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Hausarbeit für das Seminar Realismus

Semester: WS 2017/18
Dozent: Professor Jens Rometsch
Student: Christos Kalpakidis
Mail: s5chkalp@uni-bonn.de

Realismus und Mathematik:


Meillassoux, Cantor und die Paradoxien der Totalität

Quentin Meillassouxs Werk Nach der Endlichkeit1 zählt bereits schon zu den einflussreichsten Texten der
Philosophie des 21sten Jahrhunderts. Seine Veröffentlichung und die darauf folgende Diskussion2 haben
zugegebenermaßen dazu beigeträgt, den sogenannten Spekulativen Realismus hervorzubringen und zumindest
im Rahmen der ‘kontinentalen’ Philosophie die Frage des Realismus nach dem Postmodernismus erneut und
auf besonderer Weise zu stellen. Vor allem läuft die Argumentation Meillassouxs auf zwei Ebene hinaus: die
Negative besteht in einer ‘Kritik der Kritik3’, einer Zurückweisung des Korrelationismus. Der Letztere wird von
Meillassoux folgendermaßen4 definiert: ‘Unter Korrelation verstehen wir die Idee, derzufolge wir Zugang nur
zu einer Korrelation von Denken und Sein haben, und nie gesondert zu einem der beiden Begriffe. Daher nennen
wir von jetzt an Korrelationismus jede Denkrichtung, welche den unüberschreitbaren Charakter der so
verstandenen Korrelation vertritt. Demnach kann man sagen, dass jede Philosophie, die nicht ein naiver
Realismus sein möchte, zu einer Variante des Korrelationismus geworden ist’. Zugleich argumentiert er positiv
für einen Spekulativen Materialismus. Seiner Position liegt zwei ontologischen Prinzipien zugrunde: das Sein
vom Denken unabhängig sei und das Denken das Sein denken könne. Das erste Prinzip der Externalität des
Seins vom Denken kommt auf den Materialismus zu, wobei das Zweite auf die Kapazität des Denkens ein
Absolute(Realismus) aufzufassen hinweist. Dieses Absolute ist nach Meillassoux nicht ein Seiendes, sondern
die absolute Notwendigkeit der Kontingenz, was er als Prinzip der Faktualität oder des Grundlosen
zusammenfasst.
Es wirft sich aber natürlicherweise die Frage mittels dessen das Denken auf das nicht-korrelierende Absolute
gelingen kann. Ein Hinweis dafür befindet sich bereits im ersten Kapitel5: ‘Man versteht in der Tat unter
primären Qualitäten jene Eigenschaften, die vom Gegenstand untrennbar sein sollen: Eigenschaften, die als dem
Ding zugehörig angenommen werden, selbst wenn ich es nicht mehr auffasse. […] Es hat Sinn, alles, was vom
Gegenstand in mathematischen Begriffen ausgesagt werden kann, als Eigenschaften des Gegenstandes an sich

1
Q. Meillassoux, Nach der Endlichkeit, Versuch über die Notwendigkeit der Kontingenz, Diaphanes, 2014
2
Siehe zum Beispiel, Levi Bryant, Nick Srnicek, Graham Harman, The Speculative Turn, Continental Materialism and
Realism, Anamnesis, 2010
3
Meillassoux, 2014, s. 9
4
Ebd., s. 18
5
Ebd., s. 15
zu denken’. In dieser Hinsicht scheint es also, dass Meillassouxs Projekt wesentlich darin besteht, eine Form
des Realismus zu begründen, der auf mathematischen Überlegungen basiert. Demzufolge sind wir der Meinung,
dass genau dieser wichtige Aspekt seines Denkens, nämlich die interne Beziehung zwischen den
mathematischen Diskurs und seinem absoluten Prinzip der Notwendigkeit der Kontingenz, relativ unbeachtet6
in die Literatur gewesen ist. Diese neigen eher dazu, auf seine Korrelationismus Kritik zu konzentrieren. An
diese Stelle ergibt sich allerdings die folgende Frage: was versteht Meillassoux unter Mathematik, der er einen
privilegierten Status hinsichtlich des Denkens des Absoluten zuschreibt? Wenn man seine eigentlichen
Erwähnungen bezüglich mathematischer Theorien in Nach der Endlichkeit und in andere Texte betrachtet,
kommt besonders der Name Cantors und die Mengenlehre vor. Es ist der Fall aber, dass diese wiederum relativ
wenig, kryptisch und nicht ausführlich begründet bleiben, was ihm im Gegensatz zu den detaillierten
Überlegungen Alain Badious über die (axiomatisierte) Mengenlehre setzt. Diesbezüglich liegt das Thema
unseres Textes genau darin, seinen Anspruch auf die absolutierende Funktion der Mathematik und besonders
der Mengenlehre einzuleuchten.
Besonders besteht unser Text aus drei Teilen. Erstens versuchen wir durch eine Rekonstruktion seines
Argumentationsvorgehen seinen Gebrauch der Mengenlehre im Rahmen seines Arguments für die
Notwendigkeit der Kontingenz und die Bedeutung, die er ihr zuschreibt, genau zu bestimmen. Darauf
konzentrieren wir uns auf die Lehre Cantors über die Mengen und das Transfinite und deuten wir auf mögliche
Interpretationen der Paradoxien der Totalität, die sich auf der Grundlage der Mengenlehre befinden. Schließlich
diskutieren wir mögliche Probleme und Fragen, die sich aus Meillassouxs Verwendung der Paradoxien ergeben
und versuchen wir seine Position in Hinblick auf die Frage nach der absolutierenden Funktion der Mathematik
einzuschätzen.

1.Meillassouxs Argument für die Notwendigkeit der Kontingenz und die


Mengenlehre
Fangen wir also mit der Rekonstruktion der Argumentation Meillassouxs an, um die Verwendung des
cantorschen Arguments konkret zu bestimmen. Im Folgenden skizzieren wir seine Vorgehensweise nur im
Allgemeinen und verzichten wir auf die Beurteilung seiner Darstellung und Argumente gegen Korrelationismus.
Es gibt unserer Meinung nach ein interessanter Ausgangspunkt bezüglich dessen man Zugang zu seinem Projekt
erschaffen könnte. Demzufolge geht es Meillassoux nicht so sehr um die Frage nach der Existenz von
bestimmten Objekten oder unserem epistemischen Zugang zu deren Wissen. Vielmehr und in Bezug auf die
Aporie, die nach Meillassoux das Problem der Anzestralität7 darstellt, liegt nämlich sein Versuch in die

6
Die Texte wovon wir bewusst sind, die Meillassouxs Verwendung mathematischen Theorien diskutieren, sind Fabio
Gironi, Meillassoux’s Speculative Philosophy of Science: Contingency and Mathematics, in Pli 22, p. 25-60, 2011 und das
von Peter Gratton in 2015 erschienen Meillassoux Dictionary.
7
Unter Anzestral versteht Meillassoux ‘jede Wirklichkeit, die dem Aufkommen der menschlichen Gattung vorausgeht
und sogar jeder erfassten Form des Lebens auf der Erde vorausgeht’ (Meillassoux, 2014, s. 24)
Erläuterung der ‘Bedingungen des Sinnes8’ der wissenschaftlichen Aussagen, ‘die sich explizit auf den
Sachverhalt einer Welt bezieht, welche der Emergenz des Denkens vorausgeht und selbst dem Leben- d.h die
jeder menschlichen Form der Beziehung zur Welt vorausgeht‘9. Die Frage nach der Natur des Sinns dieser
Aussagen setzt Meillassoux in direkten Bezug zu Kants Problem der Möglichkeit von a priori synthetischen
Urteile. Wie Anna Longo schreibt, ‘it is possible to consider Meillassoux’s speculative materialism as an
attempt to ground the truth of physics on some a priori rational- despite non-dogmatic- evidence which is
available only through philosophical reflection, an attempt to challenge the limits of the transcendental subject
and to assert the rights of reason towards infinity10’. In dieser Hinsicht bedeutet seine Rehabilitierung der
primären Qualitäten als Eigenschaften des Dings An sich eine kartesische Antwort auf das erwähnte Problem.
Seine Antwort nämlich wird genau in das kartesische Argument für eine absolute Existenz der ausgedehnten
Substanz nachgebildet. Nach Meillassoux hat Descartes Beweisführung zwei Stufen: ‘1. Die Existenz eines
Absoluten nachzuweisen: nämlich die Existenz eines vollkommenen Gottes (nennen wir es das «erste
Absolute»); 2. Daraus die absolute Tragweite der Mathematik abzuleiten (nennen wir sie das «abgeleitete
Absolute»), unter Berufung darauf, dass ein perfekter Gott kein Betrüger sein kann 11’. Daraus können wir in
etwa behaupten, dass Meillassoux selbst ein ähnliches Model aufstellen möchte, das ihm erlauben würde, ohne
die theologische Annahme Descartes die ‘absolute Tragweite der Mathematik’, d.h die a priori Möglichkeit von
nicht-korrelierenden primären Qualitäten zu rechtfertigen.
Im ersten Schritt also geht es ihm darum, auf ein erstes Absolute zu gelangen. Ihm ist wiederum die Form von
Descartes Vorgehensweise vom Nutzen. Meillassoux zufolge besteht diese darin, aus einer Idee ‘für uns’ auf
ein Ansich, ein ontologisches Absolute zu schließen. Dieses Absolute scheint also durch eine immanente Kritik
des Korrelationismus erreicht werden zu können. Wie Meillassoux im zweiten Kapitel der Nach der Endlichkeit
sowie im ersten Teil seines Textes Iteration, Reiteration, Repetition12 beschreibt, erfolgt das erste Absolute
durch den Durchgang zwei Argumente des Korrelationismus: der korrelationistische Zirkel und die
korrelationistische Faktizität. Das erste Argument ist die erste Entscheidung ‘die eines jeden Korrelationismus:
Es ist die These der wesentlichen Untrennbarkeit von Denkinhalt und Denkakt[..]. Die Entscheidung allein
reicht aus, um alle Absolutheiten realistischer oder materialistischer Art zu disqualifizieren 13’. Das zweite
Argument der korrelationistischen Faktizität richtet sich diesmal gegen die ‘subjektiven Idealisten’ (darunter
zählen nach Meillassoux auch Hegel und Deleuze), die in Iteration als Subjektalisten bezeichnet worden sind.
Diese verabsolutieren ihrerseits die Korrelation selbst (die erste Entscheidung) und kontra Kant (der als
Anhänger einer schwachen Korrelationismus dargestellt wird) behaupten, dass das An sich nicht nur
unerkennbar aber auch undenkbar, d. h überhaupt nicht existent ist. Gegen diese Position muss nach Meillassoux

8
Meillassoux, 2014, s.25
9
Ebd., s. 24
10
Anna Longo, How to Know that we know, The Contemporary Post-Kantian Problem of a Priori Synthetic Judgments,
in: The Legacy of Kant in Sellars and Meillassoux, (ed.) F. Gironi, Routledge, 2017
11
Meillassoux, 2014, s.49
12
Q. Meillassoux, Iteration, Reiteration, Repetition, A Speculative Analysis of the Meaningless Sign, Freie Universität
Berlin, 20. April 2012
13
Meillassoux, 2014, s. 56-57
der Korrelationismus, der sich als ein anti-absolutismus versteht, auf zwei Punkte beharren: einerseits darauf,
dass die Korrelation nicht absolut notwendig und zugleich zugänglich zum Denken sei. Laut Meillassoux14:
‘this thinkable non-necessity of correlation is precisely what I call correlational facticity’.
An dieser Stelle unterscheidet er zwischen den Begriffen Kontingent und faktisch: Das Erste bezeichnet einen
Gegenstand von dessen Andersseinkönnen man wissen kann (z. B das Wissen vom Zerbrechen oder nicht
Zerbrechen einer Vase). Das Letztere deutet auf die bloßen Denkbarkeit des Andersseinkönnens eines
Gegenstandes, aber nicht auf dessen Wissen (die Naturgesetzte fallen unter dieser Kategorie). Zu diesen
Begriffen fügt Meillassoux den Begriff des Arch-faktes, der ein Faktum beschreibt, dessen Andersseinkönnen
man zwar überhaupt nicht vorstelleln kann, aber diese Tatsache wiederum nicht bedeutet, dass seine
Notwendigkeit rechtfertigt werden könnte. Ihm zufolge ist die Korrelation ein solches Arch-faktum, ‘whose
other is unthinkable, but which nevertheless cannot be posited as absolutely impossible15’. Dies bedeutet
seinerseits, dass wir letzten Endes nicht in der Lage sind, uns einen hinreichenden letzten Grund zu verschaffen,
das So-und-So Sein der Dinge erklären könnte. Genau darin besteht Meillassouxs Ablehnung des Satzes vom
Grund, der den Kernpunkt jedes metaphysischen Denkens ausmache. Er stimmt also dem zweiten Argument
der korrelationistischen Faktizität zu, das er aber seinerseits radikalisiert. Sein Prinzip nämlich des Ungrunds
oder der Faktualität, wie er es im Verlauf seines Werkes umdeutet, verabsolutiert nicht die Korrelation (wie die
Subjektualisten), aber die Faktizität der Korrelation, d. h, dass ‘factiality alone is non-factual or only
contingency is necessary’.
Diese ist also Meillassouxs Strategie: er deutet eine epistemische Grenze und Inkapazität (die Faktizität) für uns
als eine positive realistische Eigenschaft des Ansichs um. Mit anderen Worten behauptet er, dass das Setzen
einer Grenze zugleich ihrer Transzendenz bedeutet. Dieses Argumentationsvorgehen nährt sich auffallend
Hegels spekulative Diktum, dass ‘Das Nichtsein des Endlichen ist das Sein des Absoluten16’. Diesem Absolute
verleiht er den Namen eines ‘Hyperchaos, in dem nicht unmöglich ist oder zu sein scheint, nicht einmal das
Undenkbare17’.
An diese Stelle ergibt sich aber das Problem des Übergangs vom ersten, chaotischen Absoluten zum zweiten
abgeleiteten, mathematischen Absoluten. Dieses Problems scheint Meillassoux völlig bewusst zu sein, in dem
er sich fragt18: ‘Wie den wissenschaftlichen Diskurs auf ein solches Desaster zu gründen? Wie könnte das Chaos
die Erkenntnis des Anzestralen legitimieren? ’ Zum diesem Zweck führt er ‘nicht beliebigen Bedingungen’ ein,
die zu zeigen vermögen, ‘worin ein rationaler Diskurs über das Grundlose besteht, das keine Unvernunft ist19’.
Diese Bedingungen nennt Meillassoux Figuren und behauptet, dass ‘my work thus consists, essentially, in
deriving from the principle of factuality various Figures qua absolute invariants of the maximal variance

