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Einführungsseminar Neuere Deutsche Literaturwissenschaft SS 2017

Dr. Metin Genç


Medialität der Literatur – Literatur als Medium

1. Antike/Renaissance/Humanismus

Seit der Antike wird den Künsten ein breites Spektrum an Funktionen zugesprochen und
über die Wirkungen künstlerischer Kommunikation reflektiert. Platon wie auch Aristote-
les in seiner wirkmächtigen Poetik unterscheiden für die Dichtung z. B. belehrende, un-
terhaltende, mimetische Funktionen. Erst durch die Horazrezeption aber werden die
künstlerischen Ausdrucksformen auch systematisch verortet. In der Folge erfährt die
Dichtung eine Herabstufung unter die Malerei (und die bildenden Künste insgesamt). Die
unter dem irreführenden weil nicht authentischen Titel ars poetica (Dichtkunst, Dich-
tungstechnik) bekannt gewordenen Epistula pisones des Horaz (eigentlich Horatius Flac-
cus 68-5 v. Chr.) sind der Initialimpuls für eine langwierige Debatte über den Stellenwert
von Poesie/Literatur innerhalb der Künste und über die Abgrenzungsmerkmale zur Ma-
lerei. Hauptsächlich resultiert die Präferenz für die bildenden Künste aus einer Fehlinter-
pretation bzw. einer verknappenden Zitierung einer spezifischen Stelle aus der ars po-
etica:

Ut pictora poiesis: erit quae, si propius stes,


Te capiat magis, et quaedam, si longuis abstes

In der Übersetzung:

Dichtungen gleichen Gemälden: Einzelne Züge ergreifen


tiefer beim Anblick von nahem und andere beim Anblick von ferne1

Aus der Strukturanalogie der Wahrnehmungsweisen, die Horaz für Malerei wie Dichtung
postuliert, leiten nachfolgende Regelpoetiken und Kunsttheorien einen Imperativ ab:
Dichtung müsse wie Malerei sein, nämlich möglichst wirklichkeitsgetreu abbilden bzw.
schildern. Aus diesem Imperativ resultieren in der Folge epochen- und gattungsübergrei-
fende normative (d. h. vorschreibende) Poetiken und ästhetische Programme, die den
qualitativen Stellenwert eines literarischen Textes über seine mimetische Genauigkeit be-
messen.

1 Horatius Flaccus: De arte poetica liber, v. 362.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Aber auch innerhalb analog-visueller Kunstformen/Medienformen gibt es solche


Konkurrenzphänomene, wie z. B. den Vergleich der künstlerischen Mittel und Formen
beim sogenannten paragone2: Damit bezeichnet man den in Renaissance und Humanis-
mus virulenten Wettstreit um die Positionierung der Kunstformen, und zwar um deren
Darstellungstechniken sowie um die Effekte, die diese Formen und Techniken beim Be-
obachter hervorrufen können. Die Debatte um die Rangfolge der Künste fand dabei statt
zwischen den Vertretern der Malerei und der Bildhauerei. Für die Bildhauerei (Skulptur,
in gewissem Maße auch die Architektur) wurde ins Feld geführt, sie schaffe im Gegensatz
zur Malerei mehrdimensionale, haptisch erfahrbare (ertastbare) materielle Artefakte.
Demgegenüber stand die Malerei mit ihren Möglichkeiten, bildhauerisch nicht realisier-
bare Kunstwerke (z. B. Landschaften, Schlachtgemälde etc.) illusorisch auf der Leinwand
erscheinen lassen zu können. Die Argumente dieser Debatte werden zu elementaren Be-
standteilen z. B. der ersten deutschsprachigen Poetik von Martin Opitz (Buch von der deut-
schen Poetery 1624) und in der Folge weiter implementiert im Versuch einer critischen
Dichtkunst vor die Deutschen (1730) von Johann Christoph Gottsched, einer breit rezipier-
ten rationalistischen Poetik, gegen die sich dann in den 1750er Jahren vor allem Gotthold
Ephraim Lessing vehement aussprechen wird.

2. 18. Jahrhundert

Im 18. Jh. kommt es im deutschsprachigen Raum zu einer Kontroverse über die Idealität
antiker Ästhetik. Zentrales Anschauungsobjekt für die verschiedenen Positionen in dieser
Kontroverse ist dabei die sog. Laokoon-Gruppe.

