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LITERATURKRITIK
Wenn wir davon ausgehen, dass Literatur eine kommunikative Kunstform ist,
kann von ihr erwartet werden, dass sie für die sie umgebende Welt von
Bedeutung, das heißt, relevant ist. Der Literaturwissenschafter Heinrich
Vormweg (1981:237.252)hat zwei historische Grundkonzepte der
Literaturkritik erarbeitet: Er spricht von der realistischen Haltung, in Bezug
auf die Objektivität eines Werkes und ihres geschichtlichen Gehaltes und von
der romantischen Haltung, in Bezug auf die Subjektivität des Produktions- und
Verstehensprozesses2.
1
vgl. J Schutte 1993. Einführung in die Literaturinterpretation. 3. Aufl. (S.7.0.62.)
2
vgl. H. Vormweg 1981. Literaturkritik. In: Literaturwissenschaft. Grundkurs 2. S.237-252.
nach: J. Schutte 1993: 9. (S.7.0.62.)
3
vgl. Charles Angmor 1987. The Critical Voice in African Literature. In: E N Emenyonu
(eds). Critical theory and African literature. Ibadan: Heinemann. S.179-193. (S.5.3.4.)
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Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
Anna GOTTSCHLIGG-OGIDAN WS 2011
Wir als Europäer müssen dabei immer bedenken, dass neben der Schriftliteratur
in europäischen und afrikanischen Sprachen die tradierten Formen der
mündlichen Dichtkunst (Oratur) nach wie vor von größter Bedeutung sind. Die
im Vergleich seltene Beschäftigung der Literaturkritik mit Oralliteratur lässt den
falschen Eindruck entstehen, dass Oratur nicht mehr lebendig und relevant ist.
Mimetik
Sieht Kunst als Imitation und stützt sich auf eine Theorie, die sich von
Aristoteles (384-322 v.Chr.) ableitet. Diese Schule vertritt die Ansicht, dass
Kunst imitiert, reproduziert, verkörpert und neu schöpft, durch große oder
niedere Aktionen. Wobei große Aktionen durch die Tragödie, niedere Aktionen
durch die Komödie dargestellt sind. Aristoteles meinte, dass Kunst die Realität
um uns herum imitiert bzw. eine Imitation der „inneren menschlichen
Handlungen“ sei. Man muss hier feststellen, dass Kunst nicht nur imitiert,
sondern dass sie vorgegebene Personen in vorgegebenen Situationen darstellt-
wobei beide auch imaginär sein können. Anders ausgedrückt heißt das: Kunst
gibt entweder Geschehenes wider oder sie imitiert Geschehenes.
Der Künstler imitiert Realität, Wirklichkeit indem er zufällige
Nebensächlichkeiten weglässt und gleichzeitig das Wesentliche heraushebt.
4
Vgl. P.O. Dada 1994. Literary Criticism and African Literature. In: Olu Obafemi (ed): 43-
54. (GOOG)
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Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
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Wobei das Wesentliche in der konkreten realen Situation für gewöhnlich nicht
als wesentlich erscheint bzw. unklar sein würde. Die Annahme von Imitation
als Beweggrund für literarisches Schaffen war in der Folge für viele Kritiker
eine unzureichende Sicht auf Literatur, da die Bedeutung der Phantasie des
Künstlers außer Acht gelassen wird. „Imitation will fashion what it has seen,
but imagination goes on to what it has not seen.“ (Dada 1994:44)
Ein wichtiger Anhänger dieser Schule in der afrikanischen Kritik ist John
Pepper Bekederemo Clark (Nigeria).
