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AFRIKANISCHE LITERATURWISSENSCHAFT 1

Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik


Anna GOTTSCHLIGG-OGIDAN WS 2011

LITERATURKRITIK

Aneignung von Literatur/ Dichtung1


Wie wir in der letzten Stunde besprochen haben, sind Lektüre- Kritik-
Interpretation Formen der Literaturaneignung, die mit Hilfe einer Methode/
Theorie umgesetzt werden. Sie bestimmen auf unterschiedliche Weise die
literarische Tätigkeit bzw. die literaturwissenschaftliche Arbeit, stehen aber in
untrennbarem Zusammenhang miteinander.

Wir erinnern uns an die Unterscheidung von Charles Angmor (1987:180)


zwischen Literaturtheorie (critical or literary theory), die sich mit den Grund
legenden Themen und Aspekten von Literatur auseinandersetzt und
Literaturkritik (literary criticism), welche die praktische Analyse und
(Be)Wertung literarischer Werke zum Ziel hat.

Wenn wir davon ausgehen, dass Literatur eine kommunikative Kunstform ist,
kann von ihr erwartet werden, dass sie für die sie umgebende Welt von
Bedeutung, das heißt, relevant ist. Der Literaturwissenschafter Heinrich
Vormweg (1981:237.252)hat zwei historische Grundkonzepte der
Literaturkritik erarbeitet: Er spricht von der realistischen Haltung, in Bezug
auf die Objektivität eines Werkes und ihres geschichtlichen Gehaltes und von
der romantischen Haltung, in Bezug auf die Subjektivität des Produktions- und
Verstehensprozesses2.

Wobei Kritik immer auf Eindeutigkeit abzielen sollte, das heißt


unterschiedliche Meinungen über einen Text sollte man versuchen zu
objektivieren, wobei sich der Geltungsanspruch dabei immer auf den Text und
nicht auf die Tatsache der ästhetischen Erfahrung beziehen sollte. Über
literaturkritische Auffassungen wird gestritten- sie erheben den Anspruch,
Urteile über etwas objektiv Vorhandenes zu sein! Literaturkritische Aussagen
sind immer auch Urteile über die Wirklichkeit. „Das gelesene fremde Leben ist
in der ästhetischen Erfahrung das imaginierte wirkliche; es steht zur Debatte,
wo Lektüre sich ernst nimmt.“ (Schutte 1993: 10)

Die Aufgabe afrikanischer Literaturkritik 3 wäre es demnach, die


„imaginativen“ Gattungen mit den ihnen zugrunde liegenden Welten zu
verbinden. Wir finden Ansätze afrikanischer Literaturkritik mit westlicher

1
vgl. J Schutte 1993. Einführung in die Literaturinterpretation. 3. Aufl. (S.7.0.62.)
2
vgl. H. Vormweg 1981. Literaturkritik. In: Literaturwissenschaft. Grundkurs 2. S.237-252.
nach: J. Schutte 1993: 9. (S.7.0.62.)
3
vgl. Charles Angmor 1987. The Critical Voice in African Literature. In: E N Emenyonu
(eds). Critical theory and African literature. Ibadan: Heinemann. S.179-193. (S.5.3.4.)
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Orientierung und solche, die von afrikanischen Orientierungen ausgehen. Heute


wird gefordert, dass Afrikaner ihre kritischen Theorien dahingehend zu
formulieren haben, dass sie der kulturellen Transformation Afrikas gerecht
werden. Anders ausgedrückt: auch wenn europäische Sprachen verwendet
werden- sowohl von Autoren als auch von Kritikern- muss eine eigene
afrikanische Identität gesucht und vor allem gefunden werden.

Angmor (1987:179) schreibt dazu: „The twentieth century renaissance of


African Civilisations has focused on the literature of Africa’s cultural
transformation. A peculiar feature of this development is the amphibious nature
of this literature reflecting a dual cultural world of language, thought and
experience.“

Wir als Europäer müssen dabei immer bedenken, dass neben der Schriftliteratur
in europäischen und afrikanischen Sprachen die tradierten Formen der
mündlichen Dichtkunst (Oratur) nach wie vor von größter Bedeutung sind. Die
im Vergleich seltene Beschäftigung der Literaturkritik mit Oralliteratur lässt den
falschen Eindruck entstehen, dass Oratur nicht mehr lebendig und relevant ist.

Literaturkritik und afrikanische Literatur4

Im Folgenden einige Ansätze von Literaturkritik, die Auswirkungen sowohl auf


afrikanische Kritiker wie Autoren haben.

