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2012

Berufsausbildung mit ADHS

Vertiefungsarbeit

Stefan Wälchli

30.12.2012

© Stefan Wälchli 2014


Inhaltsverzeichnis

Vorwort S. 3
Fachliche Informationen S. 4
Was ist ADHS? S. 4
Was verursacht ADHS? S. 4
Was bedeutet der Begriff ADHS? S. 5
Typische ADHS-Symptome S. 6
Diagnostik S. 11
Therapie S. 11
Begleiterkrankungen S. 11
Vorwort zur Geschichte S. 13
Prolog S. 14
1.Lehrjahr S. 17
Der 1.Tag S. 17
Der erste Tag in der neuen Schule S. 20
Pünktlichkeit S. 23
Aufmerksamkeit S. 25
Kritikfähigkeit / Sensibilität / Eigensinnigkeit S. 28
2.Lehrjahr S. 31
Selbstorganisation am Arbeitsplatz /
Zeitmanagement S. 31
Routine / Behalten können von Aufträgen/
Strukturiertes Arbeiten S. 33
Depressionen S. 36
3.Lehrjahr S. 40
Prüfungssituation S. 40
Das Beste zum Schluss S. 43
Schlusswort S. 44
Danksagung S. 46
Literaturtipps S. 47
Quellenverzeichnis S. 48
Anhang
2
Vorwort

Hallo miteinander. Sie haben sich also entschieden, sich mit meiner Arbeit zu befassen, super!

Ich habe diese Arbeit geschrieben, da ich selbst betroffen bin und bereits den zweiten Anlauf
nehme, um erfolgreich eine Berufsausbildung zu absolvieren.
Meine erste Ausbildung als Koch habe ich nach rund einem halben Jahr wieder abgebrochen, da
ich jegliche Freude am Beruf verloren hatte und psychisch nicht mehr imstande war, der enormen
Belastung Stand zu halten.
Da diese Arbeit aber keine Aufarbeitung meines Lebens werden soll, werde ich hier nicht weiter
darauf eingehen.

Momentan absolviere ich meine Ausbildung zum Zierpflanzengärtner, Schwerpunkt Garten und
Friedhofspflege EFZ, in der Gartenbauschule Hünibach. Ein Bestandteil dieser Ausbildung ist das
Schreiben einer schriftlichen Vertiefungsarbeit zu einem frei wählbaren Thema (welche Sie gerade
in den Fingern halten).

Ich habe mich für dieses Thema entschieden, weil ich im Verlaufe meiner bisherigen Ausbildung
(sowohl der als Koch wie der jetzigen) immer wieder festgestellt habe, wie schwer es Nicht-
Betroffenen fällt, mich in Problemsituationen zu verstehen, respektive meine Erklärungsversuche
(wenn ich denn überhaupt welche unternommen habe).
Zudem wusste ich meist selbst nicht, was ich unternehmen könnte, damit diese Probleme
vermieden oder zumindest entschärft werden könnten.

Sie werden in dieser Arbeit sicherlich hin und wieder Situationen antreffen, welche Sie aus der
einen oder anderen Position schon erlebt haben. Da ADHS so komplex in seiner Entfaltung im
Menschen ist, ist sicher nicht jede Situation oder Problematik beschrieben, die jemand schon in
irgendeiner Form gehabt hat. Ich habe mich auf die mir bekannten häufigsten und typischsten
Probleme konzentriert, damit möglichst von Jedem etwas dabei ist.
Ergänzt ist jede Situation mit einer Erklärung, was genau in dieser Situation passiert ist, bzw. was
dazu geführt hat.
Wenn man versteht wie ein Problem entsteht, ist es viel leichter damit umzugehen.

Nachfolgend werden immer Tipps beschrieben (unterteilt in solche für Betroffene, solche für
Lehrpersonen/ Ausbildungsverantwortliche, und solche für Eltern und Vertrauenspersonen.).
Diese Tipps sind genauso wie die Arbeit selbst grösstenteils auf meinen eigenen Erfahrungen und
der von anderen Betroffenen aufgebaut. Ergänzt habe ich sie stellenweise mit Inhalten aus
bestehender Literatur zur ADHS-Symptomatik und Bestandteilen meines Interviews mit einer
Fachperson.

3
Das Ziel dieser Arbeit ist es, das gegenseitige Verständnis, die Kommunikation und den Umgang
mit auftretenden Problemen zu verbessern.
Sie soll vermitteln wie damit umgegangen werden könnte und mögliche Lösungsansätze
aufzeigen.

ADHS-Betroffene haben viele verborgene Talente, welche auch im Berufsalltag eine wertvolle
Bereicherung sein können. Wenn Sie als Lehrmeister die Betroffenen bei der Umsetzung der
genannten Tipps unterstützen, fördern sie die Entfaltung dieser Talente und helfen Betroffenen, ihr
wahres Potential auszunützen, was Ihnen letztlich auch als Betrieb wieder zugutekommt.

Wichtig zu wissen ist aber, dass die genannten Tipps und Situationen nicht das komplette
Spektrum an möglichen Problemen abdecken, da sich die ADHS von Person zu Person immer
noch unterscheidet. Auch sind die genannten Tipps keine Allgemeinheilmittel, mit denen gleich
alles besser wird. Es sind Ansätze, mit denen gearbeitet werden kann, die aber je nach dem noch
auf die individuelle Person angepasst oder verändert werden müssen. Ebenso kann es sein, dass
Sie mit manchen Tipps mehr anfangen können und mit manchen weniger. Wenn Sie bei etwas,
das hier behandelt wird festgestellt haben, dass etwas anderes super hilft, dann behalten Sie das
unbedingt bei, denn was gut funktioniert muss nicht verändert werden.

Alle Tipps welche als Unterstützung vom Lehrmeister für den Lehrling vorgeschlagen sind oder für
den Lehrling beim Arbeiten hilfreich sind, sollten vorher in einem Gespräch zwischen diesen
beiden besprochen werden. So kann sich der Lehrling darauf einstellen und nimmt es nicht als
Kritik auf, bzw. der Lehrmeister erfährt, auf welche Weise er den Lehrling unterstützen kann.

Die Geschichte in dieser Arbeit basiert zu weiten Teilen auf den Antworten, welche ich bei meinen
Fragebögen von Betroffenen bekommen habe, sowie auf selbst Erlebtem. Die fachlichen Teile und
Ausdrücke basieren auf den im Quellenverzeichnis genannten Fachbüchern.

Ich bedanke mich bereits an dieser Stelle für Ihr Interesse. Ich hoffe, Sie finden diese Arbeit
spannend, und können etwas daraus nutzen oder umsetzen.

Da es mir als Mann leichter fällt, mich in einen Protagonisten meines Geschlechts
hineinzuversetzen und aus Gründen der Verständlichkeit, sind die Geschichte und alle
Formulierungen in der männlichen Form geschrieben. Die Bezeichnung „der Betroffene“ gilt
stellvertretend für beide Geschlechter.

4
Einleitung

Was ist ADHS?

ADHS ist eine Störung von Stoffwechselvorgängen im Gehirn, die sich vor allem in den Bereichen
auswirkt, die für die Filterung von Reizen, für die Planung, die Problemlösung und die
Impulskontrolle verantwortlich sind. Von Betroffenen wird sie als ein unaufhörlicher Strom von
Reizen wahrgenommen, dem man sich ausgesetzt fühlt, ohne steuernd eingreifen zu können.
Viele ADHS-Patienten berichten zum Beispiel davon, dass sie in einem Restaurant alle Gespräche
gleichzeitig wahrnehmen würden. Jedes noch so kleine Geräusch, jeder Gedanke, der ihnen durch
den Kopf gehe, verlange Aufmerksamkeit. Betroffene sind nicht in der Lage, störende oder
unwichtige Reize auszublenden und ihre Konzentration zu fokussieren.
Dementsprechend zählen zu den Kernsymptomen der ADHS eine hohe Ablenkbarkeit, eine
ausgeprägte Unaufmerksamkeit, eine innere Unruhe und Rastlosigkeit- die sich als motorische
Hyperaktivität äussern kann, sowie eine unkontrollierte Impulsivität.

Was verursacht ADHS?

Grundlage ist eine Störung der


neuronalen Signalverarbeitung im
Gehirn. Studien zeigen, dass
diese zu einem grossen Teil
erblich bedingt sind. ADHS tritt
familiär gehäuft auf. So haben
beispielsweise Eltern und
Geschwister von ADHS-Kindern
ein bis zu achtfach erhöhtes
Risiko für ADHS.
Die diskutierten biologischen
Ursachen im Gehirn sind noch
nicht im Detail bekannt.
Untersuchungen zeigen, dass
neuronale Regelkreise im
Frontalhirn und im sogenannten Die Wirkungsbereiche der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin
Striatum betroffen sind. Diese
Bereiche sind für die Planung, die Problemlösung und die Impulskontrolle verantwortlich.
Wahrscheinlich ist, dass Stoffwechselstörungen vorliegen, welche die Botenstoffe Dopamin und
Noradrenalin betreffen. Diese Botenstoffe leiten Reize von einer Zelle zur anderen weiter. Beim
Dopamin wird vermutet, dass es eine wesentliche Rolle für den Antrieb und die Motivation spielt,
während das Noradrenalin für Aufmerksamkeitsleistungen wichtig ist. Möglicherweise ist auch das
Serotonin beteiligt, das mit der Steuerung von Impulsen in Zusammenhang steht.
Experten sind sich weitgehend darin einig, dass beim ADHS die Aufnahme und die Verarbeitung
von Informationen sowie die sogenannten „exekutiven Funktionen“, wie beispielsweise die
Organisation, die Planung, die Priorisierung und die Selbstkontrolle, beeinträchtigt sind.

5
Was bedeutet der Begriff ADHS?

Für die Thematik mit der ich mich in dieser Arbeit befasse, gibt es viele Namen, wovon ich die
gebräuchlichsten nachstehend kurz erklären werde. Innerhalb meiner Arbeit selbst benutze ich
mehrheitlich den Begriff Betroffene.

ADHS
Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. Unterschieden wird hier zwischen Träumer
(ADHS ohne Hyperaktivität) und Zappelphilipp (ADHS mit Hyperaktivität) diese Bezeichnung ist vor
allem in den Deutschsprachigen Ländern verbreitet.

POS
Psychoorganische Syndrom. In der Schweiz gibt es die Besonderheit, dass einige ADHS-Kinder
gleichzeitig die Kriterien für das sogenannte POS im Sinne eines Geburtsgebrechens (GgV 404)
erfüllen und somit über ein Recht auf Übernahme von medizinischen und therapeutischen
Leistungen durch die Invalidenversicherung (IV) verfügen.

ADHD
Attention Deficit/HyperactivityDisorder.Dieser Begriff wird vor allem auf internationaler Ebene
verwendet. Er unterscheidet zwischen drei Untertypen:
ADHD, vorwiegend unaufmerksamer Typ
ADHD, vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ
ADHD, kombinierter Typ

HKS
Hyperkinetische Störung. Er wird vor allem in Europa verwendet. Er ist von der WHO
(Weltgesundheitsorganisation) in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten
und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) deklariert.

6
Typische AD(H)S-Symptome

Aufmerksamkeitsstörungen
Es fällt schwer, sich über einen längeren Zeitraum auf eine
bestimmte Arbeit zu konzentrieren, weil immer wieder andere
Reize und Ablenkungen dazwischen kommen. Wenn etwas Neues
auftaucht befasst man sich sofort damit und lässt die angefangene
Arbeit stehen. So hat man viele angefangene Arbeiten, die nicht
zu Ende gebracht werden.
Es fällt extrem schwer, sich zu langweiligen Arbeiten aufzuraffen,
man pickt sich am liebsten das raus, was man gerne macht. Das
Problem ist, dass alle Menschen, auch Nicht-Betroffene hin und
wieder diese Symptome haben. Bei Betroffenen ist das aber nicht
hin und wieder der Fall sondern immer.
Das Arbeitsgedächtnis ist für die Analyse und Planung von
Handlungen wichtig. Wegen der Reizoffenheit und dem fehlenden
Filter für wichtig oder unwichtig, scheint es bei Betroffenen Hans guck in die Luft. Er
permanent überlastet zu sein. konzentriert sich auf alles andere,
und sieht nicht wo er hingeht.
Für Betroffene ist es schwierig, längere Zeit aufmerksam einer
Erklärung zuzuhören oder sich einen eben gelesenen Text über längere Zeit zu merken. Jeder
neue Reiz fordert die volle Aufmerksamkeit, deswegen ist es Betroffenen nur schwer möglich,
längere Aufträge komplett zu erledigen, da die Hälfte des Aufgetragenen während der Erledigung
bereits wieder gelöscht wird.
Dadurch haben viele Betroffene das Gefühl an einer Art Demenz zu leiden. Dies macht sich auch
im Alltag, durch oftmaliges Verlegen oder Verlieren von Dingen bemerkbar. Im Arbeitsalltag führt
dies immer wieder zu Spannungen mit Vorgesetzten, weil Aufträge nur ungenügend oder gar nicht
beendet werden. Für Betroffene ist es eines der grössten Probleme im Berufsleben.

Motorische Störungen
Als motorische Störungen bezeichnen wir die
körperlichen Symptome der Hyperaktivität. Ausgelöst
werden sie durch den inneren Motor, der ständig auf
Höchstleistung zu laufen scheint. Bei Kindern drückt
sich dies aus, indem sie herumzappeln, oder nach
längerem herumsitzen einfach aufstehen und ein
wenig herumgehen (z.B. im Kino.). Stilles dasitzen
z.B. in der Schule ist für diese Kinder nahezu
unmöglich und sie werden deswegen auch oft
kritisiert.
Beim Erwachsenwerden wandelt sich diese
Hyperaktivität zusehends in eine innere Unruhe. Der Klassiker für Hyperakivität bei Kindern ist
die Geschichte des Zappelphillip.
Äusserlich wird sie noch durch verschiedene kleinere
Dinge sichtbar wie z.B. das Trommeln mit den Fingern
auf den Tisch oder wippen mit dem Fuss oder spielen mit dem Bleistift. Die meisten betroffenen
Erwachsenen müssen sich oft mit irgendetwas beschäftigen, längst nicht mehr so auffällig wie als
Kinder, aber dennoch störend genug, dass es anderen negativ auffällt.

7
Gestörte Impulskontrolle
Diese macht sich in verschiedenen Bereichen des Lebens bemerkbar. Der alltägliche Einkauf ist
einer dieser Bereiche. Wenn ein Betroffener einen Laden betritt und dort eine Hose sieht, die ihm
sehr gut gefällt, ist der Kaufimpuls derart stark, dass jegliche Vernunft ausgeblendet wird und die
Hose gekauft wird. Meist kommt bereits kurz nach dem Kauf die Reue darüber, wenn er feststellt,
dass er eigentlich gar nicht mehr genug Geld hat, um sich diesen Monat so eine teure Hose zu
leisten. Oder auch schlicht weil er sie eigentlich gar nicht gebraucht hätte. Betroffene reagieren viel
sensibler auf unterschwellige Kaufanreize als normale Menschen, die Fähigkeit objektiv zu
beurteilen, ob die zur Schau gestellte Ware wirklich benötigt wird oder nicht, kann nicht genutzt
werden.
Auch im Arbeitsalltag kann diese Impulsivität zu enormen
Problemen im Umgang mit Arbeitskollegen oder
Vorgesetzten führen. Häufig fällt es Betroffenen schwer, ihre
Zunge im Zaum zu halten, besonders gegenüber
Vorgesetzten. Wenn sie etwas stört oder sie der Meinung
sind, nicht korrekt behandelt zu werden, sagen sie das
gerade heraus. Damit stossen sie ihre Arbeitskollegen und
Vorgesetzten oft vor den Kopf und schaffen sich selber
Probleme, die eigentlich gar nicht nötig wären.
Für Aussenstehende ist es meistens nicht nachvollziehbar,
wieso jemand so etwas sagt, sie reagieren mit Verärgerung
und Ablehnung.
Im Strassenverkehr oder generell in Risikosituationen kann
die Impulsivität von Betroffenen auch für andere Menschen eine Gefahr darstellen. Sie können die
Folgen ihres Handelns oftmals nicht abschätzen und dadurch auch Mitmenschen ernsthaft
gefährden. Zudem neigen sie aufgrund des permanenten inneren Spannungszustands eher dazu,
sich bewusst risikoreichen Situationen auszusetzen (z.B. Extremsportarten, Gefährliches Verhalten
im Strassenverkehr, häufig wechselnde Sexualpartner.)

Reizoffenheit
Für Betroffene ist der Alltag eine einzige Flut von
Reizen. Aufgrund der ADHS ist es ihnen nicht
möglich, zwischen wichtigen und unwichtigen
Reizen und Eindrücken zu unterscheiden. Ein
Vogel den man durchs Fenster sehen kann, hat
die gleiche Wichtigkeit, wie der Chef, welcher
gerade den nächsten Auftrag erklärt, oder die
Arbeit, welche gerade auf dem PC geschrieben
wird.
In einem Restaurant fällt es Betroffenen häufig
schwer, sich auf das Gespräch mit ihrem
Gegenüber zu konzentrieren. Sie versuchen bei
jedem zu hörenden Gespräch im Raum
zuzuhören, weil die Trennung von Wichtigem
In etwa so wie auf diesem Bild nehmen
und Unwichtigem im Gehirn nicht richtig funktioniert. Betroffene die Welt war. Oder erkennen
Dadurch ist es Betroffenen fast nicht möglich, sie die Moorlandschaft, welche im
längere Zeit aufmerksam einem Gespräch Hintergrund abgebildet ist?
zuzuhören.
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Desorganisation
Die Bereiche, welche für die Planung und Ordnung im Gehirn zuständig sind
(Neuronale Regelkreise im Frontalhirn und im Striatum) funktionieren nicht
zuverlässig. Aus diesem Grund haben die meisten Betroffenen Mühe,
an einem Arbeitsplatz Ordnung zu halten.
Geordnetes Vorgehen nach einem festgelegten Zeitplan bereitet vielen
Mühe. Häufig wird die Zeit völlig falsch eingeschätzt, es wird alles
aufgeschoben und unangenehme Teile einer längeren Arbeit, welche
mehr Zeit in Anspruch nehmen, werden hinten angestellt. Terminplanung
wird zu einer unüberwindbaren Hürde. Man neigt dazu sich völlig zu Vor Lauter Aufträgen weiss man
nicht wo anfangen.
verzetteln und jegliche Übersicht geht verloren. Auch fällt es schwer,
Prioritäten zu setzen und sich selbst festzulegen, in welcher Reihenfolge
die anstehenden Aufgaben und Aufträge zu erledigen sind.

