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Uwe Wirth (Hg.

Komik
Ein interdisziplinäres Handbuch
Uwe Wirth (Hg.)

Komik
Ein interdisziplinäres Handbuch
Unter Mitarbeit von Julia Paganini
Mit 45 Abbildungen

J. B. Metzler Verlag
Der Herausgeber
Uwe Wirth ist Professor für Neuere Deutsche Literatur
und Kulturwissenschaft am Institut für Germanistik,
Justus-Liebig-Universität Gießen.

Bibliografische Information
der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
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über http://dnb.d-nb.de abrufbar. J. B. Metzler ist Teil von Springer Nature. Die eingetragene
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ISBN 978-3-476-02349-0 www.metzlerverlag.de
ISBN 978-3-476-05391-6 (eBook) info@metzlerverlag.de

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Inhalt

Vorwort IX 16 Psychologie, Medizin, Hirnforschung


Willibald Ruch / Jennifer Hofmann 89
16.1 Der Lustigkeitseindruck 89
I Grundbegriffe des Komischen 16.2 Lächeln 90
16.3 Lachen 92
1 Komik Tom Kindt 2 16.4 Erheiterung 93
2 Humor Tom Kindt 7 16.5 Struktur und Prozesse: Die Verarbeitung
3 Witz Stefan Willer 11 von Komik 94
4 Ironie Uwe Wirth 16 16.6 Motivationale Prozesse 95
5 Satire Rüdiger Zymner 21 16.7 Stimmung und Persönlichkeit 96
6 Parodie Uwe Wirth 26 16.8 Humor als Tugend/Charakterstärke 96
7 Komödie/Tragikomödie Bernhard Greiner 30 16.9 Messverfahren 97
8 Das Groteskkomische Günter Oesterle 35 16.10 Weitere Aspekte einer Psychologie des
9 Spaßmacher Hans Rudolf Velten 42 Humors 98
10 Lachen Christiane Voss 47 17 Komik, Witz und Humor in der Psychoanalyse
11 Dummheit Uwe Wirth 52 Michael Wetzel 101
12 Wortspiel Alexander Brock 56 17.1 Freuds ursprüngliche Einsicht 101
13 Sarkasmus Burkhard Meyer-Sickendiek 61 17.2 Sparsamkeit und Verausgabung 105
17.3 Andere Schauplätze des Lachens 108
18 Linguistik und Humor Helga Kotthoff 112
II Methodische Zugänge zum Komischen 18.1 Sprachspiele, Rahmungsspiele,
Necken 112
14 Philosophie Achim Geisenhanslüke 68 18.2 Pointen und (semantische) Inkon-
14.1 Zum Begriff der Komik 68 gruenzen 113
14.2 Komik und Witz in der Philosophie 68 18.3 Humor, Ironie und die Griceschen
14.2.1 Komik und Witz in der englischen Maximen der Kommunikation 115
Aufklärung: Shaftesbury, Addison, 18.4 Komik, Humor und Ironie in der
Hutcheson 69 Interaktionsforschung 117
14.2.2 Kant, der Witz und das Wissen 71 18.5 Humor in der Gruppe und in den
14.2.3 Ästhetik des Komischen: F. Schlegel Medien 118
– Schopenhauer – Nietzsche 72 18.6 Lachen im Gespräch 119
14.2.4 Witz bei Bergson und Freud 73 19 Literaturtheorie 122
14.2.5 Anthropologie des Witzes: Plessner, 19.1 Rhetorisch-poetologische Ansätze
Ritter und Marquard 75 Arne Kapitza 122
15 Anthropologie 19.2 Sprechakttheorie und Komiktheorie 125
Tom Kindt / Robert Vellusig 78 19.3 Bachtins Ansatz im Spannungsfeld von
15.1 Bioanthropologie 78 Karneval und Literatur 128
15.2 Philosophische Anthropologie 80 19.4 Neuere (analytische, systemtheoretische,
15.3 Anthropologische Psychologie 83 performanztheoretische) Ansätze
15.4 Kulturanthropologie 86 Uwe Wirth 129
VI Inhalt

20 Komik, Gesellschaft und Politik 23.1.5 Komödie im 20. Jahrhundert


Arne Kapitza 134 Bernhard Greiner 199
20.1 Konventionelle Rahmen und 23.1.6 Commedia/Kabarett/Comedy/
machttheoretische Aspekte 134 Vaudeville Arne Kapitza 210
20.2 Komik und Institution (rechtlicher 24 Komik mit musikalischen Mitteln
Rahmen, Zensur, Freiräume) 136 Rainer Dachselt 220
20.3 Komik und Religion 137 24.1 Musik und Komik 220
20.4 Komik und Moral 139 24.2 Darstellende und absolute Musik: kann und
20.5 Schichtenspezifische Komik 140 soll Musik komisch sein? 221
20.6 Komik der Mächtigen/Ohnmächtigen 142 24.3 Tonmalerei und Programmmusik 224
20.7 Komik und Gewalt 144 24.4 Humoreske, Burleske, Groteske, Scherzo –
21 Humor und Geschlechterverhältnisse der Unernst in der Musik 226
Helga Kotthoff 147 24.5 Komik in der Vokalmusik 227
21.1 Stabilität und Wandel 148 24.6 Komik und Tanz 232
21.2 Humorentwicklung bei Kindern 149 25 Komik mit lyrischen Mitteln
21.3 Humor und »indexing gender« 150 Christian Maintz 234
21.4 Dimensionen von Gender 151 25.1 Komische Lyrik – ein Gattungs-
21.4.1 Status 151 problem? 235
21.4.2 Spott, Frotzeln, Humor mit 25.2 Formen und Techniken
Biss 154 komischer Lyrik 236
21.4.3 Milieuunterschiede in der Privat- 25.3 Volkstümliche Scherzdichtung 239
welt 155 25.4 Traditionslinien lyrischer Hoch-
21.4.4 Sexualität und romantisches komik 242
Interesse 155 26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 250
21.4.5 Lachen 156 26.1 Satirischer/Parodistischer Roman 250
22 Die Komik der Kultur Deniz Göktürk 160 26.1.1 Antike Peter von Möllendorff 250
22.1 Zur sozialen Dynamik von Komik: 26.1.2 Mittelalter, Frühe Neuzeit,
mit Dr. Freud im Eisenbahnabteil 160 Barock Hans Rudolf Velten 255
22.2 Rollenspiel und Inszenierung: die 26.1.3 18./19. Jahrhundert 263
komischen Grenzen der Gemein- 26.1.4 20. Jahrhundert Anja Gerigk 273
schaft 163 26.2 Kurze Prosaformen der Komik
22.3 Verkehrter Blick: (post-)koloniale Rolf Lohse 284
Figurationen 166 26.3 Anthologien des Komischen
22.4 Szenen türkisch-deutscher Friedrich W. Block 290
Desintegration 168 27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln
22.5 Die Komik der Politik in Zeiten des Lutz Ellrich 295
Internets 170 27.1 Komische Formen in Druck und
Malerei 299
27.1.1 Bildende Kunst in der Antike
III Mediale Formen des Komischen Karin Schlott 299
27.1.2 Bildende Kunst im Mittelalter und in
23 Komik mit theatralen Mitteln: Körper – der frühen Neuzeit
Inszenierung – Interaktion Lutz Ellrich 174 Anja Grebe 303
23.1 Komödie 178 27.1.3 Komik in Kunst und Karikatur des
23.1.1 Antike Komödie 178 18. und 19. Jahrhunderts
23.1.2 Nea und Römische Komödie Oliver Zybok 309
Peter von Möllendorff 181 27.1.4 Komik in der Kunst und Karikatur
23.1.3 Theater im Mittelalter seit Beginn des 20. Jahr-
Werner Röcke 183 hunderts Oliver Zybok 319
23.1.4 Komödie vom 17. bis zum 19. Jahr-
hundert Bernhard Greiner 189
Inhalt VII

27.1.5 Zeitungs- und Zeit- 27.3.10 Komische Formate im Fernsehen


schriftenkolumnen, Witzseiten (Frankreich, Italien, Spanien)
Nils Jablonski 329 Julia Paganini 379
27.1.6 Humor- und Satirezeitschriften 27.4 Komische Formen im Rundfunk 383
Nils Jablonski 331 27.4.1 ›Radiokomik‹ 383
27.2 Comics Ole Frahm 339 27.4.2 Komik im deutschsprachigen
27.2.1 Definition 339 Radio Rainer Dachselt 384
27.2.2 Wissenschaftsfeld 340 27.4.3 Komik im US-amerikanischen
27.2.3 Charakteristika der Comics 341 Rundfunk 392
27.2.4 Historischer Überblick 345 27.4.4 Komik im britischen Rund-
27.2.5 Das Komische im Comic 348 funk Ingo Berensmeyer 395
27.3 Komik mit filmischen Mitteln 350 27.5 Die Komik der digitalen Medien
27.3.1 Grundlegung – frühe Kinemato- Friedrich W. Block / Nils Jablonski 397
graphie – Stummfilm 350 27.5.1 Kann eine Maschine Humor
27.3.2 Die Urszene der Film-Komik 351 haben? 397
27.3.3 Die englischen Pioniere komischer 27.5.2 Neue Karrieren des
Perspektiven 355 Komischen 397
27.3.4 Entwicklungen der Filmkomik im 27.5.3 Diabolisierung digitaler
neuen Veranstaltungsort Kino 356 Medien 399
27.3.5 »Comedy’s Greatest Era« 357
27.3.6 Buster Keaton 358
27.3.7 Ethnische Komik im Stumm- IV Anhang
film 360
27.3.8 Der Tonfilm Abbildungsverzeichnis 404
Hansmartin Siegrist 360 Autorinnen und Autoren 406
27.3.9 Komische Formate im Fernsehen Personenregister 408
(USA, GB, Deutschland)
Ingo Berensmeyer 370
Vorwort

»Nichts komischer als eine Theorie des Komischen – misch wirken (und deshalb Lachen auslösen), machen
wer zu diesen Worten auch nur andeutungsweise mit eben jene Regeln, die im Rahmen einer Kultur implizit
dem Kopf genickt hat, ist bereits gerichtet«, schreibt R. als gültig vorausgesetzt werden, explizit. Mit anderen
Gernhardt in seiner Essay-Sammlung Was gibt’s denn Worten: Was wir komisch finden gibt Aufschluss über
da zu lachen? (1988, 449). Gerichtet ist aber natürlich unseren kulturellen Deutungsrahmen. Eben hierin
auch der, der zu den Worten: »Nichts wichtiger als ein kann auch die selbstreflexive Funktion von ritualisier-
Handbuch Komik« versäumt zu nicken – oder sogar ten Formen der ›Komisierung‹ gesehen werden: etwa
den Kopf schüttelt. Denn der- oder diejenige hat of- der mittelalterliche Karneval als kollektive Verkeh-
fenbar nicht begriffen, was Komik als Forschungs- rung der herrschenden Gesellschaftsordnung. Die
gegenstand ist: der Brückenkopf für jede Erforschung hier erprobten Praktiken, um Gegenwelten in Szene
der Kultur – v. a. der eigenen. zu setzen, finden dann – so lautet zumindest eine der
Wenn es, wie C. Geertz behauptet, zur Aufgabe der viel diskutierten Thesen M. Bachtins (vgl. 1985, 45) –
Kulturwissenschaften gehört, die Kultur eines Volkes ihr re-entry im Modus literarischer Vielstimmigkeit,
»zu verstehen« (1983, 21), dann erfordert dies ein Ver- die unterschiedliche kulturelle Stimmen im Rahmen
fahren der ›Dichten Beschreibung‹, das verständlich von Literatur gleichberechtigt zu Wort kommen lässt.
machen kann, warum über bestimmte Regelabwei- Es ist schon erstaunlich, dass es trotz der Nobilitie-
chungen gelacht wird – und über andere nicht. Eine rung des Themas Komik durch Philosophie und Lite-
derartige Beschreibung von Kultur impliziert, dass die raturtheorie seit Ende der 1970er Jahre (deren sicht-
Beteiligten und die Beobachtenden in der Lage sind, bares Zeugnis der Poetik- und Hermeneutik-Band
über die Rahmenbedingungen der eigenen Kultur Das Komische ist, der 1976 erschien) und trotz der in
nachzudenken – und d. h. auch darüber, aus welchen die Hunderte gehenden Publikationen zum Themen-
Gründen ihnen bestimmte Handlungen und Äuße- feld Komik, Witz, Humor, Ironie, Parodie, Satire, Gro-
rungen komisch erscheinen. Die Voraussetzung hier- teske, Lachkultur bislang noch kein ›Handbuch Ko-
für ist, wie man im Anschluss an E. Goffman sagen mik‹ gibt. Entweder wurde versäumt, die Frage ›Wol-
könnte, eine Analyse kultureller Rahmungsprozesse. len Sie nicht mal ein Handbuch Komik herausgeben?‹
Rahmungsprozesse vollziehen sich demnach als mo- zu stellen, oder die Gefragten versäumten zu nicken.
dulierende Transformationen, bei denen eine Tätig- Wie auch immer: nun ist es zu spät, denn das interdis-
keit nachgebildet wird, die in ihrem neuen Rahmen ziplinär ausgerichtete Handbuch Komik. Grundbegrif-
von den Beteiligten »als etwas ganz anderes gesehen fe – Zugänge – Medien liegt vor und soll einen syste-
wird« (Goffman 1996, 55 f.). Dies gilt auch für das Ko- matischen Überblick über die verschiedenen his-
misch-Finden von Handlungen und Äußerungen, das torisch entstandenen Formen des Komischen geben.
nicht nur auf eine mangelnde Anpassungsfähigkeit Zugleich will das Handbuch einen differenzierten Zu-
respektive Rahmenkonformität des regelabweichen- gang zu den unterschiedlichen medialen Rahmungen
den bzw. scheiternden Individuums verweist, sondern des Komischen eröffnen: etwa zu komischen Formen
zugleich auch auf die kulturell kodierten Konventio- im Bereich der bildenden Kunst oder der Malerei,
nen, durch die bestimmte Handlungen und Äußerun- aber auch in Rundfunk, Fernsehen, Film und Internet.
gen überhaupt erst als regelabweichende respektive Ein weiteres Ziel dieses Handbuchs ist es, nicht nur
scheiternde Handlungen und Äußerungen bewertbar den Stand der Forschung zu dokumentieren, sondern
werden. Dergestalt macht Komik auf ein Geflecht im- auch einen Beitrag zur Komikforschung zu leisten.
plizit als gültig vorausgesetzter Regeln aufmerksam. Dies betrifft die Aufgabe, die schon bei den Grund-
Mehr noch: Handlungen und Äußerungen, die ko- begriffen der Komiktheorie durch unterschiedliche
X Vorwort

Konzeptualisierungen, Forschungstraditionen und gende Handbuch auch als systematischer Vorschlag,


etymologische Entwicklungen zutage tretenden be- das thematische Feld der medialen Formen des Ko-
grifflichen Unschärfen zu thematisieren. Dabei be- mischen zu strukturieren.
gegnet man einer weiteren Schwierigkeit: Häufig sind Dass dieser Versuch unternommen werden konnte,
es die disziplinenspezifischen Verwendungen, die ei- ist in aller erster Linie den Autorinnen und Autoren
ne Klärung der Begriffe auch in disziplinengeschicht- des Handbuchs zu verdanken, dann aber auch den ge-
licher Hinsicht nötig machen. Diesen disparaten Ver- wissenhaften Mitarbeiterinnen Sarah Boller, Julia
wendungsweisen will das Handbuch gerecht werden, Klös, Carolin Haupt und meiner Sekretärin Carmen
indem es die zahlreichen interdisziplinären wie inter- Schmitt, v. a. aber Julia Paganini, die bei der redaktio-
medialen Bezüge thematisiert, um durch die Arbeit nellen Betreuung der Beiträge und der Beitragenden
an den Übergängen der Begriffe und der disziplinen- über mehrere Jahre den Überblick (und die gute Lau-
spezifischen Herangehensweisen neue, forschungs- ne) behielt. Dank gebührt schließlich aber auch Oliver
relevante Impulse für eine interdisziplinäre (und in- Schütze vom Metzler-Verlag, der mir die Frage stellte:
termediale) Erforschung komischer Phänomene zu »Wollen Sie nicht mal ein Handbuch Komik heraus-
geben. geben?«
Diese Aufgabenstellung manifestiert sich im Auf-
bau des Handbuchs: Die Klärung der Grundbegriffe Uwe Wirth, Frankfurt 2016
im ersten Teil legt Unschärfen und Probleme frei, die
sowohl an den zweiten Teil, der den ›methodischen
Zugängen zum Komischen‹ gewidmet ist, als auch an Literatur
den dritten Teil, der sich detailliert mit den ›medialen Bachtin, Michail M.: »Grundzüge der Lachkultur«. In: ders.:
Formen des Komischen‹ beschäftigt, weiter verwie- Literatur und Karneval. Frankfurt a. M. u. a. 1985, 32–60.
Geertz, Clifford: »Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu
sen werden. Dabei sollten die herkömmlichen Gat- einer deutenden Theorie von Kultur«. In: ders.: Dichte
tungen konsequent in ›mediale Formen‹ transfor- Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme.
miert werden: eine längst überfällige Modulation an- Frankfurt a. M. 1983, 7–43.
gesichts der vielfältigen Medienumbrüche der letzten Gernhardt, Robert: Was gibt’s denn da zu lachen?. Zürich
Jahrzehnte. Hier ist mit Sicherheit noch sehr viel 1988.
Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Frankfurt a. M. 1996.
mehr zu tun als im Rahmen eines Handbuchs geleis-
Preisendanz, Wolfgang/Warning, Rainer (Hg.): Das
tet werden kann. Gleichwohl begreift sich das vorlie- Komische. München 1976.
I Grundbegriffe
des Komischen
1 Komik deren Sprachen beobachten lässt, wird dem Lachen in
Erläuterungen des Komikbegriffs nach wie vor häufig
Komik ist eine Eigenschaft, die Gegenständen (Äuße- eine wesentliche Rolle zugemessen (vgl. z. B. Morreall
rungen, Personen, Situationen, Artefakten, etc.) zu- 1983; Kablitz 2000; Levinson 2002). Entsprechende
geschrieben wird, wenn sie eine belustigende Wirkung Positionen, deren Vorgeschichte in der Antike ein-
haben. setzt, sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend in
Im Folgenden werden in vier Schritten maßgebli- die Kritik geraten (vgl. schon Keith-Spiegel 1972, 16 f.;
che Verständnisse des Komischen vorgestellt: Am Be- zusammenfassend Kindt 2011, 38 f.): Komik äußert
ginn steht eine wort- und begriffsgeschichtliche Vor- sich nicht zwangsläufig in Lachen, und wenn gelacht
bemerkung; es folgt ein typologischer Überblick über wird, dann kann dies neben Komik noch eine Vielzahl
die Entwicklung des Komikbegriffs (Theorien des Ko- anderer Ursachen haben. »[L]aughter«, so fasst R. R.
mischen – Geschichte); anschließend werden syste- Provine treffend zusammen, »has more to do with re-
matische Hinweise zu Spielarten von Komiktheorien lationships than with jokes« (Provine 2000, 3).
gegeben (Theorien des Komischen – Aufbau); den Ab- ›Komik‹ dient mittlerweile als Oberbegriff für Be-
schluss bilden skizzenhafte Anmerkungen zu gegen- lustigendes unterschiedlicher Ausprägung, vom Witzi-
wärtigen Tendenzen des Forschungsfeldes (Theorien gen über das Farce- und Nonsensehafte bis zum Satiri-
des Komischen – Gegenwart). schen oder Humoristischen; in seltenen Fällen steht
der Ausdruck auch für das hervorgerufene Gefühl (vgl.
Wort und Begriff Balzter 2013, 21 f.). Seit seiner Durchsetzung im 18. Jh.
›Komik‹ und verwandte Ausdrücke wie ›Komisches‹ wird die Bezeichnung ›komisch‹ allerdings nicht allein
oder ›komisch‹ gehen etymologisch auf das griechische in der Bedeutung von ›lustig‹, sondern auch in der von
›komikós‹ (κωμικός) zurück, das ›zum Lustspiel gehö- ›seltsam‹ verwendet. Dass es sich dabei um eine nicht
rig‹ bedeutet und seinerseits von ›kómos‹ (κῶμος) ab- bloß kontingente, sondern systematische Mehrdeutig-
geleitet ist, dem griechischen Wort für ›Festzug‹ oder keit handelt, legt der Umstand nahe, dass sich Wörter
›fröhliches Gelage‹. Durchzusetzen beginnen sich die mit den beiden Bedeutungen in diversen Sprachen fin-
betreffenden deutschen Wörter seit dem 18. Jh.; wie ih- den lassen, beispielsweise im Englischen (›funny‹)
re schon etwas früher gebräuchlichen englischen oder oder im Französischen (›drôle‹)‹ aber etwa auch im
französischen Pendants dienen sie seit dieser Zeit zur Bulgarischen oder Japanischen (vgl. dazu eingehend
Bezugnahme nicht mehr allein auf Lustspielhaftes, son- Hurley/Dennett/Adams 2011, 27–30). Einige neuere
dern auf Gegenstände unterschiedlicher Art, denen ei- Theorien versuchen dem Zusammenhang zwischen
ne belustigende Wirkung zugesprochen wird (vgl. Prei- dem Komischen und dem Seltsamen, auf den jene
sendanz 1976, 889). Von ›Komik‹ in diesem Sinne ist Mehrdeutigkeit verweist, Rechnung zu tragen (vgl.
zunächst v. a. mit Blick auf ästhetische Phänomene die Morreall 1987; Hurley/Dennett/Adams 2011).
Rede; ab dem 19. Jh. findet der Ausdruck dann auch in
lebensweltlichen Kontexten zunehmend Verwendung Theorien des Komischen – Geschichte
(vgl. Müller-Farguell/Winkler 1998, 1167 f.). Die Geschichte theoretischer Reflexionen zum Ko-
Im 20. Jh. treten das Verständnis des Prädikats ›ko- mischen lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen;
misch‹ und das von Termen wie ›lächerlich‹, die zuvor an ihrem Anfang stehen die Überlegungen zum We-
nahezu gleichbedeutend verwendet wurden, langsam sen des Lächerlichen in Platons Philebos und Aristote-
auseinander. Anders als es einige Unterscheidungs- les’ Poetik und Rhetorik. Um einen zumindest groben
vorschläge zu den beiden Begriffen nahelegen (vgl. et- Überblick über die fast 2500-jährigen Anstrengungen
wa Souriau 1948), wird ›lächerlich‹ nun zumeist ab- zu gewinnen, ist es üblich, drei Grundtypen von Ver-
wertend in der Bedeutung von ›nicht ernst zu neh- ständnissen des Komischen zu unterscheiden: die In-
mend‹ verwendet, während ›komisch‹ weiterhin im kongruenztheorie, die Überlegenheitstheorie und die
Sinne von ›lustig‹ gebraucht wird. Ungeachtet dieser Entlastungstheorie (vgl. auch Morreall 1983/2009;
Entwicklung, die sich in ähnlicher Weise auch in an- Carroll 2000; Levinson 2002; Brock 2004).

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_1,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
1 Komik 3

Erste Ideen zu einer Inkongruenztheorie des Ko- ten im Zusammenhang steht, die im Wahrnehmen-
mischen finden sich bereits bei Platon, Aristoteles und den ein Gefühl der Größe oder zumindest der Erleich-
Horaz. Die Ausgestaltung und breite Durchsetzung terung darüber hervorruft, selbst nicht betroffen zu
des Modells erfolgt allerdings erst in der Aufklärung, sein. Eine entsprechende Sichtweise hat bis zur Ge-
angeregt v. a. durch F. Hutcheson und J. Beattie. Wie genwart immer wieder Zustimmung gefunden; schon
die Komödienpoetiken des 18. Jh.s zeigen, ist die im 18. Jh. haben allerdings Autoren wie Hutcheson
Sichtweise bereits zur bestimmenden Komiktheorie oder Lessing überzeugend dargelegt, dass Überlegen-
aufgestiegen, als sie von Beattie 1778 auf eine Formel heit für Komik weder notwendig noch hinreichend
gebracht wird, die das Komische ausdrücklich auf das ist. In jüngeren Debatten wird der Überlegenheits-
Inkongruente zurückführt: »Laughter arises from the ansatz aus diesem Grund nicht mehr als umfassende
view of two or more inconsistent, unsuitable, or in- Theorie, sondern allenfalls noch als Baustein zu einem
congruous parts or circumstances, considered as uni- integrativen Modell verstanden, durch den einer typi-
ted in one complex object or assemblage« (Beattie schen Spielart des Komischen Rechnung getragen
1778, 347). Wie Beattie gehen Vertreter der Inkongru- wird (vgl. etwa Brock 2004; Vandaele 2002).
enztheorie davon aus, dass sich Komik nur unter Ein- Bei der Entlastungstheorie handelt es sich um ein
beziehung der Wahrnehmung eines Missverhältnisses vergleichsweise junges Modell des Komischen. Mit-
verstehen lässt. Seit der Romantik hat diese Position unter werden Vorformen der Sichtweise ebenfalls
zahlreiche namhafte Fürsprecher gefunden, von Scho- schon in der Antike ausgemacht, seine eigentliche Ge-
penhauer über Kierkegaard und H. Bergson bis hin zu stalt gewinnt der Ansatz allerdings erst im 19. Jh., v. a.
A. Koestler, und sie findet in den gegenwärtigen Aus- in Untersuchungen H. Spencers und Freuds. Die ein-
einandersetzungen zum Komischen breite fächer- flussreichste Spielart der Position geht auf Freuds Der
und richtungsübergreifende Zustimmung (vgl. Kindt Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905) zu-
2011, Kap. 1.3/1.4). Auch wenn die vorgeschlagenen rück; am Schluss der Studie heißt es im Rückblick auf
Bestimmungen und Einbettungen des Inkongruenz- deren Resultate: »Die Lust des Witzes schien uns aus
konzepts im Einzelnen voneinander abweichen, be- erspartem Hemmungsaufwand hervorzugehen, die der
steht doch große Einigkeit, dass es als wesentliche Komik aus erspartem Vorstellungs[...]aufwand und die
Komponente in einer Theorie des Komischen anzuse- des Humors aus erspartem Gefühlsaufwand« (Freud
hen ist (s. u.). 1999, 195; Hervorhebungen im Orig.). Vertreter der
Auch Ansätze zu einer Überlegenheitstheorie des Entlastungstheorie nehmen mit Freud an, dass Komik
Komischen lassen sich bereits in vielen antiken Beiträ- und verwandte Phänomene als Einsparungen im psy-
gen zum Thema erkennen. Schon Platon und Aristo- chischen Energiehaushalt von Individuen anzusehen
teles und etwas später Cicero und Quintilian gehen sind; das Komische geht, so lässt sich diese Idee erläu-
von einem engen Zusammenhang aus zwischen dem tern, mit der als lustvoll erfahrenen Befreiung von
›Fehlerhaften‹ und dem ›Lächerlichen‹ bzw. ›Lachen moralischen und rationalen Kontrollanstrengungen
Erregenden‹ (vgl. Skinner 2007). Der locus classicus einher, die Personen in sozialen Zusammenhängen
der Position findet sich bei Hobbes, u. a. in seinen Ele- gemeinhin zu erbringen haben. Als empirisches Mo-
ments of Law: dell der Komikerfahrung oder integrale Theorie des
Komischen ist Freuds Ansatz in den vergangenen 100
»[T]he passion of laughter is nothing else but a sudden Jahren grundlegend kritisiert worden (vgl. etwa Mor-
glory arising from sudden conception of some eminen- reall 2009, 20–23); in einzelnen Aspekten und be-
cy in ourselves, by comparison with the infirmities of stimmten Interpretationen wird das Modell aber noch
others or with our own formerly […]. It is no wonder in der heutigen Komikforschung fruchtbar gemacht
therefore that men take it heinously to be laughed at (vgl. z. B. Wirth 1999).
or derided, that is, triumphed over. Laughter without
offence, must be at absurdities and infirmities abstrac- Theorien des Komischen – Aufbau
ted from persons, and where all the company may Die Unterscheidung zwischen Inkongruenz-, Über-
laugh together.« (Hobbes 1640, 54 f.) legenheits- und Entlastungstheorien fängt Grundori-
entierungen von Verständnissen des Komischen ein.
Im Sinne dieser Formulierungen nehmen die Fürspre- Will man ein differenzierteres Bild einzelner Theo-
cher eines Überlegenheitsmodells an, dass das Lächer- rien und einen systematischen Überblick über neuere
liche mit einer Wahrnehmung von Unzulänglichkei- Debatten im Forschungsfeld gewinnen, hat man bei
4 I Grundbegriffe des Komischen

der Betrachtung und Unterscheidung von Komik- Zuschreibung, die von verschiedenen kontextuellen
theorien neben deren Leitideen auch deren Gegen- Bedingungen abhängen kann.
standsvorstellungen (a) und Zielsetzungen (b) in den Ansätze zu dieser Idee finden sich bereits bei Les-
Blick zu nehmen. sing, der in den komödienbezogenen Überlegungen
(a) Eine systematische Analyse komiktheoretischer seiner Hamburgischen Dramaturgie (1767–69) erläu-
Positionen hat zu berücksichtigen, welchen Aspekt tert, dass die Eigenschaften von Figuren nicht für sich
der Situationen, in denen Gegenstände als komisch genommen, sondern nur im Kontext eines in be-
erfahren werden, die Modelle jeweils in den Fokus rü- stimmter Weise gestalteten Textes lustig zu wirken ver-
cken. Dabei liegt es nahe, mit R. L. Latta zwischen der mögen (vgl. Kindt 2011, 175 f.). Explizit wird jene Ein-
›stimulus side‹ und der ›response side‹ solcher Situa- sicht in philosophischen und psychologischen Beiträ-
tionen und hiervon ausgehend zwischen ›stimulus si- gen zum Lachen seit dem Ende des 18. Jh.s formuliert;
de‹-, ›response side‹- und ›whole process‹-Modellen erstmals vermutlich in J. G. H. Feders Untersuchungen
des Komischen zu unterscheiden, also zwischen Theo- über den menschlichen Willen (1779), in denen darauf
rien über das, was komisch gefunden wird, über den hingewiesen wird, dass es von »der Verschiedenheit
Vorgang des Komischfinden oder über den Zusam- der Einsichten, der Ideenadsociation, des Geschmacks
menhang beider Momente (vgl. Latta 1999, 8–12; Ras- und der ganzen Gemüthsart« (Feder 1779, 451) ab-
kin 1985, 31–40). hängt, was eine Person als komisch einstuft.
(b) Wichtig für eine gehaltvolle Charakterisierung Ausgehend von dieser Beobachtung ist die Komik-
von Verständnissen des Komischen ist darüber hinaus forschung langsam und besonders nachdrücklich in
die Frage, in welcher Weise die jeweils in den Vorder- den vergangenen Jahrzehnten von ihrer ursprüng-
grund gerückten Aspekte genau in den Blick genom- lichen Fokussierung der stimulus-Seite von Situatio-
men werden. In dieser Hinsicht sind v. a. zwei Tradi- nen des Komischen abgerückt und hat in unter-
tionen der Komikforschung zu unterscheiden, die sich schiedlicher Form deren response-Seite einbezogen
in der Praxis sinnvoll miteinander verbinden lassen: oder sogar in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen
die ›konzeptuelle‹ Betrachtung des Komischen, also gerückt. Einhergegangen mit dieser Entwicklung ist
der Versuch einer Charakterisierung des Komik- eine erkennbare Verlagerung des Interesses von der
begriffs, und die ›empirische‹ Untersuchung des Ko- definitorischen Frage, was das Komische ist, zu den
mischen, also die Ermittlung von Daten zur Komiker- empirischen Fragen, wann, wie und warum Komik
fahrung (vgl. Levinson 2002, 390 f.). wahrgenommen wird. Dabei lassen sich in dem viel-
Ausgehend von den vorgeschlagenen Unterschei- stimmigen interdisziplinären Forschungsfeld zwei
dungen sieht man, dass es sich bei den drei charakteri- dominierende Haltungen unterscheiden, einerseits
sierten Typen von Komiktheorien nicht um konkur- Skepsis gegenüber den Vorhaben der traditionellen
rierende, sondern um miteinander kompatible Posi- Komiktheorie (a) und andererseits das Bemühen um
tionen handelt (vgl. dazu z. B. Raskin 1985). Das In- deren Fortführung in modifizierter Form (b).
kongruenzmodell wird gemeinhin als stimulus-Theo- (a) Komiktheoretische Skepsis wird in unterschied-
rie augestaltet, die zu bestimmen versucht, was das lichen Varianten vertreten (vgl. Kindt 2011). Als ge-
Komische ist; der Entlastungs- und der Überlegen- meinsame Grundlage der verschiedenen Spielarten
heitsansatz werden demgegenüber zumeist als respon- lässt sich die Beobachtung ausmachen, dass die Ko-
se-Theorien modelliert, die erklären sollen, warum et- mikwahrnehmung großer historischer, kultureller
was als komisch erfahren wird. Es ist nun durchaus und individueller Varianz unterliegt und dass es der
denkbar, dass eine Komikerfahrung zugleich in der Komikforschung bislang nicht gelungen ist, eine weit-
Wahrnehmung einer Inkongruenz, dem Gefühl der hin akzeptierte Theorie vorzulegen (vgl. hierzu etwa
Überlegenheit und der Lust der Einsparung bestehen die Beiträge in Preisendanz/Warning 1976). Kritisch
kann. wird aus diesen Beobachtungen die Forderung abge-
leitet, den Versuch aufzugeben, eine Definition des
Theorien des Komischen – Gegenwart Komikbegriffs oder eine Theorie des Komischen zu
Ausgangspunkt der gegenwärtigen Kontroversen über entwerfen. Die Anthropologin G. Eichinger Ferro-
das Komische und seine Erforschung ist eine Einsicht, Luzzi schreibt in diesem Sinne etwa: »[H]umor has no
die sich in ihren Grundzügen schon im späten 18. Jh. essence and cannot be defined« (Eichinger Ferro-Luz-
herausbildet – die Einsicht, dass Komik keine mani- zi 1990, 153). Und Philosophen wie O. Marquard er-
feste Eigenschaft von Gegenständen ist, sondern eine klären das Unternehmen der Komiktheorie für grund-
1 Komik 5

sätzlich gescheitert: »Komisch ist [...] etwas [...], mit grundlegende Prozessmerkmale zu beachten hat, ins-
dem man [...] nicht fertig wird, schon gar nicht durch besondere – so haben Witzforschung, Gesprächsana-
eine Theorie« (Marquard 1976, 143). Konstruktiv lyse und Untersuchungen zur Komikverarbeitung ge-
wird aus entsprechenden Thesen der Appell nach ei- zeigt – die Aspekte der Auflösung und der Harmlosig-
ner Modellbildung mit begrenzter Reichweite abgelei- keit wahrgenommener Inkongruenzen (vgl. etwa Suls
tet, die sich an konkreten komikbezogenen Urteilen 1972; Rothbart 1976; Wirth 1999; Attardo/Raskin
orientiert. Beispiele für Bemühungen dieser Art sind 1991; Oring 2003; Brock 2004; Hempelmann/Attardo
etwa die Charakterisierung des Komischen als Proto- 2011; Kindt 2011; Balzter 2013).
typenbegriff (Eichinger Ferro-Luzzi 1990) oder auch (d) Wichtige Impulse haben die Auseinanderset-
Vorhaben wie das einer ›Analyse von Komik-Konstel- zungen in den letzten Jahren durch das Vorhaben ei-
lationen‹ (Schmidt 1976), einer ›Feldtheorie des Ko- ner evolutionären Erklärung des Komischen erhal-
mischen‹ (Gernhardt 1988) und einer ›Performanz- ten. Mit Blick auf die gattungsgeschichtlichen Funk-
theorie von Lachgemeinschaften‹ (Velten 2005). tionen von Lachen und Komik werden v. a. zwei
(b) Zumeist wird in der internationalen Komikfor- Sichtweisen vertreten: Erstens wird vorgeschlagen,
schung freilich an der traditionellen Zielsetzung fest- beide Phänomene im Rahmen einer evolutionsbiolo-
gehalten, eine allgemeine Theorie des Komischen zu gischen Theorie des Spielens von Tieren und Men-
entwickeln. Wichtige Beiträge zu diesem Vorhaben schen zu erklären. Spielen ist demnach als ein vom
sind seit den 1970er Jahren zunächst v. a. in der Psy- konkreten Handlungsdruck befreites Training für
chologie und der Linguistik entstanden, dann auch in den Ernstfall zu fassen und Komik als eine kognitive
der Kognitionswissenschaft und der Evolutionsfor- Form solcher Übungseinheiten, wobei das Vergnü-
schung (vgl. für Überblicksdarstellungen Martin gen, das mit dem Spielen verbunden ist, dessen adap-
2007; Raskin 2008; Kindt 2011). Das Spektrum der tive Relevanz anzeigt (vgl. z. B. Boyd 2004; Gervais/
neueren Vorschläge aus diesen Bereichen kann hier Wilson 2005). Zweitens wird angenommen, dass Ko-
nur stichpunktartig in den Blick genommen werden, mikwahrnehmung als grundlegender Aspekt der gat-
durch den Hinweis auf zwei Konvergenzpunkte vieler tungsgeschichtlich erworbenen Umgangsweisen des
gegenwärtiger Ansätze, auf die Bemühungen um eine Menschen mit Informationen zu deuten ist. Um ihre
formale Charakterisierung des Komischen in Weiter- Überzeugungssysteme stimmig zu halten, müssen
führung der inkongruenztheoretischen Tradition (c) Menschen über Prüfroutinen ermitteln, ob sie die
und die Versuche einer funktionalen Charakterisie- Auffassungen, die sich ihnen anbieten, übernehmen
rung von Komik im Rahmen eines evolutionären Sze- oder abtun sollen. Komik ergibt sich dieser Sichtweise
narios (d). zufolge, wenn eine Information als ungültig ein-
(c) Auch die Mehrheit aktueller Komikmodelle gestuft und so zur Kohärenz des Weltbildes beigetra-
misst dem Konzept der Inkongruenz eine zentrale Rol- gen wird – ein Vorgang, der die menschliche Über-
le zu. Die im Einzelnen recht unterschiedlichen Posi- lebenstüchtigkeit steigert und dafür mit dem ko-
tionen heben sich von den traditionellen Inkon- mischen Vergnügen belohnt wird (vgl. etwa Clarke
gruenztheorien (s. o.) allerdings durch drei grund- 2009; Hurley/Dennett/Adams 2011).
legende Gemeinsamkeiten ab: Erstens werden Inkon-
gruenzen in jüngeren Modellen nicht mehr als Literatur
›stimulus‹-Eigenschaften, sondern als ›whole process‹- Attardo, Salvatore/Raskin, Victor: »Script Theory Revis(it)
Merkmale gefasst, also in der einen oder anderen Wei- ed: Joke Similarity and Joke Representation Model«. In:
Humor 4. Jg., 3/4 (1991), 293–347.
se auf das Zusammenspiel von Objekt und Rezipient Balzter, Stefan: Wo ist der Witz? Techniken der Komikerzeu-
zurückgeführt (vgl. z. B. Fricke/Salvisberg 1997; Car- gung in Literatur und Musik. Berlin 2013.
roll 2003). Zweitens wird im Rückgriff auf die Kogniti- Beattie, James: »Essay on Laughter and Ludicrous Composi-
onswissenschaft versucht, den Begriff der Inkongru- tion«. In: ders.: Essays on Poetry and Music, as They Affect
enz genauer zu bestimmen, etwa als ›schema-Konflikt‹ the Mind. London ³1779, 297–450.
Boyd, Brian: »Laughter and Literature: A Play Theory of Hu-
oder ›script-Opposition‹, um so die Grundlage für ei-
mor«. In: Philosophy and Literature 28. Jg. (2004), 1–22.
ne differenziertere und empirisch prüfbare Theorie zu Brock, Alexander: Blackadder, Monty Python und Red
schaffen (vgl. grundlegend Raskin 1985; Norrick 1986; Dwarf. Eine linguistische Untersuchung britischer Fernseh-
Attardo/Raskin 1991). Drittens schließlich sind sich komödien. Tübingen 2004.
die neueren Ansätze einig, dass ein umfassendes Ko- Carroll, Noël: »Humor«. In: Jerrold Levinson (Hg.): The Ox-
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6 I Grundbegriffe des Komischen

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2 Humor 7

2 Humor naus dient der Term zunehmend zur positiven Würdi-


gung einer Haltung, Fähigkeit oder Leistung von Per-
Humor ist eine Eigenschaft von Personen, die in der sonen und immer seltener zur kritischen Bezugnah-
Aufgeschlossenheit gegenüber dem Komischen be- me auf ihre unwillkürlichen Eigenheiten (vgl. ebd.,
steht. Darüber hinaus fallen unter den Begriff ver- 191 f.).
schiedene Dinge, die mit dieser Eigenschaft mehr Ausgehend von dieser Entwicklung entfernt sich
oder weniger eng zusammenhängen, insbesondere die Bedeutung des deutschen Ausdrucks ›Humor‹
eine gelassene Haltung gegenüber den Unzulänglich- seit der Wende zum 19. Jh. von der des englischen
keiten des Lebens, die als Voraussetzung jener Auf- Worts humour. Angeregt durch Romantik und Idea-
geschlossenheit gilt, und eine wohlwollende Spielart lismus setzt sich im deutschen Sprachraum allmäh-
der Komik, die als Ausdruck dieser Gelassenheit ver- lich ein Begriff des Humors durch, der diesen in be-
standen wird. sonderer Weise über sein Verhältnis zum Komischen
Ausgehend von einigen allgemeinen Hinweisen zur fasst: ›Komik‹ (wie das englische humour) steht dabei
Wort- und Begriffsgeschichte wird im Folgenden ein für die Eigenschaft von Gegenständen aller Art, Be-
Überblick über grundlegende Sichtweisen des Hu- lustigung hervorzurufen, und ›Humor‹ (wie das eng-
mors gegeben, die in den vergangenen zwei Jahrhun- lische sense of humour) für die Eigenschaft von Per-
derten vertreten worden sind. sonen, für das Komische oder einzelne seiner Aus-
prägungen empfänglich zu sein. Erste Ansätze zu die-
Wort und Begriff sem Verständnis lassen sich etwa bei Jean Paul
Der Ausdruck ›Humor‹, der sich im Deutschen im ausmachen, der im Zusammenhang mit dem Humor
17. Jh. durchsetzt, geht auf das lateinische Wort umor in seiner Vorschule der Ästhetik (1804) von der »Wi-
(oder humor) zurück, das ›Feuchtigkeit‹ oder ›Flüssig- derlage« (Jean Paul 1980, 129) und damit von den
keit‹ bedeutet. Wie seine bereits einige Jahrzehnte zu- Voraussetzungen des Wahrnehmens und Hervor-
vor verbreiteten Gegenstücke im Englischen und bringens von Komik spricht (s. u.). Dass Humor in
Französischen steht der Ausdruck zunächst für die diesem Sinne als die dispositionale Eigenschaft von
Gestimmtheit bzw. Wesensart von Menschen; schon Personen zu verstehen ist, Komik zu bemerken und
bald allerdings dienen Wörter wie humour, humeur zu erzeugen, ist bis heute die dominierende Sichtwei-
oder Humor wesentlich zur Bezeichnung von Cha- se geblieben, wie sich etwa in einer vielzitierten neue-
rakterzügen, durch die sich Personen von anderen ren Bestimmung R. Gernhardts andeutet: »Humor ist
und verhaltensbezogenen Normvorstellungen abhe- eine Haltung, Komik das Resultat einer Handlung.
ben (vgl. Schmidt-Hidding 1963, 94 f.; Preisendanz Humor hat man, Komik macht oder entdeckt man«
1974, 1232; Ruch 1998b, 8 f.). Hintergrund der frühen (Gernhardt 1988, 10).
Redeweisen von ›Humor‹ ist die in der antiken Medi- Im Zusammenhang mit einem entsprechend ge-
zin begründete Lehre der Körpersäfte, den humores fassten Humorbegriff entstehen in der ersten Hälfte
naturales, über deren Mischungsverhältnisse Gemüts- des 19. Jh.s zwei weitere Verständnisse, die ebenfalls
zustände, Temperamente und Charaktere erklärt wer- noch immer verbreitet sind: Einerseits bildet sich die
den (vgl. Schöner 1964). Auffassung heraus, dass Humor nicht in der Offen-
Während des 18. Jh.s ändert sich das Verständnis heit für das Komische, sondern in einer Vorausset-
des deutschen Worts ›Humor‹ grundlegend, zunächst zung dieser Disposition besteht, nämlich in der
im Anschluss an die sich wandelnden Verwendungen grundsätzlichen Gelassenheit gegenüber den Un-
des englischen Ausdrucks humour, dann in Abgren- zulänglichkeiten des Lebens (vgl. etwa Santana López
zung von dessen Gebrauch: Grundsätzlich bildet sich 2006, 83 f.; Wiegmann 2006, 13; s. u.). Andererseits
im betreffenden Zeitraum ein enger Zusammenhang wird unter ›Humor‹ seit dieser Zeit auch eine be-
zwischen dem Konzept des Humors und dem des Ko- stimmte Ausprägung des Komischen verstanden, die
mischen heraus. Deutlich wird diese Entwicklung da- als musterhafter Ausdruck der gelassenen Lebenshal-
rin, dass sich die Bedeutung des Worts ›Humor‹ von tung angesehen wird, nämlich eine dem Spott ent-
der Gesamtheit der charakterlichen Eigenschaften ei- gegengesetzte, wohlwollende Komik. Seinen Nieder-
ner Person oder Figur auf deren ›Launen‹ verschiebt, schlag findet dieser Humorbegriff etwa in der He-
also auf diejenigen personalen oder figuralen Merk- rausbildung und großen Beliebtheit der Gattung
male, denen eine komische Wirkung zugesprochen ›Humoreske‹ im 19. Jh., d. h. der Form heiterer litera-
wird (vgl. Schmidt-Hidding 1963, 177 f.). Darüber hi- rischer Kurzerzählungen, in denen die Ungereimt-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_2,


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8 I Grundbegriffe des Komischen

heiten des bürgerlichen Alltagslebens »nicht bissig- »Der Humor, als das umgekehrte Erhabene, vernichtet
polemisch, sondern amüsiert-nachsichtig« (Holzner nicht das Einzelne, sondern das Endliche durch den
2000, 103) vorgeführt werden. Kontrast mit der Idee. […] Der gemeine Satiriker mag
Wie Wörterbücher belegen, behauptet sich neben auf seinen Reisen oder in seinen Rezensionen ein paar
den vorgestellten Verständnissen bis ins 20. Jh. hinein wahre Geschmacklosigkeiten und sonstige Verstöße
eine Ausdrucksverwendung, die ›Humor‹ – wie das aufgreifen und an seinen Pranger befestigen […]; aber
englische humour – in der allgemeinen Bedeutung der Humorist nimmt fast lieber die einzelne Torheit in
von ›fröhliche Stimmung‹ oder ›mit dem Komischen Schutz, den Schergen des Prangers aber samt allen Zu-
zusammenhängend‹ versteht (vgl. dazu auch Schütt- schauern in Haft, weil nicht die bürgerliche Torheit,
pelz 1998, Sp. 94 f.; Preisendanz 2000, 100). sondern die menschliche, d. h. das Allgemeine sein In-
neres bewegt.« (ebd., 125)
Theorien des Humors
Im Folgenden werden in zwei Abschnitten maßgebli- Jean Pauls Überlegungen, die sich in entscheidenden
che Sichtweisen von Humor in den Blick genommen. Aspekten mit denjenigen seiner Zeitgenossen wie No-
Zunächst sollen die Grundzüge des Verständnisses valis, F. Schlegel, K. W. F. Solger oder E. T. A. Hoff-
vorgestellt werden, das für die Beschäftigung mit Hu- mann berühren (vgl. Preisendanz 1976, Kap. I–III),
mor von 1800 bis zur Gegenwart prägend gewesen ist zeichnen die Bahnen vor, in denen sich die humorbe-
(a). Anschließend sei ein Überblick über verschiedene zogene Diskussion bis zur Mitte des 20. Jh.s bewegen
jüngere Versuche gegeben, Humor als personale Dis- wird. Die Humorkonzepte, die von Schopenhauer und
position aus philosophischer und psychologischer Hegel über Kierkegaard und Th. Lipps bis zu F. Weltsch
Perspektive genauer zu charakterisieren (b). und H. Plessner entworfen werden, heben sich zwar im
(a) Die Grundlagen für die gegenwärtige Theorie- Einzelnen voneinander ab, sie knüpfen an die Grund-
bildung zum Humor werden in der ersten Hälfte des züge von Jean Pauls Position aber dadurch an, dass sie
19. Jh.s gelegt. Im Zeichen von Romantik und Idealis- Humor als eine – in der Regel bewusst eingenommene
mus wird versucht, den Beitrag zu erkunden, den der – Haltung von Personen fassen (vgl. Preisendanz
Humor als ein Vermögen bzw. eine »Verhaltens- und 1979), die auf einer wohlwollenden Sicht des Lebens
Kommunikationsform« (Preisendanz 1974, Sp. 1232) beruht und sich musterhaft in einer menschenfreund-
zur erkennenden, praktischen und ästhetischen Ori- lichen Form des Komischen zeigt (zum ›Sonderfall‹
entierung des Subjekts in der Welt zu leisten vermag. Heine vgl. Preisendanz 1976, 296–301).
Der weitere Kontext, in dem die entsprechenden Die Spielräume der Ausgestaltung dieser Grund-
Überlegungen zu sehen sind, ist die für die Zeit typi- ideen treten markant bei einer Betrachtung des exis-
sche geschichtsphilosophische Diagnose einer zu tenzphilosophischen Humorverständnisses Kierke-
überwindenden Entfremdung zwischen Ich und Welt gaards und des psychoanalytischen Freuds hervor:
(vgl. Schüttpelz 1998, Sp. 93 f.). Kierkegaard nähert sich dem Humor im Rahmen seiner
Grundlegend und von großem Einfluss ist in die- Überlegungen zu den drei menschlichen Existenzsphä-
sem Zusammenhang die Deutung des Humors, die ren – dem Ästhetischen, dem Ethischen und dem Reli-
Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik entwickelt: giösen – und bestimmt ihn als Übergangsbereich zwi-
›Humor‹ wird hier aus ästhetischem Blickwinkel als schen der ethischen und der religiösen Daseinsform:
das »romantische Komische« (Jean Paul 1980, 124) er- »Humor ist nicht der Glaube, sondern liegt vor dem
läutert. Hintergrund dieser Charakterisierung ist die Glauben« (Kierkegaard 1958, 287). Hinter dieser Ein-
Auffassung, dass einerseits das Komische im An- ordnung steht die Annahme, dass Humor eine Haltung
schluss an die Inkongruenztheorie des 18. Jh.s als darstellt, die es möglich macht, die als unüberbrückbar
»Kontrastieren des Endlichen mit dem Endlichen« erfahrene Kluft zwischen innerer Religiosität und äuße-
(ebd.) aufzufassen ist und dass andererseits das Ro- rer Profanität nicht allein als tragischen, sondern zu-
mantische in der Dichtung die »Unendlichkeit des gleich als komischen Konflikt zu erleben. Als eine solche
Subjekts« (ebd.) zur Geltung bringt. Beim Humor Erfahrung der »Einheit des Komischen und des Tragi-
liegt nun der besondere Fall vor, dass das Subjekt ei- schen« geht Humor nach Kierkegaard mit der Einsicht
nen komischen Kontrast zwischen dem Unendlichen in die eigene Begrenztheit und darum mit einem »Sich-
der Idee und dem Endlichen der Wirklichkeit her- Zurücknehmen« (ebd.) einher, das ihm zufolge Vo-
stellt, der die Geltung der Idee und die Nichtigkeit des raussetzung für einen ohne Gründe und Sicherheiten
Wirklichen aufzeigt: zu wagenden Glauben ist (vgl. Wesche 2003, 206–210).
2 Humor 9

Freud deutet den Humor – wie den Witz oder die chologische Untersuchungen zum Humor als Persön-
Komik – als spezifische Spielart einer lustvollen Ein- lichkeitsmerkmal (b2) kurz vorgestellt werden.
sparung im psychischen Energiehaushalt von Indivi- (b1) Im Anschluss an die traditionelle Humortheo-
duen: »[D]as Wesen des Humors besteht darin, daß rie ist die philosophische Diskussion des vergangenen
man sich die Affekte erspart, zu denen die Situation Jahrzehnts verstärkt der Frage nachgegangen, was die
Anlaß gäbe, und sich mit einem Scherz über die Mög- Disposition des Humors genau ausmacht und ob sie
lichkeit solcher Gefühlsäußerungen hinaussetzt« sich als Tugend begreifen lässt, also als musterhafte
(Freud 1927, 254; vgl. schon 1905, 249). Konkret führt Haltung von Personen (vgl. etwa Roberts 1988; Seel
er das Vergnügen, das der Humor bereitet, aber auf 2002; Lippitt 2005). Eine Zusammenfassung und
andere Ursachen zurück als dasjenige, das mit dem grundlegende Stellungnahme zu diesen Debatten hat
Witzigen oder dem Komischen verbunden ist. Eine T. Sindermann mit seiner Studie Über praktischen Hu-
»humoristische Einstellung« hat nach Freud Lustge- mor aus dem Jahr 2009 vorgelegt: Er erläutert Humor
winn zur Folge, weil sie den Eindruck der »Unverletz- als Fähigkeit zu einer Form ›epistemischer Selbstdis-
lichkeit des Ichs« vermittelt: »Das Ich verweigert es, tanz‹, die sich aus einer besonderen Spielart von ›Per-
sich durch die Veranlassungen aus der Realität krän- spektivenwechsel‹ ergibt:
ken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei,
daß ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen »Wer Humor hat, hat die Fähigkeit, seiner Perspektive
können« (Freud 1927, 253 f.). Die Haltung des Hu- eines skandalonartigen Ernstes eine alternative Per-
mors bezeichnet Freud darum auch als »Triumph des spektive korrektiv zur Seite zu stellen, um jene als zu
Narzißmus« (ebd., 254). ernste zu erkennen, und in eins damit die korrektive
Eine klärende Zusammenfassung erfährt das seit Perspektive anzuerkennen als die bessere und an-
1800 leitende Humorverständnis in N. Hartmanns Äs- gemessenere, die dann zu seiner leitenden Sicht wird,
thetik von 1953: Er bestimmt ›Humor‹ ausdrücklich als so lange er diesbezüglich Humor hat.« (Sindermann
»Aufgeschlossenheit« oder »Sinn für das Komische« 2009, 219)
(Hartmann 1953, 417; vgl. hierzu bereits Lipps 1898,
240). Komik und Humor verhalten sich ihm zufolge Als Vermögen zu einer solchen Form der Selbstrelati-
zueinander »wie Musik und Musikalität« (ebd., 415), vierung, die einem die Komik des eigenen übertriebe-
weshalb er auch von einer Art »Fundierungsverhält- nen Ernstes vor Augen führt, kann Humor – wie Sinder-
nis« (ebd., 416) zwischen den beiden Phänomene mann zeigt – prudentielle Bedeutung für die Lebens-
spricht. Die Haltung des Humors verweist Hartmann führung von Personen besitzen und lässt sich mithin
zufolge auf ein »Ethos des ganzen Blicks ins Leben«: als tugendhafte Haltung im traditionell philosophi-
»Das Ethos, das hier form- und richtunggebend wirkt, schen Verständnis betrachten (vgl. ebd., 243–246).
ist ein warmherziges, liebevolles, begütigendes und (b2) In der Psychologie sind seit den wegweisenden
mitfühlendes, und deswegen auch ein solches, das am Arbeiten H.-J. Eysencks aus den 1940er Jahren zahl-
Komischen das Menschlich-rührende und Liebeswür- reiche Studien entstanden, die sich um eine konzep-
dige zu sehen imstande ist« (Hartmann 1953, 418; vgl. tuelle Modellierung und empirische Validierung der
auch Hamburger 1959, 201). Faktoren und Varianten von Humor als einem Sinn
(b) In den zurückliegenden 50 Jahren hat die wis- für Komik bemühen. Besteht in den Debatten auch
senschaftliche Humorforschung ihre angestammten keine Einigkeit über die grundsätzliche Konzeptuali-
Debatten vertiefend weitergeführt und um einige neue sierung dieses ›Sinns‹ (vgl. Martin 2007, 194 f.), so
Perspektiven erweitert. Neben der Erkundung des wird doch einhellig davon ausgegangen, dass für seine
praktischen Nutzens von Humor für Psychotherapie, angemessene Erläuterung die Berücksichtigung ver-
Medizin, Arbeits- und andere Verständigungszusam- schiedener Dimensionen erforderlich ist. So hat etwa
menhänge (vgl. etwa Morreall 2007; Martin 2008; R. A. Martin vorgeschlagen, zwischen der kognitiven,
Wild 2012) hat das Augenmerk der jüngere Forschung der emotionalen und der motivationalen Dimension
v. a. dem Versuch gegolten, die genauen Konturen und des Humors zu unterscheiden, deren konkrete Gestalt
vielfältigen Ausprägungen der personalen Eigenschaft von Person zu Person erheblich divergieren kann und
zu erhellen, aufgeschlossen gegenüber dem Komi- mit ihr der Grad sowie die Ausformung der Offenheit
schen zu sein. Die betreffenden Bemühungen sollen im Hinblick auf Komisches: Für die kognitive Humor-
durch einen abschließenden Blick auf philosophische dimension sind ihm zufolge v. a. die Vermögen maß-
Erörterungen von Humor als Tugend (b1) und auf psy- geblich, Inkongruenzen bemerken und Situationen
10 I Grundbegriffe des Komischen

aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten zu kön- Kierkegaard, Søren: Abschließende unwissenschaftliche


nen; für die emotionale Humordimension die Ten- Nachschrift zu den Philosophischen Brocken. Düsseldorf/
denz zu heiterer Stimmung; und für die motivationale Köln 1958.
Lippitt, John: »Is a Sense of Humour a Virtue?«. In: The Mo-
Humordimension die Vorlieben und Abneigungen im nist 88. Jg., 1 (2005), 72–92.
Hinblick auf verschiedene Formen und Themen von Lipps, Theodor: Komik und Humor. Eine psychologisch-äs-
Komik (vgl. Martin 1998, 58 f. sowie Raskin 1985, 128 thetische Untersuchung. Hamburg/Leipzig 1898.
u. 1998, 96–98). Martin, Rod A.: »Humor and Health«. In: Victor Raskin
Wesentlich beigetragen zur näheren Erhellung des (Hg.): The Primer of Humor Research. Berlin/New York
2008, 479–522.
komplexen und diversen Phänomens des Humors ha-
Martin, Rod A.: The Psychology of Humor: An Integrative
ben die verschiedenen empirischen Untersuchungen, Approach. Amsterdam 2007.
in denen W. Ruch seit den 1980er Jahren die Einfluss- Martin, Rod A.: »Approaches to the Sense of of Humor: A
größen untersucht hat, die zu einer individuell unter- Historical Review«. In: Willibald Ruch (Hg.): The Sense of
schiedlichen Wahrnehmung und Wertschätzung von Humor. Explorations of a Personality Characteristic. Ber-
Komik führen können. Das zentrale Ergebnis der Bei- lin/New York 1998, 15–60.
McGhee, Paul E./Ruch, Willibald/Hehl, Franz-Josef: »Age
träge besteht in der These, dass die komikbezogenen Differences in the Enjoyment of Incongruity-Resolution
Urteile, in denen der Humor von Personen zum Aus- and Nonsense Humor during Adulthood«. In: Psychology
druck kommt, wesentlich von zwei Gegenstandsfak- and Aging 5. Jg. (1990), 348–355.
toren und einer Personeneigenschaft abhängen (vgl. Morreall, John: Humor Works. Amherst, Ma. 2007.
dazu Ruch 1992 u. 1998a, Ruch/Hehl 1998): Entschei- Preisendanz, Wolfgang: »Humor«. In: Harald Fricke u. a.
(Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft.
dend mit Blick auf die beurteilten Objekte ist Ruch zu-
Bd. 2: H–O. Berlin/New York 2000, 100–103.
folge in struktureller Hinsicht, ob es sich um ›incon- Preisendanz, Wolfgang: »Humor als Rolle«. In: Odo Mar-
gruity-resolution‹- oder ›nonsense‹-Komik handelt, quard/Karlheinz Stierle (Hg.): Identität. München 1979,
und in thematischer Hinsicht, ob die betreffende Ko- 423–434.
mik mit sexuellen Inhalten arbeitet. Maßgeblich mit Preisendanz, Wolfgang: Humor als dichterische Einbildungs-
Blick auf die beurteilenden Subjekte ist ihm zufolge, kraft. Studien zur Erzählkunst des poetischen Realismus.
München 21976.
ob diese einem ›conservative‹ oder einem ›sensation
Preisendanz, Wolfgang: »Humor«. In: Joachim Ritter u. a.
seeking‹ Charaktertyp zuzurechnen sind. Diese Ein- (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 3:
flussgrößen sind für die Humorbeurteilung, so hat G–H. Basel/Stuttgart 1974, Sp. 1231–1234.
Ruch in weiteren Studien belegt, von weit größerer Raskin, Victor: »The Sense of Humor and the Truth«. In:
Bedeutung als etwa geschlechts- und altersbezogene, Willibald Ruch (Hg.): The Sense of Humor. Explorations of
kulturelle und soziale Faktoren (vgl. z. B. McGhee/ a Personality Characteristic, Berlin/New York 1998, 95–
108.
Ruch/Hehl 1990; Ruch/Forabosco 1996). Raskin, Victor: Semantic Mechanisms of Humor. Dordrecht
1985.
Literatur Roberts, Robert C.: »Humor and the Virtues«. In: Inquiry 31.
Freud, Sigmund: »Der Humor« [1927]. In: Gesammelte Wer- Jg. (1988), 127–149.
ke. Chronologisch geordnet. Bd. 6. Hg. von Anna Freud Ruch, Willibald/Hehl, Franz-Josef: »A Two-Stage Model of
u. a. Frankfurt a. M. 1999, 253–258. Humor Appreciation: Its Relation to Aesthetic Appreciati-
Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbe- on and Simplicity-Complexity of Personality«. In: Willi-
wußten [1905]. In: Gesammelte Werke. Chronologisch ge- bald Ruch (Hg.): The Sense of Humor. Explorations of a
ordnet. Bd. 6. Hg. von Anna Freud u. a. Frankfurt a. M. Personality Characteristic, Berlin/New York 1998, 109–
1999. 142.
Gernhardt, Robert: »Wer? Wo? Was? Wann? Warum?«. In: Ruch, Willibald (Hg.): The Sense of Humor. Explorations of a
ders.: Was gibt’s denn da zu lachen? Kritik der Komiker, Personality Characteristic, Berlin/New York 1998a.
Kritik der Kritiker, Kritik der Komik. Zürich 1988, 9–11. Ruch, Willibald: »Foreword and Overview: Sense of Humor:
Hamburger, Käte: »Don Quijote und die Struktur des epi- A New Look at an Old Concept«. In: ders. (Hg.): The Sense
schen Humors«. In: Hans Werner Seiffert/Bernhard Zeller of Humor. Explorations of a Personality Characteristic, Ber-
(Hg.): Festgabe für Eduard Berend zum 75. Geburtstag. lin/New York 1998b, 3–14.
Weimar 1959, 191–209. Ruch, Willibald/Forabosco, Giovannatonio: »A Cross-Cul-
Hartmann, Nicolai: Ästhetik. Berlin/New York 1953. tural Study of Humor Appreciation: Italy and Germany«.
Holzner, Johann: »Humoreske«. In: Harald Fricke u. a. (Hg.): In: Humor 9. Jg., 1 (1996), 1–18.
Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2: Ruch, Willibald: »Assessment of Appreciation of Humor:
H–O. Berlin/New York 2000, 103–105. Studies with the 3 WD Humor Test«. In: Charles D. Spiel-
Jean Paul: Vorschule der Ästhetik [1804]. In: ders.: Werke. Bd. berger/James N. Butcher (Hg.): Advances in Personality
V. Hg. von Norbert Miller. München 41980. Assessment. Hillsdale, NJ 1992, 27–76.
3 Witz 11

Santana López, Belén: Wie wird das Komische übersetzt? 3 Witz


»Das Komische« als Kulturspezifikum bei der Übersetzung
spanischer Gegenwartsliteratur. Berlin 2006. Definition
Schmidt-Hidding, Wolfgang u. a.: Europäische Schlüsselwör-
ter. Bd. 1. München 1963. ›Witz‹ bedeutet grundsätzlich zweierlei: 1. die verstan-
Schöner, Erich: Das Viererschema der antiken Humoral- desmäßige Fähigkeit zum überraschenden Einfall
pathologie. Wiesbaden 1964. (der komisch sein kann, aber nicht muss), 2. eine
Schüttpelz, Erhard: »Humor«. In: Gert Ueding (Hg.): His- knappe, scherzhafte Äußerung, meist in Form einer
torisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 4: Hu–K. Tübingen komischen (Kürzest-) Geschichte, die mit einer Pointe
1998, Sp. 86–98.
endet. Die erste Bedeutung war in älteren Sprachstu-
Seel, Martin: »Humor als Laster und als Tugend«. In: Merkur
56. Jg. (2002), 743–751. fen des Deutschen noch weiter gefasst (ahd. wizzi,
Sindermann, Thorsten: Über praktischen Humor. Oder eine mhd. witze, ›Wissen, Verstand, Klugheit‹). Im heuti-
Tugend epistemischer Selbstdistanz. Würzburg 2009. gen Deutsch herrscht klar die zweite, erst seit Beginn
Stemmer, Brigitte: »Wie stark machen Lachen und Humor? des 19. Jh.s lexikalisierte Bedeutung vor, so dass inzwi-
Eine wissenschaftliche Perspektive«. In: Helmut Bachmai- schen für die erste mitunter Derivate wie ›Gewitztheit‹
er (Hg.): Humorstrategien. Lachen macht stark. Göttingen
2007, 24–38.
oder ›Witzigkeit‹ verwendet werden. In anderen Spra-
Wesche, Tilo: Kierkegaard. Eine philosophische Einführung. chen entsprechen den beiden Bedeutungen zwei (oder
Stuttgart 2003. mehrere) verschiedene Ausdrücke: engl. wit vs. joke,
Wiegmann, Hermann: Und wieder lächelt die Thrakerin. Zur lat. ingenium vs. iocus/facetia, frz. esprit vs. bon mot/
Geschichte des literarischen Humors. Frankfurt a. M. u. a. blague, ital. spirito vs. scherzo, span. ingenio vs. chiste.
2006.
Außerdem bietet sich zur Unterscheidung das Kriteri-
Wild, Barbara (Hg.): Humor in Psychiatrie und Psychothera-
pie. Neurobiologie – Methoden – Praxis. Stuttgart 2012. um der Pluralbildung an: In der Bedeutung ›mentale
Fähigkeit‹ kommt das Wort ›Witz‹ nur im Singular vor
Tom Kindt (ebenso wit, auch ingenium, esprit usw., sofern sie
nicht metonymisch Personen bezeichnen), in der Be-
deutung ›Scherz(-wort, -geschichte)‹ lässt sich ›Witz‹
in ›Witze‹ pluralisieren (ebenso jokes, facetiae, chistes,
scherzi, bons mots, blagues usw.).

Zur Begriffs- und Theoriegeschichte des Witzes


Bereits in der Antike wurden witzige Redewendungen
gesammelt und unter rhetorischen Gesichtspunkten
gemäß ihrer Machart und Wirkung sortiert (vgl.
Quintilian 1972, VI.3). Dennoch ist die Geschichte
des Witzes als Grundbegriff der Komik eine neuzeitli-
che Angelegenheit. An ihrem Anfang steht im 17. Jh.
die Theoretisierung des Witzes als einer poetologi-
schen ars inveniendi, einer (Er-)Findungskunst. In
manieristischen Traktaten wie B. Graciáns Arte de in-
genio (1642) und E. Tesauros Cannochiale Aristotelico
(1654) erscheint Witz (ingegno, ingenio) als Kunstfer-
tigkeit im Auffinden entfernter Ähnlichkeiten, die zu
überraschenden und geistreichen Äußerungen (con-
cetti) befähigt (vgl. Knörer 2007). Vor allem E. Tesauro
betont die göttliche Schöpferkraft des Witzes, der »aus
Nicht-Seiendem Seiendes macht« (»l’ingegno, di non
Ente, fa Ente«, Tesauro 1655/1968, 82), und nennt un-
ter den rhetorischen Mitteln die Metapher als die »Fi-
gura Ingeniosa« (ebd., 266) schlechthin. Zugleich
identifiziert er aber auch Metapher und »Wahnsinn«
(»Pazzia«), weil beide »eine Sache für eine andere«
nähmen (»vna cosa per altra«), und spricht vom be-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_3,


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12 I Grundbegriffe des Komischen

sonderen Witz der Verrückten (»i Matti son di bellissi- eröfnen«, als die Tradition der ars inveniendi vorsieht:
mo ingegno«, ebd., 93). »Alle Uebereinstimmungen der Dinge, alle Aehnlich-
Eine solche Darstellung ingeniöser Kreativität zeigt keiten, Gleichheiten, Proportionen sollen der Gegen-
an, dass der Witz als sprachlich-geselliges Vermögen stand seiner Beschäftigungen seyn« (Meier 1755/1976,
dazu neigt, außer Kontrolle zu geraten. Umso größer 328 f.) – vom Wortspiel über die Metapher bis hin zur
ist das philosophische Interesse an seiner Bändigung. begrifflichen Abstraktionsfähigkeit.
Traditionell geschieht das, indem man den Witz zum Nachdem der Witzbegriff im letzten Drittel des
bloßen Hilfsmittel für die eigentliche Erkenntnis he- 18. Jh.s, etwa auch in Kants Kritik der Urteilskraft
rabstuft. J. Locke spricht im Essay Concerning Human (1790), »allenfalls eine untergeordnete Rolle« (Wink-
Understanding (1690) zwar von »entertainment and ler/Goulding 2005, 708) spielt, kehrt er um 1800 in die
pleasantry of Wit, which strikes so lively on the Fan- ästhetische Debatte zurück. Das ausführliche Witz-
cy«, doch entstehe so eine bloße »assemblage of Ideas«, Kapitel von Jean Pauls Vorschule der Ästhetik (1804)
in der erst die Urteilskraft (judgment) analytische speist sich noch aus der rationalistischen Sichtweise
Ordnung schaffen müsse. Streng genommen wider- des Witzes als Erkenntnismittel, trifft aber auch aus-
spreche der Witz sogar den »severe Rules of Truth, and führliche Bestimmungen zur Pluralität witzigen Spre-
good Reason« (Locke 1690/1975, II.XI.2). J. Addison chens und vollzieht sich selbst in einer betont witzi-
versteht Lockes Äußerungen dennoch als »the best gen, d. h. wortspielerischen, metaphorischen, anspie-
and most philosophical Account that I have ever met lungsreichen Weise (vgl. Wiethölter 1979; Menke
with of Wit«, v. a. wegen der (von Locke zwar beton- 2002). Etwa zeitgleich wird in der frühromantischen
ten, aber skeptisch beurteilten) Distanz witziger Ähn- Poetologie der Witz zu einem absoluten Erkenntnis-
lichkeiten zu solchen, die bereits in der ›Natur der vermögen ausgeweitet. In Schlegels Lyceums- und
Dinge‹ liegen: »Resemblance of Ideas is not that which Athenäums-Fragmenten (1797/98) firmiert er u. a. als
we call Wit, unless it be such an one that gives Delight »unbedingt geselliger Geist« (Schlegel 1967, 148),
and Surprize to the Reader [...], it is necessary that the »prophetisches Vermögen« (ebd., 163) und »Prinzip
Ideas should not lie too near one another in the Nature und Organ der Universalphilosophie« (ebd., 200); No-
of things; for where the Likeness is obvious, it gives no valis unterstreicht im Allgemeinen Brouillon (1798/99)
Surprize« (Addison 1711/1958, 189). das produktive Moment in der traditionellen Bestim-
Für die deutschsprachige Begriffsgeschichte von mung der Ähnlichkeit: »Der Witz ist schöpferisch – er
›Witz‹ im 18. Jh. ist neben der Bedeutung der eng- macht Ähnlichkeiten« (Novalis 1978, 649).
lischsprachigen Theoriebildung der Einfluss von frz. Im frühen 19. Jh. beginnt sich im Deutschen die Se-
esprit und lat. ingenium zu betonen (vgl. Hecken 2005, mantik von ›Witz‹ hin zur Kürzest-Erzählung zu ver-
57–84). Eine wichtige Schaltstelle hin zur ästhetischen lagern. Dafür spricht schon Schlegels Definition des
Theorie des Witzes ist der psychologisch grundierte Witzes als »fragmentarische Genialität« (Schlegel
Rationalismus von Chr. Wolff. Auch hier bedeutet 1967, 148), in der die tradierte Gleichsetzung von
Witz die »Leichtigkeit die Aehnlichkeiten wahrzuneh- Witz und Ingenium auf die ›fragmentierte‹ Erschei-
men« (Wolff 1720/1983, 223, § 366). Besonders be- nungsform der einzelnen witzigen Äußerung herun-
fähigt dazu seien Redner und Dichter, während man tergebrochen wird. Ebenfalls einschlägig ist Kleists
die philosophische Redeweise von witzigen Elemen- Anekdote aus dem letzten Kriege (1810). Hier ist vom
ten möglichst freihalten müsse. Im Anschluss an Wolff »ungeheuersten Witz« die Rede, »der vielleicht, solan-
sieht J. Chr. Gottsched in seinem Versuch einer Criti- ge die Erde steht, über Menschenlippen gekommen
schen Dichtkunst vor die Deutschen (1729) den »Witz ist«, also ausdrücklich von einem Einzelwitz als einer
eines Poeten hauptsächlich in der glücklichen Erfin- geformten, mündlichen Äußerung. Es handelt sich
dung verblümter Redensarten« (Gottsched 1730/1973, um die letzten Worte eines von französischen Sol-
324). Hingegen plädiert J. J. Breitinger für den Witz als daten zu füsilierenden preußischen Tambours, der
»Vermögen des Verstandes« und als Inbegriff einer ei- sich die Gnade ausbittet, »sie möchten ihn in den ...
genständigen »Logick der Phantasie« (Breitinger schießen, damit das F... kein L... bekäme«. Die Ausspa-
1740/1968, 9). G. F. Meier behandelt in seinen An- rungen in der Pointe des wiedergegebenen Witzes
fangsgründen aller schönen Wissenschaften (1748) den werden mit der Bemerkung ergänzt, »daß der Tam-
Witz und seinen »Einfluß in die Erzeugung ästheti- bour mit seinem Witz, aus seiner Sphäre als Trommel-
scher Gedanken« ausführlich in einem eigenen Kapi- schläger nicht herausging« (Kleist 1810/1984, 348) –
tel. Dabei will er »dem Witze eine grössere Laufbahn wobei die Wendung »mit seinem Witz« wieder nicht
3 Witz 13

nur auf den Sprechakt, sondern auch auf das dahinter- die der Witz bringt, einerseits an der Technik, ande-
stehende mentale Vermögen beziehbar ist. rerseits an der Tendenz haftet« (ebd., 128). Beides
Ein früher Beleg für die Pluralform »Witze« ist eine wird auf einen psychogenetischen und -ökonomi-
Tagebuchnotiz Goethes: schen Mechanismus zurückgeführt: Demnach ver-
dankt sich der »Lustgewinn« des Witzes dem durch
»Viele sogenannte Berliner Witze und schnelle Erwie- ihn »ersparten psychischen Aufwand«, der ansonsten
derungen kamen zur Sprache, gaben aber doch nur Be- zur Aufrechterhaltung kultureller »Hemmung« (ebd.,
griff von einer höchst platten Lebensweise und einem 133) erforderlich ist.
Mangel an eigentlich geistiger Thätigkeit.« (Goethe Freuds tiefenstrukturelle Lesart markiert gewisser-
1828/1900, 206) maßen einen Extremwert und Endpunkt der Witz-
theorie. Spätere Positionen betonen stärker formale
In bezeichnend pejorativer Verwendungsweise wer- und klassifikatorische Aspekte, etwa A. Jolles’ typisie-
den hier die einzelnen Witz-Äußerungen in ihrer be- rende Morphologie des Witzes als eine der Einfachen
tont schnellen Abfolge dem ›Geistigen‹ entgegen- Formen (1930). Jolles bestimmt den Witz über die ihm
gesetzt. Ganz ähnlich kritisiert Hegel in seinen Ästhe- zugrundeliegende »Geistesbeschäftigung«, dass er »ir-
tik-Vorlesungen die humoristische Mode, »eine Reihe gendein Gebundenes entbindet« (Jolles 1930/1956,
von Witzen« zu liefern, und betont als Kontrast dazu 206). Als zwei grundlegende Zielrichtungen von Wit-
explizit die »Tiefe des Witzes« (Hegel 1820/1986, zen unterscheidet er den negativ-befreienden Spott
381 f.). Die Bevorzugung des Witzes als Vermögen ge- und den positiv-befreienden Scherz, sieht aber letzt-
genüber den Witzen als Äußerungen bleibt noch lange lich die wesentliche Leistung des Witzes darin, dass er
bestimmend für die Witzreflexion im Kontext von Ko- sich »eine eigene positive Welt« (ebd., 216) schaffe.
mik- und Humortheorien (vgl. Winkler/Goulding W. Preisendanz plädiert für die Abkehr vom theo-
2005, 715–720). Das gilt etwa für A. Ruges Ästhetik retischen Räsonnement über den Witz zugunsten ei-
des Komischen, in der der Witz als das »Sichwissen des ner pragmatischen Untersuchung von Einzelwitzen:
Geistes im Act seiner Befreiung« (Ruge 1837/1975, »das Witzige am Witz ist in jedem Fall das Resultat ei-
138) figuriert, für F. Th. Vischers Behandlung des Wit- ner charakteristischen Sprachverwendung«, wobei
zes als des »subjectiv Komischen« im allgemeinen, sich die Spezifik der Verwendungen »erst durch den
»metaphysischen« Teil der Aesthetik (Vischer 1846, Kontext« zeige, »in den sie einbezogen sind« (Preisen-
416–443) und für K. Fischers Abhandlung Über den danz 1970, 18; 21).
Witz (1871), in der, trotz differenzierter Beobachtun-
gen zu einzelnen »Entstehungsformen des Witzes« Zur Pragmatik von Witzen
(Fischer 1871/2010, 65), die Bemühung um eine all- Sprachverwendung und Kontextabhängigkeit zeich-
gemeine Definition überwiegt (der Witz als »das spie- nen den Witz bereits als mündliche Erzählform aus.
lende Urteil«, ebd., 29). Dazu gehört etwa die im Deutschen charakteristische
Weitreichend neu perspektiviert wird die Witz- Witzgrammatik (›Kommt ein Mann zum Arzt...‹), aber
theorie in Freuds Der Witz und seine Beziehung zum auch schon die »Ankündigung, daß ein Witz erzählt
Unbewußten (1905). Entgegen dem vorherrschend werde« sowie das Abzielen auf »ein – das Begreifen der
systematischen Interesse der Ästhetiker des späten Pointe dokumentierendes – Lachen des Zuhörers« (Si-
19. Jh.s vervielfältigt Freud die »Witzbeispiele« (Freud mon 2003, 862). In dieser alltagspragmatischen Rah-
1999, 19) und kommt so zu differenzierten Befunden mung fällt auf, dass der Witz als Äußerungsform an
hinsichtlich der Witztechniken. Als wesentliche Ver- den Witz als geselliges Vermögen gebunden bleibt. Da-
fahren von »Wortwitz« und »Gedankenwitz« nennt er bei geht es weniger um das allgemeine Erkenntnisver-
»Verdichtung« und »Verschiebung«, daneben auch mögen im Sinne des 17./18. Jh.s als vielmehr um das
»indirekte Darstellung« und »Darstellung durchs Ge- spezifische Vermögen, einen Witz gut erzählen zu kön-
genteil«, womit er eine nahezu lückenlose Überein- nen. Die Darbietung (v. a. das genaue Setzen der Poin-
stimmung zwischen »Witzarbeit« und »Traumarbeit« te) kann wesentlich wichtiger werden als die dargebo-
(ebd., 95 f.) diagnostiziert. Paradigmatische Bedeu- tene Geschichte. Umgekehrt kann eine geeignete Witz-
tung kommt kulturell spezifischen Genres zu, v. a. vorlage bei ungeeigneter Darbietung unbelacht blei-
dem obszönen und dem jüdischen Witz. Damit eröff- ben – glossiert von K. Tucholsky in Ein Ehepaar erzählt
net Freud die Frage nach der unbewussten Intentiona- einen Witz (1931), nochmals weiterverarbeitet von R.
lität der Witzproduktion und stellt fest, dass »die Lust, Gernhardt in Ein Ehepaar erzählt »Ein Ehepaar erzählt
14 I Grundbegriffe des Komischen

einen Witz« (1987) (vgl. Tucholsky 1975; Gernhardt von seinen Vorgängern übernimmt« (Freud 1999, 12).
1987). Wenn Witze in Folge erzählt werden, v. a. von Sein eigenes ›Witzbuch‹ korrespondiert in seinem
professionellen Komikern oder Humoristen, liegt der Reichtum an jüdischen Witzbeispielen mit zeitgenös-
Witz oft in der Serialisierung selbst, vgl. etwa die von sischen Sammlungen wie etwa M. Nuéls Buch des jü-
Heinz Erhardt geprägte, später von Otto Waalkes über- dischen Witzes (1907) (vgl. Gilman 1985). Schon vor-
nommene Wendung ›Einen hab’ ich noch!‹ oder Max her waren bei A. Löwenstein (Witz und Humor. Theo-
Goldts Variationen eines Möbelpackerwitzes (Goldt rie und Praxis, 1877) die theoretischen Erörterungen
2010). eher zu Moderationen der aufgereihten Witze gewor-
Das (Re-) Produzieren und Rezipieren von Witzen den – ein bis heute beliebtes Verfahren (vgl. z. B. Kara-
ist eine voraussetzungsreiche kulturelle Tätigkeit, die sek 2011).
sprachwissenschaftlich, soziologisch und ethnolo- Als zugleich kontextualisiert und dekontextuali-
gisch vielfältig erforscht wird. An der politischen siert erscheinen Witze innerhalb größerer literari-
Wirksamkeit von Witzen wird ihr subversiver Cha- scher Zusammenhänge. Hier stehen Witz-Charakte-
rakter betont (vgl. Gamm 1990; Schmidt 1988; Schie- ristika wie formale Einfachheit und Kürze zur Debatte
we/Schiewe 2000), aber auch ihre ausgrenzende Funk- – eine Herausforderung sowohl an den Witz als auch
tion durch das Verlachen von Herkunft, Klasse, Ge- an seine narrative Integration. Strukturbildend wird
schlecht. Kritische Untersuchungen dokumentieren diese Herausforderung z. B. zu Beginn von G. Kleins
immer auch die Konjunkturen bestimmter Witzgen- Roman unserer Kindheit (2010). Hier erscheint ein
res, etwa von Ostfriesen-, Türken- und Schottenwit- »wahrer Witzbold« in Gestalt eines Unfallchirurgen,
zen (vgl. Gamm 1984; Schröder 1997; Davies 1998), der »Witz auf Witz« erzählt, um den kindlichen
Mantawitzen (vgl. Brednich/Streichen 1991) oder mi- Helden von seinen Schmerzen abzulenken: »Elefan-
sogynen Witzen (vgl. Huffzky 1979; Weigel 2006). Vor ten-und-Mäuse-Witze, Cowboy-und-Indianer-Witze,
allem gegen die feministische Witzforschung ist ein- Neger-im-Urwald-Witze, Irre-im-Irrenhaus-Witze,
gewendet worden, dass sie über der Entlarvung gesell- Lehrer-und-Pfarrer-Witze« (Klein 2010, 15). Ähnlich
schaftlicher Stereotype die eigentliche Witzanalyse große »Witzeliebhaber« sind die jüngeren Brüder des
versäume (vgl. Gernhardt 1988); allerdings ist diese Protagonisten, die »behaupten, unendlich viele hin-
Kritik angesichts neuerer Entwicklungen sowohl der tereinander erzählen zu können« (ebd., 17). Im Kon-
Gender Studies als auch der Gender-Witzproduktion trast zur Emphase des seriellen Witzereißens und zum
wohl obsolet (vgl. Bing/Heller 2003; Shifman/Lemish Vergnügen an der Pointe spart der Romantext den
2012). Als zunehmend interessantes Problem er- Wortlaut der Witze allerdings fast vollständig aus. Ihr
scheint die nationale und regionale Spezifik von Wit- literarisches Potenzial beruht nicht auf dem befreien-
zen im interkulturellen Kontext (vgl. Beheshti 2009; den Lachen, sondern auf der Spannung, die entsteht,
Göktürk 2008; Dimova 2011). Für die hier zu be- wenn man »den Schlussknall eines Witzes nahen
obachtende Dialektik von Übersetzbarkeit und Un- fühlt« (ebd., 19). Zudem wird der Umstand themati-
übersetzbarkeit ist die treffende Formel bereits gefun- siert, dass einem mitunter ein Witz »partout nicht
den worden: ›Witzischkeit kennt keine Grenzen‹ (Ti- mehr in den Sinn kommen« (ebd., 17) will.
telsong in Kerkeling 1993). In der Tat ist das Vergessen von Witzen entschei-
Die Hervorhebung eines Witzes als Witz bedeutet dender Bestandteil der Witzpragmatik, ebenso wie ihr
immer auch eine pragmatische Dekontextualisierung. Missverstehen bzw. ihre missverständliche Darbie-
Das gilt insbesondere für schriftlich publizierte Text- tung, z. B. durch das verfrühte oder verkehrte Platzie-
und/oder Bildwitze. Sie werden meist durch äußerli- ren der Pointe. Der Witz ist also nicht nur das wohl
che Signale als eigenständig und abgeschlossen her- wichtigste Element intendierter Komik, sondern kann
vorgehoben: durch die Veröffentlichung »in besonde- auch und gerade für unfreiwillige Komik stehen.
ren Rubriken, auf eigenen Seiten und in speziellen Bü-
chern« (Köhler 2002, 260; vgl. Kap. 26.3; 27.1). Zu Literatur
diesen Spezialpublikationen zählen auch die oben ge- Addison, Joseph u. a.: The Spectator. Bd. 1. Hg. von Gregory
nannten theoretischen Abhandlungen, von denen vie- Smith. London/New York 1958.
Beheshti, Elham Hosseini: Witz im Kontext der Interkultura-
le zugleich Witzsammlungen sind und der Kanonisie-
lität. Nordhausen 2009.
rung von Witzen dienen. Freud bemerkt in seiner Kri- Bing, Janet/Heller, Dana: »How Many Lesbians Does It Take
tik der vorhergehenden Forschung, dass jeder Autor to Screw in a Light Bulb?«. In: Humor. International Jour-
die »Beispiele von als solchen anerkannten Witzen [...] nal of Humor Research 16. Jg. (2003), 157–182.
3 Witz 15

Brednich, Rolf W./Streichen, Christine: »Der Manta-Witz. Karasek, Hellmuth: Soll das ein Witz sein? Humor ist, wenn
Ein Autokult und seine narrativen Folgen«. In: Volkskunde man trotzdem lacht. Berlin 2011.
in Niedersachsen 8. Jg. (1991), 34–43. Kerkeling, Hape (Regie/Hauptdarsteller): Kein Pardon. Film,
Breitinger, Johann Jacob: Critische Abhandlung von der Deutschland 1993.
Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse Klein, Georg: Roman unserer Kindheit. Reinbek 2010.
[1740]. Stuttgart 1967. Kleist, Heinrich von: »Anekdote aus dem letzten Kriege«
Davies, Christie: Jokes and Their Relation to Society. Berlin/ [1810]. In: ders.: Werke und Briefe in vier Bänden. Bd. 3:
New York 1998. Erzählungen, Gedichte, Anekdoten, Schriften. Hg. von Sieg-
Dimova, Anna: »Humor und Witz als Übersetzungspro- fried Streller. Berlin 21984, 348.
blem«. In: Daniela Gronold/Nicola Mitterer (Hg.): Hu- Knörer, Ekkehard: Entfernte Ähnlichkeiten. Zur Geschichte
mor. Innsbruck 2011, 7–22. von Witz und ingenium. München 2007.
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pliziert, wie Aristoteles in der Nikomachischen Ethik
(350 v. Chr.) ausführt, auch eine Art der Irreführung,
Stefan Willer eine Abweichung von der Mitte der Wahrheit und in-
sofern eine nicht-wahrhaftige Rede. Anders als die
prahlerische Entstellung der Wahrheit »nach seiten
des Zuviel«, ist die Ironie eine Abweichung »nach sei-
ten des Zuwenig«, nämlich eine »verstellte Unwissen-
heit« (Aristoteles 1921, 39 [1108a]). Sofern diese Ver-
stellung nicht Täuschung, sondern Ausdruck von Be-
scheidenheit ist, etwa im Fall der sokratischen Ironie,
lobt Aristoteles diese Haltung. Im Gegensatz dazu
sieht er die »Baukopanurgen«, die sich zierenden
Schlauköpfe, die sich »in kleinen und offenkundigen
Dingen verstellen« (ebd., 90 [1127b]). Als ethisch pro-
blematische Haltung wird die Ironie in der Rhetorik
(ca. 335 v. Chr.) markiert, wenn Aristoteles feststellt,
bei ihrem Gebrauch schwinge immer auch »etwas von
Verachtung« (Aristoteles 1989, 124 [24]) gegenüber
den ironisierten Personen und Sachverhalten mit.
Wird die hinter der Ironie versteckte Geringschätzung
erkannt, kann sie Zorn gegenüber dem Ironiker her-
vorrufen, insbesondere in Fällen, in denen man selbst
ernsthaft ist und mit »scherzender Ironie« (ebd.) be-
handelt wird.
In De oratore (55 v. Chr.) unterscheidet Cicero zwi-
schen zwei Modi des Ironischen: dem Ausdruck durch
das Gegenteil (inversio) und der ironischen Verstel-
lung (dissimilatio). Als Beispiel für die inversio nennt
Cicero eine Szene, in der Crassus einen hässlichen An-
walt mit den Worten zum Plädoyer auffordert:

»›Laßt uns denn den hübschen Jungen hören!‹ Als alle


lachten, sagte Lamia: ›Meine Gestalt konnte ich mir
nicht selbst bilden, wohl aber meinen Geist‹: ›So laßt
uns den gewandten Redner hören‹, reagierte Crassus,
und alles lachte noch viel lauter.« (Cicero 1976, 377
[§ 262])

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_4,


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4 Ironie 17

Die inversio besteht hier in der Verkehrung der Be- wobei er die damit zum Ausdruck kommende philoso-
deutung einzelner Wörter ins Gegenteil (›hübsch‹ für phische Haltung – wie Hegel – als eine Form subjekti-
hässlich – ›gewandt‹ für ungeschickt), während die ver Negativität bestimmt (vgl. ebd., 267).
dissimilatio eine Verstellung impliziert, die sich über P. de Mans 1977 entstandener Vortrag »The con-
die ganze Äußerung erstrecken kann. Bei der dissimi- cept of Irony« beginnt mit dem Hinweis, dass der Titel
latio handelt es sich um eine Form der eironia im Stile ironisch gemeint sei, »because irony is not a concept«
des Sokrates, »bei der man anders redet, als man (de Man 1996, 163). Diese These entwickelt de Man
denkt«, und zwar nicht einfach nur, indem man das im Anschluss an Schlegels »Lyceums Fragment 108«
Gegenteil sagt, wie Crassus gegenüber Lamia, sondern (1797), wo die romantische Ironie im Rekurs auf die
»in gespieltem Ernst des ganzen Stils der Rede« (ebd., sokratische Ironie als »unwillkürliche, und doch
383 [§ 269]). Rund 150 Jahre später wirft Quintilian in durchaus besonnene Verstellung« bestimmt wird, die
seiner Institutio Oratoriae (ca. 95 n. Chr.) die Frage ein gemeinsames Verständnis voraussetzt: »Wer sie
auf, inwieweit die dissimilatio tatsächlich ein an- nicht hat, dem bleibt sie auch nach dem offensten Ge-
gemessenes Synonym der Ironie sei, denn dissimilatio ständnis ein Rätsel« (Schlegel 1967, 160). Der Rätsel-
bezeichne nicht nur die Formen der durchschaubaren charakter der Ironie verhindert nicht nur eine befrie-
Verstellung (vgl. Quintilian 1995: 495 f. [IV, 4,17]). digende Definition (»It seems to be impossible to get
Zu einer Überblendung beider Modi des Iro- hold of a definition«, de Man 1996, 164), sondern die
nischen – dem Ausdruck durch das Gegenteil (inver- Ironie wird eben dadurch zu einer ästhetischen Trope
sio) und der Verstellung (dissimulatio) – kommt es im par excellence: Sie gibt der ästhetischen Erfahrung eine
Rahmen der berühmten Rede des Antonius im dritten ›Wendung‹ ins Unbestimmte, ja Unbestimmbare, wi-
Akt von Shakespeares Julius Cäsar (1599): erst nach dersetzt sich jedem abschließenden Verständnis und
einigen Wiederholungen des Satzes »Brutus is an Ho- versetzt die Rezipienten in eine Art ›Verstehens-
nourable man« wird deutlich, dass Antonius Brutus Schwindel‹, der sie »den Scherz grade für Ernst, und
für das Gegenteil eines ehrenwerten Mannes hält, dies den Ernst für Scherz« (Schlegel 1967, 160) halten lässt.
aber nicht offen sagen kann. Die Ironie stellt in beiden Insofern zeichnet sich die romantische Ironie durch
Modi eine Herausforderung des rhetorischen Prinzips eine paradoxe Doppelbestimmung aus: in ihr soll »al-
der Angemessenheit dar, und zwar in semantischer les treuherzig offen, und alles tief verstellt« (ebd.) sein.
wie intentionaler Hinsicht, wodurch sie zu einem De Man möchte Ironie daher gerade nicht im Sin-
›Grenzphänomen des Verstehens‹ wird. Dies gilt für ne von W. C. Booths A Rhetoric of Irony (1974) ver-
alle rhetorischen Figuren, die ironisch gedeutet wer- standen wissen. Insbesondere dessen Versuch einer
den können: seien es »metalogische Vergleiche«, so typologischen Unterscheidung zwischen »stabiler«
wenn man zu einer hässlichen Person sagt: »Sie ist so (stable), »offener« (ouvert) und »infiniter Ironie« (in-
schön wie ihre Schwester« (Dubois 1974, 188); aber finite Irony) verkennt in de Mans Augen die eigen-
auch für die sogenannten »ironischen Metaphern«, tümliche dynamis der Ironie. Daher versucht er im
bei denen die »Oberflächenstruktur eine affirmative Rekurs auf die deutsche Romantik – namentlich im
Werthaltung vor[täuscht], während der Signal-Kon- Rekurs auf Fichte und Schlegel – eine komplexe Theo-
text diese als negativ entlarvt« (Plett 1979, 263). rie der Ironie zu entfalten, die sich am Problem der
Die erkenntniskritische Funktion der sokratischen Unverständlichkeit abarbeitet (vgl. de Man 1996,
Ironie besteht darin, dass hier die verstellte Unwissen- 166 f.). Zugleich steht er aber auch den dezidiert ger-
heit einem didaktischen respektive mäeutischen manistischen Studien zur deutschen Romantik – etwa
Zweck dient, um bei seinem Gegenüber vermeintlich der in den 1960er Jahren recht einflussreichen Arbeit
als sicher Gewusstes in Frage zu stellen und ihn so da- von I. Strohschneider-Kohrs über Die romantische
zu zu bringen, sich auf die Suche nach dem ›wahren Ironie in Theorie und Gestaltung (1960) – skeptisch
Wissen‹ zu begeben. Die sokratische Ironie besteht gegenüber: nicht nur, weil sie von einem klar be-
mithin darin, aus einer Position des negierten Wissens stimmbaren Konzept der Ironie als einem ›Kunst-
heraus, die Position derjenigen, die positiv glauben, mittel‹ ausgeht, das es erlaubt, die Ableitungsverhält-
über Wissen zu verfügen, ins Wanken zu bringen. In nisse zwischen »kunsttheoretischen Postulaten« und
eben diesem Sinne wird Kierkegaard zu Beginn seiner »philosophisch-ästhetischen Problemen« in »genauer
Abhandlung Über den Begriff der Ironie mit ständiger Argumentation zu klären und abzugrenzen« (Stroh-
Rücksicht auf Sokrates (1841) behaupten: »Sokrates hat schneider-Kohrs 1977, 2), sondern vor allem deshalb,
als erster die Ironie eingeführt« (Kierkegaard 2004, 4), weil sie Schlegels Poetik in erster Linie als Suche nach
18 I Grundbegriffe des Komischen

einer authentischen Sprache und einer neuen Mytho- Hoffmanns Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst
logie begreift (vgl. de Man 1996, 180). fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johan-
De Man streicht dagegen die »performative Funk- nes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern (1820–
tion« (ebd., 165) der Ironie heraus, also den sprach- 1821) mit der Entschuldigung an die Leser wendet,
lichen Aktcharakter, den er mit den in Fichtes Wissen- durch seinen Leichtsinn seien zwei Manuskripte – die
schaftslehre (1794) proklamierten Ich-konstitutiven Autobiographie des Katers Murr und die Biographie
›Akten des Setzens‹ als einer »absoluten Tätigkeit« des Kapellmeisters – »aus Versehen« zusammen abge-
(Fichte 1845, 127 f.) kurzschließt. Anstatt die Ironie, druckt worden, so dass das Publikum es nun mit ei-
wie in der rhetorischen Tradition üblich, als Differenz nem »verworrenen Gemisch fremdartiger Stoffe
zwischen Sagen und Meinen zu begreifen, entfaltet de durcheinander« (Hoffmann 1992, 12) zu tun hat, bei
Man im Anschluss an Schlegel eine Idee von Ironie, dem der Murr-Teil immer wieder durch Passagen des
die darauf abzielt, permanent aus der Rolle zu fallen Kreisler-Teils unterbrochen wird (vgl. Wirth 2008,
(vgl. de Man 1996, 178). Ironie wird dabei zum einen 380 f.).
als doppelte Bewegung der »Selbstschöpfung und Neben diesem »parabatischen Typus« (Japp 1999,
Selbstvernichtung« (Schlegel 1967, 151 [37]; vgl. hier- 21) romantischer Ironie, der eine permanente inter-
zu auch Behler 1997, 95 f.), die der von de Man propa- pretative Herausforderung von »Deutungsrahmen«
gierten »performativen Rhetorik« (de Man 1996, 184) (Goffman 1996, 55 f.) darstellt, entfaltet sich um 19. Jh.
respektive der »Dekonstruktion« (ebd.) den Boden eine zweite Entwicklungslinie einer gleichermaßen
bereitet: Das komisch-ironische Spiel mit Differenzen poetologischen und philosophischen Auseinander-
und Konventionen wird gleichsam zu einer Allegorie setzung mit dem Phänomen der Ironie. So reflektiert
dekonstruktiven Denkens überhaupt, das sich ins- Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik (1804) über
besondere an der in Sprachphilosophie und Pragma- den »Ernst der Ironie« (Jean Paul 1975, 148, § 37) im
linguistik höchst einflussreichen Performanztheorie Verhältnis zum epischen Humor und beschreibt die
abarbeitet. Zum anderen wird die romantische Ironie Ironie als vielgestaltiges erzählerisches Stilmittel – oh-
als »Form des Paradoxen« (Schlegel 1967, 153 [48]), ne ihn allerdings in gleicher Weise aufzuladen, wie die
die mit den Grenzen zwischen »Scherz« und »Ernst« Romantiker. Aus philosophischer Perspektive thema-
(ebd., 160) spielt zu einer literarischen Strategie der tisiert Hegel die Ironie in seinen Vorlesungen über die
»Rahmenkonfusion« (Luhmann 1999, 415). Die Rah- Ästhetik (1820 ff.), wobei er insbesondere die Beru-
menkonfusion setzt N. Luhmann zufolge ein »Modell fung der Romantiker – allen voran Schlegel – auf die
durchschaubarer Täuschungen« (ebd., 177) in Szene, sokratische Ironie äußerst kritisch hinterfragt. Hegel
um (so lautet eine These, die die Konjunktur dieses sieht in der Ironie »allseitige Vernichtigungskunst«,
Phänomens in der Literatur ›um 1800‹ erklären soll) die auf einer »absoluten Negativität« gründet, »in wel-
beim intelligenten Lesepublikum ein bewegliches cher sich das Subjekt im Vernichten der Bestimmthei-
»Fiktivitätsbewußtsein« (Berthold 1993, 123) zu kon- ten und Einseitigkeiten auf sich selbst bezieht«, zu-
stituieren. Täuschen soll die »herrliche Schalkheit« gleich aber auch eine »unkünstlerische Haltungslosig-
(Schlegel 1967, 160) der romantischen Ironie indes nur keit« (Hegel 1986, 211) offenbart. Kierkegaard vertei-
diejenigen, »welche sie für Täuschung halten« (ebd.) digt dagegen die romantische Ironie gegen Hegel – auch
anstatt sie als »transzendentale Buffonerie« (ebd., 52 wenn er zunächst dessen Einschätzung von der Nega-
[42]) zu begreifen. tivität der Ironie folgt. Allerdings sieht er diese als sub-
Zum Prinzip des Rahmenbruchs wird die romanti- jektive Möglichkeit, sich der Gebundenheit durch die
sche Ironie aber auch durch ihre Bestimmung als »gegebene Wirklichkeit« zu entziehen, denn: »In der
»permanente Parekbase« (Schlegel 1963, 85 [668]), Ironie ist das Subjekt negativ frei« (Kierkegaard 2004,
was für Schlegel – inspiriert durch die Publikums- 267). Mehr noch: Mit dieser Freiheit erlebt der Ironi-
ansprache in den Fröschen (ca. 405 v. Chr.) des Aristo- ker gleichsam ein existentielles »Schweben«, weil er
phanes, aber auch durch die diskursiven Brüche im sich »an der Unendlichkeit der Möglichkeiten, gleich-
Don Quichote (1605/1615) des Cervantes – gleichbe- sam berauscht« (ebd.). Gerade auch mit Blick auf die
deutend ist mit einer Durchbrechung des Illusions- Frage, ob es Sokrates mit seiner Unwissenheit Ernst
rahmens: etwa wenn, wie in L. Tiecks Verkehrte Welt gewesen sei, kommt Kierkegaard dann zu einer ganz
(1800), die Bühnenfiguren aus ihren Rollen herausfal- ähnlichen Auffassung wie Schlegel: Für die Ironie –
len und einen Dialog mit dem Publikum beginnen; insbesondere für die sokratische – »gibt es kein Be-
oder wenn sich der fiktive Herausgeber in E. T. A. ständiges, sie schaltet und waltet mit allem nach Belie-
4 Ironie 19

ben« (ebd., 274). Will sie diese Haltung aber zu einer tive when its politics are conservative or authoritarian
Aussage machen, gerät sie in eine Art ›performativen as easily as when its politics are oppositional and sub-
Selbstwiderspruch‹ (vgl. Wirth 2003), denn sie sagt versive: it depends on who is using/attributing it and
»etwas Positives«, womit sie sich festlegt und ihre at whose expense it is seen to be« (ebd., 15). Insofern
»Selbstherrlichkeit« (Kierkegaard 2004, 274) ebenso Ironie sowohl der Verstärkung als auch dem Unter-
wie ihre Negativität ein Ende hat. In diesem Moment laufen von autoritären und herrschenden Meinungen
wird die Ironie ernst. dienen kann, erweist sie sich als »Kipp-Phänomen«
Eine Weiterführung der philosophischen Reflexion im Iserschen Sinne, denn sie setzt »das Nichtigma-
über Ironie unter postmodernen Vorzeichen findet chen des Geltenden sowie die plötzlich erscheinende
sich in R. Rortys Buch Kontingenz, Ironie, Solidarität Geltung des Nichtigen« (Iser 1976, 398) in Szene. Die
(1989). Für Rorty ist Ironie das Gegenteil von »gesun- ›Politik‹ der Ironie besteht in ihrer Intention, mit der
der Menschenverstand«, der versucht, »alles Wichtige negierenden Geste jeweils eine Auf- oder eine Abwer-
unbefangen in Begriffen des abschließenden Vokabu- tung vorzunehmen. Die Ironie erweist sich dabei als
lars [zu] beschreiben« (Rorty 1989, 128). Die iro- spezieller »interpretive and intentional move« (Hut-
nische Haltung ist dagegen eine abgeklärte philoso- cheon 1995, 11): als diskursive Dynamik, die sich im
phische Einstellung, die bewusst auf die Suche nach Zwischenraum zwischen Sender und Empfänger,
transzendentaler Letztbegründung und endgültigen aber auch zwischen Gesagtem und Nicht-Gesagtem
»abschließenden Vokabularen« (ebd., 127) verzichtet. ›ereignet‹: »irony ›happens‹ [...] in the space between
Das Ringen um Wissen und Wahrheit wird vielmehr (and including) the said and the unsaid« (ebd., 12).
zu einem Ringen um »Neubeschreibungen« des bisher Indes ist die ironische Bedeutung nicht einfach mit
verwendeten Vokabulars durch ein anderes, wobei dem Nicht-Gesagten gleichzusetzen, sondern sie ist
sich die »Ironikerin« auch bei der Beschreibung ihrer vielmehr »always different – other than and more than
eigenen Position als Erkenntnissubjekt bewusst ist, the said« (ebd.).
dass »die Begriffe, in denen sie sich selbst beschreibt, Dass die Ironie anderes und mehr bedeutet als ge-
Veränderungen unterliegen« (ebd., 128). Diese Ein- sagt wurde, ist auch der Ausgangspunkt der sprach-
sicht in die grundlegende »Kontingenz und Hinfällig- pragmatischen Beschäftigung mit dieser ›nicht-wörtli-
keit« aller philosophischer Vokabulare mündet in eine chen‹ Sprachverwendung. Aufgrund einer offensicht-
»metastabile« ironische Einstellung, die »nie ganz da- lichen kontextuellen Inkongruenz, einem offensicht-
zu in der Lage [ist], sich selbst ernst zu nehmen« lichen Nicht-Passen der wörtlichen Satz-Bedeutung,
(ebd.). Zugleich reinterpretiert Rorty Hegels ›Dialek- versucht der Empfänger, die ironische Äußerung »so
tische Methode‹ als eine Strategie, »Vokabulare gegen- [zu] reinterpretieren, daß sie paßt«, etwa indem er an-
einander auszuspielen, statt bloß Sätze voneinander nimmt, dass sie »gerade das Gegenteil von dem bedeu-
abzuleiten« und mithin als ein Verfahren, die »Mög- tet, was sie wörtlich bedeutet« (Searle 1982, 135). Die
lichkeiten massiver Neubeschreibung zu erkunden« entscheidende Frage ist indes, wie sich die Differenz
(ebd., 135). Rorty zufolge gründet dieses Verfahren zwischen dem (wörtlich) Gesagten und dem (ironsich)
nicht auf der Fähigkeit zur philosophischen Argu- Gemeinten beschreiben lässt. Während J. Searle der
mentation, sondern auf »literarischem Geschick«, das Idee einer inversio der Äußerungsbedeutung zu folgen
sich in der »Herstellung überraschender Gestaltwech- scheint, entwickelte P. Grice in den 1970er Jahren ei-
sel« respektive »schneller Übergänge« (ebd.) zwischen nen alternativen, bis heute sehr einflussreichen Ansatz,
verschiedenen Terminologien zeigt. um ironische Äußerungen, aber auch andere Formen
In ihrer Untersuchung Irony’s Edge: The Theory and der Anspielung zu beschreiben, nämlich seine Theorie
Politics of Irony (1995) legt L. Hutcheon einen ande- der »Konversationellen Implikaturen« (vgl. Grice
ren Schwerpunkt: Ihr geht es weniger um die erkennt- 1993). Anders als Searle geht Grice nicht davon aus,
niskritische Dimension der Ironie, als vielmehr um dass Semantik und Pragmatik vollständig konventio-
ihre politische Dimension: »the ›scene‹ of irony is a nell kodiert sind, sondern dass Kommunikations-Si-
social and political scene« (Hutcheon 1995, 4). Dabei tuationen durch eine komplexe Interaktion von lin-
geht Hutcheon davon aus, dass Ironie als »transideo- guistischen Konventionen, pragmatischen Konversati-
logische« (ebd., 10) diskursive Strategie funktioniert, onsmaximen, kontextuellen Informationen und infe-
die von grundverschiedenen politischen Positionen rentiellen Folgerungen bestimmt sind. Ironie entsteht,
in Dienst genommen werden kann – und die jeweils wenn der Sprecher seine Äußerung so gestaltet, dass
andere Position in Frage stellt: »irony can be provoca- sie so offensichtlich gegen die Maxime der Wahrhaftig-
20 I Grundbegriffe des Komischen

keit verstößt, dass der Empfänger (voraussetzend, dass Es wäre lohnenswert, diese Auffassung von Ironie
der Sender kommunikativ kooperativ handelt) dies als als Form ›echotischen Erwähnens‹ auf das Konzept
ein Signal werten kann, der Sprecher habe dies inten- der Intertextualität anzuwenden – insbesondere mit
tional getan, um etwas ›anderes‹ zu verstehen zu geben Blick auf die These einer ›postmodernen‹ intertextu-
als das, was er wörtlich sagt (vgl. Grice 1993, 258). ell-ironischen Haltung, die auf Seiten des Autors und
Im Anschluss an Grice haben D. Sperber und D. auf Seiten des Lesers mit literarischen Zitaten und Be-
Wilson eine sprachpragmatische Theorie der Ironie zügen spielt und sich, mit U. Eco zu sprechen, auf die
entwickelt, die sich auch als Reformulierung der Klas- Suche nach »intertextuellen Echos« (Eco 2003, 274)
sischen Rhetorik versteht, der zufolge Ironie eine begibt (s. Kap. 19).
Form der Regelabweichung ist, die angesichts einer
unangemessenen wörtlichen Bedeutung ›irgendwie‹ Literatur
auf eine angemessene ›figurative Bedeutung‹ verweist. Aristoteles: Rhetorik. Übers. u. hg. v. Günther Sieveke. Mün-
Sperber und Wilson wollen diesem ›Irgendwie‹ auf die chen ³1989.
Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übers. u. komm. v. Eugen
Spur kommen. Dabei vertreten sie die Ansicht, dass Rolfes. Leipzig ³1921.
eine ironische Äußerung nicht als Ausdruck einer Behler, Ernst: Ironie und literarische Moderne. Paderborn
Überzeugung über eine Tatsache interpretiert werden 1997.
darf, sondern als Ausdruck einer Überzeugung über Berthold, Christian: Fiktion und Vieldeutigkeit. Zur Entste-
die Äußerung, die gerade gemacht wurde und die ge- hung moderner Kulturtechniken des Lesens im 18. Jahrhun-
dert. Tübingen 1993.
rade dadurch zu einer ironischen Äußerung wird: Wer
Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Hg. u.
eine ironische Äußerung macht, »is expressing a belief übers. v. Harald Merklin. Stuttgart 1976.
ABOUT his utterance, rather than by MEANS of it« Despoix, Philippe/Fetscher, Justus: »Ironisch/Ironie«. In:
(Sperber/Wilson 1991, 554). Diese Definition der Iro- Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 3.
nie bedeutet, dass in einer ironischen Äußerung auf Stuttgart/Weimar 2001, 196–244.
eine andere Äußerung (die eine Überzeugung oder ei- Dubois, Jacques: Allgemeine Rhetorik. Übers. u. hg. v. Armin
Schütz. München 1974.
ne Behauptung ausdrückt) gleichsam zitierend Bezug
Eco, Umberto: »Intertextuelle Ironie und mehrdimensionale
genommen wird. Sperber und Wilson definieren die Lektüre«. In: ders.: Die Bücher und das Paradies. München
Ironie als eine Form des »echotischen Erwähnens« 2003, 255–285.
(»Echoic Mentioning«) (ebd., 556). Der entscheiden- Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage der gesammten Wissen-
de Punkt ist dabei, dass die semantische Einstellung schaftslehre [1794]. In: ders.: Sämmtliche Werke. Hg. v. Im-
(der belief) dessen, der einen Satz mit ironischer Ab- manuel Hermann Fichte. Bd. 1. Berlin 1845, 83–328.
Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die
sicht äußert, nicht mit dem propositionalen Gehalt Organisation von Alltagserfahrungen [1974]. Frankfurt
kongruiert, der in dem Satz ausgedrückt wird. Der a. M. 1996.
propositionale Gehalt des ausgedrückten Satzes wird Grice, Paul: »Logik und Konversation« [1975]. In: Georg
lediglich wie in einem Zitat ›erwähnt‹, nicht aber be- Meggle (Hg.): Handlung, Kommunikation, Bedeutung.
hauptet. Diese semantische Differenz macht die iro- Frankfurt a. M. 1993, 243–265.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die
nische Einstellung des Äußernden aus und erklärt zu-
Ästhetik. Bd. 13. Hg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus
gleich das Phänomen der ironischen Distanz: Diese ist Michel. Frankfurt a. M. 1986.
als Distanz zum propositionalen Gehalt der Äußerung Hoffmann, E. T. A.: Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst
zu deuten, nicht aber als Distanz zu jenem Zustand in fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes
der Welt, der durch den propositionalen Gehalt der Kreisler in zufälligen Makulaturblättern [1820–1821]. In:
Äußerung ausgedrückt wird. ders.: Sämtliche Werke. Bd. 5. Hg. v. Hartmut Steinecke/
Gerhard Allroggen. Frankfurt a. M. 1992.
Vor dem Hintergrund dieser Annahme, erwähnt Hutcheon, Linda: Irony’s edge. The theory and politics of iro-
Antonius in Shakespeares Julius Cäsar lediglich die ny. London/New York 1995.
Proposition, dass Brutus ein ehrenwerter Mann sei, Iser, Wolfgang: »Das Komische: ein Kipp-Phänomen«. In:
ohne dass dies seiner Überzeugung entspricht – es Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning (Hg.): Das
handelt sich lediglich um ein Echo der Überzeugung Komische. München 1976, 398–402.
Japp, Uwe: Die Komödie der Romantik. Typologie und Über-
der Anhänger des Brutus. Mit jeder Wiederholung der
blick. Tübingen 1999.
Überzeugung, dass Brutus ein ehrenwerter Man sei, Jean Paul: Vorschule der Ästhetik [1804]. In: ders.: Werke.
»he mentions it in the context of further facts which Hg. v. Norbert Miller. München 1975.
make it clear that he is dissociating himself from it« Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a. M.
(ebd., 561). 1999.
5 Satire 21

Plett, Heinrich F.: Textwissenschaft und Textanalyse. Heidel- 5 Satire


berg 1979.
Man, Paul de: »The Concept of Irony«. In: ders.: Aesthetic Im Bereich von graphisch repräsentierten Texten ist
Ideology. Hg. v. Andrzej Warminski. Minneapolis/London
1996, 163–184. die ›Satire‹ eine Schreibweise (vgl. Zymner 2003, 171–
Quintilianus, Marcus: Institutionis oratoriae / Ausbildung des 190; Trossbach 2005; Meyer-Sickendiek 2010), die
Redners. libri XII. Hg. u. übers. v. Helmut Rahn. Darm- sich allerdings in bestimmten sozialhistorischen
stadt ³1995. Kontexten mehrfach zu literarisch-generischer Nor-
Rorty, Richard: »Private Ironie und liberale Hoffnung«. In: mativität verdichtet oder stabilisiert hat, so dass im
ders.: Kontingenz, Ironie, Solidarität. Frankfurt a. M. 1989,
Hinblick auf diese generischen Stabilisierungen lite-
127–161.
Schlegel, Friedrich: »Kritische Fragmente« [Lyceums-Frag- raturwissenschaftlich retrospektiv und übergreifend
mente] [1797] und »Athenäums-Fragmente« [1798]. In: von der ›Gattung Satire‹ und ihren unterschiedlichen
Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Erste Abteilung. historischen Genres gesprochen wird. In diesem Fall
Bd. 2. Hg. v. Ernst Behler. München u. a. 1967. wird der Ausdruck ›Satire‹ also als generische Sam-
Schlegel, Friedrich : »Philosophische Lehrjahre« [1796– melkategorie auf einem relativ hohen Abstraktions-
1828]. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Zweite Ab-
teilung. Bd. 18. Hg. v. Ernst Behler. München u. a. 1963.
niveau verwendet und zugleich als Bezeichnung für
Searle, John: Ausdruck und Bedeutung [1979]. Frankfurt die jeweils systematisch untergeordneten Genres.
a.M. 1982. Ebenso werden aber auch Einzeltexte, die als ganze
Sperber, Dan/Wilson, Deirdre: »Irony and the Use-Mention von der Schreibweise geprägt sind, als ›Satiren‹ be-
Distinction« [1981]. In: Pragmatics, A Reader. Hg. v. Ste- zeichnet, so als gehörten sie einem Genre oder der
ven Davies. New York 1991, 550–564.
Gattung an, was nicht unbedingt der Fall sein muss.
Strohschneider-Kohrs, Ingrid: Die romantische Ironie in
Theorie und Gestaltung [1960]. Tübingen 1977. Einzelne selbständige Satiren insgesamt ebenso wie
Weinrich, Harald: »Ironie«. In: Joachim Ritter (Hg.): Histori- historische Genres der Satire sowie unselbständige, in
sches Wörterbuch der Philosophie. Neubearb. Ausg. v. Ru- generisch anderweitig normierte Texte eingefügte
dolf Eisler. Darmstadt 2007, 577–582. (und dadurch im Hinblick auf den Gesamttext nur
Wirth, Uwe: »Vorbemerkungen zu einer performativen punktuelle) Exemplifikationen der Schreibweise be-
Theorie des Komischen«. In: Performativität und Praxis.
Hg. v. Dieter Mersch. München 2003, 153–174.
zeichnet man schließlich als ›satirisch‹ oder als Beleg-
Wirth, Uwe: Die Geburt des Autors aus dem Geist der He- fälle für ›das Satirische‹.
rausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800: Als Schreibweise ist die Satire eine medienspezi-
Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E. T. A. Hoff- fische Ausprägung eines allgemeinen Verfahrens des
mann. München 2008. making special, ›Besondersmachens‹, von Zeichenge-
Uwe Wirth fügen. Die Satire als allgemeines Verfahren kann au-
ßer in graphisch repräsentierten Texten in phonisch
repräsentierter Rede, sodann aber auch z. B. im (pluri-
medialen) theatralischen Spiel, in pikturalen Reprä-
sentationen (Karikatur, Comic, Cartoon, Plakate, Fo-
tos) oder in Fernsehen (Comedy) und Film vorkom-
men (vgl. z. B. Neugebauer 1993; Hanuschek 2009).
Zumindest theoretisch denkbar sind satirische Musik,
satirische Plastiken oder satirische Architektur. Als
Verfahren im Allgemeinen ebenso wie als Schreibwei-
se im Besonderen und schließlich in generischen Sta-
bilisierungen oder als partielle Exemplifikation ist die
prototypische Satire stets Ausdruck, Darstellung und
Appell in eins (vgl. Weber 1981): Ein Ausdruck der
Anstoßnahme an generellen, die Allgemeinheit be-
treffenden (tatsächlichen oder vermeintlichen, in den
Augen des Satirikers gegebenen) Missständen oder
Mängeln, sodann eine Darstellung der Missstände
oder Mängel und schließlich zugleich ein Appell, die-
se Missstände abzustellen und diese Mängel zu behe-
ben. Der Appell kann explizit formuliert werden,

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_5,


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22 I Grundbegriffe des Komischen

kann aber auch durch die Darstellung und die Aus- sprachige Satiriker und Polemiker im 20. Jh., sieht
drucksmittel der Satire implizit vermittelt und von den Unterschied zwischen Satire und Polemik v. a. im
dem Rezipienten lediglich erschlossen werden. Die unterschiedlichen Grad der Fiktionalisierung: »Der
Darstellung und die charakteristischen Ausdrucks- Satiriker gestalte die angegriffenen realen Personen
mittel der Satire bewegen sich dabei zwischen scherz- wie literarische Figuren, hinter denen weniger die ge-
haftem Spott und pathetischer Schärfe (vgl. Brum- meinten Menschen wiedererkannt, als Typen durch-
mack 2003, 355) und stellen wenigstens in manchen schaut werden können, während die Polemik die be-
Fällen die Komik als allgemeines Verfahren des ›La- treffenden Personen direkt angreife und ihnen scha-
chenmachens‹ in den Dienst der appellativen Zielset- den wolle« (ebd., 118 f.; siehe hierzu auch die Unter-
zung: »Satire ist oft, aber nicht ausnahmslos komisch, scheidung zwischen Polemik und Satire als
und Komik ist bisweilen, aber keineswegs immer sati- »formulierter« und »gestalteter Verneinung«, Lazaro-
risch. [...] Beim Komischen handelt es sich um eine wicz 1963, 183; vgl. auch Zymner 1994). Ebenso kann
von verschiedenen Formen, in denen das Satirische die prototypische Satire vom Pasquill als einer »meist
auftritt; und das Satirische stellt eine von mehreren anonyme[n] oder maskierte[n] Vernichtung eines be-
Funktionen dar, die das Komisch haben kann« (Kindt stimmten Gegners« und als einer »verleumderischen
2011, 157). Typisch für die Darstellungen und Aus- Verletzung der Ehre vor der Öffentlichkeit« (Hess
drucksmöglichkeiten der Satire sind eine Reihe von 2003, 31) und vom Pamphlet als einer polemisch-pas-
rhetorisch-stilistischen Mitteln, Stilzügen und Stil- quillantischen, publizistischen Angriffsschrift unter-
prinzipien. Zu nennen wären hier allgemein neben schieden werden. Im Einzelfall kann es zwischen der
der Verstellung (dissimulatio) des »ridentem dicere prototypischen Satire und den genannten Formen
verum« (Horaz, Satirae I,1,24; lachend/scherzend die verbaler Aggression verschwimmende Grenzen und
Wahrheit sagen), der Verspottung (illusio) und der gleitende Übergänge geben. Auf der anderen Seite ist
Entrüstung (indignatio) speziell die Möglichkeiten der aber auch die Unterscheidung zwischen der Satire
rhetorischen Ironie: »a) das Gegenteil von dem [...] sa- und der Groteske und v. a. zwischen der Satire und
gen, was man meint; b) etwas anderes [...] sagen, als dem Nonsens nicht immer scharf. Besonders im Fall
man meint; c) tadeln durch falsches Lob und Lob der Satire R. Gernhardts und im Kontext der sogen.
durch vorgeblichen Tadel; d) jede Art des sich Lustig- Neuen Frankfurter Schule (vgl. Zehrer 2002) geht die
machens und Spottens« (Lapp 1992, 24). Weitere For- Satire geradezu in Nonsens über oder wird sogar
men finden sich in einzelnen Tropen (die verschärfte, durch Nonsens ersetzt. Der Satiriker habe heute näm-
bittere Ironie des Sarkasmus, die scharfsinnig-witzige lich weder ein Monopol auf die oder eine Wahrheit,
›Stichelrede‹ des Asteismus, die unglaubwürdig-maß- noch gebe es diese Wahrheit überhaupt, und der ein-
lose Übertreibung der Hyperbel, die pauschal-grup- zige mögliche, gewissermaßen satireäquivalente Wi-
pencharakterisierende Ethopoeia, die pauschal-ein- derstand gegen ›die Verhältnisse‹ bestehe heute in der
zelcharakterisierende Prosopopoeia, die Andeutung, systematischen Sinnverweigerung des Nonsens (vgl.
die Anspielung und das Wortspiel (vgl. u. a. Meyer-Si- Zymner 2006):
ckendiek 2007, 447) oder auch in funktional unter-
geordneten Verfahren wie insbesondere das der Paro- »Zwar attackiert der Nonsens reale Verhältnisse nicht
die (durch entstellende Adaptation, Übertreibung explizit wie die Satire, sondern spielt mit ihnen; aber
oder auch antithematische Behandlung einer Vorlage, dieses spielerische Nicht-Ernstnehmen stabilisiert die
vgl. Verweyen/Witting 1979). realen Verhältnisse keineswegs. Die Sinnlosigkeit der
Die Anstoßnahme an (vermeintlichen oder tat- Nonsenswelt fällt vielmehr auf die Realität zurück, und
sächlichen) generellen Missständen oder Mängeln wenn die Nonsens-Welt ein Tollhaus zu sein scheint, so
sowie die Ästhetisierung der Darstellung durch (zu- mag das kein Zufall sein angesichts einer Gesellschaft,
mal tendenziell komische) Stilisierung, Fiktionalisie- deren Sachwalter und Nutznießer den Menschen gern
rung oder Symbolisierung unterscheidet die proto- einreden, wie toll eigentlich alles ist; und in der Tat ge-
typische Satire von anderen Formen der verbalen Ag- bärdet sich die Welt wie toll. Nonsens, so gesehen, for-
gressivität, wie z. B. von der Polemik, die eine »auf dert also nicht zur Weltflucht auf, sondern bietet eine
Bloßstellung und moralische oder intellektuelle Ver- Möglichkeit subjektiven und im Grund radikalen Wi-
nichtung abzielende, gleichwohl argumentierende derstands gegen die Macht der äußeren Verhältnisse.
Kritik am Gegner in einem Streit« (Scheichl 2003, Nonsens ist Anleitung zur Widerspenstigkeit.« (Köhler
117) ist. K. Kraus, der wohl bedeutendste deutsch- 1990, 350 f.)
5 Satire 23

Poetik und Ästhetik (ebenso wie häufig auch die Ge- Zu einer wissenschaftlichen Theorie der Satire und
schichte) der Satire werden seit der römischen Antike ihrer literarhistorischen Erforschung kommt es erst
reflektiert, sei es in den ›Programmsatiren‹ der plau- im 20. Jh. (vgl. zusammenfassend Brummack 2003;
dernden Sermones des Horaz (Satirae 1,4; 1,10, 2,1), Arntzen 2003; Meyer-Sickendiek 2010). Hier wird
des Persius (Satirae 1) oder des Juvenal (Satirae 6, schon früh die Satire als eine Schreibweise (wahlweise
634–637), sei es in Rhetoriken wie derjenigen Quinti- auch Schreibart oder engl. mode) konzeptualisiert
lians (Institutionis oratoriae libri XII, 10,1, 93–95: »sa- (vgl. Elliott 1960; Highet 1962; Paulson 1971; siehe
tura quidem tota nostra est« – »die Satire aber ist ganz aber auch schon Lukács 1932; Frye 1944, 75; Tross-
unser Eigentum«); ebenso in spätantiken Grammati- bach 2005; vgl. v. a. K. W. Hempfers Bestimmung der
ken wie derjenigen des Diomedes (III. Buch; vgl. Kin- Satire als einer tiefenstrukturellen generischen Invari-
dermann 1978), in frühneuzeitlichen Poetiken (wie ante, die sich über bestimmte Transformationen in
etwa in J. C. Scaligers Poetices libri septem (1561) oder historischen Gattungen konkretisieren kann in
auch in Opitz’ Buch von der teutschen Poeterey (1624) Hempfer 1973, 224). Der Begriff der ›Satire‹, so die
unter dem Begriffsnamen »satyra« und in D. G. Mor- heute vorherrschende Auffassung, könne » nur dann
hofs Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie der Literaturpraxis von der Antike bis heute gerecht
(1682) unter dem eindeutschenden Begriffsnamen werden [...], wenn er [...] nicht an die Genrebereiche
»satyre«); des Weiteren in literaturkritischer Essay- von Epigramm, Verssatire und Prosasatire (im Stile
istik (wie in J. Mauvillons und L. Unzers Briefwechsel der Menippea) gebunden wird« (Schönert 2007, 84 f.).
Ueber den Werth einiger Deutschen Dichter (1771), Freilich sieht H. Arntzen dabei auch eine bis in die Ge-
15. Brief), in Ästhetiken (wie in Schillers »Über naive genwart reichende Scheu, »den Begriff der Satire im
und sentimentalische Dichtung«, 1795, oder auch in Sinne des Satirischen« von gattungs- und damit litera-
Jean Pauls Vorschule der Ästhetik, 1805). tursystematischen Vorstellungen zu lösen: »So wird
Dabei werden formale Differenzierungen erörtert zwar eingeräumt, dass eine ganze Fülle von Genres
(wie etwa die zwischen der Verssatire, der prosime- ausschließlich, vorwiegend oder partiell satirisch ge-
trischen, Prosa, Vers und Dialog mischenden Menip- braucht werden könne, doch bleibt das Genre die pri-
peischen Satire, benannt nach dem Kyniker Menip- märe Größe, die durch das Attribut satirisch nur spe-
pos von Gadara, 3. Jh. v. Chr., und der ›reinen‹ Prosa- zifiziert oder modifiziert wird« (Arntzen 2003, 345).
satire, oder auch diejenige zwischen scherzender und Verdeckt werde dadurch u. a. das Problem, ob es sich
strafender Satire), die Rolle des Satirikers bestimmt bei Satire und Satirischem lediglich um ein Phänomen
und immer wieder verteidigt (die Apologie des Sati- von Literatur und Kunst handele, oder nicht vielleicht
rikers wird geradezu zu einem Topos der Satirenpoe- eher um eines, das die Bereiche von Literatur und
tik), etymologische Fragen behandelt (steht der Aus- Kunst sozusagen in die Nicht-Literatur und in die
druck ›satura‹ mit »lanx satura«, der Opferschüssel Nicht-Kunst transgrediert, also z. B. um eine ›Aller-
mit verschiedenen Früchten, in Verbindung oder mit weltsredetätigkeit‹ bzw. um eine anthropologisch
›Satyr‹ und damit auch mit dem Satyrspiel) und der grundlegende semiotische Option, die eben auch in
Zweck der Satire (v. a. Strafe, Abschreckung, Hei- den Bereichen von Literatur und Kunst genutzt wird.
lung) oder auch ihr Objekt (z. B. Laster, Torheit) dis- Arntzen selbst betrachtet die Satire als »das tatsächlich
kutiert. Mehrfach wird dabei die ›Proteushaftigkeit‹ nicht zu systematisierende Andere« (ebd., 363) der Li-
der Satire angesprochen – so von J. G. Sulzer in der teratur. Weitere Themenbereiche und Fragestellungen
Allgemeine(n) Theorie der schönen Künste (1794), die der akademischen Satiretheorie betreffen u. a. die mo-
feststellt, »dass die Satire nicht [...] ihre eigne Form ralische Funktion der Satire (vgl. Gaier 1967; Arntzen
habe« (IV, 128 ff.), oder auch von K. F. Flögel in der 1971; Hendrickson 1975; Schmidt 1977) oder auch ih-
Geschichte der der komischen Litteratur (1784–1787), re Unterscheidung von anderen Formen verbaler Ag-
die festhält, die Satire sei »ein Proteus, der sich in alle gression (vgl. Plavius 1981; Weiß, 1992, Deupmann
Gestalten verwandelt« (Bd. 1, 294). Besonders in den 2002), ihren Zusammenhang z. B. mit dem Grotesken
nachhegelianischen, systematischen Ästhetiken bis (vgl. Grimm 1961; Heselhaus 1962; Trappen 1994)
zum Ende des 19. Jh.s (z. B. F. Th. Vischer, Aesthetik, und die Rolle des sog. ›Wirklichkeitsbezuges‹ der Sati-
1846–1857; K. Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen, re. Im Hinblick auf die Rolle des ›Wirklichkeitsbezu-
1853; J. Volkelt, System der Ästhetik, 1910) geht es ges‹ und der ›Sprachlichkeit‹ der Satire sieht H. Arnt-
auch um das Verhältnis zwischen der Satire und dem zen zwei theoretische Gruppierungen (vgl. Arntzen
Komischen. 2003, 362 f.), nämlich diejenige, die an einer Funktio-
24 I Grundbegriffe des Komischen

nalität der Satire festhalte (repräsentiert durch U. Gai- typologisch prägend und sogar als traditionsbildend
er, R. Paulson, K. W. Hempfer), und diejenige, der es für Prosasatiren und satirische Prosa bis in die Gegen-
um eine Übertragung des Autonomieanspruches der wart betrachtet – und hier z. B. für den satirischen Ro-
Literatur auf die Satire gehe (repräsentiert durch H. man (z. B. Rabelais’ Gargantua et Pantagruel, 1532);
Arntzen, J. Brummack, K. Lazarowicz u. a.). Ein inte- Grimmelshausens Simplicissimus, 1668; Cervantes’
ressanter Sonderbereich der Satireforschung betrifft Don Quichotte, 1605/1615; Voltaires Candide ou l’opti-
die juristische Bewertung der Satire (vgl. Wolf 1996; misme, 1759; G. Flauberts Bouvard et Pécouchet, 1881;
Senn 1998) und den Zusammenhang bzw. das Zusam- R. Bradburys Fahrenheit 451, 1953; G. Grass’ Blech-
menspiel von Strafrecht und Satire (vgl. Merkel 1998). trommel, 1959; V. Brauns Hinze-Kunze-Roman, 1985
Nicht zuletzt wird auch immer wieder die besondere u. a. m.). Als satirische Sonderformen mit eigenen
Position der Satire im Feld der komischen Artikulati- Traditionen werden satirische Briefe, satirische Lob-
onsformen diskutiert (v. a. Witz, Humor, Komik, Iro- reden, satirische Abhandlungen, Wörterbücher oder
nie; vgl. z. B. Arntzen 2003). auch Traumsatiren eingeschätzt.
Die Satire als Schreibweise lässt sich bereits in prä- Eher epochentypische und typologisch signifikante
antiken Dichtungen aufzeigen. In der griechisch-rö- als tatsächlich generisch stabile Formen der Satire wä-
mischen Antike kommt es allerdings mit den Verssati- ren die Ständesatire des späten Mittelalters (z. B. Hugo
ren des Lucilius (2. Jh. v. Chr.) und v. a. des Horaz von Trimberg, Der Renner, 1290; H. Wittenwiler, Der
(35/30 v. Chr.; Sermones), des Persius und des Juvenal Ring, um 1400), die Narrensatire der Frühen Neuzeit
zu einer quantitativen und poetologisch-programma- (S. Brants Narrenschiff, 1494; Th. Murners ›Narren-
tischen, mustergebenden und vorbildlichen Verdich- beschwörung‹, 1512; seine ›Schelmenzunft‹, 1512, oder
tung durch Exemplifikationen der Satire, die seither auch seine ›Gäuchmatt‹, 1519; Erasmus’ von Rotter-
mittelalterliche Kommentatoren ebenso wie Poetiker dam Morias Enkomium, 1511; noch Wielands Ge-
der Frühen Neuzeit und noch die moderne literatur- schichte der Abderiten, 1774), die Aufklärungssatire
wissenschaftliche Satireforschung dazu veranlasst hat, des 18. Jh.s (bei Chr.L. Liscow, Sammlung Satyrischer
in der Verssatire ein Genre der Satire zu sehen, dessen und Ernsthafter Schriften, 1739; G. W. Rabener, Samm-
Geschichte (neben und sogar noch vor dem der Men- lung satyrischer Schriften, 1751–1755, oder auch Lich-
nipeischen oder Varronischen Satire) in den abend- tenberg, z. B. Timorus, 1773) oder die gesellschaftskri-
ländischen Dichtungskulturen bis in die Neuzeit zu tisch-politische Satire des 20. Jh.s. (u. a. bei B. Brecht,
verfolgen sei. Tatsächlich gelten v. a. Horaz, Persius M. Walser, St. Heym; zur politischen Satire im Kaba-
und Juvenal als kanonische Autoren, in deren formale rett vgl. Hippen 1986 oder Glodek 2007, zu derjenigen
und stilistische Tradition sich satirische Autoren min- im Rundfunk Behrmann 2002). Typologisch signifi-
destens bis zum Ende des 18. Jh.s ausdrücklich gestellt kant ist nicht zuletzt auch die Literatursatire, also die
haben (u.a. M. Régnier, N. Boileau, J. Dryden, A. Po- satirische Bezugnahme eines Autors auf fremde Dich-
pe). So kann man etwa in der deutschen Barocklitera- tungen und Dichter (z. B. Lenz Pandaemonium Ger-
tur von einem Wiederaufleben der Verssatire spre- manicum, 1775; Goethes Götter, Helden und Wieland,
chen (z. B. J. Laurembergs Veer Schetz Gedichte, 1652; 1773; K. Kraus’ Literatur oder Man wird doch da sehn,
J. Rachels Teutsche satyrische Gedichte, 1664, und 1921).
noch bei K. Tucholsky, E. Kästner, W. Mehring, G.
Kreisler oder R. Gernhardt findet man Verssatiren Literatur
oder wenigstens satirische Verstexte; siehe in diesem Arntzen, Helmut: »Satire«. In: Karlheinz Barck u.a. (Hg.):
Zusammenhang auch D. Grünbeins Gedichtband Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 5: Postmoderne bis Syn-
ästhesie. Stuttgart/Weimar 2003, 345–364.
Nach den Satiren, 1999).
Arntzen, Helmut: »Nachricht von der Satire«. In: ders.: Lite-
Die prosimetrische Menippeische Satire, als deren ratur im Zeitalter der Information. Aufsätze. Essays. Glos-
wichtigste antike Vertreter Varro (Saturae menippeae, sen. Frankfurt a. M. 1971, 148–166.
80–67 v. Chr.), Lukian, 1. Jh. n. Chr.; u. a. Alethe dihe- Behrmann, Sven: Politische Satire im deutschen und französi-
gemata [Wahre Geschichten]; Enhalioi dialogoi [Meer- schen Rundfunk. Würzburg 2002.
göttergespräche]; Philosopheudes e apiston [Der Lügen- Brummack, Jürgen: »Satire«. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Re-
allexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. III: P–Z.
freund oder der Ungläubige]), Petron (Satyricon, 1. Jh. Berlin/New York 2003, 355–360.
n. Chr.), Seneca (Apocolocyntosis, 50 n. Chr.) und Deupmann, Christoph: ›Furor satiricus‹. Verhandlungen
Apuleius (Metamorphoses, um 170 n. Chr.) gelten, über literarische Aggression im 17. und 18. Jahrhundert.
wird demgegenüber häufig, wenn auch nur vage, als Tübingen 2002.
5 Satire 25

Elliott, Robert C.: The Power of Satire. Princeton 1960. manisten in aufsteigender Linie‹« [1969]. In: ders. (Hg.):
Frye, Northrop: »The Nature of Satire«. In: University of Perspektiven zur Sozialgeschichte der Literatur: Beiträge zu
Toronto Quarterly 14. Jg. (1944), 75–89. Theorie und Praxis. Tübingen 2007, 83–96.
Gaier, Ulrich: Satire. Studien zu Neidhart, Wittenweiler, Senn, Mischa Charles: Satire und Persönlichkeitsschutz. Bern
Brant und zur satirischen Schreibart. Tübingen 1967. 1998.
Glodek, Tobias u. a. (Hg.): Politisches Kabarett und Satire. Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Sati-
Berlin 2007. re: eine Studie zu den historischen Voraussetzungen der
Grimm, Reinhold: »Parodie und Groteske im Werk Fried- Prosasatire im Barock. Tübingen 1994.
rich Dürrenmatts«. In: GRM 42. Jg. (1961), 431–450. Trossbach, Horst: Von Kruger’s Alp nach Darkest England:
Hanuschek, Sven: »Satire«. In: Dieter Lamping (Hg.): Hand- Christopher Hopes satirische Romane. Würzburg 2005.
buch der literarischen Gattungen. Stuttgart 2009, 652–661. Verweyen, Theodor/Witting, Gunther: Die Parodie in der
Hempfer, Klaus W.: Gattungstheorie. Information und Syn- neueren deutschen Literatur, Darmstadt 1979.
these. München 1973. Weber, Dietrich: »Die Satire«. In: Otto Knörrich (Hg.): For-
Hendrickson, George Lincoln: »Satura Tota Nostra Est«. In: men der Literatur. Stuttgart 1981, 319–325.
Bernhard Fabian (Hg.): Satura. Ein Kompendium moder- Weiß, Wolfgang: Swift und die Satire des 18. Jahrhunderts:
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Heselhaus, Clemens: »Lyrische Grotesken«. In: ders.: Deut- Wolf, Uwe: Spötter vor Gericht. Frankfurt a. M./Berlin 1996.
sche Lyrik der Moderne von Nietzsche bis Yvan Goll. Die Zehrer, Klaus Cäsar: Dialektik der Satire. Zur Komik von
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286–338. Bremen 2002.
Hess, Günter: »Pasquill«. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Realle- Zymner, Rüdiger: »Zwerchfellakrobatik. Theorie und Praxis
xikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. III: P–Z. der Komik bei Robert Gernhardt«. In: Burkhard Moen-
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26 I Grundbegriffe des Komischen

6 Parodie Künstler auf, die zur Entspannung alles Vorausgegan-


gene auf den Kopf stellten. Diese nannte man deshalb
Der Ausdruck παρῳδία (parodía) ist seit dem Ende Paröden (parodous), weil sie neben dem Ernsthaft
des 5. Jh. v. Chr. belegt. Aristoteles erwähnt in seiner Vorgetragenen andere, lächerliche Dinge einbrach-
Poetik (ca. 335 v. Chr.) die Parodie nur beiläufig als ten« (Scaliger 1994, 371 [I, 42]). Im Anschluss an J. C.
Nachahmung ›schlechterer Charaktere‹. Allerdings Scaliger lässt sich die Parodie, darauf weist auch G.
trägt seine Anwendung des Wortes parodía auf die Genette in seinen Palimpsestes (1982) hin, als »eine
Werke der Dichter Hegemon und Nikochares [1448a] mehr oder weniger wörtliche Wiederholung des epi-
maßgeblich zur Bestimmung des Parodie-Begriffs schen Textes« definieren, »der in Richtung auf eine
bei: Ihre Werke ahmen nämlich die Form des hero- komische Bedeutung hin umgelenkt (verdreht) wird«
ischen Epos nach – bei gleichzeitiger Veränderung (Genette 1993, 26).
des Inhalts, so dass das nachgeahmte Epos »auf eine Allerdings gibt es insbesondere im Humanismus
komische Weise umfunktioniert« (Rose 2006, 1) und der frühen Neuzeit auch die Traditionslinie einer
wird. Eine parodistische Nachahmung dieser Art mehr oder weniger ernsten Parodie, der parodia seria,
zeichnet auch die Batrachomyomachia (ca. 1. Jh. die gerade keine herabsetzende, auf komische Effekte
v. Chr.) aus: ein komisches, Homers Ilias (ca. 7./8. Jh. abzielende Intention verfolgt. So orientieren sich Paro-
v. Chr.) parodierendes Epos, dessen Entstehungszeit diensammlungen wie die Parodiae morales (1575) von
und Urheber umstritten sind (vgl. Glei 1984), dessen H. Estienne eher an Argumenten und Beschreibungs-
Titel ›Froschmäusekrieg‹ indes den anti-heroischen mustern der Imitatio-Theorie, die nicht einmal auf eine
Charakter des geschilderten Krieges offensichtlich abgrenzende Distanzierung, sondern eher auf eine
werden lässt. Aneignung der Vorlage setzen. Mit anderen Worten:
In der Forschung wurde wiederholt die Frage auf- derartige ›Parodien‹ erweisen sich als Kontrafakturen,
geworfen, wie die Vorsilbe παρά (pará) zu deuten ist: nämlich als Um- und Nachdichtungen (vgl. Verweyen/
In ihr kann ein imitierendes, distanzierendes oder op- Witting 2003, 338). Die von Estienne begründete
ponierendes Verhältnis zwischen Parodie und Vorlage »kontrafaktorische Parodia-Dichtung« (Niel 2006, 12)
zum Ausdruck kommen (vgl. Rose 2006, 5; Recker- zeichnet sich dadurch aus, dass ein als Vorlage dienen-
mann 2007, 122). Die Parodie kann insofern sowohl des Gedicht als Ganzes bearbeitet wird – unter Beibe-
als ›Nachgesang‹ und als ›Gegengesang‹ bestimmt haltung des Metrums, aber mit einem anderen Thema.
werden. Im neunten Buch seiner Institutionis Orato- Während Klang und Syntax so weit wie möglich erhal-
riae bemerkt Quintilian, die Parodie sei eine sich aus ten bleiben, werden »möglichst viele sinntragende
dem Griechischen herleitende Bezeichnung, »die von Wörter [...] ersetzt« (ebd.). Ihre Weiterführung findet
den Liedern stammt, die anderen Mustern nachkom- die ›Parodia-Poesie‹ in der Parodia Horatiana, die sti-
poniert worden sind, und sich missbräuchlich auch listisch dem ›Musterautor‹ Horaz nacheifert.
für die Nachahmung von Versbau und Redewendun- Auch wenn die Frage nach der Wirkungsdimensi-
gen im Gebrauch erhält« (Quintilian 1995, 283 [9, on der Parodie (sprich dem ›komischen Effekt‹) um-
35]). Damit wird ein Aspekt ins Spiel gebracht, der bei stritten bleibt (vgl. Rose 2006, 7), so lässt sich doch
den vielfältigen Begriffsdefinitionen der Parodie im- festhalten, dass die Parodie darauf gründet, dass sie
mer wieder auftaucht, nämlich »die Imitation eines den Stil der Vorlage imitiert und das Thema transfor-
Musters« (Verweyen/Witting 1979, 7). Die Frage ist miert: etwa indem eine ›hohe‹ heroische Geschichte
indes, ob diese Definition hinreichend ist. So insistiert durch eine ›niedrige‹, anti-heroische Geschichte er-
M. Rose darauf, die Parodie müsse als »Nachahmung setzt wird – unter Beibehaltung des ›hohen Tons‹, so
und komische Umfunktionierung einer präformierten dass eine Fallhöhe entsteht, die (und damit kommt
Vorlage« (Rose 2006, 7; Kursivierung i. O.) bestimmt dann auch hier wieder die Wirkungsdimension ins
werden. Entscheidend ist dabei, dass die durch ihre Spiel) eine komische Inkongruenz impliziert. In die
komische Umfunktionierung veränderte Nachahmung, gleiche Richtung zielen Th. Verweyen und G. Witting
eine Distanzierung zwischen der Parodie und dem Pa- mit ihrem Vorschlag, die Parodie als eine »die Vorlage
rodierten bewirkt. Gestützt wird diese Auffassung mit den Mitteln der Komik antithematisch verarbei-
durch die von J. C. Scaliger in seiner Dichtkunst (1561) tende Schreibweise« (Verweyen/Witting 1979, 125) zu
aufgestellte Behauptung, die Parodie sei aus der Rhap- fassen. Dabei betonen sie, dass die ›antithematische
sodie hervorgegangen: »Wenn nämlich die Rhapso- Behandlung‹ sich nicht einfach nur auf die Ersetzung
den ihren Vortrag unterbrachen, traten spaßeshalber von Elementen des plots bezieht, »sondern gegen Sinn

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_6,


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6 Parodie 27

und Sinnkonstitution der Vorlage« (ebd., 129) gerich- zweiten Grades‹), nämlich dass der Hypertext »von ei-
tet sei. Dies betrifft insbesondere die spezifischen nem früheren Text durch eine einfache Transformati-
›Kunstgriffe‹ und ›Verfahren‹ der Vorlage, womit ex- on (wir werden einfach von Transformation sprechen)
plizit V. Šklovskijs formalistische Stiltheorie angespro- oder durch eine indirekte Transformation (durch
chen ist, der zufolge ein »abgenutzter Kunstgriff [...] Nachahmung) abgeleitet wurde« (ebd., 18). Für Ge-
als Parodie auf einen Kunstgriff noch einmal Verwen- nette ist Hypertextualität ein zentraler Aspekt nicht
dung finden [kann]« (Šklovskij 1984, 51). Damit wird nur von Textualität und Intertextualität, sondern von
die Parodie nicht mehr nur als ein auf komische Effek- Literalität überhaupt. Insofern alle literarischen Wer-
te abzielendes, sondern als ein dezidiert literarisches ke in einem bestimmten Maß an andere erinnern,
produktionsästhetisches Verfahren in den Blick ge- »sind alle Werke Hypertexte« (ebd., 20). Für Genette
nommen, nämlich als Operation einer ›intertextuel- dient der Begriff der Hypertextualität dazu, das Ver-
len Erneuerung‹. Neben das »Wiedererkennen« der hältnis von Parodie, Travestie und Pastiche im Rekurs
Vorlage tritt die »Verfremdung« (ebd., 15) durch die auf eine ›strukturale‹ Gliederung zu bestimmen, die
›antithematische‹, sprich: parodistische, Behandlung. zwischen spielerischen, satirischen und ernsten hy-
Parallel zu der Herangehensweise Verweyens und pertextuellen Verfahren unterscheidet (ebd., 44). Ge-
Wittings, die im Spannungsfeld von Literaturge- nettes Ziel ist dabei zunächst ein ›begriffspolitisches‹,
schichte und Literaturtheorie zu verorten ist, unter- nämlich die »schädliche Verwirrung« zu beenden, die
nimmt W. Karrer den Versuch, die Parodie im Kontext der Gebrauch des Wortes Parodie stiftet, solange er
zeitgenössischer linguistischer, soziologischer und gleichermaßen zur Bezeichnung der »spielerischen
psychologischer Forschung zu diskutieren und »zu Deformation« eines Textes, seiner »burlesken Trans-
systematisieren« (Karrer 1977, 9). Dabei geht er von position« und der »satirischen Imitation seines Stils«
der Hypothese aus, dass die Parodie »eine Umstruk- verwendet wird (ebd., 40). Genette schlägt dagegen
turierung der im Text indirekt oder direkt repräsen- vor, als Parodie »die Bedeutungsänderung durch mi-
tierten Werthierarchien« vornimmt – v. a. bezüglich nimale Transformationen eines Textes zu bezeich-
›hoch‹ und ›niedrig‹ respektive ›angemessen‹ und nen«, als Travestie »die stilistisch herabsetzende
›unangemessen‹ (vgl. ebd., 162). Dass die Parodie als Transformation«, als Persiflage das »satirische Pasti-
›niedrige Gattung‹ erscheint, ist ihm zufolge dem Um- che«, das sich imitierend ›nach Art von‹ (etwa im Sin-
stand geschuldet, dass der Rezipient mit seinen Vor- ne von R. Neumanns Mit fremden Federn) auf die Stil-
stellungen von ›hohen‹ und ›niedrigen‹ Stilen, For- merkmale seiner Vorlage bezieht und als Pastiche »die
men und Gegenständen, mit den textuellen Wertsys- ohne satirische Absicht unternommene Nachahmung
temen auch »gesellschaftliche Vorstellungen, v. a. des eines Stils« (ebd.). Insofern die Parodie, im Gegensatz
Klassenbewußtseins« (ebd., 81), auf das Verhältnis zur »stilistischen Transposition« der Travestie, von
zwischen Vorlage und Parodie überträgt. Auch für Genette als »semantische Transformation« (ebd., 42)
Karrer besteht die Pointe der Parodie in der Bloß- gefasst wird, lässt sich hier eine Parallele zur ›antithe-
legung der Verfahren, die zur Entstehung der Vorlage matischen Behandlung‹ im Sinne von Verweyen und
geführt haben, wobei für ihn der wesentliche Aspekt Witting feststellen. Darüber hinaus möchte Genette
der Parodie »die Interferenz, die Überlagerung zweier mit seiner »Reform« aber auch einen Platz für die
Signifikantenebenen« (ebd., 95) ist. ›ernste Parodie‹ als eine Form der Hypertextualität
Diese Gleichzeitigkeit von Parodie und parodierter schaffen (vgl. ebd., 42), die ihre Vorlagen im Modus
Vorlage, von Nachahmung des Stils und Bloßlegung einer intertextuellen »Transposition« (ebd., 44) zu
des Stils als textkonstitutives Verfahren, fasst Genette neuen Texten verarbeitet. Dergestalt findet die ›Kon-
in seiner Studie Palimpsestes als Form der ›Hyper- trafaktur‹ Aufnahme in den Reigen ›hypertextueller
textualität‹: als Beziehung zwischen einer Vorlage Verfahren‹. Dabei wird Hypertextualität von Genette
(Hypotext) und der Verarbeitung dieser Vorlage auch als gattungsbildende respektive Gattungen über-
(Hypertext), so dass der Hypertext, als ›Text zweiten schreitende Dynamik begriffen, die Pastiche, Parodie
Grades‹, den Hypotext wie ein Pfropfreis überlagert und Travestie als ›kleine‹ kanonische Gattungen um-
(vgl. Genette 1993, 15 – im Original ist tatsächlich von fasst (vgl. ebd., 18).
»se greffe« die Rede). Zugleich impliziert die hyper- Die damit aufgerufene Gattungsfrage beschäftigt
textuelle Überlagerung aber auch eine Art Ableitungs- insbesondre die deutschsprachige Parodie-Theorie-
verhältnis (dies wäre dann eine andere, eher mathe- Forschung: etwa B. Müller in ihrer Arbeit Komische
matische, Bedeutungsvariante der Formulierung ›Text Intertextualität (1994), die ähnlich wie M. Rose (und
28 I Grundbegriffe des Komischen

im Gegensatz zu Genette) davon ausgeht, dass der ko- dass sie sowohl von revolutionären als auch von kon-
mische Effekt notwendigerweise zum Definiens der servativen Kräften in Dienst genommen werden kann
Parodie gehört (vgl. Müller 1994, 25). Ihr Hauptanlie- (vgl. Hutcheon 2000, 26).
gen ist indes, zwischen der Auffassung von Parodie als Folgt man Bachtins zentraler These, dann büßt
Gattung und Parodie als Schreibweise zu vermitteln. die literarische Parodie der Neuzeit ihr karnevalis-
Im Rekurs auf Verweyen und Witting (vgl. Verweyen/ tisches – ambivalentes – Weltempfinden zunehmend
Witting 1979, 191 f.) und M. Bachtin, der die karneva- ein oder taucht in modulierter Form wieder auf, näm-
leske Parodie zwar als Schreibweise schätzt, jedoch al- lich als Aufeinandertreffen verschiedenartiger stilisti-
le Versuche, sie als ›reine‹ Gattung zu bestimmen für scher ›Stimmen‹. Sprich: die Parodie als karnevales-
problematisch hält (vgl. Bachtin 1985, 54 f.), vertritt kes Verfahren findet ihr re-entry als Überlagerung ho-
Müller die These, dass die Parodie als Schreibweise her und niedriger Stielebenen und Themen, deren
und als Gattung zugleich betrachtet werden kann. Ihre Koexistenz gleichsam das Echo der karnevalesken
Überlegungen münden in die Formel: »Ein parodis- Ambivalenz im Rahmen der Gattung Roman dar-
tischer Text gehört immer dann zur Gattung Parodie, stellt. Dies gilt etwa für den Don Quichote (1605/1615),
wenn das Instrumentarium der parodistischen der nicht nur von V. Šklovskij, sondern auch von
Schreibweise in ihm das dominante Merkmal ist. In Bachtin (vgl. Bachtin 1985, 55) als Prototyp des pa-
ihrer Konzentration konstituiert die parodistische rodistischen Verfahrens in Romanform angesehen
Schreibweise also die Gattung Parodie!« (Müller 1994, wird. Etwa wenn Don Quichote, induziert durch sei-
41). Zu fragen bleibt freilich, ob derartige Überlegun- ne Lesewut, Sprech- und Handlungsweisen der mit-
gen wirklich zum besseren Verständnis des Phäno- telalterlichen Ritter in den Kontext seiner neuzeit-
mens Parodie beitragen. lichen Lebenswelt überträgt, in der sein hoher, ge-
Eine andere, wenn man so will historisch-genealo- spreizt-anachronistisch wirkender Stil einen Ver-
gische, Fragerichtung schlägt Bachtin mit seiner Kar- fremdungseffekt auslöst. Einen ganz ähnlichen Effekt
nevalstheorie ein, wonach die ›moderne‹ literarische kann man jedoch auch in moderneren Formen der
Parodie eine sublime Ableitung einer mittelalterli- Parodie beobachten, etwa in R. Gernhardts »Materia-
chen, v. a. im Kontext von Karneval und Osterlachen, len zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform ita-
entwickelten volkstümlichen Form der Parodie ist, de- lienischen Ursprungs« aus dem Jahr 1979: ein Sonett
ren hervorstechendes Merkmal in ihrer Ambivalenz im Szenejargon, das mit den Versen beginnt: »Sonette
liegt (vgl. Bachtin 1985, 54). Weitergeführt wird dieser find ich sowas von beschissen / so eng, rigide, irgend-
Denkstil von L. Hutcheon und ihrer einflussreichen wie nicht gut«. Über die Umstände der Entstehung
Studie A Theory of Parody (1985), in der sie Bachtins schreibt Gernhardt:
Thesen auf alle Formen der Kunst anwendet: für sie ist
Parodie ein künstlerisches Verfahren, »revising, re- »Der damals gängige Jargon belustigte mich. Das Ge-
playing, inverting, and ›trans-contextualizing‹ previo- misch aus Fremdwörtern, Kraftwörtern und Mode-
us works of art« (Hutcheon 2000, 11). wörtern schien nach einer Parodie zu schreien […]. So
Für Bachtin zielt die Parodie – darin der Karnevals- verfiel ich auf den, wie ich glaubte, originellen Kunst-
logik folgend – auf eine Transformation der normati- griff, mittels eines fingierten Angriffs auf das Sonett in
ven Gesellschaftsordnung durch das Erzeugen einer Form eines möglichst kunstvollen Sonetts, möglichst
»umgestülpten Welt«, etwa durch »die Herstellung ei- viel Jargon auf den vorgeschriebenen vierzehn Zeilen
nes profanierenden und dekouvrierenden Doppel- zu transportieren.« (Gernhardt 1988, 233)
gängers« (Bachtin 1985, 54). Dabei impliziert die Pa-
rodie als »unabdingbares Element« (ebd.) aller karne- Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang nicht
valistischen Gattungen keineswegs eine negativ negie- nur, dass hier zwei ›Stimmen‹ im Sinne Bachtins auf-
rende Haltung gegenüber dem Parodierten, sondern einander treffen (die hohe Stimme des Sonetts und die
ist vielmehr Ausdruck einer Ambivalenz, bei der auf- niedrige Stimme des Jargons), sondern dass die Über-
richtige Frömmigkeit und »fröhliches Parodieren des lagerung beider Stimmen einen ambivalenten Effekt
offiziellen Kultes« (ebd., 40) gleichzeitig möglich sind. auslöst, der beide Positionen wanken lässt: Was als
Diese Interferenz des parodierten und des parodie- spielerische Parodie auf den Szene-Jargon geplant war,
renden Kontextes kann man mit Hutcheon als ›Trans- wurde von vielen Leserinnen und Lesern als parodis-
Kontextualisierung‹ begreifen, wobei sich die Ambi- tischer Angriff auf das Sonett – mithin als Travestie
valenz der ›Politik der Parodie‹ dadurch auszeichnet, oder als satirisches Pastiche – (miss-)verstanden.
6 Parodie 29

Dieser potenziell aggressiv-satirische Charakter warum Jamesons Konzept der ›blank parody‹ von J.
der Parodie steht im Mittelpunkt von R. Neumanns Butler in Dienst genommen wurde. In ihrem Buch
Überlegungen zur Ästhetik der Parodie (1927), wenn Das Unbehagen der Geschlechter (1991) versucht But-
er schreibt: »Parodie schießt auf einen Mann mit der ler, das Spannungsverhältnis zwischen dem anatomi-
Waffe seiner eigenen Form« (Neumann 1962, 554). schen Geschlecht (sex), der geschlechtlich bestimm-
Dabei impliziert die Parodie (Genette würde Neu- ten Identität (gender identity) und der Performanz der
manns Auffassung vermutlich eher als Persiflage, Geschlechtsidentität (gender performance) im Rekurs
sprich als ›satirisches Pastiche‹ einordnen) eine indi- auf Cross-Dressing und Travestie zu beschreiben.
rekte ästhetische Kritik. Die Aufgabe der Parodie ist es Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als wür-
Neumann zufolge, falsche Denkmäler und über- den in Gender-Parodien lediglich klischeehafte Frau-
schätzte Wertskalen zu demontieren; dadurch erhält en- und Männerbilder nachgeahmt, hält Butler da-
die Parodie eine Aufgabe, die der literaturkritischen gegen: »Indem die Travestie die Geschlechtsidentität
parallel ist und diese zugleich parodiert, denn »ent- imitiert, offenbart sie implizit die Imitationsstruktur
larvt wird der Betrieb eines großen Teiles unserer Li- der Geschlechtsidentität als solcher – wie auch ihre Kon-
teraturkritik« (ebd., 559). Der Aufhänger dieser Art tingenz« (Butler 1991, 203; Kursivierung i. O.). Gen-
von kritisch-satirischer Parodie ist entweder die der-Parodien setzen demzufolge nicht das Idealbild
Nachahmung oder das entlarvende Zitat. In beiden von Mann und Frau im Sinne eines klischeehaften
Fällen schleicht sich der Parodist mit Hilfe der »harm- Originals in Szene, sondern sie zeigen vielmehr, dass
losen Mimikry in die Welt des literarischen Opfers die Beziehung zwischen biologischem Geschlecht und
ein« und verwendet das gestohlene Idiom dazu, »das Geschlechtsidentität alles andere als ›natürlich‹ ist. Es
Opfer zu attackieren, zu entlarven, in die Luft zu geht also nicht um die Imitation eines normbildenden
sprengen« (ebd., 556). Die Parodie hat also eine ein- Originals, sondern es geht »um die Parodie des Be-
deutig subversive Tendenz, sie ist »die Fünfte Kolonne griffs des Originals als solchen« (ebd.). Anders gewen-
der Aggression« (ebd., 561). det: Eine derartige Interpretation von Gender-Paro-
Ganz andere Akzente setzt Hutcheon mit ihrem dien bringt einen Begriff der ›blank parody‹ in An-
Parodieverständnis: für sie sind die parodistischen schlag, der in der parodistischen Imitation die Imitati-
Distanzierungsstrategien nicht in erster Linie Mittel, onsstruktur der gender performance parodiert.
um das Parodierte mit Hilfe der Kritik in Frage zu Dergestalt werden die literaturtheoretischen Über-
stellen, sondern um neue künstlerische Produktions- legungen zum autoreflexiven Charakter der Parodie
prozesse in Gang zu setzen: etwa im Modus von Auto- aus der Domäne der Literatur und der Kunst in die
Reflexivität und Metafiktionalität als »form of inter- Domäne der Lebenswelt übertragen. Diese Übertra-
art discourse« (Hutcheon 2000, 2). Dabei ist sie mehr gung stellt nicht nur eine ›trans-contextualization‹ im
an den nicht-komischen Spielarten der Parodie inte- Sinne von Hutcheon dar, sondern impliziert auch eine
ressiert (vgl. ebd., 21). Hier treten deutliche Parallelen Wiederbelebung von Schlegels Idee einer »steten
zu den Thesen von F. Jameson zu Tage, der die Parodie Selbstparodie« unter post-romantischen Vorzeichen:
nicht mehr als Verfahren mit satirischer Tendenz ver- eine Selbstparodie, von der die »harmonisch Platten«
standen wissen will, sondern als »›blank parody‹ [...] gar nicht wissen, wie sie sie »zu nehmen haben«
that has lost its sense of humor« (Jameson 1983, 114). (Schlegel 1967, 160).
Diese ›blank parody‹ entspricht dem, was Genette als
Pastiche bezeichnet: eine Nachahmung des Stils als Literatur
»neutral practice« (ebd.), ohne satirische Absicht. Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval. Zur Roman-
Jamesons Argument für solch eine Neuausrichtung theorie und Lachkultur [1969]. Frankfurt a. M. u. a. 1985.
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt
des Parodiebegriffs gründet in dem postmodernen a. M. 1991 (engl. 1990).
Verdacht, dass jeder satirisch-kritische Impetus im- Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe.
mer schon das Existieren einer Gültigkeit beanspru- Frankfurt a. M. 1993 (frz. 1982).
chenden Norm voraussetzt: »But what would happen Gernhardt, Robert: »Was darf die Satire?«. In: ders.: Letzte
if one no longer believed in the existence of normal Ölung, Wie es anfing. Zürich 1988, 404–415.
Glei, Reinhold: Die Batrachomyomachie. Synoptische Edition
language, of ordinary speech, of the linguistic norm?«
und Kommentar. Frankfurt a. M./New York 1984.
(ebd.). Hutcheon, Linda: A theory of parody. The teachings of twen-
Eben dieses In-Frage-Stellen gesellschaftlicher tieth-century art forms [1985]. Illinois 2000.
Normvorstellungen ist vermutlich einer der Gründe,
30 I Grundbegriffe des Komischen

Jameson, Fredric: »Postmodernism and Consumer Society«. 7 Komödie/Tragikomödie


In: Hal Foster (Hg.): The Anti-Aesthetic: Essays on Post-
modern Culture. Seattle 1983, 111–125. Mit dem Begriff ›Komödie‹ wird ein Theaterstück be-
Karrer, Wolfgang: Parodie, Travestie, Pastiche. München
1977. zeichnet, das seinem Gehalt und seiner Struktur nach
Müller, Beate: Komische Intertextualität: Die literarische durch Komik bestimmt wird. Das Wort geht auf lat.
Parodie. Trier 1994. comoedia und dieses auf griech. κωμῳδία (komodía)
Neumann, Robert: »Zur Ästhetik der Parodie«. In: ders.: Die zurück, das von κωμῳδός (komodós) gebildet ist, einer
Parodien. Gesamtausgabe, Wien u. a. 1962, 553–563. Zusammensetzung aus κῶμος (kómos: festlich-eks-
Niel, Rüdiger: »Parodia Horatiana. Parodiebegriff und Paro-
tatischer, von Gesang begleiteter Umzug einer im
diedichtung im Deutschland des 17. Jahrhunderts«. In:
Reinhold Glei/Robert Seidel (Hg.): »Parodia« und Paro- Dienste des Rauschgottes Dionysos umherschweifen-
die. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lateinischen den Menge) und ᾠδός (odós: Sänger). Akzentuiert ist
Literatur der frühen Neuzeit. Tübingen 2006, 11–37. in dieser Ableitung, die den Ursprung der europäi-
Quintilianus, Marcus Fabius: Institutionis oratoriae/Ausbil- schen Komödie wiedergibt (vgl. Aristoteles 1984, 11,
dung des Redners. libri XII. 2 Bde. Hg. u. übers. v. Helmut 1448a), das orgiastische, Ordnung sprengende Mo-
Rahn. Darmstadt 31995.
Reckermann, Alfons: »Parodie«. In: Joachim Ritter (Hg.):
ment der Komödie. In Zeiten ohne Theaterkultur wie
Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7. Völlig neu- dem Mittelalter werden als ›Komödie‹ auch kurze epi-
bearb. Ausg. d. »Wörterbuchs der philosophischen Begrif- sche Texte bezeichnet, wenn diese eines oder mehrere
fe« v. Rudolf Eisler. Darmstadt 2007, 122–129. der Kriterien ›komischer Inhalt‹, ›niedere Stilebene‹
Rose, Margaret A.: Parodie, Intertextualität, Interbildlichkeit. und ›glücklicher Ausgang‹ erfüllen. Mit Bezug auf das
Bielefeld 2006.
Letztere konnte Dante seinem umfangreichen epi-
Scaliger, Julius Caesar: Poetices libri septem, Sieben Bücher
über die Dichtkunst. Bd. 1. Übers. u. hg. v. Luc Deitz. Stutt- schen Werk hohen Stils den Titel La divina Commedia
gart 1994. (ca. 1321) geben. Die Konstituierung durch Komik
Schlegel, Friedrich: »Kritische Fragmente« [Lyceums-Frag- kann bei Theaterstücken, die als Komödien bezeich-
mente] [1797]. In: ders.: Kritische Friedrich-Schlegel- net werden, auch eingeschränkt sein, sich z. B. nur auf
Ausgabe. Erste Abteilung, Bd. 2. Hg. v. Ernst Behler. Mün- einzelne Figuren oder Handlungssequenzen bezie-
chen u.a. 1967.
hen. In diesem Sinne wird im 16. Jh. in der europäi-
Šklovskij, Viktor: Theorie der Prosa. Frankfurt a. M. 1984.
Verweyen, Theodor/Gunther Witting: »Kontrafaktur«. In: schen Literatur der Begriff ›Komödie‹ gebraucht, wie
Klaus Weimar u. a. (Hg.): Reallexikon der deutschen Lite- Shakespeare dann auch Stücke wie den Merchant of
raturwissenschaft. Berlin/New York 2003, 337–340. Venice (1600) oder Measure for Measure (1604) den
Verweyen, Theodor/Gunther Witting,: Die Parodie in der comedies zuordnet. Entscheidend ist das gute Ende.
neueren deutschen Literatur. Eine systematische Einfüh- Bezogen auf die Dramenhandlung besagt es, dass die
rung. Darmstadt 1979.
Protagonisten in den Gefährdungen der Handlungs-
Uwe Wirth welt, die sich ihnen aufgetan haben und an den Folgen
ihrer Fehlhandlungen nicht untergehen, sie mithin
dem vollen Ernst der Lebenspraxis enthoben sind. So
gewinnt die Komödienhandlung Spielcharakter, dem
strukturell entspricht, dass zur Komödie – literarisch
wie theatralisch – das Herausstellen des Spielmoments
gehört, was durch Ausbrechen aus der Spielillusion
wie durch Potenzieren des Spielens im Ausbilden von
Spiel im Spiel-Formen geleistet werden kann. Mit
Rücksicht auf den in der Komödie immer akzentuier-
ten Spielcharakter kann der Begriff ›Komödie‹ auch
für jede Art Schauspiel gebraucht werden, wie z. B. Co-
médie Française ein Schauspielhaus bezeichnet oder
umgangssprachlich ›Komödie spielen‹ ›etwas vor-
machen‹ bedeutet. Im deutschen Sprachraum wird
seit Mitte des 16., insbesondere dann im 18. und
19. Jh. – in der Regel gleichbedeutend mit Komödie –
auch die Gattungsbezeichnung ›Lustspiel‹ gebraucht
(zur begrifflichen Unterscheidung zwischen beiden

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_7,


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7 Komödie/Tragikomödie 31

vgl. Schrimpf 1978). Der neue Terminus ist prägnant, Triebwünschen im Komödien-Spiel. Diese Eigenart,
da er sowohl das für die Komödie wesentliche Spiel- entgegengesetzte Strategien zusammenzuführen, der
moment benennt, als auch mit der Lust das Wirkungs- Auflösung wie der Sicherung einer Werkstruktur, ist
ziel, unterhaltsam und spaßhaft zu sein im Sinne des der europäischen Komödie von ihrer Entstehung her
Lustigen, bzw. – Lust umfassender verstanden –, das mitgegeben, sie begründet wesentlich ihre Spannkraft
Lustprinzip freizusetzen, d. h. das von der Vernunft und wohl bis heute ihre Attraktivität für das Publi-
und den Ordnungen des gesellschaftlichen Verkehrs kum.
Unterdrückte zuzulassen und zur Geltung zu bringen. Tragödie wie Komödie entwickelten sich aus Kult-
Als konstitutives Moment der Gattung Komödie handlungen zu Ehren des Gottes Dionysos (vgl. hierzu
kann Komik allein nur fungieren, wenn sie auf Komik Newiger 1999). Dessen Grenzen sprengender, orgias-
des Verlachens eingeschränkt ist, da diese eine feste tischer Aspekt wurde mit der Umbildung der kulti-
Ordnung und gültige Normen voraussetzt und ent- schen Feiern des Gottes zu ›politischen‹, d. h. von der
sprechend etabliert, von denen aus Missverhältnisse – Polis Athen organisierten und in ihrem Verlauf fest-
z. B. von Schein und Sein oder Anstrengung und Er- gelegten Festen schon wesentlich gebannt, wozu die
gebnis – festgestellt und dem Verlachen preisgegeben Transformation der kultischen Vergegenwärtigung
werden. Hier steht der tendenziell ordnungssprengen- des Gottes in darstellendes Spiel gehört. Dieses ge-
den, entstrukturierenden Kraft der Komik aus deren winnt dabei gegenläufig aus seinen Voraussetzungen
Struktur selbst eine Ordnung verbürgende Macht ent- der Repräsentation Momente von Präsenz zurück:
gegen, die allerdings, damit der Komödiencharakter durch die Situierung der Aufführungen im antiken
gewahrt bleibt, das ihr Entgegenstehende nicht gänz- Griechenland im Rahmen eines Agons, so dass sie
lich vernichten darf, was in der Regel durch Stark-Ma- dem Zuschauer nicht nur Handlungen vorstellen,
chen des Spielmoments verhindert wird. Satirische sondern selbst eine Handlung sind, Teil eines Wett-
Komödien haben diese Gratwanderung zu leisten. In kampfes, der in der Erfahrungswirklichkeit der Zu-
der Regel begreift die Komik, die die Komödie konsti- schauer hier und jetzt stattfindet. Bei der Komödie
tuiert, über Komik des Verlachens hinaus auch die der kommt die direkte, die Spielillusion unterbrechende
Heraufsetzung des in den gegebenen Ordnungen Un- Wendung der Spieler an die Zuschauer hinzu, die ›Pa-
terdrückten ein, als Komik dionysischer Entgrenzung, rabase‹ als festgelegter Bestandteil der griechischen
der Aufhebung des Prinzips der Unterscheidung (zur Komödie, die das Geschehen auf der Bühne in die Ge-
Unterscheidung der Komiken der Herabsetzung und genwart des Zuschauers rückt, weiter die der Komödie
der Heraufsetzung vgl. Jauß 1976, 103–109). Gibt die als Theatergeschehen innewohnende Aufforderung an
Komödie so ›karnevalistischer‹ Komik im Sinne Bach- Spieler wie Zuschauer, sich ungebundener Spiellust
tins Raum (vgl. Bachtin 1990, 32–85) hat sie zur Siche- um ihrer selbst willen zu überlassen. Verdanken sich
rung ihres Werkcharakters als Drama wie als theatra- Tragödie wie Komödie entstehungsgeschichtlich dem
lische Veranstaltung den mit der Entgrenzung beför- Akt der Verschiebung ereignishafter Präsenz des Got-
derten Tendenzen zur Gestaltauflösung ein Halt und tes der Entgrenzung in die Repräsentation eines nach
Struktur gebendes Moment entgegenzusetzen, als Regeln entworfenen und ablaufenden vorstellenden
zweites, gegenläufig wirkendes konstituierendes Mo- Spiels, so gehört es zum Wesen der Komödie, dass die
ment der Komödie: etwa die eigene Ordnung des Spie- Verbindung der beiden entgegengesetzt gerichteten
lens, in der sich dessen Freiheit erst entfalten kann, Konstituenten – Distanzieren der Präsenz im reprä-
v. a. dann die Organisation der Komödie nach der li- sentierenden Spiel und Öffnen der Repräsentation zur
terarischen Gesetzlichkeit des Dramas, was das Gefü- Erfahrung von Präsenz – ungewiss und labil bleibt. In
ge einer erkennbaren und bestimmbaren Handlung jeder gelungenen Komödie wird die dramatische und
verlangt, damit Orientierung am Mimesisgebot, wei- theatralische Zeichenordnung, die erreichte und er-
ter die Entwicklung des Geschehens aus dem Mit- richtete Gesetzlichkeit der literarischen Form und
einanderhandeln konsistenter Figuren in einer ge- theatralischen Praxis gebrochen und unterminiert
formten (statt spontaner ekstatischer) Rede. Ebenso durch das Ereignishafte, Grenzensprengende der in
wirkt der ordnungssprengenden Kraft der Komik in ihr gebundenen Komik, die darauf gerichtet ist, das in
der Komödie die institutionelle Ordnung der Ver- den kulturellen Ordnungen Unterdrückte zur Geltung
anstaltung ›Theater‹ entgegen, generell die Ordnung zu bringen und ebenso vom Ereignishaften des thea-
der literarischen und theatralischen Zeichen als Ge- tralischen Geschehens, je mehr dieses die körperliche
gengewicht zum Ausspielen des Körpers mit seinen Gegenwart der hier und jetzt agierenden Schauspieler
32 I Grundbegriffe des Komischen

betont, deren Spiellust der Unterwerfung ihres Agie- ausschließt. Hält man am Ansatz nur einer Komödi-
rens unter Bedeutungsgebote und formierende Geset- enhandlung fest, die Widersprechendes zusammen-
ze widerstreitet. führt, tritt dieses Paradox in seiner strukturbildenden
Der zum Wesen der Komödie gehörende Wider- Bedeutung hervor.
streit zwischen ihrer Komik, die zur Gestaltauflösung Für die Intrigenkomödie ergibt sich hieraus, dass die
drängt, und ihren Verfahren der Begründung von Ge- handlungsbegründende Intrige, mit der ein Teil der
stalt bietet sich lustvoll dar, da die entgegenstehenden Dramenfiguren sein gemeinsames Ziel gegen einen
Prinzipien nicht dialektisch, d. h. einander absolut ne- anderen Teil zu erreichen sucht, entsprechend dem
gierend aufeinander bezogen sind, sondern in kon- Wortsinn von lat. intricare sehr ›verwickelt‹ oder ›ver-
struktiver Verschiebung: Die auf Form und werkhafte wirrt‹ sein kann, dies der Zuschauer aber nicht ange-
Struktur drängenden und solche auch sichernden strengt mitvollziehen muss, da das Komödienverspre-
poetischen Strategien werden in der Komödie dazu chen der guten Lösung den einzelnen Winkelzügen
gebracht, eben dem Raum zu geben, was sie ausschlie- der Parteien weniger Gewicht gibt, sie stattdessen zu
ßen: ein Paradox, das – bezogen auf das Lachen – J. Anlässen umbilden lässt, komische Situationen aus-
Ritter herausgestellt hat (vgl. Ritter 1974). So werden zuspielen, komische Figuren sich profilieren zu lassen
sie an sich selbst komisch im Sinne der Verlachkomik, oder mit Sprachkomik zu brillieren. Vorzügliche Bei-
die Missverhältnisse herausstellt, wie der Komik der spiele hierfür gibt die Commedia dell’Arte. Auch eine
Heraufsetzung des Unterdrückten. Hieraus erwächst straff und schlüssig konstruierte Intrigenhandlung
eine komödienspezifische Ambiguität, die dann auch kann zum Medium des Komischen werden, wenn sie
die einzelnen Bauelemente und ästhetischen Verfah- z. B. nach der Figur der Umkehrung gebildet ist, der-
ren der Komödie durchdringt. art, dass die Strategien, die aufgeboten werden, ein be-
Bezogen auf die Handlung wirken Verfahren, die stimmtes Ziel zu erreichen (oder zu vermeiden), eben
als Garanten von Komik für die Komödie konstitutiv das Erreichen dieses Ziels verhindern (oder hervor-
sind, der Formung einer geschlossenen Handlung bringen). Andere Handlungstypen wie Verwechslung
entgegen. Es sind dies insbesondere die Unterbre- oder Verstellung haben in der Komödie schon von
chung der Spielillusion, die Reihung komischer Sze- sich aus eine Affinität zur Entfesselung von Komik. Je
nen zur Intensivierung des komischen Effektes, damit stärker die Komödie dies bedient – als Verwechslungs-
die Tendenz zur Episode – auch weil der obligate gute oder Verstellungskomödie –, um so nachdrücklicher
Schluss nicht alle Konsequenzen einer Handlung zur hat sie gleichfalls aus der Handlung Strategien zu ent-
Geltung bringen lässt –, weiter die zeitliche Perspekti- falten, die dem Drama Zusammenhalt sichern: z. B. ei-
vierung zum Augenblick, in dem die Komik jeweils ne elaborierte dramaturgische Kalkulation, die die
zündet, sowie die der Komik der Heraufsetzung inhä- Auflösung der Verkennung bei den Figuren immer
rente Verweigerung des Allgemeinen, das als Garant neu hinausschiebt, während sie dem Zuschauer/Leser
von Ordnung das Einzelne, Besondere zum Fall von von Beginn an oder doch früh gegeben wird (so in
Regeln macht. Das Interagieren von Strategien der Plautus’ Menaechmi, ca. 200 v. Chr., Shakespeares Co-
Gestaltauflösung und der Gestaltbildung wird in eini- medy of Errors, 1623 und Twelfth Night, 1623, oder in
gen Theorien der Komödie durch Ansetzen zweier den zahlreichen Amphitryon-Komödien).
Handlungen zu fassen gesucht: einer eigentlichen Ko- Statt in der Handlung kann die Komödie ihren Zu-
mödienhandlung, die gemäß der Zeitstruktur des ko- sammenhang als werkhaftes Ganzes auch in der ko-
mischen Augenblicks, des Episodenstils und des Ver- mischen Figur haben, was je nach deren Konzeption
fahrens der Unterbrechung paradigmatisch und einer zur Typen- oder Charakterkomödie führt. Die Typen-
›anderweitigen‹ Handlung, die als kausal und final komödie legt die Hauptfigur auf eine Eigenschaft fest
durchkonstruierte syntagmatisch organisiert sei (vgl. – z. B. Geiz, Hypochondrie, heuchlerische Frömmig-
Warning 2001; Simon 2001). Gewonnen werden da- keit, Lüsternheit –, die übermäßig ausgebildet ist und
mit Beschreibungsverfahren, die verschiedene Ko- durch diese Einseitigkeit eine Komik des Missverhält-
mödienarten nach deren Position auf einer Skala zwi- nisses generiert, etwa von Anspruch (Ideal) und
schen Dominanz der paradigmatisch oder der syntag- Wirklichkeit, Innensicht (Einbildung, Verblendung)
matisch organisierten Handlung zu unterscheiden und Außensicht, physiologisch von menschlichem
vermag. Aus dem Blick gerät dabei das Paradox des Maß als Norm und körperlichem Unmaß der ko-
Komischen, dass in ihm die ausschließende Macht mischen Figur (der groteske Leib als Charakteristi-
selbst dazu gebracht ist, das auszusprechen, was sie kum komischer Figuren). Ist die komische Figur viel-
7 Komödie/Tragikomödie 33

schichtiger, d. h. als Charakter entworfen, schränkt Komödie umgekehrt aber auch Figuren liebt, die
dies in der Regel ihre Komik des Verlachens hervor- sprachlich vor dem Stand geordneter Rede verharren
bringenden Züge ein, was die Chance eröffnet, an ihr (z. B. die Figur des Galomir in F. Grillparzers Weh
auch Komik des ›Mitlachens‹ zur Geltung zu bringen, dem, der lügt!, 1838).
die Unterdrücktes freisetzt. Komödien, die ihr drama- Die dramatischen Bauelemente Handlung, Figur
turgisches Zentrum in einer komischen Figur haben, und dramatische Sprache sind in ihrer Komödienaus-
drängen die Handlung gerne in Paradoxa zusammen prägung durchdrungen vom Moment des Spiels, das
wie den betrogenen Betrüger oder den sehend Ver- in der Komödie eine starke Tendenz zeigt, zum Selbst-
blendeten (z. B. Lessings Tellheim). Solche Paradoxa zweck zu werden, womit es sich als weiteres grund-
führen stets die Gefahr herauf, dass ihr Moment des legendes Bauelement der Komödie zu erkennen gibt.
Verkehrten die Welt der Komödie gänzlich durch- Die Hauptgruppen des Spiels, wie sie R. Caillois unter-
dringt, damit die Komödie selbst in Frage stellt. Eine schieden hat (vgl. Caillois 1982, 21–36), finden in der
wirksame Strategie hiergegen ist, komische Situatio- Komödie eine je eigene Konkretisierung. Zum Agon/
nen sich verselbständigen und in diesen Spiellust sich Wettkampf, der herausgelöst ist aus dem Lebensernst,
ausleben zu lassen: in Molières Tartuffe (1664) etwa wird die Handlung für die Figuren durch das Gat-
die Szene, in der der Gatte unterm Tisch zum Zeugen tungsgebot des guten Schlusses, der davon entlastet,
aufgerufen ist, wie die Gattin auf dem Tisch dem Be- ernste Folgen einer Handlung ertragen zu müssen.
trüger Tartuffe zum Schein die frivolsten Avancen Aleatorik im Sinne des Vorherrschens des Zufalls im
macht. Spiellust manifestiert sich so als Öffnung zu Spiel manifestiert sich in der Komödie darin, dass der
Spiel im Spiel-Konstellationen. Eine andere Strategie, Protagonist respektive die komische Figur häufig als
die Komödie vor ihrer Selbstauflösung in einer Welt Spieler konzipiert sind, weiter in der Öffnung zum
der Verkehrten zu retten, sind ›coups de théâtre‹, um phantastischen Einfall, die der Gattung Komödie seit
zu dem zur Komödie gehörenden guten Schluss wider ihren Anfängen bei Aristophanes eignet. Auf ihr kon-
Erwarten doch noch zu gelangen: so der überraschen- stitutives Moment nachahmenden Spielens machen
de Auftritt des Polizeibeamten im Tartuffe, der im Na- die Komödien durch ihre Verfahren der Unterbre-
men des Königs die Ordnung wiederherstellt, nach- chung wie der Vervielfältigung des Spielens aufmerk-
dem der Heuchler die gesamte Familie, in die er sich sam. Spiel, das darin besteht, sich einem betäubenden,
eingeschlichen hat, zerstört zu haben schien. Schwindel erregenden Wirbel zu überlassen, entfaltet
Die Komödiensprache zeigt ihre für die Komödie die Komödie in ihrem dionysischen Moment der Ent-
konstitutive Ambiguität insbesondere darin, dass die grenzung. Die der Komödie eigene strukturelle Ambi-
Sprache als Medium des gesellschaftlichen Verkehrs guität zeigt sich an ihrem Spiel-Element in dessen Si-
dazu gebracht wird, dem zum Ausdruck zu verhelfen, tuierung auf der Grenze: zum Nicht-Spiel einerseits
das sie, um des Bestandes der Gesellschaft willen, aus- im Komödienprinzip der Unterbrechung der Spielil-
grenzen muss: die immer anarchischen und egoisti- lusion, zum potenzierten Spiel andererseits in der der
schen Triebwünsche, das Viel- oder doch Zweideuti- Komödie eigenen Tendenz zu Spiel im Spiel-Konstel-
ge, das sich der Bändigung in einem Sinngefüge wi- lationen. Mit beidem wenden sich Spiel und, da ge-
dersetzt, Verstöße gegen Redeordnungen als Löcken nuin mit diesem verbunden, die Komödie auf sich
wider Ordnung überhaupt (etwa das Vergreifen im selbst zurück, wie entsprechend für die Komödie ein
richtigen Wort – der Malapropismus –, generell das hohes Maß an Selbstreflexivität gattungsspezifisch ist.
Verfehlen situationsangemessener Rede, die Be- Wie die Komödie entstrukturierende und Struktur
schränktheit der Figur, aber auch Willen zur Aggres- sichernde Strategien in ambiger Weise verschränkt,
sion bezeugen kann). Der Witz leistet solche Zwei- zeigt sie auch eine besondere Disposition zu Misch-
deutigkeit ideal, entsprechend erscheint die witzige formen, die in der Komödie Nicht-Komödienhaftes –
Rede von Figuren als ein Charakteristikum der Ko- der Struktur, den Wirkungspotenzialen oder der
mödie, weiter die Lust am Spiel mit der Sprache, kon- Funktion nach – sich ausbreiten lassen. Das rührende
densiert etwa in Wortspielen, als tendenzielles Aus- Lustspiel (Comédie larmoyante) verknüpft die Komö-
höhlen des Gebots eindeutigen Sinns wenn nicht von die mit der Aufklärungskonzeption der Empfindsam-
Sinn überhaupt (z. B. C. Brentanos Ponce de Leon, keit, die Affektivität und Tugendorientierung, damit
1803, oder G. Büchners Leonce und Lena, 1895). So die physische und die ideelle Welt als vereinbar vor-
überrascht es nicht, dass komische Figuren oft über stellt, entsprechend dem Postulat der Aufklärung, dass
mehr Sprachbrillanz verfügen als tragische, dass die die Erfahrungswirklichkeit als von den Vernunftideen
34 I Grundbegriffe des Komischen

durchdrungen zu denken und zu gestalten sei. Folge- Welt oder der aufgebotenen Gestaltungsverfahren
richtig kann diese Art Komödie dionysisch entgren- bleibt als Wirkungspotenzial entgrenzender Komik
zende Komik, die dem Gebot der Vernünftigkeit wi- komödienaffin. Zur grotesken oder absurden Komödie
derstreitet, nur sehr herabgemildert zulassen. Humo- führt diese Konstellation, wenn dabei die Komödien-
ristische Komödien zeigen ihre Welt aus einer Position bedingung des guten Schlusses aufgegeben ist. Die
überlegener Heiterkeit entworfen, die die Widersprü- Sinnverweigerung wird dann zum nicht-komödien-
che und Unzulänglichkeiten der Erfahrungswirklich- haften Moment, das das Komödienhafte aushöhlt, um
keit, in die sich der Betrachter mit einschließt, wahr- so mehr, als sie entweder eine zuvor gesetzte Sinn-
nehmen und anerkennen kann, da sie sich in höherer erwartung negiert oder in der herausgestellten Sinn-
Sicht durchaus als sinnhaft begreifen lassen. So ver- losigkeit Sinnerwartung ex negativo bewahrt. Stücke
langt Hegel für das Komische das Vermögen, »durch- S. Becketts, L. Pirandellos und E. Ionescos geben Vari-
aus erhaben über seinen eigenen Widerspruch und anten dieser Mischgattung (vgl. Kap. 23.1.5). Dass sich
nicht etwa bitter und unglücklich darin zu sein« (He- in der Komödie ordnungsstiftende und ordnungsauf-
gel 1970, 528). Grundlage der Komödie ist ihm ent- lösende Momente durchdringen, kann Komödien-
sprechend »das in sich absolut versöhnte, heitere Ge- theorie nicht unberührt lassen, da das Komödienprin-
müt« (ebd., 551), die »absolute Freiheit des Geistes« zip der Entgrenzung auch die Grenze zwischen Ge-
(ebd., 553). Hegel schränkt Komik auf Humor ein, so genstand und dessen Theorie einbegreift. So hat das
ist ihm jede Komödie humoristisch; erkennt man Bemühen um eine konsistente Komödientheorie zu-
demgegenüber eine erhebliche Spannung zwischen gleich darauf zu achten, nicht ein komisches Missver-
beiden, konturiert sich die humoristische Komödie hältnis zwischen Gegenstand und mit Systematisie-
deutlich als Mischgattung, für die v. a. romantische rungswut entworfener Theorie auszubreiten.
Komödien Beispiele geben. Seit der Antike werden
Verbindungen der Komödie mit dem Tragischen vor- Literatur
gestellt (vom bloßen Nebeneinander bis zur wechsel- Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Übers. u. hg. von
seitigen Durchdringung), wofür Plautus den Neo- Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1984.
Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval. Zur Roman-
logismus ›tragico[co]moedia‹ (Amphitruo Vs. 59) ge- theorie und Lachkultur. Aus dem Russischen übers. u. mit
bildet hat. Paradigma für Tragik-Komödie wurden einem Nachwort versehen von Alexander Kaempfe.
nicht zufällig Bearbeitungen des Amphitryon-My- Frankfurt a. M. 1990.
thos. Aischylos, Sophokles und Euripides haben ihn Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und
(in nicht erhaltenen Stücken) tragisch gefasst, Plautus Rausch [1958]. Frankfurt a. M. 1982.
Dürrenmatt, Friedrich: »Dramaturgische Überlegungen zu
in seinem Amphitruo primär als Komödie: die Götter
den Wiedertäufern«. In: Werkausgabe in siebenunddreißig
spielen mit den Menschen Komödie, die für sie und Bänden. Bd. 10. Zürich 1998, 127–137.
die Zuschauer lustvoll ist, da sie das Spiel von Beginn Greiner, Bernhard: Die Komödie. Eine theatralische Sendung:
an durchschauen, während die menschlichen Figuren Grundlagen und Interpretationen. aktual. u. erg. Aufl.
in der Komödienwelt um das Spielen nicht wissen, Tübingen ²2006.
durch dieses in tiefes Unglück zu geraten drohen (vgl. Guthke, Karl S.: Geschichte und Poetik der deutschen Tragiko-
mödie. Göttingen 1968.
Kap. 23.1.1). Plautus profiliert den Komödiencharak-
Haider-Pregler, Hilde u. a. (Hg.): Komik. Ästhetik, Theorien,
ter, Kleist entwickelt demgegenüber aus der Komödi- Strategien (Maske und Kothurn, 51. Jg., 4). Wien 2006
enkonstellation selbst Tragik, zumindest für einige Fi- 2006.
guren (analog auch in seiner ersten Komödie Der zer- Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Äs-
brochne Krug). So können seine Komödien als Para- thetik. Dritter Teil. Theorie Werkausgabe Bd. 15. Frankfurt
digmen der Tragik-Komödie in der Variante gelten, a. M. 1970.
Klotz, Volker u. a.: Komödie. Etappen ihrer Geschichte von
dass sich die Komödie zur Tragödie hin öffnet. Die der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 2013.
Umkehrung, Tragik-Komödie als Öffnung der Tragö- Jauß, Hans Robert: »Über den Grund des Vergnügens am
die zur Komödie – konstitutiv, nicht als bloßes Ein- komischen Helden«. In: Wolfgang Plautus: Amphitruo.
streuen von Komödienmomenten in Tragödien – hat Lat./dt. Übers. u. hrsg. von Jürgen Blänsdorf. Stuttgart
prononciert Dürrenmatt in vielfältigen Gestaltungen 1979.
Preisendanz/Rainer Warning (Hg.): Das Komische. Mün-
seines Satzes entworfen, die »schlimmstmögliche
chen 1976, 103–132.
Wendung, die eine Geschichte nehmen kann, ist die Newiger, Hans-Joachim: »Komödie I. Griechisch«. In:
Wendung in die Komödie« (Dürrenmatt 1998, 128). Hubert Cancik/Helmuth Schneider (Hg.): Der Neue Pau-
Sinnverweigerung als Perspektive der vorgestellten ly. Bd. 6. Stuttgart 1999, 692–700.
8 Das Groteskkomische 35

Profitlich, Ulrich (Hg.): Komödientheorie. Reinbek 1998. 8 Das Groteskkomische


Ritter, Joachim: »Über das Lachen«. In: ders.: Subjektivität
[1940]. Frankfurt a. M. 1974, 62–92. Die Entdeckung eines römischen Dekorationssystems
Schrimpf, Hans Joachim: »Komödie und Lustspiel«. In:
ZfdPh 97. Jg. (1978), 152–182. in den verschütteten Sälen des Goldenen Hauses des
Simon, Ralf: »Theorie der Komödie«. In: ders. (Hg.): Theorie römischen Kaisers Nero am Ende des Quattrocento
der Komödie – Poetik der Komödie. Bielefeld 2001, 47–66. bedeutet einen Einschnitt in der Geschichte des Ko-
Trautwein, Wolfgang: Komödientheorien und Komödie. In: mischen. Denn was bisher nur über die römisch-grie-
Schiller Jahrbuch 27. Jg. (1983), 86–123. chische Literatur rezipiert werden konnte, die mytho-
Warning, Rainer: »Theorie der Komödie. Eine Skizze«. In:
logischen Figuren der Sirenen, Harpyien, Sphinxen
Ralf Simon (Hg.): Theorie der Komödie – Poetik der Komö-
die. Bielefeld 2001, 31–46. etc., wurde nun Stück für Stück von den in komisch-
bizarren Situationen dargestellten Malern und Hobby-
Bernhard Greiner archäologen aus den unterirdischen Gemächern abge-
zeichnet und ans Tageslicht gezogen (vgl. Schmarsow
1881, 135). Die Entdeckung der Wanddekorationen
der Domus Aurea (vgl. Dacos 1969) löste eine europa-
weite Konjunktur aus, die ihrem Fundort gemäß, den
Grotten, den Namen ›Grotesken‹ erhielten.
Innovativer als diese wiedergefundenen, visuali-
sierten mythologischen Figuren war die Entdeckung
der antiken Phantasiearchitekturen, die als Ornament-
system ausgebaut, »stereometrische, architektonische,
kreatürliche und vegetabilische Elemente heterogener
Wesensart zu spielerischer Verkettung« zusammen-
fügen und auf diese Weise »Raumfluchten vereinheitli-
chen« (Kanz 1998, 17) konnten.
Diese Entdeckung erhält zusätzlich eine Dynamik
durch einen Doppelfund aus der Antike: fast gleich-
zeitig mit der Ausgrabung römischer Wandmalereien
– nämlich 1485 – erscheint die in einem Kloster von
Monte Casino wiedergefundene De Architectura von
Vitruv im Druck. Im 5. Kapitel des VII. Buches findet
sich dort eine scharfe Kritik an der spätantiken »neu-
en Mode« einer Wandmalerei, die »lieber mit Undin-
gen, als mit wahren Abbildungen wirklicher Gegen-
stände« arbeitet:

»anstatt der Säulen stellt man Rohrstengel – calami –


dar; anstatt der Giebel – fastiga – geriefte Häklein –
harpaginetuli striati – mit krausem Laubwerk und
Schnörkeln mehrere dünne Stengel – coliculi – sich er-
heben, worauf wider alle Vernunft, kleine figuren – si-
gilla – sitzen; auch auf Stengeln blühende Blumen, aus
denen halbe Figuren hervorgehen, welche bald mit
Menschen-, bald mit Tierköpfen versehen sind: Lauter
Dinge, dergleichen es weder gibt, noch geben kann,
noch jemals gegeben hat.« (Chastel 1997, 33)

Die eine Sensation, die Wiederentdeckung antiker


Wandmalerei, wird von einer zweiten Sensation be-
gleitet, der Wiederentdeckung der antiken Polemik
gegen diesen »entarteten Geschmack« (Scholl 2004,

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36 I Grundbegriffe des Komischen

804). Die Folge war, dass das groteske Dekorationssys- Die Lizenz der Einbildungskraft zur Extravaganz
tem in der Renaissance zum bevorzugten Austra- führt allerdings nicht nur zu neuen kreativen Formen,
gungsort kunsttheoretischer, aber auch theologischer zum capriccio, »das behende von einer Idee zur ande-
Kontroversen wurde. Nun wäre es verfehlt zu sagen, es ren zu springen versteht« (Kanz 1998, 23), sie wird zu-
habe vor der Renaissance nicht auch einen theologi- gleich begleitet von einem Bewusstsein der Gefähr-
schen und kunstkritischen Diskurs über die Anbrin- dung durch launenhafte Melancholie, die sich bis zum
gung von Fabelwesen, sog. ›Bleckern‹ und ›Zangern‹ Wahn steigern kann. G. Vasaris Künstlerbiographien
gegeben. »Seit dem 11. Jh., also gleichzeitig mit der geben im Blick auf die Groteskenmaler einen guten
Entstehung der Drolerien« im 11. Jh., entwickelte sich Eindruck von dieser ambivalenten Einschätzung. Auf-
»ein theologischer Diskurs über die Bedeutung von schlussreich für diese Ambivalenz von Freizügigkeit
Lachen und Komik, der über wohlwollende Duldung und Gefährdung ist der von Montaigne vorgenom-
entschieden hinausging« (Kröll 1994, 83).Und doch mene Übertragungsvorgang von der bildkünstleri-
verschiebt sich zu Beginn des Quinquecento in Italien schen Wandmalerei zur literarischen Schreibweise.
die kunsttheoretische Argumentationsrichtung. Im Montaigne legitimiert seine launige Schreibweise mit
Unterschied zu den Drolerien des Mittelalters, die in der Groteskenmalerei und erfindet auf diese Weise
komisch-didaktischer Absicht aufzeigen sollten, dass den Essay, zugleich aber beteuert er, dass er sich schä-
die drastische, nicht selten blasphemische Darstellung me einer solchen kindischen, unvollkommenen, mit
des ›Malum‹ das christliche Heilsversprechen steigere Chimären belasteten Schreibweise zu huldigen (vgl.
(vgl. Curtius 1954), verschiebt sich die Aufmerksam- Barasch 1971, 35).
keit auf die Schaffung eines Neuen, Kühnen, Über- Die gegen Ende des 15. Jh.s zunehmend zweideuti-
raschenden und Außerordentlichen. Mit der Umori- ge Einschätzung des Grotesken verstärkt sich durch
entierung von einer auf Wirkmächtigkeit bedachten die Verdammung grotesker Malerei durch das triden-
mittelalterlichen Darstellung komischer Gestalten (in tinische Konzil (vgl. Scholl 2004, 181). Die Heiterkeit
Predigten, in Bildern und Plastiken) zu einer Reflexi- der italienischen Groteske – die heidnischen Mons-
on auf die Bedingungen eigenständiger, von der trositäten waren in den berühmten und kanonisch ge-
Wirklichkeit unabhängiger Kreativität des Künstlers wordenen Groteskenmalereien durch G. da Udine
in der Renaissance wandelt sich der Stellenwert des und Raffael in den Loggien des Vatikan ausgespart –
Komischen. wird auch begriffsgeschichtlich zunehmend in Frage
Während das Komische im Mittelalter eingespannt gestellt durch die von B. Cellini wie J. Fischart vor-
bleibt in ein dualistisches System zwischen einem genommene Identifikation des Grotesken mit dem
Heilsgeschehen und einer als widerständig und eigen- Monströsen (vgl. Piel 1962, 47).
mächtig begriffenen Leiblichkeit entsteht in der Gro- Damit ist freilich nicht nur eine Dimension des
teske der Renaissance ein heiteres, ludistisches Flui- Schrecklichen eröffnet, denn das Monströse ist in der
dum von Schönem, Phantastischem, Bizarrem, in Renaissance zunächst und v. a. das Unbekannte und
dem das Komische sich relativierend einzufügen hat. das Exzessive und dann erst das Fürchterliche. Spätes-
Neben der Entdeckung von graziösen und schwerelo- tens mit dem Übergang der Grotesken von Italien
sen Formen (vgl. Chastel 1997, 32) tritt die Darstel- nach Frankreich und Deutschland beginnt aber nicht
lung nicht mehr des Drastisch-Komischen, sondern nur ein re-entry mittelalterlicher Drolerien und gro-
des Sublim-Komischen, nicht mehr des lauten La- bianischer Motive (vgl. Spitzer 1958, 95–110), son-
chens sondern des Lächelns (vgl. Menager 1995). dern auch ein Ausgriff auf dämonische Horrorszenen
Man kann auch sagen, das Komische erhalte Kon- der Einbildungskraft wie sie die berühmten Darstel-
kurrenz durch das Phantastische, Graziöse (vgl. Ba- lungen der Versuchungen des Heiligen Antonius ver-
rasch 1971, 229) und die Traummalerei (z. B. Bar- sinnbildlichen.
baro 1567). Diese Relativierung lässt sich auch be- Das gesamte Ausmaß der bildkünstlerischen Er-
griffsgeschichtlich fassen, wenn z. B. der Kunstkriti- neuerung lässt sich ausmachen, wenn man sich die
ker Vasari den Grotesken um 1550 nicht mehr nur rasche geographische Verbreitung des grotesken
eine »lächerliche und drollige Seite« von »Schelme- Bildprogramms in Westeuropa innerhalb des 16. Jh.s
reien« zuspricht, sondern gleichberechtigt »die Frei- vor Augen führt. Zunächst der Sprung von Süden in
zügigkeit der Einbildungskraft« benennt – »una spe- den Norden nach Fontainebleau um 1530 und dann
zie di pittura licenziosa e ridiolo molto« (Chastel in die Hochburgen der Kleinkunst nach Augsburg
1997, 32, Fn. 15). und Nürnberg.
8 Das Groteskkomische 37

Die Ausweitung der Ornamentgroteske über die der Dinge, zu Ruinen etwa und zu bühnenartigen
Wandmalerei hinaus zu Kleinkunst, Reproduktions- »Szenografien« (Möller 1956, 51 f.), das Ornament
graphik und Literatur erbrachte nicht nur produktiven ständig über sich hinaustreibt.
Austausch zwischen diesen verschiedenen Medien, Die Erweiterung des Motivvorrats von den goti-
sondern erschloss auch neue Motivfelder. Das Kunst- schen Drolerien bis zu apokalyptischen Phänomenen
verfahren des Groteskornaments, bestehend aus Wie- bei H. Bosch hat zwar den ludistischen Grundimpuls
derholung und Variation, erzeugte einen Sog immer der Ornamentgroteske nicht wesentlich verändert,
neue Motive als Innovationsstimulus in den bisherigen gleichzeitig aber die Möglichkeit erhöht die Or-
Motivvorrat einzuspeisen (vgl. Warncke 1979, 72). Die namentgrotesken nicht nur als einen Bereich capric-
»versierten Kunsthandwerker und Alleskönner« (ebd., cioartiger Erfindung und serieller Produktion, son-
80) der Ornamentgrotesken aus Frankreich, Holland dern auch als Vorgaben für Projektionen des Schreck-
und Deutschland griffen die italienischen Vorlagen auf lichen auszuschöpfen. Damit dürfte das Energiezen-
und wandelten sie in satirisch-komischer Intention er- trum des Groteskkomischen erreicht sein: das
finderisch ab. Sie beuteten das gesamte Reservoir an Ausreizen eines intensivierenden Wechselreitens des
Mischwesen und Monstren aus: die mittelalterlichen, Komischen und Phantastischen und das bedeutet die
speziell gotischen Monster und Fabelwesen, die artistische Verknüpfung von Extremen, den sog. nie-
»Schnacken« und »songes drollatiques«, Motive der deren körperlichen Begierden mit den »oberen Be-
»verkehrten Welt«, Typen der Commedia dell’Arte so- wußtseinsgrenzen« (Gradmann 1957, 9 f.), also an bis
wie damals aktuelle »Türkenmotive« (ebd.). zum Wahnsinn grenzende Visionen.
Während in der Antike Monstren vornehmlich ar- An dem sich auf diese Weise immer schärfer kon-
tistische Beispiele für die »erfinderische Natur« (Plini- turierenden Groteskkomischen lassen sich in der Fol-
us) darstellten, sind sie nun seit der Reformation als gezeit zwei gegenläufige Darstellungstendenzen be-
Zukunftszeichen und sog. Prodiguen deutbar, als Teu- obachten: Zum einen tritt in der frühen Neuzeit bei
felswesen entlarvbar (vgl. Perrig 1987, 31–71). Rabelais, J. Fischart und S. Brant das Komische als
Das erweiterte Spektrum der Monstrositäten eröff- Verstärkung und Vervielfältigung des Grotesken auf,
net der Groteske eine Spannweite von der derb-bur- zum anderen wird in der Poetik der Aufklärung bei
lesken Körperinszenierung bis zum apokalyptischen Möser und Wieland das Komische eingesetzt das
erschreckenden Zeichen, vom ludistischen Phantasie- phantastische und wilde Element im Grotesken zu
spiel bis zum satirisch-moralisierenden Pamphlet. Für mildern und an die Darstellung von Sitten und Ge-
Letzteres kann exemplarisch M. Luthers Papstesel ste- bräuchen zu binden.
hen (vgl. Warncke 1979, 83). In Wielands in seiner Zeitschrift Merkur veröffent-
Durch die europaweite Zirkulation der graphi- lichten »Zweiten Unterredung mit dem Pfarrer von
schen Groteskvorlagen wurden zahlreiche nationale xxx« (1775) wird z. B. das Übertriebene der Grotesken
Besonderheiten ikonographisch und formal absor- aufgespalten in akzeptable Formen, wo »aus irgend ei-
biert. Gleichwohl lassen sich spezifische nationale Ei- ner besonderen Absicht, die Ungestalt seines Gegen-
gentümlichkeiten weiterhin nachweisen. Während in standes zwar vermehrt, aber doch auf eine der Natur
Italien und Frankreich zwar die begriffliche Zusam- so analoge Art [...] daß das Original noch immer
menfassung des Kapriziösen, Phantastischen und kenntlich bleibt« – und
Monströsen in dem Wort grotesque stattfindet, ist in
der Kunstpraxis eine Trennung der komischen und sa- »in Phantastische, oder eigentlich sogenannte Grotes-
tirischen Elemente – etwa der Commedia dell’Arte ken, wo der Maler, unbekümmert um Wahrheit und
und der Ornamentgroteske – festzustellen. Erst in Ähnlichkeit sich gleich dem sogenannten Höllen-Breu-
Deutschland, bei W. Jamnitzer etwa, findet eine Dyna- gel einer wilden Einbildungskraft überläßt, und durch
misierung der verschiedenen Elemente bis ins mons- das Unnatürliche und Widersinnische seiner Hirn-
tröse Detail statt (vgl. ebd., 80–82). Die kunst- geburten bloß Gelächter, Ekel und Erstaunen über die
geschichtliche Spezialforschung hat nachweisen kön- Kühnheit seiner ungeheuren Schöpfungen erwecken
nen, wie sich bei der Übertragung vom Medium des will«. (Wieland 1967, 343)
Wandgemäldes zur motivvereinzelnden Druckgra-
phik Notlösungen und Erfindungsreichtum die Waa- Diese Abwertung phantastischer Groteske durch die
ge halten (vgl. Wagner 1979, 143), wie der »perspekti- Aufklärung wurde in der Romantik revidiert. An
vische Drang« zur Darstellung plastisch erscheinen- E. T. A. Hoffmanns Werk ließe sich exemplarisch zei-
38 I Grundbegriffe des Komischen

gen wie das gesamte Feld des Groteskkomischen in al- angesichts atomarer Bedrohung Das Groteske (1957)
len Varianten durchdekliniert wird: in der 7. Vigile des auf existentialistische Weise als abgründig und unsag-
Goldenen Topfes (1814) die literarische Umsetzung ei- bar bestimmt hatte, das vom Komischen dadurch un-
nes »Rembrandtschen oder Höllenbreughelschen Ge- terschieden sei, dass es jegliche Art von Sicherheit und
mäldes«, in der Prinzessin Brambilla (1820) ein Rückzug auf eine Ordnung »grundsätzlich preisgebe«
schwindelerregender groteskkomischer Tanz auf dem (Kayser 2004, 62) wurden in der Folgezeit von W.
Corso in Rom (vgl. Kremer 2006, 171 f.) und in Die Heidsiek bis L. B. Jennings, von W. Preisendanz bis
Königsbraut (1821) die Metamorphose eines herr- Thomsen die Stimmen immer lauter, die eine Aufwer-
lichen Gemüsegartens in einen ekelhaften Sumpf. Mit tung des Komischen und des Ludistischen in der Gro-
Blick auf diese romantischen Vorgaben entwickelt teskbestimmung eingefordert haben bis dann die in
Baudelaire seine Konzeption einer Verbindung satiri- Westeuropa und Amerika relativ spät einsetzende Re-
scher Groteske mit einer phantastischen Komik: »co- zeption der Karnevalismusthese Bachtins und seine
mique absolu« (Baudelaire 1977, 296). Sir W. Scott Kritik an W. Kaysers Ansatz zu einer Umkehrung der
hingegen wird diese makabren Effekte des Grotesken Verhältnisse führte.
in seiner berühmten Kritik der Werke E. T. A. Hoff- Bachtins Theoreme, Begriffe und Deskriptionen
manns scharf kritisieren (vgl. Scott 1968). Des Weite- insbesondere seine Thesen zur »Materie-Zeichen-
ren dürfte es aufschlussreich sein die Geschichte des Koalition« (Lachmann 1987, 25), seine Paradigmen
Grotesken mit dem Groteskkomischen abzugleichen. des Unabgeschlossenen, Metamorphotischen, seine
Es lässt sich nämlich gut plausibilisieren, wann, wo Überlegung zur »Reibung der Stile«, seine Kategorien
und warum das Komische im Grotesken zurück- des »Familiären«, des »Exzentrischen«, der »karneva-
gedrängt wird. Zugleich lässt sich aber auch beobach- lesken Mesalliance« und der »Profanierung« (ebd.,
ten, dass einer Phase der Zurückdrängung des Ko- 30) können in ihrer Bedeutung für die Erforschung
mischen häufig eine erneute intensive Konjunktur des des Groteskomischen gar nicht genug hervorgehoben
Groteskkomischen folgt. Die Forschung hat z. B. an werden. Seine Charakteristik der Verbindung von
der bildkünstlerischen Weiterverwendung der apoka- karnevalisierter Antike und Volkskultur, der »Amal-
lyptischen Höllenvisionen von H. Bosch zeigen kön- gimierungsfähigkeit von unklassischen Formen«
nen, wie schnell sie zu spielerisch-komischen Diable- (ebd., 28) trifft auch auf die Ornamentgroteske zu. Sei-
rien in der Folgezeit umgeschaffen wurden: »pour la ne weltanschaulich festgelegte, einseitig positive Be-
récréation des bons ésprits« (Unverfehrt 1974, 225). wertung der Volkskultur und rituellen Praxis hat frei-
Durch den Einfluss J. Miltons (vgl. Lengeler 1964, lich auch eine Denkbarriere aufgebaut. Man hat zu-
211) und dann v. a. durch Burkes Studien zum Erha- recht auf das von Bachtin ausgeblendete Potenzial der
benen setzt eine Verdrängung des Komischen in dem gnostischen Sekten und Ketzerbewegungen, des Her-
Grotesken ein zugunsten einer Ästhetik des Schauers metismus und der Tradition des Dionysischen als ide-
und des Grauens wie sie in der gothic novel gepflegt engeschichtlich gleichwertige Stimulation für Gro-
wird. In der Romantik etwa bei A. v. Arnim und teskschöpfungen hingewiesen (vgl. ebd., 17). Bachtin
E. T. A. Hoffmann, theoretisch dann bei V. Hugo setzt hat nur am Rand auf das Problem des usurpierten
dann eine Wiederkehr des Komischen im Grotesken Karnevals als Pervertierungsform durch Machthaber
ein, die dann bis hin zu Th. Mann (1926) zu einer aufmerksam gemacht. Neben der von Bachtin mit Er-
Grundformel in der Bestimmung des Grotesken füh- neuerungspathos vorgetragenen generativen und re-
ren wird: in ihr komme das Wechselreiten von generativen Seite des Grotesken ist auf die ebenfalls in
Schrecklichem und Komischem zu seinem vollende- der Volkskultur angelegte Seite der Stigmatisierung,
ten Ausdruck. In der Formulierung Sir W. Scotts lautet der »in-effigie-Tötung« (Brückner 1966, 188) als
dies: »The most wild and unbound licence is given to Quelle grotesker Darstellung hinzuweisen. Prognos-
an irregular fancy, and all species of combination, ho- tisch wache Schriftsteller wie Heine, Keller und Roth
wever ludicrous, or however shocking« (Scott 1968, (vgl. Oesterle 2009, 21 f.) haben die sadistische Seite
325) oder in der Formel V. Hugos: »le grotesque buf- des Grotesken – im Progrom – eindrücklich dar-
fon et le grotesque terrible« (Hugo 1887). zustellen gewusst.
Die Verdrängung des Komischen aus dem Grotes- Das bei Bachtin ausgeblendete Potenzial der bild-
ken und ihre darauffolgende intensive Wiederkehr künstlerischen Ornamentgroteske relativiert die von
lässt sich auch in der Forschungsgeschichte beobach- ihm vorgenommene einseitige Wertung. Die Verbin-
ten. Nachdem W. Kayser nach dem zweiten Weltkrieg dung von Hoch-und Volkskultur verdankt sich kei-
8 Das Groteskkomische 39

neswegs nur dem Lachprogramm der Volkskultur; sie England entwickelten Comic Stories durch die Kom-
wird gleichermaßen und gleichwertig angestoßen bination treffsicherer Strichzeichnung und digressiver
durch die artistische Amalgamierungslust volkskul- Erzählweise zu dynamisieren und damit dem Tempo
tureller Elemente und durch eine innovationshungri- seiner Zeit und ihrer Krisenanfälligkeit einen adäqua-
ge Aristokratie und ihre künstlerisch tätigen Intellek- ten Text-Bild Ausdruck zu geben. Was anfänglich
tuellen. Von G. Basiles Pentamerone (1634/36) bis Ra- durch die Verbindung von »Pittoreskem und Hyper-
belais Gargantua und Pantraguel (1532) lässt sich zei- bolischem« (Töpffer 1982, 17) bloß auf eine groteske
gen, dass der sozialenergetische und künstlerische Humoreske hinauszulaufen schien, entpuppte sich
Richtungspfeil nicht nur von unten nach oben, son- schließlich als Entdeckung neuer, absurder Qualitäten
dern auch von oben nach unten verläuft; freilich im des Groteskkomischen. Die »graphisch ausgeführte
Blick aufs Groteske immer mit dem Ziel die Extreme, Hyperbel, die beinahe die Geschwindigkeit einer ge-
aristokratischen Ludismus und vulgären Populismus schriebenen oder gesprochenen Hyperbel« (ebd.) er-
einzufangen. Bachtins einseitiger Favorisierung der reicht, schafft »Drolerien mit Fiktionen über-
karnevalistischen Inversions-und Umkehrungsfigur raschendster Absurdität« (»avec des fictions d’un su-
lassen sich komplexe Formen der Fragmentarisierung prenante absurditeé«) (Lindner 1999, 97).
zur Seite stellen. Als Beispiel ließe sich eine Sequenz aus der 1840
Das Außerkraftsetzen der Bachtinschen unange- erschienenen Bildgeschichte Monsieur Pencil nen-
tasteten Zentralstellung des Menschen lässt kühnere nen, in der demonstriert wird, wie in der modernen
Tier-Mensch-/Tier-Dingbeziehungen zu. Mit den von Welt winzige Ursachen große Wirkungen haben kön-
E. Leach beschriebenen, von Bachtin nicht beachteten nen: »Ein kleiner Hund hat sich auf einen Telegra-
Mechanismen einer Festkultur, nämlich der Über- phen verstiegen und löst ein Nachrichtenfieber in
gänglichkeit von Festlichkeit zur Formalität und um- ganz Europa aus« (ebd., 104). Obwohl W. Busch die
gekehrt, lassen sich die bildkünstlerischen Formen phantastischen Kritzeleien Töpffers in einen kalku-
der Ornamentgroteske kulturgeschichtlich verorten lierten Stil überführt, hat er die zentralen Kunsttricks
(vgl. Leach 1961). Töpffers, dessen Schnitttechnik und Nutzung der
Schließlich wird die Intermedialität zwischen den »Konturlücke« (Töpffer 1982, 9) aufgegriffen. In »Bil-
Künsten zum entscheidenden Innovationsimpuls der derposse[n]« (Busch 1960) wie Der Eispeter (1864)
Groteske (vgl. Oesterle 2004,VII–XXX). Einer der be- hat Busch die absurden Momente der Skizzen Töpf-
deutendsten Ästhetiker des 19. Jh.s, F. Th. Vischer, hat fers in makabre Bereiche überführt. Dabei hat er v. a.
in seiner Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen der Dingwelt neue groteskkomische Möglichkeiten
(1847) zu definieren versucht: das »Groteske sei das erschlossen: sie vergrößern sich etwa im Laufe der
Komische in Form des Wunderbaren« (Vischer 1847, Bildergeschichte (z. B. die Pfeife in Krischan mit der
465). Damit hat er die prekäre Situation des Wunder- Piepe, 1864).
baren und Grotesken in der Moderne zum Ausdruck In der Poesie dürften die Wispeliaden (1837) von
gebracht: angesichts der wissenschaftlichen Aufklä- Mörike am ehesten den absurden und makabren Bil-
rung bleibe dem Wunderbaren nur noch wenig Spiel- dergeschichten korrespondieren. Wie weitgehend bie-
raum. Alles komme darauf an in einer »modernen dermeierlicher Humor durch gallige Groteskkomik
Sphäre« Verfahrensweisen zu entwickeln, die nicht auf unterlaufen wird, ließe sich an den für Kinder gezeich-
drastische Weise phantastische Welten konstruieren, neten und gemalten angeblich »lustige[n] Geschich-
sondern auf unmerkliche Weise das »Unmögliche ten und drollige[n] Bilder[n]« (vgl. Hoffmann 1846)
möglich« mache, so dass »wenn man den ersten Zoll von H. Hoffmanns Der Struwwelpeter (1890) zeigen.
über die Linie zugegeben [...] die Gesetze der Schwere Mit dem Siegeszug des Groteskkomischen in den
[...] der Grenze menschlicher Kraft und menschlicher Witzblättern des 19. Jh.s bereitete sich vor, was L. Ru-
Täuschung schwinde« (Vischer 1881, 86). biner 1906 auf die Formel brachte: »Die Groteske war
Vischer hat bei diesem Verfahrensvorschlag eines das Prinzip des Varietéhaften geworden« (Rubiner
unmerklichen Übergangs vom Alltäglich-Gewöhnli- 1906, 888).
chen zum Wunderbaren und Phantastischen im Me- Die um 1900 einsetzende jahrzehntelang anhalten-
dium des Komischen R. Töpffer, den Erfinder der auch de und alle Gattungen erfassende Konjunktur des
von Goethe gelobten »Literatur in Bildern« (»littera- Groteskkomischen verdankt sich zum einen dem ge-
ture en estampes«) (Lindner 1999, 86) vor Augen. In zielt destruktiven Herbeiführen des Endes ästheti-
den 1820er und 1830er Jahren gelang es Töpffer, die in scher Historismen durch ihre übertriebene perfor-
40 I Grundbegriffe des Komischen

mative Ausstellung: die groteske Maske kam entspre- Eine derartige Vielfalt groteskkomischer Formen lie-
chend häufig bei J. W. Goll im Drama und bei C. Ein- ße sich auch in kurzen Prosatexten nachweisen. Als
stein im Roman zum Einsatz. Auf der anderen Seite Beispiel wären die zunächst einzeln in avantgardis-
stimulierte die um und nach 1900 möglich geworde- tischen Zeitschriften, dann in kleinen Bänden gesam-
ner Kombinatorik eines Supernaturalismus mit Ju- melten Grotesken des Philosophen und Poeten S.
gendstilzügen einen groteskkomischen Weltentwurf. Friedlaender zu nennen, der unter dem Pseudonym
R. Hausmann betont, dass der kulturelle Umbruch Mynona publizierte. An diesen zu mehreren Zyklen
vielfältige destruktiven Kleinformen bevorzuge: zusammengestellten Grotesken ließe sich die gesamte
»Wenn wir mit der alten Welt gebrochen haben und Klaviatur der groteskkomischen Möglichkeiten von
die neue noch nicht formen können, tritt die Satire, 1911 bis 1928 veranschaulichen: Sie reicht von der ori-
die Groteske, die Karikatur, der Clown und die Puppe ginellen Variation einer Darstellung der groteskko-
auf« (Hausmann 1982, 110). Neben dem Rückgriff mischen Folgen einer »lüderlichen Nase« (Mynona
auf volkskulturelle Traditionen (Bänkelsang, Schat- 1989, 101), dem grotesken Automatenspiel eines »wi-
ten- und Puppenspiele) treten aktuelle satirische An- derspenstigen Brautbetts«; (ebd., 113); der »Rokette-
spielungen auf den Kunstkommerz (Schlager, Rekla- rie« (ebd., 149);, eines »gut bronzierte[n] Flohs« (ebd.,
me, Parodie von Wagnermotiven); zugleich wird die 177); bis zum arabesken Spiel einer »vegetabilischen
Parodie hoher Kunst betrieben (vergl. Gumppen- Vaterschaft« (ebd, 185); sie erreicht aber auch sati-
bergs Groteske-Stücke bzw. Überdramen,1902). Dabei risch-groteske Stoßkraft in dem kriegskritischen Text
wird häufig der Versuch gestartet, die vorgegebenen Neues Kinderspielzeug oder Mein Papa und die Jung-
groteskkomischen Verfahren, Topoi und Themen in frau von Orleans (1921). Dabei lässt sich gut beobach-
neue Medien (seien es Dias oder Radio) zu transfor- ten wie die Groteskbestimmung Vischers aus dem 19.
mieren. Beides, die Zerlegung des ästhetischen His- Jh eine neue Akzentuierung und Spannweite erhält.
torismus durch performative Übertreibung und die Heißt es noch bei Vischer, das »Groteske sei das Ko-
Kombinatorik körperlich dramatischer Monstrosität mische in Form des Wunderbaren« (Vischer 1847,
und zarter Ornamentästhetik, fördert auch in der 465), so wird bei Mynona/Friedlaender das Komische
Sprache der Groteske zum Bild stillgestellte Moment- zum Banalen und das Wunderbare ins Phantastische
aufnahmen (vgl. C. Heym, Der neue Pilatus), so dass transformiert. Die Aufgabe der Groteske ist nun »we-
Einstein sich berechtigt glaubte, die Groteske eine der phantastisch zu komplizieren noch banal zu erle-
»optische Phantasie« (Einstein 1996, 225) nennen zu digen, sondern sich in einer angenehmen Schwebe
dürfen. zwischen diesen Extremen zu erhalten« (Mynona
Der Intensivierung des Visuellen im Bereich des 1921, 56). Eine einlässliche Interpretation der Grotes-
Grotesken, die nicht nur durch die Doppelbegabun- ken des 20. Jh.s müsste zeigen, dass trotz aller perfor-
gen (P. Scheerbart, A. Kubin, K. Schwitters, H. Arp, G. mativ ausgestellten Apokalyptik und trotz deutlichem
Grosz) gestützt wurde, sondern auch durch die Ko- Bezug auf bänkelsängerische Volkskultur sie nie eines
operation von Poeten und Zeichnern (Th. Th. Heine spielerischen Moments, nie einer Ironie oder einer in-
und F. Hardekopf) korrespondierte eine gleichzeitige tellektuellen, bis zum Zynismus reichenden Artistik
Intensivierung der spezifisch sprachlichen Möglich- entbehren, so dass die Groteskentwürfe sowohl Kay-
keiten der Groteske etwa bei Chr. Morgenstern, F. We- sers wie Bachtins sich als einseitig und unterkomplex
dekind und Klabund. Von der neuartigen ästheti- erweisen.
schen Qualität der Sprachgroteske profitierte vor-
nehmlich die Lyrik. Die Spannweite der lyrischen Literatur
Groteske ließe sich exemplarisch an den mit Groteske Bachtin, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie
be- oder untertitelten Gedichten erläutern – etwa von und Lachkultur. Übers. von A. Kaempfe. Frankfurt a.M.
1970.
Scheerbarts Meerglück. Eine Groteske (1897/98) die Barasch, Frances K.: The Grotesque. A Study in Meanings.
man als negativ erhabenes Kabinettstück charakteri- Mouton 1971.
sieren könnte oder von F. W. Wagner und E. Lasker- Baudelaire, Charles: Vom Wesen des Lachens. Und allgemein
Schüler mit Groteske überschriebenen Gedichten. von dem Komischen in der bildenden Kunst. Sämtliche
Dabei dürfte auch hier der Hinweis auf Rückgriffe in Werke, Briefe in acht Bänden. Bd. I. Hg. von Friedhelm
Kemp/Claude Pichois. Darmstadt 1977.
den Bereich traditioneller Ornamentästhetik etwa im
Bergius, Hanne: »Dada grotesk«. In: Pamela Kort (Hg.): Gro-
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priccio (1913) (vgl. Oesterle 1998, 186 f.) nicht fehlen.
8 Das Groteskkomische 41

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42 I Grundbegriffe des Komischen

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renz 1966. torisch und disziplinär unterschiedlichen Begriffen von
Vischer, Friedrich Theodor: »Satyrische Zeichnung. Gavarni Unterhaltern (Trickster, Possenreißer, Narr, Schelm,
und Töpffer«. In: ders.: Altes und Neues. Stuttgart 1881, 86. Clown, Comedian), deren transhistorische und trans-
Vischer, Friedrich Theodor: Ästhetik oder Wissenschaft des kulturelle Gemeinsamkeit darin besteht, vor einem Pu-
Schönen. Reutlingen/Leipzig 1847, 465. blikum durch die Lizenz zum normabweichenden
Vitruvius (Marco Vitruvio Pollione): De Architectura. Übers.
sprachlichen und körperlichen Verhalten Komik her-
von Giambattista Caporali. Perugia 1985.
Wagner, Brigitte: »›Französische Groteske‹ – Gedanken zur zustellen und Lachen zu erregen. Fast alle Varianten des
Schwierigkeit einer Definition«. In: Zeitschrift für Ästhetik Spaßmachers zeigen ihn als karnevalesken Agenten der
und Allgemeine Kunstwissenschaft 24. Jg., 2 (1979), 132– Ambivalenz, der die Grenzen von scheinbar fest gefüg-
175. ten, vielfach dichotomisch gefassten Ordnungen über-
Warncke, Carsten-Peter: Die ornamentale Groteske in schreitet und diese dadurch temporär umkehrt. Er er-
Deutschland 1500–1650. Bd. 1 und 2. Berlin 1979.
Wieland, Christoph Martin: Werke. Bd. 3. Hg. von Fritz
reicht dies durch regelwidrige Verhaltensweisen wie die
Martini/Hans Werner Seiffert. München 1967. Verletzung von gesellschaftlichen Tabus bis hinein in
den Bereich des Obszönen, die Profanierung von mit
Günter Oesterle Autorität und Geltung belegten Personen und Sym-
bolen bzw. mit der spielerischen Aufführung von gesell-
schaftlichen Konflikten und Defiziten. Gleichzeitig
führt sein regelwidriges Verhalten in komischer Rah-
mung jedoch zur Abfuhr psychischer Spannung und
zur Bestätigung von Normativität. Während Clowns
und Comedians vom 19. Jh. bis zur Gegenwart als in-
dividuelle Entertainer aus verschiedenen Medien wie
Zirkus, Varieté, Kabarett, Film und Fernsehen bekannt
sind, werden die Spaßmacher der Vormoderne nur
über ihre in mythologischen, literarischen oder his-
toriographischen Erzählungen und Bildern überliefer-
ten Figurationen greifbar. Die daraus entstehenden be-
grifflichen Unschärfen und die unterschiedlichen me-
thodischen Zugänge aus einzelnen wissenschaftlichen
Fächern und Diskursen (Anthropologie, Ethnologie,
Kulturgeschichte, Literatur- und Kunstwissenschaft,
Religionswissenschaft, Theater- und Filmgeschichte)
lassen systematische und universal verwendbare De-
finitionen und Beschreibungen des Gegenstands kaum
zu. Auch ein übergreifender theoretischer Diskurs zum
individuellen Lustigmacher ist nur in Bruchstücken
vorhanden – anders als im Falle von Leitbegriffen wie
Komik, Lachen, Humor oder institutionalisierten ko-
mischen Formen (Komödie, Witz, Satire, Parodie).
Dennoch ist es möglich, grobe Leitlinien einer Kultur-
geschichte des Spaßmachers seit der Antike bis heute zu
skizzieren und die ihm eigenen komischen Formen und
Funktionen systematisch zu erfassen.

Trickster und ritueller Clown


Etwa zeitgleich stellten R. Caillois in L’ homme et le sa-
cré (1950) und P. Radin in The Trickster (1956) einen
Zusammenhang zwischen den europäischen Schel-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_9,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
9 Spaßmacher 43

men- und Narrenfiguren bis hin zum Zirkusclown ei- Schamanen, sie sind als Ausgegrenzte dennoch Teil des
nerseits und den mythischen Tricksterfiguren Nord- Geltenden. Das Handeln der Clowns ist jedoch nicht
amerikas, Asiens und Ozeaniens andererseits her allein von Ambiguität gekennzeichnet, sondern auch
(›Schelmen-Mythos‹). Sie sind »Kulturheroen einer von einem »mechanism of reflexivity« (Handelman
fluktuierenden Vorzeit« (Schüttpelz 2010, 212), die 1981, 347–51), welcher Grenzüberschreitungen als
durch Verwandlungen, Täuschungen und Dilettantis- Verwandlungen seiner Person sichtbar macht. Somit
mus gekennzeichnet sind. Die spezifische Ambivalenz erfüllt der rituelle Clown eine metakommunikative
der Tricksterfigur ist zwischen Listigkeit und Tölpel- Funktion und trägt dazu bei, die Reflexivitat eines Ri-
haftigkeit, Verspottung anderer und eigener Lächer- tuals zu erhöhen. Gegenüber älteren Deutungen der
lichkeit sowie seiner geschlechtlichen Mehrfachzuge- Funktionen von rituellen Clowns, welche in ihnen
hörigkeit angesiedelt. Nach Radin und C. G. Jung ist Ausgleichsfiguren sozialer Spannungen durch ko-
der Trickster ein »kosmisches Urwesen göttlich-tieri- mische Entlastung sahen, unterstreicht D. Handelman
scher Natur« (Jung 2010, 168), eine hybride Schelmen- ihre wichtige Rolle für das Gelingen des rituellen Pro-
gestalt, die die Züge eines Kulturbringers mit denen zesses: ihr symbolisches Handeln evoziere eine Anti-
des Betrügers und Verschwenders verbindet. Radin Struktur, die durch Lachen bewältigt werden kann und
hatte anhand des Mythen-Zyklus um den Trickster somit dazu beitrage, das Ritual performativ zu vollzie-
Wakdjungkaga der nordamerikanischen Winnebago- hen (vgl. Handelman 1981, 347–351). Dieser letzte As-
Indianer wesentliche Charakteristika eines Archetyps pekt zeigt klar, wie wichtig die Komik des Clowns für
herausgearbeitet: ein Schwellenwesen, für das keine seine symbolische und rituelle Funktion war. Sie muss
Grenzen existieren (»the enemy of boundaries« [Radin als vornehmlich groteske und derbe Komik des Kör-
u. a. 1956, 185]), ein teils aggressiver und triebhafter pers – und hier v. a. der sexuellen und skatologischen
Unruhestifter, der Widersprüche bis zum Paradox in Exzesse – noch vor der Komik der Stimme und der
sich vereinigt, und der durch seine transgressiven Sprache verstanden werden, und gerade hierin unter-
Handlungen gleichzeitig Sündenbock und Vermittler- scheidet sich der rituelle Clown vom Trickster durch-
figur ist. Als Außenseiter und Schelm, der Scherzbezie- aus: es fehlen ihm die Voraussetzungen für bestimmte
hungen eingehen kann, ist er bei den Winnebago lächerliche und überraschende Handlungen, wie Ver-
Lachfigur par excellence, eine Zielscheibe für Geläch- wandlungsfähigkeit, die Gelegenheit zum Sprachspiel
ter und Spott, die auf Blamage und Bloßstellung grün- und zur witzigen Erzählung, die Fähigkeit zur ambiva-
den (vgl. Schüttpelz 2010, 210–213). lenten Inszenierung von Furcht und Lächerlichkeit.
Mythische Tricksterfiguren dienen häufig als Mo-
delle für rituelle Clowns (Störenfriede von sakralen Scurrae – Possenreißer des Altertums
Zeremoniellen bei zahlreichen Ethnien Nordamerikas Das griechische Altertum kennt die Institution des ge-
und Ozeaniens), wie etwa bei den Dakota-Indianern, lotopoiós (γελωτοποιός), des Lachen-Machers, der zu
bei welchen die Bestimmung zum Heyoka (Clown) Gastmählern eingeladen wird oder sich selbst dazu
über eine Traumvision des Gottes Iktomi oder einer einlädt (parásitos/παράσιτος) und als Gegenleistung
seiner ihn begleitenden Bestien hergestellt wird (vgl. dafür die Gesellschaft zum Lachen bringt. Ihr berühm-
Makarius 1970, 45). Den Zusammenhang zwischen tester Vertreter ist die Komödien-Figur Philippos aus
Trickstern und rituellen Clowns als ihren ›irdischen dem Symposion (nach 380 v. Chr.) des Xenophon, des-
Vertretern‹ sieht L. Makarius v. a. über ein ähnliches sen Kunstfertigkeit weniger im Erzählen von Witzen,
Verhaltensdispositiv gewährleistet. Auch die rituellen als mehr in der realistisch-komischen Darstellung von
Clowns haben die Aufgabe, Tabu- und Normgrenzen Situationen des zeitgenössischen Alltagslebens, im
zu verletzen, das Heilige zu profanieren, Groteskes und Vergleichen und Nachäffen von Personen und ihren
Obszönes aufzuführen (Phallus-Symbolik), den Ab- typischen Bewegungen, dem Verstellung der Stimme,
lauf von rituellen Handlungen zu verkehren und lä- der Mimik, der Körperhaltung besteht. Der Spaß-
cherlich zu machen. Dazu gehören etwa derbe Späße, macher verfügt sowohl über sprachliche als auch kör-
körperliche Exaltationen, Verstellungen, das Werfen perlich-gestische Mittel, um Lachen zu erregen; letzte-
mit Unrat, die Imitation sakraler Figuren und sakraler re sind ersteren unter Umständen überlegen, aber auch
Sprache. Wie der Trickster kann der rituelle Clown als deutlicheren Grenzziehungen unterworfen (vgl. die
widersprüchliche und inkonsistente Figur mit exzessi- spätere Zensur durch die Rhetorik). Die Athener Spaß-
ver und proteischer Körperlichkeit bestimmt werden. macher waren als Solospieler mit ihrem Repertoire
Beide sind ›Gegenteiler‹ zu den Stammesheiligen und von kurzen Einzelszenen gern gesehene Gäste an den
44 I Grundbegriffe des Komischen

Höfen Mazedoniens und Thrakiens, aus der attischen im Mittelalter immer wieder als abschreckende Bei-
Komödie sind Clowns wie Mandrogenes und Straton spiele angeführt wurden. Ihre Komik war ein Potpour-
bekannt, sogar ein Verein von Spaßmachern ist in ri aus Sprach- und Stimmkomik, Körperaktion und
Athen nachgewiesen (vgl. Bremmer 1999, 19). mimischem Körperwitz (vgl. Benz 2001, 264–272).
Im römischen Altertum wurde der Begriff scurra
sowohl für einen feinen und redegewandten Spötter Hofnarren und Schelme des Mittelalters
(hier ist noch die Wurzel des vir urbanus atque facetus Dass solche Komik übergangslos in die Stegreifkomik
der Renaissance-Humanisten zu erkennen), aber auch der mittelalterlichen Gaukler und Hofnarren überge-
für den professionellen Possenreißer der augustei- gangen sei, wurde in der älteren Forschung gern be-
schen Zeit gebraucht. In diesem Sinn erscheint der hauptet (vgl. Reich 1903), ist aber kaum belegbar. Al-
scurra auch bei Plautus in verschiedenen Stücken (Mo- lerdings finden sich viele der Formen körperlicher Ak-
stellaria, Epidicus, Poenulus und im Trinummus), so- tionskomik in den Repertoires der Spaßmacher und
wie in den Rhetoriken Ciceros und Quintilians. Ein Performer des Mittelalters – in den Quellen unter-
scurra ist demnach ein Performer und Unterhalter, der schiedlich als ioculatores/Gaukler, mimi, histriones/
sich auf mimisch-gestische und sprachliche Auffüh- Schauspieler, scurrae/Possenreißer sowie folli bzw. mo-
rungen, Gesang und Tanz versteht, gleichzeitig aber riones/Narren bezeichnet – wieder. Der eigentliche Er-
auch als gefährlicher Spötter, Imitator und Regisseur be der antiken Kunst komischer Einzelaktion und so-
von Streichen und Intrigen gelten kann, einer der sich mit des antiken Spaßmachers ist jedoch der im Spät-
in die Angelegenheiten anderer einmischt, alles durch- mittelalter immer stärker an Popularität gewinnende
einanderbringt und durch seine üble Nachrede recht- Narr an europäischen Königs- und Fürstenhöfen, der
schaffene Leute in Verruf bringt (vgl. Corbett 1986, als Schwankheld auch in die Literatur eingeht.
27–42). In den Plautus-Komödien zeigt sich, dass die Hofnarren sind bereits 2300 v. Chr. in Ägypten und
Komik des römischen Possenreißers die Grenzen des spätestens 670 v. Chr. in China belegt (Yu Shi). Dort
guten Geschmacks weit hinter sich lässt und als ge- gab es eine ganze Reihe von Narren, die Konfuzius ver-
fährliche Waffe in den sozialen Beziehungen eingesetzt spotten durften, einschließlich der scherzhaften These
werden konnte. Daher gebraucht Cicero in seinem Li Kejis am Hof von Tang Yizong, Konfuzius sei in
Rhetorik-Lehrbuch De oratore (55 v. Chr.) den Possen- Wirklichkeit eine Frau. Auch an indischen und ara-
reißer auch als Gegen- und Zerrbild des vorbildlichen bischen Höfen sind zwischen 500 und 1500 Hofnarren
Redners: »Was kann so sehr zum Lachen bringen wie nachgewiesen (so etwa T. Rama in Indien und Buhlul
ein Possenreißer? Wir lachen aber über sein Gesicht, am Hof H. al-Rashids; vgl. Otto 2001, 35f; 84 f.). Ge-
seine Mienen, seine Imitationen der Eigenheiten ande- meinsam ist den Hofnarren die Zuordnung zum Sozi-
rer, seine Stimme, ja über seinen ganzen Körper. Einen alsystem ›Hof‹ als Lebens- und Wirkungsfeld, wobei
solchen Menschen kann ich allerdings einen Possen- sie direkt dem Herrscher oder der Herrscherin unter-
reißer nennen; doch ich kann nur wünschen, dass ein stellt sind, mit denen sie häufig über ein Scherzverhält-
Komödiant so beschaffen sei, aber nicht ein Redner« nis verbunden sind und symbolisch als ihr Negativ-
(Cicero lib. II., 251). Cicero definiert den gesellschaft- bzw. Abbild fungieren. Ihre transhistorisch invariante
lich akzeptierten Witz und Spott in Abgrenzung vom Hauptaufgabe ist es, über die Lizenz zu normabwei-
Possenreißer, der hier als negativ codierte, transgressi- chendem Körper- und Sprachverhalten sowie organi-
ve Figur erscheint. Sie wird einerseits mit dem Hinweis satorische Aufgaben bei Festen und Feiern auf vielfälti-
auf ihre dicacitas, ihre scharfzüngige Bosheit charakte- ge Weise Herrschaft und Hof zu unterhalten und Freu-
risiert, andererseits auf schauspielerische Kompeten- de zu stiften (vgl. Welsford 1935, 65). Das Auslösen
zen wie Gestik, Mimik und Motorik zugeschnitten, da von Lachen war das verbindende Element der ›natürli-
diese leichten Lacherfolg versprechen. An solchen chen‹ (geistig und körperlich Behinderte) und ›künst-
Ausführungen kann man die ungeheure Wirkung von lichen‹ Hofnarren (engl. fool und jester): während bei
Alleinunterhaltern erkennen, wie sie etwa der spät- den natürlichen Narren ein teratophiles Interesse und
antike Mimus besaß – also diejenige römische Gattung die Lust am scheinbar unvernünftigen Sprechen und
der Solokomödie, die nicht vor burlesker Situations- Handeln im Vordergrund stand, war es bei den Spaß-
komik, cross-dressing, frivolen Tänzen und obszönen machern und Buffonen eher die schauspielerisch-
Reden und Gesten in der verzerrenden imitatio zu- transgressive Interpretation von normierten und all-
rückschreckte und die infolge von den christlichen Au- täglichen Verhaltensweisen. Zum vielgestaltigen Tä-
toren so sehr gegeißelt wurde, dass ihre Vertreter noch tigkeitsbild der Hofnarren gehörten neben parodis-
9 Spaßmacher 45

tischen und körperlich-mimetischen Fähigkeiten ton’s Jests, 1600). Clowns traten auch zu zweit oder in
(Nachäffen, Stimmverstellung, Grimassieren und Gruppen auf (Shakespeare), so dass sie oft ein populä-
Spottgesten) auch musikalische und tänzerische Dar- res Gegengewicht zu den Darstellern bildeten. Der
bietungen (Singen und ›falsches‹ Spielen verschiede- moderne Clown entsteht jedoch erst im 18. Jh., als der
ner Instrumente). Spezifische Anlässe ihres Wirkens englische Schauspieler und Clown J. Grimaldi (1778
waren v. a. die tägliche Mahlzeit, sowie Ausfahrten, –1837), dessen Eltern aus der Tradition der italie-
Jagd, Feste, Sieges- und Trauerumzüge. Hofnarren wa- nischen Commedia dell’Arte stammten und mit deren
ren somit Verbreiter höfischer Freude, was sowohl für Spielfiguren er somit gut vertraut war, die Figur des
den Vertreib von Langeweile und Melancholie am Hof, Harlekin in die Londoner Christmas-Pantomine ein-
als auch für die Entschärfung von Konflikten bzw. die führte (vgl. Weihe 2015, 36). Auch die Kostümtypen
Regulierung höfischen Konkurrenzverhaltens durch des Clowns können auf die Commedia dell’Arte zu-
die Möglichkeit des Ablachens von Spannung und Ag- rückgeführt werden: So geht die Maske des weißen
gressionen bedeutsam war (vgl. Velten 2001, 316–317). Clowns auf den Pagliaccio zurück, der als einzige Figur
Im Zeitraum zwischen 1450 und 1550 bildete sich ein der Stegreifkomödie weiß geschminkt war. Schließlich
frühneuzeitlicher Hofnarrentypus heraus, der dem Be- verdankt auch die Komik der Clowns den lazzi der
dürfnis an höfischer Kommunikationsfähigkeit und textlosen Commedia viel – sprachliche Dialog- oder
außergewöhnlichen Individuen gleichermaßen ent- Monologmuster, v. a. aber sich wiederholende körper-
gegenkam: Schlagfertigkeit und Witz wurden wichti- liche Handlungssequenzen (inszeniertes Stolpern,
ger, körperlich-performative wurden durch diskursive Stürzen, Stottern, Hüpfen). Daher wirken Clowns v. a.
Handlungen und inszenierte Streiche ersetzt, das Ver- über die theatrale, absichtlich inszenierte Präsenz ihres
halten professionalisiert und höfisiert. Durch die da- Körpers, ihre Mimik und Gestik, ihre Bewegungen, die
raus entstandene Verbindung von listiger Überlegen- überraschend langsam und dann wieder überraschend
heit und Lizenz zum Streich (vgl. Burke 1998, 113) so- schnell und wendig sind. Ihr Publikum lacht nicht
wie durch ihre Rolle als Bindeglieder zwischen Hof mehr aus Schadenfreude (wie noch beim Hofnarren),
und Bevölkerung wurden Hofnarren zu Volkslieblin- sondern über die absichtliche Inszenierung ihrer ko-
gen (Gonnella, Triboulet, Will Somers, Kunz von der mischen Tricks und ihrer unsinnigen Gespräche. Sie
Rosen) und literarischen Helden (Dolcibene, Neithart treten oft im Paar auf und bilden so Gegensätze aus, die
Fuchs, Pfaffe von Kalenberg). Dort wurden sie als noch beim Narren und Trickster in einer Person zu-
Meister der Verstellung und Verkleidung, des kalku- sammengebunden waren: der Clevere und der Einfäl-
lierten Streiches gegenüber meist unterlegenen Geg- tige, der wendige Schlanke und der langsame Dicke
nern, sowie als glänzende histrionische Entertainer in (Arlecchino und Brighella), der elegante und der grobe
Sprache (facete dictum) und Gestik dargestellt. Clown (vgl. Bouissac 2015, 78–97). Im 19. Jh. emanzi-
piert sich die Clownsfigur vom reinen Spaßmacher, es
Clowns entsteht die typische Mischung von Lachen und ab-
Während der Blütezeit des Hofnarrentums entstand gründiger Traurigkeit, und mit seinem Eintritt in die
eine andere Art des professionellen Spaßmachers, der Literatur (Joyce, Th. Mann, H. Miller, H. Böll) wird er
Clown. Der Begriff bezeichnet zunächst einen närri- zum modernen alter ego des Schriftstellers. Und noch
schen Unterhalter (jester) auf dem englischen Theater einen Medienwandel macht der Clown mit: im
(Zwischenspiele, lustige Figur), etymologisch vermut- Stummfilm wird er weltberühmt. Die slapstick comedy
lich aus colonus (lat. für Bauer) abgeleitet (vgl. Bauern- mit Komikern wie Ch. Chaplin, B. Keaton, S. Laurel
narren in Fastnachtspielen). Von Beginn an war auch und O. Hardy tritt ihren Siegeszug an, die bis auf
er der Komik des Körpers verpflichtet (slapstick, gro- die filmischen Clownsfiguren späterer Zeiten, von
teske Komik), trug Witze und Scherze vor, musizierte, K. Valentin über Totò zu J. Tati und W. Allen, nach-
tanzte und sang für ein breites Publikum, das er der- wirkte. Bis heute aber sind Clowns unerlässliche Fi-
gestalt unterhielt und zum Lachen brachte. Der be- guren des Zirkus, weil hier das artistisch-körper-
rühmteste Clown des elisabethanischen Theaters war liche Moment über die Bühnensprache des Theaters
der Schauspieler R. Tarlton. Er war für seine ko- herrscht. Die Pantomime wird nun immer mehr zu
mischen Performances, seine burlesken Reime (dog- einem Markenzeichen clownesker Ausdruckskunst.
gerels), die er spontan auf Zurufe verfertigt haben soll Was der Clown gegenüber den Spaßmachern der Vor-
sowie für seine witzigen Sprüche beliebt, woraus R. moderne verliert, die schlagfertige Antwort, den tref-
Arnim ein frühes Witzbuch zusammenstellte (Tarl- fenden Witz und das geschliffene bonmot, das ›gut ge-
46 I Grundbegriffe des Komischen

geben‹, kann er durch ein virtuoses clowneskes Spiel sie werden bewusst als karnevaleske Happenings des
der Mimik und der Gebärden kompensieren, in wel- Alltags und der ›individuellen Katastrophen‹ zele-
chem Zeit und Raum als Kategorien aufgehoben sind. briert. Innerhalb ihrer Dramaturgie gibt es viele ri-
Wie Trickster und rituelle Clowns tendiert der Zirkus- tuelle Abläufe, Wiederholungen, running gags, repro-
clown und jener des Stummfilms zum universalen po- duzierte Codes usw. Effekte von Kleidung, bizarre
pulären Phänomen, eine Lachfigur, die auf tragiko- Körperhaltungen und sprachliche Klischees, eine Äs-
mische oder lakonische Weise aufbegehrt gegen die thetik der Oberfläche und das Anlegen auf spontane
Zwänge des Alltags und dem Anderen der gesell- komische oder peinliche Konstellationen werden be-
schaftlichen Norm Raum gibt. sonders geschätzt. Hier zeigen sich auf das Medium
Fernsehen und die popkulturelle Ästhetik zugeschnit-
Comedian tene neue Formen der Individualkomik, die sich von
In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s erscheinen im Medi- früheren Konventionen des Spaßmachers unterschei-
um der Fernsehunterhaltung ebenfalls Spaßmacher den.
als Soloperformer, die ihr Publikum mit komischen
Inszenierungen zum Lachen bringen. Zwei Typen Literatur
können dabei unterschieden werden; der aus dem po- Benz, Lore: »Zur Verquickung von Sprachkomik, Körper-
litischen Kabarett stammende Satiriker, der mit Ironie witz und Körperaktion im antiken Mimus«. In: ZfG.
N. F. 2. Jg. (2001), 261–273.
und spöttischer Polemik gesellschaftliche Themen Bouissac, Paul: The semiotics of Clowns and Clowning.
und Tabus bearbeitet und dessen körperliche Komik Rituals of Transgression and the Theory of Laughter.
sich auf mimische und stimmliche Imitationen be- London/New York 2015.
schränkt (z. B. in Deutschland V. Pispers, D. Nuhr, M. Bremmer, Jan: »Witze, Spaßmacher und Witzbücher in der
Richling, L. Fitz); zweitens der stärker an situative antiken griechischen Kultur«. In: ders./Hermann Rooden-
burg (Hg.): Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike
Handlungsmuster des Possenreißers anschließende
bis heute [1997]. Darmstadt 1999, 18–31.
Comedian oder Entertainer. Er ist ein Phänomen der Burke, Peter: »Grenzen des Komischen im Italien der Frü-
Popkultur, ein wenig politischer und in hohem Maße hen Neuzeit«. In: ders.: Eleganz und Haltung [1997].
selbstreferenzieller Amateur. Sein Repertoire weist Berlin 1998, 107–128.
zwar auch noch geistvolle Wortwitze und hintergrün- Corbett, Philipp: The scurra. Edinburgh 1986.
dige Sprachspiele auf, stellt aber Klamauk, Blödelei, Handelman, Don: »The Ritual-Clown. Attributes and Affini-
ties«. In: Anthropos 76. Jg. (1981), 321–370.
Körper- und Stimmkunst in den Vordergrund (D.
Jung, Carl Gustav: Archetypen. 16München 2010.
Hallervoorden und O. Waalkes sind in den 1970er Makarius, Laura: » Ritual clowns and symbolic behavior«.
Jahren die ersten Comedians, die eine eigene Fernseh- In: Diogenes 69. Jg. (1970), 44–73.
sendung erhalten). Ihre Witze wirken absichtlich Nagel, Armin: »Comedy«. In: Hans-Otto Hügel (Hg.):
amateurhaft, durchsichtig und platt, sie werden vom Handbuch Populäre Kultur. Stuttgart 2003, 138–142.
Publikum in einer Art ›Camp‹-Haltung aber gerade Otto, Beatrice K.: Fools are Everywhere. The Court Jester
Around the World. Chicago/London 2001.
für ihre Fadheit genossen (der Höhepunkt dieser Ko- Prommer, Elizabeth: Fernsehgeschmack, Lebensstil und Co-
mik ist H. Schneider). In bewusster Distanz zur her- medy: eine handlungstheoretische Analyse. Konstanz/Mün-
kömmlichen Satire und ihrer geschlossenen Witz- chen 2012.
Dramaturgie in Sketchen wird die offene Form ase- Radin, Paul/Kerényi, Karl/Jung, C. G.: The Trickster – A
mantischer sprachlicher Komik gepflegt, die pointen- Study in American Indian Mythology. New York 1956.
Reich, Hermann: Der Mimus. Ein litterar-entwickelungs-
los oder -feindlich ist (vgl. Nagel 2003, 141). Auch die
geschichtlicher Versuch. Berlin 1903.
Komik des Körpers erscheint unprofessionell: eine Schüttpelz, Erhard: »Der Trickster«. In: Eva Eßlinger u. a.
kindliche Proxemik und Motorik, unscharfe Gestik (Hg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches
und Gebärden, Reflexion auf das Sprechen statt Spra- Paradigma. Frankfurt a. M. 2010, 208–224.
che, Mimikry sowie unzulängliche Verkleidungen Velten, Hans Rudolf: »Komische Körper. Zur Funktion von
prägen den Stil, der sich durch medial professionali- Hofnarren und zur Dramaturgie des Lachens im Spätmit-
telalter.« In: ZfG 10. Jg., 2 (2001), 292–317.
sierten Dilettantismus auszeichnet. Die Fernseh-Co- Weihe, Richard (Hg.): Über den Clown. Künstlerische und
medy stellt das Unperfekte, Laienhafte aus, gewinnt theoretische Perspektiven. Bielefeld 2015.
wieder eine Nähe zum anzüglichen oder gar zum Welsford, Enid: The fool. His Social and Literary History.
grobdrastischen Sprechen wie im Fall von St. Raab London 1935.
(vgl. Prommer 2012, 143–170). Comedyshows wollen
Hans Rudolf Velten
keinen Denkanstoß geben wie das Kabarett, sondern
10 Lachen 47

10 Lachen Schörle 2007; Wild 2012). Entsprechend zeitigt La-


chen unterschiedliche psychosoziale Wirkungen: Es
Das Lachen ist seit Aristoteles immer wieder als eine kann zum einen Harmlosigkeit signalisieren und für
spezifisch menschliche Verhaltensweise angesehen die Verbreitung einer erheiternden Stimmung, für ein
worden, mit der man spontan auf Umweltqualitäten engeres Zusammengehörigkeitsgefühl, für Entspan-
des erheiternd und amüsant Überraschenden reagiert, nung und die Bestätigung eines normativen Konsen-
was die Qualitäten des Inkongruenten und Abwei- ses in einem sozialen Kontext sorgen. Auch die neuer-
chenden, die plötzlich ins Auge fallen, als Unterfor- dings wiederentdeckten gesundheitsfördernden im-
men unter sich fasst (vgl. Morreal 1983; Schopenhauer munologischen und motivationalen Komponenten
2009). So heißt es bei Schopenhauer: lassen sich zu den positiven Effekten des Lachens
rechnen (vgl. Titze/Eschenröder 2011). Andererseits
»Der Ursprung des Lächerlichen ist allemal die parado- gibt es in allen Kulturen und zu allen Zeiten die Angst
xe und daher unerwartete Subsumtion eines Gegen- vor dem herabsetzenden Verlacht- und Ausgelacht-
standes unter einen ihm übrigens heterogenen Begriff, werden (vgl. Ruch 2009).
und bezeichnet demgemäß das Phänomen des La- H. Bergson hat in seiner Theorie über das Lachen
chens allemal die plötzliche Wahrnehmung einer In- maßgeblich, wenn auch zu einseitig, auf die streng
kongruenz zwischen einem solchen Begriff und dem sanktionierende Funktion des Lachens hingewiesen.
durch denselben gedachten realen Gegenstand, also Es ist ihm zufolge auf mechanisches und damit auf ein
zwischen dem Abstrakten und dem Anschaulichen. Je vom flexiblen Lebensprinzip abweichendes Verhalten
größer und unerwarteter, in der Auffassung des La- gerichtet, welches den Tod anzeige (vgl. Bergson
chenden, diese Inkongruenz ist, desto heftiger wird 1940/1988). Und das zynische, sardonische oder teuf-
sein Lachen ausfallen.« (Schopenhauer 2009, 541) lische Lachen macht sich über das Verlieren, Fehlen
und Fallen lustig, wobei es auf die humanoide Be-
Betont Schopenhauer hier eine angeblich im Lachen grenztheit überhaupt zielt, die mit dem ersten großen
quittierte kognitive Dissonanz, so wäre dem hinzuzu- Fall, dem Sündenfall und der damit verbundenen Ver-
fügen, dass auch ein zum Lachen anregendes Kitzeln treibung aus dem Paradies ins kulturelle Schuldbe-
sich aus evolutionsbiologischer Sicht als etwas erhei- wusstsein des christlichen Abendlandes gelangt ist
ternd Überraschendes deuten lässt: Anstatt es als ei- (vgl. Baudelaire 1977; Hetzel/Wiechens 1999). Das
nen körperlichen Angriff zu deuten, wird das Kitzeln schadenfrohe Lachen gilt aber schon bei Platon und
als falscher Alarm und überraschend freundliche Be- Aristoteles als eines, das es zu verhindern oder kathar-
rührung quittiert (vgl. Hurley/Adams/Dennett 2011). tisch zu überwinden gelte. Für letzteres soll insbeson-
Entsprechend mischen sich im Lachen die Qualitäten dere die Komödie zuständig sein, die Aristoteles zu-
der Erheiterung mit solchen eines genießbaren folge auf apotropäische Weise von Niedergestelltem,
Schmerzes zu einer ambivalenten Gefühlsqualität. von Hässlichem, Fehlgehendem und Abweichendem
Seit Ch. Darwin werden auch den Menschenaffen handelt (vgl. Kamper/Wulf 1986). In edukativer Ab-
vergleichbare Verhaltensweisen zugestanden, wobei sicht gehe es der Komödie immer auch darum, dem
es bis heute kontrovers ist, welchen Tieren es sonst Publikum über negative Vorbilder zu vermitteln, wel-
noch zuzusprechen ist (vgl. Darwin 1871). Ab dem ches Lachen auslösende Fehlverhalten es selbst ver-
dritten Lebensmonat zeigen Menschen jedenfalls die meiden solle. Doch dies ändert nichts daran, dass
Fähigkeit zu lachen. Es setzt ein, noch lange bevor ei- auch ein Lachen aus Überlegenheit oder schadenfro-
ne differenzierte sensorische Wahrnehmung, eine her Überheblichkeit heraus sozial stabilisierend wir-
Sprache, ein Ich-Bewusstsein oder eine Theorie des ken kann (vgl. Hobbes 1840). Freud hat exemplarisch
Geistes ausgebildet sind. Die Lachanlässe und -aus- auf die solidarisierende Wirkung des Lachens über
löser differenzieren sich dann im Zuge der soziokul- Zoten hingewiesen, die eine unter Männern tolerierte
turellen Entwicklung und proportional zum Ausbau Form der sexuellen Aggression gegen das weibliche
der kognitiven, sozialen und affektiven Fähigkeiten Geschlecht darstellen (vgl. Freud 1999). Die Schatten-
weiter aus. Zu Lachauslösern kann dann ein ganzes seiten des Lachens sind in den allermeisten Theorien
Spektrum von harmlosen bis hin zu aggressiven und des Lachens mitreflektiert worden und begründen ih-
normativ prekären Sachverhalten, Wesen, Ereignis- re Plädoyers zugunsten von Kontrolle und Diszip-
sen oder Dingen werden (vgl. Darwin 1872; Fry/Sala- linierung des Lachens. Häufig ist dabei dem Lachen
meh 1993; Berger 1998; Critchley 2004; Geier 2006; ein widerspenstig spielerisches Element zugeschrie-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_10,


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48 I Grundbegriffe des Komischen

ben worden (vgl. ebd.; Bergson1940/1988.; Huizinga Lachregeln des Mittelalters, der auf Chrysostomos zu-
1956; Ritter 1974), das mit seinen harmlosen wie ag- rückgehende, wiederholte Hinweis, dass es kein Zeug-
gressiven Ausformungen gleichermaßen kompatibel nis vom lachenden Gott bzw. Sohn Gottes gebe (vgl.
ist. Gerade dieses immanent spielerische Moment Le Goff 1999; Crichley 2004; Bennett 2011). Lachen
scheint das Lachen von jeder verbindlichen Wertbin- galt tendenziell als gotteslästerlich, geist- und würde-
dung ablösbar zu machen. Die philosophisch abgrün- los. Zwar gab es auch in den Klöstern akzeptierte
digen Dimensionen hebt J. Ritter am Lachen hervor: Übertretungsphänomene und z. B. Witzesammlun-
gen (joca monacorum) sowie das erlaubte Osterla-
»Was mit dem Lachen ausgespielt und ergriffen wird, chen, die allesamt der versuchsweise kontrollierten
ist diese geheime Zugehörigkeit des Nichtigen zum Da- Befreiung des Lachens für das Klosterleben und die
sein; sie wird ergriffen und ausgespielt, nicht in der Predigten dienten (vgl. Jacobelli 1992). Die im 12. Jh.
Weise des ausgrenzenden Ernstes, der es als das Nichti- aufkommende Scholastik toleriert ebenfalls in be-
ge von sich weghalten kann, sondern so, dass es in der grenztem Ausmaß die Heiterkeit und hält nur das lau-
es ausgrenzenden Ordnung selbst gleichsam als ihr zu- te Gelächter für unschicklich. Doch weder diese ge-
gehörig sichtbar und lautbar wird.« (Ritter 1974, 76) mäßigten Einbeziehungen des Heiteren, noch die Blü-
tezeiten des Karnevals und der Narrenfeste, die im 14.
Die Schattenseite des Nichtigen am Dasein wird im La- und 15. Jh. folgten (vgl. Bachtin 2006), reichten hin,
chen demzufolge sowohl deutlich markiert als auch in- um das Lachen als prinzipiell legitime Form des Ver-
tegriert, da das Lachen selbst an dem noch partizipiert, haltens in die religiösen Rahmungen und theologi-
worüber es sich lustig macht. In einer in sich selbst ge- schen Kulturtechniken nachhaltig einzubeziehen (vgl.
genläufigen Bewegung des ›Angezogen-Abgestoßen- Jacobelli 1992; Kuschel 1998; Le Goff 2003).
Seins‹, die zur ambivalenten Gefühlstönung des La- Ob daraus zu Recht schon eine lineare Verfalls-
chens gehört, das nicht umsonst dem Weinen so nahe geschichte des Lachens abgeleitet werden kann, die zu-
ist und häufig physische Schmerzen verursacht, reibt nehmende Modernität mit zunehmender Ernsthaftig-
das Lachen sich und den von ihm mitgerissenen Kör- keit und Lachfeindlichkeit verbindet (vgl. Berger 1998;
perleib an den Grenzen von Ordnung und Rationalität. Bachtin 2006), ist jedoch mehr als fraglich. Zum einen
Wo gemeinsam Lachende sich über die Begrenztheit sind die historisch zugänglichen Quellen zu einseitig,
der Vernunft und/oder die des guten Lebens und der da nur klerikale oder höfische Lachregeln überliefert
frommen Wünsche einig sind, mögen sie immerhin sind. Über das weltliche Leben und Lachverhalten au-
vorübergehend eine soziale Verbundenheit finden. In ßerhalb der Kloster- und Schlossmauern ist zu wenig
diesem Sinne konnte der englische Dichter A. Pope in historisches Material verbürgt. Zum anderen ist das
einem fingierten Brief von 1710 gegen die Hobbes’sche Lachen seit jeher differenziert gesehen worden und die
Überlegenheitstheorie des Lachens korrigierend ein- Geschichte der Theoriebildung des Lachens im Prinzip
wenden, dass er nur über diejenigen lache, die nicht immer schon eine große Erzählung der Kontrolle und
seine Freunde seien, während diejenigen seine Freun- Zähmung des Lachens gewesen. Das feinsinnige Lä-
de seien, mit denen er das Lachen teile (»To conclude, cheln wird dem lauten Lachen gegenüber auch in den
those are my friends I laugh with, and those that are not Theorien bevorzugt, wobei sich im gezähmten Lächeln
I laugh at« (Pope zitiert in: Sherburn 1956, 111).). so etwas wie Weisheit und eine potenziell selbstkriti-
Aufgrund der intrinsischen Flexibilität des La- sche Haltung kundtun soll (vgl. Plessner 1989; Crich-
chens, seiner ethischen Indifferenz bis Unzuverlässig- ley 2004). Während das Lachen den ganzen Körper er-
keit sowie seiner sozialen und unmittelbar körperlich fassen, in unkontrollierte Krämpfe ausufern und sich
ansteckenden Wirkungspotenzialität ist es von der zudem unmittelbar übertragen kann, gilt dies alles für
philosophischen Antike an über das mittelalterliche das verhältnismäßig kontrollierte und rein mimische
Christentum bis heute ambivalent theoretisiert wor- Lächeln nicht. Verweist die Äußerungsform des La-
den. Stellt für Platon das Gelächter der thrakischen chens auf konkrete situative Auslöser, wie unpassendes
Magd über den Brunnensturz des weltabgewandt vor Fehlverhalten, Überraschendes, Witziges etc., es sei
sich hin sinnierenden Philosophen Thales von Milet denn, es liegt ein irres Lachen vor, das grundlos und
eine Inkarnation an Geist- und Wahrheitsfeindlich- rein physiologisch bedingt anheben kann, wirkt ein
keit dar, so setzt sich die Lachkritik auch in theologi- Lächeln vergleichsweise nach innen gekehrt, selbstver-
schen Anthropologien fort (vgl. Blumenberg 1976; Le sunken und unauflösbar polyvalent in seiner Moti-
Goff 1999). Ein Topos ist, neben den monastischen viertheit. Das berühmte Lächeln der Mona Lisa ist nur
10 Lachen 49

ein Beleg dafür, ebenso wie das Lächeln des Jesuskna- ihm gegenüber eine gewisse ästhetische Skepsis bis
ben, das einigen Theorien zufolge seine Göttlichkeit heute wachzuhalten. Lachkrämpfe gehören noch we-
bezeugen soll (vgl. Wulf 1986). Der Bedeutungsüber- niger als Weinkrämpfe zu beliebten Darstellungssujets
schuss des Lächelns nimmt in seiner nicht selten erha- im Bereich der Bildhauerei, der Fotografie oder auch
benen Ausstrahlung einen mythologieaffinen Charak- der Schauspielerei auf der Bühne oder im Film. Der
ter an. Es kann dann, wie Mona Lisas bildgewordenes gemäßigte Ausdruck ist außerhalb von Clownerien,
Lächeln, zur Projektionsfläche für schier unerschöpf- Karneval und Kabarett bis heute der bevorzugt ge-
liche Deutungsanstrengungen und Mythenbildungen suchte. Die mittlerweile Verbreitung findenden Lach-
werden. Nachdem Ch. Darwin einmal das mensch- seminare und Lachyogaangebote sind therapeutische
liche Lachen in eine Genealogie mit den Tieren gestellt Interventionen, keine ästhetischen. Lachen äußert
hat, ist es eher das Lächeln, auf das sich speziell phi- sich in allen Kulturen gleich, auch wenn die Anlässe
losophische Ansätze gerne zurückbeziehen, wenn es nicht identisch bzw. kulturvariant sind. In seiner spe-
darum geht, dem Menschen doch noch eine Sonder- zifischen Kombination aus Körpersprache und Laut-
stellung unter allen Spezies zuzuschreiben. H. Cohen information ist Lachen universell verständlich. Beim
hat diese Unterscheidung von Lachen und Lächeln in Lachen werden die Zähne entblößt, was Lorenz dazu
seiner explizit auf den Humor gegründeten Ästhetik verleitet hat, die aggressiven Tendenzen daran einsei-
geltend gemacht: tig hervorzuheben (vgl. Lorenz 1967). Die Mundwin-
kel werden zur Seite und nach oben gezogen, die Au-
»Lachen überhaupt soll ein Unterscheidungsmerkmal gen werden zusammengekniffen und tränen, die
des Menschen von dem Tiere sein. Es mag auch davon Bauchdecke und das Zwerchfell sind angespannt, es
verschwindende Ausnahmen geben. Das Lächeln aber wird intensiv ein- und ausgeatmet, wobei sich der
ist sicherlich nur dem Menschen eigen. [… ] Dieses Lä- ganze Körper biegt und schüttelt. Beim Ausatmen
cheln offenbart eine Freiheit des Gemüts, welche über werden stakkatoartige Laute bis Schreie ausgestoßen
alle Erkenntnis und über alle Sittlichkeit nicht etwa tri- und das Reden ist dann ebenso unterbrochen bzw. un-
umphiert, das liegt ihr fern, dennoch aber über sie er- möglich, wie das Denken.
haben ist. Dieses Lächeln ist das Lächeln des Humors, Gelacht wird im Kollektiv, nicht alleine. Aufgrund
und so bezeugt es sich in seiner Freiheit als die Aus- seiner physischen Expressivität und Lautstärke hat
strahlung einer selbständigen Bewusstseinsart, für man das Lachen auch als funktionale Abfuhrreaktion
welche Erkenntnis und Sittlichkeit nichts mehr als Vor- bezeichnet (vgl. Spencer 1860; Freud 1999; Koestler
bedingungen sind.« (Cohen 1982, 267) 1966), womit Spannungen und Stauungen kompen-
siert und abgeleitet würden (vgl. Berger 1998). In die-
Die Umkehrung des Kantischen Programms einer se Linie gehört auch der weiterführende Gedanke,
Fundierung der Ästhetik in der Ethik wird bei Cohen dass das Lachen kurzfristig vom Druck der gesell-
erstmalig zugunsten einer Ästhetik des Humors vor- schaftlichen Verbote und Gebote befreie. Die zum La-
genommen, die ohne die Berücksichtigung einer Phä- chen führende Narretei kann demnach als eine Form
nomenologie des Lachens und Lächelns und ihrer der gesellschaftlich integrierten Kritik erscheinen, die
Rahmungen nicht zu denken wäre. Mit Rückbezug auf letztlich jede Gesellschaftsformation als Reinigungs-
das zuvor benannte Spektrum der Auslöser und Wir- technik benötige (vgl. Clarke 2007; Stoessel 2008).
kungen des Lachens und damit verknüpfter Formen Um diese Art von Ausnahmeverhalten an den Tag
komischer, humoresker, ironischer, witziger, doppel- legen zu können, ist es erforderlich, nicht von ernst-
bödiger etc. Kommunikationsformen, Darstellungen haften, existenziell bedrohlichen oder anstrengenden
und medialer Operationen erweist sich die spezifische Aktivitäten absorbiert zu sein. Darüber hinaus ist es
Kraft des Lachens zum spontanen Wechsel der Per- für das Lachen häufig sogar vonnöten, die Disposition
spektive als das unerschöpfliche Faszinosum an ihm. dazu zu haben, d. h. positiv amüsabel zu sein. Institu-
Dass dieses überraschend perspektivwechselnde Mo- tionelle Rahmungen wie die Clownerien im Zirkus,
ment des Lachens sich sogar inhaltlich noch, wie bei das Kabarett, der Karneval, die Witzesammlung und
Cohen, auf die Theorien auswirken mag, die sich ihm Komödie sowie das ausgelassene Spiel und Gespräch
widmen, ist eine mögliche, daran anknüpfende Speku- sind alles Räume der intendierten und gesuchten Kul-
lation. tivierung des Lachens. Neben den Lacherlaubnissen
Die körperlich teilweise drastische Expressivität und -verboten, die in jeder Kultur strikt geregelt sind
des Lachverhaltens hat sicherlich dazu beigetragen, und die mit örtlichen und zeitlichen Zuweisungen des
50 I Grundbegriffe des Komischen

Lachens verbunden sind, ist immer wieder hervor- ratur und Musik hinsichtlich ihrer Mediengebunden-
gehoben worden, dass eine gewisse Gefühllosigkeit heit und -spezifik sowie hinsichtlich ihrer mimeti-
sowohl Voraussetzung wie auch Wirkung des Lachens schen und anti-mimetischen Wirkpotenziale zu un-
sei (vgl. Bergson 1988; Plessner 1989). Das Über- tersuchen. Während Lachen als typische Reaktion auf
raschende der meisten Lachauslöser jedoch und die komische Interventionen und Medien hinreichend
Heiterkeit, die selbst mit dem bösartigen Lachen noch reflektiert wurde, wäre es in seinen mannigfachen
einhergeht, sprechen dagegen. Lachen kann, wie H. Vorkommensweisen auch jenseits dieser Kontexte zu
Plessner meint, manchmal zwar eine körperliche Ant- untersuchen.
wort auf eine anderweitig nicht-beantwortbare Lage Viele Theorien des Lachens beharren auf der Un-
sein, in der sich eine Person gewissermaßen als Person erklärbarkeit des Phänomens sobald es isoliert be-
zurückzieht und anonymisiert. Es kann aber je nach trachtet wird. So meint auch Bergson: »Es gleitet da-
Kontext ebenso eine affirmative wie eine kritische von, verschwindet, taucht wieder auf: eine einzige
Geste darstellen. Da Lachen gradierbar, situations- spitzbübische Herausforderung an die philosophische
bezogen variierbar und in seiner Wertigkeit und ge- Spekulation« (Bergson 1988, 33). Hier scheint der
fühlsmäßigen Qualität ambig und wechselhaft ist, ephemere Charakter des auf Atmung und Stimme ba-
kann sich in ihm ebenso Distanz wie Nähe zum Lach- sierenden Lachens, seine phänomenale Zeitlichkeit,
auslöser kundtun. die häufig die der Plötzlichkeit ist, zum zentralen Ge-
Während das Lachen traditionell im Kontext von sichtspunkt zu werden. Daraus eine Unerklärlichkeit
Humor- und Komiktheorien abgehandelt wurde (vgl. des Phänomens ableiten zu wollen, erscheint jedoch
Bergson 1988; Lipps 2005; Preisendanz/Warning insofern unplausibel, als es an dem expressiven und
1976), die die generischen und semantisch-logischen ubiquitär verbreiteten Lachen eigentlich nichts gibt,
Dimensionen komischer Verfahren und Darstellun- was sich einem phänomenologischen und physiologi-
gen ins Zentrum rücken, ist es an der Zeit, eine inter- schen oder gar einem interdisziplinären Zugang ent-
disziplinäre Herangehensweise an das Phänomen zu zöge. Der Hinweis auf die technische Reproduzierbar-
suchen, die auch anderweitig performative und medi- keit des Lachens in und durch Medien, Archive und
enphänomenologische Aspekte berücksichtigt. Die Artefakte ließe sich schließlich als ein Hinweis darauf
genderbezogenen Differenzen werden bereits breit lesen, dass eine medienphilosophisch informierte
thematisiert (vgl. Merziger 2007). Doch Lachen kann, Untersuchung das Lachens und seiner technischen
etwa als Dosengelächter im Fernsehen und in den Sit- Transformationen dies- und jenseits von anthropo-
coms sowie in Spielzeugen wie Puppen und Lachsä- zentrischen Indienstnahmen ein lohnenswertes Un-
cken auch an Technologien und Artefakte delegiert terfangen wäre.
werden und dort neue Funktionsbestimmungen er-
halten, weil es dann vom menschlichen Körper abge- Literatur
löst ist. Dabei kann es z. B. eine dramaturgische Funk- Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als
tion erhalten, wie die, den Pointenablauf einer Sitcom Gegenkultur [1969]. Frankfurt a. M. 2006.
Baudelaire, Charles: Vom Wesen des Lachens. Und allgemein
zu markieren oder einfach die, einen Situationsver- von dem Komischen in der bildenden Kunst. Sämtliche
lauf auf verlebendigende Weise zu unterbrechen (vgl. Werke, Briefe in acht Bänden. Bd. I. Hg. von Friedhelm
Voss 2010). Das an Artefakte delegierte Lachen kann Kemp/Claude Pichois. Darmstadt 1977.
auch die Funktion übernehmen, deren Anthropo- Berger, Peter: Erlösendes Lachen. Das Komische in der
morphisierung anzutreiben. Zu bedenken wäre auch, menschlichen Erfahrung. Berlin/New York 1998.
Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung
inwieweit Motive der Lachvermeidung ausschlag-
des Komischen [1900]. Darmstadt 1988.
gebend für bestimmte ernsthafte Inszenierungsmodi Bennett, David: »The humor of Christ: A different methodo-
der politischen, künstlerischen, designartigen oder logical approach«. In: Humor 24. Jg. (2011) 3, 349–356.
auch wissenschaftlichen Rhetoriken und Formatio- Blumenberg, Hans: »Wer sollte vom Lachen der Magd be-
nen sind. Auch Modelle, Stile, Verbreitungsmöglich- troffen sein? Eine Duplik«. In: Wolfgang Preisendanz/Rai-
keiten und Inszenierungsmodalitäten des Lachens ner Warning (Hg.): Das Komische. München 1976, 437–
441.
selbst sind über die bekannte Differenzierung von un-
Cohen, Hermann: Ästhetik des reinen Gefühls [1912]. Hg.
echtem (Duchenne-Lachen) und echtem Lachen hi- von Helmuth Holzhey. Hildesheim 1982.
naus auszudifferenzieren. Dazu gehört es, Formen Clarke, John: Looking at Laughter. Humor, Power and Trans-
des ästhetisch inszenierten Lachens auf der Bühne, gression in Roman Visual Culture. Berkeley 2007.
im Film, in der Fotografie, in der Werbung, der Lite- Crichley, Simon: Über Humor. Wien 2004.
10 Lachen 51

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52 I Grundbegriffe des Komischen

11 Dummheit zu subsumieren ist. Während der Witz durch Analo-


giebildung neue, ›gewitzte‹ Möglichkeiten des Verste-
Zu Beginn des 16. Jh.s bezeichnet Erasmus von Rot- hens eröffnet, erweist sich die Dummheit als eine
terdam die Dummheit als ein ubiquitäres Phänomen, Mangelerscheinung des Erkenntnisvermögens – ins-
nämlich als »Kraft, die in der ganzen Welt wirkt« besondere, wenn es darum geht, etwas ›angemessen‹
(Erasmus 1975, 13): eine Diagnose, die von der über- zu verstehen. Dabei erweitert sich Kants These,
wiegenden Zahl der Denker vor und nach ihm geteilt Dummheit sei durch einen Mangel gekennzeichnet,
wird. Um nur zwei Stimmen herauszugreifen: Cicero »auf ihren Gegenbegriff« (Geisenhanslüke 2011, 30),
schreibt in seiner Abhandlung De oratore im 1. Jh. vor denn noch bei Erasmus kann Weisheit »nur negativ
Christus, dass eine überzeugende Rede immer den als Abwesenheit der Torheit bestimmt werden«
Effekt habe, den »klugen Leuten gut, dummen sogar (ebd.). Auch in der Kritik der reinen Vernunft (1781)
als wahr« zu erscheinen (Cicero 1976, 67). 2000 Jahre erwähnt Kant die Dummheit und bezeichnet sie als
später kommt K. Kraus sogar zu dem Schluss: »Das, ein »Gebrechen«, dem »gar nicht abzuhelfen« sei. In-
und nur das ist der Inhalt unserer Kultur: die Rapidi- teressanterweise scheint es für Kant aber kein Wider-
tät, mit der uns die Dummheit in ihren Wirbel zieht« spruch zu sein, dass ein »stumpfer oder eingeschränk-
(Kraus 1986, 62). Hier erfährt die ubiquitäre Tendenz, ter Kopf, dem es an nichts, als an gehörigem Grade
die der Dummheit zugesprochen wird, eine Be- des Verstandes und eigenen Begriffen desselben man-
schleunigung: sie wird zu einem Symptom moderner gelt«, es nicht doch zum Gelehrten bringen kann. »So
Rastlosigkeit, ja man könnte fast sagen: zu einer Dy- ist es nichts Ungewöhnliches, sehr gelehrte Männer
namik, die auf eine bestimmte ›Ökonomie der Dis- anzutreffen, die, im Gebrauche ihrer Wissenschaft, je-
kurse‹ zurückzuführen ist. Für Kraus ist daran das nen nie zu bessernden Mangel häufig blicken lassen«
Massenmedium Zeitung schuld, das in seiner Zeit für (Kant 1974, 185). In eben diesem Sinne spricht R.
die schnellstmögliche Verbreitung von Dummheiten Musil von einer »höheren Dummheit« als einer »Bil-
aller Art sorgt. Für das 21. Jh. stehen indes neben dungskrankheit«, die zu beschreiben eine »unend-
Funk und Fernsehen auch noch Internet und Mobil- liche Aufgabe« (Musil 1978, 1287) sei, denn es gäbe
telefonie sowie vielfältige Funktionen des social net- »schlechterdings keinen bedeutenden Gedanken, den
working zur Verfügung. Neben den medialen Rah- die Dummheit nicht anzuwenden verstünde, sie ist
menbedingungen, hat sich aber auch der Modus der allseitig beweglich und kann alle Kleider der Wahr-
Ubiquität verändert. In seiner Enzyklopädie der heit anziehen« (ebd., 1288). Insofern impliziert die
Dummheit (2001) unterscheidet M. v. Boxsel drei Frage nach der Dummheit eine grundsätzliche Be-
Epochen der Dummheit: Die Epoche ›klassischer stimmung »des Verhältnisses von Nichtwissen und
Dummheit‹ ist durch eine »grundsätzliche Naivität« Wissen« (Geisenhanslüke 2011, 9). Was heißt das?
(Boxsel 2001, 178) gekennzeichnet. Hier trifft der Bi- Genau wie Kant führt Hobbes die Dummheit im
belspruch zu: »›Herr, vergib Ihnen, denn sie wissen Leviathan (1651) auf einen »want of understanding«
nicht, was sie tun‹. Für die ›moderne Dummheit‹ (Hobbes 1839, 90) zurück, auf ein mangelndes Ver-
gilt dagegen eher das Motto: ›Herr, sie wissen nicht, mögen, die Welt angemessen verstehen zu können.
was sie tun, und das ist auch besser so ...‹« (ebd.). Zum einen wegen mangelnden Wissens (»ignorance
Während beide Definitionen von der Idee ausgehen, of the signification of words«, ebd.), zum anderen we-
dass der Dummkopf die Realität verkennt, hat die gen eines zu starken Überzeugt-Seins von noch unge-
Postmoderne Boxsel zufolge den »aufgeklärten sichertem Wissen (»not only the truth they know not;
Dummkopf« (ebd., 181) hervorgebracht, der der Ma- but also the errors; and which is more, the nonsense of
xime folgt »›Herr, sie wissen, was sie tun, und tun es them they trust«, ebd.). Dabei trifft Hobbes eine inte-
trotzdem.‹« ressante Unterscheidung: Während unsere intellek-
Doch was hat es mit der Dummheit überhaupt auf tuellen Fähigkeiten auf »natural wit« (ebd., 56) beru-
sich? Was ist ihre Charakteristik? In seinen Schriften hen, also auf unserer angeborenen, gewitzten Einsicht
zur Anthropologie (1798) definiert Kant die Dumm- in die Natur der Dinge, ist die Dummheit kein natürli-
heit als »Mangel an Urteilskraft ohne Witz« (Kant ches Phänomen, sondern vielmehr ein methodisches
1977, 516). Die Urteilskraft bestimmt, wie etwas aus- Problem. Sie ist Folge einer interpretativen Inkom-
gehend von unserem Vorwissen und unserer bisheri- petenz, die Hobbes als »want of method« (ebd., 33)
gen Erfahrung zu verstehen ist. Heißt: die Urteilskraft bezeichnet. Dummheit entspringt nicht nur der Un-
bestimmt, wie etwas unter bereits bekannte Begriffe kenntnis von Tatsachen, die zur Bildung eines Urteils

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11 Dummheit 53

erforderlich sind, sondern auch der mangelnden Fä- verstandene ›wissenschaftliche Methode‹ ist eine
higkeit, richtig zu denken und sich dieses Mangels be- ›Klugheitsstrategie‹, die die Einsicht in die grundsätz-
wusst zu werden. liche Fallibilität unserer Hypothesen mit dem Gedan-
Bezüglich des mangelnden Wissens bestimmt der ken ihrer effektiven Prüfbarkeit verbindet. Kluger-
Psychologe H. Geyer die Dummheit als einen Zu- weise sollten wir uns zuerst jenen Hypothesen zu-
stand, bei dem ein normaler, erwachsener, durch- wenden, die sich am einfachsten falsifizieren lassen
schnittlich begabter Mensch Antworten gibt, die sich und uns dennoch ›instinktiv plausibel‹ erscheinen.
in der Mitte zwischen Schwachsinn und Unwissenheit Allerdings behauptet Rescher auch, »eine Bei-
befinden und auf unfreiwillige Weise komisch wirken mischung von Dummheit« sei »evolutionär von Vor-
(vgl. Geyer 1954, 55 f.). Eine Ursache dafür, dass uns teil« (ebd., 80), denn nur wenn sich unser Instinkt,
die Dummheit ›komisch vorkommt‹, ist das Erstau- richtig zu raten, mit unserer natürlichen Dummheit
nen darüber, wie jemand Fakten und Zusammenhän- die Waage halte, kämen wir nicht in Versuchung, un-
ge nicht kennen kann, die wir als selbstverständlich sere evolutionäre ›Instinktsicherheit‹ zu überschät-
voraussetzen. Eine zweite Ursache für die ›komische zen. Mit anderen Worten: Erst dann, wenn wir an un-
Dummheit‹ ist die Kopplung von Ignoranz und Arro- sere eigenen Grenzen stoßen, kommen wir auf den
ganz, wodurch sich der Dumme gewissermaßen ›auf Gedanken mit anderen Menschen zu kooperieren –
optimale Fallhöhe‹ manövriert. als ›Intelligenzbestien‹ hätten wir dagegen diese Ko-
So, wenn in der britischen Kinokomödie Ein Fisch operation mit der Gesellschaft gar nicht nötig.
namens Wanda (1988) der schlichte Gewaltmensch Im Gegensatz zur »ehrlichen Dummheit«, einer
Otto sich für einen Philosophen hält: Wanda, die Hel- mangelnden Klugheitsstrategie hinsichtlich des Ma-
din, stellt ihn zur Rede: nagements unserer Instinktsicherheit, steht im Zen-
trum der »höheren Dummheit« weniger ein Mangel
»›… du hältst dich für einen Intellektuellen nicht war, an Intelligenz, als vielmehr deren Versagen »aus dem
du Affe‹? Grunde, dass sie sich Leistungen anmaßt, die ihr
›Affen lesen keine Philosophen.‹ nicht zustehen« (Musil 1978, 1287). Ein frappantes
›Doch, das tun sie, Otto. Sie verstehen sie bloß nicht. Beispiel hierfür liefert K. Tucholskys bekannte Psy-
Laß mich mal ein paar Dinge klarstellen, O. K.? Aristote- chologen-Satire In der Hotelhalle (1930). Ein eitler
les war kein Belgier. Die zentrale Botschaft des Bud- Psychologe prahlt mit seinem Urteilsvermögen –
dhismus lautet nicht ›Jeder ist sich selbst der Nächste‹ sprich: seiner Fähigkeit, die Berufe der in der Hotel-
[…]. Und … die Londoner ›Underground‹ ist keine politi- halle befindlichen Personen zu erraten – und manö-
sche Bewegung. Das sind alles Irrtümer, Otto, ich hab vriert sich durch seine interpretative Überheblichkeit
das nachgeschlagen.‹«. auf optimale Fallhöhe: Nicht genug damit, dass er mit
all seinen Annahmen über die beobachteten Men-
Offenbar kann ein Mangel an Wissen durch metho- schen und ihr Berufsleben falsch liegt: er gibt sich zu-
disches Vorgehen ausgeglichen werden. Tatsächlich dem auch noch den Anschein der Unfehlbarkeit. Sei-
dient der Erkenntnisprozess ja auch dazu, Unwissen- ne ›höhere Dummheit‹ besteht mithin darin, dass er
heit und Noch-Nicht-Angemessen-Verstehen zu kor- sich den Aufwand erspart, seine Hypothesen vorsich-
rigieren. tig zu formulieren und sie einer kritischen Überprü-
Bezüglich der mangelnden methodischen Kom- fung zu unterziehen. Tucholskys Psychologen-Satire
petenz lässt sich sagen: Folgt man der Wissenschafts- ist auch ein Beispiel dafür, dass Dummheit eine her-
theorie K. Poppers, so erfolgt der Prozess des Wachs- vorragende Quelle der Komik und der Schadenfreude
tums von Wissen mit Hilfe von »Conjecture and Re- ist. Auch dabei steht das Prinzip der Ökonomie im
futation«, d. h. »critical guessing« und »trial and er- Mittelpunkt, denn für Freud kommt es bei der ko-
ror-elimination« (Popper 1979, 25). Dieser Prozess ist mischen Wirkung auf die »ökonomische Differenz«
K. Popper zufolge teilweise instinktgeleitet, größten- im Vergleich zum anderen an. So schreibt Freud in
teils jedoch prozedural gesteuert. Der Wissenschafts- Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten
theoretiker N. Rescher geht im Anschluss an Popper (1905): »Das Komische, das an geistigen und see-
und Ch.S. Peirce davon aus, dass die »Evolution des lischen Eigenschaften eines anderen gefunden wird,
Wissens« der Dynamik »ökonomischer Rationalität« ist offenbar wiederum Ergebnis einer Vergleichung
folgt, weshalb sich genau die Verfahren durchsetzen, zwischen ihm und meinem Ich« (Freud 1999, 222).
»die kosteneffizient sind« (Rescher 1994, 40). Die so Dies kann entweder bedeuten, dass sich der andere
54 I Grundbegriffe des Komischen

mehr Aufwand auferlegt als man selbst zu gebrauchen Denkmechanismen sich selbst entrollen, leerlaufen,
glaubte. Im Falle der seelischen Leistung wird es Freud ihre Formalismen und Ordnungsbestimmungen an-
zufolge hingegen komisch, »wenn der andere sich stelle der Sache setzen« (Adorno 2003, 579). Der geisti-
Aufwand erspart hat, den ich für unerläßlich halte, ge Leerlauf versteckt sich im Automatismus. So bese-
denn Unsinn und Dummheit sind ja Minderleistun- hen ist der sich selbst verselbständigende Leerlauf, ver-
gen« (ebd.). D. h.: Man stellt bei der komischen standen als Dynamik des Ökonomieprinzips, die Ur-
Dummheit ein Abweichen von der Norm der öko- sache der Rapidität, mit der uns die Dummheit in
nomischen Angemessenheit fest. Zugleich entsteht ihren Wirbel zieht. Die zentripedale Kraft der Dumm-
die Lust an der komischen Dummheit aus dem Nach- heit befreit sich vom Inhalt dessen, was ausgesprochen
vollzug der Aufwandsdifferenz zwischen uns und dem wird und verwandelt das Gesagte zur Phrase. Die Ur-
anderen, unser Lachen wird Ausdruck »lustvoll emp- teilskraft überlässt sich dem fremden Urteil und gibt
fundener Überlegenheit« (ebd.). die geborgte Meinung für die eigene aus. Dumm ist da-
Nicht nur für Freud, auch für Bergson liegt die Ur- bei nicht die bloße Wiederholung, sondern die Dumm-
sache der Dummheit in der unangemessenen Anwen- heit etabliert bei der Übernahme von Phrase und Ge-
dung des Ökonomieprinzips, nämlich in der »Über- meinplatz einen bestimmten Stil des Automatismus.
lagerung des Lebendigen durch etwas Mechanisches« Eine vorgefasste Meinung ist nicht als Meinung geist-
(Bergson 1988, 52). Der komische Automatismus wi- los, sondern wird es erst »durch die Art ihrer Rezepti-
derspricht den Wesensmerkmalen der Lebendigkeit, on« (Glucksmann 1988, 177). Die ›dumme Rezeption‹
nämlich der Fähigkeit zu einer »fortwährenden Ver- der Welt ist gewissermaßen die Bedingung der Mög-
änderung des Gesichtspunkts« (ebd., 86). A. Glucks- lichkeit diskursiver Dummheit. Die gravierendste
mann zufolge offenbart sich im Automatismus die Form von Dummheit besteht nach Glucksmann in der
Dummheit als »Panne des Bewußtseins« (Glucks- Weigerung, »einen möglichen Widerspruch in Be-
mann 1988, 170), das sich »in Automatismen erschöpft tracht zu ziehen« (Glucksmann 1988, 177).
und die Erfindungskraft durch stetige Wiederholun- Glaubt man P. Bourdieu, so ist das Fernsehen
gen erlahmt« (ebd.). Wer sich diesem Automatismus schuld daran, dass sich die Dummheit immer schnel-
überlässt, anstatt sich den Anforderungen der Situati- ler und immer weiter verbreitet, wobei er allerdings
on anzupassen, macht es sich zu leicht und wird von die Ursache dafür in der Struktur der Inhaltsvermitt-
der Gesellschaft als Dummkopf verlacht. Dabei er- lung und nicht in der ›Art der Rezeption‹ durch die
scheint das Ökonomieprinzip in zweierlei Gestalt: ein- Zuschauer sucht. Im Fernsehen gibt es laut Bourdieu
mal als ein subjektives, internalisiertes Prinzip unseres für das Denken deshalb keinen Platz, weil es nur de-
psychischen Apparats, dem es um die Ersparnis von nen das Wort erteilt, die schnell reagieren und schnell
Unlust geht, zum anderen als ein intersubjektives, still- denken. Sobald ein Gedanke nicht dem Gesetz des
schweigend vorausgesetztes Leitprinzip klugen For- Gemeinplatzes gehorcht, greift der Moderator ein,
schens und Interpretierens, das als »Ökonomie des fordert den Gesprächspartner auf schnell zum Punkt
Diskurses« auf die »totale Optimierung« (Foucault zu kommen, versteht zum Schein etwas nicht, das ihm
1994, 280) aller Lebensbereiche abzielt. sein Gegenüber erzählt und macht sich so »zum Spre-
Das entscheidende Merkmal einer im emphati- cher der ›Dummköpfe‹«, um so »eine intelligente Dar-
schen Sinne »diskursiven Dummheit« (Wirth 1999) bietung zu unterbrechen« (Bourdieu 1998, 45). Dabei
besteht darin, dass sich das Ökonomieprinzip selbst gehorcht das Fernsehen dem Gesetz des Gemeinplat-
übertölpelt, weil es nur noch auf den ›Ersparniseffekt‹ zes: Wenn man einen Gemeinplatz von sich gibt, ge-
abzielt, aber nicht mehr auf den ›Mehrwert an Sinn‹ lingt die Kommunikation augenblicklich, »weil sie in
achtet, den selbständiges Denken einbringt. Es geht gewisser Hinsicht gar nicht stattfindet [...]. Der Aus-
beim Erforschen, Interpretieren und Verstehen der tausch von Gemeinplätzen ist eine Kommunikation
Welt nicht mehr um die effektivste Form des Hypothe- ohne anderen Inhalt als eben den der Kommunikati-
senaufstellens, sondern nur noch um Schnelligkeit on« (ebd., 39). Im Fernsehen wir das Denken Bour-
und Einfachheit. Die schnellste und einfachste Form dieu zufolge von »fast-thinkern« erledigt, die mit vor-
des Denkens ist immer das Stereotype, der Gemein- gefertigten Schablonen, mit Gemeinplätzen arbeiten,
platz, die Phrase. damit sie der Ökonomie des medialen Diskurses ge-
So stellt Th.W. Adorno im Rahmen seiner Über- recht werden. Die Struktur dieses Diskurses gleicht
legungen zu Kulturkritik und Gesellschaft (1951) fest, dem Wörterbuch der Gemeinplätze (1913 posthum),
der Triumph der Dummheit bestehe darin, dass »die das G. Flaubert schrieb, um die Geistlosigkeit seiner
11 Dummheit 55

Zeit einzufangen. Sein Motto lautet: »Man kann wet- und einen irrelevanten Zusammenhang zu behaup-
ten, dass jede öffentliche Meinung, jede allgemeine ten. Z. B. diesen: »Finger: Gott hat seine Finger überall
Konvention eine Dummheit ist, denn sie hat der gro- im Spiel«. Flauberts Wörterbuch führt vor, wie sich die
ßen Masse gefallen« (Flaubert 1985, 15; vgl. hierzu Dummheit beschleunigen lässt: Es geht nicht mehr
auch Ronell 2002, 12 f.). darum, wie man den Begriff ›Finger‹ einfach und
Während sich bei einem herkömmlichen Wörter- plausibel erklärt, sondern was einem als erstes einfällt,
buch das Stichwort zur Erklärung wie die Frage zur wenn man den Begriff ›Finger‹ hört. Die eigentliche
Antwort verhält, zeichnet sich Flauberts Wörterbuch Perfidie des Wörterbuchs liegt in dem Umstand, dass
gerade durch das eklatante Missverhältnis zwischen es das Prinzip der Irrelevanz zum Standard erhebt,
dem Stichwort und dem, was als Erläuterung folgt, und dabei keinen Widerspruch duldet. Die Verbin-
aus. In diesem Missverhältnis offenbart sich die dung von Irrelevanz und Einfachheit verschränkt die
Dummheit des Gemeinplatzes. So heißt es dort z. B.: Dummheit des Gemeinplatzes mit der Stupidität des
»Atheist: ein Volk von Atheisten ist unfähig zu über- ökonomischen Automatismus. Ein Phänomen, das
leben«. Die Antwort auf die Frage »Was ist ein Athe- zwei Zeitgenossen von Kraus – A. Polgar und E. Frie-
ist?« ist überhaupt keine Erklärung, sondern eine dell – zu einer Presse-Parodie im Böse Buben Journal
Meinungsäußerung. Die Definition macht es sich zu (1921) inspirierte, die mit der Überschrift einsetzt:
leicht, indem sie auf eine Wissensfrage mit einer »Sensationeller Mangel an Neuigkeiten! Belanglose
Weltanschauung antwortet. Doch die Dummheit Meldungen aus vielen Hauptstädten – Depeschen von
liegt nicht nur im zu geringen Erklärungsaufwand, unerhörter Nichtigkeit«:
denn eigentlich geht es gar nicht um die Frage »Was
ist ein Atheist?« und auch nicht darum, zu sagen, was »Wie sich die Leser aus dem Inhalt unserer heutigen
man von einem Atheisten zu halten hat. Das Missver- Nummer überzeugen werden, sind wir in der Lage, mit
hältnis zwischen Stichwort und Erläuterung bildet ei- allem Nachdruck und den größten Lettern mitzuteilen,
ne Form des Gedankensprungs nach. Die Dummheit dass wir gar nichts Neues zu berichten haben. Wir tun
zeigt sich nicht im Äußern eines Gemeinplatzes, son- dies im vollen Bewußtsein unserer journalistischen
dern in der kontextunabhängigen Irrelevanz der Re- Verantwortung und in genauer Kenntnis der nieder-
lation zwischen Stichwort und assoziiertem Gemein- schmetternden Wirkung, die unsere heutige sensatio-
platz. Gleichgültig, in welchem Zusammenhang der nelle Veröffentlichung, dass wir nichts Sensationelles
Begriff ›Atheist‹ fällt, lässt sich die Replik geben: »Al- zu berichten haben, auf die Leser […] hat.« (Friedell/Pol-
so ich finde, ein Volk von Atheisten ist unfähig zu gar 1986, 103)
überleben«. D. h., die Dummheit des Gemeinplatzes
liegt darin, dass sie den ›Spürsinn fürs Relevante‹ nar- In dieser Parodie medial beschleunigter Irrelevanz
kotisiert und stattdessen eine Form der Einfachheit tritt selbst noch die Nichtinformation mit der Geste
setzt, die sich nicht einmal mehr die Mühe machen der Wichtigkeit auf, die Nachricht befreit sich gänz-
muss, einen Zusammenhang zwischen Frage und lich von ihrem propositionalen Gehalt. Der Leerlauf
Antwort zu suggerieren. selbst wird zur Nachricht – und eben hierin zeigt sich
Nach Adorno ist »Blindheit gegen den Unterschied die Beschleunigungstendenz der Medien-Kultur.
von Wesentlichem und Unwesentlichem« (Adorno Man könnte dies als eine weitere Variante der ›Dia-
2003, 579) ein erstes Indiz für die Verdummung der lektik der Aufklärung‹ deuten. Eine eingehende Ana-
Intelligenz, denn sie bereitet das bereits erwähnte lyse diskursiver Dummheit würde zeigen, dass das
Leerlaufen der Denkmechanismen in Formalismen Ökonomieprinzip nicht nur die Grundlage interpre-
und Ordnungsbestimmungen vor. Dass dies eine tativer Klugheit ist, sondern, sobald es zum leerlau-
Quelle der Dummheit ist, wusste auch schon Jean fenden Automatismus wird, zu einer Strategie der
Paul, wenn er in seinem 1782 verfassten (im Duktus Verdummung verkommt. Mit anderen Worten:
zum Teil stark an Erasmus erinnernden) Essay Von Dummheit ist nicht nur auf einen Mangel an Urteils-
der Dummheit feststellt, bei einem Dummen sei jede kraft zurückzuführen, sondern sie kann auch Aus-
Idee isoliert: »alles ist bei ihm in Fächer abgeteilt und druck einer Selbstsubversion jener Klugheitsstrate-
zwischen entfernten Ideen ist eine Kluft, über die er gien sein, die auf dem Ökonomieprinzip beruhen.
nicht hinüberkommen kann« (Jean Paul 1974, 267). Dummheit – so ließe sich im Anschluss an Adorno
Dies hindert den Dummkopf freilich nicht, die ent- und Horkheimer sagen – ist ›irrational gewordener
ferntesten Ideen unverbunden nebeneinanderstellen Trotz gegen das Ökonomieprinzip‹.
56 I Grundbegriffe des Komischen

Literatur 12 Wortspiel
Adorno, Theodor W.: »Kulturkritik und Gesellschaft I/II«
[1977]. In: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 10. Hg. v. Rolf Definition
Tiedemann. Frankfurt a. M. 2003,
Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung
Der Begriff ›Wortspiel‹ lässt sich zunächst wörtlich
des Komischen. Darmstadt 1988. nehmen. Er bezeichnet demnach ein kreatives, oft hei-
Bourdieu, Paul: Über das Fernsehen. Frankfurt a. M. 1998. teres Spiel mit dem (Einzel-) Wort. Folgerichtig sind
Boxsel, Matthijs van: Die Enzyklopädie der Dummheit. Mechanismen des Wortspiels dann auf der Ebene des
Frankfurt a. M. 2001. Lexems zu analysieren. Dies entspricht auch einem
Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Hg. u.
engeren Verständnis des englischen Begriffs pun, der
übers. v. Harald Merklin. Stuttgart 1976.
Erasmus von Rotterdam: Sive Laus Stultitiae. »Das Lob der häufig als Übersetzung für ›Wortspiel‹ gegeben wird
Torheit«. In: ders.: Ausgewählte Schriften. Bd. 2. Hg. v. und einigen Einfluss auf die Forschung zu diesem
Werner Welzig. Darmstadt 1975. Thema hat. Als typische Formen des Wortspiels gelten
Flaubert, Gustave: Wörterbuch der Gemeinplätze. München die Polysemie, die Homophonie und die Homographie,
1985. die sich auf der Wortebene nachweisen lassen (vgl.
Freud, Sigmund: »Der Witz und seine Beziehung zum Un-
Kap. 26.2).
bewussten« [1905]. In: ders.: Gesammelte Werke. Hg. v.
Anna Freud u. a. Bd. VI. Frankfurt a. M. 1999. Genauer betrachtet, sind aber sowohl das Definiti-
Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des onselement ›Wort‹ als auch das des ›Spiels‹ problema-
Gefängnisses. Frankfurt a. M. 1994. tisch. Zunächst zum Wort: Alle bisher genannten For-
Friedell, Egon/Alfred Polgar: Goethe und die Journalisten. men des Wortspiels existieren auch über die Wort-
Hg. von Heribert Illig. Wien/München 1986. grenze hinaus, und oft löst erst der Satzkontext z. B.
Geisenhanslüke, Achim: Dummheit und Witz. Poetologie des
Nichtwissens. München 2011. eine homonyme oder polyseme Lesart aus. Beim Pa-
Geyer, Horst: Über die Dummheit. Ursachen und Wirkungen lindrom, einer Abfolge sprachlicher Zeichen, die auch
der intellektuellen Minderleistungen des Menschen. Wies- rückwärts gelesen die gleiche Zeichenfolge repräsen-
baden 1954. tiert, finden sich neben Wort-Palindromen wie ›Han-
Glucksmann, André: Die Macht der Dummheit. Frankfurt nah‹ auch solche auf Satzebene, wie ›Adieu! Erfreue
a. M./Berlin 1988.
Ida!‹. Auch Wortreime, die mindestens zwei vergleich-
Hobbes, Thomas: Leviathan. Hg. von Sir William Moles-
worth. London 1839. bare Wörter erfordern, sowie das Spiel mit Phraseolo-
Jean Paul: »Von der Dummheit«. In: Sämtliche Werke. Abtei- gismen zeigen, dass die Beschränkung auf das Einzel-
lung II. Jugendwerke und vermischte Schriften. Erster Band. wort hier unzureichend ist. Einen Extremfall bildet
München 1974, 266–275. der Roman La Disparition (1969) von G. Perec, der
Kant, Immanuel: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphi- vollständig auf den Buchstaben ›e‹ verzichtet und so-
losophie, Politik und Pädagogik 2. [1798 ].Werkausgabe.
Bd. XII. Hg. von Wilhelm Weischedel. Frankfurt a. M.
mit ein Leipogramm auf Gesamttextebene darstellt.
1977. Hier wird die Wortgrenze gleichzeitig über- und un-
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [1790]. Hg. von Wil- terschritten: Handelt es sich beim Leipogramm zu-
helm Weischedel. Frankfurt a. M. 1974. nächst um ein paradigmatisches Spiel mit einem ein-
Kraus, Karl: »Aphorismen: Sprüche und Widersprüche«. In: zelnen Graphem, also unterhalb der Wortebene, so
ders.: Schriften. Bd. 8. Hg. v. Christian Wagenknecht.
realisiert es sich doch wahrnehmbar erst über längere
Frankfurt a. M. 1986.
Musil, Robert: »Über die Dummheit«. In: ders.: Gesammelte Textabschnitte.
Werke. Prosa und Stücke. Hg. von Adolf Frise. Hamburg Das Wortspiel ist daher eher als ›Spiel mit Worten‹
1978. zu definieren, das sich vom Einzellaut/-buchstaben
Popper, Karl R.: Objective Knowledge. An Evolutionary Ap- bis über längere Textabschnitte erstrecken kann. Dies
proach. Oxford 1979. ist das am weitesten verbreitete Verständnis des Be-
Rescher, Nicolas: Warum sind wir nicht klüger? Der evolutio-
näre Nutzen von Dummheit und Klugheit. Stuttgart 1994.
griffs. Nicht jede kreative Verwendung der Sprache ist
Ronell, Avital: Stupidity. Urbana/Chicago 2002. aber ein Wortspiel. Deshalb ist einzuschränken, dass
Wirth, Uwe: »Ironie und Komik. Heines und Freuds Theorie das Wortspiel zwar über größere Textabschnitte be-
der Dummheit«. In: Sigrid Weigel (Hg.): Heine und Freud. obachtbar ist, die jeweilige Wortspielregel aber an
Die Enden der Literatur und die Anfänge der Kulturwissen- kleinen Spracheinheiten ansetzt. So ist auch die Ver-
schaft. Berlin 2010, 237–250.
meidung des ›e‹ in La Disparition zwar ein Phänomen
Wirth, Uwe: Diskursive Dummheit. Abduktion und Komik
als Grenzphänomene des Verstehens. Heidelberg 1999. des gesamten Romans, kommt jedoch durch den fort-
währenden Verzicht auf ›e‹-haltige Einheiten auf der
Uwe Wirth Einzelwortebene zustande.