2 Binczek/Pethes: Mediengeschichte der Literatur, S. 305.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Die Laokoon-Gruppe wird als Musterbeispiel klassischer griechischer Skulptur zum


Ausgangspunkt für die klassizistische Ästhetik. Regeln und Gattungsgesetze sowohl für
die bildenden Künste wie für die Dichtung werden aus der Laokoon-Skulptur abgeleitet,
wobei die Ansätze aus den beiden Kunstformen sich abwechselnd befehden und befruch-
ten. Besonders einflussreich für diesen kunsttheoretischen Diskurs war Gotthold
Ephraim Lessings Abhandlung Laokoon Oder Über die Grenzen der Malerei (1766). Anlass
für die Schrift ist ein kritischer Impuls: Der Archäologe Johann Joachim Winckelmann (Be-
gründer der wissenschaftlichen Archäologie und der Kunstgeschichte) hatte dargelegt,
der antike Künstler der Laokoon-Gruppe habe den Schrei des Laokoon aus sittlicher Hal-
tung zu einem Seufzer gedämpft. Aus dieser Annahme leitete Winckelmann einen ethi-
schen Idealstatus antiker Kunst ab, die es dann nachzuahmen galt. Gegenwärtige Kunst
sollte in dem Versuch bestehen, Annäherungen an die uneinholbaren antiken Vorbilder
zu schaffen. Lessing setzt der ethisch motivierten Konklusion Winckelmanns eine medi-
enspezifische, d. h. eine mediendifferente Analyse der Laokoon-Gruppe gegenüber. Dabei

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

erörtert Lessing, was das medienspezifische Wesen von Dichtung und bildenden Künsten
(Skulptur/Plastik, aber auch Malerei, auf die Lessing allerdings nicht eingeht) ist. Aus die-
ser Erörterung folgt die Bestimmung der Wirkungen und somit auch Aufgaben der ver-
schiedenen Kunst- bzw. Medienformen.
Lessing geht es um die Befreiung der Poesie vom Diktat der Malerei, dass seit dem
horazschen Diktum ut pictora poiesis als Maxime für den literarisch Schaffenden galt. Die
Bevorzugung der Skulptur und der Malerei als analoge Darstellungsverfahren vor dem
literarischen Text kehrt Lessing um. Zwar sei in den bildenden Künsten das Abbilden des
einer Szene/eines Moments/eines Objekts visuell getreu möglich und im Falle der Skulp-
tur das Werk sogar plastisch/dreidimensional und haptisch wahrnehmbar. Hierin liege
die „Wirklichkeitstreue“ der bildhauerischen Nachahmung (Mimesis). Aber diesem Vor-
teil stellt Lessing die Materialität der bildenden Künste entgegen. Die ‚Verstofflichung‘ des
Schreis des Laokoon stößt laut Lessing nicht an sittliche Grenzen der Darstellbarkeit, son-
dern an ästhetische und medienspezifische Grenzen, denn Zeitlichkeit, also Prozesshaf-
tigkeit, Entwicklungen und Folgen sowie Kausalitäten könnten Malerei und Skulptur eben
nicht wirklichkeitsgetreu abbilden. Sie seien auf die Momentaufnahme beschränkt. Bild-
liche Darstellung sei in der Lage, Simultaneität von Ereignissen darzustellen, aber nicht
das Werden, Vergehen, Wandeln, das auseinander Hervorgehen, die Ursache-Wirkungs-
Logik von Ereignissen. Hierzu sei nur die Schrift in der Lage, die wiederum nicht Simulta-
neität, also die Gleichzeitigkeit von Ereignissen und Zuständen darstellen könne.
Aus dieser Repräsentationsdifferenz erkläre sich die Überlegenheit der Literatur im
Rückgriff auf die symbolische Repräsentationsweise sprachlicher Zeichen. Die Zeichen
der Malerei sind nach Lessing „Farben und Figuren im Raume“, die der Dichtung „artiku-
lierte Töne in der Zeit“.3 Dabei ist die bildende Kunst aufgrund ihrer Medien höchstens in
der Lage, „Handlungen nach[zu]ahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper.“ 4 Dem
bildenden Künstler müsse es dabei gelingen, einen Augenblick darzustellen, aus dem das
zuvor Geschehene und das sich noch Entwickelnde, also das Zukünftige, der dargestellten
Szene erahnt werden könnten:

3 Lessing: Laokoon, S. 875.


4 Ebd.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Die Malerei kann in ihren koexistierenden Kompositionen nur einen einzigen Au-
genblick der Handlung nutzen, und muß daher den prägnantesten wählen, aus
welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird.5

Lessing schickt diesem Diktum die Annahme voraus, den beiden Kunstformen kämen auf-
grund ihrer Abbildungsleistungen und –grenzen unterschiedliche Gegenstände zu, die sie
nachzuahmen in der Lage seien:

Gegenstände, die neben einander oder deren Teile neben einander existieren, hei-
ßen Körper [im physikalische Sinne, also alles, das eine Ausdehnung hat; M.G.].
Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegen-
stände der Malerei.
Gegenstände, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heißen über-
haupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poe-
sie.6

