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eDOSSIER

07.2014
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Die Agentur der


Zukunft
Fallbeispiele: Kleine Agenturen in Zeiten
ausdifferenzierter 360-Grad-Kampagnen

Das können Design- und Werbeagenturen


tun, um innovationsfähig zu bleiben

Netzgesellschaft, schrumpfende Märkte –


was kommt auf Digitalgenturen zu?

Das PAGE eDossier 07.2014 enthält Beiträge aus PAGE 09.2012 (August 2012), PAGE 06.2013 (Mai 2013) und
WEAVE 01.2014 (Januar 2014) im Originallayout.
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002 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus PAGE 09.2012)

Effizienz und Eigensinn


Wie stellen sich kleine Agenturen in Zeiten ausdifferenzierter 360-Grad-Kampagnen
für die Zukunft auf? Wir haben uns nach Erfolgsrezepten umgeschaut

Modell 1 Haltung zeigen und


Nischen besetzen

n Auf den ersten Blick macht die ehemalige DDR-Kinder- fentlichen Raum zum Tragen, wie in der Kampagne für das
tagesstätte inmitten einer tristen Wohnsiedlung in Berlin- Schauspiel Hannover, bei dem die Designer zunächst das
Friedrichsfelde nicht den Anschein, als beherberge sie ein Potenzial des Hauses für die Region untersuchten. Ihre Er-
erfolgreiches Designbüro. Hier hat anschlaege.de ihre Hei- fahrungen mit Sommercamps, Kreativworkshops und freien
mat, gemeinsam mit anderen Gestaltern, Journalisten, Ar- Stadtplanungsprojekten wie fforst, einem außergewöhn-
chitekten und Filmemachern. Im Inneren des Heikonauten, lichen Studentenwohnheim im von Abwanderung bedroh-
so der Name des Coworking Space, herrscht eine lebhafte, ten Frankfurt an der Oder (siehe PAGE 12.09, Seite 34 ff.),
trubelige Atmosphäre. Mittendrin sitzen die anschlaege.de- helfen dabei – und sind für einige Kunden der Grund, sich
Gründer Steffen Schuhmann und Axel Watzke am Konfe- für anschlaege.de zu entscheiden.
renztisch und skizzieren ihr verblüffend durchorganisier- »Regelmäßiger Unsinn hat normative Kraft«, zitiert Axel
tes Agenturmodell. Durch die ständige Zusammenarbeit mit Watzke den Psychiater Eugen Bleuler. »Diese ein, zwei freien
Kulturbetrieben – vom experimentellen Kampnagel in Ham- Projekte pro Jahr zu gesellschaftlich relevanten Theman sind
burg über das hippieske Grips Theater Berlin bis zum wichtig für uns. Wir erhalten häufig Aufträge, weil wir selber
bürger­li­chen Theater und Orchester Heidelberg (siehe Sei- Kultur machen.« Ihr leicht anarchistischer Ansatz, Ressourcen
te 48 ff.) – wissen sie, mit den spezifischen Herausforderun­ im öffentlichen Raum wie leer stehende Gebäude für kom-
gen dieser Kunden umzugehen, und konnten sich vom Gra- munikative Zwecke anders zu nutzen, ist inzwischen sogar
fikkollektiv für eigensinnige Corporate und Editorial De­ von der Stadt Berlin gefragt: Im Zentrum einer von dieser in
signs zum strategischen Designbüro entwickeln. Auftrag gegebenen Kommunikationskampagne stehen zwei
Wie bei anderen Markenagenturen fragen die Auftrag- alte Berliner Geschäftsstraßen inklusive geschlossener Ein-
geber vermehrt nach der Entwicklung von Identitäten. »Wir kaufszentren in den Problembezirken Wedding und Moa-
wirken zuerst nach innen, machen mehr Kommunikation als bit. Durch den Einzug großer Geschäftsketten und Spiel-
Design«, erklärt Steffen Schuhmann. »Sobald wir mit Kun- höllen droht die Verödung, denn viele kleinere Geschäfte
den über konkrete Bilder sprechen, werden ihnen ihre Be- können sich die steigenden Mietpreise nicht mehr leisten.
dürfnisse, Probleme und Möglichkeiten klar, zum Beispiel Die Aufgabe von anschlaege.de bestand darin, die Iden-
die Diskrepanz zwischen ihrem gewünschten und dem tat- tifikation der Bürger mit ihrem Umfeld zu fördern und sie
sächlichen Image.« Dabei kommt neben dem zunehmend zum Engagement zu bewegen. Bei der Recherche im Kiez
strategischen, beraterischen Ansatz immer wieder ihre Ex- war den Designern die rege Kultur von Abreißzetteln aufge­
pertise für Stadtentwicklung und Kommunikation im öf- fallen, die an Straßenlaternen und -schildern zu Meditations-
PAGE eDossier 07.14 003

Die Zeichnungen visualisieren das


Konzept von anschlaege.de für
ein Stadtentwicklungsprojekt, das
helfen soll, Einkaufsstraßen in
Berliner Problembezirken aufzu-
werten. Die Kommunikations-
maßnahmen im öffentlichen Raum
haben das Ziel, die Anwohner
zu persönlichem Engagement zu
motivieren

kursen aufrufen und bei der Wohnungs- oder Haustiersu­ Zuständigen gibt, der alles bündelt, sind sie letztlich meist
che helfen. So entstand die Idee zu einer Litfaßsäule als öf- dankbar für diesen Service.«
fentlicher Plattform für solche Kleinanzeigen. Ausgehend Seit 2004 arbeiten Christian Lagé, Steffen Schuhmann
von der Beobachtung, dass viel Mobiliar, vor allem ram- und Axel Watzke zusammen, inzwischen mit zwölf Mitar-
schige Monobloc-Stühle, auf den Straßen zu sehen ist, ent- beitern. »Wir machen wie im Sozialismus Fünfjahrespläne«,
wickelte anschlaege.de zudem ein Designkonzept für ein- schmunzelt Schuhmann. »Im Moment haben wir das Ge-
heitliche, kiezeigene Selbstbaumöbel. fühl, dass die aktuelle Teamgröße optimal ist, um effizient
und kreativ zu arbeiten.« Wichtig ist den dreien, sich min­
Die Zusammenarbeit mit öffentlichen Institutionen und des­tens einmal im Quartal zu treffen und flache Hierarchien
der große Einsatz für unbezahlte Herzblutprojekte verlangt beizubehalten: »Je stärker die Strukturen, desto schwieri­
eine straffe Organisation. »Unser Erfolgsrezept ist, die Struk­ ger, zu optimalen Ergebnissen zu gelangen. Kreativwork-
turen für jedes Projekt leicht zu überplanen«, sagt Steffen shops funktionieren auch am besten unter Freunden. Wir er­
Schuhmann. Jeder Auftrag wird mit Kosten und Nutzen, gänzen uns gut, und der Ping-Pong-Effekt bringt uns beim
Mitarbeiteranzahl und Planungsstand dokumentiert, und Gestalten weiter.« Dazu trage auch die offene Architektur
auch der Kunde erhält eine Excel-Tabelle mit Terminen und des Heikonauten bei: »Du kannst ja nie richtig die Tür schlie-
Vorlagen, damit termingerecht produziert werden kann. ßen.« Transparenz und Diskurs werden prinzipiell großge-
»Bei den Kulturinstitutionen sind wir ›die mit den fiesen schrieben: Alle Zahlen, von Gehältern bis zu Kundenhono-
Zeitplänen‹. Doch weil es bei deren Projekten selten einen raren, sind für das Team einsehbar. Quartalsweise wird

»Diese ein,zwei freien Projekte pro Jahr zu gesellschaftlich


relevanten Themen sind sehr wichtig für uns. Wir erhalten häufig
Aufträge, weil wir selber Kultur machen«
Axel Watzke und Steffen Schuhmann, Gründer von anschlaege.de, Berlin
004 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus PAGE 09.2012)

»Uns ist wichtig, schon früh bei der Entstehung der


Markenstrategie Online- und 3-D-Profis ins Boot
zu holen, um medienspezifische Voraussetzungen und
Grenzen zu klären. Wesentlich für solche Koopera-
tionen ist gegenseitiger Respekt – man sollte nicht
glauben, alles selbst beurteilen zu können«
Stephanie Kurz, Geschäftsführerin Strategie von Stan Hema, Berlin

