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Sieh dir doch nur das Frühwerk Mondrians an, Museum in Amsterdam statt.

Zwischen 1912
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N seine rote Mühle zum Beispiel. Schon damais und 1914 fullte Mondrian in Paris zwei Skizzen­
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war alles, was ér machte, genauso unwirklich. 1 bücher mit semiabstrakten Zeichnungen, zu
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denen er manchmal theosophische Bemer­
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-0 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchten viele kungen hinzufugte, die auf die Geheimlehre
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Künstler nach neuen Quellen für die Malerei. zurückgehen.7
Sie reisten in die Südsee, sammelten afrikani­ In dieser Zeit brachte Mondrian fur die
sche Masken oder lasen mystische Schriften. Zeitschrift Theosofia seine kunsttheoreti­
Auf <lem Weg in die Abstraktion liegen sie sich schen Ansichten zu Papier. Dieser nicht mehr
gleichermaBen von der Teilchenphysik inspi­ auffindbare Artikel gilt als Konzept fur das
rieren wie von Autoren, die neue religionsphi­ Manifest ,,De Nieuwe Beelding in de schilder­
losophische Impulse gaben, um <las ,,Groge kunst" (Die Neue Gestaltung in der Malerei),
Geistige" zu beschreiben. Alle Anregungen das 1917/18 in der von Mondrian mitbegrün­
waren willkommen, die einen Blick hinter die deten Zeitschrift De St(jl erschien. An diesem
Dinge erôffnen konnten und die Oberfüichc Text hatte Mondrian jahrelang gearbeitet. In
der materiellen Welt zu durchdringen geeig­ den 1920er Jahren intensivierte er seine
net waren.2 schriftstellerische Arbeit. Er war überzeugt,
GroBen Einfluss übte die Geheimlehre der das Schreiben leiste einen Beitrag zur Klarung
Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, der Entwicklung seiner Malerei. Schon in ,,Die
Helena Blavatsky, auf die Künstler aus.1888 in Neuc Gestaltung" hatte er formuliert: ,,Die
englischer Sprache erschienen und bald darauf Wahrheit offenbart sich selbst, sagt Spinoza,
ins Deutsche und Niederlandische übersetzt, doch durch <las Wort kann das Wissen von der
wurde sie von Künstlern wic Wassily Kandins­ Wahrheit beschleunigt und vertieft werden. "8
ky, Max Beckmann=' oder Piet Mondrian gele­ Dieser Beitrag widmet sich <lem theosophi­
sen.4 Mondrian augerte 1918, er verdanke alles schen Umfeld Mondrians in den Niederlan­
der Geheimlehre. 5 Ein Photo Blavatskys hing den und fragt nach der Theosophie als Quelle
um diese Zeit in seinem Atelier in Laren. 6 Seit künstlerischer Anregungen.9
1909 war er Mitglied der Theosophischen
Gesellschaft. Er war 37 Jahre alt, als er in einem Die Tradition der Theosophie
Brief seine theosophische Pragung bekannte.
Anlass zu dieser ÀuBerung war eine Bespre­ In den niederlandischen Künstlerkreisen, in
chung seiner ersten groBen Ausstellung durch denen Mondrian verkehrte, bildete die Theo­
den Kunstkritiker Israël Querido. Diese Aus­ sophie den gemeinsamen philosophischen
stellung fand im J anuar 1909 im Stcdelijk Nenner. Der Begriff ,,Theosophie" ist von den

Piet Mondrian. Theosophie und Abstraktion


Marty Bax
griechischen Wortern theos (Gott) und sophia nen geht, wird im theosophischen Zusammen­
(Weisheit) abgeleitet. ,,Theosophia" meint, hang die Welt oft als ,,die Natur" bezeichnet.