Formen der Literaturkritik

Mimetik

Sieht Kunst als Imitation und stützt sich auf eine Theorie, die sich von
Aristoteles (384-322 v.Chr.) ableitet. Diese Schule vertritt die Ansicht, dass
Kunst imitiert, reproduziert, verkörpert und neu schöpft, durch große oder
niedere Aktionen. Wobei große Aktionen durch die Tragödie, niedere Aktionen
durch die Komödie dargestellt sind. Aristoteles meinte, dass Kunst die Realität
um uns herum imitiert bzw. eine Imitation der „inneren menschlichen
Handlungen“ sei. Man muss hier feststellen, dass Kunst nicht nur imitiert,
sondern dass sie vorgegebene Personen in vorgegebenen Situationen darstellt-
wobei beide auch imaginär sein können. Anders ausgedrückt heißt das: Kunst
gibt entweder Geschehenes wider oder sie imitiert Geschehenes.
Der Künstler imitiert Realität, Wirklichkeit indem er zufällige
Nebensächlichkeiten weglässt und gleichzeitig das Wesentliche heraushebt.

4
Vgl. P.O. Dada 1994. Literary Criticism and African Literature. In: Olu Obafemi (ed): 43-
54. (GOOG)
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Wobei das Wesentliche in der konkreten realen Situation für gewöhnlich nicht
als wesentlich erscheint bzw. unklar sein würde. Die Annahme von Imitation
als Beweggrund für literarisches Schaffen war in der Folge für viele Kritiker
eine unzureichende Sicht auf Literatur, da die Bedeutung der Phantasie des
Künstlers außer Acht gelassen wird. „Imitation will fashion what it has seen,
but imagination goes on to what it has not seen.“ (Dada 1994:44)
Ein wichtiger Anhänger dieser Schule in der afrikanischen Kritik ist John
Pepper Bekederemo Clark (Nigeria).

Expressive Kritik

Sieht Kunst als den Ausdruck des Künstlers und weniger- wie bei Aristoteles-
als Imitation von Dingen außerhalb des Künstlers. John Stuart Mill (1806-
1873) schreibt: „Poetry is feeling, confessing itself to itself and poets can be
ignorant of the world around them so long as they have found within them one
highly delicate and sensitive specimen of human nature.“5

Nach dieser Ansicht kommen Wissenschaft und Poesie (im weiteren Sinn) nicht
in Konflikt miteinander, weil Dichtung keine Aussagen über die äußere Welt
macht, sondern der Poet über den Stand seiner Gefühle schreibt. John Stuart
Mill gilt als „Vater“ dieser „art as expression“ Richtung.

Impressionistische Kritik

Diese Gruppe von Kritikern vertritt die Meinung, dass es genüge, wenn der
Kritiker seine Gefühle ausdrückt und dass es nicht nötig sei, das Werk zu
analysieren um herauszufinden, warum diese Gefühle in ihm entstanden sind.

William Hazlitt6 schreibt:„In art, in taste, in life, in speech, you decide from
feeling and not from reason; that its from the impression of a number of things
on the mind, which impression is true and well founded, though you may not be
able to analyze or account for it in the several particulars.“

Impressionistische Kritik konzentriert sich auf Autobiographien, da der


Kritiker hauptsächlich über seine eigenen emotionalen Reaktionen spricht,
obwohl er Werke auch beurteilt und dem Leser seinen persönlichen Eindruck
über das Werk mitteilt.

5
vgl. J S Mill What is Poetry. In: S Barnet et.al. 1960. The Study of Literature. S.55-66.
Toronto: Little Brown & Co. Nach: P.O. Dada 1994: 45.
6
W Hazlitt in: S Barnet et.al. 1960. The Study of Literature. S.55-66. Toronto: Little Brown
& Co. Nach: P.O. Dada 1994: 46.
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Imagism

Eine Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die vor allem von
amerikanischen Poeten angeführt wurde, unter anderen von Ezra Pound7 (1885-
1972). Ihr Ziel war es, Alltagssprache zu verwenden, um die ganze Welt als
mögliches Thema betrachten zu können- die ganze Welt wurde als möglicher
Gegenstand für die Literatur angesehen. Gleichzeitig wollten die Dichter klar
erkannte Einzelheiten in ihrer Poesie darstellen „in a concentrated concrete
visual image.“ (Dada 1994: 46)

Objektive Kritik

Autoren und Kritiker dieser Gruppe zeigen wenig oder nichts von ihrer
eigenen Persönlichkeit in ihren literarischen/ kritischen Werken- im Gegensatz
zu subjektiven Autoren.„Objektive“ Autoren/ Kritiker befassen sich mit Themen
wie Ehe, Liebe etc. ohne dabei über ihre eigenen Ehen etc. etwas auszusagen
oder über ihre Einstellung zu diesen Themen.
Wenn man objektive Kritik definieren will, muss man sich gleichzeitig mit der
subjektiven Kritik auseinander setzen. Von subjektiven AutorInnen sagt man,
dass sie Literatur aus Aspekten ihrer eigenen Persönlichkeit heraus schaffen, das
heißt, dass sie ihree eigenen Erfahrungen zum Gegenstand ihrer Literatur
machen. Wenn sie sich mit historischen Episoden auseinandersetzen, die
außerhalb ihrer eigenen Erfahrungen liegen, geben sie uns Einblick in ihre
Persönlichkeit, indem sie die Ereignisse kommentieren (z.B. als allwissende
Erzähler).

