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Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch.

Buch vom Mönchischen Leben (1899)

1.

Da neigt sich die Stunde und rührt mich an


mit klarem, metallenem Schlag:
mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann -
und ich fasse den plastischen Tag.

Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,


ein jedes Werden stand still.
Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut
kommt jedem das Ding, das er will.

Nichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem


und mal es auf Goldgrund und groß,
und halte es hoch, und ich weiß nicht wem
löst es die Seele los...

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„Die Gebete“ – so war der Arbeitstitel für das erste Buch von
Rilkes Gedichtzyklus „Stundenbuch“. Ein Titel, der Programm
ist – was Form und Inhalt betrifft.

Der Zyklus entfaltet sich in wachsenden Kreisen –


im Gegenüber zwischen lyrischem Ich und dem „Du“, welches
in seiner dunklen Unendlichkeit und Tiefe öfters als „Gott“
bezeichnet wird. In diesem Gebets-Zwiegespräch werden die
Gedanken, wird letztlich das „Ich“ und das „Gegenüber-Gott“
geformt: ringend und lassend, im Gegenüber sich findend.

Immer wieder aber scheint eine Gefahr auf:


dass sich etwas zwischen beide schiebt: ein Bild, eine Wand;
vom ängstlichen „Ich“ gebaut , weil die Unbegreifbarkeit und
Dunkelheit des Gegenübers so schwer tragbar, ertragbar ist.
Das Bild trägt zwar das Antlitz des Anderen, aber es ist erstarrt,
eindimensional – und es verdeckt die wahre, unendliche Tiefe
des Gegenübers.

Die Bilder und Vorstellungen, die wir von Gott, von anderen,
von uns selbst machen, bauen sich wie Wände zwischen uns.

„Du sollst Dir kein Bildnis machen“ – immer wieder gilt es,
diesem Gebot gemäß, Wände einzureißen – in der Liebe: Liebe
als Gegenteil davon, sich vom Anderen ein Bild zu machen.
Liebe lässt. In den Worten von Max Frisch:

Vieles sieht der Liebende wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus
jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das
eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht
fertigwerden; ... So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche
Geräumigkeit:
schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar
So ist der Mensch, den man liebt –
Nur die Liebe erträgt ihn so.

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2.

Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen,


du Dämmernde, aus der der Morgen stieg.
Wir holen aus den alten Farbenschalen
die gleichen Striche und die gleichen Strahlen,
mit denen dich der Heilige verschwieg.

Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände;


so daß schon tausend Mauern um dich stehn.
Denn dich verhüllen unsre frommen Hände,
so oft dich unsre Herzen offen sehn.

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„Du, Nachbar Gott“...

Mystische Erfahrung kennt keinen Abstand zum Andern, weiß


keine Trennung: Nicht von den Dingen, nicht vom
Mitmenschen, nicht von Gott.

Vielmehr Erfahrung von Einheit: dass Gott in allem „Nachbar“


ist. Nur eine schmale Wand trennt uns von ihm – stets bereit,
einzustürzen.

Das ewige Jetzt Gottes in allem:


Gott will in jedem Moment in unser Jetzt hineinbrechen;
Einbruch, zart und gewaltsam zugleich.

Zugleich aber unsere Reaktion: dass wir von neuem Mauern


bauen, Trennungen errichten – und so die Offenheit und
Verletzlichkeit, das Jetzt – und Gott nicht wagen.

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3.

Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal


in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, -
so ist's, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
Ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.

Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,


durch Zufall; denn es könnte sein:
ein Rufen deines oder meines Munds -
und sie bricht ein
ganz ohne Lärm und Laut.

Aus deinen Bildern ist sie aufgebaut.

Und deine Bilder stehn vor dir wie Namen.


Und wenn einmal das Licht in mir entbrennt,
mit welchem meine Tiefe dich erkennt,
vergeudet sichs als Glanz auf ihren Rahmen.

Und meine Sinne, welche schnell erlahmen,


sind ohne Heimat und von dir getrennt.

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Ein berühmtes Gedicht Rilkes, „Der Schauende“, befasst sich
mit dem Jakobskampf: Der biblische Jakob ringt mit Gott, mit
seinem Schatten – und erhält in diesem Kampf einen neuen
Namen, erhält wahre Identität.

Hier zeigt sich ein immer Wiederkehrendes in Rilkes Oeuvre:


Ringend, besiegt von immer Größerem werden wir „Ich“. Den
Weg Jakobs gehen: Wie er seinen wahren Namen erhalten,
indem wir mit dem Höchsten ringen, von ihm besiegt werden.

Das Unsere im Leben ist nicht: tun und machen,


sondern: stumm zu dulden, was an uns durch das Größere
vollzogen sein will.
Damit im Besiegt-Werden Wahres durchbrechen kann – durch
die Hüllen und Selbstbilder, die uns bedecken und klein
machen.

Und dass letztlich Wir in Gott hineingebrochen werden und


Gott durch uns, in uns wachse.

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4.

Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,


an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;
du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,
du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,
du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,
du dunkles Netz,
darin sich flüchtend die Gefühle fangen.