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_12,


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12 Wortspiel 57

Nun zum Element ›Spiel‹ im Kompositum ›Wort- Es ist auch zu bedenken, dass nicht jedes be-
spiel‹. Dieses wird in Definitionen häufig als kreativer, absichtigte Wortspiel – etwa eine Mehrdeutigkeit –
heiterer, oder »witziger, geistreicher, sarkastischer« vom Rezipienten auch als solches wahrgenommen
(Glück 2010, 774) Umgang mit Wörtern umschrie- wird. Es handelt sich dann um ein intendiertes, aber
ben. Die Mehrzahl der Techniken des Wortspiels wird beim Adressaten nicht realisiertes Wortspiel. Ähn-
allerdings als rhetorische Figuren beschrieben, die lich ist es nicht selten, dass ein Sprecher unfreiwillig
auch ernsten Kommunikationszielen dienen können. ein Wortspiel produziert oder ihm eine Mehrdeutig-
Daher lässt sich annehmen, dass die häufige spieleri- keit untergeschoben wird. So finden sich Gesprächs-
sche Tendenz oft weniger auf der jeweiligen Technik ereignisse, in denen jede Erwähnung eines läng-
als auf der Einbettung in einen bestimmten pragmati- lichen Gegenstands in einen sexuellen Kontext ge-
schen Kontext beruht, denn eine Homonymie z. B. stellt wird, der dann zur ursprünglich aufgerufenen
wirkt nur in einer bestimmten Situation oder Textsor- Bedeutung in Konkurrenz tritt und so eine Ambigu-
te komisch oder geistreich. Ähnlich lassen sich Rebus- ierung herbeiführt. So wird das Wortspiel zum Re-
schreibung (z. B. englisch ›CU‹ für ›See you‹), Kon- zeptionsphänomen.
tamination oder Akronym sehr gut im kreativen Spiel Das Wortspiel lässt sich zusammenfassend defi-
mit der Sprache einsetzen; werden sie in SMS- und nieren als produzenten- und/oder rezipientenseitiger
Twitter-Nachrichten verwendet, so dienen sie da- Prozess der Manipulation vornehmlich kleiner
gegen oft vornehmlich sprachökonomischen Zwe- sprachlicher Einheiten, die typischerweise nach einer
cken, während die spielerische Dimension zeitweilig Spielregel, aber mitunter auch weitgehend regelfrei
in den Hintergrund tritt. stattfinden kann. Manipulationen betreffen v. a. Form,
Neben der pragmatischen Situation, in der ein Bedeutung, pragmatische Situierung und Funktion
Wortspiel verwendet wird, hat auch die Verbindlich- der Sprache. Wortspiele können optional, typisch
keit der jeweils angewandten Wortspielregel Einfluss oder konstitutiv für die sie beherbergenden Textsor-
auf den kreativen Spielraum. Die exakte Verwendung ten sein oder selbst Genres bilden.
einer rhetorischen Figur bietet für Kreativität kaum
Platz. Das kreative Spielen muss sich immer wieder Typen und Funktionen des Wortspiels
von den vorgegebenen Mustern lösen, um frei zu sein. Aus den unscharfen Grenzen des Begriffs ›Wortspiel‹
Deshalb ist es problematisch, die auf verbindlichen ergibt sich, dass auch die Formen des Wortspiels keine
Regeln beruhenden Typen des Wortspiels mit dem geschlossene Menge bilden können – dies zeigt sich
freien, kreativen Spielen mit der Sprache gleichzuset- u. a. in den mannigfaltigen Sprachmutationen bei
zen (vgl. Barthes 1988, 88; Brock 2003). Da zwischen Monty Python, etwa in den Sprachstörungen des Pon-
›Spiel‹ und ›Spielen‹ keine klare Unterscheidung exis- tius Pilatus und seines Freundes Biggus Dickus in Life
tiert, lässt sich das Wortspiel am besten als proto- of Brian (1979). Im Folgenden werden nur einige
typisch organisierte Kategorie betrachten, in deren Muster besprochen.
Zentrum festgelegte Typen wie die Homonymie und F. J. Hausmann schlägt die großen Kategorien der
die Polysemie liegen, und deren Grenzen zum kreati- horizontalen und vertikalen Wortspiele vor (vgl. 1974,
ven, regelfreien Spielen mit der Sprache hin unscharf 17). In den horizontalen Wortspielen sind die Ele-
sind. mente, mit denen gespielt wird, im Text präsent, wie
Weiterhin stellt sich die Frage, in welchem Ver- die Alliteration in ›Kind und Kegel‹, während in ver-
hältnis das Wortspiel zu literarischen Genres und tikalen mit der Abwesenheit und Ersetzung eines Ele-
Textsorten überhaupt steht. Es ist offensichtlich, dass ments gespielt wird, wie in ›Coito ergo sum‹ statt R.
Wortspiele in einer großen Breite von Textsorten Descartes’ ›Cogito ergo sum‹. Ebenso unterteilt F. J.
vorkommen können, vom lyrischen Gedicht bis zum Hausmann in »Sinn- und Klangspiele« (ebd., 20). E.
Alltagsgespräch und der SMS-Nachricht. Während Winter-Froemel verweist zu Recht auf die Schwierig-
sie in vielen Textsorten Optionen darstellen, sind sie keit, beide deutlich voneinander abzugrenzen. Man
für einige typisch (z. B. Nonsenstexte von E. Lear bis denke dabei an die Tatsache, dass Manipulationen der
J. Lennon) und für Wortwitz oder Schüttelreim so- Sprachoberfläche praktisch immer Konsequenzen in
gar konstitutiv. Palindrome oder Anagramme, die der Bedeutung – zumindest im konnotativen Bereich
auch ohne weiteren Kontext funktionieren, lassen – haben (vgl. Winter-Froemel 2009, 1430).
sich schließlich als eigenständige Textsorten be- Folgende spezielle Muster des Wortspiels sind zu
trachten. betrachten:
58 I Grundbegriffe des Komischen

Polysemie entdeckte Gattung mit ›Polychisme‹ (homophonisch


Der Terminus Polysemie bezeichnet die Tatsache, dass mit ›Polly, kiss me‹). Diese Fälle konstruierter Homo-
ein Spracheinheit mehrere verwandte Bedeutungen phonie sind zu unterscheiden von der lexikalischen
hat. Diese werden im Wortspiel auf unterschiedlichste Homophonie, wie in der Scherzaufgabe, man solle auf-
Weise genutzt. Ein Beispiel ist der Titel des Buches In- schreiben ›Der Maler malt. Der Müller mahlt. Beide
conceivable (1999) (›unvorstellbar/unfähig, schwan- ma(h)len‹. Hier produziert die Homophonie gleichzei-
ger zu werden‹) von B. Elton, das von den Schwierig- tig ein Zeugma.
keiten handelt, schwanger zu werden. Ambiguität
kann sich auch in größeren Spracheinheiten herstel- Homonymie
len, wie im Slogan ›Gehen Sie stiften‹ – einem Aufruf, Dieser Terminus bezeichnet zwei in mündlicher und
Stiftungsideen zu entwickeln –, wo die wörtliche Be- schriftlicher Realisierung identische Strukturen mit
deutung mit der idiomatischen (›sich heimlich entfer- unterschiedlichen, nicht verwandten Bedeutungen. In
nen‹) konkurriert. H. Erhardts Gedicht »Die Tauben und Beethoven«
setzen sich Tauben auf ein Beethovendenkmal, unter
Paraphrase/Synonymie dem homonymischen Motto ›Wir Tauben müssen zu-
Die horizontale Reihung von Worten und Phrasen sammenhalten‹. Ist das Wort Taube schon von sich aus
gleicher Bedeutung ist ein Stilmittel, das bei exzessiver homonym, so ist auch die konstruierte (Teil-) Homo-
Anwendung meist heitere Wirkung erzeugt. Seine Ex- nymie möglich, etwa wenn das Wort ›Bienenwachs-
tremform stellt die wörtliche Wiederholung dar. Wir kerze‹ als ›Kerze, die das Wachstum von Bienen beför-
finden Paraphrasen in Monty Pythons Parrot-Sketch, dert‹ reinterpretiert wird.
aber auch schon beim Gerichtsdiener Holzapfel in
Shakespeares Viel Lärm um Nichts (1600): Wortbildung
Praktisch alle Wortbildungsmuster können für Wort-
»Ei, gnädiger Herr, falschen Rapport haben sie began- spiele ausgenutzt werden. Reimmotivierte Wörter wie
gen; überdem sind Unwahrheiten vorgekommen; an- ›Zickzack‹ oder ›Holterdipolter‹ stellen gewisserma-
dernteils haben sie Kolonien gesagt; sechstens und ßen gefrorene Wortspiele dar. Wie wichtig hier die
letztens haben sie ein Fräulein verlästert; drittens ha- Motivation durch den Reim ist, zeigt sich in der Tatsa-
ben sie Unrichtigkeiten verifiziert, und schließlich sind che, dass die einzelnen Elemente solcher Bildungen
sie lügenhafte Spitzbuben.« (Shakespeare, V. 1) oft nicht allein stehen können. Die Affigierung, d. h.
das Anhängen von Wortbildungspräfixen oder -suffi-
Vertikale Paraphrasen oder Synonyme dienen neben xen kann durch spielerische Anwendung Formen wie
scherzhaften Formen (›Karnickelfutter‹ für ›Salat‹) oft ›unkaputtbar‹ hervorbringen, wo das adjektivbilden-
auch ernsten Zwecken, wie der politischen Korrekt- de Suffix -bar statt an einen Verbstamm an ein Adjek-
heit (›alternativ begabt‹ für ›behindert‹) oder der Er- tiv gefügt wurde. H. Schneider verwendet »Zertifi-
zeugung von Euphemismen zur Vermeidung tabui- kanz« und schafft damit ein Synonym zu ›Zertifikat‹.
sierter Wörter (vgl. Attardo 1994, 155 f.), z. B. in Bezug Mit »Physe« nimmt er außerdem eine Analogbildung
auf Körperfunktionen (›sich die Hände waschen‹ für zu ›Psyche‹ vor. Bei der Kontamination werden Worte
›die Toilette benutzen‹) oder Religion (›der Gehörnte‹, so miteinander verschmolzen, dass die Wortgrenzen
›der Böse‹ für ›der Teufel‹). Zur Erzeugung solcher Pa- nicht mehr klar bestimmbar sind. So bildet J. Ringel-
raphrasen werden häufig Metonymie und Metapher natz aus ›Exegese‹ und ›Esel‹ das Wort »Exegesel«
eingesetzt. Einen Grenzfall stellt hier die bloße phone- (Ringelnatz 2005, 429). Beim Wortbildungsmuster
tische oder graphische Modifikation der Tabuausdrü- der Konversion wechselt ein Wort die Wortart, ohne
cke dar (engl. Gosh, Golly für ›God‹). die Form zu verändern. Dieses im Deutschen margi-
nale Bildungsmuster verwendet J. Ringelnatz in »Mir
Homophonie wird so loreley zumut« (ebd., 474) – ein Wechsel vom
Bei der Homophonie handelt es sich um gleichlauten- Substantiv zum Adjektiv ohne Veränderung der Form.
de Wörter mit unterschiedlicher Schreibung und Be- Ein Akronym ist eine Folge von Anfangsbuchstaben
deutung. In einem Gedicht, in dem es um die Schrei- einer Phrase, die als ein Wort ausgesprochen wird.
bung von Tiernamen geht, verwendet H. Erhardt das Wir finden die Akronyme ›Yolo‹ – ›You Only Live On-
Wort »Ortogravieh« (Erhardt 2009, 51). Der britische ce‹ – und ›Lol‹ – ›Laugh Out Loud‹ – aus ökonomi-
Insektenkundler G. W. Kirkaldy bezeichnete eine neu schen Gründen in SMS- und Twitterbotschaften, aber
12 Wortspiel 59

auch in der mündlichen Kommunikation Jugend- übelchen« oder das Lied »No More Heroes« der
licher, wo sie ohne ökonomischen Zwang spielerisch Stranglers, die ›Heroes‹ mit ›Shakespearoes‹ reimen.
verwendet werden. Dieses Spiel mit den Konventionen des Wortspiels
lässt sich als Wortspiel höherer Ordnung oder Meta-
Redewendungen, geflügelte Worte Wortspiel bezeichnen.
Redewendungen und andere Phraseologismen (vgl. Als Funktionen des Wortspiels werden neben der
Fiedler 2007) beinhalten häufig Wortspiele, so wie die komischen (vgl. Attardo 1994, 108 ff.), referenziellen
Vielzahl der (oft aus mnemotechnischen Gründen) und rhetorischen (vgl. Hausmann 1974, 6) auch spezi-
gereimten Sprichwörter, wie ›Langes Fädchen, faules eller die Sprachökonomie (vgl. Redfern 1996), die Ta-
Mädchen‹. Darüber hinaus eignen sie sich aufgrund buvermeidung (vgl. Attardo 1994, 155 f.) und die Er-
ihres Bekanntheitsgrades gut für paradigmatische regung von Aufmerksamkeit, v. a. in der Werbespra-
Manipulationen, wie H. Erhardts Anagramm »Wer che (vgl. Winter-Froemel 2009, 1439) genannt. Denkt
wagt es, Knappersmann oder Ritt, zu schlunden in man an die Verwendung von Mustern des Wortspiels
diesen Tauch« (Erhardt 2009, 21)? in der Herstellung von Geheimsprachen, so liegt de-
ren Funktion dagegen im Ausschluss der Öffentlich-
Anagramm keit. Nach R. Jakobsons Definition sind zumindest die
Das Anagramm stellt ein Spiel mit der Umstellung horizontalen Wortspiele auch Träger der poetischen
(›Permutation‹) von Buchstaben oder Silben einer Funktion (vgl. Jakobson 1971, 153). W. D. Redfern be-
Wortfolge dar (z. B. ›Stefan – fasten‹), das auch für tont zudem, dass das Wortspiel die deterministische
Rätselfragen und zur Verschlüsselung von Texten ge- Wirkung der Sprache sowohl zeigt als auch überwin-
nutzt wird. Der Schüttelreim – eine Vertauschung der den hilft (vgl. Redfern 1996, 191).
Anfangskonsonanten von Silben – (›Du bist/Bud-
dhist‹) ist eine etablierte Form des Anagramms. Forschung
Schon in der Antike wird das Wortspiel beschrieben.
Remotivierung Dabei zeichnen sich zwei allgemeine Entwicklungs-
Bei der Remotivierung werden Spracheinheiten alter- linien ab, die die neuzeitliche Forschung beeinflussen.
native Bedeutungen gegeben. Dies kann etwa durch So behandelt Cicero das Wortspiel in De oratore (55
die Umdeutung von Elementen erfolgen – eine Person, v. Chr.) einerseits in seiner Abhandlung zur Komik
die ein Buch in der Hand hält, ist ein ›Buchhalter‹ – (vgl. Cicero 2010, 345–395 II 216–289), andererseits
oder durch die Neuinterpretation der inneren Struktur bei den rhetorischen Figuren (vgl. ebd., 577, III 206).
eines Wortes, wie bei J. Ringelnatz: »Ein Mann hatte att Im Zusammenhang mit der Komik unterscheidet er
getan / war also ein Attentäter« (Ringelnatz 2005, 512). Wort- und Sachwitz (vgl. ebd., 361, II 240) und behan-
Letzteres Beispiel stellt somit eine Neusegmentierung delt beim Wortwitz v. a. Polysemie/Homonymie (ebd.,
dar, wo Einheiten in eine andere Morphemstruktur 369, II 250) sowie Paronomasie (vgl. ebd., 373, II 256).
zerlegt werden, um neue Bedeutungen zu erzeugen. Die rhetorischen Figuren werden v. a. als Mittel des
Weitere Formen des Wortspiels sind klangbasierte ernsthaften Vortrags diskutiert.
Klatschreime (›Akademi Safari Akademi Puff Puff‹), Die rhetorische Tradition setzt sich bis in die Neu-
spielerisch-ökonomische Formen im Internet sowie zeit fort und bringt ausgefeilte, einander zum Teil wi-
das Spiel mit dem Medium insgesamt – wie in Trans- dersprechende Klassifikationen rhetorischer Figuren
kodierungen zwischen Wort und Schrift –, das Spiel hervor. In dieser präskriptiven Tradition steht auch
mit (sprechenden) Eigennamen bis hin zu Wortwie- die rege Diskussion zur Qualität des Wortspiels ins-
derholungen und Stottern in Kinderspielen. In der gesamt bzw. einzelner Muster, die bald auch von der
Praxis kommen die Formen des Wortspiels oft kom- entstehenden Literaturkritik aufgenommen wird. So
biniert vor, wie etwa Reim und Anagramm im Schüt- kritisieren S. Johnson und C. M. Wieland Shake-
telreim. speares Verwendung von Wortspielen, wogegen Swift
Eine besondere Kategorie stellen Formen dar, die 1716 ein Pamphlet zur Verteidigung des Wortspiels
sich einem Reim oder einer Homophonie nur annä- verfasst (vgl. Pollack 2012). Die Qualitätsdebatte spie-
hern (Paronomasie im engeren Sinne; vgl. Czapla gelt sich auch im Begriffspaar Wortspiel und Kalauer.
2003, 649) oder diese nur durch grobe Eingriffe in die Diese lassen sich strukturell nicht zuverlässig unter-
Sprachstruktur erreichen. Beispiele sind J. Ringelnatz’ scheiden; die Zuordnung basiert eher auf der (subjek-
»Ich bin ein armes Zwiebelchen/Nimm mir das nicht tiven) Bewertung ›raffiniert – gut‹ für das Wortspiel
60 I Grundbegriffe des Komischen

und ›plump – schlecht‹ für den Kalauer. So charakteri- kann die Linguistik durch die Betonung der meta-
siert Freud den Kalauer als »niedrigste Abart des kommunikativen Dimension vieler Wortspiele ein-
Wortwitzes« (Freud 1999, 46) und Bergson bezeichnet greifen (vgl. Jakobson 1971; Brock 2009). So können
ihn als »unrühmlichste« (Bergson 2011, 87) Form des die Korruption von Sprichwörtern und geflügelten
Wortspiels. Worten, erzwungene Reime oder unvollständige Ho-
Die Literaturwissenschaft interessiert sich u. a. für mophonie bewusste Kommentare auf überkommene
Techniken des Wortspiels und deren Einbettung in Bildungsinhalte und damit Befreiungsakte von den
Stil und Werk einzelner Autoren und Genres (vgl. u. a. Regeln des Wortspiels sein. Im Falle der Shaggy Dog
Kohl 1966 zum Wortspiel in Shakespeares Komödien) Story – einer langen, umständlichen Exposition, ge-
sowie Epochen. Anregungen erfuhr die Literaturwis- folgt von einem schwachen Wortspiel wie »I’m a
senschaft hierbei durch die Psychoanalyse, die in prawn again, Christian/I’m a Born-again Christian« –
Wortspielen wie der Kontamination Zeichen für psy- hat sich diese Metakomik sogar zu einer eigenständi-
chologische Prozesse wie Verdichtung oder Verschie- gen Textsorte stabilisiert.
bung erkannte (vgl. Freud 2010), durch die Werke von
Autoren wie Joyce und A. Schmidt, durch den russi- Literatur
schen Formalismus sowie die poststrukturalistische Attardo, Salvatore: Linguistic Theories of Humor. Berlin 1994.
Literatursemiotik. Der Reiz des Wortspiels besteht im Attridge, Derek: »Unpacking the Portmanteau, or Who’s
Afraid of Finnegans Wake?« In: Jonathan Culler (Hg.): On
Poststrukturalismus u. a. in seinem semiotischen De- Puns. The Foundation of Letters. Oxford/New York 1988,
fizit – eineindeutige Zeichenbeziehungen werden un- 140–155.
terminiert – bei gleichzeitigem semantischen Mehr- Barthes, Roland: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt
wert (vgl. Attridge 1988; Kjerkegaard 2011, 1), in der a. M. 1988.
Kommentierung, Destabilisierung und Dekonstrukti- Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung
des Komischen. Hamburg 2011.
on konventioneller Zeichenbeziehungen und in seiner
Brock, Alexander: »Humour as a Metacommunicative Pro-
Fähigkeit, neue Zeichenbeziehungen zu stiften. cess. In: Journal of Literary Theory 3. Jg., 2 (2009), 177–
Die Komikforschung zum Wortspiel schließt an al- 194.
le wichtigen Komiktheorien an. Im Rahmen der In- Brock, Alexander: »Spielerische Kommunikation. Zur Be-
kongruenztheorie (s. Kap. 1) wird untersucht, wie und stimmung einer Textsorte«. In: Deutsche Sprache 4. Jg.
mit welchen sprachlichen Mitteln kognitiv Unpassen- (2003), 351–363.
Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Stutt-
des erzeugt wird (vgl. Attardo 1994, 127 ff.). C. R. Gru-
gart 2010.
ner argumentiert im Rahmen der Überlegenheitstheo- Czapla, Ralf Georg: »Paronomasie«. In: Gert Ueding (Hg.):
rie, dass der Urheber eines Wortspiels den Rezipienten Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 6. Tübingen
seine verbale Überlegenheit demonstriert (vgl. Gru- 2003, 649–652.
ner 2000, 135). Im Buch Der Witz und seine Beziehung Erhardt, Heinz: Der große Heinz Erhardt. Oldenburg 2009.
zum Unbewussten (1905) betrachtet Freud den Wort- Fiedler, Sabine: English Phraseology. A Coursebook. Tübingen
2007.
witz als die Bedingung, die in gebildeter Gesellschaft Freud, Sigmund: »Der Witz und seine Beziehung zum Un-
den tendenziösen Witz akzeptabel und damit die Be- bewußten« [1905]. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 6. Hg.
friedigung »eines Triebes (den lüsternen und feind- von Anna Freud u. a. Frankfurt a. M. 1999.
seligen)« (Freud 1999, 110) möglich macht. H. Berg- Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt a. M. 2010.
son bezeichnet das Wortspiel in seinem Essay Das La- Glück, Helmut (Hg.): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart/
Weimar 42010.
chen (Le rire, 1900) als »Interferenz zweier Gedanken-
Gruner, Charles R.: The Game of Humor. A Comprehensive
systeme« (Bergson 2011, 87) und als »vorübergehende Theory of Why We Laugh. New Brunswick/New Jersey
Zerstreutheit der Sprache« (ebd., 88). 2000.
Die linguistische Wortspielforschung steht v. a. im Hausmann, Franz Joseph: Studien zu einer Linguistik des
Zeichen der Inkongruenztheorie. Einerseits wird die Wortspiels. Das Wortspiel im Canard Enchainé. Tübingen
Manipulation sprachlicher Einheiten wie Phonem, 1974.
Jakobson, Roman: »Linguistik und Poetik«. In: Jens Ihwe
Morphem oder Satz untersucht (vgl. Hausmann (Hg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und
1974). Andererseits werden die Einbettung des Wort- Perspektiven. Bd. II/1. Zur linguistischen Basis der Litera-
spiels in größere Texteinheiten (vgl. Marfurt 1977) so- turwissenschaft. Frankfurt a. M. 1971, 142–178.
wie in der Pragmatik die (zeitlichen) Abläufe bei der Kjerkegaard, Stefan: »Seven Days Without a Pun Makes Ine
Rezeption von Wortspielen betrachtet (vgl. Attardo Weak. Two Functions of Wordplay in Literature and Lite-
rary Theory«. In: Journal of Literature, Language and Lin-
1994, Kapitel 3, 4). In die andauernde Qualitätsdebatte
13 Sarkasmus 61

guistics 3. Jg., 1 (2011), 1–9. http://www.scientificjournals. 13 Sarkasmus


org/Journals2011/articles/1491.pdf (20.1.2014).
Kohl, Norbert: Das Wortspiel in der Shakespeareschen Komö- Sarkasmus in der Antike
die. Studien zur Interdependenz von verbalem und aktiona-
lem Spiel in den frühen Komödien und den späten Stücken. Der Begriff ›Sarkasmus‹ geht zurück auf die Figuren-
Frankfurt a. M. 1966. lehre der griechischen Rhetorik und bezeichnet eine
Marfurt, Berhard: Textsorte Witz. Möglichkeiten einer »beißende« und »ins Fleisch schneidende« Form der
sprachwissenschaftlichen Textsorten-Bestimmung. Tübin- Verspottung, welche durch mimische Zeichen ein
gen 1977. »wutschnaubende[s], aber beherrschte Aggressivität
Pollack, John: The Pun also Rises. How the Humble Pun Revo-
ausdrückendes Zähnefletschen« (Lausberg 31990,
lutionized Language, Changed History, and Made Word-
play more than some Antics. New York 2012. 730) signalisiert. Er zählt zu jenen rhetorischen Figu-
Redfern, Walter D.: »Puns: Second Thoughts«. In: Humor 9. ren, welche den spöttischen Charakter einer Rede be-
Jg., 2 (1996), 187–198. tonen und in den spätantiken bzw. frühbyzanti-
Ringelnatz, Joachim: Sämtliche Gedichte. Zürich 2005. nischen griechischen Figurentraktaten von Ps.-Try-
Winter-Froemel, Esme: »Wortspiel«. In: Gert Ueding (Hg.): phon, Herodianos und Kokondrios als ironische Tro-
Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 9. Tübingen
2009, 1429–1443.
pen geführt sind (vgl. Knox 1961, 6). Dies zeigen die
illustrierenden Belege aus Homers Ilias: Beispiele für
Alexander Brock Sarkasmus sind bei Tryphon und Herodianos die zor-
nigen Äußerungen des Achilleus, etwa sein höh-
nischer Kommentar zur Kriegsleistung des Heerfüh-
rers Agamemnon im 9. Gesang. Da beide miteinander
verfeindet sind, kann diese spöttische Anspielung auf
Agamemnons Hilflosigkeit gegenüber Hektor nach
Ansicht des Herodianos nur sarkastisch gemeint sein:
»Wahrlich schon sehr vieles vollendet‹ er ohne mein
Zutun: / Schon die Mauer erbaut‹ er, und leitete drau-
ßen den Graben / Breit umher und groß; und drinnen
auch pflanzet er Pfähle! / Dennoch kann er nicht die
Gewalt des mordenden Hektors bändigen!« (Homer
1979, 348–352).
In der lateinischen Rhetorik variieren gegenüber
der griechischen zwei Aspekte. Zum einen wird der
Sarkasmus in der Tropenlehre von Quintilians Institu-
tiones oratoriae (ca. 90 n. Chr.) dem Bereich der Alle-
gorie und nicht der Ironie zugeordnet. Die Differenz
zur Ironie besteht darin, dass die kontrafaktische Be-
deutung des Sarkasmus in höhnischer Form zum Aus-
druck gebracht wird (vgl. Quintilian 1988, 54 ff., bes.
57). Zum anderen setzt sich in der lateinischen Rheto-
rik der Aspekt makabrer Schadenfreude gegenüber
dem Moment reiner Aggression stärker durch. Dies
zeigt insbesondere die Ars grammatica (4. Jh. n. Chr.)
des römischen Grammatikers A. Donatus, neben der
Ars grammatica (370–380 n. Chr.) des Diomedes die
erste Systematik, in der die antike Trope anhand latei-
nischer Texte illustriert wird: »Sarcasmos est plena
odio atque hostilis inrisio« (Gerber 1961, 321), eine
mit Hass und Feindseligkeit angefüllte Form der Ver-
spottung.
Dieser Aspekt makabrer Schadenfreude verstärkt
sich in Spätantike und Mittelalter angesichts eines äu-
ßerst folgenreichen Bildes zur Illustration dieser rhe-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_13,


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62 I Grundbegriffe des Komischen

torischen Figur: die in den Evangelien überlieferte Rhetorike und wird hier wie in H. Peachams The Gar-
Szene der Kreuzigung. Der Liber de schematibus et tro- den of Eloquence (1577) den rhetorischen Tropen zu-
pis (7. Jh. n. Chr.) des Benediktiners B. Venerabilis geordnet (vgl. Howell 1961, 135). Dabei wiederholt
spielt erstmals auf eben diese Szene bei seiner Definiti- der Eintrag in Sherrys Rhetorike die seit dem Früh-
on der Trope Sarkasmus an: Jesus wird nicht nur von mittelalter kanonische Assoziation der Kreuzigungs-
den Soldaten, sondern auch von führenden Priestern, szene: »Sarcasmus, a bitter sporting & mocke of our
Gesetzeslehrern und Ratsältesten verhöhnt und ver- enemye, of a maner of iestyng or scoffinge bytynglye,
spottet. »Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, a nyppyng tawnte, as: The Iewes saide to Christ, he
und steig herab vom Kreuz!« (Mt 27, 40), so heißt es saued other, but he could not saue hym selfe.« (Sar-
etwa im Matthäus-Evangelium. Die anschließende kasmus, ein bitterer Hohn über unsere Feinde, in der
Szene der Tränkung des sterbenden Jesus mit dem Es- Art einer scherzenden und höhnischen Bissigkeit, ein
sigschwamm prägt die neuzeitliche Semantik des Sar- nagender Spott, wie: Die Juden sagten zu Christus: Er
kasmus: Hohn oder Spott, der bitter schmeckt bzw. ei- rettet andere, aber er kann nicht sich selbst retten)
nen bitteren Nachgeschmack hat. Wie einflussreich (Sherry 1555, 46). R. Burtons The Anatomy of Melan-
dieser Wandel der illustrierenden Bezugnahme auf choly (1621) – prominentestes Zeugnis einer früh-
die Kreuzigung im Frühmittelalter gewesen ist, zeigt neuzeitlichen Moralisierung der Trope – teilt das Ar-
Augustinus’ De civitate Dei (5. Jh. n. Chr.), welches gument des Sarkasmus-Verbotes. Das den Abschnitt
den sarkastischen Spott nunmehr unter den Verdacht »Scoffs, Calumnies, bitter Jests, how they cause Me-
der Lästerung stellt (vgl. Augustinus 1955, 412–426). lancholy« einleitende Zitat von Bernhard von Clair-
Augustinus kritisiert die Ciceros De re publica (ca. 54 vaux »A blow with a word strikes deeper than a blow
v. Chr.) entnommene These, nach welcher bei den Rö- with a sword« (Burton 1989, 337) (›Ein Streich mit
mern die Verspottung von Menschen verboten, von dem Wort trifft tiefer als ein Streich mit dem Schwert‹)
Göttern jedoch erlaubt sei, eine Inkonsequenz, gegen- zeigt an, dass auch R. Burton mit Rückblick auf die
über welcher die generelle Spott-Erlaubnis in der grie- christliche Demutslehre argumentiert. Zudem spricht
chischen Komödie zumindest konsequenter ist (vgl. er erstmals von literarischem Sarkasmus, für den Lu-
Augustinus 1955, 9 f.). Entscheidend ist die von Au- kian sein antikes, Rabelais sein zeitgenössisches Bei-
gustinus gezogene Schlussfolgerung, dass ein den spiel darstellt.
Spott erlaubendes polytheistisches Weltbild zu ver- Mit der Diskussion um das Sarkasmus-Verbot steht
werfen sei. In De civitate Dei wird der Sarkasmus also nicht nur die Trope selbst, sondern auch die schon in
erstmals einer christlich-monotheistischen Reflexion Burtons Anatomy of Melancholy (1621) assoziierte li-
ausgesetzt. Noch grundlegender erörtert Thomas von terarische Form der Satire zur Disposition. Im Eng-
Aquin diesen Zusammenhang, und zwar im 18. Buch land des 17. Jh.s ist festzustellen, dass insbesondere die
der Summa theologica (13. Jh. n. Chr.). Die diesbezüg- augusteischen Satiriker dem Vorwurf sarkastischer
lich relevante 73. Untersuchung steht im Kontext der Ironie ausgesetzt sind. Auch hier stellt die Beleidigung
in der ›Summa‹ behandelten Rechts- bzw. Gerechtig- bzw. öffentliche Diffamierung einer Person den zen-
keitslehre; zu den Formen verbalen Unrechts (injuriae tralen Tatbestand dar, allerdings ist zu unterscheiden
verborum) zählt T. von Aquin neben der Schmähung zwischen expliziter und impliziter Diffamierung, d. h.
(contumelia), der Ehrabschneidung (detractio), der zwischen der Schmähung (libel) und Beleidigung
Ohrenbläserei (susurratio) und der Verwünschung (slander) einerseits, sowie sarkastisch-ironischen For-
(maledictio) auch die Verspottung, welche unter dem men wie buffonery, jest, ridicule und raillery anderer-
Begriff derisio bzw. irrisio gefasst und mit der Verhöh- seits. Lässt sich der Tatbestand der Beleidigung an-
nung (subsannatio) assoziiert wird (vgl. von Aquin hand eines konkreten Vokabulars belegen, welches in
1953, 289 ff.). Handbüchern wie J. Marchs Action for Slander (1647)
oder W. Sheppards Action upon the Case of Slander
Sarkasmus in der Neuzeit (1674) aufgeführt ist, so ist der Nachweis der Per-
Anfang des 16. Jh.s findet die antike Trope ihren Weg sonenschädigung in einer sarkastischen Form weit
in den Norden Europas und dürfte wohl erstmals in komplizierter. Neben der moralischen Ambivalenz
der Figurenlehre Tabulae de schematibus et tropis des wird nun also auch die satirische Funktion des Sarkas-
Humanisten Petrus Mosellanus von 1520 geführt mus erkannt: »Any keen Saying, which has the true
worden sein. Der sarcasmus begegnet zudem 1555 in point of Satyr, and cuts deep, is call’d a Sarcasm« (Je-
R. Sherrys A Treatise of the Figures in Grammar and den scharfsinnigen Spruch, der die wahre Spitzigkeit
13 Sarkasmus 63

des Satyr hat und tiefe Wunden schneidet, nennt man das 19. als dasjenige Jahrhundert begriffen werden, in
einen Sarkasmus) (Blackwall 1719, 179). welchem Sarkasmus unter dem Vorzeichen des Gro-
Sarkasmus in der klassischen Dialektik des ›Tadel tesken entdeckt wird. Dabei steht auch hier ein mora-
durch Lob‹ wird somit zum Stilmittel, welches die Sati- lisches Argument im Mittelpunkt: das sog. »Ethos des
re von der Schmähschrift unterscheidet; impliziert er Lachens«, welches in N. Hartmanns Ästhetik (1953)
doch jene Kunst »to make a man appear a fool, a block- dem Sarkasmus abgesprochen wird. Ohne dieses
head, or a knave, without using any of those opprobrio- Ethos als Zeichen des Humors ist Dichtung für Hart-
us terms« (einen Menschen als Narren, Dummkopf mann undenkbar, »darum ist der ›komische Dichter‹,
oder Lumpen erscheinen zu lassen, ohne irgendeines der nur sarkastisch ist, wohl niemals dagewesen: seine
von diesen Schimpfwörtern zu verwenden) (Dryden Herzlosigkeit würde zum Himmel schreien« (Hart-
1974, 70), wie J. Dryden es im Discourse concerning the mann 1953, 420). Die Häufung jener bei Autoren wie
Original and Progress of Satire (1692) erklärt. Goethe, Heine, C. D. Grabbe, W. Hauff, E. T. A. Hoff-
Im Zuge dieser Positivierung etabliert sich der auf mann, C. R. Maturin oder G. G. Byron zu findenden
Dryden zurückgehende Vergleich zwischen Horaz diabolischen Figuren, deren Gemeinsamkeit der Spott
und Juvenal, dem die Begriffe des ridicule und des rail- auf die Schöpfungsidee und das lasterhafte Wesen des
lery entsprechen: charakterisiert demnach die humor- Menschen ist, zeigt jedoch im Gegenteil die Attrakti-
voll-ironische Kunst der raillery die Satiren Horaz’, so vität des sarkastischen Witzes für die Literatur des
steht der Begriff ridicule für die weitaus aggressiveren 19. Jh.s (vgl. Bexte 1986, 276–288). Dies findet seine
Satiren Juvenals. Der allgemeine Sprachgebrauch as- theoretische Reflexion in Baudelaires Essay De l’essen-
soziiert den Sarkasmus mit der ersten Maxime, wie ce du rire (1847), dessen Begriff des ›satanischen La-
dies E. Haywoods Female Spectator (1755) nahelegt; chens‹ der Semantik des Sarkasmus unmittelbar ent-
denn hier ist Sarkasmus »that which, with people of spricht: »Des Menschen Lachen ist wie ein Biß« (Bau-
narrow understandings, passes for raillery, and as such delaire 1977, 287), so heißt es im zweiten Abschnitt
is excused, if not applauded« (das was bei Leuten von des Essays. Baudelaire behandelt zwei Formen des sa-
beschränktem Verstand als Neckerei gilt und daher tanischen Lachens: Das »signifikant Komische« (ebd.,
Nachsicht oder sogar Beifall findet) (Haywood 1755, 296), welches anhand der Karikatur sowie der Komö-
136 ff.). Nach Einschätzung von H. A. Taine dürfte der die (Molière) erläutert wird und als »raillerie significa-
Sarkasmus Swifts dagegen eher der zweiten Maxime tive français« (Baudelaire 1976, 541), der Tradition
zuzuordnen sein: »This is why Swift’s grave sarcasm is des raillery in der augusteischen Satire, korrespon-
so terrible; we think he is showing respect, and he diert. Und das »absolut Komische«, welches dem-
slays; his approbation is a flagellation« (Darum ist gegenüber als das Groteske anhand von C. R. Matu-
Swifts ernster Sarkasmus so schrecklich; wir denken, rins Melmoth the Wanderer (1820) und E. T. A. Hoff-
er zeige [jemandem] seine Anerkennung, und er manns Prinzessin Brambilla (1820) erläutert wird. Was
macht [ihn] nieder; seine Zustimmung ist eine Aus- Baudelaire v. a. an C. R. Maturin betont, ist eben der
peitschung) (Taine 1899, 375). bei N. Hartmann kritisierte asoziale Charakter des La-
chens; entsprechend gehen in das Konzept des »abso-
Sarkasmus in der Moderne lut Komischen« (ebd.) all jene Affekte ein, die ein aso-
Eine eher wertneutrale Deutung erfährt der Sarkas- ziales, d. h. nicht geselliges Vorzeichen, tragen: »Das
mus im Kontext der romantischen Ironie, in der er je- Lachen Melmoths ist die fortwährende Explosion sei-
doch eher am Rande erscheint: »Es gibt eine Art von nes Zornes und seiner Qual« (ebd., 291). Und den-
Witz, den man wegen seiner Gediegenheit, Ausführ- noch ist auch dieses Lachen Ausdruck der Überlegen-
lichkeit und Symmetrie den architektonischen nen- heit, allerdings nicht »des Menschen über den Men-
nen möchte. Äußert er sich satirisch, so gibt das die ei- schen, sondern des Menschen über die Natur« (ebd.).
gentlichen Sarkasmen« (Schlegel 1967, 236), so heißt Nicht nur bei Baudelaire scheint das groteske Lachen
es in F. Schlegels Athenäum (1798). In Jean Pauls Vor- »des Menschen über die Natur« (ebd.) als Indikator
schule der Ästhetik (1804) wird der Sarkasmus nicht des 19. Jh.s selbst relevant zu werden; auch die »aristo-
eigens behandelt, wenngleich Jean Paul diverse For- phanische[n] Welt-Verspottung« (Nietzsche 1988b,
men des »romantisch Komischen« – »Satire, Humor, 438), die etwa Nietzsche als Merkmal eines sich zum
Ironie, Laune« und »Witz« – unterscheidet. »geistigsten Faschings-Gelächter« (ebd.) erhebenden
Begriff das 18. Jh. unter dem Einfluss der Augustei- Zeitalters ansah, hat ihren Ursprung im 19. Jh. Denn
ker die Satire als Medium sarkastischer Ironie, so kann sie ist Ausdruck jener historischen Krankheit, die das
64 I Grundbegriffe des Komischen

18. Jh. nach Nietzsche noch nicht kannte: Selbstironie stellen die Matrix dieses Ansatzes dar; sie geben Richt-
und Zynismus, bedingt durch das bekannte »Zuviel an linien an, welche aufzeigen, wie Gesprächspartner
Historie« (Nietzsche 1988a, 279), wie es in Vom Nut- kommunizieren bzw. kommunizieren sollten. Grices
zen und Nachteil der Historie für das Leben (1874) Kooperationsprinzip wird durch vier speziellere Kon-
heißt. Damit ist ein Problem benannt, welches sich in versationsmaximen – a) der Quantität, b) der Quali-
ähnlicher Form in Kierkegaards Begriff der »Weltiro- tät, c) der Relation und d) der Modalität – konkreti-
nie« (Kierkegaard 1961, 290f.) sowie in Heines ›Be- siert, diese sollen den Wortbeitrag a) so informativ, b)
kenntnissen‹ findet: Die Selbsterkenntnis eines Zeit- so wahrhaftig, c) so relevant und d) so deutlich wie
alters, in dem sich die Zeitgenossen wahlweise »als Pa- möglich machen. Verletzungen dieser Maximen füh-
rodisten der Weltgeschichte und als Hanswürste Got- ren den Hörer dazu, den Sinn der Aussage ex negativo
tes« (Nietzsche 1988b, 438) empfinden. 1854 heißt es zu interpretieren (vgl. Grice 1989, 28 f.). Generell lie-
bei Heine angesichts seines schmerzlichen Schicksals gen Implikaturen dann vor, wenn mit einer Äußerung
inmitten der »Matrazengruft«: mehr gemeint ist, als in der wörtlichen Bedeutung die-
ser Äußerung enthalten ist, also eine zusätzliche Be-
»Ach! der Spott Gottes lastet schwer auf mir. Der große deutungsebene impliziert bzw. »implikatiert« wird. H.
Autor des Weltalls, der Aristophanes des Himmels, Clark und R. Gerrig haben den Versuch unternom-
wollte dem kleinen irdischen, sogenannten deutschen men, das Gricesche Konzept als Basis für ein generel-
Aristophanes recht grell dartun, wie die witzigsten Sar- les Theoriemodell heranzuziehen, welches als »Pre-
kasmen desselben nur armselige Spöttereien gewesen tense Theory of Irony« bekannt geworden ist (vgl.
im Vergleich mit den seinigen, und wie kläglich ich ihm Clark/Gerrig 1984, 121–126). Im Mittelpunkt steht
nachstehen muß im Humor, in der kolossalen Spaß- der Begriff der Verstellung: ein ironischer Sprecher
macherei.« (Heine 1982, 56) meint nicht direkt das Gegenteil dessen, was er sagt,
sondern er imitiert eine Person, die die geäußerte
Bei Heine ist der Sarkasmus also mehr als nur eine rhe- Meinung wirklich vertreten würde. In der Äußerung
torische Figur (vgl. Meyer-Sickendiek 2009,193–257): ›See what lovely weather it is‹ gibt sich der ironische
er wird ein metaphysisches Prinzip, bedingt durch den Sprecher als Person aus, die das – an sich schlechte –
Zweifel an der Gültigkeit der Theodizee (vgl. Gilhus Wetter tatsächlich schön findet und derart parodiert
1997). Heines Klage über den Sarkasmus Gottes ist wird. Der Sprecher will, dass sein Hörer diese Verstel-
Ausdruck dieser Neudeutung, in der die Folie dieser lung durchschaut und erkennt, dass sich der Sprecher
Trope das Theodizee-Problem darstellt, also der Wi- über die Person, die diese Ansicht vertritt, die Äuße-
derspruch zwischen dem Glauben an Gott und dem rung selber, und diejenigen Hörer, die sie akzeptieren
Sinn-Verlust, der mit dem eigenen Leiden verbunden würden, lustig macht.
ist. Weshalb kann ein allmächtiger Gott die Übel und In ähnlicher Weise geht der als Modifikation des
das Böse in der Welt zulassen? Weil man ihn als aristo- Griceschen Konzeptes gedachte Ansatz D. Sperbers
phanischen Spötter denken muss, wie dies noch im und D. Wilsons davon aus, dass ein ironisch sprechen-
Schlusswort von K. Kraus’ Weltkriegssatire Die letzten der Mensch eine Aussage in doppelter Hinsicht ver-
Tage der Menschheit (1918) angelegt ist: ›Die Stimme wendet: Einerseits, um seine Einstellung zum Gegen-
Gottes‹ zitiert hier sarkastisch die Worte Wilhelms II.: stand der Äußerung, andererseits, um seine Einstel-
»›Ich habe es nicht gewollt‹« (Kraus 1986, 770). lung zur Äußerung selbst zu übermitteln. Damit ist ei-
ne Ebene einbezogen, die nicht nur in der traditionellen
Sarkasmus in der Forschung Definition der Ironie als kontrafaktischer Aussage,
Erst im 20. Jh. beginnt die eigentliche Erforschung des sondern auch in P. Grices Konzept der Implikatur fehl-
Sarkasmus, allerdings weder in Rhetorik noch Litera- te: die der Einstellung des Sprechers zu seiner Äuße-
turwissenschaft, sondern in der Pragmalinguistik. rung selbst (vgl. Sperber/Wilson 1992, 53 ff.).
Diese geht von einem eigenen, in bewusster Oppositi- Eine Neuorientierung dieser Diskussion wurde –
on zur Rhetorik stehenden Grundsatz aus: nicht die ebenfalls im Anschluss an Grice – durch eine Studie
klassische Unterscheidung von wörtlicher und eigent- zum Thema Höflichkeit bzw. politeness der Psycholin-
licher Bedeutung, sondern die »Verletzung einer Auf- guisten P. Brown und S. C. Levinson ausgelöst. In de-
richtigkeitsbedingung« steht am Anfang der Definiti- ren Mittelpunkt steht der Begriff des face-threatening-
on. P. Grices Theorie der Implikatur (vgl. Grice 1989, act (FTA), dieser wiederum ist orientiert an E. Goff-
22 ff.) und sein System der Konversationsmaximen mans Kategorie zur Beschreibung höflicher Verhal-
13 Sarkasmus 65

tenstechniken, die mit dem Begriff Imagepflege Literatur


(face-work) übersetzt werden kann (vgl. Brown/Le- Augustinus: De Civitate Dei. Libri XI–XXII (CC, Ser. lat. 48,
vinson 1987, 43 ff.). Es geht also um die Frage nach Aurelii Augustini Opera, Pars XIV, 2). Turnhout 1955.
Baudelaire, Charles: Sämtliche Werke/Briefe in acht Bänden.
den Techniken sozialen Verhaltens, welche die Ver- Bd. 1. Hg. von Friedhelm Kemp u. Claude Pichois. Darm-
meidung des Gesichtsverlustes anderer bzw. die Wah- stadt 1977.
rung des eigenen Gesichtes zum Inhalt haben und Baudelaire, Charles: Œuvres complètes. Bd. 2. Hg. von Clau-
eben deshalb als höflich gelten können: Äußerungen, de Pichois u. Jean Ziegler. Paris 1976.
die das face der eigenen oder einer fremden Person in Bexte, Peter: »Orte des satanischen Gelächters«. In: Lachen
– Gelächter – Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln. Hg. von
irgendeiner Weise bedrohen, gelten entsprechend als
Dietmar Kamper u. Christoph Wulf. Frankfurt a. M. 1986,
face-threatening acts (vgl. ebd, 65). Im Anschluss an 276–288.
J. R. Searle kommen Brown und Levinson zu der The- Blackwall, Anthony: An Introduction to the Classics. London
se, dass durch ›indirekte‹ Formulierungen, also Aus- 1719.
drucksformen, in denen die auffordernde bzw. illoku- Brown, Penelope/Levinson, Stephen C.: Politeness. Some
tionäre Rolle einer Äußerung mit konventionellen Universals in Language Usage. Cambridge 1987.
Burton, Robert: The Anatomy of Melancholy. Bd. 1. Hg. v.
Mitteln nur angedeutet und nicht expliziert wird, die
Thomas C. Faulkner u. Nicolas K. Kiessling u. Rhonda L.
gesichtsbedrohende Kraft einer Äußerung abge- Blair. Oxford 1989.
schwächt werden kann. Indirekte Sprechakte, wie et- Clark, Herbert/Gerrig, Richard: »On the Pretense Theory of
wa ironische Äußerungen, eignen sich zur Gesichts- Irony«. In: Journal of Experimental Psychology 113. Jg.
wahrung und können also als höfliche Ausdrucksfor- (1984), 121–126.
men verstanden werden. Dryden, John: The Works of J. Dryden. Bd. IV. Berkeley u. a.
1974.
Die psycholinguistische bzw. kognitionspsycho- Gerber, Gustav: Die Sprache als Kunst. Bd. 2. Hildesheim
logische Diskussion begreift Sarkasmus also als indi- 31961.

rekten Sprechakt, der höflicher ist als eine direkte Kri- Gilhus, Ingvild Saelid: Laughing Gods, Weeping Virgins.
tik. Die Untersuchung J. Jorgensens etwa zeigt, dass Laughter in the History of Religion. London 1997.
sarkastische Ironie typischerweise benutzt wird, um Goffman, Erving: »On Face-Work. An Analysis of Ritual
Elements in Social Interaction«. In: ders. (Hg.): Interaction
sich bei engen Freunden zu beschweren oder sie zu
Ritual. Essays on Face-to-face Behavior. New York 1967,
kritisieren, ohne deren face zu verletzten. Ein wichti- 5–45.
ger Einwand hinsichtlich dieser Theoriediskussion er- Grice, Paul: »Logic and Conversation«. In: ders. (Hg.): Stu-
gab sich durch die Beiträge von R. J. Kreuz und S. dies in the Way of Words. Harvard 1989, 22–40.
Glucksberg (1989) sowie C. J. Lee und A. N. Katz Hartmann, Nicolai: Ästhetik. Berlin 1953.
(1998), in denen erstmals dasjenige nachgeholt und Haywood, Eliza: The Female Spectator. Bd. IV. London 1755.
Heine, Heinrich: Historisch-kritische Gesamtausgabe der
begründet worden ist, was in dieser kognitionspsy- Werke. Bd. 15. Hg. von Manfred Windfuhr. Hamburg
chologischen Diskussion lange Zeit fehlte: die empiri- 1982.
sche Unterscheidung von Ironie und Sarkasmus. Das Homer: Ilias. Neue Übersetzung. Hg. von Roland Hampe.
in der Studie von Brown und Levinson auftretende, Stuttgart 1979.
aus dem sprechakttheoretischen Ansatz resultierende Howell, Wilbur Samuel: Logic and Rhetoric in England.
1500–1700. New York 1961.
Paradox, Sarkasmus als höfliche Form der Anspielung
Jorgensen, Julia: »The function of sarcastic irony in speech«.
zu denken und dessen face-saving-properties (vgl. Jor- In: Journal of Pragmatics 26. Jg. (1996), 613–634.
gensen 1996, 613) hervorzuheben, wurde so erstmals Kierkegaard, Søren: Über den Begriff der Ironie mit ständi-
korrigiert, wobei diesbezüglich der Begriff ridicule ei- ger Rücksicht auf Sokrates. Düsseldorf 1961.
ne ganz wesentliche Rolle spielt (vgl. Lee/Katz 1998, Knox, Norman: Ironia. Medieval and Renaissance Ideas on
1–15). Dass das Lächerlichmachen eines Opfers das Irony. Leiden u. a. 1989.
Knox, Norman: The Word Irony and its Context. 1500–1755.
zentrale Indiz für die Unterscheidung von Ironie und
Durham, NC 1961.
Sarkasmus darstellt, wird von Lee und Katz empirisch Kraus, Karl: Die letzten Tage der Menschheit. Frankfurt a. M.
belegt, ohne dass dabei ein expliziter Widerspruch zu 1986.
den Thesen von politeness geäußert worden wäre. Dies Kreuz, Roger J./Glucksberg, Sam: »How to be sarcastic: The
geschieht – allerdings unter Bezugnahme auf den Be- echoic reminder theory of verbal irony«. In: Journal of Ex-
griff des Humors – in A. Zajdmans Theorie der »hu- perimental Psychology 118 Jg. (1989), 374–386.
Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik:
morous face-threatening acts« (vgl. Zajdman 1995, eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. Stuttgart
325–339), die jedoch für die Forschungsdiskussion 31990.

zum Sarkasmus bisher unberücksichtigt geblieben ist.


66 I Grundbegriffe des Komischen

Lee, Christopher J./Katz, Albert N.: »The Differential Role of Quintilian, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners. Zwölf
Ridicule in Sarcasm and Irony«. In: Metaphor and Symbol Bücher. Bd. 1 und 2. Hg. v. Helmut Rahn. Darmstadt 1988.
13. Jg. (1998), 1–15. Schlegel, Friedrich: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe.
Meyer-Sickendiek, Burkhard: Was ist literarischer Sarkas- Bd. 2. Hg. v. Ernst Behler. Paderborn u. a. 1967.
mus? Ein Beitrag zur deutsch-jüdischen Moderne. Mün- Sherry, Richard: A Treatise of the Figures of Grammar and
chen 2009. Rhetorike, London 1555.
Mosellanus, Petrus: Tabulae De Schematibus Et tropis. Sperber, Dan/Wilson, Deirdre: »On verbal irony«. In: Lingua
Frankfurt a. d. O. und Leipzig 1520. 87. Jg., 1 (1992), 53–76.
Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke, Bd. 1: Die Geburt der Taine, Hippolyte A.: History of English Literature. Bd. II.
Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I–IV. Nachgelasse- London 1899.
ne Schriften 1870–1873. In: Giorgio Colli und Mazzino Thomas von Aquin: »Recht und Gerechtigkeit«. In: Die deut-
Montinari (Hg.): Kritische Studienausgabe in 15 Einzel- sche Thomas-Ausgabe. Bd. 18. Hg. v. der Albertus-Mag-
bänden. Berlin/New York 1988a. nus-Akademie. Walderberg bei Köln 1953.
Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke, Bd. 2: Menschliches Zajdman, Anat: »Humorous Face-Threatening Acts: Humor
Allzumenschliches I und II. In: Giorgio Colli und Mazzino as Strategy«. In: Journal of Pragmatics 23. Jg. (1995), 325–
Montinari (Hg.): Kritische Studienausgabe in 15 Einzel- 339.
bänden. Berlin/New York 1988b.
Peacham, Henry: The Garden of Eloquence. London 1577. Burkhard Meyer-Sickendiek
II Methodische Zugänge
zum Komischen
14 Philosophie sucht, indem sie Komik als Widerpart zur eigenen Re-
flexionskraft bestimmt. Mit der sokratischen Ironie
14.1 Zum Begriff der Komik schreibt sich allerdings von Beginn an eine Tiefendi-
mension in die philosophische Reflexion ein, die nicht
Der Begriff der Komik ist trotz einer reichen Wort- ohne Bezug zum Komischen ist. Der Begriff der Iro-
und Bedeutungsgeschichte alles andere als selbstver- nie, von dem Kierkegaard meint, dass er »mit Sokrates
ständlich. Das Wort komisch leitet sich vom griechi- seinen Einzug in die Welt hält« (Kierkegaard 2004a,
schen komikós ab und verweist damit auf die spezi- 7), bezieht Komik und Wissen bzw. Nichtwissen auf-
fisch gattungspoetische Bestimmung des Lustspiels einander. Sokrates geht es in seiner kritischen Aus-
(vgl. Kablitz 2007, 289). In Frage steht damit seit der einandersetzung mit den Sophisten nicht allein da-
Antike zum einen die Unterscheidung zwischen Tra- rum, das eigene Nichtwissen zu demonstrieren, viel-
gik und Komik, die bereits in der aristotelischen Poe- mehr will er das Nichtwissen der anderen zur Schau
tik mit dem Diktum angelegt ist, »die Komödie sucht zu stellen, um sie in gewisser Weise lächerlich zu ma-
schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nach- chen. Der Witz der Philosophie richtet sich so zu-
zuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen« nächst darauf, defizitäre Positionen des Wissens auf-
(Aristoteles 1982, 9), zum anderen die in ähnlicher zudecken, um so zugleich die eigene Weisheit zu be-
Weise an das Tragische zu stellende Frage, ob es un- gründen, die wiederum selbst riskiert, zum Gegen-
abhängig von der literarischen Form der Komödie stand des Lachens zu werden. Komik und Witz sind
überhaupt so etwas wie ein Wesen des Komischen ge- Waffen der Philosophie, die sich immer auch gegen
be, wie es die Philosophie postuliert. Neben der diese selbst zu richten drohen.
schwierigen Begriffsbestimmung der Komik ergibt Nicht allein aus diesem Grund hat die Philosophie
sich noch ein zweites Problemfeld aus der Überlage- Abwehrstrategien gegen die Komik ersonnen. Für Pla-
rung mit verwandten Begriffen wie dem Witz, dem ton ist das Komische wie angedeutet etwas grundsätz-
Lachen, dem Humor u. a.: Vor dem Hintergrund der lich Schlechtes, das im Gegensatz zur Tugend steht
diffusen Wort- und Begriffsgeschichte lässt sich der (vgl. Kablitz 2007, 290). Das Komische gerinnt so zu
Gehalt des Komischen kaum aus einer eindeutigen einer im moralischen Sinne lasterhaften Instanz. Zwar
Definition ableiten, sondern allein aus seiner vielfälti- entfernt sich Aristoteles in seinen Überlegungen zum
gen Geschichte heraus. Dabei zeigt sich, dass die Phi- Komischen in Poetik, Rhetorik und Ethik von den mo-
losophie seit ihren Anfängen an einer Wesensbestim- ralischen Diskreditierungen, die Platon vorgenommen
mung des Komischen interessiert gewesen ist, die zu- hat. Da der zweite Teil seiner Poetik, der dem Ko-
gleich auf ihren eigenen Begriff zurückwirkt. mischen gewidmet war, verlorengegangen ist, markiert
das Komische im Unterschied zum Tragischen jedoch
zunächst eine Leerstelle innerhalb der philosophi-
14.2 Komik und Witz in der Philosophie schen Reflexion, die auch durch die rhetorische Tradi-
tion, etwa bei Cicero (vgl. Cicero 1976, 345–371) und
Die Philosophie ist eine ernste Angelegenheit. Komik Quintilian (vgl. Quintilian 1988, 715–761), nicht voll-
scheint ihr zunächst fremd zu sein. Das hat bereits K. ständig aufgehoben werden kann. Bis in die Moderne
Schwind im Blick auf die Antike bemerkt: »Schon Pla- hinein hat sich die Philosophie eher mit dem Phäno-
ton, der als erster eine substantivierte Form für das Lä- men der Tragik als dem der Komik auseinandergesetzt
cherliche verwendete (γελοια), hat es – begriffs- bzw. letztere auf der Folie der ersteren zu bestimmen
geschichtlich wegweisend – in Absetzung vom Erns- versucht. In dem Maße, in dem auch das Problem des
ten und Guten analysiert und es dem Unvernünftigen Wissens und des Nichtwissens mit den Begriffen der
und dem Schlechten, ja Abartigen zugerechnet« Komik und des Witzes verbunden ist, betrifft die Frage
(Schwind 2001, 340). Das Komische, der Witz oder nach ihnen jedoch zugleich den Begriff der Philoso-
das Lächerliche scheinen für die Philosophie eine He- phie selbst, das Wissen, das sie von sich gewinnen und
rausforderung darzustellen, der sie sich zu entziehen den Witz, den sie sich und anderen zugestehen kann.

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_14,


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14 Philosophie 69

Die Frage nach dem Zusammenhang von Wissen Wie viele spätere Theoretiker, so versteht auch Hob-
und Komik bzw. Witz hat sich jenseits der antiken bes das Lachen als ein soziales Phänomen. Er verbin-
Grundlagen erst in der Moderne explizit stellen kön- det seinen Begriff des Lachens mit dessen grundsätz-
nen. Kants kopernikanische Wende, selbst eine iro- licher Kritik als Ausdruck der Kleinmütigkeit. Denn
nische Wende der Philosophie in ihrem Verhältnis zu der große Geist, so Hobbes, sucht den Vergleich mit
Mathematik und Naturwissenschaft, die Annahme, den Tüchtigen, nicht mit denen, die ihm unterlegen
dass sich die Gegenstände nach den subjektiven Er- sind und dem Spott anheimfallen. Lachen erscheint
kenntnisvermögen des Menschen richten, führt so somit in den Augen Hobbes’ als unpassende Erhe-
den Witz in der Überlagerung mit dem lateinischen bung des Menschen über andere. Den Ursprung von
ingenium als ein intellektuelles Vermögen ein (vgl. Si- Hobbes’ kritischer Bestimmung des Lachens bildet
mon 2007, 862), das über eine eigene Gesetzlichkeit die christliche Idee der Gefallenheit des Menschen.
verfügt. Im Anschluss an die englische Philosophie Als Sünder vor Gott komme dem Menschen das La-
des 18. Jh.s, u. a. Shaftesbury, J. Addison und F. Hut- chen nicht zu. Es ist diese negative Bestimmung des
cheson, hat Kant in seiner Anthropologie in Pragmati- Menschen, gegen die sich die englische Aufklärung zu
scher Hinsicht (1796/97) und anderen Schriften so die Beginn des 18. Jh.s erhebt. Schon Shaftesbury geht
Grundlagen zu einer spezifisch modernen Reflexion von einem völlig anderen Menschenbild und einer
der Komik und des Witzes im Medium der Philoso- entsprechend veränderten Bestimmung des Ko-
phie geschaffen, die im frühen 20. Jh. auf unterschied- mischen aus. Nicht der im christlichen Sinne gefalle-
liche Art und Weise in der Philosophie, der Psycho- ne, sondern der im moralischen Sinne gute Mensch
analyse und der Anthropologie ein Echo hat finden steht im Mittelpunkt seiner Überlegungen. Im Zuge
können. In allen Fällen sind Komik und Witz für die dieser aufklärerischen Veränderung des Menschen-
Philosophie Anreiz und Abwehr zugleich: Anreiz des bildes gelangt Shaftesbury auch zu einer anderen,
eigenen geistiges Reichtums, der zum Wissen führt, grundsätzlich positiv bestimmten Einschätzung der
und Abwehr des Nichtwissens, das den philosophi- Komik und des Witzes. In Sensis Communis: Ein Ver-
schen Erkenntnisanspruch bedroht. Die folgende such über die Freiheit von Witz und Laune aus dem
Darstellung konzentriert sich auf die Figurationen der Jahre 1709 wundert er sich einleitend, dass sein Lob
Komik seit dem 18. Jh., um zugleich der Dialektik von des spöttischen Scherzes bei einem Freund auf Ent-
Wissen und Nichtwissen nachzugehen, die v. a. mit geisterung gestoßen ist. Shaftesbury meint dagegen,
dem Begriff des Witzes verbunden ist. dass der Witz zu einer allgemeinen Verfeinerung der
Sitten beitragen wird. .Das Lob gründet in dem inne-
ren Zusammenhang zwischen Witz und Freiheit.
14.2.1 Komik und Witz in der englischen Auf-
Zwar gesteht auch Shaftesbury zu, dass es eine
klärung: Shaftesbury, Addison, Hutcheson
schlechte Form des Witzes gebe, die auf eine verfehlte
Die Ursprünge der modernen Theorien des Komi- Bildung zurückgehe. Dagegen beruft er sich auf ein
schen liegen in der englischen Philosophie der Aufklä- »je ne sçai quoi of Wit, and those Graces of a Mind (je
rung, die mit dem Erbe Hobbes’ kämpft. Im Leviathan ne sçai quoi des Witzes und aller Grazien des Geis-
(1651) hatte Hobbes das Lachen auf Stolz und Eitelkeit tes«) (Shaftesbury 1992, 115), das in Übereinstim-
des Menschen zurückgeführt. mung mit dem sensus communis ein Zeichen der na-
türlichen Schönheit und moralischen Wahrhaftigkeit
»Sudden Glory, is the passion which maketh those Gri- sei, die den gebildeten Charakter auszeichne. Im Zuge
maces called LAUGHTER; and is caused either by some seines optimistischen Menschenbildes gelangt Shaf-
sudden act of their own, that pleaseth them; or by the tesbury so zu einer positiven Einschätzung von Ko-
apprehension of some deformed thing in another, by mik und Witz als Ausdruck der Urteilsfähigkeit des
comparison wherof they suddenly applaud themsel- Menschen. Addison und Hutcheson können an die
ves. (Plötzlicher Stolz ist die Leidenschaft, die jene Gri- Würdigung des Witzes, die Shaftesbury vorgenom-
massen hervorbringt, die man Lachen nennt. Es wird men hat, in der Folge anschließen und diese vertiefen.
entweder durch eine plötzliche eigene Tat verursacht, In ähnlicher Weise wie Shaftesbury, aber noch kri-
die einem selbst gefällt, oder durch die Wahrnehmung tischer bezieht sich Addison auf Hobbes zurück. In
irgendeines Fehlers bei einem anderen, wobei man den Nummern 35 und 47 des Spectator entwickelt er
sich selbst Beifall spendet, indem man sich damit ver- eine allegorische Unterscheidung von wahrer und
gleicht).« (Hobbes 1991, 43) falscher Komik, die er durch eine genealogische Fol-
70 II Methodische Zugänge zum Komischen

ge begründet: »TRUTH was the Founder of the Fami- Demgegenüber sei Witz in allgemeiner Weise als die
ly, and the Father of GOOD SENSE. GOOD SENSE Fähigkeit eines genialen Geistes zu verstehen, große
was the Father of WIT, who married a Lady of a Col- Ideen zu vermitteln, zwischen denen er Ähnlichkeiten
lateral Line called Mirth, by whom he had issue HU- findet. Hutcheson etabliert damit jenen Zusammen-
MOUR« (»Die Wahrheit war die Stifterinn dieses Ge- hang zwischen Witz, Metapher und Ähnlichkeit, der
schlechts, und eine Mutter der gesunden Vernunft. auch Kant und Jean Paul bestimmen wird. Lachen
Die gesunde Vernunft gebahr den Witz: welcher ein geht dabei zugleich mit einer Bewunderung, nicht ei-
Frauenzimmer aus der Nebenlinie heirathete, Frö- ner Abwertung der Person einher, die dazu in der Lage
lichkeit genannt; mit der er den Scherz erzeugte«) ist, durch ihren Witz große Ideen in uns zu erregen.
(Addison 1964/1750, 105/162). Der Abstammung Weisheit und Witz seien durchaus miteinander ver-
von Humor, Witz und Heiterkeit von der Wahrheit einbar, was gerade antike Autoren wie Homer oder
stellt Addison die falsche Komik gegenüber, die der Vergil beweisen.
Unvernunft entstammt, aus der Unsinn, Torheit und Hutcheson schließt seine Untersuchung daher mit
Gelächter entspringen. Addison kennzeichnet die fal- einer grundsätzlichen Neubestimmung des Lachens
sche Komik als eine monströse Abweichung vom gu- als einem Zustand, in dem nicht nur die Lebenskräfte
ten Weg der Wahrheit, die die Komik ansonsten be- auf ihrem Höhepunkt zu sein scheinen, sondern sich
stimme. Hobbes’ grundsätzliche Kritik des Lachens auch der soziale Grund des Lachens offenbart:
hebt er damit in seinem Begriff der wahren Komik
auf (vgl. Fietz 1996, 243). »It is plainly of considerable moment in human society.
An Shaftesburys und Addisons Aufwertung des La- It is often a great occasion of pleasure, and enlivens our
chens konnte F. Hutcheson in seinen Reflections upon conversation exceedingly, when it is conducted by
Laughter aus dem Jahr 1725 anschließen. Hutcheson good-nature.« (Augenscheinlich ist es für die mensch-
bezieht sich einleitend auf Aristoteles und Hobbes zu- liche Gesellschaft von nicht geringer Wichtigkeit. Es ist
rück. Aristoteles habe mit dem Lächerlichen als der oft eine große Veranlassung zum Vergnügen, und be-
Verspottung einer Person eine spezifische Form des lebt die gesellschaftliche Unterhaltung ausnehmend,
Lachens zur Geltung gebracht, auf die Hobbes in sei- wenn es mit einem guten Herzen begleitet wird.) (ebd.,
ner Verurteilung des Lachens anschließen konnte. 32/186)
Hutcheson will jedoch einen breiteren Zugriff auf das
Lachen entwickeln, indem er die Prämissen Hobbes’ Mit der Zurückführung des Lachens auf die Fähig-
außer Kraft setzt. Demzufolge gibt es neben dem Ver- keit, Ähnlichkeiten zwischen Ideen zu erkennen, und
gleich mit einer anderen Person noch andere Formen der sozialen Bestimmung des Witzes hat Hutcheson
des Lachens, und der Fehler von Hobbes und anderen die Grundlagen zu einer modernen Bestimmung des
besteht darin, das Lachen mit dem Lächerlichen zu Witzes gelegt, die sich von der religiös motivierten
verwechseln: Verurteilung des Lächerlichen freigemacht hat.
»Hutchesons Verdienst in der Geschichte einer Theo-
»Laughter and Ridicule: this last is but one particular rie des Lachens besteht darin, die in der englischen
species of the former, when we are laughing at the fol- Rezeption von Aristoteles und später bei Hobbes do-
lies of others; and in this species there may be some minante moralistische Problematik entgrenzt und ei-
pretence to allege that some imagined superiority may ne Entkoppelung des Problems des Lachens von sei-
occasion it; but then there are innumerable instances ner moralischen Funktion geleistet zu haben« (Fietz
of Laughter, where no person is ridiculed; nor does he 1996, 248). Shaftesbury, Addison und Hutcheson ha-
who laughs compare himself to any thing whatsoe- ben im Rahmen der philosophischen Aufklärung des
ver.« (Lachen und Lächerlich […]. Dieß letzte ist eine 18. Jh.s die Grundlagen für eine Aufwertung der Ko-
Gattung des ersten, wann wir nämlich über die Thor- mik gelegt, die in der Folge nicht nur von Kant auf-
heiten anderer lachen, und von dieser kann vielleicht genommen werden konnte, sondern die in dem Ver-
als eine Ursache gelten, daß ein eingebildeter Vorzug such einer anthropologischen Bestimmung des Wit-
zum Grunde liege: aber alsdann giebt es unzählbare zes und des Lachens noch die Grundlage für moder-
Beyspiele von Lachen, wo kein Mensch lächerlich ge- ne Theorien bei S. Freud, H. Bergson und H. Plessner
macht wird, und der Lachende sich auch mit nirgend bilden.
einer Sache in Vergleichung stellt.) (Hutcheson
1971/1786/87, 13/9)
14 Philosophie 71

und Humor; sie setzen allerdings, auch wenn sich alles


14.2.2 Kant, der Witz und das Wissen
andere systematisch lehren läßt, besondere Gaben der
Die Philosophie Kants steht in mehr als einer Hinsicht Natur voraus und brauchen kein System« (Cicero
in der Tradition der englischen Aufklärung. Das gilt 1976, 345), hatte schon Cicero in De oratore (55
auch für seine Auseinandersetzung mit dem Begriff v. Chr.) behauptet. Kant knüpft an die rhetorische Be-
des Witzes. Während der Begriff des Komischen bei stimmung des Witzes als ingenium an (vgl. Knörer
Kant so gut wie keine Rolle spielt, kommt dem des Wit- 2007), um ihr zugleich eine kritische Wendung ab-
zes eine tragende Funktion zu. Gegen den geschicht- zugewinnen. Ihm geht es darum, zwischen der erlern-
lichen Prozess der allmählichen Abwertung des Witzes baren Gelehrsamkeit und der Naturgabe des Witzes
zum Scherzwort (vgl. Best 1989, 5 f.) bezieht sich Kant als dem richtigen Gebrauch der Urteilskraft zu unter-
auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes als Wis- scheiden. Die Gegenüberstellung von Dummheit und
sen zurück. Abgeleitet von dem ahd. wizzi meint Witz Witz führt Kant daher dazu, im Kontext der die kriti-
in Überlagerung mit dem lat. ingenium erworbenes sche Philosophie leitenden Verhältnisbestimmung
oder angeborenes Wissen (vgl. ebd.; Simon 2007, 862). von theoretischen, ethischen und ästhetischen Prä-
Diesen Zusammenhang zwischen Witz und Wissen missen ein ganzes Kaleidoskop von Witzlingen und
stellt Kant heraus, indem er beide mit den Gegensatz- Dummköpfen zu erstellen, ein Herbarium der beson-
begriffen der Dummheit und des Nichtwissens kon- deren Art, das nicht die Kritik der reinen Vernunft ent-
frontiert (vgl. Geisenhanslüke 2011). wickelt, sondern der frühe Versuch über die Krankhei-
Ausgangspunkt der Unterscheidung von Witz und ten des Kopfes (1764).
Dummheit als Formen des Wissens bzw. Nichtwissens Wenn Kant den Begriff des Witzes als eine Natur-
ist für Kant der Begriff der Urteilskraft. Schon Locke gabe bestimmt, die sich durch Originalität im Denken
hatte die Urteilsfähigkeit als eine Gabe verstanden, die auszeichnet, dann rückt er den Witz in die Nähe des
für den Fall eintritt, da der Mensch nicht über ein kla- Genies, das den Begriff allmählich verdrängen wird
res und sicheres Wissen verfügt. Auch für Kant spielt (vgl. Best 1989, 43–45). Den Witz unterscheidet Kant
das Vermögen der Urteilskraft eine zentrale Rolle in auf dieser Grundlage in zwei Formen: Auf der einen
der Frage nach Erkennen und Irren. In der Kritik der Seite steht der vergleichende Witz, auf der anderen
reinen Vernunft (1781) führt Kant die Urteilskraft als Seite der vernünftelnde Witz. Gemeinsam ist ihnen
das Vermögen ein, unter Regeln zu subsumieren. Zu- die Fähigkeit, Heterogenes miteinander zu verbinden.
gleich spricht er die Urteilskraft als ein besonderes Ta- Insofern bezeichnet Kant den Witz auch als »Verähn-
lent an, das der Übung bedarf und sich dem Witz an- lichungsvermögen« (Kant 1977a, 538), das im Unter-
gleiche: »Daher ist diese auch das Spezifische des so schied zur Strenge der schematischen Urteilskraft, die
genannten Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule das Allgemeine auf das Besondere anwende, vom Be-
ersetzen kann« (Kant 1974, 185). Führt Kant den Be- sonderen zum Allgemeinen schreite. Jean Paul nimmt
griff der Urteilskraft mit dem des Mutterwitzes eng, so Kants Überlegungen auf, wenn er meint, der Witz sei
definiert er die Dummheit in einer Fußnote zugleich als »eigentlich anschaulicher Verstand oder sinnlicher
als den Mangel an Urteilskraft: »Der Mangel an Ur- Scharfsinn« (Jean Paul 1996, 122) zu bezeichnen, weil
teilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, er sich auf eine Form des Vergleichs beziehe: »daher
und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhel- kommt das Wort Witz, als die Kraft zu wissen, daher
fen« (ebd.). Kant definiert Dummheit durch den Hin- ›witzigen‹, daher bedeutete er sonst das ganze Genie;
weis auf einen Mangel, eben den Mangel an Urteils- daher kommen in mehren Sprachen dessen Ich-Mit-
kraft, der durch nichts auszugleichen sei. Auf der an- namen Geist, esprit, spirit, ingeniosus« (ebd., 171).
deren Seite führt er einen Gegensatz zwischen Dumm- Jean Paul führt den Witz auf die rhetorische Wurzel
heit und Witz ein, der das logisch wie ästhetisch des ingenium zurück, um zugleich das Genie an seine
gleichermaßen relevante Vermögen der Urteilskraft Stelle zu setzen (vgl. Schuller 1994, 13). Wie Kant, so
betrifft. Denn die Urteilskraft, deren Mangel die bezieht Jean Paul den Witz auf das metaphorische
Dummheit ausmacht, bildet zugleich die Grundlage Prinzip der Ähnlichkeit, um es im gleichen Zuge in ei-
des Witzes. Nicht die Klugheit verkörpert im 18. Jh. ne Beziehung zum Scharfsinn und zum Tiefsinn zu
das Gegenprinzip zur Dummheit, sondern der Witz, setzen: »Der Witz im engern Sinne findet mehr die
der als eine Naturgabe des Menschen verstanden wird, ähnlichen Verhältnisse inkommensurabler (unanmeß-
die keinen rhetorischen Regeln zugänglich ist: »Ge- barer) Größen, d. h. die Ähnlichkeiten zwischen Kör-
winnend und besonders nützlich sind aber oft Witz per- und Geisterwelt (z. B. Sonne und Wahrheit), mit
72 II Methodische Zugänge zum Komischen

andern Worten, die Gleichung zwischen sich und au- Vermittlung der Einfalt zugleich auf den Bereich der
ßen, mithin zwischen zwei Anschauungen« (Jean Paul praktischen Vernunft, so der des Witzes auf den ästhe-
1996, 172). In der Ähnlichkeit gründet die Nähe von tischen Gebrauch der Urteilskraft. »Verstand ist erha-
Witz und Metapher, die das poetische Genie auszeich- ben, Witz ist schön« (Kant 1977b, 829), schreibt Kant
net (vgl. Hecken 2005). Der Scharfsinn beruht nach schon in den Beobachtungen über das Gefühl des Schö-
Jean Paul dagegen auf der Trennung des Ähnlichen, nen und Erhabenen (1764). Der Witz gehe mit einer
Tiefsinn auf der Einheit dessen, was der Witz verbun- Freiheit einher, die sich allein in der Ästhetik finde:
den und der Scharfsinn getrennt hat. Das Verhältnis
von Witz und Scharfsinn fasst Jean Paul zusammen, »Witzig (im Reden oder Schreiben) zu sein, kann durch
wenn er »Witz den sinnlichen Scharfsinn [...] und den Mechanism der Schule und ihren Zwang nicht er-
folglich Scharfsinn den abstrakten Witz« (ebd., 175) lernt werden, sondern gehört, als ein besonderes Ta-
nennt. Mit der Unterscheidung von Witz und Scharf- lent, der Liberalität der Sinnesart in der wechselseiti-
sinn schließt Jean Paul an die Poetik der Aufklärung gen Gedankenmitteilung […]; einer schwer zu erklären-
an. Wie G. Gabriel hervorgehoben hat, verkörpert der den Eigenschaft des Verstandes überhaupt – gleich-
Scharfsinn in der Aufklärung ein logisches, der Witz sam seiner Gefälligkeit –, die mit der Strenge der
hingegen ein vorwiegend ästhetisches Vermögen: Urteilskraft (iudicium discretivum) in der Anwendung
des Allgemeinen auf das Besondere (der Gattungs-
»›Witz‹ (als Übersetzung von lat. ›ingenium‹, das auch begriffe auf die der Spezies) kontrastiert, als welche das
der Ursprung des deutschen Wortes ›Genie‹ ist) und Assimilationsvermögen sowohl, als auch den Hang da-
›Scharfsinn‹ (als Übersetzung von lat. ›acumen‹) be- zu, einschränkt.« (Kant 1977a, 538)
nannten in der Erkenntnistheorie der Aufklärung (von
Christian Wolff über Alexander Gottlieb Baumgarten Der Strenge der Urteilskraft, die der Fähigkeit, Ähn-
bis zu Immanuel Kant) zwei gegensinnige Erkenntnis- lichkeiten unter ungleichartigen Dingen aufzufinden,
vermögen, deren Unterschied so bestimmt wurde, daß Grenzen setzt, steht mit dem Witz ein liberales Ver-
der Witz Ähnlichkeiten im Verschiedenen, der Scharf- mögen entgegen, das sich durch eine für Kant offen-
sinn dagegen Verschiedenheiten im Ähnlichen ent- bar ebenso schwer erklärbare wie anziehende Form
deckt.« (Gabriel 1996, 1) der Gefälligkeit auszeichnet, die in der Dichtkunst ih-
ren eigenen Ort findet.
Als logisches Vermögen ermögliche der Scharfsinn ei-
nen Reichtum an Unterscheidungen zwischen ähn-
14.2.3 Ästhetik des Komischen: F. Schlegel –
lichen Größen, während der Witz das Unterschiedene
Schopenhauer – Nietzsche
miteinander verbinde. Der Scharfsinn bleibt demnach
der Philosophie vorbehalten, der Witz findet seinen Kant hatte das Thema des Witzes v. a. auf erkenntnis-
eigentlichen Ort in der Poesie. Die Neuentdeckung theoretische Fragen bezogen. Das ästhetische Phäno-
des Genies in der Poetik des 18. Jh.s geht zu wesentli- men des Komischen hat ihn dagegen kaum interes-
chen Teilen auf den Begriff des Witzes zurück, den siert. Hegel, der sich in seiner Ästhetik abschließend
Kant und Jean Paul als ein ästhetisches Vermögen fas- auch mit dem Komischen auseinandersetzt, orien-
sen, das als Verähnlichungsvermögen dazu prädesti- tiert sich weitgehend an der aristotelischen Poetik (ca.
niert ist, Metaphern zu bilden. Schon Aristoteles hatte 335 v. Chr.), übernimmt damit aber zugleich deren
ja auf den inneren Zusammenhang von Ähnlichkeit Marginalisierung der Komödie im Vergleich zur Tra-
und Metapher hingewiesen: »Denn gute Metaphern gödie. Die Komödie gilt ihm als »Welt, in welcher sich
zu bilden bedeutet, daß man Ähnlichkeiten zu erken- der Mensch als Subjekt zum vollständigen Meister«
nen vermag« (Aristoteles 1982, 7 f.). Was das Verähne- (Hegel 1986b, 527) gemacht hat. Hegels nur beiläufige
lungsvermögen des Witzes leiste, sei, so Kant, die Er- Diskussion des Komischen als Herrschaft des Sub-
zeugung von Lust durch eine frei gesetzte Urteilskraft: jekts trifft sich mit seiner Kritik der Frühromantik,
»Es ist angenehm, beliebt und aufmunternd, Ähnlich- der er vorwirft, als »Konzentration des Ich in sich«
keiten unter ungleichartigen Dingen aufzufinden und (Hegel 1986a, 95) einer eitlen Form der Selbstbildung
so, was der Witz tut, für den Verstand Stoff zu geben, vorzustehen. Die Kritik richtet sich insbesondere auf
um seine Begriffe allgemein zu machen« (Kant 1977a, Friedrich Schlegel. Nietzsche, der Ironie zum Grund-
539). Verweist Kants zunächst v. a. erkenntnistheo- prinzip der modernen Subjektivität zu erheben
retisch bestimmter Begriff der Dummheit durch die scheint. Hegel verkennt in seiner Kritik zugleich, dass
14 Philosophie 73

Schlegel durchaus in aufklärerischer Absicht in den benen und dem Komischen nimmt Nietzsche die aris-
Athenäums-Fragmenten Kants Begriff des Witzes totelische Unterscheidung zwischen der Tragödie und
weiterführt, diesen zwar von der Leitung des Verstan- der Komödie auf, ohne allerdings der Bedeutung des
des zu lösen versucht, in der Freisetzung der Einbil- Komischen gerade in der Moderne weiter nachzuge-
dungskraft aber genau den Zusammenhang von hen. Vielmehr orientiert er sich wie die Tradition vor
Kunst und Witz zu etablieren sucht, der schon bei ihm weiterhin am Zusammenhang zwischen dem
Kant aufgeschienen war. Wenn die Frühromantik als Tragischen und dem Erhabenen. Die Begriffe des
eine Poetik des Witzes auftreten kann, dann tut sie Ekels und des Absurden dienen ihm eher einer meta-
dies in der Befreiung der ästhetischen Funktion ge- physischen Rechtfertigung der Kunst als Form der Le-
genüber dem logischen Erkenntnisanspruch, den bensbewältigung denn als Bestimmungsmerkmale ei-
Kant formuliert hatte: »eine Definition, die nicht wit- ner Theorie des Komischen, die sich auch auf das mo-
zig ist, taugt nichts« (Schlegel 1967, 177) meint Schle- derne Theater erweitern ließe. Die Möglichkeiten ei-
gel im Blick auf die vermittelnde Rolle der Einbil- ner modernen Bestimmung der Komik bleiben so
dungskraft bei aller Erkenntnis. Schlegels Poetik ver- auch in Nietzsches Ästhetik zunächst weitgehend un-
pflichtet sich so selbst dem Witz, den sie propagiert: genutzt. Erst in seinen späten Schriften, etwa im satyr-
»Die romantische Poesie ist unter den Künsten was haften Finale des Zarathustra (1883–1885), gewinnt
der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Um- das Komische ein Eigengewicht, das im 20. Jh. immer
gang, Freundschaft und Liebe im Leben ist« (ebd., deutlicher zum Tragen kommt.
183), heißt es im berühmten 116. Athenäums-Frag-
ment über die romantische Poesie als progressive
14.2.4 Witz bei Bergson und Freud
Universalpoesie. Für Schlegel ist »Witz Prinzip und
Organ der Universalphilosophie« (ebd., 200) und da- Die Moderne entdeckt die Komik als ein eigenstän-
mit eine »logische Chemie« (ebd.), die alle Wissen- diges Phänomen, das von seinem historischen Sei-
schaften durchdringt. Schlegels Poetik ist so zugleich tenstück der Tragik zu trennen ist. In der Lebensphi-
eine Philosophie des Witzes. losophie Bergsons wie der Psychoanalyse Freuds ist
Dass die ästhetische und die logische Funktion des die Komik nicht allein Bestandteil einer übergreifen-
Witzes nach Kant auseinandertreten, wie es bei Schle- den Ästhetik, sondern Ausgangspunkt einer neuen
gel der Fall ist, lässt sich auch bei Schopenhauer be- Bestimmung des Menschen. Das Komische rückt so
obachten. Schopenhauer orientiert sich zunächst we- allmählich in eine allgemeine Anthropologie ein.
der an dem Begriff des Komischen noch dem des Wit- Schon Bergson hält in seiner Untersuchung Das La-
zes, sondern dem Phänomen des Lachens, das er als chen (1900) fest: »Il n’y a pas de comique en dehors
»Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen de ce qui est proprement humain« (»Es gibt keine
Objekten, die durch ihn in irgendeiner Beziehung ge- Komik außerhalb dessen, was wahrhaft menschlich
dacht worden waren« (Schopenhauer 1986, 105) ver- ist«) (Bergson 1940/2011, 2/14). Der weite Bereich
steht. Witz begreift er in diesem Zusammenhang als des Menschlichen scheint die eigentliche Domäne
Einheit verschiedener realer Objekte oder anschauli- des Komischen zu sein. Frei von der christlichen Tra-
cher Vorstellungen in der begrifflichen Erkenntnis. Er dition der Verurteilung des Lachens als Tribut an
nimmt damit die erkenntnistheoretischen Prämissen den Teufel gerinnt das Komische zu einer spezifisch
Kants auf, ohne sich ausdrücklich auf die Kunst zu be- menschlichen Qualität.
ziehen. Bergson hebt in seiner Untersuchung über das La-
Das unterscheidet Schopenhauer von Nietzsche. chen die intellektuelle Qualität des Witzes hervor, der
Zwar übernimmt Nietzsche in seiner Erstlingsschrift das Herz betäubt und sich an den reinen Verstand
Die Geburt der Tragödie (1872) die Schopenhauer ent- richte. In ähnlicher Weise wie vor ihm Hobbes und
lehnten Begriffe des Willens und der Vorstellung. Er nach ihm Freud betrachtet Bergson das Lachen zu-
wendet sie im Rahmen ihrer Erweiterung zu den äs- gleich als ein soziales Moment, das ein Einverständnis
thetischen Grundbegriffen des Dionysischen und des zwischen den Menschen verrät und sich so als soziale
Apollinischen aber zugleich zu einer Apotheose der Funktion zu erkennen gibt. Bergson begreift das La-
Kunst, der zufolge »das Erhabene als die künstlerische chen dabei im Wesentlichen als einen Automatismus,
Bändigung des Entsetzlichen und das Komische als der auf dem Gegensatz des Mechanischen und des Le-
die künstlerische Entladung vom Ekel des Absurden« bendigen beruht, dem er auch in anderen Schriften
(Nietzsche 1980, 57) zu verstehen sei. Mit dem Erha- nachgegangen ist.
74 II Methodische Zugänge zum Komischen

»Les attitudes, gestes et mouvements du corps hu- unabhängig von den psychoanalytischen Grundlagen
main sont risibles dans l’exacte mesure où ce corps seiner Theorie an den Bereich des Komischen und da-
nous fait penser à une simple mécanique.« (Komisch mit an einen bestimmten Teil der Ästhetik verweist.
sind die Haltungen, Gebärden und Bewegungen des Aber auch im Falle des Witzbuches macht sich eine
menschlichen Körpers genau in dem Maß, wie uns die- Ambivalenz bemerkbar, die den grundlegenden Sta-
ser Körper an einen gewöhnlichen Mechanismus er- tus der Ästhetik in Freuds Werk betrifft. Eine erste
innert.) (ebd., 22 f./29 f.) Schwierigkeit seiner Untersuchung besteht für Freud
darin, den Witz vom Komischen zu unterscheiden.
Wie nach ihm H. Plessner, so bezieht Bergson das La- Schon zu Beginn seiner Abhandlung beruft er sich auf
chen auf den menschlichen Körper. Gegenstand des Jean Paul, F. Th. Vischer, K. Fischer und Th. Lipps, um
Lachens werde dieser, da er seiner natürlichen Bewe- die eigenen Arbeiten von den philosophischen Bemü-
gung beraubt werde und so als bloßer Mechanismus hungen seiner Vorgänger um eine Ästhetik des Ko-
erscheine. Bergson stellt das Lachen damit wie Nietz- mischen abzugrenzen. Was ihn interessiert, ist keine
sche auf die Seite des Lebens, legt aber zugleich den allgemeine Theorie des Komischen, sondern, in ähn-
Grund für eine Theorie des Lachens als soziales wie licher Weise wie bei Bergson, das Lachen, eine par-
ästhetisches Phänomen, die ihn mit Freud verbindet. tikulare Bestimmung des Witzes als ästhetisches und
Bergson knüpft das Lachen an ein Element der soziales Phänomen. Die Beispiele, auf die Freud re-
Entspannung, das er zugleich mit einem Moment der kurriert, stammen daher auch nicht aus der philoso-
Ignoranz verbindet: »un personnage comique est gé- phischen Tradition, sondern aus der jüdischen Witz-
néralement comique dans l’exacte mesure où il s’igno- kultur und, eng damit verbunden, aus der Literatur,
re lui-même. Le comique est inconscient« (»Meist v. a. von Heine und Lichtenberg. Freuds Witzbuch lie-
wirkt ja eine komische Gestalt genau so lange ko- fert keine Ästhetik im strengen Sinne des Wortes, weil
misch, wie sie sich selbst vergißt. Das Komische ist sich der Witz dem abstrakten Bereich der philosophi-
unbewußt«) (ebd., 13/22). Zwar hat Bergson, der auch schen Reflexion zu sperren scheint. Der Grund dafür
auf die Nähe von Traum und Witz hinweist, einen liegt offenbar in der singulären Natur des Witzes. Das
ganz anderen Begriff des Unbewussten als Freud. Bei- hat J. Lacan im Rahmen seines Seminars über die For-
de stimmen aber darin überein, dass der Witz auf eine mationen des Unbewussten hervorgehoben: »il n’y a
besondere Art und Weise auf eine Form des Nichtwis- de trait d’esprit que particulier – il n’y a pas de trait
sens bezogen sei. Entscheidend ist für Freud wie für d’esprit dans l’espace abstrait« (»weil es Witz nur als
Bergson, »daß wir beim Witz fast niemals wissen, wo- besonderen gibt – es gibt keinen Witz im abstrakten
rüber wir lachen« (Freud 1999, 172). Obwohl der Raum«) (Lacan 1998/2006, 10/10). Der Witz hat sei-
Witz doch mit besonderen intellektuellen Fähigkei- nen Ort im Besonderen. Die Aufhebung des Witzes in
ten einhergeht, bleibt dem Witzerzähler das Wissen einer allgemeinen Theorie des Komischen, um die
über seine eigenen Intentionen verborgen. Wie S. We- sich die philosophische Ästhetik bemüht, erscheint
ber betont hat, ist der Witz für Freud »eine Form des daher von vorneherein verfehlt. Als partikulares Phä-
Nichtwissens« (Weber 2002, 130). Die Überraschung, nomen entzieht sich der Witz der Theoriebildung, die
die den Witz kennzeichnet und sich in der Explosion er zugleich herausfordert (vgl. Heinrich 1986).
des Lachens offenbart, geht auf ein Moment des Die Schwierigkeit der Aufhebung des Witzes in ei-
Nichtwissens zurück, das sich erst nachträglich auf- ner Ästhetik des Komischen thematisiert Freud ein-
lösen lasse. »Im Witz geht etwas vor, wovon wir nichts leitend in seiner Auseinandersetzung mit der philoso-
wissen dürfen. Dieses Nichtwissen verlangt nicht, daß phischen Tradition. Deren Thesen gelten ihm als »dis-
man überhaupt nichts weiß, sondern, daß man etwas iecta membra, die wir zu einem organisch Ganzen zu-
anderes weiß, daß man an einen anderen Ort versetzt sammengefügt sehen möchten« (Freud 1999a, 11).
wird« (ebd., 85). Angesichts der partikularen Natur des Witzes muss
Obwohl sich Bemerkungen über Kunst und Litera- Freuds Rede von einem organischen Ganzen zunächst
tur überall in seinem Werk verstreut finden, hat Freud verwundern. Sie verrät, dass sich in seiner Arbeit am
keine Ästhetik im eigentlichen Sinne des Wortes vor- Witz zwei unterschiedliche Tendenzen überlagern.
gelegt. Zumindest auf den ersten Blick bildet die Un- Auf der einen Seite hält Freud an den Totalitäts-
tersuchung über den Witz aus dem Jahre 1905 jedoch ansprüchen fest, die mit der Ausbildung einer phi-
eine Ausnahme (vgl. Kofman 1986, 13). Philosophisch losophischen Ästhetik einhergehen. Auf der anderen
ist das Witzbuch, da das Thema des Witzes Freud ganz Seite erkennt er die Zertrümmerung des Ganzen in
14 Philosophie 75

verstreute Bestandteile im Rahmen einer Poetik an, tioniert der Witz in ähnlicher Weise wie der Traum,
die den Forderungen ästhetischer Ganzheit zuwider- der Traum wird von Freud geradezu als eine Form des
läuft. Mit der Rede von den ›disiecta membra‹ konter- Witzes gekennzeichnet. Die psychoanalytische Arbeit
kariert Freud den Totalitätsanspruch einer Theorie verbindet den Witz des Träumenden mit dem seines
des Witzes, die er auf der anderen Seite selbst in seiner Auslegers. Der Witz der Psychoanalyse besteht darin,
Untersuchung vorlegen möchte. Freuds Überlegun- witzig auf den Witz ihrer Patienten zu reagieren. Als
gen zum Witz stehen daher nicht allein im Zusam- partikulares Phänomen, als das er sich der Analyse öff-
menhang der ästhetischen Tradition, die er ausführ- net, betrifft der Witz die Psychoanalyse unter der von
lich zitiert. Sie gehen auf eine Poetik zurück, die an S. Weber angeführten Fragestellung »Witztheorie oder
dem Gegenstand, über den sie spricht, selbst schrei- Theoriewitz?« (Weber 2002, 112) im Ganzen – unter
bend partizipiert. Das verbindende Moment zwischen der Voraussetzung allerdings, dass er dieses Ganze zu-
der Poetik des Witzes und dem Witz der Freudschen gleich zersprengt. Der Witz ist nicht nur ein Gegen-
Poetik ist die Sprache. Das sprechende Bild der ›dis- stand der psychoanalytischen Methode u. a., sondern
iecta membra‹ verweist in diesem Zusammenhang auf zugleich eine ihrer Darstellungsformen, Anstoß eines
die dionysische Zerstreuung philosophischer Ganz- Theoriebildungsprozesses, der Traum, Witz und das
heitsansprüche ebenso wie auf die Körperlichkeit, die Unbewusste miteinander verbindet.
dem Witz zukommt. Ganz im Gegensatz zu der Tradi- In ähnlicher Weise wie in der Traumdeutung be-
tion, die im Witz als wit oder esprit allein ein intellek- steht das Neue an Freuds Analyse des Witzes im Auf-
tuelles Phänomen erblickt, das dem Geist entspringt, weis von dessen Bezug zum Unbewussten. Vor dem
bezieht Freud den Witz auf eine körperliche Dimensi- Hintergrund des einleitenden Vergleichs zwischen
on, die sich in der Zertrümmerung des Ganzen in sei- Traum und Unbewusstem kommt Freud zu dem
ne Teile offenbare und sich insbesondere in den bei- Schluss, »daß die Beziehung zum Unbewußten das
den Formen des feindseligen und obszönen Witzes dem Witz Besondere ist, das ihn vielleicht auch von
zeige (vgl. ebd., 105). Als partikulares Phänomen ist der Komik scheidet« (Freud 1999a, 199). Freud wei-
der Witz zugleich Ausdruck des Widerstandes gegen gert sich, den Witz auf das Komische zurückzuführen,
die Auflösung von Körperlichkeit in Geistigkeit, be- da ihm der eine als Ausdruck des Unbewussten, das
redtes Zeichen eines Einspruches gegen die Ansprü- anderen als Zeichen des Bewussten gilt. Die Prinzi-
che der Vernunft, die seine subversive Natur zu zügeln pien der Traumarbeit teilt der Witz mit dem Traum,
versuchen. weil er in der gleichen Weise wie dieser auf die Instanz
Freuds Interesse am Witz ist daher nicht allein theo- des Unbewussten zurückgehe. Das Nichtwissen, das
retischer Natur, sondern zugleich Bestandteil einer Freud dem Witzerzähler zuspricht, entspringt analog
Praxis des Witzes, die der psychoanalytische Text zum Traum dem Unbewussten als jener Instanz, die
ebenso vollzieht wie seine wichtigsten Referenten, die sich dem positiv ausweisbaren Wissen kategorisch
Literatur und die jüdische Kultur. Die Psychoanalyse verweigert. Die Differenz zwischen Witz und Komik
ist in diesem Sinne genuin witzig. Das zeigen u. a. die ergibt sich aus der Beziehung des Witzes zum Unbe-
engen Beziehungen, die das Witzbuch mit der Traum- wussten: »Witz und Komik unterscheiden sich vor al-
deutung unterhält. Rückblickend hebt Freud 1925 in lem in der psychischen Lokalisation; der Witz ist so-
der Selbstdarstellung hervor: »Mein Buch über den zusagen der Beitrag zur Komik aus dem Bereich des
Witz und seine Beziehung zum Unbewußten ist direkt Unbewußten« (ebd., 237). Was Freud zu Anfang noch
ein Seitensprung von der ›Traumdeutung‹ her. Der als eine bloße Hypothese dargestellt hatte, erscheint
einzige Freund, der damals an meinen Arbeiten Anteil zum Schluss des Kapitels als eine unumstößliche Ge-
nahm, hatte mir bemerkt, daß meine Traumdeutungen wissheit, die zugleich den spezifisch psychoanalyti-
häufig einen ›witzigen‹ Eindruck machten« (Freud schen Beitrag zur Theorie des Witzes legitimiert.
1999b, 91 f.). Die freundschaftliche Bemerkung über
den Witz seiner Traumdeutungen hat Freud in die
14.2.5 Anthropologie des Witzes: Plessner, Ritter
Traumdeutung aufgenommen und auf die Träumen-
und Marquard
den erweitert. Die Traumdeutung (1899) stellt den
Träumenden zugleich als einen Witzling dar: »Alle Im Anschluss an die Lebensphilosophie hat das The-
Träumer sind ebenso unausstehlich witzig und sie sind ma der Komik im 20. Jh. in der Anthropologie eine
es aus Not, weil sie im Gedränge sind, ihnen der gerade neue Heimat gefunden. So hat H. Plessner mit der Ar-
Weg versperrt ist« (Freud 1962, 255). Nicht nur funk- beit Lachen und Weinen (1941) den Grundstein für ei-
76 II Methodische Zugänge zum Komischen

ne anthropologische Bestimmung des Komischen ge- der philosophischen Ästhetik als »Wissenschaft vom
legt, die das Augenmerk auf dessen Bedeutung für die Komischen, hilfsweise zur komischen Wissenschaft,
menschliche Natur legt. »Grundlegend ist jene Gegen- gegebenenfalls zur komischen Wissenschaft vom Ko-
sinnigkeit nämlich anthropologisch gedeutet: als Aus- mischen« (Marquard 1976, 134) genommen. In Mar-
druck der conditio humana in der Kultur, wobei Pless- quards Augen ist allein das Komische dazu in der La-
ner die Bedingungen der Natur des Menschen aus sei- ge, den traurigen Ernst der Wirklichkeit adäquat als
ner Fähigkeit zum Lachen (und Weinen) zu erklären dessen Negation zu kompensieren. Marquards dia-
sucht« (Schwind 2001, 382). lektische Bestimmung des Komischen als das, was
Plessner versteht Lachen und Weinen in diesem »im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell
Rahmen als Grund einer »Theorie des menschlichen Nichtigen das Geltende sichtbar werden läßt« (ebd.,
Ausdrucks« (Plessner 1961, 17), die an die antike Ge- 142), mündet allerdings in eine Ambivalenz, die seine
genüberstellung von Komik und Tragik anknüpft, Neubestimmung der philosophischen Ästhetik als
dem Lachen dabei aber mehr Platz als dem Weinen Wissenschaft vom Komischen im Zeichen der Kom-
einräumt. Das Ziel der Studie, die unter dem Einfluss pensation insgesamt bestimmt: Das Lachen wird zur
von Lebensphilosophie, Nietzsche, Bergson und Rettung der philosophischen Theorie, im gleichen
Freud steht, beruht in der Erkenntnis des mensch- Zuge aber zum Eingeständnis der realen Ohnmacht,
lichen Wesens überhaupt. Die Anthropologie über- die dem Komischen eingeschrieben bleibt (vgl. ebd.,
nimmt damit die Rolle der Metaphysik. Plessner be- 150). Bei Ritter und Marquard gewinnt das Komische
zieht sich einleitend auf den eruptiven Charakter des als Grenzbestimmung des Menschen und seiner Ver-
Lachens, um die Ausdrucksformen auf das Verhältnis nunftfähigkeit eine Bedeutung, die seine frühere Kri-
des Menschen zu seinem Körper zu beziehen. Plessner tik überschreitet. Wie schon Kierkegaard wusste, ist
will Lachen und Weinen v. a. als körperliche Reaktio- das Absolute nach Hegel nicht anders denn als Ko-
nen verstanden haben, die so wie schon bei Bergson in misches zu haben. Als der Erzähler in Kierkegaards
die Nähe zur Gebärde rücken. Plessner gibt damit in Entweder/Oder (1843) sich den Göttern gegenüber-
ähnlicher Weise wie Freud, aber auf anderer theoreti- sieht, denen gegenüber er einen Wunsch äußern darf,
scher Grundlage, einen Ansatz, der aus der Ästhetik kommt ihm nur eines in den Sinn:
im engeren Sinne hinausführt. Lachen und Weinen
gelten ihm als »Desorganisation des Verhältnisses »Hochverehrte Zeitgenossen, ich wähle ein Ding, daß
zwischen dem Menschen und seiner physischen Exis- ich alle Zeit das Lachen auf meiner Seite haben möge.
tenz« (ebd., 87) und so als Ausdruck der Grenzlage, in Da war auch nicht ein Gott, der ein Wort erwiderte,
der sich der Mensch ganz allgemein befindet. War das hingegen gaben sie sich alle dem Lachen hin. Darauf
Komische ursprünglich nur ein marginales Phäno- schloß ich, daß meine Bitte erfüllt sei, und fand, die
men, das sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen Götter verstünden es, sich mit Geschmack auszudrü-
musste, im moralischen Sinne schlecht zu sein, so ge- cken; denn es wäre doch wohl unpassend gewesen,
rinnt es bei Plessner zum tragenden Grund einer ernsthaft zu erwidern: es sei dir gewährt.« (Kierke-
Grenzbestimmung des Menschen als Wesen auf der gaard 2004b, 46)
Schwelle von Natur und Kultur.
Vor diesem Hintergrund konnte das Lachen nicht Dem bleibt wohl nichts hinzuzufügen.
länger als Zeichen der Gefallenheit des Menschen,
sondern, wie bei J. Ritter, als »die Versöhnung des Literatur
Niedrigen mit dem Hohen« (Ritter 1974, 72) fungie- Addison, Joseph/Steele, Richard: The Spectator. In Four Volu-
ren. In seiner Untersuchung Über das Lachen (1940) mes. Volume One. Hg. von Gregory Smith, London/New
York 1964. (Addison, Joseph/Steele, Richard: Der Zu-
stellt er fest, »daß in unserer Welt philosophisch in schauer. Aus dem Engländischen übersetzt. Erster Theil.
der Erscheinung des Humors, dem Lachen eine Be- Zweyte verbesserte Auflage, Leipzig 1750).
deutung zugefallen ist, durch die es gleichsam in den Aristoteles: Poetik. Übers. und hg. von Manfred Fuhrmann.
philosophischen Mittelpunkt der Welt selbst gerückt Stuttgart 1982.
und zugleich über den ausgrenzenden Ernst erhoben Bergson, Henri: Le rire. Essai sur la signification du comique.
Paris 1940. (Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über
worden ist« (ebd., 84). Denn durch das Lachen wird
die Bedeutung des Komischen. Übers. von Roswitha Plan-
die Grenze der Vernunft bewusst, der Ritters Auf- cherel-Walter. Hamburg 2011).
merksamkeit gilt. Seine Bemerkungen zum Lachen Best, Otto F.: Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip.
hat O. Marquard zum Anlass einer Neubestimmung Darmstadt 1989.
14 Philosophie 77

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78 II Methodische Zugänge zum Komischen

15 Anthropologie man das Lachen aus physiologischer Perspektive be-


trachtet, dann erscheint es nicht abwegig, in ihm sogar
Das Lachen – v. a. das über das Komische – beschäftigt einen Selektionsnachteil zu vermuten – denn es hat
das Nachdenken des Menschen über sich selbst und epileptoide Züge und schränkt mithin die sensori-
seine Stellung unter den Lebewesen schon seit der schen und motorischen Fähigkeiten von Individuen
Antike. Erst seit dem ausgehenden 18. Jh. allerdings ist zumindest temporär stark ein (vgl. etwa Grumet 1989;
die bereits bei Aristoteles formulierte These, dass der Vaid 1999). »We are hindered from physically respon-
Mensch das einzige lachende Lebewesen sei (Aristote- ding to [...] experiences by spasmodic expulsions from
les, 3: 673a), Anlass, Gegenstand und Herausforde- our lungs that interfere with breathing«, so umschreibt
rung für anspruchsvollere anthropologische Theorien etwa W. Chafe den Zustand lachender Menschen: »At
geworden. the same time, we are psychologically distracted from
Im Folgenden sollen vier maßgebliche neuere Tra- giving them serious thought by an accompanying eu-
ditionslinien dieser Theoriebildung vorgestellt wer- phoria« (Chafe 2007, 11).
den: Der erste Teil des Artikels fasst zentrale Ansätze Auf die Frage nach der phylogenetischen Entwick-
zur bioanthropologischen Erklärung von Lachen lung des Lachens sind in der evolutionstheoretischen
und Komik zusammen; im zweiten Abschnitt wird Auseinandersetzung unterschiedliche Antworten ge-
ein Überblick über die Zugänge der philosophischen geben worden; in den letzten Jahrzehnten ist in den
Anthropologie zu den betreffenden Phänomenen ge- Debatten allerdings eine deutliche Konvergenz der
geben; das dritte Kapitel führt in Überlegungen aus Auffassungen zu beobachten: Gegen Positionen wie
dem Kontext der anthropologischen Psychologie ein; die im Anschluss an K. Lorenz und in besonderer Zu-
und der vierte und letzte Teil dient schließlich einer spitzung von A. Rapp vertretene These, das Lachen
sehr knappen Darstellung bestimmender Fragen und habe sich aus dem »roar of triumph in an ancient
Sichtweisen, die im Zusammenhang der Kultur- jungle duel« (Rapp 1951, 21) entwickelt, hat sich seit
anthropologie zum Lachen und zur Komik ent- den 1980er Jahren die Auffassung durchgesetzt, dass
wickelt worden sind. Lachen gattungsgeschichtlich nur unter Bezugnahme
auf die bestimmende evolutionäre Theorie des Spie-
lens von Tieren und Menschen zu erklären sei (vgl.
15.1 Bioanthropologie etwa Gruner 1997; Provine 2000, 2004, 2012; Boyd
2004; Gervais/Wilson 2005). Der dominierenden
Die bioanthropologische Betrachtung des Lachens, Theorie zufolge hat spielerisches Verhalten v. a. zwei
seiner Ausprägungen und Anlässe ist annähernd so alt adaptive Funktionen: Es ist einerseits »als Training
wie die evolutionstheoretische Beschäftigung mit der und Exploration für Ernstfälle im Erwachsenenalter«
Natur und dem Menschen. Schon in seiner Unter- und andererseits »als Mittel der Bindung der Indivi-
suchung The Expressions of the Emotions in Man and duen aneinander« (Eibl 1995, 18) zu verstehen. Beim
Animals (1872) nimmt Ch. Darwin das Phänomen des Spielen werden, anders gesagt, ohne konkreten Hand-
Lachens als evolutionär erworbene Ausdrucksform in lungsdruck und zumeist im sozialen Zusammenhang
den Blick und grenzt sich grundsätzlich von der aris- motorische und kognitive Fertigkeiten entwickelt
totelischen Annahme ab, dass unter den Lebewesen und erprobt. Die ›Übungseinheiten‹ des Spielens bie-
allein der Mensch lache (vgl. Darwin 1872, 12). Auch ten ein »training for the expected«; sie stellen zugleich
wenn er selbst noch keine ausgearbeitete gattungs- aber oft auch ein »training for the unexpected« (Boyd
geschichtliche Erklärung des Phänomens entwickelt, 2004, 7) dar – denn sie legen es typischerweise gerade
so nimmt Darwin mit der Deutung des Lachens als darauf an, Fähigkeiten in Grenzbereichen und so die
»expression of pure joy« (ebd., 255) doch bereits eine Bewältigung ungewohnter Situationen auszutesten
grundsätzliche Einordnung vor, bei der viele evolutio- (vgl. Špinka/Newberry/Bekoff 2001).
näre Rekonstruktionen bis heute ansetzen. Im Zusammenhang einer entsprechenden evolu-
Das Phänomen des Lachens hat die evolutionstheo- tionären Theorie des Spielens lässt sich die phylogene-
retische Reflexion seit ihren Anfängen herausgefor- tische Rolle des Lachens wie folgt rekonstruieren: La-
dert, weil es in Kultur und Natur einige Bedeutungen chen ist zum einen als Artikulation der lustvollen
zu besitzen scheint, zugleich aber nicht leicht zu sehen Emotionen zu deuten, die mit dem Spielen verbunden
ist, inwiefern es Einfluss auf die Überlebenstüchtigkeit sind, und es verweist insofern auf die adaptive Rele-
von Gattungen zu haben vermag. Mehr noch: Wenn vanz, die dem handlungsentlasteten Training von Fer-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_15,


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15 Anthropologie 79

tigkeiten zukommt (vgl. Eibl 2007). »Pleasure is natu- zum Anlass für die Konzeption anspruchsvollerer
re’s way of ensuring«, so fasst B. Boyd in einer scherz- Modelle geworden, die davon ausgehen, dass sich das
haft teleologischen Formulierung zusammen, »that stoßweise ausatmenden ›Haha‹ der Menschen aus
creatures perform an activity« (Boyd 2004, 7). Lachen dem abwechselnd ein- und ausatmenden und also he-
stellt zum anderen eine ritualisierte Verhaltensform chelnden ›Pantpant‹ von Affen in Verbindung mit der
dar, die dazu dient, Spielsituationen als solche zu mar- Entwicklung der Bipedie und der durch sie ermög-
kieren; es zeigt an, dass Aktionen im ›Als ob‹-Modus lichten Atemkontrolle entwickelt hat (vgl. insbes. Pro-
erfolgen. Im Sinne einer solchen evolutionären Funk- vine 2000; 2004; 2012).
tionsanalyse wird das lachende Gesicht auch als ›Spiel- Mit der skizzierten evolutionären Erklärung des
gesicht‹ oder ›relaxed open-mouth display‹ bezeichnet Lachens ist freilich noch kein bioanthropologisches
und etwa vom lächelnden Gesicht als dem ›Zahnent- Verständnis des Komischen gewonnen – denn der Zu-
blößungsgesicht‹ oder ›bared teeth display‹ abge- sammenhang zwischen Lachen und Komik ist weni-
grenzt (vgl. dazu Van Hoof 1972; Gervais/Wilson ger eng, als vielfach angenommen wird: Wenn Men-
2005; Fischer 2007; Mellmann 2009). (Auf das Lä- schen lachen, gründet dies zumeist nicht in der Freu-
cheln im Unterschied zum Lachen kann hier nicht nä- de am Komischen, und wenn sie Freude am Ko-
her eingegangen werden; es war gattungsgeschichtlich mischen empfinden, führt dies nicht immer zum
zunächst offenbar sowohl Drohgebärde als auch Un- Lachen (vgl. Kindt 2011, 38 f.). Zudem ist zu beobach-
terwerfungsgeste, um sich nach und nach zu einem ten, dass die Verhaltensweisen von Tieren, die sich ge-
Signal der Ungefährlichkeit oder sogar Zeichen sozia- rechtfertigt als Formen des Lachens oder aber als Ver-
len Kooperationsinteresses zu entwickeln, vgl. dazu suche einstufen lassen, Komik zu erzeugen (vgl. etwa
die im Einzelnen divergierenden Positionen bei Van Gamble 2001), nicht im Zusammenhang miteinander
Hoof 1972; Frank/Ekman 1993; Storey 2001; Caron auftreten (vgl. Provine 2012, 54 f.). Die derzeit bestim-
2002; Fischer 2007.) menden Modelle der Evolution des Komischen knüp-
Eine Art Kurzgeschichte der umrissenen evolutio- fen gleichwohl mehr oder weniger eng an die vor-
nären Entwicklung des menschlichen Lachens prä- gestellten Überlegungen zur Genese des mensch-
sentiert R. Provine in seinem Buch Curious Behaviour lichen Lachens an; vier der betreffenden Erklärungs-
(2012): ansätze seien etwas näher in den Blick genommen: (1)
die ›Spieltheorie‹, (2) die ›Social bonding-Theorie‹, (3)
»The first step in human laughter evolution is the pant- die ›Debugging-Theorie‹ und (4) die ›Sexual selecti-
pant of heavy breathing of physical play, followed by on-Theorie‹ der Komikentstehung.
the ritualization of this sound in which pant-pant (1) Die vorherrschende Sichtweise beruht auf der
emerged as the vocal symbol for the act that produced Annahme, dass der gattungsgeschichtliche Ursprung
it, followed by ha-ha, which is a human abstraction of nicht allein des Lachens, sondern auch der Komik im
the original pant-pant. The ritualized play vocalization Spielen zu sehen ist. Das Komische ist nach dieser Po-
is a signal that ›I’m playing and not assaulting you‹. sition auf eine spezifische Form des Spielens zurück-
This signal is handy for us frisky, social primates.« (Pro- zuführen, auf die spielerische und darum als lustvoll
vine 2012, 53) erfahrene Einübung in den kognitiven Umgang mit
dem Überraschenden, dem Unerwarteten und dem
Eine entsprechende Theorie hat freilich im Blick zu Unstimmigen (vgl. Morreall 2009). Ursprung der Ko-
behalten, dass sich das Lachen von Menschen in sei- mik ist mit B. Boyd entsprechend das »play with ex-
ner Hervorbringung und folglich auch in seinem pectations« (Boyd 2004, 10). Eine differenzierte Aus-
Klangbild von den Lauten unterscheidet, die bei ande- arbeitung dieses Ansatzes haben M. Gervais und D. S.
ren Säugetieren wie etwa Schimpansen oder Ratten als Wilson 2005 in einem integrativen Forschungsbericht
Lachen eingestuft werden (vgl. Provine 2000; Pank- vorgelegt. Ihnen zufolge geht Komik in der Entwick-
sepp/Burgdorf 2003; Vettin/Todt 2005; Panksepp lung ebenso des einzelnen Menschen wie der Gattung
2007; Davila-Ross/Owren/Zimmermann 2009). Die- aus einer als ›Protokomik‹ bezeichneten Struktur her-
se Einsicht wird aus phänomenologischer Perspektive vor, die sich musterhaft in Situationen des Spielens er-
bisweilen als Beleg für die Angemessenheit der aristo- gibt und mit dem unwillkürlichen Lachen verbunden
telischen These gewertet, dass der Mensch das einzige ist, das im Anschluss an G. B. Duchenne als ›Duchen-
lachende Lebewesen sei (vgl. etwa Prütting 2013, ne‹-Lachen vom willentlichen ›Non-Duchenne‹-La-
1383 f.); aus evolutionstheoretischer Perspektive ist sie chen abgegrenzt wird: Protokomik habe im Einzelnen
80 II Methodische Zugänge zum Komischen

eine unterschiedliche Gestalt; sie basiere aber stets auf innerhalb der menschlichen Weltmodelle verbunden
harmlosen erwartungswidrigen Ereignissen, die im ist, so zur Erhaltung ihrer Kohärenz und mittelbar zur
sozialen Zusammenhang erlebt werden: Überlebenstüchtigkeit der Spezies beiträgt – und dafür
mit Vergnügen belohnt wird. M. Hurley, D. Dennett
»Taking together, the laughter of nonhuman primates, und R. Adams fassen die Position in ihrer Studie Inside
the spontaneous laughter of human infants, tickling, Jokes (2011) wie folgt zusammen:
and formal adult humor all share what is essentially a
phylogenetically and ontogenetically conserved struc- »[T]here has to be a policy of double-checking […] can-
ture and context […], here referred to as nonserious so- didate beliefs and surmisings, and the discovery and
cial incongruity.« (Gervais/Wilson 2005, 399) resolution of these at breakneck speed is maintained
by a powerful reward system – the feeling of humor;
(2) Ausgehend von entsprechenden Grundannah- mirth – that must support this activity in competition
men wie die ›Spiel-Theorie‹ nimmt die ›Social bon- with all the other things you could be thinking about.«
ding-Theorie‹ der Komikevolution eine andere Ak- (Hurley/Dennett/Adams 2011, 13)
zentsetzung vor. Sie geht von der These aus, dass der
gattungsgeschichtliche Erfolg des Komischen auf des- (4) Ein evolutionstheoretisches Modell der Komikent-
sen Vermögen beruht, den Zusammenhalt in Grup- stehung mit deutlich anderer Ausrichtung ist die ›Sex-
pen zu erhöhen und die Zusammenarbeit zwischen ual selection-Theorie‹, die seit G. Millers The Mating
Individuen zu befördern. In diesem Sinne stuft etwa Mind von 2000 intensiv diskutiert wird (vgl. etwa Sto-
R. Storey das Komische aus evolutionärer Perspektive rey 2003; Kaufman u. a. 2012). Das Komische ist die-
als Werkzeug »for achieving broad social adhesive- sem Ansatz zufolge nicht als Verhaltensform zu sehen,
ness« (Storey 2003, 319) ein: »[H]umor seems to have die einen unmittelbaren Beitrag zur Fitness der Gat-
evolved as a potent instrument for at once forging in- tung leistet, sondern als Fähigkeit, die auf Kreativität
dispensable social bonds and permitting the indivi- und Intelligenz verweist und darum ein wichtiger
dual a great deal of (self-serving) maneuverability Faktor im Kontext der menschlichen Partnerwahl ist.
within them« (ebd., 323). Die adaptive Bedeutung Komik hat sich in der Gattungsgeschichte demnach
dieser potenziellen Funktion von Komik, die muster- als ein »honest fitness indicator that correlates with
haft in der kontagiösen Wirkung des Lachens zum underlying genetic quality« (Greengross 2014, 220)
Ausdruck kommt (vgl. Provine 2000), liegt auf der behauptet – oder, mit Millers Kurzfassung dieser An-
Hand: »At some point, hominids had to rely on each nahme: »Humor is attractive« (Miller 2000, 415). Eine
other to survive, since acting completely solitary in a entsprechende Position kann zugleich als Ansatz-
harsh environment was too costly and too risky« punkt für eine evolutionäre Erklärung der Differenzen
(Greengross 2014, 221). in den genderspezifischen Komik- und Humorvorlie-
(3) Eine weitere, seit einigen Jahren viel beachtete ben dienen, die sich in psychologischen und soziolo-
evolutionäre Komikerklärung liefert die sog. ›Debug- gischen Untersuchungen gezeigt haben (vgl. dazu et-
ging-Theorie‹: Sie führt die menschliche Komikerfah- wa Provine 2000; Miller 2000).
rung auf die in der Gattungsgeschichte ausgebildeten
kognitiven Routinen zurück, in denen Menschen die
Brauchbarkeit und Speichernotwendigkeit von Um- 15.2 Philosophische Anthropologie
weltinformationen beurteilen (vgl. insbes. Clarke
2009; Hurley/Dennett/Adams 2011). Um ihr Welt- Die philosophische Anthropologie transformiert die
modell übersichtlich und stimmig zu halten, müssen intuitive menschliche Selbstvergewisserung in ein ex-
Menschen Prüfprozeduren ausbilden, die sie in die La- plizites Erkenntnisprojekt, das den Anspruch erhebt,
ge versetzen, fortlaufend und unter großem Zeitdruck die Frage nach der ›Natur‹ des Menschen und seiner
zu bestimmen, ob sie die Auffassungen, die sich ihnen ›Stellung in der Welt‹ (A. Gehlen) systematisch zu
anbieten, in ihre Überzeugungssysteme übernehmen entwickeln und zu einem kritisch geprüften Wissen
oder aber abtun sollen. Komik ergibt sich dieser Theo- über den Menschen zu verdichten. Sie steht den em-
rie zufolge dann, wenn eine Information als ›ungültig‹ pirischen Erkenntnissen der humanwissenschaftli-
eingestuft wird; sie beruht mit anderen Worten auf ei- chen Disziplinen aufgeschlossen gegenüber, findet ih-
nem Vorgang, der mit einem ›debugging‹ (d. h. einer re Eigenständigkeit aber in der Erarbeitung einer Per-
›Fehlerbeseitigung‹ bzw. einer ›Fehlervermeidung‹) spektive, in der sich diese Einsichten integrieren und
15 Anthropologie 81

philosophisch auf den Begriff bringen lassen (vgl. Tieren unterscheidet –, das zugleich im mimischen
Haeffner 2005, 11–54). Als Anthropologie stellt sie den Ausdruck seine vitale Gebundenheit und Verwandt-
menschlichen Körper ins Zentrum ihres Erkenntnis- schaft mit tierischem Wesen dokumentiert – wie ist es
interesses (Wulf 2004, 44 f.); als philosophische Dis- möglich, daß ein solches Doppel- und Zwischenwesen
ziplin ist sie einer phänomenologischen Perspektive lachen und weinen kann?« (ebd., 213)
verpflichtet. Sie vermittelt zwischen der Frage nach
dem Wesen des Menschen und der je subjektiven Er- Lachen und Weinen kann der Mensch, so die Ant-
fahrung, in der sich dem Einzelnen erschließt, was es wort, weil er durch ein spezifisches Verhältnis zu sei-
heißt, ein Mensch zu sein (vgl. Tugendhat 2007, 36 ff.; nem Körper charakterisiert ist: Der Mensch ist nicht
Thies 2013, 10 f.). nur sein Körper, er hat ihn auch, d. h. er kann sich zu
Die philosophische Anthropologie denkt vorrangig ihm verhalten (vgl. ebd., 238 f.). Diese »exzentrische«
über das Lachen, nicht über das Komische nach und Position, die »Doppelrolle des Menschen als Körper
charakterisiert es als ein Phänomen, das Menschen und im Körper« (ebd., 240 f.), die als solche im unpro-
widerfährt. Diese Erlebnisqualität lässt das Lachen als blematischen Alltag nicht zu Bewusstsein kommt,
ein körperliches Geschehen erscheinen, das als solches wird im Lachen und Weinen manifest. Als genuin
ebenso unverfügbar und vielgestaltig ist wie das Wei- menschliche Ausdrucksform ist das Lachen für Pless-
nen, als dessen Pendant es gilt. Theorien des Lachens ner daher kein Zeichen der Freude, sondern Signum
und des Komischen, die diese als psychische Phänome- einer »Krise« (ebd., 211), eine ›Grenzreaktion‹, in der
ne verstehen, sind deshalb im engeren Sinne nicht als sich der Mensch zugleich behauptet und preisgibt:
anthropologisch zu qualifizieren – so sehr sie, wie et-
wa Freuds Theorie eines ersparten Hemmungsauf- »Indem er lacht, überläßt er seinen Körper sich selbst,
wandes (vgl. Freud 1999), im Einzelnen auch auf spe- verzichtet somit auf die Einheit mit ihm, die Herrschaft
zifischen Annahmen über die Funktionsweise des über ihn. Mit dieser Kapitulation als leibseelisch-geisti-
psychischen Apparats beruhen mögen; sie setzen eine ge Einheit behauptet er sich als Person. Der außer Ver-
allgemein-menschliche Psyche zwar immer schon vo- hältnis zu ihm geratene Körper übernimmt für ihn die
raus, machen das Lachen aber nicht als genuinen Aus- Antwort; nicht mehr als Instrument für Handeln, Spre-
weis der conditio humana zum Problem. chen, Gesten, Gebärden, sondern in direktem Gegen-
Eben dies ist der Anspruch, den H. Plessner – ne- stoß. Im Verlust der Herrschaft über ihn, in der Des-
ben M. Scheler einer der Begründer der philosophi- organisation bezeugt der Mensch noch Souveränität in
schen Anthropologie und mit A. Gehlen einer ihrer einer unmöglichen Lage.« (ebd., 363 f.)
bedeutendsten Vertreter – in seiner zum Klassiker
avancierten Studie Lachen und Weinen (1941) erhebt. Der Verlust der Selbstbehauptung, der sich im Über-
Psychologische oder physiologische Perspektiven sind wältigt- und Geschütteltwerden zeigt, lässt sich also,
seiner Meinung nach nicht imstande, das Lachen an- so Plessners Pointe, als »sinnvolle« (ebd., 359), der
thropologisch zu erfassen; ihre methodischen Isolie- spezifischen Situation allein adäquate Reaktion ver-
rungen verfehlen den Menschen in seiner Ganzheit stehen. Situationen, die zum Lachen Anlass geben,
(vgl. Plessner 1941, 223 f.), d. h. als Wesen, dessen sind durch eine Ambivalenz gekennzeichnet, die dem
»Existenz in der Welt durch das Verhältnis zu seinem Handeln keine eindeutige Richtung vorgibt. Diese
Körper bestimmt« werde und dessen Verständnis »an »unausgleichbare Mehrsinnigkeit der Anknüpfungs-
die Möglichkeit von Ausdruck als Einheit aus geisti- möglichkeiten« (ebd., 365) ›quittiert‹ der Mensch, wie
gen, seelischen und körperlichen Komponenten ge- Plessner sagt, mit seinem Lachen: Er bestätigt die Si-
bunden« sei (ebd., 218). Plessner fragt deshalb nicht tuation und löst sich aus ihr (vgl. ebd., 276 f.).
danach, worüber Menschen lachen, sondern nach Situationen, deren Unbeantwortbarkeit lachend
dem Lachen selbst (vgl. ebd., 211); er entwirft keine bewältigt wird, fehlt zwar das Bedrohliche für Leib
Psychologie des Humors oder Ästhetik des Ko- und Leben, doch besitzen sie gleichwohl die Macht,
mischen, sondern verfolgt eine Theorie der ›mensch- das Bewusstsein zu fesseln (vgl. ebd., 276, 328). Ihre
lichen Natur‹ und des ›menschlichen Ausdrucks‹: protypischen Erscheinungsformen sind das Spiel und
das Komische: das Spiel, insofern es den ›Schein‹ für
»Die Frage lautet: wie ist es zu verstehen, daß ein le- die Zeit des Spiels ›Wirklichkeit‹ werden lässt und den
bendiges Wesen aus Fleisch und Blut, das über Sprache Spielenden bindet, ohne ihn ganz zu vereinnahmen
und Zeichengebung verfügt – womit es sich von den (vgl. ebd., 288 f.); das Komische, insofern es auf der
82 II Methodische Zugänge zum Komischen

faszinierenden Diskrepanz zwischen einer ›Norm‹ die »aus jeder Tatsache eigenen Soseins« zu entwei-
und einer ›Erscheinung‹ beruht, die diese Norm ver- chen vermag (Schmitz 1980, 131), d. h. Gefahr läuft,
letzt, obwohl sie ihr doch offensichtlich gehorcht (vgl. sich selbst fremd zu werden, indem man sich von sich
ebd., 297; 329 f.). Dass menschliches Verhalten dann selbst distanziert. Weil personale Emanzipation ein
komisch wirkt, wenn – im Sinne H. Bergsons – die Le- unvollendbarer Prozess ist, der von leiblich bedrän-
bendigkeit des Körpers, des Intellekts, des Charakters genden Erfahrungen wie Schrecken und Erschütte-
mechanische Züge gewinnt (vgl. Bergson 1900), wird rung, Angst und Schmerz ebenso bedroht wird wie
von Plessner als besonders prägnante Ausprägung von der Versuchung, alle ›vitalen Antriebe‹ von sich
dieser allgemeineren Logik komischer Inkongruen- abzuspalten und so den Kontakt zu sich selbst zu ver-
zen aufgefasst. Der Mensch, so sein Fazit, ist das ko- lieren, bedarf sie sowohl der Stabilisierung als auch der
mische Lebewesen par excellence: »Auf dem Hinter- Integration: »Die Naturform dieser integrierenden
grund solcher Ansprüche, wie sie der Mensch erhebt: und stabilisierenden Doppelleistung ist das Lachen«
auf Individualität, also Einzigkeit, Einmaligkeit und (Schmitz 1990, 158).
Unvertretbarkeit, auf Würde, Beherrschtheit, Elastizi- Der Mensch, so ließe sich Schmitz mit Schiller para-
tät, Ebenmaß, Einklang zwischen Leib, Seele, Geist – phrasieren, ist nur da ›ganz Mensch‹, wo er lacht (vgl.
kann so gut wie alles, was er ist, hat und tut, komisch Schmitz 2015, 147). Die kulturell ritualisierte Praxis, in
wirken« (ebd., 298). der sich die personale Subjektivität regeneriert und ih-
Plessners Studie zählt zu den einflussreichsten ge- rer ›Ganzheit‹ versichert, ist das Lachen über Komik:
lotologischen Schriften des 20. Jh.s. Sie hat ihre Spu-
ren auch in der ›Neuen Phänomenologie‹ des Lachens »Ihr für den Menschen entscheidender Ertrag ist die In-
hinterlassen, die H. Schmitz in seinem zehn Bände tegration, die der Gefahr einer Absonderung des per-
umfassenden System der Philosophie (1964–1980) ent- sonalen Subjekts dadurch entgegenwirkt, daß das je-
worfen hat (vgl. als Kurzdarstellung Schmitz 1990). weilige Niveau personaler Emanzipation als ein ko-
Wie Plessner, so unternimmt auch Schmitz, eine misches unterminiert, gesprengt und der primitiven
Theorie des Lachens aus der »unwillkürlichen Lebens- Gegenwart zugeführt wird, aber nicht, um panisch in
erfahrung« (Schmitz 2009, 13) zu entwickeln; und wie dieser zu versinken, sondern so, daß der Spielraum per-
dieser schreibt er dem Lachen eine besondere anthro- sonaler Emanzipation in dem komischen Zwischenfall
pologische Bedeutung zu. Das Lachen erscheint als erhalten bleibt oder von diesem aus wiederhergestellt
ein spezifisch menschliches Vermögen, das nicht nur wird.« (Schmitz 1980, 131)
in krisenhaften Situationen zur Geltung kommt, son-
dern als solches eine für das personale Leben heraus- Schmitz dynamisiert also das Verhältnis von Selbst-
ragende Funktion besitzt. preisgabe und Selbstbehauptung, als deren ambiva-
Als ›Person‹, so Schmitz, ist der Mensch in der La- lenten Ausdruck Plessner das Lachen verstanden hat-
ge, »einen Fall mehrerer Gattungen für sich selbst zu te, indem er dessen ›teleologische Tendenz‹ betont:
halten« (Schmitz 2015, 142); eine solche ›identifizie- »Das Lachen ist Aufschwung in der Regression oder
rende Selbstzuschreibung‹ setzt eine ›nicht-identifi- durch sie hindurch zum Triumph« (ebd., 116). Im Fal-
zierende‹ Vertrautheit mit sich selbst aber immer le des Komischen erfährt das Subjekt die Regression in
schon voraus: Die Erfahrung, selbst derjenige zu sein, der Betrachtung eines anderen, dessen Anspruch auf
von dem sich sagen lässt, dass er ein solcher und sol- personale Emanzipation durch Widerfahrnisse oder
cher ist, machen Menschen immer dann, wenn sie von Ungeschick zunichte gemacht wird; im reiferen Falle
etwas ›affektiv betroffen‹ sind, so dass sie es als unver- des Humors durchlebt das Subjekt den Prozess der
äußerlich ›subjektive Tatsache‹ am eigenen Leib zu personalen Regression selbst: Es gibt seinen Emanzi-
spüren bekommen (vgl. ebd.). Personalität ist deshalb pationsanspruch für Momente auf, um in der Erfah-
kein gesicherter Status der menschlichen Existenz, rung des komischen Prozesses zugleich auch ›ganz‹ zu
sondern ein sensibler Balanceakt zwischen zwei ge- werden: »In diesem Sinn ist Komik ein personal inte-
genläufigen Tendenzen: »Als Person steht der Mensch grierendes Dementi« (ebd., 132).
zwischen zwei Abgründen: der primitiven Gegenwart, Auf den Spuren von Plessner und Schmitz hat L.
die ihn bedrängt, jedes Niveau seiner personalen Prütting dem Homo ridens (2013) eine geradezu en-
Emanzipation plötzlich in Frage stellen kann und in zyklopädisch angelegte, beinahe 2000 Seiten umfas-
der Panik die Person verschlingt, [...] und der He- sende Studie gewidmet, die die gelotologische For-
gel’schen ›Freiheit der Leere‹ [...] einer Subjektivität« schungsgeschichte ebenso detailliert wie umsichtig
15 Anthropologie 83

aufarbeitet und mit einigem Recht bereits jetzt als lachend) auf Lächerliches reagieren, und besitzt wie
Standardwerk bezeichnet werden darf. Anders als dieses eine spezifische Verlaufsform: Es folgt dem
Plessner will Prütting das Lachen nicht auf die For- Schema »Anspannung, Zuspitzung, Durchbruch,
men des unverfügbaren Lachens beschränkt und das Ekstase« (ebd., 1640). Die Pointenhaftigkeit krisen-
Lächeln nicht als eigene Ausdrucksform verstanden hafter Prozesse, die im plötzlichen Lachen gipfelt,
wissen (vgl. Prütting 2013, 48 f.); dezidierter und sehr korreliert also mit der Pointenstruktur von Witzen.
viel ausführlicher noch als Schmitz unternimmt es Neben der ›Pointen-Komik‹, die in der Diskussion
Prütting, dem Ineinander von Selbstpreisgabe und des Komischen einen hervorragenden Stellenwert
Selbstbehauptung in den je verschiedenen »Lach-Ge- einnimmt, profiliert Prütting aber noch eine andere
stalten« nachzuspüren (vgl. ebd., 52). Prüttings ›Lach- Gestalt des Komischen, der das für jene konstitutive
palette‹ systematisiert die verschiedenen Ausdrucks- Moment der Plötzlichkeit fehlt: Im Falle sog. ›Ver-
formen des Lachens nach den Graden seiner Intensi- laufs-Komik‹ nimmt das betrachtete Verhalten ande-
tät und Verfügbarkeit, nach seiner Gerichtetheit sowie rer allmählich eine komisch wirkende ›Ungestalt‹ an
seiner ›uroborischen‹ Struktur, d. h. seiner zur Been- oder blamiert sich am Maßstab des ›ausgezeichneten
digung drängenden Verlaufsgestalt, und des mit ihr Verhaltens‹ (K. Goldstein), weil es durchgängig durch
verbundenen kathartischen Potenzials (vgl. ebd., 45– widerstrebende Tendenzen gekennzeichnet ist (vgl.
61). Auf der Basis dieser Kriterien unterscheidet Prüt- ebd., 1829, 1843 ff.).
ting zwischen (1) Bekundungs-, (2) Interaktions-, (3) Prüttings Komiktheorie folgt inkongruenztheore-
Resonanz- und (4) geloiastischem Lachen. tischen Modellen: »Jede Art von Komik und Lächer-
Das Bekundungs-Lachen zeichnet sich durch per- lichkeit«, so seine Erläuterung, »resultiert aus objekt-
sonale Betroffenheit und Unverfügbarkeit aus und immanenten Widersprüchen aller Art, die der Be-
stellt eine Antwort auf eine irritierende, bedrängende trachter im Mitgehen an und in sich selbst als leibli-
oder befördernde Situation dar (vgl. ebd., 1781 f.). Es che Spannung spürt und austrägt und im Lachen
umfasst so vielgestaltige Ausdrucksformen wie das auszugleichen sucht« (ebd., 1822). Wie diese Charak-
vielsagende und das erfüllte Lächeln, das irritierte, er- terisierung deutlich macht, erwächst Komik nicht al-
leichterte, empörte und verzweifelte Auflachen, das lein aus der Eigenart des Objekts; sie »wohnt« (mit
Strahlen und das Lachen der Erleuchtung, das alberne Jean Paul gesprochen) auch »im Subjekte« (vgl. ebd.,
Lachen und das Phobos-Lachen nach überstandener 1651), das sich durch Prozesse empathischer ›Einlei-
Lebensgefahr. bung‹ (Schmitz) allererst in die Lage versetzen muss,
Im Gegensatz dazu sind sowohl das Interaktions- Inkongruenzerfahrungen zu machen, um so eine
(vgl. ebd., 1852 f.) als auch das Resonanz-Lachen (vgl. »Selbstbehauptung in der Beirrung durch das Ko-
ebd., 1887 f.) nicht »Antwort auf eine bestimmte Si- mische« (ebd., 1842) erleben zu können. Besonders
tuation von Betroffenheit«, sondern Formen des La- intensiv ist dieses Erlebnis im Falle der Pointen-Ko-
chens »in gemeinsamen Situationen« (ebd., 1772). mik: Die plötzliche Erkenntnis unsinniger Inkongru-
Während das Interaktions-Lachen durch Blickkontakt enzen verleiht dem Lachen immer auch Züge des Tri-
gestiftet wird und auf Blickkontakt angewiesen bleibt, umphes (vgl. ebd., 1833).
beruht das Resonanz-Lachen auf einem »Mitgehen in
Form von Mitlachen« (ebd., 1887), das wesentlich
durch Ansteckung hervorgerufen wird und sich in der 15.3 Anthropologische Psychologie
Gruppe vollzieht. Interaktions-Lachen ist tendenziell
verfügbar und stellt eine »Form wohlwollender oder Chr. Wulf hat betont, dass dem Wissen vom Men-
aggressiver Zuwendung« (ebd., 1853) dar; Resonanz- schen eine wesentliche Dimensionen fehlt, wenn die
Lachen ist hinsichtlich seiner Verfügbarkeit ambiva- Anthropologie ihre Erkenntnisse nicht in eine gene-
lent: »Die Einstellung williger Hingabe fördert es, die tische Perspektive rückt, also die Geschichte der
Einstellung trotziger Renitenz kann es blockieren« Menschwerdung in den Blick nimmt (vgl. Wulf 2004,
(ebd., 1888). 41). Das gilt auch für das Wissen über den ›homo ri-
Für die Komikforschung von besonderer Bedeu- dens‹. Für die philosophische Anthropologie spielen
tung ist Prüttings Konzept des geloiastischen Lachens evolutionstheoretische Fragen keine oder nur eine
(vgl. ebd., 1821 f.). Es ist als spezifische Form des Be- marginale Rolle. In evolutionsbiologischen Kontex-
kundungs-Lachens jenes Lachen, mit dem Menschen ten ist die ontogenetische Ergründung des Lachens
(belachend) auf Komisches oder (aggressiv ver- mit der Frage identisch, aus welchen Situationen sich
84 II Methodische Zugänge zum Komischen

das Lachen (bzw. das Lachen über Komisches) ent- Die widersprüchliche Vielfalt an Motivsituationen,
wickelt haben könnte und welche Selektionsvorteile die uns zum Lächeln oder Lachen bewegen, macht
es in welchem ›environment of evolutionary adapted- deutlich, dass es missverständlich wäre, dieses einfach
ness‹ gehabt haben mag (vgl. Tooby/Cosmides 1990, als Ausdruck ›positiver‹ Emotionen verstehen zu wol-
386 f.; s. o. Bioanthropologie). len; seine Spielarten lassen sich aber doch – was Pless-
Evolutionsbiologische Rekonstruktionen, die nach ner bestritten hatte (vgl. Plessner 1941, 225) – auf ein
dem Selektionsvorteil evolutionärer Errungenschaf- ›motivationales Wirkungsgefüge‹ zurückführen, des-
ten fragen, neigen bisweilen dazu, die Komplexität des sen Logik sich dem bloß phänomenologischen Blick
betrachteten Phänomens zu unterschätzen, und sie nicht erschließt. Bischofs These lautet: Die »Lächelre-
laufen zudem leicht Gefahr, ›Just-so Stories‹ zu erzäh- aktion [ist] an eine (akute) Rück-Akklimatisation des
len. Die Vermittlung anthropologischer und evoluti- Autonomieanspruchs gekoppelt« (Bischof 1996, 13).
onstheoretischer Perspektiven wirft deshalb die Frage Mit anderen Worten: Wir lachen oder lächeln immer
nach dem interdisziplinären Design eines Projektes dann, wenn wir unseren Anspruch, das Verhalten an-
auf, das in der Lage ist, die in den einzelnen Diszipli- derer mitzubestimmen, von ihnen respektiert zu wer-
nen gewonnenen Erkenntnisse über das Lachen zu ei- den und Herr unserer Verhaltensimpulse zu sein,
ner ›Einheit des Wissens‹ über das Lachen zusam- »schubhaft« (Bischof 1985, 548 f.) zurücknehmen.
menzuführen. Der Biologe und Psychologe N. Bischof Das Konzept des ›Autonomieanspruchs‹ ist Teil des
hat in seinen Arbeiten einen solchen Vermittlungsver- von Bischof entwickelten ›Zürcher Modells der sozia-
such unternommen und für ein spezifisches Fundie- len Motivation‹ (vgl. Bischof 2008, 417–428), das so-
rungsverhältnis von (Evolutions-) Biologie, Psycho- ziales Verhalten aus der Interaktion von drei Regel-
logie und Soziologie plädiert. Es besteht in dem »Ver- kreisen rekonstruiert: (1) dem Sicherheitssystem, (2)
such, eine Wissenschaft in der nächst basaleren zu dem Erregungssystem und (3) dem Autonomiesys-
verankern« (Bischof 1985, 585). In methodologischer tem. Die jeweiligen Führungsgrößen dieser Systeme
Hinsicht (vgl. Bischof 2008, 547 f.) erweitert Bischof regulieren das erstrebte Maß an Sicherheit, Erregung
die als solche unverzichtbare phänomenale Erkennt- und Autonomie. Sie bestimmen, (1) ob Menschen die
nishaltung um eine funktionale Perspektive, die nach Nähe zu Personen suchen, die ihnen vertraut sind,
abstrakten Systemstrukturen fragt, bettet diese in ei- (oder diese meiden), (2) ob sie sich durch Fremde und
nen ›ultimaten‹ Fragehorizont ein, in dem die ›finale Fremdes faszinieren lassen (oder es scheuen) und (3)
Logik‹ der Systemstruktur sichtbar wird (vgl. ebd., in welchem Ausmaß sie danach streben, Macht aus-
274 f.), und flankiert sie durch ›genetische Reduktion‹, zuüben, soziales Ansehen zu besitzen und ihre Kom-
d. h. durch deren Rückführung auf Vorformen im petenz zu beweisen. Dem Autonomiesystem kommt
Tierreich (vgl. ebd., 299 f.). im Zusammenspiel dieser Funktionskreise insofern
Bischof hat seine Theorie des Lachens im Rahmen eine besondere Rolle zu, als sein Sollwert (der Auto-
einer umfassenden Theorie der sozialen Motivation nomieanspruch) die anderen Teilsysteme kontrolliert:
entwickelt. Sie entwirft ein konsequent biologisch Ein hoher Autonomieanspruch erhöht die Unterneh-
argumentierendes, systemtheoretisch formalisiertes mungslust (den Sollwert für Erregung) und senkt die
Modell solcher menschlicher Verhaltensweisen, die Abhängigkeit (den Sollwert für Sicherheit) (vgl. Bi-
durch Artgenossen ausgelöst werden und auf sie ge- schof 1996, 13).
richtet sind (vgl. Bischof 1993, 10). Bischofs Theorie Nun sind die Sollwerte der einzelnen Funktions-
beansprucht, die vielfältigen Anlässe und vielgestalti- kreise nicht konstant, sondern unterliegen Prozessen
gen mimischen Ausdrucksformen des Lächelns und der Akklimatisation. Der Autonomieanspruch, die
Lachens auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Unternehmungslust und die Abhängigkeit sind in der
Sie umfassen (1) Befriedigung (Freude, Vergnügen, Lage, sich an die in der jeweiligen Situation gegebenen
Erleichterung, Zufriedenheit); (2) Kontaktnahme (Of- Istwerte von Autonomie, Erregung und Sicherheit an-
fenheit/Entgegenkommen, Wohlwollen/Hilfsbereit- zupassen. Immer dann, so Bischofs Gedanke, wenn
schaft, Flirt/Koketterie); (3) kognitive Umzentrierung wir unseren Autonomieanspruch plötzlich zurück-
(Aha-Erlebnis, Verwunderung/Verblüffung); (4) Do- fahren, wird dies in Form des Lachens oder Lächelns
minanz (Skepsis, Verachtung, Triumph, Grausamkeit); zum Ausdruck gebracht. Lächeln und Lachen geben
(5) Submission (Resignation/Kapitulation, Verlegen- deshalb Auskunft darüber, welche Kraft jemand auf-
heit, Scheu, Angst) (Bischof 2008, 533; vgl. mit leichten wendet, um seine ›Ichgrenze‹ aufrechtzuerhalten, d. h.
Akzentverschiebungen auch Bischof 1996, 3). jenen psychischen »Mechanismus« zu aktivieren, »der
15 Anthropologie 85

das Subjekt gegen affektive Induktionen aus der Um- dell aber eine Vielfalt an Erkenntnissen bereit, die die
welt immunisiert« (Bischof 1996, 36). subtilen Einsichten der philosophischen Anthropolo-
Lächeln und Lachen sind Ausdrucksbewegungen, gie und die neueren bioanthropologischen Forschun-
mit Darwin gesprochen: »rudimentäre Instinkthand- gen zum Lachen in eine umfassende Theorie zu inte-
lungen« (Bischof 1996, 14). Als solche sind sie zwar grieren vermag. Das kann hier nur angedeutet werden.
nicht immer schon kommunikativ ausgerichtet, sie Dass Lachen ›ansteckend‹ ist, gehört zu den
werden aber zu kommunikativen Handlungen in dem schlichten Evidenzen, die immer schon gewusst und
Maße, in dem es einen »Selektionsdruck auf sensible in anthropologischen Kontexten auch besonders her-
Ausdruckswahrnehmung« (ebd., 15) gibt. In einem vorgehoben wurden. Zu erinnern wäre an Bergsons
Prozess der phylogenetischen ›Ritualisierung‹ gewin- Idee, dass das Lachen das Echo der Gruppe braucht,
nen Ausdrucksbewegungen eine prägnante Gestalt, weil es Gruppenzugehörigkeit schafft und Artgenos-
d. h. sie erfahren »eine verdeutlichende und übertrei- sen, an die es nicht gerichtet ist, von der Gruppe aus-
bende Stereotypisierung« (ebd.; vgl. auch Bischof 2008, schließt (vgl. Bergson 1900, 15 f.; Bischof 2008, 347 f.),
345 f.). Das gilt in besonderem Maße für das Lachen. an Plessners Hinweis, dass Lachen sich »nur in Ge-
Menschliches Lachen ist rhythmisch und laut und fun- meinschaft mit Mitlachenden« (Plessner 1941, 368)
giert in seinen prägnanten Formen als ideales kom- vollkommen entfaltet, an L. Prüttings Phänomenolo-
munikatives Signal, das unwillkürlich anzeigt, dass je- gie des Resonanz-Lachens (vgl. Prütting 2013, 1887 f.)
mand die Armierung seiner ›Ichgrenze‹ aufgibt: »Wir und nicht zuletzt an die evolutionsbiologische Debat-
öffnen unser Visier, wenn wir dem anderen freundlich te um die affektinduzierenden Qualitäten des La-
begegnen, wir öffnen es aber auch, wenn wir vor ihm chens (vgl. Gervais/Wilson 1993, 416), die sich mit
kapitulieren, und wir öffnen es schließlich, wenn wir es der ›Social bonding-Theorie‹ der Komikentstehung
nicht mehr nötig haben, weil der andere seinerseits die umstandslos korrelieren lassen (s. o.). Bischofs im
Waffen gestreckt hat« (Bischof 1996, 37). Computermodell validierte These, dass Lächeln und
Das vertrauensvolle Lächeln, das erleichterte Lä- Lachen auf Akklimatisationsschwankungen des Au-
cheln, das peinlich berührte Lächeln, das ängstliche tonomieanspruchs beruhen, erinnert nicht nur an
und das überraschte Lächeln, deren mimische Ver- Kants prominente Vorstellung, dass der Affekt des La-
laufsmuster Bischof in Computersimulationen auf chens »aus der plötzlichen Verwandlung einer ge-
der Basis von P. Ekmans Forschungen zur mensch- spannten Erwartung in nichts« (Kant 1790, 273) resul-
lichen Mimik detailliert nachbildet (vgl. Bischof tiere, sondern korreliert auch mit den phänomenolo-
1996), lassen sich als prägnante Ausdrucksformen ei- gischen Charakterisierungen des Lachens als eines
ner spezifischen Gemengelage von Antriebsimpulsen dynamischen Wechselspiels von Selbstpreisgabe und
fassen. Deshalb ist es durchaus plausibel, den Ur- Selbstbehauptung.
sprung des Lachens und Lächelns im expressiven Be- Für die Komikforschung werden all diese Befunde
wegungsradikal des aggressiven Zähnefletschens zu freilich erst dann zur Inspiration, wenn man sich be-
suchen, das die Bereitschaft signalisiert, sich im Falle wusst macht, dass der Mensch nicht nur ein ›homo ri-
einer möglichen Auseinandersetzung zu behaupten dens‹, sondern auch ein ›homo risum movens‹ ist: ei-
(vgl. Fischer 2007). Als kommunikativ nutzbar ge- ner, der andere Menschen zum Lachen bringt. Dabei ist
wordene Ausdrucksbewegung dient das Lachen dazu, es weniger bedeutsam, dass Menschen ›false smiles‹
die soziale Distanz zu regulieren; insofern es anste- (vgl. Ekman/Friesen 1982) einsetzen, um ihre Artge-
ckend ist, initiiert es Prozesse der ›Stimmungsüber- nossen heiter zu stimmen oder in dezidierter Täu-
tragung‹, die das Verhalten der einzelnen Gruppen- schungsabsicht gute Miene zum bösen Spiel zu ma-
mitglieder synchronisieren (vgl. Bischof 2008, 344) chen. Entscheidend ist vielmehr der Umstand, dass
und dazu beitragen, »das summierte Autonomie- Kulturen des Lachens Kulturen des Lachens über Ko-
niveau in der Gruppe« möglichst niedrig zu halten, misches sind, das mit Hilfe spezifischer Praktiken (z. B.
d. h. unnötigen Stress zu vermeiden (Bischof 1996, dem Erzählen von Witzen) provoziert wird. Die eigent-
38). Darin, so Bischofs Vermutung, dürfte der eigent- liche kulturelle Quelle der Komik wird man vermutlich
liche Selektionsvorteil gelegen haben, der die Rituali- in solchen Formen des zwischenmenschlichen Um-
sierung des Lachens in Gang gesetzt hat. gangs suchen müssen, in denen Menschen mit ihrem
Bischofs Theorie des Lachens fragt nicht nach der eigenen Autonomieanspruch und dem Autonomie-
Logik des Komischen. Für eine humanwissenschaft- anspruch ihrer Artgenossen ihr Spiel treiben. Dieses
lich informierte Theorie des Komischen stellt sein Mo- Spiel beruht ganz wesentlich darauf, einander auf Ko-
86 II Methodische Zugänge zum Komischen

misches hinzuweisen bzw. Komisches vorzuführen. das freilich auf einem deutlich weiteren Verständnis
Dabei spielt das Moment der ›kognitiven Umzentrie- von ›Anthropologie‹ beruht als die in den voran-
rung‹ eine entscheidende Rolle; sie entspricht der gegangenen Abschnitten betrachteten Traditionen.
plötzlichen Wahrnehmung spezifischer Inkongruen- Zielsetzung der aus der Volkskunde hervorgegange-
zen (vgl. Kindt 2011), die als solche bereits dazu geeig- nen Kulturanthropologie ist die ethnomethodologi-
net ist, den Selbstbehauptungsanspruch schubhaft zu- sche Erschließung der »Alltagskultur der Menschen«,
rückzufahren, und die dies umso intensiver tut, wenn d. h. »der Vielgestaltigkeit sozialer Welten, kultureller
mit der kognitiven Umzentrierung (oder der ›Fehler- Praktiken und individueller Erfahrungen« (Bischoff/
beseitigung‹, s. o.) die Möglichkeit gekoppelt ist, ein Oehme-Jüngling/Leimgruber 2014, 9). In dieser Ab-
Gefühl der Erleichterung oder Überlegenheit zu ver- sicht haben sich die Vertreter des Forschungsfelds seit
spüren, d. h. wenn es jemanden gibt, den man belachen dem beginnenden 20. Jh. immer wieder auch mit den
oder verlachen kann (vgl. Prütting 2013, 1821 f.). Ausprägungen und Leistungen von Lachen, Komik
Schon A. Koestler hat in seiner ›Bisoziationstheo- und Humor in unterschiedlichen soziokulturellen
rie‹ des Komischen darauf insistiert, dass die Wahr- Kontexten beschäftigt.
nehmung und Auflösung von Inkongruenzen in dem Im Sinne einer programmatischen Forderung M.
Maße komisch wirkt, in dem sie mit einer Abwertung Aptes wird dabei mitunter ein »two-part approach«
des Belachten verbunden ist (vgl. Koestler 1964, 43– verfolgt, »involving ethnography and comparative stu-
46). Auch wenn dies offensichtlich nur für eine Form dy« (Apte 1985, 19); es wird also versucht, die Beschrei-
der Komik gilt, weist es doch auf die grundlegendere bung kulturspezifischer Formen und Funktionen von
Einsicht hin, dass wir uns, wenn wir über Komisches Lachen, Komik und Humor mit der vergleichenden
lachen, zum Gegenstand des Lachens in ein persönli- Bestimmung ihrer interkulturellen Differenzen und
ches Verhältnis setzen. Wie die kognitionstheoreti- transkulturellen Universalien zu verbinden. Zumeist
sche Lachforschung gezeigt hat, sind sowohl das Ver- legen die Beiträge zur kulturanthropologischen Lach-
lachen wie das Belachen von Personen oder Figuren und Komikforschung allerdings einen klaren Akzent
darauf angewiesen, dass die Lachenden zunächst dazu entweder auf (1) ethnographische oder (2) kulturkom-
in der Lage waren, die Intentionen der – realen oder parative Fragestellungen: (1) In ethnographisch aus-
fiktiven – Akteure wahrzunehmen oder ihnen solche gerichteten Studien geht es im Kern um den Versuch,
zu unterstellen. Das Verständnis komischer Szenarien »to link a particular comic episode or institution to its
setzt also nicht nur die Fähigkeit zum empathischen local setting« (Morton 2014, 43). Ihr Augenmerk gilt
Nachvollzug fremder Ausdrucksbewegungen, son- den Vorkommnissen und Nutzungen von Lachen, Ko-
dern auch die Ausbildung einer ›Theory of Mind‹ vo- mik und Humor in einzelnen Gesellschaften oder ih-
raus. Über Komisches, so lässt sich verallgemeinern, ren verschiedenen Bereichen, insbesondere Ritualen
kann nur ein Wesen lachen, das fähig ist, »auf Bezugs- wie dem Karneval oder Figuren wie dem Clown (vgl.
systeme zu reflektieren« (Bischof 2008, 398); andere allgemein Bachtin 1969), den ›joke cycles‹, die sich in
zum Lachen bringen kann nur, wer diese Fähigkeit in spezifischen Kulturen etablieren, oder den ›joking rela-
Rechnung stellt und mit ihr spielt, d. h. andere um ih- tionships‹ (A. Radcliffe-Brown), die in besonderen so-
res eigenen Vergnügens willen für die Zeit des Spiels zialen Kontexten als akzeptabel gelten (für einen
gekonnt in die Irre führt (vgl. Kindt 2011, 136 f.). Überblick vgl. Oring 2008). (2) Die kulturkomparativ
Solche anthropologischen Überlegungen könnten ausgerichtete Forschung widmet sich der vergleichen-
das Fundament zu einer Kulturgeschichte des Ko- den Charakterisierung von Komikformen »associated
mischen bilden, deren Aufgabe es wäre, nach den so- with different nations, ethnic and regional groups, re-
zialen und medialen Rahmenbedingungen zu fragen, ligious traditions, social classes, occupations, genders
in denen sich Kulturen des Lachens entwickeln und and other social and cultural entities« (Davies 2008,
Formen des Komischen bewähren (vgl. Vellusig 2013). 157). Die meiste Beachtung gefunden – und die um-
fangreichsten Ergebnisse erbracht – hat dabei die Be-
schäftigung mit den spezifischen Profilierungen und
15.4 Kulturanthropologie charakteristischen Funktionalisierungen von Witzen
in unterschiedlichen Gesellschaften und Gesellschafts-
Einige Ansätze zu einer solchen Kulturgeschichte sind zusammenhängen (vgl. insbes. Davies 2002).
in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Kultur- Die im engeren Sinne anthropologischen Fragen,
anthropologie entstanden – einem Forschungsgebiet, was es bedeutet und wie es zu erklären ist, dass der
15 Anthropologie 87

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16 Psychologie, Medizin, Hirnforschung 89

16 Psychologie, Medizin, an Verhaltensweisen abzudecken: vom Ausspruch


Hirnforschung [Apophthegma] zum Versprecher, vom Streich zum
Wortspiel, von der Farce zur Albernheit« (Bremmer/
Roodenburg 1999, 9).
Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Menschen. Dieser Humorbegriff ist zum einen immer an das
Daher befasst sich die Psychologie des Humors (bzw. Erleben von etwas ›Lustigem‹ geknüpft. Zum anderen
des Komischen) nicht mit dem Humor per se, sondern kann Humor aber auch feindselig sein und ist nicht an
mit dem Denken, Fühlen und Verhalten des Men- das erfolgreiche Bewältigen von Widrigkeit gebun-
schen: Wie Menschen Humor wahrnehmen, verarbei- den. Letzteres Phänomen überlappt sich teilweise mit
ten, produzieren, wertschätzen, aber auch Humor in dem seit 30 Jahren gebräuchlichen coping humor.
der Person (z. B. Sinn für Humor, Charaktermerkmale Wichtig ist, dass Humor als Überbegriff neutral zu
die mit der Wertschätzung oder Produktion von Ar- sein hat, auch wenn er selten als neutral verstanden
ten der Komik einhergehen). wird. Die Valenz wird dann durch die Qualität (ag-
Über die psychologischen Ansätze zur Komik zu gressive humor, benevolent humor) festgelegt, welche
schreiben, ist eine Herausforderung und bedeutet v. a. den Unterphänomenen anhaftet. Diese Nomenklatur
auch eine Übersetzungsarbeit, da sich in der anglo- hat sich im Laufe der Zeit in die psychologische Litera-
amerikanischen Forschung seit langem ›humor‹ (und tur eingeschlichen, ohne dass sichtbar eine explizite
nicht ›the comic‹) als Überbegriff etabliert hat. Der Abwendung von der historischen Nomenklatur (wie
Ausdruck ›Humor‹ taucht im Namen der interdiszip- sie mit der Ästhetik einsetzt), vorgenommen wurde.
linären International Society for Humor Studies-
ISHS, im Titel der führenden Zeitschrift HUMOR In-
ternational Journal of Humor Research und in Buch- 16.1 Der Lustigkeitseindruck
reihen wie z. B. Humor Research auf. Das war nicht im-
mer so: So findet man 1943 im Journal of General Der Großteil der Studien zum Humor hat sich auf den
Psychology noch den Aufsatz von T. G. Andrews über Lustigkeitseindruck konzentriert. Der Lustigkeitsein-
A factorial analysis of responses to the comic as a study druck bildet den Kern der humorbezogenen Wahr-
in personality. Jedoch wurde spätestens seit der Re- nehmung (P. E. McGhee prägte den Begriff »humor re-
naissance der psychologischen Forschung zum Hu- sponse« [McGhee 1979]) und betrifft die kognitive
mor, eingeleitet durch das zentrale Buch The Psycho- Einschätzung der Lustigkeit oder Witzigkeit eines ge-
logy of Humor (1972) von J. Goldstein und P. E. gebenen Stimulus. Er bezieht sich weniger auf die Er-
McGhee, Humor als Schlüsselbegriff eingeführt. Es heiterung der wahrnehmenden Person an sich, als viel-
ist bezeichnend, dass das genannte Buch v. a. das mehr auf die evaluative Komponente der Erheiterung,
Verständnis von Witzen zum Gegenstand hat und ein und wird durch Charakteristika des Auslösereizes und
anderes Verständnis von Humor – etwa im Sinne ei- der umgebenden Situation bestimmt. Die Lustigkeits-
ner Weltanschauung, einer wohlwollend-amüsanten empfindung entsteht meist aus einem Vergleich oder
Betrachtung menschlicher Schwächen, einer Tugend einer Inkongruenz zwischen Objekten, Elementen von
oder eines Abwehrmechanismus – gar nicht vor- Objekten oder einem Ereignis und einer Erwartung
kommt. Wenn man englischsprachige psychologische dazu. Das ›unernste‹ Spiel mit diesen Inkongruenzen,
Literatur liest, muss man berücksichtigen, dass nicht mit Sinn und Sinnlosigkeit, können zum Eindruck
nur die Bedeutung von ›Humor‹ variiert, sondern führen, dass etwas ›lustig‹ oder ›komisch‹ ist.
auch das ganze Bezugssystem. So dient ›Humor‹ als Wie viel Inkongruenz ist notwendig? W. H. Ehren-
Sammelbegriff für alle Phänomene des Komischen, stein und S. Ertel (1978) führten Experimente zur In-
inklusive der Fähigkeit, nichternste inkongruente kongruenz als Abweichung von den Erwartungen
Kommunikationen wahrzunehmen, richtig zu inter- über die Struktur der Sprache durch. Dazu wurden
pretieren und zu genießen (humor appreciation), aber Annäherungstexte eines bestimmten Ordnungsgra-
auch für die Fähigkeit, Humor zu erzeugen (humor des verwendet. Ein Ordnungsgrad n eines Textes wird
creation) und vorzutragen (humor performance). Ei- erreicht, indem einer Person A fortlaufende Wörter
nen ähnlichen Ansatz vertreten auch J. Bremmer und eines Satzes vorgegeben werden mit der Aufforde-
H. Roodenburg, die in ihrer Kulturgeschichte des Hu- rung, ein Wort anzufügen, das sinngemäß in einem
mors (1999) den Begriff »im allgemeinen und neu- Text folgen könnte. Einen Annäherungstext vom Ord-
tralsten Sinne« verwenden, »um eine ganze Vielfalt nungsgrad zwei erhält man, wenn die erste Person A

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_16,


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90 II Methodische Zugänge zum Komischen

zwei Wörter eines möglichen Satzanfanges vorgege- tur (den Ordnungsgrad) und den Inhalt unabhängig
ben bekommt, selbst ein drittes Wort hinzufügt und voneinander zu variieren. Sie ersetzten dazu eine ge-
die beiden letzten Wörter an die nächste Versuchsper- wisse Anzahl von Wörtern jedes Annäherungstextes
son B weitergibt. Diese fügt ein neues Wort hinzu, durch Wörter mit neutralem, aggressivem oder se-
löscht das erste und gibt die beiden letzten an die xuellem Inhalt. Die Art des Wortes wurde dabei kon-
nächste Person C weiter. Hierzu ein Beispiel: stant gehalten; ein Adjektiv wurde durch ein Adjektiv
Person A erhält als Vorgabe die Formulierung: »das und ein Substantiv durch ein Substantiv ersetzt. Die
weiße« und fügt hinzu »Hündchen«. Sie gibt an Per- Daten zeigten, dass Struktur und Inhalt einen additi-
son B die Worte »weiße Hündchen« weiter. Person B ven Einfluss auf den Lustigkeitseindruck ausübten,
fügt dann wiederum ein Wort hinzu »weiße Hünd- während kein Interaktionseffekt der beiden Dimen-
chen fressen«. Person B gibt an Person C folgende sionen gefunden wurde.
Worte weiter: »Hündchen fressen«.
Bei einem Ordnungsgrad von Null sind die Wörter
völlig zufällig aneinandergereiht. Mit steigendem 16.2 Lächeln
Ordnungsgrad nähert sich der Text der grammatisch
korrekten, sinnvollen Sprache immer mehr an. Ertel Die Tatsache, dass jemand lacht oder lächelt, sagt
(1968) und Ehrenstein/Ertel (1978) variierten in ihren noch wenig über die Art des Lachens oder Lächelns
Studien den Ordnungsgrad der Annäherungstexte in aus. Es kann lang oder kurz andauern, intensiv oder
Zweierschritten zwischen null und zehn. Es zeigte wenig intensiv, symmetrisch oder asymmetrisch sein,
sich, dass Einschätzungen nach ›witzig‹ und ›komisch‹ es kann die Augenpartie mit einschließen oder nicht.
eine umgekehrt U-förmige Funktion des Ordnungs- Der Mund kann geöffnet oder geschlossen sein, die
grades waren (siehe Abb. 16.1). Mundwinkel können nur horizontal oder horizontal
Ein mittlerer Ordnungsgrad wurde am ehesten als und aufwärts gezogen werden und vieles mehr (siehe
witzig und komisch empfunden; Texte mit sehr ho- Abb. 16.2).
hem bzw. sehr geringem Ordnungsgrad wurden als Wenn man die Verhaltenskomponente der Erhei-
wenig witzig bzw. wenig komisch beurteilt. Die Beur- terung genau erfassen möchte, muss man von globa-
teilung auf der Skala ›absurd‹ war jedoch eine lineare len Konstrukten wie Lachen und Lächeln abrücken
Funktion des Ordnungsgrades: je niedriger der Ord- und eine sehr differenzierte Beschreibung auf verhal-
nungsgrad eines Textes, desto absurder wurde er emp- tensnaher Ebene vornehmen. Die Begriffe, die durch
funden. Die Methode von Ehrenstein und Ertel (1978) die Alltagssprache vorgegeben sind, versperren in die-
erlaubte zudem, auf experimentellem Wege die Struk- sem Fall den Blick für einen analytischen Zugang zu
den natürlichen Gegebenheiten.
In der Forschung wird daher zwischen spontanen,
emotionalen Lächeln, die kaum willentlich produziert
werden können und sprachunabhängig sind, sowie
willentlich evoziertem Lachen und Lächeln unter-
schieden. Fünf verschiedene Muskeln des mensch-
lichen Gesichtes (Mm. zygomaticus major, zygomati-
cus minor, risorius, levator anguli oris und buccinator)
beeinflussen die Mundwinkel und ihre Innervation
bewirkt Veränderungen im Gesicht, die als Lächeln
interpretiert werden könnten (siehe Abb. 16.2). Doch
fand bereits G.-B. Duchenne de Boulogne, ein franzö-
sischer Physiologe des 19. Jh.s, eine distinkte Muskel-
kombination, die einzig und allein bei einem emotio-
nalen Lächeln auftritt. In Mécanisme de la Physiono-
mie Humaine (1862) berichtet er von einer gemein-
samen Kontraktion der Mm. zygomaticus major
Abb. 16.1 Beispiel eines umgekehrt U-förmigen Zusam- (einem Muskel, der die Mundwinkel nach oben und
menhanges der eingeschätzten Witzigkeit in Abhängigkeit zurück zieht) und orbicularis oculi, pars orbitalis, wel-
des Ordnungsgrades eines Textes cher die Wangen anhebt und kleine Falten an den äu-
16 Psychologie, Medizin, Hirnforschung 91

Abb. 16.2 Beispiele einiger Arten des Lächelns

ßeren Augenrändern (Krähenfüsse) bildet (vgl. Ek- Formen des Lächelns und Lachens verlässlich erfasst
man/Davidson/Friesen 1990). werden. In der Humorforschung hat das FACS mitt-
Während der M. zygomaticus major der willentli- lerweile einen wichtigen Stellenwert: Es konnte ge-
chen Kontrolle unterliegt, fand G.-B. Duchenne, dass zeigt werden, dass das Duchenne-Display sensitiv für
sich der M. orbicularis oculi kaum willentlich bewegen
ließe. Dies führte zur Annahme, dass das ›Duchenne-
Display‹, wie es zu Ehren seines Entdeckers später be-
nannt wurde, nur als Ausdruck wahrer Freude auftritt
und als valider Indikator für eine positive Emotion an-
gesehen werden kann. Dieses Duchenne-Lächeln lässt
sich von 14 bis 18 weiteren Formen von Lächeln (vgl.
Bänninger-Huber 1996, Abb. 16.2 enthält einige Bei-
spiele) qualitativ abgrenzen. So unterscheidet sich das
Duchenne-Lächeln von anderen (z. B. gestellten) For-
men des Lächelns hinsichtlich des Timings der mi-
mischen Veränderungen, in der Symmetrie, im har-
monischen, dynamischen Verlauf, im Auftreten des
Lächelns während des Redens, im zeitgleichen Statt-
finden weiterer motorischer Verhaltensmuster und in
der Intensität der mimischen Marker. Das Duchenne-
Lächeln als wiederkehrende und aussagekräftige
Form des mimischen Ausdrucks der Freude wurde
zwar in Frage gestellt, jedoch konnte eine Vielzahl von
Studien zeigen, dass das Duchenne-Lächeln dann ver-
mehrt auftritt, wenn Personen berichten, Freude zu
empfinden, humorvolle Cartoons ansehen und diese
auch als witzig einschätzen, sowie wenn sie positive
Emotionen erleben (vgl. Ekman/Rosenberg 2005).
Mit dem Facial Action Coding System (FACS; vgl.
Ekman/Friesen/Hager 2002), einem anatomisch ba-
sierten System, welches jede visuell unterscheidbare Abb. 16.3 Duchenne stimuliert mit elektrischem Strom
mimische Bewegung erfasst, können verschiedene die Gesichtsmuskeln eines Patienten
92 II Methodische Zugänge zum Komischen

das Ausmaß an Erheiterung ist, welches Erwachsene


erleben, wenn sie auf Witze reagieren.
Es ist auch wichtig, Lachen und Lächeln in Studien
zu unterscheiden, da sich diese phylogenetisch anders
entwickelt haben und deshalb als separate Variablen
angesehen werden sollten. Der Einfluss der Stärke der
Erheiterung auf das Erleben und die mimischen Re-
aktionen ist graduell: Zuerst tritt erlebte Erheiterung
auf, ohne mimische Reaktionen, mit zunehmender
Intensität folgt eine Aktivierung des großen Jochbein-
muskels und im weiteren Verlauf eine Kombination
des Jochbeinmuskels mit dem äußeren Teil des Au-
genringmuskels, bis hin zu veränderter Atmung, Kör-
perhaltung, Gestik, kardiovaskulären und elektroder-
malen Veränderungen bei einem intensiven Lachen.
Der Ausdruck von Lächeln und Lachen als Reaktion
auf Humor ist zudem von Persönlichkeitseigenschaf-
ten wie Extraversion oder Heiterkeit als Tempera-
mentsmerkmal abhängig: Extravertierte Personen
zeigten schon bei vergleichsweise weniger lustigen Sti-
muli mehr und intensivere Formen des Lächelns und
Lachens.

16.3 Lachen
Abb. 16.4 Skizze eines schadenfreudigen Lachens nach
H. Spencer (1860) und Ch. Darwin (1872) inspirier- Rudolph, 1903
ten durch ihre Beschreibungen des Lachens empiri-
sche Studien verschiedener physiologischer Kom- chen der Erheiterung ist die Mimik während des La-
ponenten wie Atmung, Stimmgebung, Pupillenerwei- chens nicht grundsätzlich von der des intensiveren
terung oder der Herzfrequenz. Ausserdem wurden Lächelns verschieden, es kommen jedoch neue Ele-
erste Beobachtungen zu pathologischen und arznei- mente hinzu. Bereits Darwin sprach von einer gra-
mittel-induzierten Lachen und möglichen neurophy- duellen Entwicklung des Lächelns zum Lachen: »a
siologischen Korrelaten publiziert. Im Zuge der Aus- graduated series can be followed from violent to mo-
druckspsychologie beschäftigten sich neben Ana- derate laughter, to a broad smile, to a gentle smile, and
tomen auch Künstler und Bildhauer mit dem Lachen to the expression of mere cheerfulness« (Darwin 1872,
und dessen Ausdrucksformen in verschiedenen emo- 206) und betonte zugleich: »between a gentle laugh
tionalen Zuständen (z. B. boshaftes Lachen, freudiges and a broad smile there is hardly any difference except
Lachen, Grinsen). Dies führte zu reichhaltigem Bild- that in smiling no reiterated sound is uttered, though a
material und Beschreibungen verschiedener Arten single rather strong expiration, or slight noise – a rudi-
des Lachens, die bis heute in der Menge und Intensität ment of a laugh – may often be heard at the commen-
unübertroffen, aber empirisch kaum bestätigt sind – cement of a smile« (ebd., 208). In mancher Hinsicht
etwa die Arbeiten von H. Rudolph, der 1903 über 100 kann diese Beschreibung Darwins bis heute Gültigkeit
vermeintlich verschiedene Formen des Lachens in für sich beanspruchen. Generell ist beim Lachen zu-
Bild und Wort auflistete (siehe Abb. 16.4, Ruch/Hof- sätzlich zu den Duchenne-Markern der Mund geöff-
mann/Platt 2013). net und in die Quere gezogen, um die beim Lachen
Empirische Arbeiten zeigten, dass die enkodierte forcierte Ausatmung nicht zu behindern. Einige Auto-
Mimik der verschiedenen vorgeschlagenen Arten des ren betonen, dass auch der Kopf zurückgeneigt wird,
Lachens in den historischen Illustrationen von heuti- um die Luft ungehindert ausströmen zu lassen. Das
gen Betrachtern größtenteils nicht kongruent zu- Öffnen erfolgt durch eine Erschlaffung der Kiefer-
geordnet werden kann (vgl. ebd.). In Bezug auf das La- muskeln nach der ersten, das Lachen einleitenden In-
16 Psychologie, Medizin, Hirnforschung 93

spiration. Dessen ungeachtet gibt es Hypothesen, dass 16.4 Erheiterung


beim Lachen auch andere mimische Marker auftreten.
N. Sumitsuji (1967) leitete mit Nadelelektroden das Wie erleben Menschen lustige Stimuli? In der deutsch-
elektrische Potenzial direkt aus den Gesichtsmuskeln sprachigen Psychologie zu Beginn des 20. Jh.s wurde
lachender Personen ab und fand auch bei weiteren ›das Komische‹ als eigenständiges Gefühl (vgl. Kries
Muskeln Aktivierungen. Es ist also denkbar, dass das 1925, 250) behandelt und in den 1970er Jahren sprach
Lachen auch noch andere mimische Aktionen bein- P. E. McGhee dann von »Humorreaktion« (McGhee
haltet. Ungeklärt bleibt dabei, ob sich die Charakteris- 1971, 332–334). Andere Ansätze sehen diese Reaktion
tika im Gesichtsausdruck je nach Auslöser, d. h. zwi- als Emotion, da der Lustigkeitseindruck eher eine ko-
schen qualitativ verschiedenen Arten des Lachens un- gnitive Evaluation umfasst, nicht aber die Gefühls-
terscheiden. Dies würde zu zusätzlichen Nuancen in komponenten, die bei der Reaktion auf Humor betei-
der Mimik führen, abhängig vom Stimulus, der das ligt sind. Erheiterung beschreibt einen emotionalen
Lachen auslöst. Prozess, der sich in einer kurzfristigen Veränderung
Wie Darwin richtig beschrieb, unterscheidet das im heiteren Erleben (er-heitern bedeutet, Jemanden
Lächeln und das Lachen die veränderte Atmung und heiter, lustig stimmen), in der Auslösung von Lachen
die Lautäußerung. Die Atmung erfährt eine massive oder Lächeln und in phasischen physiologischen Ver-
Abweichung von der Ruhelage: Während sich die änderungen vollzieht. Erheiterung wird als angenehm
niedrig frequente rhythmische Ruheatmung nur ge- erlebt und kann als eine Facette der Emotionskatego-
ring in einer Schwankung des Umfanges der Brust- rie ›Freude‹ verstanden werden; vermutlich handelt es
und Bauchregion äußert, treten beim Lachen Hilfs- sich um diejenige Emotionskategorie, bei der Lachen
muskeln in Aktion, welche die für das Lachen typi- relativ gesehen am häufigsten auftritt. In Bezugnahme
sche, kraftvolle Ausatmung bewirken. Die verlänger- auf die Gefühlstheorie von W. Wundt kann man Er-
ten Phasen der Exspiration werden durch tiefe heiterung im Spannungsfeld der drei Achsen »Lust-
Inspirationen getrennt. Das kraftvolle Einatmen ist Unlust«, »Spannung-Lösung« und »Erregung-Beru-
notwendig, da beim Lachen das respiratorische Re- higung« (Wundt 1903, 292) als eine lustvolle, gelöste
servevolumen verbraucht wird. Um dem Brustraum Aktivierung beschreiben.
stark erweitern zu können und damit eine verstärkte Erheiterung tritt typischerweise als positive Reakti-
Ventilation der Lunge zu ermöglichen, ist es notwen- on auf humorvolle Stimuli auf. Das Konzept der Er-
dig, den Oberkörper zu strecken. Es ist daher nur heiterung beinhaltet Stimuli (z. B. Witze, Kitzeln,
zweckmäßig, dass die beiden Bewegungsabläufe (sich Lachgas) und Situationen (z. B. humorvolle Interakti-
aufbäumen, tief Luft holen) beim Lachen miteinan- on), die Erheiterung auslösen können aktuelle und ha-
der koordiniert sind. Ähnlich ist es bei Bewegungen bituelle Faktoren, welche erschwerend oder erleich-
des Kopfes, dem Öffnen des Kiefers, der Verbreite- ternd wirken (wie Geisteshaltungen oder Stimmung),
rung der Mundöffnung und eventuell dem Erweitern Veränderungen auf der Verhaltensebene (Mimik,
der Nasenflügel, welche zumindest zum Teil auf das Gestik, Körperhaltung) und im Erleben (Gefühl, Be-
forcierte Ein- bzw. Ausatmen abgestimmt sind. Die wertung der auslösenden Stimuli) sowie physiologi-
auftretenden Lachlaute folgen einem rhythmischen sche Prozesse (Atmung, Vokalisationen, kardiovasku-
Muster und können vokalisiert sein oder nicht. Voka- läre Aktivität, vgl. Ruch/Hofmann 2012).
lisiertes Lachen wird typischerweise als positiver und Obwohl die meisten Auslöser auch als aversiv
amüsierter wahrgenommen als nicht vokalisiertes empfunden werden können, hat Erheiterung eine po-
Lachen – enkodiert werden sie jedoch beide gleicher- sitive hedonische Qualität und wird als angenehm er-
maßen bei Erheiterung. Verschiedene Untersuchun- lebt. Die Verankerung beim Pol ›Spannungs-Lösung‹
gen (vgl. Ruch/Ekman 2001, 430–437) zum Lachen auf den Wundtschen Achsen könnte dabei mit einer
berichten von kardiovaskulären Veränderungen und entspannten Körperhaltung und der geringeren Be-
einem Anstieg der elektrodermalen Aktivität, wobei reitschaft, auf Veränderungen in der Umwelt mit Auf-
noch zu klären ist, ob diese Prozesse ausschließlich merksamkeit zu reagieren, einhergehen (vgl. Ruch
auf die veränderte Atmung zurückzuführen sind. Be- 1993). Erheiterung und der Zustand von Ernsthaftig-
züglich weiterer physiologischer Korrelate während keit sind daher nicht vereinbar, da letztere mit der Be-
des Lachens, wie der Tränenabsonderung oder der reitschaft einhergeht, Situationen ernst zu nehmen
Pupillendilatation liegen noch keine experimentellen und Beachtung zu schenken (vgl. Ruch/Hofmann
Befunde vor. 2012, 88–90). Die Erregungskomponente reflektiert
94 II Methodische Zugänge zum Komischen

die Wahrnehmung der Intensität des gezeigten Ver- delle, die einen zeitlichen Ablauf in der Verarbeitung
haltens und der physiologischen Prozesse. Lächeln lustiger Stimuli betonen und zwei Parameter, die In-
und Lachen repräsentieren verschiedene Intensitäts- kongruenz und deren Lösung in den Prozess der Ver-
stufen von Erheiterung (vgl. Ruch 1993, 609). Zudem arbeitung des humorvollen Stimulus einbetten. Das
sind die wahrgenommenen Stimuluseigenschaften bekannteste Modell ist das »Zwei-Stufen-Modell«
des Auslösereizes Bestandteil der Ebene des Erlebens oder »Inkongruenz-Lösungs-Modell« von J. M. Suls
und können als Indikator für die Intensität der Emo- (vgl. ebd.). In beiden Modellen gibt es zuerst eine Pha-
tion dienen (vgl. ebd., 611). So zeigte sich z. B., dass se der Aktivierung, die durch den inkongruenten Sti-
die Einschätzung der Witzigkeit lustiger Stimuli mit mulus hervorgerufen wird. Inkongruente Stimuli lö-
dem Grad erlebter Erheiterung korreliert. sen Überraschung aus und ziehen eine Lösungsphase
In frühen Untersuchungen (vgl. Ruch 2005) zum nach sich. Im zweiten Teil wird die Inkongruenz ver-
Zusammenhang zwischen humorinduzierter Erhei- arbeitet; die Überraschung löst sich. Kann die Inkon-
terung und Lachen wurde nicht zwischen verschiede- gruenz gelöst werden, entsteht evaluativ ein Lustig-
nen Arten des Lächelns und des Lachens unterschie- keitseindruck, emotional tritt Erheiterung auf. Dies
den. Dies wäre aber von höchster Wichtigkeit, da nur kann von Lachen oder Lächeln begleitet sein. Wird die
echtes Lächeln und Lachen, wie sie mit dem Duchen- Inkongruenz hingegen nicht oder nur partiell gelöst,
ne-Display ausgedrückt werden, Erheiterung wider- sind mehrere Reaktionen möglich: Verwirrung oder
spiegelt. So ist es auch nicht erstaunlich, dass die Be- Erheiterung (z. B. bei Nonsens Humor). Diese zwei
fundlage in frühen Untersuchungen sehr heterogen Phasen werden in den meisten Theorien unterschie-
ist: Der Zusammenhang zwischen Erheiterung im den, wenn auch die Terminologie jeweils eine andere
Selbstbericht und Lachen bewegt sich zwischen nega- ist. Vergessen wurde dabei oftmals, dass für die Erhei-
tiven Zusammenhängen, über Nullkorrelationen, bis terung eigentlich eine dritte Stufe bzw. ein dritter Pro-
zu beinahe perfekten Beziehungen. Nur Studien, wel- zess notwendig ist: Man lacht, nachdem man etwas
che zwischen verschiedenen Arten des Lächelns und Stimmiges im Unstimmigen, den ›Sinn im Unsinn‹ er-
Lachen unterschieden, finden die gewünschten Zu- kannt hat. Die Stimuli werden als ›witzig‹ erlebt und
sammenhänge zwischen Erheiterung und dem Aus- so bezeichnet. Die Lösung der Inkongruenz kommt
druck von Lächeln und Lachen. einem Problemlöseprozess gleich, der Lustigkeitsein-
druck entsteht aber, wenn man erkennt, dass die sinn-
hafte Lösung der Inkongruenz eigentlich unsinnig ist
16.5 Struktur und Prozesse: Die Ver- (d. h.: abweichend von der typischen Interpretation)
arbeitung von Komik oder nur in einem spielerischen Kontext Sinn macht
(vgl. Lipps 1898). Inkongruenz kann als notwendige,
Im Allgemeinen können drei große Klassen von Theo- aber nicht hinreichende Bedingung für das Entstehen
rien unterschieden werden: Kognitive Theorien und eines Lustigkeitseindruckes betrachtet werden. ›Ko-
›Erregungs‹-Theorien, welche sich mit der Struktur misch‹ kann neben ›belustigend‹ und ›erheiternd‹
und den Prozessen (Verarbeitung) humorvoller Sti- auch als Synonym für ›eigenartig‹, ›sonderbar‹ und
muli auseinandersetzen, und Überlegenheitstheorien, ›merkwürdig‹ genommen werden. Das Erleben von
welche motivationale Prozesse abbilden (vgl. Keith- Erheiterung ist daher an die Stimulation durch Aus-
Spiegel 1972). löser gebunden, welche einerseits inkongruent, nicht
Eine Vielzahl von Theorien versuchen zu erklären, stimmig, unsinnig, verrückt, widersprüchlich bzw.
wie Lustigkeitseindrücke entstehen. Dabei muss zwi- komisch sind, aber andererseits doch einen Sinn er-
schen der Struktur der komischen Stimuli und den zu- geben. Unlösbare Inkongruenzen werden zur Katego-
grundeliegenden kognitiven Verarbeitungsprozessen rie Nonsens gezählt (vgl. Ruch 1981, 253) und bilden
unterschieden werden. Kognitive Theorien analysie- eine eigene Gruppe von humorvollen Reizen.
ren typischerweise die strukturellen Eigenschaften Es wurde angenommen, dass sich Personen im
humorvoller Stimuli oder die Art, wie solche Stimuli Ausmaß der Wertschätzungen der verschiedenen
verarbeitet werden, wobei sich diese Elemente manch- Witzarten unterscheiden (vgl. ebd.). In der Folge wur-
mal auch vermischen. Im Sinne dieser Theorien ist der den daher Testverfahren entwickelt, um die Präferen-
wichtigste Operator von Humor-Stimuli die Inkon- zen für bestimmte Witzarten zu erfassen. Mit dem
gruenz und die logische kognitive Lösung dieser In- sog. 3WD (den 3 Witzdimensionen, einem Einschät-
kongruenz (vgl. Suls 1972, 82 f.). Es gibt mehrere Mo- zungsinstrument zur Erfassung der Humorpräferen-
16 Psychologie, Medizin, Hirnforschung 95

zen), kann die Wertschätzung von Cartoons und Wit- Humors kommt. In seinen Schriften Der Witz und sei-
zen des Formates Inkongruenz-Lösung, Nonsens und ne Beziehung zum Unbewussten (1905) und »Der Hu-
Sexwitzen erfasst werden. Diese Ergebnisse unter- mor« (1928) geht Freud davon aus, dass unbewusste
streichen die Wichtigkeit erotischer Inhalte, welche (sexuelle und aggressive) Impulse, die durch Konven-
auch bei Freud besondere Beachtung fand. Es sind tionen der Gesellschaft unterdrückt werden, durch
tendenziell die Personen, die Sexualität mehr aus- humorvolle Äußerungen und Witze sozial-akzeptabel
leben, die dieses Thema auch in Witzen mehr schät- ausgedrückt werden können. Das resultierende La-
zen und nicht jene, die sexuelle Impulse verdrängen. chen kommt dabei einer Lustempfindung gleich.
Eine Studie welche prüft, ob Menschen, denen offenes Freuds Konzeptualisierungen suchen daher die Vor-
Reden über Sexualität nicht möglich ist, häufiger Wit- lieben für gewisse Inhalte aggressiver oder sexueller
ze zu dem Thema machen, also dass der Witz ihnen Natur in humorvollen Stimuli zu erklären. Durch den
hilft, die Hemmung der Gesellschaft zu einem öffent- Einsatz von Witz, Komik und Humor kann psychische
lichen Diskurs zu überwinden, steht jedoch noch aus. Energie eingespart werden. Witz spart dabei den
Ferner konnte kein klarer Nachweis für einen eigen- Hemmungsaufwand ein, Komik den Einsatz von Vor-
ständigen Faktor ›aggressive‹ Witze erbracht werden; stellungsaufwand und Humor den Gefühlsaufwand
Witze und Cartoons diesen Inhaltes verteilten sich (Freud 1999, 260–269). Freud benutzte den Terminus
über die beiden Strukturkategorien Inkongruenz-Lö- Humor auch für affektgeladene und aversive Situatio-
sung und Nonsens gleichermaßen. In Bezug auf die nen, in denen eine Person normalerweise Schaden,
Struktur von Witzen hat Freud elf Techniken unter- Leid und Schmerz, aber durch die Wahrnehmung ei-
schieden, wo die Witzeslust durch die Witztechnik nes inkongruenten oder belustigenden Elements, eine
entsteht (vgl. Freud 1999, 42). Diese Strukturkatego- andere Perspektive einnimmt und negative Emotio-
rien wurden nie einem expliziten empirischen Test nen umwandeln respektive ›abführen‹ kann. In die-
unterzogen. Die Analyse von Witzen und Cartoons sem Sinne ist Humor für ihn ein reifer Abwehrmecha-
nach W. Ruch ergab aber zwei Strukturkategorien, In- nismus, der hilft, Leid zu ersparen (vgl. ebd.).
kongruenz-Lösung und Nonsens, welche vielleicht Darüber hinausgehend bieten auch die Überlegen-
die Witztechniken nach Freud beinhalten und auf hö- heitstheorien eine Erklärung für die Präferenz be-
herer Hierarchieebene zusammenfassen. Ein Test die- stimmter Objekte des Spottes. Vergnügen wird als an-
ser Annahme ist aber noch ausstehend. genehm erachtet (z. B. Gutman/Priest 1969) und ein
Basierend auf einer anderen theoretischen Traditi- Zuwachs des Selbstbewusstseins als wichtigste (aber
on wiesen M. K. Rothbart und D. Pien in ihrer »Arou- nicht ausreichende) Bedingung für Erheiterung ange-
sal-Safety« (Erregung-Sicherheit) Theorie des Hu- sehen. Je größer der Zuwachs an Selbstbewusstsein,
mors auf die Relevanz von Harmlosigkeit der Inkon- desto größer ist die angenommene Einschätzung der
gruenzen hin: Inkongruenzen können Spannungen Lustigkeit eines Stimulus. Eine Steigerung des Egos
auslösen. Werden diese Inkongruenzen aufgelöst und wird dabei v. a. aus einem Gefühl der Überlegenheit
als harmlos eingestuft respektive die negativen Kon- gewonnen.
sequenzen als unbedeutend kategorisiert, kann dies D. Zillmann und J. Cantor (1976) vertraten die An-
Vergnügen evozieren (vgl. Rothbart/Pien 1977). Diese sicht, dass Humor immer eine Art der Herabsetzung
Theorie macht jedoch keine Aussagen über die Inhalte einschließt: »Something malicious and potentially
humorvoller Stimuli. harmful must happen, or at least, the inferiority of so-
meone or something must be implied, before a humor
response can occur« (Zillmann/Cantor 1976, 101).
16.6 Motivationale Prozesse Dies schließt auch schadenfreudige Erheiterung mit
ein. Das Gedankengut der Theorie liefert zudem plau-
Man könnte argumentieren, dass strukturelle Elemen- sible Erklärungen für das Aggressionspotenzial, das
te humorvoller Stimuli eigentlich peripher sind, da In- vielfach in Witzen gefunden werden kann, wie auch
dividuen vielleicht mehr auf konnotative Elemente Freud schon Überlegenheit und Aggressivität als
des Inhaltes ansprechen. Es ist daher nicht erstaun- wichtige Elemente erachtete (vgl. Freud 1999). Durch
lich, dass intuitive Klassifikationen humorvoller Sti- Aggression wird die eigene Person aufgewertet und
muli typischerweise auf Inhaltskategorien basieren. das Gefühl der Minderwertigkeit abgebaut (vgl. Gru-
Verschiedene Theorien versuchen zu erklären, wie es ner 1997, 41–44): Humor kann so besehen als spieleri-
zu Präferenzen für bestimmte Inhalte oder Ziele des sche Aggression verstanden werden.
96 II Methodische Zugänge zum Komischen

Eine alternative Erklärung bietet die Salienz- tuellen (state) und habituellen (trait) Möglichkeiten
Theorie (vgl. Goldstein/Suls/Anthony 1972). Diese eines Individuums zur Erheiterung.
besagt, dass die Salienz eines Inhalts zu einer größe- Humor als Fähigkeit: Für die Fähigkeitskomponen-
ren Aufmerksamkeit für diese Inhalte führt, zu einer ten des Humors wurden verschiedene Begriffe ver-
größeren Verfügbarkeit von Informationen, die zum wendet: Witz, Humorproduktion, Humorkreation.
Verständnis eines Witzes verarbeitet werden, und Dabei wird zwischen der Produktion von neuartigem
schliesslich auch zu einer als größer wahrgenom- Material und der Fähigkeit, bestehendes Material zu
menen Lustigkeit. reproduzieren, unterschieden. Die Humorprodukti-
onsfähigkeiten und Reproduktionsfähigkeiten sind
von der (passiven) Wertschätzung humorvollen Mate-
16.7 Stimmung und Persönlichkeit rials weitgehend unabhängig, zeigen aber positive Zu-
sammenhänge zu Kreativität und Intelligenz auf. Ein
Stimmung: Das Auslösen von Humor kann durch das Modell zur Erklärung von ›Wittiness‹ ist das »Multi-
Vorherrschen bestimmter Stimmungen oder Geistes- dimensional Model of Wittiness« (1993) von A. Fein-
zustände erleichtert oder erschwert werden. So sieht gold und R. Mazzella. Das Modell umfasst die Fak-
z. B. P. E. McGhee eine ernsthafte Geisteshaltung als toren Motivation (Bestreben, durch Kommentare und
antagonistisch zu Humor, da sich dieser in einer spie- Aktionen andere zum Lachen zu bringen), Kommuni-
lerischen Haltung widerspiegelt (vgl. McGhee 1979, kation (Wahrscheinlichkeit, mit welcher eine Person
60–65). Ein Spielsignal (vgl. ebd.) kann jedoch je- humorvolle Ideen anderen gegenüber kommuniziert)
manden aus einer ernsthaften Verfassung in eine und Kognition (Fähigkeit, Witze zu produzieren oder
spielerische Haltung versetzen, was wiederum die Be- zu reproduzieren) (vgl. Feingold/Mazzella 1993, 439).
reitschaft für Humor erhöht. V. Raskin (1985) unter- Dieses Modell ist insofern kein reines Fähigkeits-
scheidet zwischen bona-fide (ernsthaft, wahrheits- modell, als es auch umfasst, inwieweit eine Person mo-
getreu) und non-bona-fide (humorvoll) Kommunika- tiviert ist, Humor zu produzieren und Humor erfolg-
tionsstilen, welche die beiden Pole ›ernsthaft‹ versus reich zu kommunizieren. Diese beiden Komponenten
›verspielt‹ abdecken (vgl. Raskin 1985, 89 f.). Generell sind nicht an intellektuelle Faktoren gebunden, son-
ist eine heitere Stimmung förderlich für das Erleben dern an soziale Faktoren und an die Persönlichkeit.
von Erheiterung; Ernsthaftigkeit und schlechte Laune Modellüberprüfungen haben gezeigt, dass die drei
bewirken dagegen das Gegenteil (vgl. Deckers 2007; Faktoren korreliert sind und sich die Aspekte Humor-
Ruch/Hofmann 2012). Kognition und Humor-Gedächtnis voneinander tren-
Persönlichkeit: Konzeptualisierungen von humor- nen lassen.
bezogenen Persönlichkeitsmerkmalen unterscheiden
zwischen Fähigkeit (maximalem Verhalten) und Stil
(typischem Verhalten). Die Dispositionen umfassen 16.8 Humor als Tugend/Charakterstärke
Temperament, Interessen, Einstellungen, Motivatio-
nen, Charakterstärken und Tugenden. Individuen un- Seit dem Aufstreben der ›Positiven Psychologie‹ in
terscheiden sich habituell darin, ob sie Humor initiie- den 1990er Jahren besteht wieder ein größeres Inte-
ren, wertschätzen und ob sie leicht zum Lachen zu resse daran, die fast vergessenen Themen ›Tugendhaf-
bringen sind. W. Ruch und Kollegen (vgl. Ruch/Zwey- tigkeit‹ und ›moralisch exzellentes Verhalten‹ zu un-
er 2001) postulierten darüber hinaus, dass der Sinn tersuchen (vgl. Peterson/Seligman 2004). Im Zuge
für Humor affektive und mentale Faktoren abdeckt, dieser Forschung wurde Humor als integraler Be-
deren Basis wahrscheinlich universell ist. Die Ansicht, standteil der Positiven Psychologie identifiziert und
dass der Sinn für Humor ein Persönlichkeitsmerkmal als eine der 24 Charakterstärken definiert (vgl. ebd.,
ist, schließt die Auffassung von Humor als Welt- VIA-Klassifikation). Aufbauend auf den Werken be-
anschauung nicht aus: Es bestehen Zusammenhänge rühmter Philosophen und Denker wurde dem Hu-
zwischen Philanthropie, Weisheit und Temperament. mor eine tugendhafte Komponente zugeschrieben,
Eine humorvolle Weltsicht baut auf einem heiteren welche einen Beitrag zum sog. ›guten Leben‹ leistet.
Temperament auf. Die temperamentale Basis für den Studien zum Sinn für Humor und dessen Nutzen in
Sinn für Humor manifestiert sich in den Merkmalen Interventionen gehen der formalen Gründung der
Heiterkeit, Ernsthaftigkeit und schlechte Laune (vgl. Positiven Psychologie voraus; die Positive Psycho-
ebd.). Dabei beeinflussen die drei Merkmale die ak- logie kann aber als Katalysator von weiteren Arbeiten
16 Psychologie, Medizin, Hirnforschung 97

zum Sinn für Humor gesehen werden. So wird die 16.9 Messverfahren
Ansicht vertreten, Humor trage zum guten Leben bei,
da Elemente des Sinns für Humor Individuen helfen Die verschiedenen Konzeptualisierungen von Humor
können, Probleme, Krankheiten und negative Erleb- führten zu verschiedenen Messmethoden, welche
nisse zu bewältigen. Insbesondere dient Humor dem von Persönlichkeitsfragebogen in Selbst- und Fremd-
Umgang mit Stresssituationen, sozialen Interaktio- beurteilungsformen, Humor-Tagebüchern, Witzig-
nen und der Förderung von Kreativität. In vielen Be- keitseinschätzungen von humorvollen Stimuli, bis zu
rufsgruppen ist Humor als Charakterstärke ein Kern- Leistungstests reichen. Dabei sind die verschiedenen
merkmal, z. B. bei Therapie-Clowns (vgl. Fey 2013; Komponenten von Humor nicht zwingend hoch in-
Hirsch/Bruder/Radebold 2001). Humor kann als terkorreliert: Das Konzept ist zu facettenreich. Selbst-
Stärke am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld ein- beurteilungsmaße eignen sich zudem nur bedingt zur
gesetzt werden und hängt positiv mit der Lebens- Erfassung spezifischer Komponenten wie z. B. der Fä-
zufriedenheit zusammen. Humor dient mehreren Tu- higkeit, Humor zu produzieren oder zu verstehen, wo
genden, darunter Transzendenz, Weisheit und Ge- Fähigkeitstests die Mittel der Wahl sind. Historisch
rechtigkeit, wobei die Beziehung zur Humanität am gesehen waren die Vielzahl der Instrumente der
stärksten ist. 1970er Jahre Verfahren zur ästhetischen Einschät-
Humor als ästhetische Empfindung: Auch das indi- zung von Witzen und Cartoons. Seit den 1980er Jah-
viduelle Profil, welche Witze man komisch findet und ren wurden dann eine Vielzahl von Selbstbeurtei-
welche nicht, ist persönlichkeitsrelevant. W. Ruch und lungsinstrumenten entwickelt, die sich auf den Sinn
F.-J. Hehl (2007) demonstrierten das Ausmaß der Un- für Humor als Persönlichkeitsmerkmal beziehen.
terschiede, in dem Individuen humorvolle Stimuli Dies spiegelt bis heute den dominanten Ansatz wider.
wertschätzen. In ihren Untersuchungen wurden Ver- Vergleichsweise wenige Instrumente existieren für
suchspersonen gebeten, vorgegebene Cartoons oder Fremdeinschätzungstechniken oder experimentelle
Witze in ihrer Lustigkeit einzuschätzen. Es sollte fest- Ansätze – dies gilt insbesondere für den Einsatz bei
gestellt werden, ob die Wertschätzung bestimmter Sti- jüngeren Kindern und Jugendlichen (vgl. Ruch 2007).
muli (d. h., das ästhetische Empfinden, inwieweit die- Im Allgemeinen sollte jedes gut dokumentierte Ver-
se ›komisch‹ sind) einen Zusammenhang zur Persön- fahren Informationen über die Art der Konzepte ent-
lichkeit aufweist. halten, die gemessen werden können. Dies schließt
Dabei ist es wichtig, nicht nur positive, sondern die zugrunde liegenden theoretischen Annahmen,
auch negative Reaktionen zu berücksichtigen. In einer Informationen zur Konstruktion, den Gütekriterien,
experimentellen Studie von W. Ruch (1981) beurteil- der Handhabung des Verfahrens und dem Einsatz-
ten 110 Probanden eine zufällig gezogene Stichprobe bereich mit ein.
von 48 Witzen bzw. Cartoons. Jeder Cartoon/Witz Der Großteil der Messverfahren beziehen sich auf
wurde nach fünf Aspekten beurteilt. Über ein struk- die Erfassung des Sinnes für Humor als überdauern-
turgebendes mathematisch-statistisches Verfahren des Merkmal. Da die verschiedenen Messverfahren
(Faktorenanalyse) wurde die Dimensionalität dieser auf verschiedenen theoretischen Annahmen beruhen,
Aspekte untersucht. Es zeigte sich ein Faktor ›Erheite- aber alle das gleiche Konstrukt messen sollten (d. h.
rung‹, der folgende Aspekte vereint: »bringt mich zum den Sinn für Humor), wurden strukturgebende ma-
Lachen«, »erregt Heiterkeit in mir«, »finde ich witzig« thematisch-statistische Verfahren (Faktorenanalysen)
und »gefällt mir sehr gut« (Ruch 1981, 256–271). In verwendet, um die Anzahl und die Art der zugrunde
diesem Faktor vermischen sich das globale Mögen liegenden Faktoren unterschiedlicher Humorverfah-
bzw. die Einschätzung des Lustigkeitseindruckes mit ren zu bestimmen. Dies sollte Aufschluss über die Di-
dem Ausdrucksverhalten und dem Erleben von Erhei- mensionalität des Sinnes für Humor geben, wie er in
terung. Weiter zeigte sich, dass das Erleben negativer bestehenden Instrumenten erfasst wird. K. H. Craik
Gefühlsqualitäten (z. B. Ärger) bzw. die Bewertung und Kollegen analysierten eine umfassende Palette
negativer Aspekte der Stimuli (z. B. Ablehnung) auf ei- nicht-redundanter Humorverhalten im Alltag und
ner anderen Beurteilungsdimension lag. Dadurch konnten diesen zehn Arten von Humor-Stilen zuord-
wird die globale Lust/Unlust-Dimension in zwei nen, die sich wiederum auf fünf bipolaren Dimensio-
Komponenten aufgespalten, wobei die Erheiterung nen zusammenfassen ließen: sozial warm vs. sozial
den positiven Pol und die ablehnende Haltung den ne- kalt, reflektierend vs. ungehobelt, kompetent vs. un-
gativen Pol dieser Dimension repräsentiert. fähig, erdig vs. gehemmt sowie gutartig vs. boshaft
98 II Methodische Zugänge zum Komischen

(vgl. Craik u. a. 1996, 277–284). Vor allem die erste vativismus (eine geistige Haltung, welche das Bedürf-
Dimension konnte vielfach bestätigt werden und liegt nis nach Kontinuität und Sicherheit umfasst), die Ba-
den meisten stimmungsbasierten Humorskalen zu- sis für die Vorhersage der Altersunterschiede im In-
grunde. Werden alle bestehenden Humorinstrumente kongruenz-Lösungs-Humor und im schwächeren
einer gemeinsamen Analyse unterzogen, zeigt sich ty- Ausmaße auch bei Nonsens Humor bildet. Je älter Per-
pischerweise, dass ein starker erster Faktor extrahiert sonen werden, desto höher wird der Konservativis-
werden kann, der ein heiteres Temperament wider- mus im Mittel und desto höher die Wertschätzung von
spiegelt (vgl. ebd., 284–290). Dies belegt, dass die Inkongruenz-Lösungs-Humor im Mittel. Verände-
meisten bestehenden Selbsterfahrungsinstrumente rungen im Konservativismus sagen auch die Verände-
zum Humor die positive Komponente abbilden. rungen in der wahrgenommenen Lustigkeit lösbarer
humorvoller Stimuli voraus. Auch Altersunterschiede
bezüglich der Wertschätzung des Nonsens-Humors
16.10 Weitere Aspekte einer Psychologie konnten durch die Werte im Konservativismus vor-
des Humors hergesagt werden, wenn auch in schwächerem Aus-
maße: Konservativismus und Erheiterung durch Non-
Entwicklung des Humors über die Lebensspanne sens-Humor zeigten eine schwach gegenläufige Al-
Das Verständnis von Inkongruenzen wurde bereits bei tersentwicklung.
Kleinkindern im Alter von drei bis sechs Monaten in
Interaktionen mit den Eltern nachgewiesen (vgl. Hoi- Ist Humor trainierbar?
cka/Akthar 2012; Mireault u. a. 2012). Säuglinge neh- O. Nevo, H. Aharonson und A. Klingmann postulier-
men Inkongruenzen wahr (z. B. die falsche Verwen- ten, dass die emotionalen, kognitiven und motivatio-
dung eines bekannten Objektes) und reagieren darauf nalen Komponenten des Sinnes für Humor trainier-
mit Lächeln und Lachen. Die klassischen theoretischen bar sind (vgl. Nevo/Aharonson/Klingmann 2007).
Arbeiten zur Entwicklung des Sinnes für Humor und Grundsätzlich lassen sich Humortrainingsprogram-
dem Verständnis von Humor nahmen ihre Anfänge me in zwei Kategorien einteilen: Individuelle Trai-
mit frühen Arbeiten aus psychoanalytischer Sicht (vgl. nings, die alleine durchgeführt werden können, und
Wolfenstein 1954). Später prägte P. E. McGhee (z. B. Gruppentrainings, welche einem Manual folgen oder
1979) mit seiner umfangreichen Forschung zum Hu- von professionellen Trainern (z. B. von Clowns) ange-
mor bei Kindern den Wissenstand. Sein Vier-Stufen- leitet werden. Beide Arten von Trainings haben kurz-
Modell der Humorentwicklung ist eng an die Vorstel- fristige positive Auswirkungen auf das Erleben positi-
lungen der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten ver Emotionen und können den Sinn für Humor
nach J. Piaget geknüpft. Es wird angenommen dass mit nachweislich fördern. Im Vergleich zu einer Gruppe,
zunehmender kognitiver Entwicklung auch die Fähig- die kein Training oder andere Trainings gemacht hat,
keit zunimmt, komplexere humorvolle Stimuli zu ver- wirken sich Humorinterventionen positiv auf das
arbeiten (und verschiedene Arten von Stimuli wert- subjektiv eingeschätzte Wohlbefinden – etwa die Le-
zuschätzen): So nimmt z. B. im Verlaufe des Grund- benszufriedenheit – und die Reduktion von traurigen
schulalters das Verständnis für Ambiguitäten und In- Verstimmungen aus (Ruch/McGhee 2014).
kongruenzen zu, andererseits auch dasjenige für McGhee entwickelte ein achtstufiges Humortrai-
Metaphern. Nebst der kognitiven Kapazität wächst ningsprogram, welches alleine durchgeführt werden
zeitgleich das angesammelte Wissen über die Welt, so kann, aber auch an Gruppensituationen angepasst
dass auch anspruchsvollere Witze korrekt interpre- wurde (vgl. McGhee 1990). Die Basis des Trainings ist
tiert, rezipiert oder produziert werden können. das (Wieder-) Herstellen einer spielerischen Einstel-
Vergleichsweise wenige Arbeiten beschäftigen sich lung im Erwachsenenalter. Das Programm fördert
mit der Entwicklung des Humors in späteren Lebens- verschiedene Aspekte des Sinnes für Humor, wobei
phasen oder Entwicklungsverläufen in der Wertschät- die Stufen aufeinander aufbauen und die Anforderun-
zung bestimmter Humorarten. McGhee und Kollegen gen immer komplexer werden. So fördert eine ein-
erstellten ein Modell zur Erklärung der Wertschät- fache Stufe das Erkennen von Humor im Alltag, eine
zung von Inkongruenz-Lösungs-Humor und Non- der schwersten Stufen das Anwenden von Humor un-
sens-Humor über die gesamte Lebensspanne (vgl. ter Stress. Die Übungen werden von home play Auf-
McGhee/Ruch/Hehl 1990). Diese Arbeiten zeigten, gaben begleitet, die helfen, das Geübte in den Alltag zu
dass der teilweise bekannte Altersverlauf im Konser- übertragen (vgl. Ruch/McGhee 2014, 184–186).
16 Psychologie, Medizin, Hirnforschung 99

Erblichkeit und Umwelt als Faktoren, die Komik Nervus accumbens. Es wird daher angenommen, dass
beeinflussen bei der Verarbeitung witziger Stimuli zuerst Gebiete
Nachdem Persönlichkeitsmerkmale gemessen wer- im Temporallappen aktiv werden, welche die Pointe
den, taucht meist die Frage auf, worauf die beobacht- (die Inkongruenz) erkennen. Dann muss der Witz
baren Unterschiede zurückgeführt werden können: verstanden werden, was wahrscheinlich in den linken
sind es genetische Faktoren, Besonderheiten der Um- frontalen Gebieten des Gehirnes geschieht. Bei echter
welt, oder verschiedene Arten der Interaktion bzw. Erheiterung folgt dann die Aktivierung der limbi-
Kovariationen der verschiedenen Bereiche? Erblich- schen und anderer subkortikaler Gebiete, welche für
keit bezeichnet den Anteil der beobachteten Varianz das Empfinden der Emotion verantwortlich sind.
eines Merkmals, das auf genetische Variation zurück- Zeitgleich findet eine Planung und schließlich Aus-
geführt werden kann. Die meisten Merkmale haben führung der motorischen Reaktion – des Lächelns
eine genetische Basis: Ein gewisser Anteil der be- oder des Lachens – statt.
obachtbaren Ausprägung des Merkmales lässt sich Zusammenfassend kann man sagen: Eine Psycho-
durch genetische Faktoren erklären. Zudem gibt es logie des Humors umfasst alle Bereiche menschlichen
zwei Arten der Umwelt, die geteilte, also etwa die Fa- Fühlens, Handelns und Denkens. Sie hat letztendlich
milienumwelt, die meist ein weniger wichtiger Faktor zum Ziel, das Verhalten und Erleben, dass mit Humor
ist, während die getrennte Umwelt (z. B. andere Freun- einhergeht, zu beschreiben (wie ist es?), zu erklären
de) ein bedeutsamer Faktor ist. Auch beim Lachen (wieso zeigen wir es?), vorherzusagen (wer wird es zei-
und der Einschätzung des eigenen Sinns für Humor gen?) und zu kontrollieren (wie können wir es ver-
gibt es Effekte der Erblichkeit und der nicht geteilten ändern?). Dabei geht der Forschungsgegenstand weit
Umwelt. Bei der Einschätzung der Witzigkeit und der über die Interpretation von Witzen und Reaktionen
Ablehnung von verschiedenen Arten von Witzen und darauf hinaus. Der Sinn für Humor ist ein Persönlich-
Cartoons zeigt sich, dass für das Verstehen von Non- keitsmerkmal, das sich über die Lebensspanne ent-
sens ausschließlich Umwelteffekte relevant sind, wäh- wickelt, Fähigkeits- und Wertschätzungskomponen-
rend für das Mögen (und Ablehnen) von Inkongru- ten enthält und auch trainierbar ist.
enz-Lösungs-Witzen respektive für das Mögen des In-
halts von Sexwitzen eine kleine genetische Kom- Literatur
ponente nachweisbar ist (vgl. Weber u. a. 2014). Andrews, T. Gaylord: »A factorial analysis of responses to
the comic as a study in personality«. In: The Journal of Ge-
neral Psychology 15. Jg., 2 (1943), 209–224.
Hirnforschung
Bänninger-Huber, Eva: Mimik – Übertragung – Interaktion.
In den letzten Jahren sind viele Untersuchungen zur Bern 1996.
Verarbeitung witziger Stimuli (jedoch wenige zur Ver- Bremmer, Jan/Roodenburg, Hermann (Hg.): A cultural his-
arbeitung der Produktion witziger Stimuli) im Gehirn tory of humor: From antiquity to the present day. Cam-
erschienen. Die vorliegenden empirischen Befunde bridge 1999.
Craik, Kenneth H./Lampert, Martin D./Nelson, Arvalea J.:
sprechen dafür, dass es kein ›Humorzentrum‹ gibt,
»Sense of humor and styles of everyday humorous con-
sondern dass durch witziges Material ein Netzwerk duct«. In: Humor: International Journal of Humor Research
verschiedener Hirnregionen angeregt wird, deren Ak- 9. Jg., 3–4 (1996), 273–302.
tivierung das Erkennen und die schließlich die Reakti- Darwin, Charles: The expression of the emotions in man and
on auf humorvolles Material bewirkt. Dabei handelt es animals. London 1872.
sich um ›Werkzeuge‹, die auch bei nichtwitzigen Auf- Deckers, Lambert: »Influence of mood on humor«. In: Willi-
bald Ruch (Hg.): The sense of humor: Explorations of a per-
gaben eingesetzt werden, wie z. B. das Arbeitsgedächt-
sonality characteristic. Berlin 2005, 309–328.
nis oder Fähigkeiten der Spracherkennung. Für das Ehrenstein, Walter H./Ertel, Suitbert: »Zur Genese des Lus-
Verständnis vieler Witze ist es zudem notwendig, eine tigkeitseindrucks«. In: Psychologische Beiträge 20. Jg., 3
›Theory of Mind‹ bilden zu können, d. h. eine Vorstel- (1978), 360–374.
lung davon zu haben, was andere Personen planen Ekman, Paul/Rosenberg, Erika L.: What the face reveals: Ba-
oder denken (vgl. Korb u. a. 2012; Wild 2010). sic and applied studies of spontaneous expression using the
facial action coding system (FACS). New York 2005.
Erheiterung, die mit einem Lächeln einhergeht, Ekman, Paul/Friesen, Wallace V./Hager, Joseph C.: Facial
wird typischerweise von der Aktivierung subkortika- Action Coding System: A technique for the measurement of
ler Strukturen (unterhalb der Großhirnrinde) beglei- facial movement. Palo Alto 2002.
tet sowie von Aktivierungen des Cerebellums, der Ba- Ekman, Paul/Davidson, Richard J./Friesen, Wallace V.: »The
salganglien (End-und Zwischenhirnkerne) und des Duchenne smile: Emotional expression and brain physio-
100 II Methodische Zugänge zum Komischen

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17 Komik, Witz und Humor in der Psychoanalyse 101

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on. London 1976, 93–115. Der Beginn einer psychoanalytischen Beschäftigung
Willibald Ruch / Jennifer Hofmann mit dem Phänomen des Komischen ist klar datierbar
durch das Erscheinen von Freuds Grundlagenwerk
Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten von
1905.
Freud hatte schon früher im Verlauf der Formulie-
rung seiner Theorie des Unbewussten Beispiele des
Witzes, der Komik, des Lächerlichen oder des Humors
herangezogen. Den ersten Hinweis auf die Bedeutung
dieses Themas verdankt er W. Fließ, dem der witzige
Charakter vieler von Freud mitgeteilter Träume auf-
gefallen war. Dieser bestätigte den engen Zusammen-
hang seines Modells unbewusster Vorgänge und einer
»Theorie des Witzes und Komischen« (Freud 1999,
406) und unterstrich auch in der Traumdeutung (Freud
1900, 303 f.) die Ähnlichkeit zwischen dem Umgang
mit dem Lustprinzip bei Traum und Witz. Erst 1905
aber wandte er sich einer systematischen Analyse des
Komischen zu, das als weitere Beweisebene für die
mehrschichtige Arbeitsweise der menschlichen Psyche
herangezogen wurde. Nach der Traumdeutung und der
Psychopathologie des Alltagslebens (1904) war es Freuds
dritte Monographie, die einem doppelten strategi-
schen Interesse folgte: Zum einen, die in früheren kli-
nischen Studien nachgewiesenen Mechanismen der
Entstellung von Bewusstseinsinhalten anhand dieses
Alltagsphänomens zu bestätigen und andererseits, ver-
mittels dieses offensichtlich populären Gegenstandes
für die Einsichten der Psychoanalyse bei einem breiten
Publikum zu werben.
Als »augenscheinlich das philosophischste Werk
Freuds« (Kofman 1986/1990, 3) ist das Buch streng
gegliedert in einen analytischen (den Bauformen und
Absichten des Witzes gewidmeten), einen syntheti-
schen (libidinöse und kommunikative Aspekte be-
handelnden) und einen theoretischen (zwischen der
Witzarbeit und dem Komischen unterscheidenden)
Teil. Schon mit dieser Nomenklatur gibt Freud den
szientifischen Ernst zu erkennen, mit dem er das Ko-
mische in ›Witz‹, ›Scherz‹, ›Posse‹ und ›Humor‹ auf
eine klar definierte Formel bringen will. Schon die
Einleitung bezieht sich neben dem Dichter Jean Paul
auf die Tradition der philosophischen Auseinander-
setzung mit dem Witz und nennt F. Th. Vischer, K. Fi-
scher und Th. Lipps ausdrücklich, wobei der letztere

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_17,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
102 II Methodische Zugänge zum Komischen

mit seinem 1898 erschienenen Buch Komik und Hu- automatischen Regression und der Tarnung für das
mor zum häufig zitierten Anlass für Freuds Unter- Bewusstsein verdankt. Unbewusste Impulse dringen
suchung gerade dieses Gegenstandes wird. Anders als so in Form von Denkfehlern, Unifizierungen, Darstel-
Fischer, der sich mehr für den komischen Gegen- lungen durch das Gegenteil, durch Ähnliches, durch
stand und das spielende Urteil über diesen interes- Modifikation, Auslassung oder indirekte Darstellun-
siert, konzentriert sich Lipps auf die Subjekthand- gen als Abkömmlinge ganz im Sinne der Analogie von
lung, die Komik hervorbringt, und zwar in all ihrer Traum- und Witzarbeit ins Bewusstsein:
Gegensätzlichkeit von Sinn und Unsinn, dessen Ver-
borgenheit schon Lipps zur Annahme ›unbewusster »Die interessanten Vorgänge der Verdichtung mit Er-
Seelenzustände‹ geführt hatte. satzbildung, die wir als den Kern der Technik des Wort-
Freuds eigene Analyse beginnt bei der ›Technik‹ witzes erkannt haben, wiesen uns auf die Traumbil-
des Witzes, worunter er die Umwandlung eines Ge- dung hin, in deren Mechanismus die nämlichen psy-
dankens in die Form eines bestimmten, den Witz chischen Vorgänge aufgedeckt worden sind. Eben
kennzeichnenden Wortlauts versteht. Als erstes Merk- dahin weisen aber auch die Techniken des Gedanken-
mal wird die »erhebliche Verkürzung« (Freud 1999, witzes, die Verschiebung, die Denkfehler, der Wider-
16) genannt, die zu Mischformen führt, die durch eine sinn, die indirekte Darstellung, die Darstellung durchs
scheinbar zusammendrängende Kraft verschmolzen Gegenteil, die samt und sonders in der Technik der
werden und zur »Verdichtung mit Ersatzbildung« Traumarbeit wiederkehren.« (Freud 1999, 95)
(ebd., 18) führen. Schon hier wird die Tendenz deut-
lich, die Phänomene des Witzes und des Komischen So wie der Traum nach Freud eine halluzinatorische
überhaupt für die Beweisführung psychoanalytischer Wunscherfüllung erlaubt, gewährt der Witz eine
Erkenntnis zu nutzen, insofern typische Interpretati- Lusterfüllung verdrängter Triebansprüche, indem er
onsfiguren eingesetzt werden, die Freud im Zusam- das Hindernis der Verdrängung »umgeht« (ebd.,
menhang seiner Hysteriestudien und Traumanalysen 110). Auf dem »Umwege« (ebd., 121) doppeldeutiger,
formuliert hat. Entsprechend der Unterscheidung von zynischer oder auch blasphemischer Witze zeigt sich
Witz, Komik und Humor kommt nur der ersten Form diese ›Tendenz‹ der spezifischen Witzlust. Ihre Me-
eine Zugehörigkeit zur Topik des Unbewussten zu chanismen weisen Freud in die Richtung der libidinö-
und damit eine Analogie mit der Traumarbeit. Die sen Energie, die beim Lachen über den Witz oder das
hierfür in der Traumdeutung genannten drei Mecha- Komische entladen wird, und diese Entladung ist das
nismen der Übersetzung des latenten Traumgedan- für ihn wichtigste Moment beim triebtheoretischen
kens in den manifesten Trauminhalt, nämlich Ver- Verständnis des Witzes. Dies führt dann im sog. ›syn-
dichtung, Verschiebung und Rücksicht auf Darstell- thetischen‹ Teil der Analyse zur genaueren Betrach-
barkeit, finden sich leicht modifiziert auch in der Ana- tung des ›psychischen Aufwandes‹, der mit der Hem-
lyse der Witztechnik wieder. Neben der ›Verdichtung‹ mung oder Verdrängung triebhafter Regungen ver-
durch Vermischung und Verschmelzung von Wörtern bunden ist. Vor diesem Hintergrund formuliert Freud
samt Modifikation, der ›Zerteilung‹ durch Verwen- seine ebenso originelle wie eigentümliche These, dass
dung des nämlichen Materials als Ganzes und Teile, sich die eigentliche Lust an Komischem einem »Prin-
als Inversion, als Modifikation bzw. Alteration von zip der Ersparung« verdanke, dass »›Ersparung an
voller und leerer Bedeutung, dem ›Doppelsinn‹, z. B. Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand‹ das Ge-
von Name und Sachbedeutung, von metaphorischer heimnis der Lustwirkung des tendenziösen Witzes zu
und buchstäblicher Bedeutung oder von Zweideutig- sein schien« (ebd., 133). Verständlich wird diese nach
keit und Anspielung, findet sich auch die ›Verschie- einem Ökonomie-Modell argumentierende Interpre-
bung‹ durch Widersinnigkeiten und Anspielungen im tation durch den ideologischen Kontext des aus-
Kanon der Witztechniken wieder. gehenden 19. Jh.s, in dem G. T. Fechner sein Gesetz
Jedesmal geht es um eine charakteristische Trans- der Konstanz formuliert und der Pragmatismus eines
formation ›primärprozeßhafter‹, also auf direkte Be- W. James für ökonomische Lösungsstrategien plai-
friedigung bzw. ›Abfuhr‹ ausgerichteter Gedanken des doyiert hatte (vgl. Wirth 1999, 99).
Anstößigen (aggressiver oder obszöner Natur), in die Freuds Interesse an der Ersparung psychischen
Sprache des zensurierten und dem symbolischen Auf- Aufwandes überträgt die pragmatischen Motive einer
schub verpflichteten ›Sekundärprozeßes‹, wobei sich Energiereduzierung und einer Vermeidung von Über-
das Komische der Spannung zwischen der partiellen, lastung auf die Funktionsweise des psychischen Ap-
17 Komik, Witz und Humor in der Psychoanalyse 103

parates als Wunschmaschine, deren Abfuhr von über- zungsaufwänden bei Produzenten und Rezipienten
schüssiger Energie schon in der Traumdeutung am von Witzen durch. Die »Ersparung« oder »Sparsam-
Beispiel des »Lachens« bzw. am »komischen Effekt« keit« (ebd., 175) bleibt für ihn die via regia zum Ver-
(Freud 1900, 611) demonstriert wird. Die Lust am Un- ständnis von Effekten der Komik, die im letzten,
sinn steht für ihn im Zeichen einer Vermeidung von ›theoretischen‹ Teil nur noch einmal in ihren Mecha-
Unlust, eines Schutzes vor überstarken Reizen, wie er nismen gegenüber dem Traum und untereinander dif-
im infantilen Leben durch die Möglichkeit des Spiels ferenziert werden. Bei aller Ähnlichkeit zwischen der
gewährt wird. Spiel und Scherz sind somit Vorstufen Traum- und der Witzarbeit bei der Entstellung des
des Witzes hinsichtlich seiner spezifischen Leistung, Sinns sind doch gravierende Unterschiede zu bemer-
durch die Witzarbeit »die lustbereitenden Wort- und ken nicht zuletzt hinsichtlich der sozialen Funktion,
Gedankenverbindungen vor der Kritik zu schützen« die beim Traum keine Rolle spielt, beim Witz aber
(ebd., 146). Wie kurze Zeit darauf der Aufsatz »Der ganz entscheidend ist. Aber auch beim Umgang mit
Dichter und das Phantasieren« von 1908 weiter aus- dem Verdrängten zeigt sich ein wesentlicher Gegen-
führen wird, dient das Kinderspiel als Vorbild einer satz zwischen der halluzinatorischen Wunscherfül-
phantasmatischen Wunscherfüllung, die als »Ver- lung im Traum und der kompromisslosen Auseinan-
lockungsprämie« (ebd., 153) für eine größere Lustfrei- dersetzung mit der Hemmung im Witz, der auf dem
setzung fungiert bzw. als ›Vorlust‹ spielerisch mit dem Wege des Spiels mit der Vieldeutigkeit des Sinns – und
Verbotenen umgeht. Die Lust am Spielen mit den sei es des Widersinns oder der Darstellung durch das
Worten und ihrem Sinn bzw. am Unsinn regrediert al- Gegenteil wie in der Ironie – die Verdrängung unter-
so auf die Stufe des Infantilen, das selbst den Witz läuft. Während der Traum Unlust erspart, dient die
noch nicht kennt. Vielmehr wird von Kindern in ihrer Ersparung des Hemmungsaufwandes durch den Witz
Naivität oder Dummheit Unsinn produziert, über den dem Lustgewinn.
die Erwachsenen lachen, oder mit anderen Worten: Entsprechend unterscheiden sich die verschiede-
»Der Gedanke, der zum Zweck der Witzbildung ins nen Formen des Komischen, die Freud als ›Witz‹, als
Unbewußte eintaucht, sucht dort nur die alte Heim- ›Komik‹ im engeren Sinne und als ›Humor‹ auch
stätte des einstigen Spieles mit Worten auf. Das Den- nach dem ökonomischen Prinzip des Energieauf-
ken wird für einen Moment auf die kindliche Stufe zu- wands differenziert. Das Komische wird im Gegesatz
rückversetzt, um so der kindlichen Lustquelle wieder zum Witz gefunden und nicht gemacht, aber es lebt
habhaft zu werden« (ebd., 194). auch, z. B. in der Form des Naiven, von der Ersparung
Im zweiten Teil seiner ›Synthese‹ greift Freud dann eines Aufwandes durch einen den komischen Effekt
noch einmal die Frage der Motive des Witzes auf, die hervorrufenden, vereinfachenden und zugleich den
sich für ihn nicht nur auf den Lustgewinn reduzieren. Hemmungsaufwand überwindenden Vergleich. Des-
Neu kommt eine kommunikative Dimension hinzu, halb lachen über simplifizierende und dadurch lusti-
zum Witz gehört nämlich auch der Drang, ihn mit- ge Bemerkungen von Kindern auch nur die Erwach-
zuteilen. Es bedarf also nicht nur wie beim Komischen senen und nicht die Kinder selbst, die noch keine
einer zweiten Person, die als Objekt des Scherzes fun- Hemmungsschranke aufgebaut haben. Darüber hi-
giert, sondern auch einer dritten Person, bei der sich naus gibt es die Situationskomik, die sich dem Ver-
derselbe libidinöse Prozess abspielt wie beim Witzer- gleich von menschlichen und mechanischen Bewe-
zähler, ausgehend von einer Bereitschaft zur Über- gungsabläufen bzw. kolportierenden Nachahmun-
windung der vorher aufgebauten Hemmung durch die gen, Verkleidungen, Karikaturen, Parodien oder Tra-
Energieentladung des dazu nötigen Besetzungsauf- vestien verdankt.
wandes im gemeinsamen Lachen. Die Lust wird emp- In diesem Zusammenhang kommt Freud auch zum
funden als ›Abfuhr‹ durch das ›Lachen‹, was Freud zu ersten Mal auf H. Bergsons Buch über Das Lachen
dem Unwort ›Ablachen‹ zusammenzieht, d. h. auch (1914/1972) zu sprechen, das diese komischen Effekte
der Hörer des Witzes »lache mit dem Betrag von psy- auf die Konfrontation mit psychischen Automatismen
chischer Energie, der durch die Aufhebung der Hem- bzw. Verwechslung von Leben und lebloser Mechanik
mungsbesetzung frei geworden ist; er lache diesen Be- zurückführt. Aber auch die »einschmeichelnden Aus-
trag gleichsam ab« (ebd., 167). führungen Bergsons« (ebd., 238) werden von Freud
Diese strikte ökonomische Quantifizierung ko- dem Mechanismus des ökonomischen Prinzips unter-
mischer Qualität zieht sich durch alle Ebenen von worfen, indem er ausgehend vom Beispiel der mecha-
Freuds Studie bis ins Detail des Kalküls von Beset- nischen Reproduktion angesichts zweier identischer
104 II Methodische Zugänge zum Komischen

Gesichter das Lachen aus der Abfuhr des überflüssi- samkeit zu entziehen, wie es die Verdrängung tut, und
gen Erwartungsaufwandes für die Konstatierung des überwindet somit den Abwehrautomatismus; er
üblichen physiognomischen Unterschieds ableitet bringt dies zustande, indem er die Mittel findet, der
und folglich die »Erwartungskomik« und nicht die Si- bereit gehaltenen Unlustentbindung ihre Energien zu
tuationskomik als »Quelle der komischen Lust« (ebd., entziehen und diese durch Abfuhr in Lust zu verwan-
239) an Nachahmungen nominiert. deln.« (Freud 1900, 266)
Freud nennt noch andere Beispiele der Erzeugung
von komischen Effekten durch eine Täuschung der Zusammengefasst reduzieren sich also für Freud alle
Erwartung zusammen mit karikierenden Strategien Formen des Komischen auf eine ökonomische Strate-
der Herabsetzung oder Entlarvung des anderen, um gie der Ersparung von physischer, psychischer und af-
immer wieder auf der libidinösen Logik der Erspa- fektiver Energie:
rung zu insistieren – hier in Form einer »Erleichte-
rungslust der Vergleichung«, bei der das »intellektuell »Die Lust des Witzes schien aus erspartem Hem-
Erhabene« mit einem »vertrauten Niedrigen« gleich- mungsaufwand hervorzugehen, die der Komik aus er-
gesetzt wird und so »jeder Abstraktionsaufwand weg- spartem Vorstellungs(Besetzungs)aufwand, und die
fällt« (ebd., 240). Im Gegensatz zum Witz spielt sich des Humors aus erspartem Gefühlsaufwand. In allen
dieser Prozess der Vergleichung aber nicht im Unbe- drei Arbeitsweisen unseres seelischen Apparats
wussten ab, sondern muss dem Vorbewussten zu- stammt die Lust von einer Ersparung; alle drei kom-
geordnet werden. Dies führt Freud auch zu einer kla- men darin überein, dass sie Methoden darstellen, um
ren Distanz gegenüber Bergson, der als Wurzel des La- aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewin-
chens die infantile Lust am Komischen erkannt hatte. nen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung die-
Freud unterscheidet zwischen der kindlichen Lust am ser Tätigkeit verloren gegangen ist.« (Freud 1900, 269)
Lachen, z. B. aus Überlegenheitsgefühl oder Schaden-
freude, und dem erwachsenen Gefühl für das Ko- Der letztere Nachsatz zeigt Freuds Dialektik von Ver-
mische, dessen Lust sich nicht der Wiederbelebung drängung und Sublimation, die allerdings zu diesem
infantiler Lustgefühle verdankt, sondern einem Ver- Zeitpunkt noch nicht als solche formuliert ist, son-
gleich oder einer komischen ›Differenz‹ durch den dern an den Begriffen einer verlorenen Kindheit oh-
Vergleich mit einem andern, zwischen verschiedenen ne Komik aber voller Lust und einer gerade durch die
Vorstellungen des anderen oder zwischen faktischen Umkehrung der Rationalisierung im Humor wieder-
und wünschenswerten Aspekten des Selbst. gefundenen Lust der Kindheit. Diesen Lustgewinn
Abschließend wendet sich Freud in aller Kürze dem betrachtet Freud rund 20 Jahre später unter dem Ge-
dritten Bereich des Humors zu, dessen Lustmoment sichtspunkt des Humors u. a. als nur ökonomischen
auf Kosten einer Affektentbindung zustande kommt Aspekt. Der Aufsatz »Der Humor« (1928) nimmt zu-
bzw. »aus erspartem Affektaufwand« (ebd., 261) her- nächst die bereits früher getroffene Einordnung des
vorgeht. Der Affekt wird nicht verdrängt, sondern Humors in die Kategorie der Lusterzeugung durch
durch den Humor ersetzt bzw. auf ihn verschoben, um ersparten Gefühlsaufwand auf, wendet sich dann
Unlust zu vermeiden. Insofern kommt dem Humor aber der Perspektive des Zuhörers zu, bei dem sich
unter allen Formen des Komischen eine besondere die vom Humoristen getäuschte Gefühlsbereitschaft
Funktion der Versöhnung von Triebanspruch und in Lust verwandelt. Diese Aufhebung des Affekts in
Verdrängung zu. Die Dramatik des Daseins erfährt einen Scherz geht über die Befreiung von der Ver-
zugleich eine Relativierung, für die Freud als besonde- drängung durch den Witz hinaus. Hatte Freud im
res Beispiel den Galgenhumor anführt, der sich selbst ›Witz‹-Buch von einer »Erhebung« des Ichs (Freud
noch über die Vorstellung des eigenen Todes erhebt. 1999, 267) gesprochen, so heißt es jetzt, »etwas Groß-
Als solcher Abwehrmechanismus steht er für Freud artiges und Erhebendes« sei am Werk, das »offenbar
auf der höchsten Stufe intellektueller Bewusstseins- im Triumph des Narzißmus, in der siegreich behaup-
leistung, die ohne Rückgriff auf die am Witz und teten Unverletztlichkeit des Ichs« (Freud 1928, 385)
Traum demonstrierten Primärprozesse das Verdräng- wurzele. Grund für diese veränderte Sichtweise ist
te zulässt und emotional neutralisiert: nicht nur die Einführung des Narzissmus in den no-
sologischen Katalog, sondern die generelle metapsy-
»Er verschmäht es, den mit dem peinlichen Affekt ver- chologische Wende hin zur Systematik von Ich, Es
knüpften Vorstellungsinhalt der bewußten Aufmerk- und v. a. Über-Ich.
17 Komik, Witz und Humor in der Psychoanalyse 105

Im Humor komme ein gewisser Trotz gegen das Auch in der Rezeption der Psychoanalyse nimmt
Realitätsprinzip zum Vorschein, mit dem das Ich dem das Buch zum Witz keinen primären Stellenwert ein.
Lustprinzip Geltung verschafft. Es tut dies zugleich Das Komische scheint selbst ein komischer Rest, ein
aber mit einer gewissen Würde, die dem Witz abgeht bizarres Randphänomen der Diskussion zu bleiben.
und die dem intellektuellen Anspruch geschuldet ist, Ein Grund dafür mag die Fixierung auf Modelle der
mit dem das Ich dem Über-Ich als verinnerlichter El- Ökonomie sein, die Freuds Denken um 1900 stark be-
terninstanz begegnet. So rührt das Überlegenheits- herrschten und in ihm die Überzeugung des Naturwis-
gefühl des Humors auch von Identifizierung mit der senschaftlers nährten, der auf der Suche nach physika-
Rolle eines Erwachsenen gegenüber einem Kind her, lisch-chemischen Formeln war, eine Position, die spä-
das Über-Ich wird überbesetzt und das Ich erscheint ter der des Kulturwissenschaftlers wich, der aber für
ihm gegenüber klein und belächelnswert wie ein Komik keine entsprechend ausführliche Komplemen-
Kind. Daher ist die humoristische Lust, die durch den tärtheorie entwickelt hat. Der späte Aufsatz »Der Hu-
vom Über-Ich geleisteten Beitrag zur Komik gewährt mor« von 1928 weicht zwar entschieden von den frü-
wird, zwar weniger intensiv als die des Witzes, aber heren Konzeptionen ab, bleibt aber aphoristisch und
sie hat einen hochwertigeren Charakter und wirke be- die Weiterführung des Gedankens schuldig. In der
freiender, da sie den Ernst des Lebens zum scherzhaf- späteren Einordnung des spezifischen Beitrages des
ten Kinderspiel werden lässt. Im Humor, der von ei- Witzes, der immerhin in Buchform erschienen war
ner Fähigkeit der Distanzierung und des Perspekti- und eine Weiterführung der »Psychopathologie des
venwechsels zeugt, kann das Subjekt seine Schwächen Alltagslebens« darstellte, wurde keine Modifikation im
und Widersprüche akzeptieren und seine Unsicher- Rahmen der avancierten metapsychologischen Mo-
heit überwinden. delle versucht. Freuds Zugang zu den Phänomenen des
Insofern berühren Freuds Ausführungen zum Hu- Komischen scheint dem ökonomischen Modell des
mor fast schon eine therapeutische Dimension, wenn Trieblebens, bzw. des psychischen Apparates als Regel-
er in ihm das Über-Ich »liebevoll tröstlich zum ein- mechanismus libidinöser Spannungen (Spannungs-
geschüchterten Ich« (ebd., 389) sprechen lässt, wobei ausgleich, Abfuhr) verhaftet zu bleiben, so dass einige
allerdings für Freud die Frage von Komik und Humor spätere Rezipienten sich sogar »enttäuscht« zeigten
in der psychoanalytischen Praxis kein Thema ist, im über den Mangel an Aussagen, die »die große innere
Gegensatz zu späteren Ansätzen, denen Humor als Wahrheit« des Witzes im Sinne der »Rückkehr zu in-
»zweiter Königsweg zum Unbewußten« (Frings 1996, fantilen Luststufen« oder der »Verleugnung der stö-
56) gilt. renden Realität« (Grotjahn 1957/1974, 17) z. B. im Un-
sinn oder englischen Nonsense betreffen. So werden
immer wieder die beiden Hauptvorwürfe laut, dass die
17.2 Sparsamkeit und Verausgabung »Erklärung komischer Sachverhalte mittels eines Ener-
giebegriffs«, zumindest bei den über den Witz hinaus-
Es ist auffällig, dass Freuds Ausführungen zum Ko- gehenden komplexeren Phänomenen, »unzulässig«
mischen nicht nur in der Rezeption der Psycho- (Hörhammer 1984, 46) sei, und dass Freud seine In-
analyse eine eigenwillig untergeordnete Rolle ge- tention einer Rückführung ästhetischer Prozesse auf
spielt haben, sondern auch in seiner Selbstwahrneh- unbewusste Vorgänge aus den Augen verloren habe:
mung des Theoriekorpus durchaus ambivalent wahr- »Gerade das infantile Moment, das er in Komik und
genommen werden. Die zunehmende Bedeutungs- Humor findet, hätte ihn zur Erforschung ihrer unbe-
losigkeit der Beschäftigung mit dem Witz für die wussten Strukturen veranlassen können« (ebd., 47).
Ausprägung der psychoanalytischen Theorie zeigt Allein C. Pietzker hat in einer Ausdifferenzierung
sich nicht zuletzt in den systembildenden »Vorlesun- aller Aspekte der Freudschen Metapsychologie ver-
gen zur Einführung in die Psychoanalyse«, in denen sucht, die ganze Weite der Kontexte einer psychoana-
Freud selbst das Thema des Witzes nur als ›ausführ- lytischen Theorie des Lachens zu entfalten. Neben den
liche Abschweifung‹ gelten lässt. In der ›Selbstdar- bei Freud in den Vordergrund gestellten ›ökonomi-
stellung‹ wird der Witz als ›direkter Seitensprung‹ schen‹ Aspekten einer Abfuhr seelischer Erregung
der Traumdeutung bezeichnet und findet im weite- und der ›topischen‹ Unterscheidungen einer Organi-
ren therapeutischen Verlauf der kasuistischen Kon- sation der libidinösen Energie in unbewussten Pri-
solidisierung weniger Beachtung als andere Beispiele märprozessen und in sekundären Über- bzw. rationa-
– wie z. B. der Religionspsychologie. lisierenden Gegenbesetzungen führt er sechs weitere
106 II Methodische Zugänge zum Komischen