Archetypische Kritik

Carl Gustav Jung 8 (1875-1961) schreibt in „Beiträge zur analytischen


Psychologie“ vom kollektiven Unterbewusstsein. Darunter versteht er
Erfahrungen der Ahnen wie Geburt, bestandene Gefahren, Partnerwahl, die
gespeichert sind, an die Nachkommen weiter gegeben werden und sich in deren
Träumen, Mythen und in ihrer Literatur manifestieren. Unter Archetypen
versteht man zum Beispiel die Figur des Helden (Retter, Bote), die schreckliche
Mutter (Hexe, grausame Stiefmutter), den weisen alten Mann (Zauberer).

Da sowohl der Autor als auch die Leser unbewusste Erinnerungen haben und
diese beim Schreiben/Lesen einbringen, mag die Erzählung des Autors die Leser
bewegen, das heißt ihr kollektives Unbewusstes aufrütteln. Eine Untergruppe
dieser Schule ist die Archetyische Anthropologie des Schotten James Frazer

7
siehe u.a.: http://de.wikipedia.org/wiki/Ezra_Pound
8
siehe u.a.: http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gustav_Jung (27.10.2011)
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(1854-1941), dessen Werk The Golden Bough: A Study in Magic and


Religion9 Aspekte von Magie und Religion in der Literatur analysiert.
In der afrikanischen Literaturkritik hat die archetypische Kritik eine Reihe von
Anhängern, unter anderen Wole Soyinka.

Soziologische Literaturkritik

Dieser Ansatz lässt sich in mehrere Schulen gliedern.

1) Eine hält sich an die Lehren von August Comte10 (1798-1857). Nach dieser
studiert und analysiert der Kritiker die kulturellen Aspekte eines bestimmten
Textes. Aspekte wie Milieu, Werte, Institutionen, kulturelle Artefakte einer
Gesellschaft werden untersucht. Die Négritude Bewegung ist eng mit dieser
Richtung verbunden und frühe afrikanische Kritiker haben sich dieser Gruppe
zugehörig gefühlt.

2) Eine andere Schule sieht Literatur als soziale Institution, die Sprache als ihr
Ausdrucksmittel verwendet. Daher ist Literatur eine gesellschaftliche
Schöpfung. Literatur repräsentiert das Leben und das Leben ist weit gefasst eine
gesellschaftliche Realität. Der Autor selbst ist ein Mitglied der Gesellschaft, hat
einen bestimmten gesellschaftlichen Status und wendet sich an ein Publikum.
Die Literatur hat eine gesellschaftliche Funktion und steht in Beziehung zu
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systemen. Kritiker dieser
Richtung versuchen den Einfluss der Gesellschaft auf die Literatur zu
analysieren und die Position der Literatur in der Gesellschaft zu bewerten.

3) Marxistische Kritiker studieren die Beziehungen zwischen Literatur und


Gesellschaft, haben aber klare Vorstellungen davon, wie diese Beziehungen sein
sollten! Marxisten erforschen vergangene und gegenwärtige gesellschaftliche
Beziehungen und Auswirkungen auf das Werk eines Autors, aber auch wie sie
hätten sein sollen oder in Zukunft sein sollten. Der aktuelle gesellschaftliche
Einfluss von Literatur ist Thema der marxistischen Kritiker. Marxistische
Kritiker sagen dem Autor was er schreiben sollte und wie er schreiben sollte.

4) Hegel’sche Kritik setzt historische, gesellschaftliche und künstlerische


Größe und Bedeutung gleich. Es gibt die Soziologie des Autors und die
Institutionen der Literatur: so beschäftigen sich Kritiker mit der Frage der
9
zum ersten Mal in zwei Bänden im Jahr 1890 veröffentlicht; The book's title was taken from
an incident in the Aeneid, illustrated by the British artist Joseph Mallord William Turner:
Aeneas and the Sibyl present the golden bough to the gatekeeper of Hades in order to gain
admission. siehe: http://en.wikipedia.org/wiki/The_Golden_Bough (22.1.2009)
10
siehe Positivistische Methode z.B. bei Maren-Grisebach; ;
http://en.wikipedia.org/wiki/Auguste_Comte
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wirtschaftlichen Basis der Literaturproduktion, mit dem Status der


SchriftstellerInnen in ihrer jeweiligen Gesellschaft, mit den Perspektiven der
AutorInnen, mit deren Ideologie etc.

Wichtig für soziologische Kritiker ist die Auseinandersetzung mit dem


(sozialen) Inhalt und dem Zweck eines literarischen Werkes. Aber auch das
Problem des Publikums und des aktuellen gesellschaftlichen Einflusses von
Literatur wird untersucht, unter anderen von. Lucien Goldmann11 (1913-1970).
Soziologische Kritiker beschäftigt besonders die Dialektik (Gegensätzlichkeit)
von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erscheinungen. Sie
untersuchen, inwiefern sich die AutorInnen mit den gesellschaftlichen
Widersprüchen auseinander setzen.
Untersuchungsschwerpunkte sind:
- Ursprung der Kunst
- Wirtschaftlicher und sozialer Status des Künstlers in verschiedenen
Epochen (ob Proletarier, Pseudo-Bourgeois, Bourgeois, Aristokrat etc.)

