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Anhang 3

brasilianische Gebiet hinein unternehmen. Dann ist ihnen aber fast immer reiche
Beute gewifS. Mit den Pfeilen mit Bambusspitzen oder mit den zweiseitigen Holz-
sigen, deren Zacken fiirchterliche Wunden reifen, bringen sie die Schweine siche
zur Strecke. Fir die Affen, auch fiir die grofen schwarzen Kletteraften, geniigen
die Geschosse mit einreihig angeordneten Zacken oder mit Knochenspitze. Selten

Mi
werden Pfeile mit Rochenstachelspitze verwendet.
Das Fleisch wird an Ort und Stelle auf Bratrosten gebraten und hilt dann etwa zwe
bis drei Tage vor, so da auch die Daheimgebliebenen Anteil an der Jagdbeute erhalres
Kleine Végel wiirden durch spitze Pfeile zu sehr zerrissen werden. Um sie zu erleges
werden daher Geschosse mit stumpfem Ende verwendet. Sie machen die Beute dur<=
den heftigen Anprall zumindest fúir kurze Zeit besinnungslos, die fiir die scharte-
Augen des Jágers genúgt, um die Beute im Urwalddickicht aufzufinden.
Im Allgemeinen setzt sich der Pfeil aus drei Teilen zusammen: dem gefiederte=
Schaft, dem Holzeinsatz und der aus verschiedenem Material bestehenden Spitze
Der Schaft besteht bei den Moré und Itoreauhip aus einem ziemlich feinen Pfeilros=
das an seinem unteren Ende eingekerbt und mit zwei zurechtgeschnittenen Fede
hálften versehen ist. Die Art der Befestigung nennt der Ethnologe Nahtfiederu==
Dicht úber dem Federansatz ist er háufig mit einem Kennzeichen des Eigners ver-
sehen, mit einem Farbfleck, einem Federschmuck oder einer Federkielumwick!
Eines Tages tauchten Pfeile mit drei und vier Federn auf. Sie sollen augenschein!
das Geschof zu einer schnellen Drehung in der Luft veranlassen. Der schwedische
Forscher Nordenskiéld hat schon daraufhingewiesen, daf diese Art Fiederune
in Súdamerika sehr selten ist. Nachgewiesen sind sie bisher nur von dem Spa
Oviedo bei den lingst ausgestorbenen Timbus und Carcaraes am unteren Parana. =
dem Argentinier Ambrosetti bei dem Guaranistamm der Caingua, und, wenn >
nicht irre, neuerdings bei den Urubus im Staate Pará. Nordenskióld sieht in diese
Befiederung ein sehr altes Kulturelement, eins von denen, die die Uramerikaner ==
siidlichen Siidamerika mit solchen im nérdlichen Nordamerika verbindet.
Fiir die Jagd auf Wasservégel errichten die Moré und Itoreauhip bienenkorbar==
Jagdhiitten, die sie ins Wasser der tiberschwemmten Pampa und spater in die z
bleibenden Túmpel oder in die toten Arme der Flússe stellen. Nur durch Ta:
kónnen sie in diese Behausung gelangen. Von dort aus vermógen sie aber les
ahnungslos herankommende Enten, Lóffelreiher, echte Reiher und Stórche ==
ihrem Pfeil zu erreichen. Diese Jagd ist bei weitem die ergiebigste in der unm ==
baren Umgebung der Indianersiedlungen.
Die Moré und Itoreauhip sind auch gewandte Fischer. Sehr friih schon am Moss
ziehen drei oder vier Minner an den Fluf. Unter Wasser oder im Gestripy =
borgen, sind ihre bis ro Meter langen, meist aus so genanntem Zedernholz ===»
enen Einbáume. Die ursprúnglich ohne Knauf mit nur schmalem Blatt gearbe==
Ruder werden vom Heim mitgebracht. Ich fiihlte mich zuerst sehr unsicher i= Ges
Fahrzeugen; aber wie ich einst radeln lernte, gewohnte ich mich allmâhlich ==» =
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diese schwankenden Boote. Die Indianer halten sogar stehend wihrend der Fahrt
das Gleichgewicht.
Wir fahren zu einer Sandbank. Wenn die Sonne ihre Strahlen schrág vom Himmel
sendet, sind im seichten Wasser deutlich die dunklen Leiber grófferer Fische, des
Surubim, Tucunaré, Pirarucu und mancher anderer zu erkennen. Eine der braunen
Gestalten nimmt den Bogen und einen ein- oder dreispitzigen Knochenpfeil und
erhebt sich im Bug des schwankenden Bootes; von den iibrigen rudert nur noch
der Steuermann. Der taucht sein Paddel nur vorsichtig ins Wasser, reif$t es dann
aber doch kriiftig durch, so daf§ das Fahrzeug immer noch ziemliche Fahrt macht.
