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Der Slowakische Nationalaufstand im Herbst 1944 ist eines der bedeutends-

ten Ereignisse des bewaffneten Widerstands gegen die nationalsozialistische


Herrschaft in Mitteleuropa. Er steht in einer Reihe ähnlicher Erhebungen in
Polen, Frankreich, Rumänien und auf dem Balkan. Überall hier stellten sich die
Aufständischen gegen die deutschen Truppen und die mit dem Nationalsozia-
lismus kollaborierenden Regime.
Die Organisatoren des Slowakischen Nationalaufstands wollten dabei nicht nur
das Regime der Slowakischen Republik beseitigen, das treu zum nationalsozi-
alistischen Deutschland stand. Sie wollten zugleich die demokratische Tsche-
choslowakische Republik, die von der deutschen Aggression 1939 zerschlagen
worden war, als eine Republik zweier gleichberechtigter .Brudemationen"
wiedererrichten.
Der bewaffnete Aufstand war der Höhepunkt des Widerstands gegen das
klerikale, nationalistische, autoritäre und antisemitische Regime in der Slo-
wakei, das freiwillig und mit eigenen Mitteln die Deportation seiner jüdischen
Bevölkerung in nationalsozialistische Vernichtungslager organisiert hatte. Er
war keine spontane Rebellion, sondern eine langfristig geplante Aktion mit
einer klar definierten militärische-n Strategie, über die die Vertreter der füh-
renden alliierten Mächte im Vorfeld informiert waren. Ihm waren politische
Verhandlungen der wichtigsten Fraktionen des Widerstands im Inland und
im Exil seit der zweiten Jahreshälfte 1943 vorausgegangen. Das Programm
der Aufständischen war nicht nur eine Alternative zum Kollaborationsregime,
sondern definierte zudem eine Vision für die slowakische Entwicklung in der
Nachkriegszeit.
In den Reihen der Aufständischen kooperierten Mitglieder des bürgerlichen
und sozialdemokratischen Widerstands mit Kommunisten, Offizieren und Sol-
daten der slowakischen Armee und mit Partisanen aus dreißig verschiedenen
europäischen Ländern. Hier kämpften Juden, die aus slowakischen Arbeitsla-
gern geflohen waren, gemeinsam mit Polizisten, die sie ursprünglich in diesen
Lagern bewacht hatten, ebenso wie Angehörige der deutschen Minderheit
in der Slowakei und aus Gefangenenlagern entflohene Franzosen. Der Kampf
gegen den gemeinsamen Feind zwang Menschen zu Kompromissen, die unter
"normalen" Umständen in kaum einer Frage einig gewesen wären. Dies zeigte
sich dann wieder in der Nachkriegszeit.
Durch den Einmarsch deutscher Truppen in der Slowakei begann der Aufstand
früher und unter ungünstigeren Bedingungen als ursprünglich geplant. Dennoch
gelang es den aufständischen Einheiten mit alliierter Hilfe, zwei Monate lang
ein zusammenhängendes Gebiet zu verteidigen. Ende Oktober 1944
wurde die aufständische Armee von den deutschen Truppen besiegt, doch der
Partisanenkampf ging weiter. Trotz der Niederlage leistete der Slowakische
Nationalaufstand einen Beitrag zu den militärischen Bemühungen der Alliier-
ten im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland.
Ebenso wichtig war aber das symbolische Vermächtnis des Aufstands: Zehn-
tausende Einwohner der Slowakei verliehen ihrem entschiedenen Widerspruch
gegen die fortgesetzte Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutsch-
land Ausdruck. Statt der Eigenstaatlichkeit unter einem autoritären Regime
wollten sie eine demokratische Tschechoslowakei und demonstrierten ihre
Bereitschaft, mit der Waffe in der Hand gegen die Besetzung ihres Landes zu
kämpfen.
Zum Verständnis der Motivationen, Pläne und Ziele der Organisatoren des
Aufstands, aber auch der Repräsentanten des Regimes, gegen das sie kämpf-
ten, ist es notwendig, bis zu den turbulenten Ereignissen zurückzugehen, die
zum Zerfall der Tschechoslowakei führten. Dabei muss sich der Blick auch auf
den internationalen Kontext richten, da es sich nicht um ein isoliertes lokales
Ereignis handelte. So ist zuerst ein Rückblick auf die Ereignisse im Zusammen-
hang mit der Münchener Konferenz vom September 1938 notwendig. Ebenso
wichtig ist die Analyse der Veränderungen in der Nachkriegserinnerung an den
Slowakischen Nationalaufstand.

Der Anfang vom Ende der Tschechoslowakei


Seit Hitlers Machtübernahme in Deutschland 1933 war die völlige Beherr-
schung Mitteleuropas eines seiner wichtigsten Ziele. Dazu gehörten auch die
Zerschlagung der benachbarten Tschechoslowakei und die Herrschaft über ihr
Territorium. Hitler nutzte die instabile Lage, vor allem die Nationalitätenkon-
flikte in der (SR, zur Durchsetzung seiner Pläne. Zum Hauptinstrument seiner
Politik wurde die drei Millionen Menschen zählende deutsche Minderheit. Er
plante aber auch, die existierenden Autonomiebestrebungen in der Slowakei
und die Bemühungen der 800.000 Menschen umfassenden ungarischen Min-
derheit um einen Anschluss ihrer Gebiete an Ungarn für seine Ziele zu nutzen.
In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre protestierte das Deutsche Reich immer
schärfer gegen die angeblich wachsende Unterdrückung der Deutschen, die
im tschechischen Teil der Republik lebten, und forderte den Anschluss des
Gebietes mit deutscher Mehrheit an das Deutsche Reich. Als die Tschecho-
slowakei das deutsche Ultimatum ablehnte, wandte sich Hitler an die Regie-
rungen Großbritanniens und Frankreichs. Ermutigt von der Passivität der
Großmächte nach der deutschen Annexion Österreichs drohte er Mitte 1938
ultimativ mit einer militärischen Besetzung. Im Bemühen, einen militärischen
Konflikt zu vermeiden, stimmten der britische Premier Neville Chamberlain
und der französische Premierminister Idouard Daladier der Einberufung
einer Konferenz in München zu, die unter Beteiligung Adolf Hitlers und des
italienischen Diktators Benito Mussolini, jedoch ohne einen tschechoslowa-
kischen Vertreter stattfand. Am 29. September 1938 beschlossen die Vertreter
der europäischen Großmächte, dass die Tschechoslowakische Republik alle
Grenzgebiete an das Deutsche Reich abtreten müsse, in denen der deutsche
Bevölkerungsanteil über fünfzig Prozent lag. Der tschechische Landesteil verlor
damit ungefähr ein Drittel seines Territoriums und fast drei Millionen Einwoh-
ner.'
Das Münchner Abkommen veränderte die internationale Lage und die inneren
Verhältnisse der Tschechoslowakei grundlegend. Die Resignation Großbritan-
niens und Frankreichs angesichts des Geschehens in Mitteleuropa lieferten
die solchermaßen verkleinerte Republik der Gnade des Deutschen Reiches
aus - ungeachtet derTatsache, dass das Abkommen der vier Großmächte
ihre Existenz formal garantierte. Als Reaktion auf diese Ereignisse trat der
tschechoslowakische Präsident Edvard Benes am 5. Oktober von seinem Amt
zurück und ging ins Exil. Er war überzeugt, dass der Fall derTschechoslowakei
unausweichlich war.
Für Hitler war das Münchener Abkommen nur ein erster Schritt zur Zerschla-
gung der Tschechoslowakei. Statt einer direkten militärischen Intervention zog
er es jedoch vor, den Zusammenhalt des Staates weiter zu untergraben. Im
Rahmen dieser Strategie spielten die separatistischen politischen Kräfte der
Slowakei, die von Andrej Hlinkas Slowakischer Volkspartei (Hlinkova siovenskä
ludovä strana, HSl:S) repräsentiert wurden, eine entscheidende Rolle. Diese
radikalen Nationalisten sollten destabilisierend wirken und die innenpoli-
tischen Spannungen systematisch verschärfen. Sie sollten eine permanente
Krise anheizen, die einen deutschen Eingriff unter dem Vorwand der Sicherung
der Stabilität in der Region rechtfertigen würde.

Detlef Brandes, Die Sudetendeutschen im Krisenjahr 1938, München 2008; Jürgen Zarusky, Martin
Zückert (Hg.), Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive. Eine Gemein-
schaftspublikation des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und des Collegium Carolinum,
München 2013.
Das Ende der Demokratie in der Slowakei
Die Hlinka-Partei (HStS)~die nach München eine entscheidende Rolle in der
(

slowakischen Politik spielte, war im Jahr 1905 gegründet worden. Von 1913
bis zu seinem Tod im August 1938 stand der katholische Pfarrer Andrej Hlinka
an ihrer Spitze. Die HStS war eine klerikal-konservative, populistische Partei,
die in der Zwischenkriegszeit an der Spitze der slowakischen Autonomiebe-
wegung stand. Seit Mitte der 1920er Jahre war sie die stärkste Partei in der
Slowakei und wurde von ungefähr einem Drittel derWähler unterstützt. In den
1930er Jahren radikalisierte sich die HStS rapide. Ihr politisches Programm
enthielt zunehmend faschistische, autoritäre und antisemitische Elemente.
Vojtech Tuka, der 1929 wegen Landesverrat und Spionage zugunsten Ungarns
zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war, war die kontroverseste Figur in der
HStS und wurde nach seiner Freilassung zur Ikone der Radikalen in der Par-
tel.' Nach dem Tod Hlinkas übernahm der katholische Priester JozefTiso als
Vertreter der konservativen Mehrheit den Parteivorsitz.
Die HStS war die stärkste slowakische Partei und sie nutzte die Schwächung
der Zentralregierung in Prag zur Erreichung ihres langfristigen Ziels - die Au-
tonomie der Slowakei im Rahmen der (SR. Der Parteitag vom 5.-6. Oktober
1938 mündete in der Forderung nach"sofortiger Übernahme der Exekutiv-
und Regierungsgewalt in der Slowakei durch Slowaken". Diese Forderung
wurde auch von den Vertretern der meisten anderen slowakischen Parteien
unterstützt, die am Parteitag teilnahmen.
Die Autonomieregierung unter Führung von JozefTiso als"Regierungschef
des Slowakischen Landes" und unter vollständiger Kontrolle der HStS wurde
unmittelbar nach der Münchener Konferenz am 6. Oktober 1938 qebildet.'
Die Hoffnungen der Prager Zentralregierung, dass die Autonomie die tsche-
cho-slowakischen Beziehungen festigen und die Situation in der Republik
stabilisieren würde, erwies sich als unrealistisch. Die slowakische Autonomie-
regierung nahm keinerlei Rücksicht auf die Entscheidungen der Zentralregie-
rung. Sie begann zudem, einen umfassenden Wandel des politischen

2 Maros Hertel, Vlastizrada alebo pomsta? Kauza Vojtech Tuka a spol. [Landesverrat oder Rache7
Die CausaVojtech Tuka und Gen.], in valenan ßystricky et al., Storoüe procesov sudy, politika
a spolornostv modernxh dejinach Siovenska [Jahrhundert der Prozesse: Gerichte, Politik und
Gesellschaft in der modernen Geschichte der Slowakei], ßratislava 2013, S 66-82.
3 Martina FiamovalJan Hlavinka/Michal Schvarc, Kapitoly z dejin Siovenskej republiky 1939-1945
[Kapitel aus der Geschichte der Slowakischen Republik 1939-1945], ßratislava 2014.
4 Das Autonomiegesetz wurde erst am 19. November 1938 offiziell von der tschechoslowakischen
Regierung ratifiziert.
und gesellschaftlichen Lebens in der Slowakei einzuleiten. Dazu gehörte die
Beseitigung des demokratischen Systems und der Aufbau einer autoritären
Einparteienherrschaft. Unter dem Schlagwort der "Vereinfachung des politi-
schen Lebens" verbot die Autonomieregierung bis Anfang November 1938
die kommunistische, die sozialdemokratische und die jüdischen Parteien. Die
übrigen Parteien mussten sich mit der HSlS am 8. November 1938)reiwillig
vereinen".
Im Sommer des Jahres 1938 bildeten sich erste Einheiten der Hlinka-Garde
(Hlinkova garda, HG), der paramilitärischen Organisation der Regierungspar-
tei, die am 28. Oktober 1938 zur einzigen zugelassenen Wehrorganisation auf
slowakischem Gebiet wurde. Zu ihren Mitgliedern gehörten die radikalsten
Vertreter des slowakischen Nationalismus. Bei den Wahlen zum neu geschaf-
fenen Landtag der autonomen Slowakei (Snem Siovenskej krajiny), die am
18. Dezember 1938 stattfanden, hatten die Wähler nur noch die Möglichkeit
zur Billigung oder Ablehnung der einheitlichen Kandidatenliste der HSlS. So
hatte es diese Partei innerhalb von drei Monaten geschafft, das politische und
gesellschaftliche Leben in der Slowakei ohne Gegenwehr unter ihre Kontrolle
zu bringen. Eine entscheidende Rolle für die Akzeptanz dieser Entwicklung in
der Bevölkerung spielte die Angst vor einem Krieg.5

Der Weg zur unabhängigen Slowakei


Die slowakische Frage war für Hitler zuerst lediglich ein weiteres Instrument
zur Destabilisierung und schließlich Zerstörung des tschechoslowakischen
Staates. Später wollte er das slowakische Gebiet als Unterpfand für Verhand-
lungen mit Ungarn oder Polen nutzen." Zu Beginn des Jahres 1939 kam es
in Berlin jedoch zu einem Meinungsumschwung. Hitler war enttäuscht über
die fehlende Bereitschaft Ungarns, bei der Aggression gegen die Tschecho-
slowakei mit Deutschland zu kooperieren. Er wollte zudem jetzt den territo-
rialen Konflikt mit Polen mit Waffengewalt lösen.' Aus deutscher Sicht hatte
Ungarn das gesamte slowakische Territorium nkht.verdlent" und eine

5 Ivan Kamenec, Vnutropoliticky vyvoj Siovenskej republiky v rokoch 1939-1945 [Die innenpoli-
tische Entwicklung der Slowakischen Republik in den Jahren 1939-1945], in: Katarina Hradska/
Ivan Kamenec (Hg.), Slovenska republika 1939-1945 [Die Slowakische Republik 1939-45],
Bratislava 2015, S. 154.
6 valerlan Bystricky, Vznik slovenskeho statu [Die Entstehung des slowakischen Staates], in:
Hradska! Kamenec (Hg.), Slovenska republika. 1939-1945, 5.17.
7 Pavol Petruf, Zahranicna politika Siovenskej republiky 1939-1945 [Die Außenpolitik der Slowaki-
schen Republik 1939-1945], in: Hradska!Kamenec (Hq.), Slovenska republika. 1939-1945, S 38.
Abtretung an Polen wäre kontraproduktiv gewesen. So fiel Ende Januar/
Anfang Februar 1939 in Berlin die Entscheidung, nach der Zerschlagung des
tschechoslowakischen Staates und der Besetzung der tschechischen Länder
die Slowakei zu einem selbständigen Staat unter deutscher Vorherrschaft zu
machen. Damit war zu diesem Zeitpunkt die Etablierung einer slowakischen
Selbständigkeit eher ein Nebenprodukt der Zerschlagung der Tschechoslo-
wakel." Zuvor ließ Hitler die slowakische Autonomieregierung jedoch ihr
eigeneslMünchen" erleben.
Die Slowakei hatte bereits zuvor einen kleineren Gebietsverlust erlitten. Nach
der Münchener Konferenz hatte das Deutsche Reich in der Nähe Bratislavas
ein Gebiet von 43 km2 mit 15.000 Einwohnern annektiert. Auch die polnische
Regierung nutzte die Schwächung derTschechoslowakei und überreichte
Prag am 30. September ihre territorialen Forderungen. Das bedeutete für die
Slowakei einen weiteren Gebietsverlust an der nördlichen Grenze (226 km',
4.280 Einwohner).9Im Vergleich zu dem, was folgen sollte, war dies jedoch
unbedeutend. Eines der Zusatzprotokolle der Münchener Konferenz forderte
eine zeitnahe Klärung der ungarischen Ansprüche auf jene slowakischen Ge-
biete, die überwiegend von ungarischsprachiger Bevölkerung bewohnt waren.
Nach dem Scheitern der bilateralen Verhandlungen folgte am 2. November
1938 ein Schiedsspruch in Wien unter Führung von Deutschland und Italien.
Die Folge war derVerlust der südlichen Gebiete der Slowakei, die mehr als
10.300 km2 und 853.670 Einwohner umtassten."
Der Wiener Schiedsspruch stellte für die Repräsentanten der HSlS einen
Wendepunkt dar. Es hatte sich klar gezeigt, dass der tschechische Partner
nicht mehr fähig war, die Slowakei vor den Ansprüchen der Nachbarstaaten
zu schützen. Damit entfiel aus Sicht der HSlS der Hauptgrund für die Existenz
einer vereinigten Tschechoslowakei. Auch außerhalb des radikalen Flügels
begannen immer mehr einflussreiche Parteimitglieder, mit der Idee der staat-
lichen Unabhängigkeit zu sympathisieren. Im Unterschied zu den Radikalen
um Vojtech Tuka plante derlgemäßigte" Mehrheitsflügel um Tiso die Unab-
hängigkeit jedoch für einen noch nicht bestimmten späteren Zeitpunkt und
lehnte den sich verstärkenden deutschen Druck zur Beschleunigung dieses

8 Tatja na Tönsmeyer, Die Bedeutung der Slowakei für das Deutsche Reich in den Jahren 1939-1945,
in: Bohemia 37 (1996), S. 80.
9 Fiamova/Hlavinka/Schvarc, Kapitoly, S 7.
10 valerian Bystricky, D6sledky Mnrchovskej dohody a viedenska arbitraz [Die Folgen des Münchener
Abkommens und des Wien er Schiedsspruchs], in: Bohumila Ferencuhova/Milan Zemko, V medzi-
vojnovom Ceskoslovensku. 1918-1939 [In der Zwischen kriegs- Tschechoslowakei. 1918-1939],
Bratislava 2012, S 482.
Prozesses ab. Dies war einer der Gründe dafür, dass sich Hitler schließlich an Tuka
wandte, um gemeinsam einen bewaffneten Umsturz mit anschließenderVer-
kündung der slowakischen Unabhängigkeit für den 11. März 1939 zu planen.
Der Separatismus der HSrS beunruhigte die Zentral regierung in Prag jedoch
immer stärker. Sie beschloss daraufhin die Ausrufung des Ausnahmezustands
für die Slowakei, verbunden mit einem Eingreifen der Armee, dem Austausch
der Autonomieregierung und der Internierung der von Vojtech Tuka ange-
führten offenen Unterstützer des Separatismus. In politischer Hinsicht erwies
sich diese Aktion als schwerwiegender Fehler. Sie verhinderte zwar den von
Tuka geplanten Umsturz, gab jedoch Hitler einen Vorwand für die Besetzung
des tschechischen Landesteils und die Schaffung eines slowakischen Vasallen-
staates. Hitler zitierte Tiso nach Berlin und verkündete ihm am 13. März 1939,
dass er die sofortige Ausrufung der unabhängigen Slowakei wünsche. An-
dernfalls würde die deutsche Armee die strategisch bedeutsame Westslowakei
besetzen und den Rest des Landes seinem Schicksal überlassen." Dies hätte
eine ungarische Annexion oder die Auf teilung der Slowakei zwischen Ungarn
und Polen bedeutet. Zugleich gab Hitler deutlich zu verstehen, dass der neue
Staat in absolutem Einvernehmen mit der Politik des Deutschen Reiches
zu funktionieren habe, was durch die beschleunigte Unterzeichnung eines
deutsch-slowakischen .Schutzvertraqes" gesichert werden sollte. Tiso akzep-
tierte das Ultimatum und am 14. März 1939 proklamierten die Abgeordneten
des autonomen slowakischen Landtages die Unabhängigkeit. Einen Tag später
besetzte die Wehrmacht die tschechischen Länder.