Als „Vater“ marxistischer Literaturkritik gilt der Ungar Georg Lukacs, seine
britischen Counterparts sind Terry Eagleton und Raymond Williams.

Unter den Kritikern Afrikas finden sich unter anderen Chidi Amuta mit seinem
Werk The Theory of African Literature. Implications for practical criticism12.
Soziologische Richtung:
Emmanuel Obiechina, Ernest Emenyonu, Abiola Irele, Oyin Oyunba, Theo
Vincent;
Marxistische Richtung: Chidi Amuta, Biodun Jeyifo, Omafume Onoge, Olu
Obafemi;
Auch viele Autoren Afrikas waren/ sind vom Marxismus fasziniert, unter
anderen Sembène Ousmane, Ngugi wa Thiong’o, Nuruddin Farah, Festus
Iyayi.

Formalismus

Man könnte diese Richtung als jene der „Kunst um der Kunst willen“
bezeichnen 13 . Formalisten gehen davon aus, dass Literatur ihre Autonomie
behaupten sollte- unabhängig von Ethik und Politik. Berühmte Vertreter waren
in Frankreich Charles Baudlaire, in Amerika Edgar Allan Poe. In England
11
siehe u.a.: http://en.wikipedia.org/wiki/Lucien_Goldmann
12
1989. London & New Jersey: Zed Books.
13
Der Großteil der afrikanischen Literaturkritiker lehnt diese Richtung ab. So Obiechina
(1972/1968/: 33), wenn er sagt: „There is no room ... for the artistic philosophy of ‚art for
art’s sake’. All art is committed and directed toward the expression of the integrity and
autonomy of the West African culture.“
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konzentrierte man sich auf die Termini Kunst und Schönheit. Oscar Wilde ist
hier der wichtigste Autor. In seinem Werk „Vision and Design“14 schreibt er:
„Beauty is the symbol of symbols.
Beauty reveals everything because
It expresses nothing. All art is useless.“ (S.10)

Später wurde die „l’art pour l’art“ Bewegung zu einer Richtung, die sich mit
dem „rein ästhetischen Element der Form“ auseinandersetzte. Man betonte die
Unabhängigkeit der Kunst von jeder Moral oder Didaktik. Daraus entwickelte
sich die Schule der reinen formalistischen Kritik.

Hier wird die Ästhetik nicht nur betont was die Reinheit der Form betrifft,
sondern auch die „exclusiveness of appeal“. Formalisten lehnen nicht-
literarisches rigoros und systematisch ab. Formalistische Kritiker bewerten
Literatur nach deren formalen Merkmalen- wobei besondere Aufmerksamkeit
auf Stil, Sprache, Struktur des Textes und dessen rhetorische Merkmale gelegt
wird.
In der afrikanischen Literaturkritik sind Charles Nnolim, Dan Izevbaye,
Solomon Iyasere und Ben Obumselu dieser Schule zuzurechnen.

Linguistischer Ansatz

Die Beziehung zwischen Linguistik und Literatur ist eines der am meisten
diskutierten Themen in der heutigen Auseinandersetzung mit Literaturtheorien
und Literaturkritik.

Da Literatur als Form der Kommunikation gesehen wird, konzentrieren sich


diese Vertreter auf die Art, wie Sprachen zum Zweck der Kommunikation
funktionieren. Interesse an dieser Richtung wurde vom Schweizer Ferdinand de
Saussure (1857-1911) zum Allgemeingut gemacht.

Der linguistische Ansatz ist der modernste und hat ebenfalls mehrere Schulen
hervorgebracht:
Strukturalisten, Semiotik/ Semiologie, Pragmatik, Linguistic Poetics, Stylistics,
die man als Anwendung der allgemeinen Linguistik auf die Literaturstudien
bezeichnen könnte.
Eine interessante Entwicklung ist auch noch Literatur als sozialer Diskurs von
Roger Fowler15. Das gesamte Wissen einer Gemeinschaft wird über Diskurse
reproduziert und weitergegeben, wobei der Kritiker die sozialen Funktionen von

14
London.1930. S.10. nach: P.O. Dada 1994:49.
15
siehe: R Fowler 1991. Language in the News: Discourse and Ideology in the Press.
London.
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linguistischen Strukturen in der Literatur beachten sollte. Texte sollten nicht als
selbständige Systeme betrachtet werden, sondern als Prozess der
kommunikativen Interaktion von angenommenen Sprechern und damit von
gesellschaftlichem Bewusstsein. Die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher
„Realitäten“ muss dabei in Betracht gezogen werden16. Hier kommt es zu einer
Annäherung mit Aspekten der marxistischen Literaturkritik.
Vertreter in Afrika sind unter anderen: Chidi Maduko, P.O. Dada, Ropo
Sekoni, Stanley Macebuh, Emmanuel Ngara, Sunday Anozie.

