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Winter 2021–2022 / Nr.

81

Geht da
noch
was?
Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung

Thema Klasse
Wo

wir
stehen
Klamotten, Sprache, Ansehen:
Foto: Amina Falah

Klasse macht sich an vielem


fest. Zu einem großen Teil auch
am Geld, das man hat – oder
eben nicht. Wie Einkommen
und Vermögen in unserem Land
verteilt sind, kannst du in diesem
Dossier sehen: bpb.de/verteilung
Editorial

Milieu, Schicht, Klasse – der Streit


um die soziale Ordnung nimmt
bei uns an Fahrt auf, auch weil der
Zusammenhalt in der Gesellschaft
fragwürdig geworden ist.
Im eigentlich faszinierenden
Kaleidoskop der Lebensentwürfe
und Erfahrungen werden Muster
erkennbar, die zunehmende Span­
nungen und ungleiche Macht­
verhältnisse anzeigen. Sie behin­
dern die Entfaltungsmöglichkeiten
vieler Menschen. Kurz gesagt:
Klasse existiert, wenn sie nicht
überwunden werden kann. Die
Balance des Sozialen ist gefährdet.
Die Dynamiken der Entwicklung
in Wirtschaft und Gesellschaft
passen nicht mehr recht zusammen.
In den westlichen Demokratien gilt das Versprechen, dass Überall in der Welt kämpfen soziale Be­
wegungen
ein Aufstieg durch Leistung für alle möglich sein soll. Dabei für mehr Gleichheit: Unser Bild zeigt An­
gehörige der
gibt es eine Garantie zur Solidarität, wie sie bei uns als Gleich­ mexikanischen Zapatistas. Die aus dem armen Bundes­
wertigkeit der Lebensverhältnisse im Grundgesetz verbrieft ist.  staat Chiapas stammende Organisation kämpfte früher
Das öffentliche Selbstbild der Gesellschaft ist in Deutsch­ mit Waffengewalt, unter anderem für mehr Rechte
land immer noch eines der Mitte. Immerhin gibt es diese der Indigenen und gegen eine neoliberale Wirtschafts­
Mitte als zahlenmäßig größte Schicht. Aber sie ist heterogen politik. Heute geschieht das mit friedlichen Mitteln
und in Bewegung. So gehören gut verdienende Akademiker
dazu, aber auch große Teile des Pflegepersonals – sie unter­
scheidet also einiges, nicht zuletzt ihr Einkommen und die
Anerkennung. Gerade der untere Teil der Mittelschicht ist Die soziale Dimension wird in den laufenden Debatten zu­
ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Ohne diesen läuft nehmend deutlicher: Kann der Zusammenhalt weiter gelingen
wenig, das hat die Pandemie noch deutlicher gemacht. Aber und die Gesellschaft gerechter werden? Wie nutzen wir den
was hat diese Gruppe davon? technischen Fortschritt, die Revolutionen der Digitalisierung
Wenn Kinder ein Armutsrisiko sind, Bildungswege von und den grundlegenden Wechsel zu mehr Nachhaltigkeit und
der Herkunft bestimmt werden, die Lebenserwartung vom Klimagerechtigkeit für eine neue Ordnung des Gemeinsamen?
sozialen Status abhängt, dann kann etwas nicht stimmen. Es kann noch grimmiger werden, wenn es einfach so
Wenn es nicht gelingt, den Unterschied zwischen Reich und weiterläuft wie bisher. Hoffnung macht der Protest aus unter­
Arm besser auszugleichen, und zudem Millionen in prekären schiedlichsten Schichten und politischen Lagern. Hier wird
Verhältnissen arbeiten, fällt die Gesellschaft weiter ausein­ um Lösungen gerungen, wie unsere Gesellschaft wieder so­
ander. Dazu trägt auch bei, dass sich Vermögen in immer lidarischer werden kann. Sie alle eint der Wille zur Verände­
weniger Händen konzentriert und es viele Menschen nicht rung und das politische Wissen: Da geht noch was.
schaffen werden, sich vor Altersarmut zu schützen. Was hält
die Gesellschaft für viele dann noch zusammen, wenn Angst
und Ignoranz zunehmen? Thorsten Schilling

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Inhalt All people are equal! Zumindest
wenn es ums Abo geht. Das ist für
alle gratis: www.fluter.de/abo

6 Aufwärts und abwärts


Die einen haben Angst vor
der Armut, die anderen davor,
die falschen Klamotten zu 22
tragen. Ein klasse Interview

10 Was uns krank macht


In Deutschland hängt die 22 Wohin geht die Fahrt? 34 Klassen-Arbeit
Lebenserwartung sehr vom Die Mittelklasse in Kenia Bildungschancen sind immer
sozialen Status ab ist größer geworden. noch stark von der Herkunft
Viele Menschen sind trotzdem abhängig. Es könnte anders sein
12 Der Traum vom besseren Leben nur einen Schritt von der
Als Türkinnen in Deutschland Armut entfernt 36 93
hatten viele Frauen keine guten Eine klassenbewusste Foto­-
Startbedingungen 24 Hartz, aber herzlich reportage aus einer Banlieue in
Wie arbeitslose Menschen Frankreich
16 Sag mal! mehr Sicherheit bekommen
Du bist, wie du sprichst: Auch könnten 40 Aber sie trug doch so oft Gucci!
in der Sprache spiegelt sich Wie ein Mädchen aus Eschweiler
Klassenzugehörigkeit wider 26 Eine Karte der Gesellschaft die New Yorker Society reinlegte
Wo stehst du eigentlich?
17 Zum Heulen Auf unserem Schaubild kannst 42 Hoch hinaus
In Deutschland haben es allein- du sehen, wonach sich Klassen Für manche Rapper ist Geld
erziehende Mütter nicht leicht und Milieus einteilen lassen megawichtig, andere sind cooler

18 Eure Wut ist so herrlich 28 Welcher Rolls-Royce? 44 Was aus uns werden kann
authentisch Viele Superreiche sprechen Für den IS gab es nur Gläubige
Manche finden Nürnberg- ungern über ihren Besitz. und Ungläubige. Die syrische
Gostenhof gentrifiziert – Ein paar Informationen gibt Stadt Rakka versucht sich davon
andere nur schöner als früher es aber zu erholen

21 Marx und mehr 30 Immer diese Privilegien 47 „Ich wisch euren


Wo kommt der Begriff Klasse Luisa erzählt von ihrer Zeit Opas den Po ab“
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

eigentlich her? auf einem Eliteinternat Ohne sie geht nix – und dennoch
bekommt sie kaum Anerkennung.
31 Guck mal, wie arm! Eine Pflegerin erzählt
18 Im Fernsehen lacht man
immer noch gern über sozial 48 Ach du je, ein Sachse
Benachteiligte Auch über 30 Jahre nach der
Wende fühlen sich viele
32 Nicht eure Affen Ost­deutsche als Bürger und
Beim Lieferdienst Gorillas Bür­gerinnen zweiter Klasse
begehren die Fahrer
und Fahrerinnen auf 50 Impressum & Vorschau

4
Nicht nur
bei den Einkommen, auch
bei den Vermögen zeigt sich die
soziale Ungleichheit: Viele
ärmere Menschen geben ihr geringes
Einkommen komplett für Lebensmittel, Miete
und Heizung aus, ohne die Chance auf Wohn­
eigentum. Dabei ist der Wert von Immobilien –
wie der von Aktien – in den vergangenen
Jahren stark gestiegen, was auch mit den
niedrigen Zinsen zu tun hat. Investitionen

Geht aufs
in Immobilien sind lukrativer als Sparkonten.
Auch durch die Mittelschicht verläuft
die Trennlinie aufgrund von Besitz:
Wer gut verdient, aber kein Vermögen

Haus
hat, kann schneller absteigen
als Menschen, die etwas
besitzen.

5
Aufwärts
Interview von Oliver Gehrs
Fotos: Jana Sophia Nolle

und fluter Nr. 81, Thema: Klasse

abwärts
6
Jahrelang dachte man, es ginge
für alle aufwärts, aber das hat
sich inzwischen als Trugschluss
fluter: Der Begriff „Klasse“ klingt ein
erwiesen. Aufwärts geht’s vor allem
bisschen veraltet, nach Klassenkampf und
Kommunismus. Wie kommt das?
mit der Zahl der Armen und dem
Andreas Reckwitz: Bei Karl Marx, der den Klassen­ Vermögen der Reichen. Und dann
begriff entscheidend geprägt hat, hängt die Zugehörig­
keit zu einer Klasse vom Verhältnis des Menschen zu tobt auch noch in der Mitte ein
den Produktionsmitteln ab. Da gibt es auf der einen
Seite die Kapitalisten, denen Produktionsmittel wie Kulturkampf zwischen modernen
Maschinen gehören, und auf der anderen Seite das
Proletariat mit seiner Arbeitskraft. Das machte damals
und konservativen Menschen.
im 19. Jahrhundert auch Sinn, hat aber im Laufe des
20. Jahrhunderts an Glaubwürdigkeit verloren.
Ein Gespräch mit dem Soziologen
Aber heute ist der Klassenbegriff wieder
Andreas Reckwitz*
in aller Munde. Warum?
Wenn man heute von Klasse spricht, geht es nicht nur um Früher gab es die Vorstellung von einer
ökonomische Fragen, sondern auch um verschiedene Lebens­ „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ – das heißt,
stile und symbolisches Prestige. In der Soziologie ist seit den dass alle am wachsenden Wohlstand teilhaben
1980er-Jahren der Klassenbegriff kaum mehr verwendet und es im Grunde keine großen Unterschiede gibt.
worden. Man erkannte vielmehr eine Individualisierung und War das Selbstbetrug?
Pluralisierung der Lebensstile. Diese erschienen im Prinzip Von den 1950er-Jahren bis in die 1970er-Jahre stimmte das
gleichberechtigt. mit Abstrichen. Es gab selbstverständlich keine totale sozia­
le Gleichheit, aber die materiellen Unterschiede waren weni­
Davon kann man heute nicht mehr sprechen. ger stark und auch weniger sichtbar als heute. Auto, passa­ble
Der Lebensstil von Ärmeren wird oft abgewertet. Wohnung oder Haus, Jahresurlaub – das Mittelschichtsleben
Für die Ausgrenzung wegen der sozialen der damaligen Zeit wurde fast allen geboten. Der Soziologe
Herkunft gibt es den Begriff „Klassismus“. Ulrich Beck hat dafür das Bild vom Aufzug benutzt, in dem
Man sieht heute, dass es eben nicht nur Diskriminierung alle nach oben fahren. In der damaligen klassischen Mittel­
aufgrund der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung oder des standsgesellschaft sind tatsächlich viele nach oben gefahren,
Geschlechts gibt, sondern auch aufgrund des Lebensstils und wenn man sich die Einkommen anschaut und die Optionen,
seines sozial-kulturellen Status. Es kommt zum Beispiel die sich dadurch ergaben. Aber auch im Aufzug gab es natür­
häufig vor, dass Menschen aus der sogenannten Unterschicht lich soziale Unterschiede, nicht alle fahren in derselben
in den Medien als defizitär dargestellt werden, als Menschen, Etage los. Hinzu kommt: Die Mittelstandsgesellschaft war
denen angeblich Kompetenzen fehlen. Plakativ gesagt: die auch kulturell recht homogen und nivelliert. Natürlich gab
sich nicht um ihre Kinder kümmern können, die Chips essend es politische Differenzen, aber deutliche kulturelle Unter­
auf dem Sofa sitzen, anstatt sich zu bewegen. schiede der Werte und Alltagspraktiken zeigen die Milieu­
studien erst seit den 1980er-Jahren.
Warum hat das Versprechen der Bildungs­gerechtigkeit
eigentlich nicht für alle funktioniert? Es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
Es gibt in der Gesellschaft eine Kluft zwischen Bildungsge­ die inzwischen von einer Abstiegsgesellschaft sprechen.
winnern und Bildungsverlierern. Das Abitur und der Hoch­ Beschreibt das die heutige Situation besser?
schulabschluss sind fast zu einer neuen Norm geworden. Wer Dass es einen gesamtgesellschaftlichen Abstieg quasi für alle
„nur“ Mittlere Reife oder einen Hauptschulabschluss hat, gibt, sehe ich nicht. Es gibt vielmehr eine Gleichzeitigkeit
nimmt sich häufig als Verlierer wahr. Gleichzeitig hat die von Ab- und Aufstieg. Gerade das ist aber besonders brisant.
Anzahl der Akademikerhaushalte zugenommen. Mehr Bil­ Wir befinden uns nicht mehr in einem gewöhnlichen Fahr­
dungschancen und Aufstiegschancen zu schaffen ist zweifel­ stuhl, sondern in einem Paternoster, in dem es gleichzeitig
los immer gut. Das löst aber nicht das Problem des häufig für manche aufwärts- und für andere abwärtsgeht.
mangelnden gesellschaftlichen Ansehens von jenen, die in
der service class beschäftigt sind. Das sind die, die schlecht Wer fährt denn gerade nach oben?
bezahlte Dienstleistungen erbringen. Für die Gesellschaft Neben der neuen Oberklasse mit ihrem hohen Vermögen ist
ergibt sich das Problem, dass sie am Ende nichtakademische das jene neue Mittelklasse, die durch die Akademisierung
Tätigkeiten, die auch gesellschaftlich nötig sind, nicht mehr an kulturellem Kapital, an Bildungskapital gewonnen hat.
besetzen kann. Wenn diese Tätigkeiten aber gesellschaftlich Wenn man in zukunftsorientierten Berufen der Wissensöko­
defizitär erscheinen, als Berufe von Menschen, die „es nicht nomie arbeitet, kann man sich als Teil des Modernisierungs­
geschafft haben“ im Leben, ist das kein Wunder. prozesses sehen. Häufig lebt man hier auch in den Metropol­

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regionen, die prosperieren. „Nach oben fahren“ heißt in „Ich bin Bergmann, wer ist mehr?“
dieser Gruppe übrigens nicht, dass man im historischen So hieß es früher, worin sich das Selbstbewusstsein
Vergleich unbedingt an Einkommen gewonnen hat. der Arbeiterschaft ausdrückte. Wo ist dieser
Arbeiterstolz geblieben?
Gibt es in der Mitte auch Verlierer? Das Proletariat hatte sich im Laufe der Zeit politisch organisiert
Der traditionellen oder alten Mittelklasse geht es materiell und ein großes Selbstbewusstsein entwickelt. Viele sind auch
häufig noch recht gut. Aber man sieht sich kulturell und in aufgrund der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in die
den Zukunftsaussichten häufig in der Defensive: Die Digita­ Mittelklasse aufgestiegen. „Wir sind das Fundament der Ge­
lisierung und der Ausstieg aus fossilen Rohstoffen bedrohen sellschaft, ohne uns läuft hier nix“ – diese Gewissheit ist durch
manche Berufe. Jenseits der Metropolregionen dünnt sich die Entindustrialisierung in den westlichen Gesellschaften
das öffentliche Leben häufig aus. Die jungen Akademiker verschwunden. Drei Viertel der Arbeitsplätze sind heute im
ziehen zum Teil von dort weg. Traditionelle Mittelschichts­ Dienstleistungssektor angesiedelt, ein Teil davon ist die Wissens­
werte wie die klassische Familie, Disziplin oder auch Heimat­ ökonomie der Hochqualifizierten, ein anderer aber eben die
verbundenheit sind heute keine unstrittigen gesellschaftlichen service class. Sie hat nicht an das Selbstbewusstsein der früheren
Werte mehr, sodass man Einflussverluste erleidet. Man spürt, Arbeiterklasse angeschlossen. Wenn es unter ihnen ein Klassen­
dass das Wertesystem, für das man steht, nicht mehr modern bewusstsein gibt, ist es eher ein negatives. Man gehört zu den
ist. Das Ergebnis kann Verbitterung sein. Marginalisierten, macht die Drecksarbeit und wünscht seinen
Kindern, dass sie aus der eigenen Klasse aufsteigen.
Wie kann Politik da versöhnend wirken?
Die Politik kann da nur begrenzt agieren. Die Veränderungen Ist das Selbstbewusstsein dieser unterschätzten
der Sozialstruktur und der Alltagskultur sind ja Prozesse, die Arbeitskräfte während der Corona-Pan­demie
seit Jahrzehnten stattfinden und mit Entindustrialisierung, gestiegen?
Wertewandel und Bildungsexpansion zu tun haben. Das kann Vielleicht ändert sich da gerade was. Wenn man sich den
man nicht einfach zurückdrehen. Industriejobs verschwinden, Pflegebereich anschaut, merken die Menschen dort, wie wich­
Akademiker werden mehr, Wissen wird wichtiger, die Gesell­ tig sie für die Gesellschaft sind.
schaft liberaler. Aber natürlich kann man politisch versuchen,
an bestimmten Stellschrauben zu drehen. Ein Beispiel dafür ist auch der Streik an der Charité.
Möglicherweise ist das bezeichnend. Es kann aber auch sein,
Lassen Sie uns über den Niedriglohnsektor dass der Markt für mehr Anerkennung und höhere Löhne sorgt.
sprechen. Hat die Coronapandemie dazu beige­tragen, In England sieht man, was ohne Lkw-Fahrer passiert, die man
Menschen ins Licht zu rücken, die für wenig Geld nun dringend sucht. Da steigen auch die Löhne.
wichtige Jobs erledigen?
Der Niedriglohnsektor ist ein Be­
reich, in dem die Politik tatsächlich Die Mittelschicht in
19 9 5 2 0 18
wirken kann. Vielleicht war die Pan­ Deutschland ist brüchig:
demie da für manche ein Augen­ 6 Obere Einkommensschicht 7 %
öffner: Man hat gesehen, dass es +1

ohne die Menschen, die in der service 11 Obere Mittelschicht 11 Zwischen 1995 und 2018
class körperlich arbeiten, gar nicht ±0 sank der Anteil derjenigen,
geht. Ohne die Pflegerinnen, die die zur Mitte ge­
hören, von
rund um die Uhr arbeiten, die Lkw- 70 Prozent auf nur noch
Fahrer, die Regalbefüller. Man hat 64 Prozent. Davon sind fünf
M ITTE LSCH ICHT

gemerkt, wie notwendig sie für das 33 Mittlere Mittelschicht 32


Prozent in die untere Ein­
Funktionieren der Gesellschaft sind. -1 kommensschicht ab­­gestiegen.
Das ist das Ergebnis einer
Aber außer Applaus haben Studie der OECD und der
sie nichts bekommen … Bertelsmann Stiftung. Die
Vielleicht kommt da ja noch mehr. Forscher zählen zum Bei­
Quelle: Bertelsmann Stiftung

Die Erhöhung des Mindestlohns spiel Paare mit zwei Kin­


oder auch Verhandlungen im Pfle­ 26 Untere Mittelschicht 21 dern zur breiten Mitte, die
gebereich stehen ja an. Ein Problem 5
-
monatlich zwischen 3.000
ist, dass dieses Dienstleistungspro­ und 8.000 Euro zur Verfü­
letariat politisch nicht so artikuliert gung haben. Be­
sonders junge
ist und keinen Druck ausübt. Dabei Menschen haben zu­ nehmend
sind sie eigentlich die Erben der Probleme, nach ihrer Aus­
Arbeiterschaft von gestern, das 24 Untere Einkommensschicht 29 bildung in der Mittel­
heißt: die Erben der einstmals gro­ + 5 schicht zu landen. Ihr An­
ßen Gruppe, die von körperlicher teil an der Mitte sank um
Arbeit lebte. zehn Prozent.