Die politische Entwicklung der Slowakei bis 1943


Obwohl die Vertreter der HSrS seit Mitte des Jahres 1938 über eine slowa-
kische Eigenstaatlichkeit nachdachten, wurden die meisten von ihnen von der
Geschwindigkeit des Geschehens überrascht. Die Ereignisse des 14. März rie-
fen daher selbst in den Reihen der Regierungspartei keine eindeutige Begeis-
terung hervor. Stattdessen überwog der Eindruck, lediglich das.kleinere Übel"
gewählt zu haben, wie die Äußerung des Parlamentspräsidenten Martin Sokol
vom 20. März 1939 zeiqtDer slowakische Landtag hat nicht entschieden,
ob er für das weitere Bestehen der Tschecho-Slowakischen Republik ist oder
nicht. Darüber hat zuvor schon Adolf Hitler entschieden. Die Frage, über die
wir entscheiden mussten, war die, ob die Slowakei an Ungarn angegliedert
werden soll oder ob sie als Ganzes erhalten bleiben und einen unabhängigen

11 Fiamova/Hlavinka/Schvarc, Kapitoly, S. 12.


Staat bilden soll. Und die Antwort der slowakischen Abgeordneten auf die-
se Frage konnte keine andere sein als die Proklamation des slowakischen
Staates."!
Die offizielle Propaganda stellte die Unabhängigkeit jedoch als "Erfüllung der
Träume und Sehnsüchte aller slowakischen Generationen" und dieSlowa-
kische Republik als Ergebnis einer)ausendjährigen historischen Entwicklung"
und "des Willens des vereinten slowakischen Volkes" dar."
Im März 1939 umfasste das Staatsgebiet der Slowakischen Republik ungefähr
38.000 km2 mit 2,6 Millionen Einwohnern. 85 Prozent von ihnen waren Slo-
waken, hinzu kamen 130.000 Volksdeutsche, 89.000 Juden, 30.000 Tschechen
und 67.000 Unqarn." Nach den Plänen der deutschen Regierung sollte die
Slowakische Republik einen "Musterstaat" bilden, der demonstrierte, dass
auch kleine Nationen im .reuen Europa" ihren Platz hätten. Tatja na Tönsmeyer
analysiert dies sO:"Am Beispiel der.selbstänciqen" Slowakei sollte den Staa-
ten des Donauraums demonstriert werden, daß die Patronage durch das Reich
keinesfalls mit einem Verlust an Souveränität gleichzusetzen sei - wie viele
der südosteuropäischen Staaten befürchteten -, sondern politisch und ökono-
misch Fortschritt und Wohlstand bedeute."!
In Wirklichkeit aber war die slowakische Souveränität völlig vom Wohlwollen
seines deutschen Schutzherrn abhänqiq." Festgelegt war dies im soge-
nannten Schutzvertrag vom 18. März 1939, der für eine Dauer von 25 Jahren
geschlossen wurde. Das Deutsche Reich übernahm darin den Schutz der poli-
tischen Unabhängigkeit und territorialen Integrität des slowakischen Staates.
Im Gegenzug war die Slowakei verpflichtet, ihre Außenpolitik und den Aufbau
ihrer Armee in engem Einvernehmen mit den deutschen Interessen zu gestal-
ten. Auf der Grundlage eines geheimen Zusatzprotokolls erlangte das Deut-
sche Reich zudem die faktische Herrschaft über die slowakische Wirtschaft.
Wie sich die deutsche Seite den Schutz der slowakischen Integrität vorstellte,
demonstrierte sie bereits am 15. März 1939, als deutsche Einheiten einen Teil

12 Rudolf Chmel (Hg.), Siovenska otazka v 20. storoCf [Die slowakische Frage im 20. Jahrhundert],
Bratislava 1997, S 26.
13 Frantisek Hrusovsky, Siovenske dejiny [Slowakische Geschichte], Martin 1940, S. 450.
14 Ivan Kamenec/Katarfna Hradska, Siovenska spolornostv rokoch 1939-1945 [Die slowakische
Gesellschaft in den Jahren 1939-1945], in Hradska/Kamenec (Hq.). Siovenska republika. 1939-
1945, S. 186.
15 Tönsmeyer, Die Bedeutung, S. 81.
16 Vgl. Tatjana Tönsmeyer, Das Dritte Reich und die Slowakei 1939-1945. Politischer Alltag zwischen
Kooperation und Eigensinn, Paderborn 2003.
derWestslowakei besetzten, und erneut am 23. März, als sie der ungarischen
Armee die Besetzung weiterer slowakischer Gebiete gestattete.
Der neue Staat konnte sich auch als internationales Subjekt etablieren. Er wurde
- de facto oder de jure - von 31 Staaten anerkannt. In den ersten drei Jahren
seines Bestehens war die slowakische Öffentlichkeit dem neuen Staat gegenüber
eher positiv eingestellt. Er war in der Lage, die Wirtschaft zu stabilisieren und
die Lebensqualität in der Slowakei war erheblich besser als in weiten Teilen des
vom Krieg zerstörten Europa. Staatliche Investitionen in das Transportwesen, den
Wohnungsbau und die Elektrizitätswirtschaft sowie verschiedene Sozialleistungen
führen zu einem höheren Lebensstandard. Das autoritäre Regime erschien als
akzeptabler Preis für die Stabilität und die katholische Staatsdoktrin wurde von
einer Mehrheit der Bevölkerung begrüßt. Nach einigen Monaten wurden die Zwei-
fel an der staatlichen Unabhängigkeit durch nationales Selbstbewusstsein und
Stolz abgelöst. Dies war teilweise auch ein Erfolg der staatlichen Propaganda. Die
Mitgliederzahlen der HSrS stiegen steil an, auch wenn viele nur aus opportunisti-
schen Gründen beitraten. Die Parteimitgliedschaft war ein Weg zu einer erfolgrei-
cheren Karriere und zu wirtschaftlichem Wohlstand.
Dies änderte sich mit der Kriegswende 1943, die mit einer sich verschlech-
ternden wirtschaftlichen Situation in der Slowakei einherging. Mit der wach-
senden Unzufriedenheit der Bevölkerung schwand die Popularität des Regimes
rasch. Es stellte sich heraus, dass es tatsächlich nur eine Minderheit wirklich
überzeugter Unterstützer gab. Viele sahen in einem selbständigen slowa-
kischen Staat nur das "kleinere Übel". Die Ereignisse 1943/44 zeigten, dass
die Idee einer Wiederhergestellten demokratischen Tschechoslowakei nicht
vergessen, und dass Tisos Vision einer geeinten slowakischen Nation unter
Führung der HSrS lediglich eine Illusion gewesen war.
Das Hauptziel der slowakischen Politik zwischen 1939 und 1944 war - neben
der Sicherung der eigenen Existenz - die Wiedergewinnung der an Ungarn
verlorenen Gebiete. Die Vertreter des slowakischen Regimes bemühten sich,
dieses Ziel durch wiederholte Loyalitätsbeweise gegenüber Deutschland zu
erreichen. So beteiligte sich die Slowakei am Überfall auf Polen und die So-
wjetunion. Es ist fraglich, ob sich die slowakischen Politiker darüber im Klaren
waren, dass in Hitlers Nachkriegsplänen weder die Existenz des slowakischen
Staates noch die der Mehrheit seiner Bevölkerung vorgesehen war. Die Slo-
wakei hatte keinen besonderen Status in Hitlers Plänen für Zentraleuropa. Das
slowakische Gebiet sollte ein Teil"Großdeutschlands" werden, das gesamte
Gebiet"germanisiert" und die Mehrheit der Bevölkerung nach Osten depor-
tiert oder getötet werden.
Die slowakische Regierung arbeitete auch nach der Ausrufung der Unabhän-
gigkeit weiter auf den Grundlagen, die schon im Herbst 1938 gelegt worden
waren. Die Spitzenfunktionäre der HSrS festigten ihre Position nur noch mehr.
Im Oktober 1939 wurde der Parteivorsitzende der HSrS, JozefTiso, einhellig
zum Staatspräsidenten gewählt. Seine frühere Funktion als Ministerpräsi-
dent übernahm nun Vojtech Tuka. Mit dieser Machtverteilung begann ihre
Auseinandersetzung um den Einfluss auf den Staat und in der Partei. Der
radikale Flügel der HSrS um Tuka, der sich zur nationalsozialistischen Ideolo-
gie bekannte, beanspruchte eine entscheidende Stellung in der Slowakei. Er
präsentierte sich als Vorkämpfer einer slowakischen Eigenstaatlichkeit, Haupt-
verfechter eines engen Bündnisses mit Deutschland und als Vertreter des radi-
kalsten Antisemitismus. Bei der Durchsetzung seiner Ziele verließ Tuka sich vor
allem auf direkte deutsche Interventionen in die slowakische Innenpolitik und
erhielt auch die Unterstützung führender Vertreter der deutschen Partei, die
die Volksdeutschen in der Slowakei repräsentierte, insbesondere durch deren
Vorsitzenden Franz Karmasin.
Der konservative Flügel der HSrS unter Führung Tisos bewahrte jedoch seine
Vormachtstellung in der Partei und verfügte über viel größere gesellschaft-
liche Unterstützung, da er die Stimmung der Bevölkerung deutlich besser
erfasste. Diese hatte kein Interesse an revolutionären Veränderungen, war in
ihrer Mehrheit tief konservativ, religiös eingestellt und äußerte keine großen
Sympathien für eine radikale, rasche und vollständige Neuordnung des Staates
nach nationalsozialistischem Vorbild. Tiso bezweifelte nie die Notwendigkeit
eines engen Bündnisses mit Deutschland und die Errichtung eines autoritären
Systems unter Führung der HSrS. Das Regime sollte sich jedoch eher auf na-
tionale und christliche Traditionen gründen. In diesem Sinne bezog Tiso seine
Anregungen eher aus den faschistischen Regimes in Italien und Spanien als
aus dem Nationalsozialismus.
1940 änderte Hitler seine Politik gegenüber dem Vasallenstaat hin zu einer
noch stärkeren deutschen Kontrolle. Berlin erwartete nun mehr als nur äußer-
liche Loyalität: "Die Slowakei sollte bei dem Versuch, den Staaten des Donau-
raums nationalsozialistische Systemelemente aufzuoktroyieren, die Rolle einer
Schrittmacherin übernehmen."17Im Sommer 1940 entschied Hitler auf einem
Treffen in Salzburg vorerst zugunsten der Radikalen um Tuka und stärkte ihren
Einfluss in der Regierung. Zudem musste die Slowakei die Einsetzung deut-
sd er.Bcrater" in Ministerien und zentralen Ämtern akzeptieren, die deren
Tätigkeit kontrollieren und aktuelle Informationen nach Berlin senden sollten.

17 Tönsmeyer, Die Bedeutung, S 82.


Die deutsche Unterstützung brachte den slowakischen Radikalen aber nur
zeitweise Vorteile. Ihre offensichtliche Unfähigkeit, politische Krisen zu mei-
stern, Unpopularität, und verschiedene Korruptionsaffären besiegelten ihre
rasche Niederlage im Kampf mit den konservativen Kräften der HSl:S. Im
Herbst 1942 akzeptierte die Slowakei das,Jührerprinzip", dasTuka schon seit
März 1939 gefordert hatte. Den Titel desFührers" erhielt jedoch sein Rivale
Tiso. Die Radikalen hatten damit eine schwere politische Niederlage erlitten.
Tuka schied aus dem engeren Vorstand der HSl:S aus und zog sich aufgrund
seines sich verschlechternden Gesundheitszustands schrittweise aus dem po-
litischen Leben des Landes zurück. Seine ehemaligen Verbündeten fügten sich
der neuen politischen Realität und wechselten in das siegreiche Lager. Dieses
Mal hatte es keine Intervention aus Berlin gegeben. Doch mit der Entwick-
lung der militärischen Lage hatten sich auch die Erwartungen Hitlers an das
slowakische Regime geändert. Eine Übernahme des nationalsozialistischen
Gesellschaftsmodells in der Slowakei war nicht mehr notwendig. Deutschland
benötigte dort aber einen stabilen und konsolidierten Staat. Der immer noch
populäre und respektierte Tiso war für diesen Zweck erheblich besser geeignet
als die Radikalen um Tuka.
Das Jahr 1943 markierte den Beginn der Kriegswende. Verursacht wurde diese
durch die Niederlagen der deutschen Armee sowie den Sturz Mussolinis im
Herbst. Die Vertreter der Slowakischen Republik mussten sich zunehmend mit
dem Gedanken auseinandersetzen, dass ihre deutsche Schutzmacht den Krieg
verlieren könnte. Dies hätte automatisch auch das Ende der slowakischen
Eigenstaatlichkeit bedeutet. Doch die Regierungsmitglieder um Tiso waren
weder willig noch fähig, auf diese Situation zu reagieren. Sie hielten an ihrer
Treue zum nationalsozialistischen Deutschland und dem irrationalen Glauben
an den deutschen Endsieg fest.

Von der Arisierung zu den Deportationen - Die Judenverfolgung


in der Slowakei zwischen März 1939 und Oktober 1942
Der ausgeprägte Antisemitismus war ein untrennbarer Bestandteil der Ideo-
logie des Slowakischen Staates und seiner höchsten Repräsentanten. Das
von der HSl:S geschaffene Regime bezeichnete die Juden als kollektiven
Feind des "slowakischen Volkes", entzog ihnen systematisch ihre Bürger- und
Menschenrechte, beraubte sie ihres Vermögens, drängte sie an den Rand der
Gesellschaft und stimmte schließlich ihrer Deportation in die nationalsozialis-
tischen Vernichtungslager zu. Dazu schreibt der Historiker Ivan Kamenec:
"Der Prozess des Holocaust in der Slowakischen Republik der Kriegszeit hat
in den grundlegenden Zügen, Methoden und Ergebnissen einen ähnlichen
Verlauf wie in allen europäischen Staaten, die die Nazis während des Zweiten
Weltkriegs besetzten bzw. kontrollierten. Er hatte jedoch auch seine Spezi-
fika, zu denen die Tatsache gehörte, dass die Slowakische Republik bis zum
Herbst 1944 nicht besetzt war und sämtliche antijüdischen Maßnahmen zwar
unter deutschem Druck, aber auch aus eigener Initiative und mit den eigenen
Macht- und Verwaltungsorganen umsetzte."?
Die ersten offenen Angriffe gegen die jüdische Bevölkerung begannen kurz
nach der Ausrufung der slowakischen Autonomie Anfang Oktober 1938. Nach
dem Wiener Schiedsspruch beschuldigten die Vertreter der HSrS die jüdische
Gemeinschaft der Zusammenarbeit mit Ungarn. Es folgten von Mitgliedern
der Hlinka-Garde initiierte Angriffe auf jüdische Geschäfte, Synagogen und
Friedhöfe. Der staatlichen Propaganda gelang es, den latenten, überwiegend
religiös und wirtschaftlich motivierten Antisemitismus anzufachen, der in
einem bedeutenden Teil der slowakischen Gesellschaft vorhanden war. Dies
hatte eine Radikalisierung der Bevölkerung sowie offene Feindseligkeit gegen-
über den Juden zur Folge.
Die slowakische Autonomieregierung entschloss sich unmittelbar nach dem
Wiener Schiedsspruch zur ersten Massenaktion gegen die jüdische Gemein-
schaft. Am 4. November 1938 erließ MinisterpräsidentTiso, der zugleich auch
Innenminister war, die Anordnung, Juden.ohne materielle Mittel" mitsamt
ihren Familien in das an Ungarn fallende Gebiet abzuschieben. So wurden
7.500 Menschen in das zeitweihqeNernandsland" zwischen der Slowakei
und Ungarn deportiert. Nach Protesten der ungarischen Regierung musste
ihnen die slowakische Autonomieregierung jedoch einen Monat später die
Rückkehr gestatten.
Nach der Entstehung des slowakischen Staates ließen die Äußerungen seiner
höchsten Vertreter niemanden im Zweifel darüber, dass die antisemitische Po-
litik noch radikaler und noch schneller fortgesetzt werden würde. Am 18. April
1939 erging eine Regierungsverordnung, die den Begriff des "Juden" noch
nicht auf einer rassistischen, sondern auf einer religiösen Grundlage rechtlich
definierte. Bereits im März 1939 begann die rasante Entrechtung der Juden im
wirtschaftlichen und sozialen Leben. In ihre Firmen wurden Regierungstreu-
händer oder sogenannte vorläufige Verwalter berufen, die diese Unternehmen
schrittweise übernehmen sollten. Im Frühjahr beschloss das Parlament der