Nach dem Wink des Schiitzen steuert er es dann, bis der Pfeil abschnellt. Ich habe
bei den Moré und Itoreauhip nicht einen einzigen Fehlschuf erlebt, obgleich doch
der Brechungswinkel der Wasseroberfliche in Betracht gezogen werden mu$. Nur
selten gehen Fische verloren, eigentlich nur, wenn der Schaft dicht tiber dem Riik-
ken abbricht. Verwundete Tiere kommen an das Ufer aus Furcht vor den Piranhas,
jenen in einzelnen Gewissern, insbesondere in Seen massenhaft auftretenden Raub-
fischen, die allen verwundeten Tieren nachjagen und bisweilen auch dem Menschen
gefiihrlich werden.
Die Moré und Itoreauhip kennen aber auch noch andere Arten der Fischerei. Schmale
Flufarme und Báche sperren sie gern mit Palmbláttern ab und setzen dazwischen
sehr lange, allmáhlich enger werdende Reusen. Die Fische schwimmen hinein und
bleiben dann im engen Teil festsitzen, so daf sie an Land getragen und auf dem
trockenen Boden ausgeschúttet werden kónnen.
In stillstehende Gewisser bringen sie gern zerschlagene Stiicke einer Giftliane. Die
darin lebenden Fische kommen dann in kurzer Zeit an die Oberfliche und kón-
nen mit den Hiinden abgesammelt werden. Der Genuf dieser Beute schadet den
Indianern nicht.
Wenn Friichte des Waldes oder der Savanne reifen, ziehen die Moré und Troreauhip
an die Stellen,
wo sie zahlreich vorhanden sind, und bauen sich dort ein so genanntes
Mam. Das ist ein mit Blittern der wilden Banane zum Schutz vor Regen bedeckter,
meist dreieckiger Unterschlupf. Von ihm aus kônnen in aller Ruhe das auf dem Boden
liegende Obst oder die Nússe gesammelt werden. Eine groffe Rolle im Haushalt
dieser Indianer spielen simtliche Palmfriichte, die Pardnuf, die wilden Kakaoarten
und die Mangaba.

Sehr fleifig sind die Moré und Itoreauhip in ihren Rodungen. In der Trockenzeit
fillen die Manner mit den schon seit geraumer Zeit von den Zivilisierten erbeu-
teten Stahlixten und mit den Buschmessern Baume und Strauchwerk einer nicht
unbetrichtlichen Waldfliche. Einige Wochen spiter, besonders zur Zeit der ersten
Regenfille, wird das Holz in Brand gesetzt. Mit widerstandsfihigen Stécken with-
len dann die Indianer in unregelmáfigen Zwischenráumen Lócher in den mit der
Asche bedeckten Boden und setzen je drei Stecklinge der Maniok hinein [Abb.
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10 oben, nach S. 48: ,Eine Rodung mit Maniokstecklingen”]. Dazwischen wird in


Haufen Mais gesát. An cinzelne Stellen legt man Bataten der verschiedensten Art
und Inyame. Baumwollpflanzen sprie$en hier und dort. Spiter erst werden Bananen
und der Orleansstrauch angepflanzt. Dieser bildet in lângst abgeernteten Feldern
dann richtige Haine. Sehr beliebt ist cine Ananas. Sie wird mit Vorliebe an Wege
gesetzt, an denen sie besonders gut gedeiht.
An der Sauberhaltung der Rodungen und an der Ernte beteiligen sich auch die
Weiber. Die Hauptarbeit ist jedoch den Mannern vorbehalten. Sie halten es auch
gar nicht unter ihrer Wiirde — wie es bei vielen andern Indianerstimmen der Fall
ist — die Kérbe mit Knollen und Friichten selber nach Hause zu tragen. Die Verar-
beitung ist dann allerdings allein Frauensache.
Die Rodungen scheinen den einzelnen Familien, die sie bearbeiten, zu gehóren. Ich
habe niemals gesehen, dab der einzelne auf ein besonderes Stick Anspruch erhebt.
Wenn ich fragte: »Wem gehórt dies Feld?“ wurde mir immer zur Antwort gegeben:
»Lsamin“, oder Mord“, oder ,,Jw6", kurz gesagt, der Name des Familienoberhauptes.
In den meisten Fallen liegt das Haus am Rande der Rodung. Deshalb ist auch der
Weg, den die Feldfriichte getragen werden miissen, selten sehr weit.
