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BERUF

MOTIVATION

Am Ende nur noch zynisch


Die Leidenschaft für eine berufliche Aufgabe verschwindet meist
schleichend – aber sie lässt sich zurückholen
VON Peter Wagner | 20. April 2011 - 08:00 Uhr

Es gab diesen Moment, in dem Marita bewusst wurde, dass sie sich verändert hatte. Ein
neuer Praktikant war in der Abteilung, er machte sich gut und sollte übernommen werden.
Vielleicht fühlte er sich deshalb berufen, die Arbeitseinstellung seiner künftigen Kollegin
zu kritisieren. »Es bringt doch nichts, ständig nur rumzumosern«, sagte er in Maritas
Richtung. Der Seitenhieb kam unerwartet. »I ch bin doch niemand, der rummosert «, dachte
Marita. Oder doch?

Auf einmal fielen ihr die kleinen Sätze ein, die sich in ihre Arbeit als Art-Direktorin in
einer Werbeagentur eingeschlichen hatten. »Wenn ich einen Auftrag bekommen habe,
habe ich immer einen Kommentar hinzugefügt. Von wegen: Ja klar, dann kann ich
noch die Geburtstagskarte von der Großmutter von dem Freund des Kunden gestalten.«
Das abwertend gemeinte »ja klar«, die vermeintliche Bestätigung und die zeitgleiche
Distanzierung von einer Sache begleiteten sie durch ihren Alltag. Mit 27, fünf Jahre nach
ihrem Einstieg ins Arbeitsleben, war sie seltsam verhärtet.

Helen Heinemann kennt viele solcher Geschichten, wie Marita sie erzählt, deren Name auf
ihren Wunsch hin geändert wurde. Heinemann ist Psychotherapeutin und leitet das Institut
für Burn-out-Prävention in Hamburg. Zynismus und Burn-out hängen eng zusammen –
Zynismus ist die erste Reaktion, wenn eine Situation im Beruf entsteht, aus der sich ein
Burn-out entwickeln kann. Er entsteht unter anderem, wenn Ansprüche enttäuscht werden,
wenn der eigene Idealismus und das eigene Engagement keinen Widerhall finden und dann
die Resignation zum ersten Mal an die Bürotür klopft.

Helen Heinemann glaubt, dass Zynismus eine Form von Selbstschutz ist. »Die Leute,
die zynisch sind, sind meist sehr empfindsame und einfühlsame Menschen, die sich sehr
engagieren und die sich schwertun, brüsk zu sein«, sagt sie. »Die können nicht sagen: ›Es
nervt‹, wenn ihnen alles zu viel wird.« Der Zynismus werde dann zu einem Werkzeug,
das dazu diene, die eigenen Gefühle abzuschirmen. »Die Betroffenen wollen nicht noch
mehr von den Reaktionen auf ihre Arbeit berührt werden. Deshalb werten sie irgendwann
alles ab, was sie erreicht.« An dem Punkt, sagt Heinemann, begännen die Dinge jedoch
gefährlich zu werden. »Wenn ich dauerhaft eine emotionale Distanz zu allen Ereignissen,
auch zu einem schönen Film, zu einer liebevollen Begegnung habe und alles zynisch
kommentiere, dann verliere ich den Kontakt zu meinen Emotionen. Dann besteht die
Gefahr der Depersonalisierung.«

Heinemann erzählt von einem Mann, der nach der Wende in den Osten Deutschlands ging.
»Er wollte etwas bewegen – und stieß auf eine beamtenmäßige Haltung seiner Mitarbeiter,
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die immer um Punkt drei Uhr ihren Arbeitsplatz verlassen haben, selbst wenn noch jede
Menge Arbeit zu erledigen war.« Dem Engagement des Mannes wurde nichts entgegnet.
Die Dinge wurden ihm egal, und er wurde zum Zyniker.