14
Meillassoux, 2012, s. 8
15
Ebd, s. 10
16
G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Die Lehre vom Wesen, GW XI 290, W VI 80.
17
Meillassoux, 2014. s. 91
18
Ebd., s. 92
19
Ebd., s. 94
accorded to every entity20’. In Nach der Endlichkeit leitet er drei Figuren ab: erstens die absolute Unmöglichkeit
eines widersprüchlichen Seiendes oder was nach Meillassoux auf dasselbe hinausläuft, den Satz vom
Widerspruch, zweitens die Notwendigkeit der Existenz Kontingenten Entitäten und drittens die Kontingenz der
Naturgesetze. Die erste zwei Figuren werden direkt von seinem Prinzip der Faktualität abgeleitet (das kantische
Ansich), wobei die Dritte durch ein unabhängiges Argument abzuleiten scheint. Dieses Argument ist dasjenige,
das von Cantor und die Mengenlehre Gebrauch macht und dazu dient, uns den Übergang vom Wahrheit des
ersten Absoluten zur Wahrheit des kartesianischen Ansich zu verschaffen. Im Folgenden rekonstruieren wir
zwar das Letztere, zuvor aber wenden wir uns zur Meillassouxs Ableitung der absoluten Gültigkeit des Satzes
vom Widerspruch, der eine entscheidende Rolle zur Beurteilung des dritten Arguments spielt.
Die erste Figur also, die Meillassoux aus seinem Prinzip der Faktualität ableitet, ist die absolute Unmöglichkeit
eines widersprüchlichen Seiendes, die für ihn zumindest am Anfang seines Arguments auch die absolute
Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch impliziert. Diese erste Figur ist ihm zufolge bereits bei Kant als
Eigenschaft des Dings Ansich anerkannt, wobei er sie einfach annimmt und nicht rechtfertigt. Meillassoux
beansprucht seinerseits durch sein Prinzip diesen Satz als ‘absolut wahr21’ zu beweisen. Sein reductio Argument
lautet in etwa: Angenommen eine solche widersprüchliche Entität existiere. Dann würde sie imstande sein,
widersprüchliche Eigenschaften zugleich zu besitzen, nämlich diejenigen der Existenz und der Nicht-Existenz.
Das würde wiederum bedeuten, dass sie bereits das schon wäre, was sie nicht wäre und umgekehrt. Bestünde
dann eine solche Tatsache, würde jedes wirkliche Werden nach Meillassoux unmöglich, ‘weil es überhaupt
keine Alterität hätte, die es werden könnte22’. Indem sie zu sich selbst identisch bleibt, darf man nicht behaupten,
dass sie jemals zu existieren aufhört. Dann wäre ein absolut notwendiges Seiende. Dieser letzte Satz
widerspricht allerdings dem nach Meillassoux bereits bewiesenen Prinzip der Faktualität, das zur Folge hat,
dass ein notwendiges Seiendes unmöglich ist. Daher lehrt uns der Satz vom Grundlosen, dass gerade weil der
Satz vom Grund absolut falsch ist, der Satz vom ausgeschlossen Widerspruch absolut wahr ist23.
Wir haben zwar nicht ausführlich seine Argumentation dargestellt, aber wir wollen besonders auf das folgende
Problem aufmerksam machen. Auch wenn Meillassouxs Beweis die Unmöglichkeit einer widersprüchlichen
Entität rechtfertigt, schließt aber das nicht die Möglichkeit von wahrer widersprüchlichen Aussagen aus. Genau
diesen Gedanken scheint Meillassoux zu erkennen, wenn er schreibt, dass ‘eine Logik widersprüchlich sein
kann, ohne deshalb inkonsistent zu sein24’. Er unterscheidet nämlich zwischen Widerspruch und Inkonsistenz
und lässt zu, dass eine Logik gewisse widersprüchliche Aussagen als wahr anerkennt, ohne deswegen allen
Widersprüchen zu erlauben. In dieser Hinsicht ist Meillassoux von den Entwicklungen der sogenannten
parakonsistenten Logik und implizit des Dialeitheismus bewusst.
Lassen wir uns jetzt kurz auf die Motivation hinter diesen Entwicklungen konzentrieren, weil der Begriff des
Widerspruchs auch bei der Beurteilung der Ableitung der dritten Figur des Absoluten eine Rolle zu spielen

20
Meillassoux, 2012, s. 11
21
Meillassoux, 2014, s.
22
Ebd., s. 97
23
Ebd. s. 99
24
Ebd., s.
scheint. Wenn wahre Widersprüche existierten, so die Behauptung des gesunden Menschenverstandes und der
klassischen Logik, verstößt man gegen den Satz vom Widerspruch, der ein unabdingbares Element unseres
Denkens ausmacht. Daraus folgt, dass solch einen Verstoß zulassende Theorie gegen die Rationalität selbst
läuft, einerseits, weil man aus ihren Grundsätzen jeden beliebigen Satz ableiten kann und anderseits, weil nicht
möglich ist, kritisch und methodisch gegen eine solche Theorie zu argumentieren. Besonders wichtig ist
demnach, dass in der klassischen Logik das Prinzip contradictione quodlibet gestützt wird: aus einem wahren
Widerspruch folgt beliebiges. Die unmittelbaren Konsequenzen also einer Theorie, die wahre Widersprüche
und das zuvor erwähnte Prinzip beibehält, ist Explosivität und daher die Trivialität eines jeden beliebigen Satzes.
Die parakonsistente Logik daher wendet sich genau gegen das Prinzip ex contradictione quodlibet und
verhindert die Explosivität und Trivialität, in dem in ihr, wie Meillassoux schreibt, ‘der Widerspruch derart
beschränkt bleibt, dass er nicht gleichermaßen die Wahrheit aller Widersprüche impliziert25’.
In dieser Hinsicht behauptet der Dialeitheismus, der besonders stark von G. Priest26 vertreten wird, die Existenz
wahrer Widersprüche und verneint die absolute Gültigkeit des Satzes vom auszuschließenden Widerspruch.
Jeder Dialeitheismus, um dem Vorwurf der Trivialität zu entkommen, soll eine parakonsistente Logik
voraussetzen (umgekehrt aber führt eine parakonsistente Logik nicht unbedingt zu einem Dialeitheismus). Die
Annahme der Existenz wahrer Widersprüche, der Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch und der Gebrauch
einer parakonsistenten Logik werden von Priest dazu konzipiert, um auf die sogenannten semantischen und
mengentheoretischen Paradoxien zu reagieren. Um in etwa dem zweiten Teil unseres Aufsatzes vorauszuahnen,
ist die immerhin umstrittene, aber zumindest philosophisch rechtfertigte Position Priests und der Dialeitheisten
davon bewusst, dass es in unserem Denken schwerwiegende Widersprüche gibt, die uns eine Totalität oder das
Unendliche nicht widerspruchsfrei denken lassen27. Daher verlangt diese Tatsache einer metatheoretischen
Entscheidung, die uns dazu zu zwingen scheint, auf allenfalls intuitive Denkprinzipien zu verzichten, damit wir
andere, grundlegendere unantastbar lassen können. In Priests Fall scheint der Verzicht auf die uneingeschränkte
Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch als akzeptabel betrachtet werden zu können, weil er uns erlaubt, unsere
intuitive Wahrheitskonzeption und das Verständnis, das wir von Mengenbildung haben, aufrechtzuhalten.
Meillassoux ist scheinbar aller diesen Entwicklungen bewusst, wenn er einerseits gegen seinen Beweis die
eigentliche Denkbarkeit des Widerspruchs anerkennt und anderseits nicht ausschließt, dass eine Welt, die einen
Widerspruch enthält, nicht eine unbedingt Notwendige sein muss, denn solche Welten ‘gemäß (unseren)
eigenen Kriterien als Kontingent betrachtet werden können, da man sich vorstellen könnte, dass sie anders
werden als sie sind28’. Es ist der Fall also, dass seine Position wesentlich geschwächt ist, indem er die zuvor
erwähnten Punkte seinen Kritikern zu gestattet hat. Allerdings versucht er eine Skizze eines möglichen
Gegenarguments aufzubauen, die aber mangelhaft und nur als Vorschlag für spätere Entwicklung bleibt.

25
Ebd., s. 107
26
Siehe zum Beispiel, G. Priest, Beyond the Limits of Thought, Cambridge University Press, 1995
27
Die folgenden Überlegungen als auch in wichtigem Sinne die Hausarbeit als ganze ist wesentlich den Überlegungen Paul
Livingstons und Guido Kreis zu Dank verpflichtet, denn, ohne deren Kenntnis hätte dieser Text nicht auf dieser Weise
geschrieben werden können.
28
Meillassoux, 2014, S. 107
Demnach läuft sein Vorschlag darauf hinaus, dass eine spekulative Lösung zwar die Denkbarkeit von
ausgesagten Widersprüchen anerkennt, aber die Möglichkeit von Realen durchaus disqualifiziert. Dazu
argumentiert er, indem er auf die praktische und sprachorientierte Zwecke der parakonsistenten Logik hinweist:
‘(diese) nicht entwickelt wurden, um sich über wirklich widersprüchliche Tatsache Rechenschaft abzulegen,
sondern um zu vermeiden, dass die Computer […] nicht irgendetwas vermöge des ex falso quodlibet ableiten29’.
Das wiederum heißt, dass für Meillassoux die parakonsistente Logik nur ein formales System bleiben und
keinen Stutz auf metaphysische Thesen liefern könnte. Daher gibt es für ihn keine ontologischen Widersprüche,
nur unter Umständen Logische bzw. Gedachte. Anders gesagt, ihm zufolge kann der Widerspruch nur auf eine
Eigenschaft unsrer Aussagen verweisen und nicht der Dingen selbst. Demgegenüber stellt sich G. Priests
Position, der nicht nur ein semantischer30, d. h schwacher Dialeitheismus vertritt, sondern einer durchaus
metaphysischer. Die erste, schwächere These konzediert, wie anscheinend auch Meillassoux, dass unsere
Beschreibungen der Realität widersprüchlich sein können, aber zugleich bestreitet, dass Gegenstände und
Tatsache gäben, die nicht widerspruchsfrei zu erfassen wären. Der metaphysische Dialeitheist hingegen erkennt
Widersprüche selbst in den Gegenständen der Welt. Anscheinend vertritt Priest eine solche These, die sich
allerdings neutral zu der Frage nach der Wahrheit des metaphysischen Realismus verhält: ‘Wenn der
Dialetheismus wahr ist, dann ist die Welt so eingerichtet, dass sie ihn wahrmacht. In diesem Sinne ist die Welt
widersprüchlich31’.
Wenden wir uns jetzt also zur den dritten Ableitung, die die Legitimierung des anzestralen Diskurses und den
Übergang zu einem kartesianischen Ansich verschaffen soll. Es ist der Fall,, dass Meillassoux nicht einmal der
Verabsolutierung des logischen Grundsatzes vom Widerspruch bewiesen hat. Allerdings möchte er die
Verabsolutierung der Mathematik selbst beweisen. Zugleich aber warnt er davor, dass ‘wir hier nicht die
vollständige Lösung des Problems geben können32’. Was er schließlich zu lösen vermag ist ein besonderes
Problem, das das perfekte Dilemma für sein Prinzip darstellt: das Problem Humes der Kausalität. Seine
Vorgehensweise wird in etwa die folgende sein: Bestimmung des Problems, Untersuchung der drei
traditionellen Lösungsvorschläge, Erhebung einer vierten spekulativen Lösung, Umformung der ursprünglichen
Frage um seiner spekulativen These Rechnung zu tragen, Destabilisierung der Annahme infolgedessen sein
Vorschlag anfänglich als implausibel vorkommt. In genau diesen letzten Schritt seiner Argumentation
verwendet Meillassoux die Mengenlehre, besonders ihrer axiomatisierten Form, die sich mit den Paradoxien
der Totalität aussetzt.
Bevor wir beginnen, scheint uns eine vorläufige Bemerkung zur seinen Vorgehensweise notwendig. Es ist
bemerkenswert, wie besonders P. Livingston, F. Gironi und A. Johnston betont haben, dass Meillassouxs
Darlegung des humeschen Problems fast vollkommen auf die analytische Diskussion der
Wissenschaftsphilosophie verzichtet. Besonders die Themen der Induktion, der Debatte zwischen Realisten und

29
Ebd., s. 108
30
Der Ausdruck semantischer Dialeitheismus ist auf Edwin Mares zurückzuführen.
31
Graham Priest, In Contradiction. A Study of the Transconsistent (1987), 2., erweiterte Auflage 2006, s. 299 (Übersetzung
von Guido Kreis)
32
Meillassoux, 2014, s.111
Antirealisten in Bezug auf die Wissenschaft und des Status der Naturgesetze scheinen hier von Bedeutung zu
sein. Das einzige was Meillassoux aus dieser Tradition, zumindest in Nach der Endlichkeit erwähnt ist der
Falsifikationismus Poppers33. Gironi zufolge läuft seine Entscheidung darauf hinaus, dass ihm wichtige
Argumenten fehlen, die er gebrauchen könnte, damit er auf die Möglichkeit der primären Qualitäten hinweisen
könnte und anderseits, dass er eine Position entwickelt, die paradoxerweise sowohl auf den Erfolg der
Wissenschaft die Natur zu erklären als auch auf die reale Kontingenz der Naturgesetze beharrt. Besonders A.
Johnston hat aber darauf bestanden, dass aus Meillassouxs Ontologie einer hyper-chaotischen Zeit eine
paradoxe Folgerung abgeleitet werden kann, indem die sogenannten wissenschaftlichen Revolutionen nicht als
Paradigmenwechsel im Sinne Kuhns, sondern als Veränderungen der Realität selbst interpretiert werden
können34. Obwohl die Bemerkungen deutlich die Lücke in Meillassouxs Argumentation enthüllen, scheinen sie
uns immerhin nicht dem spezifischen Gebrauch der Mengenlehre Rechnung tragen zu können. Denn behaupten
wir, dass je nachdem wie man Meillassouxs Kritik and Korrelationismus einschätzt, die wichtige unserer
Meinung nach Pointe seiner Argumente darin bestehen, wozu er die mengentheoretischen Paradoxien
verwendet und zugleich wie sich diese Verwendung zu seinem ganzen Projekt verhält.
Wie bestimmt also Meillassoux das Problem Humes, das ihm Anlass zu seiner Verabsolutierung der
Mathematik gibt? Nach Meillassoux: ‘die Frage, die sich Hume stellt, betrifft daher unsere Fähigkeit zu
beweisen, dass die physikalischen Gesetze in Zukunft diejenigen bleiben, die sie heute sind, oder anders gesagt,
unsere Fähigkeit die Notwendigkeit der kausalen Verknüpfung zu beweisen35’. Diese Frage impliziert ganz
allgemein derjenigen nach der Einheitlichkeit der Natur, die seinerseits dem Satz vom Grund, nämlich, dass die
Dinge einen Grund so-und-so zu sein haben müssen, unterliegt. Meillassoux bemerkt außerdem, dass das
Prinzip der Einheitlichkeit der Natur einerseits nicht unsere Theorien über den Status der Naturgesetze, sondern
die letztere selbst betrifft, und auf der anderen Seite neutral auf den inhaltlichen Status der Gesetze ist, nämlich
ob sie deterministisch oder probabilistisch zu verstehen sind. Traditionell haben drei verschiedene Ansätze
versucht, dem so bestimmten Problem Rechnung zu tragen: ein metaphysischer, ein skeptischer und der
transzendentaler Kants. Meilassouxs spekulativer Ansatz geht zuerst einmal vom ersten Moment der
Ηume’schen, skeptischen Antwort aus und wendet sich damit explizit gegen Kants ‘bedingten und indirekten’
Beweis. Wie Meilassoux klar sowohl in seinem Buch als auch bei dem Text Potentiality and Virtuality36
beschreibt, hat Humes Vorgehensweise zwei Momente, die zusammen zu einer Auflösung des Problems führen,
indem aus der ontologischen Frage nach der Notwendigkeit der Gesetze eine epistemische, den Subjekt
betreffende Frage produzieren.

