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Die Diskursforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten auch im deut-

schen Sprachraum als ein dynamisches Forschungsfeld etabliert. Ihre ter-


minologische Vielfalt ist allerdings selbst für Spezialistinnen und Spezia-
listen kaum mehr zu überblicken. Dieses Wörterbuch – das erste seiner
Art – kommt dem steigenden Bedarf nach Verständigung über disziplinäre
Grenzen hinweg nach. Mit seinen 554 Einträgen deckt es die Breite der
Diskursforschung in Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft, Sprach-
wissenschaft, Literaturwissenschaft, Medien- und Kommunikationswis-
senschaft, Geschichtswissenschaft, Psychologie, Erziehungswissenschaft
und Geographie ab. Ein unentbehrliches Kompendium für alle Diskurs-
forscherInnen.
Daniel Wrana ist Professor für Selbstgesteuertes Lernen und Lernforschung
an der Pädagogischen Hochschule der Nordwestschweiz in Basel.
Alexander Ziem ist Research Fellow am International Computer Science
Institute/FrameNet in Berkeley sowie Professor am Institut für Germanis-
tik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Martin Reisigl ist Assistenzprofessor für Soziolinguistik am Institut für
Germanistik und am Center for the Study of Language and Society an der
Universität Bern.
Martin Nonhoff ist Juniorprofessor für Politische Theorie am Institut für
Interkulturelle und Internationale Studien an der Universität Bremen.
Johannes Angermuller ist Professor of Discourse am Centre of Applied
Linguistics an der University of Warwick und Forschungsgruppenleiter am
CEMS/EHESS in Paris.
A
B
DiskursNetz C
Wörterbuch D
der interdisziplinären E
Diskursforschung
F
Herausgegeben von G
Daniel Wrana, Alexander Ziem,
Martin Reisigl, Martin Nonhoff, H
Johannes Angermuller I
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
Suhrkamp Z
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2097


Erste Auflage 2014
© Suhrkamp Verlag Berlin 2014
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag nach Entwürfen
von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt
Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim
Printed in Germany
ISBN 978-3-518-29697-4
A
B
Inhalt
C
Einleitung  7
D
Autorinnen und Autoren  11 E
F
Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung. G
A bis Zweck  15
H
I
Literatur  449
Die Herausgeber  560 K
Verzeichnis der Lemmata   562 L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
Z
7 A
B
Einleitung
C
D
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Diskursforschung im
deutschsprachigen Raum eine unübersehbare Konjunktur erlebt. E
Aus dem Zusammentreffen sozial- und sprachwissenschaftlicher
Tendenzen ist ein dynamisches Forschungsfeld entstanden, das F
aufgrund der Vielfältigkeit seiner Ansätze und Terminologien auch
für Spezialistinnen und Spezialisten schwer zu überblicken ist. Auf- G
grund überkommener Kommunikationsbarrieren zwischen spezia-
lisierten Forschungsgebieten steigt der Bedarf nach Verständigung
H
über disziplinäre, sprachkulturelle und nationale Grenzen hinweg.
Nicht zuletzt die Rezeption des Werks von Michel Foucault hat
I
maßgeblichen Anteil daran, dass mit Diskurs heute ein Untersu- K
chungsobjekt bezeichnet wird, das in verschiedensten Fachdiszip-
linen auf Interesse stößt: in der qualitativ und quantitativ orien- L
tierten Sozialwissenschaft, die sich für das Verhältnis von Macht,
Wissen und Subjekt interessiert, genauso wie in der Linguistik, M
die große schriftsprachliche Textkorpora, mündliche Interaktionen
oder multimodale Kommunikation untersucht. Doch so produk- N
tiv diese Denkanstöße für die Etablierung der Diskursforschung
waren, so wenig reichen sie aus, um den sich vielfältig ausdifferen-
O
zierenden Bedürfnissen nach interdisziplinärer Verständigung in P
ganzer Breite zu entsprechen.
Mit der Konsolidierung der Diskursforschung als Feld empirisch- Q
theoretischer Forschung rückt die Frage nach dem begriffsanaly-
tischen Instrumentarium in den Fokus der Aufmerksamkeit. Das R
vorliegende Wörterbuch basiert auf einem breiten Verständnis
von Diskurs als einer sprachlich bzw. semiotisch vermittelten so- S
zialen Praxis im Kontext von Wissen und Macht. Es versammelt
eine Vielzahl von Begriffen, die aus unterschiedlichen theoreti- T
schen, methodologischen und forschungspraktischen Traditio- U
nen stammen und die unterschiedlichen Dimensionen, Aspekte,
Typen, Arten und Strategien von Diskursen beleuchten: Diskurs V
als Macht-Wissens-Ordnung, Diskurs als semantisch oder prag-
matisch bestimmter Kommunikationszusammenhang, Diskurs W
als transphrastische bzw. transtextuelle Ordnung, Diskurs als ge-
regeltes Sprechen in einer spezifischen Kommunikationssituation, Z
8 einleitung
Diskurs als kommunikativer Haushalt einer Diskursgemeinschaft,
Diskurs als Sprachgebrauch im sozialen Zusammenhang, Diskurs
als sprachlich vermittelte Subjektformierung usw.
Das Wörterbuch umfasst 554 Einträge, die das breite Spektrum
der Diskursforschung in verschiedenen Disziplinen abbilden – da-
runter der Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft, Sprachwis-
senschaft, Literaturwissenschaft, Medien- und Kommunikations-
wissenschaft, Anthropologie, Geschichtswissenschaft, Psychologie,
Erziehungswissenschaft und (Human-)Geographie. Im Zentrum
stehen die wichtigsten Begriffe der deutschsprachigen Debatten; es
werden aber auch zahlreiche Termini behandelt, die insbesondere
im anglophonen und frankophonen Sprachraum Verwendung fin-
den. Die Einträge sollen etablierte Begriffsverwendungen erklären
und Anregungen zur vertiefenden Lektüre geben. Wo parallel ge-
brauchte Begriffe im Englischen oder Französischen keine einfach
zu erschließenden Übersetzungen aufweisen, werden diese angege-
ben. Wo etymologische Angaben erkenntnisbereichernd sind, wer-
den diese ebenfalls angeführt. Verweise machen Bezüge zwischen
den Einträgen sichtbar.
Das Wörterbuch ist aus der Arbeit von DiskursNetz hervorgegan-
gen. Dieses interdisziplinäre und internationale Netzwerk wurde
2006 von Johannes Angermuller* initiiert und mit Martin Non-
hoff, Alexander Ziem und Reiner Keller 2007 bei der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) unter dem Titel »Methodologien
und Methoden der Diskursanalyse« beantragt. Seit 2008 treffen
sich die Mitglieder des DiskursNetzes zweimal jährlich, um an ge-
meinsamen Publikationsprojekten zu arbeiten, die die vielfältigen
Entwicklungen in der Diskursforschung erörtern und einem brei-
ten wissenschaftlichen Publikum zugänglich machen. Neben dem
Wörterbuch hat DiskursNetz ein zweibändiges Überblickswerk (Dis-
kursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Bielefeld: transcript)
her­ausgegeben, das das Feld in seiner interdisziplinären Breite mit ei-
nem besonderen Akzent auf methodische Ansätze und Probleme der
Forschungspraxis darstellt. Das Netzwerk ist offen für alle Diskurs-
forscherinnen und Diskursforscher. Auf der Webplattform 〈www.
diskursanalyse.net〉, die in mehreren Sprachen (Deutsch, Englisch,
Französisch, Portugiesisch und Spanisch sowie Türkisch, Niederlän-
disch und Polnisch in Vorbereitung) existiert, können sich alle In-
* Auf Grund seines Wechsels nach Großbritannien und Frankreich erscheinen Pub-
likationen von Johannes Angermuller seit 2012 ohne Umlaut im Namen.
einleitung 9 A
teressierten eintragen, die sich über die aktuellen Aktivitäten von
DiskursNetz informieren und dessen Ressourcen nutzen möchten. B
Mit der Webplattform 〈www.diskursanalyse.net〉 wurde ein
Content-Tool bereitgestellt, mit dessen Hilfe die Lemmata des
C
Wörterbuchs bearbeitet, begutachtet, von den Herausgebern ver- D
waltet und redigiert wurden. Seit 2008 haben etwa einhundert Au-
torinnen und Autoren die Einträge geschrieben und kommentiert. E
Der über die Webseite organisierte Begutachtungsprozess, der po-
tentiell die Perspektiven aller AutorInnen auf alle Artikel einschloss F
und somit auf die Berücksichtigung möglichst vieler relevanter dis-
ziplinärer Blickwinkel abzielte, ermöglichte neue Formen der inter- G
disziplinären und multiperspektivischen Qualitätsentwicklung der
Beiträge. Daniel Wrana, Alexander Ziem, Martin Reisigl, Martin
H
Nonhoff und Johannes Angermuller haben im Auftrag von Dis-
kursNetz den Prozess koordiniert, die Einträge gesammelt und für
I
die vorliegende Buchpublikation redaktionell aufbereitet. K
Die Reihenfolge der Namen der Herausgeber ist willkürlich  –
mit einer Ausnahme: Daniel Wrana wird als erster Herausgeber ge- L
nannt, um symbolisch anzuerkennen, wer sich den größten redak-
tionellen Arbeitsaufwand aufgebürdet hat. Es ist uns bewusst, dass M
gängige Zitierkonventionen den ab der zweiten Namensposition
Genannten keine Gerechtigkeit widerfahren lassen (bei mehr als N
drei Autoren oder Herausgebern wird oft mit »u. a.« oder »et al.« ab-
gekürzt). Daher laden wir die Leserinnen und Leser nicht nur dazu
O
ein, beim Zitieren eines Lemmas aus dem Wörterbuch immer den P
jeweiligen Autor oder die jeweilige Autorin des zitierten Eintrags
anzugeben, sondern auch dazu, mit der inzwischen leider üblichen Q
Zitierweise zu brechen und alle fünf Herausgeber anzuführen. Dan-
ken möchten wir den MitarbeiterInnen, die uns bei der redaktionel- R
len Arbeit unterstützt haben: Misha Burrows, Michael Seitzinger,
Christian Leonhardt, Martin Seibert und Sabrina Schröder. S
Wir hoffen, dass dieses Wörterbuch den geneigten Leserinnen
und Lesern für eigene Diskursstudien Hilfe und Anregungen bie- T
tet. Wir wünschen eine erhellende und für die eigene Arbeit moti- U
vierende Lektüre!
V
Die Herausgeber:
Daniel Wrana, Alexander Ziem, Martin Reisigl, W
Martin Nonhoff, Johannes Angermuller,
Basel, Berkeley, Bern, Bremen und Birmingham im Oktober 2013 Z
11 A
B
Autorinnen und Autoren
C
D
Das Wörterbuch der interdisziplinären Diskursanalyse ist eine Ge-
meinschaftsproduktion des DiskursNetzes. Die Beiträge sind von E
folgenden Autorinnen und Autoren verfasst worden.
F
AcL Achim Landwehr
AD Arnulf Deppermann G
ADP Alfonso Del Percio
AK Amelie Kutter
H
AM
AN
Annika Mattissek
Andreas Niederberger
I
AnL Antje Langer K
AP Alexander Preisinger
AS Adrian Staudacher L
AZ Alexander Ziem
M
BK Björn Krey
BT Boris Traue N
CB Christine Blättler
O
CE Christoph Engemann P
CM Christian Meyer
CP Christian Pentzold Q
DB Dietrich Busse R
DBe Désirée Bender
DGS Derya Gür-Şeker S
DM Dominique Maingueneau
DSB Daniel Schmidt-Brücken T
DW Daniel Wrana U
EH Eva Herschinger V
EW Elisabeth Wehling
W
FA Frederick Attenborough
FH Franz Hundsnurscher Z
12 autorinnen und autoren
FM Felicitas Macgilchrist
FO Frank Oberzaucher
FV Frieder Vogelmann