mit jedem ein Mitarbeitergespräch geführt. »Ich will Kol- schon früh bei der Entstehung der Markenstrategie Online-
legen, die etwas wollen«, sagt Steffen Schuhmann. und 3-D-Profis ins Boot zu holen, um medienspezifische Vo-
Bleibt die Herausforderung, im Alltagsgeschäft Zeit fürs raussetzungen und Grenzen zu klären. Wesentlich für sol-
Wesentliche zu finden – die Ideen. Gegenwärtig bilden sich che Kooperationen ist gegenseitiger Respekt – man sollte
die Gestalter im Bereich Social Media weiter. Mittelfristig ist nicht glauben, alles selbst beurteilen zu können.« So ent-
geplant, jeden Freitag gemeinsam als Inspirationszeit zu stand für Selux ein stimmiger, bis ins Detail glaubwürdiger
nutzen. »Da soll auch mal Zeit bleiben, drei Kirschbäume im Auftritt über alle Dimensionen hinweg.
Garten zu pflanzen. Das müssen wir montags bis donners- Bedingung für gelungene Kooperationen mit anderen
tags herausarbeiten – aber es gibt immer mehr Kunden, die Agenturen sind eine ähnlich analytische Herangehensweise
diese Experimentierphasen zu schätzen wissen.« Die Auf- und ein Abgleich der Methoden, verrät Stephanie Kurz: »An
träge aus dem Kulturbereich werden in der aktuellen wirt- ihren Angeboten lässt sich recht präzise ablesen, wie eine
schaftlichen Lage wohl kaum zunehmen. Zukunftspotenzial Agentur tickt, wie Strategien und Prozesse ablaufen.« Ist
sieht anschlaege.de in ökologischen und Stadtplanungs­ das geklärt, lasse es sich mit den flachen Hierarchien, die
themen. Soeben hat das Designbüro im Auftrag der Se- solche gemeinsamen Projekte ausmachen, gut arbeiten.
natsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung Diese von viel Austausch geprägte Haltung findet sich auch in
eine weltweite Kampagne für den IT-Standort Berlin ge- den internen Strukturen wieder: Ein Viertel der Stan-Hema-­
staltet. Damit tun sich Felder auf, in denen es seine spezi- Mitarbeiter sind Freelancer, die mit ihren Perspektiven fri-
fische Expertise, Marken für gesellschaftliche Themen und schen Wind in die Agentur bringen, während Festangestell-
Kommunikation für regionale Entwicklungen zu entwerfen, te für Vertrauen beim Kunden und reibungslose Abläufe
kombinieren und ausbauen kann. sorgen. In den Bereichen Text und Konzeption wird aus-
schließlich mit Freien gearbeitet, weil hier, je nach Thema,
spezifische Fachkenntnisse und Tonalitäten gefordert sind.
Modell 2 Strategisch beraten Das Verständnis von kreativer Leistung scheint bei Stan Hema
und gestalten also bereits bei der vorausschauenden Organisation und
einer sensiblen Kommunikation zu beginnen.
Ein Händchen für interessante Bürostandorte hat auch
Stan Hema: Aus Platzmangel ist die Markenagentur in den
noch nicht aufgehübschten Süden der Berliner Friedrich- Im Rückblick Ausprobieren,
straße umgezogen – zentral gelegen, aber ohne an Berlin- analysieren, Profil schärfen
Charme eingebüßt zu haben. »Unsere Größe mit aktuell et-
wa 15 Mitarbeitern ist ideal«, meint Stephanie Kurz, Ge- Ihren Standortfokus hat wirDesign im vergangenen Jahr von
schäftsführerin Strategie. Trotz überschaubarer Manpower Braunschweig nach Berlin verlagert, wo die Markenagentur
sitzt Stan Hema mit Branchengrößen wie MetaDesign und mit insgesamt fünfzig Mitarbeitern in einer luftig sanierten
Interbrand in Pitches. Ihre fundierte strategische Expertise Fabrik residiert. Andreas Schuster, einer der Gründer und
bei zugleich hoher gestalterischer Qualität sorge bei Kun- heute kaufmännischer Geschäftsführer, erzählt, wie sich die
den immer wieder für Überraschung, berichtet sie. 1983 als Ateliergemeinschaft von acht Designstudenten ge-
Diese Besonderheit wird vielleicht gerade durch das kom­ gründete Agentur über Dotcom-Blase und Bankenkrise hin­
pakte Agenturmodell ermöglicht: Stan Hema übernimmt in weg etablieren konnte. »Zu Beginn hatten wir gar keine
Markenkommunikationsprojekten die Markenberatung und Strategie. Als studentischer Gemischtwarenladen sagten wir
die Übersetzung der strategischen Werte ins Visuelle. Geht jeden Job zu, der uns in den Bereichen Design, Werbung
es darum, die unterschiedlichen Kanäle zu bespielen, emp- oder Event angeboten wurde.« Ohne wirtschaftlichen Druck
fiehlt Stan Hema passende Partneragenturen, coacht diese habe die Gruppe so ihre Stärken und Schwächen erkunden
und moderiert den Ablauf. So können Strategie und Ge- können. Als der Agenturaufschwung Mitte der 1990er ins
staltung – anders als in großen Agenturen, in denen Desig­ Stagnieren kam, zog man einen Unternehmensberater zu-
ner oft weniger Stimmrecht haben als Etatdirektoren und rate, der einen Positionierungsworkshop initiierte. »Wie vie­le
Kundenberater – eng ineinandergreifen. Designer hatten wir Angst, auch mal einen Job abzusagen.
Für den Leuchtenhersteller Selux zum Beispiel entwarf Doch der Berater empfahl, uns zu fokussieren. Tatsächlich
Stan Hema das Erscheinungsbild mit Printmaterialien, um sicherten wir uns erst nach der klaren Positionierung als CI-
anschließend mit der Digitalagentur Codeluxe die Website Agentur unseren Platz in den einschlägigen Rankings.«
und mit dem Architektenbüro Gonzalez Haase AAS den Mes­ Damit war der erste Schritt gemacht. Heute nutzt wir-
sestand zur Light+Building zu entwickeln. »Uns ist wichtig, Design BrandExplorer, ein ursprünglich für Kunden kon-
PAGE eDossier 07.14 005

Moodboards helfen, die Bedürfnisse und Vorstellungen des Kunden sowie


die Möglichkeiten eines CI-Projekts zu klären. Dieses stellte Stan Hema
für Selux zusammen. Unten: Die Agentur ist auch für das klare Editorial Design
der Kataloge verantwortlich. In Kooperation mit Gonzalez Haase AAS ent-
stand der neue Markenauftritt des Leuchtenherstellers für die Light+Building
© www.stanhema.com, außer ganz unten: www.gonzalezhaase.com
006 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus PAGE 09.2012)

»Weiterentwicklungen sollten zum einen aus Leistungen


bestehen, die ich kann und die mir Spaß machen,
und zum anderen aus Leistungen, die der Markt fordert«
Andreas Schuster, Mitgründer und heute kaufmännischer Geschäftsführer von wirDesign, Berlin und Braunschweig

zipiertes Positionierungs- und Strategietool, für eigene


Weiterentwicklungen. Damit wird der Istzustand im Kon-
text der internen Erfahrungswerte definiert und mit dem
Sollzustand abgeglichen. »Der sollte zum einen aus Leis­
tungen bestehen, die ich kann und mir Spaß machen, und
zum anderen aus solchen, die der Markt fordert«, meint
Andreas Schuster. So wurde das Profil nach und nach ge-
schärft. Inzwischen konzentriert sich die Agentur auf Kom-
munikation für Unternehmensmarken, bei der es, anders
als bei Produktmarken, weniger auf Tempo und kurzfris­
tige Marktbedürfnisse als auf Vertrauensbildung und ei­­-
ne langfristige, kontinuierliche Identitätsentwicklung an-
kommt. Bis sich der Agenturschwerpunkt für eine junge De­
Anfangs ohne Plan und trotzdem erfolgreich: das wirDesign-
sign­agentur herauskristallisiert hat, hält Schuster es für Gründerteam in den 1980ern
sinnvoll, zunächst einmal die eigenen Stärken auszutesten.
»Dazu gehört eine Portion Selbstausbeutung, aber als Kre-
ative gehen wir wenig andere Risiken ein, zum Beispiel kei- Mentalität durch Netzwerken oder über die informative
ne Investitionen in Maschinen.« Schiene. Das macht wirDesign mit dem Versand von »Blue-
Print« vor, einem Corporate-Fachmagazin über Marken-
Der Weg zum Erfolg basiert für Andreas Schuster auf einer kommunikation. Bemerkenswert ist ein weiterer, psycholo-
ausgewogenen Mischung aus Flexibilität und Zielstrebigkeit. gischer Faktor – die materielle Veränderung. »Wenn wir in
Dabei empfiehlt er pragmatisch einen regelmäßigen Blick auf Expansionsphasen in größere Räume umgezogen sind oder
die Zahlen: »Als Frühindikator eignet sich ein Analysetool, neue Hardware angeschafft haben, war die frische Energie
das aufzeigt, mit welchen Kunden und Projekten man Geld und die Motivation in der Agentur sofort spürbar und führ­
verdient hat. Unsere größten finanziellen Desaster waren te zu weiterem Wachstum.«
Ausflüge in fremde Bereiche, etwa die Entwicklung eines
Werbemittelshops. Bei neuen Tätigkeitsfeldern zahlt jeder Ob sich ein Designbüro nun für oder gegen Vergrößerung,
Lehrgeld. Das lohnt sich aber nur, wenn es zu meinem Profil für Spezialisierung oder kreativen Allround-Service via
passt.« Aufgrund der schnellen medialen, technischen und Netzwerken entscheidet: Der Vorteil kleiner Agenturen be-
inhaltlichen Veränderungen im Design ist zudem die Fähig- steht in ihrer Beweglichkeit bei gleichzeitig konsequenter
keit, die eigenen Strukturen und Dienstleistungen stetig zu gestalterischer Haltung. Schlanke Personalgefüge ermögli-
hinterfragen, eine notwendige Voraussetzung: Workshops chen Flexibilität, um auf jede Form von Veränderung rea-
und Coachings finden bei wirDesign alle drei Jahre mit der gieren zu können. Sie profitieren davon, dass ihnen flache
ganzen Agentur und jährlich mit den Geschäftsführern statt. Hierarchien vertraut sind, denn seit Gestaltung immer we-
Zu den Bedingungen für Expansion – momentan wächst niger Autorendesign und immer mehr strategische Planung
wirDesign wieder – sagt Andreas Schuster: »Bricht die Kon- bedeutet, werden kommunikative Fähigkeiten – ein gleich-
junktur um 10 Prozent ein, macht sich das bei uns mit 30 bis berechtigter Austausch mit Kunden, Mitarbeitern und Part­
40 Prozent Umsatzrückgang bemerkbar. Um das abzufedern, neragenturen – relevanter.
haben wir zwei Standbeine: Corporate Design und Geschäfts­ Ganz wesentlich sind darüber hinaus straffe organisa-
berichte. Ersteres ist zwar wichtig, aber aus Unterneh- torische und kaufmännische Strukturen, in denen das Re-
menssicht nicht unbedingt dringend und wird in Krisen- flektieren, freies kreatives Experimentieren und eine breit
zeiten gern vertagt. Geschäftsberichte hingegen erschei- gefächerte persönliche Bildung als zukunftsträchtiger Teil
nen zuverlässig jedes Jahr.« des Jobs ernst genommen werden – nur so können sich
Für Kundenzuwachs sorgt eine effiziente, individuelle Agenturprofile wie lebendige Organismen mit eigenstän-
Akquise: Über ein gut aufbereitetes Online-Portfolio, je nach digem Charakter entwickeln.  wl

»Wenn wir in Expansionsphasen in größere Räume umgezogen


sind oder neue Hardware angeschafft haben, war die
frische Energie und die Motivation in der Agentur sofort
spürbar und führte zu weiterem Wachstum«
Andreas Schuster, Mitgründer und heute kaufmännischer Geschäftsführer von wirDesign, Berlin und Braunschweig
008 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus PAGE 06.2013)
PAGE eDossier 07.14 009

