
oftmals zusätzlich beeinträchtigten) Res- Lauth & Spieß, 2008). Matthias Grünkes
sourcen des Arbeitsgedächtnisses bei der (2006) Metaanalyse weist Strategie- und
Konzeption von Fördermaßnahmen in be- Selbstinstruktionstrainings als besonders
sonderer Weise mit bedacht werden. wirksame Interventionsformen bei Lernstö-
rungen aus – neben der nachholenden Wis-
Lernstrategien und ihre metakognitive Re- sensvermittlung in Form der direkten In-
gulation. Erfolgreich Lernende verfügen struktion, also des explizit-kleinschrittigen
über bereichsspezifische und bereichsüber- Darbietens der Unterrichtsinhalte, verbun-
greifende Strategien des Lernens und Pro- den mit Phasen des angeleiteten und eigen-
blemlösens, die sie flexibel und gezielt ein- ständigen Übens. Larkin und Ellis (2008)
setzen. Unstrittig ist, dass sich Defizite im haben für Jugendliche mit Lernstörungen
strategischen Bereich ungünstig auf den Er- gezeigt, dass die strategischen Interventio-
werb von Kenntnissen und Fertigkeiten aus- nen neben den eigentlichen Lerntechniken
wirken. Die Vermittlung strategischer und stets auch die Aspekte der Lernmotivation
metastrategischer Fertigkeiten ist deshalb und der Selbstverstärkung sowie der Selbst-
eine naheliegende Maßnahme, um die Lern- kontrolle und Selbstüberwachung beinhal-
prozesse zu verbessern. Erfolgreiche Strate- ten sollten: Selbst Verantwortung für das
gietrainings bedürfen allerdings bei den eigene Lernen zu übernehmen, das eigene
Lernschwächeren einer besonderen Anlei- Lernen selbst zu überwachen und regulieren,
tungskomponente und zusätzlicher Hilfen. Lernstrategien selbst auszuwählen und
Im Übrigen gelten die oben bereits beschrie- selbst zu überprüfen, ob ein Lernziel erreicht
benen Prinzipien der Sparsamkeit. Lernstra- wurde.
tegietrainings zielen in prototypischer Weise Die Selbstregulation des Lernens setzt
auf die Förderung defizitärer Lernvoraus- metakognitives Wissen über die Stärken
setzungen im Sinne Heinz Nebers (1996), und Schwächen des eigenen Lernens und
der andere Maßnahmen zur Überwindung über die Funktionsweise des kognitiven Sys-
von Leistungsdefiziten (z. B. sachinhaltliche tems voraus. Wenn die metakognitiven Pro-
Nachhilfe) explizit davon abhebt. Meist zesse der Planung, Steuerung und Kontrolle
wird es allerdings beider Formen des reme- des eigenen Denkens und Lernens
dialen (abhelfend-ausgleichenden) Lernens (䉴 Kap. 2.3) Gegenstand von Fördermaß-
bedürfen – also des Aufholens inhaltlicher nahmen sind, verbinden sich Elemente des
Lernrückstände durch nachhelfende Maß- strategischen mit einem metastrategischen
nahmen des zielerreichenden Lernens ebenso Training (Hasselhorn, 1992; Weinert, 1994;
wie der Förderung der dazu notwendigen Büttner & Hasselhorn, 2007; Dignath, Bütt-
Lern- und Leistungsvoraussetzungen durch ner & Langfeldt, 2008).
Strategie- oder Gedächtnistrainings, um die

Fokus: Förderung der Selbstregulation


Kinder mit Lernstörungen und -behinderungen werden oft als passive Lerner bezeichnet.
Damit ist gemeint, dass sie Lernstrategien nur selten aktiv und von sich aus einsetzen, dass sie
also ihr eigenes Lernverhalten nur unzureichend kontrollieren und steuern. Die Fähigkeit zur
Handlungs- und Willenskontrolle in Lern- und Leistungssituationen ist aber eine wichtige

463
Teil II Lehren

Voraussetzung erfolgreichen Lernens: In dieser Fähigkeit verbinden sich die (meta-)


kognitiven mit den motivationalen, volitionalen und emotionalen Kontrollprozessen.
Wie lassen sich die selbstregulativen Kompetenzen, also das deklarative Wissen über
Lernen und Gedächtnis und die Ausführung prozeduraler Lernhandlungen, gezielt fördern?
Büttner, Dignath und Otto (2008) haben Ergebnisse aus Metaanalysen zusammengeführt,
um diese Frage zu beantworten. Dabei hat sich gezeigt, dass eine kombinierte Vermittlung
kognitiver, metakognitiver und motivationaler Strategien vergleichsweise größere Effekte
bewirkt als die isolierte Vermittlung von Lernstrategien. Die »Text- und Lesedetektive«, ein
Programm zur Vermittlung von Lesestrategien für Kinder ab der 5. Klasse, (Rühl &
Souvignier, 2006; Gold et al., 2004) oder das »Elementare Training bei Kindern mit
Lernschwierigkeiten« (Emmer, Hofmann & Matthes, 2007) sind Beispiele für solche
kombinierten Programme. Philipp und Schilcher (2012) haben einen aktuellen Überblick
zu den wirksamen Förderansätzen des selbstegulierten Lesens vorgelegt.

Motivation. Leistungen und Leistungsver- bungen nach erfolgreichen/erfolglosen Lern-


sagen sind nicht ausschließlich durch kogni- bemühungen und c) das Erlernen emotional
tive Fähigkeiten determiniert. Eine erfolgs- positiver Bilanzierungen von Lernausgän-
zuversichtliche motivationale Orientierung gen, also das Ziehen einer positiven Schluss-
bedingt und unterstützt das strategische bilanz, bei der die Freude über eigene Lern-
Lernverhalten. Lernende mit Schulleistungs- erfolge größer ausfallen sollte als der Ärger
problemen haben in der Regel bereits eine über die erlebten Misserfolge.
Kette von Misserfolgen durchlebt, die sich in
nachteiliger Weise auf das leistungsbezogene Volition. Die Willensstärke, eine einmal ge-
Selbstkonzept und auf die motivationale fasste Handlungsabsicht tatsächlich auch in
Orientierung ausgewirkt haben. Weil sie konkrete Lernhandlungen umzusetzen, ist
ihre schulischen Misserfolge verständlicher- bei Kindern mit Lern- und Leistungsproble-
weise emotional negativ bewerten und weil men oft weniger stark ausgeprägt als bei
sie ihre Minderleistungen oftmals auf ihre anderen Kindern – ob das eher zu den
eigene Unfähigkeit und ihre mangelnde Be- Ursachen oder zu den Folgeerscheinungen
gabung zurückführen, wird ihr Vertrauen in des Leistungsversagens zu zählen ist, kann
die eigene Leistungsfähigkeit schwinden und nicht ohne weiteres gesagt werden. Richtig
die Bereitschaft, sich neuen Leistungsanfor- ist jedenfalls, dass volitionale Kompetenzen
derungen zu stellen, weiter abnehmen. In ganz entscheidend an der Selbststeuerung
Kopplung mit den strategischen und metast- des eigenen Lernens beteiligt sind und dass
rategischen Fördermaßnahmen ist es daher das Initiieren von Lernhandlungen und das
ratsam, bei den kognitiven Trainings zusätz- Überwinden von Lernhindernissen zu den
lich den Aufbau einer erfolgszuversicht- notwendigen Voraussetzungen erfolgreichen
lichen Orientierung anzustreben (Schober Lernens gehören. Interventionen im Bereich
& Ziegler, 2001; Ziegler & Finsterwald, der Willenskräfte beziehen sich häufig auf
2008; 䉴 Kap. 8.2). Fries und Souvignier die von Julius Kuhl benannten Komponen-
(2009) haben die Komponenten benannt, ten der willentlichen Handlungskontrolle
die dabei wichtig sind: a) das Erlernen rea- und verwenden Techniken der verbalen
listischer Zielsetzungen bei der Bearbeitung Selbstinstruktion, um ungünstige Orientie-
von Lernanforderungen, b) das Erlernen rungen zu verändern (䉴 Kap. 2.5).
erfolgszuversichtlicher Ursachenzuschrei-