18 Kamenec/Hradska, Siovenska spolornosf 5 209.


Slowakischen Republik das "Arisierungsgesetz" über die Enteignung und
Überführung jüdischen Agrar- und Firmenvermögens in "das Eigentum von
Christen".19
Die SalzburgerVerhandlungen im Juli 1940 und die Stärkung der Radikalen
in der slowakischen Politik führten zu einer erheblichen Beschleunigung der
Entrechtung der Juden. Die antijüdische Politik fiel in die Zuständigkeit von
Vojtech Tuka und seines engen Mitarbeiters Alexander Mach, der das Innen-
ministerium leitete und zudem Oberbefehlshaber der Hlinka-Garde wurde.
Gleich nach seinem Amtsantritt erließ Mach eine Vielzahl von Anordnungen,
die die Rechte der jüdischen Bevölkerung noch weiter einschränkten. Auf
Befehl Hitlers entsandte der Spezialist für Judendeportationen im Reichssi-
cherheitshauptamt, Adolf Eichmann, seinen Mitarbeiter Dieter Wisliceny als
"Berater für Judenfragen" in die Slowakei. Er sollte mit seiner Autorität die
Politik der slowakischen Radikalen unterstützen und zudem Hilfe bei der Aus-
arbeitung antisemitischer Gesetze sowie ihrer praktischen Umsetzung leisten.
Das Ergebnis war die.Req.erunqsverordnunq über die rechtliche Stellung
der Juden" (Vladne nariadenie 0 pravnorn postavenf Zidov), der sogenannte
"Juden kodex" vom 9. September 1941. Er war nach dem Vorbild der national-
sozialistischen "Nürnberger Rassengesetze" von 1935 gestaltet, definierte den
Judenbegriff rassistisch und machte die slowakischen Juden zu einer recht-
losen Bevölkerungsgruppe.
Die slowakische Regierung erließ zudem Maßnahmen, die auf eine erheb-
liche Beschleunigung der"Arisierung" abzielten. Das Parlament beschloss ein
Gesetz, auf dessen Grundlage die Regierung für die Dauer eines Jahres antijü-
dische Maßnahmen erlassen konnte - und zwar ohne Parlamentsbeschluss.
Im September 1940 gründete die Regierung das.Zentralwrtschaftsamt"
(Ustredny hospodarskr ürad). das im Verlauf eines Jahres die vollständige
"Arisierung" des jüdischen Vermögens durchführen sollte. Außerdem verfügte
das Regime die Sperrung aller Bankkonten, die Juden gehörten, und konfis-
zierte sämtliche Objekte aus Edelmetallen in jüdischem Besitz. Ihre Häuser
und Wohnungen wurden "vorläufigen Verwaltern" unterstellt und später ver-
staatlicht. Der landwirtschaftliche Grundbesitz von Juden wurde vom Staatli-
chen Bodenamt (Statny pozemkovy urad) beschlagnahmt und umverteilt.
Die Erwartung des Regimes, dass die Arisierung eine ergiebige staatliche
Einnahmequelle werden würde, wurde aber enttäuscht. Korruption und

19 Martina FiamovaJJan Hlavinka, Kapitoly z dejn holokaustu na Siovensku [Kapitel aus der
Geschichte des Holocaust in der Slowakei], Bratislava 2015, S. 19.
Unterschlagungen waren an der Tagesordnung. Viele Unternehmer wurden
reich, nicht aber der Staat. Im Gegenteil, die Vernichtung einer großen Zahl
jüdischer Unternehmen und der Ausschluss ihrer Eigentümer aus dem Wirt-
schaftsleben fügten der slowakischen Wirtschaft Schäden zu."
Die antijüdischen Maßnahmen führten zur Verarmung von mindestens
64.000 Juden, die ohne Unterstützung des Staates nicht überleben konnten.
Dies verursachte enorme soziale Probleme, die durch ab Herbst 1941 errich-
tete Arbeitslager gelöst werden sollten. Da zu diesem Zeitpunkt bereits die
Deportation der Juden aus Österreich und dem "Protektorat Böhmen und
Mähren" begonnen hatte, erhielten die slowakischen Politiker jedoch aus
Berlin offensichtlich den informellen Vorschlag, ihre jüdische Bevölkerung zu
deportieren. Die slowakische Regierung und der Präsident stimmten diesem
Vorschlag zu. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Verlauf
der deutsch-slowakischen Verhandlungen vor dem Deportationsbeginn im-
mer noch nicht vollständig geklärt werden konnte." Am 6. März 1942 bestä-
tigte Tuka den Beginn der Deportationen. Alexander Mach erklärte, dass die
Slowakei die Gelegenheit nutzen müsse, sich der Juden zu entledigen, und
betonte, dass die Deportationen auf slowakische Initiative hin organisiert
worden seien."
Vom 25. März bis zum 20. Oktober 1942 wurden in 57Transporten 57.752 jü-
dische Bürger von der Hlinka-Garde und der slowakischen Gendarmerie de-
portiert. Die slowakischen Eisenbahntransporte wurden auf polnischem Ge-
biet von der deutschen Sicherheitspolizei übernommen, die die slowakischen
Juden anschließend in die Vernichtungslager Auschwitz (19 Transporte),
Majdanek und Sobibor (38 Transporte) brachten. Der Umgang mit den Depor-
tierten war brutal. Sie wurden häufig geschlagen und beraubt, insbesondere
von Mitgliedern der lllinka-Satde."
Es gab eine Reihe von Ausnahmeregelungen. Rettung bot etwa die Arbeits-
erlaubnis von einem der Ministerien für "wirtschaftlich wichtige" Personen.
Auch Präsident Tiso konnte Schutzpapiere ausstellen. Er unterzeichnete

20 [udovft Hallon, Hospodarstvo Siovenska v rokoch 1939-1945 [Die Wirtschaft der Slowakei in den
Jahren 1939-1945], in: Hradska/Kamenec (Hg.), Siovenska republika. 1939-1945, S. 271.
21 Lenka Sindelarova, Finale der Vernichtung: Die Einsatzgruppe H in der Slowakei 194411945,
Darmstadt 2013, S. 40t.
22 Kamenec!Hradska, Siovenska spolocnosf S 216.
23 Vgl. Jän Hlavinka",D6js( silou-mocou na Siovensko a lnformovat.." Dionyz Ienard a jeho ütek z
koncentracneho tabora Majdanek L,Um jeden Preis in die Slowakei gelangen und informieren. tt

Dionyz tenard und seine Flucht aus dem Konzentrationslager Majdanek], ßratislava 2015.
ungefähr 1.100 davon, größtenteils jedoch für getaufte Juden und gegen eine
hohe Gebühr. Die Ausnahmeregelungen bezogen sich immer auch auf die
nächsten Angehörigen. Einem kleinen Teil der slowakischen Juden gelang es
so, sich der Deportation durch die Bestechung einflussreicher Funktionäre zu
entziehen. Zudem flohen im Laufe des Jahres 19425.000-8.000 Juden aus
der Slowakei, hauptsächlich nach ünqarn."
Ungefähr 4.000 Juden waren in Arbeitslagern interniert, die erst nach der
Einstellung der Deportationen im Oktober 1942 ihre ursprünglich vorgesehene
wirtschaftliche Funktion erfüllten. Nach der Beendigung der Deportationen
lebten noch insgesamt 19.000 Bürger jüdischer Herkunft in der Slowakei.
Dabei handelte es sich größtenteils um Juden, die unter die verschiedenen
Ausnahmeregelungen fielen sowie deren Familienangehörige.
Die Frage, warum die Transporte aus der Slowakei nicht fortgesetzt wurden,
ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Möglicherweise spielte dabei auch die
militärische Situation eine Rolle. Die ersten deutschen Niederlagen führten zu
einer größeren Vorsicht der slowakischen Politiker. Beeinflusst wurde die slo-
wakische Judenpolitik sowohl durch den schwindenden Einfluss des radikalen
Flügels der HSrS als auch durch die Interventionen des Vatikans über seinen
diplomatischen Vertreter in der Slowakei. Auch die Vertreter der katholischen
und evangelischen Kirche in der Slowakei, die einen bedeutenden Einfluss auf
die öffentliche Meinung hatten, protestierten immer offener. Trotz des nicht
abreißenden Bemühens von Alexander Mach und des Drucks aus Berlin nahm
die slowakische Regierung die Deportationen nicht wieder auf. Das führte
bei der nationalsozialistischen Führung zu erheblicher Unzufriedenheit. Als
Staatsoberhaupt und katholischer Priester stellte sich JozefTiso jedoch nie ge-
gen die Deportationen, sondern verteidigte sie noch im August 1942 mit dem
Argument, dass das katholische slowakische Volk das Recht und die Pflicht
habe, sich von "seinen Schädlingen" zu befreien." Die zweite Welle der De-
portationen startete jedoch erst nach der deutschen Besetzung der Slowakei
im Herbst 1944. Sie wurde durch Einheiten der deutschen Sicherheitspolizei
durchgeführt, aber wieder mit Hilfe der Hlinka-Garde.

24 Viele von ihnen fielen anschließend den Deportationen aus Ungarn im Jahr 1944 zum Opfer.
25 JozefTiso, (0 nam patrl, z toho nikomu nie nedarne [Wir geben niemandem etwas von dem,
was uns gehört]' in: Siovak, 18.08.1942, S. 4.
Der Widerstand aus dem Exil
Slowaken und Tschechen befanden sich nach der Zerschlagung der Tschecho-
slowakei in sehr unterschiedlichen Positionen. Für die Politiker, Offiziere und
die intellektuelle Elite des tschechischen Landesteils war die Emigration oft
die einzige Möglichkeit zur Rettung des eigenen Lebens. Die Situation in der
Slowakei war weniger angespannt. In die Emigration gingen die Anhänger
der tschechoslowakischen Idee, wie beispielsweise der einzige slowakische
General, RudolfViest, sowie Politiker, die sich während des Zerfalls des Staates
schon im Ausland befunden hatten. Eine besondere Gruppe bildeten die Kom-
munisten. Schon nach der Münchener Konferenz im Herbst 1938 flohen viele
hochrangige Funktionäre nach Moskau, wo sie die Exilführung der Kommunis-
tischen Partei derTschechoslowakei (KPC) bildeten.
Nach dem Ende des tschechoslowakischen Staates folgte eine neue Welle der
Emigration. Einige kommunistische Funktionäre wurden nach Westeuropa be-
ordert, um Kontakte zur tschechoslowakischen Exilregierung und zu kommu-
nistischen Gruppen in Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten
zu halten. Später ging die Mehrzahl von ihnen nach London, dem Sitz der von
Edward Benes geführten Exil-Regierung. Die in der Slowakei verbliebenen
Kommunisten bauten eine illegale kommunistische Parteiorganisation auf, die
den Instruktionen aus Moskau folgte.
Schon am 19. März 1939 hatte Edvard ßenes, der sich zu dieser Zeit in den
USA befand, in einem Interview für den amerikanischen Rundfunk erklärt,
dass das tschechoslowakische Volk kämpfen werde, weil die Tschechoslo-
wakische Republik weiterhin exlstiere." Er kehrte nach Europa zurück, um
den Widerstand aus dem Exil zu organisieren und zu einen. Am 21. Juli 1940
gründete er in London die tschechoslowakische lxiheqierunq." Aus Sicht
der Alliierten bestand deren wichtigster Beitrag in der Bereitstellung von
Geheimdienstinformationen aus dem tschechoslowakischen Gebiet sowie in
der Organisation tschechoslowakischer Militäreinheiten, die an der Seite der
Anti-Hitler-Koalition kämpften.
Die Hauptziele von Benes waren die offizielle Anerkennung seiner Regierung,
die Aufhebung des Münchener Abkommens und die Zusicherung, dass der
26 Jan Stanislav, Siovenske nsrodne povstanie 1944 - sucast'eur6pskej antifasistickej rezistencie v
rokoch druhej svetovej vojny [Der Slowakische Nationalaufstand 1944 - Teil des europäischen antifa-
schistischen Widerstands in den Jahren des Zweiten Weltkriegs], in: Miroslav Peknfk (Hg.), Siovenske
narodne povstanie 1944 [Der Slowakische Nationalaufstand 1944], Bratislava 2009, S. 21.
27 Die offizielle Bezeichnung der Exilregierung lautete,Provisorisches staatliches System der
Tschechoslowakischen Republik' (Docasne stätne zriadenie Ceskoslovenskej republiky).
tschechoslowakische Staat in seinen ursprünglichen Grenzen wiedererrichtet
würde. Dieses Ziel erreichte er bis zum Jahresende 1942. Eine besondere Be-
deutung kam der Unterzeichnung eines bilateralen Vertrages mit der Sowjet-
union am 12. Dezember 1943 zu. Er bestätigte die enge Kooperation mit der
UdSSR auch für die Nachkriegszeit und sicherte Moskau faktisch eine Kontrolle
über die Außenpolitik der erneuerten Tschechoslowakei zu. Die Sowjetunion
wurde als Schutzmacht einer tschechoslowakischen Unabhängigkeit betrach-
tet, eine Funktion, die nach Ansicht vieler tschechoslowakischer Politiker Fran-
kreich und Großbritannien in der Zwischenkriegszeit nicht erfüllt hatten.
Die Position der tschechoslowakischen Exilregierung als Hauptrepräsentant
des Widerstands gegen das nationalsozialistische Deutschland wurde auch
von den Vertretern des bürgerlichen und sozialdemokratischen Widerstands in
der Slowakei von Anfang an respektiert. Die Kommunisten taten dies erst nach
dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. Stalin erkannte am 18. Juli 1941
die Exilregierung offiziell als einzigen legitimen Repräsentanten der Tschechen
und Slowaken an.

Die Rahmenbedingungen des Widerstands in der Slowakei


Die oppositionellen Kräfte in der Slowakei waren im Frühjahr 1939 in einer
schwierigen Situation. Die bürgerlichen Parteien einschließlich der Agrarpar-
tei, die in der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei die stärkste Partei gewesen
war, unterstützten die slowakische Autonomie und hatten sich - gegen das
Versprechen einer Machtbeteiligung - widerstandslos mit der HSrS vereinigt.
Ein paar Monate nach der Unabhängigkeitserklärung gab es in diesen Kreisen
noch die Hoffnung, eine gewisse Kontinuität zum Zwischenkriegsregime er-
halten zu können. Doch dies sollte eine Täuschung sein. Die neue Regierung
plante nicht, die Macht mit den früheren Repräsentanten der Agrarpartei zu
teilen. Im Gegenteil, sie wurden als potentielle Bedrohung empfunden und
unter polizeiliche Überwachung gestellt.
Die Sozialdemokraten errichteten sofort nach der Gründung des Slowa-
kischen Staates ein illegales Widerstands-Netzwerk. Die traditionell stark
pro-tschechoslowakische Partei stand in kompromissloser Opposition zum
slowakischen Regime. Doch auch sie war gespalten. Ein Teil kooperierte mit
der bürgerlich-demokratischen Opposition, ein andererTeil mit den Kommu-
nisten. Bis 1943 wurde die pro-kommunistische Orientierung immer stärker
und führte schließlich zur Vereinigung des sozialdemokratischen und kommu-
nistischen Widerstands.
Die Kommunisten hätten die grundlegendste Opposition bilden können. Die
Vertreter des slowakischen Staates betrachteten den "Bolschewismus" als
größte Gefahr, und die Kommunistische Partei in der Slowakei war bereits im
Herbst 1938 von der Autonomieregierung verboten worden. Das widerstän-
dige Potenzial der Kommunisten war jedoch blockiert - zum einendurch den
Ribbentrop-Molotow-Pakt, zum anderen durch die Tatsache, dass die UdSSR
diplomatische Beziehungen mit dem slowakischen Staat aufnahm. Die Situa-
tion der kommunistischen Bewegung veränderte sich erst nach dem deut-
schen Angriff auf die Sowjetunion.
Zu einer Schwächung der Opposition führte zudem die integrative Politik
des Regimes. Die Regierung war bemüht, die Unterstützung potentiell op-
positioneller Kräfte zu gewinnen und setzte erst in zweiter Linie auf deren
Verfolgung. Bei der Stellenbesetzung in der staatlichen Verwaltung war die
HSI:S auf Experten angewiesen, die mit dem vorherigen Regime verbunden
waren, so etwa im Fall des Wirtschaftsfachmanns Imrich Karvas, dem Tiso die
Funktion als Gouverneur der Nationalbank anbot. Karvas machte ihn darauf
aufmerksam, dass er sich - als Mensch, der die Idee derTschechoslowakei
unterstützte, von linker Gesinnung, noch dazu als Freimaurer und mit einer
Tschechin verheiratet - nicht als geeignete Persönlichkeit betrachte. Tiso
erwiderte, dass der Staat sein Fachwissen brauche und keine politischen Ver-
pflichtungen von ihm fordere.28
Ähnlich handelte der Staat auch im Fall des Offizierskorps, an dessen Spitze
Offiziere standen, die in der Zwischenkriegszeit im antideutschen, antiunga-
rischen und tschechoslowakischen Geist erzogen worden waren. Unter ihnen
war eine überdurchschnittlich große Zahl von Protestanten29, die in stiller
Opposition gegen das streng katholische Regime standen." Dennoch gelang

28 Imrich Karvas, Moje pamäti (V pazurorh gestapa) [Meine Erinnerungen (In den Krallen der Ges-
tapo)], Bratislava 1994, S 94; Michal Schvarc/tudovft Hallon, Kauza Karvas: studie a dokumenty
k zatknutiu, zavlecemu a internadi quvernera Siovenskej närodne] banky na üzem! Nemeckej rfse
1944/1945 [Die Causa Karvas Studien und Dokumente zur Verhaftung, Verschleppung und Inter-
nierung des Gouverneurs der Slowakischen Nationalbank auf dem Gebiet des Deutschen Reiches
1944/45], Bratislava 2014, S 26.
29 Der einzige Protestant in der slowakischen Regierung war Ferdinand (atlos, der Minister für
nationale Verteidigung. Zur Zusammensetzung des Offizierskorps der Slowakischen Republik
siehe Marek Syrny/Marian Uhrin, Politicke a vojenske elity Slovenskeho narodneho povstania
[Die politischen und militärischen Eliten des Slowakischen Nationalaufstans], in: Marek Syrny
(Hg.), Varsavske povstanie a Siovenske narodne povstanie - paralely a rozdiely [Der Warschauer
Aufstand und der Slowakische Nationalaufstand - Parallelen und Unterschiede], Banska Bystrica
2009, S 74-76.
30 Stanislav, Siovenske narodne povstanie 1944, S 31.
es der Regierung, sich mit dem Angebot eines schnellen Karriereaufstiegs und
guter finanzieller Absicherung zeitweilig deren Treue zu sichern. Was zuerst als
ein Erfolg des Regimes erschien, wurde später paradoxer Weise zu einer schwe-
ren Belastung. Die Unterstützung vieler Offiziere und Wirtschaftsfachleute blieb
begrenzt. Als sie die drohende Niederlage Deutschlands erkannten, begannen sie
den slowakischen Widerstand zu unterstützen. Die Opposition akzeptierte freudig
all jene, die entscheidende Positionen in Wirtschaft und Verwaltung besaßen und
so zu einer effizienten Vorbereitung des Aufstands beitragen konnten.
Die Strafen für sogenannte politische Delikte waren bis auf Ausnahmen relativ
gemäßigt. Eine härtere Vorgehensweise wählte das Regime gegenüber aktiven
Funktionären der kommunistischen Partei. Bis zum Jahr 1944 wurde in der
Slowakei jedoch kein einziges Todesurteil für die Beteiligung am Widerstand
vollstreckt." Die Vertreter des Widerstands und des herrschenden Regimes
waren oft über freundschaftliche oder familiäre Bande verbunden, die sich
quer über ideologische Gräben zogen. Es war daher keine Ausnahme, dass der
bekannte pro-nationalsozialistische radikale Innenminister Alexander Mach
für inhaftierte Kommunisten intervenierte, weil es sich bei ihnen um Freunde
aus den 1920er Jahren handelte.