Geerntet wird wihrend des groften Teiles des Jahres. Doch gibt es natiirlich Zeiten
des Uberflusses und Zeiten des Mangels. Aufbewahrt wird selten etwas. In den Boden
der Hiitte gegrabene Locher beherbergen Lebensmittel nur kurze Zeit. Fruchtstánde
der Bananen werden zum Reifen einfach an die Stiitzpfihle der Hiitte gehângt.
Aus den Ergebnissen von Jagd, Fischfang, Sammeln von Friichten und Bodenbau
beziehen also die Moré und Itoreauhip ihren Lebensunterhalt.

Hauswirtschaft und Handwerk


Auch im Hause selber haben Manner und Weiber der Moré und Itoreauhip stindig
etwas zu tun. Freilich, die Jagdbeute und die Fische sind ja schnell auf dem Bratrost
in ihrem eigenen Saft gebraten; dazu ist nicht einmal die Hilfe der Frauen notig.
Auch Bataten und Jnyame brauchen nur in die gliihende Asche gelegt zu werden, um
geniefbar zu sein. Aber schon der Mais erfordert mehr Arbeit. Denn nur gelegent-
lich werden die noch griinen Kolben am Feuer geréstet und dann gleich verzehrt.
Aus den reifen Kérnern bereiten die Frauen Mehl; sie zermahlen ihn mit schweren
Steinen oder ovalen Stampfern aus schwerem Holz.
Das Hauptnahrungsmittel ist, wie bei den meisten Indianerstimmen Súdamerikas,
die Maniok. Die von den Moré und Itoreauhip Art ist nicht blausâurehaltig wie die
im eigentlichen Amazonasgebiet und in Guiana úbliche; sie braucht daher nicht
erst entgiftet zu werden. Aber viel Múhe muf doch darauf verwandt werden, sie
genuffertig zu machen. Die zu den Euphorbiazeen gehórige Staude wird anderthalb
bis drei Meter hoch und besitzt einen Wurzelstock, der dem unserer Dahlien sehr
ahnlich sieht. Die Frauen schiilen mit einem messerartigen Stiick Holz die Knol-
len oder schlagen, besser gesagt, mit ihm die Schale ab. Dann waschen sie sie und
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reiben sie an dem dornigen Stelzwurzelstúck der Paxiubapalme zu einer flockigen


Masse. Diese wird mit Wasser in Tontópfen gekocht, wobei mit einem aus feinem
Geflecht bestehenden ,Schaumlóffel* abgeschiumt wird. Nach dem Abkiihlen wird
der Brei durch eine Stábchenmatte geseiht. Der Riickstand wird noch einmal tiich-
tig ausgequetscht, dann auf einen Tonteller gebracht und tiber dem Feuer geréstet.
Dabei trágt die Herstellerin durch stándiges Bewegen dafúr Sorge, daf ein feinkór-
niges Mehl entsteht, welches in Bastsácken lingere Zeit aufbewahrt werden kann.
Die Indianer essen es in diesem Zustand oder machen Pfannkuchen daraus, wobei
sie wieder die Tonteller benutzen. Auch backen sie in Bláttern eine Art Brot daraus,
das sehr haltbar zu sein scheint und gern auf Wanderungen mitgenommen wird.
Das Maniokwasser aber, das immer noch feste, wenn auch sehr feine Stoffe enthált,
wird mehrmals aufgekocht [Abb. y unten nach S. 48: ,Die kochende Chicha wird
umgerúhrt“] und bildet abgekiihlt dann ein etwas siuerliches, jedoch erfrischendes
Getriink. Es ist im Grunde genommen nichts anderes als ungegorene Chicha. Aller-
dings wird, wenn dieses ,,[ndianerbier* bereitet werden soll, von den Frauen und bis-
weilen auch von Mannern Maniokmehl gekaut und hinzugegeben. In dem Speichel
ist ein Ferment enthalten, das von der Starke Zucker abspaltet. Dieser Zucker bringt
den Saft zum Giren. Innerhalb von fiinf Tagen wird es ziemlich stark alkoholisch
und geniigt, um die Trinker verhiltnismafig schnell berauscht zu machen.
Wichtig ist auch die Bereitung von Ol. Es wird aus den Frichten der Ticumpalme
gewonnen. Diese werden entweder gegeneinander oder gegen einen faustgrofen
Kiesel geschlagen und der Saft gesammelt. In ihm lést die Frau die Friichte des
Orleansstrauches, der von den Zivilisierten nach einem Tupiausdruck Urucu, von
den Moré und Itoreauhip aber mauin genannt wird. Erst auf diese Weise erhált sie
die schóne rote Farbe, die einst wohl den Indianern den Namen Rothiiute gegeben
hat. Sie fiirbt sich, ihrem Mann und ihren Kindern damit nicht nur den K6rper, so
daf er unter dem Einflu8 der Sonne dann kupferfarben wird, sondern auch griind-
lich das glatte, schwarze Haar. Auf diese Behandlung fiihre ich es zurúck, daf bei
den Moré und Itoreauhip verháltnismáfig nur sehr wenige Leute Kopfliuse haben.