464
8 Besonderheiten des Lehrens

Unterrichtliche Maßnahmen der Einschulung, Klassenwiederholungen


und individuelle Nachhilfe sind oft einer
solchen Exklusion vorgeordnete Maßnah-
Es gibt nur wenige erfahrungswissenschaft- men gewesen, die ein Aufarbeiten kumulier-
lich begründbare Empfehlungen zum unter- ter Leistungsdefizite anstrebten, ohne die
richtlichen Umgang mit Lernbesonderhei- schulorganisatorische Separierung bereits
ten. Das hat auch damit zu tun, dass wirk- zu betreiben.
same Lehrprinzipien, wie das kognitive Mo- Für die schulorganisatorische äußere Dif-
dellieren (Scaffolding), die tutorielle ferenzierung spricht, dass im herkömm-
Unterstützung durch Gleichaltrige (Peer Tea- lichen Unterricht ein unbegrenztes Zeit-
ching) oder die formative Lernverlaufsdiag- und Zuwendungsbudget in der Regel gar
nostik für das »normale« und das »gestörte« nicht zur Verfügung steht, um Blooms
Lernen gleichermaßen wichtig und gültig (1976) anspruchsvoller Zielsetzung »Alle
sind. Bevor auf besondere unterrichtliche Schüler schaffen es« genügen zu können.
Maßnahmen im Einzelnen eingegangen Man wird den Bedürfnissen der weniger
wird, scheint jedoch eine Klärung des Be- leistungsfähigen Kinder unter den Bedingun-
griffspaars der »inneren« und »äußeren Dif- gen des Regelunterrichts nämlich nicht ge-
ferenzierung« von Schule und Unterricht recht, wenn die besondere individuelle För-
hilfreich und notwendig. derung ausbleibt, die sie benötigen. In leis-
tungshomogenen Klassen – so wird oftmals
Differenzierung durch Inklusion oder Ex- für die äußere Differenzierung argumentiert
klusion. Eine mögliche (und zugleich nahe- – können alle Schüler besser lernen und die
liegende) schulorganisatorische Reaktion Lehrer leichter unterrichten. Problematisch
auf die ungleichen Lernvoraussetzungen ist allerdings, dass mit der Exklusion lern-
und Lernleistungen von Schülerinnen und schwacher Schüler im Allgemeinen soziale
Schülern ist die leistungshomogenisierende Benachteiligungen und Stigmatisierungen
Separierung in besondere Leistungs- oder verbunden sind. Es ist auch zweifelhaft, ob
Lernfähigkeitsgruppen, die schulorganisato- sie sich in den Sonder- bzw. Förderschulen
risch getrennt unterrichtet werden. Man für Lernhilfe im Hinblick auf ihre Kenntnisse
bezeichnet das als äußere Differenzierung. und Fertigkeiten tatsächlich besser ent-
Bezogen auf die uns interessierende Teilgrup- wickeln als an den Regelschulen. Immerhin
pe der leistungsschwächeren bzw. weniger bleiben fast 80 % der Förderschüler am
lernfähigen Kinder führt dies zur Überwei- Ende ihrer Schulzeit ohne einen Hauptschul-
sung in Förderschulen besonderen Typs mit abschluss. Schulorganisatorische Lösungen
anderen Abschlusszielen, anderen Unter- im Umgang mit hochbegabten Kindern –
richtsformen und -inhalten und gegebenen- also das Ermöglichen einer akzelerierten
falls auch längeren Lernzeiten (Ahrbeck et Schullaufbahn, durch das »Überspringen«
al., 1997). In vier von fünf Fällen folgt auf von Klassen oder das Wechseln auf eine
die Diagnose eines sonderpädagogischen Spezialschule für Hochbegabte – können
Förderbedarfs die Überweisung in eine sol- übrigens ähnliche Probleme nach sich ziehen
che Sonder- oder Förderschule (䉴 Kap. 4.2). (Heller & Hany, 1996; Heller, Mönks, Stern-
An der nachhaltigen Wirksamkeit dieser berg & Subotnik, 2000; Keogh & MacMil-
Maßnahme äußerer Differenzierung (Exklu- lan, 1996; Rost 2009). Die Frage nach der
sion) gibt es allerdings erhebliche Zweifel, Exklusion/Inklusion ist im Einzelfall auch
ebenso wie an der Effizienz des Sonderschul- hier nicht leicht zu beantworten.
wesens insgesamt (Klemm, 2009 a, 2009 b;
Klemm, 2010 a, 2010 b). Rückstellungen bei

465
Teil II Lehren

werden oder dass unterschiedlich lange


Fokus: Hochbegabung Lernzeiten gewährt werden. Im Zuge der
Separieren oder Integrieren? Dass auch inneren Differenzierung wird die Leistungs-
Hochbegabte einer besonderen För- heterogenität innerhalb einer Klasse nicht
derung bedürfen ist unstrittig. Wie bei nur billigend in Kauf genommen, sondern
den Lernschwachen ist aber unklar, ob produktiv genutzt: Die Schüler lernen »im
dies durch Maßnahmen innerer oder äu- sozialen Beieinander Verschiedenes«, so eine
ßerer Differenzierung geschehen soll beliebte Formulierung in diesem Zusam-
(Heller & Hany, 1996; Heller et al., menhang (Ahrbeck et al., 1997). Vor über-
2000). Die unterrichtliche Differenzie- zogenen Erwartungen an eine vollständige
rung kann mit verschiedenen Arten der Inklusion lernbehinderter Kinder in den Re-
Ergänzung, Erweiterung und Vertiefung gelunterricht wird aber auch gewarnt (Ahr-
des Stoffangebots einhergehen (Enrich- beck, 2011).
ment). Die äußere Differenzierung, sicht- Unstrittig ist, dass Schülerinnen und
bar z. B. durch frühzeitige Einschulungen Schüler mit Lernschwächen und -störungen
und Klassenüberspringen oder durch die einer besonderen Förderung bedürfen, die
Überweisung an Spezialschulen, ent- ihren individuellen Lernvoraussetzungen
spricht im Ergebnis einer zeitlichen Be- Rechnung trägt. In Frage steht, ob eine
schleunigung der Schullaufbahn (Akzele- solche Förderung im Jahrgangsklassensys-
ration). Beide Vorgehensweisen haben tem genauso gut oder sogar besser gewähr-
Vor- und Nachteile. Vieles spricht für leistet werden kann als im tradierten För-
ein inklusives Modell mit einem unter- derschulsystem. Am wenigsten hilfreich
richtlich hochadaptiven Vorgehen, ohne wäre jedenfalls der Verzicht auf jegliche
das Jahrgangsklassenprinzip gänzlich Differenzierung des didaktischen bzw. schul-
aufzugeben. organisatorischen Vorgehens, denn das wür-
de die Lernschwächeren, die besondere Hil-
fen stärker als andere Kinder benötigen, in
Differenzierung im Unterricht. Es hat immer besonderer Weise benachteiligen. Es wäre
wieder Bestrebungen gegeben, die Leistungs- aber auch für die anderen Kinder nicht
schwächeren nicht zu separieren, sondern sie vorteilhaft. Bei Brenner (2010) und Gold
soweit wie möglich zu integrieren oder zu (2011 a) wird die Differenzierungsproble-
inkludieren, indem man sie im allgemein- matik aus dem Blickwinkel einer normativen
bildenden Schulwesen belässt und unter- Bildungsgerechtigkeit diskutiert.
richtlich hochgradig adaptiv vorgeht. Das Die Auswirkungen der Inklusion/Exklu-
gemeinsame Unterrichten setzt aber beson- sion auf die sozial-emotionale und kognitive
dere Formen der inneren Differenzierung Entwicklung lernschwacher Kinder sind ver-
voraus – nicht nur, wenn es um Kinder schiedentlich untersucht worden, im Ergeb-
mit Lernschwierigkeiten geht, sondern im nis mit einer differenzierten Befundlage
Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzun- (Bless, 1995, 2000; Bless & Mohr, 2007;
gen überhaupt. Innere Differenzierung ist Haeberlin, 1991; Witt-Brummermann,
vornehmlich eine didaktische (Binnen-)Dif- 1996; Wocken, 2007). Für die Förderung
ferenzierung von Unterricht. Sie äußert sich der kognitiven Entwicklung der Lernschwä-
z. B. darin, dass unterschiedlich schwierige cheren scheint die inklusive Beschulung ge-
Aufgaben gestellt werden, dass (den schwä- eigneter zu sein als eine separate Unterrich-
cheren Schülern) zusätzliche Hilfen zur Auf- tung. Inklusiv unterrichtete Kinder erzielen
gabenbewältigung und (den leistungsfähige- bessere Schulleistungen und erreichen häu-
ren Schülern) Zusatzaufgaben angeboten figer einen Hauptschulabschluss. Hinsicht-