33
Im Text Potentiality and Virtuality, der im 2006 erschien ist, diskutiert Meillassoux im kurzen N. Goodmans Darstellung
des humeschen Problems um sie mit Humes Ansatz gleichzusetzen.
34
A. Johnston, Hume’s Revenge: A Dieu Meillassoux, in The Speculative Turn, Continental Materialism and Realism,
(ed.) L. Bryant, G. Harman, re. Press, Melbourne, 2011, s. 92-113
35
Meillassoux, 2014, s. 116
36
Q. Meilassoux, Potentiality and Virtuality, Originally published as ‘Potentialité et virtualité’, Failles no. 2, Spring 2006.
This translation first appeared in Collapse II, 2007, pp. 55-81
Das erste Moment des Lösungsvorschlags Humes zielt auf die Zurückweisung jeder metaphysischen Lösung
des Problems der Kausalität: man kann mit keiner Argumentation, welche sie auch sei, die zukünftige Stabilität
der Naturgesetze beweisen37. Die Erfahrung und das A priori (d. h für Meilassoux der Satz vom Widerspruch),
die einzige Mittel worüber wir verfügen, können nämlich nicht die Notwendigkeit der kausalen Verknüpfung
beweisen38’. Das berühmte Beispiel Humes der Billardkugel, das Meillassoux zitiert, läuft darauf hinaus, dass
‘alle Denkakte a priori nie imstande sein, uns eine Unterlage für diese Bevorzugung zu liefern39’. Mit anderen
Worten verstößt dieses erste Moment direkt gegen den Satz vom Grund, den Kernpunkt jeder Metaphysik.
Genau darin greift Meillassoux ein, indem er diese scheinbar negative epistemische Folgerung zu einer
Positiven umschlagen würde. Seine spekulative Lösung ähnelt genau seinem Prinzip der Faktualität, das eine
Verabsolutierung einer Grenze (der Faktizität) durchgeführt hat. Die Lösung nämlich besteht darin, ‘endlich
ernst zu nehmen, was uns das humesche- und nicht das kantische- Apriori über die Welt lehrt: und zwar dass
“hundert Ereignisse” verschiedener Art […] tatsächlich aus einer gleichen Ursache hervorgehen können40’.
Diese These widerlegt der Wahrheit der kausalen Notwendigkeit, die niemals in den anderen
Lösungsvorschlägen in Frage gestellt worden ist. Diese hatten sich nur damit befasst, ‘ob es möglich ist oder
nicht, ihr einen Grund zu verschaffen41’. Seine Antwort weist aber nicht darauf hin, dass ‘the observable laws
must change in the future but that it is contingent that they should remain identical. This perspective must be
distinguished from any thesis affirming the necessity of the changing of laws-for such a thesis would be a variant
of the solution envisaged by Hume42’. Auf dieser Weise rettet Meillassoux eine ontologische Formulierung des
Problems, die nicht von unserer epistemischen Begrenzung zurückweicht.
Diese spekulative Lösung fordert ihrerseits eine Umformung des ursprünglichen Problems: ‘anstatt uns zu
fragen, wie man die mutmaßliche wahrheitsgemäße Notwendigkeit der physikalischen Gesetze beweist, müssen
wir uns fragen, wie man die offensichtliche Stabilität der physikalischen Gesetze, wenn diese als kontingent
angenommen sind, erklären kann43’. Seinen Versuch auf diese Frage zu antworten versteht Meillassoux
demnach als Widerlegung der kantischen transzendentalen Lösung. Ihr zufolge sind wir dazu verpflichtet ‘von
der Abwesenheit der kausalen Notwendigkeit auf die Zerstörung der Vorstellung zu schließen’. Denn ist
nämlich die Notwendigkeit der Gesetze eine unbestreitbare Tatsache, weil sie als Bedingung des Bewusstseins
und der Möglichkeit der Wissenschaft insgesamt funktioniert. Daher wird es Meillassoux darum gehen, zwar
die Stabilität als Bedingung des Bewusstseins und der Wissenschaft zu erkennen, aber nicht daraus auf die
Notwendigkeit der Gesetze zu schließen. Genau gesagt versucht er den folgenden Schluss zu bestreiten, indem
er die Implikation von der Kontingenz auf die Frequenz unterminiert.
‘Necessitäts-Schluss:

37
Meillassoux, 2014, s. 120
38
Ebd, s. 120
39
Ebd., s. 120
40
Ebd., s. 123(unsre Betonung)
41
Ebd., s. 122
42
Meillassoux 2007, s. 225
43
Meillassoux, 2014, s 125
1. Wenn sich die Gesetze tatsächlich ohne Grund ändern können […], würden sie sich grundlos
regelmäßig ändern.
2. Nun ändern sich die Gesetze nicht regelmäßig ohne Grund.
3. Folglich können sich die Gesetze ohne Grund nicht ändern: Anders gesagt, die Gesetze sind
notwendig.44’
Nun, und jetzt kommen wir auf den springenden Punkt, sollte man diese erste Annahme destabilisieren. In
Anlehnung an das Werk Jean-Rene Vernes behauptet Meillassoux, dass ‘die Schlussfolgerung, die uns auf
implizite Weise von der Stabilität zu ihrer Notwendigkeit lässt, besteht in einer probabilistischen Überlegung,
probabilistisch in einem mathematischen Sinn des Begriffs45’. Dieses probabilistische Argument gestattet der
Gleichsetzung der Kontingenz mit der phänomenalen frequentiellen Veränderung. Der logische Fehler der
frequentiellen Implikation besteht ihm zufolge darin, probabilistische Überlegungen auf die Kontingenz der
Gesetze selbst anzuwenden. Dies bedeutet, dass der spekulative Philosoph stark zwischen Kontingenz und
Zufall unterscheiden müsse, weil nur der letztere den Gesetzen der Probabilität unterworfen sei. Die wichtige
Annahme, die hinter Meillassouxs Überlegung zu stehen scheint, ist, dass man nur unter der Voraussetzung der
probabilistischen Quantifizierung über mögliche Welten die kausale Notwendigkeit verstehen könnte. Diese
spiegelt sich in die folgende46 wichtige Überlegung: ‘Ich mache aus unsrem physikalischen Universum einen
Fall unter einer immensen Anzahl denkbarer (widerspruchsfreier) Universen, jedoch von unterschiedlichen
physikalischen Gesetzen bestimmt […] Ich konstruiere also in Gedanken ein „Würfel-Universum”, das mit
einem Universum der Universen gleichzusetzen ist, das insgesamt nur dem Satz vom ausgeschlossen
Widerspruch unterworfen ist’. Nur unter dieser Voraussetzung, so die Überlegung, eines Würfel-Universums
bin ich dazu verpflichtet, aus der höchsten Unwahrscheinlichkeit der Stabilität, die allerdings in unserem
Universum herrscht, auf die Existenz eines notwendigen, außerlogischen und außermathematischen (weil nicht
der Probabilität entsprechenden) Grundes zu schließen. Was daher Meillassoux zu delegitimieren versucht, ist
die Ausweitung der probabilistischen Argumentation von innerhalb unseres Universums auf unser Universum
selbst47. Unsere Frage an diesen Punkt seines Arguments betrifft besonders den Mangel eines Beweises dafür,
dass modale Begriffe, wie diejenigen der Notwendigkeit nur unter den Rahmen einer Theorie der möglichen
Welten denkbar sind, und wenn es tatsächlich so ist, wie diese Welten zu verstehen sind. Denn gerade eine
solche Theorie scheint Meillassoux vorauszusetzen, damit er zu der tatsächlichen Destabilisierung der
frequentiellen Implikation fortsetzen kann.
Nun besteht der zweite Schritt seiner Argumentation darin, die Rede über mögliche Welten (das Mögliche) mit
mengentheoretischen Überlegungen in Bezug zu bringen. Dazu ist Meillassoux ganz explizit, indem er von der
‘eigentlichen ontologischen Voraussetzung’ der frequentiellen Implikation spricht, die lautet, ‘dass das

44
Meillassoux, 2014, s. 128
45
Meillassoux, 2014, s. 129
46
Meillassoux, 2014, s. 132
47
Ebd.
Mögliche (nur) a priori im Modus einer numerischen Totalität denkbar ist 48’. Im ganz transzendentalen Sinne
spricht er hier von Bedingungen der Möglichkeit der probablistischen Überlegungen, die seiner Meinung nach
voraussetzt, dass es eine widerspruchsfreie Totalität von denkbaren möglichen Welten gibt, die die Erweiterung
der Berechnung der Häufigkeit von internen Objekten in einem Universum auf das Universum als Ganzes
erlauben würde. Anders gesagt, es ist ausschlaggebend, dass ‘das Denkbare eine Totalität der Fälle bildet,
beziehungsweise, dass es legitim ist, das Mögliche als ein Ganzes zu denken49’. Daher lautet unsere zweite
Frage an seine Vorgehensweise: wie begründet Meillassoux die Verknüpfung der Rede von möglichen Welten
mit Kardinalitätsüberlegungen über das Denkbare? Noch genauer besteht unsere Frage aus zwei Teilen: erstens,
wie rechtfertigt er die Anwendung des mengentheoretischen Denkens der Totalität auf das Denkbare? Und
zweitens, wie verbindet er die Rede von möglichen Welten mit der Mengenlehre?
Der letzte Schritt seines Arguments ergibt sich dann mittels der Berufung einer bestimmten Interpretation der
Mengenlehre, der sogenannten axiomatisierten Mengenlehre von Zermelo und Fraenkel, damit er den Anspruch
der probabilistischen Überlegungen auf Totalität unterminieren kann: ‘nun kann aber gerade eine solche
Totalisierung des Denkbaren von jetzt an nicht mehr a priori garantiert werden50’. Der Name dieser
Enttotalisierung ist nach Meillassoux das Transfinite und Cantor. Meillassoux beabsichtigt also durch die
Verwendung der mathematischen Theorie der Mengenlehre auf eine strenge Unterscheidung von Kontingenz
und Zufall zu gelangen, die als Auflösung des humeschen Problems der Kausalität dienen würde. Bevor wir uns
zu seiner Berufung der Mengenlehre zuwenden, lohnt es sich ganz explizit über die Motivation hinter der Rede
der Enttotalisierung zu sein. Von Bedeutung ist hier die Unterscheidung zwischen Potentialität (potentiality)
und Virtualität (virtuality). Ohne aber auf die Details einzugehen, die Meillassouxs Beziehung zu G. Deleuze
implizieren, können wir diese Unterscheidung folgendermaßen darstellen: Angenommen also, dass eine
Totalität der denkbaren Möglichkeiten existiere und die Naturgesetze nicht faktisch (d.h nicht kontingent)
vorzustellen wären. Das würde nur eine Potentialität bedeuten, d. h keine tatsächliche, radikale Kontingenz,
weil es wiederum ein Gesetz gäbe, das über eine gegebene, abgeschlossene Menge an Möglichkeiten herrschen
würde, die nur als noch nicht Aktualisierte zu denken wäre. Diese Tatsache nennt Meillassoux eine ‘caged
freedom51’. Hingegen bedeutet Virtualität ‘the property of every set of cases of emerging within a becoming,
which is not dominated by a preconstituted totality of possibilities52’. Dies ist die radikale Bedeutung einer
Kontingenz, die als Hyperchaos aufgefasst wird, die ‘the capacity to bring forth new laws which were not
potentially contained in some fixed set of possibilities53’ hat.
Nun hat Meillassouxs Argument für die Enttotalisierung drei Momente, die auf ein klassisches Verständnis der
Mengentheorie beruft. Im ersten Moment gibt er eine Version von Cantors Theorem an, das ihm zufolge ‘eine

48
Meillassoux, 2014, s. 137
49
Ebd., s. 139 (unsere Betonung)
50
Ebd., s. 140
51
Meillassoux, 2006,
52
Ebd.,
53
Ebd.
unabschließbare Vervielfältigung der unendlichen Quantitäten zur Folge hat 54’. Cantors Theorem, groben
gesagt, lautet, dass es für jede beliebige Menge eine der Anzahl nach größere Menge existiert. Im zweiten
Moment beschreibt er eine Version des Paradoxes Cantors: ‘aber gerade diese Folge (der Menge der transfiniten
Kardinalzahlen) kann nicht totalisiert werden, d. h in einer allerletzten «Quantität» zusammengefasst werden.
Man begreift in der Tat, dass eine solche quantitative Totalisierung, wenn sie existierte, ihre eigene
Überschreitung gemäß der Neugruppierung in Teilmengen erlauben müsste. Die Menge G (das Ganze) aller
Quantitäten könnte nicht die Quantität «beinhalten», die man ausgehend von den Teilen der Menge G erhält55’.
Im dritten Moment dann beruft er auf die axiomatisierte Version der Mengenlehre, die besonders durch die
Arbeiten von Zermelo und Fraenkel etabliert war. ‘Diese «Quantität aller Quantitäten» ist folglich nicht als «zu
groß» gesetzt, um vom Denken erfasst zu werden: Sie ist ganz einfach als inexistent gesetzt56’. Dass das
Quantifizierbare bzw. das Denkbare kein Ganzes bildet, basiert, wie Meillassoux schnell bemerkt, ‘auf das
Imperative der Konsistenz57’. Diese wichtige Annahme, die jedenfalls die axiomatisierte Mengentheorie
charakterisiert, erläutert er nicht, denn er sie vorauszusetzen scheint, indem er sie vielleicht als bewiesen durch
seine erste Figur der Unmöglichkeit des Widerspruchs hält. Aus diesen drei Momente schließt er am Ende
folgendes: ‘ Das (quantifizierbare) Ganze des Denkbaren ist undenkbar58’.
Zu diesen Überlegungen können wir vorläufig folgendes anmerken. Bei dieser Darstellung handelt es
keineswegs um einen Beweis, denn einerseits gibt Meillassoux keinen Grund warum diese Ergebnisse auf das
Universum aller möglichen Universen anwendbar sein müssten. Zweitens qualifiziert er sofort seine
Argumentation, indem er schreibt: ‘Dementsprechend wollen wir nicht sagen, dass das Mögliche niemals
totalisierbar ist, obwohl es sich so im Standard Axiom der Mengenlehre verhält. Denn können wir nicht a priori
negieren, dass es ebenfalls dankbar ist, dass das Denkbare eine Totalität sei59’. Demzufolge erkennt Meillassoux
scheinbar die Möglichkeit verschiedener Interpretationen der Mengenlehre und daher die Tatsache, dass
unmöglich ist, ‘a priori die Möglichkeit einer Wahl einer Axiomatik zu verbieten, in der die mögliche Welten
eine bestimmte und letzte numerische Totalität bilden würde60’. Der einzige Beweis, den seine bevorzugte
Axiomatik liefert, ist diejenige einer Ungewissheit über das GanzSein des Möglichen. Allein dieses Verständnis
sollte unserer Meinung nach Meillassoux dazu führen, die Frage zu stellen, welche ist die eigentliche
Nützlichkeit der Mengenlehre hinsichtlich der Frage der Kontingenz und daher des Realismus, wie er ihn
versteht. Auf jeden Fall ergibt sich die metatheoretische Frage nach den Kriterien der Wahl zwischen den
verschiedenen Axiomatiken. Diese Frage, worauf wir zurückkommen werden, stellt aber ihm Meillassoux
niemals. Ganz im Gegenteil sagt er explizit: ‘diese Ungewissheit und sie allein ermöglicht uns dadurch eine
entscheidende Kritik des necessitären Schlusses, dass sie eines ihrer grundlegender Postulate zerstört61’. Daraus