Die Einigung des slowakischen Widerstands


Trotz der erwähnten Besonderheiten formierte sich spätestens nach Kriegsbeginn
im September 1939 der Widerstand in der Slowakei. Sein bürgerlich-demokra-
tischer Flügel bestand vor allem aus ehemaligen Mitgliedern der Agrarpartei.
Kleinere konspirative Gruppen organisierten hauptsächlich die Flucht ins Exil
sowie nachrichtendienstliche Tätigkeiten für die Exilregierung. Sie hielten zudem
Kontakt mit Sympathisanten des Widerstands, die in staatlichen Strukturen tätig
waren, wie beispielsweise Wirtschaftsfachleute und Armeeoffiziere.
Der kommunistische Widerstand war ideologisch einheitlicher und organisato-
risch homogener. Er begann seine Aktivitäten erst nach dem deutschen Angriff
auf die Sowjetunion, als neue Befehle aus Moskau eintrafen, die zum Kampf
für die Wiederherstell ung der Ischechoslowakei" und zur Zusammenarbeit

31 FiamovalHlavinka/Schvarc, Kapitoly, S 83.


32 R6bert Ärpas, Metamorf6zy vzt'ahu slovenskych komunistov v «skoslcvenstemu statu v rokoch
1939-1945 [Metamorphosen der Beziehung der slowakischen Kommunisten im tschechoslowa-
kischen Staat in den Jahren 1939-1945], in Jan Kalous/Jiif Kocian (Hg.), Ceskya slovensky
komunizmus (1921-2011) [Der tschechische und slowakische Kommunismus (1921-2011)],
Praha 2012, S. 59-68.
aller antifaschistischen Kräfte aufriefen. Nach dem Kriegseintritt des slowakischen
Staates an der Seite Deutschlands im Kampf gegen die UdSSR kam es verstärkt
zu Festnahmen und einer verschärften Verfolgung slowakischer Kommunisten.
Esgelang jedoch nicht, die illegalen Parteistrukturen zu zerschlagen. Die Kom-
munisten hatten sich bereits seit Mitte 1941 um eine Zusammenarbeit mit dem
bürgerlichen Widerstand bemüht, blieben zunächst jedoch erfolglos.
Im Verlauf des Jahres 1943 eröffneten die wachsende allgemeine Unzufriedenheit
und der allmähliche Niedergang des slowakischen Regimes eine reale Chance zu
dessen Sturz. Das setzte jedoch zumindest ein gewisses Maß an Zusammenarbeit
zwischen den verschiedenen oppositionellen Strömungen voraus.
Von Seiten des bürgerlichen Widerstands setzt sich vor allem Jan Ursfny für
eine Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Widerstand ein. Ihm war
bewusst, dass mit dem wachsenden Einfluss der UdSSR im mitteleuropä-
ischen Raum die Kommunisten auch in der Slowakei einen entscheidenden
Machtfaktor darstellen würden. Zudem waren die slowakischen Kommunisten
zu einer umfassenderen Zusammenarbeit bereit. Im Sommer 1943 traf Ka-
rol Smidke aus Moskau ein, um die dezimierte Kommunistische Partei der
Slowakei (Komunisticka strana Siovenska, KSS) zu reorganisieren. Mit der
Führung der Partei beauftragte er zwei kommunistische Intellektuelle, die sich
bislang kaum an Widerstandsaktivitäten beteiligt hatten: den Juristen Gust;lv
Husak und den Dichter Ladislav NovomeskY. ßeide hatten sehr gute Kontakte
zu slowakischen politischen und intellektuellen Kreisen.33
In beiden Lagern des slowakischen Widerstands gab es so eine günstige
Ausgangslage für Verhandlungen, die zwischen Sommer und Dezember 1943
erfolgten. Am Ende stand die Unterzeichnung des sogenannten Weihnachts-
abkommens, das zum vorläufigen Programm des vereinigten slowakischen
Widerstands wurde. Auf seiner Grundlage bildete sich eine gemeinsame
Widerstandsorganisation - der Slowakische Nationalrat (Slovenskä narodnä
rada, SNR). Für die Kommunisten unterzeichneten Karol Smidke, Gustav Husak
und Ladislav Novomesky das Abkommen, für den bürgerlichen Widerstand
Jän Ursfny, Jozef Lettrich und Matej Josko. Im Januar kamen zwei weitere Un-
terschriften hinzu: die des Sozialdemokraten Ivan Horvath und die von Peter
Zat'ko, der eine Gruppe von Wirtschaftsfachleuten vertrat, die im slowakischen
Staatsapparat tätig waren.
33 Stanislav Micev, Gustav Husak v Siovenskom närodnorn povstani [Gustav Husak im Slowakischen
Nationalaufstand], in: Slavomir Michalek/Miroslav londak (Hq.l, Gustav Husak. Moc politiky-
politik moci [Gustav Husak. Die Macht der Politik - ein Politiker der Macht], Bratislava 2013,
S.165.
Auch mehrere Vertreter der HSI:S bemühten sich um Verhandlungen mit den
Vertretern des Widerstands. Sie waren jedoch weder bereit, die Vorstellung
eines unabhängigen slowakischen Staates aufzugeben, noch wollten sie sich
eindeutig von dem herrschenden politischen Regime distanzieren. Derartige
Verhandlungen stießen zudem auf eine entschieden ablehnende Haltung der
tsch echosl owa kischen ExiIreg ieru ng. 34

Die militärischen Vorbereitungen des Aufstands


Gegen Ende des Jahres 1943 war ein Teil des slowakischen Offizierskorps
bereits überzeugt, dass Deutschland den Krieg verlieren würde und für die
Slowakei der Wechsel auf die Seite der Alliierten die beste Alternative sei. Das
wichtigste Zentrum der Opposition in der slowakischen Armee for~ierte sich
in Banska Bystrica (Neusohl) in der Mittelslowakei. Geleitet wurde es vom
Chef des Oberkommandos der Bodentruppen, Oberstleutnant Jan Golian. Er
stand in Verbindung mit der Exilregierung in London und knüpfte im April
1944 auch Kontakte zu den Vertretern des Slowakischen Nationalrats. ßeide
Organisationen ernannten ihn zum Oberkommandierenden der illegalen Mili-
tärorganisation, der sogenannten Militärzentrale (Vojenske üsredie). Er wurde
beauftragt, einen Plan für einen bewaffneten Aufstands zu erarbeiten und
mit dessen Vorbereitungen zu beginnen. Diese umfassten den Aufbau eines
Widerstandsnetzes in allen Militärgarnisonen sowie die Schaffung einer ein-
heitlichen Führung der oppositionellen Gruppen in der Armee. Seine Aufgabe
war äußerst kompliziert, da sie in völliger Geheimhaltung ausgeführt werden
musste. Während Golian im Offizierskorps in der Mittelslowakei über die not-
wendige Autorität und gute Kontakte verfügte, war er mit dem Aufbau eines
konspirativen Netzes im Westen und Osten der Slowakei weniger erfolgreich.
Den militärischen Plan entwarf Golian unter Einbeziehung der Situation an
der Ostfront. Der Aufstand sollte mit dem Vormarsch der Roten Armee koor-
diniert werden." Er sollte beginnen, sobald die sowjetischen Einheiten an
der Ostgrenze der Slowakei ständen und das polnische Krakau bereits unter
ihrer Kontrolle hätten. AllerVoraussicht nach war dies für Ende Januar 1945 zu
erwarten. Dann sollten die Eliteeinheiten der slowakischen Armee in der Ost-
slowakei den Einheiten der Roten Armee den Weg über die Karpatenpässe

34 Marek Syrny/R6bert Arpas, Opozfcia, odboj a Slovenske narodne povstanie [Opposition, Wider-
stand und der Slowakische NationalaufstandL in: Hradska/Kamenec (Hg.), Slovenska republika.
1939-1945, S. 347.
35 Stanislav, Siovenske narodne povstanie 1944, S 38.
freimachen und sich ihnen anschließen. Die Armee in der Mittelslowakei sollte
- verstärkt durch aus dem Westen des Landes abgezogene Einheiten - den
erwarteten deutschen Gegenangriff aufhalten und nach dem Eintreffen der
alliierten Armeen aus dem Osten die Wehrmacht aus der Slowakei hinaus-
dranqen." Das Hauptziel des Aufstands war es, der Roten Armee einen mög-
lichst schnellen Vormarsch durch das slowakische Territorium zu ermöglichen
und das Land und seine Menschen vor langwierigen Kämpfen zu bewahren.
Die Planungen berücksichtigten auch eine weniger günstige Variante: Sollte
die Wehrmacht mit der Besetzung der Slowakei beginnen, würde der sofortige
bewaffnete Widerstand ohne Rücksicht auf die Position der Roten Armee ein-
setzen.
Am 29. Juni 1944 legte Golian seinen Plan dem Slowakischen Nationalrat vor
und sandte ihn zugleich nach London. Die Exilregierung übergab ihn anschlie-
ßend dem sowjetischen Militärattache. Der tschechoslowakische Minister
für Nationale Verteidigung und der Generalstab der Roten Armee erhoben
ähnliche Einwände gegen diesen Plan: Er würde die Möglichkeit deutscher
Gegenmaßnahmen nicht in Betracht ziehen und die feindliche Verteidigung
der Zugänge zu den Karpaten unterschätzen, zudem fehle ein Plan für den
Übergang der gesamten aufständischen Armee zum Partisanenkampf.

Der internationale Kontext des Aufstands


Der Slowakische Nationalaufstand gehört zu den wichtigsten Ereignissen in
der Geschichte des europäischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
Die slowakische Widerstandsbewegung unterrichtete die Mächte der Anti-
Hitler-Koalition und bemühte sich aktiv um ausländische Unterstützung.
Das militärische Engagement dieser Staaten zur Unterstützung der slowa-
kischen Aufständischen wurde von politischen und militärstrategischen
Faktoren determiniert. Die Zusammenarbeit mit der Roten Armee war ein
Schlüsselfaktor für den Erfolg des Aufstands. Das slowakische Gebiet befand
sich im Operationsbereich der Roten Armee; die sowjetische Führung zögerte
jedoch aus ideologischen und militärischen Gründen mit einer offiziellen Un-
terstützu ng.
Die sowjetische Führung misstraute dem politischen Hintergrund Golians
und verfügte über keine zuverlässigen Berichte über den Umfang der

36 Stanislav Micev, 1944 Siovenske närodne povstanie [1944. Der Slowakische NationalaufstandL
Banska Bystrica 2009, S. 78.
Widerstandsaktivitäten in der Slowakei. Sie zog es vor, Mitteleuropa mit eige-
nen militärischen Kräften zu befreien, und hielt Golians Plan für unrealistisch.
Die Sowjets hatten kein großes Interesse, einen Aufstand zu unterstützen, den
sie politisch nicht unter Kontrolle hatten und der sich gegen ihre Großmachtin-
teressen entwickeln konnte." Sie beantworteten die Forderung nach Unterstüt-
zung jedoch weder mit einem Ja noch mit einem eindeutigen Nein. So wurden
die Verhandlungen über die Koordination der militärischen Aktivitäten bis zum
Beginn des Aufstands fortgesetzt. Stalin stimmte einer umfassenden Unterstüt-
zung des Aufstands erst einige Tage nach dessen Ausbruch zu.
Daraufhin transportierte die sowjetische Luftwaffe 640 Tonnen Kriegsmaterial
in das Aufstandsgebiet, stellte der Aufstandsführung Flugzeuge bereit und
flog 2.000 Angehörige einer tschechoslowakischen Elite-Fallschirmjägerein-
heit in die Slowakei. Außerdem brachten die Flugzeuge der Roten Armee mehr
als 700 verletzte Aufständische in die Sowien.nior."
Die tschechoslowakische Exilregierung hatte ein großes Interesse daran, dass
sich auch die westlichen Alliierten an der Unterstützung des Aufstands be-
teiligten, um so ein Gleichgewicht der Kräfte zu wahren. Diese Bemühungen
mussten jedoch mit einer Enttäuschung enden. Insbesondere Großbritannien
machte eine materielle Unterstützung des Aufstands von der Zustimmung der
UdSSR abhängig. Die späte Unterstützung durch die Sowjetunion führte dazu,
dass Großbritannien und die Vereinigten Staaten sich vorerst nicht zum Han-
deln entschlossen. Die sowjetische Regierung wiederum ließ indirekt durch-
blicken, dass sie sich kein größeres Engagement der westlichen Alliierten in
ihrer Einflusssphäre wünsche. Daher beschränkte sich die britische Armee
lediglich auf eine kleinere Lieferung von Sanitätsmatcrial." Die Unterstützung
der USA dagegen war später umfangreicher.
Im Aufstandsgebiet befanden sich mehrere abgeschossene amerikanische
Piloten und so sandte die amerikanische Luftwaffe unter dem Vorwand ihrer
Evakuierung mehrere Transportflugzeuge zum Flugplatz bei Banska Bystrica,

37 Syrny/Arpas, Opozicia, odboj, S. 377.


38 Jan Stanislav, Sovietsky vzdusny most a slovenske narodne povstanie [Die sowjetische Luftbrücke
und der Slowakische Nationalaufstandl Online http://www.muzeumsnp.sk/engine/wp-content/
uploads/20 15I02/Sovietsky _ vzdusny_mosC a_SN P.pdf.
39 Edita lvankkova, Vel'ka Britania a slovensky odboj [Großbritannien und die slowakische Wider-
stand] ,in Der Slowakische Nationalaufstand 1944. Vstup Siovenska do demokratickej Eur6py
[Der Slowakische Nationalaufstand 1944. Der Eintritt der Slowakei in das demokratische Iuropa].
Banska Bystrica 1999, S 81-91.
die den Aufständischen 24 Tonnen Kriegsmateriallieferten.4o Eine bedeutende
Unterstützung war auch das amerikanische Bombardement des deutschen
Luftstützpunkts in der Westslowakei, den die Luftwaffe zu Fliegerangriffen
gegen die Aufständischen genutzt hatte. Die westlichen Alliierten hatten je-
doch kein unmittelbares Interesse an der Entwicklung in Mitteleuropa und der
Slowakische Nationalaufstand korrespondierte in keiner Weise mit den aktu-
ellen Operationsrichtungen der strategischen Pläne der britischen oder ame-
rikanischen Armee. Weder Großbritannien noch die USA hatten somit einen
Grund, das sowjetische Monopol bei der Unterstützung des Aufstands infrage
zu stellen. Alle drei Staaten hatten die aufständischen bewaffneten Kräfte
jedoch schon Anfang September unter der Bezeichnung "Tschechoslowakische
Armee in der Slowakei" (Ceskoslovenska armada na Siovensku) als alliierte
Armee mit allen rechtlichen Formalitäten anerkannt."
Die Alliierten nutzten die Möglichkeit, Einheiten ihrer Nachrichtendienste in
das Aufstandsgebiet zu entsenden, die so die einzigartige Chance erhielten,
die Situation im Innern des von Deutschland beherrschten Gebiets zu beob-
achten. Zur britischen Mission gehörte die "Gruppe Amsterdam", die aus fünf
Angehörigen der zionistischen Bewegung bestand. Ihre Mitglieder hatten
die Aufgabe, jüdischen Flüchtlingen zu helfen. Sie initiierten zugleich die
Gründung und Ausbildung einer jüdischen Partisaneneinheit. Nach der Nie-
derschlagung des Aufstands befanden sich die Mitglieder der ausländischen
Militärmissionen in erheblicher Gefahr. Aus deutscher Sicht handelte es sich
bei ihnen um Spione, für die die Konventionen zum Umgang mit Kriegsgefan-
genen nicht galten. Die Mitglieder der britischen und amerikanischen Mission
und der Gruppe Amsterdam, die in deutsche Gefangenschaft gerieten, wurden
schließlich ermordet.