dass in der Theosophie Religion (theos) und Ein anderes Hauptmcrkmal der Theoso­
Philosophie (sophia) untrennbar miteinander phie ist die Betonung der personlichen mysti­
verbunden sind. Religios ist der Glaube an schen Erfahrung einer spirituellen Realitat,
eine selbststandige hohere Macht, die für <las die der sichtbaren Wirklichkeit zugrunde
Entstehen allen Lebens verantwortlich ist. liegt. In diesem Sinn ist die Theosophie eine
Philosophisch ist die Theosophie, weil sie gnostische Religion, eine Religion der person­
bestrebt ist, die Existenz dieser hoheren lichen Einkehr und Einsicht in das Gottliche,
Macht zu ,,beweisen" - sowohl auf der Grund­ die besagt, dass man die spirituelle Realitat
lage von reflektierender Argumentation als durch Intuition, Offenbarung, Kontemplation
auch durch die Beobachtung der Art und Wir­ oder eine andere Art der Konzentration auf
kung der sichtbaren und unsichtbaren Phano­ ein hoheres Bewusstsein bzw. dessen Ent­
mene auf der Erdc. wicklung erkennen kann. Die Theosophie ent­
Die Theosophie besitzt einige typische hüllt eine esoterische Lehre: die ,,innere Leh­
Merkmale: Sie ist erstens eine Form des re" oder die ,,Lehre des Verborgenen". Das
Monismus, der lchrt, dass aile sichtbaren und Wort ,,esoterisch" ist vom griechischen eso­
unsichtbaren Phanomene in Vergangenheit, thèn abgeleitet, das ,,von innen heraus",
Gegenwart und Zukunft auf einem einzigen ,,geheim" oder ,,eingeweiht" bedeutet. Die
,,gestaltenden Prinzip" beruhen. Dieses Prinzip esoterische Lehre ist der Gegenpol zur exote­
kann Gott heiBen oder andere Namen wie ,,das rischen Lehre, der ,,auBeren Umhüllung"; das
Eine", ,,das All", ,,die Wurzel" haben. Mit der griechische exothérikos bedeutet ,,von au1sen".
Bezeichnung ,,Gott" ist kein personifizierter Mit der ,,au1seren Umhüllung" ist nicht nur die
Gott gemeint, sondern die universale Gottheit, sichtbare Materie oder die auBere Form von
eine unpersonliche Kraft, die die Welt schafft Pflanzen, Dingen, Tieren oder Menschen
und lenkt. Damit lasst sich die Theosophie in gemeint, sondern auch rnenschliches Verhal­
cine religiose Tradition einordnen, die singular ten, Rituale, Schrifttum, Kleidung, Werte und
ist und doch Parallelen zu personengebunde­ Normen. Das ist die Natur im Kleinen. Esote­
nen Religionen wie dem Christentum oder dem risch ist alles, was dafür sorgt, dass sich die
Islam aufweist. Weil es im Monismus um die ,,au1sere Umhüllung" in einer bestimmten Art
Wclt im weitesten Sinn des Wortes - vom und Weise manifestiert: unsichtbare Natur­
Molekül über die sichtbare Natur bis zum Kos­ krafte, kosmische Strukturen oder unsicht­
mas - sowie um den unsichtbaren organischen bare menschliche Krafte und Triebfedern.
Zusammenhang zwischen all diesen Phanome- Das ist die Natur im Gro1sen.
lm Platonismus wird diese Dualitat des (1646-1716). Ihre Arbeiten enthalten alle
ÀuBeren und des Inneren mit <lem Schlagwort wesentlichen Merkmale der traditionellen
,,wie oben, so unten" erfasst, womit gemeint Theosophie. Bei Leibniz kommt dies in seiner
ist, dass <las Unten die materielle Erschei­ Monadologie (1714) zum Ausdruck, die ihren
nungsform (die auBere Hülle) des Oben, der Ursprung in der theosophischen Idee des
spirituellen Idee, ist. Das Kosmische spiegelt Monismus hat. Spinoza stellt Gott und Natur
sich in der Materie (<lem Exoterischen) wider, als Substanz allen Daseins dar. Seine Abhand-
weil es sich <lem Menschen in dieser Welt lung Ethica. Ordine geometrico demonstrata
sonst nicht offenbaren kann; umgekehrt (1677) kombiniert eine streng rationalistische
geben die spezifischen auBeren Eigenschaften Argumentation mit einer spirituell-spekulati­
der Materie ihre wahre spirituelle Essenz, das ven Theorie über die mathematische Ordnung
Esoterische, wieder. des Kosmos. Sowohl das Gedankengut Spino­
Um zu diesem esoterischen Kern des zas als auch das von Leibniz bildete zu Beginn
Lebens vordringen zu konnen, studiert der des 19. Jahrhunderts die Basis aller Lehren
Theosoph okkulte (verborgene) Phanomene: deutscher idealistischer Philosophen oder
die unsichtbaren kosmischen Prozesse, die die Naturphilosophen. Sie fassten Leibniz' und
Welt lenken. Entsprechende Kenntnisse kann Spinozas Theosophie allerdings auf sehr eige­
man zum Beispiel durch das Ausführen von ne Weise auf, etwa als selbststandige, expres­
chemischen Experimenten im Sinn der Alche­ sive Urkraft (Johann Gottlieb Fichtes Ur-Ich).