Probleme im sozialen Umfeld


Häufig merken Betroffene bereits im Kindesalter, dass mit ihnen etwas anders ist. Im Kindergarten
und in der Schule werden sie sehr schnell ausgegrenzt, weil sie mit ihrer impulsiven Art und ihrer
Schwierigkeit, zuzuhören und sich anzupassen bei anderen Kindern anecken. Sie sind beliebte
Opfer für Mobbing und haben schnell das Aussenseiterschild an sich kleben.
Dies führt zum Einen zum Rückzug und teilweise zur Flucht in Phantasiewelten, zum Anderen zu
Aggressionen, weil man sich nichts gefallen lassen will. Das ganze wird meistens noch durch
Spannungen innerhalb der Familie (Die Eltern werden von aussen als schlechte Erzieher
hingestellt. Betroffene merken durchaus, dass etwas nicht stimmt, auch wenn man es ihnen nicht
sagt.) und Kritik von Anderen zusätzlich verstärkt.
Durch diese Welle negativer Erlebnisse ist es Betroffenen kaum möglich, ein stabiles
Selbstbewusstsein aufzubauen. Dieses schwache Selbstwertgefühl führt auch später im
Erwachsenenleben zu einem starken Leidensdruck und kann Begleiterkrankungen wie
Depressionen auslösen. In persönlichen Beziehungen kann es zu enormen Problemen und
Spannungen führen.

Schwierigkeiten in persönlichen Beziehungen


Für Freunde, Partner und Familien ist das Zusammenleben mit einem Betroffenen teilweise mit
einer ständigen Katastrophenübung vergleichbar. Die starken Stimmungsschwankungen können
zu Spannungen und Streit führen, da sie wie aus heiterem Himmel hereinbrechen können und für
Nicht-Betroffene unverständlich sind. So kann ein Betroffener im einen Moment komplett ruhig
dasitzen und zuhören und im nächsten Moment bereits an die Decke springen, weil irgendeine
Aussage oder etwas Gesehenes einen in derart in Rage bringt, dass er sich nicht mehr im Zaum
halten kann.
Durch die Impulsivität der Betroffenen können solche Ausbrüche sehr heftig sein und werden
häufig als Angriff auf die eigene Person gedeutet, auch wenn sie eigentlich gegen irgendwas
anderes gerichtet sind. Die Schwierigkeit, dem Partner aufmerksam zuzuhören führt häufig dazu,
dass der andere das Gefühl hat, in der Beziehung zu kurz zu kommen. Die Schwierigkeit seine
Termine und Fristen im Griff zu haben, wodurch auch mal Rechnungen verloren gehen oder nicht
gezahlt werden, kann zudem zu weit massiveren Problemen im familiären Umfeld führen.

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Kritikunfähigkeit
Betroffene neigen aufgrund ihrer sensiblen Gefühlswahrnehmung und des meist schlechten
Selbstwertgefühl dazu, berechtigte Kritik sehr persönlich zu nehmen und sind schnell tief verletzt.
Auch konstruktive Kritik (und Aussagen im Allgemeinen) werden schnell als persönlicher Angriff
fehlgedeutet und können zu schwerwiegenden Missverständnissen führen.
Auch grundsätzlich positiv gemeinte Aussagen werden von Betroffenen zunächst negativ
eingeordnet.
Das äussert sich entweder durch schlechte Stimmung und Betrübtheit oder in offensiver
Aggression, weil man sich ungerecht behandelt fühlt und dies richtig stellen möchte. Dies kann
sowohl am Arbeitsplatz als auch Zuhause zu massiven Spannungen und Konflikten führen und für
beide Seiten eine enorme Belastung sein.

Stressintoleranz
Manche Menschen funktionieren nur dann so richtig gut, wenn der Druck
hoch genug ist. Bei einem Betroffenen kann dieser Stress schnell zu einer
solchen schweren Belastung führen, dass er komplett überfordert ist. Er
reagiert mit Rückzug oder Flucht davor in der einen oder anderen Weise. Die
Produktivität kommt dadurch fast komplett zum Erliegen.
Durch die stark ausgeprägte Wahrnehmung von Gefühlen bei anderen
Menschen, wird der Druck noch zusätzlich verstärkt, wenn diese auch
gestresst sind. Die Last wird dadurch ein Vielfaches grösser.
Ein Problem ist, dass Betroffene unangenehme Aufgaben selber gerne bis
zum Schluss aufschieben und sich so selbst regelmässig in diesen enormen
Druck bringen. Sie kommen so schon im Privaten häufig an ihre
Leistungsgrenzen, so dass es für Ereignisse im Arbeitsleben nur noch sehr
wenig Spielraum hat. Die Zeit rennt davon und
die Arbeit wird nicht
weniger.

Emotionale Störungen
Die teils extremen Stimmungsschwankungen können für Betroffene eine enorme Belastung sein.
Zusätzlich sind sie sehr stark von äusseren Einflüssen abhängig. Wenn im direkten Umfeld von
Betroffenen eine gute Stimmung herrscht, z.B. weil grade eine Party gefeiert wird, dann ist man
innert kürzester Zeit in der gleichen Laune wie die anderen, unabhängig davon ob man vorher
schlecht gelaunt war oder nicht.
Aber auch sonst sind sie nur sehr schwer steuerbar. Ein Betroffener kann nicht selbst entscheiden,
ob es ihm bei der Präsentation eines neuen Geschäftsmodell gut geht und er es professionell über
die Bühne bringen kann, oder ob er am Boden zerstört ist, sich am liebsten verkriechen würde und
in keinem Fall vor eine grössere Gruppe Personen stehen und etwas vortragen und auch noch
eine gute Miene machen zu müssen.

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Hochsensibilität
Betroffene haben eine sehr starke Wahrnehmung von Gefühlen anderer Menschen. Dies kann
eine grosse Stärke sein (sehr grosse Einfühlsamkeit) aber genauso ein Fluch. Genauso wie bei
anderen Reizen fehlt einem Betroffenen auch hier der Filter, welcher es ihm ermöglicht, die
Gefühle gefiltert wahrzunehmen. Gefühle anderer Menschen prasseln auf ihn ein wie Regen auf
ein Dach.
Dies kann für den Betroffenen eine enorme Belastung sein, besonders weil es ihm oftmals schwer
fällt, sich davon zu distanzieren und nicht alles persönlich zu nehmen. Die schlechte Laune
anderer Menschen wird oftmals als Eigenverschulden missinterpretiert.
Der Betroffene gibt also sich die Schuld dafür, dass sein Gegenüber schlecht gelaunt ist. Aber
auch sein ganz persönlicher Gefühlszustand ist oftmals von seiner direkten Umgebung abhängig.
Herrscht eine generell lockere und fröhliche Stimmung, ist auch der Betroffene gut gelaunt und
fröhlich. Herrscht hingegen schlechte Stimmung kippt auch die Stimmung des Betroffenen schnell
in diesen negativen Bereich.

Wenn man die oben aufgeführten Symptome liest, könnte man zu dem Schluss kommen, dass
jeder eine ADHS hat, da man die meisten beschriebenen Situationen auch schon erlebt hat. Eine
Studie, aus deren Ergebnissen nachfolgend eine Auswahl in einer Tabelle dargestellt ist, zeigt auf,
wo der Unterschied zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen liegt. Die Studienleiter definieren
es wie folgt: „Was Erwachsene mit ADHS von anderen unterscheidet ist, dass sie die Symptome
viel häufiger haben. Ablenkbarkeit, die Unfähigkeit sich zu konzentrieren und viele andere
Probleme gehen bei ADHS-Betroffenen so weit, dass sie für den Entwicklungsstand ihrer
Altersgruppe unangemessen (und selten) sind.“
Für die Studie wurden 146 erwachsene Patienten mit ADHS und 109 Erwachsene aus der
Allgemeinbevölkerung befragt. Sie sollten mitteilen, ob die 18 DSM IV Symptome (nach deren
Kriterien das ADHS definiert ist) oft bei ihnen auftraten. Die Unterschiede sind frappant.

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Diagnostik

Wichtig bei der Abklärung auf ADHS ist, dass sie von einem qualifizierten Facharzt durchgeführt
wird. Diese Abklärung erfolgt Anhand eines Fragebogens, der nach den Kriterien des DSM IV
(Diagnostisches Manual psychischer Störungen) oder ICD 10 (Internationalen statistischen
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) erstellt ist und gemeinsam
mit dem Patienten unter Berücksichtigung seines bisherigen Lebenslauf ausgefüllt wird.
Gleichzeitig müssen andere psychische und organische Erkrankungen ausgeschlossen werden,
welche ähnliche Symptome wie beim ADHS auslösen können. Diesen Abklärungen folgen eine
ganze Reihe verschiedener Tests.
Nähere Informationen dazu finden Sie im Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit.

Therapie

Für die Behandlung der ADHS gibt es verschiedene Therapieformen. Welche davon sich am
besten eignen, muss in Absprache mit dem behandelnden Arzt ermittelt werden. Es hat sich
herausgestellt, dass sich das Modell der multimodalen Therapie am besten bewährt hat. Sie ist
eine Kombination aus verschiedenen einzelnen Therapiemethoden und deckt durch ihre
Kombination ein sehr breites Feld der Behandlungsmöglichkeiten ab. Im Gegensatz zu einer
einzelnen isolierten Therapie bietet sie den Vorteil, dass der Betroffene Probleme von
verschiedenen Standpunkten angehen kann und so meist schneller Erfolgserlebnisse verbuchen
kann.
Informationen zu den einzelnen Therapiearten und ihrer Anwendungsgebiete finden Sie ebenfalls
im Literaturverzeichnis.

Begleiterkrankungen

Bei ADHS-Betroffenen kann eine Reihe von Begleiterkrankungen auftreten. Einige können bereits
von Geburt an vorhanden sein und andere können durch die ADHS-bedingten Symptome oder
Erlebnisse im Leben der Betroffenen ausgelöst werden. Diese können sich sowohl als psychische,
als körperliche oder als Kombination von beidem (Psychosomatische: Körperliche Erkrankungen
aufgrund von psychischem Stress) äussern. Das Spektrum der Krankheiten verändert sich zudem
mit dem Erwachsenwerden. Wichtig ist, dass diese als eigenständige Krankheit erkannt werden
und gesondert behandelt werden, sofern dies notwendig ist. Die am häufigsten auftretenden sind
nachfolgend kurz erklärt. Da die %-Zahlen je nach Autor und Studie sehr stark variieren habe ich
an dieser Stelle bewusst darauf verzichtet.
Da ich über die einzelnen Krankheitsbilder keine vertieften Kenntnisse besitze, habe ich mir die
Freiheit genommen, ihre Definition nach Wikipedia zu zitieren. Die inhaltliche Richtigkeit habe ich
mit fachlicher Unterstützung überprüft.

Legasthenie (Lese-Rechtschreibschwäche)
Legasthenie auch Lese-Rechtschreibschwäche genannt, ist die massive und lang andauernde
Störung des Erwerbs der Schriftsprache. Legastheniker haben Probleme mit der Umsetzung der
gesprochenen in geschriebene Sprache und umgekehrt.

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Depressionen
Die Depression ist eine psychische Störung mit Zuständen psychischer Niedergeschlagenheit als
Leitsymptom. In der Psychiatrie wird die Depression den affektiven Störungen zugeordnet.

Angststörungen
Angststörung (auch Phobische Störung) ist ein Sammelbegriff für psychische Störungen, bei
denen entweder unspezifische Angst oder aber konkrete Furcht (Phobie) vor einem Objekt bzw.
einer Situation besteht. Allen Angststörungen ist gemeinsam, dass die Betroffenen übermässig
starke Ängste haben vor Dingen, vor denen Menschen ohne Angststörung keine oder in weit
geringerem Mass Angst oder Furcht empfinden. Dabei erkennen die betroffenen Personen
eventuell zeitweise, dass ihre Angst übermässig oder unbegründet ist.

Tic-Störung (Tourette-Syndrom)
Bei den Tics handelt es sich um unwillkürliche, rasche, meistens plötzlich einschiessende und
mitunter sehr heftige Bewegungen, die immer wieder in gleicher Weise einzeln oder serienartig
auftreten können. Verbale, ungewollte Äusserungen zählen mit dazu sowie Ausrufe oder
eigenartige Geräusche.

Zwangsstörung
Zwangsstörungen zeigen sich, indem sich bei den Patienten Gedanken und Handlungen
aufdrängen, die zwar als quälend empfunden werden, aber dennoch umgesetzt werden müssen.
Es besteht zumindest zeitweise Einsicht, dass die Zwangsgedanken oder -handlungen übertrieben
sind. Durch die Störung ergeben sich deutliche Beeinträchtigungen des Alltagsleben oder
Belastungen.

Suchtproblematik
Bei unbehandelten ADHS-Betroffenen ist die Gefahr, eine Sucht auszubilden, um ein Vielfaches
grösser als bei Nichtbetroffenen. Neurologen sehen den Grund für die erhöhte Suchtneigung
ADHS-Betroffener darin, dass diese mit Drogen versuchen, eine Selbstmedikation durchzuführen.
Alkohol, Nikotin und viele Drogen wirken auf den gestörten Dopamin Haushalt so, dass der
Betroffene sich unter dem Einfluss dieser Stoffe ruhiger und leistungsfähiger fühlt. Da diese Stoffe
schlecht kontrollierbare Nebenwirkungen haben und eine Abhängigkeit durch die Gewöhnung
entwickelt werden kann, besitzen Personen mit ADHS ein hohes Suchtpotential.

13
Vorwort zur Geschichte

Das eigentliche Ziel meiner Arbeit habe ich ja bereits in der Einleitung beschrieben: „Das Ziel
dieser Arbeit ist es, dass gegenseitige Verständnis, die Kommunikation und den Umgang mit
auftretenden Problemen zu verbessern. Sie soll vermitteln wie damit umgegangen werden könnte
und mögliche Lösungsansätze aufzeigen.“

Damit ich mein Ziel erreichen kann, habe ich mich entschlossen, die Geschichte eines Betroffenen
(der fiktiv erfunden ist, und auf den Grundlagen der beantworteten Fragebögen und meinen
eigenen Erfahrungen aufgebaut ist) zu erzählen. So erhält man einen Einblick auf die Sicht und
Denkweise eines Betroffenen und sein Gefühlsleben. Aus diesem Grund sind auch die
beschriebenen Handlungen aus Sicht des Betroffenen geschrieben. Sämtliche Namen in der
Geschichte sind frei erfunden.

Nach jedem Abschnitt, der aus Sicht des Betroffenen eine Situation schildert, wird die Situation in
ein paar Sätzen analysiert. Anschliessend folgen Tipps, wie die geschilderten Probleme vermieden
respektive entschärft werden können. Die Tipps sind unterteilt in solche, die Betroffene umsetzen
können, solche für Lehrmeister/Berufsschullehrer und solche für Angehörige/Vertrauenspersonen.

So aufgebaut, führt die Geschichte einmal komplett durch eine ganze Ausbildung und macht an
den einzelnen Stationen und Knackpunkten halt, welche in dieser Zeit auftreten können. Das
Privatleben spielt nur eine untergeordnete Rolle, denn die Geschichte konzentriert sich zum
Grossteil auf das Berufsleben und die schulische Ausbildung.

Da ADHS in seiner Ausprägung so individuell ist, wie der Betroffene selbst, sind längst nicht alle
Möglichkeiten abgedeckt, welche in Form von Problemen auftreten können. Ich habe mich auf jene
konzentriert, welche in den Fragebögen am meisten genannt wurden.

Die Ausbildungen, die im Verlaufe der Geschichte thematisiert werden, sind von meiner eigenen
Lebensgeschichte abgekupfert, da ich über diese Ausbildungen und ihre Bestandteile die
genauesten Kenntnisse besitze. Die auftretenden Probleme können aber in allen Berufssparten
vorkommen und sind nicht spezifisch in diesen Berufen gehäuft.

14
Prolog

Hallo zusammen, mein Name ist Christian Berger und dies hier ist meine Geschichte.
Ich bin 20 Jahre alt und habe seit der 2ten Klasse die Diagnose ADHS. Derzeit bin ich
arbeitslos, werde aber demnächst den zweiten Auslauf beginnen, eine Ausbildung zu
absolvieren. Damit ihr mich ein wenig besser verstehen könnt, hole ich ein wenig aus, bis ich
wieder am jetzigen Punkt ankomme.

Meine Eltern nahmen die Abklärung damals recht gut auf (ganz im Gegensatz zu meiner Tante,
die bis heute nicht damit klar kommt, und mir das auch regelmässig zu verstehen gibt.). Sie
wussten zwar nicht, was ADHS ist, aber das, was der Psychologe und die Lehrerin sagten,
klang für sie ganz plausibel und so fing man bei mir mit einer (durch den Psychologen
begleitete) medikamentösen Therapie an.
Rein von den schulischen Leistungen her, zeigte diese auch ihre Wirkung und ich machte ganz
ordentliche Noten. Dies galt leider nicht für den Umgang mit meinen Mitschülern. Ich war durchs
Band weg der Aussenseiter Nummer 1. Sich mit mir abzugeben, bedeutete in der Regel, selbst
zu einem zu werden. Meine Eltern versuchten mir zwar immer wieder, Mut zu machen, aber sie
wussten eigentlich selbst nicht, was sie machen könnten, damit das ganze besser wird. So war
die Schulzeit alles andere als eine angenehme Erfahrung, welche ich gerne hinter mir gelassen
habe.