Afrikanische Literaturkritik

Literaturkritik kann als formaler Diskurs17 verstanden werden und es gibt eine
Vielzahl von Theorien, Methoden und Ansätzen, mit deren Hilfe Literaturkritik
und Interpretation durchgeführt werden. Wobei zu bedenken ist, dass kein
Ansatz der beste ist und keiner der vollständigste. Kritiker glauben meist
fanatisch an ihre Methode und versuchen mit ihrem Ansatz, andere zu
dominieren. Jeder kritische Ansatz kann Literatur analysieren und kann somit
auch in der Analyse afrikanischer Literatur angewendet werden.

Afrikanische Literaturkritik hat ihre Anfänge in den 1960er Jahren. Besonders


viele Diskussionen gab es um die Berechtigung von Nichtafrikanern, literarische
Werke afrikanischer Autoren zu kritisieren. Die europäischen und
amerikanischen Kritiker waren besonders am Beginn nicht bereit, ihren
eurozentrischen Standpunkt aufzugeben.

1964 legte Prof. R.P. Armstrong beim Treffen der „African Studies
Association“ in den USA ein Paper mit dem Titel „African Literature and
European Critics“ vor. Darin betonte er, dass für den außerafrikanischen
Kritiker wichtig sei, seine „absolutistische Haltung“ aufzugeben. Der Kritiker
muss sich im Klaren sein, dass er es mit einem ihm unbekannten Gebiet
literarischer Produktion zu tun hat, wenn er afrikanische Literatur- die ihre
eigenen Formen und ihre eigenen Werte besitzt- beurteilen will. „What is
needed, both from here and from Africa is a determinded exploration, by the
most highly trained people, of the nature of this new literature.“

Der nigerianische Schriftsteller und Kritiker Chinua Achebe hat in seinem


Artikel „Where Angels Fear to Tread“ (1962) die außerafrikanischen Kritiker

16
Fragen wie „Was ist Normalität? Wer definiert Normalität in einer Gemeinschaft? Gibt es
unterschiedliche Normalitäten für unterschiedliche Mitglieder/Gruppen? etc.
17
Ursprünglich war unter diesem Begriff ein Vortrag oder Gespräch zu verstehen; Heute wird
der Begriff Diskurs oft in Bezugnahme auf Michel Foucault (1926-1984) und dessen
Diskursanalyse verwendet.
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insofern abgelehnt, als deren Kenntnis der afrikanischen Dichtung und der
afrikanischen Autoren sehr beschränkt sei und daher nicht befähigt, adäquate
Urteile abzugeben.

Joseph Okpaku schrieb 196718 zu diesem Thema: „Critical standards derive


from aesthetics. Aesthetics are culture dependent. Therefore critical standards
must derive from culture.“ Diese Einstellung wird von einigen afrikanischen
Kritikern akzeptiert. Beim Treffen der ASA 1968 in Los Angeles wurde dies
deutlich.

R. Larson19 präsentierte ein Paper mit dem Titel „Whither the African Novel?“
worin er eine Reihe neuer literarischer Werke aus Afrika als „half novels“
bezeichnete und behauptete, dass der afrikanische Roman in englischer Sprache
mit wenigen Ausnahmen „has tended to be situational; and the African writer,
so concerned with recording what happened to his society in its confrontation
with the West, has failed to create believable characters who live outside of the
situations in which they are involved.“ (CLA Journal, XIII, Nr.2, S.148) Larson
behauptet weiters, dass die meisten Romane arm, flach gezeichnet seien und
wenige Charaktere universelle Bedeutung hätten.

Abgesehen von den Debatten, die durch die eurozentrische Sicht Larsons
ausgelöst worden waren, hatte Larson den Terminus universell verwendet, der
zu weiteren Diskussionen führte. Unter universell verstand Larson „natürlich“
die westlichen Maßstäbe. Die afrikanischen Kritiker wehrten sich sowohl gegen
die Aussagen Larsons, als auch gegen den „neuen literarischen Kolonialismus“,
der hier zum Ausdruck kam.

Larson ging sogar so weit, dem afrikanischen Romanautor zu empfehlen, die


Werke der Afro-Amerikaner Richard Wright, Ralph Ellison etc. zu studieren.
„He could learn where to begin connecting the human condition to
revolutionary times which are always indisputably rooted to people and places.“

Larsons Aussage zeigt, dass er Afrikas Autoren und Kritiker nicht versteht und
auch keine Mühe daran setzt, dies zu tun. Der ghanaische Autor Ayi Kwei
Armah hat als Entgegnung den Artikel „Fiction as criticism of fiction.“
verfasst und in einer scharfen Polemik gegen Larson argumentiert. Armah hat
für Kritiker, die in der Tradition von Larson argumentieren, den Terminus
Larsonistic critcs geprägt. Darunter werden alle europäischen und
amerikanischen Kritiker verstanden, die über afrikanische Literatur schreiben

18
Im: JNALA, S.1.
19
siehe R Larson 1972. The Emergence of African Fiction. Bloomington: Indiana UP.
(S.5.0.55.)
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und diese mit europäischen Maßstäben messen oder mit europäischer Literatur
wertend vergleichen. Dazu gehören neben Larson noch Eustace Palmer und
Adrian Roscoe20.

