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Autor: Jörg Zittlau| 21.12.

2006

Mit dem Schlafschwamm voller Drogen in


die Vollnarkose
Ein Medizinhistoriker belegt: Auch im Mittelalter gab es bereits hochwertige Medizin.
Aderlass war in vielen Fällen sinnvoll, blutende Wunden wurden vernäht, Tumore entfernt.
Sogar Antibiotika kamen zum Einsatz.

Die Medizin des Mittelalters steht in keinem guten Ruf. Man denkt an herumreisende
Quacksalber und blutige Zahnoperationen und daran, dass heilkundige Frauen gerne als
Hexen verbrannt wurden. Aktuelle Studien zeigen jedoch: Das Mittelalter war in Bezug auf
die Medizin alles andere als finster.

Medizinhistoriker Professor Gundolf Keil von der Universität Würzburg sichtete die
entsprechenden Literaturquellen des Mittelalters, darunter auch das Lorscher Arzneibuch aus
dem Jahre 788, das älteste Medizinbuch Deutschlands. Keils Erkenntnis: "Die damaligen
Ärzte waren keineswegs die rohen Quacksalber, als die sie oft dargestellt werden."

So wurden Patienten zur Ader gelassen, um ihnen bei Infektionen wie etwa der Pest zu helfen.
Ein durchaus sinnvolles Unterfangen, wie man heute weiß, insofern sich Bakterien umso
schlechter vermehren, je weniger Bluteisen sie vorfinden. Der Blutverlust musste sich
allerdings im Rahmen halten, denn ansonsten führte er zur Schwächung des Patienten. Selbst
bei Übergewicht und Bluthochdruck kam der Aderlass zur Anwendung. "Damals konnten die
Mediziner zwar keinen hohen Blutdruck messen", so Keil, "doch sie ließen häufig Menschen
mit warmer, feuchter Haut und gerötetem Gesicht zur Ader." Und das seien Kriterien, die
auch heute bei Bluthochdruckkranken als typisch angesehen werden.

Bericht über eine Schädeloperation

Blutungen wurden einst mit einem Druckverband oder aber mit Nadel und Faden gestillt. Das
Erlernen dieser Methoden gehört noch heute zum Ausbildungsprogramm von
Medizinstudenten. Früher trainierte man den Umgang mit Nadel und Faden an einem
Lederstück, heute tun es die Medizinstudenten an einer ungeschälten Banane, um sich für den
Einsatz im OP-Saal fit zu machen.

Bei seinen Recherchen fand Keil sogar einen Bericht über eine Schädeloperation: "Es sieht
ganz so aus, als hätte schon im 14. Jahrhundert ein norddeutscher Chirurg einen Hirntumor
entfernt." In Vollnarkose. Denn man kannte schon seit einigen Jahrhunderten den
sogenannten Schlafschwamm, der mit Drogen wie Opium, Maulbeersaft, Schierling, Efeu und
Mandragorawein getränkt war. Seine betäubende Wirkung war zuverlässig - allerdings
verstarben einige Patienten durch Blutstau oder Atemstillstand.

Bei übermäßiger Kropfbildung verabreichten die Ärzte jodhaltigen Seetang, heute sind es
Jodtabletten - vom Prinzip das Gleiche.
Gegen Wundinfektionen züchtete man auf einem Honig-Schafskot-Nährboden
Schimmelpilze, die dann in die Wunde eingebracht wurden. Nicht appetitlich, doch sinnvoll.
Denn bestimmte Schimmelpilze produzieren Penicillin, das als Antibiotikum bis heute
unverzichtbar ist. Zwar kannte im Mittelalter niemand die Substanz als solche, doch man
wusste aus Erfahrung, dass Schimmelpilze bei der Wundheilung helfen.

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