466
8 Besonderheiten des Lehrens

Fokus: Leitlinien zur Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler


Die Konferenz der Kultusminister hat sich im März 2010 auf eine gemeinsame Strategie zur
Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler verständigt (KMK, 2010). In
den Leitlinien wird unter anderem festgehalten, dass
a) der Unterricht stets vom individuellen Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler
und von ihren unterschiedlichen Lernpotenzialen ausgehen soll,
b) individualisierte Lernangebote im Unterricht (und außerhalb des Unterrichts) bereit-
gestellt und differenzierte Leistungsrückmeldungen gegeben werden sollen,
c) die Verantwortung für die eigenen Lernprozesse und die Fähigkeit zur Selbststeuerung
des Lernens bei den Schülerinnen und Schülern gestärkt werden sollen und
d) das Erreichen eines Hauptschulabschlusses als Mindeststandard anzustreben sei.
Auch wenn die schulorganisatorische Frage ausgespart bleibt – ob nämlich solche För-
derprinzipien im inklusiven Modell, d. h. an den allgemeinbildenden Schulen verwirklicht
werden sollen –, sind die Festlegungen bemerkenswert: Leistungsdifferenzierender Regel-
unterricht, zielgruppenspezifische Angebote, die explizite Variation der Lernzeit und die
Orientierung am Mindeststandard des Hauptschulabschlusses werden erfreulich explizit
als gemeinsame Handlungsperspektive formuliert.

lich der sozial-emotionalen und motivatio- unterrichts (oder unterrichtsergänzend an


nalen Zielkriterien ist hingegen in den leis- der gleichen Schule) durchgeführt werden
tungshomogenen Gruppen an den Sonder- können, obliegt die Begründungspflicht da-
oder Förderschulen zumindest zeitweise eine für der Schule. Die normative IDEA-Geset-
höhere »emotionale Entlastung und [eine zesvorschrift durchzieht seither auch die
bessere] soziale Integration« (Ahrbeck et wissenschaftliche Debatte über das »Wie,
al., 1997, S. 759) der Lernschwachen zu Was und Wo« der Beschulung und Unter-
beobachten. Das bedeutet, dass es bei inklu- richtung der besonderen Lerner:
siver Beschulung zu einer ungünstigeren Ent-
wicklung des Selbstkonzepts, der Lernfreude [. . .] Die besonderen Maßnahmen, die Lern-
schwache und Hochbegabte benötigen, kön-
und der Lernmotivation kommen kann, weil nen in administrative Maßnahmen (Wo sollen
die Leistungsvergleiche mit den nicht för- sie unterrichtet werden?), curriculare Maßnah-
derbedürftigen Klassenkameraden in aller men (Was soll gelehrt werden?) und instruk-
Regel nachteilig ausfallen. Alle diese Aspekte tionale Maßnahmen (Wie sollen sie unterrich-
tet werden?) unterschieden werden. (Keogh &
sind zu bedenken, wenn man über die positi- MacMillan, 1996, S. 320)
vere Entwicklung der kognitiven Leistungen
bei der integrativen Beschulung spricht. Denn die Antwort auf die Wo-Frage ist
In den Vereinigten Staaten gibt es seit durch die Gesetzgebung bereits vorgegeben:
vielen Jahren eine gesetzliche Regelung zur Eine möglichst vollständige Integration (In-
integrativen Unterrichtung lernschwacher klusion) ist der Regelfall – Abweichungen
Kinder (Individuals with Disabilities Educa- sind zu begründen. Wie bei normativen Set-
tion Act; IDEA), die Maßnahmen äußerer zungen nicht anders zu erwarten, fallen die
Differenzierung weitgehend untersagt oder wissenschaftlichen Kommentare zu der so
zumindest erschwert. Wenn notwendige För- verordneten Integrationspraxis überwie-
dermaßnahmen nicht im Rahmen des Regel- gend kritisch aus:

467
Teil II Lehren

Die Begründung der vollständigen Integration jedem Lernschritt. Summa summarum sind
war primär eher ideologisch als empirisch mo- das die Prinzipien der Direkten Instruktion
tiviert [. . .], und der Nachweis der Vorteile, die
für Schüler mit schweren Behinderungen und
(䉴 Kap. 6.1).
für ihre nicht-behinderten Mitschüler daraus Ergebnisse aus Metaanalysen stützen die-
erwachsen sind, steht noch aus. (Keogh & se Empfehlung. So berichtet z. B. White
MacMillan, 1996, S. 321) (1988) bei 25 einbezogenen Studien eine
Es gibt durchaus Hinweise, dass die lernschwa- mittlere Effektstärke von d = 0.82 für das
chen Schülerinnen und Schüler durch die nicht
sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrkräfte direkt-instruktionale Vorgehen im Vergleich
üblicherweise nicht die notwendige Unterstüt- mit verschiedenen anders unterrichteten
zung erhalten. Denn die Lehrpersonen sind Kontrollgruppen. Forness, Kavale, Blum
häufig mehr daran interessiert, Schüler an und Lloyd (1997) ermitteln aus einer »Me-
den regulären Klassenunterricht anzupassen,
als daran, den Klassenunterricht an die einzel-
ga-Analyse« über 18 Metaanalysen einen
nen Schüler anzupassen. (Crockett & Kauff- ähnlich hohen Wert (d = 0.84). Für die
man, 1998, S. 500) 180 Studien von Swanson und Hoskyn
(1998) liegt die Effektstärke zugunsten der
Ähnliche Vorbehalte und Problematisierun- Direkten Instruktion bei d = 0.68. Das wird
gen ließen sich auch mit Blick auf die in auch durch eine Metaanalyse von Walter
Deutschland neuerlich geführte Inklusions- (2002) gestützt, der die Datenbasis um einige
debatte vortragen. Allerdings haben sich deutschsprachige Untersuchungen erweitert
zum bildungspolitischen Druck in Richtung hat. Walter findet die größten Effektstärken
einer inklusiven Beschulung der Kinder mit für die Methoden der Direkten Instruktion,
besonderem Förderbedarf, neben den recht- aber auch für die Maßnahmen zur För-
lichen mittlerweile auch bildungsökonomi- derung von Lern- und Gedächtnisstrategien.
sche Argumente gesellt: Das Sonderschulwe- Das aufgrund dieser Metaanalysen nahelie-
sen gilt als ungerecht, ineffizient und zu teuer gende Plädoyer für die Prinzipien der Direk-
(vgl. dazu Gold, 2011 a). Kommen wir aber ten Instruktion ist aber keine Absage an die
nun wieder zu der eigentlich interessanteren Prinzipien der Schülerorientierung, Selbst-
Frage zurück, wie die besonderen Lerner steuerung und Selbstverantwortung von
unterrichtet werden sollten. Lehr-Lern-Prozessen. Zweifellos sind Selbst-
steuerung und Selbstverantwortung von
Besondere Lehrmethoden? Alle im sechsten Lernprozessen wichtige und notwendige Vo-
Kapitel beschriebenen Methoden erfolgrei- raussetzungen der unmittelbaren Erfah-
chen Lehrens sind geeignet, den Aufbau von rungsbildung und des nachhaltigen Lernens.
Wissen und Können bei lernschwachen Jedoch ist zu bedenken, dass das selbst-
Schülerinnen und Schülern zu befördern. gesteuerte, wie auch das entdeckende Ler-
Gleichwohl durchzieht ein bestimmtes Leit- nen, Fertigkeiten und Kompetenzen voraus-
motiv die einschlägigen Übersichtsarbeiten setzen, deren Fehlen oder deren defizitäre
zur Instruktion von Kindern mit Lern- Ausprägung zum Entstehen der Lernschwä-
schwierigkeiten (z. B. Adams & Carnine, chen ursächlich beigetragen hat (Weinert,
2003; Gersten et al., 2001; Souvignier, 2003; 1996 a, c). Mit anderen Worten: Gerade
Walter 2002, 2007; Wember, 2007): nämlich das lernstrategische und selbstregulative
die Empfehlung einer eher anleitungsorien- Lernverhalten ist bei den Kindern mit Lern-
tierten, expositorischen, strukturierten und schwierigkeiten defizitär und muss erst er-
kleinschrittigen Form des Unterrichtens mit lernt werden. Leicht ist das nicht.
vielen Übungsphasen, unmittelbaren Rück- Es ist aufschlussreich, dass die Ergebnisse
meldungen und der Sicherstellung einer der oben erwähnten Metaanalysen Differen-
möglichst vollständigen Zielerreichung bei zierungen zulassen, die eine sinnvolle Ver-