Gesichtspunkte an, die sich aus verstreuten Bemer- renczi ein »viel edleres Mittel, die Menschen zum La-
kungen Freuds ableiten lassen: den ›dynamischen‹ As- chen zu bringen« (ebd., 101), das aber seine Kraft wie
pekt, der sich aus der Spannung zwischen der Vorlust die anderen Formen des Komischen aus dem basalen
des Witzes und der intensiveren Lust am Verbotenen Infantilismus zieht.
ergibt, den ›genetischen‹ Aspekt als Weg des Ko- Die intensivste Beschäftigung mit dem Witz, die
mischen in die verlorenen Lustmöglichkeiten der auch Ergänzungen an Freuds Ansatz vornimmt, findet
Kindheit, den ›kommunikativen‹ Aspekt der sozialen sich bei Th. Reik. In seiner Aufsatzsammlung zu Lust
Dimension des gemeinsamen Lachens, den ›produkti- und Leid im Witz (1929) wird schon im Titel auf das
onsästhetischen‹ und den ›rezeptionsästhetischen‹ Grundthema der ›Ambivalenz‹ verwiesen, das beim
Aspekt kraft der Unterscheidung der beiden Tech- Witz nicht nur nach den Interessen an Lust und
niken des Witzemachers und des Witzezuhörers, die Wunscherfüllung suchen lässt, sondern auch den Fak-
sich im Lachen ihrer Komplizenschaft versichern, und tor der Angst mitberücksicht. Die einleitende Studie
schließlich einen ›kulturalen‹ Aspekt, der die Mi- zum zynischen Witz widmet sich genau dieser Ambi-
lieuabhängigkeit des Funktionierens von Witzen und valenz, deren Wurzel in dem von Freud bereits thema-
die Unterschiedlichkeit der Lachkulturen betrifft (vgl. tisierten »Gegensinn der Urworte« gesucht wird, denn
Pietzker 2006, 20–27). auch »im Zynischen wird Hohes mit Niedrigem ver-
Dennoch bleibt die Beschränktheit des Ansatzes knüpft; es will ja das Triebleben hinter der äußerlichen
ein Problem, dessen Fixiertheit auf einen Arbeitsethos Erhabenheit aufdecken« (Reik 1929, 19). Reik widmet
und eine Sparlogik gerade bei einem Thema wie dem sich anderen Beispielen, die genauer die Technik des
Komischen selbst zur Komik herausfordert und Paro- Komischen z. B. bei der ›Auslassung‹ als elliptischer
dien wie die Rede vom Witz als »Lachsparkasse« pro- Technik der Erzeugung eines komischen Effekts durch
voziert: »Arbeiten, Sparen und Abführen: so lautet der Überspringen eines logischen Zwischenglieds ana-
Tritonus der Freudschen Witzökonomie« (Lütkehaus lysieren, um schließlich die Dialektik von Verdrän-
2006, 225). Was in dieser nicht gedacht werden kann, gung und Verdrängtem selbst in diesem Sinne eines
ist das Transgressive des Komischen, d. h. Momente Umschlagens der Auslassung als »Mittel der Unter-
wie »Potlatsch«, »Carneval« oder »Anti-Ökonomie« drückung« zum »Ausdrucksmittel des Unterdrück-
(ebd., 226), in denen es nicht um Ersparung und Ener- ten« (ebd., 31) zu formulieren.
giehaushaltung geht, sondern um Verausgabung und Reik greift auch als erster die Thematik des jü-
Verschmelzung mit dem Anderen. Nur für den späten dischen Witzes auf, der für ihn zu einem weiteren Bei-
Freud mit seiner Humor-Theorie und v. a. seinem un- spiel der Ambivalenz wird: Die auffällige Selbstver-
freiwilligen Humor in der Theorie gilt die Einsicht: höhnung vieler dieser Witze ist nur Deckfigur eines
»Der Witz erspart nichts – er läßt partizipieren, am »unterdrückten Aufruhrs«, einer »gegen die Umwelt
Scherz wie am Schmerz« (ebd., 227). gerichteten Aggression, die sich gegen das Ich rück-
Die Arbeiten der Schüler Freuds zum Thema än- gewendet hat« (ebd., 40).
dern zunächst nicht viel an dieser Situation, da sie Ein nicht unbedeutendes Interesse wendet Reik
sich weitgehend an Freuds Vorgaben halten. Ein 1910 aber auch auf die Analogie zwischen künstlerischer
gehaltener Vortrag S. Ferenczis referiert das Witz- Kreativität und Witzarbeit, die beide vom Vorlust-
buch gewissenhaft, wobei er als das Besondere des prinzip Freuds profitieren und ein »Kompromißpro-
Ansatzes das Interesse an der Formanalyse bzw. der dukt von abgewehrten und abwehrenden Vorstellun-
Analyse der Witztechnik hervorhebt. Diese steht aber gen« (ebd., 73) darstellen. Hier zeigt sich wieder der
auch für ihn im Dienste des Ersparungsmechanis- antithetische Doppelsinn des Komischen, den Reik
mus, der aufgespeicherte Innervationsspannung »un- als »Grenzland des Witzes« bezeichnet, in dem sich
willkürlich als motorische Innervation der Lachmus- der Witz als Widersinn, als das »Ungereimte« oder
keln abreagieren, sie als Lachen abführen« (Ferenczi »Groteske« (Reik 1932, 292) eines gleichzeitigen
1922, 91) kann. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Glaubens an etwas und Erkennens desselben als Lüge
er dabei den von Freud so genannten ›tendenziösen‹ erweist. Reik erinnert hier an die etymologische Ver-
Witzen, in denen sich aggressive, obszöne oder zy- wandtschaft von Witz und »Wissen« (ebd., 293), das
nische Triebtendenzen verbergen. In ihnen wird die hier als doppeldeutiges Darstellen eines Dings und
»moralische Hemmungsarbeit« (ebd., 98) für einen seines Gegenteils oder durch sein Gegenteil fungiert.
Moment ausgeschaltet, so dass die verdrängte Lust Die Lust am komischen Unsinn verdankt sich dabei
sich Bahn brechen kann. Der Humor ist für S. Fe- einer Auflehnung gegen die logischen Gesetze bzw.
17 Komik, Witz und Humor in der Psychoanalyse 107

den Denk- und Realitätszwang, wobei die künstliche nicht der fundamentalen Ambivalenz des Komischen
Regression auf infantile Denkstufen als Maske der entgeht, dem »zweischneidigen Charakter« (ebd.,
Naivität von der Dummheit unterschieden werden 154) oder ›Kippcharakter‹ im Sinne eines Umkippens
muss: »Oft genug verkleidet sich der Unsinn an sich von Lust in Unlust. Kris führt dies auf den Konflikt
als heiterer Unsinn. Die Dummheit nimmt sich gele- zwischen den Triebtendenzen und der Zurückwei-
gentlich eine Maske vor, die nur sie selbst komisch sung durch das Über-Ich zurück, den das Ich zu be-
findet, und oft ist dieser Mummenschanz nur schwer wältigen hat. Das Komische nimmt dabei eine mediale
von der Komik, die sich als Dummheit maskiert, zu Stellung ein, »in der Mitte zwischen Lust und Unlust«
unterscheiden« (ebd., 310). (ebd., 155), und ist in dieser Hinsicht mit dem Spiel
Der deutlichste Durchbruch zu einer psychoana- und dem Scherz in der Kindheit vergleichbar. Dabei
lytischen Theorie der ästhetischen Phänomene des dominieren auch die hier zum Einsatz kommenden
Komischen gelingt dem Kunsthistoriker und Freud- Aufgaben einer Bewältigung der Umwelt und einer
schüler E. Kris. Ausgehend von der mit E. Gombrich Abwehr der Unlust durch das, was in der Psychologie
entwickelten Theorie der Karikatur setzt er da an, wo als ›Funktionslust‹ bezeichnet wird. In ihr triumphiert
Freud aufgehört hatte, nämlich beim Übergang von das Kind über seine Schwächen und versichert sich
den ökonomischen und topischen Verhältnissen zu z. B. im Wortspiel der endlich erlangten Sprachbewäl-
den dynamischen und strukturalen Modellen der Psy- tigung, hier triumphiert aber auch der Ernst über das
che und ihrer Problematik der Ich-Bildung. Man kann bloß Ludische des Spiels, das – im Gegensatz zum
daher seinen Ansatz auch als den ersten Beitrag der Lustprinzip des Scherzes – für Kris aus dem »Jenseits
Ich-Psychologie zu einer Theorie des Komischen be- des Lustprinzips« (ebd., 156) herstammt.
zeichnen. Zwar wird das Freudsche Dogma von der Mit dieser Revision einer psychoanalytischen Theo-
Lust qua Ersparnis an seelischer Energie eingangs af- rie des Komischen im Sinne der Weiterentwicklung
firmiert, aber sehr schnell wird klar, dass es um ande- von Freuds Metapsychologie leistet Kris einen ent-
res als Abfuhr oder Freiwerden von libidinöser Span- scheidenden Beitrag auch zum Anschluss an die phi-
nung geht. Kris fragt nach dem Besonderen der Zur- losophische Diskussion des Themas. Im Phänomen
Schaustellung von Verborgenem im Witz und ver- des Komischen verdichtet sich gleichsam der entschei-
gleicht entsprechend die Karikatur in dem von dende Schritt menschlicher Ontogenese, der im sym-
Bergson betonten Verzerren der Visage zur Grimasse bolischen Prozess der Ich-Werdung zwischen den An-
mit dem von Freud zum Paradigma des Traumbildes sprüchen des Trieblebens und den Widerständen des
gewählten ›Rebus‹. Anders als im Traum wird das Ich Über-Ichs in Form einer gelungenen »Verkleidung«
aber im Witz und in der Karikatur als graphischem vermitteln und ein bedeutendes »Stück Verarbeitung«
Witz nicht vom Primärprozess überwältigt, sondern (ebd., 158) leisten muss. Insofern kann Kris auch den
bleibt gewissermaßen Herr der Lage als eine »Regres- Humor als »spätesteste Variante der Komik« und als
sion im Dienste des Ich« (Kris 1952/1977, 149). Mit »Zeichen seelischer Reife« (ebd., 161) zusammen mit
dieser bahnbrechenden Formulierung eröffnet Kris den Gegensätzen von Manie und Melancholie, von
einen völlig neuen Zugang zu den unbewussten Me- Ekstase und Erhabenem diskutieren, mit denen er das
chanismen des ästhischen Ausdrucks allgemein. Wie gemeinsame große menschheitsgeschichtliche Ziel
paradigmatisch beim Komischen zeigt sich in Kult hat, nämlich die »Bewältigung innerer Gefahr« (ebd.).
und Ritus eine unbewusste Indienstnahme der Pri- Und es ist diese metaphysische Perspektive, die Kris
märprozesse durch das Ich. auch in späteren Beiträgen zum Komischen auf der ge-
Diese Ich-psychologische Perspektive einer kon- nerellen Ebene der »Abwehrmechanismen (mecha-
trolliert kreativen Regression fundiert Kris in einem nism of defence)« (Kris 1938, 89) verfolgt, zu denen der
weiteren Schritt durch die Parallelführung von ›Phy- Witz ebenso gehört wie andere Formen der Angst-
logenese‹ und ›Ontogenese‹. Die primärprozesshaften bewältigung. Er gehört zu den Grundformen der Ich-
graphischen Ausdrucksmittel des Kindes gehen als Entwicklung und muss nicht nur unter quantitiven,
Grundformen der Karikatur auf archaische Formen sondern auch unter qualitativen Gesichtspunkten be-
der Gebärdenkomik v. a. als Entlarvung und Herab- trachtet werden. In diesem Sinne fragt Kris auch nach
setzung durch Nachahmung zurück, die an magische dem Stellenwert von »time« und »tempo« (ebd., 78)
Praktiken des Bildzaubers erinnern. In der reiferen beim Komischen bzw. der Geschwindigkeit des Vor-
Form der Komik herrscht aber die Ichkontrolle vor, gangs, wie sie im Element der Plötzlichkeit des Lach-
die auch eine soziale Funktion ausübt, gleichwohl aber reizes zum Ausdruck kommt, wobei all diese Prozesse
108 II Methodische Zugänge zum Komischen

sogleich an die regressive Tendenz rückgebunden wer- fliktsituationen, der mit dem Humor erzielt wird, eine
den, die Zeit als verlorene Zeit der Kindheit wieder- oberflächliche Scheinlösung sein, wie wir es vom neu-
kehren lässt. Das Besondere dieser Wiederkehr ist rotischen Symptom her kennen, und keine echte Berei-
aber die Beherrschung des kindlichen Triebschemas nigung« (Strotzka 1957, 597). Humor ist ein Abwehr-
durch das Ich, wobei Kris sich zur Charakterisierung mechanismus, der sein »Janusgesicht« (ebd., 600) nicht
dieses quasi unbewussten Fungierens der Ichkontrolle verstecken und im Sinne einer ›Heiterkeit‹ zwar durch
eines Begriffs bedient, der wiederum an die Termino- Abzug von lidinöser Objektbesetzung zugunsten einer
logie Bergsons erinnert, nämlich des Begriffs eines au- Ichbesetzung eine gewisse Gelassenheit gegenüber
tomatischen Verhaltens: »There is no contradiction Triebansprüchen und realen Gefahren erreichen kann,
between this statement and the fact that although we anders als bei der Sublimation kommt es aber zu keiner
›make a joke‹, wit has the involuntary inspiration, of a Aufhebung etwa der aggressiven Regungen, die als die
sudden ›flash of thought‹. Making a joke belongs to the negative Seite wieder hervorbrechen können: »Wir fin-
automatic, not to the conscious activities of the ego« den die Ambivalenz auf allen Stufen der Libidoent-
(ebd., 80). wicklung oral, anal und im Ödipuskonflikt – wir finden
Funktion dieses Automatismus ist es, die kindliche sie aber auch schließlich wieder im Janusgesicht des
Lust am Spiel mit der Sprache wiederzubeleben, die Humors, der die anderen Ambivalenzkonflikte in den
sich v. a. der Bemächtigung des symbolischen Systems Grenzen seiner Möglichkeit abwehren kann« (ebd.,
verdankt, wobei die Angst vor der realen Wirklichkeit 607). Oder zusammengefasst: »Humor wäre also viel-
in die Allmacht der Gedanken umkippt: »Illusion takes leicht letztlich eine Versöhnung der Ambivalenz in kon-
the place of reality – and in this world of make-believe trollierter Regression« (ebd., 608).
forbidden things are suddenly permitted« (ebd., 85). Was schließlich erst von H. Kohut wiederaufgegrif-
Kris vergleicht daher die archaischen Figuren der Ko- fen wird, ist die bei Freud schon angelegte These vom
mödie mit der ›apotropäischen‹ Magie einer Abwen- Humor als einer Urform des ›Narzißmus‹. Sie stellt
dung des Bösen, wobei das Unheimliche ins Erheitern- den eigentlichen Mechanismus der Verlagerung von
de umschlägt (wie er am Beispiel der Wasserspeier an libidinöser Besetzung von den Objekten auf das eige-
den gotischen Kathedralen demonstriert, die im 13. Jh. ne Ich dar, die das erhebende Gefühl auslösen. Genau
noch als Monster wahrgenommen wurden, zwei Jahr- genommen ist es eine Transformation des Narzissmus
hunderte später aber zu lustigen Masken mutierten). zu einem »kosmischen Narzißmus« (Kohut 1975,
Dieser Doppel- oder Gegensinn lässt sich an Wörtern 162), bei dem das Individuum seine Grenzen über-
wie ›komisch‹ (frz. ›drôle‹, engl.‹funny‹) zeigen, die un- schreitet und Herr über die narzisstischen Ansprüche
heimliche und lustige Phänomene bezeichnen und die des Selbst wird, indem es den Gedanken seiner eige-
»intermediate position of the comic« (ebd., 87) bzw. nen Endlichkeit zu ertragen lernt. In diesem Sinne dif-
den »Kippcharakter komischer Phänomene« (ebd., 88) ferenziert Kohut aber den libidinösen Prozess, der
herausstellen. Allerdings weisen diese Beispiele an der dem Humor zugrunde liegt, indem er eine Abziehung
Grenze zwischen Lust und Unlust bis hin zum Schmerz von Besetzungen des narzisstischen Selbst und eine
eher in den Bereich des ›Grotesken‹, den Kris durch Neuverteilung der frei gewordenen Libido annimmt,
Momente des Plötzlichen und Überraschenden cha- die im Gegensatz zur manischen Objektliebe aber von
rakterisiert. Gleichwohl ist es nach Kris die große Auf- einem Gefühl der Trauer (im Sinne von Freuds ›Trau-
gabe von Komik und Humor, den Menschen Lust erarbeit‹ der Loslösung von verlorenen Objekten) be-
angstfrei erleben lassen zu können, auch wenn nur für gleitet ist: »Die tiefsten Formen des Humors und des
die kurze Zeit der Herrschaft des Ich über das Es: »It kosmischen Narzißmus bieten daher nicht ein Bild
cannot bring permanent relief for, as in mania which is von Größenideen und Hochstimmung, sondern das
to some extent the pathological enlargement of the co- eines ruhigen inneren Triumphes mit einer Bei-
mic, the vistory of the ego is transitory, the pleasure- mischung unverleugneter Melancholie« (ebd., 164).
gain of short duration« (ebd., 90).
Auch H. Strotzka betont den Doppelcharakter des
Humors, wobei er sich allerdings der Hochschätzung 17.3 Andere Schauplätze des Lachens
als Spannungslösung und Distanzierung gegenüber der
bedrohlichen Realität nicht anschließen will. Die von Komik und Lachen überhaupt stellen in vielen kultur-
Kris zu Bedenken gegebene Kurzfristigkeit wird bei geschichtlichen Analysen ein Moment von Transgres-
ihm zur Scheinlösung: »Oft wird der Ausweg aus Kon- sion, Ekstase oder auch einfach Umkehrung (›Perver-
17 Komik, Witz und Humor in der Psychoanalyse 109

sion‹) bzw. Aussetzung der Ordnung der Vernunft als stand zum Einstieg in seine strukturalistische Ana-
Verkehrung des Sinns zum Unsinn dar. Besonders das lyse der Bildungen des Unbewussten wählt, wobei er
Lachen eröffnet eine exzentrische Dimension, die so- sich allein auf die in Analogie zum Traum von Freud
wohl für das Subjekt als auch für das Objekt emotional angeführten sprachlichen Operationen der Verdich-
außer Kontrolle geraten kann. S. Weber erinnert an die tung und Verschiebung konzentriert und alle Aspekte
»drei ›Bs‹« – »Baudelaire, Bergson und Bataille« (We- einer Triebökonomie mit souveräner Ignoranz über-
ber 1989c, 170), die sich gerade im französischen geht. Im Grunde genommen geht es ihm umgekehrt
Sprachraum dieser Grenzerfahrung des ganz anderen darum, Freuds Buch über den Witz als Kommentar
ausgesetzt haben. Diese Aspekte spielen für den tradi- zu seinem eigenen Aufsatz über »Das Drängen des
tionellen psychoanalytischen Diskurs bis auf wenige Buchstabens im Unbewußten« (1973) zu lesen, in
Ausnahmen (etwa die Annäherungen von Kris an ein dem er Verdichtung und Verschiebung im Sinne R.
»Jenseits des Lustprinzips«) scheinbar keine Rolle. Ei- Jakobsons als signifikante Transformationsprozesse
ne mögliche Antwort aus Sicht des Strukturalismus der Metapher und der Metonymie formalisiert hatte.
wäre der Hinweis darauf, dass es nicht um eine Sicht So wie alles Sprechen einer Zeitlichkeit des Verste-
auf das Komische als ›Kraft‹, sondern als ›Sinn‹ geht. hens unterliegt und der Sinn eines Satzes erst am En-
Freuds ökonomisches System achtet zwar auf energeti- de desselben sich als »nachträgliche Wirkung [action]
sche Verhältnisse des Kraftausgleichs, immer jedoch des Signifikanten« (Lacan 1998/2006, 16) einstellt, ist
im Sinne einer homöostatischen Reduzierung der diese Verkettung der Signifikanten auch allen Formen
Spannung. Beim Vergleich mit der Traumtheorie ist der Entstellung unterworfen, in denen sich Witz und
Freud darum bemüht, den authentischen Subtext des Wortspiel ähnlich sind. Der Witz, der im Französi-
Witzes ebenso wie den des latenten Traumgedankens schen als ›trait d’esprit‹ schon einer anderen Kon-
zu rekonstruieren, d. h. den Wunsch in seinen Mani- notation qua ›Geisteszug‹ unterliegt als das Ko-
festationen zum Sprechen zu bringen. Dabei geht es mische, läuft demnach immer auf die »Pointe« (ebd.,
aber keineswegs um die Restitution eines Originals et- 28) hinaus, an der Lacan die spezifische Zeitlichkeit
wa im Sinne einer Wiederherstellung der Sprache des des Witzes festmacht. Ihr Entstehen wird auf zwei
Unbewussten in der Form von Ichkontrolle, wie gewis- Ebenen der Diskursivität diskutiert, nämlich auf der
se ontogenetische Lesarten des Komischen vielleicht Ebene des Verhältnisses von ›Ich‹ und ›Anderem‹ und
nahelegen könnten. Gerade der Witz, wie Freud ihn auf der Ebene des Verhältnisses von ›Botschaft‹ und
analysiert, ist Anzeichen einer irreduziblen ›Nachträg- ›Code‹.
lichkeit‹, das zwar auf die Herkunft aus dem Unbe- Lacan interessiert sich also nicht für die Rolle des
wussten verweist und Zeugnis ablegen kann über die Triebes im Witz, der ihn vielmehr durch seine geistige,
auf dieser Ebene herrschende Wunschverarbeitung, ja fast ingeniöse Kreativität der Wortneuschöpfung
das aber diesen Um- oder besser Abweg nicht un- fasziniert, d. h. durch das, was er im Anschluss an
geschehen machen kann, sondern eine neue Lust erst Freud die Ebene der ›Form‹ nennt. Auf ihr wird eine
in der – übrigens bei Witz und Komik immer auch auf neue Botschaft kreiert, die nicht im Code vorgesehen
kreative Weise erfolgenden – Neuerfindung von Dar- ist, ja den Code verletzt: »Die Botschaft beruht in ih-
stellungsformen des Undarstellbaren generiert: rem Unterschied zum Code« (ebd., 27). Vorausset-
zung ist das Gleiten des Sinns in seiner virtuellen Poly-
»In diesem neuen Sinn ist es keine unmögliche Auf- valenz, bei dem es »keine Moral« (ebd., 92) gibt, son-
gabe, einen Witz zu übersetzen, es bedeutet nicht, ei- dern das Subjekt sich auf dieser horizontalen Ebene
nen Originaltext getreu wiederzugeben: Es bedeutet wie auf einem »Eislaufplatz« (ebd., 93) frei bewegen
den Versuch, ausgehend von Resten, von elliptischen kann, vorausgesetzt es gibt im Sinne des Verstehens
Verkürzungen […], ausgehend von ursprünglichen Er- des Witzes eine »Rücksendung der Botschaft an den
setzungen in einer unendlichen, stets für Ergänzungen Code« (ebd., 94). Genau an dieser Stelle sieht Lacan
offenen Bewegung ein Original (wieder-) herzustellen, aber die soziale Dimension einer Adressierung an den
das nirgendwo anders gegeben ist als in seinen Erset- Anderen sich abzeichnen, der als Empfänger Dreh-
zungen, seine Scherben, seinen membra disiecta.« und Angelpunkt des Witzes ist. Er ist zuerst der Ort
(Kofman 1986/1990, 54) der Begegenung mit der Sprachgemeinschaft, aus der
das Material für die Entstellung genomen wird, so-
Dies ist auch der Grund, weshalb J. Lacan in seiner dann aber die wichtige Instanz der Annahme und da-
Vorlesung von 1957 den Witz als geeigneten Gegen- mit Bestätigung des Witzes als Witz überhaupt:
110 II Methodische Zugänge zum Komischen

»Der Witz vollendet sich erst jenseits dieser Stelle, das denzen der Überhöhung (unter dem Einfluss des
heißt sowie der Andere den Treffer (coup) unterstreicht, Über-Ich) und die Triebhaftigkeit der Tiefe des Es im
auf den Witz antwortet und ihn als solchen authentifi- Zwischenbreich des Ich begegnen. Deleuze nennt es
ziert. Damit es Witz gibt, muß der Andere wahrgenom- das »Abenteuer des Humors, diese doppelte Entmach-
men haben, was es da gibt, in diesem Beförderungs- tung der Höhe und der Tiefe zugunsten der Oberflä-
mittel der Frage nach dem Wenigen-an-Sinn, an An- che« (Deleuze 1969/1993, 172) bzw. die »Kunst der
spruch auf Sinn, das heißt als Evokation eines Sinnes Oberflächen, der komplexen Beziehungen zwischen
jenseits – jenseits von dem, was unvollendet bleibt.« den beiden Oberflächen« (ebd., 306). Hier zeigt sich
(Lacan 1998/2006, 115) wiederum das Witzige und Komische darin, dass auf
essentielle und zugleich kalkulierte Weise mit der ›Lo-
In jedem Witz bleibt mit anderen Worten etwas un- gik‹ gebrochen wird, die S. Weber am Gesetz vom aus-
ausgesprochen, und an diese Stelle tritt das solidari- geschlossenen Dritten festmacht. Im Witz dominiert
sche Lachen, bei dem es auch um Demaskierung eines dagegen das Gegenteil:
Doppelgängertums geht. In diesem Sinne sieht Lacan
einen Bezug zwischen dem Phänomen des Lachens »Wo immer es um Witze geht, wo immer das Unbe-
und der »Funktion des Imaginären« (ebd., 153) in ih- wußte am Werk ist, muß es einen Dritten geben. Der
rer Zwischenstellung zwischen Symbolischem und von beiden anderen Positionen ausgeschlossen ist, die-
Realem, deren Hereinbrechen ihn auch zum Thema se aber ebenso einschließt und zusammen-schließt.
des Komischen und der Komödie überleiten lassen, Falls es eine Logik des Unbewußten gibt, dann bezeugt
wobei er jedoch einen sinnvollen Beitrag Bergsons der Witz und insbesondere die Zote auch deren Grund-
zum Thema vehement in Abrede stellt. Es bleibt für regel: tertium datur.« (Weber 1989b, 105)
Lacan immer ein sprachlicher Prozess bzw. eine Sig-
nifikantenoperation, die auf die Ebene des Visuellen Der Witz bietet mit anderen Worten die Möglichkeit,
übertragen wird. Dem widerspricht S. Kofman mit ih- das vom Über-Ich ausgehende double-bind von Selbst-
rer These, dass der Witz sich gerade an die Schaulust und Anders-Sein in einer Weise zu parieren, die eine
richte und hinsichtlich seiner Form und Technik eher Entscheidung im Sinne einer Ablenkung oder Auf-
der dritten Form der Traumentstellung, der ›Rück- spaltung (»divarication«, ebd., 112) der Psyche ver-
sicht auf Darstellbarkeit‹ gehorcht, also piktographi- meidet: das Bewusstsein wird auf andere Vorstellun-
sche Elemente verkörpert: »Obwohl der Witz der gen oder Erwartungen als die des Gegenstandes des
Ordnung der Rede angehört, ist auch er eine ›Darstel- Lachens verschoben. S. Weber interessiert sich in die-
lung‹, eine bestimmte Inszenierung, denn er verkör- sem Zusammenhang überhaupt mehr für das Phäno-
pert ein regressives Reden, das sich, eher als ans Ohr men des Lachens als Wirkung des Komischen, in dem
und an den Verstand, an die visuelle Vorstellungskraft er eine »diskontinuierliche Zeitlichkeit« (Weber
richtet« (Kofman 1986/1990, 80). 1989a, 91) des Spiels im Gegensatz zum Sinnbildungs-
Die viel gerühmte ›Janus-Köpfigkeit‹ der Komik, prozess ausmacht. Es ist als soziales Spiel der Adressie-
die Sinn und Unsinn zugleich hervorbringt, zeigt sich rung des Anderen nicht zuletzt auch ein Machtspiel,
auch in regressiver Hinsicht als visuelle Doppelung bei dem sich der konstative Wert der Aussage in einen
von infantilem Exhibitionismus und Voyeurismus, die »performativen, perlokutionären, in einen ›symboli-
im Witz und in der Komik, gefiltert durch die in der schen‹ verwandelt« (ebd., 100). Performativ ist dabei
Latenzperiode sich entwickelnden Gegenkräfte wie auch das Transgressive des Lachens, das als Einbre-
Ekel, Scham und Moral »nur in ›geistiger‹ Form [en chen, Erschüttern, Ausfall oder Nichtwissen die Ord-
›esprit‹] wieder(kehren), also in Form von Worten« nung des Bewusstseins als reine Präsenz oder als ein
(ebd., 115). Dieses quid pro quo ist nirgendswo besser »Präsent, das nie als solches präsentiert werden kann«
zu beobachten als in der sog. Nonsense-Literatur, zu (Weber 1989c, 179), unterläuft und dem Schillern ei-
deren bekanntesten Vertretern L. Carroll gehört. Ihn ner nur in der Wiederholung möglichen Vergegen-
hat G. Deleuze zum Ausgang und Gegenstand seiner wärtigung des Doppeldeutigen überantwortet.
Studie über die Logik des Sinns genommen, in der es Gerade beim Thema der Sprengkraft des Ko-
um die verschiedenen Formen der Komik im Parado- mischen kann Weber sich auf die Überlegungen G.
xen von Wortspielen sowie in der Satire, der Ironie Batailles stützen, der in der Tradition Baudelaires und
und im Humor geht. Der entscheidende Begriff ist – Nietzsches das Lachen in seiner destruktiven oder ne-
wie bei Lacan – die ›Oberfläche‹, an der sich die Ten- gierenden Kraft zum Thema macht. Aus dem Unbe-
17 Komik, Witz und Humor in der Psychoanalyse 111

wussten hervorbrechend grenzt dieses numinose La- mik und filmischem Automatismus als Quelle des La-
chen an das Jenseits von Tod, Liebe, Ohnmacht und chens, die auch für ihn »unbewußt« (Bergson
Extase (vgl. Bataille 1945, 74), um den verschwiege- 1900/1972, 20) ist. Allerdings bleibt der entscheiden-
nen Grund der Gesellschaft und den unbewussten de Unterschied zu Freud, dass für diesen das Unbe-
Grund des Einzelnen in den Bildern des Heterogenen wusste eine »travail individuel psychique« (individuel-
oder Heterologischen zu beschwören. Besonders in le psychische Arbeit) darstellt, während Bergson ein
späterenVorträgen wird diese Idee vom göttlich be- »fait objectif, diagnostiqué« (eine objektive, diagnosti-
freienden, dionysischen Lachen noch stärker an die sierte Tatsache) (Vollet 2014, 225) im Blick hat. An ei-
Idee des »Nicht-Wissens« angesichts der »invasion nem Punkt aber treffen sich beide Positionen: »elles
soudaine de l’inconnu« (dem plötzlichen Einbrechen traitent toujours en définitive de la lutte de la liberté
des Unbekannten) (Bataille 1953, 218). In diesem Sin- contre la distraction et la contrainte, du regain de la
ne genügt Bataille weder Freuds Erklärung des Witz- force et de la dynamique primitive« (sie handeln letz-
mechanismus’ noch Bergsons Theorie des Komischen, lich immer vom Kampf der Freiheit gegen die Zerstreu-
die für ihn beide nicht dem Phänomen des Unerwar- ung und den Zwang sowie vom Wiederaufleben der ur-
teten, Unvorhersehbaren des Lachens gerecht werden: sprünglichen Kraft und Dynamik) (ebd., 236).
Beim Lachen wird auf artifizielle Weise eine »logique
très serrée« (eine sehr strenge Logik) (ebd., 226) außer Literatur
Kraft gesetzt und gleichzeitg eine Transgression zu ei- Bataille, Georges: »Sur Nietzsche« (Über Nietzsche) [1945].
ner mystischen Erfahrung vollzogen, die Bataille als In: Oeuvres Complètes VI. Paris 1973.
Bataille, Georges: »Non savoir, rire et larmes« (Nicht-Wis-
»athéologie« (ebd., 229) bezeichnet, wobei der Entzug sen, Lachen und Tränen) [1953]. In: Oeuvres Complètes
der Vorsilbe »a-« die Göttlichkeit des Lachens an das VIII. Paris 1967, 214–233.
Moment des Nicht-Wissens binden soll. Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung
Es bleibt bei aller Kritik an Bergsons Bestimmung des Komischen. [1914] (frz. 1901) Zürich 1972.
des Komischen, wie sie schon bei Freud mit dem Ein- Deleuze, Gilles: Logik des Sinns [1969]. Frankfurt a. M. 1993.
Ferenczi, Sandor: »Die Psychoanalyse des Witzes und des
wand gegen die Situationskomik des Automatischen
Komischen«. In: Populäre Vorträge über Psychoanalyse.
und Verweisung auf die komische Differenz der Er- Leipzig 1922, 89–102.
wartung (vgl . Freud 1999, 239 u. 257) beginnt, zu Freud, Sigmund: Briefe an Wilhelm Fliess 1887–1904. Hg.
konstatieren, dass die berühmte Formel vom Lachen, von Moussaieff Masson. Frankfurt a. M. 1986.
wenn »der lebende Körper zur Maschine erstarrte« Freud, Sigmund: Gesammelte Werke. 18 Bde. Hg. von Anna
(Bergson 1900/1972, 39), gerade den medialen und Freud. London 1940.
Freud, Sigmund: »Der Humor« [1928]. In: Gesammelte
neueren medientechnischen Phänomenen des Ko-
Werke Bd. XIV. Hg. von Anna Freud. London 1940.
mischen angemessener ist. Auch wenn Bergson selbst Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbe-
ebenso wenig auf Beispiele der Filmkomödie oder des wußten [1905]. In: Gesammelte Werke Bd. 6. Hg. von Anna
Slapsticks eingeht wie Freud, beschreiben die von ihm Freud. Frankfurt a. M. 1999.
genannten Kriterien des Komischen wie »Repetition, Freud, Sigmund: Traumdeutung [1900]. In: Gesammelte
Inversion und Interferenz der Serien oder Reihenfol- Werke Bd. II/III. Hg. von Anna Freud. London 1940.
Frings, Willi: Humor in der Psychoanalyse. Eine Einführung in
gen« (ebd., 64) die Automatisierungen bzw. Mecha- die Möglichkeiten humorvoller Intervention. Stuttgart 1996.
nisierungen der Bewegung durch den kinematogra- Grotjahn, Martin: Vom Sinn des Lachens. Psychoanalytische
phischen Apparat. Daher versucht H. Schlüpmann in Betrachtungen über den Witz, das Komische und den Hu-
ihrer Verbindung von Bergson und Freud in einer Ki- mor. München 1974.
notheorie das Komische als Effekt von der »Mechanik Hörhammer, Dieter: Die Formation des literarischen Hu-
mors. Ein psychoanalytischer Beitrag zur bürgerlichen Sub-
der Bewegung« her zu denken, das zugleich im frühen
jektivität. München 1984.
Stummfilm als reine Bildmontage die Witz-Technik Kofman, Sarah: Die lachenden Dritten. Freud und der Witz
als »freie Unterbrechung des normalen sprachlichen [1986]. München 1990.
Verkehrs« (Schlüpmann 1994, 1082) radikalisiere. Die Kohut, Heinz: »Formen und Urformen des Narzißmus«. In:
Frage nach der Zeit und dem Tempo der Komik, die ders.: Die Zukunft der Psychoanalyse. Frankfurt a. M.
schon Kris gestellt hatte, wird durch den Aufnahme- 1975, 140–172.
Kris, Ernst: »Psychologie der Karikatur«. In: ders.: Die ästhe-
und Projektionsapparat neu gestellt. tische Illusion [1952]. Frankfurt a. M. 1977, 145–161.
Insofern ist die Urform des Witzes auch etwas, das Kris, Ernst: »Ego Development and the Comic« (Ich-Ent-
von einer optischen Sprengkraft ausgeht, und hier wicklung und das Komische). In: The International Jour-
liegt die gerade von Bergson vermutete Nähe von Ko- nal of Psychoanalysis. Bd. 19. (1938), 77–90.
112 II Methodische Zugänge zum Komischen

Lacan, Jacques: Das Seminar Buch V. Die Bildungen des 18 Linguistik und Humor
Unbewussten [1998]. Wien 2006.
Lütkehaus, Ludger: »Freud zum Vergnügen«. In: Wolfram Im Zentrum der linguistischen Humorforschung
Mauser/Joachim Pfeiffer (Hg.): Lachen. Freiburger Litera-
turpsychologische Gespräche. Würzburg 2006, 221–233. standen zunächst die Textsorte des standardisierten
Pietzcker, Carl: »Sigmund Freud: Der Witz und seine Bezie- Witzes und die Erklärung des Funktionierens von
hung zum Unbewussten«. In: Wolfram Mauser/Joachim Pointen (vgl. Raskin 1985; Wenzel 1989). In den letz-
Pfeiffer (Hg.): Lachen. Freiburger Literaturpsychologische ten 30 Jahren hat sich die linguistische Forschung je-
Gespräche. Würzburg 2006, 19–28. doch mit vielen Aktivitätstypen des Alltagshumors
Reik, Theodor: »Grenzland des Witzes«. In: Psychoanalyti-
empirisch und theoretisch beschäftigt (vgl. Norrick
sche Bewegung IV. Jg., 4 (1932), 289–322.
Reik, Theodor: Lust und Leid im Witz. Wien 1929. 1993; Kotthoff 1996) und sich auch an pragmatischen
Schlüpmann, Heide: »Die Geburt des Kinos aus dem Geist Theoriediskussionen vielfältig beteiligt (vgl. Eister-
des Lachens«. In: Psyche XLVIII. Jg., 11 (1994), 1075– hold/Attardo/Boxer 2006; Kotthoff 2006; Brone 2007).
1087. Witzigkeit arbeitet mit der Pointe, dem überraschen-
Strotzka, Hans: »Versuch über den Humor«. In: Psyche den Switch in einen nicht aufgerufenen Rahmen hi-
X. Jg., 10 (1957), 597–609.
Vollet, Matthias: »Le Rire de Bergson et Le Mot d’esprit de
nein, ausgelöst durch ein Trigger-Element, das z. B.
Freud« (Das Lachen bei Bergson und der Witz bei Freud). sprachliche Mehrdeutigkeit ausbeutet, etwa eine Me-
In: Brigitte Sitbon (Hg.): Bergson et Freud. Paris 2014, tapher auflöst. In der Komik wird das Thema hingegen
217–236. auf eine besondere Weise perspektiviert. Stilistische
Weber, Samuel: »Der Witz: Ein Kinderspiel«. In: ders.: Abweichungen können z. B. komische Perspektiven
Freud-Legende. Vier Studien zum psychoanalytischen
auf Aktivitäten erzeugen. Komik kann auch allein in
Denken. Wien 1989a, 86–101.
Weber, Samuel: »Der Aufsitzer«. In: ders: Freud-Legende. der Rezeption hergestellt werden, weshalb es nötig ist,
Vier Studien zum psychoanalytischen Denken. Wien den gesamten Äußerungskontext zu beachten.
1989b, 102–119.
Weber, Samuel: »Die Zeit des Lachens«. In: ders.: Freud-
Legende. Vier Studien zum psychoanalytischen Denken. 18.1 Sprachspiele, Rahmungsspiele, Necken
Wien 1989c, 169–183.
Wirth, Uwe: Diskursive Dummheit. Abduktion und Komik
als Grenzphänomene des Verstehens. Heidelberg 1999. Grundlage heutiger linguistischer Humortheorien ist
die Annahme, dass Kommunikation auf der Grund-
Michael Wetzel lage typisierter Erwartung funktioniert. Wort- und
Äußerungsbedeutungen sind relativ salient (proto-
typisch, frequent, konventionell, vgl. Giora 1999;
2003). Weil konventionelle Bedeutungsherstellung auf
unterschiedlichen Ebenen automatisiert wird, kann
man zum Erzielen ästhetischer oder humoristischer
Effekte von den prototypischen Mustern abweichen.
Sprachspiele gehören genau deshalb zum humoristi-
schen Verhaltensrepertoire von Erwachsenen und
Kindern (vgl. Chiaro 1992; Crystal 1998; Kotthoff
2003). Sie können alle Ebenen des Ausdrucks betref-
fen, die phonetische, phonologische, prosodische, se-
mantische, syntaktische, pragmatische Ebene und die
Semiotik insgesamt. In der Eltern-Kind-Kommunika-
tion initiieren beide Seiten Sprachspiele, die zunächst
nicht humoristisch funktionieren. C. Garvey (1977)
und R. Weir (1962) notieren bei Kindern unter einem
Jahr u. a. alle möglichen Geräuschimitationen und In-
tonationsspiele. Mit etwa zwei Jahren wird das Spiel
mit Silbenvariation (›ding ling ming‹) und Reim do-
minant. Etwas später spielen Kinder mit Morphemen
(sie bilden z. B. Wortfelder analog zu Fisch, fischig, fi-
schen, wie Schnecke, schneckig, schnecken) (vgl. Hel-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_18,


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18 Linguistik und Humor 113

mers 1971). Wenn sie merken, dass sie mit ihren Krea- angedeutet, gleichzeitig wird dazu Distanz kommuni-
tionen mehr oder weniger gezielt von der Norm ab- ziert. Das Kind lernt so das Prozessieren von zwei
weichen können und dabei weitere Bedeutungsebe- Scripts gleichzeitig. Mit den Neckereien bedrohen Er-
nen kreieren können, die sie dann spaßig finden, ist wachsene die Kinder zunächst spielerisch, aber sie
auch Humor im Spiel (vgl. McGhee 1980). W. Butz- nehmen dann die Bedrohung völlig zurück und kreie-
kamm/J. Butzkamm (1999) bemerken den dreijähri- ren eine Gelegenheit, sich gegenseitig der Nähe und
gen Nachbarsjungen, der ihnen »Herr Schrutzkamm« der Sicherheit zu versichern. Manchmal werden die
nachruft und dabei lacht (er weiß schon, dass man Na- spaßigen Provokationen so dargebracht, dass das
men eigentlich nicht verballhornen soll). H. Helmers Kind sie zunächst glaubt (somit gefoppt wird). Es gilt
(1971) notiert bei Kindergartenkindern Morphem- als besonderer Erfolg, wenn es erst kurz ›hereinfällt‹
vertauschungen vom Typ »sehr verpubtes Ehrlikum« und dann erst merkt, dass es aufgezogen worden ist.
statt »sehr verehrtes Publikum.« »Verpupt« lenkt die Die Familienmitglieder bestätigen sich in ihrem prin-
Aufmerksamkeit auf die Analogie zu »Pups« – in dem zipiellen Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch die So-
Alter ein relevantes Komikthema (vgl. Kirshenblatt- ziolinguistin B. Schieffelin (1986) arbeitet verschiede-
Gimblett 1976). ne Rahmungsverfahren heraus, die es den Kaluli-Kin-
Schon vor der Vollendung des ersten Lebensjahrs dern in Papua Neu-Guinea ermöglichen, Neckereien
kann das Kind etwas, das G. Bateson (1954/1972) auch von ernsthaften verbalen Aktivitäten zu unterschei-
bei höher organisierten Tieren beobachtet hat. Es kann den. Auch hier gehören markierte Intonation und un-
Rahmungen unterscheiden, z. B. einen Kampf vom ge- realistische Aussagen zu den Performanzfaktoren, die
spielten Kampf. Im Kindergartenalter rahmt das Kind dem Kind das Spielerische des Neckens anzeigen. Zu-
dann sein Spiel als Spiel, oft mit expliziter Rahmenbe- nehmend wird das Kind selbst zum aktiv neckenden
nennung vom Typ: ›Ich wär jetzt die Mutter und Du Performer ähnlicher humoristischer Aktivitäten (vgl.
der Vater‹ (vgl. Andresen 2002). Beim Symbolspiel er- Kotthoff 2003). H. Kotthoff (2009) sieht das Prozessie-
zeugen Kinder einen kleinen Mikrokosmos, einen ren divergenter Rahmen auch als zentrale Vorausset-
theatralischen Rahmen, in dem die Dinge für etwas zung für den Ironie-Erwerb im Grundschulalter.
anders stehen. Symbolisierung findet statt. Die Zentralsetzung von Rahmung und Kontextua-
In Interaktionen werden die Rahmen, in denen sie lisierung wurde von E. Goffman (1974, 1981) und D.
verstanden werden sollen, grundsätzlich miterzeugt Hymes (1974) mit ihrem etwa zeitgleich entstandenen
(vgl. Auer 1986; Kotthoff 1998, 161 ff.). Mit dem Rah- Konzept des »keying« ausgebaut. Während unter
mungswissen erwirbt das Kind eine weitere entschei- »Rahmung« (frame) alle Bezugsrahmen verstanden
dende Fähigkeit für den Humor. werden (oft auch Script genannt), gelten Ernst und
In vielen Kulturen werden Kinder beispielsweise Spaß (aber auch Pathos oder Exaltation) als Proto-
von Erwachsenen geneckt. Necken und Aufziehen typen von »keyings« (auf Deutsch: Interaktionsmoda-
sind klassische sprachliche Aktivitäten der Doppel- litäten) im engeren Sinne. Interaktionsmodalitäten re-
rahmung. A. Eisenberg (1986) zeigt anhand von zwei geln v. a. den Realitätsbezug (vgl. Kotthoff 1998, 165).
mexikanischen Familien in Kalifornien, wie die Kin-
der dort in Form von Neckereien provoziert werden
und wozu diese Routinen der Familie dienen. Ein 18.2 Pointen und (semantische) Inkon-
Schlüsselmerkmal besteht bei der provokanten Akti- gruenzen
vität darin, gleichzeitig deutlich zu machen, dass die
Kinder das im Spaß Gesagte nicht glauben sollen. Zu- Während die oben erwähnten Neck-Studien das ge-
nächst äußern Erwachsene im spielerischen Ton etwas samte Ausdrucksspektrum der Interaktion analysie-
für das Kind Bedrohliches, wie z. B.: ›Wir werfen Ma- ren und eine Inkongruenz zwischen bedrohlicher
risa in die Mülltonne.‹ Es wird keine Pointe erzeugt, Aussage und fröhlicher Sing-Sang-Intonation als zen-
aber es wird gelacht, das Kind wird hochgehoben, es tral sehen (keine Pointe im engeren Sinne), fokussier-
wird in einer übertriebenen Sing-Sang-Intonation ge- ten andere linguistische Ansätze die Semantik der
sprochen und auch non-verbal durch Lächeln kon- Pointe (bei Kotthoff 1998 Witzigkeit im engeren Sinne
textualisiert, dass nur eine spielerische Drohkulisse genannt im Unterschied zu Komik). Inkongruenz
aufgebaut wird. In die Kommunikation wird sozusa- wird schulenübergreifend als ein wichtiges Element
gen eine weitere Bedeutungsebene eingezogen (vgl. für die Evokation eines humoristischen Effekts ange-
Clark 1996). Eine Bedrohungskulisse wird zumindest sehen (s. Kap. 1 und 2). S. Attardo (1994) hat gezeigt,
114 II Methodische Zugänge zum Komischen

dass der Grundgedanke der Inkongruenz schon in schränkte, die Inkongruenz der zu bisoziierenden
den Humortheorien der Renaissance (bei Madius) ei- Rahmen auf solche einer basalen und textintrinsi-
ne Rolle gespielt hat. Aber erst seit dem 18. Jh. setzt schen Semantik (zur Kritik vgl. Mulkay 1988; Brock
sich die Auffassung allgemein durch, dass Inkongru- 1996/2004; Kotthoff 1998, 50; Feyaerts/Brone 2002).
enzerfahrung die Hauptrolle im Humor spielt. Es ist Obwohl bei V. Raskin schon vom Entwurf einer »ge-
die Rede von Vorstellungskontrast, von Sinn im Un- nerellen Humortheorie« (Raskin 1985, 123) die Rede
sinn und von der Aufeinanderfolge von Verblüffung war, welche er glaubte aufgestellt zu haben, wurden
und Erleuchtung (vgl. Freud 1999, 35). Freuds Witz- nur semantische Textstrukturen von schriftlich dar-
analysen verbinden Sprachanalyse und Psychoana- gebotenen Witzen debattiert (vgl.; Ruch/Attardo/Ras-
lyse. Seine Analysen zu Witztechniken fanden ins- kin 1993). Der von V. Raskin formulierten »semanti-
gesamt viel mehr Bewunderung als seine Analogie schen Skript-Theorie des Humors« (Raskin 1985) geht
zwischen Witz und Traum. es um die Entwicklung einer Kompetenztheorie des
A. Koestler hat in The Act of Creation (Der göttliche Humors. Man postuliert eine der Grammatikkom-
Funke, 1964/66) die Idee der Bisoziation entwickelt, petenz ähnliche Humorkompetenz, die mit einem re-
ein Terminus, der die mit Humor verbundene Kreati- kursiven Regelmechanismus auf der Grundlage der
vität fokussiert. Für Humor sei die gleichzeitige Wahr- Semantik von Worten und Sätzen operiert. Komik
nehmung einer Situation oder Idee in zwei selbständi- wird intrinsisch auf der Textebene verortet, d. h. man
gen, aber inkompatiblen Referenzrahmen entschei- sucht die Hinweise zur Interpretation des Witzigen
dend (vgl. Koestler 1964, 35). Duales Prozessieren von nur im Text selbst. V. Raskin geht zwar von einer Kon-
Wahrgenommenem, Gehörtem oder Gesehenem füh- textsemantik aus, in der Weltwissen und Sprachwis-
re zur simultanen Doppelassoziation, Bisoziation ge- sen als interagierend vorgestellt werden, präsentiert
nannt. In der Rezipienz muss zur Wahrnehmung des dann aber doch insofern eine kontextfreie Witztheo-
Komischen der Bezugsrahmen gewechselt werden. P. rie als die Komik nie in der Gesamtsituation, der Be-
Wenzel (vgl. 1989, 30) schlägt vor, statt von Bisoziati- ziehungsgeschichte oder den Werten und mora-
on von Dissoziation und Konsoziation auszugehen, da lischen Normen, auf welche angespielt wird, zu ver-
der Begriff der Bisoziation etwas Statisches hätte. Mei- orten ist (vgl. ebd.).
ner Meinung nach ist aber nicht jede Störung eines H. Kotthoff hat die Theorie der »grundlegenden
Bezugsrahmens witzig, sondern es kommt gerade auf Script-Opposition« (Kotthoff 1998, 199) an Witzen
die Doppelassoziation an. überprüft. Keiner der Witze in ihrem Korpus zeigt
Je nach Aktivität findet aber nicht unbedingt ein eine ›grundlegende‹ Opposition von lexikosemanti-
plötzlicher Wechsel statt, sondern durchaus auch ein schen Scripts in der Pointe. Alle arbeiten hingegen
Parallelführen von zwei Bezugsrahmen. G. Brone mit unerwarteten Anspielungen auf gänzlich neben-
(2007) und O. Ehmer (2009) greifen zur Erklärung sächliche Bedeutungskomponenten (gerade nicht auf
des Aufrufens von zwei Bezugsrahmen bei komischen grundlegende), auf die die HörerInnen nicht selbst
Phantasiespielen und anderen Scherzaktivitäten auf gekommen wären). Der Überraschungseffekt des
die Blending-Theorie mentaler Räume von G. Fau- Humors liegt genau darin begründet, dass Script-
connier und M. Turner (vgl. u. a. 1996 und 2003) zu- Oppositionen sich an nebensächlichen Phänomenen
rück. Der meistbeachtete Typus des humoristischen aufhängen lassen. Wie zentral dieser Überraschungs-
Texts war lange der Standardwitz. Aktivitäten wie effekt in der Witzrezeption zu veranschlagen ist,
Frotzeln (vgl. Drew 1987; Günthner 1996) und ko- wurde z. B. von W. Preisendanz gezeigt, der von ei-
mische Phantasiespiele (vgl. Priego-Valverde 2006; nem »Kollaps des Erwartungsschemas« (Preisendanz
Kotthoff 2007; Ehmer 2009) finden erst mit dem Auf- 1970, 17) spricht, der sehr unterschiedlich sein kann.
kommen der Konversationsanalyse in der Humorfor- M. Dolitsky (1992) betont auch, dass es in der Regel
schung verstärkt Beachtung. gar nicht zu einer vollen Script-Überlappung kom-
Inkongruenztheorien haben lange in der linguisti- me, da auf das zweite Script nur angespielt werde.
schen Humorforschung eine zentrale Rolle gespielt Die HörerInnen müssen dies selbst aktivieren, worin
(vgl. z. B. Suls 1972; Paulos 1977; Eco 1984; Raskin sich alle Ansätze einig sind. Anspielungen sind im
1985; Wenzel 1989; Attardo 1994). In den 1980er Humor zentral.
Jahren verabsolutierte V. Raskin (1985) ein Modell S. Attardo baut die mit V. Raskin entwickelte »ge-
semantischer Inkongruenz, indem er es auf binäre nerellen Theorie verbalen Humors« (»GTVH«) (At-
Oppositionen von lexikosemantischen Scripts be- tardo 1994, 222) aus und geht über die semantische
18 Linguistik und Humor 115

Humortheorie von Raskin hinaus. Er fügt Raskins an 18.3 Humor, Ironie und die Griceschen
der Wortsemantik aufgehängten Theorie eine Ebene Maximen der Kommunikation
hinzu, die fünf weitere Wissensressourcen berück-
sichtigt: man müsse diese zusätzlich zur semanti- Viele linguistische Humorforscher (vgl. Brock 1996;
schen Script-Opposition abarbeiten, um einen Witz Kotthoff 1998; Brone 2007) gehen davon aus, dass im
oder eine witzige Geschichte zu generieren. Diese Humor die Griceschen Maximen der Kommunikati-
knowledge resources sind: »1. script opposition, 2. the on verletzt werden und dann aber über die Verletzung
logical mechanism, 3. the target, 4. the narrative stra- doch Sinn im Unsinn hergestellt wird, die SprecherIn-
tegy, 5. the language, and 6. the situation« (ebd., nen also somit auf einer tieferen Ebene kooperieren.
222 ff.). Das Kooperationsprinzip ist zentral gesetzt, nicht
Die Wissensresource »language« betrifft die For- die Maximen.
mulierung, Position der Pointe usw. Die Ressource
»narrative strategy« betrifft die spezifische Textualität »Hinter eine konversationale Implikatur zu kommen,
(Frage-Antwort, Erzählung, Gattung usw.) Die Wis- heißt, auf das zu kommen, was zur Aufrechterhaltung
sensressource »Ziel« dreht sich um die spezifische Be- der Annahme, dass das Kooperationsprinzip beachtet
setzung von Witzzielscheiben. Die Ressource »Situati- ist, unterstellt werden muss.« (Grice, 1979, 265)
on« hat nichts mit der Situation zu tun, in der der Witz
gemacht wird, sondern mit der Situation, die er the- Die Gricesche Theorie hat im Laufe ihrer Rezeptions-
matisch enthält (z. B. ›Polen wechseln eine Glühbir- geschichte sehr unterschiedliche Lesarten generiert
ne‹). Der logische Mechanismus ist der Parameter der (vgl. z. B. Levinson 2000). Nehmen wir einen beschei-
Verknüpfung der Scripts (direkte Opposition, falsche denen Dialog als Beispiel für Witzigkeit:
Fährten). Diese »GTVH« liefere einen Mechanismus,
der fähig sei, eine infinite Anzahl an Witzen zu gene- Er: Dein Gemecker geht bei mir zum einen Ohr rein
rieren und deren Ähnlichkeitsrelation zu bestimmen. und zum anderen wieder raus.
Der erste Punkt in der Hierarchie wird weiterhin von Sie: Es ist ja auch nichts dazwischen, was es aufhalten
der Notwendigkeit einer grundlegenden Script-Op- könnte.
position besetzt. Das Zentrum von Scripts bildet
sprachbezogenes Wissen, welches von anderen Wis- Schon an diesem schlichten Witz sieht man die Not-
senselementen umringt werde. wendigkeit, Implikaturen als in Sequenzen eingebun-
Vor allem Attardos (1994) Kapitel zu »Register-ba- den zu behandeln. Die Metapher ›von einem Ohr...‹
sed Humor« schränkt die Analyse von Humor nicht stellt ein Beispiel für das sog. flouting dar, d. h. man
mehr auf die Textsorte Witz ein. Zur Klärung dessen, kann die Maximen mehr oder weniger flagrant ver-
was »register-based humor« ausmacht, zieht Attardo letzen und gegeneinander ausspielen. Die witzige Re-
ein in R. Alexander (vgl. Alexander 1984, 58–62) dis- plik verletzt eine weitere Gricesche Maxime (die der
kutiertes Beispiel aus dem Buch Side Effects (1981) von Art und Weise) und zerstört die übliche Implikatur
W. Allen heran: der ersten Äußerung (mehr zur kreativen Variation
von Phraseologie vgl. Feyaerts 2006). Solche Verlet-
»He was creating an Ethics, based on his theory that zungen von Maximen können durchaus auch wieder
›good and just behavior is not only more moral but konventionell werden; sie sind nicht unbedingt im-
could be done by phone‹. Also, he was halfway through mer konversationell (so gibt es im süddeutschen
a new study of semantics, proving (as he violently insis- Raum, wo mit ›Grüß Gott‹ gegrüßt wird, eine Art
ted) that sentence structure is innate but that whining Standardwitzreaktion des Antwortens mit ›Wenn Du
is acquired.« (235) ihn siehst‹.)
Solche standardisiert spaßigen Reaktionen können
Attardo (1994, 236) zitiert Alexander (1984, 60), wenn den Weg über die Generalisierung hin zur Konvention
er schreibt, dass Allen Erwartungen hinsichtlich eines schon hinter sich haben. Das ist beim obigen Beispiel
wissenschaftlichen Stils erzeugt, die durch ›done by jedoch nicht der Fall. Die Verletzung des über Impli-
phone‹ abrupt heruntergefahren würden. Auch der katur funktionierenden Phraseologismus ist noch
zweite Satz arbeite mit einem komischen Stilgefälle nicht zur ›default‹-Interpretation geworden. Norma-
des wissenschaftlichen »new study of semantics and lerweise reagiert man auf das Implikatum der ersten
phrase structure« und des alltäglichen ›whining‹. Äußerung, etwa indem man sich auf den Angriff hin
116 II Methodische Zugänge zum Komischen

verteidigt. Im obigen Beispiel verteidigt sich die Frau A. Brock (1996/2004) beschäftigt sich anhand
nicht, sondern zerstört die übliche Implikatur der Me- von Sketchen, z. B. aus Monty Python’s Flying Circus
tapher. Metaphern werden normalerweise ganzheit- mit der Modellierung von komplexen Verstehens-
lich im übertragenen Sinne verstanden (mehr zu Me- prozessen. Seine Beiträge fokussieren die in der Re-
taphorik und Humor: vgl. Brone 2007). Die Frau ko- alzeit ablaufenden Verarbeitungen von Erwartungs-
operiert aber im Hinblick auf die Identifikation einer brüchen, somit auch die Multidimensionalität die-
Sprecherbedeutung mit dem Mann und sie reagiert ser Erwartungsbrüche, die nämlich weder nur im
kohärent; sie kooperiert aber nicht mit dem Mann auf Bereich der Semantik liegen, noch immer klar um-
der Ebene seiner Handlungsziele, also nicht auf der rissen werden können. Brock zeigt in seinen Arbei-
Ebene der Perlokution (vgl. dazu Eisterhold/Attardo/ ten, wie sich verschiedene Inkongruenzen gegensei-
Boxer 2006); beim Streiten verfolgen wir meist kon- tig aufladen und wie das Spiel mit den vielfältigen
träre Handlungsziele. Kooperation auf der Ebene der Verknüpfungen der Inkongruenzen (nicht nur) in
Handlungsziele wäre auch nicht der Fall gewesen, medialen Szenen von Monty Python pragmatisch
wenn sie seine Kritik ernsthaft zurückgewiesen hätte, gefasst werden kann.
indem sie beispielsweise gesagt hätte: ›Ich möchte In der Gesprächsforschung wird nicht mit einer
aber, dass du meine Kritik ernst nimmst‹. grundsätzlichen Gegenüberstellung des ernsten und
Die Verletzung der Maximen gilt bei P. Grice als spaßigen Diskurses gearbeitet, sondern mit dem Be-
Normalfall von Bedeutungsherstellung (flouting). fund, dass beliebige Äußerungen zwischen Spaß und
Dann wird die Bedeutungsproduktion auf eine tiefere Ernst changieren können. Für die Zuordnung von
Ebene verlegt. Einen wesentlichen Pfad dafür anzuge- Wahrheits- oder Spielwerten von Äußerungen müs-
ben, wie man vom Gesagten zum Gemeinten kommt, sen alle Ebenen des Dialogs beachtet werden. Das pa-
ist das Ziel der Griceschen Theorie. Dieser Pfad ist rodistische Herunterspielen von Verantwortung für
sehr allgemein und zur Analyse konkreter Äußerun- die eigene Äußerung ist zentral im alltäglichen, kon-
gen im Kontext unzureichend. Vieles ist seit P. Grice versationellen Humor. Durch zitathafte Theatralisie-
an seinem Modell der Herstellung des Gemeinten de- rung der Rede kann man entfernte Kontexte mit evo-
battiert worden. Kritik entzündete sich z. B. an Grices zieren, welche den aktuellen Text verfremden und da-
Vorstellung von effektiver Informationsübermittlung. durch ›komisieren‹ (vgl. Kotthoff 2002/2006/2010).
R. T. Lakoff (1973) und G. Leech (1983) meinten, Höf- Sicher überlappen sich dabei Scripts und/oder spielen
lichkeit widerspräche diesem Primat, da sie ja oft um- aufeinander an, aber sie stehen nicht in einer formali-
ständlich, vage oder indirekt formuliert würde. Sie sierbaren Opposition zueinander. Inkongruenzen
stellten also Extra-Maximen zur taktvollen Kom- müssen selbst bei schriftlichen Texten keineswegs nur
munikation neben die von Grice formulierten Maxi- immanent zu finden sein. B. Müller führt für den Be-
men. Sie hatten seine Maximen als Anweisungen zur reich der literarischen Komik aus, dass es Inkongru-
optimalen Kommunikation (miss-) verstanden und enzen auf ganz verschiedenen Ebenen gibt. Sie nennt
plädierten für die Berücksichtigung weiterer Maxi- Verstöße gegen Gattungskonventionen, Durchbre-
men. Sie sind allerdings ja auch bei Grice (vgl. 1989, chungen von Leseerwartungen und die für alle Arten
26) als Anweisungen formuliert: Mach a, tu b, sei c. von Parodie so wichtige Spannung zwischen Text (Pa-
Die Maximen der Quantität, Qualität, Relevanz rodie) und Prätext (Parodiertem) (vgl. Müller 1994,
und Art und Weise sollte man besser als sehr allgemei- 182). Das gilt ebenso für mündliche Kommunikation.
ne Check-Kriterien verstehen, an denen sich unsere S. J. Schmidt hatte bereits versucht, Perspektiven auf
Wahrnehmung abarbeitet. Dergleichen Vorschläge eine Texttheorie des Komischen zu eröffnen, welche
von Brown/Levinson 1987, Clark 1996, Kotthoff 1998, pragmatisch argumentieren (vgl. Schmidt 1976).
Levinson 2000 gehen in die Richtung, die von Grice Nach kurzem Rekurs auf verschiedene Vorhaben, Ko-
formulierten Maximen als Heuristik zu begreifen. mik zu definieren, begründet Schmidt die generelle
Dort wird auch gegen die Beschränkung auf eine ein- Einsicht in die geschichtliche, soziokulturelle Relati-
zige Maxime argumentiert (die Relevanz-Maxime vität des Komischen und weist ihr einen Platz im Be-
z. B.), wie etwa C. Curco (1998) sie für humoristische reich der linguistischen Pragmatik zu. Heutige Poin-
Diskurse vertritt, die z. B. meint, die Relevanz-Theorie tentheorien, wie z. B. R. Müller (2003, 128) oder A.
von D. Sperber und D. Wilson (1985) erkläre das Brock (2004, 148) setzen auch nicht mehr den plötzli-
Funktionieren von Witz und Ironie besser als neogri- chen und erwarteten Rahmenwechsel zentral, der
cianische Ansätze. von einem Trigger-Element ausgelöst wird (z. B. einer
18 Linguistik und Humor 117

sprachlichen Doppeldeutigkeit), sondern die textuel- gen der Kooperation durchschaut werden kann und
le Erzeugung einer ›Lesartenvermehrung‹. soll (vgl. Lapp 1992).
Da der für Parodie so zentrale Register-Humor im Obwohl in der Rhetorik die Ironie als eine Form
Sinne eines Spielens mit fremden Stimmen (vgl. des Scherzens und Spottens beschrieben wurde (vgl.
Bachtin 1969/1985) und im Sinne des Evozierens ei- Groeben 1986; Hartung 1998; Colston/Gibbs 2007),
nes Theaterrahmens (vgl. Haiman 1990; Müller 1992; finden sich in den Anfängen der linguistischen Prag-
Kotthoff 2002/2007) im Alltag omnipräsent ist, muss matik zunächst Definitionen, die auf Ironie als all-
er innerhalb einer Humortheorie Berücksichtigung gemeine Gegensatzrelation zwischen dem Gesagten
finden. Allerdings ist fraglich, ob die humoristische und dem Gemeinten abheben (vgl. Berg 1978). Späte-
Potenz von Register-Humor zurückgeschraubt wer- re Arbeiten (vgl. Engeler 1980) betonen, dass es nicht
den muss auf eine grundlegende Script-Opposition um irgendeine »dissimulatio« (Cicero 1978, 216–290)
(wie etwa bei Attardo 1994). Das gleichzeitige Auf- gehe, sondern besonders um eine Dissimulation auf
rufen verschiedener Perspektiven, die in einem Text der Ebene der Bewertungsdimension (vgl. Dews/
aktiviert werden, kann besser innerhalb eines Ansat- Winner 1995; Schwarz-Friesel 2012; Dynel 2013). Das
zes konzipiert werden, der Phänomene des Überblen- humoristische Potenzial ironischer Aktivitäten ist un-
dens von Rahmen grundsätzlich berücksichtigt (vgl. terschiedlich; es reicht von ernsthaft bis witzig (vgl.
etwa Brone 2007; Ehmer 2009). Diese müssen keines- Giora 1998; Gibbs 2000). Die Relation zwischen Hu-
falls in der von V. Raskin angenommenen grund- mor und Ironie ist nicht stabil, der Überlappungs-
legenden Opposition (was immer das überhaupt sei) bereich ist bei kreativer Ironie hoch. Die Frage nach
stehen. der Notwendigkeit von Ironiesignalen und damit der
Auch in der Ironie kann man sich implizit von einer Erkennbarkeit auf der Formulierungsebene wird auch
Äußerung distanzieren, die der Rezipient selbst zuvor adressiert (sei es durch Wortwahl, Prosodie, Mimik,
so ähnlich geäußert hatte. Beispiel: Peter möchte mit Gestik oder Form-Inhalt-Inkongruenzen). Viele For-
Karin zu einer Party seines Freundes Willi gehen. Ka- scher stimmen mit Haiman (1990) und Attardo (u. a.
rin hat keine Lust. Peter überredet sie, indem er ihr er- 2003) darin überein, dass besondere Kontextualisie-
zählt, auf Willis Partys sei immer enorm was los, es rungsverfahren oft gefunden werden können, die aber
herrsche eine Superstimmung und es gebe tolles Es- auf Ironie exklusiv nicht beschränkt sind.
sen. Sie gehen also hin. Ein paar Leute hängen dort ge- In der linguistischen und soziologischen Ge-
langweilt in den Sesseln und haben sich wenig zu sa- sprächsforschung wurde das Zusammenspiel lexikose-
gen. Es gibt Butterbrezeln und Nudelsalate. Karin flüs- mantischer, prosodischer, stilistischer und alltagsnor-
tert Peter zu: ›Das ist ja eine Wahnsinnsstimmung mativer Elemente zur Evozierung des Humoristischen
hier‹. Und kurz drauf: ›Und diese unglaublich raf- und/oder Ironischen besonders gewichtet (vgl. Nor-
finierte Küche. Umwerfend!‹ Karin greift in ihrer Iro- rick 1993; die Beiträge in Kotthoff 1996; Hartung 1998;
nie (meist in übertriebener Weise) die Aussagen auf, Ehmer 2009). Die Performanz mündlicher Scherzakti-
mit denen Peter ihr vorher die Party schmackhaft ma- vitäten wie Frotzeln (vgl. Günthner 1996), spaßiger
chen wollte. In der Literatur wird dieser Typus »Ironie Alltagsgeschichten (vgl. Kotthoff 1998, 233 ff.) und
der Erwähnung« oder »Echo-Ironie« (Wilson/Sper- Sich-Mokieren (vgl. Christmann 1996) rückten im
ber 1992, 53; Sperber/Wilson 1981, 296) genannt. Pe- Vordergrund.
ter kann mühelos erkennen, dass sie selbst das Gegen-
teil meint und merkt auch, dass sie ihm seine eigene
Erwartung in ihrer Ironie spiegelt. Noch dazu spricht 18.4 Komik, Humor und Ironie in der
Karin übertrieben und mit einem leicht genervten Interaktionsforschung
Tonfall. Somit wird die involvierte Intertextualität be-
sonders inszeniert (vgl. Clark/Gerrig 1984; Kotthoff Eine gesprächsanalytisch fundierte, pragmatische
2002). Im Unterschied zur Parodie stehen die in den Theorie der Scherzkommunikation stellt nicht nur die
beiden aufgerufenen Texten enthaltenen Bewertun- Frage ›was ist hier witzig?‹ sondern ›was ist hier witzig
gen in einer Gegensatzrelation. Karin bezieht sich mit für wen?‹ Einige Scherz- und Komikpotenziale mögen
ihrem ›Text‹ implizit auf Peters zuvor geäußerten textimmanent bestimmbar sein; diese werden aller-
›Text‹. Sie setzt diesen fort und wertet ihn für ihre ak- dings vieles von dem, was Menschen spaßig finden,
tuellen Zwecke um. Die Gricesche Wahrheitsmaxime nicht erfassen. Aus der linguistischen Pragmatik und
wird so verletzt, dass die Verletzung unter Bedingun- Gesprächsforschung stammende Beiträge zur Hu-
118 II Methodische Zugänge zum Komischen

morforschung zeigen, dass nur Einblicke in Lebens- lich wurde, dass der Sohn beim Einkaufen vergessen
welten Antworten auf die Frage geben können, was hat, Batterien mitzubringen, was die Mutter ihm
Humor konkret ausmacht. Diese Arbeiten sind da- deutlich aufgetragen hatte.
durch verbunden, dass sie sich auf komplexe Inter- Die Frotzeläußerung zeichnet sich durch struktu-
aktionen einlassen. Sie betrachten Scherzhaftigkeit im relle Ambivalenz aus. Auf der inhaltlichen Ebene
Wesentlichen als Interaktionsmodalität und zeigen werden dem Frotzelobjekt unrealistische Gründe
verbale, non- und paraverbale Verfahren, welche diese (z. B. Alzheimer) für ein Fehlverhalten (Vergesslich-
markieren. Alle Arbeiten haben soziolinguistische Di- keit) attribuiert und auf der Ebene der Interaktions-
mensionen, weil sie ihre Analysen von Gesprächen modalität wird Spaßhaftigkeit kontextualisiert. Ver-
mit denjenigen sozialer Strukturen verbinden. Sie zei- fehlungen und inadäquates Verhalten werden im
gen Scherzkommunikation als Möglichkeit der impli- Frotzeln so bearbeitet, dass die Ambiguität der Spaß-
ziten Aushandlung einer geteilten Moral und einer modalität die Gesichtsbedrohung wieder ausgleicht
spezifischen sozialen Identität. (vgl. Drew 1987). Die Frotzelobjekte frotzeln durch-
aus zurück und expandieren so den Spielrahmen.
Günthner ordnet dem Frotzeln kritischere Potenzen
18.5 Humor in der Gruppe und in den zu als dem Necken und problematisiert die Ethnoka-
Medien tegorien im Bereich der provokanten Scherzäußerun-
gen. Beim Frotzeln wird, wie bei vielen humoristi-
G. Christmann (1996) analysiert beispielsweise die schen Aktivitäten, auf geteilte Wissensbestände an-
Aktivität des Sich-Mokierens am Beispiel einer um- gespielt, welche oft auf eine gemeinsame Interakti-
weltpolitischen Gesinnungsgemeinschaft. Ähnlich onsgeschichte verweisen. Frotzeln setzt eine vertraute
wie das Frotzeln (vgl. Günthner 1996) und Anpflau- Beziehung voraus und bestätigt auch die Intimität der
men (vgl. Schütte 1987) zeichnet sich das Sich-Mo- Beziehung. Traditionelle Höflichkeitsregeln werden
kieren dadurch aus, dass Sachverhalte lachend vor- suspendiert (wie so oft im Humor, vgl. Kotthoff 1998,
gebracht werden, obwohl sie auch eine ernste Kom- 285 ff.; Kotthoff 2010). Inkongruenz, Degradation
ponente haben. Während aber beim Frotzeln und und Entspannung treten gleichzeitig auf den Plan
Anpflaumen wie auch bei vielen anderen Formen [Verweis Komik].
des Scherzens das Spaßige eher im Vordergrund W. Schütte (1991) modifiziert in seiner Studie über
steht, tritt der Spaß beim Sich-Mokieren deutlich in die Scherzkommunikation unter Orchestermusikern
den Hintergrund. Das häufig zu beobachtende La- die These von A. Radcliffe-Brown, dass in den Scherz-
chen dient zwar dazu, den Ernst herunterzuspielen, beziehungen eine vorgebliche Feindseligkeit einer
ohne aber dem Ernst der Sache wirklich einen Ab- tatsächlichen Freundschaftlichkeit gegenüberstehe.
bruch zu tun. Den Umweltschutz-Akteuren gelingt Schüttes These lautet hingegen, dass die Scherzkom-
es auf diese Weise, sich über die ›Otto-Normalver- munikation oft einer Beziehungsarbeit diene, welche
braucher‹ zu ›erheben‹. Christmann trägt zur Modi- eine ernsthafte und somit bedrohliche Bearbeitung
fikation von Degradationstheorien bei. In ihrem Bei- von Konflikten und Spannungen entlaste.
trag arbeitet sie Strukturmuster der Aktivität kon- In Bezug auf Ironie wurde oft die Frage nach ihrer
versationsanalytisch heraus und zeigt, warum man sozialen Funktion aufgeworfen. Schütte (1991),
das Sich-Mokieren als konversationelle Satire be- Dews/Winner (1995) u. a. meinen, sie gleiche negati-
zeichnen kann. Formen und Funktionen finden in ve Effekte von Kritik aus. Aggressive Ironie (oft als
den Analysen von Alltagskommunikation gleicher- Sarkasmus bezeichnet) degradiert sein Opfer (vgl.
maßen Berücksichtigung. Long/Graesser 1988), während Ironie auch in Frotze-
S. Günthner stellt ihre Analysen von Frotzelaktivi- leien integriert sein kann und dann eher freund-
täten in den Zusammenhang von moralisierenden schaftliche Verbindungen festigt (vgl. Hartung 1998;
und konfliktiven Aktivitäten unter guten Bekannten Kotthoff 1998).
und Familienmitgliedern. Sie werden mit Lach- Auch J. Holmes (2006) zeigt in Studien aus der neu-
partikeln durchsetzt dargeboten, die Intonation ist seeländischen Arbeitswelt, dass im Scherz zwar oft auf
sehr bewegt und die Sprecher verwenden markierte Konflikte angespielt wird, aber eine positive Kom-
Formulierungen (z. B. viele Hyperbeln), z. B. fällt munikationsbeziehung weiterhin als gültig gesetzt
die Äußerung »aber=do=hot=einer=ALZHEIMER« wird. Schütte (1991), Holmes (2006) und viele andere
(Günthner 1996, 86), nachdem in einer Familie deut- kombinieren Gesprächsforschung mit Ethnographien
18 Linguistik und Humor 119

der Kommunikation. Diese Kombination wird auch in 18.6 Lachen im Gespräch


der Erforschung der Scherzkommunikation von Ju-
gendlichen praktiziert (vgl. Branner 2003; Schmidt Als Prototyp des Lachens wurde nicht nur in psycho-
2004). Die ForscherInnen müssen Zugang zu sehr analytischen Theorien das unkontrollierte Heraus-
spezifischen Wissensbeständen der Interagierenden platzen, die Reaktion auf einen spaßigen Stimulus ge-
haben, um deren Scherze, Frotzeleien, Anpflaumerei- sehen. Vor allem die konversationsanalytische For-
en und Sarkasmen verstehen und in ihrer Funktion schung verdeutlicht seit etwa 40 Jahren, dass eine rein
für die Gruppe einschätzen zu können. Wenn ein physiologische oder philosophische Sichtweise nicht
Mädchen als ›Dicki‹ bewitzelt wird, macht es einen ausreicht; Lachen wird in Transkripten von Gesprä-
Unterschied, ob damit ihr Schlankheitswahn auf die chen als soziales Phänomen betrachtet (vgl. Glenn
Schippe genommen wird (sie ist sehr schlank) oder 2003, 8), das Bedeutungen kontextspezifisch beein-
ihre Pummeligkeit. flusst.
Schwitalla (1995) und Keim (1995) zeigen Schich-
tenspezifika in den Ritualisierungen von Scherzthe- »If laughter is more than a mere reflex response to en-
men, Scherzformen und Scherzbeziehungen in vironmental cues, if it does contribute systematically
Gruppen (s. Kap. 21). Die beiden Studien leisten eine to the sign language of the humorous mode and is em-
überzeugende Verbindung von städtischer und grup- ployed in subtle ways to communicate about the mea-
penkultureller Ethnographie und Interaktionsana- ning of the ongoing interaction, techniques must be
lyse, die Scherzkommunikation einschließt. Die von found to investigate the fine detail of laughter in na-
J. Schwitalla durchgeführte Studie von zwei Frauen- tural settings. We must find a research perspective
gruppen beschreibt deren Sprachverhalten verglei- that not only allows for the possibility that social ac-
chend in Bezug auf das Variationsspektrum von tors methodically employ laughter as an interactional
Standard und Dialekt, ihre Phraseologie, ihre For- resource, but also treats such laughter as a topic for ca-
men der Höflichkeit, des Scherzens, der Herstellung reful investigation.« (Mulkay 1988, 110)
von Gemeinsamkeit und der Konfliktaustragung.
Schwitalla fußt seine kommunikative Stilistik einer Die von M. Mulkay angesprochenen Techniken wer-
sozialdemokratischen Gruppe von Arbeiterinnen den v. a. in Arbeiten von G. Jefferson (vgl. Jefferson
und kleinen Angestellten und einer Literaturgruppe 1979/1984/1985), die als Erste die Gesprächsanalyse
aus der Mittelschicht auf die Konzepte: (a) des face- für die systematische Erforschung des Lachens in
work in Anlehnung and E. Goffman, (b) eine kom- Form von Transkriptionen verwendet hat. Lachen ist
munikative Theorie der Gefühlsprozessierung und keine passiv produzierte, abhängige Variable, sondern
(c) das oben diskutierte Konzept von »Interaktions- eine Verhaltensform, die Menschen ›gekonnt‹ zum
modalität« (Schwitalla 1995, 284 und 130 ff.). Die So- Einsatz bringen. Lachen wird z. B. verwendet, um ein
zialdemokratinnen kommunizieren ihre geteilten Komikpotenzial für das Geäußerte zu indizieren. La-
Einstellungen häufig in Konfrontationserzählungen chen kann darüber hinaus auch als schlichtes Freund-
und lustigen Grotesken, in denen beispielsweise kör- lichkeitssignal verstanden werden oder nur auf Er-
perliche Entstellungen ausgemalt werden, die sie leichterung hindeuten. Selbstverständlich gibt es auch
Menschen andichten, die die Gruppe nicht mag (wie aggressive Arten von Auslachen. In dieser Perspektive
z. B. Chefs). Die Literaturgruppe spricht modalisier- ist nicht das dem Körper unwillkürlich entfahrende
ter, witzelt eher freundlich und andeutend und iro- Lachen der Prototyp, sondern der bedeutungsgenerie-
nisiert inhaltliche Betroffenheit. rende Typus, der mit unterschiedlichen Gefühlen ein-
Humoristische Degradationsversuche sind v. a. in hergeht (vgl. Chafe 2007). Lachen partizipiert an kon-
den von Keim und Schwitalla ethnographisch und textueller Bedeutungsherstellung, an der Aushand-
konversationsanalytisch untersuchten Frauengrup- lung von Beziehungen und an der Formierung von
pen aus der Arbeiterschicht durchaus der Fall, werden Gruppenkulturen (vgl. Schwitalla 2001).
aber unter Statusgleichen so ausgeführt, dass schlag-
fertiges Kontern für schnellen Ausgleich sorgt. Bei Literatur
tendenziell frechen Humoraktivitäten zeigt sich, dass Alexander, Richard J.: »Verbal Humor and Variation in Eng-
bildungsorientierte Mittelschichtsfrauen freundlicher lish: Sociolinguistic Notes on a Variety of Jokes«. In: Bei-
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kationsspielen in latenten Konflikten. Pflaumereien und tellektuelle Rechtfertigung eines zweifelhaften sinn-
andere aggressive Späße«. In Gerd Schank/Johannes lichen Vergnügens ansieht, das ›Lust am Widerspruch‹
Schwitalla (Hg.): Konflikte in Gesprächen. Tübingen 1987, finden will, wie R. Gernhardt in seinen »Vorbemerkun-
239–284.
gen zu dem ›Versuch einer Annäherung an eine Feld-
Schwarz-Friesel, Monika: »Ironie als indirekter expressiver
Sprechakt: Zur Funktion emotionsbasierter Implikaturen theorie der Komik‹« (Gernhardt 1988, 462) ausführt;
bei kognitiver Simulation«. In: Andrea Bachmann-Stein, sei es, dass man befürchtet, eine Theorie des Lachens
u. a. (Hg.): Perspektiven auf Wort, Satz und Text. Trier und des Komisch-Machens untergrabe die Grundfes-
2012, 223–232. ten einer Gesellschaftsordnung, die auf der Angst vor
Schwitalla, Johannes: »Lächelndes Sprechen und Lachen als den normstiftenden Autoritäten Staat und Kirche be-
Kontextualisierungsverfahren«. In: Kirsten Adamzik/He-
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gründet ist, wie es Jorge, der blinde Bibliothekar in U.
schrift für Gottfried Kolde. Tübingen 2001, 325–344. Ecos Der Name der Rose (1980), beredt zum Ausdruck
Schwitalla, Johannes: Kommunikative Stilistik zweier sozialer bringt, wenn er die verschollen geglaubte Zweite Poetik
Welten in Mannheim-Vogelstang. Kommunikation in der des Aristoteles, die angeblich der Behandlung der Ko-
Stadt. Bd. 4. Berlin/New York 1995. mödie gewidmet war, mit dem Argument vernichtet, in
Sperber, Dan/Wilson,Deirdre: Relevance. London 1985.
diesem Werk werde »die Funktion des Lachens umge-
Sperber, Dan/Deirdre Wilson: »Irony and the use-mention
distinction«. In: Peter Cole (Hg.): Radical pragmatics. New stülpt und zur Kunst erhoben, hier werden ihm die To-
York 1981, 295–318. re zur Welt der Gebildeten aufgetan, hier wird das La-
Suls, Jerry M.: »A Two-Staged Model for the Appreciation of chen zum Thema der Philosophie gemacht, zum Ge-
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Wenzel, Peter: Von der Struktur des Witzes zum Witz der mische Phänomene‹ wie sie als Kunstgriffe im Rah-
Struktur: Untersuchungen zur Pointierung in Witz und men literarischer Werke häufig zu beobachten sind,
Kunstgeschichte. Heidelberg 1989. systematisch deutbar zu machen. Dem wurde und
Wilson, Deirdre/Sperber, Dan: »On verbal irony«. In: Lingua wird von ganz unterschiedlichen Seiten entgegen ge-
87. Jg. (1992), 53–76.
halten, dass das Komische »ein dezidiert nicht-theo-
Helga Kotthoff retischer Gegenstand« (Vogl 2006, 76) sei, ja, dass das
Fehlen eines Komödien-Teils in der Poetik des Aristo-
teles womöglich »allegorisch« (ebd.) zu verstehen sei.
Ob man die Möglichkeit einer überzeugenden und
fruchtbaren Theorie des Komischen gar so grundsätz-
lich verneinen muss, darf bezweifelt werden – immer-
hin gibt es bereits seit der Antike mit der rhetorischen
Tradition eine an der Praxis geschulte und maßgeblich
durch Aristoteles vorangetriebene, systematische
Auseinandersetzung mit den vielfältigen Möglichkei-
ten, Aufmerksamkeitssteigerungen durch absichtlich
herbeigeführte Abweichungen von den Normerwar-
tungen der Alltagssprache zu bewirken.

19.1 Rhetorisch-poetologische Ansätze

Kontrovers diskutiert wurde lange Zeit, ob Rhetorik


und Poetik überhaupt Verfahrensweisen sind, die ei-
ne Erkenntnisfunktion haben können. Während Pla-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_19,


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19 Literaturtheorie 123

ton in der Politeia (ca. 380 v. Chr.) Redner und Dich- ße Vorgehen, das in den Rhetoriklehrbüchern vom
ter pauschal unter Täuschungs- und Betrugsverdacht Redner und Dichter verlangt wird (die Sprachrichtig-
stellt und den rhetorisch-poetischen Verfahren im keit [latinitas], Deutlichkeit [perspicuitas], Angemes-
Gorgias (ca. 390 v. Chr.) den Rang der wissenschaftli- senheit [als Metaregel, das äußere und innere aptum
chen technē abspricht, hebt Aristoteles in seiner Poe- zu wahren], Schmuck [ornatus], und Kürze [brevi-
tik (ca. 335 v. Chr.) hervor, dass dichterische Sprache tas]), wird auch zum Maßstab für die textlichen und
keinen geringeren epistemischen Status besitzt, son- darstellenden literarischen Gattungen. So ist Horaz’
dern sogar in besonderer Weise zur Vermittlung phi- Lehrgedicht De arte poetica Exempel für die lyrische
losophischer Erkenntnis geeignet ist, weil sie über das Kunst und zugleich Literaturkritik – u. a. der attisch-
nachahmend Abbildende, das logisch Ableitende und römischen Komödie (s. Kap. 23.1.2) – und normative
das historiographisch Deskriptive hinausgeht (vgl. Schreib-Anweisung. Seine Empfehlung, sich einer
Poetik, Kap. 9). Aufgabe des Dichters ist es laut aristo- bildhaften Sprache zu bedienen (ut pictura poesis) und
telischer Poetik und Topik, den Bereich des Mögli- mit einem Werk nicht nur auf Bildung und Tugend ab-
chen, Wahrscheinlichen und Gesollten auszuleuch- zuzielen, sondern das Publikum zugleich zu unterhal-
ten. Der ›Wahrscheinlichkeitsschluss‹ (Enthymem – ten (prodesse et delectare), gilt grundsätzlich für alle
ein unvollständiger, unentscheidbarer oder fehlerhaf- Gattungen, für die komische Kunst aber in ganz be-
ter Schluss) wird im wissenschaftlichen Diskurs sonderem Maße. Gelungene Komik ist unterhaltsam
vermieden, ist aber typisch für die lebensweltliche und erfreulich, weil sie positiv überrascht und mithin
Rationalität und das gesellschaftliche Meinungswis- über das Konventionelle und Nur-Mimetische hi-
sen, jenen Rahmen also, auf den komische Kom- nausgeht. In gut rhetorischer Tradition wird von ei-
munikation in besonderer Weise bezogen ist (vgl. nem lyrischen oder epischen Werk stets auch Unter-
Kap. 20.1). Zu diesem Rahmen zählt auch das rheto- haltsamkeit erwartet.
risch-poetische Bildungssystem mit den kanonischen Die Logik, nach der literaturgeschichtlich vor-
Schriften des Aristoteles, Cicero, Horaz und Quinti- gefundene Muster – materiale Topoi wie figurative
lian, die bis ins 19. Jh. Referenztexte der Textproduk- Tropoi (die sog. ›Sprungfiguren‹) – variiert werden,
tion sind. Eine spezifische Rhetorik des Komischen sind die vier Grundoperationen Hinzufügung (adiec-
ist indes noch nicht systematisch als solche expliziert tio), Fortlassung (detractio), Abwandlung (trans-
(vgl. Ueding 1996) und stellt ein Desiderat der For- mutatio) und Vertauschung (immutatio). Aus der
schung dar. Eine ›topische‹ Fassung der Komik er- Matrix der rhetorisch-literarischen Figuren und der
scheint hier aussichtsreich, da dies zum einen dem Argumentationsmuster (Syllogismen und Enthyme-
dialektischen Charakter der Komik entspricht, der me) kann kombinatorisch eine große Fülle von Varia-
sich argumentationstheoretisch als formale und lite- tionen und Hybriden erzeugt werden. Die Kenntnis
raturgeschichtlich als materiale Topik der immer wie- der klassischen Werke und das Regelwissen des Neu-
der aufgegriffenen und variierten Sujets und Motive kombinierens sind ein wirksames Hilfsmittel im
darstellt (vgl. Bornscheuer 1976). schöpferischen Prozess (inventio) und in der poe-
Die Poetik als Theorie der Produktion, Wahrneh- tisch-rhetorischen Ausgestaltung (elocutio, actio). Im
mung und Wirkung literarischer Kunstwerke ist nach Falle von komischen Sprachmustern sind neben den
antiker Vorstellung v. a. mimesis – Nachahmung und besonders ›treffenden‹, ›schlagenden‹ oder ›ins Auge
Nachbildung der Natur also, einschließlich des stechenden‹ (zugespitzten, pointierten) Formulie-
menschlichen Verhaltens (vgl. Poetik, Kap. 1 u. 2). Die rungen die ironischen, paradoxalen und hyperboli-
antiken Produktionsästhetiken und Poetiken haben schen Figuren und Verfahren einschlägig. Ihre Syste-
zwar einen literarischen Schwerpunkt, schließen aber matik wurde im Rahmen des ›Triviums‹ aus Gram-
meist auch andere – viel später disziplinär verselbst- matik, Dialektik und Rhetorik tradiert. Bis ins 19. Jh.
ständigte – Künste wie Schauspiel, Tanz und Musik griffen die Autoren der zahlreichen – seit der Renais-
ein, die in der Gattung Komödie zum Einsatz kom- sance auch in der nicht-lateinischen ›Volkssprache‹
men. Die römischen Autoren, besonders Cicero, Ho- verfassten – Regelpoetiken immer wieder auf die in
raz und Quintilian, haben die von griechischen Theo- der klassischen Rhetorik systematisierten Verfahren
retikern beschriebenen Techniken der Gedankenfin- der Textproduktion und -analyse zurück.
dung (inventio) und die Wahl der ästhetisch angemes- Im fünften Kapitel der Poetik des Aristoteles wird
senen und wirksamen Gestaltungsmittel (ornatus) die vielzitierte gattungspoetische und wirkungsästhe-
weiter entwickelt und systematisiert. Das kunstgemä- tische Beschreibung des in der Komödie dargestellten
124 II Methodische Zugänge zum Komischen

Lächerlichen (ta geloia) gegeben, das ein Hässliches (vgl. den Forschungsüberblick bei Kindt 2011;
sei, welches – anders als bei der Tragödie – die see- s. Kap. 1). Gegenüber dem abstrakten Inkongruenz-
lische Läuterung des Publikums nicht durch die Ge- Begriff erscheint der Aptum-Begriff instruktiver, da er
fühle von Mitleid, Jammer und Furcht bewirke, son- das Wechselverhältnis ethischer und ästhetischer An-
dern durch das vorgeführte und verlachbare schlechte gemessenheit beschreibt und begriffsgeschichtlich
Beispiel respektive den »mit Häßlichkeit verbundenen besser anschlussfähig für deviationsstilistische, argu-
Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben mentationstheoretische und pragmatische Aspekte
verursacht« (Aristoteles 1982, 17). Der psychische des Komischen ist. In der philosophischen Tradition
Mechanismus, der Lachen auslöse, beruhe auf einer wird das rhetorisch-topische Widerspruchsdenken als
Erwartung, die nicht erfüllt wird. Aristoteles hat die ›Dialektik‹ bezeichnet und weiterentwickelt. Der Dia-
Wirkung erfreulichen Einleuchtens oder Lachen ma- lektikbegriff impliziert die Vorstellung widerstreiten-
chender Paradoxien in seiner Rhetorik am Beispiel der Sprechhandlungen, die kognitiv vorstrukturiert
von Wortwitz und Aphorismus beschrieben. All- und textlich manifestiert sind; als komiktheoretisch
gemein sollten sich Redner, Dichter und Spaßmacher interessant erweisen sich insbesondere jene ›Über-
um eine bildhafte, knappe Sprache und originelle For- codierungen‹ und metasprachlichen Signale, die mit
mulierungen bemühen. Hierfür eignen sich Figuren Angemessenheitskategorien spielen, indem ›zu we-
wie Ironie (Uneigentlichkeit), Litótes (verneinter Posi- nig‹ (Allusion), etwas ›anderes‹ (Ironie) oder ›zu viel‹
tiv, um einen Superlativ auszudrücken), Paronomasie (Hyperbel) ausgedrückt wird, so dass sich Bedeutung
(spielerische Wort-Umbildung), Allusion (Anspie- und Modus der Erzählung verändern. Aristoteles zi-
lung), Hyperbel (Übertreibung), antithetisches Isoko- tiert Gorgias von Leontinoi, der dem Redner emp-
lon, ferner Metaphern, die mit einer überraschenden fiehlt, auf Lächerliches mit Ernst und auf Ernst mit Lä-
›Täuschung‹ verbunden sind. Mit letzterem ist eine cherlichem zu reagieren, um in einer streitigen Situa-
Art Irreführung der Wahrnehmung gemeint, die den tion die Oberhand zu behalten (vgl. Aristoteles 1989,
Hörer, Leser oder Zuschauer auf die falsche Fährte 223). Bei komischer Kommunikation scheinen beide
lockt, zugleich aber eine Wahrheit aufscheinen lässt, Modi zugleich ›bisoziiert‹ (vgl. Koestler 1964, 35 f.)
so dass die Seele des Rezipienten auf angenehme Wei- wirksam zu sein, wie dies Aristophanes in den Frö-
se berührt wird, mit der paradoxen und manchmal schen (405 v. Chr.) beschrieb, als er das paradoxale
Lachen machenden Wirkung: »Wie richtig, und doch Kompositum spoudaiogeloion (›ernst-lächerlich‹) ver-
kam ich nicht drauf« (Aristoteles 1989, 274). wendete.
Bei allen »geistreich witzigen« Aussprüchen, ein- Die komischen Künste stehen (da kalkulierte
schließlich der Ironie, gilt, »daß der Redende nicht Normverstöße die Regel sind, da die Personen oft den
wörtlich sagt, was er meint« (ebd.). Da in einem ko- niederen Ständen entstammen, da tabuisierte The-
mischen Kunstwerk wie einer Komödie mehrere pro- men wie Sexualität vorkommen und nicht immer die
duktionsästhetische Verfahren nebeneinander ein- oberste Stilebene gewählt wird) unter dem Verdacht,
gesetzt werden können und rhetorische Figuren nicht auf den Effekt des Lachens oder Lächerlich-Machens
›an sich‹ geistreich sind oder witzig wirken, sondern abzuzielen und dabei insgesamt den moralischen und
dieser Effekt erst in einem bestimmten Verstehens- ästhetischen Zweck von Dichtung zu verfehlen. Ho-
Kontext eintritt, wurde in der antiken Rhetoriktheorie raz spricht in seinen Satiren vom ›Schlamm‹, in dem
die Meta-Regel der Angemessenheit (griech. prepon, die Alte Komödie und auch das Satyrspiel mit seinen
lat. aptum) postuliert. Hierbei wird zwischen einem mit Weinhefe beschmierten, künstliche Phalloi tra-
inneren (werkimmanenten, ästhetischen) und einem genden Darsteller gewühlt hätten (vgl. Horaz 2000,
äußeren (auf die äußere Rezeptionssituation bezoge- 34). Diese ›Hässlichkeit‹ des Dargestellten scheint
nen, ethischen) Aptum unterschieden. ›Komisch‹ im gleichsam immer wieder auf das Werk, auf Autoren
Sinne der Theorie der Rhetorik ist etwas, das gegen und Darsteller, ja den Modus des Komödiantischen
das Angemessenheitsgebot verstößt, etwa wenn, wie negativ durchzuschlagen, obgleich auch antiken Den-
Cicero in De oratore (55 v. Chr.) schreibt, »etwas nicht kern der Unterschied zwischen künstlerischer Mime-
zusammenpaßt« (Cicero 1976, 389). Ein Verstoß ge- sis und Lebenswelt bewusst war. So empört sich
gen das Angemessenheitsgebot deckt viele Aspekte Quintilian über die Abscheulichkeit pädophiler An-
dessen ab, was bei Schopenhauer später als ›Inkongru- spielungen in einer Komödie des – ansonsten gelob-
enz‹ beschrieben wird (vgl. Schopenhauer 1977, 96) ten – Afranius (vgl. Quintilian 1990, 55); andererseits
und den Kernbegriff vieler Komiktheorien darstellt wird der erste Vertreter der literarischen Satire, Luci-
19 Literaturtheorie 125

lius, von Quintilian mit differenzierter ästhetischer guten poetisch-rhetorischen Gründen – Knappheit,
Argumentation gegen die abwertende Kritik des Ho- Pointiertheit, Schnelligkeit – als »witziges Wortspiel«
raz in Schutz genommen (vgl. ebd., 53). In der Antike (ebd.) anzusehen: als Wiederholungsfigur, deren Glie-
herrschte die Vorstellung vor, dass den ›hohen‹ The- der sich in Opposition zueinander befinden, wodurch
men und dem hochgestellten Personal auch die obers- ein formaler Widerspruch entsteht. Dieser ist inter-
te der drei unterschiedenen Stilebenen zu entspre- pretatorisch dadurch auflösbar, dass sich »würdig zu
chen habe, während das ›Niedrige‹, das Lachen über sterben« einmal auf die Bestimmung des Lebens-
sexuell konnotierte Themen, lediglich dem ›ein- endes, das andere Mal auf die moralische Lebens-
fachen‹ Stil und den unteren gesellschaftlichen bilanz bezieht; Paraphrasen des Aphorismus sind
Schichten angemessen sei. Aus diesem Grund war es zwar möglich, allerdings sind sie nicht mehr pointiert
Platon merkwürdig vorgekommen, dass Homer die und witzig. Daher formuliert Aristoteles im dritten
Götter über den von seiner Frau Aphrodite betroge- Buch seiner Rhetorik eine Art ›Gelingensbedingung‹,
nen, gehbehinderten Mit-Gott Hephaistos lachen wenn er schreibt: »In allen solchen Witzen besteht das
ließ, da dies ein Lachen aus dem ›niederen‹ Motiv der Gelungene darin, daß Gleichklang (Homonymie) oder
Schadenfreude gewesen sei. Durch die abwertende Metapher in passender Weise das Wort an die Hand
Konnotation der Komik und ihre Gleichsetzung mit geben« (ebd., 275 f.).
dem Niederen, ist die komische Kunst stets der Ge-
Arne Kapitza
fahr ausgesetzt gewesen, für weniger bedeutsam ge-
halten zu werden als die ›ernste‹.
Es wird oft vom ›dialektischen‹ Charakter des Ko-
mischen und der literarischen Satire (vgl. Zehrer 19.2 Sprechakttheorie und Komiktheorie
2002) gesprochen, womit verschiedene Aspekte topi-
scher Kommunikation gemeint sind. Der Begriff wan- Im Anschluss an die rhetorische Tradition einer zwar
delt sich philosophiegeschichtlich sehr stark: von der systematischen, aber doch vornehmlichen typologi-
Methode dialogischer Wahrheitsfindung bei Platon schen Herangehensweise an komische respektive wit-
(u. a. in Form der »sokratischen Ironie«) über die topi- zige Sprachphänomene als Sprachfiguren, lassen sich
sche Denkbewegung im Bereich des Möglichen, verschiedene Schübe einer theoretischen Aufladung
Wahrscheinlichen und Gesollten bei Aristoteles, bis des Komischen – insbesondere des Literarisch-Ko-
zur Selbstbewegung des Geistes bei Hegel und der mischen – unter ästhetischen Vorzeichen erkennen:
Real-Geschichte bei Marx und Engels (die durchaus Angefangen mit den verschiedenen Strömungen einer
auch ›ironische‹ Lesarten kennt). Die dialektische – romantischen Poesie, die Ironie und Witz zu einer uni-
im Unterschied zur syllogistischen – Schlussfigur versalen Weltaneignungsstrategie erklären und dies li-
heißt bei Aristoteles Enthymem, und die rhetorischen terarisch in Form von ironisch-selbstreflexiven Spie-
Figuren und Begriffe, in denen eine formallogische gelungen, metaleptischen Rahmenbrüchen, aber auch
Unschärfe oder gar eine vordergründige logische paradoxen Rahmenkonfusionen zum Ausdruck brin-
Unmöglichkeit ausgedrückt wird, sind Paradoxon, gen (vgl. Wirth 2008a, 311 f.), bis hin zu dekonstrukti-
Oxymoron oder Litotes. Im ersten Buch der Topik vistischen Ansätzen, die einer »performativen Rheto-
(vgl. Kap. 11) wird allerdings auch beschrieben, wie rik« den Weg bereitet haben (vgl. de Man 1996, 184)
sich solche formal widersprüchlichen, ›komischen‹ und die romantische Ideologie eines permanenten
Schlüsse so rekonstruieren lassen, dass der Satz vom ›Aus-dem- Rahmen-Fallens‹ auf den Interpretations-
ausgeschlossenen Dritten (wonach etwas nicht zu- prozess übertragen: im Sinne eines nie abschließend
gleich und in derselben Hinsicht wahr und falsch sein bestimmbaren Sich-Abarbeitens an komischen res-
kann) erfüllt bleibt. Dies gelingt, wenn neue Aspekte pektive ironischen Deutungsmöglichkeiten.
aufgefunden werden, nach denen er doch wahr sein Doch auch in der von Sprechakttheorie, Semiotik
kann. Diese Aspekte können nach einem bestimmten und linguistischen Pragmatik beeinflussten »Nouvelle
Such- und Differenzierungs-Schema, den Prädikabi- Rhétorique« wurde versucht, ›komisierende‹ rhetori-
lien (bei Aristoteles Substanz, Akzidenz, Proprium, sche Figuren und Verfahren in ihren illokutionären
Genus), aufgefunden werden. Der Aphorismus des und perlokutionären Hinsichten näher zu bestimmen:
Anaximenes, der viel Beifall gefunden haben soll – »es Einerseits ganz allgemein mit Blick auf die Beschrei-
ist würdig zu sterben, bevor man würdig ist zu ster- bung »persuasiver Sprechakte« (Kopperschmidt 1973,
ben« (Aristoteles 1989, 275) – sei, so Aristoteles, aus 80 f.), andererseits hinsichtlich der Analyse dezidiert
126 II Methodische Zugänge zum Komischen

ironischer Verwendungsweisen, die von der »All- nicht klar markierten ironischen Äußerung ausgelöst
gemeinen Rhetorik« als »metalogischer Vergleich« wird.
(Dubois 1974, 188) beschrieben werden. Im Kontext In eben diese Richtung weist S. Felman mit ihrer
der Sprechakttheorie werden ironische Äußerungen Untersuchung The Literary Speech Act (1983), in der
als »indirekte Sprechakte« (Searle 1982, 135), von an- sie Austins Vorlesungen als angewandte Komiktheo-
deren Ansätzen als besondere Form der »Konversatio- rie deutet. Nach Felman führen Austins Vorlesungen
nellen Implikatur« (Grice 1993, 258) mit Anspie- einen »excess of utterance« (Felman 1983, 113) vor: ei-
lungscharakter begriffen, bei der das Gesagte und das nen Überschuss des Äußerungsereignisses über die
Gemeinte, sprich: die logisch-semantische Satzbedeu- Äußerungsbedeutung. Für Felman sind Austins Vor-
tung und die pragmatisch-situative Äußerungsbedeu- lesungen How to do things with words (1962) selbst ein
tung, differieren. Dabei werden ironische und meta- Beispiel für die Inszenierung eines komischen »excess
phorische Äußerungen gleichermaßen als ›komische‹ of utterance«, da sich das, was Austin in seinen Vor-
Abweichungen von einer interpretativen Normal- lesungen theoretisch über Sprechakte sagt, und das,
erwartung thematisch, da sie wörtlich genommen was er im Rahmen seiner Vorlesungen tut, wider-
›ganz offensichtlich‹ nicht zur Situation passen. Auf- spricht (vgl. ebd., 73). Felman geht es nicht allein um
grund der Offensichtlichkeit des Nicht-Passens wird die Diskrepanz zwischen der performativen und der
der Hörer eine ironische Äußerung J. Searle zufolge konstativen Ebene, sondern um den Widerspruch
»so reinterpretieren, daß sie paßt«, etwa indem er an- zwischen dem Theorieversprechen, das Austin im
nimmt, dass sie »gerade das Gegenteil von dem bedeu- Rahmen seiner Vorlesungen gibt und dem ständigen
tet, was sie wörtlich bedeutet« (Searle 1982, 135). Unterlaufen dieses Versprechens durch das, was Aus-
Der von J. L. Austin stammende, die Theoriebil- tin im Rahmen seiner Vorlesungen macht: die Zuhö-
dung der 1970er und 80er Jahre in vielfältiger Weise rer einzuladen, die gerade entwickelte Theorie im
befeuernde, Begriff des Performativen verweist auf ei- nächsten Moment zu verlachen. Diese »invitation to
nen zentralen Aspekt pragmatischer Sprachverwen- the pleasure of scandal« (ebd., 113) kann man als ko-
dung, nämlich den »vertraglichem Charakter« (Aus- mischen ›performativen Widerspruch‹ werten (vgl.
tin 1979, 30) konventionalisierter Sprachspiele. Per- Wirth 2003, 166 f.), man kann sie aber auch als einen
formative Äußerungen wie ein Heiratsversprechen Versuch ansehen, die Zuhörer und Leser durch das
oder der deklarative Akt des Standesbeamten, mit Verlachen der Sprechakttheorie zu deren Komplizen
dem er die Brautleute zu Mann und Frau erklärt re- zu machen. Aus Felmans Perspektive wird die Theorie
kurrieren Austin zufolge auf ein »übliches konventio- des Performativen – getriggert durch Austins ›diaboli-
nales Verfahren«, das zu einem »bestimmten konven- schen Humor‹ – durch ihre dekonstruktive Lektüre zu
tionalen Ergebnis« (ebd., 31) führen soll. Dabei ist einer Theorie des Komischen. Dreh- und Angelpunkt
nicht nur ausschlaggebend, dass die Form des Voll- ist dabei, dass sich Austin der Frage des richtigen Voll-
zuges »richtig« ist, sondern auch, dass »die Umstände zuges von performativen Akten auf dem indirekten
unter denen die Worte geäußert werden, in bestimm- Weg der Beschreibung jener Fälle nähert, »in denen
ter Hinsicht oder in mehreren Hinsichten passen« etwas schiefläuft« (Austin 1979, 41). Etwa, wenn er
(ebd.). So muss etwa der Standesbeamte institutionell sich fragt, welche Art von performativem Scheitern
autorisiert sein. Während sich das philosophische Er- vorliegt, wenn man einen Esel heiratet, um die Institu-
kenntnisinteresse primär auf die kalkulierbaren ›illo- tion der Ehe zu veralbern.
kutionären‹ Effekte richtet, also auf die ›Gelingens- Indes sind im Rekurs auf die Performanztheorie
bedingungen‹, die zu ›bestimmten konventionalen auch noch andere Re-Lektüren möglich: Etwa die Fra-
Ergebnissen‹ führen sollen, beschäftigen sich litera- ge, wie Jean Pauls in der Vorschulde der Ästhetik (1804)
turtheoretische Fragestellungen seit den 1970er Jah- gegebene und später von Freud in Der Witz und seine
ren – allen voran die Dekonstruktion – mit den un- Beziehung zum Unbewussten (1905) aufgegriffene De-
kalkulierbaren ›perlokutionären Effekten‹, die in sys- finition des Witzes als »verkleidete[] Priester, der je-
tematischer Analogie zu den Problemstellungen der des Paar kopuliert«, und dies mit »verschiedenen
Wirkungsrhetorik verhandelt werden. Ein relativ ein- Trauformeln« (Jean Paul 1975, 173) zu deuten ist. Die
deutiger perlokutionärer Effekt ist eine Äußerung, die Dynamik des Witzes wird hier als performativer
beim Empfänger Lachen auslöst. Ein relativ mehr- Akt, nämlich als sprachliches Machen respektive als
deutiger perlokutionärer Effekt ist die interpretative assoziative Verheiratung beschrieben – auch wenn
Unsicherheit, die beim Empfänger angesichts einer man sich mit Blick auf Jean Pauls Metapher fragen
19 Literaturtheorie 127

muss, warum sich der Priester verkleidet; warum es (ebd., 239). Ein zweiter Schwerpunkt liegt – ausgehend
sich also um einen bloß vorgetäuschten performativen von Plessners anthropologischem Ansatz, der den
Akt handelt: »Warum ist die Verkleidung und die An- Menschen als Wesen fasst, das seine Welt nicht nur lo-
maßung notwendig? Ist ein verkleideter Priester bes- gisch-rational, sondern zunächst einmal »als Leib im
ser als keiner?« (Menke 2002, 202). Offenbar meint die Körper« erschließt (Plessner 1982, 238), auf der Be-
›Verkleidung‹ ein sprachliches Überspielen semanti- schreibung des Komischen als einem »Kippphäno-
scher Differenzen – etwa in Form der Homonymie. men«, nämlich dem »Zusammenbrechen« (Iser 1976,
Die ›Trauformel‹, mit der der verkleidete Priester die 399) negierender und negierter Positionen im Verlauf
witzige Vereinigung stiftet, ist die »Sprach-Gleichset- des Verstehensprozesses. Dieses wechselseitige Zu-
zung im Prädikat«. Seine Verkleidung besteht darin, sammenbrechen von Positionen bewirkt laut Iser eine
dass »für beide ein Zeichen des Prädikats gefunden Überforderung des Rezipienten (vgl. ebd., 400), dessen
wird«. So führt Jean Pauls das Beispiel an: »Er spitzte Lachen demgemäß als rezeptionsästhetische »Krisen-
Ohr und Feder« (Jean Paul 1975, 173 f.), wo die meta- antwort des Körpers« (ebd., 402) gedeutet wird. Vari-
phorische Wendung ›die Ohren spitzen‹ mit der wört- anten dieser Deutung des Lachens entwickeln O. Mar-
lichen Bezeichnung ›die Feder spitzen‹ durch ein quard und H. R. Jauß. Für Marquard wird die Domäne
Zeugma verknüpft wird, das die beiden Verwen- des Komischen zu einem »Exil der Heiterkeit« (Mar-
dungsweisen der Kopula ›spitzte‹ verkürzend gleich- quard 1976), das nicht nur vom Ernst der kritischen
setzt. Das Wort-Token »spitzte« ist »ein Zeichen des Rationalität entlastet, sondern – hier schließt er an J.
Prädikats«, das beide Verwendungsweisen assoziativ Ritters Überlegungen zum Lachen als einer integrati-
miteinander verbindet, so dass sich beide Verwen- ven Geste an, die die »geheime Zugehörigkeit des
dungsweisen überlappen. Nichtigen zum Dasein« (Ritter 1989, 76) proklamiert
Weitere Formen der Indienstnahme performanz- – das Komische und Zum-Lachen-Reizende als dasje-
theoretischer Einsichten werden im Rahmen der Re- nige bestimmbar macht, »was im offiziell Geltenden
zeptionsästhetik erprobt – v. a. in dem 1976 erschiene- das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende
nen »Poetik und Hermeneutik«-Band Das Komische, sichtbar werden läßt« (Marquard 1976, 142). H. J. Jauß
in dem sich ein ganzes Bündel von Fragestellungen unternimmt in seinem Aufsatz zum »Grund des Ver-
findet, die an die rhetorische Tradition anschließen, gnügens am komischen Helden« (1976) den Versuch,
sich aber von dieser durch vielfältige Bezugnahmen Freuds Komiktheorie mit Bachtins Thesen zu Literatur
auf ästhetische, philosophische, linguistische und an- und Karneval anzureichern. Er argumentiert, das Ko-
thropologische Ansätze (u. a. von Jean Paul, Schopen- mische entspringe entweder der parodistischen »He-
hauer, Baudelaire, Freud, Bergson, Ritter und Pless- rabsetzung eines heroischen Ideals in eine Gegenbild-
ner) zugleich auch emanzipiert. Der Band repräsen- lichkeit« oder der grotesken »Heraufsetzung des mate-
tiert einen für den deutschen Forschungskontext riell Leiblichen der menschlichen Natur« (Jauß 1976,
höchst einflussreichen ›Modellbildungsschub‹ – nicht 104). Während das Vergnügen am komischen Helden
zuletzt, weil er unterschiedlichste Erkenntnisinteres- ein Lachen-Über auslöst, das darauf beruht, dass der
sen, Theorieansätze und Fragerichtungen versammelt, Lachende nicht betroffen ist, entfesselt das groteske
um neue Zugänge zum »Problem des Komischen«, Lachen ein Lachen-Mit, worin die Distanz zwischen
aber auch dessen »Generalisierungspotential« zu er- Zuschauer und Held aufgehoben wird. Diese Form des
forschen (vgl. Preisendanz/Warning 1976, 7). Ein ers- Lachens lässt den Leser etwas von jener »Insularität
ter Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung literari- des Ausnahmezustandes« ahnen, »in der die ursprüng-
scher »Ironiesignale«, die »verhindern, daß das Ge- liche Lachgemeinde die Befreiung des Lachens und
sagte für das Gemeinte genommen wird« (Warning des Leibes erfuhr« (ebd., 107).
1976, 419) – ausgehend von der These, dass Ironie als Im Anschluss an die Konjunktur, die Bachtin in den
spezifische Sprechhandlung zu begreifen sei (vgl. kommenden Jahrzehnten auch in Deutschland erlebt,
Stempel 1976). Eine Erweiterung dieser These nimmt entwickeln sich zahlreiche Fragestellungen, die ver-
K. Stierle vor, wenn er die Komik von Sprechhandlun- suchen, die im Diskussionszusammenhang der ›Poe-
gen in den Bick nimmt: als »Möglichkeit des Schei- tik und Hermeneutik‹-Treffen noch sehr allgemein
terns der Kommunikation« (Stierle 1976, 237). Dabei gehaltenen Thesen der Rezeptionsästhetik literatur-
geht es ihm (im Rekurs auf Bergson) um ›mecha- geschichtlich einzulösen – etwa die von Th. Verweyen
nische‹ Überlagerungen von Sprechhandlungen und G. Witting gemeinsam verfasste systematische
durch Formen »komischer Fremdbestimmtheit« Einführung Die Parodie in der neueren deutschen Li-
128 II Methodische Zugänge zum Komischen

teratur (1979) oder der Sammelband Komische Gegen- elementen in ›gelehrter Tonlage‹ mit Alltagsjargon,
welten (Röcke/Neumann 1999), der das Verhältnis oder aber die Interferenz von ›hohen‹ und ›niedrigen‹
von Lachen und Literatur im Mittelalter und der frü- Themen.
hen Neuzeit erkundet. Mit der Koexistenz verschiedenartiger – hoher
und niedriger – Stilebenen im Rahmen des Romans
wird das Prinzip der Ambivalenz zu einem »dia-
19.3 Bachtins Ansatz im Spannungsfeld von logisch verfahrenden Denkmodus« (Kristeva 1972,
Karneval und Literatur 371), der sich durch die Koexistenz zweier konträrer
Logiken auszeichnet: die offizielle rationale Logik des
Mit der ›Entdeckung‹ Bachtins im Kontext der Semio- ›entweder/oder‹ trifft auf die karnevaleske Logik des
logie – ausgelöst durch J. Kristevas Aufsatz »Bakhtine, ›sowohl/als auch‹. Die Koexistenz beider Logiken er-
Le Mot, Le Dialogue et le Roman« (1967) – kommt in scheint nicht mehr nur als Ausdruck einer karneva-
den 1970er Jahren ein neuer Denkstil ins Spiel, der ne- lesken Gegenwelt, sondern einer komischen Gegen-
ben der Performanztheorie in den kommenden Jahr- logik: Sie mündet in eine »fröhliche Relativität«
zehnten prägend sein wird für jede avancierte Reflexi- (Bachtin 1985b, 119), die den Grund dafür bildet,
on des Verhältnisses von Literatur und Komik. Dies dass dem Roman als textuell modulierter Weiterfüh-
betrifft zunächst einmal Bachtins These, die Entste- rung der Karnevalslogik ein subversives Potenzial zu-
hung des Europäischen Romans leite sich historisch geschrieben wird. Der Roman entführt die Leser in
aus der karnevalesken Lachkultur her, die in modu- eine alternative, imaginäre Welt, die andere, zum Teil
lierter Form in den Romanen von Rabelais (Gar- konträre Organisationsformen erprobt und dadurch
gantua und Pantagruel, 1532) und Cervantes (Don die Geltung der alltäglichen Normalerwartung – zu-
Quichote, 1605) ihre diskursive Verkörperung gefun- mindest während der Zeit der Lektüre – in Frage
den hätte. stellt. So lautet die einzige Ordensregel, die Gargantua
Der mittelalterliche Karneval als alljährlich sich im 50. Kapitel von Gargantua und Pantagruel für die
wiederholendes Ritual ist Bachtin zufolge eine »Ge- von ihm gegründete Abteil aufstellt: »Tu was Du
genwelt gegen die offizielle Welt« (Bachtin 1985a, 32). willst« – und im Don Quichote wird das Aufeinander-
Das karnevaleske Lachen wird dabei zum Ausdruck treffen von Alltagswelt und Traumwelt vorgeführt,
eines »Sieges über die Furcht« (ebd., 35), die die ernste wenn Don Quichote die Logik seiner Traumwelt auf
Welt des Staates und der Kirche das restliche Jahr über die Logik seiner Alltagswelt anwendet.
verbreiten – der Karneval hat insofern in erster Linie Damit entpuppt sich die Interferenz der beiden
Entlastungsfunktion. Zugleich ist das Lachen aber konträren Logiken auch als Spiel mit dem ›Prinzip
auch Ausdruck einer existentiellen Ambivalenz, denn Grenzziehung‹ selbst – etwa der Grenze zwischen
die Menschen des Mittelalters haben Bachtin zufolge Ernst und Komik oder zwischen Faktualität und Fik-
»an zwei Leben gleichmäßig teil: am offiziellen Leben tionalität. Die prominentesten Formen, Grenzen
und am Karnevalsleben« (ebd., 41). Diese Koexistenz transgressiv in Frage zu stellen, sind Bachtin zufolge
lässt sich an den illuminierten Handschriften des 13. die »Transposition« von offiziellen Elementen in den
und 14. Jh.s ablesen, bei denen auf einer einzigen Seite Alltag und die »Mesalliance« (Bachtin 1985b, 119) als
neben den Illustrationen zu Vitentexten auch Darstel- einer Vermischung von heterogenen, oder gar kon-
lungen von Chimären, komischen Teufeln, maskier- trastierenden Elementen. Diese »unerwartete Annä-
ten Figuren und parodistischen Szenen zu finden sind herung des Fernen und Getrennten« (ebd., 132) leitet
(vgl. ebd.). Die karnevaleske Logik der Ambivalenz sich Bachtin zufolge von der Menippeischen Satire
wird hier auf der Ebene der Buchgestaltung als ko- her (benannt nach dem antiken Satiriker Menippos
mische Koexistenz von kontrastierenden semanti- von Gadara, der im 3. Jhr. v. Chr. lebte; vgl. Kap. 5).
schen und materiellen Aspekten in Szene gesetzt: Die Die Menippea ist die Gattung des paradoxen Kon-
Logik der Ambivalenz manifestiert sich gleicherma- trasts, denn sie spielt »mit scharfen Übergängen und
ßen in der Lebenswelt und in der Welt der Zeichen – plötzlichem Szenenwechsel, mit Oben und Unten«
und setzt sich schließlich als diskursives Organisati- (ebd.). Ein Beispiel für diese Form der komischen
onsprinzip der ›Mehrstimmigkeit‹ im neuzeitlichen Konfiguration ist die – auch in U. Ecos Roman Der
Roman fort. Damit ist insbesondere die Interferenz Name der Rose mehrfach erwähnte – ›Cena Cypriani‹
verschiedener Stillagen angesprochen – etwa das Auf- (vgl. Eco 1996, 621), die eine groteske Parodie bib-
einandertreffen respektive Vermischen von Sprach- lischer Themen, Szenen und Figuren ist.
19 Literaturtheorie 129

Ausgehend von Bachtin entwirft Kristeva ein bis Seiten des Autors als auch auf Seiten des Lesers. Dabei
heute höchst einflussreiches Konzept von »Inter- überträgt Eco Bachtins Konzept des Karnevals als kol-
textualität«, das davon ausgeht, dass das ›literarische lektives Geschehen auf die rezeptionsästhetische Si-
Wort‹ eine »Überlagerung« von Text-Ebenen, im Sin- tuation, wenn er schreibt, intertextuelle Ironie funk-
ne eines »Dialogs verschiedener Schreibweisen« tioniere nicht als eine ausschließende rhetorische
(Kristeva 1972, 346) ist, durch den gegenwärtige und Strategie, sondern sie sei eine »doppelbödige, integra-
vergangene Kontexte miteinander ins Gespräch ge- tive diskursive Strategie«, die auch den ›naiven seman-
bracht werden. Mehr noch: ein Autor kann sich eines tischen Leser‹ mitspielen lässt, der die intertextuellen
›fremden Wortes‹ aus einem vergangenen Kontext be- Anspielungen nicht erkennt (vgl. Eco 2003, 283) – et-
dienen, »um diesem einen neuen Sinn zu geben, wo- wa die zahlreichen Bezüge auf Bachtins Thesen zu
bei er dessen ursprünglichen Sinn bewahrt. Daraus Literatur und Karneval in Ecos Roman Der Name der
folgt, daß das Wort zwei Bedeutungen erhält, daß es Rose.
ambivalent wird« (ebd., 356). Das so gefasste ›ambiva-
lente Wort‹ ist das Resultat einer »Verknüpfung zweier
Zeichensysteme« (ebd.); Beispiele dieser intertextuel- 19.4 Neuere (analytische, systemtheo-
len Verknüpfungsform finden sich nicht nur bei Rabe- retische, performanztheoretische)
lais und Cervantes, sondern auch bei Swift, Balzac, Ansätze
Dostojewskij, Joyce und Kafka (vgl. ebd., 363). Damit
werden die Modulationsformen der ›komischen‹ Kar- Auch wenn Bachtin und Kristeva für die literaturwis-
nevalslogik zu einer auch für die neuere ›ernste‹ Lite- senschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phäno-
ratur grundlegenden diskursiven Dynamik erklärt. men ›Intertextualität‹ nach wie vor wichtige Bezugs-
Eco unternimmt in seinem Essay »Frames of comic größen sind, so haben ihnen, wenn es dezidiert um die
freedom« (1984) einen weiteren Versuch, die Prinzi- Frage nach der Komik geht, mittlerweile andere Ansät-
pien des Komischen mit den Prinzipien des Karnevals ze den Rang abgelaufen. Dies gilt insbesondere für V.
engzuführen. Im Gegensatz zum kollektiv begange- Raskins Skript-Semantische Theorie des Humors
nen Karneval gibt die individuelle Komikerfahrung [SSTH], die versucht, die Mechanismen verbaler For-
ihm zufolge nicht vor, die geltenden Regeln außer men des Humors – v. a. mit Blick auf Ironie und Witz
Kraft zu setzen, sondern verdeutlicht uns vielmehr – auf formalisierbare Weise zu beschreiben. Raskins
»the structure of our own limits. It is never off limits, it Hauptthese lautet, dass ein Text dann komisch wird,
undermines limits from inside« (Eco 1984, 8). Interes- wenn eine Textäußerung ganz oder teilweise mit zwei
sant sind Ecos Überlegungen nicht zuletzt deshalb, verschiedenen semantischen Skripten kompatibel ist,
weil sie Bachtins Thesen mit dem sprachpragmati- die sich vollständig oder teilweise überlappen: »The
schen Ansatz von P. Grice unterfüttern. So kommt Eco two scripts with which some text is compatible are said
zu dem Schluss, Komik entstehe genau genommen to overlap fully or in part on this text« (Raskin 1985,
nur dann, wenn unausgesprochene – also implizit vo- 98). Das Überlappen zweier Skripte ist jedoch nur die
rausgesetzte – Regeln verletzt würden: »the broken notwendige, nicht die hinreichende Bedingung für
frame must be presupposed, but never spelled out« den komischen Effekt. Die zwei Skripte müssen auch
(ebd., 4). Dies ist zugleich als Hinweis auf das erkennt- in einem besonderen Oppositionsverhältnis der se-
niskritische Potenzial des Komischen zu verstehen: es mantischen Inkongruenz – des Widerspruchs oder der
macht die implizit vorausgesetzten Rahmen und Re- Ambiguität – zueinander stehen. Dem Oppositions-
geln spürbar – und damit in ihrer Wirksamkeit über- verhältnis fällt dabei die Funktion des Auslösers, des
haupt erst erkennbar. Das Lachen wird mithin zum »script-switch trigger« (ebd., 114) zu. Bezogen auf die
(expliziten) Ausdruck dieses Erlebnisses eines Bruchs diskursiven Strategien eines Witzes könnte dies bedeu-
implizit vorausgesetzter Regeln. Einen anderen As- ten, dass die Pointe jene Stelle ist, an der es zur Über-
pekt von Bachtins Thesen zu Literatur und Karneval lagerung eines mehrfachen Sinnes kommt. So behauptet
greift Eco in seinem Aufsatz über »Intertextuelle Iro- R. Müller im Rekurs auf Raskins Ansatz: »Eine Pointe
nie und mehrdimensionale Lektüre« (2003) auf. Inter- liegt genau dann vor, wenn eine im Text angelegte In-
textualität ist ihm zufolge nicht nur das Resultat einer kongruenz durch die verblüffende Aufdeckung eines
ambivalenten Sinnstiftung durch die Überlagerung ei- unvermuteten Zusammenhangs doch noch als sinnvoll
gener und fremder Worte; sie ist auch eine Form des erscheint« (Müller 2003, 104). Müller vertritt also eine
ironischen Spiels mit Bezügen, und zwar sowohl auf Art »Inkongruenz-Auflösungs-Theorie« (ebd.), bei
130 II Methodische Zugänge zum Komischen

der das Prinzip der Inkongruenz auf Raskins »Script- rung der stimulus-Seite textbezogener Komik-Ereignis-
Opposition« (Raskin 1985, 100) zurückgeführt wird se besteht« (ebd.; Kursivierung i. O.). Ausgangspunkt
(vgl. hierzu auch Kotthoff 1998, 231). dieses epistemologisch hoch reflektierten Theorie-
Mit der Skriptsemantik feiern modulierte Formen Ansatzes ist die Überzeugung, dass die kulturwissen-
des Rahmen- und des Inkongruenzkonzepts ihr re- schaftliche Komikforschung »von der jüngeren ana-
entry in die Komiktheorie: die semantischen Skripte lytischen Philosophie« (ebd., 33) profitieren könne.
sind begriffliche Rahmen respektive Schemata (vgl. Abgesehen davon, dass dieser Ansatz neben seiner
Raskin 1985, 81), die im Fall der Inkongruenz in ei- ›Theoriefähigkeit‹ seine interpretative Fruchtbarkeit
nem spezifischen Oppositionsverhältnis zueinander in überzeugenden Fallanalysen erst noch unter Be-
stehen. Damit reformuliert Raskin die Einsichten von weis stellen muss, lässt sich eine meta-theoretische
Schopenhauer und Koestler (auch wenn er letzteren Pointe ausmachen: Hatte Felman versucht, Austins
nicht erwähnt – und womöglich nicht einmal kennt), Sprechakttheorie als Komiktheorie zu lesen, mithin
dass Inkongruenz aus der Gleichzeitigkeit zweier in- einen sprachphilosophischen Ansatz durch eine lite-
kompatibler Bezugsrahmen besteht (vgl. Koestler raturtheoretische Lesart gleichsam aus seinem ur-
1964, 35). Im Anschluss an Kant geht Schopenhauer sprünglichen analytischen Deutungsrahmen heraus
in Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) davon und in einen ganz anderen, dekonstruktiven Deu-
aus, dass jede Erkenntnisleistung das Ergebnis der tungsrahmen hinein fallen zu lassen, so versuchen die
Subsumtion von Gegenständen der Anschauung un- im Kielwasser der Skript-Semantik schippernden li-
ter Begriffe ist. Komische Effekte stellen sich ein, so- teraturwissenschaftlichen Ansätze sowohl die ko-
bald diese Subsumtionen nicht mehr reibungslos mischen Phänomene als auch die theoretischen Mo-
möglich sind: Wir lachen über die »Unangemessen- delle zur Beschreibung dieser Phänomene möglichst
heit« einer »paradoxen und daher unerwarteten Sub- allumfassend der Deutungshoheit der analytischen
sumtion« (Schopenhauer 1977, 96) eines realen Ob- Sprachphilosophie zu unterstellen: Was sich nicht in
jekts unter einen Begriff. Ihre Weiterentwicklung fin- diesen Deutungsrahmen integrieren lässt, muss als
det diese Idee in Koestlers Konzept der »Bisociation«, unpassende Theorie oder als unpassendes Phänomen
demzufolge das Komische das Resultat eines über- – sprich aufgrund seiner Inkongruenz – ausscheiden.
raschenden ›Bezugsrahmenwechsels‹ ist, nämlich: Dabei wird die skriptsemantische Inkongruenztheo-
»the perceiving of a situation or idea, L, in two self-con- rie im Gegensatz zu Überlegenheits- und Entlas-
sistent but habitually incompatible frames of reference, tungstheorien als letztlich einzig ›sachangemessene‹
M1 and M2« (Koestler 1964, 35; Kursivierung i. O.). betrachtet (vgl. Kindt 2011, 45), auch wenn es keine
Die inkongruente Subsumtion ist hier zu zwei inkom- stichhaltigen Argumente gibt, warum die bei ko-
patiblen Bezugsrahmen geworden, die nicht zusam- mischen Kontrasten häufig implizierten Aspekte der
men passen oder gar in einem Widerspruch zueinan- Affektladung vollkommen außer Acht gelassen wer-
der stehen, mithin die gewohnten Deutungsrahmen den sollten. Ganz abgesehen davon, dass man fragen
instabil werden lassen. muss, ob sich wirklich alle komischen Phänomene,
Im Kontext der deutschsprachigen Literaturwis- etwa auch die einer grotesken Körperlichkeit, aufs
senschaft ist Raskins Ansatz insbesondere durch T. Maß der Skript-Semantik bringen lassen.
Kindts Arbeit Zur Theorie literarischer Komik (2011) Ausgehend von der gleichen Problemlage einer Ko-
stark gemacht worden, wobei die Gründe für eine Fa- mik-Theorie-Landschaft, die von kulturwissenschaft-
vorisierung skript-semantischer Inkongruenztheo- lich geprägten ›kontextualistischen‹ Ansätzen do-
rien in erster Linie von dem Gedanken geleitet zu sein miniert wird, die Komik als »dezidiert nicht-theoreti-
scheinen, eine Komiktheorie mit Anspruch auf All- schen Gegenstand« (Vogl 2006, 76) ansehen, macht A.
gemeingültigkeit zu formulieren (vgl. Kindt 2011, 23). Gerigk in ihrer Arbeit zu Theorien und Interpretatio-
Kindt strebt – in Abgrenzung zu sog. »kontextualisti- nen der Literarischen Hochkomik in der Moderne
schen Positionen« (ebd., 13), die die historische und (2008) den Vorschlag, »als dritte Option« neben dem
kulturelle Relativität des Komischen behaupten – eine analytischen und dem dekonstruktiven, ein konstruk-
»empirisch informierte Bestimmung des Begriffs des ko- tivistisches, an N. Luhmanns Systemtheorie geschul-
mischen Textes sowie des komischen literarischen Tex- tes Modell zu entwickeln, um das Komische von dort-
tes« an (ebd., 29). Dabei legt er Wert darauf, dass es her zu denken (vgl. Gerigk 2008, 43). Auch Gerigks
sich bei dieser Bestimmung um eine »explikative De- Ansatz zeichnet sich durch ein hohes Maß an episte-
finition« handelt, die in einer »formalen Charakterisie- mologischer Reflektiertheit aus, wenn sie die verschie-
19 Literaturtheorie 131

denen »Techniken des Theoretisierens« darauf hin be- sich eine Theorie der Komödie »vom textwissen-
fragt, wie sie »mit der Spannung zwischen theoreti- schaftlichen Paradigma lösen und zu einem theater-
scher Begrenztheit und universeller Komik« (ebd.) semiotischen bzw. medientheoretischen Projekt mu-
umgehen. In Abgrenzung zu der von S. J. Schmidt ver- tieren« (Simon 2001, 8) könnte.
tretenen, ›radikal kontextualisitischen‹ Position, eine Doch nicht nur mit Blick auf eine ›sachangemesse-
allgemein gültige Definition des Komischen könne es ne‹ Beschreibung der performativen Aspekte der Ko-
nur geben, »wenn es gelänge, anthropologische, psy- mödie stellt sich die Frage nach den Verkörperungs-
chologische und soziologische Gesetzmäßigkeiten zu und Inszenierungsbedingungen – schon bei Felmans
finden, die eine ahistorische [...] Personen- und Kon- These eines performativen »excess of utterance« (Fel-
stellationstypik aufzustellen erlaubten« (Schmidt man 1983, 113) lässt sich das Komische als eine Art
1976, 168), konzipiert Gerigk eine ›komische Theorie ›Körperdrama‹ begreifen, das aus der Auflehnung der
der Gesellschaft‹ mit Anspruch auf Allgemeingültig- Verkörperungsbedingungen gegen die Gelingens-
keit, die sie auf die Formel bringt: »Komik ist Ambiva- bedingungen resultiert: sei es als ›performativer Wi-
lenz gegenüber der Organisationsform des Sozialen« derspruch‹, der in eine »pleasure in scandal« (ebd.)
(Gerigk 2008, 101). Historisch variabel sind die ›Orga- mündet; sei es als ›performative Aufwandsdifferenz‹,
nisationsformen des Sozialen‹– etwa welche histori- bei der das Erfüllen der Verkörperungs- und Gelin-
sche Semantiken Begriffe wie ›Gesellschaftsordnung‹ gensbedingungen auf spezfisiche Weise in den Modus
und ›soziale Norm‹ nach dem Wechsel von der vor- des Inaptum, des Unangemessenen, versetzt wird.
modernen, stratifikatorischen Aufteilung der Gesell- Beim ›performativen Widerspruch‹ kommt es zu
schaft in ungleiche Schichten zur funktionalen Aus- einem komischen Rahmenbruch, weil die semanti-
differenzierung der Moderne implizieren. Universell sche Ebene des propositional Gesagten und die prag-
gültig ist hingegen der Umstand, dass sich das Ko- matische Ebene des performativ Vollzogenen in Op-
mische »immer ambivalent zum jeweils primären Or- position zueinander stehen. Aus einer philosophisch-
ganisationstyp« verhält (ebd.). Im Zentrum dieses universalpragmatischen Sicht ist der Nachweis eines
Ansatzes steht mithin das Prinzip der Ambivalenz, das performativen Widerspruchs ein ›Skandal‹, weil er
Gerigk von Bachtin übernimmt und mit Luhmanns den ›verbindlichen Charakter‹ stillschweigend als ak-
Theorie der Gesellschaft kurzschließt – nicht zuletzt, zeptiert vorausgesetzter Normen, etwa der logischen
um zu begründen, »weshalb Literatur das soziale Ri- Widerspruchsfreiheit und der Ernsthaftigkeit, unter-
tual des Karnevals als komische Leitpraxis ablöst« gräbt (vgl. Habermas 1983, 90 f.). Unter psycho-
(ebd., 104). logisch-rahmentheoretischen Vorzeichen sind per-
Neben den neueren analytischen, dekonstruktivis- formative Selbstwidersprüche jedoch an der Tages-
tischen und systemtheoretischen Ansätzen, kann man ordnung lebensweltlicher Handlungsparadoxien und
ein wiederbelebtes Interesse an performanztheoreti- begegnen einem u. a. in Form des double-bind. So,
schen Überlegungen feststellen, die gleichsam das Ge- wenn der Psychologe dem Patienten den Rat gibt: »Sie
gengewicht zu den eher ›körperlosen‹ analytischen müssen lernen, ›nein‹ zu sagen«. Worauf der Patient
und systemtheoretischen Ansätzen darstellen. So erwidert: »Nein« (Bateson 1982, 247). Hier wider-
schlägt B. Greiner im Rückgriff auf Plessners These, spricht der propositionale Gehalt der Äußerung – das
der Mensch sei nicht nur Vernunftwesen, sondern »Nein«, durch das die Forderung abgelehnt wird – der
»immer zugleich Leib« (Plessner 1982, 238) vor, die mit dem Äußern des Wortes vollzogenen performati-
Komödie als Gattung zu begreifen, die sich den Hie- ven Geste, die die Anweisung des Psychologen erfüllt.
rarchisierungsversuchen von »Text und Theater, von Man könnte argumentieren, dass eine bewusste, stra-
Zeichen- und Körper-Bewegung verweigert«, um so tegische Inszenierung von performativen Widersprü-
der Doppelrolle des Menschen »in seinem Verhältnis chen vielen Formen der Ironie zugrunde liegt (vgl.
zu seinem Körper« (Greiner 2006, 4) in besonderer Wirth 1999, 241 f.). Insbesondere dann, wenn die Dif-
Weise gerecht zu werden. In die gleiche Richtung ferenzen zwischen dem Gesagten, dem Gemeinten
weist R. Simon im Vorwort zu dem Sammelband und dem Gemachten ausgebeutet werden. Dies ist et-
Theorie der Komödie – Poetik der Komödie (2001), wa in R. Gernhardts »Materialen zu einer Kritik der
wenn er die Dominanz text-semantischer Problem- bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs«
stellungen kritisiert und stattdessen ein Nachdenken (1979) der Fall – ein Sonett, das mit den Versen be-
über das Verhältnis von Komödientext und Komödi- ginnt: »Sonette find ich sowas von beschissen / so eng,
enaufführung fordert. Dabei fragt er auch danach, wie rigide, irgendwie nicht gut [...];« (Gernhardt 1988b,
132 II Methodische Zugänge zum Komischen

233; s. Kap. 25). Der ›excess of utterance‹ entsteht tung unsere Aufmerksamkeit erst recht auf die gros-
durch eine Form des Überlappens, die den proposi- sen Versprechungen hingelenkt« (Lipps 1898, 74). Im
tionalen Gehalt in Widerspruch zu den performati- Rahmen einer performativen Theorie des Komischen
ven Verkörperungsbedingungen manövriert. Zum ei- kann man mithin zwischen drei Ursachen des Ko-
nen wird der propositionale Gehalt des Gedichts – die mischen unterscheiden: erstens, wenn die Umstände
Polemik gegen die Gedichtform Sonett – durch eben unter denen Worte geäußert werden, in situativer oder
diese Gedichtform performativ gerahmt. Zum ande- institutioneller Hinsicht nicht passen. Zweitens, wenn
ren wird die ›hohe‹ Kunstform Sonett in einem ›nie- beim Verkörpern von Zeichen oder beim Erfüllen der
deren‹ sprachlichen Stil, nämlich im Szene-Jargon der Gelingensbedingungen zu viel oder zu wenig Auf-
frühen 1980er Jahre, angegriffen, was einen Wider- wand betrieben wird. Drittens: wenn sich konventio-
spruch auf der performativen Ebene der Verkörpe- nale Unglücksfälle und performative Aufwandsdiffe-
rung impliziert. Die Interferenz mehrerer unter- renz überlappen (vgl. Wirth 2003).
schiedlicher ›Stimmen‹ (sensu Bachtin) verstärkt den
Rahmenbruch, wobei Stimme und Semantik jedoch Literatur
formal ›im Rahmen‹ der Sonettform bleiben und in- Aristoteles: Rhetorik. Übers. u. hg. v. Günther Sieveke. Mün-
sofern einen ironischen Effekt im Modus des perfor- chen ³1989.
Aristoteles: Poetik. Übers. v. Manfred Fuhrmann. Stuttgart
mativen Widerspruchs hervorrufen. 1982.
Die Idee, bestimmte – durchaus auch körperliche Austin, John L.: Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 21979.
(vgl. Wirth 2008b) – komische Effekte auf eine Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval. Zur Roman-
›performative Aufwandsdifferenz‹ zurückzuführen, theorie und Lachkultur [1969]. Frankfurt a. M. u. a. 1985a.
knüpft an Freuds These an, Witz, Komik und Humor Bachtin, Michail M.: Probleme der Poetik Dostojevskijs
[1971]. Frankfurt a. M. 1985b.
ließen sich auf »analoge Formel« des Lustgewinns zu-
Bateson, Gregory: Geist und Natur. Eine notwendige Einheit.
rückführen, nämlich auf die »Tendenz zur Ersparnis« Frankfurt a. M. 1982.
(Freud 1999, 219). Die Freudsche Ersparnistheorie Bornscheuer, Lothar: Topik. Zur Struktur der literarischen
synthetisiert dabei gewissermaßen die Inkongruenz- Einbildungskraft. Frankfurt a. M. 1976.
und die Überlegenheitstheorie unter dem Vorzeichen Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Übers.
eines seelischen Ökonomieprinzips: Sie deutet den u. hg. v. Harald Merklin. Stuttgart 1976.
Dubois, Jacques: Allgemeine Rhetorik. Übers. u. hg. v. Armin
komischen Effekt als Folge eines Vergleichs des eige-
Schütz. München 1974.
nen mit dem fremden Denk- und Handlungsauf- Eco, Umberto: Der Name der Rose. München 1996
wand. Zwar hat man es auch hier mit einer Form von Eco, Umberto: »The Frames of comic ›freedom‹«. In: ders./
Inkongruenz zu tun, doch wird diese nicht nur durch Thomas A. Sebeok (Hg.): Carnival! Berlin u. a. 1984, 1–9.
die semantische Opposition zweier Skripte hervor- Eco, Umberto: »Intertextuelle Ironie und mehrdimensionale
gerufen, sondern durch einen »Niveauunterschied des Lektüre«. In: ders.: Die Bücher und das Paradies. München
2003, 255–285.
Abstraktionsaufwandes« (Freud 1999, 196). Heißt: Felman, Shoshana: The Literary Speech Act. Don Juan with
Der propositionale Gehalt einer Vorstellung oder ei- J. L. Austin, or Seduction in Two Languages [1980]. Ithaca
nes Skripts ist – analog zu den »performative forces« 1983.
(Austin 1975, 78) der Sprechakttheorie – gerahmt Freud, Sigmund: »Der Witz und seine Beziehung zum Un-
durch affektive Kräfte, die sog. »Besetzungsaufwände« bewussten« [1905]. In: ders.: Gesammelte Werke. Hg. v.
Anna Freud u. a. Bd. VI. Frankfurt a. M. 1999.
(Freud 1999, 182). Denkt man Sprechakttheorie und
Gerigk, Anja: Literarische Hochkomik in der Moderne. Theo-
Psychoanalyse an dieser Stelle zusammen, dann lässt rie und Interpretationen. Tübingen 2008.
sich eine performative Theorie des Komischen ent- Gernhardt, Robert: Was gibt’s denn da zu lachen? Frankfurt
wickeln, die den komischen Effekt nicht mehr nur als a. M. 1988a.
Folge einer Abweichung von konventionalen Regeln Gernhardt, Robert: Letzte Ölung, Wie es anfing, Zürich
begreift, sondern als Abweichung von einem öko- 1988b.
Greiner, Bernhard: Die Komödie. Eine theatralische Sendung:
nomischen Prinzip, einer ›performativen Aufwands- Grundlagen und Interpretationen. Tübingen u. a. 2006.
differenz‹, die eine ›Unangemessenheit‹ beim Erfüllen Grice, Paul: »Logik und Konversation [1975]«. In: Georg
von Gelingens- und Verkörperungsbedingungen of- Meggle (Hg.): Handlung, Kommunikation, Bedeutung.
fenbar werden lässt. In diese Richtung weist bereits Frankfurt a. M. 1993, 243–265.
Th. Lipps, wenn er in seiner Untersuchung von Komik Habermas, Jürgen: Moralbewußtsein und kommunikatives
Handeln. Frankfurt a. M. 1983.
und Humor (1898) schreibt: »Verspricht jemand viel
Horaz: Ars Poetica/Die Dichtkunst. Stuttgart 2002.
und leistet wenig, so wird eben durch die geringe Leis-
19 Literaturtheorie 133

Horaz: Satiren/Sermones. Briefe/Epistulae. Lateinisch/ Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung
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mische. München 1976, 398–402. tung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie [1979]. Frank-
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134 II Methodische Zugänge zum Komischen

20 Komik, Gesellschaft und Politik M. Foucault als »Diskurs« (Foucault 1980, 16 f.) be-
zeichnet; dieser lässt sich in der jeweiligen Kultur und
20.1 Konventionelle Rahmen und Epoche entlang bestimmter Begriffe oder Begriffs-
machttheoretische Aspekte paare wie wahr/falsch (repräsentiert durch die Wis-
senschaft), gesund/krank (Medizin), erlaubt/verboten
Komik und kultureller Kontext (Recht), öffentlich/privat (Medien), orthodox/häre-
Für H. Bergson ist die Gesellschaft das »milieu natu- tisch (Kirche) rekonstruieren; der Diskurs bildet den
rel« (Bergson 1904/2011, 16) der Komik, und es sind gesellschaftlichen Rahmen (vgl. Goffman 1978, s. u.),
die sozialen Funktionen – wie die Sanktionierung un- auf dessen Hintergrund sich komische Inkongruenzen
erwünschten Verhaltens durch Auslachen als Strafe bilden, ohne dass die Widersprüchlichkeit im Text re-
für Abweichung, Starrheit und Trägheit –, auf die es präsentiert zu sein braucht. Dies gilt für Situationen, in
ihm bei seiner Analyse ankommt. Nach neuerem kul- denen sich ein Gelehrter als Tölpel erweist (wie der
turwissenschaftlichem (vgl. Reckwitz 2011) und wis- stolpernde, ausgelachte Thales von Milet oder der sich
senssoziologischem (vgl. Berger/Luckmann 1982) liebestoll zum Gespött machende Dottore in der Com-
Verständnis stellt sich diese »gesellschaftlich konstru- media dell’arte), wo lasterhafte Personen ihre verkehr-
ierte« (ebd., 57 ff.) Wirklichkeit als Ensemble habi- ten Maßstäbe zu Tugenden erklären (wie in S. Brants
tualisierter, typisierter Denk-, Wahrnehmungs- und Das Narrenschiff, 1494) oder sich der Repräsentant der
Handlungsmuster dar. Der Prozess, in dem sich diese Gerechtigkeit als kriminell erweist (wie Richter Adam
›Konstruktion‹ vollzieht, ist symbolisch vermittelt in Kleists Der zerbrochene Krug, 1811). Auch die Bil-
und besteht wesentlich aus Interpretations- und Kom- dung kollektiver Identitätsmuster, die Zugehörigkeit
munikationsakten, die zugleich zwischen der indivi- zu einer Ethnie, einer gesellschaftlichen Schicht, zum
duellen und der gesellschaftlichen Ebene vermitteln sozialen Geschlecht (gender), ja auch die Formung des
(vgl. Luhmann 1984, 192 f.; Luhmann 1997, 78 f.). Da Körpers und die Wahl der Geschlechterrolle lassen
es bei Phänomenen des Komischen insbesondere um sich als diskursive Prozesse begreifen (vgl. Butler 2009;
jene Kommunikation geht, die durch Inkongruenzen s. Kap. 21). Diskursive Prozesse entfalten einen Kon-
und Widersprüche erzeugt und wahrgenommen wer- formitätsdruck auf das Individuum, das psychische
den, ist es – über die rein semantische und syntakti- Anpassungsleistungen zu erbringen hat.
sche Ebene hinaus – die pragmatische Dimension der Das Wechselspiel zwischen kollektiv gültigen Nor-
Sprechakte, die bei der Analyse von Komik besonders men und den unbewussten Anteilen in der einzelnen
von Belang sind. Hier unterscheiden J. L. Austin Psyche hat bezüglich des Komikphänomens Freud
(1972) und J. R. Searle (1982) lokutive (Aspekt des Äu- herausgearbeitet. Wo sexuelles Begehren oder Ag-
ßerns in einer bestimmten konventionellen Form), gression auf Verbote und Tabus trifft, muss die Psyche
propositionale (auf Objekte rekurrierende und ihnen erhebliche Verdrängungs-, und Besetzungs-Arbeit
Bedeutungen zuordnende), illokutive (unmittelbar leisten. Das von Freud in Witz (als Kommunikations-
Handlungen vollziehend: ein Buffet für eröffnet oder phänomen), Humor (als subjektives Gefühlsregula-
zwei Personen zu Mann und Frau erklären) und per- tiv) und Komik (ästhetischer Ausdruck) differenzier-
lokutive (auf weitere Folgen der Sprechhandlungen te Phänomen des Komischen zeichne sich durch eine
abzielend: überzeugen, trösten). Viele komiktypische dreifache »Tendenz zur Ersparnis« (Freud 1999, 45)
Inkongruenzen lassen sich erst durch diese Differen- aus: durch den Witz entfalle situativ der Aufwand der
zierungen beschreiben, denn Komik kann dadurch Hemmung, durch angewandten Humor erspare sich
entstehen, dass der lokutive Akt formal fehlerhaft ist die Seele Gefühlsaufwand, und durch Komik verrin-
(Verstoß gegen die Grammatik), der propositionale gere sich der Vorstellungs- und Besetzungsaufwand
Gehalt unklar bleibt (semantische Ambiguität), die er- (vgl. Kap. 17). Witzige Zeitgenossen und komische
klärte Illokution unwirksam ist (etwa, wenn Zuschau- Personen erfüllen mit ihrer spezifischen Fähigkeit
er wissen, dass ein Ehepartner ein Bigamist und die und Kunst, eine gruppen- wie individualpsycho-
Eheschließung ungültig ist) und die perlokutiv ge- logisch wichtige katalytische Funktion, da die meis-
äußerte Absicht, trösten zu wollen, sich aufgrund des ten Menschen ihr Lachbedürfnis nicht – wie in der
Vorwissens im Publikum als illusorisch erweist (vgl. Sexualität – selbst stillen können (vgl. Gernhardt
Fellmann 1991). 2008, 541). Es kann entlasten und Lust bereiten, die
Die auf Wirkung bezogenen, das Denken und Han- mühsam anerzogenen Regeln der Sprachrichtigkeit
deln beeinflussenden Aspekte der Sprache werden bei oder der Unterdrückung von Körper-Regungen ein-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_20,


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20 Komik, Gesellschaft und Politik 135

halten zu müssen – oder andere dabei zu beobachten, Rahmungen, Brüchen und Prozessen der Neu-Rah-
wie sie in unpassender Situation gegen solche Regeln mung am Beispiel eines Live-Kriminalhörspiels im Ra-
verstoßen (vgl. Gernhardts Komik-›Legende‹ von dio; wenn dort das erwartbare Geräusch eines Schus-
Bobo, 2008, 526 f.). Die sprachlichen Grundmuster, ses ausbleibt (Bruch des Erwartungsrahmens aus Hö-
in der diese Regelverstöße auftreten, in denen sie in- rersicht), der Schauspieler diesen Bruch aber improvi-
szeniert und interpretiert werden, sind in der dialek- sierend zu heilen versucht, indem er ankündigt, sein
tischen Struktur der natürlichen Sprache angelegt, Opfer nunmehr erstechen zu wollen (Bruch des In-
mit ihren unvermeidlichen semantischen Unschär- szenierungsrahmens), kann dies aus Rezipientensicht
fen, modalen und performativen Mehrfach- und Heiterkeit auslösen; und wenn dann verspätet das
Selbstbezügen (etwa in Gestalt von double bind, vgl. Schuss-Geräusch eingespielt wird (erneuter Bruch),
Watzlawick u. a. 1967, ferner in Gestalt unfreiwillig wirkt dies komisch, da die Situation bereits vom Publi-
komischer »Fehlleistungen«, vgl. Freud 2012). Eine kum im Verlauf der Rezeption neu gerahmt wurde (als
kulturwissenschaftlich orientierte Komikforschung Panne oder auch als gelungener Slapstick) und das in-
arbeitet aus den vielfältigen Varietäten und Aspekten zwischen nicht mehr Erwartete dennoch eingetreten
des Komischen allgemein gültige Muster heraus und ist (vgl. Goffman 1980, 376 ff.). Das Beispiel zeigt zu-
rekonstruiert in möglichst »dichter Beschreibung« gleich, wie running gags entstehen können, die an ei-
(Geertz 2002) die Rahmenbedingungen, Funktions- nem bei der Aufführung und der Rezeption des Werks
und Wirkungsweisen komischer Kommunikation. geschaffenen eigenen Rahmen anknüpfen und diesen
um- und fortschreiben.
Komik als diskursiver Rahmenbruch
Eine differenzierte kulturwissenschaftliche, an einem Macht als Definitionsmacht über den kom-
Theatermodell inszenierter Kommunikation ange- munikativen Modus
lehnte Theorie des Komischen hat E. Goffman (1978) »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozia-
vorgelegt; eingebettet in seine allgemeine Theorie des len Beziehung den eigenen Willen auch gegen Wider-
sozialen Rahmens (frame) erscheint Komik als Bruch streben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chan-
dieses Rahmens. Mit dem Konzept des Rahmens (vgl. ce beruht«, definiert M. Weber (1980, 28), und hieran
Wirth 2013) werden die soziokulturellen Bedingungen anschließend schlägt H. Popitz (vgl. 1992, 86 ff.) eine
als Umwelt – und die komische Kommunikation als Differenzierung des Macht-Begriffs vor: in Aktions-
hiervon abhängige Variable betrachtet. Der Begriff des macht (direkte Erzwingung eines Verhaltens durch
Rahmen-Bruchs wiederum knüpft an die antik-rheto- Gewaltanwendung oder auch durch Anprangern), in-
rische Begrifflichkeit von der Unangemessenheit und strumentelle Macht (Androhung sozialer Sanktio-
die Theorie der Inkongruenz an (s. Kap. 1) und bietet nen), autoriative Macht (eine Person besitzt Autorität,
zugleich ein analytisch über die Skripttheorie hinaus- wenn sie andere durch Gewährung oder Entzug von
gehendes Kommunikationsmodell an (vgl. Raskin Anerkennung zu konformem Verhalten veranlasst)
1985). Analytische Schärfe gewinnen die Goffman- und datensetzende Macht (die normative Wirkung
schen Begriffe von Rahmen und Rahmenbruch da- von Artefakten – von den Eigentums- und Produkti-
durch, dass zwischen dem Erwartungsrahmen (nor- onsverhältnissen bis zur Rechtsnorm). Komisches
mative Perspektive bezüglich des Verhaltens anderer), Sprechhandeln kann im machttheoretischen Sinne
dem Inszenierungsrahmen (die wirkungsbezogene, mehrfach codiert sein: Auslachen stellt einen instru-
mögliche Reaktionen antizipierende Gestaltung aus mentellen Akt der Bestrafung dar, Lächerlichkeit geht
Sicht des Kommunikators) und dem institutionellen im Sinne der Gradationstheorie mit einer Abwertung
Rahmen (insbesondere die oben als ›diskursiv‹ zusam- der fremden und Aufwertung der eigenen Person ein-
mengefassten Muster, ihre symbolische Repräsentati- her, hat also mit der Autorität (dem Machtrang) zu
on und deren organisatorische Verfestigung) unter- tun; Macht zeigt sich darin, diese unterschiedlichen
schieden wird; menschliches Verhalten trifft in der Le- Aspekte intentional zu regulieren, also situativ den
benswelt allenthalben auf Rahmungen, etwa wenn je- Modus Ernst/Unernst zu wechseln und Komisier-,
mand »in nicht zugeknöpften oder unpassenden und Lachverbote zu verhängen und diese durchzuset-
Kleidern erscheint oder ein Gast auf einem Teppich zen (vgl. Zijderfeld 1998; Gernhardt 2008, 526f.). »Was
ausrutscht« (Goffman 1996, 378), und solche Situatio- nun das Lächerliche betrifft«, referiert Aristoteles in
nen sind, in der Beobachter-Perspektive, Quellen von seiner Rhetorik einen von ihm unterstützten Lehrsatz
Komik; Goffman erläutert verschiedene Formen von des Gorgias von Leontinoi, so müsse man »den Ernst
136 II Methodische Zugänge zum Komischen

der Gegner durch Lachen und ihr Lachen durch Ernst 20.2 Komik und Institution (rechtlicher
zunichte machen« (Aristoteles 1989, 223). Mit der Be- Rahmen, Zensur, Freiräume)
stimmung über den Modus werden Gruppen in eine
lachende (oft zugleich: sich ›richtig‹ verhaltende) Wir- Satire und Kommunikationspolitik
Gruppe und eine lächerlich gemachte Fremd-Gruppe »Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht
unterteilt, und der Redner selbst wertet sich uno actu verboten«, schrieb K. Kraus 1910 in seiner Fackel
selbst auf, so dass in der komischen Redesituation ein (Nr. 309/310), und die Auffassung, dass Zensur dazu
sich selbst verstärkender kollektiver Gradations-Pro- beitrage, den Stil zu verfeinern, vertrat bereits Heine.
zess stattfinden kann (dem der Degradationsprozess Der Autor, dessen Werke – wie das Versepos Deutsch-
der Fremdgruppe entspricht). Das evozierte Lachen land, ein Wintermärchen (1844) – immer wieder mit
ist ein spezifischer Rahmenbruch: die Erschütterung Erscheinungsverbot belegt wurden, gestaltete im
des Körpers (vgl. Goffman 1996, 378) durch einen be- zweiten Teil seiner Reisebilder (1826–1831) als Capi-
stimmten emotional-kognitiven Reiz. In manchen Si- tel XII eine Druckseite voller Gedankenstriche, um
tuationen erscheinen ironische und paradoxe Formu- typographisch zu verdeutlichen, wie viel von der Zen-
lierungen als einzige Möglichkeit, eine argumentative sur gestrichen worden sei; lesbar bleiben einzig die
Sackgasse, eine Selbstblockade oder ein double bind Wörter »Deutsche Zensoren [...] Dummköpfe« (Hei-
aufzulösen (Watzlawick u. a. 1967, 191 f.). Komik ne 1827, 228). Es gibt wenige historische Epochen
wirkt hier gewissermaßen homöopathisch, als etwas und politische Systeme, in denen Druckwerke und
Ähnliches (ein lebensweltlicher Widerspruch) mit Theaterraufführungen gänzlich unzensiert erschei-
Ähnlichem (einem ästhetisch gestalteten Wider- nen konnten, so dass die Literaturgeschichte sich in
spruch in Gestalt eines zur Situation passenden Wort- weiten Teilen als Zensurgeschichte darstellen lässt
spiels, Witzes oder einer Komödienszene) beantwor- (vgl. Breuer 1982; Lorenz 2009; Fuld 2012). Kom-
tet und dadurch ›geheilt‹ wird und somit das rezipie- munikationspolitik – als Summe von Maßnahmen,
rende Bewusstsein zu einer neuen Sichtweise seiner den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen – ist in allen
selbst, zu einer Neu-Rahmung angeregt wird. Auf die- Regierungssystemen ein zentrales Feld von Macht-
se Weise können, durch scheinbar widervernünftige politik gewesen, und die Kunst- und Meinungsfrei-
und unsinnige Kommunikationsakte, die Lebenskräf- heit ist ein wichtiger Indikator für den Demokrati-
te wieder ins Gleichgewicht gelangen (vgl. Kant 1996, sierungsgrad einer Gesellschaft. Je weiter das Medi-
167 f.). Komik kann nicht nur bezüglich individueller ensystem sich verselbständigt und Genres sich ver-
Überzeugungen, sondern auch im Prozess kollektiven feinern, desto differenzierter versuchen autoritäre
Einstellungswandels eine katalytische Rolle spielen, Regime, die öffentliche Kommunikation zu kontrol-
da sich soziale Bewegungen gern komischer Mittel lieren. Faschistische und stalinistische Diktaturen äh-
und/oder karikierender Darstellungen bedienen, um neln einander darin, dass sie umfassende, geheim-
eine gesellschaftliche Entwicklung als lächerlich und polizeilich gestützte Systeme der Repression, der Vor-
überkommen zu markieren und die eigenen Ziele als und Nachzensur entwickelt haben. Satire bricht aus
das Normale, Lustversprechende, Erstrebenswerte innerer Notwendigkeit aus jedem ideologischen Ein-
darzustellen (vgl. Kaul 2012). Die Bürgerrechts-, Frau- heitszwang aus und macht sich bereits durch Abwei-
en-, und Homosexuellen-Bewegung im 20. Jh. arbei- chung von offiziellen Sprachregelungen verdächtig.
ten oft mit ironischen und karnevalistischen Mitteln, Gleichwohl finden sich komische Formen auch in den
die sich auf kollektive Vorurteile wie Gender-Kli- düstersten Phasen der Diktatur– sei es in den Unter-
schees beziehen und diese unterlaufen (queer-Kultur). grundpublikationen (samisdat) der Sowjetunion oder
Häufig bilden Gruppen, die von einer Mehrheitskul- auf einzelnen Kabarettbühnen des faschistischen Ita-
tur mit stereotypen Vorurteilen belegt und marginali- lien oder in Form von ›Flüsterwitzen‹ im Dritten
siert werden, eine Affinität zu solchen Komikformen Reich (vgl. Gamm 1990); allerdings dienen die beste-
aus. Fröhliche Bekenntnisse zum Anderssein und henden Freiräume oft zugleich dazu, Dissidenten und
Selbstironie können gegen die aggressive Komisie- ideologischen Gegenströmungen ein Ventil zu bieten
rung durch Dritte immunisieren. Politisch relevant (vgl. Dorfer 2011, 120ff.), das jeweilige System also
wird dies dann, wenn »Verspottung als Lachkorrektiv mittelbar zu stabilisieren.
zu den ritualisierten Diskurspraktiken auf deren Ent-
wertung aus ist und damit am Ende auf eine Änderung
der Machtverhältnisse drängt« (Doll 2012, 94).
20 Komik, Gesellschaft und Politik 137

Kunst- und Meinungsfreiheit im modernen gutachterlicher Expertise aus den literatur-, kunst-
Rechtsstaat und medienwissenschaftlichen Disziplinen angezeigt
Ein wesentliches Merkmal liberaler Rechtsstaaten ist (vgl. Senn 1998, 52f.).
die Garantie der Meinungs-, Medien- und Kunstfrei-
heit (in Deutschland Art. 5 GG). Allerdings darf Sati-
re, die gesellschaftskritische Form der Komik, selbst 20.3 Komik und Religion
in freiheitlich verfassten Demokratien nicht »alles«
(Tucholsky 1975, 44), sondern findet, wie die Recht- Die kultische Wurzel des Komischen und des
sprechung zeigt, ihre Grenzen dort, wo andere Religiösen
Rechtsgüter wie etwa die Aufrechterhaltung der frei- Komik und Religion haben gemeinsame kultur- und
heitlich-demokratischen Ordnung selbst oder die begriffsgeschichtlichen Wurzeln: der komos war ein
Würde anderer Menschen (Allgemeines Persönlich- karnevalesker Umzug im Rahmen der griechisch-
keitsrecht nach Art. 1 und 2 GG; Jugendschutz, Schutz antiken Dionysienspiele (vgl. Kap. 1). Eine enge Ver-
der öffentlichen Ordnung bei Angriffen auf das reli- bindung komischer und religiöser Ausdrucksformen
giöse Bekenntnis) gefährdet sind. Die meisten die Sa- lässt sich auch in den großen asiatischen Kulturen be-
tire betreffenden Verfahren werden von Personen des obachten. Der als frecher, naschender Junge dar-
öffentlichen Lebens geführt, die ihre Persönlichkeits- gestellte Gott Krishna und die ›Milchmädchen‹ (Go-
rechte verletzt sehen und die gerichtlich ein Verbrei- pis) sind beliebte Figuren in der hinduistischen Tradi-
tungsverbot der entsprechenden Publikation und tion (vgl. Baumann 2008); die heiteren, komödian-
Schmerzensgeldzahlungen durchzusetzen versuchen tisch und tänzerisch gestalteten Sanskrit-Dramen
(vgl. Folckers/Solms 1997). Auch wenn das Bundes- (Tamasha, in Nordindien mit der Swang-Tradition
verfassungsgericht in seiner ständigen Rechtspre- verknüpft) haben auch die nicht-religiöse, gesell-
chung der Freiheit der Meinungsäußerung und schaftskritische Kunst der Farce (vag) beeinflusst. Für
dem künstlerischen Ausdruck großen Spielraum ein- den Begründer der (Neo-)Sannyas-Bewegung in In-
räumt, wird an einzelnen Fällen deutlich, wo die dien in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s, B. S. Rajneesh
Grenzen zur überzogenen Schmähkritik liegen. So (später: Osho), der sich in seinen Schriften und Reden
wurde im ›Strauß-Urteil‹ die gezeichnete Darstellung komischer Formen bedient, stellt Lachen ein zentrales
eines kopulierenden Schweins mit den Gesichtszügen spirituelles Erlebnis und einen Ausdruck wahrer Reli-
des Politikers F.-J. Strauß als rechtswidrig beurteilt giosität dar (vgl. Osho 1982, 5). In Japan stand das ko-
(BVerfGE 75, 369; vgl. Senn 1998). Die in Folge sol- mödiantische Kyōgen-Stück, das in die Nō-Theatertra-
cher Urteile verhängten Sanktionen wie die Beschlag- dition gehört, zunächst in einem religiösen Kontext
nahme von Druckwerken oder Schadenersatz- und und hatte die Funktion, dem Publikum – neben dem
Schmerzensgeldforderungen (wie des Politikers B. vielen Ernsten und Existenziellen der übrigen kulti-
Engholm, der in einer Fotomontage als Profiteur des schen und gottesdienstlichen Handlungen – durch
Todes seines Widersachers K.-U. Barschel dargestellt heitere, ausschweifende Darstellungsformen Gelegen-
worden war) können aus Sicht eines Kommunikators heit zur Abwechslung und Entspannung zu bieten.
wie dem Satiremagazin Titanic existenzbedrohend Der Zen-Buddhismus, eine sehr komik-affine Religi-
und in den Auswirkungen für die Meinungsvielfalt on, besteht in Übungen, nicht in festen Lehrsätzen; die
und -freiheit unverhältnismäßig sein (vgl. Rittig häufig anzutreffenden paradoxen Ausdrücke (z. B.
1997). Im Falle der Schmähung von Personen des öf- ›wegloser Weg‹, ›der Weg ist das Ziel‹) haben ko-
fentlichen Lebens – die durch ihren Einfluss und ihre mische Form und Wirkung und sie lassen sich als im-
professionellen Öffentlichkeitsarbeiter über größere plizite anti-dogmatische Vorkehrung gegen die naive
Möglichkeiten verfügen, sich zur Wehr zu setzen als Erwartung deuten, eine spirituelle Lehre biete konkre-
›einfache Bürger‹ –, wird in der Rechtswissenschaft te Antworten auf alle individuellen Wechselfälle des
diskutiert, ob dieses Machtgefälle im Meinungskampf Lebens. Humoristische Anekdotensammlungen und
auch in der Rechtsprechung über die Grenzen der Sa- Cartoons gibt es mit Bezug auf die um das 7. Jh. in
tire berücksichtigt werden müsse (vgl. Schröder 2007, China lebenden Mönche Kanzan und Jittoku (chin.:
147). Da vor Gericht bei satirischen Äußerungen Han Shan und Shi De), die als Komiker-Paar auftreten
meist ein vereinfachtes hermeneutisches Modell mit (vgl. Hyers 1989). Der lächelnde Buddha – als Verkör-
Aussagekern und rhetorischer ›Hülle‹ operiert wird, perung und Ausdruck der Erleuchtung und Versöh-
ist bei entsprechenden Prozessen die Heranziehung nung mit den Widersprüchen der Welt – ist Gegen-
138 II Methodische Zugänge zum Komischen

stand mehrerer berühmter Darstellungen. In allen Re- die Vernichtung des Todes? Sie führt zur Preisgabe des
ligionen gibt es allerdings Bereiche und Situationen Erlösungsglaubens, zur Abschaffung einer verbindli-
des Heiligen, die durch Spott, Verballhornung oder chen Wahrheit. Das Lachen des Menschen, die ›Rheto-
unangebrachtes Lachen und die hiermit verbundene rik des Spottes‹ – in letzter Konsequenz führen sie zur
Respektlosigkeit nicht getrübt oder in Frage gestellt Funktionslosigkeit der Kirche, ja zur Abschaffung Got-
werden dürfen (vgl. Baumann 2008). tes.« (Kuschel 1999, 62 [Hervorhebung im Orig.])

Komik in den abrahamitischen Religionen Die aggressive Seite der Komik, das Spotten und Ver-
In der ersten monotheistischen Weltreligion, dem Ju- lachen, wird u. a. noch bei Baudelaire und Bergson
dentum, leben die Menschen besonders intensiv in mit dem Anti-Göttlichen, dem Diabolischen in Ver-
der persönlichen Zwiesprache mit Gott und so kommt bindung gebracht (vgl. Baudelaire 1922; Bergson
es vor, dass der Allmächtige selbst – jedenfalls in tei- 2011). Eine andere, gottgefällige Komikform, die
choskopischen Erzählungen – Gegenstand von Wit- ›Narrheit um Christi Willen‹ wird indes in die Nähe
zen sein kann: ›Moses steigt vom Berg Sinai herab und des Heiligen gerückt (Berger 1998, 221ff.). Und es gibt
berichtet der ungeduldigen Menge: Ich habe eine gute auch erwünschte Komik im Gottesdienst, wenn Geist-
und eine schlechte Nachricht für euch. Die gute zu- liche ihre Osterpredigt mit Parodien und Wortspielen
erst: Ich habe IHN auf zehn runtergehandelt. Und die würzen, um das ›Osterlachen‹ (risus paschalis) aus-
schlechte: Ehebruch ist drin geblieben‹ (zum jü- zulösen, einen Ausdruck der Freude über die Auf-
dischen Humor vgl. Berger 1998, 103 ff.; Meyer-Si- erstehung Christi. Im Islam wird das Scherzen (arab.:
ckendiek 2013). Die berühmte Abhandlung Freuds muzāh) aus Sicht von Schariagelehrten als religiös in-
über den Witz und seine Beziehung zum Unbewußten different angesehen, solange der Spott nicht jenen
(1904) schöpft großenteils aus der vielfältigen jü- Kreis von Personen (insbesondere den Propheten
dischen Witzkultur und Freud hält es – in dem Wissen selbst) und Gegenständen (etwa Moscheen und Zem-
darum, wie sehr Juden in der Geschichte von Vertre- zem-Wasser) betrifft, die als heilig gelten (vgl. Kra-
tern der jeweiligen Mehrheitskultur marginalisiert wietz 2009). In den Hadithen, den Erzählungen vom
und verfolgt wurden – für wesentlich, ob ein Fremder Leben Mohammeds und seiner Gefährten, werden
oder ein Jude einen ›Judenwitz‹ erzählt. Was aus dem mehrere Situationen geschildert, in denen der Prophet
Munde des Nicht-Juden als derber Schwank wirke, scherzt und lacht. In der islamischen Geschichte gibt
entfalte durch die Vertrautheit mit den Vorzügen und es viele Beispiele für religiöse Komik wie den Hodscha
Lastern der eigenen Gruppe eine viel größere Komik, (Prediger) Nasreddin, den ›türkischen Eulenspiegel‹.
ja schaffe allererst »die sonst schwierig herzustellende Im Hochmittelalter entstanden Witze wie jener über
subjektive Bedingung der Witzarbeit« (Freud 1999, den dummen Koranschüler, der die dritte Sure (Vers
123); es kommt also bei der Komizität einer Witz-Er- 129) falsch rezitiert und aus »Herr! Wen du in das
zählung darauf an, wer einen Witz erzählt – und auch, Höllenfeuer eingehen lässt, den machst du [damit
wem. Es gibt keine gänzlich humorlose Religions- endgültig] zuschanden (fa-qad ahzaytahu)« die Aus-
gemeinschaft; selbst die als komikfern geltenden ›Zeu- sage macht: »... den hast du beschissen (fa-qad ahray-
gen Jehovas‹ besitzen eine eigene Witzkultur (vgl. tahu)« (Marzolph 2009, 159). Als am 30. September
Baumann 2008, 54 f.). Das Christentum wirbt zwar 2005 die Feuilleton-Redaktion der liberal-konservati-
mit der frohen Botschaft (eu-angelion), dass der Weg ven dänischen Zeitung Jyllands Posten Karikaturisten
aus dem irdischen Jammertal durch den Erlöser Jesus dazu aufrief, Themen rund um den Propheten Mo-
Christus vorgezeichnet sei. Allerdings ist von einem hammed zu bearbeiten, sollte damit ein Zeichen ge-
scherzenden oder lachenden Jesus im Neuen Testa- gen Tendenzen zur Selbstzensur bei der Auseinander-
ment nirgends die Rede. Auch wenn die abendlän- setzung mit dem Islam gesetzt werden. Eine von zwölf
dische Kirchengeschichte viele ›fröhliche Christen- Karikaturen zeigte Mohammed mit einer Bombe im
menschen‹ kennt, bleiben die Amtskirchen meist dem Turban, gedacht als Kritik am Missbrauch der Religi-
(›heiligen‹) Ernst verpflichtet und zeigen sich argwöh- on zur Begründung von Terrorakten; andere Karika-
nisch gegen die Komik: turen sind deutlich selbstironisch, wenn etwa west-
licher Journalismus auf Farsi als reaktionär bezeichnet
»Ist doch die Kunst des Lachens zugleich die Kunst der wird (vgl. Göktürk 2008).
Vernichtung von Angst. Wozu führt die Vernichtung von Da sich die dänische Regierung mit Hinweis auf
Angst? Sie führt zu Vernichtung des Todes! Wohin führt die Pressefreiheit weigerte, sich für die als Angriff auf
20 Komik, Gesellschaft und Politik 139

den Islam (miss-) verstandenen Karikaturen zu ent- mit moralischen Fragen, mit Annahmen über er-
schuldigen und anonyme Autoren ausgewählten Kari- wünschtes Verhalten, mit Fragen des Falsch und Rich-
katuren Fotomontagen hinzufügten, in denen ein be- tig, des Geziemenden und Ungehörigen zu tun. Für T.
tender Muslim von einem Hund bestiegen wird, stei- Veatch (1998) liegt jeder Komik eine moralische Dys-
gerten sich die Proteste im Verlauf des Jahres 2006 zu balance zugrunde, die Wahrnehmung, dass das eigene
blutigen Ausschreitungen mit am Ende über 100 To- (oder fremde) Sosein und Sollen nicht übereinstim-
desopfern. Die öffentliche Auseinandersetzung spitzte men. Das widersprüchliche Gefühl, wonach etwas
sich durch wechselseitige Zuschreibungen kollektiver richtig zu sein scheint, aber nicht ist, löst sich dann im
Eigenschaften – des vermeintlich humorfeindlichen Prozess der komischen Kommunikation und im La-
und unaufgeklärten Islams einerseits und des ver- chen wieder auf. Das von Veatch angebotene psycho-
meintlich aggressiven und arroganten Westen ande- dynamische Modell lässt sich auf viele Witze, auf
rerseits – auch publizistisch zu, als ein Beispielfall für kindliche ›Kuckuck‹-Spiele (das kleine Kind sorgt sich
den »clash of cultures« (ebd., 1708). über das Verschwinden des vertrauten Gesichts oder
eines Objekts und freut sich über das Wieder-Auftau-
Verschiedene Varianten von Erlösung chen) oder das verlegene Lachen, mit dem eine peinli-
Inkongruenztheoretisch betrachtet und unter dem che Situation – als subjektive Empfindung bei einem
Aspekt ästhetisch gestaltbarer Kontraste bietet der re- bemerkten Regelverstoß – überbrückt wird. Jeweils
ligiöse Themenkreis der komischen Kunst viele An- wird eine mit Unlust oder Schmerz verbundene Situa-
satzpunkte. Wo mit Begriffen des Absoluten und Er- tion positiv umgedeutet. Nicht immer freilich wird ein
habenen operiert wird, ist die ›Fallhöhe‹ zum Mensch- Witz oder eine Komödie als in dieser positiven Hin-
lichen – also dem Göttlichen entgegengesetzten Un- sicht entlastend und reinigend empfunden. Das de-
vollkommenen, Niedrigen, Gemeinen, Sündigen, platzierte Scherzen – zumal auf Kosten Anwesender –
Profanen – denkbar groß (vgl. Zander 2005, 60 f.). gilt als unmoralisch. Molière etwa sah sich veranlasst,
Vertreter der Geistlichkeit und strenggläubige Laien, seinen immer wieder auf Initiative der Kirche mit
die im Alltag an den hohen moralischen Anforderun- Aufführungsverbot belegten Tartuffe (1664; vgl.
gen scheitern, sind ein beliebter Gegenstand satiri- Kap. 7), wo Frömmelei und Bigotterie komisiert wer-
scher Darstellungen in allen Kunstgattungen, da sich den, im Vorwort zur Neuausgabe von 1669 zu vertei-
hier der Gegensatz zwischen starrem Dogma und digen, da sein Werk – entgegen der Kritikermeinung
chaotischer Lebensenergie besonders gut darstellen – gerade die Absicht habe, die Laster der Menschen zu
lässt. Wenn jemand wegen seines Glaubens, der ›Narr- berichtigen (Molière 2012). Dass ein »moralischer
heit um Christi willen‹, zum Gespött wird, so gibt es Satz« (Gottsched 1759, 147; IV. Kap, § 22) den Aus-
meist nur einen Ausweg: mitzulachen (vgl. Zander gangspunkt der Fabel – modern: des plots eines Werks,
2006, 36 f.). Komik und Religion haben mit Fragen ob lyrisch, episch oder dramatisch – bilden solle, pos-
von Leben, Tod und Sinn, mit dem Verhältnis von tuliert J. Chr. Gottsched in seiner Critischen Dicht-
Menschlichem und Transzendentem, mit den Wider- kunst (1729). Und Schiller weist der Komödie in sei-
sprüchen und Aporien der menschlichen Existenz zu ner Schrift von der Schaubühne als moralischer Anstalt
tun; in ähnlicher dialektischer, manchmal paradoxa- (1784) die wichtige gesellschaftliche Funktion zu, des
ler Weise wird in komischen wie religiösen Diskursen Menschen »Herz gegen Schwächen zu schützen«, in-
versucht, zu entlasten und zu trösten und zur Erlö- dem allerlei törichte Typen »mit heilsamem Spott be-
sung beizutragen (vgl. Berger 1998, 221 ff.). schämt« (Schiller 1879, 42) würden; von Scherz und
Satire gehe eine moralisch stärkende Wirkung aus.

20.4 Komik und Moral Widerspiegelung und Wandel gesellschaftlicher


Moralvorstellungen
Ethische Implikationen des Komischen Witze, Spottgedichte und Komödien rühren an gesell-
Kommunikative Handlungen wie Spotten und Aus- schaftliche Tabus wie politische Machtfragen und Se-
lachen haben großes Wirkungspotenzial in der Le- xualität und haben mit Themen zu tun, die in vielen
benswelt, weil auf diese Weise abweichendes Verhal- Kulturen nach Kategorien wie gut/böse, erlaubt/ver-
ten, mit schmerzhaften Konsequenzen für den Ver- boten gegliedert sind. In der in der europäischen Kul-
spotteten, sanktioniert wird (vgl. Bergson 1904/2011, turgeschichte einflussreichen Tugendethik der Mäßi-
18). Komik hat auch in künstlerischer Gestalt meist gung und der richtigen Mitte (μεσότης, mesotes), die
140 II Methodische Zugänge zum Komischen

von Aristoteles und auch der epikuräischen Schule ge- seiner Zeitgenossen herausarbeitet werden–, oder es
lehrt wird, postulieren die Autoren einen Katalog po- gelingt, aus der konstruiert naiven Perspektive von
sitiver, erwünschter Eigenschaften, die jeweils das Ge- Voltaires Titelfigur Candide, eine zentrale philosophi-
genstück in sich tragen: so führt ein Übermaß an Mut sche These der Zeit – Leibniz’ theologisch inspirierten
zu gefährlicher Tollkühnheit, ein übersteigerter Ge- Versuch, die bestehende Welt als die beste aller mögli-
rechtigkeitssinn zu Rechthaberei oder Selbstjustiz, chen erscheinen zu lassen – wirksam zu widerlegen.
Geiz zu übertriebener Sparsamkeit. Lächerlichkeit ist
demzufolge eine charakterlich bedingte oder situativ
sich zeigende Abweichung von der moralisch richtigen 20.5 Schichtenspezifische Komik
Mitte bezüglich einer oder mehrerer Tugenden. Theo-
phrast von Eresos hat 30 Charaktere beschrieben – da- Ständeklausel und komische Fallhöhe
runter den Geizigen, der seine Söhne nur dann ins Komische Alltagspraxis und komische Künste spielen
Theater mitnimmt, wenn die Ordner diese gratis he- eine wichtige Rolle bei der Bildung kollektiver Iden-
reinlassen –, die eine solche, lächerlich wirkende Dys- titätsmuster (vgl. Zijderveld 1998, 42 f.), indem be-
balance aufweisen und die Komödienautoren als Mus- stimmte Eigenschaften in Witzen und Komödien als im
terfälle für ihre Personen einsetzen (vgl. Theophrast positiven Sinne lustig oder im abwertenden Sinne lä-
2000; Warning 1976, 289). Der Mensch, der gegen die cherlich dargestellt werden und sich Gruppen situativ
moralische Konvention verstößt, aus dem ›Rahmen‹ in lachende und verlachte Teile gliedern können. In den
fällt, wird von der lachenden, spottenden, mit Aus- normativen Poetiken gilt, von der Antike bis ins 18. Jh.,
schluss drohenden Gruppe wieder in die Mitte des Er- ein starres Schema, nach welchem Personen, literari-
warteten und als normal Vorausgesetzten gedrängt. sche Gattungen, Themen und Stilebenen miteinander
Die Kriterien, nach denen dies geschieht, sind entwe- verkoppelt werden. Im Anschluss an die Aristotelische
der andere Tugenden, – oder aber es wird auf allgemei- Poetik und Ethik (Aristoteles 1989, 223; Aristoteles
ne Prinzipien wie Angemessenheit, Balance und Fair- 1983, 115ff. [1128a]) werden Tragik, Adel und hohe
ness rekurriert. Auf diese Weise wirken negierende Stilebene in einen engen Zusammenhang gebracht, im
und affirmative, aggressive und besänftigende Funk- Unterschied zur Bündelung von Komik, niederem
tionen komischer Kommunikation in moralisch regu- Stand und einfachem Stil. So besteht bereits in der alten
lierender Weise zusammen. In Molières der Geizige griechischen Komödie das Personal v. a. aus einfachen
(1668) fehlt der Titelfigur Harpagon – wie schon in der Bürgern, Sklaven und Prostituierten (vgl. Fuhrmann
Modell stehenden Plautus-Komödie Aulularia (Der 1976), während Hauptrollen der Tragödien meist mit
Goldtopf) – die Großzügigkeit gegen seine Kinder, die Protagonisten aus dem Hochadel besetzt waren. Cicero
Gerechtigkeit gegen seine Angestellten und die Fair- und Horaz übernehmen die Aristotelische Zweiteilung
ness in geschäftlichen Dingen; Geiz und Missgunst der dramatischen Gattungen, und Horaz geißelt die al-
treiben ihn so weit, seinem eigenen Sohn die Geliebte te Attische Komödie und das Satyrspiel als Ansamm-
abspenstig zu machen; nur durch List und Erpressung lung dummer, gemeiner, böser, einander mit vulgären
gelingt es den anderen Personen – die sich durch kom- Ausdrücken verspottender Menschen (vgl. Horaz 1984;
plementäre Charaktereigenschaften und Tugenden vgl. Kap. 23.1.1). In der Barockzeit wettert Opitz in sei-
wie Lebensfreude und Großzügigkeit auszeichnen –, nem einflussreichen Werk Von der Deutschen Poeterey
den tyrannischen Patriarchen zum Einlenken zu brin- (1624) gegen jene Komödiendichter, die »Keyser vnd
gen, sein egozentrisches, gier-getriebenes Verhalten Potentaten« mit »buhlersachen« und »geitze[n] des al-
aufzugeben und der Hochzeit mit ihren Wunschpart- ters« in Verbindung bringen, denn dies laufe »den re-
nern zuzustimmen (vgl. Molière 2012). Aus Zuschau- geln der Comedien schnurstracks zuewieder« (Opitz
ersicht macht sich der übersteigert Geizige lächerlich 1970, 27). Auch J. Chr. Gottsched hält in seiner Criti-
und er erweist sich immer wieder als moralischer Ver- schen Dichtkunst noch an dem Prinzip fest, für das sich
lierer. Die Komödie wirkt, wie andere Kunstwerke, in der weiteren literaturwissenschaftlichen Forschung
durch das gegebene positive oder abschreckende Bei- der Begriff ›Ständeklausel‹ etabliert hat. Die Koppelung
spiel an der moralischen Erziehung des Publikums von sozialer Schichtzugehörigkeit, Stilebene und
mit. Durch den dialektischen Charakter von Werten Kunstgattung beginnt sich in dem Maße aufzulösen, in
und Tugenden können mit paradoxen oder ironischen dem Personen aus dem Bürgertum – insbesondere
Empfehlungen, wie dem Lob der Torheit (1511) des nach der Französischen Revolution – zusehends gesell-
Erasmus von Rotterdam, die eigentlichen Torheiten schaftliche Schlüsselpositionen erklimmen und ihr ei-
20 Komik, Gesellschaft und Politik 141

gens Tugendsystem etablieren. Es ist Diderot, der der schaften findet; eine solche Beziehung wird Angehöri-
Komödie einen ernsthaften Charakter zubilligt – hier- gen unterschiedlicher Ethnien und Clans zugeschrie-
bei allerdings zwischen einer an Tugenden orientierten ben oder sie kann aufgrund äußerer Merkmale situativ
comédie sérieuse und einer lediglich Laster und Lächer- gestiftet werden. Die sich durch kumpelhafte bis derbe
liches zeigenden comédie gaie unterscheidend – und Anreden wie ›Hallo Spinnenfresser!‹ (wenn die Ethnie
damit die theoretische Vorarbeit zur Auflösung der in dem Ruf steht, solche zu verspeisen) ausdrückende
starren Gattungsgrenzen leistet (vgl. Diderot 1975, scherzhafte Kommunikationsebene erlaubt es im wei-
25ff.). An Lessings Tragödien Miss Sara Sampson (1755) teren Fortgang, tabuisierte Fragen zu thematisieren; bei
und Emilia Galotti (1772) sowie Hebbels Maria Mag- schwierigen Verhandlungen und Gruppenkonflikten
dalena (1844) zeigt sich, dass bürgerliche Personen auf kann die Scherzbeziehung aggressionsmindernd wir-
der Theaterbühne nun tragikfähig sind; die aus Grün- ken und die Kooperation über ethnische, soziale und
den der ästhetischen Kontrastwirkung notwendige geographische Grenzen hinweg fördern (vgl. Canut/
Nutzung oder produktionsästhetischen Erzeugung von Smith 2006).
»Fallhöhe« (den Begriff verwendet Schopenhauer (vgl.
1977, 514)), wird zu einer Frage der individuellen Mo- Vulgäre und hohe Komik
ral, nicht in erster Linie der Position in der sozialen »Wer die Grenzen des Lustigen überschreitet, gilt als
Hierarchie. Die Nachwirkungen der Ständeklausel las- Hanswurst und als grobschlächtig. [...] Den Gegensatz
sen sich allerdings, etwa durch die Unterscheidung von dazu bilden solche, die keinen Scherz von sich zu ge-
Hof- und Volkstheatern sowie in den Fächern der ben vermöchten und die ein saures Gesicht ziehen,
Schauspielerausbildung bis ins 20. Jh. nachweisen (vgl. wenn ein Witz fällt«, schreibt Aristoteles in seiner Ni-
Greiner 1992). Buffo-Figuren und Zirkusclowns tragen komachischen Ethik (350 v. Chr.) und nennt auch die
auch im 21. Jh. noch Merkmale sozialer Randständig- angemessene Form des Witzemachens: »Von dem, der
keit, Vagabunden- und Außenseitertun – durch die be- mit feinem Takt kurzweilig ist, kann man sagen, er ist
reits in der Arlecchino-Kleidung stilisierten bunten ›(gesellschaftlich) gewandt‹, sozusagen im guten Sin-
Fetzen und die zu großen Schuhe. Neben der Stratifi- ne ›wendig‹« (Aristoteles 1983, 115). Aristoteles attes-
zierung, der vertikalen Gliederung, gibt es auch hori- tiert sowohl den humorlos Ungerührten wie auch den
zontale, etwa geographisch markierte Gliederungen, ungezügelt Lachenden und Spottenden, die richtige
die komikrelevant werden können; so komisieren ei- Mitte (mesotes) des Tugendhaften zu verfehlen, und
nander die Bewohner historisch rivalisierender Städte sein Lob gilt jenen, die zu scherzen verstehen, ohne zu
(z. B. Köln und Düsseldorf, Frankfurt und Offenbach, verletzen; als vorbildlich gilt ihm die feine Ironie des
Zürich und Basel), oder es werden Bewohner von Re- Sokrates. Auch in der Aristotelischen Rhetorik wird
gionen als Spottobjekte genommen (Ostfriesen, Bur- zwischen gelungenen und weniger gelungenen Wort-
genländer, Fribourger oder Aargauer), um die jeweilige spielen und aphoristischen Formulierungen unter-
Herkunft und Spottbezeichnung in stereotype Witzer- schieden, woraus sich ästhetische Kriterien wie etwa
zählungen einzusetzen. In ethnisch heterogenen Ge- Kürze und Intensität der Wirkung ergeben (Aristote-
sellschaften findet sich das Phänomen einer fröhlichen les 1989, 192f.). Im Rahmen der von Quintilian kano-
Bejahung jener Merkmale, die von der Mehrheitskultur nisierten ›Drei-Stil-Lehre‹ wurden komische Formen
negativ konnotiert werden; so necken Afroamerikaner tendenziell niedrigere Stilebenen zugeordnet: der Ko-
einander manchmal mit dem historisch negativ kon- mödie die niedere und der Satire die mittlere (vgl. Ue-
notierten Wort ›nigga‹, oder Türken in Deutschland ding/Steinbrink 1986, 91 f.) – ungeachtet der tatsäch-
sprechen Angehörige der eigenen Gruppe als ›Kana- lichen ästhetischen Formenvielfalt und Komplexität
ken‹ an (vgl. Kotthoff u. a. 2013). Schichten- und Grup- des jeweiligen Werks.
penzugehörigkeit können durch Komik verfestigt, aber Es gibt eine lange christlich-abendländische Tradi-
auch verschoben werden, da es spielerische Formen tion, ethische und ästhetische Bewertungen entlang
gibt, sich mit einer bestimmten Gruppe zu identifizie- eines hierarchisch gegliederten Körperschemas vor-
ren – oder die Zugehörigkeit trotz offensichtlicher zunehmen, dergestalt dass Füße, Ausscheidungs- und
Merkmale zu leugnen. Ein solches Spiel mit Identitäten Sexualorgane wie auch die unterhalb des durch La-
und fiktiven Verwandtschaften und Vertrautheiten chen erschütterten Zwerchfells liegenden Organe –
stellt die Institution der ›Scherzbeziehung‹ (engl. joking wie das gemäß der ›Viersäfte-Lehre‹ als Humoral-
relationship; frz. relation à plaisanterie/cousinerie) dar, organ geltende Milz – niedriger angesiedelt werden als
die sich insbesondere in westafrikanischen Gesell- die Atmungsorgane und das Gehirn. Und die Thema-
142 II Methodische Zugänge zum Komischen

tisierung von Sexualität, Körperausscheidungen und untreuen Frau gerächt hat. Im Lachen mischen sich
allzu explizite Erwähnung ›schmutziger‹ Gedanken Schadenfreude über die Situation der beiden Betrüger
kann – unabhängig von der Komplexität eines Werks sowie das Mitgefühl mit dem seelisch verletzten Mit-
der Haltung eines Autors – negativ auf die ethische gott. Während Hermes und Apollon darüber scher-
und ästhetische Wertung durchschlagen. In einem an zen, wie es wohl wäre, wie Ares so eng an die schöne
sozialer Distinktion interessierten Publikum gibt es Aphrodite gefesselt zu sein, wenden sich die Göttin-
eine Furcht, ›unter Niveau‹ zu lachen. In der körper- nen peinlich berührt ab; und Poseidon, der ebenfalls
lichen Wirkung allerdings, meint R. Gernhardt, sind nicht mitlacht, bittet Hephaistos darum, die beiden
sich dann die Publika der verschiedenen Genres ei- Sünder nach ihrer erfolgten Bestrafung wieder aus ih-
nander freilich ähnlich, denn: »Es gibt kein niveauvol- rer peinlichen Lage zu befreien. Bei den Menschen
les Lachen, so wenig, wie es einen niveauvollen Orgas- wiederum kommt die olympische Ausgelassenheit als
mus gibt [...]. Jedes Lachen ist Verlust an Kontrolle, Donnern an, als nicht deutbare Energie. Und so lässt
und jeder Kontrollverlust senkt das Niveau« (Gern- sich diese Szene mit dem unauslöschlichen Gelächter
hardt 2008, 537f.); grobe und feine Komik könnten zugleich als früher literarischer Beleg für die bereits
zwar unterschieden werden, sie seien aber im Gilgamesch-Epos sichtbare Vorstellung deuten,
dass die Menschen Objekte und Opfer der unerforsch-
»keine Gegensätze […], vielmehr verschiedene Zustän- lichen Launen der Götter sind und sich als verlachte
de derselben Kraft, deren wahren Widerpart die instru- und lächerliche Geschöpfe fühlen. Dieses Gefälle wird
mentalisierte und kastrierte Komik darstellt […]. Wäh- auf die soziale Hierarchie der Menschen übertragen
rend das genuin Komische immer da stattfindet, wo Er- (vgl. Stollmann 2010), so dass die niederen Stände das
denschwere nachhaltig vernichtet wird, gleichgültig natürliche Objekt des Spottes und als geeignetere
mit welchen Mitteln, egal ob durch Sprengung oder Le- Funktionsträger für Komisierungshandlungen (vgl.
vitation.« (ebd., 545 f.) Kap. 9) darstellen.

Um die ästhetiktheoretisch nicht gerechtfertigte Ab- Komik und Machtrang


wertung der komischen Gattungen zu konterkarie- Komik kann Werkzeug der Machtausübung und auch
ren, wurden Begriffe wie ›Hochkomik‹ eingeführt, Indikator für Machtrang sein. Wer über größere
die an Diderots Unterscheidung der comédie gaie/sé- Machtressourcen verfügt, kann sich allerdings gegen
rieuse (s. o.) anknüpfen und mit der etwa Vertreter den Spott Rangniedrigerer besser zur Wehr setzen.
der satirischen Neuen Frankfurter Schule arbeiten Menschen höheren Machtrangs haben zugleich eine
(vgl. Schmitt 2001). größere Chance, andere Menschen zum Mitlachen zu
veranlassen, dies lässt sich in modernen Gesellschaf-
ten empirisch bestätigen (vgl. Stillman 2007; vgl.
20.6 Komik der Mächtigen/Ohnmächtigen Kap. 21). Zugleich wächst allerdings, in inkongruenz-
theoretischer Perspektive, bei Personen von hohem
Absolute Macht, absolute Komik Machtrang die Fallhöhe zwischen Erhabenheit und
Zum höchsten, unauslöschlichen Gelächter (asbestos Lächerlichkeit, so dass sie zu bevorzugten Objekten
gelos) sind nur die Götter fähig, und eine der frühesten für komische Degradationsversuche werden. Wie
komischen Szenen der europäischen Literatur- beim Hofnarren-Phänomen beobachtbar kann eine
geschichte ist die in Homers Odyssee (VIII, 325 ff.) be- Person von formal niedrigem Machtrang mit einer li-
sungene Szene, in der der hinkende Gott Hephaistos centia für Komisierungshandlungen gegenüber Mäch-
sich an seiner Frau Aphrodite und deren Liebhaber, tigen ausgestattet werden (vgl. Baumann 2007). Beim
dem Kriegsgott Ares rächt, nachdem er beide beim Besuch einer Komödie oder einer Kabarettveranstal-
Liebesspiel ertappt hat; er wirft ein unsichtbares, un- tung richtet sich ein Teil der Aufmerksamkeit des Pu-
zerreißbares Netz über sie und ruft die Mitgötter her- blikums auf Personen höheren Machtrangs, deren
bei, damit sie sich diese Schande ansehen und er bei Beifalls- oder Missfallenskundgebungen tendenziell
Zeus die Ehe annulieren kann. Die Zuschauer brechen übernommen werden (vgl. Ensikat 2007, 77). Wie
in das berühmte homerische Gelächter aus, als sie er- oben dargestellt, ist die Entscheidung über solche
kennen, wie raffiniert sich der gehbehinderte, aber in- Lach-Lizenzen, die situative oder strukturelle Ent-
genieurtechnisch versierte Hephaistos an dem für sei- scheidung über den kommunikativen Modus (ins-
ne ansonsten flinken Beine bekannten Ares und seiner besondere: Ernst/Unernst) eine Machtressource be-
20 Komik, Gesellschaft und Politik 143

sonderer Art. Diese kann auch zur inszenierten Selbst- gen seiner Dramen (wie Mein Kampf, 1987, Die Kan-
degradation genutzt werden, um im Blick auf ein nibalen, 1969, oder Jubiläum, 1983) die Urheber
Publikum oder ein Elektorat als Volkstribun zu er- größter Menschheitsverbrechen wie Hitler szenisch-
scheinen. Ein Beispiel sind Komisierungshandlungen dialogisch mit seinen Opfern zusammen, um zum
des früheren italienischen Ministerpräsidenten Ber- einen den Mächtigen auf menschliches Normalmaß
lusconi, der den Clown spielte, indem er anderen zu bringen und zum anderen, um dem Schwachen
Staats- und Regierungschefs bei offiziellen Fotos die Würde und Kommunikationsfähigkeit wieder-
durch Fingergesten ›Eselsohren‹ oder ›Hörner‹ auf- zugeben. Tabori hält Komik für das einzige Mittel,
setzte (vgl. Kohns 2011). das Unbegreifliche und Unerträgliche auf die Bühne
zu bringen (vgl. Welker 1994). Bei H. Arendt sind
Komik und Selbstbehauptung Verachtung und Lachen das wichtigste Mittel der
Archetyp eines äußerlich Ohnmächtigen und vor- Schwachen, um die Autorität der Mächtigen zu un-
derhand auch Lächerlichen ist Diogenes (vgl. Piran- tergraben (vgl. Arendt 1970, 46). Als Randfiguren
dello 1998); der Legende nach hat er, als Alexander charakterisierte oder körperlich missgestaltete Per-
der Große ihm einen Wunsch erfüllen wollte, diesen sonen können sich dann aus ihrer Lächerlichkeit
lediglich gebeten, ihm aus der Sonne zu gehen; Dio- oder ihrer gesellschaftlichen Unsichtbarkeit retten,
genes deutet mit dieser Pointe seine materielle Ohn- indem sie ihren Makel selbstbewusst zeigen. Wer
macht in den positiven Wert der Bedürfnislosigkeit sich relativiert und verkleinert, kommt der Komisie-
und Freiheit um, zeigt sich durch seinen kynismos als rung durch Dritte zuvor. Denn wer sich an einer
der moralisch Überlegene. Dieser Topos der situati- schwachen Figur vergreift, setzt sich ins Unrecht,
ven Umdeutung objektiver Machtlosigkeit in eine provoziert Mitleid und Solidarisierungseffekte. Auch
Position subjektiver Stärke findet sich etwa in Hagio- Kollektivsubjekte wie marginalisierte Gruppen mit
graphien (Heiligenlegenden) und Märtyrergeschich- niederem Status, die Diskriminierung und Abwer-
ten, in denen sich Schwäche – durch göttliche Gnade tung ausgesetzt sind, können sich durch Überbeto-
und Intervention – auch noch posthum als Stärke er- nung bestimmter Attribute ironisch ›negativ‹ mar-
weisen kann; das Muster hat das biblische Neue Tes- kieren, um auf diese Weise individuell und kollektiv
tament vorgeprägt, da auch Jesus von Nazareth sich integriert und stark zu erscheinen (vgl. Kotthoff u. a.
des komischen Verfahrens der Perspektiv-Umkehr 2013).
und der Paradoxie bedient, indem er etwa zur Fein-
desliebe aufruft und den Geringsten und Letzten
verheißt, als erste ins Himmelreich zu gelangen. Was 20.7 Komik und Gewalt
den einen als hündische »Sklavenmoral« (Nietzsche
1886, § 260) erscheinen mag, kann sich in der späte- Die aggressive Seite der Komik
ren Betrachtung, der literarischen oder theologi- Zentrale Begriffe des Komischen sind von Wörtern
schen Deutung als ›erlösende‹ Dimension komischer für aggressive Handlungen und unangenehme Gefüh-
oder religiöser Einsichten erweisen (vgl. Berger le abgeleitet, etwa Stechen (frz. und dt. pointe, Spitze),
1998). In extremen Formen der Machtlosigkeit – bei Schlagen (engl. punch für Pointe) und Beißen (griech.
Gefangenen, die Folter oder Hinrichtung entgegen- sarkasmos). Auslachen und Verspotten sind auf der
sehen – scheint Galgenhumor eine der wenigen Seite der Komisierten mit Gefühlen von Scham und
Möglichkeiten zu sein, einen Rest persönlicher Auto- Peinlichkeit, mit seelischem Schmerz verbunden.
nomie und Würde zu wahren und nicht vorzeitig zu Baudelaire rechnet das Komische wegen dieser negati-
verstummen. Der Umstand, dass in Gettos und Kon- ven Implikationen und möglichen Wirkungen dem
zentrationslagern Komödien aufgeführt und Kaba- »Diabolischen« (Baudelaire 1994) zu. Das Komische
rett gespielt wurde, belegt, dass Menschen auch – ist nicht per se heiter und harmlos (vgl. Aristoteles
und gerade – in äußerst prekären Situationen zur 1983), und Gewaltszenen spielen im Witz und in der
Komik fähig und unterhaltungsbedürftig sind (vgl. Komödie eine wichtige Rolle. Komische Kommunika-
Hippen 1988). Den komischen Verfahren ist es eigen tion ist in ihrer lebensweltlichen und auch in der in-
– anders als die Tragödie, die die tödlichen Kon- szenierten Form ein Prozess mit einer Täter- und Op-
sequenzen zeigt –, überraschende Wendungen und ferseite, mit moralischen Gewinnern und Verlierern –
Auswege zu zeigen, und ernste Situationen ironisch auch wenn sich die Verhältnisse rasch durch Umkeh-
zu brechen. Der Dramatiker G. Tabori bringt in eini- rung, Perspektivwechsel und das Unterlaufen von
144 II Methodische Zugänge zum Komischen

Publikumserwartungen im Verlauf eines Werks oder sich mehrmals schwer verletzt – mit der ironischen
einer Witzerzählung rasch ändern können. Schlusswendung, dass der geschundene Ritter nicht
im Kampf, sondern friedlich im Bett verstirbt. In Zei-
Komisches Horrortheater und seine multimedialen chentrickfilmen gibt es regelmäßig gewalttätige Sze-
Nachfolger nen, und auch in Kriminal- oder Horrorfilmen wird
Eine spannungsreiche Beziehung gehen Gewalt und das Publikum nicht nur zu Reaktionen des Ekels, der
Komik im Horrortheater ein, das Einflüsse von Schau- Abscheu und des Entsetzens veranlasst, sondern auch
ermärchen, den Erzählungen der schwarzen Roman- zum Lachen gebracht. Die licentia hierfür wird – zu-
tik und den die Öffentlichkeit elektrisierenden Berich- sätzlich zur ausdrücklichen Fiktionalität eines Ge-
ten von Jack the Ripper aufnahm und dessen bekann- schehens und die entsprechende mediale Distanz –
teste Institution, das Theâtre du Grand Guignol, von durch Ironiesignale gegeben. So besteht bei den Pro-
Ende des 19. bis Mitte des 20. Jh.s bestand (vgl. Hand/ tagonisten des Spielfilms Pulp Fiction (1994) von Q.
Richards 2002). Die dort u. a. auftretende Kasper(le)- Tarantino ein derart groteskes Missverhältnis zwi-
Figur (frz. guignol) erscheint bereits durch das Epithe- schen den Rollenerwartungen an abgebrühte Profikil-
ton ›grand‹ entniedlicht, und alle theatertechnischen ler und dem tatsächlichen stümperhaften Verhalten –
Möglichkeiten von abgetrennten Gliedmaßen bis zu oder der übersteigerten Attitüde als gottgefälliger
fließendem Blut wurden für Schockwirkungen ge- Kreuzritter, wo vor der Tötung eines Opfers ein Bibel-
nutzt. Die ›Fallhöhe‹ besteht hier zwischen den übli- vers über gerechten göttlichen Zorn zitiert wird –,
chen Attributen der Kasper-Figur – Fröhlichkeit, Nai- dass das Publikum die Inszenierung als komisch ent-
vität und Harmlosigkeit – und dem tatsächlichen schlüsselt, so dass die Mitleidsverpflichtung aufgeho-
Agieren: im grand guignol wird die Kasper-Figur zum ben ist und die licentia gegeben ist, sich über das Lach-
Täter, zum Agenten des Bösen, und die Attitüde ist le- verbot angesichts von dargestelltem Mord, Folter und
diglich Mimikry und Camouflage. Der Kinofilm hat Sadismus hinwegzusetzen (vgl. Kaul 2012).
die Schreck- und Schock-Ästhetik des Grand Guignol Es gibt allerdings in Wissenschaft und Politik ei-
aufgenommen und mit erweiterten Trick-, Animati- nen Streit darum, welche Art der Darstellung von Ge-
ons- und Digital-Effekten erweitert. So wird der Kas- walt Kindern und Jugendlichen – ungeachtet etwai-
per zum Ripper, die Clown-Kinderpuppe zum Wür- ger satirischer Absichten der Autoren und empiri-
ger (im Film Poltergeist, 1982) und Massenmörder scher Lach-Wirkungen – zugemutet werden kann.
(wie in S. Kings Es, 1990); die Figur ›Joker‹ mit seiner Die Verbreitung gewaltverherrlichender Medienpro-
teuflisch verrutschten Maquillage wird zum Erz-Bö- dukte ist in Deutschland unter Strafe gestellt (§ 131
sewicht und Gegner Batmans (in The Dark Knight, StGB), und es gibt einen Index von Büchern und eine
2008). Durch die Wendung ins Düstere, Aggressive in freiwilliger Selbstkontrolle erstellte Klassifizierung
erhält die aus der Arlecchinofigur abgeleitete Clowns- von Filmen und Computerspielen, die mit einer Al-
und Kasper-Figur eine Erweiterung ins düster Mali- tersbeschränkung versehen sind. Es gibt eine Reihe
ziöse – ähnlich wie der Mephisto in Goethes Faust At- von Gefühlen und kognitiven Prozessen, die bei der
tribute des Komischen erhalten hat. Die harmlose, be- Rezeption von Gewaltdarstellungen entstehen kön-
mitleidenswerte Bestie und der boshafte Kasper sind nen – von Schreck und Schock über sadistische Lust.
hybride Figuren-Konstruktionen, aus denen sich eine Entsprechend differenziert sind die Ergebnisse der
Fülle weiterer ikonographischer, narrativer und se- Medienwirkungsforschung (für einen Überblick vgl.
mantischer Inkongruenzen bilden lassen. Kunczik 2006), und je nach Forschungsdesign lassen
sich bei der Rezeption von Gewaltdarstellungen ag-
Wann ist Gewalt komisch? gressionsfördernde und aggressionsmindernde Ef-
In antiken Komödien werden die Figuren, die es im fekte nachweisen. Ein unmittelbarer Rückschluss von
Rahmen der Erzählung und vor dem Hintergrund der Gewaltdarstellung – auch der komisierten – auf die
herrschenden Moral ›verdient‹ haben, geschmäht und moralische Position von Autoren oder des Publikums
verprügelt, so dass das Gefühl gerechten Unwillens ist problematisch; in ähnlicher Weise kann vom Um-
auf Seiten der Protagonisten oder des Publikums wie- stand, dass jemand über einen sexistischen Witz
der als ausgeglichen und gerecht erscheint (vgl. Fuhr- lacht, nicht auf eine entsprechende Gesinnung in der
mann 1976); in Cervantes’ Don Quijote (1605/1515) Lebenswelt geschlossen werden (vgl. ebd. mit Bezug
greift der Titelheld arglose Pilger tätlich an und es auf de Sousa 1987). Die Gewaltszenen in Pulp Fiction
wird in naturalistischer Drastik geschildert, wie er sind durch Übertreibungen ironisch markiert, tragen
20 Komik, Gesellschaft und Politik 145

parodistische Züge mit Bezug auf den ›hard boiled‹- Dorfer, Alfred: Satire in restriktiven Systemen Europas im
Stil, etwa der Krimis von R. Chandler, und zum ande- 20. Jahrhundert. Wien 2011. http://othes.univie.ac.
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2006. 2007). Der Zusammenhang von Humor und Macht ist
Zander, Hans Conrad: Darf man über Religion lachen? Eine in der Forschung bislang zu stark ignoriert worden
Kreuzfahrt von Voltaire über Wilhelm Busch bis zu Joachim
(vgl. Dunbar u. a. 2012). R. Lakoff fasst die Vorurteile
Kardinal Meisner. Köln 2005.
Zijderveld, Anton C.: »A Sociological Theory of Humor and zusammen, die sich auf den Punkt bringen ließen:
Laughter«. In: Lothar Fietz u. a. (Hg.): Semiotik, Rhetorik »Women have no sense of humor« (Lakoff 1975, 56).
und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Auch Freud (1905/1985, 102) spricht nur Buben die
Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegen- Lust am Unsinn zu (nicht Kindern im Allgemeinen).
wart. Tübingen 1996, 37–45. Die Einschränkung der weiblichen Komik und des
Arne Kapitza weiblichen Gelächters reichte von der Abwertung und
Nichtbeachtung ihrer künstlerischen und alltäglichen
Komikpraktiken, von ihrer Verbannung in den pri-
vaten Raum bis hin zur negativen Stereotypisierung in
der Humorforschung selbst (vgl. Kotthoff 1988/1996;
Crawford 1995; Kotthoff 2006b; Figl 2010). Beispiels-
weise waren von Beginn der Filmgeschichte an Frauen
vor und hinter der Kamera tätig, saßen im Publikum,
bestimmten auf beiden Seiten die kinematographi-
sche Rezeption entscheidend mit. Dennoch zählt die
Geschichte der frühen Filmkomik bisher fast nur
männliche Darsteller auf, darunter M. Linder, Ch.
Chaplin oder H. Lloyd. »Max« oder »Charlie«, selbst
der Italiener »Polydoro«, sind dem Publikum dem-
nach in frühen Filmtiteln geläufig, weniger dagegen
»Lea«, »Leontine«, »Rosalie« oder »Gigetta«. Neben
prominenten Namen wie Asta Nielsen oder Ossi Os-
walda stößt man daher in C. Preschl auch auf zu ent-
deckende Persönlichkeiten wie Gigetta Morano und
Sarah Duhamel (vgl. Preschl 2008, 74 ff.). Ähnliche
Verhältnisse zeigt L. Porter (2012) für die britische
Geschichte komischer Filme.
Förster (2013) porträtiert 19 Autorinnen und Kom-
ponistinnen, die zwischen 1901 und 1935 für das Ka-
barett und andere Unterhaltungsgenres arbeiteten. Mit
dabei sind bekannte Namen wie Else Lasker-Schüler

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_21,


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148 II Methodische Zugänge zum Komischen

und Mascha Kaléko, aber auch viele heute vergessene Holmes 2000/2006), er kann sexistisch sein (vgl. Mul-
Künstlerinnen wie die Komponistin und Vortrags- kay 1988), traditionellen Sexismus aber auch karikie-
künstlerin Käthe Hyan, die mit ihrem Mann H. Hyan ren (vgl. Kotthoff 2006b).
das Berliner Kabarett Silberne Punschterrine gründete,
sowie die Autorin und Pianistin Marita Gründgens,
die kleine Schwester von Gustav Gründgens. 21.1 Stabilität und Wandel
B. Figl hat acht namhafte österreichische Kolum-
nistInnen, KarikaturistInnen und Fernsehkabarettis- In den westlichen Gesellschaften gibt es verschiedene
tInnen mittels ExpertInneninterviews zum Zusam- Anzeichen für einen zaghaften Wandel in der Ge-
menhang von Humor und Geschlecht in den Medien schlechterpolitik des Humors. Die historisch überlie-
befragt. Einer Meinung sind sich diese dahingehend, ferte generelle Inkompatibilität der Inszenierung von
dass sich weiblicher und männlicher Humor unter- Weiblichkeit mit aktivem und gar aggressivem Scher-
scheidet. Frauen dürften – gesellschaftlich betrachtet zen beginnt sich allmählich aufzulösen. D. h. nicht,
– nur ein kleineres Scherz-Spektrum bedienen als dass Gender gar keine Größe von Relevanz mehr für
Männer. Damit hätten sie sprachlich weniger Mög- Scherzaktivitäten wäre, es heißt nur, dass Geschlech-
lichkeiten, sich humoristisch zu äußern. Viele Schie- terordnungen kontextuell unterschiedlich hergestellt
nen, derer sich Männer im Humor bedienen könnten, werden. Die Krassheit des alten Musters vom aktiv
passten nicht zum herkömmlichen Bild einer Mittel- scherzenden Mann und der rezeptiv lächelnden Frau
schichtfrau. Derb-sarkastisches z. B. sei für Frauen ta- findet sich in der westlichen Welt nur noch selten (vgl.
bu, werde von Männern aber gerne produziert. Kotthoff 2004/2006b; Bing 2007). N. Dunbar u. a.
Große internationale Witzsammlungen belegten bis konnten beispielsweise zeigen, dass Frauen in experi-
in die 1970er Jahre, dass ein großer Teil der Witze auf mentell manipulierten Settings humoristisch aktiver
Kosten von Frauen ging (vgl. Dundes 1965/1987; Leg- waren als Männer, wenn es in einer Gruppe mit einem
man 1968; Fine 1976). Das wurde inzwischen ana- Fremden darum ging, im Rahmen einer Aufgabe ein
lysiert und problematisiert (vgl. Huffzky 1979); es ist neues Problem zu lösen. Dem Humor dieser Frauen
ein männerkritisches Witzrepertoire entstanden (vgl. schrieben die ForscherInnen eine Verbindungsfunk-
Bing 2007, alle Web-Seiten mit Witzen im Internet, wie tion zu (vgl. Dunbar u. a. 2012).
z. B. witzuniversum.de, beinhalten auch männerkriti- Diese Funktionszuschreibung findet sich oft zur
sche Witze). D. Zillmann und H. Stocking (1988/1996) Scherzkommunikation in reinen Frauengruppen (vgl.
haben in psychologischen Experimenten gezeigt, dass Kalcik 1975; Makri-Tsilipakou 1994; Hay 2000/2001).
Frauen in der Rezeption von Witzen, die sowohl nied- Verschiedene ForscherInnen diskutieren Funktions-
liche Figuren beinhalten (wie etwa Hasen) als auch ag- zuschreibungen anhand von Transkripten aus Inter-
gressive Tendenzen haben, ihren Humorgenuss eher aktionen. J. Holmes stellt viele Episoden aus der neu-
mit dem Niedlichen verbinden als Männer. seeländischen Arbeitswelt vor und zeigt dabei auch,
Viele Komikerinnen und Kabarettistinnen sind wie Frauen sich durch Humor in der Rolle der Chefin
inzwischen im öffentlichen Raum aktiv (vgl. Rogler gleichzeitig als Autorität inszenieren können und
1995) und repräsentieren eine historisch völlig neue doch Rollendistanz kommunizieren:
Bandbreite an Humorstilen und -themen. Gleichwohl
stellen sie in den Massenmedien insgesamt noch eine »Cla.: Smithy and I have roles that may seem to
Minderheit dar. Zudem äußerte ein großer Teil der overlap
deutschen Presse sich gleich zu Beginn von »Anke La- and we just wanted to make it clear where they did
te Night« (Sat 1) kritisch, als Anke Engelke zur ersten overlap
deutschen Late Night-Moderatorin gekürt wurde (vgl. and where they didn’t overlap [drawls]: um:
Kotthoff 2006a). Umgekehrt unterhält ein Komiker Smithy’s the project manager
wie Mario Barth sehr erfolgreich ein Massenpublikum he’s responsible for coordinating the project…
mit extrem binär zugespitzten Geschlechterstereo- and: he’s there to make sure that everything we do
typen (vgl. Kotthoff 2012b). while on on the project fits into that big picture .. my
Humor ist in unterschiedlichen Dimensionen gen- role is
derisiert, denen im Folgenden nachgegangen wird. I’m responsible I need to deliver to the rest of [name of
Humor in Text und Gespräch kann kulturelle Asym- the organization]
metrien sowohl bestätigen als auch unterlaufen (vgl. so in a way I’m the person you’re doing this for ()
21 Humor und Geschlechterverhältnisse 149

[general laughter] Abneigung gegen die Zielscheibe, wird er/sie den Witz
Smi: because in effect you’re working for for /two diffe- genießen. J. Cantor (1976) konnte nachweisen, dass
rent +\ Frauen und Männer die gleichen Witze lustiger fan-
Cla: /two masters\ den, wenn sie auf Kosten einer weiblichen Person gin-
Smi: two different masters gen. Männer solidarisierten sich mit ihren Ge-
Cla: so when you’re on the project where you’re wor- schlechtsgenossen, Frauen sich aber nicht mit ihren.
king for the master A. Drucker u. a. (2014) haben mit experimentellen
and when you’re working on the normal job you’re Rezeptionsstudien gezeigt, dass heutige Männer (die
working for me Studie wurde in Israel durchgeführt) sarkastische Be-
Smi: yeah merkungen witziger finden als Frauen. Dieser Befund
Mar: the queen deckt sich mit ähnlichen von vor dreißig Jahren. Frau-
XF: the queen en finden heute sarkastische Bemerkungen am lustigs-
[general laughter] ten, wenn Frauen sie auf Kosten von Männern äußer-
Smi: /the queen is a customer for the project\ ten. Heutige Frauen sind somit besser als die Genera-
[laughter]« tion ihrer Mütter in der Lage, sich mit ihrem Ge-
(Holmes 2006, 59 f., Transkription ohne Zeilenzählung). schlecht im Humorgenuss solidarisch zu zeigen.

Clara ergeht sich explizit und deutlich in einem Mo-


nolog über ihre Verantwortlichkeiten. Insofern insze- 21.2 Humorentwicklung bei Kindern
niert sie einen eher männlichen Führungsstil (vgl.
Holmes 2006, 61). Gleichzeitig lässt sie es zu, von den In der Erforschung kindlicher Interaktionen traten in
Teammitgliedern lachend als Königin bezeichnet zu den 1980er Jahren genderisierte Unterschiede in der
werden und lacht mit. Sie weist diese Zuschreibung Art des Humors krass hervor. P. McGhee hat im Laufe
nicht ab, sondern lässt sie souverän auf sich beruhen. groß angelegter Studien zur Humorentwicklung bei
Insofern erlaubt sie ihren Untergebenen riskante Kindern herausgefunden, dass sich am Ende des Vor-
Sprechaktivitäten und gibt sich damit nahbar. schulalters zwischen Mädchen und Jungen starke Un-
Viele ForscherInnen verwenden heute Methoden terschiede zeigten (vgl. McGhee 1976a, b/1979/1980;
der Humorforschung, die besser geeignet sind, subtile Kotthoff 1995a). Er ging in seinen Studien der Frage
Arten des Witzelns und Scherzens zu erfassen. Die dis- nach, wann und in welcher Form in der Entwicklung
kursanalytischen Methoden der Analyse von Humor von Mädchen und Jungen Unterschiede erkennbar
werden seiner Dialogizität eher gerecht als frühere La- werden und womit diese zusammenhängen könnten.
borstudien oder impressionistische Wiedergaben von Jungen waren im Schulalter in gemischten Gruppen
Beobachtungen oder Beschränkungen auf schriftliche häufiger in der Rolle der Spaßinitiatoren zu finden und
Repräsentationen von Witzen. Mädchen mehr in der Rolle der sog. Spaßrezipienten.
Geschlechterrelevante Themen und Attributionen Etwas verkürzt könnte man sagen: Ab dem Schulalter
sind auch in den scherzhaften Interaktionsformen machten die Jungen mehr Witze, Albereien und Clow-
manchmal im Vordergrund der Interaktion, z. B. bei nereien und die Mädchen lachten häufiger. In ge-
witzelnder, sexueller Anmache (vgl. Alberts 1992), bei mischten Gruppen lachten die Mädchen mehr als in
sexistischen Witzen (vgl. Mulkay 1988), bei sexisti- den reinen Mädchengruppen. In einer Kindergarten-
schen und spaßig gemeinten Zwischenrufen zu den studie stellt auch A. Haas (1979) fest, dass die Jungen in
Reden von Parlamentarierinnen (vgl. Burckhard den gemischten Gruppen verstärkt Späße machten
1992) oder auch bei mokant-abwertender Bericht- und die Mädchen darauf reagierten. Die Mädchen fin-
erstattung über Politikerinnen (vgl. Bendix/Bendix gen an, die Knaben in ihren dominanten Rollen zu be-
1992) in den Massenmedien. Oft bleiben sie als Habi- stätigen. Sowohl die Jungen als auch die Mädchen
tus-Phänomene (im Sinne Bourdieus; vgl. Bourdieu passten ihr Verhalten gängigen Rollenerwartungen an.
1979/1982) im Hintergrund der Interaktion. Bereits im Kindergartenalter waren die Unterschie-
Für den Humorgenuss spielt es gemäß der Disposi- de im Scherzverhalten zwischen Mädchen und Jungen
tionstheorie (vgl. Zillmann/Cantor 1976) eine Rolle, schon schwach ausgebildet. Um den Schuleintritt he-
welche Einstellung/Disposition der/die Rezipient(in) rum ging die Schere noch weiter auseinander (vgl.
in Bezug auf die humoristische Zielscheibe unterhält. McGhee 1979). Verschiedene Faktoren wirken dabei
Solidarisiert er sich mit dem Angreifer und hegt eine zusammen. Verrücktspielen, Faxen machen, Herum-
150 II Methodische Zugänge zum Komischen

albern usw. werden schon früh von den Erwachsenen T. Huuki u. a. (2010) zeigen in einer sieben Jahre
bei Mädchen eher eingeschränkt, da das als jungen- lang an finnischen Primar- und Sekundarschulen
haft empfunden wurde. Ein Grund für Geschlechter- durchgeführten, groß angelegten Interaktionsstudie,
unterschiede, wie stark oder schwach sie auch je nach dass für Jungen riskante verbale und nonverbale Hu-
Kontext ausfallen mögen, hat mit der gesellschaftli- morformen eine Ressource für die Aushandlung von
chen Erlaubnis zu tun, Aggression zu zeigen. Jungen kultureller Männlichkeit darstellen. Vor allem status-
nutzen Humor u. a., um sich als ›kleine Bosse‹ in der hohe Jungen überschreiten mit ihrem Humor oft all-
Clique aufzuspielen (vgl. Huuki u. a. 2010). gemeine Akzeptanzgrenzen. Sie machen andere Kin-
Mit etwa sechs Jahren sind Kinder intellektuell fä- der offensiv lächerlich und haben die Lacher auch bei
hig, sprachliche Doppeldeutigkeit wahrzunehmen, Grenzen überschreitendem Humor noch auf ihrer
was eine Voraussetzung darstellt für viele Arten ver- Seite. Die Studie vermittelt Einsichten in die komple-
balen Humors (vgl. McGhee 1980). In diesem Alter xen Zusammenhänge von Humorformen, Gender,
zeigten Jungen mehr »silly rhyming, naughty words, Gewalt, Alter und sozialem Status. Vor allem Gewalt
(playful) untrue or incongrues statements, and so wurde oft in einen spaßigen Rahmen gekleidet, was
forth« (ebd., 209) und sie übten sich mehr als Mädchen den Widerstand für die Opfer der Späße besonders er-
im Witzeerzählen. schwerte. Jungen, die auf humoristische Angriffe hin
Jungen konkurrieren auch mit Witzen, in späterem nicht kontern konnten, schmälerten ihren Einfluss in
Alter auch mit sexuellen Witzen (vgl. Fine 1990). der Gruppe (vgl. ähnlich auch Fine 1990).
Ebenso kamen nonverbale Späße wie Verrücktspielen Oft werden Jungen und Mädchen auch von den Er-
und Clownspielen in McGhees Studien signifikant wachsenen mit anderen humoristischen Inhalten kon-
mehr von Seiten der Jungen. Auf der Feindseligkeits- frontiert. SoziolinguistInnen zeigen, wie über Necken
skala rangierte der Humor der Jungen ebenfalls im kulturelle Werte vermittelt werden. Die Mädchen wur-
Durchschnitt höher (vgl. Huuki u. a. 2010, die diesen den in den Studien von A. Eisenberg (1986) und B. B.
Trend bestätigen). Buben reproduzieren oftmals in Schieffelin (1986) häufig von männlichen Verwandten
ihrem Humor eine Hackordnung. Die kleinen Bosse damit geneckt, hässlich zu sein. Die Necksequenz lief
amüsieren sich mittels Frotzelei und Sarkasmus über dann nach einigem Hin und Her darauf hinaus fest-
weniger populäre Kinder. zustellen, dass sie doch hübsch seien. So wurde den
Einige neuere Studien zeigen insgesamt schwache Mädchen implizit auch der zentrale Wert des Hübsch-
Unterschiede im Scherzverhalten von Mädchen und seins für ihre Identitätsentwicklung (im Sinne eines
Jungen unter ihresgleichen (vgl. Bönsch-Kauke 2003) Indexikalisierens von Gender) verdeutlicht.
und die humorstilistische Anpassung aneinander ist im
gemischtgeschlechtlichen Kontext eher wechselseitig
(vgl. Lampert/Ervin-Tripp 1998/2006). M. Bönsch- 21.3 Humor und »indexing gender«
Kauke (2003) entdeckt im Humor von Schuljungen oft
kämpferische Themen und Fantasiegestalten sowie Im Rahmen von Scherzkommunikation amüsieren
obszöne Wörter. Bei Mädchen fand sie viele humoristi- wir uns nicht nur, sondern betreiben auch Image-
sche Chaostechniken, z. B. ›solange reden, bis man arbeit, stellen soziale Ordnung her und vieles mehr.
Recht hat‹, bzw. sein Gegenüber durch Nonsens ver- Dabei gibt es heute keine einfachen Assoziationen
wirren. Ihre Scherzthemen seien oft Liebesangelegen- von Scherzpraktik und sozialem Geschlecht mehr.
heiten und das Äußere (vgl. ähnlich auch Branner Wir können aber weiterhin verfolgen, dass soziale Sti-
2003). Bönsch-Kauke sieht auch Geschlechterunter- lisierungen hier als sehr spezielle Wissensgrundlagen
schiede in der Rezeption von herausforderndem Hu- verwendet werden, um sich selbst als ein bestimmter
mor. Jungen stecken verletzende Humorbemerkungen Typus zu präsentieren oder in Performances soziale
eher weg, während Mädchen leichter schmollen. In ge- Typen zu erzeugen. Für die Rekonstruktion der Rele-
mischter Gesellschaft frotzeln amerikanische Mädchen vantsetzung von Gender lässt sich mit dem interpreta-
mehr als unter sich und Jungen zeigen mehr Scherz- tiven Ansatz der Indexikalisierung arbeiten (vgl. Kott-
formen auf eigene Kosten (vgl. Lampert 1996). Bei bei- hoff 2012a), der auch nicht-exklusive und indirekte
den Geschlechtern nehmen im Kontakt miteinander Beziehungen zwischen stilistischen Merkmalen,
also Verhaltensweisen zu, die in gleichgeschlechtlichen Sprechaktivitäten und sozialen Kategorien, z. B. derje-
Gruppen eher typisch für das jeweils andere Geschlecht nigen von Gender, erfassen kann. Das Konzept des
sind (vgl. Ervin-Tripp/Lampert 1992). »indexing« ist in der Lage, Kopplungen und Ko-Arti-
21 Humor und Geschlechterverhältnisse 151

kulationen verschiedener identitätsbezogener Rele- Nietz 1980; Groth 1992; Schnurr 2008). Zumindest
vantsetzungen zu erfassen. partiell gilt soziale Einflussnahme sowohl für das
Da gerade das sexuelle Witzeln für Frauen his- Witze-Erzählen als auch für spontan kreierte witzige
torisch tabu war, lässt es sich heute nutzen, um die ei- Bemerkungen als einer der Gründe neben anderen.
gene Progressivität zur Schau zu stellen und weibli- Viele kennen die Situation, in der der Chef eine ko-
ches Draufgängertum zu inszenieren. mische Bemerkung macht und alles brüllt vor La-
Freud (1905/1985) hatte noch behauptet, dem chen, obwohl kaum jemand den Scherz wirklich gut
Weib sei der Genuss von sexuellem Humor fremd, fand. Solche Szenen reproduzieren das soziale Gefäl-
weshalb sich die zotig-witzige Rede nur aus Männer- le. Die meisten Scherze erfüllen mehrere Funktionen
mund auf Kosten der Frau finde. Freud hat hier his- gleichzeitig. Statusniedrige dürfen am ehesten witzig
torische Erscheinungsformen der Geschlechterpolitik sein, wenn dies auf eigene Kosten geht, wenn sie sich
unzulässig anthropologisiert (vgl. Apte 1985, 68 f.). also selbst als Zielscheibe anbieten. Scherzkommuni-
Junge Männer können das so oft für Frauen belegte kation kann geradezu zum Indikator für das Ausmaß
Scherzen auf eigene Kosten nutzen, um ein Macho- an Hierarchie werden. Chefs und Chefinnen, die an
Image von sich zu weisen (vgl. Lampert/Ervin-Tripp einer flachen Hierarchie und an symmetrischen Be-
2006), brave Mittelschichtsmädchen können in ihrer ziehungen mit den unter ihnen Stehenden interessiert
Pflege von sehr kooperativen Formen des Scherzens sind, können dies indizieren, indem sie Anweisungen
indexikalisieren, dass sie tatsächlich ›die netten Mäd- scherzhaft modalisieren und eigene Schwächen be-
chen von nebenan‹ sind (vgl. Branner 2003; Ardingt- witzeln (vgl. Schnurr 2008).
on 2006). Vor allem in Spielfilmen und Fernsehserien Coser (1960/1988) hat ihre Humorstudie Ende der
werden die Kapazitäten des Humors für die Kreation 1950er Jahre mit Tonbandaufnahmen von Fakultäts-
spezifisch genderisierter Figuren genutzt (vgl. Har- sitzungen einer amerikanischen, psychiatrischen Uni-
wood/Giles 1992; Davies 2006). Besonders draufgän- versitätsklinik durchgeführt. Diese Studie soll als his-
gerischen Figuren wird auch ein solcher Stil mit einem torisches Ausgangsdokument dienen für weitere Be-
Humor des Angriffs zugeordnet; untergeordnete oder trachtungen der Status-Dimension in der Scherzkul-
sehr freundliche Personen scherzen auf eigene Kosten tur. Es ist beim gegenwärtigen Stand der Forschung zu
und zeigen viel Unterstützungslachen. vermuten, dass sich Statusordnungen heute nicht im-
mer so gradlinig in der Scherzstruktur zeigen wie da-
mals (vgl. Holmes 2000; Holmes/Marra 2002). Humo-
21.4 Dimensionen von Gender ristische Statusreproduktion ist aber durchaus noch
in manchen Kontexten der Fall (vgl. Burckhard 1992;
21.4.1 Status
Pizzini 1996).
Wer witzig ist und andere zum Lachen bringt, hat, wie An den 24 Besprechungen auf der Station der psy-
R. Coser (1960) sagt, für einen Moment die Situati- chiatrischen Uniklinik, die Coser auf Tonband mit-
onskontrolle. Mit witzigen Bemerkungen kann man schnitt, nahmen drei Fachärzte und Professoren der
die gesamte Szene umdefinieren, wenigstens für kur- Psychiatrie teil, zwei Psychiatrieprofessorinnen, sechs
ze Zeit. Insofern ist Scherzen in offiziellen Situationen einfache Ärzte in Facharztausbildung (männlich)
an einen gewissen Situationsstatus gebunden und und sechs andere Mitarbeiterinnen (Schwestern und
kann diesen Status auch kreieren. Scherzkommuni- Therapeutinnen). Von den insgesamt 103 Witzen
kation funktioniert dann eher als Machtbestätigung während dieser Arbeitsbesprechungen gingen 53 auf
denn als Subversion. Grundsätzlich kann man im das Konto der statushöchsten männlichen Professo-
Scherz die soziale Rangordnung sowohl bestätigen als ren, 33 auf das der Ärzte und nur vier wurden von den
auch unterlaufen. anderen Mitarbeiterinnen gemacht, von denen drei
Verschiedene Studien zum Scherzen in Institutio- Schwestern waren, zwei Therapeutinnen und eine So-
nen und in der Arbeitswelt zeigen: Je statusniedri- ziologin.
ger die Witzrezipienten, umso eher würdigen sie den Von den 103 witzigen Bemerkungen waren 86 sol-
Witz von Statushöheren mit dem erwarteten Geläch- che, die eine Zielscheibe hatten. In Cosers Studie wur-
ter (vgl. Pizzini 1996). Humor, Witz und Gelächter de nur auf Kosten der jeweils in der Hierarchie niedri-
sind durch und durch soziale Phänomene. Formen geren gescherzt, z. B. auch über die abwesenden Pa-
von Scherz sind als Instrumente sozialer Einfluss- tienten. Die fünf statushohen Frauen zeigten diesen
nahme verschiedentlich behandelt worden (vgl. z. B. Humor auf Kosten von Anderen nicht. In den offiziel-
152 II Methodische Zugänge zum Komischen

len Situationen der Mitarbeiterbesprechung scherzten in der Forschung ein Blick auf Geschlechterverhält-
die Frauen fast gar nicht. Es war mit dem Rollenbild nisse oft schlicht fehlt.
der späten 1950er Jahre nicht vereinbar, ein solch ris- Auch im deutschen Bundestag war die Inter-
kantes Verhalten an den Tag zu legen. Bei den inoffi- aktionsordnung in den 1990er Jahren recht patriar-
ziellen Treffs haben sie laut Coser einen sehr starken chal. Dort fallen die männlichen Abgeordneten oft
Sinn für Humor gezeigt. durch ironische Zwischenrufe auf, welche Solidari-
Man muss eine bestimmte Art des Humors (z. B. tätsgelächter von anderen Männern zumindest aus
Humor auf eigene Kosten) nicht als stabilen Persön- der Fraktion des Zwischenrufers bewirken. Frauen er-
lichkeitsfaktor sehen, der beispielsweise vom Trieb- halten als Rednerinnen mehr Zwischenrufe als Män-
schicksal kreiert wurde, sondern zunächst als situatio- ner und v. a. mehr spaßig gemeinte. In einer Auswer-
nell gewählte Ausdrucksform, mit der der/die Hu- tung der Stenographischen Bundestagsprotokolle der
morproduzentIn eine Facette seiner/ihrer Identität letzten Jahre schildert A. Burckhard (1992) u. a. fol-
zeigt. Bis in die 1980er Jahre hinein gibt es viele ähn- gende Zwischenrufe während der Reden von Frauen:
lich krasse Befunde aus der Arbeitswelt.
Spradley/Mann (1975) studierten beispielsweise »Sie sehen besser aus als Sie reden, Frau Kollegin!«
die Scherzkommunikation der Angestellten in einer (Herr Glos von der CDU/CSU an Frau Martiny-Glotz
amerikanischen Bar. Die Frauen waren alle Servierin- (SPD])
nen, die Männer Barkeeper. In der Welt der Bar wur- »Zur Sache, Schätzchen.« (CDU/CSU-Abg. an Frau
de ihnen ein höherer Status zugeschrieben, aber Schoppe [Grüne])
gleichzeitig waren sie auch auf die Frauen angewie- Präsident Barzel: »Das Wort hat die Abgeordnete Frau
sen. Spradley/Mann kennzeichnen den Humor der Beck-Oberdorf«.
Barkeeper als auf Kosten der Serviererinnen gehend. Zuruf von der CDU/CSU: »Sie hat sich extra die Jeans
Oft bewitzelten sie anzüglich und herablassend das angezogen«.
Äußere der Serviererinnen. Sie schafften es auch, Be- Als die Grüne Abgeordnete Sieglinde Frieß eine Ar-
stellungsfehler, die sie selbst gemacht hatten, scher- beitszeitverkürzung mit dem Argument forderte, dass
zend den Frauen in die Schuhe zu schieben. Mulkay dann Männer stärker in die Hausarbeit eingebunden
(1988) kommentiert diesen Humor der Barkeeper als werden könnten, erhält sie von Hinsken (CDU/CSU)
verachtend. Die Servierinnen redeten unter sich viel den Zwischenruf: »Haben Sie zu Hause überhaupt ei-
über die gemeinen Scherze der Kollegen, sahen sich nen Mann?« (Burckhard 1992, 296, 301)
aber nicht in der Lage, diese zu verhindern.
Auch spätere Studien aus Bereichen der Arbeits- Burckhard stellt fest, dass gerade gegenüber Frauen
welt zeigen, dass die in der Hierarchie am höchsten unernste Zwischenrufe häufiger gemacht werden.
Stehenden sich gegenüber unter ihnen Stehenden be- Diese Zwischenrufe enthalten oft, wie auch die prä-
stimmte Formen von gewagtem Scherz mehr he- sentierten Beispiele, Anspielungen an die sexuelle
rausnehmen. So verdeutlicht z. B. W. Schüttes Arbeit oder physische Identität der Frauen. Die Herren er-
zur Scherzkommunikation unter Orchestermusikern gehen sich daraufhin in Gelächter. Die humorspezi-
(1992), dass sich der Dirigent das Recht herausnimmt, fische Inkongruenz, liegt darin, dass für die Frauen
Musikeraktivitäten mit sarkastischen Bemerkungen im Bundestag eine Identität relevant gemacht wird,
zu bewerten. Auch Lehrer tun dies mitunter. Sar- die normalerweise im politischen Kontext keinen
kasmus ist eine aggressive Form der Ironie und indi- Platz hat. E. Goffman diskutiert in Forms of talk
ziert ein bestehendes Machtgefälle (vgl. Schütte 1991, (1981) ein ähnliches Beispiel, in dem Präsident Ni-
336 ff.). Für den Dirigenten ist Sarkasmus aber trotz- xon unter dem Gelächter aller Reporter eine Journa-
dem ein Verfahren der Vermeidung eines offenen listin fragt, warum sie Hosen trüge; Röcke gefielen
Konfliktes und der Sicherung der Kooperation bei di- ihm besser. Goffman schreibt, hier werde »gender
vergenten Ansprüchen und Interaktionserwartungen. politics« (Goffman 1981, 124) gemacht. Für die Jour-
Immerhin gibt es schärfere Formen von Kritik als sar- nalistin oder unsere deutschen Bundestagsabgeord-
kastische. In dem von Schütte untersuchten Orchester neten wurden Eigenschaften fokussiert, die jenseits
sind Musikerinnen in der absoluten Minderzahl. Sie von Beruf und Arbeitswelt liegen und dem Image
treten scherzend anscheinend nicht in Erscheinung. von beruflicher Kompetenz abträglich sind. Scherze
Jedenfalls erwähnt Schütte sie mit keinem Wort. Al- auf Kosten von Frauen können subtile Ausschluss-
lerdings begegnen wir hier auch dem Umstand, dass mechanismen darstellen.
21 Humor und Geschlechterverhältnisse 153

J. Holmes hat 1996–2000 in Neuseeland im Rah- trotzdem dem Teamgeist und dem sozialen Zusam-
men ihres Projektes Language in the Workplace 330 In- menhalt förderlich waren.
teraktionen in Ministeriumsabteilungen aufgezeich- Rees/Knight (2010) haben die Interaktionen zwi-
net (vgl. Holmes 2000; Holmes/Marra 2002). Ihr Team schen ÄrztInnen, Studierenden und PatientInnen am
unterscheidet repressive und subversive Formen von Krankenbett im Bezug auf die Konstruktion von
Humor; erstere werden von Höhergestellten ein- Gender und Identität durch Lachen analysiert. Am
gesetzt, um ihre Macht abzusichern. Die Zweit- Krankenbett führen die Studierenden der Medizin ihr
genannten verwenden Untergebene, um die Autorität Können am Patienten vor und werden dabei von den
der Statushöheren herauszufordern. Sie unterschei- ÄrztInnen begutachtet und begleitet. Sehr oft insze-
den weiterhin Grade in der Kollegialität von Humor, nieren die drei Parteien einen spielerischen Rahmen
dem sich keine spezifische Machtkomponente ein- (vgl. Kotthoff 1998); die PatientInnen necken die Stu-
schreibt (vgl. Holmes 2006). Ohne genaue Zahlenver- dierenden oder umgekehrt. In ihrem Artikel dis-
hältnisse anzugeben, bringt Holmes (2006) doch viele kutieren sie Frotzelszenen, in denen die Ärzte die Stu-
Beispiele, in denen Frauen als Chefinnen und auch als dierenden aufziehen (und dabei ihre professionelle
Untergeordnete scherzen. Chefinnen verpacken z. B. Überlegenheit kommunizieren) und auch solche von
Kritik und Aufforderungen in Scherzform. Holmes sexuell konnotiertem Necken der Medizinstuden-
(2000) zeigt, dass in asymmetrischen Arbeitsbezie- tinnen durch männliche Patienten, die sich so mit
hungen der Humor sehr oft von den Mächtigen ein- männlichen Doktoren oder Studenten symbolisch
gesetzt wird, um die Kontrolle zu behalten und gleich- verbinden und genderrelevant setzen. In einer Szene
zeitig kollegial zu wirken. Untergebene erlauben es sagt beispielsweise der Arzt zum Patienten, dass die
sich hin und wieder, Marotten ihrer Chefs und Che- Studentinnen jetzt sein Herz untersuchen werden
finnen, wie z. B. deren übertriebene Computerbegeis- und »wenn sie etwas anderes tun, lassen Sie mich das
terung oder ihr dauerndes Zu-Spät-Kommen humo- wissen«. Der Patient antwortet. »Da wäre ich ja froh«
ristisch zu attackieren. (Rees/Knight 2010, 3389; Übers. von H. K.), was eine
Gerade die Forschung der Gruppe um Holmes sexuelle Anspielung darstellt und von Doktor und Pa-
deutet an, dass erstens die weibliche Zurückhaltung tient mit Lachen quittiert wird. Die beiden Autorin-
in Sachen Scherz in der Arbeitswelt der Mittel- nen analysieren die spezifische Identitätspolitik sol-
schicht nachlässt, und dass zweitens auch auf Kosten cher Interaktionssequenzen.
anwesender Höherstehender gewitzelt wird (vgl. Humor hat immer eine sozialindikative Potenz.
Holmes/Marra 2002), sich also subversive Formen Den Humor auf Kosten anderer assoziieren wir mit
von Humor in der Arbeitswelt durchaus finden, sozialer Überlegenheit, den auf eigene Kosten mit Un-
wenn auch nicht sehr häufig. S. Schnurr (2008) be- terlegenheit – es muss aber immer die längere Inter-
schäftigt sich anhand der Aufnahmen aus dem neu- aktionsgeschichte berücksichtigt werden. Mit solchen
seeländischen Projekt mit zwei Fallstudien von Ab- Assoziationen spielen Interagierende im Alltag. Sie
teilungsleiterinnen. Diese beiden statushohen Frau- werden nicht unbedingt geradlinig umgesetzt.
en minimieren mit ihrem Humor Statusdifferenzen, Als die Humorforschung vor 30 Jahren anfing, sich
was tendenziell ihre Autorität gefährden kann. Sie mit Geschlechterprägungen im Humor zu beschäfti-
spielen oft witzelnd ihr Wissen und Können herun- gen und z. B. Unterhaltungen bei Müttertreffs und
ter, lassen aber auch Frustration mit Humor heraus. Kaffeeklatsch mit Stammtischen verglichen wurden,
Insgesamt hilft ihnen ihr Humorstil den Balanceakt wurde deutlich, dass das Bewitzeln eigener Schwä-
zu vollbringen, Kriterien heutiger kultureller Weib- chen sich unter Frauen großer Beliebtheit erfreut (vgl.
lichkeit und beruflichen Anforderungen als Chefin Jenkins 1985). Viele Frauen sind wahre Meisterinnen
zu genügen. darin, eigene Schwachstellen amüsant zu verpacken
Holmes/Stubbe (2003) weisen auf Unterschiede im (vgl. Kotthoff 2000). Mit einem solchen Humor
Scherzverhalten der Geschlechter an geschlechtssepa- kommt man sich näher. Er ist aber nicht geschlechts-
raten Arbeitsplätzen hin. Weibliche Vorgesetzte sind exklusiv. In auf Kompetition setzenden Kontexten der
sogar besonders aktiv darin, längere Scherzsequenzen Arbeitswelt ist er vergleichsweise selten. Der Chef al-
zu entwickeln, die die Gruppe und eine kollegiale Ar- lerdings, der sich als gleichberechtigter Kumpel zu er-
beitsatmosphäre bestätigen. In klassisch männlich ge- kennen geben möchte, kann dies genau dadurch be-
prägten Kontexten von Fabrikarbeit fanden sie he- kunden, indem er zum Lachen über sich einlädt, sei
rausfordernde, angreiferische Humorformen, die aber es, dass er seine Unfähigkeit einen Fotokopierer zu be-
154 II Methodische Zugänge zum Komischen

dienen, zelebriert, sei es sein häufiges Zuspätkommen wie so oft zentral für die konversationelle Selbstinsze-
(vgl. Holmes 2006; Kotthoff 2006b). Lampert/Ervin- nierung von Frauen und Männern.
Tripp (2006), die in Kalifornien Humorstile junger Gerade der Humor mit Biss wird von unterschied-
Leute miteinander vergleichen, stellen fest, dass bei lichen Gruppen der Gesellschaft nicht auf gleiche
jungen Männern das Witzeln auf eigene Kosten sig- Weise praktiziert. Was sich von Gruppe zu Gruppe
nifikant zunehme, sobald sie mit jungen Frauen in unterscheidet, sind Angriffsniveau, Frotzelthemen,
Kontakt sind. Untereinander witzeln sie eher auf Kos- Arten des Reagierens und der Bezug zur sozialen
ten von anderen. Das ist statusaufbauend. Sie hätten Hierarchie. Aus Gruppen junger Männer aus unte-
aber gemerkt, dass der Scherz auf eigene Kosten auf ren Schichten wird verschiedentlich von einem sehr
Frauen sympathisch wirke. Wer über sich witzeln hohen Angriffsniveau beim Aufziehen berichtet.
kann, kommt nicht als Macho herüber. Der Herr muss 12–14-jährige Baseball-Spieler, wie die von G. Fine
dann nicht Herr der Lage sein und das indiziert Rol- (1990) in USA über Jahre hinweg beobachteten, zogen
lendistanz zum patriarchalen Männerbild. sich offensiv mit Defiziten ihres Äußeren auf, machten
schlechte Spieler vor aller Augen lächerlich, bewitzel-
ten auch die Freundinnen von einigen mit lächerlich
21.4.2 Spott, Frotzeln, Humor mit Biss
machenden Bemerkungen. Dies ging so weit, dass
Humoristische Aggression, die Bestandteil vieler Ar- Jungen, deren Freundin dauernd verspottet wurde
ten von Frotzeln, Sich-Mokieren, Parodie, Verarschen (z. B. als nicht schön genug), sich auch von diesen
und Lächerlich-Machen ist, ist geschlechtsrelevant. Mädchen trennten; die mokanten Scherze greifen also
Wir können auf Kosten von Leuten witzeln, sie gera- ziemlich tief in deren Leben ein. Einige dieser Phäno-
dezu herunterputzen oder ihre Schwächen vor Publi- mene finden sich auch in einer Gruppe junger männ-
kum preisgeben. Während direktes Herabsetzen von licher Skater in Deutschland (vgl. Hartung 2000; Dep-
Menschen den Höflichkeitsnormen der meisten Ge- permann/Schmidt 2001). Interessant ist in Jungen-
sellschaften widerspricht, sind humoristische, indi- gruppen allerdings auch, dass schlagfertige Gegen-
rekte Scherzangriffe viel schlechter festzumachen. Der angriffe und gezieltes Kontern hoch geschätzt werden.
Scherzangriff erlaubt schließlich generell den Rück- Wer diese Fähigkeiten beherrscht, kann in der Cli-
zug darauf, dass wir den Angriff nicht ernst gemeint quenhierarchie aufsteigen. Scherzhafte Angriffe und
hätten. Diese Mehrdeutigkeit des Scherzhaften bedeu- Gegenangriffe finden in vielen Gesellschaften auch ri-
tet aber nicht, dass Menschen nicht trotzdem Grade tualisiert statt, mit immer denselben Themen, meist
an Aggressivität unterscheiden können. obszöner Art; oft sind auch gleiche Reaktionen er-
Je deutlicher die aggressive Tendenz im Scherzen laubt, die dann natürlich nicht mehr sonderlich origi-
ist, umso weniger wurde die Aktivität von Frauen nell sind. Oft ist auch die Hierarchie in der Scherz-
betrieben. M. Apte fasst die ethnologische Forschung kommunikation akzeptiert. Mächtige Jungen bewit-
aus vorindustriellen Gesellschaften so zusammen, zeln dann machtlose wieder und wieder in derselben
dass sich Frauen an den Scherzgattungen mit aggres- Konstellation. Die Themen drehen sich oft um Se-
siv-sexueller Färbung, wie z. B. dem verbalen An- xualität, das Hereinlegen von Leuten, das Verspotten
griffsspiel (»verbal duelling«, Apte 1985, 70) nicht be- von Autoritäten, Kämpfe mit anderen Jungen, Sport.
teiligten. Muster humoristischer Angriffe wurden in ›Dissen‹ ist eine neue Kommunikationsform der
vielen Gesellschaften ritualisiert und als verbale An- spielerischen verbalen Aggression (vgl. Deppermann/
griffsspiele eher unter Männern praktiziert (vgl. La- Schmidt 2001a): Rülps-Tiraden scheinen immer wie-
bov 1972; Dundes/Leech/Özkök 1972; Gossen 1976; der Spaß zu machen, grobe Anreden an die ganze
Tertilt 1997). In Männer- und Jungencliquen spielt Gruppe wie ›ey Ihr Fotzen‹ (womit männliche und
auch heute der witzige Schlagabtausch eine größere weibliche Wesen angesprochen werden können,
Rolle als in Mädchen- und Frauencliquen (vgl. Bran- durchaus auch in freundschaftlicher Manier) oder
ner 2003; Deppermann/Schmidt 2001a/2001b). H. ›Du druffes Stück Scheiße‹ (vgl. ebd.) können, je nach
Kotthoffs (1995b) Forschung zu scherzhaften ver- Kontext, auch beim fünfzigsten Mal noch mäßige Hei-
balen Duell-Ritualen in Georgien weist diese auch terkeit erzeugen, wobei darin auch bemerkbar ist, dass
eher als männliches Terrain aus. E. Folb hat für die sich der amüsante Tabubruch darauf verlässt, dass es
USA gezeigt, dass Frauen öffentlich keine verbalen Tabus in der Ausdrucksweise und in Themen (z. B.
Duelle betreiben; unter sich praktizierten sie aber sehr Ausscheidung, Drogen, Sexualität) noch gibt. Scherz-
wohl ähnliche Formen. Der Faktor Öffentlichkeit ist kommunikation ist nicht notwendigerweise originell.
21 Humor und Geschlechterverhältnisse 155

Witze drehen sich außer um Sexualität auch noch um


21.4.3 Milieuunterschiede in der Privatwelt
Krankheiten, Ärzte, Altern und den als defizitär emp-
Unter erwachsenen Männern und Frauen in Deutsch- fundenen Körper.
land spielen schichten- und altersspezifische Unter-
schiede eine große Rolle, die aber in der Soziolinguis- »Frau N.: Altes Ehepaar, hochbetagt, schon jahrlang
tik bislang wenig erforscht wurden. Gesprächsaufnah- nix mit Sex. Uff einmal liegt der Alde im Bett, da is ihm
men aus zwei Mannheimer Frauengruppen (eine Mit- halt des wierder einmal eingefallen, gell? – ›Hab schon
telschichts- und eine Unterschichtsgruppe) zeigten lang gefickt nimmer…‹ Dann hat er an seiner Alten en
insgesamt starke Unterschiede in den konversationel- bißl rumgemacht, dann hat die gsagt: ›Hör uff, ich
len Stilen dieser Frauen (vgl. Keim/Schwitalla 1989), hab’s im Kraiz!‹ Un der war e bißl schwerhörig, dann
die sich auch im Bereich des Scherzens auswirken. hat er gesacht: ›Is gut, dass du mir das gesacht hast, ich
Keim/Schwitalla berichten, dass die Unterschichts- hätt se noch an der alten Stell gesucht.‹« (Streeck
frauen beim Auffordern und Insistieren viel direkter 1988/1996, 60)
vorgehen würden als die Mittelschichtsfrauen, welche
auch im Durchschnitt etwas jünger waren. Kompli- Manchmal werden wir beim Lesen ZeugInnen dessen,
mente wurden auch unterschiedlich gehandhabt (vgl. wie diese älteren Frauen indirekt das negative soziale
Schwitalla 1995); die Mittelschichtsfrauen spielten Image der alten Frau unterlaufen. Witze, welche Lust
Komplimente in ihren Reaktionen eher herunter und auf Identifikation weckten, ernteten das stärkste Ge-
die älteren Unterschichtsfrauen reagierten eher mit lächter. In dieser Gruppe wurden sexuelle, partner-
spielerischer Selbstüberhöhung im Stile von ›immer schaftliche und finanzielle Probleme nie offen dis-
isch die so gut ist‹, gesprochen im Mannheimer Dia- kutiert; aber in ihren Witzen und witzigen Anekdoten
lekt. Diese witzigen Reaktionen können auch als vermittelten sich die Frauen ihre Erfahrungen, Werte
Elemente eines Humorstils gesehen werden. Die Frau- und Widerstandsformen und hielten dadurch auch
en aus der Arbeiterklasse verwendeten viele spaßige die Gruppe zusammen.
Routineformeln und figurative Phrasen in ihren Die Forschung über diese Mannheimer Frauen-
Gesprächen. Diese sind mitunter nicht besonders gruppen zeigt, dass es recht starke Unterschiede gibt
freundlich. So nennen sie bekannte Männer aus ihrem im Scherzverhalten der Frauengruppen. Auch bei er-
Viertel, die oft Verhältnisse mit Frauen haben, z. B. wachsenen Männern ist von einer Milieuspezifik aus-
»Beddflasch mit zwei Ohre« (Keim 1995, 387) und die zugehen, die nicht einfach einem Schichtenmodell
Bewohner der Altstadt nennen sie »Wanzeburger« entspricht, sondern mit der Kreation von Lebensstilen
(ebd.), was auf die ihnen unterstellten Hygienedefizite zu tun hat. Humor kann für symbolische Distinktion
anspielen soll. Phrasen, wie »bei denne kumme die genutzt werden. Insgesamt wurde der Zusammen-
Meis mid verheilde Aache die Trebbe runner« (ebd.) hang von Humor und Lebensstil in der Soziolinguistik
besagen, dass diese Leute so arm seien, dass nicht ein- bis heute selten erforscht.
mal die Mäuse Nahrung fänden. Solch kurze soziale
Kategorisierungen werden von allen Mitgliedern der
21.4.4 Sexualität und romantisches Interesse
Gruppe auf Anhieb verstanden und werden häufig
von Gelächter begleitet. Heiterer Klatsch ist nach Vor allem auf dem Gebiet des sexuellen Humors hat-
Keim/Schwitalla (1989) eine zentrale Aktivität in die- ten Männer in der Geschichte kulturübergreifend grö-
ser Gruppe. Die Mittelschichtsfrauen verwenden sol- ßere Freiheiten (vgl. Apte 1985). Noch heute laufen
che frechen, formulaischen Charakterisierungen Frauen, die in gemischter Runde Sex-Witze von sich
überhaupt nicht. geben, Gefahr, als ›leicht zu haben‹ eingeschätzt zu
Ältere Mannheimer Seniorinnen (zwischen 60 und werden (vgl. Bing 2007).
75), deren Runden in der gleichen Studie zu Kom- Frauen erzählen sich untereinander durchaus Sex-
munikation in der Stadt (Leitung: Kallmeyer) auf- Witze (vgl. Nardini 2000), die sie einem gemischten
gezeichnet wurden, erzählten einander auch derbe Publikum nicht darbieten würden. G. Nardini hat ihre
Sexwitze. Streeck (1988/1996) analysierte eine solche Studien in einem Chicagoer Club italienischer Damen
Witzrunde, welche bei einem Freizeittreffen im Senio- betrieben. Sie genießen untereinander die Perfor-
renheim von den Frauen aus der Unterschicht präsen- mance des Witzes ebenso wie seine Doppeldeutigkei-
tiert wurde. Auf den ersten Blick ist man sehr verwun- ten und Tabuverletzungen. Auch R. Barrecca berichtet
dert. Solche Witze erzählen sich ältere Damen? Viele von der weiblichen ›Untergrundaktivität‹ (Barrecca
156 II Methodische Zugänge zum Komischen

1992, 151) des Erzählens und Genießens von Sex-Wit- siert über den Scherz eines Mannes zeigten, deute
zen. Bing (2007) hält für Witze aus der Frauenbewe- dies gleichzeitig auf ihr Interesse an diesem Mann
gung fest, dass sie neben einer amüsanten Pointe fast hin. Für beide Geschlechter spiele Humor in der An-
immer auch noch Einsichten in gesellschaftliche bahnung sexueller und romantischer Kontakte eine
Machtverhältnisse mitliefern. Sie thematisieren nicht Rolle; Männer verstärken bei Interesse am Partner die
nur Sex, sondern auch Sexismus. Dazu ein deutsches aktiv-humoristische Seite, Frauen die rezeptiv-humo-
Beispiel: ristische.