Stairway to Heaven
Wie stellen sich die großen Branchenplayer für die Zukunft auf? Wir haben traditionsreiche
Design- und Werbeagenturen gefragt, was sie tun, um innovationsfähig zu bleiben

n Hellwach und voller Elan erscheint Kai Röffen zum Ge- sich doch gemeinsame Muster und Ziele heraus. Das ist vor Scholz & Friends
spräch und lässt uns wissen: Er fastet. Der Geschäftsführer allem die neue Nähe zum Kunden und zu den Mitarbeitern. Berlin hat neue
von thjnk düsseldorf bietet uns einen Schluck seines roten Das virtuelle Büro scheint eine erstaunlich gestrige Idee zu Räume am Hacke-
Gemüsedrinks an und fachsimpelt eine Weile mit Dr. Rüdi­ger sein und Homeoffice eher die Ausnahme. Kollaborative Ar- schen Markt
Götz, Geschäftsführer von KW43 Branddesign, Division der beitsmethoden setzen sich durch. Der persönliche Kontakt, bezogen. »So ein
Netzwerkagentur Grey, über die Vorzüge des Entschlackens. das Feinstoffliche der Kommunikation werden sehr ernst neues Haus ist
Sich von altem Ballast befreien, Energie zurückgewinnen, genommen und Organisationsstrukturen um diese herum wie ein neues Klei­-
sich neu justieren – das bewegt derzeit die gesamte Agen- konstruiert: Kunden arbeiten mittlerweile tageweise in den dungs­stück;
turwelt. So sehr, dass sich gleich mehrere Branchengrößen Agenturen und Agenturmitarbeiter beim Kunden. wir mussten es erst
weigern, PAGE Einblick in ihre bewegten Agenturstruktu­ren Mit rund 50 Mitarbeitern zählt edenspiekermann nicht einmal eintragen
zu gewähren. Effizienz- und Kostendruck sind seit der Wirt- zu den ganz großen Markenagenturen, aber zu denen mit und es uns gemütlich
schaftskrise gestiegen, aber auch die Komplexität von Kom­ ei­ner langen Geschichte der Veränderung. Gegenwärtig ist machen«, sagt
munikationsprodukten. Unternehmen stückeln ihre Etats das gesamte Unternehmen im ehemaligen Berliner Tages- Geschäftsführerin
und verteilen sie auf mehrere Agenturen. Man unkt wieder spiegel-Gebäude vom agilen Arbeiten geprägt, das viele Stefanie Wurst dazu
mal über das Ende der Netzwerkagenturen. Und Amir Kassei Dis­ziplinen effizient zusammenbringt und in kleinen Schrit­
schimpft über die lausigen Sitten in der Branche. ten Veränderungen sichtbar macht (mehr dazu auf Seite 45).
Doch es gibt nicht nur schlechte Nachrichten: Kai Röffen Den unterschiedlichen Ansprüchen von Spezialisten und
und Rüdiger Götz berichten von einem zunehmend profes- Generalisten unter einem Dach gerecht zu werden gehört
sionellen Agenturscreening, das den Aufwand durch Pitches zu den großen Herausforderungen. Während edenspieker-
reduziere. Dabei helfen Pitchberater ebenso wie die Vertraut­ mann ih­re spezialisierten Kreativen individuell im strate-
heit mit der Agenturarbeit seitens der Auftraggeber. Diese gischen Den­ken schult, experimentieren andere Agentu­
verfügen über eine wachsende Design- und Medienkompe­ ren mit ihren Abteilungsstrukturen.
tenz, was eine Kooperation auf Augenhöhe möglich macht. Scholz & Friends zum Beispiel kehrte von den probewei-
Dass mit der großen Krise der Lack der Branche abge­blättert se eingeführten »orchestrierten Familien«, die nicht mehr
ist, empfinden die Protagonisten tendenziell als po­si­tiv. »Das nach Disziplinen organisiert waren, sondern in einer Ein-
Popzeitalter der Kreativen ist definitiv vorbei«, sagt Kai Röf- heit alle Disziplinen für den Kunden abbildeten, zu diszipli-
fen. Man erhofft sich eine therapeutische Wirkung in Bezug nenbezogenen Units zurück (mehr dazu auf Seite 44). Die
auf Größenwahn, Ichbezogenheit und die »man­ches­ter­ projektbasierten Teams waren langsamer und brachten
kapitalistischen Zustände«, wie es Rüdiger Götz formuliert »mehr verwässerte, unscharfe Ideen« hervor, wie Stefanie
(unser Gespräch mit den beiden finden Sie ab Seite 40). Wurst, Geschäftsführerin von Scholz & Friends Berlin und
Vorstand der Scholz & Friends Group, berichtet: »Die Schnel­
Dass besonders große Agenturen ihr Profil schärfen, be- len haben sich an das Tempo der Langsamen angepasst
weglicher werden und ihre Strukturen flexibel managen und nicht umgekehrt. Wenn man Disziplinen mischt, leidet
müssen, ist schon lange offensichtlich. So unterschiedlich außerdem die spezifische Kompetenz. Im gemischten Team
die Schwerpunkte der von uns befragten Design-, Kommu- kann sich etwa ein Digitalspezialist nicht mehr mit seinen
nikations- und Werbeagenturen auch sind, es kristallisieren Fachkollegen austauschen und befruchten.« Die Peter
010 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus PAGE 06.2013)

Schmidt Group wiederum macht das Gegenteil und in-


tegriert die Disziplinen, etwa die Digital-Unit, in projektba-
sierte Einheiten – mit der Erfahrung, auf diese Weise tie­
fere und ganzheitlichere Markenerlebnisse schaffen zu
können (mehr dazu auf Seite 44).

Mit einer transmedialen Kommunikation wird also nicht


nur das Moderieren zwischen den Denk- und Arbeitsweisen,
sondern auch zwischen den Disziplinen und Medien kom-
plexer; der Stellenwert derjenigen, die im Agenturreigen den
Überblick behalten – Strategen, Berater, Konzeptioner –
wächst. Edenspiekermann will der Komplexität jedoch be-
wusst ohne solche Schnittstellenjobs Herr werden: Dass die
Designer in diesen Zusatzkompetenzen geschult werden,
passt gut zum wendigen, transparenten Arbeiten der Berli-
ner, die den Kunden auf Augenhöhe einbeziehen.
Viele Agenturen schärfen derzeit ihre Profile, indem sie
ihre Kernkompetenzen neu strukturieren und formulieren.
Ziel ist es, den immer selbstständigeren und agentur­erfah­
reneren Auftraggebern Klarheit zu bieten. Darüber hinaus
entstehen Dienstleistungen rund um die ursprüngliche Leis­
tung, die dabei helfen, ein Design- oder Kommunikationspro­
dukt für die tägliche Anwendung und langfristig funk­tio­ns­
fähig zu machen: Bei edenspiekermann sind das Service
Design und Change Management, bei Peter Schmidt hinge-
gen der Bereich Brand Implementation.
Die zunehmend strategische Herangehensweise ermög­
licht es Brandingagenturen, vernachlässigte Kommunika­
tionskanäle und andere Lücken im Markenerlebnis oder Un­
zufriedenheit in der Belegschaft aufzuspüren. Mit den Werk­
zeugen der visuellen Kommunikation, dem Hinterfragen und

»Das Pop-Zeitalter der


Sichtbarmachen menschlicher Bedürfnisse, lassen sich Ver-
änderungen in die Realität überführen. Nicht die Grundlagen
kreativer Produkte haben sich verändert, sondern die Frage,
wie Dienstleistungen den Platz in der Kommunikation fin-
den, an dem sie am besten wirken können. In Düsseldorf trafen wir Rüdiger Götz von KW43 Branddesign
Die optimale Agenturgröße und -struktur gibt es mit Si-
cherheit nicht. Das Managen von Disziplinen und Innova­
tionsprozessen ist in großen Strukturen aufwendiger, aber n Ein Designer und ein Werber, die in
auch klei­ne Agenturen arbeiten zunehmend in Form freier den großen Agenturstrukturen ge­­nau­
Netzwerke, die organisiert werden wollen. Eine der wesent­ so zu Hause sind wie in kleinen, inha-
li­chen Herausforderungen für die Zukunft ist es, diese Pro­ bergeführten Büros: Kai Röffen ist als
zes­se selbst als Gestaltungsaufgabe zu verstehen. »Pro­zess­ Geschäftsführer von thjnk Düsseldorf
ex­zellenz wird künftig mehr Bedeutung erhalten – Kreativi- Chef von 30 Mitarbeitern, während
tät ist nichts wert, wenn sie nicht implementiert werden Dr. Rüdiger Götz, Managing Direc­tor
kann«, erklärt Rüdiger Götz. Cre­ation bei Grey, deren Design­unit
KW43 Branddesign leitet. Dort sind
Feueralarm bei Scholz & Friends. Kein Grund zur Panik: eben­falls 30 Mit­arbeitern tätig.  wl
technische Probleme. Mit Geschäftsführerin Stefanie Wurst
durchquere ich das Riesengebäude und trete in den Haupt- Warum Düsseldorf – und nicht
stadt-Vorfrühling, wo sich nach und nach die Belegschaft Hamburg oder Berlin?
einfindet und mit matschigen Schneebällen bewirft. Stefa- Kai Röffen: Ich war in Frankfurt, Berlin,
nie Wurst sieht den Wandel im Agenturwesen gelassen. Klug Hamburg – und nun Düsseldorf, das am
orchestrieren, effizienter arbeiten, digital denken, flexible meisten unterschätzt wird. Die Stadt
Arbeitsstrukturen anbieten, so lautet die Devise – alles nur hat Probleme, Leute mit den Ham­bur­
eine Frage der Organisation. ger Ambitionen und der Berliner Ver-
Die Prognosen, welche Inhalte die Kreativwelt in der rücktheit zu binden. Aber mit seiner
nächsten Zukunft beschäftigen werden, überraschen kaum: Kultur- und Subkultur-Szene ist es ein
digitale Markenführung, Corporate Social Responsibility, Standort für den zweiten Blick.
Content Marketing. Und dazu ganz übergreifend der Wunsch, Wo würden Sie aus heutiger Sicht Ihren
die Kommunikations- und Konsumwelt zu entrümpeln und Agenturstandort eröffnen?
mit relevanten Produkten zu verbessern. Die Prinzipien der Götz: Ich würde zwischen Düsseldorf
Kommunikation selbst, sagt Stefanie Wurst, bleiben ja die und Hamburg schwanken. Hamburg,
Gleichen: weil sich die Wahrnehmung und die Bedürfnisse weil es dort viele Talente gibt. Ich pro-
des Menschen nicht ändern.  wl phezeie dem Ruhrgebiet jedoch eine
PAGE eDossier 07.14 011

