Sie sind auf Seite 1von 118

I

| | ‚va
a...
| Bi

___..eggers Kritik
am Nationalsozialismus
und an der Technik
Niemeyer

UNIVERSITY
LIBRARY
NOTTINGHAM
Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik

DATE DUE FOR RETURN

vu wre. ei

ON EXHIBI
IN LING N

g
„erseh4r«

This book may be recalled j


before the above date

90014

60 0351452 0 TELEPEN
Digitized by the Internet Archive
in 2022 with funding from
Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/heideggerskritik0000viet
Sılvıo Vietta

Heideggers Kritik am
Natıionalsozialısmus und an
der Technik

Max Niemeyer Verlag N


Tübingen 1989
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Vietta, Silvio:
Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik/
Silvio Vietta. - Tübingen : Niemeyer, 1989
ISBN 3-484-70150-1

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1989


Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche-
rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Satz und Druck: Gulde-Druck GmbH, Tübingen
Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Vorwort

Ich möchte diesem Büchlein zu Heideggers Kritik am Nationalso-


zialismus und an der Technik ein Wort des Dankes vorwegschicken.
Ich danke Herrn Professor Dr. Hans-Georg Gadamer. Er hat eine
frühe Textstufe dieser Arbeit gesehen und mich ermuntert, den
Gedankengang, der sich da zeigte, herauszuarbeiten. Für seine An-
regungen und Hinweise mein Dank. Ich danke Herrn Dr. Hermann
Heidegger, der mir bereitwillig handschriftliche Texte Heideggers
im Deutschen Literaturarchiv zu Marbach zugänglich machte. So
war es möglich, die Entwicklung von Heideggers Kritik am Natio-
nalsozialismus und über diesen hinaus an der modernen Technik
zumindest an einigen genau zu ortenden Textstufen als einen Denk-
weg kenntlich zu machen. Ich danke auch dem Deutschen Litera-
turarchiv in Marbach, insbesondere Frau Dr. Brigitte Schillbach
und Herrn Dr. Joachim Storck für freundliche Hilfe bei der Arbeit.
Professor Dr. Klaus von Beyme und Professor Dr. Hartmut Melenk
kannten eine frühere Stufe des Manuskripts und haben mir durch
sachkundigen Rat bei der Ausarbeitung dieses philologisch-philo-
sophischen Essays geholfen.

Bad Salzdetfurth, im Julı 1989

Sılvıo Vietta
en
mn nm

. ae
F

7
i Bu. Gi

u j
. 2
N =
5 En

Ü => >

% | BETTER ONEER GREEN, ax il ee ren


. u er ish

h ante . 5

= nt BA ee De Ba

s
,
Inhalt

Vorwort

Lk Zus jüngsten Heidesger-Kontroversen 22... 2.2.26

II. Die Rektöratstedevron 193 m nr

III. Heideggers metaphysikkritischer Ansatz und die


Grundzüge seiner Kritik am Nationalsozialismus ..... 19

. Heideggers Nietzsche-Lektüre: Kritik der Weltan-


schauungen und Nihilismusbegriff ...............- 48

. Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik in


den »Beiträgen zur Philosophie« und in der Spätphi-
opera Madre 69

VI. Heidegger und die Tradition der anderen Aufklärung.


cr eeeeeeree
HeideggersSchweigen..... ...-- ee

N ee
Se
5
= ee
en

er wine u hi
2>4 05 ee -g Dee re hg

rssäkene nahwaihert Abbe myphunktIV


fi

. D ! | BEe z
I. Zur jüngsten Heidegger-Kontroverse

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die öffentliche Diskus-
sıon um Heideggers nationalsozialistische Vergangenheit nicht zur
Ruhe gekommen. Dabei waren es bekanntlich zunächst vor allem in
Frankreich entschieden antifaschistische Widerstandskämpfer wie
Jean-Paul Sartre, Rene Char, Jean Beaufret gewesen, die Heidegger
— nicht reingewaschen — aber doch so ın die öffentliche Diskussion
zurückgeführt hatten, daß zweifelsfrei war: trotz des zeitweiligen
nationalsozialistischen Engagements Heideggers gingen von sei-
nem Werk zentrale philosophische Impulse aus, die aufgenommen,
weitergedacht, allererst entdeckt werden mußten. Die politische
Problematik stand so der philosophischen Rezeption Heideggers
zunächst nicht nachhaltig im Wege. Auch Frangois Fediers Aufsatz
»Trois attaques contre Heidegger«, der sich derzeit mit Guido
Schneebergers und Paul Hühnerfelds politischen Dokumenta-
tionen sowie mit Theodor W. Adornos »Jargon der Eigentlichkeit«
auseinandersetzte, konnte über weite Strecken und vor allem ın der
Auseinandersetzung mit Adorno noch philosophisch argumentie-
ren, mußte allerdings auch Methode und Ergebnisse der politischen
Dokumentationen Schneebergers kritisch überprüfen.!
1 Francois Fedier: Trois attaques contre Heidegger. Guido Schneeberger: Nach-
lese zu Heidegger. Bern 1962. Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit.
Frankfurt 1964. Paul Hühnerfeld: In Sachen Heidegger. München 1961. In:
Critique. Revue generale des publications frangaises et Etrangeres. No. 234.
Novembre 1966, S.883 ff. - Die Hauptgesichtspunkte der Argumentation
von Fedier hat Beda Allemann in seinem Beitrag: Martin Heidegger und die
Politik (Merkur 21. Jg., H 10, Okt. 1967, $.962ff.) aufgegriffen und dabei
auch die an Fedier sich anschließende Debatte mitverarbeitet. Ein Hauptge-
sichtspunkt der Kritik Fediers vor allem an Schneeberger war der Objektivi-
tätsanspruch seiner politischen Dokumentation, wobeı Fedier nachweisen
konnte, daß hier vielfach nicht nachprüfbare und auch nachträgliche Auße-
rungen von Personen zu Heidegger in ihrem Sachgehalt wie objektive Tatsa-
chen behandelt wurden. Wir werden sehen, daß in der neuesten Heidegger-

1
Die jüngste Kontroverse wurde bekanntlich angestoßen durch
Victor Farias Buch »Heidegger und der Nationalsozialismus« und
durch Hugo Otts Studie »Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner
Biographie«.? Insbesondere das Buch von Farias hatte Furore
gemacht und zumindest im deutschen Sprachraum war dies auch
mit einem gewissen Erstaunen wahrgenommen worden: war nicht
nach den Dokumentationen von Schneeberger und Hühnerfeld das
Wichtigste zum »Fall Heidegger« schon offengelegt worden? Die
eminente Wirkung insbesondere von Farias’ Darstellung im Aus-
land wurde in der deutschen Öffentlichkeit vielfach beobachtet und
kommentiert: »In Frankreich brachte Farias’ Darstellung den Phi-
losophenhimmel jäh zum Einsturz. »Heil Heidegger!« raffte die
linksalternative Zeitung Liberation die neue Sicht zur fetten Schlag-
zeile. Inzwischen hat die Diskussion über Heideggers Nazizeit und
die Tragik seines Denkens« (E] Pais) die philosophischen Fakultäten
in Spanien und Holland, in Italien und ın der Schweiz erreicht.
Überall macht sich Ratlosigkeit breit: Soll man jetzt die Philosophie
Heideggers ächten, wie linke Wissenschaftler in Spanien verlangen
- oder den Denker aufspalten in den bösen Nazi »Mister Hyde<oder
den guten Philosophen »Dr. Jekylk«, wie Ze Monde vorschlägt? >Mit
Heidegger wird die Apokalypse denkbars, orakelt der einstige Hei-
degger-Student Maurice Blanchot im neuesten Nouvelle Observa-
teur.«°
Die Fachleute waren sich relativ einig: Victor Farias Buch ist
philosophisch eher flach, dokumentarisch lücken- und fehlerhaft.*

Biographie des Historikers Hugo Ott: Martin Heidegger. Unterwegs zu


seiner Biographie. (Frankfurt/New York 1988) dasselbe Problem wieder auf-
taucht.
2 Victor Farias: Heidegger et le nazisme (1987) erschien in Deutschland unter
dem Titel: Heidegger und der Nationalsozialismus (Frankfurt 1989) als eine
Rückübersetzung aus dem Spanischen und Französischen, nachdem sein
deutsches Manuskript zunächst nicht verlegt worden war. Dem Buch von Ott
(Anm. 1) gingen einige gründliche und im Stil auch sehr nüchterne Aufsätze
des Verfassers zur Gymnasial-, Studien-, Habilitandenzeit des frühen Hei-
degger voraus, veröffentlicht u.a. im Freiburger Diözesan-Archiv (Nr. 104
und 106), die die thologische Herkunft seines Denkweges und auch die
materielle Förderung seiner frühen Studien- und Lehrzeit durch die katholi-
sche Kirche belegen.
3 Michael Haller im Zeit-Dossier vom 29. Januar 1988, wieder abgedruckt in:
Die Heidegger Kontroverse. Hg. v. Jürg Altwegg. Frankfurt 1988, $. 203.
4 Siehe: Hans-Georg Gadamer: Oberflächlichkeit und Unkenntnis. Zur Veröf-

2
Auch die große Rezension von Matthias Schreiber in der FAZnahm
das Buch nicht weiter ernst, um so mehr aber das Vorwort von
Jürgen Habermas mit dem Titel »Heidegger - Werk und Weltan-
schauung«: »Philosophisch ernst zu nehmen ist an diesem Buch
(von Farias) nur das souveräne Vorwort von Jürgen Habermas.«°
Habermas seinerseits geht in seinem Vorwort zu Farias Buch eben-
falls auf Distanz — »diese Arbeit, die für sich selbst sprechen muß«®
-, stellt aber gleichwohl lobend an Farias heraus, daß er die erste
umfassende politische Biographie Heideggers vorgelegt habe.’
Habermas wünscht dem Buch »eine zweite Diskussionsrunde...,
die nicht beherrscht wird von beschönigender Apologie, von
durchsichtiger Ideologieplanung, von der nachgeahmten Geste
oder gar von ausgeflippter Ranküne.«® Nun war die Diskussion —
vielleicht im Gegensatz zu früheren - nicht mehr beherrscht von
»beschönigender Apologie«, sondern ım Gegenteil von einer eher
schroffen Form der Gesamtverurteilung Heideggers, die vielleicht
die wichtigste neue Qualität in der jüngsten Heidegger-Kontro-
verse gegenüber den früheren Auseinandersetzungen um diesen
Autor ausmacht. Wenn in früheren Kontroversen Heideggers
Übernahme des Freiburger Rektorats in der Zeit vom April 1933 bis
zum April 1934 und die Kooperation mit dem NS-Staat noch als
eine Art politischen Irrläufertums des Denkens erscheinen konnte,
von dem aber Rang und Substanz der Philosophie Heideggers
letztlich unberührt geblieben sei, so macht sich ın der jüngsten
Heidegger-Kontroverse fast eine Umkehrung der Einschätzung
breit. Tenor: »Sendungsbewußtsein ohne Schuldeinsicht«,? eın
Trend, der noch verstärkt wird durch die biographischen Forschun-
gen Otts, insbesondere zum Fall Staudinger.!

fentlichung von Victor Farias. In: Antwort. Martin Heidegger im Gespräch.


Hg. v. Günter Neske und Emil Kettering. Pfullingen 1989, $. 152 ff.
5 Ein Freund, der verriet. Hugo Ott und Victor Farias publizieren grundle-
gende Studien über Martin Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus.
Von Matthias Schreiber: In: FAZ Nr. 30 vom 4. Februar 1989.
6 Jürgen Habermas: Heidegger - Werk und Weltanschauung. Vorwort zu
Victor Farias (Anm. 2)S.11.
7 Ebd.,S.11 und 36f.
8 Ebd., S.36.
9 So die Überschrift eines Heidegger-Artikels, von Michael Haller in Die Zeıt
vom 27. Januar 1989.
10 Siehe dazu Anm. 38.
Leitend also für die jüngste Heidegger-Kontroverse im deut-
schen Sprachraum war der erwähnte Aufsatz von Jürgen Habermas:
»Heidegger - Werk und Weltanschauung« in der deutschen Aus-
gabe von Victor Farias Buch. Hier nun findet sich der Vorwurf, den
die Rezensionen noch kräftig verstärkten, daß Heidegger aus der
Nähe zum Faschismus nie herausgekommen sei. Habermas formu-
liert dies anknüpfend an eine Frage Pöggelers, der er aber den
Fragecharakter nimmt: »Die Richtung seines (Heideggers) Den-
kens, durch die er in die Nähe des Nationalsozialismus< geriet,
hinderte ihn daran, »jemals wieder wirklich aus dieser Nähe heraus-
zukommen«.«!! Also: Heidegger - nicht der Denker, der einmal,
kurzzeitig, in die Nähe des Faschismus geriet, sondern: Heidegger,
der immerwährende Faschist, einer, der sich aus der Nähe des
Faschismus nie befreien konnte und wollte. Wenn dieser Vorwurf,
dessen Annahme Habermas selbst eher suggeriert, richtig wäre,
hätte dies allerdings für die gesamte weitere Auseinandersetzung
mit diesem Denker eminente Folgen. Jeder, der sich auf das Werk
Heideggers seit 1929 — mit diesem Jahr setzt Habermas im Verein
mit anderen Heidegger-Forschern (Winfried Franzen, Barbara
Merker) einen Umbruch zum National-Sozialistisch-Weltanschau-
lichen im Denken Heideggers fest — einließe, begäbe sich auf ein
Terrain, das geistig hochvergiftet ist, auf faschistisches oder zumin-
dest dem Faschismus »nahes« Denkgelände. Ein vernünftiger
Mensch könnte sich auf derart vergiftetes Terrain eigentlich nur mit
Meßinstrumenten wagen, die ihm das Maß der Intoxikation anzei-
gen. Habermas räumt dem Heidegger vor 1929/30 Verdienste ein,
insbesondere in »Sein und Zeit« sieht er eine »bahnbrechende Lei-
stung«. Sie bestehe darin, »daß Heidegger einen entscheidenden
argumentativen Schritt zur Überwindung des bewußtseinsphiloso-
phischen Ansatzes tut.«!? Aber wenn sein Vorwurf richtig ist, dann

11 Habermas (Anm. 6) S. 22f. - Habermas bezieht sich hier auf Otto Pöggelers
Buch Der Denkweg Martin Heideggers, der sich in einem Nachwort zur
zweiten Auflage (Pfullingen 1983) entschieden auch mit der Frage der Politik
im Denken Heideggers auseinandersetzt, hier aber auch anmerkt, »dafß
Heidegger im Gespräch seinen politischen Irrtum von 1933 eingestand und
sich entschieden von ihm distanzierte.« ($.335; dieselbe Seite, die auch
Habermas zitiert).
12 Ebd., S.16.- Habermas sieht übrigens das »kritische Moment von Sein und
Zeit« noch im »individualistischen Erbe der Existenzphilosophie« wirksam
(S.21). Dieses eben habe der Heidegger nach 1929/30 liquidiert.
ist von nun an die philosophische Auseinandersetzung mit dem
Werk Heideggers seit 1929/30 grundsätzlich blockiert, denn auch
das gesamte Nachkriegswerk verfiele dem Verdikt: aus der Nähe
zum Faschismus nicht »jemals ... wirklich« herausgekommen.
Die Temporalbestimmung »jemals« weist ja auch weit über die
Aussage hinaus, »daß sich Heidegger von seiner anfänglichen
politischen Option bis zum Ende des Krieges keineswegs gelöst«
habe.!? Habermas’ Formulierung schließt jegliche spätere Loslö-
sung Heideggers aus der Nähe des Nationalsozialismus aus.
Nun finden sich in der Einleitung von Habermas eine Reihe
von Bemerkungen, die seltsam quer zu diesem Befund stehen.
Habermas führt nämlich auch aus, Heidegger habe eine »radika-
lere Umwertung« vorgenommen, »die die sinnere Wahrheit< der
nationalsozialistischen Bewegung selbst betrifft.«!* Habermas
setzt diese Distanzierung in der Zeit nach 1934 an und erläutert
sie: »Während bisher die nationale Revolution mit ihren Führern
an der Spitze eine Gegenbewegung zum Nihilismus darstellte,
meint Heidegger nun, daß sie ein besonders charakteristischer
Ausdruck, also ein bloßes Symptom jenes verhängnisvollen
Geschicks der Technik sei, dem sie doch einst entgegenwirken
sollte.«!5 Hier liegt ein eigentümlicher, offener, nicht vermittelter
Widerspruch vor: Entweder: Heidegger ist immer ım Kern Natio-
nalsozialist geblieben, nie aus der Nähe zum Nationalsozıalismus
abgerückt, dann kann er ihn schlecht als einen »Ausdruck« des
Nihilismus begriffen haben. Oder wir folgen der zweiten, gegen-
läufigen Formulierung von Habermas: Eine »radikalere Umwer-
tung« hat stattgefunden, Heidegger begreift seit 1934ff. den
Nationalsozialismus als »Ausdruck« des Nihilismus, dann wird
man die erste Formulierung von Habermas nicht aufrechterhalten
können, Heideggers Denken habe immer in der Nähe des Natio-
nalsozialismus verharrt. Denn: »Gegenbewegung zum Nihilis-
mus« und »Ausdruck« des Nihilismus sind nicht dasselbe, bedeu-
ten geradezu eine entgegengesetzte Einstellung zum Nationalso-
zialismus, und wenn Habermas selbst eine Entwicklung des Hei-
deggerschen Denkens von der Position 1 zur Position 2 konsta-
tiert, so scheint damit seine erste Aussage: die Unterstellung Heı-
13 Ebd., 5.22.
14 Ebd.,S.26.
15 Ebd.,S.26.
deggers gleichbleibender Nähe zum nationalsozialistischen Den-
ken - nicht mehr haltbar.
Nun hat Habermas seine Aussage über Heideggers Nähe zum
Nationalsozialismus operationalisiert. Er unterscheidet drei
Aspekte: »a) die metaphysikhistorische Entfaltung der Vernunft-
kritik, b) die im wesentlichen unveränderte nationalistische Ein-
schätzung der Deutschen als »>Herz der Völker« und c) die Stel-
lung zum Nationalsozialismus. Allein unter diesem dritten
Aspekt ergibt sich jene folgenreiche Umdisposition, durch die die
Konzeption der Seinsgeschichte erst ihre definitive Gestalt
gewinnt.«!6 Nun führt Habermas im folgenden zum Punkt a) aus,
daß Heidegger sich in der Auseinandersetzung mit Nietzsche als
der, wie er Nietzsche nennt, »autoritativen Bezugsfigur auch der
offiziellen NS-Philosophie«, erst jene Gesichtspunkte einer Ent-
faltung der Vernunftkritik erarbeitet habe, von der her er seine
Technikkritik entfalten konnte und damit auch des »bürokrati-
sierten Staates, der mechanisierten Kriegführung, des Kulturbe-
triebs, der Diktatur der Öffentlichkeits, all jener Motive, die Hei-
degger ja dann dem Faschismus anlastet. Insofern ist der Punkt a)
ein Kernpunkt der sich entfaltenden Faschismuskritik Heideg-
gers, die Habermas allerdings seltsam abwertend beschreibt: »In
diese Schablone des Massenzeitalters fügen sich alsbald die totalı-
tären Züge der Politik, einschließlich der NS-Rassenpolitik ein.«
Insofern kann man auch nur unter Einschränkung sagen, daß
»allein« unter dem Aspekt c) sich eine »Umdisposition« der Hei-
deggerschen Einschätzung ergeben habe. Eine »Umdisposition«,
nämlich die »Entfaltung der Vernunftkritik« und die - wenn auch
nach Habermas’ Meinung - schablonenhafte Anwendung auf den
NS-Staat, findet sich auch nach Habermas’ Eingeständnis bereits
in dem von ihm ausgesonderten Aspektbereich a). Das entschei-
dende Denkmaterial zu der von Habermas zugestandenen
»Umdisposition« stammt sogar aus der »metaphysikhistorischen
Entfaltung der Vernunftkritik«, also Heideggers Auseinanderset-
zung mit Nietzsche. Unter den drei Punkten, die Habermas
nennt, bleibt so nur der Punkt b), demgemäß Heidegger dem
nationalsozialistischen Denken verbunden bliebe, die »im wesent-
lichen unveränderte nationalistische Einschätzung der Deutschen

16 Ebd.,S.23.- Auch die folgenden Zitate auf derselben Seite.

6
als »>Herz der Völker««. Habermas verstärkt diese Kritik noch ein-
mal ın folgender Formulierung:
Der krude Nationalismus, dem Heidegger seit 1933 auch öffentlich
anhängt, bleibt in den durch Hölderlin mehr oder weniger sublimierten
Formen eine Invariante seines Denkens.«!7

Aber das ist doch eine große Frage. Zum einen muß man sagen, daß
die These von den Deutschen als dem »Herz der Völker« alt ist, sie
reicht mindestens zurück bis zu Klopstock und war ein Kernge-
danke auch Hölderlins. Genau besehen hat dieser Gedanke, dem
auch der späte Heidegger folgt, mit dem imperialistischen und
rassistischen Herrschaftsdenken des Faschismus überhaupt nichts
zu tun. Es ist vielmehr der Gedanke, daß es in der abendländischen
Geistesgeschichte einen sich fortzeugenden logos gebe, der von den
Griechen ausgehend in der deutschen Sprache fortlebe, auch und
besonders aufgrund ıhrer Affinität zur griechischen Sprache. Die-
sen in der griechischen Sprache waltenden logos gelte es als Denk-
anspruch zu vernehmen und in die deutsche Sprache zu übersetzen.
Sowohl Hölderlin wie auch Heidegger haben sich in diesem Sinn
um eine dem Griechischen möglichst nahe Übersetzung der griechi-
schen Denker und Dichter bemüht und dies gerade nicht als ein
gewaltsamer Akt der Usurpation, sondern des Hinhörens auf die
griechische Sprachform und in Annäherung an sie. Das auszeich-
nende Moment der deutschen Sprache resultiert also nicht aus
einem imperialistischen Macht- und Herrschaftsdenken, sondern
ganz im Gegenteil aus einem verhaltenen Sicheinlassen auf die
abendländische Denk- und Dichtungsgeschichte seit den Griechen.
Heideggers Einsicht, daß nicht alle Denkvorgänge in gleicher Weise
und mit gleichem Ergebnis in alle Sprachen übersetzbar sind, viel-
mehr mit der jeweiligen »inneren Form« (Humboldt) der Sprache
Vorentscheidungen über das, was in dieser Sprache denk- und
sagbar ist, getroffen sind, folgt bereits Humboldts Einsicht in die
eine jeweilige »Weltansicht« stiftende Funktion der Sprache, die
gerade auch ein moderner Linguist wie der Hopi-Forscher Benja-
min L. Whorf-bei allen Differenzen im Ansatz - als »linguistischen
Relativismus« zu fassen versucht hat. An der ausgezeichneten Affı-
nität des Deutschen zu der mit den Griechen auf den Weg gebrach-

17 Ebd.,S.24.
ten abendländischen Denkgeschichte hat Heidegger allerdings
immer festgehalten.!?
Faschistisch per se ist also diese These mitnichten. Zudem ist es
eine große Frage, ob Heidegger diesen Gedanken in Form eines
»kruden Nationalismus« vertreten hat. Gerade den Germanen-
Kult, den Rassismus des »kruden Nationalismus« hat er ja auch
nach Habermas’ Eingeständnis nicht mitgemacht. Von Anfang an
und lange vor der Einlassung auf den Nationalsozialismus durch-
zieht vielmehr sein Denken eine Fragedimension, die ihn auf das
griechische Denken als einen die abendländische Geistesgeschichte
prägenden Anfang zurückführt, und auch die berühmte Rektorats-
rede mit ihrer »Verpflichtung zur geistigen Führung« und dem
Willen zum »geschichtlichen geistigen Auftrag des deutschen Vol-
kes« knüpft ja, bei aller Annäherung des Vokabulars an das Revolu-
tionspathos des Nationalsozialismus, überhaupt nicht an die ger-
manische Tradition oder gar den Rassismus an, sondern eher an den
Aufbruch des abendländischen Denkens in der griechischen Philo-
sophie. Darauf kommen wir noch zurück.
Wenden wir uns aber zunächst der Kernfrage zu: Es ist die Frage,
ob Heideggers Denken, auch nach dem Krieg, in einer dauernden
Nähe zum Nationalsozialismus blieb, oder ob dieses Denken sıch
kritisch vom Nationalsozialismus abgelöst hat. Gibt es gar eine
Kritik Martin Heideggers am Nationalsozialismus? Wie sieht die
radikale » Umwertung« aus, von der jaauch Habermas spricht. Dies
soll im folgenden als eine reine Analyse der Denkbewegung Martın
Heideggers, die sich auf den Nationalsozialismus bezieht, verstan-
den werden. Ich denke, daß eine solche Analyse auch ım Sinne einer
gerechteren Beurteilung von Heideggers Kooperation mit dem NS-
Staat an der Zeit ist. Um eine Reinwaschung Heideggers kann es
dabei nicht gehen. Viele der Dokumente, die Farias, die Ott und
schon frühe Heidegger-Kritiker zusammentrugen, zeigen, daß hier
der Philosoph tief in den Brunnen gefallen ist. Die politische Fehl-
einschätzung und auch viele der dokumentierten einzelnen Verhal-
tens- und Äußerungsformen Heideggers während seiner Rektorats-
zeit und danach sind für die politische Geschichte der Philosophie
schlimm. Ob allerdings Heidegger, wie immer wieder behauptet

18 Zu Heideggers Humboldt-Interpretation siehe: Der Weg zur Sprache. In:


Unterwegs zur Sprache. Pfullingen 1959, S. 264 ff.
wird, zeitlebens sich immer um ein klärendes Wort zum NS-Staat
und zu seiner Haltung gedrückt habe, muß sehr in Frage gestellt
werden. Vielmehr erscheint mir, daß Heidegger sich mit den denke-
rischen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen und die er als die
angemessene Ebene zum Verständnis der abendländischen
Geschichte selbst ansah, sich so klar zum Faschismus geäußert hat,
wie nur immer es ihm möglich war.!? Darin ist auch eine Selbstkri-
tik Heideggers mit enthalten. Moralische Äußerungen zum
Faschismus oder gar eine »empirische Analyse«, wie sie Habermas
fordert,?" hat er allerdings nicht abgeliefert. Von seiner Ebene der
Faschismuskritik wäre das auch unangemessen. Es wird sich zeigen,
daß von dieser Ebene auch Heideggers Rede von der »inneren
Wahrheit und Größe der Bewegung« aus der »Einführung in die
Metaphysik« anders verstanden werden muß, als Habermas dies
damals und heute - aus verständlichen Motiven - tut. Versuchen wir
also nach gut hermeneutischem Grundsatz, uns eine Weile auf die
Denkebene Heideggers einzulassen, um von ihr her seine Kritik am
Nationalsozialismus zu verstehen. Vielleicht hilft dies auch, jene
»zweite Diskussionsrunde« so zu strukturieren, daß die philo-
sophische Dimension der Auseinandersetzung dabei nicht verlo-
rengeht.

19 Nach Abschluß dieses Beitrages sehe ich, daß Alexander Schwan, der über
die Politische Philosophie im Denken Heideggers eingehend gearbeitet hat (2.
erweiterte Auflage Opladen 1989), in einem Beitrag im Rheinischen Merkur
darauf hinweist, daß Farias’ Position nicht haltbar ist. Schwan argumentiert
auf der Grundlage der Lektüre der Beiträge zur Philosphie Heideggers und
schreibt: »Die Beiträge sind ein einziges großes Dementi für Victor Farias’
Behauptung, Heidegger sei anhaltend, auch im ideologischen Sinne ein
überzeugter Nationalist gewesen!« (Rheinischer Merkur/Christ und Welt
Nr. 17, 28. April 1989).
2C oO Habermas (Anm. 6), $.23. Spätestens seit 1936 verfügt Heidegger über eine
ausgearbeitete Wissenschaftskritik, die ihm gerade jene Form der wissen-
schaftlichen Empirie, die Habermas von ihm fordert, als eine Form der
Gedankenlosigkeit erscheinen läßt. Man wird eine solche Empirie also
schlecht von ihm fordern können, sondern muß beachten, daß Heidegger,
wenn er sich wesentlich mit dem Faschismus auseinandersetzen wollte, dies
als Philosoph tun mußte. Und eine solche explizite philosophische Kritik des
Faschismus von Seiten Heideggers liegt denn auch vor. Zur moralischen
Kritik und zum sogenannten »Schweigen« Heideggers siehe Kap. VI.
II. Die Rektoratsrede von 1933

Das Hauptaugenmerk unserer Untersuchung gilt Heideggers Kritik


am Nationalsozialismus und an der Technik. Diese kritische Hal-
tung Heideggers gegenüber dem nationalsozialistischen Regime hat
sich wahrscheinlich ansatzweise schon im Winter 1933/34 heraus-
gebildet und ist dokumentiert durch Heideggers Rücktritt vom
Rektorat der Universität Freiburg im April 1934.2! Die eigentliche
philosophische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
aber sollte erst beginnen. Sie wurde sicher ausgelöst auch durch
Heideggers Einsicht, daß er seine Philosophie politisch falsch
besetzt hatte. Die philosophische Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus vollzog sich vor allem in den Jahren nach 1936.
Spätestens 1938 hatte Heidegger die Ideologie sowohl wie die Praxis
des nationalsozialistischen Regimes mit aller Klarheit durchschaut
als eine Erscheinungsform des Nihilismus, der »Seinsverlassen-
heit«. Der Entwicklungsgang dieser Kritik wird in den folgenden
Kapiteln in den Grundzügen aufzuzeigen sein. Es ist die Herausar-
beitung einer Kritik, die in der Praxis des Nationalsozialismus
zunehmend klar den Mißbrauch der »Ideen«, »Werte«, die Defor-
mation der Weltanschauung zur Ideologie, zu »Mitteln der Kampf-
technik« erkennt. Heidegger erkennt aber zunehmend klar auch die
über den Nationalsozialismus hinausweisende globale Bedrohung
durch eine »totale Mobilmachung«, durch eine entfesselte Wissen-
schaft, Technik und »machinale Ökonomie«. Heidegger hat schon
in einer Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft begriffen,
21 Am 23. April 1934 reichte Heidegger sein Rücktrittsgesuch ein, das am 27.
April auch vom Minister - sehr schnell- angenommen wurde. Vorhergegan-
gen waren Auseinandersetzungen um die Ernennung der Dekane Erik Wolf
und Wilhelm von Möllendorff, in deren Verlauf Heidegger endgültig klar
geworden sein muß, daß seine Vorstellung von der Erneuerung der deut-
schen Universität mit der des Nationalsozialismus nichts gemein hatte.

10
in welchem Maße der Nationalsozialismus Wissenschaft und Tech-
nik in den Dienst einer entfesselten Machtpolitik stellte und wie-
derum der in dieser Wissenschaft und Technik waltende Machtan-
spruch eines neuzeitlichen Herrschaftsdenkens durch den Natio-
nalsozialismus in pervertierter und brutalisierter Form an die Ober-
fläche der Geschichte gebracht wurde. Vor allem ab 1936 beginnt er,
radikal kritisch die geschichtsphilosophischen Voraussetzungen
dieser seiner eigenen Geschichtsepoche aufzuarbeiten, die er als
eine Phase der »Weltverdüsterung und Erdzerstörung« erfährt.
Diese geschichtsphilosophische Analyse hat zunächst vor allem die
Form der Wissenschaftskritik, dann zunehmend die Form der Tech-
nikkritik. Dabei wird genau zu zeigen sein, wie und an welchen
Punkten die Heideggersche Kritik am Nationalsozialismus über-
geht in eine Kritik an einer zukünftigen, rein technologisch orien-
tierten Gesellschaft. Diese Kritik der Technik hat Heidegger dann
auch nach 1945 weiterentwickelt.
Gleichwohl ist von großem Interesse die Frage, wie es überhaupt
zu der unglückseligen Verbindung der Heideggerschen Philosophie
mit dem Nationalsozialismus kommen konnte. Wir wollen dieser
Frage zumindest kurz anhand der Rektoratsrede vom 27. Mai 1933
nachgehen. Die Fakten sind ja weitgehend bekannt: in der Phase der
Machtergreifung Adolf Hitlers übernahm Heidegger das Rektorat
der Universität Freiburg. Er wurde am 21. April 1933 gewählt,
nachdem der am 15. April bestätigte, der NSDAP aber nicht
genehme Rektor von Möllendorff zurückgetreten war. An dem
genannten Datum dann hielt Heidegger seine Rektoratsrede über
»Die Selbstbehauptung der deutschen Universität«. In Heideggers
Rede wird nur ein einziger deutscher Philosoph genannt, Nietz-
sche. Sein Wort: »Gott ist tot« wird zitiert und in den Appell
umgesetzt, daß »wir Ernst machen müssen mit dieser Verlassenheit
des heutigen Menschen inmitten des Seienden«.?? Der geistige Aus-
gangspunkt der Rektoratsrede ist also ein spezifisch moderner: der
Metaphysik- und der Sinnverlust der Moderne. Im Grunde stecktin
der Rektoratsrede von 1933 bereits die Einsicht in den Nihilismus
der eigenen Geschichtsepoche.
Diese schon mit Nietzsche vollzogene Einsicht in den Nihilıs-
22 Martin Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. In: Das
Rektorat 1933/34. Tatsachen und Gedanken. Hg. v. Hermann Heidegger.
Frankfurt 1983. 5.13.

11
mus seiner Zeit aber dringt für Heidegger selbst noch nicht voll
durch. Vielmehr will Heidegger in der Rektoratsrede recht gewalt-
sam die Kräfte mobilisieren, die aus dem Zustand eines in Beliebig-
keit und bloße Betriebsamkeit absinkenden geistigen Lebens her-
ausführen. Der Akzent liegt auf: »will«. Die Rede ist voll von Aus-
drücken und Metaphern des Willens und der Macht. Das »Wesen
der deutschen Universität« soll zu »Rang und Macht« kommen, die
»Selbstbehauptung der deutschen Universität« sei der »ursprüngli-
che, gemeinsame Wille zu ihrem Wesen«, die »Macht des Anfangs«
soll wieder verspürt werden, ein Wissen eingeführt, das »seinen
höchsten Trotz« entfalten solle, »für den erst die ganze Macht der
Verborgenheit des Seienden aufsteht«, und so geht es fort und fort.”
Gegen Ende heißt es:
»„Wollen wir das Wesen der deutschen Universität, oder wollen wir es
nicht? Es steht bei uns, ob und wie weit wir uns um die Selbstbesinnung
und Selbstbehauptung von Grund aus und nicht nur beiläufig bemühen
oder ob wir- in bester Absicht- nur alte Einrichtungen ändern und neue
anfügen. Niemand wird uns hindern, dies zu tun.«*

Der Heidegger der »Beiträge zur Philosophie« von 1936-38 hätte


in solchem Denken und Sprechen selbst eine Form der »Machen-
schaft« entdeckt, und Heidegger hat ja, wie zu zeigen sein wird,
seine eigene Rektoratsrede auch dahingehend kritisiert, daß sie auf
das Wesen der neuzeitlichen Wissenschaft nicht wirklich eingehe.
Die Rektoratsrede von 1933 berührt so zwar die Entfremdungspro-
blematik der Moderne, unterschätzt diese aber bei weitem. Mit der
Gewaltsamkeit des Aufbruchspathos will Heidegger über die Neu-
zeit hinweg, über den Nihilismus hinaus zurückspringen in den
Anfang der abendländischen Philosophie, um von hier aus die
Wesensbestimmung des Wissens, der Wissenschaft und damit auch
der Universität durchzuführen.
Heideggers Rektoratsrede enthält keine rassistischen Töne, es
gibt in ihr auch keine Anknüpfungen an Germanenkult und ähnlı-
ches, vielmehr soll das Wesen der deutschen Universität darın aufge-
hen, daß sie sich auf den Anfang der abendländischen Philosophie
und Wissenschaft in der griechischen Antike besinnt. Leitbildhaft
für die politische Gegenwart ist für Heidegger auch die Ortung der
23 Ebd.,$.9ff.
24 Ebd, 9.19.

