8. April 2022 · Nr.

7 T E C H N I K W I RT S C H A F T G E S E L L S C H A F T Einzelpreis 4,40 Euro

Photovoltaik, Windräder, Biogasanlagen – alles erhältlich auch für Privatleute, die selbst Energie erzeugen wollen. Fotos: panthermedia.net/Daniel Schoenen (li.); Paul Langrock/Laif (Mitte); HomeBiogas (re.)

Energie? – Kann ich selbst!

Fokus Energiewende zu Hause : Möglichst schnell raus aus fossiler Energie – nach
diesem Motto suchen viele derzeit eine Alternative für die eigenen vier Wände.
Von Stephan W. Eder gen Russland aufruft: „Ab sofort ist jeder heizkraftwerke für zu Hause, Solar- und Möglichkeiten und auch Förderungen
Gasverbraucher – von der Wirtschaft bis Geothermie. Nur so einfach wie mit dem von Bund und Ländern.

R
aus aus den fossilen Energien?
Beim Auto – da gab es lange
Zeit keine gut verfügbare Alter-
native – ist das inzwischen
wirklich einfach: Elektroauto kaufen,
Grünstromtarif ordern, fertig. Das war
nicht immer so. Was aber tun, wenn
Bundeswirtschaftsminister Robert Ha-
beck uns anlässlich der Sanktionen ge-
zu Privathaushalten – auch gehalten,
seinen Verbrauch so gut wie möglich zu
reduzieren.“ So geschehen letzte Woche,
als der Kreml forderte, Gas sei nur noch
in Rubel zu bezahlen.
Die gute Nachricht: Da geht was. Es
gibt zahlreiche Alternativen im Heizsek-
tor. Pellet- und Holzheizungen, Block-
Elektroauto ist das nicht. Immer den
Einzelfall betrachten. Das gilt auch für
die favorisierte Elektrifizierung über
Wärmepumpen, es sei denn, sie werden
im Neubau eingesetzt oder im Rahmen
von Sanierungen.
Ebenso vielfältig und oft einfacher ist
es, Strom zu Hause zu erzeugen und zu
verbrauchen. Da gibt es eine Menge
Mit dem eigenen Grünstrom lassen
sich auch Wärmepumpen betreiben –
und so Gas ersetzen. Was noch nicht
geht: Elektroautos mit ihren Batterien
als Strompufferspeicher einzusetzen.
Die Autobranche macht jedoch auch
hierzulande bald bidirektionales
Laden möglich. 20
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Run auf die Flexible Strukturen

Direktreduktion
Stahlindustrie: Die großen
Stahlhersteller in Deutschland
wollen ihre Hochöfen abschalten
und bis 2045 eine CO2-ärmere
Produktion aufbauen. Das dafür
nötige Kernaggregat ist die
Direktreduktionsanlage, in der
auf Erdgas- oder Wasserstoffbasis
aus Eisenerz Eisen hergestellt
wird. Zwei maßgebliche Anlagen-
typen konkurrieren hier.
Wir haben sie verglichen.
Eine Anlage zur Direktreduk-
tion betreibt die Tosyali-Grup-
pe im algerischen Oran. Ihre
8 Jahreskapazität beträgt
2,5 Mio. t Rohstahl. Foto: Midrex
bevorzugt
Karriere Spezial: Die digitale Trans-
formation verändert auch die Branche
der Ingenieurdienstleister. Entsprechend
ändern sich die Anforderungen an Be-
werber. Gesucht werden IT- und Elektro-
nikkenntnisse. Solche Spezialisten mie-
den aber starre Strukturen, wie sie in der
Industrie üblich seien, argumentiert Fer-
chau-Geschäftsführer Alexander Schulz.
Sie setzten vielmehr auf flexible Arbeits-
bedingungen bei Dienstleistern
und in Start-ups. 28
2 DIESE WOCHE 8. April 2022 · Nr. 7

„ INHALT
Gut zu Fuß bis ganz
nach oben

Foto: Rainer Kurlemann

Porträt der Woche: Der Elektroingenieur Jochen Hanebeck ist seit
Monatsanfang neuer CEO von Infineon Technologies.

Photovoltaik wird mobil 6 Von Werner Schulz (seit 2018 bei Infineon) zu seinem Nachfolger als

E
Das Unternehmen Lightyear hat das erste COO bei Infineon zu machen. Das spricht für Ge-
serienmäßige Fahrzeug vorgestellt, das allein mit s ist nur so viel aus seinem sorgsam ab- schick, denn Wijburg war zuvor maßgeblich an
Sonnenenergie betrieben werden kann. geschirmten Privatbereich bekannt: In der Realisierung des „One Virtual Fab“-Konzepts
seiner karg bemessenen Freizeit erholt zum digitalen Gleichlauf der 300-mm-Waferferti-
sich Jochen Hanebeck, der neue Vor- gungen in Dresden und Villach beteiligt.
Digitalisierung aus Platzmangel 11 standsvorsitzende der Infineon Tech-
nologies AG, auf ausgedehnten Bergwanderun- Sein ruhiges, zurückhaltendes, auch sprachlich
Das Finnische Nationalarchiv digitalisiert das gen in den nahen Hausbergen südlich von Mün- gewandtes Auftreten mit akzentfreiem Englisch
gesamte Schriftgut staatlicher Behörden. Das chen. Der Unternehmenssitz liegt in Neubiberg lässt Hanebeck wie eine aktuelle Idealbesetzung
Bundesarchiv in Koblenz geht anders vor. nahe der bayerischen Landeshauptstadt. Anders in schwieriger, krisenhafter Zeit erscheinen. Wie-
als einer seiner flamboyanten Vorgänger ist Hane- der ein fachlich kompetenter Technologe als Fir-
beck kein Rennfahrer, sondern Besitzer eines menlenker. In den rasant expandierenden, egali-
Veränderungen beherrschen 18 Plug-in-Hybrids. Er ist auch kein „Steilwandkrax- tär gesinnten Pionierzeiten des Silicon Valley war
Das neue V-Modell schafft Strukturen für inter- ler“. Nein, Hanebeck erfreut sich am stetigen Auf- das gang und gäbe. Ein Leitbild für den dringend
disziplinäre Entwicklungsprozesse. Cyber-physi- stieg, Schritt für Schritt, auf klar überschaubarem umworbenen Ingenieurnachwuchs.
sche Produkte und Geschäftsmodelle werden in Weg. Wohl deswegen zeigte Dafür spricht auch der glatte, kollegiale Über-
der neuen VDI-Richtlinie nun berücksichtigt. sich der drahtige, hochge- gang der Amtsgeschäfte vom Vorgänger Reinhard
wachsene Westfale kürzlich Ploss auf Hanebeck. Die Kontinuität bei den Fir-
in einem Artikel im „Mana- menzielen und im Führungsstil ist deutlich er-
ger Magazin“ (MM) gut zu kennbar. Infineons Chipgeschäft läuft nach der
FOKUS: Fuß als Treppensteiger. Finanzkrise 2008, mit beinahe katastrophalem
Energiewende zu Hause 20 Der 1968 in Dortmund ge- Absturz des Börsenkurses in die Niederungen der
borene Hanebeck hat bei In- Penny Stocks, wieder weltweit auf Hochtouren.
fineon eine geradlinige Bil- Doch die Lieferketten sind zum Bersten ge-
derbuchkarriere hingelegt, spannt. Und zu den Problemen anhaltender
wie es sie heute immer sel- Knappheit bei den Vorprodukten könnten sich
tener gibt. 1994 kam er als demnächst bedrohliche Engpässe in der Energie-
frisch gebackener Diplom- versorgung durch den Ukrainekrieg gesellen.
ingenieur von der RWTH Ein aufschlussreiches Indiz in seinen recht
Foto: GreenAkku

Aachen zur Siemens AG. Be- sparsamen Ausblicken auf seine Zeit als CEO lie-
Jochen Hanebeck leitet seit dem reits 1997 wurde er Leiter ferte Hanebeck in Berlin bei der Vergabe des
1. April als CEO Europas größte Halb- der Dram-Speicher- „2017 Industry Excellence Award“ (für europäi-
leiterschmiede, die Infineon Techno- Entwicklung am Siemens sche Managementqualität) an das Infineon-Ferti-
Angesichts hoher Energiekosten suchen logies AG. Foto: Werner Bartsch/Infineon Technologies AG Microelectronics Center in gungsteam. Dabei kam er auf das Zusammenwir-
immer mehr Haushalte nach Alternativen. Dresden. Nach knapp 30 ken von Cobots (Collaborative Robots) und ihren
Solarmodule, Stromspeicher, Mini- Jahren ist er nun CEO der In- menschlichen Arbeitskollegen in der Fertigungs-
Windräder & Co. sind Optionen, doch längst fineon Technologies AG, wie die Siemens-Halb- umgebung zu sprechen. „Die vierte industrielle
nicht alle rentieren sich. leitersparte seit ihrem Börsengang im Jahr 2000 Revolution“, sagte er, „erkennt den Unterschied
firmiert. Nach diversen Zwischenstufen und re- zwischen Cobots und Menschen an. Menschen
gelmäßiger Beförderung war Hanebeck 2016 als sind kreativ und adaptieren sich gut an neue Si-
COO (Chief Operating Officer) in den Vorstand tuationen. Cobots arbeiten sehr schnell und effi-
„Kampf um die Früchte des aufgerückt. zient bei repetitiven Aufgaben. Es wird also da-
Wohlstands“ 26 rum gehen, das Beste beider Welten in kollabora-
Die erste fachliche Aufgabe im Konzern führte tiver Art und Weise zu vereinen.“
Die adäquate Antwort auf die Freiheiten, die eine Hanebeck zu Karrierebeginn gleich auf eine pri-
digitale Welt bieten kann, wäre der Wandel von vilegierte Position: in die legendäre IBM Fab 10
einer Arbeits- in eine „Sinngesellschaft“, meint in East Fishkill im US-Bundesstaat New York.
der Philosoph Richard David Precht. Dort, im malerischen Hudson River Valley, wurde Jochen Hanebeck
seit 1992 in einer strategisch-pragmatisch ange- „ CEO Infineon seit 1. April 2022,
legten Kollaboration zwischen IBM, Toshiba und
Die Technik komplementär sehen 32 Siemens die Entwicklung der 256-Mbit-Speicher-
davor COO Infineon seit 2016

chips mit Strukturdimensionen um 0,25 μm vo- „ Bereichsvorstand Automotive seit 2008,

Der Tech-Vordenker und ehemalige Topmanager zuvor im selben Bereich Leiter des Ge-
Rahman Jamal will die Ingenieurwissenschaften rangetrieben. Die imposante Fab mit ihrem auto-
matisierten Fertigungsfluss auf 300-mm-Wafern schäftsfelds Mikrocontroller
mit vermeintlichen „Laberfächern“ wie den
Geisteswissenschaften versöhnen. galt als Zukunftsvision der Chipherstellung. Der „ Einstieg bei Siemens 1994 in der Dram-
richtige berufliche Einstieg also, um sich zum Entwicklung, seitdem durchgehend bei
„Produktionsprofi“ (MM) entwickeln. Siemens, ab 2000 Infineon
Aus dem VDI 39 Sprung in die Gegenwart: Hanebecks erster ge-
schickter Schachzug als neuer Chef war, den er- „ Dipl.-Ing. Elektrotechnik, RWTH Aachen.
Forscher an der Dualen Hochschule Baden- fahrenen Technologiemanager Rutger Wijburg
Württemberg (DHBW) arbeiten daran, Wasser-
stoff, der als Nebenprodukt in der Halbleiter-
produktion anfällt, zu recyceln.

Aktueller Podcast:
Foto: pd-f.de / EUROBIKE / Messe Friedrichshafen

Technik Boulevard 40
Die Zeit für Radtouren beginnt
wieder – in der Gruppe oder auch
Rasant Beschichten mittels
alleine. Damit aus dem Spaß kein
Frust wird, gibt es viele hilfreiche
Hochleistungslaser
Neuheiten beim Zubehör und „ www.ingenieur.de/podcast
spezielle Lösungen für Kinder.