Rüdiger Götz (links)


und Kai Röffen
(Mitte) mit PAGE-
Redakteurin
Wiebke Lang

Kreativen ist definitiv vorbei«


und Kai Röffen von thjnk zum Gespräch über den Wandel der Branche und die Aufgaben für die Zukunft

spannende Zukunft – es ist viel attrak- ternehmen dran sind, desto präziser wir einen Kunden ohne Pitch gewon-
tiver, als die Leute hier es sich selber erkennen wir Probleme und Chancen. nen, der zunächst diese Reise durch
be­wusst machen. Wenn es nicht einen Götz: Das kann ich bestätigen. Wenn die Agenturen unternommen hat, um
ge­wissen Mangel an guten Design­krea­ wir ein Erscheinungsbild für ein kleine anschließend mit zwei Favoriten Mund-
tiven gäbe, wäre es ein perfekter Stand­ Firma in München entwerfen, ist es zu-Mund-Beatmung zu machen. Wir
ort, auch aufgrund der zentralen Lage fast schon zu teuer, zwei Mitarbeiter haben uns mehrfach bei ihm und bei
in Europa. Der Markt hier ist gut und vorbeizuschicken. Aber wie will man uns getroffen, das Team vorgestellt, in
bietet noch ausreichend Raum für wei­ ein De­sign entwickeln, ohne das Team großer Runde diskutiert. Zuletzt lern­
tere kreative Strukturen. gesehen zu haben? Wir erleben immer te ich den Unternehmer selbst kennen.
Röffen: New York. Nee, ich würde mich wie­der, dass Unternehmen das echte Ich musste zu keinem Zeitpunkt mit
sofort wieder für Düsseldorf entschei- Kennenlernen nicht als grundlegen­den dem üblichen Arbeitsprozess überzeu­
den. Mir hat sich die Frage gestellt, als Teil der Leistung verstehen, die auch gen, am Ende besiegelte nur ein Hand-
ich vor zweieinhalb Jahren gegründet be­zahlt werden muss. Dabei greifen schlag die Zusammenarbeit. Das erlebe
habe. Hier gibt es so viel Business, inter­ wir als Corporate Designer massiv in ich immer häufiger. Dass sich das Scree­
nationale Konzerne und Mittel­ständ­­ler, die Genetik des Systems ein. Zusätz- nen der Agenturen professionalisiert,
die vor Ort betreut werden wollen. lich be­obachte ich bei meinen Mitar- hat aber auch mit der Entstehung der
Wie hat sich das Verhältnis zwischen beitern, dass der physische Kontakt mit Agentur- und Pitchberatungen zu tun.
Agentur und Kunden verändert? dem Kunden ihre Professionalität, Mo­ Wie erklären Sie sich den Wandel in der
Röffen: Bedingt durch die Krise ver- ti­va­tion und ihr Verantwortungsbe- Agenturauswahl?
langen Kunden viel mehr von uns. Sie wusstsein steigert. Hierbei geht es um Götz: Eine neue Generation der Mar-
sparen, lagern Leistungen aus, wollen grundmenschliche Abläufe, persön- ketingverantwortlichen wächst heran,
viel mehr geführt werden, beziehen liche Beziehungen. die Marketing als weniger glamourös
uns stärker in Prozesse ein, fordern Röffen: Bei uns wollen Auftraggeber ansieht. Der ökonomische Druck lässt
sehr viel mehr Kontakt – sie trauen uns immer öfter persönlich vorbeikommen, die Unternehmen schlechtes Agentur­
aber auch mehr zu. Unsere Arbeit be- um uns schon vorm Pitch kennenzu- management stärker wahrnehmen.
steht verstärkt aus Dirigieren. Dabei lernen – das ist in den letzten fünf Mo- Da­bei wird sichtbar, wie wichtig die
hilft Nähe: Je näher wir an einem Un- naten viermal passiert. Kürzlich haben zwischenmenschlichen, feinstoffli­-
012 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus PAGE 06.2013)

bucht. Unsere Kunden verlangen eine Was fehlt Ihnen heute zu einer
klar profilierte Kernkompetenz. Die Fä­ zukunftsfähigen Agentur?
higkeit, die eigene Arbeit mit anderen Röffen: Der Spaß in den Agenturen
Disziplinen zu verbinden, setzen Auf- ist verloren gegangen. Das Lebendige,
traggeber als Selbstverständlichkeit vo­ Offene, die Freiheit. Die Branche wirkt
raus. Kun­den und Agenturen unter­ so geschunden! Im Moment scheint al-
schät­zen aber häufig den Aufwand von les ein Problem zu sein.
wirklich integrierter Kommunikation. Götz: Aber das Hecheln resultiert
Die Prozesshaftigkeit, die Prozessex- doch aus einer Lebensdynamik, die ei-
zellenz wird künftig noch mehr Be­ ne per­manente Erhöhung der Ge-
chen Aspekte sind. Das erste Mal deu­tung erhalten, denn Kreativität ist schwindigkeit vorsieht.
habe ich diesen Wandel bewusst bei nichts wert, wenn sie nicht implemen- Röffen: Also mir macht das Spaß.
meiner ehemaligen Agentur Simon & tiert werden kann. Götz: Ein Berufseinsteiger wird doch
Goetz festgestellt, im Pitch um den Röffen: Wir müssen eine neue Kultur von 0 auf 150 gezwungen. Wir brau-
globalen Dialogetat für einen Automo­ für die komplexer werdenden Kom­ chen proaktive, weltgewandte Men-
bilhersteller. Da gab es im Marketing mu­ni­kationsprodukte entwickeln. Wer schen, die Spaß an der Vielfalt haben,
eine richtige Liste aller schlechten Er- über­nimmt welche Rolle? Wie gehen die aber auch Exzellenztiefe bieten.
fahrungen: Hier wurde definiert, wie wir miteinander um? Wir spielen das- Viele Designer wollen aber nicht zum
oft man sich physisch sieht. Betreuen- selbe Fußballspiel, nur nicht mehr mit Kunden, sondern in Ruhe gelassen
de Geschäftsführer und Teammitglie­ 11, sondern mit 22 Personen. Dabei werden. Die Agentur der Zukunft
der wurden in dem Vertrag nament- muss sich auch ökonomisch nieder- muss viel mehr Mühe in eine professi-
lich ausgewiesen, und bei einem Wech­ schlagen, dass wir Generalisten eben- onelle Talentmanagementkultur inve-
sel des Führungspersonals nahm das so wie Spezialisten einen Rahmen bie- stieren. Die wurde in der Kreativbran-
Unternehmen sich das Recht auf Ver- ten. Aber das wird nicht passieren, che meistens mit Bauchgefühl ge-
tragskündigung heraus. Es wollte nicht solange alle in eigenständigen GmbHs handhabt, und wenn’s nicht klappte,
für ein intransparentes und anony­ arbeiten. Wir kooperieren mit kleinen war das eben nur ein Kavaliersdelikt.
mes System bezahlen, war nicht be- Partneragenturen, die sensationelle di­ Wirkt die Branche so spaßbefreit,
eindruckt von einer Agentur und woll­ gi­tale Produkte entwickeln. Aber wenn weil alle verunsichert sind?
te keine Stars haben. wir sie auffordern, zu einem Pitch mit- Röffen: Die Branche bekommt zu
Röffen: Das Popzeitalter der Kreati­ zukommen, lohnt sich der Aufwand Recht keine guten Leute mehr – wir
ven ist definitiv vorbei. Personen waren für sie kaum. Während das bei großen müssen ein Umfeld für Begeisterung
immer die Treiber in der Kreativwirt- Playern selbstverständlich ist, weil klar schaffen. Das geht aber nicht, wenn
schaft – wenn Key Player aus Agentu­ ist, wer zahlt. Wer welchen Anteil an wir mit zwei Leuten produzieren, wo-
ren abwanderten, zogen Kunden oft der kreativen Leistung hat, müsste am für früher drei Leute gebraucht wur-
mit. Aber heute geht es viel mehr um Ende des Tages egal sein. Mein Ideal ist den. Leuteschleifen funktioniert nicht
Vertrauen. also: nur ein Kostencenter. mehr. Wir müssen innovative Arbeits-
Früher unterschied man Werbe- und Welche Jobprofile werden dabei weisen finden, um kreativ sein zu kön-
CI-Agenturen – jetzt heißen fast künftig wichtiger? nen, und das zudem als Teil unserer
alle Kommunikationsagentur. Was Röffen: Wir sollten den Bereich Traf-­ Arbeit verstehen.
bedeutet das für die Praxis? fic vollständig neu definieren. Große Götz: Man kann bei der jüngeren Ge-
Götz: Ich weiß nicht, ob sich das wirk- Agen­turen benötigen Trafficer, die Pro­ neration meiner Studenten und Mit­
lich auflöst. Wir werden als Design-, zes­se und Strukturen gestalten und arbeiter eine gewisse Resignation er­
nicht als Kommunikationsagentur ge- steu­ern. Also einen Mitarbeiter, der sich ken­nen – sie haben das Gefühl, viel zu
fragt: Wel­che Personen, Skills und Pro- geben und dafür wenig zurückzube-
zesse brau­chen wir, um für eine spezi- kommen.
fische Aufgabenstellung zu Innovation Röffen: Das Berufsbild hat in der Au-
zu gelangen? ßenwirkung keinen Sex mehr – ganz
Das machen vor allem Designagenturen zu Unrecht.
doch schon, etwa mit Design Thinking Götz: Das Gute ist, dass die Kreativ-
und im Design Management. wirtschaft dadurch mehr solche Leute
Röffen: Oft kommt das Neue aus dem anzieht, die intrinsisch motiviert und
Design. Die Kommunikation denkt zu nicht nur an einem schicken Berufs-
klassisch. Wir verfallen in alte Besitz- Lifestyle interessiert sind. Aber das
stände, lassen zu wenig los. Darum be- manchesterkapitalistische Bild von Ar­
neide ich euch Designer manchmal: Ihr beit ist von gestern – insofern ist eine
habt die Möglichkeit, das große Ganze Nach­wuchsflaute ein guter Weckruf
zu hinterfragen. für die Branche.