GG Georg Glasze

HS Hilmar Schäfer
HW Hartmut Winkler

JA Johannes Angermuller
JBe Johannes Beetz
JBo James Bond
JBu Judith Butler
JG Jacques Guilhaumou
JK Jan Krasni
JL Jürgen Link
JMa Jens Maeße
JMe John Meyer
JRZ Jeannine Richard-Zappella
JSc Julia Schleisiek
JSt Jan Standke
JV Jef Verschueren
JW Juliette Wedl
JZ Jan Zienkowski

KJ Kerstin Jergus
KNH Kien Nghi Ha

LG Ludwig Gasteiger
LP Lisa Pfahl
LR Laurence Rosier

ME Maurice Erb
MH Maarten Hajer
MJ Monika Jäckle
MM Mona Motakef
MN Martin Nonhoff
MO Marion Ott
MR Martin Reisigl
MSc Maren Schreier
autorinnen und autoren 13 A
MSou Miguel Souza
MT Malika Temmar B
MW Martin Wengeler
C
NB Noah Bubenhofer D
OG Olga Galanova E
OK Oliver Krüger
F
PB Pascale Brunner
PC Philipp Casula G
PD Pascale Delormas
PS Paul Siblot
H
RA Ruth Amossy
I
RC Robin Celikates K
RDB Rainer Diaz-Bone
RF Robert Feustel L
RH Roger Häußling
RKe Reiner Keller M
RKu Reiner Küpper
RM Reinhard Messerschmidt N
RS Ronny Scholz
RW Ruth Wodak
O
P
SaHa Sabine Hark
SaHi Sarah Hitzler Q
SB Saša Bosančić
SE Sandra Eck R
SKo Sandra Koch
SKr Susanne Krasmann S
SM Stefan Meier
SN Sigrid Norris T
SO Sven Opitz U
SaS Sabrina Schenk
StHi Stefan Hirschauer V
SZ Slavoj Žižek
W
TN Thomas Niehr
TS Thomas Scheffer Z
14 autorinnen und autoren
TvL Theo van Leeuwen
UB Ulrich Bröckling
UT Ute Tellmann