Ich kann diese Indianer nicht gerade sauber und ordentlich nennen. In jeder ihrer
Hiitten steht sehr viel herum, und Abfálle bedecken immer wieder den Boden,
obgleich mehrere Male am Tage, sowohl von der Frau wie auch vom Manne, mit
dem Bliitenstand der Assahypalme gefegt wird. Jeder reinigt seinen Arbeitsplatz sel-
ber. Der Schmutz wird nicht nur durch Essen und Wohnen in den Hiitten erzeugt,
sondern auch durch das mannigfache Handwerk, das diese Indianer betreiben. So
sind im Oktober die Frauen der Horde Kalintgs damit beschaftigt, ihren Vorrat an
Koch- und Chichatépfen sowie flachen Tellern zu ergiinzen. Zu diesem Zweck holen
sie aus einer Entfernung von etwa zwei Kilometern, von einer bereits viel benutzten
Stelle, ziemlich dunklen Lehm in ihren geflochtenen Tragkérben und vom Ufer des
Flusses schwammartige, aber hélzerne Gebilde, die sich an gewissen, zur Zeit des
Hochwassers vóllig úberfluteten Búschen befinden und beim Berúhren heftigen
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Schmerz verursachen. Letztere werden auf Tontellern úber dem offenen Feuer zu
einer bróckligen Holzkohle verbrannt und dann mit Lehm und Wasser vermengt.
Aus dieser Mischung wird zunáchst der Boden geformt. Bei den kleineren Tópfen
ist er flach, bei den gréeren jedoch kegelf6rmig spitz zulaufend, so daf er in den
Sand oder in die aufgelockerte Erde der Feuerstelle gebohrt werden kann und das
Gefiff Halt findet. Dann werden Tonwúlste geformt, úbereinander gelegt und durch
Kneten mit den Fingern und Bearbeiten mit Muschel und Kiesel eine verháltnis-
miiftig dúnne, zusammenhángende, glatte Wandung gebildet [Abb. 12 nach S. 48:
»ltoyuiwo gibt einer Tonschale den letzten Schliff”]. Viel Geduld wird darauf ver-
wandt, und noch wihrend der folgenden Tage, wenn das Werk in der Luft trocknet,
geht immer wieder die Herstellerin daran, es mit der Muschel oder mit dem Stein
nach Betupfen mit Wasser zu verbessern. SchlieSlich wird es umgestiilpt und ein
Kleines Feuer darunter angefacht, das den Ton allmihlich austrocknet [Abb. 13 nach
S. 64: Ein Tongefáf wird gebrannt. Im Hintergrund meine Hángematte und mein
Hut“]. Mit Pazohublittern schiittzt man das Gefifi, damit kein Wind die Flamme
zu stark werden lat und dadurch es zum Springen bringt. Hellgrau gliinzt es dann;
doch ist es noch zu spréde. Nachdem einige Fehler ausgebessert sind, wird es noch
einmal tiber Feuer gebracht, und dann Holz rundherum aufgeschichtet, so daf es
eine Zeit lang von voller Glut umgeben ist. Schwarz kommt es daraus hervor. Sel-
ten wird es danach auften mit geometrischen Mustern bemalt; gewôhnlich fehlt
hierfiir Zeit und Talent.
Ein Teil der kleineren Tépfe wird mit Griff zum Anfassen versehen. Auch erhalten
die Miidelchen winzige Gefiike zum Spiel. Sogar allerlei Figuren, welche Menschen
und Menschenteile, Tiere und Pflanzen vorstellen sollen, werden aus Ton gebrannt
[Abb. 8 nach S. 32: ,Itoyudotto bei der Herstellung einer Tonpuppe (Im Hintergrunde
meine Hángematte)“].
Merkwúrdigerweise kennen aber die Moréfrauen keine irdenen Spindeln. Sie fer-
tigen sie vielmehr aus rundlichen, anfangs grúnen, spáter schwarzen Frúchten oder
aus mehreren Scheiben eines korkartigen Holzes an. Die Spindelstábe sind aus dem
Stamm einer Astrocaryumpalme geschnitzt, zugespitzt und am unteren Ende háufig
mit einem Widerhaken aus dem gleichen Material oder aus Knochen versehen. Die
Befestigung erfolgt durch feine Umschniirung, verstrichen mit Wachs.