Als es schliesslich um die Berufswahl ging, entschied ich mich für die Ausbildung als Koch, da
ich im Fach Hauswirtschaftsunterricht immer sehr gut war, und es mir auch beim Schnuppern
sehr gut gefallen hat. Meine Eltern bestärkten mich in diesem Vorhaben, da sie glücklich
darüber waren, dass ich etwas gefunden hatte was mir wirklich Spass machte. In der Schule fiel
ich sonst nämlich häufig durch Inaktivität und Verträumtheit auf, und machte im Unterricht nur
selten mit.
In der Hauswirtschaft hingegen blühte ich richtiggehend auf und war mit Feuereifer dabei. Das
konnte man zu dem Zeitpunkt auch an den Noten ablesen, welche in diesem Fach mit Abstand
am besten waren, da bei allen anderen Fächern das Interesse recht tief gesunken war.
(Dementsprechend auch der Notendurchschnitt.)

Schliesslich bekam ich denn auch eine Lehrstelle als Koch in einem Restaurant, das mir
zunächst sehr gut gefiel. Sie sagten mir zwar bereits beim Schnuppern, dass man an meinem
Arbeitstempo noch feilen müsse, aber sie sahen darin keinen Grund, wieso ich nicht für den
Beruf geeignet sein sollte. Da sie so überzeugt von mir waren, beschlossen wir innerhalb der
Familie, dass es besser sein würde, nichts über das ADHS zu sagen. Schliesslich war es im
Hauswirtschaftsunterricht im Gegensatz zu anderen Fächern auch nie ein Problem gewesen.
Wie schlecht dieser Entscheid war, sollte sich in der Folge noch zeigen. Den Therapeuten den
ich hatte, sah ich zu dem Zeitpunkt auch nur noch so oft, wie es gerade nötig war, um mir die
Medikamente verschreiben zu können (was mir nur allzu recht war, ich habe mich noch nie
sonderlich wohl gefühlt, wenn ich bei ihm war.) und von daher war auch niemand da, der
allfällige Zweifel an unserem Entscheid hätte äussern können. Sogar meine Tante zeigte ein
Minimalmass an Anerkennung, auch wenn sie es so ausdrückte: „Hätte nie gedacht, dass
jemand so blöd ist, dich wirklich zu nehmen.“

15
Bereits kurz nach Beginn der Ausbildung zeigte sich, dass sich das ADHS weder
ausgewachsen hatte, noch problemlos zu verbergen war. Zu allem hinzu war es in der Zeit
zwischen Vertragsabschluss und Lehrbeginn zu einem Mitarbeiterwechsel gekommen, und
ausgerechnet der, mit dem ich mich am besten verstanden hatte, war durch einen ersetzt
worden, der sich aufgrund seines Verhalten besser beim Militär beworben hätte. Da ich von
meiner Schulzeit her nicht gerade ein dickes Fell aufgebaut hatte, und zu allem Unglück auch
noch die meiste Zeit mit dem Feldwebel (wie wir Lehrlinge ihn hinter seinem Rücken nannten)
arbeiten musste, war meine Motivation und Freude am Beruf ziemlich schnell recht brüchig
geworden.
Das schlimme war, dass er genau auf den Sachen herumhackte, welche ich selbst bereits an
mir bemängelte: „Du bist so chaotisch; wenn du noch langsamer arbeitest schläfst du ein;
brauchst du ein Mikroskop um möglichst gerade zu schneiden?!“. Solche Sprüche waren an der
Tagesordnung. Meine Eltern konnten mir auch nicht gross helfen, da sie selbst nie in einer
ähnlichen Situation waren und nicht verstehen konnten, wie schlimm so etwas für mich war.
Mein Vater meinte nur: „Nimm dass nicht zu ernst was der sagt, als Lehrling muss man unten
durch, das geht schon vorbei.“

Etwa 2 Wochen nach der Probezeit hatte ich dann meinen ersten Nervenzusammenbruch.
Infolgedessen kam es zur Aussprache mit meinem Chef, der aus allen Wolken fiel als ich ihm
vom ADHS erzählte. Es zeigte sich, dass er sich auch bemüht hätte mich zu unterstützen, wenn
er davon gewusst hätte. So unternahm man dann einen zweiten Anlauf, in der Hoffnung die
Ausbildung noch retten zu können, denn schulisch war ich im Gegensatz zum Praktischen
vorne mit dabei. Ich musste fortan auch nicht mehr mit diesem Feldwebel von Mitarbeiter
arbeiten.
Das Problem war aber, dass ich in der ersten Zeit der Ausbildung viele Grundlagen nicht erlernt
hatte, da sich der Feldwebel nicht sonderlich darum geschert hatte. Dies in Kombination mit
meinem Selbstwertgefühl (das, man glaubt es kaum, noch schlechter war, als in der Schulzeit)
und den typischen ADHS-Problemen (ich vergass immer noch regelmässig sehr vieles und
wurde dafür gerügt. Sie bemühten sich zwar, mich zu verstehen, waren aber immer noch häufig
überfordert und verstanden einfach nicht, wieso gewisse Dinge bei mir nicht so funktionierten
wie bei jedem anderen Lehrling) führte dazu, dass ich irgendwann an den Punkt kam, an dem
ich jegliche Freude am Beruf verloren hatte und beschloss die Ausbildung abzubrechen. (Zu
diesem Zeitpunkt war ich etwa bereits 1 Woche wegen einer neuerlichen Krise
krankgeschrieben.).

Als Folge dieses Lehrabbruchs traten bei mir schwere Depressionen auf, welche mit einer
neuen Therapie und Antidepressiva behandelt wurden. Zum momentanen Zeitpunkt sind sie in
ein aushaltbares Mass zurückgegangen (würden wohl ganz verschwinden, wenn ich die
Medikamente nicht ständig vergessen würde.).

Nach dem Lehrabbruch blieb ich rund 2 Jahre Zuhause, in denen ich mich komplett von der
Aussenwelt abschottete und in Online-Spiele flüchtete. Für meine Tante war das ganze
natürlich ein gefundenes Fressen. Sie nutzte die Zeit, um meinen Eltern regelmässig
mitzuteilen, wie undankbar und unfähig ich doch sei und sie mich doch endlich rausschmeissen
sollen. Meine Eltern dagegen bemühten sich mir zu helfen, wussten aber einfach nicht wie.
Schliesslich kam ich in ein Programm für arbeitslose Jugendliche, auf das meine Mutter zufällig
gestossen war und ich beschloss, es meinen Eltern zuliebe zumindest zu versuchen. Zumal ich
selber keine Lust hatte, ihnen länger auf der Tasche zu sitzen.

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Dieses Arbeitslosenprogramm (in meinem Fall mit dem Schwerpunkt Garten) gab mir dann
einen Teil meines Selbstbewusstseins zurück und ich fing auch wieder an ernsthaft nach einer
Ausbildung zu suchen (Das hatte ich zuvor auch bereits versucht, nur verliefen diese Versuche
immer Recht schnell im Sand.).
Da ich auf meinem eigentlichen Traumberuf (Tierpfleger) keine Lehrstelle gefunden habe,
obwohl ich mich von allen am meisten beworben habe, habe ich schliesslich den Gärtner ins
Auge gefasst. Während der Arbeit in diesem Programm habe ich festgestellt, dass mir das
Gärtnern ungemeinen Spass bereitet, obwohl ich mir das nie als Beruf hätte vorstellen können.

Schliesslich bekam ich einen Ausbildungsplatz in einer Gärtnerei, deren Chef ich bereits bei
Unterzeichnung des Lehrvertrages über mein ADHS informiert habe. Allerdings schien er es
entweder nicht zu verstehen oder es hat ihn schlicht nicht interessiert. Wir haben zumindest
nicht mehr weiter darüber geredet. Über die Depressionen habe ich nichts weiter gesagt, da sie
nahezu abgeklungen ist. In diese Ausbildung starte ich ohne Unterstützung von aussen (die
Medikamente mal ausgenommen, die nehme ich weiterhin) weil ich der Meinung bin, dass ich
es alleine schaffe und den Psychologen ohnehin am liebsten so selten wie möglich sehe.

So, jetzt sind wir wieder an dem Punkt, an dem die Geschichte angefangen hat und nun auch
ernsthaft beginnt. Diese Ausführungen dienen dem Zweck, dass Sie meine Geschichte besser
verstehen. Ich nehme Sie jetzt mit auf die Reise durch meine Ausbildung als Zierpflanzen-
gärtner, welche auf der nächsten Seite beginnt.

17
1. Lehrjahr

Der erste Tag

Es ist der 2te August, um 5:45 Uhr morgens früh. Es ist das erste Mal seit langem, dass ich so
früh aufstehen muss. Ich habe etwa 4 Stunden geschlafen, weil ich vor lauter Aufregung,
Nervosität und irgendwie auch Angst am Abend nicht einschlafen konnte.
Obwohl ich kaum geschlafen habe, bin ich extrem aufgekratzt und aktiv. Allerdings brauche ich
diese Energie auch grade, da ich am Abend davor kaum etwas vorbereitet habe. Ich habe den
ganzen Abend vor der Spielkonsole gesessen, in der Hoffnung, dass ich dann besser
einschlafen kann, wenn ich nicht die ganze Zeit an den nächsten Tag denke. Also bin ich jetzt
als Erstes damit beschäftigt, alle Sachen, welche ich brauche, zusammenzusuchen.
In diesem ganzen Stress kommen langsam die ersten Zweifel auf, ob ich es überhaupt packe,
ob die Mitarbeiter wirklich so nett sind, wie sie beim Schnuppern gewirkt haben, ob ich diese
Ausbildung wohl zu Ende bringen werde und überhaupt, ob das Ganze noch Sinn macht, oder
ob ich mich besser wieder ins Bett legen sollte. Die Angst vor dem Ungewissen droht langsam
an Land zu gewinnen. Nach einer kurzen aber heftigen Diskussion mit meinen Eltern,
beschliesse ich, zu gehen und mir die ganze Sache wenigstens anzusehen. Bei mir denke ich:
„Ich kann ja immer noch wieder nach Hause kommen, wenn es gar nicht geht.“

Schlussendlich fährt mich mein Vater zum Bahnhof, weil ich so viel Zeit mit dem
Zusammensuchen der Sachen verbraucht habe, dass die Zeit nicht mehr reicht, um das
Fahrrad zu nehmen. Wieder die grosse Frage nach dem Sinn, die ich aber nicht zu stellen
wage, da mein Vater nicht grade erfreut darüber ist, dass er mich um diese Zeit fahren muss
und nicht seinen Kaffee trinken kann.
Im Zug dann das nächste Problem. Ich habe mir zwar die Stationen rausgesucht an denen ich
umsteigen muss, aber habe im morgendlichen Stress den Zettel zu Hause vergessen. Dank
meinem Handy komme ich noch an die nötigen Informationen und kann an den richtigen
Haltestellen umsteigen.

Aber damit ist der Parcours noch nicht geschafft. Am Zielbahnhof stelle ich fest, dass es gar
nicht so einfach ist, die 2D-Vogelperspektive einer Karte auf die Realität zu übertragen. Ich
mache mich also mit einem flauen Gefühl im Magen auf den Weg. Wenn der Zug nicht bereits
abgefahren wäre, hätte ich vielleicht wieder umgedreht. Der trotzige Teil in mir weigert sich
aber, meiner Tante eine weitere Genugtuung abzuliefern, indem ich noch eine Ausbildung in
den Sand setze.
Als ich schliesslich in der Gärtnerei ankomme (zum Glück konnte ich jemanden nach dem Weg
fragen, sonst hätte ich es wohl nicht rechtzeitig geschafft, war zu allem dazu noch knapp dran.)
werde ich herzlich empfangen. Mit einem Mal sind die Angst und die Schwindelgefühle wie
weggeblasen. Die Neugierde und Vorfreude fangen an zu überwiegen. Nur noch ein kleiner Teil
von mir, fragt sich, ob das alles gut gehen kann. Es wird mir alles gezeigt und es gibt
unglaublich viel zu sehen. So viel, dass ich bereits nach 10 Min. die Hälfte nicht mehr weiss.
Der Rest des Tages verläuft weitgehend problemlos. Ich fange mit simplen Arbeiten an; am
Morgen jäten, am Nachmittag Erde mischen und Beete vorbereiten. Als ich am Abend nach
Hause komme, bin ich überglücklich darüber, den ersten Schritt geschafft zu haben und bin
froh, dass ich nicht wieder umgedreht habe.

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Erklärung der Situation

In dieser Situation werden dem Betroffenen seine Gefühle und die Impulsivität zum Verhängnis.
Die Gefühle erzeugen ein derart starkes inneres Spannungsfeld, dass es ihn fast zerreisst.
Erschwerend kommen die Probleme in der Zeitplanung und Organisation hinzu, welche ihm im
morgendlichen Stress zum Verhängnis werden und fast zum persönlichen Super Gau führen.
Zusätzlich scheint noch die Phantasie eines Betroffenen, welche meist ohnehin stark ausgeprägt
ist, zu Höchstleistungen aufzulaufen. In diesem Moment malt man sich negative Situationen in
allen Farben und Formen aus. Solche Situationen sind besonders auch für das direkte Umfeld sehr
belastend, da sie die Auswirkungen mit voller Wucht abgekommen und oft nicht wissen, wie sie
damit umgehen sollen.
Nachfolgend sind einige Tipps aufgeführt, welche helfen können, die vorhandene Spannung zu
entschärfen und vor allem am Morgen ein möglichst pannenfreies Aufstehen zu ermöglichen.
Ganz verhindern lassen sich solche Spannungen und Gefühlsschwankungen nicht. Dafür sind die
aufkommenden Gefühle und die Gewichtigkeit des Ereignisses meist zu stark. Sie lassen sich
jedoch auf ein für beide Seiten erträgliches Mass reduzieren.

Tipps für Betroffene

Frühzeitig alle Werkzeuge und Arbeitsunterlagen einkaufen.

Mach dir eine Liste mit allen Dingen die du benötigst. Diese unterteilst du noch in die Bereiche
Schule und Betrieb. Wenn du Mühe hast, diese Liste nicht zu verlieren, dann gib sie deinen Eltern
zur Aufbewahrung oder speichre sie in dein Handy ein.

Packe deinen Rucksack bereits am Abend zuvor mit allen Dingen die du benötigst. Hier hilft dir
deine Liste dabei nichts zu vergessen. Lege auch deine Arbeitskleider für den nächsten Tag bereit,
sowie deine Zwischenverpflegungen.

Stell dir 2 verschiedene Wecker für am Morgen. Einen davon stellst du ausserhalb deiner
Reichweite auf, damit du aufstehen musst. Wenn du alleine lebst, bitte eine Vertrauensperson,
dich am Morgen anzurufen, damit du nicht verschläfst.

Erkunde deinen Arbeitsweg bereits im vor Ausbildungsbeginn in aller Ruhe einmal. Am besten
fährst du in deinen Ferien einmal am Morgen zur gleichen Zeit, wie du am ersten Tag los musst die
Strecke komplett ab. Auch den Weg, den du zu Fuss gehen musst, solltest du noch einmal
komplett ablaufen.

Sprich mit einer Person deines Vertrauens über deine Ängste und Vorstellungen, die du von
deinem ersten Arbeitstag hast. (Wenn du weisst, dass du Mühe mit neuen Situationen hast.)

Suche die genauen Zugverbindungen bereits frühzeitig heraus. Packe sie zu den anderen Sachen
in deinen Rucksack.

Plane Zeitreserven ein, damit du auch auf unerwartete Ereignisse reagieren kannst.

Diese Tipps können übrigens auch fürs Schnuppern oder für ein Bewerbungsgespräch genutzt
werden. Im Prinzip für jede unbekannte, neue Situation die ansteht und bedeutende
Veränderungen bringt.

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Tipps für Eltern und Vertrauenspersonen

Für Sie ist folgendes wichtig zu wissen: Am Morgen und je nach dem in der Zeit davor sind Sie den
Betroffenen der Anker zur Realität. An Ihnen kann er sich festhalten, wenn seine Gefühle und
Ängste die Oberhand zu übernehmen drohen.
Ich weiss, das hört sich jetzt sehr dramatisch an, aber Sie können bereits mit einigen sehr
einfachen Tricks vieles erreichen. Ich habe oft erlebt, dass es nicht an der Hilfsbereitschaft
gemangelt hat, sondern am Wissen, wie man helfen soll.
Die nachfolgenden Tipps sind Vorschläge, die beim Entschärfen der Situation helfen können.
Wenn Sie aber bereits ein funktionierendes Rezept haben, um in dieser Situation Krisen zu
vermeiden, behalten Sie dies unbedingt bei!

Organisieren Sie für den Fall der Fälle ein Auto, das den Betroffenen im schlimmsten Fall bis zum
Betrieb fahren kann.

Bleiben Sie ruhig, auch wenn sich der Betroffene aufregt. Erklären Sie ihm ruhig und bestimmt,
wieso es das Beste ist wenn er geht. Und bleiben Sie standfest. Die Erfahrung zeigt, dass es in
jedem Fall besser ist, wenn er geht.

Bieten Sie dem Betroffenen ihre Hilfe bei den Vorbereitungen an, aber drängen Sie sich nicht auf.
Wenn er weiss, dass er Ihre Hilfe in Anspruch nehmen kann, wird er das auch tun, wenn er das
möchte.

Bieten Sie dem Betroffenen an, mit ihm über die kommende Ausbildung und allfällige
Befürchtungen zu reden. Am besten lassen Sie es bei einem Abendessen einfliessen. Wenn er
nicht darauf eingeht, dann warten Sie, bis er von sich aus auf Sie zukommt. Wichtig ist für ihn zu
wissen, dass die Möglichkeit zum Gespräch besteht.

Verhalten Sie sich am Morgen des ersten Tages so wie immer. Gehen Sie ihrem ganz normalen
routinierten Ablauf nach, aber rechnen Sie damit, dass Ihre Hilfe erforderlich werden könnte. Im
besten Fall geht das ganze gut über die Bühne, ohne dass ein Eingreifen von Ihrer Seite
notwendig wird. Wenn Sie bereits selber etwas Besonderes aus diesem Morgen machen, erhöhen
Sie die Wahrscheinlichkeit einer Krise nur.