»Sie war bei der neuen Gynäkologin und schwärmt ih-


21.4.5 Lachen
rem Ehemann vor: ›Das ist eine sehr patente und sym-
pathische Frau. Sie hat mir gesagt, ich hätte ja eine Menschen nutzen das Lachen vielfältig als Ressource
Haut wie eine Dreißigjährige.‹ Er daraufhin: ›Und was zur Gestaltung von Interaktionen (vgl. Mulkay 1988;
hat sie über Deinen fünfzigjährigen Arsch gesagt?‹ Sie: Partington 2006). Es war hauptsächlich der Konver-
›Ach. Über Dich haben wir gar nicht gesprochen.‹« sationsanalyse vorbehalten, diesen initiativ-kreativen
Potenzen von Lachen empirisch auf die Spur zu kom-
Vor allem in der Psychologie beschäftigen sich For- men (vgl. Jefferson 1979).
scher auch mit Zusammenhängen von Humor und Einige empirische Interaktionsstudien (vgl. z. B.
Partnerwahl. R. Lippa (2007) führte unter Teilneh- Duncan/Fiske 1977) zeigen, dass Frauen in ganz un-
merInnen des BBC Internets (119.733 männlich und terschiedlichen Situationen mehr lachen als Männer.
98.462 weiblich, 53 Nationen) eine Befragungsstudie Sprecherseitiges Initiallachen wird in vielen Kontex-
durch, welche von 23 genannten Merkmalen sie in ten als Aufforderung zum Mitlachen interpretiert.
der Partnerwahl für primär bedeutsam, sekundär Frauen zeigen diese unterstützenden Reaktionen auf
oder tertiär bedeutsam hielten. Übergreifend ergaben initiales Lachen hin häufiger als Männer (vgl. dazu
sich folgende Nennungen als primär: Intelligenz, Hu- auch Jefferson 2004). Darüber hinaus integrieren sie
mor, Ehrlichkeit, Freundlichkeit, gutes Aussehen, Lachpartikeln in verschiedenste Äußerungstypen, so
schönes Gesicht, Werte, Kommunikationsfähigkeit auch in Kritik. Einer lachend vorgebrachten Kritik
und Anhänglichkeit. Im Durchschnitt gaben Männer wohnt ein Abschwächungspotenzial inne (vgl. Kienzle
gutes Aussehen und hübsches Gesicht häufiger an als 1988/1996). Derart doppelkodierte Botschaften ma-
Frauen (d = 0.55 und 0.36 entsprechend); Frauen chen durchaus Sinn und sollten nicht vorschnell als
platzierten Ehrlichkeit, Humor und Anhänglichkeit weibliche Unterordnung oder Unsicherheit oder Höf-
als gewünschte Partnereigenschaften höher als Män- lichkeit interpretiert werden.
ner (d = 0.23, 0.22, 0.18, und 0.15). Differenzen in der Insgesamt hat Lachen für die Gestaltung von Inter-
sexuellen Orientierung waren kleiner als Geschlech- aktionen eine große Bedeutung (vgl. Kotthoff 1998,
terunterschiede. Männer platzieren Humor weiter Glenn 2003; Merziger 2005). Abschließend mag der
unten als Frauen in den Listen der gewünschten Part- Befund genügen, dass der am stärksten vertretene
nereigenschaften. Für Frauen gehört kulturübergrei- Lachtyp im Alltag nicht das herausplatzende Amü-
fend Humor zu den besonders gewünschten Eigen- siergelächter ist, sondern das soziale Lachen, welches
schaften des Partners/der Partnerin. Solche Befra- die unterschiedlichsten Funktionen erfüllt. Initiales
gungsbefunde interpretieren Psychologen manchmal Lachen im Kontext von Problemdarstellungen kom-
in einem darwinistischen Licht, z. B. wenden Wilbur/ muniziert, dass die Erzählerin gewillt ist, die Proble-
Campell (2011, 919) die sexual selection theory auf me leicht zu nehmen. Reaktionslachen ist in diesem
Aussagen von Frauen an, die sich als Partner aktive Kontext in der Regel nicht präferiert, sondern eher in-
Humoristen wünschen. Die Produktion von Humor haltliches Eingehen auf die erzählten Probleme (vgl.
sehen sie als Fitness-Indikator, der es Männern erlau- Jefferson 1984). Witzige Geschichten werden oft la-
be, andere persönliche Qualitäten mitzuvermitteln. chend erzählt und evozieren Mitlachen. Beim Necken
In zwei Studien zu online dating advertisement fanden und Frotzeln lachen zwar die AngreiferInnen, aber
sie Belege für die größere humoristische Aktivität von die im Scherz Angegriffenen rechtfertigen sich in der
Männern in der Kontaktanbahnung an eine Frau von Regel erst ernsthaft für das ihnen attribuierte Fehlver-
Interesse und bei Frauen belegen sie mehr »apprecia- halten, bevor sie mitlachen und die witzige Potenz
tion of humor as a signal of interest« (Wilbur/Cam- goutieren. G. Jefferson (1984) hat beobachtet, dass
pell 2011, 924). Wenn Frauen sich besonders amü- Obszönitäten oft durch Lachpartikeln geradezu ver-
21 Humor und Geschlechterverhältnisse 157

steckt werden. Sie werden aber durch dieses indexika- Dunbar, Norah E. u. a.: »Humor use in power-differentiated
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160 II Methodische Zugänge zum Komischen

22 Die Komik der Kultur kommt Widerstand gegen rassistisch-kulturalistische


Stereotypen ins Spiel. Schließlich gilt es, die Komik
Komik entzündet sich durch Reibung. Die Begeg- der Integration und Desintegration im türkisch-deut-
nung mit Fremdem kann irritieren, überraschen und schen Kontext herauszuarbeiten. Dabei erschließen
nicht zuletzt belustigen. Die Beobachtung und Deu- sich die Grenzen von Satire und Komik in einer Welt-
tung ungewohnter Erscheinungen und Verhaltens- öffentlichkeit, die von beschleunigter Zirkulation
muster sind seit alters Gegenstand der Reiseliteratur, durch Internet, soziale Medien und mobile Techno-
später der Ethnologie und Kulturwissenschaften, aber logien geprägt ist.
eben auch der Komik. In der »Vogelperspektive« Anhand von Beispielen wird gezeigt, wie Komik
(Simmel 1992, 767) des Fremden werden gesellschaft- praktische und theoretische Impulse verbindet. In der
liche Konventionen sichtbar. Ein Bewusstsein von Praxis kann Komik soziale Verbindlichkeiten, Gepflo-
Kultur als kodifiziertem System kollektiver Verbind- genheiten und Gewissheiten aufs Korn nehmen, ins
lichkeit entsteht im Kontakt mit abweichendem Aus- Absurde ziehen und durch Gelächter kippen. In ihrem
sehen, Kleidung, Verhalten, Habitus und Sprache; dynamischen Wechselspiel zwischen Inklusion und
Gruppenidentität formiert sich durch Vergleich und Exklusion wirft Komik darüberhinaus theoretische
Abgrenzung. Komik speist sich aus diesem Spiel zwi- Fragen auf, die den Begriff von Kultur selbst sowie
schen Identität und Alterität; brisant wird sie dann, sinnstiftende Erzählungen und Rituale von kultureller
wenn sie ungleiche Machtverhältnisse ins Visier Identität, Gemeinschaft und Integration grundsätz-
nimmt. lich in Frage stellen. Komik – sowie ihre kulturwissen-
Komisierung kann entweder im Dienst der Mehr- schaftliche Analyse – entblößen Konventionen und
heit und Herrschaft zum Einsatz kommen, von dieser machen Herrschaftsverhältnisse sichtbar. Daher geht
Warte Außenseiter und Minderheiten bösartig ver- es im Folgenden nicht nur um Komik als Gegenstand
lachen, gewissermaßen nach unten austeilen, oder der Kulturwissenschaft sondern auch um Komik als
aber taktisch nach oben spucken, indem sie Auto- Bühne der Verhandlung von Wissen und Kritik an
ritätsfiguren in ihrem Aufwand als lächerlich ent- herkömmlichen Konventionen, Kategorien und Per-
blößt, sich im Lachen mit den Machtlosen verbündet spektiven.
und die Verbindlichkeit sinnstiftender kultureller
Normen in Frage stellt. Die Mobilisierung kultureller
Unterschiede im Spiel der Komik wirft folgende zen- 22.1 Zur sozialen Dynamik von Komik:
trale Fragen auf: Wer lacht in bestimmten Situationen mit Dr. Freud im Eisenbahnabteil
mit wem über wen und warum? Wer wird lächerlich
gemacht und ausgeschlossen? Kommen in der Belus- Die Unterscheidung zwischen Verlachen und Mit-
tigung Ablehnung und Hohn zum Ausdruck oder ein lachen beschäftigt die Komiktheorie seit Aristoteles,
Prozess der Annäherung und Verwandlung? Und wie für den Komödie als »Nachahmung von schlechteren
geht die kulturwissenschaftliche Analyse mit Insze- Menschen [...] mit Häßlichkeit verbundene[r] Fehler«
nierungen, Differenzen und Gemengelagen um? Inte- (Aristoteles 1982, 17) als lächerlich vorführt. Freud
ressant wird Komik als Gegenstand der Kulturwissen- entwickelte in seinem Buch Der Witz und seine Bezie-
schaft genau an den Schnittstellen, wo sie Gewisshei- hung zum Unbewußten (1905) grundlegende Katego-
ten über die eigene Subjektivität und kulturell de- rien und Fragen für die Analyse der sozialen Dynamik
finierte kollektive Identität ins Wanken bringt. Dabei von Komik. Freuds Analyse beschreibt die Haupttech-
wird deutlich, dass die Bedeutung von Komik sich im- niken der Witzarbeit als Verdichtung, Verschiebung
mer durch den Kontext erschließt. und indirekte Darstellung, vergleichbar der Traum-
Im Folgenden werden zunächst anhand von Freuds arbeit. Die Energien der Witzarbeit zirkulieren nach
jüdischen Witzen einige Grundzüge der sozialen Dy- Freud in einem Dreiecksverhältnis mit drei Instanzen,
namik von Komik in Minderheiten- und Mehrheits- dem Urheber, dem Adressaten und der dritten Person,
verhältnissen in Szenarien von Mobilität und Migrati- die als Objekt der Witzattacke dient und an der unter-
on erörtert. Anschließend geht es um den Erkenntnis- schwellige Aggressionen abgelassen werden: »Der
wert komischer Subjektivität, die vermeintlich stabile tendenziöse Witz braucht im allgemeinen drei Per-
Positionen, Selbst- und Fremdbilder zum Kippen sonen, außer der, die den Witz macht, eine zweite, die
bringt. Durch die komische Verkehrung des ethno- zum Objekt der feindseligen oder sexuellen Aggressi-
graphischen Blicks in postkolonialen Figurationen on genommen wird, und eine dritte, an der sich die

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_22,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
22 Die Komik der Kultur 161

Absicht des Witzes, Lust zu erzeugen, erfüllt« (Freud men der Psychoanalyse oder Komiktheorie viele Wor-
1999a, 109). Besonders deutlich wird diese Lustöko- te. Sowohl bei Freud als auch in der Forschungslitera-
nomie bei der Zote, dem sog. Herrenwitz. Die Lust am tur über ihn kommt eines kaum zur Sprache: nämlich
Witz beruht auf Erleichterung und Ersparnis an psy- die Ambivalenzen der Migration. Das lässt sich am bes-
chischem Aufwand. Freuds Modell der drei Instanzen ten an einem Witz verdeutlichen, den Freud in seinem
ist von grundlegender Bedeutung, um in komischen Buch wiedererzählt:
Situationen die Inszenierung und das Publikum – sei-
en es Gesprächspartner, Leser oder Zuschauer – mit- »Ein galizischer Jude fährt in der Eisenbahn und hat es
zudenken. sich recht bequem gemacht, den Rock aufgeknöpft, die
Freuds Beschreibung der sozialen Dynamik von Füße auf die Bank gelegt. Da steigt ein modern geklei-
Witzen impliziert folgende zentrale Fragen: Wer ist deter Herr ein. Sofort nimmt sich der Jude zusammen,
Zielscheibe der Witzattacke (auf Englisch: »butt of the setzt sich in bescheidene Positur. Der Fremde blättert
joke«)? Welche Bande werden geknüpft zwischen den in einem Buch, rechnet, besinnt sich und richtet plötz-
Erzählern von Witzen und ihren Zuhörern? Wer be- lich an den Juden die Frage: ›Ich bitte Sie, wann haben
teiligt sich an der Lachallianz? Wie funktioniert Ge- wir Jomkipur [Versöhnungstag]?‹ ›Aesoi [Ach so]‹, sagt
meinschaftsbildung durch Feindbildbesetzung einer der Jude und legt die Füße wieder auf die Bank, ehe er
Gruppe und durch gemeinsames Abfließenlassen von die Antwort gibt.« (Freud 1999a, 86)
Aggressionen? Entlädt sich unterschwellige Missgunst
– individuell und kollektiv – durch den Witz als Ven- Die Bevölkerung Galiziens, auch »Halb-Asien« ge-
til? Wie wird in dieser Dynamik, die von Eingemein- nannt, war Ende des 19. Jh.s zu 12 % jüdisch. Die Ei-
dung und Ausschluss bestimmt ist, Rasse, Ethnizität senbahn beschleunigte indes den Aufbruch aus dem
und kulturelle Differenz zugeschrieben, vorgespielt Shtetl und die Migration in die Stadt. Für Großstädter
oder unterwandert? Festigt das Lachen die Grenzen in Wien oder Berlin verkörperten die ›Ost-Juden‹ ei-
der Gemeinschaft oder löst es sie auf? Ist gemein- nen halbzivilisierten Primitivismus. Erhöhte Mobili-
schaftliches Lachen ohne Zielscheibe denkbar? – Es tät der Landbevölkerung gab Anlass zu Irritationen
geht hier nicht in erster Linie um Komödie als Gat- hinsichtlich Kleidung, Benimm und Sprache – Stoff
tung, sondern um Komik als Perspektive, Praxis und für Komik in Bewegung. In dem von Freud zitierten
Prozess. Komische Handlungen und ihre Effekte Witz trifft der Mann vom Lande auf den weltgewand-
zeichnen sich durch hohe Komplexität aus. In der ten Reisenden. Der Mann vom Lande, ein potenziel-
Analyse ihrer Bedeutung gilt es, sie in ihrem jewei- ler Migrant, wechselt in dieser Begegnung rasch den
ligen Kontext zu situieren. Ein Witz kann unterschied- Code und gibt sich gesittet; schließlich muss man sich
liche Bedeutung erzielen, je nachdem an welchem Ort in der Öffentlichkeit unter Fremden anders beneh-
und zu welcher Zeit er erzählt und rezipiert wird, in men als unter Brüdern auf dem Dorf. Bemerkenswert
welchen medialen und interaktiven Rahmen er zirku- ist, dass sich das Moment des gegenseitigen Erken-
liert. Welche historischen und theoretischen Modelle nens in Bezug auf den Referenzrahmen religiöser Fei-
helfen uns weiter bei der Analyse solch vielschichtiger ertage, d. h. Tradition und kulturelles Gedächtnis,
Kommunikationen? einstellt. Der Kosmopolit hat den Kalender in der
Freuds Studie basiert auf einem Korpus jüdischer Hand und beherrscht Techniken der Schrift und Zeit-
Witze, zusammengestellt aus populären Witzbüchern rechnung. Trotz dieser mnemotechnisch überlegenen
und literarischen Werken. Von Heines alias Hirsch- Ausrüstung, kann er sich ironischerweise nicht an das
Hyacinths berühmter Prägung der »famillionären Be- Datum des wichtigsten religiösen Feiertags erinnern,
handlung« (Freud 1999a, 10) durch den Baron Roth- und muss seinen augenscheinlich weniger betuchten
schild bis hin zu Badewitzen, Schnorrerwitzen und und gebildeten Mitreisenden zu Rate ziehen, den
Schadchenwitzen, welche allesamt Ungleichheit in Mann vom Lande, durch die Eisenbahn in seine Nähe
Vermögen und Status sowie die Ökonomie von Insti- gerückt, der an Kleidung und Gebaren als Jude zu er-
tutionen wie Heiratsvermittlung und Ehe ins Visier kennen ist. Durch die Frage durchschaut dieser die
nehmen, werden dabei gesellschaftliche Normen und weltgewandte Eleganz des Kosmopoliten als Maske-
Differenzen unter Juden verhandelt. Über die histori- rade und gewinnt die Oberhand, da er – wie zum
sche Spezifik dieser Komik und die Dynamik einer Schluss angedeutet – die Antwort auf die Frage nach
Minderheit in Bewegung verlieren allerdings weder Jomkipur zu wissen scheint. Allerdings ist auch der
Freud selbst noch die Deuter seines Textes im Rah- Migrant aus dem Shtetl Teil der gleichen Posse; er
162 II Methodische Zugänge zum Komischen

schlüpft in die gesittete Rolle, solange er sich fremder bar eine Analyse des von Freud bereits im vorigen
Gesellschaft wähnt, um die Pose sogleich fallenzulas- Kapitel seiner Abhandlung referierten Eisenbahn-
sen, als er erkennt, dass man doch nur unter sich ist. witzes an:
Die Inszenierung der Begegnung dieser beiden un-
gleichen Juden demonstriert, dass der Schein trügt; »Als Beispiel hierfür kann ich auf die auf S. 86 erwähn-
am Ende gehören sie doch zusammen. Wenn Kleider te Geschichte hinweisen, wie ein Jude in der Eisen-
Leute machen, dann ist daran immer ein Ensemble bahn sofort alle Dezenz des Betragens aufgibt, nach-
beteiligt. dem er den Ankömmling im Coupé als Glaubens-
Sprache ist in diesem Zusammenhang als Diffe- genossen erkannt hat. Wir haben diesen Witz als Beleg
renzsignal ebenso wichtig wie Kleidung. Der Ausruf für die Veranschaulichung durch ein Detail, Darstel-
des Galiziers »Aesoi« identifiziert ihn als Sprecher des lung durch ein Kleinstes, kennengelernt; er soll die de-
Jiddischen und Deutschen mit Akzent. In diesem klei- mokratische Denkungsart der Juden schildern, die kei-
nen Ausruf kommt ein weites Feld von Debatten um nen Unterschied zwischen Herren und Knechten an-
Assimilation zum Tragen: die Kontroverse um Jargon, erkennt, aber leider auch Disziplin und Zusammenwir-
die Mischung von Deutsch und Jiddisch, auch Mau- ken stört.« (ebd.)
scheln genannt. Diese hybride Sprache zentraleuro-
päischer Juden markierte ihren Außenseiterstatus. Das Objekt der von Freud referierten Judenwitze ist
Freuds Vater K. J. Freud war selbst ein Migrant aus Ga- häufig der assimilierte, großstädtische Jude, der sich
lizien und sprach Deutsch mit einem provinziellen seines Akzents und traditionellen Gewands entledigt,
Akzent, der ihn von den Wiener Juden unterschied. um von der Mehrheitsgesellschaft anerkannt zu wer-
Sein Sohn dagegen hatte Status errungen in der Wie- den und sich dabei vom provinziellen Juden, dem Mi-
ner Gesellschaft, die sich nicht zuletzt als Sprach- granten aus Galizien, und nicht zuletzt von der nicht-
gemeinschaft definierte. Die jüdischen Witze, die er jüdischen tendenziösen Karikatur eines Juden distan-
seiner Abhandlung über den Witz zugrunde legt, er- ziert. Die zivilisierte Pose oder Maske ist Gegenstand
zählt er auf Hochdeutsch, durchsetzt allerdings mit der Witzattacke. Der Witz von den beiden Juden im
Spuren der geheimen Sprache der Juden. Eisenbahnabteil ist also eine Entlarvungsgeschichte
Was bewog Freud, den Witz von den zwei Juden auf kultureller Zugehörigkeit und Differenz. Nach S. L.
der Eisenbahn im Rahmen seiner Studie wiederzuer- Gilman übertrug Freud sein Unbehagen an dieser Dif-
zählen? Setzt er auf Komplizenschaft mit seinen Le- ferenz, das sich v. a. auf die komische Sprache der Ju-
sern im Lachen über die dünne Hülle der Assimilati- den konzentrierte, auf die Wissenschaftssprache der
on, die vor Fremden aufrechterhalten, unter Brüdern Psychoanalyse (vgl. Gilman 1986, 259 ff.). Im Herzen
jedoch sogleich fallengelassen wird? Freud betont die von Freuds Projekt einer universalisierenden Moder-
zentrale Bedeutung der Selbstkritik in den jüdischen nisierung und Rationalisierung des Unbewussten,
Witzen: entdecken wir also Ambivalenzen, die aus räumlicher
und sozialer Mobilität erwachsen. Die Reibung ent-
»Es sind Geschichten, die von Juden geschaffen und ge- steht dort, wo der Mann vom Dorf als Migrant mobil
gen jüdische Eigentümlichkeiten gerichtet sind. Die Wit- wird und den reisenden Kosmopoliten, der sich von
ze, die von Fremden über Juden gemacht werden, sind jüdischen Erkennungsmerkmalen distanziert glaubte,
zu allermeist brutale Schwänke, in denen der Witz an seine Herkunft erinnert.
durch die Tatsache erspart wird, daß der Jude den In einem weiteren von Freud zitierten Eisenbahn-
Fremden als komische Figur gilt. Auch die Judenwitze, witz geht es ebenfalls um das Vertrauen innerhalb der
die von Juden herrühren, geben dies zu, aber sie ken- Gemeinschaft:
nen ihre wirklichen Fehler wie deren Zusammenhang
mit ihren Vorzügen, und der Anteil der eigenen Person »Zwei Juden treffen sich im Eisenbahnwagen einer ga-
an dem zu Tadelnden schafft die sonst schwierig her- lizischen Station. ›Wohin fahrst du?‹ fragt der eine.
zustellende subjektive Bedingung der Witzarbeit.« ›Nach Krakau‹, ist die Antwort. ›Sieh her, was du für
(Freud 1999a, 123) ein Lügner bist‹, braust der andere auf. ›Wenn du sagst,
du fahrst nach Krakau, willst du doch, daß ich glauben
An diese Ausführung über Judenwitze und ihre je- soll, du fahrst nach Lemberg. Nun weiß ich aber, daß du
weils unterschiedliche Funktion und Bedeutung un- wirklich fahrst nach Krakau. Also warum lügst du?‹«
ter Juden und unter Fremden schließt sich unmittel- (Freud 1999a, 127)
22 Die Komik der Kultur 163

Freud beschreibt die Technik dieses Witzes als »Wi- 1921). Beleidigende Repräsentationen kulminierten
dersinn« gepaart mit »Darstellung durch das Gegen- in den berüchtigten Karikaturen von J. Streicher im
teil«. Es geht um Wahrheit und Lüge. Witze dieser Art Stürmer, graphischen Illustrationen der Nazi-Dok-
greifen nach Freud »nicht eine Person oder eine Insti- trin, die – ebenso wie Hitler in seinen Reden – darauf
tution [an], sondern die Sicherheit unserer Erkenntnis aus waren, Vorurteile zu bestätigen und Hass zu schü-
selbst, eines unserer spekulativen Güter. Der Name ren. Diesem feindseligen Gebrauch geht der von
›skeptische‹ Witze würde also für sie der entsprechen- Freud beschriebene entschärfende Mechanismus der
de sein« (ebd.). Witzarbeit eindeutig ab. Der Sinn von Komik ist
Der gleiche Witz findet sich auch in einem anderen grundsätzlich bestimmt von ihrem Kontext und ihrer
Zusammenhang, erzählt von Hitler in seiner Rede zur wechselnden Dynamik von Einschluss und Aus-
Eröffnung der NSDAP-Versammlung am 19. Dezem- schluss. Komik kann, im Dienste von Herrschaft, die
ber 1927 in München: Grenzen der Gemeinschaft behaupten, indem sie Au-
ßenseiter attackiert, oder, in widerspenstiger Auf-
»Glaubt kein Wort der gegnerischen Presse! Selbst müpfigkeit eben diese kulturellen Grenzen grundsätz-
wenn sie die Wahrheit einmal sagen würde, dann hat lich in Frage stellen, indem sie Ambivalenzen inner-
sie es nicht beabsichtigt! (Heiterkeit.) Es geht ihr wie je- halb der Gemeinschaft beleuchtet und aushandelt.
nem Juden, der mit einem andren nach Posemuckel
fährt und frägt: Itzig, wo fährst du hin? Nach Posemu-
ckel! Itzig, du sagst, du fährst nach Posemuckel, damit 22.2 Rollenspiel und Inszenierung: die
ich soll glauben, du fährst nach Posemuckel, du fährst komischen Grenzen der Gemeinschaft
aber doch nach Posemuckel, also warum lügst du? (Gro-
ße Heiterkeit!).« (Hitler 1992, 584) An anderer Stelle findet sich bei Freud ein Hinweis auf
die Türken in Bosnien. Sie »schätzen den Sexualge-
Der gleiche Witz erzielt in diesem Zusammenhang ei- nuss über alles und verfallen bei sexuellen Störungen
ne ganz andere Bedeutung und Wirkung; hier gilt nur in eine Verzweiflung, welche seltsam gegen ihre Resig-
höhnisches Verlachen. Krakau wird dabei kurzerhand nation bei Todesgefahr absticht« (Freud 1999b, 8). In
zu Posemuckel degradiert, dem hintersten Winkel der dieser höhnischen Bemerkung deutet sich an, dass im
Provinz. In einer anderen Rede titulierte Hitler die Ju- Habsburger Vielvölkerreich auch Anekdoten imperia-
den als »Meister der Lüge« (ebd., 849) mit einem Ver- listischer Prägung im Umlauf waren, die der Abgren-
weis auf Schopenhauer. Verächtlich diffamierendes zung von den ›Orientalen‹ dienten. Die Bedeutung
Gelächter von außerhalb der Gruppe verfestigt Gren- von Rahmen und Kontext in der Mobilisierung von
zen und kann in letzter Konsequenz bis hin zur Recht- orientalistischen Klischees aus eurozentristischer Per-
fertigung von Völkermord reichen. spektive kam hundert Jahre später auch im Streit
Die Witze, über die Freud schrieb, wurden primär um die in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten am
unter Juden erzählt, sozusagen ›unter uns‹ innerhalb 30. September 2005 veröffentlichten Mohammed-Ka-
der Großfamilie. Der Erzähler des Witzes und sein rikaturen zum Tragen. Die Struktur der Kommunika-
Publikum waren Juden, ebenso die Zielscheibe des tion ist hier eine grundlegend andere als in Freuds
Spotts, meist ein ›Ost-Jude‹ aus Galizien, der eine kul- Analysen zum Witz. Der ausschlaggebende Unter-
tivierte Pose vorspiegelt. Obgleich diese Witze häufig schied zwischen den jüdischen Witzen, die Freuds
unterdrückte Aggressionen gegen wohlhabende Glau- Abhandlung zugrunde liegen, und den Karikaturen
bensbrüder oder die Institution der Ehe ventilieren, von Jyllands-Posten oder Charlie Hebdo liegt darin,
haben sie doch in erster Linie gemeinschaftsstiftende dass letztere Diffamierungen und Stereotypisierungen
Funktion. Das Erzählen von Witzen dient als Ventil, von außerhalb der Gruppe vornehmen und damit ein
um Aggressionen innerhalb der Gruppe abfließen zu Bündnis schmieden zwischen den Karikaturisten und
lassen und den Fortbestand der Beziehungen zu ge- den Zeitungslesern zum ›Wir‹ der aufgeklärten west-
währleisten – so wie das Träumen den Träumer wei- lichen Meinungsfreiheit auf Kosten von ›ihnen‹, den
terschlafen lässt. Selbstverständlich bezog sich diese primitiv gewalttätigen und repressiven ›Orientalen‹.
Dynamik innerhalb der sozialen Gruppe auch auf Ste- Eine Karikatur wie etwa die Darstellung vom Kopf des
reotypen, die außerhalb der Gruppe zirkulierten und Propheten als Bombe mit qualmender Zündschnur
eignete sich diese an. Anti-semitische Karikaturen setzt, in ihrem diskursiven Zusammenhang betrach-
sind die abwesende Folie zu Freuds Witzen (vgl. Fuchs tet, eine Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei.
164 II Methodische Zugänge zum Komischen

Der Hohn wurde als Blasphemie aufgefasst und hat um sie zu entlarven. Spiegelman beschloss seinen Es-
bekanntlich zu blutigen Konsequenzen und politi- say zum Karikaturenstreit mit einem Aufruf zu einem
schen Großdemonstrationen geführt. globalen Karikaturenwettbewerb, einer Art Weltbüh-
Im Zeitalter der Massenmedien bleibt kein Witz ne für Maskeraden und Enthüllung, und einem Ruf
lange Privatsache. Ein Witz, der, öffentlich erzählt, an- nach einem »weltklasse Gewinnspiel bitterer visueller
stössig sein könnte, mag hinter verschlossenen Türen Satire mit Haliburton-mäßigen Ausschüttungen!«. Er
unter Freunden akzeptabel sein. Die von Freud gesam- schlägt vor, »dass alle bewaffneten Kämpfer aus dem
melten Witze kamen den Betroffenen (d. h., den Ziel- Nahen Osten hinausgeworfen werden, und träum[t]
scheiben) nicht unbedingt zu Ohren, und wenn, dann davon, dass stattdessen Bataillone von Karikaturisten
konnten sie durch Selbstironie internalisiert werden per Hubschraubereinsatz aus allen Ecken der Welt
(was vielleicht für Freud selbst der Fall war). In Zeiten eingeflogen werden! Zweifellos werden dabei Gefühle
von rasantem Informationsfluss durch Internet, sozia- heftig verletzt, aber am Ende soll der Künstler mit der
le Netzwerke und mobile Technologien dagegen ge- spitzesten Feder siegen« (Spiegelman 2006; Göktürk
langt ein Witz rasch zu seinem Objekt, ja die Zielschei- 2010). Wie Spiegelman in seiner Stellungnahme zum
ben beteiligen sich an der Produktion und Zirkulation Charlie Hebdo-Massaker betont, sind Satiriker »Equal
von rassistischen Stereotypen in dem Bestreben, diese Opportunity Defamers« (Vgl. Spiegelman/Ramadan
bloßzustellen. Imperialistische Machtdynamiken und 2015). Satire kann jeden attackieren, geschont wird
Normativitätsansprüche werden in einem global me- keiner.
diatisierten Kontext immer wieder neu inszeniert und Die jüdischen Witze – und Freuds Analyse – arbei-
multipliziert. Die Wiederholung des Materials in einer ten sich ab an Ritualen und Grenzen der Gemein-
globalisierten Öffentlichkeit konfiguriert neue Publi- schaft. Stereotypen und Zuschreibungen von außer-
ka, in denen die Unterscheidung zwischen ›uns‹ und halb der Gruppe werden aufgegriffen und verarbeitet.
›ihnen‹ unablässig von neuem in Kraft gesetzt und ge- In der komischen Inszenierung und Entlarvung des
legentlich auch verflüssigt wird. vermeintlich Assimilierten offenbaren sich charakte-
Einen treffenden Beitrag zum Karikaturenstreit lie- ristische Verhaltensformen einer Minderheit in Tran-
ferte unterdessen ein Karikaturist. A. Spiegelman sit. Die Figur des Parvenu, sinnbildlich für die (oft
zeichnete für Harper’s Magazine, wo er seinen Essay vergebliche) Überidentifikation der Paria, tritt auch
zum Karikaturenstreit veröffentlichte, als Umschlag- bei H. Arendt auf, wenn sie in ihrem Essay über die
zeichnung eine Karikatur von neun Charakteren mit Exilerfahrung, »We Refugees« (1943), mit trockener
überbetonten Rassenmerkmalen. Ironie über »Mr. Cohn from Berlin« berichtet, der ein
Da ist ein großmündiger, rundäugiger ›Schwarzer‹, 150-prozentiger deutscher Superpatriot war, ab 1933
zwei Würfel neben seinem Kopf rollend; ein gierig bli- in Prag Zuflucht fand, wo er ein treuer tschechischer
ckender ›Jude‹ mit großer Nase, den Mantel voller Patriot wurde. Unter wachsendem Druck der Nazis
Dollarzeichen, sogar der Rauch seiner Zigarre in zog er 1937 weiter nach Wien und wurde zum öster-
Form eines Dollarzeichens; ein kleiner ›Chinese‹ mit reichischen Patrioten, bis er durch die deutsche Inva-
zwei großen Schneidezähnen und breitem Grinsen; sion aus dem Land gedrängt wurde. Paris erreichte er
eine Pin-up Blondine, die Brustwarzen von zwei Strei- zu einem ungünstigen Zeitpunkt, so dass er keine
fen verdeckt (übrigens die einzige Frau in dem En- Aufenthaltsbescheinigung mehr bekam. Dieses büro-
semble); eine ›Rothaut‹ mit Feder und Tomahawk; ein kratische Detail hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich
katholischer Priester mit Schweinchengesicht, der ei- einzureden, dass er den Rest seines Lebens in Frank-
nen verängstigt blickenden Chorknaben angrabscht; reich verbringen würde. Der Rest ist Geschichte. H.
ein ›amerikanischer‹ Gangster wie aus einem Film Arendts Fazit: Solange Mr. Cohn sich nicht entschei-
Noir; ein ›Mexikaner‹ mit Sombrero, Tequila und Pis- den kann, was er wirklich ist, ist nicht vorherzusehen,
tole; und zu guter Letzt das Mittelstück, ein bösartig wie viele verrückte Verwandlungen er noch vollzie-
blickender ›Araber‹, mit Turban und Vollbart, ein hen muss (vgl. Arendt 1994, 116 f.). Die Besinnung
wuchtiges Schwert in der Hand. Die Pointe dieser darauf, wer oder was man ›wirklich‹ ist, fällt – das
Karikatur liegt in der Versammlung all dieser kru- wusste auch Arendt – umso schwerer, je größer der
den Typen auf einer Seite, verziert mit dicken Sprit- Druck zugeschriebener Fremdbilder ist. In Freuds Ei-
zern blutroter Farbe. Dieses Nebeneinander leicht er- senbahnabteil ging es nicht etwa um die Entlarvung
kennbarer Klischeebilder stellt vorgefasste Identitäts- einer essentiellen Missgestalt, die unter dem zivili-
zuschreibungen bloß und mobilisiert Stereotypen, sierten Kostüm hervorbrach, wie etwa in O. Panizzas
22 Die Komik der Kultur 165

Groteske Der operierte Jud (1893). Die Szene gegen- die Freiheit der Disidentifikation und distanziert sich
seitiger Beobachtung und Durchschaung der beiden ironisch von der erwarteten Erfüllung gängiger Ste-
Reisenden ist vielmehr prozessual zu denken als Rol- reotypen. Gerade die Komödien-Bühne erlaubt ein
lenspiel in multiperspektivischer Beobachtung und solches Spiel der Unterbrechung und Destabilisierung
Inszenierung. von Skripten, eine Form der Kritik, die der Verwal-
Jean Paul, auf den sich Freud mehrfach bezieht, tung von Legimität nicht eine ernsthafte politische Po-
schreibt über humoristische Subjektivität: sition entgegenstellt, sondern vielmehr die Absurditä-
ten im vermeintlich rationalen Apparat bloßstellt. In
»Daher spielt bei jedem Humoristen das Ich die erste solch multiperspektivischer Inszenierung von Sinn im
Rolle; wo er kann, zieht er sogar seine persönlichen Ver- Unsinn erkennen wir, nach W. Iser, die Sprengkraft
hältnisse auf sein komisches Theater, wiewol nur, um von Komik als Kipp-Phänomen, wo eine Position die
sie poetisch zu vernichten. Da er sein eigner Hofnarr andere zum Kippen bringt. Iser bezweifelt, dass das
und sein eignes komisches italienisches Masken-Quar- Komische durch begriffliche Oppositionen einzufan-
tet ist, aber auch selber der Regent und Regissör dazu: gen ist: »Daher empfiehlt es sich, Konstellationen des
so muß der Leser einige Liebe, wenigstens keinen Haß Komischen weniger von ihren Positionen, sondern
gegen das schreibende Ich mitbringen und dessen mehr von dem Geschehenscharakter her zu denken,
Scheinen nicht zum Sein machen; es müßte der beste der sich durch die aufeinander bezogenen Positionen
Leser des besten Autors sein, der eine humoristische ergibt« (Iser 1978, 399). Zu einem ähnlichen Schluss
Scherzschrift auf sich ganz schmecken könnte.« (Jean kommen auch S. Lockyer und M. Pickering in ihrer
Paul 1975, 132 f.) Abhandlung zur Ethik und Ästhetik von Komik:

Jean Pauls Ausführungen zur humoristischen Subjek- »Humour goes against the grain, or at least does so in
tivität legen nahe, dass die drei Instanzen, die Freud in its more liberating moments, but it cannot be pinned
seiner Studie zum Witz anführt – der Erzähler, der down to any specific purpose or significance in any of
Adressat und die Zielscheibe des Lachens –, innerhalb its manifestations. It may disturb conventional vision
ein und desselben Subjekts sowie in der Beziehung and help us see things in alternative ways, or confirm
zwischen Leser und Autor ins Spiel kommen können. such vision and drive us deeper into our prejudices.«
Der Rahmen der Inszenierung, die Bühne, auf der die (Lockyer/Pickering 2005, 15)
Rollen im Ensemble gespielt werden, ist bei der Ana-
lyse unbedingt mitzudenken. M. Billig betont ebenfalls, dass eine klare Trennlinie
Die philosophische Prämisse der Aufspaltung des zwischen »disziplinarischer« und »rebellischer« Ko-
Subjekts in widerstreitende Ausrichtungen und Alli- mik nicht eindeutig zu ziehen ist; Gruppengelächter
anzen hat durchaus politische Implikation, gerade geht meist einher mit Peinlichkeit sowie der Herstel-
wenn es um Fragen der sozialen und kulturellen Inte- lung und Bestätigung »sozialer Ordnung« (Billig
gration und Desintegration geht. Sie eröffnet einen 2005, 200–235).
Spielraum der Destabilisierung von Gewissheiten, die Aus anthropologischer Sicht nach Plessner sind La-
sich eindeutigen Zuordnungen und Eingrenzungen chen und Weinen »Grenzreaktionen« (Plessner 1982,
widersetzt. Die Logik von Gruppenidentitäten, ins- 366) in Krisensituationen, die als Antwort auf die Am-
besondere die nationalstaatliche Rhetorik der Zusam- bivalenz der menschlichen Existenz zu verstehen sind.
mengehörigkeit und der Integration von Minderhei- Die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach An-
ten, gehen von vermeintlich homogenen Sprach- oder erkennung durch eine Gemeinschaft im Einklang mit
Religionsgemeinschaften aus. Staatsbürgerschaft wird ihren idealen Normen einerseits und den unvermeid-
durch Herkunft hergeleitet und als kulturelle Identität lichen Abweichungen von diesen Idealen in unserer
innerhalb der Landesgrenzen gefasst. Die Bühnen, auf leiblichen Wirklichkeit andererseits führt notwendi-
denen Zugehörigkeit alltäglich verhandelt wird, hei- gerweise zu Konflikten. In dieser Diskrepanz liegt für
ßen heute Spielplatz und Klassenzimmer, Gerichtssaal Plessner »das Risiko der Lächerlichkeit« und der
und Ausländerbehörde, Arztpraxis und Krankenhaus, »Umkippung ins Komische« (Plessner 2002, 70), vor
Flughafen und Grenzkontrolle, Facebook und Twitter. der kein Ernst sicher ist. Die Unvereinbarkeit von Am-
Der Hofnarr oder Comedian, der als sein eigener Re- bition und Wirklichkeit, von Geist und Körper, die
gent und Regisseur auftritt, ist sich der zugeschriebe- sich etwa in Unbeholfenheit und Automatismen äu-
nen Rollen und Skripte bewusst, nimmt sich jedoch ßert, »hat etwas Lächerliches an sich« und lässt letzt-
166 II Methodische Zugänge zum Komischen

lich jeden als »Karikatur seiner selbst« (ebd., 75) er- on erinnert an die von Freud wiedergegebene ko-
scheinen. In diesen Momenten lächerlicher Diskre- mische Begegnung der beiden Juden im Eisenbahn-
panz zwischen Selbstbild und Fremdbild erschließen abteil, wo der Kosmopolit und der Mann vom Lande
sich die komischen Grenzen der Gemeinschaft. sich ebenfalls gegenseitig beobachten und durch-
schauen. Allerdings werden im Freudschen Witz Po-
sitionen innerhalb einer aufstrebenden Bevölkerungs-
22.3 Verkehrter Blick: (post-)koloniale gruppe verhandelt; das Fazit ist letztlich Zusammen-
Figurationen gehörigkeit. Die von Bhabha und anderen Vertretern
der postkolonialen Theorie beschriebenen Beobach-
Komik als Taktik zur Destabilisierung von Machtver- tungsverhältnisse sind stärker durchdrungen von ras-
hältnissen kommt besonders in kolonialen, postkolo- sistischen Formen der Gewalt. Gemeinsam ist beiden
nialen oder neokolonialen »Kontaktzonen« (Pratt Zusammenhängen die Ambivalenz. Jeder Versuch, in
2003) zum Einsatz. Eine Urfigur der kolonialen Mi- solchen Gemengelagen Identität festzusetzen und
mikry ist Kafkas Affe Rotpeter in »Ein Bericht für Hierarchien aufrechtzuerhalten, enthält bereits Mo-
eine Akademie«, der in seiner Rede vor der Aka- mente des Kippens.
demie von seiner gewaltsamen Gefangennahme an Die Sketch-Comedy-Show Goodness Gracious Me,
der Goldküste durch Hagenbecks Jäger, Schiffspassa- die zunächst auf BBC Radio 4 (1996–1998) und später
ge und Menschwerdung berichtet. Während der lan- im Fernsehen auf BBC 2 (1998–2001) ausgestrahlt
gen Überfahrt erlernt er durch Nachahmung der Ma- wurde, war ein populärer Durchbruch postkolonialer
trosen die Grundformen menschlicher Geselligkeit Komik im britischen Unterhaltungsprogramm (vgl.
wie Spucken, Weintrinken und die Sprache. Die Kar- Gillespie 1995; Emig 2010). Inspiriert ist die Show von
riere auf der Varietébühne wählt er als ›Ausweg‹, vor- P. Sellers’ Brown-Face-Rolle als indischer Doktor an
zuziehen der Zurschaustellung im Zoo, aber nicht zu der Seite von S. Loren in The Millionairess (1960). Ein
verwechseln mit Freiheit. Die Rückkehr an unverdor- anderer Vorläufer ist Bhaji on the Beach (1993), der
bene Ursprünge ist ausgeschlossen; schließlich ge- erste britische Spielfilm, in dem eine Frau indischer
wöhnt man sich an die Annehmlichkeiten einer Ar- Herkunft, G. Chadha, Regie führte. Darin bevölkern
tistenexistenz in der zivilisierten Welt. »Ein Bericht neun junge und alte, allesamt sehr verschiedene Inde-
für eine Akademie« erschien zuerst 1917 in der von rinnen aus Birmingham einen Tag lang das englische
M. Buber publizierten Zeitschrift Der Jude. Mit der Seebad Blackpool und bringen Würze in die englische
Fabel vom menschwerdenden Tier, das der Akademie Populärkultur. Die Koautorin von Bhaji on the Beach
seine Evolutionsgeschichte vorträgt und damit der M. Syal schrieb mit S. Bhaskar und A. Gupta die Sket-
Menschheit einen Spiegel vorhält, lässt Kafka nicht che für Goodness Gracious Me und spielte darin mit
zuletzt ironisch die inneren Widersprüche nationa- Klischees über britische Asiaten oder asiatische Bri-
listischer und zionistischer Utopien von einem ur- ten, Figuren wie etwa den stolzen Eltern, die mit dem
sprünglichen, natürlichen Leben in einer gemein- Schulerfolg ihrer Kinder prahlen, dem besserwisseri-
schaftlichen Heimat anklingen. schen Onkel, der sich in alles einmischt, oder der in-
Nach H. K. Bhabha ist das koloniale Subjekt ein dischen Mama, die bei jeder Gelegenheit erklärt, dass
Imitator (mimic man), in permanenter Oszillation Hausgemachtes besser sei. Ebenso wie in Freuds Wit-
zwischen Nachahmung und Parodie, Anerkennung zen treten auch hier wiederholt Parvenus auf wie etwa
und Spott (vgl. Bhabha 1994, 87). Die Kolonisierten die beiden Ehepaare Cooper und Robinson, die sich
wiederholen die Posen der Kolonisierenden fast, aber gegenseitig in ihrer Assimilation an einen karikatur-
eben doch nicht ganz identisch. In dieser Varianz und haft britischen Habitus überbieten. Die Komik liegt in
Ambivalenz der Mimikry kommt eine Doppelsicht der Selbstironie, welche Konflikte zwischen den Ge-
zum Tragen, die den Reformauftrag der Zivilisation nerationen, zwischen althergebrachten und neuer-
untergräbt und bloßstellt. Dabei wird deutlich, dass worbenen Konventionen durchspielt. In anderen
bereits die Posen der Kolonisierenden mit ihrem ver- Sketchen wird unterdessen der ethnographische Blick
setzten Repräsentationsaufwand weit ab vom Zen- umgedreht und auf Großbritannien gerichtet. Beson-
trum des Imperiums nichts anderes darstellen als ders gelungen ist die Episode »The Delhi Students –
Maskerade (vgl. ebd., 86 ff.). Die Ambivalenz im Backpacks: Rough Guide to the United Kingdom«
Blickwechsel zwischen Beobachtern und Beobachte- (Erstsendung 19. Januar 1998), die Tour einer Gruppe
ten in der kolonialen und postkolonialen Konstellati- von Studierenden aus Delhi, die als Rucksacktouristen
22 Die Komik der Kultur 167

England erkunden und in ihrem Kommentar eine dungen dieses Bergvolks mit seinen eigenartigen
treffende Parodie von naiven Indienreisenden vorfüh- Bräuchen sind sie auf der Suche nach unverfälschter
ren, deren exotisierende Primitivismus-Begeisterung Authentizität. Die eurozentrische Perspektive der eth-
in den Vorstädten Erfüllung findet. Einer der vier Stu- nologischen Forschung, welche die fortschrittliche
denten verkündet am Ende der Reise, er habe seine Moderne für sich beansprucht und die zeitlose Tradi-
neue Heimat gefunden und wolle bleiben. In Verfrem- tion bei den Anderen sucht, wird damit ironisch vor-
dung und Aneignung klingen deutliche Resonanzen geführt und verkehrt.
an zu der Re-Inventing Britain Kampagne des British Die Szenarien des Blickwechsels finden theoreti-
Council, zu deren Konferenz 1998 Bhabha ein Mani- sche Untermauerung in G. Spivaks berühmten Essay
fest lieferte (vgl. Bhabha 1999). Eines ist indes klar: »Can the Subaltern Speak?« (1988). Spivaks Frage
man muss schon angekommen sein, um sich über nach den unerhörten Stimmen der marginalen Sub-
wechselseitige Befremdung lustig zu machen und das jekte (Analphabeten – Männer und Frauen – vom
Land durch Komik neu zu erfinden. Lande, Stammesvölker und das Subproletariat in den
Auch im deutschsprachigen Raum ist das Spiel mit Städten) jenseits der epistemischen Gewalt herrschen-
ethnischen Rollen mittlerweile populär geworden. K. der Eliten war richtungsweisend für nachfolgende In-
Yanar adaptierte das Format von Goodness Gracious terventionen der postkolonialen Kritik (vgl. Spivak
Me für den Sender Sat.1 in seiner Sketch-Komödie 1988, 283; vgl. auch Ashcroft u. a. 2007). Im deutsch-
Was guckst du?! (2001–2005), wo er ein ganzes Spek- sprachigen Kontext adaptierten H. Steyerl und E. G.
trum von Nationalitäten spielte und dabei vor keinem Rodríguez die »Dekonstruktion Europas als imperia-
Klischee haltmachte. Er trat im Zwiegepräch mit sich le[s] Projekt« (Steyerl/Rodríguez 2003, 11) und Spi-
selbst als Hakan und Kaya auf, hetzte als Fahrlehrer vaks Frage in ihrem Buchtitel Spricht die Subalterne
Yıldırım seinen Fahrschüler Winter gegen eine Poli- deutsch? Migration und postkoloniale Kritik (2003).
zeistreife auf, meldete als Pole Olschewski sein Auto Ebenso wie Formate der Sketch-Komödie aus dem
bei der Polizei als gestohlen und wurde ausgelacht, angelsächsischen Raum im Fernsehen in Mitteleuropa
versöhnte als Sirtaki-Mann Streithälse im Tanz und anverwandelt werden, so zirkulieren auch theoreti-
zog in einer anderen wiederkehrenden Rolle als Inder sche Paradigmen über Landesgrenzen hinweg; Komik
Ranjid mit seiner Kuh Benytha über die Bühne. Der und Kritik gehen oft Hand in Hand.
wiederkehrende Sketch als italienischer Gigolo Fran- Die Aktivisten vom antirassistischen, transeth-
cesco, der im Restaurant seine wechselnde Damen- nischen Netzwerk Kanak Attak, gegründet 1998 in
begleitung durch taktlose Beleidigungen noch vor der Frankfurt am Main, bezogen Impulse aus der post-
Bestellung des Essens vergrault, ist deutlich angelehnt kolonialen Theorie und machten sich den Blickwech-
an »Check, please!« – eine Rolle, die S. Bhaskar in sel als politische Taktik zu eigen. Am 6. November
Goodness Gracious Me wiederholt spielte. 2001 wurde in der Philharmonie Köln der vierzigste
Die perspektivische Inversion, wo die Weißen als Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei mit
Exoten mit der Kamera verfolgt werden, wurde bereits prominenten Gästen gefeiert. Kanak TV störte die Par-
1992 im österreichischen Fernsehen von W. Wippers- ty als Fernsehteam, das die ›Inländer‹ auf der Feier ge-
berg in Das Fest des Huhnes als Parodie einer anthro- wissermaßen als ›Ausländer‹ positionierte und sie auf
pologischen Studie präsentiert, wo ein Fernsehteam Englisch interviewte: »Where are you from? ... Do you
vom fiktiven Sender All African Television »das unbe- want to go back? ... Is beating up women part of your
rührte und rätselhafte Oberösterreich« vom Bierzelt culture? ...« (Kanak Attak 2001; vgl. auch Göktürk,
bis zur Kirche erkundet und nach eingehender Erfor- 2009). Diese Intervention gegen die Fetischisierung
schung sozialer Gepflogenheiten und Rituale zu dem von kultureller Differenz auf Kosten anderer gesell-
Schluss kommt, dass das Huhn in dieser Region als schaftlicher Faktoren deckt sich mit der Kritik am Kul-
Kulttier angebetet werde. Dabei werden Muster der turalismus, die aus der Europäischen Ethnologie oder
ethnographischen Beobachtung und Deutung, die üb- Soziologie bekannt ist (vgl. Çağlar 1990; Kaschuba
licherweise auf ›primitive‹ Kulturen angewandt wer- 1995; Hüttermann 2009). In der komischen Inszenie-
den, treffend umgekehrt und auf die hinterwäldleri- rung des verkehrten Blicks werden die öffentliche Dis-
schen Europäer umgemünzt, während die Afrikaner kussion um eine deutsche ›Leitkultur‹ und der alltägli-
als weltgewandte und technologisch versierte Groß- che Rassismus der Einheimischen gegenüber den Zu-
städter Kontrolle behalten über die Kamera und die gereisten ad absurdum geführt und in ihren fragwür-
Diskurshoheit der Interpretation. Bei ihren Erkun- digen Prämissen bloßgestellt. Die Störung der Feier
168 II Methodische Zugänge zum Komischen

macht Leerstellen in der nationalen Gedenkkultur aus unter Deutschen über Ausländer geführt wurde (Gök-
dem Blickwinkel der (post-)migrantischen Erfahrung türk u. a. 2011, 593–595).
sichtbar. Eine kritische Dokumentation und Kontrast- Widerstand gegen den Kulturalismus vorgefasster
montage der zyklisch wiederkehrenden Debatten um Klischeebilder findet sich nicht zuletzt in Filmen, wo
Migration und Integration im deutschsprachigen Kon- Ethnizitäten karnevalistisch als Maskerade vorgespielt
text offenbart nicht zuletzt die Komik der kippenden werden (vgl. Göktürk 2001, El Hissy 2012). Ich Chef,
Positionen (vgl. Göktürk u. a. 2011, 43–149). Die De- Du Turnschuh (1998), eine Produktion des Kleinen
batten über nationale Identität, Migration und Integra- Fernsehspiels beim ZDF, ausgezeichnet mit dem
tion haben Ähnlichkeit mit dem Gesellschaftsspiel Adolf-Grimme-Preis, gewinnt gerade im Zusammen-
›Die Reise nach Jerusalem‹, auch bekannt als Stuhlpol- hang europaweiter Debatten um die sog. ›Flüchtlings-
ka oder Sesseltanz: die Stühle werden wechselnd be- krise‹ und Zuständigkeiten im Asylverfahren neue
setzt und einer muss immer draußenbleiben. Brisanz. Es handelt sich um die zweite Regiearbeit des
Schauspielers H. Kutlucan. In den Eröffnungsszenen
des Films kommt – begleitet von südindischer Pop-
22.4 Szenen türkisch-deutscher musik – ein Bus voller Inder an, während gleichzeitig
Desintegration eine andere Gruppe aus dem Wohnheim getrieben
wird, um in die Türkei abgeschoben zu werden. Alte
In seiner satirischen Kurzgeschichte »Wer ist ein Tür- Migranten müssen Platz machen für die Neuan-
ke?« (1995) beschreibt der Satiriker Ş. Dikmen eine kömmlinge. Ein Mann aus der Türkei beschließt da-
Begegnung im Zug. Ein Autor auf dem Heimweg von raufhin kurzerhand, sich als Inder zu verkleiden, wi-
einer Lesung steigt in ein Abteil, wo ein älteres Ehe- ckelt sich den Schal als Turban um den Kopf und stellt
paar sitzt. Er fragt höflich, ob noch ein Platz frei sei, sie sich zu der neuangekommenen Gruppe. Er ›setzt sich
bejahen, er setzt sich und beginnt, Die Zeit zu lesen. einen anderen Hut auf‹ und eignet sich eine Ethnizität
Als ein ›echter‹ Türke zusteigt, mit handgestrickter an, die in diesem Moment opportun erscheint – die
grüner Weste und Plastiktüten, wehrt die Frau ab, es globale Präsenz indischer Diasporakultur in Kino,
sei kein Platz mehr frei. Als der Autor sie daraufhin Küche oder auch Literatur ist schließlich kaum zu
befragt, gesteht sie, dass sie das Abteil nicht mit einem überbieten (eine ähnliche Mutation vom Türken zum
Türken teilen wolle. Als er sich daraufhin selbst als Inder vollzieht sich auch in O. Engins satirischem Ro-
Türken vorstellt, antwortet sie ungläubig, er könne man Der Kanaken-Gandhi, ebenfalls 1998 veröffent-
keinesfalls Türke sein, er lese doch Die Zeit. Dikmen licht). Kutlucan selbst spielt in Ich Chef, Du Turnschuh
schließt mit scharfer Logik: »Ich weiß nicht, wie viele eine angenommene ethnische Identität: als Armenier.
Zeit-Leser es in Deutschland gibt, einhundert-, zwei- Dudie, dessen Abenteuer von einem schwimmenden
hundert-, drei-, vier-, fünfhunderttausend oder eine Flüchtlingswohnheim im Hamburger Hafen auf die
Million. In Deutschland leben 60 Millionen vermeint- größte Baustelle Europas im Zentrum von Berlin
liche Deutsche. Da nicht alle Die Zeit lesen, denke ich, führten. Dabei spielt der Film mit konkurrierenden
dass die Deutschen, die keine Zeit lesen, keine Deut- ethnischen Identifikationen und unterläuft Fixierun-
schen sind, sondern Türken« (Dikmen 1995, 78f.). Die gen auf vorgegebene Identitäten.
ironische Geschichte über kippende nationale Iden- Verhandlungen um Territorialrechte ziehen sich
tifikationen und das wechselseitige Er-, Ver- und An- durch den gesamten Film. In der Berliner Abrisswoh-
erkennen anhand eines bestimmten Habitus zeigt Re- nung, die Dudie mit einem Ghanaer, einem Iraner
sonanzen mit der Konfiguration in Freuds Eisenbahn- und einem Afghanen teilt, weiß er den wütend nach
abteil. Die Figur des Autors in Dikmens Geschichte der Miete schreienden Vermieter abzuwehren, indem
vereint gewissermaßen den Blickwinkel des Migran- er den Diskurs über kulturelle Differenzen und Eigen-
ten vom Lande mit dem gebildeten Habitus des welt- heiten ironisch persifliert. Er tritt aus dem Schrank, in
gewandten Reisenden und schreibt zurück an die dem er sich versteckt hielt, und auf die Frage, was er
Mehrheitsgesellschaft. In einer Dokumentation von dort getan hätte, antwortet er mit einem kulturalisti-
Debatten um Nation und Migration trägt dieser Text schen Argument: ›Ich habe gebetet. In meiner Religi-
besondere ironische Signifikanz, da viele der Beiträge on betet man im Dunkeln. Ich muss allein sein‹. Dudie
in der Dokumentation aus der Zeit und anderen nam- findet Beschäftigung auf der Baustelle am Potsdamer
haften deutschsprachigen Zeitungen stammen, das Platz, die bevölkert ist von Arbeitern unterschiedli-
Archiv also in erster Linie eine Diskussion erfasst, die cher Herkunft und Hautfarbe – angefeindet nicht zu-
22 Die Komik der Kultur 169

letzt von den bereits ›naturalisierten‹ türkischen Gast- Kino in der frühen Tonfilmzeit beispielsweise von den
arbeitern. In diesen Dialogen und Szenen werden so- Marx Brothers in Filmen wie Monkey Business (1931)
zialrealistische Enthüllungsreportagen aus der Ar- erfolgreich praktiziert wurden (vgl. Göktürk 2000).
beitswelt wie G. Wallraffs Ganz unten (1985) zum Das kleine Fernsehspiel mit seinem Engagement
Gegenstand von Satire. Vor der Kulisse der noch un- für nicht-kommerzielle Filmkultur ermöglichte die
fertigen Reichstagskuppel Sir N. Fosters, die der lee- Produktion dieser anarchistischen Komödie, die im
ren Mitte der wiedervereinten Bundeshauptstadt Ber- Spätabendprogramm des ZDF im Juli 1999 aus-
lin Weltstadtsignatur verleihen wird, beugt sich ein gestrahlt wurde; einen Kinoverleih fand der Film
Türke zum muslimischen Gebet und wird von dem nicht. Angesprochen war in erster Linie ein urbanes
chaotischen Treiben auf der Baustelle immer wieder Mischpublikum, die Hörerschaft des Berliner Senders
unterbrochen. Als die Schwarzarbeiter ihren Lohn Radio MultiKulti etwa. Zahlreiche türkische Einwan-
nicht bekommen, besetzen sie kurzerhand ein Stück derer sprach der Film wohl nicht an. Sie verbrachten
Land und feiern mitten in der Sandwüste eine wilde ihre Abende wohl lieber vor dem Satellitenfernsehen
Grillparty mit ›Bimbo-Musik‹ (so der konsternierte bei Sendungen aus der Heimat. Das Diasporakino
Meister) und drohen mit Gewalt, sollte die Grenze entspricht nicht unbedingt dem Geschmack des Dia-
überschritten und ›ihr Land‹ betreten werden. In die- sporapublikums.
sen Platzkämpfen klingen deutliche Referenzen an auf Ethno-Comedy hat heute im deutschen Fernsehen
die langjährige Debatte über das Grillen im Tiergarten Konjunktur. Filme wie Ich Chef, Du Turnschuh haben
und die Inszenierungen kultureller Vielfalt im Haus dazu beitgetragen, das Gespenst des sprachlosen Gast-
der Kulturen der Welt (vgl. Göktürk u. a. 2011, 355– arbeiters auszutreiben. Einwanderer sind sesshaft ge-
432). Als Dudie wieder auf der Straße steht, ohne Job worden und etablieren sich selbstbewusst in der Stadt
und ohne Wohnung, ›adoptiert‹ ihn das Kind einer und auf der Leinwand. Migranten, die im Kino lange
Deutschen als Ersatzvater. Das Kind wird beim Fri- Zeit als Objekte in Erscheinung traten, agieren – vor
seur ›türkisiert‹, lässt sich die Haare braun färben und und hinter der Kamera – als Subjekte und wissen sich
beginnt prompt, gebrochenes Deutsch zu sprechen. rhetorisch und ironisch zu behaupten. In Kino, Fernse-
Die beiden klingeln bei Frau Dutschke, einer allein- hen und Theater können vielsprachige Künstler sich
stehenden alten Dame, die sie im Park beobachtet ha- aus dem Gefängnis einer paternalistischen Mitleids-
ben, und behaupten, vom Bezirksamt in ihre Woh- kultur befreien, transnationale Allianzen eingehen und
nung eingewiesen worden zu sein. Die Szene spielt an durch ironische Rollenspiele puristisch definierte na-
auf die Einquartierung von Flüchtlingen in der Nach- tionale Kulturen destabilisieren. Im Kino spielte F.
kriegszeit: eine Erfahrung, die Frau Dutschke durch- Akın in seinem Roadmovie Im Juli (2000) mit Grenzen
aus noch gegenwärtig sein dürfte. Nach anfänglichem auf der Balkanroute und inszenierte sich selbstironisch
Misstrauen bilden die drei eine utopische Familie jen- als korrupten Zollbeamten an der ungarischen Grenze.
seits von Geschlecht, Alter und Ethnizität. Doch das Achtzehn Jahre nach seiner Erstausstrahlung ist der
Glück ist nicht von Dauer. Der Film, der mit Ankunft Film wieder aktuell als ironischer Kommentar über ro-
begann, endet mit Abreise. Dudie wird abgeschoben tierende Muster der Aufnahme und Abschiebung von
und zusammen mit dem ›türkisierten‹ deutschen Migranten sowie die Legitimitätsbeweise und Identifi-
Kind in ein Flugzeug gesetzt. kationsverfahren, die Flüchtlingen im Zeichen von
Ich Chef, Du Turnschuh ist nicht zuletzt ein Zeitdo- Frontex, EURODAC und Dubliner Übereinkommen
kument der Gemengelage der Berliner Republik im abverlangt werden. In Gegen die Wand (2004) stieg der
Vorfeld des Regierungsumzugs von 1999 und eröffnet aus Hamburg eingeflogene Protagonist Cahit (Birol
ironische Perspektiven auf Verhandlungen um Grenz- Ünel) am Istanbuler Flughafen in ein Taxi und der Fah-
schutz und Zugehörigkeit im vereinten Deutschland rer entpuppte sich im Gespräch ebenfalls als Deutsch-
und Europa. Durch Humor und Irreverenz im Um- türke, allerdings aus Bayern – eine witzige Erkennungs-
gang mit Identitäten und Autoritäten werden her- szene zwischen Remigranten, die auch in anderen Fil-
kömmliche Konventionen der Repräsentation durch- men durchgespielt wurde. Die Schwestern Y. und N.
brochen und aktuelle Debatten um alte und neue Ein- Şamdereli arbeiteten in Almanya – Willkommen in
wanderer, Asyl, Staatbürgerschaft und nationale Ein- Deutschland (2011) humorvoll Migrationsgeschichte
heit ironisch unterwandert. Der Film weist Parallelen als Familienerinnerung auf und erzielten damit großen
auf zu Traditionen des ›ethnic role-play‹ und der ›an- Publikumserfolg. B. Dağtekin produzierte im Gefolge
archistischen Komödie‹, wie sie im amerikanischen seiner Fernsehserie Türkisch für Anfänger (2006–2008)
170 II Methodische Zugänge zum Komischen

die Schulkömödien Fack ju Göhte (2013) und Fack ju auf den NDR-Song in seiner Sendung Neo Magazin
Göhte 2 (2015), die mit jeweils etwa 7,5 Millionen Be- Royale ein sog. ›Schmähgedicht‹ auf Erdoğan, ge-
suchern an deutschen Kinokassen unter den fünf er- rahmt als Exemplifikation der Grenzen von Satire. Im
folgreichsten Filmen der letzten Jahre sind. Gegensatz zu dem satirischen Video über Erdoğan,
Fragen der Mobilität und Migration sind weltweit das im Grundgesetz mit dem Artikel 5 zur Pressefrei-
in den Brennpunkt der Diskussion gerückt und Ver- heit geschützt sei, führten Böhmermann und sein Si-
teilungskämpfe führen vielerorts zum Erstarken von dekick R. Kabelka das Gedicht, gespickt mit kruden
nationalistischen Denkmustern, die in selbstgerechter Reimen wie »Ziegen ficken/Minderheiten unterdrü-
Nabelschau verharren. Komische Perspektivierungen cken«, als Beispiel für einen Verstoß vor, der auch in
können einseitige Integrationsbestrebungen durch einer Demokratie mit Pressefreiheit nicht erlaubt sei.
wechselseitige Spiegelungen brechen. Auch im Hin- Die Zoophilie und ein starker Sexualtrieb gehören zu
blick auf die neue Comedy-Welle ist allerdings die einem Ensemble von anhaltenden Stereotypen über
Macht der Repräsentation zu berücksichtigen. Im Sin- orientalische Männer, wie bereits Freuds Bemerkung
ne Freuds müssen wir immer fragen: Wer darf wen in zu den Türken in Bosnien zu entnehmen war. In ei-
welcher Form komisch darstellen? Wer lacht hier mit nem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit er-
wem über wen? Wie Kafkas Affe Rotpeter befinden klärte Böhmermann indes, die Quelle für das Ge-
sich Komiker häufig auf einer Gratwanderung zwi- dicht sei das Internet gewesen (Böhmermann
schen Distanzierung als Paria und Anbiederung als 12.5.2016). Die Mobilisierung von gängigen Kli-
Parvenu. Die dynamischen Ambivalenzen kultureller schees als gezielte Provokation ging in seiner Sendung
Identifikation, die in der Komik zum Tragen kommen, einher mit Überlegungen, was für Konsequenzen ein
gilt es noch in kulturwissenschaftlichen Analysen he- solcher Verstoß nach sich ziehen könne. So spekulier-
rauszuarbeiten. Immerhin ist die Komik (in) der Mi- ten Böhmermann und Kabelka über mögliche Zen-
grationsgesellschaft bereits Gegenstand pragmalin- sur: »unter Umständen nimmt man’s aus der Media-
guistischer Untersuchungen geworden (vgl. Kotthoff thek«. Erdoğan wurde als Zuschauer der Sendung di-
u. a. 2013). rekt angesprochen – ihm wurde geraten, er könne sich
einen Anwalt nehmen, zum Amtsgericht gehen, eine
einstweilige Verfügung zur Entfernung des Schmäh-
22.5 Die Komik der Politik in Zeiten des gedichts erwirken. Wichtig sei, »dass es nicht im Inter-
Internets net landet«. Damit war augenzwinkernd die Zirkula-
tion garantiert (vgl. Böhmermann 17.3.2016). Die
In der politischen Satire kann Komik an ihre Grenzen Zensur ließ nicht auf sich warten. Das ZDF entfernte
stoßen. Deutlich wurde dies in einer deutsch-türki- die Sendung aus der Mediathek mit Verweis auf man-
schen Staatskrise, provoziert von dem Satiriker J. Böh- gelnde Qualität. Eine gekürzte Version wurde später
mermann. Es begann mit dem satirischen Song »Er- veröffentlicht. Aufgrund von Strafanzeigen eröffnete
dowie, Erdowo, Erdogan«, produziert von NDR Extra die Staatsanwaltschaft Mainz ein Ermittlungsverfah-
Drei (gesendet am 17. März 2016, erzielte über 10 Mil- ren gegen Böhmermann wegen des Verdachts auf Be-
lionen Hits auf YouTube: »Erdowie, Erdowo, Erdo- leidigung von Vertretern ausländischer Staaten. Die
gan«. In: Extra 3 (17.3.2016). Darin wurden zur Melo- Bundeskanzlerin bezeichnete die Satire in einem per-
die von Nenas Pop-Song »Irgendwie Irgendwo Ir- sönlichen Telefonanruf als ›bewusst verletzend‹. Nach
gendwann« diktatorische Tendenzen des türkischen Paragraf 103 (der sog. ›Schah-Paragraf‹) des Strafge-
Präsidenten Erdoğan in einer Videomontage aufs setzbuchs ist ›Majestätsbeleidigung‹ ein strafbares De-
Korn genommen, insbesondere sein Umgang mit likt. Der Bundestag beriet über die Abschaffung dieses
Presse- und Meinungsfreiheit. Daraufhin wurde der Paragrafen, lehnte eine sofortige Streichung jedoch ab.
deutsche Botschafter in der Türkei ins türkische Au- Die Verfahren laufen und selbst Autoren auf rechts-
ßenministerium vorgeladen. Zielscheibe der Witz- wissenschaftlichen Blogs nehmen Stellung zum The-
attacke war allerdings nicht nur der türkische Staats- ma »›Ziegenficken‹ und Kunst. Böhmermann zwi-
chef und die innenpolitische Lage in der Türkei, son- schen Strafrecht, Außenpolitik und Verfassung«
dern auch das von Bundeskanzlerin Merkel ausgehan- (Boehme-Neßler 11.4.2016).
delte umstrittene Abkommen mit der Türkei, das den Die hitzigen Reaktionen auf Böhmermanns Ge-
Zuzug von Flüchtlingen in die EU eindämmen sollte. dicht verdeutlichen, dass Komik unter Umständen die
Am 31. März verlas dann Böhmermann in Anspielung Politik gegenseitiger Rücksichtnahme entblößen, eine
22 Die Komik der Kultur 171

öffentliche Debatte, ja sogar eine Staatskrise auslösen wo das Dreiecksverhältnis von Humor und Aggressi-
kann. Durch überspitzte Darstellung birgt Komik kri- on vielfach multipliziert und repliziert wird, gilt das
tisches Potenzial und kann in ihrer augenscheinlichen umso mehr: Jeder von uns kann jederzeit zum Erzäh-
Harmlosigkeit politische Prozesse befördern, Herr- ler, zum Zuhörer und zur Zielscheibe des Witzes wer-
schaftsverhältnisse an den Pranger stellen – oder eine den – oder alles zur gleichen Zeit. Dabei werden gele-
kritische Öffentlichkeit bilden. Ob es Böhmermann gentlich nicht nur einzelne Personen, sondern ›die
um Solidarität mit in der Türkei angeklagten Journa- Kultur‹ in ihrer Komik vorgeführt.
listen ging, sei dahingestellt. Seine Schmähkritik rich-
tete sich letztlich weniger gegen Erdoğan, sondern Literatur
machte eher die deutsche Politik lächerlich, indem sie Arendt, Hannah: »We Refugees«. In; Menorah Journal 31.
die Grenzen der Pressefreiheit im eigenen Land vor- Jg., 1 (1943), 69–77. Auch in: Marc Robinson (Hg.): Alto-
gether Elsewhere. Writers on Exile. London 1994, 110–
führte. Der selbstgerechte Konsens der Zivilgesell- 119.
schaft, die sich als ›Wir Demokraten‹ geschlossen ge- Aristoteles: Poetik. Übers. v. Manfred Fuhrmann. Stuttgart
gen Despoten erhoben, wurde als Pose bloßgestellt. In 1982.
diesem Sinne hat Böhmermanns Schmähangriff Ähn- Ashcroft, Bill/Griffiths, Gareth/Tiffin, Helen: The Empire
lichkeit mit S. Žižeks Stellungnahme zum Charlie Writes Back. Theory and Practice in Post-colonial Litera-
tures. London 22007.
Hebdo-Massaker. Für Žižek ist klar, dass das politisch
Bhabha, Homi K.: »The Manifesto«. In: Wasafiri 14. Jg.
korrekte »Pathos universeller Solidarität« gegenüber (1999), 38–39.
gesetzter kultureller Differenz ungenügend ist: »those Bhabha, Homi K.: »Of Mimicry and Man. The Ambivalence
who do not want to talk critically about liberal demo- of Colonial Discourse«. In: ders.: The Location of Culture.
cracy should also keep quiet about religious fun- London/New York 1994, 85–92.
damentalism« (Žižek 2015). Böhmermanns Provoka- Billig, Michael: Laughter and Ridicule. Toward a Social Criti-
que of Laughter. London 2005.
tion dient dem Sichtbarmachen von Konventionen
Boehme-Neßler, Volker: »›Ziegenficken‹ und Kunst. Böh-
der Medienmaschine und der politischen Geschäfte. mermann zwischen Strafrecht, Aussenpolitik und Verfas-
In Zeiten des ›Infotainments‹ lebt die politische Satire sung«. In: Legal Tribune Online (LTO) (11.4.2016). http://
von der Maskerade und Bauchrednerei, von der Wie- www.lto.de/recht/hintergruende/h/boehmermann-
derverwertung, Vorführung und Neubesetzung ab- erdogan-gedicht-kunst-meinungsfreiheit-strafrecht-
surder Fetzen aus der alltäglichen Beschallung (vgl. politik-verfassung/ (6.10.2016).
Böhmermann, Jan: »Interview: Matthias Kalle und Moritz
Gray u. a. 2009, 3–36 und 47). Das Vorführen von Po- von Uslar. ›Ich bin gespannt, wer zuletzt lacht‹«. In: Die
sen wird zur Taktik. In diesem Sinne ist der Fall J. Böh- Zeit 20 (12.5.2016). http://www.zeit.de/2016/20/jan-boeh
mermann ein gutes Beispiel für Komik als Kipp-Phä- mermann-interview-schmaehkritik/komplettansicht
nomen, die in ihren Konsequenzen ein weitreichen- (6.10.2016).
des Erdbeben auslöst. Böhmermann, Jan: »Schmähkritik«. In: NEO MAGAZIN
ROYALE (31.3.1016). In: https://vimeo.com/162455052
Festzuhalten bleibt, dass Komik als kulturwissen-
(6.10.2016).
schaftlicher Gegenstand genau an den Schnittstellen Çağlar, Ayşe: »Das Kultur-Konzept als Zwangsjacke in Stu-
interessant wird, an denen sie Gewissheiten über die dien zur Arbeitsmigration«. In: Zeitschrift für Türkeistudi-
eigene Subjektivität und kulturell definierte kollektive en 3. Jg., 1 (1990), 93–105.
Identität ins Kippen und Ambivalenzen ins Spiel Dikmen, Şinasi: »Wer ist ein Türke?«. In: ders.: Hurra, ich
bringt. Dabei wird nicht nur deutlich, dass sich die Be- lebe in Deutschland. München 1995, 75–79.
El Hissy, Maha: Getürkte Türken. Karnevaleske Stilmittel im
deutung von Komik nur durch den kulturellen Kon- Theater, Kabarett und Film deutsch-türkischer Künstlerin-
text erschließt, sondern dass Komik Verhandlungen nen und Künstler. Bielefeld 2012.
an den Grenzen der Zivilisation inszeniert. Da wir uns Emig, Rainer: »The Empire Tickles Back: Hybrid Humor
in einer Weltöffentlichkeit bewegen, müssen wir alle (and Its Problems)«. In: Graeme Dunphy/Rainer Emig
lernen, unsere Gruppenzugehörigkeiten und Tren- (Hg.): Contemporary Asian-British Comedy. Hybrid Hu-
mor: Comedy in Transcultural Perspective. Amsterdam/
nungen zwischen ›wir‹ und ›ihr‹, ›hier‹ und ›dort‹
New York 2010, 169–190.
nicht für gegeben zu erachten, sondern immer wieder »Erdowie, Erdowo, Erdogan«. In: Extra 3 (17.3.2016).
von neuem zu hinterfragen, Darstellung von uns https://www.youtube.com/watch?v=R2e2yHjc_mc
selbst und anderen zu prüfen und Grenzen zu über- (6.10.2016).
denken respektive neu zu verhandeln. Was wir in Ka- Freud, Sigmund: »Der Witz und seine Beziehung zum Un-
rikaturen sehen, sind häufig die Klischees, die wir bewussten« [1905]. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 6.
Frankfurt a. M. 1999a.
selbst im Kopf haben. In Zeiten des World Wide Webs,
172 II Methodische Zugänge zum Komischen

Freud, Sigmund: »Zur Psychopathologie des Alltagslebens« Kaschuba, Wolfgang: »Kulturalismus: Kultur statt Gesell-
[1904]. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Frankfurt a. M. schaft?« In: Geschichte und Gesellschaft 21. Jg. (1995), 80–
1999b. 95.
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III Mediale Formen
des Komischen
23 Komik mit theatralen Mitteln: um derentwillen theatrales Handeln vollzogen wird
Körper – Inszenierung – (vgl. Goffman 1996). Allein vor dem Hintergrund ei-
nes Gemenges aus eingeschliffenen Gewohnheiten,
Interaktion getroffenen Vereinbarungen und ausgebildeten Er-
wartungen erhalten folglich flagrante Einbrüche »der
Theatrale Darstellungsweisen entfalten ihre Möglich- Zeit in das Spiel« (Schmitt 1956) oder »des Spiels in
keiten als öffentliche Veranstaltungen, bei denen sich die Zeit« (Ellrich 2011, 71 ff.) kognitive und soziale
Personen mit unterschiedlichen Positionen und Auf- Relevanz.
gaben in einem (visuell und akustisch, zumeist auch Die genannten Differenzen erlauben auch eine Klä-
architektonisch) abgegrenzten Raum zusammenfin- rung des Verhältnisses zwischen theatralen Darstel-
den. Das Verhältnis zwischen den Beteiligten ist fast lungen einerseits, Kulten, Ritualen und Festen ande-
immer durch Konventionen geregelt, aber (trotz ex- rerseits. Während jene die etablierten Unterscheidun-
pliziter und impliziter Rollenzuweisungen) niemals gen je nach Bedarf bestätigen, verschärfen oder osten-
völlig kontrollierbar. Theaterskandale, Besetzungen tativ aufheben können, beruhen diese auf Praktiken,
von Bühnen sowie Aufführungsblockaden aller Art welche Akteure und Zuschauer zu einer Einheit ver-
belegen dies zur Genüge. Gewöhnlich handelt es sich schmelzen sollen. Dennoch existieren Verwandt-
um zwei klar differenzierte Gruppen, die sich auf ei- schaftsbeziehungen zwischen dem Theater und dem
nem Areal begegnen, das körperliche Nähe herstellt, Kult-Ritual-Fest-Komplex. Dass selbst die säkulari-
mithin einen direkten, nicht erst medientechnisch ar- sierten Theaterereignisse der Gegenwart noch im
rangierten Kontakt ermöglicht: einerseits Akteure, die »Abglanz einer rituellen Aura« (Lehmann 2002, 97)
etwas vorführen und neben der Gage oder Spende erstrahlen, lässt sich schwerlich bestreiten. Kulte wie-
auch eine wertende Reaktion des Publikums (Applaus derum sehen oft Sonderrollen vor (wie etwa Schama-
oder Kritik, Begeisterung oder Empörung) erwarten, nen oder ›rituelle Clowns‹), und Feste (z. B. der Kar-
und andererseits Zuschauer, welche Eintritt zahlen, neval) – ohnehin an streng regulierte Orte und Zeiten
ihre Plätze während der Aufführung beibehalten und gebunden – weisen oft Merkmale auf, die das Disposi-
die reine Betrachterhaltung nur dann preisgeben, tiv theatraler Unterscheidungen reproduzieren (Sit-
wenn sie ausdrücklich dazu aufgefordert oder mehr zungen im Saal, Festkomitees, Büttenreden etc.).
oder minder subtil (und geplant) provoziert werden. Komik – hierin stimmen die ansonsten äußerst he-
Ausnahmen und Sonderfälle, die oft leicht (Straßen- terogenen Theorien über Komik und das sie einlösen-
theater, Agit-Prop), manchmal jedoch erst im Nach- de Lachen überein – gehört zu den auffälligsten und
hinein (›unmittelbares Theater‹ im Sinne A. Boals) zu wichtigsten Mitteln, geltende Normen, Werte und Er-
erkennen sind, bestätigen diese Regel ebenso wie di- wartungen, etablierte Verhältnisse, gängige Annah-
verse Typen des öffentlichen Redens, Predigens und men über Zustand und Lauf der Welt etc. mal sanft
Agitierens, die als theatrale Geschehnisse betrachtet und mal derb, mal schrittweise und mal jäh, mal spie-
werden können und entweder institutionell gerahmt lerisch und mal aggressiv in Frage zu stellen oder um-
sind (z. B. ›Speaker’s Corner‹ im Hyde Park) oder als zukehren, anzukratzen oder gleich vollständig ad ab-
unprognostizierbare, ›emergente Phänomene‹ in Er- surdum zu führen. Komik kann freilich nicht allein
scheinung treten. Theatral ist – streng genommen – ei- dazu dienen, das Bestehende zu irritieren oder ener-
ne Interaktion also erst dann, wenn bestimmte Unter- gisch zu unterminieren, sie lässt sich auch gegen reale
scheidungen getroffen und allen Beteiligten bewusst Störenfriede und Außenseiter, Angehörige von Min-
sind. Nur die Konstruktion der klaren Differenz von derheiten, Deviante und Schwache wenden, die den
1. Akteuren und Betrachtern, 2. Bühne und Zuschau- Status quo durch ihr bloßes Vorhandensein (schein-
erbereich, 3. gespielten Rollen und wirklichen Per- bar oder de facto) bedrohen. In solchen Fällen be-
sonen verleiht sowohl der strikten Einhaltung beste- schwört Komik durch ihre höchst effektiven Tech-
hender Regeln als auch der Übertretung oder Ver- niken der Übertreibung, Entstellung und Verzerrung
wischung von Grenzen genau diejenige Bedeutung, vermeintliche oder echte Gefahren herauf und vertei-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_23,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
23 Komik mit theatralen Mitteln 175

digt so die herrschenden Zustände. O. Marquards im kerem Maße zu entfesseln als andere Darstellungswei-
Rekurs auf J. Ritter (1974) formulierte These, Komik sen, die eben nicht auf einer szenischen Vergegenwär-
mache »im offiziell Geltenden das Nichtige und im of- tigung und Verkörperung beruhen, sondern auf Me-
fiziell Nichtigen das Geltende sichtbar« (Marquard dien wie z. B. Bücher, Zeichnungen, Fotografien, Fil-
1976, 141) und lasse damit gerade auch das Miss- me, TV-Formate, Videos und Internetangebote
glückte und Missratene, das Abgedunkelte und Aus- angewiesen sind.
gegrenzte (z. B. sexuelle Triebe oder revolutionäre Po- Für die enge Beziehung zwischen theatraler Situati-
tenziale) zu ihrem Recht kommen, muss also erweitert on, Komik und Lachen (als Ausdruck eines wahr-
werden um die Bestimmung, dass Komik auch dazu genommenen Ereignisses) lassen sich mehrere Grün-
dienen kann, dem ›offiziell Nichtigen‹ gleichsam den de nennen: 1. die unüberbietbare Konkretheit, welche
Rest zu geben und seine Eliminierung zu feiern. Der komisch wirkende Imitationen misslingender, aus
gängige und vergleichsweise harmlose Gemeinplatz dem Takt geratender oder sich verselbstständigender
über den Zusammenhang von Schaden und Spott Handlungen und Abläufe auf einer Bühne erreichen;
weist darauf hin, und die bittere Auskunft, »Fun« sei 2. die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung des Ge-
»ein Stahlbad« (Horkheimer/Adorno 1947, 162), schehens, die die Chance beträchtlich erhöht, dass der
macht die ›dunkle Seite‹ der Komik (insbesondere un- Funken des Komischen vom präsentierten Gegen-
ter Bedingungen der Moderne) kenntlich. Um das no- stand auf den Betrachter überspringt; 3. die auffälligen
torische ›Unschädlichkeitspostulat‹ zu retten, bleibt sozialen Bindungskräfte und Ansteckungspotenziale
dann nur noch die Entkoppelung von ›eigentlicher‹ des Lachens, das ausgehend von Initialreaktionen ein-
(subversiver) Komik und systemstabilisierendem La- zelner Zuschauer in Windeseile das ganze anwesende
chen übrig. Publikum erfassen kann; 4. die bemerkenswerte Fä-
Theatrale Formen der Komik – soweit sie sich zu higkeit theatral verfasster Komik, kraft der dargebote-
Genres, Veranstaltungstypen und Aufführungscodes nen Vielfalt und Triftigkeit ihrer nachahmenden Ent-
verfestigen – lassen sich als Versuche deuten, die hete- stellungen Alltagserfahrungen der Zuschauer zu be-
rogenen und unberechenbaren Kräfte des Komischen rühren und auf diese Weise Reaktionen herauszufor-
zu bändigen und seine »Ambivalenz« (Müller-Schöll dern (vgl. Klotz 2013, 16 f.). Das ausgelöste Lachen ist
2013, 177) weitgehend unsichtbar zu machen. Freilich ein Signal für äußert unterschiedliche Formen der Ir-
zeigt die Geschichte der Theateraufführungen nicht ritationsverarbeitung; denn die Zuschauer können
weniger als die Dramen-Geschichte der Gattung Ko- sich (durch die erleichternde Einsicht, dem Objekt der
mödie, dass dies nicht durchgehend gelungen ist. Komik nicht zu gleichen) wieder beruhigen oder aber
Weil die theatrale Situation, also die direkte körper- (unter dem unbehaglichen Eindruck, am Ende selbst
liche Begegnung von Akteuren und Zuschauern, eine komische Figur abzugeben) zur Änderung ihres
schwer kalkulierbare Risiken in sich birgt, waren gera- Lebens veranlasst sehen.
de in diesem Bereich stets geeignete ordnungs- und Theatrale Darstellungen nutzen diese Affinität, um
kunstpolitische Vorkehrungen nötig, um die Wirk- bestimmte, von den historischen Umständen abhän-
mächte des Komischen in die jeweils gewünschte gige Ziele zu erreichen. Die abendländische Kunst-
Richtung zu lenken. So arbeiteten im Laufe der Ge- form Komödie (als Text und Aufführungspraxis) ist
schichte politische Zensurmaßnahmen und klassifi- wohl die elaborierteste Gestalt des Einsatzes von Ko-
kationssüchtige Gattungspoetiken gemeinsam (wenn mik zu vielfältigen ästhetischen und sozialen Zwe-
auch nicht immer konfliktfrei und erfolgreich) an cken. Ihre Genese und ihr Wandel, ihre gattungsmäßi-
Programmen der Einhegung und Sortierung von Ko- ge Gliederung und merkmalsbezogene Typisierung
mik. Dieser von Misstrauen und Kontrolllust glei- (alte und neue, Intrigen-, Charakter- und Situations-
chermaßen gespeiste Eifer, der zuweilen selbst ko- komödie, ernste Komödie, Lustspiel, Boulevardko-
mische Züge annahm, ist ein starkes Indiz für die ein- mödie, Vaudeville, Opera buffa, Operette, Schwank,
zigartige Affinität, die zwischen Komik und öffent- Satire, Farce, Groteske, Burleske, Travestie etc.), ihre
licher Darstellung als solcher (liveness, Interaktion soziale Einbettung und ihre je spezifische Wirkung
zwischen Akteuren und Zuschauern, körperliche An- sind ausgiebig untersucht und kommentiert worden.
wesenheit aller Beteiligten) besteht. Offensichtlich Dabei ist immer wieder auf die Spannung zwischen
sind theatrale Präsentationen – aufgrund ihrer beson- Komik als kurzfristiges oder episodisches Geschehen
deren Merkmale – in der Lage, Komik (inklusive ihrer und Komödie qua Handlungsschema, Fabel oder Plot
extremen und gegensätzlichen Aspekte) in weit stär- hingewiesen worden. Die Kernfrage lautet also, ob es
176 III Mediale Formen des Komischen

für ein derart flüchtiges Phänomen wie Komik, dessen trachten. Der sich theatral manifestierende Leib-Kör-
Sinn und Funktion (je nach Kontext und Verwen- per macht ersichtlich beides möglich: karnevaleske
dungsabsicht) extrem variiert, überhaupt eine ad- Befreiung und deren Bändigung im Hin und Her der
äquate Präsentationsform geben kann, die die Gestalt komischen Ereignisfolge. Als theatraler Vollzug stellt
einer in sich geschlossenen Handlung besitzt. Man hat die Komödie den Körper mit all seinen fragilen und
versucht, das Problem durch Klassifikationen, Defini- grotesken Zügen (vgl. Bachtin 1987) zur Schau und
tionen und Wesensbestimmungen zu lösen. N. Frye macht das unzertrennbare Band von Lust und
(1957/1964) unterschied den konservativen Mythos Schmerz (vgl. Morris 1996, 113 ff.) spürbar (selbst
der Komödie, demzufolge eine bestehende Ordnung ›pure‹ Konversationskomödien zehren durch ihr An-
durch komische Turbulenzen umgestoßen und zu gu- spielungsregister von den Kräften, die sie im gewitzten
ter Letzt wiederhergestellt wird, vom liberalen Kon- Spiel der Sprache bloß latent halten).
fliktszenario der Satire, das alle existierenden Einstel- Diese körperzentrierte Deutung besitzt den Vor-
lungen zur Disposition stellt, und ergänzte diese De- zug, eine Reihe ambitionierter Komödienkonzepte
finitionen mithilfe der Kategorien Tragödie und Ro- einbinden zu können. Sowohl die gängige Betonung
manze zu einem griffigen Vier-Felder-Schema (vgl. der selbstreflexiven Anlage der Komödie und des
Frye 1964, 160–243). Die Künstlichkeit des Konzepts ständigen Einsatzes von ›Spiel-im-Spiel‹-Konstellatio-
und seine ontologischen Implikationen provozierten nen als auch der Hinweis, die Komödie liefere eine Re-
freilich energischen Widerspruch. Zum attraktiven flexion der Tragödie (vgl. Trüstedt 2011) und vermöge
Gegenentwurf avancierte die These, den Zusammen- sogar noch die scheiternde Aufhebung der Tragödie
halt der Komödie liefere keine genuin komische Fabel, im Spiel (vgl. Menke 2005, 136 ff.) mit-darzustellen,
sondern eine neutrale »anderweitige Handlung«, auf sind in eine Theorie integrierbar, die die Theatralik
der die komischen Episoden (mit ihren diversen Lach- der physischen Präsenz realer Schauspieler als öffent-
anlässen) gleichsam nur »aufsitzen« (Warning 1976, lichen Vollzug der Körper-Leib-Dialektik begreift.
286). Dennoch konnte sich die avancierte Komödien- Gegen eine solche Orientierung der Komödien-
theorie lange nicht von der Idee verabschieden, dass theorie an der konkreten Aufführung, an Theatralität
die Komödie erst mit dem endgültigen Sieg der Ver- und Körperlichkeit hat R. Simon (2001) noch einmal
nünftigkeit zum Abschluss kommt (vgl. Stierle 1976) eine textorientierte Theorie der Relation von episodi-
oder nur dann vergnügliche Gegenwelten entwerfen scher Komik und strukturgebender Handlung in Stel-
kann, wenn sie »ein fundamentales Einverständnis lung gebracht und etablierte Begriffe in Frage gestellt:
mit dem Gegebenen« (Warning 1976, 332) impliziert. So entdeckte er in den vermeintlich ›anderweitigen‹
Erst im Zuge der weitgefächerten Theatralitäts- und Handlungen fast aller bekannten Komödien eine ex-
Performanzdebatten (vgl. Fischer-Lichte 2004) kam trem komik-affine Grundfigur: Stets wird nämlich
der Gedanke auf, dass die Komödie allein schon »als »ein Konfliktverursacher in die Situation gebracht
theatralische Veranstaltung«, welche die »körperliche [...], seine spezifische Beschränktheit« (ebd., 57), die
Präsenz« der Bühnenakteure buchstäblich ›ins Spiel den Lachanlass liefert, zu beobachten und dann an-
bringt‹, einen hinreichend stabilen Rahmen für ko- gemessen oder unangemessen darauf zu reagieren.
mische Eruptionen abgeben kann und keiner »Anbin- Dieses basale Muster erweist sich bei der Durchsicht
dung an Vernünftigkeit und Wohlgeordnetheit« be- kanonischer Komödientexte als erstaunlich flexibel
darf. Die realen Körper der Schauspieler bieten näm- und lässt sich den historischen Kontexten und ver-
lich – so lässt sich nun behaupten – »Sicherheiten ge- änderten Bewertungshorizonten leicht anpassen. Den
nug gegen ein Auflösen ins Strukturlose« (Greiner Sonderstatus theatraler Komik kann das Modell frei-
1992, 124): Jede an Performativität und Körperlichkeit lich nicht erklären. Ohnehin ist die Rückkehr zum
gebundene Erzeugung von Komik vergegenwärtigt Dramentext nur eine (und wohl nicht die beste) Opti-
die eigentümliche Doppelrolle des Menschen, die da- on, wenn es darum geht, aus der Erkenntnis, dass
rin begründet liegt, einen verfügbaren Körper zu ha- Schauspielhäuser nicht die einzigen Orte sind, an de-
ben und ein unverfügbarer Leib zu sein. Die Schluss- nen sozial relevante Komik entbunden wird, Kon-
folgerung liegt auf der Hand: Weil die Komödie mit sequenzen zu ziehen. Auch Alltagskomik weist bereits
Rücksicht auf die conditio humana eine Art Gleichbe- theatrale Aspekte auf (vgl. Zijderveld 1974; Münz
rechtigung von »Zeichen- und Körperbewegungen« 1998). Man denke nur an die Witz-Kulturen in Knei-
(ebd., 4) in Szene setzt, lässt sie sich als eine allen an- pen, Schulen und Büros. Sog. ›Klassenclowns‹ und
deren Gattungen überlegene Darstellungspraxis be- ›Ulknudeln‹ füllen quasi-institutionalisierte Rollen
23 Komik mit theatralen Mitteln 177

aus, die erheblichen Erwartungsdruck erzeugen kön- Ellrich, Lutz: Vorführen und Verführen. Vom antiken Theater
nen. Zumeist aber herrschen in der gewöhnlichen Le- zum Internetportal – Orientierungsangebote in alten und
benswelt Interaktionen und Kommunikationen vor, neuen Medien. Bielefeld 2011.
Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt
die von intendierter Komik frei sind. Der sprichwörtli- a. M. 2004.
che Ernst des Lebens verlangt seinen Tribut. Dennoch Frye, Northrop: Analyse der Literaturkritik. Stuttgart 1964
existieren alltagsnahe, wenn auch klar definierte Be- (engl. 1957).
zirke für theatrale Komik. Jahrmärkte und Zirkuszelte Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die
z. B. sind Arenen für komische Akteure, die sich vom Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt a. M. 1996
(engl. 1974).
›Sitz im Leben‹ lösen, um ihr Publikum kunstfertig
Greiner, Bernhard: Die Komödie. Eine theatralische Sendung:
und gezielt zum Lachen zu bringen. Die Geschichte Grundlagen und Interpretationen. Tübingen 1992.
der Gaukler und Clowns (ihrer Auftritte und Darbie- Handelman, Don: »The Ritual Clown: Attributes and Affini-
tungen, Masken und Kostüme, Typen und unter- ties«. In: Anthropos 76. Jg., 3/4 (1981), 321–369.
schiedlichen Beliebtheitsgrade) gibt in diesem Punkt Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Auf-
Aufschluss. Weitere (breit etablierte) theatrale Dar- klärung. Amsterdam 1947.
Jenkins, Ron: Subversive Laughter. The Liberating Power of
stellungsformen – wie Kabarett und Stand-up-Come- Comedy. New York 1994.
dy – fordern durch ihre szenischen Arrangements den Klotz, Volker u. a.: Komödie. Etappen ihrer Geschichte von
direkten Vergleich mit gängigen Bühnenaufführun- der Antike bis heute. Frankfurt a. M. 2013.
gen von Komödien (sei es in subventionierten Stadt- Klotz, Volker: Bürgerliches Lachtheater. Posse, Schwank, Ope-
oder privaten Boulevardtheatern) geradezu heraus. rette. Heidelberg 2007.Lehmann, Hans-Thies: Das politi-
sche Schreiben. Berlin 2002.
Denn sie verstärken bestimmte komödien-typische
Marquard, Odo: »Exile der Heiterkeit«. In: Wolfgang Prei-
Merkmale oder revitalisieren Elemente, die im Verlauf sendanz/Rainer Warning (Hg.): Das Komische. München
der Gattungsentwicklung zurückgedrängt wurden: 1976, 133–151.
Der physische Abstand zwischen Akteur und Publi- Menke, Christoph: Die Gegenwart der Tragödie. Versuch
kum wird verringert, die sog. ›Rampe‹ häufiger und über Urteil und Spiel. Frankfurt a. M. 2005.
radikaler überspielt, Improvisationen gewinnen (wie- Morris, David B.: »Schmerz und Komödie«. In: ders.: Ge-
schichte des Schmerzes. Frankfurt a. M. 1996 (engl. 1991),
der) an Gewicht, politisch brisante Themen werden
113–144.
weit nachdrücklicher angesprochen als im ›gewöhnli- Müller-Schöll, Nikolaus: »Das letzte Lachen. Spielarten des
chen‹ Theater und anstelle von eher gefälligen Formen Eigensinns und Verhaltensweisen der Kälte«. In: Clemens
der Komik kommen satirische und aggressive Mittel Stepina (Hg.): Dunkelzonen und Lichtspiele. Wien 2013,
zum Einsatz. Diese Forcierung hat allerdings einen 177–197.
paradoxen Effekt: Je energischer solche Praktiken der Olson, Elder: The Theory of Comedy. London 1968.
Peter, Barbara: Satire in journalistischer Mission. Studie zu
›Kleinkunst‹ die Potenziale theatraler Interaktionen den journalistischen Leistungen von TV-Kabarettisten als
zwischen Akteuren und Zuschauern ausschöpfen, den Interviewer. Fribourg 2015.
Kontakt zwischen beiden Gruppen vertiefen, die be- Münz, Rudolf: Theatralität und Theater. Zur Historiographie
handelten Themen ständig aktualisieren und die Pro- von Theatergefügen. Berlin 1998.
vokationsdosis erhöhen, um so attraktiver werden sie Ritter, Joachim: »Über das Lachen«. In: ders.: Subjektivität
[1941]. Frankfurt a. M. 1974, 62–93.
– im gegenwärtigen Medien-Zeitalter jedenfalls – für
Schmitt, Carl: Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in
die Agenturen der technischen Reproduktion und das Spiel. Düsseldorf/Köln 1956.
Verbreitung. Folglich verwandeln sich die genuinen Simon, Ralf (Hg.): Theorie der Komödie – Poetik der Komö-
Instanzen einer zelebrierten Unmittelbarkeit nach die. Bielefeld 2001.
und nach in formatierte mediale Angebote, die den Stierle, Karlheinz: »Komik der Handlung, Komik der
Komikbedarf statistisch erfasster Massenpublika de- Sprachhandlung, Komik der Komödie«. In: Wolfgang
Preisendanz/Rainer Warning (Hg.): Das Komische. Mün-
cken sollen. chen 1976, 237–268.
Trüstedt, Katrin: Die Komödie der Tragödie. Konstanz 2011.
Literatur Zijderveld, Anton C.: Humor und Gesellschaft. Eine Sozio-
Bachtin, Michael: Rabelais und seine Welt. Volkskultur und logie des Humors und des Lachens. Graz 1974.
Gegenkultur. Frankfurt a. M. 1987 (russisch 1965). Warning, Rainer: »Elemente in der Pragmasemiotik der Ko-
Block, Friedrich W./Lohse, Rolf (Hg.): Wandel und Instituti- mödie«. In: Wolfgang Warning/ders. (Hg.): Das Komische.
on des Komischen. Bielefeld 2013. München 1976, 279–333.
Bremmer, Jan/Roodenburg, Herman (Hg.): Kulturgeschichte
des Humors. Von der Antike bis heute. Darmstadt 1999 Lutz Ellrich
(engl. 1997).
178 III Mediale Formen des Komischen

23.1 Komödie Nea nimmt der Chor nicht mehr am dramatischen


Geschehen teil und markiert allein die Akttrennung.
23.1.1 Antike Komödie
Die Römische Komödie wird ohne Chor ausschließ-
Die Griechische und die Römische Komödie waren in lich von professionellen Mimen inszeniert, deren ge-
der antiken Lebenswelt über viele Jahrhunderte hin- sellschaftlicher Rang niedrig ist und die oft auslän-
weg immens präsent. Die Überlieferung gewährt uns discher Herkunft sind. Zugleich ist hier eine Profes-
gleichwohl tiefere Einblicke in nur drei unterschiedli- sionalisierung zu erkennen, die sich v. a. ästhetisch
che Chronotope: Alte Komödie (Archaia) in Athen manifestiert, indem etwa die Plautinische Komödie in
um die Wende vom 5. zum 4. Jh. v. Chr. (Peloponnesi- bislang ungekanntem Umfang gesangliche Elemente
scher Krieg zwischen Athen und Sparta 431–404 integriert und operettenhafte Züge annimmt.
v. Chr.), dort auch die Neue Komödie (Nea) am Ende In der römischen Kaiserzeit war Theater immens
des 4. Jh.s v. Chr., sowie die republikanische Römische populär (vgl. Seidensticker 2010, 106–121): Theater-
Komödie vom Ende des 3. bis zur Mitte des 2. Jh. bauten wurden prächtiger, Schauspieler konnten zu
v. Chr. in Rom. Ebenso eingeschränkt ist die Zahl der hohem gesellschaftlichen Ansehen und Reichtum
Autoren, von denen wir aussagekräftige Textmengen aufsteigen, die Zahl der Aufführungen stieg in Rom
besitzen: Für die Archaia Aristophanes mit elf, für die selbst auf bald hundert pro Jahr in den ersten drei
Nea Menander mit drei Komödien (davon jedoch nur nachchristlichen Jahrhunderten. Es unterstand dabei
der Dyskolos vollständig) und einigen größeren zu- weitgehend staatlicher Kontrolle und Finanzierung;
sammenhängenden Fragmenten, für die Römische und es gewann an Bedeutung als politischer Ver-
Komödie Plautus mit 21 und Terenz mit sechs weit- sammlungsplatz, selbst wenn das Publikum die Insze-
gehend vollständig erhaltenen Stücken. Diesen hete- nierung eher oberflächlich zum Anlass von Äußerun-
rogenen Kontexten entsprechend differiert die jewei- gen des Unmuts oder der Zustimmung nahm. Die
lige soziokulturelle Einbettung. Die Archaia ist ein Komödie wurde allmählich zugunsten anderer thea-
Kind der jungen attischen Demokratie, sie inszeniert traler Formen – v. a. des Mimus und des Pantomimus
komische Fiktionen des ins Phantastische umkippen- – von der Bühne verdrängt. Texte sind aus jener Zeit
den politischen Alltagslebens, in denen einzelne Bür- nicht erhalten.
ger sich gegen den Druck der Verhältnisse, seien sie
durch die Masse des Volkes oder mächtige Individuen Archaia
repräsentiert, mit der Realisierung einer oft grotesken Jeweils fünf Komödien wurden in Athen an zwei Kult-
Utopie erfolgreich zur Wehr setzen. Bereits zwei bis festen des Dionysos – den Lenäen im Januar/Februar
drei Generationen später – Athens politische Vor- (seit 445 v. Chr.) und den Großen Dionysien im März/
machtstellung im Mittelmeerraum ist durch die ma- April (seit 486 v. Chr., vom Ende des 3. Jh.s bis 120
kedonische Hegemonie (Philipp II., Alexander d. Gr.) v. Chr. sogar sechs Komödien) – aufgeführt. Der ›Ko-
gebrochen – sehen wir dieses ideologische Konzept mödientag‹ stand an den Großen Dionysien, über de-
vom Komischen ersetzt durch eine auf das Privat- und ren Ablauf wir besser informiert sind, zwischen einem
Familienleben fokussierte Typenkomödie, der politi- Tag, an dem Dithyramben (Kultlieder für Dionysos)
sche Implikationen weitestgehend fehlen; an ihre Stel- und drei Tagen, an denen je eine tragische Tetralogie
le ist die Komik zwischenmenschlicher Verhältnisse aufgeführt wurde. Die Dichter und Produzenten der
und ihrer Widrigkeiten getreten. Es ist dieser ›komö- Komödien traten im Wettbewerb gegeneinander an
dische Modus‹, auf den sich rund 200 Jahre später (agôn). Die Angehörigen der konkurrierenden Chöre,
noch die Römische Komödie bezieht, die ihren Stoff finanziert durch reiche Bürger (Choregen; s. u.), wa-
oft transformierend aus der Nea übernimmt und in ei- ren Bürger je eines attischen Verwaltungsbezirks (phy-
nem griechischen Setting präsentiert, das gegenüber lê). Am Ende des Komödientages wurden in einem
dem römischen Kontext offenkundig als entfernte und kombinierten Los- und Abstimmungsverfahren, das
daher verlachbare Gegenwelt fungiert. Diesem zuneh- Bestechung und Betrug ausschloss, drei Siegerplätze
menden Prozess der Distanzierung der komischen vergeben. Der siegreiche Chorege erhielt als Preis ei-
Dramaturgie gegenüber dem soziopolitischen Umfeld nen bronzenen Dreifuß, den er öffentlich auszustellen
entspricht ein Wandel in der Besetzung der Rollen. hatte (vgl. Wilson 2000). Die Plots der Aristopha-
Kernstück der Archaia ist der Chor aus Laienschau- nischen Komödien entfalten satirische Sichten auf die
spielern, männlichen Bürgern, dem nur vier bis fünf politischen Verhältnisse des zeitgenössischen Athen,
professionelle Schauspieler gegenüberstehen. In der indem sie kontrastive utopische Verhältnisse konstru-
23 Komik mit theatralen Mitteln 179

ieren (vgl. Versnel 1998), die gleichwohl selbst wieder und Gesetz gezogen sind. Umso passender bedeutet
nur ein geringes Maß an Stabilität in sich tragen und kôm-ôdía (Komödie) ursprünglich ›Gesang des/beim
grundsätzlich ambivalenter Natur sind. Die Satire kômos‹; dabei ist kômos der schwärmerische, ungeord-
kann sich dabei eher allgemein auf die politischen nete Umzug durch die ganze Stadt, wie er etwa am ers-
Umstände richten – so in den Acharnern, dem Frie- ten Abend der Großen Dionysien stattfindet. Dieses
den, den Vögeln u. a. – oder auf herausragende Indivi- wesentliche Charakteristikum der Medialität der Ar-
duen fokussieren – etwa auf den Politiker Kleon in den chaia wird im Folgenden exemplifiziert.
Rittern, Sokrates in den Wolken oder Euripides in den
Thesmophoriazusen und den Fröschen; beide Formen Komischer Raum
lassen sich auch kombinieren wie in den Wespen, die Es darf als weitgehend sicher gelten, dass das athe-
eine Persiflage athenischen Rechtswesens mit der Ka- nische Dionysos-Theater am Südhang der Akropolis
rikatur Kleons verbinden. Die Ambivalenz der Satire zur Zeit der Archaia größtenteils ein Holzbau war und
ebenso wie ihre jeweiligen politisch meist problemati- eine rektanguläre Orchestra als primären Aufenthalts-
schen figuralen Träger zeigen dabei, dass ihre Stoß- raum des Chores besaß, den dieser durch zwei Zugän-
richtung nicht normativer Natur ist, sondern eher ge (Párodoi) zwischen Zuschauer- und Bühnenraum
grundsätzlich systempolitisches Denken und Han- betrat und am Ende des Stückes verließ; zur Zeit der
deln aufs Korn nimmt und mit einer Vision von uto- Nea war das Theater bereits in Stein aufgeführt wor-
pischer Anarchie konfrontiert, mit dem Ziel der Er- den, die Orchestra hatte eine Rundform erhalten. Die
schütterung petrifizierter sozialer und ästhetischer Zuschauer saßen auf Holzbänken, nur die erste Reihe,
Wahrnehmungsgewohnheiten. in der die Honoratioren Platz nahmen, bestand aus
Der Chor der Komödie besteht aus 24 Choreuten, steinernen Sitzen. An der Südseite der Orchestra er-
die singen, tanzen und durch ihren Chorführer (kory- hob sich ein einstöckiges Bühnengebäude (Skêné), das
phaîos) auch mit den eigentlichen handlungstragen- über mehrere bühnenseitige Zugänge verfügte und
den Figuren (Schauspielern) kommunizieren. Wäh- durch vorgestellte Kulissen Spielräume erschaffen
rend in der Tragödie ein konkreter Kontakt zwischen konnte. Mithilfe eines hinter der Skêné aufgestellten
Chor und Protagonisten meist vermieden und ihre Krans (mêchané) wurde auch das Dach bespielt – ex-
grundsätzliche räumliche Trennung auf der Bühne – tensiv etwa im Frieden –, und durch eine Rollbühne
s. u. – gewahrt wird, sind solche Berührungen in der (ekkyklêma) ließen sich Innenszenen als tableaux vi-
Komödie häufig und oft gewalttätig: In den Acharnern vants zeigen. Die Schauspieler agierten vor der Skêné
etwa will der Chor den Protagonisten steinigen, in der auf einer leicht erhöhten Bühne, die von der Orchestra
Lysistrate geraten Halbchor der Frauen und Halbchor aus über Stufen zugänglich war. Die Kostüme waren
der Männer ins Handgemenge. In der sog. Parabase – teils standardisiert (ausgepolsterter Bauch und Hin-
einer reinen Chorpassage ungefähr in der Mitte des terteil, Lederphallos), teils frei gestaltbar (Portrait-
Stückes – verlassen die Schauspieler meist die Bühne, masken, phantastische Kostümierungen der Chöre)
der Chor tritt unmittelbar ›an die Rampe‹ vor das Pu- (zusammenfassend zu Bühne, Kulisse, Requisite und
blikum, spricht es direkt an und äußert sich zu all- Kostüm vgl. Seidensticker 2010, 11–81).
gemeinen Themen und zum politischen Tagesgesche- Als dramatisches Medium unterliegt der beschrie-
hen (vgl. Hubbard 1991). Solche verbalen Kontakte bene Theaterraum einer dem Alltag entnommenen
finden auch innerhalb des Plots insbesondere in Ge- dispositorischen Ordnung, die aber in seiner komö-
stalt von namentlichen Invektiven – geäußert vom dischen Nutzung Auflösungen und Invertierungen er-
Chor wie von den Protagonisten – gegen einzelne Zu- fährt. Bühnenraum und -zeit passen sich innerhalb ei-
schauer statt, denen bisweilen sogar Fragen gestellt nes Verses den Bedürfnissen der Protagonisten an (in-
werden, so dass es wohl zu kurzen Dialogen zwischen wieweit kulissentechnisch und dramaturgisch unter-
Schauspielern und Publikum kommen konnte. So- stützt, muss offenbleiben). In Ritter 749–762 werden
wohl Schauspieler als auch Chor können den Publi- der bisherige Raum vor dem Haus des Demos abrupt
kumsraum betreten. Daher ist das komplette Theater- zum Volksversammlungsplatz (Pnyx), die Zuschauer
areal als Medium der Komödie anzusehen. zu Versammlungsteilnehmern umdefiniert. In Achar-
Es gibt also für die Komödie keinen geschützten ner 200 f. wird aus der Pnyx ein Landgut außerhalb
Raum. Komische Inszenierung und komischer Text Athens, aus dem aktuellen Fest der Lenäen das Fest
überschreiten nach Belieben chronotopische wie dis- der ländlichen Dionysien, in Acharner 1000 aus Letz-
kursive Grenzen sowie Grenzen, die durch Anstand terem das Anthesterienfest; es werden dabei ›realiter‹
180 III Mediale Formen des Komischen

jeweils mehrere Monate übersprungen. Der Chor der Metaphern scheinen oft nur dem Zweck ihrer ko-
Wolken tritt wahrscheinlich aus dem Publikumsraum mischen Konkretisation zu dienen: etwa Lysistrate
heraus auf, um das reale Heranziehen des Wetters aus 567–586 oder Acharner 174–203, wo der ›Friedens-
dem Norden zu simulieren; in den Acharnern verste- schluss‹ als Konnotation der ›Weinspende‹ (spondé)
cken sich die Choreuten wahrscheinlich im Publikum, durch das Trinken von Wein nicht sanktioniert, son-
um den Protagonisten zu überfallen, in den Wolken dern generiert wird.
und in den Fröschen begeben sich die Schauspieler Überspringt die Sprache der Archaia also stets die
ins Publikum. Dieser räumlichen Einbeziehung der Grenze zur Wirklichkeit, so transzendiert sie auch un-
Zuschauer entspricht ihre ›fiktionale‹ Einbindung ablässig die Grenzen zu anderen Genres. Das betrifft
durch Invektiven. In den Fröschen wird die Erfüllung insbesondere die Tragödie, deren Sprache und Stil in
der Utopie durch einen feierlichen Auszug des Siegers der Alten Komödie Gegenstand geradezu omniprä-
in die Stadt in die reale Zeit verlagert. In Acharnern senter Parodie ist (vgl. Rau 1967). Man übertreibt
und Thesmophoriazusen werden die Schlaf- und nicht, wenn man sagt, dass die Handlungen etwa der
Wohnzimmer tragischer Dichter per Ekkyklema auf Thesmophoriazusen und der Frösche größtenteils auf
die Straße geholt, weil ihre Bewohner zu träge sind, durchgehender Tragödienparodie beruhen: In den
selbst herauszukommen: Innen wird außen – das Pa- Thesmophoriazusen versucht Euripides, seinen von
radox, das der Zuschauer der Tragödie zu ignorieren den Frauen Athens gefangen gehaltenen Verwandten
angehalten ist, wird hier zum komischen Gegenstand. mithilfe von Inszenierungen seiner tragischen Ret-
tungsintrigen zu befreien, allerdings erfolglos, weil die
Komische Sprache Frauen die ihnen hierbei zugedachten Rollen aus Prag-
In der Archaia dient das Wort nicht als Vermittler- matismus und mangelnder Einfühlung nicht spielen
instanz zwischen Wirklichkeit und Darstellungs- wollen; in den Fröschen kämpfen Euripides und Ai-
absicht. Vielmehr bringt das Medium Sprache Wirk- schylos darum, wessen Dichtung ihn zur Rückkehr ins
lichkeit unmittelbar hervor. Der Chor der Wespen trägt Leben qualifiziert. Parodistisches Lieblingsobjekt des
Stacheln, weil die Richter Athens – um die es in der Ko- Aristophanes ist hierbei das Werk des Euripides, mit
mödie geht – so aggressiv sind. Weil der Reichtum be- dem ihn so viel verbindet, dass von Kratinos, einem
kanntlich blind ist, muss im Plutos ein blinder Greis seiner Konkurrenten, das gehässige Bonmot des euri-
geheilt werden – und schon ist der Reichtum ›gerecht‹ pidaristophanizein geprägt wurde. Parodie findet sich
verteilt. In den Vögeln wird Wolkenkuckucksheim, das aber nicht nur im Großen, sondern kann jederzeit den
Vogelimperium zwischen Erde und Himmel, aus ei- komischen Diskurs bestimmen, oft genug ohne er-
nem Wortspiel erschaffen: Aus dem Himmelsraum pó- kennbaren Nebensinn. Die komische Sprache ist in al-
los wird eine neue Stadt, pólis (Vögel, 179–184). Der le Richtungen grundständig offen.
Wolkenchor der gleichnamigen Komödie verkörpert
im wahrsten Sinne des Wortes die ambivalente – kon- Komischer Körper
struktive wie destruktive – Macht der Sprache. Hierzu fügt sich konsequent, dass auch das komische
Wörter sind daher mehr als bloße Zeichen. Sie füh- Konzept vom menschlichen Körper v. a. die Körper-
ren in der Archaia ein von Mimesis und Rhetorik un- teile und -funktionen betont, die dem Kontakt mit der
abhängiges Eigenleben und wirken als körperhafte umgebenden Welt dienen: die Organe der Nahrungs-
Wörter bisweilen direkt auf die Handlung ein. Zwar aufnahme, Ausscheidung und Sexualität. Sie werden
kann das Griechische Nominalkomposita bilden, die nicht nur im Kostüm – s. o. – hervorgehoben, sondern
Exzessivität des Deutschen erreicht es gemeinsprach- auch die Sprache fokussiert alle damit verbundenen
lich allerdings nicht; die Komödie bildet dennoch ver- Vorgänge (vgl. Henderson 1991). Obszönitäten und
selange Wörter – ein besonders instruktives Beispiel: Fäkalkomik sind daher an der Tagesordnung, Sexuali-
Lysistrate 456–461 – oder gar, im Überschwang der tät bildet den Kern des utopischen Entwurfs wie in der
Lust am Nahrungsüberfluss, Monstrositäten wie eine Lysistrate, abgeschwächt in den Ekklesiazusen. Zur
78 Silben lange Pastete (vgl. Ekklesiazusen 1169– Imagination des Wohlstands in Friedenszeiten gehört
1175). In den Fröschen legen Aischylos und Euripides, ungehemmt ausgelebte Sexualität unbedingt dazu
die darum kämpfen, wen als den besten Tragiker Dio- (vgl. Friede 894–905).
nysos aus dem Hades mit zurück ins Leben nehmen Die Protagonisten, jedenfalls der Aristophanischen
wird, ihre ›wuchtigsten‹ Verse auf die Waage, um ihre Komödien, womöglich generell die der Archaia, sind
Gewichtigkeit zu vergleichen: Frösche 1378–1413. ältere Menschen, solche, die sowohl Jugend als auch
23 Komik mit theatralen Mitteln 181

Reifealter bereits hinter sich gelassen haben und deren Eine weitere Grenzüberschreitung findet in Rich-
Kinder selbst bereits erwachsen sind. Ihr ›Senioren‹- tung der Einbeziehung nicht-menschlicher dramatis
Alter steht ihnen jedoch nicht im Wege: Vielmehr personae statt. Wohl in Rückgriff auf ältere Ursprünge
scheinen sie gerade daraus, dass sie den Notwendig- des Dramas sind komische Chöre jedenfalls in Aristo-
keiten beruflicher und gesellschaftlicher Aktivität ent- phanes’ Frühwerk bisweilen (partiell) tiergestaltig – in
hoben sind, neue Gestaltungskraft zu gewinnen (vgl. den Rittern, den Wespen und (am weitestgehenden) in
v. Möllendorff 2007). So ist es – übertragen – in den den Vögeln und (innerhalb des Spätwerks) in den Frö-
Fröschen auch Aischylos, der Dichter der älteren Ge- schen –, und in den Wolken tritt ein Chor von entspre-
neration, der im poetischen Wettkampf den Sieg da- chend verkleideten Naturwesen auf. Das muss keine
vonträgt; und auch der sehend gemachte Reichtum im Ausnahme gewesen sein, wie überlieferte Werktitel
Plutos ist ein alter Mann. Die Protagonisten der Ar- nicht erhaltener Komödien – Dramen, Jahreszeiten,
chaia sind daher auch in dieser Hinsicht ambivalent: Lastschiffe, Inseln – zeigen. Der Archaia geht es offen-
Mit der dem Alter eigenen Erfahrung kombiniert sich kundig um Medialisierung und damit Ideologisierung
jugendliche Kraft und Wille zur Veränderung. In den der gesamten kontextuellen Welt, unter Aufbrechung
Wespen wird der starrsinnige alte Philokleon umerzo- aller Modi lebensweltlicher Hierarchisierung.
gen, gerät dadurch allerdings auch außer (sozialer)
Kontrolle: Mit seinem Triumph endet nichtsdestowe- Metatheater
niger das Stück. In den Rittern scheint zunächst der Wie nicht anders zu erwarten, kennt die Archaia auch
jüngere Wursthändler den älteren Paphlagonier zu be- keine illusionistische Selbstbegrenzung, sondern re-
siegen, nur um dann aber den heimlichen Protagonis- flektiert explizit und immer wieder nicht nur in der
ten des Stücks, das Volk (Herr Demos), aus seiner Al- Parabase, sondern auch im Verlauf der eigentlichen
tersdemenz zu erretten und wieder jung zu kochen. So Handlung ihre eigene Qualität und Funktion im poli-
stehen diese Protagonisten zwar nicht für ein psycho- tischen Geschehen. Sie bedient sich hierfür metathea-
logisches Konzept, dienen aber als ideologisches Sym- tralischer Modi im weitest denkbaren Umfang, von
bol: Sie verkörpern in ihrer Figur das gesamte poli- kleinen bis umfangreichsten Formen, und schafft so
stragende Volk und seine Fähigkeit zu Weiterentwick- eine rampenübergreifende Reflexionsebene: Die Polis
lung und politischer Kreativität. Athen steht der Komödie nicht als externer Medien-
Wenn auch männliche Protagonisten die Archaia nutzer gegenüber, sondern wird in das Medium Ko-
zu dominieren scheinen, gibt es doch Ausnahmen, mödie integriert, ist die eigentliche Bühne, auf der die
wie die ›Frauen-Komödien‹ Lysistrate, Thesmophoria- Komödie selbst nur eine (wichtige) unter mehreren
zusen und Ekklesiazusen aus den 20 Jahren nach der Rollen spielt, unter konsequenter Wahrung der be-
militärischen Katastrophe der Sizilischen Expedition schriebenen prinzipiellen Ambivalenz: So lautet die
(414 v. Chr.) mit ihrer brutalen Dezimierung der generische Selbstbezeichnung der Komödie trygodía,
männlichen Bevölkerung Athens zeigen. In diesen abgeleitet von tryx (Weinhefe) und parodistisch an
Stücken übernehmen die weiblichen Protagonisten tragodia angelehnt: Weinhefe ist einerseits ein bloßes
die sozialen Kompetenzen der Männer – Friedens- Residuum, steht jedoch andererseits für Wachstum
schluss mit Feinden, Gestaltung der politischen Ent- und Fruchtbarkeit.
scheidungsinstanzen wie der Volksversammlung –,
treten also eher in einem männlichen Habitus auf (in
23.1.2 Nea und Römische Komödie
den Ekklesiazusen verkleiden sie sich als Männer
und üben sich in männlichen Diskurspraktiken, vgl. Sowohl die griechische Neue Komödie als auch die
1–284). Auch hier sind es vorzugsweise alte Frauen, von ihr inhaltlich stark abhängige Römische Komödie
die über das nötige Durchsetzungsvermögen und setzen sich von der Archaia in vielerlei Hinsicht ab.
den erforderlichen Ideenreichtum verfügen, während Die Nea wird weiterhin an den Dionysosfesten auf-
sich jüngere Frauen, die noch mitten im Fortpflan- geführt; die Römische Komödie hingegen wird an un-
zungsgeschehen stehen, als labil und anfällig für terschiedlichen, über das Jahr verteilten Feiertagen im
männliche Avancen erweisen (gut zu sehen v. a. in Ly- Rahmen von ludi scaenici inszeniert; die kultische An-
sistrate). Männliche Protagonisten müssen, um zu re- bindung ist daher hier eher gering, vielmehr sind die
üssieren, weibliche Gendermerkmale übernehmen ludi Orte der Begegnung von Führungsschicht und
und sind dabei nicht unbedingt erfolgreich (vgl. Thes- einfachen Bürgern. In den Stücken selbst ist in vieler-
mophoriazusen). lei Hinsicht die Reduktion von Ambivalenz festzuhal-
182 III Mediale Formen des Komischen

ten. In den Fokus der Darstellung tritt, unter Hint- und Terenz. Lässt sich die Archaia nur in große, recht
anstellung politischer Themen, die Familie, und damit variabel eingesetzte Bauformen analysieren, kann
v. a. die zwischenmenschlichen Verhältnisse auf der man hier eher von einer in harmonische Blöcke ge-
Ebene des normalbürgerlichen ›Haushalts‹ (oikos) gliederten Handlungsführung sprechen. Auf die Plau-
und der nachbarschaftlichen Beziehungen. Die Ge- tinische Komödie wirkte auch die der Commedia
schehnisse um die nunmehr auch als psychologische dell’Arte ähnliche sog. Atellane ein, die wohl dras-
Typen auftretenden Figuren (der ›nichtsnutzige Skla- tisch-derber daherkam; auch hier lässt sich aber aus
ve‹, die ›jungen Liebenden‹, der ›hartherzige Vater‹, Gründen fehlender Überlieferung nur wenig Verläss-
die ›durchtriebene Kupplerin‹ etc.) sind v. a. vom frei liches sagen. Plautus verzichtet, wohl in dieser Traditi-
waltenden Zufall (tychê) bestimmt; ein Zusammen- on, auf eine Nea-gemäße Handlungsführung, ebenso
hang sowohl des thematischen Wandels als auch der auf das Fünf-Akte-Schema: offensichtlich ein ab-
Zentralisierung der Tyche mit den politischen Ver- sichtsvoller Verzicht, der zu einer Verstärkung der Si-
hältnissen Athens im ausgehenden 4. Jh. v. Chr. – po- tuationskomik führt, gerade weil die fundamentale
litische Unsicherheit, starke externe Bestimmtheit der Plotanlage als solche recht invariabel ist. Was aus der
Verhältnisse, Reduktion der Möglichkeiten autarker als defizitär empfundenen Ausgangslage in der Alten
politischer Gestaltung – ist in der Forschung immer Komödie am Ende herauskommt, ist kaum vorher-
wieder behauptet worden, jedoch ist der Zufall auch in zusehen; in der Nea und in der Römischen Komödie
der Römischen Komödie mit ihren andersartigen so- hingegen steht am Schluss üblicherweise die lange er-
zialen Kontexten (Plautus schreibt zum Teil während sehnte und immer wieder erschwerte Hochzeit des
des 2. Punischen Krieges, Terenz nicht) handlungslei- jungen Paares. Generierte sich in der Archaia also ein
tend. Eine politische Dimension ist in der Forschung nicht unbeträchtlicher Teil der komischen Wirkung,
behauptet worden (vgl. Blanchard 2007), doch wenn neben dem unerwarteten utopischen Plan des Pro-
man auch nicht genug betonen kann, dass jedenfalls tagonisten, aus der auch formalen Überraschung, so
im Athen auch noch des 4. Jh.s Oikos- und Poliszuge- ist hier eine deutliche Schließung und ›Vollendung‹ zu
hörigkeit zwei Seiten einer Medaille sind, so wird ein beobachten.
Zuschauer zwar mit den Plots der Neuen Komödie Dieser Vereinheitlichung fügt sich auch die – be-
und ihrer römischen Nachfolgerin politisch umgehen reits im Spätwerk des Aristophanes in ihren Anfängen
können: Eigentliche ideologische Positionen werden zu beobachtende – Reduktion des Chores. Für die
gleichwohl nicht ins Spiel gebracht, wir wissen aller- Handlung der Nea spielt er überhaupt keine Rolle
dings aus späteren Äußerungen des 1. Jhs. v. Chr. (also mehr, denn diese ist aus der Orchestranähe weg auf
100 Jahre nach Terenz, 150 Jahre nach Plautus), dass das ursprüngliche Dach der Skêné, das jetzt zur Hoch-
das Publikum jedenfalls Tragödien durchaus politisch bühne wird, verlagert; der Chor tritt nur noch zwi-
rezipierte, ja durch entsprechende Äußerungen (Stöh- schen den Akten mit unterhaltsamen, wohl kaum mit
nen, Applaus, Da-capo-Rufe) geradezu politisierte. der Handlung verbundenen und auch nicht überlie-
Mindestens ebenso wesentlich ist die Beobachtung, ferten Liedern auf. Die Distanz zum Publikum wird
dass in den Komödien der Nea eine starke generische dadurch größer: Ein unmittelbarer Kontakt wie in der
Annäherung an die Tragödie zu beobachten ist (vgl. Archaia ist nicht mehr möglich, dadurch wird die Ko-
Hurst 1990): Auch in ihr ging es ja immer schon um mödie eher ein Stück zum Anschauen als eines der
die Verhältnisse zwischen (wenn auch mythisch-aris- Teilhabe, denn auch der Bürger steht nicht mehr als
tokratischen) Familien und Individuen, und auch der Choreut vor seinen Mitbürgern, spricht nicht mehr zu
Zufall, verbunden mit zum Unglück (in der Komödie ihnen. Der Prolog leitet nicht mehr die Handlung ein,
aber zum schlussendlichen Glück) ausschlagenden sondern ist mehr eine Art Vorwort, in dem die groben
Fehlhandlungen, ist in der Tragödie oft handlungslei- Züge der Handlung vorweggenommen werden – auch
tend, insbesondere in der Euripideischen Tragödie, dies eine Maßnahme der Distanzierung des Publi-
die auch hier also eine weitreichende Wirkung über kums, und wenn auch der handlungsdominierende
ihr unmittelbares Umfeld hinaus entfaltet hat. und intrigenspinnende Sklave gern als metapoetische
Entsprechend ist die Plotstruktur deutlich geord- Figur gesehen wird, so ist damit doch eher eine subtile
neter und unterwirft sich nunmehr einem Fünf-Akte- Reflexionsebene eröffnet als eine Einbeziehung des
Schema mit klarer Auszeichnung von Momenten der Publikums geleistet. Während das griechische Theater
Retardation und Peripetie, drohender und letztlich zur Zeit der Nea bereits aus Stein ist – das Theater also
dann abgewendeter Katastrophen; so bei Menander einen festen Platz im offiziellen Kulturleben der Polis
23 Komik mit theatralen Mitteln 183

besitzt –, werden die erhaltenen Römischen Komödi- Flaig, Egon: »Über die Grenzen der Akkulturation. Wider
en in temporären Holzkonstruktionen inszeniert. die Verdinglichung des Kulturbegriffs«. In: Gregor Vogt-
Entsprechend schließt sich auch die Handlung ge- Spira/Bettina Rommel (Hg.): Rezeption und Identität. Die
kulturelle Auseinandersetzung Roms mit Griechenland als
genüber der politischen, aber auch der sozialen Wirk- europäisches Paradigma. Stuttgart 1999, 81–112.
lichkeit ab. Zwar stehen familiäre Themen im Vorder- Halliwell, Stephen: »The Uses of Laughter in Greek Culture«.
grund – es geht eigentlich immer um Hochzeit und In: Classical Quarterly 41. Jg. (1991), 279–296.
die dazugehörige Geldbeschaffung über alle Wider- Henderson, Jeffrey: The Maculate Muse. New Haven/Lon-
stände hinweg –, aber eben in typisierter Weise, ohne don 21991.
Hubbard, Thomas: The mask of comedy. Aristophanes and the
individualisierten Bezug. Das Publikum wird primär
intertextual parabasis. Ithaca/London 1991.
nurmehr im Prolog angesprochen, Individualspott, Hunter, Richard L.: The New Comedy of Greece and Rome.
wie er für die Archaia charakteristisch ist, hat keinen Cambridge 1985.
Platz. Daher verschließt sich die Komödie auch weite- Hurst, André: »Ménandre et la tragédie«. In: ders./Eric
ren städtischen Diskursen: Parodie, gerade auch Tra- Handley (Hg.): Relire Ménandre. Genf 1990, 93–122.
gödienparodie, wird reduziert, die Sprache auf ge- Kruschwitz, Peter: Terenz. Hildesheim 2004.
v. Möllendorff, Peter: Aristophanes. Hildesheim 2002.
hobenem Niveau vereinheitlicht. Das gilt auch für die v. Möllendorff, Peter: »In alter Frische – Generation und
gerade in der Römischen Komödie des Plautus so we- Generationskonflikt in der Aristophanischen Komödie
sentliche Sklavenfigur. Terenz wird schon in der Anti- der zweiten Schaffensperiode«. In: Thomas Baier (Hg.):
ke für seinen sermo lectus et purus gelobt. Die ›griechi- Generationenkonflikte auf der Bühne. Perspektiven im anti-
schen‹ Stücke der Römischen Komödie (fabulae pal- ken und mittelalterlichen Drama. Tübingen 2007, 83–99.
Moore, Timothy J.: The Theater of Plautus. Playing to the Au-
liatae) – nur solche Komödien sind erhalten – sind
dience. Austin 1998.
durch ihr unrömisches Ambiente noch weiter vom Park Poe, Joe: »Multiplicity, Discontinuity, and Visual Mea-
Publikum entfernt; man hat sie geradezu als repetitive ning in Aristophanic Comedy«. In: Rheinisches Museum
Inszenierung römischer Überlegenheit über ›die Grie- 143. Jg. (2000), 256–295.
chen‹ deuten wollen (vgl. Flaig 1999), wobei dann un- Rau, Peter: Paratragodia. Untersuchung einer komischen
klar bleibt, warum es hierfür solcher Insistenz bedurf- Form des Aristophanes. München 1967.
Seidensticker, Bernd: Das antike Theater. München 2010.
te. Wie viel Publikumsaffinität in den Komödien mit
Slater, Niall W.: »Making the Aristophanic Audience«. In:
römischem Thema (fabulae togatae) möglicherweise American Journal of Philology 120. Jg. (1999), 351–368.
gegeben war, muss mangels Überlieferung offenblei- Versnel, Henk S.: »Komödie, Utopie und verkehrte Welt«.
ben. Die Komödie des Terenz tendiert in ihren meist In: Gerhard Binder/Bernd Effe (Hg.): Das antike Theater.
hochkomplizierten Plots, die weder als ›anderweitige Aspekte seiner Geschichte, Rezeption und Aktualität. Trier
Handlung‹ auf komische Effekte abzielen noch viel pa- 1998, 93–114.
Wiles, David: The Masks of Menander. Sign and Meaning in
radigmatische Situationskomik entfalten (ein instruk- Greek and Roman Performances. Cambridge 1991.
tives Beispiel bietet etwa der Selbstquäler (Heautonti- Wilson, Peter: The Athenian Institution of the Khoregia. The
morumenos), 163 v. Chr. aufgeführt), stark zum Mora- Chorus, the City and the Stage. Cambridge 2000.
lisieren und zur Didaktik; diesen Mangel an Komik ta- Zimmermann, Bernhard: Die griechische Komödie. Frank-
delte bereits die Antike. Nea und Römische Komödie furt a. M. 2006.
entwerfen im Sinne dieser Abschließung auch keine Peter von Möllendorff
utopischen Szenarien im Sinne einer visionären Ver-
änderung der Gesellschaft, sondern lassen eine Stö-
rung des privaten und nachbarschaftlichen Miteinan-
23.1.3 Theater im Mittelalter
ders in die gefeierte Wiederherstellung der tradierten
gesellschaftlichen Ordnung münden. Die von ihnen Das Theater des Mittelalters stellt einen eigenständi-
inszenierte ›verkehrte Welt‹, in der Sklaven die eigent- gen Theatertyp dar, der sich sowohl vom antiken
lichen Lenker, ja Herren sind, ist nicht einmal inten- Theater, als auch von den Theaterformen der Frühen
tional von Dauer. Neuzeit, wie z. B. der englischen Komödie, dem hu-
manistischen Theater oder dem protestantischen
Literatur Schultheater, erheblich unterscheidet. Man wird die-
Blanchard, Alain: La comédie de Ménandre. Politique, Éthi- sem Theatertyp deshalb nicht gerecht, wenn man ihn
que, Esthétique. Paris 2007. lediglich vom antiken oder vom frühneuzeitlichen
Conte, Gian Biagio: Latin Literature. A History. Baltimore
1994.
Theater her, nicht aber aus sich selbst heraus beurteilt.
Das mittelalterliche Theater, v. a. das geistlich-religiö-
184 III Mediale Formen des Komischen

se Spiel, erwächst aus dem christlichen Kult und bleibt Gelächter des Bösen im geistlichen Spiel
lange Zeit Teil des christlichen Gottesdienstes und Das religiöse Theater des Mittelalters erwächst aus der
Festkalenders. Eine vergleichbare Einbindung in den Liturgie des Gottesdienstes, v. a. des Ostergottesdiens-
christlichen Festkalender gilt auch für das weltliche tes. Es ist Teil der Verkündigung von der Auferstehung
Spiel, insbesondere das Fastnachtspiel, dessen Datie- Jesu von den Toten, zugleich aber auch Inszenierung
rung vor der Fastenzeit ebenso festgelegt war, wie – und praktische Vergegenwärtigung der Auferstehung
bei den geistlichen Spielen – das Weihnachtsspiel zur selbst. Dabei steht der Besuch der drei Marien am
Weihnachtszeit, das Passionsspiel zur Passions- und Grab Jesu (visitatio) am Anfang, denen der Engel die
das Osterspiel zur Osterzeit. Hinzu kommt, dass zu- Auferstehung Jesu verkündet. Beide, die Marien und
mindest in Frankreich bestimmte Karnevalsinszenie- der Engel, sind Kleriker, die diesen Ostertropus sin-
rungen, wie z. B. die Narrenfeste (fêtes des fous), die gen, zugleich aber – durch Requisiten und andere Zei-
Eselsfeste, die ›Feste der unschuldigen Kinder‹ u. a., chen – diese Rollen übernehmen und sich als Marien
die zahlreiche Übereinstimmungen mit der deutschen und Engel präsentieren. Diese visitatio ist die Grund-
Fastnacht und dem Fastnachtspiel aufweisen, in den form des mittelalterlichen religiösen Theaters, die be-
Kathedralen Nordfrankreichs zur Aufführung kom- reits seit dem 10. Jh. belegt und in der Folgezeit immer
men, geistliches und weltliches Spiel also keineswegs weiter ausgebaut worden ist. Das betrifft – im Oster-
prinzipiell getrennt sind. spiel – neben der Erweiterung durch geistlich-bib-
Diese Nähe beider Spieltypen zeigt sich nicht zu- lische Spielsequenzen, wie der Begegnung Maria Mag-
letzt auch in den komischen Techniken, derer sie sich dalenas mit Jesus als Gärtner, dem Lauf der Jünger
bedienen, und die für beide besonders kennzeichnend zum Grab oder der Entwicklung weiterer Spielformen
sind. Dabei sind zwei Charakteristika zu berücksichti- religiösen Theaters, wie Weihnachtsspiele, Passions-
gen, die für beide Spieltypen gleichermaßen gelten: spiele oder Fronleichnamsspiele, insbesondere eine
1. Das geistliche und das weltliche Spiel folgen einer Öffnung des geistlichen Spiels für alle nur denkbaren
performativen Logik. Im geistlichen Spiel wird das Formen des Bösen in Welt und Hölle, die wir v. a. im
z. B. dann deutlich, wenn im Osterspiel in der Oster- Osterspiel beobachten können. So z. B. führt der Weg
botschaft des Engels an die drei Marien vor dem Grab der drei Marien zum Grab nun über einen Salben-
Christi dessen Auferstehung noch einmal faktisch händler, bei dem sie Salben und Öle kaufen können,
vollzogen wird, oder wenn mit Christi Abstieg zur um Jesu Leichnam, entsprechend den jüdischen Be-
Hölle (descensus ad inferos) die Überwindung der gräbnisriten, zu salben und zu ölen. Dieser Händler
Macht des Teufels tatsächlich erfolgt, die Höllentore allerdings entpuppt sich in vielen Spielen als Betrüger,
geöffnet und die Altväter herausgeführt werden. Wir der seine Preise überhöht und schlechte Ware ver-
werden sehen, dass diese performative Dimension kauft, aber auch seinerseits von seinem Knecht betro-
auch das Fastnachtspiel des Mittelalters prägt, auch gen, seiner Frau beraubt und ins Elend gestürzt wird,
hier also die Reden und Handlungen der Figuren be- was aber beim Publikum kein Mitleid, sondern ganz
stimmte Handlungen generieren. im Gegenteil schadenfrohes Gelächter hervorruft.
2. Zwar liegt der ursprüngliche Spielort des geist- Ähnliches gilt für eine zweite Spielsequenz, die der ur-
lichen Spiels innerhalb der Kirche, in der Regel neben sprünglichen visitatio der Marien hinzugefügt wird
dem Altar, doch wurden die Aufführungen im Über- und nun sogar das Böse und die Bösen selbst in das
gang vom hohen zum späten Mittelalter zunehmend Heilsgeschehen des Osterspiels integriert: Mit Jesu
aus der Kirche auf Plätze vor der Kirche oder auf einen Abstieg zur Hölle (descensus ad inferos) öffnet sich das
zentralen Markt der Stadt verlagert oder prägten sogar Spiel zur Hölle und zu den Teufeln als dem Ort und
mit Prozessionen, stehenden Bildern oder einzelnen den Verkörperungen des Bösen, die sich durch eine
kleinen Aufführungen die ganze Stadt. In noch stärke- besondere Freude am Bösen, Schadenfreude am Lei-
rem Maße gilt dieser kollektive Charakter des mittel- den der geschundenen Seelen und dementsprechen-
alterlichen Theaters für das Fastnachtspiel, das – in des Gelächter auszeichnen.
Prozessionen und Spielzügen – in die karnevaleske Noch in Th. Manns berühmter Höllenbeschrei-
Festkultur der ganzen Stadt eingebunden ist und da- bung im 25. Kapitel des Doktor Faustus wird das »wie-
bei auf höchst komische Weise prinzipielle Probleme hernde« Teufelsgelächter hervorgehoben, das »Höl-
von Ehe, Recht und sozialer Ordnung verhandelt, die lengejauchz« und »Schandgetriller« (Mann 1965, 327)
für den Bestand und das Wohlergehen der Stadt von über die Verdammten, die neben ihrer Qual auch
größter Bedeutung sind. noch das Gelächter ihrer Peiniger zu ertragen haben.
23 Komik mit theatralen Mitteln 185

Es ist ein Lachen über den Schmerz und die Leiden Lachen der Überlegenheit, das seine schönste Pointe
der Sünder, die in der Gewaltmaschinerie der Hölle daraus gewinnt, dass Luzifer wie ein Mühlsack in die
gefoltert werden; ein Lachen der Lust am Schaden der Hölle zurückgeschleppt werden muss: ein Bild des
Gepeinigten. Diese Schadenfreude ist auch schon im Jammers und des Erbarmens, der darum bettelt, dass
geistlichen Spiel des Mittelalters eine wichtige Affekt- man ihm nicht wehtun möge (Schottmann 1986, V.
lage der Teufel. Dennoch ist sie weder ihre einzige 1978).
Form des Lachens, noch repräsentiert sie die Lachfor- Diese Komik der Entmächtigung des Teufels findet
men in den Krämerszenen des Osterspiels. sich in den Teufelssequenzen der geistlichen Spiele,
Die Osterspiele des Mittelalters sind wahre Fund- insbesondere der Osterspiele, immer wieder.
gruben komischer Techniken. Das gilt für die Teufels- Ein weiterer Komiktyp der Teufelssequenzen be-
sequenzen ebenso wie für die Krämerszenen. trifft eine Komik der Gegenbildlichkeit, die Luzifer,
1. Teufel sind groteske Mischwesen, die tierische den gefallenen Engel Gottes, auf sein Gegenbild: Gott-
und menschliche Attribute miteinander verbinden; vater selbst oder den Gottessohn Jesus Christus, be-
mit ihren Bocksfüßen und Fledermausflügeln, ihren zieht und in diesem impliziten Vergleich in seiner
spitzen Satyrohren und einem breiten Maul; mit einer Bösartigkeit und Hässlichkeit sichtbar, aber auch lä-
zottigen Behaarung und einer Stimme, die dem Bel- cherlich macht. Denn in der Komik der Gegenbild-
len eines Hundes oder dem Grunzen eines Schweins lichkeit ist »der komische Held nicht an sich selbst,
ähnlicher ist als der Stimme eines Menschen, außer- sondern vor einem Horizont bestimmter Erwartun-
ordentlich bedrohlich erscheinen, in dem Maße aber, gen, mithin im Hinblick darauf komisch, dass er diese
wie sie diese Bedrohlichkeit mit alltäglichen Verrich- Erwartungen oder Normen negiert« (Jauss 1976, 105).
tungen von Menschen verbinden oder sogar selbst Eine solchermaßen gegenbildliche Komik liegt z. B.
vermenschlicht werden, umso komischer wirken. dann vor, wenn der Luzifer des Redentiner Osterspiels
Denn was soll man davon halten, wenn – wie im Re- vom siegreichen Christus zwar in Ketten gelegt wor-
dentiner Osterspiel (1465) – Luzifer, immerhin der den ist, aber gleichwohl auf einem Fass reitend daher-
oberste Machthaber in der Hölle, allein beim Anblick kommt, sich damit gegenbildlich auf Gottes himm-
eines Räubers, der in die Hölle geführt wird, vor Zorn lischen Thron bezieht und trotz seiner Gefangenschaft
Kopfschmerzen bekommt (vgl. Schottmann 1986, V. die Herrschaft über seine Mitteufel beansprucht.
1613) oder, da sein vertrautester Teufel Satan zu lange Seinen deutlichsten Ausdruck findet dieser im
ausbleibt, fürchtet, dass er von einer Seuche oder Grunde lächerliche Machtanspruch in der Aussen-
›plötzlichen Lähmung‹ befallen oder sogar gestorben dung der Teufel in alle Welt, um neue Seelen in die
sei? Ein Teufel, der Kopfschmerzen bekommt, der Hölle zu holen, wobei sich Luzifer offensichtlich des
das Bett hüten muss oder von einer Lähmung nie- Missionsbefehls Jesu an seine Jünger (»Darum gehet
dergestreckt wird, wirkt komisch auf uns, weil damit hin und macht zu Jüngern alle Völker: Taufet sie im
zwei Darstellungsebenen miteinander verbunden Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen
werden, die prinzipiell inkompatibel sind: Luzifer ist Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch befoh-
der Oberste aller Teufel, er ist von erschreckender len habe«, Mt 28, 19 f.) – auch dies ein gelungenes Bei-
Hässlichkeit, durch und durch böse und von überwäl- spiel gegenbildlicher Komik – bedient:
tigender Bedrohlichkeit, die nicht von dieser Welt ist.
Wird dieses Schreckenswesen mit menschlichen Ma- Gy scholen ju snelle van hennen heven
ßen von Krankheit und Gebrechlichkeit gemessen Unde na mynen baden streven.
und auf diese Weise mit der Alltagswirklichkeit des De lude schole gy alzo leren,
Menschen verbunden, dann lässt das »den Effekt des Dat se sik ja van gade keren,
Grausigen in befreiende Komik umschlagen« (Jauss Beyde leyen nude papen,
1977, 396). Wo aber über den Teufel gelacht werden Herren, rittere unde knapen.
kann, da hat er sein Bedrohungspotenzial und seinen (Begebt euch schnell hinweg
dämonischen Schrecken verloren. Im Redentiner Os- und richtet euch nach meinen Geboten.
terspiel mündet diese Depotenzierung des Teufels in Unterrichtet die Leute so,
ein Bild Luzifers, der verlacht werden kann, sich nur dass sie sich von Gott abkehren,
noch in seiner Ohnmacht präsentiert, schließlich sein sowohl Laien als auch Pfaffen,
Gewaltpotenzial gegen sich selbst kehrt und damit bei Herren, Ritter und Knappen.)
seinem Publikum erneut Gelächter auslöst. Es ist ein (Schottmann 1986, V. 1088–1093)
186 III Mediale Formen des Komischen

Dabei erwächst die Komik von Luzifers Aussendungs- Furcht« (Warning 1974, 112) vor den Drohungen des
befehl erst aus dem Gegenbild zum Subtext des Jesus- Bösen zu verstehen ist, folgt Rubins Panegyricus auf
wortes, das Luzifers ›Missionsbefehl‹ ebenso lächer- die Heilkünste seines Meisters wohl eher einer paro-
lich macht wie seinen Ritt auf dem Fass aufgrund des distischen Komik der Gegenbildlichkeit.
Gegenbilds zum Thron Gottes. Besonders kunstvoll gerät das Spiel unterschiedli-
Damit sind die beiden prominentesten Komikfor- cher Komikformen dann, wenn Rubins Knecht Las-
men dargestellt, die in den Teufelssequenzen des geist- terbalg sich in der hochstilisierten Rhetorik von Min-
lichen Spiels je neu variiert werden. In den Krämer- nedienst und Minnesang darum bemüht, Rubins Frau
szenen werden sie ergänzt durch eine höchst kunst- Antonia sich gefügig zu machen und mit diesem paro-
volle Komik der Übervorteilung und der Gewalt, die distischen Kunststück zweifellos Gelächter hervor-
v. a. am Krämer selbst und seinem Diener entfaltet ruft, Antonia ihn aber unverzüglich auf den harten
wird. Boden der Tatsachen zurückholt. Es wisse doch jeder,
2. So z. B. baut das sog. Innsbrucker Osterspiel (1391) dass Lasterbalk »in den lenden lam« (Meier 1962, V.
– das allerdings aus Mitteldeutschland, wahrscheinlich 769), also kein sehr feuriger Liebhaber sei, so dass sie
aus Thüringen stammt – noch auf der visitatio der drei gern auf einen solchen Versager verzichte. Lasterbalk
Marien und anderen topischen Szenen des Osterspiels bleibt da nichts anderes übrig, als sich ausgerechnet in
auf, verbindet sie aber mit zahlreichen Szenen der bö- ein Franziskanerkloster zurückzuziehen. Das Geläch-
sen Welt, die in der Regel hart, und d. h. ohne jeden ter aber, das hier geweckt wird, bewältigt keine Angst
Übergang, an die geistlichen Sequenzen angeschlossen vor dem Drohpotenzial des Bösen, sondern schafft die
werden. Im Mittelpunkt steht dabei der Salbenkrämer Möglichkeit ausgrenzenden Gelächters über die hoh-
mit seinen Knechten Pusterbalk und Rubin, die ein len Konventionen des Minnesangs und des monasti-
wahres Feuerwerk komischer Verkehrungen und Ent- schen Keuschheitsgelübdes, die an den harten Realitä-
grenzungen entzünden. Diese betreffen hinreißende ten alltäglicher körperlicher Defizite zugrunde gehen.
Beispiele einer parodistischen Komik der Gegenbild- Dabei ist es v. a. der Kontrast zwischen dem ›hohen‹
lichkeit ebenso wie die engste Verschränkung von Ge- Stil der Minnewerbung und dem Alltagsbefund, der
lächter und Gewalt; die komische Destruktion sprach- in diesem Fall Lachen hervorruft, nicht aber die Be-
licher Logik wie eine groteske Komik absurdester Bil- wältigung der Angst.
der und Verrichtungen, denen jegliche Sinnhaftigkeit Das wird nicht zuletzt in der Lust am sprachlichen
abhandengekommen ist, in der Regel aber auch in Unsinn deutlich, in den diese und andere Spielse-
Gewalt oder zumindest Imaginationen von Gewalt quenzen zum Verhältnis der Geschlechter häufig
münden. münden. Zwar geht es dabei unverkennbar und im-
So z. B. ist der Knecht Rubin ein Meister des indi- mer wieder um Gewalt, v. a. um Gewalt gegen Frauen,
rekten Sprechens, der sexuellen Anspielungen und des doch muss man diese Gewaltbilder nicht für einen
ironischen Lobs. Während er beim Salbenkrämer und Ausdruck des Schreckens vor der Gewalt halten, son-
seiner Frau gerade wegen seiner frawen dinste um Ver- dern – im Gegenteil – einer Lust am Unsinn, an der
trauen wirbt und mit durchweg sexistischen Anspie- jede Ordnung der Sprache und des Sinns zerbricht.
lungen seinen späteren Ehe- und Treuebruch mit des- Körperliche Gewalt und Zerstörung von Sinn, Ver-
sen Frau vorwegnimmt, preist er dessen medizinische gewaltigungsfantasien und rhetorischer Galimathias
Künste mit einem höchst ironischen Werbelied an, erweisen sich gleichermaßen als Indikatoren einer
das anstelle medizinischer Kenntnisse seines Herrn heillosen Welt, die lediglich durch den intakten heils-
dessen völlige Unfähigkeit hinausposaunt (Meier geschichtlichen Rahmen des Ostergeschehens zusam-
1962, V. 623ff.). Zwar gehört die zornige Polemik ge- mengehalten wird.
gen unfähige und betrügerische Ärzte zum eisernen Neben dem Osterspiel kennen auch andere Typen
Bestand der mittelalterlichen Ständedidaxe, die in der des geistlichen Spiels im Mittelalter komische Figu-
Regel dagegen auch den bekannten Droh- und Ge- ren und Techniken, doch sind sie hier nicht so gen-
waltapparat teuflischer Rachefantasien aufbietet. Im rebestimmend wie im Osterspiel. So z. B. sind die
Osterspiel hingegen bietet sie Gelegenheit zum Ge- Weihnachtsspiele einerseits auf die Hirten, die den
lächter, wobei der Grund des lachenden Vergnügens gerade geborenen Erlöser anbeten wollen, anderer-
allerdings keineswegs eindeutig ist. seits auf die drei Magier oder Könige konzentriert,
Während die lachende Verhöhnung Luzifers wohl die dem Stern aus dem Osten gefolgt sind und eben-
– im Sinne R. Warnings – als Lachen der »besiegten falls das Kind beschenken und anbeten wollen. In
23 Komik mit theatralen Mitteln 187

diesem Figurenensemble wird Joseph verschiedent- Was aber heißt ›Karneval‹? Es war v. a. M. Bachtin,
lich zu einem trotteligen Alten stilisiert, der von den der – z. B. in seinem Rabelais-Buch – Grundpositio-
Mägden gefoppt wird, alles falsch macht und nichts nen einer Theorie des Karnevals entworfen hat, wel-
versteht, schon gar nicht, dass hier der Christus in che die neuere Karneval-Forschung maßgeblich ge-
der Krippe liegt, und in dieser Tumpheit zweifellos prägt haben, aber auch entschieden kritisiert worden
komisch wirken soll. Eine Verschiebung der Komik sind. Im Zentrum von Bachtins Karnevaltheorie steht
und der komischen Figur bieten die besonders in die prinzipielle Opposition von »offizieller« und »kar-
Frankreich populären Herodesspiele, die Herodes ei- nevalesker« Zeit, von »autoritärem« Wort und dessen
nerseits als blutrünstigen Gewaltherrscher zeigen, Verspottung, von obrigkeitlich-gelehrter und Volks-
andererseits aber auch als grotesk-komische Figur kultur. Im Karneval würden – so Bachtin – die soziale,
gestalten. politische, religiöse Ordnung in ihr Gegenteil ver-
Ganz anders stellt sich die Relevanz des Komischen kehrt, die Obrigkeiten ihrer Macht beraubt und, für
in den ebenfalls in Frankreich sehr beliebten Narren- die befristete Zeit des Karnevals, ein Fest der fröhli-
festen (fêtes des fous), den Esels- und Kinderbischofs- chen Anarchie eröffnet, in dessen Verlauf die Herr-
festen dar, in denen die karnevaleske Lust an der In- schaft verlacht, die kirchlichen Institutionen verhöhnt
version jeder sozialen und klerikalen Ordnung, der und die gewohnten Regelsysteme des Denkens, Spre-
strikten Unterscheidung von Mensch und Tier, Jung chens und Handelns auf den Kopf gestellt würden.
und Alt, Männern und Frauen im Mittelpunkt steht Zwar hat Bachtin die moderne Beurteilung des
und die Kathedralen v. a. Nordostfrankreichs mit lär- Karneval grundsätzlich revolutioniert, dennoch halte
mendem Gelächter erfüllt. Es ist eine Zeit der Ausnah- ich in seinem Ansatz zwei Punkte für eher problema-
me von allen Ordnungsmustern und Hierarchien, die tisch: Zum einen geht Bachtin von einem absoluten
auf die Zeit von 25. Dezember bis zum 6. Januar be- Dualismus von obrigkeitlicher und Volkskultur aus,
schränkt ist, in ihrer Wildheit, Körperidolatrie und der in dieser Radikalität wohl nie existiert hat. Viel-
Kunst der Masken und Vermummungen aber schon mehr zeigen historische Studien z. B. zur deutschen
auf das weltliche Spiel des Mittelalters verweist. Fastnacht des Spätmittelalters oder den französischen
fêtes des fous, dass gelehrte und populäre Festformen
Karnevaleske Verkehrung und Sicherung der sehr viel stärker ineinander verzahnt und keineswegs
sozialen Ordnung im Neidhart- und Fastnachtspiel nur strikt voneinander getrennt waren. Zum anderen
In den vormodernen Gesellschaften Europas bilden geht Bachtin von einem diffusen ›Volks‹-Begriff aus,
Feste Zeiten der Ausnahme. Sie eröffnen – in einer der sozialhistorisch entschieden präzisiert werden
von ökonomischen, politischen und sozialen Krisen müsste, um auch theoretisch tragfähig zu sein.
geprägten Gesellschaft – Möglichkeiten des Genusses Diese Präzisierung des Karneval-Begriffs und sei-
und der Verschwendung; der friedlichen Vergesell- ner historischen Rahmenbedingungen ist v. a. von N.
schaftung, aber auch der Verkehrung der sozialen und Schindler geleistet worden. »Vom Karneval zu reden«,
moralischen Ordnung sowie der – wenn auch nur so Schindler, »heißt über die Gesellschaft reden, die
spielerischen – Infragestellung der herrschenden sich da einen Augenblick lang kollektiv selbst insze-
Überzeugungen und Weltbilder. Diese Zeit der Aus- niert unter der Prämisse, dass alles auch ganz anders
nahme von den herrschenden Regeln sozialer Selbst- sein könnte« (Schindler 1992, 121). Diese Kunst der
verständigung und kultureller Praxis charakterisiert Verkehrung betrifft alle nur denkbaren »Gegensatz-
v. a. die karnevaleske Festkultur, die bald nach Weih- paare, [...] zwischen deren Polen sich Alltagserfah-
nachten (Neujahr, Dreikönigstag) beginnt, ihren Hö- rung konstituiert« (ebd., 135). Denn dass die Gesell-
hepunkt vor und nach dem Sonntag Estomihi, dem schaft in Herren und Knechte auseinanderfällt, in Rei-
Fastnachtsonntag, findet und mit dem Aschermitt- che und Arme, aber auch in Junge und Alte, Männer
woch endet. Die beiden wichtigsten Formen des welt- und Frauen, Schöne und Hässliche, und dass Men-
lichen Spiels im Mittelalter: Neidhartspiele und Fast- schen sich grundsätzlich von Tieren unterscheiden,
nachtspiele, sind zunächst integraler Bestandteil der gehört zu den selbstverständlichen Wissensformen,
karnevalesken Festkultur. Erst in der zweiten Hälfte die im Karneval allerdings auf den Kopf gestellt wer-
des 16. Jh.s scheint sich – wohl schon bei Hans Sachs, den und damit unbändiges Gelächter hervorrufen.
dann v. a. in den Singspielen Jakob Ayrers – der enge Die Grundform des karnevalesken Festes ist – wie
Verbund von Karnevalskultur und Fastnachtspiel ge- in geistlichen oder höfischen Festen auch – die Prozes-
lockert zu haben. sion. Menschen in unterschiedlichen Verkleidungen
188 III Mediale Formen des Komischen

oder Masken, Musikanten und Tänzer, die den Tanz- und deshalb wie Ochsen vor Egge oder Pflug ins Joch
rhythmus durch groteske Bewegungen oder Verzer- (iugum) gespannt und auf diese Weise zur Ehe (coniu-
rungen des Körpers unterstreichen; Narren, welche gium) gezwungen werden (H. Rosenplüt: Das Eggen-
die Zuschauer mit ihren Narrenpritschen schlagen, ziehen); Männer, die ›falsch‹ geheiratet haben, von ih-
und Schausteller, die Kunststücke oder kleine Sketche ren Frauen zum Hahnrei gemacht werden und damit
vorführen, vereinigen sich zu einem lärmenden Um- die Ordnung von Haus und Gesellschaft gefährden;
zug, der in der Regel nicht in geordneten Bahnen ver- Bauern, die aus ihrem Stand ausbrechen und deshalb
läuft, sondern die ganze Stadt in seinen Rhythmus der verlacht werden müssen. In all diesen (und anderen)
Verkehrung, der körperlichen Entgrenzung und de- Spielen haben wir es mit einem exklusiven Lachen
monstrativen Unordnung einbezieht. Fastnachtspiele über ›schädliche Leute‹ zu tun sowie mit dem Versuch,
und Neidhartspiele sind, wenn auch in spezifischen ihre Vergehen am Gemeinwohl lachend zu heilen.
Formen, Teil dieser kollektiven Inszenierung, zugleich In den ›Handlungsspielen‹ Hans Sachs’ und Jakob
aber auch deren Weiterentwicklung in theatraler Ge- Ayrers werden die komischen Zwecke stärker ausdif-
stalt: Ebenso wie die Karnevalszüge die unterschied- ferenziert, zum Teil aber auch wieder – so v. a. bei
lichsten Musikanten, Narren oder Schausteller mit- Hans Sachs – zugunsten einer häufig schon penetran-
einander verbinden, ist die wichtigste Form des Fast- ten stadtbürgerlichen Ethik zurückgenommen. Ins-
nachtspiels des 15. Jh.s das Reihenspiel: Verschiedene gesamt aber bilden die Fastnachtspiele des 15./16. Jh.s
Repräsentanten eines Lasters, einer Narrheit oder ei- eine in sich geschlossene Gruppe theatralen Spiels, die
nes sonstigen Fehlverhaltens treten – in der Regel in erst in den Fastnachtspielen J. Ayrers den Anschluss
einem Gasthaus, einer Wirtsstube o. ä. – nacheinan- an die antike Komödie und deren Renaissance im
der auf und stellen sich in ihrer Narrheit vor. Dabei 16./17. Jh. findet. Ebenso wie das geistliche endet auch
kommunizieren sie nicht miteinander, entwickeln al- das weltliche Spiel des Mittelalters mit dem ausgehen-
so auch kein differenziertes Spielgeschehen, wie im den 16. Jh. und macht neuen Formen des religiösen
späteren Handlungsspiel, sondern sprechen aus- und komischen Theaters Platz. Auch die komischen
schließlich das Publikum an. Spielformen geistlicher und weltlicher Spiele des Mit-
Karnevalsprozession und Reihenspiel entsprechen telalters sind damit an ein Ende gekommen. Der Freu-
nicht nur einander, sie dienen auch dem gleichen de am komischen Theater des Mittelalters tut das bis
Zweck. Beide zielen auf eine kollektive Selbstinszenie- heute keinen Abbruch.
rung des Gemeinwesens, die in der spielerischen Prä-
sentation von Normverkehrungen, Szenarien körper- Literatur
lichen Begehrens, Explosionen von Gewalt und ande- Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als
ren Bedrohungen des ›gemeinen Nutz‹ diese Gefahren Gegenkultur. Frankfurt a. M. 1987.
Folz, Hans: »Gar ain vast spotische pauern heÿrat, gar kurtz-
nicht einfach perhorresziert, sondern vorführt und –
weylig zů lesen, in der vasnacht zů prauchen«. In: Dieter
was besonders wichtig ist – als beherrschbar erweist. Wuttke (Hg.): Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts.
Wichtigste Ausdrucksform dieser Inszenierung der Stuttgart 1998, 42–51.
»verkehrten Welt« ist das Lachen. Es ermöglich die Jauss, Hans Robert: »Die klassische und christliche Recht-
Aufführung der Normbrüche und Verkehrungen, de- fertigung des Häßlichen in mittelalterlicher Literatur«. In:
nen lachend begegnet und deren Reglementierung auf ders. (Hg.): Alterität und Modernität der mittelalterlichen
Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956–1976. München
lachende Weise vollzogen werden kann. 1977, 385–410.
Was ist das für ein Lachen? Sehr beliebt sind ebenso Jauss, Hans Robert: »Über den Grund des Vergnügens am
sexistische wie misogyne Spiele, in denen der weibli- komischen Helden«. In: Wolfgang Preisendanz/Rainer
che Körper einer genauen Betrachtung unterzogen Warning (Hg.): Das Komische. München 1976, 103–132.
und zum Gespött wird (H. Folz: Die Bauernheirat); Mann, Thomas: Doktor Faustus. Das Leben des deutschen
Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde.
desgleichen Arztspiele oder Gerichtsspiele, welche die
Frankfurt a. M. 1965.
Unfähigkeit der Ärzte oder Richter in immer neuen Margetts, John (Hg.): Neidhartspiele. Graz 1982.
Variationen hinausposaunen und zweifellos mit zu- Meier, Rudolf (Hg.): Das Innsbrucker Osterspiel/Das Oster-
stimmendem Gelächter rechnen können. Im Hinblick spiel von Muri. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Stutt-
auf ihre soziale Semantik besonders interessant aber gart 1962.
sind Spiele, die für das Gemeinwesen ›schädliche Leu- Rosenplüt, Hans: »Ein vasnacht spil. die egen«. In: Dieter
Wuttke (Hg.): Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts.
te‹ vorführen und einem schadenfrohen Gelächter Stuttgart 1998, 27–33.
aussetzen: So z. B. Frauen, welche die Ehe verweigern
23 Komik mit theatralen Mitteln 189

Schindler, Norbert: »Karneval, Kirche und verkehrte Welt. bold führt diese Ebenen ineinander, er ist der Agent
Zur Funktion der Lachkultur im 16. Jahrhundert«. In: der Komödie, die die Vorgänge auf den verschiedenen
ders. (Hg.): Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur Ebenen wechselseitig spiegelt und so immer neue
in der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1992, 121–174.
Schottmann, Brigitta (Hg.): Das Redentiner Osterspiel. Mit-
Sinnschichten kreiert. Den Part, in dieser entgrenzten
telniederdeutsch/Neuhochdeutsch. Stuttgart 1986. Komödienwelt einen Halt zu schaffen durch Unter-
Warning, Rainer: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen scheidung, haben der vorgestellte Hof als Zuschauer
des geistlichen Spiels. München 1974. des Handwerkerspiels und der reale Zuschauer inne,
Wuttke, Dieter (Hg.): Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahr- die ihre Lust daraus beziehen, dass die betrachteten
hunderts. Stuttgart 61998.
Figuren zwischen vorgestellter Welt respektive Wahn
Werner Röcke und Wirklichkeit nicht unterscheiden können. Ge-
genüber dem Themenreichtum und den komplexen
Strukturen, die solche Anlage der Komödien bereit-
hält, sind die Komödien B. Jonsons einsinnig auf Ent-
23.1.4 Komödie vom 17. bis zum 19. Jahrhundert
larven, Bessern durch Verspotten (so in den frühen
Shakespeare und Jonson Komödien) und satirisches Vernichten des Falschen
Mit ihrem herausgestellten und immer wieder poten- (in den Komödien nach 1600) ausgerichtet. Entspre-
zierten Spielmoment bekräftigen die Komödien chend unterscheiden sie streng zwischen Schein und
Shakespeares das Motto des Globe Theatre »Totus Sein, Vorgestelltem und Wirklichkeit, was eine Kon-
mundus agit histrionem« (Die ganze Welt handelt als trast- und Verlachkomik zum Zuge kommen lässt,
Schauspieler), dem die berühmten Verse aus der Ko- und gerade keine dionysisch entgrenzende Komik, die
mödie As You Like It korrespondieren, die 1599, im dem Stimme und Geltung verschaffen würde, das im
Jahr der Eröffnung des Globe Theatre, uraufgeführt gesellschaftlichen Verkehr um dessen Fortbestehens
wurde: »All the world’s a stage / And all the men and willen ausgegrenzt werden muss. Sind die Helden der
women merely players« (II,vii, Vs. 139 f.). Der Melan- Shakespeareschen Komödien, sympathische Agenten
choliker Jacques spricht diese Worte; er betrachtet das der Freude, der Liebe in der ganzen Bandbreite vom
Dasein eines jeden Menschen als Rollenspiel auf dem neuplatonisch hohen bis zum sexuell unverblümten
Welttheater, das er selbst jedoch als Verstellung und Sinn, wobei die dark comedies wie The Merchant of Ve-
Schein ablehnt. So setzt er eine Position absoluter Dif- nice (zwischen 1596 und 1598) oder Measure for Mea-
ferenz (von Schein und Sein), wozu er für sich eine Po- sure (ca. 1604) doch immerhin eine glückliche Gegen-
sition jenseits des Spiels behaupten muss, zugleich welt oder eine neu stabilisierte Ordnung bereithalten,
weiß er sich in dieses Spiel unhintergehbar eingelas- so ist das Personal der Komödien Jonsons nicht lie-
sen. Seine Gegenposition nimmt der Narr ein (kein benswert. Die Figuren sind exzentrisch in ihren Sitten
Tölpel oder natural fool mehr, vielmehr ein professio- und Orientierungen, gefangen in ihrer Torheit, von
neller artifical oder wise fool), der jede feste Position materiellen Interessen getrieben. In Anlehnung an die
durch Einschreiben immer neuer Unterscheidungen antike Temperamentenlehre, die vier Temperamente
auflöst, so durch fortwährendes Vervielfältigen von des Menschen unterschied und diese aus jeweils ver-
Sinn alles zu Spiel macht. Zwischen diesen Grenzmar- schiedener, immer einseitiger Mischung der Körper-
ken, die Weltenbühne durch Einziehen absoluter Un- säfte (humores) erklärt (vgl. Kap. 2), werden in den
terscheidung erstarren zu lassen oder sie jeden Halts markant typisierten Figuren Jonsons Verfehlungen
im Potenzieren von Sinn zu berauben, entfalten die des rechten Maßes bloßgestellt, dem die Komödie
Komödien Shakespeares ihre Themen der Liebe, ge- durch Tadel und Spott abhelfen will (so in den Ko-
sellschaftlicher Utopie und selbstreflexiv des Spiels – mödien Every Man in His Humour (1598 u. 1615) und
in einer höfischen und pastoralen, in phantasievoller Every Man Out of His Humour (1599), mit denen Jon-
Ferne situierten Welt. Der Midsummer Night’s Dream son das im England des 17. Jh.s beliebte Genre der co-
(1595 oder 1596) zeigt diese Grenzmarken strukturell medy of manners – der Sittenkomödie – begründet
verwirklicht. Auflösung jeder festen Position, fort- hat). In Jonsons erfolgreichsten Komödien Volpone
schreitendes Vervielfältigen von Sinn leistet hier die (1605) und The Alchemist (1610) erscheint die Einsei-
komplexe Anlage des Stücks, vier verschiedene Spiel- tigkeit und Torheit der Figuren ins Kriminelle ver-
ebenen in einander zu führen: die Welt der Elfen, die schoben, sind es von Habgier getriebene Schurken,
höfische der Liebespaare, die Welt der Handwerker über die in der vorgestellten Welt am Ende Gericht ge-
und die des von diesen aufgeführten Stücks. Ein Ko- halten wird, was die Komödie selbst strukturell als
190 III Mediale Formen des Komischen

Verlachkomödie von Beginn an betreibt. Als Satiren der Komödie in dieser Epoche steigt, wobei dies einen
sind Jonsons Komödien wirklichkeitsnah, auf eine er- strukturellen Wandel der Gattung impliziert. Das so-
fahrbare städtische bürgerliche Welt (London) bezo- zial gehobene, durch literarische Bildung und die Sa-
gen, im Unterschied zur ›romantischen‹ Welt der lonkultur in seinem Geschmack verfeinerte Publikum
Shakespeareschen Komödien. Die der Verlachkomik schließt derbe Formen der Komik aus, erlaubt statt-
dienende einsinnige Figurenzeichnung wird durch dessen, die Komödie im gehobenen Milieu anzusie-
kunstvolle Handlungsführung und Differenzierung deln, mythologisch können nun auch Götter zu Ko-
der Figuren durch ihre Sprache wettgemacht. Die Ent- mödienhelden werden (etwa in Bearbeitungen des
wicklung der englischen Komödie im 17. Jh. steht in Amphitryon-Mythos durch J. Rotrou und Molière). In
der Tradition Jonsons, seiner gesellschaftskritischen die Handlung werden ernste Thematiken eingeführt,
Sittenkomödie, führt dabei auch dessen Bemühen auch dies eine Annäherung an die Tragödie, was im
fort, die Handlung räumlich und zeitlich zu konzen- Jahrzehnt der neuen, von Richelieu (1624–42 erster
trieren und auf eine reine Komödienform, gegenüber Minister unter Ludwig XIII.) geförderten Theaterkul-
Mischgattungen wie Tragikomödien, hin zu entwer- tur, der Mischform Tragikomödie eine hohe Konjunk-
fen: z. B. die satirischen Sittenkomödien P. Massin- tur bescherte, gepflegt z. B. von Rotrou, J. Mairet und
gers, etwa A New Way to Pay Old Depts (vermutlich P. Corneille. Formal werden die Regeln für die Tragö-
1625) oder T. Middletons, z. B. dessen satirische, im die zunehmend auch für die Komödie verbindlich, so
Ton zynische ›city comedy‹ A Chaste Maid in Cheapsi- die Konzentration von Ort, Zeit und Handlung gemäß
de (1613/30). der Doktrin der drei Einheiten, gehobene Sprache,
Beachten der Forderungen der Wahrscheinlichkeit
Französische Klassik (vraisemblance) und Schicklichkeit (bienséance). Zu-
Dass die ganze Welt Theater sei, hat für die Literatur rückgedrängt werden alle entgrenzenden, karnevalis-
der französischen Klassik einen anderen Gehalt als im tischen Optionen der Gattung. An Corneilles Tragiko-
Kosmos Shakespeares. Als Ort gesellschaftlicher Re- mödie Le Cid (1637) entzündet sich ein Streit (Querel-
präsentation seines Publikums und seiner Förderer le du Cid), in dessen Verlauf die Formforderungen der
und als Institution, in der Schauspieler etwas vorstel- doctrine classique profiliert werden.
len, also repräsentieren, wird das Theater zur ›Welt‹ Bedeutendster Komödienautor der dreißiger Jahre
für die Schicht, die sich ihrer gesellschaftlichen Stel- ist Corneille. Zwischen 1624, dem Jahr der Urauffüh-
lung vor sich und ihrer Mitwelt durch Repräsentation rung seines ersten Erfolgsstücks Mélite, und 1635
versichert: für den Adel, der mit der Herausbildung schrieb er sechs Komödien, denen 1643 noch eine
des königlichen Absolutismus politisch entmachtet weitere (Le menteur/Der Lügner) folgte. Sie handeln
und für Repräsentationsaufgaben an den Hof gezogen von Liebesverwirrungen, Freundschaften, Eifersüch-
wurde, und für die bürgerliche Oberschicht, die sich ten, Rivalitäten unter jungen, gesellschaftlich feinen
mit Ämtern auch Adelstitel erkaufte. Entsprechend Menschen, die über wechselseitige Täuschungen,
wird das Theater um 1630 in Paris eine feste kulturelle manchmal Ausbrüche in Wahnsinn, zuletzt zur Auf-
Einrichtung (mit eigenen Spielorten und stehenden lösung des Scheins und zum obligaten Komödien-
Schauspielertruppen), die, von der Monarchie als Ort schluss des Ausblicks auf Hochzeit gelangen. In einem
der Verbreitung ihrer Ordnungs-und Wertevorstel- später verfassten Kommentar zu Mélite stellt Corneille
lungen gefördert, sich auf ein gesellschaftlich gehobe- als absolute Neuheit dieser Komödie heraus, dass hier
nes, durch seine Bildung anspruchsvolles Publikum ein Bild der Konversation der honnêtes gens gegeben
bezieht: als eine Schule der honnêteté, die vom Men- werde und dass diese Komödie lachen mache, ohne lä-
schen Hintanstellen seiner je besonderen Individuali- cherliche Figuren auftreten zu lassen. Selbstreflexiv
tät verlangt, weiter Achthaben auf Schicklichkeit und wird diese Art Komödie in dem 1635 uraufgeführten
Unaufdringlichkeit, um ihn so zu einem Gemein- Stück L’ illusion comique (Spiel der Illusionen), das eine
schaftswesen zu befähigen. Diesem Publikum der Spiel im Spiel-Konstellation dritter Potenz entfaltet:
machtvoll sich entwickelnden Theaterkultur ist das Die einem Vater durch Zauberei gewährte Vorstellung
Leben, als Repräsentation, Schauspiel, das ihm das vergangener Episoden aus dem Leben seines Sohnes
Theater noch einmal spiegelt, so dass ihm die Komö- gelangt auf dem Höhepunkt der Handlung, an dem
die, zu deren Wesen das Herausstellen des Spiel- diese in Tragödie umzuschlagen scheint, zu einer Le-
moments gehört, eine Repräsentation dritter Potenz bensepisode, dem gewaltsamen Tod des Sohnes, der
vorstellt. Es überrascht daher nicht, dass das Ansehen sich jedoch als Theatertod erweist, da der Sohn hier als
23 Komik mit theatralen Mitteln 191

Schauspieler gezeigt worden war, der auf dem Theater spielertruppen dieses Komödientypus in der Provinz
eine Tragödie vorstellte. Das Vorgestellte ist bloßer kennengelernt, in Paris spielte seine Truppe in den
Schein und zugleich wahres Spiel, die Figuren wech- ihm zugewiesenen Theatersälen jeweils alternierend
seln, handelnd und betrachtend, ständig zwischen den mit der Comédie Italienne. Von der Commedia dell’Ar-
Spielebenen, Schein und Wahrheit durchdringen sich. te übernimmt Molière Handlungsschemata, besonde-
So spielt diese Komödie das dionysische Moment der res Achthaben auf die Bühnenwirksamkeit von Sze-
Entgrenzung aus und hält damit einen Zugang zu Be- nen, die Tendenz zu starker Typisierung, dann auch
reichen der Komik lebendig, die den Forderungen der bestimmte Figurentypen wie den törichten Alten
doctrine classique zuwiderlaufen, worin sich zugleich (Pantalone), Liebende, die sich wenig zu helfen wis-
bestätigt, dass die Komödie in der Epoche der franzö- sen, gewitzte Diener. Brillant erfüllt letzteren Typus
sischen Klassik nicht auf nur einen Typus festgelegt Scapin in Les fourberies de Scapin/Die Gaunereien des
werden kann. Molières Komödienschaffen belegt die Scappino (1671). Die satirischen Komödien Molières
in dieser Gattung mögliche Vielfalt auf eindrucksvolle haben gewollte oder tatsächliche Aufsteiger aus der
Weise. bäurischen (George Dandin, 1668) oder bürgerlichen
Von J.-B. Poquelin, der seit 1644 als Molière unter- Schicht (Le bourgeois gentilhomme/Der Bürger als
schreibt, sind etwas über dreißig Komödien erhalten, Edelmann, 1670) zum Gegenstand, deren Nachäffen
die sehr unterschiedliche Typen und Traditionen der der Adelskultur dem Verlachen preisgegeben wird
Gattung aufgreifen und neu profilieren (Farce, Com- oder ins Extreme getriebene bürgerliche Orientierun-
media dell’Arte, antike, italienische und spanische Ko- gen (Besitz: L’ avare, 1668, nach Plautus, Gesundheit:
mödie), aber auch neue Komödienarten vorstellen wie Le malade imaginaire, 1673, religiöse Lebensorientie-
die Ballettkomödie, die Wort, Musik und Tanz zusam- rung: Tartuffe, 1664, nach der Statistik der Comédie
menführt (am bekanntesten: Le bourgeois gentilhom- Franςaise das meistgespielte Stück der französischen
me, 1670 und Le malade imaginaire, 1673). Nach ei- Klassik). War hier das Wohlwollen des adligen Publi-
nem ersten Versuch mit einem eigenen Theater in Pa- kums gewiss, so wurde dieses prekär, wenn ein habitus
ris (1643–45) und Jahren in der Provinz kehrte Moliè- dieser Kreise selbst zum Gegenstand der Satire ge-
re 1658 als inzwischen erfahrener Autor, Schauspieler macht wurde, etwa übertriebene Verfeinerung im
und Theaterdirektor nach Paris zurück. Er wurde vom Umgangston (Les Précieuses ridicules, 1659) oder li-
theaterbegeisterten Ludwig XIV. gefördert, erhielt ein bertäres Verhalten (Amphitryon, 1668, nach Plautus,
Theater als Spielort zugewiesen, materielle Unterstüt- worin eine Anspielung auf den König und seine dama-
zung, dann auch überaus wichtigen Beistand in den lige Mätresse herausgehört werden konnte).
Auseinandersetzungen mit Gruppen, die sich durch In Molières Amphitryon-Bearbeitung führt Jupiter
seine Komödien lächerlich gemacht (bestimmte Krei- die Unterscheidung zwischen Gatten und Geliebtem
se des Adels) oder verleumdet glaubten (die Kirche). ein und will von Alkmene hören, dass sie sich in der
Viele Komödien Molières sind von Elementen der Nacht, da er in der Gestalt Amphitryons ihre Liebe ge-
Farce durchwirkt: scharf gezeichnete Gegensätze (alt noss, nicht dem Gatten in Erfüllung ehelicher Pflicht
und jung, dumm/tölpelhaft und gewitzt/schlau, Herr hingegeben habe, sondern dem Geliebten. Mit letzte-
und Diener), Lust an Sprachkomik (Aneinandervor- rem meint er sein Selbst in einmaliger Individualität
beireden, Missverstehen, wörtlich Nehmen figurativer (»ma seule personne«). Die Komödien Molières, die
Rede), Drastik in der Rede (bis zum Obszönen) und noch heute auf der Bühne lebendig sind, mit denen
im Handeln (Prügelszenen). Eine wiederkehrende Fi- der Autor zu einer neuen Konzeption von Komödie
gur ist dabei Sganarelle, der sozial sehr unterschied- fand – L’ ecole des femmes (1662), Tartuffe (1664, end-
lich situiert sein kann (Spießbürger, bürgerlicher Alter gültige Fassung 1669), Dom Juan, Le Misanthrope
als lächerlicher Freier, Bauer, Diener wie in Dom Juan, (1666), Amphitryon (1668) – haben sämtlich solch ein
1665), in dem die Komödie dann jeweils ihr Zentrum Ich im Zentrum, das auf seiner Einmaligkeit und Be-
der Handlung und Komik hat. Die Farce Sganarelle ou sonderheit hinsichtlich seiner Wertvorstellungen wie
le cocu imaginaire/Sganarelle oder der eingebildete seines Umgangs mit seiner Mitwelt beharrt. Solch ein
Hahnrei (1660) ist bis zu Molières Tod dessen meist- Ich kann nicht mehr als Typus, muss vielmehr als
gespieltes Stück, was nicht möglich wäre, wenn nicht mehrschichtiger Charakter entworfen werden. Ent-
auch der Adel die oft derbe Komik der Farce goutiert sprechend wird Offenlegen der Facetten solch eines
hätte. Eine Reihe weiterer Komödien steht der Com- Ichs Anliegen der Komödie (als Charakterkomödie).
media dell’Arte nahe: Molière hat italienische Schau- Notwendig gerät das Ich, das solchen Anspruch er-
192 III Mediale Formen des Komischen

hebt, in Konflikt mit den Forderungen des gesell- wertung des Irdischen als Welt falschen Scheins se-
schaftlichen Seins, die in der Zeit der französischen kundierend hinzutritt. So wird die Vorstellung der
Klassik im Ideal der honnêteté und der bienséance vor- Welt und des Lebens als Theater mit der barocken
gestellt sind. Die Helden dieser Komödien versteifen Spannung von Schein (engaño) und dessen Auflösung
sich in ihrem Ich, rücksichtslos (Arnolphe, Orgon), (desengaño) verbunden. Die Komödien T. de Moli-
betrügerisch (Tartuffe), manisch (Alceste), keine Au- nas, L. de Vegas und P. Calderón de la Barcas entfalten
torität über sich mehr anerkennend, weder weltlich dieses Spannungsfeld in vielen Spielarten, wobei der
noch geistlich (Dom Juan) und bedrohen damit das desengaño die Komödienschlüsse, die mit dem Aus-
gesellschaftliche Zusammenleben, wie zeitgenössisch blick auf Hochzeit eine Bejahung des Diesseits impli-
B. Pascal das Ich als hassenswert apostrophiert, weil es zieren, allenfalls mit leichtem Pessimismus grundiert
sich »zum Zentrum des Ganzen« (Pascal 1964, 190: (z. B. in Calderóns La dama duende/Dame Kobold,
Pensées Nr. 455) mache. In einigen dieser Komödien 1629). In den etwa zwei Jahrzehnte später verfassten
findet sich die neue Rolle eines ›raisonneurs‹, der sich Komödien des A. Gryphius erscheint die Möglich-
unter Berufung auf den gesunden Menschenverstand keit, dieses Spannungsfeld als Komödie zu entfalten,
und die Vorstellung einer idealen Geselligkeit um Ver- prekärer. Die allgegenwärtige Erfahrung des Krieges
mittlung der unversöhnlich einander entgegenste- geben den Entgegensetzungen des Barock – von ir-
henden Positionen bemüht. Eine Vermittlung kommt dischem Schein und göttlichem Sein, eitlem Spiel des
aber nicht zustande, die auf ihrem einmaligen Ich Be- menschlichen Lebens und Wahrheit des jenseitigen,
harrenden scheitern und werden bestraft, so dass die von Größe und Verfall, weltlichem Glanz und All-
Komödienregel des guten Schlusses nur noch darin gegenwart des Todes – im deutschsprachigen Raum
erfüllt wird, dass am Ende die Ordnung wiederher- besondere Schärfe. In der Komödie kann die gebote-
gestellt ist, während die Figuren die Folgen ihres Han- ne Transzendierung des verworrenen irdischen Trei-
delns voll zu tragen haben. Was den Figuren nicht bens nicht absolut erfolgen – dass man sterben muss,
möglich ist, leistet jedoch die Komödie als Diskurs, um zum wahren Sein zu gelangen –, sondern nur rela-
das ist in der Art ihrer Figurenzeichnung und Hand- tiv: in der Kompromissbildung einer immanenten
lungsführung, die beide Positionen verbindet, indem Transzendenz, für die die Liebe steht, die die Komö-
sie die jeweiligen Hauptfiguren aus der ihnen ent- die mit dem Ausblick auf Hochzeit als ›Himmel auf
gegengesetzten Position entwirft: Der ›Misanthrop‹ Erden‹ feiert (Verlibtes Gespenste – Die gelibte Dornro-
Alceste z. B. zeigt von Célimène aus seinen Mangel an se, 1660). Zum unerlässlichen Durchbrechen des
Geselligkeit, letztere wiederum vom ersteren aus die Scheins gelangen Gryphius’ Komödienhelden da-
Gehaltlosigkeit ihres graziösen Nur-Gesellig-Seins. So durch, dass ihre Selbstinszenierung zusammenbricht
gibt die Komödie als Diskurs einen Vorschein jener (Horribilicribrifax, um 1650), ihnen etwas vorgespielt
honnêteté, die die Figuren verfehlen, erscheint die tra- wird (Verlibtes Gespenste) oder mit ihnen gespielt
gende Komik dieser Art Komödie diskursiv gewendet, wird (Peter Squenz, um 1650). Überwinden des
als ein Entfalten des Paradoxons, dass die ausschlie- Scheins wird so durch Spiel im Spiel erreicht, die Fi-
ßende Macht (das Ich in einem Sich-Versteifen auf sei- guren bleiben damit aber, wenn sie, sehend gewor-
ne Besonderheit) in ihrer Verwiesenheit auf das ge- den, aus der Spiel im Spiel-Welt heraustreten, weiter
zeigt wird, was sie ausschließt, wie dieses auf jene. Aus in einer Welt des Scheins – der ersten Spielebene – ge-
dieser Spannung zwischen neuem Ich-Entwurf und bunden. Entsprechend zeigen sich die Komödien-
Komödiendiskurs beziehen die Komödien Molières schlüsse bei Gryphius mit verhaltenen oder deutli-
ihre anregende Kraft bis heute. chen Einschränkungen versehen. Weiter unterstützt
wird dies durch das hohe Maß an Selbstreflexivität
Siglo de Oro, A. Gryphius der Komödien, die sich aus den Spiel im Spiel-Kon-
Die umfassende Theatralisierung der Lebenswirk- stellationen entwickelt und die Komik der Komödien
lichkeit hat in der spanischen Kultur des siglo de oro insbesondere an falschen Umgang mit ihren Medien,
ambivalenten Gehalt. Mit ihr wird das Imaginäre Theaterspiel und Sprache, gebunden zeigt.
nachhaltig aufgewertet, eben darum aber auch als
›bloßes Theater‹ zweifelhaft: dass etwa nur noch als Aufklärung
großes Theater die Vorstellung spanischer Größe und Im europäischen Diskurs der Aufklärung hat die Ko-
besonderer Mission im göttlichen Heilsplan aufrecht- mödie konstruktive Funktionen: durch Komisierung
zuerhalten sei, wozu die grundsätzliche religiöse Ab- als nichtig zu erweisen, was der Vorstellung einer ver-
23 Komik mit theatralen Mitteln 193

nünftigen Ordnung der Natur, auch der des Men- einem von Gottsched inspirierten programmatischen
schen, und eines nach den Forderungen der Vernunft Spiel der Neuberschen Truppe (1737) war so ein Akt
zu führenden gesellschaftlichen Lebens widerspricht, der Durchsetzung des bürgerlichen Illusionstheaters.
umgekehrt aber auch dem Anerkennung zu verschaf- Das schon zeitgenössisch vorgebrachte Argument, sie
fen, was rigides Vernunftdenken nicht zulässt und so sei unwirksam gewesen, da die komische Figur so-
den Gehalt dessen, was als vernunftgemäß anzusehen gleich in den Dienergestalten der Komödie zurück-
ist, zu erweitern. Derart selbst ein Teil des Aufklä- gekehrt sei, ist ungenau; denn die Diener bleiben in
rungsdiskurses, wird die Komödie vornehmlich zu ei- die fiktive Welt der Komödie eingebunden, realisieren
ner Angelegenheit von dessen Träger, dem Bürger- in der Regel nicht das Prinzip der Unterbrechung.
tum, dessen Orientierungen in der Komödie nun Aufklärerischem Erziehungswillen bietet sich die
nicht mehr von außen verlacht werden – von hö- reine Verlachkomödie an, die dann im 18. Jh. auch
fischen Idealen her oder aus der Froschperspektive Konjunktur hat. Um auch erbaulich zu sein, soll diese
›niederer‹ Lustansprüche –, sondern von innen mit Art Komödie, so J. Chr. Gottsched, nicht bestimmte
dem Ziel der Selbstkorrektur. Im Zuge dieser Ent- Personen angreifen, sondern allgemeine Torheiten.
wicklung zu einem Medium bürgerlicher Erziehung Das führt zur Satire allgemeiner menschlicher Schwä-
und Selbstverständigung wird die Komödie generell chen, der sich die sog. Sächsische Typenkomödie (Stü-
bürgerlicher: hinsichtlich ihres Personals, ihrer leiten- cke Gottscheds, J. Chr. Krügers, auch des jungen Les-
den Ideen und ihrer literarischen Verfahren (im Zu- sing) verschrieben hat. Diese einsinnige Komödien-
rückdrängen des Ungesitteten), was allerdings ein- konzeption bot wenig Entwicklungsmöglichkeiten;
schließt, dass sie fortschreitend von ihren dionysi- mehr versprach das Verfahren, statt der Durchsichtig-
schen, auf Entgrenzung und Freisetzen unterdrückter keit auf eine Lehre dem Charakter Vorrang zu geben,
Lustansprüche gerichteten Wurzeln abgeschnitten was ein differenziertes Psychologisieren der Figuren
wird. Die deutsche Komödie im 18. Jh. schreitet die ermöglicht, auch das Wirkungsziel der Komödie wei-
ganze Bahn dieser Entwicklung aus. M. Opitz’ enge ter fassen lässt, wie etwa J. E. Schlegel, der Verfasser
Aneignung der Ständeklausel – die ›Comoedie‹ beste- der viel gelobten, zeitgenössisch auf der Bühne auch
he in ›schlechtem Wesen und Personen‹ und handle erfolgreichen Komödie Die stumme Schönheit (1747)
›von Sachen, die täglich unter gemeinen Leuten vor- betont, man dürfe nicht nur den Verstand, man müsse
laufen‹ (Buch von der deutschen Poeterey, 1624) – auch das Herz einnehmen. Als produktivere Aneig-
bricht J. Chr. Gottscheds Critische Dichtkunst (1730) nung des Aufklärungsdenkens in der Komödie erwies
auf: in der Komödie kämen neben geringeren Per- sich der Ansatz, das zu vermittelnde Vernünftige nicht
sonen auch Edelleute und Bürger vor, sie sei »eine mehr negativ, d. h. auf dem Feld des Verlachens zu ge-
Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch winnen, sondern positiv aus Handlungen und Cha-
ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber rakteren, die man bewundert, womit sich die Funk-
auch zugleich erbauen kann« (Gottsched 1751, 643). tion der Komödie von bürgerlicher Selbstkorrektur
Das fehler- respektive lasterhafte Handeln soll ver- zur Bestätigung der Tugend bürgerlicher Menschen
lacht werden, das Lächerliche ist das Unvernünftige, verschiebt, was in der Regel Zurückdrängen genuin
im Rahmen eines vernünftigen Anliegens darf so auch komischer Elemente impliziert. Verwirklicht wird
das Unvernünftige und Ungestalte berufen werden. dies im Typus des rührenden Lustspiels (z. B. Chr. F.
Keinen Raum hat in diesem Komödienverständnis je- Gellerts Zärtliche Schwestern, 1747), das insbesondere
doch, was sich einer vernünftigen Einbindung konsti- in England (Sentimental Comedy, z. B. R. Steeles The
tutiv verweigert, das ist die komische Figur, der Harle- Conscious Lovers, 1722) und Frankreich (Comédie lar-
kin. Er verkörpert das genuine Komödienprinzip der moyante z. B. P.-C. Nivelle de La Chaussées Mélanide,
Unterbrechung: der Handlung und deren Sinnver- 1741) vielfach gepflegt wurde. Nachhaltiger als auf
sprechens, ebenso der Illusion in seiner direkten Hin- dem Feld der Komödie lässt sich die Tugend bürger-
wendung zum Publikum, dessen Einverständnis er licher Menschen allerdings tragisch bekräftigen, was
sucht, so dass dieses mit ihm lacht, das Lächerliche diese Spielarten des bürgerlichen Lustspiels auch als
nicht mehr mit letzter Sicherheit distanziert, Unter- Übergangsformen zum bürgerlichen Trauerspiel be-
brechung nicht zuletzt auch der ganzen theatralischen trachten lässt, respektive in Frankreich zum drame
Zeichenordnung im Ausspielen des Körpers hier und oder genre sérieux.
jetzt, seiner Geschicklichkeit wie seiner Triebwün- Auf einem anderen Weg als dem der comédie lar-
sche. Die Vertreibung des Harlekins von der Bühne in moyante verbinden die Komödien P. C. de Marivaux’
194 III Mediale Formen des Komischen

raison mit coeur und sentiment. Es sind Liebeskomö- trige, sondern differenzierte Analytik der Charaktere
dien, die den satirischen Gestus vermeiden wie derb- stehen, die in ihrer natürlichen Umgebung gezeigt
komische Effekte der Comédie Italienne oder der Far- werden. Die Bühnensprache darf durchaus stilisiert,
ce. Ihr Zentrum haben sie in subtilen Gefühlsanalysen soll aber allen verständlich sein: Das Volk ist Goldoni
ihrer Helden, jungen Verliebten, die sich ihrer Seelen- der hauptsächliche Stofflieferant und Adressat seiner
regungen schrittweise bewusst werden, indem sie ler- Komödienkunst. Seine Theorien und Maximen und
nen, sie zu versprachlichen wie zu maskieren, woraus deren Umsetzung auf der Bühne hat Goldoni selbst
sich die komischen Verwicklungen und dann auch de- wieder zum Gegenstand eines Theaterstücks gemacht:
ren Lösungen ergeben (z. B. La surprise de l’Amour, Il teatro comico (1750), zugleich eine Streitschrift in
1722, Le jeu de l’amour et du hasard, 1730, Le triomphe der langjährigen Auseinandersetzung mit P. Chiari
de l’Amour, 1732). und mehr noch mit C. Gozzi, der vehement, aber mit
Der Sentiment-Begriff der sentimental comedy zielt schwachen Argumenten, Goldonis Theaterreform
ursprünglich nicht auf Überschwänglichkeit der Ge- entgegentrat. Zu den besten Komödien Goldonis, die
fühle und deren Manifestation (wie in der comédie lar- seine Theatervorstellungen geglückt umsetzen, zählen
moyante), vielmehr im Sinne Shaftesburys auf natürli- La bottega del caffè/Das Kaffeehaus, Il bugiardo/Der
che Verbindung von Moralität und Gefühl (etwa im Lügner (beide 1750) und La Pamela (1751), die erste,
Mitleid), auf das Vermögen, ethische Orientierungen ganz ohne Maske konzipierte Komödie. Großen Er-
in das Gefühlsleben zu integrieren. Gegen das gleich- folg feierte Goldoni mit La locandiera /Die Wirtin und
wohl auch in der englischen Komödie des 18. Jh.s be- La sposa persiana (beide 1752), als Librettist mit der
liebte Zur-Schau-Stellen der Tugend und Schwelgen ›opera buffa‹ La buona figliñola (1760, Musik von N.
in Gefühlen stellt O. Goldsmith’ (z. B. mit seiner sehr Piccinni).
erfolgreichen Komödie The Stoops to Conquer or The
Mistakes of a Night, 1773) die im Essay on Theatre Lessing
(1772) auch programmatisch verteidigte Rückbin- Lessings Minna von Barnhelm (1767) ist die älteste
dung an die Tradition der Gesellschaftskomödie der deutsche Komödie, die bis heute auf dem Theater ge-
Restaurationszeit (z. B. Wycherleys und Congreves) genwärtig ist. In ihr wird die Komödie der Aufklärung
mit differenzierter Charakterzeichnung und phan- selbstreflexiv. Wie für die Komödie dieser Epoche üb-
tasievoller Erfindung komischer Situationen ins- lich, zielt sie auf Überwinden all dessen – des Unver-
besondere des Spiels mit dem Schein, jedoch ohne den nünftigen und Unnatürlichen – durch Verlachen, was
Libertinismus der restoration comedy. In dieselbe den Aufklärungsdiskurs stört. Die Akte der Über-
Richtung gehen die noch heute auf der englischen windung werden aber so gestaltet, dass dem Figur
Bühne gegenwärtigen Komödien R. B. Sheridans: The und Stimme gegeben wird, was im Aufklärungsdis-
Rivals (1775) und The School for Scandal (1780). kurs nicht aufgeht, was ihn unterminiert und das er
doch, um einer umfassenderen Aufklärung willen, in
Goldoni sich integrieren muss: in den Ansprüchen der äußeren
Im Zeichen einer umfassenden Theaterreform steht sozialen Existenz, der Ehre, die Stimme des Herzens,
das Schaffen C. Goldonis, des größten Komödien- im Handeln nach moralischen Prinzipien die Freiheit
dichters der italienischen Literatur. Die Abkehr von des Spielens, nicht als ein Nebeneinander, sondern die
den Prinzipien der Commedia dell’Arte (Gebrauch Frage nach der Bedingung der Möglichkeit ihres In-
von Masken, Stegreifspiel, beherrschende Rolle der einanders entfaltend: der moralischen Orientierung
komischen Figuren, Sprachwitz und akrobatisches in der Affekterregung, der Sprache des Herzens in der
Körperspiel), die er betreibt, richtet sich gegen eine in Rede der Vernunft.
nahezu zweihundertjähriger Praxis zerspielte, inzwi-
schen auf anspruchslose, derb-komische Effekte aus- Lenz, Beaumarchais
gerichtete Komödienform, deren Kunstpotenzial Gol- Eine Auflösungsform der Aufklärungskomödie, ge-
doni durchaus zu entfalten vermochte. So hat er ihr in wissermaßen deren Hohlform, stellen die Komödien
seiner Komödie Il servitore di due padroni/Der Diener des Sturm und Drang-Autors J. M. R. Lenz dar, inso-
zweier Herren (1745) ein bleibendes Denkmal gesetzt. fern sie den Perspektivpunkt der Aufklärung, das sich
Durchaus aufklärerisch verlangt Goldoni vom Theater selbst bestimmende Subjekt, nur noch als Leerstelle
und speziell von der Komödie, zur Läuterung der Sit- berufen (z. B. Der Hofmeister oder Der neue Menoza,
ten beizutragen. Im Zentrum soll dabei nicht die In- beide 1774). Das gibt den dionysisch-entgrenzenden
23 Komik mit theatralen Mitteln 195

Momenten der Komik, die unter dem Vernunftgebot Komödie war. Ausspielen der beiden Ebenen des
dieses Subjekts unterdrückt werden mussten, neue Theatralischen sowie die Versatilität zwischen beiden
Entfaltungsmöglichkeit, aber in grotesker Weise: die führen zur Komödie und manifestieren sich umge-
Komödie wird ihres bisherigen Halts beraubt, ohne kehrt als deren Effekt. Mit solch absolutem Zusam-
dass ihr in der Entfesselung anarchischer Komik ein menführen des Theatralischen und der Komödie – das
neuer geschaffen würde. Die hierzu entgegengesetzte eine jeweils ebenso Wirkung wie Ursache des anderen
Möglichkeit stellen die beiden Komödien P.-A. de – und dessen Leistung, Unterschiedlichstes ohne Ver-
Beaumarchais’ vor – La précaution inutile ou Le barbier mittlung zugleich zu entfalten und gelten zu lassen,
de Séville (1775) und La folle journée ou Le mariage de rückt die Komödie in die Perspektive des Humors, was
Figaro (verfasst 1778, Uraufführung 1784) –, die selbst für die Komödienauffassung der deutschen Klassik
große Bühnenerfolge waren, dann durch die Opern- charakteristisch ist. So bestimmt Schiller den Zustand,
fassungen G. Rossinis und W. A. Mozarts zum bleiben- in den die Komödie versetzt, als »ruhig, klar, frei, hei-
den Bestand der Bühnen aufrückten. Das autonome ter« (Schiller 1992a, 1048), der »Zustand der Götter
Subjekt kann hier zum Zentrum und Motor entfessel- [...], die über allem frei schweben« (ebd.) und nennt
ter Komik werden, Spielformen der Commedia anlässlich des Preisausschreibens für ein Lustspiel, das
dell’Arte, der psychologischen wie der Gesellschafts- 1800 in Goethes Propyläen veröffentlicht wurde, als
komödie souverän sich eingemeindend, da es neu situ- Wirkungsziel der Komödie »geistreiche Heiterkeit
iert ist als Angehöriger des dritten Standes, der sich der und Freiheit des Gemüts« (Schiller 1992b,1038). Eine
dialektischen Umkehrung des Verhältnisses von Herr Komödie, die ihren Vorstellungen genügt hätte, haben
und Knecht (Aristokrat und kleinbürgerlichem Die- die Auslober Goethe und Schiller nicht vorgefunden –
ner) bewusst ist und zu seinen Gunsten auszuspielen und auch selbst nicht verfasst. Die Komödien der Ro-
weiß. Was sich in der Titel-Formulierung »toller Tag« mantiker kommen ihrer Komödienvorstellung nahe
noch als närrischer Ausnahmezustand vermummt, und sind doch durch ihr konstitutives Moment der
nimmt als Komödie die Revolution vorweg. Ironie grundlegend hiervon geschieden. F. Schlegel
feiert an den Komödien des Aristophanes, dass sie ei-
Klassik und Romantik nen Zustand der Freude vermittelten, in dem wir über
Große Offenheit für Theaterformen und -traditionen alle Bedingtheiten des Lebens erhaben sind und ein
des Karnevalistischen zeigt auch der junge Goethe, poetisches Dasein erfahren (vgl. Schlegel 1979, 21).
wenn er etwa in den Mitschuldigen (1769) Handlungs- Diese Leistung der Komödie schreibt er wenig später
muster der Commedia dell’Arte aufgreift, oder sich einem spezifischen Moment der romantischen Poesie
mit dem Jahrmarktsfest zu Plundersweilern (1773 und zu, der Ironie, die er als »transzendentale Buffonerie«
1778) in der Farce versucht oder in der satirischen Ko- (Schlegel 1967, 152) vorstellt: »Im Innern die Stim-
mödie Der Triumph der Empfindsamkeit (1778) »fre- mung, welche alles übersieht, und sich über alles Be-
ventlich«, wie er selbst sagt (Goethe 1988, 953), karne- dingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tu-
valistische Spiellust mit der Weltsicht eines tragischen gend, Genialität: im Äußern, in der Ausführung die
Monodramas vermischt. Im Experimentieren mit die- mimische Manier eines [...] italiänischen Buffo«
sen Komödienformen entwickelt Goethe fortschrei- (ebd.). Entscheidend ist das Moment des Transzen-
tend bewusster eine Strategie, dem latent Ordnungs- dentalen: Die dionysische Entgrenzung durchdringt
losen des Karnevalistischen eine strukturelle Ord- sich reflexiv selbst und schafft eben hierin eine Öff-
nung einzuziehen, das ist die zwei ontologisch ver- nung zum poetischen Dasein romantischer Unend-
schiedenen Ebenen theatralischen Handelns, die lichkeit. Nicht nur der Roman, auch die Komödie er-
durch Theaterspiel vorgestellte Welt und die Wirklich- weist sich so als genuine Verwirklichungsform der ro-
keit hier und jetzt des Theaterspielens, auch ihrem Ge- mantischen ›progressiven Universalpoesie‹: mit der
halt nach als gegensätzliche zu behandeln, sie dabei Entgrenzung als gemeinsamem Grundimpuls, dem
aber komisch ineinander zu führen, wie dies die »lus- Herauslösen des Bestimmten, Endlichen aus seiner
tige Person« im Vorspiel auf dem Theater (1798) des Festlegung, das es freisetzt zu neuen Verbindungs-
Faust propagiert: ständig von der Orientierung an der möglichkeiten von allem mit allem, insbesondere des
einen Welt zur Orientierung an der anderen zu wech- Endlichen und Unendlichen. Die Komödien der
seln, so das Prinzip der Unterbrechung und Übertre- Frühromantik, allen voran L. Tiecks Der gestiefelte Ka-
tung, mithin der ›Parabase‹ zu praktizieren, die von ter (1797) und Die verkehrte Welt (1798), aber auch C.
Beginn der Gattungsgeschichte an das Herzstück der Brentanos Ponce de Leon (1804) verbinden diesen Ko-
196 III Mediale Formen des Komischen

mödienentwurf allerdings mit der Frage nach der Wahrheit-Geben des Gerichtsrats ganz wörtlich für
Möglichkeit einer Gründung der romantisch ent- bare Münze nimmt und wenn der Gott die tiefe Ver-
grenzten poetischen Welt in der immer bedingten und störung der Selbstgewissheit, in die er Alkmene ge-
mithin begrenzten Alltagswirklichkeit, die nicht nur stürzt hat, durch triumphale Erscheinung als Gott hei-
als Philisterwelt satirisch verlacht wird, sondern auch len zu können glaubt. Kleists Komödien führen derart
Sehnsuchtsziel bleibt, da nur die Verknüpfung mit ihr als Bedingung ihrer Möglichkeit ihre Selbstnegation
den Komödienimpuls dionysischer Entgrenzung vor vor: dass die betroffenen Figuren das, was bloße Ko-
dem Entgleiten ins Unstrukturierte bewahrt. Das mödie ist, für wahr nehmen. So entfachen sie ein Feu-
führt in die romantischen Komödien, in ihre Feier ro- erwerk der Komik, um in deren Licht gerade ihre ab-
mantisierender Spiellust, ein Moment tiefer Verunsi- gründige Selbstbezweiflung auszuleuchten.
cherung darüber ein, dass ihr entgrenzendes Spiel nur
um sich selbst kreise, sich in dem Maße entleere, als es 19. Jahrhundert
jedes Außen der empirischen Welt als Innen eines Das 19. Jh. hat mit seiner fortschreitenden Ausdiffe-
Theaters offenbart, das sich alles eingemeindet. renzierung politischer, ökonomischer, wissenschaftli-
Kleists Komödien (Der zerbrochne Krug, 1808; Am- cher und künstlerischer Lebenswelten, die die roman-
phitryon, 1807) errichten ihre komische Welt über ei- tische Bewegung ein letztes Mal in einem Geist durch-
ner abgründigen Erfahrung ihrer jeweiligen (weibli- drang, neue Entwicklungen auf dem Feld der Komödie
chen) Hauptfigur: der Eves, im perfekten Lügensys- wenig befördert. Komödien werden für die Theater der
tem Adams unentrinnbar gefangen zu sein, der Alk- Metropolen geschrieben und bedienen in erster Linie
menes, in dem täuschbar gewesen zu sein, woraus sie das Bedürfnis des Bürgertums nach gefälliger Unter-
ihre Selbstgewissheit bezieht: der Sicherheit ihres Ge- haltung, wobei die ganze Bandbreite vom Geistreichen
fühls. Die komischen (männlichen) Figuren decken bis zum Platten abgedeckt wird: Liebesintrigen ohne
den Abgrund durch Entfalten eindringlicher ko- ernstlichen Ausgriff auf gesellschaftliche Problemati-
mischer Situationen und Konstellationen lange zu: der ken, gut durchschaubare psychologische Zeichnung
über sich selbst zu Gericht sitzende Richter, der noch der Figuren und auf Pointen bedachte Sprache, die
in aussichtslosester Lage der Über-Ich-Instanz, die weit hinter der z. B. in den Komödien Marivaux’s er-
Wahrheit und Recht einfordert, ein Schnippchen zu reichten Differenziertheit und Vielschichtigkeit zu-
schlagen weiß; der Gott, der sich die Hingabe der rückbleibt. Nahe kommen letzteren die Komödien A.
menschlichen Frau erschlichen hat und erfahren de Mussets (z. B. Fantasio, 1833, Un caprice (1837),
muss, dass er von dieser niemals ihre Liebe zugespro- dessen Figuren dabei aber nicht, wie bei Marivaux, ih-
chen erhält, diese vielmehr immer nur dem mensch- rer Gefühle in spielerischem Vervielfältigen des
lichen Gatten gilt. Als betrogene Betrüger ziehen diese Scheins allmählich inne werden, die vielmehr ihre Lie-
komischen Figuren beider Stücke vielfältige Komik be oder Abneigung entschieden, auch trotzig artikulie-
des Verlachens auf sich, ebenso setzen sie Komik des ren, was den schon nahen guten Komödienschluss
Mitlachens frei, indem sie an ihren Aktionen teilha- auch überraschend verhindern kann (z. B. in On ne ba-
ben lassen, die Gebote der Moralität zu unterlaufen. dine pas avec l’amour/Man spielt nicht mit der Liebe,
Den Abgrund, den sie aufgerissen haben, vermögen 1834). A. de Musset bediente auch das in den zwanzi-
die komischen Figuren dabei aber nicht zu schließen ger und dreißiger Jahren beliebte Genre der Sprich-
und auch die Komödie selbst vermag das nur in frag- wortkomödien: anfänglich improvisierte, später aus-
würdiger Weise. Sie entfaltet im Zerbrochnen Krug die geschriebene Komödien, die ein Sprichwort illustrie-
Frage nach der Möglichkeit von Wahrheit in einer ren, das dann oft den Schlusssatz bildete (z. B. Il ne faut
Welt, in der die Bürgen der Wahrheit unter den Ge- jurer de rien/Man soll nichts verschwören, 1836, On ne
neralverdacht des Lügens gestellt sind. Im Amphitryon saurait penser à tout/Man kann nicht an alles denken,
steht die Frage nach der Selbstgewissheit als letzter 1849). Ästhetisch-theoretisch durchaus problematisch
Gewähr für Wahrheit im Sinne R. Descartes’ zur De- – das Kunstwerk als Fall einer Regel zu behandeln –,
batte, indem vorgeführt wird, dass auch in diese Trug barg dieses Genre immerhin die Chance, die Aufmerk-
eingeführt werden kann. Aus diesem latent tragischen samkeit vom bloßen Geschehen, der Handlung und
Wahrheitszweifel, dem die weiblichen Protagonisten der Intrige, weg auf die Machart der Komödie und da-
der Komödien und mit diesen die Zuschauer aus- mit auf ihre diskursive Aussage zu lenken.
gesetzt sind, gelingt die Wende in die Komödie nur im Etwa gleichzeitig war auf dem russischen Theater
Modus eines als ob: wenn Eve das bloß symbolische N. W. Gogols Revizor (1836) erfolgreich: eine Satire
23 Komik mit theatralen Mitteln 197

auf ebenso korrupte wie autoritätsgläubige Verwal- aber einer längst abgelebten gesellschaftlichen Grup-
tungsbeamte in der Provinz, die von einem falschen pe zugehörig weiß, zum andern die des Bohemien,
Revisor zum Narren gehalten werden. Mehr noch als der parasitär durch eben das existiert, was er negiert,
vom Lachen über die betrogenen Betrüger lebt diese weiter die des Volkes, das aber in Dumpfheit befan-
Komödie von der Spiellust der die Verwechslung all- gen gezeigt wird. Die Verweigerung der Protagonis-
mählich durchschauenden Figur. Eine besondere No- ten gegenüber solcher Festlegung erfolgt dann kon-
te hat diese Komödie darin, dass sie eine befreiende sequent selbst in der Figur eines komischen Missver-
Auflösung des Lebens im Falschen, also den guten Ko- hältnisses, da die Flucht das fliehende Paar eben da-
mödienschluss verweigert: zuletzt trifft der richtige hin führt, wovor es fliehen wollte. Es gibt keine
Revisor ein, dem nicht anders als dem falschen begeg- Position jenseits der Welt, die komisch negiert wird,
net werden wird. so bleibt dem Paar nur, sich in diese Welt, sich selbst
Neue Gestaltungsweisen und Leistungen der Ko- negierend, zu reintegrieren, d. h. ihr künftiges Dasein
mödie zeichnen sich ab, wo sie als Irritation, wenn als falsches Theater zu spielen. So manifestiert der
nicht Infragestellung der bürgerlichen Welt, ihrer Welttheater-Topos hier die Gründung der Komödie
Wertvorstellungen, Denk- und Handlungsmuster in einer Figur der Negation der Negation, die nicht
konzipiert ist und dabei zugleich als Problem entfal- umschlägt in ein neues Positives.
tet, von welcher Position aus die komische Negation In den 1830er Jahren hat J. Nestroy als Schauspieler
dieser Muster respektive das Freisetzen des durch sie und Autor den Lustspieltypus ›Posse mit Gesang‹ an
Unterdrückten überhaupt geschehen kann, ob eine den Wiener Vorstadttheatern durchgesetzt: in der Re-
solche überhaupt verfügbar ist und begründet wer- gel literarisch anspruchslose Stücke, Spielvorlagen für
den kann. C. D. Grabbes Komödie Scherz, Satire, Iro- niedere Komik mit vielen Verwechslungen, Verklei-
nie und tiefere Bedeutung (1822), die alle aufgebote- dungen und überraschenden Situationen, die Anlass
nen, karikierend gezeichneten Lebensbereiche wohl- geben für aggressive, auch dem Obszönen nicht abge-
feilem satirischem Gelächter preisgibt – Adlige, bür- neigte Sprachwitze. In Figurenzeichnung wie Hand-
gerliche Literaten, Wissenschaftler, Schulmeister, lungsführung ist die Posse auf Wiedererkennen von
Handwerker und Bauern –, scheint solch eine Positi- Typen, nicht auf Individualisierung ausgerichtet. Das
on noch gewiss: die weibliche Hauptfigur, die Emp- Spielelement wird herausgestellt, auf der Ebene der
findsamkeit mit unbestechlichem Blick für den wah- Handlung wie zwischen Schauspieler und Publikum
ren Wert ihrer Gegenüber verbindet, vermag diesen (etwa durch übertriebene Mimik, Lokalbezogenheit
gerade auch im äußerlich Hässlichen zu erkennen von Figuren, Gebrauch von Dialekt, Extemporieren).
und setzt so der klassizistischen symbolischen Ver- Bühnenmusik und Gesang verstärken den Sinnenreiz,
bindung des Schönen mit dem Sittlichguten eine alle- der bei diesem Komödientypus Priorität hat. Die Pos-
gorische des Hässlichen als ›wahrem‹ Schein des Ide- se Nestroys gibt einen Blick auf die Welt von ›unten‹,
ellen entgegen. Dann aber zeigt die Komödie, dass sie was nicht nur besagt, dass ihre Helden häufig in sozia-
selbst nicht mehr an diesen ihren Haltepunkt zu glau- len Randschichten situiert sind, sondern auch und
ben vermag und gewinnt eben hierin analytische v. a., dass sie an Bereiche rührt, diese im aggressiven
Kraft, wenn sie diese Position zuletzt als Erzeugnis, Witz oder Couplet sich manifestieren lässt, die das Ich
d. h. Wunschbild ihres Dichters offenbart, der, gleich- wünscht, sich aber unter dem Kultur-Gebot seines
falls als hässliche Figur eingeführt, zuletzt als Schöp- Über-Ichs versagt. Das erklärt die Abscheu, mit der
fer seiner Figuren die Bühne betritt. bürgerliche Kritiker auf diese Art Komödie reagierten
Differenzierter und bodenloser betreibt G. Büch- – »Übergang vom gesunden Lachen in das Meckern
ners Komödie Leonce und Lena (1836) die Negation des Bockes [...], Verrottung des ästhetischen Gefühls«
bürgerlicher Wertvorstellungen (Arbeit, Verschieben (Vischer 1920, 352) – zugleich, dass nicht nur die Vor-
des Genusses jetzt um eines immer weiter hinaus- stadtbevölkerung, sondern auch das etablierte Bür-
geschobenen Zieles willen, Dasein insgesamt nicht gertum in dieses Theater strömte: bot es doch letzte-
um seiner selbst, sondern um eines anderen willen). rem den Kitzel, zu erleben, wie all das im aggressiven
Die Komödie überantwortet diese Orientierungen Witz zerschlagen wird, was das eigene Ich ständig als
dem Verlachen, zeigt dabei aber die Positionen, von Forderung aufrichtet. Demgegenüber ist das Boule-
denen aus dieses ergeht, als nicht tragfähig: zum ei- vardtheater in Frankreich, gerade auch die dort ge-
nen die des Adligen, der das unentwegte Tätig-Sein pflegte Komödie, Schauplatz eines sich selbst genie-
als Leere durchschaut, sich ihm verweigert, sich dabei ßenden bürgerlichen Lebensgefühls, dem keine tiefer
198 III Mediale Formen des Komischen

greifenden Irritationen zugemutet werden. Das Vau- Satirische Bloßstellung bei drastischer Milieuschil-
deville, ursprünglich (seit dem 15. Jh.) ein lustiges, oft derung leisten Ostrovskijs Komödien von einer mora-
satirisches Lied, wurde schon im 18. Jh. in Komödien listischen Position aus, die innerhalb des berufenen
integriert, was E. Scribe, der um die Mitte des 19. Jh.s Milieus situiert bleibt. Die Handlung wird aus Heirats-
in Paris gefeierter Dramatiker und Librettist, in seinen und Geldintrigen entwickelt, die Figuren sind typi-
comédies-vaudeville weiter perfektionierte: effekt- siert, psychologisch undifferenziert, ihre Sprache ist
sicher gebaute Komödien mit geistreichen Dialogen allerdings sozial abgetönt. Auffällig ist die Passivität
und differenzierter Figurenpsychologie (z. B. Le verre der Figuren: das Geschehen widerfährt ihnen. Mehr
d’eau, 1840, Bataille des dames, 1851). Diese Art der noch als auf aggressives Verlachen, dessen Subjekt sich
Boulevardkomödie hat E. M. Labiche mit zahlreichen dabei selbst erhöht, zielen die Komödien darauf ab,
Stücken fortgeführt: Komödien, die eine turbulente denjenigen Zuspruch zu geben, die dem vorgestellten
Handlung mit ebenso unwahrscheinlichen wie ko- Niedergang der Sitten zu widerstehen vermögen.
mischen Zwischenfällen ablaufen lassen, wobei die Eine sehr genaue Analyse der gesellschaftlichen
Unwahrscheinlichkeit den Spielcharakter des Ganzen Dynamik der wilhelminischen Zeit gibt G. Haupt-
ständig durchblicken lässt (z. B. Le chapeau de paille manns ›Diebskomödie‹ Der Biberpelz (1893). Ihr of-
d’Italie/Ein Florentinerhut, 1851, La cagnotte/Das Spar- fener Schluss, der das zeitgenössische Publikum ver-
schwein, 1864). Als Meister des Vaudeville errang G. stört hat und bis heute die Interpreten irritiert – eine
Feydeau um die Jahrhundertwende große Theater- Diebin setzt sich über die Normen sozialer Ordnung
erfolge (z. B. mit La dame de chez Maxim, 1899). hinweg, diese werden aber zuletzt nicht wieder resti-
tuiert, vielmehr bleibt die Diebin unentdeckt – führt
Jahrhundertwende auf eine hier konstitutive Ambiguität des Komischen,
In der Gesellschaftskomödie des englischen Theaters in der sich eine eigene Spielart der Komödie abzeich-
des ausgehenden 19. Jh.s ließen die Stücke O. Wildes net. Komik als Scheitern einer Handlung im Sichtbar-
(z. B. A Woman of No Importance, 1893, An Ideal Hus- Werden von deren Fremdbestimmtheit, damit Mani-
band, 1895, The Importance of Being Earnest, 1895) ei- festation eines Missverhältnisses von Weg und Ziel,
nen neuen Ton vernehmen. Die Heuchelei der vikto- betrifft das Objekt der Komik, den aufgeblasenen
rianischen Gesellschaft wird an repräsentativen Ver- Ordnungshüter, der nicht für Ordnung sorgt, sondern
tretern der aristokratisch-bürgerlichen leisure class von der Diebin genarrt wird; sie betrifft ebenso das
mit sprühendem Witz, aber auch Anleihen beim Me- Subjekt der Komik, die Proletarierin, die davon beses-
lodram bloßgestellt und einem Verlachen preisgege- sen ist, ihren Besitz zu mehren, um sozial aufzustei-
ben, das nie schmerzhaft wird, da die gute Komödien- gen, was die Komödie jedoch als vergeblichen Kom-
lösung gesichert bleibt, wenn sie auch durch unwahr- pensationsversuch eines unersetzbaren Verlusts, des
scheinliche Wendungen des Geschehens und ein Sich- Todes ihres Sohnes, andeutet. Die Komödie gibt zu er-
Begnügen mit dem Wahren des bloßen Scheins der kennen, dass die Fremdbestimmtheit auch gar keine
Wohlanständigkeit als wenig überzeugend angezeigt sein könnte, vielmehr ein, sei es auch unbewusst, ge-
wird. Die kritische Tendenz dieser Sittenkomödien wolltes und bejahtes Agieren der beiden Protagonis-
bleibt immanent; sie wird wesentlich aus der Perspek- ten: in einer für die Zeit vielsagenden Koalition von
tive des Dandy entfaltet, der provokativ, sich in bril- verarmtem Adel, der auf niedere Verwaltungstätigkeit
lanter wie frivoler Rhetorik gefallend, einem hedonis- eingeschränkt ist und aufstiegssüchtiger, skrupelloser
tischen Lebenswandel das Wort redet, diese Position Proletarierin – gegen den Bourgeois (im Stück der Be-
aber ersichtlich nur als Nutznießer eben der Verhält- stohlene), der durch seinen Besitz autonom ist. In die-
nisse einnehmen kann, die er bloßstellt. ser Ambiguität ihrer Komik entfaltet die Komödie
Kritische Auseinandersetzung mit dem Bürger- nicht nur ihre profunde politisch-soziale Analytik der
tum – hier im russischen Kaufmanns- und Beamten- gezeigten Verhältnisse, sondern weitet sie ihre Komik
milieu – ist auch das Anliegen zahlreicher Komödien auch auf den theatralischen Diskurs aus. Denn mit ih-
A. N. Ostrovskijs. Sie geißeln Habgier und Korruption, rer Sympathielenkung für die gewitzte Proletarierin
Schmarotzertum und Schuldenmacherei innerhalb ei- lädt sie zur Identifikation mit einer Figur ein, die sich,
ner Gesellschaftsschicht, die an der sich durchsetzen- dem zentralen naturalistischen Theorem entgegen,
den kapitalistischen Ökonomie teilzuhaben versucht durch die gegebenen Verhältnisse gerade nicht deter-
(z. B. Dochodnoe mesto/Eine einträgliche Stelle, 1856, minieren lässt, vielmehr mit der Situation, in der sie
Bešenye den’gi/Tolles Geld, 1870, Les/Der Wald, 1871). sich befindet, überlegen zu spielen weiß. So nötigt die
23 Komik mit theatralen Mitteln 199

Komödie das naturalistische Theater, das vorzustellen,


23.1.5 Komödie im 20. Jahrhundert
was es ausschließt und derart an sich selbst komisch
zu werden. In solcher Komisierung des genuinen Fel- Der Bewusstseinslage der Jahrhundertwende erweist
des ihrer Manifestation, des Theaters, erreicht die Ko- sich die Gattung Komödie als eine genuine Ausdrucks-
mödie eine komische Selbstbezüglichkeit, die auf die form. Tiefgreifende Erschütterungen tradierter Si-
radikale Kunstautonomie der Moderne verweist. cherheiten sind zu verarbeiten: die Infragestellung des
als Bewusstsein und Reflexion gefassten Ichs durch die
Literatur Psychoanalyse, der Hinfall aller Erkenntnissicherheit,
Bartl, Andrea: Die deutsche Komödie. Stuttgart 2009. damit auch des Wertes ›Wahrheit‹ durch Nietzsches
Cordner, Michael (Hg.): English comedy. Cambridge 1994. erkenntnistheoretischen Perspektivismus und Werte-
Catholy, Eckehard: Das deutsche Lustspiel [1968]. 2 Bde.
Darmstadt 1982.
nihilismus, der Zerfall einer konturierbaren Erfah-
Freund, Winfried (Hg.): Deutsche Komödien vom Barock bis rungswirklichkeit, ihre Auflösung in Augenblicksemp-
zur Gegenwart. München 1988. findungen (etwa im Empiriokritizismus E. Machs), die
Goethe, Johann Wolfgang: »Proserpina«. In: ders.: Sämtliche Erschütterung des Vertrauens in das Vermögen der
Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Bd. I, 5. Hg. von Sprache, Welt zu fassen und Sinn zu bestimmen; bezo-
Dieter Borchmeyer. Frankfurt a. M. 51988, 65–106.
gen auf das soziale Leben das Brüchig-Werden der
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen
Dichtkunst [1751]. Darmstadt 1962. Strukturen von Familie, Arbeit und gesellschaftlicher
Greiner, Bernhard: Die Komödie. Eine theatralische Sendung: Konsensbildung, die Erschütterung des neuzeitlichen
Grundlagen und Interpretationen. Tübingen 22006. physikalischen Weltbildes durch die Relativitätstheo-
Hein, Jürgen: Das Wiener Volkstheater. Raimund und Nes- rie. Für das Dramenschaffen erwuchs hieraus ein Brü-
troy. Darmstadt 31997. chig-Werden seiner Grundkonstituenten ›Figur‹ (ent-
Hinck, Walter (Hg.): Die deutsche Komödie. Düsseldorf 1977.
sprechend der Problematisierung des Ichs), ›Hand-
Klotz, Volker u. a.: Komödie. Etappen ihrer Geschichte von
der Antike bis zur Gegenwart. Frankfurt a. M. 2013. lung‹ (als kausales oder teleologisches Gefüge), ›Rede‹
Klotz, Volker: Bürgerliches Lachtheater. Posse, Schwank, Ope- (durch die Problematisierung der Sprache) und ›Vor-
rette. Heidelberg 42007. stellung‹ (in Öffnungen des geschlossenen Raumes der
Kremser-Dubois, Sabine/Wellnitz, Philippe (Hg.): La satire Repräsentation zu Ereignissen von Präsenz). Die Gat-
au théâtre. Montpellier 2005. tung Komödie erlaubt, solche Erfahrungen grund-
Mainusch, Herbert (Hg.), Europäische Komödie. Darmstadt
1990.
legender Verunsicherung und des Zerfalls tradierter
Mennemeier, Franz N. (Hg.): Die großen Komödien Europas. Ordnungen durch ihr konstitutives Moment der Ent-
Tübingen, Basel 2000. grenzung aufzugreifen: als komisches Freisetzen von
Pascal, Blaise: Pensées. Texte de l’édition L. Brunschvicg. Paris Unterdrücktem und gleichzeitiges Desillusionieren
1964. über diesen Vorgang in Komiken des Verlachens, was
Profitlich, Ulrich: »›Geschichte der Komödie‹. Zu Proble- Bewahren oder neues Setzen von Grenzen impliziert.
men einer Gattungsgeschichte«. In: ZfdPh 116. Jg. (1997),
Die herausragenden Komödien dieser Zeit führen in
172–208.
Schiller, Friedrich: »Dramatische Preisaufgabe«. In: ders.: vielfältigen Varianten diese beiden konstitutiven Mo-
Werke und Briefe in zwölf Bänden. Bd. 8. Hg. von Rolf-Pe- mente der Komik zusammen, ihre tendenziell ord-
ter Janz. Frankfurt a. M. 1992, 1038–1039. nungssprengende, entstrukturierende Kraft wie ihr
Schiller, Friedrich: »Tragödie und Komödie«. In: ders.: Wer- Ordnungen befestigendes oder etablierendes Ver-
ke und Briefe in zwölf Bänden. Bd. 8. Hg. von Rolf-Peter mögen im verlachenden Distanzieren der berufenen
Janz. Frankfurt a. M 1992, 1047–1048.
Schlegel, Friedrich: »Vom Ästhetischen Werte der griechi-
Verhältnisse.
schen Komödie«. In: ders.: Kritische Friedrich-Schlegel- Impulse der Entgrenzung wie der Desillusionie-
Ausgabe. Bd. 1. Paderborn u. a. 1979, 19–33. rung richten die Komödien A. Schnitzlers auf das Sub-
Schlegel, Friedrich: Charakteristiken und Kritiken. Kritische jekt, dessen Bewusstseinslage sie in differenzierter
Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 2. Paderborn u. a. 1967. Analytik erkunden. Auf Formen des sozialen Lebens
Schoell, Konrad: Die französische Komödie. Wiesbaden
und dessen fragwürdige Wertorientierungen zeigt
1983.
Steinmetz, Horst: Die Komödie der Aufklärung. Stuttgart sich die Verschränkung der beiden Grundformen der
31978. Komik in verschiedenen Spielarten antibürgerlich-
Vischer, Friedrich Th.: Kritische Gänge. Bd. 1. Hg. von Ro- bürgerlicher Komödien gerichtet: etwa in den gesell-
bert Vischer. München 1920. schaftskritischen Komödien L. Thomas oder G. B.
Bernhard Greiner Shaws, anders wiederum in den grotesken Komödien
C. Sternheims; auch die zeitgenössische Boulevardko-
200 III Mediale Formen des Komischen

mödie gewinnt ihren Reiz aus dieser Verschränkung; des Grenze-Setzens zusammenführt. Das aber ist
zur umfassenden, das Vorgestellte wie die theatra- nichts anderes als die genuine Leistung der Komödie
lische Vorstellung einbegreifenden Deformation er- seit ihrer Herausbildung aus dem Dionysoskult: dio-
scheint sie in A. Jarrys komischer Figur des »Ubu roi« nysische Entgrenzung und deren Strukturierung
gesteigert, einem Produkt wie Generator des moder- durch die institutionelle, theatralische und formale
nen Antitheaters. Ordnung der Komödie – hier allerdings nicht mehr
In den sieben, je für sich autonomen Szenen seines auseinandergelegt in die theatralische Dopplung von
Anatol-Zyklus (1893) entwirft Schnitzler ein Paradig- vorgestellter Welt und Wirklichkeit des Vorstellens,
ma der impressionistischen Existenzform: ein Ich oh- vielmehr schon in der vorgestellten Welt ineinander
ne Zusammenhang, in Stimmungsaugenblicken auf- geführt, die sich dann auch bei Schnitzler von umfas-
gehend, die zu keiner Erfahrung akkumuliert werden, sendem Spielbewusstsein im Sinne des Welttheaterto-
zugleich ausgestattet mit einem überwachen Bewusst- pos durchdrungen zeigt. Im Skandalstück Reigen (ge-
sein, das alle Unmittelbarkeit vernichtet. Ihre spezi- schrieben 1896–97, als »unverkäufliches Manuskript«
fische Komik gewinnen die Szenen durch ihr zirkulä- gedruckt 1900) hat Schnitzler die zirkuläre Verknüp-
res Verknüpfen beider Daseinsformen. Entgrenzung fung der beiden entgegengesetzten Orientierungen
als Verarbeitung radikaler Erschütterung tradierter seiner Komödie nicht nur dramaturgisch entfaltet,
Sicherheiten erscheint auseinandergelegt in Auf- sondern selbst wieder zum Gegenstand des Dramas
lösung des Ichs in den unstrukturierten Raum von gemacht. Im nachfolgenden Drama Der grüne Kakadu
›Stimmung‹ einerseits und in Phantasmen eines gran- (1899) werden diese Orientierungen in den beiden
diosen Selbst andererseits, das alle Welt als Entäuße- Hauptfiguren gegenübergestellt und ihre Verbindung
rung des Ichs in sich zurücknimmt. Der Entgrenzung in einem universalen Spielgedanken eingebettet.
und der ihr entsprechenden Komik der Grenzübertre- An die gesellschaftskritische Komödie G. Haupt-
tung steht allerdings eine unbestechliche Analytik ge- manns erinnert L. Thomas Erfolgskomödie Moral (im
genüber, die die Akte der Entgrenzung als Illusionen Uraufführungsjahr 1908/09 allein in Berlin 300 Auf-
weiß und handhabt, damit der Unterscheidung von führungen), die die Moral-Heuchelei der herrschen-
Schein und Sein unterwirft und im Ausstellen von den bürgerlichen Schicht anprangert. Diese nur zu
dessen Missverhältnis dem Verlachen preisgibt. Die entlarven und als komisches Missverhältnis von
damit gesetzte Kontrastkomik verlangt eine Position Schein und Sein dem Verlachen preiszugeben, hielte
höherer Übersicht, die die Akte der Entgrenzung und ein schales Vergnügen bereit; brisant wird die Komö-
des Grenze-Setzens vermittelt. Eine solche bleibt je- die durch ihren Schluss, der das als bloße Komödie
doch entzogen, stattdessen wird das Grenze-Setzen, entlarvte Einfordern von Moral fortbestehen lässt. Die
das dem Akt der Desillusionierung inhärent ist, auf Universalisierung des Komödiengedankens, worin
neue Entgrenzung hin perspektiviert, diese ermögli- hier das Moment der Entgrenzung beschlossen ist, das
chend und generierend. So ist in der Szene »Weih- zur Desillusionierung hinzutritt, hat allerdings nichts
nachtseinkäufe« Entgrenzung als Aufgehen in der Befreiendes, zeigt vielmehr beunruhigende Ambiva-
›kleinen Welt‹ des ›süßen Mädls‹ (das Schnitzler als lenz. Auch als entlarvte wird die gesellschaftliche Ko-
Figurentypus geschaffen hat) als einer Welt wahrer, mödie weiter gespielt. So wäre Durchbrechen der Ko-
unmittelbarer Liebe vorausgesetzt. Im Gespräch mit mödie geboten, stattdessen nimmt die Komödie ihr
der Dame der großen Welt gesteht Anatol zu, dass das Entlarven in einen universalen Komödienrahmen zu-
Sich-Hingeben an die Wunsch-Welt unmittelbaren rück und zeigt damit, dass das Komödienmoment der
Glücks eine Illusion ist, eine sentimentale Projektion, Entgrenzung auch in den Dienst gesellschaftlicher Af-
zugleich wird allerdings deutlich, dass die Wirklich- firmation gestellt werden kann.
keit, in der dies erkannt wird, eben diesen Entgren- G. B. Shaws Komödien zeigen sich in ihrem kriti-
zungswunsch bei denen, die ihn durchschauen, im- schen Impuls eindeutiger, z. B. Arms and the Man
mer neu produziert. Zur Präsenzerfahrung einer voll- (1984, Helden), Man and Superman (1894), Pygmalion
ständigen Auflösung des Ichs in ›Stimmung‹ tritt die (1913, Grundlage des Musicals My Fair Lady, 1956).
Desillusionierung, die diese Erfahrung als Projektion In witzigen Dialogen, überraschenden Konfiguratio-
und Inszenierung weiß, diese zugleich aber immer nen und Wendungen der Handlung werden Vorurtei-
neu bedingt. Derart überführt Schnitzler die dramati- le aufgespießt, Idealisierungen (z. B. des Mannes zum
sche Argumentation in einen Zirkel, der eine Komik kriegerischen Helden) als wahnhaft erwiesen, bürger-
freisetzt, die die Bewegungen der Entgrenzung und liche Wertvorstellungen (etwa über die Stellung der
23 Komik mit theatralen Mitteln 201

Frau, die Bedeutung der Ehe oder über Patriotismus) den. Das Ich, das seine egoistischen Triebwünsche be-
zerstört. G. B. Shaw leistet dies auf hohem theoreti- jaht, von denen es sich zugleich in seiner Konsistenz
schen Niveau, das sich aus den Schriften insbesondere bedroht fühlt, identifiziert sich mit gewalttätig ein-
K. Marx’, Nietzsches, Ch. Darwins, H. Bergsons und S. schränkenden Ordnungen, deren nach außen gerich-
Butlers speist, wobei Szenen gerne auch zu Diskussi- tete Aggressivität es ableitet nach innen, wie es umge-
onsrunden über neue Ideen gebildet werden. Umwer- kehrt deren Druck nach innen ableitet in Aggressivität
tung der Werte im Sinne Nietzsches soll so befestigt nach außen. Sternheims Komödien gelingt damit ein
oder die eigene vitalistisch-evolutionistische life force- Tiefblick in das Psychopathische der wilhelminischen
Philosophie verkündet werden. Gegen den falschen Kraftmeierei. Mit der Maske nach außen wie nach in-
Schein der Wirklichkeit und deren Aneignung im Be- nen verweigert die Komödie klare Unterscheidung,
wusstsein setzt Shaws aufklärerisch lehrhaftes Theater nicht zuletzt die von Maske und Gesicht, die Maske ist
auf konstruktivistische Verfahren im Rückgriff auf die überall, wie dann auch einige der Komödien über
Parabel, Montagetechniken, satirisches Überspitzen, mehrere Generationen hinweg die Geschicke einer
überraschendes Umbilden von Mythen (z. B. ›Don Familie ausbreiten, die den Namen ›Maske‹ trägt. Die
Juan‹, ›Pygmalion‹) oder biblischer Szenen (etwa des Ambivalenz der Maske, die die Stücke entfalten, er-
Sündenfalls). Leitend ist Komik des Verlachens, die klärt auch, weshalb Sternheim Komödien als Satiren
Missverhältnisse herausstellt, was eine Position höhe- unzureichend erfasst werden. Denn zur Satire fehlt
rer Übersicht und sichere Maßstäbe voraussetzt, die der feste Punkt der Unterscheidung. Hierin manifes-
Shaw in seinen Szenen der Theorievermittlung dann tieren die Komödien ihr Moment der Entgrenzung; da
auch einbringt. Komik der Entgrenzung bleibt diesen die Vorstellung von Maske jedoch die Unterscheidung
Sinnsetzungen unterworfen, mithin selbstwider- von Maske und Gesicht voraussetzt, ist immer auch
sprüchlich funktionalisiert, was nur selten, etwa in das Moment des Grenze-Ziehens berufen. So führen
überraschenden Schlusswendungen der Handlung, hier Entwurf und Dramaturgie der Maske die beiden
aufgebrochen wird. Grundmomente der Komödie ohne Vermittlung zu-
Einen eigenen Komödientypus hat C. Sternheim sammen. Das betrifft auch den Bezug zum Publikum,
mit seinen »Komödien aus dem bürgerlichen Helden- mit dem sich Sternheims Komödien, ihren Helden
leben« (Sternheim 1918, 47) geschaffen. Das erste die- dem Verlachen preisgebend, verbünden, das sie zu-
ser Stücke, Die Hose (1910), gibt die Strukturformel gleich aber mit ihrem Bekräftigen des Verlachten vor
vor, die die weiteren variieren: Die Kassette (1911), den Kopf stoßen. In dieser Ambivalenz unterscheiden
Bürger Schippel (1912), Der Snob (1913), 1913 (1914) sie sich grundlegend von den zur gleichen Zeit sehr
und Tabula rasa (1915). Gezeigt wird der willensstark, erfolgreichen französischen Boulevardkomödien E.
kompromisslos und egoistisch seine Natur, sexuell Labiches und G. Feydeaus, die gleichfalls die Reizthe-
oder ökonomisch (auf der Stufe eines anarchischen men Sexualität und Geld verhandeln, aber auf die vor-
Kapitalismus) auslebende Bürger. Er wird komisiert gestellte Welt beschränken und durch ausgeklügelte,
als zum Titanen sich aufblähender Spießer, gesell- furiose Situationskomik die Gemeinsamkeit von Büh-
schaftskritisch wird das Wirken chaotischer Triebe nenwelt und Publikum gerade vergessen lassen.
unter der Decke bürgerlicher Wohlanständigkeit frei- Zwei neue Spielarten der Komödie werden auf dem
gelegt. Aber Sternheims Komödie schafft zu diesem französischen Theater der Jahrhundertwende aus der
›Helden‹ nicht nur komische Distanz, signalisiert viel- ästhetischen Figur der Groteske entwickelt. E. Ro-
mehr Einverständnis mit ihm, lässt ihn zur Erfüllung stands Komödie Cyrano de Bergerac (1897), ein un-
seiner Triebwünsche gelangen, womit sie eine beson- geheurer Theatererfolg, durch Bearbeitungen für die
dere Spielart der Groteske begründet: mit ihrem Ent- Oper (1936) und zwei Verfilmungen (1950, 1990)
larvungsgestus, der Maßstäbe voraussetzt, werden weltbekannt, entwickelt ihre Komik aus ›karnevalisti-
Sinnerwartungen gesetzt, die mit dem Bejahen des scher‹ (vgl. Bachtin 1990) Verbindung des Hetero-
Aufgedeckten zunichte gemacht werden. Aggressives genen, d. i. beim Haupthelden: des Hässlichen, grotes-
Sich-Ausleben unter der Maske der Biederkeit wird ker Leiblichkeit (der durch seine übergroße Nase ent-
aber nicht nur vorgeführt und bejaht, die Komödie stellte Held, wie dies auch für den gleichnamigen his-
deckt vielmehr noch ein ganz anderes Bedürfnis nach torischen Dichter und Krieger des 17. Jh.s verbürgt
Maske auf, eine nach innen gerichtete Maske als Halt ist) mit dem Schönen (poetische Meisterschaft) und
und Strukturierung, um von der innersten Natur, der Klugen (sprudelnder Witz), beim zweiten Helden,
da gefrönt werden soll, nicht überschwemmt zu wer- dem Kadetten Christian in Cyranos Regiment rezi-
202 III Mediale Formen des Komischen

prok: die Verbindung körperlicher Schönheit, die die da es immer neu mit der Lust am Bestialischen und
Liebe der Frauen beschert, mit geistiger Tumbheit, Monströsen, trotz dessen Entschärfung durch Stilisie-
Unvermögen zur Liebesrede, die die Frau erwartet. rung zum Kasperl- und Marionettentheater konfron-
Beide sind derselben Frau verfallen und so verbünden tiert wird. Ubu roi wurde so zu einer Ikone der Attacke
sie sich, allerdings mit ungleichem Gewinn: der Schö- gegen das Publikum wie eines programmatischen An-
ne ohne Geist gewinnt die Zuneigung der Frau mit der titheaters.
ihm vorgefertigten oder eingeflüsterten poetischen Seine Sei personaggi in cerca d’autore (Sechs Per-
Liebesrede des selbstlos handelnden Hässlichen. Eine sonen suchen einen Autor), mit denen er Weltruhm er-
ins Quadrat erhobene groteske männliche Doppel- langt hat, brachte L. Pirandello 1921 als ›Commedia‹
gestalt erweckt so auf Seiten der Frau tiefe Liebe, deren auf die Bühne: im allgemeinen Sinn eines ›Theater-
Grundlage jedoch vorgetäuschte geglückte Einheit stücks‹, aber auch im engeren der ›Komödie‹, da hier
von Körper und Geist ist, den Poesie verbürgte: er- ein genuines Komödien-Moment, das Ausstellen des
neut, nun auf einer Meta-Ebene, eine groteske Paa- Spielens, in potenzierter Weise entfaltet wird. Das
rung. Als deren Wirklichkeit beruft die Komödie vie- Stück ist das erste der ausdrücklich metatheatra-
lerlei Arten karnevalistischer Entgrenzung: etwa im lischen Arbeiten Pirandellos, das dieser dann auch mit
Spiel im Spiel oder in der Feier des Körpers (im Essen zwei nachfolgenden zu einer trilogia del teatro nel tea-
und Trinken), zuletzt jedoch in der anderen Seite der tro verbunden hat: Komödie als hochreflektiertes Spiel
Entgrenzung, dem Tod, zuerst des Schönen, dem als über das Theaterspielen. Während einer auf der Bühne
Sterbendem Cyrano noch eine Liebesepistel in die gespielten Theaterprobe werden Theaterdirektor und
Hände drückt, zuletzt auch Cyranos selbst, der ster- Schauspieler durch sechs Personen unterbrochen, die
bend der Geliebten die wahren Verhältnisse aufdeckt, sich als Dramenfiguren bekunden, die schon literari-
nicht, um alle Verhältnisse umzukehren, sondern um sches Leben haben, deren Drama ihr Autor jedoch, da
versöhnt mit sich selbst zu sterben. Der karnevalisti- es ihm zu abgeschmackt und melodramatisch er-
schen Komödie aus der grotesken Verbindung des He- schien, nicht ausgeführt hat und die nun einen ande-
terogenen wird derart keine Lebensfähigkeit in der ren Autor suchen, der ihre Geschichte vollende. Zwi-
vorgestellten Welt beschieden, dies Ergebnis ist aber schen diesen Figuren, den Schauspielern und dem Di-
nicht bedrückend, denn es wird aufgewogen durch die rektor ergeben sich vielerlei Auseinandersetzungen,
Kraft der Poesie, die als vollendete Verskomödie die die um die offenbar unaufhebbare Differenz zwischen
grotesken Paarungen in einer ästhetisch gelungenen dem beanspruchten Sein der Figuren und den Ansät-
Form zu entfalten vermag. Akzentuiert E. Rostands zen der Schauspieler kreisen, ihre Geschichte zu spie-
groteske Komödie das konstruktive Potenzial des len und fortzuführen. Die Figuren benötigen ihr Dra-
Grotesken, so A. Jarrys Ubu roi (1896) die destruktive ma, um Sein zu haben, hierin wurden sie von ihrem
Spielart. Die Komödie inszeniert hier in Puppenthea- Autor und werden sie erneut auch vom Theaterdirek-
ter-Manier um ihren fantastischen Gruselhelden Ubu tor abgewiesen. Da das die Figuren in ihrem Sein be-
ein exzessives Freisetzen all dessen, was die Kultur- droht, steht Komödie auf dieser Ebene, trotz witziger
gebote zu unterdrücken verlangen: Ausleben nied- Szenen, sehr in Frage. Auf der nächsten Meta-Ebene
rigster Instinkte wie Einverleiben (entsprechend aus- des Theaters wird den Figuren jedoch ein anderes
ufernde Leiblichkeit des Helden), Machtgier, Besitz- Drama zugewiesen: Figuren auf der Suche nach einem
gier, Umkehren des Innen nach Außen mit der Folge Autor zu sein und hierin abgewiesen zu werden. Auf
einer Dominanz des Fäkalischen und Skatologischen, dieser Ebene erhalten Sie eine Geschichte, damit ein
sprachlich wie als Prinzip der Handlung, Auflösungen Sein als dramatische Figur, wenn auch negativ, dieses
der Kommunikationsfunktion der Sprache in idiosyn- Sein gerade abgesprochen zu erhalten. Die Figuren
kratischen Wortbildungen, Aufbrechen eines geord- vermögen diese Erfüllung ihres Begehrens im Meta-
neten Raum-Zeit-Kontinuums. Die groteske Verbin- Theater nicht wahrzunehmen, wohl aber der Direktor
dung des Heterogenen ist in den Vorgang permanen- und vor allem der (reale) Zuschauer: so breitet sich für
ter Umkehrung überführt. In ihrer Komik der Herauf- diese eine reziproke Komik des Missverhältnisses aus:
setzung des im Zuge der Ich- und Gesellschaftsbildung die wahrgenommene Nicht-Erfüllung des Begehrens
zu Unterdrückenden geht das Stück über die Grusel- auf der einen Ebene wird zur nicht wahrgenommenen
und Horrorstücke des ein Jahr nach seiner Urauffüh- Erfüllung des Begehrens auf der nächsten Ebene des
rung begründeten Grand Guignol-Theaters weit hi- Theaterspiels. Die vielfältigen Brechungen der einen
naus. Das so erzeugte Lachen ist aber nicht befreiend, Ebene an der anderen, die hier erreicht werden, indem
23 Komik mit theatralen Mitteln 203

alle Register eines entfesselten Theaters gezogen wer- Paar, das zu ihr findet, der Komödienwelt zuletzt sich
den, bringen im Zuschauer ein Gefühl des Gegensätz- entziehen lässt.
lichen hervor, hier von Rolle (als gewusstes Sein einer Nicht primär, sondern sekundär will Ö. von Hor-
Theater-Figur) und Sein (als gleichzeitig nicht ge- váth seine Stücke als Komödien verstanden wissen:
wusstes Rollen-Spiel auf dem Meta-Theater), das für »Alle meine Stücke sind Tragödien – sie werden nur
Pirandello ›den Humor‹ (Pirandello 1986, 7–63) aus- komisch, weil sie unheimlich sind. Das Unheimliche
macht. Pirandellos Komödien der Meta-Theatralität muß da sein« (Horváth 1970, 664). Unheimlichkeit
brechen die überkommenen Ordnungen des Dramas lassen Horváths Stücke daraus entstehen, dass die Fi-
und Theaters von innen auf, sind dabei aber getragen guren zum einen aus einer Phraseologie entworfen
vom vermittelnden Geist des Humors. sind, kaum mehr als dessen rhythmisierte Präsentati-
Eine Komödienform, die Erkenntnisse der Psy- on vorstellen, in dem sich Süßlichkeit als Aggressivi-
choanalyse literarisch produktiv macht, schuf H. von tät, Sentimentalität als Brutalität entfalten und umge-
Hofmannsthal mit seiner Komödie Der Schwierige kehrt (in den Geschichten aus dem Wiener Wald, Ur-
(1921). Ihr Held ist ein »Mann ohne Absicht« (Hof- aufführung 1931, ist dies z. B. ein zu bloßen »Kalen-
mannsthal 1979, 564), der sich dem Berechnen der dersprüch« (Horváth 1982, 94) heruntergekommener
Mitmenschen, dem zielbewussten Denken und zu- Bildungsjargon), und dass die Figuren zum anderen in
packenden Handeln, also der Welt der instrumentel- der Überantwortung an diesen Redestrom als ihr
len Vernunft verweigert. Denn die Absichten und Be- Handeln verantwortende Subjekte, sei es als Täter, sei
rechnungen nivellieren einander, schaffen Bedingt- es als Opfer, gar nicht mehr vorkommen. Auch die je-
heiten, deren Wechselwirkung nach ihrer eigenen Lo- weiligen Helden, die gegen diese sentimental-brutale
gik, unabhängig vom Handeln des einzelnen Subjekts Welt aufbegehren, bleiben in der Phraseologie gefan-
abläuft. Der ›Mann ohne Absicht‹ beharrt demgegen- gen, die jegliches Subjekt-Sein verabschiedet hat, was
über auf Person-Sein als dem Feld sinnstiftender Ori- die Ausbruchsversuche zum Scheitern verurteilt. Ko-
entierung, was er auch den »bizarren Begriff« einer mödien werden Horváths Stücke in zwei Schritten:
»höheren Notwendigkeit« nennt (ebd., 356). Zu die- durch negative Setzung, insofern ein Ich zur Tragödie
ser als dem zeitlos Gültigen gelangt er nicht durch fehlt und durch den permanenten Vorgang der Iro-
Verweigerung gegenüber der Absichtswelt, vielmehr nisierung im alles durchwaltenden Redestrom, in dem
auf dem Wege einer ›Fehlleistung‹ im Sinne Freuds, in sentimentale Phrasen Akte der Brutalität befördern,
deren Witz Hofmannsthal das Potenzial der Komödie diese sich als jene vermitteln. Solche Erfahrung nicht
erkennt und zu entfalten weiß. Der für sich Absichts- zu sistierender Ambivalenz entspricht Freuds Bestim-
lose will den Absichten der anderen durchaus gefällig mung des Unheimlichen (vgl. Freud 1947) als Wieder-
sein; indem er diese aber in sich eindringen lässt, belebung überwundener infantiler Komplexe, wozu
richtet er Konfusionen an, die die Absichten der an- mit dem Fehlen eines fest konturierten, sein Handeln
deren zuschanden werden lassen, sein ihm selbst ver- verantwortenden Ichs auch die Rückwendung in ei-
borgenes Begehren jedoch ans Licht bringt. Die das nen Zustand vor einer stabilen Ich-Bildung gehört.
Stück durchwaltende Komik der Missverhältnisses Im Umfeld sozialistischen Denkens hat K. Marx’
von Handlungsintention und Ergebnis, Erwartung geschichtsphilosophische Bestimmung der Komödie
und Erfüllung, entfaltet derart beim Helden der Ko- starke Resonanz gefunden:
mödie die andere Grundform der Komik, die Unter-
drücktes, Unbewusstes freisetzt, das allerdings nicht, »Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist
hierin unterscheidet sich die Komödie fundamental ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon ein-
von der Freudschen Theorie, auf Erfüllung von Trieb- mal tragisch verwundet waren im gefesselten Prome-
wünschen gerichtet ist, vielmehr ideell auf Verwirk- theus des Aeschylus, mußten noch einmal komisch
lichung eines nicht relativierbaren Lebenssinnes. sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser
Nicht nur auf der Ebene der vorgestellten Handlung, Gang der Geschichte! Damit die Menschheit heiter von
sondern auch diskursiv als Komödie soll das Stück ihrer Vergangenheit scheide.« (Marx 1982, 174)
dies leisten, als Antwort auch auf den Zusammen-
bruch der Ordnungen der bürgerlichen Welt im ers- B. Brecht übernimmt im Prolog seiner 1940 im fin-
ten Weltkrieg. Diese ideelle Orientierung der Komö- nischen Exil verfassten Komödie Herr Puntila und
die des Unbewussten weiß die Komödie allerdings so sein Knecht Matti programmatisch Marx’ These: mit
konträr zur erfahrbaren Wirklichkeit, dass es das Lachen werde hier die bourgeoise Figur des ›Guts-
204 III Mediale Formen des Komischen

besitzers‹ verabschiedet. Das Stück löst dies allerdings im Binnenspiel: losgelassen haben in Ersterer die, die
nicht ein: die geschichtlich überlebte Figur wird nicht sich auf ›Blutsbande‹, festgehalten die, die sich auf ihre
durch Verlachen distanziert, sie behauptet sich viel- produktive Hinwendung zum Streitobjekt berufen ha-
mehr, weiß nach dem Lustprinzip zu leben und den- ben. So bleibt die Frage, ob sich in den Letzteren, als
noch ökonomisch erfolgreich zu bleiben. So ist sie der Nicht-Loslassenden, eine Zeit neuer Herren ankün-
Sympathieträger, nicht der klassenkämpferische Mat- digt, die wieder der komischen Figur eines Azdak be-
ti, der die Herr-Knecht-Dialektik zwar mit Witz und dürfte, damit Gerechtigkeit geschehe.
Spiellust entfaltet, zuletzt aber einfach weggeht, dem Zwanzig Jahre früher hatte V. Majakovskij dies
Herrn das Feld überlassend. Der Zuschauer lacht we- schon in zwei Komödien, Klop (Die Wanze, 1929) und
niger über Puntila als mit diesem, konterkariert von Banja (Das Schwitzbad, 1929), bejaht. Eine Zeit-
Matti, der in seinen Gegenhandlungen zwar erfolglos maschine erlaubt hier jeweils, von der späteren Zeit ei-
bleibt, aber gewährleistet, dass im einen Gesicht Pun- nes vollendeten Sozialismus auf die jetzigen Zustände
tilas das negierte entgegengesetzte immer mit gesehen zu blicken und einiges – Bürokratismus, erstarkendes
wird: im betrunkenen, aber menschlichen Herrn das kleinbürgerliches Denken – satirisch aufzuspießen:
negierte des erfolgreichen Ökonomen und umgekehrt reine Verlachkomödien, deren kritische Tendenz bei
in diesem, als Entfremdung, jenen. Das Stück zielt auf den neuen Herren kein Gefallen fand.
Identifikation mit Puntila, der mit seinem Ausleben Das Theater des Absurden kann das Sinnlose oder
dessen, was das Realitätsprinzip zu unterdrücken ver- Widersinnige der vorgestellten Welt entweder negativ
langt, die Komödie verkörpert, um mit dem Kennt- berufen, als umfassende Verneinung noch aufrecht-
lichmachen seines Doppelgesichts als eines der Ent- erhaltener Sinnerwartung, oder positiv als Entlastung
fremdung Ablösung von ihm in Gang zu bringen. Sol- und Befreiung vom Sinngebot. Ist im ersten Fall eine
che Ablösung nach nochmaliger Identifikation ist besondere Affinität zur Figur der Groteske gegeben,
Trauerarbeit. Brechts Theater der Verfremdung – die- so im zweiten zur Komik der Heraufsetzung von Un-
se verstanden als Entfremdung der Entfremdung – terdrücktem, hier der Lust am Unsinn, und damit zu
gibt der Komödie in der Weise der Trauerarbeit Raum, der durch solche Komik bestimmten Komödie. Denk-
als Trauerarbeit an der Komödie selbst. Diese hat da- bar ist auch ein Zusammenführen beider Orientie-
bei allerdings keine Zukunftsperspektive, die alten rungen zu unentscheidbarer Ambivalenz. Für Letzte-
Verhältnisse bleiben, damit auch der Repräsentant der res stehen paradigmatisch die Stücke S. Becketts, allen
Komödie und die Trauerarbeit an dieser. Der Kaukasi- voran En attendant Godot (1952, Waiting for Godot,
sche Kreidekreis (1949), konzipiert als Komödie für ei- 1954). In minimalistischen Ansätzen zu Handlungen,
ne postrevolutionäre, sozialistische Gesellschaft, voll- die zu nichts führen, in von Missverständnissen
zieht diese Restituierung der in Trauerarbeit ver- durchzogenen, wo ein Sinnbezug aufscheinen könnte,
abschiedeten Komödie verdeckter. In der Rahmen- sogleich abgebrochenen oder zerredeten Dialogen
handlung hat man sich im Streit um ein Tal zwischen und rhythmisiert durch wenige Ereignisse (Auftau-
denen, die seine Produktivität durch mächtige Ein- chen eines zweiten Figurenpaars, ungewisse Nach-
griffe in die Natur steigern und denen, die, auf ›Bluts- richt von Godot, neue Blätter an einem Baum, dem
bande‹ zu ihm sich berufend, es im Einklang mit der einzigen Requisit auf der Bühne), kreisen die beiden
Natur nutzen wollen, gütlich geeinigt und betrachtet Protagonisten um eine Sinn-Leerstelle, die sie durch
im Binnenspiel eine analoge Konfliktkonstellation in dieses Kreisen auch erst schaffen. Auf literarisches,
früherer Zeit (um ein Kind), bei der es zur guten Lö- philosophisches, religiöses Bildungsgut wird mo-
sung nur durch den Zufall gekommen ist, dass im menthaft angespielt, ohne dass sich hieraus Kristalli-
Chaos einer Wendezeit ein fragwürdiger Richter par- sationskerne für Sinnbezüge herauspräparieren lie-
teiisches Recht für die Unteren gesprochen hat. Dieser ßen. So tritt zum Spannungsverhältnis von Sinn-
Richter nützt die kurze Zeit des Umbruchs, um aus- erwartung und Sinnleere das von Deutungsaufforde-
zuleben, was von jeher der Part der komischen Figur rung und Deutungsverweigerung. Als eine Komödie
war: Erfüllen der Triebwünsche im Bunde mit den präsentiert sich das Stück im Ganzen durch seine lei-
›Niederen‹. Die Garantie der guten Lösung durch den tende Komik der Heraufsetzung des Unterdrückten,
Zufall, dass solch ein Repräsentant der Komödie Ent- in vielen Einzelmomenten durch die Spiellust der Pro-
scheidungsmacht hat, scheint postrevolutionär nicht tagonisten – Sprachspiele, Clownerien –, die Abstand
mehr nötig. Dem widerspricht allerdings, dass der schaffen zur leeren Zeit eines erinnerungslosen Krei-
Streit in der Rahmenhandlung anders gelöst wurde als sens um ein Nichts. Diese Komödienleistung, Distanz
23 Komik mit theatralen Mitteln 205

zum Vorgestellten durch einen Freiraum des Spielens noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat«. Wenn
zu schaffen, wird den nachfolgenden Stücken Becketts er an dieser Stelle fortfährt »uns kommt nur noch die
(z. B. Happy Days, 1960) zunehmend verweigert. Komödie bei« (ebd., 24, 62), so wäre die Tat das Trans-
E. Ionescos Theaterstücke stellen nicht Entzogen- zendieren der Komödie, in der Sinn nur gespielt wird.
Sein von Sinn als metaphysische Leere vor, sie treiben Das aber wird mit der Frage verbunden, und dies erst
vielmehr eine in banale, immer gleiche Gesten und bildet Dürrenmatts Komödien zu Grotesken, ob diese
Worten erstarrte Welt (La cantatrice chauve/Die kahle Transzendierung überhaupt gelingen kann, ob die Fi-
Sängerin, 1950, Amédée ou comment s’en débarrasser/ guren, die sie leisten, sich nicht an der Chaos- und Zu-
Amédée oder Wie wird man ihn los, 1954) oder eine fallswelt nur lächerlich machen, als deren Spielregeln
durch die Wahnvorstellung der Protagonisten be- nicht durchschauend bzw., ob die Sinn setzen wollen-
stimmte Situation (La leçon/Die Unterrichtsstunde, de Tat mit ihrem erhabenen Pathos nicht längst auf
1951, Les chaises/Die Stühle, 1952) ins Monströse: mit- der nächst höheren Ebene des Spielens von anderen
tels Wuchern-Lassen der Sprache bis zum Verlust aller funktionalisiert, bloße Komödie in der von diesen ge-
Kommunikativität sowie ihrer Reduzierung auf a-se- setzten Ordnung ist (die Racheordnung der ›alten Da-
mantische Materialität, ebenso im Wuchern von Din- me‹, der Industrietrust der Irrenärztin). In diesem
gen (Stühle, der Kadaver einer abgestorbenen Liebe) Sinne verweist die viel zitierte Bemerkung Dürren-
und Handlungsabläufen (Abendunterhaltung eines matts – »die schlimmstmögliche Wendung, die eine
Ehepaars, Unterrichtsstunde). Ziel dieser Verfahren Geschichte nehmen kann, ist die Wendung in die Ko-
sind heftige, auch in Gewalt sich entladende Erre- mödie« (ebd., 10, 128) auf die Figur des Grotesken: ei-
gungszustände jenseits aller Sinnordnungen, was als ne Sinnerwartung wird gesetzt und umfassend, ohne
ein Freisetzen des dionysischen Potenzials der Gat- Eröffnen eines neuen Sinnhorizontes, zurückgenom-
tung Komödie aufgefasst werden kann, zu dessen Ver- men. Als Interpretation erfahrbarer Wirklichkeit er-
wirklichung Ionesco auf ein Anti-Theater zielt, mit Fi- scheint diese Art Komödie abgründig, für sich, in der
guren ohne plausible Psychologie, inkohärenter Art ihrer ästhetischen Ordnung betrachtet, erweist sie
Handlung und a-kommunikativer Sprache. sich zugleich als ›absolute‹ Komödie: jeden Akt, sie zu
Auch F. Dürrenmatts Komödien und vielbeachtete transzendieren, auf einer höheren Ebene des Spielens
Komödientheorie gehen von der Vorstellung einer zurückholend in ihre Welt der Sinnverneinung, kar-
sinnverweigernden Welt aus, in der alles vernunftori- nevalistischer Entlastung vom Druck der Sinngebote.
entierte, ethisch verantwortungsvolle Handeln abge- F. Dürrenmatt zeigt sich so weniger als Prediger ange-
wirtschaftet hat. Solcher Wirklichkeit komme nur sichts einer sinnentleerten Welt denn als Schöpfer ab-
noch die Komödie bei, da sie Abstand zu solcher Welt soluter, sich selbst immunisierender Komödien, der
zu schaffen vermöge, indem sie ihr eine eigene, grotes- um dieser Willen seine Geschichten zu Ende denkt:
ke Welt entgegenstelle (vgl. Dürrenmatt 1980, 24). In »Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie
einer widersinnigen Welt lässt sich Sinn nur spielen, ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat«
so die ihre eigene Gerechtigkeit praktizierende ›alte (ebd., 1980, 7, 91).
Dame‹ oder die verrückt spielenden drei Physiker, um M. Frisch erhebt die Komödie nicht zur leitenden
ihre Forschungserkenntnisse für sich zu bewahren Deutungsfigur der Nachkriegswirklichkeit, entfaltet
oder Romulus und Odoaker als Aussteiger aus der Ge- vielmehr auch in dieser Gattung sein Thema der Iden-
schichte. Derart geschaffener Sinn existiert aber nur in titätssuche und Vergewisserung des Ichs in seiner Un-
der Fiktion, im hervorgebrachten Spielraum. Um ihn teilbarkeit und Besonderheit. Das kann zur einfachen
in die Wirklichkeit zu bringen, muss der Raum des Verlachkomödie über den rückhaltlos usurpierten
Spielens transzendiert werden, müssen entsprechend Machthabern sich Anpassenden führen (Biedermann
die Figuren aus dem Spiel Ernst machen, indem sie es und die Brandstifter, 1957) oder zur Problematisie-
mit ihrem Leben (Ill im Besuch der alten Dame, 1955) rung dieses Genres, insofern die Opposition von zu
oder mit dem Leben anderer also mit Schuldig-Wer- verlachendem Schein und wahrem Sein, die es zu-
den und Verantworten von Schuld ›unterschreiben‹: grundelegt, als in sich brüchig erwiesen wird. Das un-
die Morde der Physiker an ihren Krankenschwestern ternimmt die Komödie Don Juan oder Die Liebe zur
(Die Physiker, 1961) , die Untergänge, denen Romulus Geometrie (1952): die bürgerlich sittliche Welt muss
tatenlos zusieht (Romulus der Große, 1956). Entspre- hier nicht entlarvt werden, gibt sich vielmehr selbst als
chend betont F. Dürrenmatt, in einer Welt allgemeiner bloßes Theater, auf dem hinter allseits gewusstem
Verantwortungslosigkeit gebe es »Schuld [...] nur Schein von Wohlanständigkeit jeder seine Triebwün-
206 III Mediale Formen des Komischen

sche auslebt. Der Austauschbarkeit des Ichs im Reich zurückgeholt in ein offenes Spannungsverhältnis zwi-
der Triebe setzt der neue Don Juan die Hinwendung schen Komödiendiskurs und einzelner Komödie. In
zum Bleibenden, »Lauteren, Nüchternen, Genauen« der Komödie Moritz Tassow (1961) geschieht dies so,
(Frisch 1965, 48) entgegen. Die Ichbegründung aus dass sich der Held der Übereinkunft ›geglückte sozia-
der Entgegensetzung bleibt jedoch abhängig von dem, listische Revolution‹ nicht verweigert, sie vielmehr
wogegen das Ich sich absetzt und so holen Schein und überbietet, indem er so handelt, als ob jetzt schon die
Theatralität dieses Ich umfassend ein (die Höllenfahrt Zeit gekommen sei, die kommunistische Utopie in die
als inszeniertes Theater, um sich der Welt des Scheins Tat umzusetzen, während die Vertreter des Realitäts-
zu entziehen, das Leben im Verborgenen als unwis- prinzips sich am durchaus als Komödianten gezeigten
sentliches Agieren im Spiel der ihn durchschauenden Utopisten lächerlich machen. Die Bearbeitung von
Frau). Verlacht wird so nicht nur die Scheinwelt, son- Aristophanes’ Frieden (1962), Hacks’ größter Theater-
dern auch deren pathetischer Widerpart, der Ko- erfolg, konfrontiert die geglückte Verbindung von
mödienheld als selbst heillos im Schein verstrickt. Ich- Niedrigem und Hohem, Menschlichem und Gött-
bildung erweist sich in Scheinoppositionen von Selbst lichem, damit von Erfahrungswirklichkeit und Idee
und Welt, Lauterkeit und Verlogenheit, Genauigkeit (der Bauer Trygaios fliegt auf einem Mistkäfer in dem
und Diffusität gefangen, kann nicht gelingen, da die Himmel und befreit die gefangen gesetzte Friedens-
Position des verneinenden Dritten, im überkom- göttin Eirene) mit einer zu den Verhältnissen in Athen
menen Don Juan-Stoff der ›steinerne Gast‹, der für die (bei der Uraufführung war der Nikias-Friede, der den
irdische wie die himmlische Ordnung steht, an denen Peleponnesischen Krieg für sechs Jahre unterbrach, so
der ›Spötter‹ Don Juan sich vergeht, in dieser neuen gut wie beschlossen) diametral entgegengesetzten Si-
Aneignung des Stoffes ausgespart ist. Es entsteht hie- tuation: einer Zeit verbreiteter Kriegsangst unmittel-
raus aber nicht eine Komödienwelt dionysischer Ent- bar nach dem Bau der Berliner Mauer. Die Komödien-
grenzung, vielmehr eine Komik umfassenden, aller- feier des proletarischen Helden wurde so zum Maß
dings pauschal bleibenden Entwertens: sowohl der des in der Jetztzeit manifest gewordenen Abgrundes
Welt als auch des sie negierenden Helden. zwischen Wirklichkeit und Idee. Das Theorem der
Der Literaturtheorie der DDR war die Komödie an- Verbindbarkeit beider als Brücke zwischen den post-
gemessene Deutungsfigur der postrevolutionären so- revolutionären Verhältnissen und der deutschen Klas-
zialistischen Wirklichkeit. Denn sie erlaube, die ob- sik führt die Komödie Gespräch im Hause Stein über
jektiv überlebte, wenn auch in Relikten noch erlebbare den abwesenden Herrn von Goethe (1976) rein apolo-
Vergangenheit dem Verlachen preiszugeben, während getisch vor: zur Identifikation mit dem Genie ein-
bezogen auf die eigene Zeit, die keine antagonis- ladend, an dem die Umwelt mit ihren kleinlichen Am-
tischen Widersprüche mehr aufweise, statt verneinen- bitionen und Einwendungen sich nur lächerlich ma-
den Verlachens die bejahende Heiterkeit des Humors chen kann. P. Hacks bietet dies dramaturgisch ge-
zukomme, der das noch erfahrbare Beschränkte und konnt in einer überaus witzigen Sprache, aber als
Widersprüchliche als Durchgang zum utopischen reines Unterhaltungstheater, das auch auf westdeut-
Endziel der Geschichte nehme, im Mangel auf dieses schen Bühnen viel gespielt wurde.
verweisend. Unter den Dramatikern der DDR hat P. H. Müller charakterisierte seine Stücke sämtlich als
Hacks sich diese Begründung der Vorrangstellung der »relativ komisch« (Müller 1986, 139), ohne Anspruch
Komödie emphatisch zu eigen gemacht, um immer auf Komödie zu erheben – mit Ausnahme des frühen
neu auszuloten, wie unter solcher Voraus-Setzung Ko- Stücks Die Umsiedlerin (1961), das am Beispiel der
mödien geschaffen werden können, die mehr sind als Landreform Widersprüchlichkeiten sozialistischer
Bebilderung staatstragender Ideologie. Auf einem als Revolution thematisiert –, allerdings ist Lachen in sei-
solches gewussten Postulat aufruhend, eignet Hacks’ nen Stücken häufig in signifikanter Funktion präsent.
Stücken ein grundlegendes ›als ob‹, sind sie schon auf Es radikalisiert die ordnungssprengende Kraft, die in
der Ebene des dramatischen Diskurses Komödien. Ih- der Komödie der komischen Figur innewohnt, lässt
re Dynamik haben sie darin, dass sie den Bezug zu sich entsprechend auch nicht in die Ordnung einer
diesem Diskurs ambivalent halten, ihn sowohl beja- Gattung einbinden und vereint sich hierin mit dem
hen als auch ihre leitende Komik des Verlachens auf Akt, auf den die Stücke Müllers seit den 1970er Jahren
ihn zurückwenden. Das postrevolutionäre Theorem, mit zunehmender Radikalisierung zielen bzw. von
dass die Spannung zwischen erfahrbarer Wirklichkeit dem sie sich herschreiben: den Folgezusammenhang
und Idee nicht mehr antagonistisch sei, wird derart der Geschichte als einer Kette der Sieger aufzubre-
23 Komik mit theatralen Mitteln 207

chen, das Ich als ›sub-jectum‹ der Geschichte und als triomanie – für sich geltend macht, durch Schlüpfen
Garanten von Sinn fahren zu lassen. Das Lachen wird in die Rollen von Amtsträgern die Vertreter von Poli-
um seiner entstrukturierenden Gewalt willen berufen, zei und Justiz zur Selbstoffenbarung ihres systemi-
die auch der karnevalistischen Komödie innewohnt, schen Fehlverhaltens bringt. Das Stück erinnert an
in Müllers Stücken aber nicht auf ein neues literari- Gogols Revisor, die Anklage ist hier jedoch politisch
sches Ordnungsgefüge und dessen Sinnpotenzial hin konkreter, das Spiel furioser und aggressiver. Karne-
perspektiviert wird und auch nicht auf ein Freisetzen valistisches Umkehren von Oben und Unten betrei-
des Lustprinzips hin ausgerichtet ist. So beruft dieses ben auch Bearbeitungen bekannter Stoffe, wie der aus
Lachen die Reversseite des dionysischen Potenzials Opern G. Rossinis und G. Donizettis bekannte miss-
der Komödie. lungene Aufstand des R. Devereux, eines Günstlings
In Anspielung auf das Genre ›Sittenkomödie‹ (co- Elisabeths I., gegen diese in Quasi per caso una donna:
medy of manners) (vgl. Kap. 23.1.4) hat man einige Elisabetta/Zufällig eine Frau: Elisabeth, 1986). Eine
Stücke H. Pinters (z. B. The Birthday Party, 1958, The ganz eigene Komödienform schuf D. Fo in seinem
Caretaker, 1961, The Homecoming, 1965) einer comedy Mistero Buffo (1984). Der Titel, komisches Mysterien-
of menace (›Komödie der Bedrohung‹) zugerechnet spiel, ist Programm: respektlos, mit Lust an Tabuver-
(da ›menace‹ im jüdisch-englischen Idiom wie ›man- letzung, werden christliche Leitvorstellungen (Demut,
ners‹ klinge), was deren Atmosphäre prägnant erfasst: Leidensfrömmigkeit) und biblische Szenen (bethlehe-
in Alltagssituationen bewegen sich meist etwas herun- mischer Kindermord, Hochzeit zu Kanaan, Wunder-
tergekommene, derangierte, karikaturhaft gezeichne- heilungen u. a.) aus der Sicht des Volkes besprochen,
te Figuren in komischen Missverhältnissen von die hierauf errichteten theologischen und ethischen
Selbstanspruch und Vermögen, diesen einzulösen, Lehren als Mystifikationen denunziert und aufgebro-
fremdbestimmt, auch in ihrer ausgestellt klischeehaf- chen, in einer kunstvollen und zugleich volkstümli-
ten Sprache. Was zum Verlachen einzuladen scheint, chen Sprache. Zusammengehalten werden die Szenen
öffnet sich jedoch zunehmend ins beklemmend Ab- vom erzählenden und kommentierenden ›guillare‹,
gründige: Verlust der Kontrolle über die Situation, d. h. dem Spielmann, traditionell der Hofnarr, der im-
Ausbruch unterdrückter Aggressivität in den rituali- mer wieder Bezüge zwischen den geschichtlichen und
sierten Handlungen oder dem gedankenlosen Gerede, biblischen Szenen und Vorgängen der Jetztzeit her-
Anwachsen von bedrohend Unausgesprochenem im stellt. Wirkungsmächtig wird hier Komödie zum ent-
Sprachverlust. Soweit sich hier der Begriff ›Komödie‹ mystifizierenden Giullarate popolare, so der Unter-
nahelegt, steht diese im Zeichen des Grotesken. titel, d. h. zum ›volkstümlichen Possenspiel‹ gebildet.
Was M. Bachtin als Anliegen karnevalistischer Li- B. Strauß’ Theaterstücke enthalten viele komische
teratur beschrieben hat, kennzeichnet umfassend die Szenen in Wendungen der Handlung, Figurenzeich-
Theaterarbeit des Kabarettisten, Stückeschreibers, Re- nung oder Dialogführung. Mit viel Witz und gutem
gisseurs, Schauspielers und Possenreißers D. Fo: tem- Gespür für den Jargon eines Milieus werden die mit
poräre Befreiung von den Zwängen der offiziellen ihren Selbstverwirklichungskrisen beschäftigten Zeit-
Kultur, Geltend-Machen der Weltsicht der ›Unteren‹, genossen in ihrer Armseligkeit ausgestellt. Derart der
der armen und marginalisierten Schichten des Volkes Komik des Verlachens überantwortet, zeigen die Pro-
sowie Heraufsetzen des ›Unteren‹ in szenischen Ak- tagonisten der Stücke sich dabei aber auf ein der Ko-
tionen, die Kabarett, Commedia dell’Arte und Kunst- mödie Jenseitiges hin gespannt, das sie als ein Unver-
formen der Wanderbühnen vermischen: meist Far- fügbares umkreisen: Erfahrungen des Unbedingten,
cen, bespikt mit grotesken und surrealen Motiven, die ›realer Präsenz‹ im Sinne der Kunsttheorie G. Steiners,
oft im Zusammenwirken mit dem jeweiligen Publi- mit der sich Strauß emphatisch identifiziert hat (vgl.
kum erst ihre Form gewinnen, deren literarische Fi- Strauß 1999). So ist das Agieren der Figuren Ersatz-
xierung daher sekundär ist, die weiter durch Bezug- handeln, bloßes Spielen, in diesem Sinne ›Komödie‹,
nahmen zu jeweils aktuellen politischen und sozialen das auf ein Entzogenes gerichtet ist, es verstellend und
Themen auch sehr zeitgebunden bleiben. Dem ent- von der Erwartung durchdrungen, durch Steigerung
gehen Stücke, die ihren Gegenstand als verallgemei- dieses Verfahrens, Potenzieren des Spielens zu Ko-
nerbar und selbstreflexiv hinsichtlich des aufgebote- mödien der Komödien, Öffnungen aus dem Raum der
nen Spiels entfalten, wie z. B. in Morte accidentale di Repräsentation zu Präsenz zu schaffen. Kalldewey Far-
un anarchico (Zufälliger Tod eines Anarchisten, 1978) ce (1981) zeigt diese negative Situierung der Komödie
ein Verrückter, der krankhaftes Schauspielern – His- programmatisch mit der Genrebezeichnung Farce an.
208 III Mediale Formen des Komischen

Abgeleitet von den Verben ›farsir‹ füllen, anfüllen gar- beide Begriffe zumeist totalisierend gebraucht: alles/
nieren und ›farcier‹ bemalen, verkleiden, werden mit die Welt ist Komödie, indem es Tragödie ist und vice
Farce schon im 14. Jh. ›komödiantische und närrische versa, z. B. »Wir entwickeln fortwährend / eine Tragö-
Einschübe in die Liturgie‹ bezeichnet. Als ›Farce‹ ist die / oder eine Komödie / wenn wir die Tragödie ent-
Komödie-Spielen der Figuren Füllstoff, der eine Leere wickeln / im Grunde doch nur eine Komödie und um-
ausfüllen soll und nicht kann, entsprechend Komik gekehrt« (Bernhard 1988, 215). An ›Komödie‹ ist da-
des Missverhältnisses generiert und als ›Füllstoff‹ ei- bei zuerst der ontologische Sinn pointiert: etwas vor-
nes Fehlens das Komödie-Spielen zu keinem Ende ge- machen, Verstellung, Schauspielerei, erst hiervon
langen lässt, eine Art ›Warten auf Godot‹ der spätbür- abhängig der poetologische Sinn. Die Welt wird in
gerlichen Gesellschaft. Entsprechend sehen sich, in Oppositionen auseinandergelegt, die Oppositions-
Anspielung auf den Welttheater-Topos, die Protago- begriffe dann in Endlos-Wiederholungen und Stei-
nisten der Rahmenhandlung von Kalldewey Farce, gerungen zusammengeführt und ineinander geblen-
durch eine »Lücke in der Natur der Dinge« blickend, det, so dass die Entgegensetzung immer neu in sich
»verflucht in eine ewige Komödie, verbannt ins Grau- zusammenfällt. Gewonnen wird durch dieses Hand-
en heftiger Belustigung« (Strauß 1984, 73). Ins Komö- haben von Oppositionen ein ergiebiges und auch
die-Spielen gebannt zu sein und zugleich sich darin zu weidlich genütztes Feld für Komik; denn die Positio-
sehen, ist den Figuren bei Strauß selten gegeben, am nen werden insbesondere durch wechselseitige Komi-
ehesten in Spiel-im-Spiel-Handlungen. Der Öffnung sierung aneinander zunichte gemacht, im Ausspielen
zum Jenseits des Spielens sind sie dann am nächsten. etwa von Missverhältnissen zwischen Anspruch und
In der Regel agieren die Figuren in einem über sie ver- Wirklichkeit, Selbstwahrnehmung und Fremdwahr-
fügten Spiel: mythische Konstellationen neu ver- nehmung, Idealität und Materialität. Wirkung der
gegenwärtigend (z. B. den Orpheus-Mythos in Kalle- wechselseitigen Komisierung ist das Zerfallen der Ge-
dewey Farce, den Oberon und Titania- und den Pasi- gensätze, damit des Prinzips Unterscheidung. Im Da-
phae-Mythos im Park, 1983, den Medea-Mythos in zwischen der Positionen, wenn diese einander relati-
Die Zeit und das Zimmer, 1989, den Diana-Aktäon- vieren, ist nichts mehr zu sehen, da die Dinge/die Welt
Mythos Schlußchor, 1991) oder sie bewegen sich in ei- mit der Möglichkeit der Entgegensetzung und Unter-
nem ›weitergehenden‹ Drama, etwa in Shakespeares scheidung alle Kontur verlieren. So vollzieht das ko-
Sommernachtstraum im Park, oder als Abhängige im misierende Handhaben der Oppositionen bis zu de-
Milieu des Kunstbetriebs (Trilogie des Wiedersehens, ren Implosion ›Auslöschung‹, insbesondere des Welt-
1977), des Theaterbetriebs (Besucher, 1988) oder des bezugs der Sprache – Ausbreiten von Finsternis oder
Literaturbetriebs (Der Narr und seine Frau heute des Amorphen, auch des Todes in Bernhards Texten
abend in Pancomedia, 2001). Das Neu- und Weiter- (etwa die Figur des sterbenden Schauspielers Minetti,
spielen solcher Vorgaben, wobei gerne verschiedene der sich am Ende des gleichnamigen Stücks zuschnei-
Prätexte vermischt werden, zielt auf Brüche, Übertre- en lässt) –, aber das Zerfällen des Prinzips der Unter-
tungen und Entgrenzungen des Spiels, das Öffnungen scheidung eröffnet entgegengesetzt auch die Perspek-
schaffen soll zu einem Jenseits der Komödie. Mit der tive, dass die fixierende Macht der Gegenstände und
negativen Situierung des Komödie-Spielens ist Strauß’ eines verfestigten Weltbezugs aufgebrochen, die dio-
Komödien allerdings der genuine Komödienschluss nysische Komik der Entgrenzung freigesetzt wird, ein
verweigert: der Ausblick auf die Feier der Lust, die He- Herauslösen aus aller fixen Bestimmung, die die Din-
raufsetzung des Unterdrückten, das bei Strauß nicht ge leicht werden lässt, offen für wechselnde Bestim-
nur die Gewalt des Eros betreffen kann, sondern auch mungen, worin alles mit allem verknüpft werden
die Wucht tragischer Verstrickung. So bleibt Strauß’ kann. So entstehen die Momente der Freiheit in Bern-
Komödien Fehlgehen grundlegend eingeschrieben. hards Komödien-Theater, wenn etwa der eingebildete
Komödie ist vielen Theaterstücken Th. Bernhards Philosoph Kant auf der Überfahrt von Europa nach
gegenwärtig, auch wenn sie diese Genrebezeichnung Amerika auf hoher See, wenn beide Kontinente ihre
nur selten im Untertitel führen (so in: Die Macht der Kontur verloren haben, tanzt. Die Komödien-Tragö-
Gewohnheit, 1974, Immanuel Kant, 1978, Vor dem Ru- dien Bernhards betreiben im Zerfällen der Gegensätze
hestand, 1979, Über allen Gipfeln ist Ruh, 1981). Denn Auslöschung und bergen darin Momente des Glücks;
zu den Oppositionen, die Bernhards Texte aufbauen Letzteres darf allerdings nur selten aufleuchten, als die
und in Endlos-Tiraden zelebrieren, gehört, besonders Reversseite der ins Amorphe getriebenen Gegensatz-
häufig berufen, auch die von Tragödie und Komödie, welten.
23 Komik mit theatralen Mitteln 209