mie erwerben. Diese Experimente sind also Oder sie entwarfen pessimistischere Varian­
einem hoheren, esoterischen Ziel untergeord­ ten, wobei sie sich zum Teil von Ideen beein­
net, namlich dem Wissenserwerb und schlieB­ flussen lieBen, die direkt aus vedischen Schrif­
lich der Erkenntnis des Gottlichen. Theoso­ ten stammten (Arthur Schopenhauer).
phen wie Blavatsky entnahmen ostlichen
Religionen wie dem Hinduismus oder dem Die Geheimlehre
Buddhismus Elemente. Ebenso besteht eine
Verwandtschaft zur Ethik der griechischen In den Niederlanden erlebte Spinozas Gedan-
Stoa, zum Humanismus des Sokrates, zum kengut um 1900 unter anderem bei den
11 Piet Mondrian:
(Neo-)Platonismus oder zu Pythagoras' Ideen modernen Theosophen eine Renaissance.
Haus am Gein, .1741, von der Seelenwanderung. Diese Stromungen bildeten den geistigen
Aquarell, 1900, Zur Entwicklung der Theosophie in der Hintergrund für Mondrians theosophische
Donald Morris Gallery,
Moderne trugen die spekulativen Philoso­ Auffassung. Blavatsky ging davon aus, die
New York
©Mondrian/ phen der Aufklarung bei: Baruch de Spinoza Evolutionstheorie von Charles Darwin und
Holtzman Trust (1632-1677) und Gottfried Wilhelm Leibniz Alfred Russel Wallace (1859) konne Beweise
für einen inneren Zusammenhang zwischen esoterische Lehren gediehen zu jener Zeit.
allen Phanomenen des Lebens (der Natur) lie­ Blavatskys 1875 gegründetc Theosophische
fern. Dies këmne die Weiterentwicklung der Gesellschaft hatte jedoch eine Vorrei terrolle
ganzen Welt zu einer hoheren spirituellen inne und wirkte in die Schriftsteller- und
Stufe garantieren. Damit knüpfte sie an die Künstlerkreise hinein, in denen Mondrian
Philosophen der Aufklarung an, die die kosmi­ verkehrte.
schen Ordnungsprozesse rational zu ergrün­
den suchten. Blavatsky bezog in ihre Lehre das Mondrian und die Natur
neue Wissen über die Kulturen des Fernen
Ostens mit ein. In den ersten Übersetzungen Mondrians theosophische Kunstauffassung
von Sanskrit-Texten, die noch zu ihren Leb­ wurzelte im künstlerischen Klima von Ams­
zeiten erschienen, sah sie Belege, dass der terdam, wo er von 1892 bis 1912 wohnte. In
Hinduismus und der Buddhismus ursprüng­ Paris führte er diese Gedanken von 1912 bis
lichere - weil altere - Formen der Theosophie 1914 weiter. Als er sich wahrend des Ersten
als ihre im Westen bekannten Varianten Weltkriegs wieder in den Niederlanden auf­
waren. hielt, geriet er in der Gooi-Region erneut in
Blavatsky behauptete sogar, die Urform einen Künstlerkreis, für den die Theosophie
der Theosophie sei in Tibet entstanden und ein künstlerischer und philosophischer Be­
habe sich von dort über die ganze Welt ver­ zugspunkt war.
