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Bewehrte Elastomerlager
Experimentelle Untersuchungen und neue Berechnungsmodelle
© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 88 (2011), Heft 3 145
T. Block · Bewehrte Elastomerlager – Experimentelle Untersuchungen und neue Berechnungsmodelle
2 Experimentelle Untersuchungen Erstmals liegt somit eine Datenbasis von 507 Einzelwerten
2.1 Motivation vor, die an 34 unterschiedlichen Lagern mit Grundflächen
zwischen 150 mm x 300 mm und 600 mm × 700 mm syste-
Rückstellmomente bewehrter Elastomerlager werden in matisch ermittelt wurde. Die Lastkombinationen aus „σz“
Europa derzeit nach EN 1337-3 [3] berechnet. Für recht- und „α“ decken sowohl den üblichen Einsatzbereich als
eckige Lager gilt Gl. (1): auch den Grenzbereich bewehrter Elastomerlager im späte-
ren Einsatz ab.
a′5 · b′
M = α· G· (1)
n · t i3 · K S
2.3 Versuchsaufbauten
Die Zusammenhänge gehen auf Untersuchungen von To-
paloff [8] zurück und waren in ähnlicher Form bereits Be- Nach DIN EN 1337-3 [3], Anhang K, sind zur Bestimmung
standteil in DIN 4141-14 [1]. Für die theoretische Herlei- von Rückstellmomenten bewehrter Elastomerlager zwei
tung der Wirkungsweise von Elastomerlagern wurden von mögliche Prüfprinzipien vorgesehen (Bild 3). Bei der Prü-
Topaloff geringe Deformationen im Vergleich zu den Ab- fung eines einzelnen Lagers (Bild 3a) muss der Reibbei-
messungen, die Gültigkeit des Hooke’schen Gesetzes so- wert des Kalottenlagers bekannt sein. Werden zwei Lager
wie Volumenkonstanz in Ansatz gebracht. Während die zu- mit identischen Abmessungen nach Bild 3b geprüft, ent-
letzt genannte Annahme aufgrund der bei Elastomeren fällt dieser Schritt. Beide Prüfprinzipien erzeugen jedoch
annähernd vorhandenen Inkompressibilität (Querkontrak- unterschiedliche Ergebnisse. Bei einem Versuchsaufbau
tionszahl μ ≈ 0,5) hinreichend genau ist, findet man lineare mit zwei Lagern (Bild 3b) befindet sich der Rotationsmit-
Spannungs-Dehnungs-Beziehungen bei diesem Werkstoff telpunkt außerhalb der Lager in der Mitte des Hebelarms.
nur bei sehr geringen Verformungen. Sind keine horizontalen Gleitebenen im Versuchsstand
Abweichungen zwischen Berechnungs- und Versuchs- vorhanden, werden durch den außermittigen Rotations-
werten für Rückstellmomente wurden bereits von Kauschke punkt Horizontalkräfte verursacht. Diese erzeugen ein se-
im Rahmen von Untersuchungen für den Neubau der Wup- kundäres Rückstellmoment Me,y,S, welches bei einer rei-
pertaler Schwebebahn festgestellt. Hierüber wird in [5] nen Verdrehbeanspruchung nicht vorhanden ist (Bild 3a)
und [7] berichtet. Unter Bezugnahme auf Versuche an der und mitgemessen wird.