Expressive Kritik
Sieht Kunst als den Ausdruck des Künstlers und weniger- wie bei Aristoteles-
als Imitation von Dingen außerhalb des Künstlers. John Stuart Mill (1806-
1873) schreibt: „Poetry is feeling, confessing itself to itself and poets can be
ignorant of the world around them so long as they have found within them one
highly delicate and sensitive specimen of human nature.“5
Nach dieser Ansicht kommen Wissenschaft und Poesie (im weiteren Sinn) nicht
in Konflikt miteinander, weil Dichtung keine Aussagen über die äußere Welt
macht, sondern der Poet über den Stand seiner Gefühle schreibt. John Stuart
Mill gilt als „Vater“ dieser „art as expression“ Richtung.
Impressionistische Kritik
Diese Gruppe von Kritikern vertritt die Meinung, dass es genüge, wenn der
Kritiker seine Gefühle ausdrückt und dass es nicht nötig sei, das Werk zu
analysieren um herauszufinden, warum diese Gefühle in ihm entstanden sind.
William Hazlitt6 schreibt:„In art, in taste, in life, in speech, you decide from
feeling and not from reason; that its from the impression of a number of things
on the mind, which impression is true and well founded, though you may not be
able to analyze or account for it in the several particulars.“
5
vgl. J S Mill What is Poetry. In: S Barnet et.al. 1960. The Study of Literature. S.55-66.
Toronto: Little Brown & Co. Nach: P.O. Dada 1994: 45.
6
W Hazlitt in: S Barnet et.al. 1960. The Study of Literature. S.55-66. Toronto: Little Brown
& Co. Nach: P.O. Dada 1994: 46.
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Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
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Imagism
Eine Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die vor allem von
amerikanischen Poeten angeführt wurde, unter anderen von Ezra Pound7 (1885-
1972). Ihr Ziel war es, Alltagssprache zu verwenden, um die ganze Welt als
mögliches Thema betrachten zu können- die ganze Welt wurde als möglicher
Gegenstand für die Literatur angesehen. Gleichzeitig wollten die Dichter klar
erkannte Einzelheiten in ihrer Poesie darstellen „in a concentrated concrete
visual image.“ (Dada 1994: 46)
Objektive Kritik
Autoren und Kritiker dieser Gruppe zeigen wenig oder nichts von ihrer
eigenen Persönlichkeit in ihren literarischen/ kritischen Werken- im Gegensatz
zu subjektiven Autoren.„Objektive“ Autoren/ Kritiker befassen sich mit Themen
wie Ehe, Liebe etc. ohne dabei über ihre eigenen Ehen etc. etwas auszusagen
oder über ihre Einstellung zu diesen Themen.
Wenn man objektive Kritik definieren will, muss man sich gleichzeitig mit der
subjektiven Kritik auseinander setzen. Von subjektiven AutorInnen sagt man,
dass sie Literatur aus Aspekten ihrer eigenen Persönlichkeit heraus schaffen, das
heißt, dass sie ihree eigenen Erfahrungen zum Gegenstand ihrer Literatur
machen. Wenn sie sich mit historischen Episoden auseinandersetzen, die
außerhalb ihrer eigenen Erfahrungen liegen, geben sie uns Einblick in ihre
Persönlichkeit, indem sie die Ereignisse kommentieren (z.B. als allwissende
Erzähler).
Archetypische Kritik
Da sowohl der Autor als auch die Leser unbewusste Erinnerungen haben und
diese beim Schreiben/Lesen einbringen, mag die Erzählung des Autors die Leser
bewegen, das heißt ihr kollektives Unbewusstes aufrütteln. Eine Untergruppe
dieser Schule ist die Archetyische Anthropologie des Schotten James Frazer
7
siehe u.a.: http://de.wikipedia.org/wiki/Ezra_Pound
8
siehe u.a.: http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gustav_Jung (27.10.2011)
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Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
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Soziologische Literaturkritik
1) Eine hält sich an die Lehren von August Comte10 (1798-1857). Nach dieser
studiert und analysiert der Kritiker die kulturellen Aspekte eines bestimmten
Textes. Aspekte wie Milieu, Werte, Institutionen, kulturelle Artefakte einer
Gesellschaft werden untersucht. Die Négritude Bewegung ist eng mit dieser
Richtung verbunden und frühe afrikanische Kritiker haben sich dieser Gruppe
zugehörig gefühlt.