Abwarten
hilft nicht
mehr
Klimaforschung: Beim jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC stehen Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels im
Mittelpunkt. Die Botschaft ist durchaus optimistisch – wenn nur endlich entsprechend konsequent umgesteuert wird.
D
Von Hans-Christoph Neidlein
er dritte Teil des sechs-
ten Sachstandsberichts
des IPCC beschreibt,
was die Menschheit tun
muss, um den Klima-
wandel bei einer Erwärmung von
1,5 °C zu stoppen. Nötig hierfür ist
ein breites Bündel von Maßnah-
men: Ausstieg aus fossilen Energien
und Ausbau der erneuerbarer Ener-
gieträger, grünere Städte, Erhalt der
Wälder, nachhaltige Landwirtschaft,
gesündere Ernährung, eine andere
Mobilität oder Abscheidung und
Speicherung von CO2 und flankie-
rende politische Maßnahmen.
„Der heute vorliegende IPCC-Be-
richt zeigt eindrucksvoll, dass wir
das Potenzial haben, den Klima-
wandel zu mindern“, erklärte am
Abend des 4. April 2022 Hoesung
Lee, der seit 2015 Vorsitzender des
Weltklimarats ist. „Wir befinden uns
an einem Scheideweg. Jetzt ist die
Zeit zum Handeln gekommen. Wir
haben die Instrumente und das
Know-how, um die Erwärmung zu
begrenzen und eine lebenswerte
Zukunft zu sichern“, unterstrich der
südkoreanische Ökonom.
Stark gesunkene Kosten für erneu-
erbare Energien machen Mut: Der
Bericht weist darauf hin, dass die
jährlichen globalen Treibhausgas-
emissionen von 2010 bis 2019 zwar
das höchste Niveau in der menschli-
chen Geschichte erreichten, aber
der Ausstoß langsamer gewachsen
ist als im Jahrzehnt zuvor. Dennoch
braucht es sofortige und umfassen-
de Maßnahmen zur Emissionsredu-
zierung, um die globale Erwärmung
auf 1,5 °C zu begrenzen.
Gleichzeitig zeigen sich die Wis-
senschaftlerinnen und Wissen-
schaftler optimistisch und verwei-
sen unter anderem auf die um bis zu
85 % gesunkenen Kosten der Photo-
voltaik, Windkraft und Batterien seit
2010. Eine wachsende Zahl von po-
litischen Maßnahmen, Gesetzen
und Marktinstrumenten habe die
Energieeffizienz verbessert, die Ab-
holzungsrate verringert und den
Einsatz erneuerbarer Energien be-
schleunigt. Wenn diese nun in grö-
ßerem Umfang und auf breiterer
und gerechterer Basis angewendet
würden, könnten sie zu tiefgreifen-
den Emissionssenkungen beitragen
und Innovationen stimulieren.
Veränderung des Lebensstils drin-
gend nötig: Neben der Transforma-
tion des Energiesektors als wichtigs-
ter Maßnahme zur Minderung der
Klimaerwärmung misst der Bericht
einem veränderten Lebensstil und
Verhaltensänderungen große Be-
deutung bei, sei es weniger zu flie-
gen sowie zu radeln und zu Fuß zu
gehen, statt das Auto für Kurzstre-
cken zu nutzen, weniger Fleisch zu
essen oder sparsamer zu heizen. So
könnten die Treibhausgasemissio-
nen bis 2050 um 40 % bis 70 % redu-
ziert werden. Gleichzeitig fördere
dies die Gesundheit und das Wohl-
befinden der Menschen. Doch be-
dürfe es hierfür der richtigen Rah-
menbedingungen durch die Politik.
Grünere Städte, Wiederverwer-
tung und CO2-Abscheidung: Hinzu
kommen grünere Städte mit kürze-
ren Wegen, klimaneutraleren Ge-
bäuden, Elektrofahrzeugen und ei-
ner emissionsarmen Energieversor-
gung sowie wiederverwendbare und
recycelte Produkte und Materialien
und die Minimierung von Abfällen.
Beim Klimaschutz in der Indus-
trie plädiert der Weltklimarat neben
der Entwicklung CO2-freier Produk-
tionsprozesse – so durch den Ein-
satz von Wasserstoff – für die
CO2-Abscheidung und -Speiche-
8. April 2022 · Nr. 7
rung, zumindest dort, wo es nicht
anders geht. CCS, Carbon Capture &
Storage, heißt das im Fachenglisch.
Eine klimaschonendere Landwirt-
schaft, Waldbewirtschaftung und
sonstige Landnutzung böten weite-
res Potenzial zur Treibhausgasredu-
zierung sowie zur CO2-Speicherung.
Die Zeit bis 2030 ist entscheidend
für die weitere Entwicklung, beto-
nen die IPCC-Expertinnen und -Ex-
perten. Denn um das 1,5-Grad-Ziel
zu erreichen, dürften die globalen
CO2-Emissionen maximal noch bis
zum Jahr 2025 ansteigen und müss-
IPCC (Intergovernmental Panel on Climate
Change)
„ Das IPCC wird auch Weltklimarat genannt. Es ist ein
zwischenstaatliches Gremium von 195 Staaten.
„ Das IPCC forscht selbst nicht, es trägt vielmehr den
Stand der weltweiten Forschung zum Klimawandel zu-
sammen.
„ Einen Sachstandsbericht (Assessment Report: AR) zum
Wissen um den Klimawandel erstellt das IPCC alle paar
Jahre. Bisher sind fünf AR erschienen, der AR5
2013/2014.
„ Der AR6 wird zurzeit in drei Arbeitsgruppen (Working
Groups: WGs) ausgearbeitet, die jeweils einen Teilbe-
richt erstellen. Der abschließende Synthesebericht
zum AR6 wird in Kopenhagen vorgestellt.
„ WG I zu wissenschaftlichen Grundlagen veröffentlichte
den Teilbericht am 9. August 2021.
„ Der Bericht von WG II zu Folgen, Anpassung und Ver-
wundbarkeit erschien am 28. Februar 2022.
„ WG III zum Klimaschutz erschien am Montag dieser
Woche, am 4. April 2022.
„ Den abschließenden Synthesebericht berät und verab-
schiedet das IPCC schließlich vom 26. bis 30. Septem-
ber 2022 in Genf.
„ www.ipcc.ch
DIESE WOCHE 3
So einfach wird es
nicht werden, unser
Leben klimafreundlich
umzustellen. Nötig ist
es, sagt der neue Bericht
des Weltklimarats IPCC.
Foto [M]: PantherMedia/nirutdps/VDIn
ten dann bis 2030 um 43 % reduziert
werden. Auch ein Drittel der Me-
thanemissionen müsste bis dahin
vermieden werden. „Jetzt oder nie“
müsse das Motto heißen, wenn die
Menschheit die globale Erwärmung
auf 1,5 °C begrenzen wolle, betonte
der Londoner Professor für nach-
haltige Energie, Jim Skea, Co-Vorsit-
zender der IPCC-Arbeitsgruppe III.
Finanzströme umlenken: Um um-
zusteuern, brauche es auch eine
weitere Umlenkung von Finanzströ-
men Richtung klimaneutrales Wirt-
schaften, unterstreicht der Bericht.
Die Autoren geben sich optimis-
tisch, dass genügend Kapital und Li-
quidität vorhanden sind, um Inves-
titionslücken zu schließen. Voraus-
setzung hierfür sei jedoch, dass die
Regierungen und die internationale
Gemeinschaft klare Signale aussen-
den und die Finanzierung des öf-
fentlichen Sektors und die Politik
stärker aufeinander abstimmen.
CO2-Bepreisung als wichtiger He-
bel: „Die bisher ergriffenen Maß-
nahmen sind zu schwach. Wir brau-
chen eine neue Politik – und ange-
sichts der russischen Aggression ei-
ne, die Energiesicherheit und Kli-
masicherheit verbindet“, kommen-
tierte Ottmar Edenhofer, Direktor
des Berliner Mercator Research In-
stitute on Global Commons and Cli-
mate Change, den Bericht. Hierfür
brauche es einen starken CO2-Preis.
Europa, China und die USA sollten
sich auf einen Mindestpreis ver-
ständigen. Der Bericht rechne vor,
so der Ökonom, dass die Hälfte der
global nötigen Emissionsreduktio-
nen mit Technologien erbracht wer-
den könne, die bereits bei einem
CO2-Preis unter 100 €/t rentabel sei-
en. „Der Einstieg ist also zum Grei-
fen nahe. Nun muss die Politik auch
zupacken“, so Edenhofer.
4 DIESE WOCHE
Genügend Bauland für 2 Mio. Wohnungen
Wohnungsbau: Reicht das Bauland, um 1,6 Mio. Wohnungen bis 2025 zu bauen? Die Ergebnisse einer 2019 gestarteten
Studie geben grünes Licht. Doch mit Rücksicht auf den Flächenverbrauch ist jetzt kluges Handeln geboten.
Von Fabian Kurmann
D
ie Vorgängerregierung
war am Ziel gescheitert,
in vier Jahren 1,5 Mio.
neue Wohnungen fertig-
zustellen. Die aktuelle
Bundesregierung nimmt sich mit
400 000 neuen Wohnungen pro Jahr
noch mehr vor, insgesamt 1,6 Mio.
bis Ende 2025. Der Schwierigkeits-
grad erhöht sich außerdem da-
durch, dass ein Viertel davon Sozial-
wohnungen sein sollen, also öffent-
lich geförderter Wohnungsbau.
Doch steht dafür überhaupt genü-
gend Bauland zur Verfügung? Diese
Frage hat bereits das Kabinett von
Angela Merkel in einer Studie unter-
suchen lassen. Nun liegen die Er-
gebnisse vor.
Das knappe Fazit der Untersu-
chung: Das Bauland reicht aus. Die
Studie beziffert die baureifen, po-
tenziell bebaubaren Flächen in den
Städten und Gemeinden auf min-
destens 99 000 ha. „So viel wie die
Größe Berlins oder 140 000 Fußball-
felder“, erklärt Bundesbauministe-
rin Klara Geywitz. Anders als Mer-
kels Kabinett hat das von Olaf
Scholz diesmal eine eigenständige
Bauministerin, die sich um die Um-
setzung kümmern kann. Davor war
das Thema 23 Jahre lang anderen
Ministerien angegliedert gewesen.
Von den verfügbaren Flächen hat
die kommunale Planung zwei Drit-
tel fürs Wohnen vorgesehen. Umge-
rechnet heißt das, es könnten auf
diesen Flächen zwischen 900 000
Forschung im
Mittelstand
bedroht
Forschungsförderung: Der
Regierungsentwurf für den Bundes-
haushalt 2022 sieht starke Kürzun-
gen für die industrielle Forschung
vor. So sinken die eingeplanten Mit-
tel für die anwendungsorientierte
Industrieforschung um gut 6 % von
905,5 Mio. € auf 855 Mio. €.
Dies sei ein desaströses Signal in
Richtung des forschungsaffinen
Mittelstands, kommentierte der
Präsident der Zuse-Gemeinschaft,
Martin Bastian. „Nach unseren Be-
rechnungen sind für eine bedarfsge-
rechte Finanzierung der anwen-
dungsorientierten Forschung insge-
samt pro Jahr gut 1,15 Mrd. € anzu-
setzen“, fordert er.
Ähnlich sieht dies Sebastian Bau-
er, Präsident der Arbeitsgemein-
schaft industrieller Forschungsver-
einigungen „Otto von Guericke“
e.V.: „Die geplanten Mittelkürzun-
gen sind angesichts der gewaltigen
Herausforderungen, beispielsweise
beim Klimaschutz, bei der Digitali-
sierung oder der Nutzung von
künstlicher Intelligenz, auch über-
haupt nicht nachvollziehbar.“ ber
8. April 2022 · Nr. 7
und 2 Mio. Wohnungen gebaut wer-
den. Die Bandbreite wurde mit mitt-
leren Annahmen an Wohnraumbe-
darf und Besiedlungsdichte gerech-
net. Wenn zudem längerfristige Flä-
chenpotenziale genutzt werden, mit
den oberen Schätzwerten beim
Wohnungspotenzial gerechnet und
eine höhere Dichte angenommen
wird, stellt die Studie sogar 4 Mio.
Wohnungen auf diesen Flächen in
Aussicht.
Doch das Land für die Wohnungen
zu bebauen, steht in Konkurrenz
zum Ziel, die Naturflächen zu erhal-
ten. Die deutsche Nachhaltigkeits-
strategie peilt an, bis zum Jahr 2030
weniger als 30 ha/Tag durch Straßen
und Siedlung zu versiegeln. Bei der
Umsetzung hapert es aber noch.