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Der erste Tag in der neuen Schule

Es ist Mittwoch, der 10.August um 6:15 Uhr in der Früh. Ich habe die erste Woche in meinem
Betrieb gut überstanden. Die Arbeit macht mir Spass und auf Seite der Mitarbeiter scheint man
dies auch zu merken. Mit den Mitarbeitern selber kann ich es mit allen gut bis sehr gut. Einzig
mit einem der Floristen kann ich nicht sehr viel anfangen, aber mit dem habe ich zum Glück
nicht viel zu tun. Die anfängliche morgendliche Panik ist langsam abgeflaut und nur noch ein
fernes Gefühl irgendwo weit hinten in meinem Kopf.

Doch heute Morgen ist sie wieder mit voller Präsenz da, noch fast stärker als am ersten Tag.
Den heute steht mein erster Schultag an, und das Wort Schule ist in meinem Kopf mit der
Erinnerung eines Gefolterten an die Folterkammer vergleichbar. Ich habe bereits 9 Jahre Folter
hinter mir und weiss nicht, ob ich es nun nochmal 3 Jahre durchstehen muss, oder ob sich hier
endlich etwas ändern wird. Der Vernünftige Teil meines Gehirns versucht mir zu sagen, dass
ich mir nicht einen solchen Stress machen soll, schliesslich sei dies eine ganz neue Situation
und die Leute seien älter und würden mich nicht kennen. Ein anderer Teil in meinem Kopf hält
dagegen, dass dies in der ersten Klasse auch der Fall war und ich dennoch zum Aussenseiter
erkoren worden sei.

Wenigstens habe ich aus dem ersten Tag im Betrieb gelernt und habe mich bereits besser
vorbereitet um mir wenigstens diesen Stress zu ersparen. Meine Schulsachen stehen seit dem
Vorabend alle bereit und ich habe nochmals alles durchgesehen. Das schlechte Gefühl bleibt
trotzdem und irgendein Teil in meinem Kopf sagt mir immer wieder, dass dies überhaupt nicht
vergleichbar sei mit meinem Betrieb. Ich versuche diese Stimme zum Schweigen zu bringen,
mit mässigem Erfolg.
Trotzig beschliesse ich, alles zu unternehmen, damit ich nicht mehr in die gleiche Situation
komme, wie in der Schule (auch wenn ich noch nicht wirklich weiss, wie ich das anstellen soll.)

Als ich schliesslich unterwegs bin, lenke ich mich mit dem Lesen der Gratiszeitung im Zug ab.
Immerhin konnte ich ein wenig später aufstehen und der Weg ist verglichen mit meinem
Arbeitsweg auch kürzer.
Bei der Schule angekommen, werfe ich einen letzten Blick zurück zur Bushaltestelle, gebe mir
einen Ruck und betrete das Schulgebäude. Als erstes nehme ich eine Flut neuer Dinge war,
viele neue Gesichter, unbekannte Gerüche, Geräusche, Farben und Formen. Mir wird fast ein
wenig schwindlig bei all den neuen Eindrücken und ich überlege mir einen kurzen Augenblick,
ob ich mir das Frühstück auf dem Klo nochmal durch den Kopf gehen lassen soll.
Als sich mein Magen entschieden hat, nicht mehr länger zu rebellieren sondern sich seiner
eigentlichen Aufgabe zu widmen, begebe ich mich auf die Suche nach meinem Klassenzimmer.
Es sind bereits ein paar andere Mitschüler anwesend. Ich nehme all meinen Mut zusammen,
und setze mich neben den, der mir am sympathischsten wirkt, mit dem festen Vorsatz, ein
Gespräch zu beginnen und auf keinen Fall als stilles Mauerblümchen aufzufallen.
Soweit so gut, ich bringe sogar ein zu Beginn harziges Smalltalk-Gespräch zustande. Im
Verlaufe des Gesprächs merke ich, dass ich mit meiner Angst und Unsicherheit nicht alleine bin
(wenngleich sie bei mir auch stärker sein mag, als bei den anderen). Ein Blick in die Runde
bestätigt meine Vermutung. Die anderen sehen so aus, wie ich mich fühle: Nicht ganz sicher,
ob das alles nur ein Traum ist und noch viel unsicherer ob es ein guter Traum wird oder sich in
einen 3 Jahre anhaltenden Albtraum verwandelt.
Schliesslich füllt sich das Klassenzimmer mit einem ganzen Haufen total unterschiedlicher
Charakter und Stil-Typen und zu guter Letzt tritt auch der Lehrer ein. Bis zur Mittagspause ist
mein Kopf so mit Informationen vollgestopft, dass ich das Gefühl habe, nächstens zu platzen,

21
und ich bin froh, endlich eine längere Pause machen zu können. Zwischen den Stunden hatten
wir nur 1 Pause und ich habe gemerkt, wie unglaublich zermürbend es ist, länger als 45 Min.
zuhören zu müssen (wo mir das in der Schule doch schon wie eine Ewigkeit vorkam.).

Für das Mittagessen hänge ich mich an die anderen an, mit denen ich in der Pause geredet
habe. Ich habe den Eindruck, endlich akzeptiert zu sein und ein paar Leute gefunden zu haben,
bei denen ich mich wohl fühlen kann. Es mag voreilig wirken, aber wenn mich meine
Gefühlswahrnehmung etwas gelehrt hat, dann dass ich mich punkto Sympathie bei anderen
Menschen noch selten geirrt habe. Es hat natürlich auch ein paar Kandidaten, welche mich an
die Ekelpakete aus meiner früheren Schulzeit erinnern. Aber diesen werde ich soweit wie
möglich aus dem Weg gehen.

Am Nachmittag haben wir nochmal das gleiche Programm wie am Morgen, nur dieses Mal
berufsbezogen. Als wir am Abend schliesslich gehen können, stelle ich fest, dass Schule auf
einmal fast so anstrengend wie arbeiten ist, und dass ich von dem, was am Morgen gesagt
wurde, nur noch sehr wenig weiss. Aber zu meinem Glück scheint es mir nicht alleine so zu
gehen (wenngleich die anderen sich scheinbar mehr merken konnten, aber auch sie wissen
längst nicht mehr alles.)

Erklärung der Situation

Für viele Betroffene kommt der Begriff Schule einer Verurteilung zur Höchststrafe gleich. Die
meisten von ihnen haben die Schulzeit als eine Zeit der persönlichen Erniedrigung und Peinigung
erlebt. Vielfach werden sie aufgrund ihrer besonderen Charakterzüge von anderen Kindern
ausgegrenzt, weil diese nicht verstehen können, wieso jemand „anders“ ist und sich nicht gleich
wie alle anderen verhält.
Ein Beispiel dieses „Anders Sein“ ist, dass Betroffene oft Mühe haben, länger zuzuhören und so
anderen schnell ins Wort fallen. Oder durch die erhöhte Sensibilität schnell anfangen zu weinen,
weil sie sich schneller als andere Kinder verletzt fühlen. Dies wird schnell als Angriffsfläche für
Mobbing ausgenützt und zieht sich oftmals als Leidensweg durch die ganze Schulkarriere. Sind
Betroffene erst einmal in diese Ecke gedrängt worden, reagieren sie mit Rückzug oder offener
Aggression. Dies animiert andere Kinder noch zusätzlich dazu, sie weiter zu piesacken, weil es
einen gewissen Reiz darstellt, zu sehen, wie weit man gehen kann.
Das Selbstwertgefühl von Betroffenen ist so nach Abschluss der Schule meist im Keller unten.
Durch diese Vorgeschichte ist es für Betroffene eine grosse Herausforderung, nach Abschluss
dieser Zeit sich erneut einer „Schule“ auszusetzen. Ich habe indes bei vielen gesehen, dass es
ihnen in der Berufsschule erheblich besser ging als in der normalen Schule. Gründe dafür mögen
die persönliche Weiterentwicklung und dadurch eine verbesserte Anpassungsfähigkeit an andere
sein. Aber auch, da es eine neue Chance darstellt und Betroffene eine Neuanfang versuchen
können (Die Erinnerung daran, dass er diesen Neuanfang in seiner Erstausbildung auch geschafft
hatte, wird in diesem Moment von den negativen Gedanken zu seiner Hauptschulzeit komplett
überdeckt.) Zudem haben sich in den Jahren auch die Nicht-Betroffene Kinder weiterentwickelt,
der Umgang untereinander im Generellen verändert sich oft mit dem Erwachsen werden zum
positiven hin.

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Tipps für Betroffene

Es ist wichtig, dass ihr euch bewusst seid, dass dies ein Neuanfang ist. Ihr habt die Chance, das
zu ändern, was in der bisherigen Schulzeit nicht gut lief, denn hier seid ihr ein unbeschriebenes
Blatt und könnt selbst entscheiden, was auf euch geschrieben stehen soll. Die nachfolgenden
Tipps können euch einen Denkansatz geben, wie ihr das um setzen könnt. Generell ist wichtig,
dass ihr euch selbst treu bleibt und euch nicht verstellt. Echtheit kommt bei anderen Menschen
immer noch am besten an und schafft Vertrauen. Nutzt eure Fähigkeiten zur Gefühlswahr-
nehmung, sie ist euer stärkstes Werkzeug in der Kommunikation mit anderen Menschen und hilft
euch, auf diese einzugehen.

Setz dich zu jemandem dazu, der dir sympathisch erscheint. Nicht alleine an einen Tisch setzen.

Beginne ein Gespräch über irgendetwas Oberflächliches.

Höre dem anderen aufmerksam zu, um sich auf seine Gesprächsebene einzustellen (Hier kann dir
deine Einfühlsamkeit sehr von Nutzen sein).

Gib zu Beginn nicht zu viel Persönliches preis.

Zeige durch Nicken und Bejahen, dass du ihm aktiv zuhörst.

Du bist nicht allein. Auch die anderen kennen niemanden und sind froh, wenn sie jemand abholt
und mit ihnen spricht.

Lass die anderen ausreden. Wenn du Mühe damit hast, dann zähl von 3 rückwärts bevor du etwas
sagst. Das gibt deinem Gegenüber Zeit noch etwas anzufügen, und dir, das Gesagte zu
verarbeiten und dir deine Antwort zu überdenken.

Tipps für Eltern und Vertrauenspersonen

Hier sind im Prinzip die gleichen Tipps zu nutzen, wie sie beim ersten Tag der Ausbildung
beschrieben wurden. Die wichtigsten Argumente, welche Sie bei einer allfälligen Diskussion
anbringen können sind nachfolgend aufgeführt.

Es ist ein Neuanfang und das gilt für alle, nicht nur für den Betroffenen.

Niemand kennt ihn, er entscheidet selbst, wie ihn die Leute kennen lernen.

Beim Betrieb habe er ja auch Angst gehabt, und dort sei es ja auch gut gegangen.

Dinge wie: Wenn es gar nicht geht, kannst du vielleicht die Klasse wechseln, sollten vermieden
werden. Sie schüren die Angst eher noch.

Zeigen Sie dem Betroffenen, dass Sie hinter ihm stehen, an ihn glauben und machen Sie ihm Mut.

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Pünktlichkeit

Es ist Anfang September, die Uhr zeigt 12:50 an. Ich habe gerade Mittagspause und bin in den
nahe gelegenen Park gegangen um dort ein wenig zu entspannen.
Ich schaue auf die Uhr und denke: „Och, nur noch kurz 10 Min. dösen und dann mache ich
mich auf den Weg zurück.“. Die Arbeit geht um 13:15 weiter und ich brauche knappe 10 Min.
um den Weg zurück zu gehen, also noch mehr als genug Zeit.
Als ich die Augen wieder aufschlage zeigt die Uhr 13:30 an. Mein erster Gedanke ist:
„Hoffentlich stimmt die Uhr nicht.“. Wie sich später herausstellt, hat die Uhr doch recht gehabt
und mein Chef ist entsprechend verärgert. Er meint, wenn sich das nicht bald bessere, werde er
sich Massnahmen überlegen müssen. Als er das sagt, fängt es in meinem Kopf schon wieder
an zu rotieren und ich denke nur: „Hoffentlich nichts allzu Schlimmes.“
In der Schule habe ich am Mittag genau das gleiche Problem. Nur dass ich mich dort eher beim
Plaudern mit meinen Mitschülern vergesse und wir dann meist als ganze Gruppe zu spät
kommen. Aber auch, wenn wir Sportunterricht haben, ist es mir bereits mehr als einmal
passiert, dass ich zu spät gekommen bin, weil ich noch schnell einen Energy-Drink beim Kiosk
kaufen wollte, so ein Schultag braucht schliesslich viel Energie.
Davon weiss mein Chef zum Glück nichts, ich habe mich nicht getraut, es ihm zu sagen. Es
nervt mich unglaublich, dass mir das immer wieder passiert. Ich muss mir unbedingt etwas
einfallen, lassen, wie ich das in den Griff bekomme. Schliesslich hab ich wenig Interesse daran,
deswegen meine Ausbildung aufs Spiel zu setzen.
Ich biete meinem Chef an, dass ich diese Zeit heute länger arbeiten würde, die ich verpasst
habe, aber er meint nur, dass sei auch keine Lösung, ich solle mir lieber eine funktionierende
Uhr zulegen. Als ich nach diesem Anschiss wieder arbeiten gehe, fühle ich mich ein wenig, wie
ein begossener Pudel.
Wenigstens kann ich an diesem Nachmittag eine Arbeit machen die mir Spass macht
(Eintopfen an der Eintopfmaschine) und ich kann erst noch mit dem Lehrling im Lehrjahr über
mir arbeiten, mit dem ich mich sehr gut verstehe.

Erklärung der Situation

Ich habe ja noch 10 Minuten Zeit, dann kann ich ja noch schnell… dieser Satz ist für einen
Betroffenen etwas vom Gefährlichsten, was er überhaupt sagen (oder denken) kann. Betroffene
haben grosse Schwierigkeiten, ihr Zeitgefühl im Griff zu haben. Sei dies nun für 10 Min. in der
Mittagspause, die er noch länger dösen möchte, die Zeit bevor man auf den Bus muss und noch
eben die Wäsche aufhängen könnte oder bei einem längerfristigen Auftrag, bei dem ein
Abgabetermin eingehalten werden muss. (Dieser Punkt wird später in der Geschichte noch
vertieft behandelt.)
Aber auch am Morgen, wenn es um das Aufstehen geht, kann genau dies den Betroffenen zum
Verhängnis werden, indem sie den Wecker einfach wieder ausschalten und einschlafen. Sie
neigen dazu, sich und die Zeit extrem schnell zu vergessen und handeln sich dementsprechend
viel unnötigen Ärger damit ein. Oftmals fällt es ihnen schwer, abzuschätzen, wie lange z.B. 10
Min. wirklich dauern, und was man in diesem Zeitrahmen noch erledigen kann. Hier spielt der Teil
des Gehirns eine Rolle, welcher unter anderem für die Planung zuständig ist. (In diesen Bereich
fällt auch die Zeitplanung und damit verbunden die Abschätzung, wie lange ein gewisses
Zeitfenster wirklich dauert.)

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Für Betroffene

In der Geschichte oben ist die Situation in der Mittagspause beschrieben. Genauso oft oder noch
häufiger kann es aber auch am Morgen passieren dass man einfach verschläft. Aus diesem Grund
sind nachfolgend Tipps aufgeführt, die in verschiedenen Situationen (also auch am Morgen)
angewandt werden können.

Stell dir 2 verschiedene Wecker. Den zweiten stellst du so weit weg auf, dass du gezwungen bist
aufzustehen um ihn abzuschalten.

Plane Zeitreserven ein, damit du auch auf unerwartete Ereignisse reagieren kannst. Das gilt
sowohl für am Morgen wie auch in den Pausen auf der Arbeit und in der Schule.

Richte dich so ein, dass du immer 10 Min. vor Arbeitsbeginn nach der Pause im Betrieb bist. Du
kannst z.B. deine Uhr vorstellen.

Wenn du die Zeit gerne vergisst, dann stell dir einen Wecker, der dich daran erinnert, dass du
zurückgehen musst. Bei den meisten Handys kannst du diesen Alarm so programmieren, dass er
an allen gewünschten Wochentagen losgeht.

Kaufe in deiner Freizeit einen Vorrat an den Getränken ein, die du in der Schule brauchst und pack
sie dir immer mit deinem Schulzeug in dein Gepäck. Das ist günstiger und spart Zeit und Stress.

Plane deine Wege möglichst direkt und so, dass du an möglichst wenigen Ablenkungsmöglich-
keiten vorbeikommst, die dich aufhalten könnten.

Für Lehrmeister

Besprechen Sie gemeinsam mit dem Lehrling in aller Ruhe mögliche Massnahmen, damit er nicht
mehr zu spät kommt. Ebenso allfällige Konsequenzen im Wiederholungsfall. Halten Sie das ganze
schriftlich fest.

Vermeiden Sie Sätze wie: „Das wird Konsequenzen haben.“. Damit kann der Betroffene nichts
anfangen. Es nährt höchstens die Schreckgespenster in seinem Kopf und blockiert ihn bei der
Arbeit, weil er nur noch damit beschäftigt ist, sich die Strafe auszumalen. Klare Kommunikation
erreicht bei Betroffenen am meisten.

Wählen Sie einen ruhigen Tonfall. Wenn Sie aufbrausend werden erreichen Sie das genaue
Gegenteil von dem was Sie wollen, wodurch die Situation verschlimmert werden kann.

Versuchen Sie ruhig zu bleiben, wenn es die ersten ein oder zwei Mal noch nicht klappt. Betroffene
brauchen eine gewisse Zeit, um bei Abläufen eine Routine zu bekommen.

Für Betroffene ist es eine Herausforderung, ihr Zeitgefühl in den Griff zu bekommen.
Loben Sie daher den Lehrling, wenn er es über einen längeren Zeitraum schafft pünktlich zu sein,
das motiviert ihn umso mehr.