Die wirtschaftlichen Vorbereitungen des Aufstands


Die finanzielle und wirtschaftliche Absicherung des Aufstandes war ebenfalls
eine entscheidende Vorbedingung für dessen Erfolg. Dieser Teil des Plans verlief
wesentlich erfolgreicher als die militärischen Vorbereitungen. Die Repräsen-
tanten des Widerstands standen seit langem in Kontakt mit Imrich Karvas,

40 Jan Stanislav/Dezider T6th/Maria (emanovä, Spojenecka pomoc USA aucast' Arnerkanov v slo-
venskom närodnorn povstani v roku 1944 [Die alliierte Hilfe der USA und die Beteiligung der
Amerikaner am Slowakischen Nationalaufstand im Jahr 1944J. Online: http://www.muzeumsnp.
ski eng ine/wp- contentl upload s/20 15102/Spo je necka pornoc , we b.pdf.
" '
41 Stanislav, SNP 1944, S 40.
dem Gouverneur der Slowakischen Nationalbank, und mit Peter Zat'ko, dem
Berater des Wirtschaftsministers. Ihnen schlossen sich weitere einflussreiche
Beamte an, die in den Wirtschaftsstrukturen des slowakischen Staates tätig
waren. Der Mehrheit der Wirtschaftsfachleute wurde spätestens im Jahr 1943
bewusst, welche verheerenden Folgen das Bündnis mit NS-Deutschland für
die Wirtschaft des slowakischen Staates hatte. Die einzige Möglichkeit, die
stetig zunehmende Ausbeutung der Slowakei durch die Deutschen zu been-
den, sahen sie in der Beseitigung des existierenden Regimes und somit in
der aktiven Unterstützung des Widerstands. Ihre Aufgabe war es, möglichst
viele Materialen und Geldmittel in das geplante Aufstandszentrum in Banska
Bystrica zu transferieren. Ein willkommener Vorwand hierfür war das Bombar-
dement Bratislavas durch die Alliierten im Juni 1944. Karvas konnte nun damit
argumentieren, dass ein Teil der Vorräte und Finanzen an einen sichereren
Ort gebracht werden mussten. So transferierte er im Auftrag der Regierung
drei Milliarden Slowakische Kronen in das zukünftige Aufstandscebiet." Zat'ko
ließ kraft seines Amtes die erforderlichen Vorräte in die Mittelslowakei trans-
portieren. Auf Vorschlag von Karvas und Zat'ko beschloss zudem das Komitee
der Wirtschaftsminister (Komitet hospodarskyrh ministrov), der Bevölkerung
im August 1944 Nahrungsvorräte für drei Monate im Voraus auszuqeben."

Die Situation in der Slowakei 1944


und der vorzeitige Beginn des Aufstands
Im Jahr 1944 wurde die Krise des slowakischen Regimes immer deutlicher. Es
war klar, dass mit der unausweichlichen Niederlage Deutschlands auch das
Ende des Regimes unter der Führung der Hsrs kommen würde. Die Regierung
verlor rasch an Popularität und die Opposition wurde stärker. Die wachsende
Partisanenbewegung zeigte, dass das Regime nicht einmal das gesamte
Staatsgebiet kontrollierte. Die bergigen, spärlich besiedelten Gebiete bildeten
ein ideales Versteck für slowakische Regimegegner, Deserteure und rassistisch
Verfolgte. In den slowakischen Bergen versteckten sich auch immer mehr
Flüchtlinge aus den Nachbarländern, mehrheitlich sowjetische Soldaten, die
aus Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagern entflohen waren. Zur Jah-
resmitte 1944 gab es in der Slowakei schon Tausende dieser Flüchtlinge, von
denen sich jedoch nur ein Teil an Kampfaktionen beteiligte.

42 Außerdem brachte er auch den Großteil der slowakischen Goldreserve bei Schweizer Banken in
Sicherheit, so dass dieser nicht in die Hände der Deutschen fiel.
43 Syrny/Arpas, Opozfcia, odboj, S 375.
Ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der Partisanenbewegung in der
Slowakei war das Eintreffen der ersten sowjetischen Instrukteure, die vom
Zentralstab der Partisanenbewegung in Kiew entsandt wurden. Ihre Verlage-
rung in die Slowakei regelte der tschechoslowakisch-sowjetische Vertrag vom
12. Dezember 1943. Ihre Aufgabe war die Organisation des Partisanenkriegs.
Unter ihrer Führung entstanden in der Slowakei mehrere Partisanenbrigaden,
von denen die größten über tausend Mitglieder hatten. Die Einheiten waren
national gemischt; hier gab es Slowaken, Tschechen und Sowjetbürger. Unter
den Kommandanten überwogen sowjetische Offiziere, die sich nach den Be-
fehlen der Roten Armee richteten. Ein weiteres markantes Merkmal der Parti-
sanenbewegung war deren überwiegende kommunistische Orientierunq."
Gegen Ende des Sommers 1944 kontrollierten die Partisanenbrigaden vor
allem in der Mittel- und Ostslowakei weitläufige Gebiete. Der von der slo-
wakischen Armee am 10. August 1944 unternommene Versuch einer Anti-
Partisanen-Aktion scheiterte auf ganzer Linie. Die Partisanen waren über diese
Aktion im Voraus informiert und die slowakischen Soldaten waren nicht bereit,
gegen sie zu kämpfen. Die Partisanenaktivität stieg in der zweiten August-
hälfte weiter an und in mehreren Fällen beteiligten sich örtliche Armee- und
Polizeieinheiten an den Aktionen.
Diese Entwicklung stand jedoch im Gegensatz zu den Planungen der Organi-
satoren des Aufstands. Der Erfolg von Golians Plan beruhte auf der Prämisse,
dass das deutsche Militär bis zum Ausbruch des bewaffneten Umsturzes keine
unmittelbare Besetzung des slowakischen Staatsgebietes anordnete. Die
Gefahr eines deutschen Eingreifens wurde durch die Aktionen der Partisanen
jedoch erhöht. Dennoch weigerten sich deren Kommandanten, den Forde-
rungen der Militärzentrale nachzukommen und beriefen sich auf Befehle der
sowjetischen Führung. Die fehlende Koordination zwischen der slowakischen
Militärzentrale und der von der Sowjetunion beherrschten Partisanenbewe-
gung beeinflusste den Gesamtverlauf des Aufstandes somit ganz erheblich.
Die deutschen Streitkräfte hatten schon seit längerer Zeit einen Plan für die
Besetzung der Slowakei ausgearbeitet; fraglich war jedoch, ob und wie er
umgesetzt würce." Der Umsturz in Rumänien (23. August 1944), das erfolg-
reich auf die Seite der Alliierten gewechselt war, erhöhte die Wachsamkeit der
Deutschen zusätzlich und die rasch anwachsende Partisanenbewegung
44 Micev, 1944, S 90-91.
4S Jän Stanislav, SNP 1944 - sucast' eur6pskej antifasistickej rezistencie v rokoch 11.sv. vojny
[Der Slowakische Nationalaufstand 1944 - Teil des europäischen antifaschistischen Widerstands
"
in den Jahren des Zweiten Weltkriegs], in: Syrny (Hg.), Varsavske povstanie a SNp,S 36.
bestätigte nur deren Befürchtungen. Die offensichtliche Unfähigkeit der
slowakischen Armee zur Unterdrückung der Partisanen und der sowjetische
Vormarsch auf die slowakische Grenze führten jetzt zu konkreten deutschen
Vorbereitungen für eine militärische Besetzung der Slowakei. Ein wichtiger
Teil des Planes war die Entwaffnung der "unzuverlässigen" slowakischen Ar-
meeeinheiten, vor allem in der Nähe zur sowjetischen Front.
Die deutschen Befürchtungen hinsichtlich der Situation in der Slowakei waren
eng mit der strategischen Bedeutung dieses Gebietes für die deutsche Vertei-
digung gegenüber der heranrückenden Roten Armee verbunden. Wegen des
gebirgigen Territoriums war die Slowakei leicht zu verteidigen. Sie verband
aber auch zwei wichtige deutsche Fronten: im Norden in Polen, im Süden in
Ungarn. Die Kontrolle über die Slowakei sicherte der deutschen Wehrmacht
den reibungslosen Transfer von Soldaten und Material. Zudem nutzte sie das
wirtschaftliche Potential des Landes. Der Verlust der Slowakei würde ein
großes Problem für die deutsche Kriegführung bedeuten.
Die definitive Entscheidung zur militärischen Besetzung der Slowakei fiel, als
slowakische Partisaneneinheiten unter Mithilfe der örtlichen Militärgarnison
am 27. August 1944 die Stadt Ruzomberok (Rosenberg) besetzten - ein
wichtiger Eisenbahnknoten mit bedeutender Rüstungsindustrie. Als die Parti-
sanen am folgenden Tag eine Gruppe deutscher Offiziere gefangen nahm und
ermordete, meldete der deutsche Botschafter Hanns Ludin nach Berlin, dass
der slowakische Präsident Tiso dem Einmarsch deutscher Besatzungstruppen
zustimme. Am 29. August 1944 begannen diese auf das Gebiet der Slowakei
vorzu rücken 46
Daher entschied sich die militärische Führung des Widerstands, die unvorteil-
haftere zweite Variante des Aufstandsplans - ohne eine vollständig abge-
schlossene Vorbereitung beim Einmarsch der deutschen Truppen - auszulösen.

Das politische und zivile Leben im Aufstandsgebiet


Der vorzeitige Ausbruch des Aufstands überraschte die politische Führung des
Widerstands. Von den Vertretern des Slowakischen Nationalrates befand sich
zu diesem Zeitpunkt nur Jan Ursfny in Banska Bystrica, die übrigen trafen in
den nächsten Tagen - in manchen Fällen auch erst Wochen später - im
Aufstandsgebiet ein. Die erste öffentliche Zusammenkunft des Slowaki-
schen Nationalrates fand am 1. September 1944 statt. Er erklärte sich mit

46 Stanislav, SNP 1944, S. 38.


Unterstützung der militärischen Führung des Aufstands zur gesetzgebenden
und ausführenden Gewalt in der Slowakei. Zudem erklärte er das Aufstands-
gebiet zum Teil der wiedererrichteten Tschechoslowakei und hob alle Anord-
nungen auf, die dem "demokratischen Geist" zuwider laufen würden.
Zugleich verfügte der Slowakische Nationalrat die Auflösung der HStS sowie
der deutschen und ungarischen Minderheitenparteien mitsamt ihren ange-
schlossenen Organisationen. Deren Repräsentanten wurden festgenommen
und inhaftiert. Die Schulen wurden von der politischen Führung des Wider-
stands verstaatlicht und die in deutschem Besitz stehenden .arisierten" Firmen
und Unternehmen übernommen. Einzelne Maßnahmen hatten einen eindeu-
tig antiungarischen und antideutschen Charakter: Die Vertreter dieser Minder-
heiten verloren ihre eigenen Schulen und konnten keinen Gottesdienst mehr
in ihren Sprachen abhalten." Der Slowakische Nationalrat erließ diese Anord-
nungen, obwohl in den aufständischen Einheiten auch Abteilungen kämpften,
die aus ungarischen und deutschen Freiwilligen bestanden. Von den dreihun-
dert deutschen Partisanen fielen im Aufstand mehr als einhundert.
Am 1. September veröffentlichte die politische Führung des Aufstands die
Deklaration des Slowakischen Nationalrats (Deklaracia Siovenskej narodnej
rady), die auf den wichtigsten Punkten des Weihnachtsabkommens basierte.
Sie war das offizielle politische Programm des Aufstands.
Durch Kooptation vergrößerte sich der Slowakische Nationalrat schrittweise auf
fünfzig Mitglieder und fungierte als vorläufiges Parlament. Anschließend bildete
sich ein achtköpfiges Präsidium als höchstes Organ der politischen Führung im
befreiten Gebiet. Die Exekutive bestand aus elf Beauftragten (slk. poverenictvo),
die als Ressortminister fungierten. Im Slowakischen Nationalrat gab es die glei-
che Zahl von Vertretern des bürgerlichen Blocks und der Kommunisten. Somit
musste vor jedem Beschluss ein Kompromiss gefunden werden. Da der Kampf
gegen einen gemeinsamen Feind im Vordergrund stand, kam es nicht zu grund-
legenderen politischen Konflikten. Doch der Dualismus zeigte sich auch in den
bewaffneten Einheiten. In der Armee überwog eindeutig der Einfluss der bür-
gerlichen politischen Repräsentanten, während die Partisanenbewegung nach
sowjetischen und kommunistischen Vorstellungen aufgebaut war.
Dank ausreichender Finanzmittel und einer guten Bevorratung sowie der ein-
deutigen Unterstützung durch die Bevölkerung gelang es den Vertretern des
Slowakischen Nationalrates, im Aufstandsgebiet eine funktionierende Versor-
gung und Verwaltung aufrechtzuerhalten. Das Hauptziel der politischen
.: "
47 Syrny/Arpas, Opozfcia, odboj, S 380.
Führung war die Wahrung der Stabilität und die Sicherung der Grundlagen des
täglichen Lebens. Die örtliche Verwaltung, Krankenhäuser, die Post, Schulen
und Kulturinstitutionen funktionierten weiter. Im Aufstandsgebiet gab es
einen eigenen Rundfunksender (der "Freie slowakische Sender", slk. Slobodny
slovensky vysielac). Zudem erschienen mehrere Zeitungen und bedeutende
slowakische Künstler unterstützten die Kampfmoral der Aufständischen.
Während des Aufstands bildeten sich die bei den wichtigsten parteilichen Blö-
cke endgültig heraus, die das politische Leben auch in der Nachkriegsslowakei
beherrschen sollten. Am 17. September 1944 fand derVereinigungskongress
von Sozialdemokraten und Kommunisten statt - in Wirklichkeit wurden die
Sozialdemokraten damit jedoch von der Kommunistischen Partei der Slowakei
(Komunisticka strana Siovenska) geschluckt. Zur sei ben Zeit einte sich der bür-
gerliche Block in der Demokratischen Partei (Demokraticka strana). Zugleich
stellten beide Parteien ihre politischen Programme der Öffentlichkeit vor.
Als ein Problem erwies sich das Verhältnis zur tschechoslowakischen Exilregierung
in London. Aus deren Sicht erbrachte der Aufstand den willkommenen Beweis
der direkten Unterstützung der militärischen Bemühungen der Alliierten durch
slowakische Kräfte. Der slowakische Widerstand erhoffte, dass der auf heimischem
Boden organisierte, landesweite militärische Aufstand das Bild der Slowaken als
gehorsame Kollaborateure verändern und der Slowakei eine bessere Ausgangspo-
sition in den Verhandlungen über die zukünftige Gestaltung derTschechoslowakei
sichern würde. Die Vertreter des slowakischen Widerstands erkannten Präsident
Benes in vollem Umfang als internationalen Vertreter des tschechoslowakischen
Widerstands an. Sie waren jedoch nicht gewillt, die Zivilgewalt über das Auf-
standsgebiet an einen Delegierten der Exilregierung abzugeben. Sie machten
deutlich, dass der Slowakische Nationalrat der Exilregierung keinerlei Eingriffe in
seine Oberhoheit über das Aufstandsgebiet gestatten würde. Diese Haltung vertrat
auch die Delegation des Slowakischen Nationalrats, die zu politischen Gesprächen
Anfang Oktober 1944 nach London entsandt wurde.
Da der Slowakische Nationalrat die reale Macht im Aufstandsgebiet ausübte,
blieb der Exilregierung letztlich nichts anderes übrig, als den Status quo zu-
mindest vorläufig zu akzeptieren. Dies war ein klares Zeichen dafür, dass die
Vertreter des slowakischen Widerstands die Wiedererrichtung der Tschecho-
slowakei in ihrer Zwischenkriegsgestalt ablehnten und eindeutig ein stärker
föderales Prinzip oder wenigstens eine Selbstverwaltung der Slowakei in einer
erneuerten Nach kriegstschechoslowa kei präferierten .48

48 Micev, 1944, S. 126.


Der militärische Verlauf des Aufstands
Die erste Phase vom 29. August bis zum 19. September 1944
Der Beginn der deutschen Besetzung bedeutete, dass der Aufstand nach der
unvorteilhafteren zweiten Variante anlaufen musste - ein halbes Jahr früher,
als es der ideale Plan vorgesehen hatte und auch bei einem völlig anderen
Frontverlauf als ursprünglich geplant. Das deutsche Oberkommando ent-
schied, die Slowakei in zwei Operationsgebiete zu teilen. Vom Westen und der
Mittelslowakei rückten die Besatzungseinheiten unter Führung des frisch er-
nannten "Deutschen Befehlshabers in der Slowakei", dem militärisch unerfah-
renen SS-Obergruppenführer Gottlob Berger, auf das slowakische Staatsgebiet
vor. Ihm standen ungefähr 9.000 Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS
zur verfüqunq. Aus dem Osten rückten weitere 15.000 Soldaten auf das slo-
wakische Gebiet vor. Sie waren aus den gegen die Rote Armee kämpfenden
Fronteinheiten der Heeresgruppe Nordukraine abgezogen worden und sollten
die Einheiten der Ostslowakischen Armee entwaffnen. Das Hauptziel der Deut-
schen war die volle militärische Kontrolle über das slowakische Gebiet, die
Zerschlagung der Partisanenbewegung und die Beseitigung der Aufstandsge-
fahr in den Einheiten der slowakischen Armee.
Berger rechnete lediglich mit einer schnellen Aktion, einer Partisanenbekämp-
fung, die nicht länger als eine Woche dauern sollte.49In den ersten Tagen der
Operation schien es, als solle er recht behalten. Seine Einheiten waren erfolg-
reich bei der schnellen Entwaffnung der slowakischen Garnisonen in der West-
slowakei. Die örtlichen Militärkommandanten konnten vielfach keine Verbin-
dung zum Oberkommando der Aufständischen unter Golian aufbauen und ihre
Einheiten nach Banska Bystrica überführen. Praktisch keine der Garnisonen in
der Westslowakei leistete Widerstand.so Nur einige tausend Soldaten schafften
es, in die Mittelslowakei zu gelangen. Ähnlich sah es in der Ostslowakei aus.
Auch hier waren die Aufstandsvorbereitungen nicht abgeschlossen worden.
Obwohl die slowakischen Soldaten den deutschen Einheiten in doppelter Zahl
gegenüberstanden, ließen sie sich kampflos entwaffnen. Nur ein kleinerer
Teil von ihnen erreichte das Aufstandsgebiet.
Somit hatten die deutschen Einheiten den Aufstand schon zwei Tage nach
Beginn der Besetzung isoliert - sowohl von Westen, damit er nicht auf das