VK Veronika Koller

WT Winfried Thielmann
WV Willy Viehöver

YP Yannik Porsché
YS Yannis Stavrakakis
a 15 A
Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung.
B
A bis Zweck C
D
A verweist in Lacans psychoanalytischer Theorie auf das zentrale E
Konzept des großen Anderen A (le grand Autre). Dieser Begriff
durchläuft zu verschiedenen Zeitpunkten, manchmal aber auch F
gleichzeitig eine Reihe von Bedeutungen, die sich bisweilen gegen-
sätzlich zueinander verhalten. Doch ist es wichtig, die Dinge nicht G
durch die Feststellung verschiedener Bedeutungen zu »klären«,
sondern der inneren Logik Rechnung zu tragen, die von der einen
H
zur anderen Bedeutung führt. Zunächst wird das große Andere als
das andere Subjekt in seiner radikalen Alterität eingeführt, in Ab-
I
grenzung zum einfachen Alter Ego oder meinem Nächsten, d. h. als K
der absolute Andere jenseits der sprachlichen Mauer, die zwischen
Subjekten vermittelt und sie gleichzeitig auseinanderhält: Wer bist L
du, hinter dem irreführenden Schleier der Worte (Lacan 1991/1978:
311 f.)? Dann wird das große Andere zur unbewusst-anonymen Tex- M
tur der symbolischen Ordnung, die die Verhältnisse zwischen den
Subjekten reguliert (Lacan 1996a/1981: 233). In seiner radikalsten, N
»strukturalistischsten« Phase unterwirft Lacan die Subjekte völlig
dem großen Anderen: Subjekte sprechen nicht; das große Andere
O
spricht durch diese; sie werden vom großen Anderen »gesprochen« P
(Lacan 1999a/1966: 125). In diesem Sinn ist das Unbewusste »der
Diskurs des Anderen«. In der letzten Phase seiner Lehre richtet Q
sich der Fokus auf den Mangel im/des Anderen. Das große An-
dere (bzw. die symbolische Ordnung) ist inkonsistent, dezentriert, R
defizitär, gebrochen, um einen unmöglichen Kern eines Objekts
herum strukturiert, das der Symbolisierung widersteht (Lacan S
1996b/1973: 150). In seiner radikalsten Ausprägung ist dieses Ob-
jekt das traumatisch-inzestuöse Ding. Lacan behauptet sogar, dass T
das große Andere gar nicht existiere. Der symbolische Raum sei U
eine bloße Chimäre (semblance), die uns erlaubt, unsere Distanz
zum Ding aufrechtzuerhalten. Diese Wandlungen des großen An- V
deren korrelieren strikt mit den Wandlungen seines Gegenteils, des
Begriffs des kleinen Anderen (le petit autre) oder später des kleinen W
Objekts a (l’objet petit a) (Lacan 1997/1981: 49) als des das Verlan-
gen auslösenden Objekts. Der kleine Andere ist zunächst sowohl Z
16 abduktion
mein Ich als auch mein Alter Ego, die beide imaginäre Subjekte
sind, aber ihrer eigenen symbolischen Überdeterminierung nicht
bewusst sind. Sobald das große Andere als inkonsistent/gebrochen
gefasst wird, wird das kleine Andere jedoch zum Riss (glitch) in der
symbolischen Ordnung, d. h. zum Kern (kernel) des der Symboli-
sierung widerstehenden Realen und zum Grund des Verlangens des
Subjekts. In dieser Funktion ist es das verlorene Objekt, das, wo-
nach das Subjekt sucht, aber was es niemals finden kann, da dessen
Verlust einhergeht mit dem Eintritt des Subjekts in die symbolische
Ordnung. [SZ, übersetzt von JA]
→ Affekt → Alter(ität) → Begehren → Diskursanalyse,poststrukturalistische
→ Imaginäre, das → Mangel → Psychoanalyse → Reale, das → Symbolische,
das → Wunsch

Abduktion [Synonym: Retroduktion; engl. abduction] bezeichnet


in Peirce’ Semiotik und Wissenschaftstheorie (1993: 96) den ersten
Schritt im gesamten Prozess des Folgerns, an den die Induktion
und die Deduktion als weitere Verfahren des Schließens anknüpfen
können. Der auf Julius Pacius (1967/1597) zurückgehende Begriff
(Peirce 1993: 90) bezieht sich auf jenes kreative Moment im Bereich
des Entdeckungszusammenhangs, bei dem eine mögliche Erklä-
rung für eine überraschende Beobachtung oder Erfahrung als Hy-
pothese mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufgestellt wird (sie-
he auch Rellstab 2007: 271-276). Wer z. B. weiß, dass alle Bohnen,
die sich in einem Sack befinden, weiß sind, und neben dem Sack
ein Häufchen weißer Bohnen liegen sieht, kann abduktiv mutma-
ßen, dass die neben dem Sack liegenden Bohnen aus dem Sack
stammen (vgl. zu diesem von Peirce verwendeten Beispiel Nagl
1992: 113). Im Gegensatz zur Abduktion besteht die Deduktion in
der Ableitung einer bestimmten Konsequenz aus allgemeinen Prä-
missen oder in der Anwendung einer allgemeinen Regel auf einen
Einzelfall. Die Induktion besteht dagegen in einer Folgerung, die
aufgrund von Einzelsätzen oder Einzelbeobachtungen allgemeine
Thesen aufstellt bzw. abduktiv gewonnene Hypothesen empirisch
überprüft (vgl. dazu Peirce 1993: 89-98). Als Prozesse der Semiose
sind Abduktion, Induktion und Deduktion komplexe »logische In-
terpretanten«. In der Diskursforschung wird der Begriff u. a. in der
Essex School (Glynos/Howarth 2007: 24-48), im Wiener Ansatz
der Kritischen Diskursanalyse (vgl. Reisigl 2010: 95-97) und im Ol-
denburger Ansatz (Harendarski 2012: 254-260; Harendarski/Gloy
abschwächung 17 A
1996) verwendet, um kreative Momente der diskursiven Erkennt-
nisgewinnung zu erfassen, die in positivistischen Wissenschaftsthe- B
orien vernachlässigt werden. [MR]
C
→ Argumentation → Interpretant
D
Abschwächung [engl. mitigation, hedges] ist in der Diskursfor-
schung ein Gegenbegriff zu Verstärkung oder Intensivierung. Er E
bezieht sich auf die Verringerung der illokutiven Kraft von Sprech-
akten bzw. Sprechhandlungen. Relevant ist der Begriff in pragma- F
tisch orientierten Ansätzen der Diskursanalyse, namentlich in der
feministischen Diskursanalyse, in der interaktionalen Soziolingu- G
istik und im Diskurshistorischen Ansatz (DHA) (z. B. Gräßel 1991:
82-84). Letzterer unterscheidet zwischen verschiedenen Gruppen
H
von diskursiven Strategien, darunter den »Abschwächungs-« im
Unterschied zu den Verstärkungsstrategien (vgl. Reisigl/Wodak
I
2001: 83-85). Abschwächungen erfüllen die Funktion der abtönen- K
den oder relativierenden Verharmlosung und der Distanzierung,
aber auch der Kundgabe eines geringen Grades an Gewissheit, L
der als Kennzeichen nichtdominanten Sprachverhaltens interpre-
tiert werden kann. Ihnen gilt das Augenmerk in der Analyse von M
Diskursen über problematische Vergangenheit und in Untersu-
chungen von Unterschieden im Sprachgebrauch der Geschlechter. N
Sprachliche Mittel, die der Abschwächung dienen, sind Modali-
sierungselemente wie Abtönungspartikeln, Diminutivendungen,
O
Konditional- und Konzessivsätze, Konjunktiv, Euphemismen, Pa- P
raphrasen, Untertreibungen, Prokatalepsen (disclaimers), Rückver-
sicherungsfragen (tag questions), metakommunikative Formeln und Q
indirekte Sprechhandlungen. [MR]
→ Akt, illokutiver → Diskurshistorischer Ansatz → Modalität → Pragmatik R
→ Soziolinguistik → Strategien, diskursive
S
Accomplishment [Synonym: achievement; dt. (aktive) Hervor-
bringung, Vollzugswirklichkeit] ist ein Begriff aus der Ethnome- T
thodologie, in der soziale Wirklichkeit nicht als Gegebenheit U
begriffen wird, sondern als Vollzugswirklichkeit, als »an ongoing
accomplishment of the concerted activities of daily life, with the V
ordinary, artful ways of that accomplishment being by members
known, used, and taken for granted« (Garfinkel 1967: vii). Exter- W
ne soziale Tatsachen im Sinne Durkheims oder die Lebenswelt im
Sinne Schütz’, wie sie dem Individuum als vermeintlich objektive Z
18 account
Realitäten gegenübertreten, werden als aktive, situative und prak-
tische Hervorbringungen durch den Menschen angesehen. Soziale
Realität wird damit als etwas Fragiles begriffen, das immer wieder
lokal, d. h. im Hier und Jetzt, hervorgebracht werden muss. Der
Begriff des Accomplishment stellt damit die gelebte Geordnetheit
sozialer Wirklichkeit in den Vordergrund. Soziale Rollen z. B. sind
aus dieser Perspektive keine von allen Beteiligten im Vorhinein und
durchgängig akzeptierten Zuschreibungen, sondern müssen im-
mer wieder mit eigens dafür vorgesehenen und identifizierbaren
Methoden erzeugt werden. Es handelt sich um »configurations in
action« (Lynch 1997: 100, Hervorh. i. O.), die in jeder sozialen Si-
tuation, in der sie relevant sind, auch relevant gemacht und aktiv
konstituiert werden müssen. [CM]
→ Aktsequenz → Diskursanalyse, ethnomethodologische → Interaktion
→ Kompetenz