Bei den Moré und Itoreauhip gibt es niimlich beide indianischen Spinnmethoden
nebeneinander, je nachdem feine, widerstandsfihige Fáden fúr Zwecke des Heftens
und Bindens, oder aber dickere fiir das Knúpfen der Hingematten hergestellt werden
sollen. Fiir die erste Art werden die Spindeln mit der runden Frucht verwandt. An
den Widerhaken ist der bereits fertige Faden durch eine Umschlingung festgemacht.
Mit der rechten Hand wird dann, soweit sie reicht, der neue Teil aus der vorher an
einem kleinen Bogen aufgelockerten Baumwolle herausgewickelt und darauf mit
einem gehórigen Schwung die Spindel zum Drehen gebracht. Frei hingend kann sie
auslaufen [Abb. 14 nach S. 64: ,Spinnende Moréfrau“]. Dann wird das Stiick Faden
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aufgerollt, und die Arbeit beginnt von vorne. Das auf diese Weise hergestellte Garn
wird, in Knáuel aufgewickelt, zam gróften Teil den Mánnern úberlassen, die es fúr
ihre Pfeile gebrauchen und das Nihen der Rindenstofthemden fiir sich und ihre
Frauen besorgen.
Fúr die andere Methode werden die Spindeln mit den Holzscheiben benutzt. An
ihnen ist gewóhnlich kein Widerhaken vorhanden. Der Faden, der gesponnen wer-
den soll, liuft um die zweite und dritte Zehe des rechten Fufes und wird mit der
rechten Hand aus den Baumwollflocken gebildet. Mit der linken dreht die Her-
stellerin die Spindel auf dem linken Oberschenkel solange, bis die Schnur die not-
wendige Festigkeit erreicht hat. Die gefiillten Spindeln bleiben noch Wochen im
Arbeitskérbchen, denn das gewonnene Garn muf noch ein oder sogar mehrere Male
nachgesponnen werden.
Die langen, dicken Faden werden dann um zwei unter dem Hiittendach in gehéri-
ger Entfernung voneinander eingerammte Pfihle gewunden. Sie bilden die Kette,
die an den Schuf geknotet und dadurch fest miteinander verbunden werden. Die
Enden werden um einen Stab oder einen Knochen zusammengefakt. So haben sie
Halt, wenn die Indianer sie in an den Stiitzpfihlen in der Hútte befestigte Schlingen
hiingen [Abb. 15 oben nach S. 64: ,Kniipfen einer Hingematte“].
Auf einem Apparat, der als der primitivste Weberahmen gelten kann, den es tiber-
haupt gibt, verfertigen die Moré und Itoreauhip-Frauen die Schniire, die sie sich und
ihren Angehórigen um Arm- und Beinmuskeln binden. An irgendeine Zweigga-
bel werden zwei Querhólzer gebunden. Sie haben voneinander einen Abstand, der
der Liinge des herzustellenden Bandes entspricht. Um sie wird einer der diinneren
Faden vier- bis achtmal gewunden. Mit Hilfe eines kurzen Stiickchens einer bieg-
samen Rute, mitunter mit einem widerstandsfihigen Grashalm, werden sie dann
durch einen Einschlagfaden miteinander verflochten und dann gleich an Arm oder
Bein festgeknotet.
Das Flechten der etwa ein halbes Meter langen Sitz und Schutzmatten, der vier-
eckigen Feuerficher, der viereckigen Kórbe und der Tragkórbe ist im allgemeinen
ebenfalls Frauenarbeit. Als Material werden die Fiedern verschiedener Palmblátter
verwendet. Die Manner verfertigen nur leichte Taschen, die nur einmal dazu dienen,
Friichte des Feldes oder Beute der Jagd und des Fischfanges heimzutragen.
Das Náhen aber ist Mánnerarbeit. Die Moré und Itoreauhip bauen sich gern, um unge-
stórt zu sein, ein besonderes, kleines Hiiuschen, in dem sie arbeitend und plaudernd
beieinanderhocken. Die Frauen kommen nur selten hinein. Aber grófere Buben
miissen schon wacker helfen und wenigstens ihre Kleidungsstiicke selber schneidern.
Zunichst gehen sie mit in den Wald und suchen sich passende Báume, die entwe-
der weifen, briunlichen oder schwirzlichen Stoff liefern. An ihnen wird dann die
Borke entfernt, so dafS der darunter liegende Bast zu Tage tritt. Dieser wird durch
stiindiges Klopfen mit der mit Kerben versehenen Kante eines flachen Holzkniip-
pels von seiner Unterlage gelést und dann in der gewiinschten Gréfe abgeschnitten.