49 Ebenda.
SO Frantisek Csefalvay, 0 ozbrojenych zlozkach slovenskeho narodneho povstania [Über die bewaff-
neten Einheiten des Slowakischen Nationalaufstandsl, in: Syrny (Hg.), Varsavske povstanie a SNp,
S.81-82.
Gebiet des Protektorats übergriff, wie auch von Osten, womit sie den Aufstän-
dischen die Vereinigung mit der vorrückenden Roten Armee unmöglich mach-
ten. Dadurch waren die Aufständischen in der Mittelslowakei eingekreist und
konnten einzig auf das schnelle Vorrücken der Roten Armee hoffen.
Das slowakische Regime konnte den deutschen Kampf gegen die Aufstän-
dischen nur in minimalem Umfang unterstützen. Ihr Sicherheitsapparat be-
fand sich in Auflösung. Es dauerte Wochen, bis er mit deutscher Hilfe wieder
aufgebaut werden konnte.
Zu ersten Kämpfen zwischen slowakischen Soldaten und den Einheiten
Bergers kam es am Morgen des 29. August 1944. Als sich die Meldungen
über den deutschen Einmarsch definitiv bestätigten, sandte Golian, an die-
sem Tag von Benes zum General befördert, den Militärgarnisonen die Parole
"Beginnt mit dem Auszug" (slk."Zacnite s vystahovanim") und rief damit
zum Beginn des bewaffneten Aufstands auf.
Nach dem Verlust der West- und Ostslowakei umfasste das Aufstandsgebiet
ungefähr 20.000 km2 und somit die Hälfte der Fläche der Slowakei. In diesem
Gebiet lebten circa 1,7 Millionen Menschen. Aus militärischer Sicht eignete
sich das Gelände der Mittelslowakei ideal zum Führen von Abwehrkämpfen.
Die engen Gebirgstäler und zahlreichen Pässe ließen sich auch gegen einen
überlegenen Feind verteidigen. Die Aufständischen bemühten sich, diesen
Vorteil und ihre bessere Geländekenntnis bestmöglich auszunutzen. In den
ersten Tagen kam es jedoch zu einigen Koordinations- und Planungsproble-
men. Es war offensichtlich, dass die slowakischen Soldaten im Vergleich zu
den deutschen Einheiten nicht ausreichend auf die Kämpfe vorbereitet waren
und zudem über fast gar keine Kampferfahrung verfügten. Die Aufständischen
erlitten große Gebiets- und Materialverluste.
In den ersten Tagen des Aufstands standen der deutschen ßesatzungsarmee
ungefähr 18.000 aufständische Soldaten und Offiziere gegenüber. Nach der
ersten offiziellen Mobilisierung am 5. September waren es schon 47.000 und
nach der zweiten Mobilisierung Ende September 1944 bereits 60.000 Solda-
ten." Einem Großteil von ihnen fehlte es jedoch an geeigneter Ausrüstung.
Zudem litt die Armee unter einem erheblichen Mangel an schweren Waffen
sowie an Panzer- und Flugabwehrwaffen.ln der späteren Phase fehlte es
selbst an grundlegendem Kriegsmaterial wie Gewehren, Maschinenpistolen
und Munition. Die aufständische Armee hatte somit zwar genügend Männer,
konnte diese aber nicht ausreichend bewaffnen.

51 Ebenda,S.83.
Das Bemühen um eine Stabilisierung der Front in den ersten Tagen des Auf-
stands erforderte die Eingliederung der Partisaneneinheiten in die Abwehr-
kämpfe der Aufständischen. Die Zahl der Partisanen lag dort zwischen 9.000
und 12.000 Mann.52 DerVerteidigungskampf an der Frontlinie, zumal an der
Seite von regulären Einheiten, verlangte von ihnen jedoch eine andere Kampf-
weise als die bisherige. Partisaneneinheiten und slowakische Armeeeinheiten
mussten koordiniert werden. Da es kein einheimisches Befehlszentrum der
Partisanenbewegung gab, dessen Autorität die Partisanen anerkannten, war
die Planung der Kampfhandlungen schwierig.
Doch trotz aller Probleme gelang es den Aufständischen nach der ersten Wo-
che, den deutschen Vormarsch auf den wichtigsten Routen aufzuhalten oder
zumindest deutlich zu verlangsamen. Die von Berger geplante schnelle Anti-
Partisanenaktion war damit gescheitert.
Der deutschen Führung wurde klar, dass der slowakische Aufstand ein
wesentlich größeres Ausmaß hatte als ursprünglich vermutet, und dass zu
seiner Niederschlagung weitere militärische Kräfte benötigt werden würden.
Die Chancen der Aufständischen erhöhten sich zudem, als die sowjetische
Führung eine umfassende militärische Unterstützung, einschließlich des Luft-
nachschubs von Kriegsmaterial, beschloss. Eine Fallschirmjägerbrigade und
ein Jagdfliegerregiment der an der Seite der Roten Armee kämpfenden tsche-
choslowakischen Einheiten sollten in das Aufstandsgebiet verlegt werden.
Auf direkten Befehl Stalins begann am 8. September der sowjetische Angriff
auf die Karpatenpässe an der ostslowakischen Grenze. Ziel dieser Operation
war die Unterstützung der Aufständischen in der Slowakei. Dadurch war die
deutsche Führung gezwungen, einen bedeutenden Teil der am östlichen Rand
des Aufstandsgebiets eingesetzten Truppen zur Verteidigung der Karpaten
abzuziehen." Die verbleibenden deutschen Einheiten hatten damit nicht mehr
genügend Kraft für eigene Offensivoperationen. So trug die sowjetische Unter-
stützung dazu bei, dass die aufständischen Einheiten die deutschen Angriffe
zwei Monate lang abwehren konnten.
Am 10. September 1944 kam es zu einer umfassenden Reorganisation der auf-
ständischen Armee, die nun in sechs taktische Gruppen geteilt wurde. Damit
schuf die militärische Führung des Aufstands selbständige, autarke Abwehrein-
heiten, die flexibler auf deutsche Angriffe reagieren konnten. Zudem bemühte
sich Golian, die Probleme bei der Koordination von Armee und Partisanenein-

52 Ebenda.
53 Micev, 1944, S. 102.
heiten zu lösen. Abhilfe schaffen sollte der am 16. September gegründete Haupt-
stab der Partisaneneinheiten in der Slowakei (Hlavny stab partizanskych oddielov
na Siovensku). Seine Bildung verbesserte zwar die Zusammenarbeit zwischen
der Armee und den Partisaneneinheiten, löste aber noch lange nicht das Kern-
problem, nämlich die Schaffung eines Befehlsstabes, der von den Partisanenein-
heiten wirklich respektiert wurde. Weder die Reorganisation der aufständischen
Armee noch eine verbesserte Koordination mit den Partisanenaktivitäten führte
zu einer grundlegenden Veränderung. Die Aufständischen blieben in der Defensi-
ve, ihre sporadischen Angriffsoperationen erzielten allenfalls kurzzeitige Erfolge.

Die Niederschlagung des Aufstands zwischen


dem 19. September und dem 28. Oktober 1944
Die deutsche Führung war mit dem langsamen Vorrücken ihrer Truppen nicht
zufrieden. Gottlob Berger wurde am 19. September abberufen. An seiner
Stelle ernannte Heinrich Himmler den - ebenfalls militärisch unerfahrenen-
SS-Obergruppenführer Hermann Höfle zum "Befehlshaber in der Slowakei".
Gleich nach seiner Ankunft erlitten die deutschen Kräfte einen Rückschlag. Die
amerikanischen Luftstreitkräfte zerstörten den deutschen Luftstützpunkt in
der Westslowakei, so dass die Luftwaffe auf weiter entfernte Flughäfen aus-
weichen musste. Die Aufständischen gewannen so nach dem Eintreffen des
Jagdfliegerregiments aus der UdSSR die Lufthoheit über der Mittelslowakei.
Höfle stand mit nahezu 50.000 Soldaten von Wehrmacht und Waffen-SS
gegen die 60.000 Aufständischen. Durch die größere Kampferfahrung und
bessere Ausrüstung waren die Deutschen jedoch klar im Vorteil. Höfle erarbei-
tete eine neue Strategie, die auf koordinierten Angriffen von mehreren Seiten
beruhte. Damit gelang es ihm, den deutschen Vormarsch zu beschleunigen.
Ende September umfasste das von den Aufständischen kontrollierte Gebiet
nur noch ein Drittel seiner ursprünglichen Größe.
Ihre Situation wurde immer schwieriger; es zeigten sich erste Anzeichen von
Erschöpfung und Demoralisierung. Eine wichtige Hilfe war das Eintreffen der
tschechoslowakischen Fallschirmjägerbrigade, die Golian an den schwie-
rigsten Frontabschnitten einsetzen konnte.
Am 7. Oktober 1944, kurz vor der erwarteten deutschen Schlussoffensive
ernannte die tschechoslowakische Exilregierung als Ersatz für Mn Golian den
älteren und erfahreneren General RudolfViest zum Kommandanten der Auf-
standsarmee. Viest flog aus dem Londoner Exil über Moskau in die Slowakei.
Zu diesem Zeitpunkt war jedoch schon klar, dass die sowjetische Offensive in
den Karpaten stockte. Damit hatte sich die Hoffnung auf eine baldige und um-
fassende Unterstützung durch die Rote Armee zerschlagen. Es gab nichts, was
Viest hätte tun können, um die Niederlage der Aufständischen abzuwenden.
Am 10. Oktober unterbrachen die deutschen Einheiten ihren Vormarsch für
eine Woche, um letzte Vorbereitungen für die geplante Offensive zu treffen.
Dies gab auch Viest Zeit zur Konsolidierung seiner Abwehr. Höfle plante, die
Aufständischen mit einem Angriff auf den schwach verteidigten südlichen Teil
des Aufstandsgebiets, in dem bislang nicht gekämpft wurde, niederzuwerfen.
Möglich wurde dies durch die deutsche Besetzung Ungarns, die eine Reaktion
auf den erfolglosen Versuch der ungarischen Regierung darstellte, einen sepa-
raten Waffenstillstand mit den Alliierten zu vereinbaren.
Die deutsche Schlussoffensive begann am 18. Oktober 1944 mit der Bom-
bardierung von ßanska Bystrica und der umliegenden Städte. Dann folgte die
Offensive der deutschen Bodentruppen. Die von allen Seiten eingekreisten
Einheiten der Aufständischen unterlagen diesem Druck nach knapp zehn
Tagen. Der offene Kampf gegen die deutschen Truppen hatte keinerlei Aus-
sicht auf Erfolg mehr.
Am 27. Oktober begannen die Aufständischen mit der Evakuierung von ßanska
Bystrica. Anschließend nahm das I. Bataillon des SS-Panzergrenadierregiments
Schill unter dem Kommando von SS-Hauptsturmführer Hans Kettgen die
unverteidigte Stadt ein. Viest gab den Befehl, das Jagdfliegerregiment auf die
sowjetische Seite der Front zu überführen. Damit verlor die aufständische Ar-
mee ihre Luftunterstützung. Die zusammenhängende aufständische Verteidi-
gungsfront löste sich auf und die slowakischen Einheiten waren nicht mehr in
der Lage, den deutschen Angreifern Widerstand zu leisten. Aus diesem Grund
löste Viest in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 1944 die Armee auf und
befahl den Übergang zum Partisanenkampf im Rücken der deutschen Truppen.
Gezwungenermaßen realisierte Viest so den von den slowakischen Kom-
munisten und der sowjetischen Führung schon zuvor mehrfach geforderten
und präferierten Partisanen krieg, gegen den sich die Aufstandsführung
angesichts der mangelnden Vorbereitung der Armee auf diese Kampfweise
bislang gewehrt hatte. Der Befehl kam jedoch zu spät, da zu den meisten
Armee-Einheiten schon keine Verbindung mehr bestand. Ein großer Teil der
ehemaligen aufständischen Soldaten wurde gefangen genommen oder ergab
sich freiwillig.54

S4 Ebenda, S. 116.
Die feierliche Parade der deutschen Einheiten in Banska Bystrica am 30. Oktober
1944 markierte symbolisch das Ende des Aufstands. Auf direkten Wunsch der
deutschen Führung nahmen auch Tiso und mehrere Mitglieder der slowa-
kischen Regierung daran teil. Der slowakische Präsident zeichnete persönlich
einige Angehörige derWaffen-SS aus und zelebrierte eine Dankesmesse für
den Sieg der deutschen Waffen. In seiner Rede vor den angetretenen deutschen
Truppen dankte er anschließend Hitler für die Unterstützung bei der Unterdrü-
ckung der "von Benes und den Bolschewisten" organisierten Rebellion.55 Hier
wurde erkennbar, dass die Vertreter des slowakischen Regimes bereit waren,
mit dem NS-Regime bis zu dessen endgültiger Niederlage zu kollaborieren.
Die Auflösung der aufständischen Armee bedeutete, dass die Kampfaktivi-
täten des Widerstands als Partisanenkrieg fortgesetzt werden konnten. Die
zurückweichenden aufständischen Einheiten mussten sich in kleinere Gruppen
aufteilen, die im gebirgigen Terrain überlebensfähig waren und den Verfolgern
ausweichen konnten. Der außergewöhnlich harte Winter 1944/45 führte zum
Tod von Dutzenden Aufständischen, die gezwungen waren, sich in strapaziö-
sen Märschen durch die Gebirgsgebiete zurückzuziehen. Trotz der großange-
legten Anti-Partisanen-Operationen durch deutsche Truppen und Staffeln der
Hlinka-Garde dauerte der Guerillakrieg in der Slowakei bis zur Befreiung des
Großteils des Staatsgebietes durch die Rote Armee im April 1945.
Auf beiden Seiten fielen jeweils etwa 2.000 Soldaten." Aus Sicht der deut-
schen Wehrmachtführung war jedoch nicht der Verlust an Soldaten, sondern
der relativ lange Kontrollverlust über ein strategisch wichtiges Gebiet das
größte Problem. Zugleich bedeutete der Aufstand den Verlust der slowa-
kischen Armee als Verbündeter des Deutschen Reiches sowie die Bindung von
fünf bis sechs deutschen Divisionen, die nicht an der Front eingesetzt werden
konnten. Dies war - auch unter Berücksichtigung des internationalen Kon-
textes - ein außergewöhnliches Resultat des bewaffneten Widerstands, der
in einem nur 2,5 Millionen Einwohner zählenden Staat an den Grenzen des
nationalsozialistischen "Großdeutschland" organisiert wurde.
Doch während des Aufstands wurden auch Verbrechen begangen: Morde an
Angehörigen der volksdeutschen Minderheit, die vor allem von Partisanenein-
heiten verübt wurden. Insbesondere die sowjetischen Kommandanten mach-
ten grundsätzlich alle Deutschen für die Verbrechen des Nationalsozialismus
verantwortlich und behandelten sie dementsprechend. In einigen Fällen

55 JozefTiso, Boh nedä zhynut' slovenskej rodine [Gott wird den Tod des slowakischen Vaterlandes
nicht erlauben], in: Slovak, 1. 1l. 1944, Nr. 249, S. 1.
56 Obrana Naroda, Jg. 22, Nr. 8, S. 3.
zögerten sie nicht, den Befehl zur Ermordung deutscher Zivilisten allein auf
Grundlage unbestätigter Anschuldigungen zu geben. Während des Aufstands
richteten sich die Angriffe vor allem gegen Funktionäre der Deutschen Partei
und deren Angehörige. Ziel von Übergriffen wurden auch Familien, deren
Mitglieder in den Einheiten der Waffen-SS dienten. Zu extremen Gewalttaten
kam es etwa in dem von Volksdeutschen bewohnten Dorf Sklene (Glaserhau),
wo die Partisanen 187 unbewaffnete Männer ermordeten." Die Zahl der Opfer
unter der volksdeutschen Minderheit der Mittelslowakei im Verlauf des Auf-
stands liegt bei rund neunhundert Menschen. Es muss betont werden, dass
die politische und militärische Führung des Aufstands derartige Gewalttaten
in keiner Weise unterstützte, sondern sich im Gegenteil bemühte, diese zu
verhindern. Die autonome Stellung der Partisaneneinheiten machte jedoch
eine Verhinderung oder eine Ahndung dieserTaten unmöglich.

Deutsche Verbrechen bei der Niederschlagung des Aufstands


Den deutschen Truppen folgte unmittelbar die Einsatzgruppe H des Chefs
der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) unter Führung von
SS-Obersturmbannführer JosefWitiska, dem späteren Kommandeur der Si-
cherheitspolizei und des SD in der Slowakei. Eine ihrer Hauptaufgaben war
der rücksichtslose und brutale Kampf gegen Partisanen und Unterstützer des
Widerstands, aber auch der Mord an den slowakischen Juden ebenso wie an
den Roma.58 Den Kern der Einsatzgruppe H bildeten fünf, ab Jahresbeginn
1945 dann sechs Kommandos mit je 75 bis 150 Mann. Ihnen assistierten
die slowakischen Bereitschaftsabteilungen der Hlinka-Garde (l'ohotcvcstne
oddiely Hlinkovej gardy, POHG) wie auch die eigenständigen Feldkompanien
der Hlinka-Garde, die im September 1944 geschaffen worden waren. An
ihrer Spitze stand Otomar Kubala, Chef des Hauptstabs der Hlinka-Garde und
zugleich Chef der slowakischen Staatssicherheit, der aus Sicht der deutschen
Besatzungsmacht die vertrauenswürdigste Person des slowakischen Regimes
war. Die deutschen Kommandos wurden zudem von Einheiten des Heimat-
schutzes unterstützt, die aus Volksdeutschen bestanden.