Account [dt. Darstellung, auch praktische Erklärung] ist ein zentraler


Theoriebaustein der Ethnomethodologie. Er bezeichnet zunächst
alle sozialen Handlungen, die erklärenden Charakter haben (z. B.
Rechtfertigungen) und damit einen Einblick in subjektive Hand-
lungsorientierungen geben. Garfinkel (1967) erweiterte den Begriff
zur accounting practice, um damit die Tatsache zu beschreiben, dass
soziale Handlungen intrinsisch beobachtbar, verstehbar, beschreib-
bar und erklärbar, also reflexiv, sind (Macbeth 2001). Da sich ge-
sellschaftliche AkteurInnen selbst fortwährend beobachten, führen
sie ihre eigenen Handlungen nicht einfach aus, sondern machen
sie, simultan mit ihrem Tun, für andere ostentativ beobachtbar und
verstehbar. Accounts sind daher gewissermaßen die »soziale Kom-
ponente« der Handlung selbst. Der Begriff des Account verleiht der
Ethnomethodologie eine epistemologische Fundierung: Indem er
jede Handlung als genuin reflexiv beschreibt, löst er die Trennung
zwischen Subjekt und Objekt auf und begreift den Menschen als
ein durch sein In-der-Welt-Sein performatives, soziales und kom-
munikatives Wesen (Mehan/Wood 1975). [SaHi/CM]
→ Accomplishment → Diskursanalyse, ethnomethodologische
→ Ethnomethodologie → Indexikalität → Konversationsanalyse → Reflexion
→ rezipientInnenspezifischer Zuschnitt

Adjazenzpaar [Synonym: Paarsequenz; engl. adjacency pair] wur-


de in den Anfängen der Konversationsanalyse als Begriff geprägt
adjuvant 19 A
(Schegloff/Sacks 1973) und bezieht sich auf ein normatives (also
nicht statistisches oder natürliches) Verhältnis von Äußerungsty- B
pen, die als zusammengehörig wahrgenommen werden und im
Allgemeinen auch gemeinsam auftreten. Zu den Adjazenzpaaren
C
gehören beispielsweise Gruß/Gegengruß oder Frage/Antwort. Das D
Ausbleiben eines zweiten Paarteils ist interaktiv als abwesend wahr-
nehmbar (noticeably absent) und kann damit als erklärungsbedürf- E
tig (accountable) behandelt werden, was ausgedehnte Kompensati-
onsbemühungen nach sich ziehen kann. Man spricht hier auch von F
konditioneller Relevanz (Schegloff 1968), die das erste Paarteil für
ein zweites Paarteil eröffnet. Während grundsätzlich jede Art von G
Äußerung Erwartbarkeiten für eine Anschlussäußerung etabliert,
sind die konditionellen Relevanzen im Fall des Adjazenzpaares
H
besonders eindeutig und interaktiv zwingend. Adjazenzpaare sind
insofern ein Ordnungsinstrument für Interaktionen, die einerseits
I
Erwartbarkeiten für die Beteiligten vorstrukturieren und diese da- K
durch bezüglich der Verständigungssicherung entlasten, anderer-
seits aber auch einen sozialen Zwangscharakter einbringen können L
(Schegloff 2007). [SaHi/CM]
→ Interaktion → Konversationsanalyse → Präferenz → Reparatur
M
→ Teilnehmerkonstellation → turn-taking
N
Adjuvant → Aktanten
O
Adressant → Aktanten
P
Adressierung bezeichnet in verschiedenen Theorien die Relati-
on von AdressatIn und AdressantIn. (1) In der poststrukturalisti- Q
schen Äußerungstheorie bzw. Narrationstheorie gelten AdressatIn
und AdressantIn als im Äußerungsakt erst konstituierte Instanzen R
(Benveniste 1974a/1958: 79 f.; Greimas 1971/1966). In diesem Sinn
bezeichnet Adressabilität in der Systemtheorie die Instanzen als S
Punkte der Zurechnung von Kommunikation (Fuchs 1997). (2) In
der Gesprächslinguistik ist Adressierung auf die Face-to-Face-In- T
teraktion bezogen und beschreibt die Ansprache der AdressatInnen U
im Zusammenspiel der Ebenen Körper-/Blickorientierung, sprach-
liche Anrede und Gestaltung der Äußerungsform (Hartung 2000: V
1348-1349). (3) Adressierungen sind im Kontext der Theorie der
Anrufung/Subjektivation (Althusser 1977/1969; Butler 2001/1997: W
101-123) soziale Zuschreibungen, die die Aufforderungen zu be-
stimmten Verhaltens- und (Be-)Handlungsweisen vermitteln. Sie Z
20 affekt
sind die eine Seite der Anrufung, auf die kontingente Formen ihrer
(Nicht-)Anerkennung folgen. Sie werden durch institutionalisierte
Settings vollzogen und sind zugleich diskursiv in gesellschaftlichen
Institutionen, politischen Programmen und sozialen Konstellatio-
nen enthalten. Komplexe Adressierungen sind als »Programme des
Regierens« (Bröckling/Krasmann/Lemke 2004: 12) Gegenstand
von Studien zur Gouvernementalität. Während diese die Ebene
der (Wieder-)Erkennung subjektivierender Anrufungen teilweise
ausblenden, werden Adressierungen praxisanalytisch als Subjekt-
positionen konstituierende Praktiken in institutionellen Settings
untersucht (z. B. Ott 2011; Reh 2011). [MO/DW]
→ Anrufung → Subjektivierung

