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Auch wenn die vorliegende Arbeit wegen der letztlich unmöglichen repräsen-
tativen quantitativen Analyse ein vollständiges Bild nicht zu geben vermag,
hat sie doch so viel Material gründlich verarbeitet, daß die Annahme einer
allgemeinen Krise des niederen Adels im Spätmittelalter zweifelhaft erscheint.
Der zweite Teil der Dissertation G ö r n e r s beschäftigt sich mit den Taten,
die dem Raubrittertum zur Last gelegt wurden. Hier geht es der Verfasserin
vor allem darum, dem Phänomen des Raubritters etwas von seiner verschwomme-
nen Mystifizierung zu nehmen. Sie legt dar, daß die verschiedenen Formen
der unbestreitbaren Gewalttaten zu einem großen Teil nicht von kriminellen
Berufsverbrechern begangen wurden, sondern vielfach von Personen, die ihr
gutes Recht durchzusetzen suchten, nämlich im Rahmen einer privaten Fehde,
oder von Amts wegen, weil sie zu gewaltsamer Vollstreckung berufen waren.
Daß in beiden Fällen die davon betroffenen Zeitgenossen laut protestierten
und die Handlungen als Raub titulierten, ist nur zu verständlich, da die Fehde
schon ihre Anerkennung in den entsprechenden Bevölkerungskreisen ein-
gebüßt hatte und die von den Amtmännern wahrgenommenen Aufgaben im
Rahmen des Territorialstaates sich erst noch legitimieren mußten. Über die
Rechtswidrigkeit der jeweiligen Handlungen können die vielfältigen Klagen
jedenfalls nichts aussagen. Allerdings sind auch vielfache Übergriffe der Drosten
überliefert, die mit einer geregelten Amtsführung nicht in Einklang stehen
und ausschließlich der privaten Bereicherung dienten. Aber dies sind doch
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Taten einer privilegierten, nicht einer verdrängten Schicht. Das ist auch der
Grund für die recht seltene Ahndung der Taten im Rahmen eines Strafprozesses
mit peinlichen Strafen. Die Drosten waren nur sehr schwer zu belangen, und
bei den Fehdehandlungen war die Grenze zwischen Recht und Unrecht kaum
zu ziehen. Auch die vielen Gewalttaten im Rahmen von Grenzstreitigkeiten
dürften sich wegen ihres politischen Charakters einer strafrechtlichen Sanktion
weitgehend entzogen haben.
Das von der Verfasserin für Westfalen erarbeitete Bild erlaubt die von ihr
vorsichtig gezogene Schlußfolgerung, daß die nicht geringe Zahl an Gewalttaten,
die im 14. und 15. Jh. von westfälischen Rittern begangen wurden, nur zu einem
Teil als Raub strafbar gewesen sein dürften, überwiegend nicht bestraft wurden
und jedenfalls nur zu einem geringen Teil auf das Konto einer verarmten, um
ihre Existenz ringenden Schicht ging. Daß es in Einzelfällen auch den „klassi-
schen Raubritter" gegeben hat, will sie nicht leugnen. Diese Ausgewogenheit
des Urteils macht es leicht, die Arbeit als einen gelungenen Beitrag zu einem
wichtigen Problem des Spätmittelalters zu bezeichnen. Lediglich in der Aus-
einandersetzung mit der älteren Ansicht wählt die Verfasserin einige Formu-
lierungen, die etwas zu weit in die entgegengesetzte Richtung gehen, so wenn
sie — einer modernen Tendenz folgend — den Rechtscharakter der Fehde
überbetont (im Kapitel über „Friede und Fehde") ; nur so kann sie zu der Ansicht
gelangen, vor O t t o B r u n n e r seien ernsthafte Versuche, die Fehde als Rechts-
institut zu verstehen, nicht gemacht worden. Unbestreitbar ist zwar, daß Brunner
die Zugehörigkeit der Fehde zum mittelalterlichen Staatsleben als eines seiner
wesentlichen Elemente herausgearbeitet hat, doch ist ihr Rechtscharakter schon
früher gesehen worden, wenn auch die frühere Deutung als Abspaltung der
Friedlosigkeit heute überholt ist. Ein ähnliches Problem ist es, wenn bei den
die Fehde einschränkenden Landfrieden fast nur deren Einungscharakter
hervorgehoben wird (S. 170); den angeführten Beispielen von Landfrieden
lassen sich andere gegenüberstellen, die sich wie Strafgesetzbücher lesen und
deren Gesetzeswirkung, die auch von der Verfasserin an anderer Stelle erwähnt
wird, unbestreitbar ist. Daß die Strafandrohungen in der Praxis nicht zum
Erfolg führten, wird von der Verfasserin zu recht herausgestellt, doch geht
es vielleicht zu weit, von der Unmöglichkeit eines absoluten Fehdeverbotes
auf die Stabilität der Vorstellungen von der Erlaubtheit der Fehde zu schließen.
Natürlich haben die Klagen der betroffenen Zeitgenossen nur einen begrenzten
Aussagewert im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Fehdehandlung, aber
das Gleiche gilt auch für die fortdauernde Praxis. Weder läßt sich in dieser
Zeit eine Trennungslinie zwischen rechter und Unrechter Fehde ziehen (so
auch Görner S. 168), noch zwischen Fortdauern eines Rechtsinstituts und
Beginn des Raubrittertums. In Phasen des Übergangs wie der des Spätmittel-
alters zeigt sich die Problematik, moderne juristische Kategorien auf vergangene
Sachverhalte zu übertragen: Sowohl die Bewertung aus heutiger Sicht, wie es
die Literatur des 19. Jhs. vielfach getan hat, als auch die Übertragung einer
Rechtsidee aus früheren Zeiten erscheint methodisch unzureichend. Wahr-
scheinlich muß man das Phänomen in seiner Ambivalenz ohne eine Etikettierung
stehen lassen, was ja letztlich auch die Verfasserin tut.
Zur Stellung der Ritterschaft würde ich mich nicht scheuen, von einem
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