Schon jetzt werden regelmäßig die
Zielwerte überschritten.
Geywitz hat diesen Aspekt bei ih-
rer Ankündigung im Blick: „Um Ver-
siegelung und Flächenfraß zu ver-
meiden, sind die Innenentwicklung
und das kluge Nutzen von Brachflä-
chen und Baulücken wichtig.“ Kluge
Baulandkonzepte und -vergaben
forderte auch Markus Eltges, Chef
des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-
und Raumforschung (BBSR). Die
seien Voraussetzung dafür, „dass auf
den bebaubaren Flächen nicht nur
hochpreisige Wohnungen entste-
hen, sondern auch bezahlbarer
Wohnraum“. Gerade dieser Punkt
hat in der Vergangenheit allerdings
eher schlecht als recht funktioniert.
Bauen wurde immer teurer. Zwei
Sharp und NEC vereinen
ihre Displaysparten
Industrie: Seit Anfang des Mo-
nats ist das gesamte Displaysorti-
ment der Marken Sharp und NEC
unter dem gemeinsamen Dach von
Sharp NEC Display Solutions
Europe – kurz Sharp/NEC –, einem
2020 gegründeten Joint Venture. Zu
den Produkten von Sharp zählen
professionelle Displays, etwa große
Touchscreens zur interaktiven Zu-
sammenarbeit, aber auch Fernseher
fürs Wohnzimmer. Mittlerweile sind
Gemeinsames Zukunftsbild: Sharp
und NEC vereinen ihre Display-
expertise. Foto: Sharp NEC Display Solutions Europe
Foto: Imago Images/Future Image/F. Kern
der Gründe dafür sind höhere Um-
weltanforderungen und gestiegene
Bau- und Grundstückspreise.
Das Wohnungsziel zu erreichen,
wird also kosten. Eckart Würzner,
erster Stellvertreter des Präsidenten
des Deutschen Städtetages, brachte
die Anforderung für den Bund auf
den Punkt: „Wir brauchen eine kon-
sequente dauerhafte Förderung
durch Bund und Länder für den so-
zialen Wohnungsbau, geeignete Flä-
chen müssen kurzfristig mobilisiert
und das Baurecht insgesamt ent-
rümpelt werden.“ Des Weiteren
müssten Städte in die Lage versetzt
werden, Grundstücke vergünstigt
kaufen und gemeinwohlorientiert
entwickeln zu können. „Sofort nutz-
bare Bauflächen dürfen nicht aus
Spekulationszwecken liegen gelas-
sen werden“, appellierte Würzner.
erste Geräte mit 8K-Auflösung, also
16-fach HD, im Sortiment des Her-
stellers. NEC ist hingegen bekannt
für Monitore und Beamer im höher-
preisigen Segment für Grafikanwen-
dungen oder für den Einsatz im me-
dizinischen Bereich.
Außerdem bringt NEC Displaylö-
sungen für den stationären Einzel-
handel zum Portfolio des Joint Ven-
ture. „Indem wir die Stärken von
Sharp und NEC kombinieren, kön-
nen wir eine breit gefächerte Aus-
wahl an visuellen Lösungen über
mehrere Technologien hinweg an-
bieten. Vorerst wird unser neues
Unternehmen Sharp/NEC zwei Dis-
play-Line-ups anbieten, welche wir
in Zukunft weiter aufeinander ab-
stimmen“, so Bernd Eberhardt, Pre-
sident und CEO von Sharp NEC Dis-
play Solutions Europe.
Sharp/NEC wird das vereinte
Portfolio erstmals im Rahmen der
Integrated Systems Europe (ISE)
2022 in Barcelona öffentlich präsen-
tieren. Die Audio- und Videomesse
findet voraussichtlich vom 10. Mai
bis 13. Mai 2022 statt. kur
Vorschläge, was getan werden
könnte, stellte bereits 2019 eine
„Baulandkommission“ vor. Dazu
gehört beispielsweise, dass mehr im
Erbbaurecht verpachtet wird. Nach
100 Jahren fällt hier das Grundstück
zurück in den Besitz der Kommu-
nen. Enge Zusammenarbeit mit
großen Grundstückseigentümern
wie Stiftungen, Unternehmen und
Kirchen zählt ebenso dazu wie ein
weiterentwickeltes Vorkaufsrecht.
Auch die aktuelle Studie gibt
Empfehlungen: der Innenentwick-
lung Vorrang geben und baureife
Baulandreserven nutzen. „Gerade
Die Baulandstudie durch Geschosswohnungsbau las-
präsentierten Eckart sen sich hohe Wohndichten auf ver-
Würzner (Städtetag), gleichsweise geringer Grundfläche
Klara Geywitz (Bau- realisieren. Dazu eignen sich beson-
ministerium) und ders Brachflächen, die weiterhin
Markus Eltges (BBSR) rund 40 % der Innenentwicklungs-
(v. l.) gemeinsam. potenziale ausmachen“, heißt es in
dem Abschlussbericht.
Wohnungsbedürfnisse haben sich
verändert. „Gerade im Rahmen der
Corona-Pandemie ist die Bedeu-
tung von wohnortnahen Frei- und
Erholungsflächen in dichteren und
sich weiter verdichtenden Sied-
lungsräumen besonders augenfällig
geworden“, schreiben die Autoren
der aktuellen Studie. Markus Eltges
nennt zudem zwischenmenschliche
Erfolgsfaktoren für das Mammut-
projekt bis 2025: Wesentlich sei es,
die Bevölkerung frühzeitig in Pla-
nungsprozesse einzubeziehen.
„Dies schafft Vertrauen, erhöht die
Akzeptanz und steigert die Bau-
qualität“, sagt der BBSR-Leiter.
Noch mehr
VDI nachrichten
jetzt mit Vn+
Im digitalen Angebot von VDI nachrichten erhalten
Sie zusätzliche Informationen und multimediale
Beiträge zu den bewährten Artikeln der Print- und
E-Paper-Ausgabe. In dieser Woche zählen dazu:
Bewahren vor dem Burn-out: Permanenter Zeit-
druck und Selbstüberschätzung führen in die psy-
chische Krankheit. Wir geben Tipps, wie sich Inge-
nieurinnen und Ingenieure schützen: Prioritäten
vereinbaren und rechtzeitig Probleme ansprechen,
das schützt vor Überlastung.
Wenn Roboter sanieren: Wie die Zukunft der Bau-
stelle aussehen könnte, hat das EU-Forschungspro-
jekt Hephaestus gezeigt: Ein Seilroboter hilft bei
der Sanierung von Bestandsgebäuden.
Für den aktuellen Fachkräftemangel hilft das aller-
dings noch wenig, denn bis die Technik zum Alltag
wird, ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten.
Drohneneinsatz: In der Ukraine werden Drohnen
eingesetzt, von beiden Kriegsparteien. Auch die
USA haben Geräte geliefert – tragbare Sprengdroh-
nen vom Typ Switchblade. Ein Techniküberblick.
„ vdi-nachrichten.com
 8. April 2022 · Nr. 7
„ DIALOG
Lernen von der
Privatwirtschaft
Streit um Extramilliarden für Stutt-
gart 21 geht vor Gericht (Nr. 5/22)
In Ihrem Artikel wird der An-
fangswert des Projekts für 1995
mit 2,5 Mio. € angegeben. Vor-
sichtshalber schlug ich nach: Der An-
fangswert betrug rund 5 Mrd. DM, ent-
sprechend ca. 2,5 Mrd. €.
Nichtsdestotrotz ist für mich als ehe-
maliger Projektmanager die überbor-
dende Kostenentwicklung über die
Laufzeiten solcher öffentlich finanzier-
ten Langlaufprojekte unfassbar, und ich
frage mich, warum es privatwirtschaft-
lichen Unternehmen, aber auch eigen-
wirtschaftlich agierenden Hochschulen
möglich ist, ‚in time & budget‘ zu lie-
fern, steuergeldbasierte Projekte jedoch
augenscheinlich außerstande scheinen,
von diesen zu lernen.
Jürgen F. Schaldach
„Anscheinend will man die
Eier legende Wollmilchsau
in Perfektion
erst ausdiskutieren,
bevor man anfängt mit
der Umsetzung.“
Jürgen Zamow kritisiert die
zögerliche Weiterentwicklung
der Gesundheitskarte.
Kinder vor Corona
schützen
Lüftung im Eigenbau sorgt für Diskus-
sion – Wissenschaftler haben eine Al-
ternative zu professionellen Lüftungs-
anlagen entwickelt (Nr. 5/22)
Bei dem Artikel sträuben sich
mir die Nackenhaare. Unsere
Kinder mussten wochenlang
ins Homeschooling, mussten zu Hun-
derttausenden in Quarantäne, sitzen
den ganzen Tag mit Maske und Winter-
jacke im Klassenraum, da es Regierung
und Verwaltung auch nach zwei Jahren
Pandemie nicht geschafft haben, ange-
„ KONTAKT
„ Leider können wir von den Zusendungen
nur einen kleinen Teil veröffentlichen. Oft
müssen wir kürzen, damit möglichst viele
Leser zu Wort kommen.
„ Redaktion VDI nachrichten,
Postfach 101054, 40001 Düsseldorf,
leserbriefe@vdi-nachrichten.com
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facebook.com/VDInachrichten
twitter.com/vdinachrichten
linkedin.com/company/
vdi-nachrichten
DIESE WOCHE 5
messene Schutzvorkehrungen zu tref-
fen (bzw. eine Impfpflicht einzuführen).
Meine Tochter hat im Klassenraum jetzt
einen professionellen Luftfilter seit Ja-
nuar 2022. Ich bin mir sicher, dass eine
konsequente Ausrüstung von Klassen-
zimmern mit diesem Selbstbausystem
eineinhalb Jahre früher eingesetzt,
Zehntausende Kinder vor einer Coro-
nainfektion und Quarantäne bewahrt
hätte. Ja, es ist sicherlich nicht die beste
Lösung was Wirksamkeit, Effizienz und
Brandschutz angeht. Aber lieber recht-
zeitig eine gute Lösung als zu spät eine
perfekte Lösung. Und für den unwahr-
scheinlichen Fall, dass ein solches Sys-
tem zu Personen- oder Sachschäden
führen würde, hätte sicherlich jeder
Richter die Verantwortlichen nach Ab-
wägung von Nutzen und Risiko freige-
sprochen.
Sebastian Ewert
Mit den leichten
Dingen beginnen
Digitalstau im Gesundheitswesen
(Nr. 5/22)
Der Digitalstau ist am deut-
lichsten bei der Gesundheits-
karte sichtbar. Jahrelang hat es
die Politik nicht geschafft, die Gesund-
heitskarte mit mehr Funktionen aufzu-
rüsten als nur mit dem Namenseintrag.
Nicht einmal die Blutgruppe ist auf der
Karte verzeichnet, geschweige denn die
Möglichkeit, eine Überweisung oder
ein Rezept darauf zu speichern. An sol-
che einfachen Dinge wie Röntgenbilder
für andere Ärzte noch gar nicht zu den-
ken. Hier bremsen wohl einige Politiker
wie auch die Krankenkassen die Weiter-
entwicklung, die in anderen Ländern
schon täglicher Usus ist. Anscheinend
will man die Eier legende Wollmilchsau
in Perfektion erst ausdiskutieren, bevor
man anfängt mit der Umsetzung. Hätte
man in amerikanischer Art mit den
leichten Dingen einfach mal begonnen,
wären wir heute schon viel weiter. Aber
auch hier scheint der Datenschutz ein
großes Hemmnis zu sein.
Jürgen Zamow,
Möglingen
Kein Zugriff auf
Patientenakte
Der elektronische Patient krankt – ju-
ristische und technisch-organisatori-
sche Hindernisse auf dem Weg zur
Elektronischen Patientenakte
(Nr. 5/22)
„Dafür, dass Versicherte ohne
Smartphone eine digitale Pa-
tientenakte pflegen können,
setzt sich der Bundesdatenschutzbe-
auftragte Ulrich Kelber ein. Er glaubt,
dass rund 10 % der Versicherten davon
betroffen seien.“ Dies ist insofern
falsch, da auch Versicherte mit Handy
nicht unbedingt auf die digitale Patien-
tenakte zugreifen können. So ist der Zu-
griff auf die App der Techniker Kran-
kenkasse – TK-Safe – bei Einsatz eines
Android-Handys nur ab Version 8.1
möglich. Mein Samsung Galaxy S7 (ge-
kauft im Frühjahr 2017) wurde zuletzt
am 5. November 2020 aktualisiert. Mei-
ne Android-Version: 8.0.0. Somit bin ich
von der Nutzung ausgeschlossen.
Edmund Dörrhöfer
6 REPORTAGE 8. April 2022 · Nr. 7