Affekt bezieht sich als Begriff auf körperliche Prozesse des Affizie-
rens und Affiziert-Werdens, die sowohl von den individuellen Emo-
tionen als auch von den Verkettungen der Signifikanten getrennt
ablaufen (Deleuze/Guattari 1992/1980: 349-361). Diese These einer
»Autonomie des Affekts« (Massumi 2002) hat innerhalb der aktu-
ellen Debatte um einen »neuen Materialismus« an Bedeutung ge-
wonnen (Clough/Halley/Jean 2007; Gregg/Seigworth 2010). Dabei
stellt sich insbesondere die Frage nach dem Verhältnis zwischen Af-
fekt und Diskurs. Butler (2009a: 49-52) zufolge ist die körperliche
Responsivität durch interpretative Schemata strukturiert: Diskur-
sive Regime formatieren Modi des Sehens, Hörens und Fühlens.
Zugleich übersteigen affektive Reaktionen die Ordnung des Dis-
kurses. Nach Laclau (2005: 110-117; Stäheli 2007) führt die Kraft
des Affekts dagegen zur diskursiven Schließung: Gerade weil der
leere Signifikant eine leidenschaftliche Verhaftung erzeugt, vermag
er eine Hegemonie zu errichten. Für die Diskursanalyse stellt sich
hier das Problem des empirischen Zugangs. Ein Ansatz besteht in
der Fokussierung von Affekt-Technologien, die auf die Regulierung
von Angst, Begeisterung oder Hoffnung zielen (Massumi 2010:
105 ff.). [SO]
→ A → Begehren → Diskursanalyse, poststrukturalistische → Imaginäre, das
→ Mangel → Psychoanalyse → Reale, das → Symbolische, das → Wunsch

Agonismus bezeichnet zunächst eine Position in der politischen


Theorie, die den positiven Wert von Konflikten hervorhebt; in
der Demokratietheorie betont dies die Tradition des »agonisti-
schen Pluralismus« (vgl. Connolly 2005). Aus diskurstheoretischer
akt 21 A
Sicht ist die Position von Mouffe einschlägig, die von der ontolo-
gischen Unüberwindbarkeit des Konfliktes in Demokratien aus- B
geht (1993, 2007). Zentral ist hier die Art der Konfliktaustragung:
Entgegen Carl Schmitts Auffassung, den Kern des Politischen in
C
der Unterscheidung zwischen Freund und Feind und den Feind D
als radikal Anderes zu sehen, der im Extremfall vernichtet werden
kann, befürworten agonale Demokratietheorien eine Unterschei- E
dung zwischen Gegnern und Freunden (Mouffe 1993: 4). Da
Gegner grundlegende Werte der demokratischen Ordnung teilen, F
kann ihre Bekämpfung auch nur nach den Regeln der demokra-
tischen Konfliktaustragung erfolgen. So können befürwortende G
Kräfte für demokratische Modelle mobilisiert werden (Mouffe
2000). [EH]
H
→ Antagonismus I
Akt ist ein in der pragmatisch orientierten Diskursforschung ver- K
wendeter Begriff, der sich auf Aspekte sprachlichen Handelns be-
zieht. In der Sprechakttheorie Austins und Searles wird der Ter- L
minus einerseits auf Typen von Sprechakten insgesamt (z. B. auf
sogenannte repräsentative bzw. assertive Sprechakte), andererseits M
auf einzelne Subkomponenten dieser Sprechakte bezogen. So un-
terscheidet Austin (2002/1962: 112-125) zwischen phonetischem Akt N
(Äußerung von Sprechlauten), phatischem Akt (grammatisch or-
ganisierter Äußerung von Worten), rhetischem Akt (Aussage über
O
etwas), illokutivem Akt (Indikation der performativen Qualität P
der Proposition) und perlokutivem Akt (intendierter Wirkung des
Sprechakts). Searle (1994/1969: 39-43) übernimmt von Austin die Q
Konzepte des illokutionären und perlokutionären Akts, benennt den
rhetischen Akt in den propositionalen Akt um und fasst den pho- R
netischen und phatischen Akt zum Äußerungsakt zusammen. Die
Funktionale Pragmatik enthebt die Sprechakttheorie ihrer Satzbe- S
zogenheit und führt eine terminologische Differenzierung zwischen
Sprechhandlung und Akt ein. Eine Sprechhandlung gilt ihr als inte- T
grale sprachliche Handlungseinheit (z. B. als assertive Sprechhand- U
lung). Die drei von Searle übernommenen Akte (Äußerungsakt,
propositionaler Akt, illokutiver Akt) siedelt sie »unterhalb« dieser V
Handlungsebene an (Ehlich 2007a: 22). Das theoretisch und em-
pirisch kaum zu fassende Konzept des perlokutionären Aktes lehnt W
die Funktionale Pragmatik ab (Rehbein/Kameyama 2004: 557).
Die Birmingham Group bestimmt Akt als funktionale Einheit der Z
22 akt, illokutiver
»untersten« von insgesamt fünf Stufen eines Diskurses. In diesem
Ansatz entspricht ein Akt in etwa der grammatischen Einheit des
Satzes oder Teilsatzes, wobei Akte nicht als grammatische, sondern
als funktionale Einheiten betrachtet werden (Sinclair/Coulthard
1975: 27-29). Brown und Levinson (1987: 65) begreifen Akt inten-
tionalistisch als das, was durch verbale oder nonverbale Kommu-
nikation getan wird. In ihrer Theorie der positiven und negativen
Höflichkeit unterscheiden sie in Anknüpfung an Goffman zwi-
schen gesichtsbedrohenden und gesichtswahrenden Akten (Brown/
Levinson 1987: 65-71). Mead kennzeichnet in seiner Theorie des
symbolischen Interaktionismus social act (dt. soziale Handlung) als
Handlung, bei der ein Invidivuum durch sein Handeln als Aus-
lösereiz für die Reaktion eines anderen Individuums dient (Mead
1973/1934: 210). Aus evolutionärer Perspektive interessiert er sich
für die Herausbildung von Gebärden (als Anfängen sozialer Akte)
und symbolisch vermittelte soziale Akte (Mead 1973/1934: 210-221).
Unter Rückgriff auf Austin konzeptualisiert Butler Geschlecht als
eine durch performative Akte sozial konstitutierte Kategorie (Butler
1988). In ihrer Auseinandersetzung mit diskriminierender Sprache
entwickelt sie eine Theorie der Performativität und des politischen
Diskurses, die hate speech unter dem Gesichtspunkt performativer
Akte begreift, denen nicht durch staatliche Zensur, sondern im
Rahmen eines gesellschaftlichen und kulturellen Sprachkampfes
entgegenzutreten sei (Butler 2006: 70). [MR]
→ Akt, illokutiver → Akt, perlokutiver → Akt, propositionaler
→ Äußerungsakt → Birmingham Approach → Effekt, perlokutiver
→ Positionierung → Pragmatik, Funktionale