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Aufmerksamkeit

Es ist Mitte Oktober, an einem Mittwoch. Wir haben wieder Schule. Unser Fachkundelehrer
erklärt grade etwas zum Thema Botanik. Das Thema fesselt mich in etwa so, wie ein toter Hund
beisst.
Dieser Vogel, der im Garten der Schule grade versucht einen Wurm aus dem Boden zu picken
ist grade viel Interessanter. So wie es aussieht, scheint er wenig Erfolg zu haben. Es wundert
mich, dass in dem Boden überhaupt noch etwas am Leben ist, der Hausmeister hat eine
beachtliche Sammlung an Herbiziden, welche er regelmässig gegen Unkräuter ausbringt. Und
so ungesund wie der aussieht, überlebt das sicher kein Regenwurm.
Überhaupt, scheint die Sonne zur Abwechslung grade mal wieder richtig und lässt die Bäume in
den schönsten Tönen ihrer Herbstfärbung leuchten. Im Nachbarzimmer scheinen sie gerade
Allgemeinbildung zu haben, man hört Stimmen aus den Lautsprechern, wohl irgendeine Polit-
Doku. Die würde ich auch grade viel lieber sehen als hier zu sitzen.
Apropos, wo ist der Lehrer überhaupt stehen geblieben? „..und wenn sie das gelesen haben,
können sie die nachfolgenden Aufgaben lösen.“. Mist, wieder mal nicht aufgepasst, aber es ist
auch echt ein Ding der Unmöglichkeit, bei so einem langweiligen Thema längere Zeit
aufmerksam zuzuhören. Ausgerechnet heute habe ich auch noch vergessen das Medikament
zu nehmen. Wetten dass er sich das schon wieder aufschreibt?
Schon nach den ersten zwei Mal Schule hat er mich aufgerufen und mich gefragt, ob ich lieber
arbeiten gehen möchte, ich würde mich ja ohnehin nicht am Unterricht beteiligen und es sei
doch wohl für beide eine Zeitverschwendung wenn ich hier sitzen würde. Am liebsten hätte ich
ihm damals erwidert, dass seine blosse Anwesenheit für uns alle eine Zeitverschwendung sei,
aber ich konnte mich gerade noch zusammenreissen und irgendwas entschuldigendes
brummeln.
Dabei liegt es vor allem daran, dass das momentane Thema so langweilig ist. Naja, seine Art
vorzutragen ist auch nicht gerade der Hammer, da ist der ABU-Lehrer um Welten besser. Aber
normalerweise kann ich mich wenigstens genug für das Thema begeistern, dass es mir egal ist,
wie schlecht es in meinen Augen vorgetragen wird. Aber bei dem Mist, den er momentan
verzapft, ist es echt nicht möglich zuzuhören.
Dass mein Sitznachbar sich als eine wahre Schlafmütze entpuppt hat, der, wenn er denn wach
ist, nichts als Blödsinn macht, macht die ganze Situation nicht grade besser. Vor allem, da ich
mich davon auch sehr leicht ablenken lasse und dann nicht mehr aufpassen kann.
Er ist ja ein lieber Kerl aber während des Unterrichts ist es eine echte Katastrophe neben ihm
zu sitzen. So, mittlerweile habe ich wenigstens rausgefunden, wo wir lesen sollten (zum Glück
ist sie, die auf der anderen Seite neben mir sitzt, ein wenig aufmerksamer.) und der Lehrer
scheint zur Abwechslung nicht mal gemerkt zu haben, dass ich nicht aufgepasst habe. Ist wohl
zu sehr in sein Geschwafel vertieft.

26
Erklärung der Situation

Bedingt durch die Reizoffenheit bei Betroffenen und die Unfähigkeit, wichtige Reize von
unwichtigen zu trennen, fällt es ihnen oft extrem schwer, ihre Aufmerksamkeit längere Zeit auf eine
bestimmte Arbeit oder einen bestimmten Punkt zu richten.
Der Vogel auf dem Rasen, der einen Wurm zu fressen versucht ist mindestens genauso spannend
und wichtig, wie der Lehrer der an der Tafel eine Aufgabe erklärt. Wenn das Thema zudem noch
eher langweilig ist und die Sitznachbarn ebenfalls unaufmerksam sind, wird es nahezu zu einem
Ding der Unmöglichkeit aktiv am Unterricht teilzunehmen.
Solche Situationen kennt Grundsätzlich jeder, nur dass es bei einem Betroffenen nicht ein
momentaner Zustand ist, der wieder vorbeigeht sondern Alltag (siehe Tabelle Seite 11). Für
Aussenstehende ist dies oft schwer nachvollziehbar und es wird häufig mit dem Spruch abgetan:
„Die könnten schon wenn sie nur wollten.“ Bei Betroffenen ist es oft genau umgekehrt. Sie wollen,
können aber nicht.

Tipps für Betroffene

Wenn du Medikamente nimmst, achte darauf diese wirklich zu nehmen. Die richtige Dosierung und
Wirkstoffart musst du in Absprache mit deinem behandelnden Arzt ermitteln.

Als Gedächtnisstütze für das Einnehmen der Medikamente kann dir die Erinnerungsfunktion des
Handys helfen. Speicher dir z.B. für jeden Morgen den Satz: „Turbo nicht vergessen!“ ein, als
Code-Wort für das Medikament.

Drei bis 4 Mal Sport pro Woche kann besonders ADHS-Betroffenen helfen, ihre schulische
Leistungsfähigkeit und Konzentrationsdauer entscheidend zu erhöhen. Es ist egal was du machst,
die Dauer sollte jeweils mindestens eine halbe Stunde sein.

Gehe in den Pausen nach draussen und gib deinem Gehirn die Möglichkeit ein wenig zu lüften und
frischen Saurestoff zu tanken.

Manchen Betroffenen sind aufnahmefähiger, wenn sie nebenher auf ein Notizblatt kritzeln können,
oder einen Knautschball drücken können (taktiler Reiz). Sprich dich mit deinem Lehrer ab und
probiere diese Möglichkeit aus.

Mach dir laufend während des Unterrichts Notizen zum behandelten Stoff. Das hilft dir, Gesagtes
besser verarbeiten zu können und bietet dir eine Stütze beim Lernen. Zudem machst du einen
guten Eindruck beim Lehrer, weil du dich so aktiv am Unterricht beteiligst.

Ein Sitzplatz in der Nähe der Lehrperson ist klar von Vorteil.

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Tipps für Lehrpersonen

Betroffene sind nicht aus bösem Willen oder Desinteresse passiv im Unterricht. Eingehende Reize
von anderen Sachen, z.B. Vorgängen vor dem Fenster, fordern von ihnen die gleiche
Aufmerksamkeit, wie der Lehrer an der Tafel.

Manchen Betroffenen kann es helfen, wenn sie nebenher auf ein Blatt zeichnen oder einen
Knautschball drücken können. Dadurch fällt es ihnen leichter, durchgehend dem Unterricht mit
dem Gehör zu folgen. Probieren Sie diese Möglichkeit in Absprache mit Betroffenen aus.

Fördern sie Betroffene in Themen, in denen sie stark sind. Die Bestätigung, dass sie etwas gut
machen, wird ihr Interesse am Unterricht erhöhen und sie werden sich mit der Zeit mehr
einbringen. Loben Sie sie für Sachen, die gut gemacht werden.

Betroffene brauchen länger, bis sich Informationen bei ihnen im Langzeitgedächtnis abspeichern.
Geben Sie ihnen die Möglichkeit, sich im Anschluss an den Unterricht von Ihnen Sachverhalte
noch einmal erklären zu lassen, die sie nicht verstanden haben.

Ermutigen Sie die Schüler dazu, sich Notizen zu machen. Das hilft allen, nicht nur den Betroffenen.
Schaffen Sie die Möglichkeit, dass man diese Notizen zur Kontrolle auf ihre Richtigkeit hin bei
Ihnen vorlegen kann.

In Absprache mit dem Betroffenen kann vereinbart werden, dass er ein Mal pro Lektion für 5
Minuten auf die Toilette darf, um sich kurz die Beine zu vertreten und danach wieder aktiver am
Unterricht teilnehmen zu können.

Wenn Sie etwas am Verhalten des Betroffenen stört, besprechen Sie es mit ihm unter 4 Augen
und nicht vor der ganzen Klasse. Begegnen Sie ihm auf Augenhöhe und halten Sie
Vereinbarungen schriftlich fest. So erreichen Sie am ehesten positive Veränderungen.

Betroffene sind dankbar für Lerntipps und Strategien. Es mangelt oft nicht an der Intelligenz
sondern am Wissen, wie man effizient lernen kann. Im Literaturverzeichnis sind verschiedene
Bücher dazu aufgeführt.

Ein Sitzplatz in der Nähe der Lehrperson kann für Betroffene von Vorteil sein.

28
Kritikfähigkeit / Sensibilität / Eigensinnigkeit

Es ist Mittlerweile Mitte Dezember, an einem Donnerstag. Grundsätzlich macht mir die
Ausbildung noch Spass, aber ich habe zunehmend Mühe mit dem Verhalten meines Chefs und
dem gewisser Mitarbeiter; besonders wenn es um das geht was ich falsch mache.
Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass ich als Mülleimer für ihre schlechte Laune hinhalten
muss. Dabei ist es doch nicht meine Schuld wenn sie einen schlechten Tag haben oder? Aber
jedes Mal, wenn sie übellaunig zur Arbeit kommen, habe ich bereits wieder das Gefühl, ich
hätte etwas verbockt, obwohl ich noch gar nichts gemacht habe. So zu arbeiten ist unglaublich
anstrengend.

Heute ist wieder so ein Tag, an dem ich wohl einfach wieder gar nichts recht machen kann.
Dabei würde es doch reichen, wenn ich es jeweils selbst bemerke, dass ich einen Fehler
gemacht habe oder? Korrigieren kann man Sachen ja ohnehin nicht mehr, wenn sie mal
passiert sind, aber nein, man muss mir noch zusätzlich eins auf den Deckel geben. Als ob sie
perfekt wären und nie einen Fehler gemacht hätten. Und dann erwarten sie auch noch, dass ich
das ganze positiv auffasse und ihnen in den Hintern krieche. Was bin ich eigentlich, der
Hofhund den man mit Füssen treten kann, wenn es beliebt?! Aber wenn ich dann versuche, zu
erklären, was passiert ist, hört man mir gar nicht zu, ja man hat noch das Gefühl ich wolle mich
nur rausreden.
Dieses Mal liegt es an den Kundenpflanzen. Ich hatte den Auftrag, nur die Orangen-Bäume
zurückzuschneiden und bei diesen auch nur die mit der Blauen Etikette. Eigentlich ein recht
einfacher Auftrag. Als ich aber im Gewächshaus in die Arbeit vertieft bin, merke ich plötzlich,
dass ich nicht nur die mit der blauen Etikette zurück geschnitten habe, sondern auch die mit der
roten. „Schöne Scheisse“, denke ich mir. Jetzt krieg ich wieder einen Anschiss und hab wieder
mal alles falsch gemacht.
Langsam frage ich mich, ob ich überhaupt irgendetwas richtig machen kann, oder ob ich mich
besser als Reinigungskraft in einer Sanitär-Reinigungsfirma bewerben sollte. Da könnte ich
wenigstens eine Arbeit verrichten die mir entspricht; die Kacke anderer Leute wegkratzen.
Dabei hätten es die mit den roten Etiketten ohnehin auch bitter nötig, geschnitten zu werden.
Aber das wird mein Chef wohl kaum verstehen.
Als er schliesslich auftaucht, folgt auch schon wieder ein mördermässiger Zusammenschiss. Als
ich ihm zu erklären versuche, wieso ich das gemacht habe, kriege ich wieder nur zu hören, ich
wolle mich rausreden, dabei stimmt das gar nicht! Ich habe mir sehr wohl etwas dabei gedacht,
und ich möchte ihm doch nur erklären, wie es so weit gekommen ist.
Aber wenn er nicht bereit ist, mir zuzuhören, habe ich auch nicht wirklich Lust, mir sein
Gemecker anzuhören und so wirke ich völlig desinteressiert und abweisend, was ihn noch mehr
in Rage bringt. Am liebsten würde ich mich jetzt irgendwo verkriechen und sterben, aber das
würde der ohnehin nicht verstehen. Was ist bloss aus dem Chef geworden, den ich mal kennen
gelernt habe? Zudem scheint er schon den ganzen Tag schlecht gelaunt gewesen zu sein, er
hat wohl nur noch darauf gewartet, mir die Schuld dafür geben zu können und ich habe ihm
wieder mal bewiesen dass er Recht hat. Es ist echt zum kotzen.

29
Erklärung der Situation

Betroffene haben Aufgrund ihrer Sensibilität eine hohe Wahrnehmung für die Gefühle anderer
Menschen. Dies gilt auch für negative Gefühle wie Trauer, Wut, etc.
Da sie Aufgrund ihrer Vorgeschichte meist ein sehr schlechtes Selbstwertgefühl haben, beziehen
sie diese Gefühle schnell auf sich und geben sich dafür die Schuld, auch wenn sie gar nichts getan
haben, was dies verursacht haben könnte. Wenn sie dann auch noch zum wiederholten Mal ein in
den Augen eines Nicht-Betroffenen schlichtweg dummen Fehler machen kann es schnell zum
Super-GAU kommen.
Meist haben die Betroffenen schon selbst gemerkt, dass sie einen Fehler gemacht haben und
kritisieren sich bereits innerlich selbst sehr scharf dafür. Sie sind sich selbst der schlimmste Chef.
Kommt nun noch eine Person von aussen und bestätigt sie in diesem Gefühl, kommt es aus
Gründen des Selbstschutz zu einer Art Trotzreaktion oder zu einem Erklärungsversuch, indem die
Betroffenen versuchen, die Situation zu erklären, weil sie möchten, dass ihre Gedankengänge
dahinter verstanden werden.
Diese Fehler passieren nicht aus Dummheit heraus sondern aus Abgelenktheit oder aus einer in
den Augen des Betroffenen klugen Überlegung. Diese Erklärungen werden aber von Nicht-
Betroffenen als Ausrede verstanden, was die Situation meist noch mehr anheizt. Aus dieser
Negativ-Spirale wieder herauszukommen ist für Betroffene sehr schwer.
Aber auch Kritik, die in einem Normalen Ton angebracht wird, wird sehr schnell als Kritik an seiner
Person aufgenommen. Mir sind einige Beispiele bekannt, bei denen eine Ausbildung allein
aufgrund von mangelnder oder falscher Kommunikation und fehlendem Verständnis abgebrochen
wurden, weil beide Seiten aneinander vorbeigeredet haben, und der psychische Leidensdruck so
hoch wurde, dass es Betroffenen nicht mehr möglich war die Ausbildung weiterzuführen.

Tipps für Betroffene

Kritik muss jeder Mal einstecken, denk in solchen Situationen an die Sachen, die du in deiner
Ausbildung schon gut gemacht hast. Zudem: Auf Regen folgt immer Sonne sagt ein altes
Sprichwort.

Sprich mit einer Vertrauensperson über das, was dich belastet. Das schlimmste ist, wenn du alles
in dich hineinfrisst. Wenn du denkst, dass es so nicht weitergeht, dann suche das Gespräch mit
dem Chef. Du kannst auch eine externe Person beiziehen, die in solchen Fällen vermitteln kann.

Widersprich dem Chef nicht. Du erreichst in diesem Moment bloss, dass er sich noch mehr
aufregt. Er ist nicht aufnahmefähig für deine Erklärungsversuche. Wenn dir die Sache keine Ruhe
lässt, dann geh später zu ihm und frage ihn, wie du es in Zukunft besser machen kannst. Wenn du
bereits einen Lösungsvorschlag hast der dir entspricht, umso besser.

Bau dir selbst eine Art Schutzschild, den du mit positiven Erlebnissen und Erinnerungen fütterst.
Das kannst du sowohl allgemein wie auch auf bestimmte Personen bezogen machen. So kannst
du dich besser vor negativen Stimmungen abgrenzen.

Oft hat man in solchen Situationen eine kleine Stimme in sich, die einem mit absoluter
Überzeugung sagt, dass man ohnehin immer alles falsch macht. Diese Stimme bringst du am
besten zum Schweigen, indem du dir immer wieder sagst: Ich kann das, ich habe das bereits
einmal gut hinbekommen also wird es auch weiterhin gehen. Das Gift, das diese Stimme tötet, sind
positive Gedanken, also Think Positiv ☺

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Wenn du einen Fehler gemacht hast, dann geh von dir aus zum Chef und gestehe im den Fehler.
Er wird das besser auffassen, als wenn er ihn erst selber entdecken muss und dir geht es damit
auch besser.

Versuche die Kritik des Chefs aus Sicht einer externen Person zu betrachten. Diese Objektivität
hilft dir, die Kritik besser zu verarbeiten.

Tipps für Chefs und Vorgesetzte

Bleiben Sie ruhig und besprechen Sie gemeinsam mit dem Lehrling, wie solche Fehler in Zukunft
vermieden werden können. Geben Sie ihm die Möglichkeit eigene Lösungsvorschläge ein zu
bringen auch wenn diese vielleicht etwas unkonventionell sind. Denn diese sind meistens für die
Betroffenen einfacher zu befolgen als Vorschläge die von aussen kommen.

Gar nicht darüber zu sprechen wäre genauso schlecht wie den Betroffenen anzuschreien. Er spürt
Ihre Wut sehr gut und weiss, dass er einen Fehler gemacht hat. Nutzen Sie obig Beschriebenes
um die Situation mit dem Betroffenen zu klären.

Hören Sie dem Lehrling zu. Wenn er ihnen seinen Fehler erklären möchte, ist das keine Ausrede,
sondern eine Analyse des Fehlers. Dadurch kann er sich anschliessend wieder auf seine Aufgabe
konzentrieren und brütet nicht den ganzen Nachmittag über dieser Sache. Sie haben dadurch eine
Grundlage, um mit ihm Massnahmen zu finden, solche Fehler zukünftig zu vermeiden.

Wenn Sie Mühe haben, mit dem Betroffenen ruhig zu reden, dann übergeben Sie diese Aufgabe
an einen Mitarbeiter, mit dem sich der Betroffene gut versteht. Dieser wird eher die richtigen Worte
finden und zum Betroffenen durchdringen können.

Tipps für Eltern und Vertrauenspersonen

Bieten Sie dem Betroffenen an, mit Ihnen über solche Sachen zu reden. Aber lassen Sie ihn selbst
entscheiden ob und wann er das tun möchte.

Bleiben Sie neutral. Er braucht nicht noch jemanden, der ihm sagt, was er falsch gemacht hat.