Showroom: Das erste serienmäßige, komplett

mit Sonnenenergie betriebene Fahrzeug darf
noch nicht auf die Straße, noch fehlt die end-
gültige Zulassung. Foto: Lightyear

Photovoltaik wird mobil

Mobilität: Das niederländische Unternehmen Lightyear hat das erste serienmäßige
Fahrzeug vorgestellt, das komplett mit Sonnenenergie betrieben werden kann.

Von Rainer Kurlemann das komplett mit Sonnenenergie die 5 m lange Limousine nach Düs- haben dank eines besonderen Pro-
betrieben werden kann. seldorf gelockt. fils einen geringeren Rollwider-

D
ie Sonne scheint an die-
sem Freitagnachmittag
auf das ehemalige Stra-
ßenbahndepot in Düs-
seldorf. Wie gern hätte
Lex Hoefsloot, Gründer und CEO
von Lightyear, das neue Auto vor der
Halle geparkt, in der heute ein Auto-
museum untergebracht ist. Der
Lightyear One mag die Sonne. Es ist
das erste serienmäßige Fahrzeug,
Solarzellen bedecken die Motor-
haube, das Dach und den Koffer-
raum. 5 m2 Fläche sollen genug
Energie liefern, damit das sparsame
Elektroauto unabhängig von Lade-
säulen und Steckdosen unterwegs
sein kann. Wie es sich für die Prä-
sentation eines Neuwagens gehört,
ist das Auto blank poliert. Im Lack
auf den Solarzellen spiegelt sich das
Publikum. 30 Kaufinteressierte hat
Der niederländische Manager
Hoefsloot steht im lichtdurchflute-
ten Showroom der Classic Remise,
einer Mischung aus Automuseum
und Verkaufsort für Oldtimer und
Fahrzeuge im Luxussegment. Ein
sportlicher Mensch, der mit Leiden-
schaft erzählen kann und geduldig
Fragen beantwortet. Das Publikum
erfährt die Geschichte des Lightyear
One und warum dieses Auto die Zu-
kunft sein soll.
stand. Dafür muss Lex Hoefsloot
Abstriche in Kauf nehmen. Wegen
der Reifen wird die Höchstge-
schwindigkeit vermutlich auf zwi-
schen 140 km/h und 160 km/h be-
grenzt werden, obwohl die vier in
den Radnaben eingebauten Moto-
ren mehr könnten. Aber Lightyear
sieht sich trotz der stromlinienför-
migen Konstruktion des Autos nicht
als Konkurrent im Markt der super-
schnellen Sportwagen, die einige

Den Kern des Vortrags bilden aber
nicht die technischen Themen wie
der Aufbau der Solarzellen oder die
Batterien, die den Strom aus der
Sonne speichern. Hoefsloots Bot-
schaft für die Mobilitätswende geht
darüber hinaus. „Der Lightyear One
ist vollständig auf Energieeffizienz
ausgerichtet“, betont der Manager
immer wieder. Der Verbrauch des
Autos liegt nach seinen Angaben
mit etwa 141 Wh/km deutlich unter
dem Bedarf der Wettbewerber aus
der E-Mobilität. Unter Laborbedin-
gungen komme der One sogar mit
83 Wh/km aus.
Die niederländischen Ingenieure
haben jedes einzelne Teil auf Effi-
zienz getrimmt. Auffällig ist schon
die an einen Tropfen erinnernde
Form. Die hinteren Radkästen sind
verkleidet, kleine Kameras ersetzen
breite Außenspiegel, der Boden ist
speziell aerodynamisch geformt.
Nach Angaben des Herstellers er-
reicht der One einen cW-Wert für
den Strömungswiderstand kleiner
als 0,2. Für einen Fünfsitzer als Seri-
enfahrzeug wäre das Weltrekord.
Solarzellen bedecken Motorhaube, Dach und Kofferraum. Sie sollen das Die Reifen des Solarmobils sind
sparsame Elektroauto unabhängig von Ladesäulen machen. Foto: Rainer Kurlemann schlanker als herkömmliche Pneus,
7000
Schritte weiter in der Classic Remise
angeboten werden.
Die Effizienz ermöglicht der ver-
gleichsweise kleinen 60-kWh-Batte-
km Reichweite rie erstaunliche Reichweiten –
selbst, wenn die Sonne nicht
pro Jahr wollen scheint. Im Juni 2021 schaffte das
Auto auf einer Rennstrecke in Al-
die Autobauer denhoven bei Aachen bei einer Ge-
selbst im schwindigkeit von 85 km/h nur von
der Batterie angetrieben eine Stre-
nicht besonders cke von 710 km. Im Wintertest in
Aprilia nahe Rom bei 10 °C und ei-
sonnigen ner Fahrgeschwindigkeit von
130 km/h fuhr der One mit einer Ak-
Amsterdam kuladung immer noch über 400 km
erzielen. weit.
Diese technischen Daten ver-
schaffen dem Lightyear One Vorteile
gegenüber der Konkurrenz von an-
deren Elektroautos. Doch die ange-
strebte Revolution für den Auto-
markt wird den Besuchern in Düs-
seldorf sofort deutlich: die glänzen-
de Fläche für die Photovoltaik. Sie
besteht aus dem Zusammenspiel
Hunderter zwei Finger breiter Solar-
zellen, deren Krümmung genau der
Form des Autos angepasst ist.
„Die Solarzellen liefern jeden Tag
bis zu 70 km Reichweite“, sagt Lex
Hoefsloot. Lightyear verwendet