breitet. Das erklart auch, warum Die Geheim­ Aus Piet Mondrians figurativer Periode der
lehre mit Sanskrit-Begriffen durchsetzt ist. J ahre 1892 bis 1912 sind etwa 750 Arbeiten
Die indische Theosophie beschreibe den bekannt, aus der abstrakten Periode ungefahr
ursprünglichen inneren Zusammenhang der 200. Das figurative Werk ist stilistisch viel­
Prinzipien besser als westliche Interpretatio­ faltig. Bei haufig gleichbleibender Thematik
nen. Trotz des objektiv-wissenschaftlichen experimentierte er mit unterschiedlichen
Anspruchs ihrer Arbeit haben Blavatskys Aus­ Verfahrensweisen. Mondrian war ein Land­
führungen dazu beigetragen, dass ihre Lehre schaftsmaler, der sich in diesem Genre wieder­
vielfach auf Unverstandnis stie:B - ihre kon­ holt mit einem einmal gefundenen Motiv aus­
- �Iondrian:
troverse Personlichkeit und ihre Verhaltens­ einandersetzte. Diese Konzentration diente
aan de lVeesper­
(Abend an der weise trugen das Ihrige dazu bei. einer tieferen Ergründung der Natur. Stadt­
espe:-::ijde). 1901/02, Die moderne Theosophie war ein Produkt ansichten und Blumenstillleben kommen sel­
�;:;:emuseum tener vor. Menschen malte Mondrian nur
ihrer Zeit und nicht die einzige populare
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• 'i2drian theosophische Stromung. Auch Freimaurerei, sporadisch aus eigener Initiative; in den meis­
E=an Trust Rosenkreuzertum, Spiritismus und andere ten Fallen handelte es sich bei seinen Por-
traits um Auftragsarbeiten, die er nur an­ holungen der Konturen - die Blume strahlt
nahm, um seinen Lebensunterhalt bestreiten Energie aus. Der erste Gedanke wird dadurch
zu konnen. In stilistischer Hinsicht ist für veranschaulicht, dass die Seerose, selbst
Mondrian die rasch gemalte, frontale Wieder­ kreisformig in ihrer Struktur, von einem Vier­
gabe der Sujets charakteristisch. Er machte eck eingefasst wird.
eine Art ,,Grogaufnahme", für die er immer Die Kombination von Kreis und Viereck
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grogere Flachen einsetzte. Seit ungefahr 1900 weist in die Richtung eines architektonischen
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vereinfachte er die Farbgebung weitgehend Gestaltungssystems: den Kreis im Quadrat. So
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.c: wie etwa in Haus am Gein, 1741 (Abb. 1) und hatte sich auch Hendrik Petrus Berlage beim
Abend an der Weesperzijde (Abb. 2), die er in Entwurf für den Neubau der An1sterdamer
blauen Farbtonen malte. Das verwandelt die Barse 1903 auf einRaster agyptischer Dreiecke
Atmosphare noch starker in eine meditative gestützt, deren Achse und Basis in einem Ver­
Stimmung. haltnis von fünf zu acht zueinander stehen. Die
Aus diesen meditativen Szenen schloss Theosophen jener Jahre betrachteten dieses
Mondrian jede menschliche Handlung aus. System als Symbcl für die Einheit von Materie
Blumen, Landschaften, Hauser oder Boote und Geist und verwendeten es deshalb in ihren
gab er nicht als Objekte menschlicher Akti­ Architektur- und Dekorationsentwürfen. Und
vitat wieder, sondcrn um sie als eigenstandige schlie:Blich ist die Seerose, die westlichc Vari­
Erscheinungen zu deuten. Die abgebildeten ante des indischen Lotus, in der theosophi­
Gegenstande sind Portraits eines beseelten schen Lehre das Symbol für die spirituelle Ent­
Teils der Natur, der eine eigene Identitat und wicklung und für die Einheit des Mannlichen
eine eigene, selbststandige Aussage besitzt. und des Weiblichen.
Die ersten Anzeichen von Mondrians Aus­ 1909 trat Mondrian der Theosophischen
einandersetzung mit der Theosophie finden Gesellschaft bei, deren Mitglied er bis zu sei­
sich in einem Werk von 1900.Auf derRücksei­ nem Lebensende blieb. Der Maler Cornelis
te ciner Zeichnung aus der Serie Wassergra­ Spoor, mit dem Mondrian in jenem Sommer
ben am Gein zeichnete Mondrian eine Seerose nach Domburg fuhr, hatte ihn geworben.Auch
(Alll, Privatbesitz). Die Zeichnung vereint andere Künstler und Sammler seines Dom­
3 I Piet Mondrian:
FiinfBaumsilhouetten
zwei theosophische Gedanken: dass die Natur burger Kreises verbanden sich spater mit
am Gein mit Mond, auf unsichtbaren geometrischen Strukturen einer Vereinigung: Die Malerin Jacoba van
1907/08, basiert und dass sie ein Zusammenspiel von Heemskerck und die Sammlerin Marie Tak
Gcmeenlemuseum
Energiekraften ist, mit anderen Worten, dass van Poortvliet tratcn 1915 der vonRudolf Stei­
Den Haag
©Mondrian/ sie ,,Lebende Natur" ist. Letzteres suggerierte ner gegründeten Anthroposophischen Gesell­
Hollzman Trust Mondrian durch die kreisformigen Wieder- schaft bei.