Du hast dich so unendlich groß begonnen


an jenem Tage, da du uns begannst, -
und wir sind so gereift in deinen Sonnen,
so breit geworden und so tief gepflanzt,
daß du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.

Laß deine Hand am Hang der Himmel ruhn


und dulde stumm, was wir dir dunkel tun.

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Ein Impuls im Menschen sagt:
das Widrige, Unangenehme; das, was nicht in das eigene
System passt, gilt es auszuschalten, zu verdrängen.

Ganz anders die Mystik, ganz anders der Philosoph und


Theologe Nikolaus von Kues am Ende des Mittelalters:
In Gott vereinen sich die Gegensätze. Das Eine Gottes ist nur
dadurch unendlich, dass es zugleich auch das Viele ist – es
zulässt, und sich seiner Fülle freut. Gott ist Einfaltung
(complicatio) der Welt, die Welt Ausfaltung (explicatio) Gottes.

Erst in der Einfaltung der Vielheit ist Frieden, Ruhe –


dankend versöhnt in „wachsenden Ringen“ –
und dabei in allem sich immer mehr empfangend.

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5.

Wer seines Lebens viele Widersinne


versöhnt und dankbar in ein Sinnbild faßt,
der drängt
die Lärmenden aus dem Palast,
wird anders festlich und du bist der Gast,
den er an sanften Abenden empfängt.

Du bist der Zweite seiner Einsamkeit,


die ruhige Mitte seinen Monologen;
und jeder Kreis, um dich gezogen,
spannt ihm den Zirkel aus der Zeit.

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„Unruhig ist unser Herz“ – so fasst Augustinus in seinen
„Bekenntnissen“ eine Grunderfahrung seines bewegten Lebens
zusammen.

„Unruhig ist unser Herz“ – so ist auch unsere Erfahrung.


Gerade in der Stille, der Ruhe der Muse und der Meditation
scheinen nur umso tiefer unsere tiefe Unruhe, unsere
kreisenden Gedanken auf.

Und zugleich: in allem Orkan unseres Lebens als deren Auge -


die Sehnsucht nach der Stille:
„Wenn es nur einmal so ganz stille wäre...“

Dann wäre in dieser Stille zugleich


verschenken
und empfangen –
und besitzen, nur ein Lächeln lang.

Besitzen, um wieder zurückzuschenken.


Denn nur schenkend - besitzen wir.

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6.

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.


Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -:

Dann könnte ich in einem tausendfachen


Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.

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„Gottes Wesen ist Schenken“ – so ein Grundsatz von Meister
Eckharts Mystik. Sich verschenkend gebiert Gott sich im Wort,
im Sohn, in die Welt. Gott als Liebe konnte nicht anders, als
verschenkend -liebend sein.

Ähnlich der Dichter:


Das Nichts als Gegenüber war nach Rilke für den Schöpfer-
Gott wie eine Wunde.
Das „Werde!“ des Gegenübers wie Heilung – Heilung der
Verletzung Gottes.
Geburt Gottes und meiner Selbst.

Im Gegenüber ist Ruhe, Heilung – und Wachstum.

Im Folgenden dann wunderbar musikalisch zum Ausdruck


gebracht: Wie in Bachs Sarabande im Gegenüber
Melodie- und Basslinie sich anschauend Ruhe und Wachstum
finden.

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7.

Gott, wie begreif ich deine Stunde,


als du, daß sie im Raum sich runde,
die Stimme vor dich hingestellt;
dir war das Nichts wie eine Wunde,
da kühltest du sie mit der Welt.
Jetzt heilt es leise unter uns.

Denn die Vergangenheiten tranken


die vielen Fieber aus dem Kranken,
wir fühlen schon in sanftem Schwanken
den ruhigen Puls des Hintergrunds.

Wir liegen lindernd auf dem Nichts,


und wir verhüllen alle Risse;
du aber wächst ins Ungewisse
im Schatten deines Angesichts.

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Jeder ist ein Wort Gottes.
Hineingesprochen, gesandt in die Welt, Gott Stimme, Gewand
zu geben.

„Geh bis an der Sehnsucht Rand; gib mir Gewand..


Lass dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken ...
Kein Gefühl ist das fernste“

Wie in einem grandiosen Schlussakkord fasst Rilke am Ende


seines ersten Teils des „Stundenbuches“ nochmals alle
Gedanken in eins:
Schöpfung im ewigen Werden
„Nah ist das Land,
das sie das Leben nennen“

Und wie zum Tanz der Schöpfung, in dem wir werden, im dem
alles wird,
lädt Gott zum Tanz und spricht:
„Gib mir die Hand“

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8.

Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht,


dann geht er schweigend mit ihm aus der Nacht.
Aber die Worte, eh jeder beginnt,
diese wolkigen Worte, sind:

Von deinen Sinnen hinausgesandt,


geh bis an deiner Sehnsucht Rand;
gib mir Gewand.

Hinter den Dingen wachse als Brand,


daß ihre Schatten ausgespannt,
immer mich ganz bedecken.

Laß dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken.


Man muß nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste.
Laß dich von mir nicht trennen.
Nah ist das Land,
das sie das Leben nennen.

Du wirst es erkennen
an seinem Ernste.

Gib mir die Hand.

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