Rand Bishop21 sieht die einzige für beide Seiten (Afrika-Außerafrika) zufrieden
stellende Lösung darin, Afrikanische Literatur mit den Methoden der
vergleichenden Literaturwissenschaft (Komparatistik) zu untersuchen. Diese
würde zur Erklärung der Unterschiede in den Darstellungsweisen führen und in
der Folge zu mehr Verständnis. Komparatistik untersucht die literarischen
Beziehungen verschiedener Völker und Nationen, das heißt, es wird Literatur
unterschiedlicher Sprachen verglichen.

Dan Izevbaye22 (1982:1) bemerkt, dass die Hauptaufgabe der CL darin bestehe,
„... to establish a relationship among a variety of writers and literatures, and
help enhance our understanding of literaure as a human activity with similar
aesthetic and social functions in different cultures.“

Die Komparatisten vertreten häufig die Ansicht, dass jede Literatur, jeder Text
einen anderen beeinflussen und die Bedeutung derselben erweitern kann. Diese
gegenseitige Beeinflussung (Interdependenz) und komplementäre Beziehung
bildet die Grundlage für komparatistische Studien, wie sie zum Beispiel
Matthew Arnold beschrieben hat23. Die Komparatisten versuchen Gleichheiten
herauszuarbeiten „in these dissimilar literatures or texts“24.

Chukwudi Maduka25 meint: „... comparative literature is not only a study of


literature across countries but a relation of literature or texts across a national
literature, an exercise which may still be done within a single country.“
(1982:14) Man studiert Symbole, Themen, Stile in einzelnen Ländern, aber auch
über die politischen Grenzen hinweg, zum Beispiel bei den Yoruba, Gikuyu,
Zulu etc. oder untersucht die Verbreitung eines Merkmales, das in Literatur,

20
Vgl. A Roscoe 1971. Mother is Gold. A Study in Westafrican Fiction.
21
Siehe R Bishop 1973. in: J Okpaku (ed) New African literature and the arts. New York:
Crowell. S. 199-223. (S.6.0.1.)
22
siehe: Dan Izevbaye 1982. The African Experience of Comparative Literature. In: S O
Asein (ed). Comparative Approaches to Modern African Literaure. Ibadan: Department of
English, University of Ibadan. S.1.
23
vgl. dazu: S.S. Prawer 1973. Comparative Literary Studies. London: Duckworth & Co.
24
Vgl. Charles A. Bodunde 1994. Studies in Comparative Literature. S.56 in: Olu Obafemi
(ed): S.55-74. (GOOG)
25
vgl. dazu: Chukwudi Maduka 1982. Comparative Literature: Concept and Scope. In: S.O.
Asein (ed). Comparative Approaches to Modern African Literaure. Ibadan: Department of
English, University of Ibadan. Nach: C.A. Bodunde 1994: 56 (GOOG)
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Geschichte, Politik, Religion, Musik etc. innerhalb zweier oder mehrerer


Nationalliteraturen zu finden ist.

Eine Möglichkeit, von westlichen („universalen“) Maßstäben weg zu kommen,


sieht Joseph Okpaku (1967:xx) darin, die afrikanische Ästhetik zu erforschen.
„In particular, we should examine our traditional artistic forms as well as
genuine (not „studied“) contemporary African tastes and attitudes towards the
various art forms ...“

Afrikanische Kritiker versuchen neue, unabhängige Wege zu beschreiten, sich


von der Dominanz außerafrikanischer Kritiker zu befreien. Schon 1963 hat
Eldred Jones bei einem Seminar am Fourah Bay College, in Sierra Leone
darauf Bezug genommen, als er sagte, dass durch diese Dominanz die Gefahr
einer „expatriate literature produced by Africans, and to false artistic values“
(vgl. Moore1965:89f) bestehe. So muss das große Gewicht, das der westlichen
Kritik mit all ihren publizistischen Möglichkeiten und ehrwürdigen Traditionen
zukommt, berücksichtigt werden. Wenn etwa afrikanische Literatur im Rahmen
einer Commonwealth-Literature einfach annektiert und marginalisiert wird.
Der Kontext afrikanischer Kulturen und Gesellschaften findet dabei in seiner
Vielfältigkeit und historischen Tiefe nur wenig oder überhaupt keine
Berücksichtigung.