54
Meillassoux, 2014., s. 140
55
Ebd., s. 141
56
Ebd. (unsere Betonung)
57
Ebd.
58
Ebd.
59
Ebd., 142
60
Ebd.
61
Ebd.
schließt er auffällig: ‘eine solche Unkenntnis reicht also aus, um die Illegitimität zu beweisen, die in der
Ausweitung der aleatorischen Argumentation über die in der Erfahrung liegende Totalität hinaus besteht 62.
Damit scheint er als selbstverständlich anzuerkennen, dass der Beweis für die Notwendigkeit der Gesetze
verlangt, dass die Totalisierung des Möglichen a priori garantiert werden muss. A priori hier wird scheinbar im
Sinne von Unbestreitbarkeit verstanden, was zumindest implausibel ist, denn Apriorizität schließt jedenfalls
nicht die Existenz verschiedener Meinungen aus. Warum sollte auch nicht diese Verschiedenheit auch als Beleg
gegen seine Position angenommen werden, indem zumindest eine Axiomatik gibt, die die Totalität bejaht und
dementsprechend die Möglichkeit radikaler Kontingenz ausschließt?
Genau an diese Stelle scheint Meillassoux einigen Interpretern zufolge63 mehr Kantianer als Kant selbst zu sein,
indem er die Anwendung der aleatorischen Anspruch auf die Gegenstände der Erfahrung begrenzt und Kant
deswegen vorwürft, weil er diese Ausweitung der probabilistischen Überlegungen außerhalb der Grenze der
Erfahrung zu gestattet hat. Wie er schreibt: ‘Die einzigen Totalitäten, über die wir verfügen und die eine solche
aleatorische Überlegung legitimieren, müssen uns also innerhalb unseres Universums gegeben werden64’. An
diese Stelle lassen sich die Widersprüche in Meillassouxs Denken unsrer Meinung nach ganz klar ableiten. Wir
behaupten nämlich, wie auch weiter ausführlich zu beweisen sei, dass Meillassouxs Interpretation der
Mengenlehre auf eine gewisse Finitismus (Kantianismus) hinweist, der im Gegensatz zu seinem Versuch, uns
einen Weg nach der Endlichkeit zu verschaffen, verstößt. Diesen Gegensatz werden wir durch unsere
Darstellung der Paradoxien der Mengenlehre und ihre Konsequenzen zu zeigen versuchen.

2. Cantor und die mengentheoretischen Paradoxien der Totalität


In diesem Teil unsres Aufsatzes geht es um die Mengenlehre und die auf ihre Grundlage basierende Paradoxien
der Totalität. Besonders werden wir uns zuerst mit den Grundbegriffen und der Methodik der Theorie befassen.
Darauf konzentrieren wir uns auf die Struktur der Paradoxien und spezifisch auf Cantors Paradox, denn
Meillassoux eine Version davon auch verwendet. Abschließend unterscheiden wir zwischen zwei Strategien
den Paradoxien zu entgehen: diejenige der axiomatisierten Mengenlehre, die weitgehend als ZF(Zermelo-
Fraenkel) bekannt ist und diejenige Cantors, die auf eine negative Theologie hinausläuft. Ziel dieses Teils ist
also die Erwähnungen Meillassouxs in Bezug auf den eigentlichen Verlauf der Mengenlehre und dessen
Konsequenzen zu bringen und darauf basierend die Ergebnisse in dem letzten Teil unseres Aufsatzes auf
Meillassouxs Argument anzuwenden. Die Darstellung, die hier versucht wird, erfolgt sich jedenfalls auf einer
nicht-technischen Weise und beansprucht nicht die Komplexität der Theorie zu erschöpfen. Allerdings liegt
unser Versuch der Annahme zugrunde, dass es eine gewisse, privilegierte, wenn man sagen darf, Beziehung der
Philosophie mit der Mathematik gibt, deren Erklärung eine anhaltende Forderung an die Philosophie darstellt.

62
Ebd. (unsre Betonung)
63
Hier denken wir besonders an Ray Brassier und Graham Harman
64
Ebd., 143
Wenden wir uns zunächst einmal zu Cantor und den Grundbegriffen seiner Theorie. Den Begriff der Menge hat
Cantor einmal bekanntlich folgenderweise65 eingeführt: ‘Unter einer „Menge” verstehen wir jede
Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unsrer Anschauung oder unseres
Denkens (welche die „Elemente“ von M genannt werden) zu einem Ganzen’. Dieser Definition wird oft
Zirkularität vorgeworfen, in dem eine Menge durch Begriffe wie ‘Zusammenfassung’ oder ‘Ganzen’ erläutert
wird. Deswegen hat die axiomatisierte Mengentheorie diesen elementaren Begriff indirekt durch Axiome zu
erklären versucht. Allerdings lässt sich Cantors Bestimmung der Menge auf zwei Merkmale seines
Mengenverständnisses schließen: Iterativität und Extensionalität. Mit Iterativität wird ein Stufenmodell von
Mengen eingeführt, das die eigentliche Bildung der Letzteren erlaubt. Zum einen wird dadurch gefordert, dass
jede Menge als notwendige Bedingung die Existenz distinkter Gegenstände hat. Auf der zweiten Stufe werden
die Gegenstände zu einer Menge zusammengebracht, die nach Cantor als ein zusätzliches Ding konzipiert wird.
Dazu spricht er vom ‘Zusammengefaßt werden zu einem Ding66’. Zusätzlich zu Mengen werden auch
Allmengen (Menge aller Gegenstände einer Sorte) als auch Teilmenge der Ausgangsmengen anerkannt, die
jeweils auch als zusätzliche, abstrakte Gegenstände verstanden wird. Dieses Mengenverständnis, wenn auch es
die Mengen eigentlich als primitiv und unerklärlich zu erkennen gezwungen ist, beansprucht jedenfalls sowohl
Einheit und Vielheit zu kombinieren, was Cantor erlaubt hat zu glauben, dass er etwas dem platonischen eidos
or idea ähnlich entdeckt hat67. Mit Extensionalität anderseits wird gemeint, dass was eine Menge zu einer
solchen ausmacht, nur die Elemente selbst sind und nicht die Art und Weise(Intension), wie diese Elemente
beschrieben sind. Diesem Verständnis der Menge gegenüber stellt sich Freges und Russells Konzeption68 von
Mengen, die die Einheit der Menge nur unter Rekurs auf intensionale, d.h begriffliche Elemente (z.B ein
Prädikat, unter der die ursprünglichen Elemente fallen) zu erklären vermag.
Cantors Definition der Menge hat ihm dazu gebracht, den Begriff der Kardinalität einzuführen. Kardinalität
wird hier im Sinne von der Größe einer Menge, bezüglich der Anzahl ihrer Elemente verstanden. Was vielleicht
aber als der allentscheidender Beitrag Cantors in die Mathematik ausmacht und der Anlass zur Entwicklung der
Mengenlehre gegeben hat, ist die Begründung des Bereichs der Transfiniten, d. h der Tatsache, dass die
Mathematik sinnvoll nicht nur von potentiell unendlichen, aber tatsächlich endlichen Größen (so die natürlichen
Zahlen vor Cantor) sprechen kann, aber auch über aktual Unendlichen. Dazu hat die Einführung der sogenannten
Ordinalzahlen eine wichtige Rolle gespielt, die das erste Beispiel ein aktuell Unendliche ausmacht. Kurzgefasst
sind die Ordinalzahlen als die Teile der folgenden Reihe69 definiert:
0,1, 2,… a, a+1, a+2,…, (a*2), (a*2)+1,…, (a*3), …, (a*4), …., a^2,…

65
G. Cantor, Beiträge zur Begründing der transfiniten Mengenlehre, §1, GA 282(unsre Betonung). Nach Hallett (1984,
p.33-34) definiert Cantor viermal den Begriff der Menge ([1882], [1883], [1895], [1899]). Eine davon ist findet sich auch
in seinem berühmten Brief an Dedekind und setzt den Begriff der Menge mit demjenigen einer konsistenten Vielheit gleich,
worauf wir später zurückkommen.
66
G. Cantor, Brief an Dedekind, 28 Juli 1899, GA 443
67
Siehe Hallett, 1984, p. 33
68
Hallett, 1984, p. 37
69
Dazu ausführlich: Hallett, 1984, p.49-69
Übersichtlich lassen sich die Ordinalzahlen durch zwei allgemeine Prinzipien erzeugen 70:
(1) if α is an ordinal number (whether finite or transfinite) then there is a new
ordinal number a + 1 which is the immediate successor of a;
(2) given any unending sequence of increasing ordinal numbers there is a new
ordinal number following them all as their 'limit' (that is to say, no ordinal
number smaller than this limit can be strictly greater than all ordinals in the
given sequence).
Diese zwei grundlegenden Prinzipien, die die Konstruktion der Ordinalzahlen erlauben, stehen im Mittelpunkt
von Cantors Lehre und werden ausschlaggebend sein, wenn wir uns zu mathematischen Auflösung der
Paradoxien und ihren ungewünschten philosophischen Konsequenzen zuwenden. Außerdem wird uns die
Verallgemeinerung des zweiten Prinzips im dritten Teil ermöglichen, auf der unsren Meinung nach
Hauptwiderspruch in Meillassouxs Argument hinzuweisen.
Jetzt aber zu den zwei Prinzipien. Das Erste bedingt die Bildung einer nicht abgeschlossenen Reihe von
Ordinalzahlen, die als ein nur potentiell Unendliche gefasst werden kann und seinerseits immerhin im Rahmen
der traditionellen Konzeption der Unendlichkeit als Potentialität bewegt. Mit dem zweiten Prinzip erfolgt sich
allerdings die Vollendung der potentiellen Reihe und daher der Gewinn eines aktuell Unendlichen. Dieses
Prinzip bedingt nach Cantor unsere Möglichkeit, sinnvolle Aussage über ‘unendliche’ Bereichen zu treffen, und
zwar nicht nur über ihre einzelnen Elemente, aber auch über den Bereich als abgeschlossene Ganze. Auf der
Basis dieses Prinzips etabliert Cantor die Möglichkeit des Vergleichs zwischen Unendlichen Mengen in Bezug
auf ihre Kardinalität. Vor allem war es im Rahmen seines Versuchs die strukturellen Unterschiede zwischen
reellen und natürlichen Zahlen zu erläutern, dass Cantor das wichtige Diagonalverfahren71. Dieses Verfahren
ist dasjenige, das ihm erlaubt hat, den sogenannten Cantors Satz oder Cantors Theorem zu begründen, worauf
Meillassoux auch als erste Annahme seines Arguments für die Enttotalisierung des Möglichen beruft.
Wenden wir uns jetzt kurz zur Grundgestalt dieses Verfahrens, denn mithilfe dessen sowohl die Paradoxien der
Totalität als auch ihre Überwindung in der axiomatisierten Mengentheorie bewiesen werden könnten.
Zuallererst nimmt man an, dass zwei Menge (endliche oder unendliche) dieselben Elemente enthalten, indem
jedem Element einer Menge ein Element der anderen entspricht und umgekehrt. Anders gesagt sind zwei Menge
gleich groß, wenn es eine Eins-zu-eine Abbildung der Elemente der einen auf den Elementen der anderen gibt.
Wenn diese eindeutige Zuordnung nicht gelingt, dann weiß man von einem Unterschied zwischen der Anzahl
der Elemente der beschriebenen Menge. Das Diagonalverfahren dient nämlich dazu, die Unmöglichkeit der
eindeutigen Abbildung zu beweisen, indem es die erste Annahme ad absurdum durch die Konstruktion eines
Gegenbeispiels führt. Das Diagonalverfahren enthält also zwei Momente: das Erste betrifft eine Annahme über
die Existenz einer bestimmten Totalität der Elemente eines Systems (z.B der Menge der natürlichen Zahlen).
Zweitens operiert das Verfahren auf diese Totalität als Ganzes um ein neues Objekt hervorzubringen, dass a)