2) Eine andere Schule sieht Literatur als soziale Institution, die Sprache als ihr
Ausdrucksmittel verwendet. Daher ist Literatur eine gesellschaftliche
Schöpfung. Literatur repräsentiert das Leben und das Leben ist weit gefasst eine
gesellschaftliche Realität. Der Autor selbst ist ein Mitglied der Gesellschaft, hat
einen bestimmten gesellschaftlichen Status und wendet sich an ein Publikum.
Die Literatur hat eine gesellschaftliche Funktion und steht in Beziehung zu
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systemen. Kritiker dieser
Richtung versuchen den Einfluss der Gesellschaft auf die Literatur zu
analysieren und die Position der Literatur in der Gesellschaft zu bewerten.
Als „Vater“ marxistischer Literaturkritik gilt der Ungar Georg Lukacs, seine
britischen Counterparts sind Terry Eagleton und Raymond Williams.
Unter den Kritikern Afrikas finden sich unter anderen Chidi Amuta mit seinem
Werk The Theory of African Literature. Implications for practical criticism12.
Soziologische Richtung:
Emmanuel Obiechina, Ernest Emenyonu, Abiola Irele, Oyin Oyunba, Theo
Vincent;
Marxistische Richtung: Chidi Amuta, Biodun Jeyifo, Omafume Onoge, Olu
Obafemi;
Auch viele Autoren Afrikas waren/ sind vom Marxismus fasziniert, unter
anderen Sembène Ousmane, Ngugi wa Thiong’o, Nuruddin Farah, Festus
Iyayi.
Formalismus
Man könnte diese Richtung als jene der „Kunst um der Kunst willen“
bezeichnen 13 . Formalisten gehen davon aus, dass Literatur ihre Autonomie
behaupten sollte- unabhängig von Ethik und Politik. Berühmte Vertreter waren
in Frankreich Charles Baudlaire, in Amerika Edgar Allan Poe. In England
11
siehe u.a.: http://en.wikipedia.org/wiki/Lucien_Goldmann
12
1989. London & New Jersey: Zed Books.
13
Der Großteil der afrikanischen Literaturkritiker lehnt diese Richtung ab. So Obiechina
(1972/1968/: 33), wenn er sagt: „There is no room ... for the artistic philosophy of ‚art for
art’s sake’. All art is committed and directed toward the expression of the integrity and
autonomy of the West African culture.“
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Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
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konzentrierte man sich auf die Termini Kunst und Schönheit. Oscar Wilde ist
hier der wichtigste Autor. In seinem Werk „Vision and Design“14 schreibt er:
„Beauty is the symbol of symbols.
Beauty reveals everything because
It expresses nothing. All art is useless.“ (S.10)
Später wurde die „l’art pour l’art“ Bewegung zu einer Richtung, die sich mit
dem „rein ästhetischen Element der Form“ auseinandersetzte. Man betonte die
Unabhängigkeit der Kunst von jeder Moral oder Didaktik. Daraus entwickelte
sich die Schule der reinen formalistischen Kritik.
Hier wird die Ästhetik nicht nur betont was die Reinheit der Form betrifft,
sondern auch die „exclusiveness of appeal“. Formalisten lehnen nicht-
literarisches rigoros und systematisch ab. Formalistische Kritiker bewerten
Literatur nach deren formalen Merkmalen- wobei besondere Aufmerksamkeit
auf Stil, Sprache, Struktur des Textes und dessen rhetorische Merkmale gelegt
wird.
In der afrikanischen Literaturkritik sind Charles Nnolim, Dan Izevbaye,
Solomon Iyasere und Ben Obumselu dieser Schule zuzurechnen.