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Dann wird er auf einem geglátteten Stammstúck mit dem gleichen Klopfer weich-
geschlagen [Abb. 15 unten nach S. 64: ,,Katoma klopft Rindenbast weich*]. Nachdem
der Baststreifen gehórig gewaschen, mehrere Male ausgewrungen und getrocknet
ist, kann die Schneiderei beginnen. Jede Hálfte des Hemdes wird besonders vorge-
nommen [Abb. 16 rechts nach S. 64: ,Katzé náht ein Rindenhemd“]. In manchen
Fillen werden einfach auf die zurecht geschnittene schwárzliche Unterlage weife
Streifen aufgeheftet; ebenso hiufig aber an breitere Seitenflichen verschiedenfarbige
Streifen aneinandergenáht. Als Werkzeug bedient man sich einer diinnen Nadel
aus Astrocaryumholz oder einem Knochensplitter. Fiir die Weiber fertigt man bis-
weilen auch einfarbige Hemden an; doch sorgen im allgemeinen die Manner dafiir,
ihre Frauen so hiibsch als nur méglich zu machen. Gewohnlich sind die einfacher
gekleideten bereits Witwen.
Die Abfille des Rindenbastes werden dazu benutzt, allerlei Girtel und Binder her-
zustellen. Das Abzeichen eines verheirateten Mannes bei festlichen Gelegenheiten
ist bei Kalinté und Mora ein etwa handbreiter Giirtel aus hellem Rindenstoff, der
mit zwei rótlichen und einem schwarzen Streifen besetzt ist. Er dient auch dazu,
das Hemd enger an den Leib zu bringen, die ,, Taille“ zu betonen. Andere Gruppen
bemalen die Giirtel mit geometrischen Figuren: Punkte, Kreise, Striche, Kreuze,
Vierecke und Zusammensetzungen von ihnen sind sehr beliebt. Nur selten wagen
einige Kiinstler schwierigere Zeichnungen. Es sind die Leute, die auch ihre Bam-
buspfeilspitzen mit Motiven versehen. Vielfach ist es eine Aufeinanderfolge von
schlangenartigen Haken, die abwechselnd nach rechts und links sich ófínen. Nur in
vereinzelten Fillen ist eine Art Kopf gezeichnet. Es dauert lange, bis ich den Namen
erfahre. Gewohnlich wird es mir als ,maramsche“, das heift Kritzelei, Schwarzma-
lerei erklárt; endlich aber als karakau = Schlange. Und das erweist sich als richtig.
Da die Moré vor jeder noch so kleinen Giftschlange eine auferordentliche Scheu
haben, soll ihre Zeichnung den Kriegspfeilen wohl magische Kraft verleihen, damit
sie hart genug den Feind treffen.
Auch die andern Ornamente besitzen Namen. Runde Kreise stellen die Schildkróte
dar; Kreuze und mit den Riicken zueinander stehende Klammern )( sind Spuren
von Tieren. Bei vielen Zeichen stellen sich verschiedene Leute, sofern sie nicht aus
der gleichen Horde stammen, auch voneinander abweichende Sachen vor. Sie sind
also sehr individuell.
Merkwiirdig verhalten sich die Moré und Itoreauhip Abbildungen in einem Buche
und Photographien gegeniiber. Darauf, daf sie sie von der Seite oder umgekehrt
betrachten wiirden, bin ich gefaft, weil das ja viele Forscher erlebt haben. Aber die
Indianer sind augenscheinlich nicht imstande, sich selber oder einen Gefáhrten auf
Lichtbildern zu erkennen. Zunichst betrachten sie auch sie als ,maramsche*. Spáter
erkliren sie sie einfach fúr ,Puppen”.
Die Moré und Itoreauhip tragen die Muster nicht immer aus freier Hand auf. Sie stel-
len einfache Geráte her, derer sie sich bedienen. Punkte werden durch Aufdriicken
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mit der Spitze eines Hôlzchens erzeugt; schmilere Kreise druckt man mit einem
Stiick Rohr; um die als Spuren gedeuteten Zeichen herstellen zu kônnen, schneiden
es die Indianer der Linge nach durch und befestigen die Hiilften mit den Riicken
aneinander. Auch die Frucht-Spindel des Maises wird als Malpinsel benutzt.
Bemalt werden sehr hiufig auch schmale Bander. Sie dienen als Handgelenkschutz,
damit die zuriickschnellende Bogensehne nicht die Haut verletzte. Die Itoreauhip
sichern mit ihnen den Haarknoten, der diesen Stamm von den Moré unterschei-
det. Als Brustband finden Sie Verwendung und als Verband, um die Wundrinder
zwecks schnellen Verheilens aneinanderzupressen, wenn einer sich eine Schnitt-
wunde zugefúgt hat.