70
Siehe Hallett, 1984, p. 49 und Priest, 1995, p. 138
71
Dieses Diagonalverfahren nennt Cantor zweites Diagonalverfahren im Unterschied zum dem ersten Diagonalverfahren,
das zum Größenvergleich zwischen der Menge der rationalen Zahlen und der Menge der natürlichen Zahlen gedient hat.
formell wegen seiner Eigenschaften als Mitglied der fraglichen Totalität, aber b) nachweislich, d.h tatsächlich
keinem Element dieser Totalität gleich betrachtet werden kann.
Wie gesagt hat dieses Verfahren Cantor erlaubt zu beweisen, dass die Menge der reellen Zahlen größer ist als
die Menge der natürlichen Zahlen. Dieses Resultat seinerseits hat er zu einer allgemeinen These
verallgemeinert: ‘dass jeder gegebenen Mannigfaltigkeit L eine andere M an die Seite gestellt werden kann,
welche von stärker Mächtigkeit ist als K72’. Dieser Satz, Cantors Satz, entspricht dem Inhalt des erwähnten
zweiten Prinzips. Der Beweis dafür ist durch den Beweis des Potenzmengesatzes gewonnen: Die Potenzmenge
einer Menge ist immer größer als die Ausgangsmenge selbst. Unter Potenzmenge versteht Cantor die Menge
aller Teilmengen der Ausgangsmenge. Der Potenzmengesatz weist auf nicht anders hin als die intuitive
Tatsache, dass eine jegliche Menge mehr Teilmenge hat als ihre eigenen Elemente. Für diesen Beweis gebraucht
er wieder das Diagonalverfahren, indem er ein Objekt konstruiert, in diesem Fall die Menge aller Elemente der
Ausgangsmenge, die keiner Teilmenge entsprechen bzw. in der ihnen zugeordneten Teilmenge nicht erhalten
sind. Dieses Objekt sollte unter der Annahme der Existenz einer Eins-zu-eine Abbildung der Elemente der
Ausgangsmenge mitdenjenigen der Potenzmenge in beiden Mengen zu finden sein bzw. ihm ein Element auf
der Ausgangsmenge eindeutig zugeschrieben werden könnte. Es ergibt sich aber, dass dieses Element in das
konstruierte Objekt enthalten wäre, wenn es nicht zu ihm enthalten wäre und umgekehrt. Daher kann das so
konstruierte Objekt keinem Element der Ausgangsmenge zugeordnet werden und keine eindeutige Abbildung
geben. Daraus folgt, dass die Potenzmenge mehr Elemente als die Ausgangsmenge enthält. Der
Potenzmengesatz ist aber eine bestimmte Version des Cantors Satzes, das genau lautet: für jede Menge gibt es
(existiert) immer der Anzahl nach größere Menge. Damit sehen wir also, dass dieser Satz, den auch Meillassouxs
erste Annahme voraussetzt, den Kernpunkt der Mengenlehre ausmacht, der uns eine aktuelle und nicht nur
potentielle Unendlichkeit verschafft.
Mit diesen wenigen Grundlagen betrachten wir jetzt das einfachste mengentheoretische Paradox, das Paradox
Cantors. Aus der Grundgestalt dieses Paradoxes lassen sich verschiedene Paradoxien ergeben, die bekanntlich
der Rolle der Mengenlehre als Fundament der Mathematik untergraben und sie in die sogenannte
Grundlagekrise geführt haben. Darauf hat die Axiomatisierung reagiert und zumindest für die Mathematik die
Krise überwunden. Mit den Grundannahmen der mengentheoretischen Axiomatik befassen wir uns im nächsten
Paragraphen. Wie es sich zeigen wird, bleiben immerhin aber philosophische Aporien bezüglich der Lösung der
Mathematik, die auf schwerwiegende Widersprüche im mengentheoretischen Denken aber auch darüber hinaus
verweist.
Das sogenannte Cantors Paradox wurde von ihm in einem Brief an Dedekind formuliert, aber niemals offiziell
publiziert. Sein Ausgangspunkt ist der Begriff einer Menge aller Menge. Im Mittelpunkt dieser Paradoxie steht
das berühmte Paradox Russells, das von der Menge aller Menge, die sich nicht selbst enthalten, ausgeht.
Formulieren aber wir zuerst das Paradox:

72
G. Cantor, Über eine elementare Frage der Mannigfaktigkeitslehre, GA 279
Cantors Paradox
I. Die Menge aller Mengen enthält alle Mengen.
II. Die Menge aller Mengen enthält nicht alle Mengen.
Der Begriff also einer Menge aller Mengen ist inkonsistent, d. h widersprüchlich, denn ihm beide Sätze
zugeschrieben werden können. Der erste Satz ist einfach die Definition einer Menge aller Menge, wobei der
zweite Satz unmittelbar aus Cantors Satz folgt, der besagt, wie wir gesehen haben, dass die Potenzmenge stets
mehr Elemente als ihre Ausgangsmenge enthält. Das Diagonalverfahren spielt natürlicherweise hier die
entscheidende Rolle. Es lässt sich nämlich ein Objekt konstruieren, das zugleich in der fraglichen Menge
enthalten und nicht enthalten ist. Dieses Objekt ist die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht enthalten. Es
ergibt sich also, dass die Menge aller Menge zugleich die problematische Menge enthalten und nicht enthalten
kann. Im Ausgang von Arbeiten Priests behaupten wir, dass dieses Paradox einem Grenze-Paradox (limit
paradox) entspricht, das durch das von Priest formalisierte In-closure Schema beschrieben werden kann. Priest
zufolge kann man eine solche Grenze-Paradoxie formulieren, immer, wenn zwei Verfahren möglich sind. Das
Erste beschreibt er als Closure (Abschluss). Es legt nämlich die Bedingungen der Zugehörigkeit eines
Elementes zu einer Totalität fest und zieht dadurch derer Grenze. Das zweite Verfahren verleiht er den Namen
transcedence(Transzendenz), dessen paradigmatischer Fall das Diagonalverfahren ist. Dementsprechend
operiert dieses auf eine beliebige Totalität und dadurch erzeugt ein außerhalb dieser Totalität bestehendes
Element. Inkonsistenz wird denn dann vorkommen, wenn diese Verfahren zusammen angenommen sind.
Am Anfang unserer Darstellung der Paradoxie Cantors haben wir behauptet, dass der Kernpunkt dieser das
sogenannte Russells Paradox ist, das sich mit der Menge aller Mengen, die sich selbst nicht enthalten, befasst.
Diese Menge ist nämlich diejenige, die beim Cantor zur Paradoxie führt. Diese Menge, nennen wir sie R, ist
aber auch selbst inkonsistent. Wenn wir denn das selbe Verfahren für die Menge R führten, ergäbe sich, dass
diese Menge zugleich sich selbst enthielte und nicht enthielte. Bei diesem Fall also lässt sich ganz klar
einleuchten, warum die Kombination von closure und transcedence im Sinne Priests zum Widerspruch führt.
Denn dieses Paradox ergibt sich aus der Anwendung der Selbst-Referenz der betreffenden Menge. Auffällig
lässt sich bekanntlich dieses Merkmal der Selbstbezüglichkeit auch außerhalb des mengentheoretischen
Diskurses finden (z. B Lügers Paradox). Laut Russel:
‘In all the above contradictions there is a common characteristic, which we may describe as self-reference or
reflexiveness. The remark of Epimenides must include itself in its own scope… In each contradiction something
is said about all cases of some kind, and from what is said a new case seems to be generated, which both is and is
not of the same kind as the cases of which all were concerned in what was said 73’
Die mathematische Mengentheorie kann diesen widersprüchlichen Mengen nicht zulassen. Denn für sie gilt es
auch das Prinzip ex falso quodlibet, das jeder Versuch auf der Basis der Mengentheorie Wissenschaft zu
betreiben gerade unterminiert. Deswegen sollte die Mathematik gegen diesen Widerspruch einwenden und sie
aufzulösen vermögen. Bevor wir uns den tatsächlichen Umgang der axiomatisierten Mengentheorie mit den

73
Bertrand Russell, Mathematical Logic as based on the theory of Types. In Logic and Knowledge: Essays 1901-1950,
(ed.) Robert Charles Marsh, London Allen and Unwin, 1956, p. 61
Paradoxien und dessen Konsequenzen betrachten, sollten wir ganz klar im Sinne behalten, wogegen sich diese
wendet. Mit anderen Worten, was erlaubt in erster Linie den fraglichen Mengen überhaupt zu existieren, damit
dann die Kombination der zwei Verfahren des closure und transcendence zum Widerspruch führt?
Wie wir bei dem entsprechenden Paradox gesehen haben lautet die Antwort: der Satz Cantors. der aber der
wirkliche Gehalt des zweiten Konstruktionsprinzip Cantors ist. Dieses Prinzip fassen wir nach Hallett74 als
Bereichsprinzip (domain principle) zusammen. Cantor begründet sein Prinzip folgendermaßen75:
‘There is no doubt that we cannot do without variable quantities in the sense of the potential infinite; and from
this can be demonstrated the necessity of the actua1-infinite. In order for there to be a variable quantity in some
mathematical study, the 'domain' of its variability must strictly speaking be known beforehand through definition.
However, this domain cannot itself be something variable, since otherwise each fixed support for the study would
collapse. Thus, this 'domain' is a definite, actually infinite series of values. Thus, each potential infinite, if it is
rigorously applicable mathematically, presupposes an actual infinite’.
Damit beschreibt er die Bedingungen, die gelten müssen, immer, wenn man mathematische Aussagen, die eine
Variable enthalten, sinnvoll verwenden soll. Der Gedanke scheint nämlich zu sein, dass nur dann variable
Ausdrücke eine bestimmte Bedeutung haben, wenn der Quantor, der die Variable bindet, über eine bereits
etablierte, abgeschlossene Totalität von Elementen bewegt. Dieser Gedanke ist universal, d. h er soll auf alle
formalsprachlicher Aussage mit Variablen anwendbar sein76.
Wenn aber unsere Darstellung tatsächlich zutrifft, dann ähnelt sich genau dieses Prinzip einer ‘natürlichen’,
aber auch philosophisch intuitiven Einstellung der Bildung nicht nur von Mengen, aber auch von Begriffen.
Denn scheint es zumindest intuitiv der Fall zu sein, dass jeder Begriff bzw. eine Eigenschaft eine Extension
haben, die wiederum als Menge beschrieben werden kann. Diese Menge enthält alle Gegenstände, die die
betreffenden Eigenschaften besitzen bzw. auf die der Begriff zutrifft. Daraus ergibt sich, dass die Bildung jedes
Begriffs zugleich die Bildung einer Menge impliziert, die ihm entspricht. Nennen wir dieses Prinzip, wie etwa
Frege77, ‘das Prinzip der unbeschränkten Komprehension’, das anscheinend zur Folge hat, dass unbeschränkt
viele Mengen gebildet werden können. Aus diesem Prinzip kann man jedenfalls den Begriff einer Menge, die
sich selbst nicht enthält, bilden, und dann ist man auch rechtfertigt, die Menge aller Menge, die sich selbst nicht
enthalten zu bilden und dadurch auf das Paradox Russells zu gelangen.
Lassen wir uns jetzt aber zu der mathematischen Auflösung der Paradoxien zu wenden und ihren Umgang mit
diesem Prinzip näher betrachten. Die Paradoxien ergeben sich, wie mehrmals erwähnt, wenn wir bestimmte
Totalitäten anerkennen, auf die die Anwendung der Selbst-Referenz Inkonsistenz mit sich führt. Es scheint also,
dass wir Prinzipien aufstellen sollten, die die Konstitution derjenigen Totalitäten oder sogar ihre Existenz
grundsätzlich verbieten. Genau gesagt verlangen die Paradoxien den Verzicht auf das Prinzip der
unbeschränkten Komprehension und daher die Anerkennung bestimmter Begriffen, die nicht als Menge gefasst

74
Hallett, 1984, p. 7
75
Ebd., p. 25
76
Siehe auch G. Kreis, 2015, 387
77
Frege nennt das Prinzip Basic Law V, das bekanntlich durch Russells Paradox zugrunde gegangen ist und Freges System
unterminiert hat.
werden können. Weil es bei den fraglichen Mengen um Allmengen handelt, die scheinbar so viele Element, wie
es insgesamt Mengen gibt, haben, müsste man ein Verbot zur Größenbegrenzung aufstellen, die genau diese zu
große Menge unterminierte. Dieses Verbot, das sich auch in semantische und andere formale Paradoxien finden
lässt, hat eine regulative Funktion und dient zur Untergrabung genau der Selbstzugehörigkeit der fraglichen
Mengen.
Die axiomatisierte Mengenlehre enthält unter anderem zwei wichtige Prinzipien, die genau diese Rolle spielen.
Einerseits das Axiom der Foundation78 besagt, dass jede existierende Menge zu fundamentalen, einfacheren
Elementen zerlegt werden muss, die ihrerseits nicht weiter zerlegt werden können. Dadurch ist die
Selbstreferenz indirekt gewissermaßen verboten. Noch wichtiger ist aber das sogenannte Aussonderungsaxiom
(Axiom of Seperation) bzw. das Prinzip der beschränkten Komprehension. Ihm zufolge hat nicht jeder Begriff,
den wir denken können, notwendigerweise eine Extension und daher eine Menge, auf die er zutrifft, aber nur
unter dem Umstand, dass die Elemente, die unter ihm fallen, bereits bei einer schon existierten Menge gegeben
sein müssen. Die wichtige Pointe dabei ist die Relativierung der Bildung neuer Mengen zu bereits Vorliegenden.
Dieses Verfahren der Relativierung nennt Priest Parametrisation. Auf dieser Weise ist die Konstruktion der
Menge aller Menge und ähnlicher Allmengen scheinbar ausgeschlossen, weil sie nicht durch Aussonderung aus
einer bereits gegebenen Menge ergeben können, soweit sie nicht bereits existierten.
An diese Stelle wäre es sinnvoll, an die ursprüngliche Formulierung einer Menge von Cantor erinnern, die wir
schon am Anfang dieses Teils gesehen haben. Diese Formulierung verweis auf ein iteratives
Mengenverständnis, ihm zufolge sich jede Mengenbildung in zwei Stufen vollzieht. Auf der ersten Stufe
bestehen bereits schon die Gegenstände und auf der zweiten werden sie zu einem neuen Objekt
zusammengefasst. Dieses Stufenmodell schließt die fraglichen Mengen bereits auf der ersten Stufe aus, denn es
ist scheinbar unmöglich, alle die Gegenstände, der z. B die Menge aller Mengen benötigt, auf dieser Stufe
zuzulassen, damit dann diese zu einer Allmenge gebracht werden können. Die unmittelbare Konsequenz der
Iterativität ist die Bildung einer Hierarchie im Mengenuniversum, die das problematische Merkmal der
Selbstreferenz der fraglichen Mengen nicht zulässt. Das Universum der Mengen lässt sich inhärent in
hierarchische Serien von Schichten aufteilen, die vorschreiben, dass jede Menge durch bereits gegebenen
Elemente konstruiert wird und sich selbst nicht zu denjenigen Elementen gehören kann mittels deren sie gebildet
wird. Dieses Modell der Hierarchie, um unsere Analogie weiterzubringen, ähnelt der sogenannten theory of
types Russells, die das Scheitern der fregeschen Mengentheorie zu überwinden versuchte. Die Axiome der
foundation und der seperation entwickeln den Gehalt der Iterativität indirekt, ohne die fragliche Menge explizit
zu verbieten. Nach der ZF Mengenlehre können letzten Endes nur diejenigen Sammlungen von Gegenständen
als Mengen betrachtet werden, die wohl begründet sind (well-founded). Auf der Grundlage dieser Annahmen
ist daher die Bildung der fraglichen Mengen unmöglich, denn die Annahme ihrer Existenz zu Paradoxien führt.
Folglich existieren diese für die Mengentheorie nicht.