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In den USA ist die Ge- zwischen neuer Mittel- und Ober­
fahr, aus der Mittelschicht klasse durchaus Gemeinsamkeiten,
abzusteigen, ziemlich aber die finanziellen Möglichkeiten
groß – unter anderem, weil sind eben andere.
soziale Sicherungssysteme
wie in Deutschland fehlen. Wie kommt es eigentlich, dass
In San Fran­cisco kostet Unterschichts­merkmale wie
zudem eine Einzimmerwoh- Tätowierungen oder Jogginghosen
nung schon mal 3.000 Dollar von höheren Schichten über­
im Monat – auch, weil hier nommen werden?
viele gut ver­dienende Es gibt in der neuen Mittelklasse und
Mitarbeiter der Tech­firmen der neuen Oberklasse – durchaus im
im Silicon Valley wohnen. Gegensatz zur alten Mittelklasse und
Die Bilder der deutschen alten Oberklasse – eine Tendenz zur
Fotografin Jana Sophia Informalisierung, zum Unprätentiö­
Nolle zeigen Menschen, sen. An der Oberfläche scheinen sich
die vor Kurzem noch Arbeit die Klassendifferenzen so aufzulösen.
und Wohnung hatten – Aber natürlich ist das nur die Ober­
und nun ein Leben auf der fläche. Man ist hier ja nicht auf Adi­
Straße beginnen müssen letten, Rap und Tattoos festgelegt.
Die Mitglieder der modernen Mittel­
klasse oder der Oberklasse haben
vielmehr meist ein breiteres kultu­
Die Unterklasse hat sich verändert, die Mittel­klasse relles Repertoire: Man schaut Netflix-Serien, kann aber auch
hat sich aufgeteilt, aber auch die Oberklasse ist nicht über Literatur reden oder ins klassische Konzert gehen. Man
mehr die von früher. Statt Vermögen, die über trägt Jeans und Sneakers, blamiert sich aber beim formalen
lange Zeit erwirtschaftet werden, gibt es mittlerweile Dinner nicht. Die Unterklasse hat dieses Repertoire nicht,
viele Superreiche, die in kurzer Zeit über Start-ups so könnte man urteilen. Und damit wären wir wieder beim
oder Börsengewinne aufsteigen. Thema Klassismus …
Analog zur Mittelklasse gibt es auch eine alte und eine neue
Oberklasse. In der neuen Oberklasse gibt es oft ein extrem Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer
hohes Arbeitseinkommen, mit dem sich dann zugleich ein weiter auseinander. In den USA hat das oberste eine
entsprechendes Vermögen aufbauen lässt. Gerade im Start- Prozent mehr Vermögen als die 60 Prozent, die als
up-Bereich spielt dann auch gesellschaftliches Engagement Mittelklasse eingestuft werden. Weltweit hat die
eine Rolle. Zahl der Milliardäre im vergangenen Jahr deutlich
zugenommen. Was passiert in einer Gesellschaft, in
Wenn früher jemand mit Flip-Flops und kurzen Hosen der die einen immer reicher werden und die anderen
in ein Nobelhotel gekommen wäre, hätte man ihn zunehmend Abstiegsängste haben?
vermutlich rausgeschmissen. Heute denkt das Personal Ich denke, dass es auf zwei Ebenen ein Legitimationsproblem
schon mal, dass es ein IT-Milliardär sein muss. mit dem sehr hohen Reichtum geben kann: Wenn Reiche dank
Der Lebensstil der neuen Oberklasse orientiert sich offenbar ihres Vermögens politisch enorm einflussreich werden wie
nicht mehr so einfach an den Statussymbolen von gestern. zum Beispiel in den USA, dann unterminiert das den demo­
Die Gesundheit, der Körper, die psychische Ausgeglichenheit kratischen Prozess. Und wenn das Vermögen vor allem durch
können dann zu wichtigeren Zielen werden. Auch das kann Erbschaft zustande kommt oder durch Gewinne auf dem
einiges ökonomisches Kapital erfordern. Finanzmarkt, dann widerspricht das dem modernen Leistungs­
ethos, dem zufolge sich Einkommen und Status ja aus der
Sie meinen: Man kann eine Ayurveda-Kur eigenen Arbeitsleistung ergeben sollen. Wenn sich in der
für 1.000, aber auch für 20.000 Euro machen? Gesellschaft der Eindruck festsetzt, dass dies nicht mehr un­
Zum Beispiel. Gerade physische und psychische Assistenz – bedingt zählt, dann ist das zweifellos ein Problem.
Personal Trainer, Coaches, Therapeutinnen –, überhaupt die
Inanspruchnahme hochqualifizierter Dienste, kann sehr
kostspielig sein. Dienste – zum Beispiel auch Privatschulen *Unser Gesprächspartner
oder -universitäten, private Ärzte – werden hier teilweise gehört eindeutig der Klasse
wichtiger als materielle Güter. Wobei das Interessante ist, der Intellektuellen an. Er
dass kulturelle Innovationen wie gesunde Ernährung, Selbst­ ist Professor an der Hum­
erfahrungen oder bestimmte Kleidungsstile eher aus dem boldt-Uni Berlin und hat
jungen kreativen, urbanen Mittelstandsmilieu kommen und u. a. das Buch „Das Ende
von der Oberklasse übernommen und ins Luxuriöse weiter­ der Illusionen“ geschrieben
entwickelt werden. Auf der kulturellen Ebene gibt es also (Suhrkamp Verlag)

9
Was Krankenhaus, die Todesrate war doppelt
so hoch wie beim Rest der Bevölkerung.
„Wir müssen Sterben und Krankheit als
etwas anerkennen, das in weiten Teilen
gesellschaftlich verursacht ist, das uns
nicht einfach zustößt“, sagt die Leitung
des Zentrums für Interdisziplinäre
Lebenswelt der Menschen eintauchen.
Rauchern fehlt es ja nicht an Wissen
über die Giftstoffe in einer Zigarette.“
Irreführend ist die Betonung eines
vermeintlich ungesunden Lebensstils
auch deswegen, weil es entscheidende
Faktoren, wie gesundheitsgefährdende
Frauen- und Geschlechterforschung an Wohn- und Arbeitsorte, höhere Unfall­
der TU Berlin, Sabine Hark. risiken, Ungleichbehandlung im Ge­
Der Zusammenhang zwischen sundheitssystem, Existenzängste oder
Klassenzugehörigkeit und Gesundheit Diskriminierungserfahrungen, in den
ist in einer Vielzahl bedeutender Studien Hintergrund drängt.
Von Selmar Schülein nachgewiesen, die zu eindeutigen Er­ Darum setzt sich in der Forschung
Illustration: Wolfgang Wiler gebnissen kommen: So verlängert ein zunehmend die Erkenntnis durch, dass
Abizeugnis das Leben gleich um meh­ man für eine gerechter verteilte Lebens­
rere Jahre. Wer in Stadtteilen mit Sozial­ erwartung nicht am individuellen Ver­

krank
Es ist eine leise Katastrophe, die trotz bauten wohnt, lebt im Schnitt
guter Datenlage fast unsichtbar ist. Die zehn Jahre kürzer als jemand
Lebenszeit, die ein Mensch in Deutsch­ aus einem wohlhabenden Be­
land zur Verfügung hat, ist abhängig zirk. Oft sind ärmere Men­
von der sozialen Klasse: Menschen, die schen im Beruf – von der
körperlich arbeiten, sterben in Deutsch­ Fabrikarbeit bis zum Bergbau
land durchschnittlich über vier Jahre – erheblichen Gesundheitsri­

macht
früher als Beamte und Beamtinnen. siken ausgesetzt und wohnen
Kassenpatienten erwartet ein deutlich in Ballungsgebieten mit deut­
kürzeres Leben als Privatversicherte, lich stärkerer Luftverschmut­
und das gesundheitliche Wohl könnte zung und Lärmbelastung.
zwischen über- und unterdurchschnitt­ Beides sind Faktoren, die die
lich verdienenden Menschen kaum Gesundheit nachweislich
unterschiedlicher sein. Arme Männer nega­tiv beeinflussen.
in Deutschland haben eine über 14 Jah­ „Es ist eine Ungleichheit,
re kürzere beschwerdefreie Lebens­ die, in gewisser Weise un­
erwartung als jene, die das Anderthalb­ sichtbar, fast ein gesellschaftliches Tabu halten, sondern an den Verhältnissen
fache des Durchschnitts verdienen. Im ist. Wir haben nicht einmal einen rich­ selbst ansetzen müsste. Das betrifft
Jahr 2019 galt ein Mensch als arm, der tigen Begriff dafür, während die Be­ auch den Zugang zu medizinischer Ver­
nicht mehr als 1.074 Euro im Monat zeichnung vital inequality im Englischen sorgung. Während man früher davon
zum Leben hatte. zumindest sachlich treffender ist“, sagt ausging, dass medizinisch-technologi­
Die Coronapandemie hat diese Silke van Dyk, Soziologin mit Schwer­ sche Fortschritte allen zugutekommen,
existenzielle Benachteiligung in zahl­ punkt Demografie und Ungleichheits­ gilt es mittlerweile als bewiesen, dass
reichen Ländern sichtbar gemacht, denn forschung, und weist da­rauf hin, dass gut vernetzte und besser gebildete Men­
das Virus trifft nicht alle sozialen Klas­ die Betroffenen oft selbst verantwortlich schen sich stets früher und leichter
sen gleichermaßen. Ärmere und sozial gemacht oder sogar stigmatisiert wür­ Zugang zu neuen Gesundheitsleistungen
benachteiligte Menschen tragen ein den. So werde die geringere Lebens­ verschaffen können. Ein weiteres Bei­
deutlich höheres Risiko für schwere erwartung in öffentlichen Debatten spiel für handfeste Unterschiede zwi­
Krankheitsverläufe und hatten in sehr stark auf gesundheitsschädigendes schen den sozialen Klassen ist das
Deutschland im vergangenen Winter Verhalten ärmerer Personen zurück­ Rentensystem. Für alle Menschen gilt
eine bis zu 70 Prozent höhere Sterblich­ geführt. Das Klischee von der ketten­ ein gemeinsames Eintrittsalter, obwohl
keitsrate bei einer Covid-19-Infektion. rauchenden, Chips essenden Couch- viele Berufe körperlich so anstrengend
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

Besonders in den USA traf das Virus Potato im Plattenbau ist weit verbreitet. sind, dass eine deutlich kürzere Lebens­
die ärmere – und oft nichtweiße – Be­ Dabei ist ungesundes Essverhalten erwartung belegt ist. Silke van Dyk
völkerung deutlich stärker. Diese Men­ nicht das Produkt mangelnder Selbst­ nennt das eine „substanzielle Umver­
schen kamen fast dreimal so oft ins kontrolle. Darum greife es auch zu kurz, teilung von unten nach oben. Früh

uns
dieses Problem mit Aufklärungskam­ Sterbende finanzieren die Renten der
pagnen und Wissensvermittlung über Besserverdienenden“. In Studien wird
gesundes Verhalten beheben zu wollen, darum die Möglichkeit von Ausnahmen
meint der Bildungsforscher Werner diskutiert. Bereits heute dürfen Men­
Friedrichs von der Universität Bamberg. schen, die langjährig im Bergbau be­
„Wir müssen von der Oberfläche der schäftigt waren, ihre Rente in Deutsch­
Sozialstatistiken in die ganz konkrete land schon mit 60 Jahren antreten.

10
Anstrengender Job,
Existenzangst, schlechte
Wohnverhältnisse:
Das alles hat Einfluss
auf die Länge des Lebens.
Über die existenziellste Form
sozialer Ungleichheit

Rauchen, trinken,
vor der Glotze hängen:
Wer so lebt, ist selbst
schuld, wenn er krank
wird. So denken viele,
dabei ist die Wahrheit
viel komplexer

11
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

12
Der
Traum

vom
besseren
Leben Von Houssam Hamade

Vor 60 Jahren wurde mit der Türkei das sogenannte


Anwerbeabkommen geschlossen. Es waren auch Frauen
unter den fast 900.000 Menschen, die damals zum
Arbeiten nach Deutschland kamen. Sie hatten es
oft doppelt schwer, in der neuen Heimat aufzusteigen
13
Yeter Kılıç: Kleidungsstücke wir pro Person aussuchen durften“, sagt
Yeter Kılıç’ Tochter Ülkü. Dazu kam der Fischgestank vom
„Wie eine lebende Leiche“ Krabbenpulen – ein Nebenerwerb, dem fast alle Kinder in
der Nachbarschaft zusammen mit ihren Müttern nachgingen.
Yeter Kılıç’ Vorname heißt auf Türkisch „Es reicht“. Den Dabei wurden die Krabben in großen Säcken angeliefert,
habe sie bekommen, weil sie das zehnte Kind war – und es anschließend auf einer Folie auf dem Boden im Wohnzimmer
ihren Eltern nun eben reichte. Kılıç’ Familie stammt aus ausgebreitet und dort geschält.
Anatolien. Sie waren arme Bauern, ihr Vater musste zusätz­ Für Yeter Kılıç war immer klar, dass ihre Kinder stu­
lich ab und zu in den Nachbardörfern als Friseur arbeiten dieren sollten. „Meine Mutter sah dazu keine Alternative.
und bekam dafür am Jahresende einen Eimer Getreide. Es hieß immer: Entweder studierst du, oder du wirst so wie
Trotz guter Noten verließ Yeter Kılıç nach der fünften ich im Fischereihafen landen“, erzählt Ülkü. „Abitur zu
Klasse die Schule, als Frau war für sie eine Rolle im Haushalt machen und außerhalb von Bremerhaven zu studieren war
vorgesehen. „So wurde mir meine Zukunft genommen“, sagt mein Schlüssel zur Freiheit.“ Anders als vielen anderen
Yeter Kılıç heute. Die Zukunft, die suchte sie dann in Al­ Arbeiterkindern fiel Ülkü das Lernen relativ leicht, aber
manya, in Deutschland. 1972, kurz nach der Geburt ihrer auch sie hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die den
ersten Tochter, warben deutsche Unternehmen in der Türkei deutschen Schülerinnen fremd waren: So hatte sie nieman­
um weibliche Arbeitskräfte. Um endlich der Armut zu ent­ den, der ihr den Unterrichtsstoff erklärte, wenn sie mal etwas
kommen, bewarb sich Yeter Kılıç. nicht verstand. Sie hatte kein eigenes Zimmer, in dem sie
So kam sie als sogenannte Gastarbeiterin nach Deutsch­ ungestört lernen konnte. Und sie kannte keine einzige Per­
land – einer von etwa 870.000 Menschen, die in den Jahren son, die studiert hatte – also keine Vorbilder und Ansprech­
1961 bis 1973 im Rahmen des Anwerbeabkommens aus der personen. „Ich kannte weder den Begriff Stipendium, noch
Türkei nach Deutschland zogen. Die Bauerntochter aus Ana­ wusste ich im Alltag, wie ich es kompensieren sollte, wenn
tolien war plötzlich eine Arbeiterin in einer Fischfabrik in ich mal wieder meine ganze Energie dafür aufbrauchte,
Bremerhaven. Um ihre kleine Tochter kümmerte sich die meine Unsicherheit zu verbergen.“
Großmutter in der Türkei, auch ihr Mann blieb zunächst dort. Trotz der vielen Hemmnisse schaffte Ülkü das Abitur
„Mein Kind zu verlassen fiel mir so schwer, dass ich mich wie und studierte anschließend. Heute ist sie Juristin und arbei­
eine lebende Leiche fühlte“, erinnert sich Yeter Kılıç, die tet für eine Behörde in Bremen. Ihre Mutter, die einst in der
heute 71 Jahre alt ist. „Ich hatte aber keine andere Wahl. Ich Fischfabrik stand, ist nach einer schweren Erkrankung in die
musste arbeiten gehen, um Essen zu haben und um nicht ab­ Frührente gegangen. Für viele Menschen aus der Türkei ist
hängig von anderen zu sein.“ allerdings auch das Alter schwer: 44,5 Prozent der türkischen
Als Frau hoffte Yeter Kılıç sowohl der Armut als auch Rentnerinnen und Rentner sind armutsgefährdet. Auch Yeter
einem streng patriarchalischen System zu entkommen. Doch Kılıç hat weiterhin wenig Geld, aber sie lebt bescheiden und
das Leben in Almanya gestaltete sich auch nicht so rosig: ist zufrieden. Sie hat viele Freundinnen und ist in einem
Bereits der erste Arbeitstag in der Fischkonservenfabrik war alevitischen Verein in Bremerhaven aktiv. Jedes Jahr fährt
schrecklich, erzählt sie. Die junge Mutter vermisste ihre sie für mehrere Monate in ihr Heimatdorf. Sie liebt es, dort
Tochter, und neben dem Trennungsschmerz tat ihr auch die mit Freunden und Bekannten Zeit zu verbringen und bei der
Brust weh, da immer wieder Milch einschoss – ohne dass sie Obsternte zu helfen.
ein Baby hätte stillen können. Erst drei Jahre später konnte
sie ihre Tochter endlich nach Deutschland holen. Bald kam Nuray Özer:
auch ihr Mann nach, der aber schon nach einigen Jahren in
Deutschland chronisch erkrankte und der Familie nicht „Duzen Sie hier jeden?“
helfen konnte, sondern im Gegenteil selbst Hilfe brauchte.
Dabei verdiente Kılıç als Frau noch schlechter als die Bis heute lebt ein Drittel der unter 18-Jährigen mit Migrations­
männlichen „Gastarbeiter“. Wie viele andere Türkinnen hintergrund in Familien, die von Armut bedroht sind – unter
stockte sie den niedrigen Stundenlohn durch Überstunden Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund sind es 13,1 Pro­
und Akkordarbeit auf. Manchmal kam sie so auf bis zu zent. Die Eltern der Diplompädagogin Nuray Özer wohnten
70 Arbeitsstunden in der Woche. Trotz dieser harten Arbeit in Istanbul, bevor ihre Mutter 1968, und kurze Zeit später
blieb die Familie Kılıç arm. Bis in die 1990er-Jahre lebte sie auch ihr Vater, nach Goslar im Harz zogen – um ein finanziell
in Wohnungen, die nie mehr als 40 Quadratmeter groß abgesichertes und damit auch freieres Leben zu führen.
waren, ohne warmes Wasser und Badezimmer, eingerichtet Auch Özers Familie wurde auseinandergerissen. Nuray
mit Möbeln vom Sperrmüll. und ihre Schwester blieben bei der Großmutter in der Tür­
kei. Die Familie sah das als vorübergehendes Opfer an, um
Ülkü Kılıç-Walter: allen ein besseres Leben zu ermöglichen. Vier Jahre lebten
die Kinder ohne ihre Eltern, viel länger als geplant. In
Der Geruch der Armut dieser Zeit litten sie unter der Trennung und unter der au­
toritären Großmutter.
„Armut war für mich auch der Geruch in den Kleiderkammern Nuray Özers Vater war relativ gut ausgebildet und hatte
des Deutschen Roten Kreuzes, wo wir regelmäßig Schlange in Istanbul als Maschinentechniker in einer Textilfabrik ge­
standen und am Eingang Anweisungen erhielten, wie viele arbeitet. Aber in Deutschland wurden seine Abschlüsse nicht

14
zent der Eltern mit Migrationshintergrund gaben an,
ihre Kinder „immer“ oder „häufig“ bei den Hausauf­
gaben zu unterstützen. Und 96 Prozent der Eltern
stimmten der Aussage „Bildung ist der wichtigste
Schlüssel für ein gelungenes Leben“ zu.
Oft ist es eher das schulische Umfeld, das einen
Aufstieg verhindert. Nuray Özer wurde als Kind ge­
mobbt – auf dem Weg zur Schule und während des
Unterrichts. Andere Kinder verspotteten ihre ärmliche
Kleidung, ihre Hautfarbe, ihre Art zu sprechen. Die
Lehrer griffen nicht ein. Einmal war es so schlimm,
dass sie mitten im Unterricht aufsprang und ihre
Mitschüler anbrüllte und sie als Schweine bezeichne­
te. Mit der Zeit lernte sie, sich zu behaupten, und
wurde sogar Schulsprecherin. Parallel zu ihrem Deutsch
wurden auch die Noten besser, sodass sie es zur Freu­
de ihrer Eltern an die Uni schaffte. Sie kann sich in­
zwischen gut ausdrücken und tritt selbstbewusst auf.
Rassismus im Alltag erlebt sie allerdings immer
noch. So hat sie bis heute Schwierigkeiten, Jobs und
anerkannt. In den folgenden Der Fotograf Henning Christoph Wohnungen zu finden. Einmal sei ihr bei einer Woh­
Jahren bemühte er sich im­ hat das Leben türkischer Fa- nungsbesichtigung mit ihrem Mann die Tür vor der
mer wieder erfolglos um milien in „Almanya“ porträtiert. Nase zugeschlagen worden – mit den Worten: „Wir
die Anerkennung seiner Auf der vorherigen Doppelseite nehmen hier keine Ausländer!“ Tatsächlich zeigen
Qualifikation und später sieht man die Abfahrt in den Studien, dass Menschen, die beispielsweise Ayşe oder
auch um eine Weiterbil­ Heimaturlaub Hakan heißen, bei Wohnungsbewerbungen deutlich
dung. Doch der deutsche seltener Erfolg haben. Aus Daten des Statistischen
Staat unterstützte damals weder Sprachkurse noch andere Bundesamtes geht hervor, dass selbst ein guter Schulabschluss
Formen der Weiterbildung. Man ging ja schließlich davon Menschen mit Migrationserfahrung nicht unbedingt vor Armut
aus, dass die „Gastarbeiter“ nach erledigter Arbeit wieder in schützt: Die Armutsgefährdungsquote bleibt selbst dann hoch
die Türkei zurückkehren würden. (20,4 Prozent), wenn sie Abitur haben. Damit liegt sie sogar
Sowohl als Arbeiter als auch als Türke habe sich ihr deutlich höher als bei Hauptschulabsolventen ohne Migrations­
Vater immerzu wegducken müssen, erzählt Nuray Özer. Er hintergrund (16,2 Prozent).
habe schlechter verdient als seine deutschen Arbeitskollegen,
der Schutz bei der Arbeit sei schlecht gewesen. Irgendwann Efsun Kızılay:
verlor ihr Vater bei einem Arbeitsunfall einen Daumen, ohne
dass er dafür entschädigt wurde. Die dritte Generation
Harte Arbeit, schlechter Verdienst und dazu die Aus­
grenzung als Ausländerin: So zerschlugen sich die Hoffnungen Im Fall der türkischen Migrantinnen und Migranten sind die
ihrer Mutter auf ein selbstbestimmtes Leben. Nuray Özer Probleme bis in die dritte Generation spürbar: wenig Anerken­
erinnert sich, dass ihre Mutter in Läden immer wieder geduzt nung und wenige Aufstiegschancen. Efsun Kızılay ist die En­
wurde, während man deutsche Kunden höflich mit Sie an­ kelin eines kurdischen „Gastarbeiters“, der 1970 nach Deutsch­
sprach. Einmal wurde sie darüber so wütend, dass sie sich in land kam. Auch ihre Familiengeschichte ist von langen
einem Supermarkt mit einer Kassiererin stritt. „Mich hat das Trennungen, nicht anerkannten Schulabschlüssen und harter
so aufgeregt. ‚Kennen Sie meine Mutter?‘, fragte ich die Ver­ Arbeit für wenig Geld bestimmt. Kızılay ist in einer Kleinstadt
käuferin. ‚Nein? Warum duzen Sie sie dann? Duzen Sie hier in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Andere Kinder belei­
jeden?‘“, erzählt sie und schüttelt noch heute empört den Kopf. digten sie rassistisch, auch bei ihr griffen die Lehrkräfte nicht
Wie viele „Gastarbeiter“-Kinder hatten Nuray Özer und ein. Einige gaben ihr sogar ungerechtfertigt schlechte Noten.
ihre Schwester Probleme in der Schule. Das lag aber nicht Auf dem Schulgelände wurde ihr verboten, Türkisch zu spre­
daran, dass sie nicht intelligent genug waren oder Bildung in chen. „Wenn mir jemand eine Million Euro geben würde, ich
ihrer Familie nicht wertgeschätzt wurde. Im Gegenteil: Ihre würde nicht in diese Schule zurückgehen“, sagt sie heute.
Schwester übersprang später sogar eine Schulklasse, nachdem In ihrer Familie wurde viel gelesen. Neben ihrem Wunsch,
sie noch in der ersten Klasse auf eine Sonderschule geschickt die Welt gerechter zu machen, half ihr das dabei, einen Mas­
worden war, weil sie kaum Deutsch sprach. Bis heute ist es so, terabschluss und einen guten Job als Politikwissenschaftlerin
dass Kinder mit Migrationshintergrund selbst bei guten Noten zu erreichen. Damit ist sie selbst in der dritten Generation
oft schlechtere Schulempfehlungen bekommen und Einwan­ noch eine Ausnahme. Ihre Eltern haben die Diplome ihrer
derern unterstellt wird, dass sie sich nicht genügend um die beiden Kinder aufgehängt und ihnen gesagt: „Egal wie schwie­
Bildung ihrer Kinder kümmern würden. Im Rahmen eines rig es war, ihr seid diejenigen, für die wir es gemacht haben.
Forschungsprojekts kam das Gegenteil heraus: Über 70 Pro­ Für euch hat es sich gelohnt.“

15
Sag mal!
Wie jemand spricht, verrät
viel über seine Herkunft.
Und wie die Menschen
darauf reagieren, viel über
ihre Vorurteile und
das Klassenbewusstsein
im Alltag Von Anna Schulze

„Ey, du Assi. Die Ampel ist rot!“ Die Fußgängerampel springt Klassenunterschiede äußern sich also nicht nur durch Ein­
um, doch in allerletzter Sekunde heizt noch ein Auto unbe­ kommen oder Lebensstil, sondern auch durch Sprache. In
dacht darüber. Die Reifen quietschen, der Motor dröhnt. der Schule wird die sogenannte Standardsprache gelehrt,
„Was für ein Proll.“ Hochdeutsch, akzentfrei und grammatikalisch einwandfrei.
Sobald solche Worte fallen, ploppt vor dem inneren Auge Jede Abweichung davon enthüllt vermeintlich einen Klassen­
ein Bild auf. Dabei können wir auf die Schnelle gar nicht unterschied. Wer sich in einer Situation nicht „richtig“ ar­
wissen, wer am Steuer saß. Vielleicht war es gar kein Mann tikulieren kann, fällt auf. Beim Abendbrot eines Professoren­
im Trainingsanzug und mit zurückgegelten Haaren, sondern paares wird anders gesprochen als in der Mittagspause auf
eine Frau, die im SUV über die rote Ampel gebrettert ist, um der Baustelle. Selbst wer versucht, sich sprachlich anderen
rechtzeitig zu ihrem Meeting zu kommen. Sehr wahrschein­ Klassen anzunähern, wird meist enttarnt. Wer zu korrekt
lich war es sogar eine ganz andere Person. spricht, lässt seine Unbeholfenheit erkennen. Wer immer
Wer weiß, wie das Wort „Asoziale“ einst benutzt wurde, hochgestochen gesprochen hat, wird Schwierigkeiten haben,
gebraucht es eh nicht mehr so leicht. „Asoziale“ wurden im sich zwangloser auszudrücken.
Nationalsozialismus verfolgt, viele kamen ins KZ und wurden Falsch verwendete Ausdrücke oder starke Dialekte kön­
ermordet. Darunter waren obdachlose oder verarmte Men­ nen sogar den sozialen Aufstieg erschweren oder verhindern.
schen, aber auch kinderreiche Familien aus unteren Schich­ „Kiezdeutsch“ gehörte einst dazu. Bei der urbanen Jugend­
ten und Prostituierte. Dagegen ist „Proll“ von Proletariat sprache vermischen sich deutsche und vor allem aus dem
abgeleitet, also der Arbeiterschaft des 19. Jahrhunderts. Heu­ Türkischen und Arabischen stammende Wörter. Wer es
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

te bezeichnet es eher Menschen ohne Manieren. spricht, galt einst als aggressiv und ungebildet. Da sich darin
Wenn es um Rassismus und Sexismus geht, wächst das auch Identität und Abgrenzung ausdrücken, hat das „Kiez­
Bewusstsein für die Diskriminierung durch Sprache allmäh­ deutsch“ Eingang in die Popkultur gefunden. Längst ist es
lich, beim Klassismus – also der Benachteiligung und Aus­ nicht mehr ungewöhnlich, dass sich auch Jugendliche ohne
grenzung aufgrund der sozialen Herkunft – fehlt es noch an Migrationshintergrund solche Ausdrucksweisen aneignen.
Sensibilität. Dabei gehen die verschiedenen Formen von Sprache bildet die Zustände der Gesellschaft ab. Sie
Diskriminierung oft Hand in Hand: Je häufiger zum Beispiel offenbart, wie tief Ungleichheiten verwurzelt sind und wie
Medien Schulen mit einem hohen Migrationsanteil als „Brenn­ wir diese durch unsere Ausdrucksweise zementieren: Du bist,
punkte“ bezeichnen, desto eher werden Kinder mit Migra­ was du sprichst. Aber genauso gilt: Durch Sprache haben wir
tionshintergrund als ungebildet und problematisch wahrge­ die Möglichkeit, soziale Unterschiede einzuebnen. Und nicht
nommen und entsprechend benachteiligt. mehr so „assi“ zu sein.