»Das manchesterkapitalistische Bild von


Arbeit ist von gestern – insofern ist eine Nachwuchs-
flaute ein guter Weckruf für die Branche«
PAGE eDossier 07.14 013

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014 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus PAGE 06.2013)

Zukunftsstrategien Zukunftsstrategien
Scholz & Friends Berlin Peter Schmidt Group
Stefanie Wurst, Vorstand der Scholz & Gregor Ade, Managing Partner bei
Friends Group und Geschäftsführerin Peter Schmidt Group
von Scholz & Friends Berlin
Schlank aufstellen.
Digitale Innovation dirigieren. Die Krise 2008/09 hat die Honorarsitu-
Ob es sich um klassische Handelsmar- ation eklatant verändert: In der Mar­
ken wie Saturn handelt, die online ge- ken­kommunikation wurden die Bud-
hen, oder um Plattformen wie trivago, gets zusammengekürzt, während die
die es nur online gibt – unsere Aufgabe Agenturkosten gleichblieben. Langfris­
als Agentur ist es, für unsere Kunden tige Kunden werden seltener, viele ver­
die Deutungshoheit und Steuerung geben ihre Etats gestückelt und nach
von Marken zu behalten. Deshalb gibt Dis­ziplinen getrennt. Wir müssen uns
es in all unseren Units digital denken- also schlanker aufstellen. Wir hatten
de Menschen und zudem eine Einheit schon immer eine schlanke Struktur,
von Online-Spezialisten, die sich vor al­ ge­rade in der Verwaltung. In der Krise
lem mit Strategie und Analytics be- haben wir etwa im Einkauf gespart und
schäftigt. Wir gliedern die Belegschaft auf das Netzwerk zurückgegriffen.
in Units, unter anderem für PR, Wer-
bung und Digital. Das ist wie in einem Netzwerk nutzen.
Dorf: Alle arbeiten in ihren fachspezi- Für uns ist der schnelle, unkomplizier­te
fischen »Familien« und treffen sich auf Kontakt zu Disziplinen, die im eigenen
dem »Marktplatz«, um sich auszutau- Haus nicht vertreten sind, ein Vorteil.
schen. Wenn man Disziplinen mischt, Stabilität ist auch für die Zusammen-
lei­det unserer Erfahrung nach die spe- die Agentur hinein zu tragen und un­ arbeit hilfreich – ein Netzwerk­part­­ner
zifische Kompetenz. In einem gemisch­ erfahre­ne Leute ohne genaues Brie­ ist dann eben doch kein Externer. Auch
ten Team kann sich etwa ein Digital- fing arbei­ten zu lassen. Das frühzeiti­ kleine Agenturen müssen ja mit ande-
spezialist nicht mehr mit seinen Fach- ge Festlegen der Leitidee ist der größ- ren Agenturen oder Freelancern ko­
kollegen austauschen und befruchten. te Effizienzhebel. Aus diesem Grund operieren. Die haben dann nur wenig
ist es so wichtig, sich schon zu Anfang Zeit oder sind nicht im Thema. Natür-
Neue Anforderungen integrieren. mit erfahrenen Leuten zusammen­zu­ lich gilt: In einer straffen Organisations-
Neben Corporate Social Responsibility setzen und so lange zu arbeiten, bis es und Kostenstruktur muss man stand-
wird das Thema Content Marketing in eine klare Leitidee gibt, die anschlie­ halten. Und die Barrieren zwischen Ein­
unserem Orchester immer wichtiger. ßend in der Agentur weiterentwickelt zelagenturen und Disziplinen müssen
Hier geht es nun darum, Informationen werden kann. weiter ausgeräumt werden.
leicht verständlich aufzubereiten. Da-
zu brauchen wir journalistisch den­ken­ Flexible Arbeitszeitmodelle Kreation und Konzeption stärker
de Kreative und Designer, die das For- ermöglichen. verknüpfen.
mulieren und Visualisieren komplexer Die »ZEIT« hat mit ihrem Titel »Faul Wir müssen als Markenagentur kommu­
Information beherr­schen. Generell ge- und schlau« kürzlich das Phänomen nikativer auftreten, uns mehr der klas-
winnen Employer Branding und an- der »Generation Y« auf den Punkt ge- sischen Kommunikation widmen. Ein-
spruchsvolle Kommunikation im B2B- bracht. Das ist die neue, anspruchs- prägsame Markenerlebnisse verlangen
Bereich an Bedeutung. In Deutschland volle Mitarbeitergeneration, die Work- die Verknüpfung von Kreation und Kon­
gibt es viele Weltmarktführer wie STIHL Life-Balance schon im Bewerbungs­ zeption. Damit die Kreation ihr Profil
Motorsägen oder Würth Befestigungs­ gespräch fordert. Wir müssen damit behält, braucht es aber nicht nur Ge-
technik, die im Zuge der Globalisierung leben, dass die Tendenz zur Selbstauf- neralisten, sondern auch hoch spezia-
und des Margendrucks das Thema Mar­ opferung in Agenturen ausstirbt. Wich- lisierte Schriftgestalter. Es ist wichtig,
ke für sich entdecken. Zudem erken- tig ist, dass die Leute mit anpacken, diese Spezialisten nicht zu verlieren!
nen Regierung, Verbände und Institu- wenn Not am Mann ist, und dass kei- Sich auch die leisten zu können, ist ein
tionen ihren steigenden Kommunika- ner seine Kollegen im Stich lässt. Die-­ Vorteil großer Agenturen.
tionsbedarf – Beispiel Energiewende. se mensch­liche Qualität erwarten wir
schon. Ich schätze, dass bereits 20 Pro-
Für Effizienz sorgen. zent unserer Mitarbeiter ein flexibles
Wir haben es mit immer komplexeren Arbeitszeitmodell nutzen. Dieser An-
Kampagnen zu tun, die nur mit höhe­ teil wird weiter zunehmen. Das sind
rem Aufwand produziert werden kön- Men­schen beider­lei Geschlechts, jün-
nen. Gleichzeitig nimmt der Effizienz- gere Mitarbeiter, die sich nebenbei um
und Kostendruck seitens der Unter- ein Herzensprojekt kümmern, ebenso
nehmen zu. Das Einzige, was hilft, ist wie Füh­rungskräfte, die Familie oder
der ständige Versuch, schnell und ziel- Hoch­schuljobs haben. Das ist zwar ein
genau zu Ergebnissen und Entschei- wenig aufwendiger in der Planung,
dungen zu kommen. Der größte Effizi- aber irgendwie funktioniert es letztlich
enzkiller ist, die eigene Unsicherheit in doch immer . . .
PAGE eDossier 07.14 015

Zukunftsstrategien welcher Stelle für ihn zuständig ist, ten mit einer anderen Geisteshaltung
auch wenn er in einer Woche parallel und mit agilen Prozessen wie Scrum. In
edenspiekermann Berlin an verschiedenen Projekten arbeitet. den wöchentlichen Meetings spricht
Pia Betton und Robert Stolle, Partner Allerdings haben wir der Cloudstruk- der Kunde mit dem ganzen Team – ei-
bei edenspiekermann Berlin tur anfangs zu viel Bedeutung beige- ne viel authentischere Form der Kom-
messen, und die Mitarbeiter identifi- munikation. Dabei ist es sehr wichtig,
Selbstbesinnung. zierten sich statt mit den Projekten zu dass die Producer ihre Rolle leben, sich
2009 hatten wir eine wirklich schwere sehr mit ihrer Cloud. Das führte zu klar verantwortlich fühlen, Entschei­
Krise. Absurderweise haben wir bis da­ Kon­kurrenz zwischen den Gruppen. In dun­gen treffen und dabei Sicherheit
hin quasi keine Akquise gemacht. Da- die­sem Jahr steuern wir dagegen, in- vermitteln. Im Gegensatz zu ande­ren
mals schauten wir uns bewusst um in dem wir den Fokus verändert haben: Agenturen sind unsere Meetings ziel-
der Welt und fragten uns: Was inter­ Jetzt messen wir qualitativ und wirt- gerichtet und schlank. Wenn es Konflik­
essiert uns? Welche Aufgaben würden schaftlich in den Projekten, und die te gibt, werden die schnell geklärt. Bei
wir gern bewältigen? Unterbeschäftigt, Clouds haben ganz klar einen Personal­ uns kann auch jeder so viel Verantwor­
wie wir waren, setzten wir uns in Teams fokus. Jeden Montag findet ein Cloud- tung übernehmen, wie er will; erfah-
zusammen und recherchierten zu The­ Meeting für den internen Austausch rungsgemäß übernehmen Menschen
men wie Outdoor, Essen, Fahrradfah- statt – ansonsten treffen sich die ohnehin nicht mehr, als sie können.
ren. Daraus entstanden Präsen­ta­tio­ Cloud-Teams nicht.
nen, mit denen wir uns bei po­tenziel­len Innovation verankern.
Auftraggebern vorstellten. Eine in­te­ Interdisziplinarität leben. Co-Creation-Workshops haben ihre
res­sante Zeit, in der wir den Grundstein Der Designprozess hat sich deutlich Gren­zen. Wenn du Menschen fragst,
für viele neue Strukturen gelegt haben. ver­ändert: Heute sitzen Auftraggeber was sie wollen, wissen sie das selbst
an einem Tag in der Woche hier in der oft nicht. Ist man zu verliebt in die kol-
Kernkompetenzen schärfen. Agen­tur und führen in agilen Prozes- laborativen Methoden, kommt häufig
Vor Kurzem haben wir vier Schwer­ sen einen engen Dialog mit dem ge- nur der kleinste gemeinsame Nenner
punk­te definiert: 1. digitale Produkte samten Team. Wir brauchen Menschen, heraus, weil niemand mehr sagt: Ich
und Services, also die Konzeption, Ge- die mit­denken können. Bei uns kön- habe zwar zwanzig Leute interviewt,
staltung und Entwicklung digitaler Me­ nen die meisten Interaction Designer aber ich habe eine tolle Idee, die völlig
dien; 2. Brand Development, das steht coden, und umgekehrt haben die meis­ anders funktioniert. Irgendwann gilt es,
für eine ganzheitliche Markenentwick­ ten Developer ein Auge für Design. sich vom Research zu distanzieren –
lung; 3. Service Design als sys­te­ma­ti­ Die Grafikdesigner ler­nen Design-Re­ dann muss die gute Idee da sein. Im
sche Anwendung von Design Research search-Met­ho­den ken­nen, um sie als Moment gibt es so viele Creative Labs
mit Blick auf das Nutzererlebnis quer Mittel bei der Service- und Marken- und andere Formen von Innovations-
über alle Medien hinweg; 4. En­ab­ling
Change, weil wir erkannt ha­ben, dass
unsere Gestaltungsarbeit im­mer Ver-
änderung in den Unternehmen bedeu-
tet. Dabei setzen wir unsere Kom­
petenz ein, Dinge sichtbar, verständlich
und kommunizierbar zu machen.