TU München sind an runden bewehrten Elastomerlagern
Rückstellmomente gemessen worden, die deutlich über den Me,y ,Messung = FZyl · LHebel = Me,y ,Rot + Me,y ,S (2)
Werten nach DIN EN 1337-3 liegen. Weiterhin ist ein Ein-
fluss der während der Verdrehung zentrisch wirkenden
Auflast (Druck) festgestellt worden, der in Gl. (1) nicht Me,y,S ist somit in den Versuchsergebnissen enthalten und
berücksichtigt wird. kann rechnerisch ermittelt werden. Die während des Ver-
suches erzeugten Auflagerreaktionen sind in Bild 4 darge-
2.2 Versuchsprogramm stellt. Die Höhe der Horizontalkräfte (Fx,o, Fx,u) ist von
den Geometrien der Lager und des Versuchsaufbaus, vom
Im Bereich Konstruktionsteilprüfung der Ruhr-Universität
Bochum ist in den vergangenen Jahren das Tragverhalten a)
bewehrter Elastomerlager aus Chloropren- (CR) und Na-
turkautschuk (NR) unter kombinierten Druck- und
einachsigen Verdrehbeanspruchungen detailliert unter-
sucht worden. Der Schwerpunkt der Untersuchungen lag
dabei auf der experimentellen Ermittlung einzelner Ein-
flussfaktoren auf die Höhe der Rückstellmomente sowie
deren Sicherheitsniveau in Bezug auf die rechnerisch er-
mittelten Werte nach DIN EN 1337-3. Folgende Einflus-
sparameter waren Bestandteil der Untersuchungen:
– Außenabmessungen a und b
150 mm ″ a ″ 600 mm b)
300 mm ″ b ″ 700 mm
– Elastomerschichtdicke ti
8 mm ″ ti ″ 20 mm
– Anzahl der Elastomerschichten n
3″n″7
– Kautschukmischung (CR und NR, definiert über den
Schubmodul G)
0,7 N/mm2 ″ G ″ 1,15 N/mm2
– zentrisch wirkende Druckspannung σz
2 N/mm2 ″ σ z ″ 18 N/mm2
– Verdrehwinkel α Bild 3. Prüfprinzipien nach DIN EN 1337-3; a) Einzelprü-
1 ‰ ″ α ″ 10 ‰ fung, b) paarweise Prüfung
– Temperatureinfluss T Fig. 3. Test setup according to DIN EN 1337-3; a) individual
–42 °C ″ T ″ 21 °C testing, b) pairwise testing
12
10
0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
σz [N/mm2]
Bild 4. Auflagerreaktionen
Fig. 4. Reactions Bild 6. Abweichungen zwischen Versuchs- und Normwerten
für Rückstellmomente
Fig. 6. Deviation between experimental and standard values
of restoring moments
kann über einen Krümmungsexponenten e < 1 Rechnung Streuung bestmöglich berechnen zu können. Auf die Dar-
getragen werden. stellung des Modells auf Grundlage von charakteristi-
Unter Berücksichtigung der beschriebenen Einflüsse schen Werten (5%-Quantilen) nach DIN EN 1990 [2]
können Rückstellmomente bewehrter Elastomerlager über wird an dieser Stelle verzichtet. Die entsprechenden For-
die Gln. (8) und (9) berechnet werden. meln können in [4] nachgelesen werden.
EC = 5 G S2 (10)
24,52 · α0,76
In diesem Punkt besteht weiterer Forschungsbedarf. Bis M y = G · I′y · S0,8 · · (−0,01· S + 0,695)
n · ti
zu einer Klärung sollte der zur Berechnung von Rückstell-
wenn 9, 5 ≤ S ≤ 14, 5 (13)
momenten benötigte Druckmodul in einem einfachen
zentrischen Druckversuch ermittelt werden.
Das dargestellte Modell für Rückstellmomente be- Bild 11 zeigt die korrespondierenden Verhältniswerte My,exp/
wehrter Elastomerlager ist darauf ausgelegt, die Versuchs- My,cal. Im Mittel werden die Versuchswerte zu 100,7 % er-
werte als Mittelwertfunktion mit einer möglichst geringen fasst. Der Variationskoeffizient ist mit etwa 26 % auf ei-
12 2,0
My (EC variabel) 1,8 My (EC konstant)
10 Berechnung nach 1337-3 1,6
1,4
8
1,2
6 1,0
0,8
4 0,6
0,4
2
0,2
0 0,0
1 101 201 301 401 501 1 101 201 301 401 501
Bild 10. Vergleich zwischen experimentell bestimmten und Bild 11. Vergleich zwischen experimentell bestimmten und
rechnerischen Rückstellmomenten (EC veränderlich) rechnerisch ermittelten Rückstellmomenten (EC konstant)
Fig. 10. Relation between experimental and calculated re- Fig. 11. Relation between experimental and calculated re-
storing moments (variable EC) storing moments (constant EC)
nem hohen Niveau, da eine Berücksichtigung der zentri- Vergleichende Untersuchungen zu Rückstellmomenten
schen Druckspannung σz nicht möglich ist. bewehrter Elastomerlager bei tiefen Temperaturen haben
gezeigt, dass der Steifigkeitszuwachs unter Verdrehbean-
3.3 Tieftemperatureinfluss spruchungen den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie unter
Schubbeanspruchungen folgt. Der Temperaturfaktor KT
Der Einfluss tiefer Temperaturen auf das Tragverhalten be- nach Gl. (14) kann somit gleichermaßen für diese Bean-
wehrter Elastomerlager ist zunächst anhand von Schubver- spruchungsart verwendet werden.