16
Viele Alleinerziehende sind von Von Mirjam Ratmann
Armut betroffen. Über ein Leben zwischen
Haushalt und Existenzangst

Zum
viele Mütter nicht in Vollzeit
arbeiten, nur 42 Prozent waren
es 2017. So verwundert es nicht,
dass alleinerziehende Mütter in
Deutschland eines der größten
Armutsrisiken aufweisen. „Die

Heulen
existenzielle Angst ist immer
da“, sagt Isabelle. Gerade lebt
sie von einem Studienkredit,
hinzu kommen Unterhaltszahlungen
vom Vater des Kindes und Zuwen­
dungen ihrer Eltern. Trotzdem
hat sie damit insgesamt gerade
mal 50 Euro mehr, als ihr mit
Hartz IV zustehen würde.
Als Isabelle mit 27 schwan­ Die Zeit, in der es in der Kita Der Austausch mit ande­
ger wird, ist sie glücklich. Die ist, verbringt Isabelle in di­ ren Alleinerziehenden helfe ihr,
Hamburgerin ist damals selbst­ gitalen Vorlesungen und Semina­ denn oftmals könnten Eltern, die
ständig, koordiniert Freiwilli­ ren ihres Studiums der Sozia­ gemeinsam ein Kind großziehen,
gendienste und bereitet Menschen len Arbeit. Wenn ihr Sohn um 20 ihre Probleme nicht nachvollzie­
auf Auslandsaufenthalte vor. Die Uhr schläft, muss sie sich um hen. „Wenn ich höre: ‚Ich bin ja
Schwangerschaft kommt zwar et­ den Haushalt kümmern. Regelmä­
was früher als geplant, doch sie ßig stapeln sich bei ihr zu Hau­
und ihr Mann wollen das Kind un­ se Geschirr und Wäsche. „Ich bin
bedingt. In den kommenden neun sehr glücklich darüber, Mutter
Monaten zeichnet sich jedoch ab: zu sein, aber manchmal wünsche
Ihr Mann, der Vater ihres heute ich mir schon, dass ich einfach
vierjährigen Sohnes, ist für die mal abends in eine Bar gehen
Vaterschaft nicht bereit. Sechs könnte“, sagt die heute 31-Jäh­
Wochen nach der Geburt verlässt rige. „An richtige Hobbys mag
er Isabelle und das Baby. ich gar nicht denken.“ Wenn sie
Noch heute streiten sich noch Energie hat, lernt sie oder
beide vor Gericht um das Sorge­ entspannt sich in der Badewanne.
recht, weswegen Isabelle nicht „Solange abends keine Kinderbe­
mit ihrem richtigen Namen in treuung angeboten wird, kann ich
diesem Text vorkommen möchte. weder zu einem Elternabend noch
Was es heißt, alleinerziehend zu einem Theaterstück gehen.“
– sie spricht lieber von „al­ Als alleinerziehende Mut­
leinverantwortlich“ – zu sein, ter ist Isabelle hin- und her­
erfährt Isabelle relativ schnell: gerissen zwischen dem Gefühl,
Ihr Sohn schreit nächtelang alles einfach hinschmeißen zu
durch und kommt nicht zur Ruhe. wollen, und der großen Freu­
Sie muss ihre Freiberuflichkeit de über ihren Sohn. So wie ihr
aufgeben, denn die Seminare und geht es vielen der 1,34 Millio­
Workshops, die sie gibt, finden nen alleinerziehenden Mütter in eigentlich auch alleinerziehend‘,
fast immer abends statt. Aber Deutschland, die 88 Prozent al­ weil der Partner ständig auf Ge­
sie hat Glück: Ihre Eltern ler Alleinerziehenden ausmachen. schäftsreise ist, werde ich echt
unterstützen sie, Freunde und Alleinerziehend zu sein bedeu­ schnell wütend.“ Oft ernte sie
Freundinnen passen in den ers­ tet für die meisten tatsäch­ Mitleid anstelle von Anerkennung.
ten Monaten regelmäßig auf das lich auch finanzielle Not. Viele Aber Isabelle hat einen Plan.
Kind auf, machen den Abwasch und Väter zahlen keinen Unterhalt Sie will eine Beratungsstelle
gehen für sie einkaufen. oder müssen erst per Gerichts­ für alleinerziehende Mütter auf­
Noch heute ist Isabelles beschluss dazu gebracht werden. bauen, in der diese unbürokrati­
Alltag von ihrem Kind bestimmt. Da oft Kitaplätze fehlen, können sche Unterstützung bekommen.

17
Eure Wut
  ist so Von Andreas Thamm
Fotos: Maria Bayer

herrlich

authentisch
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

In einem kleinen Stadtteil von Nürnberg stellen sich die


großen Fragen: Wollen wir im eigenen Milieu unter uns bleiben?
Wollen wir es schön behaglich haben, wenn das bedeutet, dass
weniger Menschen daran teilhaben können? Oder soll unser
Viertel lieber schmutzig bleiben, aber wenigstens nicht elitär?
Und wer bestimmt am Ende darüber?
Franziska Schwingel war blauäugig, sagt nur Besserverdienende, die hier
sie heute. Die gelernte Krankenpflegerin ein und aus gehen.“ Die Graffi­
ahnte damals nicht, was es heißt, ihren tis ließ sie auf den Scheiben und
Job nach sieben Jahren an den Nagel ergänzte das „Scheiß Hipster“
zu hängen und ein Café im angesagtes­ mit „Nice Hipster“.
ten Viertel der Stadt zu übernehmen. Gostenhof hat einiges zu
Sie wusste nicht, wie viel Arbeit das bieten, was junge studierende
bedeutet und wie viel Bürokratie es mit Menschen anzieht: innenstadt­
sich bringt. Vor allem aber hätte sie sich nahe Altbauten, hohe Kneipen­
nicht ausgemalt, dass ihr Café manchen dichte, bunte Sticker an den
Menschen im Viertel ein derartiger Dorn Laternen. Im 19. Jahrhundert
im Auge sein würde. war Gostenhof für den Bahnhof,
Das Café Mainheim hat eine brei­ das Gaswerk und die Spielzeug­
te Glasfront. Dahinter sieht man in der fabriken bekannt – ein Arbeiter­
Regel junge Menschen in einem hellen viertel, das im Gegensatz zur
Raum auf schlichten Holzstühlen sitzen, Nürnberger Altstadt vom Krieg
oft vor ihren aufgeklappten Laptops. weitgehend verschont blieb.
Eine sehr typische großstädtische Szene Während große Teile der Stadt
– abgerundet durch Vintage-Lampen neu aufgebaut wurden, zogen
und eine eher hochpreisige Frühstücks­ die Menschen hier in die noch
karte. Das vegane kostet 13,50 Euro, erhaltenen Häuser aus der Grün­
drei Rühreier 10,50 Euro. Im Winter derzeit. Die Wohnungen waren
vor vier Jahren sprühten Unbekannte heruntergekommen, es gab we­
erst „Yuppies Fuck Off“ an die Fenster, nig Grün und kaum öffentliches
wenige Wochen später stand dort: Leben. Ab den 1960er-Jahren
„Scheiß Hipster“. Eigentlich wollte Fran­ brachte man hier schließlich Neben alten
ziska nur ein Café führen, stattdessen die angeworbenen „Gastarbei­ Häusern entstehen
wurde sie zum Symbol der Gentrifizie­ ter“ und ihre Familien unter. teure Eigentums­ schen Petra-Kelly-Platz
rung, die hier im Nürnberger Westen Aus Gostenhof wurde im Volks­ wohnungen und Jamnitzerplatz
seit Jahren die Gemüter erhitzt. mund Gostanbul. spaziert, merkt, dass
Egal ob in Berlin-Neukölln, im Ab 1980 startete die Stadt der Konflikt unter an­
Hamburger Schanzenviertel oder in schließlich eine Stadtteilsanierung – mit derem auf den mit Graffitis überzogenen
Nürnberg-Gostenhof: Erst ziehen Stu­ Bürgerbeteiligung. Die „Erneuerung Fassaden ausgetragen wird. „Yuppies
dierende, Alternative und Künstlerinnen von unten“ sollte möglichst sozialver­ Fuck Off“ oder „Hände weg von unse­
dorthin, wo die Mieten niedrig sind. träglich stattfinden. Alle Wohnungen ren Nachbarn“ steht da. Politische
Cafés, Kneipen und kleine Läden ent­ sollten Bäder und der Stadtteil mehr Meinungsbildung und das erstbeste
stehen und damit eine kreative Atmo­ Grünanlagen bekommen. Die Sanie­ Instrument, um der Aufwertung von
sphäre, die das Viertel auch für Menschen rung des Viertels dauerte bis 1997. Plötz­ Immobilien etwas Abwertendes ent­
attraktiv macht, die höhere Mieten zah­ lich wurde es schick, nach Gostenhof gegenzusetzen. Zuletzt traf es das neu
len können. Also werden die Cafés und zu ziehen. Davon kündete auch der eröffnete Restaurant Veles: „Verpisst
Restaurants schicker, Investoren sanie­ neue Spitzname: Aus dem an Istanbul euch nach Erlenstegen!“, hatte jemand
ren Häuser und bieten Wohnungen für angelehnten Gostanbul wurde GoHo an die Wand gesprüht, so heißt das
Besserverdienende an. Schließlich kön­ – wie SoHo, das New Yorker Stadtvier­ Nürnberger Villenviertel.
nen sich viele alteingesessene Bewohner tel, das lange für Kunst und Partys Die Szene, die auch regelmäßig
und Bewohnerinnen ihr Viertel nicht berühmt war, mittlerweile jedoch eher gegen den „Mietenwahnsinn“ auf die
mehr leisten. Und manche Ladenbesitzer für teure Luxusapartments. Der Ver­ Straße geht, organisiert sich rund um
werden plötzlich als Yuppies beschimpft. gleich mit SoHo ist gar nicht so ab­ den Stadtteilladen „Schwarze Katze“
„Wir haben uns nicht als Reichen­ wegig: Auch die Veränderung in Gos­ am Jamnitzerplatz. (Gegenüber dem
verein wahrgenommen“, tenhof lockte Investoren fluter möchten sich die Aktiven lieber
sagt Cafébesitzerin Fran­ an, die hier neu bauten nicht äußern.) Ausgerechnet in direkter
ziska. „Wir haben nur oder teuer sanieren lie­ Nachbarschaft zur Schwarzen Katze
Studenten beschäftigt ßen. Wer heute durch die wurde 2013 ein kastenartiger Bunker
oder Leute, die hier im Nürnberger Straßen zwi­ zwischen die alten Gründerzeitfassaden
Umkreis wohnen und gesetzt, damals der teuerste Neubau
ihre Familie davon er­ der ganzen Stadt. Die Projektentwick­
nähren. Wir haben im­ Franziska Schwingel ler bewarben ihre bis zu 750.000 Euro
mer fair bezahlt und re­ hat ein Café teuren Wohnungen auch damit, dass
gional eingekauft. Und eröffnet, das manche sie sich eben nicht in einem sterilen,
es sind weiß Gott nicht zu schick finden sondern in einem multikulturellen, au­

19
Vielleicht helfen die nackten Zah­ armee, eine evangelische Freikirche,
len allein nicht weiter, wenn es unterhält in der Gostenhofer Haupt­
vor allem um ein Gefühl geht, das straße sowie der Leonhardstraße zwi­
langjährige Bewohnerinnen und schen türkischem Café, Spielothek und
Bewohner teilen. Nicola Nemeth Biomarkt Nordbayerns größte Unter­
ist Sozialpädagogin, seit 1993 kunft für wohnungslose Menschen mit
wohnhaft in Gostenhof und viel­ besonderen sozialen Schwierigkeiten.
fach engagiert für die Mieterinnen Rund 200 Männer leben in den Apart­
und Mieter. Einige gute Bekann­ ments, nicht selten mit Suchterkrankung
te von ihr mussten das Viertel in oder Gefängniserfahrung. Die Heils­
den vergangenen Jahren wegen armee bietet hier nicht nur ein Bett und
der gestiegenen Miete verlassen, ein Dach überm Kopf, sondern auch
sagt sie. Und: „Ich habe das Le­ Beschäftigungsangebote, sozialpädago­
ben hier früher als familiärer, so­ gische Betreuung und ein Freizeitzen­
zialer, gemeinschaftlicher emp­ trum. Motto: „Suppe, Seife, Seelenheil.“
funden. Es ziehen Leute in die Kilian Brandenburg arbeitet seit
Neubauten, die es hier schön fin­ 22 Jahren hier. Seit März leitet er die
den, weil es Biergärten gibt. Aber Einrichtung und hat die Entwicklung
wehe, um 22.05 Uhr ist es noch des Viertels hautnah mitbekommen. Der
laut auf der Straße, dann wird die Petra-Kelly-Platz habe früher einen etwas
Polizei gerufen.“ zweifelhaften Ruf gehabt, der auf das
Der Eindruck der Verdrän­ Sozialwerk abfärbte. Heute seien die
gung hängt anscheinend nicht nur Obdachlosen dort nicht mehr willkom­
mit Neubauten und schicken Cafés, men. Aber wo seien sie das schon in
sondern auch mit der Polizeiprä­ Deutschland, fragt er. „Das ist grund­
Durch Studierende senz und den vielen Beschwerden sätzlich so und nicht nur dort. Woh­
ist der Stadt­- wegen Ruhestörung zusammen. nungslosigkeit existiert, es ist aber poli­
thentischen und orga­ teil auch jünger Einige Alteingesessene glauben, tisch nicht so erwünscht, dass man das
nisch gewachsenen geworden dass die Stadt für die neu Zuge­ irgendwo sieht.“
Stadtteil befänden. zogenen in einem einst belebten Brandenburg kann nicht bestäti­
Selbst die Graffitis Viertel für Ruhe sorgen wolle. gen, dass die Heilsarmee mehr Men­
scheinen den Charme des Viertels aus­ In den Neunzigern lebte Nicola Nemeth schen aufnehmen müsse, weil sie von
zumachen, der Menschen aus ihren am Petra-Kelly-Platz, der damals Bauern­ Investoren und gierigen Vermieterinnen
gutbürgerlichen Stadtteilen anlockt. platz hieß. „Da gab es Bänke und Grün“, vertrieben worden seien. Aber die Ver­
Aber ist es wirklich so, dass Arbeits­ sagt sie, „und es war ein Treffpunkt für weildauer derjenigen, die hier den Ent­
lose, Geringverdienende und Allein­ die Obdachlosen, die sich dort aufhal­ schluss gefasst haben, wieder eine
erziehende vor die Tore der Stadt ver­ ten konnten und uns manchmal bei eigene Wohnung zu finden und neu
drängt werden, wie die Aktivistinnen schweren Einkäufen geholfen ha­ben.“ anzufangen, sei länger geworden. „Wenn
und Aktivisten befürchten? Die Stadt Dann habe die Stadt saniert, und die du deine Wohnung verloren hast, ist
Nürnberg erklärt dazu, dass die Bau- und Bänke seien weggekommen. Ein Treff­ es im Laufe der Jahre immer schwie­
Investitionstätigkeiten in Gostenhof fast punkt sei der Platz geblieben, allerdings riger geworden, wieder eine bezahl­
vollständig zum Erliegen gekommen nicht mehr für die weniger Privilegier­ bare zu finden. Unsere Bewohner kon­
seien. Die Bevölkerungszahl sei momen­ ten. „So zerstört man den Sozialcha­ kurrieren um den billigen Raum mit
tan leicht rückläufig, die Mietpreise rakter eines Viertels“, sagt Nemeth, „und vielen anderen Leuten.“
bewegten sich 2019/2020 mit 9,75 Euro die Stadt hat das meiner Meinung nach Den findet man in Gostenhof kaum
(vgl. 2013/2014: 7,69 Euro) pro Quadrat­ auch mit verstärkter Polizeipräsenz noch. Gerade entstehen in direkter Nach­
meter auf einem Niveau, das leicht unter vorangetrieben nach der Devise: Die barschaft der Obdachlosenunterkunft
dem städtischen Durchschnitt liege – Straßen müssen sauber sein.“ wieder einmal modernistisch schlichte
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

obwohl die Bodenpreise rund um den Nur ein paar Meter Wohnungen im hochprei­
Jamnitzerplatz von 2014 bis 2020 um weiter vom schick sanier­ sigen Segment: „Die
135 Prozent gestiegen seien. Aber das ten Platz leben die Men­ neue Spielzeugfabrik“
ist im Rest der Stadt ähnlich. Von Gen­ schen, um die sich Ne­ nennt sich dieses Projekt.
trifizierung, so Nürnbergs Wirtschafts­ meth sorgt. Die Heils­ „Wer hier lebt, ist direkt
referent Michael Fraas, könne also am Puls der Zeit“, schrei­
keine Rede sein, allenfalls von politisch ben die Projektentwick­
gewollter Aufwertung des Quartiers. So Uns stinkt’s: ler in ihr Exposé. Man
dramatisch die Initiativen die Situation Der Protest besteht darf sich wohl auf Farb­
beschreiben, so harmlos klingt das, wenn auch aus Bildern an beutelflecken an der Fas­
städtische Stellen darüber sprechen. Fenstern & Fassaden sade einstellen.