468
8 Besonderheiten des Lehrens

knüpfung der direkt-instruktionalen Vor- ● Kleinschrittiges Vorgehen


gehensweise mit der Selbststeuerungskom- ● Untergliedern des Lernstoffes in kleine
ponente nahelegen. Vielversprechend sind Einheiten
dabei vor allem jene Ansätze, die ein Stra- ● Häufige Wiederholungen und systemati-
tegietraining über die Methoden der expli- sches Üben
ziten Instruktion und des angeleiteten Übens ● Regelmäßiges Überprüfen des Lernfort-
im Sinne des »kognitiven Modellierens« schritts (formatives Assessment)
realisieren. Eine so verstandene Strategiever- ● Kognitive Aktivierung durch gezieltes
mittlung erzielt nämlich ähnlich hohe Effek- Fragen
te wie die herkömmliche Direkte Instruktion ● Variation der Aufgabenschwierigkeiten
allein. Swanson und Hoskyn (1998; Swan- und Bereitstellen notwendiger Hilfen
son, 1999) plädieren daher für eine pragma- ● Kognitives Modellieren
tische Synthese der folgenden instruktiona- ● Strategische Hinweise geben (zum Strate-
len Prinzipien: gieeinsatz auffordern, lautes Denken ein-
fordern)

Fokus: Intervention bei Lernschwierigkeiten


Aus 2900 zwischen 1963 und 1997 veröffentlichten Interventionsstudien wählte Swanson
(1999) in mehreren Selektionsschritten 180 methodisch »saubere« Studien mit Kontroll-
gruppendesign und Effektstärkenangabe sowie 85 Baseline-kontrollierte Einzelfallstudien
aus. Als Interventionen galten sowohl unterrichtliche als auch unterrichtsergänzende
Maßnahmen, sofern sie eine Mindestdauer von drei Trainingssitzungen aufweisen. Die
Interventionsmaßnahmen wurden nach Inhaltsdomänen (z. B. Lesen, Rechnen, Lernstra-
tegien) und nach zwei übergeordneten instruktionalen Prinzipien (Direkte Instruktion [DI]
vs. Strategie-Instruktion [SI]) klassifiziert. Zusätzlich wurden insgesamt 45 instruktionale
Vorgehensweisen kodiert (z. B. kleinschrittig vorgehen, zum Elaborieren anleiten).
Die Effektstärken variieren in Abhängigkeit von der Inhaltsdomäne der Intervention, der
Zusammensetzung der Trainingsgruppen und den instruktionalen Prinzipien sowie Me-
thoden:
● Maßnahmen zur Verbesserung der Lesekompetenz sind vergleichsweise die erfolgreichs-
ten.
● Zur Förderung des Leseverständnisses hat sich eine Kombination aus DI- und SI-
Prinzipien als optimal erwiesen. Zur Förderung basaler Prozesse der Worterkennung
haben sich DI-Prinzipien bewährt.
● In den Individualtrainings werden größere Fortschritte als in Gruppentrainings erreicht.
● In »anfallenden« (also nicht randomisierten) Trainingsgruppen werden höhere Effekte
erzielt.
● Nur wenn SI-Prinzipien in eine Fördermaßnahme einbezogen sind, verringert sich der
relative Abstand zu Lernenden ohne Lernschwierigkeiten.

Zu Recht weisen Gersten et al. (2001) darauf abschließend entschieden sei. Auch Halla-
hin, dass mit dem Wirksamkeitsnachweis han, Kauffman und Lloyd (1999) warnen
der Methoden Direkter Instruktion über vor verfrühten Schlussfolgerungen und wei-
die Wirksamkeit anderer Methoden nicht sen überdies darauf hin, dass konstruktivis-

469
Teil II Lehren

tische Interventionsansätze oftmals zu un- Um eine Überforderung der Leistungsschwä-


spezifisch seien, um ihre Wirksamkeit strin- cheren zu vermeiden, sollten sie leichtere
gent empirisch evaluieren zu können. Auch Lernaufgaben erhalten, die an ihre Lern-
für schwache Lerner können konstruktivis- fähigkeiten angepasst sind und so Lernerfol-
tische Ansätze vorteilhaft sein, wenn es um ge ermöglichen. Solche individualisierenden
den Erwerb anwendungsfähigen und trans- Maßnahmen sind im klassischen Sinne
ferierbaren Wissens geht. »adaptiv« zu nennen, weil sie einer Anpas-
Souvignier (1999) und Probst (1998) ha- sung des didaktischen Vorgehens an die
ben gezeigt, dass kooperative und ent- unterschiedlichen individuellen Lernvoraus-
deckenlassende Verfahren auch mit Lern- setzungen entsprechen. Da Kinder mit Lern-
gruppen von Lernbehinderten möglich sind, schwierigkeiten häufig expliziter und inten-
ohne die Lernschwachen zu sehr zu über- siver als andere Kinder unterrichtet werden
fordern (zusammenfassend: Jenkins & müssen, gilt auch die Methode des kogniti-
O’Connor, 2003). In der Studie von Souvi- ven Modellierens – häufig wird die Meta-
gnier (1999) wird die Methode des Gruppen- pher vom unterstützenden Lerngerüst (Scaf-
puzzles (䉴 Kap. 6.3) mit der Unterrichts- folding) verwendet – als geeignetes Vorgehen
methode der Direkten Instruktion vergli- zum Erwerb von Kenntnissen und Fertig-
chen. Unter beiden Bedingungen werden keiten. Ein stützendes Lerngerüst wird so
vergleichbar gute (kognitive) Lernleistungen lange zur Verfügung gestellt, wie es benötigt
erzielt, in der kooperativ lernenden Gruppe wird. Das regelmäßige (formative) Überprü-
wurden jedoch zusätzlich das Lernklima und fen des Lernfortschritts, also eine prozess-
die Qualität der sozialen Interaktionen po- orientierte Diagnostik, gehört dazu. Jürgen
sitiver eingeschätzt. Walter (2007) fasst dies so zusammen:
Dass Schülerinnen und Schüler mit Lern-
schwierigkeiten mehr Lernzeit benötigen, ● Möglichst früh intervenieren
um zum Lernziel zu gelangen, gehört seit ● Bei Leseschwierigkeiten zunächst die ba-
Carroll und Bloom zum Basiswissen der salen Lesefertigkeiten, wie das Dekodie-
Pädagogischen Psychologie. Schwieriger ist ren und die Leseflüssigkeit fördern, zu-
die praktische Umsetzung dieser Erkenntnis sätzlich aber auch elaborative Lesestrate-
unter den Bedingungen des Regelunterrichts gien und Techniken zur Selbstüberprü-
in Halbtagsschulen. Wo soll die zusätzliche fung des Verstehens und Behaltens
Unterrichtszeit herkommen, die benötigt einüben
wird, damit auch die Leistungsschwächeren ● Zur Verbesserung von Gedächtnisleistun-
zum Lernziel gelangen? Und was sollen die gen mnemotechnische Strategien einüben
schneller Lernenden tun, wenn sich die Ge- ● Zur Kontrolle der Leistungsentwicklung
schwindigkeit des unterrichtlichen Vor- prozessorientierte (formative) diagnosti-
gehens an den schwächeren und langsame- sche Verfahren einsetzen, verbunden mit
ren Lerners orientiert? Das Bereitstellen er- individuellen Rückmeldungen der Leis-
gänzenden Lernmaterials, das Anbieten von tungsfortschritte an die Schülerinnen
Aufbaukursen und die Übernahme von Tu- und Schüler
torenfunktionen im Rahmen kooperativer ● Beim Umgang mit Unterrichtsstörungen
Techniken sind einige Möglichkeiten, um operante Methoden des Kontingenzma-
auch die Leistungsstärkeren angemessen zu nagements nutzen
fördern. Eine andere Lösungsmöglichkeit ● Methoden des tutoriellen Lernens nutzen
liegt darin, für die Lernschwachen zusätzli-
che Lernzeiten außerhalb des Unterrichts zu Verlagert man den Fokus von den Lehr-
realisieren. methoden und Instruktionsprinzipien zu

