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ihre Freude ist demnach nicht der Rausch, die nur persönliche Bewegtheit
des Gemüts, sondern sie ist Freundlichkeit, die sich als nachbarliche
Freundschaft äußert.,Freude' und Freundlichkeit' sind die dominierenden
Wörter des ,Glückhaften Schiffs*. Der das Unternehmen fördernde Rhein
ist der freundliche Fluß, der die Menschen einander näher bringt. Weil er
Basel durchströmt, ist dieses die holdselige, freundliche Stadt:
„Du must gewiß sehr freüntlich sein
Weyl durch dich freündtlich rinnt der Rein
Darumb nach deiner freündtlichkeyt
Auff Straßburg freüntlidi vns geleit," (495).
Das im hellen Lichte der Sonne kraftvoll vorangetriebene Boot der Zür-
cher ist das freundliche, das glüdchafte Schiff, ein Fischartsches Symbol
nachbarlicher Freundschaft in der Freiheit.
DAS PODAGRAMMISCHE T R O S T B Ü C H L E I N
des Himmlischen, die Eitelkeit alles Ruhmes und die Gebrechlichkeit des
menschlichen Körpers stammen aus der Rede Pirckheimers. Einzig das
erzbarocke „äschenhüttlin" scheint Fisdiarts Erfindung zu sein, und es
taucht auch in der Rede des Carnarius als Zusatz Fischarts auf: „da wir
nicht nach dem flaisch (welches nur ain speis der würm vnd ain asdien-
häuslin ist), sondern nach dem Gaist, in welchem die vnsterblichkait vnd
Ewigkait besteht, leben." (65). Pirckheimers Apologie ist voller Klagen
über die Hinfälligkeit des Irdischen, im besonderen des Menschen. Sein
Memento mori! und seine Hinweise auf die vanitas ( . . . quam vana sit
omnis mundana gloria . . . ) , die wir sonst als Merkmale barocken Lebens-
gefühls zu bezeichnen gewohnt sind, tauchen hier zwei Generationen vor
Fischart auf.
Pirckheimer, der Nürnberger Stadtpatrizier, war bei Fischarts Geburt
schon 16 Jahre tot. Wenn in seiner Sprache und in seinem Denken die
Stilformen des 17. Jahrhunderts schon bereitlagen, dann weist das ganz
einfach darauf hin, daß diese Formen vom Mittelalter her im Hinter-
grunde der Renaissance weiterlebten und daß die deutsche Renaissance
im eigentlichen Sinne .vorübergehend' Lebensformen und Denkformen
verdeckte, die später im Barock wieder ins Licht traten und das Gesicht
des Zeitalters der Gegenreformation mitprägten. Auch Fischart zeigt in
seinen Paraphrasen, deren eine das ,Aschenhüttlein' ist, daß er diese b a -
rocken' Formen und Formeln zur Hand hat und sich ihrer bedienen kann,
wenn es ihm beliebt.
Nun ist es aber nicht ohne Bedeutung, daß diese .barocken' Formen in
einem Texte auftauchen, der von Grund auf ironisch zu verstehen ist. Das
,Podagrammische Trostbüdilein' ist ein ironisches Enkomion.
Die ironische Sprache schafft ein Dasein und eine Welt, in denen alles
aufs beste bestellt zu sein scheint. Sie hat den Klang der Humanisten-
sprache und stellt das Podagra in den göttlichen Weltplan als eine Gabe,
für die die Satten und Üppigen dankbar zu sein haben. Es gibt sich, wie
es Eulenspiegel und die Flöhe getan haben, den Anschein der biedersten
Bürgerlichkeit und beschönigt sein Tun damit, daß es sich nur zu den
Wollüstigen und Reichen geselle und von diesen nicht als Plage, sondern
als gerechte Strafe empfunden werde, die den Menschen an Erbsünde und
Sterblichkeit erinnere. Indes stelle es weder dem Gemüt noch dem Leben
seiner Opfer nach.
Das Ironische ist nicht ohne weiteres als solches zu erkennen. Denn
zunächst zeigt es sich durchaus als eindeutig und einschichtig: Seine Sprache
sagt das Gegenteil dessen, was sie meint; aber das Gemeinte wird zunächst
verschwiegen. So lobt Fischart beispielsweise das Podagra, daß es, im
Gegensatz zur Phrenitis, zur Melancholie, zur Fallsucht und zur Kolik,
deren rumorische, wütende Art bekannt sei, weder dem Gemüt noch dem
Leben der Befallenen nachstelle. Das sei ein Grund zur Dankbarkeit
gegenüber Gott, „der sie nicht mit berürten baides mut vnd leibs peini-
gunngen besucht vnd den kübel mit der milch vmbstoset" (50). In diesem
Zusatz Fischarts, der sich durch nichts vom übrigen Text abhebt, zeigt sich
hinsichtlich der Stilhöhe eine eigentliche .Verwerfung', ein Stilbrudi, an
dem uns die Scheinbarkeit der ironischen Stilhöhe zum Bewußtsein kommt:
Wenn Gott »den kübel mit der milch vmbstoset", so ist entweder der
Autor, der das sagt, in seinem Stilempfinden unsicher oder Gott in seinem
Tun sehr menschlich. In beiden Fällen blitzt durch die stilistische Bruch-
stelle das Bild eines Menschen, der durchaus nicht ein Gefäß besonderer
göttlichen Gnade zu sein scheint. Die ironisdie Sprache erweist sich als
Verhüllung, die über die Wirklichkeit gespannt ist und durch die nur an
wenigen Stellen, gewissermaßen an Fehlern im Gewebe der Sprache, das
darunter liegende Wirkliche erkannt werden kann. An diesen scheinbaren
Fehlleistungen der Sprache kommt uns die Zweischichtigkeit des ironischen
Stils zum Bewußtsein.
Wir haben oben auf die .barocken' Züge in Fischarts Sprache hingewie-
sen und gezeigt, daß sie aus Pirckheimers Text übernommen sind. Sie
erscheinen also nicht erst bei Fischart, sondern sind durch das Latein
herbeigebracht worden. Zugleich erweist sich diese Sprache mit den vielen
barocken Anklängen auch als ironische Sprache, und wir stehen also vor
der Tatsache, daß eine kommende, von Fischart vorweggenommene Stil-
eigenheit bewußt und artistisch gehandhabt wird und demnach den
Charakter des Alters hat. Eine ,historische' Sprache, die überdies ironisch
verwendet wird, ist keine Schöpfung der Seele, sondern ein Werkstoif
des Intellekts.