Das Nacheinander der Ereignisse sei im Medium Schrift auch als ein Nacheinander der
Zeichen täuschend wirklich nachzuahmen, da die Lektüre ja auch in Einzelschritten (Wort
für Wort, Satz für Satz) vorgeht, und Sinn erst am Ende eines Prozesses (der Textlektüre)
rezipierbar wird. Modern ist Lessings Distinktionsversuch deshalb, weil die Unterschei-
dung der Künste nun an der Materialität des jeweiligen Mediums festgemacht wird: die
Malerei benutzt ‚natürliche’ Zeichen, während die Dichtung auf konventionelle, abstrakte,
arbiträre Sprachzeichen zurückgreift.7 Die Laokoon-Debatte macht zudem deutlich, wie
umfangreich ästhetische und poetologische Überlegungen und Theorien an Erkenntnisse
und Positionen anderer Diskurse anschließen. Unterschiedliche Wahrnehmungsweisen
und das zeitgenössische Wissen um die Einbildungskraft als komplexes Verstandes- und
Verstehensvermögen, das je nach Medium anders fungiert, beeinflussen die Diskussionen
um Schreibweisen und literarische Produktions- und Rezeptionsmodelle.8 In der Folge
entwickelt sich aus dieser Debatte des 18. Jhs. eine äußerst signifikante Psychologisierung
der Poetik, für die es zunehmend gilt, durch Gefühlsausdruck und kunstvollen Einsatz von
psychologisch fundierten Strategien ein Maximum an Wirkung zu erreichen (siehe z. B.
die Epoche der Empfindsamkeit).

5 Ebd.
6 Ebd.
7 Text/Bild-Montagetechniken allerdings überbrücken diese Differenz.
8 Vgl. Binczek/Pethes: Mediengeschichte der Literatur, S. 306.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

3. 1900 / 20. Jh. / 21. Jh.

Um 1900 prägen neue Massenmedien das Rezeptionsspektrum der urbanen Bevölkerung


(Film, Rundfunk). Die Vielfalt der Eindrücke aber auch der Krisenphänomene macht die
Großstadt zu einem wesentlichen Topos soziologischer, politischer, philosophischer und
künstlerischer Reflexion. Als exemplarische Romane lassen sich in dieser Hinsicht Alfred
Döblins Berlin Alexanderplatz (1929), James Joyces Ulysses (1922) und John Dos Passos
Manhattan Transfer (1925) nennen. Walter Ruttmanns Sinfonie der Großstadt (1927) und
Fritz Langs Metropolis (1927) stehen stellvertretend für die Vielzahl filmischer Inszenie-
rungen des Großstadt-Topos. Die literarischen Werke Alfred Döblins sind ein Beispiel für
„[e]mphatische Befürwortungen dieser Interaktion“9 von Literatur und neuen Medienfor-
men. Döblin prägt den Schreibmodus des ‚Kinostils‘, der sich durch eine meist kommen-
tarlose Schilderung und Darstellung der Zustände, Ereignisse, Geschehen und Handlun-
gen auszeichnet. Dieser Stil fokussiert/fokalisiert das Beschriebene ähnlich wie eine Film-
kamera – mal aus geringer Distanz und großen Detailreichtum in der Schilderung, mal aus
großer Entfernung, um Totaleindrücke zu ermöglichen. Zudem orientiert sich die Erzähl-
weise an den harten Schnitten und Übergängen des Mediums Film. Derart konzipierte Er-
zählstrategie erweitert die Zahl der für die Erfassung einer Erzählsituation relevanten In-
stanzen um eine weitere: den Fokus. Man mag fragen, ob der Erzähler Bestandteil der er-
zählten Welt ist, man muss aber auch beachten, aus wessen Perspektive die geschilderten
Dinge, Menschen und Handlungen im Text eigentlich wiedergegeben werden. Diese Per-
spektivierung der Darstellung relativ zum Standpunkt eines wahrnehmenden Subjekts
nennt man ‚Fokalisierung‘. Man unterscheidet Nullfokalisierung (in Form eines auktoria-
len [übersichtigen] Erzählers), interne Fokalisierung (in Form eines aktorialen [‚mitsich-
tigen‘] Erzählers und externen Fokalisierung (in Form einer neutralen Erzählinstanz, die
nicht Bestandteil der erzählten Welt ist). Eine sehr gute Einführung in die Erzähltheorie
und die Analyse narrativer Strukturen in Texten bietet der Band von M. Martinez und M.
Scheffel.10
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist daneben auch der Schauplatz einer für die
Literatur als Ausdruckspraxis ebenfalls herausfordernderen Konkurrenzsituation, die

9 Ebd., S. 307
10 Vgl. Martinez/Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, 63-67. Dort finden Sie eine knappe aber infor-
mative Darstellung der verschiedenen Fokalisierungstechniken.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

durch die Etablierung des Rundfunks an Konturen gewinnt. Poetologisch entwickeln sich
medientheoretische Positionen, die eine Engführung von literarisch-erzählerischer Struk-
tur sowie literarischen Stoffen einerseits und massenkompatiblem Medium (Sendegerät)
andererseits durchdenken. Auch an diesem Diskurs beteiligt sich Döblin poetologisch, ins-
besondere mit Blick auf die neuen Distributionsmöglichkeiten11 vor allem für qualifizierte
literarische Werke, deren quantitativer Stellenwert im Vergleich zur Menge an Unterhal-
tungsliteratur ein geringerer ist:

Jetzt aber die große zweite Gruppe, die lauen Hörer. Was bedeutet ihnen die Lite-
ratur, die der Rundfunk bringt? Sie werden sagen: nichts. Gut, aber glauben Sie,
daß diesen Menschen Bücher etwas bedeuten? Ja, Tarzan der Affe, Detektivge-
schichten, Zeitungsromane und ähnliches. Andere Bücher kommen kaum in Be-
tracht. Und zwar nicht immer nur aus Gleichgültigkeit gegen die Literatur, sondern
- ich spreche hier ja von den Lauen, den Unentschiedenen oder Gehemmten - sehr
oft auch aus Mangel an Ruhe und Zeit. Nun kommt der Rundfunk auch zu diesen
Hörern täglich ins Haus und spricht zu ihnen von Literatur in einer höchst einfa-
chen und bequemen, einer rezitatorisch eindringlichen und stofflich geschickt aus-
gewählten Weise. Sie hören nun doch von Zeit zu Zeit zu. Sie hören die Werke, die
sie längst vergessen oder nie gekannt haben. Irgend etwas bleibt auch hier hän-
gen.12

Was Döblin hier vorschwebt, ist eine Renaissance oraler Literarizität, eine Wiederbele-
bung vorschriftlicher d. h. mündlicher Darstellungsformen durch eine nachschriftliche
Medienform. Während Lyrik und Dramatik auf orale Aufführungspraktiken zurückgreifen
können, bleibt der modernste narrative Gattungstyp – der Roman – einer stillen, solitären
Lektüre vorbehalten. Was von Döblin beklagt wird, ist das Fehlen von Präsenz bei der
stillen Lektüre. Die Stimme aus dem Rundfunk soll die Materialität des Textes (d. h. seine
Schriftlichkeit) überbrücken:

Damit bin ich bei der nächsten Frage, dem Verhältnis der Dichter zu dem neuen
künstlerischen Medium des Rundfunks. Ich meine jetzt natürlich nur lebende Dich-
ter. Sie können im Rundfunk sprechen oder für ihn schreiben, - in beiden Fällen
müssen sie sich dem Wesen der akustischen Abstraktion, in dem nun einmal das
Geheimnis aller Rundfunkwirkungen beschlossen liegt, anpassen. Sie müssen be-
greifen, oder besser, innerlich erleben, daß ein Nursprechen und Nurhören ohne

11 Distribution heißt hier: die notwendigen Mittel und Wege, um ein literarisches Werk den Rezipienten
zugänglich zu machen. Üblicherweise sind für die Buchdistribution Verlage, Bibliotheken, Buchhand-
lungen etc. zuständig.
12 Döblin: Literatur und Rundfunk, S. 6.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Sehen und Gesehenwerden keine schlechtere, sondern einfach eine andere, eine
ganz neue Ausdrucksform und Ausdruckswelt ist. Nur wer sie ernsthaft studiert
und künstlerisch durchlebt, kann sie auch gestalten. Der Rundfunk ist ein neues,
vom Himmel gefallenes schöpferisches Instrument gerade der lebendigen Wort-
kunst.13

Diese Option, literarische Werke auf dem Rundfunkwege zugänglich zu machen, führt
eine alternative Rezeptionsmöglichkeit ein, die nicht mehr in der einsamen Lektüre einer
‚toten Wortkunst‘ besteht. Die Rezeption der „lebendigen Wortkunst“14 kann nun kollek-
tiv geschehen, da eine Vielzahl an Hörern die Übertragung gleichzeitig an einem Ort oder
an vielen getrennten Orten empfangen können. Der Rundfunk erreiche weitaus mehr Hö-
rer, als die Literatur Leser erreichen könne. Die Rezeption läuft über ein low involvement,
der Rundfunk wäre also ein heißes Medium. Die Unterscheidung heiße/kalte Medien geht
zurück auf den Medientheoretiker Marshall McLuhan, der diese Differenzierung in seiner
1962 erschienen Untersuchung Understanding Media. The Extensions of Man einführte, um
Medien, die eine vergleichsweise geringe Eigeninitiative (low involvement z. B. Rundfunk)
des Rezipienten voraussetzen, von solchen Medien unterscheiden zu können, die eine re-
lativ hohe Eigenleistung (high involvement, z. B. Telefon, Internet) des Rezipienten not-
wendig machen. Diese (high involvement) nennt McLuhan ‚kalte Medien‘, jene (low invol-
vement) hingegen ‚heiße Medien‘.15 Das Rundfunkgerät wird zum poeta vates, der Erzäh-
linstanz „archaische(r) Kulturen“, in denen eine „Erzählung niemals von einer Person,
sondern von einem Vermittler“ kam.16 Der ‚toten Schrift‘ stellt Döblin hier die „lebendige
Wortkunst“ – also die Stimme des Vorlesers im Rundfunk bzw. die Hörspielinszenierung
– entgegen. Der Rundfunk solle die Rolle eines ‚modernen Rhapsoden‘ zukommen. Diese
erweiterte Vermittlungsfunktion des Mediums Rundfunk gestattet darüber hinaus das
Durchspielen interaktionistischer Sender-Empfänger-Modelle:

Wenn das Publikum als Empfänger einer Kunstleistung in gewissem Umfange auch
Richter und Wegweiser ist, und wenn diese Fähigkeit sich auch noch anders als
grob äußerlich in Applaus, Kassenrapport oder einer Auflagenhöhe ausdrückt,
dann wäre es denkbar, daß eines Tages auch das unsichtbare Volksauditorium des
Rundfunks eine rückstrahlende Funktion hervorbringt, die bis in die Zentren des
literarischen Schaffens zurückgelangt und dort formgebend und stilbildend

13 Ebd., S. 5.
14 Ebd.
15 Vgl. McLuhan: Understanding media, S. 22–25.
16 Barthes: Der Tod des Autors, S. 186.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

auftritt. Denken wir auch daran, meine Herren, und versäumen wir auf beiden Sei-
ten nicht, dieser durchaus denkbaren Massenrückstrahlung heute, wo sie noch in
der Entstehung begriffen ist, durch gemeinsame hochwertige Arbeit eine künstle-
risch fruchtbare und zeitechte Richtung zu geben. 17

Die Möglichkeit eines interaktionistischen Sender-Empfänger-Modells tritt an Stelle des


klassischen einseitigen Modells Text–Leser, dass für den Leser keine unmittelbare Feed-
backmöglichkeit vorsieht. Ähnlich wie Döblin entwirft auch Brecht in seiner Radiotheorie
potentielle Interaktionsmöglichkeiten. Der Rezipient soll nicht länger passiver Konsu-
ment eines Medieninhaltes sein. Verwendung finden neue Medienformen bereits früh in
Brechts Theaterstücken, insbesondere bei deren Bühneninszenierung. Hier nutzt Brecht
konkurrierende Medien, um Verfremdungseffekte zu generieren. Diese funktionieren im-
mer als Unterbrechung eines scheinbar natürlich-organischen Zusammenhangs. Das Ein-
spielen von Filmen, Singen von Songs auf der Bühne sowie die Gestaltung eines offensicht-
lich unrealistischen Bühnenbildes oder das Zeigen von Plakaten sollen das Publikum irri-
tieren. Die Aufmerksamkeit wird auf die Gemachtheit der Vorführung gerichtet, d. h. die
Zuschauer begreifen sich in ihrer Rolle als Zuschauer. Brecht beschreibt in der im Kontext
der Uraufführung seines Stücks Trommeln für die Nacht (1919, Uraufführung 1922) ent-
standenen Glosse für die Bühne folgende Montage-Techniken:

Diese Komödie wurde in München nach den Angaben Caspar Nehers vor folgenden
Kulissen gespielt: Hinter den etwa zwei Meter hohen Pappschirmen, die Zimmer-
wände darstellten, war die große Stadt in kindlicher Weise aufgemalt. Jeweils ei-
nige Sekunden vor dem Auftauchen Kraglers glühte der Mond rot auf. Die Geräu-
sche wurden dünn angedeutet. Die Marseillaise wurde im letzten Akt durch ein
Grammophon gespielt. [...] Es empfiehlt sich, im Zuschauerraum einige Plakate mit
Sprüchen wie „Glotzt nicht so romantisch“ aufzuhängen.18

Der Einsatz des neuen auditiven Mediums Grammophon ist Referenz auf zeitgenössische
Medienumbrüche, aber auch ein Indiz für die fremdreferentielle Beobachtung konkurrie-
render Medien durch Literatur19 (hier im Modus der Bühneninszenierung). Die performa-
tive Transformation von Schrift (Text) zu visueller/auditiver Inszenierung (Theater) er-
laubt den Einsatz alternativer Medien aber nicht nur seit der Moderne. Die Aufführungs-
praxis des Theaters ist prinzipiell ein Kommunikationsrahmen, indem Musik, Kulissen,

17 Döblin: Literatur und Rundfunk, S. 7.


18 Brecht: Anmerkungen zur Dreigroschenoper, S. 58.
19 Vgl. Binczek/Pethes: Mediengeschichte der Literatur, S. 305.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Leinwand oder Beleuchtung das dramatische Narrativ erst präsentierbar machen. Zeitge-
nössische Bühneninszenierungen arbeiten vermehrt mit elektronischen Medienformen
(Video, Internet, Holographie).
Döblins Kinostil/Rundfunktheorie und Brechts Radiotheorie eignet ein gemeinsa-
mer Gedanke: die Transformation der Literaturrezeption von einem individuellen, solitä-
ren Erlebnis hin zu einer durch Massenmedien initiierten Kollektivrezeption. Die Auswir-
kungen einer solchen massenmedialen Kunstrezeption auf den spezifischen Status von
Kunst hat zeitgenössisch Walter Benjamin am prägnantesten formuliert. Sein Essay Das
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935/36) kreist um die
Frage, wie die neuen Medienformen (hier vor allem die visuellen Medien Fotografie und
Film) die Vorstellung von der Einmaligkeit, Singularität und Originalität des Kunstwerks
endgültig negieren. Diese Wesensmerkmale hätten das „Auratische“ des Kunstwerks aus-
gemacht, weshalb dieses ein fast magisches und meist kultisches Objekt werden konnte
(siehe z. B. den Kultcharakter der Genieästhetik oder den Biographismus20). Anschaulich
macht Benjamin das am Beispiel des singulären Gemäldes und des Konkurrenzmediums
Fotografie, das die massenhafte Vervielfältigung erlaubt und somit Originalität, Einmalig-
keit und Kultcharakter einer massenmedialen Kunst nicht mehr attestiert werden könn-
ten. Noch weiter aber geht das Medium Film:

Man kann, was hier ausfällt, im Begriff der Aura zusammenfassen und sagen: was
im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das
ist seine Aura. Der Vorgang ist symptomatisch; seine Bedeutung weist über den
Bereich der Kunst hinaus. Die Reproduktionstechnik, so ließe sich allgemein for-
mulieren, löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Indem sie die
Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens
sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden
in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reprodu-
zierte. Diese beiden Prozesse führen zu einer gewaltigen Erschütterung des Tra-
dierten und einer Erschütterung der Tradition, die die Kehrseite der gegenwärti-
gen Krise und Erneuerung der Menschheit ist. Sie stehen im engsten Zusammen-
hang mit den Massenbewegungen unserer Tage. Ihr machtvollster Agent ist der
Film.21

20 Vgl. Jannidis/Winko/Martinez: Autor und Interpretation, S. 11.


21 Benjamin: Kunstwerk, S. 477–478.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Die Veränderung der Kulturkontexte ermöglicht laut Benjamin neue Techniken, die wie-
derum neue Medienformen hervorbringen, aus denen notwendig neue Arten der Erfah-
rung und der Wahrnehmung resultieren:

Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Da-
seinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahr-
nehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich or-
ganisiert – dass Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich sondern auch
geschichtlich bedingt.22

Die affirmative und konstruktive Kooperation unterschiedlicher Medienformen ist


ein Wesenszug popliterarischer Strömungen, die sich mit den späten 60er Jahren als ‚Kul-
turtransfer‘ der amerikanischen Literatur- und Kunstentwicklung auch im deutschen Li-
teraturbetrieb – wenn auch zögerlich – etablieren können. Die von der Visualität und To-
nalität konkreter Poesie, der Collage- und Montagetechnik expressionistischer Kunst so-
wie den neuen Performativen des modernen Films, der Fotografie und des Comics inspi-
rierte popliterarische Bewegung findet einen vehementen Vertreter im Kölner Schriftstel-
ler und Pop-Autor Wolf Dieter Brinkmann. Dessen ‚Flächengedichte‘, die sich meist über
mehrere Doppelseiten erstrecken, sind ein Indiz für die Verschränkung medialer Aus-
drucksformen. Die graphische Anordnung und die formale Struktur des Gedichts verhin-
dern bereits eine konventionelle Rezeption. Die Gestaltung des Gedichts lässt keine kon-
sistente lineare Lektüre zu (multiple Sprecherstimmen und einmontierte O-Töne − insbe-
sondere Zitatfetzen aus Pop-Songs − müssten miteinander vermischt werden, wenn das
Gedicht vorgetragen werden sollte). Der Text setzt sich aus heterogenen Materialien und
Verweisen auf Inhalte aus konkurrierenden Medienformen zusammen, die über die Flä-
che des Papiers verteilt sind:23

22 Ebd., S. 478
23 Brinkmann: Westwärts 1 & 2, S. 165 f..

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Eine weitere Annäherung lyrischer Ausdrucksweise an Konkurrenzmedien sind snapshot-


Gedichte. Hier fungiert der poetische Text als Bildbeschreibung eines fotografisch festge-
haltenen Ausgenblicks:

Die Orangensaftmaschine

dreht sich & Es ist gut, daß der Barmann


zuerst auf die nackten Stellen eines
Mädchens schaut, das ein Glas kalten

Tees trinkt. "Ist hier sehr heiß,


nicht?" sagt er, eine Frage, die
den Raum etwas dekoriert,

was sonst? Sie hat einen kräftigen


Körper, und als sie den Arm
ausstreckt, das Glas auf

die Glasplatte zurückstellt,


einen schwitzenden, haarigen
Fleck unterm Arm, was den Raum

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

einen Moment lang verändert, die


Gedanken nicht. Und jeder sieht, daß
ihr's Spaß macht, sich zu bewegen

auf diese Art, was den Barmann


auf Trab bringt nach einer langen
Pause, in der nur der Ventilator

zu hören gewesen ist wie


immer, oder meistens, um
diese Tageszeit.24

In der Linearität des Textes soll die Räumlichkeit der beschriebenen Sekunde erfahrbar
gemacht werden, dabei versucht das Gedicht, grafische Erzählstrategien zu simulieren,
die aber nur durch Schrift angedeutet werden können. So ist die Frage „Ist sehr heiß hier,
nicht?“ Simulation einer Sprechblase, deren Räumlichkeit und Materialität erfahrbar ge-
macht wird („eine Frage, die den Raum etwas dekoriert“).
Unter den aktuell Literatur Schaffenden gehört Rainald Goetz sicherlich zu den Au-
toren, die Medienkonkurrenzaspekte besonders intensiv reflektieren. So lassen sich in
seinen Texten vielfach Montagtechniken beobachten. Mithilfe dieser Techniken werden
nicht nur mediale Formen kombinativ verschränkt, sondern die Abstraktheit und damit
Nicht-Sinnlichkeit des Textes im Vergleich zu sinnlich unmittelbar erfahrbaren Medienin-
halten thematisiert. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist Goetz durch sei-
nen Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt 1983, wo er sich wäh-
rend der Lesung seines Textes Subito die Stirn aufschnitt und blutend vom blutver-
schmierten Blatt weiterlas. Den provokativen, punkigen Charakter seines Textes, der als
Pamphlet gegen den Kulturbetrieb wettert, erzeugt Goetz, indem er die ganze Wettbe-
werbssituation (Jury, Zuschauer, lesende Autoren, TV-Kameras), in der er sich während
der Lesung befindet, zum Topos seines eigenen Textes macht. Erzählt wird das Gespräch,
das Goetz mit Bekannten in Vorbereitung auf die Lesung am Vortag des Wettbewerbs ge-
führt hat:

Schon schläft der erste Kritiker ein, sagte Raspe, oder schon zwei schnarchen mit
dem Gehirn, während sie auf das Papier hin schauen, und einer kratzt sich unter
dem Tisch an seinem Sack, weil der ihn juckt, das kannst du dann nicht

24 Ebd., S. 24

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

kontrollieren, während du liest, weil du ja voll in Panik bist, während die, vor de-
nen du deine Panik hast, sich immer wieder fragen, ob sie vor lauter Langeweile
bloß noch einen Tannenreisig im Kopf drin haben, da wo vorher noch ein soge-
nanntes Hirn gewesen ist, wenn vorher eines dagewesen ist, das ist ja von Mensch
zu Mensch verschieden, was da ist, im Kopf, so eine komische Langeweile, so ein
staunendes Daß ich jetzt dies Jahr hier schon wieder sitze und schon wieder so ein
Blödel liest, die müssen sich das ja vier Tage soundsoviel Stunden an den Kopf
hauen lassen, die ganze Literatenphantasie, so eine Riesenscheiße sagte Raspe und
Gagarin nickte, und du selber sitzt mitten in der Scheiße drin, das ist das Gute, das
Beste an Klagenfurt ist logisch, daß du selber voll in der Scheiße sitzt. So eine
Scheiße ist das, sagte Gagarin, daß muß ja eine Scheiße sein. Logisch ist das eine
solche Scheiße, sagte Raspe und bestellte noch ein Bier.25

Den Schnitt über seine Stirn macht Goetz, während er folgende Passage vorliest:

Ihr könnts mein Hirn haben. Ich schneide ein Loch in meinen Kopf, in die Stirne
schneide ich das Loch. Mit meinem Blut soll mir mein Hirn auslaufen.26

Rainald Goetz blutend beim Vortrag von Subito27

Text (Fiktion) und Aktion (Faktum) treten dabei in Parallele, die repräsentative Ebene der
Zeichen wird übersetzt in die mit Augen und Ohren erfahrbare Realsituation, weil Subito

25 Goetz: Subito, S. 12–13.


26 Ebd., S. 20.
27 Die Aufzeichnung des Vortrags können Sie sich auf Youtube unter dem Link: http://www.y-

outube.com/watch?v=_BEjgp9MAEY anschauen. Interessant sind zudem die Reaktionen der Jury, allen
voran Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und Literaturwissenschaftler Gert Ueding. Beachtenswert
ist dabei die reflexartige Abwertung des Goetzschen Textes durch Ueding, der dem Vortrag wie auch
dem Text ‚Originalität‘ gänzlich abspricht. Insgesamt sind Vortrag und Bewertung durch die Jury ein
Exempel für Autorinszenierung, Autorfunktionen und Autorschaftskonzepte.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

die Lesesituation, die mediale Defizienz der Literatur und die Strukturen des Literatur-
diskurses gleichzeitig für den Fernsehzuschauer erfahrbar macht. Einem Leser bzw. Hö-
rer des Textes wäre diese visuelle Beobachtung des tatsächlichen Blutens gar nicht mög-
lich. Die Aktion macht daher nur Sinn durch die Präsenz und Aufzeichnungsmöglichkeit
des Mediums Fernsehen bzw. der technischen Apparatur der Kamera. Darstellungswei-
sen der Konkurrenzmedien werden produktiv in die Literatur integriert, ohne dass die
Thematisierung des Simulationscharakters der Konkurrenzmedien außen vor bleibt:

Wir brauchen keine Kulturverteidigung. Lieber geil angreifen, kühn totalitär roh
kämpferisch und lustig, so muß geschrieben werden, so wie der heftig denkende
Mensch lebt. Ich brauche keinen Frieden, weil ich habe den Krieg in mir. Am we-
nigsten brauche ich die Natur. Ich wohne doch in der Stadt, die wo eh viel schöner
ist. Schaut euch lieber das Fernsehen an. Wir brauchen noch mehr Reize, noch viel
mehr Werbung Tempo Autos Modehedonismen Pop und nochmal Pop. Mehr vom
Blauen Bock, mehr vom Hardcoreschwachsinn der Titel Thesen Temperamente
und Akzente Sendungen. Das bringt uns allabendlich in beste Trinkerlaune. Nichts
ist schlimm, nur die Dummheit und die Langeweiler müssen noch vernichtet wer-
den. So übernehmen wir die Weltherrschaft. Denn alles alles alles geht uns an.28

Zwar sieht Goetz in seinen Werken die Literatur innerhalb der Medienkonkurrenz mit
Malerei, Fotografie, Film, Musik (Pop/Techno/Punk) in einer unterlegenen Position. Den-
noch versucht er eine literarische Schreibweise, die Musik und Visuelles auch über Lite-
ratur und Schrift ästhetisch vermittelbar machen soll, so z. B. in seiner umfangreichen Er-
zählung Rave (1998), die den Techno-Hype der 90er Jahre zum Thema hat und über die
er an anderer Stelle schreibt:

Und obwohl es so viel Text auf der Welt schon gibt, ist mein wirklich beinahe täg-
liches Gefühl, dass die sprachliche Übersetzung und schriftliche Darstellung der
Wirklichkeit der Welt des Menschen eigentlich noch ganz am Anfang steht. Auch
das meint der Titel ›Heute Morgen‹, diese supergrundsätzliche Anfänglichkeit. Ich
finde schon, dass ›Rave‹ ein Buch über die Nacht ist, das ein paar Sachen fasst und
trifft. Aber jeder WIRKLICHE Rave ist natürlich tausend-, milliardenfach mal mehr,
in jeder Hinsicht: mehr Worte, mehr Wahrheit, mehr Menschen, mehr Musik, mehr
Leben, mehr Bier, mehr Mehr. Die Schrift kann, gerade im Gegensatz zum Bild, ganz
wenig, sie ist wirklich ein trauriger Krüppel. Aber für den, der die Schrift liebt, ist
dieser traurige, der Welt hinterherhinkende Krüppel das Inbild des richtigen Le-
bens.29

28 Goetz: Subito, S. 21.


29 Goetz: Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 176–177.

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Medialität der Literatur – Literatur als Medium

Hinzuweisen sei nur noch kurz auf sein Internet-Tagebuch Abfall für alle, das auch in
Druckform unter Beigabe des Untertitels Roman eines Jahres vorliegt und in dem Goetz
auf die neue Medienwirklichkeit des Internets eingeht.

4. Bibliographie

Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Texte zur Theorie der Autorschaft, herausgege-
ben von Fotis Jannidis. Stuttgart: Reclam 2000, S. 185–193.
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.
In: Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, Hg. von Rolf Tiedemann und Her-
mann Schweppenhäuser. Band 1. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998, S. 471–508.
Binczek, Nathalie und Nicolas Pethes: Mediengeschichte der Literatur. In: Handbuch der
Mediengeschichte. Hg. von Helmut Schanze. Stuttgart: Kröner 2001, S. 282–315.
Brecht, Bertolt: Anmerkungen zur Dreigroschenoper. In: Bertolt Brecht. Werke. Große
kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht und Jan
Knopf. Band 24. Berlin u.a.: Suhrkamp 1988.
Brinkmann, Rolf Dieter: Westwärts 1 & 2. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1980.
Döblin, Alfred: Literatur und Rundfunk. In: Dichtung und Rundfunk. Reden und Gegenre-
den, herausgegeben von der Reichs-Rundfunkgesellschaft. Berlin 1930, S. 2–7.
Goetz, Rainald: Jahrzehnt der schönen Frauen. Berlin: Merve 2001.
Goetz, Rainald: Subito. In: Rainald Goetz: Hirn. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 9–21.
Horatius Flaccus: De arte poetica liber., o. J.
Jannidis, Fotis, Simone Winko und Matias Martinez: Autor und Interpretation. In: Texte
zur Theorie der Autorschaft, herausgegeben von Fotis Jannidis. Stuttgart: Reclam
2000, S. 7–29.
Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon Oder Über die Grenzen der Malerei [1766]. In: Gott-
hold Ephraim Lessing. Gesammelte Werke. Hg. von Wolfgang Stammler. Mün-
chen: Hanser 1959, S. 781–962.
Martinez, Matias und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. Müchen: C.H.
Beck 2007.
McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle - Understanding Media. Dresden, Basel: Ver-
lag der Kunst 1994.

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