Linguistischer Ansatz
Die Beziehung zwischen Linguistik und Literatur ist eines der am meisten
diskutierten Themen in der heutigen Auseinandersetzung mit Literaturtheorien
und Literaturkritik.
Der linguistische Ansatz ist der modernste und hat ebenfalls mehrere Schulen
hervorgebracht:
Strukturalisten, Semiotik/ Semiologie, Pragmatik, Linguistic Poetics, Stylistics,
die man als Anwendung der allgemeinen Linguistik auf die Literaturstudien
bezeichnen könnte.
Eine interessante Entwicklung ist auch noch Literatur als sozialer Diskurs von
Roger Fowler15. Das gesamte Wissen einer Gemeinschaft wird über Diskurse
reproduziert und weitergegeben, wobei der Kritiker die sozialen Funktionen von
14
London.1930. S.10. nach: P.O. Dada 1994:49.
15
siehe: R Fowler 1991. Language in the News: Discourse and Ideology in the Press.
London.
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Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
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linguistischen Strukturen in der Literatur beachten sollte. Texte sollten nicht als
selbständige Systeme betrachtet werden, sondern als Prozess der
kommunikativen Interaktion von angenommenen Sprechern und damit von
gesellschaftlichem Bewusstsein. Die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher
„Realitäten“ muss dabei in Betracht gezogen werden16. Hier kommt es zu einer
Annäherung mit Aspekten der marxistischen Literaturkritik.
Vertreter in Afrika sind unter anderen: Chidi Maduko, P.O. Dada, Ropo
Sekoni, Stanley Macebuh, Emmanuel Ngara, Sunday Anozie.
Afrikanische Literaturkritik
Literaturkritik kann als formaler Diskurs17 verstanden werden und es gibt eine
Vielzahl von Theorien, Methoden und Ansätzen, mit deren Hilfe Literaturkritik
und Interpretation durchgeführt werden. Wobei zu bedenken ist, dass kein
Ansatz der beste ist und keiner der vollständigste. Kritiker glauben meist
fanatisch an ihre Methode und versuchen mit ihrem Ansatz, andere zu
dominieren. Jeder kritische Ansatz kann Literatur analysieren und kann somit
auch in der Analyse afrikanischer Literatur angewendet werden.
1964 legte Prof. R.P. Armstrong beim Treffen der „African Studies
Association“ in den USA ein Paper mit dem Titel „African Literature and
European Critics“ vor. Darin betonte er, dass für den außerafrikanischen
Kritiker wichtig sei, seine „absolutistische Haltung“ aufzugeben. Der Kritiker
muss sich im Klaren sein, dass er es mit einem ihm unbekannten Gebiet
literarischer Produktion zu tun hat, wenn er afrikanische Literatur- die ihre
eigenen Formen und ihre eigenen Werte besitzt- beurteilen will. „What is
needed, both from here and from Africa is a determinded exploration, by the
most highly trained people, of the nature of this new literature.“
16
Fragen wie „Was ist Normalität? Wer definiert Normalität in einer Gemeinschaft? Gibt es
unterschiedliche Normalitäten für unterschiedliche Mitglieder/Gruppen? etc.
17
Ursprünglich war unter diesem Begriff ein Vortrag oder Gespräch zu verstehen; Heute wird
der Begriff Diskurs oft in Bezugnahme auf Michel Foucault (1926-1984) und dessen
Diskursanalyse verwendet.
AFRIKANISCHE LITERATURWISSENSCHAFT 9
Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
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insofern abgelehnt, als deren Kenntnis der afrikanischen Dichtung und der
afrikanischen Autoren sehr beschränkt sei und daher nicht befähigt, adäquate
Urteile abzugeben.