Wenn Sie den Eindruck haben, dass die Situation festgefahren ist, besprechen Sie mit dem
Betroffenen ob ein klärendes Gespräch mit dem Lehrmeister und allenfalls einer externen Person
als Vermittler angebracht wäre.

31
2. Lehrjahr

Selbstorganisation am Arbeitsplatz und in der Schule / Zeitmanagement

Wir haben Mittlerweile wieder September, ich habe das erste Lehrjahr mehr oder weniger
pannenfrei hinter mich gebracht. Allerdings taucht jetzt wieder ein altes Schreckgespenst auf,
das ich schon komplett verdrängt hatte.
Unser Allgemeinbildungslehrer ist der Meinung, dass es für uns Hilfreich wäre, eine länger-
fristige Arbeit zu schreiben, damit wir bereits jetzt ein wenig Übung auf die Vertiefungsarbeit
bekommen, welche uns noch erwartet.
Aber das ist noch nicht alles, eine knappe Woche später ist unser Fachkundelehrer mit der
gleichen Idee angekommen, weil wir ja im dritten Ausbildungsjahr eine Individuelle Facharbeit
machen müssen und es da gut wäre, wenn wir bereits ein wenig Übung mit dem Schreiben
hätten. Man könnte echt meinen, die würden in der Pause nie zusammen reden.
Zu allem Überdruss werden beide Arbeiten noch bewertet und zählen im Zeugnis doppelt. Mir
läuft es jetzt schon kalt den Rücken runter, wenn ich an den Abgabetermin in 2 Wochen denke.
Aus irgendeinem Grund waren nämlich beide der Meinung, sie müssten die Arbeiten
gleichzeitig zurückbekommen, als ob es nicht schon schwer genug wäre, eine solche Arbeit zu
schreiben!
Meinem Chef habe ich vorsichtshalber noch nichts von diesen Arbeiten erzählt. Denn
geschrieben habe ich bis jetzt noch nichts davon. Wir hatten zwar schon 4 Wochen Zeit, aber
schliesslich müssen wir ja auch noch arbeiten und für all die anderen Tests lernen und ein
wenig Freizeit möchte man schliesslich auch noch haben. Letztes Wochenende habe ich mir
die Aufgabenstellung kurz angeschaut, aber ich hab sie recht schnell wieder weggelegt, viel zu
viel zum Lesen. Und in der Schule habe ich es auch immer irgendwie auf den letzten Drücker
geschafft, da wird es dieses Mal auch gehen.
Zum Glück haben wir auf der Arbeit keine solchen längerfristigen Arbeiten, es fällt mir schon
schwer genug, wenn ich für einen ganzen Morgen Aufträge bekomme und diese bis zum Mittag
fertig haben soll, geschweige denn, wenn ich für eine ganze Woche versorgt wäre.
1 Woche später
So langsam rücken die Abgabetermine näher und mit ihnen auch der Stress, weil ich immer
noch nichts gemacht habe. Aber wie auch? Bei uns auf Arbeit geht der Noro-Virus um und nun
müssen wir alle Überstunden leisten. Und das neue Computerspiel das ich mir gerade gekauft
habe, habe ich auch noch kaum spielen können. Hatte ich schon erwähnt, dass ich einen neuen
PC gekauft habe? Auf diesem muss ich natürlich erst ausprobieren, wie gut es sich spielen
lässt, arbeiten könnte ich ja auf jeder Schrottkiste.
Der Abend vor dem Abgabetermin
Mittlerweile habe ich zwar die ABU-Arbeit fertig (man stelle sich vor, sogar vor dem
Abgabetermin!) aber ich habe völlig vergessen, dass ich ja noch diese doofe Fachkundearbeit
schreiben muss! Das schaffe ich so oder so nicht mehr, ich werde mich wohl morgen krank
melden müssen. An den Ärger, den mir das mit meinem Chef wieder einbrockt, will ich lieber
gar nicht erst denken, und dann erst mit meinem Lehrer. Es hat ja ohnehin keinen Sinn jetzt
noch weiter zu schreiben, denke ich mir und schalte wieder auf das Spiel um.
Am Nächsten Morgen
Ich habe jetzt gerade in der Schule angerufen und gesagt ich sei krank. Man fühl ich mich
beschissen. Jetzt muss ich heute diese Arbeit noch irgendwie hinkriegen und morgen darf ich
mir vom Chef einen Anschiss anhören. Vielleicht sollte ich die ganze Sache lieber ganz
abbrechen und stempeln gehen, das wäre wohl alles einfacher.
32
Erklärung der Situation

Betroffene neigen sehr stark dazu, unangenehme Aufgaben und Arbeiten bis zuletzt aufzu-
schieben. Das kennen wir alle und haben es alle auch schon gemacht. Manche Menschen
brauchen diesen Druck sogar, um auf ihre Höchstleistung zu kommen.
Bei Betroffenen ist dies aber viel mehr kontraproduktiv, die Wahrscheinlichkeit eines Zusammen-
bruchs steigt enorm. Sie sehen auf einmal einen unüberwindbaren Berg an Aufgaben und keine
Zeit mehr, diese zu bewältigen. Viele reagieren mit Flucht davor, z.B. indem sie ein Computerspiel
spielen, das ihnen hilft, auszublenden, was sie eigentlich noch machen müssten.
Dadurch wird der zeitliche Rahmen noch knapper als er ohnehin schon ist, und die Wahrschein-
lichkeit, termingerecht fertig zu werden sinkt gegen null. Faktoren wie Facebook, E-Mails und
vieles mehr führen schnell dazu, dass viel Zeit mit Nichtigkeiten vertrödelt wird anstatt sich auf die
eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. Ihre Schwierigkeit, wichtige Aufgaben priorisieren zu können
und die hohen Anforderungen an sich selbst, die Aufgabe möglichst exakt und perfekt erfüllen zu
können, verschlimmert die ganze Situation oftmals noch.

Tipps für Betroffene

Halte Ordnung an deinem Arbeitsplatz. Sowohl Zuhause wie auf der Arbeit.

Schalte Ablenkungen wie Facebook, Fernseher und Radio ganz bewusst aus.

Mache dir eine Liste, mit Dingen, die zu erledigen sind. Entsprechend ihrer Wichtigkeit schreibst du
sie in Unterschiedlichen Farben auf. Wenn du etwas erledigt hast, streichst du es deutlich durch.
Diese Liste hängst du gut sichtbar an deinem Arbeitsplatz auf.

Lasse jemanden (dein Chef, deine Lehrer, deine Eltern oder einer anderen Vertrauensperson) in
regelmässigen Abständen deinen Fortschritt bei einer längerfristigen Arbeit kontrollieren.

Frage deinen Chef ob du nach Feierabend noch im Betrieb lernen kannst.

Tipps für Lehrmeister und Lehrer

Lassen Sie sich vom Betroffenen über längerfristige Arbeiten informieren. Wenn eine ansteht,
dann vereinbaren Sie regelmässige Termine, an denen er die Fortschritte vorlegen muss. Bei
diesen Gelegenheiten kann das weitere Vorgehen und die nächsten Schritte besprochen werden.
Halten Sie diese Schritte, welche er bis zum nächsten Termin erledigen muss, schriftlich fest.

Wenn der Betroffene Mühe hat, Zuhause zu arbeiten, dann geben Sie ihm die Möglichkeit dies in
der Schule oder im Betrieb zu tun.

Tipps für Eltern und Vertrauenspersonen

Helfen sie dem Betroffenen beim Einrichten eines ruhigen Lernplatzes, wenn er das möchte.

Bieten Sie dem Betroffenen an, ihm bei der Erstellung einer Liste für Wichtig und Unwichtig zu
helfen, wenn er das möchte.

33
Routine / Behalten können von Aufträgen / Strukturiertes Arbeiten.

Mitte Oktober, an einem Dienstag. Der Anschiss von den Arbeiten ist nun schon wieder 2
Wochen her. Aber besser geht es mir deswegen nicht. Mittlerweile haben sie ein paar neue
Sachen gefunden, die sie an mir bemängeln können und dementsprechend geht es mir auch.
Das Problem ist, dass mir der Chef und die anderen Mitarbeiter immer eine ganze Reihe von
Sachen auf einmal auftragen und ich vergesse die Hälfte davon schon beim Erklären wieder.
Heute ist wieder mal so ein Tag. Wir sind jetzt seit einer knappen halben Stunde am Arbeiten
und mein momentaner Auftrag neigt sich dem Ende zu. Ich bin grade dabei, die Deko-
Chrysanthemen auszubrechen. Das Problem ist, dass wir ein ganzes Haus voll damit haben
aber ich nicht einfach alle machen soll, sondern nur 3 bestimmte Beete. Aber ich weiss bereits
jetzt, nach dem ersten Beet nicht mehr, welches die beiden anderen waren.
Und was sollte ich danach nochmal machen? War es jetzt giessen im Haus 4 oder sollte ich im
Haus 3 giessen? Und überhaupt, was sollte ich alles giessen? Ich weiss nur noch, dass er
etwas wegen den Aussaaten gesagt hat und dass ich dort nicht alle giessen soll, aber nicht
mehr welche ich nicht giessen soll. So ein Mist.
Und wenn ich jetzt zu ihm gehe und frage, dann krieg ich wieder nur eines auf den Deckel. Aber
auch bei dem was ich jetzt gerade mache, bin ich mir nicht sicher, ob ich es richtig mache. Er
hat mir zwar gesagt, ich solle sie ausbrechen, so gut wie es geht, aber was heisst das nun? Soll
ich sie alle bis zum Boden runter ausbrechen, oder soll ich nur die nehmen, an die ich gut
rankomme? Das Problem ist, wenn ich bis zum Boden runter gehe, muss ich wahnsinnig
aufpassen, die eigentlichen Blüten nicht abzubrechen. Wenn ich es aber nicht mache und es
hätte machen sollen, dann werde ich das Ganze nochmal von vorne machen können.
Diejenigen, welche es das letzte Mal gemacht haben, scheinen es auch nicht allzu genau
genommen zu haben. Überall finde ich noch vergessene Seitentriebe.
Aber das heisst ja noch lange nicht, das ich es auch so machen darf oder? So ein Mist, und
durch die ganze Unsicherheit werde ich auch schon wieder verdammt langsam, dabei möchte
ich es doch einfach nur so machen, wie es sein soll.
Diese ständige Angst und die Unsicherheit etwas falsch zu machen ist enorm belastend. Ob er
dann damit zufrieden ist, weiss ich ja auch noch nicht, ich kriege sicher wieder zu hören ich sei
zu langsam. Es ist einfach nur Stress pur. Egal wie man es macht, es scheint nicht recht zu
sein. Die ganze Zeit alleine zu Arbeiten ist auch nicht grade angenehm, da hab ich niemanden
der kontrolliert ob ich es richtig mache.
Mann, über dieser ganzen Diskussion im meinem Kopf werde ich auch nicht schneller, Herrgott
nochmal.
Überhaupt…muss ich das eigentlich in dieser Reihenfolge machen? Oder hätte ich zuerst
giessen sollen? Irgendwie habe ich schon wieder ein komplettes durcheinander in meinem
Kopf.
Als der Mitarbeiter, welcher für mich zuständig ist, eine halbe Stunde später auftaucht, krieg ich
auch schon zu hören wie langsam ich sei und überhaupt, das ich zuerst hätte giessen müssen.
Ob ich mir den gar nichts selber merken könne, fragt er mich.
Das schlimme ist, dass es nicht nur dieses eine Mal so ist. Auch beim Pikieren und Topfen bin
ich ihnen viel zu langsam, dabei möchte ich es doch nur möglichst gut machen. Ich brauche halt
länger bis ich etwas gut kann, aber dass scheinen sie einfach nicht verstehen zu wollen.

34
Erklärung der Situation

Bei Betroffenen ist der Bereich des Hirns, der für die Erfassung von Aufträgen und Arbeitsabläufen
zuständig ist, das sogenannte Arbeitsgedächtnis durch permanente Reizüberflutung überlastet.
So ist es Betroffenen kaum möglich, längere Zeit aufmerksam der Erklärung eines Auftrages zu
folgen und diesen dann bis zum Ende der Erledigung im Kopf zu behalten. Alles, was während
dieser Auftragsausführung passiert, fordert ihre volle Aufmerksamkeit und sorgt dafür, dass der
ursprüngliche Auftrag schnell vergessen ist.
Mal eben schnell jemandem bei etwas zu helfen kann einem Betroffenen so zum Verhängnis
werden. Aber auch Arbeitsabläufe, welche Nicht-Betroffene nach einmaligem Ausführen bereits
routiniert intus haben, brauchen bei Betroffenen mindestens 3-mal so viele Wiederholungen bis sie
gefestigt sind. Durch die permanente Reizüberflutung kann das Gehirn erst nach mehrmaligem
Wiederholen einer Tätigkeit registrieren, dass diese wichtig ist und es so ins Langzeitgedächtnis
speichern.
Viele Betroffene neigen zudem dazu, alles möglichst genau erledigen zu wollen. Wenn sich dies
nun mit der Vergesslichkeit kombiniert, werden sie enorm langsam, weil sie die Aufträge möglichst
genau ausführen möchten, aber nicht mehr genau wissen wie und dann durch die auftretende
Unsicherheit sehr langsam werden, möglicherweise in der Hoffnung, dass sie jemand zufällig
kontrolliert und korrigiert, bevor sie grösseren Schaden anrichten.
Es ist für Betroffene zudem auch schwierig, eine Reihe von Aufträgen selbst zu koordinieren, sie
nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren und diese Strukturiert abzuarbeiten. Je mehr Freiheit und
Selbstständigkeit man ihnen gibt, desto schwerer fällt es ihnen bei Arbeiten, bei denen sie noch
nicht sehr sicher sind, produktiv zu Arbeiten.

Tipps für Betroffene

Schreibe dir Aufträge Minutiös auf. Besonders die kleinen Details gehen schnell vergessen. Am
besten in der Reihenfolge, in der du sie erledigen musst.

Wenn du etwas nicht verstanden hast, unbedingt nachfragen!

Als Betroffener brauchst du länger, bis du Arbeitsabläufe routiniert hast. Das ist nicht dein Selbst-
verschulden sondern durch die ADHS so gegeben. Wichtig ist, dass du deine Vorgesetzten
darüber in Kenntnis setzt. Lass dir Arbeitsabläufe lieber einmal zu viel als einmal zu wenig
erklären.

Lass dir von einem Vorgesetzten anhand eines Beispiels zeigen, wie genau die Arbeit ausgeführt
werden muss, wenn du unsicher bist (z.B. beim Jäten.), bzw. führe einige Beispiele im Beisein des
Vorgesetzten durch. Learning by doing.

35
Tipps für Lehrmeister

Erklären Sie Aufträge dem Betroffenen sehr genau mit allen Details und lassen Sie ihn das ganze
aufschreiben. Das geschriebene lassen Sie sich vorlesen, um zu sehen, ob er alles Wichtige
mitbekommen hat.

Wenn Sie dem Betroffenen mehrere Aufträge aufgeben, dann sagen Sie ihm auch in welcher
Reihenfolge diese zu erledigen sind und lassen Sie sich diese Anweisungen bestätigen.

Schaffen Sie Abläufe, die immer gleich sind. Sie geben dem Betroffenen Sicherheit und er wird mit
der Zeit zusehends schneller. Stellen Sie auch ganz klare Regeln auf, was erlaubt ist und was
nicht. Z.B. beim Firmenwagen, ob dieser benützt werden darf und wenn ja in welchem Rahmen.

Betroffene brauchen bis zu 3-mal länger um einen Arbeitsablauf zu routinieren. Nehmen Sie sich
die Zeit, ihm Abläufe mehrere Male wieder zu erklären, bzw. lassen Sie ihn es in Ihrem Beisein
durchführen.

Lassen Sie den Betroffenen erlernte Arbeitsschritte regelmässig repetieren. Dies ist besonders im
Hinblick auf die Prüfungen und prüfungsrelevante Arbeiten wichtig (in diesem Fall z.B. dass
Eintopfen.).

Zeigen Sie dem Betroffenen bei Arbeiten die eine gewisse Genauigkeit erfordern ein Beispiel, an
das er sich halten kann. Es fällt ihm dadurch viel leichter diese in einer produktiven Zeit auszu-
führen.

Lassen Sie einen Betroffenen bei neuen Arbeiten nach Möglichkeit mit jemandem zusammen
arbeiten, zu dem er Vertrauen hat und den er fragen kann, wenn er unsicher ist.