470
8 Besonderheiten des Lehrens

den Lerninhalten und zu den Prozessen der Lesen als Worterkennen. Besondere Förder-
Informationsverarbeitung, so lassen sich maßnahmen im Bereich des Lesens setzen
konkretere, prozessnähere Empfehlungen häufig bereits an den hierarchieniedrigen
der Förderung geben, die wir im Folgenden Teilfertigkeiten des Dekodierens und der
am Beispiel von Lesen, Schreiben und Rech- Worterkennung an und zielen auf eine Ver-
nen skizzieren. besserung der Leseflüssigkeit und eine Ver-
breiterung des Wortschatzes. Denn wer nicht
flüssig (fließend), also hinreichend genau
Lesen, Schreiben, Rechnen und fehlerfrei und mit angemessener Ge-
schwindigkeit und Betonung lesen kann,
Für eine umfassende Darstellung unterricht- wird zu den höheren Verstehensprozessen
licher Methoden und unterrichtsergänzen- nur mit Mühe vordringen. Häufiges und
der Förderprogramme zum Lesen, Schreiben wiederholtes Lesen verbessert die Wort-
und Rechnen sei auf Wong (2008), Swanson, erkennung und den Automatisierungsgrad
Harris und Graham (2003) sowie auf Lauth, des Leseprozesses und erweitert den Sicht-
Grünke und Brunstein (2004) und Linder- wortschatz. Zur Förderung der Leseflüssig-
kamp und Grünke (2007) verwiesen; bei keit werden vor allem Viellese- und Lautlese-
Langfeldt und Büttner (2008) sowie Berger verfahren eingesetzt – bewährt haben sich
und Schneider (2011) finden sich exempla- insbesondere Lautleseverfahren, die sich der
rische Darstellungen erfolgreicher Program- Methoden des wiederholten und kooperati-
me, auch solcher, die auf eine Förderung der ven Lautlesens in Dyaden bedienen (Rose-
Vorläuferfertigkeiten des Lesens, Schreibens brock, Nix, Rieckmann & Gold, 2011; Phi-
und Rechnens gerichtet sind. lipp, 2011).

Fokus: Förderung der Leseflüssigkeit durch Lautlese-Tandems


Lautlesemethoden zur Förderung der mündlichen Lesefertigkeiten beruhen meist auf den
Prinzipien des wiederholten, begleiteten und korrigierten Lesens. Beim ursprünglich von
Keith Topping konzipierten Paar- oder Tandem-Lesen ist der schwächere Leser eines
Tandems der Tutand, der bessere der Tutor. Beide lesen laut und gemeinsam (mehrfach) den
gleichen Text. Der Tutor passt sich der Lesegeschwindigkeit seines Tutanden an und
verbessert, wo notwendig, die auftretenden Lesefehler. Mit fortschreitender Übung und auf
ein Zeichen des Tutanden stellt der Tutor das laute Mitlesen ein und der Tutand liest so lange
alleine weiter, bis er einen Fehler macht. Dann beginnt das synchrone Lautlesen wieder von
vorn.
In einer Trainingsstudie mit mehr als 500 Kindern aus 31 Klassen kam die Methode der
Lautlese-Tandems bei leseschwachen Schülerinnen und Schülern sechster Hauptschul-
klassen im Rhein-Main-Gebiet über ein Schulhalbjahr hinweg zum Einsatz. Die Lautlese-
Tandems lasen im Rahmen des regulären Deutschunterrichts dreimal wöchentlich für die
Dauer von 20 Minuten laut und gemeinsam Texte mit ansteigender Schwierigkeit bis zum
Kriterium des fehlerfreien Lesens. Die Leistungsentwicklung der Lautlese-Tandems wurde
verglichen mit der Entwicklung in einer Fördergruppe mit »stillen Lesezeiten« und mit einer
Kontrollgruppe, die herkömmlichen Deutschunterricht erhielt. Die Ergebnisse belegen die
Wirksamkeit der Lautlese-Tandems im Hinblick auf die Verbesserung der Leseflüssigkeit
und des Textverstehens. Die Leistungsverbesserungen liegen im mittleren Effektstärken-
bereich und sind sowohl direkt im Anschluss an die Fördermaßnahme als auch im

471
Teil II Lehren

Zeitabstand von drei Monaten nachzuweisen (Rosebrock, Rieckmann, Nix & Gold, 2010;
Nix, 2011).

Die Erfahrungen mit den Lautleseverfahren Trainingsprogramm zur phonologischen Be-


sind vielversprechend. Metaanalysen haben wusstheit »Hören, Lauschen, Lernen« von
Merkmale besonders effektiver Lese-Förder- Küspert und Schneider (2006).
programme identifiziert. Demnach ist die Zur Förderung von Lesestrategien Lern-
Förderung vor allem dann erfolgreich, schwacher gibt es viele erfolgreiche Ansätze
wenn sie explizit und direkt erfolgt, wenn – die meisten kombinieren strategische, me-
im Rahmen der Fördermaßnahme das Ziel- tastrategische und motivationale Kom-
verhalten, also das fehlerfreie, hinreichend ponenten (Englert & Mariage, 1991; Press-
schnelle und prosodisch angemessene Flüs- ley et al., 1995; Williams, 2003; Guthrie et
siglesen modellhaft-kompetent explizit illus- al., 2004; 2009; Clarke et al., 2010; McEl-
triert wird, wenn vertraute Texte immer vany & Schneider, 2009). Für Leseschwache
wieder gelesen und wenn auftretende Lese- ist es besonders wichtig, dass neben den
fehler durch die Lehrperson oder einen Tutor kognitiven Lesestrategien (wie z. B. »Wich-
fortwährend korrigiert werden. tiges Unterstreichen« oder »Überschrift Be-
achten«) auch eine handlungsleitende Rou-
Lesen als Textverstehen. Gute Leserinnen tine eingeübt wird, die ein systematisches
und Leser verfügen über linguistisches und Herangehen an Texte erlaubt: »Worauf ach-
metalinguistisches Wissen, um Wortbedeu- te ich vor dem Lesen? Was mache ich wäh-
tungen schnell zu erfassen, über konzeptuelle, rend des Leseprozesses? Wie kann ich nach
textinhaltsbezogene Vorkenntnisse, um neue dem Lesen feststellen, ob ich alles verstanden
Informationen leichter zu verstehen und zu und behalten habe?«
behalten, über besondere Lesestrategien der Deutschsprachige strategieorientierte Un-
Textverarbeitung. Und sie sind motiviert, sich terrichtsprogramme sind z. B. die »Text-
mit einem Text auseinanderzusetzen. Die För- bzw. Lesedetektive« (Gold, 2010), die »Lese-
derung linguistischer und metalinguistischer förderung nach Kompetenzstufen« (Fischer,
Kompetenzen erfolgt besonders wirksam be- 2008) oder das Schulprogramm »Lesen
reits im Vorschulalter oder im Anfangsunter- macht schlau« (Schoenbach et al., 2006),
richt (Bus & van Ijzendoorn, 1999; Schneider, eine Adaptation des amerikanischen »Rea-
2008; Küspert, Weber, Marx & Schneider, ding for Understanding«. Als wirksame Le-
2007). Werden Defizite in den lautsprach- sestrategien haben sich insbesondere Strate-
lichen Kompetenzen bereits früh angegan- gien der Vorwissensaktivierung, wie z. B. das
gen, sind die Probleme beim späteren Schrift- Formulieren und Beantworten von Fragen
spracherwerb oftmals weniger gravierend. zu einem Text, das Verdichten einer Text-
Die Befunde von Trainingsstudien zur pho- vorlage durch das Zusammenfassen von
nologischen Bewusstheit sind auch für Kinder Textinhalten und das systematische Klären
mit ungünstigen Lernvoraussetzungen ermu- von Textschwierigkeiten erwiesen. Bewährt
tigend (Schneider, Roth & Ennemoser, 2000; haben sich dabei didaktische Vorgehenswei-
Marx, Weber & Schneider, 2005; Einsiedler sen, die mit einer explizit-direkten Vermitt-
et al., 2002; Weber et al., 2002). Das bekann- lung des lesestrategischen Wissens beginnen
teste Förderprogramm zur primären Präven- und über die modellhafte Demonstration des
tion von Lese-Rechtschreibstörungen im kompetenten Strategieeinsatzes zu Phasen
deutschsprachigen Raum ist das Würzburger des angeleiteten, später zunehmend selbstän-