12
Theorie als der »höchsten Verwirklichung echter Praxis«, als der
»Mitte des ganzen volklich-staatlichen Daseins«, wie ihm dies in der
griechischen Antike gegeben schien.>
Wie sehr sich diese Rede Heideggers von dem unterscheidet, was
sonst zur Weltanschauung des Nationalsozialismus dargeboten
wurde, mag ein vergleichender Blick auf den Chefideologen der
NSDAP, Alfred Rosenberg, verdeutlichen. Auch bei Rosenberg
finden wir den »Kampf um die deutsche Wissenschaft«, auch bei
ihm der Aufruf zur »Selbstbesinnung«. Bei Heidegger führt diese
»Selbstbesinnung« zum Appell an die »Selbstbehauptung der deut-
schen Universität« und dieser letztlich zur Anknüpfung an die
»Macht des Anfangs unseres geistig-geschichtlichen Daseins«. Hei-
degger:
»Dieser Anfang ist der Aufbruch der griechischen Philosophie.«?°

Bei Rosenberg heißt es:


»Im Werdegang der siegreichen nationalsozialistischen Bewegung zeigte
sich ein tiefes Mysterium des Blutes, das scheinbar im Weltkrieg gestor-
ben war und doch in dieser neuen Bewegung wiedergeboren wurde. In
seinem Zeichen ging der Zellenbau der deutschen Seele, des deutschen
Volkes wieder vor sich. Und um dieses gesundende, neugeborene Blut
kreisen alle Gedanken jener, die für dieses neue Deutschland und für
eine große kommende Zeit kämpfen wollen. Dieses Erlebnis wurde
gleichlaufend durch das Entstehen einer neuen Wissenschaft, einer
neuen wissenschaftlichen Entdeckung begleitet, die wir Rassenkunde
nennen. Diese Rassenkunde ist, von ganz oben betrachtet, in ihrer Tiefe
weiter nichts als ein weit ausholender Versuch der deutschen Selbstbe-
sinnung. Wieder bemühte sich der Deutsche, auf die Urgründe des
eigenen Ichs, der deutschen Gemeinschaft, der europäischen Völkerfa-
milie zurückzugehen.«?”
25. Ebd.,$.12.
26 Ebd., $.11. In diesem Sinne zitiert Heidegger gleich im Anschluß an die
zitierte Stelle Aischylus und beendet seine Rede auch mit einem Zitat aus
Platons Politeia.
2 Alfred Rosenberg: Gestaltung der Idee. Blut und Ehre. II. Band. Reden und
S

Aufsätze von 1933-1935. München 1938, $. 33. Der Text dieser Rede stammt
vom 22. Februar 1934 und wurde von Rosenberg gehalten als eine Grund-
satzrede nach seiner Ernennung zum »Beauftragten für die Überwachung
der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung und Schulung der
NSDAP« durch den Führer. Bemerkenswert an dieser vor der gesamten
Reichsleitung der NSDAP im Sitzungssaal des Reichstages gehaltenen und
über Rundfunk verbreiteten Rede Rosenbergs ist in unserem Zusammen-

13
Ein Rückgang also hier wie dort, aber eben dort auf die Anfänge des
abendländischen Denkens in der griechischen Antike, in der Hei-
degger alle spätere Philosophie und Wissenschaft verankert weiß.
Bei Rosenberg dagegen ein Rückgang auf eine gemanisch-völkische
Rassenlehre, die sich aus der Tradition der abendländischen Philo-
sophie im Grunde ausgeklinkt hat. Der »Kampf um die deutsche
Wissenschaft«, den Rosenberg führte, läßt den »germanischen
Menschen« aufstehen und den »heroischen Gedanken des For-
schens« in einer »neuen Rassen- und Seelenkunde« gründen.?® Die
Ansätze haben, trotz verwandter Anklänge, im Grunde nichts mit-
eiander gemein.
Gleichwohl steckt im Pathos des Kriegerischen, Kämpferischen,
Willensmäßigen in Heideggers Rede von 1933, auch ın den dort
entworfenen Einbindungen der Freiheit in »Arbeitsdienst«, »Wehr-
dienst«, »Wissensdienst« eine Gewaltsamkeit und Übermacht der
denkerischen Selbstverpflichtung, die in solchem Machtgehabe sich
doch der Gewaltsamkeit und dem Willen zur Macht der nationalso-
zialistischen Bewegung zumindest in der Attitüde anglich. Es
herrscht hier ein Voluntarismus eben nach dem Motto »Niemand
wird uns hindern, dies zu tun«, dem man, auch und gerade mit den
Augen des späteren Heidegger, nur mit tiefster Skepsis begegnen

hang, daß Rosenberg einzelne Elemente auch der griechischen Antike in sein
rassistisches Konzept einer germanischen Tradition einbezog und dabei
gewaltsam umbog: »Apoll und Homers »blauäugige Tochter des Zeus«, Pallas
Athene, sind griechisch. Die spätere Ekstatik und Dämonie sind ungrie-
chisch.« (8.37) Dort auch die These, Hitler sei der Erneuerer der mit Widu-
kind nur temporär verdrängten germanischen Macht. »Heute an einer Jahr-
tausendwende können wir erklären, daß, wenn Herzog Widukind im 8.
Jahrhundert unterlag, er im 20. Jahrhundert in Adolf Hitler für immer
gesiegt hat.« ($. 37)
2 je.) Alfred Rosenberg: Im Kampf um die deutsche Wissenschaft. In: Blut und
Ehre. Ein Kampf für die deutsche Wiedergeburt. Reden und Aufsätze von
1919-1933. München 1935, S. 254. Es handelt sich hier um einen Aufsatz aus
dem Völkischen Beobachter vom 12. August 1933. - Siehe dazu auch Alfred
Baeumler: Politik und Erziehung. Reden und Aufsätze (Berlin 1937). S.128f:
»Daher ist der erste Grundsatz nationalsozialistischen Gemeinlebens die
Reinerhaltung der Art. Es ist die erste politische Folgerung einer Philosophie
der Kraft im Gegensatz zu einer trügerischen und wurzellosen Philosophie
des Geistes, die damit gezogen wird. Alles Artgleiche ist von einer Kraft
gezeugt.« Es ist klar, daß Heideggers Philosophie damit aus dem »ersten
Grundsatz nationalsozialistischen Gemeinlebens« herausfiele und unter die
»trügerische und wurzellose Philosophie des Geistes« fiele.

14
kann. Hat ja doch gerade der spätere Heidegger begriffen, daß das
»Sein als der Wille gebrochen« werden müsse, wenn die Geschichts-
epoche einer Willensmetaphysik überwunden werden soll.2? Diese
Abwendung Heideggers von der Philosophie des Willens und der
Macht ist vor allem dokumentiert in den 1936-38 entstandenen
»Beiträgen zur Philosophie« (siehe Kap. V).
Auch die Seibstverpflichtung der Universität und Wissenschaft
auf »geistige Führung«, mit der die Rede von 1933 einsetzt, konnte
leicht mißverständlich gedeutet werden, auch wenn die Kategorie
der »Führung« selbst in die Pflicht des Geführtwerdens genommen
werden sollte:

»Die Übernahme des Rektorats ist die Verpflichtung zur geistigen Füh-
rung dieser hohen Schule. Die Gefolgschaft der Lehrer und Schüler
erwacht und erstarkt allein aus der wahrhaften und gemeinsamen Ver-
wurzelung im Wesen der deutschen Universität. Dieses Wesen aber
kommt erst zu Klarheit, Rang und Macht, wenn zuförderst und jederzeit
die Führer selbst Geführte sind - geführt von der Unerbittlichkeit jenes
geistigen Auftrags, der das Schicksal des deutschen Volkes in das
Gepräge seiner Geschichte zwingt.«”"

Allerdings muß man, wenn von »geistiger Führung« die Rede ist,
den Geist des geschichtlichen Kontextes des frühen 20. Jahrhun-
derts mit berücksichtigen. Auf die Geschichte des Geistbegriffs hat
bereits Jacques Derrida verwiesen.°! Aber auch der Begriff der
»Führung« und des »Führers«: Die Idee, daß die Dichter und
Denker auch die politischen Führer des Volkes sein sollten, gehört
zu den Grundgedanken der literarischen Kultur des ersten Drittels
des 20. Jahrhunderts in Deutschland. So fordert bereits 1911 Gustav
Landauer in seinem »Aufruf zum Sozialismus« die Wiedergeburt
der Völker aus dem »Geist der Gemeinde«, herbeigeführt werden
aber soll diese Wiedergeburt durch den prophetischen Dichter-
Denker.3? In Georg Kaisers Drama »Hölle Weg Erde« von 1918/19
29 Martin Heidegger: Überwindung der Metaphysik. In: Vorträge und Auf-
sätze. Pfullingen 1954, $.73. Die unter dem Titel Überwindung der Meta-
physik abgedruckten Aphorismen stammen aus einem noch nicht veröffent-
lichten Manuskript Heideggers mit dem Titel Der Anklang, an dem Heideg-
ger in den Enddreißiger- Anfangvierziger Jahren arbeitete. Siehe Anm. 69.
30 Das Rektorat, S.9. i
31 Jaques Derrida: De l’esprit. Heidegger et la question. Mayenne 1987.
32 Gustav Landauer. Aufruf zum Sozialismus. Köln 1925 ('1911), S. 130. Ent-
scheidend für Landauer ist der geistige Charakter der Revolution: »Wo kein

15
wird ebenfalls das Motiv des Aufbruchs mit dem der geistigen
Führerschaft verbunden. Allerdings zeigt die ersatzmetaphysische
Lichtmetaphorik im Kontext des »Führer«-Bildes bereits eine
bedrohliche Entleerung der Idee zur Leerformel an:
»(Neuer Lichtstrahl verbreiternd.)
Entwichener Sträfling: Wo ist der Führer?
Juwelier (mit Stock nach Spazierer weisend.):
Der marschierte vor uns.
Spazierer: Wie Tropfen im Strom rinnt!
Freudenmädchen (vorkommend): Wo ist der Führer?
Anwalt (zu Spazierer): Sie werden sich nicht verleugnen.
(Voller Ruf über die Ebene: »Wo ist der Führer?!«)
Spazierer (schallend): Euer Ruf löscht mich aus!
Entwichener Sträfling: Wir suchen ins Licht!
(Rufen über die Ebene: Wir suchen ins Licht!!«).°

Auch im Kreis Stefan Georges findet sich das Führermotiv, so ım


Gedicht Georges mit dem Titel »Einem jungen Führer ım ersten
Weltkrieg« aus »Das neue Reich«.’* Diese Texthinweise sollen keine
Geist und keine innere Nötigung ist, da ist äußere Gewalt, Reglementierung
und Staat.« ($. 19).
33 Georg Kaiser: Werke Bd. II. Stücke 1918-1927. Hg. v. Walther Huder.
Frankfurt u.a. 1971, S.141. Die Figur des Spazierer, der wie die Figur des
Eustache de Saint-Pierre in Kaisers Drama Die Bürger von Calais von 1914
den Reinigungsweg exemplarisch vorausgeht, kann den Weg weisen: »Wo
Erde ist! - Baur die Schöpfung, die ihr seid - im Aufbruch zu euch, wer ihr
seid!« (S.142). Wie Eustache rückt er selbst ein in den kollektiven Reini-
gungsprozeß und ist so gerade nicht die über den Köpfen schwebende
ersatzreligiöse Figur des Führers, dem blind zu folgen der Faschismus vor-
schrieb. Man muß sich also sehr vor vorschnellen Analogien hüten. Dennoch
durchzieht das gesamte expressionistische Verkündigungsdrama — so auch
die Dramen Barlachs und Tollers - eine Sehnsucht nach geistigem Aufbruch
und Erneuerung, die vielfach durch eine gereifte geistige Führerfigur angelei-
tet wird. Diese allerdings ist im Expressionismus zumeist nicht national-
konservativ gesinnt, aber doch von einer politisch mißbrauchbaren Vagheit.
Siehe dazu: Silvio Vietta: Das expressionistische Verkündigungsdrama. In:
Silvio Vietta/Hans-Georg Kemper: Expressionismus. München 1985,
SUI5EH:
3> Stefan George: Das neue Reich. Gesamt-Ausgabe Bd. 9. März 1937, S.41 ff.
Siehe dort auch das Gedicht Der Dichter in Zeiten der Wirren, ın dem es
heißt: »er heftet/Das wahre sinnbild auf das völkische banner/Er führt durch
sturm und grausige signale/Des frührots seiner treuen schar zum werk/Des
wachen tags und pflanzt das Neue Reich.« ($.39) -— Die gesamte Führer-
Aufbruchs- und Erneuerungslehre der deutschen Intelligenz im ersten Drit-
tel des 20. Jahrhunderts war - bei allen politischen Differenzen - von einer

16
kurzschlüssige Verbindung zwischen Heidegger und der Literatur
des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts herstellen. Aber das geistes-
geschichtliche Umfeld kann doch verdeutlichen, wie weitverbreitet
das Motiv des Aufbruchs, angeleitet durch geistige Führerschaft,
war. Auch Theodor Litts Buch »Führen oder Wachsenlassen« von
1927 verwendet das Führungsmotiv im Bereich der Pädagogik noch
ganz positiv, wenn auch vermittelt mit dem Selbständigkeit garan-
tierenden Prinzip des »Wachsenlassens«. Die Begriffe des »Führers«
und der »Führung« sind eben erst durch den Führer so negativ
besetzt und diskreditiert worden. Dennoch steckt in der Idee der
Führung durch den Willensmenschen auch vor Hitler ein Gefah-
renpotential, über das man nachdenken muß.
Wenn man Heideggers Rektoratsrede von 1933 auch und gerade
mit dem kritischen Potential angeht, das der spätere Heidegger im
erneuten Durchgang durch Nietzsche und die abendländische Phi-
losophie- und Metaphysikgeschichte entwickelt hat, so kommt man
um den Befund nicht herum, daß in dieser Rede selbst noch eine
Metaphysik des »Willens zur Macht« herrscht, die der spätere Hei-
degger eben ideologiekritisch als Herrschaftsdenken durchschaut

bemerkenswerten politischen Vagheit und in einem bestimmten Sinne unpo-


litisch. Das gilt auch für die Haltung Heideggers. In diesem Sinne hat die sog.
Bereinigungskommission, die diesen ganzen Vorgang 1945 zu beurteilen
hatte, Heideggers Fehleinschätzung erkannt. Die Kommission beschönigte
nicht die schwere Schuld Heideggers, aber versuchte sie doch verstehend
nachzuvollziehen. Die ersten Sätze des Gutachtens der Kommission lauten:
»Der Philosoph Professor Martın Heidegger lebte vor dem Umbruch von
1933 in einer völlig unpolitisch geistigen Welt, stand aber in freundschaftli-
cher Berührung (auch durch seine Söhne) mit der damaligen Jugendbewe-
gung und gewissen literarischen Wortführern der deutschen Jugend, wie
Ernst Jünger, die das Ende des bürgerlich-kapitalistischen Zeitalters und das
Heraufkommen eines neuen deutschen Sozialismus ankündigten. Von der
nationalsozialistischen Revolution erwartete er eine geistige Erneuerung des
deutschen Lebens auf völkischer Grundlage, gleichzeitig, wie sehr viele
deutsche Gebildete, eine Aussöhnung der sozialen Gegensätze und eine
Rettung der abendländischen Kultur von den Gefahren des Kommunismus.
von den politisch-parlamentarischen Vorgängen, die der Machtergreifung
des Nationalsozialismus vorangingen, besaß er keine klare Vorstellung,
glaubte aber an die geschichtliche Mission Hitlers, die ihm selbst vorschwe-
bende Geisteswende herbeizuführen.« (Zit. bei Ott - Anm. 1 - $. 305). Im
Wintersemester 1932/33 hatte Heidegger ein Freisemester und blieb fast die
ganze Zeit oben auf seiner Hütte in Todtnauberg. Ideale Bedingung für
geistige Arbeit, aber schlechte, um die politischen Geschehnisse zu verfolgen
und zu verstehen. Das entschuldigt nichts, aber erklärt manches.

17
hat. Auch ist jenes Pathos, das schon »Sein und Zeit« durchzieht,
das Pathos der »Eigentlichkeit«, des Aufbruchs aus der »Uneigent-
lichkeit« gerade in der fundamental-ontologischen Formalität die-
ser Begriffe anfällig gewesen für eine falsche Besetzung mit der
falschen Politik. Im Grunde herrscht schon in »Sein und Zeit«, hier
aber dem Autor selbst noch nicht ganz durchsichtig, die existen-
zielle Not der Moderne als einer entgötterten, entwurzelten , angst-
besetzten Zeit. »Angst«, »Furcht«, »Sorge«, nicht etwa Liebe oder
Hoffnung, bestimmen die Daseinsanalyse von »Sein und Zeit« und
so den Grundton dieses großen systematisch-philosophischen
Werks des 20. Jahrhunderts. In diesem Sinne ist »Sein und Zeit«,
entgegen der Intention des Autors, Geschichtlichkeit allererst zu
begründen, selbst ein Ausdruck der Epochengeschichte. Aber der
Heidegger von »Sein und Zeit« und noch mehr der Heidegger der
Rektoratsrede von 1933 will aus solcher Befindlichkeit mit Gewalt
heraus. Dominant ist so 1933 das Pathos des — gewaltsamen -
Neuanfangs, nicht die schon verdeckt mitlaufende Einsicht in den
Nihilismus der eigenen Zeit. Der Heidegger von 1933 verfügt eben
noch nicht über jene Geschichtsphilosophie der Moderne, die ihm
ermöglicht hätte, zu erkennen, daß jener politische Aufbruch, den
der Nationalsozialismus wollte, eben kein wirklicher Neuanfang
war, sondern im Gegenteil eine brutale Erscheinungsform des Nihi-
lismus selbst.
Wie gesagt: spätestens im Frühjahr 1934 muß Heidegger diese
Illusion als ein Stück falschen Bewußtseins durchschaut haben,
auch die Idee, die ihn wahrscheinlich 1933 geführt hatte, daß die
Politik des Nationalsozialismus von den Universitäten her, von der
Neubestimmung der Wissenschaft und des Wissens zu steuern
gewesen ware.
Aber wie vollzog sich die philosophische Erkenntnis und damit
auch die Einsicht in die eigene Fehleinschätzung der politischen und
wissenschaftsgeschichtlichen Lage? Wie und über welche Schritte
kommt Heidegger zur Einsicht, daß seine Idee eines Neuanfangs ım
Wissen mit dem Nationalsozialismus nichts gemein hat? Und
wohin führt ihn diese Kritik? Was erkennt der spätere Heidegger
kritisch am Nationalsozialismus und an der Zukunftsgestalt einer
modernen wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Gesellschaft?
III. Heideggers metaphysikkritischer Ansatz
und die Grundzüge seiner Kritik am
Nationalsozialismus

Wenn wir Heideggers Texte nach einer Kritik des Nationalsozialis-


mus befragen, werden wir die Problemebene beachten müssen, auf
der Heidegger Geschichte behandelt. Es ist kein politologischer,
kein soziologischer, sondern ein seinsgeschichtlicher, metaphysik-
kritischer Horizont, in dem Heidegger Geschichte analysiert und
versteht. In jenem großen Vortrag, den Heidegger in der Zeit des
Nationalsozialismus in Freiburg gehalten hat, »Die Begründung
des neuzeitlichen Weltbildes durch die Metaphysik« (gehalten am 9.
Juni 1938), modifiziert veröffentlicht unter dem Titel »Die Zeit des
Weltbildes« in den »Holzwegen« von 1950,°5 definiert Heidegger,
was er unter »Metaphysik« verstanden wissen will und in welchem
Zusammenhang Metaphysik und Geschichte seiner Meinung nach
zu denken sind:
»In der Metaphysik vollzieht sich die Besinnung auf das Wesen des
Seienden und die Entscheidung über das Wesen der Wahrheit. Die
Metaphysik begründet ein Zeitalter, indem sie ihm durch eine bestimmte
Auslegung des Seienden und durch eine bestimmte Auffassung der
Wahrheit den Grund seiner Wesensgestalt gibt. Dieser Grund durch-
herrscht alle Erscheinungen, die das Zeitalter auszeichnen. Umgekehrt
muß sich in diesen Erscheinungen für eine zureichende Besinnung auf
sie der metaphysische Grund erkennen lassen. «°6
35 Zu Titel und Textgestalt siehe folgende Anmerkung.
36uaa Ich zitiere im folgenden nach einem mit der Handschrift kollationierten
Typoskript des Vortrages, das im Heidegger-Archiv in Marbach liegt.
Zudem nenne ich die entsprechenden Seitenzahlen in der späteren Druckfas-
sung der Holzwege und weise dabei auf die Hauptvarianten hin. Hier:
Martin Heidegger: Holzwege. Frankfurt 1950, S.69. Den Band der Holz-
wege in der Gesamtausgabe Heideggers betreut hat F.-W. v. Herrmann (1.
Abt., Bd. 5, Frankfurt 1977), der über seine editorische Arbeit in einem

19
Mit anderen Worten: Heidegger unternimmt es hier, seine Zeitund
ihre Symptome kritisch aus ihren inneren und ersten Voraussetzun-
gen herzuleiten. Das aber ist ein genuin philosophisches Verfahren
der Geschichtsdiagnose auch und gerade dort, wo die politischen
Zeitsymptome zur Sprache kommen. Es ist der Versuch, in den
inneren, metaphysischen »Grund« seines eigenen Zeitalters
zurückzusteigen, um die Erscheinungen dieses Zeitalters aus diesen
seinen letzten, inneren Voraussetzungen besser verstehen zu kön-
nen. Dieses Denkverfahren scheint mir nicht zutreffend beschrie-
ben, wenn es »Abstraktion durch Verwesentlichung« genannt
wird.3” Das Verfahren ist zumindest der Intention nach das Gegen-
teil von Abstraktion. Es ist der Versuch eines Rückgangs ın jene
inneren, geistesgeschichtlichen Voraussetzungen, aus denen
Erscheinungen des Zeitalters, auch des nationalsozialistischen,
allererst möglich waren und verständlich werden sollen.
Bei dieser metyphysikkritischen Analyse des Zeitalters stößt
Heidegger auf fünf prägende Faktoren: die neuzeitliche Wissen-
schaft, die neuzeitliche Technik, die Subjektivierung der Ästhetik,
den Kulturbetrieb, die Entmythisierung (»Entgötterung«). Alle
diese Faktoren hängen innerlich zusammen, entspringen einem
gemeinsamen »Grund«, den Heidegger vor allem an der neuzeitli-
chen Wissenschaftsgeschichte im Gegenzug zum antiken und mit-

Nachwort des Herausgebers auch differenziert Auskunft erteilt. Da Herr v.


Herrmann die Paginierung des Erstdrucks der Holzwege auch philologisch
korrekt und gut lesbar in die Gesamtausgabe übernommen hat, zitiere ich ım
folgenden nach dieser Erstausgabe der Holzwege. Die entsprechenden Stel-
len sind in der Gesamtausgabe leicht aufzufinden. Der endgültige Titel des
Vortrages in den Holzwegen lautet: Die Zeit des Weltbildes und wurde erst
handschriftlich von Heidegger in das Typoskript der Druckvorlage hinein-
geschrieben und so festgelegt. - Variante Holzwege: »eine Entscheidung. «-
Zur Druckgeschichte teilt mir Hans-Georg Gadamer folgendes mit: »...ich
darf dazu nur bemerken, daß dieser Aufsatz über das Weltbild wegen der
mangelnden Papierbewilligung seinerseits nicht erschienen ist, obwohl er
bereits im Satz war, und daß Klostermann einige Abzüge auf ganz schlech-
tem Papier für Heidegger und den Versand hergestellt hat.«
Ein solches Exemplar befindet sich im Besitz von Hans-Georg Gadamer.
Ohne Übertreibung wird man sagen können, daß im Vortrag Heideggers
und in seiner von ihm projektierten, dann eingeschränkten Verbreitung ım
Druck ein Stück subversiver Öffentlichkeit im totalitären System des Natio-
nalsozialismus von 1938 sich realisiert hat. In welchem Maße, wird zu zeigen
sein.
37 Habermas (Anm. 6), $. 28.

20
telalterlichen Wissensbegriff herausarbeitet: die spezifisch neuzeit-
liche Vergegenständlichung der Gesamtheit des Seienden, der
»Welt« durch das neuzeitliche Erkenntnis-»Subjekt«, die giganti-
sche Berechenbarmachung, Quantifizierung der Natur und des
Menschen durch den Menschen, dies alles von Heidegger festge-
macht an der Analyse der »Verweltanschaulichung< der Welt: daß die
»Welt«, die Gesamtheit alles Seienden, überhaupt zum »Weltbild«
wird, d.h. auf ein erkennendes, perspektivierendes Subjekt hin
bezogen, »vorstellbar« und damit berechenbar, vernutz- und aus-
beutbar, ist eben die konsequente und notwendige Folge dessen,
daß die Welt neuzeitlich zum vergegenständlichten Bild gemacht
worden ist. Der eigentlich treibende Faktor dieses Vorganges ist
aber nach Heidegger die Wissenschaft selbst, deren neuzeitlichen
Begriff von Empirie, Experiment, deren zeitgenössische Organisa-
tionsformen an Universitäten, Institutionen und im Wissenschafts-
»Betrieb« er analysiert, dies immer wieder in Opposition zu vormo-
dernen Wissens- und Lehrformen und im Rückgang auf die eigent-
liche Umbruchstelle zur wissenschaftlichen Frühmoderne bei Des-
cartes, im europäischen Frührationalismus.
Bei dieser Analyse nun mußte Heidegger seinerseits zwangsläu-
fig auch auf seine Selbsteinschätzung des Faschismus in der
berühmten Rektoratsrede von 1933 stoßen. Denn seine Rede war ja
in erster Linie eine Rede über das »Wesen der Wissenschaft« gewe-
sen und enthielt Aussagen über ihre zukünftige Rolle in jener
politischen Bewegung, der er sich durch die Amtsübernahme des
Rektorats 1933 assoziiert hatte, der nationalsozialistischen Bewe-
gung. Anders gewendet: Die Auseinandersetzung mit dem Natio-
nalsozialismus mußte sich für den Philosophen Heidegger wesent-
lich auf jener Ebene vollziehen, auf der er den Nationalsozialismus
tatsächlich falsch eingeschätzt hatte: auf der Ebene der Theorie des
Wissens. Und diese Fehleinschätzung mußte ihm, der zunehmend
kritisch die Rolle der Wissenschaft in der Begründung und Durch-
setzung der neuzeitlichen Metaphysik beobachtete, selbst höchst
problematisch aufstoßen.
Zu welcher Aussage kommt Heidegger in jenem öffentlichen
Vortrag von 1938? Die Rede wurde bereits am folgenden Tag in
»Der Alemanne« höhnisch besprochen.

21
Zu dieser Ausgabe des »Alemannen« vom 10. Juni 1938 und zur jüngsten
Heidegger-Forschung ein kurzer Exkurs: Es ist bemerkenswert, daß
auch Hugo Ott in seiner Heidegger-Biographie auf den Sachverhalt
stößt, daß direkt unter der hämischen Heidegger-Kritik in der dem
Faschismus nahestehenden Zeitung »Der Alemanne« folgende Ankün-
digung sich findet: »Vierteljahresplan und Chemie. Am 15. Juni um
12.15 findet im Rahmen der Hochschulwoche die Übernahme der neu-
geschaffenen Räume des Chemischen Instituts, Albertstraße 21, statt. Zu
dieser Veranstaltung wird auch der Rektor der Freiburger Universität
erscheinen, der Präsident der Industrie- und Handelskammer, sowie
eine Reihe Persönlichkeiten, die an chemischer Forschung Interesse
haben. Anschließend wird Professor H. Staudinger einen Vortrag halten
über »Vierteljahresplan der Chemie«.« Dazu der Kommentar von Ott:
»Die hintergründige Ironie dieser Konstellation vermochte nur Heideg-
ger zu begreifen. Und weil er sie zutiefst erfaßte, war er derart aufge-
wühlt, daß er diese Fügung als schwerste Kränkung erfuhr.« (Ott, Anm.
1,5.212). Aber Ott hat die »Kränkung« nicht wirklich erfaßt, weiler den
Fall Staudinger letztlich als einen psychologischen Fall behandelt. In
seiner Darstellung erscheint der »Fall Hermann Staudinger« so beson-
ders bösartig, ja heimtückisch von Seiten Heideggers, weil hier der
Historiker die eigentliche Motivation des Philosophen nicht begreift.
Ott sagt dies auch offen: »daß keine Erklärung der Motivation sich
ergeben wollte - und diese Erklärung auch jetzt nicht im Letzten mög-
lich zu sein scheint, man nehme denn eine tiefenpsychologische Ausle-
gung zu Hilfe.« (Ott, S.201). Psychologie also als letzter Verstehensho-
rizont für den Philosophen? Der Fall Staudinger spielte so eine beson-
dere Rolle in der jüngsten publizistischen Kritik, als Beleg nämlich für
die schlimme Psychologie des Mannes Heidegger. Nun kann und soll
Heideggers Zusammenwirken im Herbst 1933 mit der faschistischen
Bürokratie in Sachen Staudinger weder entschuldigt noch beschönigt
werden. Aber der inneren Gründe für Heideggers Kampf gegen einen
Wissenschaftler wie Staudinger muß man doch erst einmal ansichtig
werden, um die Schärfe dieser Auseinandersetzung zu begreifen. Hans
Staudinger, der Chemiker, erscheint in der Darstellung von Ott als ein
harmloser, unbescholtener, gut beleumundeter, international renom-
mierter Wissenschaftler. Aber Staudinger war eben auch ein Vertreter
jenes technizistischen Wissenschaftlertypus, der unter dem Deckmantel
verschiedener politischer Ideologien - Heideggers Charakteristik Stau-
dingers hebt auf diesen wetterwendischen Wandel Staudingers vom
Pazifistren zum Nationalisten besonders kritisch ab — eben jene rein
technische Wissenschaftsauffassung vertrat, die Heidegger von Anfang
an bekämpft hatte, die sich aber besonders gut - wie eben die Ankündi-
gung im »Alemannen« zeigt - vom Faschismus vereinnahmen ließ.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, darauf hinzuweisen, in

27
welchem Maße gerade die Chemische Industrie vorgeprescht war, um
eine militärische Organisation der Wirtschaft als Vorbereitung auf einen
Krieg zu erwirken. Bereits 1935 fordert die IG Farben in einer Denk-
schrift für den Rüstungsbeirat des Reichswehrministeriums folgendes:
»Der Gedanke, die Außenorganisation des RMW unter Einschluß des
RLM zur Vorbereitung der Industrie auf den Krieg zu erweitern, bedeu-
tet letzten Endes, sich mit den Problemen über den Aufbau einer alle
Kräfte des Volkes zusammenschließenden Wirtschaftsorganisation zu
befassen.
Wenn man sich nicht nur an die im Krieg unter dem Zwange der Not
entstandene Organisationsform anlehnen will, sondern wenn man dar-
auf ausgeht, die gesamten produktiven Kräfte auf weite Sicht vorberei-
tend einem einheitlichen Zweck unterzuordnen, so heißt dies — naturge-
mäß unter Benutzung der im Kriege gesammelten Erfahrungen - eine
wehrwirtschaftliche Neuorganisation zu schaffen, die den letzten Mann
und die letzte Frau, die letzte Produktionseinrichtung und Maschine
sowie den letzten Rohstoff der Erzeugung von kriegswichtigen Produk-
ten zuführt und alle Arbeitskräfte, Produktionseinrichtungen und Roh-
stoffe in einem militärisch straff geführten wirtschaftlichen Organismus
eingliedert. Die gesamte Erzeugung der Industrie, des Handwerks und
Gewerbes sowie der Landwirtschaft gilt in diesem Sinne als kriegswich-
tig und muß daher in den Rahmen einer umfassenden Wehrwirtschaft
einbezogen werden ...«
(In: Reinhard Kühnl: Der deutsche Faschismus in Quellen und Doku-
menten. Köln 1987, S.309.) Natürlich kannten - bei der Geheimhal-
tungspolitik des NS-Staates - weder Heidegger noch Staudinger dieses
Papier. Aber der Sachverhalt der Vereinnahmung der naturwissenschaft-
lichen Forschung, vornehmlich der Chemie, durch den NS-Staat und die
zunehmend militarisierte Organisation der Wissenschaft, dieser Sach-
verhalt war 1938 klar erkennbar und wird ja auch in Heideggers Wissen-
schaftskritik erkannt. Bereits 1933 hatte Heidegger in seiner Rektorats-
rede gesagt, daß »das spätere mathematisch-technische Denken der
Neuzeit ... die Wissenschaft zeitlich und sachlich von ihrem Anfang
entfernt« habe (Das Rektorat, $.12), 1938 aber hatte dieser Trend, den
er, auch in einem Wissenschaftler wie Staudinger, bekämpft hatte,
gesiegt. Leider hat die Darstellung von Ott für diese Problemdimension,
die ja in Heideggers eigenen Schriften zentral ist, keinen Sinn und
kommt daher zu sehr ungerechten Einschätzungen. Der »Fall Staudin-
ger« muß vor dem Hintergrund der Wissenschaftsproblematik im NS-
Staat noch einmal neu behandelt werden. Zur Information teile ich hier
noch die Eingangspassage der Berichterstattung über Heideggers Vor-
trag im »Alemannen« vom 10. Juni 1938 mit, in dem die Philosophie
insgesamt als eine überholte Wissensform und die Heideggersche Philo-
sophie im besonderen als »erledigt« lächerlich gemacht wird:

23
„Niemand wird geprüft in Philosophie in Deutschland, es sei denn, daß
einer sich das besondere Vergnügen mache, in Philosophie zu promovie-
ren. Es ist jedem überlassen, zu philosophieren, privat zu Hause unter
Büchern oder an einer Universität bei einem der 36 noch dozierenden
ordentlichen Professoren der Philosophie. Das ist wesentlich und zu
beachten, denn es hat sich gegenüber früher auf diesem Gebiet sehr viel
geändert. Die eigentliche Philosophie ist ins Hintertreffen geraten, man
macht sich nicht mehr so viel unnötige Sorgen um Metaphysiken und
Systembauten und mischt sich nicht ein in den fruchtbaren oder
unfruchtbaren Streit um schön geformte Worte. Nicht im geringsten
berührt uns der Kampf und die Auseinandersetzung der Philosophen
unter sich und wer sollte Böses denken, wenn ein Fachphilosoph über
einen anderen schreibt: »Es ist Sache der Ausmalung, daß eine der
erfolgreichsten der Anthropologien, Heideggers »Sein und Zeit«, sich
selber als Fundamentalontologie bezeichnet und den Menschen weniger
in seiner aktiven als in seiner passiven Rolle erfaßt. Die Scheinoriginalität
der Heideggerschen Existenzialanalysen ist durchweg mit einem klassı-
schen Satz Kants erledigt: »Neue Worte zu künden, wo die Sprache
schon so an Ausdrücken für gegebene Begriffe keinen Mangel hat, ist
eine kindische Bemühung, sich unter der Menge, wenn nicht durch neue
und wahre Gedanken, doch durch einen Lappen auf dem alten Kleide
auszuzeichnen.««

Zurück zu Heideggers Vortrag. Er enthält eine ausgearbeitete Wis-


senschaftskritik, die übergeht in eine Kritik der modernen Technik.
Zunächst Philologisches: Das Marbacher Heidegger-Archiv enthält
einen Schuber mit zwei Text-Konvoluten ä 27 und 29 Blättern,
welche die Ausarbeitung des Vortrages enthalten sowie eine Reihe
von Zetteln aus dem Umfeld des Vortrages. Das erste Textkonvolut
(A) stellt eine Vorstufe des endgültigen Vortragsmanuskriptes
(Textkonvolut B) dar, wobei ausgearbeitete Passagen aus A ın B
übernommen wurden. Dies sind insbesondere solche Textpassagen,
in welchen die vorneuzeitliche griechische Erfahrung von Seiend-
heit und Verstehen entfaltet wird. Bereits Konvolut A enthält nun
den Hinweis: »Für die weitere Ausarbeitung: Über das Mathemati-
sche: Descartes vgl. Vorls. 35/6, S. 41ff u. 64ff ferner Arbeitskreis
über Desc. Regulae. Handexemplar. Über Desc.s metaphysische
Grundstellung vgl. Übg. 1937/8. Über das »System« u. das>Systema-
tische: vgl. Schelling-Vorlesung $.$. 36, $. 23 ff.«
Die Vorlesung, auf die im ersten Hinweis angespielt wird, ist die
38 Holzwege S.83f. »Noch ferner liegt dem Griechentum...«.