zwar für seine Zellen auf dem Dach
monokristallines Silizium, ähnlich
wie auch bei gewöhnlichen Solar-
modulen. Doch dessen Herstellung,
Optimierung und Integration in Si-
cherheitsglas sowie die Ladeelektro-
nik haben die Niederländer als eines
der Kerngeschäfte des Unterneh-
mens perfektioniert und patentiert.
Noch werden viele Fahrzeugteile
teils in Handarbeit am Firmensitz in
Helmond oder in Venray gefertigt.
Die Serienproduktion soll aber in
Finnland bei Valmet Automotive be-
ginnen.
7000 km Reichweite pro Jahr wol-
len die Autobauer mit den Solarzel-
len selbst im nicht besonders sonni-
gen Amsterdam erzielen. Das haben
Modellrechnungen und der Praxis-
betrieb mit Prototypen ergeben.
Selbst wenn das Fahrzeug nicht
vollständig autark ist, so werde beim
Lightyear One die Zahl der Ladevor-
gänge deutlich geringer, erklärt der
Ingenieur. Das erleichtert weltweit
den Umstieg auf E-Mobilität.
Die konsequente Nutzung der
Sonne als Energiequelle ermöglicht
ein weniger dichtes Netz an Lade-
stationen, ohne dass die E-Autos
stehen bleiben. Wenn die Gratis-
energie nicht reicht, kann die Batte-
rie auch über eine herkömmliche
Steckdose (230 V, 3,7 kW) versorgt
werden. Sie lädt dort pro Stunde et-
wa 35 km Reichweite. Schnelllade-
säulen kann der One auch nutzen.
Für das sonnige Südeuropa könn-
te die Bilanz aber viel besser ausse-
hen. Bei mehr als 300 Sonnentagen
ergeben sich rechnerisch mehr als
21 000 km Fahrleistung, ohne dass
der One eine fremde Energiequelle
anzapfen muss. Die mit der Auslie-
ferung des One verknüpfte Vision
verspricht jahrelange Gratismobili-
tät, ohne ein einziges Mal zu tanken.
In Düsseldorf fährt der Lightyear
keinen einzigen Meter. Probefahr-
ten sind nicht möglich, noch fehlt
die endgültige Straßenzulassung.
Die behördlich vorgeschriebenen
Crashtests laufen derzeit, seien aber
nicht mehr als eine Formsache. Das
haben die Konstrukteure bei Com-
putersimulationen ausführlich ge-
testet. Das exquisite Publikum
macht Selfies mit dem Auto und be-
gutachtet die Ausstattung des In-
nenraums mit nachhaltigen Mate-
rialien. Wer heute mit dabei ist,
kann ein Exemplar aus der limitier-
ten ersten Auflage von 946 Fahrzeu-
gen kaufen.
Billig ist der Einstieg in die neue
Technologie allerdings nicht. Die
ersten Interessenten konnten den
One noch für 150 000 € zuzüglich
Steuern erwerben. 161 Fahrzeuge
sind bereits verkauft. Im Sommer
soll die Auslieferung des Lightyear
One beginnen. Wer in der zweiten
Phase der Verkaufsrunde zuschla-
gen möchte, muss 100 000 € mehr
auf den Tisch legen.
Trotzdem hat Lex Hoefsloot keine
Zweifel am Erfolg. Die ersten Kun-
den hätten den One aus Überzeu-
gung auch ohne Vertriebskampagne
gekauft, weil sie vom Konzept des
Der Kofferraum umfasst ein Volumen von 780 l, wegen des flachen Hecks ist er aber nicht besonders
hoch. Das soll im Nachfolgemodell Lightyear Two als Familienmodell anders werden. Foto: Rainer Kurlemann
8. April 2022 · Nr. 7 REPORTAGE 7
Das Cockpit wirkt
schlicht und aufgeräumt.
Jedes einzelne Teil am
Fahrzeug haben die
Niederländer auf Effizienz
getrimmt. Foto: Rainer Kurlemann
solarbetriebenen Autos begeistert Gemeinsam mit vier Kollegen hat
gewesen seien, erklärt der Manager. Lex Hoefsloot Lightyear im Septem-
Das gezielte Marketing habe erst in ber 2016 gegründet. Das Team ist
diesem Jahr begonnen. Die nieder- der Firmen-DNA treu geblieben.
ländischen Autobauer präsentieren Hoefsloot präsentiert Fotos, wie al-
ihr Fahrzeug nun in ganz Europa. les begann. Sie zeigen die Gründer
Düsseldorf ist die erste Station in als junge Ingenieure mit einem
Deutschland. skurril anmutendem Solarfahrzeug
Erst 2025 will Lightyear ein Auto im australischen Outback.
anbieten, das mit einem Preis von Die Männer gehörten zum Stu-
etwa 30 000 € auf eine breitere dierendenteam der Technischen
Kundschaft ausgelegt ist. Wie genau Universität Eindhoven, das von
dieses Fahrzeug mit dem Arbeitsti- 2013 bis 2019 viermal nacheinander
tel „Two“ aussehen werde, lässt die Weltmeisterschaft für sonnen-
Lightyear noch offen. Es werde auf betriebene Rennwagen, die World
jeden Fall ein Familienauto werden, Solar Challenge (WSC), gewonnen
sagt Hoefsloot. hat. Eindhoven verteidigte mehr-
Binnen drei Jahren von der Kon- mals nacheinander den Titel in der
zeptphase in die Massenproduktion sogenannten Cruiser-Klasse für
zu kommen, das ist ein mutiger Fahrzeuge mit mindestens zwei
Zeitplan. Doch der Manager ist un- Sitzplätzen.
eingeschränkt optimistisch. Sechs Viele Mitarbeitende der Firma
Jahre habe die Entwicklung des One kennen den Wettbewerb aus eige-
gedauert, viele der dabei gewonne- nem Erleben. Der Solarrennsport
nen Erkenntnisse ließen sich auf das genießt in den Niederlanden hohes
nächste Modell übertragen, sagt der Ansehen. Die wichtigsten Rennen
Manager. schaffen es in die abendliche Nach-
richtensendung im Fernsehen. Fast
90 % der Käufer der ersten Serie
stammen aus den Niederlanden
und nicht etwa aus den sonnenver-
wöhnten südeuropäischen Staaten.
Dass die Sonne scheint, bemerkt
der Lightyear One auch in der Halle
der Classic Remise. Das Display
zeigt an, dass die Batterie von den
Sonnenstrahlen, die durch das
Fenster die Solarzellen erreichen,
geringfügig geladen wird. Doch vie-
le Lightyear-Käufer werden ihr Ver-
halten im Umgang mit Autos än-
dern müssen.
Der One ist kein Garagenauto.
Parken in einer Tiefgarage oder ge-
schützt im Carport passt nicht mit
der Philosophie der Autobauer
überein. Nachts könnte der One
dort Strom aus der Steckdose nut-
zen, tagsüber ist das Auto im Freien
besser aufgehoben. Der Lightyear
könnte nicht nur die E-Mobilität re-
volutionieren, sondern auch das
Bild unserer Städte und Wohngebie-
te verändern.
8 TECHNIK & WIRTSCHAFT
„ KOMMENTAR
Brutal revidiert
Es sind bange Tage für die deutsche Wirt-
schaft. Russlands Präsident Wladimir Putin
drohte Ende März damit, für gelieferte
Energierohstoffe nur noch Rubel zu akzep-
tieren. Das Drohszenario Richtung EU
(und vor allem Deutschland) war klar: von
jetzt auf gleich kein Gas mehr. Es droht ein
Runterfahren industrieller Komplexe. Nur
einen Chemiekomplex wie Bayer oder
BASF fährt man nicht mal so eben runter –
und wieder hoch. Ebenso wenig wie ein
Stahlwerk, eine Glasschmelze oder andere
industrielle Prozesse.
Die Drohung ist veri-
tabel.
Noch aber ist es
nicht so weit. Wichtig
war die Reaktion der
Bundesregierung:
Energieredakteur kühlen Kopf behal-
Stephan W. Eder ten und klar machen,
sieht in der Gaskrise was die einzige So-
eine echte Chance
fortmaßnahme ist.
für die Energieeffi-
zienz. Foto: VDIn/Zillmann Energiesparen, in
energieeffizientere
Technik investieren. Verbraucht weniger
Energie, weniger Gas, weniger Öl. Auch
weniger Strom, der muss ja irgendwo her-
kommen. Jede Kilowattstunde zählt.
Plötzlich steht sie im Rampenlicht, die
Energieeffizienz, viel beschworen als Säule
der Energiewende, neben dem Ausbau er-
neuerbarer Energien. Dabei fristet sie bis-
her trotz umfangreicher Regierungs- und
Beratungsprogramme eine Art Stiefmütter-
chendasein. Fortschritte sind zäh.
Das weiß auch Alexander Sauer, Chef des
EEP, des Instituts für Energieeffizienz in
der Produktion der Uni Stuttgart. „Längst
noch nicht alle Unternehmen haben auf
eine LED- Beleuchtung umgestellt“, weiß
er zum Beispiel. Warum nur? Das erklärt er
uns auf Seite 16, hier nur in Kürze: Nur
wenns weh tut, wird gespart. Dann zwir-
belt sich die Energiefrage mit Top-Priorität
in die Hirnwindung der Chefetagen.
Einerseits verständlich: Ein Unterneh-
men hat ja nicht die Steuerung seines
Energieverbrauchs zum Betriebszweck.
Andererseits können sich die Energie-
effizienzexperten in vielen Betrieben seit
Jahren kaum Gehör verschaffen. Das sind
Erfahrungen, die die Betreiber von Ener-
gieeffizienz-Netzwerken für Industrie und
Wirtschaft von Beginn an immer wieder
von Teilnehmerinnen hören.
Jetzt wird die Ökonomie brutal revidiert.
Den Gaspreis und den Gasmarkt wird ein
einzelner Betrieb nicht beeinflussen, aber
falls es eine Möglichkeit gibt, schnell weni-
ger Energie zu verbrauchen, dann ist die zu
nutzen, und zwar möglichst schnell.
„ seder@vdi-nachrichten.com
8. April 2022 · Nr. 7
Von Iestyn Hartbrich
D
ie Stahlkonzerne in
Deutschland stehen vor
kolossalen Investitio-
nen. Die Nummer 1,
Direkt viel
Thyssenkrupp spricht
von 7 Mrd. €, Salzgitter von 3 Mrd. €
bis 4 Mrd. €, ebenso wie die Stahl-
Holding-Saar. Hinzu kommen Arce-
lorMittal und die Hüttenwerke
weniger CO2
Krupp-Mannesmann. Insgesamt
veranschlagen die Hersteller min-
destens 15 Mrd. € für den Aufbau ei-
ner CO2-ärmeren Stahlproduktion
bis 2045.
Der Großteil davon wird für Di-
rektreduktionsanlagen (DRI-Anla- Stahlindustrie: Für das Kernaggregat der
gen) benötigt. Das sind großindus- wasserstoffbasierten Stahlproduktion, die
trielle Aggregate, in denen aus Ei-
senerz (Fe2O3) Eisen hergestellt
Direktreduktionsanlage, gibt es nur zwei
wird. Weltweit gibt es davon nur maßgebliche Anlagentypen. Ein Technikvergleich.
zwei maßgebliche Typen: Midrex
und Energiron. Midrex ist zugleich
der Name des US-Unternehmens,
das die Anlagen plant. Energiron ist
eine Gemeinschaftsentwicklung der
italienischen Anlagenentwickler Te-
nova und Danieli.
Warum ist die DRI-Technologie
wichtig?
Die DRI-Anlage kann den Hochofen
als zentrales Aggregat der Stahl-
branche ablösen. Der Hochofen ist
industrieübergreifend einer der gro-
ßen CO2-Emittenten. Im Jahr 2019
emittierten die Eisenhütten in
Deutschland 37,2 Mio. t CO2, was ei-
nem Anteil von 4,6 % an den Ge-
samtemissionen entsprach.
Direktreduktionsanlagen kom-
men – anders als Hochöfen – ohne
Kokskohle aus. Heutige Aggregate
nutzen vor allem Erdgas und emit-
tieren deshalb grob gerechnet nur
halb so viel CO2. Auch für die deut- Größte Midrex-Anlage:
schen Hüttenwerke ist zunächst der Tosyali betreibt im algeri-
Erdgasbetrieb geplant – zumindest schen Oran eine DRI-Anla-
war das vor dem Ukrainekrieg der ge mit einer Jahreskapazi-
Plan. Mit der Zeit soll immer mehr tät von 2,5 Mio. t. Foto: Midrex
Wasserstoff eingesetzt werden.
Was bedeutet Direktreduktion?
Unter Reduktion versteht man den
Prozess, Eisen aus Eisenerz zu ge- senerz-Pellets eingefüllt, die konti- Eisen mit ein bisschen Kohlenstoff,
winnen. Im Hochofen wird das nuierlich hinunter sacken. Zeit- das unten als fester, kugelförmiger
Eisen aufgeschmolzen und beim gleich strömt Reduktionsgas – Koh- Eisenschwamm herausfällt. Dieses
Abstich ausfließen gelassen. Direk- lenmonoxid (CO) und Wasserstoff reduzierte Eisen wird im Stahlwerk
treduktion bedeutet demgegenüber, (H2) – den Ofen hinauf. Das Gas be- anschließend zu Stahl legiert.
dass das Eisen nie flüssig ist. raubt das Eisen der Sauerstoffato-
Eine Direktreduktionsanlage ist me. So wird aus Fe2O3 erst Fe3O4, Gibt es schon DRI-Anlagen?
ein Schachtofen. Oben werden Ei- dann FeO und schließlich Fe, also ArcelorMittal betreibt im Elektro-
stahlwerk Hamburg eine DRI-Anla-
ge mit einer Kapazität von 600 000
Jahrestonnen. Durchgesetzt hat sich
Die DRI-Anlagentypen im Vergleich das Verfahren aber vor allem dort,
Energiron Midrex wo Erdgas günstig ist, etwa in Russ-
Reduktionsgas/ Prozessgas wird in einem exter- Reduktionsgas wird in einem land, in den USA und auf der arabi-
Erdgas- nen Aggregat erhitzt, das Reduk- externen Reformer erzeugt schen Halbinsel. Der Anlagenbauer
Reforming tionsgas – CO und H2 – entsteht und von dort in die Direktre- Paul Wurth schätzt die weltweit in-
in der Direktreduktionsanlage. duktionslage geleitet. stallierte Kapazität auf annähernd
100 Mio. t. Zum Vergleich: Weltweit
Druck im Reaktor 6 bar bis 8 bar 2,5 bar unten, 1 bar oben
wurden 2021 1,9 Mrd. t Stahl produ-
Gastemperatur ziert.
unten im Reaktor 1050 °C bis 1080 °C ca. 950 °C
Abgas wird in einem geschlossenen CO2 aus dem Abgasstrom wird Wie funktioniert Midrex?
Prozess aus der DRI-Anlage abge- im Reformer eingesetzt, um Das Midrex-Verfahren ist auf einen
führt, Wasser wird entfernt, CO2 Methan zu cracken. Trennba- externen Reformer angewiesen, in
ausgewaschen, Zugabe von res Abgas versorgt den Refor- dem Methan (CH4) in die Redukti-
frischem Gas, dann Rücktransport mer mit Energie. onsgase Wasserstoff und Kohlen-
in DRI-Anlage
stoffmonoxid gecrackt wird. Das Re-
Erzzufuhr im Wegen der Druckbeaufschlagung Der Einlass für das Erz wird duktionsgas wird bei einem ver-
Reaktor wird das Erz in Chargierbehältern mit Inertgas versiegelt, damit gleichsweise moderaten Druck von
unter 6 bar bis 8 bar passiviert. das Reduktionsgas nicht 2,5 bar und bei einer Temperatur
Erst dann fällt es in den Reaktor. entweicht.
um 950 °C in den Reaktor einge-
Quellen: Midrex, Tenova, RWTH bracht. Oben am Schachtofen wird
das CO2- und wasserreiche Abgas
 8. April 2022 · Nr. 7 TECHNIK & WIRTSCHAFT 9

