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2a.

Antike
• Erste Prosaschriften entstehen ab Mitte des 7. Jh.s v. Chr., und zwar als Vorformen der
Geschichtsschreibung und Naturphilosophie. Während Poesie insbesondere als Medium
kollektiver Erinnerungskultur fungiert, steht die spätere Prosa meist im Dienste einer rationalen
Welterkenntnis. Die erste Verwissenschaftlichung von Dichtung (in Prosaform) wird in der
Sophistik (Gorgias von Leontinoi, s. u.) geleistet.

Eine Übersicht repräsentativer Autoren der frühen griechischen


Literaturgeschichte:
Poesie Prosa: Epos Homer 8. Jh.v.Chr.Hesiodum 700 v.Chr.
Lyrik: Sappho u.a.um 600 v.Chr.
Philosophie: Anaximander von Milet 610-547 v.Chr.
Geschichte Hekataios von Milet 560-nach 494 v.Chr.
Drama: Aischylos 499-456 v.Chr.
Sophistik Gorgias von Leontinoica. 480-380 v.Chr.

• Bis ins 5. Jh. v. Chr. ist Prosa weitgehend esoterisch, d.h. auf einen engen Adressatenkreis
beschränkt. Eine literarische Öffentlichkeit etabliert sich erst mit der Entwicklung des
Buchwesens in der 2. Hälfte des 5. Jh.s v. Chr. Bis Platon und Aristoteles beziehen sich
poetologische Fragestellungen demzufolge auf mündliche Vortragsweisen (etwa Aufführungen
von Dramen). Da Literatur von Beginn an als gesellschaftliche Form angesehen wird, ergeben
sich folgende Aspekte als Leitfragen der poetologischen Diskussion:
• . die Wirksamkeit von Dichtung
• . der Wahrheitsanspruch von Dichtung
• . die gesellschaftliche Relevanz von Dichtung
• Die Grundfrage in der gesamten poetologischen Diskussion in der Antike ist jedoch, die Frage
nach der Wahrheit der Dichtung. Kann Dichtung Wissen vermitteln, wie Philosophie dies zu
leisten vermag?

• Plato 428-348 v.Chr. / Werke: Ion, Politeia (der Staat) u.v.a.


• Nach Platon besitzt die Dichtung keinen hohen Wert, und zwar aus zwei Gründen:
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• a) ontologisches Argument:
• Platon vergleicht Dichtung mit der Malerei: Wie ein Maler eines Tisches nur ein Abbild des
Gegenstandes, Tisch' liefert, stellt auch die Dichtung nur, Trugbilder' der Wirklichkeit her. Da
die nachgeahmten Gegenstände selber bereits bloße Abbilder der Ideen sind, befindet sich
Dichtung in doppelter Distanz zu den Ideen. Sie liefert also Trugbilder ,zweiten Grades' und ist
der Philosophie damit weit unterlegen.
• b) sittliches Argument:
• Dichtung ist sittlich fragwürdig (vgl. etwa die Darstellung des Götterstreits bei Homer).
• Die einzig legitime Dichtung ist die philosophische Dichtung, da sie von der Vernunft geleitet ist
und zu gesicherter Erkenntnis führt.

Sappho, Pompéi

• Aristoteles 350-322 v. Chr. / Werke: Über die Dichtkunst


u.v.a.

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• Von Aristoteles stammt die erste Schrift, die sich dezidiert der Dichtung widmet. Unter
Preisgabe der platonischen Ideenlehre liefert Aristoteles Argumente rur eine Rehabilitation der
Erkenntnisfunktion von Dichtung. Anders als Platon versteht er Dichtung unbefangen von
sozialen Zweckvorstellungen und analysiert die Literatur, wie sie vorliegt.