24
1935/6 gehaltene Freiburger Vorlesung »Grundfragen der Meta-
physik«, in der Gesamtausgabe veröffentlicht unter dem Titel »Die
Frage nach dem Ding«.?” Diese Vorlesung enthält - und darauf
bezieht sich Heidegger - eine ausführliche Einlassung auf den meta-
physischen Sinn des Mathematischen und auf Descartes. Die zweite
Referenz bezieht sich auf die Schelling-Vorlesung von 1936, dort
die Analyse des neuzeitlichen Systembegriffs. Beide Referenzen auf
die neuzeitliche Denkgeschichte haben denselben Fokus: sie sollen
den Nachweis erbringen, daß wissenschaftliches Denken in der
Neuzeit sich bereits in einem Auslegungshorizont bewegt, dem des
»Mathematischen im weiteren Sinne«,*! der auch den Systemzwang
der neuzeitlichen Wissenschaft selbst vorgibt.*? »Die Vorherrschaft
des Mathematischen« wie auch das Systemdenken sind Folgelasten
eines Wandels des »europäischen Daseins aus einem Grunde, der
uns bis heute dunkel ist«.*? Zu diesem Wandel gehört eben auch und
zentral die Zentrierung des Wissens auf das verstehende »Subjekt«
hin, Descartes’ »cogito«, das seinen Verstand, wie die »Regulae«
ausführen, als ein rechnendes Wissenschaftsinstrument begreift.
Heidegger hat sich denn auch in dieser Zeit um eine intensive
Interpretation von Descartes’ »Regulae ad directionem ingenii« im
Rahmen eines Arbeitskreises von Mathematikern und Naturwis-
senschaftlern bemüht und insbesondere auch die Vorlesung
»Grundfragen der Metaphysik« enthält passagenweise eine Ausle-
gung der »Regulae«.** Das ist auch konsequent. Vollzieht sich ja
doch in den »Regulae« besonders deutlich sichtbar die Uminterpre-
tation von Vernunft zu einem eingeborenen, universalen, mathema-
tisch ausgelegten Instrument des Verstehens.* Das offenbar sind

39 Martin Heidegger: Gesamtausgabe. II. Abt. Bd. 41. Hg. v. Petra Jaeger.
Frankfurt 1984, S.66ff und 98ff entsprechen den Heideggerschen Manu-
skriptreferenzen.
40 Martin Heidegger: Gesamtausgabe. Il. Abt. Bd. 42 Hg. v. Ingrid Schüßler.
Frankfurt 1988. Hier die Seiten 49ff (»System ist nicht die bloße Anord-
nung...«).
41 Die Frage nach dem Ding, 5.98.
#2 Schelling Vorlesung (1936), S.56:« Die Bestimmung der Form dieses Gefü-
ges ist aber zugleich durch die Herrschaft des Mathematischen vorgezeich-
net. Denn weil dieses Denken sich als Gerichtshof über das Seyn begreift,
kann das Seyn selbst nur ein mathematisches Gefüge haben.«
4 Ebd.,S.55
44 Die Frage nach dem Ding, S. 101 ff.
45 Bei seiner Suche nach der universalen Einheitswissenschaft (»universalis

25
die Vorstufen zum genannten Vortrag über die »Begründung des
neuzeitlichen Weltbildes durch die Metaphysik«. Dabei gehört zu
den wichtigsten Einsichten schon der genannten Vorlesungen, daß
mit dem Universalanspruch des neuzeitlichen-systemhaften Wis-
sens sich alle Wissensbereiche so umorganisieren, daß sie sich die-
sem Anspruch anpassen, auch die Theologie, auch die sog. Geistes-
wissenschaften, der gesamte Bereich der »Kultur« im weitesten
Sinne. Die ratio wird, so heißt es im Abschnitt über »Freiheit und
System« in der Schelling-Vorlesung, zum »Gerichtshof für die
Wesensbestimmung des Seyns«.* Dies vollzieht sich auch als
»Zerbrechen der ausschließlichen Herrschaft der Kirche in der
Gesetzgebung des Wissens und Handelns«, die als eine »Befreiung
des Menschen zu sich selbst verstanden« werde.”
»Das menschliche »Denken«... wird zum Grundgesetz der Dinge selbst.
Die Eroberung.der Welt im Wissen und Handeln setzt ein.«**
Man kann diese Heideggerschen Analysen des frühneuzeitlichen Den-
kens heute durch wissenschaftsgeschichtliche Forschungen zum »Para-
digmawechsel« der Wissenschaften ergänzen, Forschungen, wie sie von
Thomas Kuhn, Benjamin Nelson, in Deutschland von Hans Blumen-
berg, Jürgen Mittelstraß u.a. vorgelegt worden sind. Diesen Forschun-
gen nach vollzieht sich der Umbruch zur Neuzeit langsam und in vielen
kleinen Schüben. Vorgefechte dieses Umbruchs zu einer quantifizieren-
den Wissenschaft wurden bereits im Mittelalter gefochten. Benjamin
Nelson setzt bereits um 1277 einen entscheidenden Umschlagpunkt an
(Der Ursprung der Moderne. Frankfurt 1977, S.108). Nelson bezieht
sich hier bereits auf die Forschungen von P. Duhem, der im 1277 in Parıs
ausgesprochenen Verdammungsurteil der realistischen Theologie die
Geburtsstunde einer fiktionalen Auffassung von Theorie sah und damit,
so auch Nelson, das »Geburtsjahr der modernen Wissenschaft«. Nun
wird man - auch wenn der nominalistischen Pariser Schule eine wichtige
sapientia«) stößt Descartes auf die Mathematik als jene Wissenschaft, »auf
die als die Eine, Maßgebende alles hingewendet und eingerichtet ist. Descar-
tes betont ausdrücklich, es handele sich dabei nicht um die mathematica
vulgaris, sondern um die mathesis universalis.« (Ebd., S. 101) In dieser für
das neuzeitliche Wissen präskriptiven universalen Funktion des »rechnen-
den Denkens« für alle Seinsbereiche, nicht nur für die Natur, sieht Heidegger
den eigentlich metaphysischen Entwurfshorizont der neuzeitlichen Mathe-
matık, dem sich nunmehr alles, was im wissenschaftlichen Sinne zu sein
beanspruche, unterwerfen müsse.
46 Schelling-Vorlesung. S.58.
47 Ebd., S.54.
48 Ebd.,S.54f.

26
Vorreiterrolle zugestanden werden muß - einen solchen Anbruch der
Moderne nie auf ein Jahr genau datieren können. Heideggers Einsicht,
daß sich die Moderne als Wandel der Grunderfahrung von Wirklichkeit
ankündigt und vollzieht, verbietet eine solche punktuelle Datierung an
der Oberfläche des Geschichtsablaufs, auch wenn einzelne Daten und
Fakten dabei - und zuweilen entgegen ihrer Intention - förderlich oder
hemmend wirken können und so auch wirkten. Das gilt, wie wir sehen
werden, auch und gerade für die Ideologie des Faschismus. - Zu den
frühen Forschungen zur Vorgeschichte der Mathematisierung des Welt-
bildes gehört auch die Arbeit von Anneliese Maier: Die Vorläufer Gali-
leis im 14. Jahrhundert. Studien zur Naturphilosophie der Spätscholastik.
(Rom ?1966, '1949), die darauf hinweist, daß im 14. Jahrhundert im
Kreis der Oxforder »calculatores« eine Strömung sich breitmacht, die
versucht, auch Qualitäten, Intentionen, Intensitätsverhältnisse und
-änderungen möglichst quantitativ zu erfassen. Allerdings, so schreibt
Hans Blumenberg, sei die Scholastik »an der Schwelle einer eigentlichen,
messenden Physik stehengeblieben« (Der Prozeß der theoretischen Neu-
gierde. Frankfurt 1973, S.155), weil ihr für die Quantifizierung im
neuzeitlich-exakten Sinne selbst noch die Maßsysteme und Meßinstru-
mente fehlten. Auch Anneliese Maier schreibt, daß die Arbeit der mittel-
alterlichen »calculatores« »immer ein Rechnen ohne Messen geblieben
sei, »nicht nur ein Rechnen ohne Messen im konkreten Einzelfall, d.h.
ohne Experiment, sondern auf weiten Gebieten ein Rechnen ohne die
grundsätzliche Möglichkeit des Messens. Dem 14. Jahrhundert fehlt,
kurz gesagt, völlig das Hilfsmittel der indirekten Maßbestimmung.«
(S. 115). Der entscheidende Vorstoß in Richtung auf eine Mathematisie-
rung und damit auch: Mechanisierung der Natur erfolgte wohl doch erst
auf der Wende zum 17. Jahrhundert. Descartes’ Begriff der »res extensa«
muß im Rahmen dieser Zeitströmung, so den Forschungen Galıleis,
gesehen werden. Dabei ist, wie die Analyse seines Begriffs der »mathesis
universalis« ergibt, der Totalitätsanspruch der neuen Vernunft das
eigentliche Signum dieser philosophischen Epoche. Eine weitere wich-
tige Erkenntnis der neueren Forschung, so Jürgen Mittelstrass’ Buch
Neuzeit und Aufklärung. Studien zur Entstehung der neuzeitlichen
Wissenschaft und Philosophie. (Berlin/New York 1970), liegt in der
Einsicht in die Rückvermitteltheit der neuen Wissenschaftspraxis und
Philosophie an Bereiche der Lebenspraxis, an Handwerk, Kriegstechnik
u.a. In der Tat kündigt sich die Frühmoderne auch in neuen Formen der
Landvermessung, Welteroberung, des Bankwesens u.a. an. Auffällig ist
übrigens an dieser breiten jüngeren Forschung zur Frühneuzeit, daß in
ihnen Heidegger - obwohl er zumindest auf dem Gebiet der Wissen-
schaftsgeschichte entscheidend vorgearbeitet hat - kaum zitiert wird.
Dabei hat Heidegger gerade in der erwähnten Vorlesung Die Frage nach
dem Ding, die ja 1962 bereits publiziert vorlag, den Umbruch des

22
Denkens und den mathematischen Grundzug darin klar erkannt und
thematisiert. Seine Analysen von Galilei, Descartes, Leibniz, Newton
u.a. resümiert Heidegger: »Daß eine Mathematik, und zwar eine solche
besonderen Schlages, ins Spiel kommen konnte und mußte, ist die Folge
des mathematischen Entwurfs. Die Begründung der analytischen Geo-
metrie durch Descartes, die Begründung der Fluxionsrechnung durch
Newton, die gleichzeitige Begründung der Differentialrechnung durch
Leibniz, all dieses Neue, dieses Mathematische im engeren Sinne, wurde
erst möglich und vor allem notwendig auf dem Grunde des mathematı-
schen Grundzugs des Denkens überhaupt.« (Die Frage nach dem Ding.
5.94).
Dies als Artikulation eines neuen, spezifischen neuzeitlichen Wil-
lensbegriffs, der sich als Herrschaftsgestus nach Heidegger
zunächst in der Wissenschaft, aber zugleich auch in einer neuen
Form von Technik, Wirtschaft, Kultur durchsetzt und seitdem
planetarisch ausgebreitet hat und immer noch ausbreitet.
Diese Heideggerschen Analysen der frühneuzeitlichen Kultur-
geschichte sind sachlich und bar jeder weltanschaulichen Über-
frachtung. Im Gegenteil: mit diesem kritischen Instrumentarium
versehen, kann nun Heidegger seinerseits die Verweltanschauli-
chung des Denkens im Faschismus kritisch angehen. Der Grundte-
nor auch des Vortrages ist der kritische Befund:
»Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild.«*
Bemerkenswert ist, daß dieser Satz im Vortragsmanuskript von
1938 so fortfuhr:
»welche Eroberung aber nur der Kampf ist um die Behauptung der
Vorrangstellung des Menschen.«

Der folgende Satz, der eine Reflexion auf das Wort Bild enthält,
fehlt in dem Manuskript des Vortrages, der seinerseits, wie auch die
spätere Druckfassung, fortfährt:
»Weil diese Stellung sich sichert, gliedert und ausspricht als Weltan-
schauungen wird das neuzeitliche Verhältnis zum Seienden in seiner
entscheidenden Entfaltung zur Auseinandersetzung von Weltanschau-
ungen, und zwar nicht beliebiger, sondern allein jener, die bereits äußer-
ste Grundstellungen des Menschen mit der letzten Entschiedenheit
bezogen haben. Für diesen Kampf der Weltanschauungen und gemäß
dem Sinne dieses Kampfes setzt der Mensch die uneingeschränkte
4 Holzwege, 5.87.

28
Gewalt der Berechnung, der Planung und der Züchtung aller Dinge ins
Spiel. Die Wissenschaft als Forschung ist eine wesentliche unentbehrli-
che Form dieses Sicheinrichtens in der Welt, eine der Bahnen, auf denen
die Neuzeit mit einer den Beteiligten unbekannten Geschwindigkeit
ihrer Wesenserfüllung zurast. Mit diesem Kampf der »Weltanschauun-
gen<tritt die Neuzeit erst in den entscheidenden und vermutlich dauerfä-
higsten Abschnitt ihrer Geschichte. «>
Das ist bemerkenswert: rückt ja doch hier die Kategorie der »Welt-
anschauung« und der »Kampf der Weltanschauungen« in einen
ausgesprochen kulturkritischen Zusammenhang, als ein Instrument
der Eroberung und Herrschaftssicherung nämlich. Das heißt, die
Kategorie der »Weltanschauung« wırd nicht mehr primär nach
ihrem Gehalt abgefragt und beurteilt, sondern nach ihrer Funktion
in einem fortschreitenden Prozeß der Herrschaftsaneignung der
Welt durch den Menschen, der sich als ein entgrenzter (»uneinge-
schränkter«) Prozeß der »Gewalt der Berechnung, der Planung und
der Züchtung aller Dinge« vollziehe.
An dieser Stelle kann ein Blick auf Heideggers Hölderlin-Ausle-
gung ab 1934 geworfen werden. Joachim Storck hat in einer Mar-
bacher Dokumentation »Klassıker in finsteren Zeiten« darauf hin-
gewiesen, daß Heidegger hier schroff von der weltanschaulichen
Vereinnahmung Hölderlins durch den Faschismus abrückt, ja noch
mehr: von der pseudophilosophischen Verweltanschaulichung des
Denkens überhaupt, die er - in einer öffentlichen Vorlesung inmit-
ten des totalitäten Systems — als eine Form der Abschaffung des
Denkens brandmarkt:
»Schwieriger u. verdächtiger ist jedoch ein anderes; daß nun dıe Philo-
sophie sich über eine Dichtung hermacht. ... An die Stelle der Gefahr des
Zerredens tritt jetzt die Gefahr des Zerdenkens; zumal es so aussieht, als
würde das Denken demnächst überhaupt abgeschafft.«°!
50o Ebd., S.87. Varianten Holzwege: Unterstreichungen des Vortrages in der
späteren Druckfassung getilgt. »Weil diese Stellung sich als Weltanschauung
sichert, gliedert und ausspricht...«
e) » Klassiker in finsteren Zeiten. 1933-1945. Eine Ausstellung des Deutschen

Literaturarchivs im Schiller--Nationalmuseum Marbach am Neckar. Bd. 1.


Marbach 21983. Darin Abt. 17: »Zwiesprache von Dichten und Denken«.
Hölderlin bei Martin Heidegger und Max Kommerell. Hg. und eingeleitet v.
Joachim Storck, 8.347. Storck kommentiert diese Stelle: »Noch deutlicher
tönt die folgende Abgrenzung, in die sogar eine kaum überhörbare politische
Anspielung eingeflochten ist, welche eine merkliche Korrektur des öffentli-
chen Verhaltens von 1933 erkennen läßt.« ($.346). - In diesem Zusammen-

29
Zumindest der letzte Satz, der ja über den Bereich der Hölderlin-
Philologie im engeren Sinn hinaus die gesamte Gegenwartssitua-
tion von 1934 einschließt, setzt auch ein hohes Maß an Privat-
kühnheit voraus.
Zurück zum Vortrag von 1938. Im folgenden wird darauf
reflektiert, daß dieser Prozeß gigantische (das »Riesige«) Aus-
maße habe. Was ist in diesem Sinne das Gigantische der Gegen-
wart:
»Das Riesige ist... jenes, wodurch das »Quantitative< zu einer eigenen
Qualität und damit zu einer ausgezeichneten Art des Großen wird.
Jedes geschichtliche Zeitalter ist nicht nur verschieden groß gegenüber
anderen; es hat auch je seinen eigenen Begriff von Größe.«°?
Bemerkenswert ist diese Stelle nicht nur wegen der in ihr enthal-
tenen Einsicht des Umschlags von Quantität in eine neue Qualı-
tät der Geschichte. Bemerkenswert ist sie auch wegen ihres
Gebrauchs des Begriffs der »Größe«. »Größe« bezieht sich hier
auf das »Riesenhafte der Planung und Berechnung und Einrich-
tung und Sicherung« aller Seinsbereiche, das gerade aufgrund sei-
ner gigantischen Dimension eine eigene unberechenbare Qualität
annähme.
In diesem Zusammenhang kann auf die Verwendung des
Begriffs der Größe in der Vorlesung »Was ist Metaphysik« von
1935 kurz eingegangen werden. Verwendet Heidegger ja dort
auch einmal den Begriff der »Größe« in problematischem Zusam-
menhang:

hang kann man erwähnen, daß Heideggers Vortrag »Hölderlin und das
Wesen der Dichtung«, der in der Dezembernummer von 1936 der Zeitschrift
»Das innere Reich« abgedruckt wurde, sein Interesse an Hölderlin nicht
pseudoweltanschaulich motiviert, sondern durch die -— wir können in der
Sprache der Reflexionsphilosophie sagen - reflexive Qualität der Dichtung
Hölderlins: »Hölderlin ist nicht darum gewählt, weil sein Werk als eines
unter anderen das allgemeine Wesen der Dichtung verwirklicht, sondern
einzig deshalb, weil Hölderlins Dichtung von der dichterischen Bestimmung
getragen ist, das Wesen der Dichtung eigens zu dichten. Hölderlin ist uns in
einem ausgezeichneten Sinne der Dichter des Dichters.« (Das Innere Reich.
3. Jg. H 9, Dezember 1936, S. 1066).
52 Holzwege, 5.88. Unterstreichungen sowie Anführungszeichen der Vor-
tragsfassung in Holzwege getilgt. Variante: »jeweils« (Holzwege) für »je«
(Vortrag).

30
»Was heute vollends als Philosophie des Nationalsozialismus herumge-
boten wird, aber mit der inneren Wahrheit und Größe dieser Bewegung
(nämlich mit der Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und
des neuzeitlichen Menschen) nicht das Geringste zu tun hat, das macht
seine Fischzüge in diesen trüben Gewässern der »Werte< und der »Ganz-
heiten««.”>

Bekanntlich hat diese Stelle bei der Wiederveröffentlichung der


Vorlesung 1953 schwere Kontroversen ausgelöst.* Die Frage, ob
der Klammerzusatz schon in der Vorlesung von 1935 steht, ist
philologisch nicht mehr zu klären.5$ Zieht man aber den Kontext
der Vorlesung »Was ist Metaphysik« und auch der genannten Vorle-
sungen zu Schelling und zu Kant heran, sowie auch den von uns
analysierten Vortrag, so ist eines doch recht klar: die Kategorie der
»Größe« hat hier keine positive Konnotation mehr in dem Sinne,
daß hier noch 1935 oder gar 1953 die »Größe« der nationalsoziali-
stischen Ideologie gefeiert werden sollte, sondern im Gegenteil: das
»Riesenhafte«, der eigene Begriff von »Größe« des Faschismus liegt
darın, daß er etwas spezifisch Neuzeitliches extrem ausgeprägt zur
Darstellung bringt: die Herrschaft des rechnenden Denkens selbst,
die Herrschaft der Kategorie der Quantität— und zwar ins »Riesen-
hafte« gesteigert - die Herrschaft des neuzeitlichen Herrschaftsden-
kens also, dem alles andere: Weltanschauungen, Ideologien etc., nur
mehr funktional untergeordnet sind. Diese Argumentation wird in
den Vorlesungen 1935/36 vorbereitet und ist im genannten Vortrag
klar ausgebildet. Bevor wir diese Faschismuskritik Heideggers ein-
mal von ihrem Text lösen und a part betrachten, gehen wir noch
einmal in den Text des Vortrages. Da ist Erstaunliches zu beobach-
ten. Der Text im Vortragsmanuskript wie der spätere Druck in den
»Holzwegen« enthält seine wissenschaftsgeschichtliche Fundierun-
gen aus Exkursen zu dem vorneuzeitlichen Begriff des Wissens,
zum neuzeitlichen Systembegriff und auch zu Descartes’ philo-
sophie-geschichtlicher Grundlegung der neuzeitlichen Wissen-
schaft, die Heidegger aus den genannten Vorlesungen der Jahre
53 Martin Heidegger: Einführung in die Metaphysik. Gesamtausgabe. Il. Abt.,
Bed. 40, Hg. v. Petra Jaeger. Frankfurt 1983, $. 208.
54 Siehe Habermas (Anm. 6), $.30ff, auch Petra Jaegers kurzes Nachwort zur
Edition der Vorlesung in der Gesamtausgabe $. 232ff.
55 Bekanntlich fehlt die fragliche Seite im Handschriftennachlaß. Die komplı-
zierte philologische Lage kommentiert Otto Pöggeler: Der Denkweg Martin
Heideggers im Nachwort zur zweiten Auflage (Pfullingen 1983), 5. 340 ff.

31
1935/36 entnimmt. Die Systemkritik findet sich in dem Vortrags-
manuskript wie in der Druckfassung vor allem ım Zusatz Nr. 6.
Die Descartes-Kritik aber, in den »Holzwegen« Fußnote 4, stand
im ursprünglichen Vortragsmanuskript als Anmerkung Nr. 5. Die
Anmerkung Nr. 4 im Vortrag enthielt jedoch eine außerordentlich
bemerkenswerte, in der späteren Druckfassung gestrichene, kriti-
sche Auseinandersetzung mit der eigenen Rektoratsrede. Da die
Druckfassung dieses Textes heute nur noch schwer zugänglich ist,
zitiere ich hier den ursprünglichen Zusatz 4 im vollen Wortlaut
nach dem handschriftlichen Manuskript:

»Die hier vollzogene Besinnung auf die Wissenschaft steht nicht im


»Widerspruch< zu dem, was »Die Selbstbehauptung der deutschen Uni-
versität« (1933) sagt u. fordert. Denn jene Rede ist ein wissenschaftli-
ches Überspringen der »Neuzeit< und der allzuheutigen Wissenschaft«
(S.7), um das Wesen der Wissenschaft aus einem ursprünglicheren Wis-
sen entspringen zu lassen. Dieses Wissen aber ist nur zu gründen in der
Auseinandersetzung mit dem ersten Anfang des abendländischen Den-
kens u. im Ernstnehmen der Frage Nietzsches, die am Ende dieses
Denkens u. als sein Ende gestellt wurde ($. 12). Jene Rede geht auf das
Wesen der n(eu)z(ei)tl(ichen) Wissenschaft u. d.h. auf Descartes nicht
ein. Aber die »metaphysische< Grundstellung, aus der in jener Rede die
»Selbstbesinnung:« ($.6) vollzogen wird, ist dieselbe, aus der die vorlie-
gende Besinnung auf die »neuzeitliche Wissenschaft« sich vollzieht.
Dort ist eine künftige Wissenschaft gemeint, die wieder ein Wissen
wird, hier ist eine offenbar noch langhin »gegenwärtige< Wissenschaft
begriffen, die das Wissen der Wissenschaft aufgelöst hat u. an die Stelle
dieses Verlustes die »Weltanschauungen« treten lassen muß u. aus ihr die
Stoßkraft ihres Betriebs empfängt. Aber auch für die neuzeitliche Wis-
senschaft gilt der ın jener Rede ausgesprochene Satz: »Alle Wissenschaft
ist Philosophie, mag sie es wissen wollen - oder nıcht.< Die n.(eu-
)z.(ei)tl.(iche) Wissenschaft ist Philosophie, indem sie diese verleug-
net.«

Diese Auseinandersetzung enthält eine bemerkenswerte Selbstkri-


tik. Heidegger sieht 1938 den Hauptfehler seiner Rektoratsrede
darın, daß er damals - 1933 — glaubte, den gesamten Prozeß der
Neuzeit überspringen zu können, um aus den Anfängen des anti-
ken Denkens einen Neuanfang auch in der Gegenwart erwirken zu
können. Damals, so können wir ergänzen, hat er diese mit der
Philosophie der Antike verbundene Erneuerungshoffnung mit
dem »Führer« kurzgeschlossen. Damals sah er offensichtlich noch

32
nicht, wer und was der »Führer« eigentlich war. Damals hat er auch
die Macht der neuzeitlichen Seinsgeschichte unterschätzt. Denn:
»Jene Rede geht auf das Wesen der n(eu)z(ei)tl(ichen) Wissenschaft u.
d.h. auf Descartes nicht ein.«
Erst durch die radikale Kritik des neuzeitlichen Denkens - ihres
Systemanspruchs, ihrer Form von »Rationalitäts, ihr Herrschaftsge-
baren, des in ihr aufgehobenen »Willens zur Macht« ist Heidegger
überhaupt aufgegangen, welche Faktoren seine Zeit - auch und
gerade die des Faschismus - wirklich prägen. Und erst, als er dies
begriffen hatte, mußte ihm klar werden, daß die Rektoratsrede im
wahrsten Sinne des Wortes einen »Kurzschluß« hergestellt hatte. Die
Selbstreflexion Heideggers auf seine Rektoratsrede von 1933 rückt
denn auch nicht ab von der Hoffnung auf eine »künftige« Gestalt
des Wissens, die nicht verdinglichend, nicht systemhaft sei. Aber sie
rückt ab von der — kurzschlüssigen und falschen - Identifikation
einer anderen Form des Geistes mit dem Führer und der nationalso-
zialistischen Bewegung. Denn ihn, den NS-Staat, begreift Heideg-
ger nun zunehmend als eine gigantische Ausprägung dieses neuzeit-
lichen Denkens selbst. Was für eine Faschismustheorie aber steckt
hinter dieser Einschätzung Heideggers von 1938?
In seinem Buch »Gesellschaft und Demokratie in Deutschland«
hat Ralf Dahrendorf auch die Funktion des Faschismus für die
deutsche Geschichte analysiert. Diese Analyse ist unter der Vielzahl
von Faschismustheorien bemerkenswert, weil sie den Faschismus
nicht primär von seiner Ideologie her faßt, sondern als einen Ratio-
nalisierungs-, Technisierungs-, Modernisierungsschub:
»Der Nationalsozialismus hat für Deutschland die in den Verwerfungen
des kaiserlichen Deutschland verlorengegangene, durch die Wirrnisse
der Weimarer Republik aufgehaltene soziale Revolution vollzogen. Der
Inhalt dieser Revolution ist die Modernität. ... Der brutale Bruch mit
der Tradition und Stoß in die Modernität ist... das inhaltliche Merkmal
der sozialen Revolution des Nationalsozialismus.«°°

Dahrendorf führt das aus: Die forcierte (kriegstechnisch) ange-


heizte Industrialisierung durch den NS-Staat, die — entgegen der
Ideologie - soziale Entwurzelung fast der ganzen Bevölkerung bis
hin zur »totalen Mobilmachung«, das systematische Brechen mit
56 Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München
1965. $.432.

33
traditionellen Werten und Normen zugunsten einer totalen Durch-
rationalisierung der Gesamtgesellschaft, die Durchsetzung und
Sicherung der »totalen Macht«, welche »die Zerstörung der Macht
aller partiellen Institutionen, aller auch nur halbwegs autonomen
Nebenzentren« voraussetze.°’ Und die Ideologie? Das Gerede von
»Blut und Boden«, von Germanentum, Heimat, Volk, Rasse? Dah-
rendorf:
»Der Widerspruch zwischen Ideologie und Praxis des Nationalsozialis-
mus ist ebenso erstaunlich wie verständlich. Doch darf der Schleier der
Ideologie uns nicht täuschen. Sie war Episode und in ihrem Inhalt ein
greuliches Gemisch aus allen Halbwahrheiten der Zeit;«.”®

Im Totalitären des »Systems«, in der »modernen« Durchrationalisie-


rung, Berechnung, Berechenbarmachung aller Lebensbereiche sieht
auch Dahrendorf den Kerngehalt des Faschismus und seiner »Revo-
lution«. Das ist von der Heideggerschen Analyse nicht so weit
entfernt, auch wenn Dahrendorf seine Analyse letztlich in andere
Kontexte stellt.”?
57 Ebd.,S.433f. - In diesem Zusammenhang auch der faschistische Begriff der
»Gleichschaltung«: »Gleichschaltung« bedeutet stets die Aufhebung unkon-
trollierter Selbständigkeit. Wo immer also in sich geschlossene Institutionen
oder Organisationen bestehen, müssen diese den auf den einen Selbstzweck
und seine Personifizierung im Führer ausgerichteten Organisationen wei-
chen. Die Menschen werden dabei aus überlieferten, eigenen, oft besonders
engen und intimen Bindungen herausgelöstund einander gleichgemacht. Man
kann dies anders, bildlich formulieren und dadurch noch einmal den Wider-
spruch zwischen Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus klarlegen,
wenn man sagt, daß das Nazi-Regime überall organische Sozialgefüge durch
mechanische Gebilde zu ersetzen trachtete.« (Ebd., S. 436) - Es ist anzuneh-
men, daß Heidegger durch diesen totalitären Gleichschaltungscharakter des
NS-Regimes auch der im Ansatz totalitäre Charakter des neuzeitlichen
Systemdenkens aufgegangen ist, daß er in ersterem einen Ermöglichungs-
grund für das totalitäre politische System erkannte.
5 © Ebd., $.433. Dazu auch die folgende Formulierung Dahrendorfs: »Der
Widerspruch zwischen der nationalsozialistischen Ideologie desOrganischen
und der Praxis dermechanischen Gleichschaltungbleibt auffällig. Fastmöchte
man vermuten, daß die Ideologienicht nur bewußtes Instrument der Vernebe-
lung war. Möglicherweise haben die nationalsozialistischen Führer selbst an
einige ihrer rührseligen Traditionsbilder geglaubt...« ($. 437).
59 Dahrendorfs Analyse der Bedeutung des NS-Staates für die deutsche
Geschichte hat letztlich dialektische Struktur: Wenn der Kerngehalt des NS-
Staates der durch die Ideologie nur vernebelte »Stoß in die Modernität« war,
so impliziert seiner Meinung nach der humane und mutige »Widerstand gegen
das Regime« den »Versuch, den vorrevolutionären Zustand wiederherzustel-

34
Heidegger bewegt sich somit auf einer Ebene der Kritik des
Faschismus, die ihn in jenem vor allem den, mit Dahrendorf zu
sprechen, Modernisierungsschub sehen läßt, die zunehmend gigan-
tische Vorherrschaft einer alle Bereiche des Lebens durchdringen-
den und in diesem Sinne »riesenhaften«, totalitären Systemdurch-
dringung und Vergegenständlichung der Welt, ermöglicht durch ein
neuzeitlich rationelles Systemdenken und eine darauf aufbauende
spezifisch neuzeitliche Technologie.
In diesem Vortrag ist denn auch der Übergang der Faschismuskri-
tık in die Technikkritik Heideggers genau dingfest zu machen.
Interessant ist hier folgende Textvariante: im Vortrag von 1938 heißt
es:

len. Wo die nationalsozialistische Revolution wider Willen Modernität her-


vorbrachte, strebte die Gegenrevolution nach der Erhaltungdertraditionellen
Bindungen von Familie und Klasse, Region und Religion.« ($.442) Es ist in
diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß auch der politische Widerstand
des Hitler-Attentäters Stauffenberg sich aus konservativem Gedankengut
speiste. Stauffenberg verehrte Gneisenau und auch Stefan George. Siehedazu:
Josef Nolte: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. In: Der Widerstand im
deutschen Südwesten 1933—1945.Hg.v.M.Boschu. W.Niess. Stuttgart 1986,
5.193 ff.
Wenn wir hier die Dahrendorfsche Faschismustheorie heranziehen, weil sie
wie Heidegger, das Moment der Modernität an dieser Bewegung herausstellt,
so muß doch auch darauf hingewiesen werden, daß es eine Fülle von Faschis-
mustheorien gibt, die andere Akzente setzen: Faschismus als Produkt des
Führers, als Ergebnis nationaler Besonderheiten, als Mittelstandsbewegung
u.a. Siehe dazu: Reinhard Kühnl.: Faschismustheorien. Texte zur Faschismus-
diskussion 2. Ein Leitfaden. Reinbek 1979. Zum Thema Der Faschismus als
Modernisierungsfaktor siehe auch: Hubert Mainzer: Faschismusdeutungen in
Politik und Geisteswissenschaft. In: Ernst Cloer (Hg.): Das Dritte Reich im
Jugendbuch. Braunschweig 1983, $.342ff. Siehe dazu auch Karl Dietrich
Bracher: Die Krise Europas 1917-1975. Propyläen Geschichte Europas Bd. 6.
Frankfurt 1976. Dortanalysiert Bracher den Nationalsozialismus als »Macht-
ergreifung neuen Typs« und als eine Bewegung, der man »revolutionäre
Qualitäten nicht bestreiten könnte« ($. 132), dies gerade in der Verknüpfung
von »Traditions- und Revolutionsanspruch«, dem rassistischen Sendungsge-
danken, Glorifizierung der Volksgemeinschaft bei gleichzeitigem »ökono-
misch-technischen Progressivismus« ($. 134). »So wurden eine mystische
Politik-Religion und die Anbetung des technischen Erfolgs, eine altdeutsche
Bauernromantik und diemoderne Massenschau oder der sozialistische 1. Mai
und die national-soziale Arbeiterromantik zusammengefügt, und alles
erfüllte seine Funktion in der Verbindung des Gegensätzlichen, in der Aus-
strahlung nach beiden Seiten.« ($. 135) - In welchem Maße Heidegger die
Verlogenheit der nationalsozialistischen Ideologie durchschaute, wird auch
und besonders in den »Beiträgen zur Philosophie« deutlich (siehe Kap. V).

35
»Der »Wissenschaftler< drängt von sich aus notwendig in den Umkreis
der Wesensgestalt des Arbeiters u. des Soldaten.«

Im Text von 1950:

»Der Forscher drängt von sich aus notwendig in den Umkreis der
Wesensgestalt des Technikers im wesentlichen Sinne.«

Beide Textstufen fahren fort:

»So allein bleibt er wirkungsfähig und damit im Sinne seines Zeitalters


wirklich.«°"
Mit anderen Worten: die Technikkritik Heideggers geht insofern
direkt aus der Faschismuskritik hervor, insofern sie die Gleich-
schaltungstendenz des Faschismus in der durchgehenden Unifor-
mierung, Militarisierung sowie die im Faschismus durchgeführte
Bestimmung des Menschen als »Arbeiters«, hinter der natürlich
auch Ernst Jüngers Metaphysik des »Arbeiters« steht, kritisch wen-
det und in der modernen Technik (des »Technikers im wesentlichen
Sinne«) aufgehoben sieht. Davon sei auch die Universität durch-
drungen, an der sich nur noch an »einigen Stellen die immer dünner
und leerer werdende Romantik des Gelehrtentums« halte.°! Die
60 Holzwege, 5.78
61 Ebd., S.78. - Heidegger hat von dem Zeitpunkt an, da er das totalitäre
Herrschaftsdenken des Faschismus zu durchschauen begann, an der oben
von Dahrendorf beschriebenen Gleichschaltung der universitären Institutio-
nen durch den Faschismus gelitten. Das geht auch aus den - sehr kritischen
und offenen - Äußerungen im erwähnten universitären Arbeitskreis zur
Vereinnahmung der Universität und zu geplanten faschistischen Neugrün-
dungen von Kaderhochschulen (u.a. am Chiemsee) hervor. Aber auch an
den traditionellen Universitäten sah er 1938 die Rolle des »Wissenschaftlers«
zunehmend vereinnahmt durch neue Funktionszusammenhänge militäri-
scher und paramilitärischer Arbeitsorganisation. Möglicherweise ist 1938
seine Wahrnehmung dieses Sachverhalts - »Der »Wissenschaftler« drängt von
sich aus...« - auch geprägt durch die Beobachtung von Kollegen in den
naturwissenschaftlichen Disziplinen, die sich dem System andienten und
ihre Arbeit bruchlos von ihm vereinnahmen ließen. Nur so war ja der
erwähnte »Modernisierungsschub« im Faschismus möglich. Siehe dazu
auch: Peter Lundgren: Hochschulpolitik und Wissenschaft im Dritten Reich.
In: P. L. (Hg.): Wissenschaft im Dritten Reich. Frankfurt 1985, dort $.25:
»Wenn man die NS-Wissenschaftspolitik in ihrer Gesamtheit bedenkt, dann
liegt der eindrücklichste Fall einer Begegnung von Instrumentalisierung und
Selbstindienstnahme zweifellos im Bereich der Technik- und Naturwissen-
schaften. Für Ingenieure etwa ist gezeigt worden, wie hingebungsvoll sie sich
den großen »Gemeinschaftsaufgaben< im Rahmen von Rüstungsproduktion

36
Anmerkung 9 des Textes der »Holzwege« von 1950 radikalisiert die
neuzeitliche Stellung des Menschen zur Gesamtheit des Sein noch
einmal in der Formulierung:
»Nicht das Anwesende waltet, sondern der Angriff herrscht.«”2
Am Faschismus ist offenbar Heidegger das Aggressive der moder-
nen Technologie und des modernen rationellen Denkens überhaupt
erst aufgegangen und von dieser Basis aus denkt er seine eigene
spätere Technikkritik weiter.
Ich möchte aber Heideggers Faschismus- und Technikkritik
noch durch einen weiteren Text vertiefen, den er 1951 erstmals mit
dem Titel »Seinsverlassenheit und Irrnis« veröffentlicht hat.° Der
Text erschien damals in einem Sonderheft über Ernst Barlach und
wurde wiederabgedruckt als das 26. Stück des Beitrages »Überwin-
dung der Mataphysik« in den »Vorträgen und Aufsätzen« von
1954.6 Der Erstdruck von 1951 nennt die folgene Entstehungszeit
im Vorspann: »Der folgende Beitrag stammt aus einer unveröffent-
lichten Arbeit Martin Heideggers aus den Jahren 1939/40, dem
Beginn des Zweiten Weltkriegs.«° Das aber ist nicht möglich. Denn
im genannten Beitrag wird ein Faktum erwähnt, das genau datierbar
ist und mit der Datierung 1939/40 nicht übereinstimmt: »Die For-
schungen des in diesem Jahre mit dem Goethepreis der Stadt Frank-
furt ausgezeichneten Chemikers Kuhn...«°° Die Vergabe des Goe-
the-Preises der Stadt Frankfurt an den Chemiker Richard Kuhn fällt
aber in das Jahr 1942.°” Der Text, der einem großen, bisher noch
unveröffentlichten Textkonvolut mit dem Titel »Der Anklang«
angehört, muß also im Jahre 1942 entstanden sein. Zur Fehldatie-
rung des Herausgebers des Erstdruckes kam es, wie ich mich an
einem Typoskript zu »Der Anklang« überzeugen konnte, dadurch,
und Kriegstechnik widmeten, wie stark zugleich die Affinitäten zwischen
ihrem Gesellschaftsbild und dem Nationalsozialismus waren.«
62 Holzwege, S. 100. - Diese Formulierung noch nicht im Vortrag.
63 Erstdruck in: Ernst Barlach. Dramatiker. Bildhauer, Zeichner. Darmstadt
1951, $S.5-12.
64 Vorträge und Aufsätze. Pfullingen 1954, $.91-97: Ich zitiere im folgenden
nach der Handschrift und nenne die Seitenzahlen des Erstdrucks (E) und der
Vorträge und Aufsätze (VuA).
65, 85:5.
66 E,S.9, VuA, $.95.
67 Genau am: 28. 8. 1942. Dieses Datum nennt also den terminus post quem der
Entstehungszeit des Textes.