Akt, illokutiver stellt in Austins (2002/1962) und Searles


(1994/1969) Sprechakttheorie neben den lokutionären und perlo-
kutionären Komponenten die kleinste Kommunikationseinheit
und eine konstitutive Teilhandlung eines jeden Sprechaktes dar.
Während sich der lokutionäre Sprechakt auf den propositionalen
Gehalt bezieht und der perlokutionäre Sprechakt den Effekt be-
zeichnet, den eine Äußerung auf GesprächspartnerInnen hat (z. B.
jemand wird durch Argumente überzeugt oder gelangweilt), be-
zeichnet der illokutionäre Sprechakt die vollzogene Handlung oder
Kraft. Eine Sprechhandlung wie z. B. eine Behauptung, Warnung,
Frage, Aufforderung oder Empfehlung, hängt dabei davon ab, mit
welcher Intention der Sprecher eine Aussage tätigt bzw. wie sie ver-
akt, perlokutiver 23 A
standen werden soll. Eine Äußerung muss laut Searle bestimmten
Regeln folgen, damit sie für andere GesprächsteilnehmerInnen als B
illokutiver Akt erkennbar ist. [YP]
C
→ Akt, perlokutiver → Akt, propositionaler → Äußerungsakt
→ Sprechakt(theorie) D
Akt, perlokutiver [Synonym: perlokutionärer Akt; von lat. per E
»durch«, »mittels« und locutio »das Sprechen«] bezeichnet im
Rahmen der Sprechakttheorie die mehr oder weniger erwartete F
Wirkung einer Äußerung auf »die Gefühle, Gedanken oder Hand-
lungen des oder der Hörer, des Sprechers oder anderer Personen« G
(Austin 2002/1962: 118). Eine Behauptung kann beispielsweise auf
den Hörer oder die Hörerin den Effekt des Überzeugtseins oder
H
des Beleidigtseins haben. Der Terminus bleibt bei Austin letztlich
schillernd. Austin sieht den Ausdruck perlokutionärer Akt für den
I
Prozess des Vollziehens eines nichtkonventionalen Aktes vor, der K
ein perlokutionäres Ziel erreicht (überzeugen, überreden) oder ein
nichtintendiertes perlokutives Nachspiel zeitigt (Austin 2002/1962: L
134), während er vorschlägt, unter Perlokutionen die bereits voll-
zogenen Akte zu verstehen (Austin 2002/1962: 119). Als nichtkon- M
ventionale Akte, die eine in der Situation intentional erwartete
Wirkung haben können, aber nicht müssen, grenzt Austin die per- N
lokutionären Akte von den illukutionären Akten ab, die immer kraft
Konvention festgelegte, »normale« Folgen haben, z. B. das Getauft-
O
sein eines Schiffes nach dem verbalen Taufakt mit den Worten »Ich P
taufe dieses Schiff auf den Namen x« (Austin 2002/1962: 133). Der
Versuch, Perlokutionsklassen (epistemisch, motivational, emotio- Q
nal) zu erstellen, wurde in neueren Untersuchungen von Staffeldt
(2006: 133) unternommen, um eine Einbeziehung der Perlokutio- R
nen in ein theoretisches Gesamtgerüst der Sprechakttheorie zu ge-
währleisten. In der Diskursforschung werden Perlokutionen u. a. in S
der Interaktionsanalyse nach (Kerbrat-Orecchioni 2001) oder an-
hand von Effekten, die (Medien-)Diskurse auf die Öffentlichkeit T
haben können (Charaudeau 1997: 88), untersucht. [PB] U
→ Akt, illokutiver → Effekt, perlokutiver → Interaktion → Sprechakt(theorie)
V
Akt, propositionaler ist nach Searle (1994/1969: 39 f.) einer von
vier Teilakten von Sprechakten (Äußerungsakt, propositionaler W
Akt, illokutionärer Akt, perlokutionärer Akt). Der Vollzug eines
propositionalen Aktes besteht aus Referenz und Prädikation, d. h., Z
24 aktanten
der oder die SprecherIn verweist auf eine bestimmte Entität (Ob-
jekte, Ereignisse usw.) und spricht dieser eine gewisse Eigenschaft
zu. Referenz und Prädikation gelten in der Frame-Semantik (Ziem
2008a: 283-366) als sprachliche Grundfunktionen für kognitiv ori-
entierte Diskursanalysen. Verschiedene illokutionäre Akte können
den gleichen propositionalen Gehalt (Aussagegehalt) haben. So
referiert in den Sätzen (1) John trinkt gewohnheitsmäßig und (2)
Trinkt John gewohnheitsmäßig? der oder die SprecherIn jeweils auf
ein bestimmtes Objekt John und schreibt diesem die Eigenschaft
des »gewohnheitsmäßigen Trinkens« zu, vollzieht jedoch zwei
unterschiedliche illokutionäre Akte (Behauptung, Frage). In der
»propositionsorientierten Analyse« des DIMEAN-Modells (Warn-
ke/Spitzmüller 2008a: 26) wird der Satzinhalt unter semantischen,
syntaktischen und pragmatischen Aspekten behandelt, um Spre-
cherInnenhaltungen und Diskurspositionen aufzuzeigen. [PB]
→ Akt, illokutiver → Akt, perlokutiver → Effekt, perlokutiver → Prädikation
→ Proposition