20
Klassen gibt es, Von Arno Frank
seit es Ungleichheiten ohnehin schon Wohlhabenden. Immer größere Massen von
zwischen den Arbeitern verkauften ihre Arbeitskraft in den Fabriken, anstatt
wie zuvor auf Feldern ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften.
Menschen gibt. Dann schlug die Stunde des Sozialismus. Karl Marx und
Friedrich Engels riefen einen Klassenkampf zwischen Bour­
Eine kleine geoisie (besitzendes Bürgertum) und Proletariat (besitzlose
Lohnabhängige) aus. Im Zuge der Entwicklung der kapitalis­
Begriffsgeschichte tischen Gesellschaft würden sich die werktätigen Massen, so
die Theorie, gegen die Kapitalisten erheben. Nach einer
solchen Revolution, glaubte man, würde das Privateigentum
abgeschafft und gerecht verteilt.
Dort, wo es tatsächlich zu Revolutionen kam, wie in
Die Spannung zwischen Reich und Arm gehört zu den ältes­ Russland, wurde das kommunistische Ideal einer „klassenlosen“
ten Konflikten des menschlichen Zusammenlebens. Ungleich­ Gesellschaft nie erreicht. In europäischen Industrienationen
heiten gibt es vermutlich schon, seit sich Menschen in Rudeln, wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland hingegen
Stämmen und Staaten organisieren. Die ersten überlieferten gelang es, die Kehrseiten des Kapitalismus politisch so weit
Revolten von „denen da unten“ gegen „die da oben“ gab es einzudämmen, dass es zu keinem Umsturz kam. Gewerk­
vor mehr als drei Jahrtausenden, als sich unter Pharao Ram­ schaften waren in der Lage, die Interessen der Arbeitenden
ses III. die eigentlichen Erbauer der Grabstätten im „Tal der gegenüber den Arbeitgebern zu formulieren und durchzusetzen
Könige“ mithilfe gewaltloser Streiks gegen die ausbleibende – von der Gesundheitsversorgung bis zum bezahlten Urlaub.
Lieferung von Lebensmittelrationen auflehnten.  Die nationalsozialistische Propaganda leugnete die Gegen­
Wohin man auch in die Geschichtsbücher schaut – im­ sätze zwischen den Klassen und betonte die gemeinsamen
mer und überall gab es ein Oben, eine Mitte und ein Unten. Interessen einer vermeintlich gleichen „Volksgemeinschaft“.
Das gilt für das alte Ägypten wie für die Maya, das China Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Erzählung des
der frühen Dynastien oder polynesische Gesellschaften. durch den Marshallplan befeuerten „Wirtschaftswunders“

Marx
Mangels Aufstiegsmöglichkeiten durch, das „Wohlstand für alle“
gehörte man in der Regel zeitle­ bringen sollte. Der Soziologe Hel­
bens der Gruppe an, in die man mut Schelsky prägte in Anbetracht
hineingeboren wurde. der sozialen Marktwirtschaft der
Erstmals in zivilen Zusam­ Bundesrepublik in der Nachkriegs­

und
menhängen als „classis“ bezeichnet zeit den Begriff der „nivellierten
wurden diese Gruppen in Rom, Mittelstandsgesellschaft“. Trotz
und zwar vom dortigen Finanzamt. dieser optimistischen Beschrei­
Ihm ging es darum, die Bevölkerung bung bestanden die Klassenunter­
anhand ihrer materiellen Mittel in schiede weiterhin fort.

mehr
Steuerklassen zu unterteilen. Die­ Der französische Soziologe
se amtliche Anerkennung faktischer Pierre Bourdieu sah in jeder Ge­
Ungleichheiten wurde aber poli­ sellschaft ein Oben, ein Unten
tisch nicht weiter problematisiert.  und eine Mitte – je breiter die
Im christlichen Mittelalter galt Mitte sei, umso geringer das Un­
die Einteilung der Menschen in gleichgewicht zwischen den Klas­
eine dreigliedrige Ständeordnung: sen. Unterscheidungsmerkmal
Klerus, Adel und alle freien Bauern und Bürger. Die Verteilung ist laut Bourdieu neben den ökonomischen Ressourcen auch
des gesellschaftlich produzierten Reichtums wurde als gott­ der kulturelle „Geschmack“. Wie viele Bücher jemand im
gegeben gerechtfertigt. So legitimierten sich die privilegierten Schrank stehen hat, wie viel er oder sie von Kunst versteht,
Positionen der vermeintlichen Stellvertreter Gottes auf Erden wie viel jemand fernsieht oder welche Nahrung man zu sich
und der Inhaber der weltlichen Macht.  nimmt – das sind Bourdieu zufolge die „feinen Unterschiede“,
Immer wieder aber gab es auch aufseiten des Christen­ in denen sich die Ungleichheit der Menschen in der moder­
tums Versuche, alle Ungleichheiten einzuebnen. Berufen nen Gesellschaft ausdrückt.
konnten sich Reformer und die Vorkämpfer einer „klassen­ Als „soziale Mobilität“ bezeichnet man den Auf- oder
losen Gesellschaft“ auf eine Beschreibung der christlichen Abstieg von Individuen in eine andere soziale Klasse. In
Urgemeinde in der biblischen Apostelgeschichte, in der alle Deutschland erlahmt gegenwärtig die Aufstiegsdynamik, und
Christen ihr Eigentum abgeben und miteinander teilen.  Klassenschranken werden deutlicher. Die soziale Ungleichheit
Je mehr Güter ab der industriellen Revolution produziert nimmt zu. Es werden Debatten über Vermögenssteuer, Min­
wurden, umso dringlicher stellte sich die Frage nach der Ver­ destlöhne und Hartz IV geführt. Diskriminierungen aufgrund
teilung des Reichtums. Nach und nach ergriffen die Bürger der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse werden – analog
die Macht, die über Produktionsmittel verfügten – Kapital, zum Rassismus und Sexismus – als Klassismus bezeichnet.
Land, Rohstoffe und Maschinen. Im 19. Jahrhundert wuchs Die Klassenfrage bleibt aktuell und wartet noch immer
auf diese Weise zwar der Wohlstand, vor allem aber jener der auf eine Antwort.

21
Eine dieser Studien trug den Titel „The
Rise and Rise of the African Middle
Class“. Ganz so, als gäbe es nur eine
einzige Richtung.
Zehn Jahre später leben in Kenia
von den rund 50 Millionen Menschen
immer noch weit mehr als ein Drittel
in Armut. Andererseits konnten sich
tatsächlich viele daraus befreien. Eine
wachsende Zahl gut ausgebildeter Ke­
nianerinnen und Kenianer versorgt als
Ärztinnen und Pfleger Kranke, gründet
wie Ruth Abade kleine Unternehmen
oder entwickelt innovative IT-Lösungen
für lokale Märkte. Das jahrelange Wirt­
schaftswachstum hat in vielen afrikani­
schen Ländern eine unternehmerische
Mittelschicht hervorgebracht. Dazu
beigetragen hat auch die Verbreitung
von Smartphones, die für viele Menschen
Zugang zu Informationen und Finanz­
Die Mittelklasse Nachdem Ruth Abade ihren Job bei
einer NGO verloren hatte, stellte sie
dienstleistungen bieten.
Wer genau zur Mittelschicht gehört,
werde in vielen kurzerhand eine billige Nähmaschine
in ihrem Wohnzimmer auf und begann,
bleibt umstritten. Laut einer Studie der
Afrikanischen Entwicklungsbank ist die
afrikanischen Kleider, Röcke und Taschen zu produ­
zieren. 13 Jahre später beschäftigt ihr
Mittelschicht des Kontinents schon zwi­
schen 1980 und 2010 von 126 Millionen
Ländern immer Modelabel „Blackfly“ zehn Angestellte.
Es gibt neben der Werkstatt einen Ver­
auf 350 Millionen gewachsen – von 27
auf 34 Prozent der Bevölkerung. Aller­
größer, hieß es kaufsraum und Kunden und Kundinnen dings schloss das jeden Menschen ein,

vor einigen Jahren. in Europa sowie in den USA. Ihr Mo­


natseinkommen? „Ich habe mir seit
dessen Pro-Kopf-Ausgaben zwischen 2
und 20 Dollar am Tag lagen – wobei die
So ganz hat sich Jahren kein Gehalt gezahlt“, sagt die
Designerin mit einem Schulterzucken.
das nicht bewahr- Ruth Abade lebt in der kenianischen
Hauptstadt Nairobi, wo die Klassengegen­
Motorradtaxis in Kenia sind ein
beliebtes Gewerbe. Sie werden von

heitet – und für sätze so groß sind wie die Wolkenkratzer


im Geschäftsviertel: dort schicke Bars
ihren Besitzern oft zu wahren Kunst­
werken umgestaltet. Diese Fahrer
viele Menschen, die und Restaurants, da riesige Slums, in
denen etwa zwei Drittel der Bevölkerung
haben sich dazu noch von einem
Modedesigner ausstaffieren lassen
es aus der Armut leben. Und dazwischen viele Menschen,

geschafft haben, die offiziell zur Mittelschicht gezählt


werden, von denen aber die meisten nicht
ist es immer nur wissen, ob sie morgen noch dazugehören.
Vor rund zehn Jahren häuften sich
ein kleiner Schritt in der Presse Berichte über ein stetiges
Wachstum der Mittelschicht in vielen
dorthin zurück, Staaten Afrikas. Die meisten dieser
Untersuchungen kamen von Unterneh­
wie das Beispiel mensagenturen und Banken, die mit
ihrem Bild von den boomenden Märkten
Kenia zeigt wohl auch eigene Interessen verfolgten.

Wohin 22
geht Von Anja Bengelstorff
Fotos: Jan Hoek

die Fahrt?
Zahl derer, die zwischen 2 und 4 Dollar leben zu können. Um später nicht zu verlieren ihren Job, haben keine Erspar­
am Tag ausgaben, am größten war. So verarmen, gehen viele noch einer Neben­ nisse und stehen vor dem Nichts.“
räumte die Entwicklungsbank denn auch beschäftigung nach. Mike Mburu hat Vivian Magero muss sich diese Sor­
ein, dass 60 Prozent dieser Mittelschicht im Garten seines Opas auf dem Land gen vorerst nicht machen. Ihren Master
an der Grenze zur Armut leben. Bienenstöcke aufgestellt. In einem guten hat die 32-Jährige in Deutschland ge­
Die Angst abzurutschen kennt auch Jahr mache er damit bis zu 1.600 Euro macht. Als Teamleiterin bei einer deut­
der 41-jährige Familienvater Mike Mbu­ Gewinn, sagt er. schen Organisation, die sich um den
ru. „Ein medizinischer Notfall“, antwor­ Die Modedesignerin Ruth Abade kulturellen Austausch zwischen Kenia
tet er auf die Frage, wovor er sich am verfügt über kein solches Sicherheitsnetz. und Deutschland kümmert, verdient sie
meisten fürchtet. „Was wird aus meinen „Darüber denke ich gar nicht nach“, sagt etwa 1.500 Euro im Monat. Damit gehört
Kindern, wenn mir etwas passiert?“ Erst sie. „Ich betrachte das Leben nicht aus sie in Nairobi zu denen, die ins Restau­
seit drei Monaten hat er eine feste An­ dieser Perspektive. Ich versuche im Hier rant gehen, anstatt nur an den Straßen­
stellung bei einem Verlag, die ihn, seine und Jetzt zu tun, was ich kann.“ In all ständen zu essen. Sie macht Reisen und
Frau und die drei kleinen Töchter im den Jahren hat sie es geschafft, ihre Ausflüge mit dem Mountainbike. Aber
Krankheitsfall absichert. Als freiberuf­ Angestellten pünktlich zu bezahlen. Sie Magero denkt nicht nur an sich. Sie
licher Eventmanager musste er noch verdienen im Durchschnitt 200 Euro unterstützt ihre Familie auf dem Land.
jede Behandlung beim Arzt selbst be­ monatlich. Als die Coronapandemie „Ich sehe das nicht als Last“, sagt sie.
zahlen. Teure Behandlungen sind aller­ Kenia traf, nutzte Ruth ihre Erspar­ Ihrer Mutter, die eine Grundschule leitet
dings nicht abgedeckt. So kann ein nisse, um das Label am Laufen zu hal­ und etwa 100 Euro im Monat verdient,
schwerer Unfall oder eine chronische ten. Die Miete für ihre Wohnung, die überweist sie monatlich 200 Euro und
Krankheit ganze Familien in den Ruin sie sich mit einer Freundin teilt, trägt hilft damit auch ihren jüngeren Geschwis­
stürzen. Denn die meisten Angestellten das Label. Für Essen zahlt sie sich ein tern und weiteren Kindern, die die Mut­
in Kenia versorgen mit ihrem Einkom­ Taschengeld aus. „Diese afrikanische ter aufgenommen hat. Sie alle leben in
men die erweiterte Familie und oft noch Mittelklasse, von der alle reden: Ich einem kleinen Haus, das Magero ihrer
Menschen im Bekanntenkreis mit. glaube nicht, dass die überhaupt exis­ Mutter bauen ließ. Weitere 200 Euro
Auch im Alter müssen sich viele tiert“, sagt Ruth Abade. „Viele Leute kann sie sparen, während sie einen Stu­
Menschen in Kenia Sorgen machen, denn leben ein Leben, das sie sich gar nicht dienkredit und den Kredit für das Haus
die Leistungen aus der staatlichen Ren­ leisten können, nehmen Kredite auf, die der Mutter abbezahlt. „Wenn man mehr
tenversicherung – wenn man überhaupt sie nicht zurückzahlen können. Das hat hat, muss man etwas abgeben“, sagt sie.
eine hat – sind viel zu gering, um davon die Pandemie deutlich gemacht: Leute „Das ist die Tradition.“

23
Hartz,
aber
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

herzlich
Von Mirjam Ratmann
Illustration: Wolfgang Wiler

24
Es sollte einst die
Arbeitslosigkeit Geld gekürzt zu bekommen, wenn sie Millionen Menschen diese finanzielle
besiegen und eine angebotene Stelle nicht wollte.
Aktuell erhalten Alleinstehende
Unterstützung vom Staat (dazu zählen
rund 1,4 Millionen Kinder und Jugend­
Menschen schnell 446 Euro pro Monat zum Leben (ohne
Unterkunft und Heizung). 2022 steigt
liche bis 15 Jahre). Nicht alle sind arbeits­
los, doch die meisten leben an der Ar­
zurück in den Job dieser Satz um drei Euro auf 449 Euro.
Vor allem Sozialverbände kritisieren
mutsgrenze und brauchen zusätzlich
zum Job staatliche Hilfe.
bringen. Stattdessen sowohl die Höhe der Leistungen als auch „Es gibt kein Recht auf Faulheit in

brachte Hartz IV die minimalen Steigerungen. Für Stein­


haus ist aber die Sanktionierung das
unserer Gesellschaft!“ lautete die An­
sage des damaligen Bundeskanzlers
vielen Frust und Kernproblem. Bis zu 60 Prozent der
Leistungen können gekürzt werden, wenn
Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2001.
Noch heute hält sich das Vorurteil hart­
Scham. Wie könnte man beispielsweise zum wiederholten
Male einen Termin beim Amt verpasst
näckig, Hartz-IV-Beziehende seien faul
und wollten nicht arbeiten. Laut einer
eine Reform oder einen angebotenen Job ablehnt. Im
äußersten Fall können die Sozialleistun­
Forsa-Umfrage vom März 2020 glauben
51 Prozent der Bevölkerung, dass Men­
aussehen? In Berlin- gen sogar ganz wegfallen.
2019 entschied das Bundesverfas­
schen, die von Hartz IV leben, „nichts
Richtiges zu tun hätten“. 31 Prozent
Neukölln sucht man sungsgericht, dass manche Sanktionen stimmen der Aussage zu, dass Hartz-IV-

nach Antworten zum Teil verfassungswidrig sind, weil sie


das Existenzminimum unterschreiten.
Beziehende gar nicht arbeiten wollen.
Diese Stigmatisierung hat Helena
Laut dem Gericht dürften Hartz-IV- Steinhaus selbst erlebt. Ihre Mutter war
Empfangenden nur noch bis zu maximal alleinerziehend und nach ihrem Job­
30 Prozent abgezogen werden. Allerdings verlust auf Hartz IV angewiesen. Um es
Wenn Helena Steinhaus aus dem Fens­ wurde auf dem Urteil basierend noch zu bekommen, müssen Antragstellende
ter schaut, fällt ihr Blick auf eine Büro­ kein Gesetz erlassen. „Sanktionen führen nachweislich hilfsbedürftig sein, sich
hausfassade mit Drehtür. Darüber steht: meistens eher dazu, dass sich Menschen also nicht mit ihren eigenen fi­nanziellen
„Jobcenter Berlin Neukölln“. Es ist zwölf unter Androhungen in Jobs pressen las­ Mitteln existenziell absichern können.
Uhr mittags, Menschen mit Anträgen sen, dann aber drei Monate später wieder Schon mit 17 lernte Helena Steinhaus
oder Mappen in der Hand gehen hier im Jobcenter landen“, sagt Steinhaus. daher, wie man einen ­Hartz-IV-Antrag
ein und aus. Allein im Berliner Stadtteil Tatsächlich finden viele Vermittelte häu­ ausfüllt, was eine „Bedarfsgemeinschaft“
Neukölln beziehen rund 20.000 Men­ fig nur im Niedriglohnsektor einen Job ist, was sich hinter „Vermittlungshemm­
schen Hartz IV; dazu kommen mehr und müssen dann mit Hartz IV aufstocken. nissen“ verbirgt und vor allem, wie sich
als 17.000 Kinder unter 15 Jahren – so­ Auch Marcel Fratzscher, Präsident Sanktionen anfühlen.
genannte nicht erwerbsfähige Leistungs­ des Deutschen Instituts für Wirtschafts­ „Sanktionsfrei“ plädiert dafür, dass
berechtigte –, die mit den Hartz-IV- forschung, ist davon überzeugt, dass alle Bedürftigen eine Grundsicherung
Beziehenden in einer Bedarfsgemein­ Sanktionen kontraproduktiv sind. Statt­ von mindestens 600 Euro erhalten –
schaft leben und Sozialgeld erhalten. dessen müssten prekäre Beschäftigungs­ ohne Leistungskürzungen. Es brauche
Es ist Zufall, dass Steinhaus’ Büro verhältnisse abgeschafft und ein höherer ein System, das die Menschen unter­
hier liegt, aber es passt ganz gut. Denn Mindestlohn sowie mehr Angebote für stütze, ihnen Mut mache, heißt es auf
sie arbeitet für den Verein „Sanktions­ Kinderbetreuung eingeführt werden. der Kampagnen-Website. Dazu gehöre
frei“, der das Hartz-IV-System verändern „Man bräuchte zusätzlich Sozialarbeite­ auch eine Reform der Jobcenter, findet
will. Steinhaus und ihre Mitstreitenden rinnen und Sozialarbeiter, die zu den Steinhaus. Ihr Wunsch: „Idealerweise
setzen sich dafür ein, dass vor allem Menschen nach Hause gehen und sie soll man mit einem guten Gefühl zum
die Strafen für Menschen, die Jobs nicht individuell in ihrer Lebensphase unter­ Jobcenter gehen, weil man weiß, dass
annehmen oder Termine verpassen, stützen. Es muss mehr gefördert und einem dort geholfen wird.“
wegfallen. „Hartz IV zu bekommen weniger gefordert werden“, sagt Fratz­ Die neue Bundesregierung ver­
klingt so, als hätte man eine Krankheit“, scher. Wie das aussehen könnte, zeigt spricht, Hartz IV durch ein „Bürgergeld“
sagt die 34-Jährige. Sie weiß, wovon das Pilotprojekt „Solidarisches Grund­ zu ersetzen. „Das klingt für mich nur
sie spricht: Nach ihrem Studium der einkommen“ in Berlin. Alle 1.000 teil­ wie eine kosmetische Anpassung“, sagt
Kulturwissenschaften war sie insgesamt nehmenden Langzeitarbeitslosen be­ Helena Steinhaus. „Das Festhalten an
ein Jahr arbeitssuchend, kellnerte und kommen dabei einen unbefristeten den Mitwirkungspflichten heißt, dass
bezog Arbeitslosengeld II, wie Hartz IV Vollzeitjob, der mit dem Mindestlohn Sanktionen bleiben.“ Für sie steht fest:
auch heißt. „Wenn ich morgens zu vergütet wird. Allerdings sind nur ge­ Nur wenn der Regelsatz deutlich erhöht,
einem Termin ins Jobcenter musste, meinwohlorientierte Tätigkeiten erlaubt. Sanktionen abgeschafft sowie Energie­
war der Tag danach gelaufen“, sagt sie. „Fordern und Fördern“ lautet der kosten ausnahmslos übernommen wer­
Der Druck, den sie nach jedem Jobver­ Grundgedanke des Hartz-IV-Gesetzes, den, könnte ein solches Bürgergeld tat­
mittlungsgespräch spürte, habe sie de­ das zum 1. Januar 2005 in Kraft trat. In sächlich vor Armut schützen. Hartz IV
primiert. Dazu kam die Angst, das ganz Deutschland beziehen heute fünf kann es nicht.

25
traditionell modern
Eine Karte der
Gesellschaft
Milieus werden oft von Marktforschungsunternehmen
erforscht und typologisiert, um Zielgruppen genauer
zu definieren. Bekannte Beispiele sind die Sinus- Unbekannte S
und die SIGMA-Milieus. Hier ein Überblick über Einkommensklasse ist b
gängige Milieubeschreibungen

Oben
 Etabliert und   Liberal-intellekt
gehoben konservatives postmaterielles
Milieu: traditionelle Elite. die moderne Bildung
Legt Wert auf Erfolg und Status. Legt Wert auf Selbstb
Wünscht, dass die bestehende und Gemeinwohl, ve
Ordnung erhalten bleibt. Verteidigt Ideale wie Nachhaltig
ihre Führungsrolle. Diversität.

  Pragmatische,
Nostalgisch- aufstiegsorientierte
Mitte

bürgerliches Milieu: bürgerliche Mitte:


sieht sich oft als Mitte moderner Mainstream, der
der Gesellschaft und anpassungs- und leistungsbere
möchte seinen Status sichern. ist, aber auch Spaß möchte.
Ist zunehmend verunsichert Ist auf der Suche nach
durch gesellschaftliche Zugehörigkeit, fühlt sich ab
Ver­
änderung. Hat eine Sehnsucht zugleich verunsichert vom
nach den alten Zeiten und gesellschaftlichen Wandel.
der alten Ordnung.

Noch immer ist eine


Einteilung in Unter-, Prekäres Milie
Mittel- und Oberschicht Traditionelles ist um Teilhabe bemüht,
Milieu: oft ältere Menschen,
Unten

an die Mitte der Gesellscha


als soziale Verortung die
sich nach Sicherheit und Ordnung halten, erlebt aber
von Menschen sehnen. Ihre Lebenswelt ist Benachteiligung und Ausg
gebräuchlich. Dazu kleinbürgerlich bzw. proletarisch.

kommen Unter­ Sie sehen sich als rechtschaffene


kleine Leute.
suchungen verschie­
dener Milieus, die
Recherche:
sich in Lebensstil Oliver Geyer & Anna Schulze
und Werten ähneln.
Wir haben für euch
Die verschiedenen Milieus verfügen i

Dein
ein paar sozio­logische Maße über ökonomisches Kapital, als
Studien angeschaut. Vermögen. Doch auch das kulturelle,

Kapital
Schaut mal, ob bolische Kapital ist sozial ungleich ve
ihr euch da irgendwo talsorten formen den sozialen Status
wiederfindet Kulturelles Kapital: die Bildung, Bildu
progressiv
Die Daten für diese Einstufung stammen aus der Langzeitstudie
„Sozio-oekonomisches Panel“ vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) und bilden das letzte verfügbare
Einkommensjahr 2018 ab.

Spitze: Die oberste


Wie viele :
Ca. 18,2 Prozent der Personen
in privaten Haushalten in Deutschland
18 %
bislang wenig erforscht. (1991 waren es ca. 17,8 Prozent).