78
Wie Livingston bemerkt gab es dieses zweite Axiom nicht im System Zermelos (1908), aber es wird später von Fraenkel
eingeführt.
Nun ist aber diese herrschende mathematische Auflösung alles andere als philosophisch gut begründet. Auf der
einen Seite scheinen die Paradoxien überwunden zu sein und damit das Prinzip vom auszuschließenden
Widerspruch rechtfertigt zu haben. Die Hypothese aber der Größenbegrenzung (limitation of size), die all diese
ermöglicht hat, kommt nicht ohne Kosten. Denn verstößt besonders das Aussonderungsaxiom gegen das
Bereichsprinzip. Das erste verbietet nämlich die Existenz der Menge aller Mengen, die offensichtlich durch
Cantors Theorem und seine Umformulierung als Bereichsprinzip gestattet ist. Damit ist also der heikle Fall
eingetreten, dass die axiomatisierte Mengentheorie, wenn sie widerspruchsfrei bleiben möchte, die Nicht-
Existenz eines Bereichs fordert, den sie aber voraussetzt, wenn sie beansprucht, auf ihren eigenen
Gegenstandsbereich, nämlich das Universum aller Mengen, zu sprechen79. Damit kommt sie zu einem
schwerwiegenden Ausdrucksdefizit, denn sie nicht sinnvolle universale Aussage über ihr Gebiet formulieren
kann. Es folgt denn aus der Definition der Mengentheorie, dass sie über alle Mengen Aussagen treffen und
Eigenschaften spezifizieren kann. Es ist jedenfalls selbstverständlich, dass die Potenzmengensatz oder der vom
Cantor bewiesene Vergleichbarkeitssatz zwischen der Kardinalität zwei Mengen über uneingeschränkt alle
Mengen, die formuliert werden können, gelten sollen. Außerdem würden die Elementare logische Gesetze, wie
der Satz vom Widerspruch, nicht einen universalen Gültigkeitsanspruch besitzen, denn es gäbe Sätze, wie
diejenigen, die aus der Menge aller Mengen abgeleitet werden können, die ihm nicht erfüllen.
Es scheint also, dass die axiomatisierte Mengentheorie zu einem Teufelskreis prinzipiell geraten ist. Auf eine
solche inhärente Schwierigkeit, die mit jeder Begrenzungsmotivation einhergeht, hat auch Russell verweist,
obwohl er selbst die theory of types entwickelt hat, die auf eine ähnliche axiomatische Blockierung der Existenz
der fraglichen Mengen basiert. Besonders vor der Entwicklung seiner Theorie hat Russell versucht80, durch ein
ähnliches Aussinderungsaxiom predicative von non-predicative (solche, die keine Menge determinieren
können) Begriffe zu unterscheiden: ‘This lead us to the rule: ‘Whatever involves all of a collection must not be
one of the collection‘; or conversely: ‘If, provided a certain collection had a total, it would have members only
definable in terms of that total, then the said collection has no total‘ . Wie aber er selbst bemerkt, wäre ein
solches Prinzip kaum formulierbar ohne Widerspruch. Das Problem bestünde nämlich darin, dass dieses Prinzip
auf widersprüchliche Totalität referierte, die zugleich als unreferierbar durch das Prinzp selbst verstanden sind.
Dies Paradox ist aber nicht genau der Fall bei der Axiomatisierung, die Russell und Zermelo-Fraenkel eingeführt
haben, weil es keine explizite Erwähnung der fraglichen Mengen gibt, die nur indirekt durch Axiome
ausgeschlossen sind. Allerdings verschiebt sich das Problem wie Hallett bemerkt hat in der Motivation dieser
Theorien, indem ihre Ausführung ihrer Motivation widerspricht81. Die Lösung der parametrisation ist jedenfalls
akzeptabel, aber sie impliziert zugleich, dass unsere Sprache (in diesem Fall die Mengentheorie) wesentlich
unvollständig und unzureichend ist, alle die Phänomene, auf die sie zutreffen sollte, zu erfassen. Daraus können
wir in Anlehnung an P. Livingston auf eine metatheoretische Folgerung schließen, dass besagt, dass ein System
nicht erfolgreich Konsistenz mit Totalität (oder Vollständigkeit) kombinieren kann und daher in einer der beiden

79
Siehe ausführlich die Begründung von Kreis, s.387
80
Russell, 1908, p. 63
81
Das erinnert in etwa an das, was Markus Gabriel in Transcedental Ontology als “dialectical contradiction“ genannt hat.
Seiten unvollständig bleiben muss. Die axiomatisierte Mengentheorie entscheidet sich nämlich für Konsistenz
(siehe well-foundness der Mengen) und Intotalität. Auch wenn Konsistenz und Totalität in einer Ebene der
Hierarchie bestünden, dann würde das nur die Frage auf einer unendlichen Reihe von Metaebenen verschieben.
Bevor wir uns zum dritten Teil unseres Aufsatzes mithilfe dieser Bemerkungen Meillassouxs Argument näher
betrachten, ist es vom Bedeutung, uns zu Cantors eigene Einstellung zu den Paradoxien hinzuwenden, die sich
in zumindest einer wesentlichen Pointe von der axiomatisierten Mengentheorie trennt. Wir werden uns diese
Pointe seiner Gleichung und Abweichung mittels zwei bekannten Abschnitten seines Werkes einzuleuchten
versuchen.
Die Pointe seiner Gleichung mit der axiomatisierten Mengentheorie ist die Anerkennung der Inexistenz der
unendlich großen Mengen für die Mathematik. In seinem Briefwechsel mit Dedekind unterscheidet er zwischen
konsistenten und inkonsistenten Vielheiten, eine Unterscheidung, die er wahrscheinlich in Hinblick auf seine
inoffizielle Anerkennung der Paradoxien getroffen habe. Es lohnt sich das ganze Abschnitt82 anzuführen:
Es hat sich mir die Notwendigkeit herausgestellt, zweierlei Vielheiten (ich meine immer bestimmte Vielheiten)
zu unterscheiden. Eine Vielheit kann nämlich so beschaffen sein, dass die Annahme eines ‚Zusammenseins’ aller
ihrer Elemente auf einen Widerspruch führt, so dass es unmöglich ist, die Vielheit als eine Einheit, als „ein fertiges
Ding” aufzufassen. Solche Vielheiten nenne ich absolut unendliche oder inkonsistenten Vielheiten. Wie man sich
leicht überzeugt, ist z. B der ‘Inbegriff alles Denkbaren’ eine solche Vielheit; später werden sich noch andere
Beispiele darbitten. Wenn hingegen die Gesamtheit der Elemente einer Vielheit ohne Widerspruch als
‘Zusammenseiend’ gedacht werden kann, so dass ihr Zusammengefasstwerden zu ‘einem Ding‘ möglich ist, nenne
ich sie eine konsistente Vielheit oder eine ‘Menge’.
Eine Menge wird also von vornherein als konsistente Vielheit definiert und daher sind die absolut unendliche
Menge nicht Menge im mathematischen Sinne. Cantor teilt mit der Mathematik offenbar das iterative
Verständnis einer Menge, das die Bildung einer Menge erst auf der zweiten Stufe gestattet. Dadurch entgeht
Cantor den Paradoxien, denn er zugibt, ‘dass es unmöglich ist, die Vielheit als eine Einheit, als ein fertiges Ding
aufzufassen’. Die Menge aller natürlichen Zahlen werden deswegen als mathematische Einheiten anerkennt,
wohingegen die Menge aller Menge nach Cantor gar keine Menge im mathematischen Sinne bilden.
Auf der anderen Seite weicht Cantors Einstellung von der Mathematik ab, indem er nicht aus der Tatsache der
Widersprüchlichkeit der fraglichen Mengen auf ihre tatsächliche Inexistenz schließt. Diese Mengen existieren
nämlich prinzipiell, aber nicht für die Mathematik, die nur unter der Voraussetzung der Konsistenz auf einen
Gegenstand Bezug nehmen kann. Laut Cantor: ‘es gibt also bestimmte Vielheiten, die nicht zugleich Einheiten
sind’. Die Folgerung dieser Lösung ist aber der Verlust der methodischen Autonomie der Mengenlehre selbst,
da die Erkundigung nach den absolut unendlichen Mengen von anderen Disziplinen aufgenommen werden
muss. Bekanntlich verleiht Cantor dieses Recht der Theologie. Die mathematische Mengentheorie könnte zwar
mit dieser Lösung Aussage über ihren Gegenstandsbereich treffen, aber zugleich müsste sie anerkennen, dass
übergeordnete Disziplinen, wie diejenige der Theologie und der Philosophie, das letzte Wort über den Status
und Wissensbedingungen dieser Gegenstände haben.

82
G. Cantor, Brief an Dedekind vom 3 August 1899, Br 407(Siehe auch Guido Kreis, 205, s. 394)
Wie begründet aber Cantor die Annahme der Existenz dieser Vielheiten, die ihm letzten Endes erlauben, die
Mathematik selbst auf die Theologie zurückzuführen? Es zeigt sich nämlich, dass eigentlich seine Begründung
zirkulär ist, indem er einerseits die Autonomie der Mathematik der Theologie einbüßt, anderseits aber die
Existenz der fraglichen Mengen und daher die Priorität der Theologie mathematisch begründet. Der Kernpunkt
ist wiederum der Cantors Satz oder genau das Bereichsprinzip. Dieses Prinzip und sein Beweis ist dasjenige,
das den Bereich des Transfiniten etabliert und das Rechnen mit unendlich großen Mengen erlaubt hat. Mit
anderen Worten, das Bereichsprinzip fordert die Existenz eines aktuellen unendlichen Bereichs als notwendige
Voraussetzung des potentiellen Unendlichen. Das Unendlich wird daher in zwei Bereiche aufgespaltet: der
Bereich 1 des potentiell Unendlichen und das Bereich 2 des aktuel-Unendlichen. Was uns besonders interessiert,
ist, dass das Letztere wiederum zweierlei geteilt wird, wie das folgende wichtige und vom Cantor publizierte
Zitat einsichtig macht:
[Wir sind] genötigt, eine fundamentale Distinktion zu machen, indem wir unterscheiden:
II Vermherbares Aktual-Unendliches oder Transfinitum.
II Unvermehrbares Aktual-Unendliches oder Absolutum.
Das Transfinite mit seiner Fülle von Gestaltungen und Gestalten weist mit Notwendigkeit auf ein Absolutes hin,
auf das ‘wahrhaft Unendliche’, an dessen Größe keinerlei Hinzufügung oder Abnahme statthaben kann und
welches daher quantitativ als absolutes Maximum anzusehen ist83.
Das Bereich des Transfiniten ist also die mittlere Ebene zwischen das Finite und das Absolute. Daher ist das
Transfinite gewissermaßen defektiv: es mag zwar alle Menge im Bereich des Transfiniten aktual unendlich sein,
aber das Bereich selbst ist nur potentiell unendlich. Wie es ganz konkret G. Kreis beschreibt: ‘Leitend ist bei
dieser Annahme eine Strukturanalogie: So wie es für das potentiell unendlich anwachsende Endliche ein ihm
gegenüber Aktual- Unendliches, das Transfinite, geben muss, so muss es für das seinerseits unendlich
anwachsende transfinite ein ihm gegenüber Aktual- Unendliches geben’84’. Aus diesem Abschnitt also folgt,
dass das Absolute eine notwendige Bedingung des Transfiniten ausmacht, das zu existieren, die aktuelle
Existenz des Ersteren voraussetzt. Das raison d’ etre ist in diesem Fall auch das Bereichsprinzip. Dadurch ergibt
sich aber die erwähnte Zirkularität, denn das mathematische Bereichsprinzip die Existenz der widersprüchlichen
Gegenstände bedingt, die selbst aber keine mathematischen Einheiten (Mengen) bilden. Die Rechtfertigung also
der Existenz der widersprüchlichen Totalitäten bleibt defektiv und damit zerstört damit die Mengentheorie ihre
eigene Souveränität und geht sie selbst in die Theologie über.

3.Einschätzung des Arguments Meillassouxs: Analytische Perspektive und


Widersprüche
In dem letzten Teil kehren wir zum Meillassouxs Gebrauch der Mengenlehre für die Auflösung des humeschen
Problems, wie es im ersten Teil beschrieben wird. Das Argument kulminiert in dem Satz, dass das Mögliche

83
G. Cantor, Mitteilungen zur Lehre vom Transfiniten, GA 405, 1887/88
84
G. Kreis, 2015, s. 398
nicht totalisierbar sei. Wenn das Mögliche nicht als eine Totalität gedacht werden könnte, dann würde das
heißen, dass keine probabilistische Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass etwas passieren wird,
angenommen werden kann. Das seinerseits impliziert nach Meillassoux keine Diskrepanz zwischen der
phänomenalen Stabilität und der radikalen Kontingenz und dadurch eine Unterscheidung zwischen Zufall und
Kontingenz. Daraus würde schließlich folgen, dass der Necessitäts-Schluss von der Stabilität auf eine
außerlogische Notwendigkeit illegitim ist. Es ist fraglich allerdings, ob der angestrebte Beweis tatsächlich die
These für die Notwendigkeit der Kontingenz etabliert oder die schwächere These, dass unproblematisch letzten
Endes, wenn immerhin unintuitiv, ist, zu denken, dass eine radikale Kontingenz nicht unbedingt mit der
frequentiellen Veränderung der Naturgesetze einhergeht, aber sogar mit ihrer Stabilität kompatibel ist. Ohne
näher diese Frage zu untersuchen, sei es zumindest gesagt sein, dass unserer Meinung nach um die zweite These
die Rede zu sein scheint, wenn man die abschließende Überlegungen Meillassouxs (5te Kapitel) betrachtet, die
explizit gestehen, dass man direkt die absolutierende Funktion der Mathematik(Mengenlehre) beweisen sollte,
und nicht indirekt durch die Auflösung des Problems Humes85.
Wenn man diese Aporien über das eigentliche Ziel von Meillassouxs Argument zur Seite lässt, dann bestehen
zwei allgemeinen Fragen nach der Struktur und dem Erfolg seiner Vorgehensweise. Die erste Frage betrifft die
Verbindung zwischen Modalität (Notwendigkeit, Kontingenz) und der Mengenlehre. Diese lässt sich wiederum
auf zwei Bestimmte aufteilen: erstens die der Verbindung zwischen Notwendigkeit und möglichen Welten und
zweitens die des Links zwischen der Rede über die Menge aller möglichen Welten und
Kardinalitätsüberlegungen in Mengenlehre. Die zweite allgemeine Frage betrifft die Interpretation der
Paradoxien der Mengenlehre selbst. Denn, wie wir gesehen haben, bedeutet die Annahme der Inkonsistenz der
Menge aller Mengen nicht notwendig ihre Inexistenz. Und wenn das tatsächlich zuträfe, ginge das mit
schwerwiegenden Widersprüchen und Begrenzungen einher, die wesentlich Meillassouxs Absolutismus
schwachen würden.
Zuerst also einige Bemerkungen über die erste Frage. Wenn Meillassoux bei dem Problem Humes über die
Notwendigkeit der Naturgesetze schreibt, quantifiziert er zugleich über mögliche Welten. Möglich ist dasjenige,
was wenigstens in eine mögliche Welt der Fall ist, wobei notwendig das, was in alle mögliche Welten der Fall
ist. Es besteht also nach Meillassoux eine Korrespondenz zwischen modalen Fakten und Fakten bezüglich der
Existenz möglichen Welten. Es wirft sich allerdings die Frage: was ist eine mögliche Welt nach Meillassoux?
Zumindest einmal spricht er ganz explizit: ‘Ich mache aus unserem physikalischen Universum einen Fall unter
einer immensen Anzahl denkbarer (widerspruchsfreier) Universen, jedoch von unterschiedlicher Gesetzen
bestimmt86’. Diese Universen sind also ihm zufolge der Anzahl nach immens und von verschiedenen
physikalischer Gesetze geprägt. Wir stellen jetzt die Hypothese, dass die möglichen Welten, wovon Meillassoux