472
8 Besonderheiten des Lehrens

Fokus: Förderung von Lesestrategien mit den Lesedetektiven


Die Lesedetektive sind ein Förderprogramm aus der Textdetektive-Reihe (Gold, 2010; Gold
& Souvignier, 2012). Anders als die Textdetektive (Gold, Mokhlesgerami, Rühl, Schre-
blowski & Souvignier, 2004), die sich vor allem für den Einsatz in Gymnasial-, Real- und
Gesamtschulklassen eignen, sind die Lesedetektive (Rühl & Souvignier, 2006; Gold &
Rühl, 2009) speziell für leseschwache Kinder und Kinder mit ungünstigen Lernvoraus-
setzungen entwickelt worden. Ihr Einsatz ist an Schulen für Lernhilfe erfolgreich evaluiert
worden (Antoniou, 2006; Souvignier & Rühl, 2005). Die dort vermittelten vier Detektiv-
methoden (Überschrift beachten, Umgang mit Textschwierigkeiten, Zusammenfassen von
Geschichten, Zusammenfassen von Sachtexten) sind Bestandteil eines strategieorientierten
Unterrichtsprogramms.
Das Unterrichtsprogramm basiert auf kognitionspsychologischen Modellen des Text-
verstehens und des selbstregulierten Lernens. Das Lehrermanual zum Programm umfasst
insgesamt sechs Lerneinheiten – neben den vier Detektivmethoden sind das eine Einführung
in die Rahmenhandlung (»Wir werden Lesedetektive!«) sowie die Erarbeitung und das
Einüben einer Checkliste, die den selbständigen und routinierten Einsatz der erlernten
Strategien sicherstellen soll. Die Lesestrategien werden nach dem Prinzip des Modelllernens
eingeführt, und es wird explizit über den Nutzen und über die Anwendungsbedingungen
des Strategieeinsatzes informiert. Phasen des angeleiteten und selbständigen Übens anhand
von Arbeitsheften sind Bestandteil des Unterrichtsprogramms.

digen Einübens der Lesestrategien überge- in der sonder- und heilpädagogischen For-
hen. schungstradition ihren Ursprung haben,
sind sie lern- und verhaltenstherapeutisch
Schreiben. Schreiben kann vielerlei bedeu- begründet (Suchodoletz, 2006; Schulte-Kör-
ten: »richtig Schreiben«, »schön Schreiben« ne, 2006; Scheerer-Neumann, 2008). Be-
oder »gut Schreiben«. Beim Störungsbild der währte Programme im Bereich der Recht-
LRS (䉴 Kap. 4.2) geht es allein um das schreibung sind beispielsweise die »Laut-
Richtigschreiben. Dort werden die Störun- getreue Rechtschreibförderung« von Reu-
gen der schriftsprachlichen Lese- und Recht- ter-Liehr (2001) und das »Marburger
schreibfertigkeiten gemeinsam betrachtet – Rechtschreibtraining« von Schulte-Körne
die Rechtschreibstörung gilt dabei als der und Mathwig (2004). Das erstgenannte ver-
gravierendere Teilaspekt, der häufig persis- mittelt alphabetisch-phonologische Strate-
tiert, auch wenn die begleitende Lesestörung gien, das zweite vor allem basales ortho-
einer Besserung zugeführt wurde. In der graphisches Regelwissen.
letzten Dekade sind neue Verfahren zur Um die produktive Fertigkeit, Texte flüs-
erfolgreichen Früherkennung, Prävention sig zu formulieren, geht es dagegen beim
und Behandlung von LRS entwickelt wor- »guten Schreiben«, der Kompetenz zum Ver-
den (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1998; fassen von eigenen Texten. Dass Lernschwa-
Küspert & Schneider, 1999; Marx, Jansen, che von einschlägigen Förderprogrammen
& Skowronek, 2000). Kombinierte Förder- profitieren können, zeigten z. B. Englert,
programme beruhen meist auf kognitions- Raphael, Anderson, Anthony, Steven und
psychologischen Modellen des Textverste- Fear (1991) mit dem Programm CSIW (Co-
hens und des Schriftspracherwerbs. Wo sie gnitive Strategies Instruction in Writing).

473
Teil II Lehren

CSIWarbeitet mit sogenannten Think Sheets der (2007) richtet sich als Frühförder- bzw.
(Merkzetteln), die in standardisierter Form Präventionsprogramm auf die Vorläuferfer-
konkrete Arbeitshilfen zum Planen des tigkeiten des Rechnens, lässt sich aber auch
Schreibens, zum Ordnen von Informationen, noch bei rechenschwachen Grundschulkin-
zum eigentlichen Schreibprozess sowie zum dern einsetzen, ähnlich wie das »Dortmun-
Überarbeiten und Korrigieren des Geschrie- der Zahlbegriffstraining« von Moog und
benen geben. Schulz (2005). Zur Unterstützung bei der
Grahams SRSD-Programm (Self-Regula- Lösung algebraischer Aufgaben und bei
ted Strategy Development) zur Förderung Textaufgaben – also bei Rechenschwierig-
des Aufsatzschreibens liegt ein dreistufiges keiten älterer Kinder – haben sich Techniken
Metaskript der Selbstregulation im Sinne der Selbstinstruktion bewährt. Montague
einer handlungsleitenden Routine zugrunde: (1997) gibt den Lernschwachen eine sieben-
Halt (Stop), erst Denken (Think) und dann schrittige Arbeitsroutine an die Hand, um
erst Schreiben (Graham, Harris & MacArt- Textaufgaben zu bearbeiten:
hur, 2008). Davon würde sicher auch man-
che wissenschaftliche Arbeit profitieren! 1. Lies die Aufgabe!
2. Wiederhole sie in eigenen Worten!
Rechnen. »Alle erfolgreich Lernenden äh- 3. Mach dir ein Bild davon!
neln einander; jeder mit Rechenschwierig- 4. Plane die Lösungsschritte!
keiten hat aber auf seine eigene Art Schwie- 5. Schätze das Ergebnis!
rigkeiten.« So könnte man in Anlehnung an 6. Rechne!
Tolstois ersten Satz der Anna Karenina die 7. Überprüfe das Ergebnis!
Verschiedenartigkeit von Rechenschwierig-
keiten umschreiben (䉴 Kap. 4.2). Deshalb Jeder der sieben Schritte beinhaltet ein auto-
kann es auch kein übergreifendes Förder- matisiert-selbstinstruktives »Sagen-Fragen-
programm geben, das allen Schwierigkeiten Prüfen«-Schema, um die notwendigen me-
gerecht wird. Schwierigkeiten können schon takognitiven Aktivitäten sicherzustellen (al-
bei den Vorläuferfertigkeiten des mathema- so konkret: »Sage dir: Lies die Aufgabe!«,
tischen Denkens auftreten, also beim Erwerb »Frage dich: Habe ich die Aufgabe gelesen
des Zahlbegriffs und der Zählfertigkeit. Es und verstanden?«, »Prüfe nach: Welche Auf-
gibt basale arithmetische Rechenschwächen gabe soll ich lösen?«). Auch in der zusam-
bei Operationen im Zahlenraum bis 20, es menfassenden Übersicht von Mastropieri et
gibt strategische Defizite bei der Anwendung al. (1998) wird auf selbstinstruktive Coping-
der Grundrechnungsarten im Zahlenraum Strategien hingewiesen, um der weit verbrei-
bis 100 und bei der Automatisierung des teten Mathematik-Ängstlichkeit zu begeg-
kleinen Einmaleins, es gibt Schwierigkeiten nen. Ein Beispiel:
beim Verstehen von Textaufgaben und beim Nicht nervös werden. Denk daran, deinen Plan
Verstehen geometrischer Aufgaben und an- zu benutzen. Mach es Schritt für Schritt –
deres mehr (Geary, 2003, 2010; Lorenz, immer nur eine Frage auf einmal. Lass deine
2004; Landerl & Kaufmann, 2008). Inter- Augen nicht zu den anderen Aufgaben wan-
dern. Denke nicht darüber nach, was die an-
ventionsmaßnahmen bei Rechenschwierig-
deren machen. Gehe Schritt für Schritt vor.
keiten müssen sich nach der Art der Störung Wenn du merkst, dass dir die Tränen kommen,
richten (Mastropieri et al., 2008; Fuchs & [. . .] hol tief Luft und sage dir: »Ich mache es
Fuchs, 2003; Lorenz & Radatz, 1993; Stern, gut. Alles wird gut«. (Mastropieri et al., 1998,
Hasemann & Grünke, 2004). Das Förder- S. 433)
programm »Mengen, Zählen, Zahlen«
(MZZ) von Krajewski, Nieding und Schnei-

474
8 Besonderheiten des Lehrens

Insgesamt lässt sich resümieren, dass die schule oder aber schulorganisatorisch sepa-
lernschwächeren Kinder wohl am meisten riert an einer Förderschule stattfindet, ist
aus einer Kombination adaptiven Unter- eher zweitrangig. In jedem Fall ist ein maß-
richts, der ihre speziellen Bedürfnisse be- geschneidertes Vorgehen ratsam, weil es un-
rücksichtigt und – wo erforderlich – unter- terschiedliche Erscheinungsformen von
richtsadditiven spezifischen Förderprogram- Lernschwierigkeiten gibt und den Lern-
men zur Bearbeitung ihrer individuellen und Leistungsproblemen unterschiedliche
Schwächen profitieren. Ob der Unterricht Ursachen zugrunde liegen können.
dabei in integrierter Form an einer Regel-