aufgefangen und abgekühlt, sodass
das Wasser heraustropfen kann. Das
CO2 gelangt in den Reformer und
der Prozess beginnt von vorn.
Wie funktioniert Energiron?
Im Energiron-Reaktor sind die Drü-
cke höher – 6 bar bis 8 bar – und es
ist auch etwas heißer: 1050 °C bis
1080 °C. Das CO2 wird chemisch aus
dem Abgas herausgewaschen und
kann vermarktet werden. Der restli-
che Gasstrom wird befeuchtet, mit
frischem Erdgas versetzt, in einem
Prozessgaserhitzer erwärmt und
schließlich in den Reaktor gebracht.
Wo liegen die Unterschiede?
Es gibt einige wesentliche Unter-
schiede (s. Tabelle). Dazu zählen ne-
ben den Reaktordrücken und -tem-
peraturen das Erdgas-Reforming,
die Abdichtung des Reaktors, die
CO2-Abscheidung und die Umrüst-
barkeit auf Wasserstoffbetrieb.
Welchen Einfluss haben die hohen
Drücke bei Energiron?
Durch den hohen Druck im Reaktor
ist nach Tenova-Angaben die Strö-
mungsgeschwindigkeit des Gases
niedrig. Viel Reduktionsgas ist also
lange im Reaktor – mit positiven Ef-
fekten für die Durchgasung und die
Reduktion des Eisens.
Zudem wirken sich die hohen
Drücke auf den Kohlenstoffgehalt
des Eisens aus. Eisen hat einen
Schmelzpunkt von 1538 °C. Wenn
sich 4,3 % Kohlenstoff in der Matrix
einlagern, sinkt der Schmelzpunkt
auf 1147 °C. Ein hoher Kohlenstoff-
gehalt des Eisens ist auch im Stahl-
werk erwünscht, genauer: im Elek-
trolichtbogenofen. Hier entsteht
mit eingeblasenem Sauerstoff CO,
das die Schlacke im Ofen aufgehen
lässt, wie einen Hefeteig. Die
Schaumschlacke hüllt den Lichtbo-
gen ein, wodurch sich die Wär-
meenergie besser verteilt. Laut Te-
nova ist Energiron der einzige DRI-
Prozess, der mehr als 2,5 % Kohlen-
stoffgehalt ermöglicht.
Bei Energiron gibt es keinen eige-
nen Reformer, sondern einen Pro-
zessgaserhitzer. Das eigentliche Re-
forming des Erdgases geschieht im
Reaktor, der dafür nötige Sauerstoff
stammt aus dem Eisenerz. Laut
Markus Dorndorf ist das beim Um-
stieg auf Wasserstoff ein Vorteil.
Energiron biete „die Flexibilität, mit
demselben Anlagenaufbau jede Art
von Reduktionsgas in verschiede-
nen Mischungsverhältnissen zu ver-
wenden, von Erdgas über Koksofen-
gas bis hin zu Wasserstoff“.
Was ändert sich in den DRI-Anla-
gen im Wasserstoffbetrieb?
Für den Energiron-Prozess gilt:
Wenn der Anteil des Wasserstoffs
am Reduktionsgas über einen
Schwellenwert klettert, wird die
CO2-Wäsche für den Abgasstrom
nur noch im Standby betrieben.
Auch Midrex würde für den Wasser-
stoffbetrieb einen Prozessgaserhit-
zer nutzen, oder den Reformer zum
Heizen nutzen. Der RWTH-Metal-
lurge Dieter Senk sieht Energiron im
Vorteil: Das Verfahren biete „die gro-
ße Chance, mit mehr Wasserstoff
und weniger Erdgas zu arbeiten“.
Erreichen DRI-Anlagen die Kapazi-
täten großer Hochöfen?
Die größten Hochöfen produzieren
zwischen 3,6 Mio. t und 4 Mio. t
Roheisen pro Jahr. Solche Größen-
ordnungen zeichnen sich bei den
DRI-Anlagen noch nicht ab. Die
größten Anlagen beider Typen ran-
gieren um 2,5 Mio. t Jahreskapazität.
„Wir haben ein Design für
3 Mio. Jahrestonnen, aber das größ-
te kommerziell bewährte Design
schafft etwas weniger“, sagt Will
Dempsey, Midrex-Marketingchef.
Bei Energiron ist das Maximum
bei annähernd 2,7 Mio. t erreicht.
„Viel größer zu bauen macht tech-
nisch wenig Sinn“, sagt der Tenova-
Manager Markus Dorndorf. Jenseits
dessen müssten die Nebenaggrega-
te doppelt oder größer ausgeführt
werden, was zu Ineffizienzen führe.
Außerdem bestehe die Gefahr, dass
die Eisenpellets im Reaktor unter
großen Scherkräften zerbrechen,
wenn der Durchmesser des
Schachtofens erhöht werde.
Wann steigen die Stahlhersteller
in Deutschland auf die DRI-Route
um?
Der Run auf die Anlagen hat begon-
nen. Midrex rechnet mit 50 %
Marktwachstum bis 2030. Auch die
Hüttenwerke in Deutschland wollen
umrüsten. Aber es gibt ein Problem.
Die DRI-Technologien sind teuer.
Als Faustregel gilt: Je 1 Mio. t Roh-
eisenkapazität in den Hochöfen fal-
len bis 1 Mrd. € Umbaukosten an.
Ohne Subventionen können die
Hüttenwerke die Investitionen nicht
stemmen – zumindest nach eigener
Darstellung. Thyssenkrupp und Co.
haben deshalb Förderanträge in
Brüssel eingereicht, aber vor Ende
des Jahres – so ist zu hören – wird
darüber nicht entschieden.
Gleichzeitig tickt die Uhr, weil ab-
sehbar die Gratiszuteilungen für
CO2-Zertifikate abschmelzen. Die
Stahlkonzerne bereiten deshalb die
Anlagenplanung vor, so weit sie
können, um später die Zeit zwi-
schen Auftragsvergabe und Inbe-
triebnahme zu verkürzen.

Wie sind die Reaktoren abgedich-

tet?
Midrex nutzt rund um den Erzein-
lass und den Eisenauslass Inertgas-
siegel. Ähnlich den Warmluftschleu-
sen an Kaufhaustüren sorgen sie da-
für, dass das Reduktionsgas nicht
entweicht. Midrex ist ein Direktreduktionsverfahren und der Name eines US-Anla-
Im Energiron-Prozess kommen genplaners. Das Verfahren ist auf einen externen Reformer angewiesen,
mechanische Dichtungen zum Ein- in dem Methan in die Reduktionsgase Wasserstoff und Kohlenstoffmono-
satz. Die Erzpellets werden in einem xid gecrackt wird. Im Reaktor beträgt der maximale Druck 2,5 bar.
Chargierbehälter unter Druck ge-
setzt und erst dann in den Reaktor
gegeben. Markus Dorndorf, Vice
President Iron & Steel Making bei
Tenova, spricht von einem „Schleu-
senprinzip ähnlich wie auf einer
Raumstation“.

Wie unterscheidet sich das Erdgas-

Reforming?
Bei Midrex ist der Reformer ein ex-
ternes Aggregat, das auf CO2 aus
dem Abgasstrom des Reaktors als
Sauerstoffquelle angewiesen ist.
Das Reforming ist ein endothermer
Prozess: Es muss also Wärmeener-
gie hineingesteckt werden. Da-
durch, dass dieser Prozess außer- Energiron ist eine Gemeinschaftsentwicklung der italienischen Anlagen-
Obergrenze: Die optimale Reaktorbreite für die Energiron-Tech- halb des Reaktors stattfindet, sind designer Tenova und Danieli. Das Konzept zur Eisendirektreduktion lässt
nologie liegt laut dem Anlagendesigner Tenova bei 6,7 m bis die Reaktortemperaturen laut Mi- sich laut Tenova auf Erdgas- aber auch auf Wasserstoffbasis betreiben.
7 m. Das entspricht einer Jahreskapazität von 2,5 Mio. t bis drex niedriger; die Gefahr, dass die Kernelement ist ein Hochdruckreaktor mit 6 bar bis 8 bar.
2,7 Mio. t Eisen. Große Reaktoren sind bis zu 35 m hoch. Foto: Energiron Eisenpellets verkleben, sinkt.
10 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Standardserver
für die
Funkmasten
Mobilfunk: Bislang wurde Standard-IT bei den
Mobilfunkbetreibern nur bei kommerziellen Anwendungen
eingesetzt, doch mit 5G dringen die einfachen x86-Server
auch in den operativen Bereich vor.
Von Harald Weiss
D
er Mobilfunk-Datenverkehr wächst
exponentiell. Eine Ericsson-Untersu-
chung besagt, dass der mobile Video-
Traffic bis 2023 jährlich um etwa 50 %
zulegen und dann rund 75 % des ge-
samten mobilen Datenverkehrs ausmachen wird.
Vor allem die rasante Ausbreitung von 5G wird
daran einen maßgeblichen Anteil haben. Markt-
forscher von IDC sind überzeugt, dass sich 2022
der weltweite Umsatz mit 5G-bezogener Netz-
werkinfrastruktur von 13 Mrd. $ auf 26 Mrd. $ ver-
doppeln wird. Diese Entwicklung ist für die An-
bieter nicht sonderlich überraschend – aber sie
verschärft die bisherigen Probleme. Denn schon
lange beklagen sie die hohen Infrastrukturkosten,
die wegen der vielen neuen 5G-Funkmasten
nochmals gewaltig ansteigen werden. Hinzu
kommt, dass diese Kosten sich auch prohibitiv
auf die 5G-Nutzung durch die Wirtschaft auswir-
ken. Während die Analysten der 5G-Nutzung
beim Internet der Dinge (IoT), im Handel und der
Logistik eine rosige Zukunft voraussagen, gibt es
bislang nur wenige Vorzeigeprojekte.
Einer der Gründe ist die proprietäre Mobilfunk-
IT-Struktur, die nur unzureichend in bestehende
IT-Landschaften eingebunden werden kann. Das
Herzstück des Mobilfunks sind die Radio Access
Networks (RAN), bei denen alle Funktionen in
physische Appliances (Geräte) fest eingebunden
sind. Das heißt, es besteht eine starre Verknüp-
fung von Hardware und Software, was eine Reihe
an Nachteilen mit sich bringt. Das betrifft vor al-
lem die schlechte Skalierung sowie eine unzurei-
chende Anpassungs- und Wartungsfähigkeit des
gesamten Netzes. Doch das größte Problem ist
der Vendor-Lock-in: Ein Mobilfunknetzbetreiber,
der einmal seine Funknetztechnik bei einem Her-
steller gekauft hatte, musste bislang dabei blei-
ben. In eine solche Abhängigkeit wollten sich die
IT-Chefs der Wirtschaftsunternehmen aber nicht
begeben, sodass entsprechende Campusnetze für
sie nicht attraktiv waren.
Abhilfe ist aber in Sicht: Dank neuer Standardi-
sierungsvorgaben lassen sich jetzt auch die im IT-
Umfeld bewährten x86-Server als RAN-Herzstück
direkt an den Funkmasten installieren. Vor allem
die großen IT-Anbieter sehen Chancen auf neue
Umsätze und haben ihre Angebote entsprechend
ausgerichtet. So hat Dell Technologies letzten Ok-
tober seine Bare-Metal-Server angekündigt, bei
denen es sich im Kern um handelsübliche Server
handelt, wie sie in jedem Rechenzentrum anzu-
treffen sind. Diese wurden um einige wichtige
Funktionen erweitert, damit sie einerseits hoch-
performant und hochverfügbar sind, andererseits
völlig autonom betrieben werden können, denn
diese Systeme müssen rund um die Uhr voll funk-
tionsfähig sowie zuverlässig und langlebig sein.
Diese Bare-Metal-Server verfügen über keine
vorinstallierte Software – nicht mal über ein Be-
triebssystem. Das alles kommt dann von dem je-
8. April 2022 · Nr. 7
Neue Standardisierungsvorgaben: Jetzt lassen sich auch die aus der IT-Welt bewährten x86-Server direkt an den Funkmasten
installieren. Foto: Vodafone
weiligen Mobilfunkprovider und ist von Unter-
nehmen zu Unternehmen unterschiedlich. „Was
wir an Software dazu liefern, ist einzig die Ma-
nagementebene, also das Deployment, das Set-
up und die Inventarverwaltung“, sagt Dennis
Hoffman, Dells General Manager für den Bereich
Telecom Systems. „Die neuen 5G-Server müssen
komplett remote gemanagt und betrieben wer-
den können, denn eine Fahrt dahin ist äußerst
zeit- und kostenaufwendig.“
Die neue Managementsoftware heißt Bare-Me-
tal-Orchestrator und wurde von Dell zusammen
mit T-Mobile entwickelt. Sie basiert auf dem Red-
fish-Standard, einer Spezifikation zur Fernwar-
tung von Industrieserver-Systemen, sodass auch
Nicht-Dell-Server erkannt und hochgefahren
werden können. „Die Software bietet den Tele-
kommunikationsprovidern die erforderliche
Breite und Skalierbarkeit, um die Bereitstellung
und das Managen von Hunderttausenden von
Servern an weit verteilten geografischen Standor-
ten zu automatisieren“, heißt es in der zugehöri-
gen Ankündigung.
Dell ist nicht der einzige Anbieter, der sich hier
engagiert. Auch HPE gab unlängst bekannt, dass
man mit verschiedenen TK-Partnern eine univer-
selle Computing-Infrastruktur für den Einsatz in
RAN-Umgebungen entwickelt habe. Hinzu kom-
men noch Spezialanbieter wie Advantech und
Whitebox, die ebenfalls 5G-RAN-Server mit un-
terschiedlichem Funktionsumfang auf den Markt
gebracht haben. Whitebox stattet seine Systeme
mit sehr viel Redundanz aus, um so die Betriebs-
sicherheit zu erhöhen. Dazu gehören doppelte
Netzteile, Lüfter und sogar ein Dual-Bios.
Dass diese Standardserver in die bislang pro-
prietäre RAN-Welt vordringen können, liegt da-
ran, dass die vor drei Jahren von AT&T, China Mo-
bile, Telekom, NTT und Orange gegründete Open
RAN Alliance sich zum Ziel gesetzt hatte, die
RAN-Software von der Hardware zu entkoppeln
und eine offene Architektur zu erstellen. Damit
sollte die RAN-Software auf jeder beliebigen han-
delsüblichen Hardware lauffähig sein. „Offenes
RAN bedeutet, dass man seine Software auf je-
dem beliebigen Server, in jeder beliebigen Cloud
und an jeder beliebigen Basisstation hochskalier-
bar betreiben kann“, so Paul Challoner, Vice Pre-
sident of Network Product Solutions bei Ericsson.
Die Blaupause für die Allianz war die Entwick-
lung in der IT-Infrastruktur der letzten zehn bis 15
Jahre, wo die Server und Netzwerkkomponenten
enorme Performance-Leistungssteigerungen er-
zielen konnten – ohne dass dabei die Preise an-
stiegen. Hauptgrund dafür war die strikte Tren-
nung von Hard- und Software. Das hat zu aus-
tauschbaren Standardservern und zu softwarede-
finierten Netzwerkkomponenten geführt, womit
die IT-Betreiber von der Notwenigkeit einer mehr
oder minder festen Zuordnung befreit wurden.
Inzwischen hat die Allianz elf Schnittstellen de-
finiert, über die Hardware, Software und Funkge-
räte verbunden werden können. Zu den Mitglie-
Der weltweite dern gehören heute viele Systemanbieter und über
30 Mobilfunkprovider. Vor allem die Provider ver-
Umsatz mit sprechen sich von der Öffnung erhebliche Vorteile.
5G-bezogener Die Rede ist von Einsparungen der Investitions-
und Betriebskosten von 30 % bis 40 %.
Netzwerkinfra- „Open RAN ist keine normale Standard-Ent-
wicklungsorganisation, sondern wird von einer
struktur wird kleinen Gruppe bestimmt“, heißt es in einem Be-
richt von Strand Consult. Der Hype sei viel größer
sich im nächsten als die Realität. In ihrem Bericht weisen die Berater
Jahr von darauf hin, dass derzeit weltweit nur eine kom-
merzielle Open-RAN-Installation in Betrieb sei,
die von Rakuten Mobile in Japan. Doch die ist sehr
13 Mrd. $ beeindruckend: Im August hatte man in den
Open-RAN-basierten 4G- und 5G-Netzen 5 Mio.
auf Abonnenten. Geplant sind 4000 Mikrorechenzen-
tren, die zusammen mit mehreren zentralen Re-
chenzentren ca. 80 000 4G- und 5G-Basisstatio-
26 Mrd. $ nen unterstützen sollen. Laut Rakuten habe Open
RAN die Investitionskosten um 40 % reduziert,
verdoppeln weitere 30 %ige Kosteneinsparung seien möglich.
In Europa wird derzeit das größte kommerzielle
Open-RAN-Projekt von Dell und Vodafone aufge-
baut. Hier sollen Dells Poweredge-Server zum Ein-
satz kommen, die zunächst an 2500 Basisstationen
in Großbritannien direkt installiert werden. „Open
RAN bietet mit seinem vielfältigen und offenen
Ökosystem enorme Vorteile für die Provider und
für alle Unternehmen, die 5G intern nutzen wol-
len“, sagt Francisco Martin, Head of Open RAN bei
Vodafone, über dieses Projekt.
Dennoch ist die Marktdurchdringung von Open
RAN noch nicht sehr groß, wie andere Insider be-
stätigen. „Open RAN ist derzeit noch in der Test-
phase und wird erst langsam in die kommerzielle
Nutzung übergehen“, meint John Baker, Senior
Vice President, Business Development bei Mave-
nir, einem auf 5G spezialisierten Softwareanbieter.