Wer :
Es handelt sich um die einkommensstarke Gruppe der Wohl­
habenden – oft Akademiker in Führungsverantwortung mit sehr
hohem Lebensstandard und vielen Privilegien.

tuelles,   Milieu der   Expeditives und Unterm Strich :

Milieu: modernen postmodernes


Menschen dieser Schicht haben ein Einkommen von mindestens
150 Prozent des mittleren Einkommens der Gesellschaft.
gselite. Arbeitnehmer und Milieu: die kreative Im Jahr 2018 hieß das: Einzelpersonen hatten monatlich über
2.930 Euro zur Verfügung, 4-köpfige Familien gemeinsam mehr
bestimmung Performer: und urbane Boheme, als 6.150 Euro*. Zusätzlich gibt es hier viel Vermögen in Form von
Immobilien und anderen Geldanlagen.
ertritt effizienzorientiert, die immer auf der
gkeit und fortschrittsoptimistisch, Suche nach dem
technikaffin – eine
Leistungselite, die
Unkonventionellen ist –
digital, weltgewandt, 57 %
Eigenverantwortung betont. gut vernetzt und mit
hoher Selbst­darstellungs­-
kompetenz.
Wie viele :
Ca. 57,3 Prozent der Personen
in privaten Haushalten in Deutschland
(1991 waren es ca. 63 Prozent).

e Wer :
Die Mittelschicht gilt als „Rückgrat der Gesellschaft“ und
reicht von Menschen mit akademischem Hintergrund in leitenden
  Neues Positionen über Angestellte und Kleingewerbetreibende bis hin

eit
  Spaßbetontes und ökologisches
zu gelernten Arbeitern. Heute wird oft eine Zweiteilung dieser
Schicht in alt und neu beobachtet: Als „alte Mittelschicht“ gelten

. konsumorientiertes Milieu: lebt konsequent Menschen mit mittleren Bildungsabschlüssen und traditionellen
Werten, die vorwiegend kleinstädtisch oder ländlich wohnen und
Milieu: ein umweltsensibel und sieht die in den letzten Jahren weniger geworden sind. Als „neue Mittel­
schicht“ gilt die gestiegene Zahl von urban lebenden Menschen
ber „Lifestyle-Mainstream“, sich als Treiber der mit aka­demischer Bildung und einer progressiven Weltanschauung.
der sich beruflich anpasst globalen ökologischen Eine weitere „Trennlinie“, die quer durch die Mitte geht: Nur ein
Teil besitzt Vermögen, z. B. in Form von Immobilien. Bei ihnen
. und in der Freizeit oft Transformation. Ein ist die Klassenzugehörigkeit stabiler.
in Konsum und „Organised Fun“ hohes Problembewusstsein
Unterm Strich :
flüchtet. Hat ein Geltungs­ führt zu Protest, Menschen dieser Schicht haben ein Einkommen von mindestens
bedürfnis und ist tendenziell Aufbruchsstimmung und 70 und höchstens 150 Prozent des mittleren Einkommens.
Im Jahr 2018 hieß das: Einzelpersonen hatten monatlich zwischen
genervt von Political Offenheit für neue 1.370 und 2.930 Euro zur Verfügung, 4-köpfige Familien gemein­
Correctness. Lebensmodelle. sam zwischen 2.870 und 6.150 Euro*.

25 %
Wie viele :
Ca. 24,6 Prozent der Personen
in privaten Haushalten in Deutschland
(1991 waren es ca. 19,2 Prozent).
eu: Wer :
, möchte Die Gruppe der Einkommensarmen: Ungelernte und gering
aft Anschluss Qualifizierte mit prekären Berufen in Handwerk, Pflege, Reini­-
gung oder Supermärkten. Alle, denen es an Zugang zu Geld,
viel Besitz und Bildung mangelt und die dadurch viele Benach-
grenzung. teiligungen und Ausgrenzungen erleben. Allerdings: In diese
Kategorie fallen auch viele Studierende, die während ihrer Zeit
an der Uni temporär einkommensarm sind.

Unterm Strich :
* In allen Schichten gibt es Das Einkommen von Menschen dieser Schicht liegt unter
einen Gender-Pay-Gap. Frauen haben 70 Prozent des mittleren Einkommens. Im Jahr 2018 hieß das:
Einzelpersonen hatten monatlich unter 1.370 Euro zur
durchschnittlich 18 Prozent Verfügung, 4-köpfige Familien gemeinsam unter 2.870 Euro*.
weniger Bruttostundenverdienst
als Männer.

in unterschiedlichem -  titel sowie die kulturellen Güter, über die jemand verfügt.
so Einkommen und Soziales Kapital: alle sozialen Kontakte, Beziehungen
, soziale und sym­ und Netzwerke, auf die ein Mensch zurückgreifen kann.
erteilt. All diese Kapi- Symbolisches Kapital: soziale Anerkennung oder Macht,
s eines Menschen. die auf Prestige, Renommee, Reputation oder auch Sprach-
ungsmöglichkeiten und   und Kleidungsstil sowie
27 die Verhaltensweise zurückgeht.
Was und wie viel Superreiche
besitzen – darüber gab es
bislang wenige Informationen.
Seit Neuestem weiß man ein
bisschen mehr

Der IT-Unternehmer
Mit einer eigenen Rakete ins All fliegen wie Tesla-Chef Elon
Musk oder Amazon-Gründer Jeff Bezos? Findet Tobias
Lütke aus Koblenz eher nicht so spannend. „Die Erde ist der
beste Planet, den wir jemals gefunden haben“, sagt der 40-Jäh­
rige in einem Interview mit der Computernerd-Zeitschrift
„c’t“. „Ich bin vielmehr am Klima interessiert.“
Am fehlenden Geld für ein eigenes kleines Raumfahrt­
projekt würde es nicht scheitern, denn Tobias Lütke gehört
laut „manager magazin“ zu den 20 reichsten Deutschen. Sein
Vermögen soll sich auf zwölf Milliarden Euro belaufen,
womit er sich in die typisch deutsche Milliardärsmischung
aus Autodynastien, Supermarktkönigen und Maschinenbau-
Erben einreiht.
Schon als Kind bekam Tobias Lütke von seinen Eltern
einen Heimcomputer geschenkt, für den es allerdings kaum
Spiele gab. Die musste er selbst programmieren. Nach der
Mittleren Reife begann er dann eine Ausbildung zum Fach­
informatiker, wenig später ging er wegen seiner Freundin Von Oliver Gehrs
nach Kanada und gründete dort einen Onlinehandel für

Welcher
Snowboards. Weil das technisch recht kompliziert war, erfand
er eine simple Software für E-Commerce. Das war der An­
fang von Shopify – ein Softwareunternehmen, das im ver­
gangenen November mit 160 Milliarden Euro an der Börse

Rolls-
bewertet wurde. Bei allem Wachstum sei ihm besonders
wichtig, dass seine Firma möglichst ökologisch agiere, so
Tobias Lütke. Und sein Lifestyle? Wirkt eher brav. Er hat eine
Schwäche für Schiebermützen aus Tweed. Auf seinem Insta­

Royce?
gram-Account postet er mal das Bild eines Porsche 911, auf
einem anderem düst er mit einem sogenannten Fliteboard
über die Wellen. Verglichen mit den Superjachten anderer
Milliardäre ein sehr bescheidenes Hobby.

Der Immobilienbesitzer
im Wert von fast 100 Millionen Euro. Während sich seine
Neulich war Stephan K.* wieder in Amsterdam, um ein Haus Geschwister monatlich einen Teil der Mieteinnahmen aus­
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

zu kaufen. Es steht an einer Gracht mitten in der Stadt – also zahlen lassen, kümmert sich Stephan K. um die Geschäfte.
dort, wo die Immobilienpreise am höchsten sind. 2,4 Mil­ Er hat eine Stiftung gegründet und die Zahl der Häuser in
lionen Euro sollte es kosten, letztlich zahlte er 2,1 Millionen. den letzten beiden Jahren vermehrt.
„Die Holländer lieben es, zu handeln“, sagt K., „ganz anders Was K. mit all dem Geld anfangen will? Das von seinem
als die Deutschen.“ Wenn K. von seinem Immobilienbesitz Vater gegründete Vermögen soll auch den nächsten Genera­
spricht, ist seine Leidenschaft zu spüren. Es geht dann um tionen ein gutes Leben ermöglichen, sagt er. Er überlege
alte Bausubstanz, um Holzfenster, denkmalgeschützte Bau­ sogar, per Stiftungsstatut zu verhindern, dass jemals eine der
ten und deren Erhalt. Selten geht es um Geld. Denn das ist Immobilien verkauft wird – nur um schnell mal ein paar
einfach da. Vor zwei Jahren verstarb K.s Vater, der Gastro­ Millionen flüssig zu haben. Er selbst wohnt übrigens in einem
nom war und seit den 1960er-Jahren in Immobilien inves­ 100 Quadratmeter großen Haus am recht unglamourösen
tierte. Insgesamt vererbte er seinen drei Kindern Immobilien Rand einer deutschen Großstadt.

28
Die Erbin sagt der Vermögensforscher Thomas Druyen. Dabei hätten
die Statussymbole der alten Oberschicht bei der digitalen
Spätestens seit Mai dieses Jahres steht ihr Name für Klassen­ Elite an Wert verloren. „Bei jungen Erfolgreichen wird deut­
verrat. So konnte es Marlene Engelhorn vor einigen Monaten lich, dass der sinnvolle Einsatz von Vermögen wichtiger ist
in einer Tageszeitung lesen. Worin ihr Verrat besteht? Die als egomane Besitzansprüche.“
29-jährige Studentin will mindestens 90 Prozent ihres Erbes Etwas anders sieht es der Autor Björn Vedder, dessen
freiwillig an den Staat abgeben. Immerhin dürfte es sich bei Buch „Reicher Pöbel – Über die Monster des Kapitalismus“
Engelhorns Erbe um einen zweistelligen Millionenbetrag heißt. Er wohnt in der Nähe von München am Ammersee, wo
handeln, ihre Vorfahren erwirtschafteten das Vermögen in einige der reichsten Gemeinden Deutschlands liegen. Dort,
der Pharmaindustrie. so Vedder, beobachte er Menschen, die so reich sind, dass sie
Engelhorn ist Mitbegründerin der Initiative „Tax Me glauben, auf Staat und Gesellschaft nicht mehr angewiesen
Now“, bei der sich mehr als 50 Millionärinnen und Millio­ zu sein. „Ansprüche von dieser Seite erscheinen schnell als
näre für eine Vermögenssteuer und höhere Erbschaftssteuern Zumutung. Man glaubt, sich alles selbst zu verdanken.“
einsetzen. „Demokratiegefährdender Machtkonzentration Es scheint sie also alle gleichzeitig zu geben: die arro­
in Form von Kapital und Einfluss von wenigen steht wach­ ganten SUV-Fahrer wie die reichen Erben, die über das
sende materielle Unsicherheit von vielen gegenüber“, steht Spenden nachdenken. Die nerdigen Internetunternehmer und
auf der Homepage der Kampagne. die Mega-Influencer mit dem goldenen Lamborghini. Es ist
Marlene Engelhorn studiert noch, Germanistik an der Uni eben mit den Vermögenden wie mit den anderen Klassen
Wien, und arbeitet bei der Guerrilla Foundation, die Aktionen auch: Die Oberschicht ist längst kein homogenes Milieu mehr,
für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung sondern reich an Facetten.
unterstützt. Mit dem Teil des Vermögens, den sie behält, will
die Millionenerbin dafür sorgen, dass weniger privilegierte * Name geändert
Menschen ähnliche Lebenschancen wie sie selbst haben.

Tobias Lütke, Stephan K., Marlene Engelhorn: Drei sehr Reiche,


die mit ihren Vermögen nicht protzen, sondern eine Verant­ Schubladendenken, Teil 1
wortung spüren – sei es für die eigene Familie, für ihr Unter­
nehmen oder für die Gesellschaft. Natürlich gibt es auch die
Ständegesellschaft
anderen, die man in den Klatschspalten der Presse sieht. Die
sich auf Partys mit viel Bling-Bling in Szene setzen, stolz ihre
großen Autos zeigen oder in Luxusrestaurants vergoldete Steaks
essen. Meist sind das Stars aus dem Showbiz, Spitzensportler
oder Influencer. Aber wer sind all die anderen?
Die Reichen in Deutschland neigen seit jeher zur Ver­
schwiegenheit. Erst in letzter Zeit machten sich Forscher und
Forscherinnen die Mühe, die Reichen und Superreichen in
Deutschland näher zu betrachten. Die jetzt vorliegenden Daten
zeigen zunächst, dass immer weniger Menschen immer mehr Die legitime Herrschaft von wenigen über viele?
Vermögen haben. So besitzt das reichste Prozent der deutschen Das gab es im Mittelalter, als der Adel über
Bevölkerung rund 35 Prozent des individuellen Nettovermögens. das Volk herrschte. In den exklusiven Kreis, an
Auf die oberen zehn Prozent entfallen 67 Prozent. Kein Wun­ dessen Spitze ein König oder Kaiser stand, wurde
der, dass der sogenannte Gini-Koeffizient, ein statistisches man im Regelfall hineingeboren. Die Grafen, Her­
Maß zur Messung von sozialer Ungleichheit, in Deutschland zöge und Fürsten verfügten über Ländereien und
auf 0,83 stieg. Bei null wären alle Vermögen genau gleich ver­ Vermögen. Das machte sie mächtig. Tradition und
teilt, bei eins würde alles einer einzigen Person gehören. Ver­ Religion waren bedeutend. Bevor Wissenschaftler
glichen mit anderen Industriestaaten ein hoher Wert. Die die Welt erklärten, fand man Antworten in der
Vermögensungleichheit verstärkt sich zudem durch Erbschaf­ Religion, in Europa überwiegend im Christen­
ten. Laut einer Studie erben oft Menschen, die bereits privilegiert tum. Darum genoss der Klerus, also beispielswei­
sind. Fast 25 Prozent der Erbschaften gehen an Personen, die se Pfarrer und Bischöfe, besondere Anerkennung.
eh schon zu den obersten zehn Prozent gehören. Die Geistlichen waren meist gut gebildet, was
Was die Studien auch zeigen: Wer risikofreudiger ist und sie vom Rest des Volkes unterschied. Bauern und
gern Neues ausprobiert, bringt es eher zu großem Wohlstand einfache Bürger stellten zwar die größte Bevöl­
als Menschen, die eine sichere Festanstellung bevorzugen. kerungsgruppe und kümmerten sich um die Grund­
Dieser Unternehmergeist hat durch die Digitalisierung einen versorgung, hatten allerdings nur wenig Mitspra­
Schub erfahren. Kurz gesagt: Der Weg zum Reichtum ist che und Teilhabe. Anders als heute gab es kein
kürzer geworden. Während alte Industrien über Jahre wuch­ Grundgesetz, das die Gleichheit aller Menschen
sen, sammeln Start-ups heute in wenigen Monaten Milliarden bestimmte. Die Gesellschaft baute auf einem un­
ein – manchmal für nicht viel mehr als eine Idee. „Früher gleichen Zugang zu Rechten und Privilegien auf –
machte vor allem die Vergangenheit reich, jetzt die Zukunft“, begründet mit der gottgewollten Ordnung.

29
Luisa ist 25 und hat ein Eliteinternat besucht.
Hier erzählt sie, was an den Vorurteilen über die
Reichenbubble dran ist

Immer
diese
Privilegien
Schuluniformen, Rugbyteams, Es hat also eine
Tennisplätze und abends heimli­ gewisse Tradition
che Drogenpartys – ganz so, wie in meiner Fami­
das Internatsleben in Filmen oft lie. Das ist bei
dargestellt wird, ist es nicht. vielen Schüler­
Klar lebt man in einer Seifenbla­ innen und Schülern
se, aber man bekommt auch nicht so. Man kennt sich häufig schon
alles geschenkt. Es gibt jede vorher über die Familien. Es Gilden – das sind soziale Ver­
Menge Verpflichtungen und Regeln. herrscht eine Art Klüngel. Vie­ pflichtungen, die jeder Schüler
Zum Beispiel gibt es wöchentliche le kamen auch aus Adelsfamilien. und jede Schülerin übernehmen
Drogentests, bei denen ausgelost Sie wurden die „Adelsgang“ ge­ muss. Wir konnten uns zum Bei­
wird, wer seinen Urin testen las­ nannt. Den meisten von uns war spiel im Seniorenheim um ältere
sen muss. Wenn der Test positiv schon bewusst, dass es ein großes Menschen kümmern oder sozial
ist, fliegt man sofort von Privileg ist, auf dieses Inter­ benachteiligten Jugendlichen
der Schule. Auch das Abi bekommt nat zu gehen. Das wurde uns auch Nachhilfeunterricht geben.
hier niemand hinterhergeworfen. von der Schule vermittelt. Aber Auch in Ruanda gab es ein Pro­
Klar, die Privatschule, natürlich gab es auch die, die jekt auf einer Kaffeeplantage.
auf die ich ging, kostet schon über Pfingsten mit ihren fetten Mein Bewusstsein für soziale Un­
mehrere Zehntausend Euro im Jahr. Autos nach Sylt fuhren und da im gerechtigkeiten hat sich dadurch
Daher ist das Umfeld ein anderes Club mit Champagner rumgespritzt schon in der Schulzeit entwi­
als auf staatlichen Gymnasien. haben. Das entspricht voll den ckelt, auch wenn mir die Gegen­
Autos sind zum Beispiel ein Vorur­
teilen, die viele haben. sätze zwischen Arm und Reich
krasses Statussymbol und fallen Aber nicht allen meinen Mitschü­ erst nach der Schule stärker
auf dem Schülerparkplatz sofort lerinnen und Mitschülern wurde aufgefallen sind, weil wir auf
ins Auge. Von seinen Eltern eine das Geld in den Hintern gesteckt. dem Internat unter uns waren.
Mercedes-Benz-G-Klasse geschenkt Viele Eltern mussten viel dafür Heute studiere ich Psychologie
zu bekommen ist ganz normal. arbeiten, um ihren Kindern den und merke, dass ich auch an
Mein Golf war mit Abstand das Schulbesuch zu ermöglichen. An­ der Uni privilegiert bin, weil
kleinste Auto. Und trotzdem waren dere wiederum hatten das Gefühl, meine Eltern mich während des
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

die meisten meiner Mitschülerin­ dass sie den Lebensstandard ihrer Studiums finanziell unterstützen.
nen und Mitschüler auch ziemlich Eltern un­bedingt halten und dafür Andere müssen nebenbei viel ar­
uneitel. Abgesehen von einigen besonders hart arbeiten müssen. beiten. Es ist mir zudem bewusst
wenigen Ausnahmen spielten Äu­ Das bedeutet auch Druck. Da­ geworden, welche Unterschiede es
ßerlichkeiten bei uns kaum eine bei hilft es selbstverständlich, beispielsweise bei den Leistun­
Rolle. Meistens sind wir nur in dass man sich eine Art Netzwerk gen der gesetzlichen und pri­
Jogginghosen rumgelaufen, auch im Internat aufbaut. Alle unter­ vaten Krankenkassen gibt. Das
wenn wir das eigentlich im Unter­ stützen sich, auch die ehemaligen macht die Schere zwischen Reich
richt nicht durften. Schülerinnen und Schüler. und Arm besonders deutlich.
Viele aus meiner Familie Eine lange Tradition haben
waren auf demselben Internat. am Internat die sogenannten Protokoll: Natascha Roshani

30
Guck
Von Nikita Vaillant

Im Privatfernsehen mal,
wie arm!
werden ständig Menschen
vorgeführt, die nicht
viel Geld haben – und
damit Vorurteile gefestigt

Wer in den Nullerjahren aufgewachsen ist, durch Privatsender Wenn diese von gesunder
zappte und Internetzugang hatte, kennt sie alle: „Psycho Ernährung sprechen, gibt
Andreas“, der für sein wütendes „Halt, stopp!“ bekannt wur­ es eine Einstellung auf den
de, „Nadine the Brain“, die meint, Bioprodukte seien Abfall, Tiefkühler, in dem sich
oder die dicke Frau aus „Mitten im Leben“, die angeblich Fertigkost stapelt. Wenn
Klopapier mit Kakao dazu isst. In den Sendungen, aus denen sie davon sprechen, im
diese Clips stammen, geht es um vermeintlich alltägliche Haushalt zu helfen, sieht
Probleme. Was sie eint, sind die ärmeren Milieus, in denen man parallel den Schmutz in den Ecken. Selbst der unappe­
sie spielen. Deswegen werden sie auch „Unterschichtenfern­ titlich lange Zehennagel eines Teilnehmers ist vor der heran­
sehen“ genannt. In den Generationen Y und Z ist zudem ein zoomenden Kamera nicht sicher.
anderer Begriff verbreitet: „Assi-TV“. Als ein Hartz IV beziehender Vater seine Schachtel Zi­
Zwar sind die goldenen Tage von „Mitten im Leben“ oder garetten mit Freunden teilt, heißt es: „Statt seine Schulden zu
„Frauentausch“ vorbei, auf RTL II, RTL und Vox laufen aber zahlen, verteilt er das Geld vom Staat unter seinen Freunden.“
längst neue Formate, die diese Tradition fortführen. Da gibt Bei einem anderen, der für einen Freundschaftsdienst neben
es zum Beispiel die Sozialdokumentation „Armes Deutsch­ Essen und Trinken auch Geld annimmt, wird kommentiert:
land – Stempeln oder Abrackern“. Hier werden in jeder Fol­ „Auch wenn für D. die Grenzen fließend sind, betrügt er ein­
ge zwei Schicksale gezeigt: Die einen „stempeln“, beziehen deutig den Sozialstaat.“ Für solche Rechtsfragen gibt es sogar
also Sozialleistungen, und ein eigenes Spin-off: „Armes Deutschland – dürfen die das?“
die anderen schlagen sich Unter den hunderttausendfach geklickten Videos der
gerade so mit mehreren Serie auf YouTube kann man einen Eindruck davon gewinnen,
Jobs durch. warum Menschen die Serie schauen: „Endlich die wöchent­
Für seine Studie „Ar­ liche Dosis asozial“ oder „Endlich sieht man wieder Leute,
mutszeugnis – wie das die noch schlimmer sind als man selbst“ steht in den Top­
Fernsehen die Unter­ kommentaren. Auch Medienwissenschaftler Bernd Gäbler
schichten vorführt“ hat meint: „In der Regel ist es eine Mischung aus Identifikation
sich der Medienwissen­ und Vergleich – man sieht gern Menschen, die einem in ihrer
schaftler Bernd Gäbler Lebenssituation ähneln, denkt sich aber auch: ‚Zum Glück
intensiv mit „Armes Deutschland“ befasst. „Gerade dieses bin ich nicht so schlimm wie die.‘“ Für manche Teilnehmer
Format teilt durch Kommentierung stark in ‚gut‘ und ‚böse‘ hat die Sendung ernsthafte Konsequenzen. Der Familien­
ein. Die Teilnehmer werden in dieses Schema reingezwängt“, vater, der seine Schachtel Zigaretten teilte, erhielt nach Aus­
sagt er. Tatsächlich gibt es durchweg gehässige Kommenta­ strahlung seiner Folge Hassnachrichten und Drohungen
re aus dem Off, wenn die Protagonisten einmal als vermeint­ – sein Leben „sei zerstört“, berichtete er in einem Zeitungs­
lich faule Sozialhilfeempfänger entlarvt werden. Als ein artikel. Auch seine damalige Frau bereut ihr Auftreten in
junges Paar aus Brandenburg, das von Hartz IV und Kinder­ „Armes Deutschland“. Auf eine Interviewanfrage antwortete
geld lebt, zurück zu den Eltern zieht, wird höhnisch ver­ sie, dass sie ein neues Leben führe und nicht mehr mit ihrer
kündet: „Die Ex-Partner verteilen ihre Lebenskosten gerecht Teilnahme konfrontiert werden möchte.
auf den Staat und ihre Eltern „Diese Formate tun so, als würden sie diesen Men­
(…), der Weg zurück ins Kin­ schen eine Stimme geben: Richtig zuhören tun sie
derzimmer hat sich für beide aber nicht“, resümiert auch Bernd Gäbler. Die Figur
erst mal ausgezahlt.“ Auch des „Assis“ wird wohl fester und beliebter Bestand­
durch den Schnitt zeigen die teil deutscher Popkultur bleiben – dafür werden
Macher die Teilnehmer von die Macher von TV-Formaten wie „Armes Deutsch­
ihrer schlechtesten Seite. land“ schon sorgen.