36
Depressionen

Es ist irgendwann Ende Oktober und meine Stimmung entspricht dem Wetter vor meinem
Fenster: Trübe und grau, mit Tendenzen zu Regen und heftigen Gewittern.
Ich bin heute Morgen nicht zur Arbeit gegangen und habe mich auch nicht abgemeldet. Es ging
schlichtweg nicht. Mittlerweile möchte ich am liebsten einfach nur noch sterben. Ich halte es in
meinem Betrieb nicht mehr länger so aus, wie es bisher läuft. Meine Depressionen, von denen
ich gedacht habe, sie wären längst weg, scheinen sich nur schlafen gelegt zu haben und sind
nun wieder mit voller Präsenz anwesend. So beschissen ist es mir nicht mehr gegangen, seit
ich meine erste Ausbildung abgebrochen habe und es scheint ganz so, dass es noch zu einem
zweiten Abbruch kommen wird.
Meine Mutter hat zum Glück heute Morgen angerufen und gesagt, ich würde gerade die
Kloschüssel mit meinen Innersten Gedanken beglücken. Natürlich hat sie es nicht so gesagt,
aber der Vergleich scheint mir gerade passend. Wahrscheinlich hätte ich meine Antidepressiva
doch weiter nehmen sollen. Oder das Gefühl der anbrandenden Depression nicht ausblenden,
sondern mich bewusst damit auseinander setzen. Aber das ist jetzt ohnehin egal oder etwa
nicht? Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass ich aus diesem Dilemma wieder herauskomme.
Zumindest nicht, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert. Abgesehen von den anderen
Lehrlingen habe ich das Gefühl, dass sich alle im Betrieb nur noch über mich aufregen und sich
sogar freuen würden, wenn ich nicht mehr kommen würde. Ja, wahrscheinlich wäre es für alle
eine Entlastung.
Meinen Eltern möchte ich aber auch nicht auf der Tasche liegen, ich könnte ja einfach vor allem
weglaufen, dann haben endlich alle ihre Ruhe und ich muss mich nicht mehr mit meinem
schlechten Gewissen quälen, weil es meinen Eltern nicht gut geht. Und meine Tante könnte an
ihrer gehässigen Freude ersticken, wenn sie in ihrem giftigsten Ton zu meinen Eltern sagt: „Ich
habe es euch ja gesagt, das ist ein Taugenichts, aber ihr wolltet ja nicht auf mich hören!“
Irgendein kleiner Teil in mir probt bei all diesen Gedanken den Aufstand. Eine schwache, fast
erloschene Stimme in mir sagt: „So nicht! Du hast nicht so lange durchgehalten um es wieder
so enden zu lassen!“
Ich frage mich, ob ich ihr Gehör schenken soll, oder mich lieber weiter in meinem Sumpf aus
negativen Gefühlen suhle.
Schliesslich beschliesse ich, sie zu Wort kommen zu lassen, ich kann sie ja immer noch zum
Schweigen bringen, sie ist so schwach wie das Flackern einer Kerze im Wind. Je länger ich ihr
zuhöre, desto stärker wird sie, bis sie schliesslich ein loderndes, brennendes Feuer aus Trotz
und Kampfeswille in mir ist.
Die Feststellung, dass dieser Beruf das ist, was ich wirklich möchte und dass ich im Gegensatz
zur anderen Ausbildung die Freude am Beruf noch nicht verloren habe, lässt mich schliesslich
Endgültig aus meiner Starre erwachen und ich beschliesse, alles zu tun um diese Ausbildung
noch zu retten.
Ich gehe zu meinen Eltern um mit ihnen das weitere Vorgehen zu besprechen. Ich kann mich
erinnern, dass mein Psychologe mal etwas von einem Programm erzählt hat, wo man einen
Coach bekommt, der einem durch die Ausbildung begleitet und auch bei Problemen zwischen
Lehrbetrieb und Lehrling vermitteln kann. „Genauso etwas brauche ich jetzt“, denke ich
grimmig. Schliesslich gebe ich mir einen Ruck und rufe bei meinem Psychologen an um einen
neuen Termin abzumachen. Das ist wohl eh längst überfällig.
Bei diesem Termin (er ist noch am gleichen Tag) besprechen wir schliesslich alles weitere und
so kommt das Ganze in die Gänge. Ich bin noch eine ganze Woche krankgeschrieben, in der
ich verschiedene Termine habe unter anderem bei diesem Coach und schliesslich wird für den
kommenden Montag ein Termin mit meinem Chef (der im Übrigen aus allen Wolken gefallen ist
und dem es überhaupt nicht Recht war, dass es so weit gekommen ist) vereinbart um endlich
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mal reinen Tisch zu machen.
Bei dem Gespräch stellt sich heraus, dass mein Chef schon lange das Gefühl hatte, das etwas
nicht stimmt, aber völlig vergessen hatte, dass ich ihn zu Beginn der Ausbildung über das
ADHS in Kenntnis gesetzt hatte. Wir beschliessen gemeinsam einen Neuanfang zu versuchen,
mit Unterstützung des Coachs und endlich scheint es wieder aufwärts zu gehen. Nun ist mein
Chef auch bereit, mir in den Bereichen, wo ich mehr Unterstützung oder Zeit benötige diese zu
gewähren. So kommt das ganze ins Rollen und ich bin nun endlich wieder zuversichtlich die
Ausbildung doch noch erfolgreich abschliessen zu können.

Erklärung der Situation

Depressionen ist eine der am häufigsten auftretenden Begleiterkrankungen bei ADHS-Betroffenen


im Jugend- und Erwachsenenalter. In diesem Fall hier war sie bereits einmal vorhanden (nach
Abbruch der ersten Ausbildung) und ist dann für eine gewisse Zeit in den Hintergrund getreten.
Durch das Absetzen der Medikation und der Therapie und der Wiederholung der Situation, welche
in der ersten Ausbildung bereits der Auslöser für die Erkrankung war, ist sie schlussendlich wieder
zu Tage getreten.
Die Situation kurz erklärt: Im Verlaufe der Geschichte war herauszulesen, wie sich die psychische
Verfassung des Protagonisten immer weiter verschlechterte. Sein ohnehin schon labiles
Selbstbewusstsein wurde zusehends weiter malträtiert. Vieles davon ist aufgrund der Unkenntnis
zur ADHS-Thematik geschehen und hätte vermieden werden können.
Durch das erneute Erleben des Unverständnisses seitens seiner Arbeitgeber wurden die
Erinnerungen an die erste Ausbildung wieder hervorgerufen. Er hat im Prinzip nochmal das gleiche
durchlaufen, bis es schliesslich zum erneuten Zusammenbruch kam. In diesem Fall hilft es ihm,
dass es nicht das erste Mal war, und er sich bewusster damit auseinander gesetzt hat. Er hat den
Willen nicht verloren, diese Ausbildung durchziehen zu wollen und sich schliesslich auch Hilfe
geholt.
Depressionen unterscheiden sich insofern von den normalen Stimmungsschwankungen bei der
ADHS, dass sie nicht einfach wieder von selber weggehen. Durch eine entsprechende Therapie
können sie aber wieder unterbunden werden. Wichtig ist, dass in so einem Fall alle Beteiligten an
einem Strang ziehen, sonst ist die Ausbildung mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu retten.
In diesem Fall hat der Protagonist einen sehr kulanten Lehrmeister, der sich bereit zeigt, es noch
einmal zu versuchen. So etwas ist längst keine Selbstverständlichkeit, darum ist es wichtig, zu
versuchen, dass es gar nicht erst so weit kommt und sich vorher Hilfe zu holen.

Tipps für Betroffene

Wenn ihr merkt, dass ihr in Richtung einer Depression abzurutschen droht, dann wehrt euch
dagegen. Sprecht unbedingt mit einer Person eures Vertrauens darüber, wie es euch geht, und
was eurer Meinung nach die Gründe dafür sind, dass es euch nicht gut geht.

Handelt, bevor es zu spät ist. Ihr spürt selber am besten wie gut es euch geht. Wenn ihr merkt,
dass der tägliche Gang zur Arbeit immer mehr dem Gang zum Schafott gleicht und ihr am Morgen
mit der Einstellung: „Was mache ich wohl heute wieder alles falsch?“ das Haus verlasst, dann holt
euch unbedingt Hilfe. Es ist kein Zeichen der Schwäche, wenn man sich Unterstützung holt,
sondern es zeugt von Mut, sich einzugestehen, dass es nicht mehr so weitergeht.

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Wenn ihr merkt, dass es euch vor Allem so schlecht geht, weil der Chef nichts von eurem ADHS
weiss, oder nicht weiss, wie er damit umgehen soll, dann sprecht mit ihm darüber und klärt ihn
über die Situation auf. Das müsst ihr nicht alleine tun. Es gibt verschiedene Möglichkeiten und
Stellen an die ihr euch wenden könnt und die euch im Krisenfall als Vermittler zur Seite stehen.
Sie können als unabhängige Personen oft mehr erreichen, da sie neutral zu beiden Seiten stehen.

Schiebt die Sache nicht auf die lange Bank mit der Einstellung: „Das wird schon wieder.“. In den
meisten Fällen ist das Gegenteil der Fall. Es muss euch ja nicht erst so schlecht gehen, dass ihr
fast die Ausbildung verliert, bis ihr handelt oder? Ihr könnt euch und allen anderen viel Ärger
ersparen, wenn ihr bereits frühzeitig handelt und nicht das Gefühl habt, ihr müsstet es einfach
durchhalten dann würde es schon wieder besser werden.

Tipps für Lehrmeister/Lehrer

Eine Depression entwickelt sich nicht von heute auf Morgen. Meist geht dem Ganzen eine lange
Leidensgeschichte voraus. Deswegen ist es wichtig, sich auf mögliche Anzeichen zu achten und
frühzeitig einzugreifen. (ADHS-Betroffenen haben jedoch oft die Fähigkeit diese Anzeichen zu
verstecken). In diesem Fall war die mangelnde Kommunikation zwischen Lehrling und Lehrmeister
ein entscheidendes Problem. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich aktiv damit auseinander zu
setzen, wenn man einen Lehrling mit ADHS ausbildet. Es gibt gewisse Dinge, die zu beachten sind
und die schlichtweg nicht gleich sind wie bei normalen Lehrlingen. Werden diese berücksichtigt
halten sich allenfalls auftretende Probleme in einem tragbaren Rahmen. Ignoriert man sie, kommt
es im schlimmsten Fall zu oben beschriebener Situation und allenfalls zum Lehrabbruch.

Wenn Sie einen Lehrling haben, der tatsächlich eine Krise hat und Depressionen bekommt, dann
bedeutet das nicht, dass er nicht mehr fähig ist, die Ausbildung zu beenden. Aber er ist in diesem
Moment darauf angewiesen, dass alle Parteien bereit sind, sich zusammenzusetzen und nach
Lösungen zu suchen. Für ihn als Lehrling ist es besonders wichtig zu wissen, dass er nach wie vor
im Betrieb willkommen ist, und Sie ihn gerne bis zum Ende ausbilden. Es ist wichtig, dass Sie ihm
dies persönlich sagen, denn im Kopf des Lernenden geistern zu diesem Zeitpunkt schon wieder
jede Menge Schreckgespenster umher und er glaubt keine Sekunde mehr, dass er noch zurück
kehren kann, bis Sie es ihm persönlich gesagt haben.

Eine Depression ist nicht von heute auf Morgen geheilt. Es ist ein teilweise langwieriger Prozess.
Für den Lehrling ist es wichtig zu wissen, dass Sie ihn dabei unterstützen. Das kann schon nur in
der Form sein, dass er regelmässige Sitzungen bei einem Therapeuten oder Psychologen
besuchen kann und dies auch während der Arbeitszeit tun darf.

Es empfiehlt sich, in so einer Situation eine externe Fachperson beizuziehen welche Vermitteln
kann. Sie steht zu allen Parteien neutral da und kann Tipps geben, wie die Situation zukünftig zu
handhaben ist. Es ist aber unabdingbar, dass von beiden Seiten die Bereitschaft zur Veränderung
vorhanden ist, sonst hilft auch solch eine Vermittlung nichts.
Solch ein Vermittler kann und soll natürlich auch schon früher beigezogen werden, wenn sich
zeigt, dass es gehäuft zu Schwierigkeiten zwischen Lehrbetrieb und Lehrling kommt. Diese
Situation ist einfach ein Extrembeispiel, welches entsteht, wenn nicht früher gehandelt wird.

39
Tipps für Eltern/ Vertrauenspersonen

Wie bereits bei den anderen beschrieben, bahnen sich Depressionen häufig über einen längeren
Zeitraum an. Diese frühzeitig zu erkennen ist nicht ganz einfach. In diesem Fall sind die
Depressionen eine Folge verschiedener Prozesse, welche schief gelaufen sind und schlussendlich
dazu geführt haben. Was Sie als Eltern/Vertrauenspersonen tun können, um solch einer Situation
vorzubeugen, bzw. sie zu entschärfen, ist nachfolgend in ein paar Tipps aufgeführt. Ausführliche
Literatur zu dem Thema finden sie im Literaturverzeichnis.

Wenn Sie merken, dass es dem Betroffenen in der Ausbildung immer schlechter geht, und sich
seine Stimmung und die Lust zur Arbeit zugehend verschlechtern, dann versuchen Sie ihn darauf
anzusprechen. Das kann je nach Person kein ganz einfaches Unterfangen sein, denn häufig
weisen Betroffene Hilfe von sich ab, weil sie das Gefühl haben, sie müssten es selber schaffen.

Wenn Sie feststellen, dass sich die Situation in eine Sackgasse zu bewegen droht, dann
besprechen Sie mit dem Betroffenen, ob es nicht sinnvoll wäre, eine externe Fachperson als
Vermittler beizuziehen. Am besten ist es, wenn man dies tut, sobald man feststellt, dass sich die
Probleme häufen und es sich abzeichnet, dass dies vor allem wegen dem ADHS der Fall ist.
Solche externen Personen können aufgrund ihres neutralen Status als Vermittler eingesetzt
werden und die Situation in den meisten Fällen entschärfen. Es gibt verschiedene Angebote, die
teilweise auch eine Begleitungsmöglichkeit durch die ganze Ausbildung hindurch darstellen. Dies
empfiehlt sich besonders in Fällen, wo Schwierigkeiten während der Ausbildung bereits vor Antritt
wahrscheinlich sind.

Seien Sie für den Betroffenen da, wenn er reden möchte, aber drängen Sie sich nicht auf. Er wird
von selber auf sie zukommen, wenn er reden möchte. Zeigen Sie ihm einfach, dass er diese
Möglichkeit hat.

Zeigen Sie dem Betroffenen dass Sie an ihn glauben. Sie bilden quasi den Gegenpol zu seinen
negativen Gedanken.

40
3. Lehrjahr

Prüfungssituation

Es ist Mitte Mai, ein Dienstag. Mittlerweile läuft es wieder einigermassen rund in meiner
Ausbildung. Nach der Aussprache mit meinem Chef habe ich meine Therapie wieder
aufgenommen, die ich abgebrochen hatte und die Medikamente habe ich auch wieder
regelmässig genommen. Ich hatte noch 1 oder 2 kleinere Ausfälle, aber keiner war mehr so
schlimm wie der erste.
Auch im Betrieb selbst läuft es mittlerweile wieder rund. Ich komme viel besser mit meinem
Chef und den anderen Mitarbeitern zurecht und sie wissen nun auch besser, wie sie mit mir
umgehen sollen. Derzeit befinde ich mich grade voll in der Prüfungsphase.
Die längerfristigen schriftlichen Prüfungsarbeiten konnte ich schon hinter mich bringen und den
praktischen Teil der Prüfung auch. Dieses Mal habe ich aus meinen Fehlern gelernt und die
Arbeiten frühzeitiger angefangen zu schreiben und konnte sie auch pünktlich abgeben.
Allerdings macht mir die kommende Abschlussprüfung ein wenig Sorgen. Den praktischen Teil
haben wir ja bereits im März hinter uns gebracht. Das war vielleicht eine Sache. Meine Klasse
glich zu dem Zeitpunkt einem Wespennest, das ein Lausbub in Brand gesteckt hat. Ganz zu
schweigen davon, dass zu dem Zeitpunkt die Saison wieder begonnen hat und wir ziemlich
viele Überstunden machen.
Irgendwie habe ich das Ganze wohl recht erfolgreich über die Bühne gebracht. Ich habe sicher
ein paar unnötige Fehler gemacht, aber grösstenteils bin ich glaube ich ganz gut
durchgekommen. Das liegt aber vor allem daran, dass ich in meinem Betrieb viel Gelegenheit
zum Üben hatte, weil ich meinem Chef gesagt habe, dass ich in gewissen Bereichen noch sehr
unsicher bin. Er hat sich mittlerweile auch vertieft mit der ADHS-Symptomatik auseinander-
gesetzt und hat mich dementsprechend oft üben lassen.
Vor den kommenden schriftlichen Prüfungen habe ich allerdings mehr Angst. Es ist einfach eine
Riesenmenge an Wissen, die da auf einmal verfügbar sein muss. Im Gegensatz zum prak-
tischen ist es nichts, was man wirklich während der Arbeitszeit üben kann. Ziemliche kopflastige
Angelegenheit also.
Auch meine Klasse scheint schon wieder nervös zu werden, kein Wunder, es sind noch 2
Wochen bis zu den Prüfungen und es weiss niemand so recht, ob man schon genug gelernt hat
und das Gelernte auch wirklich sitzt. Mir geht es da ganz ähnlich.
Dass wir derzeit eine Baustelle vor dem Haus haben, macht das Ganze nicht grade einfacher,
geschweige denn die Stimmung in meiner Klasse. Und Zuhause zu lernen ist auch nicht grade
einfach, weil ich ständig irgendwelche anderen Sachen sehe, die mich ablenken und mehr
interessieren.
Ich habe angefangen mit meinem Sitznachbar, der sich mittlerweile als ganz gescheiter Kopf
erwiesen hat, gemeinsam zu lernen. Die meiste Zeit klappt das ganz gut. Zumindest viel besser
als wenn ich Zuhause versuche, etwas in meinen Schädel zu bekommen, der alleine schon von
dem ganzen Stress momentan zu platzen droht. Ich verstehe echt nicht, wieso die Abschluss-
prüfung mitten in der Gärtnerischen Saison liegen muss.
Am meisten Mühe bereiten mir noch die Themen, die mich noch nie sonderlich interessiert
haben. Ich kann bloss hoffen, dass ich diese noch Mithilfe meines Sitznachbars irgendwie in
meinen Kopf hineinbekomme.

41
Prüfungstag:
Ich bin mal wieder so nervös wie am ersten Tag der Ausbildung. Wenigstens findet die Prüfung
bei uns im Schulgebäude statt. Schon mal ein kleiner Bonuspunkt. Aber mein Magen scheint
das wenig zu kümmern, der würde am liebsten schon wieder ein Eigenleben führen.
Als es schliesslich losgeht, kann ich zu Beginn kaum das Bleistift ruhig halten. Zu meinem
Glück sind die ersten paar Fragen zu Themen in denen ich sattelfest bin. Nicht auszudenken,
wenn es gleich zu Beginn etwas gewesen wäre, über das ich keine Ahnung habe.
Als schliesslich alle Prüfungen vorbei sind, bin ich unglaublich froh, alles überstanden zu haben.
Ich bin mir sicher, dass ich stellenweise ziemlich Punkte verloren habe. Aber eigentlich nur bei
Themen, die mich nicht so interessiert haben und die ich deswegen bis zuletzt nur flüchtig
angeschaut habe. „Wenn ich die Prüfung nochmal wiederholen könnte, würde ich diesen Fehler
nicht mehr machen“, denke ich für mich.