37
daß auf diesem Typoskript die Jahreszahl 1939/40 vermerkt war
und von hier aus wohl dem Herausgeber des Erstdruckes, Egon
Vietta, mitgeteilt worden war.‘®
Der Text hebt an mit dem Satz:
»Die Zeichen der letzten Seinsverlassenheit sind die Ausrufungen der
‚Ideen« und »Werte«, des wahllosen Hin u. Her der Proklamation der »Tat«
und der Unentbehrlichkeit des »Geistes«.°?

Der Text hebt somit an mit einer Abgrenzung nicht nur von jener
expressionistischen Rhetorik der »Tat« und des »Geistes«, der Hei-
degger in seiner Rektoratsrede von 1933 selbst noch ein Stück weit
gefolgt war, sondern von einer Vernutzung des Bereichs der Ideen,
der Weltanschauungen selbst.

»All dieses ist schon eingespannt in den Mechanismus der Rüstung des
Ordnungsvorganges. Dieser selbst ist bestimmt durch die Leere der
Seinsverlassenheit...«”®

Auch und gerade die Weltanschauungen, die »Ideen« und »Werte«


sind demnach selbst zu Funktionsträgern eines anderen geworden,
der »Rüstung des Ordnungsvorganges« eines militarisierten, totalı-
tären Systemdenkens. Die Verweltanschaulichung des Denkens ist
68 Die handschriftliche Eintragung auf dem Typoskript des Manuskriptes »Der
Anklang«: »1939/40/ unveränderte Abschrift«. - Das Textstück »Seinsver-
lassenheit und Irrnis« findet sich im dritten Faszikel des Handschriftenma-
nuskriptes »Der Anklang« (Abt. C) und hier als eine Folge von acht gerisse-
nen Zetteln DIN A 5, gehalten durch ein gefaltetes DIN A 4-Blatt mit der
genannten Aufschrift. Die Abteilung C des »Anklang« enthält insgesamt 22
Zettel verschiedenen Formats und verschiedener Herkunft, überschrieben:
»Der vollendete Wille«. Der Text selbst trägt in der Handschrift die Über-
schrift »Die Vernutzung des Seienden in die Einrichtung der Leere der
Seinsverlassenheit«. Der Erstdruck hat also offensichtlich den Titel des
Textes »Die Seinsverlassenheit und die Irrnis« vom Faltblatt übernommen,
das die acht Zettel des Textes bündet. - Zu erwähnen ist, daß das erwähnte
Manuskript »Der Anklang« nicht identisch ist mit dem Abschnitt III der
Beiträge zur Philosophie (Gesamtausgabe, III. Abt., Bd. 65, hg. v. Friedrich-
Wilhelm von Herrmann. Frankfurt 1989, S. 105ff). Das noch nicht publi-
zierte Marbacher Manuskript Der Anklang, aus dem die Texte der Überwin-
dung der Metaphysik in den Vorträgen und Aufsätzen entnommen sind, steht
in der Auseinandersetzung mit den Begriffen des »Willens«, »Willens zur
Macht«, »Willens des Willens« den Nietzsche-Vorlesungen noch näher als
die Beiträge.
69, E,$.5, VuA,$.91.
”0 Ebd.

38
somit, ihr selbst unbewußt, nach Heidegger letztlich Ausdruck
eines anderen, das sie gerade nicht begreift, sondern zudeckt, der
»Seinsverlassenheit«, eines globalen Nihilismus.”!
In diesem Zusammenhang wird nun auch auf bestimmte Ideo-
logeme des Faschismus angespielt, so die Ideologie des Über- und
Untermenschentums. Heidegger spricht hier vom
»Ausweg..., auf dem der auf sich selbst erpichte Mensch noch die
Subjektivität in das Übermenschentum retten kann. ... Unter- u.
Übermenschentum sind hier metaphysisch zu denken, nicht als mora-
lische Wertungen.«’?
Erneut: die faschistischen Kategorien des Unter- und Über-
menschentums sollen einer metaphysikkritischen, nicht morali-
schen Interpretation unterzogen werden. Das heißt aber: als Aus-
druck einer spezifisch neuzeitlichen Metaphysik der Subjektivität,
des Menschen als »Subjekt«. Das faschistische Übermenschentum
wäre so verstanden als ein überspitzter und auch pervertierter
Ausdruck dieser Herrschaftsformel, der sog. »Untermensch« als
sein ebenso pervertiertes und herabgesetztes Korrelat. In dem
Maße, wie neuzeitliche Subjektivität sich setzt und begreift als
Herrschaft über anderes, als »Wille zur Macht«, kann sich im
Faschismus auch ein Herrschaftsdenken durchsetzen, das den
neuzeitlich-subjekt-philosophischen Herrschaftstypus des Den-
kens auch als Herrschaft von Menschen über Menschen begreift.
Als Herrschaft nämlich jener Menschen, die eben glaubten, das
Herrenmenschentum rein darzustellen, in Wahrheit aber natür-
lich nur brutale Zerrbilder der Arroganz des Herrschaftsdenkens
selbst waren.
Zur Kategorie der »Subjektivität« als Ausdruck einer neuzeitli-
chen Form von Herrschaftsdenken gehört zwangsläufig die zum
(Nutz-)Objekt herabgesetzte, vergegenständlichte Welt. Natur als
7ı Da Heidegger der Prozeß der »Seinsverlassenheit« als ein Geschichtsvor-
gang vor allem an der Nihilismusinterpretation Nietzsches aufgegangen
ist, kann hier auch der Nietzscheanische Begriff des »Nihilismus« für den
genannten Vorgang herangezogen werden. Heidegger benutzt ihn seiner-
seits, wie wir sehen werden (Kap IV), für den genannten Sachverhalt. Frei-
lich liegt eine Pointe der Heideggerschen Nietzscheauslegung darin, daß
er Nietzsches Metaphysik des »Willens zur Macht« und der »Umwertung
aller Werte« noch jenem Nihilismus verhaftet sieht, den Nietzsche gleich-
zeitig hellsichtig diagnostiziert habe.
2.5,5.51,VuA,5,91.

39
Ausbeutungs-/Verwertungsobjekt für das Subjekt. In diesem Kon-
text nun thematisiert Heidegger »Rüstung«, »Weltkrieg«:
»Der Verbrauch des Seienden ist als solcher u. in seinem Verlauf
bestimmt durch die Rüstung im metaphys.(ischen) Sinne, wodurch der
Mensch sich zum »Herrn« des »;Elementaren« macht. ... Die »Weltkriege«
und ihre ‚Totalität« sind bereits Folgen der Seinsverlassenheit. Sie drän-
gen auf die Bestandsicherung einer ständigen Form der Vernutzuung. In
diesen Prozeß ist auch der Mensch einbezogen, der seinen Charakter,
der wichtigste Rohstoff zu sein, nicht mehr länger verbirgt.«’°
Für die Faschismus-Interpretation Heideggers von größtem Inter-
esse ist, daß in diesem Kontext die Kategorie des »Führers« ins Spiel
kommt. Dabei ist noch einmal daran zu erinnern, daß 1933 ın der
Rektoratsrede eben die Amtsübernahme mit der »Verpflichtung zur
geistigen Führung« verbunden worden war, mithin dort die Kate-
gorie der »Führung« und auch des »Führers« in diesem Sinne noch
positiv besetzt war. Wir haben daran erinnert, daß dieser positive
Gebrauch einer geistigen Führerschaft durchaus in der Tradition
des messianischen Expressionismus und auch Symbolismus lag.
Nun aber heißt es:

»Man meint die Führer hätten von sich aus, in der blinden Raserei einer
selbstischen Eigensucht, alles sich angemaßt u. nach ihrem Eigensinn
sich eingerichtet. In Wahrheit sind sie die notwendigen Folgen dessen,
daß das Seiende in die Weise der Irrnis übergegangen ist, in der sich die
Leere ausbreitet, die eine einzige Ordnung u. Sicherung des Seienden
verlangt. Darin ist die Notwendigkeit der »Führungs, d.h. der planenden
Berechnung der Sicherung des Ganzen des Seienden gefordert. Dazu
müssen solche Menschen eingerichtet u. gerüstet sein, die der Führung
dienen. Die »Führer< sind die maßgebenden Rüstungsarbeiter, die alle
Sektoren der Sicherung der Vernutzung des Seienden übersehen, weil sie
das Ganze der Umzirkung durchschauen u. so die Irrnis in ihrer Bere-
chenbarkeit beherrschen.«’*
Das Wortfeld: sichern, beherrschen, berechnen, Rüstung - zeigt an,
daß Heidegger hier nicht mehr von Führung im Kontext eines
geistigen Aufbruchs spricht. Gemeint ist nun — 1942 - eine der
»geistigen Führung« ganz entgegengesetzte Form von Führung im
Sinne einer Spitzenagententätigkeit im Rahmen der neuzeitlichen
Berechnung und Ausbeutung der Welt, im Rahmen der Dialektik
73 E,$.6, VuA,S$.91f.
74 E,S.8, VuA, S.93f.

40
von Herrschaftsdenken und Verdinglichung des Menschen, deren
brutale Auswirkungen Heidegger eben und offenbar überhaupt erst
durch den Faschismus aufgegangen sind. Heideggers Pointe liegt
dabei gerade in der These, daß die »Führer« keine autarken Führer
sind. Er hält solchen Führerkult nun für die »fatalste Form der
ständigen Würdigung«.”° Vielmehr sind sie, wie die Ideologie selbst,
Funktionsträger eines anderen geworden: jener destruktiven »Ver-
nutzung« von Subjekt und Objekt, wie es die »Rüstung« zum
Weltkrieg vorbereitet hatte und der »Weltkrieg« realisierte. In die-
sen, im »Weltkrieg« kulminierenden Gesamtprozeß der totalen Ver-
gegenständlichung und Verdinglichung der Welt gehört aber, daß
alles der totalitären »Rechnung und Planung unterworfen wird
(Gesundheitsführung, Züchtung)«, daß der Mensch selbst zum
»wichtigsten Rohstoff« wird — »der Bedarf an Menschenmaterial
unterliegt derselben Regelung des rüstungsmäßigen Ordnens wie
der Bedarf an Unterhaltungsbüchern und Gedichten....«— daß, mit
einem Wort, Wissenschaft, Technik, Ökonomie und Kultur nur
mehr noch Funktionsträger des totalitären Prozesses der Rechnung
und Vernutzung des Seienden sind.’ Die vielleicht weitreichendste
der am NS-Staat entwickelten kritischen Zukunftsvisionen Heideg-
gers:
»Da der Mensch der wichtigste Rohstoff ist, darf damit gerechnet wer-
den, daß auf Grund der heutigen chemischen Forschung eines Tages
Fabriken zur Zeugung von Menschenmaterial errichtet werden.«’’
Konkreter Hinweis in diese Richtung für Heidegger war die bereits
erwähnte Preisverleihung an den Chemiker Richard Kuhn, dessen
Forschungen die Möglichkeit eröffne,
»die Erzeugung von männlichen u. weiblichen Lebewesen planmäßig
nach Bedarf zu steuern.«’®

TEST VUN. 93.


76a Zitate E, S. 9, VuA, $. 94.
UEASSINNATAS 59:
78 E,S.9, VuA, S.95. Der »Chemiker Kuhn«, den Heidegger hier nennt, ist der
Chemiker Richard Johann Kuhn (3. 12. 1900 - 31. 7. 1967), der seit 1929 als
Direktor des Instituts für Chemie am Kaiser-Wilhelm-Institut (seit 1948
Max-Planck-Institut) für medizinische Forschung in Heidelberg arbeitete
und 1938 für seine Forschungen den Nobelpreis erhielt.

41
Damit berührt Heidegger die Eugenik im Dritten Reich. Dazu
schreibt Peter Lundgren:
»Unter den in diesem Band vertretenen Wissenschaften stellt die Euge-
nik den Extremfall dar. Als angewandte Wissenschaft unterstützt sie die
Realisierung der eugenischen Utopie im Dritten Reich sowohl legitima-
torisch als auch instrumentell. ... Die Exzesse einer >negativen Eugenik«,
der »Ausmerze«, lassen sich damit zwar nicht »erklären«, aber sie sind
auch nicht vorstellbar ohne die ideengeschichtliche und praktische Hil-
festellung einer Wissenschaft, deren szientistischer Rationalisierungsan-
spruch immer zur Praxis drängte.«”?
Heidegger hat diese Vereinnahmung der Naturwissenschaften, hier
der Chemie, für die Züchtungsplanung des Dritten Reichs 1942 mit
aller Schärfe durchschaut. Aber sein Akzent liegt gar nicht mehr nur
auf der Kritik des Nationalsozialismus. Heidegger kritisiert hier in
und durch den Nationalsozialismus die Zukunftsperspektive einer
entwurzelten, rein technisch-ökonomisch denkenden Gesellschaft,
die in ihrem totalitären Konzept von Nutzung, Planung und Mach-
barkeit auch »Fabriken zur künstlichen Zeugung von Menschenma-
terial« errichten werde, eine Zukunftsperspektive, die Heidegger
allerdings an der nationalsozialistischen Rassen- und Züchtungspo-
litik aufgegangen war.
Die Kategorie, die nach Heidegger selbst die letztlich leitende
Kategorie der modernen Geschichte ist, ist die Nietzscheanische
des »Willens zur Macht«, bzw. die weiterentwickelte des »Willens
zum Willen«. In ihr läuft letztlich die abendländische Metaphysik
als eines neuzeitlichen Herrschaftsgeschehens aus. Es ist die
Geschichte einer totalen »Seinsverlassenheit«, »Leere«, des absolu-
ten Nihilismus, wie er im Faschismus erschienen ist und in dem von
ihm angezettelten Weltkrieg sich realisiert.
Zu den bedrohlichen Thesen dieser Heideggerschen Faschismus-
kritik aber gehört, daß die Dimension des Krieges mit dem Ende des
Krieges seiner Meinung nach nicht abgeschlossen sein werde:
»Dieser lange Krieg geht in seiner Länge langsam über nicht in einen
»Frieden< früherer Art, sondern in einen Zustand, in dem das Kriegsmä-
ige gar nicht mehr als solches erfahren wird, u. das »Friedensmäßige«
sinn- und gehaltlos geworden ist.«®"

79 Lundgren (Anm. 62), $.25.


SOSERSEZAVUN 52932

42
Also auch hier der Übergang zur Technikkritik: »Der Angriff
herrscht« -. Heidegger sieht im großtechnischen 2. Weltkrieg ein
Zerstörungspotential am Werke, das mit dem Ende des Krieges
nicht beendet sei.
Die Heideggersche Kritik des Nationalsozialismus kann so
bruchlos in eine globale Technikkritik übergehen, weil ihm das
Wesen dieser Technik an der totalitären Herrschaftsform des Natio-
nalsozialismus aufging. Sie trägt gerade in der Totalität Züge einer
radikal-negativen Utopie. Heideggers Theorie der »Seins-Verlas-
senheit« ist, in ihrer Totalität, geprägt vom Negativbild des Natio-
nalsozialismus und des Weltkrieges, das er vor Augen hatte, als er
diese Theorie entwickelte. Nun kann man sagen, daß diese Form
der metaphysik-kritischen Auseinandersetzung mit dem National-
sozialismus zu unspezifisch sei, die Geschichte zu distanziert
betrachte. Aber die Zuordnung Heideggers zum Nationalsozialis-
mus aufrechterhalten kann man mit guten Gründen nicht. Auf
seiner Ebene und mit seinen Denkmitteln hat Heidegger dezidiert
zum Nationalsozialismus kritisch Stellung bezogen. Und er
begreift ihn zunehmend klarer als eine zugespitzte Form des neu-
zeitlichen Nihilismus, als dessen besonders charakteristischen Aus-
druck, als Kulmination eines globalen Entfremdungsgeschehens.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen der Vor-
wurfkomplexe kurz eingehen, der im Zusammenhang mit der
Faschismusthese zumeist beigebracht wird: Der vorgebliche Anti-
semitismus Heideggers. Dazu sagt Habermas, schon in Abwehr der
2.T. abstrusen Thesen von Farias: »sein Antisemitismus, für den es
auch noch aus der Nachkriegszeit Zeugen gibt, war vom üblichen
kulturellen Schlage.«#! Aber kann man das wirklich sagen? Auch die
einsichtigen Heidegger-Kritiker sind sich einig, daß Heidegger den
kruden Biologismus und Rassismus, das Zucht- und Herrschafts-

81 Habermas (Anm. 6), $.23. Habermas argumentiert hier auch methodisch


ähnlich problematisch wie seinerzeit Schneeberger, der nämlich subjektive
und nachträgliche Äußerungen zum angeblichen Antisemitismus Heideg-
gers quasi als Belege für die Sache selbst nahm. Als einziges Dokument für
den Antisemitismus hatte Schneeberger die Außerung von Frau Toni Cassi-
rer aus dem Jahre 1950 zitiert, die von einer Neigung Heideggers zum
Antisemitismus im Jahre 1929 sprach. Zur Problematik, solche offensichtlich
polemischen und wohl auch maliziösen Äußerungen wie objektive Nach-
weise der Sache zu behandeln, siehe den Aufsatz von Fedier, bzw. Allemann
(Anm. 1).

43
denken des Faschismus nie geteilt habe, auch 1933 nicht. War der
Antisemitismus jemals und überhaupt ein Kriterium der Menschen-
beurteilung für Heidegger? Ich glaube nicht. Heidegger hat vordem
Krieg in der Marburger Zeit den jüdischen Karl Löwith habilitiert,
sein letzter Assistent, Werner Brock, war Jude. Er half ıhm auch
noch in der englischen Emigration durch ein Gutachten. Er unter-
hielt freundschaftliche Beziehungen zu jüdischen Wissenschaftle-
rinnen wie Helene Weiß, Elisabeth Blochmann und Hannah
Arendt. Als Elisabeth Blochmann ihres Amtes enthoben wurde,
versuchte Heidegger in Berlin persönlich zu intervenieren. Ist das
»Antisemitismus ... vom üblichen ... Schlage«? Das vorliegende
dokumentarische Material spricht eindeutig dafür, daß Heidegger
Menschen nicht nach dem primitiven Schema des Antisemitismus
beurteilt hat, sondern nach dem philosophischen Maßstab der inne-
ren Nähe bzw. Ferne dieser Menschen zu seinem Begriff von Philo-
sophie und Wissenschaft.

82 Wenn Jaspers anmerkt, Heidegger habe bei Einstellung von Brock als Assı-
stent gar nicht gewußt, daß dieser Jude sei (zit. bei Ott, S. 315), scheint dies
eher dafür zu sprechen, daß der Tatbestand der Rassenzugehörigkeit bei
solchen Dingen für Heidegger nicht von Interesse war. In seiner gutachterli-
chen Äußerung vom 22. 12. 1945 attestiert Jaspers Heidegger: »Nach Mittei-
lungen Brocks, die ich damals unmittelbar mündlich erhielt, hat sich Heideg-
ger ihm gegenüber einwandfrei benommen. Er hat ihm durch freundliche
Zeugnisse das Fortkommen in England erleichtert.« (Zit. ebd., S.315f).
Auch Löwiths Emigration nach Italien und Japan hat Heidegger mit Gutach-
ten unterstützt.
83 Nun wird als Belastung gegen Heidegger immer wieder sein Verhalten
gegenüber dem jüdischen Lehrer Edmund Husserl vorgetragen. Nach der
vierten Auflage von »Sein und Zeit« von 1935 hatte er ja die Widmung
»Edmund Husserl/in Verehrung und Freundschaft/zugeeignet« vorange-
stellt. Angesichts des Antisemitismus der Zeit ja doch ein erhebliches Maß an
Privatkühnheit. Wenn Heidegger diese Widmung in der Ausgabe von 1941
auf Drängen des Verlegers Niemeyer herausnehmen mußte, um den Druck
insgesamt nicht zu gefährden, so bestand er bekanntlich auf dem sachlichen
Dank an Husserl auf Seite 38 der Ausgabe. Es scheint sehr problematisch, an
die Analyse der Beziehungen Heideggers zu Husserl so heranzugehen, wie
es Hugo Ott (Anm. 1) tut, nämlich so, daß hier der Historiker die Aussagen
Heideggers in Frage stellt, die Aussagen Husserls aber wie Dokumente der
authentischen Tatsachen behandelt. Gerade in der Darstellung dieser Bezie-
hung zeigt sich das hohe Maß an Voreingenommenheit der Studie von Ott.
Das Verhältnis Heideggers zu Husserl hatte sich schon mit »Sein und Zeit«
abgekühlt, vollends nach 1931. Husserl selbst, der Lehrer, war tief enttäuscht
über die eigenen philosophischen Bahnen, die Heidegger zunehmend deut-
lich beschritt. Zur bitteren Bilanz Husserls gehörte, daß Heidegger »den

44
Halten wir als Zwischenergebnis fest:
(1) Heidegger entwickelt spätestens seit 1935/36 ein Interpreta-
tionsraster, in dem er das Erscheinungsbild des Faschismus kritisch
orten kann. Er deutet den Faschismus aus dem Kontext der neuzeit-
lichen Metaphysikgeschichte, verstanden als eine Geschichte des
zunehmenden Subjektivismus, des »Willens zur Macht«, des plane-
tarıschen Herrschaftsanspruchs des Menschen. Dieser Geschichts-
prozeß erscheint seinsgeschichtlich als eine Form der radikalen
»Seinsverlassenheit«, »Ödnis«, »Verwüstung«, »Vernutzung« der
Welt. Heidegger gebraucht dafür auch den Nietzscheanischen
Begriff des »Nihilismus«.
(2) Jener Geschichtsprozeß, der ım Faschismus besonders
brutal, aber auch klar an die Oberfläche der Geschichte tritt, ist
denen, die ihn vollziehen, selbst nicht begrifflich durchsichtig.
Die Geschichte wird von Machthabern vollzogen, ist jenen aber ın
den geschichtsphilosophischen Voraussetzungen selbst nicht trans-
parent. Daher erscheint der »Führer« nurmehr als eine Art
geschichtsblinder Vollzugsagent eines Geschehens, das er selbst,

radikalen wissenschaftlichen Grundsinn meiner Lebensarbeit in sein Gegen-


teil« verkehrt habe und »diese selbst als etwas ganz Überwundenes« dar-
stelle, »als etwas, das jetzt noch zu studieren überflüssig sei« (Ott, 5.178).
Wie immer es mit diesen menschlichen Dingen stand, sicher ist, daß bei der
Klärung der Beziehung Heideggers zu Husserls, auch übrigens zu Jaspers,
viele Faktoren eingehen und berücksichtigt werden müssen, auch und gerade
das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen Philosophen. Wie vorurteilsbela-
den Ott dieses Verhältnis und die ganze Biographie Heideggers sicht, zeigen
die vielen impliziten und expliziten Wertungen, zeigt die Auswahl der Daten
und Fakten, die er bringt, zeigt auch ein Detail wie das folgende: Die
»Legendenbildung um ein angebliches Bibliotheksverbot« Husserls. In
Wahrheit handelt es sich bei dieser »Legendenbildung« um eine böse Nach-
rede, denn, das erkennt auch Ott, ein solches Bibliotheksverbot, ausgespro-
chen durch den Rektor Heidegger gegenüber seinem jüdischen Lehrer Hus-
serl, hat es nie gegeben. Das sind die Fakten. Zur »Legende« meint aber der
Historiker Ott: »Ich meine: »Geschichten« können zum Element der Wirk-
lichkeit werden - spiegeln vielleicht in einem tieferen Sinn die Wahrheit.«
($. 172) Es ist schon seltsam, wenn ein Historiker der üblen Nachrede den
höheren Wahrheitsgehalt einräumt als der von ihm selbst eingesehenen
faktischen Wirklichkeit. Siehe dazu auch Heideggers SPIEGEL-Gespräch
vom 23. Sept. 1966, wieder abgedruckt in Antwort (Anm. 4),5. 87. In diesem
u.a. von Rudolf Augstein mit Heidegger geführten Gespräch werden einige
der hier angesprochenen Sachverhalte durchaus kritisch, aber mit Verständ-
offen
nis für den philosophischen Problemhorizont Heideggers erfragt und
gelegt.

45
der »Führer«, aktiv anleitet und vorantreibt, aber selbst nicht in
seinen nihilistischen Voraussetzungen und Implikationen durch-
schaut.
(3) Die Kategorie der »Weltanschauung«, auch der faschisti-
schen Ideologien, ist gegenüber (1) sekundär. Weltanschauungen,
»Ideen«, »Werte« erfüllen nach Heidegger nurmehr noch eine
Mobilisierungsfunktion im Kontext von (1) als herrschaftsbegrün-
dende, bzw. -stabilisierende Faktoren. Die Proklamation solcher
Weltanschauungen, »Ideen« und »Werte« wird so selbst als eine
Erscheinungs- und Ausdrucksform des Nihilismus begriffen.
(4) Das, was Heidegger als Kerngehalt des Faschismus ansieht,
gehört in einen Langzeitprozeß der Neuzeit, der mit dem Ende des
Faschismus selbst nicht aufgehört hat, sondern offenbar oder ver-
deckt in der modernen technisch-ökonomischen Weltausbeutung
sich fortsetzt und somit auch über die Grenze des Kriegsendes
hinaus wirksam bleibt. Heidegger nimmt sogar an, daß die tech-
nisch-ökonomische Vernutzungsphase ein besonders langwieriger
Prozeß der Verfallsgeschichte der abendländischen Metaphysik sein
wird. Man kann ergänzen, daß er davon ausging, daß diese Phase die
Philosophie als Wissensform abstreifen, abstoßen würde, weil sıe
die Philosophie als Wissensform nicht mehr braucht. Und sie
braucht sie nicht mehr, weil diese bereits in jener aufgehoben wird.
(5) Als Gesamtergebnis kann festgehalten werden: der von
Habermas und anderen vorgebrachte Vorwurf einer gleichbleiben-
den Nähe Heideggers zum Faschismus ist nicht haltbar. Der Vor-
wurf ist durch die Texte widerlegt.
Ich möchte zur Ergänzung und als Exkurs noch eine Tagebuchaufzeich-
nung mitteilen, die mir der Pädagoge Heribert Heinrichs mitgeteilt hat:
»Tagebuchaufzeichnung Heribert Heinrichs
Am 14. Oktober 1959 von 14.00 Uhr bis 16.30 Uhr Wanderung durch
den Hils bei Grünenplan/Alfeld mit Martin Heidegger.
Nach einem Gespräch über den katholischen Pädagogen Anton Heinen
(1896-1934) und dessen »Hoffnungsirrtum« in seinen Schriften zur päd-
agogischen Erneuerung in den Jahren 1931-1933 betr. Hitlers »wegver-
bessernder Überwindung« einer, wie Anton Heinen glaubte, zunehmen-
den völkischen und religiösen Dekadenz in der Weimarer Republik, kam
Heidegger von sich aus, was er bei mir bisher nie getan hatte, auf seine
eigene tragisch-falsche Einschätzung des Nationalsozialismus und das
Bohrende im Denken heute bei ihm wegen seiner Rektoratsrede vom 27.
Mai 1933. Er sprach davon, die Kümmernisse auszuloten, die ihn in

46
dieser Rückschau immer wieder bewegten, sei niemand anders möglich
als ihm selbst. Mit Nachdruck formulierte er jedoch seine absolute
Nichtmitwirkung am folgenreichen Badischen Hochschulerlaß vom 21.
8. 1933. Sodann sagte M. H., die meisten Deutschen hätten den Räuber
und Verbrecher des Jahrhunderts, Adolf Hitler, erst mit der Katastrophe
von Stalingrad und dem Desaster des Luftkrieges durchschauen gelernt.
Er selbst habe, wenn er seine Antworten unabdingbar vor den Gewis-
sensrichter stelle, seit 1938 das totale Verhängnis erkannt und sein Ver-
hältnis zum Nationalsozialismus radikal revidiert. Er habe die ihm
häufig vorgeworfene »Verstrickung« entschieden entwirrt, sowie seine
ganz eigenen, persönlichen Hoffnungen auf die Erneuerung der Univer-
sität im Dritten Reich, wie sie ihm selbst vorgeschwebt hätte, schon 1938
(!) im Ganzen aufgegeben. Wörtlich: »1938 war ein Wendejahr in mei-
nem Leben. 1938! Man bedenke, das war noch vor Hitlers großen
Triumphen ?« (Demnach muß das etwa im Januar/Februar 1938 gewesen
sein; denn Hitlers Triumphe begannen im eigentlichen mit dem 16. az
1938 bei der Eingliederung Österreichs in das Dritte Reich.) .
Gerzen bei Alfeld erwartete uns Frau Heidegger und zeigte uns a
Haus, in dem sie gewohnt hatte in ihrer Jugend. «

47
IV. Heideggers Nietzsche-Lektüre: Kritik der
Weltanschauungen und Nihilismusbegriff

Nationalsozialismus - dieser Begriff ist einer der politisch raffinier


testen Firmierungen des 20. Jahrhunderts. Suggeriert ja doch de
Titel die Möglichkeit einer großen Synthese von nationalem un:
sozialistischem Gedankengut. Auch das bereits zitierte Gutachte:
des politischen Bereinigungsausschusses von 1945 hat ja dies
Erwartungshaltung auch bei dem damals eher unpolitischen He:
degger belegt: »Der Philosoph Professor Martin Heidegger lebt
vor dem Umbruch von 1933 in einer völlig unpolitisch geistige
Welt... Von der nationalsozialistischen Revolution erwartete e
eine geistige Erneuerung des deutschen Lebens auf völkische
Grundlage, gleichzeitig, wie sehr viele deutsche Gebildete, ein
Aussöhnung der sozialen Gegensätze und eine Rettung der abend
ländischen Kultur von den Gefahren des Kommunismus.«®* I
Heideggers späterer Kritik am Nationalsozialismus aber steckt di
Einsicht, daß hier die politischen Weltanschauungen selbst zu Idec
logien ım Sinne des falschen Bewußstseins verkommen sind, daß sı
in Wahrheit etwas anderes kaschieren: den schieren Willen zu
Macht. Heideggers Kritik der Weltanschauungen und der polit
schen Schlagworte hat in diesem Sinne selbst ideologiekritisch
Funktion. Sie erkennt gerade ım Propagieren der Ideologien d:
Zeichen der »Seinsverlassenheit«, des Nihilismus. 1933 aber hatte
sich selbst noch von der politischen Rhetorik ein Stück weit verfül
ren lassen. Durch welche Erfahrung des Denkens ist eigentlich de
Umbruch auch in der Beurteilung der politischen Ideen im Denke
Heideggers erfolgt?
Der Umbruch erfolgte - wenn nicht allein, so doch entscheiden
auch durch die erneute und vertiefte Auseinandersetzung mit deı
84 Zitiert bei Ott (Anm. 1), 5.305.

48
Denken Nietzsches.®° Erst durch Nietzsche hat Heidegger den
Nihilismus seiner Zeitgeschichte erkannt, die zwar »Ideen« und
»Werte« propagıerte, in Wahrheit aber nur die militarisierte und
totalıtäre Form des »Willens zur Macht« darstellte. Umgekehrt aber
auch: erst durch die realgeschichtliche Entwicklung des National-
sozialismus hat Heidegger begriffen, was Nihilismus realgeschicht-
lich bedeuten kann. Insofern vollzieht sich in Heideggers Begeg-
nung mit Nietzsche jene Vergeschichtlichung und Politisierung sei-
nes Denkens, die wir bereits beobachtet haben. Dies markiert auch
eine entscheidende Differenz zur Philosophie von »Sein und Zeit«.
Denn der Aufweis der »Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit« im
fünften Kapitel des Zweiten Abschnittes von »Sein und Zeit« hatte
damals einen noch sehr abstrakten, existential-ontologischen Cha-
rakter. In »Sein und Zeit« ging es um eine formale Ableitung von
Geschichtlichkeit aus der ursprünglichen Zeitlichkeit des Daseins
und aus dieser heraus um die Abwehr eines »vulgären Verständnis-
ses der Geschichte« als etwas quasi objektiv Gegebenem, ın dem
sich das menschliche Dasein vorfindet.°° Umgekehrt, so argumen-
tiert Heidegger 1927, rückt der Sachverhalt ins richtige Licht: das
menschliche Dasein ist aus sich selbst heraus zeitlich und somit
geschichtlich, ist aus sich selbst heraus der expansive Entwurf von
Zeit und Geschichte. So tiefgründig dieser fundamentalontologi-
sche Nachweis der grundlegenden Zeitlichkeit und Geschichtlich-
keit des menschlichen Daseins in »Sein und Zeit« war, so enthielt er
doch, wie wir bereits sahen, überhaupt noch keine explizite Theorie
der modernen Epochengeschichte und somit kein Instrumenta-
rium, um konkrete Zeiterscheinungen der eigenen Epoche zu

85 Zum Begriff der Auseinandersetzung siehe Heideggers Vorwort zur zwei-


bändigen Ausgabe seiner Nietzsche-Vorlesungen (Pfullingen 1961): »Woher
die Auseinandersetzung mit der Sache Nietzsches kommt, wohin sie geht,
möchte sich dem Leser zeigen, wenn er sich auf den Weg begibt, den die
folgenden Texte eingeschlage haben.« (S.n10).
86 Sein und Zeit, $73ff »Das vulgäre Verständnis der Geschichte und das
Geschehen des Daseins.« Hier die Formulierung: »Wir nennen das nichtda-
seinsmäßige Seiende, das auf Grund seiner Weltzugehörigkeit geschichtlich
ist, das Weltgeschichtliche. Es läßt sich zeigen, daß der vulgäre Begriff der
»Weltgeschichte< gerade aus der Orientierung an diesem sekundär Geschicht-
lichen entspringt. Das Weltgeschichtliche ist nicht etwa erst geschichtlich auf
Grund einer historischen Objektivierung, sondern als das Seiende, das es,
innerweltlich begegnend, an ihm selbst ist.« (Sein und Zeit. Erste Hälfte.
Halle *1935, $. 381).