R. Larson19 präsentierte ein Paper mit dem Titel „Whither the African Novel?“
worin er eine Reihe neuer literarischer Werke aus Afrika als „half novels“
bezeichnete und behauptete, dass der afrikanische Roman in englischer Sprache
mit wenigen Ausnahmen „has tended to be situational; and the African writer,
so concerned with recording what happened to his society in its confrontation
with the West, has failed to create believable characters who live outside of the
situations in which they are involved.“ (CLA Journal, XIII, Nr.2, S.148) Larson
behauptet weiters, dass die meisten Romane arm, flach gezeichnet seien und
wenige Charaktere universelle Bedeutung hätten.
Abgesehen von den Debatten, die durch die eurozentrische Sicht Larsons
ausgelöst worden waren, hatte Larson den Terminus universell verwendet, der
zu weiteren Diskussionen führte. Unter universell verstand Larson „natürlich“
die westlichen Maßstäbe. Die afrikanischen Kritiker wehrten sich sowohl gegen
die Aussagen Larsons, als auch gegen den „neuen literarischen Kolonialismus“,
der hier zum Ausdruck kam.
Larsons Aussage zeigt, dass er Afrikas Autoren und Kritiker nicht versteht und
auch keine Mühe daran setzt, dies zu tun. Der ghanaische Autor Ayi Kwei
Armah hat als Entgegnung den Artikel „Fiction as criticism of fiction.“
verfasst und in einer scharfen Polemik gegen Larson argumentiert. Armah hat
für Kritiker, die in der Tradition von Larson argumentieren, den Terminus
Larsonistic critcs geprägt. Darunter werden alle europäischen und
amerikanischen Kritiker verstanden, die über afrikanische Literatur schreiben
18
Im: JNALA, S.1.
19
siehe R Larson 1972. The Emergence of African Fiction. Bloomington: Indiana UP.
(S.5.0.55.)
AFRIKANISCHE LITERATURWISSENSCHAFT 10
Thema 9: (Afrikanische) Literaturkritik
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und diese mit europäischen Maßstäben messen oder mit europäischer Literatur
wertend vergleichen. Dazu gehören neben Larson noch Eustace Palmer und
Adrian Roscoe20.
Rand Bishop21 sieht die einzige für beide Seiten (Afrika-Außerafrika) zufrieden
stellende Lösung darin, Afrikanische Literatur mit den Methoden der
vergleichenden Literaturwissenschaft (Komparatistik) zu untersuchen. Diese
würde zur Erklärung der Unterschiede in den Darstellungsweisen führen und in
der Folge zu mehr Verständnis. Komparatistik untersucht die literarischen
Beziehungen verschiedener Völker und Nationen, das heißt, es wird Literatur
unterschiedlicher Sprachen verglichen.
Dan Izevbaye22 (1982:1) bemerkt, dass die Hauptaufgabe der CL darin bestehe,
„... to establish a relationship among a variety of writers and literatures, and
help enhance our understanding of literaure as a human activity with similar
aesthetic and social functions in different cultures.“
Die Komparatisten vertreten häufig die Ansicht, dass jede Literatur, jeder Text
einen anderen beeinflussen und die Bedeutung derselben erweitern kann. Diese
gegenseitige Beeinflussung (Interdependenz) und komplementäre Beziehung
bildet die Grundlage für komparatistische Studien, wie sie zum Beispiel
Matthew Arnold beschrieben hat23. Die Komparatisten versuchen Gleichheiten
herauszuarbeiten „in these dissimilar literatures or texts“24.
20
Vgl. A Roscoe 1971. Mother is Gold. A Study in Westafrican Fiction.
21
Siehe R Bishop 1973. in: J Okpaku (ed) New African literature and the arts. New York:
Crowell. S. 199-223. (S.6.0.1.)
22
siehe: Dan Izevbaye 1982. The African Experience of Comparative Literature. In: S O
Asein (ed). Comparative Approaches to Modern African Literaure. Ibadan: Department of
English, University of Ibadan. S.1.
23
vgl. dazu: S.S. Prawer 1973. Comparative Literary Studies. London: Duckworth & Co.