Mein Kampf (1987), G. Taboris meist gespieltes Feier der Lust, Lösungen der zwischenzeitlichen Ver-
Stück, trägt die Genrebezeichnung Farce, die der Au- wirrungen – wird allerdings verweigert. Falsche
tor in einem Gespräch zur Uraufführung auch be- Selbstbilder, Lebenslügen werden offenbar, die Figu-
griffs- und literaturgeschichtlich kundig als »theologi- ren sind orientierungsloser als zu Beginn, sie schei-
schen Schwank« (Tabori 1987, 130) versteht. Wenn tern, ihre Träume und Illusionen zerbrechen an der
Tabori sein leitendes Thema, die Erfahrung der Shoah Realität. Die gekonnt eingesetzte Boulevardtechnik –
und die Frage eines angemessenen Umgangs mit ihr, running gags, Situationskomik, witzige Rededuelle,
in der Weise der Farce entfaltet, so besagt dies nicht, Informationsvorsprung des Zuschauers, der alle sich
dass mit dem Entsetzen Scherz getrieben würde, viel- verwirrenden Beziehungen zwischen den Figuren
mehr wird es durch Konstellationen, die nur der grim- übersieht, während die einzelnen Figuren über die
migste Humor sich erdenken kann – der Massenmör- anderen und das Geschehen nur beschränktes Wis-
der und seine Opfer in einer vorausgehenden Liebes- sen haben – so aufgebaute Wirbel des Komischen las-
beziehung – und durch ein hybrides Ineinanderfüh- sen Komödien der Freisetzung des Unterdrückten,
ren von Zeiten vor und nach dem grauenhaften dionysischer Entgrenzung erwarten, die Stücke steu-
Geschehen seiner längst festgefügten historischen, li- ern dann jedoch auf Komik des Missverhältnisses von
terarischen und sprachlichen Fassungen entrissen Selbstbild und Fremdbild, Anstrengung und Ergeb-
und so neu erfahrbar gemacht. Auch diese Farce um- nis, Schein und Sein etc. zu, so dass die Komödie
kreist in ihren abgründigen Witzen und sarkastischen selbst als Gattung gleichfalls ein komisches Missver-
Spielen ein Unverfügbares, aber nicht weil dieses ge- hältnis – von Erwartung und Erfüllung – entfaltet,
nerell entzogen wäre, sondern weil es der Fassbarkeit derart komisierend sich auf sich selbst zurückwendet.
sich verweigert. So erscheint diese Farce als ein Satyr- In solcher Selbstreflexivität des Genres, seiner konsti-
spiel, das nicht nach den Tragödien situiert ist, denn tutiven Komik, weiter häufig auch seiner theatra-
Tragödie hielte Sinngebung bereit, sondern vor die- lischen Institutionen und Medien zeigt sich dieser
sen: Hitler vor dem Ersten Weltkrieg in einem Män- Komödientypus den zeitgenössischen Fragestellun-
nerheim in Wien, von zwei Juden mit überlegenem gen der Postmoderne offen.
Witz, aber hingebungsvoll betreut, wobei das Handeln Über die Techniken des Boulevardtheaters verfügt
der Figuren doch durchtränkt ist vom Wissen um das sehr gekonnt auch Y. Reza, die mit einigen ihrer Ko-
Spätere, so dass sie als Schauspieler ihrer selbst er- mödien auf der französischen Bühne und internatio-
scheinen, der Jetztzeit des Spielens mehr zugehörig als nal große Erfolge errungen hat (z. B. Art/Kunst, 1994,
der vorgestellten Zeit. Komödie erscheint bei Tabori Trois versions de la vie/Dreimal Leben, 2000, Le dieu du
derart in eine oszillierende Relation von Satyrspiel carnage/Der Gott des Gemetzels, 2006). Was Zielschei-
und Tragödie auseinander gelegt. be satirischer Ansätze zu sein scheint – hier: der
Im englischen Gegenwartsdrama hat die Komödie Kunstbetrieb, der Wissenschaftsbetrieb, das psycho-
einen herausragenden Platz. Die Tradition des well logische Konfliktmanagment der Gebildeten –, gibt
made play fortführend, haben Autoren wie A. Ayck- nur das jeweilige Diskussions- und Streitfeld vor; im
bourn (z. B. The Norman Conquests/Normans Erobe- Zentrum stehen die Beziehungen der Figurengruppen
rungen, 1973, Season’s Greetings/Schöne Bescherungen, in ständig wechselnden Parteiungen, ihre Status-
1980, Comic Potential/Ein komisches Talent, 1998) und kämpfe, ihr subtiles Aufreizen und Verletzen des An-
M. Frayn (z. B. Noises Off/Der nackte Wahnsinn, 1982) deren, das sie witzig und hintersinnig in temporei-
weltweit erfolgreiche Komödien vorgelegt, in denen chen, mit immer neuen Wendungen überraschenden
sie perfekt konstruiertes Boulevardtheater mit Ge- Dialogen betreiben. Für Komödie untypisch stehen
sellschaftssatire (insbesondere der englischen middle die vorgeführten Spiele der Gesellschaft nicht im Zei-
class) verbinden, wobei sie im scheinbar Oberflächli- chen des Eros, seiner Verwirrungen, eventuellen Ka-
chen grundlegende Fragen des Selbstverständnisses tastrophen oder seligen Lösungen, vielmehr des
des Menschen in seiner Verbindung mit anderen Streits bzw., wie ein Komödientitel ihn programma-
Menschen und in seinem Zugriff auf die Welt auf- tisch aufruft: des ›Gottes des Gemetzels‹. Mit Streiten
zuwerfen wissen. Techniken neuer Medien (z. B. des bis in feinste Verästelungen, aber auch in grobes Her-
Films) werden geschickt implementiert, sogar Theo- vorbrechen von Aggressionen bis zum Eklat sind die
rien der Komödie (in Comic Potential) und der Farce Figuren dieser Komödien vor allem beschäftigt, nur
(in Noises Off) werden dramatisch verhandelt. Der selten winkt zuletzt (z. B. in Art) eine Aussicht auf Ver-
genuine Komödienschluss – Ausblick auf Hochzeit, söhnung. ›Gott des Gemetzels‹ weist auf die Anfänge
210 III Mediale Formen des Komischen

der Gattungsgeschichte zurück, auf die Komödie Eire- Dürrenmatt, Friedrich: »Theaterprobleme«. In: ders.: Werk-
ne/Der Friede (421 v. Chr.) des Aristophanes. Dort ha- ausgabe in dreißig Bänden. Hg. in Zusammenarbeit mit
ben sich die Götter vom Olymp in höhere Himmels- dem Autor. Bd. 24. Zürich 1980, 31–72.
Freund, Winfried (Hg.): Deutsche Komödien vom Barock bis
regionen zurückgezogen, da sie den gegeneinander zur Gegenwart. München 1988.
kämpfenden (»machomenous« von machomai: im Frisch, Max: Don Juan oder die Liebe zur Geometrie. Frank-
Zweikampf/im Wortkampf streiten) Athenern und furt a. M. 1965.
Spartanern nicht mehr zusehen wollen (vgl. Aristo- Greiner, Bernhard: Die Komödie. Eine theatralische Sendung:
phanes 1976, 245). Die Götter haben den Olymp dem Grundlagen und Interpretationen. Tübingen 22006.
Hinck, Walter (Hg.): Die deutsche Komödie. Düsseldorf 1977.
Polemos überlassen, Personifikation des Krieges,
Horvath, Ödön von: Geschichten aus dem Wiener Wald.
nicht dessen Gott, das wäre Ares. Polemos hält die Frankfurt a. M. 1982.
Friedensgöttin gefangen, stachelt die kriegführenden Horvath, Ödön von: »Gebrauchsanweisung«. In: ders.: Ge-
Völker aber nicht zu weiteren Kämpfen an, gedenkt sammelte Werke. Hg. von Traugott Krischke u. a. Bd. IV.
vielmehr, sie zu zerschmettern. So ist er ein auf Strafe Frankfurt a. M. 1970, 662–63.
sinnender Betrachter des menschlichen Gemetzels. Klotz, Volker u. a.: Komödie. Etappen ihrer Geschichte von
der Antike bis zur Gegenwart. Frankfurt a. M. 2013.
Bei Aristophanes befreit der Bauer Trygaios die Frie- Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Ein-
densgöttin. Demgegenüber bleibt in Y. Rezas Komödi- leitung. In: ders./Friedrich Engels: Gesamtausgabe (ME-
en Polemos’ Blick auf den Streit der Menschen erhal- GA). Bd. I.2. Berlin 1982, 170–183.
ten. Die Figuren gewinnen durch ihr Streiten nichts, Müller, Heiner: »Ich glaube an den Konflikt. Sonst glaube
haben sich am Ende nur wechselseitig entblößt und ich an nichts«. In: ders.: Gesammelte Irrtümer. Frankfurt
a. M. 1986, 69–106.
erniedrigt, wohl aber gewinnt der Zuschauer. Auch
Pirandello, Luigi: Der Humor (L’ umorismo). Mindelheim
diese Komödien betreiben ein Heraufsetzen von Kräf-
1986 (it. 1908).
ten, die die Kulturgebote zu unterdrücken verlangen: Schnierer, Paul: Modernes englisches Drama und Theater seit
im Genießen des vorgeführten komischen Streitens 1945. Tübingen 1997.
die lustvolle Abfuhr eigener aggressiver Regungen, al- Sternheim, Carl: »Das gerettete Bürgertum«. In: Die Aktion,
so eine Art Katharsis. So warten Y. Rezas Komödien 8. Jg., 1–2 (1918), 47; Wiederabdruck in: Wolfgang Wend-
mit einem Lustversprechen auf, das genuin der Tragö- ler (Hg.): Carl Sternheim Materialienbuch. Darmstadt
Neuwied 1980, 15–17.
die zugewiesen wird, sie sind darum aber nicht schon
Strauß, Botho: »Der Aufstand gegen die sekundäre Welt.
Tragikomödien, vielmehr unterhaltsame, immer neu Bemerkungen zu einer Ästhetik der Anwesenheit« [1991].
Lachen hervorrufende Komödien, die die tragische In: ders.: Der Aufstand gegen die sekundäre Welt. Bemer-
Wirkungskategorie der Katharsis in ihre Welt ein- kungen zu einer Ästhetik der Anwesenheit. München/Wien
gemeindet haben und in dieser damit den Sieg der Ko- 1999, 37–53.
mödie sogar noch über die Tragödie feiern. Bernhard Greiner

Literatur
Aristophanes: Der Friede. In: ders.: Sämtliche Komödien. Hg.
u. eingel. von H.-J. Newiger. München 1976, 235–287. 23.1.6 Commedia/Kabarett/Comedy/Vaudeville
Bachtin, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie
und Lachkultur. Übers. von A. Kaempfe. Frankfurt a. M. Commedia dell’ Arte, Hanswurst
1970.
Bartl, Andrea: Die deutsche Komödie. Stuttgart 2009. Struktur und Wirkung der Commedia dell’ Arte
Cordner, Michael (Hg.): English comedy. Cambridge 1994. Von der hellenistisch-römischen Komödie, dem rö-
Dürrenmatt, Friedrich: »Anmerkung zur Komödie«. In: mischen Possenspiel (mimus) und den verwandten
ders.: Werkausgabe in dreißig Bänden. Hg. in Zusammen-
›Atellanen‹ (fabulae atellanae) über die mittelalterli-
arbeit mit dem Autor. Bd. 24. Zürich 1980, 20–25.
Freud, Sigmund: »Das Unheimliche«. In: ders.: Gesammelte chen Darbietungen der buffoni und ciarlatani auf ita-
Werke. Hg. v. Anna Freud u. a. Bd. 12. Frankfurt a. M. lienischen Jahrmärkten führen Traditionslinien zu je-
1947, 229–271. ner europaweit einflussreichen Gattung der Darstel-
Dürrenmatt, Friedrich: »Dramaturgische Überlegungen zu lenden Künste, die im 16. Jh. zugleich das moderne
den Wiedertäufern«. In: ders.: Werkausgabe in dreißig Berufsschauspielertum, erstmals auch für Frauen, be-
Bänden. Hg. in Zusammenarbeit mit dem Autor. Bd. 10.
gründete: der Commedia dell’Arte (vgl. Riha 1980).
Zürich 1980, 127–137.
Dürrenmatt, Friedrich: »21 Punkte zu den Physikern«. In: Bis in Details von Maske und Kleidung sind die Rollen
ders.: Werkausgabe in dreißig Bänden. Hg. in Zusammen- dieser Form der Typenkomödie festgelegt, das jewei-
arbeit mit dem Autor. Bd. 7. Zürich 1980, 91–93. lige Stück ist aber nur in groben Handlungsverläufen
23 Komik mit theatralen Mitteln 211

skizziert (canovacci), so dass großer Spielraum für im- versucht; seine Züge sind im Shylock in Shakespeares
provisierte Szenen (lazzi) und situativ ausgestaltbare Kaufmann von Venedig (1600) wie auch in der Titelfi-
Monologe (tirate) mit großem komischen Potenzial gur von Molières Der Geizige (1668) wiederzuerken-
bleibt, das die Schauspieler durch Stolpern, falsches nen. Der Dottore ist ein Jurist (oder manchmal auch
Aufsetzen der Kopfbedeckung und gegenseitiges Ne- Absolvent einer anderen Fakultät), der das Talent hat,
cken nutzten (vgl. Mehnert 2003). Die Commedia seine philiströs zur Schau gestellte formale Bildung in
dell’Arte hat – auch durch die umfassende Ausbildung unpassenden Situationen oder am falschen Objekt an-
der Darsteller im sprachlichen Ausdruck, Tanzen, zubringen; der (Doktor) Bartolo im Barbier von Sevil-
Pantomime und Musik – großen Einfluss auf die euro- la (1816) von G. Rossini/C. Sterbini ist an die Dottore-
päische Schauspielkunst (vgl. Roesner 2006). Das Re- Figur der Commedia angelehnt. Mit Pantalone verbin-
pertoire an Figuren und Themen der Commedia det ihn eine auf Gegenseitigkeit beruhende Feind-
dell’Arte – ein Begriff, der im Italienischen für die Be- schaft. Die je nach Region (besonders stilprägend:
rufsschauspielkunst insgesamt steht – ist vielfältig und Venedig und Neapel) variierenden, hier nur exempla-
variiert historisch und regional. Die einzelne masche- risch genannten Figuren lassen sich in eine jüngere,
ra (›Maske‹, und dies kann das Requisit, die Rolle und aus den niederen Schichten der Dienstboten stam-
den Darsteller bedeuten) zeichnet sich jeweils durch mende Gruppe (zanni, abgeleitet von der Arlecchino-
einen widersprüchlichen oder in einem Charakter- Vorläufer-Figur Zanni, denen Arlecchino selbst und
merkmal übertriebenen Wesenszug aus (vgl. Colombina zugehören) und eine ältere, aristokrati-
Kap. 20.1). So ist der Arlecchino (engl. harlequin, frz. sche Gruppe (vecchi, repräsentiert von Pantalone und
arlequin, dt. Harlekin) ein ess- und liebeslustiger, et- Dottore) sowie die Verliebten (innamorati/amorosi)
was einfältig-kindlicher, sich diebisch freuender, gliedern; neben dem ewigen Thema Liebeslust und
manchmal seine spatola (die Narrenpritsche, engl. Liebesleid wird in der Commedia dell’Arte das Span-
slapstick) schwingender, opportunistisch sich mal nungsverhältnis zwischen Jung und Alt, zwischen
dem einen, mal dem anderen Auftraggeber andienen- überkommenem und fortschrittlichem Moral- und
der Charakter. Ganz die Züge des Arlecchino trägt Stilempfinden, zwischen gehobenen und niederen
Truffaldino, die Titelfigur von C. Goldonis Komödie Schichten thematisiert, so dass, auch durch die impro-
Diener zweier Herren (1745), an dem der Versuch des visierend von den Darstellern eingebrachten Elemen-
Dichters deutlich wird, die Gattung der Komödie in te mit verschlüsseltem aktuellem Bezug, von einem
Richtung der Charakter- und Gesellschaftskomödie ›politischen Volkstheater‹ gesprochen werden kann
französischen (Molièreschen) Typs zu überführen (vgl. Kupferblum 2013).
(vgl. Kap. 23.1.4). Der Arlecchino und die in Neapel Die Commedia dell’Arte verbreitete sich dank reise-
beheimatete maschera des Pulcinella wurden mit der, freudiger professioneller Ensembles in ganz Europa,
im deutschsprachigen Raum seit dem 15. Jh. bekann- wo einige der maschere auf der Komödien- und der
ten, Hanswurst-Figur verschmolzen, und sie haben ei- Volksbühne mit regionaltypischen ›komischen Per-
nige ihrer Charaktermerkmale und äußeren Attribute sonen‹ verschmolzen wurden. Im deutschen Sprach-
auch dem Kasper des Puppentheates wie auch dem raum ist dies insbesondere der Hanswurst. Bereits in S.
Zirkus-Clown vererbt. Arlecchinos Widersacher Brig- Brants Narrenschiff (1494) ist von einem ›hans myst‹
hella ist ein schlauer, hinterhältiger Typ in Diener- die Rede, einem Blender: »Dann yedem narren das ge-
Kleidung. Pagliaccio schwankt zwischen Angeberei bryst / Das er wil sin / das er nit ist« (Brant 1494, 196 f.).
und Feigheit; den gleichen Charakter trägt Pedrolino Die Figur etablierte sich auf den Volkstheaterbühnen
(frz. pierrot), aus dem die besserwisserische, ernste und Komödien, seine Verwandtschaft mit dem Ar-
›Weißclown‹-Figur entstand, die Anfang des 19. Jh.s lecchino durch die bauernhafte Kleidung und derbe
im Zirkus dem bunten, geistig schlichteren Harlekin- Ausdrucksweise zeigend. Der Pickelhering (manchmal
Clown kontrastierend zur Seite gestellt wurde. Colom- auch ›-häring‹) ist eine ähnliche, durch Völlerei ge-
bina ist eine schlagfertige – ohne Theatermaske von kennzeichnete komische Figur, die im 17. Jh. verbreitet
Frauen gespielte – Magd oder Köchin, die sich immer war und etwa in A. Gryphius’ Komödie Peter Squenz
wieder der Avancen etwa des Brighella und des Panta- (1658) auftaucht. Der junge Goethe schrieb eine zotige
lone erwehren muss. Pantalone – mit Zügen der Pap- Komödie mit dem Titel Hanswursts Hochzeit (1775).
pus-Figur (törichter Alter) in den ›Atellanen‹ – ist ein Im Wiener Theater des 18. Jh.s waren volkstümliche
alter, reicher, geiziger (venezianischer) Kaufmann, der Schwänke mit (Hans-)›Wurschtl‹-Charakteren sehr
sich immer wieder an jüngere Frauen heranzumachen beliebt, allerdings sahen sich die Theaterreformer J.
212 III Mediale Formen des Komischen

Chr. Gottsched und C. Neuber veranlasst, ihnen das


Cabaret (literarisch)
Derbe und Grobe abzugewöhnen (vgl. Müller-Kampel
2003). Indes mochten weder das Publikum noch die Die ersten Künstlerkabaretts
Komödienautoren auf Hanswurst-Stücke und -Figu- Der Kalauer: ›Ah, Sie machen Kabarett, – nackert oder
ren verzichten, die als knallchargenhafte, lüsterne, politisch?‹ funktioniert nur in österreichischer Mund-
bauernschlaue Typen in der Volks-, oder Boulevard- art, wo das Wort ›Kabarett‹ zwar eingedeutscht ge-
komödie, als Buffo im Musiktheater oder auch als an- schrieben, jedoch französisch ausgesprochen wird.
archischer Kasper fortleben und angesichts des imma- Die nackte und die politische Variante haben einige
nenten Risikos komischer Formen auch immer wieder Gemeinsamkeiten, jedoch haben sich die Künstler-Ca-
Anstoß erregen (vgl. Hüttler 2006). barets, von denen im Folgenden die Rede ist, seit An-
fang des 20. Jh.s getrennt von jenen – durchaus mit
Vaudeville und Music Hall geistreichen Conférencen und Chansons verknüpften
Eine andere Traditionslinie populärer Unterhaltung, – Programmen und Veranstaltungsorten entwickelt, in
die komisch-derbe und komödienhafte Elemente mit denen es Tanznummern mit viel Bein oder Szenen mit
Musik verbindet, sind das Vaudeville und die Music lasziv abgestreiften Kleidungsstücken (im amerika-
Hall. Mitte des 19. Jh.s entstanden in Großbritannien, nischen Vaudeville-Theater oder Nachtclubs auch bur-
Frankreich und den USA große, bewirtete Unterhal- lesque genannt), also eher um »Fleischbeschau als
tungstheater, in denen ein buntes, revue-artiges Pro- Weltanschau« (Kühn 1989, 8) geht. Das Wort Cabaret
gramm geboten wurde, mit Blaskapellen, Volksstü- bedeutete im Französischen des 19. Jh.s Schänke,
cken, Artistik, Clownerie, Tierdressur und Confé- Kneipe oder auch gefächertes Servierbrett, auf dem –
rencen: die Music Halls. Die dort repräsentierten Gen- ähnlich der antik-römischen satura oder satira
res wurden ebenso bezeichnet, während sich in (s. Kap. 5) – Verzehrbares dargeboten wurde. Satirisch
Nordamerika der Name Vaudeville durchsetzte, im im Sinne von Abwechslung, karikierend zugespitzten
deutschen Sprachraum Singspielhalle. Der aus dem Formen und gesellschaftskritischer Haltung waren die
18. Jh. stammende, aus älteren musikdramatischen ersten Künstlerkabaretts zweifellos. Als der Maler R.
Formen entstandene französische Vaudeville-Zweig Salis am 18. November 1881 im verruchten Pariser
wiederum gedieh in Paris zu einer eigenständigen mu- Stadtviertel Montmartre sein cabaret artistique
sikalischen Komödienform, die der Operette und dem (›Künstlerkabarett‹) Le Chat Noir (›Die schwarze Kat-
Musical ähnelt. J. Offenbach (vgl. Kap. 24) etwa bezog ze‹) gründete, formulierte er programmatisch:
sich bei seinen Werken auf auf die Vaudeville-Traditi-
on. Einer der erfolgreichsten Autoren von Vaudeville- »Wir werden politische Ereignisse persiflieren, die
Stücken, der Opern-Librettist E. Scribe, setzte sich als Menschheit belehren, ihr ihre Dummheit vorhalten,
Mitglied der Académie fançaise für eine Anerkennung dem Philister die Sonnenseite des Lebens zeigen, dem
des Vaudeville als Kunstgattung ein; sein Das Glas Was- Hypochonder die heuchlerische Maske abnehmen,
ser, oder Ursachen und Wirkungen (1840) war eines der und, um Material für diese literarischen Unterneh-
im 19. Jh. meistgespielten Stücke. Dass Künstler wie K. mungen zu finden, werden wir am Tage lauschen und
Valentin (vgl. Glasmeier 1987) sich ›Volkssänger‹ herumschleichen, wie es nachts die Katzen auf den Dä-
nannten (auch wenn nur ein Teil ihrer Darbietung ge- chern tun.« (zit. n. Kühn 1989, 10)
sanglich war), hängt mit der Music Hall- und Singspiel-
hallen-Tradition und dem entsprechenden Deklamati- R. Salis war ein geschäftstüchtiger Bohémien, zu dessen
onsstil zusammen. Viele Künstler, die später durch das Repertoire als Conférencier es zählte, sein Publikum zu
Kino bekannt wurden – die Vaudeville- und Music- größerem Bierkonsum zu animieren und es als Huren
Hall-Kultur wurde im ersten Drittel des 20. Jh.s durch und Suffköpfe zu beschimpfen. In vielen europäischen
das Lichtspieltheater verdrängt, oft ganz buchstäblich Metropolen begannen um die Wende zum 20. Jh. die
durch Umbau der Säle –, waren zuvor Stars der Music Betreiber von Künstlerkneipen, solche literarisch-ka-
Halls respektive der Vaudeville-Theater gewesen, etwa barettistischen Programme anzubieten. 1897 wurde in
B. Keaton, S. Laurel und Ch. Chaplin. Kinoproduktio- Barcelona das Els Quatre Gats (›Die Vier Katzen‹) ge-
nen mit burlesken, slapstickhaften Anteilen wurden in gründet, in dem sich Vertreter des dortigen Jugendstils
der ersten (Stummfilm-) Zeit auch als automatic vaude- (modernisme/modernismo) trafen. 1901 entstanden in
ville und noch zu Tonfilm-Zeiten als ›Vaudeville-Ko- Berlin das Überbrettl (gegründet von E. von Wolzo-
mödien‹ bezeichnet (vgl. Schneider 1996). gen), in München Die elf Scharfrichter (gegründet von
23 Komik mit theatralen Mitteln 213

M. Henry, in enger Zusammenarbeit mit den Autoren nen stellen oft Brüche mit klassischen Formen, Stilen
der satirischen Zeitschrift Simplicissimus) und in Wien und Konventionen dar, besonders sinnfällig bei Paro-
das Jung-Wiener Theater Zum lieben Augustin (gegrün- die, Kontrafaktur und Pastiche. Die Kneipentheater –
det von F. Salten); in der Donaumetropole folgten 1906 wie auch die ersten Vaudeville-Theater – heben sich
das Kabarett Hölle, 1912 das Bierkabarett Simplicissi- von ihrer Lage abseits der Boulevards und durch ihre
mus (später Simpl). Im Jahre 1916 gründete H. Ball in vergleichsweise einfache bühnentechnische Ausstat-
Zürich das Cabaret Voltaire, und gemeinsam mit R. tung von den Revuetheatern wie auch von den aris-
Huelsenbeck wurde dort ›Dada‹ zelebriert (vgl. Hippen tokratischen und bürgerlichen Musentempeln ab und
1991). Die italienischen Futuristen fühlten sich dem ermöglichen, durch die räumliche Nähe, Interaktion
Straßentheater, der Commedia dell’Arte und anarchis- zwischen Darstellern und Publikum. Die Chanson-
tischen Traditionen verbunden, und sie bevorzugten Sängerin M. Delvard schrieb über das Programm der
die happening- und überfallartige Invasion der tradi- Münchner Elf Scharfrichter: »Unser Avantgarde-Thea-
tionellen Bühnen, um Werke der Klassik und des popu- ter war nicht eigentlich Theater, noch Kabarett, Kon-
lären Mainstreams als gestrig und abgeschmackt zu be- zertcafé oder music hall, es war all das auf einmal ... Wir
kämpfen. Zum Gründergeist des europäischen Kaba- boten alle Genres, in gehobener literarischer Form. Für
retts der Wende vom 19. zum 20. Jh. zählt auch die Auf- die politische Satire bedienten wir uns des Figurenthea-
führung zensierter Stücke, etwa in Fortführung der ters« (zit. n. Richard 1993, 166). Für die Berliner Kaba-
Tradition des russischen ›Kohlsoupers‹ (kapustnik), bei rettensembles schrieben Autoren wie K. Tucholsky und
denen Mitglieder des Theater-Ensembles zu Saison- E. Kästner; das Couplet wurde von O. Reutter, F. Meh-
ende selbst gestaltete groteske Nummernrevuen und ring und C. Waldoff zur Meisterschaft gebracht. Ein be-
Parodien für ihre Kollegen und Freunde aufführten; liebtes kabarettistisches Stück im ersten Drittel des
dieser Geist war spürbar in den ersten Programmen des 20. Jh.s, das allein rund 200 Aufführungen in der Wie-
1908 gegründeten Moskauer Kabaretts Fledermaus so- ner Fledermaus und im Theater an der Wien erlebte, ist
wie den Sankt Petersburger Pendants Der streunende A. Polgars und E. Friedells sketch-artige Groteske Goe-
Hund und Die rosarote Laterne (vgl. Richard 1993). the im Examen (1908), in dem der prüfende Professor
nicht den Examenskandidaten, sondern Goethes Geist
Die große Kunst der kleinen Form vor sich hat; dieser wird mit Detailfragen zu Leben und
Aufgrund der kaum kategorisierbaren Gattungsvielfalt Werk des verklärten Dichterfürsten konfrontiert, und
in den Cabarets und Kabaretts – darunter »einfache [li- so fällt der – Frankfurter Dialekt sprechende und man-
terarische] Formen« (Jolles 1930) wie Witz, Anekdote ches vermeintliche Faktum widerlegende – Prüfling am
und Gedicht sowie Conférence, Chanson, Tanzszene, Ende durchs Examen; ein anderer Kandiat hingegen,
Körperartistik, Pantomime, Zauberkunststück (vgl. die der wahlos Daten zu Goethes Leben und Werk herun-
Definition bei Vogel 1993, 46) – hat sich in Deutsch- terleiert, wird für seine humanistische Bildung gelobt
land im 20. Jh. der Oberbegriff ›Kleinkunst‹ eingebür- und besteht mit Bravour (vgl. Gille 2006, 38 ff.). Im
gert. Das ›Kleine‹ bezieht sich auf die kurze Auffüh- Wiener Kabarett nach dem Zweiten Weltkrieg wird
rungsdauer einzelner ›Nummern‹ (die bei Revuen und weiter die geschlossenere, an die Dramaturgie des klas-
Varietés durch ›Nummerngirls‹ in Form von Ziffern- sischen Schauspiels oder der Operette angelehnte Ka-
Requisiten oder Schildern gezeigt wurden) und die be- barett-Form gepflegt, etwa durch H. Qualtinger (u. a.
grenzten bühnentechnischen Mittel, wobei die Kunst Der Herr Karl, 1961) oder J. Hader (z. B. Hader muss
der Autoren und Darsteller darin besteht, ein Höchst- weg, 2004). Meister des schwarzhumorigen Wiener-
maß an Wirkung beim Publikum zu erzielen. K. Tu- lieds in Text und Ton ist der – Mitte der 1950er Jahre als
cholsky hörte bei einem der Chanson-Stars, A. Bruant, US-Bürger aus dem Exil zurückgekehrte – G. Kreisler
dieses Begründers des »sozialen Cabaretchansons«, mit seinem berühmt-berüchtigten Chanson »Tauben
auch in dessen letzten Auftritten Mitte der 1920er Jahre vergiften im Park«.
noch die »Orgelstimme eines Chorals« und spürte die
»regnerische Luft der Vorstadtstraßen« (Tucholsky
Stand-up-Comedy
1975, 8 f.). Wichtiges Charakteristikum kabarettisti-
scher Aufführungen und eine Quelle performativer Komische Bühnenkunst
Komik ist der Aufbau und die gezielte Durchbrechung ›Was ist der Unterschied zwischen einem Comedian
von »Fiktionskulissen« (Vogel 1993, 77). Nicht nur die und einem Kabarettisten? – Der Comedian macht es
Aufführung als ganze, auch die Gattungen im Einzel- wegen dem Geld. Der Kabarettist wegen des Geldes.‹
214 III Mediale Formen des Komischen

Während in Deutschland – insbesondere seit dem soziolektalen Begriffen, Stimmfärbungen, Interjektio-


›Comedy-Boom‹ der 1990er Jahre (vgl. Reinhard nen markiert, und über das schnelle Wechseln der
2006) – ein deutlicher Trennstrich zwischen den bei- »Fiktionskulisse« (Vogel 1993, 77) entstehen kalkulier-
den Gattungen gezogen wird, gelten im angelsächsi- te Rahmenbrüche (vgl. Goffman 1996 und die Anwen-
chen Sprachraum alle Bühnenkünstler, die ihr Publi- dung auf das Kabarett bei Pschibl 1999, 111 f.), die
kum mit Witzen und Szenen zum Lachen bringen und durch situationskomische und sprachspielerische Mit-
pointierte Geschichten erzählen (vgl. Kapitza 2008), tel in ihrer Wirkung noch verstärkt werden. Im Falle
als stand-up-comedians. Der Unterschied liegt nicht in des erwähnten Programms von Schramm wechseln
der Erzählweise und Struktur der Darbietung, sondern unterschiedliche ›Typen‹ und Episoden einander ab,
in der Haltung des Kabarettisten und dem Themen- wobei kalkulierte Brüche dort vorliegen, wo der Er-
zuschnitt der Programme. Politische Kabarettisten zähler über einen medienkritischen Satz in der Rolle
verstehen sich – im Unterschied zu den meisten ›Co- des leder-behandschuhten L. Dombrowski (eine der
medians‹ oder Komikern – als Bühnen-Satiriker, die über die Sendung Scheibenwischer bekanntesten Kaba-
über verschleierte Herrschaftsverhältnisse und Unge- rett-Typen) reflektiert; der Satz, wonach Politiker in
rechtigkeiten aufklären und handlungsmotivierende bestimmten Talkshows ihre ›Sprechblasen entleeren‹,
Denkanstöße geben. Die ersten stand-up-comedians in der nächsten etwas ›nachtröpfeln‹ lassen, woraufhin
traten Mitte des 19. Jh.s in den Music halls Großbritan- ihre Äußerungen sich ohnehin im Brackwasser der Be-
niens, Frankreichs und den USA auf, einige als Ansa- liebigkeit verlören, wird als Metaphernkette bezeich-
ger (frz. conférencier oder engl. master of ceremony, net, die einem so nicht alle Tage gelinge und die man
›MC‹), die ihre Beiträge zu längeren Nummern auf- deswegen gern an unterschiedlicher Stelle (nämlich
bauten. Die Erzählungen der in der Tradition der nicht nur im Rahmen einer Scheibenwischer-Sendung,
Rhapsoden, Bänkelsänger und Kolporteure stehenden sondern auch im aktuellen Bühnenprogramm) wie-
Figur des Stand-up-Comedians knüpfen an der doxa, derhole; diese seit dem antiken Schauspiel als parabasis
an dem durch Erziehung, Alltagserfahrung und Medi- bekannte Wendung stellt einen narrativen Sprung auf
enkonsum herausgebildeten Meinungswissen des Pu- die Ebene des Rahmenerzählers, wenn nicht auf die
blikums an und spielen damit (vgl. Henningsen 1967, des autobiographischen Kabarettisten Schramm dar,
9). In pointierter Form werden dabei neue über- der eine metasprachliche Aussage über seine Arbeits-
raschende Bezüge hergestellt, indem etwa eine Alltags- weise trifft. Der heftige Applaus, der an dieser Stelle des
handlung in einen neuen, sachfremden Kontext ge- Bühnenprogramms regelmäßig aufbrandet, kann als
stellt wird. Kabarettistische Solokünstler nehmen in kumulierte zustimmende Reaktion auf die Freude an
der Regel mindestens drei Erzähler-Funktionen wahr: der (vorderhand abstoßenden, aber gegen die ›Richti-
die der autobiographischen Person (die sich etwa mit gen‹, die manipulativen Politiker und lakaienhafte
ihrem bürgerlichen Namen vorstellt und das Publikum Journalisten gewendete) Metaphernkette, als sachli-
zur Veranstaltung begrüßt), die des Rahmen-Erzäh- ches Einverständnis mit der geäußerten Medienkritik
lers (der einzelne Nummern ankündigt oder Elemente und als bewundernd-belohnende (wenn auch ein we-
daraus kommentiert) und die einzelner Rollen oder nig erheischte) Botschaft an den – sich nicht nur als
›Typen‹ (Typenkabarett analog zur ›Typenkomödie‹). geistreich, sondern auch als selbstreflexiven und nah-
So tritt die Erzählerfigur in G. Schramms letztem Pro- baren, in seiner Empörung glaubwürdigen – Kabaret-
gramm Meister Yodas Ende (2010–2015) aus der Rolle tisten Schramm gewertet werden.
des Oberstleutnants Sanftleben – der innerhalb der
Rolle über posttraumatische Belastungsstörungen von Slam-Poetry und Spoken Word
Afghanistan-Veteranen gesprochen hatte – heraus, um Eine der Stand-up-Comedy, der Dichterlesung und
sich ans Publikum zu richten und nach Menschen mit dem Gesang verwandte Kunst, bei der das rhythmisier-
Kriegstraumata zu fragen (was regelmäßig zu kurzen te, gereimte Wort gepflegt wird, ist die Slam Poetry. Die
Dialogen führt); nach Abschluss der Vorstellung Texte werden in der postmodernen Nachfolge-Institu-
kommt Schramm ohne Kostüm auf die Bühne (nicht- tion des Dichter-, und Sänger-Wettstreits, poetry slam,
fiktionale Erzählebene), um zu einigen Themen auf vorgetragen, der Mitte der 1980er Jahre in den USA po-
weiterführende Lektüre zu verweisen, z. B. auf St. Hes- pulär wurde und bald darauf in Europa, besonders im
sels Empört Euch (2010). Die einzelnen Erzählebenen deutschsprachigen Raum, viele Anhänger fand. Das
und Rollen werden mit Gesten, Sprachmelodie (Pro- englische ›to slam‹ beschreibt das Herausschleudern
sodie), Stimmhöhe, Stimmfärbung, dialektalen oder der Worte und den Schlagabtausch (battle) mit den
23 Komik mit theatralen Mitteln 215

Mitbewerbern. Dem Publikum kommt die Rolle zu, tion des Gegenteils, Ironisierung, Übertreibung, Per-
Beifall oder Missfallen auszudrücken und abzustim- spektiv-Veränderung, paradoxe Argumentation) zu
men (zu voten) also den oder die Gewinner zu bestim- neuen Gesichtspunkten und Verläufen einer Geschich-
men, wobei Komik und Lachwirkung in der Regel po- te sowie Neuwörtern zu gelangen und die performance
sitiv zu Buche schlagen (vgl. Westermayr 2010, 65 f.). durch Gesten, geeignete catch phrases, durch folgerich-
Die vorgetragenen Texte müssen selbst verfasst und oh- tigen – oder eben bewusst paradoxen – argumentativen
ne weitere technische Hilfsmittel (außer einem Mikro- Aufbau sowie das rezeptionsangemessene timing zu
fon) im Rahmen begrenzter Zeit (meist innerhalb von konsequenter Pointierung und potenziell größerer
fünf oder zehn Minuten) vorgetragen werden, wobei Wirkung (wie Rührung, Staunen oder Lachen) zu ge-
die performance – der Vortrag, der sich oft an Deklama- langen (vgl. Vorhaus 2010; Ritchy 2012). Während im
tions- und Rezitationsstil des Rap oder Hip-Hop an- angelsächsischen Raum ›Comedy‹ an vielen privaten
lehnt – mit in die Wertung eingeht. Stilistisch sind An- und öffentlichen (Schauspiel-) Schulen gelehrt wird,
klänge an die Poesie des Dada, der Popliteratur und der gibt es dies im deutschen Sprachraum nur vereinzelt; so
Werke der Beat Generation zu spüren (vgl. Anders bieten seit Anfang der 1990er Jahre die Comedy Acade-
2012). Nicht wenige Dichter und Darstellende Künst- my Köln (u. a. mit dem Musikkabarettisten M. Jung)
ler, die im letzten Viertel des 20. Jh.s geboren wurden, und SAGO – Mainzer Akademie für Poesie und Musik
haben über poetry slams auf die Bühne gefunden – et- (mit dem Mentor Chr. Stählin) Seminare und Work-
wa die mehrfachen Slam-Meister S. Krämer, M. U. shops an. Einige Schauspielschulen und einzelne Büh-
Kling, L. Ruppel oder G. Vetter. Die für den mündli- nenkünstler/innen (wie L. Fitz) fungieren als Berater
chen Vortrag, für die ›Lesebühne‹ geschriebenen Texte, und Coaches bei der Entwicklung und Verbesserung
ob lyrisch oder erzählend, lassen sich unter den Begriff von Programmen und Darstellung. Auch wenn es vie-
spoken word subsumieren (vgl. Westermayr 2010, 12). le kabarettgeschichtliche und -theoretische Arbeiten
gibt, bei denen die Bühnenerfahrung der Autoren ein-
Komik als Beruf geflossen ist (wie Uthoff 1962; Henningsen 1967; Bud-
Wirkungsbezogenes Darstellen, Reden und Schreiben zinski 1982; Kühn 1988 f.; Jacobs 1996; Pschibl 1999;
ist erlernbar, wie die klassische Rhetorik mit ihrem wir- Dorfer 2011), besteht im deutschsprachigen Raum zwi-
kungsmächtigen Bildungssystem zeigt (vgl. Ueding/ schen der Komikforschung und der anwendungsorien-
Steinbrink 1986, 21 f.). Bereits in der Antike wird (ob in tierten Lehre ein Hiatus, der erst ansatzweise (etwa bei
Poetiken oder praktischen Handbüchern) das Ko- Ritchie 2012) geschlossen wird; anders ist dies bei der
mische reflektiert, etwa als Mittel der Auseinanderset- Slam Poetry, die trotz ihrer kurzen Geschichte bereits
zung (Lächerlich-Machen eines Gegners oder die gut erforscht und textlich dokumentiert ist und für die
Mahnung, zum Ernst zurückzukehren) und in ihrer äs- es Lehrwerke gibt, die sogar für Schüler geeignet sind
thetischen Qualität (Knappheit, Pointiertheit) be- (vgl. Anders 2012). Die Quellenlage für das historische
schrieben (s. Kap. 19.1). Diese Funktion erfüllen auch Bühnenkabarett ist dank einer Einrichtung wie des
moderne Comedy-Ratgeberbücher, die es seit der Deutschen Kabarettarchivs (Mainz) gut, und seit dem
zweiten Hälfte des 20. Jh.s im angelsächsischen Sprach- letzten Drittel des 20. Jh.s liegen viele Programme auch
raum im Zuge einer sich professionalisierenden ko- durch LP, MC, CD, DVD, in den Rundfunkarchiven
mischen Kunst in den unterschiedlichen Mediengat- von Radio und Fernsehehen sowie über Plattformen
tungen gibt (vgl. z. B. Carter 1989; vgl. Kap. 24). Aus- wie youtube vor; für eine detaillierte wissenschaftliche
gehend von vereinfachten Kommunikationsmodellen Analyse müssten die (oftmals auch bei den aus metri-
und dem allgemeinen Hinweis, die jeweilige Witzer- schen Gründen relativ konstanten Chansontexten vari-
zählung, die Haltung und Konsistenz einer Bühnen- ierten und improvisierten, mit Interjektionen versehe-
figur vor Publikum (oder mit dem Mittel der Videoana- nen) Texte transkribiert und erläutert werden, um das
lyse) auszuprobieren und je nach Reaktion anzupassen, Materialcorpus zu komplettieren.
werden unterschiedliche Techniken an Beispielen er-
läutert, wie ein Mensch, dem es gelingt, Freunde und
Kabarett (politisch)
Kollegen zum Lachen zu bringen, sein Talent zum
Brotberuf machen kann – und wie ein Etablierter seine Kabarettistisches Ethos und komische Praxis
Kunst vervollkommnet (vgl. Vorhaus 2010). Hierzu Das politische Kabarett gehört als Teil der Bühnen-
zählen topisch-dialektische, aleatorische und kom- künste zur Gattung stand-up-comedy – mit der glei-
binatorische Verfahren (Assoziationsketten, Imagina- chen Vielfalt an kaum kategorisierbaren literarischen
216 III Mediale Formen des Komischen

und musikalischen Genres, Subgenres und Hybriden Komiker (KadeKo) – es hatte knapp 1000 Plätze –, die
(s. o.) – und zeichnet sich hier durch einen großen An- aus wirtschaftlichen Gründen programmliche Misch-
teil aktueller Bezüge auf politische und wirtschaftliche Angebote mit relativ geringem politischen Anteil
Themen aus. In den Kabarett-Theorien der zweiten machten, um dem Unterhaltungsbedürfnis breiter Pu-
Hälfte des 20. Jh.s betonen die meisten Autoren die blikums-Schichten zu entsprechen. Ohnehin stammen
aufklärerische, bewusstseins- und gesellschaftsver- Künstler und Publikum meist aus dem gleichen sozia-
ändernde Kraft des Kabaretts und sehen es als Teil ei- len und weltanschaulichen Milieu, so dass man einan-
ner kritischen Öffentlichkeit und Publizistik an (vgl. der mit politischen Thesen eher bestätigt anstatt sich
Henningsen 1967; Budzinski 1982; Fleischer 1989). scharf zu widersprechen (vgl. Pschibl 1999, 312 f.). Mit
Der gesellschaftskritische bis anarchische Charakter der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde
prägte die literarischen Cabarets seit ihren Anfängen. die Freiheit der Medien und auch der Theater brutal er-
Durch den Aspekt der Aktualität bestehen beim poli- stickt, wo sie sich nicht selbst ›gleichschalteten‹. Jü-
tischen Kabarett intertextuelle und gattungsmäßige dische oder als politisch links eingeschätzte Künstler
Bezüge zu den meinungsbetonten Textsorten und Sti- wurden diskriminiert und ins Exil gedrängt – zum Teil
len des Journalismus (vgl. Fleischer 1989); Medientex- auch inhaftiert oder ermordet wie E. Mühsam (der für
te und Sendungen stellen einerseits eine Informati- Simplicissimus und Ulk schrieb, Pazifist und Anarchist
onsquelle dar, sie werden andererseits auch gern paro- war), F. Grünbaum (Erfinder und Meister der Doppel-
diert. Anders als in den Nachrichtenmedien und ähn- conférence) oder K. Gerron, der als Schauspieler neben
lich den Genres des Feuilletons oder der politischen H. Rühmann und M. Dietrich vor der Kamera stand
Rede geht es, wie der satirische Autor und Kabarett- (vgl. Hippen 1986b und Kühn 1989). Die 1933 von E.
historiker V. Kühn formuliert, im (politisch-literari- und K. Mann, Th. Giehse und K. Henning gegründete
schen) Kabarett um Pfeffermühle, für die u. a. W. Mehring schrieb, erlebte
im Zürcher Exil und weiteren Gastspielorten über
»Botschaften von unten, die sich an der Zeit entzün- 1000 Aufführungen. Auch im Dritten Reich selbst
den, die Stellung beziehen, die Unruhe stiften, Poe- wurde weiter Kabarett gespielt, nun in weitgehend
sie beschwören, Betroffenheit artikulieren, sprachlose nazi-treuer oder entpolitisierter Form. Nur wenige
Wut verbalisieren, Misstände geißeln, Unausgewoge- Künstler waren so mutig wie W. Finck und I. Veit, die
nes formulieren, auf Notwendigkeiten pochen, der in der Berliner Katakombe noch 1935 den Sketch vom
Ohnmacht Stimme geben, uneingelöste Rechte einkla- Schneider spielten:
gen, Grenzen überschreiten, Scheinwahrheiten auf-
decken, auf Veränderung dringen. Und das alles mit »[…] (Schneider:) Ich habe neuerdings eine ganze Men-
der Lust am homerischen Gelächter zwischen Zwerch- ge auf Lager. (Kunde:) Auf’s Lager wird ja alles hinaus-
fell- und Hirnkitzel, am Anarcho-Spaß, der Energien laufen. (Schneider:) Jetzt bitte den rechten Arm hoch!
freisetzt anstatt einzuschläfern. Alles andere ist Etiket- [nimmt Maß, wundert sich, dass der Arm weiter ge-
tenschwindel.« (Kühn 2007, 13) reckt bleibt] Ja, warum nehmen Sie denn den Arm
nicht herunter? Was soll denn das heißen? (Kunde:)
Aufgehobene Rechte…« (zit. n. Hippen 1988, 97)
Weimarer Republik und ›Drittes Reich‹
Mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 war die In den folgenden Jahren wurden auch nazi-treue En-
Zensur abgeschafft, und es gab – wenn auch durch Not- sembles wie die Parodistische Zeitbühne aufgelöst.
standsgesetzgebung immer wieder eingeschränkt – ei- Gleichzeitig wurde in Gefangen- und Konzentrations-
ne staatlich garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit. lagern Kabarett gespielt. So dichtete etwa A. Kulisie-
Ähnlich wie in der Presse bildete sich das Spektrum der wicz im Lager Sachsenhausen das Chanson »Kazett«,
gesellschaftlichen Gruppen auch im Kabarett ab. So in dem es heißt: »Im Zebrakleid ist doch alles scheiß-
gab es linke Agit-Prop-Ensembles wie die Blauen Blu- egal. Hier nützen uns keine Diplome mehr. (Auch der
sen, die allerdings nicht die Arbeiterschaft, schon gar Herr Bischof muss das Scheißhaus fegen)«, und B.
nicht in Massen, erreichte (vgl. Richard 1993, 227 f.). Apitz sang 1943 im KZ Buchenwald das »Lied eines
Auch wenn pazifistische und radikaldemokratische Häftlings«, in dem es heißt: »Ich gewöhne mich nicht
Autoren wie W. Mehring, K. Tucholsky oder Klabund an das Flitzen / Und an Schlaf zu dritt in einem Bett /
scharfe politische Bühnentexte schrieben, waren es die Und an zwanzig Mann im Lokus sitzen. / Nein – ich
Leiter von Spielstätten wie dem Berliner Kabarett der lerne niemals KZ – na ja!« (zit. n. Hippen 1988, 167).
23 Komik mit theatralen Mitteln 217

Kabarett der Nachkriegszeit G. Neumann), Die Stachelschweine (u. a. W. Gruner


In beiden Teilen Deutschlands fanden bis Ende der und A. Strietzel, auch W. Neuss) oder Die Lach- und
1940er Jahre Kabarettensembles zusammen, die ver- Schießgesellschaft in München (u. a. S. Drechsel und
suchten, an die Tradition der Goldenen Zwanziger an- D. Hildebrandt). In Zuge der 1968er-Bewegung ent-
zuknüpfen, ohne dass jedoch die Lücke geschlossen stand eine politische Liedermacher-Bewegung, die
werden konnte, die durch die Ermordung eines großen mit ihren Texten an die deutsche Chanson-Tradition
Teils der Künstler gerissenen worden war. In der öst- der ersten Kabarett-Jahrzehnte anknüpfte und musi-
lichen Besatzungszone und der späteren DDR wurden kalisch Einflüsse aus der französischen Chanson-Tra-
Ensembles samt vollwertigem Theaterbetrieb gegrün- dition, und auch der US-amerikanischen Singer-
det, etwa 1953 die Distel in Berlin (als Reaktion u. a. auf Songwriter-Szene aufnahm (wie W. Biermann, F. J.
das lokalpatriotische, antikommunistische Westberli- Degenhardt, H. D. Hüsch, M. Matter, W. Resetarits, D.
ner RIAS-Kabarett Die Insulaner), die Leipziger Pfeffer- Süverkrüp, H. Wader, K. Wecker), und auch das politi-
mühle (mit den ersten Leitern und Autoren C. Rein- sche Wort-Kabarett erlebte – begleitet von einer Welle
hold, E. Külow, H. Günther und R. Otto) oder die Her- neu gegründeter Kneipen- und ›Off‹-Bühnen und
kuleskeule in Dresden (gegründet von M. Schubert; Festivals, auf denen auch Künstler auftraten – einen
mit Autoren wie M. Schaller und späteren Ensemble- Aufschwung. Neben marxistisch inspirierten Grup-
mitgliedern wie H. Glauche und W. Stumph); bis Mitte pen wie Floh de Cologne oder Dietrich Kittner gab es
der 1960er Jahre gab es in jedem Bezirk eine feste Ka- bald die gemäßigt linken ›Spontis‹ (›Spaßguerilla‹),
barett-Spielstätte, ferner eine Vielzahl unabhängiger denen etwa Karl Napps Chaostheater, das spätere Vor-
Solisten und Ensembles. Für Verse, wie sie P. Ensikat läufige Frankfurter Fronttheater (u. a. mit M. Beltz, D.
für das Leipziger Studenten-Kabarett Rat der Spötter Thomas und H. von Sydow) oder die Berliner 3 Torna-
schrieb: »Im Osten große Hungersnot, / Bevölkerung dos (u. a. mit A. Rating und G. Thews) zuzurechnen
zum Teil schon tot – / Regierung lebt von Russisch- sind. Solokünstler wie D. Hildebrandt, W. Schneyder,
Brot« (Ensikat 2007, 74) wurden einige Ensemblemit- G. Polt (regelmäßig mit der Biermösl Blosn unter-
glieder »wegen antikommunistischer Hetze und Vor- wegs), M. Richling, B. Jonas, U. Priol, G. Schramm,
bereitung zur Konterrevolution« (ebd.) inhaftiert. Th. C. Breuer, H. Venske, V. Pispers oder H. Schmidt
Nach Auffassung führender SED-Kulturpolitiker in entwickelten jeweils eigene Stile der Bühnensatire. Zu
den 1970er Jahren hatte kritisches politisches Kabarett den weiblichen Kabarettisten mit politischem Profil
in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft auf- zählen B. Kuster, das Duo Missfits, L. Politt, S. Solga
grund der vermeintlichen Interessenidentität von Ein- und A. Hartmann.
heitspartei, Arbeiterklasse und übriger Bevölkerung Das politische Kabarett Österreichs wird von L. Re-
keinen Grund und keinen Gegenstand mehr, es sei setarits, A. Dorfer, J. Hader und A. Vitásek geprägt. In
denn, als Verspottung des Klassengegners oder allen- der der Schweiz waren scharfe politische Töne, gar di-
falls in Form konstruktiver Hinweise auf fortbestehen- rekt gegen politische Repräsentanten, lange Zeit ver-
de Nebenwidersprüche und menschliche Unzuläng- pönt, und es dominierte die poetische, erzählende Ge-
lichkeiten (vgl. Riemann 2007). Trotz strenger Vor- sellschaftssatire. Seit der Jahrtausendwende, als Reflex
und Nachzensur sowie der Regulierung des Zugangs auf steigende gesellschaftliche Spannungen um Ein-
zum Beruf des Unterhaltungskünstlers fanden – auch wanderung sowie den Grad der Integration in die EU,
vor dem Hintergrund eintöniger Massenmedien – die nehmen die direktheit von Angriffen und das Tempo
Kabarettisten ein sensibles und aufnahmefähiges Pu- und die Schärfe des Tons zu, wie sich an den Program-
blikum, so dass Eintrittskarten ›Bück‹- und Mangelwa- men des Theaterkabaretts Birkenmeier (zuvor Birken-
re waren. Die Künstler verfassten Nummern, die von meier/Voigt), A. Thiel mit stets aktualisierter ›Polit-
den Zensoren gefunden und gestrichen werden soll- satire‹ oder M. Elsener (als Parodist einer Reihe von
ten, und sie nutzten Kompetenzüberschneidungen schweizer Politikern und Spitzensportlern) beobach-
zwischen Kulturbürokratie in Kreis, Bezirk und Berli- ten lässt.
ner Zentrale, um sich gewisse Freiräume zu erarbeiten
(vgl. Jacobs 1996). Kabarett im Multimedia- und Internetzeitalter
In der jungen Bundesrepublik dominierte zunächst Die Wende-Zeit nach dem Fall der Mauer war für Ka-
ebenfalls das Ensemblekabarett wie Das Kom(m)öd- barettisten und Medien der Noch-DDR eine große
chen in Düsseldorf (um L. und K. Lorentz), Die Insula- Befreiung, die sie mit ihrem Publikum feierten. Die
ner (ein Radiokabarett des RIAS mit dem Hauptautor Ensemblekabaretts hatten (von einigen wenigen Per-
218 III Mediale Formen des Komischen

sonen abgesehen, die als inoffizielle Mitarbeiter der manns; zunächst in Hamburg, dann im Berliner
Staatssicherheit enttarnt wurden) einen großen Friedrichstadtpalast) gegründet, und der Anteil von
Glaubwürdigkeitsbonus erspielt, so dass ihnen das Comedians gegenüber Kabarettisten auf kleineren
Publikum beim wirtschaftlich schwierigen Umstieg und größeren Bühnen stieg. Die Vermutung, dass die-
vom staatlichen Theaterbetrieb in neue Rechts- und jenigen, an die sich politische Botschaften richten,
Verwaltungsformen die Treue hielt. Wie schon an den möglicherweise gar nicht erreicht werden, sondern
nach wie vor entlang der früheren innerdeutschen v. a. Gleichgesinnte (vgl. Pschibl 1999, 312), wird von
Grenze verlaufenden Verbreitungsgebieten der Satire- selbstironischen Beobachtungen einiger Kabarettisten
magazine Titanic (West) und Eulenspiegel (Ost) ables- gestützt. So empfiehlt V. Pispers dem Publikum in sei-
bar, hat die unterschiedliche biographische Prägung ner Nummer »Ablasshandel« (vgl. Pispers 2002), die
und das unterschiedliche Erleben des Vereinigungs- Eintrittskarte gut aufzuheben: für den Fall, dass sich
prozesses auch Folgen für die Rezeption der hochspe- die politischen Verhältnisse tatsächlich umwälzen, ha-
zifischen Genres der komischen Kommunikation. be man so den Beweis seiner dissidenten Gesinnung
Nur wenigen Kabarettisten gelingt es, mit dem glei- in der Hand. A. Rebers stellt sich seinem Publikum als
chen Programm östliche wie westliche Publika glei- »Empörungs-Beauftragter« (Bühnenprogramm Re-
chermaßen anzusprechen, etwa U. Steimle (zunächst bers muss man mögen. Eine Abrechnung, 2014) vor, der
mit T. Pauls) mit seinem ›Ostalgie‹-Typenkabarett, in reich sei, mindestens so wohlhabend wie das Publi-
dem die betagte Dresdnerin Ilse Bähnert aus der Er- kum. Gerne komme er der Aufgabe nach, einige zu-
fahrung zweier überstandener Diktaturen ihrem jün- gespitzte Sätze gegen Armut und Ungerechtigkeit vor-
geren Wohnungsnachbarn Zieschong erklärt, warum zutragen. Zur These der ›Comedysierung‹ oder Ent-
sie gedenkt, auch die Phase des ungezügelten Finanz- politisierung gibt es auch andere Zeichen einer Ge-
kapitalismus noch zu überleben. Dass ein ›Wessi‹ wie genbewegung: das ›investigative Kabarett‹ (bei HG.
F. Lüdecke für einige Jahre das (Ost-) Berliner Traditi- Butzko am Beispiel der Finanzkrise ab 2008 und ihrer
onshaus Distel übernehmen konnte, spricht dafür, Akteure, deren Handlungsweise genau recherchiert
dass die mentalitären Grenzen in der Hauptstadt der und belegt wird) und auch den satirischen Journalis-
›Berliner Republik‹ sich am schnellsten verwischt ha- mus (F. M. Barwasser alias Erwin Pelzig in seinen
ben. Für die jüngere Kabarettistengeneration der nach Bühnenprogrammen und in der ZDF-Reihe Pelzig
1970 Geborenen spielt die ›Ossi‹- oder ›Wessi‹-Her- (unter-)hält sich (vgl. Peter 2015)). Wie das Beispiel
kunft eine schwindende Rolle. Über die als Inseln pro- von M. U. Kling zeigt, ist ein Wechsel von der ›Slam
vinzieller Tristesse besungenen Bundesländer Thürin- Poetry‹ ins politische Fach möglich, ebenso von der
gen oder Brandenburg des aus Köln stammenden (in Comedy aus, wie bei A. Hartmann.
Berlin ausgebildeten, mehrere Jahre in Jena wirken- Innovativ für das politische Kabarett sind die pro-
den) R. Grebe können sich Landeskinder wie Fremde vokanten Performances, die S. Somuncu mit Rezitatio-
gleichermaßen amüsieren. Der mal selbstbewusst, nen aus Hitlers Mein Kampf (1925), die kommentierte
mal selbstironisch gezeigte regionale und ›regiolekta- Lektüre der Bild-Zeitung oder als ›Hassprediger‹
le‹ Bezug (etwa die Gegend um das sächsische Riesa macht, wobei sich das Publikum mal in der Rolle des
beim Duo Zärtlichkeiten mit Freunden oder Franken Voyeurs, mal als Täter wiederfindet. Comedians und
bei der Band Zu Fürth um M. Egersdörfer) ist Anfang Kabarettisten treten im 21. Jh. als multi-channel-An-
des 21. Jh.s im Kabarett wichtiger als die ›Ossi‹/›Wes- bieter pointierter Inhalte auf: neben der Bühne, Auf-
si‹-Deklaration. Die größte Rolle spielen Dialekt und tritten in Radio und Fernsehen, CD, DVD/BD, Buch,
regionale Verwurzelung in der Schweiz, wo Wort- Fanseite/Club, soziales Netzwerk (z. B. facebook). Zu-
komik sich an mundartlichen Ausdrücken und Situa- nehmend sind Inhalte – aus Marketing-Gründen in
tionskomik an lokale oder kantonale Stereotype (Ar- Eigenproduktion oder als Mitschnitte von Fernseh-
roganz der Zürcher, Langsamkeit der Berner o. ä.) sendungen durch Privatleute auf Plattformen wie you-
knüpft. Als Anzeichen dafür, dass sich Deutschland tube. Aber auch in Zeiten weitreichender Verfügbar-
im ausgehenden 20. Jh. (vor der Finanz- und Eurokri- keit als audiovisuelle Inhalte bleibt ein aktualisiertes,
se der Jahre 2008 und folgende) in eine wertevergesse- an den Ort und das Publikum angepasstes kabarettis-
ne ›Spaßgesellschaft‹ gewandelt habe, wird der ›Co- tisches Programm für das Publikum attraktiv, sorgt
medy-Boom‹ angesehen (vgl. Reinhard 2006). In den dies doch für ein intensiveres, nachhaltiges Elebnis
1990er Jahren wurden Unterhaltungsbühnen wie der (das zum ›Flow‹-Erlebnis führen kann und die ›ko-
Quatsch Comedy Club (mit Conférencier Th. Her- mische Katharsis‹ fördert, vgl. von Ahnen 2006,
23 Komik mit theatralen Mitteln 219

131 f.), da durch die Interaktion von Künstler und Pu- Jacobs, Dietmar: Untersuchungen zum DDR-Berufskabarett
blikum ein wichtiger Teil kommunikativer Rahmun- der Ära Honecker. Frankfurt a. M. u. a. 1996 (zugl. Diss.
Köln 1996).
gen geschaffen wird, der die Voraussetzung für Komik
Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel,
ist (vgl. Pschibl 1999, 103 f.). Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz. Halle 1930.
Kapitza, Arne: »Die Kunst des pointierten Erzählens. Wie in
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Pregler u. a. (Hg.): Komik: Ästhetik. Theorien. Strategien. Maske und Kothurn 51. Jg., 4 (2006), 479–491.
Maske und Kothurn 51. Jg., 4 (2006), 350–364. Schneider, Herbert (Hg.): Das Vaudeville. Funktionen eines
Internationale Kulturbörse Freiburg/Br. (Hg.): Messekatalo- multimedialen Phänomens. Hildesheim/Zürich/New York
ge 1989 ff. Freiburg i. Br. 2015. 1996.
220 III Mediale Formen des Komischen

Tucholsky, Kurt: »Aristide Bruant«. In: ders.: Gesammelte


Werke in 10 Bänden. Bd. 4. Hg. von Mary Gerold-Tuchol-
24 Komik mit musikalischen Mitteln
sky/Fritz W. Raddatz. Reinbek 1975, 8–10.
Ueding Gerd/Steinbrinck Bernd: Grundriss der Rhetorik: 24.1 Musik und Komik
Geschichte, Technik, Methode. Stuttgart 21986.
Uthoff, Rainer: Wie politisch ist das politische Kabarett? Eine Musik gehört zum Fest. Sie kann traurig und feierlich
Soziologie des Kabaretts unter besonderer Berücksichtigung stimmen, aber auch ausgelassen und vergnügt. Sie
der Kommunikationsfähigkeit des Kabaretts als Mittel der
amüsiert und bringt zum Lachen. Ein Spottlied auf ei-
öffentlichen Meinungsbildung. München 1962.
Vogel, Benedikt: Fiktionskulisse. Poetik und Geschichte des ne bekannte Melodie, eine herzzerreißend übertrie-
Kabaretts. Paderborn u. a. 1993 (zugl. Diss. Fribourg ben gesungene Schnulze, eine Wagnerouvertüre mit
1992). Kazoo und Waschbrett dargeboten – Musikclowns,
Vorhaus, John: Handwerk Humor. Übers. von Peter Robert. Kabarettisten und Komiker, aber auch Operettenkom-
Hamburg ³2010. ponisten wie J. Offenbach, kennen und nutzen die
Westermayr, Stefanie: Poetry Slam in Deutschland: Theorie
und Praxis einer multimedialen Kunstform. Marburg 2010. Mittel musikalischer Komik. Viele Musiktheoretiker
leugnen dagegen die Affinität von Musik und Komik.
Arne Kapitza Die Entwicklung der europäischen Kunstmusik geht
über lange Zeit einher mit der Abwehr bloß unterhal-
tender, als banal und kunstfremd verworfener Ele-
mente der Musik – hin zum hohen Ernst einer ›abso-
luten Musik‹ in der Romantik und zur autonomen
Materialkunst der ›neuen Musik‹. Dort werden durch-
aus Kategorien aus dem Umkreis der Komik auf Mu-
sik bezogen – der romantische Humor, die groteske
Satire – aber immer mit deutlicher Distanz zur komö-
diantischen, Lachen machenden Komik. Die »reine
Musik« ist »des Komischen nicht fähig«, behauptet
der Ästhetiker N. Hartmann (Hartmann 1966, 453)
und setzt damit eine lange Reihe ähnlicher Argumen-
te gegen die musikalische Komik fort. In der Beschrei-
bung der ›reinen Musik‹ vermischen sich dabei oft
normative mit deskriptiven oder definitorischen Ar-
gumenten: Musik soll nicht unterhaltsam sein oder
gar zum Lachen bringen, weil sie sich dann unter ihre
Würde (ihre sakrale Bestimmung, ihr historisches Ni-
veau) begibt, sie kann es aber auch mit ihren genuinen
Mitteln nicht sein, weil musikalische Strukturen (im
Gegensatz zur natürlichen Sprache oder Körperspra-
che) semantisch nicht bestimmt genug sind, Lächerli-
ches darzustellen und komische Kontraste aufzurei-
ßen. Wenn dann im Konzert trotzdem gelacht wird, ist
nach dieser Auffassung lediglich etwas schief gegan-
gen (der Musiker spielt falsch, das Publikum versteht
die Musik nicht usw.). Oder die Musik hat sich mit an-
deren Künsten verbündet, z. B. in der Operette oder
im Chanson, wo sie nur die Komik des Textes unter-
stützt. Der Überzeugung, dass Musik an sich ›ernst‹
ist, entspricht die Konzertpraxis in der Kunstmusik.
Die Musiker kommunizieren ausschließlich über die
Musik, das Publikum hört still und idealerweise kon-
zentriert zu. Selbstbewusst auftretende musikalische
Komik kommt eher in volkstümlichen Genres vor, in
Volksliedern, Musikclownerien jeder Art, in der pos-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_24,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
24 Komik mit musikalischen Mitteln 221

senhaften Opera buffa, in Couplets und Novelty sik, indem sie musikalischen Strukturen und kom-
Songs. Die komischen Konzerte von G. Hoffnung, die positorischen Kniffen bestimmte Emotionen des Hö-
Kunstmusikparodien eines P. D. Q. Bach und mittler- rers zuordnen. Der Musiker F. A. Weber nennt 1792
weile zahlreiche Klassikkomiker zeigen aber, dass die Verfahren »einer speciellen Anwendung der Re-
auch die sog. E-Musik mit Komik vereinbar ist. Mu- geln der Harmonik und Melodik, wodurch bey dem
siktheoretiker (vgl. Lissa 1938/1969; Stille 1990; Hörer, dessen Gehör dazu gestimmt ist, ein Gefühl
Balzter 2013) und Musiker (vgl. Brendel 1984/2013) des Lächerlichen erweckt wird« (Weber 1800,
stellen nicht mehr die Frage F. Zappas »Does humour Sp. 138). Hier dürfen wir unterstellen, dass es unmit-
belong in music?«, sondern beschreiben, welche mu- telbar darum geht, die Hörer zum Lachen zu bringen.
sikalischen Verfahren – mit und ohne Gesang – ko- Die Affektrhetorik kennt aber auch musikalische For-
mische Wirkung haben. Dabei zeigt sich, dass in der men, die heitere, neckische und vergnügte Stimmun-
Musik der kulturelle Rahmen und die Rezeptions- gen erzeugen, um ihre Hörer im weiteren Sinn zu
bedingungen einen besonders großen Anteil an einer amüsieren. Das passt in eine Zeit, die Musik als eine
möglichen komischen Wirkung haben: sehr viele mu- gesellschaftlich-unterhaltsame, auf Wirkung bedach-
sikalische Scherze sind nach A. Brendel »Witze für Er- te Kunst versteht. Beargwöhnt wird aber schon da-
wachsene und Fortgeschrittene« (Brendel 1984/2013, mals die Vermischung von erhabenen und komischen
14). Wer lachen will, muss eine entsprechende musi- Effekten: Der Komponist J. A. Hiller bemängelt 1769
kalische Sozialisation mitbringen, v. a. in der Instru- Sinfonien, »die uns die Würde der Musik in gesetzten
mentalmusik. Aber auch in Operetten, Musikkomödi- und prächtigen Tönen fühlen lassen; aber ehe man es
en und komischen Liedern jeder Art spielen Parodien vermuthet, springt Hans Wurst mitten darunter, und
und Persiflagen bekannter Musik eine große Rolle. erregt durch seine pöbelhaften Possen umso vielmehr
Nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Film, Fern- unser Mitleid, je ernsthafter die vorhergegangene
sehen und Internet, wo die alten Formen erneuert Rührung war« (Hiller 1768/69, 62).
werden.
Die Austreibung der Komik in der absoluten Musik
Im 19. Jh. distanzieren sich Musiker und Theoretiker
24.2 Darstellende und absolute Musik: von der als Fremdbestimmung empfundenen Affekt-
kann und soll Musik komisch sein? rhetorik und Darstellungspoetik: sie begreifen Musik
nicht mehr als mimetische Kunst, die Töne, Harmo-
Komische Musik als Darstellung des Lächerlichen nien und Melodien analog zur Sprache verwendet.
Wo die Musiktheorie im Wesentlichen eine Mischung Sie ordnen musikalische Ausdrucksformen auch
aus Mathematik und kosmologischer Spekulation nicht mehr bestimmte, abgegrenzte Wirkungen zu.
war, in Spätantike, Mittelalter und neuplatonischen Der Komponist wird vom Handwerker zum Genie –
Ästhetiken der Renaissance, spielt die Komik erwar- gipfelnd im romantischen Verständnis einer ›absolu-
tungsgemäß keine Rolle. Wo aber der affektive und ten Musik‹: »Die von sprachlichen und funktionalen
darstellende Charakter der Musik im Mittelpunkt Bedingtheiten ›losgelöste‹ Musik erhebt sich über die
steht, also etwa seit der Renaissance bis ins 18. Jh., ist Begrenztheit des Endlichen zur Ahnung des Unend-
auch komische (burleske, scherzende, unernste) Mu- lichen« (Dahlhaus 1978, 63). Diese Musik kann ei-
sik Gegenstand des theoretischen Interesses. ›Komik‹ nen feinen, romantischen ›Humor‹ besitzen, der die
wird damals meist mit Aristoteles als Repräsentation Unendlichkeitsschwärmerei etwas korrigiert – mit
des Lächerlichen verstanden. Instrumentale Musik Komik ist sie nicht vereinbar. Darauf weisen viele
wäre danach komisch, wenn sie durch Klangmalerei Theoretiker hin (vgl. ausführlich Stille 1990, 40 ff.).
oder Analogien (Hinken, Stolpern, närrisches Hüp- Schopenhauer hält Musik für wesentlich ernst, weil
fen) lächerliche Vorstellungen erweckt. Das kann sie nicht darstellt, weil »ihr Objekt nicht die Vorstel-
aber auch subtiler über die musikalische Zeichnung lung ist, in Hinsicht auf welche Täuschung und Lä-
komischer Charaktere geschehen. F. Kolb beschreibt cherlichkeit allein möglich sind« (Schopenhauer
in den »Pièces de clavecin« von F. Couperin eine Rei- 1977, 331). St. Schütze stellt 1817 Komik gegen Ge-
he von Portraits mit »unterschiedlichsten Facetten fühl: »Die Musik kann das Komische [...] nicht errei-
musikalischer Komik, Satire, Persiflage und iro- chen: als ein Ausdruck des Gefühls hindert sie das-
nischer Distanznahme« (Kolb 2010, 78). Musikrheto- selbe eher, weil das Komische die freie Beschauung
rische Affektenlehren erklären die Wirkung von Mu- voraussetzt« (Schütze 1817, 223). Ähnlich argumen-
222 III Mediale Formen des Komischen

tieren viele: Musik sei darauf angewiesen, die Hörer Komik als »Wahrnehmen einer Situation in zwei ge-
der Distanz zu berauben, gefühlsmäßig in den Bann wöhnlich unvereinbaren Assoziationszusammen-
zu ziehen, Komik zerstöre die musikalische Wir- hängen« (Koestler 1966, 93). Bei der Musik sind die
kung, weil sie die Distanz plötzlich wieder herstelle. jeweils geltenden Regeln der Kunst einer dieser Zu-
Aus dieser Position kann die Musik auch keinen gro- sammenhängen, man muss also oft vom Fach sein,
ßen Anteil an der Wirkung musikalischer Komödien um den Witz zu verstehen (vgl. Kap. 1).
haben: »Zum Lachen kann die Gebärde bringen und
die Situation, niemals aber die Musik« (Cohen 1982, Verfahren der musikalischen Komik
191). Autoren, die sich mit musikalischer Komik befassen,
stellen auch Kataloge von musikalischen Verfahren
Rehabilitierung musikalischer Komik auf, die Komik erzeugen können (vgl. Lissa 1938/1969,
Die Abwertung oder gar Abwehr von Komik in der 104 ff.; Stille 1990, 75 ff.; Balzter 2013, 99 ff.; vgl. auch
Musiktheorie ist aber nicht das letzte Wort. Sie ba- Gratzer 2016). Meist unterscheiden sie dabei zwischen
siert oft auf systematischen und definitorischen der Komik rein instrumentaler Musik und der Komik
Schwächen der zugrundeliegenden Musikbegriffe, in Wort-Musik-Kombinationen. Die meisten Beispie-
die die Vielfalt des tatsächlich Komponierten und le entstammen in diesen Katalogen immer noch aus
Aufgeführten nicht fassen. Ausweg ist dann oft die der Kunstmusik von Barock bis Moderne, die entspre-
Flucht ins Normative: eingestanden oder unein- chenden Verfahren sind aber auch in der Popmusik
gestanden vermischt sich die Frage, was Musik ist und im Jazz anzutreffen. An einigen Stellen ist auch
und nicht ist, mit Forderungen, was sie gefälligst zu auf die wenig ergründeten Formen musikalischen Hu-
sein hat, nämlich würdevoll und ernst. Heute ist das mors hinzuweisen, die sich erst in Kombination mit
aber schon lange kein Konsens mehr, Musik ist nicht Bildern entfalten, im Film, im Fernsehen oder im In-
mehr auf Sakrales und Erhabenes verpflichtet, und ternet.
auch Komponisten der Klassik, Romantik und Mo-
derne werden als Humoristen wiederentdeckt. Ein Gebrochene Regeln und Erwartungen
Konzertprogramm der Universität Jena von 2007 Häufige entsteht musikalische Komik aus absicht-
kündigt zwei Kompositionen von J. Haydn und L. v. lichen Verstößen gegen implizite oder explizite Re-
Beethoven »von einem unverwechselbaren Humor« geln der Kunst. Komponisten und Interpreten spielen
an, J. Haydns 103. Sinfonie werden »hintergründige mit den Erwartungen ihres Publikums, wenn sie das,
Pointen« zugeschrieben, L. v. Beethovens 8. Sinfonie was »kommen muss«, ausfallen lassen oder durch
sogar als »zuweilen derb komisch« beschrieben. Der etwas Anderes ersetzen. J. Haydn setzt solche Mittel
Pianist A. Brendel wirbt dafür, den musikalischen häufig ein: In der D-Dur Sinfonie Nr. 104 komponiert
Humor solcher Werke zu erkennen. Das bedeutet für er eine Generalpause, die die Spannung erhöht – und
ihn nicht nur, die Komik zu entdecken, sondern sie setzt mit einem kleinen Triller fort, der die Situation
auch als ästhetischen Wert zu schätzen. Ob die Hörer gewissermaßen ins Lächerliche zieht (vgl. Stille 1990,
Musik komisch finden oder nur albern und misslun- 78). M. Flothuis teilt die Beobachtung mit, dass ein
gen, hängt davon ab, »ob Sie das Komische, die Ko- leiser, womöglich staccato oder pizzicato gespielter
mödie als etwas Inferiores betrachten, wie die ältere Schluss im Sinfoniekonzert häufig Lachen auslöst
Ästhetik dies tat, oder ob Sie sie – wie ich – neben die (vgl. Flothuis 1983, 688) – offenbar sind wir an mäch-
Tragödie stellen« (Brendel/Dick 2011). Und nicht tige, laute Schlussakkorde gewöhnt und erleben hier
nur die Disposition des Hörers ist wichtig, auch seine die musikalische Variante von Kants »Auflösung ei-
Vorbildung. Die Verteidiger des Komischen in der ner gespannten Erwartung in nichts« (Kant 1983,
Musik weisen immer wieder darauf hin, dass die we- § 54). Den umgekehrten Effekt nutzt Haydn mit dem
nigsten Klänge und Klangkombinationen an sich für Paukenschlag der danach benannten Sinfonie Nr. 94:
den naiven Betrachter komisch sind. »Musikalische der platzt musikalisch unmotiviert plötzlich in ein
Strukturen geben ziemlich selten die Möglichkeit, die simples undramatisches Thema hinein. Am dritten
Komik in ihnen wahrzunehmen (und wenn dann nur Satz von Haydns C-Dur Sonate Hob. XVI./50 be-
kurz und flüchtig)« (Lissa 1938/1969, 93). Sie werden schreibt A. Brendel die Komik einer mehrfachen Mo-
komisch, indem sie sich auf musikalische Konven- dulation nach H-Dur: die sei so gegen die gängigen
tionen, Hörgewohnheiten, Kompositionsstile und Regeln, dass er sie als aggressiven Nonsens wahrneh-
gängige Klischees beziehen. A. Koestler beschreibt me. Z. Lissa findet in Haydns Quartett B-Dur eine
24 Komik mit musikalischen Mitteln 223

weitere komponierte Inkongruenz: »Alle Instrumen- ben) kommen Trommeln, Ratschen und Kuckuckspfei-
te haben schon ihre Kadenz auf der Tonika ausgeführt fen zum Einsatz. R. Strauß lässt in der Burleske d-Moll
(im ersten Satz), und das Cello – als hätte es keine (1885/86) das Thema von Pauken präsentieren. Heute
Lust zu enden – nimmt noch einmal allein den to- sind solche ›Fehlbesetzungen‹ in der musikalischen
nischen Sextakkord. Das wiederholt sich einige Male Kleinkunst üblich: eine ganze Oper, gespielt nur von
und ruft einen subtilen komischen Effekt hervor« Celli, das Tristan-Vorspiel mit fünf Blockflöten. So et-
(Lissa 1938/1968, 132). In der Sinfonie Nr. 60 schreibt was lebt allerdings davon, dass das Publikum die Kon-
Haydn ein ›Nachstimmen‹ der Geigen in den Noten- stellation nicht einfach lächerlich findet, sondern auf die
text, in der Sinfonie Nr. 45 (Abschieds-Sinfonie) ver- Dauer musikalisch eben doch überzeugend. Im Jazz ist
stummen die Instrumente nach und nach, die Par- das Arrangieren von bekannten Titeln für ungewöhnli-
titur weist die Musiker an, an dieser Stelle jeweils auch che Besetzungen ohnehin so üblich, dass wohl nur sehr
abzugehen. Auch bei L. v. Beethoven, dessen Regel- gewagte Kombinationen den Hörern ein Lachen entlo-
brüche sonst eher als geniales Überschreiten von cken. Eindeutig komisch oder parodistisch ist der will-
Konventionen gedeutet werden, findet Brendel musi- kürliche Wechsel des Genres mitten im Stück. In dem
kalische Komik. Von der G-Dur Sonate op. 31, Nr. 1 Film Crossroads (1986) spielt ein junger Gitarrist W. A.
schreibt er: »Der Pianist, dem es am Ende dieser Mozarts Alla turca mit einem Bluesschluss, sehr zum
Sonate nicht gelungen ist, jemandem einen Lacher Entsetzen seines konservativen Lehrers. Auch sture
zu entlocken, sollte Organist werden« (Brendel Wiederholungen können komisch wirken. E. Saties Mu-
1984/2013, 19). Beethoven komponiert dort u. a. Syn- sique d’Ameublement (1917/1920/1923), die aus immer
kopen, die in der Ausführung klingen, als könne der wiederholten, musikalisch banalen Stückchen besteht,
Pianist nicht mit beiden Händen synchron spielen. entfaltet eine irritierende Penetranz. Ein Zuhörer kann
Übertriebenes Adagio und Presto und ungeschickte das langweilig finden oder darüber kichern, dass ein
Modulationen erscheinen A. Brendel als Parodie auf hochbezahltes Orchester ernsthaft so einen Unfug
schlechte Komponisten und Übervirtuosen (für eine spielt. Es hilft aber sicher, Saties Gebrauchsanweisung
ausführliche Analyse vgl. Maurer Zenck 2010, 259 ff.). zu den Stücken zu kennen: »Wir bitten Sie inständig,
Ähnliche parodistische Verfahren finden sich in E. überhaupt nicht hinzuhören und so zu tun, als ob die Mu-
Saties Embryos desséchés (1913), wo immer neue An- sik nicht bestünde«. Sie lassen die Musique d’Ameuble-
läufe zu einem Schluss unternommen werden, der nie ment als frühe Version einer ›Fahrstuhlmusik‹ verste-
kommt. G. Hoffnung hält im Concerto populaire hen und zugleich als Satire auf Musik, die nicht mehr
(1956) »den Zuhörer durch eine grotesk anmutende sein will als Teil des Mobiliars.
Fülle vermeintlicher Schlussakkorde zum Narren, in-
dem er immer wieder durch neue Anläufe die Gel- Komische Inkongruenzen und ihre Wirkung
tung der vorangegangenen Schlussbildung außer Der musikhistorische Kontext und die Erfahrung der
Kraft setzt« (Stille 1990, S. 101 f.). Hörer entscheiden bei all diesen Verfahren, ob die Ko-
mik überhaupt bemerkt und wie sie gedeutet wird. Re-
Musikalische komische Inkongruenzen: Rhythmus, gelbrüche können ja auch als Fehler oder innovative
Instrumentierung, Rahmenwechsel, Wiederholung Ideen erscheinen. Haydn dürfen wir unterstellen, dass
Die Liste der komischen Verfahren in der Musik kann er mit Inkongruenzen eine komische Entlastung von
an dieser Stelle nur ein Auszug sein. Gemeinsam haben den formalen Zwängen seiner Kunst inszeniert. Er
sie die Abweichung von geschriebenen oder un- stellt diese Regeln aber nicht grundsätzlich in Frage,
geschriebenen Gesetzen, wie Musik zu klingen hat. seine Distanzierung vom Ernst der Musik ist spiele-
Wenn ein bekannter Rhythmus plötzlich gebrochen risch. Ähnlich wie in der Kindersinfonie, in der lustige
wird, kann das komisch wirken, wie in M. Kagels 10 Instrumente erlaubt sind, weil es nicht so ernst zugeht
Märsche, um den Sieg zu verfehlen (1979). Bei Musik- wie bei den Erwachsenen. Bei Beethoven sind die
clowns beliebt ist die Verknüpfung stark kontrastieren- Scherze und komischen Passagen dagegen enger ver-
der Instrumentenklänge. Auf die Komik von Piccoloflö- schränkt mit einem künstlerischen Widerstand gegen
te und Kontrabass setzt aber auch I. Strawinskij in Pe- die alten Kompositionsregeln: die Komik verliert ihre
truschka (1911). Hier mischt sich außerdem in der Jahr- entlastende Funktion, die witzigen Einfälle ergänzen
marktsszene ein Leierkasten ins Orchester, was die Provokation der genialen, ernst gemeinten Regel-
angeblich das Publikum regelmäßig zum Lachen brach- brüche. In der Romantik ist der musikalische Humor
te. In der Kindersinfonie (1813) (L. Mozart zugeschrie- am komikfernsten, er erscheint noch als Modus der
224 III Mediale Formen des Komischen

kompositorischen Phantasie, die immer neue Aus- nus opus musicum über neun Takte Schafe blöken (für
wege aus den Grenzen der Tradition sucht. In der Mo- weitere Beispiele vgl. Stille 1990, 185 ff.). Die Klang-
derne ist der komische Bezug auf überlieferte Tech- imitation kann idyllische oder dramatische Szenen
niken und Genres oft satirisch. Strawinskij, P. Hinde- heraufbeschwören. Sie kann aber auch komisch wir-
mith und D. Schostakowitsch zitieren Sinfonie, Wal- ken – wenn das Schaf in die Liebesszene blökt, oder
zer, Marsch und Wagneroper, um sie zu verspotten die Instrumente Körpergeräusche wie Schnarchen,
und sich von ihnen zu distanzieren. Der Hörer muss Schluckauf und Verdauung imitieren. Die Ästhetik
das alles nicht wissen, um eine Passage komisch fin- des 18. Jh.s distanziert die eindeutige Klangmalerei
den zu können, aber sein Wissen und seine Einstel- als possierlichen Effekt (vgl. Sulzer 1779, 207), den
lung werden die Wirkung stark beeinflussen. Wer als man doch besser den Jahrmarktmusikern überlässt.
Musikschüler oder Konzertbesucher selber unter der Am ehesten findet man Tonmalerei seither dort, wo
Eintönigkeit regelgerechter Sinfonien gelitten hat, die Musik nicht auf ihrem vollen Ernst besteht, z. B.
kann nicht nur J. Haydns dagegen gerichtete Pointen bei Kompositionen für Kinder: in C. Saint-Saёns’
besser verstehen, sondern auch die komische Erleich- Karneval der Tiere (1886), »wo sich Hühner und Häh-
terung mitempfinden, sich einmal dagegen aufzuleh- ne unterhalten und Kängurus zwei Oktaven hoch
nen. Wer Kunstmusik für prinzipiell höherwertig als hüpfen – im Ambitus nur noch von Eseln überboten,
Unterhaltungsmusik hält, wird die Ragtime-, Tango- deren gegeigtes I-Ah bis zu drei Oktaven plus einer
und Shimmyanleihen bei Hindemith, E. Schulhoff übermäßigen Quinte umfasst«(Balzter 2013, 152).
und anderen modernen Komponisten als satirische Die Musik verfährt aber nicht nur da darstellend, wo
Verspottung wahrnehmen, ein anderer freut sich viel- sie unmittelbar imitiert, sondern v. a. über die Analo-
leicht nur, inmitten irritierender Klänge etwas Leich- gie zu innerer und äußerer Bewegung: schnell und
tes und Bekanntes zu hören. Die Gefahr der unfreiwil- langsam, staccato und legato, Dur und Moll, laut und
ligen Komik droht v. a. Musik, die radikal mit Hörge- leise – viele musikalische Gegensatzpaare assoziieren
wohnheiten und Regeln bricht. E. Křenek berichtet wir intuitiv mit bestimmten Gefühlen, aber auch mit
von Aufführung eines Werkes A. v. Weberns, in der Fortbewegungsarten: laufen, schleichen, hüpfen,
das Publikum auf die fremdartigen Töne einfach mit marschieren. Das wird in der älteren Musik vielfältig
Lachen reagierte: genutzt, die Wirkung verstärkt sich, wenn die Musik
bewegte Bilder illustriert wie im Stummfilm oder im
»In der Tat schien es ja, vom ›gesunden Menschenver- Trickfilm. Der mit diesen Effekten vertraute Musik-
stand‹ her gesehen, sehr komisch, wenn man ein gut hörer von heute nimmt solche Komik möglicherwei-
besetztes Orchester dünne, kaum hörbare Klangfetzen se verstärkt auch in instrumentaler Musik wahr, er
produzieren hörte, wenn man einen Posaunisten be- liefert die deutenden Bilder gewissermaßen mit.
obachtete, wie er mit sichtlicher Nervosität bald in sei- Auch die Analogie zur menschlichen Stimme nutzen
ne Noten, bald auf den Dirigenten starrte, schließlich Musiker auf verschiedene Weise: Stimmlage, Affekt
mit Schweiß auf der Stirne seine Backen aufblies und, und das Verhältnis zwischen den Sprechern eines
wenn man von seinem mächtigen Instrument ein ge- Dialoges lassen sich instrumental darstellen. C. Ph. E.
waltiges Geschmetter erwartete, schließlich einen Bach hat eine Trisonate für zwei Violinen und Basso
dürftigen Piepser in extremer Lage von sich gab, um für Continuo komponiert, die ein Gespräch zwischen
den Rest des Stückes zu schweigen.« (Krenek 1956, 25) Melancholiker und Sanguiniker darstellt, der Sangui-
niker »wiederholet auf eine spöttische Weise des Me-
lancholicus Antwort durch eine ganze Oktave« (Stille
24.3 Tonmalerei und Programmmusik 1990, 199).

Für Musik, die Naturklänge und Geräusche nach- Komik und Programmusik
macht, braucht der Hörer scheinbar wenig Vorbil- Von Programmmusiken spricht man, wenn der Kom-
dung. Die kleine Terz abwärts erkennt jeder als Ku- ponist über den Titel und Selbstbeschreibungen eine
ckucksruf, viele Instrumente können glaubhaft blö- außermusikalische Darstellungsabsicht erkennen
ken, muhen und miauen. Tonmalerei in diesem Sinne lässt. Ein frühes Beispiel ist H. I. F. Bibers La Battalia
kommt bis ins 18. Jh. immer wieder vor. Es gibt ein (1673), die musikalische Schilderung einer Schlacht.
ganzes Canzon vber das Henner und Hannergeschrey Auch A. Vivaldis Die vier Jahreszeiten (1725) gehören
(A. Poglietti, 17. Jh.), Orlando di Lasso lässt im Mag- dazu. Komisch wird das, wenn es als komödiantische
24 Komik mit musikalischen Mitteln 225

Charaktermalerei daherkommt oder parodierende Ef- gefälliges Virtuosentum lustig: die Kadenz der Solovio-
fekte hervortreten wie in vielen Kompositionen F. line ist melodisch einfallslos gestaltet und besteht aus
Couperins. Auch die Musikferne des Themas kann ei- der Wiederholung langweiliger Alltagsfiguren, oben-
nen komischen Kontrast herstellen wie in M. Marais’ drein verirrt sich der eitle Virtuose immer mehr in die
L’ Opération de la taille (1725), dem musikalischen Be- Höhe und vergreift sich dabei zusehends, sodass er
richt von einer Gallensteinoperation, oder in D. Mil- nicht einmal mehr eine ordentliche Tonleiter zustande
hauds Machines agricoles (1919), der Vertonung eines bringt.« (Hocker 2011, 22)
Landmaschinenkatalogs. Satie erzielt satirische und
komische Effekte gerne über programmatische Titel Über die vorige Musikergeneration macht sich Cou-
und Beschreibungen. R. Strauß hat mit Till Eulenspie- perin in den Fastes de la grande et ancienne
gels lustige Streiche (1894–1895) und Don Quixote Mxnstrxndxsx (1716) lustig. Da kommen Drehleier
(1897) zwei Werke komponiert, die eine Art instru- und andere Straßenmusikinstrumente zum Einsatz,
mentaler Komödie inszenieren. Lissa besteht darauf, um die altbackene Pariser Musikergilde zu verspotten.
»dass das Erlebnis einer derartigen Komik v. a. davon Auseinandersetzung mit der Tradition ist auch Hinde-
abhängt, ob der Hörer, entsprechend durch den Titel, miths Ouvertüre zum »Fliegenden Holländer«, wie sie
das Programm oder biographische Informationen eine schlechte Kurkapelle morgens 7 am Brunnen vom
vorbereitet, eine semantische Haltung einnimmt, oder Blatt spielt (1925). Da geht es nicht nur gegen die dilet-
nicht« (Lissa 1938/1969, 118). tierende Kurkapelle, auch R. Wagner selbst ist von der
Ironie mitbetroffen. In der musikalischen Moderne ist
Die Komik musikalischer Parodien die Parodie eine Form der Auseinandersetzung mit
F. F. Nightingale war eine reiche Amerikanerin, die die dem Überlieferten. Hindemiths schreibt die Marsch-
Carnegie Hall mietete, um dort laut und unmusikalisch parodien Der Hohenfürstenberger (1923) und Alte
Die Königin der Nacht und andere Arien zu schmet- Karbonaden (1923). I. Strawinskij parodiert den Wal-
tern. Das mitgeschnittene Konzert ist immer noch ein zer in Three Easy Pieces (1916), S. Prokofjew kom-
Kultgegenstand der musikalischen Komik. Die Gefahr poniert eine ganze parodistische Sinfonie Nr. 1 in D-
der unfreiwilligen Komik lässt nur die Dilettanten kalt, Dur (1916). M. Ravel mischt in L’ enfant et les sortilèges
professionelle Musiker vermeiden sie in der Regel, vie- (1919–1925) moderne Klassik mit Ragtime und Jazz.
le begeben sich ungern in zweideutige, komikträchtige Golliwogg’s Cakewalk (1906–1908) von C. Debussy ist
Situationen. Andere spielen und komponieren gele- am Cakewalk, einem damals modernen Tanz aus den
gentlich absichtlich schlecht, um sich und dem fach- USA, orientiert, zitiert aber zugleich den Anfang von
kundigen Publikum und Kollegen eine Erholung von Wagners Tristan und Isolde (mit der Vortragsangabe
der strengen Kunst zu gönnen oder um Dilettanten ›avec une grande émotion‹, ›sehr ergriffen‹).
bloßzustellen. G. Ph. Telemann hat in diesem Sinn Der
Älster Schäffer Dorff Music (1733) geschrieben, auch Neuere parodistische Musik
Beethoven hat in den dritten Satz der 6. Sinfonie (Pas- Parodien sind auch in der Popmusik ein verbreitetes
torale) eine Parodie auf Bauernmusik eingebaut. W. A. satirisches Mittel, natürlich trifft das hier meistens den
Mozart hat ein Muster der Dilettantenverspottung mit Gesang und die Musik. F. Zappa baute Parodien auf
dem Musikalischen Spaß (1787) vorgelegt. Der spätere Genres wie Disco und einzelne Musiker wie B. Dylan
Titel Dorfmusikantensextett führt in die Irre, denn Mo- in seine Nummern ein, der Komiker W. Al Yankowitz
zart macht sich nicht über Dorfmusiker lustig, son- ist v. a. mit Michael-Jackson-Parodien bekannt gewor-
dern über Komponistenkollegen. Er reiht zeittypische den (»I’m fat«, »Eat it«). Videoclips und Mitschnitte
Kompositionsschnitzer, Übertreibungen und Ge- von Musikern bieten weitere parodistische Möglich-
schmacklosigkeiten aneinander. keiten, die v. a. im Internet genutzt werden. Eine Form
ist das Unterlegen eines Musikvideos mit einer neuen
»›Fehler‹ an ›Fehler‹, einerseits in der Satzstruktur Tonspur, popularisiert durch die »Shreds« des Finnen
selbst, andererseits in der Ausführungsweise, wie die O. Santala. Da spielen virtuose Gitarristen nun plötz-
falschen Terzen in den Hörnern (›dolce‹ vorzutragen) lich fehlerhaft, holprig und klischeehaft, aber so syn-
im ersten Satz schmerzlich verdeutlichen. Der Schluss- chron zum Bild, dass viele Betrachter die Parodie gar
akkord des letzten Satzes ist eine schauerliche Mi- nicht bemerken. Man kann das als schlichten Spott ge-
schung aus F-, G- , A- , B- und Es-Dur. Darüber hinaus gen den Gitarrendilettanten von nebenan verstehen
macht sich W. A. Mozart im dritten Satz über selbst- oder als giftige Satire auf hohles Virtuosentum und die
226 III Mediale Formen des Komischen

erhabene Selbststilisierung vieler Rockmusiker. Mu- Satzbezeichnungen häufig in Stücken, die mit den
sikkabarettisten und -komiker nutzen gerne ein pa- hier erläuterten Mitteln der musikalischen Komik ar-
rodistisches Verfahren, das S. Ochs schon um die vo- beiten.
rige Jahrhundertwende vorführte: er schrieb das
Volkslied »Kommt ein Vogerl geflogen« im Stile be- Burleske
kannter Komponisten um. Heute tritt eine Unzahl Die Burleske hat ihren Namen von burla (italienisch:
von Parodisten mit Nummern nach diesem Muster ›Spaß‹, ›Schwank‹). Das Wort bezieht sich oft auf den
auf: »Alle meine Entchen« von Gregorianik zur derben Humor der volkstümlichen Bühnenkomödie.
Zwölftonmusik für das eher klassisch gebildete Publi- Seit dem 18. Jh. bezeichnet es musikalische Werke
kum, von Bossa Nova zum Hiphop für die Popfans. mit einer einer heiteren und übermütigen Stimmung.
Die ernste, festliche Grundstimmung eines klassi- F. Kolb beschreibt in F. Couperins Pièces de Clavecin
schen Konzertes und die Würde der ›reinen Musik‹ (1713–1730) einige Kompositionen Dans le goût bur-
bieten ebenfalls eine komische Fallhöhe, die von Pa- lesque, die mit komischen Inkongruenzen arbeiten
rodisten genutzt wird. Stilbildend war G. Hoffnung, (vgl. Kolb 2010, 86 f.). Drastische Sprünge und ge-
der in den 1950er Jahren mit seinen Musikfestivals wagte rhythmische Figuren karikieren die Tanz-
den Konzertbetrieb parodierte. Er führte dabei auch musik der Zeit, gleichzeitig lässt sich das Ganze als
eigene Werke auf, die typische Formen der Klassik humoristische Darstellung eines hinkenden und stol-
persiflierten. Dazu kamen clowneske Einlagen der pernden Tanzlehrers hören. Auch im Ballett wird die
Musiker – was damals eine Ausnahme war (dazu vgl. Bezeichnung ›burlesk‹ (abwechselnd mit ›grotesk‹)
Gutknecht 2010). Heute gibt es auch in diesem Be- für das derbkomische Gegenstück zum höfischen
reich einige erfolgreiche Komiker, z. B. Igudesman & Tanz verwendet (vgl. Schroedter 2006). J. S. Bach,
Jo, die mit allen hier besprochenen Mitteln die musi- aber auch G. Mahler, verwenden »Burleske« als Satz-
kalische Komik ausreizen, das Auftreten von klassi- bezeichnung. M. Reger, R. Strauß und B. Bartók nen-
schen Stars, das Verhalten des Publikums und sich nen ganze Werke so. Strauß’ Burleske in d-Moll
selber virtuos verspotten. P. D. Q. Bach (Pseudonym (1895/1896) wurde schon zitiert als Beispiel für eine
für P. Schickele, geb. 1935) komponiert ausschließ- ungewöhnliche Instrumentierung: Pauken spielen
lich parodistische Musik. Er hat sich den fiktiven Le- das Thema. M. Regers 6 Burlesken op. 58 (1901) ver-
benslauf eines Bach-Sohnes zurechtgelegt, der sich weisen in den Satzbezeichnungen auf die typischen
nach eigener Aussage v. a. durch Unoriginalität aus- Merkmale der musikalischen Burleske: ›äußerst leb-
zeichnet. Tatsächlich nutzt P. D.Q. Bach das Material haft‹, ›sehr schnell und eigensinnig‹ und ›äußerst leb-
fremder Komponisten, er arbeitet mit skurrilen In- haft, mit Humor‹.
strumenten und Geräuschen. Die Kompositionen
sind meist schon im Titel als komische Varianten be- Groteske
kannter Muster gekennzeichnet (Oratorium: die vier Das Wort ›grotesk‹ (wörtlich: ›aus der Grotte‹) kommt
Haaresbreiten, Konzert für Fagott gegen Orchester, im 16. Jh. auf, es bezieht sich auf die Ornamente in
Hundekantate Wachet Arf!). P. D. Q. Bach ist ein Vir- ausgegrabenen römischen Villen, die pflanzliche, tie-
tuose der Inkongruenzen, komischen Kompositions- rische und andere Motive vermischten. Als Begriff für
fehler und rüden Stilmischungen. die unharmonische Einheit von Gegensätzlichem, für
verzerrte, übertriebene, den ästhetischen Regeln wi-
dersprechende Darstellungen macht die ›Groteske‹ in
24.4 Humoreske, Burleske, Groteske, verschiedenen Kunstgattungen Karriere. In Renais-
Scherzo – der Unernst in der Musik sance und Barock ist der französische danse grotesque
der Tanz der unteren Schichten, im Vergleich zum
Es gibt keine humoristische oder komische Gattung höfischen Tanz eine fehlerhafte, hässliche Angelegen-
der Instrumentalmusik. Dafür aber musikalische Be- heit, die aber eben deswegen komisch wirken konnte
zeichnungen, die die heitere, unernste, satirische oder (vgl. Schroedter 2006). In der Musik kommt die ›Gro-
humoristische Färbung einer Komposition nahele- teske‹ v. a. in der Moderne zu Ehren. Wie die Burleske
gen: Humoreske, Burleske, Groteske, Scherzo. Sie wird auch die Groteske mit ausgelassenem, volkstüm-
sind historisch zu verschiedenen Zeiten entstanden lichem Humor in Verbindung gebracht, während
und selten begrifflich scharf verwendet worden. An- aber die Burleske mit dem Erhabenen auf harmlose
dererseits finden sich diese Begriffe in Titeln und Weise Scherz treibt, bringt die Groteske Vulgäres,
24 Komik mit musikalischen Mitteln 227

Hässliches oder sogar Grausiges ins Spiel (vgl. zu Be- ›Ernst‹ ist mehr noch als bei der Burleske, Humoreske
griffsgeschichte Beinhorn 1989, 6 ff.). Sie kann sich und Groteske eher innermusikalisch definiert, und
daher mit einer ›Ästhetik des Hässlichen‹ und der der entsprechende Kontrast lässt sich nicht ohne wei-
modernen Abkehr von einer überlieferten Melodik teres in Analogie mit Ernst und Scherz in anderen Si-
und Tonalität verbünden. G. Beinhorn behandelt das tuationen setzen.
Groteske am Beispiel von A. Schönbergs Pierrot lu-
naire (1912), wo es sich v. a. in den fremdartigen, er-
schreckenden Dissonanzen des Werkes manifestiert. 24.5 Komik in der Vokalmusik
Eher komikverdächtige Formen der Groteske lassen
sich bei E. Schulhoff finden (5 Grotesken, 1918), der Die genuine Komik instrumentaler Musik bleibt in
eine Zeitlang eine Art musikalischen Dadaismus vielen Fällen umstritten, als Intention und Wirkung
praktizierte, mit Tanzmusikanleihen und einer Mi- gleichermaßen. In der gesungenen Musik gibt es da-
schung von klassischen und atonalen Passagen. Die gegen Kunstformen, die eindeutig Komik signalisie-
Groteske wird oft als satirische Überzeichnung ver- ren: musikalische Komödie, Opera buffa, Operette,
standen, deswegen ist das Etikett auch den satirischen Musical Comedy, Spottlied, Couplet, Kabarettchan-
Operetten von J. Offenbach oder W. Gilbert und A. son, Novelty Song. Dabei nutzen die Musiker natür-
Sullivan angetragen worden. lich die bereits beschriebenen Mittel instrumentaler
Komik, aber unter eindeutigeren Bedingungen. Die
Humoreske Musik unterstützt die Komik des Textes, aber der Text
Die Bezeichnung Humoreske taucht erstmals 1837 legt auch die musikalischen Mittel aus. Die Komik der
auf, in J. Küffners Humoreske D-Dur op. 276. Unter an- Vokalmusik ist insgesamt weniger beschränkt auf
deren benutzten A. Dvořak, E. Grieg und E. Humper- Musikkundige, sie tritt oft in volkstümlichen Genres
dinck die Bezeichnung als Titel eigener Kompositio- auf. Eine gesungene Pointe verstehen in der Regel
nen. Es ist ein schwer festzulegender Begriff, der sich mehr Menschen als eine auf der Geige gespielte. Oft
anders als die Burleske und Groteske nicht auf den äs- transportiert Musik komisch gemeinte Texte auf eine
thetischen Gegensatz von Hochkultur und Volkskul- schlichte Art und Weise, ohne selber viel zur Komik
tur beruft. Eher spielt der romantische Begriff des Hu- beizutragen. Interessanter sind natürlich die Fälle, in
mors, bezogen v. a. von Jean Paul, eine Rolle, der weit denen die Musik, verstärkend oder kontrastierend
über konkrete Komik hinaus die Souveränität der den Witz mit hervorbringt.
Phantasie und eine unabhängige Haltung zur Welt
charakterisiert (vgl. Jean Paul 1996). Auf Musik bezo- Verstärkende musikalische Komik
gen bedeutet das eine freie, nicht an Tradition gebun- Im einfachsten Fall verstärkt und illustriert die Musik
dene, ›formlose‹ Kompositionstechnik – also ähnlich den Humor eines Textes oder einer Theaterfigur. Die
wie bei der Groteske einen modernen Impuls, aber bereits erwähnten Analogien musikalischer Kontraste
ohne die aggressive, entlarvende Tendenz der Grotes- wie schnell/langsam, Dur/Moll, abgehackt/fließend
ke. Eine ausführliche Analyse des Humorbegriffs in zu Stimmungen und Bewegungen liegen diesen illus-
der Musik des 19. Jh.s bieten M. Schadendorf (1995) trativen Verfahren meist zugrunde. Die Musik kann
und B. Appel (1981). Hier kann festgehalten werden, aber über diese nur dienende Funktion hinaus die ko-
dass der romantische Humorbegriff und seine phi- mische Intention des Textes fördern. So etwa wenn in
losophisch-ästhetischen Nachfolger die größtmögli- G. Kreislers Lied vom »Triangel« das Instrument sel-
che Distanz zur manifesten Komik einhalten. ber am Ende der Strophe das erwartete, gesungene
»Ping« durch ein echtes Triangel-«Ping« ersetzt. Ein
Scherzo komplexes Beispiel für eine textunterstützende Musik
Einen deutlichen Hinweis auf Komik scheint die Be- ist die Arie »Madame, ah Madame« aus J. Offenbachs
zeichnung ›Scherzo‹ zu geben. Historisch ist das Wort Operette Blaubart (1866). Blaubart beginnt mit Selbst-
v. a. als Bezeichnung des dritten Satzes einer Sinfo- mitleid und einer traurigen Schilderung, wie seine
nie etabliert, hervorgegangen aus dem Menuett. Das letzte Frau umgekommen ist, besinnt sich aber schnell
Scherzo zeichnet sich durch ein schnelles Tempo und darauf, dass man im Leben eher nach vorne schauen
eine heitere Stimmung aus. Es ist aber nicht unbedingt soll, und endet mit einem fröhlichen Lobgesang auf
der privilegierte Ort musikalischer Komik, wie sie die Liebe – die Einleitung zur Werbung um seine
oben beschrieben wurde. Die Entgegenstellung zum nächste Frau. Das geht schon im Text verdächtig
228 III Mediale Formen des Komischen

schnell, aber die Musik macht es erst spürbar durch mer wie Nationalhymnen, um die Selbstfeier der Ori-
den fließenden und unbekümmerten Wechsel aus ei- ginaltexte mit politischem Spott zu vertauschen. Auch
ner Klageweise in ein ausgelassenes Festlied, der die in der Popmusik funktionieren viele Parodien nach
Konventionen musikalischer Stimmungsmalerei höh- diesem Prinzip: der Coolness des verehrten Superstars
nisch ad absurdum führt. M. Jackson unterlegt sein Parodist W. Al Yankowitz
die Klagen eines übergewichtigen Durchschnitts-
Subversive Komik der musikalischen Form typen, aus »I’m bad« und »Beat it« wird »I’m fat« und
Die Musik muss nicht hinter dem Text zurückstehen, »Eat it«. Den maniriert-emotionalen Gesangsstil des
sie kann ihn auch mit ihren eigenen Formgesetzen deutschen Rocksängers H. Grönemeyer geben seine
überwältigen. Das führt sehr schön das Volkslied vom Parodisten gerne durch emphatisch hervorgestoßene,
Trullala vor. Es beginnt mit ›Wir singen ein Lied vom aber sinnlose Silben wieder. Die Komik der Vokal-
Trullala‹, und weil das von der Form so gewollt ist, musik profanisiert immer wieder die Gesänge, die an-
muss nun der Text in hundert Varianten die drei sinn- deren heilig sind. Sie verstößt auch gerne gegen die
freien aber singbaren Silben ansteuern: der erste Vers Verabredung, dass nur bedeutende Themen musik-
geht trullala, der zweite und dritte auch, dann singen würdig sind und besingt ausführlich das Läppische,
wir hört auf mit diesem Trulalla, das ekelhafte Trulla- Abseitige und Fragwürdige. In J. Offenbachs La vie pa-
la, aber das schert das Trullala nicht, das als Refrain risienne (1866) erregt sich eine singende Festgesell-
immer wiederkehren muss, egal, wie es in der Strophe schaft ausführlich über ein Loch im Anzug des Gast-
beschimpft wird. In anderen Fällen stellt die musika- gebers. H. Schneider singt ein ganzes Lied über das
lische Form erst die Aussage des Textes her. Bekannt »Katzenklo«. Umgekehrt können auch Lieder über
ist das Studentenlied »O hängt ihn auf« aus dem 19. Jh. Themen komisch wirken, die eigentlich für die Musik
Der Text ersten Strophe lautet eigentlich ›O hängt ihn zu hoch, zu abstrakt sind – wenn z. B. der finnische
auf, den Kranz von Lorbeeren! Ihn unsern Fürst, den Musiker M. A. Numminen L. Wittgensteins Tractatus
wollen wir verehren‹. Die Komposition führt aber zu logico-philosophicus (1921) vertont.
dieser Wiederholung: ›O hängt ihn auf – ihn unsern
Fürst, o hängt ihn auf – ihn unsern Fürst‹, und so ähn- Opera buffa: Die Anfänge der musikalischen
lich wird in allen Strophen aus einer geschriebenen Komödie
Ergebenheitsadresse eine gesungene Majestätsbeleidi- Die ersten literarisch greifbaren Musikkomödien sind
gung. G. Ph. Telemann soll nach einer Anekdote den die Stücke des Aristophanes. Die Athener Alte Komö-
Auftrag, für einen Amateurchor einen Choral zu die wurzelte wie die Tragödie im Dionysoskult und
schreiben, angenommen haben. Er nimmt als Text- nutzte die gleichen musikalischen Formen. Chor und
grundlage den Bibelvers ›Wir können nichts wider Protagonisten beschwören aber nicht Taten und Lei-
den Herren reden!‹ und lässt seine Kunden erst einmal den mythischer Figuren herauf, sondern scharf ge-
in allen Tonlagen »Wir können nichts« (Stille 1990, zeichnete Karikaturen von Zeitgenossen. Das Pathos
232 f.) singen. der Tragödie wird verspottet, in Aristophanes Frieden
(ca. 420–410 v. Chr.) reitet der Held auf einem Mist-
Komik aus dem Kontrast von Musik und Text käfer gen Himmel, deutlich gezeichnet nach dem Ritt
Wie in der instrumentalen Musik gründen viele der des Bellerophon auf dem Flügelpferd Pegasus in einer
wirksamen komischen Mittel der Vokalmusik auf In- Tragödie des Euripides. Wir wissen allerdings wenig
kongruenzen, hier zwischen Musik und Text. Das äl- über die Musik des Aristophanes. Die europäische
teste und ungebrochen populäre Modell ist der spot- Musikkomödie beginnt nach H. Chr. Wolff (1981) mit
tende, banale, blasphemische, obszöne Text auf die er- Narren- und Eselsfesten des Mittelalters und ko-
habene Melodie des sakralen Hymnus, des Kirchen- mischen Gesangsszenen, die in liturgische Spiele ein-
liedes, der Nationalhymne. Dieses karnevalistische gebaut waren. In Italien gab es seit dem 15. Jh. die In-
Verfahren kommt schon in den mittelalterlichen Esel- termezzi (›Zwischenspiele‹), gesungene Szenen, le-
messen vor, heute wieder in der Fastnacht und in un- bende Bilder und Tänze. Ein frühes größeres Werk ist
zähligen Varianten in der musikalischen Kleinkunst. Orlando di Lasso (1568) von A. Sandberger, eine ko-
Auch die Musikkomödie etabliert sich häufig als ko- mische Madrigale in italienischer Sprache. Die Figu-
mische Umkehrung der Opera seria und verhandelt ren sind Protagonisten der neapolitanischen Stegreif-
im Opernpathos die Angelegenheiten der Diener und komödie, der Humor derb und volkstümlich mit vie-
Bauern. Kabarettisten benutzen kulturelle Heiligtü- len Kraftausdrücken und erotischen Anspielungen.
24 Komik mit musikalischen Mitteln 229

Als erste ›komische Oper‹ gilt L’ Amfiparnaso (1597) Gattungsgegensatz zur großen Oper und damit ein
von O. Vecchi, komponiert aus Madrigalen, mit einer musikalisches Drama mit zeitgenössischen Stoffen
Liebeshandlung aus der Commedia dell’Arte-Traditi- und bürgerlichen oder proletarischen Helden, das
on (vgl. Wolff 1981, 12 f.; Pietschmann 2010, 60). Aus nicht tragisch ausgeht und nach dem Vorbildes des
diesen Formen entsteht in Italien die Opera buffa Vaudeville gesprochene Dialoge enthält. Die französi-
(›komische Oper‹). Die heroische Ausrichtung der sche opéra comique entwickelt sich vom komödianti-
Opera seria (›ernste Oper‹) schloss komische Szenen schen, drastischen Stil der Opera buffa weg in Rich-
aus, das hatte, wie M. Stille feststellt, zur Folge, »dass tung bürgerliches Rührstück. In Deutschland sind die
in der opera buffa, der opéra comique und den Inter- bekanntesten musikalischen Komödien des 18. Jh.s ei-
mezzi sich Gattungen entwickelten, die zu der stren- gentlich Mischungen aus ernster und komischer
gen Erscheinung der ernsten Oper ein heiteres, lusti- Oper: Die Hochzeit des Figaro (1786), Don Giovanni
ges Gegenstück entwarfen« (Stille 1990, 223). Oft ver- (1787), Così fan tutte (1790) und Die Zauberflöte
spottet das musikalische Lustspiel sein ernstes Gegen- (1791) von A. Mozart und den Librettisten L. da Ponte
bild: die Diener imitieren das Pathos der Adligen, und E. Schikaneder. Den eher ernsten Passagen stehen
auch die typischen Formen Secco-Rezitativ und Arie heitere Szenen und Arien von klassischen Komödien-
werden karikiert. figuren wie Leporello und Papageno gegenüber. Lüh-
ning stellt die These auf, dass Mozarts Kompositionen
Die Entwicklung der komischen Oper im 18. Jahr- generell die ernsten Elemente gegenüber den komö-
hundert diantischen Impulsen der Librettisten verstärkt (vgl.
Auch außerhalb von Italien entstehen musikalische Lühning 2010, 130 ff.). Aber es gibt auch musikalische
Komödien als Gegenstücke zur ernsten Oper. In Ham- Scherze wie das Selbstzitat in der Bankettszene des
burg werden zwischen 1678 und 1738 komische Don Giovanni (1787), wo der Held selber bemerkt
Opern aufgeführt. Der lächerliche Printz Jodelet (1726) »Dieses Menuett kommt mir recht bekannt vor«. In ei-
von R. Keiser persifliert die sprachlichen und musika- nem Brief an seinen Vater beschreibt Mozart, wie er in
lischen Manierismen der Barockopern. In Hamburg der Entführung aus dem Serail (1782) die Figur des
führt auch G. Ph. Telemann ab 1721 komische Opern Osmin vom abstoßend Bösen ins Lächerliche zieht:
auf (vgl. Wolff 1981, 49 ff.). In London kommt 1728 »denn, ein Mensch der sich in einem so heftigen zorn
die Beggar’s Opera heraus (Libretto: J. Gay, Musik: J. befindet, überschreitet alle ordnung, Maas und Ziel.
Chr. Pepusch). Das satirische Stück, das die Unter- [...] der zorn des osmin wird dadurch in das komische
klasse als Spiegel der Gesellschaft auf die Bühne stellt, gebracht, weil die türkische Musick dabey angebracht
entspricht einem neuen Typus von Singspiel, bei dem ist« (Schiedermeier 1914, 195). Die Musik konterka-
gesprochene Dialoge mit Liedern abwechseln. Der riert Osmins wüste Rachephantasien »erst geköpft,
Verfasser nennt es Ballad Opera, in Frankreich sagt dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen«
man zu dieser Form Vaudeville. Dort steht diese Form (1. Aufzug. No. 3, Aria) und macht ihn so zu einem
zunächst im Schatten des höfischen Theaters, die Ent- komischen Bösewicht.
wicklung der musikalischen Komödie ist v. a. mit den
Namen J.-B. Lully und Molière verbunden. Lully ar- J. Offenbach und die komische Operette
beitete einige Molière-Stücke zu Singspielen um und Während die Opera buffa an Bedeutung verliert, do-
komponierte in ganz Europa erfolgreiche komödian- minieren im 19. Jh. Mischformen der bürgerlichen
tische musikalische Einakter. Gemeinsam schreiben Oper mit sentimentalen und komödiantischen Antei-
Molière und Lully Comédie-Ballets, Stücke mit Ge- len die Bühne. Eine übermütige, aggressive Komik ent-
sang und Tanz, deren musikalische Parts allerdings falten dagegen die die Musikkomödien J. Offenbach
meist weniger komisch, als heiter-unterhaltsam sind. und seiner Lieblingslibrettisten G. Meilhac und L. Ha-
In Le bourgeois gentilhomme (dt. Der Bürger als Edel- lévy. Offenbach vermisst ausdrücklich die Komik in
mann) von 1670 trägt aber auch die Musik zur Komik der Opera comique und erfindet eigene Formen, die
bei, v. a. in der Mamamouchi-Zeremonie, in der ver- wieder näher am Vaudeville-Singspiel sind. ›Operette
kleidete Diener der Hauptfigur in einem parodierten bouffe‹ ist einer seiner Namen dafür, daraus wurde
Derwisch-Ritual einen Phantasietitel verleihen. Die später die Operette. Am Anfang stehen Einakter wie
französische opéra comique entwickelt sich aus den La Mariage aux lanternes (1857) und Ba-ta-clan
Vaudevilles. Das Adjektiv comique weist nicht unmit- (1855), eine musikalische Posse, die wohl karnevalisti-
telbar auf Komik hin, es bezeichnet in erster Linie den sche Wurzeln hat (vgl. Wehmeyer 1997, 42 ff.). Die An-
230 III Mediale Formen des Komischen

tikenparodie Orphée aux enfers (Orpheus in der Unter- W. Gilbert (u. a. The Pirates of Penzance, 1879, Patience,
welt, 1858) bringt J. Offenbach den Durchbruch beim 1881, und The Mikado, 1885).
Pariser Publikum. In den 1860er Jahren erscheinen in
schneller Folge seine erfolgreichsten Werke, die Non- Moderne Musikkomödie
sensehumor, übermütigen Spaß und Satire verbinden. Im 20. Jh. verlieren Operette und Oper an Bedeutung,
Offenbach und seine Librettisten machen sich über Komponisten der Kunstmusik nehmen eher spora-
Militarismus und Kleinstaaterei lustig (La Grande-Du- disch die komischen Formen der Tradition auf. H.-J.
chesse de Gerolstein, 1867), verspotten den unheimli- Hinrichsen beschreibt in diesem Zusammenhang D.
chen Frauenmörder Blaubart und den französischen Milhauds L’ enlèvement d’Europe (1927). Es handelt sich
Hof (Barbe-Bleu, 1866) und die Weltmetropole Paris, um die parodistische Miniatur einer großen Oper im
wie sie sich erlebnishungrigen Touristen präsentiert Schnelldurchlauf. Eine Sterbeszene ist textlich zusam-
(La vie parisienne, 1866). Wie Offenbach die Musik mengezogen auf »Diener! Soldaten! Herbei! Ich ster-
einsetzt, um die Komik zu unterstützen, ist natürlich be!« (Hinrichsen 2010, 304), die Musik verknappt die
im Einzelnen zu untersuchen. Er bezieht witzige Wir- begleitenden Affekte zu Chiffren. Ein populärer Nach-
kungen oft aus der Gattung selber, die es nun einmal folger der komischen Oper ist die Musical Comedy in
verlangt, dass Menschen jede ihrer Regungen mit Ge- den Vereinigten Staaten, ursprünglich dem Vaudeville
sang begleiten: das Staunen über ein Loch im Anzug, verwandt, also eine Komödie mit eingelegten Musik-
die Frustration über einen langweiligen Ehemann, nummern (vgl. Hinrichsen 2010, 299 ff.). Über sie wan-
Entsetzen über einen falsch platzierter Handkuss, alles dert die musikalische Komödie auch in die neuen Me-
wird zum musikalischen Drama. Mythische Gestalten dien Film und Fernsehen. Die meisten Musicals sind
und Standespersonen sind bei Offenbach lächerliche im weitesten Sinne unterhaltsam, aber es gibt auch im
Figuren, die Tendenz der musikalischen Komödie ge- engeren Sinne komische und satirische Stücke: G.
gen den Opernernst und die damit verbundenen Wer- Gershwin gewinnt mit der Politsatire Of Thee I Sing
te ist aggressiv zugespitzt. Die oft beschworene Frivoli- (Text: I. Gershwin) 1931 den Pulitzerpreis. My Fair La-
tät der Offenbach-Operetten äußert sich nicht nur in dy (1956; F. Loewe/A. J. Lerner) enthält viele Elemente
erotischen Anspielungen und ausschweifenden Tän- der musikalischen Komödie. Zwischen Satire und Jux
zen, sondern auch im unbekümmerten musikalischen bewegt sich die Rocky Horror Picture Show (1974) von
Spiel mit eigenen und fremden Gefühlen, wie in der R. O’Brien, wo die Musik Klischees der Rockmusik zu-
bereits erwähnten Arie Blaubarts »Madame, ah Ma- gleich benutzt und bloßstellt. Die Komik der Monty
dame!«, die in wenigen Minuten von tiefer Trauer zu Python-Gruppe ist in Spamalot (2005; E. Idle/J. Du
fröhlicher Aufbruchsstimmung umschwenkt. Die Mu- Prez) ins Musicalgenre übertragen worden.
sik Offenbachs lügt, täuscht, höhnt und tändelt und ka-
rikiert damit ständig die romantische Verklärung der Komische Lieder
Musik als reiner, unkorrumpierbarer Gefühls- und Die einfachste Form der komischen Vokalmusik ist
Ausdruckskunst. Das tut sie allerdings im Zusammen- das Lied. Unter den Volksliedern gibt es Schmähge-
spiel mit dem Libretto, an sich komisch ist sie selten. sänge, Zoten, Kettengesänge mit immer länger wer-
Die Melodien Offenbachs wurden unabhängig vom denden Strophen, endlose Aufzählungen wie die »Vo-
Text Schlager, sie sind bis heute in Wunschkonzerten gelhochzeit«, die ins immer gleiche Fidirallala mün-
beliebt, wo die Zuhörer sie eher als schwungvoll und den. All das wird zum Vergnügen gesungen, es wird
mitreißend empfinden, als über sie zu lachen. In auch dabei gelacht. Die Kunstmusik bemüht sich oft,
Frankreich schreiben Komponisten wie C. Lecocq, diese volkstümlichen Wurzeln zu kappen, und de-
Hervé und R. Planquette diesen Typ der musikalischen finiert sich geradezu im Kontrast zu den einfachen
Komödie fort. Im deutschsprachigen Raum wirkt Of- Unterhaltungsgesängen. Aber sie wird das Echo nicht
fenbach v. a. auf das Wiener Theater, mit J. N. Nestroy los: viele ernsthafte Komponisten schreiben auch lus-
arbeitet er sogar zusammen. Die musikalische Form tige Lieder, und sei es nur zur Entlastung von der Wür-
des Volkstheaters war aber dort die Posse mit Gesang. de der ›reinen Musik‹. H. Purcell komponiert einen
Die Wiener Operette entwickelt sich von der Fleder- ganzen Zyklus von zotigen »Bawdy Songs«. Das Ma-
maus (1874, J. Strauß) zum bürgerlich-sentimentalen drigal der Renaissance-Zeit wird ebenso mit ernsthaf-
Singspiel mit eher spärlichen komischen Elementen. ten wie mit komischen Texten gesungen. J. S. Bach
Eine satirisch-komische Operettenform schaffen in und seine Familie improvisieren Quodlibets, Pot-
England der Komponist A. Sullivan und der Librettist pourris aus bekannten Melodien mit meist humoristi-
24 Komik mit musikalischen Mitteln 231

schen Texten. J. S. Bach ist auch der Urheber der Kan- rile, unsinnige und verschrobene Texte. Bei ihnen trägt
tate »Mir hahn en neue Oberkeet« (1742), wo sächsi- der Kontrast von einfacher Melodie und vertrackter
sche Bauern im Dialekt ihrem Gutsherren huldigen Botschaft zur Komik bei. Im satirischen Chanson hat
und sich über die erotischen Dinge des Lebens austau- die Melodie, v. a. im Refrain manchmal auch eine simp-
schen. Das volkstümliche komische Lied wandert ei- le rhetorische Funktion: sie soll helfen, den Spott des
nerseits als Arie in die musikalische Komödie. Im Lieds zu verbreiten und das satirische Opfer mit einem
Singspiel wird es in dramatische Handlungen inte- tödlichen Gelächter zu erledigen. Gelungen ist das,
griert. Daneben bleibt es eine Attraktion von privaten wenn man den Erzählungen glaubt, H. Qualtinger mit
und öffentlichen Vergnügungen, dargeboten von ge- »Der Papa wird’s schon richten, das g’hört zu seinen
übten Sängern, die ihre Texte zu variieren und zu im- Pflichten« (1958). Ganz Wien wusste, wer gemeint war,
provisieren verstanden. und der Funktionär, der seinen Sohn vor den Folgen
eines selbstverursachten tödlichen Autounfalls prote-
Das Couplet gieren wollte, musste zurücktreten. Ob es nun tatsäch-
In Wien ist im 19. Jh. die Posse mit Gesang populär, lich so war oder nicht – bei satirischen Liedern und vie-
v. a. die darin enthaltenen Couplets. Das sind mehr- len ›Protestsongs‹ ist diese Hoffnung auf die Macht der
strophige Lieder mit einfachen Melodien, die in jeder Musik im Spiel. Eine möglicherweise komplexe Bot-
Strophe auf eine einzeilige Lebensweisheit oder satiri- schaft soll sich durch die volkstümliche Darbietung
sche Pointe zusteuert, den Kehrreim: ›Ja die Zeit än- trotzdem verbreiten. Dass sich auf diese Weise aber po-
dert viel‹ oder ›Na, sich so zu verstell’n, da g’hört was litische Haltungen beeinflussen lassen, ist eher un-
dazur‹. Die Strophen erzählen häusliche, erotische wahrscheinlich – ob Parodisten den Ex-Bundeskanzler
oder politische Geschichten, die diese Weisheit illus- G. Schröder einen »Steuersong« singen lassen oder
trieren. Die Form macht v. a. im deutschen Sprach- einfach seinen Satz »Hol mir mal ne Flasche Bier« ver-
raum Karriere – in Berlin wird O. Reutter damit be- tonen, ist für die jeweils Mitsingenden ziemlich un-
kannt (»In 50 Jahren ist alles vorbei«, 1920). K. Valen- erheblich. Beides funktioniert als Partyhit gleicherma-
tin schreibt ein »Chinesisches Couplet« (1915), das ßen gut. Viele komische und satirische Chansonsänger
nur aus fantasiechinesischen Silbern besteht. Die sati- setzen gar nicht auf so simple Effekte, sondern ver-
rische Zuspitzung des Couplets faszinierte Autoren suchen, zum raffinierten Text eine ebenso hintergrün-
wie K. Kraus und K. Tucholsky, der einen Aufsatz über dige Musik zu komponieren. G. Kreisler setzt seine
die Form schrieb: schwarzhumorigen, ironischen und grotesken Texte
auf vielteilige Klaviersongs mit vielen musikalischen
»Das Couplet hat seine eigenen Gesetze. Es muß zu- Anspielungen und Zitaten. Ergiebige Quellen für mu-
nächst einmal mit der Musik völlig eins sein (das ist ei- sikalischen Humor sind besonders die Stücke, die sich
ne große Schwierigkeit), und dann muß es so aus dem mit Musikern und dem Musikbetrieb befassen wie
Geist der Sprache heraus geboren sein, dass die Worte »Musikkritiker« oder »Triangel«. Dort bedient sich
nur so abrollen, dass nirgends die geringste Stockung Kreisler virtuos der oben beschriebenen Mittel, über
auftritt, dass die Zunge keine Schwierigkeiten hat, die formale Brüche, musikalische Überraschungen und
Wortfolge glatt herunterzuhaspeln.« (Tucholsky 1996, mimetische Musik Komik zu erzeugen.
399)
Der Novelty Song
In der modernen Popmusik ist der Grundtyp des po-
Das kabarettistische Chanson pulären komischen Liedchens der Novelty Song. Dazu
Das Couplet im engeren Sinn geht im kabarettistischen zählen launige Nonsensliedchen wie »Yellow Polka
Chanson auf, der in der Regel eine ähnliche Kombina- Dot Bikini«(dt. »Honolulu Strandbikini«) oder »Bar-
tion von einfacher Melodie und Sprachhumor auf- bie Girl«, in Deutschland waren »Bruttosozialpro-
weist. F. Wedekind schreibt Chansons (und trägt sie im dukt« (Geier Sturzflug) und »Da da da« (Trio) be-
Cabaret selber vor), ebenso B. Brecht, der den Chanson kannt. Auch F. Zappas »Bobby Brown«, die Karikatur
unter den Namen ›Song‹ in seine Stücke einbaut. Die eines dämlichen Machos, zählt dazu. Zappa nutzt ko-
Komik des Chansons muss aber nicht satirisch oder ka- mische und satirische Elemente auf vielen Ebenen,
barettistisch sein, Seit den 1970er Jahren setzen Sänger hier allerdings setzt er seinen Text auf eine simple Hit-
wie U. Roski, Schobert & Black, zum Teil sogar R. Mey, melodie. Ähnlich verpacken auch andere Popmusiker
und heute Funny van Dannen und Peter Licht auf skur- Hintersinniges in populäre Formen, R. Newman prä-
232 III Mediale Formen des Komischen

sentiert schwarzhumorige und ironische Texte in zu behandeln sind, das ist im Wesentlichen eine Frage
schönen Klavierballaden, die deutsche Band Die der Inszenierung. In Mozarts Don Giovanni spielen
Ärzte in scheinbar simplem Punkrock. am Ende des ersten Aktes drei Orchester durcheinan-
der in verschiedenen Taktarten zum Tanz auf – ein
musikalischer Witz, den die Inszenierung durch ent-
24.6 Komik und Tanz sprechende Tanzdarbietungen unterstreichen oder
verwischen kann. Offenbachs Cancans und die Wal-
Nach H. Bergson ist, »wenn Körper im Spiel sind, stets zer der Wiener Operette sind traditionell eher als
ein Einsickern der Komik zu befürchten« (Bergson schwungvolle Revuenummern inszeniert worden.
1988, 41). Also auch und vor allem beim Tanz, auch
wenn das moderne und postmoderne Tanztheater Komik im modernen Tanztheater
den gegenteiligen Eindruck erwecken. Über den ko- Auf Jahrmärkten und in den Variétés des 20. Jh.s wer-
mischen Tanz ist weit weniger geschrieben worden als den Grotesktänze aufgeführt, die oft als eher un-
über die komische Musik, er steht aber in der Ent- heimlich denn als komisch empfunden wurden. V.
wicklung des Tanztheaters und des Balletts ähnlich da Gert schockierte in den 1920er Jahren das Berliner
wie die komische Musik in der Geschichte der Kunst- und Münchner Publikum mit Tanzperformances
musik: als beargwöhnter Ausnahmefall von der ästhe- über Themen wie ›Boxen‹, ›Nervosität‹, ›Prostitution‹,
tischen Regel, als karnevalistische Abwechslung und ›Gruß aus dem Mumienkeller‹, ›Komposition auf aus-
als unkünstlerisches Pöbelvergnügen. Auch als comi- geleiertem Klavier‹ oder einfach ›Tod‹. Musikalisch
que oder burlesque wurde im Frankreich des 16. bis wünschte sie sich dazu Geräuschcollagen, wie sie spä-
18. Jh.s der Tanz bezeichnet, der von der höfischen ter bei Performances üblich wurden. Von ihr führt der
Norm abwich, verfestigt hat sich die Bezeichnung Weg eher zur avantgardistischen Performance als zur
danse grotesque (vgl. Schroedter 2006, 377 ff.). Im hö- Tanzkomik. Tanzkomiker, die sich auch so bezeichne-
fischen Tanz des Barock konnten das gewagte Choreo- ten traten aber zur gleichen Zeit regelmäßig in Kaba-
graphien und Schritte sein, aber auch »unflätige und retts auf (E. Carow, Die zwei Hugos und viele andere).
scandaleuse Possen-Täntze« (ebd.), wie ein deutscher Gelegentlich kommen komische Ballette im 20. Jh. auf
Tanzmeister bemängelt. Ein Ballett-Fachbuch emp- die Bühne. 1949 hat die Tanzburleske Max und Moritz
fiehlt danse serieux und danse grotesque zu mischen, (1949) von R. Mohaupt Uraufführung. Die Tendenz
um Bewunderung und Erheiterung zu ernten. Das des modernen und postmodernen Tanztheaters ent-
bürgerliche Publikum hatte im 18. Jh. offenbar Gefal- fernt sich aber von jeder Art unmittelbarer Komik.
len an der grotesken Variante, »an Schritten, Actiones Manches mag auch komisch wirken, obwohl es nicht
und Gestus«, die »per contrarium aller Regeln / so vor so intendiert ist, das hat das moderne Ballett mit der
Seriosa gehören / eingerichtet werden« (Johann Pasch: atonalen Musik gemeinsam. Wenn in Choreogra-
Beschreibung wahrer Tanzkunst, 1707, zit. n. Schroed- phien von J. Fabre Alltagsvorgänge wie das Ausziehen
ter 2006, 387). Der Tanz soll zuallererst dazu dienen, des Hemdes oder das Aufwischen von Scherben mit
sich zu verfeinern und »geschickte Manieren anzuge- vollkommenem Ernst endlos wiederholt werden,
wöhnen«, aber man kann ihn auch so anwenden, »daß kann das für den Betrachter sehr witzig erscheinen, es
das Gemüte dadurch ermuntert und belustiget wird« ist aber sehr wahrscheinlich nicht so intendiert. Deut-
(ebd.) In Molières Bürger als Edelmann (1671) finden lich parodierendes und groteskes Tanzen kommt im
wir beide Arten nebeneinander: der Tanzmeister zeigt gegenwärtigen Tanztheater wohl eher als Milieu- oder
Herrn Jordan einen Reigen höfischer Tänze, der bringt Genrezitat mit höchst vermittelter Wirkung vor. Chr.
anschließend selber aber nur ein groteskes Menuett Thurner analysiert Slapstickzitate bei den Choreogra-
zustande. Die Grotesktänzer im Ballett waren aller- phen M. Stuart und J. Schlömer. Die Autorin be-
dings keine unbeholfenen Amateure, sondern in der schreibt eine Szene von M. Stuart, in der Menschen in
Bewegungstradition der Commedia dell’Arte ge- Partylaune durcheinandertaumeln, einknicken, hin-
schult. Das Tanztheater wandelt sich im 18. Jh. vom fallen und sich »gestenreich verfehlen« in ihren Annä-
höfischen Tanz zum Handlungsballett. Die Rolle ko- herungsversuchen, und fragt: »Was hat diese ausgelas-
mischer Figuren darin ist kaum untersucht worden – sene Körperkomik in dem Sonst so beklemmenden,
sie würde hier allerdings auch nur im Hinblick auf die von Desorientiertheit, Verlorenheit und Obsession
Musik interessieren. In komischen Opern und Ope- geprägten Stück zu suchen?« (Thurner 2006, 331). Zur
retten kommen Tanzszenen vor – wie weit sie komisch Antwort setzt sie die Bewegung als komischen Selbst-
24 Komik mit musikalischen Mitteln 233

zweck im Slapstick zur nicht handlungsgebundenen sik und Humor. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung
Bewegung als ästhetischem Selbstzweck analog. in der Musik. Wolfram Steinbeck zum 60. Geburtstag.
»Slapstick definiert sich darüber, dass ein Subjekt Laaber 2010, 389–399.
Hartmann, Nicolai: Ästhetik. Berlin 21966.
scheinbar die Kontrolle über sich und seinen Körper Hein, Hartmut/Kolb, Fabian (Hg.). Musik und Humor.
verliert« (ebd., 334). Der Kontrollverlust wird aber Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung in der Musik.
hier offenbar durch die Tendenz des ganzen Stücks Wolfram Steinbeck zum 60. Geburtstag. Laaber 2010.
seiner Komik beraubt und verweist auf eine eher pa- Hiller, Johann Adam: Wöchentliche Nachrichten und Anmer-
nische Erfahrung. In J. Schlömers Senza fine – oder als kungen die Musik betreffend 3. Jg, (1768/69).
Hinrichsen, Hans-Joachim: »Parodie und tiefere Bedeutung.
Rimini (2001) noch schön war taucht ein Harlekintanz
Darius Milhauds mythologische ›opéras-minute‹«. In:
auf. Aber auch hier soll sich die Komik nicht behaup- Hartmut Hein/Fabian Kolb (Hg.): Musik und Humor.
ten, das Lachen soll (wie oft in solchen Fällen!) ›im Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung in der Musik.
Halse stecken bleiben‹. In jedem Fall bleibt es ein Wolfram Steinbeck zum 60. Geburtstag. Laaber 2010, 299–
»künstlerisches Mittel, um über die dosierte Atmo- 314.
sphäre einer komischen Melancholie – nicht-diskur- Hocker, Ramona: »Zwischen Vernunft und Willkür: Musi-
kalischer Humor«. In: Uni Nova. Wissenschaftsmagazin
siv Zeitkritik zu üben« (ebd., 338). Vielleicht lacht das der Uni Basel 118. Jg. (2011), 20–23.
Publikum aber auch einfach nur – denn wie auch an- Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. In: ders.: Werke in
derswo ist die Wirkung von Komik letztlich von der sechs Bänden. Bd. 5. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Darm-
Bereitschaft und der Fähigkeit der Rezipienten abhän- stadt 1983.
gig, sie wahrzunehmen und zu belohnen. Kolb, Fabian: »Zwischen Satire und ›goût burlesque‹. Spiel-
formen instrumental-musikalischen Humors in François
Couperins Pièces de clavecin«. In: Hartmut Hein/Fabian
Literatur Kolb (Hg.): Musik und Humor. Scherz, Satire, Ironie und
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18. und 19. Jahrhundert. St. Ingbert 1999. erschien, schrieb ein Rezensent, der Vorstellung, es
Schroedter, Stephanie: »›Ballet comique et crotesque‹(!) – handle sich hier »um eine Art Literatur«, sei »aufs
›Ballet comique ou crotesqu‹. ›Barocker‹ Bühnentanz zwi- deutlichste zu widersprechen« (zit. n. Morgenstern
schen bewegter Plastik und choreographiertem Schau- 1990, 913). Drei Jahre später starb der humoristische
spiel«. In: Hilde Haider-Pregler (Hg.): Komik: Ästhetik, Großmeister des 19. Jh.s, W. Busch; die Berliner Woche
Theorien, Strategien (= Maske und Kothurn 51. Jg., 4,
befand in ihrem Nachruf, Busch habe als Dichter
2006). Wien u. a. 2006, 377–391.
Stille, Michael: Möglichkeiten des Komischen in der Musik. »zwar recht Hübsches, aber durchaus Unerhebliches
Frankfurt a. M. u. a. 1990. geleistet« (zit. n. Schury 2007, 7). Ein weiterer ko-
Thurner, Christina: »Komische Melancholie. Slapstick-Zita- mischer Lieblingspoet des deutschen Lesepublikums,
te bei Meg Stuart und Joachim Schlömer«. In: Hilde Hai- J. Ringelnatz, gilt noch einem in den 1990er Jahren er-
der-Pregler (Hg.): Komik: Ästhetik, Theorien, Strategien (= schienenen, renommierten Literaturlexikon als »im
Maske und Kothurn 51. Jg., 4, 2006). Wien u. a. 2006, 331–
338.
Grunde unliterarischer Außenseiter« (Rühle 1991,
Schopenhauer, Arthur: Zürcher Ausgabe: Werke in zehn Bän- 476). Und über das lyrische Werk des jüngsten deut-
den: Die Welt als Wille und Vorstellung. Bd. I. Hg. von An- schen Komik-Klassikers, R. Gernhardt, äußerte dessen
gelika Hübscher. Zürich 1977. Autorenkollege R. Goetz: »Für mich bleibt das: schöne
Schütze, Stephan: Versuch einer Theorie des Komischen. Leip- Coffee-Table-Dichtung. Keine Kunst« (1999, 360 f.).
zig 1817.
Solche Rezeptionsspuren weisen auf einen para-
Sulzer, Johan Georg: »Mahlery (Redende Künste; Musik)«.
In: ders.: Allgemeine Theorie der schönen Künste. III. Leip- doxalen Befund hin: Einserseits zeichnet sich die
zig 21770. deutschsprachige Literatur durch eine besonders rei-
Tucholsky, Karl: »Die Kunst des Couplets«. In: ders.: Ge- che und prägnante Traditionslinie komischer Lyrik
samtausgabe. Texte und Briefe. Bd. III. Hg. von Antje Bo- aus. Gernhardt, prominenter Vertreter wie auch kun-
nitz u. a. Reinbek 1997, 398–401. diger Historiograph des Genres, konstatiert einen
Weber, Friedrich August: »Ueber komische Charakteristik
»deutschen Sonderweg zur Hochkomik« und spricht
und Karrikatur in praktischen Musikwerken. Ein Schrei-
bern Herrn D. Webers an den Kammersekretär V. in K., von einer »seit Lessings Tagen nicht abgerissene[n]
verfaßt im J. 1792, mit Zusätzen vom Jahre 1800«. In: All- Kette komischer Gedichte«, die »in dieser Dichte und
gemeine musikalische Zeitung 3. Jg., 10 (1800), Sp. 137– Qualität in keiner anderen kontinentaleuropäischen
162. Nationalliteratur zu finden ist« (Gernhardt/Zehrer
Wehmeyer, Grete: Höllengalopp und Götterdämmerung. 2004, 13). Andererseits aber kollidiert die komische
Lachkultur bei Jacques Offenbach und Richard Wagner.
Köln 1997. Lyrik mit einem traditionellen Gattungsbegriff und
Wolff, Hellmuth Christian: Geschichte der komischen Oper wird dementsprechend bis heute vielfach von literari-
– Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wilhelmshaven schen Wertungsinstanzen in Literaturkritik und -wis-
1981. senschaft unter Trivialitätsverdacht gestellt bzw. au-
Rainer Dachselt ßerhalb des literarischen Kanons verortet. Mit Recht
resümiert insofern der Lyriker St. Jacobs im Nachwort
seiner einschlägigen Sammlung »gewitzter Gedichte«,
die »Sachwalter des lyrisch-literarischen Erbes« be-
handelten das komische Gedicht als »Stiefkind der
Poesie« (Jacobs 2004, 817).
Immerhin ist in der literarischen Öffentlichkeit seit
einiger Zeit ein Paradigmenwechsel zu beobachten, der
als postmoderne Verflüssigung herkömmlicher Gat-
tungskategorisierungen beschrieben werden kann und
zu einer sichtbaren Aufwertung des Komischen geführt
hat. Mehrere komische Lyriker wie besonders Gern-
hardt, aber etwa auch Ror Wolf, F. W. Bernstein, Th.
Gsella, W. Droste und St. Jacobs, haben sich bei Lesepu-
blikum wie Literaturkritik etabliert. Sie werden als
durchaus repräsentative Vertreter der Gegenwartslite-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_25,


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25 Komik mit lyrischen Mitteln 235

ratur wahrgenommen und mit entsprechend renom- resümiert insofern etwa noch P. von Matt. Als beson-
mierten Preisen ausgezeichnet. Die seit den 1990er ders wirkungsmächtige Bestimmung des Lyrischen
Jahren erfolgte Aufnahme Gernhardts, Bernsteins, H. hat sich das seit dem frühen 19. Jh. etablierte, promi-
Traxlers, F. K. Waechters, Loriots oder selbst H. Er- nent und repräsentativ von Hegel vertretene Subjekti-
hardts in eine traditionsreiche Klassikerreihe wie Re- vitäts- bzw. Innerlichkeitsparadigma erwiesen. Im
clams Universal-Bibliothek ist ein weiteres Indiz für die Gedicht sei, so Hegel, »das Gemüt selbst, die Subjekti-
zunehmende Nobilitierung und Kanonisierung ko- vität als solche der eigentliche Gehalt« (Hegel 1986,
mischer Autoren. In den letzten Jahrzehnten sind zu- 420), insofern bilde hier »das Individuum in seinem
dem augenfällig viele Anthologien komischer Lyrik er- inneren Vorstellen und Empfinden den Mittelpunkt«
schienen; hervorzuheben sind besonders die beiden (ebd., 421). Diese mit Blick auf die deutsche Klassik,
2004 publizierten repräsentativen Sammlungen von etwa Goethes Erlebnislyrik, formulierte Auffassung
Gernhardt und K. C. Zehrer sowie Jacobs (vgl. auch vom Gedicht als einer unmittelbaren, empfindsamen
Dencker 1995; Köhler 1991; Maintz 2000/2010; Link ›Herzensergießung‹ ist zwar zwischenzeitlich seitens
2001; Fröhlich 2003; Schury 2009). Auch in großen der Literaturwissenschaft vielfach relativiert worden,
Querschnittsanthologien deutschsprachiger Lyrik wird wirkt aber gleichwohl bis heute nach.
komischen Texten neuerdings signifikant mehr Platz Dass komische Dichtung mit normativen Gat-
eingeräumt (vgl. etwa Conrady 2000; Detering 2007). tungsbegriffen kollidieren muss, liegt auf der Hand,
In der Literaturwissenschaft kündigt sich – wenn denn Komik und Emotion gelten weithin als Gegen-
auch bisher noch relativ vereinzelt – ebenfalls eine sätze. »Das Lachen ist der Empfindung feindseeliger
Neuperspektivierung an. Lange hatte sie die ko- als die Kälte dem May« (Goethe 1977, 266), sagt schon
mischen Formen der Poesie weithin ignoriert oder Goethe, und H. Bergson schreibt in seinem bekannten
marginalisiert. Selbst deren populärsten deutschspra- einschlägigen Essay, das Lachen habe »keinen größe-
chigen Klassikern wie Busch, Morgenstern oder Rin- ren Feind als die Emotion«, es bedürfe einer »vorüber-
gelnatz sind – zumal im Vergleich mit ernsten Auto- gehenden Anästhesie des Herzens« und wende sich an
ren der entsprechenden Stilepochen wie etwa Fonta- den »reinen Intellekt« (Bergson 1988, 14 f.). In der Tat
ne, Rilke oder Kafka – nur selten umfassende Unter- ist der Gestus komischer Gedichte vielfach durch
suchungen gewidmet worden (zu nennen wären aus Nüchternheit, Ironie bzw. intellektuelle Distanz ge-
jüngerer Zeit immerhin Pape 1974/1977; Ueding prägt und somit einer ›lyrischen Stimmung‹ wenig
1977/2007; Kretschmer 1983/1985; Willems 1998; förderlich, wenn es sie nicht gar vorsätzlich unterläuft
Wilson 2003). In systematischen oder historisieren- oder de(kon)struiert. In diesem Sinne kann komische
den germanistischen Publikationen zur Lyrik wird die Lyrik durchaus als »Transgression einer ansonsten
komische Sparte der Gattung kaum je thematisiert; gültigen Norm« (Penzenstadler 2011, 362) aufgefasst
dies gilt z. T. bis in die jüngste Gegenwart (vgl. etwa werden. Nicht selten werden komische Dichtungen,
Lamping 2000/2011; Holznagel u. a. 2004; Klotz 2011 etwa die Verse W. Buschs, bis heute demgemäß als
oder Schlaffer 2012) und ändert sich bisher nur punk- »außerlyrisch« (Klotz 2011, 28) eingestuft.
tuell (vgl. etwa von Petersdorff 2008). Ausnahmen bil- Die meisten neueren Lyrik-Definitionen vermei-
den die wenigen der komischen Lyrik gewidmeten den allerdings essentialistische Wesensbestimmun-
Monographien (vgl. Liede 1963/1992; Helmers 1978 gen; oft beziehen sie sich nur noch auf die äußere
und Kemper 2009). Der vorstehende Beitrag konzen- Form des Gedichts und bestimmen es schlicht als »Re-
triert sich auf die neuere deutschsprachige komische de in Versen« (Lamping 2000, 23; vgl. auch von Peters-
Lyrik seit dem 19. Jahrhundert. dorff 2008, 7 u. a.). Erweiternd wird häufig noch die
Tendenz der Lyrik zu sprachlicher Verdichtung und
Stilisierung (signifikante Rhythmisierung, Vers- und
25.1 Komische Lyrik – ein Gattungs- Strophenform, gehäufte Verwendung von Tropen,
problem? insbesondere Metaphern, Wiederholungen u. a.) her-
vorgehoben. So definiert H.-G. Kemper: »Lyrik ist
Deutlich stärker als die beiden anderen literarischen formdominant ›verdichtete‹ (Vers-) Rede« (Kemper
Gattungen der klassischen Trias, Epik und Dramatik, 2009, 40). Andere Definitionsversuche sind noch wei-
bereitet die Lyrik der Literaturwissenschaft spätestens ter gefasst, um etwa auch experimentelle Formen wie
seit Beginn der Moderne definitorische Probleme: diejenigen der visuellen Poesie zu integrieren; R.
»Niemand weiß, was ein Gedicht ist« (Matt 1998, 9), Zymner verzichtet ganz auf formale Bestimmungen
236 III Mediale Formen des Komischen

und definiert das Gedicht pointiert, aber wenig trenn- (Schlaffer 2012, 47). Verschiedene dem Gedicht (tra-
scharf als »Display sprachlicher Medialität« und »Ka- ditionell) weithin eignende Strukturmerkmale wie
talysator ästhetischer Evidenz« (Zymner 2009, 140). Kürze, Prägnanz, Formstrenge, insbesondere Regel-
All diese Minimalbestimmungen integrieren selbst- mäßigkeit hinsichtlich Versbau, Rhythmus und Reim
verständlich problemlos auch die komische Lyrik; sie sowie bildliche Sprache prädestinieren es geradezu für
gelten für einen Hölderlin-Hymnus ebenso wie für ei- komische Wirkungen.
nen Vierzeiler H. Erhardts.
Nach wie vor wird das Attribut ›lyrisch‹ aber nicht
nur als Form-, sondern auch als Inhaltsbeschreibung 25.2 Formen und Techniken
bzw. zwischen beiden changierend verwendet; in die- komischer Lyrik
sem Fall tritt die Abgrenzung gegenüber dem Ko-
mischen wieder zutage. ›Lyrisch‹ meint dann primär Der Reim
›stimmungshaft‹, wobei noch weitere Merkmale hin- Komische Lyrik zeigt – vom aphoristischen Zweizeiler
zutreten, insbesondere ›nicht-erzählend‹ (vgl. Klotz bis zu größeren erzählenden Formen wie Moritat und
2011, 32) als Distinktion gegenüber epischen Texten. Ballade, vom klassischen Sonett bis hin etwa zum da-
Im Sinne des Subjektivitätsparadigmas wird weiterhin daistischen Lautgedicht – prinzipiell eine ähnlich gro-
die explizite oder implizite Präsenz eines lyrischen Ichs ße Gestaltenvielfalt wie ihr ernstes Pendant auch. Im
im Gedicht zu den Gattungsmerkmalen gezählt (vgl. bescheideneren Rahmen der volkstümlichen Scherz-
ebd., 35 f.). In der komischen Lyrik, die meist weniger dichtung hat die komische Lyrik durchaus eine Reihe
solitär und bekenntnishaft auftritt als die ernste, ist die- eigenständiger Formen hervorgebracht wie etwa den
se zwar keineswegs ausgeschlossen, begegnet aber doch Leberreim oder den Limerick, ansonsten orientiert sie
seltener. So unterscheidet R. Gernhardt Gedichte, die sich weithin an Mustern der ernsten Dichtung. Gleich-
»von den Leiden und Freuden des einsamen Ich han- wohl lassen sich spezifische Tendenzen der komischen
deln« von solchen, »die es auf ein zuhörendes Du, wenn Lyrik beobachten, die nicht in jedem Fall zwingend,
nicht sogar ein mitmachendes Wir abgesehen haben« aber eben doch charakteristisch sind. Ein solche Ten-
(Gernhardt/Zehrer 2004, 11) – zu letzteren rechnet er denz bildet die Affinität zu traditionellen Formsche-
die komischen Gedichte. Diese Zuschreibung gilt aller- mata, zu festen, wiederkehrenden Mustern und Tech-
dings keineswegs prinzipiell; komisch-ironische Ge- niken – insbesondere zum Reim sowie regelmäßiger
dichte können, man denke an J. Ringelnatz, P. Rühm- Metrik, einheitlichem Vers- und Strophenbau. Dies
korf oder auch den späten R. Gernhardt selbst, durch- mag zum einen mit dem von H. Bergson konstatierten
aus einen Gestus persönlicher Konfession zeigen. »Effekt des Automatischen und Starren« (Bergson
Vorläufig lässt sich mithin festhalten, dass ko- 1988, 22) zusammenhängen, der aller Komik zugrun-
mische Poesie zwar mit einer bestimmten histori- de liege; mindestens ebenso aber mit der Etablierung
schen Gattungstradition bricht, nämlich der klas- von Regeln und Erwartungen, die anschließend wir-
sisch-idealistischen Stimmungs- und Erlebnisdich- kungsvoll unterlaufen werden können. Mit Recht
tung des 18. und 19. Jh.s, mit einem neueren, formalen schreibt R. Gernhardt in diesem Zusammenhang:
Lyrikbegriff aber fraglos kompatibel ist. Im Übrigen »Komik lebt von vorgegebenen Ordnungssystemen,
bildet gerade die vielfach ernste, elegische und feierli- ganz gleich, ob die außer Kraft gesetzt oder lachhaft
che Diktion des klassischen Lyrikkanons eine wesent- penibel befolgt werden (Gernhardt/Zehrer 2004, 11).
liche Ausgangsbasis für die komische Dichtung, weil Neben der Tendenz zu traditionellem Vers- und
sie in Form von Lesererwartungen vorausgesetzt und Strophenbau sowie regelmäßiger Rhythmisierung bil-
effektvoll als Fallhöhe genutzt bzw. motivisch oder sti- det die Affinität zum (End-) Reim eine auffällige Kon-
listisch konterkariert werden kann. In diesem Sinne stante eines Großteils der komischen Lyrik. Gelegent-
stellen komische Gedichte in aller Regel Gegengesän- lich wird sie auch programmatisch ausgestellt: Reim
ge, parodistische Umdeutungen ernster Lyrik dar, ha- und Zeit nennt Gernhardt, Heidegger parodierend, ei-
ben als solche aber längst auch eine eigenständige Gat- nen Auswahlband seiner Gedichte (1990; vgl. Arnet
tungstradition ausgebildet. Zudem bestehen zwischen 1996), Generation Reim (2004) heißt ein Gedichtband
Lyrik und Komik grundsätzlich auch unübersehbare Th. Gsellas. In der modernen ernsten Lyrik des 20. Jh.s,
Affinitäten; selbst ein Theoretiker der ernsten Lyrik insbesondere von 1945 bis etwa in die 1980er Jahre,
wie H. Schlaffer konstatiert: »In allen Liedern gehen war der Reim demgegenüber weithin verpönt; er galt
Sinn und Unsinn, Zauber und Dada ineinander über« als unzeitgemäß, seine Verwendung als geradezu un-
25 Komik mit lyrischen Mitteln 237

zulässig. Noch 1985 resümiert B. Nagel in einer heute »aristokrätzig« (Heine 1971/4, 628), Ringelnatz »fro-
kurios anmutenden Untersuchung des »Reimpro- her« auf »sowiesoer« (Ringelnatz 1994a, 340); bei Mor-
blems in der deutschen Dichtung«, die moderne Lyrik genstern heißt es: »Der Architekt jedoch entfloh / nach
habe »das Erbe der Otfridschen Reimversdichtung er- Afri – od – Ameriko« (Morgenstern 1987, 74), und bei
satzlos liquidiert« (Nagel 1985, 111) – eine These aller- Bernstein: »Selbst der spannenlange Molch / wirkt als
dings, die mit Blick etwa auf die Gedichte P. Rühm- Sexualsymbolch« (Bernstein 2003, 275).
korfs oder auch des späten K. Krolow schon damals zu-
mindest eine unzulässige Verallgemeinerung darstell- Lyrische Parodistik
te. Reimneigung und formaler Traditionalismus der Die Lyrik ist eine besonders traditionsbewusste Text-
komischen Lyrik machten diese zumindest zeitweise gattung: etliche ihrer Formen (z. B. Vers, Reim, Volks-
zusätzlich ästhetisch verdächtig und erschwerten ihre lied oder Sonett) und Motive bzw. Topoi (z. B. Liebes-
hochliterarische Kanonisierung. Inzwischen ist der werbung, Liebesklage, Naturbetrachtung) werden über
Reim im Zuge postmoderner Stilentwicklungen weit- Jahrhunderte und unterschiedlichste Stilepochen hin-
hin ins deutschsprachige Gedicht zurückgekehrt; auch weg immer wieder aufgegriffen, variiert oder konterka-
zahlreiche jüngere ›ernste‹ Lyriker schreiben wieder riert. Mit Recht bemerkt insofern H. Schlaffer: »Unver-
Sonette und andere Reimgedichte; die neuere ko- meidlich schreibt und liest man Gedichte stets vor dem
mische Dichtung etwa Gernhardts und F. W. Bern- Hintergrund bereits geschriebener und gelesener Ge-
steins dürfte diese Tendenz mit befördert haben. dichte« (Schlaffer 2012, 168). Die humoristische Lyrik
Gernhardt vertritt die These, alle (gereimten) Ge- macht sich diesen Umstand in besonderem Maße zu-
dichte seien komisch, »wenn auch manchmal in kaum nutze. Wie schon erwähnt, bildet ein komisches Ge-
mehr nachweisbarer Verdünnung« (Gernhardt 1990a, dicht meist per se schon einen ›Gegengesang‹ zur erns-
18), weil ihr Sinn und Wortlaut einem »herrlich ten, kanonischen Lyriktradition, spielt explizit oder im-
sinnlosen – richtiger: sinnfreien – Selektionsprinzip« plizit mit tradierten Formen und Themen, nutzt sie als
(Gernhardt/Zehrer 2004, 12) unterworfen seien. Das Folie für Inkongruenzen und Erwartungsdüpierungen.
ist sicherlich eine Übertreibung; in jedem Fall ist die In diesem allgemeinen Sinne basiert komische Lyrik
Dominanz des Reims in der komischen Lyrik aber weithin auf einem parodistischen Prinzip.
leicht erklärlich. Ein semantisch, stilistisch oder auch Darüber hinaus können komische Gedichte auch
grammatisch kontrastierendes, durch den Gleichklang Parodien im engeren Sinne sein, sie beziehen sich dann
der Endsilbe(n) aber überraschend verknüpftes Wort- auf konkrete Vorlagen oder Textklassen. Besonders oft
paar ist ein Musterbeispiel einer »paradoxen und da- ist Schiller parodiert worden, so von A. W. Schlegel
her unerwarteten Subsumtion« (Schopenhauer 1977, (»Ehret die Frauen! Sie stricken die Strümpfe, / Wollig
96), wie schon Schopenhauer das Grundprinzip des und warm, zu durchwaten die Sümpfe« [1796], zit. n.
Komischen bestimmt hat. Dementsprechend erweisen Verweyen/Witting 1983, 33) oder Heine (»Unterwelt«,
sich viele komische Lyriker als hochrangige Reimartis- 1844); E. Kästner hat B. Brecht parodiert (»Surabaya-
ten: Heine reimt »Teetisch« auf »ästhetisch« (Heine Johnny II – Frei nach Kipling und Brecht«, 1930);
1975/1, 95), Morgenstern »Punkt« auf »Forstadjunkt« Rühmkorf hat sowohl »Variationen« auf Gedichte ein-
(Morgenstern 1987, 72), Ringelnatz »Beschiss« auf zelner Autoren wie F. G. Klopstock (»Variationen auf
»Syphilis« (Ringelnatz 1994a, 128; vgl. Korte 2000). ein Thema von Friedrich Gottlieb Klopstock«, 1959)
Rühmkorf, der wohl stupendeste Reimvirtuose der oder J. v. Eichendorff (»Auf eine Weise des Joseph Frei-
neueren deutschen Lyrik, listet in seinem persönli- herrn von Eichendorff«, 1960) wie auch Textklassenpa-
chen Reimarchiv Fundstücke auf wie: »Großglockner rodien geschrieben (»Lied der Naturlyriker«, 1959).
– Wäschetrockner«, »Bolle – Frühlingsrolle«, »Inter- Schon in der volkstümlichen Gelegenheitsdichtung wa-
viewer – Wichtigtuer« und »Adorno – Hardcorporno« ren Klassikerparodien – etwa solche auf Goethesche
(Rühmkorf 1981, 125). Das komische Potenzial dieser und Schillersche Balladen – weit verbreitet; Komiker
klanglichen Wortkopulationen erschließt sich spontan wie K. Valentin (»Die Lorelei«, 1916), H. Erhardt (»Wer
auch ohne Kontext. Vielfach setzten komische Lyriker wagt es, Knappersmann oder Ritt / Zu schlunden in die-
nicht nur ungewöhnliche, sondern bewusst falsche sen Tauch?«, Erhardt 2005, 43) oder O. Waalkes knüp-
bzw. grammatisch unkorrekte Reimwörter und Neo- fen vielfach an solche volkstümlichen Parodien an.
logismen ein; hierdurch wird die Reimtechnik in be- Wie das komische Gedicht generell hat auch die Pa-
sonderem Grad selbstreferentiell ausgestellt, ihre Will- rodie als literarische Form vielfach einen schlechten
kürlichkeit betont; so reimt Heine »widersetzig« auf Ruf. Für A. Liede etwa sind die Klassikerparodien des
238 III Mediale Formen des Komischen

19. Jh.s »ungeschickter, banaler Ausdruck schulmäßi- willst du ihren Flug begleiten,
ger, von der literarischen Entwicklung bereits abge- mußt du sie am Bürzel fassen.
schnittener Verehrung [der Klassiker]« (Liede 1992,
338). Abgesehen davon, dass die Banalisierung eben Freilich, mancher, der so reiste,
eine gezielte komisierende Strategie sein kann, sind die fiel aus großer Höh’ herunter,
ästhetischen Valeurs und Funktionen der Parodistik weil er einschlief und vereiste.
durchaus vielfältig. P. Rühmkorf sieht schon in der Hüte dich, bleib wach und munter.
volkstümlichen Klassikerparodie eine Form der »lite-
rarischen Subversion« gegenüber »bürgerlicher Be- (Gernhardt 2008, 98)
wusstseinspolitik« (Rühmkorf 1969, 112). Die Lyrik-
Parodien z. B. H. v. Gumppenbergs, R. Neumanns oder Das Sonett gilt wegen seines strengen, dialektischen
F. Torbergs zeigen neben der fast immer intendierten Aufbaus – in der italienischen Originalform zwei
Komik eine dezidiert literaturkritische und satirische Quartette, zwei Terzette, jeweils in sich durchgereimt
Funktion, indem sie stilistische Manierismen und – traditionell als Muster poetischer Formvollendung;
Ideologeme der Originale entlarven, in Torbergs der Lyriker U. Becker hat es mokant als die »Königs-
»Großstadtlyrik« (1932) etwa die expressionistische kuchenform« (Becker 1993, 32) seines Fachs bezeich-
Reihung disparater Großstadtmotive: net. Wegen seiner formalen Prägnanz sowie seiner lan-
gen und ›erhabenen‹ Geschichte bildet das Sonett eine
Fabriken stehen Schlot an Schlot, für komische Varianten höchst dankbare Textgattung,
vorm Hurenhaus das Licht ist rot. so dass sich besonders seit der Romantik eine schmale,
aber markante Traditionslinie komischer Sonette aus-
Ein blinder Bettler starrt zur Höh, gebildet hat. Die Liste ihrer Autoren reicht etwa von L.
ein kleines Kind hat Gonorrhoe. Tieck und F. Schlegel über H. W. Seidel und Mynona
bis in die Gegenwart zu Rühmkorf, Ror Wolf, R.
Eitrig der Mond vom Himmel trotzt, Kirsch, Chr. Reinig, L. Harig, Gernhardt, Bernstein
Ein Dichter schreibt. Ein Leser kotzt. und Th. Gsella.
Komische Sonette halten die traditionellen Vor-
(zit. n. Gernhardt/Zehrer 2004, 274) gaben hinsichtlich Rhythmus, Reim und Strophenbau
– in der Regel diejenigen der seit Schlegel im deut-
Über die kritische, depotenzierende oder schlicht er- schen Sprachraum kanonischen petrarcistischen Ur-
heiternde Bezugnahme auf eine Vorlage hinaus kann form – meist exakt ein, kombinieren sie aber mit über-
eine literarische Parodie aber auch in hohem Maße äs- raschenden, ›unpassenden‹, mit der lyrischen Traditi-
thetische Eigenständigkeit gewinnen: Rühmkorfs be- on kollidierenden Motiven. Ein prägnantes Beispiel
reits erwähnte parodistische »Variationen« auf Ge- hierfür bilden die 1913 erschienenen Kriminalsonette
dichte Hölderlins, Klopstocks oder Eichendorffs etwa von L. Rubiner, F. Eisenlohr und L. Hahn. Die Komik
sind hochprofilierte poetische Standortbestimmun- der Texte beruht neben verschiedenen zeit- und litera-
gen eines modernen Autors in Auseinandersetzung tursatirischen Anspielungen primär auf der über-
mit der Tradition. Die parodistischen Gedichte Gern- raschenden Kombination der souverän gehandhabten
hardts und Bernsteins – ungleich direkter auf ko- klassischen Form mit lustvoll zelebrierten Kolpor-
mische Wirkungen ausgerichtet – zeigen vielfach we- tagemotiven: Kriminalhandlungen um die beiden
niger ideologie- oder stilkritische als spielerisch-anar- Meisterverbrecher FRED und DER FREUND:
chische Impulse. Indem sie etwa poetische Metaphern
und Personifikationen wörtlich nehmen und auf ab- Gold
surde Weise fortspinnen wie in Gernhardts folgender
Eichendorff-Kontrafaktur, entsteht Komik, aber auch FRED wird in einem braunen Tabakballen
ein neuer Text von spezifischem, surrealem Reiz: Vom Hafen auf die Zollstation getragen.
Dort schläft er, bis die Schiffsuhr zwölf geschlagen.
Zu zwei Sätzen von Eichendorff Erwacht und schleicht sich in die Lagerhallen.

Dämmrung will die Flügel spreiten, Am Gold-Depot, wo trunkne Wächter lallen,


wird uns alsobald verlassen, Läßt er den kleinen Mörtelfresser nagen,
25 Komik mit lyrischen Mitteln 239

Bis wie beim Kartenhaus die Mauern fallen. darüber, daß so’n abgefuckter Kacker
Dann lädt er Gold in einen Grünkohlwagen. mich mittels seiner Wichserein blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.
Als Bauer fährt er sächselnd durch den Zoll.
Doch dort verraten ihn zwei blanke Barren. Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Berittne jagen den Gemüsekarren. Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen.
Ich find Sonette unheimlich beschissen.
Fred sinnt verwirrt, wie er sich retten soll.
Da sitzt DER FREUND in hoher Eberesche (Gernhardt 2008, 109)
Und schießt ihm pfeiferauchend eine Bresche.
Gernhardts drastisches Sonettbeschimpfungssonett
(Rubiner/Eisenlohr/Hahn1913/1985, 11) kollidierte 1979 anlässlich seiner Erstpublikation im
ZEITmagazin noch entschieden mit herkömmlichen
Die Kriminalsonette, von K. Hiller als »Protest gegen Erwartungen gegenüber lyrischen Texten und provo-
die lyrische Konvention und Jux« (zit. n. Verweyen/ zierte entsprechend empörte Leserreaktionen (vgl.
Wittig 1983, 245) gedeutet, können aus heutiger Gernhardt 2008, 1030 f.). Der satirisch-ironische Impe-
Sicht durchaus als eine frühe Antizipation post- tus des Rollengedichtes, der sich natürlich nur schein-
moderner Amalgamierung von Hoch- und Popkul- bar gegen die klassische Form, eigentlich aber gegen ei-
tur gelten. Gut ein halbes Jahrhundert später hat Ror nen dümmlich-vagen Gegenwartsjargon richtet (›find
Wolf mit seinen »Fußballsonetten« und anderer Fuß- ich irgendwie nicht gut‹), wurde dabei weithin ver-
balllyrik ein ähnliches Modell geliefert. Traditionell kannt. Inzwischen ist das Sonett aber längst zu einem
wird ein solches Verfahren als »thematische Unter- kanonischen, in zahlreichen Anthologien, Schulbü-
erfüllung« (ebd., 313) bezeichnet, ein Begriff, der zu chern und lyrikologischen Untersuchungen vertrete-
modifizieren wäre, da er eine traditionelle Hierarchi- nen bzw. zitierten Text avanciert – eine außergewöhnli-
sierung von Formen und Themen voraussetzt, die in che Karriere für ein neueres komisches Gedicht.
den Kriminal- und Fußballsonetten gerade durch-
brochen wird.
Ein bemerkenswertes Subgenre des komischen So- 25.3 Volkstümliche Scherzdichtung
netts bildet das komisch-poetologische Sonett, das die
eigene Formstrenge ironisch-kritisch reflektiert. Zu Im deutschen Sprachraum existiert eine lange und rei-
den Autoren solcher selbstreferentieller Sonette gehö- che Tradition volkstümlicher Scherzdichtung, etwas
ren etwa Goethe, J. H. Voß, L. Tieck (»Ein nett honett verkürzend vielfach auch als ›Unsinnspoesie‹ bezeich-
Sonett so nett zu drechseln ...«, zit. n. Gernhardt/Zeh- net (vgl. etwa Liede 1962/1992; Dencker 1995). Ge-
rer 2004, 395); H. W. Seidel, Mynona, G. Rühm (»erste meint sind intentional auf die Erzeugung komischer
strophe erste zeile / erste strophe zweite zeile ...«, zit. n. Wirkungen zielende, meist kurze, sprachlich durch-
Jacobs 2004, 442), K. Riha und E. Jandl. Eines der geformte, dabei vielfach mit stereotypen Elementen
jüngsten Beispiele für diese Tradition – und wohl das operierende Gedichte, die überwiegend im Kontext
bekannteste neuere deutschsprachige Sonett über- geselligen Spiels und anderer sozialer Rituale entstan-
haupt – stammt von Gernhardt und trägt den maliziö- den sind. In der Regel zunächst mündlich überliefert,
sen Titel: »Materialien zu einer Kritik der bekanntes- wurden sie im Verlauf ihrer Genese vielfach auch in
ten Gedichtform italienischen Ursprungs«: gedruckter Form verbreitet; einige Gattungen sind
auch direkt für humoristische Medien, insbesondere
Sonette find ich sowas von beschissen, Zeitschriften oder Bühnenprogramme, entwickelt
so eng, rigide, irgendwie nicht gut; worden. Die Scherzdichtung hat ein breites Spektrum
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen, an Formen und Genres hervorgebracht, zu nennen
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut wären z. B. Leberreim, Schnaderhüpfe(r)l, Klapp-
hornvers, Schüttelreim, Merkvers, Abzählreim, Paro-
hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen; die, gereimte Bauernregel, Kettenreim, ABC-Verse,
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut, Wirtinnenstrophe oder Limerick. Textbeispiele fin-
kann mir in echt den ganzen Tag versauen. den sich in zahlreichen Anthologien (vgl. Köhler 1990
ich hab da eine Sperre. Und die Wut und 1991; Dencker 1995). Einige ausgewählte Formen
240 III Mediale Formen des Komischen

der Unsinnspoesie sollen im Folgenden stellvertre- Zwei Knaben gingen durch das Korn;
tend dargestellt werden. Der Andere blies das Klappenhorn.
Er konnt’ es zwar nicht ordentlich blasen,
Leberreim Doch blies er’s wenigstens einigermaßen.
Leberreime zählen zu den ältesten Formen deutsch- (Köhler 1991, 80)
sprachiger Unsinnspoesie. Wahrscheinlich entstan-
den sie im 16. Jh.; besonders im 17. Jh. waren sie be- Die entschieden banale, die Erwartung auf eine
liebt und in zahlreichen Sammlungen verbreitet. Ur- klassische Pointe düpierende Wendung im Schluss-
sprünglich handelt es sich um kurze, formal variable vers, hier möglicherweise eher zufällig entstanden,
Tischgedichte, die zur geselligen Unterhaltung spon- wurde in zahlreichen späteren Klapphornversen als
tan improvisiert wurden. Anlass war jeweils der Ver- Prinzip übernommen. Die bewusste Pointenverwei-
zehr eines Lebergerichts; die Motivwahl geht wohl auf gerung bildet auch in der lyrischen Hochkomik et-
die Vorstellung von der Leber als Sitz der Affekte zu- wa vom Dadaismus bis hin zur Neuen Frankfurter
rück. Der Leberreim zeigt einen typischen Funktions- Schule eine vielfach gebrauchte komische Technik.
wandel von der trinkspruchartigen Stegreifdichtung Spätestens in der Nachkriegszeit kam der Klapp-
zur schriftlich tradierten humoristischen Textgattung. hornvers aus der Mode. Freiere Genrevarianten fin-
Leberreime in ihrer späteren, ›klassischen‹ Form sind den sich aber gelegentlich auch noch unter den Ar-
sechs- oder siebenhebige Zweizeiler, die mit der ste- beiten neuerer komischer Lyriker und Bühnen-
reotypen Eröffnungsformel ›Die Leber ist von einem komiker, so etwa bei H. Erhardt, von dem der fol-
Hecht und nicht von ...‹ beginnen, die dann meist mit gende Vierzeiler stammt:
einem zweiten Tiernamen und einem ergänzenden
Vers komplettiert wird. Noch im 19. Jh. wurde die Tra- Ein Nasshorn und ein Trockenhorn
dition des Leberreims fortgesetzt und gelegentlich spazierten durch die Wüste,
auch von namhaften Autoren aufgegriffen; das folgen- da stolperte das Trockenhorn,
de Textbeispiel etwa stammt aus Th. Fontanes Wan- und’s Nasshorn sagte: »Siehste!«
derungen durch die Mark Brandenburg (1862–1889): (Erhardt 2005, 35)

Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einer
Schleie, Limerick
Der Fisch will trinken, gebt ihm was, dass er vor Durst Der Limerick stammt ursprünglich aus Irland; der Be-
nicht schreie. griff geht auf die gleichnamige irische Stadt bzw. Graf-
(Fontane 1987, 463) schaft zurück. Besonders E. Lear, dessen 1843 in Lon-
don erschienenes A Book of Nonsense 107 Limericks
enthält, popularisierte die Gattung in England, wo sie
Klapphornvers seitdem durchaus auch von namhaften Autoren wie
Klapphornverse waren besonders während der Tennyson oder Swinburne gepflegt wird. Limericks
1880er Jahre populär und erschienen vielfach in Zeit- sind Fünfzeiler mit dem festen Reimschema aabba.
schriften wie den Fliegenden Blättern, begegnen aber Der Rhythmus ist meist anapästisch, die Kadenzie-
etwa auch noch in kabarettistischen Bühnenpro- rung variabel; die Verse 1, 2 und 5 sind dreihebig, 3
grammen des frühen 20. Jh.s – so z. B. bei K. Valentin. und 4 dagegen zweihebig, wodurch der Deklamati-
Es handelt sich um Miniatur-Moritaten in Form onsfluss ›gestaut‹ und die Spannung auf die Schluss-
paar-, seltener kreuzgereimter, vierhebiger Vierzeiler. zeile gesteigert wird. Ähnliche Formen existieren in
Zum festen Figuren- bzw. Motivbestand gehörten ur- verschiedenen Literaturen seit dem Mittelalter, in
sprünglich zwei Knaben als Akteure sowie das epony- Deutschland etwa im Volkslied sowie auch im Schla-
me Klappenhorn (ein trompetenähnliches Blas- ger (vgl. Helmers 1978, 78 ff.). Zentrale motivische
instrument); diese Konstanten wurden aber bald zu- Konstante des Limericks ist die Einführung der
gunsten einer freieren Gestaltung aufgegeben; erhal- Hauptfigur in Verbindung mit einem Ortsnamen im
ten blieb meist ein Protagonistenpaar. Das Urmodell Anfangsvers (»There once was a lady of Riga ...«). For-
der Klapphornverse, dessen Komik der Überlieferung mal prägend sind ausgefallene und gewagte Reime, oft
nach gar nicht intendiert war (vgl. Köhler 1991, 275), auch unter Einbeziehung von Neologismen.
lautet: Der Limerick wurde in etlichen Sprachen adaptiert
25 Komik mit lyrischen Mitteln 241

und zählt seit den 1920er Jahren auch in Deutschland prominenten Germanisten F. Gundolf und bezieht sich
zu den sowohl von (Amateur-) Lyrikern wie beson- auf H. v. Keyserling:
ders auch Bühnenkomikern gerne genutzten Formen,
wenngleich Liede ihn kurioserweise noch zu den Als Gottes Atem leiser ging,
hierzulande fehlenden Gattungen zählt, deren Ein- Schuf er den Grafen Keyserling.
bürgerung »gescheitert« sei (Liede 1963/1992, 266). (zit. n. von Wiese, 1982, 66)
Seit den späten 1960er Jahren bediente sich die hu-
moristische Fraktion der Liedermacherszene (Inster- Der attackierte H. v. Keyserling revanchierte sich der
burg & Co, Schobert & Black, U. Roski, O. Waalkes Historie nach mit dem Zweizeiler: »Und als sein Atem
u. a.) gerne des Limericks, griff dabei aber vielfach auf noch geringer, / Schuf er den Herren Gundelfinger«
vor-fabriziertes Material zurück, etwa auf die Arbei- (ebd., 66).
ten von G. Bungter und G. Frorath (1969). Das fol- Der Schüttelreim hat sich als Evergreen der Un-
gende Textbeispiel stammt aus einem Programm von sinnspoesie erwiesen, der auch im späteren 20. Jh. im-
Schobert & Black: mer wieder von humoristischen Autoren, etwa E.
Roth und H. Erhardt, verwendet wird. Eine augenfäl-
Es las jüngst ein Greis in der Rhön lige Renaissance erlebte auch er besonders während
Ein Buch, das war etwas obszön. der 1970er Jahre in den Programmen von O. Waalkes,
Er sprach: »Das ist widerlich, Insterburg & Co. und anderen Bühnen- bzw. TV-Ko-
Entsetzlich und liederlich, mikern. O. Waalkes etwa rezitierte gerne den folgen-
Voller Schmutz und obszön – aber schön.« den, von H. Erhardt verfassten Schüttelreim:
(hier zit. n. einer TV-Aufzeichnung von 1974,
http://www.youtube.com/watch?v= 58 xefTg9A9s Er würgte eine Klapperschlang,
[5.3.2014]) bis ihre Klapper schlapper klang.
(Erhardt 2005, 60)

Schüttelreim Von hochkomischen Lyrikern werden Schüttelreime


Eine eigenständige Form der komischen Lyrik bildet und andere traditionelle Gattungen volkstümlicher
auch der Schüttelreim, eine besonders artistische Scherzdichtung allerdings vielfach eher gemieden;
Spielart des Doppelreims, bei der jeweils die Anfangs- der Grund hierfür dürfte nicht zuletzt in der konven-
konsonanten der End- bzw. Reimsilben vertauscht tionalisierten und entsprechend berechenbaren Wir-
werden – hier ein Textbeispiel von E. Roth: kung solcher Texte liegen. Die Autoren der Neuen
Frankfurter Schule verwenden den Schüttelreim aber
Auf Pille nicht noch Salbe hoff gelegentlich ironisch bzw. parodistisch. In einigen
Wer täglich dreizehn Halbe soff. Gedichten Gernhardts und Bernsteins wird das
(Roth 1977, 120) Schüttelreimprinzip zwar äußerlich eingehalten,
durch Einsatz gänzlich sinnfreier Wortbildungen
Schüttelreime finden sich bereits in der mittelhoch- aber ad absurdum geführt wie in dem folgenden Vier-
deutschen Dichtung, so bei Walther von der Vogelwei- zeiler:
de; in der neueren Hochliteratur treten sie vereinzelt
auf, etwa bei F. Rückert und H. Heine. Den Übergang Wenn der Knecht von Breickensschlech
von einer bloßen Reimtechnik zur eigenständigen hu- draufhaut auf das Schreickensblech,
moristischen Textsorte absolvierten die Schüttelreim- wird die Freifrau Breckensschleich
verse im späten 19. Jh.; besonders der Allgemeine Deut- kreideweiß und schreckensbleich.
sche Reimverein, der auch den Begriff etablierte, trug (Bernstein 1988, 101)
zu ihrer Verbreitung bei.
Vor allem während der 1910er und -20er Jahre be- Bernsteins Versen eignet mithin wie vielen Arbeiten
dienten sich auch namhafte Autoren und dezidierte der Neuen Frankfurter Schule eine dezidiert metalyri-
Genrespezialisten wie E. Mühsam, A. Kippenberg und sche Diktion: eine tradierte komische Technik wird
F. Mittler des Schüttelreims, nicht selten zum Zweck hier ihrerseits persifliert. Ein Reimvirtuose wie Rühm-
pointierter Personalsatire. Das folgende, vielzitierte korf vermag den Schüttelreim allerdings durch origi-
Beispiel stammt wahrscheinlich von dem seinerzeit nelle Erfindung auch im späten 20. Jh. noch neu zu le-
242 III Mediale Formen des Komischen

gitimieren und ›hochliterarisch‹ zu nobilitieren, hier Hier ein Textbeispiel des Genrespezialisten H. v.
etwa in seinem »Gemeinen Liebeslied«: Gyldenfeldt:

Liebste, ich sing: an dich Lenin


denk ich bei Tag und Nacht, »Opa’s voll bis an den Rand!«
weil mich das Ding an sich »Dann Lenin hinten an die Wand!«
trübsinnig macht. (Gyldenfeldt 2007, 46)
(Rühmkorf 2000, 211)
In Gernhardts Werk finden sich überhaupt bemerkens-
Verse wie diese können durchaus als Widerlegung ei- werte Übergänge zu spielerisch-kollektiven Formen der
nes Diktums von K. Kraus gesehen werden, demzufol- Textproduktion, wie sie auch für die volkstümliche Un-
ge der Schüttelreim »sein Spiel völlig außerhalb der sinnspoesie charakteristisch sind: Zum einen hat er
dichterischen Zone treibt« (Kraus 1987, 352). vielfach Variationen auf bekannte Textvorlagen ge-
schrieben, etwa auf E. Jandls »ottos mops« (»gittis
Nashorn- und Brechstangenverse hirsch hinkt« oder »enzensbergers exeget hechelt«;
Die meisten volkstümlich-geselligen Formen der Un- Gernhardt 2008, 522 f.). Zum anderen hat er selbst Ge-
sinnspoesie sind seit dem frühen 20. Jh. aus Lebens- dichte verfasst, die Lesern als Modell für Fortschreibun-
wie Literaturpraxis verschwunden; gelegentlich wer- gen dienten; die Resultate dokumentierte Gernhardt
den aber vergleichbare Traditionen neu begründet. dann wiederum im Kommentarteil seiner Lyrikbände,
Ein aktuelles Beispiel bilden die ›Nashornverse‹ über z. B. »Weil’s so schön war« (Gernhardt 2008, 88/1029)
den eponymen Unpaarhufer, deren Produktion seit oder »Nacht der deutschen Dichter« (ebd., 259/1033).
1984 von der Redaktion einer Bremer Schülerzeitung
namens Das Nashorn initiiert wird. Zahlreiche, viel-
fach prominente Autorinnen und Autoren haben Bei- 25.4 Traditionslinien lyrischer Hochkomik
träge geliefert, die mittlerweile auch in Sammelpubli-
kationen verbreitet sind (vgl. Vaudlet 2001 und Gern- Während der deutschsprachigen Literatur insgesamt,
hardt/Zehrer 2004). Das wohl bekannteste und origi- besonders aber ihrer Epik und Dramatik, traditionell
nellste Textbeispiel stammt von H. Rowohlt; es lautet: gerne »überwältigende Humorlosigkeit« (Kraus 1987,
199) attestiert wird, hat die nationale komische Lyrik,
Gebet des Nashorns wie schon betont, eine besonders reiche und prägnan-
te Tradition ausgebildet. Sie ist bereits in der mittel-
Lieber Gott, Du bist der Boss, alterlichen oder barocken Dichtung erkennbar (vgl.
Amen! Dein Rhinozeros. hierzu Brunner 2014 und Kemper 2009, besonders
89 ff.; Textbeispiele z. B. bei Jacobs 2004), wurzelt viel-
(hier zit. n. Maintz 2000, 133) fach in der volkstümlichen Scherzdichtung und ent-
faltet sich besonders seit dem 19. Jh.. Vereinzelt haben
Ein weiteres neuerdings gepflegtes bzw. wiederbe- durchaus immer wieder auch lyrische »Ernstmacher«
lebtes Genre der Scherzdichtung bilden die gelegent- (Gernhardt 2008, 282) von Lessing über Goethe, C.
lich sog. »Verse von der Brechstange« (Gyldenfeldt Brentano und E. Mörike bis hin zu P. Celan und E.
2007), die auf einem traditionellen Kalauer-Prinzip Fried komische Gedichte geschrieben. Eine Geschich-
beruhen: ein vorgegebenes Wort ersetzt in einem te der (deutschsprachigen) lyrischen Hochkomik wäre
Satz oder Vers auf semantisch bzw. grammatisch noch zu schreiben und kann im Rahmen dieser Über-
möglichst absurde Weise ein (oft nur annähernd) blicksdarstellung natürlich nicht antizipiert werden.
homophones Wort bzw. eine Wortfolge. Gernhardt Einige ihrer Traditionslinien sollen nachfolgend aber
hat diese Technik gelegentlich in eigenen Arbeiten immerhin skizziert werden, wobei auf die Darstellung
verwendet (vgl. z. B. 2008, 88 f.) und gemeinsam mit der älteren Literatur verzichtet wird.
K. C. Zehrer unter dem Titel Bilden Sie mal einen Von kaum zu überschätzender Bedeutung für das
Satz mit ... eine Anthologie entsprechender Gedicht- moderne deutschsprachige komische Gedicht ist das
miniaturen initiiert und herausgegeben (Gernhardt/ lyrische Werk Heines. Zwar sind natürlich auch im
Zehrer 2007; zur Gattung vgl. auch Gernhardts 18. Jh. bereits heitere oder satirische deutsche Gedichte
Nachwort »Versuch über den Kalauer«, ebd., 107 ff.). geschrieben worden, so von Gleim, Lessing, Claudius
25 Komik mit lyrischen Mitteln 243

u. v. a. (vgl. Gernhardt/Zehrer 2004; Jacobs 2004). Hei-


ne hat aber ironische, spöttische und komisierende
Schreibweisen so nachdrücklich und wirkungsmächtig
im deutschen Gedicht etabliert, dass er als Begründer
einer neuen, humoristisch-antiidealistischen Gat-
tungstradition gesehen werden kann. Bezeichnender-
weise hat sich der entschieden rangbewusste Dichter in
dem späten Gedicht »Miserere« selbst als den »beste[n]
der Humoristen« (Heine 1976, Bd. 6, 333; vgl. auch
Kortländer 1992) eingestuft. Heines stilgeschichtlich
ambivalente Position zwischen Romantik und Moder-
ne, die perspektivische Dualität von Stimmungshaftig-
keit und satirisch-realistischer Profanisierung, spiegelt
sich in seinem Werk vielfach in komischen Pointierun-
gen, so etwa im folgenden Gedicht:

Das Fräulein stand am Meere


Und seufzte lang und bang,
Abb. 25.1 Bildgedicht von Robert Gernhardt
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang. Strips und wirkten bis in die Gegenwart stilbildend
auf die komischen Künste; man denke nur an die Ar-
Mein Fräulein! sein Sie munter, beiten der Neuen Frankfurter Schule, beispielsweise
Das ist ein altes Stück; an die Bildgedichte Gernhardts, Bernsteins oder H.
Hier vorne geht sie unter Traxlers.
Und kehrt von hinten zurück. Buschs ›autonome‹ Gedichtbände, von Kritik wie
Lesepublikum zunächst ungleich weniger beifällig
(1971, Bd. 4, 327) aufgenommen als die Bildgeschichten, umfassen
überwiegend aphoristische Gedankenlyrik, Balladen,
S. J. Schmidt hat das von Schopenhauer paradigma- Fabeln sowie persönliche Gelegenheitsgedichte; fast
tisch formulierte Inkongruenzprinzip des Komischen alle Texte sind in traditionell-regelmäßigen, aber ar-
(vgl. Schopenhauer 1977, 96) reformuliert als »die tistisch höchst prägnant und wirkungssicher gehand-
gleichzeitige Beziehbarkeit eines Geschehens bzw. ei- habten Vers- und Reimfomen gehalten. Ähnlich wie
nes Textes auf verschiedene Welten in der verstehen- Heine konfrontiert Busch romantische Liebesmotive
den Interpretation« (Schmidt 1976, 188). Eben dies gerne satirisch mit der Profanität des Alltäglichen:
führt Heine hier beispielhaft vor: Die romantisch-
stimmungshafte Betrachtung einer Naturerscheinung Die Liebe war nicht geringe.
wird unvermittelt mit deren nüchtern-rationaler Be- Sie wurden ordentlich blaß;
schreibung konfrontiert. Mit solchen perspektivi- Sie sagten sich tausend Dinge
schen Brechungen und Desillusionierungstechniken Und wußten noch immer was.
(die aber das Romantische keineswegs prinzipiell ne-
gieren) prägte Heine einen Prototyp komischer Lyrik, Sie mußten sich lange quälen,
der in den Texten zahlreicher Nachfolger von F. Wede- Doch schließlich kam’s dazu,
kind über K. Tucholsky und E. Kästner bis hin zu heu- Daß sie sich konnten vermählen.
tigen komischen Lyrikern wie etwa Th. Gsella nach- Jetzt haben die Seelen Ruh.
wirkt.
W. Busch, als Lyriker auch er bei Heine anknüp- Bei eines Strumpfes Bereitung
fend, war wohl der populärste Humorist der neueren Sitzt sie im Morgenhabit;
deutschen Kulturgeschichte, bis er im Fernsehzeit- Er liest in der Kölnischen Zeitung
alter von Loriot abgelöst wurde. Seine Bild-Vers-Epen Und teilt ihr das Nötige mit.
von Max und Moritz (1865) bis zu Maler Klecksel
(1884) initiierten maßgeblich die Genese des Comic (Busch 2000, 71)
244 III Mediale Formen des Komischen

Buschs nüchterne, komisch-desillusionistische Lyrik Im Gegensatz zu dem weitgehend im Realismus des


steht in markantem Gegensatz zur epigonalen, idealis- 19. Jh.s verwurzelten Satiriker Busch entfaltet Morgen-
tisch-romantischen Poesie seiner Zeitgenossen E. stern seine spielerisch-abstrakte Komik vielfach aus
Geibel, P. Heyse oder F. v. Bodenstedt (vgl. hierzu Wil- dem sprachlichen Material selbst und antizipiert somit
lems 1998, 11 ff.) und verstößt damit auch gegen herr- Stilformen der Moderne wie Dadaismus und Konkrete
schende Gattungsnormen – dies erklärt ihre anfäng- Poesie. Seine Gedichte nehmen etwa redensartliche
liche Resonanz- und Erfolglosigkeit im Verhältnis zu Wendungen wörtlich (»Palmström reist, mit einem
den Bildgeschichten, die als neues Genre vorausset- Herrn v. Korf, / in ein sogenanntes Böhmisches Dorf«
zungsloser rezipiert werden konnten. Buschs Humor [ebd., 109]), verwenden onomatopoetische Neologis-
ist keineswegs heiter-versöhnlich; der skeptische bis men (»Der Flügelflagel gaustert / durchs Wiruwaru-
grimmig-pessimistische Grundzug seines Gesamt- holz« [ebd., 213]) oder reduzieren die sprachliche Mit-
werkes hat dessen Breitenwirkung auf die Dauer aber teilung auf bildlich angeordnete metrische Zeichen
offensichtlich nicht behindert. Insbesondere ihre epi- wie in »Fisches Nachgesang«. Morgensterns Werk ist
grammatische Prägnanz sicherte Buschs Dichtung an- naheliegenderweise vielfach mit der Sprachskepsis sei-
haltende Popularität; etliche seiner Verse haben sich ner Zeitgenossen Nietzsche und F. Mauthner in Bezie-
dem kollektiven Gedächtnis als ›geflügelte Worte‹ im- hung gesetzt worden (vgl. etwa Liede 1992, 273 ff.). In
prägniert (»Es ist ein Brauch von alters her: / Wer Sor- der »Verwunderung über ein Wort«, schreibt Morgen-
gen hat, hat auch Likör«, Busch 2000, 423; »Enthalt- stern selbst in seinen Aphorismen, erhelle sich oft »die
samkeit ist das Vergnügen / An Sachen, welche wir völlige Willkür der Sprache, in welcher unsere Welt be-
nicht kriegen«, ebd., 424). griffen liegt, und somit die Willkür dieses unseres
Wie schon erwähnt, hat das ausgehende 19. Jh. eine Weltbegriffes überhaupt« (Morgenstern 1987, 148).
vielfältige bürgerliche Komik-Kultur hervorgebracht; Wie Busch hat auch Morgenstern etliche markante
ihre namhaftesten Vertreter sind J. V. v. Scheffel und L. und vielzitierte Sentenzen geprägt (»Weil, so schließt
Eichrodt. Die Lyrik der nachfolgenden komischen er messerscharf, / nicht sein kann, was nicht sein darf«
Dichter P. Scheerbart und Chr. Morgenstern zeigt, [ebd., 120]). Ungeachtet seiner Popularität, die durch
wenngleich ursprünglich ebenfalls im Kontext ›prä- Lesungen prominenter Rezitatoren bis heute immer
literarischen‹ geselligen Spiels entstanden, gegenüber wieder aktualisiert wird, zeigt die Morgenstern-Re-
den Arbeiten dieser älteren Generation einen neuen, zeption seitens Literaturkritik und -wissenschaft nicht
weniger gemüthaften, durchaus antibürgerlichen Ges- selten pejorative Züge. Selbst A. Liede, Verfasser eines
tus. Als profiliertester und avanciertester komischer verdienstvollen Standardwerks über »Unsinnspoe-
Lyriker nach Busch hat Morgenstern das Absurde und sie«, wertet Morgensterns komische Dichtung mit
Groteske im deutschsprachigen Gedicht etabliert – prototypisch borniertem Gestus ästhetisch ab: »Jedes
hier sein bekanntes »Nasobem«: Galgenlied, das sein Motiv virtuos überspielt und auf-
löst, steht anstelle eines ernsten lyrischen Gedichts,
Auf seinen Nasen schreitet für das Morgenstern die dichterische Kraft fehlte«
Einher das Nasobem, (Liede 1992, 349). Mit Recht kommentiert Gernhardt,
von seinem Kind begleitet. diese These sei »so triftig wie die Behauptung, Höl-
Es steht noch nicht im Brehm. derlin habe eigentlich ständig Limericks schreiben
wollen, nur seien immer Hymnen herausgekommen«
Es steht noch nicht im Meyer. (Gernhardt 2010, 247).
Und auch im Brockhaus nicht. Brecht hat die deutsche Lyriktradition nach Goethe
Es trat aus meiner Leyer bekanntlich in eine »pontifikale« und eine »profane«
zum ersten Mal ans Licht. (Brecht 1973, 155) Linie unterteilt. Ab etwa 1900 zeigt
sich diese Polarität besonders deutlich. Auf die sym-
Auf seinen Nasen schreitet bolistische, feierlich-kunstreligiöse Dichtung etwa
(wie schon gesagt) seitdem, St. Georges, H. v. Hofmannsthals und R. M. Rilkes fol-
von seinem Kind begleitet, gen mehrere lyrische Stilbewegungen, die sich nicht
einher das Nasobem. zuletzt als humoristisch-nüchterne Gegendiskurse le-
sen lassen. Zunächst ist hier die vagantische Lyrik F.
(Morgenstern 1990, 81) Wedekinds und anderer Autoren der Münchner Bo-
heme wie L. Thoma oder E. Mühsam zu nennen, die
25 Komik mit lyrischen Mitteln 245

sich an populären Formen wie Moritat und Bänkel- grotesk-komischen, partiell von Kabarett und Scherz-
sang orientiert und fast durchweg komisch-satirisch dichtung inspirierten Formen andererseits. J. van
ausgerichtet ist; auch B. Brecht selbst knüpft später Hoddis’ berühmtes Gedicht »Weltende« (1911) etwa,
partiell an diese Tradition an. Bemerkenswert ist hier ein Signum der Stilepoche, zeigt durchaus komisie-
auch eine Verbindung von Lyrik und performativen rende Verfahren:
Bühnenkünsten: Wedekind trug Vertonungen seiner
Gedichte in Schwabinger Lokalen selbst zur Laute vor. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
In Fortsetzung solcher Traditionen entwickelte sich An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
besonders in den 1920er Jahren eine produktive Sym- Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
biose von Lyrik und Kabarett: Ihre prominentesten Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Vertreter sind K. Tucholsky, E. Kästner und W. Meh- (Hoddis 2001, 9)
ring. Mehrere weniger bekannte Autoren dieser Linie
wie die Österreicher P. Hammerschlag oder H. Wie- Die stilistischen Inkongruenzen der Wortwahl (»die
ner, die von den Nationalsozialisten verfolgt und zwi- wilden Meere hupfen«) und die unvermittelte Kom-
schenzeitlich weitgehend vergessen worden waren, bination katastrophisch-endzeitlicher Bilder mit ba-
sind im Zuge einer Renaissance der komischen Lyrik nalem Ungemach wie Schnupfen stellen klassische ko-
in den letzten Jahren wiederentdeckt worden (z. B. in mische Techniken dar; ähnliche Verfahren finden sich
Gernhardt/Zehrer 2004, 399 ff. sowie etwa Hammer- auch bei anderen expressionistischen Lyrikern wie et-
schlag 1997). wa A. Lichtenstein oder F. Hardekopf. Entschieden
Die Lyrik der deutschen Dadaisten, zu nennen sind komisch sind besonders auch die erotisch-satirischen
hier besonders K. Schwitters (»Kleines Gedicht für Sonette des Mynona (d. i. S. Friedländer)
große Stotterer«, um 1934), H. Arp (»Opus Null«) und Die Lyriker der Neuen Sachlichkeit – genannt seien
H. Ball (»Schizophrene Sonette«, 1924), zeigt ins- die bereits erwähnten E. Kästner und K. Tucholsky so-
gesamt einen forcierten Bruch mit der literarischen wie M. Kalèko – setzen sich in den 1920er Jahren
Tradition, einen modernistischen, antiklassizistischen ebenfalls demonstrativ von den Stilen der voran-
Gestus, wobei Komik vielfach dezidiert als Mittel der gegangenen Jahrzehnte ab. Die nüchterne, direkte und
Depotenzierung eingesetzt wird. Dadaistische Ge- urbane Diktion dieser Autoren, erkennbar an Heine
dichte sind allerdings nicht durchweg komisch; am geschult, kontrastiert augenfällig mit dem Innerlich-
ehesten sind sie es dann, wenn sie parodistische keitston der traditionellen deutschen Lyrik des 19. Jh.s
Spannungen zwischen traditionellen lyrischen Moti- sowie auch dem Kunstpathos des Symbolismus wie
ven und abstraktem Sprachspiel aufbauen wie etwa des Expressionismus. Nicht immer, aber sehr häufig
Schwitters’ wohl bekanntester Text, das Liebesgedicht werden dabei dezidiert komische oder ironische Wen-
»An Anna Blume. Merzgedicht I« (1919), das mit dungen eingesetzt wie hier von Kästner:
Neologismen, grammatischen Brüchen, Inversionen
und sinnentleerten Metaphern arbeitet: Auch der tapferste Mann, den es gibt,
schaut mal unters Bett.
O du, Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, ich Auch die nobelste Frau, die man liebt,
liebe dir! Du deiner dich dir, ich dir, du mir, Muss mal aufs Klosett.
– Wir? (Kästner 1998, 82)
Das gehört (beiläufig) nicht hierher.
Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer? Du bist Nur partiell der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen ist
– – bist du?? – Die Leute sagen, du wärest, – laß der herausragende komische Lyriker dieser Zeit, J.
sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht. Ringelnatz. Auch er reüssierte bezeichnenderweise
Du trägst den Hut auf den Füßen und wanderst vorwiegend abseits traditioneller literarischer Öffent-
auf die Hände, auf den Händen wanderst du. lichkeiten, indem er seine Gedichte auf Brettlbühnen
[…] selbst vortrug – ein Umstand, der seine notorische
(Schwitters 1997, 12 f.) Unterschätzung seitens Literaturkritik wie -wissen-
schaft vermutlich zusätzlich befördert hat. Anerken-
Die expressionistische Lyrik der 1910er Jahre oszilliert nung fand Ringelnatz bezeichnenderweise eher unter
zwischen dem gänzlich humorfernen »Oh-Mensch«- Autorenkollegen: Tucholsky und K. Pinthus etwa re-
Pathos etwa der Gedichte F. Werfels einerseits – und zensierten ihn enthusiastisch; Kästner schreibt mit
246 III Mediale Formen des Komischen

Blick auf einen Ringelnatz-Vortragsabend: »Es ist so toren zählen einerseits die Lyriker des Expressionis-
traurig, dass sich die meisten gewöhnt haben, über mus, hier besonders Benn, andererseits aber auch
Joachim Ringelnatz als einen Hanswurst und Suppen- ein so dezidiert komischer Autor wie Ringelnatz.
kaspar zu lachen. Merken denn so wenige, dass man Ein zentrales und vielfach komikerzeugend ein-
keine Kabarettnummer, sondern einen Dichter vor gesetztes Element seiner Lyrik bildet Rühmkorfs
sich hat?« (zit. n. Ringelnatz 1994b, 508). stupende Reimtechnik:
Ringelnatz’ Lyrik zeigt eine bemerkenswerte Band-
breite an Ausdrucksvaleurs. Sie reichen etwa von den Dies Gedicht für Nicole Kidman
frühen skurrilen Fabeln und Personifikationen (»Ein könnt ich praktisch jeder widmen:
männlicher Briefmark erlebte / Was Schönes, bevor er so ein Passepartoutgedicht.
klebte«, Ringelnatz 1994a, 65) über die drastische Rol- Nur für Erna paßt es nicht.
lenlyrik der »Kuddel-Daddeldu«-Moritaten, die sati- (Rühmkorf 2008, 20)
rischen »Turngedichte« (1920–1923) und schwarz-
humorigen Grotesken (»Das Terrabarium«, 1924) bis Trotz ihres ironischen Tonfalls bleibt Rühmkorfs Ly-
zu beinahe klassischer, kontemplativer Naturlyrik rik fast durchweg betont subjektiv und bekenntnis-
(»Vorm Brunnen in Wimpfen«, 1927). Besonders in haft.
seinen späteren Gedichten entwickelt Ringelnatz ei- In Ror Wolfs Gedichten dagegen tritt ein lyrisches
nen prägnanten Personalstil, der sich formale Freihei- Ich nur selten direkt in Erscheinung. Viele seiner Ge-
ten, etwa variable Verslängen, gestattet und so eine dichte sind Moritaten (»Hans Waldmanns Abenteu-
konversationsnahe Spontanität evoziert. Vielfach ge- er«, 1965–2006) oder Balladen; somit aktualisiert er
lingt Ringelnatz das Kunststück, Komik und Skurrili- erzählende Formen, die aus der Lyrik zumal des spä-
tät mit einer durchaus emotionalen und bekenntnis- teren 20. Jh.s ansonsten weithin verschwunden sind.
haften Diktion zu verbinden; so in seinem wohl be- Zu Ror Wolfs literarischen Ahnherren gehört W.
kanntesten Liebesgedicht: Busch, dessen nüchtern referierenden Ton er in die
Gegenwart transponiert. So auch in Ror Wolfs lako-
Ich habe dich so lieb! nischem, die Tradition der Naturlyrik aufrufenden
Ich würde dir ohne Bedenken und dekonstruierenden Vierzeiler »wetterverhältnis-
Eine Kachel aus meinem Ofen se« – ein Kondensat seiner komisch-melancholischen
Schenken. Weltsicht:
[…]
Ich lache. Es schneit, dann fällt der regen nieder,
Die Löcher sind die Haupsache dann schneit es, regnet es und schneit,
An einem Sieb. dann regnet es die ganze zeit,
Ich habe dich so lieb. es regnet und dann schneit es wieder.
(ebd., 261). (Wolf 2009, 48)

Die deutschsprachige Nachkriegslyrik knüpft – von Mit seinen Fußballgedichten – den WM-Moritaten
P. Celan und I. Bachmann bis hin etwa zu D. Grün- oder den Rammer-und-Brecher-Sonetten – hat Ror
bein – weithin v. a. an ernste, elegische und hermeti- Wolf der Lyrik ein vollkommen neues Sujet erschlos-
sche Gattungstraditionen an. Zu den wenigen Aus- sen. Komiktheoretisch ist hier die Inkongruenz zwi-
nahmen innerhalb der Hochliteratur der 1950er und schen traditioneller Form und poetischer Hochspra-
60er Jahre zählen v. a. Rühmkorf und Ror Wolf mit che einerseits, dem ›unliterarischen‹ Gegenstand und
ihren ironisch-artistischen, überwiegend gereimten der ihm zugehörigen Terminologie – insbesondere
und vielfach ausgesprochen komischen Gedichten. dem Fanjargon – andererseits bemerkenswert (vgl.
Beide Autoren verweigern sich damit nachdrücklich hierzu Maintz 2014). Ror Wolfs Fußballlyrik hat be-
der Reimabstinenz bzw. dem Sprödigkeitsgebot (vgl. reits traditionsbildend gewirkt; sie ist von verschiede-
Sloterdijk 1987, 21) der klassischen Moderne. nen Autorenkollegen wie L. Harig und Th. Gsella auf-
Rühmkorf verknüpft in seinen Gedichten hetero- gegriffen und fortgesetzt worden.
genste Tonfälle vom Klopstockschen Odenduktus Eine insgesamt eher seltene Erscheinung, die Ver-
bis zum aktuellen Alltagsjargon – fast immer mit knüpfung von Komik mit den experimentellen For-
ironisch-komisierendem Effekt. Zu seinen Inspira- men der literarischen Avantgarde, zeigt sich in der
25 Komik mit lyrischen Mitteln 247

konkreten Poesie der ›Wiener Gruppe‹ und ihres fenden »Ein-Mensch ...«-Gedichten. H. Erhardt, den
Umfeldes; hervorzuheben sind hier besonders die H. Detering als »große[n] Kleinmeister des literari-
Gedichte E. Jandls, aber auch H. C. Artmanns, G. schen Nonsens« (Detering 2005, 95) einstuft, vergrö-
Rühms oder A. Okopenkos. Anknüpfend an den Da- ßerte seinen Wirkungsradius durch seine multi-
daismus arbeitet Jandl mit Sprachverfremdungen wie medialen Einsätze als Bühnen-, Film- und Fernseh-
der Zerlegung von Worten in Einzelelemente, z. B. komiker. Seit den späten 1960er Jahren trat mit O.
die Konsonanten, der Vertauschung von Buchstaben, Waalkes (dessen Texte partiell von Gernhardt und
der Verselbständigung des Lautlichen, der Ver- anderen Autoren der Neuen Frankfurter Schule ver-
mischung verschiedener Sprachen, Idiome und Dia- fasst wurden), Insterburg & Co, Schobert & Black, U.
lekte. Jandls Lyrik ist einerseits durch den sprachkri- Roski u.a. eine als »Blödelbarden« titulierte Generati-
tischen Impuls der Nachkriegsmoderne geprägt; sie on von Komikern und Liedermachern auf, die z. T.
entlarvt sprachliche Formeln und Klischees. Ande- klassische Formen der Scherzdichtung wie Limerick
rerseits bleiben aber zumal seine späteren Gedichte und Schüttelreim mit anarchisch-satirischem Zeit-
(im Gegensatz zu denjenigen der Dadaisten) vielfach geist neu vitalisierte.
in einem durchaus klassischen Sinne Audruck von Einen signifikanten Paradigmenwechsel im Hin-
Befindlichkeiten und Emotionen eines lyrischen Ichs blick auf die öffentliche Wahrnehmung komischer
sowie eines sehr unmittelbaren, sinnlichen Sprach- Literatur und Kunst leiteten seit den späten 1960er
vergnügens mit ausgeprägt komischen Valeurs. Nicht Jahren die Autoren und Zeichner der in halbiro-
zufällig sind einzelne Jandl-Texte zu Evergreens der nischer Anspielung auf die Meisterdenker der Kriti-
neueren komischen Lyrik avanciert, so das Gedicht schen Theorie sog. Neuen Frankfurter Schule ein, der
»ottos mops« (1963), in dem der Gleichklang des mit Gernhardt und Bernstein zwei erstrangige ko-
Reims durch eine einzige, das gesamte Gedicht mische Lyriker angehören. Die Neue Frankfurter
durchziehende Assonanz, den Vokal O, ersetzt ist; Schule wurde zunächt lange von Rezensionsbetrieb
seine Schlussstrophe lautet: wie Literaturwissenschaft ignoriert und setzte sich
nur langsam über subkulturelle Medien wie die Zeit-
ottos mops klopft schriften pardon und später Titanic sowie den ›alter-
otto: komm mops komm nativen‹ Zweitausendeins-Verlag durch (vgl. hierzu
ottos mops kommt Maintz 2013). Spätestens seit den 1980er Jahren wur-
ottos mops kotzt de aber besonders Gernhardt als eminenter und stil-
otto: ogottogott bildender Lyriker wahrgenommen, mit diversen re-
(Jandl 1970, 58) nommierten Literaturpreisen ausgezeichnet und zu-
nehmend auch von der Germanistik kanonisiert (vgl.
Viele der im engeren Sinn komischen Gedichte von etwa TEXT + KRITIK 136/1997; Hoffman-Monder-
Jandl, v. a. aber von Rühm (»Chansons«) oder Oko- kamp 2001; Hagestedt 2002; Zehrer 2002; Steinfeld
penko (»Lockergedichte«) sind formal allerdings ver- 2009). J. Drews betrachtet Gernhardts Werk und des-
gleichsweise traditionell; das Komische bedarf in der sen Rezeption in historischen Dimensionen: »Gern-
Regel, das zeigt sich auch hier, fester, konventionali- hardts Lyrik und ihre heitere Aufnahme als ernst-
sierter Strukturen und Rahmungen, die an entspre- zunehmende Lyrik ist eines der Symptome dafür,
chende Lesererwartungen appellieren, um sie dann dass wir ein westliches zivilisiertes Land geworden
wiederum gezielt unterlaufen zu können. Die Arbei- sind« (Drews 1999, 318).
ten etlicher jüngerer in der Tradition der experimen- Die Lyrik Gernhardts und Bernsteins zeigt, vergli-
tellen Lyrik bzw. auch der »Spoken-Word-Poetry« ste- chen etwa mit der deutlich konventionelleren Humo-
hender Autoren wie etwa G. Steinwachs, C. Steinba- ristik unmittelbarer Vorgänger wie E. Roth, eine inno-
cher, B. Böttcher oder N. Gomringer zeigen allerdings vativere, formenreichere und besonders im Einsatz
ausgeprägt komische Valenzen. von Nonsens entschlossenere Komik; Bernstein selbst
Jenseits der ›Hochliteratur‹ und seinerzeit meist hat das bemerkenswerte poetologische Diktum for-
strikt von dieser separiert, gab es auch in der Nach- muliert: »Immer den Sinn schön flachhalten« (Bern-
kriegszeit populäre lyrische Genrespezialisten der stein 2000, 7).
Komik wie E. Roth und H. Erhardt. Roth erzielte hohe Das Etikett ›Nonsens‹ reicht allerdings keineswegs
Buchauflagen mit seinen reim- und verstechnisch aus, um die Lyrik der NFS in all ihren Facetten zu cha-
versierten, aber etwas epigonalen, an Busch anknüp- rakterisieren. So entfernt sich z. B. die späte Erlebnis-
248 III Mediale Formen des Komischen

lyrik Gernhardts – etwa die autobiographischen Ge- Detering, Heinrich: »Nachwort«. In: ders. (Hg.): Heinz Er-
dichte über seine Krebserkrankung – partiell deutlich hardt: Von der Pampelmuse geküßt. Gedichte, Prosa, Sze-
von der anarchisch-dekonstruktiven Komik seiner nen. Stuttgart 2005.
Drews, Jörg: »Die neue Unersetzlichkeit der Lyrik«. In: Mer-
frühen Arbeiten. Und wie schon bei Busch oder Mor- kur Sonderheft Lyrik. Über Lyrik. 52. Jg., 3 (1999), 309–
genstern begegnet auch in den Gedichten der NFS 323.
vielfach das ausgesprochen klassische und durchaus Eilert, Bernd: Das Hausbuch der literarischen Hochkomik.
sinnstiftende humoristische Verfahren, komplexe Zu- Zürich 1987.
sammenhänge in verblüffender aphoristischer Ver- Erhardt, Heinz: Von der Pampelmuse geküßt. Gedichte, Pro-
sa, Szenen. Hg. von Heinrich Detering. Stuttgart 2005.
knappung zu präsentieren, so etwa in Gernhardts
Fontane, Theordor: Sämtliche Werke. Abt. II Wanderungen
Vierzeiler »Selbfindung«: durch die Mark Brandenburg. Bd. 2. Hg. von Walter Keitel/
Helmuth Nürnberger. München, Wien ³1987.
Ich weiß nicht, was ich bin. Fröhlich, Harry (Hg.): Lustige Lyrik. Fünfzig komische Ge-
Ich schreibe das gleich hin. dichte. Stuttgart 2003.
Da hab’n wir den Salat: Gernhardt, Robert: Was das Gedicht alles kann: Alles. Texte
zur Poetik. Hg. von Lutz Hagestedt/Johannes Möller.
Ich bin ein Literat.
Frankfurt a. M. 2010.
(Gernhardt 2008, 134) Gernhardt, Robert: Gesammelte Gedichte 1954–2006. Frank-
furt a. M. 2008.
oder in Bernsteins legendärem Zweizeiler, der inzwi- Gernhardt, Robert: Gedanken zum Gedicht. Zürich 1990a.
schen ein Signum der Neuen Franfurter Schule ins- Gernhardt, Robert: Reim und Zeit. Stuttgart 1990b.
Gernhardt, Robert/Klaus Cäsar Zehrer (Hg.): »Bilden Sie
gesamt darstellt:
mal einen Satz mit ...« 555 Ergebnisse eines Dichterwett-
streits. Frankfurt a. M. 2007.
Die schärfsten Kritiker der Elche Gernhardt, Robert/Klaus Cäsar Zehrer (Hg.): Hell und
waren früher selber welche. Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten.
(Bernstein 2003, 27) Frankfurt a. M. 2004.
Goethe, Johann Wofgang von: Sämtliche Werke, Bd. 4. Hg.
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Reime im Werk von Robert Gernhardt. Frankfurt a. M. samtausgabe. Hamburg 2007.
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250 III Mediale Formen des Komischen

26 Komik mit prosasprachlichen Palast und die Person des Kaisers darstellt. Haupt-
Mitteln sprachen dieses Reichs sind Latein und Griechisch.
Den politischen Zusammenhalt der imperialen Ober-
schichten garantiert zunehmend eine emphatische
26.1 Satirischer/Parodistischer Roman und eindringliche Konzeption von Bildung, deren
Kern die griechische Kultur der klassischen Zeit bil-
26.1.1 Antike
det. Das imperiale Bild von dieser Kultur konstituiert
Eine generische Einordnung des antiken Romans ist sich um die Pole der Rhetorik und der Philosophie: Sie
schwierig, da er weder durch die zeitgenössische noch nehmen in unterschiedlicher Akzentuierung wesent-
durch die spätere antike Literaturgeschichte erfasst lichen Einfluss auf Schule und Ausbildung, auf die Ei-
und klassifiziert wurde. In den seltenen Erwähnungen genwahrnehmung und Selbstdarstellung der Ober-
wird er als dihegema(ta) (Erzählung[en]), drama oder schicht und damit dann auch auf die gesamte literari-
auch, spezifischer, als komodía (Komödie) bezeichnet: sche Produktion der Hohen Kaiserzeit, die sich expli-
Die hier beobachtete Affinität zum Dramatischen mag zit wie implizit in subtiler Mimesis auf die Literatur
sich sowohl auf den theatralen, oft szenischen Cha- der Klassik bezieht.
rakter der Texte als auch auf die dramentypische Ziel- Zwar spricht manches dafür, dass auch der im enge-
führung der Handlung mit Retardationen und Peri- ren Sinne satirische Roman seine generischen Vorläu-
petien hin zu einem meistenteils guten Ende – daher fer in der griechischen Literatur hat, eigentliche Kon-
wohl die konstatierte Nähe zur Komödie – beziehen. turen gewinnt er aber für uns nur aus den beiden er-
Vergleichbar schwierig sind daher auch weitergehen- haltenen lateinischen Romanen. Da ist es umso auffäl-
de Kategorisierungen. Üblicherweise unterscheidet liger, dass eine ästhetische Leitlinie dieser Texte der
die Forschung einen – innerhalb des Erhaltenen – parodistische Rückgriff auf die griechischen idealisie-
größtenteils von den griechischen Gattungsexempla- renden Liebesromane zu sein scheint. Ist dort die Be-
ren vertretenen mainstream, den ›idealisierenden Lie- wahrung der Treue zwischen den Liebenden gegen al-
besroman‹, von den ›komisch-realistischen‹ Roma- le Fährnisse, Trennungen und Verführungen wesent-
nen v. a. der lateinischen Literatur; daneben stehen liches dramatisches Mittel, so geht es hier gerade im
Texte wie der hellenistische Alexander-Roman, uto- Gegenteil um schnelle, meist ausführlich dargestellte
pische Romane, Briefromane, Biographien, die par- sexuelle Erfüllung, und die dort geschilderten großen
tiell romanhafte Züge aufweisen und daher als fringe- Gefühle und hohen Werte werden hier als Wunsch-
novels angesehen werden (vgl. Holzberg 2006, 22–38); denken entlarvt: Die wirkliche Welt ist, so sieht es in
angesichts der generischen Unbestimmtheit des Ro- den Satyrica und den Metamorphoses aus, roh, er-
mans tut man allerdings besser daran, solchen Diffe- folgsorientiert, primitiv, und das Gesetz, wonach der
renzierungen in Zentrum und Peripherie der Gattung Stärkere und Rücksichtslosere siegt, gilt überall und
nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Daher enthält stets. Werte der Bildung und der Moral setzen sich nur
die folgende Darstellung, die sich auf den eigentlichen selten durch, und so entwickelt sich eine realistische,
satirischen, nämlich den komisch-realistischen Ro- zugleich satirische Sicht auf die Welt der römischen
man konzentriert, auch einen Abschnitt zu der we- Kaiserzeit.
nigstens teilweise satirischen Biographie des Äsop. Träger dieser Sicht ist in den beiden lateinischen
Die drei hier besprochenen Romane entstammen Romanen ein Ich-Erzähler, in den Satyrica ein junger
unterschiedlichen Generationen und Kontexten. Der Mann mit dem sprechenden (griech.) Namen ›Encol-
älteste von ihnen, Petrons (in umfangreichen Frag- pius‹ (›der an der Brust liegt‹), der seine insbesondere
menten, aber nicht vollständig erhaltene) Satyrica, ge- erotischen Abenteuer mit dem Knaben Giton, die ihn
hört wohl in die Mitte des 1. Jh.s n. Chr.; der (anony- durch Kampanien und bis ins unteritalische Kroton
me) Aesop-Roman wird auf das frühe zweite, die Meta- geführt zu haben scheinen, ausführlich und aus der
morphosēs (Der Goldene Esel) des Apuleius in die Mit- Sicht des immer wieder düpierten, Höhen und Tiefen
te des 2. Jh.s n. Chr. datiert. Rom steht im Zentrum durchlebenden Liebhabers schildert. Giton und En-
eines Reiches, das seine Grenzen bis nach Britannien, colpius bewegen sich ausschließlich in den unteren
Spanien, Nordafrika und in den Nahen Osten vor- sozialen Milieus; Höhepunkt ist die vollständig erhal-
geschoben und alle eroberten Länder zu seinen Pro- tene Cena Trimalchionis (Gastmahl bei Trimalchio),
vinzen mit einer reichsweiten, homogenen Verwal- bei der sich soziale Auf- und Absteiger tafelnd in ei-
tung gemacht hat, deren Mittelpunkt der kaiserliche nem Ambiente treffen, das genauso reich an kulinari-

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_26,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 251

schen Extravaganzen wie an gleichzeitigen Exzessen ästhetische Distanz des Rezipienten zum erzählten Ge-
der Unbildung ist. In den Metamorphoses erzählt ein schehen, die Lachen erst ermöglicht. Wenn Aesop al-
junger Mann namens ›Lucius‹, wie er nach Hypata in lerdings sogar noch auf dem Weg zur Hinrichtung Fa-
Thessalien reist, dort in Kontakt mit Magie gerät, beln erzählt, nun aber in zunehmend hektischer Fre-
durch Unvorsichtigkeit in einen Esel verwandelt wird quenz, dann scheint der Autor des Romans gerade mit
und nun eine Reise permanenter Bedrohung, Leiden der stets gegebenen Möglichkeit, dass das Komische
und Demütigungen zu bewältigen hat, bis er am Ende ins Tragische kippen kann, Spannung zu erzeugen.
bei einem Isis-Fest wieder seine alte Gestalt zurück- Angesichts der psychischen Unberührtheit des
erhält und sich daraufhin für den Rest seines Lebens Protagonisten muss sein leidender Körper umso mehr
den Kulten von Isis und Osiris widmet. Beide Protago- im Fokus des Interesses stehen und erfährt entspre-
nistenerzähler sind ›Geworfene‹: Durch höhere chende Ausstellung. Leitmotiv der Satyrica ist Encol-
Mächte – bei Petron ist es ein Fluch des Priap, bei pius’ von Priap verursachte Impotenz, während in den
Apuleius die Magie – aus den Kreisen von Bildung Metamorphoses Lucius als Esel Übergriffe aller Art
und Wohlstand in die Niederungen der Gesellschaft von Schlägen bis zu Quälereien und sogar sexuellen
versetzt, bieten sie sich, wenngleich dabei Objekt anti- Inanspruchnahmen erdulden muss. Aesop hingegen
intellektualistischer Satire (vgl. Keulen 2004), den Le- hat die Folgen seiner auffallenden Hässlichkeit zu er-
sern einerseits als Fokalisatoren an, andererseits kon- tragen und schließlich gar seinen Tod. Sexualität wird
stituieren sie auch den Hintergrund, der es den Lesern in allen denkbaren Manifestationsformen und Inten-
erst ermöglicht, mit der dargestellten Welt in einen sitätsstufen bis hin zum Pornographischen breit be-
dialogischen Kontakt zu treten. Sie sind mehr, als sie schrieben.
ihrer Welt zu sein scheinen, und daher prädestiniert,
in ironischer Brechung rezipiert zu werden (vgl. Con- Petron, Satyrica
te 1997). Sie agieren den Kontrast zwischen Anspruch Der Titel des Romans – Satyricōn (liber) – ist im Sinne
und Wirklichkeit selbst am stärksten aus: Entspre- von »Geschichten aus dem Land der Satyrn« (Holz-
chend stehen sie stets auf der Grenze zu tragischem berg 2006, 84) zu verstehen. Damit wird sowohl der
Scheitern und sind nur deshalb komisch, weil ihre Lei- dramatische Charakter des Genres als auch der paro-
den weder Respekt vor heroischem Pathos verdienen distische Bezug auf den idealisierenden Liebesroman
noch sie als Erzähler jemals eigentlich affizieren. (zu beiden s. o.) zum Programm erhoben. Denn nicht
Denn bereits Aristoteles definiert in der Poetik den nur zeichnen sich die Satyrn als Gestalten des Mythos
Ausgangspunkt von Komik als »hässlich-schändliche durch ständige Lüsternheit, ja Geilheit aus – wie sie
Fehlhaltung (hamártēma), die weder aus Schmerz für die Figuren dieses Romans typisch ist –, sondern
hervorgeht noch selbst Schaden anrichtet« (Poetik 5, sie konstituieren auch die dritte dramatische Gattung
1449a). In der Tat sind die Erzähler-Protagonisten der der Antike, das Satyrspiel, das sich in den dionysi-
beiden Romane im Rahmen der Handlung weitgehend schen Agonen des klassischen Athen an jede tragische
machtlos, doch umgekehrt vermag nichts, was sie er- Trilogie anschloss und, wie die Tragödie, einen der be-
leiden, sie aus der Handlungsteilhabe zu schleudern kannten Mythen ausspielte, aber gebrochen durch die
oder sie gar am genussreichen Erzählen zu hindern. Beigabe eines Chors von Satyrn, der die seriöse, pa-
Wie es der paradigmatischen Grundbefindlichkeit des thetische Handlungsvorgabe ins Obszön-Burleske
Komischen entspricht, sieht jeder neue Abschnitt sie verzerrte. Das Werk umfasste ursprünglich vielleicht
mit mehr oder weniger frischen Kräften am Start, wie 24 Bücher, von denen, bis ins 9. Jh. n. Chr. noch voll-
auch nichts ihnen je die Lust am Erzählen vergällen ständig, nur noch Bruchstücke aus den Büchern 14–
könnte. Entsprechend begnügen sich die Erzähler 16 und wahrscheinlich 17–20 erhalten sind, und selbst
nicht damit, ihre eigentliche Geschichte zu Gehör zu diese dürften zum Teil eher Exzerpte als originaler
bringen, sondern reichern sie immer wieder mit ein- Wortlaut sein (mit Ausnahme der Cena Trimalchio-
gelegten Erzählungen – bei Apuleius von teilweise ge- nis). Der Roman erzählt von den erotischen Abenteu-
waltiger Ausdehnung – an, deren Verhältnis zur ern des Encolpius mit dem Knaben Giton, von dem
Haupthandlung von unterschiedlicher Funktionalität Encolpius immer wieder durch äußere Umstände und
ist. Ebenso agiert in der auktorialen Narration des Ae- Nebenbuhler getrennt wird; über seinen Ausgang
sop-Romans der Protagonist permanent als Erzähler kann man nicht einmal spekulieren.
von Fabeln. Die Verselbständigung des Aktes des Er- Einen nicht geringen Teil der komischen Wirkung
zählens von den Fährnissen des Erzählers erschafft die erzeugt Petrons Sprache, die alle Register vom Stil der
252 III Mediale Formen des Komischen

Gosse – mit allen Formen der Verletzung auch ele- maßen impotenter Satyr wie Encolpius im letzten eine
mentarster Sprachrichtigkeit – bis zum hohen epi- Figurierung geradezu paradoxer Identitätslosigkeit:
schen und tragischen Stil zieht und also auch darin ei- Das Auseinanderklaffen von Schein und Sein, das hier
nen hohen Grad an Realismus und Mimesis des All- satirisch bloßgelegt wird, deklariert sexuelle Potenz
tags erreicht (vgl. Petersmann 1985), etwa wenn der als komisches Symbol einer allzu leicht versagenden
neureiche Freigelassene Trimalchio physiologische individuellen wie sozialen Selbstbemächtigung.
Überlegungen anstellt: »Glaubt mir, die Flatulenz geht Hierfür dient das ausführlich erzählte ›Gastmahl
ins Gehirn und macht im ganzen Körper Rumor. Ich bei Trimalchio‹ als bestes Exempel (vgl. Satyricōn [li-
weiß von vielen, die so umgekommen sind, indem daß ber] 27–78; Slater 1990, 50–86). Eigentliches Thema
sie sich nicht zur Wahrheit bekennen wollten (»credite beinahe aller Unterhaltungen und Vorführungen ist
mihi, anathymiasis in cerebrum it et in toto corpore der Tod, dessen Evokationen nicht zuletzt diese Pas-
fluctum facit. Multos scio sic periisse, dum nolunt sibi sage auch einrahmen: So erschrickt der Erzähler ein-
verum dicere« (Satyricōn [liber] 47,6). Dazu gehört gangs vor einem großen Wandgemälde, das den Höl-
auch die (›Prosimetrum‹ genannte) Mischung aus lenhund Kerberos zeigt, und kann später auch das
narrativen Passagen in Prosa und eingelegten kürze- Haus – ganz wie es für den Hades gilt – nicht durch
ren oder längeren Gedichten in unterschiedlichen den Eingang verlassen, durch den er eingetreten ist.
Metren, woraus man eine generische Herkunft des Am Ende des Gastmahls inszeniert Trimalchio als
Romans aus der – uns allerdings textuell kaum greif- Gipfel der Geschmacklosigkeit seine eigene Leichen-
baren – sog.en ›Menippeischen Satire‹ abgeleitet hat. feier. Im Verlauf der Schmauserei wird regelmäßig
Gerade in den Gedichten finden sich auch die gelun- auf das carpe diem angespielt, über testamentarische
gensten Entlarvungen mangelnder Bildung. Hier Verfügungen gesprochen. Kostbarstes Speisegerät,
kann der Rezipient zudem mögliche Modi der Reakti- bester Wein, vorzüglichste Speisen werden sorglos in
on auf den Text kennenlernen: Während auf eingeleg- den Abfall befördert, und besonders gern tischt Tri-
te Prosa-Erzählungen – soweit wir sehen können: obs- malchio Gerichte auf, in denen tote und gebratene
zönen Inhalts – durch Gelächter, Emotion oder auch Tiere Lebendiges enthalten. Kurz: Man gewinnt den
moralische Empörung, also differenziert reagiert Eindruck, als sei alles Sinnen und Trachten Trimal-
wird, ernten Verse nur Langeweile oder Steinwürfe chios auf sein Ableben ausgerichtet und als gewinne
und erweisen sich im Kontext dieses Romans als hohle er erst in ihm, seiner Grabinschrift und seinem (ge-
Pose. Große Gefühle werden also in den Satyrica waltigen) Grabmonument seine eigentliche Bestim-
ebenso zuschanden und als aufgesetzt desavouiert wie mung. Trotz all seines ökonomischen Erfolges weiß
Ansprüche auf Liebe und Treue; sie sind genauso ob- Trimalchio mit seinem Leben nichts anzufangen, hat
solet wie die resignative Sehnsucht nach einer Welt, in seinen Platz nicht gefunden; hierzu passt sein gesell-
der Wissen, Bildung und Geschmack höheren gesell- schaftlicher Status eines Freigelassenen, der nicht
schaftlichen Wert besäßen als Reichtum und Macht – mehr Sklave ist, dessen Bürgertum aber noch zu neu
und dies muss in dem oben genannten sozialen Kon- ist, um ihm als Mittel der Identitätsstiftung zu tau-
text einer Bildungskultur als der eigentliche Kern der gen. Hier könnte Petron eine empfindliche Stelle der
Satire angesehen werden. Letztlich kreisen mensch- kaiserzeitlichen Gesellschaft getroffen haben, die
liches Denken und gesellschaftliche Geschäftigkeit weiterhin in eine (kleinere) Oberschicht und eine
um krude Potenz, und so ist das zentrale Motiv, Encol- (deutlich größere) Unterschicht geteilt war und in
pius’ Impotenz, nicht nur als obszöner Topos komisch, der gerade die Freigelassenen zwar sozial mobil wa-
sondern erweitert sich zum Symbol einer degenerier- ren – neben oberschichtlichen liberti standen »graue
ten Gesellschaft, die in ihrer Wertsetzung manches Eminenzen« (Alföldy 2011, 138 f.), die über großen
behauptet und gleichsam will, es aber nicht (verwirk- Reichtum, nicht jedoch über eine entsprechende
lichen) kann. Zugleich parodieren die Satyrica in die- soziale Anerkennung verfügten –, aber gerade des-
sem Motiv auch den griechischen Liebesroman und halb auch leicht zum Objekt der Gesellschaftssatire
persiflieren die dort inszenierte Enthaltsamkeit der taugten.
Liebenden, der sie unterstellen, kaschierende Pose tat-
sächlicher Unfähigkeit zu sein. Wenn aber das Den- Apuleius, Metamorphosēs
ken aller so sehr um Fragen der Potenz kreist, dass Der originale Titel des bald nach der Mitte des 2. Jh.
man das zeitgenössische Rom und Italien als ›Land n. Chr. verfassten Romans lautet Metamorphosēs (Ver-
der Satyrn‹ verballhornen kann, dann ist ein solcher- wandlungen), und die Wahl eines griechischen Begrif-
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 253

fes (das Proöm [Vorwort] spricht von einer »fabula dann wieder die zahlreichen, teilweise wörtlichen
Graecanica«, die jetzt erzählt werden solle: 1,1,6) deu- Querbezüge zwischen Lucius’ Bemühen um magi-
tet auf den oben genannten Bildungshorizont als eine sches Wissen in den ersten drei Büchern und seiner
Größe hin, die für das Verständnis des Werkes wesent- Kulthingabe im letzten Buch des Romans verstehen
lich ist. Später war der beliebte Roman auch unter dem (vgl. Mal-Maeder 1997)? Oder ist der Text weniger als
scherzhaften Titel Goldener Esel (Asinus aureus) be- satirischer Schelmen- denn als Entwicklungsroman
kannt. Der Roman umfasst die ungewöhnliche Zahl angelegt? Oder geht es ›einfach‹ um gute und gebildete
von elf Büchern, und so hat man aus Besonderheiten Unterhaltung, wie es die abschließende Forderung des
der handschriftlichen Überlieferung, die möglicher- Vorworts nahelegt, der Leser solle aufmerken, er wer-
weise einen Textausfall am Ende anzeigen, die Ver- de sein Vergnügen haben (»lector, intende: laetabe-
mutung abgeleitet, dass der Text ursprünglich noch ris«, 1,1,6)? Oder entfaltet der Roman gar die Allego-
weiterging (vgl. Mal-Maeder 1997; Holzberg 2006, rie (und teilweise auch Parodie) einer Mysterienreise?
110). Ob er dann zwölf Bücher gehabt hätte – wie die Der Leser scheint vor die Entscheidung gestellt zu
Aeneis – oder gar 15, wie sein Namensvetter, Ovids sein, ob er den Roman, unter Betonung des Finales, als
Metamorphosen, muss natürlich, wie überhaupt die eine seriöse Allegorie verstehen will, deren Subtext –
ganze Frage, offenbleiben. eine Moral der intellektuellen und körperlichen Ent-
In der überlieferten Gestalt endet der Roman da- haltung – vom ihm zu entschlüsseln ist, oder, unter
mit, dass der Ich-Erzähler Lucius – nach allen Fähr- Betonung des Anfangs, als eine witzige Erzählung, die
nissen, die er als der Esel erdulden muss, in den ihn auf die Freude des Lesers am Decodieren von gebilde-
seine verflixte Neugierde auf magische Verrichtun- ten Anspielungen, am Voyeurismus, an der kitzelnden
gen verwandelt hat – sich dem Kult der Isis (sie zeigte Sensation ausgerichtet ist. In beiden Fällen wäre Satire
ihm die Rosen, die er fressen musste, um rückver- nicht die eigentliche Intention des Textes, sondern be-
wandelt zu werden) und des Osiris als Priester zu- säße vielmehr dienende Funktion. Diese Entschei-
wendet und in diesem Dienst sein weiteres Leben dung lässt sich dem Roman, der kein festes Deutungs-
fristet. Läge tatsächlich ein größerer Textausfall vor, zentrum besitzt (vgl. Winkler 1985), nicht abgewin-
hätte das Ende womöglich anders ausgesehen und nen, der Leser selbst trägt die Verantwortung dafür,
Lucius auch aus diesem Dasein wieder ›erlöst‹. Den Moral gegen Lesevergnügen auszuspielen; denn vom
Zuschnitt eines solchen alternativen Schlusses könn- Ende, jedenfalls in seinem erhaltenen Zustand, führt
ten wir dann dem im Corpus Lukians erhaltenen Ex- kein Weg zum Anfang des Romans, es bleibt ganz of-
zerpt eines griechischen Eselsromans entnehmen, fen, wie aus dem jeder Sensation abgeneigten Kultdie-
der in vieler Hinsicht eine verblüffende Ähnlichkeit ner und braven Anwalt auf dem Forum jener heitere
mit den lateinischen Metamorphoses aufgewiesen zu und zielbewusste Erzähler werden soll, der uns im
haben scheint und ihnen möglicherweise als Vorbild Proöm entgegentritt und ›milesische‹ Geschichten
diente. Die das ganze elfte Buch ausfüllende Hin- (d. h. voller sex and crime) verspricht – entsprechend
wendung zu Isis und Osiris wäre in diesem Fall nur beginnt der Text mit der scharfen Adversativpartikel
eine weitere Episode – die allerdings im griechischen at (aber) (vgl. v. Möllendorff 2004): »Aber ich will dir
Roman kein Pendant besessen hätte, und diese hier in milesischem Stil einen bunten Kranz von Ge-
180-Grad-Wendung der Erzählung sowie der deut- schichten flechten und deine geneigten Ohren mit
lich finalistische Charakter des Schlusssatzes spre- hübschem Kling-Klang kitzeln ... (Metamorphosēs
chen wiederum eher dafür, dass uns Apuleius’ Meta- 1,1,1).
morphosen vollständig vorliegen. Während Lucius vor seiner Verwandlung in Buch 3
Ist dies so, dann stellt der Schluss den Leser vor die und nach seiner Rückverwandlung in Buch 11 stets
Frage, wie er die gläubige Hinwendung des Erzählers auf Menschen trifft, die – wenn auch bisweilen auf
zum Isis- und Osiriskult mit seiner früheren Neugier Umwegen – an seinem Wohlergehen und Fortkom-
und insbesondere mit seinem satirischen Blick auf die men interessiert sind, begegnet er in seinem Jahr als
Welt vereinbaren soll. Denn jene Neugier ist gewisser- Esel ausschließlich Gleichgültigkeit, Sadismus oder
maßen eine epistemologische Voraussetzung für die Übergriffigkeit, und immer wieder wird er gedemü-
Satire: Wer sich nicht für die Welt interessiert, wird sie tigt und ausgelacht. Bisweilen vermag er sich zu rä-
auch nicht kritisieren können und wollen. Wenn der chen – wenn er etwa einen Ehebrecher enttarnt –,
Priester in 11,15 aber Neugier als Laster desavouiert: doch in den meisten Fällen bleibt er Opfer, und nur
Ist damit die frühere Satire hinfällig? Und wie soll man die ungebrochene Gelassenheit seines Erzählens, die
254 III Mediale Formen des Komischen

stets gewahrte (selbst-) ironische Distanz des Ich-Er- Anonymus, Bios Aisōpou (Leben des Äsop)
zählers, ermöglicht es dem Leser, sich selbst auch dem Der anonyme Verfasser der Äsop-Vita, die in zwei
Gelächter zu überlassen, auch wenn Lucius von mör- handschriftlichen Fassungen, ergänzt durch einige Pa-
derischen Räubern verfolgt, in einer Mühle bis aufs pyrusfragmente, vorliegt, erzählt Leben und Wirken
Blut geschunden, von falschen syrischen Priestern für des Fabeldichters, der, zuerst stummer Sklave eines
ihre Orgien missbraucht oder von einer reichen Aris- Philosophen, durch die Gabe der Isis und der Musen
tokratin für ihre sexuelle Befriedigung engagiert die Redefähigkeit erhält und mit ihrer Hilfe seine Frei-
wird. Die Flucht ergreift der Esel erst, als er in der lassung und dann seinen gesellschaftlichen Aufstieg
Arena eine verurteilte Ehebrecherin und Giftmische- zu hohen politischen Ehren bewirkt. Durch Hybris –
rin zu Tode vergewaltigen soll. All diese skandalösen er stellt sich selbst in einer Statuengruppe als Führer
Ereignisse werden aber – auch quantitativ – nahezu der Musen dar – zieht er Apollons Zorn auf sich, der
an die Seite gedrängt von eingelegten Geschichten aus daraufhin in seinem Kultort Delphi für Aesops Unter-
dem Mund von Erzählern zweiter oder dritter Ord- gang sorgt: Des Diebstahls eines ihm untergeschobe-
nung, die der Esel treulich notiert. Sie haben aller nen Kultgegenstandes angeklagt, wird er zur Hinrich-
Wahrscheinlichkeit nach nicht in der griechischen tung durch Felssturz verurteilt. Nach seinem Tod wer-
Vorlage gestanden, sondern sind Apuleius’ eigene den ihm gleichwohl, auf Zeus’ Weisung, als Sühneleis-
Zutat. Hervorzuheben ist hierbei das Märchen von tung für die Ermordung eine Säule und kultische Ehre
Amor und Psyche (vgl. Schlam 1993), das auch in der von den Delphern zuteil; die von ihm früher berate-
Rezeptionsgeschichte des Romans eigenständige We- nen Völker und Könige verlangen überdies von Del-
ge gegangen ist und im Roman mit den Büchern 4–6 phi Entschädigung. Eingelegt in diese Handlung sind
das komplette Zentrum okkupiert. Gerade die Erlö- nicht nur zahlreiche Aesop in der Überlieferung zu-
sungs- und Mysteriendeutungen des Romans berufen geschriebene Bonmots, sondern auch einige seiner
sich auf die vielfältigen Vernetzungen der Haupt- bekannten Fabeln. Eine konzeptionelle Nähe zu ge-
handlung mit dieser Geschichte von der neugierigen nuinen Romanen wie Apuleius’ Metamorphoses ist
Psyche, die ihren Liebhaber Amor durch unzeitige mithin nicht zu verkennen (vgl. weitergehend Finkel-
Neugier verliert und erst nach einer langen Reise vol- pearl 2003), auch wenn der Text letztlich eher zu den
ler Niederlagen und Demütigungen wiedergewinnt Randbezirken der Gattung gehört.
(vgl. Binder 1968). Aesop bietet dem Leser zwar durchaus eine satiri-
Ebenfalls im Proöm bezeichnet der Autor/Erzähler sche Perspektive auf die Welt und auf das Auseinan-
den Stil seines Werkes als den einer »desultoria scien- derklaffen von Anspruch und Wirklichkeit, ist jedoch
tia« (»Zirkusreiterkunst«, 1,1,6). Über die genaue Be- bis zu seinem Ende nicht im gleichen Maße ein leiden-
deutung des Begriffs und der Stelle insgesamt hat die der und gebeutelter Underdog-Protagonist wie Pe-
Forschung lange gestritten (vgl. Teuber 1993). Am trons Encolpius und Apuleius’ Lucius. Hier begegnet
besten versteht man ihn umfassend als Bezeichnung uns eher ein in Richtung Tragödie weisendes Modell
stilistischen Abwechslungsreichtums und variabler von Aufstieg und Fall eines Eulenspiegels, der sich
Registerwahl einerseits, bunten und nicht unbedingt mehr noch durch seine sprachliche Gabe als durch
homogenen Inhalts andererseits; aber auch die Wech- sein Handeln durchzusetzen weiß. Seine posthume
selfälle des Geschicks, wie sie im Roman so zahlreich Ehrung, die ihn – wie auch einige weitere Romanmo-
erzählt werden, der Reichtum wechselnder intertextu- tive – als dem Bereich des Dionysos zugehörig erweist
eller Bezüge und das permanente abrupte Umschalten (vgl. v. Möllendorff 1994), kommt ähnlich unerwartet
zwischen Haupterzählung und eingelegten Narrativen wie die Isis-Initiation des Lucius, wird allerdings auch
dürfte mitgemeint sein. Es liegt daher nahe, die ›Zir- nur kurz erwähnt. Ein eigentliches Happy End stellt
kusreiterkunst‹ emblematisch für den gesamten Zu- sie nicht dar, aber das ist im Schelmenroman auch
schnitt des Romans und also auch für seine spezifische nicht zu erwarten, für den es keine rechte Möglichkeit
Komik zu verstehen. Damit erweist sich der Goldene gibt, den trickster wieder in die gesellschaftliche Ord-
Esel dann als besonders eindrucksvoller Vertreter des nung zu integrieren.
Romans im oben erläuterten Sinne der antiken Gat- Komik entfaltet sich in dieser romanesken Biogra-
tungsbezeichnung ›Komödie‹ und bezieht seine ko- phie eher situativ, aber grundsätzlich besteht ein Miss-
mische Wirkung nicht nur inhaltlich aus der Satire, verhältnis zwischen Aesops körperlicher Hässlichkeit,
sondern mindestens ebenso sehr auch ästhetisch aus seinem glänzenden Verstand und seinen Erfolgen.
dem Unerwarteten, dem Bruch und der Ambivalenz. Komisch oder jedenfalls tragikomisch ist auch der fi-
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 255

nale Misserfolg des Fabulierens. Aesops Weisheit – Holzberg, Niklas: Der antike Roman. Eine Einführung.
das zeigt die abschließende Konfrontation mit Apoll Darmstadt 32006.
und Delphi genauso wie seine Abkehr von seinem Da- Jedrkiewicz, Stefano: Sapere e paradosso nell’antichità: Esopo
e la favola. Rom 1989.
sein als Sklave eines Philosophen – ist nicht diejenige Keulen, Wytse H.: »Gellius, Apuleius, and Satire on the In-
spekulativer, v. a. auf Fragen der Metaphysik gerichte- tellectual«. In: Leofranc Holford-Strevens u. a. (Hg.): The
ter denkerischer Systematik, sondern die eines intel- Worlds of Aulus Gellius. Oxford 2004, 215–137.
lektuellen Pragmatismus, der jener Weisheit tenden- Keulen, Wytse H./Nauta, Ruurd R./Panayotakis Stelios
ziell subversiv (sprechende Tiere!) gegenüber steht. Er (Hg.): Lectiones Scrupulosae. Essays on the Text and Inter-
pretation of Apuleius’ Metamorphoses in Honour of Maai-
taugt auch deshalb zum Berater, weil er praktische
ke Zimmerman. Groningen 2006.
Hinweise zum erfolgreichen Lebensvollzug bietet und van Mal-Maeder, Danielle: »Lector, intende: laetaberis: The
sie in didaktisch geeigneter Form – Fabeln, Aperçus – Enigma of the Last Book of Apuleius’ Metamorphoses«. In:
zu präsentieren weiß (vgl. Jedrkiewicz 1989). Die Sa- Heinz Hofmann (Hg.): Groningen Colloquia on the Novel
tire des Aesopromans ist daher letztlich eher episte- 8. Jg. (1997), 87–118.
mologischer Natur, und tatsächlich vermag sie gerade v. Möllendorff, Peter: »Im Grenzland der literarischen Satire:
Apuleius’ Metamorphosen«. In: Rolf Kussl (Hg.): Alte Texte
mit dem erwähnten posthumen Schluss die hierar- – Neue Wege. München 2004, 45–72.
chische Überlegenheit apollinisch-delphischer Weis- v. Möllendorff, Peter: »Die Fabel von Adler und Mistkäfer
heit zu unterlaufen. Mit dem Sieg des eigentlich Un- im Äsoproman«. In: Rheinisches Museum für Philologie
terlegenen ruft sie also ein traditionsreiches Konzept 137. Jg. (1994), 141–161.
des Komischen auf: Die schlussendliche Überlegen- Müller, Wolfgang (Hg.): Das Leben Äsops. Übers. von Gün-
ter Poethke. Leipzig 1974.
heit des im gesellschaftlichen Alltag üblicherweise
Petersmann, Hubert: »Umwelt, Sprachsituation und Stil-
nicht zur Erfüllung seiner Wünsche gelangenden schichten in Petrons ›Satyrica‹«. In: Hildegard Temporini/
›Schwachen‹, wenn sie mit der (temporären) Übertöl- Wolfgang Haase (Hg.): Aufstieg und Niedergang der rö-
pelung, Lächerlichmachung Höherrangiger oder ein- mischen Welt: Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der
fach nur Stärkerer einhergeht, ist ein altes komisches neueren Forschung. Berlin/New York 1985, 1687–1705.
Motiv, dessen Manifestationen von Odysseus’ ›Nie- Petron: Satyrica. Schelmengeschichten [zweisprachig]. Hg.
von Konrad Müller/Wilhelm Ehlers. München 1965.
mand‹-Lüge gegenüber dem Zyklopen Polyphem bis
Sallmann, Klaus: »Irritation als produktionsästhetisches
zum Handlungsverlauf von Chaplin- oder Laurel/ Prinzip in den Metamorphosen des Apuleius«. In: Gronin-
Hardy-Filmen reicht. Solche Handlungssequenzen gen Colloquia on the Novel 1. Jg. (1988), 81–102.
produzieren Resultate, die von vornherein nicht auf Schlam, C. C.: »Cupid and Psyche: Folktale and Literary
Dauerhaftigkeit abgestellt sind, sondern quasi karne- Narrative«. In: Groningen Colloquia on the Novel 5. Jg.
valeske Chronotope konstituieren. Und so ist auch im (1993), 63–73.
Slater, Niall: Reading Petronius. Baltimore 1990.
Falle Äsops klar, dass mit seiner Heroisierung die Teuber, Bernhard: »Zur Schreibkunst eines Zirkusreiters:
apollinische Dominanz nicht für immer unterlaufen Karnevaleskes Erzählen im ›Goldenen Esel‹ des Apuleius
ist und langfristig die überkommene Ordnung erhal- und die Sorge um sich in der antiken Ethik«. In: Siegmar
ten bleibt, deren zeitweilige Außerkraftsetzung gleich- Döpp (Hg.): Karnevaleske Phänomene in antiken und na-
wohl erleichterndes Lachen hervorruft. chantiken Kulturen und Literaturen. Trier 1993, 179–238.
Winkler, Jack J.: Auctor & Actor: A Narratological Reading of
Apuleius’ Golden Ass. Berkeley 1985.
Literatur
Alföldy, Géza: Römische Sozialgeschichte. Wiesbaden 2011. Peter von Möllendorff
Apuleius: Der goldene Esel. Metamorphosen. Hg. von Ed-
ward Brandt/Wilhelm Ehlers. München 41989.
Binder, Gerhard/Merkelbach, Reinhold (Hg.): Amor und 26.1.2 Mittelalter, Frühe Neuzeit, Barock
Psyche. Darmstadt 1968.
Conte, Gian Biagio: The Hidden Author: An Interpretation of Das gattungshistorische Vorfeld des modernen Ro-
Petronius’ Satyricon. Berkeley 1997. mans, welches sich vom antiken (Vers-) Roman über
Finkelpearl, Ellen: »Lucius and Aesop Gain a Voice: Apul. den höfischen Roman des Mittelalters bis ins 18. Jh.
Met. 11,1–2 and Vita Aesopi 7«. In: Stelios Panayotakis/
erstreckt, zeichnet sich durch eine extrem hohe Be-
Maaike Zimmerman/Wytse Keulen (Hg.): The Ancient
Novel and Beyond. Leiden u. a. 2003, 37–51. weglichkeit und Unschärfe aus, welche eine klar ab-
Harrison, Stephen S.: Apuleius: A Latin Sophist. Oxford grenzende Typologie unmöglich macht. Überschnei-
2000. dungen ergeben sich nicht allein mit dem lange noch
Holzberg, Niklas (Hg.): Der Äsop-Roman. Motivgeschichte erfolgreichen Versepos und mit Prosaerzählungen
und Erzählstruktur. Tübingen 1992. mittlerer Länge, sondern auch mit der Geschichts-
256 III Mediale Formen des Komischen

schreibung, didaktischer und Wissensliteratur, mit Bibelparodie und Tierepos


Schwank- und Narrendichtung. Wie lassen sich hier In der lateinischen Dichtung des Mittelalters sind Pa-
Romane bestimmen, die der Komik verpflichtet sind? rodie und Satire bekannte Schreibstrategien, die sich
Die für den barocken Roman gewählte Differenzie- zunächst auf geistliche Formen beziehen: Parodien
rung von ›hohem‹ und ›niederem‹ Roman gibt eine von Predigten, Mirakelerzählungen, Legenden und
erste Leitlinie an die Hand: Der ›niedere Roman‹ um- geistlichen Liedern (Saufmessen, Trinklieder, Cenae
fasst danach nicht allein den Pikaroroman, sondern im Rückbezug auf antike Gastmähler); ab dem 13. Jh.
auch Simpliziade und satirisch-politische Romane, kommen dann auch Parodien von akademischen Dis-
während höfisch-historische und Liebesromane da- putationen oder Passionsspielen hinzu. Darunter
von unterschieden werden können (vgl. Meid 2013, sind auch längere Texte wie die Cena Cypriani, eine
75–92). Sieht man Chr. von Grimmelshausens Werk Bibelparodie aus der Spätantike, die 855 von Rhaba-
und die pikarische Tradition als satirisch-parodistisch nus Maurus wieder aufgenommen und kurze Zeit
an, so wird es möglich, diese beiden Begriffe auch ge- später von Johannes Immonidis umgedichtet wurde
winnbringend für das Gattungsvorfeld anzuwenden, (vgl. Modesto 1992, 72–81). Dieser Text enthält eine
zumal sie beide seit der Antike geläufig sind. Still- Anzahl typischer komischer Themen des Mittelalters:
schweigend wird dabei vorausgesetzt – dieses Risiko die Verbindung von biblischen Inhalten und Figuren
ist einzugehen – dass satirische und parodistische Ro- mit Festmahls- und Schwankmotiven, Küchenhumor
mane unterhaltenden Charakter haben und dass sie und hyperbolische Gewalt. Eine lange Reihe bib-
von einer komischen Darstellungsabsicht getragen lischer Figuren aus Altem und Neuem Testament
werden. wird in einem fiktiven Raum-Zeit-Kontinuum (Be-
Schon im Mittelalter weisen Artusroman wie such bei einem Festmahl des Königs Johel zu Kana)
Karls- und Dietrichepik schwankhafte sowie parodis- zusammengeführt, an dem sie gemäß ihrer biblischen
tische Züge und Elemente auf, doch genügen diese Charakterisierung und Attribution teilnehmen. Al-
nur in Ausnahmefällen (Pèlegrinage de Charlemagne, lerdings werden sie bei alltäglichen Handlungen wie
ca. 1150), um dem Gesamttext eine komische Ten- Ankommen und Niedersetzen, Essen und Trinken,
denz zu verleihen. Der komische Roman der Vor- Tanzen und Schlafen gezeigt, was zur Verzerrung und
moderne entsteht erst im Frankreich des 17. Jh.s (vgl. Profanierung ihrer allegorischen Bedeutungen führt.
Berger 1984, 13–36), aber es gibt schon seit dem Der Text behält somit formale Aspekte des biblischen
Frühmittelalter fiktionale Texte größeren Umfangs, Personals bei, versetzt es jedoch in einen anderen,
die einen engen Bezug von Didaxe und Unterhaltung fiktiven Kontext. Als Techniken der parodistischen
aufweisen und anspielungsreich mit Intertexten und Kontrastierung dienen dabei Zitate, Allusionen und
der gesellschaftlichen Wirklichkeit umgehen, in wel- andere intertextuelle Bezüge, die Verballhornung und
chen ein unheroisches Personal Normverstöße ge- Substitution einzelner Wörter zum Zweck der Sinn-
genbildlich in Szene setzt. Sie werden teils als Satiren doppelung, die originelle Bezugnahme auf theologi-
und Parodien, teils als Schwank- und Narrenliteratur, sche Deutungszusammenhänge und ihre groteske
als Burlesken und Grotesken bezeichnet. Von Beginn Verwandlung. Die im Epilog erwähnte, auf rekreati-
an zeichnen viele von ihnen sich durch hohe Sprach- ves Lachen abzielende Wirkungsabsicht erscheint je-
reflexion und Erzählbewusstsein (bis hin zum unreli- doch weniger subversiv als affirmativ, da durch die
able narrator) sowie durch eine ambivalente Bezie- Komik ein Zugang zum Heiligen geschaffen wird (vgl.
hung zum dargestellten, teils ausufernden enzyklopä- Bayless 1996, 203).
dischen Wissen aus (so in H. Wittenwilers satiri- Auch die Satire kann im Mittelalter noch nicht als
schem Roman Der Ring, ca. 1410, und J. Fischarts Gattung, sondern muss als Schreibweise bezeichnet
Gargantua-Bearbeitung Geschichtklitterung, 1575, werden, die sich in unterschiedlichen Formen mani-
die beide stellvertretend für das hier besprochene festiert, welche sämtlich der teils scharfen Kritik an
Textkorpus stehen können). Die meisten dieser Wer- gesellschaftlichen Missständen dienten. Frühe For-
ke sind in ihrem Anspielungsreichtum für ein gebil- men sind memento-mori-Dichtungen und lehrhafte
detes Publikum verfasst, auch wenn viele von ihnen Ständesatiren (etwa Heinrich von Melks Von des todes
auf eine überständische Rezeption abzielen (etwa gehugede, 12. Jh.) oder die satirische Schwankdich-
Schwankromane wie der Pfaffe vom Kalenberg, 1473, tung wie das lateinische Versepos Unibos vom Beginn
und Dyl Ulenspiegel, 1510/15 oder Pikaroromane des des 11. Jh.s. Es erzählt die Geschichte eines armen
17. Jh.s). Bauern, der die Geld- und Machtgier seiner Herren
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 257

durch listiges, doch letztlich grausames Handeln ent- spektive einer kalkuliert agierenden Außenseiterfigur
larvt und ihnen großen Schaden zufügt. Die satirische ermöglicht, eine Konstante, die noch im Schwank-
Schreibweise tendiert jedoch dort zur Gattung, wo sie wie im Schelmenroman späterer Jahrhunderte unver-
in einer ganzen Textgruppe zur Haupttendenz wird: ändert bleibt. Dabei ist der Fuchs im Roman de Renart
dies ist beim in ganz Europa verbreiteten lateinischen eine über weite Strecken hin sympathische Schelmen-
und volkssprachigen Tierepos der Fall. Die frühesten figur, der die Freiheit der Ausnahme gegen die Befan-
erhaltenen Tierepen sind die in Hexametern gefasste genheit der Regel setzt und deren Konventionen da-
lateinische Hoftagserzählung Ecbasis captivi (Mitte mit durchsichtig macht (vgl. Jauss 1959, 279). Da-
11. Jh.) und das Wolfsepos Ysengrimus (um 1150). gegen zielt das mhd. Epos Reinhart Fuchs weniger auf
Der älteste Text, die Hoftagsfabel, erzählt von anthro- komische Effekte (und somit auf das Lachen beim Zu-
pomorphisierten Tieren, die einander in grellen Tö- hörer) ab, sondern stellt in ›bestialischen‹ Gewalt-
tungsphantasien entblößende Gewalt antun, und taten des Fuchses die vollständige Vernichtung der
schafft damit im Medium der Satire einen Diskurs, in fiktiven Welt ins Zentrum. Indem Reinhart seine
welchem »die hochmittelalterliche Kultur nicht die Gegner Wolf, Dachs und Bär nacheinander täuscht
Tierwelt, sondern vielmehr sich selbst beobachtet« und an ihren tierischen Begierden zugrunde gehen
(Strohschneider 2004, 49). Dies gilt auch für das in lässt, führt er die rechtlichen Sippen- und Lehensbin-
Flandern entstandene Wolfsepos Ysengrimus, eine dungen des Feudalismus als bedeutungslos vor. Die
vermutlich durch einen Magister Nivardus verfasste, radikale Rechtssatire zeigt, dass keine Figur gewillt ist,
bittere Klostersatire, in der vom allmählichen Unter- die Normen von Recht und Gesellschaft zu verteidi-
gang des Wolfs als Mönchsfigur erzählt wird. Dieser gen: Der Löwe Vrevil ist das Zerrbild des staufischen
zeichnet sich durch Dummheit und eine kaum still- Ideals des rex iustus et pacificus, indem er sämtliche
bare Fressgier aus, welche die ›tierische‹ Natur hinter Verbündete aus Willkür und Machtgier opfert und
der klerikalen Maskerade entlarvt und in ihrer Dis- somit dem zerstörerischen Werk des betrügerischen
krepanz zum monastischen Gebot der Enthaltsam- Fuchses keinen Einhalt gebietet. Mit Hilfe rhetori-
keit als Kritik am Mönchstum zu verstehen ist (vgl. scher Mittel des ostentativen Erzählens greller Bild-
Neudeck 2004, 115). Die in der Klostersatire angeleg- folgen versieht Heinrich der Elsässer die politisch-ge-
te, schwankhafte Disposition der Typenfiguren Wolf sellschaftlichen und rechtlichen Missstände des aus-
und Fuchs (als animalische Variante des populären gehenden zwölften Jh.s mit einem bleibenden Makel
Erzählmotivs von Dümmling und Schelm) wird in »und setzt ihnen quasi ein literarisches Schandmal«
den wenig später entstehenden Fuchsepen ausdiffe- (Velten 2011, 128 f.).
renziert. Mit der Fokussierung des Fuchses als Kö- Das Tierepos des Mittelalters begründet mit sei-
nigsberater im Roman de Renart (1176) und im Rein- nem Anthropomorphismus und der in ihm liegenden
hart Fuchs (um 1200) weitet sich das Panorama zur Möglichkeit, negative Eigenschaften und Affekte der
Gesellschafts- und Herrschaftssatire, in der nicht menschlichen Natur schonungslos zur Anschauung
mehr der Wolf als Bösewicht im Zentrum steht, son- zu bringen, eine neue, erstmals rein fiktive Typenwelt
dern der listig-verschlagene Fuchs, der es mit allen von Charakteren, die satirisch entlarvt werden kann
›hohen‹ Tieren aufnimmt und mit seinem Triumph und sich teils parodistisch auf heldenepische Muster
die auf Gewalt und Herrschaft beruhende Feudal- bezieht (vgl. Jauss 1959, 21). Ihre Attraktivität zeigt
ordnung demaskiert. Im altfrz. Roman de Renart ver- sich in ihrer langen Dauer: Nach spätmittelalterlichen
binden sich Satire und Parodie dergestalt, dass die Bearbeitungen erreicht das Fuchsepos das Druckzeit-
Heldenepik (chanson de geste) als Kontrafaktur zur alter (mit der mittelniederländischen Hystorie van
höfisch-ritterlichen Welt travestiert und damit deren Reynart die vos (1479) und dem niederdeutschen
idealistisches Normenprogramm zerstört wird. Hin- Versepos Reynke de vos (Lübeck 1498), welches die
zu kommt eine zyklische Schwankstruktur, die die Vorlage für Goethes Reineke Fuchs (1794) abgab, aller-
Abenteuer des Fuchses locker in einzelnen Sequenzen dings mit wesentlichen Veränderungen: Reynke de vos
(branches) reiht. Dort erweist sich dieser immer aufs ist als umfassender Sündenspiegel angelegt, ein Kom-
Neue als ingeniöser Schelm, der seine Antagonisten pendium satirischer Charakterstudien und somit ein
durch die Kenntnis ihrer ›tierischen‹ Begierden mit predigthaft ermahnendes Erbauungsbuch.
List besiegt, doch ebenso wie sie, nur effektiver, die Im 16. Jh. erweitert sich das Tierepos auf der Basis
ethischen Normen der höfischen Welt negiert (Komik der pseudohomerischen Parodien Batrachomyoma-
der Gegenbildlichkeit). Die Satire wird in der Per- chia (Froschmäusekrieg, ca. 100 n. Chr.) beträchtlich.
258 III Mediale Formen des Komischen

Es sind scherzhafte Heldengedichte, die auf der Ver- Der Ring Heinrich Wittenwilers
bindung heroischer Form und kleiner, scheinbar un- Heinrich Wittenwilers um 1410 entstandenes ein-
bedeutender Inhalte gründen und neue tierische Pro- ziges Werk kann mit Recht als der herausragende
tagonisten aufweisen: es kommt zu einer Abkehr von deutsche Roman des Spätmittelalters bezeichnet wer-
den typisierten, heroisierten Jagdtieren und der Hin- den. In 9699 Versen erzählt er die Geschichte des
wendung zu unheroischen Beutetieren wie Floh, Mü- Bauernpaares Bertschi Triefnas und Mätzli Rüeren-
cke, Laus, Maus, Frosch. G. Rollenhagen nimmt den zumph in drei Teilen: (1) die Brautwerbung mit Bau-
Stoff des Froschmäusekriegs in seinem Froschmeuse- ernturnier, Minnebriefen und didaktischer Unter-
ler (1595) auf, erweitert die Parodie aber mit zusätzli- weisung, (2) die Hochzeit und das Gastmahl sowie
chem Fabelmaterial und Material aus anderen Wis- (3) die daraus resultierende Rauferei, die in einen
sensbereichen. So werden traditionelle Figuren der Dörfer- und schließlich Weltenkrieg ausartet. Die
Tierepik integriert, durch ihre Stellung in den intra- Protagonisten könnten der aristotelischen Komödi-
textuell erzählten Fabeln jedoch zu sekundären Pro- entheorie entsprungen sein: hässliche Menschen nie-
tagonisten gemacht. Rollenhagen behandelt das The- deren Standes mit zahlreichen Fehlern, die nicht in
ma des Kriegs umfassend und weitet es zu einer en- der Lage sind, die normativen Vorgaben der detail-
zyklopädisch angelegten Friedenslehre aus, wodurch liert vorgebrachten Lehren zu beherzigen und in die
die parodistische Wirkung verwässert wird und das Praxis des Alltags umzusetzen. Der Text schwankt
Werk zu einem polyhistorischen Wissenskompendi- deshalb auch zwischen den beiden Polen Didaxe und
um gerät. Komik, was schon im Prolog programmatisch mit
Anders verhält es sich mit J. Fischarts Flöh Hatz, ernsthafter »ler« und erheiterndem »pauren gschrey«
Weiber Tracz (1573/1577), das die frühneuzeitliche vermerkt und im gesamten Text durch eine rote bzw.
Flohliteratur eröffnet und aus der parasitären Nähe grüne Linie markiert ist, welche auf die in der Ars
der Flöhe zum Menschen komisches Kapital schlägt. Poetica (ca. 10–19 v. Chr.) des Horaz angelegte Mög-
Sowohl als Staatsvolk wie auch als einzelner Floh, der lichkeit der Literatur, gleichzeitig zu nützen und zu
in der Rolle als Liebesbote, Politiker oder Gelehrter unterhalten, verweist (vgl. Wittenwiler/Röcke 2012,
auftritt, eignen sich die kleinen Tiere nun bestens für 486). Verschiedene komische Elemente der Hand-
satirische und groteske Vergleiche und Kritik. Fisch- lung lassen sich unterscheiden: (1) eine parodistische
art nimmt in seinem Flohepos den misogynen Dis- Gegenbildlichkeit zu höfischen und gelehrten Mus-
kurs seiner Zeit auf und überzeichnet bzw. karikiert tern (die Bauern agieren wie ritterliche Herren, ver-
ihn: er wird erotisch aufgeladen, indem die Flöhe den anstalten Turniere, führen Wappen, leisten Minne-
weiblichen Körper begehren und ihn im Detail erkun- dienst und lassen Minnebriefe schreiben usw.); (2) ei-
den; gleichzeitig nehmen sie die Stelle der Männer im ne Logik der karnevalesken Inversion, die sich von
Geschlechterkampf als Gegner der Frauen ein. Ein Namenskomik über Sprachspiele bis zu semanti-
Nebenprodukt dieser grotesken Gender-Satire ist die schen Subversionen von Logik und Naturgesetzen,
Parodie heroischer Epik im Gewand einer Persiflage allgemein anerkannten sozialen und religiösen Hie-
der Gebrauchsliteratur mit zahlreichen Allusionen auf rarchien reicht; (3) eine körperzentrierte, groteske
die antik-humanistische Tradition (vgl. Müller 2007, Komik des Stürzens und Stolperns, des Stotterns, des
295–302). Die Flohliteratur hat ihr Pendant in den unaufhörlichen gegenseitigen Prügelns und Schla-
Kriegen von Mücken und Ameisen, die zu Beginn des gens und der daraus folgenden Schäden am Körper
17. Jh.s entstehen und auf der Moschaea (1519) von T. (vgl. Velten 2010, 67–79). Die Funktion dieser ko-
Folengo basieren: In Spanien ist es J. de Villaviciosa mischen Verfahren ist noch immer umstritten; wur-
(La mosquea, 1615), in Italien G. Battista Lalli (La Mo- de auf der einen Seite ihr ständesatirischer Gehalt mit
scheide, 1514/1530) und in Deutschland H. Chr. Bezügen zur Konstanzer Wirklichkeit um 1400 be-
Fuchs’ Mückenkrieg (1600), eine Übersetzung Folen- tont (Negativdidaxe, Lutz 1986), so erscheint die Ko-
gos. Die Mückenkriege sind Satiren über militärische mik auf der anderen Seite als Merkmal der lustvollen
Praktiken und deren Gewalt und stellen die Herr- Destruktion und Sinnentleerung der didaktischen
schertugenden negativ verzerrt dar. Sie zeigen am Bild Vorgaben. Dies geht mit einer intertextuellen Vielsei-
des Kampfes der staaten- und schwarmbildenden In- tigkeit einher, die die Normativität des Erzählten
sekten satirisch die zeitgenössischen Problematiken selbst unterminiert und eine neue Ästhetik schafft,
von Kriegs-, Söldner- und Militärwesen und nehmen die erst im 16. Jh. wieder aufgenommen wurde (vgl.
kritisch dazu Stellung. Bachorski 2006, 533–540).
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 259

Schwankromane schen Herzogs Ottos des Fröhlichen (1301–1339).