• Gegen Plato richtet sich folgende Passage: (Aristoteles. Poetik. Kap.9)

• "Aus dem Gesagten ergibt sich auch, daß es nicht Aufgabe des Dichters ist mitzuteilen, was
wirklich geschehen ist (was ja stets eine kontingente Ereignisfolge ohne innere Kausallogik ist),
sondern vielmehr, was geschehen könnte, d.h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit
oder Notwendigkeit Mögliche (dynatá). Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter
unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß sich der eine in Versen (émmetra) und der
andere in Prosa mitteilt man könnte ja auch das Werk Herodots in Verse kleiden, und es wäre
in Versen um nichts weniger ein Geschichtswerk als ohne Verse = Gorgias; sie unterscheiden
sich vielmehr dadurch, daß der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was
geschehen könnte. Daher ist Dichtung (poiesis) etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als
Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine (ta kathólu), die
Geschichtsschreibung hingegen das Besondere(ta kath'hékaston) mit. Das Allgemeine besteht
darin, daß ein Mensch von bestimmter Beschaffenheit nach der Wahrscheinlichkeit oder
Notwendigkeit bestimmte Dinge sagt oder tut eben hierauf zielt die Dichtung, obwohl sie den
Personen Eigennamen gibt. Das Besondere besteht in Fragen wie: was hat Alkibiades getan
oder was ist ihm zugestoßen."

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Kommentar
Poetik ist die Lehre und Wissenschaft von Wesen, Gattungen und Formen der Dichtung.
Aristoteles hat eine Poetik entworfen, die zunächst polemisch gegen Platos Ansichten gerichtet
war. Seine Poetik legt einerseits die Mimesis als Grundprinzip der Dichtung fest, andererseits
schreibt sie der sprachlichen Mimesis einer besonderen Bedeutung zu. Sprachliche Mimesis kann
nach Aristoteles nicht nur geschehene Handlungen nachahmen, sondern auch Handlungen
erfinden. Die Dichtung, die erfundene Handlungen (Fiktion) sprachlich darstellt, stellt Aristoteles
über die sprachliche Mimesis der Wirklichkeit
Fiktion nennt man eine Aussage bzw. die Darstellung eines Sachverhalts oder Geschehens
ohne überprüfbare Referenz, ohne nachweisbaren Wirklichkeitsbezug, die demnach weder
'wahr' noch 'falsch' genannt werden kann.
Stellt also Aristoteles die sprachliche Mimesis des Möglichen über die sprachliche Mimesis des
Wirklichen, so interessiert ihn nicht so sehr wie man ein guter Dichter wird, obwohl er auch ein paar
Tipps dazu gibt, wie man dichterische Techniken anwenden kann. Was ihn vor allem interessiert ist
einerseits, welche Wirkung gute Dichtung haben kann bzw. hat. Andererseits versucht er die
Dichtung seiner Epoche zu kategorisieren, zu klassifizieren und er gibt einige erste Definitionen,
was die verschiedenen Künste bzw. die verschiedenen Gattungen betrifft.
Aristoteles fasst die Besonderheiten verschiedener dichterischen Formen zusammen und
entwickelt ein erstes Gattungssystem. Wir haben letztes mal gesagt, dass man allgemein unter
Gattungen eine Dreiteilung versteht nämlich Epik, Lyrik, Drama, während weitere Unterteilungen
folgen. Dies ist aber eine Ansicht, die erst im 18. Jahrhundert ausreifen wird. In der Antike, aber
auch später, ist eine solche Klassifikation nicht so scharf. Aristoteles z.B. geht von einzelnen
Werken aus, bestimmt ihre Grundelemente, wie z.B. Handlungsverlauf, Charaktere, Dialogpartien
usw., er stellt aber auch einzelne Regeln und Techniken fest. Wegen der fragmentarischen Form
seiner Poetik können wir aber nicht sicher sein, ob Aristoteles sich überhaupt mit einer
Gattungssystematik befasste, oder ob er grundsätzlich eine Theorie der Tragödie entwerfen wollte.
Wie auch immer hat Aristoteles bestimmte Gesichtspunkte festegelegt, und eine erste Ordnung
geschaffen.

"Das Epos also und die Dichtung der Tragödie, ferner die Komödie, die dithyrambische Poesie und der
größte Teil der Auletik und Kitharistik, sie alle sind in iher Gesamtheit nachahmende Darstellungen
[mimesis]. Es besteht unter ihnen ein dreifacher Unterschied, nämlich in bezug auf die verschiedenen

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Mittel, die verschiedenen Gegenstände und die verschieden Art der Darstellung und zwar nicht in
gleicher Weise."
(Übrs. v. Gigon)

Mimesis ist das Grundprinzip, die gemeinsame Eigenschaft, sowohl der Künste untereinander, aber
auch der poetischen Gattungen, die hier insgesamt vier sind: Epos, Tragödie, Komödie und
Dithyrambus.
Die drei weitere Einteilungsprinzipien, die hier genannt werden, also Mittel, Gegenstand und Art der
Mimesis haben eine lange und bedeutende Diskussion angeregt. Als das bis heute wichtigste Prinzip
hat sich die Art der Mimesis erwiesen und zwar die Frage: Wer spricht?