Aktanten bilden in der narrativen Semantik eine narrative Struk-


tur, die zwischen der Textoberfläche und der Tiefenstruktur von
Texten vermittelt (Fiol 1990). Das Aktantenmodell ist von Greimas
(1971/1966, 1987) im Anschluss an die Arbeiten von Propp (1975)
entwickelt worden. Propp hatte die Struktur russischer Volksmär-
chen im Hinblick auf die systematisch in diesen erscheinenden
Funktionen (z. B. Verhinderung) und Rollenträger (Schurke, Held
usw.) analysiert, Greimas reduziert und abstrahiert das Modell
nochmals. Er unterscheidet sechs formale Aktantenrollen, d. h.
Adressat (Sender, frz. destinateur), Adressant (Empfänger, frz. de-
stinataire), Subjekt (Held, frz. sujet), Objekt (Zweck/Ziel, frz. ob-
jet), Adjuvant (Helfer, frz. adjuvant), Opponent (Widersacher, frz.
opposant), und ordnet diese den drei zentralen Analysekategorien
der Kommunikation (Beziehung: Adressat – Adressant), des Be-
gehrens (Beziehung: Subjekt – Objekt; Suche nach einer Person/
Wert) und der Handlung (z. B. Beziehung: Adjuvant – Opponent)
zu. Die Aktanten bilden eine Rollenstruktur, die nicht nur von
menschlichen Figuren oder individuellen und kollektiven Akteu-
ren ausgefüllt werden kann, sondern auch von abstrakten und kon-
zeptuellen Elementen. Strittig ist in der Theorie des Narrativen, wie
und wodurch die Aktantenstruktur in »Bewegung« gesetzt wird.
Aus der Sicht Ricœurs (2007: I, 7) sorgt der diskursive Akt des
akteurin 25 A
emplotment hierbei für die Konfiguration der Aktanten und ihrer
Handlungen bzw. Handlungsprogramme. Zur Konfiguration des B
narrativen Plots gehören auch die Isotopien der Zeit, die die in
der Erzählung stattfindenden Handlungen durch diskursive Be-
C
züge auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft temporalisieren, D
sowie die Isotopien des Raumes, die die Handlungsumwelten der
in der Geschichte agierenden Figuren bilden (Greimas 1971/1966). E
Latour hat den Begriff von Greimas in der Actor-Network ­Theory
rezipiert, um komplexe Verknüpfungen von menschlichen und F
nichtmenschlichen Akteuren in Serien und Netzwerken zu kenn-
zeichnen. Dem Aktanten als Zusammenhang kommen Aktivität G
und Agency zu (Latour 2007/2005: 96). [WV]
H
→ Differenz → Diskursanalyse, narrative → Diskursanalyse, strukturale
→ Mythos → Narration → Plot → Semiologie → Semiotik I
→ Semiotik, narrative → Signifikant → Signifikat → Struktur
→ Strukturalismus → Synchronie → Tiefenstruktur → Viereck, semiotisches K
AkteurIn bzw. AkteurInnen bezeichnet in den Sozialwissenschaf- L
ten gemeinhin individuell oder kollektiv Handelnde, die bestimmte
Ressourcen (etwa Geld oder Macht) mobilisieren, um Ziele zu er- M
reichen (etwa die angestrebten sozialen Positionen einzunehmen).
Akteure seien dabei weder vollkommen frei, noch seien ihnen die N
sozialen Kräfte und Zwänge notwendig bewusst, die auf ihr Han-
deln wirken. So begreift die akteurszentrierte Sozialwissenschaft seit
O
Weber (1984/1913) soziale Ordnung gemeinhin als einen nichtinten- P
tionalen Effekt, der aus dem intentionalen Handeln verschiedener
Akteure resultiert. Gegenüber makrosoziologischen Strukturmo- Q
dellen von Gesellschaft werden Akteure insbesondere von qualitativ
orientierten MikrosoziologInnen als praktische Problemlösungs- R
und Wissensinstanzen stark gemacht, die soziale Ordnung nicht als
eine völlig konstituierte vorfinden, sondern diese immer zunächst S
aushandeln, konstruieren und aneignen müssen (vgl. etwa Mead
1973/1934). Nicht zuletzt im Licht der poststrukturalistischen Sub- T
jektkritik (Foucault 2001a/1969) werden akteurszentrierte Ansätze, U
insofern sie den Akteuren einen ursprünglich gemeinten Sinn zu-
rechnen, in der sozialwissenschaftlichen Diskursforschung zumeist V
kritisch gesehen. Dem Akteur zugerechnete Funktionen und Di-
mensionen werden allerdings in Begriffen wie Agency, Selbstprak- W
tiken, Reflexivität, Widerstand oder Eigensinn reformuliert (z. B.
Butler 2001/1997; Wrana 2006; Graefe 2010). In Abgrenzung von Z
26 aktsequenz
»rekonstruktiven« Ansätzen der verstehenden Diskursforschung
begreifen insbesondere »dekonstruktive« Tendenzen die Akteure als
nach diskursiven Regeln produzierte Konstrukte und eben nicht als
ursprüngliche Verstehensinstanzen (vgl. z. B. Angermüller 2005a).
Doch gerade sofern die Kontingenz, Heterogenität und Dynamik
des Diskurses betont werden, bleibt die Problematik des Akteurs
auch in der Diskursforschung aktuell, müssen die Diskursteilneh-
merInnen doch immer wieder ihre praktische interpretative Kom-
petenz unter Beweis stellen (vgl. Angermüller 2010). [JA]
→ Handlung → Praktiken/Praxis → Subjekt

Aktsequenz bezeichnet in der Ethnographie des Sprechens und in


der Ethnomethodologie die Ordnung und Form eines Sprechereig-
nisses als Abfolge von aufeinander bezogenen Akten oder Zügen
im Sinne eines turn-taking. Die Bestimmung der Aktsequenz ist
relevant, um eine Sprechhandlung gemäß der Teilnehmerorientie-
rung zu kontextualisieren. Das Gesagte gewinnt hier Bedeutung im
Rückgriff auf vorherige Akte (etwa als Antwort auf eine Frage) und
im Vorgriff auf anschließende Akte (etwa auf eine kritische Nach-
frage) in einer Interaktion. Bestimmte Aktsequenzen entsprechen
rituellen Ablaufschemata. Andere ergeben sich aus Formalien oder
Programmen zur Herstellung gültiger Sprechakte. Gleichwohl sind
sie nicht determiniert. TeilnehmerInnen realisieren sie unter loka-
len, situativen Bedingungen. Der Begriff geht auf Hymes zurück
(1962), der das Sprechhandeln in der jeweiligen kulturellen Ausprä-
gung mit Mitteln der Ethnographie beforschte. Hymes begründete
mit seiner Mikroanalyse der Formen und der Abläufe sprachlicher
Interaktion die Ethnographie der Kommunikation. Neuere eth-
nographische Studien verbinden die innere Sequenzanalyse von
kommunikativen Ereignissen mit der äußeren Sequenzanalyse von
Ereignisreihen oder Prozessen (Scheffer 2008). [TS]
→ Ethnographie der Kommunikation → Gesprächszug → turn-taking

Akzeptabilität → Textualität

Alethurgie → Ethik des Selbst → Veridiktion → Wahrheitsspiel

Alltagsdiskurs [engl. everyday discourse] ist ein schillernder Begriff


zur typisierenden Bezeichnung von Diskursen, die gewohnheits-
mäßig, privat und mehr oder weniger routinisiert in lebensweltlich
alter(ität) 27 A
nahen sozialen Handlungsfeldern hervorgebracht werden und für
die Alltagssprache kennzeichnend ist. Die Ambiguität des Begriffs B
rührt daher, dass die soziologischen Kategorien des Alltags und des
Außeralltäglichen schwer zu fassen sind, da je nach Perspektive von
C
DiskursteilnehmerInnen und DiskursanalytikerInnen stark vari- D
iert, was jeweils als alltäglich oder außeralltäglich angesehen wird.
Der Begriff wird vor allem in der Kritischen Diskursforschung E
verwendet. Im Duisburger Ansatz gilt der Alltagsdiskurs als Dis-
kursebene, das heißt als ein spezifischer sozialer Ort, von dem aus F
gesprochen, zum Teil aber auch geschrieben wird (Jäger 2009/1993:
163 f.). Als charakteristisch für den Alltagsdiskurs wird angesehen, G
dass er sich durch Spontaneität der Rede und direkte Reaktionen
auf das Gesagte auszeichnet und dass sich die Beteiligten als Privat-
H
personen einbringen (Jäger 1996: 64). Der unverstellte analytische
Zugang zum Alltagsdiskurs gestaltet sich aufgrund des Beobach-
I
terparadoxons und aufgrund ethischer Bedenken gegen verdeckte K
Aufnahmen als schwer. Jäger (1996) optiert in ihrer Untersuchung
der alltäglichen Ethnisierung von Sexismus für die Durchführung L
nichtstandardisierter Interviews, die eine große Nähe zu Tiefenin-
terviews aufweisen. Gegenstand der kritischen Analyse von Alltags- M
diskursen sind häufig diskriminierende (z. B. rassistische, antise-
mitische) Vorurteile und Stereotype (vgl. van Dijk 1987; Wodak/ N
Nowak/Pelikan/Gruber/de Cillia/Mitten 1990). [MR]
O
→ Diskursanalyse, Duisburger → Diskursanalyse, Kritische → Diskursebene
→ Interview P
Alter(ität) bezeichnet die Andere, den Anderen, das Andere bzw. Q
Andersheit. Anders als in der Philosophie, die das Verhältnis zum
Anderen a als ein ethisch-ontologisches fasst (Buber 2006/1954; R
Levinas 2003/1980; Ricœur 2005a/1990), begreifen Ansätze der
Diskursforschung das Verhältnis von Ego (Ich) und Alter als S
eine Grundstruktur kommunikativer Prozesse, insbesondere in
handlungstheoretischen Kommunikationstheorien (Habermas T
1997/1981) oder auch in der Äußerungstheorie, für die jede Aus- U
sage von einem Lokutor L gegenüber einem (oder mehreren)
Allokutor(en) A hervorgebracht wird (Ducrot 1984). Während V
Mead die Ego-Alter-Beziehung mit dem generalisierten Anderen
um ein Drittes erweitert (1973/1934: 196), unterscheidet Lacan W
in seinem L-Modell sogar vier Positionen: das Subjekt $ erkennt
sich demnach mit Hilfe des Signifikanten S in einem imaginären Z
28 ambiguität
Anderen a in einer vom großen Anderen A instituierten Ordnung
(Lacan 1999b/1966: 81 f.). Bei Lacan bezeichnet a das (»imaginäre«)
Gegenüber in einer Kommunikationssituation und A das Andere
im Sinne einer systemischen Andersheit. [JA]
→ A → Diskursethik → Hegemonie → Lokutor/Allokutor