Serie, Rhythmus, Spiegelung, Farbe In den Jahren 1906/07 konzentrierte
sich Mondrian auf (Fluss-)Landschaften bei
In Mondrians Malerei finden sich schon seit Abend oder Nacht und begann, mit Komposi-
1905 Anzeichen dafür, dass er sich die uni- tionsprinzipien zu experimentieren. Er war
versalen Prinzipien der Theosophic zu eigen bestrebt, durch die Kombination aus horizon­
machte. In diesem Jahr fing Mondrian an, in tal und vertikal gelagerten Elementen und
Serien zu arbeiten. Er wahlte mit gro15er Sorg- durch den Kontrast zwischen undefinierten
falt ein Thema und lotete es aus, indem er es in Riiumen und klar definierten und positionier­
unterschiedlichen Techniken, Ansichten oder ten Elementen wie dem Mond, der Mühle
zu unterschiedlichen Tageszeiten wiedergab. oder einem einzigen Baum eine mehrschich­
Mondrian nahm einen nahen oder entfernten tige Einheit im Bild zu erreichen. Farben
Standpunkt ein, malte morgens oder abends, spielten dabei eine wichtige Rolle.
bei schonem Wetter oder dichtem Nebel, in Die Mühle gehorte in jener Zeit zu den
Ôlfarbe oder Aquarelltechnik. Seine Behand­ wichtigsten Motiven, um mit der Komposi­
lung der Baumreihen, denen er bei Spazier­ tion, der Farbe oder der perspektivischen Ver­
giingen am Flüsschen Gein südlich von zerrung zu experimentieren. Mondrian fertig­
Amsterdam begegnete, ist charakteristisch: te in den Jahren 1906 bis 1908 mehr als dreiEig
Die Baumstiimme verdichten sich am Ufer zu Varianten an: von naturalistischen Fassungen
einem rhythmischen Muster aus vertikalen bis zu einer Version, in der sich die Mühle in
Streifen. Mondrian fing an, Baumreihen, die einer Explosion aus roten, gelben und blauen
aus drei bis elf Biiumen bestanden, zum allei­ Farbflecken aufzulosen scheint (Abb. 4).
nigen Gegenstand eines Gema.Ides zu machen Mondrians anfangs noch vages Interesse
(Abb. 3). an der Mystik nahm 1908 konkretere Formen
In Mondrians Darstellungen der Natur am an. Schon früher malte er das Bild Passions­
Gein verdichten sich die Baumkronen zuwei­ blume, für das ihm eine meditierende theoso­
len zu einer zusammenhiingenden horizonta­ phische Freundin Modell stand (Abb. 5). Aber
len Flache. Ein solcher dunkelgrüner Streifen auch der Charakter seiner Landschaften ver­
spiegelt sich ebenso massiv im Wasser wider. iinderte sich grundlegend. Baume fingen vor
Indem er mit der Horizontlinie spielte, hob Energie an zu vibrieren, Mond und Sterne
Mondrian abwechselnd die Baume am Ufer wurden zu den stechenden Augen der Land­
oder ihre Spiegelung auf der Wasserober­ schaft, und Fenster und Türen von Hiiusern
fliiche hervor. Diese Arbeiten scheinen das sahen aus wie menschliche Gesichter. Es hat
theosophische ,,wie oben, so unten" zu reflek­ den Anschein, als habe Mondrian den Natur­
tieren. formen plotzlich- nach dem Vorbild des Men-
schen - eine Seele geben wollen. Zu diesem Auch für sein nach 1921 entstandenes neo­
Interesse für die animistische Seite der Natur plastizistisches Werk blieben diese Überle­
konnte Mondrian der (damals noch) theoso­ gungen verbindlich. Mondrians frühe Blavats­
phische Rudolf Steiner angeregt haben, der in ky-Lektüre ging darin ebenso ein wie die
jenem Jahr eine Reihe von Vortragen in den malerischen Experimente aus Laren und
Niederlanden hielt. Zu diesen Lesungen wur­ Domburg. Die Primarfarbe bekam in diesem
den manchmal auch Nichttheosophen zuge­ Modell die Rolle, eine Einheit auszudrücken.11
lassen - zu dieser Kategorie gehorte Mondri­ Für Mondrian stand die Farbentrias für die
an 1908 noch. Steiner sprach über die okkulte, Manifestation einer kosmischen Kraft. In
also die verborgene, Energie der Pflanzenwelt. einem Brief an Rudolf Steiner stellte er <lem
In den Jahren 1908/09 nahm Mondrian Anthroposophen seine Malerei als gcistesver­
das Thema der Blume wieder auf, <las er kurz wandt vor. Der Brief blieb unbeantwortet.