Redekriterium
genus narrativum: der Dichter redet selbst
genus dramaticum: die handelnden Personen reden
genus mixtum: Dichterrede und Personenrede wechseln sich ab

Kommentar
Je nach Interpretation des aristotelischen Prinzips, dass Dichtung immer die Nachahmung handelnder
Personen ist, haben wir entweder nur zwei Gattungen, Epik und Drama - ohne Lyrik, oder drei
Gattungen Epik, Drama, Lyrik oder sogar vier Epik, Drama, Lyrik und Dialektik. Eigentlich hat
Aristoteles aber keinen Sammelbegriff für die Lyrik, (Lyrik fehlt völlig auch bei Platos Überlegungen
über die Dichtung), obwohl die Oden, also die Liebesdichtung, schon damals eine lange
Entwicklungsgeschichte hinter sich hatte. Dabei versteht Aristoteles unter Epik nur Homers Ilias und
Odyssee. Man darf sich also bei Aristoteles unter Epik keineswegs Erzählungen oder Romane

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vorstellen. Die ersten Romane, wie wir den Begriff heute verstehen, erscheinen erst in der
späthellenistischen Zeit, also etwa im ersten Jahrhundert v.Chr. Warum Aristoteles nicht über die Lyrik
spricht, ist eine Frage, die offen ist. Dass er aber über die Erzählprosa nichts erwähnt ist verständlich:
die gab es noch nicht. Und hier sehen wir das erste Problem, das ein Systematiker der Poetik nicht
lösen kann: er kann keine absolute, überzeitliche Aussagen machen. Die Gattungen sind nämlich an
einem bestimmten historischen Kontext gebunden und hängen von den literarischen Produkten einer
jeweiligen Epoche ab.

Siehe dazu auch:


Albert Meier: Poetik in: Heinz Ludwig Arnold u. Heinrich Detering (Hrsg.): Grundzüge der
Literaturwissenschaft, München 2003, S.205-218.

Horaz (65-8 v.Chr): Epistula ad Pisones


(Ars Poetica) (14 v.Chr.)
Aus der Übertragung der Prinzipien der Malerei auf die Dichtung - "ut pictura poesis" ("die Dichtung
wie die Malerei") - ergibt sich für die Dichtung die Idee des Kunstwerks als eines einheitlichen Ganzen
("unum"):

"Wollt an ein menschliches Haupt ein Maler den Hals eines Pferdes Fügen, die Glieder dann nehmen
von allen nur möglichen Tieren, Bunt mit Federn geschmückt, um garstig in schwärzlichen Fischleib
Schließlich das Weib, das oben so schön, dann enden zu lassen, Würdet ihr, lüde man euch als
Freunde zum Schaun, da nicht lachen? Glaubt mir, Pisonen, ganz ähnlich ist solchem Gemälde die
Dichtung, Die gleich Träumen des Kranken phantastische Bilder uns vorführt So daß dabei weder Fuß
noch Kopf einem einzigen Körper Wirklich gehören. [...]
Schließlich sei's, was es will, nur einfach und eine Einheit."
Horaz: Ars Poetica V.1-9/23 (Übers. v. R. Helm)
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Die Wirkung von Dichtung richtet sich nach Horaz auf zwei Kategorien: den gesellschaftlichen Nutzen
und das ästhetische Vergnügen: "aut prodesse volunt aut delectare poetae" (= "die Dichter wollen
entweder nützen oder unterhalten").

Der Dichter soll sich an der gesunden Vernunft orientieren: "scribendi recte sapere est et principium et
fons" (= "die richtige Einsicht ist Ursprung und Quelle, um richtig zu schreiben"). Das Prinzip des
,poeta doctus' steht in scharfer Polemik zu allen Genielehren. Horaz dient später als Basis für
Regelpoetiken.