Flexible Strukturen schaffen.


Wir haben lange mit unserer Organisa-
tionsstruktur gekämpft und lernen im­
mer noch dazu. Die Herausforderung
liegt darin, wechselnde Projektteams
zusammenstellen zu können und zu-
gleich die Kontinuität in der Führung
zu bieten, die Menschen brauchen.
Letz­tes Jahr haben wir die Cloudstruk-
tur eingeführt, eine moderne Version
der Matrixstruktur, mit vier Clouds für
die Personal- und Unternehmensfüh- entwicklung nutzen zu können. Und Outsourcing, weil man erkannt hat, wie
rung, geleitet von je einem Partner. Da­ unsere Kreativdirektoren müssen auch schwierig es ist, in den eigenen Struk­
neben gibt es die Projektstruktur, die Change denken können. turen Innovation voranzutreiben. Wir
die Producer als Project Owner leiten. brauchen prozess- und vorurteilsfreie
Manchmal ist das ein Kreativer, mal ein Direkt kommunizieren. Zonen, in denen wir unabhängig den-
Account-Manager, nicht unbedingt se­ Wir verzichten auf Strategen und ähn- ken können. Aber die Mitarbeiter im ≥ PAGE Online
nior, der für Qualität, Wirtschaftlichkeit liche Schnittstellenjobs. Derartige Zu­ Un­ternehmen müssen den Wandel Die vollständigen
und Kundenzufriedenheit sorgt. Feh- satz­positionen schaffen Unklarheit. Die selber vorantreiben und als ständigen Interviews mit den
len einem Designer die betriebswirt- Kre­ativen, die in engem Kontakt mit Prozess verstehen. Die neue Heraus­ Agenturgeschäfts-
schaftlichen Kenntnisse, wird ihm ein dem Auftraggeber stehen, können die forde­rung besteht im Change Manage- führern lesen Sie
Projektmanager zur Seite gestellt – Projekte am besten führen. In frü­he­ren ment. Veränderungen werden in Zu- un­ter www.page-
aber der Designer trägt die Verantwor­ Modellen gab es den Kontakter als Fil- kunft agiler und kleinteiliger, aber dau- online.de/
tung. Jeder Mitarbeiter weiß, wer an ter zum Auftraggeber. Aber wir arbei­ erhaft vonstatten gehen. agenturwandel
016 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus WEAVE 01.2014)

WIE FIT IST IHRE


DIGITALAGENTUR?
Agenturen müssen sich dem Wandel hin zur Netzgesellschaft stellen
und auf schrumpfende Märkte in Europa reagieren – sagt die Studie
»Agenturen der Zukunft« der Transformationsberater Jörg Jelden und
Dirk Bathen. Was kommt auf Digital­agenturen zu?

// Die von Mai bis November 2012 von nicht überleben. Digitalagenturen Entwicklung eigener Forschungspro­
einem Think Tank aus 134 Freelancern wissen: Die Pflege und Erweiterung jekte geschaffen werden.
und 86 Agenturangestellten zusam­ des Netzwerks ist das A und O, um Bei diesem Punkt werden auch die
mengetragenen Erkenntnisse der Stu­ Spezialwissen abzubilden sowie Over- Geschäftsführer der Digitalagentu­
die »Agenturen der Zukunft« sorgten head- und Fixkosten zu reduzieren. ren eher schmallippig. Klar ist man
für ordentlich Wirbel in der Agen­ Erfolgreich betreibt diese Politik auf allen Nachwuchsmessen vertre­
turszene. Als einzige erhaltenswerte etwa die Hamburger Agentur LA RED, ten, arbeitet mit Hochschulen zu­
Eigenschaft sah der Think Tank die die aus einem kleinen Kernteam be­ sammen, stellt Personal für die Lehr­
Kreativität. Ansonsten rüttelt die Stu­ steht und sämtliche Projekte mit tätigkeit an Hochschulen frei. Auch
die tüchtig an den Grundfesten des einem Netzwerk aus Partnern und eine günstige Einstufung bei Great
herkömmlichen Agenturgeschäfts, Freelancern erweitert. Beispiel dafür Place to Work (  www.greatplaceto
das seine Umsätze und Gewinne nach ist die Zusammenarbeit für das Kia- work.com  ), die den aus Mitarbeiter­
wie vor zu fast 100 Prozent aus Ad-hoc- Game »GT Ride« (WEAVE 06.13, Sei- sicht besten Arbeitgeber küren, stre­
Projekten oder langfristigen Rahmen­ te 48 ff.) mit der ähnlich arbeitenden ben Agenturen inzwischen an, um
verträgen schöpft. Berliner Agentur Artificial Rome. die Attraktivität für neue Talente zu
Aber inwieweit treffen die iden­ Eher selten trifft man jedoch auf erhöhen. Dennoch ist es auch in Digi­
tifizierten Herausforderungen auch institutionalisierte Netzwerke, die talagenturen mit flexiblen Arbeits­
auf Digitalagenturen zu? Faktoren nicht nur die bereits erbrachten Skills zeiten so eine Sache. Vor allem wenn
wie die kontinuierliche Anpassung der Freelancer fokussieren, sondern agil entwickelt wird, ist die Anwesen­
an den rasanten Technologiewandel eher wie ein Social-Media-Network heit der Mitarbeiter (auch der Free­
und an Arbeitsweisen, die durch die arbeiten. Im besten Fall kümmert sich lancer) vor Ort erforderlich, weil der
agile Softwareentwicklung geprägt ein verantwortlicher Mitarbeiter um ständige Austausch im Projektraum
sind, sollten Digitalagenturen doch das Netzwerk, beobachtet die weitere vonnöten ist, um das Projekt schnel­
ein besseres Standing geben als klassi­ Entwicklung von Partnern, Themen, ler voranzubringen, um gute Ideen
schen Agenturen, die teilweise schon Tools, hält persönlichen Kontakt und aufzugreifen und auszuprobieren.
damit ihre Schwierigkeiten haben, bindet die Freelancer auf diese Weise Zu erwarten ist hier auch bei Digi­
ihre Onliner inhouse zu integrieren. emotional an das Unternehmen. talagenturen ein gnadenloser Abwer­
Nehmen wir also die Herausforde­ bewettbewerb. Rekrutierungs- und
rungen einmal näher unter die Lupe. Der Kampf um die Talente wird sicher- Per­sonalkosten dürfen also weiter
lich eine der größten Aufgaben der stei­gen, wodurch die Zahl freier Mit­
Kernteam plus Netzwerk heißt die Ar­ kommenden Dekade. Vor allem klas­ arbeiter zunehmen wird. Mit anderen
beitsweise der Zukunft. Mit 77 Pro­ si­sche Agenturen seien für die als Worten: Auch Digitalagenturen müs­
zent identifizierte der Think Tank »Generation Y« bezeichneten Jahr­ sen ihre bestehenden Netzwerke pro­
hier die höchste Eintrittswahrschein­ gänge der Digital Natives kaum fessioneller adminis­trieren.
lichkeit. In diesem Punkt sind die noch attraktiv, heißt es in der Studie.
meisten Digitalagenturen bereits gut Hier müssten flexible Arbeitsmodel­ Die Transformation hin zum kreati­
aufgestellt. Vor allem kleinere Agen­ le, übergreifend vernetzte Strukturen ven Unternehmensberater, den 66 Pro­-
turen könnten ohne ein funktionie­ sowie Anreize für selbstbestimm­- zent der Befragten als Herausforde­
rendes Netzwerk an Spezialisten gar tes Arbeiten und Freiräume für die rung erkannten, haben viele Digital­-
PAGE eDossier 07.14 017

»DIGITAL-
KOMPETENZ
IST NICHT
GLEICH
INNOVATIONS-
KOMPETENZ«

Als Initiator und Leiter des


Think Tanks und Autor
der Studie hat Jörg Jelden
drei Workshops mit rund
90 Agenturführungskräften
geleitet, rund 20 Experten
interviewt, einen Ideenwett-
bewerb auf Jovoto durchge-
führt sowie eine quantitative
Befragung und ein Social Fore-
casting auf der Berliner Inno-
vationsplattform CrowdWorx
aufgesetzt. 134 Freelancer und
86 Personen aus der Agentur-
welt nahmen daran teil

Treffen die Ergebnisse der Studie »Agenturen der


Zukunft« auf Digitalagenturen überhaupt zu?
Auch bei den meisten Digitalagenturen ist zwar der
Wille zur Veränderung da, vielleicht sind auch schon
die ersten Schritte eingeleitet – aber ja, die Studie trifft
auch auf Digitalagenturen zu. Die meisten geben zwar
an, agil zu arbeiten. Das liegt auch nahe, denn sie kom­
men aus der Softwareentwicklung. Aber sie werden
ihrem Anspruch nicht gerecht.