nach 1900 aufgegeben hatte. Er wahlte spezifi­ Steiners in den Niederlanden gehaltene Vor­
sche Blumensorten, etwa Sonnenblumen oder trage bewahrte Mondrian dennoch bis an sein
die orientalische Chrysantheme (Abb. 6), da­ Lebensende auf, ebenso wie seinen Mitglieds­
neben aber auch lilienahnliche Sorten wie die ausweis der Theosophischen Gesellschaft.
Tigerlilie, die Amaryllis (Kat. 27) und den
Aaronstab (Kat. 26). In einer Serie aus drei
Werken stellte er eine Blume in verschiede­
nen Stadien des Verwelkens dar. Zu den
Dünenansichten, Leucht- und Kirchtürmen,
5 I Pict Mondrian:
Passie Bloem
die zwischen 1908 und 1911 entstanden, inspi­
(Passionsblume), 1901, rierten ihn Badeorte an der Nordseeküste in
Gemeentemuseum der Provinz Zeeland. Er verbrachte dort die
DenHaag
Sommermonate in einer kleinen Künstlerko­
©Mondrian/
Holtzman Trust lonie, zu der auch Jan Toorop, Cornelis Spoor
und Jacoba van Heemskerck gehorten. In die­
6 1 Piet Mondrian: sem Umfeld arbeitete er daran, dass Farbe
Stehende Chrysantheme
var einem blaugrauen
nicht mehr <las Natürliche darstellen sollte
Grund, 1901, und <loch wirklich blieb. Eine zentrale Auf­
Stiftung Jiistorische gabe war es für Mondrian, die Farbe vom
Sammlungen des llau­
Gefühlsausdruck zu losen. Sie sollte unabhan­
ses Oranicn-Nassau
©Mondrian/ gig vom subjektiven Eindruck sein, um uni­
Iloltzman Trust verselle Zusammenhange zu gestalten.1 °
I
Charley Toorop Malerei MaxBeck­
1955, zit. n. Nico J. manns. Berlin 1995.
Brcdcroo: Charley � Helena P. Blavalsky:
Toorop. Leven en The Secret Doctrine.
werken. Amsterdam I: Cosmogenesis. Il:
1982, S. 201. Anthropogenesis,
2 Vgl. Sixten Ring­ mit Index, London
bom: Art in "the 1888; in der nieder­
Epoch of the Great landischen Über­
Spritual". Occult setzung (Amster­
Elements in the dam 1907-19ll)
Earl y Theory of erweitert um eincn
Abstract Painting, dritten Teil: "Esote­
in: Journal of the rische opstellen en
Warburg and the instructics".
Courtauld Institutes " Vgl. Blotkamp
29 (1966), S. 386- 1988a.
418; L. J. F Wijscn­ '' Vgl. Seuphor 1957,
beek: Mondrian S.58.
und Kandinsky. Vgl. Joostcn/Welsh
Theosophische Ein­ 1969.
flüsse in den .Jahren 8
Piet :\1ondrian:
1905 bis 1910, in: De Nieuwc Bcclding
Panlheon 43 (1985), in de schilderkunst.
S. 141-143; Konrad De redclijkheid der
Obcrhuber: Das Nieuwe Beelding, in:
Geistigc in der Kunst De Stijl 5 (1918),
und das Wirken S.50.
Ru<lolfStciners, in: 9 Diescr Text basiert
Das Geistige in der auf einem Aufsatz
Kunsl. Abstrakte der Vcrfasserin: Das
Malerei 1890-1985, Fadennetz, in <las
hrsg. von Maurice der K ünstler seine
Tuchman ru. a.], Visioncn hinein­
Stuttgart 1988, webt. Ferdinand
S. 7-16; Maurice Hodler. Piet Mon­
Tuchman: Vcrbor­ drian und die Theo­
gene Bedcutungen sophie, in: Aarau
in der abstrakten 1998, S. t21-147,
Kunst, in: ebd., sowie ihrer Disser­
S. 17-62. tation: Bax 2006.
� Vgl. Ortrud West­ 10
Vgl. Bax 2006, S. 29.
heidcr: Die Farbe Il
Ebd., S. 302.
Schwarz in der

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