31
Mit schwerem Rucksack
durch den Verkehr, und
immer tickt die Uhr. Der
Lieferdienst Gorillas
verspricht, Lebensmittel
in zehn Minuten zu liefern.
Doch die Kuriere klagen
über Ausbeutung und
entdecken ihre Macht im
Arbeitskampf

Nicht
eure Affen
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

32
Von Simon Zamora Martin

Sich um kurz vor 23 Uhr noch mal ein Sixpack Bier bringen cken müssen. Da ist es nicht förderlich, wenn das Image
lassen? Oder fürs Frühstück Milch und Eier, ohne vor die durch die Diskussion um schlechte Arbeitsbedingungen
Tür zu müssen? Der Lieferdienst Gorillas verspricht seinen leidet. Bei einer Meinungsumfrage im Juli gaben 62 Prozent
Kunden, dass es nach maximal zehn Minuten an der Haustür der Befragten an, dass sich ihre Meinung zu Gorillas durch
klingelt – dazu Preise wie im Supermarkt. Für die Lieferung die Arbeitskämpfe verschlechtert habe. Und eine Zeitung
kommen 1,80 Euro hinzu, egal wie viel man bestellt. „Schnel­ schrieb: Gorillas sei auf dem besten Weg, zum Symbol einer
ler als du“ lautet der Claim des Unternehmens. neuen Form von Arbeitnehmerausbeutung zu werden.
Gorillas wurde erst im Mai 2020 gegründet und innerhalb Um die Gemüter zu besänftigen, setzte Gorillas kleine­
eines Jahres zum heißesten Start-up des Landes. Zumindest re Rucksäcke und ein neues Schichtplanungstool ein – Fir­
für die Investoren, die Hunderte Millionen Euro in die Firma mengründer Kağan Sümer mischte sich sogar unter die un­
pumpten. Inzwischen sind Gorillas-Kuriere in 55 Städten in zufriedenen Rider, erzählte ihnen von seiner Leidenschaft
neun Ländern unterwegs, größtenteils Studierende aus dem fürs Fahrradfahren und versprach im Juli: „Ich würde niemals
Ausland und Menschen, die erst seit Kurzem im Land sind – jemanden wegen eines Streiks feuern.“ Ein Versprechen, das
Sprachkenntnisse benötigt man nämlich kaum. er nur wenige Monate später brach.
Doch zuletzt sorgte Gorillas vor allem wegen der an­ Denn im Oktober schickte Gorillas zahlreiche außeror­
haltenden Proteste von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dentliche Kündigungen an Beschäftigte in Berlin und
für Schlagzeilen. Die Liste ihrer Beschwerden ist lang: un­ Leipzig, die im Verdacht standen, gestreikt zu haben. Die Ge­
regelmäßige Bezahlung, schlechte Regenkleidung und kaput­ werkschaft Verdi spricht von 350 Betroffenen. Vor der Firmen­
te Fahrräder, die manche Fahrt zum Gesundheitsrisiko ma­ zentrale in Berlin kam es daraufhin wieder zu Protesten. „We
chen. Am größten aber ist mittlerweile die Wut darüber, dass fire in 10 minutes“, hieß es auf einem Transparent, „Wir feuern
viele Rider fristlos entlassen wurden, weil sie an sogenannten in zehn Minuten.“ Ob die Kündigungen rechtens waren, müs­
wilden Streiks teilgenommen hatten. sen wohl bald Gerichte klären. Fakt ist: Arbeitsniederlegungen,
Zeynep Karlıdağ arbeitet seit Februar für das Unter­ zu denen keine Gewerkschaft aufruft, gelten in Deutschland
nehmen. Sie kam aus der Türkei zum Studieren nach Deutsch­ als unzulässig. Das Verbot dieser sogenannten wilden Streiks
land und suchte eine Arbeit. „Die ersten Wochen war ich leitet sich aus einer Reihe von Urteilen aus den 1950er- und
sehr zufrieden mit dem Job“, erzählt sie. Zum ersten Mal seit 1960er-Jahren ab. Viele Juristen glauben jedoch, dass diese
Langem sei sie wieder krankenversichert gewesen, zudem Urteile im Widerspruch zu völkerrechtlichen Verträgen stehen.
habe sie in Teilzeit mehr verdient als eine Lehrerin in der Mit dem Streikaufruf einer Gewerkschaft hätten die Kündi­
Türkei mit einem Vollzeitjob. Doch schon nach ein paar gungen vermieden werden können, glauben viele Rider. Doch
Wochen bekam sie chronische Schmerzen im Rücken. Tat­ den Gewerkschaften fällt es schwer, sich im E-Commerce zu
sächlich wogen die Rucksäcke der Rider schon mal über zehn organisieren. Wo die Beschäftigten schlecht verdienen, sind
Kilo. Zeynep glaubt, dass das Unternehmen extra die Ge­ kaum Mitgliedsbeiträge zu holen, die befristeten Arbeitsver­
päckkörbe an den Fahrrädern abgebaut habe, damit das Bier hältnisse machen eine Bindung schwierig.
nicht durchgeschüttelt wird. „Sie nutzen unsere Rücken als Zudem sind die per Smartphone organi­
billige Stoßdämpfer.“ Gorillas widerspricht nicht nur dieser sierten Flashmobs oder Boykottaufrufe
Darstellung. Bereits im Juni hätte man sichergestellt, dass auf Whats­App in herkömmlichen Arbeits­
Lieferungen über zehn Kilo auf zwei Rider verteilt würden. kämpfen eher unüblich.
„Die Ausstattung mit Schutzkleidung wie Regenmänteln, Probleme bei den Schichtplänen,
Handschuhen und Jacken hat sich nach den Streiks wirklich unregelmäßige Lohnzahlungen, mangeln­
verbessert“, räumt Zeynep ein. Unsichere Fahrräder seien der Arbeitsschutz: Vieles davon ließe sich
aber weiterhin ein Problem, bisweilen käme es zu Unfällen. mit einem Betriebsrat verbessern. Des­
Und nach wie vor würde Gorillas Löhne nicht pünktlich und wegen wollen Gorillas-Arbeiterinnen
fehlerfrei zahlen. Davon erzählen auch andere Rider. Goril­ und -Arbeiter auch einen solchen gründen,
las gibt lediglich „einen kleinen Prozentsatz an Fehlern in doch auch hier blockte die Unternehmens­ Mach schnell!
der Gehaltsabrechnung“ zu. führung. Zwar verkündete man auf der In vielen Großstädten
Viel Ärger gibt es auch immer wieder wegen der Schicht­ Homepage, dass man die Gründung eines sind die Rider schon
pläne. Für Zeyneps Freundin Duygu war das ein Grund, sich Betriebsrates unterstützen würde, doch ein gewohntes Bild
an den Streiks zu beteiligen. Sie zeigt Schichtpläne mit manch­ versuchte man, die geplanten Betriebs­
mal nur sieben Stunden Pause zwischen zwei Schichten, im ratswahlen gerichtlich verbieten zu lassen. Ende November
deutschen Arbeitsrecht sind mindestens zehn vorgesehen. urteilte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, dass
Laut Darstellung von Gorillas würde es nur zu Verstößen die Mitarbeiter ihre Betriebsratswahl fortsetzen dürfen – und
gegen die gesetzliche Ruhezeit kommen, wenn Beschäftigte schließlich wurde ein 19-köpfiges Gremium gewählt.
selbstständig Schichten tauschten. Eine der gewählten Betriebsrätinnen ist Zeynep. „Mit
So wie sich früher Essenslieferdienste einen harten dem Betriebsrat können wir Einfluss auf Entscheidungen der
Wettbewerb boten, bei dem letztlich nur wenige übrig blieben, Unternehmensführung nehmen“, sagt sie. Doch wie lange
befindet sich Gorillas ebenfalls in Konkurrenz zu anderen dieses Gremium bestehen wird, ist unklar. Sie geht davon
Anbietern wie Flink, Getir oder Wolt. Wer irgendwann wirk­ aus, dass Gorillas weitere Versuche unternehmen wird, den
lich die Gewinne einfahren will, die das Milliardeninvestment Betriebsrat zu verbieten. Aber eins ist für Zeynep klar: „Wir
rechtfertigen, wird wohl die anderen verdrängen oder schlu­ kämpfen weiter für unsere Rechte.“

33
Dass jungen Menschen schon in der Schule Lebenschancen
verbaut werden, liegt auch an einem Bildungssystem,
das früh in Verlierer und Gewinner einteilt. In Berlin gibt
es eine Privatschule für Jugendliche aus sozial benachteiligten
Familien, die eine Lösung aufzeigt

Wenn Dorna nicht weiterkommt, wendet soll der Schulname Familien im Berliner der Stadtteil Wedding zählt, verlässt
sie sich an Herrn Spiegel. So wie am Stadtteil Wedding Hoffnung bringen, in jeder Achte die Schule ohne Abschluss,
Vorabend ihrer letzten Matheklausur. dem es Kinder oftmals schwerer haben Förderschüler nicht mitgerechnet. Vor
Tagelang übte die Zwölftklässlerin Kur­ als in anderen Bezirken der Stadt. gravierenden Folgen warnt der Natio­
vendiskussionen, berechnete Nullstellen nale Bildungsbericht 2020: Nur ein
und Wendepunkte. Doch ausgerechnet Viertel der Jugendlichen ohne Schulab­
in der Nacht vor der Prüfung kommt sie
„Wenn Chaos im Kopf ist, schluss finde einen Ausbildungsplatz.
bei einer Übungsaufgabe nicht auf die ist kein Platz für Mathe“ Bei denen, die zumindest die Mittlere
Lösung. Dorna nimmt ihr Telefon in die Reife schaffen, sind es bereits über
Hand und ruft den Bio-Lehrer ihrer alten Ungewöhnlich an der Schule ist auch 80 Prozent.
Schule an. Eine halbe Stunde später weiß ihre Zielgruppe. Im Gegensatz zu an­ Pantelis Pavlakidis kennt die Schick­
sie, wo ihr Fehler liegt – und wie sie die deren Privatschulen spricht sie nicht sale hinter den Statistiken. Der 35-Jäh­
Aufgabe lösen kann. vermögende Eltern an, sondern gezielt rige ist seit 2018 Leiter der Quinoa-Schu­
Was bei herkömmlichen Lehrkräf­ die weniger Wohlhabenden. Auch das le. „Ohne Unterstützung kommen viele
ten undenkbar wäre, ist für Herrn Spie­ Schulgeld von 35 Euro im Monat wider­ Jugendliche hier nicht aus der Armuts­
gel und seine Kollegen an der Berliner spricht dem Klischee von elitären Privat­ falle raus“, sagt Pavlakidis. Drei Viertel
Quinoa-Schule Alltag. Jeder Schüler hat schülerinnen und -schülern, zumal die seiner rund 160 Schülerinnen und Schü­
hier seinen persönlichen Tutor, der ihn meisten Eltern davon befreit sind. Die ler kommen aus Familien, die Hartz IV
durchs Schuljahr begleitet und auch mal Schule ist staatlich anerkannt und be­ beziehen. Die wenigsten Eltern haben
Nachhilfe außerhalb des Unterrichts gibt. kommt das meiste Geld vom Staat, der einen höheren Bildungsabschluss, viele
Selbst Ehemalige, die ihren Abschluss Rest muss durch Spenden und Schulgeld sprechen kaum oder gar kein Deutsch.
bereits in der Tasche haben und nun eine reinkommen. Es ist ein bildungspoliti­ Oft wohnten die Familien auch sehr be­
Ausbildung machen oder eine weiter­ sches Experiment: Kann ausgerechnet engt, viele Schüler hätten zu Hause weder
führende Schule besuchen wie die 16-jäh­ solch eine Privatschule dem Staat vor­ Platz noch Ruhe, um Hausaufgaben zu
rige Dorna, dürfen sich jederzeit mit machen, wie man die Ungleichheit im machen, erzählt Pavlakidis. Hinzu kämen
Fragen melden. Die „Anschlussbeglei­ Bildungssystem ausgleichen kann? häufig noch Diskriminierungserfahrun­
tung“ ist Teil des pädagogischen Konzepts In kaum einem anderen westlichen gen, über 80 Prozent der Quinoa-Schüler
der Quinoa-Schule. Das Ziel: Jugendliche Industrieland werden die Bildungschan­ haben eine Einwanderungsgeschichte.
aus sozial benachteiligten Familien im cen so stark vererbt wie in Deutschland. „Unser Motto ist: Wenn Chaos im Kopf
Schulalltag besser unterstützen – und Wer aus einer sozial benachteiligten ist, ist kein Platz für Mathe“, so Pavlaki­
möglichst bis zum Abschluss führen. Familie kommt, hat deutlich schlech­ dis. Deshalb müsse sich nicht jede Stun­
Die Quinoa-Schule ist damit eine tere Chancen, aufs Gymnasium zu de um Schulstoff drehen.
der ungewöhnlichsten Bildungsstätten kommen – oder überhaupt einen Schul­ Das erkennt man schon an der Stun­
des Landes: Das beginnt bei ihrem Na­ abschluss zu machen. Jedes Jahr brechen dentafel. Im Schulfach „Zukunft“ sollen
men. Da das Getreide Quinoa unter bundesweit etwa 50.000 Jugendliche sich die Jugendlichen über mögliche
widrigen Bedingungen wachsen kann, die Schule ab. Im Bezirk Mitte, zu dem Berufsziele und Ausbildungswege Ge­

Klassen-
danken machen, im Fach „Interkultu­
relles Lernen“ über Fremd- und Eigen­
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

zuschreibungen. Einmal habe seine


Klasse über ein Jahr hinweg regelmäßig
ein Seniorenheim besucht, berichtet
Pavlakidis. „Stigmatisierte Jugendliche

Arbeit
aus dem sozialen Brennpunkt unterhal­
ten sich mit alten weißen Biodeutschen.
Das hat auf beiden Seiten Vorurteile
Von Ralf Pauli abgebaut.“ Das wichtigste Instrument
gegen einen Schulabbruch aber sei Be­
ziehungsarbeit. Damit dafür genügend
Zeit bleibt, setzt die Quinoa-Schule die

34
Dafür sprechen auch die Zahlen.
In der ersten Abschlussklasse 2018
schafften 88 Prozent der Schüle­
rinnen und Schüler ihren Ab­
schluss, 2019 dann 92 Prozent,
2020 sogar alle. Im Vergleich zu
den staatlichen Schulen im Bezirk
erzielten die Quinoa-Schüler in
allen drei Jahren die besseren Er­
gebnisse. Und auch die Anschluss­
begleitung scheint sich bezahlt zu
machen. Von den ersten drei Ab­
schlussjahrgängen hat ein Drittel
eine Ausbildung begonnen, der Rest
besucht – von einigen wenigen Aus­
nahmen abgesehen – eine weiter­
führende Schule. Hält die Quinoa-
Komm, steig ein: Nicht nur Schule also, was sie verspricht?
gemeinsames Lernen, auch Larissa Zierow vom ifo Zen­
Aktivitäten wie Klassenfahrten trum für Bildungsökonomik in
bringen Menschen voran München hält das Konzept für
vielversprechend: „Wir wissen aus
der Forschung, wie wertvoll Men­
toringprogramme bei sozial be­
Unterrichtsverpflichtung ihrer Lehrkräf­ niedrigen Bildungsabschlüssen und Ein­ nachteiligten Jugendlichen sein können.
te deutlich niedriger an als staatliche wandererfamilien selbst bei gleichen Intensive Beziehungsarbeit kann die
Schulen. Ein Viertel der Arbeitszeit, Schulleistungen seltener eine Empfehlung soziale Ungleichheit zu einem gewissen
schätzt Pavlakidis, können er und seine für das Gymnasium erhalten. Grad ausgleichen.“ Wenn das an der
Kollegen stattdessen in Elternarbeit, Me­ Dornas Mutter stammt aus dem Quinoa-Schule die Lehrkräfte leisten
diation, Klassenzeit und die Tutorenge­ Iran, sie zog ihre Tochter allein groß und könnten, auch gut. Als Modell für staat­
spräche stecken. „Wer nur sein Fach hat nicht studiert. Für Dorna waren die liche Schulen hält Zierow die intensive
unterrichten möchte, wird an der Quinoa- Chancen, irgendwann zu studieren, viel Betreuungsarbeit aber für nicht machbar,
Schule wahrscheinlich nicht glücklich.“ geringer als bei vielen Gleichaltrigen, dafür fehle schlicht Geld und Personal
Die Bereitschaft, sich mit den Sorgen der deren Eltern in Deutschland geboren – weswegen es schon lange politische
Schüler und Schülerinnen auseinander­ sind, sich die Erziehungsarbeit aufteilen, Forderungen gibt, Schulen finanziell
zusetzen, stehe an oberster Stelle. besser verdienen und Akademiker sind. mehr zu fördern.
So hatte Dorna zum Ende der Grund­ Um die soziale Ungleichheit im
Entscheidend ist, wie viel schule auch keine Empfehlung für das Bildungssystem flächendeckend anzu­
Gymnasium, sondern nur mittelmäßige gehen, schlägt sie den Ausbau der Kita-
Zeit sich Lehrer nehmen Noten und wenig Motivation, für die und Ganztagsbetreuung oder ein länge­
Schule zu lernen. Durch Zufall erfuhr res gemeinsames Lernen mindestens
Das kann Ex-Schülerin Dorna bestätigen. ihre Mutter von der neuen Privatschule bis zur achten Klasse vor. „Die Rezepte
„An der Quinoa-Schule nehmen sich die und meldete Dorna an. In vier Jahren für mehr Chancengerechtigkeit sind der
Lehrer viel Zeit für die Schüler und ihre auf der Quinoa-Schule erarbeitete sich Politik seit vielen Jahren bekannt“, sagt
Fragen“, sagt sie. An ihrer jetzigen Schu­ ihre Tochter einen Notenschnitt von 1,3. Bildungsökonomin Zierow. Sie kritisiert,
le sei das ganz anders. Vor anderthalb „Als Dorna zu uns an die Schule kam, dass das Thema Chancengerechtigkeit
Jahren hat sie an der Quinoa-Schule ihren habe ich ihr das ehrlich gesagt nicht in Deutschland stiefmütterlich behandelt
Mittleren Schulabschluss gemacht. Jetzt zugetraut“, sagt Schulleiter Pantelis Pav­ werde. „Solange das so bleibt, ist jede
geht sie auf eine gymnasiale Oberstufe lakidis, den Dorna als Klassenlehrer private Initiative wertvoll.“
und lernt bis in die Nacht für ihr Abi. hatte und der ihr in den ersten beiden Auch die Verantwortlichen der
„Ich will Medizin studieren und Ärztin Jahren als Tutor zur Seite stand. Spätes­ Berliner Quinoa-Schule wissen, dass
werden“, sagt Dorna. Sollte sie das schaf­ tens seit ihrem Schnupperpraktikum in sie mit ihrer Arbeit nur einen kleinen
fen, wäre sie eine Ausnahme. Von 100 Kin­ einer Klinik, das sie durch die Vermitt­ Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit
dern aus Nichtakademikerfamilien neh­ lung ihres Bio-Lehrers Spiegel bekam, leisten können. Ab dem nächsten Schul­
men nur 27 ein Studium auf, bei Kindern habe Dornas Berufswunsch jedoch fest­ jahr soll in der nordrhein-westfälischen
von Akademikern sind es selbst bei glei­ gestanden. „Wie sie seither dieses Ziel Stadt Herne die zweite Quinoa-Schule
chen Schulleistungen 79. Seit Jahren verfolgt, beeindruckt mich“, so Pavlaki­ Deutschlands eröffnen, um auch im
kritisieren Bildungsforscherinnen und dis. Und: Dornas Entwicklung zeige, Ruhrgebiet für mehr Chancengerechtig­
-forscher, dass Kinder aus Familien mit dass das Quinoa-Konzept wirke. keit zu sorgen.

35
93
Fotos: Monsieur Bonheur

Für die einen steht diese Zahl für


Armut und Kriminalität. Die anderen
sind stolz auf sie und verbinden mit
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

ihr Heimat, Style und Street-Credibility.


Bilder aus dem 93. Département
Seine-Saint-Denis bei Paris
36
37
fluter Nr. 81, Thema: Klasse
In Frankreich ist jedes Départe­ Der französische Fotograf
ment – das ist eine Art Regie­ Marvin Bonheur, der sich auch
rungsbezirk – durchnummeriert, Monsieur Bonheur nennt, ist hier
und manchmal wird diese Zahl groß geworden und hat irgend­
zu einem Symbol. Das Départe­­- wann angefangen, seine Freunde
ment Seine-Saint-Denis im Nord­ und Nachbarn mit der Kamera zu
osten von Paris ist für viele porträtieren. Herausgekommen ist
der Inbegriff sozialer Probleme. über die Jahre eine empathische
In den oft heruntergekommenen Studie über Menschen, die inmit­
Hochhäusern wohnen die, für die ten der Armut Würde bewahren.
die französische Losung von Mit seinen Fotos möchte
Liberté, Égalité und Fraternité Marvin Bonheur den oft klischee­
(Freiheit, Gleichheit und Brü­ haften Bildern der vermeintlich
derlichkeit) nur bedingt gilt: Deklassierten in den Medien eine
Arbeitslose und arme Familien andere Version der Banlieues
mit Migrationshintergrund, entgegenstellen. Man sieht junge
oft aus den ehemaligen Kolonien Menschen, die aus ihrer Herkunft
Frankreichs wie Algerien oder Stolz und Klassenbewusstsein
Ländern in Subsahara-Afrika. beziehen, das sich in einer ei­
Die Jugendarbeitslosigkeit ist genen Mode ausdrückt, in Styles
hoch, ebenso die Wut über eine und sprachlichen Codes, die dann
immer noch ziemlich rassistische oft genug von den Jugendlichen
Gesellschaft, in der Menschen in den reicheren Stadtteilen
mit Einwanderungsgeschichte kopiert werden. Alors: Wer sind
schlechtere Lebenschancen haben. jetzt die Abgehängten?