Jörg Jelden ist Digitalagenturen haben traditionell gute Netzwerke


unabhängiger mit Freelancern. Was sollen sie daran verbessern?
Zukunftsforscher
und Organisa-
Die Frage ist, wie professionell sie ihre Netzwerke pfle­
tionsentwickler gen. Die meisten Netzwerke beruhen auf dem Prinzip
in Hamburg »Ich kenne da jemanden, der …«. Doch das Modell ist
›››  http:// nicht skalierbar, klappt vielleicht bei kleinen Agen­
agenturender
zukunft.de
turen. Die wenigsten ziehen aus ihrem Netzwerk auch
›››  www.bathen Informationen über Veränderungen, was den Markt so­
jelden.com wie die Tools und Methoden betrifft. Sie haben nur
018 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus WEAVE 01.2014)

diffuse Kenntnisse über das Know-how in ihren Netz­ agenturen bereits auf der Agenda. be­obachten, sieht der Think Tank
werken. Die Netzwerke werden heute zu sehr als Ein­ Sie möchten nicht mehr nur Pro- zwar derzeit als unwichtigsten Verän­
bahnstraßen gesehen und zu wenig strategisch genutzt. jekte aus dem Marketing umsetzen, derungstreiber (43 Prozent) – noch ist
sondern direkt mit der Unterneh­ die wirtschaftliche Lage in Deutsch­
Was halten Sie von dem Einwand, dass das Zeitfenster mensleitung sprechen und den Wan­ land ja auch gut –, aber dieser Aspekt
bis 2020 zu groß ist? del vom Unternehmen hin zu einer dürfte es in sich haben.
Es geht darum, sich auf große Umbrüche und mögliche Netzwerkgesellschaft strategisch als »Die Budgets werden eher grö­­-
Überraschungen vorzubereiten, Neues vorauszuden­ gleichberechtigter Partner und Bera­ ßer als kleiner«, freut sich Matthias
ken, statt immer nur zu reagieren, sonst verlängert man ter kreativ mitgestalten. Schrader, CEO der SinnerSchrader AG,
einfach das Bestehende weiter in die Zukunft. Geschäfts­ Damit beginnen Digitalagenturen die mit 450 Mitarbeitern zu den gro­
führer müssen darüber nachdenken, wie sich Arbeits­ an den Pfründen klassischer IT-Bera­ ßen Digitalagenturen zählt. Doch
weisen, Organisationsstrukturen und Geschäftsmodel­ ter wie Accenture, Anderson Consul­ Marketingbudgets seien immer Inves-
le verändern könnten, wer sie sein wollen und wohin ting oder PricewaterhouseCoopers zu titionen in eine zukünftige Steigerung
die Reise gehen soll. Blickt man sechs Jahre zurück, nagen. Ihr Pluspunkt in diesem Ren­ von Gewinn, Umsatz und Marktantei­-
dann hat sich nicht allzu viel verändert. nen ist die Kreativität. »Agenturen len, mahnen die befragten Experten.
wandeln sich zu Creative Companies, Und die neuen globalen Wachstums­
Was wird mit Digitalagenturen passieren? die immer tiefer ins Herz des Unter­ märkte liegen im asiatischen Raum,
Digitalität wird die Normalität, von daher brauchen nehmens vordringen und ihre Krea­ wo eine neue Mittelschicht mit neuen
wir keine Trennung mehr zwischen Digitalagenturen tivität zur Umsetzung von Ideen ent­ Bedürfnissen heranwachse.
und anderen Spielarten. Auf jeden Fall wird es mehr lang der gesamten Wertschöpfungs­ Alle Agenturen sind gleicherma­
kleine Player geben, die kleinere Aufträge abgreifen, kette einsetzen«, erklärt Dr. Sven H. ßen betroffen von der schwindenden
und für viele Projekte reicht eine solche Mini-Agentur Becker, CEO bei TBWA\Deutschland, Bedeutung europäischer Märkte und
auch. Heute versuchen ja schon viele Freelancer, selbst in der Studie. der Verlagerung der Kommunikati­
Agentur zu sein und eigene Unternehmenskunden zu Die heutige Hauptumsatzquelle onsbudgets nach Asien. Doch verfü­
finden. Das bedeutet mehr Konkurrenz. Digitalagen­ von Agenturen – Kommunikations­ gen die wenigsten Agenturen, sofern
turen müssen also zeigen, was sie eigentlich besser kampagnen entwickeln, umsetzen sie nicht einer Netzwerk-Agentur an­
können als die Ein- bis Zwei-Mann-Buden. und implementieren – wird voraus­ gehören, über Filialen oder Partner
sichtlich auch 2020 noch aktuell sein. im asiatischen Raum. Wenn sie vom
Welche Herausforderungen könnten bedrohlich Doch ist dies kein Grund, sich ent­ dortigen Wachstum profitieren wol­
werden? spannt zurückzulehnen. Nach An­ len, werden sie um eine stärkere In­
Eventuell die negative Entwicklung von Marketing- sicht der 134 Freelancer, die online an ternationalisierung nicht herumkom­-
Budgets, es ist nämlich gar nicht so klar, dass die in der Social-Forecasting-Studie von Jörg men – eine Mammutaufgabe! Wer das
fünf bis sechs Jahren immer noch so groß sind. Wenn Jelden und Dirk Bathen teil­ge­nom­men nicht will, muss sich mit schrump­
die Umsätze nicht steigen, weil Märkte stagnieren, haben, wird dieser Ge­schäfts­zweig fenden Märkten in Europa beschäfti­
lohnt sich auch kein großes Marketing-Budget. Es be­ dann noch durchschnitt­lich 34 Pro­ gen, was hohen Wettbewerbsdruck
ginnt ja schon zu bröckeln. Vor allem wenn man auf zent des Umsatzes ausmachen, Rah­ und große Effizienz bedeutet.
den Rest von Europa blickt. menver­trä­ge nur noch durch­schnitt­
lich 27 Prozent. Alternative Geschäfts­ Auch eine Generalüberholung fängt
Wie sieht dann die Zukunft der Digitalagenturen aus? modelle müssen also fast 40 Prozent mit kleinen Schritten an. Keine Frage,
Digital ist kein Container mehr, der etwas zusammen­ zum Umsatz beitragen. Digitalagenturen müssen schlanker,
hält und sich abgrenzt gegenüber Klassik. Auch Fern­ Ob die Vorschläge dazu taugen, durchlässiger und spielerischer wer­
sehen wird digital, messbar und interaktiv. Mir geht es die­se Lücke zu stopfen, bleibt aller­ den, sich neue Organisationsstruk­
nicht darum, genau zu prognostizieren, welche Tech­ dings fraglich. Erfolgsbasierte Bezah­ turen verpassen, die Mitarbeiter in
nik wann eintrifft. Wichtiger ist es, sich auf neue Mög­ lungen (16 Prozent), Lizenzeinnah­ stärkerem Maße beteiligen und sich
lichkeiten vorzubereiten und von Umbrüchen weniger men (9 Prozent) sind gut vorstellbar, neue Geschäftsmodelle suchen, wenn
überrascht zu werden. Beteiligungen an Start-ups sehen die sie langfristig überleben wollen. Als
Digitalkompetenz ist nicht gleichzeitig Innova- Geschäftsführer von Digitalagen­tu­ praktische Mittel rät Jörg Jelden, der
tionskompetenz. Up to date sein heißt nicht, dass man ren allerdings eher skeptisch. »Das Zukunft der eigenen Agentur in der
Innovationskompetenz hat, also Chancen erkennt und Investment, damit sich so etwas lohnt, täglichen Arbeit einen Stellenwert
nutzt. Welchen Stellenwert hat zum Beispiel die Digital­- und die Chance, sich zu verspeku­lie­ zu geben, in Form von regelmäßigen
agentur beim Kunden, wenn es über den Marketinglei­ ren, sind viel zu groß«, wehrt Mat­thias monatlichen oder vierteljährlichen
ter hinausgeht? Hat meine Agentur genug analytische Schrader ab. »Das überlasse ich lieber Workshops. Zudem sollten Digital­
Kompetenz, um Unternehmen übergreifend beraten den Venture Capitalists, die haben da agenturen den Mut aufbringen, Chan­
zu können? Wir haben im Think Tank zum Beispiel das mehr Erfahrung.« cen und Risi­ken auszuprobieren.
fluide Modell stark diskutiert und sind übereingekom­ Wenn man etwa Chancen in der Pro­
men, dass so das Modell der Zukunft aussehen könnte: Den ökonomischen Wandel in der duktentwicklung sieht, sollte man sie
kleines Kernteam und immer wieder neue Projekt­ Post-Wachstums-Ökonomie mit wirt­ im kleinen Rahmen testen und nicht
teams aus Freelancern und Partnern. Das heißt aber schaftlichen Dauerkrisen und Un­si­ nur darüber nachdenken.
nicht, dass es tatsächlich so eintreffen muss. cherheiten, wie wir sie momentan in Als praktischen Ansatz empfiehlt
Spanien, Portugal und Griechenland Jörg Jelden den Geschäftsführern
»DAS
PROJEKT-
GESCHÄFT FÜR
DIGITAL­
AGENTUREN IST
ANDERS«

Über schrumpfende Projekte kann


sich die Hamburger Digitalagentur
SinnerSchrader nicht beklagen –
tendenziell werden die Projekte
sogar immer größer. CEO Matthias
Schrader ist sich sicher, dass die
Agentur durch den Fokus auf Infra-
strukturprojekte gut aufgestellt ist

Ist Infrastruktur nicht eher das klassische Geschäft deshalb ist es besonders wichtig, dass die Lösungen in der Matthias
von IT-Beratungsunternehmen? täglichen Zusammenarbeit im Projektteam entstehen. Schrader, CEO
der SinnerSchrader
Es geht um digitales Marketing. Dieses Geschäft haben Der permanente Austausch zwischen Beratern, Konzep­ AG, Hamburg
sich die IT-Dienstleister anders als wir nie wirklich er­ tionern, Designern, Frontend- und Backend-Developern ›››  www.sinner
schlossen. Es gibt zwar IT-Consulter, die hier und da mal führt in kürzester Zeit zu den besten Lösungen. Ich bin schrader.com
ein wenig in Content-Management-System machen, aber überzeugt davon, dass sich das auch in den nächsten
eigentlich handelt es sich dabei um das Kerngeschäft von Jahren nicht ändern wird. Dabei geht es nicht um Kontrol­
Digitalagenturen. Generell ist das Projektgeschäft für Digi­ le, sondern um die Stärkung des Wirgefühls und um die
talagenturen ein anderes als für Kommunikationsagen­ gemeinsame Verantwortung für das Produkt.
turen, weil alle Projekte eine Verbindung zur Infrastruk­
tur und damit zur Technologie haben. Dadurch werden Welche neuen Geschäftsmodelle sehen Sie bis 2020?
die Dienstleister nicht so schnell ersetzbar. Die interdiszi­ In so langen Zeiträumen denken wir gar nicht, sondern
plinäre Zusammensetzung aus Technik, Design und Bera­ eher über die nächsten zwei Jahre. Wir fokussieren die
tung lässt sich sehr schwer splitten und fremd vergeben. strategische Beratung. Das ist zwar ein sehr hochtra­
Außerdem ist die Einarbeitung auf dem Technologiesek­ bender Begriff, bricht man aber die Aufgabenfelder herun­-
tor für einen neuen Dienstleister enorm aufwendig und in ter, ist man beim Service Design, einem Thema, mit dem
einer normalen Projektlaufzeit gar nicht zu leisten. wir uns seit zwei Jahren intensiv beschäftigen. Service
Design kann für Unternehmen ein Baustein sein, um sich
Kleines Kernteam, großes Netzwerk – wie sieht zu differenzieren und dem Produkt oder Service einen
SinnerSchrader das? Zusatzwert zu geben.
Wir haben traditionell eine niedrige Freelancer-Quote von Aus unserer Sicht gehört das Thema digitale Transfor­
zehn Prozent. Bei 450 Festangestellten sind das dennoch mation in die Vorstandsetage, weil es ein geschäftskri­
ständig 40 Freelancer, die wir beschäftigen. Dort, wo wir tisches Thema ist. Man gewinnt Neukunden und damit
kein Know-how haben, holen wir Freelancer, die wir in die Marktanteile nur, wenn die digitale Performance stimmt,
Teams integrieren. Die Majorität arbeitet vor Ort, weil wir das haben Unternehmen erkannt. Da alte Weggefährten
daran glauben, dass diese Arbeitsweise die Effizienz stei­ nun zunehmend in die Vorstandsetagen großer Unterneh­
gert: ein Projekt, ein Team, ein Raum. men vorrücken, ist dieses Ziel greifbar. Dabei wollen wir
keine Unternehmensberater mit PowerPoints werden, son­
Wie sind die Arbeitsweisen bei SinnerSchrader? dern auch umsetzen und begleiten. Design ist ein super­
Wir arbeiten dort agil, wo es geht. Mit dem Kunden wird strategisches Thema, schließlich ist es ein Unterschied, ob
nicht mehr alles bis zum letzten Tüpfelchen ausdefiniert, man einen x-beliebigen MP3-Player baut oder einen iPod.
020 PAGE eDossier 07.14 (Beitrag aus WEAVE 01.2014)