85
Diese gewisse begrenzte Reichweite seines Argumentes scheint Meillassoux zu verstehen und deswegen widmet er sich
im zweiten Teil seines Aufsatzes Iteration, Reiteration., Repetition zu einer Analysis des meaningless sign, das angeblich
eine vermittelnde Rolle zwischen die radikale Kontingenz und die Unvollständigkeit der Totalität spielen würden und
dadurch die absolute Reichweite rechtfertigen würde. Für die Probleme, die sich aus dieser Analyse ergeben und den Bezug
auf die poststrukturalistischen Analysen Derridas siehe: Paul Livingston, Realism and the Infinite
86
Meillassoux, 2014., s. 132
wörtlich spricht, diejenigen sind, die David Lewis87 bekanntlich beschreibt. Wir stellen also sicherlich kontra
seine Absicht eine direkte Beziehung zwischen seiner Auffassung von möglichen Welten und derjenigen
Lewis’, die jedenfalls seine Argumentation wesentlich bereichert. Wir behaupten ebenfalls, dass sein Argument
von Mengenlehre auch gegen Lewis’ Auffassung dienen kann. Besonders werden wir zu behaupten versuchen,
dass Meillassouxs Argument, bewusst oder nicht, einem bekannten Einwand gegen Lewis’ Auffassung ähnelt,
demjenigen nämlich, der vom Paradox spricht. Dieses Paradox in Lewis kann sowohl sein Prinzip der
Recombination als auch seine Erklärung von Propositionen(Intensionen) im Sinne von möglichen Welten
betreffen.
Nach Lewis sind die möglichen Welten reale und konkrete Objekte, raumzeitlich völlig voneinander getrennt.
Lewis ist Realist über mögliche Welten und reduktionist über Modalität. Er glaubt nämlich, damit man modale
Begriffe wie Möglichkeit und Notwendigkeit sinnvoll benutzen kann, man sollte wörtlich die Rede von Welten
einnehmen (das heißt, dass das Adjektiv ‘möglich’ überflüssig ist). Historisch gesehen hat die Einführung von
möglichen Welten der modalen Logik erlaubt, an Extensionalität und präzise, formale Struktur zu gewinnen.
Genauer gesagt haben die möglichen Welten nicht die modale Logik selbst extensionel gemacht, aber einfach
ihr mit einer extensionellen, letzten Endes auf die moderne Logik basierenden Semantik verschafft. Dadurch
könnte das Scheitern der Substituierungsprinzipien der ursprünglichen modalen Logik erklärt werden. Es hat
sich nämlich herausgestellt, dass bei ihr eine Diskrepanz zwischen der Syntax und der Semantik der modalen
Operatoren gab, die letzten nicht zur Sätzenoperatoren wie Negation aber zu Quantoren assimiliert werden
müssen. Lewis glaubt also, dass Modalität in nicht modale Begriffe erklärt werden muss, einerseits, weil sie uns
auf strenge, ‘ideologische’, d. h theoretische Annahme verpflichtet, besonders aber, weil sie mysteriös ist. Das
heißt nämlich, dass modale Eigenschaften nicht zur Lewis’ empiristischen Weltanschauung passen können88.
Hier zeigt Lewis einen gewissen Skeptizismus an Modalität als Eigenschaft der Welt, und nicht nur unsere
Aussage über sie, eine Behauptung also, die auf Quines und Humes Skeptizismus an (metaphysische) Modalität
zurückzuführen ist.
Nun ist Lewis’ ‘modaler Realismus’ eine bestimmte realistische Interpretation der Semantik von möglichen
Welten. Die Motivation hinter dieser Entscheidung ist das Erklärungspotential der möglichen Welten, die nach
Lewis, nur wenn sie als konkret, unendlich viele und voneinander getrennte Objekte verstanden sind,
Erklärungen über Themen, wie Supervienz, kontrafaktische Umstände, modale Begriffe und Behauptungen
(beliefs) usw. liefern können. Für unsere Darlegung ist es wesentlich, dass mögliche Welten angeblich eine
Erklärung von Intensionen-Eigenschaften, Relationen, Propositionen- verschaffen. Eine Proposition wird
nämlich als eine Funktion von Welten zu Wahrheitswerten definiert. Besonders kann Lewis wegen seines
Verständnis von Welten und den Individuen als weltgebundenen (world-bound) nicht nur die Rede von
Begriffen und die Art und Weise, wie die Elemente beschrieben wird, weglassen, aber auch die Intensionen
überhaupt als Menge und nicht als Funktionen definieren. Dadurch beabsichtigt er auch an die Präzisierung und

87
Siehe dazu David Lewis, On the Plurality of Worlds, Basil Blackwell, 1986
88
P. Bricker, David Lewis, On the Plurality of Worlds, Review, p. 10
Formalisierung der Mengenlehre zu gewinnen. Auf dieser Weise, wenn Meillassoux auch so interpretiert würde,
können wir sagen, dass die Lücke in seinem Argument zwischen der Totalisierung der Denkbaren und des
Universums aller möglichen Welten erfüllt werden könnten. Dazu sollten wir einfach für Meillassoux die
folgende intuitive Annahme hinzufügen: Jede Proposition drück einen Gedanken aus. Diese Annahme wird uns
bald von Bedeutung sein.
Nun stellt sich die Frage: obwohl man mehr oder weniger zugeben könnte, dass Lewis Modalität in nicht-modale
Begriffe erklärt, bleibt immer offen das Problem der Vollständigkeit seines Systems. Die Überlegung scheint
nämlich zu sein, dass nur, wenn Lewis’ System komplett ist, kann es wahr sein. Dazu müssen aber genug
mögliche Welten geben. In den Abschnitt ‘Plenitude’ seines Buches unternimmt er zu zeigen, dass sein Prinzip
der Recombination diese Rolle erfüllen kann, indem eine immens der Anzahl nach Menge von Welten
produziert würde, die ‘no gaps in logical space, no vacancies where a world might have been, but isn’t89’. Vor
Plurality of Worlds hat Lewis, von Quine beeinflusst, von ‘ways things could have been’ gesprochen, die auf
die Intuitionen unserer Alltagssprache basierten. In diesen Abschnitt führt er nun stattdessen dieses Prinzip, das
groben gesagt besagt, dass Beliebiges mit alles anderen mitexistieren kann oder nicht. Wie P. Bricker90 schreibt:
‘The principle naturally divides into two halves. According to the first half, any two (or more) things, possibly
from different worlds, can be patched together in a single world in any arrangement permitted by shape and
size… In terms of worlds[..] The principle is to be interpreted in terms of intrinsic duplicates: at some world, a
duplicate of the unicorn and a duplicate of the dragon exist side by side’. Der zweite Aspekt ist auch von
besondere Interessen, indem er ‘the humean denial of necessary connections91’ impliziert, nämlich das etwas
nicht notwendig mit etwas anderem mitexistieren muss: ‘If there could be a talking head contiguous to the rest
of the living body, but there couldn’t be a talking head separate from the rest of the body, that’s how would be
a failure of plenitude’(Ebd). Daraus ergeben die ‘incredulous stares’, d. h die ontologische Extravaganz, die mit
Lewis’ Theorie einhergeht und seine Kritiker immer verblüfft hat92. Allerdings könnte man bei diesem Prinzip
der Recombination an genau denjenigen Gedanken Meillassouxs denken, wovon die Rede im ersten Teil war,
das erste Moment nämlich von Humes Auflösung des Problems der Notwendigkeit der Gesetze, die uns a priori
die Möglichkeit alles Denkbaren gestattet. Genau dieses Moment absolutiert Meillassoux, indem er uns
vorschlägt, ernst zu nehmen, was uns a priori als radikale Kontingenz vorkommt.
Aus diesem Prinzip und der Existenz unserer aktualen Welt ergeben also nach Lewis zahlreiche Welten, die die
Wahrheitsbedingungen von modalen Aussagen erfüllen. Dazu fügt P. Bricker hinzu, dass Lewis auch zwei
zusätzliche Prinzipien postulieren sollte, die vierdimensionale Objekte und außerirdische(alien) Eigenschaften
miteinschließen93. Allerdings führt dieses Prinzip der Recombination laut Kritiker direkt zum Widerspruch94.

89
Lewis, 1986, p.86
90
Philip Bricker, 2006, p. 10(unsre Betonung)
91
Lewis, 1986, 87
92
Es ist auf jeden Fall bemerkenswert, dass eine solche aus begrifflichem (nach Lewis ideologische) Sinne zumindest
elegante Theorie so wenige treue Anhänger gefunden hat, aber zugleich so viel diskutiert, und letzten Endes verneint wurde.
93
P. Bricker, 2006, p. 11
94
Siehe dazu unter anderem Louis deRosset, Possible Worlds I: Modal Realism, 2009
Das Paradox ergibt sich nämlich durch die Konjunktion der Recombination mit bestimmten intuitiven
Prinzipien. Besonders haben Forrest and Armstrong95 das Paradox betont. Ihr Argument setzt voraus, dass die
Sammlung aller möglichen Welten als Menge betrachtet wird, und anderseits, dass Lewis die Sammlung aller
möglichen Individuen als Menge hält. Das zweite trifft tatsächlich zu, weil für Lewis die Welten maximal
konkreten Individuen sind96, wobei die erste Voraussetzung essentiell für Lewis ist, weil er die Propositionen
im Sine von möglichen Welten erklärt. Angenommen dies nimmt man jetzt an, dass der folgende Satz plausibel
ist97:
P: Für jede nicht-leere Menge von Welten gibt es eine einzige Welt, die Doppelgänger der Individuen
dieser Welten enthält.
Nun mit dem zusätzlichen, den Kriterien Lewis’ gemäß intuitiven Prinzip, dass es eine Menge aller möglichen
Welten gibt, soll es gemäß P eine maximale Welt geben, die Doppelgänger von allen Welten enthält. Mit diesen
Annahmen schließen Forress und Armstrong auf den Widerspruch, dass die Anzahl der Individuen in alle
Welten mehr sein muss als gemäß seiner Definition ist. Wir werden nicht die technischen Details des Arguments
betrachten. Es lohnt sich aber Lewis’ Antwort auf dieses Paradox zu erwähnen. Denn sie besagt, dass es eine
Qualifizierung seines Prinzips der Recombination geben muss. Lewis bestreitet nämlich die Annahme, dass es
eine maximale, alle Doppelgänger enthaltende Welt geben kann. Obwohl Lewis Prinzip für ihn letzten Endes
ausschlaggebend ist, weil sie ein Kriterium für die Menge aller möglichen Welten gibt, beschränkt er es
eigentlich mit der Auflage “size and shape permitting”. Das wiederum bedeutet, dass es eine obere, logische
Grenze hinsichtlich der Anzahl der Individuen gibt, die zur Raumzeit passen können. Ob es eigentlich seine
Antwort tatsächlich zutrifft sei es für unser Essay dahingestellt.
Was uns meistens aber interessiert ist ein zweites Paradox, das jede Theorie wie Lewis’, die Propositionen im
Sinne von Mengen arbiträren Welten analysiert, droht. Dieses wurde bekanntlich von David Kaplan
vorgeschlagen98 und unserer Meinung nach ausreichend die Lücke in Meillassouxs Argumentation abdecken
kann. Kaplan geht auch von Kardinalitätsüberlegungen aus, aber er verbindet explizit die Totalität des
Denkbaren mit der Totalität des Möglichen und statt Apriorizität spricht er von logischer Notwendigkeit. Mit
anderen Worten, das Argument Meillassouxs für die Enttotalisierung des Möglichen ist dasselbe Argument
Kaplans gegen die naive Benutzung der Mengenlehre für die Begründung der Semantik der möglichen Welten.
Kaplan selbst löst das Paradox auf, indem er eine der russelschen Thery of Types ähnlichen Lösung vorschlägt.
Seine Lösung verwendet nämlich dieselbe iterative, hierarchische Konzeption des Mengenuniversums und geht
mit Relativierung der Reichweite der propositionalen Quantoren einher99.

95
Peter Forrest& D.M. Armstrong, An argument against David Lewis' theory of possible worlds, Australasian Journal of
Philosophy 62 (2):164 – 168, 1984
96
Siehe Lewis, 1986, p. 104
97
Siehe deRosset, 2009
98
Kaplan, D., A problem in possible-world semantics. In Sinnott- Armstrong, W. et al., editors, Modality, Morality and
Belief: Essays in Honor of Ruth Barcan Marcus, pp. 41-52. Cambridge University Press, Cambridge, 1994. Wie Kaplan
zugibt hat er allerdings das genannte Paradox tatsächlich relative früher entdeckt und informell beschreibt.
99
Sten Lindström, Possible World Semantics and the Liar, Reflections on a Problem posed by Kaplan, in: The Philosophy
of David Kaplan, ed. Joseph Almog and Paolo Leonardi, Oxford, 2009
Kaplans Überzeugung ist, dass die naive Theorie der möglichen Welten mit einem den mengentheoretischen
Paradoxien ähnlichen Problem konfrontiert ist, das ihr nicht erlaubt, als Basis für die Erklärung von Intensionen
zu dienen. Kaplan formuliert ein Prinzip, das nach den Annahmen der Semantik von möglichen Welten intuitiv
sein soll, aber es ergibt sich, dass es eigentlich auf das grundlegende Cantors Theorem verstößt. Angenommen
also, es gäbe eine bestimmte Zeit z. Dann bedenkt:
K: Für jede Proposition p, es ist möglich, dass p die einzige geltende Proposition in z ist.
Kaplan, um auf mögliche Einwände vorauszugreifen, betont, dass dieses Prinzip K zwar wegen metaphysischer
Gründe nicht gelten kann, aber die Logik zumindest es nicht ausschließen darf. Die Berufung auf die Logik
spielt hier die Rolle der Berufung auf Apriorizität in Meillassouxs Argument und entspricht in etwa der Gestalt
des Prinzips der Recombination von Lewis. Es muss also nach Kaplan die folgende Eigenschaft Q der
Propositionen geben, die dieses Prinzip erfüllen: (p) (Q p ^ (q) (Q q q = p)). Natürlicherweise bewegen sich
die Quantoren laut diesem Prinzip über alle Propositionen. Das Prinzip K bedeutet nämlich, dass die Zahl der
Propositionen dasselbe oder weniger als die Zahl der möglichen Welten sein muss, weil es für jede Proposition
eine bestimmte Welt gibt. Laut der möglichenwelten Semantik gibt es zumindest so viel Propositionen, wie es
Menge von Welten gibt, denn laut der Theorie Propositionen mit den Mengen der möglichen Welten, wo sie
wahr sind, identifiziert würden. Angenommen jetzt, dass die Menge aller möglichen Welten existierte, dann
würden die Menge aller Propositionen, die in dieser Menge wahr sind, die Potenzmenge (die Menge aller
Teilmengen) der Mengen aller möglichen Welten bilden. Aber aus Cantors Theorem ist die Potenzmenge immer
größer als die Ausgangsmenge. Das heißt aber dass mehr Propositionen als Welten gibt. Dieser Satz
widerspricht aber K, demzufolge die Propositionen weniger oder dieselbe als die Welten sind. Nämlich:
Paradox!
Dieser Beweis entspricht dem Ergebnis der Argumentation Meillassouxs, dass das Mögliche (im Sinne von
möglichen Welten) nicht totalisierbar ist. In Priests Sprache entspricht das Prinzip K der ‘closure’, wobei
‘transcedence’ wieder durch das Theorem Cantors durchgeführt wird. Wie schon beschreibt führt die
Kombination dieser beiden fundamentaleren Operationen zu Widerspruch. David Lewis seinerseits in seinem
Buch100 antwortet darauf, indem er bestreitet, dass jede Proposition, die laut K als Teilmenge einer Welt gedacht
wird, als einen Gehalt eines Gedanken dienen kann. Das würde bedeuten, dass K nicht auf die Potenzmenge der
Menge aller möglichen Welten anwendbar sein kann.
Wir haben gezeigt, dass Meillassouxs Argument für die Enttotalisierung des Möglichen tatsächlich zutreffen
kann und sie genau die Struktur von Kaplans Paradox hat. Für einen Philosophen, der auf jeglichen Bezug auf
die analytische Philosophie verzichtet, scheint diese Tatsache besonders bemerkenswert zu sein. Allerdings
besteht noch unsere zweite Frage, die die Interpretation der Mengenlehre und ihre Paradoxien betrifft. Wir
haben gesehen, dass die Behandlung der Paradoxien von der axiomatisierten Mengenlehre und Meillassoux
dieselbe ist und sie beruft auf die Strategie der Größenbegrenzung. Kaplan seinerseits, wie gesagt, gebraucht