Ambiguität [Synonym: Ambivalenz, Mehrdeutigkeit, Vieldeutig-


keit] liegt dann vor, wenn einem Ausdruck (Signifikant) gleichzei-
tig mehrere Bedeutungen (Signifikate) zugeschrieben werden kön-
nen. Von einer Homonymie spricht man, wenn die Bedeutungen
gleicher Ausdrucksformen sich nicht im gleichen inhaltlichen Refe-
renzfeld befinden. Davon abzugrenzen ist die Synonymie, die eine
Bedeutungsgleichheit bei verschiedenen Ausdrücken meint. Ambig
bzw. mehrdeutig ist beispielsweise das Wort Aufzug. Erst in Abglei-
chung mit dem Kontext oder dem kommunikativen Handlungszu-
sammenhang lässt sich erschließen, ob der Ausdruck im Sinne von
»Fahrstuhl«, »Aufmachung« oder »Akt in einer Bühnenaufführung«
gemeint ist. Diskursanalytisch ist Ambiguität relevant, wenn un-
terschiedliche SprecherInnen in einem Diskurs den gleichen Aus-
druck unterschiedlich verwenden. Dies spitzt sich bei polysemen
Ausdrücken zu, die per definitionem vage Bedeutungen haben und
in einem unkonkreteren Referenzfeld verortet sind. Hierbei kann
es zu semantischen Kämpfen kommen, wenn bestimmte AkteurIn-
nen bzw. diskursive Positionen eine hegemoniale bzw. dominante
Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks oder Begriffes durchzuset-
zen versuchen (vgl. Böke/Liedtke/Wengeler 1991; Felder 2006). Ein
weiteres sprachstrategisches Vorgehen, das häufig in populistischen
Praktiken zur Anwendung kommt, bildet das Prinzip der kalku-
lierten Ambivalenz (Klein 1996: 206 f.). Dabei werden absichtlich
zweideutige, z. T. einander widersprechende Botschaften ausgesen-
det, um unterschiedliche Gruppen von AdressatInnen anzuspre-
chen, die angeregt werden sollen, diese semantischen Leerstellen
nach ihren kommunikativen Interessen zu füllen (vgl. Januschek
1993; Reisigl 2002a: 168, 171). [SM]
→ Adressierung → Polysemie → Relationen, semantische → Semantik
→ Signifikant → Signifikat

Analytik, interpretative [engl. interpretive/interpretative analy-


tics] bezeichnet die methodologische Position der Foucaultschen
Diskursanalyse sowie die Anlage diskursanalytischer Erklärungen.
anapher 29 A
Die Bezeichnung findet sich nicht in den Foucaultschen Schrif-
ten, sondern wurde von Dreyfus und Rabinow (1994) eingeführt B
und fand im Anschluss hieran große Verbreitung. Die Foucaultsche
Methodologie untersucht die Regeln und soziokognitiven Tiefen-
C
strukturen (Episteme) der diskursiven Praxis in ihren historischen D
und institutionellen Kontexten (Foucault 1974/1966). Die inter-
pretative Analytik unterscheidet sich sowohl von hermeneutischen E
als auch von strukturalistischen Positionen. Im Unterschied zur
Hermeneutik geht es nicht um die Rekonstruktion des subjektiv F
gemeinten Sinns historisch situierter sozialer AkteurInnen (Fou-
cault 1973a/1969). Die Tiefenstrukturen der diskursiven Praxis sind G
damit keine Sinnstrukturen von historischen AlltagsakteurInnen.
Im Unterschied zum Strukturalismus reduziert die interpretative
H
Analytik die diskursiven Tiefenstrukturen nicht auf universale bi-
näre Oppositionen, denn sie werden als soziohistorische Strukturen
I
gedacht, die Diskursen als kollektive Praxisformen eingelagert sind. K
Als Anlage für diskursanalytische Erklärungen bezeichnet die in-
terpretative Analytik eine analytische Strategie, die die diskursiven L
Regeln (und Tiefenstrukturen) in Beziehung setzt zu Dispositiven
und Institutionen, mit denen sie in einem historisch spezifischen M
und wechselseitigen Ermöglichungszusammenhang stehen (Diaz-
Bone 2005). [RDB] N
→ Bruch → Diskurshermeneutik → Episteme → Strukturalismus O
→ Tiefenstruktur
P
Anapher [von gr. anapherein »hinauftragen« und gr. anaphora »das
Zurückführen«] ist ein textlinguistischer Terminus, mit dem die Q
textuelle Eigenschaft sprachlicher Zeichen benannt wird, auf einen
bereits eingeführten Diskursreferenten (Antezedens) zurückzuver- R
weisen. Im Fall eines Vorwärtsbezuges spricht man von »Kataphern«
(de Beaugrande/Dressler 1981: 65). Beide dienen zur Herstellung S
von textueller Kohärenz, gelten als Pro-Formen und werden mit-
unter den rhetorischen Figuren zugerechnet. Zu unterscheiden ist T
zwischen pronominalen Anaphern – wenn etwa das Personalpro- U
nomen er auf eine eingeführte männliche Person verweist – und
sogenannten »indirekten« oder »assoziativen Anaphern« (Schwarz V
2000; Ziem 2012). Bei Letzteren liegt nur ein indirekter Bezug zwi-
schen dem jeweiligen Referenten der Anapher und ihrem Ante- W
zedens vor, z. B. »Heidi erreichte das Haus (Antezedens); die Tür
(assoziative Anapher) stand offen«. Anaphern wurden diskursana- Z

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