Digitalisierung aus Platzmangel
Dokumentation: Das Finnische Nationalarchiv digitalisiert das gesamte Schriftgut
Von Susanne Donner
V
on Berlin bis München
reichen die Dokumente
in den Regalen des Bun-
desarchivs in Koblenz.
Über 500 Regalkilometer,
geschätzte 8 Mrd. Seiten. Es sind
Karteikarten mit den Namen der im
Zweiten Weltkrieg gefallenen Solda-
ten, der NSDAP-Mitglieder, Stasi-
akten und Redeprotokolle aus dem
Kanzleramt. Historisch und teils
persönlich bedeutsame Informatio-
nen, wie eh und je auf Papier.
Wer nachforschen will, wie ein
Vorfahre im Zweiten Weltkrieg ver-
starb, musste früher ins Bundesar-
chiv in Koblenz oder zu den Zweig-
stellen in Berlin oder Freiburg rei-
sen. Die großen staatlichen Archive
wissen, dass das nicht mehr zeitge-
mäß ist. Viele haben daher begon-
nen, ihre Papiere einzuscannen. In
Koblenz arbeiten bereits zehn Scan-
geräte. Bis 2024 sollen es 30 sein.
75 Mio. der geschätzten 8 Mrd. Blatt
haben sie bisher digitalisiert. Die Er-
fassung wird Jahrzehnte dauern.
Finnland geht dabei allerdings seit
Kurzem seinen eigenen Weg. Per
Gesetz hat das Land beschlossen,
das Schriftgut aller Behörden zu di-
gitalisieren – knapp 200 Regalkilo-
meter, von Steuerunterlagen bis zu
Heiratsurkunden. Das Nationalar-
chiv in Helsinki hat dafür eine große
Digitalisierungsfabrik eingerichtet.
21 Scanner arbeiten dort, berichtet
Ville Kajanne, Leiter der Abteilung
für Massendigitalisierung. Danach
sollen die Papierunterlagen der letz-
ten Jahrzehnte weggeworfen wer-
den. „Für das Ende der Papierakten
erarbeiten wir derzeit ein Entsor-
Deutschland ist Europameister – beim Patentanmelden
Gewerbliche Schutzrechte:
Trotz Pandemie bewiesen deutsche
Unternehmen auch 2021 ihren Er-
findergeist: Sie haben 25 969 Patent-
anmeldungen beim Europäischen
Patentamt (EPA) eingereicht. Somit
nahm die Bundesrepublik erneut
die Spitzenposition auf dem alten
Kontinent ein. Dabei blieb das hie-
sige Anmeldeaufkommen gegen-
über 2020 mit +0,3 % nahezu unver-
ändert.
Das sah in anderen Ländern an-
ders aus. Insbesondere die Patent-
anmeldungen aus Schweden
(+12 %), Finnland (+11,2 %), Däne-
mark (+9,2 %), Spanien (+8,9 %), Ita-
lien (+6,5 %), der Schweiz (+3,9 %),
Belgien (+3,3 %) und den Niederlan-
den (+3,1 %) stiegen deutlich.
Frankreich musste als einziges Land
Einbußen hinnehmen (-0,7 %). Dies
geht aus dem EPA-Patent Index
2021 hervor.
Im globalen Vergleich liegen die
US-Amerikaner auf dem Spitzen-
platz. Sie reichten rund ein Viertel
8. April 2022 · Nr. 7 TECHNIK & WIRTSCHAFT 11
staatlicher Behörden. Das Bundesarchiv in Koblenz geht anders vor.
gungskonzept.“ Die Finnen ent- stände, die für den Scanprozess zu versucht das Bundesarchiv, kleine
schieden sich zu diesem radikalen fragil seien. Etwa 2 % aller Archivun- Bestellungen neuerdings digital be-
Schritt, nachdem sie die Kosten terlagen sollen so in analoger Form reitzustellen. Auf diese Weise erfolgt
überschlagen hatten. Das Aufbe- erhalten bleiben. eine nutzerbezogene, puzzleteilarti-
wahren von Papieren in riesigen La- ge Digitalisierung der Akten.
gern mit niedriger Luftfeuchte und „Wir würden niemals historische
gleichbleibender Temperatur sei Dokumente wegwerfen“, entgeg- Auch andere Probleme sind unge-
teurer als das Horten auf Servern, net Christian Hänger, Abteilungslei- löst: Bis heute lassen sich die Digi-
ergaben ihre Berechnungen. Vor al- ter Archivtechnik und zentrale fach- talisate des Bundesarchivs nicht
lem die Immobilien schlagen liche Dienstleistungen im Bun- maschinell lesen. Formatwechsel
massiv zu Buche. Die digitale desarchiv, räumt aber ein, und handschriftliche Notizen ma-
Archivierung spare jedes dass die Ressourcen nicht chen die automatische Schrifterfas-
Jahr 13 Mio. €, auch wenn ausreichten, die 500 Re- sung unmöglich. Ein entscheiden-
sicherlich nicht die Kos- galkilometer Papier der Vorteil digitaler Informationen
ten für Cybersicherheit, vollständig in gutem aber wäre ihre Durchsuchbarkeit
steigende Strompreise Zustand zu erhalten. nach Schlagworten. So kann es sein,
und die notwendige Bei jüngeren Unterla- dass in ein paar Jahren erneut digi-
Migration von Daten gen trennt man sich talisiert werden muss, wenn es eine
berücksichtigt sind. nach 30 Jahren von ausgereifte Schrifterkennung gibt.
„Es sind vor allem 80 % der Akten. Was Zudem wird davor gewarnt, die
Dokumente der letzten historisch relevant sei, Erhaltung der Originale nicht zu
vierzig Jahre, die ohnehin gehöre ins Archiv. Unter- vernachlässigen. „Nur, weil man ei-
digital bei den Behörden lagen des Kanzleramtes nen perfekten 3D-Drucker hat, der
eingegangen sind, die nun bewahre man nahezu voll- eine Replik der Nofretete erzeugen
wieder in die digitale Form über- ständig auf. kann, würde man das Original nie-
führt werden“, verteidigt Kajanne Auch bei der Digitalisierung geht mals einfach wegwerfen oder verfal-
den finnischen Sonderweg. Auch das Bundesarchiv den Weg, das Kul- len lassen“, mahnt Johannes Kiste-
Stasiakten im Archiv
hierzulande trudeln heute ausge- turgut in 1. und 2. Klasse einzutei- nich-Zerfass, Abteilungsleiter vom
der Bundesbeauftrag-
druckte Mails der Bundesbehörden len. „Wir digitalisieren ausgewählte Hessischen Landesarchiv. Stark vom
ten für die Unterlagen
in Koblenz ein. Die vollständige Bestände zum Zweck der politi- Zerfall bedrohtes Schriftgut kann
des Staatssicherheits-
elektronische Akte führen viele In- schen Bildung“, sagt Hänger. Bis schließlich nicht mehr auf einen
dienstes der ehemali-
stitutionen derzeit erst noch ein. 2033 werden etwa die Akten der NS- Scanner gelegt werden.
gen DDR in Berlin.
Aber anders als in Deutschland Zeit online gestellt. Auch die Stasi- Auch Oliver Hahn, Leiter Kunst-
Foto: imago/bonn-sequenz
zieht Finnland im Vorgriff auf die unterlagen sollen aufgrund ihrer und Kulturgutanalyse der Bundes-
Digitalisierung der staatlichen Ver- Relevanz für Opfer und Betroffene anstalt für Materialforschung und
waltung eine Konsequenz und ver- auf den Scantischen landen. -prüfung, warnt vor einem unüber-
abschiedet sich vom jahrhunderte- Das Bundesarchiv betreibt zudem legten Primat des Digitalen: „Digita-
alten Primat des Papiers: „Die digi- eine nutzungsbezogene Digitalisie- le Daten müssen ständig transfe-
tale Darstellung ist ein Dokument, rung: Da Lesesäle infolge der Coro- riert und gepflegt werden – und ge-
keine Kopie“, sagt Kajanne. Für viele napandemie geschlossen oder nur hen schlagartig auch mal verloren.
Beschäftigte im Archiv ist das ein von wenigen Personen besucht wer- Papier aber hat uns bewiesen, dass
fast ketzerischer Satz. Aufbewahrt den konnten, betragen die Wartezei- es Jahrhunderte überstehen kann,
würden in Finnland nur Unterlagen, ten auf Akteneinsicht teils einige wenn es nur richtig aufbewahrt
die als Kulturerbe erachtet würden, Monate. Für Studierende, die Ba- wird.“ Deshalb sind einige von Gali-
etwa auf besonderen Trägermate- chelor- oder Masterarbeiten ab- leis Werken und Dantes Göttliche
rialien erstelltes Schriftgut und Be- schließen sollen, ist das fatal. Daher Komödie bis heute erhalten.
aller Anmeldungen ein. Auf den die Patentanmeldungen chinesi-
Plätzen folgen Deutschland (14%), scher Unternehmen verzeichneten
Japan (11%), China (9%) und Frank- einen weiterhin steilen Anstieg und
reich (6%). haben sich in den vergangenen
Ein deutlich anderes Länderran- zehn Jahren mehr als vervierfacht.
king ergibt sich allerdings, wenn Im innerdeutschen Länderran-
man die Zahl der Anmeldungen in king hat Bayern die Nase vorn. Aus
Relation zur Bevölkerungsdichte dem Freistaat stammten 29,5 % der
setzt. Dann hat die Schweiz die Nase nationalen Anmeldungen. Auf den
klar vorn. Die Eidgenossen melde- zweiten Platz schob sich Nordrhein-
ten 969 Patente pro 1 Mio. Einwoh- Westfalen (20,2 %). Baden-Würt-
ner an. Auf den Plätzen folgen temberg fiel mit 19,6 % auf Platz 3
Schweden (488), Dänemark (454), zurück. Einen großen Anmeldezu-
die Niederlande (383), Finnland wachs (+22,4 %) erreichte Berlin.
(380), Deutschland (310), Österreich Damit schob sich die Bundeshaupt-
(256), Belgien (214), Israel (195) und stadt auf den siebten Rang, hinter
Irland (192). Die USA liegen bei die- Hessen (Rang 4), Rheinland-Pfalz
ser Betrachtung nur auf Rang 14 (5.) und Niedersachsen (6.)
(140). Insgesamt wurden im vergan- Als weltweit stärkstes Unterneh-
genen Jahr beim EPA 188 600 Pa- men präsentierte sich Huawei. Der
tentanmeldungen eingereicht. Dies chinesische Konzern meldete 3544
entspricht im Vorjahresvergleich ei- Patente an. Vorjahressieger Sam-
nem Wachstum von 4,5 % und be- sung landete mit 3439 Schutzrechts-