suchen an 12 Lagern aus CR und NR mit Außenabmessun-
gen zwischen 200 mm × 300 mm und 400 mm × 600 mm 4 Zusammenfassung
untersucht worden. Die Prüftemperaturen betrugen zwi-
schen 0 °C und –59 °C, wobei die tiefste Prüftemperatur Die umfangreichen experimentellen Untersuchungen zei-
gleichzeitig der niedrigsten Glasübergangstemperatur Tg al- gen durchgängig große Diskrepanzen zwischen den expe-
ler untersuchten Kautschukmischungen entspricht. Als rimentell ermittelten und den nach DIN EN 1337-3 be-
Glasübergangstemperatur wird die für alle Elastomere spe- rechneten Rückstellmomenten bewehrter Elastomerlager.
zifische Temperatur bezeichnet, bei der diese von einem Im ungünstigsten Fall wird der im Versuch ermittelte Wert
gummielastischen in einen hartelastischen, spröden Zu- bei Raumtemperatur um den Faktor 11 unterschätzt. Die
stand übergehen. Da dieser Materialkennwert von der Zu- Ursachen dafür liegen in der Annahme der linearen Elasti-
sammensetzung der Kautschukmischung abhängt und im zitätstheorie sowie kleiner Verformungen im Vergleich zu
Besonderen zwischen CR und NR große Differenzen be- den Abmessungen. Weiterhin bleibt der Einfluss der zen-
stehen, sollte die Prüftemperatur T auf die Glasübergang- trischen Druckspannung unberücksichtigt.
stemperatur Tg normiert werden, um die Versuchsergeb- Mit Hilfe des neu vorgestellten Berechnungsmodells
nisse umfassend und unabhängig von der Polymersorte zur Ermittlung von Rückstellmomenten bewehrter
beurteilen zu können. Bild 12 zeigt den auf die Glasüber- Elastomerlager kann neben dem nichtlinearen Einfluss
gangstemperatur normierten Einfluss der Lagertemperatur des Verdrehwinkels α auch der jeweils wirkende Druck-
auf den Schubmodul. Die Versuchswerte für tiefe Tempera- spannungszustand berücksichtigt werden. Der Einfluss
turen sind dabei auf die bei Raumtemperatur ermittelten tiefer Temperaturen wird separat in Form eines Er-
Werte bezogen und lassen sich über die Exponentialfunk- höhungsfaktors in Abhängigkeit der Glasübergangs-
tion nach Gl. (14) abbilden. temperatur berechnet und kann für die Beanspruchungs-
arten Verdrehung und Schub gleichermaßen angewendet
5
⎛ T⎞ werden.
1,8· ⎜ ⎟
⎜⎝ Tg ⎟⎠
K T ( T, Tg ) = e (14)
Literatur
Der Temperaturfaktor KT kann so als Erhöhungsfaktor für
den Schubmodul in Abhängigkeit von der Glasübergang- [1] DIN 4141: Lager im Bauwesen. Berlin: Beuth Verlag
stemperatur Tg der Elastomermischung sowie der am La- GmbH, 1984.
[2] DIN EN 1990: Eurocode: Grundlagen der Tragwerkspla-
ger vorhandenen Temperatur T angegeben werden.
nung. Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2002.
[3] DIN EN 1337-3: Lager im Bauwesen – Teil 3: Elastomerla-
ger. Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2005.
22 [4] Block, T.: Verdrehwiderstände bewehrter Elastomerlager.
20 Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 2010.
18 [5] Braun, C., Hanswille, G., Porsch, M., Schürmann, C.: Lager
16 im Bauwesen nach DIN EN 1337. Stahlbau 78 (2009), H. 11,
14 S. 849–868.
12 [6] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung: Ermittlungen der Bewegungen an Lagern und Über-
10
gangskonstruktionen nach DIN-Fachbericht 101 sowie er-
8
gänzende Regelungen für die Bemessung von Lagern, Fas-
6
sung August 2007.
4 [7] Eggert, H.: Bewehrte Elastomerlager – Erkenntnisstand
2 und Defizite. Bautechnik 83 (2006), H. 1, S. 6–15.
0 [8] Topaloff, B.: Gummilager für Brücken – Berechnung und
1,3 1,2 1,1 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 Anwendung. Der Bauingenieur 39 (1964), S. 50–64.
Bild 12. Normierter Einfluss der Bauteiltemperatur auf den Autor dieses Beitrages:
normierten Schubmodul Dr.-Ing. Tobias Block, tobias.block@rub.de, Ruhr-Universität Bochum,
Fig. 12. Standardized effect of the bearing temperature on Institut für Konstruktiven Ingenieurbau, Bereich Konstruktionsteilprüfung,
the standardized shear modulus Universitätsstraße 150,44780 Bochum