Der Tierepik ähnlich in einer zyklischen Episodenrei- Das auf den lateinischen Dialogus Salomonis et Mar-
he organisiert, entsteht der deutschsprachige Schwank- colphi (12. Jh.) zurückgehende deutsche Schwank-
roman mit Der Pfaffe Amîs des Strickers bereits im buch ist in einen Rätsel- und einen Schwankteil ge-
13. Jh. Als Gattungsmerkmale gelten bis heute die bio- gliedert. Markolf erscheint als Lachfigur bäuerlicher
graphisch begründete Einheitlichkeit des Helden, des Herkunft zusammen mit seiner Frau Polikana vor Sa-
Stofftypus und des ideellen Programms sowie eine lomon. Die Hässlichkeit beider wird szenographisch
vieltaktige Handlung. Wirkungsästhetische Haupt- hervorgehoben, sie zielt in ihrer grotesken, tierhaften
tendenz des Schwankromans ist »die Freude am Bö- Hybridität auf Effekte von Abscheu und Verwun-
sen« (Röcke 1986, 19–36), die sich auf die Ambivalenz derung sowie auf scharfen Kontrast zur sakralen Wis-
der Schwankfiguren sowie die Verwendung des kalku- sensfigur Salomons. Doch die Komik ergibt sich nicht
lierten Listhandelns für Normverstöße und Schädi- allein aus der Gegenbildlichkeit, sondern auch aus der
gungen aller Art erstreckt. Seine Komik betrifft Phä- rhetorischen Überlegenheit Markolfs, der die norma-
nomene der sprachlichen Verzerrung und der burles- tiven Aussagen des Weisen immer wieder subversiv
ken Schwankhandlungen, welche meist satirische unterläuft, sie in Alltagssituationen überträgt und in
Stoßrichtung besitzen. Es ist jedoch noch kaum deut- grotesken Sprach- und Körpergesten profaniert. Der
lich, auf welche Weise diese Komik mit den gängigen, Schwankteil verlagert den Wettbewerb auf die Hand-
für den Prosaroman verwendeten strukturellen oder lungsebene, in dem sich Markolf der drohenden Be-
narratologischen Analysemitteln zu korrelieren ist, strafung für seine ständigen Provokationen durch die
wenn der Schwankroman ebenso von der Spannung herrscherliche Gewalt immer wieder zu entziehen
zwischen Episodizität und Makrostruktur geprägt ist vermag. Markolf als Schwankheld erscheint hier noch
(vgl. Kipf 2014, 88–92). vor Eulenspiegel als ein Meister der kalkulierten Über-
Diese Probleme sind bereits in Strickers Der Pfaffe listung und des Wörtlich-Nehmens (vgl. Röcke 1986,
Amîs (um 1240) zu erkennen, in welchem ein Pfarrer 130 ff.).
durch betrügerische Handlungen die durch seine Einer ähnlichen antagonistischen Logik folgt die
Freigiebigkeit (milte) entstandenen hohen Bewir- auf den Schwankliedern der Neidharttradition basie-
tungskosten seines Haushalts finanziert, und gleich- rende Kompilation Neithart Fuchs, welche den Hof-
zeitig das sündhafte Verhalten seiner aus allen Stän- narren in mehreren Schwänken als Gegner der Bauern
den stammenden Gegenspieler aufdeckt (Ruhmsucht, zeigt. Auf den anfänglichen »Veilchenschwank«, in
Habgier, Wollust, Geiz usw.). Die Widersprüchlich- dem die Bauern den Ritter vor der Herzogin demüti-
keit des Helden ist sein Markenzeichen, und wie im gen, indem sie das erste Veilchen mit einem Kothaufen
Fuchsepos schwankt er zwischen genialem Verbre- vertauschen, folgt eine Reihe von Rachehandlungen an
cher und rücksichtslosem Herausforderer der Ord- den Bauern, welche den Schwankhelden in wechseln-
nung. Seine Betrügereien werden zum Vehikel der Sa- den Verkleidungen zeigt. Hier liegt neben einer aus-
tire, die kompromisslos das Bild einer auf Täuschung geprägten skatologischen Komik erneut eine Komik
und Schein angelegten Welt malt. Dennoch ist der fik- der fiktionalisierten, verbalen und körperlichen Ge-
tive Charakter der Schwankreihe evident, und die Ko- walt vor, in die sich die Figuren verstricken und da-
mik der Fremdbestimmtheit (vgl. Müller 2012, 85), durch zu m Lachobjekt der inner- und außertextuel-
die in den letzten beiden Episoden über die Opfer des len Rezipienten werden (vgl. Bockmann 2001, 270–
Pfaffen herrscht, weist in ihrer körperlich-burlesken 76). Dagegen ist der Kahlenberger Pfarrer, der seine
und überraschenden Gewalt auf das »Vergnügen am Bauern zum Vergnügen des Herzogs überlistet, weni-
komischen Helden« (Jauss 1976) voraus. ger grausam, und ähnlich seinem Vorgänger Amîs be-
Im 15. Jh. entstehen mehrere, teils auf ältere Erzäh- herrscht er die verschiedenen Formen des schwank-
lungen zurückgehende Schwankromane, die sämtlich haften Wettstreits und der Simulation meisterhaft. Sei-
(Hof-) Narrenfiguren zu Protagonisten haben: Der ne Antagonisten sind neben geizigen Bauern aber auch
närrische Bauer Markolf, der König Salomon zum höhere Kleriker, deren Wollust, Hochmut und Fress-
Rätselwettstreit herausfordert (mehrere Textfassun- gier er schonungslos offenlegen kann, sowie die Her-
gen des Salomon und Markolf-Komplexes), der Ritter zogin selbst, die er zum Vergnügen des Herzogs mit
und »Bauernfeind« Neithart Fuchs (1491) und der ironischen Selbstinszenierungen beeindruckt.
Pfaffe vom Kahlenberg (1487) Philipp Frankfurters, Die Narrenfiguren sind Vorgänger und Stoffliefe-
beide vorgeblich Spaßmacher am Hof des österreichi- ranten für das wohl bekannteste Schwankbuch der be-
260 III Mediale Formen des Komischen

ginnenden Neuzeit, Ein kurtzweilig Lesen von Dyl Eu- als Historie bezeichnete umfangreiche Unsinnserzäh-
lenspiegel (1510/15), welches seine Zwecksetzungen lung vom Finkenritter Policarp von Kirrlarissa (Straß-
im Vorwort preisgibt: »Nun allein umb ein frölich Ge- burg um 1560), die sich durch einen hohen Grad an
müt zu machen in schweren Zeiten, und die Lesenden semantischer Zersetzung seiner sprachlichen Gestalt
und Zuhörenden mögen gute kurtzweilige Fröden auszeichnet: Im Syntagma wird nur scheinbar Bedeu-
und Schwänck daruß fabulleren« (Eulenspiegel, 7). tung produziert, es wimmelt von lexikalischen Hybri-
Was sich in den vorherigen Schwankromanen als den mit hoher Verweisstruktur, Verkehrungen und
Konstante abzeichnete, wird hier bestätigt: Die didak- Adynata (unmögliche Dinge). Der Text hat womög-
tische Funktion tritt gegenüber der Unterhaltung in lich seinen Ursprung in akademischen gemischtspra-
den Hintergrund, die 95 Historien sind zum Lachen chigen Scherzreden oder Spott-Disputationen. Eine
gemacht, ganz ähnlich wie die Mehrzahl der euro- weitere Wurzel ist der antike phantastische Reise-
päischen Versnovellen seit dem 13. Jh. – sicherlich ein roman Wahre Geschichten (2. Jh. n. Chr.) Lukians von
Grund für die rasche Popularität des Buches in Samosata, dessen groteske und bizarre Komik der
Deutschland und Europa. Bei der Unterscheidung der Verkehrten Welt und des Unmöglichen wieder auf-
verschiedenen komischen Anlässe erkannte schon genommen wird (vgl. Brunner 2014, 161). Als un-
Goethe treffend: »Alle Hauptspäße des Buches beru- ermesslich weites Feld der Möglichkeiten des Sprach-
hen darauf, dass alle Menschen figürlich sprechen und spiels erscheint auch J. Fischarts opus magnum, die
Eulenspiegel es eigentlich nimmt« (Goethe 1981, 502). Geschichtklitterung (1575). Äußerlich eine Bearbei-
In den meisten Fällen wird eine technische sprach- tung des ersten Buches von F. Rabelais’ Gargantua
liche Anweisung, die Vorwissen impliziert, absichtlich (1534), emanzipiert sich der Text bald von seiner Vor-
falsch befolgt, um den Kontrahenten zu schädigen. Da lage und seinem riesenhaft-grotesken Helden, wobei
Eulenspiegels ›Wörtlich-Nehmen‹ aber nicht auf ein das körperlich Groteske vom sprachlich Grotesken
falsches, sondern nur auf ein anderes Verständnis der überwuchert und der Erzähler selbst zum eigentli-
Anweisungen hinausläuft, muss er nur in den Augen chen Helden wird (vgl. Bachorski 2006, 552). J. Fisch-
seiner Opfer bestraft werden, dem Beobachter muss art entfacht ein Feuerwerk an sprachlicher Komik, die
sein Handeln als Resultat eines ungenügenden Sprech- sich v. a. in weitreichender Erzählerironie, Kommen-
akts erscheinen. Die Komik des Buches entsteht aber taren und Digressionen, der parodistischen Aufnah-
nicht allein aus sprachlichen, sondern auch aus kör- me von Intertexten in Zitaten und Allusionen, end-
perlichen Transgressionen von Normen und Konven- losen assonanten Aufzählungen und Listen, Ambiva-
tionen. Ulenspiegel benutzt seinen Körper, um mit ge- lenz erzeugenden Neologismen, Verballhornungen
witzten, doch meist schamlosen Gesten und Hand- und Spielen mit dem humanistischen Wissen mani-
lungen die Erwartungen seiner Gegner zu konterka- festiert. Seine ›umfassende Ikonographie des hässlich
rieren und sie in ihrer Starrheit, H. Bergson würde Verzerrten‹ will unterhalten und Lachen erzeugen, sie
sagen, ihrem mechanischen Automatismus, bloß- folgt einem poetologischen Programm mit therapeu-
zustellen. In den transgressiven Akten Eulenspiegels tischem und Erkenntnis förderndem Charakter.
wird nicht nur der »Egoismus des Schalks« (Röcke Fischart sieht sein Werk innerhalb der komischen
1987) und sein Außenseitertum erkennbar, sondern Tradition seit der Antike, die er als »Gegenkanon«
es sind satirische Anschläge auf die scheinbar gute (Müller 2007, 305 f.) versteht und ihr den gleichen
Ordnung, die nun als brüchig und defizient erschei- Rang zuspricht wie der ernsthaften.
nen muss. Die Aggressivität der Komik, die in allen Ein ähnliches poetologisches Programm, wenn
Schwankromanen zu erkennen war, ist ein Ausweis auch noch stärker der Schwankreihe verpflichtet, weist
dieser Satire, doch bleibt sie im fiktionalen Rahmen das 1597 anonym erschienene Lalebuch auf. Hier geht
und ist somit dem Lachen zugänglich. der Schwankheld allerdings ins Kollektiv über: Die La-
len (besser unter ihrem späteren Namen der Schild-
Komische Romane des 16. Jahrhunderts bürger bekannt) sind eine bäuerliche Gemeinschaft
Während der Schwankroman noch bis zum Ende des exilierter Weisen, die versuchen, mit Hilfe der Narrheit
16. Jh.s populär bleibt, erscheinen in diesem Zeitraum ihrer öffentlichen Rolle als Fürstenberater zu entkom-
einige Werke, die nicht in die vorhandenen Muster men. Das Lalebuch erzählt aber nun, wie sie durch Ge-
passen und die man bei einem offenen, dialogischen wohnheit tatsächlich zum Opfer des eigenen närri-
Gattungsbegriff auch als eine Vorform des komischen schen Handelns werden und ihr Gemeinwesen am
Romans ansehen könnte. Es handelt sich dabei um die Ende selbst zerstören. In diesem heiter-satirischen
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 261

Abgesang auf kommunale Selbstbestimmung halten Identität erzählt werden – wenn er auch noch weit ent-
sich Handlungskomik und Sprachkomik die Waage: fernt ist von bruchloser Konsistenz. In den schon kurz
während die Schwankreihe von anarchisch anmuten- nach 1600 erfolgenden deutschsprachigen Pikaro-
den Inversionen (im Reimwettstreit wird der Un- Adaptionen, etwa in A. Albertinus’ Der Landstörtzer
fähigste Bürgermeister), Selbstversehrungen, närri- Gusman von Alfarche oder Picaro genannt (1615), ei-
schen Handlungen wie das Reiten von Steckenpferden ner anonymen deutschen Übersetzung des Lazarillo
oder das Bauen eines Rathauses ohne Fenster, sowie (1617) sowie der Picara Justina (1627), aber auch im
unendlichen Varianten, das »Gmeine Gut« zu verbrau- ersten autonomen Schelmenroman Lauf der Welt und
chen durchsetzt ist, wird die Sprachkomik meist auf Spiel des Glücks (1668) von H. Dürer, sowie den kurz
der Ebene des Erzählers durch ironische und selbst- darauf erscheinenden pikarischen Romane von Chr.
reflexive Bemerkungen, Kommentare und die parodis- von Grimmelshausen Der abentheuerliche Simplicissi-
tische Aufnahme von Intertexten (Th. Morus’ Utopia mus (1669), Courasche und Springinsfeld (beide 1670)
(1516) ist leitend) charakterisiert. Wie im Ring und in sind einige einschneidende Veränderungen bezüglich
der Geschichtklitterung ist auch hier kein Verlass mehr der komischen Strategien (die der Forschung nicht
auf Verhaltensanweisungen, auf vernunftmäßige Plan- immer als gattungskonstitutiv gelten) zu beobachten:
barkeit, so dass der Text die »Standards und Regeln des So gehen nicht nur die satirische Schärfe der spa-
Handelns und Denkens nicht ernst nimmt, sondern sie nischen Originale, sondern auch ihre karnevalesken
in den Taten und Worten seiner Figuren einem unbän- Elemente bei den Übertragungen weitgehend ver-
digen Lachen aussetzt« (Bachorski 2006, 339). loren, in Deutschland »wurde die novela picaresca vor
allem als ein Opus zur religiösen Erbauung und Be-
Pikaroromane in Europa und Deutschland lehrung adaptiert; diese Tendenz reichte [...] bis zu
Der spanische Pikaroroman mit den drei wichtigs- Grimmelshausen und Hieronymus Dürer« (Rötzer
ten Texten des Lazarillo de Tormes (1554), der Pica- 2009, 116). Damit ist v. a. auch die satirische und paro-
ra Justina (1600) sowie des Guzmán de Alfarache distische Komik gemeint, welche im frühen deutschen
(1599/1604) von M. Alemán markiert eine neue Qua- Pikaroroman zugunsten konfessioneller Vereinnah-
lität des komischen Episodenromans. Die Unterschie- mung, Bekehrungsabsichten und der Wiederaufnah-
de zum gleichzeitigen deutschsprachigen Schwank- me von belehrenden Sündenkatalogen (v. a. in Alber-
roman sind zumindest bezüglich der komischen Aus- tinus’ Gusman) deutlich an prägender Kraft verliert.
richtung nicht übermäßig groß: da ist die Serialität Was die Romane Grimmelshausens angeht, wurden
schwankhafter Erzählmuster, ein individuell gezeich- jedoch – in erster Linie für seinen Simplicissimus –
neter Außenseiter als Protagonist, seine listige Selbst- auch diverse Formen der Komik herausgearbeitet. So
behauptung mittels Fremdbeobachtung und Listkal- wurde die Verbindung pikarischer Erzählelemente
kül, die Parodie ritterlich-höfischer oder geistlicher mit dem Narrenmotiv, welches dem Schelm zur Mas-
Erzählungen sowie die satirische Kritik an gesell- kierung der Weisheit dient, generell als kennzeich-
schaftlichen und religiösen Normen (vgl. Kipf 2014, nend für den Text angesehen (vgl. van Ingen 2008,
99–101). Auch die groteske, rabelaishafte Hyperbolik 232 ff.), wie auch in der Eulenspiegelfigur ein Narren-
bei der Verwandlung Lazarillos in einen Thunfisch, Modell für den »seltzamen Vaganten« (Bauer 1993,
die Lukian-Rezeption als Bezugspunkt, Formen der 65) Simplicius gesehen werden konnte. Ferner sind im
ironischen Ambivalenzen und vieles mehr sind dem Simplicissimus Bezüge zur menippeischen Satire auf-
Schwank- und komischen Roman bereits vertraut gedeckt und eine karnevaleske Annäherung des Ho-
(vgl. Waltenberger 2014, 244–246). Allerdings kom- hen an das Niedere indiziert worden (vgl. Wirth 2008,
men wichtige Veränderungen hinzu, die den Pikaro- 180–184). In der Debatte um die ›Verbürgerlichung‹
roman zum Grundstein der modernen Gattung ge- des Pikaroromans in der deutschen Rezeption spielt
macht haben: Der Fokus verschiebt sich von der die Komik nur eine untergeordnete Rolle.
Episoden- zur Makrostruktur, auf die jetzt jeder
Handlungsteil ausgerichtet ist; der durchgängige, v. a. Der parodistische Roman des 17. Jahrhunderts
rückblickende Ich-Erzähler im autobiographischen Einen entschiedenen Gegenentwurf zu den frühen
Modus ist etwas völlig anderes (erstmalige Auffassung deutschen Pikaro-Adaptionen, aber auch zum hö-
von Diskontinuität), und der Lebensweg vom desen- fischen »hohen« Roman stellt der französische roman
gaño-Erlebnis durch die sozialen Höhen und Tiefen comique dar, der sich an den spanischen Mustern sowie
kann hier im Rahmen der Ausbildung von subjektiver an der Komödie orientiert und die Gattung des ko-
262 III Mediale Formen des Komischen

mischen Romans eigentlich erst begründet (vgl. Berger Literatur


1984, 23f.). Werke wie Ch. Sorels Histoire comique de Albertinus, Aegidius: Der Landtstörtzer Gusman von Alfar-
Francion (1623) und Histoire comique de Polyandre che oder Picaro genannt. Mit einem Nachwort v. Jürgen
Mayer. Hildesheim u. a. 1975.
(1648), Th. de Viaus Fragments d’une histoire comique Anon.: »Der Finkenritter«. In: Horst Brunner. (Hg.): Von
(1623), C. de Bergeracs Histoire comique (1657) und P. achtzehn Wachteln und dem Finkenritter. Deutsche Un-
Scarrons Le roman comique (1651–1657) machen die sinnsdichtung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Komik nun auch im Titel zur leitenden Darstellungs- Stuttgart 2014, 96–126.
absicht des Romans. Die komischen Mittel sind reich Bachorski, Hans-Jürgen: »Von Flöhen und Frauen. Zur Kon-
struktion einer Geschlechterdichotomie in Johan Fisch-
und vielfältig: die im Francion erkennbare Propagie-
arts Floeh Haz/Weiber Traz«. In: Ulrike Gaebel/Erika Kar-
rung libertinistischer Überzeugungen erscheint als Sa- toschke (Hg.): Böse Frauen – Gute Frauen. Darstellungs-
tire mit dem Ziel der Religionskritik, aber auch der Kri- konventionen in Texten und Bildern der Frühen Neuzeit.
tik am Kaufmannsgeist, am bornierten Gelehrtentum Trier 2001, 253–272.
und am adligen Dünkel. Parodistisch ist hingegen die Bachorski, Hans-Jürgen: Irrsinn und Kolportage. Studien
Aufnahme und Verzerrung von Metaphern und rheto- zum Ring, zum Lalebuch und zur Geschichtklitterung. Hg.
von Werner Röcke. Trier 2006.
rischen Formen des höfisch-galanten und später klassi-
Bauer, Matthias: Im Fuchsbau der Geschichten. Anatomie des
schen Epos, dessen erhabener Stil, Wortschatz und Fi- Schelmenromans. Stuttgart 1993.
gurenzeichnung karikiert und mit Mitteln des Kon- Bayless, Martha: Parody in the Middle Ages. The Latin Tradi-
trasts (Derbheit der Sprache, Hässlichkeit von Figuren) tion. Ann Arbor 1996.
profaniert werden (v. a. in Scarrons Le Virgile travesti Berger, Günter: Der komisch-satirische Roman und seine Le-
(1648–1653), einer Parodie der Aeneis (19 v. Chr.) Ver- ser: Poetik, Funktion und Rezeption einer niederen Gattung
im Frankreich des 17. Jahrhundert. Heidelberg 1984.
gils, das hohe Popularität erlangt und bis ins 19. Jh. mit Bockmann, Jörn: Translatio Neidhardi. Untersuchungen zur
dem Namen Scarron verbunden bleibt. Als drittes ko- Konstitution der Figurenidentität in der Neidhart-Traditi-
misches Hauptelement kann die performative Komik on. Frankfurt a. M. 2001.
der Komödie genannt werden; so macht Scarron in sei- Cervantes Saavedra, Miguel de: Der geistvolle Hildalgo Don
nem Roman Comique (1651–1657) eine Truppe reisen- Quijote von der Mancha [1605/1615]. Hg. und neu übers.
von Susanne Lange. München 2011.
der Schauspieler zu Protagonisten, deren burleske und
Curschmann, Michael: Marcolfus deutsch. Mit einem Faksi-
teils derbe, an der Commedia dell’Arte orientierte Fi- mile des Prosa-Drucks von M. Ayrer (1487). In: Fortuna
gurenkomik auf den fiktionalen Raum des Romans vitrea 8. Jg. (1993), 151–255.
übertragen und zur Gattungsreflexion (Parodie des he- Der Stricker: Der Pfaffe Amis. Mhd./Nhd. Nach der Heidel-
roisch-galanten Romans) genutzt wird. Im Anschluss berger Handschrift cpg 341. Hg. von Michael Schilling.
an Scarron entwickelt sich in Deutschland der Ko- Stuttgart 1994.
Ertz, Stefan (Hg.): Das Lalebuch [1597]. Stuttgart ²1998.
mödienroman, der sich hier allerdings mit dem Genre Eulenspiegel, Till: Ein kurtzweilig Lesen von Dyl Ulenspiegel
des galanten Romans verbindet. So fungiert in Chr.F. [1510/15]. Hg. Wolfgang von Lindow. Stuttgart 1982.
Hunolds Die liebenswürdige Adalie (1702) die Komik Fischart, Johann: Affentheurlich Naupengeheurliche Ge-
und das Scherzhafte als »ethisches Programm einer eli- schichtklitterung [1575]. Frankfurt a. M. 1997.
tären Kultur«, die Form der Satire präsentiert nun eine Fischart, Johann: Flöh Hatz/Weiber Tratz [1571/73]. Hg. von
Alois Haas. Stuttgart 1982.
distinguierende Möglichkeit der Unterhaltung in der
Frankfurter, Philipp: Des pfaffen geschicht vnd histori vom
höfischen Gesellschaft (vgl. Steigerwald 2008, 329). Kalenberg. Augsburg 1473.
Wichtiger Referenztext des komischen Romans ist Goethe, Johann Wolfgang: Maximen und Reflexionen. In:
auch der 1605 und 1615 publizierte Don Quijote von ders.: Schriften zur Kunst und Literatur. Hamburger Aus-
Cervantes, der als weitreichende Satire auf die populä- gabe Bd. 12. München 1981.
ren Amadisromane erschienen war und sowohl deren Goossens, Jan (Hg.): Reynaerts Historie – Reynke de Vos.
Darmstadt 1983.
Personal wie auch die Leser solcher Texte satirisch ka- Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von: Der abentheu-
rikierte. Diese die Romankritik begründende Satire erliche Simplicissimus teutsch und Continuatio des abent-
wurde auch in Deutschland sehr geschätzt – nicht zu- heuerlichen Simplicissimi [1668–71]. Hg. von Rolf Tarot.
letzt in der Romantik. Doch schon Chr. Thomasius Tübingen ²1984.
rechnete die satirischen Romane zu den »nützlichen Heinrich der Elsässer: Reinhart Fuchs. Hg. von Klaus Düwel.
Tübingen 1984.
Büchern«, die zur »Erziehung zur Weltklugheit«
Ingen, Ferdinand van: »Komik im Roman des 17. Jahrhun-
(Meid 2013, 45 f.) dienten, und schloss damit – ver- derts«. In: Stefanie Arend u. a. (Hg.): Anthropologie und
mutlich unbewusst – an das poetologische Programm Medialität des Komischen im 17. Jahrhundert (1580–1730).
J. Fischarts an. Amsterdam/New York 2008, 223–244.
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 263

Jauss, Hans Robert: »Über den Grund des Vergnügens am Strohschneider, Peter: »Kippfiguren. Erzählmuster des
komischen Helden«. In: Wolfgang Preisendanz/Rainer Schwankromans und ökonomische Kulturmuster in Stri-
Warning (Hg.): Das Komische. München 1976, 103–132. ckers ›Amis‹«. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Text und Kon-
Jauss, Hans Robert: Untersuchungen zur mittelalterlichen text. Fallstudien und theoretische Begründungen einer kul-
Tierdichtung. Tübingen 1959. turwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik. München
Jauss-Meyer (Hg.): Le Roman de Renart. München 1965. 2007, 163–190.
Kipf, Johannes Klaus: »Episodizität und narrative Makro- Strohschneider, Peter: »Opfergewalt und Königsheil: histori-
struktur. Überlegungen zur Struktur der ältesten deut- sche Anthropologie monarchischer Herrschaft in der
schen Schelmenromane und einiger Schwankromane«. In: ›Ecbasis captivi‹«. In: Bernhard Jahn/Otto Neudeck (Hg.):
Jan Mohr/Michael Waltenberger (Hg.): Das Syntagma des Tierepik und Tierallegorese: Studien zur Poetologie und his-
Pikaresken. Heidelberg 2014, 71–102. torischen Anthropologie vormoderner Literatur. Frankfurt
Köhler, Hartmut (Hg.): Lazarillo de Tormes. Stuttgart 2014. a. M. 2004, 15–51.
Meid, Volker: »Von der Frühen Neuzeit bis zur Aufklärung«. Velten, Hans Rudolf: »Schamlose Bilder – schamloses Spre-
In: Heinrich Detering u. a. (Hg.): Geschichte des deutsch- chen. Zur Poetik der Ostentation in Heinrichs Reinhart
sprachigen Romans. Stuttgart 2013, 17–162. Fuchs«. In: Katja Gvozdeva/ders. (Hg.): Scham und
Modesto, Christine: »Cena Cypriani«. In: dies. (Hg.): Studi- Schamlosigkeit. Grenzverletzungen in Literatur und Kultur
en zur Cena Cypriani und zu deren Rezeption. Tübingen der Vormoderne. Berlin/New York 2011, 97–130.
1992, 14–35. Velten, Hans Rudolf: »Spott und Lachen im Ring Heinrich
Müller, Jan-Dirk: »Fischarts Gegenkanon. Komische Litera- Wittenwilers«. In: Stefan Seeber/Sebastian Coxon (Hg.):
tur im Zeichen der ›imitatio‹«. In: ders. (Hg.): Maske und Spott und Verlachen im späten Mittelalter zwischen Spiel
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Erzählens«. In: Harald Haferland (Hg.): Historische Nar- ger (Hg.): Das Syntagma des Pikaresken. Heidelberg 2014,
ratologie – mediävistische Perspektiven. Berlin 2010, 69– 241–256.
97. Wirth, Uwe: »›... habt ihr denn keine Mäuler mehr?‹ Die
Neudeck, Otto: »Frevel und Vergeltung. Die Desintegration Performanz des komischen Körpers in Grimmelshau-
von Körper und Ordnung im Tierepos Reinhart Fuchs«. sens Simplicissimus«. In: Stefanie Arend u. a. (Hg.): An-
In: Bernhard Jahn/Otto Neudeck (Hg.): Tierepik und Tie- thropologie und Medialität des Komischen im 17. Jahr-
rallegorese. Studien zur Poetologie und historischen Anthro- hundert (1580–1730). Amsterdam/New York 2008, 171–
pologie vormoderner Literatur. Frankfurt a. M. 2004, 101– 188.
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Nivardus, Gandavensis: Ysengrimus. Text with translation, mentar. Hg. von Werner Röcke. Berlin/Boston 2012.
commentary and introduction. Hg. von Jill Mann. Leiden
1987. Hans Rudolf Velten
Röcke, Werner: Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik
des deutschen Schwankromans im Spätmittelalter. Mün-
chen 1987. 26.1.3 18./19. Jahrhundert
Röcke, Werner: »Der Egoismus des Schalks. ›Ein kurtzweilig
Lesen von Dil Ulenspiegel geboren uß dem Land zu Im Ausgang des 18. Jh.s ändern sich die Rahmenbe-
Brunßwick‹ (Straßburg 1515)«. In: Till Eulenspiegel in Ge- dingungen für satirische Darstellungen und parodis-
schichte und Gegenwart. Hg. von Thomas Cramer. Bern
tische Techniken innerhalb der Epik. Zum einen er-
u. a. 1978. S. 29–60.
Rollenhagen, Georg: Froschmeuseler. Mit den Holzschnitten langt der Roman seinen modernen Stellenwert als ei-
der Erstausgabe. Hg. von Dietmar Peil. Frankfurt a. M. gene Gattung, die in ihrer bürgerlichen Prägung vom
1989. Versepos wie von den Kleinformen der Prosa ver-
Rötzer, Hans-Gerd: Der europäische Schelmenroman. Stutt- schieden ist. Zum anderen geht aus derselben Zeit des
gart 2009. Umbruchs die Autonomie der Literatur hervor, was
Scarron, Paul: Le roman comique [1651/57]. Die Komödian-
ten: ein komischer Roman. Übers. u. Anm. von Helga Coe-
besagt, dass nicht zuletzt diese Kunst als sozial un-
nen. Nachw. von Henning Krauss. Stuttgart 1983. abhängig und ästhetisch eigengesetzlich gilt. Jener
Steigerwald, Jörn: »Höfliches Lachen. Die distinguierende Wandel bewirkt im Zusammenspiel von Satire und
Komik der höfischen Gesellschaft (am Beispiel von Chris- Parodie, wie es in den Erzähltexten der Epoche auf-
tian Friedrich Hunolds Satyrischer Roman)«. In: Stefanie tritt, eine gesteigerte Selbstbezüglichkeit der literari-
Arend (Hg.) u. a.: Anthropologie und Medialität des Ko-
schen Kommunikation. Solche Entwicklungen stellen
mischen im 17. Jahrhundert (1580–1730), Amsterdam/
New York 2008, 325–356. den historischen Blick auf Komik mit prosasprach-
Strecker, Karl (Hg.): Ecbasis cuiusdam captivi per tropolo- lichen Mitteln um: Aus den überlieferten rhetorischen
giam. Hannover 1993. Modi und ihren komischen Effekten werden im Zuge
264 III Mediale Formen des Komischen

der Modernisierung nun vielmehr text- oder autor- löst sie sich jedoch allmählich vom festen Genre der
spezifische Schreibweisen. Satire und formt stattdessen den Roman als neu ent-
Um 1800 ergeben sich außerdem die Voraussetzun- stehende Gattung mit (vgl. Schönert 1969). Ein sicht-
gen für einen neueren Gattungsnamen, welcher die barer Indikator für diese Verschiebung wäre der Titel
Kombination der beiden komischen Genres ein- des Komischen Romans (1786) von F. Hegrad. Darin
schließt, zugleich aber darüber hinausreicht: Die spä- dominiert die aufklärerische Intention, das mora-
tere Literaturwissenschaft kennt den Begriff des ›hu- lische Fehlverhalten vieler Figuren herauszustellen
moristischen Romans‹ (vgl. Meyer 1987; Montigel und von der Warte der Vernunft aus zu verlachen.
1987). Einerseits steht die Bezeichnung für eine Linie Voll ausgebildet ist der satirische Roman spätestens
europäischer Literatur, von der Frühen Neuzeit über mit Chr. M. Wielands Geschichte der Abderiten
die Sattelzeit bis ins 20. Jh., etwa entlang folgender (1774–1780). In der Nachfolge antiker Stoffe und
Werke: Rabelais, Gargantua und Pantagruel (1532– frühneuzeitlicher Narrenbücher werden die lächerli-
64), Cervantes, Don Quixote (1605/15) – L. Sterne, chen Sitten eines fiktiven Volkes bzw. Ortes aus-
Tristram Shandy (1759–67), Jean Paul, Flegeljahre gebreitet. Auf dem Weg zur narrativen Modernität
(1804/5), W. Raabe, Stopfkuchen (1890), Th. Mann, richtet sich das Satirische mehr auf das Sozialsystem
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1957). An- Literatur. Das Fortschreiten dieses Prozesses lässt
dererseits wird ›Humor‹ (s. Kap. 2) als spezielle Kate- sich am Œuvre Jean Pauls beobachten: Dessen in der
gorie erst an der Schwelle zum 19. Jh. reflektiert, wofür Sammlung Grönländische Prozesse (1783–84) abge-
Jean Paul sowohl theoretisch (Vorschule der Ästhetik, druckte »Bittschrift aller deutschen Satiriker« (vgl.
1804) als auch mit seinen Romanen den zentralen Jean Paul 1974, 534–569) tadelt scheinbar diverse
Bezugspunkt bildet. Der Terminus ›humoristisches‹ Laster der Gesellschaft, nutzt die Mittel der Satire
Erzählen ist, trotz mangelnder gleichwertiger Alterna- aber ebenso dazu, von der satirischen Schreibart
tiven, in der jüngeren Forschung zugunsten anderer, selbst Abstand zu nehmen.
meist komiktheoretischer Zugänge in den Hinter- Wielands satirisch-parodistischer Roman steht im
grund gerückt. engen Bezug zu Cervantes’ Don Quixote, dem zu je-
Abgesehen von Gattungsfragen – Systematik und ner Zeit vielfach aktualisierten Gründungstext der hu-
Geschichte – dürfte der Kanon komischer Romane moristischen Erzähltradition. Gerade aufgrund dieser
des fortgeschrittenen 18. und frühen 19. Jh.s für inter- intertextuellen Verwandtschaft treten Epochenakzen-
disziplinär-intermedial orientierte Komik-Studien te der Komik in Der Sieg der Natur über die Schwärme-
gleichermaßen relevant sein, denn er erlaubt textuelle rei oder Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva
Einblicke in die soziale Funktionsweise und in die for- (1764) desto deutlicher hervor. Bereits Cervantes –
malen Prinzipien des Komischen in der Moderne. Zu- darin liegt eine Affinität zwischen dem frühneuzeitli-
dem bedeutet die autonomieästhetische Wende weder chen Vorläufer und dem Erzählen um 1800 – behan-
einen Sonderweg der Literatur noch eine isolierende delt ein genuin literarisches Phänomen, die exzessive
Sicht auf das Literarische. Vielmehr weckt dessen er- Lektüre von Ritterromanen und die daraus erwach-
höhte Aufmerksamkeit für die Art der Sprachverwen- sende Komplikation der Unterscheidung von Wirk-
dung und Textgestaltung, hier am Beispiel erzählen- lichkeit und Fiktion, was in der Handlung wie auch in
der Prosa, schon damals oder im Rückblick das Be- der narrativen Konstruktion durchgeführt ist. Wie-
wusstsein für medial verschiedene Spielarten von Ko- lands Ritter steht vor einem ähnlichen Problem, doch
mik. Was heute ›Medialität‹ des Komischen heißt, hat sich mehr geändert als nur die Genres, wenn
nimmt dort seinen Anfang. Abenteuerromane und Feenmärchen ins Visier des
parodistischen Erzählens rücken. Don Sylvio ist an-
Komisierung des Literarischen um 1800: zumerken, dass beide Verfahren, Parodie und Satire,
Wieland und Moritz spezifisch im Kontext des literarischen Lebens sowie
Zur Vorgeschichte des modernen komischen Ro- der poetologischen Debatten des ausgehenden 18. Jh.s
mans gehören gattungshistorische Verläufe während funktionieren.
der zweiten Hälfte des 18. Jh.s. Das von der Aufklä- Der Text befindet sich im Übergang zwischen Ko-
rung vertretene normativ-kritische Menschenbild mik als Mittel zum Zweck der Aufklärung und einer
führt ab 1750 dazu, dass die satirische Schreibart in eigenständigen komischen Ästhetik, zwischen litera-
der Erzählliteratur oder in Prosatexten wie den mo- rischer Selbstreferenzialität und einem satirischen
ralischen Wochenschriften weit verbreitet ist; dabei Blick auf die Erscheinungsformen des Sozialen. Mit
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 265

einer komplexen Herausgeberfiktion etabliert die Sprechweise Pedrillos den komischen Kontrast. Mit
Vorrede zum Roman dessen ironische Erzählhaltung. Inkongruenzen zwischen Literatur-Satire und Kör-
Der versehentlich vorgezogene und so amüsant un- per-Komik, die in der Figuren-Paarung angelegt sind,
angemessene »Nachbericht des Herausgebers« han- orientiert sich Wieland an dem seinerseits parodis-
delt vom Lektüreerlebnis zum Don Sylvio: Eine sich tischen Prätext Don Quixote. Das Kernstück der Paro-
gesellig ausbreitende Lachorgie setzt das Komische als die im Don Sylvio liegt jedoch mit dem Biribinker-
Selbstzweck in Szene. Dieses bleibt jedoch nicht auto- Märchen vor, welches in späteren Kapiteln als Binnen-
nom, sondern wird schließlich zum Heilmittel erklärt, erzählung in die Geschichte eingeschaltet ist: In jener
obgleich distanziert durch die Herausgeberfigur und unernsten Imitation eines Feenmärchens häufen sich
den Konjunktiv: wenn »die Absicht des Verfassers ge- die wunderbaren Begebenheiten bis zur verspotten-
wesen wäre in der Person des Don Sylvio die Schwär- den Überfülle und das sittliche Liebesideal muss eine
merei« und in der Sancho-Pansa-Gestalt »Pedrillo Herabsetzung durch sexuell groteske Details dulden.
den Aberglauben und die Leichtgläubigkeit des Pö- Seine satirische Absicht erfüllt das narrative Stück da-
bels, und überhaupt dasjenige, was Juvenal veteres durch, dass es Don Sylvio schließlich doch von seinem
avias nenne, in ein lächerliches Licht zu stellen« (Wie- Glauben an die Existenz des Phantastischen in der
land 1964, 13). Die »therapeutische Wirkung von Ko- Wirklichkeit abbringt. Auf erzählerischem Wege und
mik und Ironie« (Immer 2008, 257) steht in einem dif- mithilfe der literaturinternen Komik einer Genre-Pa-
ferenzierten Rahmen. rodie gelingt die Erziehung zum Menschen als urteils-
Das satirische Projekt in der Nachfolge des antiken fähigem Leser.
Gattungsvorbilds Juvenal zielt auf das sog. ›Schwär- Der Roman Andreas Hartknopf von K. Ph. Moritz
mertum‹ und damit auf einen aktuellen Gegenstand, setzt die komische Darstellung von systemisch-textu-
den Auswuchs der ebenso intensiven wie expansiven ellen Literaturverhältnissen fort und entwickelt sie ge-
Lesekultur zumal der zweiten Jahrhunderthälfte. Da- genüber dem Vorgänger Wieland weiter. Auf den ers-
her erhält das alte Don-Quixote-Thema der Ver- ten Band mit dem Untertitel Eine Allegorie (1786) fol-
wechslung von Bücherwelt und Realität seinen Bezug gen im zweiten Band die Predigerjahre (1790) der Ti-
auf die zeitgenössisch dringliche Frage des kom- telfigur Andreas Hartknopf. Bereits erforscht sind das
petenten Umgangs mit Fiktionalität. Den korrektur- avancierte Erzählverfahren und die Komik der Pre-
bedürftigen Typus des Schwärmers zeichnet dagegen digt-Partien (vgl. Weidner 2009), dagegen bleibt zu
ein affektiver, sinnlicher, Phantasien nachlebender entdecken, dass sich jenes narrative Gegenstück zum
Zugang zum Gelesenen, eben den Feenmärchen, aus: bekannteren Anton Reiser (1785) ganz als philosophi-
Don Sylvio »las nicht, er sah, er hörte, er fühlte« scher Roman im komischen Modus liest. Während
(Wieland 1964, 25). Dass derselbe Held sich auf lä- Wielands Don Sylvio seinen aufklärerischen Stand-
cherliche Weise schwer tut, Wunderbares und Natür- punkt beibehält, wird bei Moritz das umfassende lite-
liches zu unterscheiden, verweist auf den im Wis- rarische Programm der Aufklärung selbst zum Ge-
sensfeld der Poetik ausgetragenen Streit um die dich- genstand der Satire. Abgesehen von der Textsorte Pre-
tungstheoretischen Kategorien ›wunderbar‹ und digt und dem Genre Idylle, die beide erst im zweiten
›wahrscheinlich‹, um deren gehörige Beziehung (vgl. Band ihre Rolle spielen, beschränkt sich das Parodis-
Breitinger 1966, 141; Bodmer 1966, 41) oder Schei- tische nicht auf eine oder mehrere Gattungen; es ge-
degrenze (Gottsched 1982, 198). Wieland argumen- hört zur Schreibweise und erwächst aus einer komple-
tiert mit seinem Roman dafür, dass die poetisch xen Intertextualität.
durchaus produktive Einbildungskraft in den Ange- Der »Vorbericht« demonstriert als Teil der Erzäh-
legenheiten des wirklichen Lebens einer vernünfti- lung, wie sich das Verlachen der Vernunft-Epoche in
gen Kontrolle bedarf. ihrem Spätstadium auf das Personal dieses Romans
Parodistische Elemente finden sich zu Beginn der verteilt. Satirische Kritik wird anhand von Neben-
Abenteuer, wenn etwa Don Sylvio statt der eingebilde- gestalten geübt; mit dem Gespann Hagebuck und Küs-
ten Prinzessin die beleibte, nach Knoblauch und Käse ter karikiert der Autor die philanthropische Pädago-
stinkende Magd küsst. Neben solchen travestierenden gik. Als Hartknopf von den angeblichen Verfechtern
Handlungsmomenten kommt es zur stilistischen Pa- der Menschenliebe in einen Graben gestoßen wird,
rodie, wann immer die literarische Rede des liebenden sind sie als ideologische Heuchler einer Tugend, die
Schwärmers übersteigert nachgeahmt wird. Dazu bie- sie praktisch gar nicht besitzen, entlarvt. Solche mora-
tet die oftmals umständliche, aber derb-handfeste lische Sicht kann noch als internes Korrektiv verstan-
266 III Mediale Formen des Komischen

den werden. Dagegen ironisiert der Erzähler am Bei- Literarisierung des Komischen um 1800: Jean Paul
spiel des Protagonisten das Denken und Schreiben der und E. T. A. Hoffmann
Aufklärung. Vor lauter Moral – »Ich will, was ich Die mit der Aufklärung einsetzende ›Komisierung des
muß!« (Moritz 1981, 406) – versäumt Hartknopf zu Literarischen‹, unter den Bedingungen eines ausdiffe-
prüfen, ob Wasser in dem Graben ist, den er in seiner renzierten Sozialsystems, dauert im späten 18. und
»philosophischen Resignation« (ebd., 405) nicht mehr frühen 19. Jh. an. Sie bestimmt weiterhin, wie die nar-
überquert. rativen Mittel von Satire und Parodie meist ineinander
Als ein Strang im Geflecht der Parodie zieht sich verschränkt Verwendung finden. Mit den späteren
biblische Sprache durch den Text, wodurch beispiels- Epochen steigert Literatur allgemein und komische
weise die Episode im »Vorbericht« auf Emmaus und Prosa im Besonderen sogar den Grad ihrer systemi-
Golgatha zugleich verweist. Alle derartigen Stellen schen Selbstreferenz. Ein Grund hierfür könnte sein,
sollen aber keineswegs das Neue Testament ins Lä- dass sich der Wechsel literarischer Strömungen so
cherliche ziehen, sondern haben den umgekehrten Ef- weit beschleunigt, dass sie oftmals historisch neben-
fekt, das Reden und Handeln Hartknopfs zu sakrali- einander bestehen. Angesichts solcher Vielfalt und
sieren. Das komische Moment geht nicht verloren, Konkurrenz der Programme gibt es keine einheitliche,
wird jedoch von der Ambiguität des Romantextes affi- verbindliche Konzeption von Dichtkunst mehr. Paro-
ziert, sodass sich nicht mehr eindeutig sagen lässt, wo- distische Texte beteiligen sich daran, den Begriff der
rauf die Komik gerichtet ist. Deshalb stellt selbst die Dichtung sowie v. a. deren Gestaltungsweisen zu ver-
Szene des Rettich-Abendmahls allenfalls eine iro- handeln, indem sie korrigierend eingreifen. Satirische
nische Blasphemie dar: In scheinbarer Travestie auf Texte sind dabei auf die Institutionen des professiona-
die Transsubstantiation segnet Hartknopf das phal- lisierten Literaturbetriebs spezialisiert.
lisch geformte Gemüse und danach ein Salzfass. In- Die ›Literarisierung des Komischen‹ beruht zwar
dessen weiß der Leser seit der Einleitung, dass der auf denselben Voraussetzungen wie die vermehrt lite-
Held dieser legendenhaften Erzählung Salz als Urele- raturbezogene Komik, stellt aber zugleich eine Ergän-
ment der göttlichen Schöpfung verehrt. Trotz des pa- zung und Neuerung dar, welche sich im Umfeld der
rodistischen Duktus verfolgt eine Lektüre Spuren je- Romantik durchsetzt. Mehrere Gesichtspunkte sind
ner »wundersame[n] Bedeutung«, die Hartknopf mit in der genannten These zusammengefasst. Erstens
Salz und Rettich »gleichsam zu schmecken« (ebd., verleiht die Ästhetik einigen komischen Ausdruckfor-
420) glaubt. men erstmals den Status der Poesiefähigkeit, wofür er-
Vom Sinnlichen zum Sinn-Spiel – damit steht An- neut Jean Pauls Vorschule mit ihren Bemühungen um
dreas Hartknopf für eine Modernisierung des humo- den ›Humor‹ als Beleg dienen kann. Darin wird eine
ristischen Erzählens um 1800. Derselbe Wandel cha- Individualisierung der ohnehin subjektbezogenen hu-
rakterisiert die Predigt-Kapitel. Bei seinem Debüt auf moristischen Darstellung reflektiert, die generelle Re-
der Kanzel stößt Hartknopf versehentlich die Holz- levanz besitzt. Die Gattungsbegriffe Satire und Paro-
Figur des Heiligen Geistes herab und setzt buchstäb- die werden den modernen Exponenten des komischen
lich das sakrale Pathos qua Physis herab. Gemäß ei- Romans kaum vollständig gerecht. Daher nimmt Ko-
ner Logik der Inkongruenz deutet auch der Erzähler mik zweitens bei einzelnen Texten und Autoren, Er-
die spöttische Reaktion der Gemeinde (vgl. ebd., zählern und Figuren(-typen) jeweils eigene Formen
511). Der Vorfall, dass Körperlichkeit das geistige an. Drittens lässt sich die literarisierte Komik als Me-
Prinzip in eine lachhafte Situation bringt, wiederholt dialisierung begreifen. Zugleich mit der kommunika-
sich mit der Jubelpredigt, allerdings unter komplexe- tiven Funktion des Interpretierens rücken die mate-
ren Vorzeichen. Diesmal fällt ein vergoldeter Engel riellen Eigenschaften des geschriebenen bzw. ge-
von der Orgelempore und löst eine Kettenreaktion druckten Textes in den Fokus. Diese avanciert struk-
aus, an deren Schluss das plötzlich gesungene »Ha! – turelle Variante des Komischen repräsentieren in der
Ha!« (ebd., 509) mit dem geplanten Halleluja-Ruf des deutschsprachigen Erzählliteratur die Romane von
Pfarrers unglücklich zusammentrifft. Eine Fülle von Jean Paul und nochmals gesteigert E. T. A. Hoffmanns
Deutungsmöglichkeiten – teils komisch, teils ernst- Lebens-Ansichten des Katers Murr (1819).
haft – ergibt sich im Rückbezug auf die Antrittsrede Exemplarisch für die mediale Modernität des hu-
und das Katechismus-Kapitel »Die Kinderlehre«. So- moristischen Erzählens steht ferner L. Sternes The Life
mit realisiert Moritz den allegorischen Roman auf and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman. Obwohl
moderne Art. das Werk bereits mit der Veröffentlichung 1759/67
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 267

sein Lesepublikum fand, weist es in der experimentel- am Beispiel Jean Pauls: Während seine frühen Werke
len und selbstreflexiven Art, wie das Komische den li- noch die Gattungstrennung von Satire und Idylle ein-
terarischen Text gestaltet, weit über die Epoche hi- halten, sind solche Modi danach stärker vermischt
naus. Mit dem narrativen Gestus der Digression und oder kombiniert, unter dem von Jean Paul geprägten
einer auffälligen Markierung des textuellen Mediums Oberbegriff »humoristischer« Erzählkunst.
– z. B. Auslassungszeichen, leere Seiten – relativiert Die kürzeste Formel der Ästhetischen Vorschule
wie akzentuiert der Ich-Erzähler die dargestellten Lä- (1804) für den Begriff des Humors besagt, jener sei
cherlichkeiten. So speziell wie jene autoreferenzielle »das umgekehrte Erhabene« (Jean Paul1987c, 125). In
Darbietungsweise sind auch die verwandten Haupt- dieser Wendung verdichtet sich der unverkennbar
figuren, Walter Shandy und Onkel Toby. Deren per- frühromantische Gedankengang aus § 31 der Vorschu-
sönlichen Eigenheiten, »hobby horses« wie Festungs- le, die Erfahrung des Endlichen solle im Bewusstsein
wesen (Toby) und schrullige Gelehrsamkeit (Vater des Subjekts auf die objektive Idee des Unendlichen
Walter), sorgen für die individuelle Komik-Hand- angewandt und dadurch ebenso »vernichtet« (ebd.)
schrift des Romans. Das Wort ›Shandyism‹ meint aus wie aufgehoben werden. Daraus ergeben sich »humo-
Sicht der Rezeptionsgeschichte wohlgemerkt beides, ristische Totalität« (§ 32) – gegenüber auf Einzelnes
sowohl das Charakteristische jener skurrilen Figuren begrenzten komischen Schreibarten wie Satire oder
als auch die unverwechselbare Erzählstruktur. Der Ti- Parodie – und »humoristische Subjektivität« (§ 34):
tel »Life and Opinions« spielt auf das romangeschicht- man »zerteile« sein »Ich in den endlichen und den un-
lich bedeutsame Genre der Autobiographie an, wel- endlichen Faktor und lasse aus jenem diesen kom-
ches in dem alles andere als linearen Gang der Lebens- men« (ebd., 132). Für den endlichen Faktor sorgt die
geschichte parodiert wird. Dabei löst sich L. Sterne je- »humoristische Sinnlichkeit« (§ 35). In der Vermitt-
doch von sämtlichen tradierten Mustern. lung und ihren Polen ist »Humor« nach Jean Paul der
Satirische und parodistische Anteile erfüllen bei romantischen Ironie in F. Schlegels Poesie-Theorie
Jean Paul und Hoffmann, die in der Tradition Cervan- verwandt (vgl. Schlegel 1988, 114 f., 127), kehrt aber
tes – Wieland – Sterne erzählen, nach wie vor ihre poe- deren Richtung auf Vernichtung der Endlichkeit statt
tologischen oder sozialkritischen Funktionen. Doch Potenzierung zur Unendlichkeit um. Ironisches Er-
außer der satirisch-parodistischen Anlage zeigen sich zählen bedeutet in der Vorschule deshalb lediglich,
besondere Strukturen sowie individuelle Schreibwei- »den Schein des Ernstes« (Jean Paul 1987c, 148) um
sen. Gerade diese hochspeziellen Erscheinungsformen des ernsten Scheines willen geltend zu machen.
bieten das größte Potenzial für Anschlüsse vonseiten Obgleich eine ganze Reihe gerade der mittleren
interdisziplinärer Ansätze innerhalb der Komikfor- und späten Romane Jean Pauls Komik mit prosa-
schung. Noch nicht etabliert hat sich folgende syste- sprachlichen Mitteln betreibt (u. a. Siebenkäs, 1796/97,
matische Unterscheidung zwischen humoristischen, die Erzählung Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch als
komischen und ironischen Erzählweisen. In die Kate- Anhang zum Titan, 1800–1803, Der Komet oder Niko-
gorie des Humoristischen fallen thematische Konstan- laus Markgraf. Eine komische Geschichte, 1820–1822),
ten wie die Spannung von Geist und Körper (vgl. Mon- sind die Flegeljahre am häufigsten exemplarisch he-
tigel 1987, 206) oder Kontingenz; spezifisch ist mehr rausgegriffen worden, als Brücken-Text innerhalb des
noch eine zweipolige Erzählform, die sich aus Jean Œuvres sowie als Epochen-Vertreter einer romantisch
Pauls Humorbegriff herleitet, nach dem Modell der gekennzeichneten Modernität. Ausgehend von die-
Flegeljahre als »Doppel-Roman« (Jean Paul 1987a, sem Hauptwerk lassen sich narrative Strukturen, typi-
667) bezeichnet. Für das komische Erzählen gibt die sche Figuren sowie stilistische Merkmale des epischen
Auseinandersetzung mit sozialen und medialen Kom- Humoristen Jean Paul für weitere Beispiele des Ge-
munikationsstrukturen den Ausschlag. Narrative Iro- samtwerks erschließen. Mit seinen gesammelten ko-
nie in ihrer romantischen Ausprägung bringt die er- mischen Schriften reicht er wie kein anderer deutsch-
zählerische Vermittlung eigens zur Darstellung (vgl. sprachiger Autor an die wegweisende Bedeutung Ster-
Strohschneider-Kohrs 1977, 421) und überschneidet nes und seines Tristram Shandy heran.
sich darin mit der selbstreflexiven Komponente humo- Den Aufbau der Flegeljahre und deren satirisch-
ristischer Romane (vgl. Meyer 1987, 19). parodistische Ausrichtung bestimmt die Figuren-
Der Formenwandel komischer Epik vor und nach anordnung der Protagonisten Walt (von »Gottwald«)
der Moderne-Schwelle zeigt sich, darin stimmt die und Vult (von »quod deus vult«). In diesen beiden
Forschung überein, bei keinem Autor so deutlich wie Brüdern sieht ein Interpret die »neuen Ritter von der
268 III Mediale Formen des Komischen

traurigen Gestalt« (Ueding 1993, 147), Verweis auf sagewert vertieft sich in dem strukturellen Deutungs-
die moderne Anverwandlung des Don Quixote-The- ansatz, wonach beide Brüder gleichsam wie Zwillinge
mas. Dennoch fällt der erste Blick auf die Ungleich- in sich selbst gespalten sind, diese »Polarität von Pola-
heit des Zwillingspaares, was ihre Komik-Rollen an- ritäten« (Kaiser 1987, 159) führe zur romantischen
betrifft. Vult mit seiner spöttischen, entlarvenden Bewegung einer Vermittlung (vgl. ebd.), welche zwar
Sicht auf die Welt kommt als Satiriker in Frage; es auf Figurenebene scheitert, in der narrativen Einheit
greift jedoch eine Verschiebung: von der »Partikulari- des Romans aber gelingt. Über jene epochenbezoge-
tät der Satire« zur »Totalität des Humors« (Meyer ne Lesart hinaus fragt sich, was die Zwillingskonstel-
1987, 13). Der Formbegriff, welcher auf Vult am bes- lation für die Modernisierung von Komik in Erzähl-
ten zutrifft, ist die Ironie, d. h. universell relativieren- prosa bedeutet. Innerhalb dieser Paarung gibt es kei-
des Denken, uneigentliche Rede. Walt hingegen hat ne Hierarchie mehr, wie noch bei Cervantes oder
selbst kein Bewusstsein des Komischen, er gerät le- Wieland zwischen dem Ritter Don Quixote/Don Syl-
diglich in lächerliche Situationen, wie etwa den Don vio und dem Knappen Sancho Pansa/Pedrillo. Walt
Quixote-Ritt im »Reiterstück« (vgl. Jean Paul 1987a, und Vult sollten doch einander gleich sein, kom-
646). Seine Verse – »Polymeter« – lesen sich weniger munizieren aber verschiedenartig. Darin liegt eine
als Parodien denn als echte Poesie. Dafür steht der Ähnlichkeit zu den Systemen innerhalb der Gesell-
Dichter-Bruder im Zentrum der Testamentshand- schaft und die Vermutung, dass sich die komischen
lung, die als parodistische Variante des Genres Bil- Formen der modernen Grundlage des Sozialen an-
dungsroman aufgefasst werden kann (vgl. Wiethölter passen. Dann wäre das Miteinander der Gebrüder
1992, 161). Harnisch trotz aller Missverständnisse aufschluss-
Im zweiten Blick betont die Forschung, dass die reich.
Zwillinge zusammengehörige Gestalten sind, dass Als struktureller Faktor neben der Zwillingsfigura-
erst ihre Zusammengehörigkeit den Flegeljahren die tion ist das »Van der Kabelsche Testament« den ge-
humoristische Erzählform verleiht. Einen Hinweis samten Flegeljahren eingeschrieben: Damit stellt der
darauf gibt der Handlungsverlauf, beginnend mit der Verfasser des Testaments seinem designierten Univer-
Wiedervereinigung nach langer Trennung, über die salerben Gottwald Peter Harnisch ein Bildungspro-
ebenso liebevolle wie spannungsreiche Geschwister- gramm in 17 Klauseln, dessen – mit Ausnahme des
beziehung bis hin zur erneuten Entzweiung am abschließenden Pfarramtes – beliebig gereihte »Le-
Schluss der fragmentarischen Romanerzählung. Als bens-Rollen« (Jean Paul 1987, 589) jener im Laufe des
eine prinzipielle Gemeinsamkeit neben der engen Romans zeitweilig einnimmt. Angesichts des Text-
Verwandtschaft mag gelten, dass nicht nur der ly- Fragments bleibt der testamentarisch verfügte Bil-
risch dichtende Walt, sondern auch der reisende Flö- dungsgang unabgeschlossen, durch die Ausschluss-
tenspieler Vult eine Künstlerfigur ist. Mehr noch, die klausel einer vorzeitigen Liebesverbindung ist er au-
unähnlichen Zwillingsbrüder schreiben in Doppel- ßerdem von Abbruch bedroht. So verhält sich das Van
Autorschaft den Roman »Hoppelpoppel oder das der Kabelsche Modell ambivalent zur literarischen
Herz« (Jean Paul 1987a, 670), wobei der erste Part Kommunikation der Flegeljahre: Es treibt sie an und
zum als Narr agierenden Vult, der zweite zu den Lie- gefährdet sie zugleich aufgrund zu hoher Komplexität.
besabenteuern des naiv-idealischen Gottwald passt. Fiktionsironie im Sinne einer distanzierenden und so-
Bevor der eine über den Titel entscheidet – Vults ur- mit komikrelevanten Metasicht auf den fiktiven Status
sprünglicher Vorschlag lautet sogar »Flegeljahre« –, (vgl. Warning 1976, 331) ist darin gegeben, dass Van
entwirft der andere die Idee des poetischen Projekts: der Kabel den Namen zum Pseudonym Jean Paul trägt
»ein Paar Zwillinge müssen, als ihr eigenes Wider- – »Fr. Richter« (Jean Paul 1987a, 593) – und dass
spiel, zusammen einen Einling, ein Buch zeugen, ei- »J. P. F. Richter« (ebd., 596) sich als Verfasser der Bio-
nen trefflichen Doppel-Roman. Ich lache darin, du graphie Walts im Text zu Wort meldet; ironische Ma-
weinst dabei oder fliegst« (ebd., 667). Das in der Ro- nipulationen des Autornamens enthält auch die Vor-
mantik prominente Doppelgängermotiv wird zum rede zum Siebenkäs (vgl. Jean Paul 1987b). In den Fle-
Dichtungsprogramm. geljahren macht sich jedoch ein Erzählerkommentar
In einer romantisch selbstreflexiven Volte heißt über das »Wirtshaus zum Wirtshaus« (Jean Paul
das Gemeinschaftswerk – beinahe – wie jener Text, 1987a, 653) lustig; dessen sich potenzierendes Schild
worin »Hoppelpoppel oder das Herz« vorkommt, gerät zum parodistischen Seitenhieb auf jene poetolo-
sprich Jean Pauls Flegeljahre. Der poetologische Aus- gische Figur der Romantik.
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 269

Im Interesse an der Komik im Werk Jean Pauls hat mente mit Herausgeber-Fiktionen in das Bild moder-
die Figur des Humoristen die dichteste wie auch längs- ner Erzählkomik passen oder spezieller das humoris-
te Forschungstradition (vgl. Voigt 1934; Schieder tische Profil erfüllen (vgl. Dembeck 2007, 404). All-
1969; Japp 2001). Es liegt nahe, dass deren Analyse gemeiner können sie als medienreflexives Moment
meist der ästhetischen Theorie des Humors in der gelten, so wie L. Sternes Spiel mit der Schriftlichkeit.
Vorschule folgt. Den Flegeljahren eng benachbart ist Alternativ wäre festzustellen, dass solche paratextuel-
der Siebenkäs, mit dem Freundes- statt Geschwister- len Konstruktionen die sozial etablierte Eigenlogik
paar Siebenkäs – Leibgeber, wobei in diesem Doppel der literarischen Kommunikation ebenso herausstel-
der zuletzt Genannte die satirisch-ironische Rolle len wie unterlaufen.
Vults ausfüllt. Eine entsprechende Distanz zur Welt Hoffmanns Lebens-Ansichten des Katers Murr führt
besitzt ferner Giannozzo aus dem gleichnamigen See- seine ungewöhnliche und vielfältig interpretierbare
buch, welcher im Luftschiff unterwegs ist und daher in Struktur im fiktionalen »Vorwort des Herausgebers«
humoristischem Abstand mit Aussicht die Bedingt- ein: Die autobiographische Lebensgeschichte des
heiten des Menschlichen reflektierend übersteigt. dichtenden Katers übermittelt mit den Hilfspapieren
Ein werktypisches Merkmal, dessen komischer As- ihrer schriftlichen Aufzeichnung – den sog. »Makula-
pekt ebenfalls im Rekurs auf Jean Pauls Ästhetik erläu- turblättern« – zufällig auch die Geschichte des Kapell-
tert wurde, ist der hochgradig metaphorische Stil. meisters Johannes Kreisler. Dadurch bestätigt sich das
Stellvertretend für unzählige Beispiele von »Ver- Medienbewusstsein des humoristischen Erzählens
gleichshäufungen« (Birus 1987, 42) sei das »Reiter- seit L. Sterne, dazu wird das frühromantische Expo-
stück« der Flegeljahre zitiert: »Kaum war das Renn- nieren der poetischen Machart spätromantisch radi-
pferd, wie ein Geschütz, mit dem Kopf gegen das Tor kalisiert. Anschließend gibt die, wiederum gedoppelt
gerichtet und das Ohr mit der Schnellkugel geladen: auftretende, »Vorrede des Autors« einen Einstieg in
so fuhr es durchs Tor und davon; – und [...] flog der den parodistischen Ton des Kater-Buches. Indem er
Notarius vorüber, oben sitzend, mit dem Gießbuckel zuerst die Rhetorik der Bescheidenheit sprechen lässt,
des ersten Versuchs, als ein gebogenes Komma« (Jean im versehentlich abgedruckten Zweitvorwort aber mit
Paul 1987a, 648). Im Verknüpfen dessen, was weit aus- dem Selbstbewusstsein eines Genies das Wort ergreift,
einander liegt, treffen sich multiple Metaphorik und demonstriert Murr, dass er ungeachtet seiner tieri-
der in der Vorschule theoretisierte ›Witz‹. schen Natur die gesellschaftlichen sowie ästhetischen
Charakteristisch für Jean Pauls komische Narrati- Spielregeln der Literatur beherrscht.
vität ist nicht zuletzt die »Polyphonie der Redeweisen Das zunächst irritierende Verhältnis der beiden
und Stimmen« (Esselborn 1992, 40). Die Koexistenz Roman-Stränge wurde erst im 20. Jh. als ein textuell
»mehrere[r] Stilebenen oder stilistische[r] Sprachwel- intendierter »Parallelismus« (Daemmrich 1992, 211)
ten« (Meyer 1987, 13) wird als eine Technik des hu- anerkannt. Wie vor ihm Jean Paul hat Hoffmann sei-
moristischen Erzählens angesehen (vgl. ebd.). H. Es- nerseits einen Doppel-Roman geschrieben, welcher
selborn arbeitet vorwiegend mit M. Bachtins Das aber den strukturellen Grundeinfall einige Schritte in
Wort im Roman (1934/35), wonach das karnevaleske Richtung narrativer Modernität weiter treibt. Kater-
Prinzip zu kombinieren, was nicht zusammen gehört, und Kreisler-Handlung schließen gemäß der Heraus-
sich infolge der Modernisierung von Gesellschaft und geber-Fiktion jeweils unvermittelt aneinander an,
Roman zur erzählerischen Vielstimmigkeit wandelt. wobei sich Murrs Erzählung stetig – obgleich nicht
Bachtins Zentraltheorem bildet die »Zweistimmigkeit ungebrochen – fortsetzt, während das Leben Kreislers
des Wortes«, eine »grundsätzliche Dialogizität« (Es- lediglich bruchstückhaft überliefert ist. Dieser Unter-
selborn 1992, 41). Als prominente Variante des Prin- schied manifestiert sich darin, dass die Makulaturblät-
zips sieht Bachtin die Parodie, der er großen Anteil an ter meist mit unvollständigen Sätzen beginnen. Nur
der Entwicklung des modernen Romans einräumt ausnahmsweise kommen syntaktisch stimmige An-
(vgl. Bachtin 1979, 199). Das dialogische Moment be- schlüsse zwischen den ungleichen Teilen zustande.
trifft nicht allein die Vielfalt der Sprachregister, son- Dadurch bleibt es der Interpretation aufgegeben, die
dern auch die Verschaltung der Erzählinstanzen im dennoch vorhandenen Korrespondenzen sowie Kon-
humoristischen Roman (vgl. ebd., 201 f.); ein weiteres trapunkte in Sprache und Motivik aufzuspüren. Da
Beispiel wäre E. T. A. Hoffmanns Kater Murr. diese Rezeptionsform durch die »Rahmenkonfusion«
Die philologische Sachlage überschreitet auch die (Wirth 2008, 378) der fiktiven Herausgeberschaft pro-
Frage, wie die bei Jean Paul häufigen Rahmen-Experi- grammiert ist, resultiert daraus eine Ironisierung der
270 III Mediale Formen des Komischen

fiktionalen Ebenen und zugleich eine komische Insze- ecke: »Der Kater ist mithin nicht Objekt der Satire,
nierung der textuellen Struktur (vgl. ebd., 381 ff.). sondern ihr Medium, nicht Gegenstand der Ironie
Die Lebensansichten der lese- und schreibkundi- oder gar selbst Ironiker, sondern Medium der Ironie«
gen Tiergestalt brechen im zweiten Band des als Frag- (Steinecke 1992, 983). Über die Darstellung könne
ment vorliegenden Romans ab, und zwar mitten im man ebenso sagen: »der Kater ist Medium des Hu-
Satz des Katers, der laut nachgereichter Mitteilung des mors« (ebd.). Für dessen mehrstimmige Erzählrede
Herausgebers plötzlich verstorben ist; eine Fortset- wurde alternativ die von Bachtin erfasste »menippei-
zung aus dem Nachlass Murrs, einschließlich der wei- sche Satire« erwogen (vgl. Nährlich-Slatewa 1993,
terzuführenden Kreisler-Erzählung, wird bloß in Aus- 208). Als theoretische Beschreibung der parodis-
sicht gestellt. Die fragmentarische Form hat sich seit tischen Komplexität von Hoffmanns Text eignet sich
der Frühromantik offenbar verändert (vgl. Behler außerdem die am Beispiel Jean Pauls bereits ein-
1993, 27–42): von der Figur progressiver Poesie zum geführte Dialogizität (vgl. Bachtin 1979).
Krisensymptom gefährdeter Anschlüsse im humoris- Die Kreisler-Biographie und Kommentare zu je-
tischen Roman der Spätromantik. Für das Funktionie- nem Teil des Romans bemühen sich darum, kursie-
ren von Komik in der Moderne scheint es trotzdem rende Begriffe des Komischen klarer zu unterschei-
typisch zu sein, dass Einheit und Zweiheit, produkti- den. Sozialsatirische Komponenten finden sich in der
ves und störendes Moment der Kommunikation Darstellung des Hoflebens im Kleinstfürstentum, wo
gleichzeitig wirken (vgl. Gerigk 2008, 101); insofern der Kapellmeister seinen Dienst tut; diese spielen aber
zieht sich eine typologische Linie von den Flegeljahren keine so dominante Rolle wie Parodie für den Murr-
zum Kater Murr. Part. Kreisler gebärdet sich oft als Narrenfigur; er fühlt
Die Tradition des humoristischen Erzählens wird sich von Julia verstanden, die ihn für einen »iro-
mittels intertextueller Verweise aufgerufen: Zum ei- nischen Schalk« hält, »eine Art von Monsieur Jacques«
nen spielen diese »Lebens-Ansichten« auf jene For- (Hoffmann 1992, 68), Figur aus Shakespeares Komö-
mulierung der »Life and Opinions« im Titel des Tri- die Wie es euch gefällt (1623). Auch als moderne
stram Shandy an. Zum anderen steht in der ersten Pas- Künstlergestalt steht Kreisler den gesellschaftlichen
sage des Kreisler-Buches eine Episode, welche aus Konventionen fremd gegenüber. Im Text wird dis-
Sternes Reisebericht A Sentimental Journey (1768) kutiert, welche Art von Komik daraus resultiert. Dabei
stammt. Darin fällt der Name »Rabelais«, Verfasser konkurrieren zwei verschiedene, aber uneinheitlich
von Gargantua und Pantagruel. Zur »ironischen Ellip- gebrauchte Konzepte (vgl. Preisendanz 1963, 64 f.): ei-
se Sternes« gesellt sich die »groteske[ ] Komik Rabe- ne spöttische »Ironie« (vgl. Hoffmann 1992, 66, 309)
lais’« (Kremer 1999, 219). Der Erzähler Hoffmann und als Alternative dazu der tiefere »Humor« (vgl.
wird häufiger noch mit der Kategorie des Grotesken in ebd., 87, 156 f.).
Verbindung gebracht: realisiert ist das Groteske in der
Erzählstruktur und ihren Diskrepanzen von »Pathos Stationen im 19. Jahrhundert: Von Heine bis Raabe
und Komik« (ebd., 202). Daneben lässt der Kontext Obwohl sich die Reihe der komischen Romane nicht
des Zitats – eine Figur erzählt ihr Erzählen des bereits ohne Weiteres verlängert, bleiben auch nach dem
Erzählten – darauf schließen, dass Komik und narrati- Epochenwandel um 1800 die modernen Ausrichtun-
ve Form miteinander korreliert werden. gen einer ›Komisierung des Literarischen‹ und einer
Angesichts der Vielfalt möglicher Bezüge für die ›Literarisierung des Komischen‹ ausschlaggebend.
Parodie(n) im Murr-Text entsteht Zweifel, ob – wie Zur Kontinuität des humoristischen Erzählens wäh-
die Forschung nahelegt – nur einzelne Gattungen rend des 19. Jh.s gehört es, dass beide Tendenzen
oder Phänomene des literarischen Lebens gemeint weiterhin zusammenspielen, allerdings abgewandelt
sind: Autobiographie und Bildungsroman, Aufklä- durch die Programmatik und Praxis jener Strömun-
rung und Empfindsamkeit, klassische und romanti- gen, welche auf die Periode von Klassik und Roman-
sche Stil-Vorbilder, Geniekult und Epigonentum. tik folgen. Zur Zeit des Vormärz existiert zwar nach
Eher reflektiert der Kater Murr mit diversen ko- wie vor das Sozialsystem Literatur, doch rückt von
mischen Umschriften die Lage des Literatur-Systems diesem Standpunkt aus das soziale und politische Ge-
im frühen 19. Jh., da sich sämtliche Schreibweisen und schehen wieder stärker in den Blick. Die satirisch-pa-
Rollenmuster ästhetisch abgenutzt oder historisch re- rodistischen Texte Heines leben davon, dass sie eine
lativiert haben. Über den ungewollt imitierenden statt werkspezifische komische Schreibweise entwickeln
originellen Dichter Murr heißt es klärend bei H. Stein- und literarische Verhältnisse als Brennpunkt der ge-
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 271

sellschaftlich-geistigen Lage komisieren. Realistische Heines Prosa setzt neue Akzente, schließt aber den-
Erzählwerke erhellen gelegentlich die lächerliche Sei- noch an die Vorläufer epischer Komik an. Es gibt von
te von Schriftstellerfiguren und das zugehörige Mi- ihm keinen Roman, dafür die Sammlung der Reisebil-
lieu, um im erzeugten Kontrast den wahren Künstler der (1826–1831), deren Gesamtheit den hier maßgeb-
herauszustellen: Der Pseudo-Dichter in G. Kellers Er- lichen Werken von Wieland bis Hoffmann, von Cer-
zählung Die Mißbrauchten Liebesbriefe (1860) eifert vantes bis Sterne am nächsten steht. Der komische Stil
den Briefromanen der Empfindsamkeit nach, wobei des Autors ist zeitgebunden und innovativ, lässt sich
er sich der Komik seines Epigonalstils – von der rea- jedoch nicht ohne die Bezüge zur literarischen und
len statt vermeintlichen Kommunikationssituation humoristischen Vorgeschichte verstehen.
zu schweigen – genauso wenig bewusst ist wie E. T. A. Ein Teil der Forschung hat daran gearbeitet, die von
Hoffmanns Kater Murr. Als zentral für die Poetik des Heine betriebene Umgestaltung der Satire zu kenn-
Realismus und somit für das narrative Genre erweist zeichnen. Er führt im Gegensatz zur klassischen Äs-
sich die Funktion des Humors, was die typische Er- thetik und zum moralischen Allgemeinanspruch der
zählperspektive wie auch die realistischen Darstel- Aufklärung die ältere Genrevariante der Personalsatire
lungsprinzipien betrifft (vgl. Preisendanz 1963); wieder ein, welche auf den antiken Dichter Aristopha-
durchgeführt sei dies nachfolgend an W. Raabes nes zurückgreift. Dies sei symptomatisch für die gera-
Stopfkuchen. de im Vormärz neu verhandelte Grenzziehung zwi-
Die Nähe epigonaler Ästhetik zum Komischen ver- schen Autonomie und Engagement (vgl. Fingerhut
anschaulicht, stellvertretend für ein literarisches 1991, 237) im gegebenen Rahmen der sozialen Moder-
Grundproblem innerhalb des 19. Jh.s (vgl. Meyer-Si- ne. Als »Grausamkeit, verbunden mit Grazie« (ebd.,
ckendiek 2001), K. L. Immermanns Roman Die Epigo- 244) ist das personalsatirische Vorgehen beschrieben
nen (1836), der sich so zwischen Hoffmann und Keller worden, das in den Reisebildern (1826–1831) gegen A.
einreiht. Anders als im Kater Murr dient das Genre von Platen zum Einsatz kommt. Für jene Form des
Bildungsroman zwar nicht als Objekt einer Parodie, scharfen Spottes und der geistreichen Provokation
doch ist die Dichte der intertextuellen Referenzen wurde der Name »Sarkasmus« vorgeschlagen (vgl.
mitunter kaum von parodistischen Operationen wie Meyer-Sickendiek 2009, 194); dem entspricht das rhe-
Invertieren oder Konterkarieren zu unterscheiden. torisch hergeleitete Mittel der »ironisch-dialogischen
Das größte parodistische Spielfeld eröffnet sich bei Rollenprosa« (ebd., 206). Betont wird in jedem Falle
Immermann allerdings durch den Eklektizismus des eine »Allianz von satirischer Referenz und ironischem
Epigonentums, sowohl auf der Ebene des Erzähltextes Gestus« (Preisendanz 1991, 101).
als auch des Romanpersonals: Letzteres neigt dazu, Am Beispiel der Harzreise (1826) argumentiert J.
den künstlerischen Habitus von Klassik und Roman- Brummack, dass die komische Ästhetik der erzählten
tik, deren »vorgeprägte[ ] Formen« (ebd., 88), in ent- Reisebilder über die wechselnden Objekte der Satire
leerten Gesten zu wiederholen (vgl. Fauser 1997, 308). hinausreicht. Durch die episodischen, fragmentari-
Die karikierende Wirkung ist im Falle der Figur schen Bücher entstehe insgesamt ein »Epochenbild
Flämmchen u. a. dem imitierten Muster der phantas- mit satirischen Zügen« (Brummack 1979, 137), ein
tischen Dichtung Hoffmanns geschuldet (vgl. ebd., Bild der politischen Ära nach der Restauration sowie
326). Der Erzähler weist sich selbst in komischer Dis- gleichzeitig ein Gegenwartsportrait des literarischen
tanzierung als Epigone aus, indem er diverse Werke Zeitalters nach Klassik und Romantik. Daraus er-
und Schreibstile von Goethe bis Sir W. Scott zitathaft wachsen parodistische Züge der Harzreise, worin die
gebraucht. Darüber hinaus impliziert der Roman eine Rede einzelner Figuren – z. B. eine Dame über den
satirische Pointe, sofern das epigonale Zeitalter vom Sonnenuntergang auf dem Brocken – das romantische
Ideal der Goethezeit in lächerlicher, weil banalisierter Naturgefühl wie das klassische Kunstideal nachemp-
Weise absticht. Ihre potenzielle Komik geben Die Epi- findet oder zitiert. Dagegen versucht die individuelle
gonen jedoch eher indirekt und ausnahmsweise zu Stimme des reisenden Erzählers trotz aller Ironie, eine
verstehen: »Es ist aber immer nur eine Faschings- eigene und zeitgemäße künstlerische Position ein-
mummerei, und man muß um des Himmels willen zunehmen. »[D]ie Alternative wäre ein humoristi-
hinter jenen würdigen Gewändern ebensowenig den scher Roman« (ebd., 154). Mit seiner inneren Zerris-
Ernst suchen, als man hinter den Tiroler- und Zigeu- senheit zwischen den komischen Schreibhaltungen
nermasken wirkliche Tiroler und Zigeuner erwarten verkörpert Heines Humorist auf Reisen quasi Kreisler
soll« (Immermann 1971, 45). und Kater Murr in einer Person.
272 III Mediale Formen des Komischen

Humor als ästhetisches statt ideelles Prinzip des und der Beteigeuze, der Venus und dem Jupiter he-
Realismus hat zuerst W. Preisendanz konzipiert. Er rumlaufen konnte« (ebd., 10). Anschließbar wäre hier
versteht darunter ein bestimmtes »Brechungsverhält- der Humorbegriff Jean Pauls.
nis zwischen erzähltem Vorgang und Erzählvorgang« Über den Epochenhorizont hinaus nimmt Stopfku-
(Preisendanz 1963, 11). Die humoristische Qualität chen vielfach Bezug auf die Tradition des humoristi-
ist demnach unabhängig von der Komik des Dar- schen Romans (z. B. Don Quixote, Immermanns
gestellten zu denken und liegt vielmehr in einer Dar- Münchhausen). An Tristram Shandy erinnern Hein-
stellungsweise. Jene Auffassung lässt sich über den richs Lieblingsthemen, seine Auslassungen über das
mehrschichtigen Begriff der ›Vermittlung‹ erläutern. Festungswesen der Roten Schanze an die Fortifikatio-
Auf der Ebene narrativer Techniken manifestiert sich nen Onkel Tobys und die Paläontologie an den Laien-
der gemeinte Humor darin, dass die Rede des Er- Gelehrten Walter Shandy. Bei der Motivwahl sowie in
zählmediums in ihren subjektiven Eigenschaften der digressiven Erzähldramaturgie findet Raabe sei-
wahrnehmbar wird. Diese Art der Brechung birgt nen Shandyismus. Die narrativ bestimmende Freun-
und löst das poetologische Problem der realistischen despaarung Eduard – Stopfkuchen folgt den einschlä-
Erzählkunst: Wie ist es möglich, prosaische Wirk- gigen Doppel-Romanen von Jean Paul und E. T. A.
lichkeit poetisch darzustellen? (vgl. ebd.). Die dafür Hoffmann, Flegeljahre bzw. Kater Murr. Aufschluss-
zuständige Vermittlung sei weder mit ›Versöhnung‹ reich für die komische Moderne ist, dass im Stopfku-
noch ›Verklärung‹ identisch; sie erreicht eine media- chen das von Rabelais herkommende Motiv der Leib-
le Synthese, worin die narrative Form selbst das Pro- lichkeit in ein Erzählprogramm übersetzt wird. Wie-
saische bewusst hält und zugleich das reine Span- derum verlagert sich das Komik-Potenzial in die me-
nungsverhältnis formal aufhebt (vgl. ebd., 212). diale Kommunikation.
In W. Raabes Stopfkuchen (1890) sind zwei Stim-
men prominent: die des Ich-Erzählers Eduard und die Literatur
Stimme von Heinrich Schaumann alias Stopfkuchen, Bachtin: Das Wort im Roman. In: ders.: Die Ästhetik des
der auf höchst eigenwillige Weise seine Lebens- und Wortes. Hg. von Rainer Grübel. Frankfurt a. M. 1979
(russ. 1919–1974), 154–300.
Kriminalgeschichte zum Besten gibt. Der Fokus ver- Behler, Ernst: »Das Fragment der Frühromantik«. In: ders.:
schiebt sich bald auf dessen Binnenerzählung. Häufig Studien zum Roman und zur idealistischen Philosophie.
gilt die Aufmerksamkeit jeweils dem Medium, wenn Bd. 2. Paderborn u. a. 1993, 27–42.
sich z. B. die Rahmensituation einschaltet: Heimat- Birus, Hendrik: »Der ›Metaphoriker‹ Jean Paul«. In: Jahr-
Besucher Eduard auf dem Schiff zurück nach Südafri- buch der Jean-Paul-Gesellschaft 22. Jg. (1987), 41–66.
Bodmer, Johann Jacob: Critische Abhandlung von dem Wun-
ka. Der daheimgebliebene Stopfkuchen hat es an sich,
derbaren in der Poesie. Faksimiledruck nach der Ausgabe
in Aufschüben und Abschweifungen zu erzählen – ei- von 1740. Mit einem Nachwort von Wolfgang Bender.
ne subjektive Manier, die er selbst und seine Zuhörer Stuttgart 1966.
ausgiebig kommentieren. Dabei spielt der dickleibige Breitinger, Johann Jacob: Critische Dichtkunst. Faksimile-
Heinrich auf den Spitznamen an: »Ich bin ein wenig druck nach der Ausgabe von 1740. Mit einem Nachwort
breit – auch in meiner Schöne-Geschichten-Erzäh- von Wolfgang Bender. Bd. 1. Stuttgart 1966.
Brummack, Jürgen: Satirische Dichtung. Studien zu Friedrich
lungsweise. Aber dafür sind andere Leute desto kür-
Schlegel, Tieck, Jean Paul und Heine. München 1979.
zer, und so gleicht auch das sich im Großen und Gan- Daemmrich, Horst: »E. T. A. Hoffmann, ›Kater Murr‹«. In:
zen immer wieder aus« (Raabe 1963, 183). Dieser hu- Romane des 19. Jahrhunderts. Interpretationen. Stuttgart
moristische Ausgleich findet in Stopfkuchens eigener 1992, 203–249.
Rede statt, sobald er sein geringes Schicksal mitsamt Dembeck, Till: Texte rahmen. Grenzregionen literarischer
der (un)gewichtigen Person in heroische Zusammen- Werke im 18. Jahrhundert (Gottsched, Wieland, Moritz,
Jean Paul). Berlin 2007.
hänge stellt. Was W. Preisendanz ›Vermittlung‹ nennt, Esselborn, Hans: »Die Vielfalt der Redeweisen und Stim-
findet genauso zwischen den Erzählern statt: poetisch men. Jean Pauls erzählerische Modernität«. In: Jahrbuch
weitgereist der eine, scheinbar prosaisch beschränkt der Jean-Paul-Gesellschaft 26/27. Jg. (1992), 32–66.
der andere. Um solche Distanzen und die Möglich- Fauser, Markus: Intertextualität als Poetik des Epigonalen.
keit, sie durch eine Poesie der Erinnerung zu überbrü- Immermann-Studien. München 1997.
Fingerhut, Karl-Heinz: »Heinrich Heine – der Satiriker«. In:
cken, kreist die Einleitung Eduards. Menschlich sei es,
Gerhard Höhn (Hg.): Heinrich Heine. Ästhetisch-politisch
»gegen das ›Übermaß der Sterne‹ zu reagieren« (ebd., Profile. Frankfurt a. M. 1991, 236–257.
9); der Gedanke an die Kindheitsfreunde liegt näher Gerigk, Anja: Literarische Hochkomik in der Moderne. Theo-
»als alles, was auf dem Mars, dem Monde, dem Sirius rie und Interpretationen. Tübingen u. a. 2008.
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 273

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Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar 2008, 251–259. Schlegel, Friedrich: Athenäums-Fragmente. In: ders.: Kriti-
Immermann, Karl Lebrecht: Werke in fünf Bänden. Bd. 2. sche Schriften und Fragmente. Studienausgabe in sechs
Die Epigonen. Familienmemoiren in neun Büchern: 1823– Bänden. Bd. 2. (1798–1801). Hg. von Ernst Behler/Hans
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Der Beginn des 20. Jh.s markiert tatsächlich einen
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Hesse (Hg.): Sprache und Literatur der Romania. Tradition Erzählkunst. Romane solcher Art teilten seit der Mo-
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burtstag. Berlin 1993, 206–223. auf das Literarische sowie eine in der Kategorie des
Preisendanz, Wolfgang: »Der Ironiker Heine. Ambivalenz-
Humoristischen gründende narrative Form. Nach
erfahrung und kommunikative Ambiguität«. In: Gerhard
Höhn (Hg.): Heinrich Heine. Ästhetisch-politisch Profile. 1900 sind beide Orientierungen nicht mehr allein
Frankfurt a. M. 1991, 101–115. maßgeblich und werden durch alternative Paradig-
men abgelöst, der Reihe nach abgehandelt als: ›Sitten-
274 III Mediale Formen des Komischen

bilder, böse bis heiter‹ – ›Späte Schelme‹ – ›Krypto- tastrophen der kommenden Jahrzehnte ankündigten.
Komiker‹ – ›Groteske Geschichte‹ – ›Prosa-Nonsens‹. In ihrem literarischen Rang steigern sich die satiri-
Diese Gruppenbildung lässt literarhistorisch bekann- schen Texte des Autors. Den Auftakt macht zur Jahr-
te Größen ebenso durchblicken wie gänzlich andere hundertwende Im Schlaraffenland (1900), eine Ge-
Schwerpunkte. Einerseits legen satirische Sittenbilder schichte aus dem Literaten-Milieu. Es folgt der erfolg-
und pikareske Parodien den Schluss nahe, dass ältere reich verfilmte Professor Unrat (1905): Darin erweitert
Genres unter modernisierten Umständen wiederkeh- H. Mann erstmals die bereits aufklärerisch so beliebte
ren. Andererseits fallen nicht nur die kryptischen Ko- Typensatire zur sozialen Bestandsaufnahme; getreu
miker (Kafka – A. Schmidt – Th. Bernhard) mit ihrer der autoritären Gesellschaft tyrannisiert Lehrer Raat
spezifischen Schreibweise aus dem Rahmen überlie- seine Schüler, bevor er – inspiriert durch den Kontakt
ferter Epochen- und Gattungsbegriffe. Einen Neu- mit der Halbwelt des »blauen Engels« – die spießbür-
zugang bildet außerdem die Kategorie des ›Prosa- gerliche Kleinstadt korrumpiert. Der Umschwung
Nonsens‹ (Neue Frankfurter Schule: R. Gernhardt – E. verwickelt den Leser in ein Nachdenken über mora-
Henscheid): diverse Texte, die sich einer Ästhetik des lische Maßstäbe. Als stoffliche Fortsetzung des Unrat
Absurd-Albernen verschreiben und teilweise dazu und Gipfel der ›Kaiserreich-Trilogie‹ gilt Der Untertan
übergehen, konventionelle Grenzen des Narrativen (1914/18). Dies hat seine Berechtigung, da der Roman
intermedial zu erweitern. nicht nur die soziopolitische Karikatur verschärft,
Nachdem sich die humoristische Tradition weit- sondern auch narrative Techniken des Genres wie der
gehend von Geschichte und Gegenwart fern gehalten Komik weiterentwickelt.
hat, tendiert der satirisch-parodistische Roman im Als Satire auf das wilhelminische Zeitalter hat man
20. Jh. zum Historischen in Form des Zeitgeschehens. den Untertan übereinstimmend gelesen (vgl. u. a.
Jene Wende kommt den Schüben der Literarisierung Bartl 2009). Das Leitwort des ›Wilhelminismus‹ meint
von Komik im späten 18. und frühen 19. Jh. an über- einen historischen Komplex von Herrschaftsformen
greifender Bedeutung gleich. Politische Satiren auf und gesellschaftlichen Beziehungen; es trifft die mi-
den verhängnisvollen Zeitgeist hat das Kaiserreich ge- litärische Ästhetik und das erotische Verhältnis zur
nauso hervorgebracht wie die Weimarer Republik: H. Macht, Nationalismus und Imperialismus, die zer-
Manns Der Untertan (1914/18), E. Kästners Fabian strittenen Parteien des Bürgertums inmitten der riva-
(1931). Sittenbilder der Nachkriegszeit bieten H. Bölls lisierenden politischen Kräfte von links und rechts.
subtil spöttische Kurzgeschichte Dr. Murkes gesam- Trug Professor Unrat den Untertitel »Das Ende eines
meltes Schweigen (1955) und Das Treibhaus (1953), W. Tyrannen«, erzählt H. Mann diesmal den fast unver-
Koeppens böse überzeichnete Darstellung der Bun- meidlichen Aufstieg des Opportunisten und Kaiser-
desrepublik. Parodistische Schelmenromane erwach- Verehrers Diederich Heßling.
sen aus einer literarischen Spätperiode, zugleich aus Psychogramm und Sozialstudie befördern einan-
den instabilen Phasen des Dazwischen oder Danach; der auf innovativen Wegen des Erzählens. Demnach
davon zeugt neben Th. Manns Felix Krull (1954), des- steht die Figur des Untertanen für eine Mentalität statt
sen Entstehung ab 1910 mehrere Jahrzehnte um- bloß für den Einzeltypus. Dazu kehrt die Roman-
spannt, G. Grass’ Blechtrommel (1959) als Produkt der Handlung nach den Berliner Studienjahren Heßlings
Nachkriegsjahre. Im Stadium post-Holocaust ver- in den Provinzort Netzig zurück, um im Weiteren ei-
stärkt sich der Impuls, historisches Geschehen gro- nen Mikrokosmos des Kaiserreichs darzustellen. Des-
tesk-komisch zu erzählen (G. Grass – M. Fritsch – E. sen ungewollte Selbstpersiflage drängt sich einer sati-
Hilsenrath). Dem Komplex von Parodie und Ironie rischen Behandlung auf (vgl. Weisstein 1986, 112); als
unterliegt schließlich der mehr gegenwartsorientierte Gattungsname für den Untertan käme »Universal-
als geschichtsinteressierte Poproman. Groteske« (ebd., 127) infrage. Obgleich Satire die ko-
mischen Mittel bündelt, ist deren Parodie-Anteil nicht
Sittenbilder, böse bis heiter: H. Mann und Kästner zu unterschätzen. Dabei greifen Nuancen im Begriffs-
Satire und Romanform verbinden sich nach 1900 feld ›Parodie‹, zwischen der nicht zwingend herabset-
im Erzählwerk H. Manns, nachdem sie gattungs- zenden Stil-Imitation der Pastiche und dem »aggres-
geschichtlich zuletzt in der Aufklärung gemeinsam re- siv-vulgären Ton der Persiflage« (Genette 1993, 131).
levant waren. Dies scheint symptomatisch für jene ge- W. Karrer plädiert für eine schärfere Unterscheidung
sellschaftlichen Zustände, welche ab der Gründerzeit der Dreiheit Parodie – Travestie – Pastiche, je nach-
herrschten und all die politischen Umbrüche und Ka- dem, wie die Techniken der Mechanisierung und der
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 275

Inkongruenz den Bezug zum Original herstellen (vgl. im anbrechenden 20. Jh. veraltet wirken muss. Den-
Karrer 1977, 189 f.). noch sieht er Ähnlichkeiten zwischen künstlerischer
Die zentrale Figurenanordnung Untertan – Kaiser Repräsentation und Wirklichkeit, heute und gestern
trägt die satirische Funktion und ihre parodistische (vgl. ebd., 288). Die Familie Buck zieht die für das Sati-
Vermittlung. Der Begriff der Parodie nimmt zum ei- rische unabdingbare moralische Richtschnur. Doch ist
nen die konkrete, vom literarischen Genre unabhän- es nicht Wolfgang Buck, Schauspiel-Dilettant und In-
gige Bedeutung der komischen Nachahmung an: tellektueller, sondern sein Widersacher Diederich, der
Heßling gleicht sich in seinem Habitus, siehe Bart- mit dem theatralischen Wilhelminismus, mit dem sich
tracht und Augenblitzen, der von ihm zügellos be- ideal gebärdenden, in Wahrheit aber materialistischen
wunderten Herrscherpersönlichkeit an, er wird zum Zeitgeist auf dämonische Weise korrespondiert.
»Double des Monarchen« (ebd., 123). Zum anderen Der Roman Fabian (1931) ist ebenfalls zeit-
kommt das sprachlich-textuelle Prinzip dadurch ins geschichtlich präzise situiert, nämlich in den öko-
Spiel, dass obendrein der Untertan genauso redet wie nomisch prekären 1920er Jahren der Weimarer Repu-
der höchste Mann im Kaiserreich. Formal wäre darin blik; im großen Krieg hat sich die Hauptfigur eine
eine Pastiche, d. h. die stilistische Imitation der Rhe- Herzschwäche zugezogen. Bereits der Untertitel »Die
torik Wilhelms II., zu erkennen. Genauer spricht die Geschichte eines Moralisten« impliziert – die Kennt-
Forschung von einer »Technik der Zitatmontage« nis des Textes vorausgesetzt – eine gewisse Spannung
(Emmerich 1993, 84) mit typischem Effekt: »Das ein- von lakonischer Komik und Engagement, von »Sen-
montierte Zitat fungiert als Vehikel satirischer Entlar- timentalität und Neuer Sachlichkeit« (Teut Augus-
vung, indem es, im unangemessenen Zusammen- tin 2006, 5), um mit einem epochenbezogenen For-
hang, die Diskrepanz zwischen der herrscherlichen schungstitel zu sprechen. In dem zuerst ungedruckten
Phrase und der grenzenlos trivialen Wirklichkeit ins Nachwort »Fabian und die Sittenrichter« bekräftigt
Auge springen lässt« (ebd.). Komik erwächst derart der Autor seine moralistische Absicht, nachdem ihm
aus der von Inkongruenz geleiteten Rekontextualisie- die freizügige Darstellung Berliner Amüsierbetriebe
rung des Sprachmaterials. Mit physischer Lächerlich- und des davon kaum unterscheidbaren Privatlebens
keit gehen persönliche oder stellvertretend-imaginäre velegerische Zensur eingetragen hat.
Begegnungen der beiden Figuren einher, jeweils am Tatsächlich durchläuft der Titelheld eine Entwick-
Schluss der Kapitel prominent platziert. Der jubelnde lung, von einer anfangs zynischen Haltung gegenüber
Heßling rutscht direkt vor seinem Idol in einer Pfütze der Gleichgültigkeit aller Werte hin zum Wunsch
aus; Slapstick und narrative Pointe in eins: »Da lachte nach Bindung und Identifikation. Das erste Kapitel
der Kaiser. Der Mensch war ein Monarchist, ein treuer demonstriert Indifferenz: Nach einer Zeitungslektüre
Untertan! Der Kaiser wandte sich nach seinen Beglei- mit Schlagzeilen wie »Elefanten auf dem Bürgersteig,
tern um, schlug sich auf den Schenkel und lachte. Die- Nervosität an den Kaffeemärkten« (Kästner 1959, 11)
derich aus seinem Tümpel sah ihm nach, den Mund fragt Herr Jakob Fabian den Kellner, ob er gehen solle,
noch offen« (H. Mann 1953, 59). ohne anzugeben, wohin. Dessen abratende Antwort
Die Umsetzung der verlachenden Intention er- motiviert seinen Entschluss dafür, was den Gefragten
schöpft sich keineswegs in jenem Figurenpaar. Da irritiert: »›Wenn ich zugeraten hätte, wären Sie nicht
personales Erzählen aus Diederichs Perspektive über- gegangen?‹ ›Dann auch. Bitte zahlen!‹« (ebd., 11 f.)
wiegt, bleibt es dem Leser überlassen, die herabset- Ähnliche Dialoge an der Schwelle zum Absurden wer-
zenden Widersprüche im Handeln und Denken des den auch in Zeitungsredaktion und Werbeagentur ge-
Protagonisten aufgrund von »Szenenarrangements« führt. Das zunehmende Gegengewicht angesichts von
(Emmerich 1993, 81) zu entdecken. Diese Rezeptions- Fabians burlesk-pikaresken Abenteuern in Varietés,
form spricht für die Modernität des Romans (vgl. Sie- Künstlerateliers und Kleinbürgerwohnungen stiften
bert 1999, 336). Darüber hinaus enthält Der Untertan die Beziehungen zu Cornelia und zu Labude. Doch
eine poetologische Miniatur. Im Kontext des ebenfalls bringt sich der Freund wegen eines tragikomischen
satirisch produktiven Theater-Motivs (vgl. French Missverständnisses um seine vermeintlich abgelehnte
1986) taucht eine Wandmalerei auf, die das frühere Le- Habilitation um (»Es war nur ein Scherz gewesen!«,
ben in Netzig idealisierend abbildet (vgl. H. Mann ebd., 165) und die Partnerin prostituiert sich für ihre
1953, 268). In dieses Gemälde fügt sich die reale Ge- Karriere als Filmschauspielerin. Partikularsatirisch
stalt des alten Buck ein, dem allerdings bewusst ist, betrachtet wirft Kästners in jeder Hinsicht für Er-
dass der von ihm verkörperte bürgerliche Liberalismus wachsene geschriebener Erzähltext einen bösen Blick
276 III Mediale Formen des Komischen

auf die von Verzweiflung grundierte Lustigkeit zu Zei- lachen verdankt sich der personalen Erzählperspekti-
ten der Weimarer Republik. Den Maßstab der ko- ve des Abgeordneten Keetenheuve: »Immer fiel ihm
mischen Wahrnehmung wie auch des moralischen Komisches ein« (Koeppen 2010, 10). Er versteht sich
Anstandes bildet der Protagonist selbst, der – im Stil als Nachfahre Don Quixotes (vgl. ebd., 11) und sieht
einer makabren Schlusspointe erzählt – bei dem Ver- »die würdigen Kollegen wie Clowns in der Manege
such, einen ins Wasser gestürzten Jungen zu retten, als agieren« (ebd., 10). Sozialsatirisch wendet W. Koep-
Nichtschwimmer ertrinkt. pen das Verfahren parodistischer Sprachmontage an:
Die Forschung hat darauf hingewiesen, dass der »Die Fahnen klirren im Wind. O Hölderlin, was klirrt
studierte Literarhistoriker Fabian im Zeitalter der denn so? Die scheppernde Phrase, die hohlen Kno-
Massenmedien lebt, deren Trivialität komisch zutage chen der Toten« (ebd., 23).
tritt (vgl. Wrobel 2005). Trotz der eher knappen als
epischen Form entsteht ein zuweilen drastisch verzer- Späte Schelme: Th. Mann und Grass
rendes, zuweilen feinsinnig ironisierendes Gesell- ›Spät‹ meint hier den fortgeschrittenen Stand der lite-
schaftsportrait mit historischer Signatur. rarischen Moderne, zu dem das frühneuzeitliche
Anders als Fabian hält die erzählte Verwechslungs- Genre des Schelmenromans neu aufkommt: Je nach-
komödie Drei Männer im Schnee (1934) Abstand zur dem, welchen der beiden Stellvertreter dieser moder-
historischen Lage. Doch die heitere Geschichte, in der nisierten Tradition man betrachtet, fällt deren Ge-
ein arbeitsloser Werbefachmann, ein inkognito rei- wicht entweder auf die im Paradigma der komischen
sender Millionär und dessen als Herr verkleideter Sittenbilder dominante Satire oder auf Parodie.
Hausdiener im Skiurlaub Freundschaft schließen, liest G. Grass’ Blechtrommel reaktiviert den satirischen
sich angesichts der politischen Unruhen des Jahr- Zug, der sich schon im Simplicissimus (1668) findet;
zehnts wie eine ins Humane verkehrte Welt. Darin demnach steht die Unbekümmertheit des Pikaro im
trägt der gutmütige Konzernchef Tobler bald das Los Kontrast zum entsetzlichen Lauf der Welt. Im Falle
eines Hilfsarbeiters, während dem irrtümlich für von Oskar Matzerath werden Nationalsozialismus und
ihn gehaltenen Angestellten Hagedorn die Vorzugs- Nachkriegszeit mittels jener gattungseigenen Grund-
behandlung des Grand Hotels zuteil wird. Der ge- konstellation gespiegelt, mehr noch ins Groteske ver-
meinschaftlich gebaute Schneemann Kasimir fungiert zerrt. Vom Zeitbezug des Schelmischen hebt sich der
als vom Humor inspiriertes Emblem eines anderen Gebrauch ab, den Th. Mann von derselben Form
Umgangs miteinander, dessen Möglichkeit in den macht. Statt auf Historisches zielt er auf künstlerische
Zeitläuften dahinschmilzt. Selbstreflexion und damit höchstens auf die Frage, was
Eine Wiederkehr des satirischen Erzählens mit po- literarisch als zeitgemäß gelten kann. In seinem primär
litischer Stoßrichtung bringt erst die Nachkriegslitera- ästhetischen Interesse ist der Felix Krull (1910/1954)
tur. Dr. Murkes gesammeltes Schweigen (1955) von H. den humoristischen Romanen des 19. Jh.s enger ver-
Böll vereint die handlungs- und konfliktgesteuerte wandt, ohne die eigene Nachfolgerstellung zu verleug-
»Plot-Satire« (Friedrichsmeyer 2000, 149) mit den nen, denn gerade daraus entsteht bei Th. Mann ein pa-
verdichtenden Formen der Short Story. Die im Titel rodistischer Avantgardismus im Zeichen der Ironie.
geführte inkongruent-komische Idee, Tonband- Die wissenschaftliche Rezeption hat registriert,
schnippsel ohne Rede, kritisiert indirekt den Oppor- dass Felix Krull gleich mehrere Genres und Schreib-
tunismus der restaurativen Adenauer-Ära. Am Bei- weisen parodiert. Als Gattungsmuster dienen Auto-
spiel des Funkhauses wird in Verkehrungen und moti- biographie, Bildungsroman und Künstlerroman – ei-
vischen Variationen wie dem Paternoster das »Herr- ne Kombination, die in der humoristischen Ahnenrei-
schaftsprinzip« (ebd., 152) ad absurdum geführt. he an E. T. A. Hoffmanns Kater Murr (1819) erinnert.
Bur-Malottke, Gegenspieler des ambivalenten satiri- Der hohe Stil des Ich-Erzählers Felix folgt mit unerns-
schen Helden Murke, laufe mit seiner Selbstzensur des ter Absicht dem sprachlichen Vorbild Goethes (vgl.
Wortes »Gott« – ersetzt durch »jenes höhere Wesen, Sprecher 1985), die komische Intertextualität Th.
das wir verehren« (ebd., 150) – parallel zur formelhaf- Manns übt sich sogar an eigenen Werkmerkmalen
ten Rhetorik Hitlers. Zeitgenössische Deformationen (vgl. Heftrich 2005). Der parodistische Komplex lässt
und verdrängte Vergangenheit sind ebenso Brenn- sich literarhistorisch analysieren. So wurde festgehal-
punkte im Roman von W. Koeppen: Das Treibhaus ten, »daß die seit der Romantik florierende Gattung
(1955) demaskiert in diesem Sinne das politische Mi- des Künstlerromans sich [...] in eine pikareske Ge-
lieu der Parlamentarier. Das anti-hierarchische Ver- schichte transformiert« (Jacobs 1998, 100). Der Schel-
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 277

menroman wird noch am ehesten als Synthese der fängt Krull von dem »abgeschmackten Witzbold«
verschiedenen Genrebezüge des Felix Krull begriffen. (Mann 2012, 41) die Idee zum Lebens- wie Kunstpro-
Gleichwohl sind die Spannungen zwischen Elementen gramm eines beglückenden Betrugs der feineren Art.
und Strukturen des hybriden Textgebildes nicht gänz- Der humoristische Erzähler Krull hat als Marquis sei-
lich aufgehoben: Trotz der episodischen Form des nen Auftritt vor dem König Portugals (vgl. ebd., 391).
Pikaresken versucht der Erzähler, seiner »Lebens- Zur Anekdote in der Anekdote liest man im Antwort-
geschichte wie beim Bildungsroman eine innere Kon- brief der Venostas den folgenden poetologisch be-
tinuität zu unterstellen« (Sebastian 1986, 135). Das deutsamen Erzähler-Kommentar:
Spätwerk hält epische Traditionen gegenwärtig, dies
aber nicht ungebrochen. »Gewiß, ein Spaßvogel warst du immer, aber solche pa-
Aus den Memoiren eines Hochstaplers wird durch rodistischen Talente und Gaben burlesker Travestie,
die narrative Ironisierung aller beteiligten Gattungs- daß Du eine ganze Gesellschaft, einschließlich eines
zuschreibungen ein hochgradig artistisches Spiel mit prinzlichen Geblütes, damit in Lachen auflösen und ei-
der Figur des Künstlerischen. Darin überwiegen v. a. nem sorgenbeladenen König das Herz damit zu einer
»die travestierenden Momente, das Heiter-Komische, fast unmajestätischen Lustigkeit befreien konntest,
die bis ins Lächerliche reichenden Paradoxien« hätten wir Dir doch nicht zugetraut.« (Mann 2012, 402)
(Koopmann 1990, 517). Travestie als eine parodis-
tische Technik der verfremdenden Einkleidung ist im Im Rückgriff auf eine Szene à la Rabelais offenbart sich
Felix Krull omnipräsent. Entsprechend verstand Th. die individuelle komische Poetik des Textes.
Mann seine Wahl, das Künstlerthema im Gewand des Kein anderes Werk Th. Manns zeigt sich so offen-
Kriminellen nachzubilden. Viele der Episoden aus sichtlich von der komischen Muse inspiriert wie die
dem Leben Felix Krulls kreisen darum, dass er den Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (vgl. Price
Widerspruch von komischer Distanz und ernsthaftem 1996). Sowohl auf jene Figur als auch auf ihre Modifi-
Einssein mit der nicht nur äußerlich angenommenen kation des pikaresken Genres trifft die Beobachtung
Rolle aufgrund der ästhetischen Überzeugungskraft zu, der Autor habe die episodische Standardform
seiner Vorführungen transzendiert: Es geschieht erst- übernommen, darin jedoch eine Seele entdeckt (vgl.
malig in der Kindheit, als Felix – vorläufig nur auf ei- Heilman 1991, 25) und demnach die alte Gattung neu
nem Stock als Instrument – virtuoses Geigenspiel per- belebt. Der Punkt kommt überraschend, weil der lite-
fekt imitiert (vgl. Mann 2012, 25 f.). Der erwachsene rarische Schelm sonst nicht als seelenvolles Individu-
Krull fingiert vor den Militärärzten erfolgreich die um bekannt ist, sondern als amoralisch agierender Ty-
grotesken Symptome epileptischer Krankheit (vgl. pus, dem keine Entwicklung zuteil wird. Mit diesem
ebd., 120 f.). Er mimt formvollendet, doch mit gewis- Rollenbild und seinem grobkomischen Modus bricht
sem Abstand den Kellner im Pariser Grand Hotel, wie Mann ohnehin, etwa im Zauberberg (1924) oder in Jo-
auch den reisenden Marquis de Venosta, dessen Iden- seph und seine Brüder (1943), modernen Variationen
tität er aus Gefälligkeit annimmt. des Schelmentums (vgl. Hermsdorf 1968).
Heiterkeit ist bereits auf der Ebene des Erzählens Im Vergleich zum Felix Krull tritt in der Blechtrom-
gegeben, indem der gealterte Protagonist nun gelassen mel erstens Parodie hinter Satire zurück und zweitens
auf die häufig amourösen Begebenheiten seiner Ju- rückt das historische Geschehen in den Vordergrund.
gendzeit zurückblickt (vgl. Koopmann 1990, 517). Zu den Gemeinsamkeiten der beiden Texte zählt der
Man könnte darin einen Fall von humoristischer Ver- parodierende Umgang mit Autobiographie – Bil-
mittlung nach realistischem Vorbild sehen, sofern das dungsroman – Künstlerroman und die komische
»erzählerische Rollenspiel« (ebd., 523) einer literar- Nachfolge in den Spuren Goethes (Wilhelm Meisters
historisch entliehenen Sprache mit der Hochstapler- Lehrjahre, 1795, sowie Dichtung und Wahrheit, 1811,
Handlung in Beziehung tritt. Die heitere Epoche der vgl. Gockel 2005). Bereits mit dem Paradigma ist ge-
persönlichen Geschichte des Helden in dessen Kin- sagt, dass die Romane von Th. Mann und G. Grass
derjahren als Sohn eines rheinischen Sektfabrikanten dem pikaresken Genre angehören. Das Schelmenhafte
geht mit dem Bankrott und Selbstmord des Vaters zu charakterisiert Oskar Matzerath als Hauptfigur und
Ende. Seine Unschuld jenseits des Erotischen verliert Erzähler. Der Insasse einer Heilanstalt schreibt dort
Felix durch einen Blick hinter die Kulissen, den Gar- seinen Lebensbericht auf, er gibt so von Beginn an zu
derobenbesuch beim Operettendarsteller Müller-Ro- erkennen, dass er der Welt da draußen und den er-
sé. Trotz grotesker Kehrseite des Bühnenglanzes emp- zählten historischen Wirren, worin er doch peripher
278 III Mediale Formen des Komischen

verwickelt gewesen ist, als Außenseiter gegenüber- lustriert den texttypischen und thematischen Wechsel
steht. Eine dem Lachen nahestehende Randexistenz der Erzählperspektive, im fließenden Übergang von
stellt Oskar physisch dar, angesichts seiner Klein- der Ich-Form zum auktorialen Erzähler (vgl. Gockel
wüchsigkeit, wobei die Zwergengestalt – gemäß der 2001, 16).
schelmischen Rollenfreiheit – selbst gewählt ist. Nach Die Blechtrommel wurde zum Wegbereiter einer
dem frühen Akt von Welterkenntnis sowie sozialer Karriere des Schelms in der Nachkriegsliteratur. Der
Verweigerung bleibt Matzerath statisch. Das weitere Geschichtsfaktor Shoah prägt auch J. Beckers Jakob
Profil dieser Schelmenfigur weicht von der gewinnen- der Lügner (1969) oder E. Hilsenraths Der Nazi & der
den Variante des Krull ab: Friseur (1971/77), worin sich das groteske Moment
zuspitzt. Trotz der ins Mittelalter verkleideten DDR-
»Seine Ablehnung jeder Verantwortung, seine Amora- Satire könnte sich die aus Gender-Sicht späte Schel-
lität, sein diabolischer Infantilismus, seine allen min in Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz
menschlichen Gefühlen fremde Indifferenz und Bös- (1974) von I. Morgner zugleich auf eine Parodie-Äs-
artigkeit lassen beim Leser keine Sympathie aufkom- thetik im Geiste des Felix Krull berufen.
men und richten seinen Blick auf eine chaotische, gro-
teske, absurde und sinnentleerte Welt.« (Gretschel Krypto-Komiker: Kafka, Bernhard, Schmidt
1993, 168) Während die übrigen Paradigmen des komischen Ro-
mans im 20. Jh. textuelle wie konzeptionelle Über-
Ein solcher Kommentar zum Protagonisten der Blech- schneidungen aufweisen, trifft dies auf die Krypto-
trommel ist bezeichnend für die Aneignung des Gen- Komiker kaum zu. Der Name, unter dem eine Gruppe
res durch die Nachkriegsliteratur. von Autoren, Texten oder Figuren hier zusammen-
Die verschärfte Sozialsatire der Gattung (vgl. ebd., gefasst ist, wurde zuerst für Th. Bernhard ins Ge-
157) nach 1945 ist selbstverständlich ohne den Natio- spräch gebracht (vgl. Schmidt-Dengler 2005), kann
nalsozialismus und den geschichtlichen Einschnitt aber umdefiniert und auf Werke von Kafka und A.
des von ihm verübten Genozids nicht denkbar. Im Schmidt übertragen werden. Das Attribut ›kryptisch‹
Zerrspiegel jener Komik, auf die der Abschnitt zur ruft innerhalb der Moderne die Qualität ›hermetisch‹
›Grotesken Geschichte‹ zurückkommen wird, liegt auf, d. h. einen formal erschwerten bzw. verschlüssel-
der Reflex einer Krise der Humanität, welche über pa- ten Zugang zur Bedeutung. Der damit einhergehende
rodistische Anspielungen in ihren ideengeschicht- verborgene Charakter des Komischen bietet zudem
lichen Horizont gestellt wird (vgl. Gockel 2005, 243). Anlass, über alternative Strukturmodelle und Theo-
Gegenwartsbezogen suggerieren Oskars trommelnde rieansätze zur Modernität von – narrativer, prosa-
Aktivitäten am Rande des Geschehens eine Auseinan- sprachlicher – Komik nachzudenken.
dersetzung mit dem fragwürdigen Status des Mitläu- Der Forschungstand zur ›lachenden‹, also humor-
fers; die Episoden spielen sowohl vor und während vollen Seite des Erzählers Kafka ist dadurch gekenn-
des Krieges als auch in der restaurativen Ära danach. zeichnet, dass diese Diskussion erst spät einsetzt und
Berühmtheit erlangte das satirische Kapitel »Im Zwie- immer wieder andere Kategorien erprobt, darunter
belkeller«: In dem gleichnamigen Lokal versammelt ›Ironie‹, ›Satire‹, das ›Groteske‹ oder das ›Absurde‹.
sich eine pseudointellektuelle Gesellschaft zu Exzes- Dennoch seien, so eine vorläufige Bilanz, die Beson-
sen des Weinens statt des Lachens (vgl. Wißkirchen derheiten der komischen Schreibweise Kafkas durch
2003) und der Trommler Matzerath spielt die Begleit- keines der Konzepte hinreichend deutlich geworden
musik dazu. Die Stellung des Pikaro zwischen Partizi- (vgl. West Nutting 1983, 651). Das besagte Problem
pation und Außenseitertum provoziert im Roman die tritt am Beispiel von Das Schloß (1926) zutage; diesen
Frage nach dem Verhalten des Einzelnen oder der Ge- Roman haben Interpreten bevorzugt unter ›Komik-
meinschaft während der NS-Zeit. Zusätzlich ist die verdacht‹ gestellt. Er wurde z. B. als »Behördensatire«
Alternative eines künstlerischen Protests angedeutet: bezeichnet, die mit den »anarchischen Mitteln der
»Doch gehörte Oskar zu den wenigen Glücklichen, Groteske« (Damerau 1995, 257) operiere. Damit ist
die noch ohne Zwiebeln zu Tränen kommen konnten. meist keine partikularsatirische Referenz angespro-
Meine Trommel half mir. Nur weniger, ganz bestimm- chen, vielmehr komisch beförderte Machtkritik.
ter Takte bedurfte es, und Oskar fand Tränen, die nicht Demgemäß geben die beiden Gehilfen des Landver-
besser und nicht schlechter als die teuren Tränen des messers K., Arthur und Jeremias, ein gestisches Schau-
Zwiebelkellers waren« (Grass 1959, 659). Das Zitat il- spiel der Absurdität, wodurch sie als modernistische
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 279

Narrenfiguren von ihren wortmächtigen Vorläufern 62), womit der ›kryptische‹ Status des verkannten Ko-
abstechen (vgl. West Nutting 1983, 669). mikers Bernhard erklärt sein dürfte. In vertrauter Ma-
Eine abweichende Lesart, über satirische und gro- nier belustigend wirken allenfalls die Passagen, in de-
teske Züge hinaus, kann von zwei zentralen Beobach- nen der Museumsbesucher Reger monologisierend
tungen ausgehen: Erstens sind sämtliche Interaktio- über Philosophen und Künstler, insbesondere über M.
nen der Dorfbewohner von dem hierarchischen Ver- Heidegger und A. Stifter herzieht, wobei er deren bil-
hältnis zur Schlussbehörde bestimmt oder wenigstens dungsbürgerliche Anhänger mit lächerlich macht. Al-
daran orientiert; zweitens will der Neuankömmling K. te Meister kann soweit als Sozialsatire eines falschen
anscheinend mit dieser Organisationsform des Sozia- Kultes um das Geistige durchgehen.
len brechen, durch die merkwürdige Art und Weise, Als aussagekräftig für die Form des Textes und de-
wie er kommuniziert. Achtet man auf die Telefonate ren Anbindung an das Thema erweist sich wiederum
oder Gespräche, die K. mit Vertretern des Schlosses – Kafkas Schloß analog – der bloße Fortgang der Rede.
führt, so verdichtet sich der Eindruck, dass es ihm Seine als Dialog situierten Selbstgespräche führt Re-
nicht allein darauf ankommt, was gesagt wird, son- ger in Gegenwart von Atzbacher, dem wiedergeben-
dern mehr darauf, dass überhaupt Kommunikation den Erzähler. Darin geht es um die Hassliebe Regers
stattfindet, obgleich im speziellen Modus. K. verlagert zu den Alten Meistern und um die Liebe zu seiner ver-
sein Gefecht mit den Instanzen der Macht auf die Pro- storbenen Frau. In der funktionalen Indifferenz der
zesslogik des Kommunizierens. Diese reformulierte emotional gegensätzlichen Redemotive verbirgt sich
Fassung des Romankonflikts beruht auf einer Kom- die Komik-Struktur: Beide werden ambivalent, indem
bination aus Komiktheorie (vgl. Gerigk 2008, 113 ff.) sie den Sprecher einerseits zur suizidalen Verzweif-
und Sozialtheorie (vgl. Luhmann 1984; 1997). In den lung bringen, andererseits seinem Drang zu kom-
daraus abgeleiteten Strukturformeln liegt der Schlüs- munizieren endlos Antrieb verleihen. Weil eine »Ko-
sel zur Krypto-Komik. mödie« vorliegt, setzt sich das Anschlussprinzip
Um eine Komik der Gesellschaft zu modellieren, durch, wahrnehmbar an der Rhetorik des Sich-Wie-
bedarf es der soziologischen Grundlagen N. Luh- derholens (vgl. Gerigk 2008, 179 ff.).
manns: »Gesellschaft betreibt Kommunikation, und Das Werk A. Schmidts verschreibt sich einer ex-
was immer Kommunikation betreibt, ist Gesellschaft« perimentellen Hermetik, deren Zusammenhalt mit
(Luhmann 1984, 555). Ferner gibt es verschiedene den komischen Kennzeichen des Autors (vgl. Reemts-
Differenzierungstypen, die vormodern hierarchische ma 2006, 11 ff.) aber nur vereinzelt untersucht worden
bzw. »stratfikatorische« (Luhmann 1997, 609) und die ist. Dabei präsentiert sich ein breites Spektrum von
modern funktionale (vgl. ebd., 613); daran richten Komik zwischen sprachlich-sexuellen »Kalauer[n]«
sich jeweils Strategien komischer Subversion aus. Im (Kruckis 1997, 526) und witziger Intertextualität für
Stadium der Avantgarden des 20. Jh.s liegt das Betäti- den eingeweihten Leser (vgl. Eisenhauer 1992).
gungsfeld nicht allein in der sozialen Ausdifferenzie- Schmidts avantgardistische Zitier- und Schreibtech-
rung, sondern im Basalvorgang des sinnförmigen niken haben das Etikett des Karnevalesken auf sich ge-
Kommunizierens: »Sinn ist laufendes Aktualisieren zogen (vgl. Ringmayr 1999, 203). Fest steht im Rück-
von Möglichkeiten« (Luhmann 1984, 100). Komik- blick auf die Geschichte humoristischer Epik, dass
spezifisch wäre ein Verhalten, dass einerseits das kom- erstmals nach der Zeit um 1800 – mit Sterne und Jean
munikative Anschlussverfahren gefährdet und es an- Paul – die textuelle Medialität in der Form des Ko-
dererseits durch geeignete Maßnahmen vorantreibt, mischen sichtbar wird. Im Anschluss an den theoreti-
beides gleichzeitig: »Komik ist Ambivalenz gegenüber schen Exkurs ergibt sich eine These für den Dritten im
der Organisationsform des Sozialen« (Gerigk 2008, Bunde der Krypto-Komiker: Die Notationsform von
101). Auf dieser Ebene bewegt sich K., wenn er Dia- Zettel’s Traum (1970) signalisiert eine die Rezeption
loge mit Schloss und Dorf umfunktioniert. strapazierende Komplexität und Eigengesetzlichkeit,
Die skizzierten Thesen leiten über zu dem Rätsel, in der Interpretation entfaltet der Text eine der Kom-
das Th. Bernhards Alte Meister (1985) aufgibt, denn munikation förderliche Art von Hyper-Sinn. Ange-
dort steht im Untertitel die Gattung »Komödie«. Un- wandte Etymtheorie, Schmidts Verfahren, durch al-
geachtet der Grenze zwischen Epik und Drama weist ternative Schreibung mehrere Wörter zugleich auf-
ein Kenner des Œuvres darauf hin, dass nicht nur die zurufen, vervielfacht Deutungen. Durch die drei Spal-
Kurzprosa des Autors wie ein komisch-tragisches ten der Romanseiten laufen diverse Lektüren parallel
Kippspiel funktioniert (vgl. Schmidt-Dengler 2005, bzw. kreuz und quer. Wie E. T. A. Hoffmanns Kater
280 III Mediale Formen des Komischen

Murr stellt Zettel’s Traum die kommunikative Funk- Das Heimatmuseum des Ortes zeigt sich als un-
tion medialer Strukturen auf die Probe. geordnete Zusammenstellung mittelalterlicher Expo-
nate und jüngerer Zeugnisse der politisch belasteten
Groteske Geschichte: Fritsch und Hilsenrath Stadtgeschichte. Von der Lehrerin und ehemaligen
Als Bindeglied zum Kanon der ›Späten Schelme‹ leitet NS-Aktivistin Radegund wird Golub durch die mit
Die Blechtrommel den Reigen grotesk erzählter Roma- beziehungslosen Objekten überfüllten Räume ge-
ne über Geschichtliches ein. Die meisten Studien zur führt, in denen der »Historismus« (ebd., 155) des Di-
fiktiven Autobiographie des Oskar Matzerath weisen rektors namens »Warhejtl« zu besichtigen ist. »Felix
auf deren groteske Momente hin (vgl. Gockel 2001, war mit der Geschichte allein« (ebd.). Der Besucher
77); ein Paradebeispiel solcher drastisch entstellenden wird vorgeblich spaßeshalber in eines der Folter-
Darstellung von Zeitgeschichte ist mit dem ›Zwiebel- instrumente gespannt, um das Geständnis in Form ei-
keller‹-Kapitel bereits zur Sprache gekommen, dort ner Unterschrift zu erpressen, mit dem Golub die Rol-
unter der Überschrift des Schelmenromans. Nicht alle le des Sündenbocks für sämtliche Vergangenheitsver-
Szenen des Grotesken, z. B. der Fund sich ringelnder brechen seiner Heimatstadt übernehmen soll. Den
Aale im toten Pferdekopf (vgl. Grass 1959, 177), tra- Opfer-Status des erzählenden Protagonisten besiegelt
gen so unmittelbar historische Bedeutung wie das das Maskenfest, wo Felix in jener Verkleidung als
tödliche, als »Bonbon« verschluckte Parteiabzeichen Mädchen auftritt, die ihn auf der Flucht gerettet hat.
(vgl. ebd., 489). Oskars Gabe, »Glas zu zersingen« Man zwingt ›Charlotte‹, eine Travestie der Reue auf-
(ebd., 71) verweist indirekt auf die Gewalt der Pogro- zuführen (vgl. ebd., 232), die sie/ihn diesmal weder
me, bricht die Parallele jedoch durch die Protest- vor dem Zorn der Menge noch vor erneuter Gefan-
Funktion des Zersingens. Abgesehen von einer satiri- genschaft im schützenden Loch bewahrt.
schen Auseinandersetzung mit der Vor- und Nach- Eine kryptische Satire auf die Geschichtsphiloso-
kriegsgeschichte (vgl. Pruss-Plawska 2003; Socha phie vermittelt in Gestalt von Körper-Komik das gro-
2010) richtet sich die groteske Komik auch auf über- teske Figurenpaar Vittoria und Felix/Charlotte. Wäh-
lieferte Formen des Erzählens und Reflektierens von rend die Generalin das historisch handlungsmächtige
Geschichte. Das Schauspiel des desertierenden Groß- wie das reflektierende Subjekt verkörpert, bleibt Go-
vaters (vgl. ebd., 15) macht sich z. B. über die Denkfi- lub auf die Rückschau desjenigen beschränkt, der Ge-
gur des souveränen historischen Subjekts lustig. schichte erleidet. Trotzdem kommt es zum Tausch
Der einstige Deserteur und jetzige Heimkehrer Fe- zwischen aktivem und passivem Part, wenn die geal-
lix Golub erzählt in G. Fritschs Roman Fasching (1967) terte Dame und der verkleidete Jüngling kopulieren:
rückblickend aus der Grube, seinem Versteck zu das »Roß [...] lehrte allmählich dem Reiter das Reiten«
Kriegszeiten. Diese abseits gelegene Erzählsituation (ebd., 68).
ist nicht die einzige Parallele zur Blechtrommel, wobei Die Sondergattung des parodierten Bildungs-
allerdings die Positionierung der narrativen Instanz romans als Schelmenroman, die eine Neuerung der
im Roman das historische Geschehen durchblicken komischen Epik im 20. Jh. darstellt, setzt sich mit E.
lässt. Die groteske Gestaltung der Vergangenheit tut Hilsenrath fort. Der Nazi & der Friseur entstand in
sich gleich in den ersten Zeilen kund: den 1960iger Jahren im New Yorker Exil und wurde
später in deutscher Sprache publiziert. Der satirische
»Ich habe gelacht und sie hat gelacht, ich höre uns Blick einer ironisch eingenommenen Täterperspekti-
noch lachen, beide ein einziges Gelächter, ich sehe sie ve fordert eine schonungslose Sicht auf die Holo-
noch lachen oben, plötzlich hoch über mir, lachend ha- caust-Vergangenheit ein. Da jedoch moralisches En-
be ich mich in der Grube zurechtgesetzt, lachend hat gagement durch Komik bei dieser Thematik und
sie gesagt, hier findet dich keiner, lachend habe ich ge- Erzählform an ihre Grenzen stößt, setzt sich der
sagt, vergiß mich nicht.« (Fritsch 1995, 7) »Groteskstil« (Horch 2005, 28) durch. Hilsenraths
»zynischer Humor« (Arnds 2005, 120) wagt sogar die
Mit der karnevalesken Eröffnung, welche aber die »Darstellung der Euthanasie mittels grotesk-karniva-
Hierarchien – zwischen Felix und seiner grausamen lesker Erzählformen« (ebd., 117). Wegen des spötti-
Beschützerin, der Generalin Vittoria Pisani – gerade schen Tonfalls wurde die angloamerikanische Tradi-
nicht verkehrt, beginnt eine komische Abrechnung tion des schwarzen Humors ins Gespräch gebracht
mit der Kontinuität des Faschismus in Österreich vor (vgl. Klocke 2005, 130 ff.), die sich einer lehrhaften
und nach 1945 (vgl. Menasse 1995; Dierick 2001). Betrachtung von Geschichte entzieht. Hilsenraths Pa-
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 281

rodien auf Märchen wie Frau Holle entpuppen sich sein Œuvre in Vergessenheit geblieben. Der editori-
trotz ihrer drastischen Szenen von Sexualität und Ge- sche Auftakt eröffnet ein umfassendes Spiel mit den
walt als ironischer Meta-Kommentar, »auf die Ideo- Bezugsgrößen der Literaturkommunikation, die
logisierung gerade dieses Märchens bei den National- ebenso exponiert wie subvertiert werden: Die Glie-
sozialisten« und »auf das Phänomen der Holocaust- derung des Buches in »Der frühe Hau«, »Der mittlere
Verleugnung« (Arnds 2005, 122). Unter den Tabu- Hau« und »Der späte Hau« nutzt parallel zum Schema
brüchen des Textes ragt eine stilisierte Hitler-Rede des biographischen Genres den werkgeschichtlichen
heraus: Sie travestiert die Rhetorik der Bergpredigt Dreischritt. Dies bildet aber lediglich die Klammer für
und pervertiert deren Moral (vgl. Hilsenrath 2004, die weit größere Vielfalt an Gattungsformen, aus de-
56 f.). Die größte Travestie und schärfste Groteskko- nen sich Arnold Hau zusammensetzt.
mik liegt in der Figur des Ich-Erzählers: »Massen- Ein roter Faden des Satirischen durchzieht die he-
mörder« Max Schulz nimmt die Identität seines Ju- terogene Sammlung von Bildern und Texten: Der lite-
gendfreundes Itzig Finkelstein an. rarische Tiefsinn nach dem Vorbild des Über-Klassi-
kers Goethe, die in allen Medien forcierte Frage »Was
Prosa-Nonsens: Neue Frankfurter Schule ist der Mensch?« (ebd.), wird durch die Nonsens-Ko-
(Gernhardt, Henscheid) mik der Bild-Serien hintertrieben sowie durch Fotos,
So eigenständig wie die ›Krypto-Komiker‹ formiert die angeblich Arnold Hau zeigen, tatsächlich aber ei-
sich das absurde Erzählen bzw. die intermediale Dar- nen völlig Unbekannten in banalen bis albernen Po-
bietung alberner Geschichten (vgl. Ecker 2008). Das sen. Als Gegengift zum Werk-Fetisch inszeniert sich
Verdienst, der Nonsens-Lyrik ein episches Pendant an die Fülle der »Formen, Stile und Ausdrucksweisen«
die Seite gestellt zu haben (vgl. Köhler 1989), kommt (ebd.) Haus, eine Art parodistischer Anthologie von
den Autoren und Zeichnern der Neuen Frankfurter quasi-romantischer Lyrik über Dramenszenen in
Schule zu (vgl. Köhler 1987). Aus deren Kooperation Schillers Manier bis zu pseudosokratischen (Hör-
ging Die Wahrheit über Arnold Hau (1966) hervor, ein spiel-)Dialogen. Programmatisch nahezu postmo-
erstes Schlüsselwerk des Prosa-Nonsens, an dem R. dern stellt Arnold Hau die Unverbindlichkeit der
Gernhardt, F. W. Bernstein und F. K. Waechter betei- Schreibweisen komisch bloß.
ligt waren. Deren Zusammenarbeit im Dienste des li- Leitmotivische Variationen des ›Schwachsinns‹
terarisch-bildlichen Unsinns bzw. der »Nonsenssati- prägen Henscheids Romantrilogie: sei es der »Bruch
re« im Unterschied zur »Moralsatire« (Zehrer 2001, in der Logik« (Henscheid 1979, 41) sexueller Ziel-
189) begann mit der Kolumne »Welt im Spiegel«, kurz strebigkeit in den Vollidioten, sei es »Schmonzens«,
WimS, in der satirischen Zeitschrift Pardon. In Arnold die »Kontraktion aus ›Schmonzette‹ und ›Nonsens‹«
Hau wurde daraus eine fiktive Biographie aus narrati- (Henscheid 1986a, 109) in Geht in Ordnung oder feh-
ven, lyrischen und dramatischen Teilstücken sowie – lende »Sinnstiftung« in der Mätresse des Bischofs und
über das textuelle Medium hinaus – Comicstrips, Il- daher »eine Indifferenz, eine Indolenz, eine Intran-
lustrationen und Fotografien. Waechter und Bern- sigenz, eine Insuffiziens, eine Intoxikation« (Hen-
stein zeichneten später für E. Henscheids Trilogie des scheid 1986b, 5). Punktuell wird die selbstgenügsame
laufenden Schwachsinns (vgl. Schardt 1990, 7–22). Je- Absurdität und Geistlosigkeit an eine satirische In-
ne Romane schöpfen Erzählmittel aus, um Effekte des tention gebunden: das Abbild einer schwachsinnigen
Absurden hervorzubringen. Darin besteht die Innova- Ära, der damaligen BRD-Gegenwart. Stellvertretend
tion Henscheids innerhalb einer Geschichte des nar- lautet das Motto in den Vollidioten: »Ich meine, in
rativ Komischen. Es ist nicht zu übersehen, dass Die unserem Volk und Vaterland passiert ja an sich
Vollidioten (1973), Geht in Ordnung – sowieso – genau dauernd der größte Unsinn und das albernste Zeug,
--- (1977) und Die Mätresse des Bischofs (1978) zu- aber hic et nunc kam es nun schon ganz dick« (Hen-
gleich die humoristische Tradition revitalisieren (vgl. scheid 1979, 23).
Ringmayr 1994, 132). Aus Nichtigkeiten wie Liebesaffären und Kneipen-
›Arnold Hau‹ ist der Name eines fiktiven Schrift- gesprächen komponiert Henscheid den in intertextu-
stellers, dessen Person, Leben und Werk im Rahmen ell-alltäglicher Vielstimmigkeit parodienahen (vgl.
der Herausgeberfiktion des von Gernhardt verfassten Bachtin 1979, 200) Zyklus: ein »Konglomerat von
Vorworts eingeführt wird. An einer »Wegscheide im hochliterarischem Stil und maximierter Banalität«
Württembergischen« (Gernhardt/Bernstein/Waech- (Ringmayr 1994, 140). Zusätzlich finden sich Mittel
ter 1974, 12) sei der Dichter schließlich verschollen, der Nonsens-Poesie: die Permutation von Brief-Paa-
282 III Mediale Formen des Komischen

rungen (vgl. Henscheid 1979, 122), die dialogischen Literatur


Floskeln Alfred Leobolds (vgl. Henscheid 1986a, 302), Arnds, Peter O.: »Holocaust Satire im Exil. Edgar Hilsen-
dadaistische Wortfolgen und pornographische Verse raths ›Der Nazi und der Friseur‹ und Soma Morgensterns
›Die Blutsäule‹«. In: Viktoria Hertling/Wulf Koepke/Jörg
(vgl. Henscheid 1986b, 107, 570 f.). Im narrativen Thunecke (Hg.): Hitler im Visier. Literarische Satiren und
Aufbau sind jeweils beide Extreme verankert, ein exis- Karikaturen als Waffe gegen den Nationalsozialismus.
tenzieller Nihilismus der Figuren (vgl. Henscheid Wuppertal 2005, 113–128.
1979, 218) und der Versuch des involvierten Erzäh- Bachtin, Michail M.: Das Wort im Roman. In: ders.: Die Äs-
lers, das Ganze »ins Heiter-Nichtige zu transportie- thetik des Wortes. Hg. von Rainer Grübel. Frankfurt a. M.
1979 (russ. 1919–1974), 154–300.
ren« (Henscheid 1986b, 77). Diesen Spagat vollführt
Bartl, Andrea: »Heinrich Manns Roman ›Der Untertan‹ als
etwa die närrische Erzählerfigur mit dem Spitznamen Satire auf das Kaiserreich«. In: Michaela Enderle-Ristori
»St. Neff« (ebd., 76). (Hg.): Der Untertan de Heinrich Mann. Pour un roman et
Den Selbstkommentar des Romanschreibens so- une société modernes. Tours 2009, 25–46.
wie die Spannung zwischen schwächelndem Intellekt Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archi-
und höchst vitalem »Sexualgetöse« (Henscheid 1979, visten. München 2002.
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt
46) haben jene Apotheosen des Blödsinnigen mit
a. M. 1991 (engl. 1990).
dem humoristischen Erzählen gemein. Sie vermitteln Damerau, Burghard: »Die Waffen der Groteske. Kafka,
die Kluft zwischen dem unendlichen Geist und dem Kämpfe und Gelächter«. In: Neohelicon 222. Jg. (1995),
endlichen Begehren bzw. dem sterblichen Körper. 247–258.
Den »Vollakademiker« (Henscheid 1979, 13) flankie- Dierick, Augustinus P.: »Politics, the elegiac, and the carni-
ren der triebgesteuerte Herrn Jackopp und Schma- valesque. Gerhard Fritsch’s ›Moos auf den Steinen‹ and
›Fasching‹«. In: Seminar 38. Jg., 1 (2001), 46–58.
rotzer Kloßen; die Iberer-Brüder, deren Faszination Ecker, Hans Peter: »Der Zwerg reinigt die Kittel. Das Alber-
der Mätresse-Erzähler erliegt, bewegen sich zwischen ne als ästhetische Kategorie«. In: Julia Schöll (Hg.): Litera-
dem Leiblichen und dem katholisch Vergeistigten. tur und Ästhetik. Texte von und für Heinz Gockel. Würz-
Geht in Ordnung lässt sich vorübergehend vom Tech- burg 2008, 67–74.
telmechtel mit zwei Schwestern inspirieren, dann Eisenhauer, Georg: ›Die Rache Yorix‹. Arno Schmidts Poetik
des gelehrten Witzes und der humoristischen Gerichtsbar-
vom Kontrastpaar, dem lüstern wütenden Duschke
keit. Tübingen 1992.
und dem sanft sinnbefreiten Leobold, welcher trotz Emmerich, Wolfgang: Heinrich Mann, »Der Untertan«
Suff und Suizid als poetischer Charakter zur Legende [1980]. München 31993.
verklärt wird. Fraunhofer, Hedwig: »Daniel Kehlmann’s ›Die Vermessung
Gegenwartsliteratur zeigt sowohl Anschlüsse an die der Welt‹. A satire of the German enlightenment«. In: Mi-
jüngeren Paradigmen als auch an ältere Formen ko- chael Boehringer/Susanne Hochreiter (Hg.): Zeitenwende.
Österreichische Literatur seit dem Millennium. Wien 2011,
mischen Erzählens. Aktualität des humoristischen 141–156.
Doppelromans à la Jean Paul belegt D. Kehlmanns Die French, Lorely: »›Das Theater ist auch eine meiner Waffen‹«.
Vermessung der Welt (2005): Der Geschichte von Theater and satire in Heinrich Manns ›Der Untertan‹«. In:
Humboldt und Gauß zwischen Intelligenz und Kör- New German Review 2. Jg. (1986), 1–13.
perlichkeit, ›messbar‹ und ›unermesslich‹ wurde eine Friedrichsmeyer, Erhard: »Dr. Murkes gesammeltes Schwei-
gen«. In: Werner Bellmann (Hg.): Heinrich Böll. Romane
satirische Behandlung deutscher Kulturgrößen attes-
und Erzählungen. Stuttgart 2000, 149–160.
tiert (vgl. Fraunhofer 2011, 143), nicht ohne Ein- Fritsch, Gerhard: Fasching. Roman. Frankfurt a. M. 1995.
spruch gegen Begriff und Gegenstand der Satire (vgl. Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe.
Kindt 2012, 370). Mediale Ironisierung als selbstrefle- Frankfurt a. M. 1993 (franz. 1982).
xive und historisch relativierende Bewegung leitet Gerigk, Anja: Literarische Hochkomik in der Moderne. Theo-
über zu Chr. Krachts Imperium (2012): Nähe zur Ge- rie und Interpretationen. Tübingen 2008.
Gockel, Heinz: »Diese sehr ernste Parodie. Günter Grass’
schichte des vergangenen Jh.s schlägt symptomatisch
›Blechtrommel‹«. In: ders. (Hg.): Literaturgeschichte als
in groteske Darstellungsmomente um. Von der Un- Geistesgeschichte. Vorträge und Aufsätze. Würzburg 2005,
ausweichlichkeit der Ironie (vgl. Baßler 2002, 131) 231–243.
wird der Poproman getragen. Im Falle Th. Meineckes Gockel, Heinz: Grass’ Blechtrommel. München 2001.
sieht Baßler »diskursive[...] Überdeterminierung« Grass, Günter: Die Blechtrommel. Roman. Darmstadt 1959.
(ebd., 139) statt Komik, dafür aber Pastiche (vgl. ebd., Gretschel, Hans-Volker: Die Figur des Schelms im deutschen
Roman nach 1945. Frankfurt a. M. u. a. 1993.
140), eine »blanke Parodie« (Butler 1991, 204), die Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Der Abenteu-
nichts herabsetzt, sondern Unmöglichkeit eines Ori- erliche Simplicissimus Teutsch [1668]. Hg. von Alfred Kel-
ginals zugunsten omnipräsenter Kopien markiert. letat. München 172003.
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 283

Heftrich, Eckhard: »Der unvollendbare ›Krull‹. Die Krise Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemei-
der Selbstparodie«. In: Thomas-Mann-Jahrbuch 18. Jg. nen Theorie. Frankfurt a. M. 1984.
(2005), 91–106. Mann, Heinrich: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben.
Heilman, Robert Bechthold: »Variations on picaresque. Bd. 4. Der Untertan. Hg. von Alfred Kantorowicz. Berlin
Mann’s ›Felix Krull‹«. In: ders.: The workings of fiction. Es- 1953.
says. Columbia u. a. 1991, 3–25. Mann, Thomas: Große Kommentierte Frankfurter Ausgabe.
Henscheid, Eckard: Geht in Ordnung – sowieso - - genau ---. Werke – Briefe – Tagebücher. Bd. 12,1. Bekenntnisse des
Ein Tripelroman über zwei Schwestern, den ANO-Teppich- Hochstaplers Felix Krull. Hg. von Thomas Sprecher/Moni-
laden und den Heimgang des Alfred Leobold [1977]. Frank- ca Bussmann. Frankfurt a. M. 2012.
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Henscheid, Eckard: Die Mätresse des Bischofs. Roman [1978]. immer«. In: Gerhard Fritsch: Fasching. Roman. Frankfurt
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284 III Mediale Formen des Komischen

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249. semantischer, syntaktischer, und textstruktureller
Wrobel, Dieter: »Mediensatire wider die Entpolitisierung Ebene kaum abgrenzbar von den journalistischen
der Zeitung. Journalismuskritik in Romanen von Gabriele
Tergit und Erich Kästner«. In: Petra Josting/Walter Fähn-
Glossen eines K. Tucholsky.
ders (Hg.): Laboratorium Vielseitigkeit. Zur Literatur der Kürze, Pointierung und Plötzlichkeit sind zentrale
Weimarer Republik. Festschrift für Helga Karrenbrock zum Merkmale komischer Texte. Die Kürze eines Textes
60. Geburtstag. Bielefeld 2005, 267–286. kann als komikunterstützendes und sogar komikge-
Zehrer, Klaus Cäsar: »Dialektik der Satire. Zur Komik von nerierendes Merkmal verstanden werden. »Kürze ist
Robert Gernhardt und der ›Neuen Frankfurter Schule‹«.
der Körper und die Seele des Witzes, ja er selber«
Diss. Bremen 2001.
(Jean Paul 1804, 176). Der antike Lakonismus als »ex-
Anja Gerigk trem knappe, verdichtete Ausdrucksweise« (Bees
2001, 17) wird in der frühen Neuzeit Teil des Stiltypus
der Argutia, der geistvollen Bemerkung, die bei Cas-
26.2 Kurze Prosaformen der Komik tiglione als eine Unterform der Fazetie definiert (vgl.
Castiglione 1521, 183 f.) und heute auch als Bonmot
Zu den kurzen Prosaformen, die Komik generieren bezeichnet wird. Die von D. Lamping mit Blick auf
können, zählen Textsorten wie Glosse, Kommentar, die Lyrik analysierte »knappe Rede« (Lamping 2000,
Kurzgeschichte, Kurzerzählung, Anekdote und 74) erfordert analog dazu in kurzen Prosatexten eine
Aphorismus. Kurze Prosatexte sind nicht zwangsläu- weitgehende Konzentration – und damit die Redukti-
fig auf komische Wirkungen hin konzipiert, werden on – des Textes auf Wesentliches. Deutet man Reduk-
jedoch häufig mit Komik identifiziert, obwohl sie tion mit Blick auf H. Bergsons Überlegungen zum La-
»satirisch-grotesk« (Meyer 2002, 138), informativ chen als Vereinfachung (vgl. Bergson 1972/2007, 51)
oder unterhaltsam angelegt sein können. Die ge- und als Mechanisierung (vgl. ebd., 27/29), so ist sie
nannten Textsorten lassen sich nicht a priori und immer schon potenziell komisch. Kürze ist jedoch
eindeutig den Bereichen des Komischen oder des weder eine Voraussetzung noch ein Garant für Ko-
Nichtkomischen zuordnen. Selbst im Rahmen der mik: »Die Kürze ist nun nicht an sich witzig, sonst wä-
Textsorte Witz, dessen »Zugehörigkeit zur Komik« re jeder Lakonismus ein Witz« (Freud 1999, 27). Kur-
(Freud 1999, 11) nicht in Frage steht, begegnen Tex- ze Textsorten, wie Epigramme, religiöse, historiogra-
te, deren komisches Potenzial als gering einzuschät- phische, politische Maximen und Aphorismen, Zei-
zen ist, wie etwa ethnische Witze. Da zwischen der tungsnachrichten oder Werbetexte sind daher nicht
Komizität eines Textes und der Lachwirkung keine notwendig durch Komik bestimmt. Die Verknappung
notwendige Kausalität besteht und diese Relation an Hinweisen auf den Kontext durch die Verkürzung
von der konkreten Rezeptionssituation sowie den kann intentional oder unfreiwillig zur Unverständ-
Präferenzen der Rezipienten abhängig ist, können lichkeit und zum Nonsens führen, und damit auch zu
auch Texte, die nicht mit komischer Intention ver- einer komischen Rezeption einladen. Der Nonsens
fasst wurden, unter bestimmten Rahmenbedingun- kann eine komische Wirkung haben, aber auch exis-
gen – etwa bei der Parodierung – komisch wirken. tentielle Befindlichkeiten, wie Verzweiflung, Desinte-
Die Abgrenzung von komischer Kurzprosa von an- resse oder Überdruss zum Ausdruck bringen bzw.
deren komischen Kurzgattungen – der Lyrik (Spott- auslösen. F. Fénéon setzt in der von ihm entwickelten
gedicht, Prosagedicht) oder des Dramas (Szene, Ein- Gattung »nouvelles en trois lignes« die Verkürzung
akter, Saynète, Sketch) – ist nicht immer mit letzter einer Zeitungsnachricht auf drei Zeilen intentional
Trennschärfe möglich und auch nicht in jeder Hin- für Komik ein: »Il avait parié de boire d’affilée quinze
sicht sinnvoll, weil Themen, z. B. Ehezwist, sowie die absinthes / en mangeant un kilo de boeuf. A la neuviè-
pointierte Textstruktur im Bereich kurzer Formen me, / Théophile Papin, d’Ivry, s’écroula« (Fénéon
nicht auf die narrativen Gattungen festgelegt sind. 1997, 13). (»Er wettete, 15 Gläser Absinth trinken zu
Das Abgrenzungsproblem zeigt sich beispielhaft können / und dabei ein Kilo Rindfleisch zu verspei-
beim Kabarettmonolog, einer Textsorte, die zwi- sen: Beim neunten Glas / brach Théophile Papin zu-
schen der schriftlichen Prosa und dem dramatischen sammen. Er stammte aus Ivry«). Die Reduktion der
Monolog liegt, der vorgetragen oder aufgeführt wird. gelieferten Information generiert eine schematisierte,
Texte wie »Rheine« (2005) von H. Evers und »Gott lakonisch dargestellte Welt, in der die Relation von
ist tot« (1988) von M. Beltz sind hinsichtlich der Motivation und Aktion hochgradig mechanisch er-
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 285

scheinen kann und die damit der Komikdefinition geleistet. Inkongruenz und »incongruity resolution«
von Bergson genügt – »du mécanique plaqué sur du sind für eine näherungsweise Beschreibung ko-
vivant« (Bergson 2007, 29), »wo etwas Lebendiges mischer Vorgänge brauchbar, können jedoch bei der
von etwas Mechanischem überdeckt wird« (Bergson Analyse versagen, da sie das zu Beschreibende nicht
1972, 32). Gewohnte Bezugsrahmen können auf diese hinreichend präzise erfassen.
Weise zielgenau destabilisiert und neue Relationen Häufig werden die Pointierung und die Komik an
der Elemente, die die Welt konstituieren, in den Hori- das Merkmal der Plötzlichkeit (vgl. Bohrer 1981) ge-
zont der Aufmerksamkeit gehoben werden. Auf diese knüpft. Diese ist jedoch ein Merkmal auch anderer –
Weise werden Grenzen, die normalerweise unüber- nicht komischer Textsorten. Im Roman tragen Hand-
schreitbar sind, für den Moment überschreitbar ge- lungsumschläge häufig das Kennzeichen des Mo-
macht, in denen die im Text entworfene Welt als Be- menthaften und zeitlich Zugespitzten. Plötzlichkeit ist
zugsrahmen akzeptiert wird. Lohse (vgl. 1998) ver- damit kein Merkmal der Komik, weist jedoch den
tritt die These, in der Transgression von Grenzzie- Weg zu dem entscheidenden Verfahren, das Komik
hungen liege das Kernmoment für die Produktion auslösen kann, nämlich zur Pointierung (Wenzel
von Komik). 1991, 21 f., 45).
Als zentrales Verfahren zur Generierung von Ko-
mik gilt die Pointe, jedoch ist sie, wiewohl Pointierung Glosse/Kommentar
in vielen Fällen das komische Potenzial erhöhen Glosse (aus dem Altgriechischen ›Zunge, Sprache‹) ist
kann, nicht mit Komik gleichzusetzen. Das komische seit der Antike der Fachausdruck für eine Worterklä-
Potenzial eines Texts hängt nicht ausschließlich von rung, die einem Text beigegeben wird. Seit der frühen
der Existenz einer Pointe ab, wenngleich viele ko- Neuzeit wird dieser Begriff auch für publizistische
mische Texte pointiert sind. Es lässt sich die ›concet- Darstellungsformen genutzt (vgl. Rohmer 1996,
to‹- oder ›Sachpointe‹ von jener Pointe unterschei- 1009). Heute dient er zur Äußerung einer Meinung
den, die als Spiel mit Erwartungen und ›Aufschluß‹ meist in einem polemisch-pointierten Kurzbeitrag in
gekennzeichnet ist (›Strukturpointe‹). Während ers- einer Zeitung oder Zeitschrift. In der Textsorte Glosse
tere als »ein frappierendes Sinn und Gedankenspiel« – wie auch in der deliberativen Textsorte Kommentar
(Friedrich 1964, 636) verstanden werden kann, be- – kann zur drastischen Kundgabe einer Meinung auf
ruht der zweite Typus auf einer strukturellen Zweitei- Komik zurückgegriffen werden, insbesondere in der
lung des Textes. Dieser setzt sich aus einer Erwartung pointierten ›Schlußwendung‹. Die Glosse kann sich in
sowie aus einem in der eigentlichen Pointe gelieferten ironischer oder satirischer Wirkabsicht auf einen re-
»Aufschluß« (Lessing 1968, 217) zusammen, wie Les- alweltlichen Gegenstand richten oder auf skurrile
sing 1711 vermerkt. Lessing versteht die Pointe nicht Auffälligkeiten des zeitgenössischen Sprachgebrauchs.
als Kulminationspunkt, sondern als eine strukturell Die Glosse ist in tendenziell höherem Maß durch das
erfassbare Kulminationsmechanik, die einen Über- Merkmal Komik bestimmt als die Meinungstextsorte
raschungseffekt erzeugt. Diese Auffassung erweitert der Kommenar, für den die komische Zuspitzung im
P. Wenzel zu einer strukturellen Pointentheorie, die Allgemeinen nicht als zentral anzusehen ist. Die Text-
die Pointe als Durchbrechung (vgl. Wenzel 1991, sorte Kommentar entsteht im Rahmen der frühneu-
33 f.) bzw. als Herstellung eines Bezugsrahmens er- zeitlichen Textkritik (vgl. ebd., 1010). Seit der Antike
klärt (vgl. ebd., 40 f.). Komisch ist die Pointe immer dient der Kommentar u. a. als Gedächtnisstütze für
dann, wenn beim Bezugsrahmenwechsel bzw. bei der biographische und historiographische Zwecke sowie
Erzeugung eines Bezugsrahmens eine die Normali- zur Erläuterung von religiösen und juristischen Tex-
tätserwartung unterlaufende Grenzüberschreitung ten (vgl. Püschel 1998, 1179 ff.). Als komikrelevant ist
erfolgt, deren übliche – strenge – Sanktionierung sus- der überzeichnende Kommentar im politischen Kaba-
pendiert bleibt. P. Müller knüpft alternativ dazu die rett einzuschätzen, wie beispielsweise L. Lorentz’ Mo-
Pointe an den komiktheoretisch nicht unumstritte- nolog »Schweigende Mehrheit« im Fernsehkabarett
nen Inkongruenzbegriff: »Genau dann, wenn ein Text Scheibenwischer aus dem Jahr 1981. Karikierende
inkongruente Elemente aufweist, die durch ihren un- Kommentare nutzten die Überzeichnung und die Ver-
vermuteten Zusammenhang sinnvoll erklärt werden ballhornung, um Absurditäten aus der sozialen und
können, [...] dann ist er pointiert und kann pointen- der politischen Sphäre zu entlarven. Ebenso verfährt
wirksam sein« (Müller 2003, 101). Diese Erklärung die komische Kommentierung von Klassiker- und von
werde durch die »incongruity resolution« (ebd., 139) Politikerzitaten.
286 III Mediale Formen des Komischen

Schwank zugeordnet werden. Als Sprachwitz nutzt der Kalauer


Der Schwank bezeichnet eine mittelalterliche epische das komische Potenzial der Wortwahl. Seine wort-
Gattung in gebundener Rede (in viertaktigen Reim- spielerischen Verfahren – Homonymie, d. h. die Ver-
paarversen) mit Pointenorientierung, die im 13. Jh. wendung von Wörtern gleichen Klanges, aber unglei-
entsteht und die verwandt ist mit dem mittelalterli- cher Schreibweise und Bedeutung, Polysemie, d. h.
chen französischen fabliau. Der Schwank wird ab die Verwendung von Wörtern gleicher Schreibweise
dem späten 14. Jh. zu einer städtischen Gattung, die und verschiedener Bedeutung sowie weiterhin Paro-
sich durch Kürze und die komische, häufig auch obs- nomasie, die Permutation der Buchstabenfolge – gel-
zöne oder vulgäre literarische Verarbeitung von ge- ten als intellektuell wenig anspruchsvoll und haben
sellschaftlichen Verhältnissen auszeichnet. Der Be- nicht selten die Ablehnung dieses Witztypus’ provo-
griff ist abgeleitet von der mittelalterlichen Bezeich- ziert (vgl. Kap. 12). Die Ablehnung ist an den abwer-
nung für Finte oder listigen Streich beim Fechten. Der tenden Bezeichnungen Flachwitz oder Plattwitz ab-
Begriff dient auch zur Bezeichnung für scherzhafte lesbar. Redfern hält die Theorie des calembour für zu-
Streiche oder die Erzählung solcher Streiche. Als Be- meist eindrucksvoller als seine Praxis (vgl. Redfern
zeichnung einer literarischen Form wird Schwank erst 2005, 17). Die reine Annäherung von gleichlauten-
seit Anfang des 20. Jh.s gebraucht. Diese Textsorte den Wörtern oder die Evozierung von verschiedenen
kann bestimmt werden als eine fiktive, auf eine Pointe Bedeutungen eines Wortes bliebe wohl in Hinsicht
hin ausgerichtete Kurzerzählung mit einer meist ein- auf die Komik unergiebig, wenn nicht auf der Seite
strängigen Handlungsführung und wenigen Figuren. der Gegenstände eine relevante Kollision, Über-
Ein Schwank hat in der Regel Betrügereien, entlarven- schneidung, Inkongruenz oder Transgression zu ver-
de Streiche und Ehebruchsszenarien bzw. Kupplereien zeichnen wäre. Die Wirkung eines Kalauers beruht –
zum Gegenstand. Für den deutschen Sprachraum gilt wie beim Witz – auf einer plötzlich evozierten über-
das Rollwagenbüchlein (1555) von J. Wickram als pa- raschenden Einsicht. Es kann aber auch die Annähe-
radigmatisch. Die zu dem Begriff Schwank synonym rung beliebiger Gegenstände durch bisweilen wenig
verwendeten Begriffe Schelmengeschichte oder Lü- anspruchsvolle Klangähnlichkeiten einen besonde-
gengeschichte markieren die thematische Variations- ren Enttäuschungsreiz darstellen, weil ein gewollt ba-
breite mittelalterlicher Schwänke. Obwohl am Ende naler Stimulus die Erwartung auf elaborierte Komik
eines Schwankes häufig eine Moral steht, zielt diese unterläuft. So nennt beispielsweise ein Hip-Hop Sän-
Gattung v. a. auf die erheiternde Unterhaltung (vgl. Fi- ger seine CD Die tollen Abenteuer von Puerto Nico.
scher 1983, 104). Als ausgebaute Form kommt im spä- Einschlägige Wortspiel-Komik existiert seit der Anti-
ten Mittelalter der Schwankroman auf, etwa Der Pfaffe ke, bevor der Begriff Kalauer im 19. Jh. aufgekom-
von Kalenberg (1473), Till Eulenspiegel (um 1510) oder men ist. Er wird im Deutschen auf die Stadt Calau in
Die Schiltbürger (1598) . Der seit dem 16. Jh. auch in der Niederlausitz bzw. auf das mittelalterliche Volks-
Prosa verfasste Schwank ist zu unterscheiden vom buch Der Pfaffe von Kalenberg zurückgeführt, wenn
Theaterschwank oder auch Volksschwank, der im auch ohne stichhaltige sachbezogene Begründung.
19. Jh. unterhaltsame Verwicklungen im bürgerlichen Auf zahlreiche zweifelhafte Etymologien weist W.
Milieu vorführt. Die Handlung des Theaterschwanks Redfern hin (vgl. ebd., 33 ff.). Wahrscheinlich ist das
läuft zumeist einsträngig und zielstrebig auf eine Poin- deutsche Wort Kalauer von frz. calembour abgeleitet,
te zu, die »fast immer in der Übertrumpfung eines an- dessen Ersterwähnung auf das 18. Jh. datiert und das
scheinend überlegenen Gegners durch Tüchtigkeit, 1777 Eingang in die Enzyklopädie Diderots findet. A.
Schlauheit oder Rücksichtslosigkeit« (Straßner 1978, Liberman bringt den Begriff auf der Basis von Über-
6) und damit in der Abwendung einer drohenden Ge- legungen L. Spitzers (vgl. Spitzer 1962) mit der por-
fahr liegt. tugisischen Universitätsstadt Coimbra in Verbin-
dung. Laut A. Liberman brillierten die Doktoren der
Kalauer Universität Coimbra in der frühen Neuzeit mit aus-
Der Kalauer, frz. calembour, ist eine Sonderform des schweifenden Darlegungen über die Bedeutungen
witzigen Sprachspiels. In der von Cicero in de oratore von Wörtern (vgl. Liberman 2008). In der abgeleite-
2.59 getroffenen Unterscheidung der Komik »in res«, ten Bedeutung ›weitschweifende Worterklärung‹
d. h. in einem dargestellten Gegenstand, und »in ver- könnte sich Colimbra als latinisierte Form von Coim-
bis« (Cicero 1976, 240), d. h. in der Formulierung, bra als die etymologische Basis von calembour er-
kann der Kalauer der zuletzt genannten Kategorie weisen.
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 287

Nicht jede Polysemie, Homonymie oder auch Pa- auch belustigende Begebenheiten enthalten kann und
ronomasie, über die gelacht wird, muss als Kalauer häufig mit einem pointierten Bonmot endet, lässt sich
bezeichnet werden. Viele außerhalb des Bereichs des die Anekdote zu den potenziell komischen literari-
Sprachlichen liegende Gründe – wie nervliche Ge- schen Formen Fabel und Schwank zählen (vgl. Hilzin-
reiztheit, Drogenkonsum, psychische und soziale ger 2002, 8 f.). Als Vorform und »enge Verwandte«
Rahmenbedingungen – können Lachen auslösen und (Meyer 2002, 131) der Kurzgeschichte ist die Anekdote
indizieren nicht notwendig einen Kalauer. Witze kön- nicht auf die komische Wirkung hin festgelegt, wird je-
nen in Versen formuliert sein, wie im Falle von doch häufig mit dieser Wirkungsintention eingesetzt.
Scherzgedichten, beispielsweise der von R. Gern- Eine parodistische Indienstnahme der Anekdoten-
hardt/K. C. Zehrer geadelten und popularisierten Tradition lässt sich bei der fragmentarisch erzählten
Scherzgedichtgattung »Bilden Sie mal einen Satz mit fiktiven Lebensgeschichte des Titelhelden des Werks
...«: Das von L. Wirag erfundene Gedicht »Zucchini«: Die Wahrheit über Arnold Hau (1964 von dem Trio R.
»Nervös werd‹ ich beim Memory, /doch beim Mika- Gernhardt, F. W. Bernstein und F. K. Waechter ver-
do Zucchini« (Wirag 2007, 38) lässt den komischen öffentlicht) und bei den der Titelfigur zugeschriebenen
Reiz der Segmentierung annähernd gleichartig lau- Texten beobachten. So heißt es dort etwa über den
tender Redeabschnitte erkennen, der zu massiven Künstler Hau:
Sinnveränderungen führen kann, die man als ko-
misch wahrnehmen darf. Auch die Reimerwartung »Immer wieder haben sich Künstler des Alkohols und
(im Bereich lyrischer Formen) kann zur Generierung der Rauschgifte bedient, um die Inspiration zu erzwin-
von Kalauern beitragen. gen. Wie Poe, Baudelaire und Benn suchte auch Hau
Beim Schüttelreim (frz. contrepèterie) wird die ko- hin und wieder jene ›künstlerischen Paradiese‹ auf,
mische Pointe durch Paronomasie ermöglicht, die doch nicht selten kehrt er enttäuscht aus ihnen zurück.
ebenfalls zu den Verfahren des Kalauers zählt und die So auch am 2.4.1942. Einzige Ausbeute der im Rausch
Verwechslung der beiden lokalen Bestimmungen im verbrachten Nacht war der Zweizeiler
Reim erlaubt: ›Wer keinen Pilz am Ballen hat, der war ›Komm doch ran Dschingis-Khan!‹
noch nicht im Hallenbad‹. Haus selbstkritischer Kommentar: ›Schade um das Ko-
kain!‹« (Gernhardt/Bernstein/Waechter 2004).
Anekdote, Aphorismus, Maxime, Reflexion, Sprich-
wort, Redensart, Scherzrätsel, Scherzfrage Der Begriff Aphorismus (vom gr. αφορίζειν, aph-
Die in der Regel in Kurzprosa verfassten Textsorten orίzein, ›genau bestimmen, abgrenzen‹) meint zu-
Anekdote, Aphorismus, Maxime, Reflexion, Sprich- nächst ›Begriffsdefinition‹ in medizinischen Lehr-
wort und Redensart können wie die Textsorten büchern (Corpus Hippocraticum, ca. 460–377 v. Chr.)
Scherzrätsel und Scherzfrage zur Herstellung von Ko- und wird in diesem Sinne auch in der Renaissance re-
mik genutzt werden. Der in diesen Gattungen be- zipiert. Im 18. Jh. wandelt sich der Aphorismus zu ei-
obachtbare Trend zu pointierten Schlusswendungen ner literarischen Textsorte. Als Vorläufer gelten die
ermöglicht ihre Verwendung mit komischer Wirk- aus dem Tacitismus hervorgegangenen Sammlungen
absicht. Diese Wendungen lassen sich nach P. Wenzel mit Klugheitregeln von F. de Quevedo und B. Gracián
differenzieren in solche, bei denen eine Durchbre- und auch die Maximen in der französischen Moralis-
chung des Bezugsrahmens vorliegt (vgl. Wenzel 1991, tik des 17. Jh.s. F. de La Rochefoucaulds Maxime 19
33 f.), und solche, bei denen der Bezugsrahmen her- »Nous avons tous assez de force pour supporter les
gestellt wird (vgl. ebd., 40 f.). maux d’autruy« (»Jeder von uns hat genügend Kraft,
Der Gattungsbegriff Anekdote dient seit der Antike um die Leiden der anderen zu ertragen«; La Roche-
und erneut seit dem 17. Jh. zur Bezeichnung einer Er- foucauld 1881, 40) konfrontiert uns mit einer erschre-
zählung unbekannter Ereignisse aus dem Leben einer ckend präzisen Einsicht in die allgemeine Kaltherzig-
Persönlichkeit öffentlichen Interesses, die keinen Ein- keit. Erwartet man am Anfang dieser Maxime noch ei-
gang in die offizielle Geschichtsschreibung gefunden nen erbaulichen Hinweis auf die Fähigkeit des Men-
haben. Tritt die Anekdote damit zunächst die Nach- schen, negative Herausforderungen zu ertragen,
folge historiographischer Kurzgattungen der Spätanti- bricht diese Erwartung mit dem Perspektivwechsel
ke an, verlagert sich ihr Fokus im 18. Jh. auf pikante und der Präzisierung zusammen, es handle sich um
und erheiternde Enthüllungen aus dem Leben der po- das Leiden der anderen. Dies eröffnet einen desillusio-
litischen Elite (›Klatschanekdote‹). Da diese Gattung nierten Blick auf die Egozentrik des menschlichen Be-
288 III Mediale Formen des Komischen

wusstseins und auf die Tücke salbungsvoller Diskurse. xime, Reflexion, Fragment gebraucht. Es wird immer
Neben La Rochefoucauld sind v. a. B. Pascal, J. de La wieder auf die binnenstrukturelle Pointierung des
Bruyère und Marquis de Vauvenargues als Autoren Aphorismus hingewiesen. Die Pointe kann auf Über-
von geschliffenen Reflexionen zu nennen. Erst im spitzung, Aussparung, Überrumpelung und Verrätse-
Laufe des 19. Jh.s wurden allgemein betrachtende Sät- lung beruhen (vgl. ebd., 774–781). Nicht jede der ein-
ze als Aphorismen bezeichnet (vgl. Müller 2003, 225). sichtstiftenden Pointierungen jedoch ist von ko-
Als wesentliche Wegmarken der Entwicklung gelten mischem Potenzial, sie kann wie bei K. Kraus und E.
Schlegels Athenäums-Fragmente und die funkelnden Canetti der ätzenden Kritik dienen: »Warum sind
Gedankensplitter Lichtenbergs in seinen Sudelbü- nicht mehr Leute aus Trotz gut« (Canetti 1976, 81)?
chern (1764–1799). Dort heißt es z. B.: »Ich habe etli- Allerdings können sowohl die bisweilen überraschen-
che Mal bemerkt, daß ich Kopf-Weh bekam wenn ich de und unsystematische Art der Darbietung von
mich lange in einem Hohl-Spiegel betrachtete. – Aphorismen als auch die zumeist pointierte Formulie-
Wenn ich bisweilen viel Kaffee getrunken hatte und rung dazu beitragen, komisches Potenzial zu generie-
daher über alles erschrak, so konnte ich ganz genau ren. Häufig werden weitere Gattungsbegriffe, wie
merken, daß ich eher erschrak ehe ich den Krach hör- Apokryphe, Maxime, Reflexion, Fragment synonym
te, wir hören also gleichsam noch mit andern Werk- zu Aphorismus gebraucht.
zeugen, als mit den Ohren« (Lichtenberg 1994, 21). Das Sprichwort ist eine in der Populärkulturen ver-
Bedeutend für die Entwicklung dieser Textsorte sind breitete Textsorte, die Einsichten, Weisheiten, Verhal-
darüber hinaus die fragmentarischen Begleitnotizen, tensregeln formuliert und tradiert, die in der jewei-
die Nietzsche u. a. zu Menschliches, Allzumenschliches ligen Sprachgemeinschaft als allgemeingültig angese-
(1878) verfaßt hat und die als Aphorismen gelesen hen werden. Die jeder Sprachgemeinschaft eigenen
werden, wie etwa seine Gedanken über diese Textsor- Sprichwörter zählen zu den idiomatischen Ausdrü-
te: »Ein Aphorismus, rechtschaffen geprägt und aus- cken, die in der Regel nur schwer in andere Sprachen
gegossen, ist damit, daß er abgelesen ist, noch nicht übersetzt werden können. Das Sprichwort ist durch
›entziffert‹; vielmehr hat nun dessen Auslegung zu be- seine konzise Form bestimmt, zumeist besteht es in ei-
ginnen, zu der es einer Kunst der Auslegung bedarf« nem Satz, ansonsten ist es formal wenig festgelegt. Es
(Nietzsche 1924, 297). Viele Aphorismensammlungen stellt eine unabänderliche Gesetzmäßigkeit fest, etwa
erweisen sich bei näherem Hinsehen als Florilegien mit Blick auf das Wetter oder auf menschliche Verhal-
aus weiter ausgreifenden philosophischen Werken. tens- und Reaktionsweisen, es fordert zu Handlungen
Ein wichtiger Traditionsstrang des Aphorismus geht auf, insbesondere dazu, Vorsicht walten zu lassen, und
auf die religiöse Spruchweisheit der Bibel und des es trifft Werturteile. Das in Sprichwörtern kondensier-
Konfuzianismus zurück. Seit dem 20. Jh. gilt der te Wissen gilt als volkstümliches Wissen, das dem ›ge-
Aphorismus als eigenständige literarische Textsorte. sunden Menschenverstand‹ entspringt und das auf das
Der Aphorismus ist »denkexperimentellen Charak- Idealbild einer vorwiegend bäuerlich und handwerk-
ters« (Köhler 1992, 767), erzählt nichts und enthält lich geprägten Gesellschaftsformation verweist. Aus
keine fiktionale Handlung, sondern beschränkt sich diesem Traditionsbezug beziehen Sprichwörter einer-
darauf, »etwas anzumerken« und den Leser in einen seits ihr imperativisches Potenzial, andererseits wer-
»Verstehensprozeß« (Zymner 2002, 29) zu ziehen. Es den sie in der heutigen Zeit häufig als überholt und lä-
handelt sich nicht um einen fiktionalen, sondern um cherlich wahrgenommen, als kleinbürgerliche Platti-
einen expositorischen Kurztext in Prosa – häufig um- tüden, die z. B. überkommene Geschlechterverhältnis-
faßt er nicht mehr als einen Satz. Strukturell betrach- se zum Ausdruck bringen, wie in dem (angeblich)
tet setzt der Aphorismus seine Positionierung in einer albanischen Sprichwort: ›Noch niemals gab es Streit
unverbundenen Reihe anderer Aphorismen voraus, ohne eine Frau‹. Die scheinbar überzeitliche Geltung
mit denen er jedoch kein fortlaufendes gedankliches ländlicher Weisheiten im Sprichwort wird heutzutage
Kontinuum bildet. Zymner definiert den Aphorismus als nicht mehr zeitgemäß erfahren und komisiert. Es
als »Text in einer Serie gleichartiger Texte [...], [der] gibt »humorvolle, ironische und obszöne Sprichwör-
aber jeweils von den Nachbartexten isoliert [ist]« ter, die mit Lehrhaftigkeit nichts zu tun haben« (Mie-
(ebd., 31 f.). A. wird in jüngster Zeit auch zur Benen- der 2002, 213) und die ebenfalls eine komische Wir-
nung isolierter Bonmots und anderer »geflügelter kung entfalten können. Manch traditionsreiches
Worte« (Fricke 1992, 782) und häufig auch synonym Sprichwort – ›Morgenstund hat Gold im Mund‹ – wird
zu weiteren Textsortenbegriffen, wie Apokryphe, Ma- durch einen absichtlichen Malaproprismus komisch:
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 289

›Morgenstund ist aller Laster Anfang‹. ›Eher geht ein dem Witz« (Bremer 2007, 474) nahesteht. Sie ist ge-
Kamel durch ein Nadelöhr, wenn man es vorher ein- kennzeichnet dadurch, dass »einer historischen oder
fettet‹. Derartige Sprichwortverfremdungen werden in typisierten Person ein gewandt formulierter Aus-
parodistischer und auf Humor zielende Weise ein- spruch unterstellt« (ebd.) wird. Im Feld der komischen
gesetzt, etwa durch die frz. Surrealisten P. Éluard und Prosatexte nehmen Scherzdefinitionen und Scherz-
B. Péret, die im Jahre 1925 in 152 Sprichwörter auf den einträge in Lexika einen besonderen Platz ein, da sie
neuesten Stand gebracht avantgardistische Parodien häufig in den Rahmen seriöser Formen der Wissens-
der Textsorte publizieren: »Schlage Deine Mutter, so- vermittlung und Wissensakkumulation integriert
lange sie jung ist«. Malapropismen wie diese werden sind. Parodistische oder nonsenshaft-phantasievolle
von späteren Autoren, die der Avantgarde nahe stehen, Artikel wurden ursprünglich in Nachschlagewerken
häufig gerne aufgegriffen: So parodieren R. Gernhardt, mit der Absicht plaziert, Plagiate nachweisen zu kön-
F. W. Bernstein und F. K. Waechter christliche Gebote nen. Heute werden solche Lemmata, die eigene Tradi-
unter dem Titel »Ein Gesetz für die Menschheit« in der tionen ausbilden können, gerne dazu genutzt, um das
fiktiven Künstlerbiographie Die Wahrheit über Arnold ernste Anliegen aufzulockern. Zu den weithin be-
Hau (1964), wenn sie verkünden: »So einer seinen kannten Artikeln gehört der Eintrag »Steinlaus« in
Schwestervater mit einem Beil bedroht, so soll man Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch, in dem die Au-
ihm einmal ganz deutlich klarmachen, daß es so nicht toren die vorgeblich medizinisch relevanten Eigen-
geht« (Gernhardt/Bernstein/Waechter 2004, 186). schaften der von dem Humoristen Loriot im Jahre
Auch das Kino inspiriert sich an Sprichwörtern: É. 1983 erfundenen Tierart beschreiben. Der Pschyrem-
Rohmer stellte mehrere seiner Filme unter das Motto bel Naturheilkunde und alternative Heilverfahren
»comédies et proverbes« (»Komödien und Sprichwör- (2006) verzeichnet den hintersinnig zotigen »Kur-
ter«). Sprichwörter beruhen – wie auch Redensarten – schatten« (206). Die Brockhaus Enzyklopädie enthält
auf oralem Sprachgebrauch, sie können sich allerdings das Lemma »Gemeine Steuer-Zecke« (Liesemer
auch auf herausragende Texte beziehen. Während das 2010). J. Mittelstraß platzierte in der Enzyklopädie
Sprichwort das kollektive Wissen einer vermeintlich Philosophie und Wissenschaftstheorie den »Unzufrie-
heilen Welt aktualisiert, entstammt die Redensart dem denheitssatz« (2. Aufl., Bd. 4, 2004, 436). M. Meier
individuellen Erfahrungswissen. Sie ist daher auch auf schmuggelte die Scherzbezeichnung »Apopudobalia«
den individuellen Sprecher bezogen und nicht auf ein (1996, 895) – »eine antike Form des neuzeitlichen
überzeitliches Wissen. Wie Sprichwörter können auch Fußballspiels« in den Neuen Pauly. Enzyklopädie der
Redensarten eine komische Wirkung entfalten, wenn Antike. Das Lexikon Die Große Brocklaus. Das kom-
sie unabsichtlich oder gewollt unpassend eingesetzt plett erfundene Lexikon (2010) mit parodistischen,
werden. Die Abgrenzung zu verkürzten Floskeln der phantasievoll abstrusen, unterhaltsam sozialkriti-
Kommunikation, wie etwa dem Kieler Spezialaus- schen und Nonsenseinträgen, wie etwa »Die Rothel-
druck für das Bestellen eines Bieres – ›Bescheid!‹ – ist me« oder »Klagenfurt« treibt diese Gattung auf die
in pragmatischer Hinsicht insofern zu treffen, als die Spitze und ihren vorläufigen Höhepunkt.
Floskel in wenigen, eng umgrenzten Situation ein-
gesetzt wird, während eine Redensart in einem größe- Literatur
ren Ausschnitt von Situationen angewandt werden Althaus, Thomas: Kleine Prosa. Theorie und Geschichte eines
kann. Die Grenze zwischen Floskel und Redensart Textfeldes im Literatursystem der Moderne. Tübingen 2007.
Aristoteles: Poetik. Stuttgart 1978.
dürfte fließend sein. Zwischen Sprichwort und Re- Bausinger, Hermann: »Bemerkungen zum Schwank und
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windlichen Grenzen, es hängt von der Verbreitung, der Bees, Robert: »Lakonismus«. In: Gert Ueding (Hg.): Histori-
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keit der Tradition ab. Komisches Potenzial wächst bei- Sp. 17–23.
Beltz, Matthias: »Gott ist tot.« In: ders./Hendrike von Sy-
den Textsorten in der Regel durch absichtliche oder
dow/Thomas Dieter: Am besten bös. Das Vorläufige Frank-
unabsichtliche Fehlverwendung zu. furter Fronttheater. Hg. von Walter Gerlach. Frankfurt
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Scherzrede, Scherzdefinitionen, Scherzeinträge Bergson, Henri: Le rire. Essai sur la signification du comique
Die Scherzrede ist eine epische Kleinform des Barock, [1900]. Paris 2007.
die »der Anekdote, dem Aphorismus, dem Epigramm, Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung
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290 III Mediale Formen des Komischen

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Lichtenberg, Christoph. Schriften und Briefe. Hg. v. Wolf- »Der komische Kanon« – unter diesem Titel ist als re-
gang Promies. Frankfurt a. M. 1994. präsentativer Band mit deutschsprachigen Erzähltex-
Liesemer, Dirk: »Von Steinläusen und Kurschatten«. In: Der
ten aus 500 Jahren eine der jüngsten Anthologien zum
Spiegel (7.3.2010). www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/
scherzeintraege-in-lexika-von-steinlaeusen-und-kur Komischen erschienen (vgl. Arntz 2011). Auch wenn
schatten-a-679838.htm (13.8.2013). der Begriff ›Kanon‹ in Klappentext, Vorbemerkung
und Nachwort nicht mehr aufgegriffen wird, auch
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 291

wenn er vielleicht ironisch auf den Titel von M. Reich- das Rollwagenbüchlein von J. Wickram (1555), die
Ranickis Kanonprojekt anspielt und das alliterierende ›Volksbücher‹ Till Eulenspiegel (um 1510), Historia von
Adjektiv ›komisch‹ ambivalent wirken mag: Der Titel D. Johann Fausten (1587) und Die Schildbürger (1597
trägt zugespitzt den Anspruch vor, Texte zu bündeln, erstmals unter dem Titel Das Lalebuch) oder auch die
»die einem vorausgesetzten gruppenspezifischen Lügengeschichten Der Finkenritter (um 1560) führen
Maßstab am besten entsprechen« (Rippl/Winko 2013, nahtlos zu entsprechenden Sammlungen im 17. Jh.
2). Für die Präsentation oder Konstruktion von Ka- (vgl. Wiedemann 1969, 24 ff.) und dienen auch den
nones, insbesondere solchen, die gattungs- oder gen- Anthologien seit dem 19. Jh. bis heute als Quellen.
respezifisch sind, besteht mit Anthologien eine pas- Anthologien eignen sich gut zur Beobachtung der
sende Publikationsform. Anthologien des Komischen Selbstbeschreibung des Komischen – nicht nur durch
haben nur unter Umständen eine Art Kanon im Sinn, Bezugnahmen untereinander, sondern auch durch
doch versammeln sie Texte, die von einem oder meh- rahmende Titel, die Art und Weise der Textauswahl
reren Herausgebern unter bestimmten Gesichtspunk- und -anordnung, insbesondere aber durch Vor- und
ten als, so D. Pforte, »das Beste, Schönste oder Cha- Nachworte sowie Kommentare und Anmerkungen.
rakteristischste einer literarischen Form, einer litera- Mit diesen Paratexten werden Herausgeberintentio-
rischen Epoche oder Strömung, bestimmter Autoren nen expliziert, Geschichten komischer Literatur er-
oder Werke« (Pforte 1970, XXIV) bzw. des Genres ko- zählt, Komik-Konzepte und -Programme verfolgt,
mische Literatur gehalten werden. Die meist kürzeren Poetiken entwickelt, ästhetische oder auch politische
Texte stammen von verschiedenen Autoren und sind Werthaltungen lanciert. Selbstbeschreibung ist hier
»nach unterschiedlichen Kriterien und Intentionen durchaus systemtheoretisch gemeint, insofern das Ko-
angeordnet und bisweilen mit Illustrationen beglei- mische sich als eine komplexe systemische Ordnung
tet« (Haentzschel 1997, 15). darstellt und seine Einheit in Vielfalt selbst beschreibt
Im Folgenden geht es um deutschsprachige An- (vgl. Luhmann 1995, 393 ff.). Dies geschieht im Falle
thologien des Komischen. Diese sammeln originär von Anthologien insbesondere diskursiv wie durch
deutschsprachige oder auch übersetzte Texte, sie kon- die erwähnten Paratexte, aber auch formal durch
zentrieren sich auf bestimmte Gattungen oder mi- Struktur und Gestaltung der Sammlungen.
schen diese, fokussieren ggf. bestimmte Formen oder Der in der Forschung bislang noch kaum beachte-
auch Programme des Komischen, sie umfassen lange te Untersuchungsgegenstand ›Anthologien des Ko-
Zeiträume wie den seit der Entwicklung des Neu- mischen‹ lässt sich reichhaltig ausleuchten; an dieser
hochdeutschen, kleinere historische Abschnitte oder Stelle können nur einige Aspekte, beschränkt auf we-
die Gegenwart. Spätestens seit Mitte des 19. Jh.s lässt nige Beispiele aus dem großen Korpus angerissen
sich eine kontinuierliche Produktion solcher Antho- werden.
logien feststellen. Um diese Zeit etabliert sich, u. a. mit
intensiver Sammlungs- und Editionstätigkeit, die jun- Repräsentative Anthologien im Vergleich
ge Disziplin der Germanistik, desgleichen der Begriff Bei Anthologien, die einen repräsentativen Gesamt-
der Anthologie, der dann verschiedene bestehende eindruck vermitteln wollen, wird dieser Anspruch
Sammlungsformen bindet. Dabei artikuliert sich auch meist bereits im Titel deutlich gemacht – ein markan-
ein deutliches Interesse am Komischen. Ausdruck der tes Beispiel wurde eingangs erwähnt. Häufig werden
Kontinuität ist u. a., dass sich spätere Anthologien des allgemeine Genrebegriffe wie deutsche komische und
Komischen auf frühere beziehen. So führen R. Gern- humoristische Dichtung (Hub 1855) oder schlicht
hardt und K. C. Zehrer in ihrem Quellenverzeichnis Deutscher Humor (Fraenger 1929) oder – durchaus
sogar eine instruktive Liste von 44 konsultierten An- auch mit ironischer Note – Die komischen Deutschen
thologien auf (vgl. Gernhardt/Zehrer 2004, 591–593). (Jacobs 2004) verwendet. Vor allem nennen die Un-
Die Vorgeschichte deutschsprachiger Anthologien tertitel in der Regel den großen Zeitraum des Über-
des Komischen reicht jedoch zurück ins 16. Jh. blicks »von Homer bis Handke« (Verweyen/Witting
Hier werden intensiv mündlich überlieferte Schwänke 1989), »aus 5 Jahrhunderten« (Gernhardt/Zehrer
sowie Exempla, Predigtmärlein oder auch Lügen- 2004) oder »1499–1999« (Arntz 2011). Begriffe wie
geschichten gesammelt, verarbeitet, ggf. auch erst ver- ›komisch‹ oder ›Humor‹ setzen dabei schon auf dem
schriftlicht. Die erfolgreichen, v. a. zur Unterhaltung noch geschlossenen Buch eine paratextuell induzierte
gedachten und immer wieder neu verlegten Schwank- Komikmaxime (vgl. Brock 2004, 118 ff.); auf das
sammlungen wie Schimpf und Ernst von J. Pauli (1522), ›Deutsche‹ kommen wir noch zurück.
292 III Mediale Formen des Komischen

Repräsentativ und beglaubigend wirken ggf. auch Nachwort, »nach Kenntnis der Herausgeber das ältes-
Herausgebernamen: R. Gernhardt beispielsweise gilt te deutschsprachige Gedicht [ist], das sich formal und
als herausragende Autorität des Komischen, als füh- inhaltlich ausschließlich auf bis heute gebräuchliche
render Autor und Kritiker komischer Literatur bzw. Methoden zur Komikerregung stützt« (Gernhardt/
Lyrik und mit seinen Kollegen der Neuen Frankfur- Zehrer 2004, 509).
ter Schule als Wegbereiter eines neuen, zeitgemäßen Die erklärte Absicht, dass Texte eines ›komischen
Programms von ›Hochkomik‹. Oder: als der Kunst- Kanons‹ auch heute noch komisch wirken sollen, be-
historiker und Volkskundler W. Fraenger 1957 in der gründet gleichwohl ganz unterschiedliche Weisen der
DDR die Anthologie Humor der Nationen veröffent- Textanordnung. Das zeigt ein Blick auf die beiden
lichte, hatte er sich durch Herausgabe der Komischen 2004 erschienenen großen Anthologien komischer
Bibliothek (1922), der bereits erwähnten Sammlung Lyrik Die komischen Deutschen und Hell und Schnell.
Deutscher Humor sowie seit 1920 durch Vorträge S. Jacobs ordnet nach Themen, wie sie auch ›ernste‹
und Essays zu den Formen des Komischen (1995) Lyrikanthologien gliedern könnten, und ausdrücklich
längst einen guten Namen als Komik-Experte ge- nicht nach Kategorien oder chronologisch. Genau da-
macht. Entsprechendes gilt für die Germanisten Th. für aber entscheiden sich Gernhardt/Zehrer, und zwar
Verweyen und G. Witting, als sie zehn Jahre nach ih- in ungewöhnlicher und instruktiver Weise: Für die
rer grundlegenden literaturwissenschaftlichen Ein- Anordnung verwenden sie die Hausmetapher – viel-
führung zur Parodie eine Anthologie mit Parodien leicht im Anklang an die Bezeichnungen ›Hausbuch‹
und Travestien seit der Antike herausgaben (vgl. oder ›Hausschatz‹, die Sammlungen seit dem 15. Jh.
Verweyen/Witting 1989). gern im Titel tragen. Die Einteilung erfolgt, gerahmt
Ein Vergleich solch repräsentativer Anthologien von »Eingang« und »Ausgang« (Vor- und Nachwort),
ließe sich vielseitig und umfänglich ausbreiten; nur in sechs Räume – von der »Ehrenhalle« für Klassiker
soviel sei hier angesprochen: Die erwähnten Bezug- des Komischen und der einen ausführlichen chrono-
nahmen sind deutlich abzulesen. Schaut man sich an, logischen Überblick verschaffenden »Galerie«, über
wie die historischen Anfänge deutschsprachiger ko- »Spiegelkabinett« (Verarbeitungen) und »Spielsalon«
mischer Literatur vermittelt werden, so fallen Über- (sprach- und regelreflexive Texte) bis zu »Konzert-
einstimmungen ins Auge: Die von H. Arntz gewählte saal« (Liedhaftes) und »Wunderkammer« (Kuriosa).
Passage aus dem Finkenritter (1560) findet sich auch Anthologien solcher Art sind mehr noch als Ein-
bei W. Fraenger (1929) und I. Hub (1857). Auch das zelpublikationen geeignet, komische Lyrik einem
Kapitel aus den Schildbürgern stimmt bei W. Fraenger breiteren Publikum zugänglich zu machen. Ähnlich
und H. Arntz überein. Gleiches gilt bei W. Fraenger äußert sich G. Haentzschel zu Lyrikanthologien gene-
(1929) und H. Marggraff (1858) für ein Stück aus J. rell (vgl. Haentzschel 1997, 6). Das gilt sicherlich auch
Fischarts Geschichtsklitterung (1575) oder für eine von für die Durchsetzung bestimmter Konzepte und In-
Luther nacherzählte Fabel des Aesop (um 1530). An- teressen, besonders für die Intention, das Komische
dererseits: Während Luther und H. Sachs noch bei gegenüber dem Ernsten deutlich aufzuwerten, zumal
W. Fraenger (1957) vertreten sind, fehlen sie aus in der deutschen bzw. deutschsprachigen Literatur.
Gründen gewandelter Wirkung in jüngeren Antho- Das jedenfalls ist eine geradezu stereotype Erklärung
logien. Schon H. Marggraff lässt viele der Quellen des in den Paratexten von Anthologien seit dem 19. Jh.
16. Jh.s aus, die bei I. Hub aufgenommen sind. Der bis heute.
Grund sind unterschiedliche Zielsetzungen: I. Hubs Anthologien mit Qualitätsanspruch weisen meist
Sammlung ist mehr philologisch ausgerichtet, wäh- mehr oder weniger lange Vor- oder Nachworte auf,
rend H. Marggraff, in expliziter Abgrenzung von I. mit großer Bandbreite hinsichtlich Gehalt und Ge-
Hub, Genießbares für ein großes zeitgenössisches Pu- stalt: Die frühen Anthologien des 19. Jh.s bringen teils
blikum erreichen will (so die Vorbemerkung des Ver- sehr ausführliche Darstellungen v. a. zur Geschichte
legers auf S. III). deutschsprachiger komischer Literatur – Marggraff
Aktuelle Anthologien komischer Lyrik setzen, weil beispielsweise nicht weniger als 80 Seiten lang. Fraen-
die Texte eben auch heute komisch wirken sollen, erst ger entfaltet in seinen Einführungen eine knappe und
mit wenigen Proben des Barock an, etwa mit dem Ge- konzise Erörterung der Begriffe Burleske, Groteske
dicht Mittel gegen bösen Atem des Pegnitzschäfers M. und Humor, denen er – vorher bereits erprobt schon
Kongehl, das Gernhardt und K. C. Zehrer deshalb von an Beispielen der bildenden Kunst – seine ausgewähl-
I. Hub (1855) übernehmen, weil es, so Zehrer im ten Texte zuordnet. B. Eilert entfaltet in den zwölf
26 Komik mit prosasprachlichen Mitteln 293

Vorworten zu den Kapiteln seines monumentalen tur, auch auf die romantische (Re-) Konstruktion von
Hausbuchs der literarischen Hochkomik – m. E. die ›Volkspoesie‹ aus ›altdeutschen‹ bzw. mittelalterli-
quantitativ und qualitativ gewichtigste Anthologie des chen und jüngeren Quellen. So erzählt Hub mit na-
Komischen im 20. Jh. – den Begriff der Hochkomik. tionalem Selbstbewusstsein in der Einleitung zu sei-
Er würdigt exemplarische Autoren wie G. F. Lichten- ner Sammlung deren komikspezifische Vorgeschich-
berg, F. Kafka, A. Schmidt oder Th. Bernhard und dis- te: Wie bei keiner Nation nach den Griechen sei von
tanziert sich zugleich ironisch vom zeitgenössischen den Vorfahren gedichtet worden, und nun habe »mit
Wissenschaftsdiskurs, wie er ihn aus den Sammelbän- dem erwachenden Gefühl der Nationaleinigkeit [...]
den von Preisendanz/Warning (1976) sowie Kamper/ die deutsche Poesie mit ihrem Lebenstheile, dem
Wulf (1986) herausliest. Ähnliches lässt sich von Ver- weltbetrachtenden und weltverlachenden Humor,
weyen/Witting berichten, die für ihre Anthologie mit sich hoch und glänzend den Triumphbogen des
Parodien und Travestien »Statt eines Vorwortes« eine Ruhms erbaut« (Hub 1855, XXX f.). Marggraff geht
den Germanisten gewidmete Parodie auf die Interpre- noch weiter, wenn er gegen die Auffassung argumen-
tation eines getürkten Lautgedichts verfassen (vgl. tiert, die Deutschen hätten keine sich ›organisch‹ –
Verweyen/Witting, 13 ff.). Gernhardt wiederum steu- noch ein romantisches Schlüsselwort – entwickelnde
ert als »Eingang« von Hell und Schnell seine »10 The- humoristische Literatur. Er formuliert 1858 Ansich-
sen zum komischen Gedicht« (Gernhardt 2004) bei, ten mit einem antisemitischem Zungenschlag, wie er
eine Art Manifest, das auf seinem poetologischen sich seit den 1830er Jahren im Diskurs zu Humor und
»Versuch einer Annäherung an eine Feldtheorie der insbesondere zu ›jüdischem Witz‹ beobachten lässt
Komik« (Gernhardt 1988) fußt. (vgl. Meyer-Sickendiek 2013, 97 ff.): Gerade in den
Viel ist an den Paratexten zur Selbstbeschreibung letzten Jahrzehnten hätten sich jüdische Talente her-
des Komischen zu beobachten. Allein schon zu stereo- vorgetan – das hänge mit dem »Emporkommen die-
typen Argumenten ließe sich etliches berichten. Bei- ser strebsamen und begabten Race« zusammen, doch
spielsweise wurde schon auf das in Varianten wieder- würden sie nicht an die »Höhe des germanischen Hu-
kehrende Argument hingewiesen, komische Literatur mors« (Marggraff 1858, S. 78 f.) heranreichen, mit
bzw. die Komik erführen nicht die ihnen gebührende Ausnahme Heines, dem der Herausgeber durchaus
Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Ein weiter Be- bewundernd eine ›unerhörte‹ Verbindung »von tiefer
fund zur Kontinuität im Diskurs wäre die Auffassung, Empfindung und schneidendem Hohn, von Origina-
dass Jean Paul als wesentliche, wenn nicht die Bezugs- lität und Trivialität, von Zartheit und Cynismus«
größe für Theorie und Praxis des modernen Humors (ebd., 61) zuschreibt. Wie in der Renaissance erlebe
gewürdigt wird, als »eigentlicher Schöpfer und Be- die deutsche humoristische Literatur gerade einen
gründer aller neuern Humoristik«, wie es schon bei Höhepunkt, und zwar als »letzte und späteste Blüthe
Marggraff (1858, 47) heißt. Interessant ist auch, dass eines Volkes«, von der Marggraff sich »angesichts der
über den ganzen Zeitraum hinweg bedauert wird, dass Zähigkeit und Regenerationskraft der germanischen
man unverhältnismäßig wenige Texte von Frauen ge- Race« (ebd., 80) einen Übergang zu neuen Entwick-
funden hat: Da bietet sich den fast ausschließlich lungen erhofft.
männlichen Herausgebern über 150 Jahre hinweg ein Ganz anders, nämlich das Nationale deutlich relati-
kaum verändertes Bild. vierend, klingt R. Rieß im Vorwort zu seinem Humor-
buch. Deutsche Dichter aus fünf Jahrhunderten, das im
Deutscher Humor? letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, der bis dahin größ-
Zum ›Deutschen‹ in der Selbstbeschreibung des Ko- ten Katastrophe des Nationalismus, erscheint (vgl.
mischen: Wenn Anthologien seit Mitte des 19. Jh.s Rieß 1918): Die Nation sei in vielen Stücken der An-
diesen Begriff, verknüpft mit Komik und Humor, im thologie nur durch die Formgebung gekennzeichnet,
Titel tragen, so ist damit interessens- und zeitabhängig womit das Schreiben in deutscher Sprache gemeint
Verschiedenes gemeint. sein dürfte. Rieß betont die vielen anderen, besonders
Die frühen Sammlungen von I. Hub und H. Marg- die romanischen Einflüsse schon auf die früheste Li-
graff vermitteln in ihren Einleitungen eine Selbst- teratur und die Verarbeitungen fremder Stoffe: »In
beschreibung des Komischen mit zeittypischen Stich- den Volksbüchern, in den früheren Schwänken, über-
worten. Sie verweisen auf das Streben nach nationa- all finden sich Erinnerungen an Mären und Stoffe aus
ler Einheit durch germanistische Erforschung und aller Welt« (ebd., o. S.). Keineswegs habe man ›Nicht-
Vermittlung der deutschen Sprache und ihrer Litera- nationales‹ fernhalten wollen.
294 III Mediale Formen des Komischen

Solch weltoffene Sicht wird in Anthologien aus der von der US-Militärverwaltung lizensierten Antho-
Zeit des Nationalsozialismus natürlich völlig gemie- logie, wird im Vorwort ausdrücklich nicht definiert,
den. Dazu zwei Beispiele, die schon im Titel die Rich- vielmehr solle dieser anhand der Beiträge für sich
tung weisen: Deutschland lacht. Volkhafter Humor selbst sprechen. Der Herausgeber habe den »ganzen
(Seibold 1940) und Hausbuch neuen deutschen Hu- deutschen Parnass« (Jancke 1947, 5) im Auge gehabt.
mors (Rockenbach 1942). Schon die Auswahl der Bei- Ansonsten reflektiert er verschiedene Arten des Hu-
träger, alles Gegenwartsautoren, spricht Bände. Von mors, verliert aber kein Wort zur aktuellen geschicht-
den Schriftstellern, die noch 1928 in der – nach heuti- lichen Situation. Allenfalls könnte ein solcher Bezug
gem ›gruppenspezifischem Maßstab‹ (vgl. Rippl/Win- aus der Aussage über die humoristische Gestaltung
ko 2013) – bemerkenswert wegweisenden Anthologie von »Torheiten, Unvollkommenheiten und Leiden«
Drei Bücher des Lachens vertreten sind, findet sich mit und die Fähigkeit des Humors, »unter Tränen lächeln«
einer Ausnahme keine Spur. Die meisten von ihnen, (ebd., 7) zu machen, herausgelesen werden.
von N. Asch über E. E. Kisch bis K. Tucholsky, stehen In der Gegenwart bleibt das Deutsche dann auf den
seit 1933 auf der Schwarzen Liste, ihre Bücher werden ›Parnass‹ bzw. die deutschsprachige komische Litera-
verbrannt. Die Ausnahme ist F. Müller-Partenkirchen, tur bezogen. Es scheint so von Nationalismen geläu-
später NSDAP-Mitglied und Unterzeichner des Ge- tert, dass R.Gernhardt, beglaubigt durch die repräsen-
löbnisses treuester Gefolgschaft. Dafür sind die Beiträ- tative Anthologie Hell und Schnell, im erwähnten Ma-
ger der beiden Beispielsammlungen aus der Nazi-Zeit nifest eine steile poetologische, begrifflich auch iro-
nach 1945 wieder von der Bildfläche verschwunden; nisch konnotierte These zum ›deutschen Sonderweg‹
die meisten stehen nun ihrerseits auf der 1946 in der zur Hochkomik formulieren kann: Seit Lessings Ta-
sowjetischen Besatzungszone erschienenen Liste der gen ziehe sich eine nicht abgerissene Kette komischer
auszusondernden Autoren. Gedichte durch die deutschsprachige Hochliteratur,
Deutschland lacht erscheint 1940 im Deutschen »welche in dieser Dichte und Qualität in keiner ande-
Volksverlag in einer Reihe völkischer Sammlungen. ren kontinentaleuropäischen Nationalliteratur zu fin-
Das Vorwort des Herausgebers liefert in dichter Folge den ist« (Gernhardt 2004, 13).
die passenden Schlagwörter: Das Buch mit Beiträgern
als »Seher und Künder völkischen Schicksals« diene Literatur
der »artgemäßen Entfaltung«, proklamiere »den Le- Anonym (Hg.): Drei Bücher des Lachens. Drei Bände. Berlin
benskampf als höchste Form nordischen Daseins« 1928.
Arntz, Heiko (Hg.): Der komische Kanon. Deutschsprachige
und gedenke »jener nur der nordischen Seele als Be-
Erzähler 1499–1999. Berlin 2011.
sonderheit verliehenen Kraft«, des Humors (Seibold Brock, Alexander: Blackadder, Monty Python und Red
1940, 5). Auch die Kapiteltitel sprechen mit düster un- Dwarf. Eine linguistische Untersuchung britischer Fernseh-
freiwilliger Komik für sich: »Kamerad Humor«, »Die komödien. Tübingen 2004.
Stämme lachen« ... Eilert, Bernd (Hg.): Das Hausbuch der literarischen Hoch-
M. Rockenbach feiert im Nachwort zu seiner An- komik. Zürich 1987.
Fraenger, Wilhelm: Formen des Komischen. Vorträge 1920–
thologie den deutschen Humor, für den – auch hier – 1921. Hg. von Michael Glasmeier. Nürnberg 1995.
zunächst Jean Paul herhalten muss, religiös verbrämt Fraenger, Wilhelm: Wilhelm Fraengers komische Bibliothek
als »Glaube an die Harmonie der Welt« und als »Preis [1925]. Nürnberg 1992.
der Vorsehung, wie sie der Führer immer wieder in Fraenger, Wilhelm (Hg.): Humor der Nationen. Aus fünf
geschichtlichen Augenblicken anruft« (Rockenbach Jahrhunderten europäischer Dichtung. Berlin 1957.
Fraenger, Wilhelm (Hg.): Deutscher Humor aus fünf Jahr-
1942, 286). Gegen die – in Anführung – »Moderne«,
hunderten [1925]. Berlin 1929.
vertreten durch die »krankhaft bleich lächelnde Iro- Gernhardt, Robert/Klaus Cäsar, Zehrer (Hg.): Hell und
nie« eines Th. Mann, den »Zynismus« und die »Gro- Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten.
teske der Engstirnigkeit« eines F. Wedekind, stehe der Frankfurt a. M. 2004.
»reine Humor« eines »naiven, gesunden, gläubigen Gernhardt, Robert: »Zehn Thesen zum komischen Ge-
Gottvertrauens«, das sich aufs »Volkstum besinnt, auf dicht«. In: ders./Zehrer, Klaus Cäsar (Hg.): Hell und
Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten.
Blut und Boden und die Kräfte eines ungebrochenen Frankfurt a. M. 2004, 11–14.
Menschtums« (ebd., 288 f.), usw. Gernhardt Robert: »Versuch einer Annäherung an eine
Nach 1945 verschwindet die Semantik des Nationa- Feldtheorie der Komik«. In: ders.: »Was gibt’s denn da zu
listischen. Deutscher Humor, so der Titel der von O. lachen?« Kritik der Komiker, Kritik der Kritiker, Kritik der
Jancke 1947 im Piper-Verlag herausgegebenen und Komik. Zürich 1988, 531–564.
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 295

Haentzschel, Günter: Die deutschsprachigen Lyrikantholo- 27 Komik mit medialen und künst-
gien 1840 bis 1914. Sozialgeschichte der Lyrik des 19. Jahr-
hunderts. Wiesbaden 1997.
lerischen Mitteln
Hub, Ignaz (Hg.) Deutsche Volkbücher und Schwänke des
sechzehnten Jahrhunderts. Nürnberg 1857.
Hub, Ignaz (Hg.): Die deutsche komische und humoristische Mediale Repräsentationen entbehren – wie immer
Dichtung seit Beginn des XVI. Jahrhunderts bis auf unsere wieder behauptet wird – jener besonderen ›Magie‹ der
Zeit. Erster Band. Nürnberg 1855. Unmittelbarkeit, die für das Theater, das Kabarett und
Jacobs, Steffen (Hg.): Die komischen Deutschen. 878 gewitzte den Zirkus charakteristisch sind (vgl. Berger 1998,
Gedichte aus 400 Jahren. Frankfurt a. M. 2004.
95). Während alle Sorten von Aufführung, die »so-
Jancke, Oskar (Hg.): Deutscher Humor. Gereimtes und Unge-
reimtes aus alter und neuer Zeit. München 1947. wohl Schauspieler wie Publikum in einer fortlaufen-
Kamper, Dietmar/Wulf, Christian (Hg.): Lachen – Gelächter den Interaktion« umfassen, »ihren kultischen Ur-
– Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln. Frankfurt a. M. sprüngen treu« bleiben und sogar in den »modernsten
1986. Erscheinungsformen« noch »eine Art Zeremonie«
Marggraff, Hermann (Hg.): Hausschatz der deutschen Hu- darstellen, geht – laut P. Berger – bei Sendungen und
moristik. Leipzig 1858.
Meyer-Sickendiek, Burkhard: »Der ›jüdische‹ Witz: Zur un-
Übertragungen, die von »Medien wie Radio, Film und
abgegoltenen Problematik einer alten Kategorie.« In: Fernsehen« angeboten werden, »der zeremonielle As-
Friedrich W. Block/Rolf Lohse (Hg.): Wandel und Institu- pekt verloren« (ebd.). Auch und gerade für die Pro-
tion des Komischen. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kollo- duktion von Komik sei dieser Umstand von zentraler
quiums. Bielefeld 2013, 93–116. Bedeutung. Denn es lasse sich »kaum bezweifeln, daß
Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a. M.
die Erfahrung des Komischen dadurch abgeschwächt«
1995.
Pforte, Dietger: »Die deutschsprachige Anthologie. Ein Bei- (ebd.) werde. Die Schöpfer intendierter Komik sähen
trag zu ihrer Theorie«. In: Joachim Bark/Dietger Pforte sich daher gezwungen, geeignete mediale Formate zur
(Hg.): Die deutschsprachige Anthologie. Bd. 1, Frankfurt Produktion von Lachanreizen zu erfinden, die den
a. M. 1970, XIII–CXXIV. Verlust des »unmittelbaren Publikums« (z. B. durch
Preisendanz, Wolfgang/Warning, Rainer (Hg.): Das Ko- stimulierendes ›Dosenlachen‹) kompensieren. In Ber-
mische. München 1976.
gers Analyse gelten unaufhaltsame Prozesse der Säku-
Rieß, Richard (Hg.): Humorbuch. Deutsche Dichter aus fünf
Jahrhunderten. München 1918. larisierung und Mediatisierung als letzte Ursachen ei-
Rippl, Gabriele/Winko, Simone: »Einleitung.« In: dies. ner ›Krise‹ des Komischen. Zugleich wird davon aus-
(Hg.): Handbuch Kanon und Wertung: Theorien – Instan- gegangen, dass jene machtvollen sozialen Institutio-
zen – Geschichte. Stuttgart 2013, 1–11. nen, »welche die Einbrüche des Komischen [seit eh
Rockenbach, Martin (Hg.): Hausbuch neuen deutschen Hu- und je] umgrenzen und in vorgezeichnete Bahnen
mors [1935]. Freiburg ³1942.
Seibold, Karl (Hg.): Deutschland lacht. Volkhafter Humor. lenken« (ebd., 101), ihre Strategie unter Bedingungen
München 1940. der modernen Informations- und Mediengesellschaft
Verweyen, Theodor/Witting, Gunther (Hg.): Walpurga, die geändert haben und die unverzichtbare Kontrollfunk-
taufrische Amme. Parodien und Travestien von Homer bis tion auf neue Weise erfüllen. Man kann aus dieser Di-
Handke. München 1989. agnose den Schluss ziehen, dass Komik im Zuge der
Wiedemann, Conrad: »Vorspiel der Anthologie. Konstrukti-
Geschichte entweder allmählich verschwindet oder
vistische, repräsentative und anthologische Sammelfor-
men in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts.« In: zur bloßen Unterhaltung bzw. zum Schmiermittel ei-
Joachim Bark/Dietger Pforte (Hg.): Die deutschsprachige ner oberflächlichen Eventkultur degeneriert. Genau
Anthologie. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1969, 1–47. das haben etliche diskurs-relevante Autoren behaup-
tet (vgl. Zijderveld 1974; Schmidt 2006). Man kann
Friedrich W. Block
aber auch – wie etwa Berger – die These vertreten, dass
»die Erfahrung des Komischen [...] auf anthropologi-
schen Notwendigkeiten [beruht] und die Komik [...]
sich neue Ausdruckformen suchen [wird], sobald die
früheren obsolet geworden sind« (Berger 1998, 101).
Die Suche nach derartigen zeitgemäßen Aus-
drucksformen des Komischen hängt nicht nur von
den akuten politischen Verhältnissen, sondern maß-
geblich auch vom historisch jeweils erreichten Niveau
der Medientechnik und vom Entwicklungsstand des

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_27,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
296 III Mediale Formen des Komischen

künstlerischen Materials ab. Folgt man der klassi- Der Erfolg dieser merkwürdigen Form medialer
schen Medientheorie (vgl. McLuhan 1970), so zeich- Selbstverwertung lässt sich durch das Zusammenspiel
nen sich Medien dadurch aus, dass sie, um ihre prä- mehrerer Faktoren erklären: Ersichtlich punktet Ko-
genden Kräfte entfalten zu können, im konkreten Ge- mik im Kampf um die gesellschaftlich und individuell
brauch unsichtbar bleiben und ihren jeweiligen (belie- knappe Ressource Aufmerksamkeit. Während Kata-
bigen) Inhalt bloß als eine Art Köder auslegen, nach strophenmeldungen, Skandalszenarien und erotische
dem das sinnbedürftige Publikum gierig schnappt. Darstellungen den Erregungs- und Empörungsbedarf
Allein der avancierten reflexionsaffinen Kunst und der Zuschauer decken, liefert Komik gleichzeitig Irri-
der neuen Medientheorie wird die Fähigkeit zu- tation und Entspannung. Die »komische Katharsis«
geschrieben, die latenten Wirkmächte der Medien (Berger 1998, 18) ist deshalb durch andere psycho-
kenntlich zu machen und die Menschen über die un- hygienische Medienofferten mit stimulierenden und
merkliche Determination ihrer Kommunikations- sedierenden Eigenschaften kaum zu übertreffen und
praktiken aufzuklären. Folgt man M. McLuhan, so er- hat daher nicht umsonst das Interesse der Werbung
zeugt die latent gehaltene Medialität der Medien eine auf sich gezogen (vgl. Schmidt 2006, 35 ff.). Dass Ko-
noch weit intensivere Form der Unmittelbarkeit als je- mik im Zeitalter moderner Medien zu einem ubiqui-
de Aufführung, die leibhaftige Akteure und Zuschauer tären Phänomen (Stichwort: Spaßgesellschaft) gewor-
an ein und demselben Ort zusammenführt. Demnach den ist, kann also nicht verwundern. Mit dem ständig
würden die Suggestionskräfte der ›magischen Kanäle‹ erweiterten Comedy-Angebot wächst allerdings der
die viel beschworene Aura des Theaters in den Schat- Konkurrenzdruck und das Ausgangsmaterial für die
ten stellen. Phänomene wie die ›parasoziale Interakti- komisierende Aufbereitung wird rar. Mediale Selbst-
on‹ mit dem Personal beliebter TV-Serien, das Flow- referenz bietet hier einen Ausweg und erschließt eine
Gefühl beim Medien-Konsum oder die Attraktivität permanent sprudelnde Quelle für konkrete Lach-
der computerbasierten Immersion scheinen McLu- anreize (technische und inszenatorische Pannen,
hans Annahme zu bestätigen. Für die Einschätzung kläglich scheiternde neue Formate, infantile und nar-
der medial generierten Komik hätte dieser Befund er- zisstische Mitarbeiter, Pseudotalente etc.). Man spielt
hebliche Konsequenzen. Gelänge es den Medien tat- exzessiv mit dem Genrewissen und der Medienkom-
sächlich, beim gewöhnlichen (also weder medienwis- petenz des Publikums, das die eigene Kennerschaft
senschaftlich noch ästhetisch versierten) Nutzer den bisweilen mehr genießt als den Witz der gezeigten
Eindruck von Unmittelbarkeit zu erwecken, so ließe Szenen.
sich vermuten, dass Radio und Film, Fernsehen und Gerade mit Blick auf das Medium Film wurde die-
Computer die Erfahrung des Komischen gerade nicht ses Phänomen wiederholt in den Debatten über die
schwächen, sondern deutlich verstärken und erwei- Postmoderne behandelt. Die prominentesten Beispiele
tern. Die Menge und die Vielfalt medial generierter liefert derzeit Q. Tarantino, dessen Filme wie filmhis-
Lachanlässe und deren positive Rezeption liefern zu torische Puzzles daherkommen. Dasselbe Prinzip,
dieser Annahme eine tragfähige empirische Basis. doch zumeist mit deutlich kürzerem filmgeschicht-
Dennoch hat McLuhans These, dass die prägende lichem Gedächtnis, nutzten Parodien vom Schlage
Wirkung der Medien vom Grad ihrer Unmerklichkeit Scary Movie, The Naked Gun: From the Files of Police
abhängt und die präsentierten Inhalte (qua Publi- Squad!, oder The Starving Games (dt. Die Pute von Pa-
kums-Köder) für die mediale Tiefenwirkung letztlich nem). Obwohl die Komödie zu denjenigen Genres ge-
irrelevant sind, inzwischen ihre Überzeugungskraft hört, die seit der Stummfilmzeit ununterbrochen pro-
eingebüßt. Sie vernachlässigt nämlich wichtige As- duziert worden sind, und gerade die frühen Slapstick-
pekte der aktuellen Situation. Heute fungiert nämlich filme sowohl mit dem Medium als auch mit den Effek-
eher die inszenierte Selbstbezüglichkeit der Medien ten der Moderne spielen (man denke nur an die Komik
als Lockmittel, das von wichtigen Sachverhalten und der Automatisierung in Ch. Chaplins Modern Times,
Problemen ablenkt. Die kontemporäre Erfahrung des 1936), lässt sich in der Gesamtschau konstatieren, dass
Komischen findet aber gerade hier ertragreiche An- Figuren komik-affiner Selbstbezüglichkeit zwar im
satzpunkte. Es ist kein Zufall, dass zahlreiche neuere Autoren-Kino etwa bei J.-L. Godard und W. Allen oder
Studien zur Medienkomik (im Radio, im Fernsehen, in manchen Trick-und Experimentalfilmen (z. B. bei
im Internet) zu dem Ergebnis kommen, dass die The- N. McLaren und J. Švankmajer) immer wieder promi-
matisierung der Medien in den Medien genutzt wird, nent in Szene gesetzt werden, doch im Mainstream-Ki-
um komische Effekte zu erzielen. no nur vereinzelt vorzufinden sind. Die Filmkomödie,
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 297

dies gilt für Doris-Day-Filme der 1950er Jahre wie für men der Komik vergleicht: einerseits mit der inten-
Schweighöfer-Filme der Gegenwart, operieren mit den dierten Komik älterer bildbasierter Medien wie etwa
komischen Effekten einzelner Gags und folgen mehr- der Karikatur, die mit markanten Verzerrungen und
heitlich dem klassischen Komödien-Schema ›Ord- Deformationen arbeitet und oft beträchtliche politi-
nung-Krise-Ordnung‹. Obgleich diese Filme selten an sche Risiken eingeht (vgl. Folkers/Solms 1997), ande-
das Niveau der gesellschaftskritischen Grotesken und rerseits mit der Komik im Bereich der bildenden
Satiren von auteurs wie L. Buñuel, M. Ferreri, L. Wert- Kunst (vgl. Kanz 2007). Denn in beiden Fällen stellt
müller oder B. Wilder heranreichen, ziehen sie ein sich die Frage nach dem Status der Komik und ihrer
Massenpublikum an und können gerade dadurch – affirmativen oder kritischen Funktion mit besonderer
selbst im Fall der in deutschen Kinosälen derzeit so be- Dringlichkeit. Während die Karikatur durchweg ko-
liebten Komödien mit ›Schmuddel-Humor‹ (wie Fack misch sein will und noch ihre subversivsten Ziele
ju Göhte, 2013) – ihr gering dosiertes subversives Po- nicht ohne begleitendes Gelächter erreichen möchte,
tenzial breitenwirksam entfalten. spielt Komik in der bildenden Kunst nur eine unter-
Als weitere Verfahren, unter den vorhandenen Be- geordnete Rolle und ist entsprechend selten zum Ge-
dingungen Aufmerksamkeit zu erregen und andere genstand kunstwissenschaftlicher Untersuchungen
Wettbewerber auszustechen, dienen radikale Experi- avanciert (vgl. ebd., 2). Deshalb sind unterschiedliche
mente mit moralischen Standards oder Normalitäts- Herangehensweisen erforderlich: Die Analyse der Ka-
vorstellungen – Experimente, die oft so unerwartet rikatur richtet sich primär auf die Techniken, mit de-
und pointiert sind, dass gänzlich unklar ist, ob sie als nen sie zu einer mitleidlosen Prägnanz und Treff-
Reaktionen Gelächter, Ekel, Entrüstung oder gar Hass sicherheit gelangt. Stets ist zu klären, ob sie »bloß
hervor rufen werden. Medienformate, die den An- überpfeffern und lächerlich machen« will oder durch
spruch erheben, am Puls der Zeit zu operieren und polemische Typisierung des Individuellen etwas Ent-
Quote bzw. Kasse zu machen, verknüpfen aus diesem scheidendes »aufzeigen« kann (Gehlen 1986, 143)
Grund gezielt selbstbezügliche mit aggressiver und ta- und so ihren Beitrag zur Erfahrung des Komischen in
bubrechender Komik. Sie reißen (gleichsam prophy- einer korrekturbedürftigen Welt leistet. Das Studium
laktisch) den passiven Teil des Publikums aus seiner der bildenden Kunst und ihres Komikpotenzials muss
Lethargie und überschreiten probeweise die Grenzen hingegen die ganze Palette ästhetischer Funktionen
des Einträglichen und Erträglichen. Nicht allein Fern- berücksichtigen, um die Sonderrolle des Komischen
seh-Shows, sondern auch zahlreiche Internet-Arenen in der Kunst herausarbeiten zu können.
(z. B. Videoclips auf YouTube) sind gegenwärtig Ästhetischen Werken sind im Laufe der Geschich-
Schauplätze einer Komik, die geradezu zwanghaft be- te viele Aufgaben gestellt und Leistungen zugemutet
weisen will, dass sie »den Kontext des populären Spa- worden: Sinnstiftung, Verehrung und Verherrlichung
ßes am politisch Unkorrekten« und damit auch die gehören zu ihren notorischen Kernobliegenheiten in
Sphäre »vollständiger Harmlosigkeit« (Block 2006, der Vormoderne; in der Aufklärung kommt einerseits
200) verlässt, um mehr zu erreichen als eine wohlfeile die Erzeugung von interesselosem Wohlgefallen, an-
Unterminierung der »symbolischen Ordnung« (La- dererseits die moralische Veredlung der Einzelnen
can 2006). bzw. die Antizipation einer vernünftigen und gerech-
Entgleisungen wie I. Appelts »Babyweitkicken« ten Gesellschaft hinzu; in der Spätmoderne schließ-
(Bleicher 2003, 83) bleiben freilich nicht aus. Es lich wird ihr u. a. die lustvolle Entlastung vom Druck
kommt aber auch zu substanziellen Versuchen z. B. der Bedürfnisse (A. Gehlen), die Negation des Beste-
auf dem Gebiet der Mockumentary (vgl. Sextro 2009; henden (Th.W. Adorno), die politische Einflussnah-
Hight 2010; Lano 2011) und der Cringe Comedy, die me (J.-P. Sartre), die Verklärung des Gewöhnlichen
Diskussionen über Authentizitätsbedürfnisse und Be- (A. C. Danto), die Sinn-Dekonstruktion (J. Derrida)
schämungsrituale anregen, deren soziale Relevanz und die Steigerung des allgemeinen Kontingenz-Be-
kaum geringer sein dürfte als etwa der heftige Streit wusstseins (N. Luhmann) zugeschrieben oder abver-
um die Mohammed-Karikatur oder die anhaltende langt. Komik ist dazu gelegentlich von Nutzen, gehört
Debatte um die »Holocaust-Comedy« (Frölich/ aber nicht zu den unverzichtbaren Ingredienzen. Ent-
Loewy/Steinert 2003; Gross/Rohr 2011). scheidend für die Bestimmung von Komikgehalt und
Die Komik der neuen Medien (Fernsehen und In- -relevanz der bildenden Kunst sind vielmehr jewei-
ternet) und ihre Eigenheiten gewinnen ein noch deut- lige Kontexte und Details. Generalisierende Auskünf-
licheres Profil, wenn man sie mit zwei anderen For- te liefern nur wenige Anhaltspunkte. Adornos Fest-
298 III Mediale Formen des Komischen

stellung, die »These von der Heiterkeit der Kunst [gel- Ernsthaftigkeit« repräsentiert (Sontag 1980, 280), ab-
te] für die Kunst als ganze, nicht für die einzelnen gesehen auch von der künstlerischen Fotografie (vgl.
Werke« (Adorno 1974, 600), ist kaum erhellender als Heine 2012, 183) – eher Seltenheitswert besitzt. Dort
O. Marquards Behauptung, die Kunst – das realitäts- aber, wo Komik – intendiert oder unfreiwillig – in Er-
enthobene »Exil der Heiterkeit« (Marquard 1976, scheinung tritt (vgl. die nicht immer tauglichen Bei-
141) per se – stelle angesichts einer »Kritik, die Ernst spiele bei Bechtloff 1993 und Kanz 2007), führt sie in
machen« (ebd., 144) wolle, in Gestalt komischer vielen Fällen die ›Gemachtheit‹ und die Kommentar-
Kunstwerke zumindest einige kompensationstaugli- bedürftigkeit von Kunst drastisch vor Augen. Sie
che Refugien der Heiterkeit zur Verfügung. Aber wer »pointiert das Konzeptuelle, betont also Einfall, Refle-
hier letztlich Ernst macht – dominierende soziale xion, Programmatik, den kreativen ›Funken‹« (Block
Kräfte (Adorno) oder bloß eine ideologisch auf- 2006, 201). Damit stellt sie die historisch jeweils un-
geheizte Kritik an ihnen (O. Marquard) –, lässt sich terschiedlich gezogenen Grenzen der Kunst zur Dis-
pauschal gar nicht bestimmen. Studien zur Kunst- position und erweitert oft genug das Spektrum der äs-
Komik sind folglich gehalten, peinlich genau zu ver- thetischen Objekte, Ereignisse und Praktiken. Gleich-
fahren. Zu unterscheiden ist vorderhand das »Ko- sam im Gegenzug kann ambitionierte bildende Kunst
mische in der Kunst« (Kanz 2007) vom Komischen an durch die Kombination von sinnlicher Wucht und ko-
der Kunst »als Betrieb und Institution« (Ellrich 2016) gnitiver Raffinesse auch die gängigen Strategien der
sowie vom (zumeist unfreiwilligen) »Komischen an Komikproduktion erschüttern und mit alternativen
der Kunstwissenschaft« (Ost 2007). Erfahrungen konfrontieren. Ins Zentrum der Auf-
Kunst kann komische Effekte auf unterschiedliche merksamkeit rückt dann die bewegliche und doch un-
Weise auslösen: 1. durch das dargestellte Sujet (z. B. R. verzichtbare Grenze von Komik und Nicht(mehr)-
Magrittes Le Viol, M. Kippenbergers Fred the Frog oder Komik. An diesem Punkt berühren sich bildende
M. Cattelans La Nona Ora); 2. durch Art und Material Kunst und avancierte Medien. Denn deren spezielle
der Darstellung (z. B. Arcimboldos Portraits aus Ge- Komik verwendet immer häufiger radikale Figuren
müse und Meeresfrüchten oder P. Picassos Stierkopf medialer Selbstreflexion, die zugleich Prozesse ansto-
aus Fahrradsattel und Lenkstange); 3. durch die er- ßen, in denen die Komik lernt, ihre eigenen Mecha-
kennbare Kluft zwischen der Intention des Künstlers nismen und Grenzziehungen zu beobachten. Diese
und dem realisierten Werk. In diesem Fall ist »das Be- doppelte Operation bietet nun wiederum die Chance,
lachen von Kunst [...] ein Akt der intendierten Herab- das forcierte Spiel medialer und ästhetischer Selbst-
setzung oder gar Vernichtung; das Belachen sagt: Der thematisierung auch als ein Problem zu erkennen und
Meister [...] konnte nicht, was er wollte. In der Moder- die Frage nach der Relevanz des Dargestellten wieder
ne kann das Belachen in Hilflosigkeit umschlagen: Das auf die Agenda der Medien zu setzen.
ist Kunst – a child of six could do it!« (Kanz 2007, 1); 4.
durch Fälschungen, auf die die Experten ›reinfallen‹, Literatur
und Fakes, d. h. Fälschungen, die von den Produzenten Adorno, Theodor W.: »Ist die Kunst heiter?«. In: Gesammelte
selbst offenbart werden (vgl. Block 2006, 195 ff.; Doll Schriften. Bd. 11. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.
1974, 599–606.
2012; Ellrich 2016); 5. durch Missverständnisse und Bechtloff, Dieter: »Kunst und Humor. Kleines ikonographi-
die Verwechslung von Kunst mit Alltagsgegenständen sches Bild-Lexikon von A–Z«. In: Kunstforum 121. Jg.
(vgl. Beuys’ Säuglingsbadewanne und die ›Putzfrauen- (1993), 159–347.
legende‹); 6. durch ›werkgetreue‹ Rezeptionen von Berger, Peter: Erlösendes Lachen. Das Komische in der
Kunstwerken, die die Appellstruktur der ästhetischen menschlichen Erfahrung. Berlin 1998 (engl. 1997).
Bleicher, Joan-Kristin: »Vom Volkshumor zur Comedy.
Gegenstände beim Wort nehmen (vgl. die faktische
Streifzüge durch die Humorgeschichte des Fernsehens«.
Zerstörung von M. Rays Object to Be Destroyed). In: Walter Klingler u. a. (Hg.): Humor in den Medien. Ba-
Wie sich zeigt, muss die Untersuchung derjenigen den-Baden 2003, 75–86.
Komik, die durch anschauliche künstlerische Mittel Block, Friedrich: »Die Tücke der Technik«. In: ders. (Hg.):
erzeugt wird, eine Reihe von Möglichkeiten im Blick Komik – Medien – Gender. Bielefeld 2006, 181–204.
behalten, ohne zu verkennen, dass Komik im umfang- Doll, Martin: Fälschung und Fake. Berlin 2012.
Ellrich, Lutz: »Die Komik der Kunst als Betrieb und Institu-
reichen Ausdrucksrepertoire der bildenden Kunst –
tion«. In: Friedrich Block (Hg.): Komik und Kunst. Biele-
abgesehen von Spezialgattungen wie Karikatur und feld 2016.
Cartoon oder dem eigentümlichen Phänomen des Folkers, Nils/Solms, Wilhelm (Hg.): Was kostet der Spaß?
sog. »Camp«, das »die Erlebnisweise der gescheiterten Wie Staat und Bürger die Satire bekämpfen. Marburg 1997.
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 299

Frölich, Margrit/Loewy, Hanno/Steinert, Hans (Hg.): La- Darstellung brachten. Keine Statue, kein Wand- oder
chen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Sa- Vasenbild trug freilich ein Etikett mit der Aufschrift
tire, Holocaust. Frankfurt a. M. 2003. ›komisch‹. Die einstigen Betrachter erkannten intui-
Gehlen, Arnold: Zeit-Bilder [1960]. Frankfurt a. M. 31986.
Gross, Andrew S./Rohr, Susanne (Hg.): Comedy – Avant-
tiv, ob das Bildwerk in ihren Augen zum Lachen war.
Garde – Scandal. Remembering the Holocaust after he End Aus heutiger Sicht lässt sich die komische Intention
of History. Heidelberg 2011. meist klären, wenn die bildliche Semantik sowie der
Heine, Florian: »Das Komische in der Fotografie«. In: ders.: kulturelle und der antike Verwendungskontext einer
Meilensteine. Wie große Ideen die Fotografie veränderten. Darstellung bekannt sind. Während sich das eine über
München/London/New York 2012, 182–187.
schriftliche Quellen und Vergleiche mit normativen
Hight, Craig: Television mockumentary. Reflexivity, satire
and a call to play. Manchester/New York 2010. Bildern erschließen lässt – also solchen Körperbildern
Kanz, Roland (Hg.): Das Komische in der Kunst. Köln/Wei- und Motiven, die etwa in öffentlichen Denkmälern
mar/Wien 2007. zu sehen und deshalb gesellschaftlich anerkannt wa-
Lacan, Jacques: Das Seminar Buch V. Die Bildungen des Un- ren –, ergibt sich das andere aus dem Fundort oder
bewussten. Wien 2006. dem werktypischen Verwendungszusammenhang;
Lano, Carolin: Die Inszenierung des Verdachts. Überlegungen
zu den Funktionen von TV-mockumentaries. Stuttgart 2011.
die meisten der schwarz- oder rotfigurigen Vasen aus
McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Frankfurt a. M. Griechenland etwa dienten der Form nach als Trink-
1970 (engl. 1964). geschirr – bei privaten Symposien, bei Festen im Hei-
Marquard, Odo: »Exile der Heiterkeit«. In: Wolfgang Prei- ligtum, aber auch als Grabbeigaben. Römische Wand-
sendanz/Rainer Warning (Hg.): Das Komische. München malereien zierten beispielsweise Ladenfassaden, die
1976, 133–151.
Innenwände von Tavernen, Thermen oder Wohnhäu-
Ost, Hans: »Das Komische an der Kunstwissenschaft«. In:
Roland Kanz (Hg.): Das Komische in der Kunst. Köln/Wei- sern. Grundsätzlich gilt, dass antike Bildwerke für ihre
mar/Wien 2007, 4–25. Umgebung sinnstiftend waren. Sie verliehen dem Ort
Rapp, Jürgen: »Kunst und Komik. Aspekte des Humors in der ihrer Aufstellung bzw. Anbringung eine spezifische
Bildenden Kunst«. In: Kunstforum 120. Jg. (1992), 80–89. Bedeutsamkeit, und ihre Nutzung besaß zu bestimm-
Reinhard, Elke: Warum heißt Kabarett heute Comedy? Meta- ten Anlässen und an bestimmten Orten eine Funk-
morphosen in der deutschen Fernsehunterhaltung. Münster
tion. Künstler, die mit ihren Werken ihre persönliche
2006.
Schmidt, Siegfried J.: »Inszenierung der Beobachtung von Weltanschauung zum Ausdruck brachten, Kritik üb-
Humor«. In: Friedrich Block (Hg.): Komik – Medien – ten oder an die Moral ihrer Betrachter appellierten,
Gender. Bielefeld 2006, 19–52. sind für die Zeit der Antike nicht nachweisbar. Den-
Sextro, Maren: Mockumentaries und die Dekonstruktion des noch: Bildhauer und Maler genossen hohes Ansehen,
klassischen Dokumentarfilms. Berlin 2009. etwa weil ihre Werke besonders lebensecht wirkten.
Siebert, Jan: Flexible Figuren: Medienreflexive Komik im Zei-
chentrickfilm. Bielefeld 2005.
Sontag, Susan: »Anmerkungen zu ›Camp‹«. In: dies.: Kunst Begriffe für komische Kunstwerke
und Antikunst. Essays. München 1980, 269–284 (engl. In der Forschung kursieren diverse Begriffe, um das
1964). Komische in der antiken Kunst zu definieren: Karika-
Zijderveld, Anton: Humor und Gesellschaft. Eine Soziologie tur, Groteske, Parodie, Travestie, Verismus oder Rea-
des Humors und des Lachens. Graz 1974.
lismus. Eine einheitliche Terminologie gibt es nicht –
Lutz Ellrich einig sind sich Archäologen nur darin, dass die Bilder
das grundsätzliche Ziel verfolgten, die Menschen zum
Lachen zu bringen. Zu Beginn vieler Studien steht
27.1 Komische Formen in Druck und deshalb eine Begriffsbestimmung, der dann die bild-
Malerei lichen Darstellungen – entweder nach den komischen
Mechanismen oder den Bildthemen – sortiert folgen
27.1.1 Bildende Kunst in der Antike
(vgl. z. B. Clarke 2007; Mitchell 2009; Walsh 2009).
Griechische und römische Komödien, die Ruinen von Um vom Ideal abweichende Figuren und Motive zu
Theaterbauten und auch Witzsammlungen – sie alle bezeichnen, begegnet man häufig den Termini ›gro-
liefern den deutlichen Beleg: Komik besaß einen fes- tesk‹ und ›Karikatur‹. Dabei werden deutlich von-
ten Platz im Leben der Menschen der Antike. Wenn einander divergierende Figuren als grotesk charakte-
Schriftsteller und Dichter mit ihren Werken eine ko- risiert: Mischwesen wie Kentauren und Sphingen oder
mische Intention verfolgten, dann liegt der Schluss menschliche Körper, »die durch lächerliche und
nahe, dass auch die bildenden Künstler Komisches zur monströse Verzerrungen gekennzeichnet sind« (Him-
300 III Mediale Formen des Komischen

melmann 1994, 89; vgl. Stevenson 1974). Die wissen- Vorstellungswelt zu lachhaften Bildern zu erfassen. In
schaftliche Diskussion um das Groteske bezieht sich theoretischen Erörterungen bemühen sich etwa Pla-
v. a. auf hellenistisch-römische Terrakotten, die Klein- ton und Aristoteles (z. B. Platon, Gesetze 815–816,
wüchsige mit kurzen, dicklichen Beinen und stämmi- 935–936; Aristoteles, Nikomachische Ethik 1128a) da-
gem Oberkörper darstellen. Es wurde der Versuch un- rum, das Komische vom Lächerlichen zu trennen und
ternommen, die Figuren zu unterscheiden in patho- es als ästhetische Kunstform im Bühnenspiel zu de-
logische Grotesken, die ein realistisches, abnormes finieren. Diese doppelte Bedeutung wird auch in der
Körperbild darstellen, und Karikaturen, die durch altgriechischen Bezeichnung geloîon deutlich, das so-
physisch unmögliche Übertreibungen gekennzeich- wohl das Komische als auch das Lächerliche bezeich-
net sind (vgl. Stevenson 1974). Diese Unterscheidung nen kann. Das geloîon, so plädieren griechische Phi-
wird allerdings nicht vorbehaltslos akzeptiert, v. a. losophen, sei neben der Komödie lediglich beim Sym-
weil sie sich nicht ungehindert auf den Zweck der Dar- posion, wozu etwa die Rezitation von Iamben zählt,
stellung fortsetzen lässt. So stellt sich die Frage: Dien- und im kultischen Raum eines Heiligtums akzeptabel.
ten die Terrakotten nur als Lachvorlage oder auch als Damit sind im Wesentlichen auch die Bereiche erfasst,
medizinisches Anschauungsmaterial (vgl. Laubscher in denen die komischen Werke antiker Künstler Ver-
1982; Fischer 1994)? wendung fanden – im römischen Kontext sind sie zu-
Weitaus am häufigsten wird der Begriff der Karika- dem in Wohnhäusern, Bädern, Tavernen, Läden be-
tur verwendet, wobei auch hier nicht immer scharf legt. Allerdings bestimmten nicht die Theoretiker, wo
zwischen dem verformten Körper und dem verzerrten und wann Komisches erlaubt sein sollte, sondern die
Motiv getrennt wird. Übereinstimmung herrscht da- antiken Gesellschaften billigten solche Werke nur an
rin, dass Karikaturen irreale physische Deformatio- den entsprechenden Orten – dort, wo sie eben auch
nen wiedergeben (vgl. Dasen 1993; Mitchell 2009; Sinn ergaben oder von einem kultischen Regelwerk
Walsh 2009). Mit dem moralischen und emotionalen sanktioniert waren. Häufig waren diese Räume mit
Impetus der neuzeitlichen Karikatur hat die antike dem Gott Dionysos assoziiert. In seiner Sphäre entfal-
Version allerdings wenig gemein. Auflehnung gegen ten sich das Theater, der Rollentausch und der Wein-
Mächtige, die Enthüllung von Unmoral oder politi- rausch – er ist der Inbegriff des ritualisierten Normen-
scher Mangelleistung haben antike Maler und Bild- bruchs und damit der göttliche Schirmherr des Ko-
hauer nicht öffentlich thematisiert. mischen. Den fundamentalen Ursprung des Ko-
Welche Bezeichnungen in der Antike für komische mischen verorten antike Schriftsteller im Hässlichen
Kunstwerke verbreitet waren, geben einige wenige und Deformierten, griechisch aischrón. Dieser Ansatz
Schriftzeugnisse preis. Sie überliefern den Begriff des Komischen lässt sich für die gesamte Antike gel-
Gryllos. So etwa Plinius der Ältere (Naturgeschichte 35, tend machen (vgl. Grant 1924; Wannagat 2015). Cice-
114), der über den Maler Antiphilos des 4. Jh.s v. Chr. ro beispielsweise lokalisiert die Keimzelle des ridicu-
Folgendes berichtet: »Derselbe malte auf lustigen lum »in turpitudine et deformitate« (Über die Rede-
Bildtafeln einen Mann namens Gryllus von lächerli- kunst 2, 236) – im Schändlichen und Hässlichen – also
cher Erscheinung; daher wird diese Malereigattung einerseits im moralisch Hässlichen und andererseits
Grylloi genannt.« Analysen der Textquellen ergaben, in der ungestalten Form. Diese Interdependenz ba-
dass Gryllos »nicht die lächerlich verzerrte Karikatur siert auch auf der allgemeingültigen Auffassung in der
eines bestimmten Originals, oder wenigstens einer Antike, dass die körperliche Gestalt und die seelische
klar einzugrenzenden Gruppe, sondern unpersönli- Beschaffenheit miteinander verschränkt seien (griech.
che Darstellungen hässlicher, lächerlicher Menschen- kalokagathía). Ein hässlicher Körper steht im Gegen-
gestalten bezeichnet« (Hammerstaedt 2000, 45; vgl. satz zum Ideal des schönen Körpers, der eine tapfere
Binsfeld 1956). und gute Seele beherbergt – und seine Hässlichkeit er-
zeugt einen komischen Kontrast.
Die literarische Konzeption des komischen Körpers Welche Körperformen als aischrós bzw. turpis und
Welche Bilder als komisch empfunden wurden, lässt deformis angesehen wurden und somit auch geloîos
sich grundlegend aus schriftlichen Quellen ermitteln. bzw. ridiculus sein konnten, verraten etwa physiogno-
Vollständige Abhandlungen über das Komische sind mische Studien. Am ausführlichsten beschreibt die
aus der griechischen und römischen Epoche nicht er- handbuchartige Schrift Physiognomonica des Pseudo-
halten. Es haben aber genügend Passagen in antiken Aristoteles (um 300 v. Chr.) die semantische Bedeu-
Schriften die Jahrtausende überdauert, um die antike tung abnormer Körperformen (vgl. Evans 1969; Him-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 301

melmann 1994). Darin werden z. B. Menschen mit ei- sche Abundanz oder Fäkalität thematisieren. Der
ner dicken bzw. platten Nase als stumpfsinnig und übergroße und unförmige Phallus gehört zur Ikono-
lüstern beschrieben, hervorstehende Augen, dicke graphie bestimmter Figurentypen: Neben den Ko-
Lippen und eine rundliche Stirn lassen auf Dumm- mödienschauspielern sind das Kleinwüchsige und die
heit schließen, und wer große Ohren hat, sei ebenfalls afrikanischen Pygmäen, die Satyrn – Pferdemisch-
einfältig. Stets werden Abweichungen vom körper- wesen aus dem Gefolge des Dionysos – hässliche alte
lichen Normbild mit negativen Konnotationen wie Männer, Sklaven, Fremde oder Komasten. Sie zeich-
Unverschämtheit, Mutlosigkeit, Schwäche oder Faul- nen sich v. a. durch fehlende Selbstkontrolle oder eine
heit belegt. niedrige soziale Stellung aus – sie sind Angehörige ei-
ner Gegenwelt und können verlacht werden (vgl. Pla-
Die bildliche Konzeption des komischen Körpers ton Gesetze 935e–936a; Dasen 1993; McNiven 1995;
Ähnliche Assoziationen lösten das künstliche Kostüm Foley 2000; Wannagat 2015). Die Nähe zur Ikonogra-
und die Maske der Komödienschauspieler aus. Sie be- phie der Komödie und die explizite Darstellung von
zeugen augenfällig den engen Konnex zwischen dem Theaterszenen hält seit Langem die Forschungsdebat-
Komischen und dem hässlichen Körper in der Kunst. te am Leben, ob komische Darstellungen in der bil-
In ihren Stücken haben die Dichter dessen Aussehen denden Kunst Momente aus Komödien wiedergeben.
nur am Rande thematisiert, doch es existieren genü- Da in den Bildern nicht immer Bühnenbauten und
gend bildliche Quellen von Schauspielern, um die ab- Schauspielertrikots gekennzeichnet sind, lässt sich die
norme Ikonographie und Semantik des Kostüms zu Problematik nicht pauschal klären, sondern muss von
erfassen: Terrakottafiguren und Theaterdarstellungen Fall zu Fall untersucht werden (vgl. Taplin 1993).
auf attischen und unteritalischen Vasen des 5. wie In der Mittleren, Neuen und römischen Komödie
4. Jh.s v. Chr. (Abb. 27.1) oder Darstellungen auf rö- bzw. dem römischen Volkstheater wurde das aus-
mischen Mosaiken und Wandmalereien (vgl. Webs- gestopfte Kostüm nur noch für bestimmte Charakte-
ter/Green 1978; Foley 2000; Clarke 2007). So weisen re, z. B. Sklaven, genutzt, hässliche Masken gehörten
die Theatermasken oft gleichartige Gesichtszüge auf, aber weiterhin zum Repertoire der hellenistisch-rö-
z. B. eine faltige Stirn, kontrahierte Augenbrauen, eine mischen Bühne (vgl. Marshall 2006). Insbesondere in
dickliche Stupsnase und einen breiten, weit geöffneten den Häusern der Vesuvstädte Pompeji und Hercula-
Mund mit wulstigen Lippen. Spätestens ab der Mitt- neum sind Komödienszenen und Masken auf Mosai-
leren Komödie waren typisierte Charaktere mit stan- ken und in der Wandmalerei abgebildet. Das semanti-
dardisierten Maskentypen festgelegt. Abnorme Ge- sche Umfeld verleiht diesen Bildern, die beispielswei-
sichtszüge zeigten v. a. die Masken alter Frauen und se alternierend mit Tragödienszenen arrangiert sind,
Männer und im Besonderen die von Sklaven – also al- die spielerische Sphäre des Theatergottes Dionysos
te Menschen und Vertreter der Unterschicht (vgl. Juli- (vgl. Clarke 2007, 29–49).
us Pollux, Onomasticon 4 (2. Jh. n. Chr.), 143–154;
Clarke 2007). In griechischen Darstellungen tragen
die komischen Schauspieler ein eng anliegendes Tri-
kot mit langen Ärmeln und langer Hose. Der Bauch ist
kugelig ausgestopft, die Brust aufgedunsen und der
Hintern buchtet aus. An dem Trikot sind oftmals
Brustwarzen, Schamhaar und ein langer, künstlicher
Phallus mit entblößter Eichel befestigt, der schlaff zwi-
schen den Beinen baumelt oder hochgebunden ist,
aber unter dem kurzen Gewand der Schauspieler fast
immer sichtbar wird. Gerade der Phallus stellt eine der
bedeutendsten Bildformeln der antiken Kunst dar.
Der Betrachter kann durch ihn die soziale Stel-
lung und moralische Beschaffenheit einer Figur ein-
deutig bestimmen. In der Alten Komödie etwa dient
der Phallus als optisches Element für verbale Witze
oder sprachbildlich zur Beschimpfung – etwa mittels Abb. 27.1 Apulischer Glockenkrater aus der Zeit um
übersteigerter Sprachbilder, die Sexualität, kulinari- 380/370 v. Chr.
302 III Mediale Formen des Komischen

Beispiele komischer Darstellungen und intelligente Vögel, die eigentlich völlig ungefähr-
Verglichen mit dem Gesamtcorpus der antiken Kunst lich wären. Im Vergleich zu epischen Kriegen wie der
handelt es sich beim Komischen um ein Randphäno- Ilias werden hier die Identität der Protagonisten und
men, das dennoch in fast allen Gattungen und Kon- die grundsätzliche Konstellation der Kräfte auf den
texten vertreten ist: in der Vasen- und Wandmalerei, Kopf gestellt. Physisch wie geistig sind die Pygmäen
auf Reliefs und Mosaiken, in der Kleinplastik aus Ton Antiheroen (vgl. Dasen 1993). Eine besonders derb
und Bronze, seltener auch in der Großplastik. Zu se- verzeichnete Version der Geranomachie zeigen Bilder
hen waren die Bilder in Wohnhäusern, Heiligtümern auf der Gattung der schwarzfigurigen Kabirenbecher,
und Gräbern – in der öffentlichen Kunst griechischer die als Trinkgefäße im Kult des dionysosähnlichen
Poleis oder der römischen Staatskunst hingegen spielt Gottes Kabiros in der Landschaft Böotien dienten:
das Komische eine sehr untergeordnete Rolle. Grund- Darauf schnappen Kraniche nach den baumelnden
sätzlich sind die komischen Bildthemen und ange- Phalli der Pygmäenkrieger oder ein Vogel pickt dem
wandten Mechanismen recht divers. Im Repertoire Pygmäen in den Anus (Abb. 27.2).
antiker Bildkunst finden sich aber einige Figuren und Ähnliche krasse Versionen bilden römische Mo-
Motive, die vermutlich per se als lachhaft galten. Dazu saike und Wandbilder ab: Dort kämpfen die Pygmäen
zählen als frühe Vertreter die sog. Dickbauchtänzer nicht nur gegen Krokodile und Nilpferde, sie ejakulie-
auf v. a. korinthisch- und attisch-schwarzfigurigen Va- ren, defäkieren oder haben Geschlechtsverkehr im
sen des 7. und 6. Jh.s v. Chr. Dargestellt sind Figuren Freien (vgl. Clarke 2007, 87–107). Solche Motive er-
mit ausladendem Hintern und Kugelbauch, teils sind innern stark an die skatologische und derbe Körper-
sie nackt, teils tragen sie ein ausgestopftes Trikot. In sprache der Alten Komödie. Die Bildkomik könnte
ausschweifenden Bewegungen, oft mit einem Trink- demnach eine ganz ähnliche Stoßrichtung besessen
gefäß in der Hand, führen sie ausgelassene Tänze auf. haben. Die Kabirenbecher des 5. und 4. Jh.s v. Chr. gel-
Sie sind berauscht vom Wein und zügellos – im Bild ten zudem als eine an sich komische Vasengattung.
entfaltet sich somit eine dionysisch-komische Sphäre. Viele Bilder zeigen dickbauchige und dünngliedrige
In der Forschung hat sich jedoch noch keine einhellige Gestalten mit breiter Stupsnase und übergroßem Phal-
Deutung für die Dickbauchtänzer gefunden, sie wer- lus. Die Geranomachie ist zudem Beispiel für eine My-
den als Phantasiewesen, Spaßmacher beim Symposi- thenparodie, wie sie häufig in der komischen Kunst
on oder verkleidete Festteilnehmer interpretiert (vgl. vorkommen. Die mythischen Sujets werden dabei als
Wannagat 2015). komische Gegenbilder gezeichnet, entweder indem die
Seit dem 7. Jh. v. Chr. findet sich auf griechischen Künstler das tradierte Bildmotiv modifizierten, Götter,
Vasen immer wieder der parodistische Mythos der Heroen und Menschen durch abnorme Körpergestal-
Geranomachie, des Kampfes der Pygmäen gegen Kra- ten ersetzten oder komische Bildmotive neu entwarfen
niche. Literarisch rechnet man die Erzählung zur ko- (vgl. z. B. Clarke 2007; Mitchell 2009; Walsh 2009).
mischen Dichtung: Kleine, deformierte Menschen Stupsnase und großer Phallus charakterisieren
kämpfen mit primitiven Keulen gegen große, schlanke auch die Satyrn – halb Mensch, halb Pferd – aus dem

Abb. 27.2 Kabirenbecher (Berlin Staatliche Museen)


27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 303

Gefolge des Gottes Dionysos. In der griechischen Hammerstaedt, Jürgen: »Gryllos. Die antike Bedeutung ei-
Kunst brechen die immerzu geilen, sauffreudigen und nes modernen archäologischen Begriffs«. In: Zeitschrift
wilden Mischwesen stets bürgerliche Normen und Re- für Papyrologie und Epigraphik 129. Jg. (2000), 29–46.
Himmelmann, Nikolaus: Realistische Themen in der griechi-
geln; etwa wenn sie Mänaden, die weiblichen Traban- schen Kunst. Berlin 1994.
ten des Dionysos, sexuell belästigen oder ungemisch- Heinemann, Alexander A. J.: »Bilderspiele beim Gelage.
ten Wein aus Amphoren saufen. Ebenso treten sie als Symposiast und Satyr im Athen des 5. Jahrhunderts
lachhafter Antiheld auf, z. B. holt auf einer attisch-rot- v. Chr.«. In: Tonio Hölscher (Hg.): Gegenwelten zu den
figurigen Vase um 460/450 v. Chr. ein Satyr mit Keule Kulturen Griechenlands und Roms. Symposium Heidel-
berg 1999. München 2000, 321–349.
und Löwenfell des Herakles gewappnet gegen die
Laubscher, Hans P.: Fischer und Landleute. Studien zur helle-
Schlange im Baum der Hesperiden aus – von dem statt nistischen Genreplastik. Mainz 1982.
Unsterblichkeit spendende Äpfel Weinkannen herab- Lissarrague, François: »Why Satyrs are Good to Represent«.
hängen (vgl. Heinemann 2000, 329, Abb. 7; Lissarra- In: John J. Winkler/Froma I. Zeitlin (Hg.): Nothing to Do
gue 1990). Insgesamt liefern die Satyrn ein komisches, with Dionysos? Athenian Drama in Its Social Context.
aber auch beunruhigendes Gegenbild zu gesellschaft- Princeton 1990, 228–236.
Marshall, C. W.: The Stagecraft and Performance of Roman
lichen Idealen. Comedy. Cambridge 2006.
Mit ihren Bildern karikierten Künstler zudem be- McNiven, Timothy J.: »The Unheroic Penis: Otherness Ex-
stimmte Berufsstände, z. B. Berufsathleten oder geleh- posed«. In: Source 15. Jg. (1995), 10–16.
rige Philosophen. Letztere sind etwa aus der Alten Ko- Mitchell, Alexandre G.: Greek Vase-Painting and the Origins
mödie (Aristophanes Wolken, 423 v. Chr.) und der of Visual Humour. Cambridge 2009.
Stevenson, William E. III.: The Pathological Grotesque Repre-
spätantiken Witzesammlung des Philogelos als fest-
sentation in Greek and Roman Art. Philadelphia 1975.
stehender Topos des Dampfplauderers bekannt. Im Taplin, Oliver: Comic Angels. New York 1993.
griechischen Kontext zeigen z. B. attisch-rotfigurige Walsh, David: Distorted Ideals in Greek Vase-Painting: The
Vasenbilder aus dem 5. Jh. v. Chr. bärtige Männer im World of the Mythological Burlesque. New York 2009.
Bürgermantel, deren gigantischer Kopf auf einem Wannagat, Detlev: Archaisches Lachen. Die Entstehung einer
winzigen und schmächtigen Körper sitzt – eine bild- komischen Bilderwelt in der korinthischen Vasenmalerei.
Berlin 2015.
liche Überzeichnung des intellektuellen Denkers (vgl. Webster, T. B. L./Green, John R.: Monuments Illustrating Old
Mitchell 2009, 245–248). Das komische Thema findet and Middle Comedy. London ³1978.
sich auch in der römischen Kunst: An den Wänden ei-
ner Gaststätte aus dem 2. Jh. n. Chr., der Taverne der Karin Schlott
Sieben Weisen in Ostia, thronen ebenjene Philoso-
phen und verteilen in Beischriften ebenso kluge wie
27.1.2 Bildende Kunst im Mittelalter und in der
derbe Ratschläge für eine reibungslose Darmtätigkeit,
frühen Neuzeit
etwa: »Thales rät denjenigen, die hart kacken, sich ge-
fälligst anzustrengen« (Clarke 2007, 125–132). Phänomene der Komik lassen sich in der bildenden
Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit in na-
Literatur hezu allen Medien sowohl in profanen als auch in sa-
Binsfeld, Wolfgang: Grylloi. Ein Beitrag zur Geschichte der kralen Kontexten finden. Hinsichtlich der medialen
antiken Karikatur. Köln 1956. Träger des Komischen liegt der Schwerpunkt im Mit-
Clarke, John R.: Looking At Laughter. Humor, Power, and
Transgression in Roman Visual Culture, 100 B. C.–A. D.
telalter auf der Bauskulptur, Buchmalerei, Textil- und
250. Los Angeles 2007. Metallkunst, während das Komische in der Neuzeit oft
Dasen, Véronique: Dwarfs in Ancient Egypt and Greece. Ox- auch zum eigenständigen Motiv insbesondere in der
ford 1993. Malerei und Graphik wird. Im Mittelalter tritt das Ko-
Evans, Elizabeth C.: Physiognomics in the Ancient World. mische bevorzugt in den Randbereichen, etwa von
Baltimore 1969.
Wandmalereien, Fassaden oder Buchseiten, auf, wo es
Fischer, Jutta: Griechisch-römische Terrakotten aus Ägypten.
Tübingen 1994. häufig in Verbindung mit dem Ornament steht. Diese
Foley, Helene P.: »The Comic Body in Greek Art and Dra- Verbindung setzt sich in der frühen Neuzeit u. a. in
ma«. In: Beth Cohen (Hg.): Not the Classical Ideal. Athens den Grotesken-Rahmungen von Wandmalereien, Ta-
and the Construction of the Other in Greek Art. Leiden pisserien oder kunsthandwerklichen Objekten fort.
2000, 275–311. Hinsichtlich der Erscheinungsweisen von Komik
Grant, Mary A.: The Ancient Rhetorical Theories of the Laug-
ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen genuin
hable. The Greek Rhetoricians and Cicero. Madison 1924.
komischen, d. h. an sich Heiterkeit und Gelächter er-
304 III Mediale Formen des Komischen

weckenden Motiven wie Gauklern, Narren oder die ihnen zugewiesenen Funktionen. Ansätze zu einer
Mischwesen und solchen Motiven, die erst durch ei- eigenständigen Theorie der Komik in der bildenden
nen komischen Kontrast, d. h. durch Auftreten in ei- Kunst sind erst aus dem 15. Jh. bekannt (vgl. Alberti
nem vom Betrachter als ›unpassend‹ empfundenen 2000, 268–271). Das Phänomen der Komik in den bil-
Kontext, als komisch wahrgenommen werden. Oft er- denden Künsten der Vormoderne steht in engem Be-
scheinen beide Kategorien auch in Verbindung; v. a. zug zu anderen Künsten und Medien insbesondere der
im Mittelalter scheint die Verknüpfung beider Er- Literatur (z. B. Schwank), dem Theater (v. a. Komödie),
scheinungsweisen die vorherrschende Art der Komik aber auch dem soziokulturellen Bereich, v. a. der Fest-
in der bildenden Kunst gewesen zu sein. Eng ver- kultur (z. B. Karneval, Maskenbälle) (vgl. Kröll 1994,
wandt und nicht immer klar abgrenzbar sind Phäno- 13). Im Gegensatz zur älteren Forschung, die die ko-
mene der Groteske, der Satire und der Travestie, die in mische Kunst primär als Phänomen der »Volkskultur«
der Forschung begrifflich häufig synonym verwendet (Bachtin 2003) gesehen hat, lässt sie sich neueren Un-
werden. Gleiches gilt für die Verwandtschaft des Ko- tersuchungen zufolge in Bezug auf die Produktion und
mischen zu bestimmten Formen des Genres, des Obs- Rezeption nicht auf eine bestimmte Gesellschafts-
zönen und des Fantastischen. Bei allen genannten schicht einschränken. Angesichts der Tatsache, dass es
Phänomenen kann Komik sowohl aufgrund eines als sich hinsichtlich der Entstehungsbedingungen vor-
lächerlich empfundenen Motivs als auch infolge eines moderner Kunst mehrheitlich um Auftragskunst han-
komischen Kontrasts entstehen. delt, ist neben dem Künstler als ›materiellem Produ-
Die Frage nach der Bedeutung des Komischen in zenten‹ stets auch der Auftraggeber als ›finanzieller‹
den Bildkünsten des Mittelalters und der frühen Neu- und oft auch ›ideeller Produzent‹ zu berücksichtigen,
zeit wurde bereits zur Entstehungszeit unterschiedlich die beide auch als Rezipienten figurieren.
beantwortet und wird bis heute kontrovers diskutiert
(vgl. die Beiträge in Kröll/Steger 1994; Grebe/Staubach Mittelalter
2005; Kanz 1997). Die Frage steht im Zusammenhang Die Komik in der mittelalterlichen Kunst stellt ein
mit der seit dem frühen Mittelalter geführten Diskussi- ausgesprochen breit gefächertes Phänomen dar. Hin-
on um die sog. Bilderfrage, d. h. die generelle Existenz- sichtlich des Vorkommens treten komische Formen
berechtigung des Bildes bzw. der bildenden Kunst und sowohl in profanen (Hof, Stadt, Dorf) wie in sakralen

Abb. 27.3 Das Lachen der Seligen und Greinen der Verdammten beim Jüngsten Gericht. Tympanon des Fürstenportals
am Bamberger Dom, um 1230
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 305

(Kirche, Klöster) Kontexten auf, wobei die Beispiele Genese der komischen Figurationen aus dem Or-
aus dem sakralen Bereich nicht zuletzt angesichts der nament. Versteht man Ornament nicht nur als Dekor
allgemeinen Überlieferungssituation mittelalterlicher im Sinne von ›schmückendem Beiwerk‹, sondern ge-
Kunst am häufigsten sind. Komische Phänomene las- mäß neueren kunstwissenschaftlichen Ansätzen als
sen sich in nahezu allen künstlerischen Gattungen »Modi der Darstellung« (Beyer/Spies 2012, 13), die
feststellen: besonders reich sind sie aus allen Jahrhun- nicht primär abbildend sind, sondern Sichtbarkeit
derten des Mittelalters in der Buchmalerei, der Bau- strukturieren, so werden das Ornament und mithin
skulptur und dem Kunsthandwerk vertreten. auch die mit ihm verbundenen komischen Figuratio-
Motivisch reicht die Bandbreite von subtilen For- nen zu einer wesentlichen bedeutungstragenden und
men des Bildwitzes (z. B. bei bewusster Verkehrung bedeutungsgenerierenden Instanz in der mittelalter-
von bekannten Gestaltungsmustern) und Verkörpe- lichen Kunst.
rungen des ›Lächelns der Seligen‹ über genuin ko- Ebenso wenig wie beim genuinen Ornament ist da-
mische, oft dem Repertoire der ›verkehrten Welt‹ ent- bei eine inhaltliche Relation von ›Zentrum‹ und ›Rän-
nommene Motive, z. B. Narren, Tiertravestien oder dern‹ im Sinne einer Illustration Voraussetzung für
Mischwesen, bis hin zu burlesker Komik, etwa bei die Existenz. Die Ränder erweisen sich als logischer
obszönen Darstellungen (vgl. Grebe 2014). Abge- Freiraum, der sich den üblichen, für das Zentrum gel-
sehen von wenigen Ausnahmen, etwa der Darstellun- tenden Erklärungsmodellen und wissenschaftlichen
gen von Narren, Moriskentänzern (z. B. E. Grasser), Analysemethoden (z. B. Ikonographie) verweigert.
tanzenden Bauern (z. B. A. Dürer) oder Motiven der Rezeptionsästhetisch betrachtet, kehren die Randfi-
›verkehrten Welt‹, treten die genannten Formen nicht guren oft die normale Hierarchie der Wahrnehmung
als autonome Motive in der Malerei, Skulptur oder um, bei der das Zentrum im Mittelpunkt der Auf-
Druckgraphik, sondern meist in sakralen oder ander- merksamkeit steht und die Ränder verzichtbares Bei-
weitig ›erhabenen‹ Kontexten auf, wo sie über ihren werk sind. Die optische Konkurrenz wird zum Kon-
genuin komischen Charakter hinaus zudem für einen flikt, wenn die Randdarstellungen einer in Bezug auf
komischen Kontrast sorgen (vgl. die Beiträge in Gre- das Zentrum offensichtlich gegensätzlichen Welt ent-
be/Staubach 2005). stammen und letzteres damit auch auf inhaltlicher
Mittelalterliche Komik ist insofern mehrheitlich Ebene in Frage zu stellen scheinen. Der These der Sub-
ein Randphänomen, als die meisten der komischen version lässt sich entgegenhalten, dass es sich bei den
bzw. hilaritas erregenden Motive in den Rand- oder komischen Motiven in der Regel um eine vom Auf-
Rahmenzonen von Handschriften, Kirchenfassaden traggeber gewünschte materielle und ästhetische Auf-
und -portalen, Architekturen bzw. Räumen (z. B. Ka- wertung eines Kunstwerks handelt, die durch einen
pitellen, Konsolen), Wandmalereien, Reliefs, Teppi- Mehraufwand an Arbeitsleistung und Material ge-
chen oder kunsthandwerklichen Objekten auftreten. kennzeichnet ist. Als buchstäbliche ›Auswüchse‹ von
Zu den bevorzugten figürlichen Motiven unter den tragenden oder strukturierenden Elementen besitzen
sog. marginal images gehören menschliche Figuren al- sie zugleich eine das Werk organisierende und aus-
ler gesellschaftlicher Stände bei der Ausübung unter- zeichnende Funktion.
schiedlichster Tätigkeiten (z. B. Bauern, Handwerker, Offensichtlich besitzen die komischen Figurationen
Kleriker, Jäger), Tiere inklusive Tiertravestien sowie gegenüber dem ›offiziellen‹ Diskurs der ›Mitte‹ ihre ei-
die verschiedensten Arten von Mischwesen (mons- gene, bereits für die Zeitgenossen nicht immer eindeu-
tra), die die häufigste Form von Marginalfiguren dar- tig dechiffrierbare Sprache. So kritisierte Bernhard von
stellen (vgl. Randall 1966). Clairvaux in Anbetracht der »ridicula monstruositas«
Ein auffälliges Merkmal ist die enge körperliche (der »lächerlichen Missgeburten« (Clairvaux 1992,
und räumliche Verbindung mit und häufig auch 192)) in den Kapitellen der Kreuzgänge weniger die

Abb. 27.4 Israhel van Meckenem: Hasen braten einen Jäger (›Verkehrte Welt‹). Kupferstich, um 1480/90
306 III Mediale Formen des Komischen

Abb. 27.5 Monströse Randfiguren und Szenen aus der »Salomon und Marcolf«-Satire im Ormesby Psalter, um 1310

Motive an sich, als ihre im spirituellen Kontext des der Darstellungen in der Regel auf eine einzige, zu-
Klosters unerwünschte Wirkung, nämlich bei den Be- meist theologisch-moralische Interpretationsweise re-
trachtern Neugier und Lachen statt Andacht hervor- duziert. Die komischen Figuren werden u. a. als Aus-
zurufen. Derartige Figuren seien zudem als unnötiges druck der mittelalterlichen (profanen) Lebenswelt, als
Luxusgut einzuschätzen (ebd., 192–196). Darstellung der ›verkehrten Welt‹ oder als subversiver
Während Bernhard von Clairvaux in den Kapitel- Kommentar des Künstlers gedeutet (vgl. Camille 1992,
len primär künstlerisch bewundernswerte Fantasie- 20–47; 143–152). Andere Lesarten interpretieren sie
gebilde (»deformis forositas ac formosa deformitas«, als Mahnung bzw. Warnung an den Leser/Betrachter
ebd., 1996) sah, versuchen moderne Forscher den ko- vor sündhaftem Verhalten oder weisen ihnen eine,
mischen Motiven eine konkrete inhaltliche Bedeu- mitunter vom paganen Glauben abgeleitete apotropäi-
tung zuzuweisen. Dabei wird die Deutungsambivalenz sche Funktion zu (vgl. Mellinkoff 2004).
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 307

Trotz des bisweilen hohen Realismus besitzt die (»fantasia«) und des Geschicks des Künstlers erfun-
Mehrheit der komischen Figuren keine abbildende dene Dinge (»quello che non è«) in natürlicher Gestalt
Funktion, sondern stellt eine künstlerische (Neu-) (»sotto ombra di naturali«) darzubieten verstehe
Schöpfung dar. Es kann sich damit grundsätzlich (Cennini 1971, Kap. 1). Dennoch wird in vielen Äuße-
nicht um ein den Menschen oder die Welt bedrohen- rungen ein gewisses Misstrauen gegenüber der phan-
des Abbild des Bösen handeln. Die mittelalterliche tasia deutlich, die häufig in Konkurrenz zum Primat
Komik in der Kunst ist primär als ästhetisches Phäno- der Naturnachahmung (imitatio) sowie Kategorien
men zu betrachten, das einer eigenen Logik gehorcht. der Anmut (grazia), Schönheit (bellezza) und An-
Entgegen vieler bisheriger Deutungen stellt der mit gemessenheit (decorum) gesehen wird. So mischen
der Komik verbundene Aufwand insbesondere im sich in G. Vasaris Äußerungen über die Groteskenma-
Falle der ›marginal images‹ das ›Zentrum‹ nicht in ler neben der Bewunderung für die »bizarre e capric-
Frage, sondern erhöht vielmehr seine Bedeutung. Ge- ciose invenzioni« auch Vorbehalte gegenüber der
rade die prinzipielle, wohl bewusst intendierte seman- mentalen Verfassung der Künstler, indem er diese
tische Offenheit stellt ein Hauptmerkmal dar und Kunstwerke als Ausdruck einer möglichen geistigen
macht einen Hauptreiz des Phänomens aus, dessen Verwirrtheit (»cervello capriccioso«) deutet (vgl.
formale und inhaltliche Hybridität den Rezipienten zu Kanz 1998, 18–21). Kritik an komischen Formen
immer wieder neuen, Heiterkeit generierenden Deu- kommt in der Zeit der Gegenreformation auch von
tungsspielen herausfordert. der Kirche, die solche Darstellung als »nicht schick-
liche« (Paleotti 1582/1961, 442) Bildform verurteilte.
Neuzeit Ebenso wie zur Komik in der bildenden Kunst des
Viele der bereits im Mittelalter bekannten Formen der Mittelalters fehlt auch für die frühe Neuzeit bislang ei-
Komik in der bildenden Kunst bestehen in der frühen ne Gesamtdarstellung. Für die italienische Renais-
Neuzeit fort. Bei den Veränderungen handelt es sich sance ist auf P. Barolsky zu verweisen, der neben ge-
weniger um kategoriale Neuerungen, die eine grund- nuin komischen Darstellungen auch subtilere Arten
legend andere Auffassung von Komik verraten wür- des Humors und Bildwitzes behandelt (vgl. Barolsky
den, als um Modifizierungen in motivischer und me- 1978). Als Einzelaspekte haben die Groteske und das
dialer Hinsicht, die im Zusammenhang mit der all- diese einschließende »Kunstprinzip« Capriccio (Mai
gemeinen Entwicklung der Kunst in Renaissance und 1996) und die Karikatur oder Satire in Malerei und
Barock stehen. So waren die steigende Zahl an auto- Graphik (vgl. Langemeyer u. a. 1984) breitere Beach-
nomen Tafel- und Leinwandbildern, die Verbreitung tung gefunden. Hingegen wurde den karikaturisti-
der Druckgraphik, die Einrichtung von eigenständi- schen Tendenzen in der Skulptur bei G. L. Bernini
gen Gemäldegalerien und Graphiksammlungen ab (vgl. Vert 2014) oder bei den ›Charakterköpfen‹ F. X.
der Mitte des 16. Jh.s wichtige Voraussetzungen für Messerschmidts und anderer Barockbildhauer erst in
die Nachfrage nach komischen Bildern in immer jüngerer Zeit breitere Aufmerksamkeit geschenkt (vgl.
neuen Motivvarianten. Hingegen werden Buchmale- Kammel 2013).
rei, Portal- und Kapitellplastik, die im Mittelalter die Die umfangreichste Literatur existiert zu ko-
wesentlichen Medien künstlerischer Komik waren, mischen Motiven in der Genremalerei der Renais-
zwar nicht aufgegeben, doch in ihrer Bedeutung ein- sance und des Barock, v. a. in der nordalpinen Malerei
geschränkt. Auch die Verbindung von Komik und Or- des 16. und 17. Jh.s. Im Gegensatz zum Capriccio, des-
nament passt sich den jeweiligen Moden an; so wird sen komisch-amüsante Funktion weitgehend unbe-
die Ornamentform der Groteske ab dem ausgehenden stritten ist, wird die Bedeutung der Komik in der Bau-
15. Jh. zu einem der wichtigsten Träger von Komik in ern- und Genremalerei kontrovers diskutiert. Bevor-
der bildenden Kunst (vgl. Chastel 1997). zugte Motive waren hierbei ein bestimmtes Reper-
Ließ sich bereits im Mittelalter, wenngleich weit- toire an als komisch angesehenen Typen wie Bauern,
gehend implizit, eine Wertschätzung des künstleri- Marktweibern, Quacksalbern, Hausierern, Schaustel-
schen Einfallsreichtums beobachten, so wird die Er- lern und Bettlern, die zu Vertretern meist sozial rand-
findungskraft (phantasia, inventio) in der Renaissance ständiger Berufsgruppen gehörten, aber auch an ›nie-
zu einem der wichtigsten Kriterien in allen Gattungen deren‹ Örtlichkeiten wie Wirtshäusern, Bordellen
der bildenden Kunst erhoben. Bereits C. Cennini be- und Bauernkaten. Eine weitere Gruppe bilden Dar-
schreibt um 1400 in Anlehnung an die antike Rhetorik stellungen von Menschen mit körperlichen Defekten,
die Malerei als eine Kunst, die dank der Fantasie etwa Invalide, Menschen mit Missbildungen oder –
308 III Mediale Formen des Komischen

insbesondere im höfischen Kontext – Zwerge, Letzte- Die Funktion als Sammlerwerke trifft auch für die
re auch als barocke Gartenskulpturen. Mit Verweis auf ebenfalls zumeist genrehaften bzw. karikaturhaften
zeitgenössische Theorien der Komödie wurde für die Darstellungen lachender Figuren zu (u. a. L. da Vinci,
komischen Phänomene in der Genremalerei neben D. Dossi, Q. Metsys, D. Velázquez), deren überzeugen-
der vordergründig unterhaltenden Funktion ihre de Wiedergabe L. B. Alberti aufgrund der physiogno-
letztliche Existenzberechtigung in einer moralisch- mischen Nähe zum Ausdruck der Trauer als eine der
belehrenden Aufgabe gesehen. Die komischen Dar- schwierigsten Aufgaben der Kunst bezeichnete. Bilder
stellungen fungieren danach als mehr oder weniger von Lachenden dienen Alberti zufolge dazu, ähnliche
satirisch gemeinte Negativexempel und als Mittel zur Affekte beim Betrachter hervorzurufen, d. h. diesen
moralischen Normierung der zumeist bürgerlichen zum Lachen zu bringen (vgl. Alberti 2000, 268–271).
oder adligen Besitzer (vgl. Ebert 2014, 37–80). Aller- Über das reine Motiv hinaus stellen sich Darstellun-
dings stellt sich die Frage, warum ein Besitzer allein gen von Lachenden damit in einen kunsttheoreti-
aufgrund einer moralischen Belehrung den je nach schen Exzellenzdiskurs, in dem es ausgehend vom
Größe des Werks und Renommee des Künstlers doch Motiv vorrangig um die adäquate, mit der Natur kon-
erheblichen finanziellen Aufwand auf sich nahm. Die kurrierende und auf diese bzw. auf den Betrachter
komischen Genrebilder waren, wie Untersuchungen rückwirkende künstlerische Umsetzung ging. Eine
zu J. Steen (vgl. Westermann 1997) und A. van Ostade ähnliche Absicht lässt sich hinter vielen komischen
(vgl. Ebert 2014) gezeigt haben, mehrheitlich Samm- Werken der Renaissance und des Barock vermuten.
lerwerke, die als Teil eines großen Sammlungsensem-
bles primär als Repräsentanten eines bestimmten Literatur
Bildthemas, eines Künstleroeuvres oder einer Schule Alberti, Leon Battista: Das Standbild. Die Malkunst. Grund-
geschätzt wurden. Alle weiteren Funktionen sind eher lagen der Malerei. Hg. von Oskar Bätschmann. Darmstadt
2000.
als sekundär zu werten. Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als
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27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 309

dies./Hugo Steger (Hg.): Mein ganzer Körper ist Gesicht. Es gilt noch immer, dass zum Künstler das Bewusst-
Groteske Darstellungen in der europäischen Kunst und Li- sein gehört, künstlerisch aktiv zu sein – wie auch im-
teratur des Mittelalters. Freiburg i. Br. 1994, 11–106. mer man diese Tätigkeit definieren mag –, dem Kari-
Langemeyer, Gerhard u. a. (Hg.): Bild als Waffe. Mittel und
Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten. München katuristen ist das Wissen um die Prinzipien der Ka-
1984. rikatur eigen, deren Namen sich vom italienischen
Mai, Ekkehard (Hg.): Das Capriccio als Kunstprinzip. Mai- Wort caricare (›überladen‹) ableitet (vgl. ebd., 7). Eine
land 1996. ähnliche Grenzziehung erfolgt zwischen Kunst und
Mellinkoff, Ruth: Averting Demons. The Protective Power of Comic, auch wenn ebenso hier der Aspekt des zeich-
Medieval Visual Motifs and Themes. 2 Bde. Los Angeles
nerischen Könnens zutrifft: »Obwohl Comics als Teil
2004.
Paleotti, Gabriele: Discorso intorno alle imagini sacre e pro- der Kultur des 20. Jahrhunderts zunehmend akzep-
fane [...]. Bologna 1582. tiert sind, wird ihnen keineswegs ein gleichberechtig-
Randall, Lilian M. C.: Images in the Margins of Gothic Manu- ter Platz neben Literatur, bildender Kunst oder sogar
scripts. Berkeley/Los Angeles 1966. Film eingeräumt« (Frahm 2002, 201), konstatiert der
Vert, Xavier: L’ adresse du portrait. Bernini e la caricature. Comictheoretiker O. Frahm. Langemeyers Einwand,
Paris 2014.
Westermann, Mariët: The Amusements of Jan Steen. Comic
dass Karikatur im Sinne der Kunst nicht »funktions-
Painting in the Seventeenth Century. Zwolle 1997. los« ist, trifft auch auf Comics zu.
Bestimmte Ausprägungen der Komik (z. B. Ironie
Anja Grebe und Sarkasmus) bieten besondere Möglichkeiten,
Missachtung auszudrücken. Die Nähe von Komik und
Moral zeigt sich deutlich in der politischen Satire.
27.1.3 Komik in Kunst und Karikatur des 18. und
Über das Kommunikationsmedium Humor wird hier
19. Jahrhunderts
auf konfrontierende Art und Weise gegen bestehende
In der zweiten Hälfte des 18. Jh.s vollzog sich ein Wan- Verhältnisse agitiert, Missachtung kommuniziert. Am
del im Umgang mit Aspekten des Komischen in der 14. November 1831 stand der Karikaturist und He-
Kunst, der sich mit den Veränderungen durch die Mo- rausgeber der satirischen Zeitschrift La Caricature Ch.
derne mit Beginn des 20. Jh.s noch einmal radikal stei- Philipon vor einem französischen Gericht. Anlass war
gern sollte. Zahlreiche künstlerische Ausdrucksfor- die Veröffentlichung von vier Zeichnungen, die den
men im Bereich der Komik wurden lange Zeit nicht durch die Julirevolution an die Macht gekommenen
(bzw. werden noch immer nur bedingt) der Kunst zu- König Louis-Philippe I. diskreditierten.
geordnet, wie z. B. die Karikatur und der Comic. In Die erste Zeichnung zeigt den Kopf des Königs,
diesem Kontext galten ebenso Ausformungen des der sich aus einem weißen Hemdkragen erhebt. Die
Grotesken durch ihre übersteigerte und daher oftmals Perücke verlängert das Haupt nach oben, die Ge-
als unangenehm empfundene Darstellungsweise eher sichtszüge sind von schmalen Augen, einer spitzen
als niedere Kunstformen. So schreibt der Kunsthis- Nase und Furchen geprägt. Es ist ein naturalistisches
toriker G. Langemeyer: Bild des Königs, wie es das normale Volk vor Augen
hatte. In einer zweiten Darstellung werden die ohne-
»Karikatur ist in gewissem Sinne angewandte Kunst, hin schon fülligen Wangen und das Kinn des Pro-
steht im Widerspruch zur ›Autonomie des Kunst- tagonisten in die Breite gezogen. Das dritte Porträt
werks‹, steht im Gegensatz zur seit dem 18. Jahrhun- setzt diesen zeichnerischen Prozess fort. Die Falten
dert oft erhobenen Forderung an die Kunst, ›funktions- und Furchen des Gesichtes gegenüber der ersten
frei‹ zu sein. Aber nicht der Kunstcharakter der Karika- Zeichnung sind stark geglättet. Unweigerlich lässt die
tur, sondern die These von der Autonomie des Kunst- Kopfform Assoziationen zur Frucht der Birne erken-
werks ist in Frage zu stellen. […] Jahrzehntelang hat nen. Auf dem letzten Motiv schließlich ist die Ober-
beispielsweise die Kritik versucht, den Künstler Dau- fläche fast vollkommen geglättet, der Hemdkragen
mier gegen den Karikaturisten Daumier auszuspielen, und die Perücke sind in Blattwerk und Stiel umge-
doch liegt in beiden Tätigkeiten ein nur scheinbarer wandelt. Augen-, Nase- und Mundpartien sind auf
Gegensatz. Auch eine locker in wenigen Strichen ge- wenige Linien stark reduziert, der Herrscher ist nun
setzte Karikatur erfordert ein hohes zeichnerisches unverkennbar zu Fallobst geworden. Philipon ver-
Können, das auf dem gleichen Ausbildungsweg ge- suchte bei seiner Verhandlung dem Gericht zu bewei-
wonnen wird wie die Fähigkeit zur Gestaltung großfor- sen, dass der Vorwurf, er hätte den König durch ein in
matiger Historienbilder.« (Langemeyer 1984, 10) La Caricarture veröffentlichtes Zerrbild entwürdi-
310 III Mediale Formen des Komischen

des Alltags. Bekannt sind seine zu Beginn der 1830er


Jahre entstandenen Porträtbüsten von Parlaments-
abgeordneten. Die Unebenheit der Oberflächen ver-
leiht den Protagonisten grimassenhafte Züge, auch
hier werden markante anatomische Merkmale über-
steigert wiedergegeben, um gewisse charakterliche Ei-
genschaften darzustellen. So wurde J.-M. Fruchard als
»personifizierter Widerwillen« (Hofmann 1956, 37)
bezeichnet. »Die berühmten Köpfe nach den Abge-
ordneten [...] beweisen, daß die Karikatur auch als
Porträtbüste zu existieren vermag, sie zeigen, daß es
einen Ausweg aus der realistischen Gesichtschronik
gibt: den Ausweg in die phantastische Übersteigerung
aller Züge« (ebd.). W. Hofmanns Anmerkung könnte
man noch in der Hinsicht erweitern, dass anhand der
Büsten, deren eigenwilligen skulpturalen Umsetzung,
der Karikatur eine künstlerischen Qualität beigemes-
sen, und sie durchaus als Genres der Kunst anerkannt
werden muss.
Mit W. Hogarth gewann die Karikatur im 18. Jh. in
England an Bedeutung, obwohl er ironischerweise da-
rauf bestand, dass er Charaktere zeichne und keine
Karikaturen. Die Karikatur stellte für ihn eine dilet-
tantische Ausdrucksform dar. Seine eigenen Werke
Abb. 27.7 Charles Philipon: Die Birnenskizzen. Beilage in der bezeichnete er als »komische Geschichten«. Den Un-
Zeitschrift La Caricature, Nr. 65, 26. Januar 1832 terschied versuchte er im Blatt 3 Characters – 4 Carica-
turas (1743) zu verdeutlichen, das immer wieder als
gend im öffentlichen Ansehen herabgestuft und da- Kommentar zu bestimmten Passagen seiner Schrift
mit beleidigt, gegen das Prinzip der Pressefreiheit The Analysis of Beauty (1753) gedeutet worden ist (vgl.
verstoßen würde. Seiner Argumentation zufolge Bindman 1997, 80 ff.). Im unteren Bereich sind die
könnte eine karikierte Person nur durch Ähnlichkei- drei linken Köpfe im Profil den Teppichkartons Raf-
ten mit dem lebenden Vorbild wiedererkannt werden. faels entnommen, die vier Köpfe rechts ähneln der
Die vierte Zeichnung mit dem unweigerlich als Birne Porträtkarikatur von P. L. Ghezzi. Im oberen Teil der
zu erkennenden Motiv sei der dritten ähnlich, diese Radierung sind 101 eigene Profilköpfe von Hogarth
wiederum der zweiten, und jene der ersten. Nach Phi- parallel gesetzt, die vermuten lassen, dass er grund-
lipon müsste in einer konsequenten Schlussfolgerung sätzliche Aussagen über die Vielzahl verschiedener
in jeder Birne eine Entwürdigung des Königs gesehen mimischer Reaktionen unterschiedlicher Individuen
werden. Trotz verlorenem Prozess und einer Ver- treffen wollte. Diese Art von Karikatur als wissen-
urteilung zu einer Strafzahlung von sechstausend schaftliche Abhandlung oder als gesellschaftskritische
Francs hatte er mit seinen Zeichnungen großen Er- Analyse bestehender Verhältnisse widersprach der in
folg bei der Bevölkerung, die ihren Monarchen fortan jener Zeit oftmals vorgebrachten Kritik gegenüber der
als ›Birne‹ verhöhnte. Karikatur als bloßes Instrument des Spaßes ohne tie-
Bereits mit dreizehn Jahren lernte H. Daumier, der feren Inhalt.
später für Philipon als Zeichner arbeiten sollte, als Ein Nachfolger von Hogarth, J. Gillray, veröffent-
Laufbursche eines Gerichtsdieners die Kehrseite der lichte seine politischen Karikaturen, u. a. die Doublû-
Pariser Gesellschaft kennen. Seit dieser Zeit ent- res of Characters; – or – striking Resemblances in Phi-
wickelte sich der Drang hinter die Fassade einer ver- siognomy (1798) in der Wochenzeitschrift The New
meintlich heilen Welt zu schauen. Dabei reichte später Anti-Jacobin Review and Magazine. Bereits in jener
sein künstlerischer Ansatz und damit das Spektrum Zeit war die Porträtkarikatur aus den Gazetten in Lon-
seiner Intention vom scharfen politischen Angriff bis don nicht mehr wegzudenken. Gillray schritt mit
zur entlarvenden Darstellung der Lächerlichkeiten seinem Kollegen Th. Rowlandson den Weg weiter,
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 311

tionen von Karikatur wurde im Umfeld des italie-


nischen Bildhauers und Architekten G. L. Bernini
formuliert:

»Die Karikatur war ein besonderes Werk seines Geistes.