»DIGITAL-
AGENTUREN
MÜSSEN
BERATUNGS-
EXPERTISE
AUFBAUEN«

auch, mehr über die eigene Agen­


tur nachzudenken – nicht immer nur
im Zusammenhang mit den Kunden­
bedürfnissen. Dabei sollten Fragen
gestellt werden wie: Was für Anreize
gebe ich meinen Mitarbeitern und
welche Skills haben sie, damit sie den
Christoph Wandel mittragen? Ist die Struktur
Bornschein, noch adäquat? Welche zusätzlichen
Geschäftsführer Skills benötigt die Agentur in Zu­
der Torben, Lucie
kunft? Wenn man Wachstum und
und die gelbe
Gefahr GmbH, Berlin Internationalisierung anstrebt, um
›››  www.tlgg.de in Wachstumsmärkten in Asien die
großen Umstrukturierungsprojekte
zu begleiten, braucht man andere
Skills und auch andere Partner.
Die Social-Media- und Strategie­bera­tung Eine andere wichtige Frage ist die
nach den richtigen Kunden. Es sollte
Torben, Lucy und die gelbe Gefahr (TLGG) nicht nur nach der Devise gehen, ein­
fach jedes Projekt mitzunehmen, das
wirkte bei der Studie »Agenturen der Zukunft« man bekommen kann. Wenn man
Produkte entwickeln will, kommt das
mit. CEO Christoph Bornschein erzählt davon Budget dafür sicher nicht aus dem
Marketingtopf, also werden andere
Wie können Digitalagenturen ihre turen nicht verändern – es braucht Ansprechpartner im Kundenunter­
Zukunft sichern? informierte Top-down-Entscheidun­ nehmen benötigt. Vielleicht sollte
Echte Beratungsexpertise aufbauen gen. Ich glaube auch fest daran, dass sich die Digitalagentur aber auch nach
und anbieten, die sie lange nicht hat­ hier keine IT-Beratung weiterhilft, komplett anderen Kunden umsehen.
ten – und sicherstellen, dass sie auch sondern dass digitale Strategiebera­
ordentlich bezahlt wird. Beratung ist tung erforderlich ist. Die meisten Digitalagenturen haben
für Unternehmen wichtiger als noch Schritte für den Wandel schon einge­
eine Microsite, und dafür bezahlen Wie fördert TLGG denn seine leitet und fühlen sich für die nächs­ten
sie auch gern. So müssen Agenturen Innovationsfähigkeit? Jahre gut aufgestellt. Doch die Mah­
Strategien anbieten, wie »digital« Wir sind recht basisdemokratisch nung von Jörg Jelden, Digitalkom­-
zur Wertschöpfung beitragen kann. organisiert, sodass Verbesserungs­ petenz sei nicht gleichzeitig Inno­va­
Die Umsetzung ist Beiwerk. Es wird vorschläge und Ideen kaum Hürden tionskompetenz, ist ernst zu nehmen.
eher darauf ankommen, ein digitales nehmen müssen. Außerdem geben Der Wandel scheint bei Digitalagen­
Geschäftsmodell für den Kunden zu wir den Mitarbeitern Freiräume für turen zwar in der DNA verankert
entwickeln. kreative Projekte ohne Kundenauf­ zu sein, weil man sich ständig an neue
trag. Dabei arbeiten unsere Mitarbei­ Technologien anpassen muss. Was
Wie habt ihr euch positioniert? ter mit viel Eigenverantwortung. Wir aber nicht zwangsläufig darin mün­
Wir beschäftigen uns mit Strate­ vertrauen ihnen bereits mit 24 Jahren det, die Chancen für das eigene
gieberatung und arbeiten bei der Projekte an, die ihnen woanders Unternehmen zu erkennen. Denn kei­
Umsetzung mit Partnern. Uns geht es niemals jemand zutrauen würde. Und ner will 2020 im »Zustand verbaler
darum, dem Vorstand zu erklä­ren, wir haben verstanden, dass Erfolg Aufgeschlossenheit bei gleichzei­­ti­
was »digital« für sie und ihr Ge­ im digitalen Raum kein Umsetzungs­ ger Verhaltensstarre« enden, wie der
schäftsmodell tun kann. Eine Abtei­ thema, sondern ein strategisches Münchner Soziologe Ulrich Beck es
lung allein kann Organisationsstruk­ Thema ist. beschreibt.  ae
PAGE eDossier 07.14 021

»EIGENTLICH
KÖNNTEN
WIR UNS
ZURÜCKLEHNEN«

Mit 31 Mitarbeitern ist


Moccu schon eine der
größeren Digitalagen-
turen. Warum sie zuver-
sichtlich in die Zukunft
blicken, verraten die
Geschäftsführer Thomas
Walter und Björn Zaske

Wie ist Moccu als Digitalagentur für Technologien, Arbeitsweisen und Format aus digitalen und TV-Be­ Thomas Walter
die Zukunft aufgestellt? Strukturen zu erlernen. Deswegen standteilen für einen TV-Sender ent­ (links) und
Björn Zaske,
Thomas Walter: Gut, nachdem wir stehen wir der Innovationsdynamik wickelt und unterhalten uns nun Geschäftsführer,
die Studie noch einmal gelesen ha­ sehr aufgeschlossen gegenüber. Aber erstmals über Lizenzeinnahmen. Moccu GmbH & Co.
ben, haben wir feststellen müssen, die Budgets steigen, weil der Kom­ KG, Berlin
dass wir in den vergangenen zwei Jah­ munikationsaufwand immer größer Welche Maßnahmen habt ihr ›››  www.moccu.com
ren viel richtig gemacht haben und wird. Es gibt ein starkes Wachstum. bereits eingeleitet?
uns eigentlich gepflegt zurücklehnen Walter: Die Zusammenschlüsse Walter: Bei uns setzt sich die Füh­
könnten (lacht). Nein, das wäre ja ein von Freelancern, die dann kleinere rungsebene in halbjährlichen Work­
Widerspruch in sich. Aber vieles ha­ Projekte abgreifen, sehe ich zum Bei­ shops gezielt mit der Zukunft ausein­
ben wir schon implementiert: Innova­ spiel nicht als Bedrohung für uns, ander, außerdem gibt es noch einmal
tion, Bewegung, wir sind gut vernetzt. weil die sich auf einem anderen Level im Jahr ein Strategietreffen.
Wir stellen unsere Arbeitsweisen im­ bewegen. Wahrscheinlich würden Zaske: Das haben wir schon immer
mer wieder auf den Prüfstand. wir Aufträge dieser Größenordnung gemacht. Ich höre auch von befreun­
Björn Zaske: Wir arbeiten schon auch nur annehmen, wenn sie von deten Agenturen, dass sie ähnli­che
sehr stark als fluide Agentur. Weil un­ strategischer Bedeutung wären. Vorgehensweisen haben und sich ge­
ser Kernteam mit 31 Mitarbeitern im zielt infrage stellen, um Innova­tionen
Vergleich zu den ganz großen Agen­ Über was müssen Geschäftsführer anzustoßen.
turen relativ übersichtlich ist, greifen einer Digitalagentur nachdenken, Walter: Wir müssen ganz oben mit­
wir auf Freelancer zurück. Wir schla­ wenn sie für die Zukunft planen? spielen, weil es für Unternehmen es­
gen ihnen zwar vor, hierherzukom­ Walter: Wie will ich arbeiten? Mit senziell ist, den digitalen Wandel zu
men, aber eigentlich sind wir in wem will ich arbeiten? Welche Kun­ vollziehen – dabei nehmen wir sie an
puncto Zeiten flexibel. Und sie haben den will ich? Also nicht für eine be­ die Hand. Deswegen arbeiten wir bei­
auch von außen Zugriff auf alle rele­ stimmte Marke, sondern passt der spielsweise fluid mit unserem Part­
vanten Materialien. Dafür sind wir ja Kunde zu mir? ner, der Agentur Gerhard (  www.agen
durch und durch »digital by nature«. Zaske: Im Gegensatz zu Klassikagen­ tur-gerhard.de  ), zusammen. Einer
turen denken wir eher in Produkten. der beiden Köpfe, Reinhardt Neu­
Welche Herausforderungen kommen Wir machen nicht nur die Kommuni­ hold, kommt von der Strategieagen­
in den nächsten fünf Jahren auf kation, sondern entwickeln auch Pro­ tur diffferent (  www.diffferent.de  ).
Moccu zu? dukte, damit unsere Kunden bei ih­ Mit ihnen zusammen verschaffen wir
Zaske: Durch unseren Job sind wir ren Kunden etwas bewirken können. unseren Kunden digitale Führungs­
ohnehin gezwungen, ständig neue Wir haben beispielsweise gerade ein positionen im Wettbewerb.

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