Auch Marita hatte voller Enthusiasmus in der Agentur angefangen. »Ich hatte mich
gerade von meinem Freund getrennt, war von zu Hause ausgezogen, ich war bereit für den
Neuanfang. Ich hatte große Lust, alle Energie in die Arbeit zu stecken.« Das durfte sie dann
auch. Marita arbeitete bald 80 Stunden die Woche, arbeitete fast immer auch samstags
und sonntags. Weil man in der Werbung hart zu sich ist, gab es allerdings nirgends ein
Schulterklopfen. »Niemand war da, der sagte: Deine Arbeit ist super, vielen Dank. Es
wurde immer mehr gefordert, man konnte nie gut genug sein. So bin ich abgestumpft. Ich
habe angefangen, Witze über die Arbeit zu machen.« Marita schüttelt den Kopf. »Schlimm
war, dass mich selbst die tollen Jobs nicht mehr gefreut haben. Mich haben die Dinge
komplett unberührt gelassen.« Auf ihre zynische Phase folgte der Zusammenbruch.

Marita verließ ihren Arbeitsplatz und ließ sich von einer Verhaltenstherapeutin helfen.
Ihren Beruf und die Entscheidung dafür aber stellte sie selbst in jener Zeit nicht infrage.
Helen Heinemann wundert das nicht. »Die Leute, die mich um Rat bitten, haben alle
eine Berufswahl getroffen, die passgenau zu ihren Fähigkeiten ist«, sagt sie. »Gerade die
schmeißen sich mit voller Kraft in ihr Berufsfeld – und sind gutes Futter für Arbeitgeber.
Sie sind hilfsbereit und freundlich, denen knallt man dann Projekte ohne Ende hin.«
Irgendwann können sie nicht mehr.

Eigentlich muss sich nicht der Mensch ändern, wenn er zum Zyniker wird, sondern
die Arbeitswelt. Dieser Ansicht ist Barbara Zahn, die stellvertretende bayerische
Landesbezirksleiterin bei der Gewerkschaft ver.di, die sich viel mit Arbeitskonflikten
auseinandersetzt. »Der Mensch braucht Selbstbestätigung, und er holt sie sich überwiegend
aus der Arbeit. Aber wenn dort der Stress groß und die Wertschätzung gering ist ,
hält das auch die stabilste Psyche auf Dauer nicht aus.« Barbara Zahn erzählt von
der Arbeitsverdichtung in vielen Branchen, bei der mehr Verantwortung und Arbeit
auf die Einzelnen übertragen würden, ohne dass es dafür mehr Anerkennung gebe.
»Normalerweise definieren nicht Sie Ihre Position«, sagt sie. »Das System definiert sie.«

Da sich das System aber nicht immer ändern lässt, hält es Helen Heinemann trotzdem
für wichtig, dass der Zyniker Distanz zu seiner Arbeit entwickelt. »Eine Frau schrieb
sich bei mir im Kurs den Satz ›Arbeit ist nur Broterwerb‹ auf und hat ihn sich zum
Bildschirmschoner gemacht. So wird ihr bewusst, dass sie nicht zur Arbeit geht, um die
Welt zu retten. Das kann sie in ihrer Freizeit tun, wenn sie sich für ein Hilfsprojekt in
Afrika engagiert.«

Marita arbeitet heute freiberuflich. Sie glaubt mittlerweile, dass es auf der ganzen Welt
keine Arbeitsstelle gibt, an der niemand mosert. »Aber es gibt Orte, an denen nicht nur
mit der Peitsche, sondern auch mit Zuckerbrot motiviert wird.« Und ihre Psychologin
brachte ihr etwas bei: »Wenn man Kraft in eine Sache steckt, muss man es tun, weil man
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selbst davon überzeugt ist. Man darf es nie machen, weil man hofft, dass jemand anderes
darauf toll reagiert.« Marita versucht, genau diesen Rat zu befolgen. Sie will nicht mehr so
sehr vom Lob anderer abhängig sein. Dafür hat sie sich eine Form von Wurstigkeit, eine
Verhärtung zugelegt, um diese andere Verhärtung, den Zynismus, in den Griff zu kriegen.
»Und es funktioniert«, sagt sie.

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