In ihr unternahm er es, Bildnisse zum Scherz zu defor-
mieren, jedoch nur in jenen Teilen, wo die Natur selbst
auf irgendeine Weise gefehlt hatte; und ohne seinem
Vorbild die Ähnlichkeit zu nehmen, gab er es auf dem
Papier sehr ähnlich und seinem innersten Wesen ent-
sprechend wieder, obwohl man sah, dass er einen Teil
bemerkenswert verändert und übertrieben hatte.«
(Białostocki 1981, 9)

Diese knapp über einhundertfünfzig Jahre vor Phili-


pon verfasste Definition von Karikatur verdeutlicht
den Wandel, den sie im Laufe des 19. Jh.s vollzogen
hat. Während Bernini in einer Art spielerischen Um-
gangs zur allgemeinen Erheiterung Porträts defor-
Abb. 27.8 William Hogarth: 3 Characters – 4 Caricaturas mierte, der v. a. auch die karikierten Protagonisten
1743, 23 x 20,6 cm, Niedersächsische Staats- und Univer- amüsierte, galt die Karikatur bei Philipon als ernsthaft
sitätsbibliothek, Göttingen
vollzogene Auseinandersetzung mit kritisch zu be-
trachtenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Betonte
den G. G. Byron, Hogarth, G. Townshend und G. M. Bernini physiognomische Besonderheiten als Komik,
Woodward in Anlehnung an italienische Vorbilder, steigerte sein französischer Nachfahre durch eine
wie z. B. P. L. Ghezzi, und an das niederländische zeichnerische Übersteigerung individueller Merkma-
Spottbild des 16. Jh.s geebnet hatten. In Doublûres of le ein abnormes Erscheinungsbild, um Kritik an ei-
Characters beschreibt Gillray mit einem bewussten nem Verhalten zu üben. Gemein ist beiden, dass sie
Seitenhieb auf J. Chr. Lavaters Ausführungen in des- ihre Vorbilder verzerrten und damit das Wesen der
sen Physiognomischen Fragmenten (1775–1778) sie- Karikatur wiedergaben. Philipon war ein Protagonist
ben prominente Mitglieder der damaligen englischen des Widerstands gegenüber der Verherrlichung einer
Oppositionspartei. Lavater hatte die platonische These vorgegaukelten heilen Welt. Als Vorläufer dieser
vertreten, dass es eine Beziehung zwischen mora- Haltung könnte P. L. Ghezzis auf acht Bände ange-
lischer Schwäche und Hässlichkeit sowie Tugendhaf- legtes Werk Il Mondo Nuovo (1708–1744) betrachtet
tigkeit und Schönheit gäbe. Gillray führte dessen Aus- werden, als Pendant der im Jahr 1844 erschienene,
führungen ad absurdum. Der englische Staatsmann sämtliche gesellschaftliche Geschehnisse karikieren-
C. J. Fox, dessen Konterfei 1788 ohne Entdeckungen de Bilderroman Un autre monde des Zeitgenossen
von Bedenklichem von Lavater analysiert worden war, J. J. Grandvilles. Auch diese beiden schienen zu ver-
wurde in Doublûres of Characters mit sechs anderen suchen, etwas Wahrhaftiges im falsch Dargestellten zu
Mitgliedern der oppositionellen Whig-Partei einer finden. Dabei gingen einige Arbeiten von Grandville
fundamentalen Kritik an der Physiognomie aus- über die zeitkritische Satire hinaus und entfalteten ei-
gesetzt, um sie als Pseudowissenschaft zu entlarven. nen geradezu halluzinatorisch-komischen Charakter,
Dabei waren die Stigmata der einzelnen Oppositions- der im Bereich der Phantastik seinen Ursprung hat.
politiker allgemein bekannt, die Gillray nun neben ei- »Bedeutsam aber ist Grandville durch die närrische
nem Porträt des öffentlichen Erscheinungsbildes der Seite seines Talents«, bemerkte Ch. Baudelaire: »Hart-
jeweiligen Personen mit einem das Laster darstellen- näckig wie er war, hat er, ehe er starb, seinen Willen
den Bildnisses kombinierte, so dass individuelle darauf gerichtet, die Bilderflucht seiner Träume und
Schwächen wie Habgier, Alkohol- und Spielsucht pa- Schreckgesichte festzuhalten, mit der Genauigkeit ei-
rallel in Erscheinung traten. nes Stenographen, der den Wortlaut einer Rede auf-
Doch wie hatte sich die Karikatur im 18. und zeichnet« (Baudelaire 1977, 323). In der Lithographie
19. Jh. verändert? Eine der ersten bekannten Defini- Der Garten der Tiere aus Scènes de la vie privée et publi-
312 III Mediale Formen des Komischen

que des animaux (1842) zeigt Grandville offenbar ein »Wollte zum Kopf eines Menschen ein Maler den Hals
mikroskopisches Drama, das die biomorphen Kreatu- eines Pferdes fügen und Gliedmaßen, von überallher
ren O. Redons vorwegnahm. zusammen gelesen mit buntem Gefieder bekleiden, so
Die Karikatur resultiert aus einer sicheren Beherr- dass als Fisch von hässlicher Schwärze endet das oben
schung der Mimesis und ihre Komik liegt nicht zuletzt so reizende Weib: könntet ihr da wohl […] euch das La-
in der Beobachtung der Geschicklichkeit, mit der der chen verbeißen, Freunde?« (Horaz 1984, 5)
Künstler eine Ähnlichkeit der Vorgabe erfasst, um äs-
thetische Konventionen zu durchbrechen. Karikatu- Horaz argumentiert gegen eine übermäßige künstleri-
ren besitzen folglich einen hohen Wiedererkennungs- sche Freiheit, erlaubt dem Dichter eine Verschriftli-
wert. Neben der individuellen künstlerischen Hand- chung des Grotesken, eine bildhafte Übertragung wir-
schrift ist auch die karikierte Person zu erkennen. Aus ke seiner Ansicht nach aber gewollt lächerlich, eine
diesem Grund schloss bis zum 18. Jh. eine enger ge- unkontrollierte Spielerei ohne einen größeren überge-
fasste Definition von Karikatur z. B. die fratzenhaften, ordneten Sinn. Aus diesem Grund versuchte Horaz
karikaturähnlichen Steinfiguren an den Fassaden go- die künstlerische Freiheit einzuschränken. Die Gro-
tischer Kathedralen nicht in dieses Genre mit ein. Die- teske, die derartige, von ihm artikulierte Mischwesen
se skulpturalen Zerrbilder waren der Deutung nach zu fantasiere, bezeichnete er als »Träume eines Kranken«
allgemein gehalten, sowohl in der Art ihrer Darstel- (ebd.) und verstand sie daher als eine untergeordnete
lung als auch im Kontext ihrer Herstellung. Sie wur- Variante des Ornaments (vgl. ebd.). Eine ähnlich ab-
den eher in den Bereich des Grotesken verortet. In sei- lehnende Haltung nahm Hegel in seinen Vorlesungen
ner Schrift Geschichte der grotesken Satire (1894) un- über die Ästhetik (1835–1838) ein. Er bezeichnete das
tersuchte der Romanist H. Schneegans das Verhältnis Groteske als »phantastische Symbolik«, und damit als
des Grotesken zur Karikatur und Satire, mit dem untergeordnete Symbolsprache. Mit Verweis auf die
Ergebnis der Unterscheidung in vier unterschiedli- Mischwesen des hinduistischen Pantheons glaubte er,
che Bereiche: einfache Karikatur, groteske Karika- das Groteske vermenge Geist und Materie mit der
tur, symbolische Satire und Grotesksatire. Er ver- Konsequenz, dass sich beide wechselseitig entstellten
stand das Groteske als Extremform der Karikatur und (vgl. Hegel 1986, 434–446). Dieser Ansicht entgegen-
Satire, eine Einschätzung, die eine begriffliche Ein- gesetzt verteidigte J. Möser in seiner Schrift Harlekin
schränkung des Grotesken hinsichtlich seiner Entste- (1761) das Grotesk-Komische, v. a. in Bezug auf das
hungsgeschichte und historischen Bedeutung nach Theater, das er von den fantasievollen Masken der
sich zieht (vgl. allgemein Schneegans 1894). Commedia dell’Arte herleitete. Als Bewunderer von J.
Im 16. Jh. war das Groteske eng mit der Idee des Or- Callot und W. Hogarth betrachtete er das Grotesk-Ko-
naments verknüpft. In dieser Zeit wurde das v. a. durch mische als legitime Möglichkeit der Unterhaltung, die
Horaz und Vitruv geprägte klassische Verständnis des im Unterschied zur trivialen Burleske das Publikum
Ornaments auf antike Wandmalereien bezogen, die mit moralischen Bildern unterhalten könne.
man in der damaligen Zeit in Rom bei Ausgrabungen Im 17. und 18. Jh. vollzog sich eine definitorische
entdeckt hatte. Für die ornamentalen Wanddekoratio- Verschiebung des Grotesken. Einer der Hauptpro-
nen der vorgefundenen unterirdischen Räume, von tagonisten des begrifflichen Wandels war Callot mit
denen man annahm, es handele sich um Grotten, wur- seinem umfangreichen Œuvre an Radierungen, zu
de der Begriff grotteschi, Grotesken geprägt (vgl. Oes- dessen Sujets u. a. »Diablerien«, Darstellungen von
terle 1976, 696–701; Hansen 2000, 250–263). Die Re- Bettlern, volkstümliche Gestalten und Maskentänzer
zeption dieser grotteschi stand im Zusammenhang mit der Commedia dell’Arte gehörten. Das Verständnis
den von Horaz formulierten ästhetischen Theorien. In des Grotesken wurde nun im Kontext einer volks-
seiner Schrift Ars Poetica (ca. 10–19 v. Chr.) ist ein nahen Kultur und der Commedia verstanden. Durch
grundsätzliches Verständnis des Grotesken nieder- die Art der stilistischen Verknüpfung von Volkstümli-
geschrieben. Hier stellt Horaz einen Zusammenhang chem mit trivialen Elementen der Commedia wie in
zwischen Text und Bild her, der Dichtung und Malerei seinem Blatt Balli di Sfessania (1622) leistete Callot in
in enger Anbindung zueinander verstand: »ut pictura zahlreichen Papierarbeiten seinen Beitrag zum Be-
poesis« – wie die Malerei, so die Dichtkunst. Er de- deutungswandel des Grotesken von einem ornamen-
finierte Malerei im Sinne der Dichtkunst, schloss je- talen zu einem komischen und karikaturhaften Ver-
doch die Bildgattung der Groteske hinsichtlich dieser ständnis. Die Blattfolgen Gobbi (ca. 1616–1622) und
Parallelität zur Sprache aus: der Capricci (1616) sind weitere Belege für diese Ent-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 313

wicklung. J. Callots Bildthemen sind exemplarische viduellen Reaktionen, von Gelächter bis Angewidert-
Beispiele für eine sich im 17. Jh. entwickelnde Vorlie- sein, hervorzurufen. Die oben erwähnten Arbeiten
be für das Burleske in der bildenden Kunst, der Dich- Grandvilles sind hierfür eindeutiger Beleg.
tung und im Theater. Galt das Burleske vor dieser Zeit Im Zeitalter der Aufklärung verloren die Ausprä-
v. a. als eine Form der Belustigung ungebildeter breiter gungen der volkstümlichen Kultur als entscheidender
Massen, wurde es nun zu einer, durch eine einfache Impulsgeber des Grotesken an Bedeutung, auch wenn
Komik geprägten Variante der Komödie für ein gebil- der Karneval bis in die Gegenwart hinein als volks-
detes Publikum, die berühmte Persönlichkeiten aus tümliche Belustigung fortbesteht. Durch das Aufkom-
verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen oder be- men der Massenmedien und die sich daraus ergeben-
stimmte Begebenheiten aus dem alltäglichen Leben den Möglichkeiten der Verbreitung entwickelte sich
zum Ausgangspunkt eines satirischen Umgangs nah- die Karikatur zu einer maßgeblichen Ausdrucksform
men. In Frankreich wurden die Begriffe »Burleske«, des Protests. Die sich daraus ergebende Variante des
»Groteske« und »Farce« zunehmend parallel betrach- Grotesken unterlag von nun an einer strengen Zensur.
tet und in C.-P. Richelets Dictionnaire françois von Die Commedia dell’Arte galt als überholte Unterhal-
1680 steht das Groteske als »etwas unterhaltsam Lä- tungsform, deren Abgesang man noch in der Punchi-
cherliches« (Kayser 1957, 28) beschrieben. nello-Folge (um 1800) von G. D. Tiepolo vernehmen
Chr. M. Wieland beschäftigte sich in seinen Unter- kann, auf dessen Titelblatt Punchinello gedankenver-
redungen zwischen W** und dem Pfarrer zu *** (1775) sunken einen Kenotaph mit dem Titel des Zyklus’ als
mit Fragen zur Groteske und zur Karikatur. Zur Klä- Inschrift betrachtet. Das Verschwinden der Comme-
rung des Verhältnisses beschrieb er drei Varianten der dia dell’Arte und des Ornaments im Kontext der Gro-
Karikatur: »wahre Karikatur«, bei der der Künstler in teske spiegelte eine Bewusstseinsänderung wider, die
der Wirklichkeit beobachtete Sonderbarkeiten realis- mit gravierenden, sich im Zuge der Industrialisierung
tisch wiedergibt (z. B. bei Callots Capriccios und Ho- ergebenden gesellschaftlichen Umwälzungen einher-
garth), »übertriebene Karikatur«, die Besonderheiten gingen. Volkstümliche Rituale wurden als rückständig
hervorhebt und betont (u. a. bei Callots Balli di Sfessa- betrachtet. Diese gewandelte Einstellung zeigt sich
nia und zahlreichen Werken von Daumier), sowie die in der schonungslosen Offenlegung gesellschaftlicher
»bloß phantastische Karikatur«, der eigentlich so ge- Missstände, wie in dem Radierzyklus der »Caprichos«
nannte[n] Grotesken, wo der Maler, unbekümmert von F. J. Goya y Lucientes, dessen Blätter man durch-
um Wahrheit und aus auch als Spottbilder bezeichnen könnte. Während
Callots gleich betitelte Serie spielerische und dadurch
»Ähnlichkeit, sich […] einer wilden Einbildungskraft komisch humorvolle Anklänge aufweist, steht bei Go-
überlässt, und durch das Übernatürliche und Wi- ya der Humor nicht zwangsläufig im Vordergrund, im
dersinnige seiner Hirngeburten bloß Gelächter, Ekel Gegenteil: Eine vermeintliche Komik schlägt durch
und Erstaunen über die Kühnheit seiner ungeheuren die schonungslose Darstellung von Gewalt und Elend
Schöpfungen erwecken will.« (Wieland 1967, 343) in eine gegenteilige Stimmungslage, eine schockieren-
de Nachdenklichkeit um. Das Blatt Porque esconder-
Wielands Unterscheidung versucht sichtbare Phäno- los? (1799) aus der Folge der »Caprichos« stellt eine
mene der Karikatur zu verifizieren. Unabhängig da- Variante alltäglicher menschlicher Boshaftigkeit vor:
von, ob sie nah an einem Wahrheitsgehalt orientiert die niederträchtige Freude an der Angst anderer.
sind oder übertrieben darstellen, haben Karikaturen Vier Männer haben sich hinter einem hockenden
ihren Ursprung in genauen Beobachtungen, die derart Mönch versammelt und verlachen ihn. Die Intensität
am Alltäglichen ausgerichtet sind, dass sie ein jeder und der Ausdruck ihres Spottes unterscheiden sich,
durchführen könnte. Sie sind somit vertraut. Wie- vom Schmunzeln bis zum breiten Grinsen. Die Ge-
lands ersten beiden Definitionen beruhen auf einer stalten amüsieren sich über den verängstigt Jammern-
mimetischen Argumentation. Ihre komische Wir- den, dessen Hände sich an zwei mit Geldstücken ge-
kung resultiert dabei aus der spielerischen Über- füllten Beuteln krampfhaft klammern. »Warum soll
schreitung der Grenze der Nachahmung. Bei der Gro- man sie verstecken?« lautet die Frage, die Goya dem
teske hingegen steht nicht die direkte Beobachtung al- Betrachter stellt, und die eine Kritik an den damaligen
leine im Vordergrund, sondern die Imagination des höheren Ständen vermuten lässt. Es ist offensichtlich,
Künstlers. Nach Wieland vermag die Groteske mehr dass der Mönch, dessen Mimik C. Le Bruns »La Fray-
zu überraschen, und v. a. eine Diskrepanz in den indi- eur« aus Expressions des Passions de L’ Ame (1668–
314 III Mediale Formen des Komischen

Abb. 27.9 Francisco José Goya y Lucientes: Porque esconder-


los?, aus: Los Caprichos. 1799

1671) nachempfunden ist, den Geiz repräsentiert. Das


Schema des linken Spötters auf dem Blatt entspricht
Le Bruns »La Ris«, während der Gesichtsausdruck der
drei anderen abgestufte Varianten dieses Gemüts-
zustandes darstellen (vgl. hierzu ganz allgemein Mon-
tagu 1994). Da keine anatomische Korrektheit wie-
dergegeben ist, erinnern zahlreiche seiner bildneri- Abb. 27.10 Franz Xaver Messerschmidt: Der Gähner.
1770/83
schen Darstellungen an karikaturistische Verfahren.
»Goyas großes Verdienst liegt darin,« schrieb Baude- rakterlichen Eigenheiten, seiner Unangepasstheit und
laire, »daß alle seine Monstrositäten uns wahrschein- wegen seines auf zahlreiche Zeitgenossen befremdlich
lich vorkommen. [...] Niemand hat mehr gewagt als er wirkenden Verhaltens wurde er bereits zu Lebzeiten
in Richtung auf das mögliche Absurde« (Baudelaire des Wahnsinns verdächtigt. Auch die Forschung zu
1977, 335). F. J. Goya verknüpfte das klassische Prinzip Beginn des 20. Jh.s schloss sich mehrheitlich diesem
des Capriccios als lustvollen Regelverstoß mit diaboli- Eindruck an – man charakterisierte F. X. Messer-
schen Aspekten, wodurch die durchaus vorhandene schmidt als schizophren und paranoid. Prominentes
Komik in eine erschreckende Bitterkeit überleitet, die Beispiel dafür war der Kunsthistoriker E. Kris, der auf
jegliche Heiterkeit ausblendet. Ein weiterer Künstler dem Gebiet der Psychoanalyse profunde Kenntnisse
jener Zeit, der einen Blick hinter die Konventionen besaß (vgl. Kris 1932, 169–228). In seiner Abhandlung
und Normen wagte, war F. X. Messerschmidt, der zu Die Charakterköpfe des Franz Xaver Messerschmidt
Beginn der 1770er Jahre begann, an seinen sog. ›Aus- (1932) stellte er das künstlerische Werk des österrei-
drucksköpfen‹ bzw. ›Charakterköpfen‹ zu arbeiten. chischen Bildhauers Verhaltensstrukturen seiner an-
Diese Skulpturen zeigen auf sehr eigenwillige Art und geblichen Geisteskrankheit gegenüber.
Weise Aspekte des Grotesken. Aufgrund seiner cha- Dass es sich bei den grotesken Verzerrungen auch
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 315

um eine Widersetzung gegen akademische Normvor- im Menschen gelten läßt« (Solger 1829, 125). Die
stellungen handeln könnte, wurde hingegen kaum be- »Scheinironie« bestand für ihn darin,
rücksichtigt. Messerschmidts ›Charakterköpfe‹ stellen
keine Ausdrucksstudien dar, sondern eindeutig Gri- »daß man dem Nichtigen ein scheinbares Dasein leiht,
massen, die der Künstler am Selbstporträt gestaltet um es desto leichter wieder zu vernichten, entweder
hat. Physiognomische Eigenschaften werden über- wissentlich, und dann ist es ein gewöhnlicher Scherz,
zogen wiedergegeben, den klassizistischen Idealen oder unbewußt, indem man das Wahre anzugreifen
seiner Zeit widersprechend. In den Köpfen wird die glaubt, und dann kann sie allerdings zum Ruchlosen
Physiognomie mit den Mitteln der Groteske gegen führen […].« (Solger 1815, 278)
Rationalität gerichtet.
Im 19. Jh. ist die Romantik eine der Bewegungen, Nichtsdestotrotz sei die Ironie Mittelpunkt der Kunst:
die die Möglichkeiten des Grotesken, unter Einbezie-
hung der Ironie auf verschiedene Art und Weise er- »Diesen Mittelpunkt der Kunst nun, in welchem die
kundet hat. Auch wenn sich in der Kunst kein roman- vollkommene Einheit der Betrachtung und des Witzes
tischer Stil etabliert hat, so gibt es doch zahlreiche zu Stande kommt, nennen wir, in sofern er in der Auf-
Künstler, die im Sinne der Geisteshaltung der Roman- hebung der Idee durch sich selbst besteht, die künst-
tik dort verortet werden können. Sie schöpften u. a. in- lerische Ironie. Sie macht das Wesen der Kunst, die in-
tensiv aus dem traditionellen Fundus der Diablerie, nere Bedeutung derselben aus.« (Solger 1829, 241)
insgesamt aus dem Bereich des Irrationalen. So schei-
nen die Figuren von J. H. Füssli das Dämonische ver- Das, was Solger über die Ironie als den »über allem
innerlicht zu haben und verleihen diesem eine tiefen- schwebenden, alles vernichtenden Blick« äußert, liegt
psychologische Dimension. Das Böse lauert nicht in in dem dialektischen Gedanken begründet, dass »im
der Außenwelt, sondern im Inneren der Figur selbst. Kunstwerk die Gegenwart der Idee zugleich als ein
Dämonen zeigen sich meist in Halluzinationen und Nichtiges« (ebd., 243) wahrgenommen wird. Eine
Albträumen. So äußerte C. Meryon hinsichtlich des Funktion der Ironie stellt folglich die Vernichtung des
wasserspeienden Wesens in seiner Radierung Le stry- Realen dar, die in die Idee zurückführe (vgl. Solger
ge (1853): »Das Ungeheuer ist mein eigenes [...]. Es 1815, 177). Derartige ironische Brechungen lassen sich
steht für Dummheit, Grausamkeit, Gier, Heuchelei – in der bildenden Kunst an zahlreichen Beispielen bele-
all dies hat sich in diesem einen Scheusal vereint« gen, u. a. in Gemälden von C. Spitzweg. Der Kunsthis-
(Wedmore 1879, 44 ff.). V. Hugo formulierte dem- toriker J. C. Jensen stellte anhand eines Werkes die Iro-
zufolge das romantische Verständnis des Grotesken nisierung von tradierten Idyllevorstellungen fest:
als eine Kombination des Komischen mit dem Schau-
erlichen: »Das Groteske ist überall. Auf der einen Seite »Die ›Badenden Nymphen‹ [um 1873] scheinen alle In-
produziert es das Missgestaltete und Grauenvolle, auf dizien einer reinen Idylle zu bestätigen: den von Bäu-
der anderen das Komische und Absurde« (Hugo 1949, men umstellten, abgeschlossenen locus amoenus, das
27). Die Romane Hugos werden stets durch ein dia- plätschernde Gewässer, die Badenden, die sich im Ge-
bolisches Gelächter begleitet, seine grotesken Visio- fühl ihrer Naturnähe ungezwungen geben. Abgeschie-
nen äußerte er aber auch in zahlreichen Zeichnungen, denheit und Zeitstillstand, die Harmonie von mensch-
überwiegend Karikaturen und Architekturansichten: licher Subjektivität und natürlicher Umwelt, die ein-
düstere, furchteinflößende Schauplätze, seltsame We- fache Handlung des Badens. Aber […] diese Idylle wird
sen und beängstigende Architekturen. Nimmt man gestört: Links auf dem Scheitel des Abhangs, der zum
die Aussagen des Philologen und Philosophen K. W. F. aufgestauchten Bach herabfällt, beobachten zwei
Solger zur Grundlage, weisen Füsslis, Meryons und Zwerge die nackten Frauen. Der Betrachter lächelt
Hugos Werke Merkmale der »wahren Ironie« auf, die zwar, doch kaum befreiend. Als [A]ußenstehender […]
in einem Kunstwerk die »Hülle eines inneren Ge- findet er sich durch Spitzweg als Voyeur abgewertet
heimnisses«, die »Erscheinung eines Wesens« wieder- […].« (Jensen 1986, 145 f.)
gibt. »Sobald wir hingegen merken, daß es dem Künst-
ler nur um das Werk selbst zu tun war, befinden wir Die Zwerge stören den idyllischen Moment. Der ver-
uns in der Sphäre des Interessanten«. Der »wahren meintlich unberührte Ort in der Natur wird zu einem
Ironie« stellte Solger die »Scheinironie« gegenüber. Er der verstörenden Beobachtung mit erotischer An-
kritisierte diese Art der Ironie scharf, »die nichts Edles spannung.
316 III Mediale Formen des Komischen

Ebenso als ironische Brechungen könnte man die Gegen Mitte des 19. Jh.s nahm das Groteske auch
Maskenspiele von J. Ensor bezeichnen, die verschiede- bei zahlreichen europäischen Denkern einen immer
ne Elemente des Grotesken vereinen. Vielleicht ent- größeren Raum in ihren theoretischen Auseinander-
sprechen einige Varianten des Grotesken Solgers Idee setzungen ein. In dem Aufsatz De l’essence du rire et
von der Ironie als Vernichtung des Realen, die in die généralement du comique dans les art plastiques (1855)
Idee zurückführt am ehesten. J. Ensors Werke markie- beschäftigte sich Baudelaire in diesem Zusammen-
ren diesbezüglich einen Übergang vom 19. ins 20. Jh. hang mit dem Wesen des Komischen (vgl. Baudelaire
Sein Umgang mit dem Grotesken kombiniert mit iro- 1977, 284–305). Er unterschied zwischen zwei Arten,
nischen Elementen sollte zum Kennzeichen für die dem »signifikant Komischen« und dem »absolut Ko-
Moderne werden. So verbinden sich in der Radierung mischen«. Das »signifikant Komische« sei eine Art Sa-
Le Christ descendant aux enfers (1895) der Einfluss der tire, die sich aus einem Gefühl der Überlegenheit er-
Tradition der Diablerie und ein karikaturistischer Stil, gebe und aus den Begebenheiten des Alltags schöpfe,
die eine eigenwillige Groteske offenbaren. während das »absolut Komische« keine parodistische
Die Maskeradenspiele und ritualisierten Inszenie- Absicht und keine Hang zum Schönen besitze. Baude-
rungen, die Einflüsse der Commedia dell’Arte erah- laire trennte das »absolut Komische« von jener Vari-
nen lassen, geben bei Ensor dem Karnevalesken eine ante der Karikatur, die an die Mimesis und an gesell-
neue ästhetische Dimension. Auch wenn die bizarren schaftliche Konventionen gebunden war. Das »absolut
Masken etwas Unwirkliches vermitteln, offenbaren Komische« sei zwar nicht satirisch, jedoch potenziell
die verzerrten Mimiken der Gestalten eine satirische sehr kreativ. Später unterschied Baudelaire in einer
Bildsprache. Anstatt ihrer ursprünglichen Funktion Weiterführung dieser Gedanken noch zwischen his-
etwas zu verbergen, scheinen aus den Maskeraden un- torischer und künstlerischer Karikatur. Die Satiren in
heimlich anmutende innere Befindlichkeiten hervor- historischen Karikaturen seien »an Ereignissen auf-
zukommen. Über die Synthese klassischer Bildsujets gehängt«. Hinsichtlich der künstlerischen Karikatur
mit in der damaligen Zeit unkonventionellen maleri- als eine Form des Komischen, die sich mit ewigen an-
schen Mitteln, der fahrigen Pinselführung und des statt mit flüchtigen Wahrheiten befasse, verwies er auf
unmodulierten Farbauftrags, entwickelte Ensor eine Goyas Gesamtwerk (vgl. Baudelaire 1977, 333 ff.).
Formensprache des Grotesken, die spätere Generatio- Sehr zeitnah zu Baudelaires Auseinandersetzungen
nen im 20. und 21. Jh. beeinflussen sollte. Sein Werk mit dem Komischen verfasste F. Th. Vischer eine
ist exemplarisches Beispiel, dass als »Bedingung der Theorie des Grotesken, die den Gedanken des Franzo-
Gestaltung die Entstaltung unverzichtbares Element sen sehr nahe kam. Er beschrieb das Groteske gemäß
jeder Kreation [ist]. Sie produziert Unbestimmtheit« Baudelaires »absolut Komischen« als eine eindring-
(Fuß 2001, 220). liche Ausdrucksform, ohne unerbittliche Satire und

Abb. 27.11 James Ensor:


Le Christ descendant aux enfers,
1895
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 317

unmäßiger Frivolität (vgl. Vischer 1967, 204–215). dass oftmals ein gewisser Humor nötig ist, um Ironie
Nach seiner Ansicht hatte das Groteske weniger mit zu verstehen. Kunst, die den Moment des Ironischen
Karikatur oder formaler Fantasie gemein, sondern als Mittel einsetzt, ist dabei nicht unbedingt an eine
verkörperte vielmehr »das Komische in der Form des Moral gebunden. Sie kann sich aber sehr wohl, wie V.
Wunderbaren« und das »mythisch Komische« (Vi- Jankélévitch (vgl. 2012, 32–39) aufzeigt, einer Ironie
scher 1857, 1431 ff.). Sowohl Vischer als auch Baude- bedienen, die auf ethischen Grundlagen basiert, die
laire zeigten sich in diesem Kontext, ähnlich wie ihre also auf Missstände aufmerksam macht, wie z. B. zahl-
romantischen Zeitgenossen, fasziniert vom Dämo- reiche Karikaturen. Des Weiteren kann sie eine Ironie
nischen und Unheimlichen, das an eine gewisse indi- einsetzen, die einer gewissen Logik folgt, die demnach
viduelle Tragik gekoppelt ist. in der Lage ist, Irrtümer aufzuzeigen bzw. normative
Wahrnehmungen zu hinterfragen, wie etwa die Werke
»Darum kann und muß auch das Höchste und Heiligs- von Spitzweg und Ensor. Mit Vortäuschungen, der ur-
te, wie es sich bei den Menschen gestaltet, Gegen- sprünglichen Wortbedeutung von Ironie, spielt das
stand der Komödie sein, und das Komische führt eben Trompe-l’œil, eine illusionistische Kunstform, meist
in der Ironie seinerseits wieder seinen Ernst, ja sein Malerei, die auf einer zweidimensionale Fläche Drei-
Herbes mit sich.« (Solger 1826, 516) dimensionalität vortäuscht.
Eines der markantesten Beispiele ist in diesem
Solger widerspricht A. W. Schlegel, der behauptet: Zusammenhang das Gemälde Flucht vor der Kritik
»Scherz ist dem Ernst entgegengesetzt, der in der (1874) des spanischen Künstler P. Borrell del Caso.
Richtung der Geisteskräfte auf einen Zweck, oder der Die Figur eines Jungen versucht, sich an einem golde-
Beschränkung dieser Thätigkeit dadurch besteht« nen Bilderrahmen festhaltend, aus einem dunklen
(Schlegel 1911, 179). Einige der bisher aufgeführten Bildraum zu gelangen. Die Proportionen verdeutli-
künstlerischen Beispiele von Hogarth und Gillray chen, dass er in dem nicht genau definierbaren Be-
über Daumier und Grandville bis zu Spitzweg und reich hinter der Leiste lediglich eingeschränkte Bewe-
Ensor belegen das Gegenteil. Kierkegaard steht in die- gungsmöglichkeiten besaß. Mit großen Augen, neu-
sem Zusammenhang der Ironie skeptisch gegenüber, gierig-überrascht, bewegt er sich scheinbar dem Be-
da er durch sie das Ziel verfehlt sieht: »Die Ironie ist trachter entgegen. Der heute verwendete Titel Flucht
als das Negative der Weg, – nicht die Wahrheit son- vor der Kritik ist verwirrend, da er nicht direkt zum
dern der Weg« (Kierkegaard 1976, 321). Kierkegaard Bild zugeordnet werden kann, die alte Bezeichnung
kritisiert die fehlende Orientierung an einer Schluss- Ein Ding der Unmöglichkeit trifft die Betrachtung eher.
folgerung bei der Ironie, dass sie mit den Mitteln der Die malerisch vermittelte Plastizität bewirkt eine Au-
Verstellung und somit dem Unverständlichen argu- gentäuschung, eine ironische Inszenierung. Jankélé-
mentiere. vitch folgend wird hier eine logische Ironie vermittelt,
Aber auch die Ironie bedarf eines gewissen Ver- die einen ästhetischen Irrtum aufzeigt, dem der Be-
ständnisses als Resümee, damit sie ihren Sinn und trachter zunächst unterliegt, den er aber aufgrund
Zweck erfüllt. Dem Erziehungswissenschaftler A. Aß- des Wissens der Unmöglichkeit der gezeigten Illusion
mann zufolge muss der Adressat der Ironie »zweierlei selbst aufdecken kann. Der von Borrell del Caso insze-
verstehen: dass etwas anderes gemeint war, als gesagt nierte groteske »Ausstieg aus dem Bild« hat zahlreiche
wurde, und dass er erst herausfinden soll, was eigent- historische Vorläufer, u. a. einen Holzstich aus Grand-
lich gemeint war« (Aßmann 2008, 25). An dieser Stel- villes bereits erwähntem satirischem, und im Bereich
le erkennt er auch den Unterschied zum reinen Witz, der Phantastik angesiedeltem Werk Un autre monde.
»der allgemein inkongruent, d. h. nicht logisch ver- Das Blatt zeigt den Gang einer Gemäldegalerie mit
ständlich sein darf, aber im Besonderen gerade da- skurril anmutenden Figuren, in dem einzelne Werke
durch seinen Sinn gewinnt« (ebd., 26). Ironie als regelrecht lebendig erscheinen: Aus einem Gemälde
Kommunikationsmodus muss von Humor unter- ragen Pferdehufen und Hände sowie Dolche und
schieden werden, der als Grundeinstellung »im Be- Schwerter, ein Stillleben wölbt sich mit Früchten so-
wusstsein der Bedingtheit alles Endlichen und wie Blatt- und Astwerk dem Betrachter entgegen. Die
der Stellung des Menschen im Weltzusammenhang Objekte entfalten sich aus der zweidimensionalen Flä-
[gründet]«, und »der Komik als Ausdrucksmittel be- che in den dreidimensionalen Raum. Die Bildunter-
darf« (Preisendanz 1974, 1233). Dies ist bei der Ironie schrift warnt: »Die Aufseher werden gut daran tun zu
nicht zwangsläufig der Fall, was aber nicht ausschließt, verhindern, dass die Besucher diesen Bildern zu nahe
318 III Mediale Formen des Komischen

kommen, denn es könnte ein Unfall geschehen« Białostocki, Jan: Giovanni Lorenzo Bernini. Berlin 1981.
(Grandville 1844, 127). Bindman, David: Hogarth and his Times: Serious Comedy.
Ironische Mittel, ob in der Karikatur oder im Gro- Berkeley 1997.
Frahm, Ole: »Weird Signs. Zur parodistischen Ästhetik der
tesken, werden eingesetzt, um auf gewisse Begeben- Comics«. In: Ästhetik des Comic. Hg. von Michael Hein/
heiten aufmerksam zu machen, Dinge zu benennen, Michael Hüners/Torsten Michaelsen. Berlin 2002, 201–216.
und nicht zwangsläufig Lösungen zu bieten. So be- Fuß, Peter: Das Groteske. Ein Medium des kulturellen Wan-
zeichnete R. Töpffer die Karikatur als »ein Zeichen der dels. Hg. von Günter Blamberger u. a. Köln/Weimar 2001.
elementaren Schönheit, ungeschliffen, grob, gleich- Grandville: Un autre monde. Paris 1844.
Hansen, Maria Fabricius: »Maniera and the Grotesque«. In:
wohl aber ganz und gar [...] aus dem Gedanken gebo-
Manier und Manierismus. Hg. von Wolfgang Braungart.
ren« (Töpffer 1865, 260 f.), wie dies etwa in der Kunst Tübingen 2000, 250–263.
der »Wilden« und den Graffiti von Straßenkindern Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: »Vorlesungen über die Äs-
zum Ausdruck komme. J. Champfleury, Autor einer thetik I« [1835–1838]. In: ders.: Werke. Bd. 13. Frankfurt
fünfbändigen Histoire de la caricature, beeindruckte in a. M. 1986, 434–446.
diesem Zusammenhang die Naivität bestimmter Blät- Hofmann, Werner: Die Karikatur von Leonardo bis Picasso.
Hamburg 1956.
ter. 1865 verfasste T. Wright eine der ersten umfang- Horaz: Ars Poetica Die Dichtkunst. Übers. von Eckart Schä-
reichen Geschichten des Grotesken: fer. Stuttgart 1984.
Hugo, Victor: Préface à Cromwell [1827]. Hg. von Pierre
»Ein Hang zum Burlesken und zur Karikatur scheint […] Grosclaude. Paris 1949.
der menschlichen Natur zutiefst eingepflanzt zu sein; Jankélévitch, Vladimir: Die Ironie [1964]. Berlin 2012.
Jensen, Jens Christian: »Wandlungen der Idylle im 19. Jahr-
er ist eine der ersten Begabungen, die Menschen in ei-
hundert am Beispiel des Werkes von Carl Spitzweg«. In:
nem frühen gesellschaftlichen Entwicklungsstand an Die Idylle. Eine Bildform im Wandel – 1750–1930. Hg. von
den Tag legen […]. Ja die Kunst als solche ist in ihren frü- Rolf Wedewer/Jens Christian Jensen. Köln 1986, 142–152.
hesten Formen Karikatur […].« (Wright 1865, 2) Kayser, Wolfgang: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei
und Dichtung, Oldenburg/Hamburg 1957.
Analogien zu Solgers Behauptung, Ironie sei Mittel- Kierkegaard, Sören: Über den Begriff der Ironie. Mit ständiger
Rücksicht auf Sokrates [1841]. Frankfurt a. M. 1976.
punkt der Kunst, sind unverkennbar. Und so verband Kris, Ernst: »Die Charakterköpfe des Franz Xaver Messer-
um die Mitte des 19. Jh.s verschiedene Denker und schmidt«. In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen
Theoretiker Versuche, das Groteske als eine eigenstän- in Wien 6. Jg. (1932), 169–228.
dige und relevante Stilart, unabhängig von den Zwän- Langemeyer, Gerhard: »Einleitung«. In: Bild als Waffe. Mittel
gen des Ornaments oder der Karikatur zu verstehen, und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten. Hg. von
Gerhard Langemeyer u. a. München 1984, 7–12.
und umgekehrt die Karikatur nicht als Bestandteil des
Montagu, Jennifer: The Expression of the Passion. The Origin
Grotesken zu manifestieren, was aber nicht bedeutet, and Influence of Charles Le Brun’s ›Conférence sur l’expres-
dass sie sich wechselseitig nicht auch beeinflussen sion générale et partticulière‹, New Haven/London 1994.
können. Die Ironie scheint hier ein Bindeglied zu sein. Oesterle, Günter/Oesterle, Inge: »Karikatur«. In: Historisches
In ihrer postulierten Unabhängigkeit sollten die Kari- Wörterbuch der Philosophie. Bd. 4. Hg. von Karlfried
katur und das Groteske zu Beginn des 20. Jh.s ver- Gründer. Basel 1976, Sp. 696–701.
Preisendanz, Wolfgang: »Humor«. In: Joachim Ritter: His-
mehrt in Erscheinung treten.
torisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 3. Basel/Stuttgart
1974, Sp. 1232–1234.
Literatur Schlegel, August Wilhelm: Vorlesungen über Philosophische
Aßmann, Alex: Pädagogik und Ironie. Wiesbaden 2008. Kunstlehre. Hg. von August Wünsche. Leipzig 1911.
Baudelaire, Charles: »Einige französische Karikaturisten« Schneegans, Heinrich: Geschichte der grotesken Satire. Straß-
[1857]. In: ders.: Sämtliche Werke Briefe, Bd. 1. Hg. von burg 1894.
Friedhelm Kemp/Claude Pichois. München/Wien 1977, Solger, Karl Wilhelm Ferdinand: Vorlesungen über Aesthetik.
306–328. Hg. von Karl Wilhelm Ludwig Heyse. Leipzig 1829.
Baudelaire, Charles: »Einige ausländische Karikaturisten« Solger, Karl Wilhelm Ferdinand: Nachgelassene Schriften
[1855]. In: ders.: Sämtliche Werke Briefe, Bd. 1. Hg. von und Briefwechsel. Hg. von Ludwig Tieck/Friedrich von
Friedhelm Kemp/Claude Pichois. München/Wien 1977, Raumer. Bd. 2. Leipzig 1826.
329–340. Solger, Karl Wilhelm Ferdinand: Erwin, vier Gespräche über
Baudelaire, Charles: »Vom Wesen des Lachens und all- das Schöne und die Kunst. Teil I und II in einem Band. Ber-
gemein von dem Komischen in der Bildenden Kunst« lin 1815.
[1855]. In: ders.: Sämtliche Werke/Briefe. Bd. 1. Hg. von Töpffer, Rodolphe: Réflexions et menus propos d’un peintre
Friedhelm Kemp/Claude Pichois. München/Wien 1977, genevois ou essai sur le beau dans les arts [1848]. Paris
284–305. 1865.
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 319

Vischer, Friedrich Theodor: Ästhetik oder Wissenschaft des Die Wandlung eines humoristischen bzw. iro-
Schönen [1846–1857]. Bd. VII. Stuttgart 1857. nischen Ansatzes lässt sich am folgenden Beispiel fest-
Vischer, Friedrich Theodor: Über das Erhabene und Ko- stellen: Der zwischen 1759 und 1767 erschienene Ro-
mische [1837]. Frankfurt a. M. 1967.
Wedmore, Frederick: Meryon and Meryon’s Paris. London
man The Life and Opinions of Tristram Shandy von L.
1879. Sterne reflektiert sowohl die eigene Wirkung auf den
Wieland, Christoph Martin: »Unterredungen zwischen W** Leser als auch die Situation des Verfassers. In dieser
und dem Pfarrer zu ***« [1755]. In: ders.: Werke. Hg. von Hinsicht ist das Werk als eines der ersten im Bereich
Fritz Martini/Hans Werner Seiffert. Bd. 3. München 1967. der experimentellen Literatur einzuordnen. Der Ro-
Wright, Thomas: A History of Caricature and Grotesque in
man kann als Vorreiter bezeichnet werden, für die von
Literature and Art. London 1865.
Friedrich Schlegel später als ›romantische Ironie‹ be-
Oliver Zybok zeichnete Schreibweise. Ein für die bildende Kunst
nicht unerheblicher bildhafter Beleg für diese Ironie
ist die Setzung eines schwarzen Vierecks nach der Be-
27.1.4 Komik in der Kunst und Karikatur seit
schreibung des Todes des Pfarrer Yorick am Ende des
Beginn des 20. Jahrhunderts
zwölften Kapitels des Ersten Buches als eine Art kon-
Die Einordnungen von künstlerischen Strömungen templativer Einwurf (vgl. Sterne 1991, 39). Auch wenn
gestaltet sich aufgrund der Bewertung verschieden- die vier Seiten des Vierecks nicht gleich lang sind, lässt
artiger Einflüsse seit jeher als problematisch. Gleiches es Analogien zu dem Gemälde Das Schwarze Quadrat
gilt auch für die Bewertung von Kunst. Die in diesem (1914/15) des russischen Konstruktivisten K. Male-
Kontext entstehenden Beurteilungen als komisch bzw. witsch zu. Eine Parallelität, die mit Rückblick auf die
humorvoll lassen sich folglich ebenfalls nicht unbe- Geschichte eine humorvolle Pointe zulässt. Symboli-
dingt eindeutig nachvollziehen, da hierfür zugrunde siert das schwarze Viereck bei Sterne den Tod, steht es
liegende Maßstäbe einem Wandel der Zeit und kul- bei Malewitsch für den Aufbruch aus einengenden
turellen Eigenheiten unterliegen. Die weitreichenden Denkstrukturen in der Kunst.
wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verände- Ein gewisser Humor, auch wenn er rasch in eine
rungen gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jh.s, ernüchternde Ernsthaftigkeit umschlägt, vereint das
die den intellektuellen Wahrnehmungsradius erwei- Groteske als auch die Ironie. Im Rahmen seiner Be-
terten, verbunden mit der Erkenntnis, dass einengen- schäftigung mit trivialen Mythen in der us-amerika-
de Denkstrukturen zum Stillstand führen, blieben nischen Alltagskultur greift der Künstler R. Prince
auch für die Kunst nicht ohne Folgen. Der Begriff des für seine Malereien, Collagen und Fotografien auf
Grotesken wurde in diesem Kontext zum Ende des bestehende Motive u. a. aus der Werbung und den
19. Jh.s immer mehr bewusst positiv konnotiert und Printmedien zurück. In diesem Zusammenhang sind
etablierte sich als eine oppositionelle Strategie. Das auch seine Witz-Bilder seit den 1980er Jahren ent-
Groteske bezog sich dabei nicht auf eine bestimmte standen, die sehr häufig bewusst plakativ angelegt
Kunstrichtung, vielmehr wurde mit seinem Terminus sind: Auf einem monochromfarbigen Hintergrund
versucht, die Mischformen, die zu Beginn des 20. Jh.s steht in kontrastreicher Farbgebung ein Witz ge-
vermehrt in der Bildenden Kunst, im Theater, in der schrieben. Prince verdeutlicht, dass die Kopierfähig-
Literatur und in der populären Unterhaltung auf- keit innerhalb der Kunst im »Zeitalter ihrer tech-
tauchten, zu erklären. Es eignete sich als Beschreibung nischen Reproduzierbarkeit« (vgl. ganz allgemein
von Verzerrungen, Übertreibungen, von verunstalte- Benjamin 1996) unter Einbindung alltäglicher me-
ten, hybriden und obszönen Figuren, von Parodien dialer Eigenschaften, eine Reflexion gesellschaftli-
und Satiren. Alle tradierten Vorstellungen wurden mit cher Begebenheiten mit den ihr eigenen Mitteln, auf
den Mitteln der Grotesken und der Ironie kritisch hin- künstlerische Weise erfolgen kann.
terfragt. Oftmals erkennen in diesem Zusammenhang Die Witz-Bilder von Prince animieren zum La-
erst spätere Generationen den humorvollen Gehalt chen, fordern keinen größeren Sinnzusammenhang
eines Kunstwerks, der zur Entstehungszeit desselben ein, und entlarven den Betrachter als Konsumenten
eventuell noch empörend zurückgewiesen wurde. einfacher Komik, die nur das Amüsement zum Ziel
Und umgekehrt, wenn tradierte normative Vorgänge hat. Der Karikaturist D. Levine sieht in diesem Zu-
als überholt gelten, kann vergangene ironische Kritik sammenhang einen fundamentalen Unterschied zwi-
an eben diese Normen nicht mehr nachvollzogen wer- schen einer Karikatur und einer humoristischen
den, da sie längst nicht mehr zum Alltag gehören. Zeichnung, die im amerikanischen Sprachgebrauch
320 III Mediale Formen des Komischen

als Cartoon bezeichnet wird: »Eine Cartoon-Zeich- ferten. Bis heute gilt der Simplicissimus als prominen-
nung macht sich über etwas oder jemanden lustig und teste deutsche politisch-satirische Wochenzeitschrift,
weist kein Verantwortungsgefühl auf. Meiner Ansicht die sich pointiert mit der Innen- und Außenpolitik
nach liegt der Unterschied zur Karikatur darin, dass des Kaiserreichs und der Weimarer Republik aus-
sie ein Gefühl dafür hat, was es heißt, kritisch zu sein« einandersetzte. Ebenso übte er eine fundamentale
(Levine 1973, 15). Einige Aquarelle von E. Nolde, die Mentalitätskritik am deutschen Bürgertum und liefert
er während seiner Lehrtätigkeit am Gewerbemuseum in literarischer, historischer, soziologischer wie auch
Sankt Gallen in seinen frühen künstlerischen Jahren künstlerischer Hinsicht profundes Quellenmaterial
geschaffenen hat, würde Levine wohl eher im Bereich für die Wende vom 19. ins 20. Jh. sowie für die Zeit
des Cartoons verorten, da bei ihnen lediglich der Ef- zwischen den beiden Weltkriegen. So arbeiteten z. B.
fekt der Komik, das Lachen, im Vordergrund steht, Zeichner wie K. Arnold, J. B. Engl, B. Paul und F. von
und sie keine gesellschaftskritische Sichtweise reprä- Rezniček beständig für den Simplicissimus, bildende
sentieren. Nolde personifizierte ab 1894 bekannte Künstler wie L. Corinth, K. Kollwitz, A. Kubin und H.
Berggipfel wie z. B. Das Matterhorn lächelt (1897) oder Zille sporadisch bzw. in regelmäßigen Zeitabständen.
Jungfrau, Mönch und Eiger (beide 1897) und verkaufte Die Geschichte des 20. Jh.s führt jedoch vor Augen,
einige dieser Aquarelle in großer Auflage als Postkar- dass die Karikatur nicht nur ein zuverlässiger Indika-
ten. Der Erlös diente als Grundlage für seine spätere tor für Aufklärung sein muss. So hatten die National-
Existenz als freischaffender Künstler. Diese Aquarelle sozialisten 1933 im Reichsministerium für Volksauf-
verdeutlichen erstmalig Noldes Hang zum Grotesken, klärung und Propaganda eine eigene Abteilung für
der später in den Fratzen und Maskeraden seiner Ge- Karikatur eingerichtet. Auch wenn die gleichgeschal-
mälde vertieft werden sollte. teten Zeitungen einer vollkommenen Kontrolle unter-
L. Feininger begann seine künstlerische Karriere lagen, war der Bedarf an Karikaturen groß, gerade
als Zeichner für humoristische Journale wie die Lusti- weil sie sich für das Regime einsetzen ließ. Selbst
gen Blätter oder den Ulk. Er ist wie Nolde einer der we- Zeichner, denen die Arbeitserlaubnis bereits entzogen
nigen Künstler des 20. Jh.s, bei dem das Medium der worden war, erhielten eine erneute Möglichkeit aktiv
Karikatur direkten Einfluss auf die Entwicklung eines zu werden. So auch E. Ohser, der vor 1933 für die sozi-
für den Künstler in späteren Jahren markanten Mal- aldemokratische Zeitung Vorwärts gearbeitet hatte,
stils besaß. Das Mittel der Karikatur war für ihn wich- und ab 1934 wieder unter dem Psydonym ›e. o. plau-
tiger Ausgangspunkt seiner künstlerischen Auseinan- en‹, das sich aus den Initialen seines Namen und sei-
dersetzung, wie er 1905 selbst formulierte: »Dafür bin ner sächsischen Heimatstadt zusammensetzte, als Ka-
ich, dass ich solche Fantasien habe, eben Karikaturist, rikaturist arbeiten durfte. Mit seiner Serie Vater und
ein Mensch, der alles stärker empfindet als die vor- Sohn avancierte er zu einem der erfolgreichsten hu-
geschriebene Norm« (zit. n. Luckhardt 1987, 73). Die moristischen Zeichner der 1930er Jahre, die ihm auch
Karikatur sei eine wichtige Grundvoraussetzung für nach der Einstellung zahlreiche unpolitische Fol-
den politischen und damit gesamtgesellschaftlichen geaufträge einbrachte.
Fortschritt. Bis ins 20. Jh. hinein wurden willentliche Ab 1940 arbeitete er für die neugegründete Wo-
Verstöße in Form von humoristischen Karikaturen hi- chenzeitung Das Reich. Kaum zehn Jahre nach seinen
nein nicht selten strafrechtlich verfolgt. Der französi- Spottbildern auf Hitler fertigte E. Ohser nun Zerrbil-
sche Karikaturist Ch. Philipon musste nach zahlrei- der der deutschen Kriegsgegner an, v. a. von W. Chur-
chen Abmahnungen 1832 für ein halbes Jahr ins Ge- chill, J. Stalin und F. D. Roosevelt. In über vier Jahren
fängnis, weil er weiterhin die institutionelle Macht zeichnet er für Das Reich über achthundert Karikatu-
verspottete. Ebenso erging es H. Daumier, der den da- ren. In den USA ist eine gängige Behauptung, dass im
maligen französischen König Louis-Philippe als Viel- Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 lediglich in den Nord-
fraß zeichnete, der sich von Bestechungsgeldern er- staaten hervorragende Karikaturen entstanden, wäh-
nährte und Adelstitel ausschied. A. Langen, der He- rend bei den reaktionären Konföderierten kein Platz
rausgeber der Satirezeitschrift Simplicissimus, emi- für kritische Komik vorhanden gewesen sei. Ohser ist
grierte 1898 nach Paris, um der bayrischen Justiz zu ein Beleg, dass ein derart behaupteter Zusammenhang
entgehen, die ihn der Majestätsbeleidigung bezichtig- zwischen künstlerischer Qualität und liberaler Politik
te. Für fünf Jahre wurde der Simplicissimus von der nicht zwangsläufig besteht. Auch wenn er nachweis-
französischen Hauptstadt aus verlegt, obwohl die lich keine antisemitischen Zeichnungen anfertigte
Zeichner weiterhin aus Deutschland ihre Vorlagen lie- und kein überzeugter Anhänger Hitlers gewesen ist,
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 321

Abb. 27.12 e. o. plauen: Vater und Sohn, Der schlechte Hausaufsatz, in: Berliner Illustrierte, 50/1934

unterstützte er die Nationalsozialisten mit seinen Mit- lichung von weiteren Mohammed-Karikaturen in der
teln der Kunst. satirischen Zeitschrift Charlie Hebdo führte schließ-
Die Zensur durch eine Staatsmacht, die eine Haft lich am 7. Januar 2015 zu einem Attentat in deren Re-
oder sogar Todesstrafe bei Nichtbeachtung zur Folge daktion bei dem zwölf Redaktionsmitglieder getötet
hat, ist in der westlichen Hemisphäre nach 1945 im wurden, und zu der endgültigen Erkenntnis, dass Ko-
Sinne der freien Meinungsäußerung weitestgehend mik und Humor unterschiedlichen kulturellen Bedin-
überwunden, obwohl durch juristische Schritte von gungen unterliegen.
karikierten Personen weiterhin Veröffentlichungen Es fällt auf, dass im Verlauf des 20. und 21. Jh.s im-
eingestellt werden können, wenn sie nachweislich un- mer weniger Künstler das Mittel der Karikatur als eine
verhältnismäßig verunglimpft werden. Die äußerst künstlerische Ausdrucksform nutzen. War sie für Fei-
beliebte Satirezeitschrift Titanic mit ihrer derben Ko- ninger, Nolde und G. Grosz noch ein wichtiger Be-
mik hat in den vergangenen Jahrzehnten des Öfteren standteil ihrer Kunst, entfaltet sie heute immer mehr
durch einstweilige Verfügungen Ausgaben zurückzie- ihre Wirkung als ein in sich geschlossener Bereich mit
hen und juristische Verfahren ausfechten müssen. Im Illustratoren und Zeichnern, die sich vermehrt ledig-
interkulturellen Vergleich hat im 21. Jh. kein Kunst- lich als Karikaturisten und weniger als bildenden
werk für derart heftige Kontroversen gesorgt wie die Künstler verstehen. Die Bild-Text-Kombinationen des
sog. Mohammed-Karikaturen, die am 30. September rumänischen Künstlers D. Perjovschi, die flüchtig er-
2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten stellt erscheinen, veranschaulichen eine heute nur
veröffentlicht worden sind, und die in der islamischen noch selten vorkommende Verbindung von bildender
Welt für eine Welle von Empörungen gesorgt haben, Kunst und Karikatur. Seine ironisch-aktivistischen
da sie angeblich ihren Religionsstifter in obszön-belei- Darstellungen weisen meist einen politischen Hinter-
digender Weise abgebildet haben. Es kam zu gewalt- grund auf. Sie ähneln Kritzeleien, die man von Toilet-
samen Ausschreitungen gegenüber westlichen Ein- ten kennt, zeigen Vorbehalte und Diskrepanzen im
richtungen und massiven Einschüchterungen durch weltweiten Gefüge, z. B. hinsichtlich der ungleichen
fanatische Islamisten. Es wurde die Frage gestellt, wie Verteilung von Kapital. Globale tagespolitische The-
weit Kunst gehen darf? Stehen Rede- und Pressefrei- men interessieren ihn gleichermaßen wie lokalen Be-
heit über religiösen Befindlichkeiten? Die Veröffent- gebenheiten. Perjovschi arbeitet seit 1991 als Illustra-
322 III Mediale Formen des Komischen

tor für die politische Wochenzeitung revista 22, so da-Messe 1920 (Herzfelde 1920, 2). Mit der Dada-Be-
dass es nicht verwundert, dass seine Zeichnungen ka- wegung erhielt die Ironie verstärkt Einzug in die
rikaturhafte Züge aufweisen. Kunst.
»[I]hr solltet lachen lernen, meine jungen Freunde, Die Dadaisten ließen sich von Nietzsches Aufleh-
wenn ihr durchaus Pessimisten bleiben wollt« (Nietz- nung gegen jeglichen Machtanspruch ideologischer
sche 1999, Bd. 1, 22), forderte Nietzsche seine Zeitge- Art inspirieren. Sie folgten seiner Forderung nach ei-
nossen zu einer ironischen Bekümmertheit der Stärke ner »anderen Kultur«, die eine »spöttische, leichte,
auf. In Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der flüchtige, göttliche, unbehelligte, göttlich künstliche
Musik (1872) projizierte er die Widersprüche zwi- Kunst« (Nietzsche 1999, Bd. 3, 481) zur Folge hätte. In
schen Ratio und dem Irrationalen, Anschaulichkeit diesem Sinne merkte R. Hausmann in seiner Satire
und Unfassbarkeit, Ordnung und Chaos, Heiterkeit Adolf Kutschenbauch ironisch an, die Deutschen hät-
und Leiden auf den Grundkonflikt zwischen Apolli- ten, anstatt der »komischen Selbsttäuschung als Über-
nischem und Dionysischem (vgl. ebd., 3). Mit diesen allesmenschen« zu verfallen, durch Nietzsche auch die
Einsichten ergab sich für zukünftige Künstlergenera- Wahl gehabt, »romanischer, gesünder, dadaistischer«
tionen die Möglichkeit, im Grotesken die Komplexität (Hausmann 1982, 157) zu werden. Die grotesken Ge-
der Widersprüche auszutragen. Ihre Konzepte und staltungsprinzipien der Expressionisten führten zu
Projekte zeugten von jenem Sturz des »tollen Men- erstarrten Stilisierungen von Verzerrungen, wohin-
schen«, den Nietzsche in Die fröhliche Wissenschaft gegen die Dadaisten im ironischen Spiel den kreativen
(1882) thematisierte: »Stürzen wir nicht fortwährend? Ablauf stets in Bewegung hielten, indem sie das Gro-
Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? teske als Prozess des Möglichen und Wandelbaren be-
Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir trachteten. Die Realität wurde mit all ihren Absurditä-
nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns ten dargestellt, Hausmann bezeichnete sie daher als
nicht der leere Raum an« (Nietzsche 1999, Bd. 3, ihre »eigene lächerliche Ernsthaftigkeit« (ebd.). In der
481)? Der Erste Weltkrieg bestärkte diesen Gedanken. Gleichzeitigkeit von Bejahung und Verneinung, erga-
Der Mitbegründer der Dada-Bewegung und Pionier ben sich Freiheiten, die Gewissheiten ad absurdum
des Lautgedichts H. Ball sprach von dem Zusammen- führten, Relativitäten und Mehrdeutigkeiten wurden
bruch einer ›tausendjährigen Kultur‹, durch den die zum Prinzip erhoben, Sinnfragen offen gehalten.
aufklärerischen Fundamente der abendländischen »Man sagt Ja zu einem Leben, das durch Verneinung
Kultur verloren gingen. In seinem Vortrag in der Ga- höher will«, so R. Huelsenbeck (Huelsenbeck 1920, 2).
lerie Dada in Zürich am 7. April 1917 wurde dieser Und R. Hausmann schreibt: »Dada wertet nicht mehr
Kollaps durch eine dichte Folge von zerstörten Archi- nuanciert rot gegen grün, es spielt nicht mehr mit der
tektur- und Raummetaphern vollzogen, u. a. aus- Miene des Erziehers gut gegen böse aus, Dada kennt
gedrückt durch den Verlust der Perspektive, Maß- das Leben prinzipieller und lässt es doppelt in sich pa-
stabslosigkeit, Umkehrung von Hierarchien, Trüm- rallel laufen« (Hausmann 1921, 45). Die dadaspezi-
mer, Grenzen- und Dimensionslosigkeit, Maschinen fische Geisteshaltung lautete: Identität der Nicht-
als gigantische Kraftzentren. Im Sinne Nietzsches Identität.
wurde das Chaos als tragisch-dionysisches Ereignis Durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges er-
erlebt, als Unbeständigkeit, durch die das verdrängte gaben sich existentielle und kulturelle Umorientie-
Unheimliche zutage trat. Die Dadaisten begannen ein rungen. Durch die neuen technischen Errungenschaf-
ironisch-paradoxes ›Ja‹ und ›Nein‹ zugleich zu for- ten und politischen Dimensionen wurden traditionel-
mulieren – Bejahung und Negation bedingen sich le Vorstellungen von Macht und Ohnmacht ständig
wechselseitig. In dieser Spannung zwischen ›Nichts‹ konterkariert. Die Künstlerinnen und Künstler jener
und ›Allem‹ entfaltete sich im Dadaismus das Grotes- Zeit waren einem gesellschaftlichen Zusammenbruch
ke als gesellschaftskritisches Wahrnehmungs- und ausgesetzt, bei gleichzeitig rasantem Fortschritt. In
Gestaltungsverfahren. Durch eine disparate Körper- Berlin kam diese Diskrepanz sehr deutlich zum Tra-
und Bildsprache, durch Normverletzungen des Tradi- gen; in der Stadt der Tumulte und der Straßenkämpfe,
tionell-Ästhetischen versuchten die Dadaisten »die des blutig niedergeschlagenen Spartakusaufstandes,
gegenwärtige Welt, die sich offenbar in Auflösung, in des dynamischen Treibens und der vollkommenen
einer Metamorphose« befand, »zersetzend weiter- Verarmung, das abgründige Labyrinth der Verbre-
zutreiben«, so der Publizist W. Herzfelde in seiner chen und Lustmorde, in der Hauptstadt der ersten
Einleitung im Katalog zur Ersten Internationalen Da- deutschen Republik mit ihren Propagandisten und
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 323

Weltverbesserern, umrahmt von Verarmten und Schilderhand den Weg weist. Das Ende der Welt ist
Kriegsversehrten. In G. Grosz’ bekanntem Gemälde voller Fragmente zerstückelter Leiber, die nach Ball
Widmung an Oskar Panizza (1917/18) zeigt sich Ber- »Freigut« geworden sind.
lin als eine im Untergang befindliche Metropole, sind Wie Dix in seinem neusachlichen Gemälde 45 %
die Ikonographie spätmittelalterlicher Totentänze, der Erwerbsfähig! transformierten zahlreiche Dadaisten
Höllensturz der Verdammten und die apokalypti- diese Entfremdungserfahrung durch das Bildkom-
schen Reiter parodiert. Für den Künstler selbst war positionsprinzip der Montage, mit dem die Anmu-
dieses Werk, mit dem er sich auf den englischen Kari- tung des Grotesken noch gesteigert wurde. Wie Mor-
katuristen der ersten Stunde W. Hogarth bezog, ein pheme sind Körperfragmente zu einem neuartigen
»Großes Höllenbild«, eine »Schnapsgasse grotesker anagrammatischen Konstrukt aus verschiedenen Zei-
Tode und Verrückter«(Grosz 1979, 56). Hinsichtlich chen kombiniert worden. Mit der Montage konnte ein
der Betonung einer Analogie des im Gemälde dar- optionales Spiel mit Identitäten vollführt, deren Schaf-
gestellten Menschenzuges zu einem Irrenhaus ist fung und Auflösung zelebriert werden. Derartige Refi-
Grosz durch den Schriftsteller und Satiriker O. Paniz- gurationen zeigen sich v. a. in Geschlechtsdekonstruk-
za inspiriert worden. Bereits 1896 forderte dieser eine tionen, wie in H. Höchs Werken, z. B. Dada Rund-
»Strömung [...], die das Leben von einer tollen, mum- schau (1919) oder das im Rückgriff auf die Fotomon-
menschanzartigen, grotesken Seite auffasst« (vgl. Pa- tage entstandene Gemälde Die Braut oder Pandora
nizza 1896, 1252–1274). In dem Gedicht »Das rothe (1927). Hier wird ein vermähltes Paar gezeigt, wobei
Haus«, mit dem Panizza seine Düstren Lieder einleite- die Braut in ihrem schlichten weißen Kleid einen
te, wird das Irrenhaus zur Parabel der Gesellschaft. überaus großen kindlichen Puppenkopf in groteskem
Die degenerierten Körper ihrer Insassen drohen an Ausmaß trägt. Der Bräutigam, ohne physiognomi-
der Last ihrer übermächtigen Köpfe zusammenzubre- sche Ausartung dargestellt, scheint fast anteilnahms-
chen, sie rufen dem Vorbeigehenden zu: »Komm zu los, stoisch in die Ferne zu blicken. Beide sind von ins-
uns; – ein glänzendes Avancement! Du wirst Kaiser, gesamt acht geflügelten Attributen umgeben, Relik-
Obergott, Rector / Totius mundi, – und bist du ge- te jener Brautsymbole, wie sie in Brautbildern des
scheid, / so machen wir dich zum Direktor (Panizza 19. Jh.s von Amoretten herangetragen werden. Die
1885, n. p.)!!« kindliche Physiognomie vermittelt den Eindruck ei-
Zudem ist eine bildhafte Nähe von Widmung an ner verängstigten Kreatur, die skeptisch auf eine brü-
Oskar Panizza zu J. Ensors Radierung Triumph des To- chige Ordnung blickt, wie die einer traditionell ver-
des (1896) unverkennbar, wobei hier der personifi- standenen Eheschließung mit einem überholten Rol-
zierte Tod als Mahner und Richter auftritt, bei Grosz lenbild der Frau.
hingegen richtet sich das Leben selbst zugrunde, der Das existentielle ›Nein‹ der Dadaisten galt in die-
Tod steht in einer grotesken Selbstinszenierung bevor. sem Kontext einem, ihrer Ansicht nach, pervertierten
Angetrieben vom trunkenen Tod stürzt sich hier die und moralisch verwerflichen Wertekanon einer Ge-
Menschenmenge in ihre Apokalypse, unter ihnen ein sellschaft, der zu den Stellungsschlachten des Ersten
Geistlicher mit rundem Haupt und erhobenen Kreuz, Weltkriegs geführt hatte, dem letzten Versuch den
ein militärischer Ordensträger mit blutigem Schwert, Wahnsinn im Namen der Vernunft zu etablieren. Ihr
ein »Bruder« rufender Bildungsbürger, der von auf- Nihilismus war nicht fundamentaler Natur, sondern
gedunsenen, deformierten Visagen angeführt wird – Instrument, mit dem man einen radikalen Neuanfang
eine patriarchalische Gesellschaft, deren unterschied- versuchte, »die Konstitution einer neuen Zukunft von
lichen Mitglieder sich noch auf der Schwelle zum Ab- Grund auf« (Roters 1990, 143). Dada war die erste
grund marionettenhaft in ihrem jeweiligen Rollenver- Kunstbewegung, die Kunst mit alltäglichen Prozessen
halten gebärden. Die Verlierer der Gesellschaft wie die verband und umgekehrt, eine Herangehensweise, die
Kriegskrüppel gehören zu den Verdammten und Aus- seit den 1960er Jahren unter der Formel ›Kunst und
gestoßenen. Sie erscheinen nicht weniger grotesk in O. Leben‹ etabliert wurde. Kunst wurde zum Gebrauch
Dix’ Werk 45 % Erwerbsfähig! (1920), blind, zitternd freigegeben, wie z. B. zahlreiche Ready-mades, die
und hinkend im Paradeschritt über das Kopfstein- Alltagsgegenstände in Kunstwerke integrieren oder
pflaster wankend, die Choreographie gleicht der eines sie als solche deklarieren. So konnte der Betrachter
Totentanzes. Die Arbeit parodiert das Weltgerichts- beim Roue de Bicyclette (1913) von M. Duchamp beim
motiv vom Zug der Verdammten, wobei nicht der Vorbeigehen am Rad drehen, ohne dabei Konsequen-
Teufel die Gepeinigten anführt, sondern lediglich eine zen durch Aufsichtspersonal befürchten zu müssen.
324 III Mediale Formen des Komischen

rischen Schaffen deckte er eine große sprachliche


Bandbreite ab. Dabei lag ein Hauptaugenmerk in
der Klangwirkung von Texten. Auf feinsinnige Aus-
drucksformen folgen grobschlächtige und skatologi-
sche. Zu diesen Dissonanzen reiht sich die intensive
Spannung kurzer Lautgedichte in Fettdruck mit annä-
hernden Signifikanten. Bruch und Fragmentierung
bestimmten Artauds Schaffen. In diesem Sinne propa-
gierte er das »Theater der Grausamkeit«, bei dem
Sprache und Bewegung auf der Bühne keine suggesti-
ve Einheit mehr bilden sollten.
Die Einbeziehung von außerkünstlerischen Mate-
rialien, die zahlreiche Künstler jener Zeit in ihren Col-
lagen und Assemblagen forcierten, die Berücksichti-
gung des Zufalles als künstlerisches Prinzip, das Hin-
terfragen des Wertekanons von Autonomie und Ori-
ginalität, die verstärkte Betonung des Banalen und des
Destruktiven wurde zu Beginn der 1960er Jahre u. a.
als Resultat mangelnder Aufarbeitungen der Gescheh-
nisse im Zweiten Weltkrieg durch Fluxus intensiv in
der Tradition des Dadaismus fortgesetzt. Ein Fokus
lag hier auf aktionistischen Initiativen und in der
Forcierung der Erweiterung des traditionellen Werk-
begriffs. Die grotesk entzerrte Wirklichkeit, die in
dem bildnerischen Ausdruck der Fotomontage bei
Dada noch mehrheitlich auf das Objekt beschränkt
war, wurde bei Fluxus auf das Subjekt als Ereignis-
skulptur, als aktiver Akteur übertragen. Künstler wie
G. Brecht, H. Flynt, A. Kaprow, N. J. Paik und E. Wil-
liams führten in skurril anmutenden Happenings,
Abb. 27.13 Hannah Höch: Die Braut oder Pandora. 1927,
Performances sowie poetischen und konzertanten
Öl auf Leinwand Aufführungen in expressiver Pose die Absurditäten ei-
ner Gesellschaft vor Augen. Wie bei Dada galt bei
In seinen Wortkunst-Collagen wandte sich K. Schwit- Fluxus das Aufbrechen gesellschaftlich indoktrinierte
ters gegen einengende sprachliche Regelungen, gegen Einengungen als Methode, um mit den Mitteln von
die Lyrik als literarische Gattung, baute z. B. wie in sei- Schock und Humor etablierte Wertevorstellungen
nem Gedicht An Anna Blume (1919) bewusst gram- und Stile zu unterlaufen, mit dem Ziel: Kunst muss re-
matikalische Fehler ein, bis der textliche Inhalt unver- flektieren.
ständlich ohne weiteren Sinnzusammenhang groteske G. Maciunas war maßgeblicher Mitbegründer von
Züge annahm. Schwitters sah im ›Unsinn‹, das in ei- Fluxus und Initiator zahlreicher Festivals und Konzer-
ner ironischen Verkehrung bei ihm eine durchweg po- te. In seiner Person manifestierte sich ein besonderes
sitive Bedeutung besaß, das eigentliche kreative Po- Merkmal dieser Bewegung: Erkenntnis durch Wider-
tenzial für einen Neuanfang nach den Erfahrungen spruch. Die tiefe Ironie, die sein künstlerisches Schaf-
des Ersten Weltkrieges. An Anna Blume stellt zunächst fen prägte, war bereits in seiner Persönlichkeit ange-
eine konventionelle bürgerliche Liebeserklärung dar, legt: Er war »[e]ine Wolke mit Hitler gekreuzt. Träu-
die im Verlauf mit sarkastischem Nonsens durch- mer. Kind. Utopist, Faschist, Kommunist, Christus,
zogen ist. Die Hohlheit wird geradezu exponiert und Demokrat, Verrückter etc., Realist, der für seinen Rea-
zwingt den Leser und Zuhörer über seine eigene Ohn- lismus jedoch immer eine andere Realität braucht«
macht zu schmunzeln. In dieser Sphäre der Auflösung (Williams/Noël 1996, 342), als die ihn umgebene. »Als
bewegt sich auch der Dichter, Dramaturg Theater- Hofnarr in seiner tragischen Rolle lachte er über sich
theoretiker und Zeichner A. Artaud. In seinem litera- selbst und provozierte andere zum Lachen, indem er
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 325

die Komik der unheilbaren Krankheiten und schmerz- Carracci bei seinen Grotesken Köpfen und Karikatu-
haften Wirklichkeiten betonte, die ihn die meiste Zeit ren (1594), J. Callot bei seinen Gobbi (um 1622) oder
seines ziemlich kurzen Lebens begleiteten« (ebd., 9). H. Daumier bei seinen Parlamentsabgeordneten.
Maciunas’ knappe Charakterisierung durch den West forderte dazu auf, in den »Mäulern Speisereste
Künstlerkollegen D. Spoerri lässt sich im Hinblick auf und Küchenabfälle zur Verwesung zu bringen« (ebd.,
den Aspekt der Politisierung auf Fluxus im Allgemei- 201). Er verwendete für derartige Skulpturen leicht
nen übertragen: »George war ein zutiefst humorloser modellierbares Pappmaché, ein Material, aus dem
Mensch, er hatte überhaupt keinen Sinn für Humor. überdimensionierte Masken für die traditionellen
Er war ein sehr ernsthafter Mensch, der Fluxus im- Karnevalsumzüge hergestellt werden. West bezog
merzu eine politische Bedeutung geben wollte, was je- sich ausdrücklich auf die Theorie des Karnevals des
doch absurd war, weil du der Absurdität keinen politi- Kunsttheoretikers und Literaturwissenschaftlers M.
schen Sinn verpassen kannst« (ebd., 260). Bachtin, auf dessen Begriff der »Profanation«, dem im
Fast parallel zu Fluxus formierte sich die mit ähn- Wesentlichen durch »Erniedrigungen« (Bachtin 1969,
lichen Methoden agierende so genannte Wiener
Gruppe mit Schriftstellern, Musikern und Künstlern,
wie F. Achleitner, H. C. Artmann, K. Bayer, G. Rühm
und O. Wiener, die v. a. gegen autoritäre Lebensent-
würfe in der damaligen Wiener Gesellschaft auf-
begehrten. Wesentlich radikaler agierten die Wiener
Aktionisten mit G. Brus, H. Nitsch, O. Mühl und R.
Schwarzkogler gegen Mitte der 1960er Jahre. Sie stell-
ten in ihren Aktionen den Umgang mit Körperlichkeit
und Sexualität in den Vordergrund, Blut und Exkre-
mente gehörten zu ihren bevorzugten Materialien.
Psycho-sexuelle Anspielungen, die immer noch para-
digmatisch für den gebrochenen hybriden Charakter
stehen, als Gegensatz von normativen gesellschaftli-
chen Konventionen, beherrschten das aktionistische
Geschehen. Insgesamt war in jene Zeit ein anarchisti-
scher Aktionismus mit ironisch-satirischen Unterma-
lungen prägendes Element in der Kunst, mit den für
die 1960er und 70er Jahre typischen Sympathien für
den Kommunismus und Sozialismus. ›Dem Volke
dienen mit Pinsel und Farbe‹, rief J. Immendorff. Bei
derartigen Aufrufen wurde z. B. Margarine mit Fahr-
radpumpen an die Decke geschleudert (vgl. Altorjay
1998, 199 ff.). Die Artikulierung des Grotesken über-
wand jegliche Grenze des gesellschaftlich akzeptierten
Kunstverständnisses.
Als ironischer Kommentar auf die seiner Ansicht
nach überzogene Emphase der Wiener Aktionisten
entstanden zu Beginn der 1980er Jahre die so genann-
ten Pass-Stücke von F. West. Sie wirken prothesenhaft,
erinnern an organische Deformationen. F. West be-
hauptete, »wenn man Neurosen [...] optisch wahrneh-
men könnte«, sähen sie wie »Paßstücke, die sozusagen
Partituren von Gesten sind« (West 1996, 97), aus. Sei-
ne karikaturhaft wirkenden Lemuren-Köpfe betonen
hinsichtlich der Sinnesorgane meist lediglich Mund
und Nase, ähnlich wie es historische Vorläufer von Abb. 27.14 Franz West: Pass-Stück. 1982, Elektrikerrohr,
Groteskdarstellungen unternommen haben, etwa A. Gaze, Hut, Holz, Gips, Polyester, Dispersionsfarbe
326 III Mediale Formen des Komischen

49) Ausdruck verliehen wird. Nach dessen Ansicht er- Weltempfinden«, dem Grotesken im Allgemeinen in-
möglicht der Karneval eine »zeitweise Befreiung von härente Relativität jeglicher Ordnung, erhält in der
der herrschenden Wahrheit und der bestehenden Ge- Moderne eine breitgefächerte Erweiterung, sie wird
sellschaftsordnung, die zeitweise Aufhebung der hie- ein regelrechtes künstlerisches Prinzip, das seinen Ur-
rarchischen Verhältnisse« (Bachtin 1995, 58). Der sprung in der Skepsis gegenüber normativen Aus-
Aspekt des karnevalesken Profanen wird auch in legungen tradierter Bildauffassungen besitzt (vgl. Japp
der Videoarbeit Heidi (1991) von M. Kelley und P. 1983, 278 f.).
McCarthy thematisiert. Die in der gleichnamigen Ro- Bereits Nietzsche spricht das karnevalistische Mo-
manvorlage aus dem 19. Jh. aufgezeichnete idyllische ment einer derart verstandenen Skepsis an:
Bergwelt konnotieren die Künstler in ihrem Video mit
sexuellen Fantasien, Repressionen sowie körperlicher »Wir sind das erste studierte Zeitalter in puncto der
und psychischer Gewalt. In einem einer Almhütte ›Kostüme‹, ich meine der Moralen, der Glaubensarti-
nachempfundenen Filmset agieren die Künstler mit kel, Kunstgeschmäcker und Religionen, vorbereitet wie
Hilfe von Masken und Puppen selbst als Darsteller. noch keine andere Zeit es war, zum Karneval großen
Hierbei bedienen sie sich illusionistischer, in der Stils, zum geistigen Faschings-Gelächter und Über-
Filmindustrie verwendeter Techniken, um diese so- mut, zur transzendentalen Höhe des höchsten Blöd-
gleich durch mangelnde Perfektion zu durchbrechen sinns und der aristophanen Welt-Verspottung« (Nietz-
und die ursprüngliche Geschichte zu travestieren. Die sche 1999, Bd. 12, 302).
männlichen Körper unter der Maske der Heidi mit
langen blonden Zöpfen, die nicht nur einmal, sondern Weiter führt er aus:
gleich im Doppel auftritt, wirken grotesk. Das Kli-
schee einer Idylle wird in einen unheimlichen Ab- »Die Welt, die uns etwas angeht, ist falsch d. h. kein
grund menschlichen Daseins verkehrt. Thatbestand, sondern eine Ausdichtung und Rundung
Diese karnevaleske Natur des Grotesken offenbart über einer mageren Summe von Beobachtungen; sie
eine skeptische Haltung, die mit Mitteln der Vernei- ist ›im Flusse‹, als etwas Werdendes, als eine sich im-
nung jegliches Denken in Normen hinterfragt. Kaum mer neu verschiebende Falschheit, die sich niemals der
ein anderer Künstler nach 1945 hat diese Skepsis mit Wahrheit nähert: denn – es giebt keine ›Wahrheit‹.«
einer tiefgreifenderen Ironie bildhaft ausgedrückt wie (Nietzsche 1999, Bd. 12, 114)
S. Polke. Er kombinierte Motive so genannter trivialer
und massenmedialer Bildwelten mit künstlerischen Direkte Parallelen von Nietzsches formulierter Skep-
Mittel u. a. in Raster- und Stoffbildern, formulierte so sis lassen sich seit Dada finden, dessen Anfänge nach
Vorbehalte gegenüber klassischen Kunstauffassungen, T. Tzara, dem Mitbegründer der Bewegung, nicht die
nach Bachtin die »fröhliche Relativität einer jeden einer Kunst waren, sondern die des Ekels.
Ordnung« (Bachtin 1969, 51). Im Hinblick auf Pol-
kes Werke zeigt sich die Ironie als »Vorbehalt zur an- »Ekel vor all den katalogisierten Kategorien, vor den
gemessenen Weise der Darstellung« (Japp 1983, 250). falschen Propheten, […] Ekel vor der Trennung zwi-
Die »karnevalistische Mesalliance ergreift alles: alle schen Gut und Böse, Schön und Hässlich […].« Und wei-
Werte, Gedanken, Phänomene und Dinge,« so M. ter: »Was ist das SCHÖNE, die WAHRHEIT, die KUNST,
Bachtin weiter. »Der Karneval vereinigt, vermengt das GUTE, die FREIHEIT? Worte, die jeden etwas ande-
und vermählt das Geheiligte mit dem Profanen, das res bedeuten« (Tzara 1963, 11 u. 7).
Hohe mit dem Niedrigen, das Große mit dem Winzi-
gen, das Weise mit dem Törichten« (Bachtin 1969, 42). In den 1960er und 70er Jahren sollten diese Gedanken
Für Bachtin konstituiert eben dieses »karnevalistische eines Individualismus wieder aufleben, u. a. in denen
Weltempfinden« das Groteske. Seine Thesen geben von Fluxus, das schon in seiner Namensgebung Nietz-
hinsichtlich grotesker Bildstrukturen eine Deutungs- sches Formulierung einer »Welt im Fluss« wieder auf-
methode vor: »Das Moment des Lachens, das karne- greift, in denen der Wiener Aktionisten oder den Ide-
valistische Weltempfinden, das der Groteske zugrun- en einzelner Künstler wie West und Polke. Die Wis-
de liegen, zerstören die beschränkte Ernsthaftigkeit senschaftstheorien eines P. Feyerabend, dessen Wort-
sowie jeglichen Anspruch auf eine zeitlose Bedeutung paar »anything goes« zu einem übergeordneten
und Unabänderlichkeit der Vorstellung von der Not- Paradigma der Postmoderne werden sollte, unter-
wendigkeit« (ebd., 29). Die dem »karnevalistischen mauerten Bestrebungen des skeptischen Überden-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 327

kens. »Wahrheit ist,« so der Wiener Philosoph, »was verschneiter VW (1982) von W. Büttner provozierten.
der Denkstil sagt, daß Wahrheit sei« (Feyerabend »Der Chauvinismusvorwurf«, so der Künstler, kam an-
1984, 77). Die in dieser Denkweise mit artikulierte geblich »von Männern, die nicht so laut und so schön
Heterogenität ist für den Umgang mit dem Grotesken singen konnten wie wir. [...] um der Diktatur der Po-
bezeichnend. So formulierte S. Polke in seinen künst- litical Correctness eins auszuwischen, [sind wir]
lerischen Anfangsjahren: manchmal etwas derb geworden« (Büttner 2012, 179).
Büttner spricht im Kontext dieser Art von Auseinan-
»Sehen sie, die Notwendigkeit für mich, Rasterbilder dersetzungen von »Popanzdepotenzierung«, womit
zu machen, rührt von einer meiner Eigenschaften her, gemeint ist, »[z]ur richtigen Zeit, an der richtigen Stel-
nämlich von meiner Liebe zum rein Technischen, zum le gegen Autoritäten, Gewissheiten und nichtig Un-
Unpersönlichen. Aber man hat so viele Eigenschaften. angenehmes anlachen« (ebd., 178). Einer Anekdote
Ich bin genauso romantisch wie sentimental wie nüch- nach, die sich zu Beginn der 1980er Jahre ereignet ha-
tern und sachlich, ebenso expressiv und emotionell ben soll, endete eine derartige Derbheit in einer Ver-
wie zaghaft, lustig, verrückt. […] Verstehen sie, ich habe unglimpfung von M. Kippenberger an seine Künstler-
mich sozusagen aufgespalten, um mir selbst und den kollegin R. Trockel, die in der Aussage gipfelte: »Geh
Dingen außerhalb meiner Person nicht unrecht zu tun doch stricken.« Der Legende nach begann Trockel da-
und sie irgendwie zu unterdrücken.« (Hülsmanns raufhin ihre sog. Strickbilder zu konzipieren. Auch ihr
1966, 26) Werk ist von einer tiefsinnigen Ironie geprägt. Anläss-
lich ihrer Ausstellung Post-Menopause im Museum
Dieser vielfältige Umgang mit Material und die in- Ludwig in Köln im Jahr 2005 präsentierte sie zwei
tensiven inhaltlichen Auseinandersetzungen prägten gleichformatige monochrome Strickbilder: »Meno-
eine ganze Künstlergeneration, die mit viel Ironie ihre pause [2005] schien, indem es neben Wasser [2004]
Skepsis gegenüber Herkömmlichen, als einengend platziert wurde, [als Referenz auf Malerei] als nasses
empfundenen Wahrnehmungsweisen ausdrückten. Medium aufzurufen, wohingegen [...] Strickbilder im
Die Seilschaften zwischen W. Büttner, G. Herold, M. Vergleich dazu auf ironische Weise als ›trocken‹ ange-
Kippenberger und A. Oehlen sorgten seit Mitte der sehen werden müssen« (Doherty 2010, 103).
1970er Jahre für Furore. Sie begegneten z. B. dem auf- Die bisher vorgestellten Beispiele künstlerischer
strebenden Feminismus mit gewollt chauvinistischer Haltung im Hinblick auf den Umgang mit Komik rei-
Attitüde, um gewisse radikale, für sie skurril anmuten- chen aus, um festzustellen, dass ein einheitliches Ver-
de Forderungen dieser Bewegung auf humorvolle Art ständnis von Groteske und Ironie schwer zu fassen ist.
und Weise ad absurdum zu führen. Arbeiten wie So ist Sie schaffen Distanz und sind vom Widerspruch ge-
es aber: kleiner Hängebusen voller Fingerabdrücke und kennzeichnet, wodurch eine eindeutige Einsicht oft

Abb. 27.15 Rosemarie Trockel:


Untitled (Woolmark/Playboy
Bunny). 1985, 2-tlg., gestrickte
Wolle
328 III Mediale Formen des Komischen

unmöglich erscheint. Beide operieren dabei mit dem druck eines permanenten Konfliktes zwischen alogi-
Mittel der Verstellung, und dies auf andere Art und schen [un]bewussten Prozessen und dem rigiden Ra-
Weise, wie U. Japp mit Bezug auf die literarische Ironie tionalitätsanspruch der Außenwelt« (Clayborough
ausführt, »als Text und Kontext dies erwarten lassen« 1974, 902). Die Komik der Karikaturen wird in der
(Japp 1983, 43). Bei der Ironie steht zunächst der As- Hauptsache mit den Mitteln der Verfremdung vor-
pekt des Unverständlichen im Vordergrund, obwohl getragen, wie bei L. Feininger, E. Nolde, E. Ohser, D.
sie am Ende doch einleuchten soll. Künstler verwen- Perjovschi etc. Bei den Witz-Bildern von Prince steht
den in diesem Zusammenhang vornehmlich zwei der Humor in eher platter bzw. derber Attitüde im
Strategien: Zum einen nutzen sie die Verfremdung zur Vordergrund, ebenso bei zahlreichen Arbeiten von
Ironisierung, zum anderen vermitteln sie durch den Büttner, Herold, Kippenberger, Oehlen und Polke. Sie
Einsatz von Zitaten einen ironischen Bezug zu Vor- alle nutzen das Zitat zur Ironisierung, aber auch Mög-
bildern oder setzen eine ironische Metapher ein. Die lichkeiten der Verfremdung von Materialien, ebenso
Strategie des Zitats prägt die Arbeit des Schweizer Trockel und Fischli/Weiss, wobei ihr Humor subtiler
Künstlerduos Fischli/Weiss, aber sie unterscheidet erscheint, und nicht zwangsläufig im Vordergrund
sich in ihrer Umsetzung von den zu Beginn erwähn- steht. Die ironische Verfremdung, die sich u. a. mit
ten Witz-Bildern von R. Prince. Sie betreiben eine den Möglichkeiten der Collage, Montage und Verklei-
Enthierarchisierung der Alltagswelt, ähnlich wie sie dung bis zur grotesken Absurdität steigert, prägt das
die Dadaisten mit ihren Montagen vorgenommen ha- Schaffen der Dadaisten, Fluxus-Künstler, Wiener Ak-
ben. Ihr Credo lautet, allen Begebenheiten und Din- tionisten bis hin zu West, Kelley und McCarthy. Aber
gen die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. Auf iro- auch bei ihnen hinterlässt der Einsatz von Zitaten
nisch subtile Weise stellten sie z. B. Alltagssituationen Spuren im Werk, so dass sich konstatieren lässt, dass
nach, wie etwa mit der 1993 im Museum für Moderne Künstlerinnen und Künstler oft beide Strategien zur
Kunst in Frankfurt eingerichteten Installation Raum Ironisierung einsetzen, die der Verfremdung und die
unter der Treppe, bei der es sich um die Nachstellung des Zitats.
eines Arbeits- bzw. Abstellraums handelt. Der Be- Der Philosoph V. Jankélévitch glaubt, dass die Iro-
sucher erhält einen scheinbaren Eindruck aus dem nie, trotz ihrer Distanz zur Realität, etwas Wahres und
Alltag der musealen Arbeitswelt. Fischli/Weiss haben Klarheit hinterlassen kann, während andere Theo-
jedoch über einhundert Gegenstände aus dem Kunst- retiker wie A. Aßmann durch die Ironisierung von
stoff Polyurethan geschnitzt und mit Acryl und Dis- »Auslegungsformen und der darauf begründeten so-
persionsfarbe bemalt, so dass sie zwar funktionslos zialen Praxis« immerhin »neue Kontextinterpretatio-
aber täuschend echt imitiert als Stellvertreter ihrer nen und neue Handlungsformen« für möglich erach-
nutzbaren Vorgaben fungieren. Das Kunstwerk ist ten (vgl. Jankélévitsch 2012, 58 ff. u. Aßmann 2008,
hier ästhetischer Störfaktor, der dem Besucher das 280). Mit der Ironie umgehen Künstlerinnen und
Museum nicht nur als Ort der Präsentation, sondern Künstler die Konventionen des Kunstsystems und des
auch dessen Arbeitsleben vorführt, und durch den ei- Alltags, mit ihr ertragen sie den Widerspruch zwi-
ne privat geprägte Wirklichkeit mit einem kollektiven schen Ideal und Realität, zwischen Traum und Trug-
Bewusstsein gekoppelt ist. schluss:
Die Ironie stellt oft ein Wagnis dar, zum einen, weil
der Rezipient zu sehr von ihr selbst betroffen ist, oder »Mag es sich um Widersprüche zwischen Interessen
zum anderen, weil er sie im Kontext von Ideologien handeln, die nicht miteinander vereinbar sind oder um
oder Herrschaftsverhältnissen nicht erkennt (vgl. [solche] zwischen Positionen, die nicht konvergieren
hierzu Colebrook 2004, 158 ff.). Die Übergänge von wollen und dennoch koexistieren müssen […]. In jedem
der Ironie zum Ernst sind fließend, ebenso die von der Fall ermöglicht die Ironie aus Situationen, in denen Wi-
Ironie zur Grotesken und zum Witz. Diese Situation dersprüche zornig aufeinander losgehen, […] eine ver-
führt dazu, dass neben Möglichkeiten auch Ambiva- änderte Situation zu schaffen, in der die Widersprüche
lenzen aufgezeigt werden, die v. a. in der grotesken zwar bestehen bleiben, das Subjekt jedoch nicht mehr
Übersteigerung auch ein Scheitern vorführen. Bei ei- von ihnen bedroht wird« (Schmid 1998, 375).
ner Ironie ohne groteske Verfremdung steht der ver-
söhnliche Humor im Vordergrund, steigert sie sich je-
doch in eine widersprüchliche Absurdität, schlägt sie
um, wie es A. Clayborough formuliert, in einen »Aus-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 329

Literatur Panizza, Oskar: »Der Klassizismus und das Eindringen in


Altorjay, Gabor: »Destruktion und schonungsloser Moder- das Varieté«. In: Die Gesellschaft. Muenchner Halbmonats-
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Haldemann/Christoph Schreier (Hg.): Rosemarie Trockel. 27.1.5 Zeitungs- und Zeitschriftenkolumnen,
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Kunstmuseum Basel, Talbot Rice Gallery, Edinburgh &
Kunstmuseum Bonn. Ostfildern 2010, 103–111. Ab dem 19. Jh. wird Komik durch die aufkommenden
Feyerabend, Paul: Wissenschaft als Kunst. Frankfurt a. M. Humor- und Satirezeitschriften auch in der Nachrich-
1984. tenpresse gesellschaftsfähig, wo sie sowohl satirisch-
Grosz, George: »Brief an Otto Schmalhausen, 15.12.1917«.
kritisch genutzt als auch zur reinen Unterhaltung ein-
In: ders.: Briefe 1913–1959. Hg. von Herbert Knust. Rein-
bek 1979, 56. gesetzt wird. Das wichtigste publizistische Wortgenre
Hausmann, Raoul: »Adolf Kutschenbauch (Eine bürgerliche ist dabei die Glosse. Als eine unterhaltende Mei-
Entwicklung)«. In: Michael Erlhoff (Hg.): Raoul Haus- nungsäußerung treibt sie »Argumente auf die Spitze«,
mann. Bilanz der Feierlichkeit – Texte bis 1933. Bd. 1. ist »ironisch«, soll »übertreiben, entlarven, verspot-
München 1982, 150–160. ten« und »witzig sein« (Mast 2008, 309); als eine feuil-
Hausmann, Raoul: »Dada ist mehr als Dada«. In: De Stijl 4.
Jg., 3 (1921), 42–46.
letonistische, also kleine journalistische Form zeich-
Herzfelde, Wieland: »Zur Einführung«. In: Erste Internatio- net sie sich stilistisch durch die Präsentation einer
nale Dada-Messe. Ausst.-Kat. Galerie Dr. Otto Burchard. subjektiven Meinung und kritische Reflexion aus. Seit
Berlin 1920, 2–3. 1946 gilt »Das Streiflicht« der Süddeutschen Zeitung
Huelsenbeck, Richard (Hg.): Dada Almanach, Berlin 1920. gemeinhin als das Beispiel für Glossen in der Nach-
Hülsmanns, Dieter: »Kultur des Rasters. Ateliergespräch mit
richtenpresse.
dem Maler Sigmar Polke«. In: Rheinische Post, 10.5.1966,
26. Angelehnt an dieses Vorbild erscheinen in anderen
Jankélévitsch, Vladimir: Die Ironie [1964]. Berlin 2012. Zeitungen ebenfalls tägliche Kolumnen, wie »Zippert
Japp, Uwe: Theorie der Ironie. Frankfurt a. M. 1983. zappt« seit 1999 in Die Welt. Der satirische Kommen-
Levine, David: Levines lustiges Literarium. Reinbek 1973. tar von Ex-Titanic-Chefredakteur Zippert weist im
Luckhardt, Ulrich: Lyonel Feininger. Die Karikaturen und das medialen Welt-Universum des Springer-Verlags eine
zeichnerische Frühwerk. München 1987.
Nietzsche, Friedrich: »Die Geburt der Tragödie« [1872]. In:
außerordentliche Karriere auf: Druckgleich erscheint
ders: Kritische Studienausgabe. Hg. von Giorgio Colli/ er täglich im Ableger Die Welt kompakt und auch die
Mazzino Montinari. Bd. 1. München 1999, 9–156. Sonntagsausgaben beider Zeitungen drucken entspre-
Nietzsche, Friedrich: »Die fröhliche Wissenschaft« [1882]. chende Beiträge des Kolumnisten. Flankierend er-
In: ders: Kritische Studienausgabe. Hg. von Giorgio Colli/ scheint »Zippert zappt« als Videoblog online auf welt.
Mazzino Montinari. Bd. 3. München 1999, 343–651.
de. Ähnlich wie Die Welt mit Zippert setzte auch das
Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente. 1885–1887.
In: ders: Kritische Studienausgabe. Hg. von Giorgio Colli/ Nachrichtenmagazin Focus auf Unterhaltung durch
Mazzino Montinari. Bd. 12. München 1999. eine im Fach der Satire und Komik beheimatete Per-
son: So schrieb der Entertainer Harald Schmidt zwi-
330 III Mediale Formen des Komischen

schen 1994 und 2013 für das wöchentlich erscheinen- Rubrik »Comic der Woche«. Parodistisch bezieht sich
de Magazin eine Kolumne im Stil des Humors seiner hierauf, wie überhaupt auf die gesamten inhaltlichen
Late-Night-Fernsehshow. und darstellerischen Konventionen der gegenwärti-
Neben Glossen und Kommentaren ist es insbeson- gen Presseerzeugnisse für Jugendliche, das MAD-Ma-
dere die Karikatur, durch die in der Nachrichtenpresse gazine in seiner seit 1998 erscheinenden Neuauflage,
satirische Kritik am aktuellen Zeitgeschehen geübt zu der es im Zuge der Ausstrahlung von »MAD TV«
wird. In nahezu allen größeren deutschsprachigen Ta- beim Privatsender RTL kam (vgl. Jöricke 2002). Einen
geszeitungen hat dieses Bildgenre einen festen Platz festen Platz für komische Inhalte bietet seit jeher die
inne, in der Regel in den kommentierenden Rubriken doppelseitige Rubrik »Witze, Tipps & Tricks« in Mi-
des Mantelteils (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter ckey Mouse (wo sich ergänzend noch eine weitere Wit-
Rundschau). Nach den Anschlägen auf das französi- ze-Seite findet) und mit dem auf der Rückseite erschei-
sche Satiremagazin Charlie Hebdo hatte die Karikatur nenden Enten-Kurier werden in Form einer »Zeitung
zum Zweck der Solidaritätsbekundung und als politi- für Entenhausen«, dem fiktiven Wohnort der Heft-Fi-
sches Statement für Meinungs- und Pressefreiheit in guren, allerlei humoristische ›Nachrichten‹ um Do-
allen Zeitungen traurige ›Hochkonjunktur‹: So fand nald, Dagobert und Co. gebracht.
sich im Mantelteil der Frankfurter Allgemeinen Sonn- Interessanterweise adaptiert Mickey Mouse mit sei-
tagszeitung in der Ausgabe nach den Anschlägen ner rückseitigen Fake-Zeitung ein Verfahren, das
(Nr. 2 des 15. Jahrgangs, 11.1.2015) eine Karikatur auf durch die Satire- und Humorzeitschriften etabliert
jeder Seite. wurde: Auch die »Funzel« in Eulenspiegel ist und die
Während im Bereich der gedruckten Nachrichten- »Welt im Spiegel« in pardon war jeweils im Stil eines
magazine Der Spiegel mit seinem letztseitigen »Hohl- eigenständigen Blattes in die Zeitschriften ›eingelegt‹.
spiegel« lediglich eine humoristische Presseschau bie- Gleiches gilt für die, wie im Untertitel benannt, als
tet, gehört in Focus die Karikatur zu den festen Rubri- »Beilage zum Berliner Tageblatt« von 1914 bis 1930
ken und wird seit 2013 von Geser & Lenz geliefert. erscheinende Satirezeitschrift Ulk, die K. Tucholsky
Gleiches gilt für die Illustrierte stern, die unter den zwischen 1918 und 1920 als Chefredakteur betreute.
Namen der Zeichner als feste Rubrik-Titel gleich Ulk erschien nebenher auch eigenständig und wurde
mehrfach bildliche Unterhaltung liefert – immer ver- zeitweise der Berliner Volks-Zeitung kostenfrei beige-
sehen mit dem Hinweis auf die online-Archive der legt. In genau dieser publizistischen Tradition er-
stern-Homepage mit zahlreichen, vormals im Maga- schien zwischen 1964 und 1980 die pardon-Doppel-
zin erschienenen Zeichnungen. Im feuilletonistisch seite »Welt im Spiegel« (kurz: WimS) als Zeitschriften-
präsentierten Kulturteil »Sein & Haben« bietet stern parodie, mit der genau jene, für pardon charakteristi-
darüber hinaus eine ganze Doppelseite mit humoris- sche »linksengagierte Haltung« (Zehrer 2002, 247)
tisch Unterhaltsamem in Form von Zitatsammlungen, persifliert werden sollte. Ursprünglich wurde WimS
Gedichten, Cartoons, Bildkommentaren und einem durch die späteren Titanic-Mitarbeiter und Begrün-
Rebus. Der stern-Ableger neon (seit 2003) erweitert der der Neuen Frankfurter Schule R. Gernhardt, F. W.
diese Form des Bilderrätsels – augenscheinlich an die Bernstein (Fritz Waigle) und F. K. Waechter betreut.
WDR-Fernsehsendung »Zimmer frei« (seit 1996) an- Die WimS-Komik erweist sich als selbst- und damit
gelehnt – zu einer ganzseitigen Rubrik. zugleich medienreflexiv, denn Rubriken wie ›Kurz
Grundsätzlich finden sich humoristisch-unterhal- und uninteressant‹, ›Der Griff in die Geschichte‹ oder
tende Inhalte der unterschiedlichsten medialen For- ›Witz des Monats‹ »rekurrieren jeweils auf bekannte
men in fast allen gegenwärtigen Presseerzeugnissen. Textmuster und evozieren entsprechende Lesererwar-
So eröffnet die TV-Programmzeitschrift TV Movie auf tungen, die dann überraschend düpiert werden«
Seite eins mit zumeist ›witzigen‹ Zitaten von Promi- (Maintz 2013, 235). Durch dominanten Verzicht auf
nenten. In Bild finden sich unter der Rubrik »Lachen satirische Kritik bereitete WimS dem modernen Non-
mit Bild« täglich drei Witze, wobei die den kurzen Tex- sens den Weg in die sog. ›Hochkomik‹ im Sinn der
ten zugeordneten und in Bezug auf deren Inhalte re- Neuen Frankfurter Schule.
dundant erscheinenden Kategorien (z. B. ›Arzt-Witz‹) Eine Sonderstellung in der gegenwärtigen Presse-
denen aus Witzsammlungen entsprechen, für die sie landschaft kommt der seit 1991 erscheinenden Satire-
ein genuines Merkmal darstellen. Auch der Jugend- Seite »Wahrheit« in der Berliner tageszeitung zu. Wie
magazin-Klassiker Bravo bietet auf der Doppelseite Chr. Maintz zu Recht feststellt, ist sie derzeit »das ein-
»Fun & Quiz« Unterhaltung, beispielsweise mit der zige fest institutionalisierte Forum für (literarische)
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 331

Komik und Satire innerhalb der deutschsprachigen Abklingen der Flugschriftenliteratur in den 1540er
Tagespresse« (ebd., 237). Mit eigener Kolumne, Non- Jahren verschiebt sich die satirische Darstellung in den
sens-Meldungen, Karikatur und Cartoon erscheint in Bereich der Erzählprosa, insbesondere in Form der
die »Wahrheit« das gesamte darstellerische Spektrum sog. Schwank- und Volksbücher (vgl. Arntzen 2010).
der satirischen Publizistik.
Frankreich
Literatur Die Geschichte der neuzeitlichen satirischen Publizis-
Jöricke, Christian: »MAD wird 50 – na und? [2002]«. http:// tik beginnt im 19. Jh. in Frankreich: Auch wenn die
www.titanic-magazin.de/fileadmin/wwwold/www/ Absetzung Karls X. während der Julirevolution von
archiv/1002/mad1.php (19.1.2015).
Maintz, Christian: »Zur Geschichte der Elchkritik. Institu-
1830 den machtpolitischen Einfluss der Bourgeoisie
tionen der Hochkomik: die Neue Frankfurter Schule.« In: stärkt, steht der neue Bürgerkönig Philippe unter be-
Friedrich W. Block/Rolf Lohse (Hg.): Wandel und Institu- sonderer Beobachtung der Öffentlichkeit. Explizit da-
tion des Komischen. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kollo- für gründet der aus Lyon stammende Graphiker und
quiums. Bielefeld 2013, 231–256. Publizist Ch. Philipon (1806–1862) 1830 in Paris die
Mast, Claudia (Hg.): ABC des Journalismus. Ein Handbuch.
erste moderne Satirezeitschrift: La Caricature polit-
München 112008.
Zehrer, Klaus Cäsar: Dialektik der Satire. Zur Komik von Ro- ique, morale et littéraire. Sie erscheint fünf Jahre lang
bert Gernhardt und der »Neuen Frankfurter Schule«. Osna- mit einem Umfang von vier Seiten, von denen zwei
brück 2002. ganzseitig illustriert sind, und einer durchschnitt-
lichen Auflage von rund 1.000 Exemplaren. Besonde-
Nils Jablonski
re Berühmtheit erlangen die Zeitschrift und ihr Grün-
der durch den Gerichtsprozess gegen Philipon von
1831 wegen Majestätsbeleidigung: La Caricature hatte
27.1.6 Humor- und Satirezeitschriften
Skizzen Philipons veröffentlicht, in denen er den Kopf
Geschichte der satirischen Publizistik des Königs zu einer Birne transformiert.
Humor- und Satirezeitschriften sind eine konkrete Nach seiner Haftentlassung gründet Philipon das
mediale Erscheinungsform der Komik. Im deutsch- Schwesterblatt Le Charivari, das von 1832 bis 1936
sprachigen Raum erfolgt ihre »publizistische Institu- erscheint. Trotz ihrer parallelen Publikation stehen
tionalisierung« (Schulz 1975, 12) ab etwa der Mitte die Zeitschriften nicht in Konkurrenz zueinander: Als
des 19. Jh.s. Als periodisch erscheinende, »unbuch- Wochenzeitschrift ist La Caricature auf den ›großen
mäßig[e] Mitteilungsformen« (Schottenloher 1922, Kampf‹ gegen das politische System ausgerichtet,
16) sind Humorzeitschriften des Typus ›Witzblatt‹ während Le Charivari als Tageszeitung die Lächerlich-
dem Bereich der harmlos-unterhaltenden Komik zu- keiten des Pariser Stadtlebens aufdeckt und mehr über
zurechnen, wohingegen die explizit satirische Publi- kulturelle Themen berichtet. Nach einem Anschlag
zistik, die sich im nachrevolutionären Frankreich aus auf den König und der daraus resultierenden Ver-
der Tradition der zumeist anonym verfassten Flug- schärfung der Pressegesetze stellt La Caricature ihr
blätter und Plakatanschläge entwickelt und sich von Erscheinen 1835 ein; Le Charivari erscheint weiterhin,
dort in ganz Europa verbreitet, eine ästhetische, aber weil die Zeitschrift ihre direkte politische Kritik zu-
nicht notwendigerweise komisierte Form der Kritik nehmend aufgibt. Ab 1926 wird Le Charivari schließ-
darstellt. Diese richtet sich gegen die je aktuell herr- lich zu einer illustrierten Wochenzeitschrift. 20 Jahre
schenden, gesellschaftspolitischen Missstände und nach der erneuten Einstellung wird die Zeitschrift
zeigt in ihrer literarisch-künstlerischen Ausprägung 1957 dem Namen nach neu aufgelegt, allerdings nicht
als Karikatur eine besondere ästhetische Verbindung in ihrem ursprünglich progressiv-republikanischen
von Sprache und Bild. Sinn, sondern als ein alle zwei Monate erscheinendes,
Satirische Genres konstituieren sich bereits in der nationalistisch-restauratives Propagandablatt. Zwi-
Antike (Verssatire, Dialog) und auch in der mittelalter- schen 1969 und 1975 erscheint Le Charivari dann nur
lichen Sangspruchdichtung (s. Kap. 23.1.3) wird politi- noch als 60-seitige Vierteljahrsschrift zu unpoliti-
scher und persönlicher Tadel satirisch gestaltet. Erste schen Themen (vgl. Koch/Savage 1984).
Vorläufer der satirischen Publizistik sind ab der Frü- Im 19. Jh. kommt es in Frankreich zur Gründung
hen Neuzeit auszumachen. Anfang des 16. Jh.s kommt weiterer kleiner und oft nur sehr kurzlebiger humoris-
es durch die Reformation zur massenhaften Verbrei- tisch-satirischer Zeitschriften, insbesondere nach der
tung von zumeist satirischen Flugschriften. Nach dem erneuten Lockerung der Pressegesetze 1881. Im Zuge
332 III Mediale Formen des Komischen

der Pariser Februarrevolution von 1848 hatte Philipon ventivzensur bereits 1695 aufgehoben wurde (vgl.
bereits sein drittes Blatt, das Journal pour Rire, gegrün- Zimdars 1972), vielmehr der Ausdifferenzierung des
det. Weitere Blätter des ausgehenden 19. Jh.s sind Le Marktes für Periodika geschuldet: Als eine Art fami-
Pierrot (1891), Le Fifre (1889 mit nur 15 Ausgaben), liäres Unterhaltungsblatt nimmt Punch einen Platz
Gil Blas illustré (1891–1997) und Le Rire (1894–1940; zwischen der etablierten Nachrichtenpresse und derb-
1946–1949; 1951–1971). Die besondere Verflechtung vulgären Nischen-Magazinen ein (vgl. Price 1957).
der medialen Erscheinungsformen des Satirischen zu Auf kleinere, englische Vorläufer wie Punchinello oder
dieser Zeit zeigt sich an den beiden Zeitschriften Le Punch in London nimmt die Zeitschrift durch ihren
Chat Noir (1882–1997) und Le Mirliton (1885–1906), Namen – nach der Figur des Hanswurst (Pulcinella)
die beide aus den gleichnamigen Pariser Kabaretts aus der italienischen Commedia dell’Arte – Bezug. In
hervorgehen. Zu Beginn des 20. Jh.s erscheint L’ Assiet- den folgenden Jahrzehnten entwickeln sich im 19. Jh.
te au beurre (1902–1912) als sozialistisch orientierte neben Punch weitere humoristisch-satirische Zeit-
Zeitschrift. Während des Ersten Weltkriegs wird mit schriften wie Vanity Fair, The Great Gun, The Man in
La Baïonette (1915–1920) eine pro-nationalistische the Moon, Puppet Show oder The Arrow, die aber auf
und mit Le Canard enchâiné (1915 bis heute) eine ge- Grund des hohen Konkurrenzdrucks am Zeitschrif-
gen die Kriegspropaganda gerichtete Zeitschrift ge- tenmarkt nur wenige Jahre lang erscheinen. Punch
gründet. Zu einer erneuten Gründungswelle kommt bleibt die langlebigste dieser Zeitschriften: Nach der
es in den 1960er Jahren: Während Siné Massacre Einstellung 1992 kommt es zwischen 1996 und 2002
(1962) und L’ Enragé (1968) mit nur wenigen Aus- noch einmal zur Neuauflage.
gaben ein paar Monate lang erscheinen, kann sich das
Provokationsblatt Hara-kiri (1960) ganze 26 Jahre am Deutschland
Markt halten (vgl. Feuerhahn 2013). Die satirische Publizistik in den einzelnen Staaten des
Deutschen Bundes steht vor 1848 unter dem Einfluss
England der verschärften Pressegesetze nach den Karlsbader
Schon zu ihren Anfangszeiten im 19. Jh. hat die satiri- Beschlüssen von 1819. Ausgehend vom Feuilleton in
sche Publizistik Frankreichs Auswirkungen auf ganz der Nachrichtenpresse entwickeln sich etwa ab den
Europa, wo die französischen Blätter rezipiert und 1830er Jahren zahlreiche satirisch-humoristische Pe-
schließlich auch nachgeahmt werden. Das zeigt sich riodika, die aber zumeist nur sehr kurz erscheinen.
an entsprechenden Titelreferenzen: So erscheinen in Auf diese Entwicklungen am Zeitungsmarkt reagiert
Deutschland gleich zwei ›Charivaris‹, von 1842 bis die satirische Publizistik selbstreflexiv, z. B. mit der
1852 in Leipzig und 1847 in Berlin. Noch deutlicher Rubrik eines ›Kirchhofs für eingegangene Zeitschrif-
ist die namentliche wie programmatische Verwandt- ten‹ in dem von A. Glaßbrenner gegründeten, von
schaft bei Punch, Englands berühmtester Satirezeit- 1827 bis 1831 wöchentlich erscheinenden Berliner
schrift, die 1841 von dem Zeichner E. Landells und Unterhaltungsblatt Don Quixote.
dem Journalisten H. Mayhew gegründet wird und den Zu den ersten langlebigen deutschsprachigen Hu-
Untertitel »The London Charivari« trägt. Analog zum mor- und Satirezeitschriften zählen Fliegende Blätter
Pariser Vorbild steht in Punch die große, einseitige sa- (1844–1928), Kladderadatsch (1848–1898), Der wahre
tirische Karikatur im Mittelpunkt (vgl. Price 1957). Jacob (1884–1933) und Simplicissimus (1896–1944;
Neben gesellschaftlichen Themen widmet sich der 1954–1967). Die ›Fliegenden‹ sind das erste deutsch-
wöchentlich erscheinende Punch insbesondere dem sprachige Witzblatt mit überregionaler Bedeutung.
Theater. Insgesamt setzt die Zeitschrift mit eher ver- Gegründet in München von F. F. Schneider und K.
halten satirischer Kritik und harmlos-unterhalten- Braun, die kollaborativ die ersten Beiträge verfassen
dem Humor in Form von kleinen Wortwitzen (puns) und illustrieren, erscheint die Zeitschrift erst ab der
sowie illustrativ-ornamentalen Zeichnungen zu den 60. Nummer bis zur Einstellung 1944 regelmäßig wö-
Artikeln die bei Le Charivari begonnene Entwicklung chentlich. Während der Zeitschriftentitel einen Bezug
weg von der politisch-satirischen Kampfschrift hin zur Publizistik der Reformationszeit suggeriert, ist die
zum allgemein unterhaltenden Witzblatt fort. Was im Programmatik des Blattes weniger satirisch-kritisch
Fall des französischen Vorbilds angesichts der gesetz- als vielmehr harmlos-unterhaltend. Schärfer als die
lich verschärften Zensur ein Mittel zur Überlebens- ›Fliegenden‹ sind in Text und Bild zu dieser Zeit die
sicherung darstellt, ist in England, wo schon seit dem Münchener Leuchtkugeln – laut Untertitel »Rand-
18. Jh. relativ liberale Pressegesetze gelten und die Prä- zeichnungen zur Geschichte der Gegenwart« –, die ab
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 333

1848 drei Jahre lang erscheinen. Ähnliches gilt für die plicissimus ab, dessen Titel in Bezug auf die von Grim-
Düsseldorfer Monatshefte (1847–1858), die durch das melshausen im 16. Jh. geschaffene Romanfigur steht.
Umfeld der Düsseldorfer Akademie besonders im ge- Ihr anspruchsvolles Satireprogramm in Text und Bild
stalterischen Bereich so anspruchsvoll wie satirisch- sowie das gestalterische Gesamtkonzept lassen die
kritisch sind. Das künstlerische Selbstbewusstsein wöchentlich erscheinende Zeitschrift zur künstlerisch
zeigt sich in den ›Monatsheften‹ v. a. daran, dass im anspruchsvollsten ihrer Zeit werden. Bekanntheit er-
Unterschied zu den ›Fliegenden‹ die meisten Beiträge langt das Blatt, das zu Beginn insbesondere die Au-
nicht anonym erscheinen (vgl. Gehring 1927). ßenpolitik des Kaiserreichs kritisiert, durch promi-
Analog zum französischen ›Charivari‹ bezeichnet nente Mitarbeiter wie den von den ›Fliegenden Blät-
der Begriff ›Kladderadatsch‹ in der Berliner Mundart tern‹ herübergewechselten Zeichner Th. Th. Heine,
einen besonderen Lärm. Einen solchen macht die ab dessen Bulldogge zum Markenzeichen von Simplicis-
Mai 1848 in Berlin (und zwischenzeitlich mit Verlags- simus wird, sowie durch Beiträge namhafter zeitge-
ort in Leipzig und Eberswalde) erscheinende Zeit- nössischer Schriftsteller wie F. Wedekind oder R. M.
schrift dieses Namens insofern, als sie im deutsch- Rilke. Während des Ersten Weltkriegs unterstützt
sprachigen Raum zum populärsten Witzblatt in der Simplicissimus die nationalistischen Tendenzen im
zweiten Hälfte des 19. Jh.s avanciert (vgl. Schulz 1975). Kaiserreich; durch Gleichschaltung in der NS-Zeit
Der Verlagsbuchhändler G. H. A. Hofmann gründet kann die Zeitschrift weiterhin erscheinen, bis sie
die Zeitschrift zusammen mit den Schriftstellern J. schließlich 1944 eingestellt wird. 1946 kommt es zu ei-
Schweizer und D. Kalisch, der dann mit den drei Mit- ner Neuauflage unter dem Titel Der Simpl, die sich
arbeitern E. Dohm, R. Löwenstein und W. Scholz in aber nur bis 1950 halten kann (siehe unten). Drei Jah-
den ersten Jahren ein Leitungskollektiv unter dem Na- re später erwirbt der Karikaturist O. Iversen die Na-
men ›Gelehrte des Kladderadatsch‹ bildet. Der gram- mensrechte vom bayerischen Staat und legt die Zeit-
matikalisch falsche Untertitel (»Organ für und von schrift unter dem Ursprungstitel bis 1967 neu auf.
Bummler«) wird zunächst ab Nummer 20 des zweiten In der Zeit von 1900 bis zur Machtübernahme der
Jahrgangs durch Umstellung der Präpositionen vari- Nazis 1933 differenziert sich die satirische Publizistik
iert und ab Nummer  32 desselben Jahrgangs ersetzt dahingehend, dass es zu zahlreichen Neugründun-
durch »Humoristisch-satyrisches Wochenblatt« (ab gen kleiner Zeitschriften jeglicher politischer Couleur
Ausgabe 18/1871 orthographisch revidiert zu ›sati- kommt. Im Zuge der Gleichschaltung wird mit der
risch‹). Die NS-Zeit überlebt Kladderadatsch nicht zu- ›Verordnung zum Schutz von Volk und Staat‹ die ge-
letzt deshalb, weil die Zeitschrift schon vor der Macht- setzlich gesicherte Meinungs-, Versammlungs- und
übernahme der Nazis auf Parteilinie ausgerichtet war. Pressefreiheit der Weimarer Republik ausgesetzt. Mit
1944 wird das Erscheinen eingestellt. der Brennessel verfügt die NSDAP seit 1931 zudem
Um 1848 kommt es zu weiteren, zahlreichen Neu- über ein parteieigenes Satireorgan, das wie die übri-
gründungen in der satirischen Publizistik. Ernsthafte gen, ›gesäuberten‹ gegenüber dem Ausland die publi-
Konkurrenz erhält Kladderadatsch aber erst gegen zistische Liberalität Nazideutschlands bescheinigen
Ende des 19. Jh.s durch die Zeitschriften Der wahre Ja- soll. Ein besonderes Phänomen der 1930er Jahre ist
cob und Simplicissimus. 1879 in Hamburg gegründet, die Exil-Presse. Deutschsprachige, antifaschistische
wird der monatlich erscheinende ›Wahre Jakob‹ als Zeitschriften werden v. a. von Prag aus verbreitet. Von
sozialdemokratisch orientiertes Periodikum von 1934 bis 1954 erscheint in einer deutschen und einer
J. H. W. Deitz herausausgegeben. Die publizistischen tschechischen Ausgabe das satirische Blatt Der Simpli-
Einschränkungen im Zuge der Bismarckschen Sozia- cus (später: Der Simpl), das bewusst in Opposition
listengesetzte führen 1884 zu einer Verlegung des Ver- zum angepassten Münchner Simplicissimus angelegt
lagsorts nach Stuttgart, von wo aus die Zeitschrift zu- ist (vgl. Hippen 1986).
nächst bis 1923 erscheint. Nach der Titeländerung zu Die Publizistik der Nachkriegszeit in Deutschland
›Lachen links‹ (1924–1927) wird Der wahre Jacob bis ist von der jeweiligen Medienpolitik der Siegermächte
zur Einstellung 1933 wieder unter seinem ursprüng- geprägt. Die Alliierten zielen nach 1945 auf Wieder-
lichen Titel herausgegeben. herstellung von Meinungs- und Pressefreiheit einer-
Von Kladderadatsch und Der Wahre Jakob setzt sich seits sowie Entnazifizierung andererseits. Zwar gibt es
der 1896 erstmals erscheinende, von Verleger A. Lan- offiziell keine Zensur, allerdings wird durch Lizensie-
gen ein Jahr zuvor in München gegründete und expli- rung Einfluss auf die Publizistik genommen. Zudem
zit an den französischen Vorbildern orientierte Sim- ist die Rationierung von Papier ein weiteres Instru-
334 III Mediale Formen des Komischen

ment zur Steuerung der gedruckten Presse. In West Tageszeitung Tribüne beigelegten humoristischen
wie Ost kommt der satirischen Publizistik außerdem Wochenblatts Die Wespen und zum anderen in der des
eine erzieherische Funktion im Dienst der jeweiligen gleichnamigen Berliner Arbeiterkabaretts von 1929.
politischen Ideologie zu: Während das ›re-education‹- Während das ›Nest‹ versucht, an eine vergangene sati-
Programm der Alliierten auf Demokratisierung und rische Tradition anzuknüpfen, verharrt der vierzehn-
Pluralismus setzt, ist die sog. ›positive Satire‹ in der tägig im Münchener Freitag-Verlag erscheinende
Sowjetzone und späteren DDR Teil der Leninschen ›Simpl‹ in dem anachronistischen Bemühen, die Ver-
›Presse neuen Typs‹ und zwar in dem Sinn, dass sie gangenheit durch schlichte Kopie des Simplicissimus
sich »dialektisch und konstruktiv zu den Widersprü- wiederzubeleben (vgl. Jendricke 1982).
chen des Aufbaus des Sozialismus« (Urbano 2012, 82)
verhalten solle. Vorbildhaft für die satirische Publizis- Neuere Geschichte und Gegenwart
tik der DDR ist die in der Folge der Oktoberrevolution Die neuere Geschichte der satirischen Publizistik be-
1917 zunächst als illustrierte Beilage zur Zeitung Ra- ginnt in Deutschland in den 1960er Jahren mit par-
botschi (›Der Arbeiter‹) aufgelegte und ab 1922 selbst- don, einem satirischen Kultur- und Politmagazin, das
ständig erscheinende Satirezeitschrift Krokodil. Ins- von September 1962 bis April 1982 monatlich und da-
gesamt erscheinen in der DDR drei satirische Zeit- nach bis zu seiner Einstellung im Juni 1982 zweiwö-
schriften: zunächst Ulenspiegel (1945–1950), dann chig erscheint. Erfolg erzielt das von E. Bärmeier und
Frischer Wind (1946–1954) sowie als dessen Fortset- H. A. Nikel gegründete Magazin durch einen »Spagat
zung bis in die Gegenwart Eulenspiegel. Als ursprüng- zwischen linksoppositioneller Publizistik und locke-
liche West-Berliner Neugründung durch G. Wiesen- ren Albereien«, was es zur geistigen »Vorreiterin der
born und H. Sandberg wird Ulenspiegel 1948 in den Studentenbewegung« (Zehrer 2002, 243) macht. Ne-
Sowjet-Sektor der Stadt überführt und schon kurz ben Loriots berühmten zeichnerischen Beiträgen und
nach der Gründung der DDR eingestellt. dem dominanten Thema ›Sex‹ enthält das Blatt aber
Als wöchentliches Periodikum avanciert Eulenspie- auch zahlreiche ernsthafte und politisch engagierte
gel schnell zu einem der erfolgreichsten Presseerzeug- Reportagen. Während gegen Ende der 1970er Jahre
nisse der DRR und bleibt bis heute die auflagenstärks- das linksintellektuelle Profil des Magazins zuneh-
te satirische Zeitschrift Deutschlands. Trotz der zu mend aufgegeben wird, entwickelt sich auf Initiative
DDR-Zeiten knappen Papierzuteilung erzielt Eulen- einiger pardon-Mitarbeiter die Idee zur Gründung ei-
spiegel zwischen 1954 und 1989 eine sechsstellige Auf- nes sog. ›endgültigen Satiremagazins‹ – so der spätere
lage; seine Rezipientenzahl ist realiter allerdings weit- Untertitel von Titanic –, das seit November 1979 er-
aus höher, da die Zeitschrift vielfach von Hand zu scheint und bis heute als zweitgrößtes satirisches Pe-
Hand weitergereicht und gelesen wird. Neben eher riodikum neben Eulenspiegel gewissermaßen dessen
harmlos-systemkritischen Artikeln erscheinen in Eu- West-Pendant darstellt. Gegenwärtig gehört Titanic zu
lenspiegel auch Beiträge zur BRD. Jedes fünfte Heft den Institutionen satirischer Publizistik in Deutsch-
bringt auf der Rückseite zudem die ›Funzel‹, die »das land, auch wenn sich der satirische Gehalt seit der
Bedürfnis nach Nonsens-Humor und Sex befriedigt« Gründung des Magazins dahingehend verlagert hat,
(Jaeger 1984, 110) – eine traditionsreiche Rubrik, die dass es »nur noch wenig für die politische Bewusst-
sich bis heute erhalten hat, inzwischen aber ins Heft- seinsbildung seiner Leserschaft tut« (ebd., 261).
innere verlagert ist und – so der Untertitel – seit »der Als Dominante in der historischen Entwicklung
Großen Revolution 89/90 unabhängig vom Eulenspie- der satirischen Publizistik zeigt sich auch im 20. Jh.,
gel« erscheint. dass die populären großen Zeitschriften von kleineren
Neben zahlreichen kleineren lokalen Blättern wie lokalen flankiert werden, von denen die meisten aber
Haifisch (Essen), Tintenfisch (Saarbrücken), Bume- nur kurze Zeit bestehen. In den 1960/70ern zählen
rang (Hamburg) oder Der Igel (Freiburg) wird die sati- hierzu beispielsweise Fallbeil, Satt, Exitus, Eintopf,
rische BRD-Nachkriegs-Publizistik von zwei Periodi- Niespulver, 833, Charly Kaputt u. a. (vgl. Hippen
ka dominiert: Das Wespennest (1946–1949) und Der 1986). In den 1980/90er Jahren entstehen v. a. »Unter-
Simpl (1946–1950). Dem eigenen Untertitel gemäß er- grundmagazine« und »Szenepostillen« (Knorr u. a.
scheint Das Wespennest im Stuttgarter Heidorn-Ver- 2009, 88), aus denen die ›Großen‹ ihren satirischen
lag als ›Politisch-satirische Wochenschrift‹ und steht Nachwuchs rekrutieren. Zu nennen sind hier u. a.
dem Namen nach in einer doppelten Tradition, näm- Dreck-Magazin, Ich und mein Staubsauger, Unser
lich zum einen in der des 1866 erstmalig der Berliner Huhn, Looke & Trug, Heinz oder Kowalski. Neben Ti-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 335

tanic und Eulenspiegel gehört das Satire- und Kaba- dierung des Kaiserreichs populäre ›harmlose‹ Witz-
rett-Magazin Satirikon zu den gegenwärtigen Erschei- blatt (z. B. Kladderadatsch) untergliedern. Da sich die
nungen der satirischen Publizistik in Deutschland; »satirische Intention« einer Zeitschrift immer auch
das jüngste Periodikum ist Exot (seit 2005). »in der Gesamtstruktur des Mediums« (Jendricke
Der Blick auf die gegenwärtige satirische Publizis- 1982, 99) konstituiert, lässt sich auf dieser Mikroebe-
tik in Frankreich und den USA zeigt, was ebenfalls für ne nach sprachlichen und bildlichen Erscheinungs-
Deutschland gilt. Den Markt dominieren nur wenige formen des Satirischen differenzieren, wobei im erst-
große Zeitschriften. In Frankreich sind dies Le Ca- genannten Bereich zwischen der Verwendung literari-
nard enchaîné, Charlie Hebdo und Siné Massacre. In scher Gattungen, Genres und Schreibweisen auf der
den Vereinigten Staaten ist es insbesondere The New einen und journalistischen Textsorten auf der anderen
Yorker (seit 1925), der als wöchentlich erscheinendes Seite unterschieden werden kann (vgl. ebd.). Die bild-
Kulturmagazin anspruchsvoll-intellektuelle Komik lichen Erscheinungsformen, die in Humor- und Sati-
bringt. Das auf Grund seiner Ableger in 25 Ländern rezeitschriften v. a. Karikaturen sind, lassen sich durch
wohl bekannteste Satiremagazin ursprünglich US- ihr Verhältnis zwischen Text und Bild (redundant, in-
amerikanischer Provenienz ist MAD, das Erfinder H. terdependent, illustrativ) genauer bestimmen (vgl.
Kurtzman 1952 als Comic-Parodie konzipiert hatte Zimdars 1972).
und dessen Satire sich in den 1970er Jahren auch auf Forschungsarbeiten zur satirischen Publizistik
andere kulturelle und gesellschaftliche Bereiche aus- existieren in allen zuvor genannten wissenschaftli-
weitet. Ab 1967 erscheint monatlich ein deutscher Ab- chen Bereichen. Die meisten Beiträge stammen aus
leger. Unter der Leitung von H. Feuerstein kann das der literatur- und kulturwissenschaftlichen Satirefor-
deutsche MAD Anfang der 1980er Jahre seine größten schung sowie der Kunst- und Kulturgeschichte (vgl.
Erfolge verbuchen. 1995 wird das Erscheinen in u. a. Jaeger 1984; Riha 1992; Häntzschel u. a. 2012),
Deutschland vorläufig eingestellt, bis MAD drei Jahre wobei Arbeiten aus dem letztgenannten Bereich ins-
später als Jugendzeitschriften-Parodie in Opposition besondere den bildlichen Darstellungen in der satiri-
zu Bravo und ähnlichen Blättern wieder aufgelegt wird schen Publizistik gewidmet sind (vgl. u. a. Zimdars
(vgl. Jöricke 2002). 1972; Lammel 1995). Grundsätzlich ist zwischen his-
torischen Gesamtdarstellungen zum Satirischen in
Wissenschaftliche Perspektivierungen unterschiedlichen literarischen Gattungen und me-
Dass Komikgeschichte zugleich Kulturgeschichte ist, dialen Erscheinungsformen (vgl. u. a. Arntzen 1989;
gilt gerade für die Historie der satirischen Publizistik, Häntzschel u. a. 2012) sowie zwischen Arbeiten zu
die sich immer auch als Literatur-, Medien-, Justiz- einzelnen Periodika (vgl. u. a. Schulz 1975; Koch/
und Gesellschaftsgeschichte lesen lässt. Dies macht sie Savage 1984), bestimmten historischen Epochen (vgl.
für ganz unterschiedliche Disziplinen (Literatur-, Me- u. a. Jendricke 1982) oder zu zentralen Persönlichkei-
dien-, Kunst-, Kultur- und Geschichtswissenschaft) ten wie Verlegern, Autoren und Zeichnern zu unter-
relevant, weshalb die wissenschaftliche Behandlung scheiden. Dabei sind es neben Dissertationen oft
der satirischen Publizistik immer auch eine interdis- Ausstellungskataloge und Faksimile-Sammlungen,
ziplinäre Herangehensweise impliziert. Hinzu kommt, die besondere Entwicklungen und Aspekte der satiri-
dass ihre jeweiligen nationalen Traditionslinien im- schen Publizistik an Einzelfällen dokumentieren (u. a.
mer in erweiterter Perspektive betrachtet werden Simplicissimus. Eine Satirische Zeitschrift, München
müssen, da national wie international sowohl auf the- 1978; Bild als Waffe. Mittel und Motive der Karikatur in
matischer als auch medienspezifischer Ebene bewuss- fünf Jahrhunderten, München 1984). Neuerdings er-
te Bezugnahmen, produktive Weiterführungen und gänzen Selbstbeschreibungen von Mitarbeitern hu-
gezielte Verwerfungen zwischen den Periodika er- moristisch-satirischer Zeitschriften in durch diese
kennbar sind. selbst herausgegebenen Anthologien die Sekundär-
Typologisch lässt sich die satirische Publizistik in literatur. Diese poetologischen Reflexionen stehen al-
das ursprünglich in Frankreich entwickelte, politisch lerdings in einer Tradition, die in der satirischen Pu-
oppositionell ausgerichtete Agitationsblatt (z. B. La blizistik bereits institutionalisiert ist, wie z. B. durch
Caricature, Le Charivari) sowie die daraus entwickel- die von R. Gernhardt in Titanic begründete Rubrik
te, eher allgemein gesellschaftskritische Satirezeit- ›Humorkritik‹.
schrift (z. B. pardon, Titanic) und das insbesondere im Eine unverzichtbare Grundlage für die Unter-
19. Jh. im deutschsprachigen Raum nach der Konsoli- suchung von Humor- und Satirezeitschriften stellt die
336 III Mediale Formen des Komischen

Publizistik mit historischen Standardwerken wie K. (vgl. Schottenloher 1922). Später konnten Zeitschrif-
Schottenlohers Monographie Flugblatt und Zeitung ten und Zeitungen, die sich im 19. Jh. neben Plakaten
(1922) sowie entsprechenden Darstellungen neueren zu dem urbanen Medium schlechthin entwickelten,
Datums bereit. Für die Gänze der satirischen Publizis- auch an Kiosken und vereinzelt in Buchhandlungen
tik existieren mit Ausnahme von R. Hippens überaus bezogen werden. Wichtigste Verkaufsstellen wurden
umfangreicher, aber tendenziell populärwissenschaft- schließlich die Bahnhöfe, weshalb es den Absatz von
licher Darstellung Kabarett der spitzen Feder (1986) Simplicissimus auch besonders empfindlich traf, als
und Chr. Gehrings inzwischen zwar historischer, aber der Verkauf dort 1898 zeitweise verboten wurde.
akkurat erarbeiteter Monographie zur Entwicklung Ein weiterer Faktor für den Erfolg oder eben Miss-
des politischen Witzblattes in Deutschland (1927) keine erfolg satirischer Publizistik ist die institutionelle Ein-
umfassenden Arbeiten. Einen Zugang und damit die bzw. Anbindung der Zeitschriften: Kladderadatsch er-
Möglichkeit für weitere Forschung zu den histori- schien bei Hofmann & Comp. und damit in einem
schen Zeitschriften bietet die von der Universitäts- Verlag mit breitem humoristischen Literaturpro-
bibliothek Heidelberg aufgebaute und betreute Samm- gramm. Grundsätzlich ist mit Blick auf die Leitung in-
lung historischer deutsch- und französischsprachiger stitutionalisierter Periodika zwischen der Steuerung
Kunst- und Satirezeitschriften des 19. und 20. Jh.s. Die durch einen Verlag und der Eigenverantwortlichkeit
digitalisierten Faksimiles der Zeitschriften sind online der Redaktionen zu unterscheiden. So wurde Simpli-
zugänglich und mit einer Kurzbeschreibung sowie cissimus 1906 aus dem Albert Langen Verlag heraus-
Angaben zur wichtigsten Forschungsliteratur ver- gelöst und in eine GmbH umgewandelt, um äußeren
sehen (vgl. http://artjournals.uni-hd.de). Einflüssen und verlegerischen Einmischungen vorzu-
beugen (vgl. Zimdars 1972). Ähnlich erscheint später
Diskursive Mechanismen und publizistische Aspekte das Titanic-Geschäftsmodell mit einer Sperrminorität
Perspektiven für die wissenschaftliche Beschäftigung der Gründungsmitglieder gegenüber dem Verlag (vgl.
mit der satirischen Publizistik eröffnen auf der einen Knorr u. a. 2009).
Seite die thematischen Ausrichtungen und Schwer- Die institutionelle Bindung von Satire- und Hu-
punkte der Zeitschriften und auf der anderen ihre me- morzeitschriften bedeutet außerdem einen klaren
dienspezifischen Verfahren, mit denen sie Komik er- Vorteil für die Finanzierung der Zeitschriften. Wäh-
zeugen. Hinzukommen diskursive Mechanismen, de- rend sich Ch. Philipons ›Charivari‹ zu einem Großteil
nen die satirischen Periodika unterliegen, sowie pu- durch Spenden seiner Leser finanzierte und ergän-
blizistische Aspekte. zend Karikaturen aus der Zeitschrift als Einzelblätter
Grundsätzlich sind Entstehung und dann auch Er- oder in Alben verkauft wurden, betrieben die Verlage
folg der satirischen Publizistik an drucktechnische von Simplicissimus und Kladderadatsch ›Resteverwer-
Entwicklungen geknüpft: Hohe Auflagen können erst tung‹ im großen Stil. So erweiterten sie ihr jeweiliges
durch den Druck mit beweglichen Lettern erzielt wer- Verlagsprogramm um zahlreiche, aus den Zeitschrif-
den; im 19. Jh. wirken sich die Erfindung von Schnell- ten hervorgegangene Ablegerprodukte wie Sammel-
presse und Rotationsdruck entsprechend aus. Für die bände vergangener Jahrgänge oder Sonderdrucke.
bildlichen Darstellungen ist die Weiterentwicklung 1850 erschien beispielsweise ein ›humoristischer
der graphischen Reproduktionsverfahren vom Holz- Volkskalender‹ von Kladderadatsch und 1925 Kuddel-
schnitt über den Stich und schließlich zur Litho- muddel, eine Stilblütensammlung aus den Zusendun-
graphie relevant. Trotzdem werden nicht alle druck- gen an das Blatt (vgl. Schulz 1975). Zu den Wieder-
technischen Neuerungen von allen Zeitschriften an- und Weiterverwertungen von Simplicissimus gehörten
genommen: So hielten sowohl die ›Fliegenden‹ als Anekdotensammlungen und Postkarten; mit den
auch Kladderadatsch bis zuletzt am Verfahren des ›Kulturbildern‹ aus der Zeitschrift zu unterschiedli-
Holzschnitts fest, was sie gegenüber anderen Zeit- chen Themen wurde gleich eine ganze Serie von Ab-
schriften, die die neueren Techniken einsetzten, letzt- legern aufgelegt (vgl. Zimdars 1972). Ähnliche ver-
lich antiquiert und überholt erscheinen ließ. legerische Mechanismen haben sich bis in die Gegen-
In ihrer Anfangszeit mussten die hoch aufgelegten wart hinein erhalten.
Periodika, für die einzelne Großstädte die zentralen Mit dem steigenden Auflagenerfolg einer Zeit-
Absatzmärkte waren, allein schon auf Grund ihrer schrift wächst auch der finanzielle Gewinn durch im
(Tages-)Aktualität rasch verkauft werden. Dafür war Heft abgedruckte Anzeigen und Werbung. Dass dies
zunächst der Kolportagebuchhandel verantwortlich nicht immer positive Folgen hat, zeigt pardon: Kurz
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 337

vor der Einstellung des Magazins nahm die Werbung tire- und Humorzeitschriften sind zugleich immer
fast ein Fünftel des Heftumfangs ein – und das nicht ›Kaderschmieden‹ und ›Sprungbretter‹, denn viele
zuletzt auf Kosten der satirischen Inhalte, die in ihrer Karrieren von später berühmten Einzelpersonen be-
ursprünglich linksoppositionellen Ausrichtung mehr ginnen dort. In Frankreich gehörte H. Daumier zu
und mehr an den Rand gedrängt wurden (vgl. Zehrer den vielbeachteten Zeichnern von La Caricature; in
2002). Deutschland konnte v. a. Simplicissimus zahlreiche an-
Die verschiedenen, aus finanziellen Interessen kon- gesehene Künstler und Literaten zu seinen Beiträgern
zipierten Ableger sind die eine Seite medialer Echos zählen (siehe oben).
der satirischen Publizistik. Die andere sind bewusste
Bezugnahmen: So wurden französische Karikaturen Themen und medienspezifische Verfahren zur
in deutschen Blättern nachgedruckt oder nachgeahmt Komikerzeugung
und Zeitschriftentitel verwiesen mitunter direkt auf Die gesamte thematische Bandbreite der satirischen
programmatische Vor- (Punch. The London Chariva- Publizistik ist vielgestaltig und reicht von (inter-) na-
ri) bzw. Feindbilder (Tante Voß mit dem Besen in Be- tionaler Politik über Gesellschaft und Kultur bis hin
zug auf die etablierte Vossische Zeitung). Ein buchstäb- zu Literatur und Kunst. Auf der Ebene der reinen In-
liches Echo stellt die Leserpartizipation dar: Den ›Flie- formation im Sinn der Nachrichtenpresse sind zwei
genden Blättern‹ und auch Simplicissimus konnten die Tendenzen auszumachen: Während das humorvoll-
LeserInnen Ideen für Beiträge und Zeichnungen zu- unterhaltende Witzblatt zumeist fiktive Nachrichten
senden. Die ursprüngliche DDR-Zeitschrift Eulen- bringt und bei seinen Lesern Kenntnis über das Ta-
spiegel institutionalisierte dieses Verfahren mit der bis gesgeschehen voraussetzt, um mit entsprechenden
heute erhaltenen Rubrik ›Leser machen mit‹, wo Vor- Bezugnahmen aktuelle gesellschaftspolitische Ereig-
schläge für die Bildunterschrift zu einer vorgegebenen nisse ins Absurde zu steigern, enthalten die ›ernsthaf-
Karikatur eingesendet werden können. ten‹ Satirezeitschriften durchaus vermischte Nach-
Einen wesentlichen Einfluss auf die satirische Pu- richten. Diese aber natürlich in entsprechend sati-
blizistik hatte seit jeher die Justiz, denn die jeweilige risch-kritischer Behandlung, wie schon in den An-
Pressegesetzgebung beeinflusst immer auch die Er- fangszeiten bei Le Charivari in der Rubrik ›Carillon‹
scheinungsform und weitere Entwicklung der Satire (Glockenläuten). Auch Presseschauen zu einerseits
ihrer Zeit. Sanktionierungen wirken also immer dop- unterschiedlichen aktuellen Themen (seit Beginn in
pelt zurück: Sie verstärken i. d. R. die satirische Pro- Le Charivari direkt auf der ersten Seite) sowie ande-
duktion (Philipon gründete Le Charivari in Ergän- rerseits selbstreflexiv zur Berichterstattung über die
zung zu La Caricature nach seiner Verurteilung) und eigenen Beiträge in anderen Zeitschriften werden ge-
erhöhen zugleich das öffentliche Interesse am Ver- bracht (seit dem dritten Jahrgang von Simplicissimus
botenen – so steigerte die Beschlagnahmung der sog. auf Seite fünf).
›Palästina-Ausgabe‹ von Simplicissimus 1898 die Auf- Das Spiel mit selbst- und medienreflexiven Beiträ-
lage der nächsten Ausgabe um das Doppelte (vgl. gen zeichnet die satirische Publizistik genuin aus: So
Zimdars 1972). Verbote und Skandale sind also bringt Simplicissimus im ersten Heft des zehnten
schon immer besonders wirksames Marketing gewe- Jahrgangs die Schlagzeile »Dies Blatt gehört dem
sen und stellen bis heute ein Qualitätsmerkmal satiri- Staatsanwalt« und verweist damit auf die zahlreichen
scher Publizistik dar: Das Satiremagazin Titanic lebt Prozesse gegen die Zeitschrift. Dass die Satire in der-
geradezu von seinem guten ›schlechten Ruf‹ mit 27 artigen Fällen immer schnell auf aktuelle Ereignisse
komplett verbotenen Ausgaben. Allerdings betreffen reagiert, bezeugen zuletzt die zahlreichen Karikatu-
Verbote meist nur bestimmte Textpassagen oder Ab- ren, die als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge
bildungen, was bedeutet, dass Wiederholung und gegen das französische Satiremagazin Charlie Hebdo
Weiterverbreitung zu unterlassen sind – Zeitschrif- am 7. Januar 2015 im Internet und der Nachrichten-
tenexemplare, die vor dem gerichtlichen Verbot aus- presse verbreitet wurden. Dieses ›Zurückschlagen
geliefert wurden, verbleiben in der Regel im Handel mit den eigenen Mitteln‹ hat in der satirischen Publi-
(vgl. Knorr u. a. 2009). zistik eine lange Tradition, die bis in die Anfangszeit
Die satirische Publizistik lässt sich des Weiteren reicht: Ch. Philipon nutzte 1831 in dem berühmten
hinsichtlich bestimmter Einzelkarrieren von Autoren, ›Birnen-Prozess‹ wegen Majestätsbeleidigung die Ka-
Zeichnern und Verlegern untersuchen. In der Ge- rikatur als Mittel der Beweisführung. Obwohl ihn
samtbetrachtung zeigt sich dabei eine Dominante: Sa- dies nicht vor einer Verurteilung bewahrte, trieb Phi-
338 III Mediale Formen des Komischen

lipon das satirische Spiel weiter und veröffentlichte


1835 in Le Charivari eine Polizeiverordnung gegen
die satirische Presse auf der Titelseite im Stil eines ba-
rocken Figurengedichts in Birnenform (vgl. Feuer-
hahn 2013).
Das letztgenannte Beispiel zeigt, dass die satiri-
schen Behandlungen egal welcher Themen immer an
besondere medienspezifische Verfahren gebunden
sind, die nicht zuletzt dazu dienen, durch komisierte
Darstellung Kritik zu vermitteln. Hier finden sich
überzeitliche und internationale Dominanten: Eine
herausragende Stellung kommt der Karikatur zu, de-
ren Geschichte sich in der satirischen Publizistik kon-
stituiert. Ein ganz eigenes Forschungsfeld bilden die
als Spezialform der Karikatur zu verstehenden Titelvi-
gnetten und Covergestalt(ung)en, wozu beispielswei-
se Th. Th. Heines Simplicissimus-Bulldogge gehört.
Erstmalig erschien der rote Hund auf der Titelseite
von Nummer acht des ersten Jahrgangs, was insofern
einen selbstreferenziellen Bezug darstellt, als das Ti-
telblatt die Zerstörung eines von Heine gezeichneten
Simplicissimus-Plakats, das in Österreich verboten
war, zeigt: Eine Bulldogge pinkelt an das Bein eines
der mit Säbeln auf das Plakat einhiebenden Soldaten. Abb. 27.16 Titanic, Cover 11/1982
Analog dazu erweisen sich die Zeitschriftentitel eben-
falls oft als autoreflexiv, wenn sie, wie im Fall von Le Birne knüpfte Titanic in den 1980er und 90er Jahren
Charivari und Kladderadatsch, gesellschaftlichen Pro- bewusst an die Karikaturen Philipons an.
test-Lärm konnotieren und so auf ihre satirische Pro- Als gegenwärtige Tendenz lässt sich in der satiri-
grammatik verweisen. Medienreflexiv ist der Titel der schen Publizistik eine Ausweitung des Print-Bereichs
französische Satirezeitschrift Le canard enchaîné, der in die digitalen Medien feststellen: Während Titanic
einerseits in Bezug steht auf die von G. Clemenceau ab das Internet beispielweise durch seine e-Postkarten
1913 herausgebene Zeitung L’ Homme libre und ande- oder Audio-Beiträge lediglich als mediale Erweite-
rerseits systemreferenziell die als ›Ente‹ bezeichnete rung nutzt, ergänzt der seit 1875 erscheinende schwei-
Falschmeldung aufruft (vgl. ebd., 2013). zerische Nebelspalter die Zeitschrift um ein vollständi-
Von besonderer Bedeutung für die Komik der sati- ges Internet-Angebot, das, genauso wie die Webseite
rischen Publizistik sind außerdem die stehenden Fi- des rein digitalen Satiremagazins der-postillon.com,
guren, mit denen nationale Stereotype gefestigt und wie ein Nachrichtenportal der etablierten Informati-
tradiert werden, wie z. B. der deutsche Michel, der so- onsmedien aufgebaut ist.
wohl in deutschen als auch nicht-deutschsprachigen
Zeitschriften als klischeehafte Darstellung des bieder- Literatur
meierlich-prüden Deutschen mit Schlafmütze auftritt. Arntzen, Helmut: »Satire«. In: Karlheinz Barck u. a. (Hg.):
Eine besondere Karriere weist die Figur Robert Ma- Ästhetische Grundbegriffe. Studienausgabe. Postmoderne
bis Synästhesie. Stuttgart/Weimar 2010, 345–364.
caire auf, die zur Zeit ihres Auftretens in Daumiers’
Arntzen, Helmut: Satire in der deutschen Literatur. Geschich-
»Caricaturana«-Serien in Le Charivari bereits einen te und Theorie. Darmstadt 1989.
hohen Bekanntheitsgrad besaß, weil sie die Haupt- Feuerhahn, Nelly: »Gesellschaftliche und politische Kritik in
figur in einem populären zeitgenössischen Theater- der französischen Presse. Zur Entwicklung der Institution
stück war (vgl. Riha 1992). Unter dem Titel ›Leben Satire von La Caricature (1830–1835) bis Libération
und Taten des Robert Makär‹ erschien die Figur 1842 (2009)«. In: Friedrich W. Block/Rolf Lohse (Hg.): Wandel
und Institution des Komischen. Ergebnisse des Kasseler Ko-
auch im Leipziger Witz- und Carricaturen-Pfennig- mik-Kolloquiums. Bielefeld 2013, 117–146.
Magazin (vgl. Koch/Savage 1984). Mit der Darstellung Gehring, Christian: Die Entwicklung des politischen Witz-
des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Kohl als
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 339

blattes in Deutschland. Beiträge zu seiner Geschichte. Diss. Ländern verwendet wird. In Frankreich heißen sie
Leipzig 1927. bandes dessinées (gezeichnete Streifen), in Dänemark
Häntzschel, Günter u. a. (Hg.): treibhaus. Jahrbuch zur Lite- tegneserie (Zeichenserie), in Italien fumetti (Wölk-
ratur der fünfziger Jahre. München 2012.
Hippen, Reinhard: Kabarett der spitzen Feder. Streitzeit- chen), historieta (Geschichtchen) auf Spanisch, in Ja-
schriften. Zürich 1986. pan Manga (buntes Bild) usw., während nach Jahren,
Jaeger, Joachim W.: Humor und Satire in der DDR. Ein Ver- in denen die comic strips in den USA nur als funnies
such zur Theorie. Frankfurt a. M. 1984. oder funny papers bekannt waren, sich der allgemeine
Jendricke, Bernhard: Die Nachkriegszeit im Spiegel der Satire. Begriff comics verfestigt hat, der die in Deutschland
Die satirischen Zeitschriften Simpl und Wespennest in den
lange übliche Bezeichnung Bildgeschichte oder Bil-
Jahren 1946 bis 1950. Frankfurt a. M./Bern 1982.
Jöricke, Christian: »MAD wird 50 – na und?« [2002]. dergeschichte ersetzt hat bzw. auf ein anderes Phäno-
http://www.titanic-magazin.de/fileadmin/wwwold/www/ men hinweist, bei dem schon begrifflich die interna-
archiv/1002/mad1.php (19.1.2015). tionale Verbreitung mitgedacht wird. Im amerika-
Knorr, Peter u. a.: Titanic. Das endgültige Satirebuch. Das nischen wird comics nur im Plural verwendet, was an
Erstbeste aus 30 Jahren. Berlin 2009. die massenhafte Reproduktion erinnert, in der diese
Koch, Ursula E./Savage, Pierre-Paul: Le Charivari. Die Ge-
schichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Repu-
erscheinen, während vom einzelnen Produkt dann als
blik (1832–1882). Köln 1984. comic book oder comic strip, also dem Comic-Heft
Lammel, Gisold: Deutsche Karikaturen. Vom Mittelalter bis oder dem Comic-Streifen gesprochen wird. Im Deut-
heute. Stuttgart/Weimar 1995. schen ist auch im Singular von dem Comic die Rede,
Langemeyer, Gerhard u. a. (Hg.): Bild als Waffe. Mittel und was das einzelne Produkt oder auch die Gattung,
Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten. München
Form oder das Medium meint. Seit Anfang des 21. Jh.s
1984.
Price, R. G. G.: A History Of Punch. London 1957. setzt sich in vielen Ländern ergänzend die Bezeich-
Riha, Karl: Kritik, Satire, Parodie. Gesammelte Aufsätze. Op- nung graphic novel durch, die v. a. Comics meint, die
laden 1992. nicht als Serie, sondern als ein einzelnes Buch auf den
Schottenloher, Karl: Flugblatt und Zeitung. Ein Wegweiser Markt treten und meist nicht von Kollektiven, son-
durch das gedruckte Tagesschrifttum. Berlin 1922. dern von einzelnen Künstler verantwortet werden
Schütze, Christian (Hg.): Das Beste aus dem Simplicissimus.
(vgl. Baetens/Frey 2010, 21), oft mit dem Anspruch,
Bern 1982.
Schulz, Klaus: »Kladderadatsch«. Ein bürgerliches Witzblatt eine Graphische Literatur zu begründen.
von der Märzrevolution bis zum Nationalsozialismus 1848–
1944. Bochum 1975.
Simplicissimus. Eine Satirische Zeitschreit. München 1896– 27.2.1 Definition
1944 [Ausstellungskatalog: Haus der Kunst München,
Comics lassen sich als Schrift-Bild-Konstellationen
19.11.1977–15.1.1978]. München 1978.
Stüber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen verstehen, in denen die Bilder wie Schrift gereiht und
bis zur Gegenwart. München 32014. Figuren in Panels serialisiert werden und die Schrift
Urbano, Tiziana: »Satire nach Plan. Das Beispiel der Berliner in Sprechblasen, Blocktexten und Onomatopöien
›Distel‹.« In: Günter Häntzschel (Hg.): Komik, Satire, Gro- graphischen Charakter gewinnt. Diese recht all-
teske. München 2012, 80–98. gemeine Definition, die v. a. das Verhältnis unter-
Zehrer, Klaus Cäsar: Dialektik der Satire. Zur Komik von Ro-
schiedlicher Zeichenbestände thematisiert, ist um-
bert Gernhardt und der »Neuen Frankfurter Schule«. Osna-
brück 2002. stritten. So wird darauf hingewiesen, dass es Comics
Zimdars, Hasso: Die Zeitschrift ›Simplicissimus‹. Ihre Karika- ohne Worte gibt und die »ikonische Solidarität«
turen. Diss. Bonn 1972. (Groensteen 2007, 17) zwischen mindestens zwei Bil-
dern bedeutender wäre. Comics, die mit einem Bild
Nils Jablonski
auskommen – wie auf frühen Sonntagsseiten oder in
Cartoons – wären streng genommen in beiden De-
finitionen keine Comics, wobei diese jeweils mit einer
27.2 Comics serialisierten Figur oder einer wiedererkennbaren
(Zeichen- und Witz-) Technik arbeiten oder sich –
Wer Comics in den Katalogen amerikanischer Biblio- wie im Fall einiger Comic-Strips –Folgen mit mehre-
theken sucht, stellt fest, dass zwischen Comics und ren Panels mit Folgen aus nur einem Panel ablösen.
Komik, comics and comic, den Comics und den Komi- Foto-Romane bzw. Foto-Comics wären einbegriffen,
kern nicht getrennt wird. Comics tragen das Ko- weil der – faktisch dominierende – gezeichnete Cha-
mische im Namen, der allerdings keineswegs in allen rakter in der Definition nicht ausdrücklich betont ist.
340 III Mediale Formen des Komischen

Ein Vorteil dieser Definition ist, dass die Betonung Mayas, altägyptische Wandbilder und den Teppich
der Verschränkung von Schrift und Bild in der Mate- von Bayeux auszuweiten (vgl. McCloud 1993, 9). Eine
rialität ihrer Zeichen das strukturell Komische dieser solche Strategie bettet die Comics in einen umfassen-
Form ausweist. Die Wiederholung des Gesagten und deren und kulturell angeseheneren Kontext ein und
Gezeigten bildet in seinen Differenzen eine Quelle versucht sie so im Kanon künstlerischer Formen auf-
des Komischen, das nicht notwendig nur lustig, son- zuwerten.
dern auch merkwürdig oder sogar unheimlich sein Es ist mit den verschiedenen Definitionen nicht ge-
kann (vgl. Nett 1993, 3; Frahm 2010, 329). klärt, ob es sich bei den Comics um ein Medium, eine
Jede Definition der Comics muss allerdings be- Kunst, eine Gattung oder ein Genre handelt. Die je-
denken, dass Comics und ihre Figuren nicht isoliert weilige Einschätzung hat ebenfalls Konsequenzen für
betrachtet werden können. Schon früh werben Co- die Bewertung und Einordnung der Comics. Als Me-
mic-Figuren für Produkte, erscheinen sie auch in dium wird ihnen eine gewisse Eigenständigkeit neben
Kurzgeschichten, Big Little Books, Kinderbüchern, Film und Radio zuerkannt, obwohl sie lange Zeit nur
Romanen, Zeichentrickfilmen, Filmen, Fernsehseri- auf einem anderen Trägermedium, der Zeitung, er-
en, Radioserials, Computerspielen, sie werden zu schienen. Als Kunst oder »9. Kunst« (Lacassin 1971)
Spielzeug, zieren Becher, T-Shirts und Puzzles, locken lassen sich nicht erst seit der Pop-Art die Entwicklung
Millionen von Besuchern in Vergnügungsparks, kurz- der Künste selbst thematisieren und die traditionelle
um: sie durchdringen alle Bereiche der Massen- und Einteilung kritisieren, um Comics in diesen Kanon
Alltagskultur, ihre Ästhetik schränkt sich nicht auf die aufnehmen zu können. Als Gattung oder Genre wer-
gedruckten Produkte ein, auch wenn sich die Comic- den sie im Kontext der Literatur und von narratologi-
forschung bzw. comics studies vorrangig auf diese kon- schen Ansätzen verstanden, was seit der Etablierung
zentrieren. der Graphic Novel besonderen Aufschwung erfährt.
Debatten über die Definition sind besonders hin-
sichtlich der Frage bedeutsam, wann die Geschichte
27.2.2 Wissenschaftsfeld
der Comics beginnt. D. Kunzle setzt in seiner History
of the Comic Strip (1973) mit der Verbreitung des Die unterschiedlichen Definitionen der Comics las-
Drucks an und nennt als Kriterien die Massenmedia- sen sich auch auf die unterschiedlichen wissenschaft-
lität, die Dominanz des Bildes in der Erzählung sowie lichen Zugänge zum Comic zurückführen. Während
die Serialisierung der Bilder (vgl. Kunzle 1973, 1–4) die film studies bzw. Filmwissenschaften als ein eigen-
und führt diese Geschichte bis zum Anfang des ständiger Bereich an den Hochschulen und Univer-
20. Jh.s fort. Besonders der Übergang zwischen Kari- sitäten inzwischen etabliert sind, lässt sich gleiches
katuren, gerade diejenigen, die schon in Bildserien er- nicht für comics studies beobachten. So sehr entgegen
scheinen, und den Comics kann im 19. Jh. fließend er- der These, dass eine Comicwissenschaft nicht existie-
scheinen, sind doch viele Elemente der Comics schon re, immer wieder konstatiert wurde, dass es gerade in
in den Karikaturen gegeben: die übertriebene Zeich- den letzten Jahren zahlreiche Veröffentlichungen
nung der Figur, die Sprechblase, die Bildserie, die gibt, die das Gegenteil belegen (vgl. Schüwer 2008,12–
massenkulturelle Wirkung. Die Verschränkung dieser 13, Etter/Stein 2015, 107), bleibt epistemologisch die
Elemente gewinnt aber – so die vorherrschende For- Frage unbeantwortet, inwiefern eine Wissenschaft
schungsmeinung – Ende des 19. Jh.s auf den Sonn- der Comics die Wissenschaft selbst nicht hin zu einer
tagsseiten in den USA eine (auch semiotisch) neue »weird science« (Frahm 2010, 31–57) verändern
Qualität. Die Elemente verdichten sich zu einer eige- müsse.
nen Ästhetik: die stehende Figur, das Ausspielen der Bis heute wird diskutiert, ob Comics »undiszip-
graphischen Qualität der Schrift im Geräuschwort, die liniert« (Jenkins 2011, 5) bleiben müssen, bzw. sich
Systematisierung von Panels und Sprechblasen, überhaupt disziplinieren lassen, und ob die comic stu-
schließlich die narrative Folge (vgl. Balzer/Wiesing dies sich folglich besser »zwischen den Disziplinen«
2010, 17–28; vgl. Blackbeard 1995, 70–71). S. McCloud (Hatfield 2010, 13) weiter existieren sollten, anstatt ei-
fokussiert dementgegen in seiner einflussreichen Co- ne eigene Disziplin zu bilden, auch wenn immer wie-
mic-Studie Understanding Comics (1993) als definito- der Rufe nach einer »kohärenteren disziplinären Iden-
rischem Merkmal auf die Bildserie, die Informationen tität« (Steirer 2011, 264) laut werden. Die Liste der Fä-
mitteilt oder ästhetische Reaktionen hervorrufe, um cher, aus deren Perspektive Comics betrachtet wurden
die Geschichte der Comics auf Bildmanuskripte der und werden, ist lang: Geschichte, Linguistik, Pädago-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 341

gik, Philosophie, Politologie, Psychologie, Soziologie, gen im Kontext der Zeichnungen R. F. Outcaults so
Literatur-, Film-, Kultur-, Kunst-, Medien-, und Zei- hervorstechend, dass das Publikum nicht mehr nach
tungswissenschaften. Zudem gibt es eine umfangrei- der New York World, sondern der Zeitung mit dem
che Literatur von Autoren, die sich nicht in der Aka- gelben Kind verlangt haben soll (vgl. Balzer/Wiesing
demie verorten, sondern als Sammler (wie B. Bleack- 2010, 20).
beard), Comic-Zeichner (wie S. McCloud) oder Fans Dabei erlaubt die leichte Reproduzierbarkeit der
schreiben (etwa im Fall einer Zeitschrift wie der Red- Figur anderen Zeichnern, die Figur ebenfalls zu zeich-
dition) und dabei nicht selten bedeutende Grund- nen. Als Outcault mit seiner Serie zu W. R. Hearsts
lagenarbeit leisten. Diese Tradition ist nicht nur aus New York Journal wechselt, erscheint das gelbe Kind
der langjährigen Ignoranz der Wissenschaft gegen- weiterhin von G. B. Luks gezeichnet in der World. Sol-
über den Comics, sondern auch aus dem Interesse des che Verdoppelungen der Figur lassen sich in der Ge-
Buchmarkts heraus entstanden, denn mit Comics schichte der Comics immer wieder beobachten. Ihre
reichhaltig bebilderte Bände und locker geschriebene Reproduzierbarkeit erklärt auch die Langlebigkeit
Texte verkaufen sich besser als streng akademische Li- mancher Figuren, die nicht – wie in der Malerei –
teratur. Angesichts der Tatsache, dass seit dem späten durch immer dieselbe Hand gezeichnet werden müs-
19. Jh. Comics als populärkulturelles Phänomen die sen (vgl. Politzer 1963, 44). Dabei ist in der Graphic
Massen erreichen, darf es verwundern, dass über- Novel eine stärkere Verbindung zwischen Zeichner
haupt erst Ende der 1940er Jahre in den USA eine Er- bzw. Künstler und Zeichnung zu beobachten, die die-
forschung des Gegenstandes einsetzt, vorrangig aus sen unersetzbar erscheinen lässt. Die Verdoppelung
soziologischer und in Deutschland auch pädagogi- der Comic-Figur ist durch ihre Wiederholung von Pa-
scher Perspektive, die lange Zeit sporadisch bleibt nel zu Panel eine mediale Notwendigkeit, die oft durch
(z. B. Welke 1958; Bogart 1964). Erst Ende der 1960er weitere Figuren parodiert wird, die als Doppelgänger
Jahre werden im Rahmen einer verstärkten Aufmerk- mit kleinen Differenzen in demselben Panel auftreten
samkeit der Populärkultur gegenüber werden auch wie Dupont und Dupond in Tintin, die Neffen von
Comics verstärkt analysiert und weitere Disziplinen Donald Duck, Huey, Dewey und Louie, oder wie bei
beginnen sich zu interessieren (vgl. Witek 1999; Lent dem Bruder von Thor, dem Superschurken Loki, der
2010). Aber erst seit den späten 1990er Jahren lässt
sich – v. a. durch die Etablierung wissenschaftlicher
Zeitschriften wie dem International Journal of Comic
Art – eine diskursive Verstetigung erkennen, die sich
auch in verschiedenen Readern materialisiert (vgl.
Eder/Klar/Reichert 2011; Heer/Worcester 2009; Dun-
can/Smith 2011). Dabei fällt auf, dass die Literatur, die
sich explizit mit dem Komischen der Comics beschäf-
tigt, keineswegs die Mehrheit bildet. Schon 1959 titelt
ein Autor Our Serious Comics (Eble 1963) und man
kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass die
Wissenschaft v. a. das Komischen aus den Comics es-
kamotieren möchte (vgl. Inge 1990; Groensteen 2000;
zur Kritik Trinkwitz 2011, 69).

27.2.3 Charakteristika der Comics


Figur/Stereotyp
Die wiedererkennbare, ›stehende‹ Figur ist das inter-
national sichtbarste Merkmal der Comics. Meist
durch wenige, leicht erfassbare, typische Merkmale
werden die Figuren zugleich unverwechselbar, leicht
reproduzierbar und wiedererkennbar. Das Yellow Kid
beispielsweise war durch die abstehenden Ohren, das Abb. 27.17 Richard Felton Outcault: Hogan’s Alley.
gelbe Hemd, den kahlen Kopf und seine schmalen Au- 6. September 1896 (New York World)
342 III Mediale Formen des Komischen

unzählige mentale Bilder von sich herzustellen ver- sei es, dass Snoopy auf seiner Hundehütte nicht als
mag, die seine Figur in einem Panel vervielfachen. Hund, sondern als Pilot des Ersten Weltkriegs insze-
Wenn es im Film mit seinem Starsystem eine ähn- niert wird, Superman durch seine Identität als Clark
liche Tendenz der ikonischen Wiedererkennbarkeit Kent sich an die Welt der Menschen mit Anzug und
gibt, zeichnet die Comics zudem aus, in Figuren wie Brille anzupassen versucht oder Mickey Mouse durch
Mickey Mouse, Superman oder Snoopy international die kreisrunden Ohren einen graphischen Charakter
ganz unterschiedlich rezipierte, zum Teil von den Co- gewinnt, der sie von allen anderen Figuren sichtbar
mics längst losgelöste Ikonen geschaffen zu haben, die absetzt und komisch macht. Ein weiteres Merkmal ist
in ganz unterschiedlichen Medien reproduziert wer- die graphische Übertreibung von Füßen, Händen und
den können. Diesen Figuren wird ein hoher Grad an Mündern wie im Werk von R. Crumb oder bei A.
möglicher Identifikation zugesprochen, der durch ih- Capps L’ il Abner (1934–1974) (vgl. Berger 1994, 143).
re Einfachheit, den Cartooncharakter und ihre Ober- Diese Komik erhält durch das Typisierende der Fi-
flächlichkeit erklärt wird. Vor aufwändigeren Druck- guren noch eine andere Note. Mickey Mouse steht als
techniken sind die Comic-Figuren meist durch eine Figur in der Tradition der Minstrel Show des 19. Jh.s,
Linie konturiert: eine Kontur, die schon durch wenige in der Weiße (und auch Schwarze) sich die Gesichter
signifikante Anzeichen (die Haare von Tintin, die Oh- mit Schuhcreme schwarz angemalt haben, um sich
ren von Mickey Mouse) wiedererkennbar ist (vgl. über die Afro-Amerikaner lustig zu machen, eine Tra-
Krafft 1978, 30 f.). dition, die zuvor von Figuren wie Krazy Kat, Felix the
Es ist unklar, ob sich die Figuren ganz gleich in Cat und Bosko zitiert wurde. Superman ist nicht nur
welchem Medium immer gleich artikulieren und so der Übermensch, sondern v. a. auch der alien, der Ein-
die Konvergenz der Medien befördern oder je nach wanderer, dem die Gesellschaft fremd ist und der eine
historischer Phase und medialer Erscheinung unter- Doppelexistenz lebt, die nicht erkannt werden darf.
schiedliche Identifikationsangebote machen, die sich Doch gelingt es diesen Figuren, ihre historische, so-
keineswegs decken müssen (vgl. Frahm 2010, 265). ziale und politische Herkunft zu universalisieren und
Oftmals ist schon die Zeichnung der Figuren komisch, international adaptierbar zu machen. Darin zeigt sich
die Ambivalenz der Comic-Figur als komischer Figur:
das Zitat, die Überzeichnung oder nur Hervorhebung
bestimmter – oft rassistisch und sexistisch konnotier-
ter – Merkmale reproduziert rassistische und sexisti-
sche Stereotypen. Zugleich kann diese Reproduktion
eine Reflexion der Entstehung, Funktionsweise und
Wirkung dieser Stereotypen ermöglichen. Sie werden
komisch.

Panel/Sprechblase
In der Buchillustration und der Bildgeschichte, wie sie
durch W. Busch bis heute bekannt geblieben ist, sind
Schrift und Bild deutlich getrennt und stehen auf-
grund dieser Trennung in wechselseitiger Beziehung.
Die Gleichzeitigkeit des Bildes und das Nacheinander
der Schrift, die Lessing als ästhetische Bestimmungen
der jeweiligen Schrift- und Bild-Zeichen im Laokoon
(1766) bestimmt hat, sind in ihrer Eigensinnigkeit les-
bar. In der Karikatur, dem Plakat und den Zeitungen
beginnt sich diese Trennung im Verlauf des 19. Jh.s
aufzulösen. Die Comics reihen die Bilder in Zeilen, so
dass sie lesbar werden wie Schrift. Die Voraussetzung
für diese Reihung ist die Standardisierung der Rah-
men. Entsprechend wird bei Comics nicht mehr von
Bildern, sondern von Panels gesprochen. Dies betont
Abb. 27.18 Charles Burns: The Hive. London 2012, n. p. die Rahmung, in der die verschiedenen Zeichen-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 343

Abb. 27.19 Wally Wood: »Superduperman!«. In: MAD, 1 (4), April/Mai 1953, 4

bestände von Schrift und Bild, die Sprechblasen und Solche, oftmals komischen, Selbstreflexionen wei-
Onomatopöien als eine integrierte Einheit und die Pa- sen auf die Bedeutung der Materialität der Zeichen im
nels als Serie erscheinen können. Comic hin: die Zeichen in ihrer Materialität werden
Dieser Rahmen ist meist ein einfacher Strich, die zum bearbeitbaren Gegenstand, nicht allein das Ver-
Panels werden durch eine meist weiße Fuge voneinan- hältnis von Signifikant und Signifikat und deren Diffe-
der getrennt, in manchen frühen Comics fehlt die Fu- rentialität.
ge, in der Graphic Novel wird gelegentlich auf den Dies ist auch für die zweite rahmende Linie im Co-
Rahmen verzichtet, die Fugen weiter gestaltet oder mic charakterisierend, die Sprechblase, mit der vor-
mit dem Verhältnis von Panel und Fuge experimen- wiegend Gesprochenes im Bild positioniert wird. Ob
tiert. Auch die Größen der Panels können beträchtlich die Sprechblase ein Comics definierendes Element bil-
variieren. Beim formatierten Comic-Strip in der Zei- det (vgl. Carrier 2000, 5), mag dahingestellt sein, sie ist
tung sind die Panels in der Höhe begrenzt und diese auf jeden Fall in der Alltagssprache mit dem Comic
können aus einem einzigen Panel bestehen, doch identifiziert und zur Metapher für schematische, leere
meist sind es drei bis vier Panels, aber auch sechs kom- oder lächerliche Worte geworden. Die Sprechblase
men gerade bei narrativen Strips nicht selten vor. Im entzieht sich als »aufweisende Präsentation« (Balzer/
Comic-Heft, im Album, im Manga und in der Graphic Wiesing 2010, 45) der verweisenden, also räumlichen
Novel wird neben der Zeile das Layout der Seite oder Repräsentation im Bild. Die Schrift wird als Gespro-
die Montage der Panels bedeutsam, was zahlreiche chene in ihrer Materialität gezeigt und so zu einem
Möglichkeiten ihrer Form, Größe und Gliederung er- graphischen Element ohne räumliche Tiefe. Die
öffnet. Doch dominieren im jeweiligen Format be- Sprechblase integriert die Schrift graphisch in das
stimmte Konventionen: im comic book herrschen Bild, wie das Panel Bild und Schrift integriert ohne ih-
dreizeilige Seiten vor, klassische, farbige Alben wie As- ren jeweiligen Zeichencharakter aufzuheben. Auf den
terix sind vierzeilig, Mangas und viele Graphic Novels jeweils Sprechenden wird durch einen Dorn an der
sind oftmals zweizeilig, wenn sie die Zeilenstruktur Sprechblase hingewiesen. Die Form der Sprachblase
nicht ganz zugunsten anderer Montagen auflösen. Die kann den Ton visualisieren, in dem der Sprechakt aus-
Strichstärke der Panelränder ist meist gleich, variiert geführt wird, Brüllen durch gezackten Linien, wolki-
wird deren Form, geschwungene, geriffelte, gezackte ges Sprechen durch wolkige Sprechblasen usw. (vgl.
Ränder können je nach Kontext unterschiedliche Be- Cohn 2013, 36).
deutungen haben (Traum, Rückblende, Explosionen). Den beiden strukturbildenden Rahmen der Co-
Gelegentlich wird auch mit der Materialität des Panel- mics eignet eine eigene performative Qualität, die
rands gespielt, dieser öffnet sich, wird überschritten, sich in der Zeichnung und dem Handlettering der
gedehnt oder zu etwas anderem wie einer Spielkarte. Buchstaben fortsetzt. Dies wirft eine häufig diskutier-
344 III Mediale Formen des Komischen

te Frage der Comic-Forschung auf: bilden Comics ein dern nach einem Klang, der die Artikulationen des
hybrides Medium, das Zusammenspiel zweier Zei- Englischen durch Einwanderer aufnimmt und als auf-
chensysteme oder bilden sie ein eigenes Zeichensys- geschriebene Zeichenfolge weitere Assoziationen,
tem, eine eigene Sprache (vgl. Varnum/Gibbons 2001, Doppeldeutigkeiten und damit Scherze ermöglicht.
xi)? Bisher hat trotz vieler Versuche (vgl. Welke 1958; Diese Techniken, die aus dem Vaudeville und später
Gasca/Gubern 1994; Cohn 2013) niemand eine kon- Radioshows wie Amos ’n’ Andy (vgl. Kap. 27.1.4) be-
sistente Grammatik einer solchen Sprache vorlegen kannt sind, materialisieren sich hier als Spiel mit der
können, weil die Synthese von Bild und Text »gerade Schrift. Die ambivalenten Lesarten der Schrift werden
nicht auf der Ebene der Zeichensysteme, der langue« durch die Zeichnungen nicht vereindeutigt, sondern
stattfindet, »sondern erst im jeweiligen Comic-Text, in ihrer Ambivalenz vervielfacht. In den Bildern wer-
auf der Ebene der parole« (Krafft 1978, 112), auf der den wiederum gelegentlich Formulierungen wörtlich
Ebene des Sprechakts also, den Panel und Sprechblase genommen, wie das ›blind pig‹, das einen Ort bezeich-
als Äußerungen bedeuten. Als Äußerungen erfordern net, an dem während der Prohibition in den USA Al-
sie eine eigene Theoretisierung (vgl. Groensteen kohol konsumiert werden konnte, in G. Herrimans
2007, 21). Krazy Kat aber tatsächlich als blindes Schwein auftritt
(vgl. Kaindl 2008, 128). Das Wörtlich-Nehmen mate-
Schrift/Bild rialisiert sich und wird komisch, weil es das Sprach-
Schrift und Bild bleiben im Comic als Bild und als bild fremd werden lässt und neue Bezüge respektive
Schrift wiedererkennbar, ihr Zeichencharakter ändert Bedeutungen ermöglicht. Comics stellen insofern die
sich nicht grundsätzlich. Sie werden in der Konstella- Oberfläche her, auf der Schrift und Bild in ihrer Mate-
tion des gezeichneten Comic zu einer eigenen Äuße- rialität, ihrer Wiederholung und ihren Differenzen
rung, in der die Materialität der schriftlichen und
bildlichen Zeichen eine gemeinsame Oberfläche bil-
det, deren materielle Ausdehnung ihre Gleichzeitig-
keit und ihr Nacheinander zugleich organisiert. So
kann die Schrift Elemente des Bildes annehmen als
auch umgekehrt. In den Onomatopöien wird der gra-
phische Charakter der schriftlichen Materialität aus-
gespielt und zu einem komplexen bildlichen Zeichen,
das – wie die Arbeiten von Chr. Marclay pointieren –
aufgrund seiner Positionierung im Panel und auf der
Seite eine eigene Narrativität entfalten kann (vgl. Mar-
clay 2015).
Die bildliche Darstellung betont oftmals auch das
Graphische, reduziert die Darstellung der Figuren
und unterwirft sich den Regeln der Wiederholbarkeit.
Hinzu kommen zahlreiche Bildzeichen, wie Ge-
schwindigkeitslinien, Sterne, visuelle Metaphern, die
sich dem Charakter von Schrift annähern, indem sie
durch eine ähnliche wiederholbare Materialität wie
die Buchstaben lesbar werden, sich aber aufgrund ih-
res idiosynkratischen Charakters einer allgemeinen
Systematisierung entziehen. Diese Zeichen streichen
den komischen Charakter der Comics heraus, beglei-
ten Slapstik-Szenen und werden – wie Onomatopöien
– in Graphic Novels seltener benutzt.
Die lesbare Materialität der Schrift lädt zu Wort-
spielen zwischen dem Klang des Wortes und seiner
Schreibweise ein. In Comics, besonders in den ame-
rikanischen, wird die Sprache nicht unbedingt nach
der gängigen Rechtschreibung wiedergegeben, son- Abb. 27.20 Christian Marclay: Onomatopoeia (Zrapt!). 1989
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 345

Bedeutungsverschiebungen produzieren, die schon in wenig variabel. Es gibt besondere Formate wie das
kleinen Nuancen komisch werden können. Piccolo-Heft, das mit seinen 17 mal 8 Zentimetern
Diese materielle Oberfläche der Zeichen ist als den Zeitungsstrip ins Heftformat übersetzt. Verschie-
›Oberflächlichkeit‹ verstanden worden (Drechsel u. a. dentlich wurde darauf hingewiesen, dass der Format-
1975, 11), wie in der Geschichte der Philosophie auch wechsel, der gelegentlich das Ummontieren der Pa-
die Materialität der Zeichen zugunsten ihres Zeichen- nels einschließt, die Comics verändert, weil der Ort
charakters und des bezeichneten Signifikats lange der Panels auf der Seite selbst Bedeutung produziert
Zeit verworfen war. Unbestreitbar oberflächlich (vgl. ebd., 96; Groensteen 2007, 147). Vor allem die
funktionieren viele Scherze in Comics, doch in der drucktechnischen Zwänge haben sich in den letzten
Konstellation der unterschiedlichen Materialitäten vierzig Jahren gelöst, small press-Publikationen expe-
wird v. a. das Verhältnis zum Referenten komisch: rimentieren mit Formaten, die Graphic Novel darf
Schrift und Bild bestätigen in der Wiederholung ei- zwar keine Albengröße haben (im Gegenteil werden
nander gegenseitig ihre Darstellung und bewahrhei- zuerst als Alben veröffentlichte Comics nun dem
ten sie in der differenten Materialität, dem heteroge- Graphic Novel-Format angepasst), ist aber in ihrer
nen Bezug der Zeichen zum Referenten. Zugleich Länge variabel. Die größte Differenz besteht hin-
wird dessen Herstellung als diskursive Produktion sichtlich der Serialität. Obwohl die graphic novel als
kenntlich, als Produktion durch Zeichen, die sich in Begriff zuerst auch für Sammlungen von seriellen
ihrem Anspruch auf Wahrheit gegenseitig unter- comic books benutzt wurde, die als Paperbacks er-
minieren können. Comics erlauben, dies als Kampf schienen, hat sich der Begriff nun für abgeschlossene,
verschiedener Wahrheitsproduktionen oder Wahr- nur in Ausnahmefällen mehrteilige Bilderzählungen
heitsansprücheansprüche zu lesen. Ihr Witz kann er- durchgesetzt. Das Serielle, die Wiederholung von
kenntniskritische Züge tragen (vgl. Frahm 2010, 12). Genres (wie Horror, Science Fiction usw.) und Figu-
Diese Materialisierung der parodistischen Produkti- ren oder Figurenkonstellationen hat die Comics über
on der Wahrheit ist insbesondere hinsichtlich der große Zeiträume hinweg in ihrer narrativen Form
Darstellung rassistischer, sexistischer und anderer geprägt. Der gag oder cliff hanger im Tagesstrip, das
Stereotype aufschlussreich, die zwischen Reprodukti- Schema, mit dem in vielen Comics Figurenkonstella-
on und Reflexion ambivalent bleiben. Erzähltheoreti- tionen wiederholt werden, dienen nicht nur der Ani-
sche Ansätze ordnen diese semiotische oder ästheti- mation zum Kauf auch der nächsten Zeitung oder
sche Dimension der Comics dem erzählten Inhalt als des nächsten Heftes, sondern sie dienen dem Genuss
durch Bild und Schrift gemeinsam produzierten Re- an dieser Wiederholung mit Differenzen, in der sich
ferenten unter und interessieren sich zumeist weniger die Wiederholungen von Bild und Schrift, den Pa-
für das Komische der Comics. Dafür vermögen sie nels, den Figuren nicht nur qua Publikationsform,
Fragen der Zeit- und Raumdarstellung genauer zu sondern auch in der wiederholten Lektüre fortsetzt
fassen (vgl. Schüwer 2008, 353). (vgl. Eco 1986).

Formate und Serialität


27.2.4 Historischer Überblick
Comics sind durch die Formate ihrer Veröffent-
lichung geprägt. Die Comic-Strips in den Zeitungen 1895 bis 1938
folgen klaren, von den Syndikaten festgelegten For- Wie eingangs bereits angedeutet, gibt es eine umfang-
matvorgaben – während die Sonntagsseiten lange reiche Literatur, die den Beginn der Comics vor 1896
Zeit ganze Seiten mit einer Serie füllten, sind es schon ansetzt (vgl. Kunzle 1990, 1). Die heute vorherrschen-
lange mindestens zwei, oft sogar drei zweizeilige de Meinung sieht eine Zäsur Ende des 19. Jh.s, die ein-
Strips auf einer Seite.Frankobelgische Alben erschie- hergeht mit der Durchsetzung einer Massenunterhal-
nen lange Zeit standardisiert mit 48 oder 62 Seiten, tung, die sich v. a. in den USA zu einer neuen Form
was drucktechnischen Vorgaben folgt; die meisten entwickelt (vgl. Dierick/Lefèvre 1998, 17). So proble-
comic books haben 32 Seiten, wobei die Werbeseiten matisch es erscheint, einzelne Figuren hervorzuheben
von der Handlung abzuziehen sind, für die 22 bis 24 – das Yellow Kid von R. F. Outcault war weder der erste
Seiten bleiben; Manga Magazine haben dreihundert Zeitungsstrip, noch die erste stehende Figur, noch die
bis vierhundert Seiten und sind schmaler als die erste farbige Sonntagsseite – so ist doch bemerkens-
comic books (vgl. Lefèvre 2000, 100). Auch die Seiten- wert, dass im Verlauf der Geschichte des Comics ein-
größen waren lange Zeit drucktechnisch begründet zelne Publikationen immer wieder aufgrund ihrer Be-
346 III Mediale Formen des Komischen

liebtheit beim Publikum und dessen Nachfrage neue ßenseiter, Kinder, Tiere, die gags sind oft durch einen
Produktionen ermöglichten. wenig subtilen Humor gezeichnet, sondern arbeiten
Warum gerade das gelbe Kind mit seinen abstehen- mit Slapstick, Prügeleien, Explosionen, gewürzt mit
den Ohren diesen – eher kurzlebigen – Erfolg hatte, tagesaktuellen Anspielungen gewürzt. Ab 1907 er-
lässt sich kaum abschließend bestimmen: waren es die scheinen mit Mutt and Jeff auch täglich Comic-Strips
unzähligen Wortspiele in Verbindung mit den un- zwischen Rätseln und Sportseiten. Die Zeichner die-
übersichtlichen Bildern; der bis dahin nicht dagewe- ser Ära sind Angestellte, die aber mit der weiteren
sene Umgang mit Schrift, die sich über alle Bildgegen- Verbreitung ihrer Produkte durch die Syndikate ab
stände verteilt; oder die eben auffällig gelbe Farbe des den 1910er Jahren zu nationalen Berühmtheiten wer-
Nachthemds, mit der die New York World von J. Pulit- den. In dieser Zeit werden Familienstrips wie Bringing
zer auch sonst gut werben konnte (vgl. Blackbeard up Father beliebt, in denen die Slapstick-Tradition
1995, 56–61)? Fest steht: Die Serie war profitverspre- nicht aufgegeben wird, aber verstärkt über soziale
chend genug, dass W. R. Hearst den Zeichner für sein Konstellationen gelacht wird, die sich aus dem Auf-
New York Journal abwarb. Pulitzer beauftragte darauf- stieg von Einwanderern ergeben. In den 1920er Jahren
hin G. B. Luks die Serie weiter zu zeichnen, was zu finden dann auch melodramatische Strips ihr Publi-
zwei gelben Kindern führte, die behaupteten, das ein- kum, die sich nicht mehr nur auf einen Witz konzen-
zig wahre zu sein. Die World hielt die Rechte an der trieren, sondern längere Geschichten erzählen. Strei-
Serie samt Figur, das Journal hatte dagegen den Zeich- fen, in denen Helden Abenteuer erleben, ergänzen
ner und Erfinder der Figur. Diese Situation ist para- diese Entwicklung ab Ende der 1920er Jahre, wobei in
digmatisch für die Geschichte des Comics: zum einen den 1930ern Serien wie Mickey Mouse von F. Gott-
das Motiv der Verdoppelung einer Figur, zum anderen fredson Slapstik und Abenteuer, Komik und suspense
ihre (von der Comicforschung oft ignorierte) Nicht- erfolgreich verbinden. In dieser Zeit werden auch
gebundenheit an einen Urheber, die zugleich die Frage Sammlungen von Strips zusammengestellt und als Pa-
der Rechte an der Figur einschließt, und schließlich perbacks verkauft. Ende der 1920er wird in Europa
das serielle Erscheinen, das aber historisch begrenzt Hergé mit Tintin é Milou in der wöchentlichen Ju-
bleibt. Viele Zeitungen versuchten Ende des 19. Jh.s gendbeilage einer katholischen Tageszeitung so er-
ihre Sonntagsausgaben mit diesen Comics interessan- folgreich, dass sich Comics im frankobelgischen
ter zu machen. Die meisten Serien waren kurzlebig, Raum etablieren. Auch diese Serie wird in Alben zu
andere wie die Katzenjammer Kids begleiteten das Geschichten zusammengefasst. In Italien stellt der
ganze 20. Jh. Meist treten groteske Figuren auf, Au- Corriere dei Piccoli (ab 1908) eine Plattform für Bild-

Abb. 27.21 e. o.plauen: Vater und Sohn. Die Kehrseite des Ruhms. 1938
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 347

geschichten zur Verfügung, die lange Zeit amerika- 1968 bis 1986
nische Comics ohne Sprechblasen abdruckt. In Däne- 1968 erscheint das erste Heft von Zap Comix, das in
mark hat mit Storm P. (R. Storm Petersen) ab 1913 ein der Schreibweise eine Differenz zu den vorherrschen-
Zeichner Mittel der Comics zitiert. In Deutschland den Comics lesbar macht, indem es das x von x-rated
herrschen in Zeitschriften wie dem Simplicissimus Ka- ebenso zitiert, wie es eine eigene Ästhetik als Mix zwi-
rikaturen und Bildergeschichten vor, bei welchen Bild schen Bild und Schrift reflektiert. Der Erfolg dieser
und Text getrennt bleiben. Mit e. o. plauens (i. e. Erich unabhängigen Heftserie beruht auf einem neuen
Ohser) Vater und Sohn entsteht nach der Vertreibung Publikum, junge Erwachsene einer Gegenkultur, die
vieler jüdischer Zeichner 1934 eine Serie, die formal durch neue Vertriebswege über Head-Shops mit ex-
sehr viele Elemente der internationalen Comics re- pliziten Drogen- Gewalt- und Sexszenen, aber auch
flektiert, ästhetisch aber im Feld der Bildgeschichte zu autobiographischen Einlassungen erreicht werden.
verorten ist. Mit den underground comix beginnt eine bewusst
durch Comics sozialisierte Generation von Zeichnern
1938 bis 1968 diese als eigenes künstlerisches Ausdrucksmittel zu
1938 erscheint im Verlag Detective Comics das erste verstehen. In Europa zeichnet sich eine ähnliche Ent-
Heft von Action Comics, das aufgrund des Auftritts wicklung ab, Verlage beginnen ausdrücklich Comics
von Superman so gut verkauft, dass es die comic books, für Erwachsene zu verlegen, was nicht selten auch
die Comic-Hefte und Comic-Magazine in den USA pornographische Inhalte meint. Doch mit Alben wie
als Format etablierte. Comic books beerben zwar die H. Pratts Una ballata del mare sallato (1967) wird
Groschenhefte, können aber als erste eigenständige schon früh eine literarische Strategie verfolgt. In die-
Medialität der Comics begriffen werden, zumal sie ein sem Zeitraum entwickeln sich Comics von einer for-
genuines Genre begründen, die Superhelden. In ihnen distischen Massenkultur zu einer postfordistischen
werden nicht nur andere Genres parodiert, sondern Spartenkultur, die für bestimmte Konsumentengrup-
durch die Doppelidentität der Superhelden entstehen pen spezifische Produkte herstellt, während gleichzei-
immer wieder komische Situationen. Die Fantastik tig Zeitungsstrips wie die Peanuts mit ihrer nun domi-
der Superhelden-Abenteuer führt zu irrwitzigen Bild- nanten Orientierung auf gags neue internationale
findungen und grotesken Geschichten. Dominanz Verbreitungsrekorde aufstellen.
und Vielzahl der Superhelden-Serien darf jedoch
nicht vergessen lassen, dass auch andere Genres wie 1986 bis heute
Kriegscomics, Western, Krimis, Horror, Romance, 1986 erscheint mit MAUS – A Survivor’s Tale von A.
wahre Geschichten, Geschichten von der Bibel, Welt- Spiegelman der erste international im Feuilleton und
literatur und Funnies bzw. Animal Funnies wie Walt in der wissenschaftlichen Diskussion viel beachtete
Disney’s Strips and Stories (1940–2011) ebenso – mit Comic. MAUS erzählt die Geschichte eines Holocaust-
jeweiligen Konjunkturen – ihren Weg zum Zeitschrif- Überlebenden mit Mitteln des Comics nämlich mit
tenstand gefunden haben. Mit der Einführung des Tierköpfen, was vereinzelt als Provokation begriffen
Comics Codes 1954, einer Selbstbindung der Comic- wurde, die meisten Reaktionen hoben hervor, wie äs-
Verlage, keine Gewalt, Drogengebrauch oder Sex zu thetisch konsequent der Comic Auschwitz darstellt
zeigen, verlassen viele Verleger den Markt. 1938 er- (Frahm 2006, 9). Mit W. Eisners A Contract with God
scheint nicht nur Superman, in Europa wird auch das wird 1978 ein Comic als Graphic Novel veröffentlicht,
Jugendmagazin Spirou wird gegründet, das nach der der explizit einen literarischen Anspruch erhebt. Doch
Zäsur des Zweiten Weltkriegs mit Tintin für viele Jah- erst im 21. Jh. wird diese Strategie in vielen Ländern als
re die frankobelgische Comic-Szenerie prägt, bevor verlegerische Chance erkannt, einen neuen Markt für
Pilote mit Asterix das Feld verändert. Im geteilten gezeichnete Bilderserien zu eröffnen, der sich an ein
Deutschland der Nachkriegszeit sind es Zeitschriften durch den underground und andere Comics soziali-
wie Micky Maus oder eher unfreiwillig komische Seri- siertes Lesepublikum richtet. Die Graphic Novel zeich-
en von H. Waescher, Sigurd, Akim usw., die im Westen net sich v. a. dadurch aus, Autobiographisches, Alltäg-
dominieren, im Osten beginnt mit den Digedags von liches, historisches Geschehen, gesellschaftliche und
H. Hegen im Mosaik 1955 eine anspruchsvolle Comic- persönliche Konflikte ohne die Geste des Tabubruchs
produktion, die in weitausgreifenden Erzählungen zu erzählen (vgl. Sabin 1996, 177–215). Auch wenn
zuerst mit Sprechblasen, später mit Schrift unter den sich viele Elemente schon in der unabhängigen Co-
Bildern arbeitet. mic-Produktion der 1970er bis 1990er Jahren erken-
348 III Mediale Formen des Komischen

nen lassen, etablieren sie sich erst mit der Graphic No- 275). Humor wird hier nicht als Handicap verstanden,
vel als eigenständiges Medium (Baetens/Frey 2014, 7). sondern als überlegene ›nationale‹ Kulturtechnik. In-
Das Genre der Superhelden hat seit den frühen 1970er teressanterweise ist dieser Humor – wie die Beliebt-
Jahren immer wieder Krisen der Popularität und der heit der Serie auch außerhalb Frankreichs beweist –
Selbstreflexion durchlaufen, deren Miniserien dann – durchaus verallgemeinerungsfähig. Es gibt keine em-
wie Watchman von A. Moore und D. Gibbons ebenfalls pirischen Untersuchungen darüber, wie die ›Comic-
1986 – als Paperbacks zusammengefasst zur graphic Komik‹ in unterschiedlichen Ländern aufgenommen
novel wurden. Seit dem 21. Jh. sind mit der Digitalisie- wird, als sicher gilt aber, dass die jeweilige Rezeptions-
rung des Filmbildes auch weniger bekannte Superhel- situation eine entscheidende Rolle für das Verständnis
den zu internationalen Blockbustern aufgerückt. Mit des Komischen spielt. Ein rassistischer Comic wie Tin-
der Etablierung des Internets sind zudem verschiedene tin au Congo (1930), der deutlich die europäische
webcomic-Formate und Blogs entstanden, in denen Überlegenheit gegenüber den Menschen in der Kolo-
sich der Comic-Strip erneuert. nie durch das Gelächter bestätigen will, wird heute in
Zaire von Eltern für ihre Kinder nicht nur gekauft, da-
mit diese sich an den grotesken Abenteuern erfreuen,
27.2.5 Das Komische im Comic
sondern damit sie begreifen, wie die Europäer die ko-
Jenseits der Literatur über berühmte Serien wie L’ il lonisierten Subjekte imaginierten – wodurch die Dar-
Abner, Asterix oder Tintin ist die Diskussion über das stellung unfreiwillig komisch wird (vgl. Hunt 2002,
spezifisch Komische im Comic bzw. die mediale Be- 96). In Serien wie Peanuts oder L’ il Abner wiederum
sonderheit der »Comickomik« (Nett 1993, 6) eher gibt es gar keine Figuren mehr, über die nicht gelacht
spärlich. Wie die lustige oder »sogar leichte Darstel- werden kann, ohne dass eine Überlegenheit der Leser
lung« (Maynard 2012, 107) der Comic-Strips zu ver- impliziert und adressiert wird. In diesen »Verzerrun-
stehen wäre, wirft P. Maynard zufolge eine unter- gen, Karikaturen und Grotesken« lässt sich die »Wirk-
schätzte philosophische Frage auf, die sich nicht nur lichkeit« (Berger 1994, 50) der amerikanischen Ge-
mit der Leichtigkeit der Mittel und ihrer flüchtigen sellschaft erkennen. Seit den 1960er Jahren gibt es zu-
Rezeption erklären lässt, sondern auch durch die dem Zeichner und v. a. Zeichnerinnen, die gerade die
von den Comics verlangte, spezifische Wahrneh- Strukturen der Überlegenheit in der Komik mit den
mung. Manche Autoren halten dementgegen, dass die Mitteln des Comics untersuchen. Der feministische
»humorvolle Intention«, die der Begriff Comics kon- Ton mancher dieser Comics sei in diesem Sinne nie-
notiert, »inkonsistent mit dem tatschlichen Inhalt vie- mals ein Witz, sondern »eine Unterbrechung der
ler, vielleicht der meisten Comic-Strips, Comic-Hefte männlichen Comic-Tradition« (Klein 1993, 65), die
und Graphic Novels« (Heer/Worcester 2009, xiii) ist. auf der Erniedrigung der Frauen basiert.
Solche Aussagen sind in dieser Allgemeinheit statis- Diese Form der Unterbrechung weist auf ein
tisch nicht belegbar und drücken v. a. das Bedürfnis zweites umfangreiches Feld der Komik, die sich aus
der Comic-Forscher aus, die Seriosität ihres For- der Inkongruenz von verschiedenen Elementen speist
schungsgegenstandes herauszustellen. Die Beziehung (vgl. Kap. 1; Kap. 19). Diese Inkongruenz kann ein
der Comics zum Humor, zur Karikatur und zur Sati- einzelnes Wort betreffen, dessen Homonymie inkon-
re verstehen viele Wissenschaftler als »symbolisches gruente und deshalb komische Bedeutungen erzeugt;
Handicap« (Groensteen 2000, 39), das die Anerken- eine Formulierung, in der ein gewohnter Sprechakt
nung des Comics als Kunstform verhindert. Unbe- abgewandelt wird oder auf eine andere Situation an-
stritten ist jedoch, dass Serien wie Asterix, Tintin oder gewandt wird; das Verhältnis von Wort und Bild, das
Peanuts ihre internationale Wertschätzung durch ih- aufgrund der unterschiedlichen Materialitäten auf
ren Humor sichern. der Oberfläche der Seite immer schon inkongruent
Comics sind dafür kritisiert worden, dass sie mit ist und zu spezifischen Zeichenscherzen mit der Ma-
ihren Stereotypen und ihrer überzeichnenden Dar- terialität der Signifikanten einlädt; das Verhältnis
stellung ein abwertendes Lachen, ein Lachen ›über‹ zwischen den Bildern, wenn zwischen zwei Panels et-
Andere provozieren. Zugleich dient solch ein Geläch- was Unerwartetes passiert oder gerade das unerwar-
ter häufig der Bestätigung der eigenen Überlegenheit, tete Geschehen ausgelassen wird. Die groteske Zeich-
die wie in Asterix z. B. darin liegen kann, sich selbst als nung der Figuren muss dabei nicht immer aufgrund
geistvoll und witzig darszustellen und damit ein natio- einer Überlegenheit als komisch gedeutet werden,
nales Selbstverständnis zu bestätigen (vgl. Götze 2010, sondern kann auch als Abweichung von einer an-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 349

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Witek, Josef: »Comics Criticism in the United States. A brief überlegener Apparatur und schnell wachsendem Pro-
Historical Survey«. In: International Journal of Comic Art gramm-Stock verteidigten die Lumières zunächst so
1. Jg., 1 (2010), 4–16. hartnäckig, dass sie sich weigerten, dem tüftelnden
Variété-Magier und Karikaturisten G. Méliès eine Ka-
Ole Frahm
mera zu verkaufen. Der Direktor des Pariser Théâtre
Robert-Houdin hatte anlässlich einer der frühesten
öffentlichen Lumière-Vorführungen das phantasma-
gorische wie auch komische Potenzial des Kinemato-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 351

grafen sogleich erkannt und wusste 1896 den Boykott ten Guckkasten für individuelle Zuschauer bespielte,
durch Kauf und Optimierung des Theatrograph ge- denn schon hier dominierten Szenen aus dem Vaude-
nannten Projektors des englischen Lumière-Konkur- ville oder groteske Ansichten – etwa eines in die Ka-
renten R. W. Paul zu umgehen. Denn allem Reali- mera niesenden Mitarbeiters. Ähnliches gilt für die
tätseindruck, allem Unmittelbarkeits-Pathos des neu- Schaustellungen der deutschen Pioniere M. Sklada-
en Medienapparats zum Trotz: Auch die wohlkom- novsky und O. Messter.
ponierten und hochgradig inszenierten Bewegtbild-
Ansichten der eher nüchternen Fotomaterialien-Fa-
27.3.2 Die Urszene der Film-Komik
brikanten Lumière beinhalteten ausgesprochen ko-
mische Elemente, die zu einem guten Teil aus der neu Es war der Projektionsapparat der Brüder Lumière
gewonnenen Spezifik der projizierten Bewegtbilder gewesen, der Th. A. Edisons Bewegtbild ›out of the
resultierten: Schon die ersten Programme der Vor- box‹ in jenes epochale Kino-Dispositiv einer ein-
führungen im Salon indien du Grand Café Dansant gebundenen Unmittelbarkeit überführte, wo sich der
am Boulevard des Capucines ab dem 28. Dezember Zuschauer, vereinzelt wie geschützt durch die Dun-
1895 kitzelten die Angstlust aus dem Zuschauer he- kelheit, doch gesichert durch das teilnehmende Pu-
raus, wenn die in den Bahnhof von La Ciotat einfah- blikums-Kollektiv, affektiv im flüchtigen Bewegtbild
rende Lokomotive von der Leinwand herab in den vis-à-vis widerspiegeln konnte: Das laute Lachen und
Saal zu brausen drohte. Richtete sich im Filmrücklauf die heimliche Träne liegen vor und auf der Leinwand
eine zuvor eingerissene Mauer wie durch Zauberhand noch näher beieinander als im Vorgänger-Dispositiv,
wieder auf, baute sich mit dieser Wand auch eine der illusionistischen Guckkastenbühne der Belle épo-
amüsante »suspension of disbelief«(Coleridge 1983, que mit ihren Farcen und Melodramen. Bergsons le-
6) auf. Und wenn in einer intimen Familienszene A. bensphilosophischer Phänomenologie des Lachens
Lumière seine kleine Tochter im Garten liebevoll füt- (vgl. Bergson 1972) zufolge laufen Gefühlsübertra-
tert, entsprach ein empathisches ›Spiegellächeln‹ des gung und Stimmungsansteckung im zugleich sozia-
Publikums einem programmierten Kalkül. Min- len, kulturellen, aber auch mechanisch vorgeprägten
destens ein Drittel aller dieser Filme weist motivisch Lachen schneller und quasi automatisch ab. Dies alles
(Schneeball- und Kissenschlachten, Bauchlandun- mag erklären, weshalb der (nach heutigem Kenntnis-
gen voltigierender Kavalleristen oder sackhüpfen- und Erhaltungsstand) erste Spielfilm überhaupt eine
der Herren gesetzten Alters) wie inszenatorisch (ad (Kürzest-) Komödie war: L. Lumières Arroseur arrosé
spectatorem gestikulierende Assistenzfiguren wie (Der begossene Gärtner), eine im Frühjahr 1895 im
herumalbernde Kellner, chargierende Clochards oder Garten der Ferienresidenz mit dem Hausgärtner und
schenkelklopfende Claqueure) explizit komische einem Lehrling aufgenommene Slapstick-Szene in ei-
Elemente auf. Sie sind in Lumières Katalogen unter ner einzigen, unbewegten, bildparallelen Halbtota-
»Aktualitäten«, »Reisebilder«, »Genre-« bzw. »nach- len: Ein Bengel steht dem Gärtner beim Blumengie-
gestellte Szenen« sowie »militärische«, »historische« ßen hinterrücks auf den Schlauch, um den Wasser-
und »komische Ansichten« (http://catalogue-lumiere. strom genau dann wieder freizugeben, als der Mann
com) rubriziert. die Schlauchmündung inspiziert. Das durchnässte
Dieses runde Drittel der genuin komischen, im Opfer des Streichs verfolgt den Saboteur, um ihm
Verlauf der Filmgeschichte zunehmend ausdifferen- schließlich den Hintern zu versohlen. Da die ersten
zierten Genres ist bis heute ungefähr konstant geblie- Lumière-Kameras bei einer durchschnittlichen Bild-
ben (vgl. Seeßlen 1982, 9), ebenso jene Grundtendenz frequenz von 15 Bildern (bzw. zwei Kurbeldrehun-
zur Hybridisierung, wie sie für die ›unreinere‹ Gat- gen) pro Sekunde nur rund 17 Meter Filmmaterial
tung der Komödie in Stoffen und Personal seit jeher fassten, dauert auch diese lustige Szene nur rund 50
charakteristisch war und wie sie durch die technisch, Sekunden. Dies machte eine schnelle Exposition
ästhetisch, ökonomisch wie publikumssoziologisch von Situation und Personal vermittels Charakter-
auf Integration und Durchmischung angelegte Kine- typik, alltäglichem Schauplatz, chargierter Inszenie-
matographie als potenziell globale Entertainment- rung und transparenter Bildkomposition nötig, um
Kulturindustrie weiter befördert werden sollte (vgl. die dreiphasige, rudimentäre Aktions-Reaktions-
Gabler 1999). Stofflich lässt sich dies bereits an den Su- Dramaturgie von Vorbereitung, Durchführung und
jets jener 20-Sekunden-Streifen festmachen, mit de- Bestrafung des Bubenstreichs erzähllogisch noch oh-
nen Th.A. Edison ab 1889 seinen Kinetoscope genann- ne Kamerabewegung oder Montage plausibel zu ge-
352 III Mediale Formen des Komischen

stalten. Denn diese Urszene filmischer Komik führt sammelt eine gutbürgerliche Familie zur Arroseur-
das später in Slapstick-Groteske wie Surrealismus so arrosé-Séance im Boulevard-Theater. Das gleiche zeit-
zentrale Motiv der Tücke des (dynamisierten) Ob- genössische Figurenrepertoire tauchte auch in den
jekts ein, wo die Gag-Mechanik den Menschen des- Bildergeschichten der Magazine und Fortsetzungs-
sen Sinn-entfremdeten Werkzeugen unterwirft. Zu- Feuilletons auf, namentlich jenen des Karikaturisten
gleich wird ein Suspense aufgebaut, weiß doch der Zu- Christophe, der 1889 in sechs Panels die motivisch
schauer um die Gefährdung des ahnungslosen Op- schon mehrfach kursierende Histoire sans paroles: Un
fers, wodurch er sich sadistisch-erwartungsfroh zum Arroseur public veröffentlicht hatte.
Komplizen des Täters machen lässt. Auzolles Plakat amalgamiert diese Cartoon-Mo-
Das der Schlauch-Attacke anschließende, nicht tivtradition mit der Version der Lumières und lässt
minder zukunftsträchtige Motiv der Verfolgungsjagd beide auf der Boulevard-Bühnen-Leinwand bzw. in
– die chase sollte ja spätestens in M. Sennetts Grotes- der gezeigten Publikumsreaktion widerspiegeln: Der
ken zum obligaten Handlungselement, bei D. W. Grif- Junge springt vor lauter Identifikation mit dem Ben-
fith sogar zur Keimzelle der Parallelmontage werden gel vom Sitz hoch, der Vater klammert sich an seinen
– suspendiert die Loyalität und verkehrt die Kompli- Zylinder, als dem Gärtner der Hut wegfliegt und die
zenschaft des Zuschauers: Der über die linke Bildkan-
te hinaus fast verschwundene Attentäter wird vom
Gärtner wieder ins Bildzentrum gezerrt und dort mit
dem zu traktierenden Hosenboden ostentativ der Ka-
mera zugewendet. Nach dieser kurzfristigen Deka-
drierung einer sich öffnenden Bildkomposition stellt
sich damit zum Schluss-Akt der Nemesis das Regime
von Symmetrie, Zentrierung und Geschlossenheit
auch inszenatorisch wieder her.
Der unter verschiedenen Titeln angekündigte
spritzige Gartenspiel-Film war in allen Lumière-
Programmen so erfolgreich, dass er wegen Übernut-
zung des Originalnegativs als frühes Remake der
Filmgeschichte mehrfach neu aufgenommen werden
musste und von Edison, Méliès und weiteren, vorab
englischen Konkurrenten umgehend plagiiert wurde.
Die Brüder Lumière setzten 1896 im ersten Filmplakat
selber auf die Popularität der gleichen Szene, das die
ästhetisch-soziale Einbettung des Cinématographe Abb. 27.24 Christophe 1889: Histoire sans paroles:
perfekt wiedergibt: Der Graphiker M. Auzolle ver- Un arroseur public

Abb. 27.25 Marcellin Auzolle 1896: Cinématographe


Abb. 27.23 Louis Lumière 1895: L’ arroseur arrosé Lumière (Plakat)
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 353

Magd schreckt zurück, als ob das Leinwandspektakel


in den Saal hinunterspritzen würde. Damit pflegt die-
ses Plakat auch den (später bei den französischen
Film-Avantgarden als photogénie legendär geworde-
nen) Kult um die Spezifik des kinematographischen
Bewegtbild-Erlebnisses. In der Tat zeigte sich das Pu-
blikum der Lumière-Brüder vom Naturalismus der
Wasserspiele, der im Wind wiegenden Blätter wie
auch unfreiwillig situationskomischer Passagen nicht
minder beeindruckt als von der intendierten Komik
der Handlung selbst. Es ist der auf der Bühne nur ein-
geschränkt möglichen breiten Darstellung fließenden
und spritzenden Wassers, lodernden Feuers und dy-
namischer action zu verdanken, dass in der frühen
Abb. 27.26 Louis Lumière 1896: L’ arroseur arrosé
Kinematographie sehr viele – auch komische – Feu-
erwehrszenen ausgesprochen prominent sind. Sehr beschäftigtes Hin- und Hergehen für ein Spannungs-
schnell differenzierte sich genuin filmisches komi- element: Entdeckt er den Bengel vor seinem Kollegen
sches Erzählen aus, vorab als Steigerung von Effekt, oder wird er eingreifen? Stattdessen wird er zur ge-
Effizienz, Plausibilität, Tempo und Rhythmus. Dies spiegelten Gewährsperson des Zuschauers, als er
zeigt bereits ein Vergleich der wenigen erhaltenen exakt gegenüber der Kamera stehenbleibt und ge-
Varianten und Remakes des Gärtner-Films. Die bannt beobachtet, wie der Begossene den Jungen um
Handlung der ersten Version entfaltet sich weit- den Strauch herum verfolgt, bestraft und rechts nach
gehend in der Profilachse, der losgelassene Schlauch vorn entkommen lässt, um ihn selber mit spritzendem
bleibt am Boden liegen und der Film endet mit einem Schlauch knapp links am Objektiv vorbei aus dem Bild
simplen Abgang des verprügelten Knaben nach heraus zu verfolgen.
rechts. Die Version von 1896 erschloss mit einer Dia- Dass der Wasserstrahl des Gärtners nun auch dem
gonalkomposition auf der Ecke des Beets die Raum- Filmzuschauer ins Auge geht, hatten die Lumières
tiefe, wodurch sich die ganze Handlungsführung 1896 in Joueurs de cartes arrosés präludiert. Sowohl P.
enorm anreichert und plausibilisiert: Dem nun als Cézannes profilbetonte Bildformel zweier Kartenspie-
Repoussoirfigur dominanten Gärtner bleibt der sich ler wie auch das moderne, konstruktive bzw. multi-
von hinten anschleichende Bengel realistischerweise perspektivische Raumverständnis werden darin ent-
verborgen, und die Pose des nunmehr steil gehalte- lang der beiden Konfliktachsen rechtwinklig über-
nen Schlauchs suggeriert beim Versiegen des Strahls kreuzt. Zugleich wird die übertragene Bedeutung von
explizit Impotenz. Das zuvor unplausible Eingeholt- ›arroser‹ witzig entmetaphorisiert: Zwei Kartenspie-
werden des flinken Jungen durch den Alten wird ler, die sich zu viel hinter die Binde gegossen haben,
durch seinen Sturz auf dem glitschig gewordenen Bo- geraten im Streit aneinander, werden aber vom Gärt-
den motiviert, zumal der herumspritzende Schlauch
ein fotogenes Eigenleben entwickelt. Nebst Prügel
setzt es nun auch noch ein vergeltendes Benässen ab:
Der Gärtner spritzt dem links in die Bildtiefe entflie-
henden Bengel nach.
J. Bamforth perfektionierte 1900 diese neuen Ele-
mente in seiner leicht längeren (67 Sekunden) Version
The Biter Bit: Der Practical Joker schleicht sich, ge-
deckt durch einen Zierstrauch in der Wegecke, an sein
im mittleren Bildraum gießendes Opfer aus der Achse
der Kamera an, mit dieser (in der Theatertradition des
Aparte-Sprechens) gestisch fraternisierend. Präzis
choreographiert, nähert sich hinten auf der Profilach-
se auch ein den Rasen mähender zweiter Gärtner per-
spektivisch dem Geschehen an und sorgt durch sein Abb. 27.27 James Bamforth 1900: The Biter Bit
354 III Mediale Formen des Komischen

ner auf Geheiß seines Chefs aus dem Hintergrund mit Georges Méliès
dem Schlauch abgekühlt. Dabei verfehlt der frontale Ob märchenhafte Féeries mit fantastischen, exo-
Strahl das Objektiv nur um Zentimeter, wodurch tischen und erotischen Motiven, ob Science fiction à la
sich die Kameraposition nicht nur fotogen-situations- J. Verne oder Nachstellungen historischer Szenen,
komisch anreichert, sondern auch ansatzweise subjek- Méliès’ Genre-Mix war eingebunden in augenzwin-
tiviert. Das Bewusstmachen der buchstäblichen ›Ein- kernde Satire, Parodie und die karikaturale Hand-
stellung‹ der Kamera (vgl. Heller 2005, 13 f.) wie auch schrift der Kulissen, die in ihrer Künstlichkeit mit dem
der narrativen Besetzung bzw. instanzlichen Spiege- pleinairistischen Naturalismus der Lumières stark
lung ihres Blicks wurden von den Pionieren der Kine- kontrastierten. Die nur sechs Meter breite Tageslicht-
matographie also von Anbeginn weg auch als Gestal- Bühne in Méliès’ ›atelier des poses‹ genanntem Studio
tungsinstrument des Komischen verstanden, nicht war fixer Bezugsrahmen auch im Sinn einer Gleich-
aber das Sinn anreichernde Prinzip der Montage sol- setzung von Einstellung (seiner auf Sitzhöhe montier-
cher Einstellungen und auch noch nicht die Haltung ten Kamera) und Szenenbild des Guckkastentheaters
bzw. Bewegung der Kamera. – ausgerichtet auf den privilegierten Platz. Der shake-
Wenn sich heute T. Gunnings treffender Begriff spearesche Slogan seiner Star Film genannten Produk-
des »Cinema of Attractions« (Gunning 1997) für die tionsgesellschaft Le monde à la portée de la main (›Die
forale Pionierphase des Films durchgesetzt hat, um ganze Welt in Griffnähe‹) war also durchaus Pro-
deren Affinität zu Spektakel und Schaustellerei zu be- gramm.
tonen, darf dies keinesfalls mit S. M. Eisensteins Pos- Die der Komödientradition seit der Antike inhä-
tulat von 1924 einer in sich sinnstiftenden »Montage rente verblüffende Verwandlung von Personen, Ob-
der Attraktionen« (Eisenstein 1975, 219) verwechselt jekten und Situationen und der seit dem Elisabetha-
werden. Dort verweist die Zirkusmetapher auf die nischen Theater schnelle Wechsel zwischen Raum-,
Montage als Organisatorin unterschiedlichster »Sen- Zeit- und Handlungsebenen wurde in den Filmen
sationen« (ebd.). In den Séancen der frühen Kinema- des Bühnentüftlers nun frei gestaltbar: Schnitt bzw.
tographie lag demgegenüber diese Instanz auf der au- Stopptrick, Überblendung, Mehrfachbelichtungs-
ßerfilmischen Ebene des Soirée-Programms, wo sich und splitscreen-Tricks (zumal in ihren Kombinatio-
die nach Genre durchmischten Kurzfilme im Regelfall nen den Spiegeltricks und Eskamotiertechniken der
mit musikalischen oder akrobatischen Revuenum- Zauberbühne wie Falltüre oder Schwarz-Kasch) –
mern ablösten. Dies war insbesondere beim Illusions- praktisch das gesamte filmische bzw. kinematogra-
künstler G. Méliès der Fall, dessen filmisches Œuvre phische Trick- und Effekt-Repertoire wurde von Mé-
stofflich, technisch und dispositivisch als Erweiterung liès (mit-)entwickelt und apparativ konfiguriert.
des Programmrepertoires seines Zaubertheaters be- Wenn dieser Übervater des Filmtricks in L’ homme
griffen werden kann, das der gelernte Automatenbau- orchestre (1900) sich zunächst zum siebenköpfigen
er J. E. Robert-Houdin begründet hatte. ›Einmann‹-Orchester auffächert und nach kurzem

Abb. 27.28 und Abb. 27.29 Louis Lumière 1896: Joueurs de cartes arrosés
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 355

Ständchen wieder in der alleinigen Dirigentenfigur zu- spärlichen Bewegungen der Kamera entsprachen al-
sammenfällt, um sich nach einer explosiven Selbst- lein jenen des Kameramannes im jeweiligen Ver-
wegzauberung zur Verbeugung vor der Kamera wieder kehrsmittel. Die ab 1897 beliebten Phantom Rides,
in den Schausteller zurückzuverwandeln, dann ist dies spektakuläre Frontalaussichten einer tief auf dem
zum einen Programm seiner All-Autorschaft mit tota- Schienenräumer von Lokomotiven montierten Kame-
ler Kontrolle über die gesamte Produktions- und Ver- ra, beförderten mit ihrer körperlosen Dynamik im
wertungskette seiner Filme. Zum anderen verweist er Filmzuschauer den Eindruck einer induzierten Ei-
auf die musikalische Tradition, in die der grundsätz- genbewegung. Dies wiederum begünstigte die schnel-
lich nie stumme Film seit Anbeginn eingebettet war. le Ausdifferenzierung narrativer Point-of-View-Shots
Dieses orchestrale Prinzip des ›einer für alles und al- (POV) bis hin zur vollständig subjektiven Kamera.
le(s) in einem‹ widerspiegelt zwar den synthetischen
Zug der jungen Kinematographie. Es widerspricht
27.3.3 Die englischen Pioniere komischer Per-
aber ihrer industriellen Arbeitsteiligkeit, an der aus-
spektiven
gerechnet der größte Innovator der Filmgeschichte
bald scheitern sollte, als sich ab 1905 die Kinos ortsfest Diese enorm komiktaugliche erzählerische Entfesse-
institutionalisierten – mit einer ausschließlich auf Fil- lung der Perspektiven aus den für das Lebensgefühl
me von zunehmender Handlungsdauer und -komple- des Fin de siècle so wichtigen neuen Verkehrsmitteln
xität spezialisierten Programmation. Und dem von sollten zur Domäne von Pathé Frères und ihrer briti-
Méliès’ Konkurrenten Ch. Pathé erfundenen Verleih- schen Konkurrenten R. W. Paul, C. Hepworth, J. Wil-
system, das eine viel schnellere Programmrotation von liamson, G. A. Smith u. a. werden. Letzterer klebte
zunehmend auch international produzierten und ver- 1899 in seinem immer wieder (noch 1959 in der sug-
triebenen Filmen für das sich herausbildende groß- gestiven Schlusseinstellung von A. Hitchcocks North
städtische Massenpublikum mit ausgesprochener Vor- by Northwest) kopierten und variierten The Kiss in the
liebe für komische Stoffe ermöglichte. Tunnel zwischen zwei Phantom-Ride-Aufnahmen ei-
Méliès vermochte zwar – wie in Le mélomane – die ner Tunnelein- und -ausfahrt die komische (Studio-)
Komplexität von acht Bildebenen allein durch eine Einstellung mit der doppelten Verwandlung eines
Vielzahl Kamera-generierter Stopptricks zu meistern. Paares im Abteil – von züchtig zu frivol und wieder
Seine auf Schienen montierte Studiokamera diente zurück zu heuchlerisch-züchtig. Bereits im folgenden
auch zur grotesken Vergrößerung des Gummikopfs Jahr erzählte G. A. Smith in As Seen through a Tele-
seines Homme à la tête en cautchouc oder zur Giganti- scope (1900), wiederum anhand eines erotisch-ko-
sierung bzw. Verzwergung seines Gulliver, die narrati- mischen Motivs, entlang der bis heute kanonisch ge-
ven Potenziale von Montage und Kamerabewegung bliebenen Dreierabfolge look of outward regard – POV
blieben bei ihm aber unbenutzt. Ähnliches gilt für die – reaction shot, wie ein alter Spanner auf der Straße
Brüder Lumière: Ihre Kameras waren anfänglich un- durch ein Fernrohr auf einen Galan neben einer Rad-
schwenkbar auf Foto-Stativen montiert, die sich aus fahrerin guckt. In teleskopischer Detailaufnahme se-
der Tradition der Staffelei herleiteten. Die anfangs hen wir, wie die Männerhand der Frau den Schuh bin-
det und ihr auch kurz die Wade tätschelt. Der Voyeur
wendet sich scheinheilig nach vorn und setzt sich auf
einen Feldsessel, doch das herannahende Paar schlägt
unvermittelt einen Haken, und schon liegt der Alte,
durch eine Ohrfeige bestraft, auf dem Boden.
Solche angedeutete komische Selbstreflexivität der
projizierten Schaulust des Filmzuschauers machte
R. W. Paul 1901 in The Countryman and the Cinemato-
graph explizit: Ein von der Grazie einer Balletttänzerin
angezogener Bauerntölpel springt gestikulierend auf
die Vorbühne der Leinwand, um sich sogleich panisch
abzuwenden, als ein Zug (wie jener der Brüder Lumiè-
re in La Ciotat) auf ihn zuzubrausen scheint. Doch als
er im erneuten Bildwechsel eine Milchmagd sieht, ent-
Abb. 27.30 Georges Méliès 1900: L’ homme orchestre deckt er alsbald – in projektiver Verdoppelung – sich
356 III Mediale Formen des Komischen

selbst beim Schäkern mit der rustikalen Schönen.


27.3.4 Entwicklungen der Filmkomik im neuen
Über die Reflexion der Attraktions- wie Abstoßungs-
Veranstaltungsort Kino
kräfte der Leinwand hinaus kann die Bildfolge des ein-
gelegten Films auch als schnelle, Montage-induzierte Die Brüder Lumière, die nicht an die Zukunft des
Versetzung zwischen Stadt, Zug-Passage und Land ge- Kinematografen jenseits des Tingeltangels glauben
deutet werden. Dies alles macht Pauls Filmfragment mochten, verkauften 1902 die entscheidenden Patente
zum würdigen Vorläufer von B. Keatons Sherlock Jr. an C. Pathé, der damals vom Vertrieb von Phono-
(1924) und W. Allens komplementärem The Purple grafen lebte. Der Spross einer Schausteller-Familie
Rose of Cairo von 1985, den beiden Kino-Metafilmen stampfte bis zum Ersten Weltkrieg einen weltumspan-
par excellence. nenden Mischkonzern aus Studios, Kinoketten,
Die spätestens seit C. Hepworths How It Feels to Be Verleihfirmen und Fotomaterialindustrien aus dem
Run Over (1900) kanonisch gewordenen brachial-em- Boden. Zusammen mit den Mitbewerbern Gaumont
pathischen vollfrontalen Kollisionen zwischen sub- und Eclair produzierte Pathé Hunderte von robusten
jektiver Kamera bzw. Vordergrundsfiguren und den Kurzfilmgrotesken, ab 1906 ganze Burlesken-Serien
unterschiedlichsten Verkehrsmitteln (in Williamsons aus der bunten Stofftradition von Vaudeville und
An Interesting Story von 1905 wird ein Lesesüchtiger Grand Guignol. Die heute vergessenen, damals bis in
von einer Dampfwalze platt gedrückt) boten Gelegen- die USA populären Komiker wie Rigadin, Onésime,
heit zur sadistischen Zerlegung und Auferstehung Zigoto, Boireau, Bébé, Caza, Pif Paf, Kri-Kri oder Po-
der Körper mittels Stopptrick. Diese Zusammenstöße lycarpe rekrutierten sich aus Zirkus, Music Hall und
medias in res wurden schnell zum Auslöse- und Stei- Caf ’conc’, doch verloren seit der ›Film d’art‹-Initiative
gerungspunkt von immer serieller, komplexer sowie von 1908 selbst die arrivierten Stars der Sprechbüh-
figuren- und schauplatzreicher werdenden Verfol- nen ihre institutionellen Berührungsängste vor der
gungsjagden. Die (dank Handkurbel noch variablen) nun auch im Kino regierenden Vaudeville-Tradition
Zeitdeformationstechniken Dehnung, Raffung und (vgl. d’Hugues/Marmin 1986, 50–68). Der brachiale
Rücklauf (in der Pathé-Komödie Le cheval emballé Körperhumor, der rauschhafte Distanzverlust, die al-
von 1907 verfolgen die Geschädigten einen rückwärts les verrückenden Traumszenen, die komischen Kas-
galoppierenden Pferdekarren) bedienen dabei die Hy- kaden animierter Objekte und devastierter Musik-
perbolik der Gags und die Elliptik ihrer temporeichen instrumente, die Zerstörungsorgien an den Kultur-Fe-
Erzählung, deren Phantastik schließlich mittels der tischen, die diabolische Chaosstiftung mit Großvieh
Mélièsschen Animations-Kombitricks weiter gestei- im Salon oder Dromedaren im Boudoir – solche
gert wird: Pauls The Motorist (1905) nimmt anfangs Transgressionslust bediente neben der plebejischen
einen Polizisten auf den Kühler, entzieht sich dessen und der bürgerlichen Lachtheater-Kultur auch die Eli-
Verfolgung, indem er eine Hausfassade hoch- und ten des ›épatez le bourgeois‹: Die Filme der dadaisti-
dann auf den Wolken entlangfährt, um nach Umrun- schen und surrealistischen nachmaligen Avantgar-
dung von Mond und Saturnringen ins Gerichtsgebäu- den, so R. Clairs und F. Picabias Entr’acte (1924) oder
de zu stürzen und erneut auf die Straße auszubü- H. Richters Vormittagsspuk (1928), wären ohne diese
xen. Ob als magischer Trick oder als grotesker Effekt: Inspiration so wenig denkbar gewesen wie L. Buñuels
Die variable Mechanik der Filmkamera vereinigt die provokante Debüt-Werke. Oder jene von M. Sennett
buchstäblichen membra disjecta der sadistisch-ko- und Ch. Chaplin, die sich beide lebenslang vor M.
mischen Handlung wieder in einer technischen Orga- Linder, dem Superstar des frühen französischen
nik, deren Automatismen Bergson wie Freud so be- Groteskfilms, als ihrem Lehrmeister verneigten. Pat-
kannt wie suspekt sein mussten. hés ›Max‹-Figur, ein äußerlich elegant-akrobatischer,
Die Straße aber sollte in der ganzen Stummfilmzeit wenngleich dauerbesoffener Dandy, charaktertypisch
bevorzugter Schauplatz der Filmkomödie bleiben: als aber auf grobianistisches Ausleben bürgerlicher Pho-
logischer Ort medialer wie sozialer Zwischenräum- bien hin angelegt, präfigurierte viel von Chaplins bis
lichkeit, als Bild des gerichteten, konstanten Wechsels, ins Kostüm gespaltenem Gentleman-Tramp. Ein-
als prekäre Heimat des Vagabunden, wie ihn Ch. geführt in die Filmgeschichte wurde Chaplins Vaga-
Chaplins emblematische Tramp-Figur verewigen soll- bund als emblematischste Figur 1914 in M. Sennetts
te, und schließlich als Reminiszenz der migranten Keystone-Produktion Kid Auto Races at Venice von
Herkunft aller Schaustellerei. Regisseur H. Lehrmann.
Die minimale, weitgehend improvisierte Hand-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 357

lung dieses in einem einzigen Nachmittag anlässlich


27.3.5 »Comedy’s Greatest Era«
eines Seifenkistenrennens vor Ort abgedrehten One-
Reelers besteht nur aus einem einzigen, dafür höchst Ch. Chaplin, der als Star von F. Karnos englischer
selbstreflexiven Grundelement: Der Tramp, der sich Music-Hall-Truppe während ihrer US-Tournee vom
weder an die Absperrungen noch die Verbote von begnadeten Talent-Scout M. Sennett abgeworben
Polizei und Rennleitung hält, verdeckt den Zuschau- worden war, wusste schon bald die ausgefeilte Pro-
ern hartnäckig den Blick auf die Rennautos, mit de- be-Kultur der Bühnen-Routines mit dem horrenden
nen er immer wieder frontal zu kollidieren droht. Produktionstempo der Slapstickkomödie zu verbin-
Diese eitle Selbstpräsentation ad spectatores wie auch den: Gedreht wurde in standardisierten Studiosets
das In-die-Kamera-Blicken der Zuschauer vor Ort und am vorgefundenen Schauplatz im Tageslicht.
wird schon bald diegetisch motiviert: Ein Kamera- Hier wurden Handlung und Gags ohne Drehbuch
mann und sein von Lehrmann selbst gespielter Re- entwickelt und nach dem äußerst ökonomischen
gisseur kommen ins Bild, und wir merken, dass es Prinzip ›one rehearsal, one take‹ gleich umgesetzt:
deren (frontal wie auch von hinten gezeigte) Kamera mit einem Team, das so klein, improvisationsfreudig,
ist, vor der sich der Tramp so eitel in Szene setzt. ideenreich und polyvalent wie möglich war und auch
Nachdem der entnervte Regisseur den Störenfried die gefährlichen Stunts selbst ausführte. Diesen kol-
mit einem Fußtritt zu Fall gebracht hat, rächt sich lektiven Produktionsstil hatten M. Sennett und seine
dieser, indem er zum Schluss aus nächster Nähe Konkurrenten wie H. Roach von ihren französischen
fürchterlich in die Kamera grimassiert. Kollegen übernommen, deren Arbeit und Absatz-
1896 hatten die Lumières anlässlich der Aufnah- märkte durch den Kriegsausbruch enorm beeinträch-
me eines Auto-Cortège bei den Champs-Elysées den tigt wurden. Die mehreren hundert allein bis 1918
ersten drehenden Filmkameramann mitgefilmt, und entstandenen Sennett-Grotesken wurden für das Pu-
schon 1901 hatte Williamson in den drei Einstellun- blikum lose verklammert durch die legendären Stu-
gen von The Big Swallow gezeigt, wie die (sich als sub- dio-Serientruppen Keystone Cops und Bathing Beau-
jektiv erweisende) Kamera von Halbnah bis Detail auf ties, aber auch durch zahllose populäre Clownfiguren
den quasselnden Mund eines Mannes zufährt, wie der und nachmalige Stars wie R. ›Fatty‹ Arbuckle, B. Tur-
vorgeschobene Operateur samt Kamera von diesem pin, H. Langdon, M. Normand, C. Bow, G. Swanson,
Schlund verschlungen wird, aus dem die dritte Ein- Ch. Chase, W. C. Fields, und, für kurze Zeit, auch H.
stellung schließlich wieder herausfindet. Lloyd. Für das sich damals herausbildende Starsystem
Das Debüt von Chaplins Tramp verbindet also den waren die Heldinnen und Helden der komischen
uralten komischen Bruch des Schauspiel-Fiktions- Genres noch wichtiger als jene der melodramati-
pakts durch das Publikums-aside der lustigen Person schen, die Chaplin in seiner Figur so souverän zu ver-
bzw. des wendigen Intriganten am Bühnenrand mit binden verstand. Voraussetzung für ein eigentliches
der subjektiven Besetzung des (zunehmend komplex Identifikationskino waren nämlich plausiblere, kom-
konstruierten) szenischen Raums der Filmleinwand plexere, psychologischere – also schlicht längere
(vgl. Tieber 2006) . Plots, als dies für einen One-Reeler, einen nach dem

Abb. 27.31 und Abb. 27.32 Henry Lehrman/Mack Sennett 1914: Kid Auto Races at Venice (mit Charles Chaplin)
358 III Mediale Formen des Komischen

12-minütigen Fassungsvermögen der Filmkamera mehr seiner Person unterwirft: zur perfekten Entfal-
bezeichneten Einakter, möglich war. Sennetts drama- tung seines immensen performativen Talents in Blick,
turgisch bescheidenes, selbstredend nur auf äußerli- Mimik, Gestik und Akrobatik. Dass er dafür beträcht-
che Bewegung gemünztes Motto ›It’s got to move‹ lichen Aufwand treiben konnte, zeigt die für The Im-
stellte atemberaubendes Tempo grundsätzlich vor migrant (1917) eigens konstruierte Pendelkamera-
Kausalität, unverwüstlich-mechanischen Körper- Halterung – eine ähnliche hatte schon L. Fitzhamon
humor vor altruistische Empathie. Dieser Monotonie zur komischen Darstellung eines durch That Fatal
des komischen Fortissimos versuchte der in allen Sneeze (1907) ausgelösten Erdbebens eingesetzt. Ihre
Chargen der Filmproduktion versierte self-made raffinierte Kombination mit einem schaukelbaren
King of Comedy, der später mit D. W. Griffith zusam- Schiff-Set brachte Chaplins begnadete Äquilibristik
menarbeiten sollte, 1914 mit Tillie’s Punctured Ro- zur Geltung, die sich vom Durcheinanderpurzeln der
mance selber entgegenzuhalten. Diese wohl erste Passagiere so komisch abhebt, wobei sich deren See-
abendfüllende Filmkomödie blieb jedoch weitgehend krankheit durch das Bildschaukeln sogar auf das Film-
eine seriell verlängerte Aufreihung obligater, genuin publikum übertragen haben soll. Dass sich Chaplin
kurzatmiger Slapstick-Szenen, dies trotz einer selbst- in diesem Two-Reeler mit einer ungeschnittenen Rü-
reflexiven Kino-Sequenz und Ansätzen zu einer nach ckenansicht einführt, in der er zappelnd über der Re-
Herkunft und Vermögen vergleichenden Parallelfüh- ling hängt, zeugt nicht minder von seinem souveränen
rung von bäurischer Millionenerbin und städtischem Umgang mit der Filmtechnik, gerade im hier erzähl-
Ganoven durch den Schnitt. Solche spiegelnde Dop- taktischen Verzicht auf diese: Als sich der Tramp zur
pelung/Aufspaltung bzw. Parallelisierung/Kontrast- Vollfigur aufrichtet und zur Kamera umwendet, ent-
bildung, wie sie für die Komödie schon immer kon- puppt er sich als glücklicher Angler eines Herings und
stitutiv war, wurde durch die immer differenzierteren keineswegs als seekrank. Die Prägnanz dieses 1923
Montageformen enorm befördert: Das ›horizontale‹ von Chaplin in A Woman of Paris variierten Körper-
räumliche und zeitlich potenziell elliptische Hin und Gags (das Schütteln eines von seiner Frau Verlassenen
Her zwischen konträren Schauplätzen und schnell erweist sich nicht als Heulkrampf, sondern als eupho-
wechselnden Situationen plausibilisiert zudem das risches Cocktail-Shaken) widerspricht auch dem oft
vertikale topsy-turvy einer komischen Verkehrung strapazierten Gegeneinander-Ausspielen des ›senti-
der Welt, wie sie auf den viktorianischen Bühnen so mentalen Melodramatikers‹ Chaplin gegen das ›mo-
populär war. dern-absurde‹ andere Genie der Stummfilmkomödie,
Auch dafür steht der ›Viktorianer‹ Chaplin, der im B. Keaton.
(nun für Essanay Studios in eigener Regie gedrehten)
Two-Reeler A Night in the Show (1915) seine persönli-
27.3.6 Buster Keaton
che Herkunft wie auch jene der Stummfilmkomödie
aus dem Vaudeville reflektiert: In einer Pinkel-Pen- Dieser unerreichte Meister des Timings von Perfor-
ner-Doppelrolle als Flachmann-bewehrter Mr. Pest, mance, perspektivischer Bewegungs-Interaktion und
der einen an Tremor leidenden Music-Hall-Posaunis- Schnitt sollte die filmtechnischen Gestaltungsmittel,
ten verhöhnt, selber aber vom plebejischen Säufer wie sie die Méliès-Tradition nur für Tricks entwickelt
Mr. Rowdy auf dem billigen Platz über ihm mit Bier hatte, narrativ so ausdifferenzieren, dass er sie effekt-
begossen wird. Emblematisch für Chaplins immens voll unterlaufen, ja komisch negieren konnte. Dies
wachsende Popularität ist, dass sich die Handlung auf keineswegs nur im Ausbleibenlassen des Schnitts
seine Doppelfigur im Zuschauerraum fokussiert, wo zum Ausweis der Authentizität von Artistik und
sich Mr. Pest auf buchstäblich allen Rängen störend atemberaubenden Stunts: Sein minimaler Gag einer
breitmacht. Das gleiche Publikum beklatscht ihn aber, Gegen-Verkantung der Kamera genügt, um ein Boot
als er (und bald auch Mr. Rowdy) zerstörerisch in die als komisch ›auf- und abwärts fahrend‹ zu deklarieren
Bühnendarbietung eingreift, bis ihn ein Feuerzauber- (The Boat, 1921). Und kaum hatten sich elaborierte
Illusionist mit deutlich Mélièsschen Zügen durch ei- Montagekonventionen wie die (Zeit und Raum über-
nen von Mr. Rowdy zweckentfremdeten Feuerwehr- brückenden) Passagen-Einstellungen eingebürgert,
schlauch zum Schluss von der Bühne spritzt. Schon wurden sie von Keaton in einem betont uneigentli-
hier wird programmatisch deutlich, dass Chaplin das chen Stopptrick unterlaufen: In Seven Chances (1925)
kinematographische Dispositiv und die filmischen wird das Auto des abfahrenden Helden auf eiliger
Gestaltungstechniken weit weniger reflektiert, als viel- Brautschau der identisch kadrierten Folgeeinstellung
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 359

Abb. 27.33 Buster Keaton und Clyde Bruckman 1926: Abb. 27.34 Buster Keaton1924: Sherlock Jr.
The General

des Zielorts so perfekt eingepasst, dass der Bilokali- Mehrmals reflektierte Keaton das Vaudeville, auf
täts-Eindruck einer magischen Zeitreise entsteht. dessen Bühne der Spross einer Schaustellerfamilie, zu
Wenn Keaton im gleichen Film in exquisiter Voll- deren Truppe damals auch der Entfesselungskünstler
endung der Massen-chase seinen von 500 Bräuten H. Houdini gehörte, 1897 schon als Zweijähriger auf-
verfolgten Helden zeigt, wie er sich, umzingelt auf ei- trat. Dort hatte er gelernt, nebst der komischen Stone-
ner steilen Hügelkuppe, nur befreien kann, indem er face-Indolenz auch die Akrobatik-Nummern und
in die Krone eines Baums hechtet, der just in diesem Sketch-Routines buchstäblich zu inkorporieren, um
Moment von einem (am unteren Bildrand kaum sie durch Neukombination und Variation aus dem
sichtbaren) Holzfäller umgelegt wird, lässt er dies al- Körpergedächtnis heraus lebenslang zu nutzen. In
lein in einer Totalen geschehen. Ein expositorisch- The Playhouse (1921) erweiterte Keaton G. Méliès’
dramatisches Unterschneiden der Szene gemäß den Musiker-Multi-Performance aus L’ Homme orchestre
beiden vertikalen Teilhandlungen wäre der narrati- (1900) um die ebenfalls durch ihn verkörperten Büh-
ven Gesamteffizient und dem Verblüffungseffekt ab- nenarbeiter, -darsteller (inklusive Black Minstrels)
träglich gewesen. und Zuschauer. Die in Zwischentiteln explizit ge-
Keatons ›Summe‹ seines universalen Show-Talents äußerte Publikumskritik an diesem solipsistischen
(auch im Sinn von gedanklicher Veranschaulichung) Prinzip einer aus sich selbst schöpfenden Künstler-
bleibt zweifelsohne Sherlock Jr. Seine Techniken und autonomie ist ein ironischer Reflex der damals weit-
motivischen Vorlieben werden hier Programm, na- gehend kollektiven Autorschaft in der Produktion
mentlich die Verkreuzung aufgegleister mit frei steu- von Filmkomödien. Auch die Szene im sturmver-
erbaren Verkehrsmitteln oder die Durchdringung wüsteten Theater aus Steamboat Bill, Jr. (1928) ent-
von Grenzflächen mittels Projektion-in-der-Projekti- spricht einer respektvollen Dekonstruktion der Mé-
on oder gar als menschliches, zum graziösen Aufprall liès-Tradition, während A. und L. Lumières Zugein-
begabtes Projektil. Bis zu seinem letzten noch in eini- fahrt bzw. der begossene Gärtner ihre strukturell ulti-
germaßen eigenverantwortlicher Arbeitsweise ent- mative Perfektionierung 1921 in The Goat und The
standenen Stummfilm The Cameraman (1928), wo Garage finden sollten. Der 1895 im l’an des Lumière
auch die medienanthropologischen Konsequenzen geborene Keaton verkörpert mit seiner ungerührten
des Telefons und die Tücken des Objektivs der Film- Körperlichkeit H. Bergsons »Mechanisierung des Le-
kamera bzw. des vertrackten Projektionsraums tief- bens« (Bergson 1972, 71) so idealtypisch wie dies sei-
komisch ausgelotet werden, lässt sich sein Œuvre in ne Künstlerbiographie für die mediengeschichtlichen
seiner Bedeutung kaum überschätzen. Keaton machte Etappen zwischen Show-Bühnen und den Studios
mit dem Film, was dieser mit seinen Vorgängerküns- von Film und Fernsehen tut.
ten gemacht hatte: intermedialisieren, stofflich hybri-
disieren, ja metaisieren – doch immer auch inszenato-
risch perfektionieren.
360 III Mediale Formen des Komischen

Tonfilms dafür sorgen, dass sich die Vaudeville-Tradi-


27.3.7 Ethnische Komik im Stummfilm
tion mit ihrem sophisticated Mix aus karnevalesker
Wenn bis heute die Namen von Ph.T. Barnum und F. wie literarischer Komik im Kino ungebrochen fortset-
Ziegfeld für viele Manegen sozialen Lachens jenseits zen konnte: nunmehr im Bereich der Musik, die den
von Zirkusshow und Music Hall-Follies stehen, gilt marktsegmentierenden Kräften der gesprochenen
gleiches für die Filmkomiker Chaplin und Keaton: In Sprache entgegengehalten wurde.
der Schmelztiegel-Populärkultur des Einwanderungs-
landes USA wurde massenmediales, klassen- wie Literatur
spartenübergreifendes Entertainment ungleich stär- Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung
ker zur Formierung bzw. Affirmation eines National- des Komischen [1900]. Zürich 1972.
http://catalogue-lumiere.com (15.6.2015).
kultur-Bewusstseins instrumentalisiert als etwa im Coleridge, Samuel Taylor: The Collected Works of Samuel
Wilhelminischen Deutschland. Die gefeierte Multi- Taylor Coleridge. Biographia Literaria. Hg. von James En-
Ethnizität der US-Comedy-Tradition bezieht sich in- gell/W. Jackson Bate. Princton 1983.
dessen nur auf die europäische Immigration: Der un- Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2 [1985]. Frankfurt a. M.
verhüllte Rassismus der Blackface Minstrel Shows – 1997.
Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino 1 [1983]. Frank-
diese Vaudeville-Konvention führte im tragischen Fall
furt a. M. 1997.
von B. Williams dazu, dass sich ein Schwarzer schwarz Eisenstein, Sergeji: »Montage der Attraktionen«. In: ders.:
anmalen musste, um einen ›Schwarzen‹ spielen zu Schriften 1: Streik. Hg. v. Hans-Joachim Schlegel. Mün-
dürfen (vgl. auch Natural Born Gambler, 1916) – hielt chen 1975, 216–221.
sich zur Perpetuierung angeblich ethnischer Komik Elsaesser, Thomas (Hg.): Early Cinema: Space – Frame –
wie auch zur Integration des (nach Möglichkeit wei- Narrative. London 1990.
Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbe-
ßen Mainstream-) Jazz in Handlung und Soundtrack
wussten [1905]. In: Gesammelte Werke. Bd. 6. Frankfurt
des Tonfilms bis in die 1960er Jahre. a. M. 1999.
Anders verhält es sich mit dem an Broadway und Gabler, Neal: Das Leben, ein Film. Die Eroberung der Wirk-
in den frühen Hollywood talkies mächtig auftrump- lichkeit durch das Entertainment. Berlin 1999.
fenden jüdischen Humor, den Freud in seinem Witz- Gunning, Tom: »The Cinema of Attractions. Early Films, Its
Buch zwar anhand zahlreicher Beispiele ausgiebig Spectator and the Avant-Garde«. In: Early Cinema. Hg.
von Thomas Elsaesser. London 1997.
zitiert, nicht aber in seiner möglichen ethnischen Heller, Heinz-B./Steinle, Matthias (Hg.): Filmgenres Komö-
Spezifik qualifiziert. Dieser bezeichnende Umstand die. Stuttgart 2005.
mag auch erhellen, weshalb die Komik der A. Jolson, Hugues, Philippe d’/Marmin, Michel: Le cinéma français: Le
E. Cantor und der Marx Brothers im Show-Diskurs so muet. Paris 1986.
mühelos integriert wurde – und namentlich auch jene Schöning, Jörg u. a. (Hg.): Die deutsche Filmkomödie vor
1945. Hamburg 2004.
des bereits 1922 nach Hollywood ausgewanderten
Seßlen, Georg: Klassiker der Filmkomik. Geschichte und My-
jüdischen Berliners par excellence, E. Lubitsch: Der thologie des komischen Films. Reinbek 1982.
gelernte Feintuchhändler und Schüler von M. Rein- Tieber, Claus: »›Aus der Rolle fallen‹. Zum Stilmittel des
hardt hatte noch während des Ersten Weltkriegs die Aparte in Film und Fernsehen«. In: Maske und Kothurn
Palette des komischen Filmpersonals um jene des 51. Jg., 4 (2006), 509–516.
(von O. Oswalda mit Spiellust verkörperten) Wild- Hansmartin Siegrist
fang-Backfischs in Hosenrolle erweitert – und um die
Figur von ›Sally‹, eines mit Chuzpe gesegneten Parve-
nüs aus der jiddischen Theatertradition. Es sind dies
27.3.8 Der Tonfilm
Figuren zwischen Assimilationsdruck und Exzen-
trik-Behauptung, deren minoritäre kulturelle Iden- Zäsuren und fließende Übergänge
tität im Kontext des metropolitanen Berliner Lebens Traditionell orientiert sich die Filmgeschichtsschrei-
leichter akzeptiert wurde als anderswo (vgl. Schöning bung an den ernsten Genres des späten Stummfilms,
u. a. 2004). wenn es darum geht, diesem ein ästhetisches Reife-
Am Ende der Stummfilmzeit war die ästhetisch zeugnis auszustellen: D. W. Griffith und E. von Stro-
selbstbewusst gewordene Kinematographie ihren un- heim hatten sich an vielstündigen Monumentalpro-
gleichen Kinderschuhen aus neuer Medientechnik jekten versucht und A. Gance und F. W. Murnau die
und alter Schaustellerei entwachsen. Paradoxerweise Kamera entfesselt, während die Avantgarden daran
sollte aber gerade die Ankunft des techniklastigen herumexperimentierten, die realistischen, konstruk-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 361

tivistischen, onirischen und abstrakten Aspekte der


Kinematographie kunstreich aufzumischen. Mit sei-
nem Konzept einer ›intellektuellen Montage‹ hatte
S. M. Eisenstein sich und dem Stummfilm zugetraut,
ganze stream of consciousness-Romane, ja sogar K.
Marx’ Kapital (1867) allein mit Bildern und Zwi-
schentiteln umzusetzen. Wie sich der Kinematograf
binnen einer einzigen Generation von der kurzlebigen
Schausteller-Sensation zur Leitkunst der Moderne, ja
zum Grundmodell aller nachmaligen Bewegtbild-
Medien mausern konnte, lässt sich an späten Stumm-
filmkomödie indessen noch prägnanter ablesen – an
B. Keatons Gipfelwerken oder an Ch. Chaplins The
Circus (1928), wo Herkunft wie Formierung der Stoffe
und Gestaltungstechniken witzig reflektiert werden.R. Abb. 27.35 René Clair 1927: Un chapeau de paille d’Italie
Clairs Un chapeau de paille d’Italie ist dazu die perfekte
europäische Entsprechung, entstanden im Achsenjahr gleich selber auf die Straße, um von Passanten in
der talkies 1927: Die erfolgreiche Lancierung des Großbürgerkluft umgehend geklaut zu werden.
(noch im Nadeltonverfahren hergestellten) Black Um es auf den Punkt zu bringen: Just als der
Minstrel-Filmmusicals The Jazz Singer sollte den epo- Stummfilm zu eigenständiger Artikulation, erzähleri-
chalen Umbruch zum Tonfilm beschleunigen, der scher Eleganz und komischer Schwerelosigkeit gefun-
zwischen 1922 und 1935 ungleichzeitig und schub- den hatte, drohte die neue Kunstform sui generis durch
weise die gesamte Filmlandschaft auf allen Ebenen den technik- und kapitallastigen Tonfilm wieder er-
und in allen Prozess-Schritten zwischen Produktion stickt zu werden. Worin liegt, in abstrakter Kürze, die-
und Distribution umpflügte. Von einer ›Verfilmung‹ se ästhetische Spezifik der Stummfilm-Kinematogra-
von E. Labiches und M. Michels ausgesprochen ver- phie, die Keaton, Chaplin und Clair so souverän zu
boser Boulevard-Burleske von 1851 zu sprechen, der nutzen wussten?
Bergson in seinem kurzen Buch Das Lachen (S. 61) 1. Die Bewegtbild-Fotogenität von Situation und
eine ganze Seite widmet, hieße deshalb, Clairs pro- Handlung
grammatische Transformationsabsichten zu verken- 2. Das Potenzial dessen, was gegenüber den Vorgän-
nen. Die karikierend zugespitzte Handlung ist exakt germedien und -künsten nun unmittelbar zeigbar
ins Geburtsjahr der Kinematographie 1895 verlegt. wurde – und das komische Potenzial, auf diese
Schauplätze, Typenpersonal und Darstellungskonven- Möglichkeit explizit zu verzichten
tionen werden zunächst hommagehaft zitiert, schon 3. Die Reflexivität von Stoff, Dispositiv und Medium
bald aber unterlaufen: durch forcierte Perspektiven – und der eigenen Filmgeschichte
auf Respektspersonen und satirisch-kontrastierende 4. Die nunmehr vollständige Kontrolle der Perspek-
schnelle Alternierung der gegenüber der Vorlage auf- tive in Einstellung, Haltung und Bewegung der
gefächerten Teilhandlungen. Der reizvolle Wechsel Kamera bzw. die Gestaltbarkeit der Perspektive
zwischen bürgerlichen Interieurs, dynamischen Fahr- hinsichtlich Raum, Zeit und Charakter: die Selek-
ten im Park und temporeichen Boulevard-Passagen tion des Raumausschnitts (sowohl als Distanz wie
geht dabei über das obligate ›Lüften‹ späterer Bühnen- auch als Ausschnitt im Sinn von Bedeutungsgrö-
stück-Verfilmungen mittels alibihafter Außenszenen ße) und die direkte Manipulation der Erzählzeit
weit hinaus. Die Horrorvision des Bräutigams beim (durch Schnitt und Stopptrick sowie die mecha-
Walzern, dass ihm ein berserkerhafter Offizier zuhau- nische Beeinflussung von Aufzeichnung zwischen
se Wohnung und Mobiliar zerlegen könnte, zeigt Clair Raffung und Lupung bis zum völligen freeze im
als Parallelmontage zwischen (auch von der Hand- Stehkader) sowie deren Auswirkung auf die han-
kamera) bedrängtem Tänzer und jenen Techniken zur delnden Figuren
Zeitdeformation, die schon in seinem anarchischen Die technische Koppelung von Filmbild und Ton ent-
Entr’acte (1924) zum Einsatz kamen: Die teuren Mö- sprach zwar einer Erweiterung und Verschränkung
belstücke fliegen in Zeitlupe zum Fenster hinaus und der Ausdrucksebenen um die Kanäle der gesproche-
das Ehebett bugsiert sich per Stopptrick-Animation nen Sprache, der Geräusche und der Musik. Der wohl
362 III Mediale Formen des Komischen

größte kreative Zugewinn lag aber in der Gestaltbar- von Stimme, Sprache und Ambiance-Ton, die sich äs-
keit des hors champ im Sinne einer naturalistisch-at- thetisch auch jenseits des gesteigerten Realitätsein-
mosphärischen Erweiterung des Raumeindrucks oder drucks durchaus antinaturalistisch nutzen ließen, als
der komischen On-Off-Kontrastierung der im Bild vielmehr die techno-ökonomischen Komplexitäten,
sichtbaren und den nur hörbaren ›abwesend-präsen- die die Ankunft des Tonfilms zur fundamentalen Zä-
ten‹ Vorgängen im szenischen Raum, wie sie später für sur werden liessen. St. Donens Filmmusical Singing
J. Tati stilbildend wurden. Ebenso die komisch-meta- in the Rain (1952) ist ein perfektes Kompendium der
phorische Substitution diegetischer Geräusche durch (auch tragi-)komischen Auswirkungen dieses bis zur
grotesken Fremdton, was sich durch die vielen Mög- Digitalisierung paradigmatischsten Wandels der
lichkeiten des asynchronen Ton-Bildschnitts auch me- Film- und Kinoindustrie: Die Kameras mussten we-
tonymisch ›naturalisieren‹ lässt. Gemessen am brei- gen ihres Ratterns umständlich schallgedämpft, mit-
ten Gestaltungsspektrum der frühen Kinematogra- hin in ihrer Mobilität eingeschränkt werden, während
phie mag die Folgenschwere des Umbruchs zum Ton- die Mikrofon-Ausrichtung auch die Beweglichkeit der
film dennoch erstaunen, zumal der Stummfilm ja nie Schauspieler beeinträchtigte, deren Stimme in Aus-
stumm war: Schon die ersten Lumière-Vorführungen druck und Anmutung nun plötzlich zentral war. Der
im Café Dansant am Pariser Boulevard des Capucines Mangel an Synchronität, Tonqualität und adäquater
waren mit Live-Musik begleitet. Hausorchester oder Verstärkung der konkurrierenden, kapitalintensiven
zumindest ein Pianist standen damals ja in den meis- Systeme verstrickte die Studios und Technikentwick-
ten Restaurationsbetrieben unter Vertrag. Und als sich ler in Standardisierungsprobleme, internationale Pa-
ab 1905 feste Lichtspielhäuser etablierten, gehörten tentstreitigkeiten und Dauerkonflikte mit den eben-
Pianisten, Erklärer oder ganze Orchester zur Grund- falls zu immensen Investitionen genötigten unab-
ausstattung, was das Filmpublikum auf eine grund- hängigen Kinobetreibern, die dafür ihre Begleitmusi-
sätzlich audiovisuelle Rezeption hin konditionierte. ker entlassen mussten – und dies alles im Umfeld der
Auf diese im Vaudeville mit seiner vitalen ›Live‹-Kul- Great Depression von 1929. Ob Musical Comedy, deut-
tur ›natürliche‹ Verbindung von Spektakel und Musik sche Tonfilmoperette oder die farces musicales na-
musste der frühe Tonfilm Rücksicht nehmen, auch mit mentlich die ersten drei Tonfilm-Singspiele von R.
der Gründung von Studio- und Rundfunkorchestern. Clair: Die in die Tonspur und sogar in die Fabeln
So lästert in C. Lamacs filmgestalterisch ambitions- integrierten Musiker blieben bestimmend, zumal
losem Kurzfilm Orchesterprobe (1933) der Kabarettist sich mit orchestraler Vielstimmigkeit auch die tech-
K. Valentin als chaotisch-renitenter Multi-Instrumen- nischen Probleme von kleineren Asynchronitäten und
talist über den Kapellmeister, dass dieser arbeitslos ge- schlechter Tonqualität entschärfen ließen.
wordene Kintopp-Musiker »nur über Projektion« zum Die weiteren Strategien der Studiobosse zur finan-
Dirigenten aufgestiegen sei. Aus heutiger Sicht, wo ziellen Risikominimierung hatten für Gestalter wie
weitaus die meiste Musik, die gehört wird, technisch Darsteller zusätzliche drastische Einschnitte in deren
aufgezeichnet, bearbeitet und übermittelt ist, gerät künstlerischer Freiheit zur Folge: Mit der Ermächti-
leicht in Vergessenheit, dass der Ausgangspunkt der gung des Produzenten über den Regisseur bzw. des
abendländischen Theatergeschichte in der altgriechi- Regisseurs über die Darsteller, aber auch mit der un-
schen Orchestra zu finden ist. Aus diesem ›Tanzplatz‹ erbittlichen Ausformulierung der Scripts und der ar-
heraus sollte sich im Wechselspiel von orchestraler, beitsteiligen Produktionsprozesse wurden die Im-
tänzerischer und stimmlicher Performanz erst jenes provisationsspielräume systematisch reduziert und
dramatische Mit- und Gegeneinander von (ihre Ty- schließlich eliminiert. B. Keatons ästhetisches (und
pen-Masken ›per-sonierenden‹) Bühnenpersonen und bald auch ökonomisches) Scheitern am Tonfilm ist
der übergeordneten Instanz des Chors herausbilden. dafür exemplarisch. Dies lag zunächst an der essentiell
Selbst apparativ war der Kinematographie diese Inter- pantomimischen Typik der drei großen komischen
medialität einer musikalisch-stimmlich-performati- US-Stummfilmfiguren, deren amerikanische Charak-
ven Tradition eingeschrieben: Das Entwicklungsziel teranteile ihrer universellen Beliebtheit ohnehin nicht
von A. G. Bells Telefon war die Übertragung von Kon- nur zuträglich gewesen waren. Ch. Chaplins Tramp,
zerten gewesen, das von Th. A. Edisons Kinetoscope dieser eingewanderte ewige Außenseiter, Keaton, der
ein – mit jenem koppelbares – Pendant zum Grammo- alles entgrenzende Pionier und unbeirrbare Stehauf-
phon zu erschaffen. mann und H. Lloyd, der ewig optimistische, sym-
Es waren weniger die debattierten Verheißungen pathisch-schusselige All-American-boy next door wa-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 363

ren auch wegen der faktischen Sprachnationalisierung mot du muet« (Chion 1982,81–89) zu paraphrasie-
des als ›visuelles Esperanto‹ gefeierten Stummfilms ren, der Stumme (Film) noch lange das letzte Wort
nicht einfach in die talkies zu übersetzen. Chaplin lös- behalten sollte, so trifft dies für die sich um filmische
te dieses Problem in City Lights (1931) mit dem auch Gestaltung foutierenden, als Bühnenkomiker aber
komisch effektiven Kniff des zwar tönenden, nicht genialen Marx Brothers ganz besonders zu: Ihre (bis
aber sprechenden Films. Noch 1936 ließ er in Modern zu Otto – der Film, 1985) anthologisch gebliebene
Times mit anti-technischer Polemik nur Medienappa- Spiegel-Routine, die sie sich 1933 für Duck Soup aus
rate sprechen – und den Tramp in komischem Kau- M. Linders Seven Year Bad Luck (1921) ausborgten,
derwelsch nur singen. Lloyds Strahlemann-Figur hin- hatte dieser hinsichtlich strategischer Perspektivfüh-
gegen sollte nicht nur am Pessimismus der Depressi- rung und plausibler Motivation filmisch ungleich
onszeit scheitern, sondern auch an der Untauglichkeit besser umgesetzt – und die legendäre Klaustropho-
seiner Stimme für jene nun auch akustisch begründete bie-Szene aus A. Night at the Opera (1935), wo sich zu
Wiederkehr des Vaudeville, die sogar einen B. Keaton den vier blinden Marx-Passagieren noch neun Ser-
in der Musical Comedy Free and Easy (1930) zum sin- vicepersonen von fraglicher Dienstbarkeit in die Ei-
genden Filmrevue-Tänzer umfunktionieren wollte. nerkabine quetschen, hatte Keaton einsouffliert, der
Nicht anders als Laurel und Hardy oder W. C. Fields damals nur noch als Gagschreiber für MGM arbeiten
wäre Keaton diesem breiten Film-Comeback des Mu- durfte. Immerhin beförderten diese wenig beweg-
siktheaters aufgrund seiner Herkunft (»I was born lichen Musical Comedies aufgrund der Direkttonauf-
with the show«, Friedman 2007, 12) stimmlich wie nahme ihrer Nummernrevue-Abfolgen die Herausbil-
schauspielerisch bestens gewachsen gewesen. Doch dung des genuin amerikanischen Filmmusicals. Die-
die nun alle Produktionsetappen diktierenden MGM- ses schloss – zusätzlich zur orchestrierten Gefühlsrhe-
Bosse verpassten ihm das sentimentale Rollenklischee torik der Opernarie – vier wichtige Mischkulturen des
des traurigen Clowns, das dem athletisch-trotzigen US-Melting Pot in sich ein: Broadway, Hollywood,
Pathosverzicht seiner Figur diametral zuwiderlief. Die Jazz und Stepptanz. A. Bazins Bonmot, dass die Bur-
gemischte Charaktertypik der lebenslang der Musik- leske als dramatischer Ausdruck eines ›Terrorismus
Show verpflichteten Marx Brothers erwies sich da- der Dinge‹ (vgl. Bazin 1951, 891 f.) von Keaton in die
gegen für die talkies als besonders geeignet: Tragödie des Objekts verwandelt worden sei, wäre
Harpo, der stumme Zappel-Pantomime mit Har- deshalb um die (dank des Verfahrenswechsels zur
fe und Hupe-bewehrtem (buchstäblichem) ›Slap‹- Playback-Aufnahme erreichte) Mobilität der alle Hin-
Stick, Chico, der groteske Sprachverstümmler und dernisse transzendierenden Musicalwelt zu ergänzen.
Klavier-Akrobat, dann der in Zungenschlag wie Glie- Denn F. Astaire, G. Rogers, G. Kelly und Co. sollten
derverrenkung ins Absurde überartikulierte Groucho tanzend und singend sogar die Tücken jener Objekte
– und schließlich, in romantisch-melodramatischem überwinden, die der Choreograf B. Berkeley zu monu-
Kontrast zu den drei Clowns, Zeppo als singender
Beau. Wenn, um M. Chions Diktum vom »dernier