39
Aber
sie trug
doch
so Von Sabine Kray

oft
Gucci!
Als Anna Sorokin mit ihren Eltern aus Russland nach Esch­
weiler bei Aachen zieht, ist sie 16 Jahre alt, und wie viele
Mädchen in ihrem Alter interessiert sie sich für Mode. Ihr
Vater, ein Lkw-Fahrer, macht sich mit einem kleinen Unter­
nehmen selbstständig, der Familie geht es gut. Obwohl es
Anna schwerfällt, Deutsch zu lernen, hat sie gute Noten.
Nach dem Abitur bewirbt sie sich an einer Londoner Kunst­
hochschule und wird direkt genommen. Doch schon nach
kurzer Zeit bricht sie ihr Studium wieder ab und sammelt
stattdessen lieber Erfahrungen bei einer Berliner PR-Agentur, junge Frau, die in Paris eng mit den Reichen und Schönen
bevor sie ihr Traumpraktikum beim angesagten Pariser verkehrt. Dank ihrer Pariser Kontakte wird Anna auch in
Modemagazin „Purple“ beginnt. New York auf die richtigen Partys eingeladen, nicht als Ex-
Stets in Schwarz gekleidet, dazu eine große Céline-Son­ Praktikantin, sondern als ehemalige „Purple“-Redakteurin.
nenbrille, Gucci-Sandalen und eine Lederjacke von Prada – so Eine kleine Lüge, auf die schon bald größere folgen: Anna
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

taucht sie 2013 in Paris auf. Nicht nur modisch perfekt vor­ wohnt in einem schicken Hotel und gibt an der Rezeption
bereitet, überzeugt sie den berühmten Chefredakteur Olivier reichlich Trinkgeld. Niemand kommt auf die Idee, dass die
Zahm schnell von ihrem Talent und zieht bald mit der Redak­ von ihr hinterlegte Kreditkarte bei Weitem nicht für die
tion um die Häuser. Gewissenhaft dokumentiert sie diese Rechnung reichen wird. Anna lässt durchblicken, dass sie
Streifzüge durch die Kunst- und Modewelt auf Instagram – zeit­ eine Erbschaft von 60 Millionen Dollar erwartet, und erweckt
genössische Kunst, Schnappschüsse mit Künstlern und ande­ den Eindruck, als sei Geld für sie kein Problem, sondern viel
ren Celebrities, dazu schön gefilterte Momentaufnahmen. Auch zu unwichtig, um darüber zu reden – was die Schulden, die
ihren Namen ändert sie: Aus Anna Sorokin wird Anna Delvey. sie bei anderen macht, einschließt. Umgeben von Künstlern
Als sie noch im selben Jahr nach New York geht, erweist und reichen Sammlern legt sie sich das passende Projekt zu:
sich ihr sorgfältig gepflegter Insta-Account als virtuelle Vi­ Sie will einen Kunst- und Kulturraum mit Clubcharakter in
sitenkarte, die ihr die Türen öffnet. Der Eindruck: eine Manhattan errichten, für den sie Investoren sucht. Eine

40
einer Bank und einer Investmentfirma ein offenes Ohr zu
finden. Es geht um einen Kredit über 22 Millionen Dollar.
Da Anna weder Vermögen noch ein stabiles Einkommen hat,
fälscht sie Kontoauszüge, die beweisen sollen, dass ihre Eltern
Millionäre sind. Die Kommunikation übernimmt der „Anwalt
der Familie“, den sie auch frei erfunden hat: eine gefälschte
E-Mail-Adresse, ein Prepaid-Handy und jede Menge Wagemut
– fast wird ihr der Kredit bewilligt. Doch irgendwann fordert
eine Bank eine Sicherheit von 100.000 Dollar. Wieder handelt
Anna prompt und geht zu einer anderen Bank (die sie mit
den gleichen gefälschten Dokumenten versorgt), mit der
Bitte um eine Erweiterung ihres Dispos – auf 100.000 Dollar.
Nun wähnt sich Anna kurz vor dem Ziel. Doch wenig
später meldet sich das kreditgebende Institut mit dem Wunsch,
Annas Banker in der Schweiz zu treffen. Entsetzt macht sie
einen Rückzieher, denn einen echten Schweizer Banker kann
auch sie nicht faken. Von den 100.000 Dollar bleiben 55.000,
den Rest behält die Bank als Gebühr.
An dieser Stelle wird die Geschichte etwas chaotisch,
denn anstatt der anderen Bank das restliche Geld zurückzu­
geben, beginnt sie, es mit vollen Händen auszugeben. Vielleicht
Wie ein Mädchen glaubt Anna daran, in letzter Minute noch einen privaten
Investor von ihrer Idee überzeugen zu können. Doch selbst
aus Eschweiler zum It-Girl 55.000 Dollar reichen nicht, wenn man in den teuersten
Hotels wohnt, Unmengen für Frisuren, Wimpernverlänge­
der New Yorker High rungen, Schuhe und Kleider ausgibt und mit Trinkgeldern
um sich wirft. Mit gefälschten Schecks verschafft sie sich
Society wurde. Die Geschichte noch etwas Zeit, doch irgendwann schuldet sie dem Hotel
mehr als 30.000 Dollar. Ein guter Moment, um für eine
einer Hochstaplerin Weile von der Bildfläche zu verschwinden. Für einen kurzen
Wellnessurlaub fliegt sie mit ein paar Freundinnen nach
Marokko. Die Flüge übernimmt ihre Freundin Rachel, weil
Annas Kreditkarte leider mal wieder „verrückt spielt“.
In Marokko sind die Freunde angesichts der luxuriösen
junge, kunstinteressierte, stilsichere Europäerin, Erbin eines Unterkunft sprachlos. Anna hat sich in ihrer Großzügigkeit
geheimnisvollen Vermögens – diese Mischung erweist sich selbst übertroffen. Bis nach einigen Tagen das Hotel darauf
in Manhattan als unschlagbar attraktiv. dringt, dass endlich eine Kreditkarte für die Buchung hinter­
Viele ihrer neuen Freunde und Freundinnen leben ver­ legt werden müsse. JETZT. Nachdem keine von Annas zwölf (!)
schwenderisch, zeigen sich entsprechend großzügig und Karten funktioniert, bleibt Rachel nichts anderes übrig, als
scheuen sich wohl auch, eine vermeintliche Millionenerbin ihre anzubieten. Monatelang läuft sie daraufhin Anna und
daran zu erinnern, dass sie ihnen ein paar läppische Hundert den 62.000 Dollar, die sie „ausgelegt“ hat, hinterher, bis sie
oder gar Tausende Dollar schuldet. So glaubt der Kunst­ sich verzweifelt an das FBI wendet. Ihre „Freundin“ Anna, das
sammler Michael Xufu Huang, dass Anna ihm das Geld für hatte Rachel mittlerweile begriffen, ist eine Hochstaplerin und
die gemeinsame Reise zur Biennale in Venedig – gut wird dank ihrer Anzeige im Jahr 2019 zu einer mehrjährigen
2.000 Dollar – schon noch zurückzahlen wird. Angeblich Haftstrafe verurteilt. Insgesamt hatte sie Bekannte, Hotels und
ist Annas Kreditkarte aus Sicherheitsgründen kurzfristig Banken um etwa 275.000 US-Dollar betrogen.
gesperrt, weswegen ihr Huang das Auch den Gerichtssaal nutzt Anna
Geld auslegt. Irgendwann hat er es als Bühne. Ihre Auftritte in teuren Out­
dann einfach vergessen, und so geht fits greifen die Medien gern auf. Wegen
es einigen, die Annas Flüge oder Ho­ guter Führung und unter Berücksich­
telrechnungen bezahlen. tigung ihrer Untersuchungshaft im Fe­
Vielleicht hat Anna tatsächlich bruar entlassen, postet sie auf Instagram
die Absicht, eines Tages alle Schulden Bilder, die einem irgendwie bekannt
zu begleichen. Vielleicht ist sie wirklich vorkommen: Anna, inzwischen 30, in
davon überzeugt, dass sie ihr Kunst- New Yorker Nobelhotels, beim Cham­
und Kulturraum, der ihr bis ins kleins­ pagnertrinken oder in teuren Marken­
te Detail vor Augen schwebt, bald zur klamotten. Und schon bald kommt auf
Millionärin macht. Dank ihrer Kon­ Netflix eine Miniserie über ihr Leben.
takte gelingt es ihr tatsächlich, bei Sie heißt „Inventing Anna“.

41
Glitzernde Uhren,
schnelle Autos
und angesagte
Markenklamotten –
viele Rapper flexen
ganz ordentlich.
Es gibt auch
welche, die das mit
dem Status etwas
kritischer angehen

Von Celine Schäfer Auf Shirin Davids erstem Album spielten Luxusmarken,
teurer Schmuck und Geld eine enorm wichtige Rolle. So

Hoch
tanzte die als YouTuberin bekannt gewordene Rapperin in
einem Musikvideo vor Louis-Vuitton- und Chanel-Geschenk­
boxen, nannte einen Song „Brillis“ und rappte Zeilen wie
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

„Mein bester Freund ist Geld, Money-Bags sind die Vibes“.


Heute, rund anderthalb Jahre später, muss man auf
ihrem aktuellen Album „Bitches brauchen Rap“ länger nach
solchen Zeilen suchen. In den neuen Songs wird es tiefgrün­

hinaus
diger, so geht es zum Beispiel um Feminismus, Em­powerment
– und um Shirins Werdegang. Und da kommt das Thema
Geld doch wieder auf: „Von Struggeln an der Alster mit Sicht
auf das Atlantic / zu von meiner Terrasse Ausblick auf den
Atlantik / Vom Anstehn in der Schlange mit Mama vorm
Hartz-Vier-Amt / zu ich stell Frauen, die zwanzig Jahre älter
sind, bei mir an.“

42
Shirin David ist bei ihrer alleinerziehenden Mutter in Ham­ Jahr 2014 hatte LGoony seinen Texten zufolge auch schon
burg-Bramfeld aufgewachsen. Das Geld war knapp, wie sie die Playstation 5 und das iPhone S6, die es damals beide
in Interviews verrät. Und das sei auch der Grund, warum sie noch gar nicht gab.
trotz ihrer neuen Rolle als Neofeministin, die die männlich LGoony ist sich sicher, dass seinen Hörerinnen und
dominierte Hip-Hop-Szene aufmischt, in ihren Texten immer Hörern die Ironie und der Witz seiner Texte bewusst sind.
noch darüber rappt, was sie sich heute alles leisten kann. Aber er weiß auch: „Natürlich besteht trotzdem die Gefahr,
„Das kommt aus dieser Zeit. Wir hatten einfach für nichts dass man solche Texte hört und denkt, dass es wichtig ist, die
Geld“, sagt sie im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“. teuersten Schuhe zu haben.“ Aus seiner Sicht ist das mit der
„Wenn mir in einem Magazin ein Outfit gefallen hat, dann Vorbildfunktion in der Musik aber eine komplizierte Ange­
habe ich es ausgeschnitten und an meine Zimmerwand ge­ legenheit: „Es ist auch wichtig, in seiner Kunst frei zu sein
klebt. Das war wie ein Moodboard. und das zu machen, was man will. Wer sich mit mir als
Shirin David hat Wie eine Vision: So soll es später Person beschäftigt und zum Beispiel Interviews anschaut,
sich als Kind mal sein“, erzählt die Rapperin. weiß ja, dass ich in meiner Musik als Kunstfigur auftrete.“
oft vorgestellt, Shirin Davids Geschichte vom Trotzdem widmet er sich jetzt auch etwas anderen Themen,
wie es ist, Geld Aufstieg aus der Armut in den ohne dabei zu vergessen, wofür seine Fans ihn feiern: Auf
zu haben. Heute ist Reichtum steht exemplarisch für seiner jüngsten EP, die den Namen „Go Green“ trägt und
sie einer der die Biografien vieler erfolgreicher pünktlich zur Bundestagswahl erschienen ist, betreibt
erfolgreichsten Rapper: So ist zum Beispiel Capi­ LGoony die Geldzählmaschine mit Windkraft und cruist mit
deutschen Rapstars tal Bra als Kind mit seiner Familie dem Tesla durch die Stadt.
vor der Armut aus der Ukraine
nach Berlin geflohen und wuchs im Stadtteil Hohenschön­
hausen auf, weit weg von Glanz und Glamour. RIN, der sich
mit der Zeile „Es ist Donnerstag, ich kauf mir Supreme“ in
das Gedächtnis vieler Jugendlicher gerappt hat, bezeichnete
seine oft protzigen Texte mal als „Komplexbewältigung“. Der
Offenbacher Rapper Haftbefehl brach die Schule ab und war Schubladendenken,
im Jugendarrest, heute steht er auf den großen Bühnen deut­
scher Hip-Hop-Festivals. Auch in seinen Texten geht es oft
Teil 2
um Geld und Status wie im Song „Leuchtreklame“: „Ah, statt Kastenwesen
Zufriedenheit zu zeigen / pack ich lieber lila Scheine in die
Tasche von Hermès / Kann mich wieder nicht entscheiden / Hol in Indien
ich lieber einen weißen oder schwarzen Turbo S?“ Allerdings
tauchen auch bei ihm mittlerweile kapitalismuskritische
Zeilen auf: „Während Kinder verhungern, sind wir Pelz am
Tragen, Ge-Ge-Geld am Sparen, Be-Be-Benz am Fahren.“
Haftbefehl, RIN, Shirin: Sie alle haben es mit ihrer
Musik geschafft, sich aus der Armut zu befreien. Auch wenn
sie sich in ihren Texten gern als Mitglieder einer „gehobenen Als Handwerker geboren: Im hinduistischen Kas­
Klasse“ inszenieren – was es bedeutet, ausgegrenzt zu werden, tenwesen entschied die Abstammung lange über den
wissen sie oft nur zu gut. Schließlich hätten sie selbst oft Beruf, den Ehepartner und den Stand in der Ge­
Klassismus – also Abwertung aufgrund der Zugehörigkeit sellschaft. Und noch heute sind die Auswirkun­
zu einer sozial benachteiligten Klasse – gepaart mit Rassis­ gen der jahrhundertealten Rangordnung spürbar.
mus erfahren, meint Falk Schacht. Der Journalist gilt als Als Kaste wird eine abgegrenzte soziale Grup­
Experte für deutschen Rap und Jugendkultur und sagt: „Die pe bezeichnet. Die Zugehörigkeit zu einer Kaste
Texte dieser Rapper und Rapperinnen sind eine Art der wird ausschließlich vererbt, der Aufstieg war
Kompensation. Viele von ihnen haben schmerzhafte Armuts­ lange Zeit unmöglich. Im traditionellen Kas­
erfahrungen gemacht – also Erfahrungen mit Mangel, die tenwesen gibt es vier hierarchische Hauptkas­
sie heute ausgleichen wollen.“ ten (Varnas): Brahmanen (Priester und Gelehrte),
Andere Rapper bemühen sich hingegen, das „Flexen“ Kschatrijas (Beamte und Soldaten), Waischjas
– wie das Angeben und Prahlen genannt wird – ironisch zu (Händler) und Schudras (Bedienstete). Sie sind
brechen. Bei LGoony heißt es: „Brauch keine Rakete, brauch jeweils in Hunderte weitere Kasten unterteilt.
kein Shuttle, denn ich fahr einfach in meinem Bugatti bis Außerhalb des Systems stehen Dalits, wegen der
zum Mars“ oder „Ich schmeiße lila Scheine durch die Lob­ „unreinen“ Berufe wie Metzger und Kanalreini­
by, Birdman, Big Ballin’ is my hobby“. Inspiriert vom US- ger. Aktuell gehört fast ein Viertel der indi­
amerikanischen Hip-Hop, aber auch vom Wiener Rapper schen Bevölkerung den Dalits an, die man auch
Money Boy, fing LGoony an, das Thema Geld und Reichtum die „Unberührbaren“ nennt. Mit der Verfassung
in seinen Texten zu überzeichnen. „Wenn ich zum Beispiel von 1949 wurde die Diskriminierung aufgrund der
sage, dass ich mit einem Bugatti bis zum Mars fahre, ist ja Kaste verboten. Trotzdem ist sie – insbesonde­
jedem klar, dass das überspitzt ist“, sagt er im Gespräch. Im re in ländlichen Regionen – noch ausgeprägt.

43
Was aus
uns werden
kann Von Bartholomäus von Laffert, Daniela
Sala und Shaveen Mohammad

Dreieinhalb Jahre regierte der


sogenannte Islamische Staat in der
nordsyrischen Stadt Rakka und
versuchte, die Gesellschaft in zwei
Kategorien einzuteilen: Gläubige
und Ungläubige. Heute wollen
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

junge Frauen die Ideologie aus den


Köpfen der Menschen vertreiben.
Kann ihnen das gelingen?
44
Eine junge Frau mit beigefarbe­
nem Kopftuch und einer mar­
kanten Narbe am Kinn steht in
der Mitte des Gebäudes, das bis
vor Kurzem ein Frauengefängnis
war, und strahlt übers ganze
Gesicht. „Habt ihr das gesehen?“,
ruft sie und deutet auf zwei Per­
sonen, die an den beiden dösen­
den Wachen mit Maschinen­
pistolen nach draußen auf die
Straßen Rakkas hasten, wo die
Sonne schon vormittags heiß
vom Himmel brennt. Dann sind
der alte Mann mit dem weißen
Bart und dem rot-weiß karierten
Turban und die junge Frau mit
dem schwarzen Nikab ver­
schwunden. „Früher war der
Alte ein IS-Anhänger und hat
seine Probleme mit Gewalt ge­
löst“, sagt die Frau. „Heute kommt er der versöhnen, vier Jahre nachdem der noch schwarze Kleidung zu tragen und
dafür zu uns, weil er sagt, dass er uns selbst ernannte Islamische Staat aus ihre Gesichter zu verschleiern. Dann
Frauen mehr traut als Männern.“ der Stadt vertrieben wurde. verboten sie ihnen, ohne ein männliches
Die junge Frau nennt sich Amal. Zwischen Ende 2013 und 2017 Familienmitglied auf die Straße zu
Ihren echten Namen will sie nicht sagen. war Rakka in Nordsyrien so etwas wie gehen. Sie verbannten Handys, Internet
Zu gefährlich sei das, allein im letzten die Hauptstadt des Islamischen Staats, und Fernsehen. Die Religion wurde
Jahr hätten sie und ihr Mann mehrere im Arabischen „Daesh“ genannt. Die zur Legitimierung, die Bevölkerung in
Morddrohungen erhalten. Zuletzt habe Bilder von Menschen in Käfigen, von zwei Kategorien einzuteilen: Fromme
jemand vor eineinhalb Monaten einen öffentlichen Steinigungen, Enthaup­ und Ungläubige. Anhänger und Ab­
Brief geschickt mit der Ankündigung, tungen und einem Video, in dem eine trünnige. Ersteren versprachen die
ihnen beiden die Köpfe abzuschneiden. Geisel in orangefarbenem Overall le­ Terroristen das Paradies, den anderen
Doch Amal lässt sich nicht einschüchtern. bendig verbrannt wird, haben sich ins drohten Folter und Tod. Khod Issas
Dort, wo der IS einst Frauen mit Stock­ kollektive Gedächtnis eingebrannt. Vor Mann galt als Ungläubiger. Er ist Kur­
schlägen bestrafte, hat sie an der Tür ein vier Jahren, am 17. Oktober 2017, er­ de und musste deshalb gemeinsam mit
kleines Schild angebracht, auf dem „Ge­ oberte die internationale Anti-IS-Koa­ dem kleinen Sohn aus der Stadt fliehen.
richt für soziale Gerechtigkeit“ steht. Es lition mithilfe kurdisch geführter Mi­ Monatelang hielten sie sich in Dörfern
ist eine Initiative, um Konflikte zu lösen. lizen die Stadt zurück. versteckt, weil der IS gedroht hatte, alle
Amal hat eine Mission, die so Die 41-jährige Khod Issa Ali, ru­ Kurden in Rakka zu töten.
unmöglich scheint, binroter Lippenstift, „Vor Daesh hat uns das Assad-Re­
dass sie an manchen Auferstanden aus Ruinen: Bluejeans, weiße Nike- gime unterdrückt, aber wir Menschen
Tagen selbst nicht da­ In Cafés und auf den Sneakers, erinnert sich haben alle friedlich zusammengelebt“,
ran glaubt: Sie will die Basaren (oben) findet eine noch genau daran, wie sagt Khod Issa. „Es waren vor allem die
Gesellschaft im nord­ Rückkehr ins öffentliche im Jahr 2013 kurz Hoff­ Ausländer, die hier einfielen und versucht
syrischen Rakka wie­ Leben statt nung aufkeimte, weil haben, uns von den Gedanken des IS
Rakka die erste Provinz­ zu überzeugen.“ Diese Geschichte er­
hauptstadt war, aus der zählen viele Menschen in Rakka: Die
die syrischen Revolutio­ IS-Anhänger seien aus der Türkei, Tu­
näre das Assad-Regime nesien, Ägypten, Europa oder den USA
vertrieben hatten. Das nach Syrien gekommen.
Bangen und die Ängste, Der aus Rakka stammende Intel­
als Ende desselben Jah­ lektuelle Yassin al-Haj Saleh beschrieb
res die islamistischen das in einem Essay so: „Daesh bezeich­
Milizen der Nusra-Front net sich selbst als Staat, benimmt sich
und des IS die Stadt er­ aber gegenüber den Gemeinschaften
oberten, sind der jungen unter seiner Kontrolle wie eine Kolonial­
Frau noch sehr präsent. macht, ohne auch nur im Geringsten
Erst zwangen die Isla­ auf die Forderungen oder Bedürfnisse
misten alle Frauen, nur der Bevölkerung einzugehen.“ Lange