24
Vgl. Charles A. Bodunde 1994. Studies in Comparative Literature. S.56 in: Olu Obafemi
(ed): S.55-74. (GOOG)
25
vgl. dazu: Chukwudi Maduka 1982. Comparative Literature: Concept and Scope. In: S.O.
Asein (ed). Comparative Approaches to Modern African Literaure. Ibadan: Department of
English, University of Ibadan. Nach: C.A. Bodunde 1994: 56 (GOOG)
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Laut Ato Quayson26 (1997:157) laufen „minority literatures“ immer Gefahr, als
„cultural testaments“ gelesen zu werden. Die Debatte zwischen den Kritikern
Jameson (1986) und Aijaz Ahmad (1987) zeigt dies sehr gut auf. Für Jameson
sind „Third-World“- Literaturen Allegorien, deren Hauptaugenmerk der
Nationalstaat ist. Ahmad räumt ein, dass diese Ansicht zwar nicht völlig falsch
sei, aber zu stark generalisiere und daher der Vielfältigkeit der Literatur
ehemaliger Kolonialstaaten nicht gerecht werde. Dies gilt auch für die
afrikanische Literatur, die häufig als Art Bericht oder Dokument über
afrikanisches Leben und afrikanische Kulturen angesehen wird. Es ist kein
Zufall, dass ein früher Kommentar zu Chinua Achebes Roman „A Man of the
Poeple“ (1966) meinte, das Buch sei „worth a ton of documentary journalism“
(Quayson 1997:157)
26
vgl. Ato Quayson 1997. Ethnographies, of African Literature: a Note. In: D Wright (ed).
Contemporary African Fiction. Bayreuth: B. African Studies. Bd.42. S.157-165. (GOOG)
AFRIKANISCHE LITERATURWISSENSCHAFT 12
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Nun macht sich seit den 1970er Jahren eine afrikanische Literaturkritik
bemerkbar, die nicht nur die politisch unerwünschte Dominanz westlicher
Stimmen in der Kritik afrikanischer Literatur beenden will (vgl. Iyasere 1975:
20), sondern die auch eine intimere Kenntnis des afrikanischen
Entstehungszusammenhanges mit sich bringt. Bu-Buakei Jabbi (1979:117)
hofft, dass die afrikanische Literaturkritik dazu beitragen wird, „... of stimulating
that literature to grow into a strong and distinctly individual traditon of its own,
in spite of its common sharing of a few characteristics with other traditons of
writing.“
Bolekaja Kritiker:
Ogunistische Kritiker:
Marxistische Kritiker:
Sie setzen sich mit der Funktion der Literatur in der Gesellschaft auseinander
und fordern von den Autoren, sich mit ihrer Literatur für Gesellschaftswandel
und für die Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung einzusetzen.
Dieser Forderung sind viele afrikanische Autoren besonders während der
Kolonialzeit, zahlreiche aber auch bis in die Gegenwart, nachgekommen. Auch
wenn einige unter ihnen mit der Ideologie des Marxismus weniger anfangen
konnten (so Achebe, ...) drückt der Großteil der afrikanischen AutorInnen ihre
Solidarität mit den Menschen Afrikas über ihre literarischen Texte und auch in
Interviews etc, aus.
Sie hat Anhänger nicht nur in Afrika, sondern in allen ehemaligen Kolonien und
auch in Europa und den USA, wo sich engagierte KritikerInnen mit den Völkern
der heutigen postkolonialen Staaten solidarisieren. Die „postkoloniale“ Kritik
wird heute interdisziplinär in Literatur-, Geschichts- und Politikwissenschaft
eingesetzt, untersucht werden Kultur und Identität sowohl während, als auch
nach Ende der Kolonialzeit- im „Kontext des Kulturkonfliktes der Kolonisierten
wie auch der Kolonialmacht.“27
Ab den 1970er Jahren zuerst in den USA durch Edward W. Saids Werk
„Orientalism“28 etabliert, ist es eines der Ziele, Begriffspaare zu dekonstruieren
und dem durch diese ausgedrückten Machtgefüge entgegen zu wirken. Wichtige
Erkenntnis dabei war, dass die koloniale Situation nicht nur bei den
Kolonisierten, sondern auch beim Kolonisator Spuren hinterließ. Diese
aufzudecken und zu zeigen, wie auch das Selbstverständnis der ehemaligen
Unterdrücker dadurch geprägt wurde, ist eines der Hauptanliegen der
postkolonialen Kritik.