Erklärung der Situation

Unser Protagonist hat den grossen Vorteil, dass die Abschlussprüfung in seinem Beruf in mehrere
Teile gesplittet ist. Das ist bereits eine enorme Entlastung. Dennoch ist es so, dass Betroffene an
Prüfungen häufig unter ihrem eigentlichen Niveau abschneiden. Die enorme Belastung einer
Prüfung blockiert bei Vielen oftmals die Abrufbarkeit des Gelernten oder verschlechtert sie
zumindest.
Auch beim Lernen auf Prüfungen hin, gibt es einige Faktoren, welche sehr störend sein können, so
wie z.B. eine Baustelle. Die praktische Prüfung fällt hier leichter, weil er in seinem Betrieb die
Möglichkeit hatte, unter Anleitung genau diese Situationen bis ins FF zu üben. Durch die regel-
mässige Wiederholung entsteht eine Sicherheit, welche an der Prüfung eine starke Stütze
darstellen kann.
Beim schriftlichen Teil sind die Themen, welche er schon beim Lernen als langweilig betrachtet hat
auch die, in welchen er am schlechtesten abgeschnitten hat. Hier hat er sich wieder vom inneren
Schweinehund leiten lassen und lieber das gelernt, was er ohnehin schon gut beherrscht.
Nachfolgend sind einige Tipps aufgeführt, welche beim Lernen auf Prüfungen hin helfen können.
Diese Tipps können auch generell zum Lernen von Tests und Prüfungen verwendet werden.

Tipps für Betroffene

Beschränke die Dinge an deinem Arbeitsplatz auf das absolute Minimum, dass du zum Lernen
brauchst.

Schalte Ablenkungen wie Radio, Fernseher, Spielkonsole aus. Wenn du Mühe mit dem
Strassenlärm hast, dann kannst du Oropax benützen. Gegen die Ablenkbarkeit von draussen hilft
es, wenn du den Tisch an dem du arbeitest, zu einer Wand hin drehst.

Lege regelmässige Pausen zwischen den Lerneinheiten ein z.B. um zu Lüften oder ein Glas
Wasser trinken zu gehen.

Lerne mit anderen zusammen und wechselt euch in den Rollen als Lehrer und Schüler ab. So
könnt ihre den Stoff viel besser vertiefen und speichern.

Wiederhole den gelernten Stoff regelmässig.

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Teile dir den Lernstoff in kleinere Einheiten auf, die du einzeln lernst. Zwischen den einzelnen
Einheiten legst du immer eine Pause ein.

Jeweils eine halbe Stunde vor und nach dem Lernen weder Computerspiele spielen noch Filme
schauen. Bewegte Bilder überfluten den Kurzzeit-Gedächtnisspeicher und das Gelernte wird
wieder gelöscht.

Tipps Für Lehrmeister

Für Betroffene ist es sehr wichtig, dass sie Prüfungsrelevante Arbeiten möglichst oft üben können.
Sie sind noch mehr auf die Routine angewiesen als normale Lehrlinge. Schaffen Sie daher
Möglichkeiten, damit Relevantes regelmässig geübt werden kann.

Sie als Lehrmeister wissen am besten, wo der Betroffene noch Defizite hat. Besprechen Sie diese
mit ihm und arbeiten Sie einen Übungsplan aus, damit er diese bewusst trainieren kann. Das muss
nicht unbedingt während der Arbeitszeit sein. Wichtig ist einfach, dass jemand dabei ist, der ihn auf
die Richtigkeit hin überprüfen kann.

Tipps für Lehrer

Repetieren Sie mit der ganzen Klasse den alten Stoff. Das werden ihnen alle Schüler danken,
nicht nur Betroffene.

Wenn Sie die Möglichkeit haben, dann bieten Sie doch eine Art Nachhilfeunterricht an, damit
Schüler in der Vorprüfungsphase nach dem Unterricht während einer Lektion zu Ihnen kommen
können, damit Sie Fragen stellen können.

Wenn Sie die Möglichkeit haben, dann lassen Sie die Schüler mal eine alte Prüfung lösen. Davon
profitieren alle, nicht nur der Betroffene.

Bieten Sie die Möglichkeit zu Lerngruppen an.

Tipps für Eltern und Vertrauenspersonen

Helfen Sie dem Betroffenen einen Arbeitsort einzurichten ohne Ablenkungen wie Facebook,
Fernseher und Radio. Am besten eignet sich ein Ort, an dem sonst keine anderen Tätigkeiten
ausgeführt werden.

Spielen Sie für den Betroffenen den Schüler. Sie können seine Unterlagen nutzen, um ihn auf die
Richtigkeit seiner Aussagen hin zu überprüfen.

43
Das Beste zum Schluss

Ein Monat später. Ich habe gerade erfahren, dass ich die Abschlussprüfung erfolgreich
bestanden habe. Ich bin nun ganz offiziell Zierpflanzengärtner mit Eidgenössischem
Fähigkeitszeugnis.

Meine Noten liegen ein wenig unter dem, was ich sonst in der Berufsschule hatte, aber das ist
mir relativ egal. Für mich zählt, dass ich die Prüfung erfolgreich bestanden habe. Aber noch viel
wichtiger als dieses Diplom, ist die Tatsache, dass ich etwas von Beginn bis zum Ende
erfolgreich durchgezogen habe, trotz all der Schwierigkeiten, die ich auf diesem Weg hatte. Das
zählt für mich mehr als 100 dieser Diplome.

Und mit dem Bestehen der Abschlussprüfung sind wir auch am Ende meiner Geschichte
angelangt. Ich hoffe, sie fanden sie interessant und können für sich etwas daraus nutzen, was
Betroffenen hilft, solche Fehler in Zukunft zu vermeiden. Allen betroffenen Lesern wünsche ich
von ganzem Herzen, dass ihr eure Ausbildung erfolgreich absolvieren könnt und Wünsche euch
und euren Lehrmeistern für die Zukunft alles Gute.

Freundliche Grüsse

Christian, Zierpflanzengärtner EFZ seit dieser Woche.

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Schlusswort

Zielerreichung

Da ich mir bei meiner Vertiefungsarbeit ein Ziel gesetzt habe, dass nicht mit dem Beenden der
Arbeit erreicht ist, ist dieser Punkt gar nicht so einfach zu beantworten. Ich hatte mir ja das Ziel
gesetzt mit dieser Arbeit, ich zitiere: „Das Ziel dieser Arbeit ist es, dass gegenseitige Verständnis,
die Kommunikation und den Umgang mit auftretenden Problemen zu verbessern.
Sie soll vermitteln wie damit umgegangen werden könnte und mögliche Lösungsansätze
aufzeigen.“
Ob ich dieses Ziel erreicht habe, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Ich für meinen Teil kann aber
sagen, dass ich bei der ganzen Sache ein gutes Gefühl habe. Ich denke, ich habe es geschafft,
einen Einblick in das Denken und das Gefühlsleben eines Betroffenen zu schaffen, so dass es
auch für Nicht-Betroffene verständlich ist.

Arbeitsprozess

Bereits beim Schreiben meiner Individuellen Facharbeit habe ich festgestellt, wie viel einfacher es
geht, wenn man die Sachen nicht auf den allerletzten Drücker anfängt. Das mag für viele andere
total logisch sein, aber bei mir hat es erst dieser Erfahrung bedurft, um es zu begreifen. Mit diesem
Vorsatz bin ich auch meine Vertiefungsarbeit angegangen. Zudem habe ich mir bei der
Themenwahl einige Lerntipps zu Herzen genommen, welche ich vor ca. einem Jahr von meinem
Psychotherapeuten bekommen habe. Einer davon war, sich ein Thema zu suchen, zu dem einem
spontan 5 Dinge einfallen. Was liegt da näher, als über etwas zu schreiben, von dem ich selbst
betroffen bin? Zumal ich erst noch eine Fachfrau in meiner Familie habe, welche mir jederzeit mit
Rat und fachlichen Unterlagen zur Seite stand.
Zu Beginn der Arbeit hatte ich mit meinem inneren Schweinehund zu kämpfen, der mich zunächst
zur Gemütlichkeit verleiten wollte. Diesen konnte ich zu meinem Glück augenscheinlich Recht
schnell in den Griff bekommen.
Der nächste grosse Stolperstein waren aber meine Fragebögen, welche ich verschickt habe. Ich
habe festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, wenn man eine zeitliche Begrenzung hat und
Fragebögen an Personen verschickt, welche genau mit dem am meisten Probleme haben. Ich
hatte also auf einmal nicht nur mit meinem eigenen Schweinehund zu tun, sondern auch mit dem
von jedem/jeder Betroffenen, dem ich einen Fragebogen gesendet habe und die diese auch wieder
zurück senden mussten. Ich habe mich also mit der Begründung, ich müsse zuerst die
ausgefüllten Fragebögen zurück haben beinahe selbst wieder in die Zeitfalle hineinlaufen lassen.
Zu guter Letzt konnte ich doch einige der Fragebögen als Grundlage nutzen (auch wenn ich dem
einen oder anderen noch ziemlich hinterher rennen musste um ihn zu bekommen.)
Bewährt hat sich die Auswahl eines Themas, über welches ich bereits gewisse Kenntnisse besitze
und wo es mir leicht fällt an gutes Informationsmaterial heranzukommen.
Verbessern würde ich auf jeden Fall die Sache mit den Fragebögen. Ich habe deutlich unterschätzt
welche Zeit es braucht, bis diese dann auch zurückkommen und die Tatsache, dass es plötzlich
nicht mehr nur vom eigenen Zeitgefühl abhängt, ob man die Informationen bekommt.
Bei einem nächsten Mal würde ich darauf achten, dass ich diese innerhalb der ersten Woche
geschrieben und verschickt hätte, damit ich einen Möglichst grossen Zeitpuffer habe, bis ich
Ergebnisse haben muss.
Es war aber auf jeden Fall eine sehr interessante Erfahrung.
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Zeitlich gesehen war ich definitiv auf die Verlängerung angewiesen. Ich habe aber die Zeit in den
Ferien nun sehr intensiv genutzt um die Arbeit zu vollenden und bin zum Schluss gekommen, dass
ich sie in diesem Umfang nicht innerhalb der Zeit, die wir zur Verfügung gehabt haben, hätte
beenden können.
Ich kann also froh sein, dass wir Ferien hatten, sonst wäre es wohl zur einen oder anderen
Nachtschicht gekommen.

Lernzuwachs

Ich konnte mein Wissen besonders im fachlichen Bereich zu der ADHS-Thematik stark vertiefen.
Ich wusste zwar bereits durch meine Mutter das eine oder andere, aber durch die intensive
Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich viel Neues erfahren und verstehe nun gewisse
Sachverhalte noch besser als vorher.
Des Weiteren habe ich festgestellt, wie gut es mir im Vergleich zu anderen mit meiner Krankheit
geht und wie viel Verständnis mir von allen Seiten immer zuteilwurde. Im Rahmen meiner Arbeit
habe ich mich in einem Betroffenen-Forum angemeldet.
Die Leidensgeschichten die man dort teilweise zu lesen bekommt, lassen einem die Haare zu
Berge stehen. Es ist aber für Betroffene eine sehr gute Plattform um sich gegenseitig
auszutauschen. Für viele ist die Erfahrung nicht alleine zu sein sehr tröstlich.

Ausblick

Ich habe von elpos das Angebot bekommen, meine Arbeit (wohl gestrafft und nochmals
überarbeitet) zu veröffentlichen, sofern sie den Ansprüchen entspricht. Dies, weil es zu diesem
Thema noch keine grössere Arbeit gibt, die aus der Sichtweise des Betroffenen geschrieben ist.
Ich hoffe, dass ich das umsetzen kann. Die Vorstellung, dass eine Arbeit, die ich geschrieben
habe, tatsächlich veröffentlicht und gelesen wird und etwas bewirken kann, erfüllt mich zutiefst mit
Stolz.

So, ich merke, ich kann mich mal wieder nicht kurz fassen. Für mich war das Schreiben dieser
Arbeit die Verwirklichung eines Traumes, den ich gefasst hatte, seit ich in meiner ersten
Ausbildung das erste Mal etwas von einer Vertiefungsarbeit gehört habe.
In diesem Sinne möchte ich mich auch als Autor selbst noch vom geneigten Leser verabschieden,
und hoffe, Sie fanden die Arbeit spannend und interessant.

46
Danksagung

Mein besonderer Dank gilt meiner Mutter, welche mir durch die Arbeit hindurch mit ihrem
Fachwissen zur Seite stand.
Des Weiteren danke ich allen, die sich die Zeit genommen haben, einen meiner Fragebögen
auszufüllen auf deren Grundlage diese Arbeit aufgebaut ist.
Ihr wart eine grosse Unterstützung und habt mir wesentlich dabei geholfen, diese Arbeit in die Tat
umzusetzen.
Ein Dank geht auch nach Bremgarten an Martina Nydegger, mit der ich ein Interview führen durfte,
dass ich in diese Arbeit habe einfliessen lassen.

Zu guter Letzt danke ich jedem, der sich die Zeit nimmt diese (doch recht umfassend gewordene)
Arbeit zu lesen und hoffe, ihr könnt etwas für euch daraus nutzen.

47
Literaturtipps

In meiner Arbeit habe ich an diversen Stellen den Verweis auf die Literaturtipps am Ende dieser
Arbeit gemacht. Ich selbst habe mich bei meiner Arbeit auf bestimmten Aspekt des gesamten
Themas konzentriert. In diesen Büchern finden sie alle für Sie interessanten Informationen rund
um das Thema ADHS

Russel A.Barkley: Das grosse Handbuch für Erwachsene mit ADHS.


Aus dem Amerikanischen von Cathrine Hornung
Erschienen bei Verlag Hans Huber
Längass-Strasse 76, CH Bern
1. Deutsche Auflage im Jahr 2012.
Die Orginalausgabe erschien unter dem Titel Taking Charge of Adult ADHD im Jahr 2010

Dr.med. Adam Alfred, Dipl. Psych. Stefanie Eiden, Klaus Werner Heuschen, Dr. med. Astrid Neuy-
Bartmann: MyADHS.com
Erschienen bei ADHS-Zentrum München GmbH
Erscheinungsjahr: 2010
Winthristrasse 4, DE 80639 München

Monika Brunstig-Müller: Träumer oder ADS? Jugendliche und junge Erwachsene mit nicht
hyperaktiver Aufmerksamkeits-Defizit-Störung coachen
Erschienen bei Verlag am Weiher
Erscheinungsjahr: 2007
Wilerstrasse 2, CH 9242 Oberuzwil

Dr.med. Dieter Claus, Dr.med. Elisabeth Aust-Claus, Dr. Dipl.-Psych. Petra-Marina Hammer: ADS
Das Erwachsenen-Buch. Neue Konzentrations- und Organisations-Hilfen für Ihr Berufs- und
Privatleben.
Erschienen bei Oberstebrink Verlag GmbH
Erscheinungsjahr: 2002
Bahnstrasse 44, DE 40878 Ratingen

48
Quellenverzeichnis

Literatur

Autoren Titel Untertitel Verlag Verlags- Jahr


ort

Dr.med. Adam MyADHS. ADHS-Zentrum München 2010


Alfred com München GmbH
Dipl.Psych.Stefanie
Eiden
Klaus Werner
Heuschen
Dr.med.Astrid
Neuy-Bartmann

Entwickelt in Grosser Kinder mit Janssen-Cilag Keine Keine


Zusammenarbeit Chaot oder besonderen AG Angaben Angaben
mit Schweizer kleines Bedürfnissen
Kinder- und Genie
Jugend-
psychiatern,
Pädagogen und
Angehörigen-
organisationen

Entwickelt in Sprunghaftes Symptome, Janssen-Cilag Keine Keine


Zusammenarbeit Genie und Diagnose und AG Angaben Angaben
mit Schweizer Kreative Therapie der
Expertinnen und Chaotin Aufmerksam-
Experten der keits- Hyper-
Psychiatrie und aktivitäts -
Psychologie und Störung
mit einer ADHS- (ADHS) im
Betroffenen Erwachsenen-
alter

Russell A. Barkley Das Grosse Verlag Hans Bern Orginal


Aus dem Handbuch Huber 2010
Amerikanischen für Deutsche
von Cathrine Erwachsene Erstaus-
Hornung mit ADHS gabe
1. Auflage
2012

49
Internet

Zwangsstörung und http://de.wikipedia.org/wiki/Aufmerksamkeitsdefizit- 29.12.


Suchtproblematik aus /Hyperaktivit%C3%A4tsst%C3%B6rung#Komorbidit.C 2012
Wikipedia, der freien 3.A4t_im_Erwachsenenalter
Enzyklopädie

Tourette-Syndrom aus : http://de.wikipedia.org/wiki/Tourette-Syndrom 29.12.


Wikipedia der freien 2012
Enzyklopädie

Legasthenie aus http://de.wikipedia.org/wiki/Legasthenie 29.12.


Wikipedia der Freien 2012
Enzyklopädie

Angststörung aus http://de.wikipedia.org/wiki/Angstst%C3%B6rung 29.12.


Wikipedia der Freien 2012
Enzyklopädie

Depression aus http://de.wikipedia.org/wiki/Depression 29.12.


Wikipedia der Freien 2012
Enzyklopädie

Interviews

Martina Nydegger Beraterin elpos Bremgarten bei Bern 29.11.2012

Bilderquellen

Gehirn(Bild 1) Broschüre: Sprunghaftes Genie, kreative Chaotin


Hans guck in http://www.paeddog.de/media/DIR_276722/3aba25186824842ffff8edbac14421f.gif
die Luft(Bild 2)
Zappelphillip http://www.weth.ch/wp-content/uploads/2012/10/zappelphilipp.jpg
(Bild 3)
Junge mit der www.cartoonstock.com
Schleuder
(Bild 4)
Reizüberflutung http://w2.kunstnet.org/11990/optical_overburn.jpg
(Bild 5)
Mann unter ClipArt, Microsoft Word 2010
Papierberg
(Bild 6)
Frau im ClipArt, Microsoft Word 2010
Zeitdruck
(Bild 7)
Tabelle Zahlen stammen aus dem Buch Russel A. Barkley, Das Grosse Handbuch für
Symptome Erwachsene( siehe Quellenverzeichnis Literatur)
(Bild 8)

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