Laut Ato Quayson26 (1997:157) laufen „minority literatures“ immer Gefahr, als
„cultural testaments“ gelesen zu werden. Die Debatte zwischen den Kritikern
Jameson (1986) und Aijaz Ahmad (1987) zeigt dies sehr gut auf. Für Jameson
sind „Third-World“- Literaturen Allegorien, deren Hauptaugenmerk der
Nationalstaat ist. Ahmad räumt ein, dass diese Ansicht zwar nicht völlig falsch
sei, aber zu stark generalisiere und daher der Vielfältigkeit der Literatur
ehemaliger Kolonialstaaten nicht gerecht werde. Dies gilt auch für die
afrikanische Literatur, die häufig als Art Bericht oder Dokument über
afrikanisches Leben und afrikanische Kulturen angesehen wird. Es ist kein
Zufall, dass ein früher Kommentar zu Chinua Achebes Roman „A Man of the
Poeple“ (1966) meinte, das Buch sei „worth a ton of documentary journalism“
(Quayson 1997:157)

Laut Christopher Miller (1990) wird gerne eine Beziehung zwischen


afrikanischer Literatur und Anthropologie hergestellt, bedingt durch die
„anthropological rethoric“ in der afrikanischen Literatur. Dabei wird der
kulturelle Unterschied der afrikanischen Literatur(en) als essentielles
Definitionsmerkmal bezeichnet, was wiederum dazu führt, dass man die

26
vgl. Ato Quayson 1997. Ethnographies, of African Literature: a Note. In: D Wright (ed).
Contemporary African Fiction. Bayreuth: B. African Studies. Bd.42. S.157-165. (GOOG)
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„Authentizität“ dieser Literaturen prüfen muss. Diesen kritischen Ansatz nennt


Quayson (1997:157) „ethnographic attitude to literature“.

Literaturkritik ist sowohl in ihrer journalistischen als auch in ihrer akademischen


Ausprägung als parteiisch zu betrachten. Das nicht alleine deshalb, weil sie
vielfach durch SchriftstellerkollegInnen erfolgt, sondern weil sie durch ihre
Aussagen und Urteile verändernd auf ihren Gegenstand- die Literatur- wirkt.
Zusätzlich muss die vorbereitende und nachbereitende Wirkung der
Literaturkritik auf das Leserpublikum berücksichtigt werden. Genau so wie die
Literatur muss auch die Kritik im Kontext ihres Entstehungszusammenhanges
betrachtet werden, das heißt kulturelle, politische und gesellschaftliche Einflüsse
auf die Kritiker sind einzubeziehen.

Nun macht sich seit den 1970er Jahren eine afrikanische Literaturkritik
bemerkbar, die nicht nur die politisch unerwünschte Dominanz westlicher
Stimmen in der Kritik afrikanischer Literatur beenden will (vgl. Iyasere 1975:
20), sondern die auch eine intimere Kenntnis des afrikanischen
Entstehungszusammenhanges mit sich bringt. Bu-Buakei Jabbi (1979:117)
hofft, dass die afrikanische Literaturkritik dazu beitragen wird, „... of stimulating
that literature to grow into a strong and distinctly individual traditon of its own,
in spite of its common sharing of a few characteristics with other traditons of
writing.“

Bezug nehmend auf die Haltung der afrikanischen Literaturkritiker gegenüber


europäischen/ westlichen Traditionen nimmt Gugelberger (1986/1985: 11-12)
folgende Einteilung afrikanischer Literaturkritiker vor:

Afrikanische eurozentrische Kritiker:

Diese afrikanischen Literaturkritiker wurden in Europa oder in den USA


ausgebildet und wenden großteils europäische Methoden und Kriterien bei der
Beurteilung afrikanischer Literatur an. Abiola Irele, Echeruo und Sunday
Anozie werden hier eingeordnet.

Bolekaja Kritiker:

Bolekaja bedeutet soviel wie: „Come down, let’s fight!“


Dieser Gruppe gehören Kritiker wie Chinweizu an. Sie rebellieren gegen
Eurozentrismus und Bildungshass in der afrikanischen Literatur, beschäftigen
sich verstärkt mit der mündlichen Dichtung (Oratur) und fordern autonome
afrikanische ästhetische Werte, auf der Grundlage der Oralliteratur.
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Ogunistische Kritiker:

Für Gugelberger sind diese Kritiker „Pseudo-Traditonalisten“. Sie behaupten,


Traditionalisten zu sein, sind aber in der europäischen Tradition und nicht in
jener Afrikas verwurzelt. Sie verwenden sogar Modelle der Negritude- so die
Verherrlichung der afrikanischen Vergangenheit. Gugelberger rechnet hier Wole
Soyinka dazu, der ja einer der vehementesten Gegner der Negritude war.

Marxistische Kritiker:

Sie setzen sich mit der Funktion der Literatur in der Gesellschaft auseinander
und fordern von den Autoren, sich mit ihrer Literatur für Gesellschaftswandel
und für die Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung einzusetzen.
Dieser Forderung sind viele afrikanische Autoren besonders während der
Kolonialzeit, zahlreiche aber auch bis in die Gegenwart, nachgekommen. Auch
wenn einige unter ihnen mit der Ideologie des Marxismus weniger anfangen
konnten (so Achebe, ...) drückt der Großteil der afrikanischen AutorInnen ihre
Solidarität mit den Menschen Afrikas über ihre literarischen Texte und auch in
Interviews etc, aus.