Zusammenfassung
Besonderheiten des Lehrens ergeben sich aus der Unterschiedlichkeit der Lernenden.
Kognitive Trainings sind eine besondere Form der individualisierten, oft unterrichts-
additiven Intervention. Sie zielen auf eine nachhaltige Verbesserung grundlegender kogni-
tiver Fertigkeiten und Funktionen. Die individuellen Voraussetzungen erfolgreichen Ler-
nens (Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Lernstrategien) sind die wesentlichen Inhalts-
bereiche kognitiver Trainings. Besonders erfolgreich sind sie dann, wenn eine Einbindung
metakognitiver Kompetenzen der Selbstkontrolle und Lernregulation gewährleistet ist.
Maßnahmen zur Förderung von Lernmotivation und Interesse zielen entweder auf die
motivationsförderliche Gestaltung von Unterricht oder auf die Veränderung individueller
motivationaler Dispositionen. Sind die motivationalen Dispositionen ungünstig (Miss-
erfolgsängstlichkeit), können Trainingsprogramme zur Steigerung des Selbstverursa-
chungserlebens, zur Änderung dysfunktionaler Attributionsmuster und zur Veränderung
von Gütemaßstäben durchgeführt werden.
Ob Mädchen und Jungen von einer gemeinsamen Unterrichtung (Koedukation) mehr
oder weniger profitieren, wird schon seit langem diskutiert – unter sich ändernden
Vorzeichen. Empirische Studien zum naturwissenschaftlichen Unterricht in der Mittelstufe
deuten darauf hin, dass monoedukativ unterrichtete Mädchen eine weniger geschlechts-
stereotype Interessen- und Selbstkonzeptentwicklung durchlaufen als koedukativ unter-
richtete. Dafür werden vor allem die Mechanismen der unterschiedlich verlaufenden
sozialen Vergleichsprozesse verantwortlich gemacht.
Zur Abhilfe bei Lernschwächen und Leistungsstörungen steht im Unterricht im Grunde
die gesamte Palette instruktionaler Methoden zur Verfügung. Darüber hinaus kommen
unterrichtsergänzende, individualisierte Fördermaßnahmen zur Verbesserung der indivi-
duellen Lernvoraussetzungen in Frage. Es gibt Hinweise darauf, dass die Lernschwächeren
einer anleitungsorientierten, expositorischen, strukturierten und kleinschrittigen Form des
Unterrichtens bedürfen – mit vielen Übungsphasen und unmittelbaren Rückmeldungen.

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475
Fragen zur Lernkontrolle

Einleitung
● Was ist Pädagogische Psychologie? ● Welche Rolle spielt die Pädagogische Psy-
● Womit beschäftigt sich die pädagogisch- chologie in der Lehrerbildung?
psychologische Forschung?

Kapitel 1

● Thorndike hat wichtige Lerngesetze for- ● Wie kommt es nach dem Paradigma der
muliert. Welche kennen Sie? Informationsverarbeitung zum Wissens-
● Wie lassen sich Verhaltensänderungen erwerb?
durch operantes Konditionieren herbei- ● Welches sind die Kernannahmen kon-
führen? struktivistischer Lerntheorien?

Kapitel 2

● Welches sind die wichtigsten individuel- ● Was können Experten besser lernen als
len Voraussetzungen erfolgreichen Ler- Novizen? Warum?
nens? ● Was sind kognitive und metakognitive
● Welche individuellen Lernvoraussetzun- Lernstrategien?
gen sind eher zeitstabil, welche weniger? ● Wie beeinflussen motivationale und emo-
● Was versteht man unter selektiver Auf- tionale Zustände und Dispositionen das
merksamkeit? Lernen?

476
Fragen zur Lernkontrolle

Kapitel 3

● Welche Rolle spielt die Begabung beim ● Was sind bereichsübergreifende Kom-
Erwerb einer bereichsspezifischen Exper- petenzen?
tise? ● Wie funktioniert Lerntransfer?
● Was ist die Idee der formalen Bildung?

Kapitel 4

● Welches sind die zentralen Wendepunkte ● Worin unterscheiden sich Hochbegabte


in der Entwicklung der individuellen Vo- von anderen Lerner?
raussetzungen erfolgreichen Lernens? ● Mit welchen Einschränkungen des Ler-
● Welches sind die Ursachen von Lernstö- nens muss man im höheren Erwachsenen-
rungen und Lernschwierigkeiten? alter rechnen?

Kapitel 5

● Ist Lehren eine Kunst oder eine Wissen- ● Was versteht man unter Prozess-Produkt-
schaft? Forschung?
● Welche grundlegenden Auffassungen ● Welches sind die Dimensionen der Unter-
über Lehren und Lernen lassen sich un- richtsqualität?
terscheiden? ● Was sind die wichtigsten Voraus-
setzungen erfolgreichen Lehrens?

Kapitel 6

● Was kennzeichnet die darstellenden (dar- ● Wofür steht ATI? Was hat die ATI-For-
bietenden) Unterrichtsmethoden? schung herausgefunden?
● Was zeichnet die entdeckenlassenden und ● Beschreiben Sie die Methode des wech-
problemorientierten Unterrichtmethoden selseitigen (reziproken) Lehrens!
aus? ● Welches sind die Basismerkmale und Vo-
● Worum ging es in der Kontroverse zwi- raussetzungen kooperativen Lernens?
schen Ausubel und Bruner?

477
Fragen zur Lernkontrolle

● Beschreiben Sie eine kooperative Me- ● Beschreiben Sie die Rolle von Lernstrate-
thode! gien beim selbstregulierten Lernen!

Kapitel 7

● Wann ist ein Kind schulfähig oder schul- ● Welche Verhaltensregeln und -routinen
bereit? erleichtern eine effiziente Klassenfüh-
● Unterricht verfolgt unterschiedliche Ziele rung?
zur gleichen Zeit. Sind sie miteinander ● Worin liegen Vorteile standardisierter
vereinbar? Testverfahren bei der Überprüfung schu-
● Nennen Sie die wichtigsten Determinan- lischer Leistungen?
ten schulischer Leistungen! ● Beschreiben Sie Mayers Modell des multi-
● Beschreiben Sie das Angebots-Nutzungs- medialen Lernens!
Modell unterrichtlicher Wirkungen! ● Beschreiben Sie Swellers Theorie der men-
● Optimal- oder Positivklassen: Wie unter- talen Belastung (Cognitive Load Theory)!
richten die Meisterlehrer?

Kapitel 8

● Was ist der Unterschied zwischen Trai- naturwissenschaftlichen Unterricht erhal-


ning und Coaching? ten?
● Beschreiben Sie die Technik der verbalen ● Was versteht man unter innerer bzw.
Selbstinstruktion! äußerer Differenzierung im Hinblick
● Wirksamkeit und Wirkung eine Trai- auf unterrichtliche oder schulorganisato-
nings: Was ist der Unterschied? rische Maßnahmen?
● Wie lassen sich ungünstige Attributions- ● Nennen Sie wichtige Prinzipien, die den
muster verändern? bewährten Förderprogrammen zur Ver-
● Warum profitieren die Mädchen, wenn besserung des Lesens, Schreibens oder
sie in gleichgeschlechtlichen Lerngruppen Rechnens zugrunde liegen!