27
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Postkolonialismus
28
siehe: Edward W Said 1985. Orientalism. London u.a.: Penguin Books. (W.0.0.33.)
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finden, aus den USA kommend30, in den letzten Jahren auch in Europa eine
immer größer werdende Zahl von VertreterInnen. Im deutschen Sprachraum als
kritische Weißseinsforschung 31 bezeichnet, liegt auch hier besonderes
Augenmerk auf der Auseinandersetzung mit der Kategorie „Weißsein“, die in
Verbindung mit anderen Formen der Unterdrückung untersucht wird. Wobei
man unter „Weißsein“ Gesellschaftsmodelle und deren Strukturen versteht, „die
entweder rassistisch begründeten Herrschaftsverhältnissen oder einer
„Dominanzkultur“ zugerechnet werden können“ 32.
Als eine der wichtigsten Aufgaben des Literaturkritikers kann gesehen werden,
sich mit literarischen Werken kritisch auseinander zu setzen, sie zu
interpretieren und dem Publikum nahe zu bringen. Das heißt, KritikerInnen
sollen nicht nur beschreiben und erklären, sondern auch kommentieren und
bewerten- sowohl die Qualität der literarischen Komposition als auch die Vision
von/ Einsicht in menschliche Erfahrungen, betreffend.
So viele Ansätze wir in der westlichen Kritik und Theorie finden, so viele gibt
es in Afrika. Eine Reihe von Autoren/ Kritikern wurden in Übersee ausgebildet
und haben sich ein eigenes Konzept, manchmal aus mehreren Richtungen,
zurechtgelegt.
An den Universitäten hat man sich meist auf das Studium „großer Texte“
konzentriert. Dies führte dazu, dass die Werke von Autoren wie Wole Soyinka,
Christopher Okigbo, John Pepper Bekederemo Clark, Chinua Achebe, Ngugi
wa Thiong’o, Taban Lo Liyong, Leopold Sedar Senghor, Sembène Ousmane
etc. unzählige Male mit diversen literaturkritischen Ansätzen analysiert wurden.
Im Vergleich dazu wurden wenige Beiträge zu unbekannteren AutorInnen
geliefert.
Die Diskussion konzentrierte sich dabei lange auf Form und Inhalt der Werke.
29
Siehe u.a. http://iae.zhdk.ch./iae/deutsch/glossar/critical-whiteness-studies/
30
Toni Morrison trug dort ab Beginn der 1990er Jahre wesentlich zu einer Wende in der
Rassismusforschung bei, indem sie begonnen hatte, den Fokus ihrer Studien auf die Subjekte
und Strukturen, die Rassismus verursachen, zu legen und weniger auf die bis dahin im
Zentrum stehenden Objekte des Rassismus.
31
Siehe u.a. Maureen M Eggers (ed) 2005. Mythen, Masken und Subjekte. Kritische
Weissseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast-Verlag. (P.1.0.63.)
32
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Weißsein
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Gegenwärtig wird diese Tradition aufgeweicht, das heißt, dass auch Werke
jüngerer AutorInnen literaturkritisch untersucht werden (Ben Okri, Calixthe
Beyala, Yvonne Vera etc.), zunehmend wird auch Fächer übergreifend
gearbeitet- insbesondere mit den letztgenannten literaturkritischen Ansätzen.