Ebenfalls zu erwähnen wäre die Postkoloniale Kritik.

Sie hat Anhänger nicht nur in Afrika, sondern in allen ehemaligen Kolonien und
auch in Europa und den USA, wo sich engagierte KritikerInnen mit den Völkern
der heutigen postkolonialen Staaten solidarisieren. Die „postkoloniale“ Kritik
wird heute interdisziplinär in Literatur-, Geschichts- und Politikwissenschaft
eingesetzt, untersucht werden Kultur und Identität sowohl während, als auch
nach Ende der Kolonialzeit- im „Kontext des Kulturkonfliktes der Kolonisierten
wie auch der Kolonialmacht.“27

Ab den 1970er Jahren zuerst in den USA durch Edward W. Saids Werk
„Orientalism“28 etabliert, ist es eines der Ziele, Begriffspaare zu dekonstruieren
und dem durch diese ausgedrückten Machtgefüge entgegen zu wirken. Wichtige
Erkenntnis dabei war, dass die koloniale Situation nicht nur bei den
Kolonisierten, sondern auch beim Kolonisator Spuren hinterließ. Diese
aufzudecken und zu zeigen, wie auch das Selbstverständnis der ehemaligen
Unterdrücker dadurch geprägt wurde, ist eines der Hauptanliegen der
postkolonialen Kritik.

27
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Postkolonialismus
28
siehe: Edward W Said 1985. Orientalism. London u.a.: Penguin Books. (W.0.0.33.)
AFRIKANISCHE LITERATURWISSENSCHAFT 14
Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
Anna GOTTSCHLIGG-OGIDAN WS 2011

Die Critical Whiteness Studies29

finden, aus den USA kommend30, in den letzten Jahren auch in Europa eine
immer größer werdende Zahl von VertreterInnen. Im deutschen Sprachraum als
kritische Weißseinsforschung 31 bezeichnet, liegt auch hier besonderes
Augenmerk auf der Auseinandersetzung mit der Kategorie „Weißsein“, die in
Verbindung mit anderen Formen der Unterdrückung untersucht wird. Wobei
man unter „Weißsein“ Gesellschaftsmodelle und deren Strukturen versteht, „die
entweder rassistisch begründeten Herrschaftsverhältnissen oder einer
„Dominanzkultur“ zugerechnet werden können“ 32.

Aufgaben einer afrikanischen Literaturkritik

Als eine der wichtigsten Aufgaben des Literaturkritikers kann gesehen werden,
sich mit literarischen Werken kritisch auseinander zu setzen, sie zu
interpretieren und dem Publikum nahe zu bringen. Das heißt, KritikerInnen
sollen nicht nur beschreiben und erklären, sondern auch kommentieren und
bewerten- sowohl die Qualität der literarischen Komposition als auch die Vision
von/ Einsicht in menschliche Erfahrungen, betreffend.

So viele Ansätze wir in der westlichen Kritik und Theorie finden, so viele gibt
es in Afrika. Eine Reihe von Autoren/ Kritikern wurden in Übersee ausgebildet
und haben sich ein eigenes Konzept, manchmal aus mehreren Richtungen,
zurechtgelegt.

An den Universitäten hat man sich meist auf das Studium „großer Texte“
konzentriert. Dies führte dazu, dass die Werke von Autoren wie Wole Soyinka,
Christopher Okigbo, John Pepper Bekederemo Clark, Chinua Achebe, Ngugi
wa Thiong’o, Taban Lo Liyong, Leopold Sedar Senghor, Sembène Ousmane
etc. unzählige Male mit diversen literaturkritischen Ansätzen analysiert wurden.
Im Vergleich dazu wurden wenige Beiträge zu unbekannteren AutorInnen
geliefert.

Die Diskussion konzentrierte sich dabei lange auf Form und Inhalt der Werke.

29
Siehe u.a. http://iae.zhdk.ch./iae/deutsch/glossar/critical-whiteness-studies/
30
Toni Morrison trug dort ab Beginn der 1990er Jahre wesentlich zu einer Wende in der
Rassismusforschung bei, indem sie begonnen hatte, den Fokus ihrer Studien auf die Subjekte
und Strukturen, die Rassismus verursachen, zu legen und weniger auf die bis dahin im
Zentrum stehenden Objekte des Rassismus.
31
Siehe u.a. Maureen M Eggers (ed) 2005. Mythen, Masken und Subjekte. Kritische
Weissseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast-Verlag. (P.1.0.63.)
32
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Weißsein
AFRIKANISCHE LITERATURWISSENSCHAFT 15
Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
Anna GOTTSCHLIGG-OGIDAN WS 2011

Gegenwärtig wird diese Tradition aufgeweicht, das heißt, dass auch Werke
jüngerer AutorInnen literaturkritisch untersucht werden (Ben Okri, Calixthe
Beyala, Yvonne Vera etc.), zunehmend wird auch Fächer übergreifend
gearbeitet- insbesondere mit den letztgenannten literaturkritischen Ansätzen.

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