57 Michal Schvarc, Masova exekucia v Sklenom 21. septembra 1944 v sirsom dejinnom kontexte
[Die Massenexekution in Sklene am 21. September 1944 im breiteren historischen Kontext],
in: Pamät' naroda, 2007, Jg. 3, Nr. 3, S 4-11
58 Lenka Sindelarova, Finale der Vernichtung. Die Einsatzgruppe H in der Slowakei 1944/1945,
Darmstadt 2013, S 105.
Am Beginn der Einsatzgruppe H standen die beiden Einsatzkommandos (EK)
13 und 14, die sich Ende August 1944 in Brno (Brünn) formierten.59 Später
kamen vier weitere Kommandos hinzu. Nach der Niederschlagung des Auf-
stands entfesselte das in Banska Bystrica stationierte EK 14 die größte Welle
des Terrors. Das Kommando führte Georg Heuser, der bereits in Weißrussland
an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt war. Er war Chef der Gestapo
in Minsk gewesen, hatte Anti-Partisanen-Aktionen organisiert und war an
der Ermordung der weißrussischen Juden beteiligt. Allein die Mitglieder des
EK 14 ermordeten bis zu ihrem Abzug aus der Slowakei 2.876 Menschen.60
Das EK 14 war es auch, das am 3. November 1944 die Führer des Aufstands,
RudolfViest und Jän Golian, festnahm. Nach dem Verhör wurden sie in das
Konzentrationslager Flossenbürg verschleppt, wo sich ihre Spuren verlieren.
Wahrscheinlich wurden sie dort ermordet.
Die größten Mordaktionen fanden in der Umgebung von Banska Bystrica statt.
In Kremnicka (heute ein Stadtteil von Banska Bystrica) führten die Angehö-
rigen des EK 14 mit Unterstützung der Hlinka-Garde sechs Massenerschie-
ßungen durch, bei denen sie 743 Personen ermordeten, darunter 280 Frauen
und 99 Kinder. In der Kalkbrennerei in Nemecka (Deutschdorf an der Gran)
warfen sie die ermordeten Menschen in den Ofen der Fabrik, so dass sich die
Zahl der Toten auf vierhundert bis neunhundert nur schätzen lässt.
An den deutschen Verbrechen beteiligte sich auch die Abwehrgruppe 218
mit dem DecknamenJdelweiß", eine Anti-Partisanen-Einheit unter Führung
von SS-Sturmbannführer Erwein von Thun-Hohenstein.ln dieser Einheit aus
Deutschen, Slowaken und sowjetischen Hilfswilligen, die für ihre Brutalität
bekannt war, dienten auch 131 Slowaken unter Führung des ehemaligen auf-
ständischen Offiziers Ladislav NiznanskY. Diese Einheit hatte den Tod von mehr
als 300 Menschen auf dem Gewissen."
Bis zur Befreiung der Slowakei hatten die deutschen Verbände und die Staffeln
von Hlinka-Garde und Heimatschutz mehr als 5.000 Menschen ermordet so-
wie 102 Dörfer und Bauernhöfe niedergebrannt. Ungefähr 30.000 Menschen
wurden in deutsche Konzentrations- oder Arbeitslager verschleppt." Es gibt
Briefe an Hermann Höfle die zeigen, dass einige slowakische Regierungsmit-
glieder vom Ausmaß des Mordens schockiert waren". jedoch nichts taten,

59 Fiamova/Hlavinka, Kapitoly z dejin holokaustu, S. 52.


60 Slndelärova. Finale der Vernichtung, S 106.
61 Syrny/ Arpas, Opozicia, odbo] S. 393.
62 Fiamova/Hlavinka, Kapitoly z dejin holokaustu, S. 57.
63 Fiamova/Hlavinka/Schvarc, Kapitoly, S 52.
um das Wüten der deutschen Besatzungsmacht und der einheimischen Kol-
laborateure aufzuhalten. Vielmehr verteidigte die offizielle Propaganda diese
Verbrechen als notwendige Eingriffe gegen "Banditen" und Feinde des Staates.

Die zweite Welle der Deportation der jüdischen Bevölkerung


zwischen September 1944 und März 1945
Mit dem Beginn des Aufstands teilte sich das slowakische Staatsgebiet aus
Sicht der jüdischen Bevölkerung in zwei Teile. Während in den von den Deut-
schen besetzten Gebieten eine massive Verfolgung einsetztet wurden die Ju-
den im Aufstandsgebiet mit der Aufhebung aller antijüdischen Rechtsnormen
wieder zu gleichberechtigten Bürgern. In der Mittelslowakei war die Mehrheit
der jüdischen Häftlinge aus den Arbeitslagern qeflohen, die die Wachein-
heiten am ersten Tag des Aufstands verlassen hatten - in vielen Fällent um
sich ebenfalls den Aufständischen anzuschließen. Fast 1.200 jüdische Bürger
schlossen sich direkt den Partisanen brigaden oder den Armeeeinheiten an.64
Nach der Niederschlagung des Slowakischen Nationalaufstands gerieten sie
jedoch erneut in Lebensgefahr.
Die Deportationen der jüdischen Bevölkerung wurden nach der deutschen
Besetzung der Slowakei wieder aufgenommen. Am 1. September 1944 fand in
Bratislava beim "Deutschen Befehlshaber in der Slowakei" Gottlob Berger eine
Beratung statt die über den Mord an den Juden in der Slowakei entscheiden
sollte. Zu den Teilnehmern gehörten neben Berger JosefWitiska - der Chef
der Einsatzgruppe H =, Viktor Nageler - der deutsche Berater für die Hlinka-
Garde =, Erwin Weinmann - der Kommandant der SiPo und des SD in Prag
- und Hanns Ludin - der deutsche Gesandte in der Slowakei." Dabei fiel der
Beschluss zum schnellstmöglichen Mord an allen slowakischen luden. ohne
Berücksichtigung der von der slowakischen Regierung oder dem Präsidenten
erteilten Schutzbriefe. Die Festnahme aller Juden war - neben der liquidie-
rung des Widerstands - die zweite Hauptaufgabe der Einsatzgruppe H.
Das ehemalige Arbeitslager in Sered'wurde als Sammellager reaktiviert.
Die Überwachung übernahmen ab dem 12. September 1944 deutsche
Stellen. die beqannen. tausende Juden. vor allem aus der Westslowakeit

64 Ebenda, S. 53; Akiva Nir, Siovenskf Lidia v odboji a v Siovenskom närodnom povstanf [Die slowa-
kischen Juden im Widerstand und im Slowakischen Nationalaufstandl, in: SNP 1944. Vstup Slo-
venska do demokratickej Eur6py [Der Slowakische Nationalaufstand. Eintritt der Slowakei in das
demokratische Europal, Banska Bystrica 1999, S. 265-274.
6S FiamovalHlavinka, Kapitoly z dejfn holokaustu, S. 52.
nach Sered' zu verschleppen. Nach der Niederschlagung des Aufstands kamen
auch Gefangene aus der Mittelslowakei hinzu. Ein Großteil der Juden, die von
den Einsatzkommandos im ehemaligen Aufstandsgebiet aufgegriffen wurden,
wurde jedoch an Ort und Stelle hingerichtet. Die Ostslowakei fiel bis zu ihrer
Befreiung durch die Rote Armee Ende Januar 1945 in den Zuständigkeitsbe-
reich des Sonderkommandos 27 (Kommando zur besonderen Verwendung),
das von dem Befehlshaber der SiPo und des SO in Krakau geleitet wurde. Die
Juden aus diesem Gebiet (ihre Anzahl ist unbekannt) wurden in das Vernich-
tungslager Auschwitz-Birkenau oder das Konzentrationslager Plasz6w bei
Krakau deportiert.
Ende September 1944 kam Alois Brunner in die Slowakei, einer der engsten
Mitarbeiter von Adolf Eichmann, des Organisators des Holocaust. Seine Aufgabe
war es, die Deportationen zu organisieren, so wie er es zuvor in Wien, Berlin, dem
griechischen Thessaloniki und dem französischen Drancy getan hatte. In Sered'
organisierte er elfTransporte. Der erste Zug mit slowakischen Juden fuhr am
30. September 1944 von Sered'zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Spä-
ter gingen die Transporte nach Ravensbrück, Sachsenhausen und Theresienstadt.
Der letzte verließ Sered'am 31. März 1945, einen Tag, nachdem Brunner vor den
heranrückenden Einheiten der Roten Armee geflohen war.66
Insgesamt wurden im Verlauf der Jahre 1944/45 11.500 Menschen aus Sered'
deportiert, weitere Hunderte wurden auf dem Gebiet der Mittelslowakei
ermordet. Im Vergleich zur ersten Deportationswelle konnten die Juden im
Jahr 1944 stärker mit der Hilfe der nicht jüdischen Bevölkerung rechnen. Ohne
diese war es fast unmöglich, die deutsche Besatzung zu überleben." Von der
Gesamtzahl der 89.000 bis 90.000 Juden, die im Jahr 1939 auf dem Gebiet der
Slowakei lebten, überlebten jedoch nur ungefähr 15.000 das Ende des Krieges.

Der Fall des slowakischen Regimes und


die Wiedererrichtung der Tschechoslowakei
Seit Herbst 1944 war die Slowakische Republik ein paralysierter Staat, dessen
Schicksal besiegelt war. Mit der unausweichlichen militärischen Niederlage
Deutschlands würde auch das Regime unter Führung der HSrS gescheitert

66 Ebenda, S. 54.
67 Hana Klamkova, Nalady a postoje slovenskeho obyvatel'stva k tzv. zidovskej otäzke po potlacenf
Siovenskeho närodneho povstani, 1944-1945 [Die Öffentliche Meinung der Slowakischen Bevöl-
kerung über die sogenannte jüdische Frage nach der Niederschlagung des Slowakischen Nationa-
laufstandes 1944-19451. in: Acta Universitatis Carolinae, Studia Territorialia, 2 (2010), S 69-93.
sein. Nach dem Ausbruch des Slowakischen Nationalaufstands baute Präsident
Tiso die Regierung um. Deren Tätigkeit beschränkte sich jedoch vor allem auf
die von der Besatzungsmacht geforderten Treue-Proklamationen zum natio-
nalsozialistischen üeutschland." Die Slowakische Republik bewahrte zwar
nach der Besetzung formal ihre staatliche Souveränität, die aber lediglich auf
protokollarische Fragen beschränkt war. Die deutsche Besatzungsmacht be-
hielt die vollständige Kontrolle über den Sicherheitsapparat. Die slowakische
Regierung dagegen verfügte nicht mehr über eine eigene funktionsfähige
Armee. Präsident Tiso bekleidete zwar pro forma weiter das Präsidentenamt,
jedoch vor allem, um mit seiner Autorität die Besatzung zu legitimieren. Die
deutschen Militärbefehlshaber in der Slowakei handelten vollkommen eigen-
mächtig. Dies untergrub die ohnehin schon zutiefst erschütterte Autorität der
Regierung weiter. Die Regional- und Kommunalverwaltungen zeigten immer
weniger Bereitschaft, die Anordnungen aus Bratislava umzusetzen. Die offizi-
elle Propaganda verlor jeglichen Einfluss; die Nachrichten der BBC aus London
erschienen qlaubwürdiqer."
Seit Herbst 1944 verkleinerte sich das formal von der slowakischen Regierung
kontrollierte Gebiet kontinuierlich. Die ersten Einheiten der Roten Armee
marschierten noch im Herbst 1944 in der Ostslowakei ein, im Februar 1945
befreiten sie gemeinsam mit rumänischen Truppen die Mittelslowakei. Hier
übernahm die neue tschechoslowakische Regierung gemeinsam mit den
Vertretern des Slowakischen Nationalrats schrittweise die Macht. Die Kampf-
operationen waren von außerordentlicher Intensität und verursachten enorme
wirtschaftliche Schäden. Die zurückweichenden deutschen Einheiten zer-
störten systematisch alle Verkehrswege und -mittel und demontierten zudem
viele Fabriken.
Am 4. April 1945 besetzten die sowjetischen Truppen Bratislava (Pressburg).
Die letzten slowakischen Ortschaften wurden erst am 3. Mai 1945 befreit.
Die slowakische Regierung und Präsident Tiso hatten die Stadt schon zuvor
verlassen und verschanzten sich im Benediktinerstift Kremsmünster in Obe-
rösterreich. Am 5. Mai gerieten die Regierungsmitglieder in amerikanische
Gefangenschaft, drei Tage später unterzeichneten sie ein Dokument, mit dem
sie sich allen Anordnungen der alliierten Armeen unterwarfen."

68 Harnova.Hlavinka, Kapitoly z dejn holokaustu, S. 49.


69 Ondrej Podolec, Nemecka okupäca a zanlk Siovenskej republiky [Die deutsche Besatzung
und der Untergang des Slowakischen Republik], in: HradsktllKamenec (liq.), Slovenska republika.
1939-1945, S.440-444.
.1
70 Ebenda, S. 445.
Am Tag der Befreiung Bratislavas traf der tschechoslowakische Präsident
Edvard Benes auf slowakischem Gebiet ein. Er flog aus Moskau in die ostslo-
wakische Stadt Kosice (Kaschau), die nicht nur von der Roten Armee befreit
worden war, sondern durch die Annullierung des Wiener Schiedsspruches
vom 2. November 1938 zudem an die Tschechoslowakei zurückfiel. Benes
verkündete in Kosice die Bildung einer neuen Regierung und stellte das soge-
nannte Kaschauer Regierungsprogramm (Kosickyvladny program) vor. Dies
war bereits in London als Kompromiss zwischen den Forderungen der Exilre-
gierung und der Führung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei,
die sukzessive zur dominanten politischen Kraft der tschechoslowakischen
Politik wurde, vorbereitet worden. Das Programm forderte unter anderem die
Aussiedlung eines Großteils der deutschen und ungarischen Bevölkerung aus
derTschechoslowakei sowie die Bestrafung von Kollaborateuren, Verrätern und
Kriegsverbrechern. In der Slowakei betraf dies vor allem Menschen, die gegen
den Nationalaufstand gekämpft oder sich an den deutschen Verbrechen gegen
die slowakische Bevölkerung beteiligt hatten.
Der Slowakischen Nationalrat wollte alle vor Gericht stellen, die 1938/39 die
Autonomiebestrebungen unterstützt oder später zur Entstehung des slowa-
kischen Staates beigetragen hatten. Dies galt auch für "Verräter am Slowa-
kischen Nationalaufstand", deutsche Besatzer, und Kollaborateuren In den
in der Tschechoslowakei stattfindenden Kriegsverbrecherprozessen (Retri-
butionsprozesse) wurden unter anderem folgende Personen zum Tode ver-
urteilt und hingerichtet: JozefTiso (18. April 1947), Vojtech Tuka (20. August
1946), Otomar Kubala (28. August 1946), Hermann Höfle (9. Dezember 1947),
Hanns Ludin (9. Dezember 1947) und DieterWisliceny (4. Mai 1948). Josef
Witiska beging vor seiner Auslieferung an die Tschechoslowakei Selbstmord,
Alexander Mach wurde, für viele übenasd endnur" zu 30 Jahren Haft verur-
teilt; auf Grundlage einer Amnestie wurde er dann im Jahr 1968 entlassen."

Die Darstellung und Wahrnehmung


des Aufstands nach Kriegsende
Die Erinnerung an den Slowakischen Nationalaufstand und die Gedenkfeiern
an ihn besaßen während der gesamten slowakischen Nachkriegsentwicklung
eine herausragende geschichtspolitische Bedeutung. Dies stellte sich gleich
nach Kriegsende heraus.

71 Anordnung des Slowakischen Nationalrats vom 15. Mai 1945.


72 Fiamova/Hlavinka/Schvarc, Kapitoly, S 92-93.
Aufstände gegen die Besatzungsherrschaft und einheimische Kollaborateure ragen
in der Geschichte von Nationalstaaten besonders hervor. Vielfach haben sie eine
Art von Hegemonialsteilung in der Geschichte eines Staates. Nicht nur Politiker,
sondern auch Historiker betonen gern, dass gerade der Widerstand gegen die
nationalsozialistische Vorherrschaft die wahre Gesinnung einer nationalen Gesell-
schaft repräsentiere, während die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten
lediglich die Angelegenheit einer engen, isolierten Gruppe von Kollaborateuren
und Verrätern gewesen sei. Wie weit diese geschichtspolitische Setzung jeweils
zutrifft, muss für jede historische Situation dieser Art einzeln untersucht werden.
Das Grundnarrativ des Slowakischen Nationalaufstands ermöglichte es zum
einen, in der Auseinandersetzung über den Zweiten Weltkrieg das unange-
nehme Thema des kollaborierenden slowakischen Staates zu überdecken."
Der zweite Grund für die Schlüsselstellung des Slowakischen Nationalauf-
stands im Nachkriegsnarrativ war das aus dem Aufstand abqeleitete.ver-
mächtnis für die Zukunft". Dabei durchlief die Darstellung der Geschichte des
Aufstands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschiedene politisch
motivierte Veränderungen. Die Heterogenität der Organisatoren und der Be-
teiligten am Slowakischen Nationalaufstand bot die Möglichkeit für verschie-
dene, geradezu gegensätzliche und widersprüchliche lnterpretationer."
Der Zustand der "gelenkten Demokratie" in der Tschechoslowakei bis zum
Jahr 1948 ermöglichte noch eine gewisse Pluralität bei der Bewertung des
Slowakischen Nationalaufstands. Die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten
rief allerdings immer heftigere Kritik der Kommunisten hervor, die sich am
deutlichsten zur Geschichte des Aufstands und der daraus entwickelten
Tradition bekannten.
Stärker als andere gesellschaftliche und politische Gruppen waren die Kommu-
nisten bestrebt, ihre Interpretation des Aufstands in den Vordergrund zu stellen.
Danach hatte die Kommunistische Partei die Hauptrolle im Aufstand gespielt:
"Wir wollen die Beteiligung der anderen Akteure, ihren Beitrag und ihre Un-
terstützung nicht reduzieren, jedoch muss man im Interesse der historischen
Wahrheit heute, zum ersten Jahrestag, den führenden Anteil und die Beteili-
gung der KSSan allen Vorbereitungen feststellen. Bei einer ausführlichen