100
David Lewis, 1986, p. 104-108
ähnliche Strategie für die Auflösung des Paradoxs. Der gemeinsame Charakter aller dieser ist das Bestreiten der
Existenz von zu ‘großen’, d. h widersprüchlichen Mengen. Anders gesagt entscheiden sie sich für Konsistenz
und Intotalität. Die Kosten dieser Entscheidung allerdings sind der Verstoß gegen das Bereichsprinzip, das eine
starre Umformung von Cantors Theorem ist und unsere natürliche Vorstellung von Begriffen im Groben
entspricht. Dessen Konsequenz ist außerdem der Verzicht auf die Möglichkeit, sinnvolle Aussage über das
Gegenstandsbereich des Mengenuniversums treffen zu können. Meillassoux verstößt nämlich genau gegen das
Bereichsprinzip, dessen Gültigkeit er gewissermaßen voraussetzen muss, damit er über die ‘zu große’ Mengen
sprechen kann. Mit anderen Worten muss er in einer bestimmten Hinsicht die Existenz der fraglichen Mengen
annehmen, damit er dann unter Rekurs auf Cantors Paradox sie untergraben zu können. Das bedeutet aber, dass
er nicht notwendigerweise auf die Inexistenz dieser Mengen schließen kann. Denn es besteht ebenfalls die Wahl,
wie P. Livingston klar beschrieben hat, sich für Totalität und Inkonsistenz zu entscheiden, wobei man dann
gegen den Satz vom Widerspruch verstoßen würde. Diese Lösung akzeptiert nämlich G. Priest. Meillassoux
seinerseits hätte auch dafür entscheiden können, wenn er nicht zuerst eine Interpretation des Unendlichen oder
des Absoluten im Sinne von Inkonsistenz disqualifiziert hätte. Denn nur unter seiner Voraussetzung der
uneingeschränkten (ontologischen und logischen) Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch könnte er auf die
Folgerung gelangen, dass die metatheoretische Entscheidung für Konsistenz und Intotalität die einzige mögliche
ist. Allerdings hat Meillassoux keinesfalls positiv beweisen, dass es aus seinem Prinzip der Notwendigkeit der
Kontingenz folgt, dass der Satz vom Widerspruch absolut gilt. Das heißt wiederum, dass nur das Postulat der
Widerspruchsfreiheit ist, das ihm zu seinem Schluss zwingt und ihm verhindert eine Alternative zu
berücksichtigen. Hierbei sollte wir zugeben, dass wir nicht vorstellen können, was es genau für sein Argument
bedeuten würde, wenn er die Inkonsistenz und Totalität anerkennen würde. Wenigstens können wir bemerken,
dass die radikale, absolute Kontingenz disqualifiziert würde und durch eine intrasystematische Inkonsistenz
ersetzt würde, wie das auch genau zu verstehen wäre101.
Vielleicht besteht noch eine Möglichkeit offen für ihn. Er könnte sich nämlich für die Auflösung Cantors
entscheiden. Und zwar könnte er die Inexistenz dieser Menge für die Mathematik anerkennen, aber sie
prinzipiell als Nicht-Menge, als Absolute beibehalten. Denn wir behaupten, dass Meillassouxs Vorgehensweise
eigentlich mehr zu Cantors eigener Lösung passt als zur axiomatisierten Mengentheorie. Lassen wir uns also an
Cantors Distinktion zwischen Transfiniten und Absoluten erinnern:
Das Transfinite mit seiner Fülle von Gestaltungen und Gestalten weist mit Notwendigkeit auf ein Absolutes hin,
auf das ‘wahrhaft Unendliche’, an dessen Größe keinerlei Hinzufügung oder Abnahme statthaben kann und
welches daher quantitativ als absolutes Maximum anzusehen ist. Letzteres übersteigt gewissermaßen die
menschliche Fassungskraft und entzieht sich namentlich mathematischer Determination102.
Cantor zweifelt nämlich nicht an die Existenz des Absoluten. Er schließt nicht von den mengentheoretischen
Paradoxien auf einen ontologischen Mangel der Realität selbst. Dieses Defekt betrifft nach Cantor mehr unsere
Fähigkeit das Absolute zu erkennen. Denn macht dieses nicht einen Gegenstand aus, das einheitlich wäre und

101
P. Livingston, Realism and the Infinite, p. 24
102
Siehe oben Fußnote 82
deswegen durch unsere diskursiven, deswegen endlichen Begriffe erfasst werden könnte. Diese inkonsistenten
Vielheiten sind aber für Cantor kein Ding, das begrifflich erfasst werden könnte. Damit äußert sich aber Cantor
zugleich über die Beschaffenheit des Absoluten. Dieses Punkt ist genau, wobei er uns ganz in der Nähe von
Meillassoux zu sein scheint. Denn Cantors Verständnis des Absoluten ist ein Zeichen seiner
Offenbarungstheologie103. Ihr zufolge können wir kein positives Wissen vom Absoluten haben. Dazu ist der
folgende Satz von Bedeutung: ‘Das Transfinite mit seiner Fülle von Gestaltungen und Gestalten weist mit
Notwendigkeit auf ein Absolutes hin’. Wie Kreis schreibt, interpretiert damit Cantor ‘das Transfinite als Medium
der Offenbarung des Absoluten104’. Wenn man die Struktur des Satzes genau bemerkt, bedeutet es, dass das
Wissen von dem was das Transfinite nicht ist, zugleich, wenn indirekt, Wissen vom was das Absolute ist
bedeutet. Aber genau dieses Prinzip hat Meillassoux mehrmals in seinem Buch benutzt, um ein spekulatives
und nicht-metaphysisches Wissen zu erreichen. Dasselbe Prinzip verwendet er nämlich bei der
Verabsolutierung der Faktizität. Kurz gesagt schlagen wir bloß vor, Meillassouxs Absolute, d. h die
Notwendigkeit der Kontingenz mit den unendlichen Vielheiten Cantors zu identifizieren und das Transfinite als
das Medium interpretieren, das uns diesen Übergang verschafft. In dieser Hinsicht liegt Meillassoux falsch,
wenn er behauptet, dass er aus einem ersten Absoluten zu einem abgeleiteten Absoluten übergehen kann, weil
gerade das zweite Absolute, das Transfinite ihm diesen Übergang zu seinem Prinzip der Faktualität erlauben
könnte.
Allerdings ist Cantors Vorgehensweise zirkulär, indem er das Bereichsprinzip, das ihm zufolge einer
mathematischen Wissen gehört, für die Begründung der Existenz des Absoluten voraussetzt. Denn einerseits
gibt er die Souveränität der Mathematik einer Theologie auf, aber verwendet er ein von ihm als nur
mathematische definierte Prinzip um dieses Absolute zu rechtfertigen. Mit seinen eigenen Voraussetzungen
also könnte Cantor nicht wissen was er behauptet, wenn das eigentlich zuträfe. Diese Schwierigkeit aber träfe
auch auf Meillassoux zu, wenn er homolog zu Cantor interpretiert würde.
Schließlich besteht unserer Meinung nach ein letztes, schwerwiegenderes Problem in Meillassouxs ganzes
Argument. Die Tatsache nämlich, dass seine Argumente gegen Korrelationismus und für die Notwendigkeit der
Kontingenz im Sinne von der Auflösung des Problems Humes nicht zugleich richtig sein können. Denn
behaupten wir, dass er zumindest einmal bei seiner Argumentation gegen Korrelationismus das Bereichsprinzip
implizit verwendet, was er aber in seinem Beweis für die Enttotalisierung des Möglichen verbietet. Daher stellen
wir auch die Hypothese einer Inkonsistenz in den ganzen Versuch Meillassouxs, die zwei grundlegend
miteinander unversöhnbaren Denkrichtungen zu kombinieren versucht.
Abschließend also lassen wir uns genau diese Hypothese aufstellen. Wir behaupten, dass er implizit eine
Variante des Bereichsprinzips verwendet, wenn er gegen den zweiten Einwand des Korrelationisten
argumentiert, nämlich, dass er ‘grundsätzlich das empirische mit der transzendentaler Ebene’ verwechselt. Ohne
das ganze Argument zu betrachten, erinnern wir uns aber daran, dass ihm zufolge der Korrelationist an die

103
Guido Kreis, 2015, 401
104
Ebd.
Aussage ‘Das Ereignis x hat soundso viele Jahren vor dem Auftauchen des Menschen stattgefunden’ keinen
realistischen Sinn geben kann. Darauf kann der Korrelationist antworten, indem er auf die Unterscheidung
zwischen Empirischen und Transzendentalen beruft. Demzufolge ist das Problem des Arch-fossilien nicht
ontologische, wie Meillassoux behauptet, aber überhaupt empirische und Aussage, die solche Realitäten
betreffen, sind empirische Aussage über Objekte. Die transzendentale Frage anderseits betrifft in kantischem
Sinne die Bedingungen der Möglichkeit des Wissens über diese Objekte. Damit beansprucht der Korrelationist
zugleich die Rechtfertugung der Wisseschaft als auch seines Korrelationismus liefern zu können. Nun aber
wendet Meillassoux aber genau gegen diese Annahme ‘dass eine transzendentale Bedingung keinen Gegenstand
sei und daher ganz einfach nicht existiere. Auf dieser Weise erlaubt der Begriff der Bedingung, das
Transzendentale zu entontologisieren, um es vor jeder Reflexion, die es um das Sein geht zu bewahren105’.
Meillassouxs Antwort besagt, dass die Entontologisierung dieser Frage zutreffen würde, wenn gute Gründe
gäben, die zuvor erwähnte Aussage nicht auf das transzendentale Subjekt anzuwenden. Und zwar ‘nicht hindert
uns daran, unserseits zu überlegen unter welchen Bedingungen ein derartiges Subjekt existiert? 106’. Aus dieser
Frage will er darauf hinaus, dass damit er dem Konstituieren der Begriffe wie Endlichkeit, Horizont oder
regulative Idee Rechnung trägt, ‘das transzendentale Subjekt als Gesichtspunkt in die Welt gesetzt ist und daher
statt-findet inmitten der Welt107’. Das Subjekt ist also in der Welt positioniert und daher begrenzt. Diese
Endlichkeit aber des Subjekts kann erfolgreich motiviert werden und wir können auf sie sinnvoll Bezug nehmen,
wenn wir zugleich laut dem Bereichsprinzip auf die Totalität, in der das Subjekt vorkommt, referieren können.
Genau das besagt also das Bereichsprinzip, nämlich, dass das Setzen einer Grenze zugleich seine
Überschreitung zu einer bestimmten Totalität ist. Denn wenn Meillassoux dieses Prinzip nicht voraussetzen
würde, dann könnte er, so die Überlegung, nicht auf die Gegenbehauptung des Korrelationisten antworten, die
ähnlich wie Kant bei den Antinomien argumentieren würde108. Und zwar er könnte wie Kant den
metaphysischen Begriff eines absoluten Alls durch einen komparativen All ersetzen und dadurch die
Endlichkeit des Subjekts beschreiben, bei Relativierung dieser Aussagen und Verschiebung der Grenze immer
ferner, in eine potentiell unendlich vergangene Zeit.
Lassen wir uns jetzt unsere Behauptungen kurz zusammenfassen. In diesem Aufsatz haben wir versucht, den
Gebrauch Meillassouxs der Mengenlehre zu bestimmen und auf die Schwierigkeiten, die mit ihm einhergehen,
zu verweisen. Es besteht unserer Meinung nach immer noch Zweifel sowohl daran, ob seine Auflösung des
Problem Humes die Notwendigkeit der Kontingenz rechtfertigt (was er selbst auch bestreitet), als auch ob seine
Widerlegung des Necessitäts-Schlusses, dass aus der Stabilität der Phänomene auf ihre Notwendigkeit schließt,
tatsächlich das Problem Humes auflöst. Zweitens haben wir gezeigt, dass sein eigentliches Argument gegen den
Necessität-Schluss legitim ist, wenn man es mithilfe Lewis’ Theorie der möglichen Welten und Kaplans
Paradox rekonstruiert. Damit gewinnt Meillassouxs Argumentation an Präzisierung und argumentativen

105
Meillassoux, 2014, s. 41
106
Ebd., s. 42
107
Ebd., s. 42
108
Siehe dazu G. Kreis, Negative Dialektik des Unendlichen, 2015
Gewicht. Drittens stößt aber sein Argument, wenn so konstruiert, auf die Einwände, die auch gegen die
axiomatisierte Mengentheorie gelten. Darauf zu antworten könnte er auf Cantors eigene Lösungsvorschlag der
Paradoxien berufen, was wiederum auf die Inkonsistenzen einer negativen Theologie stößt. Schließlich haben
wir die Hypothese aufgestellt, dass die Schwierigkeiten in seine Vorgehensweise generalisiert werden können,
indem eine Inkonsistenz zwischen seinen Argumenten gegen Korrelationismus und für die Auflösung des
Problems Humes hinsichtlich der Benutzung des sogenannten Bereichsprinzips besteht. Diese letzte Hypothese
übersteigt aber die Rahmen unseres Aufsatzes und setzt die Rekonstruktion seiner Argumente gegen
Korrelationismus vor.

Literatur

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 Q. Meillassoux, Potentiality and Virtuality, Originally published as ‘Potentialité et virtualité’, Failles no.
2, Spring 2006. This translation first appeared in Collapse II, 2007, pp. 55-81

 Q. Meillassoux, Iteration, Reiteration, Repetition, A Speculative Analysis of the Meaningless Sign, Freie
Universität Berlin, 20. April 2012

 Guido Kreis, Negative Dialektik des Unendlichen, Kant, Hegel, Cantor, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2015

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104, p. 169–178, 2001

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