49
begreifen. Nur hinter dem Rücken des Autors von »Sein und Zeit«
hatte sich in Begriffen wie » Angst«, Furcht«, »Sorge« eine spezi-
fisch moderne Befindlichkeit in die Analyse eingeschlichen, deren
zeitgeschichtlichen Gehalt aber Heidegger mit der Begrifflichkeit
von »Sein und Zeit« selbst nicht auflösen konnte. Insofern ist »Sein
und Zeit« eines der komplexesten philosophischen Dokumente der
Moderne, noch nicht aber ihre verstehende Analyse. Gerade weil
der Philosoph von »Sein und Zeit« zwar den existentialen Grund
von Geschichtlichkeit aufzeigte, selbst aber realgeschichtlich so
abstrakt und unpolitisch dachte, konnte es 1933 zu der politisch so
falschen Besetzung seiner Philosophie kommen.
Das aber wird, durch die Begegnung mit Nietzsche, anders. Mit
Nietzsche erkennt Heidegger den Nihilismus des realen National-
sozialismus. Umgekehrt: Heidegger greift während des National-
sozialismus vor allem nach Nietzsche, weil seine konkreten Erfah-
rungen mit dem Nationalsozialismus ihn dafür disponierten, sich
durch einen Denker wie Nietzsche die Erkenntnis in den realen
Nihilismus seiner eigenen Geschichtsepoche vermitteln zu lassen.
Dieser Umbruch zur Einsicht in den Nihilismus des Nationalsozia-
lismus wird sich vermutlich ansatzweise schon in der Rektoratszeit
vollzogen haben, in der Heidegger eben bewußt wurde, »daß ein
unüberwindlicher Zwiespalt bestehe zwischen der nationalsozialı-
stischen Auffassung von Universität und Wissenschaft und der
meinigen.«7 Bereits in der Rektoratszeit muß es Heidegger bewußt
geworden sein, daß die »nationalsozialistische Auffassung« eben
nicht jene geistige Erneuerung von Universität und Wissenschaft
bringen konnte, die Heidegger seinerseits als Zielvorstellung ver-
folgt hatte. Auch in der Rektoratsrede von 1933 wurde ja das
Nietzsche-Wort vom Tod Gottes bereits zitiert, dıe »Verlassenheit
des heutigen Menschen« als ein Faktum vorausgesetzt.°® Damals
aber hatte Heidegger noch in der Bindung an das Volk, an Nation,
an die geistige Tradition und in einer forcierten Kampf- und Pflich-
tethik das Heil gesucht. Daß er dies selbst später (1938) für eine
Fehleinschätzung hielt, haben wir gesehen. Wie falsch aber diese
Einschätzung war, wie nıhilistisch in Wahrheit der Nationalsozia-
lismus, ging ihm wohl doch erst durch dessen reale Entwicklungsge-

87 Das Rektorat, 5.38.


88 Ebd.,$.13.

50
schichte und durch das Studium jenes Denkers auf, der eben die
geschichtlichen Erscheinungsformen des neuzeitlichen Nihilismus
als erster grundlegend analysiert hatte, Nietzsche.
Von 1936 an bis Kriegsende ist daher Nietzsche Heideggers
vielleicht wichtigster Wegbegleiter. Ab 1936 hält Heidegger eine
Reihe großer Vorlesungen über Nietzsche mit den Titeln: »Der
Wille zur Macht als Kunst« (1936/37), »Die ewige Wiederkehr des
Gleichen« (1937), »Der Wille zur Macht als Erkenntnis« (1939),
»Der europäische Nihilismus« (1940). Diesen Vorlesungen schlie-
ßen sich eine Reihe von »Abhandlungen«® an, die ebenfalls um
Nietzsche als einen Letztvollender und Erfüller der abendländi-
schen Metaphysikgeschichte kreisen.
Schon die Tatsache, daß Heidegger 1936 ff über Nietzsche las und
dabei immer deutlicher, immer markanter die Nihilismus-Analyse
Nietzsches herausstellte, daß er 1940 - in der Frühphase des Il.
Weltkriegs also — den Nihilismusbegriff sogar in den Titel der
Vorlesung einrückte, ist ein politischer Akt ersten Ranges von seiten
eines Philosophen im totalitäten System des Nationalsozialismus
gewesen. Heidegger hat eben den nationalsozialistischen Miß-
brauch Nietzsches nicht nur nie mitgemacht, sondern im Gegenteil
aus Nietzsche das ideologiekritische Potential abgeschöpft, um den
realen Nihilismus des Faschismus zu erkennen und aufzudecken.
Bevor wir darauf eingehen, noch ein Wort zu der unterschied-
lichen Herkunft und Denkweise jener Philosophen, die hier ın eine
produktive Auseinandersetzung geraten: Heidegger kommt aus
einem von der Herkunft her eher ungeschichtlichen systemhaften
Denken: er hatte Theologie studiert, u.a. bei dem Dogmatik -Pro-
fessor Carl Braig Systematische Theologie, und seine frühen Arbeı-
ten, so die Dissertation »Die Lehre vom Urteil im Psychologismus.
Ein kritisch-positiver Beitrag zur Logik« von 1914 und die Habilı-
tation »Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus«
von 1916 sind ausgesprochen kategorial-systematische Studien.
Auch die Phänomenologie Edmund Husserls, der 1916 als Nachfol-
ger von Heinrich Rickert nach Freiburg kam und dessen Assistent
Heidegger 1919 wurde, war vom Verständnis ihres Autors her eine
eher ungeschichtliche, systematische Wissenschaft. Heideggers
Weg in die Philosophiegeschichte erfolgte also von systematischen

89 Vorwort (Anm. 85), $.9.

51
Denkformen her, und noch »Sein und Zeit« ist, wie gesagt, eine
systematische Studie der Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit des
Daseins, nicht der konkreten Epochengeschichte. Wir können ver-
muten, daß Heidegger überhaupt erst durch den Schock der Ein-
sicht, daß er politisch und geschichtlich sich falsch verhalten hat,
zum geschichtlichen Denken durchgestoßen ist, daß er nun vehe-
ment diesen Mangel seines Denkens verspürte und daß er ın Nietz-
sche jenen Denker erkannte, der ihm Stütze sein konnte auf dem
Weg zum seinsgeschichtlichen Denken. Heidegger seinerseits
brachte die ganze Tiefe und Kraft seines Denkens in die Auseinan-
dersetzung mit Nietzsche ein und hat ihn so gründlich auf seine
metaphysik-geschichtlichen Implikationen hin befragt, wie kein
anderer Denker des 20. Jahrhunderts.
Nietzsche dagegen ist von der Struktur seines Denkens her kein
systemhafter, sondern ein ästhetischer Denker. Ästhetisch im genau
verstandenen Sinne: nicht als Schöngeisterei, sondern im Sinne
einer künstlerisch sensiblen Wahrnehmung für die Erscheinungen
der Kulturgeschichte: die Probleme der modernen Philosophie, der
modernen Kunst, der modernen Ideologien, die er auf eine eigene
psychologisch-geistesgeschichtliche Weise auf die in ihnen verdeck-
ten inneren Voraussetzungen und Machtansprüche hin befragt und
diese in jenen offenlegt. Nietzsche praktiziert bereits ein Verfahren
der Tiefenhermeneutik, das es ermöglichte, Ideologien als Ideolo-
gien zu erkennen und das in ihnen verdeckte Machtmoment aufzu-
decken. Von der sprachlichen Form her meidet Nietzsche, selbst
gezeichnet von Krankheitssymptomen der Moderne, systemhafte
Darstellungsformen und philosophiert auf eine genuin modern-
literarische Art: fragmentarisch, aphoristisch, häufig widersprüch-
lich und auch in ironischer Brechung des Gesagten. Zugleich aber
und im Gegenzug zu dem von ihm erkannten Nihilismus der
Moderne propagiert Nietzsche neue Mythologeme, eine neue
Wertsetzung, und gerade diese Schichten seines Denkens, insbeson-
dere die Lehre vom »Übermenschen«, wurden in einer rassistischen
Vergröberung vom Nationalsozialismus begierig aufgegriffen und
ideologisch mißbraucht.”
% Siehe zur Nietzsche-Rezeption im 3. Reich: Alfredo Guzzoni (Hg.): Neun-
zig Jahre philosophische Nietzsche-Rezeption. Königstein 1979, auch: Wolf-
gang Müller-Lauter: Aufnahme und Auseinandersetzung: Nietzsche im 20.
Jahrhundert. Berlin 1982.

52
Heideggers Nietzsche-Rezeption läuft von Anfang an diesem
Trend der nationalsozialistischen ideologischen Ausbeutung
Nietzsches entgegen. In seiner ersten Nietzsche-Vorlesung, »Der
Wille zur Macht als Kunst« (1936/37) kritisiert Heidegger Alfred
Baeumlers Nietzsche-Deutung von 1931.°! Baeumler hatte in
dem, wie er meinte, Widerspruch der Lehren von der ewigen
Wiederkehr und vom Willen zur Macht sich für die Machtphi-
losophie entschieden, die er gerade nicht, wie Heidegger, als ein
Mittel der Ideologiekritik erkannte, sondern die er affırmatıv las.
Für Baeumler war die »neue Wertsetzung« an Nietzsche das
Wichtigste, für Heidegger dagegen Nietzsches Kritik der Wertset-
zungen.”
Daß Nietzsche den Nihilismus als »Grundtatsache der abend-
ländischen Geschichte« erkannt habe, erscheint Heidegger als die
wohl bedeutsamste Einsicht Nietzsches und - darın folgt er ıhm -
auch und gerade dort, wo scheinbar das Gegenteil der Fall zu sein
scheint, wo Pseudo-Ideen und -Wert propagiert werden:
»Das Werk soll demnach beginnen mit einer umfassenden Darstellung
der von Nietzsche erstmals in dieser Schärfe und Tragweite erkannten
Grundtatsache der abendländischen Geschichte, des Nihilismus. Nihi-
lismus ist für Nietzsche nicht eine Weltanschauung, die irgendwo und

91 Alfred Baeumler: Nietzsche. Der Philosoph und Politiker (Leipzig 1931)


hatte Nietzsches Lehre der »ewigen Wiederkehr« als »Agyptisierung der
heraklitischen Welt« gedeutet, also als eine Form der Stillstellung. Heideg-
ger kommentiert diesen »Entscheid ... Auslegung Nietzsches kann man
das beim besten Willen nicht nennen« als grobes Mißverständnis sowohl
Nietzsches wie Heraklits und bewertet Baeumlers Nietzsche-Buch insge-
samt: »Baeumlers ganze Überlegungen über das Verhältnis der beiden
Lehren (der Lehre der »ewigen Wiederkehr« und des »Willens zur Macht«
Verf.) dringen von keiner Seite her in den Bereich wirklichen Fragens«
(Martin Heidegger: Nietzsche: Der Wille zur Macht als Kunst. Gesamt-
ausgabe. II. Abt. Bd. 43. Hg. v. Bernd Heimbüchel. Frankfurt 1985,
Ss).
2 So er auch im Nachwort Nietzsches zu Der Wille zur Macht
(Leipzig 1939, 11930): »Nicht ım »Zarathustra<«, sondern im »Willen zur
Macht< gipfelt die Philosophie Nietzsches.« (S. 700) Zu diesem Ansatz
Baeumlers schreibt Heidegger a.a.O., $.26: »Die Lehre Nietzsches von
der ewigen Wiederkehr paßt Baeumler nicht in seine Politik, oder er meint
mindestens, sie passe nicht dazu. Also ist die Lehre für das System Nietz-
sches sohne Belang<.« Immerhin vermerkt Heidegger positiv an Baeumlers
Nietzschedeutung, daß er ihn nicht »psychologisch-biologistisch« ange-
gangen habe.

53
irgendwann vortritt, sondern ist der Grundcharakter des Geschehens in
der abendländischen Geschichte. Auch da und gerade da, wo der Nihi-
lismus gar nicht als Lehre oder Forderung vertreten wird, sondern
scheinbar sein Gegenteil, gerade da ist er eigentlich am Werk.«”*

Die ideologiekritische Kraft des Nihilismusbegriffs nun benutzt


Heidegger selbst in seiner Vorlesung von 1936/37, um eine der
Hauptideologien seiner Zeit, den Nationalismus, in der Phase seı-
ner militärischen Ausbeutung im I. Weltkrieg kritisch zu durch-
leuchten. Nach langen und fundierten Ausführungen zu Nietzsches
»metaphysischer Grundstellung« in seinem unter dem Titel »Der
Wille zur Macht« publizierten Nachlaßwerk, nach einer breiten
Darlegung von Nietzsches Ästhetik und ihrer Vorgeschichte
kommt Heidegger im dritten Kapitel des Zweiten Teils dieser Vorle-
sung auf den Nihilismus selbst als die »Grundtatsache der abend-
ländischen Geschichte« zu sprechen. Und hier findet sich nun die
erwähnte, politisch brisante, auch erregter geschriebene Passage
dieser ersten großen Nietzsche-Vorlesung, die allerdings ın der
späteren Ausgabe der Vorlesungen von 1961 zunächst getilgt wor-
den ist.°* Der Kerngehalt dieser Passage ist, wie bereits angedeutet,
die ideologiekritische Analayse des deutschen imperialistischen
Nationalismus während des I. Weltkrieges. Diese Ausführungen
schließen sich an das Nietzsche-Wort: »Gott ist todt« an: a
»Der Satz »Gott ist todt« ist keine Verneinung, sondern das innerste Ja
zum Kommenden. In diesem Wissen und Fragen hat Nietzsche sein
Dasein aufgerieben, während man in den gleichzeitigen Gründerjahren
sehr bierfröhlich im Spruch »Gott, Freiheit und Vaterland« den lieben
Gott für alle möglichen Dinge bemühte. Diese Leere und Verlogenheit
aber erreichte erst ihr wahres Ausmaß, als zwischen 1914 und 1918 das
schristliche« Abendland bei Freund und Feind für seine Unternehmun-
93 Heidegger: Der Wille zur Macht als Kunst (Anm. 91),$.30.
94 Es handelt sich hier um die Seiten 191-193 erster Absatz inclusive, die in den
Nietzsche-Bänden von 1961 getilgt wurden (dort Bd. I, $. 183). Insgesamt
gilt für die Philologie der Heideggerschen Nietzsche-Auslegung, daß sie
sowohl die Bände von 1961 als auch die Neuausgabe der Nietzsche Vorle-
sungen im Rahmen der Gesamtausgabe heranziehen muß, da solche Tilgun-
gen natürlich ihrerseits semantisch relevant sind, der späte Heidegger auch
Formulierungen merklich geglättet und entschärft hat. Die deutlich existen-
tiell betroffenere, affektivere Sprache ist die der Originalvorlesungen der
Jahre 1936-1940. Dies genau zu untersuchen, wäre Aufgabe einer philolo-
gisch-philosophischen Analyse der Heideggerschen Nietzsche-Vorlesun-
gen.

54
gen denselben lieben Gott für sich in Anspruch nahm. ... Nietzsche war
redlich genug, sich selbst einen Nihilisten zu nennen, das heißt nicht:
einer, der nur »nein« sagt und alles ins Nichts überführen will, sondern
einer, der im Ereignis des sterbenden Gottes steht und sich nichts
vormacht, der allerdings »nein« sagt zu der allgemeinen Verlogenheit, der
aber »nein« sagt, weil er schon >»ja< gesagt hat, früher und strenger und
ernster als seine »christlichen« Zeitgenossen, die mit einem Tremolo in
der Stimme in Festreden sich auf das Wahre, Gute und Schöne berie-
fen.«??

Zunächst ist bemerkenswert, daß Heidegger den Satz nicht einfach


als Bekenntnis zu einer Art Atheismus liest, sondern — in der
Negation — Nietzsches »Ja zum Kommenden« herausstellt. Die
Überwindung des Nihilismus wird in Heideggers eigener späterer
Philosophie das »Ereignis« heißen und als Überwindung der Meta-
physikgeschichte und in der Ankunft des »Gevierts« gedacht wer-
den. Davon wird noch zu sprechen sein. In der genannten Vorle-
sung allerdings bleibt Heidegger noch soweit in Nietzsches Fahr-
wasser, daß er sie im Appell an den »Schaffenden« ausklingen läßt.?°
In unserem Kontext von besonderem Interesse ist die ideologie-
kritische Passage des Textes. In ihm steckt die Einsicht in die Entlee-
rung der politischen Schlagworte des Nationalismus — »Gott, Frei-
heit und Vaterland« - dort, wo in Wahrheit das »Ereignis des
sterbenden Gottes« stattgefunden hat, die Ausmerzung des Religiö-
sen und auch der Freiheit durch die imperialistische Politik des
Nationalismus. Es ist bemerkenswert, wie nahe Heidegger hier der
politischen Phrasenkritik eines Karl Kraus ist, der eben jenen Miß-
brauch der religiösen und pseudo-idealistischen Schlagwörter in der
Nationalpolitik des I. Weltkrieges mit nicht zu überbietender satiri-
scher Schärfe analysiert und gegeißelt hat. Und auch Karl Kraus hat
schon in der »kriegerischen Verblödung der Menschheit« eine Art
„Versuchsstation des Weltuntergangs« gesehen, der technisch um so
95 Der Wille zur Macht als Kunst, S.191f.
9% Auch hier übrigens mit bemerkenswerten Varianten: Der letzte Satz der
Vorlesung in der Ausgabe Nietzsche I (1961, 5.254) lautet: »Der Über-
des
mensch« ist der Mensch, der das Sein neu gründet - in der Strenge
Wissens und im großen Stil des Schaffens.« Die Vorlesung von 1936/37
Sein neu
schreibt diesen Satz: »Der ‚Übermensch« ist der Mensch, der das
(5.274).
gründet, in der Strenge des Wissens und der Härte des Schaffens.«
Fassung ist also noch stärker dem Härte- und Willenspa -
Die ursprüngliche
thos verpflichtet, führt dies auch noch in einigen Sätzen aus, die die Edition
von 1961 gestrichen hat.

55
reibungsloser funktionierte, als das Kollektivbewußtsein eben von
den pseudoreligiösen und pseudoidealistischen Phrasen benebelt
worden war.” Heidegger Einsicht in die »Leere und Verlogenheit«
dieser nationalistischen Phraseologie entspricht bei Karl Kraus die
Einsicht:

»Das Übel gedeiht hinter dem Ideal am besten.«”®

Die Nähe der Heideggerschen Kritik der nationalistischen, in


Wahrheit imperialistisch mißbrauchten Phraseologie zu Karl
Kraus’ Phrasenkritik ist allerdings kein Zufall. Beide Autoren ste-
hen hier in Abhängigkeit von Einsichten desselben Autors, Nietz-
sche. Dabei allerdings stieß Karl Kraus in andere Richtungen vorals
Heidegger. Lag doch der Hauptakzent von Karl Kraus auf der
Kritik der öffentlichen Meinung und der Presse, des Kapitalismus
und Geschäftsdenkens dort, wo Pseudoideale vorgeschoben wur-
den. Heideggers Kritik dagegen stieß in die Tiefenanalyse der
abendländischen Metaphysikgeschichte vor, um von hier aus die
inneren Voraussetzungen der Neuzeit und ihres Werteverlustes,
ihres Nihilismus, aufzudecken.
An der besagten Stelle in Heideggers Nietzsche-Vorlesung refe-
riert Heidegger allerdings auch Nietzsches Kritik am Sozialismus
und an den modernen Demokratien.” Nietzsche hatte, so in »Jen-
seits von Gut und Böse«, ım Sozialismus wie in der Demokratisie-
rung Europas eine heraufkommende, verkappte Form von Herr-
schaftsdenken gesehen, das sich erst voll entfalten würde, wenn
»der jetzt noch wüthende Sturm und Drang des »National-
Gefühls«« abgeklungen sei.!% Den »Socialismus« hielt Nietzsche,
so schon in »Menschliches, Allzumenschliches«, für »reactionär« —
»Der Socialismus ist der fantastische jüngere Bruder des fast abge-
lebten Despotismus«!"! -, weil er zwar ideale Versprechungen
mache, in Wahrheit aber die »allerunterthänigste Niederwerfung
97 Siehe das Kap. Nationalgott und Ersatzmetaphysik in: Silvio Vietta: Neu-
zeitliche Rationalität und moderne literarische Sprachkritik. München
1981, $. 185ff.
98 Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit. Teil I. dtv-Ausgabe. München
1974, $.145.
99 Der Wille zur Macht als Kunst, 5.193.
100 Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hg. v.
Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München 1980. Bd. 5,$. 182.
101 Kritische Studienausgabe. Bd. 2, $. 307.

56
aller Bürger« fordere und so in der Realisierung des »äussersten
Terrorısmus« für eine äußerst gewaltsame Herrschaftsform.!%
Die »Demokratisierung Europa’s« dagegen ist nach Nietzsche
eine eher subtile Herrschaftsform, die »auf die Erzeugung eines
zur Sklaverei im feinsten Sinne vorbereiteten Typus« hinaus-
laufe, eine »Vermittelmäßigung des Menschen« in ein »nützli-
ches, arbeitsames, vielfach brauchbares und anstelliges Heerdent-
hier Mensch«, das nun gerade durch seine Entsubjektivierung
auf eine besondere Weise disponiert sei zur »Züchtung von
Tyrannen«. Entsubjektivierung des funktionalisierten Menschen
und korrelative Sehnsucht nach Tyrannei bedingen sich so, nach
Nietzsche, wechselseitig, und diese politischen Entfremdungs-
prozesse versucht er unter den Begriffen »Civilisation«, »Ver-
menschlichung«, »Fortschritt«, und auch der politischen Formel
»... demokratische Bewegung Europa’s« ideologiekritisch aufzu-
decken.!
Heidegger folgt Nietzsche 1936/37 in der Kritik an einer sol-
chen Form von Demokratie, daß er sie - wie den blinden Natıo-
nalismus — als eine »Abart des Nihilismus« begreift.!°* Als Hei-
degger 1961 die Nietzsche-Vorlesungen erstmals publizierte,
hatte sich allerdings die Demokratie in Deutschland doch soweit
entwickelt, daß diese Sätze nicht mehr so ohne weiteres stehen
bleiben konnten. Ich nehme daher an, daß aus diesem Grunde
die ganze Passage über Nihilismus und Politik in den Nietzsche-
Bänden von 1961 gestrichen wurden. Offensichtlich hatte Hei-
degger aber auch nichts dagegen einzuwenden, daß sie, wo es
um eine historische Rekonstruktion seines Vorlesungstextes von
1936/37 ging, im vollen Wortlaut dann doch abgedruckt wur-
den.
Wir können nun in diesem Rahmen nicht die Entwicklung
von Heideggers Nietzsche-Deutungen Schritt für Schritt verfol-
gen. Das soll in einer eigenen Publikation zu Heideggers Nietz-
sche-Lektüre geschehen. Ich möchte vielmehr direkt auf die
Nihilismus-Vorlesung von 1940 und auf den Aufsatz »Nietz-
sches Wort »Gott ist tot« aus den »Holzwegen« eingehen. Letz-
102 Ebd., 5.307.
|
103 Kritische Studienausgabe. Bd. 5, $. 182f.
»Denn die Demokrat ie ist, wie
104 Der Wille zur Macht als Kunst, S.193.
Nietzsche klar sah, nur eine Abart des Nihilismus...«.

37:
terer basiert, wie die »Anmerkungen« zu den »Holzwegen« mittei-
len, auf den Nietzsche-Vorlesungen und wurde in »kleineren Krei-
sen« 1943 »wiederholt vorgetragen«.!”
In Heideggers Vorlesung »Der europäische Nihilismus« von
1940 geht Heidegger aus von den »fünf Haupttiteln« der Nietzsche-
anischen Philosophie: »Nihilismus«, »Umwertung aller bisherigen
Werte«, »Wille zur Macht«, »Ewige Wiederkehr des Gleichen«,
»Übermensch«.!06 Dabei werde, was »Nihilismus« heiße, nur im
Kontext der anderen Begriffe erkennbar, umgekehrt aber auch die
anderen Leitbegriffe der Philosophie Nietzsches nur vor dem Hın-
tergrund des Nihilismusbegriffs verständlich. In gewissem Sinne
aber ist nun für Heidegger Nietzsches Nihilismusbegriff entschei-
dend und leitend geworden, sowohl für das Verständnis dieses
Denkers als auch der abendländischen Geistes- und Realgeschichte.
»Was bedeutet Nihilismus? -— Daß die obersten Werte sich entwerten. Es
fehlt das Ziel; es fehlt die Antwort auf das »Warum ?««.107

Aus diesem Satz bereits leitet Heidegger »das für alles Begreifen des
Nihilismus Entscheidende« ab:
»der Nihilismus ist ein Vorgang, der Vorgang der Entwertung, des
Wertloswerdens der obersten Werte.«!0®
Der geschichtliche Prozeßcharakter des Nihilismus wird so von
Heidegger nachdrücklich unterstrichen und vor allem im Kapitel
über »Nihilismus als Geschichte« und in den darauffolgenden
Kapiteln entfaltet.! Der Nihilismus erscheint hier nicht nur als
eine, sondern als die Grundbewegung der abendländischen
Geschichte.

105 Holzwege, 5.344.


106 Auch für die Interpretation dieser Nietzsche-Vorlesung müssen beide Text-
versionen herangezogen werden. Ich zitiere daher im folgenden: Nietzsche
Bd. II. Pfullingen 1961, S.40 und Nietzsche: Der europäische Nihilismus.
Gesamtausgabe. II. Abt. Bd. 48. Hg. v. Petra Jaeger. Frankfurt 1986, hier
S=1l0:
107 Nietzsche II, S.45, Gesamtausgabe, S.23. Auf die besonderen Lesarten der
Nietzschetexte in der Nietzschephilosophie brauchen wir in diesem
Zusammenhang nicht einzugehen, sondern zitieren die Texte, wie sie Hei-
degger zitiert.
108 Nietzsche II, S.46, Gesamtausgabe, $.23 ff.
109 Nietzsche II, S. 9Off, Gesamtausgabe, S. I6ft.

58
»Der Nihilismus ... ist Geschichte; er macht das Wesen der abendländi-
schen Geschichte mit aus, weil er die Gesetzlichkeit der metaphysischen
Grundstellungen und ihres Verhältnisses mitbestimmt. Die metaphysi-
schen Grundstellungen aber sind der Boden und der Bereich dessen, was
wir sonst als Weltgeschichte, im besonderen als abendländische
Geschichte kennen. Der Nihilismus bestimmt die Geschichtlichkeit
dieser Geschichte. Daher liegt für das Verständnis des Wesens des Nihi-
lismus weniger daran, die Geschichte des Nihilismus in den einzelnen
Jahrhunderten zu erzählen und in seinen Gestalten abzuschildern, son-
dern alles muß zuerst darauf hinzielen, den Nihilismus als Gesetzlich-
keit der Geschichte zu erkennen.«!°

In diesem Sinne geht Heidegger daran, die »innere Logik« dieser


Geschichte von der »Grundtatsache« des Nihilismus her aufzu-
schlüsseln, die »Grundbewegung der europäischen Geschichte« aus
ihrer nihilistischen Anlage und Entwicklung her verständlich zu
machen.
Wie stellt sich für Nietzsche die Genese des Nihilismus dar? In
einem nachgelassenen Text aus dem Zeitraum November 1887 bis
März 1888 hat Nietzsche über die Heraufkunft des Nihilismus als
»psychologischer Zustand« in einem längeren Aphorismus reflek-
tiert, und diesen Text hat seinerseits Heidegger zur Grundlage einer
ausführlichen Textinterpretation gemacht.!!! Demnach stellt sich
die Erfahrung des Nihilismus durch eine Art radikalisierte Aufklä-
rung ein: Der Mensch hat Seinswerte in das Dasein hineinprojiziert,
eine ganze »metaphysische Welt«, er hat sich eine überweltliche
Welt der Ideen und Werte zusammenphantasiert und muß nun
erkennen, daß dies nur seine Projektionen waren, daß die Ideen, die
Werte, auch die Kategorien Zweck, Einheit, Sein, die er ins Dasein
hineinprojiziert hat, nur Spiegel seines Bewußtseins sind:
Welt
»Kurz: die Kategorien »Zweck«, ‚Einheit, »Sein<, mit denen wir der

einen Wert eingelegt haben, werden wieder von uns herausgezogen
und nun sieht die Welt wertlos aus ...«!1?

Nietzsche selbst begreift so den Nihilismus als Rektifizierung einer


ht: die
philosophischen Ursünde, die er letztlich an Plato festmac
110 Nietzsche II, S.91f, Gesamtausgabe, 5.98.
handelt sich hier um den
111 Nietzsche II, S.56ff, Gesamtausgabe, S. 47£. Es
Aphorısmus »Kritik des Nihilis m« in der Kritisch en Studienausgabe Nietz-
sches, Bd. 13, S. 46ff.
112 Nietzsche II, S.58, Gesamtausgabe, 5.48.

39
Verleugnung der Sinnenwelt zugunsten eines Schein- und Geister-
reiches der Ideen, die Setzung der Lüge und der Erdichtung anstelle
der Wahrheit, der Unwirklichkeit an die Stelle der Wirklichkeit, der
übersinnlichen Welt an die Stelle der sinnlichen. Heidegger nun
greift diese geschichtsphilosophische Deutung des Nihilismus auf,
aber verweist Nietzsches eigene Philosophie selbst noch in die
Geschichte des Nihilismus. Mit welchem Recht?
Nach Heidegger ist der letzte und von ihm selbst unerkannte
Grund für den abendländischen Nihilismus eine spezifische Form
der Seins- und auch der Nichts-Vergessenheit. In dem Maße, wie
die Kategorien des Seins in der abendländischen Denkgeschichte zu
einer Form der Seiendheit und in der Neuzeit zur berechenbaren
Sache für ein herrschend-rechnendes Subjekt umgedeutet wird, in
dem Maße also, wie Sein zur Sache und zum Gegenstand verding-
licht wird, steckt der Nihilismus bereits im Denkansatz der abend-
ländischen Geschichte. Lange schon bevor die moderne Technik im
Verbund mit der modernen Ökonomie und Wissenschaft zur uni-
versalen Beherrschung von Welt ansetzte, ist in der abendländi-
schen Metaphysikgeschichte die nihilistische Seinsvergessenheit
bereits vorgeprägt. In der Fixierung auf die Seiendheit steckt nach
Heidegger - auf unerkannte Weise - ein vehement Verdrängtes:

»das wesenhafte Nichtbegreifen des Wesens des Nichts.«!1°

Man könnte dies durch Ausführungen über die Verdrängung des


Todes, der Sterblichkeit schon in der Ideologie vor allem der neu-
zeitlichen Philosophie, aber auch durch Analysen der Verdrängung
des Todes und der Hinfälligkeit der menschlichen Existenz in der
modernen Konsumgesellschaft selbst vertiefen und stützen.!!*
Nach Heidegger ist aber nun Nietzsche selbst tief in diese
Geschichte des Nihilismus verstrickt, insofern seine Kategorie des
113 Nietzsche II, S.54, Gesamtausgabe, S.44. Nietzsche II in der Textvariante:
»das wesenhafte Nichtdenken an das Wesen des Nichts«.
114 Einer der ersten kulturkritischen Autoren der Nachkriegszeit, die das Phä-
nomen der Verdrängung, ja Überschminkung von Alter und Tod in der
modernen westlichen Zivilisation gesehen hat, war derzeit Robert Jungk in
seinem Buch Die Zukunft hat schon begonnen... Siehe dazu auch: Christo-
pher Lasch: Das Zeitalter des Narzismus (dtv-Ausgabe: München 1986,
S.233ff) und die Analyse der Leidensverdrängung im neuzeitlichen Ratio-
nalismus bei Horst E. Richter: Der Gotteskomplex. Die Geburt und die
Krise des Glaubens an die Allmacht des Menschen. Reinbek 1986, S. 127 ff.

60
»Willens zur Macht« just jenes Subjekt, jenes Herrschaftsdenken
auf die Spitze treibt, dessen Wesen eben Nihilismus ist. Jener Nihi-
lismus, den Nietzsche zu überwinden glaubte, verfestigt und bruta-
lisiert sich noch einmal in seiner Formel vom »Willen zur Macht«
und in jenen Denkfiguren, die biologistisch-darwinistisch die höhe-
ren und stärkeren Formen des Rassedenkens gegen sogenannte
niedere und verfallende ausspielen. Gerade die Rede vom »Willen
zur Macht«, vom »Herren-« und »Übermenschentum« ist aber in
den Augen Heideggers eine radikale Zuspitzung des Nihilismus
selbst. Und an dieser Stelle wird Heideggers Nietzsche-Analyse -
bei aller Ausrichtung auf die Philosophie- und Metaphysikge-
schichte - zugleich auch hoch politisch.
Die Nihilismus-Vorlesung Heideggers kommt hier nämlich zu
einer Kritik just jenes schieren Macht- und Herrschaftsdenkens, in
das auch noch Nietzsche befangen ist und das der NS-Staat auf so
brutale Weise verkörperte. Nach Heidegger hat sich im »Willen zur
Macht« als dem »Prinzip einer neuen Wertsetzung« das Machtden-
ken verselbständigt, ist zum »einzigen Grundwert« geworden:
»Der Wille zur Macht ist das »Prinzip einer neuen Wertsetzung«, das sagt
jetzt: Der Wille zur Macht ist nicht etwa nur die Art und Weise, wie, und
das Mittel, wodurch die Wertsetzung geschieht, der Wille zur Macht ist
als das Wesen der Macht der einzige Grundwert, nach dem jegliches, was
entweder Wert haben soll oder was keinen Wert beanspruchen darf,
abgeschätzt wird.«!!°

In diesem Sinne hat der Wille zur Macht auch alle weltanschauli-
chen Ziele und Ideen umfunktioniert zu bloßen »Kampfmitteln«
der Machtsteigerung und Machterhaltung selbst:
Ziel
»Um was gekämpft wird, ist, wenn es als besonderes inhaltliches
Alle
gedacht und gewünscht wird, stets von nachgeordneter Bedeutung.
sind immer nur und immer noch Kampf-
Kampfziele und Kampfparolen
Es ist die
mittel. Um was gekämpft wird, ist im voraus entschieden.
so wie das Ganze
Macht selbst, die keiner Ziele bedarf. Sie ist ziel-los,
metaphysi-
des Seienden wert-los ist. Diese Ziel-losigkeit gehört zum
schen Wesen der Macht.«!!°
ert und
Diese Machtanalyse Heideggers von 1940 ist bemerkensw
Sagt sie
enthält auch ein bemerkenswertes Maß an Privatkühnheit.
5.131.
115 Nietzsche II, S.124f, Gesamtausgabe,
116 Nietzs che II, S.125, Gesam tausg abe, 5.131.

61
doch im politischen Klartext aus, daß alles ideologische Gebaren
des NS-Staates nur mehr Ausdruck des schieren und ım Grunde
»ziel-losen« Machtdenkens selbst ist und nichts sonst. Auch die
Kategorie des »Übermenschen«, mit der sich die rassistische Ideo-
logie des Faschismus brüstete, wird in diese ideologiekritische Ana-
lyse einbezogen:
»Der Mensch dieser Herrschaft ist der Über-mensch. Man pflegt Nietz-
sche oft vorzuhalten, sein Bild vom Übermenschen sei unbestimmt, die
Gestalt dieses Menschen sei ungreifbar. Zu solchen Urteilen kommt es
nur, weil man nicht begreift, daß das Wesen des Über-menschen im
Hinausgehen ȟber< den bisherigen Menschen besteht. Der bisherige
Mensch ist aber jener, der »über< sich noch ein Ideal und Wünschbarkei-
ten brauchte und suchte. Der Übermensch dagegen bedarf nicht mehr
dieses »Über« dem und »Jenseits< des Menschen weil er einzig den Men-
schen selbst will, und zwar nicht in irgendeiner besonderen Hinsicht,
sondern schlechthin als den Herrn der unbedingten Machtvollstreckung
mit den vollständig erschlossenen Machtmitteln dieser Erde.«!17
Mit anderen Worten: Auch die Kategorie des »Übermenschen« hat
alle Ideen, Werte, Zielsetzungen für sich funktionalısiert als reines
Machtmittel der Befestigung und Ausweitung seiner Herrschaft.
Nichts anderes, als das Herrschaftsdenken selbst, zählt noch für
ihn: das macht ihn - den »Übermenschen« - zum Repräsentanten
des modernen Nihilismus selbst. Mit anderen Worten: das Herr-
schaftsdenken des Nationalsozialismus, die Rede vom Ȇbermen-
schen« ist selbst die Erscheinungsform des reinen Nihilismus,
nichts sonst.
Allerdings wird man inmitten eines totalitären Staates, in dem
Heidegger 1940 seine Vorlesung hielt, nicht erwarten können, daß
er dies linear ausdrückt ın Sätzen vom Typ: »Hitlers Politik ist die
Verkörperung des Nihilismus.« Die Sprache Heideggers ist klar
genug, aber darf auch ein Minimum an Tarnung nicht vernachlässi-
gen. So erfolgt die ganze Analyse des Macht- und Herrschaftsden-
kens des NS-Staates über die ideologiekritische Analyse der Nietz-
scheanischen Metaphysik des Macht- und Herrschaftsdenkens.
Dabei liegen die ideologiekritischen Bezüge zur Zeitgeschichte
allerdings so offen auf der Hand, daß sie kein wacher Hörer der
Vorlesung nicht gehört haben dürfte, zugleich aber auch eingebettet
in der Argumentationsebene der Metaphysikkritik, die Heidegger
117 Nietzsche II, S.125, Gesamtausgabe, $.131.

62
im Notfalle für sich ins Feld hätte führen können, vielleicht auch
geführt hat. Gleichwohl: Heidegger sieht und sagt 1940 auch offen,
daß das Herrschafts- und Machtdenken als »Kampf« - die Assozia-
tion zu »Mein Kampf« wird kaum einem Hörer entgangen sein-ein
im Grund von allen Sinnkategorien verlassenes Herrschaftsgebaren
ist, im Kern eben nichts anderes als Nihilismus, der auch die Kate-
gorie der Wahrheit nur mehr noch als Funktion von Macht und
Kampf begreifen kann:
»»Alles Geschehen, alle Bewegung, alles Werden als ein Feststellen von
Grad- und Kraftverhältnissen, als ein Kampf. ..« Was in diesem Kampf
unterliegt, ist, weil es unterliegt, im Unrecht und unwahr. Was in diesem
Kampf oben bleibt, ist, weil es siegt, im Recht und wahr.«!!®
Wille zur Macht als letzte Ideologie, die alle anderen Ideen und
Sinnsetzungen, auch den Wahrheitsbegriff, umfunktioniert hat in
Faktoren der Macht und ihrer Durchsetzung - dies ist Heideggers
radikal ideologiekritische Deutung von »Nietzsches »moralischer«
Auslegung der Metaphysik«, aber mit Nietzsche und zugleich
gegen ihn eben auch die radikal ideologiekritische Deutung seiner
Zeit, der Zeıt um 1940.
Aber Heidegger wird in dieser Vorlesung in bezug auf die Zeiter-
eignisse noch expliziter:
»In diesen Tagen sind wir selbst die Zeugen eines geheimnisvollen Geset-
aus
zes der Geschichte, daß ein Volk eines Tages der Metaphysik, die
eigenen Geschich te entsprun gen, nicht mehr gewachs en ist in dem
seiner
t
Augenblick, da diese Metaphysik sich in das Unbedingte gewandel
hat.«11?