45
Zeit dachte Khod Issa, diese Herrschaft treiben. Sie zieht ihr Smartphone aus Kerben zuzuschütten, die der IS-Terror
würde nie zu Ende gehen. der Tasche und zeigt ein Bild von Frau­ in der Stadt hinterlassen hat.
Ein Grund, warum der IS schließ­ en in schwarzen Gewändern, deren Amal sieht bei ihrer Arbeit auch
lich doch stürzte, waren die Frauen aus Augen nicht zu erkennen sind. „Die die psychischen Wunden der zerrisse­
Rakka. Die (mehrheitlich) kurdische Männer sind in Gefängnissen, aber ihre nen Familien und elternlosen Kinder,
Frauenmiliz YPJ half mit, den IS 2015 Frauen kommen zurück und tragen die die von der IS-Herrschaft geblieben
aus der kurdischen Stadt Kobanê zu Gedanken weiter“, sagt sie. „Wir ver­ sind: „Die junge Frau, die eben hier
vertreiben. Eineinhalb Jahre später anstalten diese Treffen, um ihnen Schritt war, wurde während der Zeit des IS
kämpften Hunderte Frauen bei der Be­ für Schritt zu erklären, dass Daesh nichts zwangsverheiratet“, erklärt Amal.
freiung von Rakka gegen die Dschihadis­ mit dem wirklichen Islam zu tun hatte. „Unsere Aufgabe ist es, mit der Familie
ten. 2018 riefen die kurdischen Kräfte Dass Daesh ein Fake ist. Aber wir kön­ zu reden und eine Lösung zu finden.“
hier die „Autonome Selbstverwaltung nen sie zu nichts zwingen, sonst wären Sie kann stundenlang von den Fällen
Nordostsyrien“ aus, die heute rund ein wir der nächste IS.“ erzählen, in denen sie und ihre vier
Drittel des syrischen Territoriums um­ Dabei helfe ihr, dass sie im Gegen­ Kolleginnen versuchen, zu vermitteln,
fasst und in der der IS verboten ist. Die satz zu vielen IS-Anhängerinnen die ohne ein offizielles Gericht einschalten
neuen Machthaber wollen eine Gesell­ Sprache der Menschen spreche. „Es zu müssen. Typische Fälle sind zum
schaft, in der Geschlecht, Ethnie und hilft nichts, wenn wieder jemand von Beispiel jesidische Frauen, die bei den
Klasse keine Rolle mehr spielen. au­ßerhalb kommt und ihnen seine Mei- Raubzügen des IS verschleppt und ver­
Doch manche Bewohnerinnen nung überzustülpen versucht.“ Manche gewaltigt wurden und jetzt nicht wissen,
und Bewohner Rakkas sind angesichts Frauen kämen Wochen später zu ihr, wer für ihre Kinder sorgen soll, Frauen,
dieser Ideen skeptisch. In Wahrheit um sich zu bedanken. Von vielen höre die zwangsverheiratet wurden, oder
sie allerdings nie wie­ Töchter, die sich dem IS anschlossen,
der. Niemand kann obwohl ihre Eltern dagegen waren. „Wir
abschätzen, wie viele müssen Wege der Versöhnung finden
IS-Anhänger sich noch – wir können ja nicht alle einsperren“,
in Rakka aufhalten. sagt sie. „Wenn wir uns rächen, hört
Wenn man in die­ das Massaker niemals auf.“
sen Tagen durch die Doch können Amal und Khod
Stadt spaziert, merkt Issa damit erfolgreich sein?
man, dass eine neue „Wenn wir genügend Zeit bekom­
Zeit angebrochen, die men, können wir unsere Probleme lö­
alte aber noch nicht sen“, sagt Amal. „Aber dazu müssen
ganz vergangen ist. die Menschen verschwinden, die den
Am Platz des Paradie­ Terror nach Rakka gebracht haben.“
ses, wo einst Menschen Rund 10.000 ausländische IS-Anhän­
in Käfigen vorgeführt gerinnen und Anhänger leben noch in
und gekreuzigt wurden, Camps in Nordostsyrien. Darunter
steht heute ein bunter mindestens 1.000 Frauen und Kinder
Schriftzug, wie man aus Europa. Staaten wie Deutschland,
ihn aus vielen Städten Frankreich oder Großbritannien wei­
seien die Kurden nur die Khod Issa kämpft kennt: I <3 Raqqa. Da­ gern sich teilweise seit Jahren, ihre
nächsten Fremdherrscher in für Gleichberechti- hinter hat sich eine Staatsbürger zurückzunehmen.
der arabischen Stadt, die de gung und gegen Menschenschlange vor „Diese Camps sind wie tickende
facto einen Einparteienstaat die IS-Ideologie dem neu eröffneten Zeitbomben“, sagt Amal. „Diese Kinder
etablieren. Bisweilen würden Nutella-Café gebildet, und Jugendlichen sind für uns unerreich­
Menschen willkürlich verhaftet, denen das mit der Nutella-Schrift an der Fas­ bar. Sie kennen nichts anderes als die
eine Nähe zum IS vorgeworfen wird. sade zwischen all dem Schutt etwas IS-Ideologie, und wenn nicht bald etwas
Khod Issa aber will den Kampf weiter­ fehl am Platz wirkt. passiert, wird ein neuer IS entstehen,
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

führen, den die kurdischen Kämpfe­ Blickt man durch Amals vergit­ der noch brutaler ist als der erste. Und
rinnen in Kobanê begonnen haben. tertes Bürofenster nach draußen, sieht das werden nicht nur wir, sondern die
Ihre kurdischen Freundinnen hätten man vor allem zerbombte Gebäude ganze Welt zu spüren bekommen.“
ihr gezeigt, was Widerstand und Gleich­ mit weggerissenen Fassaden. Man kann Auch Khod Issa ist sich sicher: Erst
berechtigung bedeuten. in die Wohnungen der Menschen bli­ wenn die letzten ausländischen IS-Un­
Heute ist sie Frauenrechtsaktivistin cken. Durch die Straßen wälzen sich terstützer verschwinden, wird auch die
bei „Zenobia“, einer kleinen Organisation Kolonnen von Lastwagen, Betonmi­ IS-Ideologie keine Chance mehr haben.
von Frauen aus den Städten, die vom IS schern und gelben Baggern, die 24 Stun­ Dann kann das möglich werden, wovon
befreit wurden. Ihr Ziel: die verbliebenen den, sieben Tage die Woche Schutt sie träumt: eine Gesellschaft, in der
IS-Frauen in Syrien aufzuklären und abtragen, wegkarren und neue Bau­ Geschlecht, Ethnien und Klassen keine
die IS-Ideologie aus den Köpfen zu ver­ stoffe liefern. Es ist der Versuch, die Rolle mehr spielen.

46
Zu Beginn der Coronapandemie bekam
das Pflegepersonal viel Beifall. Danka* wünscht sich
ein bisschen mehr als nette Gesten

„Ich wisch
 euren Opas
den Po ab“
gefragt, bis man mich dort an­ ich schätze mal, dass da ziemlich
gestellt hat. Da hatte sie mich viel Gewinn übrig bleibt.
dann wieder um sich. Es wäre also eigentlich ge­
Doch viel Zeit, mich um nug Geld für die Mitarbeiter da.
sie zu kümmern, habe ich nicht. Allerdings findet man derzeit eh
Manchmal betreut eine einzige kaum welche. Die meisten wissen
Person in der Spätschicht – das ja, wie die Pflegesituation in
ist von 16 bis 24 Uhr – 15 Pa­ Deutschland aussieht, und machen
tienten und Patientinnen. Oder lieber etwas anderes.
Kunden, wie ich immer sage. Das Die geplante Lohnerhöhung ist
kann mal gut gehen, wenn alle für mich ein echter Lichtblick,
ruhig sind, aber das kommt so aber angemessen finde ich die
gut wie nie vor. Meistens wol­ Bezahlung immer noch nicht. Denn
Herr Kube will auf die Toilet­ len alle gleichzeitig etwas und die Arbeit mit alten Menschen
te und Frau Bickermann endlich klingeln nach mir. Mal geht es ist nicht nur emotional, son­
einen Tee ans Bett. Die Familie um Medikamente, mal um einen dern auch körperlich belastend.
von Herrn Dreßen wartet auf einen Tee, irgendjemand hat Schmerzen Manchmal muss ich Männer, die
Rückruf, weil sie sich Sorgen um oder die Windeln voll. Ich sag 100 Kilogramm wiegen, aus dem
ihn macht. Er ist vorgestern im mal so: Ich wische hier euren Bett wuchten. Eigentlich sollen
Bad hingefallen. Und auch die Opas den Po ab. das zwei Pflegekräfte machen, aber
Demenzstation bittet dringend um Am Anfang der Coronapande- wie gesagt bin ich oft allein auf
Hilfe. So sieht hier ein normaler mie wurde viel darüber gespro­ der Station. Kein Wunder, dass
Tag im Pflegeheim aus. Da kommt chen, dass es ohne uns nicht der Krankenstand bei uns hoch ist
man schon mal aus der Puste, geht. Allerdings hat das an und die Personalpläne ständig
besonders wenn man ständig eine unserer alltäglichen Situation umgeschrieben werden. Es ist ein
Atemmaske tragen muss. nichts geändert. Es gibt nach Teufelskreis: Wenige Pflegerinnen
Eigentlich habe ich studiert, wie vor viel zu wenig Personal, und Pfleger kümmern sich um viel
damals in Russland. Französisch, und die angeblich so wichtige zu viele Patienten und riskie­
weil ich die Sprache und das Arbeit ist zu schlecht bezahlt. ren dabei selbst ihre Gesundheit.
Land liebe. Geboren bin ich in Für 40 Stunden in der Wo­ Ich habe bald einen Termin beim
Georgien, meine Familie lebt im­ che bleiben mir 1.100 Euro. Orthopäden. Ich habe mich wohl zu
mer noch dort. Nach dem Studium 750 zahle ich für meine Woh­ oft gebückt, um Thrombosestrümpfe
wollte ich als Lehrerin arbei­ nung. Der Rest reicht gerade so, zu wechseln.
ten, aber als ich keine Arbeit aber nicht, um auch mal in den Manchmal bereue ich es,
fand, kam ich nach Deutschland Urlaub zu fahren oder ins Kino diesen Beruf ergriffen zu haben.
und hab mich erst mal als Reini­ zu gehen. Deswegen arbeite ich Aufhören werde ich wohl dennoch
gungskraft über Wasser gehalten. regelmäßig am Wochenende. Be­ nicht. Ich kann doch meine Kun­
Zuletzt habe ich eine alte Dame sonders ungerecht finde ich, dass den nicht im Stich lassen.
zu Hause betreut, bis sie in ein die Plätze in diesem Pflegeheim
Pflegeheim musste. Sie hat mich bis zu 6.000 Euro im Monat kos­ * Alle Namen wurden
immer ihre „Perle“ genannt und ten. Ich weiß, dass der Betrieb auf Dankas Wunsch geändert.
im Pflegeheim so lange nach mir eines Heimes viel kostet, aber Protokoll: Oliver Gehrs

47
Ach du je, ein
Von Alexander Wenzel
Sachse
Immer noch fühlen
sich viele Ostdeutsche
als Menschen
zweiter Klasse –
und liegen damit
gar nicht so falsch.
Über ein Gefühl,
das von Generation
zu Generation
weitergegeben wird

Wir stecken den


Westen in die Tasche:
Manchmal zeigt sich
Als Philipp Rubach in der Plattenbausiedlung Weimar-West Für viele Menschen in Ostdeutschland ein neues Selbst­
geboren wurde, war die DDR schon seit sechs Jahren Ge­ war die Wende eine einschneidende bewusstein im Kleinen
schichte – die friedliche Revolution schon sieben Jahre her. Erfahrung: der Verlust der gewohnten
Dennoch beschäftigt den 25-Jährigen diese Zeit bis heute – gesellschaftlichen Ordnung, des Arbeitsplatzes sowie ein
oder das, was sie in den Köpfen der Menschen ausgelöst hat. neues politisches und wirtschaftliches System. Der Soziologe
Im ländlichen Raum bei Dresden aufgewachsen, grün­ Bernd Martens spricht sogar von einer „tiefgehenden wirt­
dete Rubach mit Mitstreitern in Leipzig 2018 die Initiative schaftlichen und sozialen Anpassungskrise, die im Grad ihrer
„Aufbruch Ost“. Auslöser war das starke Abschneiden der AfD Auswirkungen auf die ostdeutsche Bevölkerung nur mit der
fluter Nr. 81, Thema: Klasse

bei der Bundestagswahl ein Jahr zuvor. Seither fragt sich die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre vergleichbar ist“.
Gruppe, wie ein Aufbruch im Osten jenseits von Pegida und Bis heute beklagen viele Ostdeutsche, für diese gravieren­
AfD aussehen kann. Dazu gehen die Mitglieder der Initiative den Erfahrungen und die eigene Lebensleistung keine Wert­
in Kleinstädte und Dörfer, sprechen mit den Menschen, hören schätzung erfahren zu haben. „Anerkennung haben sie aus
ihnen zu. Das Ziel: ein neues Ost-Selbstbewusstsein zu schaf­ ihrer Sicht nie bekommen: weder für diese Transformations­
fen. Denn 66 Prozent der Ostdeutschen fühlen sich als Bür­ leistung noch dafür, die Wiedervereinigung durch die fried­
gerinnen und Bürger zweiter Klasse. Zu dem Ergebnis kam liche Revolution überhaupt ermöglicht zu haben“, schreiben
2020 der Deutschland-Monitor der Kommission „30 Jahre die Autorinnen und Autoren einer Bertelsmann-Studie zum
Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“. Aber wie kann Thema. Für den Soziologen Daniel Kubiak von der Berliner
es sein, dass sich eine Mehrheit der Ostdeutschen 30 Jahre Humboldt-Universität hängt das Gefühl der Benachteiligung
nach der Wiedervereinigung noch so fühlt?  auch damit zusammen, wie über den Osten gesprochen und

48
berichtet wird – nämlich häufig negativ, in Zusammenhang Wende, erst weit dahinter kämen Schule und Medien als
mit Rechtsextremismus oder Arbeitslosigkeit. Davon abgese­ Informationsquellen. So wird eine Erzählung über die Wen­
hen sind es aber auch handfeste Fakten, die zum Gefühl der dezeit weitergegeben, die viele junge Ostdeutsche immer im
Benachteiligung beitragen. Während das Netto-Durchschnitts­ Hinterkopf haben. „Ostdeutsche werden sich noch so lange
vermögen in Westdeutschland 30 Jahre nach der Wiederver­ als Bürger zweiter Klasse fühlen, solange es Benachteiligung
einigung bei rund 121.000 Euro pro erwachsener Person liegt, und Unterrepräsentation gibt“, sagt Ganzenmüller.
beträgt es laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung Dieser Erzählung will die „Aufbruch Ost“-Initiative
(DIW) in Ostdeutschland nur 55.000 Euro. Im Westen konn­ etwas entgegensetzen. Dafür führen Philipp Rubach, der bei
ten Bürgerinnen und Bürger privates Vermögen in Form von der Bundestagswahl für die Linke kandidierte, und sein Team
Geld, Aktien oder Immobilien aufbauen, im Osten war dies viele Gespräche und erzählen auf Podien die Geschichten
systembedingt nur stark eingeschränkt möglich. Dazu kamen der Menschen. Zudem unterstützen sie Gewerkschaftspro­
nach der Wende Arbeitslosigkeit und geringere Löhne als im teste. So fuhren sie nach Wilkau-Haßlau, um dort mit den
Westen. Der Gehaltsunterschied ist kleiner geworden – aber Mitarbeitenden gegen die Schließung des Haribo-Werks zu
immer noch vorhanden: Im Schnitt verdient eine Vollzeitkraft protestieren. Oder nach Riesa, um die Streikenden der dor­
mit Sozialversicherungspflicht im Osten monatlich fast 700 Euro tigen Teigwarenfabrik zu unterstützen, die eine Angleichung
weniger als im Westen. der Ostlöhne an das Westniveau forderten. „Ich glaube nicht,
Unterschiede gibt es auch beim Erben: Menschen in den dass der Westen uns retten wird“, sagt Rubach. „Entweder
ostdeutschen Bundesländern erben den DIW-Forschenden wir machen es selbst, oder niemand tut es.“
zufolge nicht nur seltener als Westdeutsche, sie erben auch
deutlich weniger. So wurden von 2002 bis 2017 in West­
deutschland im Schnitt rund 92.000 Euro vererbt, wohinge­
gen es im Osten nur 52.000 Euro waren. Das bedeutet, dass
die Vermögensungleichheit von Generation zu Generation
weitergegeben wird. Darüber hinaus ist der Anteil der Ost­
deutschen an den Top-Elitepositionen in Wirtschaft, Politik,
Justiz und Wissenschaft äußerst gering: Je nach Studie sind
es etwa zwei bis vier Prozent. Und kein einziges DAX-Unter­
nehmen hat seine Zentrale in Ostdeutschland.
Die Benachteiligung spüren auch junge Ostdeutsche, die
vor allem aus ländlichen Regionen wegziehen. Viele gehen
zum Studieren oder Arbeiten in die ostdeutschen Großstädte
oder gleich in den Westen. Die, die zurückbleiben, sind allein
mit den Alten. Oft mangelt es zudem an Freizeitmöglichkeiten
und an Orten, wo sich junge Menschen treffen können. „Das Schubladendenken, Teil 3
Gefühl, dass es anderswo schöner und attraktiver ist, jugend­
lich zu sein, ist im Alltag plastisch spürbar“, sagt Frank Greu­ Die „klassenlose“ DDR
el vom Deutschen Jugendinstitut in Halle. Vor diesem Hinter­
grund lässt sich nachvollziehen, warum sich 56 Prozent der
befragten 18- bis 34-Jährigen in Ostdeutschland als Bürgerin­ Diktatur, Mangelwirtschaft – und trotzdem
nen und Bürger zweiter Klasse fühlen. Gleichheit? Zwischen 1949 und 1990 existier­
Zu diesem Ergebnis kam eine Erhebung der Bertelsmann te die DDR als ein sozialistischer Staat nach
Stiftung, für die Jana Faus die Interviews machte. Die jungen marxistisch-leninistischer Ideologie. Sie be­
Ostdeutschen erzählten, dass sie sich für ihren Dialekt schämen zeichnete sich als Arbeiter-und-Bauern-Staat
müssten oder belächelt würden, wenn sie zum Beispiel sagten, und strebte nach einer klassenlosen Gesell­
dass sie aus Sachsen oder Thüringen kämen. „Sie machen schaft: Kein Privatbesitz und keine Privile­
permanent die Erfahrung, dass ihnen eine Rolle zugeschrieben gien. Doch die Realität war eine andere. Alle
wird – ähnlich wie bei Migranten.“ Die eigenen negativen Er­ waren vermeintlich gleichgestellt – außer die
fahrungen reihen sich in die Nachwende-Geschichten der Funktionäre und Mitglieder der autoritär herr­
Familie ein: Eltern erzählen ihren Kindern, Großeltern ihren schenden SED (Sozialistische Einheitspartei
Enkeln von Erfahrungen der Arbeitslosigkeit, kultureller Um­ Deutschland). Auch ausgewählte Personenkreise,
brüche oder nicht anerkannten Bildungsabschlüssen. Viele die das System aufrechterhielten, wie Mitarbei­
Kinder und Jugendliche haben auch direkt miterlebt, was die ter der Staatssicherheit oder Spitzensportle­
Arbeitslosigkeit nach der Wende mit ihren Eltern machte. rinnen, zählten zu den Privilegierten. Während
Daraus entwickelte sich „ein hoher Grad an Solidarität mit Bürger und Bürgerinnen jahrelang auf Wohnraum
den Biografien der Eltern“, sagt Soziologe Kubiak. oder Autos warten mussten, führten die Spit­
Das sogenannte Familiengedächtnis ist laut dem Histo­ zenfunktionäre und ihre Familien ein komfor­
riker Jörg Ganzenmüller von der Friedrich-Schiller-Univer­ tables Leben. Auch Sportler konnte ohne Warte­
sität Jena für junge Ostdeutsche die Hauptinformationsquel­ zeit auf einen „Trabbi“ zählen – ganz entgegen
le für historisches Wissen über die späte DDR und die dem Ideal der klassenlosen Gesellschaft.

49
fluter ist nicht nur ein Heft!
Mehr auf fluter.de Impressum

fluter – Magazin der Bundeszentrale


für politische Bildung
Ausgabe 81, Thema Klasse
Winter 2021 / 22
Herausgegeben von der Bundeszentrale für
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Redaktion
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Oliver Gehrs (redaktionelle Koordination)

Bildredaktion
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Artdirektion
Sabine Kornbrust

Mitarbeit
Anja Bengelstorff, Tobias Brück, Arno Frank,
Sabrina Gaisbauer, Oliver Geyer, Houssam
Hamade, Noelle Konate, Baran Korkmaz, Sabine
Kray, Bartholomäus von Laffert, Shaveen
Mohammad, Asiye Öztürk, Ralf Pauli, Mirjam
Ratmann, Natascha Roshani, Daniela Sala, Celine
Schäfer, Selmar Schülein, Anna Schulze, Andreas
Thamm, Nikita Vaillant, Alexander Wenzel, Simon
Zamora Martin

Dokumentation
Kathrin Lilienthal

Korrektorat
Tina Hohl, Florian Kohl

Dance the war away Präsidentschaftswahl nicht so recht zur Redaktionsanschrift   /  Leserbriefe
fluter  -  Magazin der Bundeszentrale für
Ruhe kommt. Für unsere Serie trafen politische Bildung,
DUMMY Verlag GmbH, Kirchstraße 1, 10557 Berlin,
 Es gibt Städte, die locken mit Archi­ die Reporter sich mit Klimaaktivisten, post@fluter.de
tektur, Nachtleben und Kultur. Und dann mit einem Schüler, der unbeirrt für stren­ Redaktionelle Umsetzung
gibt es Slowjansk. Doch seit Kurzem tut gere Waffengesetze protestiert, und DUMMY Verlag GmbH, Kirchstraße 1, 10557 Berlin
ISSN 1611-1567
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Bitte schickt uns doch in Zukunft mal jede Minute euren Aufenthaltsort sowie die Maria Bayer; S. 5 Sona Maletz; S. 6, 9 Jana
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Maria Bayer; S. 22-23 Jan Hoek; S. 28 Privat;


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S. 31 RTLZWEI Dokus / youtube.com; S. 32-33 Simon
Nr.

die man bestätigen muss, um die Dienste nutzen zu können. Diese Daten sind für die
Nr.

Zamora Martin; S. 35 Jørn Tomter; S. 36-39


Monsieur Bonheur; S. 40-41 instagram.com / 
Firmen Gold wert – je mehr, desto besser. Milliarden Menschen nutzen all die Platt­
Nr.

thean­
nadelvey; S. 42 Photopress Müller / IMAGO;
78,
81,

S. 45 Delil Souleiman / AFP via Getty Images;


formen täglich, um sich mit Freundinnen auszutauschen, Videos und Bilder zu teilen Richard Spencer / The Times; S. 46 Daniela Sala;
80,

S. 47 Patricia Kühfuss / laif; S. 48 Thomas


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oder selbst Influencer oder Influencerin zu werden. Manche macht die andauernde
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allerdings auch krank. So haben psychische Erkrankungen und Suizide bei jungen Papier: Dieses Magazin wurde auf
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50
2022
wirst du
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Teil der
Bildungselite
Eins ist in diesem Heft klar geworden. Ein sozialer
Aufstieg gelingt oft über die Bildung – und die gibt es nicht
nur in der Schule. fluter ist das Politikmagazin für junge
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