73 Miroslav Michela/Michal Ksii'ian, Siovenske närodne povstanie, in: Michal Ksii'ian (Hg.), Komunisti
a povstania/Communists and Uprising, Krakov 2012, S. 11.
74 Elena Mannova, Slovenske narodne povstanie a politicka pamät' [Der Slowakische Nationalauf-
stand und das politische Gedächtnis], in Edita Ivanickova et. al, Z dejfn demokratickych a totalit-
nych rezimov [Aus der Geschichte demokratischer und totalitärer Regime], ßratislava 2008,
S. 217.
Geschichte des Aufstands tritt diese Behauptung noch stärker hervor?' Nach
den Wahlen im Jahr 1946 - die die Kommunisten in der Slowakei verloren-
betonten sie, dass nur die Kommunisten konsequent am Vermächtnis des Slo-
wakischen Nationalaufstands festhielten und die konkurrierende Demokratische
Partei aus wahltaktischen Gründen begonnen habe, mit ehemaligen Angehöri-
gen von Hlinkas Slowakischer Volkspartei zusammenzuarbeiten.
Nach Kriegsende erklärte der Slowakische Nationalrat mit einer Verordnung
vom 3. Juli 1945 den 29. August zum slowakischen Nationalteiertaq" Die
Feierlichkeiten des ersten Jahrestages des Aufstands in Banska Bystrica fanden
unter Beteiligung führender tschechoslowakischer Politiker statt. Darunter
befand sich auch Edvard Benes. In seiner Ansprache benutzte er jedoch kon-
sequent die Formulierung .Bansxa-ßystncer-xutstand" (slk."bansko-bystricke
povstanie"l, womit er klar zu erkennen gab, dass er den Aufstand lediglich
als lokales Ereignis in der Widerstandsbewegung des tschechoslowakischen
Volkes betrachtete." Diese Interpretation hatte jedoch schon zu dieser Zeit
keinerlei Chance auf Akzeptanz in der Slowakei. So schrieb einer der Hauptor-
ganisatoren des Aufstandes, der Kommunist Gustav liusak "Heute betrachten
wir es als selbstverständlich, dass das tschechische und das slowakische Volk
gleichberechtigt sind, und als solche die zwei Hauptpfeiler unseres Staates bil-
den. Den Hauptverdienst dafür, dass dem so ist, muss man unserem Aufstand
zuschreiben, der diese Frage unzweideutig und sicher aufgestellt hat"."
Der Bezug auf den Slowakischen Nationalaufstand diente zudem dazu, die
These von einer Kollektivschuld der deutschen und ungarischen Minderheit
während des Tiso-Regimes zu etablieren. Damit konnten auch die Zwangs-
aussiedlungen dieser Minderheiten legitimiert werden. Zwischen Benes, den
bürgerlichen Parteien und den Kommunisten gab es in dieser Frage nur gerin-
gen Dissens.
Aufwendige Feierlichkeiten unter Beteiligung des kommunistischen Minister-
präsidenten Klement Gottwald fanden auch im Jahr 1946 statt, diesmal in
Bratislava.lm folgenden Jahr gab es jedoch schon keine landesweiten
Gedenkfeiern mehr: "Die Gedenkfeiern für den Aufstand spiegelten den

75 Gustav Husak, Orqanizätorka povstania [Die Organisatorin des Aufstands], in: Gustav Husak,
Zapas 0 zajtrajsok [Kampf um das Morgen], Bratislava 1948, S. 12.
76 Monika vrzqulovä, Komu patrf Slovenske närodne povstanie [Wem gehört der Slowakische Natio-
nalaufstand], in: Katarfna Popelkova et al., Co je to sviatok v 21. storod na Siovensku? [Was ist ein
Feiertag im 21. Jahrhundert in der Slowakei'], Bratislava 2014, S. 68.
77 Michela/Ksinan, Siovenske närodne povstanie, S. 21.
78 Gustav Husak, Po jednom roku [Ein Jahr später], in: Husak, Zapas 0 zajtrajsok, S. 32.
sukzessiven Niedergang der Kompetenz der slowakischen nationalen
Organe."79 Zu diesem Zeitpunkt war jedoch auch bereits klar, dass die zentrale
Forderung des Programms der Aufständischen, nämlich eine echte Föderali-
sierung derTschechoslowakei - nicht realisiert werden würde.
Die Kommunisten hatten diese zentral mit dem Aufstand verbundene Forde-
rung aus machtpolitischen Gründen aufgegeben. Eine autonome Slowakei
wäre ein Hindernis für die kommunistischen Bestrebungen zur Herrschaft in
der gesamten Tschechoslowakei geworden. Der Slowakische Nationalaufstand
wurde jetzt für ein Programm der sozialistischen Modernisierung und Indus-
trialisierung der Slowakei instrumentalisiert.

Interpretationen des Aufstands nach 1948


Nach dem kommunistischen Umsturz in derTschechoslowakei im Februar
1948 entstand eine allgemein verbindliche Interpretation. Der Slowakische
Nationalaufstand sei ein revolutionärer Aufstand des slowakischen Volkes ge-
wesen, in dem der Kampf gegen den Faschismus mit dem Kampf des Proleta-
riats gegen die "verräterische Bourgeoisie" und den "reaktionären katholischen
Klerus" seine Synthese gefunden habe. Vom Slowakischen Nationalaufstand
habe folglich ein gerader Pfad zum Aufbau der sozialistischen Gesellschaft
geführt.
Die positiven Erwähnungen des bürgerlichen Widerstands, des Londoner Exils
und der Rolle der Armee verschwanden aus den offiziellen Darstellungen und
Gedenkfeiern. Mehrere nicht kommunistische Aufständische wurden vom
kommunistischen Sicherheitsapparat inhaftiert, anderen gelang die Emigrati-
on. 1949 wurden im Zuge der Ausschaltung potentieller Gegner der kommu-
nistischen Herrschaft mehrere bedeutende frühere slowakische Partisanen-
kommandanten festgenommen, anschließend verurteilt und hingerichtet.
1950 wurden auch Angehörige der Kommunistischen Partei der Slowakei
inhaftiert, die am Aufstand - zum Teil in führender Position - teilgenommen
hatten. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten während des Aufstands nicht
die "Bourgeoisie" bekämpft, sondern sich für nationale Eigenständigkeit der
Slowakei eingesetzt.
Nicht nur die Namen vieler Aufständischer verschwanden aus den Darstel-
lungen über den Aufstand oder wurden bei den Gedenkfeiern nicht mehr ge-
nannt. Auch die nationalen Forderungen im Programm der Aufständischen
79 Mannova, Siovenske närodne povstanie, S. 217.
.'
wurden nicht mehr erwähnt. In der Zeit der größten politischen Unterdrückung
und innerparteilicher Säuberungen zwischen 1951 und 1953 gab es nur sehr
zurückhaltende Gedenkfeiern. Die Unklarheiten über eine einheitliche Interpre-
tation des Aufstands stoppten auch den Bau des geplanten Denkmals und des
Museums über den Aufstand in ßanska Bystrica. Paradoxerweise war es jedoch
gerade ein Gesetz aus dem Jahr 1951, das den Tag des Aufstandsbeginns zum
"bedeutenden Tag der Tschechoslowakischen Republik" besrimmte."
Die jeweiligen Interpretationen der Vergangenheit waren eng mit den ak-
tuellen politischen Zielen verknüpft. Im Verlauf weniger Tage waren Helden
zu Verbrechern geworden. Eine gestern noch positiv bewertete Entwicklung
konnte heute schon ideologische Häresie sein. So kam es zu einem schwer
auflösbaren Paradoxon: Der Aufstand wurde zum fortschrittlichsten Ereignis
der slowakischen Geschichte erklärt, doch fast alle seiner direkten Teilnehmer
waren als Verräter gebrandmarkt. Die individuellen Akteure wurden somit
ourch.kolleküve Identitäten" ersetzt. Den Aufstand habe die "unfehlbare kom-
munistische Partei" geleitet, die "das Volk und die sowjetischen Partisanen"
gegen die vom.klero-fasrhistisrhen Regime" repräsentiertereaktimäre Bour-
geoisie" geführt habe. Die Abwesenheit der tatsächlich in führender Funktion
am Aufstand Beteiligten wurde durch die Überhöhung der Rolle Klement
Gottwaids aufgewogen, der den Aufstand mit Hilfe Stalins aus dem Moskauer
Exil geführt habe.
Selbst der langsame Prozess der Entstalinisierung nach 1953 brachte keine
großen Veränderungen. Der Kampf gegen den "bourgeoisen Nationalismus"
wurde fortgesetzt, größere personelle veräncerunqen in der KP( blieben aus.
Der Jahrestag des Aufstands wurde jedoch ab 1954 erneut zum Anlass größe-
rer Gedenkfeiern. Der Aufstand wurde hier in erster Linie als Verpflichtung für
die Zukunft präsentiert: Sein Vermächtnis ruhe im Aufbau des Sozialismus, in der
ewigen Allianz mit der UdSSR und in der Festigung der Einheit der Republik."
In der ersten Hälfte der 1960er Jahre kam es in derTschechoslowakei durch
innen- und außenpolitischen Druck zu einer teilweisen Liberalisierung des
kommunistischen Systems. Die Politik des Abbaus des kommunistischen
Dogmatismus, die Rehabilitierung der "bourgeoisen Nationalisten" und eine

80 Zakon C 93/1951 Zb. 0 statnom sviatku, 0 dnoch pracovneho pokoja a 0 pamätnych a vyznam-
nych dnoch [Gesetz über staatliche Feiertage, arbeitsfreie Tage sowie Gedenktage und bedeutende
Tage].
81 Narodnf Archiv (eske Republiky [Nationalarchiv der Tschechischen Republik], KSC-UV-02/2 fond
KSC - Ustredny vybor 1945-1989, Praha - politkke byro 1954-1962 [Zentralkomitee 1945-1989,
Prag - Politbüro 1954-62], zv. 12, a] 16.
neue Diskussion über die tschecho-slowakischen Beziehungen führten auch
zu einer Neuinterpretation des Aufstands. Die nationale Dimension des Auf-
stands wurde mit einer Besonderheit betont: Die Führung des Aufstands habe
sowohl die Wiederherstellung derTschechoslowakei als auch eine gerechtere
Gestaltung der tschecho-slowakischen Beziehungen gefordert. Die Betonung
dieses Umstands war mit der Kritik verbunden, dass diese Forderung auch
nach zwanzig Jahren noch nicht erfüllt worden sei.
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurde in der Presse schon relativ frei
über einige bis dahin tabuisierte Seiten des Aufstands diskutiert. Während der
kurzen Liberalisierungsphase erschienen zahlreiche Publikationen über ihn. Ihr
Ziel war es, vorherige Verzeichnungen zu korrigieren und einen differenzierte-
ren Blick auf dieses Ereignis zu werfen. Die größte Popularität gewann jedoch
nicht die Arbeit eines Historikers, sondern das Buch von Gustav Husak, eines
direkten Akteurs des Aufstands, der vorher Opfer der stalinistischen Repression
geworden war.
In Husaks Interpretation des Aufstands nahmen die tschecho-slowakischen
Beziehungen eine zentrale Stellung ein. Für ihn hatten gerade die slowa-
kischen Kommunisten aktiv für eine gleichberechtigte Stellung der Slowaken
in der wiedererrichteten Tschechoslowakei gekämpft. Den Mythos, dass die
Kommunisten den Aufstand angeführt hätten, stellte er nicht infrage. Die
größten Verdienste bei der Leitung des Aufstands schrieb er jedoch nicht mehr
der Moskauer Führung der KPC, sondern der einheimischen Führung der Kom-
munistischen Partei der Slowakei zu. Dabei stellte er besonders seine eigenen
Verdienste heraus.
Es ist fraglich, ob und inwieweit sich Gustav Husak darüber bewusst war, dass
er eine Interpretation des Aufstand geschaffen hatte, die für die nächsten
zwanzig Jahre verbindlich sein würde. Als er jedoch 1969 an die Spitze der
KP( gelangte, verhinderte er, dass Historiker, deren Thesen im Widerspruch zu
seiner Interpretation standen, ihre Arbeiten veröffentlichen konnten. Die von
Husak präferierte national-kommunistische Version des Aufstands blieb bis
zum Fall des kommunistischen Herrschaftssystems Ende 1989 unverändert.
Die Ausstellung im neuen Aufstands-Museum in Banska Bystrica, das zum
25. Jahrestag 1969 feierlich eröffnet wurde, fixierte diese Version im Rahmen
des offiziellen Gedenkens.
Veränderte Geschichtsinterpretationen nach 1989
Der Fall des kommunistischen Regimes in derTschechoslowakei führte zu der
Frage, wie jetzt an dieses historische Ereignis erinnert werden sollte. Eine
pluralistische Diskussion über den Aufstand konnte beginnen. Dabei gab es
einerseits ein starkes Bestreben, sich all dessen zu entledigen, was das kom-
munistische Regime anerkannt und gefeiert hatte. Andererseits bedurfte es
auch im postdiktatorischen Staat historischer Ereignisse, die hervorgehoben
werden konnten und die in der komplizierten Situation des Aufbaus einer libe-
ralen Demokratie integrierend und mobilisierend wirken kennten."
Daher erhob auch der demokratische Slowakische Nationalratnach längeren
Diskussionen 1992 den Tag des Aufstandsbeginns zum staatlichen Feiertag.
Begründet wurde das damit, dass"sich das slowakische Volk am 29. August
zum Kampf gegen Totalität, Unterdrückung, Rassismus, Faschismus sowie
Unterdrückung der Menschen- und Bürgerrechte erhob und ungeachtet der
Opfer sein Verlangen, frei zu leben, bezeugte, und sich zum Vermächtnis des
gesamten antifaschistischen Widerstands bekannte'."
Nach dem Zerfall derTschechoslowakei und der Entstehung der eigenstän-
digen Slowakischen Republik 1993 behielt der Jahrestag des Slowakischen
Nationalaufstands seinen Rang als bedeutendster (nicht religiöser) staatlicher
Feiertag. Die Interpretation des Aufstands hat sich selbstverständlich verän-
dert. Das Narrativ steht in einem ausgeprägten europäischen Kontext84 und
bezieht sich auf vielfältigere Aspekte des Aufstandes. Heute wird über den
Holocaust in der Slowakei ebenso diskutiert wie über den nichtkommunis-
tischen Widerstand, die Einheiten der aufständische Armeen oder die Rolle
der amerikanischen und britischen Militärmissionen. So waren auf der
Gedenkfeier in Banska Bystrica zum ersten Mal nach vierzig Jahren erneut
die Flaggen der Vereinigten Staaten von Amerika, von Frankreich und
Großbritannien zu sehen.

82 Vrzgulova, Komu patn Siovensh' närodne povstanie ,S. 69.


83 Zakon Siovenskej narodnej rady z 29. septembra 1992 elslo 489/1992 Zbierky 0 vyhlasenl
29augusta za statny sviatok Siovenskej republiky [Gesetz des SNR vom 29. September 1992
C 489/1992 Zb. über die Erklärung des 29. August zum staatlichen Feiertag der Slowakischen
Republik].
84 ßarbara LasticovalAndrej Findor, From regime legitimation to democratic museum pedaqoqy?
Studying Europeanization at the Museum of the Siovak National Uprising, in: Politics of collective
memory: cultural patterns of commemorative practices in post-war Europe, Wien 2008, 237-257.
Die postkommunistische Pluralisierung ermöglichte auch solchen Gruppen
eine Beteiligung an der Diskussion, die dem Aufstand betont kritisch gegen-
übertraten. Zu Wort meldeten sich nun auch die Vertreter des slowakischen
nationalistischen Exils und ihre einheimischen Sympathisanten. Sie sahen
den Aufstand als einen gegen die slowakische Eigenstaatlichkeit gerichteten
Umsturz von Kommunisten, Protestanten und Persönlichkeiten, die die Tsche-
choslowakei wiedererrichten wollten.
Kritik an ihren Behauptungen bezeichneten die Apologeten des ersten slo-
wakischen Staates zwischen 1939 und 1945 als Überbleibsel des Marxismus,
einer gesamtstaatlichen Sicht auf die Tschechoslowakei und als Ausdruck
antislowakischer Ansichten. Obwohl diese Interpretation des Aufstands eine
gewisse Unterstützung unter Historikern und Nationalisten fand, bilden die
Verfechter dieser negativen Perspektive auf den Aufstand auf lange Sicht eine
deutliche Minderheit in der slowakischen Gesellschaft.
Infolge des wachsenden Rechtsextremismus in der Slowakei - und in ganz
Europa - sowie der Wahl erfolge der extremen Rechtsparteien in den letzten
Jahren droht aber eine mögliche Stärkung der revisionistischen Perspektiven
auf den Slowakischen Nationalaufstand und damit eine erneute Instrumenta-
lisierung.
Auch im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts überwiegt jedoch bei
einem überwiegenden Teil der slowakischen Gesellschaft wie auch in ihren
intellektuellen und politischen Eliten eindeutig eine positive Bewertung des
Aufstands. Dabei werden der antifaschistische, bürgerliche, demokratische
und europäische Kontext des Aufstands sowie seine positiven Folgen für die
Slowakei direkt nach Kriegsende ebenso betont wie die zukunftsweisenden
Hemente."
Das Museum in Banska Bystrica bleibt weiterhin das Zentrum der jährlichen
Gedenkfeiern, an denen die höchsten Vertreter der Slowakischen Republik,
bedeutende ausländische Gäste und Tausende von Besucherinnen und Besu-
chern teilnehmen.
Die wichtigste Aufgabe der Historiker wie auch der politischen Eliten liegt
gegenwärtig darin, den intergenerationellen Transfer der positiven Wertung
dieses historischen Ereignisses zu sichern. Aus dieser Perspektive wird es
ausschlaggebend sein, Darstellungen des Aufstands zu erarbeiten, die in der
slowakischen Gesellschaft mehrheitsfähig sein können.

85 Vrzgulova, Komu patrl Siovenske narodne povstanie. S 84.


Der internationale Charakter des Aufstands, sein demokratisches Grundver-
ständnis und sein moralisches Vermächtnis werden zweifelsohne zu den Ele-
menten eines derartigen Konsenses qenören." Die konsequente Verbindung
des Vermächtnisses des Slowakischen Nationalaufstands mit den europäischen
Werten der Solidarität, des Humanismus und der Demokratie wird in diesem
Prozess von besonderer Bedeutung sein.

86 Ebenda, S. 101

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