Was Heidegger hier im Blick hat, wird den zeitgeschichtlichen


des II.
Hörern der Vorlesung sofort klar gewesen sein: der Beginn
in der
Weltkrieges. Einerseits ist das eine Phase der Geschichte,
ngte gewand elt hat«: in die
»diese Metaphysik sich in das Unbedi
selbst nämlich . Ande-
Herrschaft des radikalen Herrschaftsdenkens
haft des
rerseits entgleitet nach Einsicht Heideggers der Herrsc
selbst Ange-
Nationalsozialismus die Herrschaft über das von ihm
gewach sen«. Der Text fährt fort:
zettelte. Er ist diesem »nicht mehr

5.131.
118 Nietzsche II, S. 125, Gesamtausgabe,
5. 205.
119 Nietzsche II, S.165, Gesamtausgabe,

63
»Jetzt zeigt sich, was Nietzsche bereits metaphysisch erkannte, daß die
neuzeitliche »machinale Ökonomie«, die maschinenmäßige Durchrech-
nung alles Handelns und Planens in ihrer unbedingten Gestalt ein neues
Menschentum fordert, das über den bisherigen Menschen hinausgeht.
... Es genügt nicht, daß man Panzerwagen, Flugzeuge und Nachrichten-
geräte besitzt; es genügt auch nicht, daß man über Menschen verfügt, die
dergleichen bedienen können; es genügt nicht einmal, daß der Mensch
die Technik nur beherrscht, als sei diese etwas an sich Gleichgültiges
jenseits von Nutzen und Schaden, Aufbau und Zerstörung, beliebig von
irgendwem zu beliebigen Zwecken brauchbar. Es bedarf eines Men-
schentums, das von Grund aus dem einzigartigen Grundwesen der
neuzeitlichen Technik und ihrer metaphysischen Wahrheit gemäß ist,
d.h. vom Wesen der Technik sich ganz beherrschen läßt, um so gerade
selbst die einzelnen technischen Vorgänge und Möglichkeiten zu lenken
und zu nützen. Der unbedingten »machinalen Ökonomie« ist nur der
Über-mensch gemäß, und umgekehrt: dieser bedarf jener zur Einrich-
tung der unbedingten Herrschaft über die Erde.«!?"

Mit anderen Worten: In der losgetretenen Kriegstechnik ist ein so


ungeheuerer, großtechnischer Prozeß in Gang gekommen, daß er
von den Menschen, die diesen Krieg angezettelt haben, selbst nicht
mehr kontrollierbar ist. Daher fordert Nietzsche zur Beherrschung
der »machinalen Ökonomie«, wie sie im II. Weltkrieg in Form einer
neuen Panzertechnik, Luft-, Kriegs- und Nachrichtentechnik in
Erscheinung trat, den »Übermenschen«. Für Heidegger ist aber
gerade dieser »Übermensch« selbst noch die letzte Verkörperung
des nihilistischen Herrschaftsdenkens. Nach Heidegger hat somit
Nietzsche einen Geschichtsprozeß vorhergesehen, dessen Zeitge-
nosse er und die Zuhörer seiner Vorlesung waren: Die Herrschaft
einer »machinalen Ökonomie«, wie sie der II. Weltkrieg in Form
einer entfesselten Kriegstechnik mit sich brachte. Einer Entfesse-
lungsstufe der Metaphysik der »neuzeitlichen Technik«, die sich
aber vom Menschen selbst nicht mehr beherrschen läßt. Daher
Nietzsches Ruf nach dem »Übermenschen«, dem aber Heidegger
gerade nicht folgt. Somit ist dieser ganze Prozeß der Entfesselung
eines großtechnischen Weltkrieges gerade von jenen, die sich für
»Übermenschen« hielten, den faschistischen Machthabern, ein
Freignis, das sich nach Heideggers Einschätzung von 1940 ihrer
120 Nietzsche II, S.165f, Gesamtausgabe, S.205. Varianten in Nietzsche II:
»nutzbar« für »brauchbar«, »Der unbedingten smachinalen Ökonomie: ist
im Sinne der Metaphysik Nietzsches...«.

64
Kontrolle entziehen wird. Die neuzeitliche Metaphysik des
Herrschaftsdenkens ist - in diesem Weltkrieg - in eine aggres-
sive und unkontrollierte Phase der Geschichte eingetreten. Aber
— sie ist damit auch nicht am Ende.
Zu den beunruhigendsten Faktoren der Heideggerschen Phi-
losophie gehört, daß er — mitten im NS-Staat und inmitten des
II. Weltkrieges - nie nur diesen NS-Staat und den Weltkrieg kri-
usiert, sondern auf diese nur als Erscheinungsformen des neu-
zeitlichen Nihilismus anspielt, der aber mit ihrem Ende nicht
abgegolten sei. Die destruktive Phase des neuzeitlichen Nihilis-
mus wäre demnach - so die Prognose Heideggers in den Anfän-
gen der vierziger Jahre - auch nach dem Ende des Faschismus
und des Weltkrieges nicht abgegolten. Der Weltkrieg würde, so
prognostizierte Heidegger, wie wir sahen, 1942, nicht in einen
»Frieden früherer Art« übergehen.« »...der Angriff herrscht«,
schrieb er 1950. Mit anderen Worten: auch der Weltkrieg ist
metaphysikgeschichtlich nur eine Ausformung eines anderen
seinsgeschichtlichen Geschehens: des seinsverlassenen Herr-
schafts- und Ausbeutungsdenkens der Menschheit, wie es sich
brutal und rücksichtslos im NS-Staat verkörperte, wie es aber
auch nach diesem Staat und dem von ıhm losgebrochenen Welt-
krieg nicht beendet sein würde. Bevor wir auf diesen Übergang
der Kritik am Herrschaftsdenken zur Technikkritik Heideggers
kommen, noch ein Wort zu Heideggers Nietzsche-Aufsatz aus
den »Holzwegen« von 1950. In diesem Aufsatz radikalısiert
Heidegger seine Einsicht in die »katastrophale« Wendung des
abendländischen Nihilismus:
»Der Nihilismus ist, in seinem Wesen gedacht, vielmehr die Grund-
bewegung der Geschichte des Abendlandes. Sie zeigt einen solchen
Tiefgang, daß ihre Entfaltung nur noch Weltkatastrophen zur Folge
haben kann.«!?!

Auch hier der Aufweis des Nihilismus schon im Wertedenken


der traditionellen Metaphysik, des Willens zur Macht, der, als
Herschaftsdenken, etwas Seinstötendes habe:
»Das Wertdenken der Metaphysik des Willens zur Macht ist in
einem äußersten Sinne tödlich, weil es überhaupt das Sein selbst
nicht in den Aufgang und d.h. in die Lebendigkeit seines Wesen
121 Holzwege, 5.201.

65
kommen läßt. Das Denken nach Werten läßt im vorhinein das Sein selbst
nicht dahin gelangen, in seiner Wahrheit zu wesen.«'?*

Dies aber ist gerade auch in der Technik und ihrem Zugriff auf die
Welt der Fall:
»Die Natur erscheint überall, weil aus dem Wesen des Seins gewillt, als
der Gegenstand der Technik.«!*

Der Schluß dieses Aufsatzes lautet:

»Das Denken beginnt erst dann, wenn wir erfahren haben, daß die seit
Jahrhunderten verherrlichte Vernunft die hartnäckigste Widersacherin
des Denkens ist.«!**

Freilich ist das - bei aller Tradition der Vernunftkritik auch schon in
der Aufklärung - eine Radikalisierung der Kritik der Aufklärung,
wie sie so in der Tradition der Aufklärung selbst sich nicht findet. Es
ist eben die Erfahrung der destruktiven Wirkung der instrumentel-
len Vernunft und ihrer Technologie, die Heidegger auch noch nach
dem Weltkrieg und in der von ihrem Selbstverständnis eher harmlo-
sen Aufbauphase der Bundesrepublik Deutschland solche Sätze ın
den Mund legen ließ.

Zwischenergebnis:
Fassen wir die in unserem Kontext zentralen Aspekte der Hei-
deggerschen Nietzsche-Lektüre zusammen:
% In der Auseinandersetzung mit Nietzsche vor allem in den
Nietzsche-Vorlesungen von 1936-40, aber auch in den auf den
Vorlesungen fußenden späteren Nietzsche-Abhandlungen akzen-
tuiert Heidegger gerade nicht jene Seiten des Denkers Nietzsche,
die in der nationalsozialistischen Rezeption dominieren: den
Gedanken einer neuen Wertsetzung, die Lehre vom Übermen-
schen, den Rassismus -, sondern die ideologiekritischen Dimensio-
nen des Denkens Nietzsches, seinen Nihilismusbegriff. Heidegger
setzt mit Nietzsche den »Nihilismus als Grundtatsache der abend-
ländischen Geschichte« voraus. Dieser Nihilismus sei begründet ın
Grundstellungen der abendländischen Denk- und Seinsgeschichte.
2. Auf dem Boden der Grundlage der Nietzscheanischen Nihi-
122 Ebd., S. 243.
123 Ebd., S. 236.
124 Ebd., S.247.

66
lismus-Analyse stößt Heidegger mit Nietzsche in den genannten
Vorlesungen vor zu einer 1deologiekritischen Analyse auch der poli-
tischen Weltanschanungen, so des Nationalismus und Sozialisrnus,
also der ideologischen Bestandteile des Nationalsozialismus. Zu
Leerformeln würde die Propagierung solcher Weltanschauungen,
würde die Propagierung von Ideen und Werten immer dort, wo in
Wahrheit der »Wille zur Macht« herrsche, also das pure Herr-
schaftsdenken selbst. Heidegger benutzt so den Nietzscheanischen
Begriff des »Willens zur Macht« nicht affırmativ, sondern kritisch.
Die »neue Wertsetzung« als »Metaphysik des Willens zur Macht«
ist seiner Einsicht nach selbst eine zugespitzte Erscheinungsform
des neuzeitlichen Nihilismus, der auch die politischen Ideen und
Weltanschauungen, auch den Begriff der Wahrheit selbst absorbiere
und zu Machtfaktoren umfunktioniere.
3 Über Nietzsche hinaus geht Heidegger vor allem in drei
Punkten:
3 Heidegger sieht in Nietzsches Lehre vom »Willen zur
Macht« und im »Übermenschen« nicht, wie Nietzsche selbst, die
eigentliche Überwindung des Nihilismus, sondern dessen Radikali-
sierung. Er analysiert seinerseits diesen Nihilismusbegriff und seine
Ausformung als »Wille zur Macht«, als »Übermensch« vor dem
Hintergrund der neuzeitlichen Subjektphilosophie, insbesondere
Descartes’, und deutet diese Begriffe als Radikalisierungen des
Herrschaftsdenkens des neuzeitlichen Subjektes. Auch das Werte-
denken Nietzsches begreift Heidegger als Ausdruck, nicht als
Überwindung des Nihilismus.
32 Mit Nietzsche verfolgt Heidegger den abendländischen
Nihilismus bis in die Antike zurück und findet seinen Grund vor
allem in metaphysikgeschichtlichen Setzungen Platons. Über
Nietzsche hinaus aber sieht er den Nihilismus in einer Form von
Seinsvergessenheit begründet, welche die abendländische Denk-
und Metaphysikgeschichte insgesamt präge. Diese Seinsvergessen-
heit habe auch und gerade die Erfahrung des Nichts selbst in der
Fixierung des philosophischen und später des wissenschaftlichen
Denkens auf die Seiendheit und seine Berechenbarkeit verdrängt.
3 Mit Nietzsche, aber über ihn hinaus, sieht Heidegger in der
gerade durch den Nationalsozialismus und in dem von ihm begon-
nenen Weltkrieg mit ihrer sprunghaft entwickelten neuzeitlichen
Technik eine bedrohliche Realisierung des neuzeitlichen Herr-

67
schaftsdenkens und der neuzeitlichen Metaphysik des »Willens zur
Macht«. Nach Heidegger ist die »machinale Ökonomie«, die hier
zur Herrschaft kommt, und die einen eigenen Typus von Ȇber-
menschen« fordere, selbst eine radikale, aber gegenüber der Denk-
geschichte eigentümlich begriffslose Erscheinung des Nihilismus.
Insofern geht auch in Heideggers Nietzsche-Vorlesungen die Kritik
des Nationalsozialismus und seiner Ideologie über in die Kritik der
Technik, die - Heideggers Einsicht nach - in ihrer letzten Stufe der
Philosophie gar nicht mehr bedürfen wird.

68
V. Kritik am Nationalsozialismus und an der
Technik in den »Beiträgen zur Philosophie«
und in der Spätphilosophie

Die anläßlich des 100. Geburtstages Martin Heideggers veröffent-


lichten »Beiträge zur Philosophie« sind das wohl wichtigste Haupt-
werk Heideggers nach »Sein und Zeit«. Ihr wesentlicher Untertitel
lautet: »Vom Ereignis«.!?5 In diesem Werk enthalten sind alle wich-
tigen Grundzüge der Spätphilosophie Heideggers: seine radikale
Abkehr vom Subjektivismus der Neuzeit, dem auch noch die
Daseinsphilosophie von »Sein und Zeit« verhaftet war, sein immer
sicherer seinsgeschichtlich geleiteter Blick für die machtpolitische
Deformation der Weltanschauungen und Ideologien, für das gigan-
tische Anwachsen der modernen Technik, der Wissenschaft und
Ökonomie, des — wie er es nennt - »Riesenhaften« der »Machen-
schaft« der modernen Zivilisation. Gerade die »politische Indienst-
nahme« von Kultur und Weltanschauung, ihre Deformation zu
»Mitteln der Kampftechnik« erscheint Heidegger als der »größte
Nihilismus«, als die äußerste Not der Seinsverlassenheit. Und »das
große Entsetzen« befällt ihn angesichts der im Nationalsozialismus
sich anzeigenden, aber über ihn hinausweisenden totalitären Herr-
schaft der Technik und einer von ihr angerichteten »metaphysi-
125 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie. (Vom Ereignis). Gesamtaus-
gabe Bd. 65. Hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt 1989, $.3:
»Der öffentliche Titel muß jetzt notwendig blaß und gewöhnlich und
nichtssagend lauten und den Anschein erwecken, daß es sich um »wissen-
schaftliche« Beiträge zum »Fortschritt< der Philosophie handle. Die Philo-
sophie kann öffentlich nicht anders angemeldet werden, da alle wesentli-
chen Titel durch die Vernutzung aller Grundworte und die Zerstörung des
echten Bezuges zum Wort unmöglich geworden sind... Die gemäße Über-
schrift lautet daher Vom Ereignis. Und das sagt nicht, daß davon und
darüber berichtet werde, sondern will heißen: Vom Ereignis er-eignet ein
denkerisch-sagendes Zugehören zum Seyn und in das Wort »des« Seyns.«

69
schen Verkleinerung der Welt« und korrelativen »Aushöhlung des
Menschen« in der ins Riesenhafte anwachsenden technisch-ökono-
misch-wissenschaftlichen Beherrschung und Ausbeutung der Erde.
Doch auch hier müssen wir, bevor wir auf die zentralen Gedan-
ken Heideggers zugehen, Philologisches klären. Zunächst zur Ent-
stehungszeit: Auf dem Titelblatt des handschriftlichen Textkonvo-
lutes steht in Heideggers Schrift:
» Beiträge zur Philosophie
(Vom Ereignis)
1936/37.«
Nach Auskunft des Herausgebers bezieht sich diese Zeitangabe nur
auf den Abschnitt »Vorblick« und einen sechsteiligen Aufriß.!?° Der
Manuskriptteil »Das Seyn« dagegen ist nach Mitteilung des Heraus-
gebers im Jahre 1938 verfaßt worden, »so daß sich«, wıe der Her-
ausgeber folgert, »als Entstehungszeit für das gesamte Manuskript
der »Beiträge zur Philosophie« die Jahresangabe 1936-1938
ergibt. «!?7 Diese Schlußfolgerung des Herausgebers setzt allerdings
voraus, daß der Manuskriptteil »Das Seyn« der zuletzt fertigge-
stellte Teil der »Beiträge« ist. Auf dem Textkonvolut »Das Seyn«
findet sich keine Seitenzahl. Im ersten der beiden Textschuber, der
die Handschrift Heideggers verwahrt, findet sich aber ein hand-
schriftlicher Zettel Heideggers, den auch der Herausgeber mitteilt:
» Diese »Beiträge zur Philosophie«
sind in fünf Schreibmaschinenabschriften vervielfältigt; u. die Abschrif-
ten mit der Urschrift verglichen.
Fbg. 3. Juni 39.
H.«

In jedem Falle muß also bis spätestens Frühjahr 1939 das Manu-
skript der »Beiträge« in der handschriftlichen Fassung vorgelegen
haben. Ob das schon, wie der Herausgeber annimmt, 1938 der Fall
war, oder erst Anfang 1939, kann ich aus dem Manuskript und dem,
was der Herausgeber dazu mitteilt, nicht eindeutig erkennen.!?®

126 Nachwort des Herausgebers, 5.515.


127 Ebda., $.515.
128 Dazu teilte mir aber Herr Hermann Heidegger brieflich mit, daß im SS 1938
Martin Heidegger ein Freisemester hatte und »bis zu Beginn des Winterse-
mesters« die Beiträge bereits »abgeschlossen« gewesen seien.

70
Das Manuskript der »Beiträge« besteht aus einer Folge von losen
Zetteln im Format DIN A 4 und auch DIN A 5, die von in der Mitte
gefalteten Blättern DIN A4 zu Konvoluten gebündelt sind. Hei-
degger hat diese Zettel für die Abschrift durch seinen Bruder Fritz
Heidegger mit Bleistift durchnumeriert und dabei eine Vielzahl von
Zetteln auch nicht in die Abschrift aufgenommen. Diese wurden
auch in der Gesamtausgabe nicht mitgeteilt. Das durchpaginierte
Konvolut bildet Sinngruppen, nicht aber folgt das Ganze der »Bei-
träge« einer systemhaften Gliederung. Bezeichnend ist, daß das
Textkonvolut »Das Seyn« ursprünglich die zweite Textgruppe der
»Beiträge« bilden sollte, dort auch im Typoskript zunächst plaziert
wurde, dann aber von Heidegger an den Schluß der »Beiträge«
verwiesen wurde.!?® Die handschriftliche Durchpaginierung folgt
noch dem alten Entwurf. Die Seitenzahlen von »Das Seyn« schließt
hier an die Seitenzahl des »Vorblicks« an. Erst danach folgt der
Abschnitt »Der Anklang«, der nach der Umdisposition Heideggers
nun in der Gesamtanlage die Gruppe II bildet. Die aphoristische
Form der Einzeltexte und die offene Form ihrer Sinngruppierung
unter Leitworte macht eine solche Umschichtung eines Textkonvo-
luts möglich, die ein systemhaft aufgebautes Werk nur schwer
erlaubt hätte. Die Darstellungsform der »Beiträge« ist eben - ihrem
Gehalt gemäß - von der systematischen Durchgliederung nach
Paragraphen, der noch »Sein und Zeit« gefolgt war, abgerückt und
nähert sich dabei einer philosophisch-literarischen Form an, wie sie
bereits Nietzsche in seinen Aphorismus-Sammlungen entwickelt
hatte.
Die Unterteilung der »Beiträge« erfolgt jetzt nach acht Hauptab-
teilungen: I. Vorblick, II. Der Anklang, III. Das Zuspiel, IV. Der
Sprung, V. Die Gründung, VI. Die Zu-Künftigen, VII. Der letzte
Gott, VIII. Das Seyn. Diese acht Hauptgruppen untergliedern sich
im Manuskript aber z. T. noch einmal in kleine Sinngruppen. Für die

129 Dazu teilt der Herausgeber ($. 514) mit: »Am Schluß der maschinenschrift-
lichen Abschrift des »Inhaltsverzeichnisses< findet sich jedoch eine Notiz
Heideggers vom 8. 5. 1939: »Das Seyn« als Abschnitt II (Teil II) ist nicht
richtig eingereiht; als Versuch, das Ganze noch einmal zu fassen, gehört er
nicht an diese Stelle<. In Befolgung dieser Notiz wurde daher vom Heraus-
geber der Teil »Das Seyn« an den Schluß, also hinter den letzten Teil des
»Aufrisses« gesetzt.« In dem Schuber, der Heideggers Handschrift verwahrt,
befindet sich das Textkonvolut »Das Seyn« noch an der ursprünglichen
Stelle hinter dem Textteil »Vorblick«.

71
r
und an der Technik von besondere
Kritik am Nationalsozialismus dert sich
r Anklang«. Dieses glie
Wichtigkeit ist das Kapitel II: »De
ch eigene Titel und eigene Bünde-
im Manuskript in folgende, dur
Sinngruppen!
lung voneinander abgehobene fünf
sgabe: 50-60)
»Anklang« (lfd. Nr. der Gesamtau
« (fd. Nr. 61-69)
»Machenschaft und Erlebnis
s Seyn als Mach enschaft« (Ifd.Nr. 70-72)
„Das Riesenhafte/u/da
(Ifd. Nr. 73-76)
„Sätze/über)die Wissenschaft« (zeitlichen)
riment: i.(m) n.(en) ztl.
»experiri-experimentum/u.» Expe
S.(inn).« (fd. Nr. 77-80).
ngruppe „Sätze über »die Wissen-
Anzumerken ist noch, daß die Sin
schaft.«« den Vermerk trägt:
u. ‚die Wissenschaft.<)«
»Zu Anklang. / (Seinsverlassenheit
und den weiteren Vermerk:

»vgl. Die neuzeitliche Wissenschaft
sichtbar, daß wir uns hier ım
Es ist schon von diesem Titel her
deggerschen Gedanken zur neu-
»Anklang« im Zentrum der Hei ihrer
Technik, aber damit auch zu
zeitlichen Wissenschaft, zur
alismus bewegen.
Erscheinungsform ım Nationalsozi
e. Wie artikuliert und wie
Aber nun zum Gehalt dieser Text
rs an der Technik und am
strukturiert sich die Kritik Heidegge
Nationalsozialismus?
ichten an, die sich in der
Die »Beiträge« knüpfen direkt an Eins
eingestellt haben, bzw. laufen
Auseinandersetzung mit Nietzsche
ng. Die »letzte große Philo-
parallel mit dieser Auseinandersetzu
ist immer noch der gewich-
sophie... die Philosophie Nietzsches«
in den »Beiträgen« „30 Zugleich
tigste Gesprächspartner Heideggers
auch deutlich zurück und das
aber tritt die Philosophie Nietzsches
rs deutlich hervor, wenn es
seinsgeschichtliche Denken Heidegge
der Seinsverlassenheit an
auch explizit vor allem in der Analyse
:
Nietzsches Nihilismusbegriff anknüpft
und damit zugleich die ursprüng-
„Die Seinsverlassenheit ist der Grund
was Nietzsche erstmals als Nihilis-
lichere Wesensbestimmung dessen,
mus erkannt hat.«'?
nn

130 Beiträge, 5.38.


131 Beiträge, S. 119.

72
Politisch bemerkenswert ist, daß Heidegger hier in diesem Text der
Jahre 1936-38 zu erkennen gibt, daß eben dieses wesentliche Erbe
Nietzsches »bis zur Stunde unbegriffen blieb«'%?, also gerade von
der nationalsozialistischen Ideologie nicht begriffen wurde.
Im Gegenteil: Die Propagandamaschine des NS-Staates ist Hei-
degger völlig durchsichtig als läarmende Ersatzmetaphysik, als »Ver-
götzung«, als der »größte Nihilismus«. Auch die Propaganda des
»Völkischen« fällt darunter:
» Worin sich die Seinsverlassenheit meldet: ... Vergötzung der Bedingun-
gen geschichtlichen Seyns, des Völkischen z. B., mit all seiner Vieldeutig-
keit, zum Unbedingten.'?*
Offensichtlich hat Heidegger im Zeitraum 1936-38 bereits die
nationalsozialistische Ideologisierung des Völkischen klar als eine
Form der »Vergötzung« erkannt. Was ist der Maßstab seiner Kritik?
Es ist die Einsicht in die Funktionalisierung der Idee, bzw. der
Weltanschauung zu »Mitteln der Kampftechnik... für einen Willen,
der kein Ziel mehr will;«!3* mit anderen Worten: die Idee des
Völkischen ist hier nur mehr noch vorgeschobene Ideologie, die den
Nihilismus der schieren Machtpolitik, der hinter solcher Funktuio-
nalisierung steht, kaschieren soll.
Jene Kritik der »Weltanschauung« als Ideologie, die Heidegger in
seinem großen Freiburger Vortrag von 1938 vortrug, findet sich so
auch in den »Beiträgen« und hier noch politisch expliziter als Kritik
der »totalen Weltanschauung«, eben des Totalitarismus des NS-
Staates. Diese Passage findet sich sogar schon im Abschnitt »Vor-
blick«, dessen Entstehung Heidegger bereits mit den Jahren 1936/
37 angibt. Heidegger durchschaut hier das zutiefst Erstarrte,
Unfruchtbare, Unschöpferische der »totalen Weltanschauung« des
Nationalsozialismus, der eben durch totale Machtausübung und
»Betrieb« kompensieren muß, was ihm an wahrer geistiger Kraft
gebricht. Das totale Moment ist das der Macht, das die geistig-
schöpferische Erneuerung, an die Heidegger 1933 kurzfristig
geglaubt hatte, getilgt hat und das auch keine Frage mehr zuläßt, am
wenigsten die kritische Frage an sich selbst:

132 Beiträge, 5.138.


133 Beiträge, 5. 117.
134 Beiträge, 5. I8f.

73
und
sich der Eröffnung ihres Grundes
„Die totale Weltanschauung muß ; d.h. ıhr
»Schaffens« verschließen
der Ergründung des Reiches ihres h-hi naus -sch af-
und zum Über-sic
Schaffen kann nie ins Wesen kommen
total e Welt ansc hauu ng damit sich selbst in Frage
fen werden, weil die zt
das Schaffen wird im vorhinein erset
stellen müßte. Die Folge ıst die: eins tmal igen Scha ffens
Wagn isse
durch den Betrieb. Die Wege und
enschaft eingerichtet, und dieses
werden in das Riesenhafte der Mach
der Lebendigkeit des Schöpferi-
Machenschaftliche ist der Anschein
schen.«1?°
auch ein konkretes politisches
Dabei hat Heidegger an dieser Stelle
Ereignis im Blick:
Glaube und der ebenso totale
»Daß nun aber der totale politische
barkeit dennoch auf den Ausgleich
christliche Glaube bei ihrer Unverein !*
nicht verwundern.«
und die Taktik sich einlassen, darf
kordat zwischen Hitler und
Das »nun« scheint sich auf das Kon
ehen, also die Verbindung der
Papst Pius XI. vom Juli 1933 zu bezi
mus mit dem »ebenso totalen
totalen Ideologie des Nationalsozialis
christlichen Glauben«.
chen der Deutschen Reichsregie-
Dazu ein kurzer Exkurs: An dem zwis
ehan delten Reichskonkordat war als
rung und dem Heiligen Stuhl ausg
kopats auch der Erzbischof von
offizielles Mitglied des deutschen Epis
beteiligt. Gröber hatte, damals
Freiburg, Conrad Gröber (1872-1948),
r des dortigen erzbischöflichen
noch Pfarrer in Konstanz und Leite
egger zur Schule ging, diesen ın
Gymnasialkonvikts, an dem auch Heid
Es wird also - bei aller Abwen-
seiner Schulzeit nach Kräften gefördert.
Kirche - auch für ihn 1933 eine
dung Heideggers von der katholischen
ehemalige Förderer und Mentor an
Bedeutung gehabt haben, daß dieser
zwischen Staat und Kirche aktiv
den ausgleichenden Verhandlungen
er, ähnlich wie bei Heidegger,
mitwirkte. Dabei lag wohl auch bei Gröb
hält niss e und der Herrschaftsme-
1933 eine Verkennung der Machtver
vor allem aus ordnungspoliti-
thoden des NS-Staates vor. Gröber hatte
für die Kirche angestrebt. Am
schen Gründen einen Rechtsschutz
Ja zum »neuen Staat« nach der
Beginn steht bei Gröber „das dezidierte
wie es in seinem »Hirtenwort an
Regierungserklärung vom 23. 3.1933,
vor allem in seiner Ansprache auf
die kath. Jugend« vom März 1933 und
zum Ausdruck kommt, das sich,
der Diözesan-Synode (25.4. 1933)
hskonkordates, steigert zum
besonders nach dem Abschluß des Reic
g von Deutschtum und Chri-
;dealen Ziel der kraftvollen Durchdringun
en Katholiken-Versammlung ın
stentum - so im Bekenntnis vor der groß
135 Beiträge, S. 40f.
136 Beiträge, 5.41.

74
Karlsruhe am 9.10. 1933...« (Clemens Bauer: Erzbischof Gröber und
das Reichskonkordat. In: Alemannisches Jahrbuch 1970, 5.328). Der
Freiburger Erzbischof Gröber stand zunächst fest hinter der Reichsre-
gierung und dem neuen Reich. Spätestens 1935 muß ihm diese positive
Einschätzung fraglich geworden sein. »Die Desillusionierung des Erzbi-
schofs nahm in den folgenden Jahren zu, innerhalb des deutschen Epis-
kopates aber galt er wohl weiterhin als Mann, dessen kirchenpolitisches
Rezept sich als falsch erwiesen hatte. (Ebd., S.330). Später, so in einer
von einem Theologiestudenten und einem Nazispitzel mitgeschriebenen
Silvesterpredigt von 1937 hat Bischof Gröber sich auch mutig »gegen die
Vergewaltigung des deutschen Glaubens« und gegen das staatliche
Erziehungsmonopol zur Wehr gesetzt. Dieser spätere Widerstand Grö-
bers gegen das NS-Regime gaben ihm auch bei der französischen Mili-
tärregierung nach Ende des Krieges einen guten Stand. Daher wandte
sich Heidegger 1946 an Gröber mit der Bitte um Hilfe, denn, so schreibt
Hugo Ott in seiner Heidegger-Biographie: »der Freiburger Oberhirte
galt als Eckpfeiler des kirchlichen Widerstands in der Zeit des national-
sozialistischen Unrechtsstaates und war jetzt unerschütterliche Autori-
tät, gerade der französischen Militärregierung gegenüber.« (Ott, siehe
Anm. 1, 5.319) Diese Darstellung des Sachverhalts ist aber einmal mehr
ein Beleg für die verzerrte Sicht der Dinge bei Ott. Denn so eindeutig,
wie Ott dies darstellt, war Gröber gerade nicht als »Eckpfeiler des
kirchlichen Widerstands in der Zeit des nationalsozialistischen
Unrechtsstaates« hervorgetreten, hatte vielmehr zunächst an maßgebli-
cher Stelle daran mitgewirkt, daß der NS-Staat auch von kirchlicher Seite
anerkannt wurde und damit auch für Christen wählbar wurde. Gröbers
Rolle im Prozeß um den am 14. Oktober 1943 vom deutschen Volksge-
richtshof zum Tode verurteilten Priester Max Josef Metzger war zumin-
dest problematisch, auch wenn Gröber sich um eine Begnadigung des
Mannes bemüht hatte. So einseitig, wie Ott die Dinge darstellt, waren sie
jedenfalls nicht. Man wird sich also auch hier um eine neuerliche, ausge-
wogenere Darstellung der Sachverhalte bemühen müssen. Weiterfüh-
rende Literatur dazu: Bruno Schwalbach: Erzbischof Conrad Gröber
und die nationalsozialistische Diktatur. Karlsruhe 1986. Zum Fall Metz-
ger hat Ott selbst eine Dokumentation zusammengestellt (veröffentlicht
im Freiburger Diözesan-Archiv 90, 1970), in dem er das Taktieren
Gröbers immerhin benennt: »Gröbers Distanzierung hatte, so dürfen
wir annehmen, primär taktische Funktion.« ($. 308).

Daß Heidegger die Verbindung zwischen Staat und Kirche äußerst


kritisch sah, wird bei seiner Einsicht in die Entleerung sowohl der
politischen Ideologien wie auch der Religion - Nietzsches Satz
»Gott ist tot« hatte er ja bereits in der Rektoratsrede zustimmend
zitiert nicht mehr überraschen. Gerade im totalitären Moment der
75
Weltanschauungen sieht Heidegger die Zerstörung des Fragens und
damit des Denkens und in diesem Sinne des wahrhaft Schöpferi-
schen:
»Denn sie sind desselben Wesens. Als totalen Haltungen liegt ihnen der
Verzicht auf wesentliche Entscheidungen zugrunde. Ihr Kampf ist kein
schöpferischer Kampf, sondern »Propaganda« und »Apologetik«. «17
Die »politische Indienstnahme« der Weltanschauungen als »Mitteln
der Kampftechnik«,!38 auch die politische Indienstnahme des Glau-
bens und des Religiösen, ist aber nach Heidegger —- und an diesem
Punkt der Analyse überschreitet er die Einsichten Nietzsches —
selbst nicht Folge eines Werteverlustes, sondern Ausdruck einer
tieferliegenden »Seinsverlassenheit«. Freilich wird die »Anerkennt-
nis der Not«!3? gerade durch die Aufputschung mit »Propaganda«,
mit »Weltanschauung«, mit »totalem politischem Glauben« über-
tönt. Das Zeitalter der Weltanschauung ist nach Heidegger »ein
Gewächs der Neuzeit, eine Folge der neuzeitlichen Metaphysik«.!*
Es gehört in die Endphase der neuzeitlichen Metaphysik:
»Weltanschauung ist immer ein Ende, meist ein langhingezogenes und
als solches nicht gewußtes.«1*!
Zu den Kaschierungsformen des Nihilismus in seiner Zeit gehört
auch ein anderes Phänomen, von dem sich Heidegger angewidert
abwendet: die organisierte »Kraft durch Freude«-Bewegung des
Nationalsozialismus, das organisierte Übertönen der Ziel-losigkeit
des Menschen:
»Und deshalb ist eben da, wo man wieder Ziele zu haben glaubt, wo man
wieder »glücklich« ist, wo man dazu übergeht, die bisher den »Meisten«
verschlossenen »Kulturgüter« (Kinos und Seebadereisen) allem »Volke«
gleichmäßig zugänglich zu machen, eben da, in dieser lärmenden »Erleb-
nis-Trunkenboldigkeit, ist der größte Nihilismus, das organisierte
Augenschließen vor der Ziel-losigkeit des Menschen... .«.!*?