Poeta doctus [lat., gelehrter Dichter]: seit der alexandrin. Epoche der altgriech. Literatur (4.-1. Jh. v. u.
Z.) bestehendes Ideal des Dichters, der nicht schlechthin wissenschaftl. Werke verfaßt, wohl aber
immenses Bildungsgut in seine Werke einbringt. [...]" Wörterbuch der Literaturwissenschaft hg. v.
Claus Träger, Leipzig 1986.

Kommentar
Horaz veröffentlicht seine Poetik im Jahr 14 v.Chr. unter dem Titel Epistola ad Pisones. Es handelt
sich um einen Brief in Versen, der später den Titel Ars Poetica bekam. Ars Poetica hatte eine enorme
Wirkung, die bis zum 18. Jahrhundert nach Christus hinreicht. Der wirkungsvollste Gedanke darin ist,
dass die Literatur wie die Malerei verfahren soll. Der berühmte Satz lautet: Ut pictura poesis (die
Dichtung wie die Malerei).
Wenn aber die Dichtung wie die Malerei sein soll, dann soll das sprachliche Kunstwerk ein
einheitliches Ganzes sein, das nach Horaz, einerseits dem Leser nützen soll, (also auch etwas
lehren), andererseits ihm ästhetisches Vergnügen bereiten. Der berühmte Satz dazu lautet: "aut
prodesse volunt aut delectare poetae" (die Dichter wollen entweder nützen oder unterhalten).
Prodesse et delectare ist ein geflügeltes Wort geworden. Doch das war nach Horaz nicht das Einzige,
was eine gute Dichtung sein sollte, also lehrreich und amüsant. Der Dichter sollte sich auch an der
gesunden Vernunft orientieren und "anständige" Figuren entwerfen.
Dieses Prinzip nennt man poeta doctus, und ist ein Prinzip, gegen das alle Geniepoetiken polemisch
gerichtet waren. Horaz ist für die deutsche Literaturgeschichte besonders wichtig, denn er liefert die
Grundgedanken für die ersten deutschsprachigen Poetiken und gilt bis Lessing als unanfechtbare
Autorität.

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Der kleine Brief von Horaz hatte eine enorme Wirkung im Mittelalter. Erst in der Renaissance wird
Aristoteles wieder entdeckt. Es hat nämlich sehr lange gedauert bis die Poetik übersetzt worden ist.
Erst 1498 wurde sie ins Lateinische übersetzt und 1753 ins Deutsche. Das erklärt, warum die
Renaissance-Poetiken sich mehr auf Horaz berufen als auf Aristoteles.

Normative bzw. präskriptive Poetik: Regelpoetik, die neben genaue Hinweise zur
Thematik und poetischen Technik, auch Kriterien vorschreibt, deren Erfüllung über den Rang des
jeweiligen Werkstücks entscheiden (Siehe: Vogt, S.83f.)
Präskriptiv = auf Vorschriften beruhend; ~e Poetik; eine Poetik, die nicht versucht die Regeln der
Literatur abzubilden, sondern sie ihr vorzuschreiben.

In der Renaissance sind neue Rhetoriken verfasst worden, die eigentlich sich nur mit der Stilistik
befasst haben, also im Grunde genommen eine Art Poetiken waren. In der Renaissance sind aber
auch Poetiken geschrieben worden, die sehr einflussreich waren und die Dichterpraxis vom 15.
Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert bestimmt haben. Diese Poetiken haben vier Merkmale
gemeinsam.
Erstens sie berufen sich auf die antiken Autoritäten Horaz und Aristoteles. Zweitens sie verteidigen die
Nationalsprachen gegenüber dem Lateinischen und behaupten, dass sie als Sprachen dieselben
dichterischen Möglichkeiten haben, wie das Lateinische. Drittens sie verstehen sich als Regelwerke,
als Regelpoetiken. Das heißt, sie gehen einerseits davon aus, dass man das Dichten lernen kann.
Andererseits sie geben genaue Hinweise zur Thematik, Aufbau, und zur poetischen Technik für die
einzelnen Gattungen. Und viertens sie unterbreiten bestimmte Kriterien im Bezug auf was gute
Dichtung ist. Wenn ein Werk diese oder jene Kriterien erfüllt, hat es diesen oder jenen Rang.
Diese Poetiken nennt man normative Poetiken oder präskriptive Poetiken.

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