Diese Bánder sind, ebenso wie breite, háufig mit Bemalung und Federschmuck ver-
sehene Stirnreife, aus Baumbast gefertigt.
Ungemein haufig treffe ich die Moré- und Itoreauhip-Minner beim Hausbau. Krankheit
und Tod eines der Einwohner veranlassen die Indianer, ihren Wohnort zu wechseln.
Vier bis etwa 12 Meter hohe Pfosten werden tief in die Erde gerammt und durch mit
Baststricken befestigte Querbalken miteinander verbunden. An sie lehnen die India-
ner dann lange Stangen, die, im Abstand von etwa zwei Meter, schrág vom Boden
aufsteigen und in Mannshóhe durch eine weitere Stiitzreihe gehalten werden. Diese
Stangen werden von unten nach oben mit jungen Blittern der Motacu-Palme bedeckt,
deren Fiedern erst geéffnet werden miissen. Dachziegelartig liegen sie iibereinander.
Wenn der Bau des Hauses so weit fortgeschritten ist, daf es notdiirftig gegen Regen
Schutz bietet, lassen sich die Indianer mit der Weiterarbeit Zeit. Auf den Giingen
in die Umgegend wird immer ein kleines Búndel Palmstroh mitgebracht. Wihrend
gelegentlicher Mufestunden wird es dann verarbeitet [Abb. 11 nach S. 48: ,Zurecht-
machen der Palmblitter fiir das Dachdecken'“]. So dauert es eine ganze Weile, bevor
das hohe Schrigdach fertig ist. Dann stellt man zum Schutz vor zu starker Sonnen-
bestrahlung lange Wedel der Astrocaryum-Palme auf der andern Seite gegen den Bau.
Und erst ganz allmáhlich wird auch dort ein Dach errichtet, so dab allmáhlich sich
der Windschirm in ein Giebelhaus verwandelt. Nur in zwei Fiillen habe ich gesehen,
daft die Stirnseiten ausgebaut worden sind. Es hat sich da um sehr alte Wohnungen
gehandelt, deren Insassen sicherlich mehrere Jahre an dem gleichen Ort gehaust haben.
Die Frauen helfen beim Hausbau nur durch gelegentliche kleine Handreichungen.
Von den Minnern werden auch alle Holzarbeiten ausgefiúhrt. Aufer den Einbãu-
men sind das in erster Linie die Tróge, in denen Mais zermahlen wird. Wird ein
geeigneter Stein nicht gefunden, weiff der Hausvater einen gefálligen Stampfer aus
Holz herzustellen.
Aus Holz sind auch die Sitze mit den langen Fliigeln verfertigt. Sie dienen allerdings
nur bei zeremoniellen Gelegenheiten. Fúr gewóhnlich genúgt ein Baumstamm, wenn
nicht die Hângematte vorgezogen wird.
Die Moré und Itoreauhip haben sich bereits an Stahl- und Eisenwerkzeuge gewôhnt.
Solange sie mit den Zivilisierten im Kriege lagen, gewannen sie sie durch Raub. Aber
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auch heute noch sind mit Rohrstiel versehene Messer und Hobel aus den Záhnen von
Nagetieren, besonders dem Aguti, aus den Kiefern des Piranha-Fisches und aus Vogel-
brustbeinen im Gebrauch. Noch heute werden spitze Knochen als Meifel oder Pfriem
verwendet und verschiedene Kiesel und Muschelschalen zum Glátten und Polieren.

Auszug aus: Atiko y, 8. 67-69:

Krankheit und Tod


Atiko y, S. 6769: ,Ich habe leider trotz meines halbjáhrigen Aufenthaltes unter den
Moré und Itoreauhip bei keiner Festlichkeit, bei keinem Kranken einen Medizin-
mann, einen Zauberer, gesehen. Aber ich habe auch nur einen sehr kleinen Teil die-
ses vielleicht drei- bis fiinftausend Seelen umfassenden Volkes kennengelernt. Die
Friedensverhandlungen haben einen groffen Teil der mir zur Verfiigung stehenden
Zeit erfordert. So ist es durchaus méglich, daf eine Priesterkaste im Innern sitzt.
Der Farmer [sc. Komarek] hat námlich, als er einen Weg erkunden wollte, auf dem
er sein Vich auf die jetzigen Weideplitze treiben kónnte, eine Waldinsel gesehen, in
die viele Wege hineinfiihrten. Er hilt sie fiir eine Art Mittelpunkt des von den Moré
und Ioreauhip bewohnten Gebietes und glaubt, daf ein Oberháuptling darin wohne.