137 Ebd.
138 Beiträge, S.I8f.
139 Ebd.
140 Beiträge, 5.38.
141 Beiträge, 5.37.
142 Beiträge, 5.139.

76
Durch die kritische Analyse all dieser Verdeckungs- und Übertö-
nungsformen bereiten sich die »Beiträge« den Weg zur Analyse
dessen, was eigentlich herrscht, sich aber hinter der Propaganda,
den Ideen, der totalen Weltanschauung kaschiert: die »Machen-
schaft«, der pure »Wille zur Macht«, der neuzeitliche Herrschafts-
und Genußanspruch des Menschen.
Dabei ist Heidegger offensichtlich im und durch den NS-Staat
das Unheimliche, das »Riesenhafte« einer zukünftigen totalen,
planetarischen Herrschaft des Menschen allererst aufgegangen.
Und so kritisiert Heidegger nie nur die Herrschaftsform des Natio-
nalsozialismus an sich, sondern diesen als Ausdruck eines Umfäng-
licheren, planetarischen Geschicks des Menschen. Ja, die Kritik an
der planetarischen Herrschaftsform der neuzeitlichen Technik wird
hier - mitten im NS-Staat - zum beherrschenden Thema der »Bei-
träge«. Damit wird eine Perspektive angerissen, die weit über den
Faschismus im engeren Sinne herausreicht und eine Phase der
»Weltverdüsterung und Erdzerstörung«!* voraussieht. Was dabei
den Denker Heidegger überkommt, ist eine Art »grofßses Entset-
zen«. Gerade weil Heidegger nicht an der äußeren Fassade des
Faschismus hängen blieb, sondern in der gräßlichen Gestalt des NS-
Staates noch etwas Bedrohlicheres heraufkommen sah: die Gestalt
einer zukünftigen Zerstörung der Welt als Ausdruck einer letzten
Seinsverlassenheit, überkam ihn ein »großes Entsetzen«:
»Allein, das große Entsetzen kommt nur aus dem wesentlichen, schon
im anderen Anfang stehenden Wissen...«!*
Die Gelassenheit, ja, Demut der Denkhaltung in den »Beiträgen«
und in der Spätphilosophie Heideggers resultieren aber aus diesem
anderen »Wissen«, das mit der Einsicht in den Nihilismus der
Moderne zugleich in ihm aufgeht: daß in der Zerstörung, die er
vorhersah, in der »äußersten Not der Seinsverlassenheit« ein neuer
Bezug zum Sein sich ankündigt.
»Anklang« - dieses Leitwort meint diese Leitstimmung:
„Schrecken und Scheu« angesichts der »endgültigen Verfestigung
der Seinsverlassenheit in der Seinsvergessenheit«, in welcher aber,

143 Beiträge, 5.119.


144 Beiträge, 5.158.

72
nach Heidegger, der »Anklang der Wesung des Seyns in der Seins-
verlassenheit« geschieht.!*
Der Heidegger der »Beiträge« ist nicht mehr der der Rektorats-
rede. Es ist ein zurückgenommener Ton, der ab 1936 Heideggers
Sprache prägt und sie um so leiser werden läßt, um so verhaltener, je
lauter der weltgeschichtliche Lärm ringsum, je tiefgreifender auch
die Analysen in die Vorgeschichte des eigenen weltgeschichtlichen
Zeitalters reichen und seiner »machinalen Ökonomie«.
Kritik der Technik:
Heidegger sieht in ihr- nach allem Hinfall von Religion, Mythos,
Ideologie, nach aller aufklärerischen Entmythisierung - die letzte
»Behexung«:

»Man pflegt das Zeitalter der »Zivilisation< dasjenige der Ent-zauberung


zu nennen, und diese scheint eher, ja allein mit der völligen Fraglosigkeit
zusammen zu gehen. Gleichwohl ist es umgekehrt. ... Die Behexung
durch die Technik und ihre sich ständig überholenden Fortschritte ist
nur ein Zeichen dieser Verzauberung, der zufolge alles auf Berechnung,
Nutzung, Züchtung, Handlichkeit und Regelung drängt.«!*°

Die faschistische Züchtungsideologie wird hier nur noch beiläufig


als ein Verfallssymptom genannt. Leitend aber sind andere Katego-
rien, die der »Berechnung«, »Nutzung«, »Regelung«. Sie waren in
dem oben erwähnten Modernisierungsschub des NS-Staates zur
Herrschaft gelangt, weisen aber über diesen hinaus.
Nach Heidegger sind es wenige grundlegende Faktoren, die das
neue Zeitalter als eines der »Seinsverlassenheit« prägen. Vor allem
aber und allen voran: die Kategorie der »Berechnung«. Damit
gemeint ist nicht nur die Mathematik im engen Sinne, sondern das
»Grundgesetz des Verhaltens«, alle Seinsvorgänge, die Gesamtheit
der Natur, aber auch die gesellschaftlichen Prozesse auf Berechen-
barkeit und damit auf Beherrschbarkeit und Steuerbarkeit hin fest-
zulegen. Die »Berechnung«, das »Mathematische« im weiteren Sinn
als eine »Grundstellung zum Sein überhaupt und zu der Weise, wie
das Seiende als solches offenbar ist«, hatte Heidegger schon in der
Vorlesung »Die Frage nach dem Ding« von 1935/36 erforscht und
dabei kenntlich gemacht, daß diese Grundstellung die neuzeitliche
145 Beiträge, S. 107.
146 Beiträge, 5. 124. - Günter Seubolds Heideggers Analyse der neuzeitlichen
Technik (München 1986) konnte die Beiträge noch nicht berücksichtigen.

78
Konzeption von Wissen und Wissenschaft durch und durch präge.
In diesem Zusammenhang wurde Descartes’ Philosophie als
Modellfall einer Festlegung von Wahrheit auf Gewißheit, von Den-
ken auf Rechnen im weiteren Sinn - »mathesis universalis« - sicht-
bar gemacht.!*
Berechnung von allem und jedem, das heißt Herrschaft über alles
und jedes, und dies in Form der modernen Wissenschaft, Technik
und Ökonomie im planetarischen Ausmaß. Heidegger benutzt zur
Kennzeichnung der gigantischen, weltweiten Dimension dieses
Prozesses der Ausbreitung dieses wissenschaftlich-technisch-öko-
nomischen Denk- und Herrschaftstypus über die Welt auch den
seltsamen Begriff des »Riesenhaften«. Er begegnete uns schon im
Vortrag von 1938 und spielt eine zentrale Rolle auch in den »Beiträ-
gen«. Das aus der »Leere der Seinsverlassenheit« herauswuchernde
»Riesenhafte« dermodernen Wissenschaft, Technik und Ökonomie
ist letztlich die totale Herrschaft der Kategorie der Quantität selbst,
der Rechnung und Berechenbarkeit:

»Das Quantitative wird zur Qualität, heißt daher: ...daß das Quanti-
tative alles Seiende beherrscht.«!**

Die Herrschaft des Herrschaftsdenkens in der Form des quantitati-


ven Denkens über die Welt, die Natur, den Menschen, das Reich der
Ideen, alles was ist - die totale Berechenbarmachung von Welt hat
aber eine eigentümliche Schrumpfung der Welt selbst zufolge. Diese
korrelative Bewegung: Ausbreitung der Weltherrschaft des Men-
schen und zunehmendes Verschwinden der Welt durch ihre Bere-
daß in Des-
147 Dabei wird zuweilen in der Descartes-Forschung angemerkt,
s Erbe wirksam sei. In den
cartes’ Denkansatz noch ein mittelalterliche
»Medita tiones« ist das ja auch direkt greifbar. Anderer-
Gottesbeweisen der
in Descartes’
seits hat die Forschung nachgewiesen, daß der Gottesbeweis
n hat, nämlich
neuzeitlichem Denkansatz eine gänzlich gewandelte Funktio
den Wahrhei ts- und Realität sanspruc h der in der Abstraktheit der
die,
ren. Dabei
Egoität der Vernunft gewonnenen Erkenntnisse zu garantie
sich Descarte s in einem Zirkel. Der rational e Gottesb eweis soll »die
bewegt
doch selbst eine
Wahrheit von Logik und Mathematik sichern und ist
nach deren Regeln. « (Dieter Henrich : Der ontologi sche Gottes-
Erkenntnis
te in der Neuzeit. Tübinge n 1960,
beweis. Sein Problem und seine Geschich
ion der »mathesi s universa lis« siehe auch: Silvio Vietta:
$. 22). Zur Konzept n
che Sprachkr itik. Münche
Neuzeitliche Rationalität und moderne literaris
1981, S. 10ff.
148 Beiträge, 5. 137.

79
chenbarmachung gehört zu den unheimlichsten Erscheinungsfor-
men des »Riesenhaften« der modernen Zivilisation. Ihre zugespitz-
testen Formulierungen finden sich in dem Schlußabschnitt, »Das
Seyn«. Zunächst noch einmal:
»Das Riesenhafte gründet in der Entschiedenheit und Ausnahmslosig-
keit der »Rechnung« und wurzelt in einem Ausgriff des subjekthaften
Vor-stellens auf das Ganze des Seienden.«!*°

Dann aber der genannte Zusammenhang, der zu den aufschrek-


kendsten Passagen des ganzen Buches zählt:
»Die planende Berechnung macht das Seiende immer vor-stelliger, in
jeder möglichen Erklärungshinsicht zugänglicher, so zwar, daß sich
diese Beherrschbarkeiten ihrerseits unter sich einigen und gängiger wer-
den und so das Seiende in das scheinbar Grenzenlose erweitern; doch
eben nur scheinbar. In Wahrheit vollzieht sich mit dem zunehmenden
Ausgriff der Forschung (der Historie im weitesten Sinn) eine Verlage-
rung des Riesigen von dem der Planung Unterworfenen in die Planung
selbst. Und in dem Augenblick, da die Planung und Berechnung riesen-
haft geworden, beginnt das Seiende im Ganzen zu schrumpfen. Die
>Welt« wird immer kleiner, nicht etwa nur im quantitativen Sinne, son-
dern in der metaphysischen Bedeutung, das Seiende als Seiendes, d.i. als
Gegenständliches wird schließlich soweit in die Beherrschbarkeit aufge-
löst, daß der Seinscharakter des Seienden gleichsam verschwindet und
die Seinsverlassenheit des Seienden sich vollendet.«!50
Man muß, um Heideggers Einsicht in das, was hier waltet, gerecht
zu werden, auf die metaphysische Dimension seiner Analyseachten.
Es geht nicht einfach um den empirischen Nachweis, daß mit der
Ausbreitung der technischen Zivilisation Welt vereinnahmt,
beherrschbar gemacht und so in ihrer Eigenheit zum Ver-schwin-
den gebracht würde. Das Moment der Weltvernichtung, das hier
waltet, steckt im Denkentwurf der Neuzeit selbst: in dem Maße wie
Seiendes nur mehr noch unter dem Gesichtspunkt von Berechen-
barkeit und Beherrschbarkeit erkannt und anerkannt werden kann,
ist es schon in seiner Seiendheit vernichtet, zum Verschwinden
gebracht worden. In der Kategorie der »Berechnung«, der Leitkate-
gorie des neuzeitlichen Denkens, steckt bereits das Verschwinden
der Welt, dies eben nicht nur im quantitativen Sinne, sondern in der
»metaphysischen Bedeutung«, daß das Seiende als Seiendes in die
149 Beiträge, 5.441.
150 Beiträge, 5.494 ff.

80
formelhafte Berechenbarkeit übergegangen und damit in seiner
Eigenheit getilgt worden ist.
Als Rene Descartes im 17. Jahrhundert die Denkform einer uni-
versalen Mathematik als Universalwissenschaft forderte, als Tho-
mas Hobbes den Satz aussprach:
»Wissenschaft dient nur der Macht! Die Theorie... dient nur der Kon-
struktion! Und alle Spekulation geht am Ende auf eine Handlung oder
Leistung aus.«>1,
hatte sich bereits dieses Schicksal der Neuzeit in nuce vollzogen.
Das in der modernen Technik, Wissenschaft, Ökonomie zur Herr-
schaft gekommene rechnende Planungsdenken hatte sich als Ent-
wurf einer totalen Seinsbemächtigung artikuliert. Dabei hat Hei-
degger deutlich erkannt, daß dieses Herrschaftsdenken bereits im
Entwurfshorizont der abendländischen Denkgeschichte seit der
Antike steckt, in seine virulente Phase aber erst in der neuzeitlichen
Subjektphilosophie und durch sie getreten ist. Zur totalen Herr-
schaft kam das Herrschaftsdenken der Berechnung und Berechen-
barkeit der Welt eben durch das Konzept der neuzeitlichen, system-
haften Subjektivität, der Zentrierung von Erkenntnis auf die
menschliche Vernunft und die Interpretation dieser menschlichen
Vernunft als eines universalen, systemhaften Meßinstrumentes.
Diese Einsichten hatte sich Heidegger vor allem in den großen
Vorlesungen der Jahre 1935/36 erarbeitet.
Nun aber sieht Heidegger etwas Seltsames derart, daß gerade
durch die totale Ausweitung der Kategorie der Berechnung und
Berechenbarkeit das Subjekt, das diesen Prozeß anleitet, der Herr-
scher sozusagen, durch den von ihm selbst angezettelten Prozeß
ausgehöhlt, getilgt, zum Verschwinden gebracht wird:

151 Thomas Hobbes: Vom Körper. Elemente der Philosophie I. Übers. v. M.


Frischeisen-Köhler. Hamburg 1967, $. 9. Im englischen Original: »The end
of knowledge is power; and the use fo thetheorems ... is for the reconstruc-
tion of problems; and, lastly, the scope of all speculation is the performing
of some action, or thing to be done.« (Elements of Philosophy. The First
Section, Concerning the Body. English Works. Vol. I. Ed. by Sir W. Moles-
worth. London 1839, S.7.) Bei Hobbes auch der Satz: »Unter rationeller
Erkenntnis verstehe ich Berechnung« (a.a.O., S. 6).

81
»Die metaphysische Verkleinerung der Welt erzeugt eine Aushöhlung
des Menschen.«!>?

Die metaphysische Verkleinerung der Welt im »Riesenhaften« der


planetarischen Ausweitung der Berechenbarkeit der Welt durch den
Menschen scheint diesen auf eigentümliche Weise zu »entsubstan-
tialisieren«. Das »Riesending Mensch« wird »je riesiger um so klei-
ner«.153 In Wahrheit aber ist auch dies nach Heidegger ein Vorgang,
der letztlich bereits in der Philosophiegeschichte selbst seit langem
vollzogen ist und der nur in der technisch-ökonomischen Anwen-
dungsphase dieses Denkens offen nach außen tritt. Bereits hier, ın
der neuzeitlichen Vernunftsphilosophie, ist der Mensch als das, was
er eigentlich sein sollte und könnte, zum Verschwinden gebracht
worden. Die instrumentelle Vernunft ist nach Heidegger wesentlich
selbst bereits die Erscheinungsform der Seinsverlassenheit, dies
aber vom Denken solange nicht begriffen, als es im Horizont der
Vernunftphilosophie selbst verharrt. Daher der später ausgespro-
chene, bereits zitierte Satz, »daß die seit Jahrhunderten verherr-
lichte Vernunft die hartnäckigste Widersacherin des Denkens
ist. «13%
Die letzte Phase dieser Entsubjektivierung des Menschen ım
Horizont der Subjektphilosophie und als Folge seines eigenen
Herrschaftsdenkens aber sieht Heidegger in einer eigentümlichen
Deformation des Menschen zum »technisierten Tier«:
»Was bereitet sich dann vor? Der Übergang zum technisierten Tier, das
die bereits schwächer und gröber werdenden Instinkte durch das Rie-
senhafte der Technik zu ersetzen beginnt.«!>

Im Begriff »Tier« steckt die traditionelle metaphysische Bestim-


mung des Menschen als »anımal«, im Begriff »technisiert« die
Deformation des »rationale« zu einem nur mehr noch technischen
Denken und Handeln. Bereits in der Bestimmung des Menschen als
»animal rationale« aber ist diese Deformation angelegt, die ın ıhre
brisante Phase durch die Bestimmung von Rationalität als eines
universalen Recheninstrumentes getreten ist. Die letzte Deforma-
tion des Menschen zum »technisierten Tier« ereignet sich nach
152 Beiträge, 5.495.
153 Beiträge, 5.278.
154 Holzwege, 5.247.
155 Beiträge, 5.98.

82
Heidegger in der Umsetzung dieser neuzeitlichen Rationahtät in
einen Typus des nur mehr noch technisch-ökonomischen Handelns
und der Expansion dieses Denk- und Handlungstypus soweit, daß
jede andere Form des Denkens von ihr absorbiert wird, somit auch
jede andere Bestimmung der Welt getilgt und auch ein mögliches
Anderssein des Menschen zum Verschwinden gebracht wird. Diese
Phase der ins »Riesenhafte« ausgewucherten Expansion des Men-
schen und seiner instrumentellen Vernunft und das ihr korrelative
Verschwinden der Welt wird sich nach Heidegger erst ereignen. Was
er 1936ff dachte, ist eine Zukunftsprognose der Menschheit, die
allerdings gerade am Nationalsozialismus eine besonders brutale
Form des reinen Herrschaftsdenkens vor Augen hatte.
Zur Erscheinungsform des Menschseins im Zeitalter der »Seins-
verlassenheit« gehören nach Heidegger zwei Symptome: »Der Auf-
bruch ins Massenhafte« und ein ersatzhafter Erlebnishunger, der die
innere Leere und »Langeweile« übertönen soll. Die Erscheinung
des »Massenhaften« ist bereits eine Folgelast der Herrschaft der
Quantität:

»die »Massen« ... kommen nur hoch, weil schon die Zahl gilt...«.!°°

Sie sind auch ein Zeichen einer spezifisch modernen »Entwurze-


lung«.'5” In der Tat kündigt sich ja Moderne an als ein Prozeß
zunehmender Mobilität, die modernen Städte gerade in Deutsch-
land, aber nicht nur hier, verdanken der Loslösung vor allem der
vordem agrarischen Bevölkerungen und ihrer massenhaften Wan-
derbewegungen schon im 19. Jahrhundert ihr rapides Wachstum.!>°
Nach Dahrendorf hat der NS-Staat die »soziale Revolution, den
»Stoß in die Modernität« noch kräftig verstärkt.!°° Heidegger deu-
tet diesen Prozeß nicht einfach als Folge der Industrialisierung,
sondern aus einer ursprünglicheren »Entwurzelung«, der »Seins-
verlassenheit«. In diesem Sinne gehört das soziale Phänomen der
modernen Masse und ihre spezifische Fungibilität und Mobilität
nach Heidegger in einen Komplex von Erscheinungsformen, dessen
metaphysischer Grund nicht an der Oberfläche der Geschichte

156 Beiträge, S.121.


157 Beiträge, 5.122. . |
158 Siehe dazu u.a. Jürgen Reulecke: Geschichte der Urbanisier ung ın Deutsch-
land. Frankfurt 1985.
159 Gesellschaft und Demokratie in Deutschland (Anm. 56), 5.432.

83
liegt, sondern im Beginn der Neuzeit selbst liegt als einem
ursprünglicheren Prozeß der Entwurzelung des Menschen vom
Bezug zum Sein. Daß die nationalsozialistische Ideologie des »Völ-
kischen« nur mehr noch die Funktion hat, diesen in Wahrheit
gerade durch den NS-Staat vorangetriebenen Mobilisierungs- und
Vermassungsprozeß zu kaschieren, gehört, wie wir sahen, zu den
tragenden ideologiekritischen Einsichten des Heideggers der »Bei-
träge zur Philosophie«.
Wenn zunehmende »Langeweile«, »Ödnis« das Signum des
Nihilismus, der »Seinsverlassenheit« ist, so wird dies durch eine
spezifisch moderne, kompensatorische Form der »Stimmungsent-
blößung« auf den Plan rufen, die »platteste »>Sentimentalität««, eine
»lärmende »Erlebnis<-Trunkenboldigkeit« inklusive des dies durch
»lautstarke Aufpeitschung« verstärkenden Medienapparates.!‘0
Dies lärmende Übertönen der inneren Leere ist nach Heidegger
»der größte Nihilismus«.!°! Das »Subjekt«, selbst dem analysierten
Schrumpfungsprozeß unterworfen und zum »Objekt« seines eige-
nen Herrschafts- und Planungsdenkens geworden, sucht Ersatzfor-
men von Erlebnissen, die die innere Leere vertreiben soll. Gerade
das Fehlen jeder wesentlichen Erfahrung, das Signum der »Seins-
verlassenheit«, ist aber von innerer Unruhe umgetrieben, von
»Angst«. Angst ist nach Heidegger der Motor der organisierten
Erlebnismaschinerie, für die ihm damals die »Kraft durch Freude«-
Bewegung des Nationalsozialismus vor Augen stand. Aber die
»Jagd nach Erlebnissen«!” ist nur die Kompensationsform der wie
ungenau auch immer wahrgenommenen »Seinsverlassenheit«. Das
aus den wesentlichen Bezügen herausgefallene Subjekt, selbst ver-
objektiviert, berechenbar gemacht und massenhaft geworden, sucht
suchtartig die eigene Entleerung zu übertönen.
In diese kritische Analyse einbezogen ist auch jede Form des
»Kulturbetriebs«, der nicht wirklich Bewußtsein der Lage schafft,
sondern nur verdeckende, kompensatorische Funktion hat. Dieser
Kulturbetrieb dient nach Heidegger nur mehr noch der »Dekora-
tion«, nicht mehr irgendeiner wesentlichen Besinnung. Eine Reihe
von Texten aus den »Beiträgen« trägt so den Titel »Machenschaft
und Erlebnis«. »Machenschaft« meint die »Herrschaft des Machens
160 Beiträge, S. 139 und $. 123.
161 Beiträge, 5.139.
162 Beiträge, 5. 124.

84
und des Gemächtes«,!% also die Herrschaft des subjektiven Herr-
schaftsdenkens selbst, insbesondere der Kategorie der Berechnung
und der daraus folgenden Konzeption, die Wirklichkeit selbst kon-
struieren, »machen«< zu können. »Erlebnis«-Sucht ist die Kompensa-
tion des durch das eigene Denken entselbsteten Subjekts. Beide
aber, »Machenschaft und Erlebnis« wurzeln nach Heidegger im
selben metaphysischen Grund: der »Seinsverlassenheit« der
Moderne.
Auf der Grundlage dieser Analyse beschreibt Heidegger noch
eine weitere wichtige Erscheinungsform der modernen »Seinsver-
lassenheit«: die »Schnelligkeit«. Gemeint ist damit zunächst eine
Art von mechanischer Steigerung der technischen »Geschwindig-
keit«, auch die permanente Jagd nach »Höchstleistungen«.!%* Dar-
über hinaus aber meint Heidegger einen wesentlichen Weltverlust
auf allen Gebieten, auch und gerade einen Geschichtsverlust:

»Das Riesenhafte der Verlangsamung der Geschichte (des Ausbleibens


wesentlicher Entscheidungen bis zur Geschichtslosigkeit) im Schein der
Schnelligkeit und Lenkbarkeit der »historischen« Entwicklung und ihrer
Vorwegnahmen.«1©%

Wenn zunehmende Langeweile, Ödnis das Signum des Verlustes


eines echten Seinsbezuges ist, so kaschiert die »Schnelligkeit« diese
innere Entleerung.!6 Die Kategorie der »Schnelligkeit« meint aber
darüber hinaus und letztlich die zunehmende Dynamisierung des
wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Prozesses selbst, wobei
nach Heidegger gerade in der zunehmenden Dynamik und Hektik
163 Beiträge, 5.131.
164 Beiträge, 5.121.
165 Beiträge, 5.441.
166 Historisch tritt die Kategorie der Langeweile als eine Erfahrung der Sinn-
entleerung und korrespondierenden Gleichgültigkeit auf im Zusammen-
hang mit der modernen Mechanisierung des Denkapparates, des Staates und
der Lebensprozesse. Eine symptomatische Funktion hat hier Georg Büch-
nicht
ners Drama Leonce und Lena, in dem es ironisch heißt: »Was die Leute
Alles aus Langeweile treiben! Sie studiren aus Langeweile, sie beten aus
Langeweile, sie verlieben, verheirathen und vermehren sich aus Langeweile
-
und sterben endlich an der Langeweile und - und das ist der Humor davon
mit den wichtigste n Gesichtern ....« (Georg Büchner: Sämtliche Werke
Alles
und Briefe. Hg. v. Werner Lehmann. I. Band. Hamburg 1967, S. 106).
Büchner kannte übrigens recht genau die erkenntnistheoretischen Voraus-
-
setzungen der Moderne durch seine intensiven Descartes- und Spinozastu
137 ff)und natürlich seine naturwisse nschaftlic hen Studien
dien (Bd. II, S.

85
das in ihr Versteckte und Verborgene sich zeigt: die »Seinsver-
lassenheit«. Je weniger substantiell das noch ist, was geschieht,
desto hektischer muß es sich gerieren. Am Ende steht die in sich
sinnlose Bewegung der Bewegung selbst. Das »reine In-Bewe-
gung-setzen« als die »Aushöhlung aller bisherigen Gehalte der
noch bestehenden Bildung«!°”. Heidegger hat den Ernst Jünger-
schen Begriff der »totalen Mobilmachung« ebenfalls als eine sol-
che typische Erscheinungsform der Moderne gesehen, die ihrer-
seits die gesamte Analyse der Berechnung, der Herrschaft, der
Ideologien voraussetzt und die mehrfach genannte spezifische
»Entwurzelung« des modernen Menschen.!68
Welche Rolle aber spielt in all diesen Prozessen die Wissen-
schaft, welche Chance gibt ihr Heidegger noch in den »Beiträ-
gen zur Philosophie«? Auf der Wissenschaft, so erinnern wir
uns, hatten Heideggers Hoffnungen ın der Rektoratsrede von
1933 geruht. In seinem Vortrag von 1938 hat Heidegger diese
eigene Fehleinschätzung selbst kritisch analysiert. Die inneren
Voraussetzungen zu dieser Selbstkritik liefern die eben erst viel
später erschienenen »Beiträge zur Philosophie«. Heidegger läßt
hier keinen Zweifel daran, daß er auch die Wissenschaft voll und
ganz integriert sieht in den Prozeß einer zunehmend bewußt-
loseren Akzeleration des technisch-ökonomischen Fortschritts,
ja, gerade sie, die Wissenschaft, wird in dieser Fortschrittsideo-
logie der Moderne selbst zunehmend eine entscheidende Leit-
funktion einnehmen. Je mehr sie dies tut, desto mehr wird sie
nach Heidegger ihre Ergebnisse selbst wie »Geschäftsgeheim-
nisse« handeln, d.h. sich in eine »betriebsmäßige Unauffällig-
keit« kleiden.!® In einer Phase der Geschichte, 1936-38, als der
nationalsozialistische Staat zu umfangreichen »Industrieanaly-
sen« ansetzte und daranging, die Ergebnisse vor allem der
Naturwissenschaften wie »Geschäftsgeheimnisse« zu behandeln
und sie für eine »umfassende Wehrwirtschaft« militärisch zu
nutzen!”®, in dieser Phase setzt Heidegger an zu einer umfassen-

167 Beiträge, S.143.


168 Beiträge, S.143. Ernst Jüngers Essay Die totale Mobilmachung war 1931
erschienen.
169 Beiträge, 5.157.
170 Der deutsche Faschismus (Köln 1987), S.309ff. Dort eine Vielzahl von
Dokumenten für den genannten Prozeß.

86
den Prognostik der Zukunftsgestalt der neuzeitlichen Wissenschaft.
Was sieht er:
»Kommt es, wie es kommen muß, zur Anerkennung des vorbestimmten
Wesens der neuzeitlichen Wissenschaft, ihres reinen und notwendig
dienstbaren Betriebscharakters und der hierzu benötigten Einrichtun-
gen, dann muß im Gesichtskreis dieser Anerkennung künftig ein riesiger
Fortschritt der Wissenschaften zu erwarten, ja sogar zu errechnen sein.
Diese Fortschritte werden die Ausbeutung und Nutzung der Erde, die
Züchtung und Abrichtung des Menschen in heute noch unvorstellbare
Zustände bringen, deren Eintritt durch keine romantische Erinnerung
an Früheres und Anderes verhindert oder auch nur aufgehalten werden
kann. Aber diese Fortschritte werden auch immer seltener noch als ein
Überraschendes und Auffälliges, etwa als Kulturleistungen, verzeichnet
werden, sondern reihenweise und gleichsam als Geschäftsgeheimnisse
erfolgen und verbraucht und in ihren Ergebnissen vertrieben werden.
Erst wenn die Wissenschaft diese betriebsmäßige Unauffälligkeit des
Abrollens erreicht hat, ist sie dort, wo sie selbst hintreibt: sie löst sich
dann in die Auflösung alles Seienden selbst mit auf. Im Ausblick auf
dieses Ende, das ein sehr dauerhafter Endzustand sein wird, der immer
wie ein Anfang aussieht, steht die Wissenschaft heute in ihrem besten
Beginn.«!”!
Die Phase der totalen Herrschaft des Nihilismus als einer Phase der
gänzlichen »Seinsverlassenheit« wird so, nach Heidegger, ein »sehr
dauerhafter Endzustand« sein, der Endzustand der abendländi-
schen Seins-und Denkgeschichte, der sich in einem langen, zweitau-
sendjährigen Geschichtsprozeß vorbereitet hat.
Die letzte Phase dieses Geschichtsprozesses wird nach Heideg-
ger eine eigentümliche Bewußt- und Fraglosigkeit kennzeichnen,
dies auch und gerade trotz der gewaltigen, »riesenhaften« Zunahme
an Wissenschaft. Denn das »große Entsetzen«, das Heidegger selbst
angesichts dieser Entwicklung überfiel, zeigt den Absturz der Hoff-
nung dieses Denkers an. Wenn Heidegger noch 1933 an einen
weltverändernden Aufbruch der Wissenschaft geglaubt hatte, wenn
er im Durchgang durch die Wissenschaftsgeschichte der Frühneu-
zeit vor allem seit 1935 zunehmend erkennen mußte, daß neuzaeitli-
che Wissenschaft selbst der Hauptagent des modernen Herr-
schafts-, Planungs-, Rechnungs-, Ausbeutungsdenkens ist, was
übrigens die Philosophie des Frührationalismus in ihren Hauptver-
tretern noch mit großer Naivität und großem Optimismus ausspra-
171 Beiträge, 5. 156f.

87
chen, so ist nun für Heidegger angesichts der gigantischen Entwick-
lung der Wissenschaft und angesichts der unheimlichen Vertreibung
ihrer Ergebnisse als »Geschäftsgeheimnisse« ein Punkt der Desillu-
sionierung erreicht, der Heidegger ab 1936 auf die Wissenschaft
keine Hoffnung mehr bauen ließ.
Wie weit Heidegger über die Vereinnahmung der Wissenschaft,
auch und gerade der Naturwissenschaften, durch den NS-Staat
informiert war, wissen wir nicht genau. Es ist an diesem Punkt der
geschichtsphilosophischen Analyse der Zukunft der Wissenschaft
auch nicht mehr von zentraler Bedeutung. Die Analyse Heideggers
und die daraus folgende Zukunftsprognose der Wissenschaft ver-
läuft ja letztlich auf einer rein metaphysikgeschichtlichen Ebene.
Die Wissenschaft und ihre spezifische Form der Bewußtlosigkeit ist
eben nach Heidegger selbst jener Ausdruck der »Seinsverlassen-
heit«, die sich als ein nur mehr noch auf Berechnung, Beherrschung
ausgerichtetes Denken zeigt. Die Wissenschaft ist so eine, die
Erscheinungsform der Moderne, als eines »Zeitalters der völligen
Fraglosigkeit«:
»Die »Wissenschaft« betreibt so die Sicherstellung des Zustandes einer
völligen Bedürfnislosigkeit im Wissen und bleibt deshalb im Zeitalter
der völligen Fraglosigkeit stets das »Modernste«.«!72
Fraglosigkeit? Gibt es nicht die »kritische Wissenschaft« auch?
Natürlich gab es sie 1936ff gerade in Deutschland nicht. Darüber
hinaus aber würde Heidegger auch zu einer »kritischen Wissen-
schaft« wohl eher kritisch Stellung nehmen, sofern sie noch im
Entwurfshorizont der neuzeitlichen Subjektphilosophie verharrt
und nicht wirklich in ein anderes Denken einrückt. Die »Beiträge«
sind voll von kritischen Bemerkungen zu einer Anthropologie und
Ethik auf der Grundlage der neuzeitlichen Subjektphilosophie als
eben nur oberflächlichen Korrektiven einer im Wesen entfremdeten
Moderne.
Aber von welchem Standort aus denkt und spricht Heideger?
Heideggers eigene Analysen dieser Prozesse sind gelenkt von einem
anderen Denken, einem anderen Anfang. Wahrscheinlich ist, den
Epochenzusammenhang der Neuzeit zu denken, ihm überhaupt
nur möglich gewesen, weil er bereits einen Standort jenseits dieser
Epochengeschichte bezogen hat. Und so gibt es denn in den »Bei-
172 Beitrage,S.157.

88
trägen« und in Heideggers Spätphilosophie eine Fülle von Hinwei-
sen, die anzeigen, daß gerade in der »äußersten Not der Seinsverlas-
senheit«, wenn sie denn bewußt wahrgenommen wird, die »Kehre«
zu einer anderen Form von Wahrnehmung von Welt sich anzeigt.
Entscheidend ist, daß diese neue »Erfahrung«, das »Ereignis«,
selbst nicht im Sinne einer »Machenschaft« durch den Menschen
herbeigeführt werden kann, daß der Wille und das Machtdenken
des Subjekts zurückgelassen werden müssen, wenn ein anderes
Denken Platz greifen soll.
In der Sprache Heideggers vollzieht sich so ab 1936 selbst ein
Wandel: zunehmend streift sie Formulierungen ab, die noch im
Geltungsbereich der traditionellen Subjektphilosophie und ihres
Herrschaftsdenkens stehen. Auch der Einfluß Nietzsches und sei-
ner Metaphysik des »Willens zur Macht« tritt zurück. »Demut«,
»Besinnung«, der Mensch als Hüter und Hirte des Seins — »Der
Mensch ist der Hirt des Seins«, heißt es im Humanismusbrief von
1946173 -, in diesen Leitworten spricht Heidegger einen anderen
Anfang an, jenseits des Denkens in Berechnungs-, Macht-, Herr-
schaftskategorien. Auch das Wort »Anklang« gehört in diesen
Umkreis. Ein Textstück aus der »Überwindung der Metaphysik«,
erstmals abgedruckt in den »Vorträgen und Aufsätzen« von 1954,
versucht die Formulierung einer anderen Seinserfahrung. Es ist ın
den Vorträgen und Aufsätzen das Stück XXVII. Die Texte der
»Überwindung der Metaphysik« gehören in ein noch nicht veröf-
fentlichtes Manuskript mit dem Gesamttitel: »Der Anklang«. Es
trägt auf dem Typoskript die Jahreszahl 1939/40 und den Hinweis:
»Vgl. Beiträge 1936«. In dem genannten Textstück heißt es:
»Die Hirten wohnen unsichtbar und außerhalb des Ödlandes der ver-
wüsteten Erde, die nur noch der Sicherung der Herrschaft des Menschen
nützen soll, dessen Wirken sich darauf beschränkt, abzuschätzen, ob
etwas wichtig oder unwichtig sei für das Leben, welches Leben als der
Wille zum Willen im voraus fordert, daß alles Wissen in dieser Art des
sichernden Rechnens und Wertens sich bewege. ... Eines ist es, die Erde
im
nur zu nutzen, ein anderes, den Segen der Erde zu empfangen und
Gesetz dieser Empfängn is heimisch zu werden, um das Geheimnis des

Humanismus.
173 Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den
Bern 1947, 5.75.

89
Seins zu hüten und über die Unverletzlichkeit des Möglichen :
wachen.«!7*

An eine breitere Öffentlichkeit drang dieser Wandel im Denken ur


in der Sprache Heideggers erst mit der Schrift »Platons Lehre vc
der Wahrheit« und dem beigegebenen Humanismusbrief an Je:
Beaufret, veröffentlicht beide 1947. Aber dieser Wandel - das zeige
die nun veröffentlichten »Beiträge« und auch die Nietzsche-Vorl
sungen - hatte sich lange vollzogen. Für die Hörer vor allem d
Nietzsche-Vorlesungen Heideggers wird dies ebenfalls klar gew
sen sein: daß Heidegger im Durchgang durch diese »letzte grof
Philosophie« einen Neuanfang suchte, einen Anfang des Denke:
nicht nur jenseits der Subjektphilosophie der Neuzeit, sondeı
jenseits auch der Vorentscheidungen der abendländischen Mer:
physikgeschichte insgesamt.
In der Spätphilosophie Heideggers treten so beide Motive imm
nebeneinander auf: die Kritik an der Technik als Vollendung dies:
Metaphysik und die »Kehre« zu einem Neubeginn des Denkens, z
einer anderen Erfahrung des Seins und des Menschen. Vorträge un
Aufsätze wie »Die Frage nach der Technik« und »Die Kehre
»Wissenschaft und Besinnung«, »Bauen, Wohnen, Denken«, »D;
Ding«, »...Dichterisch wohnet der Mensch« und die Vorträge un
Aufsätze des Bandes »Unterwegs zur Sprache« suchen diesen Neı
anfang in der Überwindung des technisch-wissenschaftlichen Der
kens der Neuzeit. Es finden sich in diesen Texten auch illustratis
Beispiele, an denen Heidegger das Wesen der Technik didaktisc
kenntlich machen will, so der Hinweis auf das Wasserkraftwerk ;
»Die Frage nach der Technik«.!’° In der Vorlesung »Was heit
Denkens, veröffentlicht 1954, vollzieht Heidegger gar ein eiger
tümliches Gedankenspiel, um die Voraussetzungen des neuzeitlich
vorstellenden Denkens, dem die moderne Wissenschaft und Tecl
nik entsprungen sind, für seine Hörer spürbar werden zu lassen:

»Wir stehen außerhalb der Wissenschaft. Wir stehen statt dessen z.B. vı
einem blühenden Baum - und der Baum steht vor uns. Er stellt sich uı
vor. Der Baum und wir stellen uns einander vor, indem der Bau
dasteht und wir ihm gegenüber stehen. In die Beziehung zueinander
voreinander gestellt, sind der Baum und wir. Bei diesem Vorstelle
174 Vorträge und Aufsätze, S. 97f.
175 Die Technik und die Kehre. Pfullingen 1962, 5. 15.