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533
Stichwortverzeichnis

A Cognitive Theory of Multimedia Learning


(CTML) 416
Adaptivität 251, 276 – 277, 286 CORI 448
ADHS 188, 461 Corsi-Block-Aufgabe 77, 163
Advance Organizer 57, 276
Ähnlichkeit, akustische 164
Aktivierung, kognitive 247, 257, 469 D
Aktivierungsausbreitung 56
Allgegenwärtigkeit 386 – 387 darstellende Methoden 264
Angebots-Nutzungs-Modell 243, 245, 369 Dekodieren 135
Arbeitsgedächtnis 71, 74 – 75 Denktraining 357, 435 – 436
Arbeitsgedächtnis, phonologisches 78, 81, 165, Diagnose 391 – 392
177 Differenz 29
Arbeitsgedächtnis, visuell-räumliches 77, 164 Direkte Instruktion 266 – 267, 274, 468
Arbeitsgedächtnis, zentral-exekutives 82, 166 Diskrepanzkriterium 183, 185 – 186, 197
Assoziation 40, 57 Doppelkodierung 54, 412, 417 – 418
ATI-Forschung 283, 285 Double Deficit Hypothesis 192
Attributionsstil 104, 114, 171, 219 Drei-Gruppenplan 189
Aufmerksamkeit 72 – 73, 161, 214 Dyskalkulie 185, 196 – 197, 199, 201, 203
Dyslexie 190 – 191, 194

B
E
Behaviorismus 40, 44, 50 – 51
Belohnungsaufschub 176, 350 Effektstärke 31, 373
Bestrafung 44, 47 – 49 Egalisierung 362 – 364
Beurteilungsfehler 407 Einschulung 350 – 351
Bezugsnorm 174, 405 – 407 Emotionen 125, 127
Big-Fish-Little-Pond-Effekt 115 Empirische Bildungsforschung 27
BiKS-Studie 362 Entdeckungslernen 287 – 288
Bildungsgerechtigkeit 359, 363, 466 Entwicklung 160, 162
Bildungspsychologie 24 EPPE 352 – 353
Bildungsstandards 140, 361, 407 Erfolgszuversicht 111, 125, 173
Bildungsziele 361 Erwartungs-mal-Wert-Theorien 109
Binnendifferenzierung 276 – 277, 279 Erwartungseffekte 390
Burnout 258 exekutive Funktionen 83, 188
Expertise 83 – 84, 131, 137, 140

C
F
CAREful 16
Coaching 429 Feedback 250, 270, 272
COACTIV 253 – 254, 257, 259, 386, 388 Fernsehkonsum 380
Cocktailparty-Phänomen 73 formale Bildung 140, 150, 156, 291, 429
Cognitive Load Theory (CLT) 410, 412, 419, formatives Assessment 252, 469
421, 424 Frostig-Training 431

534
Stichwortverzeichnis

G Konstruktivismus 62, 66, 236 – 238, 241 – 242,


286, 288
Gedächtnis, deklaratives 55 Kontiguität 42
Gedächtnis, prozedurales 55 Kontingenz 42, 44
Gedächtnisspanne 74, 79, 162, 165 Kurzzeitgedächtnis 52, 71
generative Strategien 95
Gestaltpsychologie 62, 152
Gewissenhaftigkeit 121, 458 L
GIV-Modell 68 – 69, 71
Gruppenbelohnungen 314 Lageorientierung 124
Gruppenpuzzle 315, 320 Langzeitgedächtnis 52 – 53
Gruppenrallye 314, 318 Lautlese-Tandems 318, 471
Gruppenrecherche 316 Legasthenie 185, 190 – 191
Lehr-Lern-Forschung 25, 28, 228
Lehrerbildung 17, 22, 253, 259, 373, 378
H Lehrerpersönlichkeit 230, 253, 377
Lehrfunktionen 235
Handlungskontrolle 175, 464 Leistungsmotiv 110, 119
Handlungsorientierung 124 Leistungsmotivation 171
Heterogenität 29, 252, 279 Lernbehinderung 180, 185 – 186
High/Scope Perry Preschool Projekt 354 Lernen, kooperatives 308, 310
Hilflosigkeit, erlernte 47, 124 Lernen, massiertes 61
Hippocampus 43, 53 – 54, 126 Lernen, situiertes 304, 306 – 307
Hochbegabung 204, 206 – 207 Lernen, verteiltes 61 – 62
Lernmotivation 104
Lernschwierigkeiten 179, 460
I Lernstile 103
Lernstörung 180 – 181, 184
IGLU 18, 23, 367, 450 Lernstrategien 92, 99
Informationsverarbeitung 51, 53, 56, 62, 71, Lerntypen 101, 104
327 Leseflüssigkeit 133, 471
Inklusion 460, 466 Lesen 131, 134
Instructional Design 233 – 234, 240 Lesestrategien 10, 473
Intelligenz 85, 87, 137 LOGIK-Studie 362
Intelligenz, fluide 212 Lösungsbeispiele 293 – 294
Intelligenz, kristallisierte 212 LRS 190 – 191, 193 – 194, 209, 473
Interdependenz, positive 309 – 310, 315, 317,
319
Interesse 105 – 106, 442, 449 M
INVO-Modell 36, 70, 90, 197
Mastery Learning 235, 281
Mediationsdefizit 99, 168, 218
K Medien 379 – 380, 409 – 410, 412, 414
Mehrebenenanalyse 367
Kausalattributionen 113 Metaanalyse 31, 104, 272, 323, 372
Kindertageseinrichtung 351 – 354, 357 Metagedächtnis 170
Klassenführung 251, 381 Metakognitionen 95 – 98, 157, 178
Kodalität 411 – 413 Misserfolgsängstlichkeit 111, 125, 173
Koedukation 450, 453 – 454 Mnemotechniken 57, 60, 93
kognitive Elaboration 314 Modalität 411, 413
kognitive Meisterlehre 297 Modalitätseffekt 418
Kompetenzen, bereichsübergreifende 143 – 145 Modell-Lernen 50 – 51
Komponentenmodelle SRL 334 Motivation, extrinsische 108
Konditionierung 41 – 42 Motivation, intrinsische 107, 444
Konstruktionshypothese 89 Muster-Rekonstruktionsaufgabe 77 – 78, 163
konstruktive Unterstützung 249, 257

535
Stichwortverzeichnis

N S

Normierung 396, 401, 404 Scaffolding 275, 298, 465, 470


Nutzungsdefizit 100, 168 Schema 63 – 64
Nutzungsineffizienz 218 Schlüsselqualifikationen 141 – 142
Schlüsselwortmethode 93, 437
SCHOLASTIK-Studie 374 – 375, 377 – 378
O Schulbereitschaft 348, 350 – 351
Schulfähigkeit 347 – 348
Oberflächen-Dyslexie 195 Schulreife 347
Objektivität 401 Selbstbestimmungstheorie 108, 317
Offener Unterricht 291 Selbsterklärungen 294
Optimalklassen 363 Selbstinstruktion 431, 464
Selbstkonzept 114 – 115, 118, 454 – 456
Selbstregulation 122, 178, 325 – 327, 341 – 342,
P 463
Selbststeuerung 325, 327
Pädagogik 16, 25, 227 Selbstverursachung 107, 446
Peer-Assisted Learning 324 Sichtstrukturen 246, 252, 373, 376
phonologische Bewusstheit 132, 192 – 193, 357, Skriptkooperation 317
472 SOI-Modell 327, 416
phonologische Dyslexie 195 Sommerloch-Effekt 359
phonologisches, phonetisches Rekodieren 133, soziale Kohäsion 314
192 Strategie-Emergenz-Theorie 169, 171
PISA 18, 23, 27, 367, 451 Strukturierungsstrategien 93
Positivklassen 377
Produkt-Forschung 231
Produktionsdefizit 99, 168, 218 T
Produktivitätsmodell 372, 379
Programmierter Unterricht 281 TEDS-M 256, 259
Propositionen 54 Teilleistungsstörungen 182, 185
Prozess-Produkt-Forschung 232 – 233, 246, 272 Test 392 – 393, 400, 404
Prozessmodelle SRL 329, 333 Textdetektive 473
psychologische Didaktik 239 THOP 461
Tiefenstrukturen 246, 252, 373, 375
TIMSS 18, 23, 27, 367
Q TmaK 434, 461
Tools of the Mind 355
QAIT-Modell 246, 370 Transfer 146 – 147, 149 – 151, 154
Qualifizierung 362 – 364 Triple-Code 200

R U

Reattribuierung 447 Üben 138 – 139, 144, 269, 271


Rechenstörung 196 – 197, 199 Überoptimismus 173 – 174, 177
Rechnen 135 Überveranlassung 107
Reciprocal Teaching 299, 301, 438 Unterrichtsqualität 245 – 246, 371
Regeln 383 – 384, 388 Ursachenzuschreibungen 172, 219
Reibungslosigkeit 386
Reliabilität 401 – 402
Risiko-Wahl-Modell 109 – 110 V
Routinen 383 – 384, 388
Rubikon-Modell 120 Validität 395, 401, 403 – 404
Vergessen 58 – 59
Verstärkung 44 – 46
Verstehensanker 302

536
Stichwortverzeichnis

Verursachungserleben 107 Wissenskonstruktion 241


Volition 119, 121 Worterkennung 195, 471
Vorwissen 84, 86, 88 – 89, 167 Wortlängeneffekt 80, 189

W Z

Weisheit 217 Zone der nächsten Entwicklung 312


Wendepunkte 177 Zuhören 269
Wenn-Dann-Pläne 342 Zwei-Wege-Modell 133

537

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