Ich vermute, daf§ dort Zauberer leben. Denn aus verschiedenen Auferungen meiner
roten Freunde entnehme ich, da es solche auch bei ihnen gibt. Oftmals werde ich
von besorgten Viitern zu ihren kranken Kindern geholt. Es sind immer Mitglieder
der Randhorden, denen ich augenscheinlich der náchste bin. Gefordert wird, da
ich die Leidenden anrauche und sie mit meiner Contax aufnehme. Der Fotoapparat
ist ein Zauberkasten, obgleich ich mir alle Múhe gegeben habe, die Indianer von
seiner Unschidlichkeit zu úberzeugen.
Eines Tages holt mich Tonrue, ein augenscheinlich noch sehr junger Gefolgsmann
des Kalintó, zu seinem Erstgeborenen. Alle nahen Verwandten sind um das kranke
Kind versammelt und geben augenscheinlich gute Ratschlige. Die Grof mutter hat
eine Suppe aus heilkriftigen Kráutern gekocht und reibt damit den ganzen Kórper
des Jungen, besonders aber seine Stirn und seine Brust ein. Sie und eine Tante des
Kleinen bepusten ihn auch und tun so, als ob sie etwas mit den Hánden fortscheu-
chen. Die Bewegungen sollen wohl magischen Einfluf auf die Krankheit gewinnen.
Ich soll photographieren und rauchen. Vergeblich versuche ich Tonrue davon zu
tiberzeugen, daft das nutzlos ist. Mit Triinen in den Augen bettelt er immer wieder
von neuem, daf ich meine Zaubermittel anwenden mége. Da fiihle ich denn wenig-
stens den Puls und gebe beruhigende Erklirungen ab. Zum Gliick ist am nichsten
Tage die Gefahr voriiber. Obgleich zweifellos der Medizin der Alten die Besserung
zuzuschreiben ist, werde ich als der Retter betrachtet. Der sorgende Vater aber ift
keinerlei Fleisch und auch keinen Fisch, bis da sein Sôhnchen vôllig genesen.
Ein bifichen zaubern kann allerdings fast jeder dieser Indianer. So gehe ich einmal
mit Kalintó úber die schmale Pampa. Da ballen sich am Himmel schwere Wolken
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zusammen. Ich driicke meine Sorge davor aus, daf ich naf$ werden kénnte. Da macht
Kalintó heftig mit dem Munde: , ft, [ff und schlenkert mit der Hand von sich fort.
Auch fordert er mich auf, zu rauchen und Dampf gegen die Wolken zu blasen. Und
siehe, der Himmel klart sich auf.
Ein anderes Mal klappt die Geschichte nicht. Da erklirt er mir, da eben ein anderer
Mann, der michtiger sei als wir, das kostbare Naf fiir seine Felder brauche.
Das bifchen Zauberei verhiitet aber nicht das Sterben vieler Moré und Itoreauhip.
Ich bin niemals Zeuge von dem Tode eines dieser Indianer gewesen. Aber ich habe
zahllose Graber gesehen.
Nach dem Tode wird der Leichnam in der Hiitte begraben. Ein Familienvater,
Tschitschikat, ist sogar eine Tagereise weit in seiner Hiangematte dorthin getragen
worden. Andere sind draufen verscharrt worden, wo sie gestorben sind. Dort wird
dann in der Regel ein Windschutz iiber dem Grabe errichtet. Hat der Verstorbene
eine angesehene Stellung gehabt, wird eine Umzáunung aus Reisig oder Palmstroh
gemacht und Schmuck oder andere Habe des Toten auf das Grab gelegt. Spáter
scheinen die Gebeine wieder ausgegraben zu werden. Denn ich habe eine geéftnete
Grube gesehen und an den Dachsparren verlassener Hauser zahllose Deckelkérbe
mit angebrannten Menschenknochen [Abb. 18 nach $. 80: ,Grab mit Totenmal und
Knochenkórbe der Moré*]. Ganz in der Náhe wohnen mitunter die úbrig geblie-
benen Familienmitglieder. Sie zeigen keine Furcht vor diesen Státten, ófíneten mir
die Kórbe und erklárten mir, wessen Gebeine sie enthielten. Zu meinem grofen
Leidwesen habe ich bei meinem zweiten Aufenthalt im Oktober und November
1934 feststellen miissen, das von manchen meiner braunen Freunde, von dem lan-
gen Katoma, dem freundlichen Kalinté, dem alten Purito und vielen, vielen andern
nichts als diese Knochen geblieben waren.

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