9%
handelt es sich also nicht um »Vorstellungen«, die in unserem Kopf
herumschwirren. Halten wir hier einen Augenblick inne, so wie wenn
wir Atem holen vor und nach einem Sprung. Wir sind nämlich jetzt
gesprungen, heraus aus dem geläufigen Bezirk der Wissenschaften und
sogar, wie sich zeigen wird, der Philosophie. Und wohin sind wir
gesprungen? Vielleicht in einen Abgrund? Nein! Eher auf einen Boden;
auf einen? Nein! Sondern auf den Boden, auf dem wir leben und sterben,
wenn wir uns nichts vormachen. Eine seltsame Sache oder gar eine
unheimliche Sache, daß wir erst auf den Boden springen müssen, auf
dem wir eigentlich stehen. «!7°

»Der Sprung« - heraus aus dem vorstellenden, rechnenden, planen-


den, verfügenden Denken der Neuzeit - in einen anderen Anfang:
des Lassens, des Hörens, des Hütens - dies wird zur entscheidenden
Denkbewegung der Spätphilosophie Heideggers. Und er macht
deutlich, daß es sich dabei gerade nicht mehr um Reflexionsakroba-
tik oder um eine potenzierte Naivität handelt, sondern eher um
etwas sehr »Einfaches<, gleichwohl aber für die spätmoderne Intel-
lektualität besonders Schweres: die Überwindung der Subjektphi-
losophie und ihrer machtvollen reflexionsphilosophischen Ausge-
staltung, die Überwindung der Arroganz des alles-schon-gewußt-
und-verarbeitet-Habens, die Überwindung des Formeldenkens
und der Herrschaft der herrschaftlichen Geist- und Vernunftphi-
losophie.
Dabei liefert die Spätphilosophie Heideggers in ihrer Demon-
stration der technischen Entfremdungen oftmals eher vereinfachte
Beispiele: ein Wasserwerk am Rhein, die Autobahn. Am weitsich-
tigsten scheint mir die Technikkritik Heideggers dort, wo sie aus
den eigensten Mitteln schöpft: der rein philosophischen Metaphy-
sikkritik. Und hier wird die Geschichtslogik der neuzeitlichen Wis-
senschaft und Technik, der »machinalen Ökonomie« des fortschrei-
tenden 20. und 21. Jahrhunderts am zwingendsten entfaltet. Dies
aber geschieht in den »Beiträgen zur Philosophie« aus dem Jahre
1936-38, in den Nietzsche-Vorlesungen und den noch nicht veröf-
fentlichten Texten aus dieser Zeit. Und das ist kein Zufall, sondern
hängt zusammen mit dem, was Heidegger in seiner Vorlesung »Ein-
führung in die Metaphysik«, gehalten im Sommer 1935 und veröf-
fentlicht 1953, die »sinnere Wahrheit und Größe dieser Bewegung«,
nämlich des »Nationalsozialismus«, genannt hat. Niemand, der die
176 Was heißt denken? Tübingen 1954, S. 16f.

91
»Beiträge« gelesen hat, wird sagen können, daß der Begriff der
»Quantität«, des »Riesenhaften« und somit der »Größe« hier posi-
tiv gebraucht würde. Diese Begriffe bezeichnen eben den Gigantis-
mus der modernen, weltzerstörenden, seinsvergessenen, nıhilisti-
schen Technik. Und so erläutert es ja auch die Druckfassung von
1953 unmißverständlich. Die »Wahrheit und Größe« des »Natio-
nalsozıalismus« wird erläutert »mit der Begegnung der planetarisch
bestimmten Technik und des neuzeitlichen Menschen«. Und eben
so hat Heidegger, vielleicht noch nicht mit letzter Klarheit 1935,
aber zunehmend klar ab 1936 den Nationalsozialismus erfahren:
nicht von seiner Ideologie her, diese hatte er spätestens ab 1936 als
klischeehafte Versatzstücke durchschaut, sondern als das, was der
Nationalsozialismus seiner Meinung nach in Wahrheit war: das ın
seiner Totalität rücksichtslose und brutale System einer angemaßten
Herrschaft, die kein anderes Ziel mehr hatte als den Willen zur
Macht selbst und dies eben mit der fortschrittlichsten Technologie,
Wissenschaft, Organisation durchzusetzen suchte. In diesem
Erscheinungsbild des Nationalsozialismus hinter der Fassade seiner
Ideologien aber zeigen sich ihm Grundzüge der wissenschaftlich-
technisch-ökonomischen Moderne selbst: das Herrschaftsdenken
des Menschen über die Welt, sein rücksichtsloses Ausbeutungsver-
halten, der Wille zur Macht und der Egozentrismus des modernen
Menschen auch dort, wo nur mehr noch die scheinbar ideologie-
freie, »neutrale« Technik waltet. Diesen Erkenntnisanstoß in die
offene Brutalität eines totalitären Willens- und Herrschaftssystems
gegeben zu haben, macht die »Wahrheit und Größe« des National-
sozialismus aus. Diese Bewegung zeigt etwas, verdeutlicht Grund-
züge der modernen Seinsgeschichte selbst. Das ist ihre »Wahrheit
und Größe«: die ungeschminkte Eröffnung des Waltens eines tota-
len Nihilismus und einer gänzlichen »Seinsverlassenheit«.
Ich möchte diesen Abschnitt abschließen mit der Veröffentli-
chung eines Textes mit dem Titel »Die Technik« aus dem bisher
unveröffentlichten Manuskript »Der Anklang« aus dem Jahre 1939/
40. Hier spricht Heidegger vom »metaphysischen Egoismus des
Menschen«, der sich in der scheinbar »neutralen«, ideologiefreien
Technik austobe, und er gebraucht dabei den Begriff der »Wahrheit«
in einem ähnlichen Sinn wie in der obigen Rede über den National-
sozialismus. »Wahrheit« im Sinne der »Aletheia«. Wahrheit heißt
hier: das Zum-Vorschein-Kommen eines Verdeckten, im Wesen der

2
Technik Versteckten: der »Nichtigkeit des Seienden« nämlich.
Diese in der Moderne waltende Nichtigkeit, das seinsgeschichtliche
Wesen des Nihilismus, bringt die entfesselte Technik zutage, ähn-
lich wie der totalitäre Nationalsozialismus den Nihilismus der Neu-
zeit ungeschminkt zutage gebracht hat. Das ist für Heidegger die
»Wahrheit und Größe« dieser Erscheinungsform in der Geschichte,
in denen sich aber, gerade als äußerste Entfremdungs- und Entstel-
lungsformen, auch ein anderer Anfang ankündigt. Hier nun
abschließend der Text aus dem unveröffentlichten Manuskript »Der
Anklang«:

»Die Technik« (Die vermeintliche Neutralität der Technik) Daß sich die
Erfindungen der Technik zum Aufbau und zur Vernichtung, zum Nut-
zen und zum Verderb verwenden und überhaupt betreiben lassen,
erweckt den Anschein, als stünde die Technik samt ihren Produkten
seigentlich« außerhalb der Parteiung jener Gegensätze. Man sagt, die
Technik sei neutral. Nur der Mensch dränge sie in die Richtung des
Segens und des Unsegens.
Doch was ist das - der Mensch? Was ist das — die Technik? Ist denn der
neuzeitliche Mensch etwas anderes als das durch die Technik, das
sichernde vorstellende Herstellen seiner selbst und »des Seiendens, das er
nicht ist, als das im verfügbaren Gegenständlichen?
Ist denn »die Technik« etwas anderes als die Wahrheit des Seienden im
Sinne der zustellbaren Gewißheit der Gegenstände und Zustände, wel-
che Wahrheit im Menschenwesen sich angesiedelt hat, indem sie
zugleich dessen Aufenthaltsbereich wurde?
Wer sagt, daß der Nutzen, den die Technik aufbauend biete, ein Heil sei
und der Verderb ein Unheil? Vielleicht ist der Aufbau, worin der meta-
physische Egoismus des Menschen sich austobt und angebliche Nutz-
werte schafft, das Unheil seines Wesens. Vielleicht ist aber auch die
Vernichtung, in die der Mensch, ohne es zu ahnen, von der »neutralen«
Technik gestoßen wird, ein Heil, sofern sie die Nichtigkeit des Seienden
an den Tag bringt.
Vielleicht ist der Anschein der Neutralität, den die Technik um sich legt
und den der Mensch gierig aufnimmt, um ja in der Verzauberung durch
die Technik bleiben zu können, die letzte Täuschung, die von der Meta-
physik ausgeht und den Willen zum Willen in seinen unbedingten
Machenschaften bestätigt.
Vielleicht ist der Anschein der Neutralität der Technik und der gierige
Glaube an sie das Kennzeichen der Ahnungslosigkeit des metaphysi-
schen Menschen hinsichtlich der Metaphysik.
Vielleicht reizt der Anschein der Neutralität der Technik allen menschli-
chen Scharfsinn dazu, alle Möglichkeiten der Technik und der techni-

93
schen Eroberung der Natur und der technischen Organisation der
Geschichte zu versuchen, um auf diesem Wege eine Welteinrichtung
herzustellen, die vom Menschen gemacht das Wohlergehen und den
Wohlstand der Menschen sichern soll. — Vielleicht wird durch diese
Aufreizung der metaphysische Mensch in die letzten Tollheiten des
planetarischen Egoismus gestoßen.«

94
VI. Heidegger und die Tradition der anderen
Aufklärung. Heideggers Schweigen

Vielleicht ist das Erschreckendste an Heideggers Kritik des Natio-


nalsozialismus, daß er - mitten im sogenannten »Dritten Reich«,
mitten im II. Weltkrieg sogar — nicht nur den Nihilismus dieser
Verwüstungserscheinungen der Weltgeschichte erkannte, sondern
daß er, da doch das Schlimmste schon zu geschehen schien, Schlim-
meres vorhersah. 1942 prognostiziert Heidegger, daß dieser »lange
Krieg in seiner Länge« übergehe »nicht in einen »Frieden« früherer
Art, sondern in einen Zustand, in dem das Kriegsmäßige gar nicht
mehr als solches erfahren wird, u. das »Friedensmäßige« sinn- und
gehaltlos geworden ist.«!7” Das Erschreckende der Heideggerschen
Zukunftsvision ist die Vorhersage eines permanenten Kriegszustan-
des auch in Friedenszeiten.
Spätestens 1938 hat Heidegger mit Nietzsche den verlogenen
Fassadencharakter der faschistischen Ideologie, auch der »Vergöt-
zung« des Völkischen durchschaut und den Zerfall der Ideologien
selbst als einen Prozeß, der sich zwangsläufig in dem Maße einstellt,
wie »Weltanschauungen«, wie »Ideen« und »Werte« nur mehr noch
als Propagandamittel für reine Machtpolitik gebraucht würden.
Gerade in ihrer totalisierten Form fungiert nach Einsicht Heideg-
gers politische Weltanschauung nur mehr noch als »Propaganda«
und »Apologetik« und ist in der Verdeckung des real herrschenden
Nihilismus eine der heimtückischsten Formen seiner Erscheinung
inder Geschichte. »Weltanschauung«, so sah Heidegger, »ist immer
ein Ende, meist ein langhingezogenes und als solches nicht gewuß-
RE
Aber inmitten dieser Endphase einer in Wahrheit nihilistischen
177 Siehe Anm. 80.
178 Beiträge zur Philosophie, 5.37.

25
Propagandamaschine sah Heidegger etwas anderes, Bedrohlicheres
heraufkommen: die scheinbar ideologiefreie, weltanschauungsneu-
trale Herrschaft der Technik im weiteren Sinne: als Herrschaft eines
planetarischen Denk- und Handlungstypus der totalen Berechen-
barmachung und Ausbeutung der Welt, »Berechnung« verstanden
als ein »Grundgesetz des Verhaltens«, nach dem alle Seinsvorgänge,
die Gesamtheit des Seienden auf Nutzbarkeit hin gestellt werden
soll, berechenbar gemacht und vernutzt. Daher auch der spätere
Begriff des »Gestells« für diesen globalen, aggressiven wissen-
schaftlich-technologischen-ökonomischen Angriff auf das Seiende.
Als Herrschaft der Technik, des »Gestells« vollzieht sich nach
Heidegger die Endphase der abendländischen Metaphysik- und
Seinsgeschichte. Eine Endphase auch der Aufklärung, insofern sie,
als Prozeß der Entmythisierung, der »Entzauberung«, nun um so
fragloser einer anderen »Verzauberung« verfiel, »dieser Verzaube-
rung, der zufolge alles auf Berechnung, Nutzung, Züchtung, Hand-
lichkeit und Regelung drängt.«!”?
Diese Geschichtsphase der neuzeitlichen Metaphysik hat nach
Heidegger eine eigentümlich ambivalente Struktur: zunehmende
Akzeleration der technischen Geschwindigkeit und zugleich: Ver-
lust an echter Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit, zunehmend »rie-
senhafte« technische Inbesitznahme der Welt und zugleich ihr Ver-
schwinden, ihre Auflösung in Berechenbarkeit, zunehmende mas-
senhafte Ausbreitung des Menschen auf der Erde und zugleich
dessen Aushöhlung-das »Riesending Mensch« wird »je riesiger um
so kleiner«!8° -, zunehmende Herrschaft des Herrschaftsdenkens
der Berechnung und korrelatives Verschwinden des Fragens, des
Hören-könnens, des anderen, nicht auf technische Herrschaft aus-
gerichteten Denkens.
Angesichts dieser Einsichten Heideggers schon in der national-
sozialistischen Ära war es vollkommen konsequent, daß Heidegger,
auch nach dieser Ära, die Gedanken seiner Technikkritik weiterent-
wickelte und daß er fortfuhr zu mahnen. Der Aufsatz »Die Zeit des
Weltbildes« von 1950 enthält sogar den schon mehrfach zitierten
Satz, den die Vortragsfassung des Aufsatzes von 1938 noch nicht
enthalten hatte:

179 Beiträge, S. 124.


180 Beiträge, 5.278.

96
»Nicht das Anwesende waltet, sondern der Angriff herrscht.«'8!

Welcher Angriff? Der Satz wurde offensichtlich in einer Phase der


deutschen Geschichte geschreiben, als der Faschismus besiegt war,
die Bundesrepublik Deutschland gegründet und der Wiederaufbau
eingeleitet. Also eine höchst »konstruktivee Phase unserer
Geschichte. Wie konnte Heidegger in dieser Phase der Geschichte
behaupten: »der Angriff herrscht«?
Das »große Entsetzen«, das Heidegger angesichts der Zukunfts-
perspektive einer sich der totalıtären Technik und ihrer »machina-
len Ökonomie« verschreibenden Menschheit befiel, ist der vorweg-
genommene Schrecken vor einer langen Endphase der abendländi-
schen Metaphysik, die er zwangsläufig in »Ödnis«, »Verwüstung«
der Erde übergehen sah, weil in diesem technischen Denken von
Anfang an ein Nihilismus waltet, die »Seinsverlassenheit«.
Man kann heute beinah an jedem beliebigen Tag eine Zeitung
aufschlagen und Nachrichten wie die folgende aus der FAZ vom 10.
Mai 1989 lesen, dort unter der Überschrift »Aus der grünen Hölle
wird immer schneller Wüste«:
»Die Vernichtung der Tropenwälder... hat sich... in jüngster Zeit...
dramatisch beschleunigt. Mehr als 40% der ursprünglichen Wälder der
Tropen sind inzwischen verloren. In Thailand wurden seit Beginn der
sechziger Jahre fast die Hälfte, auf den Philippinen sogar mehr als die
Hälfte des Waldes zerstört. Von den riesigen Waldflächen Brasiliens
waren bis 1975 etwa ein halbes Prozent, 1988 aber schon zwölf Prozent
vernichtet. Die jährlichen Verluste an Tropenwald wurden bislang meist
mit etwa 11 Millionen Hektar angegeben - das entspricht in jedem Jahr
mehr als der Fläche Österreichs oder zwanzig Fußbalifeldern in der
Minute. Die Zahl stammt aus einer ersten globalen Übersicht, die die
Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) im Jahre
1982 veröffentlichte. Jedes Jahr würden in den Tropen 7,5 Millionen
Hektar geschlossener Wald und 3,8 Millionen Hektar aufgelockerter
Bestände zerstört, berechnet die FAO damals nach allen verfügbaren
Angaben und bestem Wissen und Gewissen. Doch das Wissen war und
ist offenbar nur vage, das Ausmaß der Zerstörung vielfach nur unvoll-
kommen bekannt. Neuere Beobachtungen vom Weltraum aus lassen das
Bild nur noch düsterer erscheinen. Allein im brasilianischen Amazonas-
gebiet wurden danach im Jahre 1987 etwa 21 Millionen Hektar tropi-
scher Wälder zerstört, darunter acht Millionen Hektar zuvor unberühr-
ten Primärwaldes; 1988 wurden nach Angaben des brasilianischen Insti-
181 Holzwege, 5. 100.

9%
tuts für Weltraumforschung dann sogar 20 Millionen Hektar Primär-
wald vernichtet. Absolut sicher sind freilich selbst diese Zahlen nicht.
Die Satelliten messen entweder die Wärme über brennenden Flächen
oder die Ausdehnung der Rauchwolken und kommen dabei mitunter
auch zu unterschiedlichen Ergebnissen.«

Die Millionen von Hektar Erde, die hier Jahr für Jahr und immer
schneller, immer mehr, zerstört werden, die Zerstörung des Strah-
lengürtels um die Erde, die Pollution von Weltmeeren, das aus-
ufernde Anwachsen der Großstädte der Welt- es scheint überhaupt
erst Ende des 20. Jahrhunderts Heideggers Satz: »Der Angriff
herrscht« - seine bedrohliche Wahrheit zu erkennen zu geben und
vielleicht noch nicht ganz. Im Grunde hat hier die Philosophie
schon Nietzsches einen weltgeschichtlichen Ablauf genau progno-
stiziert. Sein Satz: »Die Wüste wächst«, Heideggers Wort von der
»Ödnis« der »Seinsverlassenheit«, die über uns kommen würde,
nehmen Ende des 20. Jahrhunderts sichtbare Gestalt an. Der obige
Artikel über die Waldrodungen fährt fort:

»Das Land, auf dem die »grüne Hölle« wucherte, wird zur Wüste. Die
Menschen aber ziehen weiter, roden ein neues Stück Regenwald.«

Wie waren diese denkend-philosophischen Prognostizierungen der


Verwüstung schon bei Nietzsche und dann bei Heidegger und dies
zu einem Zeitpunkt, als diese Prozesse für die meisten Zeitgenossen
noch nicht sichtbar waren, möglich? Sie waren möglich, weil diese
Denker hier selbst eine Geschichtslogik erkannten und am Werk
sahen: die Inthronisierung und zunehmende Herrschaft jenes neu-
zeitlichen Denk- und Handlungstypus der Berechnung, Ausbeu-
tung, Vernutzung der Erde, der letztlich alle Ideologien auflöst und
als letzte scheinbar ideologiefreie Gestalt der abendländischen
Seinsgeschichte um so fragloser sich ausbreiten würde. Gegen Ende
der achtziger Jahre dieses Jahrhunderts ist die Literatur voll von
Zeichen der Bedrohung. Ein Stück wie Harald Muellers »Toten-
floß«, Enzensbergers »Der Untergang der Titanic«, die »Kassan-
dra« der Christa Wolf, in jüngster Zeit Günter Grass’ Rede vor dem
Club of Rome »Calcutta wird über uns kommen« gehören zu den
warnenden Stimmen in unserer Zeit.!82
182 Zum Ansteigen der Weltbevölkerung und zum unkontrollierten Ausufern
der Städte in der Dritten Welt sagte Günter Grass vor dem Club of Rome:
»Die Zukunft der Menschheit, vormals Spielraum für widersprüchlichste

98
Ist solche Kritik, sind Heideggers Befürchtungen angesichts der
globalen Ausbreitung der Technik und ihrer »machinalen Ökono-
mie« ırrational? Man kann Heideggers Kritik der Technik, die ja
eine Analyse der in der Technik aufgehobenen Geschichte der
neuzeitlichen Philosophie und Wissenschaft mit einschließt, als eine
radikalisierte Aufklärung lesen. Voraussetzung dafür allerdings ist,
daß der Begriff der Aufklärung nicht mit der neuzeitlichen Ver-
nunft- und Subjektphilosophie - gleichsam als deren Apologie -
gleichgesetzt wird, sondern dieser Begriff auch die kritische Ana-
lyse der Voraussetzungen und Folgelasten dieser Philosophie der
Subjektivität mit einschließt. In diesem Sinne ist nicht erst Heideg-
ger, sondern eben schon Nietzsche ein aufklärerischer Kritiker der
Aufklärung. Beide, Nietzsche und Heidegger, stehen in einer Tradi-
tion der —wie ich sie nennen möchte- anderen Aufklärung, aieüber
die Romantik, Herder zurückreicht bis zu Vico, Shaftesbury und
Pascal. Die falsche und ganz irreführende Opposition von Rationa-
lismus und Irrationalismus, von Vernunft und Widervernunft in der
europäischen Geistesgeschichte hat lange Zeit den Blick dafür ver-
stellt, daß die Absolutsetzung der neuzeitlich instrumentellen Ver-
nunft selbstkritisch hinterfragt werden muß. Die Philosophie der
genannten »anderen Aufklärer« hat, vor allem ın der Form der
Descartes-Kritik, von Anfang an dieses Unbehagen an dem Herr-
schaftsanspruch der neuzeitlichen Vernunft artikuliert.!®

Utopien, ist von katastrophalen Abläufen vordatiert. Die Zeit der Warnun-
gen ist vorbei, weil eine Vielzahl katastrophaler Entwicklungen, die sich
vormals notfalls als isolierte Vorgänge begreifen ließen, miteinander ver-
quickt sind und sich so potenzieren. Denn wie die Verelendung der Dritten
Welt und der nach wie vor wirksame Rüstungswettlauf einander bedingen,
so ist auch die ungehemmte industrielle Expansion mit wachsender
Umweltzerstörung und klimatischen Veränderungen als insgesamt zerstö-
rerischer Zusammenhang zu begreifen.« (In: FAZ 13. Juni 1989). Zur
Entwicklung der Großstädte der Welt und ihrem prognostizierten Wachs-
tum siehe: Gerhard Schweizer: Zeitbombe Stadt. Die weltweite Krise der
Ballungszentren. Stuttgart 1987. Die Prognosen für einige Städte in den
Jahren 2000 und 2025 lauten (in Millionen): Mexico City 27,6 auf 36,7;
Shanghai 25,9 auf 36,1 ... Kalkutta 15,9 auf 26,4. Unter den fünfzehn
größten Städten kommt dieser Prognose nach eine europäische Stadt gar
nicht mehr vor. New York fällt mit etwa konstant 19,5 Millionen im Jahr
2000 und 2025 von Rang 6 auf Rang 14 der weltweit größten Städte (5. 334).
183 Es wäre eine komplexe eigene Untersuchung, diese Tradition der andren
Aufklärung und ihr Nachwirken im Werk Heideggers zu analysieren. Ich
muß diese Analyse hier aussparen.

99
Aber Heidegger, der in dieser Tradition steht, hat die Akzente
radikal verschoben. In dem Maße, wie die Folgelast des neuzeitli-
chen Denkens, des rechnenden Denkens, in der Form der Technik
zu einer eher unphilosophischen, d.h. jeder expliziten Philosophie
entsagenden Herrschaft gekommen ist, hat Heideggers Denken,
mit Nietzsche, aber über ıhn hinaus, die Dimension der Wissen-
schaftskritik um die der Technikkritik erweitert. Zum anderen hat
Heidegger inmitten der Phase der »Weltverdüsterung und Erdzer-
störung«, die er im Faschismus schon am Werk, aber in schlimmerer
Form noch kommen sah, eine Wende vollzogen, die sogenannte
»Kehre«: weg von dem alles auf sich beziehenden Standpunkt der
Subjektivität, des Menschen, hın zu einem Denken der Seins-Zuge-
hörigkeit, vor dessen Maßgabe die Herrschaft des Subjektdenkens
selbst als eine Form des Nihilismus, der »Seinsverlassenheit«
erschien. Es ist in diesem Zusammenhang interessant und erwäh-
nenswert, daß Heidegger bereits in den dreißiger Jahren gesell-
schaftskritische Phänomene analysiert hat, die aus der eigentümli-
chen Egozentrik des neuzeitlichen Denkens folgen und die erst
wieder die heutige Psychologie -— und nun zumeist unter dem
Begriff des »Narzißmus« - erkannt und analysiert hat.!®*
Der Standortwechsel weg von der egozentrischen Vernunft hin
zu einem Seinsdenken unterscheidet aber Heideggers Kritik radikal
auch von der genannten Tradition der sanderen Aufklärung«, die
immer noch - bei aller Kritik an der Abstraktheit und Einseitigkeit
der cartesianischen Vernunftphilosophie im Denkhorizont der Sub-
jektivität sich bewegt. Daß auch die Philosophie des deutschen
Idealismus — Fichtes erster Grundsatz einer absoluten Ichheit,
Hegels absolute Begriffsphilosophie, bei allen inneren Differenzen
und bei aller Kritik dieser Denker an der Frühphase des Subjektden-
kens - sich doch in dessen Horizont bewegt, hat Heidegger vielfach
zum Ausdruck gebracht. Aber auch Nietzsches »Wille zur Macht«
verharrt ja, beı aller Einsicht Nietzsches ın das Wesen der neuzeitli-
chen Metaphysik, im Horizont eben jenes neuzeitlichen Macht-
und Herrschaftsdenkens, mit dem die neuzeitliche Philosophie des
Frührationalismus als die einer Selbstkonstitution der Subjektivität
in Erscheinung trat. Heidegger hat sich diesem ichhaften, transzen-
dentalegozentrischen Denkhorizont zunehmend entwunden, mit

184 Sjehe Anm. 114.

100
großen Folgelasten auch für die Sprache seines Denkens. Die oft
gescholtene Unverständlichkeit gerade des späten Heideggers
resultiert aus den eminenten Schwierigkeiten, eine Sprache jenseits
der neuzeitlichen Metaphysik und ihrer Begrifflichkeit zu finden,
den Herrschaftsbereich des alten Denkens nicht nur zu erkennen,
sondern auch zu verlassen. Die Schwierigkeiten der Sprache der
Spätphilosophie Heideggers sind so immer auch ein Ausdruck der
realen Macht der Metaphysik des herrschaftlichen Denkens der
Subjektivität, gegen das Heidegger nicht nur andenkt, sondern das
er auch als eine noch und immer mehr herrschende Form der
Metaphysik hinter sich gelassen hat.
Von dieser »Kehre« her sieht Heidegger auch die moderne Ethik
und Anthropologie ebenfalls kritisch als Audrucksformen der
immer noch herrschenden Subjektphilosophie. Heideggers Denken
ist, im seinsgeschichtlichen Sinne, von einer tiefen Ethik geprägt,
impliziert auch eminente politische Entscheidungen. Aber den
Glauben an eine oberflächliche Korrigierbarkeit der neuzeitlichen,
technischen Seinsgeschichte durch eine aufgesetzte Ethik und kor-
rektive Humanisierungsbestrebungen teilt Heidegger in dem Maße
nicht, wie er den globalen Machtanspruch des technischen Denkens
selbst durchschaut hat.
Ich möchte abschließend ein Wort sagen zu Heideggers Schwei-
gen angesichts des nationalsozialistischen Terrors und der grauen-
vollen Judenvernichtungen. Warum, so fragen selbst Wohlmei-
nende, hat Heidegger nie ein Wort der Entschuldigung gefunden?
Nun wird die spätere Öffnung des Heidegger-Archivs noch zeigen,
daß Heidegger angesichts seiner eigenen Fehlentscheidung im Jahre
1933 auch eine tiefe »Scham« empfunden hat, die ihn zeitlebens aufs
tiefste peinigte. Wir haben aber gesehen, daß Heidegger auf jener
Sprachebene, die ihm, dem Denker und Philosophen, zur Verfü-
gung stand, auf der Ebene der Metaphysikkritik und der Seinsge-
schichte, gesprochen hat und mit aller Klarheit gesprochen. Er läßt
nicht den geringsten Zweifel daran, daß er den Nationalsozialismus
für eine extreme Erscheinungsform des neuzeitlichen Nihilismus
und der »Seinsverlassenheit« hält. Was hätte er sonst sagen können?
Jacques Derrida fragt:

» Angenommen, Heidegger hätte zu 1933 nicht nur gesagt: Ich habe eine
große Dummheit begangen, sondern: Auschwitz ist der absolute

101
Schrecken, es ist das, was ich von Grund auf verurteile. Ein Satz, wie er
uns allen geläufig ist. Was wäre dann gewesen? Er hätte wahrscheinlich
ohne weiteres die Absolution erhalten.«!#°

Aber ein solcher Satz wäre eben nach Heidegger der Sache, um die
es geht, völlig unangemessen. Die Sache: der grauenvolle Terror
und die Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus. Hei-
degger hat deutlich gesehen, daß die Möglichkeit eines nationalso-
zialistischen Terrors und der nationalsozialistischen Vernichtungs-
maschine selbst in tiefen Schichten der neuzeitlichen Seinsge-
schichte wurzelt und ein besonders perverser, deformierter Aus-
druck eines spezifisch neuzeitlichen Herrschaftsdenkens ist. Der
nationalsozialistische Mißbrauch der Nietzscheanischen Rede vom
»Willen zur Macht« und des »Übermenschen« verweist ja direkt auf
diesen metaphysikgeschichtlichen Hintergrund der nationalsozialı-
stischen Schreckensherrschaft, die -— eben mit den Mitteln einer
modernen Technik - so verheerend sich auswirken konnte. Und
daraus resultiert ja das »große Entsetzen«, das Heidegger in den
1936 bis 1938 entstandenen Beiträgen befiel. Daß er erkannte: die
metaphysikgeschichtliche Tiefendimension der Geschichtskata-
strophe ist mit dem Ende dieser politischen Bewegung, ist auch mit
dem Ende des Weltkrieges gar nicht beendet. Gerade Heideggers
Blick in die metaphysikgeschichtliche Tiefendimension seiner
Geschichtsepoche und des im Nationalsozialismus auftretenden
Herrschafts- und Vernichtungsdenkens hat es ihm nicht mehr
erlaubt, in Form von noch so aufrichtig empfundenen Bekundun-
gen des Schmerzes und der Trauer diese Geschichtsphase gleichsam
bewältigen zu wollen. Heideggers metaphysikgeschichtlicher Blick
auf die Geschichte zeigt ihm vielmehr: die schreckliche Wunde, die
der Nationalsozialismus der Menschheit geschlagen hat, wird auch
nach dessen Schreckensherrschaft - möglicherweise noch schlim-
mer — bluten. Jeder, der Heidegger aufrichtig liest, erkennt sein
tiefes Entsetzen vor den - gerade im Nationalsozialismus so brutal
sich zu erkennen gebenden - Zeichen der Geschichte als der von der
totalen »Seinsverlassenheit« entstellten Geschichte. Niemand, der
ihn aufrichtig liest, kann noch behaupten, Heidegger habe zeitle-
bens in innerer Nähe zum Nationalsozialismus verharrt. Im Gegen-
teil hat Heidegger - inmitten des Terrors des Nationalsozialismus —
185 In Antwort (Anm. 4), S.159.

102
diesen erkannt und auch schon gesehen, daß der Terror und der
laufende Weltkrieg gar nicht mehr das Hauptproblem einer
Zukunftsgesellschaft darstellen würden. Wir alle könnten aufat-
men, wenn der schlimmste Schrecken der Geschichte mit dem
Nationalsozialismus schon abgegolten wäre. Heideggers Philo-
sophie sagt, daß dies nicht der Fall ist. Das ist das »große Entset-
zen«, das ihn angesichts der »Seinsverlassenheit« seiner Geschichts-
epoche befiel, die auch die unsere ist.

103
. Register

Farias, Victor 2, 9, 42
Adorno, Theodor W. 1
Allemann, Beda 1, 43 Fedier, Francois 1, 43
Altwegg, Jürg 2 Fichte, Johann Gottlieb 100
Arendt, Hannah 44 Franzen, Winfried 4
Augstein, Rudolf 44 Frischeisen-Köhler, M. 81

Baeumler, Alfred 14, 53 Gadamer, Hans-Georg Vorwort, 2,


Barlach, Ernst 37 20
Bauer, Clemens 75 Galilei 28
Beaufret, Jean 1 George, Stefan 16, 35
Beyme, Klaus von Vorwort Gneisenau, August von 34
Blanchot, Maurice 2 Grass, Günter 98
Gröber, Conrad 74, 75
Blochmann, Elisabeth 44
Guzzoni, Alfredo 52
Blumenberg, Hans 26, 27
Bosch, M. 35
Bracher, Dietrich 35 Habermas, Jürgen 3-9, 20, 31, 43
Braig, Carl 51 Haller, Michael 2, 3
Brock, Werner 44 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
Büchner, Georg 85 100
Heidegger, Elfriede 47
Cassirer, Toni 43 Heidegger, Hermann Vorwort, ll,
Char, Rene 1 70
Cloer, Ernst 35 Heimbüchel, Bernd 53
Colli, Giorgio 56 Heinen, Anton 46
Heinrichs, Heribert 46, 47
Dahrendorf, Ralf 33, 34, 35, 36, 83 Henrich, Dieter 79
Derrida, Jacques 15, 101 Heraklit 53
Descartes, Rene 24, 25, 26, 28, 32, Herrmann, F.-W. von 19, 20, 38, 69,
78, 79, 81, 85, 99 70, 71
Duhem, P. 26 Hitler, Adolf 11, 14,17, 34, 40,41,
45,46, 47, 62, 74
Duns Scotus, Johannes 51
Hobbes, Thomas 81
Enzensberger, Hans-Magnus 98 Hölderlin, Friedrich 7, 29, 30
Homer 14

104
Hühnerfeld, Paul 1, 2 Niess, W. 35
Humboldt, Wilhelm von 7, 8 Nietzsche, Friedrich 11, 39, 42, 45,
Husserl, Edmund 44, 45, 51 48-68, 71,72, 73,75,89, 90, 91,
95, 98, 99, 100
Jaeger, Petra 25, 31, 35, 58 Nolte, Josef 35
Jaspers, Karl 44
Jünger, Ernst 17, 36, 85 Ott, Hugo 2, 3, 17, 22, 23, 44, 45, 75
Jungk, Robert 60
Pascal, Rene 99
Kaiser, Georg 15, 16 Pius XI 74
Kant, Immanuel 24, 31 Platon 13, 67, 89, 90
Kemper, Hans-Georg 16 Pöggeler, Otto 4, 31
Kettering, Emil 3
Klopstock, Friedrich Gottlieb 7 Reulecke, Jürgen 83
Kommerell, Max 29
Rosenberg, Alfred 13, 14
Richter, Horst E. 60
Kraus, Karl 55, 56
Rickert, Heinrich 51
Kühnl, Reinhard 23, 35, 86
Kuhn, Richard 37, 41
Sartre, Jean-Paul 1
Kuhn, Thomas 26
Schelling, Friedrich Wilhelm Jo-
seph 24, 25, 26, 31
Landauer, Gustav 15
Schillbach, Brigitte Vorwort
Lasch, Christopher 60
Schneeberger, Guido 1, 2, 43
Leibniz, Gottfried Wilhelm 28
Schreiber, Matthias 3
Lehmann, Werner 85
Schwalbach, Bruno 75
Litt, Theodor 17
Schwan, Alexander 9
Löwith, Karl 44
Schweizer, Gerhard 99
Lundgren, Peter 36, 42
Schüßler, Ingrid 25
Seubold, Günter 78
Maier, Anneliese 27
Shaftsbury, Anthony Ashley Coo-
Mainzer, Hubert 35
per, Earl of 99
Melenk, Hartmut Vorwort
Spinoza, Baruch de 85
Merker, Barbara 4
Staudinger, Hermann 22
Metzger, Max Josef 75
Stauffenberg, Claus Schenk von 35
Mittelstraß, Jürgen 26, 27 Storck, Joachim Vorwort, 29
Möllendorff, Wilhelm von 10, 11
Molesworth, Sir W. 81 Vico, Giambattista 99
Montinari, Mazzino 56 Vietta, Egon 38
Mueller, Harald 98 Vietta, Silvio 16, 56, 79
Müller-Lauter, Wolfgang 51
Weiß, Helene 44
Nelson, Benjamin 26 Widukind 14
Neske, Günter 3 Whorf, Benjamin L. 7
Newton, Isaac 28 Wolf, Christa 98
Niemeyer, Max 44 Wolf, Erik 10
Min A he N

105
Du |
/
%”
enf
Hp, „a,
Mey
Kr 4
e .
> Eee jaahl,
x Pt
BRAIN De

er UN 7 abse mei
De A 28
| I ae Ze eo
uied,
Tr ua ah en ar hr,
2 win,
An in kr” j
we
ae
3
ent
1
ui 10 0
i De Er et uarhumnal
j E22 De 2 m ı6% Dr; see,
er
ID 22 ar Aue EEE 27 >
nn B.= FAN, DuETSUZETe, N 9 an Aa ahliretm
; zerll raN » 2 ha
et werd Ä
Du A GistunS
u ur: bed,
> Il ar Br un ER
a
Eier
IR. ei Fe ur
=
N
Aut.
<

| Ben,alias Dana rn a ee ‚a
rar re «

EZ . 3 y slnAr

BE 5, air rer“ tt wii,


hm set Ulaberinas re ‚ lee.
A K3672 1074 ar A wen.
ie Bla reg Da Rai Fee
& Mae) IR PU TI). 4
2,7) Ieaiai ‚eeäniait
rue ra

DIE EIG), DISERL eo;


z | Abi
Ben en De LTE
251 At

FB en 7 ei
[2 N
= 6 aus!

DEReITe De ll, TE NAL


ee ‚72 ER a 7
>

RE uk ini
ve
or u san:
6zz-vPe-on |
INIIIIUNI UN

Das könnte Ihnen auch gefallen