Abb. 27.36 Sam Wood 1935: A Night at the Opera Abb. 27.37 Leo McCarey 1933: Duck Soup
(mit den Marx Brothers) (mit den Marx Brothers)
364 III Mediale Formen des Komischen

mentalen Ornament-Tableaux aus menschlichen Blu- len verbundenen Paar die affektiven Verstrickungen
men und Musikinstrumenten fetischisierte, zum ein- und erotischen Wechselbäder von aufgenötigter Nähe
zigartigen Ensemble aus perfekt choreographierter und (durch Außenstehende hineininterpretierte)
Revuetruppe und hoch beweglicher, zu performative Rollenerwartungen vor. Solche subversiv-psychologi-
jokes begabter Technik von Studiobühne und schwe- schen, touch-bildenden Momente verbinden Hitch-
relos gewordener Kran-Kamera. In diesem eleganten cock mit E. Lubitsch und dessen Schüler B. Wilder.
Massen-Entertainment erreichte die Komödie des Gleiches gilt für die Verbindlichkeit ihrer ausgetüf-
Tonfilms, der so lange an seiner Umständlichkeit zu telten Scripts: Hitchcocks umfassender Schlüssel-
laborieren hatte, ihre erste Blüte. begriff ›Design‹ zur Optimierung von Produktion,
Dramaturgie und Publikumskonditionierung lässt
Die Tonfilmkomik wird eigenständig – und wieder sich durchaus auch als Rückgriff auf die Bühnenkultur
eingegrenzt des 19. Jh.s deuten: Ein gelungenes well-made play
Aufgrund des fragwürdigen Zugewinns eines ›abfilm- verbirgt selbst die unwahrscheinlichste Handlungs-
baren Theaters‹ entfaltete sich auch das genuine ästhe- konstruktion, ja noch das manipulativste Spiel auf der
tische Innovationspotenzial des Tonfilms, wie es S. M. Registratur der Zuschaueremotionen hinter der resul-
Eisenstein und W. I. Pudowkin in ihrem berühmten tierenden Spannung, Identifikation und melodrama-
Manifest erkannt hatten, nur langsam. So ist es be- tischen Rührung. Bei einer well-made comedy ist die
zeichnend, dass mit Ausnahme von R. Clairs Le milli- haarsträubende Konstruktion von Plot und Charakte-
on (1931) etwa die Komik des subjektiven Tons da- ren indessen selber Teil des Amüsements. Gleiches gilt
mals nur von A. Hitchcock und F. Lang erkannt wurde für deren filmische Umsetzung: Das in den klassi-
– als comic relief in ihren Kriminalfilmen, in deren schen Hollywood-Grammars ab 1935 dominante Prin-
dialogfreien Szenen die dynamische Visualität des zip der ›unspürbaren Technik‹ regiert deswegen die
späten Stummfilms programmatisch erhalten blieb. In komischen Genres nur eingeschränkt. Auch die Ka-
Blackmail von 1929 hört die von Schuldgefühlen ge- mera sollte weiterhin dem Publikum zuzwinkern und
plagte Heldin, die in Notwehr einen Bedränger ersto- selbst brachiale Filmtechnik blieb, zumindest zitat-
chen hat, aus dem Quatschen einer Klatschtante im- haft, Slapstick-tauglich – im Sub-Genre des Neo-Slap-
mer nur das verstärkte Wort ›knife‹ heraus, und in stick-Metafilms (von H. C. Potter über St. Kramer zu
Langs M von 1931 hält sich der blinde Bettler gegen R. Lester, P. Bogdanovich, St. Spielberg und Jeunet &
eine verstimmte Straßenorgel die Ohren zu, was die Caro), aber auch bei so großen Namen wie I. Berg-
Katzenmusik auch für das Filmpublikum erträglicher man, F. Fellini, St. Kubrick, J. Tati, J.-L. Godard, F.
macht. Als nachgefragte Europäer in Hollywood soll- Truffaut, P. P. Pasolini, R. Polanski, W. Allen, R. Alt-
ten Lang und Hitchcock für die gestalterische wie in- man, P. Almodóvar oder M. Gondry. J. Tatis inter-
haltliche Entwicklung des Thrillers so bestimmend nationaler Erfolg hat viel mit der wortlos-körper-
werden wie die Emigranten E. Lubitsch und B. Wilder sprachlichen Figur seines Monsieur Hulot zu tun, aber
für die komischen US-Tonfilmgattungen oder D. Sirk auch der Visualität seiner aus der Raumtiefe heraus
(D. Sierck) für das reife Melodrama – lauter ›unrein- entwickelten Inszenierungswitze von methodischer
zusammengesetzte‹ Genres mit ausgesprochener Ten- Langsamkeit, die die Atemlosigkeit des Slapsticks in
denz zu weiterer, auch wechselseitiger Hybridisie- jene eines empathisch-komischen Suspense über-
rung. Hitchcock mixte in der Dekade seines eng- führt: All diese Elemente tatiesker Leerlauf-Komik be-
lischen Tonfilmschaffens den von ihm erfundenen günstigten seine abgründige Moderne-Kritik an Life-
Genre-Cocktail namens Romantic Thriller Comedy Style, Architektur und Automobilisierungswahn im
mittels neuer Erzähltechniken und Gegenaffekten Nachkriegsfrankreich. Abgesehen von Chaplins Mo-
zum angstlustigen Wissensvorsprung des Suspense dern Times hat kein Tonfilmkomiker Bergsons Über-
auf: Zu den bewährten musikalischen Elementen in lagerung des Lebendigen durch den Automatismus
Schauplatz und Personal kamen kamera- und schnitt- konsequenter in Situations- und Körperkomik umge-
technisch perfekt exponierte sight gags hinzu, deren setzt als Tati, wenn er etwa die Scheibenwischer an der
suggestive Missverständlichkeit für anzügliche Innu- Ampel wartender Automoblisten mit deren Tempera-
endos, ja zum lachhaften Wissensrückstand von nichts ment und Stimmungslage synchronisiert oder wenn
ahnenden Figuren in hochnotpeinlichen Situationen er, gefilmt in statisch-überlanger ›verlorener‹ Totale,
auszubeuten war. The 39 Steps (1935) führt mit einem Standbauer durch die Weiten einer leeren Ausstel-
anfänglich noch nicht in Liebe, dafür mit Handschel- lungshalle stolpern lässt (Trafic, 1971). Solch geo-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 365

metrisierender Einsatz von kinematographischer In- ne Halbtotale auf der Prunktür des Vorzimmers emp-
szenierungstechnik illustriert G. Deleuzes Bergson- fängt ihn, wie er am (vom französischen Chanson-
Kommentar auf das treffendste, dass der Film nämlich Charmeur M. Chevalier verkörperten) Gardeoffizier
»nicht mehr eine perfektionierte Apparatur für eine Danilo vorbeigeht, der mit gezücktem Säbel salutiert.
sehr alte Illusion, vielmehr zu perfektionierendes Anstatt dem König zu folgen, verharrt die Kamera auf
Werkzeug der neuen Wirklichkeit« (Deleuze 1997, 21) Danilo, der sich, als ob nichts dabei wäre, ins Gemach
geworden sei. der Königin begibt. Schnitt zum König, der unten auf
Dass Tati mit Fernandel, P. Richard und namentlich der Treppe bemerkt, dass er Gürtel und Säbel bei der
L. de Funès, aber auch mit dem Italo-Western-(Meta-) Königin vergessen hat. Schnitt zurück zur Tür, durch
Parodie-Gespann B. Spencer (C. Pedersoli) und T. Hill die der nichts Böses ahnende Gehahnreite, verfolgt
(M. Girotti) zu den wenigen nicht angelsächsischen von der Kamera, nun ebenfalls geht. Zur Unheil ver-
›Nationalkomikern‹ gehört, die auch in Export-Syn- kündenden Musik setzt sich die Kamerabewegung auf
chronfassungen ein großes paneuropäisches Publi- die wieder geschlossene Tür emphatisch fort. Doch
kum fanden, ist einer seriell- charaktertypischen Kör- der König kommt unbeschwert zurück und verfolgt
perwitz-Konstanz bei einhergehender dialogischer die nun rückwärtsfahrende Kamera, bis er, weil ihm
Schlichtheit geschuldet. Dies im Gegensatz zu diesbe- der Gürtel nicht um den Wanst reichen will, verdutzt
züglich komplementären komischen ›Volksschau- stehen bleibt, mit Danilos Abwesenheit am Posten
spielern‹ wie H. Moser, K. Valentin oder Totò, deren auch die Verwechslung von Säbel und Gurt bemerkt
immense Popularität an den Sprachgrenzen enden und ins Vorzimmer zurückstürmt, wohin nun ge-
musste. schnitten wird. Lubitsch heizt die Konflikterwartung
des Zuschauers um diese retardierende Passage durch
Vom Ernst Lubitsch-Touch zu Billy Wilder Vorzimmer und dessen zweite Tür an, um mit der fri-
Ungleich einschneidender aber als alle Regularisie- vol antiklimaktischen Pointe zu enden, dass der König
rung hinsichtlich sprachlicher Markt-Optimierung die schreiende Königin auffordert, nur schön still zu
oder Geschmeidigkeit der Filmtechnik (v. a. in Elliptik sein, da die Wände Ohren hätten...
bzw. Kausalität in den Anschlüssen der mittels Ach- Dass der Schein glückhaft trügt, steht als Einsicht
senregeln homogenisierten Erzählräume) wirkte sich des mit Berliner Schnauze und metropolitaner Ele-
in Hollywoods Studiosystem ab 1931 dessen sittliche ganz begabten Lubitsch, der schon mit 19 Jahren als
Zähmung aus. Der Hays Code mit seinen heute realsa- komischer Kleindarsteller auf M. Reinhardts Regie-
tirisch anmutenden Zensurgeboten hatte es auf die theater-Bühne stand, auch hinter seinem einzigen
Purgierung der erotischen wie der komischen Körper- Originalstoff To Be or Not to Be (1942). Neben Chap-
lichkeit abgesehen, wie sie sich etwa in Stars wie J. lins The Great Dictator (1940) blieb diese Apotheose
Harlow und M. West potenzierte, und zwang sogar ei- aller Theater-Eitelkeiten Hollywoods einzige rund-
nen Lubitsch – seine frühen Tonfilm-Operetten hatte um überzeugende zeitgenössische Anti-Nazi-Satire,
Paramount explizit mit ›Goodbye Slapstick, Hello die bis heute (je nach Ursprungsland, komischem
Nonchalance‹ beworben – in die subversive Anpas- Teil-Genre und zeitlichem Abstand zum Holocaust)
sung. Gattungsmäßig erfolgte dies nach den Umco- höchst charakteristische Beiträge und Dauerdebatten
dierungsregeln der exzentrischen Gender-Charaktere zur ultimativen Komödien-Decorum-Frage »Lachen
von Screwball Comedy und sozialsatirischer High So- über Hitler«? (vgl. Fröhlich u. a. 2003) initiieren sollte
ciety-Kritik sowie der fun morality von bedeutungs- – von der L. de Funès-Klamotte Le grand restaurant
schweren Ellipsen oder einer angeblich schamhaften (1966), L. Wertmüllers Pasqualino Settebellezze (1976)
Kamera inmitten eines unanständigen hors champ. und R. Begninis La vita è bella (1997) zu D. Levys
Leitmotiv bei Lubitsch ist, wie schon in seinen Dut- Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über
zenden deutschen Stummfilmen, die suggestiv ge- Adolf Hitler (2007), aber auch von The Producers
schlossene Tür, ein auch von L. Buñuel lebenslang be- (1968) des Genre-Parodisten M. Brooks zu dessen Lu-
vorzugtes Set-Requisit. Die komische Prägnanz von bitsch-Remake To Be or Not to Be (1983) bis schließ-
Situation, Charaktertypus, symbolischem Objekt und lich zu Inglourious Basterds (2009) des Exploitation-
filmischer Gestaltung, zu der Lubitsch in The Merry Movie-Veredlers Q. Tarantino.
Widow (1934) gefunden hat, sucht ihresgleichen: Der Mehr noch als die bedeutenden Lubitsch-Erben F.
alte, beleibte König von Marshovia küsst seiner jungen Borzage, M. Leisen, G. Cukor oder O. Preminger sollte
Gattin Gutenacht und verlässt sein Schlafgemach. Ei- B. Wilder für die weitere Entwicklung der US-Film-
366 III Mediale Formen des Komischen

komödie bis zu New Hollywood stilbildend werden. Er


hatte in Wien als Boulevard-Reporter und in Berlin
auch als Szenarist debütiert, um im Hollywood-Exil
als Drehbuch-Co-Autor von Lubitschs Ninotchka
(1939) das Vehikel für G. Garbos Rollenwechsel ins
komische Fach (›Garbo laughs!‹) zu entwerfen. Wil-
ders Handschrift, geprägt von analytischer Subtilität
und grobem Sarkasmus auch in der Umsetzung seiner
perfekt konstruierten Drehbücher, war geeignet, die
Abgründe in der amerikanischen Seele der Nach-
kriegszeit bloßzulegen: Mit bissig-unterhaltsamer
Kritik einer Gesellschaft zwischen zweckoptimisti-
schem Sendungsbewusstsein und kleinlich-verzagter
Ellbögelei, falscher Idylle und hoffnungsloser Des-
Abb. 27.38 Busby Berkeley 1935: Bright Lights
illusionierung, zwischen kultureller Entfremdung
und konsumfixierter Zivilisation. Das dafür typische
großstädtische Nebeneinander von callousness und (1961) wegen des Baus der Mauer nach München ins
neighborhood watch hatte Hitchcock 1954 im tragiko- Studio verlegt werden mussten. Es liegt in der gleichen
mischen huis clos-Thriller Rear Window anhand des Logik einer schwarzen Polit-Realsatire qui dépasse la
Mikrokosmos eines New Yorker Hinterhofs reflek- fiction, dass diese sarkastische Screwball-Comedy um
tiert. Dieses identisch verortete Spannungsfeld proji- Coca Cola und Commie-chic beim zeitgenössischen
zierte Wilder im Jahr darauf mit The Seven Year Itch Publikum floppen, im Vorfeld des Mauerfalls aber in
auf die äußerlich so lichte Gestalt von M. Monroe. Ihr der BRD zum Kultfilm avancieren sollte.
komödiantisches Talent sollte sich dann in Some Like
it Hot (1959) zur Vollendung entfalten, auch wenn die Nouvelle Vague, TV und New Hollywood
persönliche Tragik des Stars die Produktionsgeschich- Die hymnische Anerkennung, die den Hollywood-
te dieser vielleicht populärsten Tonfilmkomödie über- Regisseuren A. Hitchcock, E. Lubitsch, H. Hawks und
schattete. Der synthetische Grundzug in Genre, Stoff (deutlich weniger) auch B. Wilder seitens der Nou-
und Casting dieser Gangster-drag-romantic-screwball- velle Vague mit ihrer politique des auteurs zuteil wur-
musical-comedy-Klamotte um zwei arbeitslose Or- de, quittierte der Prince of the one-liner mit süffi-
chestermusiker am Ende der Stummfilmzeit ist pro- santem Spott: Regisseure sollten allenfalls hinter der
grammatisch für filmische Intertextualität: Wilders Stringenz ihres Drehbuchs, am Witz von Dialogen
und I. A. L. Diamonds Script nach K. Hoffmanns Fan- und Sight Gags, aber keinesfalls in der angeblich
faren der Liebe (1951) war bereits das zweite Remake künstlerischen Unschärfe ihrer Bilder sichtbar wer-
von R. Pottiers Fanfare d’amour (1935). Die Besetzung den. Solches hatte Wilder natürlich gegen die neuen
des schusselig-lüsternen Millionärs Osgood mit der Avantgarden des europäischen Kinos der 1960er Jahre
großartigen alten Vaudeville-Rampensau J. E. Brown gemünzt. Dank handlich gewordenen Kameras, Di-
entspricht einer inhaltlichen Verbeugung vor B. Ber- rektton-fähigen Tonbandgeräten und lichtempfind-
keleys Musical Bright Lights von 1935, wo Browns Mu- licherem Filmmaterial zog nun das junge cinéma co-
siknummer im Zug, begleitet von einer platinblonden pain aus den teuren Studios von Opas Kino in die stu-
Ukulele-Spielerin, M. Monroes Orchesterprobe im dios der Studenten und Heldinnen des Alltags um.
Lady-Bandwagon vorwegnahm. J.-L. Godards A bout de souffle (1959) ist ein einzig-
Der Kreis dieses Verwebungs- und Übertragungs- artiger Katalog lustvoll-ironischer Regelverstöße auf
geflechts von komischen Studiosystem-, Autoren- und allen Ebenen filmischer Gestaltung: Anschluss- und
Genrekino-Referenzen schließt sich im aufschlussrei- Achsenfehler, unmotivierte Schnitte, in die Irre füh-
chen biographischen Faktum, dass Wilder 1925 in rende Irisblenden, Fehlkadrierungen, verrissene Hin-
Berlin als Journalist eine anzügliche Boulevard-Re- weisschwenks, Jump cut-Serien, Streutöne, Einbezug
portage über ein Damenorchester geschrieben hatte. ungeplanter Passantenreaktionen auf die vielen (aus
Es kommt schließlich einem karrierepolitischen Trep- einem einfachen Rollstuhl mit Handkamera reali-
penwitz gleich, wenn Wilders Berliner Dreharbeiten sierten) Travellings entlang der Pariser Boulevards,
zur irrwitzigen Kalter-Krieg-Farce One, Two, Three diegetisches channel splitting innerhalb einzelner Ein-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 367

stellungen sowie laute Selbstgespräche und unvermit- gen TV-Shows auf, und selbst der Filmästhetik-Purist
telte Kamera-Hinwendungen der Schauspieler. L. Hitchcock handelte sich den Ruf eines käuflichen Ab-
Malle nutzte in Zazie dans le métro (1960) den glei- trünnigen ein – mit der Produktion zweier äußerst er-
chen – um surrealistischen Neo-Slapstick angerei- folgreicher Fun-Horror-Mystery-TV-Serien für das
cherten – Ikonoklasmus wider alle bienséance als Pen- Sonntagsprogramm. Die Prägekraft dieser Shows auf
dant zum Sprachstil-Mischmasch von R. Queneaus die gesamte amerikanische Kultur des Entertainments
gleichnamigem experimentellem Roman (1959), der lässt sich kaum überschätzen, umso mehr, als sie das
als schlicht unverfilmbar galt. Diese fehlerästhetische in Quantität wie Qualität erstaunlichste komische Ge-
Polemik gegen die künstlichen Studiowelten und die samtwerk der Nachkriegszeit bestimmt: jene rund 50
industrielle Ökonomie einer überkommenen Film- Filme von W. Allen, der als Show-Gag-Schreiber und
produktion war auch ein Plädoyer für Improvisation Stand-up-Comedian begonnen hatte. Die gesamte
und Herumprobieren am Set, wie es das Nouvelle Va- Mediengeschichte von Bühne, Leinwand und Monitor
gue-Vorbild J. Renoir seit seinen frühesten Tonfilmen dies- und jenseits des Atlantiks ließe sich spielend
des Poetischen Realismus methodisch praktiziert und am Pandämonium von Allens Œuvre aufrollen, wo
1939 in La règle du jeu in vollendeter mise-en-scène der Erfinder der Nervous Romance – so der Untertitel
von Ensemble und hoch mobiler Filmtechnik perfek- seines internationalen Durchbruchswerks Annie Hall
tioniert hatte – allen ökonomischen Risiken zum (1977) – seine Vorbilder an den unzähligen Facetten
Trotz: Denn Chaplins kreative Paralyse bei City Lights seiner nur im Brillen-Attribut konstanten Filmfigur
zur Findung einer plausiblen Exposition der Ver- abarbeitet. Entsprechend breit und bunt ist sein Rol-
wechslung des Tramps mit einem Reichen durch das lenspektrum von der ersten Frage nach dem entschei-
blinde Blumenmädchen war zum Menetekel wider denden Spermium bis zur letzten nach Gott, vom kar-
Improvisation am Set geworden: Nur als sein eigener rieregeilen Gangster zum menschlichen Chamäleon,
Produzent hatte sich der bestbezahlte Komiker der von Shakespeares Ariel zu Kafkas (und O. Welles’)
Filmgeschichte die Blockade von 368 der 534 Produk- Herrn K.
tionstage leisten können. Egal ob als Hommage, Pastiche oder Parodie, W.
Dass gerade in den komischen Genres auch im Stu- Allens Filme umkreisen immer aufs Neue I. Bergmans
diosystem Spielräume für Improvisation erhalten blie- Persona-Suche, F. Fellinis karikaturalen Autobiogra-
ben, liegt zunächst in der oral culture der komischen phismus und G. Marx’ unverschämte Vexierspiele.
Sentenz begründet: So standen die wohl populärsten Den Gefahren von Stilübung, Traktat oder filmischer
Punchlines der Filmkomödiengeschichte, »nobody is Selbsttherapie wird somit durch beständiges Changie-
perfect« (als Schlusspointe von Some Like It Hot) und ren zwischen dem High und Low im Mix von Stoff und
»I’m having what she’s having« (als Abbinder-Sentenz Genre wie auch in der frivolen Selbstreflexion ent-
zur faked orgasm-Szene in C. Reiners When Harry Met gegengewirkt. Es ist bezeichnend, dass Allen in Radio
Sally, 1989), nicht im shooting script der ansonsten Days (1987), seinem einzigen Film mit offen autobio-
durchkonstruierten Drehbücher. graphischen Zügen, nicht leibhaftig auftritt. Umso
Der gewichtigere Grund liegt in der (trotz einseiti- präsenter wird er in dieser Hymne auf das Goldene
ger Abgrenzung) zunehmenden Überkreuzung der Radioshow-Zeitalter als sehr persönliche Ich-Erzäh-
Kulturen des Spielfilms mit jenen von Radio und lerstimme, die die 200 Sprechrollen zu einem grandio-
Fernsehen, wie sie später auch außerhalb der USA (et- sen Erinnerungsteppich verwebt. Die Manipulation
wa für die karnevalesken Mixed-Media-Höhenflüge der Geschichten, Gefühle und Stimmen der Men-
der englischen Monty Python-Truppe) stilbildend schen durch das Medium, das vor, hinter und zwi-
werden sollte. Die elektronischen Konkurrenzmedien schen ihnen steht, ist bei Allen thematisch omniprä-
waren technisch wie ökonomisch bis zur Ankunft der sent: In What’s up, Tiger Lily (1966) verkehrt er einen
Videotechnik zwangsläufig auf den Live-Modus hin japanischen Agententhriller zur Parodie, indem er
ausgelegt. Die resultierende Übernahme von Talenten diesem durch Umschnitt und Umsynchronisieren ein
und Formaten des Vaudeville zwischen Routine, Im- neues Erzählsubjekt aufpfropft. In der TV-Satire Ba-
provisation und Stand-up-Comedy heizte die Kon- nanas (1971) lässt er, in sorgfältigem Timing mit den
kurrenz weiter an: Zahllose Filmkomiker wie B. Hope, Werbepausen, einen New Yorker Werbefritzen zum
M. Berle, D. Kaye, B. Crosby, J. Lewis und sein smarter Diktator einer Bananenrepublik aufsteigen. Im dysto-
Sidekick D. Martin traten, zunächst sehr zum Leid- pischen Zeitreise-Spoof Sleeper (1973) verbindet er A.
wesen der Hollywood-Bosse, in eigenen, langjähri- Huxleys Soma und G. Orwells Big Brother-Projektio-
368 III Mediale Formen des Komischen

nen auch in der hellsichtigen Vorwegnahme von Cy- puter-Schnitts begründen sollte, als ›nicht-lineare
bersex. In der Krieg und Frieden-Parodie Love and Montage‹ gefeiert wird, hatte der Producer-Director in
Death (1975), einer Komödie, die mit der Exekution Bild und Ton (und beider Verschränkung) dramatur-
des Helden endet, lässt sich dieser von den Heilsver- gisch schon 1975 vorweggenommen – in der Country
sprechungen einer Engelsstimme leimen, was der Tote Music-Satire Nashville mit ihren 12 live aufgenom-
im Epilog zur Kamera beklagt. menen und vollständig integrierten Musiknummern.
In Manhattan Murder Mystery (1993), Allens Ver- Im tragikomischen Ensemblefilm A Wedding (1978)
sion von Hitchcocks Rear Window, wird aus dem sug- vermochte Altman das Improvisationstalent seiner
gestiven Fenster zum Hof der nicht minder ominöse hochkarätigen Schauspieler auch bei Massenszenen
Schalltrichter einer defekten Lüftung zur Nachbars- naturalistisch einzubringen, indem er diese mit un-
wohnung. In Mighty Aphrodite (1995) mischt sich ein sichtbaren Funkmikrophonen verkabeln und gleich
attischer Tragödienchor ins überkreuzungsschwan- mit mehreren Kameras aufnehmen ließ, aus der Dis-
gere Libidodrama eines Ur-New Yorkers ein. Und in tanz mit starken Teleobjektiven und mit beweglicher
Allens ›Summe‹ Zelig (1983) schließlich, dem struk- Handkamera mittendrin. Auch für die Tiefenunschär-
turellen Remake von Citizen Kane des Mockumenta- fe des dominanten Teleobjektivs, die Mischeffekte von
ry-Erfinders O. Welles, verliert der passive, doch Tages- und Kunstlicht und die symphonischen, doch
überreaktive Held im Konformitätsdruck der medial präzis abgemischten Verschmelzungen von Dialog-
eingeflüsterten Rollenmuster seine Identität, um sich und Ambianceton gilt: Altman sublimierte die Fehler
gerade dadurch zum Darling der Massenkultur zu von gestern zur Tugend einer neuen, hybriden Film-
mausern. ästhetik mit kaum minder offenen, nicht selten zirzen-
Allens souveräner Umgang mit der klassischen sisch inspirierten Dramaturgien, wie sie auch von den
Filmtechnik zur nahtlosen Verschmelzung von Ar- Monty Pythons genutzt wurden. In Altmans Vorbild J.
chivmaterial und nachinszeniertem Fake in Zelig mar- Renoir, dessen La règle du jeu er 2001 er mit Gosford
kiert auch eine apparative Zäsur, denn die video- und Park ein eigenwilliges Remake widmete, führt diese
computergestützten Techniken hatten bereits damals medientechnisch mitbegründete ästhetische Zäsur
viele filmisch-fotografischen Verfahren für Tricks und auch zu den Umbrüchen der Nouvelle Vague und des
Effekte verdrängt. Es war R. Altman, der andere große frühen Tonfilms zurück.
New Hollywood-Satiriker der US-Media-Mediocracy
und Star-umschwärmte Schauspielerregisseur, der Komik in Zeiten von Digital Cinema
diese neuen technischen Möglichkeiten auch drama- Auch die sich über bald 50 Jahre erstreckende all-
turgisch zur Entfaltung brachte. Als Auftragsfilmer mähliche Digitalisierung von Filmproduktion (und
und TV-Serienregisseur (für Bonanza, 1961), doch schließlich auch Distribution) kann nur als komple-
auch für Alfred Hitchcock Presents, 1957/58) hatte er xer Hybridisierungsprozess in Technik und Ästhetik
gelernt, schnell, doch wohlgeplant, billig, doch effekt- begriffen werden, der sich für die komischen Genres
sicher, techniknah und dennoch improvisationsfreu- erneut als besonders folgenreich erwies. Die neuen
dig zu produzieren. Möglichkeiten von digitaler Bildmanipulation und
Was seit Altmans epochalem neunsträngigem Mo- extrem miniaturisierten Aufzeichnungsgeräten be-
saikfilm Short Cuts (1993), der das Regime des Com- günstigten vorab den plausiblen Schauwert forcierter
Perspektiven der subjektiven und der hoch mobilen
Kamera. Die Computer Generated Imagery CGI zur
digitalen Generierung bzw. Bearbeitung von Filmbil-
dern brachte sogar das fast nur komisch genutzte
neue, dank Produktionssynergien und Design-Af-
finitäten zu Videogame und 3D-Kino auch kassen-
trächtige Genre des Computeranimationsfilms her-
vor. Die begeisterten Publikumsreaktionen über das
immer ›natürlichere‹ Rendering komplexer Oberflä-
chen wie Haare, Wasser oder Feuer lassen sich dabei
als filmgeschichtliches déjà-vu, nämlich als Fortfüh-
rung der Debatten um Realitätseindruck und Foto-
Abb. 27.39 Woody Allen 1975: Love and Death genität des Kinematografen deuten. Die Filmproduk-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 369

tion aus und mit dem Computer ökonomisierte, Zemeckis danach in mehreren Computer-Animati-
perfektionierte und hybridisierte auch die alten onsfilmen sogar Stars wie T. Hanks und A. Jolie in eine
Kasch- bzw. Key-Techniken der G. Méliès-Tradition, Motion Capture-generierte, manipulierbare digitale
namentlich in ihrer Kombination mit analogen Trick- Haut steckte. Dies tat er 2009 auch in Disneys 3D-Fa-
tisch- und Kameraverfahren. Sogar die Prinzipien milienfilm-Produktion A Christmas Carol mit dem
von E. Muybridges und E.-J. Mareys Chronofotogra- suggestiven Casting von J. Carrey für Dickens’ Scroo-
fie erlebten eine rechnergestützte Renaissance in den ge-Figur – in achtfacher Auffächerung für alle Lebens-
Motion Control-, Motion Capture- und seriellen alter zwischen Kleinkind und Gespenst!
Multi-Kamerasystemen. Letztere kamen seit der Ma- Die proteische Rollen-Entwicklung des Komikers
trix-Trilogie (1999, 2003) zur Herstellung der Raum- J. Carrey verlief nicht minder charakteristisch für das
Zeit-plastischen Bullet Time-Effekte zum Einsatz, de- sich nun rapid digitalisierende Kino: Er hatte als
ren Hypertrophie bezeichnenderweise zu zahlrei- Stand-up-Comedian mit Wortwitz und Situations-
chen Parodien führen sollte. komik debütiert, deren 1970er-Star A. Kaufman er
Drei Etappen digital gestützter Filmkomik sollen 1999 in M. Formans tragikomischem Biopic Man on
anhand des Mainstream-Regisseurs R. Zemeckis, des the Moon verkörperte. 1994 spielte er eine Jerry-Le-
hyperaktiven Komikers J. Carrey und des eigensinni- wis-Figur in der Buddy-Komödie Dumb and Dumber.
gen Drehbuchautors C. Kaufman hier skizziert wer- Es war das Regiedebüt der Farelli Brothers, die sich in
den. Zemeckis griff 1988 mit Who Framed Roger Rab- der Tradition der National-Lampoon-Truppe und des
bit die Disney-Tradition des komisch kombinierten Zucker-Abrahams-Gespanns auf einen ätzenden Mix
Trick-und-Realfilms auf. abonnieren sollten – aus gross out-Pennälerwitzen,
Die noch weitgehend analog produzierten Über- politisch unkorrekter Bürgersatire und gnadenlosen
lagerungen von gezeichneten, flachen Toons mit einer Genre-Spoofs, die selbst vor Hollywoods gehätschel-
Studio-‹realen‹ Film noir-Welt enthüllt auch die radi- tem Erbe der Romantic Comedy nicht Halt machten.
kal unterschiedlichen Ethiken sadistischen Humors Den robusten Körperwitz des Neo-Slapstick spielte
im Umgang dieses (von St. Spielberg produzierten) Fa- Carrey dann in The Mask (1994) aus, dies in doppelter
milienfilms mit verführerischem Fleisch und strömen- Steigerung durch die Comic-Vorlage und das digitale
dem Blut: Die Regenerations-, ja Auferstehungskraft Morphing. Dass hinter so viel karikaturhafter Grotes-
der immateriellen Cartoon-Figuren schraubt die nun- ke auch subtile, um Selbstkritik nicht verlegene Medi-
mehr virtualisierten Stunts des Stummfilm-Slapsticks ensatire stecken kann, wenn der Reflexion Raum ge-
zu einsamer Perfektion empor und exkulpiert zugleich lassen wird, offenbarte sich 1998 mit Peter Weirs The
das böse Lachen des Zuschauers über solche ›Körper‹- Truman Show, wo selbst Platons Höhle und Shake-
Deformationen. Forrest Gump (1994), eine Satire auf speares Tempest-Zauberinsel in Dispositiv und Zitat
den American Dream, verbindet die social comedy in präsent werden: Carrey spielt dort den All American
der Preston-Sturges-Tradition mit dem Mockumenta- Boy Truman Burbank, der erst im Verlauf der Hand-
ry, wenn Zemeckis seinen pikaresken Einfaltspinsel zu lung sich als Medienopfer zu erkennen lernt – und
nahtloser Interaktion mit US-Präsidenten in histori- mithin seine Mitmenschen als Schauspieler und seine
sches TV- und Wochenschaumaterial hineinrechnen kleine idyllische Suburbia-Welt als riesiges Studio.
ließ. Es liegt in der Logik dieser Entwicklung, dass Aus einem am Kunsthimmel mondgleich suspen-
dierten Regieraum heraus überträgt ein gottgleicher
real-life-series-Fernsehregisseur Trumans ganzes Le-
ben nationwide und live – mittels Tausenden von
versteckten, fernbedienbaren Kameras. Dieses (neo-)
mythologische Spiel setzt sich fort, bis der seines
Selbst bewusst gewordene Held den einseitigen Fikti-
onspakt kündet und sich durch die getarnte Studiotür
aus dem Kunstleben verabschiedet, zum Jubel des
Fernsehpublikums, das fortan auf diese Show ver-
zichten muss...
Solche medienphilosophisch-subjektkritisch-au-
Abb. 27.40 Robert Zemeckis 1988: to(r)reflexiven Komödien sind zur Domäne des Dreh-
Who Framed Roger Rabbit buchautors Ch. Kaufman geworden. Sein vertracktes
370 III Mediale Formen des Komischen

Plot-Labyrinth Being John Malkovich (1999) metai- Es deutet mithin alles daraufhin, dass jeglicher di-
siert die subjektive Kamera, wenn sich John Malko- gitaler Immaterialisierung zum Trotz weder die Kör-
vich persönlich durch ein Zauberportal in den Star J. perkomik noch die kollektive Lachkultur aus einer wie
Malkovich begibt, was als digitale Version von Kea- auch immer hybridisierten Filmkomik verschwinden
tons The Playhouse (1921) zu einer solipsistischen werden. Auch an den neuen Schauplätzen außerhalb
Barszene mit Dutzenden von – auch musizierenden – des Kinos wird die Komik bewegter Bilder allein
Malkovich-Phantomen führt. schon wegen ihres sozialtechnischen Nutzens als
Auch in Adaptation (2002), wo sich die Handlung Pumpe wie als Ventil der Publikumsaffekte nach-
autopoetisch aus der Schreibblockade eines (im Alter gefragt bleiben. Denn auch die gültigsten Ikonen der
Ego eines erfundenen Zwillings noch gedoppelten) Moderne konnten wohl nur durch das komische alte
Szenaristen ›Charlie Kaufman‹ herausführt, verbindet Kino erschaffen werden: H. Lloyd, am Uhrzeiger über
das historische Subjekt ›Charlie Kaufman‹ die Tradi- Straßenschluchten hängend, Ch. Chaplin in der Ma-
tionen der alten Entertainment- und Fernsehkulturen schine, B. Keatons Deadpan-Gesicht, das jeder herun-
mit der Hypertextualität des Internets und kündet terstürzenden Fassade die Stirn bietet, und schließlich
Egomanie wie Vergesslichkeit der Social Media an. S. M. Monroes gelüftetes Kleid über dem U-Bahn-
Jonze, der Regisseur dieser beiden Spiegelschachtelfil- Schacht.
me, reichert diese mit eingelegten Mockumentaries
und einem grundsätzlichen Mash-up aus Sitcom und Literatur
Scripted Reality-TV an. Solche Hybridformate der zi- Agee, James: » Comedy’s Greates Era«. In: Life 66. Jg., 3
tatversessenen Counter Culture hatte er bereits mit sei- (1949), 70–88.
Bazin, André: »Théâtre et cinéma«. In: Esprit 19. Jg. (1951),
nen Musikvideos und der ab 2002 auch für das Kino 891–905.
mehrfach adaptierten MTV-Serie Jackass (2000– Brownlow, Kevin: Pioniere des Films. Vom Stummfilm bis
2002) bedient, einer ungebrochen populären Mehr- Hollywood. Basel/Frankfurt a. M. 1997.
fachverkreuzung von alter mit neuester sadomaso- Chion, Michel: Le son au cinéma. Paris 1985.
chistischer Zeige-und-Schaulust am Real-Stunt von Chion, Michel: La voix au cinéma. Paris 1982.
Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2 [1985]. Frankfurt a. M.
Slapstick und YouTube. Wenn Jonze 2013 mit Her die
1997.
erste Romantic Comedy zwischen einem Social-Me- Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino 1 [1983]. Frank-
dia-saturierten ›Realitäts‹-Verweigerer und der sanf- furt a. M. 1997.
ten Avatarin seines Computer-Betriebssystems als Eisenstein, Sergeji: Schriften 1: Streik. Hg. v. Hans-Joachim
zarte amour fou-Geschichte zeichnet, vermählt er die Schlegel. München 1975.
Tradition von W. Allen mit jener von F. Truffaut – und Friedman, Arthur B.: »Interview with Buster Keaton
(1956)«. In: Kevin W. Sweeney (Hg.): Buster Keaton Inter-
mit H. Bergsons Überlagerung des Lebendigen mit
views. Jackson 2007, 12–31.
medientechnisch induzierten Automatismen. Fröhlich, Margrit u. a. (Hg.): Lachen über Hitler – Auschwitz-
Diese zukunftsträchtige Hybridisierungsspirale Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust. München
hatte sich schon früher auch in die umgekehrte Rich- 2003.
tung drehen lassen: mit fehlerästhetischer Lust am Karpf, Ernst u. a. (Hg.): »Ins Kino gegangen, gelacht«. Filmi-
Artefakt, bzw. der anti-illusionistischen Sichtbarma- sche Konditionen eines populären Affekts. Marburg 1997.
chung der Nahtstellen zwischen Real-Animation und Hansmartin Siegrist
den analogen wie digitalen Tricks von Fernsehen und
Video. Dazu verpflichtete das Autoren-Produzenten-
Gespann Kaufman und Jonze den Medien-Bricoleur
27.3.9 Komische Formate im Fernsehen
M. Gondry, zunächst für die Regie von Human Natu-
(USA, GB, Deutschland)
re (2001), 2004 dann für Eternal Sunshine of the Spot-
less Mind. Hier inkorporiert der mit Zelig verwandte Komik im Fernsehen ist ein besonders vernachlässig-
Held alle Elemente der digitalen Mediensatire zwi- tes Gebiet der Medien- und Kulturwissenschaft. Die
schen Romantic Comedy und Neo-Slapstick: Wer hier frühe Fernsehforschung, zumal in Deutschland, hatte
seine durch Kontaktarmut und Liebeskummer ver- ein deutlich überwiegendes Interesse an ›seriösen‹
letzte Identität durch neurologisch-medial-selektive Sendeformaten wie dem Fernsehspiel und dem po-
Löschtechniken seiner Erinnerung zu streamlinen litischen oder kulturell-literarischen Magazin; leichte
versucht, wird nämlich von niemand anderem ge- oder gar seichte Unterhaltung hatte und hat dem-
spielt als von J. Carrey. gegenüber in der Forschung einen schweren Stand.
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 371

Dies hängt zusammen mit einer verbreiteten aka- siv) lässt sich auch für Fernsehkomik im Allgemeinen
demischen Skepsis gegenüber populärer Unterhal- festhalten.
tung, Popkultur und dem von der Kritischen Theorie
der Neuen Frankfurter Schule als ›Kulturindustrie‹ Genres und Formate: Comedy-Shows und Comedy-
bezeichneten modernen Medienbetrieb (vgl. ein- Serien
schlägig hierzu Steinert 2003). Jenseits wohlfeiler und Die beliebtesten Genres der Fernsehkomik lassen sich
sich zyklisch wiederholender Verdummungsdebatten zunächst grob wie folgt unterscheiden:
(vgl. Hermsdorf 2010) wurde das Fernsehen als Mas- Spielfilmkomödien und ihre Subgenres: Hierbei
senmedium an den Universitäten erst spät zum Ge- kann es sich entweder um Übernahmen von Kinofil-
genstand systematischer Forschung in der noch jun- men ins Fernsehen oder um TV-Eigenproduktionen
gen Disziplin der Medienwissenschaften (etwa am handeln, die zumeist den Mustern der Theater- oder
DFG-Sonderforschungsbereich ›Ästhetik, Pragmatik Kinokomödie folgen. Diese lassen sich jedoch besser
und Geschichte der Bildschirmmedien‹ in Siegen, im größeren Rahmen der Gattung des Fernsehspiels
1986–2001). Die Fernsehkomik spielt jedoch dabei betrachten, und es handelt sich um kein genuin fern-
noch immer keine nennenswerte Rolle; es dominie- sehspezifisches Format der Komik. Daher wird dieses
ren medientheoretische, politische und soziologische Format im Folgenden nicht näher betrachtet.
Ansätze etwa zur Eurovision, zur Medienwertungs- Serielle Formate der Fernsehkomik: Hierbei handelt
forschung oder zur Fernsehadaption etablierter kul- es sich aufgrund der Serialität (wöchentliche oder
tureller Formen wie Theater und Oper. Erst seit den zum Teil sogar tägliche Ausstrahlung neuer Folgen,
1990er Jahren gibt es einzelne Ansätze zu einer medi- oft über mehrere Jahre) um ein genuin fernsehspezi-
enpragmatischen und empirischen Erforschung von fisches Sendeformat. Serielle Formate der Fernsehko-
Fernsehunterhaltung und Fernsehkomik (vgl. Boss- mik lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: Co-
hart/Hoffmann-Riem 1994; Roters/Klingler/Ger- medy-Shows und Comedy-Serien (vgl. Neale/Krut-
hards 2000; Schumacher/Hammer 2000; zur Einfüh- nick 1990; Knop 2007). Comedy-Shows sind gekenn-
rung in die kulturwissenschaftliche Fernsehfor- zeichnet durch ihre Serialität, ihren Live-Charakter,
schung grundlegend Fiske 2003; Faulstich 2008). einen komischen Moderator oder ein Moderatoren-
Vor diesem Hintergrund können die folgenden team sowie durch ihre Nichtfiktionalität. Sie weisen
Ausführungen nur erste Ansätze einer Systematik und außerdem in der Regel eine kleinschrittige Num-
eines daran anschließenden historischen und kultur- merndramaturgie auf. Das wohl berühmteste heute
komparatistischen Überblicks leisten. Dieser konzen- noch gesendete Beispiel für diese Form der Fernseh-
triert sich auf die wichtigsten Formate der Fernsehko- komik ist die in den USA seit 1975 etablierte Sendung
mik an Beispielen aus Deutschland, Großbritannien Saturday Night Live (NBC), in der ein festes Komiker-
und den USA. Entgegen der landläufigen Behauptung, team und ein prominenter Gastmoderator Sketche
Humor sei kulturspezifisch und nicht über kulturelle spielen, deren Abfolge durch Musiknummern von live
Grenzen hinweg übertragbar (und der deutsche Hu- auftretenden Bands aufgelockert wird. Diese Form
mor demzufolge etwa für Briten nicht verständlich der Fernsehkomik ist die mediengeschichtlich älteste,
bzw. gar nicht vorhanden), zeigt sich im Allgemeinen denn sie geht auf Formen des Varietés, des Kabaretts,
ein hohes Maß an Konstanz und Portabilität erfolgrei- der britischen Music Hall und des nordamerika-
cher und etablierter Formate und Gattungen, die mit nischen Vaudeville des 19. und frühen 20. Jh.s zurück.
regionalspezifischen Inhalten gefüllt werden. Ein Bei- Auch das frühe Radio kannte bereits diese Form der
spiel hierfür, das weiter unten etwas näher betrachtet Komik, die nach Einführung des Fernsehens rasch
werden wird, ist die deutsche Familien-Sitcom Ein durch das neue Medium übernommen wurde.
Herz und eine Seele aus den 1970er Jahren, für die es Der Sketch ist dabei die Grundform der komischen
genaue britische und amerikanische Äquivalente gibt. Unterhaltung. In einem Sketch interagieren Figuren
Besonders am Beispiel der US-amerikanischen Sit- in einem fiktiven Setting miteinander im Dialog; Ge-
com wird in der Forschung deutlich, dass es sich in ih- spräch oder Handlung werden von einem kausalen
ren Ursprüngen um eine gesellschaftspolitisch kon- Ereignis in Gang gesetzt (vgl. Neale/Krutnick 1990,
servative bzw. affirmative Form des Komischen han- 192). Der Sketch ist die wohl langlebigste intermediale
delt, die sich nur sporadisch mit progressiveren oder Form des Komischen, v. a. aufgrund seiner Flexibilität
gar subversiven Botschaften aufladen lässt (vgl. Mor- und Variabilität; einzelne Szenen der frühen europäi-
reale 2004); dieser Grundsatz (affirmativ vor subver- schen Komödie lassen sich in ihrer Form bereits als
372 III Mediale Formen des Komischen

Sketche auffassen (vgl. Sommer 2011). Sketche kön- Hauptfigur der klassischen domestic sitcom in der Re-
nen als komische Nummern leicht in größere Zusam- gel eine Hausfrau und Mutter; so z. B. in der in den
menhänge und serielle Formate eingebunden werden. USA noch immer beliebten und häufig wiederholten
Weitere komische Grundformen in Comedy-Shows Serie I Love Lucy (CBS, 1951–1957), die das Familien-
sind der (von der Theaterbühne stammende) Mono- leben eines New Yorker Ehepaars aus dem Show-Busi-
log und die Doppelconférence (double-act), deren ness thematisiert und dabei zahlreiche für die 1950er
Herkunft eher im Kabarett- und Zirkusbereich zu su- Jahre charakteristische Stereotypen von Männlichkeit
chen ist (im Englischen auch als cross-talk bezeich- und Weiblichkeit aufweist. Ähnliche typische Rollen-
net), in der zwei Komiker – oft in Form einer Herr- muster gibt es in vielen anderen Sitcoms mit Ehepaa-
und-Knecht-Dynamik – miteinander interagieren. ren aus der Mittelschicht, etwa auch in der Burns and
Bekanntestes Beispiel ist Abbott und Costellos »Who’s Allen Show (CBS, 1950–1958). Beide hatten eine heute
on First«-Sketch (s. Kap. 27.4.3). noch übliche Episodenlänge von 25 bis 30 Minuten
Bei Comedy-Serien handelt es sich dagegen um ein und wurden wöchentlich ausgestrahlt. Familiensit-
fiktionales Format mit einem festen Figureninventar coms aus dem Arbeitermilieu sind seltener und in der
und einem begrenzten Handlungsraum; Humor wird Regel weniger erfolgreich (etwa The Honeymooners
hier aus Alltagssituationen generiert (vgl. Knop 2007), mit J. Gleason, CBS, 1955–1956).
weshalb sich für Comedy-Serien die englische Be- Bei der Arbeitsplatz-Sitcom (workplace comedy)
zeichnung ›Sitcom‹ (Abkürzung für situation comedy) geht es dagegen eher um Themen des beruflichen All-
eingebürgert hat. Ein für Sitcoms typisches Element tagslebens und der Sexualität (vgl. Newcomb 2004).
ist der laugh track (Lachkonserve), das auf Band auf- Diese Form der Sitcom ist in der Regel gesellschaftlich
genommene und in die Sendung eingefügte Lachen, progressiver und ermöglicht eine größere Bandbreite
das den Effekt eines Live-Publikums imitiert; einige komischer Situationen und sozialer Themen durch ein
Sitcoms werden auch vor Live-Publikum aufgezeich- eher heterogenes und flexibel erweiterbares Figuren-
net oder die Lacher eines echten Testpublikums wer- inventar, das nicht auf Familie und Freunde be-
den auf die Tonspur eingespielt. Im Unterschied zum schränkt bleibt. Beispiele für die workplace comedy im
kürzeren Sketch kennt die Sitcom längere, in der Regel US-Fernsehen sind WKRP in Cincinnati (CBS, 1978–
aber auf die jeweilige Einzelepisode beschränkte 1982), Barney Miller (ABC, 1975–1982), Taxi (ABC,
Handlungsabläufe mit häufigeren Pointen und run- 1978–1982; NBC, 1982–1983), E/R (CBS, 1984–1985),
ning gags (Dauerwitze, bei denen eine Pointe oder ein The Mary Tyler Moore Show (CBS, 1970–1977) und
Witzelement in unterschiedlichen Situationen wie- M*A*S*H (CBS, 1972–1983). Das Arbeitsplatz-Set-
derholt wird). Das Personal und die Grundsituation ting dieser Sendungen (Radiostation, Polizeidienst-
der Show bleiben dabei konstant; es gibt in der Regel stelle, Taxi-Unternehmen, Notaufnahme, Fernsehsen-
keine Entwicklung der Charaktere über einzelne Fol- der, Feldlazarett) ermöglicht hierbei im Unterschied
gen hinweg. zur Familienkomödie vielfältige Interaktionen zwi-
Man kann zwischen zwei Hauptgattungen der Sit- schen Figuren unterschiedlicher Herkunft und unter-
com unterscheiden: der Familiensitcom und der Ar- schiedlicher sozialer Schichten (vgl. Newcomb 2004,
beitsplatz-Sitcom. In einer Familien-Sitcom (Englisch 571). Ein erfolgreiches deutsches Beispiel hierfür ist
domestic sitcom oder family comedy) geht es im All- Stromberg (ProSieben, 2004–2012), eine Adaption der
gemeinen um individuelle Rollen innerhalb der Fami- britischen Serie The Office, deren Setting der Büroall-
lie; dieses Format ist für das Fernsehen besonders gut tag ist, die aber auch aktuelle gesellschaftspolitische
geeignet, da es sich in einem Studio mit nur ein oder Themen aufgreift.
zwei Bühnen (etwa für Küche und Wohnzimmer) mit Das Streben nach einem höheren Maß an Realis-
geringem Kostenaufwand produzieren lässt. Die Fa- mus im Comedy-Bereich führt zu Mischformen zwi-
miliensitcom thematisiert Alltagsprobleme und ten- schen Sitcom und Drama-Serie, die gelegentlich als
diert traditionell dazu, individuelle Abweichungen dramedy bezeichnet werden; diese kommen ohne
von der sozialen Norm im Rahmen der fiktionalen Lachkonserven aus und haben gewöhnlich eine Epi-
Welt zu sanktionieren. Sie gilt daher als sozial und po- sodenlänge von bis zu einer Stunde; neuere US-ame-
litisch eher konservative Form der Fernsehkomik. Da rikanische Beispiele sind Desperate Housewives (ABC,
zahlreiche Familiensitcoms tagsüber ausgestrahlt wer- 2004–2012), Grey’s Anatomy (ABC, seit 2005) und
den und v. a. in der Frühzeit des Fernsehens ein haupt- Glee (Fox, seit 2009).
sächlich weibliches Publikum ansprechen, ist die Neben Sitcoms und Sketchshows gibt es noch ande-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 373

re serielle Formate der Fernsehkomik wie z. B. die Hauptaugenmerk auf der Sitcom als dem wahrschein-
Kleinkunst, die Stand-up-Comedy und das Improvi- lich konstantesten und zugleich wandlungsfähigsten
sationstheater, das politische Kabarett (in Deutsch- Format der Fernsehkomik liegt.
land ist hier v. a. die von 1980 bis 2003 unter Federfüh-
rung von D. Hildebrandt produzierte Sendung Schei- Die US-amerikanische Sitcom
benwischer zu nennen, der die Sendung Notizen aus Vor allem in den USA floriert auch heute noch die
der Provinz 1972–1979 vorausgegangen war) und die klassische Fernseh-Sitcom in den beiden Standard-
Nachrichtensatire, die seit den 1960er Jahren existiert. Genres domestic und workplace comedy. Üblicherwei-
Als Teil des britischen Satirebooms jener Zeit (vgl. se kommt eine Episode auf 22 Minuten Länge, um
Carpenter 2000) moderierte D. Frost in Großbritan- dem Sender acht Minuten Zeit für Werbeunterbre-
nien und später in den USA die Sendung That Was The chungen zur Verfügung zu lassen. Sitcoms werden
Week That Was (BBC, 1962–1963; NBC, 1964–1965). von Autorenteams geschrieben und wöchentlich aus-
Die Nachrichtensatire nimmt Bezug auf aktuelle poli- gestrahlt; eine Staffel umfasst in der Regel 20 Episoden
tische und gesellschaftliche Themen und ihre Präsen- oder mehr und läuft – im Erfolgsfall – über fünf bis
tation in Nachrichtensendungen; sie suggeriert da- sechs Jahre, selten auch länger; einzelne Serien errei-
durch ›ironische Authentizität‹ (vgl. Day 2011, 24– chen Laufzeiten von einem Jahrzehnt oder mehr.
42). Aktuelle amerikanische Beispiele sind The Daily Die Sitcom wurde bereits in den 1940er Jahren vom
Show with Jon Stewart (Comedy Central, 1996–2015) Radio für das Fernsehen übernommen und gehört da-
und The Colbert Report (Comedy Central, 2005–2014; mit zu den ältesten Fernsehformaten (s. Kap. 27.4.2–
vgl. Gray/Jones/Thompson 2009). In Deutschland 25.4.4). Zu dieser Zeit wurden viele Sendungen live
präsentiert O. Welke seit 2009 die heute-show im ZDF, ausgestrahlt und nicht aufgezeichnet. Als erste Sitcom
eine Adaption der Daily Show. der amerikanischen Fernsehgeschichte gilt Mary Kay
Eine weitere beliebte Variante der Comedy-Show and Johnny (DuMont, 1947–1948, später CBS und
sind ›Reality‹-Formate, in denen anstelle gespielter NBC bis 1950), in dem die auch im wirklichen Leben
Sketche mit versteckter Kamera gefilmte und teilweise verheirateten Schauspieler M. K. Stearns und J. Ste-
mit ahnungslosen Teilnehmern inszenierte Situatio- arns ein junges Ehepaar spielen (Die Show ist ver-
nen gezeigt werden: das US-amerikanische Original mutlich die erste Fernsehsendung, in der ein Paar im
Candid Camera lief von 1948 bis 2004 und ist damit Bett gezeigt wird.). Neben Familiensitcoms über die
eines der ältesten und langlebigsten komischen For- weiße Mittelschicht gab es auch in der Frühzeit schon
mate im Fernsehen, das häufig kopiert wurde. Die Sitcoms mit jüdisch-amerikanischen und schwarzen
deutsche Variante Verstehen Sie Spaß? gibt es seit 1980 Protagonisten (The Goldbergs, CBS, 1949–1951; NBC,
mit wechselnden Moderatoren. Seitdem die Video- 1952–1953; DuMont, 1954; Beulah, ABC, 1950–
technik in den 1980er Jahren preiswert verfügbar ist, 1952). Zu den ersten ›workplace comedies‹ gehören
finden auch zahlreiche Heimvideo-Sendungen mit die in einer Schule spielenden Serien Our Miss Brooks
Zusammenschnitten privat gefilmter Unfälle und (CBS, 1952–1956) und Mr. Peepers (NBC, 1952–1955)
Missgeschicke ein Publikum: Pleiten, Pech und Pan- sowie die Phil Silvers Show (CBS, 1955–1959), die in
nen (BR, 1986–2003); America’s Funniest Home Videos einem Stützpunkt der US-Armee angesiedelt ist. Die
(ABC, seit 1989); in Großbritannien You’ve Been meisten frühen Sitcoms werden in New York produ-
Framed (ITV, seit 1990). Reality-Elemente sind heute ziert; erst Mitte der 1950er Jahre ziehen die großen
Teil vieler Comedy-Formate sowohl im Bereich der Fernsehstudios nach Los Angeles um.
Show (TV Total) als auch im Bereich der Sitcom, wo Die oben bereits erwähnte Show I Love Lucy gilt als
sie als Kunstmittel eingesetzt werden (z. B. The Os- die erste mit mehreren Kameras vor einem Live-Pu-
bournes, Parks and Recreation, Stromberg). blikum gefilmte Sitcom. Die Hauptdarsteller der Serie,
Eine Kreuzung zwischen Quizsendung und Stand- L. Ball und ihr Ehemann D. Arnaz, gründeten ihre ei-
up-Comedy bieten Formate der Panel-Show wie Have gene TV-Produktionsfirma, Desilu, die später auch
I Got News for You (BBC, seit 1990), 7 Tage, 7 Köpfe die Serie Star Trek produzierte.
(RTL, 1996–2005) oder Genial daneben (Sat1, 2003– Seit den 1960er Jahren etablieren sich Varianten
2011). der Familiensitcom, in denen nicht mehr die traditio-
Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich nelle bürgerliche Kernfamilie im Mittelpunkt steht
auf Comedy-Serien und Comedy-Shows aus den oder in denen sie um Monster (The Munsters, CBS,
USA, Großbritannien und Deutschland, wobei das 1964–1966), Hexen (Bewitched, ABC, 1964–1972)
374 III Mediale Formen des Komischen

und Außerirdische (Alf, NBC, 1986–1990) ergänzt provinziellen Grünflächenamt spielt und dort die Tie-
oder ganz durch diese ersetzt wird. Die Dick Van Dyke fen des bürokratischen Alltags auslotet. Auch neuere
Show (CBS, 1961–1966) erweitert das Spektrum durch Familiensitcoms arbeiten gelegentlich mit Elementen
eine Kombination der Familien- und Arbeitsplatzthe- des Reality-TV wie z. B. The Osbournes (MTV, 2002–
matik: Protagonist der Serie ist ein Fernsehautor, der 2005) über das Familienleben des Heavy-Metal-Musi-
für eine (fiktive) Serie arbeitet; sowohl sein Privat- als kers O. Osbourne.
auch sein Berufsleben werden thematisiert. In diesem Seit den späten 1980er Jahren suchen Sitcoms ver-
Fall spricht man auch von hybridized sitcoms (Hybrid- stärkt nach Alternativen zur Familie als komischem
sitcoms). Ein neueres Beispiel für eine Meta-Comedy- Setting; Wohngemeinschaften oder Freundeskreise
Serie ist 30 Rock (NBC, 2006–2013), eine Comedy-Se- bieten sich an, so etwa in den sehr erfolgreichen Serien
rie über die Produktion einer Comedy-Serie im Ro- Seinfeld (NBC, 1989–1998) und Friends (NBC, 1994–
ckefeller Center. 2004) oder auch den Golden Girls über eine Wohn-
Als Nebenform der Familiensitcom entstehen in gemeinschaft älterer Frauen, die ihren Lebensabend in
den 1960er Jahren Cartoon-Sitcoms (animated sit- Florida verbringen (NBC, 1985–1992). Ebenso findet
coms, z. B. The Flintstones, ABC, 1960–1966; The Jet- sich die Bar als Alternative zum Küchentisch in Cheers
sons, ABC, 1962–1985; Beavis and Butt-head, MTV (NBC, 1982–1993, mit dem ebenfalls erfolgreichen
1993–1997, 2011); noch heute laufen The Simpsons Ableger Frasier, NBC, 1993–2004) Die Familie bleibt
(Fox, seit 1989) und South Park (Comedy Central, seit aber als Lebensform zumindest indirekt präsent, so et-
1997). Auch hier lässt sich ein weiterer Trend ablesen: wa in How I Met Your Mother (CBS, 2005–2014). Hier
die Verlagerung des Schwerpunkts der Familiensit- kontrastiert die traditionelle Sichtweise auf (hetero-
com hin zur dysfunktionalen Familie (etwa in All in sexuelle) Liebe und Ehe mit der des Frauenhelden
the Family, CBS, 1971–1979; Married ... with Children, Barney. Eine weitere neuere Sitcom, The Big Bang
Fox, 1987–1997; Arrested Development, Fox, 2003– Theory (CBS, seit 2007), spielt in einer Naturwissen-
2006, Netflix, 2013), in der Familienzwistigkeiten of- schaftler-WG in Kalifornien; auch hier wird die tradi-
fen ausgetragen und gesellschaftliche Problematiken tionelle Familie durch Singles mit wechselnden ro-
auf humorvolle Weise thematisiert werden. Familien- mantischen Verwicklungen ersetzt, die sich durch ei-
zentrierte Sitcoms kehren in den 1980er Jahren ver- ne Familienähnlichkeit auszeichnen: Sie sind allesamt
stärkt auf den Bildschirm zurück: The Cosby Show hochbegabte Sonderlinge (»geeks«). Auch die klassi-
(NBC, 1984–1992), Full House (ABC, 1987–1995) sche Familiensitcom lebt weiter, etwa in Modern Fa-
und v. a. Family Ties (NBC, 1982–1989) stellen ein mily (ABC, seit 2009); die ›moderne‹ Familie ist hier
konservatives Familienverständnis wieder in den Vor- ein aus drei Familien zusammengesetztes Patchwork.
dergrund. Die teilweise pseudo-dokumentarisch inszenierte Se-
Gesellschaftlich progressive Sitcoms mit weibli- rie illustriert zudem den verstärkten Gebrauch mo-
chen Hauptdarstellerinnen finden sich in der Mary derner Kommunikationsmedien wie Handys und so-
Tyler Moore Show (CBS, 1970–1977) – deren Protago- ziale Netzwerke. Die Sitcom bleibt auch hierin ein
nistin Single ist – und später in Roseanne mit R. Barr, Spiegel aktueller gesellschaftlicher Trends (vgl. Mor-
deren Setting eine Familie aus dem Arbeitermilieu reale 2004; Dalton 2005; speziell zu den neueren Ent-
darstellt, in der beide Eltern arbeiten gehen (ABC, wicklungen Savorelli 2010; zur sich verändernden So-
1988–1997). Wie viele Sitcoms wird auch Roseanne zu zialstruktur der Sitcom Mielke 2009).
einem Spiegel ihrer Gesellschaft; die Serie thematisiert
soziale Problemfelder wie z. B. Armut, Alkohol- und Die britische Sitcom und Sketchshow
Drogenmissbrauch, Schwangerschaft bei Minderjäh- Erste serielle Formate der Fernsehkomik in Großbri-
rigen, häusliche Gewalt, Untreue usw. tannien bilden sich bei der BBC in der Nachkriegszeit
Neuere Beispiele der Arbeitsplatz-Comedy arbei- aus; sie umfassen sowohl Comedy-Shows als auch
ten häufig mit formalen Elementen der Dokufiktion Comedy-Serien wie z. B. Ray’s a Laugh (1949–1961),
bzw. des Mockumentary, um die mediale Illusion des Educating Archie (1950–1958), Life with the Lyons
Realismus zu erzeugen (z. B. Handkamera, absichtlich (die Weiterentwicklung einer Radio-Familiensitcom
unprofessionell wirkende Kameraeinstellungen oder 1955–1960), The Trinder Box (1951) und Hancock’s
-bewegungen, Einspielen von talking heads-Sequen- Half Hour (1956) (vgl. Briggs 2005, 500–501, Anm.
zen), so z. B. in der neueren amerikanischen Serie 23). Zahlreiche dieser Formate sind Übernahmen
Parks and Recreation (NBC, seit 2009), die in einem bzw. Weiterentwicklungen von Radioshows.
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 375

Die realistische Situationskomik des frühen briti- (1926–1984) und E. Wise (1925–1999) (ATV, ab 1962,
schen Fernsehens bleibt als Format auch in späteren später BBC) und The Two Ronnies (BBC, 1971–1987)
Sendungen wie Here’s Harry (BBC 1962–1967, später mit R. Barker (1929–2005) und R. Corbett (1930–
unter dem Titel Harry Worth) mit H. Worth (1917– 2016). Die Grundform des Sketches liegt auch der
1989) und Steptoe and Son (BBC 1962–1974) erhalten. wohl berühmtesten britischen Comedy-Serie aller
Anders als im US-amerikanischen Fernsehen stehen Zeiten, Monty Python’s Flying Circus, zugrunde. Die
Heile-Welt-Familien von Beginn an nicht im Fokus Gruppe um G. Chapman, J. Cleese, T. Gilliam, E. Idle,
der britischen Sitcom, wo eine mit ironischem Augen- T. Jones und M. Palin drehte für die BBC von 1969 bis
zwinkern und dem oft als typisch britisch empfunde- 1974 45 Folgen, die sich durch ihren schwarzen Hu-
nen schwarzen Humor inszenierte Dysfunktionalität mor und ihre assoziative, vom Surrealismus der be-
familiärer Lebensformen eher die Regel als die Aus- liebten Radiosendung The Goon Show inspirierte ›Lo-
nahme zu sein scheint. gik‹ der Sketch-Sequenzen auszeichnen. Der von
Das klassische Beispiel hierfür liefert Steptoe and Cleese als Ansager gesprochene Überleitungssatz
Son. Die Serie erzählt vom Generationen- und Klas- ›And now for something completely different‹ wurde
senkonflikt zwischen einem alten Lumpensammler zum geflügelten Wort. Die Sendung enthält neben
(und buchstäblichem dirty old man), dargestellt von Spielszenen auch animierte Cartoons; gängige seriöse
W. Brambell (1912–1985), und seinem nach Höherem TV-Formate wie das Interview oder die politische
strebenden, aber stets tragisch scheiternden Sohn, Diskussion werden parodiert. Hiermit setzt die seither
verkörpert durch H. S. Corbett (1925–1982). Die Fa- in komischen Formaten weit verbreitete mediale
milie wird hier auf Vater und Sohn reduziert, deren Selbstreflexion und Selbstparodie des Mediums Fern-
Interaktion mitunter an S. Becketts Endspiel (1956) sehen ein, mit der in Deutschland v. a. der Name Lo-
oder Warten auf Godot (1952) erinnert (vgl. Kap. 7): riot verbunden ist. Als Beispiel sei hier nur an den
zwei stark kontrastive Figuren sind unausweichlich Sketch »Die englische Ansage« (1977) erinnert, in
aneinander gefesselt. Here’s Harry erzählt ebenfalls dem eine von E. Hamann (1942–2007) gespielte Fern-
vom sozialen Aufstiegswillen der unteren Mittelklas- sehansagerin an der Aussprache der englischen Eigen-
se, der an komischen Zwischenfällen immer wieder namen einer Fernsehserie grandios scheitert:
scheitert. Auch spätere britische Sitcoms setzen weni-
ger auf die klassische Kernfamilie und zeigen deren »Auf dem Landsitz North Cothelstone Hall von Lord und
Reduktions- und Zerfallsformen mit dem Haupt- Lady Hesketh-Fortescue befinden sich außer dem
augenmerk auf der Skurrilität der Figuren: Only Fools jüngsten Sohn Meredith auch die Cousinen Priscilla und
and Horses (BBC, 1981–1991) lebt von der Dynamik Gwyneth Molesworth aus den benachbarten Ortschaf-
der unterschiedlichen Persönlichkeiten eines Markt- ten Nether Addlethorpe und Middle Fritham, ferner ein
händlers, seines jüngeren Bruders und des Groß- Onkel von Lady Hesketh-Fortescue, der 79-jährige Jas-
vaters; Rising Damp (ITV, 1974–1978) konzentriert per Fetherston, dessen Besitz Thrumpton Castle zur Zeit
sich auf die Bewohner eines heruntergekommenen an Lord Molesworth-Houghton, einen Vetter von Pris-
Mietshauses und spiegelt damit die in Großbritannien cilla und Gwyneth Molesworth, vermietet ist […].«
nach der Ölkrise vorherrschende Stimmung einer
wirtschaftlichen und sozialen Lähmung wider. Kon- Dass Cleese mit seiner späteren Produktion Fawlty
ventionelle Familiensitcoms wie Marriage Lines (BBC, Towers (BBC, 1975–1979) zu einer narrativen Sitcom
1961–1966) stellen in Großbritannien eher eine Aus- zurückkehrt, spricht jedoch auch für die Kontinuität
nahme dar. Teil der großen Bandbreite an möglichen dieser klassischen Form. Weitere Beispiele der briti-
Figuren sind auch schon früh Singles mit romanti- schen Sketch-Comedy sind Not the Nine O’Clock News
schen Anwandlungen, so etwa in The Likely Lads (BBC, 1979–1982), Mr. Bean mit R. Atkinson (ITV,
(BBC, 1964–1966) und deren weiblichem Pendant 1990–1995) und Little Britain (BBC, 2003–2006) von
The Liver Birds (BBC, 1969–1978). und mit D. Walliams und M. Lucas.
Neben der stark narrativ geprägten Sitcom dieser Eine weitere in Großbritannien sehr beliebte Vari-
Art hat sich in Großbritannien auch die der Music ante der Fernsehkomik ist die Geschichts-Sitcom, in
Hall und dem Varieté näher stehende Sketchshow er- der – gelegentlich mit hohem finanziellen Aufwand –
halten, die teilweise jedoch auch narrative Elemente komische Situationen in historischen Settings erzählt
der Sitcom enthalten kann. Klassische Beispiele hier- werden; hierzu gehört neben den Zweiter-Weltkriegs-
für sind etwa Morecambe and Wise mit E. Morecambe Szenarien von Dad’s Army (BBC, 1968–1977; vgl.
376 III Mediale Formen des Komischen

Sommer 2011) und Allo Allo! (BBC, 1982–1992) auch tigkeit junger Technik-Freaks aufs Korn. Auch Sit-
die Serie Blackadder (BBC, 1983–1989) mit R. Atkin- coms, die vor Live-Publikum aufgezeichnet werden,
son und H. Laurie, deren Handlung im späten Mittel- erleben in jüngerer Zeit eine Renaissance, z. B. Not
alter einsetzt und im ersten Weltkrieg endet. Going Out mit L. Mack (BBC, seit 2006), Miranda
Auch im Bereich des Reality-TV gibt es Varianten (BBC, 2009–2015) mit M. Hart und In with the
der Familien-Sitcom wie z. B. The Royle Family (BBC, Flynns (BBC, 2011–2012).
1998–2000), in denen die Grenze zwischen gescripte-
ter Handlung und Spontaneität zusehends ununter- Komische Formate im deutschen Fernsehen
scheidbar wird. Als Vertreter des Genres der Arbeits- Deutsche Fernsehunterhaltungsformate etablieren
platz-Sitcom sind besonders die Serien Drop the Dead sich in den 1950er Jahren zunächst anhand amerika-
Donkey (Channel 4, 1990–1998), in der es um das Pro- nischer Vorbilder, v. a. nach dem Muster von Quiz-
duktionsteam einer Fernseh-Nachrichtensendung sendungen und Talentshows mit bekannten Modera-
geht, die das Arbeitsleben eines Berufspolitikers kari- toren und Rateteams: P. Frankenfeld (Wer will – der
kierende Serie Yes Minister (BBC, 1980–1984) und die kann, 1953; Bitte recht freundlich, 1956–57 u. a.); H.-J.
im pseudo-dokumentarischen Stil inszenierte Serie Kulenkampff (Wer gegen wen, Sieben auf einen
The Office (BBC, 2001–2003) erwähnenswert, die in Streich, 1958–1959 u. a.), R. Lembke (Was bin ich, ab
einer Papierfabrik im hässlichen Gewerbegebiet von 1955), H. Maegerlein (Hätten Sie’s gewußt?, 1958–
Slough spielt. The Office verbindet die Arbeitsplatz- 1969). Daneben etablieren sich musikalische Varieté-
Sitcom mit politischer Satire; in der oberflächlichen, sendungen im Stil der Nummernrevue: Der blaue
nur an Außenwirkung interessierten Hauptfigur Da- Bock (HR, ab 1957), Heute gehen wir ins Maxim
vid Brent (gespielt von R. Gervais), dem inkompeten- (1955) und Charivari (1955); ebenfalls ab 1955 wird
ten Manager des Unternehmens, sahen viele Kom- jährlich die Karnevalssendung Mainz wie es singt und
mentatoren – darunter auch der damalige Oppositi- lacht ausgestrahlt (vgl. Hickethier 1998, 142–145). In
onsführer D. Cameron in einer Debatte im britischen der DDR werden seit den 1950er Jahren ähnliche
Unterhaus – eine Parodie auf T. Blair und die Ideo- Shows produziert, z. B. Da lacht der Bär (1955–1965),
logie des New Labour (vgl. Jones/Helm 2006). Da liegt Musike drin (1968–1985) und die sechsmal
Die sozialen und kulturellen Veränderungen der im Jahr präsentierte Prestige-Sendung Ein Kessel
britischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg Buntes (1972–1992).
und dem Ende des Empire werden nur in wenigen Se- In der Wirtschaftswunderzeit Mitte der 1960er Jah-
rien thematisch; The Fosters (ITV, 1976–1977), No re beginnt in Deutschland die ›goldene‹ Ära der Show-
Problem! (Channel 4, 1983–1985) und Desmond’s unterhaltung mit Sendungen wie Der goldene Schuß
(Channel 4, 1989–1994) sind die ersten britischen Sit- (ZDF, 1964–1970 mit L. van Burg, später mit V. Tor-
coms mit nicht-weißen Protagonisten. Transkulturelle riani) und H.-J. Kulenkampffs Einer wird gewinnen
Comedy ist spätestens seit Goodness Gracious Me (ARD, ebenfalls ab 1964). Boulevard- und Volksthea-
(1998–2001) und Citizen Khan (seit 2012) ein etab- ter überträgt das westdeutsche Fernsehen seit 1953
liertes Genre im britischen Fernsehen, in dem kul- (Ohnsorg- und Millowitsch-Theater; Komödienstadl
turelle Konflikte zwischen der traditionellen in- ab 1959; vgl. Hickethier 1998, 149); auch Kleinkunst
dischen und der modernen britischen Lebensweise und Kabarett sind beliebte Formate (Cabareportage;
unterhaltsam dargestellt werden. Das Düsseldorfer Kom(m)ödchen, W. Neuss, Die Sta-
Jüngere Entwicklungen weisen ein großes Spek- chelschweine, Münchner Lach- und Schießgesellschaft;
trum von Möglichkeiten auf: Outnumbered (BBC, vgl. Hickethier 1998, 147).
2007–2014) zeigt eine Familie der weißen Mittel- Ein besonderes Kuriosum der deutschen Fernseh-
schicht aus Südlondon mit drei pubertierenden Kin- komik ist Dinner for One, die wohl am häufigsten wie-
dern und einem dementen Großvater. Two Pints of derholte Fernsehsendung aller Zeiten; sie geht ur-
Lager and a Packet of Crisps (BBC, 2001–2011) dreht sprünglich auf einen englischen Sketch aus den 1920er
sich um mehrere junge Paare in einem Freundeskreis Jahren zurück und wurde vom NDR 1963 in einer
im ländlichen Cheshire; The IT Crowd (Channel 4, englischsprachigen Version mit M. Warden und F.
2006–2013) konzentriert sich auf die Computer-Ab- Frinton aufgezeichnet, nachdem P. Frankenfeld eine
teilung einer großen Firma und nimmt (ähnlich wie Aufführung in Blackpool gesehen hatte. Die Sendung
die amerikanische Serie The Big Bang Theory) den wird in Deutschland und einigen skandinavischen
Professionalismus und die mangelnde Lebenstüch- Ländern alljährlich zu Silvester wieder ausgestrahlt,
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 377

ist jedoch in Großbritannien und den USA so gut wie Bunker) und gilt gemeinhin als die westdeutsche Sit-
unbekannt (vgl. Grömmer 1993; Hooper 2002). com der Brandt-Ära. Von der Forschung wenig bis gar
Neben einigen für das Fernsehen produzierten Ko- nicht beachtet wurde bisher die Familiensitcom der
mödien (z. B. Schönes Wochenende, 1962; Mach’s Beste DDR; hier wäre als Gegenstück zu Ein Herz und eine
draus, 1965; vgl. Hickethier 1998, 244 f.) versucht sich Seele die Serie Aber Vati zu nennen (1974–1979), in
der NDR in den 1960er Jahren auch an einer Fernseh- der die jungen Zwillinge eines allein erziehenden Wit-
satire nach dem Vorbild der britischen Sendung That wers ihrem Vater eine neue Frau suchen. Hier wird im
Was the Week that Was (BBC, 1962–1963); die Sen- Privaten die Sehnsucht nach einer heilen Welt erfüllt,
dung Hallo Nachbarn, moderiert von R. Münch, muss unter Aussparung jeglicher politischer Thematik,
jedoch 1965 abgesetzt werden, was in Deutschland zu während die westdeutsche Familiensitcom im Kon-
einer heftigen Zensurdebatte führt, in der u. a. W. Jens flikt zwischen dem erzkonservativen Vater Alfred und
Stellung bezieht. seinem linken Schwiegersohn Michael explizit eine
In den 1970er Jahren kommt es auch in Deutsch- hochpolitisierte und zerstrittene Familie vorführt. Die
land auf dem Gebiet der Familien-Sitcom zu Variatio- explosive Kombination von kleinbürgerlichem Spie-
nen in der Form von »Wohngemeinschaftsgeschich- ßertum und rebellierenden Achtundsechzigern spie-
ten bzw. den Geschichten ›unvollständiger‹ Familien gelt den Generationenkonflikt in der Bundesrepublik
[...] die aus den spezifischen Konstellationen immer der 1970er Jahre. Einzelne Episoden wie die Folge
wieder Anlässe für neue Verwicklungen f[i]nden« »Sylvesterpunsch« (31.12.1973) und »Besuch aus der
(Hickethier 1998, 361): z. B. Männerwirtschaft (ZDF, Ostzone« (12.2.1973) haben in Deutschland einen
1973), Alexander und die Töchter (ZDF, 1974), Wie er- sonst nur mit Loriot und dem Dinner for One ver-
ziehe ich meinen Vater? (ZDF, 1979); Alltagsprobleme gleichbaren Kultstatus erreicht und werden regel-
um das Auto werden in der Sendung PS (NDR, 1975– mäßig in den dritten Programmen wieder aus-
1976) thematisiert. gestrahlt. Die Mitglieder der Neuen Frankfurter Schu-
Moderat anarchische Formen finden erst über zwei le, R. Gernhardt, B. Eilert und P. Knorr produzieren
von A. Biolek beim WDR produzierte Folgen von für den HR ab 1975 zehn Folgen von Dr. Muffels Tele-
Monty Pythons Fliegender Zirkus (1972) einen Weg ins brause, einer alternativen Fernseh-Comedy-Serie, die
deutsche Fernsehen, werden jedoch in den 1970ern in ihrer Machart teilweise an Loriot anschließt, Hu-
rasch imitiert. Hierfür steht beispielhaft etwa die Sen- mor und Nonsens aber durch kontrollierte Anarchie
dung Klimbim (WDR, 1973–1979). Klimbim ergänzt noch steigert.
das Format der Nummernrevue um Elemente der Fa- Nach der Einführung des Privatfernsehens in den
miliensitcom: die ›Klimbim-Familie‹ mit dem mi- 1980er Jahren versuchen sich einige Sender mit nur
litanten Opa Benedikt von Klimbim, Mutter Jolante geringem Erfolg an der Eigenproduktion deutscher
(E. Volkmann) und Vater Max, Tochter Gaby (I. Stee- Sitcoms nach amerikanischem Vorbild; die RTL-Serie
ger) u. a.; der frivole Humor und die starke Sexualisie- Hilfe, meine Familie spinnt! (1993) und Die Viersteins
rung der Serie werden gezielt einer als prüde empfun- (ProSieben, 1995–1997) sind heute vergessen. Erfolg-
denen Medienlandschaft entgegengestellt. Einen an- reicher sind ARD und ZDF mit Sitcoms wie Lukas
deren, subtileren Weg gehen die von Loriot fürs (mit Dirk Bach, ZDF, 1996–2001), Berlin, Berlin
Fernsehen konzipierten Cartoon- und Sketchshows (ARD, 2002–2005) und Türkisch für Anfänger (ARD,
(Cartoon, 1967–1972; Loriot, 1976–1978), die sich 2006–2008). Auch Die Camper (RTL, 1996–2005) gilt
durch Wortwitz und präzises Timing auszeichnen mit zehnjähriger Laufzeit als großer Erfolg (vgl. zur
und in Deutschland zu Klassikern der Fernsehkomik deutschen Sitcom Holzer 1999).
avancieren; in eine ähnliche Richtung geht auch die In den 1990er und 2000er Jahren kommt es dann
Sketchserie Fast wia im richtigen Leben von und mit G. im deutschen Fernsehen zu einem Comedyboom, der
Polt (BR, 1979–1988). sich nicht nur durch einen quantitativen Zuwachs an
Besonders erfolgreich war auf diesem Terrain Ein Comedy-Shows und Comedy-Serien auszeichnet,
Herz und eine Seele (WDR, 1973–1976) mit der klein- sondern auch durch ein zunehmendes Unterlaufen
bürgerlichen Hauptfigur des ›Ekel‹ Alfred Tetzlaff; die von Genrekonventionen, durch Genreparodien sowie
von W. Menge geschriebene Serie entstand nach dem durch eine gesteigerte mediale Selbstreflexion des
britischen Vorbild Till Death Us Do Part (BBC, 1965– Fernsehens. Einzelne Stand-up-Comedians bekom-
1975; Hauptfigur Alf Garrett) bzw. der US-Version All men eigene, teilweise Sitcom-ähnliche Sendungen, et-
in the Family (CBS, 1971–1979; Hauptfigur Archie wa Anke mit A. Engelke (Sat1, 1999–2001), Alles Atze
378 III Mediale Formen des Komischen

mit A. Schröder (RTL, 2000–2007) und Hausmeister Neue Entwicklungen: Fernsehkomik ohne
Krause – Ordnung muss sein mit T. Gerhardt (Sat1, Fernsehen?
1999–2010). O. Dittrich kreiert mit der improvisierten Einige neuere Entwicklungen der Fernsehkomik
und live ausgestrahlten Serie Dittsche (WDR, seit kommen ohne die Institution der klassischen Sen-
2004) ein innovatives Format, in dem ein arbeitsloser deanstalten aus; neben Pay-TV-Angeboten bietet das
Stammgast in einem Hamburger Imbiss aktuelle The- Internet zahlreiche Möglichkeiten der Produktion,
men kommentiert; die Bildästhetik erinnert bewusst Vermarktung und Rezeption von Comedy-Angebo-
an Überwachungskameras. ten. In Deutschland war die zu Beginn von K. Bauer-
Die Harald Schmidt Show (Sat1, 1995–2003) bringt feind moderierte Internetfernsehsendung Ehrensenf
zum ersten Mal erfolgreich das amerikanische Format (www.ehrensenf.de) von 2005 bis 2011 ein Pionier der
der late-night talk show nach Deutschland (geprägt Nachrichtensatire als Videoblog; sie folgte dem ame-
durch J. Carsons The Tonight Show, NBC, 1962–1992), rikanischen Vorbild Rocketboom (seit 2004). Fernseh-
das Elemente der Stand-up-Comedy mit Interviews, serien werden zunehmend auch von amerikanischen
Musik und komischen Nummern verbindet. Ende der Video-on-Demand-Anbietern wie Netflix und Hulu
1990er Jahre entwickelt St. Raab auf ProSieben das selbst produziert. Die Videoplattform YouTube bietet
Format TV Total (1999–2015), eine Comedy-Show, in neben dem Zugriff auf Fernsehsendungen auch die
der neben Interview- und Quizelementen v. a. ko- Möglichkeit der Vermarktung unabhängiger Produk-
mische, fragwürdige oder ekelerregende Szenen aus tionen; bestes deutsches Beispiel hierfür ist der äu-
anderen aktuellen Fernsehsendungen gezeigt und ßerst erfolgreiche YouTube-Kanal der Gruppe Y-Titty
kommentiert werden (›Schocker der Woche‹, ›Puller- (2009–2015), die v. a. mit Musikparodien und Eigen-
Alarm‹). Sowohl die Harald Schmidt Show als auch TV kompositionen hohe Klickzahlen erreicht, aber am
Total schaffen ein eigenes Referenzsystem und er- herkömmlichen Fernsehen nach eigenem Bekunden
reich(t)en damit ein breites Fernsehpublikum (vgl. kein Interesse hat (vgl. Gropp 2013).
Knop 2007). Raabs TV Total setzt dabei »auf die künst-
liche Erzeugung unfreiwilliger Komik als Attraktions- Literatur
strategie« (Schmidt 2002, 195) durch nicht gescriptete (Produktions- und Sendedaten einzelner Serien und Folgen
Kommunikationssituationen – eine Strategie, die als sind aus der englischsprachigen und deutschen Wikipedia
übernommen und wurden mit den Angaben in der Inter-
sehr innovativ gelten kann, aber auch umstritten ist net Movie Database sowie, wenn möglich, mit den ent-
(vgl. Schmidt 2002 für eine detaillierte medienwissen- sprechenden Angaben in einschlägigen Handbüchern
schaftliche Analyse dieser Show). abgeglichen.)
Bosshart, Louis/Hoffmann-Riem, Wolfgang (Hg.): Medien-
Sitcoms außerhalb Europas und der USA nutz und Medienlust. Unterhaltung als öffentliche Kom-
munikation. München 1994.
Britische und amerikanische Sitcoms sind internatio-
Briggs, Asa: The History of Broadcasting in the United King-
nal erfolgreich und werden häufig exportiert oder dom [1979]. Bd. 4. Oxford/New York 2005.
auch adaptiert; in den Commonwealth-Staaten wie Carpenter, Humphrey: A Great Silly Grin. The British Satire
Australien und Kanada gibt es daneben aber auch Boom of the 1960s. New York 2000.
zahlreiche Eigenproduktionen wie z. B. die austra- Dalton, Mary M. (Hg.): The Sitcom Reader. America Viewed
lische Serie My Name’s McGooley, What’s Yours? and Skewed. Albany, N. Y. 2005.
Day, Amber: Satire and Dissent. Interventions in Contempo-
(ATN7, 1966–1968; vgl. Moran 1993) oder die kana-
rary Political Debate. Bloomington/Indianapolis 2011.
dische Sitcom The Beachcombers (CBC, 1972–1990; Faulstich, Werner: Grundkurs Fernsehanalyse. München
unter dem Titel Strandpiraten zeitweise auch im deut- 2008.
schen Fernsehen zu sehen). Auch in Pakistan werden Fiske, John: Television Culture. London 2003.
Sitcoms bereits seit den 1960er Jahren produziert, in Gray, Jonathan/Jones, Jeffrey P./Thompson, Ethan (Hg.):
Indien seit den 1980ern. Nach der kulturellen und Satire TV. Politics and Comedy in the Post-Network Era.
New York/London 2009.
marktwirtschaftlichen Öffnung begann auch China in Grömmer, Helmut: Miss Sophies Liebhaber. Die ganze Wahr-
den 1990er Jahren mit ersten Sitcoms nach amerika- heit über Dinner for One. Frankfurt a. M. 1993.
nischem Vorbild, z. B. I Love My Family (1993–1994) Gropp, Martin: »Die Generation Y macht ihr eigenes Ding«.
und Home with Kids (2004–2007). Die in Shanghai In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 195, 23.8.2013, 39.
produzierte Serie iPartment (seit 2009) porträtiert ei- Hermsdorf, Daniel: Glotze fatal. Wie TV-Unterhaltung Leben
zerstört. Bochum 2010.
nen Freundeskreis nach dem Vorbild der US-Serie
Friends.
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 379

Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens. Stutt- finitionen und Traditionen komiktherotischer Kon-
gart/Weimar 1998. zepte, die z. B. in Frankreich nicht vom Begriff ›le
Holzer, Daniela: Die deutsche Sitcom. Format, Konzeption, comique‹ sondern eher von ›l’humour‹ dominiert wer-
Drehbuch, Umsetzung. Bergisch Gladbach 1999.
Hooper, John: »British comedy lives on in German Televisi- den, der als eine speziellere Form begriffen wird und
on«. In: The Guardian. 31.12.2002. http://www. »ethische und wirkungsästhetische Dimensionen um-
theguardian.com/media/2002/dec/31/broadcasting. faßt« (Lohse 2004, 282). Dies macht sich auch in der
germany (30.8.2013). Benennung, u. a. der Zeitschriftenserie Humoresques
Jones, George/Helm, Toby: »Blair is the David Brent of oder der Académie de l’humour français bemerkbar,
Downing Street, taunts Cameron«. In: The Telegraph.
wobei das terminologische und methodologische
29.6.2006. http://www.telegraph.co.uk/news/
uknews/1522571/Blair-is-the-David-Brent-of-Downing- Konkurrenzverhältnis oftmals nicht ausreichend re-
Street-taunts-Cameron.html (30.8.2013). flektiert wird. Die Herausgeber des ersten Bandes von
Knop, Karin: Comedy in Serie. Medienwissenschaftliche Per- Humoresques begründen die Präferenz des Begriffs
spektiven auf ein TV-Format. Bielefeld 2007. ›Humor‹ mit der simplen Feststellung des »l’usage ac-
Mielke, Christine: »Couples and Friends. Comic Strategies tuel« und aufgrund des »sens général de ›ce qui est des-
and Social Structures in German and American Comedy
Series«. In: Gaby Pailer u. a. (Hg.): Gender and Laughter.
tiné à faire rire ou sourire‹« (Stora-Sandor 1989, o. S.).
Comic Affirmation and Subversion in Traditional and Mo- L. Pirandello bspw. nähert sich innerhalb seiner
dern Media. Amsterdam/New York 2009, 285–296. theoretischen Ausführungen der Unterscheidung
Moran, Albert: Moran’s Guide to Australian TV Series. North zwischen Komik und Humor differenzierter und de-
Ryde 1993. finiert »umorismo« als »sentimiento del contrario«
Morreale, Joanne (Hg.): Critiquing the Sitcom. A Reader. Sy-
und »il comico« als ein avvertimento del contrario«
racuse, N. Y. 2004.
Neale, Steven/Krutnick, Frank: Popular Film and Television (Pirandello 1994, 116). So werden sowohl Humor als
Comedy. London/New York 1990. auch Komik für ihn durch einen Widerspruch oder
Newcomb, Horace (Hg.): Encyclopedia of Television. 4 Bde. Kontrast definiert. Während dieser jedoch im Falle
New York/London 22004. der Komik durch eine aufzulösende (und damit tem-
Roters, Gunnar/Klingler, Walter/Gerhards, Maria (Hg.): poräre) Wahrnehmung gekennzeichnet ist, ist der Hu-
Unterhaltung und Unterhaltungsrezeption. Baden-Baden
mor eher als Lebensgefühl zu verstehen, dem eine ge-
2000.
Savorelli, Antonio: Beyond Sitcom: New Directions in Ame- wisse Widersprüchlichkeit inhärent ist. Beide Phäno-
rican Television Comedy. Jefferson, N. C. 2010. mene sind damit vom Rezipienten und dessen Be-
Schmidt, Axel: »Aggressiver Humor in den Medien – am obachtung bzw. Empfindung abhängig (vgl. ebd.).
Beispiel der Fernseh-Comedy-Show TV Total«. In: Medi- Ähnlich verhält es sich im Spanischen, wo ebenfalls
en & Kommunikationswissenschaft 50. Jg., 2 (2002), 195– oftmals von ›humorismo‹ als Oberbegriff ausgegan-
226.
Schumacher, Gerlinde/Hammer, Daniela: »Humorsendun- gen wird, welchen R. Gómez de la Serna folgenderma-
gen im Fernsehen: Angebot, Nutzung, Anforderungen«. ßen definiert: »la comprensión elevada del humoris-
In: Media Perspektiven, 12 (2000), 562–573. mo que acepta que las cosas pueden ser de otra mane-
Sommer, Roy: Von Shakespeare bis Monty Python. Eine ra y no ser lo que es y ser lo que no es. El acepta que en
transmediale Gattungsgeschichte der englischen Komödie la relatividad del mundo es posible lo contrario, aun-
zwischen pragmatischer Poetik und generischem Gedächt-
que eso sea improbable por el razonamiento« (Gómez
nis. Trier 2011.
Steinert, Heinz: Die Entdeckung der Kulturindustrie oder: de la Serna 1930, 351). B. Santana López, die sich auf
Warum Professor Adorno Jazz-Musik nicht ausstehen komiktheoretische Translationsanalysen spezialisiert
konnte. Münster 2003. hat, sensibilisierte im Spanischen neben ›humorismo‹
für einen weiteren Begriff mit Relevanz, nämlich ›gra-
Ingo Berensmeyer
cias‹, der physische, psychische und situative Aspekte
und mehrere Bedeutungskonnotationen des Deut-
schen (u. a. Witz, Drolligkeit, Spaß, Anmut und Gna-
27.3.10 Komische Formate im Fernsehen
de) in sich vereint (vgl. Santana López 2012, S. 128 f.).
(Frankreich, Italien, Spanien)
Der folgende Artikel befasst sich schwerpunktmäßig Frankreich
mit komischen Formaten im französischen Fernsehen, Bereits Baudelaire verweist in seinen Ausführungen
zudem werden auch einige aktuelle spanische und ita- De l’essence du rire (1855) auf die zynische Seite
lienische Tendenzen beleuchtet. Dies erfordert zu- menschlichen Lachens (»Le rire est satanique, il est
nächst eine Sensibilisierung für unterschiedliche De- donc profondément humain«, Baudelaire 1962, 282)
380 III Mediale Formen des Komischen

und bezeichnet eine Form des satanischen Lachens als Bearbeitungsmöglichkeiten des Mediums sowie die
»raillerie significative française« (ebd., 260), womit er Formbarkeit des Bildes ausnutzen und sich provokati-
auch explizit auf die Satire verweist. Sollte man fran- ven, surrealistischen Humors bedienen wollte: Les
zösische Komik anhand ihrer typischen Besonderhei- Raisins verts (RTF 1963–1964) (der Titel bezieht sich
ten prägnant zu beschreiben versuchen, könnte ihr so- auf ein biblisches Gleichnis Ezechiels, in welchem
mit die Vorliebe für eine inhärente Form des Zynis- ›saure Trauben essen‹ ein Synonym für die Ernte [un-
mus’ sowie intellektuellen, abstrakten und derben Hu- genießbarer] Früchte infolge schlechter Taten steht).
mors mit verdeckten Anspielungen und Wortspielen Als das Format auf Sendung geht, überrascht nicht
nachgesagt werden. Und somit ist es vielleicht auch nur die technische Realisierung (Spezialeffekte, Bild-
nicht verwunderlich, dass frühe Fernsehkomik, ähn- und Video-Überlagerungsmodi, Abwesenheit eines
lich der antiken Tradition, deren auffälligstes Merk- Moderators), sondern auch der ungewohnt pole-
mal die starke Bindung an die Politik darstellte, sich mische, subversive Humor sowie provokative Einspie-
v. a. satirisch gegen Obrigkeiten und gesellschaftliche ler, welche harsche Reaktionen der Öffentlichkeit und
Missstände richtet (vgl. Leeds 1989, 161 f.; 165 f.). Es eine Medienhetzkampagne, v. a. seitens des Printma-
kann also auch im 20. Jh. diese von Baudelaire propa- gazins Télé 7 jours und der Fernsehzeitschrift Téléra-
gierte typische französische »Spottsucht« (1977, 302) ma, hervorrufen: die Sendung sei ›dumm und böse‹
innerhalb der Fernsehlandschaft beobachtet werden. (»jeu bête et méchant avec Professeur Choron« nennt
La Boîte à sel (RTF, 1955–1960) war die erste Sati- sich eine Kategorie innerhalb der Sendung, in welcher
resendung, welche in schwarz-weiß übertragen und absurde oder grobe bis anstößige Spiele vorgestellt
von J. Grello, R. Rocca sowie P. Tchernia produziert werden). Die Kritiker werfen dem Format vor, zu in-
und präsentiert worden war (vgl. Royer 2006). Zahl- fantile, zu sadistische und letztlich auch zu intellek-
reiche französische comédiens waren in Gastrollen tuelle Formen als komisch und subversiv zu verkau-
politischer Sketche zu sehen. Zum Eklat kam es, als fen. So sieht man beispielsweise ein Interview mit zu-
sich die Produzenten gegen die gängige Zensur aus- künftigen Selbstmördern auf dem Eiffelturm, ›ein
sprachen. Seit 1950 war es im gesamten französischen Säugling‹ wird in H. Hoffmanns-Manier durch eine
Staatsgebiet möglich, Fernsehen zu empfangen, das Mühle gemahlen und eine Ballerina tanzt nur aus ei-
auch explizit erzieherische Aufgaben verfolgte und nem Grund: um den scharfen Klingen einer Schere
v. a. in der Präsidentschaftszeit Ch. de Gaulles (1958– auszuweichen.
69) durch strenge Kontrolle markiert wurde: »La Diese Inkongruenz, die ›Tarnung‹ einer harmlosen
presse est contre moi, la télevision est à moi« (Jeanne- Varieté-Sendung, verknüpft mit ungewohnter Visua-
ney 1996, 285). Das Ausmaß dieser Kontrolle beka- lisierung und bitterbösem, subversivem Humor, dem
men die Macher von La Boîte à sel zu spüren, als sie nichts heilig zu sein scheint, wirkt in diesem Fall nicht
sich weigerten, eine Sendung mit Inhalten zum Alge- komisch im erheiternden Sinne, sondern verwirrte ei-
rienkrieg zensieren zu lassen und diese daraufhin nen großen Teil der Zuschauer und ließ sie ratlos zu-
freiwillig einstellten. rück. Doch auch positive Stimmen melden sich zu
In der Folge waren im französischen Fernsehen Wort: Der französische Filmkritiker und Historiker J.
keine satirischen, aber auch generell keine explizit ko- Siclier bezeichnet den Ansatz der Sendung als ein aus
mischen Formate zu sehen, stattdessen gewannen Va- den USA importierter »ésprit de second degré« (Si-
rietéshows mit Einflüssen von Cabaret und Music Hall clier 1963, 7) und Averty selbst spricht von »un mani-
(wieder) an Konjunktur (vgl. Papin 2008, 130). Sinn- feste contre la bêtise universelle« (Averty 1963, 7);
bild für diese Art der Unterhaltung ist v. a. die Sen- dennoch nützte alles nichts: nach nicht einmal einem
dung La Grande Farandole (1961–1970, RTF bzw. Jahr wurde die Show im Juli 1964 abgesetzt.
ORTF), ausgestrahlt einmal monatlich im Mittwoch- Von 1982–1995 lief auf TF1 die Bébête Show, eine
abendprogramm, die sehr beliebt war und sich launi- äußerst beliebte parodistische Adaption (Marktanteil
ger und harmloser Komik zur Unterhaltung der gan- zwischen 15–36 %) der US-amerikanischen Comedy-
zen Familie bediente. serie The Muppet-Show. Den Hauptcharakteren des
1963 ging ein weiteres Format auf Sendung, das Vorbilds (Kermit, Miss Piggy, Fozzy Bear) wurden
aufgrund der Aussagen seines Machers J.-Chr. Averty Puppenpendants aktueller politischer Akteure zuge-
gespannt erwartet wurde: Versprochen wurde eine in- wiesen (bspw. Kermitterand alias F. Mitterand, Mar-
novative Varietésendung mit genretypischen Sket- chie alias G. Marchais, Barzy alias R. Barre). Die drei-
chen, Songs und Balletteinlagen, welche aber auch die einhalb-sechsminütigen Clips waren Bestandteil un-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 381

terschiedlichster humoristischer Formate, bspw. Co- Setting und die Struktur sind stets identisch: Es wird
Co Boy. Die Absetzung erfolgte aufgrund wachsender ein Telefonat mit einem Kundendienstmitarbeiter si-
Konkurrenz zu der genreverwandten satirischen muliert und das Gespräch der beiden Protagonisten in
Nachrichtensendung Guignols de l’info (Canal Plus wechselnden Rollen durch ›Service après-vente, bon-
seit 1988), welche auch die Populärkultur mitein- jour‹ eingeleitet. Vous les femmes (Téva, 2007–2011) ist
bezog: Neben politischen Akteuren werden auch an- eine der erfolgreichsten Mini-Sketchcomedy-Serien
dere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als der letzten Jahre und ein Exportschlager: Die beiden
Gummipuppen dargestellt und karikiert; im Vergleich Protagonistinnen (und gleichzeitig auch Produzen-
zu ihr wirkte die Bébête Show in ihrer Ausrichtung zu tinnen) J. Siboni und O. Côte stellen in zweiminütigen
altmodisch (vgl. Behrmann 2002, 78–92). Durch die Folgen stereotypisch überzeichnet Frauen (bspw. eine
Überzeichnung und Verformung der Charaktere in nymphomanische Anwältin) zwischen 25–35 Jahren
Guignols de l’info teilt dieser mediale Evergreen die se- in Alltagssituationen dar, welche plötzlich ins Absurde
miotischen Eigenschaften ihres graphischen Vorbilds, kippen. Die Show wurde in mehr als 20 Länder ver-
der Karikatur: das Puppenspiel fungiert sozusagen als kauft und bspw. in Skandinavien, Kanada und Russ-
Feder des Zeichners (vgl. Jost 2008, 26). land ausgestrahlt.
Qui va m’aimer (Canal Plus, 1998–1999), ein Spin- Seit 1992 läuft die äußerst beliebte Dramödien-Se-
off der Sketchserie Les Deschiens (Canal Plus, 1993– rie Une famillie formidable (TF1), welche dramatische
2002), war eine der ersten komischen Miniserien, wel- und komische Elemente integriert. Eine Besonderheit
che sich am Konzept der Seifenoper anlehnte. Ko- hierbei stellt die Tatsache dar, dass sich bis im Jahr
mische Effekte wurden durch Wiederholung (immer 2008 keine Veränderungen in der Besetzung voll-
gleiches Setting und dieselben Darsteller), interme- zogen.
diale Referenz (Protagonisten der Bezugsserie) sowie Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ko-
Diskrepanz zum Genremodell ›Seifenoper‹ hervor- mische Fernsehformate in Frankreich eine gewisse
gerufen: »Ce comique est notamment lié à l’incon- Vorliebe für Satire, Mini-Formate und eine Lust am
gruité de retrouver les Deschiens, personnages de la Seriellen aufweisen. Nichtsdestotrotz finden sich da-
série éponyme, dans un autre milieu diégétique mais neben, v. a. aktuell, auch alle weiteren genretypischen
avec les mêmes attitudes et le même caractère que Comedy-Formate (Comedy-Shows und -serien sowie
dans la série initiale« (Duret-Pujol 2014, 105). Sitcoms, französische Produktionen (z. B. Les Invinci-
Von 2005–2009 lief die erfolgreiche Mini-Serie bles (ARTE, 2010) und Ableger aus dem Ausland), die
Kaamelot (M6), welche ein Genremix aus Mittelalter- v. a. aus dem angelsächsischen Raum bekannt sind.
Fantasy und Comedy darstellt und die Artuslegende
parodistisch neu erzählt. Zweimal in der Woche kurz Spanien und Italien
vor der Prime-Time sowie am Wochenende im Best- Die humoristische spanische Fernsehlandschaft cha-
off wurden die zunächst dreieinhalbminütigen Epi- rakterisiert A. S. Losada als »cediendo terreno a diver-
soden ausgestrahlt und erreichten dabei Zuschauer- sos tonos humorísticos basados en un amplio arco,
zahlen von bis zu fünf Millionen. Die Serie operiert desde la parodia hasta la pantomima, pasando por el
nicht mit visuellen Gags oder Slapstickeinlagen, statt- sarcasmo, la ironía, el chiste y la sátira« (Losada 2010,
dessen entsteht eine komische Inkongruenz durch die 61). Die Vorliebe für sarkastische, satirische und paro-
Ernsthaftigkeit der Protagonisten gepaart mit deren distische Formate ist in historischer Hinsicht ohne
eigentlichem Nicht-Wissen bezüglich ihrer Aufgabe. Zweifel vergleichbar mit Frankreich an politische Um-
Zudem erzeugen das originalgetreue und scheinbar stände gebunden: Im Jahr 1956, der Geburtsstunde
authentische Mittelaltersetting, welches durch zeitge- des spanischen Fernsehens, herrschte Franco, der mit-
nössische Alltagssprache konterkariert wird, running- tels Zensur jegliche Ausstrahlungen kontrollierte. Der
gags und generell Wiederholung komische Effekte Vorliebe für monologische oder dialogische Sketche
(vgl. Schrader 2011,123–133). und Gags, »los dos moldes humorísticos más emplea-
SAV des émissions (Canal Plus, 2005–2012) war fes- dos en nuestro país [y] un modelo narrativo elemen-
ter Bestandteil der Nachrichtensendung Le Grande tal« (Sangro/Salgado 26, 28), die das komische Unter-
Journal. In der Mini-Sketchcomedy werden tages- haltungsprogramm der ersten Fernsehjahrzehnte do-
aktuelle Geschehnisse in zweieinhalbminütigen Ein- minierten, ist das spanische Publikum treu geblieben
spielern durch die beiden Hauptprotagonisten (O. Sy – große und jahrelange Erfolge feierten beispielsweise
and F. Testot) humorvoll bis absurd kommentiert. Das die ›pícaros‹ (s. Kap. 26.1.3) Tip y Coll (zwischen
382 III Mediale Formen des Komischen

1967–1995) und das Comedy-Duo Cruz y Raya (zwi- »Duopol« (ebd.) kontrolliert werden. Trotz inhalt-
schen 1987–2007), andere einflussreiche Vertreter im licher Eingriffe der Programmverantwortlichen schaf-
Bereich Fernsehkomik, die auch Sozialkritik und Sati- fen es die Sendungen Blob, di tutto di più (Rai 3) und
re salonfähig machten, waren und sind bspw. El Gran Striscia la notizia (Canale 5) seit 1989 zumindest par-
Wyoming, A. Buenafuente und M. Fuentes. tiell auf tagespolitische Ereignisse in ironisch bis sati-
Das aktuelle Programm wird, neben internationa- rischer Weise einzugehen. Auch in Italien wird Info-
len komischen Ablegern, hauptsächlich durch Realiy- tainment groß geschrieben: Glob. L’ osceno del villaggio
Formate geprägt, J. M. Contreras konstatiert: »von hu- (Rai 3, seit 2005 mit zweijähriger Unterbrechung zwi-
morigen Formaten im Allgemeinen zu sprechen, wird schen 2010–2012) fungiert als Metakommentar der
immer schwieriger« (»hablar de formatos de humor Massenmedien indem »deren Mechanismen und
resulta cada vez mas dificil«), da es keine Konventio- Nonsens« (ebd., 30) durch Studiointerviews im Varie-
nen und Richtlinien mehr gebe (»las convenciones téformat, welche durch ironische Kommentare aus
han muerto en television«, Contreras 2008, 21). Diese dem Off gerahmt, konterkariert werden (vgl. ebd.).
Offenheit für neue Formate sei v. a. stilbildend gewe- Weitere aktuelle Formate sind beispielsweise die Co-
sen für das Comedyformat Sé lo que hicisteis... (La Sex- medyserie Don Matteo (Rai 1 seit 2000) mit Action-
ta, 2007–2009), eine tägliche Satiresendung, die die Star T. Hill (alias M. Girotti) in der Hauptrolle eines
Medienlandschaft auf der Metaebene karikierte und Priesters, der neben seiner göttlichen Berufung ne-
gezielt auf sarkastische Formen zurückgegriff; Con- benbei Kriminalfälle aufklärt. Einflüsse des Varietés
treras geht sogar soweit, von einem neuen Genre zu finden sich in der Game-Show Ciao Darwin (Canale
sprechen, das als sarkastische Stimme des sozialen 5), die in unregelmäßigen Abständen seit 1998 aus-
Gewissens verstanden werden konnte (»este progra- gestrahlt wird, 2016 in die siebte Edition geht und ein
ma de la Sexta inventó un género nuevo, el del humor italienischer Exportschlager ist. Der Titel verweist in
frente al sarcasmo. Es decir, devolver la descarga eléct- parodistischer Anspielung auf Darwins Evolutions-
rica a quien aplica la tortura. De nuevo, el humor co- theorie indem verschiedene Fähigkeiten der Teilneh-
mo justiciero social«, ebd.). merInnen (so u. a. Gesang, schauspielerisches Talent,
Ein aktueller Trend liegt v. a. in der Kombination Verkleidungs-/Travestieshoweinlagen) in Wettbewer-
aus Entertainment und Information – kurz Infotain- ben auf die Probe gestellt werden, oftmals mit dem
ment – und satirischem Pseudojournalismus. Als cha- Ziel KandidatInnen zu verlachen, und somit einen Se-
rakteristisch für diese Form der Unterhaltung kann in lektionsprozess zu simulieren.
Spanien bspw. die Sendung Noche Hache (Cuatro Zusammenfassend lässt sich neben oben erläuter-
2005–2008), eine als seriöse Nachrichtensendung ge- ten aktuellen Tendenzen im Hinblick auf Italien und
tarnte (»un programa de humor disfrazado de infor- Spanien, ähnlich wie im Rest Europas, eine Hybri-
mativo«, Gómez 2005) spanische Comedy-Show an- disierung von TV-Genres feststellen, wobei eine
gesehen werden. Zugleich war es die erste spanische transnationale Serienkultur im Hinblick auf komische
Late-Night-Show, die von einer Frau – Namensgebe- Formate und eine Vorliebe zur Adaption erfolgreicher
rin E. Hache – moderiert wurde, unterstützt durch R. US-amerikanischer Vorlagen konstatiert werden
Collins-Moore, der bereits in Monty-Python-Produk- kann.
tionen mitgewirkt hatte. M. Sánchez-Romero, der
Produzent des Formats, ist ebenfalls für die erfolgrei- Literatur
che Satiresendung El intermedio (La Sexta) verant- (Produktions- und Sendedaten einzelner Serien und Folgen
wortlich, welche seit 2006 ausgestrahlt und von El sind aus der französisch-, spanisch-, italienischsprachigen
und deutschen Wikipedia übernommen und wurden mit
Gran Wyoming wird.
den Angaben in der Internet Movie Database sowie, wenn
Die »italienische Anomalie« (Amico di Meane möglich, mit den entsprechenden Angaben in einschlägi-
2009, 26) basiert auf der dualen Organisation des gen Handbüchern abgeglichen.)
Fernsehsystems, in welchem sich seit den 1980er Jah- Amico di Meane, Isabella: La satira politica in televisione:
ren drei öffentlich-rechtliche Programme (Rai) und possibilità e limiti di un genere. Un confronto tra Germania
einige private Sender in Italien gegenüberstehen, wo- e Italia [Fernsehsatire. Möglichkeiten und Grenzen eines
Genres im deutsch-italienischen Vergleich. Grenzen und
bei erstere seit jeher unter dem Einfluss der Politik ste- Möglichkeiten eines Genres]. Frankfurt a. M. 2010.
hen, letztere von der Fernseh-Sendergruppe Mediaset Averty, Jean-Christophe: In: Télélrama 716. 6 Oktober 1963,
dominiert werden, welche wiederum der Berlusconi- 7; zitiert nach: Papin, Bernard: »L’ Humour sinistre des
Familie gehört und die Inhalte somit über einen Raisins verts (Averty)«. In: Humoresques. Grand Écran
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 383

– Petit Évran. Comique télévisuel – Comique filmique 28. Comique télévisuel – Comique filmique 28. Jg., 3 (2008),
Jg., 3 (2008), 131–144. 139.
Baudelaire, Charles: »De l’essence du rire et généralement, Stora-Sandor, Judith: »Presentation«. In: Humoresques. L’ hu-
du comique dans les arts plastiques« [1855]. In: Henri Le- mour d’expression française 1. Jg., 2 (1989), o. S.
maître (Hg.): Curiosités esthétiques; L’ art romantique et
autres œuvres critiques de Baudelaire. Paris 1962, 241–263. Julia Paganini
Baudelaire, Charles: »Vom Wesen des Lachens und all-
gemein von dem Komischen in der Bildenden Kunst«
[1855]. In: ders.: Sämtliche Werke/Briefe. Bd. 1. Hg. von 27.4 Komische Formen im Rundfunk
Friedhelm Kemp/Claude Pichois. München/Wien 1977,
284–305.
Behrmann, Sven: Politische Satire im deutschen und französi- Komik und Radio haben eines gemeinsam: ihre Theo-
schen Rundfunk. Würzburg 2002. rie ist über viele Disziplinen verstreut, definiert ihren
Contreras, José Miguel: »Prólogo«. In: Alejandro Salgado/ Gegenstand sehr unterschiedlich und thematisiert ihn
Pedro Sangro (Hg.): El entretenimiento en TV: Guión y in sehr verschiedenen Ausschnitten (vgl. Kleinsteuber
creación de formatos de humor en España. Barcelona 2008, 2012, 39 ff.). Auf der anderen Seite steht radio comedy
19–23.
Duret-Pujol, Marie: »Rire des pauvres ou faire rire les pauv-
zumindest im englischsprachigen Raum für klar de-
res? Les rires des ›Deschiens‹«. In: Humoresques. Le rire du finierte Genres und Formate, die den Hörer erheitern
pauvre 40. Jg., 4 (2014), 101–114. oder zum Lachen bringen sollen. Da der Begriff come-
Gómez de la Serna, Ramón: »Gravedad e importancia del dy allerdings in Deutschland seit den 1990er Jahren in
humorismo«. In: Revista de Occidente 84. Jg, (1930), 348– einer diffusen Bedeutung im Gebrauch ist, soll hier
391.
der Begriff ›Radiokomik‹ für das untersuchte Phäno-
Gómez, Rosario G.: »Cuatro emitirá en la medianoche el
informativo de humor ›Noche Hache‹«. In: El País. men stehen. Der Zweck von Radiokomik ist nach dem
15.10.2005, http://elpais.com/diario/2005/10/15/ Selbstverständnis der Sendeanstalten hauptsächlich
radiotv/1129327201_850215.html (11.11.2015). ›Unterhaltung‹ (entertainment, divertissement). Satiri-
Jeanneney, Jean-Noël: Une histoire des médias des origines à sche und auf aktuelle Themen bezogene Komik wird
nos jours. Paris 1996. manchmal auch der ›kommentierenden Funktion‹ des
Jost, François: »Peut-on etre drôle à l’insu du public (Paro-
Mediums zugeschlagen. Neben ›unterhaltsamer‹ (d. h.
dies, pastiches et faux télévisuels) »?. In: Humoresques.
Grand Écran – Petit Évran. Comique télévisuel – Comique leichter, entspannender) Musik produzierten Radio-
filmique 28. Jg., 3 (2008), 17–30. sender von Anfang an humoristische Wortprogram-
Leeds, Christopher: »Humour français et humour britanni- me: vom ›Bunten Abend‹ der Weimarer Zeit zum Ka-
que«. In: Humoresques. L’ humour d’expression française 1. barettmagazin der 1990er Jahre, von Sketchen und
Jg., 2 (1989), 161–167. Witzvorträgen der Radio-Frühzeit zu einminütigen
Lohse, Rolf: »Bretons schwarzer Humor und die Académie
de l’humour français«. In: Losada, Alejandro Salgado: Comedyschnipseln in den formatierten Fließpro-
»Actualidad, humor y entretenimiento en los programas grammen von heute. Radiokomik findet dabei fast im-
de televisión: de la terminologia a la realidad profesional«. mer in eindeutigen Rahmungen statt – ob nun eine
In: Trípodos 27. Jg. (2010), 59–73. ganze Sendung entsprechend betitelt und angekün-
Ludger Scherer/ders.: Avantgarde und Komik. Amsterdam/ digt wird oder ob sogar eine ganze Radiowelle dem
New York 2004, 282–296.
Hörer in Moderation, akustischem Layout und Come-
Papin, Bernard: »L’ Humour sinistre des Raisins verts (Aver-
ty)« In: Humoresques. Grand Écran – Petit Évran. Comique dy-Einspielern zu erkennen gibt, dass gelacht werden
télévisuel – Comique filmique 28. Jg., 3 (2008), 131–144. darf und soll.
Royer, Michel: Comiques et présidents. Paris 2006; 52 min.
Pirandello, Luigi: L’ umorismo e altri saggi [1908]. Hg. v. En-
rico Ghidetti. Florenz 1994. 27.4.1 ›Radiokomik‹
Santana López: Lachen – Humor – Komik: Eine systematische
Interkulturalitätsanalyse. Deutsch und Spanisch. Berlin
Die Phänomene der Radiokomik sind Teil einer Ge-
2012. schichte der Produktion und Rezeption von Komik in
Schrader, Sabine: »Zur Serialität des Komischen in der fran- den Massenmedien. Sie prägen Genres, die Fernsehen
zösischen Fernsehserie Kaamelot«. In: Jörg Türschmann/ und Internet später mit ihren Mitteln fortsetzen. Als
Birgit Wagner (Hg.): TV global. Erfolgreiche Fernsehforma- ›Radiokomik‹ im engeren Sinne lassen sich komische
te im internationalen Vergleich. Bielefeld 2011, 121–142.
Formen bezeichnen, die technische Gegebenheiten
Siclier, Jacques. In: Télélrama 7; 6 Oktober 1963; zitiert nach:
Papin, Bernard: »L’ Humour sinistre des Raisins verts des Hörfunks ausnutzen. Visuelle Komik entfällt, die
(Averty)«. In: Humoresques. Grand Écran – Petit Évran. Produzenten sind auf Stimme, Geräusche und Musik
angewiesen. Die Produktions- und Rezeptionsbedin-
384 III Mediale Formen des Komischen

gungen des Mediums wirken sich ebenfalls aus. Schon gebot meist national oder regional geprägt. Die von
im Unterhaltungstheater des 19. Jh.s gab es ›Autoren- der empirischen Medienforschung gestützte Ausrich-
firmen‹, die Komödien am laufenden Band lieferten. tung auf Zielgruppen differenziert Themen und For-
Ein Radioprogramm wird in der Regel aber noch sel- men weiter: auf dem Seniorensender plaudert ein Hu-
tener aufgeführt als ein Bühnenprogramm oder ein morist in Mundart über Männer und Frauen, der In-
Theaterstück. Autoren und Darsteller müssen in kur- fokanal sendet satirische Glossen zur Tagespolitik, auf
zen Abständen neues Material produzieren. Das se- der Jugendwelle schießt der Moderator Oneliner-
rielle Herstellen von Komik wird endgültig zum Be- Gags zu Popstars und Social Media ab. Wer sich von
ruf. Die Autoren perfektionieren rhetorische Rou- Kapstadt nach Helsinki oder von Djakarta nach San
tinen, mit denen sich fortwährend Handlungen, Figu- Francisco durch die Sender schaltet, trifft auf eine
ren und Pointen herstellen lassen – unterstützt von Vielfalt von regionalen und sozialen Radiokomikvari-
Ratgebern und Handbüchern (vgl. Dachselt/Schwarz/ anten, die eigene Untersuchungen rechtfertigen wür-
Sprang 2003). Thematisch kommt das Medium den den. Was hier zur Radiokomik gesagt wird, gilt v. a. für
Vielschreibern entgegen: Radio verbreitet Nachrich- das deutschsprachige Radio – mit Seitenblicken auf
ten, Klatsch und andere Aktualitäten, auf die sich die die englischsprachige Radiowelt, in der die Genres der
Humoristen beziehen können. Improvisierte Kom- Radiokomik geprägt wurden und bis heute am stärks-
mentare und aktuelle Pointen gibt es auch auf der ten ausgeprägt sind (s. Kap. 27.4.4).
Bühne, aber erst im Hörfunk werden sie zu zentralen Das Radio ist ein flüchtiges Medium. Vor allem für
Trägern der Komik. Einfluss auf die komischen For- die Frühzeit bis in die 1940er Jahre sind Tondokumen-
men im Radio hat schließlich die zeitversetzte Rezep- te nur spärlich vorhanden. Wir wissen nicht, wie es
tion. Nicht Gelächter oder Schweigen zeigen dem Ko- klang, die meisten Befunde beziehen sich auf gedruck-
mikproduzenten, ob sein Humor ankommt, sondern te Dokumente wie Programmzeitschriften, Kritiken,
Briefe und E-Mails, Einschaltquoten und am greif- Hörerreaktionen und Protokolle. Auch später archi-
barsten eine Wirkung, die man heute ›viral‹ nennt. vieren Radiosender nicht alles, was sie senden. Das
Die Pointen und Sprüche erfolgreicher Radiokomik Deutsche Rundfunkarchiv hat keinen so umfassenden
verbreiten sich unter den Fans und gehen im besten Auftrag wie die Deutsche Nationalbibliothek. Und wo
Fall sogar in die Umgangssprache ein. Und die Produ- einerseits Mangel herrscht, sorgen andererseits die
zenten streben diesen Effekt bewusst an: ein auffälliges vielen öffentlich-rechtlichen und seit den 1980er Jah-
Stilmittel der Radiokomik sind catchphrases, prägnan- ren auch privaten Hörfunkwellen für einen Überfluss
te Wendungen, die ursprünglich Figuren oder Rollen an Material. Es ist kaum möglich, einen Überblick
charakterisieren, sich aber aus dem Zusammenhang über die humoristische Produktion zu behalten.
lösen und zu Markenzeichen von Komikformaten
werden.
27.4.2 Komik im deutschsprachigen Radio
Stimme, Geräusch, Musik: Die elementaren Mittel
der Radiokomik mögen über die ganze Welt verbreitet Am 29. Oktober 1923 nimmt die Berliner Funkstunde
sein, ihre konkreten Ausprägungen unterscheiden mit diesen Worten den Sendebetrieb auf: »Wir bringen
sich erheblich voneinander. Wo das Radio eine staat- die kurze Mitteilung, dass die Berliner Sendestelle
lich gelenkte Veranstaltung ist, kommen aktuelle sati- Voxhaus mit dem Unterhaltungsrundfunk beginnt«
rische Formen gar nicht oder nur zu Propagandazwe- (Koch/Glaser 2005, 11). Unterhaltung bedeutete v. a.
cken vor. Aber auch öffentlich-rechtliche Sender dür- Tanzmusik, das Wortprogramm sollte nach der Vor-
fen nur senden, was ihrem gesetzlichen Auftrag nicht stellung der ersten deutschen Radiomacher hingegen
widerspricht – aggressiver Humor auf Kosten politi- in erster Linie der Bildung und Belehrung dienen,
scher und religiöser Bekenntnisse oder von Minder- doch bei den Hörern war insbesondere das unterhalt-
heiten fehlt dort weitgehend. Die ökonomischen und same Wort sehr beliebt. 1924 landeten bei einer frühen
gesellschaftlichen Ziele der Sender haben ebenfalls Umfrage mit dem Titel ›Was hören Sie am liebsten?‹
großen Einfluss auf die Radiokomik. Wer möglichst ›Humor‹ und ›Kabarett‹ weit vorne (vgl. ebd., 21). Die
viele Hörer erreichen will, kultiviert einen mehrheits- waren im Programm hauptsächlich in Gestalt von
fähigen Humor. Das schließt eine allzu derbe oder in- ›Bunten Abenden‹ vertreten, das waren Aufzeichnun-
tellektuell fordernde Komik aus. Und da Radio immer gen von Veranstaltungen mit Chansons, Conférencen
noch größtenteils ein nationales, und häufiger sogar und humoristischen Vorträgen. Außerdem sendete
ein regionales Medium ist, ist auch das Humoran- man Theateraufzeichnungen und Gedichtlesungen im
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 385

Radio, und auch da schätzten die Hörer nach Umfra- Nach dem Krieg bleibt es in der Sowjetischen Be-
gen v. a. Komödien und heitere Lyrik. Die Programm- satzungszone und später in der DDR beim Staats-
verantwortlichen sahen in der Unterhaltung eher ein rundfunk. Die ›Bunten Abende‹ oder auch Nach-
notwendiges Übel, um das wertvollere Informations- mittage mit unpolitischen humoristischen Beiträgen
und Bildungsprogramm schmackhaft zu machen. Die tauchten ebenso wieder im Radio auf wie das (mit be-
in Deutschland und Österreich bis heute beliebte Dis- merkenswerten Ausnahmen) staatsfromme Kabarett.
kussion über den Gegensatz von ›banaler‹ Unterhal- Im Westen formen die Besatzungsmächte dagegen ei-
tung und ›anspruchsvollen‹ Informationen oder Bil- nen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach dem Vor-
dungsinhalten in den Medien beginnt bereits in den bild der BBC. Offiziell staatsfern und der Meinungs-
1920er Jahren (vgl. Leonhard 1997). In den Vereinig- vielfalt verpflichtet – und mit der erklärten Absicht,
ten Staaten, wo das Radio von Anfang an ein kommer- die Deutschen zu Demokraten zu erziehen. Dabei
zielles Massenmedium war, gab es weniger Vorbehalte spielten Kabarettangebote wie die Berliner Wühlmäu-
gegen die Massenbelustigung. se beim RIAS eine große Rolle. Im ›Golden Zeitalter‹
Die Nationalsozialisten zerschlugen die pluralisti- des deutschen Radios (bis es vom Fernsehen 1960 ab-
sche Radiolandschaft Deutschlands und machten das gelöst wird) probierten die deutschen Radiomacher
Medium zum zentral gesteuerten Propagandainstru- außerdem Sendungsformate, die in den USA seit den
ment (vgl. Dussel 1999/2010, 73 ff.). ›Der Deutsche späten 1920er Jahren populär waren: Quiz, Talkshow
vergisst über dem Radio Beruf und Vaterland‹, hatte und – für den Komikforscher am relevantesten – Sit-
Goebbels schon 1925 konstatiert, das sollte sich nun Com und Radio-Comedy-Show. Die Hesselbachs von
ändern. Da aber Propaganda an sich langweilig ist, W. Schmidt war Deutschlands erste erfolgreiche Ra-
verpackten die Radiomacher des Dritten Reiches sie dio-SitCom, bevor sie ins Fernsehen abwanderte. Po-
in Unterhaltung: Tanzmusik, die anders als in der puläre Radiokomiker waren H. Erhardt und P. Fran-
Weimarer Zeit nun auch die Hauptsendezeit am kenfeld (vgl. Marchal 2004).
Abend dominierte und auch wieder die ›Bunten Das Radio verlor in den 1960er Jahren den Status
Abende‹, z. B. das Funk-Brettl, wo sich die Satire er- als Leitmedium und definierte sich neu als ›Begleit-
wartungsgemäß auf Pointen gegen Juden und andere medium‹, das man bei anderen Tätigkeiten nebenher
Volksfeinde (und später die Kriegsgegner) beschränk- hörte. Die Folge ist das Magazinradio, in dem es statt
te. Beim Frohen Samstagnachmittag aus Köln plauder- thematisch unterschiedener ›Sendungen‹ eine durch-
ten Hans, Rudi und Karl in verschiedenen Dialekten laufende Mischung von Musik und Wortbeiträgen
über Urlaubsreisen, ihre Frauen und Haarausfall (vgl. gibt. Längere Kabarett- oder Humorsendungen ent-
ebd., 91). Das war, wenn man Umfragen aus dieser fallen oder werden in die Randbereiche des Pro-
Zeit vertrauen darf, recht beliebt, eine Minderheit zog gramms am Abend und Wochenende geschoben. Im
im Krieg allerdings die deutschsprachigen Angebote Tagesprogramm, v. a. am Nachmittag, streut man ge-
der Feindsender vor. legentlich Sketche und Glossen ein. Die Komikprodu-
Die BBC brachte Frau Wernicke, die auf berlinerisch zenten entwickeln Formate, die auf diesen Typ Radio
über Kriegsnöte plauderte, und die Briefe des Gefreiten zugeschnitten sind: Rubriken und Miniserien mit ho-
Hirnschal an seine Geliebte Amalia. Hirnschal hält sich hem Geräuscheinsatz und wiedererkennbaren Figu-
eigentlich für einen braven Anhänger des Führers, ent- ren. Am konsequentesten betreibt das in den 1970er
larvt aber mit treuherzigen Schilderungen die Lügen Jahren die Pop- und Servicewelle SWF 3. Ihre Comi-
der Nazipropaganda: »Von meinem Regiment zum cals tauchen überall im Programm auf. Sie wirken prä-
Beispiel hat die Hälfte der Kameraden überhaupt keine gend auf das Komikangebot von Pop- und Jugendwel-
Schmerzen mehr« (Doll 1995, 197), schreibt Hirn- len sowie – ab Ende der 1980er Jahre – bei den Privat-
schal, und die Hörer dürften erraten haben, wie es ge- radios. Seit dieser Zeit bezeichnet man auch die meis-
meint war. Während der Briefschreiber im Grunde ten Formen Radiokomik als ›Comedy‹, v. a., wenn sie
sympathisch erscheint, treten die oberen Nazichargen im Formatradio auftaucht. Der Begriff Format bezieht
als lächerliche Figuren mit Namen wie Theoderich sich dabei nicht auf die Dramaturgie und Inhalte ein-
und Woldemar auf. Der Erfinder Hirnschals, der öster- zelner Sendungen, sondern auf die einheitliche akus-
reichische Kabarettist R. Ehrenzweig (später R. Lucas), tische Gestaltung des gesamten Programms einer Ra-
kommentierte diese Auftragssatire so: »Hirnschal war diowelle. Das Programm soll ›durchhörbar‹ sein, also
eine Waffe im Krieg, mir lag es nicht an irgendeiner li- ein einheitliches Gefühl (flow) verbreiten, das den Hö-
terarischen Bedeutung« (ebd., 205). rer daran hindert umzuschalten. Die Comedy-Ele-
386 III Mediale Formen des Komischen

mente werden kürzer, um den flow nicht zu unterbre- auf dem Meeresgrund. Das kann das Radio am besten
chen, und akustisch in den Klang der Welle eingepasst. – besser als der Film« (Mundy/White 2012, 84).
Komik breitet sich auch über eine betont ›witzige‹ Bis heute setzen Radiokomiker v. a. auf die Varian-
Tonlage der Moderatoren über das ganze Programm ten ihrer Stimme: das kann ein prägnanter Tonfall
aus – als anhaltende Partystimmung – eine Art Bach- sein, noch häufiger sind es Rollen (characters), die an
tinscher »Dauerkarneval« (vgl. dazu Schmidt 2008). ihren Spracheigenheiten und bestimmten Standard-
sätzen (catchphrases) zu erkennen sind und sich im
Komische Formen und Formate im Radio vor 1945 Erfolgsfall wirksam ins Gedächtnis der Hörer bren-
Zur Radiokomik im deutschsprachigen Raum gibt nen. Pioniere der genuinen Radiocomedy waren in
es wenig wissenschaftliche Literatur. Grundlegende den USA Ende der 1920er Jahre R. Knight, der als Pro-
Kategorien erörtert eher die englischsprachige For- fessor Ambrose Weens durch seine Show führte und
schung (vgl. z. B. Wertheim 1979; Mundy/White sich mit einem weiblichen Gegenüber, Mrs. Penny-
2012). Untersuchungen zur Rezeption von Radio- feather, über den Lauf der Dinge unterhielt. J. Benny
komik kommen am ehesten aus der Medienforschung, trat als eingebildeter Violinist auf, der von seiner Um-
die nicht selten bei den Sendern angesiedelt ist oder in gebung vorgeführt wird (weitere Beispiele bei Mundy/
deren Auftrag arbeitet. Es handelt sich meist um Ver- White 2012 und Wertheim 1979). In den 1930er Jah-
suche, die Humorpräferenzen der Hörer und die Hör- ren entwickelten die amerikanischen Radiokomiker
situation empirisch zu erfassen und daraus Empfeh- größere Komikformate (s. Kap. 27.4.3 und 27.4.4):
lungen an die Macher abzuleiten (vgl. Klinger/Roters/ Radio-Comedy-Shows, die das Prinzip von Bühnen-
Gerhards 2003, viele Studien entstehen auch für den shows, Varieté und ›Bunten Abenden‹ in das neue Me-
internen Gebrauch und werden nicht veröffentlicht). dium übersetzten. Typisch sind Conférencen und
Außerdem gibt es Praxishandbücher für Komikpro- Dialoge mit schnell aufeinanderfolgenden Pointen.
duzenten, die das Schreiben und Produzieren für das Dazu kommen oft Nebenfiguren, die mit den Modera-
Radio berücksichtigen (vgl. Dachselt/Schwarz/Sprang toren streiten, sich über sie lustig machen oder präg-
2003). nante Kommentare abliefern. Manchmal wird in die-
Die Vaudevillekomiker in den USA und die Kaba- sen Shows auch gesungen und musiziert oder mit Ge-
rettisten in Deutschland wussten, wie sie ein anwe- räuschen gearbeitet, manchmal treten Gäste auf. Das
sendes Publikum zum Lachen brachten – die Text- Grundkonzept liegt vielen erfolgreichen Sendungen
vorlage spielte eine Rolle, aber erst mit Kostümen, Re- im Radio und später im Fernsehen zugrunde. F. Allens
quisiten, Bewegungen und im Zusammenspiel mit Radioshow Town Hall Tonight (ab 1934 bei NBC) ist
den Zuschauern entstand die Komik. Man begann die Vorlage für Fernsehdauerbrenner wie die Saturday
deshalb im Radio mit der Übertragung von Komi- Night Live Show (RTL Samstag Nacht war in den
kerauftritten oder lud Livepublikum ins Studio ein. 1990er Jahren ein deutscher Ableger). Von diesen
Beides kann irritierend wirken, wenn der Hörer rät- Radioshows führen Fäden zur Muppet-Show, zu sämt-
selhafte Pausen und folgendes Gelächter einordnen lichen satirischen ›Late-Night‹-Formaten und zu
muss, zu dem ihm das Bild fehlt. Ein erfolgreicher Sketch-Shows im Fernsehen. Dem Hörer wird ein hu-
Radiokomiker richtet seine Performance nicht auf moristischer Mikrokosmos präsentiert. Der vertraute
unmittelbare Reaktionen aus, sondern muss wissen Humor der Gastgeber, die wiederkehrenden Typen
oder ahnen, was der Distanz zum Trotz (oder erst und das bekannte Setting schaffen eine Art ›Radiohei-
durch sie) komisch wirkt. In den ersten Jahren ge- mat‹ – Humor wurde sozusagen zu einer »Familien-
fährdete außerdem eine mangelhafte Tonqualität die angelegenheit« (Gelbart, zit. n. Kantor/Maslon 2008).
Verständlichkeit des gesprochenen Wortes im Radio. Auch in Deutschland war das Radio eine Famili-
Viele Bühnen- und Filmkomiker wie G. Marx, enangelegenheit, aber die Komik spielte dabei keine
St. Laurel und O. Hardy konnten mit dem neuen Me- so entscheidende Rolle. Die Sender waren nicht auf
dium nichts anfangen. Andere wie der Komiker F. Al- Massenerfolge angewiesen, die Macher schenkten
len erkannten seine Vorzüge und nutzten sie. Allen dem ›verschmähten Zauberstab‹ Unterhaltung wenig
klagte zwar über den Materialhunger des Radios, lob- Beachtung. Die Sendegesellschaften übertrugen
te aber seine Wirkung: »Gib ihnen [den Hörern] die ›Bunte Abende‹ – und zwar mit Livereportern, die ge-
richtigen Geräusche und Musik und ihre Fantasie wagtere Conférencen schon einmal einfach überspra-
wird für dich arbeiten ... eine Fliege, die das Empire chen (vgl. Leonhard 1997, 981). Die Sendungen hie-
State Building hochkrabbelt, Szenen im Weltall oder ßen Funk-Kabarett oder Funk-Brettl, aber das aktuelle
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 387

Berliner Avantgardekabarett der 1920er Jahre spielte feld war schon vorher als Bühnenkomiker aufgetreten,
keine Rolle. Ein zeitgenössischer Kritiker bemängel- u. a. bei der amerikanischen Truppenbetreuung. Er
te am Radiohumor »abgestandene[n] Vorkriegsulk, moderierte alles, was im weiteren Sinne unterhaltsam
Witze alt wie Methusalem und Chansons von ab- war und spielte dabei immer sein komisches Talent
grundtiefer Dämlichkeit und unerträglicher Süßig- aus. Aber er trat auch genuin in humoristischen Sen-
keit« (Tsiemka, zit. n. Leonhard 1997, 1015). Die Titel dungen auf: in Funk und Flax (HR, 1948–55) erzählte
der ›Bunten Radioabende‹ zeugen von einem herab- er einfach Witze, in Valsch ferbunden irritierte er Mit-
lassenden und verkrampften Umgang mit dem Hu- bürger mit Scherzanrufen – ein heute wieder sehr be-
mor: ›Heiteres Durcheinander‹ hieß das, oder sogar liebtes und durch häufige Nachahmung in Misskredit
›Bitte nicht zu schweres Programm! Heiterer Abend‹. geratenes Verfahren, Komik im Rundfunk zu erzeu-
Sicher war auch der Radiohumor in den USA harm- gen. Peters Bastelstunde (HR und NDR, 1948–78)
los und familientauglich, aber anders als in Deutsch- nannte P. Frankenfeld ›eine Sendung nur für Hörer
land verwandte man dort Talent, Zeit und Ressourcen mit Sinn für Albernheiten‹. Viele Hörer folgten P.
darauf, Komik und Humor dem Medium gemäß zu Frankenfeld gerne, wenn er sich in einer kleinen Run-
präsentieren. de in mäandernde, manchmal absurde Dialoge ver-
Eine interessante Ausnahme ist M. Lommel. Der strickte. Oft war das nur eine Aneinanderreihung von
Komiker sprach 1926 bei der Schlesischen Funkstunde bekannten Kalauern, aber für die Zeit (und für das
vor, wo F. Bischoff als Dramaturg ein vergleichsweise deutsche Radio) ungewöhnlich. Auch H. Erhardts
anspruchsvolles Unterhaltungsprogramm machte. NWDR-Sendung So was Dummes unmittelbar nach
Lommel durfte einen komischen Mikrokosmos für dem Krieg brachte neue humoristische Töne, bevor
die Funkstunde entwerfen: den Sender Runxendorf Erhardt ins Fernsehen und den Film abwanderte.
auf Welle 0,5, den er mit einer Vielzahl von Figuren In den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
bevölkerte: der Filou Paul, seine Frau, der Hausdrache Deutschlands gab es nach dem Krieg in der Regel
Pauline, der wortlos Klavier spielende Kutscher Herr- zwei Hörspielabteilungen: eine für ästhetisch ambi-
mann, der degenerierte Adelssproß Rülps von Knüll- tionierte Hörspiele und eine für Unterhaltungshör-
rich, die sich beim Arzt, auf dem Finanzamt, vor dem spiele. Dazu zählten bei den Hörern beliebte klassi-
Scheidungsrichter, auf dem Bahnhof oder bei der sche Krimihörspiele wie Paul Temple nach F. Dur-
Treibjagd treffen (vgl. Meurer 2007). Lommel sprach bridge (WDR/NWDR 1949–68), aber auch die Kri-
alle diese Gestalten selber. Außerdem parodierte er misatire Dickie Dick Dickens (ursprünglich BR
das restliche Programm, er imitierte Sänger und Spre- 1957–76), die eher ein Beispiel für Radiokomik ist.
cher und sogar das Zischen und Knacken des Radio- Dickie Dick Dickens war ein ›Straßenfeger‹, bevor das
empfängers beim Senderwechsel. Die Selbstparodie Fernsehen zum Familienmedium wurde. Radio Bre-
ist bis heute eine der erfolgreichsten Komikquellen in men und der Schweizer Rundfunk produzierten eige-
den Massenmedien – hier weiß der Hörer und Zu- ne Fassungen, die die Vorlage relativ frei für ihr regio-
schauer nämlich garantiert, wovon die Rede ist. Seit nales Publikum umgestalteten. Die Gattung SitCom
den späten 1920er Jahren bemühten sich auch andere spielte im deutschsprachigen Radio keine bedeutende
Sendegesellschaften um radiotaugliche Komikforma- Rolle. Die große Ausnahme ist Die Familie Hessel-
te. Für den SWR schrieb der Schwankautor T. Impe- bach. Der Autor und Hauptdarsteller W. Schmidt ging
koven Das entführte Mikrophon, ein Programm mit 1949 mit der Geschichte um den Prokuristen Karl
Rahmenhandlung, R. Schiftan ist für Des Kaiser neue Hesselbach, der ›Mamma‹ und zwei Kindern auf Sen-
Kleider bei der Berliner Funkstunde verantwortlich dung. Die Serie war sorgfältig produziert, die Spre-
(vgl. Leonhard 1997, 1020). Der Nationalsozialismus cher waren bis in kleine Rollen gut ausgewählt. Im Fa-
unterbrach solche Tendenzen gewaltsam. milienleben der Hesselbachs kommen die typischen
Sorgen der Nachkriegszeit vor, von der Wohnraum-
Komische Formen und Formate im Radio nach 1945 bewirtschaftung zur Nahrungsknappheit, im Mittel-
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Bundesrepu- punkt steht aber, wie es die Gattung verlangt, meist
blik nach 1945 entdeckte die Showformate mit mehr ein komischer Konflikt zwischen den Eheleuten Hes-
oder weniger großem Komikanteil neu. Die Quiz-, selbach, verursacht durch seine Sturheit oder eine ih-
Talk- und Musikshows von H.-J. Kulenkampff und P. rer fixen Ideen. Die Dialoge sind auf der einen Seite
Frankenfeld haben Vorbilder v. a. in den USA und realitätsnah, können sich aber in einen absurden Witz
Großbritannien (s. Kap. 27.4.3 und 27.4.4). Franken- steigern. Im »Dreckrändchen« redet sich Mamma
388 III Mediale Formen des Komischen

Hesselbach (gesprochen von L. Wöhr) gegen eine te das deutschsprachige Radio selbst in einer Zeit, als
Nachbarin in Rage: es Leitmedium war, kaum eigenständige Komik-
Shows hervor. In Großbritannien, wo das Fernsehen
»Mutter: Sie hat mir ein Milchdippche, wo ich ihr gelie- sich langsamer durchsetzte, verlief die Entwicklung
he hatt, gespült zurückgegewwe, mit sooo einem anders: da ging die Goon-Show (1951–1960) an die
Dreckrändche drinn … ich hab’s de Annelies noch ge- Grenzen des Genres und des Mediums. P. Sellers, M.
zeigt, die Annelies ist Zeugin! Stimmt’s Annelies! Spilligan und H. Secombe fingen mit einer lose ge-
Annelies: Ja, also wirklich! Soooo e Dreckrändche! strickten Sketch-Show an, die sie weiterentwickelten
Mutter: Bitte! Sooo e Dreckrändche … Ganz abgesehen zu »einer Entdeckungsreise zu den unbegrenzten
von allem, was ich sonst noch von dere Ottendorf weiß. Möglichkeiten des Mediums Radio, mit Geräuschen
Also ist sie doch eine Schlampe! Des is schon allein und Worten etwas darzustellen und gleichzeitig die
durch des Dreckrändche … Darstellung zu unterlaufen, und so Zeit, Raum und
Vater: Die Frau Ottendorf kann dir ein Milchdippche andere physikalische Gesetze zu umgehen« (Mundy/
mit einem Dreckrändche von der Breite des Mississippi White 2012, 92). Die (live vor Publikum aufgezeichne-
zurückgewwe. …« (Schmidt 1952) te) Goon-Show brachte einen Grundstock von Figuren
zusammen, alle gespielt von den drei Hauptdarstellern
Der (dem Hochdeutschen angenäherte) Frankfurter (vgl. Kap. 27.4.3 und 27.4.4). Sie war prägend für die
Dialekt, die einprägsamen Figuren und der Witz der Mitglieder der Komikergruppe Monty Python, die
Dialoge machten die Hesselbachs im Sendegebiet po- auch im Radio ihre Karriere begannen, für die Beatles-
pulär – sie erreichten bis zu 75 % Einschaltquote. An- Filme und vieles andere, was als typisch britischer Hu-
dere ARD-Sender kopierten die »Hesselbachs« im je- mor gilt. Bis heute bringt die BBC immer wieder neu-
weils eigenen Dialekt. Das Original wanderte 1960 ins artige größere Radio-Comedy-Formate hervor. In
Fernsehen. Das unterhaltsame Hörspiel führte in der Deutschland beschränken sich vergleichbare Produk-
Folgezeit ein Nischendasein. Relativ populär wurde tionen auf Nischen. Skurrile, persönlich gefärbte Ra-
Per Anhalter ins All (BR/SDR/WDR 1981/82), eine diokomik gab es beim Sender Zitrone in den 1960ern
deutsche Produktion nach der BBC 4-Reihe A Hitch- im WDR zu hören. H. Hoffmann parodierte unter
hiker’s Guide to the Galaxy von D. Adams. Die Bücher dem Titel »Eine kleine Dachkammermusik« Schlager,
und der Film mögen heute bekannter sein, angefan- spielte Sketche und montierte O-Töne von Prominen-
gen hat es mit einem Hörspiel, das die absurde Sci- ten in neue Zusammenhänge. R. Gernhardt, B. Eilert
ence-Fictionparodie und ihren stilbildenden Humor und P. Knorr (bekannter durch Pardon, Titanic und
auch in Deutschland bekannt machte. Per Anhalter die Filme mit O. Waalkes) produzierten ab 1972 für
durchs All nutzt die Fähigkeit des Radios, die unwahr- den Hessischen Rundfunk Dr. Seltsams Radio-ABC
scheinlichsten Dinge an den unwahrscheinlichsten und HELP – ein satirisches Aushilfsmagazin. Die Ko-
Orten mit einfachen Mitteln darzustellen, virtuos aus. mik ist oft selbstreferentiell, die Beiträge und die Mo-
Deutsche Radiosender konzentrierten ihre Produkti- deration parodieren das Medium Radio. Ähnlich
onsmittel allerdings auf das künstlerisch ambitionier- funktionierte die Michael Quast-Radio-Show (HR
te Hörspiel. Beabsichtigte Komik ist dort eher selten 1990–96) sowie ihre Nachfolger Kabarett mit Schlips
zu finden. Das vordergründige Motiv, Hörer zu amü- und Quast mit Soße (HR 1996–2001). Der Schauspie-
sieren, verträgt sich wohl nicht mit einer Produktions- ler und Komiker Quast schlüpfte in verschiedenen
weise, die Stimme, Klang und Geräusch mit der Zeit Moderatorentypen und andere Rollen. Viele Beiträge
immer mehr als autonomes, von den rhetorischen parodierten das Magazinradio der 1990er Jahre, die
Zwecken des Mediums befreites Material verwendet. leiernden Regionalreporter, den beliebigen Themen-
Eine bemerkenswerte Ausnahme stellen die Collagen salat und die anbiedernden Tonfälle der Moderatoren.
von Ror Wolf dar. Unter Titeln wie Der Ball ist rund
oder Die Stunde der Wahrheit (HR 1972–79) montier- Kabarett und Satire im deutschen Radio
te er Schnipsel aus Fußball-Reportagen zusammen. Freud sah in der Zote und der Satire die Domäne des
Vor allem die Wiederholung und minimale Variation aggressiven Witzes. Beide lösen auch Abwehrreaktio-
einschlägiger Reporterwendungen (›Das Leder ...‹, nen aus, erst recht im Radio. Denn hier erreichen sie
›Das runde Leder ...‹, ›tritt gegen das Leder ...‹) tragen auch solche, die nicht auf der Seite des Stärkeren mit-
zu einer intensiven komischen Wirkung bei. lachen, sondern sich ausgelacht, diskriminiert, im
Anders als in den USA und Großbritannien brach- Schamempfinden oder im religiösen Gefühl verletzt
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 389

fühlen (vgl. Freud 1999, 105 f.). Rundfunkräte, Lan- ßen Bedarf an Texten. Vor allem die Darsteller und
desmedienanstalten, Politiker und andere Interessen- Autoren des Berliner Kabaretts (z. B. Die Stachel-
vertreter beobachten das Programm und legen Be- schweine und Die Wühlmäuse) waren gut beschäftigt,
schwerde ein, wenn ihrer Ansicht nach Grenzen ver- denn ab 1954 sendete der Berliner RIAS bis 1975 auch
letzt werden: des Anstands, des Geschmacks, der po- ein satirisches Radiomagazin Rückblende. Es wurde
litischen Ausgewogenheit. Das hat schon in der Vorbild einer Reihe ähnlicher Magazine. Hier produ-
Weimarer Zeit dazu geführt, dass im Radio-Kabarett zierte man Sketche und Monologe für das Radio mit
die moralisch und politisch provokativen Vorträge den Mitteln des Radios, während die mitgeschnitte-
fehlten, die auf den Bühnen beliebt waren. Seit 1945 nen Auftritte von Kabarettisten nach den Regeln der
spielt Satire im Radio (und im Fernsehen) eine große Bühnenkabaretts funktionierten. Es gab über die
Rolle, meistens als Spielart der Radiokomik, denn die Jahrzehnte in den ARD-Anstalten eine schwer zu
überwiegende Zahl der Kabarettisten arbeitet mit den überblickende (und kaum erforschte) Vielfalt von Ka-
rhetorischen Mitteln der Komik. Das erklärte Ziel barett- und Satireformaten. Sie liefen meist am
geht allerdings über die Unterhaltung des Publikums Abend, wo zwar weniger Hörer als tagsüber, aber um-
hinaus, der Vortrag soll auch aufklären und am besten so besser eingeschworene Fangemeinden erreicht
langfristig moralische und kognitive Haltungen be- werden. Beim HR war das u. a. V. Kühns Bis zur letz-
einflussen – Satire möchte ›entlarven‹ und ›zum ten Frequenz (1965–1977) und in den 1990er Jahren
Nachdenken anregen‹, wie die einschlägigen Kritiker- der kabarettistische Monatsrückblick Das war’s –
wendungen lauten. Auf der Bühne findet sie allerdings war’s das. Im SWF lief bis zur Zusammenlegung mit
in der Regel vor Gleichgesinnten statt. W. Finck, der dem SDR 1991 Der schwarze Freitag, beim SDR Die
gegen Hitler Mut und Witz bewiesen hatte, schrieb in Zeitbrille und der Blitzableiter (1986–1998), beim
den 1950er Jahren auch Rundfunkkommentare. Im Saarländischen Rundfunk lud H. D. Hüsch von 1973
Berliner Sender RIAS traten ab 1948 Günter Neumann bis 2001 zu Hüschs Gesellschaftsabend ein. Beim NDR
und seine Insulaner auf (bis 1958 monatlich). Das war gab es den Reißwolf von 1983 bis 2003. Viele Beiträge
keine scharfe Satire, sondern unterhaltsame Zeitkritik waren am Mikrofon vorgetragene Glossen oder kaba-
in dem Schnodderton, der für das deutsche Nach- rettistische Soli.
kriegskabarett typisch ist. Das Radiokabarett belebte Eine radiospezifische Satire und Komik ist am
eine deutsche Vorkriegstradition wieder, aber mit ei- ehesten in den Moderationen und bei den vorprodu-
ner amerikanisch inspirierten Produktionsweise, die zierten Sketchen zu aktuellen Themen zu suchen. Da
auf Aktualität und Tempo setzte. Nicht alle passten da parodieren die Produzenten das Medium selber: es
hinein. K. Valentin schrieb: gibt fiktive Reportagen, Politikerinterviews und ›ge-
baute Beiträge‹, also Stücke, in denen sich Text und O-
»Die Leitung des Radio München meinte es mit mir gut Ton abwechseln, wie in Rundfunk-Magazinen üblich.
und engagierte mich als ständigen Mitarbeiter für hu- Die meisten dieser Sendungen existieren nicht mehr,
moristische Sendungen. Nun machte sie einen Fehler. am längsten gehalten hat sich die Zugabe beim WDR.
Ich wurde gezwungen, meinen angeborenen Münch- In solchen Sendungen sind die Satiriker und ihr engs-
ner Volkshumor abzulegen und neue zeitgemäße Vor- ter Fankreis unter sich. Wenn es darum geht, mit Ko-
träge zu bringen. Ich ging schon an diese Aufgabe he- mik weiter gehenden Einfluss zu nehmen, ist das Ta-
ran, aber diese Aufgabe – aktuell zu wirken – konnte gesprogramm reizvoller. Viele Kabarettisten kom-
ich nicht lösen, daher löste ich meine Mitarbeit.« (zit. n. mentieren das Tagesgeschehen in eigenen Rubriken
Koch/Glaser 2005, 170) zur besten Radio-Sendezeit morgens oder am frühen
Abend. Diese ›kommentierende Funktion‹ ist es, was
Kabarett und Satire bleiben eine Konstante in den in der senderinternen Terminologie die Satire von der
deutschen Medien. Wie andere Komikformen erhal- rein unterhaltenden Comedy trennt. Hier ist die Reso-
ten sie allerdings im Fernsehen seit den 1960er Jahren nanz größer, aber auch die Gefahr, im Konfliktfall ab-
die größte Aufmerksamkeit (in Frankreich gab es da- gesetzt zu werden. Die Form der Radioglossen ist oft
gegen lange auch im öffentlich-rechtlichen und pri- wenig radiotypisch. Eine Ausnahme ist der in vielen
vaten Rundfunk landesweit beachtete Satireformate, Sendern präsente satirische Wochenrückblick von P.
vgl. Behrmann 2002). Die regelmäßigen Kabarett- Zudeick. Dort baut der Autor regelmäßig O-Töne ein
Übertragungen sorgten wie bei den amerikanischen (also mitgeschnittene Äußerungen von Politikern und
Radiocomedyshows der 1930er Jahre für einen gro- Prominenten), die er kommentiert und ironisiert. Da
390 III Mediale Formen des Komischen

der Ausdruck ›Comedy‹ nicht zuletzt als Begriff im- wie viele catchphrases im Sendegebiet bekannt wur-
portiert wurde, der eine programmatische Abkehr den, vom ›Öööölkännchen‹ von Herrn Schniepelpuhl
vom Kabarett impliziert, wundert es wenig, dass die bis zum schrillen ›Morgäään‹ aus der Serie Feinkost
Comedy-Welle seit den 1990er Jahren wenig neue sa- Zipp, die später Vorbild wurde für die kurzen Serien,
tirische Formen hervorgebracht hat. Satire passt auch die seit den 1990er Jahren die Vorstellung von ›Come-
nicht gut zum Konzept vom Radio als Tagesbegleit- dy‹ im Radio dominieren. Es ist eine Art extrem abge-
medium, da sie Aufmerksamkeit fordert und polari- kürzter Sitcom mit überwiegend konstanten Elemen-
siert, also eher einen ›Abschaltimpuls‹ darstellt. Es ten. Es beginnt mit dem Jingle (also einem kurzen
gibt aber durchaus satirisch gefärbte Formen im For- Vorspann), es folgt das schrille »Morgääään!« der
matradio, z. B. Stimmparodien von Politikern (derzeit Begrüßung, dann wird Frau Zombi herbeigerufen.
z. B. Supermerkel). Berühmt wurde E. Brandt als Imi- Nun folgt das variable Element, ein kurzes Kunden-
tator von Gerhard Schröder in der Gerd-Show, die auf gespräch, das mit einer Klage des Kunden endet. Frau
vielen Sendern lief. Der Ex-Kanzler erscheint da ein- Werwolf grunzt, was jedes Mal übersetzt wird als
mal als Comedy-Figur mit typischen catchphrases »Frau Werwolf hat g’sagt, das g’hört so«, und bis zum
(›Gib mir mal ’ne Flasche Bier!‹), andererseits schlägt »Wie’rsehn« am Ende, das der Kunde als »Wirsing«
die Gerd-Show satirische Töne an, wenn Schröder dem (vollständiges Manuskript bei Wirth 2013, 287) ver-
Volk ungeniert in die Taschen greift und dazu singt. steht, kommen wieder konstante Elemente. Neu ist je-
Allzu aggressive Komik passt allerdings nicht zum in- des Mal nur ein einziger Kalauer. Wenn der Kunde
tegrativen Ansatz, in dem Macher und Hörer als Teile sich beschwert, dass sein Huhn elektrisch geladen sei,
einer immer ausgelassenen Community vorgestellt dann kriegt er zu hören »es kommt ja auch aus einer
werden. Ausnahmen ermöglicht nur die Zuordnung Legebatterie«. Diese Witze hätten alleine sicher nicht
der Wellen zu Zielgruppen. Auf dem Jugendsender dafür gesorgt, dass Feinkost Zipp so beliebt war und
kann sich schon mal einer grob über Volksmusiker so intensiv imitiert wurde. Es sind eher die konstan-
und ihre Fans auslassen. Man geht davon aus, dass die ten Elemente, der in die Umgangssprache eingegange-
Opfer ohnehin nicht zuhören. ne »Morgään«-Gruß, die Allzweckbegründung »Die
Frau Werwolf hat g’sagt, des g’hört so« (ebd.). Das
Radiocomedy und Formatradio sind im Grunde karikierte Alltagsrituale, die wie alle
M. Bollinger, einer der Erfinder und lange Jahre zu- catchphrases und anders als die meisten Witze durch
ständiger Redakteur der SWF 3-Comedy-Redaktion, Wiederholung erst Komik entfalten. Sie erzeugen zu-
berichtet, dass man zunächst comicartige Charaktere sammen mit dem akustischen Layout die Stimmung,
auf den Sender brachte, um Servicebeiträge zum Zäh- in der der Kalauer auch dann gnädig aufgenommen
neputzen oder zur Innenausstattung von Supermärk- wird, wenn er schwach ist. Solche simplen Wortspiele
ten weniger trocken zu präsentieren (vgl. Dachselt/ machen ein doppeltes Angebot: Man kann sie direkt
Schwarz/Sprang 2003, 285 ff.). Vom Infotainment lustig finden oder als bewusst hergestellten ›Trash‹ auf
ging es aber schnell in Richtung pures Entertainment. einer intellektuellen Ebene genießen.
Es entstand ein Arsenal von komischen Typen, die Die anderen Popwellen (HR3, BR3) orientierten
meist einen Dialekt sprachen und – das wurde das sich an SWF 3, aber das Komikangebot konnten sie
Markenzeichen dieser Komik – schrill und übertrie- nicht in diesem Umfang imitieren. Es basierte auf den
ben intonierten. Leberecht von Trottwitz, die Schwa- Fähigkeiten der Mitarbeiter und dem Willen des Sen-
ben Gotthilf Penibel und Don Häberle, der Norddeut- ders, diese Form auch gegen interne Widerstände zu
sche Knut Buttnase kamen ins Programm. Sprecher fördern, denn der Humor kam vielen niveaulos vor.
und Autoren waren die Redakteure von SWF 3, mit Ein anerkanntes Mittel, Hörer zu gewinnen, wurde die
auswärtiger Unterstützung, z. B. von E. Heidenreich, kalauernde Kurzkomik erst seit Ende der 1980er Jah-
die als Else Strathmann auftrat. Die Konstellation äh- re, als private Radioanbieter wie FFH, RPR und An-
nelt den großen Comedy-Shows, wo ja auch ein Kabi- tenne Bayern auf den Markt kamen. Sie machten v. a.
nett von Typen den Reiz ausmachte. Aber bei SWF 3 den Popwellen Konkurrenz und setzten dabei stark
traten diese Figuren überall im Programm auf und auf ›Comedy‹, wie es nun auch offiziell hieß. Der Be-
schafften so insgesamt eine ›witzige‹ Atmosphäre, die griff bezeichnet aber nicht wie im Englischen alles,
zum jungen, modernen Image der Welle passte. Die was ›komödiantisch‹ oder witzig gemeint ist, da wäre
›Comicals‹, wie die Form später hieß, hatten großen nämlich auch das Kabarett mitgemeint. ›Comedy‹ ist
Erfolg bei den Hörern. Das ist v. a. daran abzulesen, in Deutschland ein ›Kampfbegriff‹, um Komik in den
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 391

Medien und auf der Bühne als modern, jung und pä- Tendenzen der ›Radiokomik‹
dagogikfrei zu etikettieren – im ausdrücklichen Ge- Vor allem die Pop- und Jugendwellen der ARD und
gensatz zum Kabarett. Ein Genre mit klaren Aufgaben die großen Privatradios richten Comedyredaktionen
ist sie v. a. im Formatradio. ein, die einen sendertypischen Mikrokosmos aus Seri-
Bei den privaten Radiostationen waren personali- en und Figuren schaffen. Einige typische Formen sind:
sierte Comedy-Shows eigentlich nicht zu erwarten, 1. Prominentenparodien: Da werden Politiker (Mer-
denn solche Spezialsendungen sind mit dem ›durch- kel, Stoiber), Sportler und Exsportler (L. Mat-
hörbaren‹ Formatradio unvereinbar. Die Morgensen- thäus, J. Löw) und Medienprominente (H. Klum,
dungen (intern ›Morning-Shows‹ genannt) überneh- D. Bohlen) imitiert – neben karikierten Sprech-
men allerdings Elemente dieser Form: die Moderato- eigentümlichkeiten sorgen Kalauer für den Witz.
ren bauen Gags zu Prominenten und aktuellen Ereig- 2. Mini-SitComs: Sie spielen in Läden, auf der Straße
nissen in ihre Auftritte ein. Es gab aber auch eine oder in fiktiven Ortschaften. Oft appellieren sie
erfolgreiche, klassische Comedy-Show auf dem nieder- mit Dialektwendungen an die regionale Hörer-
sächsischen Privatsender FFN in den späten 1980er schaft (Metzgerei Boggnsagg bei Antenne Bayern).
und frühen 1990er Jahren: das Frühstyxradio, erfunden Aus dem Rahmen fällt die Serie Stenkelfeld (NDR
von dem Satiriker D. Wischmeyer. Mit der für den seit den 1990er Jahren). Die Autoren erfanden ei-
Sonntagmorgen entwickelten dreistündigen Comedy- nen Ort, in dem sie in längeren Sketchen die Welt-
Show ging es ab August 1988 auf Sendung, 1990 kam politik spiegeln oder dörfliche Rituale beobach-
O. Kalkofe dazu. Das Frühstyxradio war im niedersäch- ten. Stenkelfeld gilt zwar auch als ›Comedy‹ und
sischen Sendegebiet beliebt, v. a. bei jungen Hörern. Fi- arbeitet zum Teil mit deren Stilmitteln, ist aber
guren wie Frieda und Anneliese, Günther, der Trecker- länger und satirischer getönt als die typische Co-
fahrer und Onkel Hotte karikierten die niedersächsi- medyserie.
sche Land- und Kleinstadtbevölkerung. Die Texte wa- 3. Gimmicks, Dropper: Diese Form treibt das ohne-
ren aber kein beschauliches Regionalkabarett, es ging hin gängige Prinzip ›viel Verpackung, wenig In-
respektlos und obszön zu, v. a. bei den ›Arschkram- halt‹ auf die Spitze. Meist handelt es sich nur um
pen‹, einem Kneipendialog zwischen dem philoso- eine einzige Pointe, die mit akustischem Vorlauf
phierenden Schwerstalkoholiker Kurt (D. Wischmey- ins Programm gestreut wird (Schwedisch für An-
er) und seinem servilen Tischgenossen Gürgen (O. fänger, SWR 3).
Kalkofe), einem ausgebildeten Geisteswissenschaftler. 4. Telefonscherze: Schon P. Frankenfeld appellierte
Wie viele erfolgreiche Komikproduktionen in den Me- mit Scherzanrufen, in denen er mit eigenartigen
dien funktionierte der Humor des Frühstyxradios auf Anliegen v. a. Händler und Dienstleistende irri-
mehreren Rezeptionsebenen: man konnte die derbe, tierte, an die Schadenfreude der Hörer. Inzwi-
teilweise zotige Sprache und die Typen einfach so lustig schen ist die billig zu produzierende Form all-
finden oder sich an der raffinierten Machart und den gegenwärtig (viele Popwellen senden den Kleinen
zahlreichen Anspielungen freuen, die verrieten, dass Nils, der mit Kinderstimme anruft).
der Horizont der Autoren sehr viel weiter gespannt war 5. Singalongs: Zu bekannten Melodien singen Mode-
als der ihrer Figuren. Die Arschkrampen häuften ratoren oder Gäste neue Texte mit aktuellen An-
kunstvoll und poetisch ordinäre Ausdrücke, bis der spielungen.
Dialog in surrealen Ebenen angelangt war. Das war eine 6. Moderationsgags: Das ist vielleicht die älteste Form
ganz neue Form genuiner Radiokomik. Die Macher der Radiokomik überhaupt. Redakteure und Mo-
rechtfertigten das so: »[G]ute Radio-Comedy muss an- deratoren schreiben Pointen zu aktuellen Meldun-
ders sein als der restliche Einheitsbrei und sollte min- gen auf, häufig erfinden die Sender auch Typen,
destens tausend Hörer dazu bringen, empört den Sen- die als komische Dialogpartner (sidekicks) zu den
der zu wechseln« (zit. n. Dachselt/Schwarz/Sprang, 35). Moderatoren ins Studio kommen. Beworben und
Trotzdem wurde die Sendung 1992 wegen ihres »ni- verstärkt wird das Comedyangebot mit kleinen
veaulosen Fäkalhumors« abgesetzt. Erst nach Hörer- akustischen Elementen, die es entweder ankündi-
protesten lief das »Frühstyxradio« dann wieder. Aber gen (Jingles, Trailer) oder kommentieren: da hört
1996 kündigte das Team selber die Zusammenarbeit man dann gleich nach der Pointe noch jemanden
auf. »Wir wollten nicht mehr zehn Prozent der Zeit ar- sagen: ›SWR macht Spaß!‹
beiten und 90 Prozent darüber diskutieren müssen« Die für mediale Komikformen ohnehin typische Se-
(Wischmeyer, zit. n. ebd.). rialisierung der Produktion ist bei der Radiocomedy
392 III Mediale Formen des Komischen

inzwischen auf die Spitze getrieben. Es muss sehr Doll, Jürgen: »Von Sebastian Hirnschal zu Adolf Hirnschal.
schnell, sehr viel kleinteiliges Material her, das zumin- Zu den Wandlungen einer literarischen Figur vom Kaba-
dest nach Komik klingt. Anders als SWF 3, oder später rettprogramm ›Hirnschal macht Weltgeschichte‹ (1930)
zur BBC-Rundfunkserie ›Die Briefe des Gefreiten Hirn-
FFH und EinsLive, produzieren aber viele Wellen ihre schal‹ (1940–45) von Robert Ehrenzweig Lucas«. In: Her-
Comedy nicht mehr selber mit einer Redaktion von bert Arlt/Fabrizio Cambi (Hg.): Lachen und Jura Soyfer.
Autoren und Darstellern, die für einen unverwechsel- St. Ingbert 1995, 190–205.
baren Humor sorgen könnten. Heute liefern Firmen Dussel, Konrad: Deutsche Rundfunkgeschichte [1999]. Kon-
wie ›Call-A-Comedy‹ oder ›Spotting Image‹ en gros stanz 32010.
Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbe-
an alle interessierten Sender. Die Pointen folgen zu-
wußten [1905]. In: ders.: Gesammelte Werke. Chronolo-
meist den einfachen Prinzipien, die in Lehrbüchern gisch geordnet. Bd. 6. Hg. von Anna Freud u. a. Frankfurt
oder Kursen für angehende Komikautoren beschrie- a. M. 1999.
ben werden (vgl. Dachselt/Schwarz/Sprang 2003, Hock, Sabine: Die Radiofamilie Hesselbach. http://www.
189 ff.) Es sind Wortspiele oder Oneliner, also einzei- babbahesselbach.info/2013/06/die-familie-hesselbach-
lige Pointen, im Radio meist auf aktuelle Personen im-radio.html (11.12.2015).
Kantor, Michael/Maslon, Laurence: Make’em Laugh. The
oder Ereignisse gemünzt. Da aber nicht die Reaktion Funny Business of America. New York/Boston 2008.
der Hörer auf einzelne Sendeelemente gemessen wird, Kleinsteuber, Hans J.: Radio. Eine Einführung. Wiesbaden
sondern nur per Umfrage der Gesamterfolg der Welle, 2012.
spielt die Qualität der Komik in der senderinternen Klingler, Walter/Roters, Gunnar/Gerhards, Maria (Hg.):
Beurteilung kaum eine Rolle. Hier soll Comedy der Humor in den Medien. Baden-Baden 2003.
Koch, Hans-Jürgen/Glaser, Hermann: Ganz Ohr. Eine Kul-
Hörerbindung dienen (vgl. Wirth 2013, 288). S. J.
turgeschichte des Radios in Deutschland. Köln 2005.
Schmidt weist am Beispiel komischer Werbespots da- Leonhard, Joachim-Felix (Hg.): Programmgeschichte des
rauf hin, wie allgegenwärtige Komik im Medium die Hörfunks in der Weimarer Republik. München 1997.
Komik-Konstellation grundsätzlich verändert: Marchal, Peter: Kultur- und Programmgeschichte des öffent-
lich-rechtlichen Hörfunks in der Bundesrepublik Deutsch-
»Das mit Lachen quittierte Komische ist ein affirmati- land. Ein Handbuch. München 2004.
McLeod, Elizabeth: The Original Amos ’n’ Andy: Freeman
ver Ausbruch aus der trügerischen Sicherheit unserer
Gosden, Charles Correll and the 1928–1943 Radio Serial.
Lebenswelt, ein friedlicher Aufruhr gegen die schein- Jefferson, NC 2005.
baren Selbstverständlichkeiten in Natur und Kultur, ein Meurer, Christian: Die schlesische Stunkfunze. http://www.
Training für den ›Möglichkeitssinn‹. […] Wird sie titanic-magazin.de/heft/2007/januar/lommel/
schematisiert, verliert sie diese Wirkung.« (Schmidt (11.5.2015).
Mundy, John/White, Glyn: Laughing Matters. Understanding
2006, 33)
film, television and radio comedy. Manchester/New York
2012.
Das ist aber im Comedy-durchsetzten Formatradio in Schmidt, Siegfried J.: »Inszenierungen der Beobachtung von
hohem Maße der Fall, wo ständig jemand witzig ist. Humor«. In: Friedrich W. Block (Hg.): Komik. Medien.
An die Stelle des einmaligen Ausbruchs tritt eine Gender, Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Biele-
Art ›Dauerkarneval‹, ein »Dauerschmunzeln über feld 2006, 19–51.
Schmidt, Wolf: »Das Dreckrändche«. In: Otto Stadler (Re-
menschliche Schwächen und Verrücktheiten« (ebd.,
gie): Familie Hesselbach. Mundarthörspiel. HR 3.7.1952
45). Hier ist Komik nicht mehr mit einer starken Wertheim, Arthur Frank: Radio Comedy. New York/Oxford
emotionalen Wirkung verbunden, sondern wird zu 1979.
einer von vielen Stimulantien (v. a. der Musik), die zu Wirth, Uwe: »Komische Zeiten«. In: Friedrich Block/Rolf
einem diffusen Gefühl von ›Entspannung‹ und ›Un- Lohse (Hg.): Wandel und Institution des Komischen. Ergeb-
terhaltung‹ beitragen. nisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Bielefeld 2013,
277–292.

Literatur Rainer Dachselt


Behrmann, Sven: Politische Satire im deutschen und französi-
schen Rundfunk. Würzburg 2002.
Block, Friedrich W. (Hg.): Komik. Medien. Gender, Ergebnis-
se des Kasseler Komik-Kolloquiums. Bielefeld 2006. 27.4.3 Komik im US-amerikanischen Rundfunk
Butteron, Sigrid u. a.: Die Hesselbachs. Geschichte einer Funk-
und Fernsehfamilie. Frankfurt a. M. 1991. Nach der Etablierung der ersten kommerziellen
Dachselt, Rainer/Schwarz, Ingo/Sprang, Stefan: Radio-Co- Rundfunksender in den Vereinigten Staaten im Jahre
medy. Konstanz 2003. 1920 entstehen in den folgenden Jahren neue, für das
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 393

Radio zugeschnittene Unterhaltungsformate, die für Einzelne Komiker erreichen mit eigenen Sendun-
die Geschichte der Rundfunkkomik maßgeblich sind. gen große Beliebtheit. Hierzu gehören F. Allen, J. Ben-
Über die ab Mitte der 1920er Jahre gegründeten na- ny, F. Brice, B. Burke, B. Burns, J. Canova, J. Durante,
tionalen Rundfunknetzwerke NBC (National Broad- B. Hope, G. Marx, R. Skelton und E. Wynn. Es entste-
casting Company), CBS (Columbia Broadcasting Sys- hen regelrechte Komikfabriken (comedy factories), in
tem), Mutual Broadcasting System und – ab 1944 – denen Autorenteams Witze wie am Fließband produ-
ABC (American Broadcasting Company) erreichen zieren (vgl. Douglas 1999, 100).
diese Formate ein landesweites Publikum. Außerhalb
der USA können amerikanische Radiosendungen Amerikanische Komikerduos und Radio-Sitcoms
über AFN, das im Zweiten Weltkrieg gegründete Ein Publikumsmagnet dieser oft als ›goldenes Zeit-
American Forces Network, empfangen werden. Eine alter‹ des Rundfunks bezeichneten Ära sind Komi-
öffentlich-rechtliche Alternative zum kommerziellen kerduos. Abbott und Costello sind ein Beispiel für ein
Rundfunk entsteht 1961 mit dem National Educatio- in allen Medien dieser Zeit erfolgreiches Duo. B. Ab-
nal Radio Network (NERN) und seinem 1970 gegrün- bott und L. Costello begannen als Unterhalter in Vau-
deten Nachfolger NPR (National Public Radio); hier deville-Theatern, hatten dann kleine Rollen im Slap-
spielen komische Formen eine geringere Rolle. stick-Stummfilm der 1920er Jahre, wurden durch ihre
Die ersten Unterhaltungsformate im Rundfunk sind Rundfunkauftritte in den späten 1930er Jahren be-
Live-Übertragungen von Musik-, Schauspiel- und rühmt und drehten schließlich zahlreiche sehr erfolg-
Sportereignissen. Daneben entstehen eigens für den reiche Filmkomödien in Hollywood. Ihre Sketche be-
Rundfunk entwickelte Formate aus einer Vielzahl be- ruhen auf einer Kombination von sprachlichem und
liebter Unterhaltungsgattungen: von der Kriminal- und körperlichem Slapstick. Ihr berühmtester Sketch, der
Horrorgeschichte bis zur Komödie, dem Kabarett oder Baseball-Dialog »Who’s on First?«, in dem durch die
dem musikalischen Varieté. Letzteres gilt als beliebtes- Verwendung von Pronomina als Eigennamen Ver-
tes Format im Rundfunk der 1920er und 1930er Jahre. wirrung und Chaos entsteht, erreichte so große Be-
So wird »die alte Praxis der Live-Unterhaltung mit Pu- liebtheit, dass er nahezu wöchentlich wiederholt wur-
blikumsreaktionen [...] durch eine Kultur der Rezepti- de (vgl. Douglas 1999, 122). Bud erzählt Lou von ei-
on aufgezeichneter Inhalte abgelöst« (Sommer 2011, ner Baseball-Mannschaft mit seltsamen Spitznamen;
172), wobei eine große Kontinuität zwischen dem alten Lou will die Positionen der Spieler wissen. Bud sagt:
System der Konzertunterhaltung (v. a. in den Music »Wer ist auf dem ersten base«. Ja, fragt Lou, »wer ist
Halls) und dem neuen Medium Rundfunk zu beobach- auf dem ersten«? »Genau«, antwortet Bud und rea-
ten ist, wie sie zuvor bereits für das frühe Kino gilt. giert mit zunehmender Gereiztheit auf Lous Ver-
In den USA werden Musiksendungen in der Regel ständnislosigkeit, »Wer ist auf dem ersten«, und so
von Werbefirmen produziert und nach Sponsoren be- geht es weiter (ebd.).
nannt (z. B. Champion Spark Plug Hour nach einem Das Spiel mit sprachlichen Codes und kulturellen
Zündkerzenhersteller, oder Kraft Music Hall auf NBC, Hierarchien in einer unter starkem Modernisierungs-
1933–1949). In solchen Sendungen mit Jazz- oder druck stehenden Gesellschaft steht auch bei vielen an-
Country-Musik treten häufig auch Musikkomiker deren frühen Rundfunkkomikern im Vordergrund. In
(singing comedians) und andere der Vaudeville-Tradi- diesem Zusammenhang sind auch die zahlreichen Ko-
tion verpflichtete Künstler auf. Sie verbinden musika- mikerduos unterschiedlichen Geschlechts zu nennen,
lische und verbale Formen des Komischen unter- in deren Sendungen zwar noch eine traditionelle Ver-
schiedlicher Stilrichtungen, v. a. Burleske, Farce und teilung von Geschlechterrollen vorherrscht, die je-
Sketch (vgl. Kap. 24.2; Kap. 27.3.9). Wichtige Faktoren doch gelegentlich subtil hinterfragt wird, so z. B. in
der Zuschauerbindung sind die regelmäßige Sende- The Burns and Allen Show (1934–1950, bis 1936 unter
zeit und die wiederholte Verwendung leicht wieder- dem Titel The Adventures of Gracie) mit G. Burns und
erkennbarer, formelhafter Phrasen (catchphrases), die G. Allen. Ein Beispiel von vielen bietet die Episode
zur Identifizierung der Komiker-Persönlichkeit die- »Housewife’s Guild« von 1947, in der Gracie und ihre
nen. In der Frühzeit werden die Sendungen in der Re- Freundin Blanche aus dem Kino nach Hause kom-
gel vor Live-Publikum produziert und live gesendet, men, nachdem sie dort einen Film mit G. Peck gese-
später (ab ca. 1930) auch aufgezeichnet und mit Hilfe hen haben. Unter dem Eindruck ihres romantischen
von Schallplatten (transcription disks) gemäß dem Schwärmens für diesen Star vergleicht Gracie die Zu-
Prinzip der syndication überregional verbreitet. wendungen ihres Ehemanns George zu dessen Nach-
394 III Mediale Formen des Komischen

teil mit ihren Wunschträumen und erwägt die Ein- 1930er Jahren gab es einige Proteste gegen die auf
richtung einer Hausfrauengewerkschaft. Im Laufe der rassistischen Klischees beruhende Charakterisierung
Episode versucht sie unter verschiedenen Vorwänden, von Afro-Amerikanern in der Sendung, die aber erst
George dazu zu bringen, einen Vertrag zu unterschrei- 1966 zum endgültigen Verschwinden der Fernseh-
ben, der ihr diverse Rechte und Vollmachten zuspricht version von den Bildschirmen führte. Neuere For-
– was ihr schließlich mit einem Trick gelingt. schungen zu Amos ’n’ Andy betonen die im Vergleich
zur Fernsehfassung und zu anderen medialen Dar-
George: »This contract, entered into between the wife, stellungen von Afro-Amerikanern in den 1920er und
hereinafter referred to as the angel …« 1930er Jahren nuanciertere Figurenzeichnung in der
Gracie: »Me!« frühen Radioshow (vgl. Cripps 1983; Ely 1991; Dou-
George: »… and the husband, hereinafter referred to as glas 1999). So sind Amos und Andy z. B. keine Be-
the beast … » diensteten, sondern selbständige Taxiunternehmer –
Gracie: »You!« allerdings mit nur einem Taxi ohne Windschutz-
George: »Yes, it’s very fair and unbiased. Now, forget scheibe, daher der Name »Fresh Air Taxi Cab Com-
this nonsense and bring me my breakfast!« pany of America, Inc.« (Terrace 1999, 25). Die
(http://bit.ly/2k7LrJl, 11:35–11.46) Sendung greift auch aktuelle soziale und politische
Themen auf. Der verbale Slapstick der Show ist ty-
Der Geschlechterkampf im Ehe-Alltag, wie er in pisch für den Underdog-Humor der Depressionszeit:
Burns and Allen inszeniert wird, spielt typischerweise die Figuren verstricken sich in sprachlichen Codes,
mit der Errichtung einer ›verkehrten Welt‹, ohne die die sie nicht durchschauen und die sie durch den Ge-
heteronormative Gesellschaftsordnung ernsthaft in brauch von Malapropismen und Wortspielen (vgl.
Frage zu stellen. Weitere Beispiele für Komikerduos Kap. 12; Kap. 26.2) unterlaufen, z. B. (vor dem Rich-
unterschiedlichen Geschlechts sind Easy Aces (1932– ter) »I denies the allegation, and I resents the alliga-
1945), Vic and Sade (1931–1946), Ethel and Albert tor« (zit. n. Gubar 2000, 157; zu Amos ’n’ Andy vgl.
(1944–1950) sowie Fibber McGee and Molly (1935– auch Kap. 27.4.2). In ihrem täglichen Kampf mit der
1956). Bürokratie, den Ordnungsvorgaben der Obrigkeit
Burns and Allen sind aber auch ein Beispiel für die und der erodierenden patriarchalen Geschlechter-
langfristig folgenreichste Erfindung des amerika- ordnung halten Amos und Andy der amerikanischen
nischen Rundfunks: das serielle Format der bis heute Gesellschaft der dreißiger Jahre einen zwar rassis-
im Fernsehen beliebten Situationskomödie (sitcom). tisch grundierten, aber dennoch komplexen Spiegel
Eine der ersten Radio-Sitcoms ist Amos ’n’ Andy, von vor. Zahlreiche andere Sendungen setzen ebenfalls
und mit F. Gosden und C. Correll. Die zuerst fünf- auf regionale Dialekte, Ethno- und Soziolekte wie das
zehnminütige Sendung wird von WMAQ in Chicago Black English zur Erzeugung von Komik: Two Black
produziert und zunächst von 1928 bis 1943 allabend- Crows, The Dutch Masters Minstrels, Watermelon and
lich wochentags ausgestrahlt, dann als wöchentliches Cantaloupe (vgl. Hilmes 1997).
halbstündiges Format von 1943 bis 1955 (unter dem
Titel The Amos ’n’ Andy Show) und von 1955 bis 1960 Andere komische Formen und ihre Weiterent-
allabendlich als Amos ’n’ Andy’s Music Hall. Von 1951 wicklung
bis 1953 wird die Sendung von CBS für das Fernse- Auch Familien-Sitcoms erfreuen sich schon früh gro-
hen adaptiert (s. Kap. 27.3.9). Es handelt sich um die ßer Beliebtheit: zur Gattung der Familienkomödie
erste Rundfunk-Sitcom, die durch das Verfahren der (domestic comedy) gehört The Goldbergs (1929–1950),
syndication Hörer im ganzen Land erreicht (zu Be- eine beliebte Soap um eine jüdische Familie aus der
ginn geschieht dies über die Versendung von Schall- Bronx mit lebensnahen Alltagsthemen. Auf ein Teen-
platten an andere Rundfunkstationen) und die mit ager-Publikum zielen hingegen Serien wie A Date
Zuhörerzahlen von bis zu 40 Millionen zum ersten with Judy (1941–1950) und Meet Corliss Archer (1943–
›Straßenfeger‹ der Rundfunkgeschichte avanciert 1956); Hauptfigur ist in beiden Fällen eine sechzehn-
(vgl. Dunning 1998, 32). Gosden und Correll ent- jährige Schülerin.
wickelten die Sendung nach dem Vorbild der black- Andere Shows mit komischen Elementen werden
face minstrelsy, einer Unterhaltungsform, in der aus Broadway-Theaterproduktionen entwickelt, so
schwarze Charaktere von geschminkten weißen z. B. You Can’t Take It With You (1944, nach der Ko-
Schauspielern dargestellt werden. Bereits in den mödie von G. S. Kaufman und M. Hart) und The Al-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 395

drich Family (1939–1953) nach C. Goldsmiths What a sind H. Millais (»Our Lizzie«), M. Constanduros
Life. Auch Figuren aus Comics werden zu Radio-Hel- (»Mrs. Buggins«), J. Henry und T. Handley (Briggs
den adaptiert, z. B. Archie Andrews (1943–1953), Li’l 1961, 286–289). Eine beliebte Frühform der britischen
Abner (1939–1940) oder Popeye the Sailor (1935– Radiokomik ist die musikalische Revue nach dem Vor-
1938). bild der Music Hall; 1930 erhält die BBC eine eigene
Weitere komische Formate im amerikanischen »Revue and Vaudeville Section« in der Produktions-
Rundfunk neben Sitcoms sind Spielshows (You Bet abteilung (vgl. Briggs 1965, 89). In den 1930er Jahren
Your Life, 1947–1956 mit G. Marx), Parodien auf Quiz- produziert die BBC eigene musical comedies von Auto-
sendungen, in denen die Teilnehmer die korrekte Ant- ren wie N. Coward, J. Kern und O. Hammerstein.
wort auf die Quizfragen vermeiden müssen: It Pays to Im Programmschema der BBC nimmt Komik je-
be Ignorant (1942–1949), sowie Witz-Sendungen, in doch nur einen geringen Stellenwert ein: in den frü-
denen von Zuschauern eingesendete Witze prämiert hen 1930er Jahren werden nur etwa zwei bis vier Pro-
werden: Stop Me If You’ve Heard This One (1939–1940 zent der Sendezeit für die sog. leichte Unterhaltung
und 1947–1949), Can You Top This? (1940–1954). verwendet (vgl. ebd., 51, 54). Vor allem Quizsendun-
Mit der Adaption erfolgreicher Formate für das gen und Wettbewerbe werden mit großer Skepsis be-
Fernsehen in den 1950er Jahren geht das goldene Zeit- trachtet (vgl. ebd., 77).
alter der Rundfunkkomik zu Ende. Neue Formen wer- Zunächst gibt es keine Versuche, amerikanische
den durch die Verbreitung privater Satelliten-Rund- Sitcoms wie Amos ’n’ Andy oder Burns and Allen in
funkstationen wie Satellite CD Radio (ab 1990, seit Großbritannien zu kopieren (vgl. ebd., 109), wie ins-
2008 als Sirius XM Radio) und das von einzelnen Per- gesamt der amerikanische Einfluss auf die Programme
sönlichkeiten und DJs wie ›Wolfman Jack‹ (d. i. R. der BBC extrem gering ist: »the ›usual American way‹
Weston Smith, 1938–1995) und H. Stern (geb. 1954) and the usual British way diverged more in the 1930s
geprägte talk radio generiert. Ältere Formen der Ra- than they do today« (ebd., 117).
dio-Varietéshow und des Vaudeville überleben in der Die erste britische Radio-Sitcom, Band Waggon
von G. Keillor produzierten Sendung A Prairie Home (1938–1939) mit R. Murdoch und A. Askey wurde je-
Companion (auf Minnesota Public Radio seit 1974). In doch ein großer Erfolg und führte zu weiteren Ver-
der Tradition der Radiositcom steht die Bob & Tom suchen in dieser Richtung, die auf eine starke Persona-
Show (seit 1983). Neben der Standup-Comedy sind lisierung komischer Hauptfiguren nach amerika-
Comedy-Talkshows ein beliebtes Format; ein Beispiel nischem Vorbild abzielte. Die Prämisse bei Band Wag-
hierfür ist die Sendung Armstrong & Getty (seit 1998 gon ist, dass die beiden Komiker eine fiktive Wohnung
auf dem nordkalifornischen Sender KSTE), in der die im obersten Stockwerk des Sendegebäudes der BBC
Moderatoren J. Armstrong und J. Getty aktuelle politi- bewohnen. Nach dem Modell der Burns and Allen
sche Themen und gesellschaftliche Ereignisse mit Hu- Show kreierten die Autoren T. Kavanagh, F. Worsley
mor kommentieren. und T. Handley 1939 die Sendung It’s that Man Again
(kurz ITMA, 1939–1949) die zum größten britischen
Radioerfolg der Kriegsjahre wurde, inklusive einer
27.4.4 Komik im britischen Rundfunk
Vorstellung vor königlichem Publikum auf Schloss
Mit der 1922 in Großbritannien gegründeten British Windsor im Jahr 1942. Schnelle, witzige Wortgefechte
Broadcasting Corporation (BBC) entsteht die erste und komische Charaktere mit eigenen catchphrases lie-
staatliche Rundfunksendeanstalt der Welt. Unter ih- ßen die Sendung mit 310 Episoden zu einer nationalen
rem Gründungsdirektor Sir J. Reith wird die nach dem Institution avancieren. T. Handley, der Star der Sen-
Zweiten Weltkrieg gern als ›Auntie‹ (Tantchen) be- dung, ist zunächst in der Rolle des Mr. Appleby verant-
zeichnete BBC zu einer nationalen Institution und zum wortlich für Radio Fakenburg (nach dem Vorbild des
ersten akustischen, seit der Einführung des Fernsehens kommerziellen Senders Radio Luxembourg), dann
in den 1930er Jahren auch audiovisuellen Massen- wird er »Minister of Aggravation and Mysteries« (als
medium. Im Unterschied zum amerikanischen Rund- Satire auf das britische Informationsministerium). Zu
funk ist der britische nicht werbefinanziert und unter- den beliebtesten komischen Nebenfiguren gehören der
liegt einer stärkeren zentralen Kontrolle durch die Sen- verrückte russische Erfinder Vladivostooge, Farmer
deanstalt; einzelne Programme werden von Zeitungs- Jollop, die Putzfrau Mrs. Mopp und der Spion Funf.
verlagen finanziell unterstützt. Die ersten englischen Nach dem Krieg wird T. Handleys Hauptfigur der
Radiokomiker und -komikerinnen der 1920er Jahre Gouverneur eines utopischen Staats namens Tomto-
396 III Mediale Formen des Komischen

pia; die Sendung begleitet damit die politische und so- Bluebottle: »It’s got a kipper on!«
ziale Entwicklung Großbritanniens zum Wohlfahrts- Seagoon: »Yes! You must keep your strength up.«
staat der Nachkriegszeit (vgl. Gifford 1985, 133–135). Bluebottle: »But … but, I’m drowning!«
Weitere erfolgreiche Radio-Sitcoms der unmittel- Seagoon: »There’s no need to go hungry as well. Take
baren Nachkriegszeit sind Much Binding in the Marsh my hand!«
(1947–1953), Waterlogged Spa, Take It From Here Bluebottle: »Why? Are you a stranger in paradise?«
(1948–1960) und Navy Mixture. Take It From Here Seagoon: [straining] »Heeuuueeeuuueeeuuup! For
(abgekürzt TIFH) gilt als bestes Beispiel für die »post- those without television, I’ve pulled him back on the
war comedy explosion« (Nathan: The Laughtermakers. piano.« (http://www.thegoonshow.net/scripts_show.
1971, 19; zit. in Briggs 1979, 498), in der nach Jahren asp?title=s06e04_napoleons_piano) (31.8.2014)
der Entbehrung sich Gelächter und Unterhaltung
Bahn brechen. Da es bei der BBC moralische und po- Etwa zur gleichen Zeit, ab 1954, präsentierte Han-
litische Restriktionen der Komik gab (so wurde etwa cock’s Half-Hour zunächst im Radio, dann ab 1956 im
1947 die Nachahmung von Politikern innerhalb der Fernsehen ein neues Modell der realistischen Situati-
BBC verboten), orientierte man sich an einem Famili- onskomik ohne die Absurdität der Goons: T. Hancock
enpublikum als Zielgruppe (vgl. ebd., 194 f.). Die tra- wird als lebensnahe Figur (ein Junggeselle mittleren
ditionell eher konservative Werteorientierung der bri- Alters) in lebensnahen Umständen inszeniert. Bis
tischen Rundfunkkomik bedeutet jedoch keineswegs 1959 wurde die Radiosendung parallel zur Fernseh-
einen Ausschluss radikaler Experimente. Gerade das sendung ausgestrahlt; das Format blieb das gleiche
Verbot der direkten politischen Äußerung führt zu ei- (vgl. Briggs 1995, 210 f.).
ner Blütezeit satirischer Formen. So verblieb die dys- Trotz der Dominanz des Fernsehens seit den 1950er
funktionale Familie der Glums aus Take It From Here Jahren bleibt der britische Rundfunk eine wichtige
im kollektiven Gedächtnis der britischen Nation; sie Quelle für unterschiedlichste komische Formen.
führte eine neuartige Mischung aus Raffinesse und Zahlreiche spätere Fernseherfolge wurden zunächst
Kitsch in die Rundfunkkomik ein (vgl. ebd., 498). für das Radio entwickelt, so neben vielen anderen z. B.
Der Surrealismus schließlich fand ab 1951 Eingang die Panel-Show The News Quiz (seit 1977; im Fernse-
in die Radiokomik mit den Goons. Die Goon Show hen unter dem Titel Have I Got News For You seit
nutzte das Verbot direkter politischer Gesellschafts- 1990), die Science-Fiction-Hörspielserie The Hitchhi-
kritik zur Überwindung allzu vorhersehbar geworde- ker’s Guide to the Galaxy (1978), die Improvisations-
ner komischer Formate durch einen genuin neuen, komik von Whose Line Is It Anyway (1988), die Sketch-
anarchischen und auf Improvisationen basierten Hu- Shows Dead Ringers (2000–2007) und Little Britain
mor, der britische Gepflogenheiten und Institutionen (2000–2002) sowie die Sitcom Absolute Power (2000–
von der Armee bis zum Klassen- und Bildungssystem 2004).
mit Witz und Verve karikierte. S. Milligan, P. Sellers,
H. Secombe und M. Bentine schufen eine stilbildende Literatur
Sendung, in der surreale Plots, Kaskaden von schnel- Briggs, Asa: The History of Broadcasting in the United King-
len Wortspielen und bizarre Toneffekte alle Möglich- dom. Bd. 1–5.. London u. a. 1961–1995.
Cripps, Thomas: »Amos ’n’ Andy and the Debate over Ame-
keiten des Mediums Radio ausnutzten. S. Milligans
rican Racial Integration«. In: John E. O’Connor (Hg.):
skurriler und anarchischer Wortwitz definierte den American History, American Television: Interpreting the Vi-
britischen Humor neu und hatte großen Einfluss auf deo Past. New York 1983.
den Satireboom der 1960er Jahre, insbesondere auf Douglas, Susan J.: »Radio Comedy and Linguistic Slapstick«.
Monty Python’s Flying Circus. In der Episode »Napo- In: dies.: Listening In: Radio and the American Imaginati-
leon’s Piano« treiben die Goons auf einem zum Boot on, from Amos ’n’ Andy and Edward R. Murrow to Wolf-
man Jack and Howard Stern. New York 1999, 100–123.
umfunktionierten Klavier und nehmen die winzige Dunning, John: On the Air. The Encyclopedia of Old-Time
Atlantikinsel Rockall für die britische Krone in Besitz. Radio. New York/Oxford 1998.
Bluebottle pflanzt die Fahne auf, tritt einen Schritt zu- Ely, Melvin Patrick: The Adventures of Amos ’n’ Andy: A So-
rück und fällt ins Wasser: cial History of an American Phenomenon. New York 1991.
Gifford, Dennis: The Golden Age of Radio: An Illustrated
Companion. London 1985.
Bluebottle: »Aiooo! Help! I’m in deep dreaded drow-
Gubar, Susan: Racechanges. White Skin, Black Face in Ame-
ning-type water.« rican Culture. Oxford 2000.
Seagoon: »Here! Grab this fork on the end of a pole.«
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 397

Hilmes, Michele: Radio Voices: American Broadcasting, Transparenz von Vermittlungen unterbrechen (vgl.
1922–1952. Minneapolis 1997. Jäger 2004, 59 ff.). Genau dafür aber optiert das Ko-
Sommer, Roy: Von Shakespeare bis Monty Python. Eine mische, insofern es Grenzen zwischen Unterschie-
transmediale Gattungsgeschichte der englischen Komödie
zwischen pragmatischer Poetik und generischem Gedächt-
denem markiert, verschiebt oder überschreitet, unter
nis. Trier 2011. der Voraussetzung, dass dies relativ sanktionsfrei ge-
Terrace, Vincent: Radio Programs, 1924–1984. A Catalog of schieht. Symbolprozesse und ihre Apparate werden so
Over 1800 Shows. Jefferson, N. C./London 1999. mittels Komik buchstäblich ›diabolisiert‹ (vgl. Block
Ingo Berensmeyer 2006, 185 ff.). ›Die Komik der digitalen Medien‹ meint
so verstanden, dass computerbasierte Strukturen und
Prozesse selbst zum komischen Gegenstand werden.
Wie eine solche Medienreflexion künstlerisch gestal-
27.5 Die Komik der digitalen Medien tet wird, soll anhand einiger Beispiele im Laufe dieses
Beitrags vorgestellt werden.
27.5.1 Kann eine Maschine Humor haben?
Zuvor aber soll Thema werden, wie Komik in und
An der Beantwortung dieser Frage, auf deren berühm- mit den digitalen Medien produziert, vermittelt und
te Variante A. Turing einst mit seinem bis heute ver- verarbeitet wird. Dabei geht es weniger um Computa-
wendeten Intelligenztest für Computer antwortete tional Humor, sondern um ausgewählte Phänomene
(vgl. Turing 1967), wird im relativ jungen interdiszipli- im Gebrauch des Internets bzw. des World Wide Web
nären Forschungsfeld des Computational Humor ge- und ›Web 2.0‹- bzw. Social Media-Anwendungen. Hier
arbeitet (vgl. Hempelmann 2008). Die entwickelten ist von Interesse, wie es unter (schnell vorübergehend)
Systeme zielen nicht nur auf die Analyse von Komik, neuen Bedingungen massenmedialer Kommunikation
sondern auch auf ihre künstliche Erzeugung. Es geht zu eigenen Phänomenen des Komischen kommt.
v. a. darum, Mensch-Computer-Interfaces ›natürli-
cher‹ erscheinen zu lassen, indem beim Natural Lan-
27.5.2 Neue Karrieren des Komischen
guage Processing möglichst anspruchsvolle komische
Formulierungen, etwa Witze und Wortspiele, einge- Die Bedingungen und Möglichkeiten des Komischen
setzt werden sollen. Auf der Grundlage allgemeiner, im haben sich aus mehreren Gründen rasch verändert,
weitesten Sinne semiotischer Theorien des Komischen, nämlich dadurch, dass (1) mit Social Media Internet-
wird nicht nur die Erzeugung verbaler, sondern auch angebote – Texte, Bilder, Filme, Websites etc. – in-
visueller, z. B. mimischer Komik erforscht, was sich zwischen technisch relativ einfach und massenhaft
u. a. die Animationsfilmindustrie zunutze macht. produziert, ausgetauscht, rekombiniert, kommentiert
Wir wollen im Folgenden verschiedene Erschei- und bewertet werden können; (2) dass dies sehr nah
nungen des Komischen darstellen, die spezifisch für oder ›authentisch‹ bei individuellen AkteurInnen er-
den Gebrauch digitaler Medien sind. Mit dem gängi- folgt und sich symmetrische Beziehungen zwischen
gen, doch unpräzisen Begriff ›digitale Medien‹ sind Anbietenden und Nachfragenden wie auch selbst-
Computer und Computernetzwerke in verschiedenen organisierte Gruppenaktivitäten ergeben (vgl. Mi-
medialen Funktionen gemeint. Dabei verstehen wir chaelis 2012, 24); (3) dass dies auf meist undurchsich-
unter Computern elektronische, programmierbare tige Weise programmiert, reglementiert und kom-
Rechenautomaten, die als Symbol- bzw. Schrift- und merziell ausgenutzt wird.
Sprachmaschinen aufzufassen sind (vgl. Winograd Massenmediale Komik folgt einer Ökonomie der
1991, 216). Als solche können sie alle möglichen Me- Aufmerksamkeitserzeugung: Interessant ist, was von
dien integrieren und gehören in die Umwelt kom- möglichst vielen wahrgenommen und gemocht, unter
munikativer oder kognitiver Sinnsysteme, mit denen ihnen distribuiert und kommentiert wird. Funktional
sie in komplexen Mediennetzwerken verbunden sind geht es dabei u. a. um rhetorische Qualität, beispiels-
und interagieren. weise im Journalismus (vgl. Holton/Louis 2011), v. a.
Vermittlungen (Mediationen) bzw. unterscheiden- aber geht es um Unterhaltung. Folgt man den Inkon-
de Formulierungen werden symbolisiert, damit ihre gruenztheorien des Komischen (s. Kap. 1), so kommt
Rekursion in Sinnsystemen funktioniert. Das heißt, Komik der Schnell- oder Kurzlebigkeit von Internet-
Unterscheidungen müssen, damit sie Sinn machen, als erscheinungen entgegen, weil erfolgreiche und vor-
Einheit, nicht als Differenz behandelt werden – sonst hersehbare Erwartungsbrüche besonders aufmerk-
kommt es zu Irritationen, bzw. ›Störungen‹, die die samkeitseffizient sind. Zugleich werden dadurch Gen-
398 III Mediale Formen des Komischen

res des Komischen unter Veränderungszwang gesetzt beispielsweise durch den Namen der Seite, der oft eine
(vgl. Brock 2013). inhaltliche Spezifikation oder Gattungsbezeichnung
Die einfache Produktion und Verbreitung ko- mit Bezug zur Komik enthält (»Lustige Bilder«, »Lusti-
mischer Medienangebote schlägt sich insbesondere in ge Tiere«, »Witzige Bilder Mit Sprüche [sic]«, »Witze
kollektiv geteilten Sammlungen nieder. Der angespro- und geile Sprüche«, »Chuck Norris Witze«, »Blondie-
chenen Eile entspricht, dass hier v. a. Kurzformen des nen [sic] Witze« »Witze + 18«), oder das Profilbild des
Komischen erfasst werden. Das gilt schon für die zahl- Seitenbetreibers/der Seitenbetreiberin, das z. B. ein
reichen Witzsammlungen, zwischen denen eifrig hin Meme sein kann.
und her kopiert wird (z. B. www.witze.net oder www. Als komische Rahmung zweiten Grades können
witze.woxikon.de). Es gilt ebenso für Sammlungen mit die Kommentare zu den einzelnen Beiträgen fungie-
netzspezifischen Angeboten, bei denen sich also im ei- ren. Auch wenn sie vordergründig der Aufmerksam-
gentlichen Sinn von einer Komik digitaler Medien keitslenkung dienen, indem die Anzahl der Kom-
sprechen lässt (vgl. Wehn 2003, 118). So ist z. B. das mentare und ›Gefällt mir‹-Bewertungen unter dem
Portal www.9gag.com auf Memes spezialisiert, also auf Beitrag angezeigt wird, bilden die Kommentare einen
emblematische Bilder oder auch Kurzfilme, die sich kommunikativen Metaraum. Das Vine Why do pa-
nicht zuletzt wegen ihrer aktuellen Komik rasch über rents always interfere (gepostet am 24. März 2014)
das Internet verbreiten. Oder es liefert der Microblog- zeigt zwei an der Reling einer Yacht stehende Jugend-
gingdienst Twitter ein eigenes Meme-Format mit liche, die eine der bekanntesten Szenen aus dem Film
Hashtags (Stichworten) wie #einbuchstabendanebentie- Titanic nachstellen und parodieren: Anders als die
re. 2010 wurde der erste derartige Tweet verfasst, dessen Figur Rose im Film stürzt das Mädchen hier von Bord,
Name bereits das Verfahren dieses von der vorgegebe- als sie der Junge loslässt, weil er sich auf Zuruf sei-
nen Beitragskürze von maximal 140 Zeichen profitie- nes Namens aus dem Off erschrocken umdreht. Ab-
renden Sprachspiels bezeichnet: Auch wenn das ›Fett- gesehen von zahlreichen Kommentaren, die mittels
chen‹ nicht durch Vertauschung, sondern Streichung ›Emoticons‹, Smileys, Lachen indizierenden Affirma-
von Buchstaben entstanden ist, avancierte das Verfah- tionen (›hahaha‹, ›lol‹) oder derben Aussagen wie »I’m
ren zu einer eigenen Gattung mit weiteren Ablegern pissing myself« die komische Wirkung des Vines be-
wie #einbuchstabendanebenstädte. Als einer der ersten stätigen, stellen andere BenutzerInnen die Komik
Politiker nutzte Bundesminister P. Altmaier die inhalt- durch Kommentare wie »not funny« oder »Rich kids +
liche Harmlosigkeit der ›Daneben‹-Tweets zur Selbst- vines = don’t do it again« infrage. Zudem beklagen ei-
profilierung und beförderte damit zugleich die Popula- nige Kommentierende das mediale Arrangement –
rität dieses Netzphänomens. Komik wird hier aber das Vine ist nicht direkt in der Facebook-Sammlung
auch durch paratextuelle Elemente wie den Benutze- anzusehen, sondern nur via Link auf der Website vine-
rInnennamen lanciert: Der erste ›Daneben‹-Tweet scope.com –, während andere die Komik des Vines
stammt von der Nutzerin ›Hilde Brandt‹ – eine Anspie- thematisieren, indem sie die Referenz zur Filmvorlage
lung auf den Namen des legendären Kabarettisten. explizit benennen: »titanic! haha«. Diese kommunika-
Auf Facebook finden sich unter den Unterhaltungs- tive Metastruktur der Kommentare verdeutlicht, dass
und Gemeinschaftsseiten Sammlungen von Witzen, die Komik dieser Netzphänomene v. a. diskursiv for-
komischen Bildern oder auch sog. Vines, kurze Video- miert wird, indem Kommentierende sich über die ko-
clips, die als Subgattung der Memes gelten können. Die mische (oder nicht komische) Wirkung austauschen.
auf der Facebook-Seite Best Vines (www.facebook.com/ Die Kommentare und insbesondere die darin ent-
BestOfVines) zugänglichen Vines entstammen alle- haltenen Links zu anderen Memes verdeutlichen au-
samt der Website www.vinescope.com und werden ßerdem den fließenden Übergang zwischen den Platt-
von den Facebook-Benutzern kommentiert und wei- formen, wobei YouTube eine der wichtigsten zur Dis-
terverbreitet. Die hohe Beachtung der Seite durch die tribution von komischen Videos im Internet darstellt.
Facebook-Community zeigt sich an den ausgewiese- Ähnlich wie bei Facebook dienen die eingebundenen
nen 21,2 Millionen ›Gefällt mir‹-Angaben (September Social Media-Funktionen auf YouTube der Aufmerk-
2016). Wesentlich für die Komik der auf den Social Me- samkeitslenkung. Für die Verbreitung komischer In-
dia-Plattformen gesammelten Medienangebote ist ne- halte spielen sog. Kanäle eine zentrale Rolle, die von
ben den konkreten Themen auch ihre kommunikative den NutzerInnen abonniert werden können. Hier
Organisation. So bieten Sammlungen auf Facebook werden thematisch verwandte Clips kollektiv oder Vi-
den komischen Inhalten eine zusätzliche Rahmung, deos einzelner UserInnen gesammelt. Mit der Katego-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 399

rie ›Comedy‹ bietet YouTube bei der Kanalsuche eine Netz von dem Kabarettisten S. Somuncu genutzt: www.
komikrelevante Rubrik auf der obersten Suchebene; hatenight.com ist eine reine Internet-Satireshow mit ei-
Begriffe wie ›Humor‹ oder ›Lachen‹ führen zur Auf- gens hierfür produzierten Videobeiträgen. Ein anderes
listung von zahlreichen Kanälen. Beispiel ist die auf myspass.de platzierte Webshow des
YouTube zeigt am Beispiel bestimmter Karrieren, Comedy-Formats NightWash, das durch diesen Inter-
dass Komik in den Social Media erfolgsorientiert ist: Je net-Ableger sein Live- und TV-Programm erweitert.
mehr Aufrufe ein Video, je mehr AbonnentInnen ein Insbesondere die kommunikative Organisation der
Kanal hat, desto größer ist die Aufmerksamkeit und Social Media bringt es mit sich, dass Komik hier oft
damit die Chance auf eine kommerzielle Karriere au- medienreflexiv angelegt ist. Das betrifft auch das In-
ßerhalb der digitalen Medien. Unter den auf YouTube ternet bzw. die Social Media selbst, wie es die hier ge-
Deutschland beliebtesten Kanälen rangiert der der nerierten neuen Komik-Formate zeigen. So parodiert
Comedy-Gruppe Y-Titty auf den obersten Plätzen: der 2013 mit dem Grimme Online Award ausgezeich-
Der YouTube-Erfolg ihrer Musikvideo-Parodien führ- nete Newsblog Der Postillon (www.der-postillon.com)
te 2013 zur Produktion eines eigenen Albums und ei- Online-Nachrichtenportale und erweitert damit die
ner Echo-Nominierung. Solche Phänomene sind aus anderen Medien bekannten Nachrichten-Paro-
nicht singulär: 2011 war die Resonanz auf das Video dien um eine netzspezifische Variante. Anders kari-
Umfrage zum Integrationstest (was nicht gesendet wur- kiert der Satire-Wiki Stupipedia (www.stupipedia.org)
de) des aus Eritrea stammenden Schauspielers ›Teddy‹ die partizipative Online-Enzyklopädie Wikipedia, in-
(T. Teclebrhan) derart hoch, dass andere Medien auf dem das populäre (Vor-)Urteil, Wikipedia liefere un-
ihn und seine Kunstfigur Antoine Burz aufmerksam zuverlässige Information, aufgegriffen und durch sati-
wurden (vgl. Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013, rische Artikel – z. B. zum Land Akazien oder zur anti-
14 ff.). Das YouTube-Video wurde bis April 2014 über ken Göttin Vagina – komisch inszeniert wird.
23 Millionen Mal aufgerufen. Außerdem zog es eine Derartige mediale Selbstreflexion verspricht je-
Debatte mit über 51.000 Kommentaren nach sich, de- doch allenfalls verhalten kritische bzw. subversive
ren Dynamik nicht zuletzt daher rührt, dass die Persi- Wirkung, bleibt also relativ harmlos, da es im Wesent-
flage von vielen Kommentierenden nicht als komische lichen um Unterhaltung geht. Im Vergleich dazu kann
Inszenierung erkannt wurde. T. Teclebrhan erhielt da- die komische Reflexion digitaler Medien in der Kunst
raufhin jedenfalls mit der Teddy Show eine eigene Sen- deutlich radikaler ausfallen.
dung auf ZDFneo. Entscheidend für solche Karrieren
ist also die Aufmerksamkeit innerhalb sowie das me-
27.5.3 Diabolisierung digitaler Medien
diale Echo außerhalb des Internets und die erweiterte
Teilnahmebereitschaft der NutzerInnen: Über die Der folgende Abschnitt behandelt einige Beispiele, an
Produktion der Teddy Show wurde online im Rahmen denen sich zeigen lässt, wie in der Kunst Computer-
der Sendung TVlab von ZDFneo abgestimmt. technologie und -kultur mit komischen Mitteln reflek-
Der Transfer zwischen verschieden Plattformen ist tiert werden. Komik und Kunst (im Sinne von Gesamt-
ein Charakteristikum des Internets. Es dient aber auch kunst) treffen sich darin, dass sie, wie eingangs be-
als crossmediale Ergänzung oder Erweiterung für Ko- merkt, für die Grenzen des Symbolischen sensibilisie-
mikangebote, die originär in anderen Medien behei- ren können. Das kreative und reflexive Potenzial des
matet und mit den Social Media transmedial verfloch- Komischen liegt darin, dass es in die Ordnung sym-
ten sind. Das Print-Angebot des Satiremagazins Tita- bolischer Formulierung eingreift. Symbolisches, also
nic z. B. wird mit einer von einem Facebook-Auftritt Unterschiedenes, das – im wörtlichen Sinn – zusam-
flankierten Website dergestalt erweitert, dass E-Post- mengeworfen ist, wird durch überraschendes, unge-
karten mit personalisierter Nachricht per E-Mail ver- wohntes Zusammenfügen durchkreuzt, durcheinan-
sandt oder Audiodateien von Beschimpfungen, Ak- dergeworfen bzw. ›dia-bolisch‹. Besonders anfällig
tionen oder Veranstaltungen heruntergeladen werden sind hier kulturell gefügte Unterscheidungen von ho-
können. Für den Rundfunk gilt Ähnliches: Der WDR- hem persönlichem und gesellschaftlichem Wert wie
Radiosender 1Live bietet beispielsweise auf 1live.de in zwischen Erhabenem und Nichtigem, Leben und Tod,
der Rubrik ›Comedy‹ nicht nur Radiosendungen als Körper und Geist, Mensch und Tier oder Mensch und
Podcast, sondern darüber hinaus auch weitere Videos Maschine. Auch die Grenzen des Komischen oder der
der beteiligten Comedians. Kunst selbst sind hier nicht ausgenommen.
Als gänzlich eigenständige Erweiterung wird das Sowohl der Computational Humor als auch Inter-
400 III Mediale Formen des Komischen

net- bzw. Social Media-Angebote arbeiten mit der Tu- bunden wird – auch in der Medienkunst. Komisch
ring-Denkfigur einer Synthese von Mensch und Ma- mag auch der Effekt sein, dass der Computer schlicht
schine. Im Gebrauch muss diese Unterscheidung lahmgelegt und so auf seine basale und banale Bedin-
symbolisiert, also ihr Unterschiedensein verschleiert gung verwiesen wird, dass für Bits und Bytes laufend
werden. Das betrifft auch weitere, für die Symbolik aus- und eingeschaltet werden muss. Überraschend ist
des Computers wichtige Unterscheidungen, z. B.: jedenfalls der unerwartete Blick durch das Interface
analog/digital, Hardware/Software, Code/Interface, auf die Welt ›dahinter‹, ermöglicht durch produktive
natürlich/künstlich, Interaktivität/(Inter-)Passivität, Störungsaktionen, d. h. künstlerische Operationen,
Kontrolle/Autonomie und andere mehr. Derartige die im Vollzug die digitale Medialität als Form opak
Differenzen werden künstlerisch aufgeworfen, wenn und beobachtbar werden lassen (vgl. Jäger 2004).
Technologie selbstreferentiell und dabei komisch in- Schon in den Frühzeiten des WWW haben Netzakti-
szeniert wird. Das bewirkt in der digital durchbuch- visten wie das Künstlerduo JODI Ähnliches mit zahl-
stabierten Welt eine »Entmystifizierung der Techno- reichen, auch satirisch wirkenden Irritationen betrie-
logie« (Duguet 2006, 12), wie die Kuratorin der Aus- ben: So wurde der HTML-Code mit gezielten Fehlern
stellung Smile Machines resümiert. kontaminiert oder er enthält – sichtbar nur, wenn man
Besonders heikel und daher komikrelevant ist die in den Quelltext schaut – den Bauplan einer Bombe
alphanumerische Codierung, die im Gebrauch meist (vgl. JODI 1995/1999).
transparent, abgeblendet und ortlos bleibt. Heikel Grotesk-komische Verzerrungen können auch auf
schlicht deshalb, weil, wie die Süddeutsche Zeitung im Seiten der Hardware gestaltet sein und setzen damit
Zusammenhang mit den Abhörskandalen der ame- die Geschichte komischer Maschinen fort, etwa der
rikanischen National Security Agency zurecht schrieb, seit den 1960er Jahren erfundenen robots von N. J.
in dieser Ortlosigkeit des Codes »inzwischen Kriege Paik, S. Abe oder E. Ihnatowicz (vgl. Duguet 2006, 14).
geführt, Geheimnisse gestohlen, Leben verändert, So lässt z. B. F. Fietzek einen echten, zum Computer er-
Grundrechte verhöhnt und Milliarden verdient« weiterten Rollstuhl (so auch der Titel der Arbeit aus
(Kniebe 2013, 13) werden. dem Jahr 2000) über eine Modellrennbahn fahren, um
Code- und Softwarekunst bisoziieren Computer- deren binär codierten Mittelstreifen per eingebauter
code einerseits sowie Interface und kognitive wie Kamera einzulesen und für die Widergabe auf dem ap-
kommunikative Datenverarbeitung andererseits. Das plizierten Bildschirm zu übersetzen. Der Satz, der da-
folgende Beispiel spielt dabei auch mit einer vermeint- durch lesbar wird, kommentiert das Spektakel iro-
lichen Harmlosigkeit von Code, was das komisch-kri- nisch: ›plötzlich war es mir gleichgültig‹. Man kann
tische Potenzial steigert: das getrost als Karikatur eines Computers auffassen, so
wie V. Flusser meint, dass technisches Simulieren per
:() {:|:& };: se eine Art des Karikierens sei, weil das Nachgeahmte
– ein Arm durch einen Hebel, das Denken durch einen
Gibt man die visuell ansprechende, vielleicht zuerst Computer – stark vereinfacht und wenige seiner As-
unverdächtig an ›Emoticons‹ der E-Mail- oder Chat- pekte übertrieben würden (vgl. Flusser 1990, 143 f.).
kommunikation erinnernde Konstellation von Zei- Weit überzogener ist die Hardware der Installation
chen in die Befehlszeile eines Unix-Systems ein und Die Amme von P. Dittmer (www.dieamme.de). Das
betätigt die Entertaste, bringt man den Rechner bin- Projekt, das zuletzt 2007 im Museum moderner Kunst
nen Sekunden zum Absturz, weil das kleine hinterhäl- in Wien zu erleben war, wurde seit 1992 ständig wei-
tige, einem Computervirus ähnliche Programm be- terentwickelt und bringt in der letzten Version einen
fiehlt, sich selbst rekursiv immer doppelt aufzurufen, massiven Aufwand an Technik – serielle computer-
und damit rasch die Systemressourcen erschöpft. Es gesteuerte Roboterarme – für den trivialen Vorgang
handelt sich um eine in ihrer Kürze und visuellen Äs- auf, nach dem Zufallsprinzip ein Glas Milch zu ver-
thetik einmalige ›Ascii Forkbomb‹ des italienischen schütten. Der Verschüttungsmechanismus ist an ei-
Netzkünstlers Jaromil (alias D. Rojo). Komisch kann nen Textgenerator gekoppelt, der die Benutzer zu ei-
wirken, dass hier eine starke Inkongruenz besteht zwi- nem Kommunikationsspiel im Sinne des Turing-Tests
schen dem einfachen, fast nichtigen Code, der an sich bzw. zu einem Chat mit der Maschine einlädt. Iro-
auch keinen Computer als Speicher braucht, und der nischerweise arbeitet der Generator mit Low-Tech, ist
geradezu erhabenen Aufrüstung, die gewöhnlich mit jedoch durch Programmierung und Speicherung von
Computertechnologie und digitalen Oberflächen ver- Abertausenden von Antwortmodulen und Analyse-
27 Komik mit medialen und künstlerischen Mitteln 401

variablen höchst effektiv, gemessen an der Verweil- medialen Minikomödien vermitteln die Erfahrung,
dauer der NutzerInnen. Schon der anthropomorphe dass nichts an symbolischer Ordnung mehr sicher da-
Titel Die Amme wirkt als Ironiesignal, das die Unter- vor ist, fragwürdig, vorläufig und auch lachhaft zu
scheidung zwischen Mensch und Maschine und, un- werden. Zugleich entspannen sie diese Erfahrung,
terstützt durch den Unsinn der Milchverschüttung, weil sie bei aller vorübergehenden Innovation der
das Hybrid aus ›natürlicher‹ und ›künstlicher‹ Kom- Technikentwicklung in einer Medien-, Gattungs- und
munikation komisch markiert. Geschmackskonventionen geschuldeten, erwartbaren
Die kritische Frage nach der Unzugänglichkeit von Weise vorgehen – sonst wären sie nicht populär. Diese
Codes und Programmen hat sich mit den Social Media Komik der digitalen Medien – genitivus subiectivus –
und ihrer Monopolisierung durch Unternehmen wie wirkt kathartisch und systemstabilisierend und kann
Facebook und Twitter nur noch verschärft. Künst- deshalb bestens unterhalten. Gegenweltlichkeit und
lerisch komische Praxis reflektiert die Spannung zwi- subversive Kritik obliegt doch eher künstlerischen Ex-
schen der enormen Vereinfachung des Austauschs perimenten, die die Oberflächen aufwerfen, also einer
von Inhalten und der kommerziellen Ausbeutung Komik digitaler Medien – genitivus obiectivus –, bei
persönlicher Daten und sozialer Beziehungen, die der weniger kollektiv gelacht, als vielmehr individuel-
Ökonomie von Identitäts- und Aufmerksamkeits- le ästhetische und humoristische Selbstbeobachtung
erzeugung sowie von »liking and recommendation, ermöglicht wird. Damit eröffnen sich im Gebrauch di-
which happen inside closed systems« (Lovink 2013, gitaler Technologien neue Handlungsspielräume –
15). Subversive Komik entwickelt sich dabei v. a. mit auch hinsichtlich einer Varietät medialer Komik.
Formen des ›Social Hackings‹. So hat der mexika-
nische Netzkünstler E. Tisseli 2009 zwei künstliche Literatur
Facebook-Identitäten bzw. -roboter (›Facebots‹) na- Block, Friedrich W.: »Die Tücke der Technik. Über Komik in
mens Debasheesh Parveen und Adriana Alfil program- der Medienkunst mit einem Blick auf die Geschlechterdif-
ferenz«. In: ders. (Hg): Komik, Medien, Gender. Ergebnisse
miert. Die Facebots stellen in regelmäßigen Abstän- des Kasseler Komik-Kolloquiums. Bielefeld 2006, 181–204.
den künstliche Beiträge ein, die aus zufällig aus- Brock, Alexander: »Was wandelt sich am Komischen? Co-
gewählten und algorithmisch verfremdeten Zeitungs- medy-Formate unter Veränderungszwang«. In: Friedrich
überschriften und Bildern aus dem Netz erzeugt W. Block/Rolf Lohse (Hg.): Wandel und Institution des
werden; sie sammeln Freunde, kommentieren und ›li- Komischen. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums.
Bielefeld 2013, 179–198.
ken‹ deren Seiten und Bilder – und sind miteinander
Duguet, Anne-Marie: »Smile Machines. Einführung«. In:
verheiratet. Um den Grad der Authentizität und das Andreas Broeckmann/Thomas Munz/Vera Tollmann
Spiel mit ›künstlich‹ und ›natürlich‹ auszureizen, (Hg.): Smile Machines. Humor – Kunst – Technologie. Ber-
greift E. Tisseli dabei auch mit eigenen Beiträgen ein. lin 2006, 5–24.
Eine andere Satire auf das Identitätsmanagement Flusser, Vilém: Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft?. Göttin-
bei Facebook ist das 2012 von T. Leingruber eingerich- gen 31990.
Hempelmann, Christian F.: »Computational humor: Beyond
tete Social ID Bureau. Hervorgegangen aus ›Facebook
the pun?«. In: Victor Raskin (Hg.): The Primer of Humor
Resistance‹-Workshops während der Transmediale Research. Berlin/New York 2008, 333–360.
2011, stellt das Büro Facebook-Personalausweise aus, Holton, Avery E./Louis, Seth C.: »Journalists, social media,
die für einen Tag Führerschein und Pass ersetzten sol- and the use of humor on Twitter«. In: The Electronic Jour-
len. Die zugehörige Website FBbureau.com wurde nal of Communication 21. Jg., 1/2 (2011). http://www.cios.
binnen kurzer Zeit durch eine Abmahnung der Firma org/EJCPUBLIC/021/1/021121.html (4.12.13)
Jäger, Ludwig: »Störung und Transparenz. Skizze zur perfor-
Facebook unterbunden. Das gleiche Schicksal wider- mativen Logik des Medialen«. In: Sybille Krämer (Hg.):
fuhr der Internetplattform www.seppukoo.com, die Performativität und Medialität. München 2004, 35–73.
ähnlich wie www.suicidemachine.org für Twitter, das JODI 1995. http://wwwwwwwww.jodi.org (4.12.13)
radikale und subversive Angebot machte, mittels eines JODI 1999. http://oss.jodi.org (4.12.13)
eigens entwickelten Programms, ›Seppukoo‹ (japa- Kniebe, Tobias: »Die wahre Geschichte des Codes«. In: Süd-
deutsche Zeitung 248, 26./27. Oktober (2013), 13.
nisch für Selbstmord) auf Facebook zu begehen und
Kotthoff, Helga/Jashari, Shpresa/Klingenberg, Darja: Komik
seine Identität dort endgültig zu löschen. (in) der Migrationsgesellschaft. Konstanz/München 2013.
Angesichts des alle Kommunikations- und Lebens- Michaelis, Daniel: »Social Media Modell«. In: ders./Thomas
bereiche umfassenden Einsatzes digitaler Medien Schildhauer (Hg.): Social Media Handbuch. Theorien, Me-
sorgt ihre Undurchsichtigkeit mehr und mehr für ein thoden, Modelle und Praxis. Baden-Baden ²2012, 19–30.
allgemeines Kontingenzbewusstsein. Die massen- Teclebrhan, Tedros: Umfrage zum Integrationstest (was nicht
402 III Mediale Formen des Komischen

gesendet wurde). https://www.youtube.com/watch?v=


vcAN-Efb57I (4.12.13).
Turing, Alan: »Kann eine Maschine denken?«[1955]. In:
Kursbuch 8. Jg, (1967), 106–138.
Wehn, Karin: »Humor im Internet«. In: Walter Klingler/
Gunnar Roters/Maria Gerhards (Hg.): Humor in den Me-
dien. Baden-Baden 2003.
Winograd, Terry: »Thinking Machines: Can There Be? Are
We?«. In: James Sheehan/Morton Sosna (Hg.): The Boun-
daries of Humanity: Humans, Animals, Machines. Berkeley
1991, 198–223.
Friedrich W. Block / Nils Jablonski
IV Anhang

U. Wirth (Hrsg.), Komik, DOI 10.1007/978-3-476-05391-6_29,


© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Abbildungsverzeichnis

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Diagnostik, Psychologisches Institut, Universität Zürich. (4), April/Mai 1953, 4.
Abb. 16.2 Jennifer Hofmann, Abteilung Persönlichkeit und Abb. 27.20 Christian Marclay: Onomatopoeia (Zrapt!).
Diagnostik, Psychologisches Institut, Universität Zürich. 1989.
Abb. 16.3 Guillaume-Benjamin Duchenne (Mecanisme de Abb. 27.21 e.o.plauen: Vater und Sohn. Die Kehrseite des
la Physionomie Humaine ou Analyse Electro-Physiologi- Ruhms. 1938.
que de l‘Expression des Passions) https://tinyurl.com/ Abb. 27.22 Aline Kominsky Crumb: »Goldi. A neurotic
halvyh6 Woman.« In dies.: All You need is Love. London/New
Abb. 16.4 Heinrich Rudolf: Der Ausdruck der Gemüts- York 2007, 41.
bewegungen des Menschen. Dresden 1903 Abb. 27.23 Louis Lumière: L’arroseur arrosé 1895 (oder: Le
Abb. 27.1 Apulischer Glockenkrater aus der Zeit um jardinier et le petit espiègle). Screenshot DVD des BFI
380/370 v. Chr. ©Trustees of the British Museum (British Film Institute).
Abb. 27.2 Kabirenbecher, Berliner Staatliche Abb. 27.24 Christophe: »Histoire sans paroles:
Museen, Inventarnummer 3159. In: Paul Wolters/Gerda Un arroseur public« in: Le Petit Français Illustré: Journal
Bruns: Das Kabirenheiligtum bei Theben I. Berlin 1940. des écoliers et des écolières Nr. 23, 1ère année, 2. August
Taf. 29, 3. © Deutsches Archäologisches Institut (DAI) 1889. Screenshot www.topfferiana.fr/2010/10/arroseurs-
Abb. 27.3 © Saskia Mattern arroses.
Abb. 27.4 © Trustees of the British Museum Abb. 27.25 Marcellin Auzolle: Cinématographe Lumière
Abb. 27.5 © Wikimedia Commons (Plakat). 1896. Screenshot.
Abb. 27.6 © Germanisches Nationalmuseum Abb. 27.26 Louis Lumière: L’arroseur arrosé. 1896. Screen-
Abb. 27.7 Charles Philipon: Die Birnenskizzen. Beilage in shot VHS/DVD.
der Zeitschrift La Caricature, Nr. 65, 26. Januar 1832 Abb. 27.27 James Bamforth: The Biter Bit. 1900. Screenshot
Abb. 27.8 William Hogarth: 3 Characters – 4 Caricaturas, DVD des BFI (British Film Institute).
1743, Radierung, 23 x 20,6 cm, Niedersächsische Staats- Abb. 27.28/29 Louis Lumière: Joueurs de cartes arrosés.
und Universitätsbibliothek, Göttingen 1896. Screenshots DVD des BFI (British Film Institute).
Abb. 27.9 Francisco José Goya y Lucientes: »Porque escon- Abb. 27.30 Georges Méliès: L’homme orchestra. 1900.
derlos«?. In: Los Caprichos 1799. Radierung, 21 x 16,5 cm, Screenshot Internet (Wikipedia).
Suermondt-Ludwig Museum. Abb. 27.31/32 Henry Lehrman: Kid Auto Races at Venice.
Abb. 27.10 Franz Xaver Messerschmidt: Der 1914. Produktion: Mack Sennett. Screenshots ab Youtube.
Gähner, 1770/83, H 42 cm, Slovenska Narodna Galerie, Abb. 27.33 Buster Keaton und Clyde Bruckman: The Ge-
Bratislava. neral. 1926. Fotostill (Screenshot Internet).
Abb. 27.11 © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. 27.34 Buster Keaton1924: Sherlock Jr. Screenshot ab
Abb. 27.12 Erich Ohser: »Vater und Sohn: Der schlechte VHS.
Hausaufsatz«. In: Berliner Illustrierte, 50/1934, Erich-Oh- Abb. 27.35 René Clair: Un chapeau de paille d’Italie.
ser-Stiftung, Plauen Screenshot VHS. 1927.
Abb. 27.13 © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. 27.36 Sam Wood: A Night at the Opera. 1935. Foto-
Abb. 27.14 Franz West: Pass-Stück, 1982, Elektrikerrohr, still (Screenshot Internet).
Gaze, Hut, Holz, Gips, Polyester, Dispersionsfarbe, 148 x Abb. 27.37 Leo McCarey: Duck Soup. 1933. Screenshot
50 x 30 cm, Privatsammlung, Wien. VHS.
Abb. 27.15 Courtesy Sprüth Magers, Berlin | London © VG Abb. 27.38 Busby Berkeley: Bright Lights. 1935. Screenshot
Bild-Kunst, Bonn 2016. VHS.
Abb. 27.16 © Titanic Redaktion. Abb. 27.29 Woody Allen: Love and Death. 1975. Screen-
Abb. 27.17 Richard Felton Outcault: Hogan’s Alley. 6. Sep- shot Internet.
tember 1896 (New York World). Abb. 27.40 Robert Zemeckis: Who Framed Roger Rabbit.
Abb. 27.18 Charles Burns: The Hive. London 2012, n.p. 1988. Screenshot Internet.
Autorinnen und Autoren

Ingo Berensmeyer, Professor am Institut für Anglistik Krems (III.27.1.2 Bildende Kunst im Mittelalter
der Justus-Liebig-Universität Gießen (III.27.3.9 und in der frühen Neuzeit)
Komische Formate im Fernsehen (USA, GB, Bernhard Greiner, Professor Emeritus am Deutschen
Deutschland); III.27.4.3 Komik im US-amerika- Seminar der Universität Tübingen (I.7 Komödie/
nischen Rundfunk; III.27.4.4 Komik im britischen Tragikomödie; III.23.1.4 Komödie vom 17. bis 19.
Rundfunk) Jahrhundert; III.23.1.5. Komödie im 20. Jahrhun-
Friedrich W. Block, Dr., Kurator der Stiftung Brück- dert)
ner-Kühner in Kassel (III.26.3 Anthologien des Jennifer Hofmann, Dr., Mitarbeiterin am Psychologi-
Komischen; III.27.5 Die Komik der digitalen Me- schen Institut der Universität Zürich (II.16 Psy-
dien (mit Nils Jablonski)) chologie, Medizin, Hirnforschung (mit Willibald
Alexander Brock, Professor am Institut für Anglistik Ruch))
und Amerikanistik der Luther-Universität Halle Nils Jablonski, M.A., Mitarbeiter am Institut für Lite-
(I.12 Wortspiel) ratur- und Medienwissenschaft der Fern-Univer-
Rainer Dachselt, Dr., Autor und Redakteur beim Hes- sität Hagen (III.27.1.5 Zeitungs- und Zeitschrif-
sischen Rundfunk, Frankfurt (III.24 Komik mit tenkolumnen, Witzseiten; III.27.1.6 Humor- und
musikalischen Mitteln; III.27.4.1 ›Radiokomik‹; Satirezeitschriften; III.27.5 Die Komik der digita-
27.4.2 Komik im deutschsprachigen Radio) len Medien (mit Friedrich W. Block))
Lutz Ellrich, Professor Emeritus am Institut für Medi- Arne Kapitza, Dr., Autor und Redakteur beim Hessi-
enkultur und Theater der Universität zu Köln schen Rundfunk, Frankfurt (II.19.1 Literaturtheo-
(III.23 Komik mit theatralen Mitteln: Körper – In- rie: Rhetorisch-poetologische Ansätze; II.20 Ko-
szenierung – Interaktion; III.27. Komik mit me- mik, Gesellschaft und Politik; III.23.1.6 Comme-
dialen und künstlerischen Mitteln) dia/Kabarett/Comedy/Vaudeville)
Ole Frahm, PD Dr., freier Autor und Mitarbeiter an Tom Kindt, Professor im Studienbereich Germanistik
der Arbeitsstelle für graphische Literatur an der der Universität Fribourg (I.1 Komik; I.2 Humor;
Universität Hamburg (III.27.2 Comics) II.15 Anthropologie (mit Robert Vellusig))
Achim Geisenhanslüke, Professor am Institut für All- Helga Kotthoff, Professorin am Institut für Germa-
gemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, nistische Linguistik der Albert-Ludwigs-Univer-
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt sität Freiburg (II.18 Linguistik und Humor; II.21
(II.14 Philosophie) Humor und Geschlechterverhältnisse)
Anja Gerigk, PD Dr., Wissenschaftliche Mitarbeiterin Rolf Lohse, PD Dr., Dozent am Romanistischen Insti-
am Institut für Germanistik der Ludwig-Maximili- tut der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
ans-Universität München (III.26.1.3 Satirischer/ (III.26.2 Kurze Prosaformen der Komik)
Parodistischer Roman im 18./19. Jahrhundert; Christian Maintz, Autor und Dozent an der Hambur-
III.26.1.4. Satirischer/Parodistischer Roman im ger »medienakademie« (III.25 Komik mit lyri-
20. Jahrhundert) schen Mitteln)
Deniz Göktürk, Professorin am German Department Burkhard Meyer-Sickendiek, PD Dr., Dozent am In-
der University of California, Berkeley (II.22 Die stitut für Deutsche und Niederländische Literatur
Komik der Kultur) der Freien Universität Berlin (I.13 Sarkasmus)
Anja Grebe, Professorin am Department für Kunst- Peter von Möllendorff, Professor am Institut für Al-
und Kulturwissenschaften der Donau-Universität tertumswissenschaften der Justus-Liebig-Univer-
406 IV Anhang

sität Gießen (III.23.1.1 Antike Komödie; III.23.1.2 III.26.1.2 Satirischer/Parodistischer Roman: Mit-
Nea und Römische Komödie; III.26.1.1 Satiri- telalter, Frühe Neuzeit, Barock)
scher/Parodistischer Roman in der Antike) Christiane Voss, Professorin am Fachbereich Medien-
Günter Oesterle, Professor Emeritus am Institut für kultur/Medienwissenschaft der Bauhaus-Univer-
Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen sität Weimar (I.10 Lachen)
(I.8 Das Groteskkomische) Michael Wetzel, Professor am Institut für Germanis-
Julia Paganini, MA, Mitarbeiterin am Institut für tik der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen (II.17 Komik, Witz und Humor in der Psychoana-
(III.27.3.10 Komische Formate im Fernsehen lyse)
(Frankreich, Italien, Spanien)) Stefan Willer, Professor am Institut für Kulturwissen-
Werner Röcke, Professor Emeritus des Instituts für schaft der Humboldt-Universität zu Berlin (I.3
deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Witz)
zu Berlin (III.23.1.3 Theater im Mittelalter) Uwe Wirth, Professor am Institut für Germanistik der
Willibald Ruch, Professor am Psychologischen Insti- Justus-Liebig-Universität Gießen (I.4 Ironie; I.6
tut der Universität Zürich (II.16 Psychologie, Me- Parodie; I.11 Dummheit; II.19 Literaturtheorie;
dizin, Hirnforschung (mit Jennifer Hofmann)) II.19.2 Sprechakttheorie und Komiktheorie; II.19.3
Karin Schlott, M.A., Klassische Archäologin, Redak- Bachtins Ansatz im Spannungsfeld von Karneval
teurin und Wissenschaftsjournalistin, Heidelberg/ und Literatur; 19.4 Neuere (analytische, system-
Stuttgart (III.27.1.1 Bildende Kunst in der Antike) theoretische, performanztheoretische) Ansätze)
Hansmartin Siegrist, Dr., Dozent am Institut für Me- Oliver Zybok, Dr., Autor, Dozent und Direktor der
dienwissenschaft der Universität Basel (III.27.3.1 Overbeck-Gesellschaft, Lübeck (III.27.1.3 Komik
– 27.3.8 Komik mit filmischen Mitteln) in Kunst und Karikatur des 18. und 19. Jahrhun-
Robert Vellusig, PD Dr., Dozent am Institut für Ger- derts; III.27.1.4 Komik in Kunst und Karikatur seit
manistik der Karl-Franzens-Universität Graz Beginn des 20. Jahrhunderts)
(II.15 Anthropologie (mit Tom Kindt)) Rüdiger Zymner, Professor für Allgemeine und Ver-
Hans Rudolf Velten, Professor am Germanistischen gleichende Literaturwissenschaft an der Bergi-
Seminar der Universität Siegen (I.9 Spaßmacher; schen Universität Wuppertal (I.5 Satire)
Personenregister

A Artaud, Antonin 324 Bazin, André 363


Abbott, Bud 372, 393 Artmann, H.C. 247, 325 Beattie, James 3
Abe, Shuja 400 Asch, Nathan 294 Beaumarchais, Pierre Augustin Caron
Achleitner, Friedrich 325 Askey, Arthur 395 de 195
Adams, Douglas 388 Äsop 250, 254 Bébé 356
Adams, Reginald 80 Aßmann, Alex 317, 328 Becker, Jurek 278
Addison, Joseph 12, 69–70 Astaire, Fred 363 Becker, Uli 238
Adorno, Theodor W. 54–55, 297–298 Atkinson, Rowan 375–376 Beckett, Samuel 34, 204–205, 375
Aesop 250–251, 254 Attardo, Salvatore 113–115, 117 Beethoven, Ludwig van 222–223, 225
Afranius 124 Augustinus 62 Begnini, Roberto 365
Aharonson, Haim 98 Austin, John L. 126, 130, 134 Bell, Alexander Graham 362
Aischylos 34 Auzolle, Marcellin 352 Beltz, Matthias 217, 284
Akın, Fathi 169 Averty, Jean-Christophe 380 Benny, Jack 386, 393
al-Rashid, Harun 44 Ayckbourn, Alan 209 Bentine, Michael 396
Al Yankowitz, Weird 225, 228 Ayrers, Jakob 187–188 Bergerac, Cyrano de 262
Alberti, Leon Battista 308 Berger, Peter 295
Albertinus, Aegidius 261 B Bergman, Ingmar 364, 367
Alemán, Matéo 261 Bach, Carl Philipp Emmanuel 224 Bergson, Henri 3, 47, 50, 54, 60, 70,
Alexander der Große 143 Bach, Johann Sebastian 226, 230–231 73–74, 76, 82, 85, 103–104, 107–108,
Alexander, Richard J. 115 Bach, P.D.Q. 221, 226 110–111, 127, 134, 138, 201, 232,
Allen, Fred 386, 393 Bachmann, Ingeborg 246 235–236, 260, 284–285, 350–351,
Allen, Gracie 393 Bachtin, Michail IX, 28, 31, 38–40, 356, 359, 361, 364–365, 370
Allen, Woody 45, 115, 296, 356, 367– 127–129, 131, 187, 207, 269–270, Berkeley, Busby 363, 366
368, 370 325–326, 386 Berle, Milton 367
Almodóvar, Piedro 364 Ball, Hugo 213, 245, 322 Berlusconi, Silvio 143
Altmaier, Peter 398 Ball, Lucille 373 Bernhard, Thomas 208, 274, 278–279,
Altman, Robert 364, 368 Balzac, Honoré de 129 293
Anaximenes 125 Bamforth, James 353 Bernini, Gian Lorenzo 307, 311
Andrews, Thomas Gaylord 89 Barca, Pedro Calderón de la 192 Bernstein, F.W. 234–235, 237–238,
Antiphilos 300 Barker, Ronnie 375 241, 243, 247–248, 281, 287, 289, 330
Apitz, Bruno 216 Bärmeier, Erich 334 Bhabha, Homi K. 166–167
Appelt, Ingo 297 Barnum, Phineas Taylor 360 Bhaskar, Sanjeev 166–167
Apte, Mahadev L. 86, 154 Barolsky, Paul 307 Biber, Heinrich Ignaz Franz 224
Apuleius 24, 250–254 Barr, Roseanne 374 Biermann, Wolf 217
Arbuckle, Roscoe 357 Barre, Raymond 380 Billig, Michael 165
Arendt, Hannah 143, 164 Barrecca, Regina 155 Biolek, Alfred 377
Aristophanes 18, 124, 178, 180, 182, Barschel, Kai-Uwe 137 Bischoff, Friedrich 387
206, 210, 228, 271, 303 Barth, Mario 148 Bischof, Norbert 84–85
Aristoteles 3, 16, 26, 47, 122–125, 135, Barwasser, Frank Markus 218 Blair, Tony 376
140–141, 160, 251, 300 Basile, Giambattista 39 Bleackbeard, Bill 341
Armstrong, Jack 395 Bataille, Georges 110–111 Boal, Augusto 174
Arnaz, Desi 373 Bateson, Gregory 113 Bodenstedt, Friedrich von 244
Arnim, Achim von 38 Battista Lalli, Giovanni 258 Bogdanovich, Peter 364
Arnim, Robert 45 Baudelaire, Charles 38, 63, 110, 127, Böhmermann, Jan 170–171
Arnold, Karl 320 138, 143, 311, 314, 316–317, 379–380 Boileau, Nicolas 24
Arntz, Heiko 292 Bauerfeind, Katrin 378 Boireau 356
Arntzen, Helmut 23–24 Baumgarten, Alexander Gottlieb 72 Böll, Heinrich 45, 274, 276
Arp, Hans 40, 245 Bayer, Konrad 325 Bollinger, Michael 390
408 IV Anhang

Bönsch-Kauke, Marion 150 Cantor, Joanne 95, 149 D


Booth, Wayne C. 17 Capp, Al 342 Dağtekin, Bora 169
Borrell del Caso, Pere 317 Carow, Erich 232 Dante Alighieri 30
Borzage, Frank 365 Carracci, Agostino 325 Danto, Arthur C. 297
Bosch, Hieronymus 37–38 Carrey, Jim 369–370 Darwin, Charles 47, 49, 78, 85, 92–93,
Böttcher, Bas 247 Carroll, Lewis 110 201, 382
Bourdieu, Paul 54 Carsons, Johnny 378 Daumier, Honoré 310, 313, 317, 320,
Bow, Clara 357 Castiglione, Baldassare 284 325, 337–338
Boxsel, Matthijs van 52 Cattelan, Maurizio 298 Day, Doris 297
Boyd, Brian 79 Caza 356 de Gaulles, Charles 380
Bradbury, Ray 24 Celan, Paul 242, 246 Debussy, Claude 225
Brambell, Wilfried 375 Cellini, Benvenuto 36 Degenhardt, Franz Josef 217
Brandt, Elmar 390 Cennini, Cennino 307 Deitz, Johann Heinrich Willhelm 333
Brant, Sebastian 24, 37, 134, 211 Cervantes, Miguel de 18, 128–129, Deleuze, Gilles 110, 365
Braun, Kaspar 332 144, 262, 264, 267–268 Delvard, Mary 213
Braun, Volker 24 Cézanne, Paul 353 Dennett, Daniel 80
Brecht, Bertolt 24, 203–204, 231, 237, Chadha, Gurinder 166 Der Stricker 259
244–245 Chafe, Wallace 78 Derrida, Jacques 297
Brecht, George 324 Champfleury, Jules 318 Descartes, René 57, 196
Breitinger, Johann Jakob 12 Chandler, Raymond 145 Detering, Heinrich 247
Bremmer, Jan 89 Chaplin, Charlie 45, 147, 212, 255, Devereux, Robert 207
Brendel, Alfred 221–223 296, 356–358, 360–365, 367, 370 Dews, Shelly 118
Brentano, Clemens 33, 195, 242 Chapman, Graham 375 Dickens, Charles 369
Breuer, Thomas C. 217 Chase, Charly 357 Diderot, Denis 141–142, 286
Brice, Fanny 393 Chiari, Pietro 194 Die Ärzte 232
Brock, Alexander 116 Chion, Michel 363 di Lasso, Orlando 224
Brone, Geert 114 Christmann, Gabriele 118 Dietrich, Marlene 216
Brooks, Mel 365 Christophe 352 Dikmen, Şinasi 168
Brown, Penelope 64–65, 116 Churchill, Winston 320 Diomedes 23, 61
Bruant, Artistide 213 Cicero 3, 16, 44, 52, 59, 62, 71, 123, Dittmer, Peter 400
Brummack, Jürgen 24, 271 140, 286, 300 Dittrich, Olli 378
Brus, Günter 325 Clair, René 356, 361–362, 364 Dix, Otto 323
Buber, Martin 166 Clairvaux, Bernhard von 62, 305–306 Dohm, Ernst 333
Büchner, Georg 197 Clark, Herbert 64 Dolitsky, Marlene 114
Buenafuente, Andreu 382 Clayborough, Arthur 328 Dombrowski, Lothar 214
Buhlul 44 Cleese, John 375 Donatus, Aelius 61
Buñuel, Louis 297 Clemenceau, George 338 Donen, Stanley 362
Burckhard, Armin 152 Cohen, Hermann 49 Donizetti, Gaetano 207
Burg, Lou van 376 Collins-Moore, Richard 382 Dossi, Dosso 308
Burke, Billie 393 Constanduros, Mabel 395 Dostojewskij, Fjodor Michailo-
Burns, Bob 393 Contreras, José Miguel 382 witsch 129
Burns, George 393 Corbett, Harry S. 375 Drechsel, Sammy 217
Burton, Robert 62 Corbett, Ronnie 375 Drews, Jörg 247
Busch, Wilhelm 39, 234–235, 243– Corinth, Lovis 320 Droste, Wiglaf 234
244, 246–248, 342 Corneille, Pierre 190 Drucker, Ari 149
Butler, Judith 29 Correll, Charles 394 Dryden, John 24, 63
Butler, Samuel 201 Coser, Rose 151 Du Prez, John 230
Büttner, Werner 327–328 Costello, Lou 372, 393 Duchamp, Marcel 323
Butzkamm, Jürgen 113 Côte, Olivia 381 Duchenne, Guillaume-Benjamin 79,
Butzkamm, Wolfgang 113 Couperin, François 221, 225–226 90–92, 94
Byron, George Gordon 63, 311 Coward, Noël 395 Duhamel, Sarah 147
Craik, Kenneth H. 97 Dunbar, Norah E. 148
C Crosby, Bing 367 Durante, Jimmy 393
Caillois, Roger 33, 42 Crumb, Robert 342 Durbridge, Francis 387
Callot, Jacques 312–313 Cruz y Raya 382 Dürrenmatt, Friedrich 205
Cameron, David 376 Cukor, George 365 Dürer, Albrecht 305
Campell, Lorne 156 Curco, Carmen 116 Dürer, Hieronymus 261
Canetti, Elias 288
Canova, Judy 393
Cantor, Eddie 360
Personenregister 409

E Fields, W.C. 357, 363 Gehlen, Arnold 80–81, 297


e.o. plauen (i.e. Erich Ohser) 320, 347 Fietzek, Frank 400 Gehrings, Christian 336
Eco, Umberto 20, 122, 128–129 Figl, Bettina 148 Geibel, Emanuel 244
Edison, Thomas Alva 351–352, 362 Finck, Werner 216, 389 Geier Sturzflug 231
Egersdörfer, Matthias 218 Fine, Gary A 154 Gellert, Christian Fürchtegott 193
Ehmer, Oliver 114 Fischart, Johann 36–37, 256, 258, 260, Genette, Gérard 26–29
Ehrenstein, Walter H. 89–90 262, 292 Georges, Stephan 244
Ehrenzweig, Robert 385 Fischer, Kuno 13, 74, 101–102 Gerhardt, Tom 378
Eichendorff, Joseph von 237–238 Fischli/Weiss 328 Gerigk, Anja 130–131
Eichinger Ferro-Luzzi, Gabriella 4 Fitz, Lisa 215 Gernhardt, Robert IX, 7, 13, 22, 24, 28,
Eichrodt, Ludwig 244 Fitzhamon, Lewin 358 122, 131, 142, 234–239, 241–244,
Eilert, Bernd 292, 377, 388 Flaubert, Gustave 24, 54–55 247–248, 274, 281, 287, 289, 291–
Einstein, Carl 40 Fließ, Willhelm 101 294, 330, 335, 377, 388
Eisenberg, Ann R. 113, 150 Flögel, Karl Friedrich 23 Gerrig, Richard 64
Eisenlohr, Friedrich 238 Flothuis, Marius 222 Gerron, Kurt 216
Eisenstein, Sergeij M. 354, 361, 364 Flusser, Vilém 400 Gershwin, George 230
Eisner, Will 347 Flynt, Henry 324 Gershwin, Ira 230
Ekman, Paul 85 Fo, Dario 207 Gert, Valeska 232
El Gran Wyoming 382 Folb, Edith 154 Gervais, Ricky 376
Elisabeth I. 207 Folengo, Teofilo 258 Getty, Joe 395
Elsener, Michael 217 Folz, Hans 188 Geyer, Horst 53
Elton, Ben 58 Fontane, Theodor 235, 240 Ghezzi, Pierre Leone 310–311
Éluard, Paul 289 Forman, Miloš 369 Gibbon, Dave 348
Engelke, Anke 148, 377 Foster, Norman 169 Giehse, Therese 216
Engels, Friedrich 125 Foucault, Michel 134 Gilbert, William Schwenck 227, 230
Engholm, Björn 137 Fraenger, Wilhelm 292 Gilliam, Terry 375
Engin, Osman 168 Frahm, Ole 309 Gillray, James 310–311, 317
Engl, Josef-Benedikt 320 Franco, Francisco 381 Gilman, Sander L. 162
Ensikat, Peter 217 Frankenfeld, Peter 376, 385, 387, 391 Glaßbrenner, Adolf 332
Ensor, James 316–317, 323 Frankfurter, Philipp 259 Glauche, Hans 217
Erasmus von Rotterdam 24, 52, 55–56, Frayn, Michael 209 Gleason, Jackie 372
140 Frères, Pathé 355 Glucksberg, Sam 65
Erdoğan, Recep Tayyip 170–171 Freud, Kallamon Jakob 162 Glucksmann, André 54
Erhardt, Heinz 14, 58–59, 235–237, Freud, Sigmund 3, 8–9, 13–14, 47, 53– Godard, Jean-Luc 296, 364, 366
240–241, 247, 385, 387 54, 60, 70, 73–76, 81, 95, 101–109, Goethe, Johann Wolfgang 13, 24, 63,
Ertel, Suitbert 89–90 111, 114, 126–127, 132, 134, 138, 195, 211, 213, 235, 237, 239, 244, 257,
Ervin-Tripp, Susan 154 147, 151, 160–166, 168, 170, 203, 260, 271, 276–277
Esselborn, Hans 269 350, 356, 360 Goffman, Erving IX, 64, 113, 119, 135,
Estienne, Henri 26 Fried, Erich 242 152
Euripides 34, 179, 182, 228 Friedell, Egon 55, 213 Gogol, Nikolai Wassiljewitsch 196
Evers, Horst 284 Friedländer, Salomon 40, 245 Goldoni, Carlo 194, 211
Eysenck, Hans-Jürgen 9 Frinton, Freddie 376 Goldsmit, Clifford 395
Frisch, Max 205 Goldsmith, Oliver 194
F Fritsch, Gerhard 280 Goldstein, Jeffrey 89
Fabre, Jan 232 Frost, David 373 Goldstein, Kurt 83
Fauconnier, Gilles 114 Frye, Northrop 176 Goldt, Max 14
Fechner, Gustav Theodor 102 Fuchs, Hans Christoph 258 Goll, James W. 40
Feder, Johann Georg Heinrich 4 Fuentes, Manel 382 Gombrich, Ernst 107
Feingold, Alan 96 Funès, Louis de 365 Gómez de la Serna, Ramón 379
Feininger, Lyonel 320–321, 328 Funny van Dannen 231 Gomringer, Nora 247
Fellini, Federico 364 Füssli, Johann Heinrich 315 Gondry, Michel 364, 370
Felman, Shoshana 126, 130–131 Gorgias von Leontinoi 124
Fénéon, Felix 284 G Gosden, Freeman 394
Ferenczi, Sandor 106 Gabriel, Gottfried 72 Gottfredson, Floyd 346
Fernandel 365 Gaier, Ulrich 24 Gottsched, Johann Christoph 12, 139–
Ferreri, Marco 297 Gance, Abel 360 140, 193, 212
Feuerstein, Herbert 335 Garbo, Greta 366 Goya y Lucientes, Francisco José
Feydeau, Georges 201 Garvey, Catherine 112 de 313–314, 316
Feyerabend. Paul 326 Gay, John 229 Gozzi, Carlo 194
Fichte, Johann Gottlieb 17–18 Geertz, Clifford IX Grabbe, Christian Dietrich 63, 197
410 IV Anhang

Gracián, Baltasar 11, 287 Haydn, Joseph 222–224 Homer 26, 61, 70, 125, 142
Grandville, Jean-Jacques 312–313, 317 Haywood, Eilza 63 Hope, Bob 367, 393
Grass, Günter 24, 274, 276–277 Hearst, William Randolph 341, 346 Horaz 3, 23–24, 26, 63, 123–125, 140,
Grasser, Erasmus 305 Hebbel, Friedrich 141 258, 312
Grebe, Rainald 218 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 8, 13, Horkheimer, Max 55
Greiner, Bernhard 131 17–19, 34, 72, 76, 125, 235, 312 Horváth, Ödön von 203
Grello, Jacques 380 Hegemon 26 Houdini, Harry 359
Grice, Paul 19–20, 64, 115–117, 129 Hegen, Hannes 347 Hub, Ignaz 292–293
Griffith, David W. 352, 358, 360 Hegrad, Friedrich 264 Huelsenbeck, Richard 213, 322
Grillparzer, Franz 33 Hehl, Franz Josef 97 Hugo, Victor 38, 315
Grimaldi, Joseph 45 Heidegger, Martin 236, 279 Hugo von Trimberg 24
Grimmelshausen, Hans Jakob Chri- Heidenreich, Elke 390 Hunold, Christian Friedrich 262
stoffel von 256, 261 Heidsiek, Willhelm 38 Hurley, Matthew 80
Grönemeyer, Herbert 228 Heine, Heinrich 8, 38, 63–64, 74, 136, Hüsch, Hanns Dieter 217, 389
Grosz, George 40, 321, 323 161, 237, 241–243, 245, 270–271, 293 Hutcheon, Linda 19, 28–29
Grünbaum, Fritz 216 Heine, Thomas Theodor 40, 333, 338 Hutcheson, Francis 3, 69–70
Grünbein, Durs 24, 246 Heinrich der Elsässer 257, 262 Huuki, Tuja 150
Gründgens, Gustav 148 Helmers, Herrmann 113 Hyan, Käthe 148
Gründgens, Marita 148 Hempfer, Klaus W. 23 Hymes, Dell 113
Gruner, Charles R. 60 Henning, Klaus 216
Gruner, Wolfgang 217 Henry, John 395 I
Gryphius, Andreas 192, 211 Henry, Marc 213 Idle, Eric 230, 375
Gsella, Thomas 234, 236, 238, 243, 246 Henscheid, Eckhard 274, 281 Igudesman & Jo 226
Gumppenberg, Hans von 238 Hepworth, Cecil 356 Ihnatowicz, Edward 400
Gundolf, Friedrich 241 Hergé 346 Immendorff, Jörg 325
Gunning, Tom 354 Hermann, Thomas 218 Immermann, Karl Leberecht 271–272
Günther, Horst 217 Herodianos 61 Immonidis, Johannes 256
Günthner, Susanne 118 Herold, Georg 327–328 Impekoven, Toni 387
Gupta, Anil 166 Herriman, George 344 Insterburg & Co. 241, 247
Gyldenfeldt, Heinrich von 242 Hervé 230 Ionesco, Eugène 34, 205
Herzfelde, Wieland 322 Iser, Wolfgang 19, 165
H Hessel, Stéphane 214 Iversen, Olaf 333
Haas, Adelaide 149 Heym, Christoph 40
Hache, Eva 382 Heym, Stefan 24 J
Hacks, Peter 206 Heyse, Paul 244 Jackson, Michael 225, 228
Hader, Josef 213, 217 Hildebrandt, Dieter 217, 373 Jacobs, Steffen 234–235, 292
Haentzschel, Günter 292 Hiller, Johann Adam 221 Jakobson, Roman 59, 109
Hahn, Livingstone 238 Hiller, Kurt 239 Jameson, Fredric 29
Haiman, John 117 Hill, Terence (d.i. Girotti, Mario) 365, James, William 102
Halévy, Ludovic 229 382 Jamnitzer, Wenzel 37
Hallervoorden, Dieter 46 Hilsenrath, Edgar 274, 278, 280 Jancke, Oskar 294
Hamann, Evelyn 375 Hindemith, Paul 224–225 Jandl, Ernst 239, 242, 247
Hammerschlag, Peter 245 Hippen, Reinhard 336 Jankélévitch, Vladimir 317, 328
Hammerstein, Oscar 395 Hitchcock, Alfred 364, 366–368 Japp, Uwe 328
Hancock, Tony 396 Hitler, Adolf 143, 163, 209, 218, 324 Jaromil (d.i. Rojo, Denis) 400
Handelman, Don 43 Hobbes, Thomas 3, 52, 69–70, 73 Jarry, Alfred 200, 202
Handley, Tommy 395 Höchs, Hannah 323 Jauß, Hans Robert 127
Hanks, Tom 369 Hoddis, Jakob van 245 Jean Paul 7–8, 12, 18, 23, 55–56, 63,
Hardekopf, Ferdinand 40, 245 Hoffmann, E.T.A. 8, 18, 37–38, 63, 70–72, 74, 83, 126–127, 165, 264,
Hardy, Oliver 386 266–267, 269–272, 276 266–270, 272–273, 279, 282, 293–
Harig, Ludwig 238, 246 Hoffmann, Heinrich 39, 380 294
Harlow, Jean 365 Hoffmann, Herrmann 388 Jefferson, Gail 119, 156
Hart, Miranda 376 Hoffmann, Kurt 366 Jennings, Lee B. 38
Hartmann, Anny 217–218 Hoffnung, Gerhard 221, 223, 226 Jens, Walter 377
Hartmann, Nicolai 9, 63, 220 Hofmann, Georg Heinrich Albert 333 Jensen, Jens Christian 315
Hart, Moss 394 Hofmannsthal, Hugo von 203, 244 Jeunet & Caro 364
Hauff, Wilhelm 63 Hofmann, Werner 310 Jittoku (Shi De) 137
Hauptmann, Gerhard 198, 200 Hogarth, William 310–313, 317, 323 JODI 400
Hausmann, Franz Joseph 57 Hölderlin, Friedrich 236, 244 Johnson, Samuel 59
Hausmann, Raoul 40, 322 Holmes, Janet 118, 148, 153 Jolie, Angelina 369
Personenregister 411

Jolles, André 13 Kling, Marc Uwe 215, 218 Laurel und Hardy 45, 363
Jolson, Al 360 Klingmann, Avigdor 98 Lauremberg, Johann 24
Jonas, Bruno 217 Klopstock, Friedrich Gottlieb 237– Laurie, Hugh 376
Jones, Terry 375 238, 246 Lavater, Johann Caspar 311
Jonson, Ben 189–190 Knight, Lynn 153 Lazarowicz, Klaus 24
Jonze, Spike 370 Knight, Raymond 386 Le Bruns, Charles 313–314
Jorgensen, Julia 65 Knorr, Peter 377, 388 Leach, Edmund 39
Joyce, James 45, 60, 129 Koeppen, Wolfgang 276 Lear, Edward 57, 240
Jung, Carl Gustav 43 Koestler, Arthur 3, 86, 114, 130, 222 Lecocq, Charles 230
Jung, Marius 215 Kofman, Sarah 110 Leech, Geoffry 116
Juvenal 23–24, 63, 265 Kohut, Heinz 108 Lee, Christopher J. 65
Kokondrios 61 Lehrmann, Henry 356–357
K Kolb, Fabian 221, 226 Leibniz, Gottfried Wilhelm 140
Kabelka, Ralf 170 Kollwitz, Käthe 320 Leingruber, Tobias 401
Kafka, Franz 129, 166, 170, 235, 274, Konfuzius 44 Leisen, Mitchell 365
278–279, 293, 367 Kongehl, Michael 292 Lembke, Robert 376
Kagel, Mauricio 223 Kotthoff, Helga 113–114, 116, 154 Lennon, John 57
Kaléko, Mascha 148, 245 Kracht, Christian 282 Lenz, Jakob Michael Reinhold 194
Kalisch, David 333 Kramer, Stanley 364 Lerner, Ian Jay 230
Kalkofe, Oliver 391 Krämer, Sebastian 215 Lessing, Gotthold Ephraim 3–4, 33,
Kamper, Dietmar 293 Kraus, Karl 22, 24, 52, 55, 64, 136, 231, 141, 193–194, 285, 294, 342
Kant, Immanuel 12, 52, 69–73, 85, 242, 288 Lester, Richard 364
130, 222 Kreisler, Georg 24, 213, 227, 231 Levine, David 319–320
Kanzan (Han Shan) 137 Křenek, Ernst 224 Levinson, Stephen C. 64–65, 116
Kaprow, Allen 324 Kreuz, Roger J. 65 Levy, Dani 365
Karnos, Fred 357 Kri-Kri 356 Lewis, Jerry 367
Karrer, Wolfgang 27, 274 Kris, Ernst 107–109, 111 Liberman, Anatoly 286
Kästner, Erich 24, 213, 243, 245, 274 Kristeva, Julia 128–129 Lichtenberg, Georg Christoph 24, 74,
Katz, Albert N. 65 Krolow, Karl 237 288, 293
Kaufman, Andy 369 Krüger, Johann Christian 193 Lichtenstein, Alfred 40, 245
Kaufman, Charlie 369–370 Kubin, Alfred 40, 320 Liede, Alfred 237, 244
Kaufman, George S. 394 Kubrick, Stanley 364 Linder, Max 147, 356, 363
Kavanagh, Ted 395 Kühn, Volker 216, 389 Lippa, Richard A. 156
Kaye, Danny 367 Kulenkampff, Hans-Joachim 376, 387 Lipps, Theodor 8, 74, 101–102, 132
Kayser, Wolfgang 38, 40 Kulisiewicz, Alex 216 Liscow, Christian Ludwig 24
Keaton, Buster 45, 212, 356, 358–363, Külow, Edgar 217 Lissa, Zofia 222, 225
370 Kunzle, David 340 Lloyd, Harold 147, 357, 362, 370
Kehlmann, Daniel 282 Kurtzman, Harvey 335 Locke, John 12, 71
Keillor, Garrison 395 Kuster, Barbara 217 Lockyer, Sharon 165
Keim, Inken 119, 155 Kutlucan, Hussi 168 Loewe, Frederick 230
Keiser, Reinhard 229 Lohse, Rolf 285
Kejis, Li 44 L Lommel, Manfred 387
Keller, Gottfried 38, 271 La Bruyère, Jean de 288 Loren, Sophia 166
Kelley, Mike 326, 328 La Chaussée, Pierre-Claude Nivelle Lorentz, Kay 217
Kelly, Gene 363 de 193 Lorentz, Lore 217, 285
Kemper, Hans-Georg 235 La Rochefoucauld, François de 287 Lorenz, Konrad 49, 78
Kern, Jerome 395 Labiche, Eugène M. 198, 201, 361 Loriot 235, 243, 289, 334, 375, 377
Keyserling, Hermann 241 Lacan, Jacques 74, 109–110 Losada, Alejandro Salgado 381
Kierkegaard, Søren 3, 8, 17–18, 64, 68, Lakoff, Robin T. 116, 147 Löwenstein, Adolph 14
76, 317 Lamac, Carl 362 Löwenstein, Rudolf 333
Kindt, Tom 130 Lampert, Martin D. 154 Löw, Joachim 391
King, Stephen 144 Lamping, Dieter 284 Lubitsch, Ernst 360–361, 364–366
Kippenberg, Anton 241 Landells, Ebenezer 332 Lucas, Matt 375
Kippenberger, Martin 298, 327–328 Lang, Fritz 364 Lucas, Robert 385
Kirkaldy, George Willis 58 Langdon, Harry 357 Lucilius 24, 125
Kirsch, Rainer 238 Langemeyer, Gerhard 309 Lüdecke, Frank 218
Kisch, Egon Erwin 294 Langen, Albert 320, 333 Luhmann, Niklas 18, 130–131, 279,
Klabund 40, 216 Lasker-Schüler, Else 40, 147 297
Klein, Georg 14 Latta, Robert L. 4 Lukian von Samosata 24, 62, 253, 260
Kleist, Heinrich von 12, 134, 196 Laurel, Stan 212, 386 Luks, George Benjamin 341, 346
412 IV Anhang

Lully, Jean-Baptiste 229 Meier, Mischa 289 Murner, Thomas 24


Lumière, Auguste 350–357, 359 Meilhac, Georges 229 Musil, Robert 52
Lumière, Louis 350–357, 359 Méliès, Georges 350, 352, 354–355, Musset, Alfred de 196
Luther, Martin 37 359, 369 Muybridge, Eadweard 369
Melk, Heinrich von 256 Mynona (d.i. Friedlaender, Salo-
M Menander 178, 182 mo) 40, 238–239, 245
Mach, Ernst 199 Menge, Wolfgang 377
Maciunas, George 324 Menippos von Gadara 23, 128 N
Mack, Lee 376 Merkel, Angela 170 Nagel, Bert 237
Madius 114 Meryon, Charles 315 Nardini, Gloria 155
Maegerlein, Heinz 376 Messerschmidt, Franz Xaver 307, 314– Nena 170
Magritte, René 298 315 Nestroy, Johann N. 197, 230
Mahler, Gustav 226 Messter, Oskar 351 Neuber, Caroline 212
Maintz, Christian 330 Metsys, Quentin 308 Neumann, Günter 217
Mairet, Jean 190 Mey, Reinhard 231 Neumann, Richard 238
Majakovskij, Vladimir 204 Michel, Marc 361 Neumann, Robert 27, 29
Makarius, Laura 43 Middleton, Thomas 190 Neuss, Wolfgang 217, 376
Malewitsch, Kasimir 319 Milhaud, Darius 225, 230 Nevo, Ofra 98
Malkovich, John 370 Millais, Helena 395 Newman, Randy 231
Malle, Louis 367 Miller, Geoffrey 80 Nielsen, Asta 147
Man, Paul de 17–18 Miller, Henry 45 Nietzsche, Friedrich 63–64, 72–74, 76,
Mann, Brenda 152 Milligan, Spike 396 110, 199, 201, 244, 288, 322, 326
Mann, Heinrich 274–275 Milton, John 38 Nightingale, Florence Foster 225
Mann, Klaus 216 Mittelstraß, Jürgen 289 Nikel, Hans A. 334
Mann, Thomas 38, 45, 184, 264, 274, Mitterand, François 380 Nikochares 26
276–277, 294 Mittler, Franz 241 Nitsch, Hermann 325
March, John 62 Mohaupt, Richard 232 Nolde, Emil 320–321, 328
Marchais, Georges 380 Molière 33, 139–140, 190–192, 211, Novalis 8, 12
Marclay, Christian 344 229, 232 Nuél, M. 14
Marey, Étienne-Jules 369 Molina, Tirso de 192 Nuhr, Dieter 46
Marggraff, Hermann 292–293 Monroe, Marilyn 366, 370 Numminen, Mauri Antero 228
Marivaux, Pierre Carlet de 193, 196 Monty Python 57, 116, 230, 367–368,
Marquard, Odo 4, 75–76, 127, 175, 382, 388 O
298 Moore, Alan 348 O’Brien, Richard 230
Marquis de Vauvenargues, Luc de Cla- Morano, Gigetta 147 Ochs, Siegfried 226
piers 288 Morecambe, Eric 375 Oehlen, Albert 327–328
Martin, Rod A. 9 Morgenstern, Christian 40, 234–235, Offenbach, Jacques 212, 220, 227–230,
Marx Brothers 169, 360, 363 237, 244, 248 232, 234
Marx, Groucho 367, 386, 393, 395 Morgner, Irmtraud 278 Ohser, Erich 320, 328, 347
Marx, Karl 125, 201, 203, 361 Morhof, Daniel Georg 23 Okopenko, Andreas 247
Massinger, Philip 190 Mörike, Eduard 39, 242 Onésime 356
Matt, Peter von 235 Moritz, Karl Philipp 264–266 Opitz, Martin 23, 140, 193
Matter, Mani 217 Morus, Thomas 261 Oppenheim, Meret 157
Matthäus, Lothar 391 Mosellanus, Petrus 62 Orwell, George 367
Maturin, Charles Robert 63 Moser, Hans 365 Osbourne, Ozzy 374
Maurus, Rhabanus 256 Möser, Justus 312 Ostade, Adriaen van 308
Mauthner, Fritz 244 Mozart, Leopold 223 Ostrovskij, Alexander Nikolaje-
Mauvillon, Jakob 23 Mozart, Wolfgang Amadeus 195, 223, witsch 198
Mayhew, Henry 332 225, 229, 232–233 Oswalda, Ossi 147
Maynard, Patrick 348 Mühl, Otto 325 Otto der Fröhliche 259
Mazzella, Roland 96 Mühsam, Erich 216, 241, 244 Otto, Rainer 217
McCarthy, Paul 328 Mulkay, Michael 119 Outcault, Richard Felton 341, 345
McCloud, Scott 340–341 Müller, Beate 27–28, 116 Ovid 253
McGhee, Paul E. 89, 93, 96, 98, 149– Müller, Heiner 206–207
150 Müller-Partenkirchen, Fritz 294 P
McLaren, Norman 296 Müller, Peter 285 Paik, Nam June 324, 400
McLuhan, Marshall 296 Müller, Ralph 116, 129 Panizza, Oskar 164, 323
Mehring, Franz 213 Münch, Richard 377 Pascal, Blaise 192, 288
Mehring, Walter 24, 216, 245 Murdoch, Richard 395 Pasolini, Pier Paolo 364
Meier, Georg Friedrich 12 Murnau, Friedrich W. 360 Pathé, Charles 355
Personenregister 413

Paul, Bruno 320, 326 Pudowkin, Wsewolod Illariono- Ringelnatz, Joachim 58–59, 234–237,
Paul, Robert W. 351, 355–356 witsch 364 245–246
Pauli, Johannes 291 Pulitzer, Joseph 346 Ritter, Joachim 32, 48, 75–76, 127, 175
Pauls, Tom 218 Purcell, Henry 230 Roach, Hal 357
Paulson, Ronald 24 Robert-Houdin, Jean Eugène 354
Peacham, Henry 62 Q Rocca, Robert 380
Peck, Gregory 393 Qualtinger, Helmut 213, 231 Rockenbach, Martin 294
Peirce, Charles Sander 53 Quast, Michael 388 Rodríguez, Encarnación Gutiérrez 167
Pepusch, Johan Christoph 229 Queneau, Raymond 367 Rogers, Ginger 363
Perec, Georges 56 Quevedo, Francisco de 287 Rohmer, Éric 289
Péret, Benjamin 289 Quintilian 3, 17, 23, 26, 44, 61, 68, Rollenhagen, Georg 258
Perjovschi, Dan 321, 328 123–125, 141 Roodenburg, Hermann 89
Persius 23–24 Roosevelt, Franklin D. 320
Peter Licht 231 R Ror Wolf 234, 238–239, 246, 388
Petron 24, 251–252, 254 Raab, Stefan 46, 378 Rorty, Richard 19
Pforte, Dietger 291 Raabe, Willhelm 264, 270–272 Rose, Margaret 26–27
Philipon, Charles 309–311, 320, 331– Rabelais, François 24, 37, 39, 128–129, Rosenkranz, Karl 23
332, 336–338 260, 264, 272 Rosenplüt, Hans 188
Piaget, Jean 98 Rabener, Gottlieb Willhelm 24 Roski, Ulrich 231, 241, 247
Picabia, Francis 356 Rachel, Joachim 24 Rossini, Gioachino 195, 207, 211
Picasso, Pablo 298 Radcliffe-Brown, Alfred 86, 118 Rostand, Edmond 201–202
Piccinni, Niccolò 194 Radin, Paul 42–43 Roth, Eugen 241, 247
Pickering, Michael 165 Raffael 36, 310 Roth, Joseph 38
Pien, Diana 95 Rajneesh, Bhagwan Shree (Osho) Rothbart, Mary K. 95
Pietzker, Carl 105 137 Rotrou, Jean 190
Pif Paf 356 Rama, Telani 44 Rowlandson, Thomas 310
Pinter, Harold 207 Rapp, Albert 78 Rowohlt, Harry 242
Pinthus, Kurt 245 Raskin, Victor 96, 114–115, 117, 129– Rubiner, Ludwig 39, 238
Pirandello, Luigi 34, 202–203, 379 130 Ruch, Willibald 10, 95–97
Pispers, Volker 46, 217–218 Rating, Arnulf 217 Rudolph, Heinrich 92
Planquette, Robert 230 Ravel, Maurice 225 Ruge, Arnold 13
Platen, August von 271 Ray, Man 298 Rühm, Gerhard 239, 247, 325
Platon 2–3, 47–48, 68, 123, 125, 300, Rebers, Andreas 218 Rühmann, Heinz 216
369 Redfern, Walter D. 59, 286 Rühmkorf, Peter 236–238, 241, 246
Plautus 32, 34, 44, 140, 178, 182–183 Redon, Odilon 312 Ruppel, Lars 215
Plessner, Helmuth 8, 50, 70, 74–76, Rees, Charlotte 153
81–85, 127, 131, 165 Reger, Max 226 S
Plinius der Ältere 300 Régnier, Mathurin 24 Sachs, Hans 187–188, 292
Polgar, Alfred 55, 213 Reich-Ranicki, Marcel 291 Saint-Saёns, Camille 224
Politt, Lisa 217 Reik, Theodor 106 Salis, Rodolphe 212
Polke, Sigmar 326–328 Reiner, Carl 367 Salten, Felix 213
Polt, Gerhard 217, 377 Reinhardt, Max 360, 365 Şamdereli, Nesrin 169
Polycarpe 356 Reinhold, Conrad 217 Şamdereli, Yasemin 169
Ponte, Lorenzo da 229 Reinig, Christian 238 Sánchez-Romero, Miguel 382
Pope, Alexander 24, 48 Reith, John 395 Sandberg, Herbert 334
Popitz, Heinrich 135 Renoir, Jean 367–368 Sandberger, Adolf 228
Popper, Karl R. 53 Rescher, Nicolas 53 Santala, Ohjeri 225
Porter, Loraine 147 Resetarits, Lukas 217 Santana López, Belén 379
Potter, Henry C. 364 Resetarits, Willi 217 Sartre, Jean-Paul 297
Pottier, Richard 366 Reutter, Otto 213, 231 Satie, Eric 223
Pratt, Hugo 347 Reza, Yasmina 209–210 Scaliger, Julius Caesar 23, 26
Preisendanz, Wolfgang 13, 38, 114, Rezniček, Ferdinand von 320 Scarron, Paul 262
272, 293 Richard, Pierre 365 Schaller, Manfred 217
Preminger, Otto 365 Richelet, César-Pierre 313 Scheerbart, Paul 40, 244
Preschl, Claudia 147 Richling, Mathias 46, 217 Scheler, Max 81
Prince, Richard 319, 328 Richter, Hans 356 Schickele, Peter 226
Priol, Urban 217 Rieß, Richard 293 Schieffelin, Bambi B. 113, 150
Prokofjew, Sergej 225 Rigadin 356 Schikaneder, Emanuel 229
Provine, Robert R. 2, 79 Riha, Karl 239 Schiller, Friedrich 23, 82, 139, 195,
Prütting, Lenz 83, 85 Rilke, Rainer Maria 235, 244, 333 237, 281
414 IV Anhang

Schindler, Norbert 187 Skelton, Red 393 Sulzer, Johann Georg 23


Schlaffer, Heinz 236–237 Skladanovsky, Max 351 Sumitsuji, Noboru 93
Schlegel, August Wilhelm 317 Šklovskij, Viktor 27–28 Süverkrüp, Dieter 217
Schlegel, Friedrich 8, 12, 17–18, 21, 29, Smith, George Albert 355 Švankmajer, Jan 296
63, 72–73, 238, 267, 288, 319 Sokrates 16–17, 68, 141, 179 Swanson, Gloria 357
Schlegel, Johann Elias 193 Solga, Simone 217 Swift, Jonathan 59, 63, 129
Schlömer, Joachim 232–234 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 8, Sy, Omar 381
Schlüpmann, Heide 111 315–318 Syal, Meera 166
Schmidt, Arno 60, 274, 278–279, 293 Somuncu, Serdar 218, 399 Sydow, Hendrike von 217
Schmidt, Harald 217 Sophokles 34
Schmidt, Siegfried J. 116, 131, 243, 392 Sorel, Charles 262 T
Schmidt, Wolf 385, 387 Spencer, Bud (d.i. Carlo Pedersoli) 365 Tabori, George 143, 209
Schmitz, Hermann 82–83 Spencer, Herbert 3 Taine, Hippolyte A. 63
Schneegans, Heinrich 312 Sperber, Dan 20, 64, 116 Tang Yizong 44
Schneider, Friedrich 332 Spiegelman, Art 164, 347 Tarantino, Quentin 144, 296, 365
Schneider, Helge 46, 58 Spielberg, Steven 364, 369 Tarlton, Richard 45
Schneyder, Werner 217 Spilligan, Mike 388 Tati, Jacques 45, 362, 364–365
Schnitzler, Arthur 199–200 Spitzer, Leo 286 Tchernia, Pierre 380
Schnurr, Stephanie 153 Spitzweg, Carl 315, 317 Teclebrhan, Tedros (Teddy) 399
Schobert & Black 231, 241, 247 Spivak, Gayatri 167 Telemann, Georg Philipp 225, 228–
Scholz, Wilhelm 333 Spoerri, Daniel 325 229
Schopenhauer, Arthur 3, 8, 47, 124, Spradley, James 152 Terenz 178, 182–183
127, 130, 141, 163, 221, 237, 243 Stählin, Christof 215 Tesauro, Emanuele 11
Schostakowitsch, Dmitri Dmitrije- Stalin, Josef 320 Testot, Fred 381
witsch 224 Stearns, Johnny 373 Thales von Milet 48, 134, 303
Schottenloher, Karl 336 Stearns, Mary Kay 373 Theophrast von Eresos 140
Schramm, Georg 214, 217 Steeger, Ingrid 377 Thews, Günter 217
Schröder, Atze 378 Steele, Richard 193 Thiel, Andreas 217
Schröder, Gerhard 231 Steen, Jan 308 Thoma, Ludwig 244
Schubert, Manfred 217 Steimle, Uwe 218 Thomas, Dieter 217
Schulhoff, Erwin 224, 227 Steinbacher, Christian 247 Thomas, Ludwig 199–200
Schütte, Wilfried 118, 152 Steinecke, Hartmut 270 Thomas von Aquin 62
Schütze, Stephan 221 Steiner, George 207 Thomasius, Christian 262
Schwarzkogler, Rudolf 325 Steinwachs, Ginka 247 Thurner, Christina 232
Schweizer, Julius 333 Sterne, Laurence 264, 266–267, 269– Tieck, Ludwig 18, 195, 238–239
Schwind, Klaus 68 271, 279, 319 Tiepolo, Giovanni Domenico 313
Schwitalla, Johannes 119, 155 Sternheim, Carl 199, 201 Tip y Coll 381
Schwitters, Kurt 40, 245, 324 Stern, Howard 395 Tisseli, Eugenio 401
Scott, Sir Walter 38, 271 Steyerl, Hito 167 Töpffer, Rodolphe 39, 318
Scribe, Eugène 198, 212 Stifter, Adalbert 279 Torbergs, Friedrich 238
Searle, John R. 19, 65, 126, 134 Stille, Michael 229 Torriani, Vico 376
Secombe, Harry 388, 396 Stocking, Holly 148 Totò 45, 365
Seidel, Heinrich Wolfgang 238–239 Storey, Robert 80 Townshend, George 311
Sellers, Peter 166, 388, 396 Storm P. (d.i. Storm Petersen, Ro- Traxler, Hans 235, 243
Seneca 24 bert) 347 Trio 231
Sennett, Mack 352, 356–358 Strauß, Botho 207–208 Trockel, Rosemarie 327–328
Shaftesbury, Anthony Ashley Coo- Strauß, Franz-Josef 137 Truffaut, François 364, 370
per 69–70, 194 Strauß, Johann 230 Tryphon (Ps.-Tryphon) 61
Shakespeare, William 17, 20, 30, 32, Strauß, Richard 223, 225–226 Tucholsky, Kurt 13, 24, 53, 213, 216,
45, 58–60, 189–190, 208, 211, 270, Strawinskij, Igor 223–225 231, 243, 245, 284, 294, 330
367, 369 Streeck, Jürgen 155 Turing, Alan 397
Shaw, George Bernard 199–201 Streicher, Julius 163 Turner, Marc 114
Sheppard, William 62 Stricker, Der 262 Turpin, Ben 357
Sheridan, Richard Brinsley 194 Strietzel, Achim 217 Tzara, Tristan 326
Sherry, Richard 62 Stroheim, Erich von 360
Siboni, Judith 381 Strotzka, Hans 108 U
Siclier, Jacques 380 Stuart, Meg 232, 234 Udine, Giovanni da 36
Simon, Ralf 131, 176 Stumph, Wolfgang 217 Unzer, Ludwig 23
Sindermann, Thorsten 9 Sullivan, Arthur 227, 230
Sirk, Douglas (d.i. Sierck, Detlef) 364 Suls, Jerry M. 94
Personenregister 415

V Warden, May 376 Wittenwiler, Heinrich 24, 256, 258


Valentin, Karl 45, 212, 231, 237, 240, Warning, Rainer 186, 293 Wittgenstein, Ludwig 228
362, 365, 389 Weber, Friedrich August 221 Witting, Gunther 26–28, 127, 292–293
Vasari, Giorgio 36 Weber, Max 135 Wöhr, Lia 388
Veatch, Thomas 139 Webern, Anton 224 Wolff, Christian 12, 72
Vecchi, Orazio 229 Weber, Samuel 74–75, 109–110 Wolff, Hellmuth Christian 228–229,
Veit, Ivo 216 Wecker, Konstantin 217 234
Velázquez, Diego Rodríguez de Silva Wedekind, Frank 40, 231, 243–245, Wolfman Jack (d.i. Weston Smith, Ro-
y 308 294, 333 bert) 395
Venerabilis, Beda 62 Weir, Ruth 112 Wolzogen, Ernst von 212
Venske, Henning 217 Welke, Oliver 373 Woodward, George M. 311
Vergil 70, 262 Welles, Orson 367–368 Worsley, Francis 395
Verweyen, Theodor 26–28, 127, 292– Weltsch, Felix 8 Worth, Harry 375
293 Wenzel, Peter 114, 285, 287 Wright, Thomas 318
Vetter, Gabriel 215 Werfel, Franz 245 Wulf, Christian 293
Viau, Theophile de 262 Wertmüller, Lina 297 Wulf, Christoph 83
Villaviciosa, José de 258 West, Franz 325–326, 328 Wundt, Willhelm 93
Vinci, Leonardo da 308 West, Mae 365 Wynn, Ed 393
Vischer, Friedrich Theodor 13, 23, 39– Wickram, Jörg 286, 291
40, 74, 101, 316–317 Wieland, Christoph Martin 24, 59, X
Vitásek, Andreas 217 264–265, 267–268, 271, 313 Xenophon 43
Vitruv 35 Wiener, Hugo 245
Volkelt, Johannes 23 Wiener, Oswald 325 Y
Volkmann, Elisabeth 377 Wiesenborn, Günther 334 Yanar, Kaya 167
Voltaire 24, 140 Wilbur, C.J. 156 Y-Titty 378, 399
Voß, Johann Heinrich 239 Wilde, Oscar 198
Wilder, Billy 297, 364–366 Z
W Wilhelm II. 64 Zajdman, Anat 65
Waalkes, Otto 14, 46, 237, 241, 247, Williams, Bert 360 Zappa, Frank 221, 225, 231
388 Williams, Emmett 324 Zehrer, Klaus Cäsar 235, 242, 287,
Wader, Hannes 217 Williamson, James 355, 357 291–292
Waechter, F.K. 235, 281, 287, 289, 330 Wilson, Deirdre 20, 64 Zemeckis, Robert 369
Waescher, Hans Rudi 347 Winner, Ellen 118 Ziegfeld, Florenz 360
Wagner, Richard 225 Winter-Froemel, Esme 57 Zigoto 356
Waldoff, Claire 213 Wippersberg, Walter 167 Zille, Heinrich 320
Walliams, David 375 Wirag, Lino 287 Zillmann, Dolf 95, 148
Wallraff, Günther 169 Wischmeyer, Dietmar 391 Žižek, Slavoj 171
Walser, Martin 24 Wise, Ernie 375 Zudeick, Peter 389
Walther von der Vogelweide 241 Wislon, Deirdre 116 Zymner, Rüdiger 235, 288

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