deutet zugleich einen neuen Re- gesuchen nur noch auf Platz 2. Als
kordwert. Wachstumstreiber waren bestes deutsches Unternehmen fin-
China (+24 % im Vergleich zu 2020) det sich Siemens (1720 Anmeldun-
und die USA (+5,2 %). Insbesondere gen) auf Platz 5. sta
12 TECHNIK & WIRTSCHAFT
„Wir kombinieren
Informationen“
Unternehmen: Die Karlsruher Firma Echobot durchforstet das Internet auf der
Suche nach Unternehmensdaten, die den Vertrieb intelligenter machen.
Von André Weikard
VDI nachrichten: Herr Breit-
wieser, Sie haben Echobot 2011
mitgegründet. Welche Geschäfts-
idee hatten Sie damals?
Jannis Breitwieser: 2011 war
mein Mitgründer Bastian Karweg
noch für das Unternehmen Presse-
box aktiv. Das ist ein Veröffentli-
chungsportal für Unternehmens-
nachrichten, das sich an Medien-
vertreter richtet. Natürlich wollten
die Unternehmen, die dort publi-
zierten, auch wissen, ob ihre Presse-
arbeit Erfolg hat. Man könnte sagen,
wir haben eine Suchmaschine für
das Medienecho gebaut.
Heute macht Echobot viel mehr.
Wie kam die Neuausrichtung?
Nach etwa zwei Jahren, 2013, haben
wir einen neuen Kunden gewonnen,
der unsere Software lizenzierte, sich
aber überhaupt nicht für sein Me-
dienecho interessierte. Das hat uns
natürlich neugierig gemacht. Dann
hat der Kunde berichtet. Es war eine
Firma, die sich mit der Begrünung
von Flachdächern befasst. Und für
ihn war es natürlich wichtig, zu er-
fahren, wann immer irgendwo in
Deutschland eine Turnhalle gebaut
wird, eine Schule, ein Industriege-
bäude. Denn nur wenn das Unter-
nehmen rechtzeitig Kontakt mit den
zuständigen Architekten aufneh-
men kann, kommt seine Begrünung
oben drauf. Daraufhin haben wir
die Idee entwickelt, die Informatio-
nen, die wir einsammeln, auch zu
nutzen, um solche Verkaufsereignis-
se zu identifizieren.
Wie funktioniert das?
Wir sagen manchmal, wir sind die
freundliche Datenkrake von ne-
benan. Google liest quasi jede Web-
seite im Internet aus und indexiert
die Informationen, um sie dann
durchsuchbar zu machen. Echobot
tut das auch, aber mit einem ganz
anderen Fokus. Wir beobachten
zum Beispiel mit spezialisierten
Systemen die Medienlandschaft
von Spiegel über Bild bis hin zu So-
cial-Media-Posts und sammeln aus
diesen öffentlichen Quellen alle
Neuigkeiten zu Unternehmen ein.
Die Daten für die sogenannte Sales
Intelligence, also die vertriebsrele-
vanten Informationen, stammen
zusätzlich von Unternehmensweb-
seiten oder aus öffentlichen Regis-
tern.
Wie viele Seiten scannt Echobot?
Wir beobachten ungefähr fünf Mil-
lionen Firmenwebseiten im euro-
päischen Raum.
Wie lange benötigen Sie, um die-
se 5 Mio. Seiten abzusuchen?
8. April 2022 · Nr. 7
Jannis Breitwieser
„ gründete 2011 gemeinsam
mit Bastian Karweg die
Echobot Media Technolo-
gies GmbH und ist bis heute
CTO des Unternehmens.
Der einstige Presseservice
hat seinen Kundenschwer-
punkt heute in der Sales In-
telligence.
„ studierte von 2002 bis 2007
Informatik in Karlsruhe und
Edinburgh. Der 1982 gebo-
rene Diplomingenieur pro-
grammierte während seines
Studiums gemeinsam mit
seinem Bruder Browser-Ga-
mes und arbeitete bei Un-
ternehmensberatungen, ehe
er sich Echobot widmete.
Das hängt sehr stark von der Quelle
ab. Wir verarbeiten ja sehr viele un-
terschiedliche Datenquellen. Da
sind zum Beispiel die Firmenweb-
seiten. Da brauchen wir momentan
etwa 20 Tage. In diesen Abständen
schaut unser Crawler auf den Seiten
vorbei und aktualisiert die Inhalte.
Schneller werden wir zum Beispiel,
wenn es um Registerdaten geht, et-
wa das deutsche Handelsregister.
Da bekommen wir täglich Updates.
Informationen, dass eine neue Fir-
ma gegründet wurde und in wel-
chen Bereichen sie tätig ist, etwa.
Und zuletzt haben wir ja die News-
Inhalte. Da ist es deutlich wichtiger,
schnell zu sein. Im Bereich Social
Media bieten wir etwa einen Service
an, den wir „Shitstorm-Alert“ nen-
nen. In solchen Fällen ist es für be-
troffene Unternehmen wichtig, so-
fort zu reagieren. Leitmedien wie
spiegel.de rufen wir daher alle fünf
Minuten ab.
Die vielen öffentlich verfügbaren
Informationen müssen auch noch
interpretiert werden. Welche
Rückschlüsse lassen die Daten zu?
Ein großer Mehrwert entsteht tat-
sächlich erst aus der Verknüpfung
der Daten. Wir kombinieren unter
anderem die Informationen aus den
öffentlichen Registern mit unseren
Webinformationen. Andere Infor-
mationen extrahieren oder berech-
nen wir. Wir haben zum Beispiel ein
Verfahren entwickelt, mit dem wir
auf Basis der Webseiteninformatio-
nen jede Firma in 80 Dimensionen
abbilden können. Wir können so
zum Beispiel den Branchencode ei-
ner Firma berechnen – und das
deutlich präziser, als es viele Bran-
chenbücher hergeben und teilweise
sogar präziser als die Firmen es
selbst tun. Wir sind so in der Lage,
Firmen zu identifizieren, die inhalt-
lich in einem sehr ähnlichen Ge-
schäftsfeld unterwegs sind.
Das dient dann der Wettbewerbs-
beobachtung?
Im Gegenteil. Auch diese Informa-
tionen werden meist im Vertrieb
eingesetzt, um eine Liste potenziel-
ler Kunden zu generieren. Denkbar
ist auch gerade jetzt, angesichts der
Beeinträchtigung der Lieferketten,
über das Tool alternative Zulieferer
zu finden.
Bei so vielen Anwendungsbeispie-
len liegt der Gedanke nahe, auch
allgemeine Konjunkturaussagen
aus den Daten herauszulesen. Ha-
ben sich die Konjunkturforscher
schon bei Ihnen gemeldet? Jannis Breitwieser ist
Tatsächlich sind VDI nachrichten Mitgründer und CTO
die einzige Organisation, die diese von Echobot. Foto: Echobot ten über die Entlassung von Mitar-
Möglichkeit bislang erkannt hat. beitern oder die Standortschließun-
Aus den Daten konjunkturelle gen häufen.
Schlussfolgerungen zu ziehen, ist,
wie ich finde, definitiv ein vielver- Wenn es um so etwas Wichtiges
sprechender Ansatz. wie die eigene Bonität geht, könn-
ten Unternehmen versuchen, Ihre
Sie werden uns in Zukunft einmal Datensammler zu täuschen. Wie
im Quartal Daten zur konjunktu- manipulierbar sind die Informatio-
rellen Lage im Maschinenbau zur nen, die Sie ja letztlich von den
Verfügung stellen, die wir für un- Unternehmen selbst erhalten?
sere Leser und Leserinnen als „VDI Das ist ein wichtiger Punkt. Und die
nachrichten Konjunkturecho“ auf- Antwort hängt natürlich stark davon
bereiten werden. Gab es schon ab, von welcher Quelle wir sprechen.
einmal Versuche, in ähnlicher Wir unterscheiden zwischen Nach-
Weise konjunkturelle Daten auszu- richten von der Firma und Nach-
lesen? richten über die Firma. Alles, was
Wir hatten mal einen Kunden, der von der Firma kommt, also vom fir-
versucht hat, auf Basis unserer Da- meneigenen Facebook-Profil, dem
ten Krisen in Entwicklungsländern Twitter-Kanal oder der Firmenweb-
zu identifizieren und so eine Art Kri- site, sind natürlich Quellen für Posi-
senmonitoringsystem zu bauen. Ei- tivbeispiele. Was man gerne teilt,
ner unserer Partner nutzt Echobot- sind Erfolgsgeschichten, etwa dass
Signale, um Aussagen zur Bonität die Umsatzerwartungen übertroffen
von Kunden treffen zu können. wurden, vielleicht, dass neue Perso-
Häufig konnten wir nachweisen, nen im Management eingestellt
dass eine Insolvenz oder eine Zah- wurden oder dass ein neues Produkt
lungsunfähigkeit bevorstehen angekündigt wird. Die negativen
könnte. Zum Beispiel, wenn sich Signale wie anhängige Rechtsstrei-
Frühwarnindikatoren wie Nachrich- tigkeiten, die Entlassung von Mitar-
beitern oder Standortschließungen
werden eher in großen Wirtschafts-
magazinen kommuniziert. Und die
VDI nachrichten Konjunkturecho haben wir genau im Blick. Wir haben
Einmal im Quartal erstellen die VDI nachrichten in Ko- eine Technologie entwickelt, die sol-
operation mit dem Sales-Intelligence-Anbieter Echobot che Informationen den entspre-
das „VDI nachrichten Konjunkturecho“ für den Maschi- chenden Datensätzen in unseren
nenbau. Mithilfe von KI filtert Echobot aus frei zugängli- Systemen zuordnen kann und sie se-
chen Onlinequellen im Abgleich mit Unternehmensda- mantisch interpretiert.
tenbanken relevante Daten zu fünf positiven Konjunktur-
signalen (Umsatz- und Gewinnsteigerung, Stellenangebo- Wie schnell wächst das Unterneh-
te, Neubauten & Erweiterungen sowie Auslandsexpansi- men derzeit?
on) und zu fünf negativen Signalen (Gewinn- und Um- Im vergangenen Jahr konnten wir
satzreduktion, Sparmaßnahmen, Stellenabbau, Insolvenz- den Umsatz um 70 % steigern. Wir
hinweis). Das Konjunkturecho ist keine wissenschaftliche haben unseren 100. Mitarbeiter bei
Prognose. Aber es gibt ein aktuelles und überaus detail- Echobot begrüßt und unser Ziel ist
liertes Stimmungsbild für den Maschinenbau. es, bis Ende 2023 für die überwie-
gende Mehrheit der europäischen
„ www.vdi-nachrichten.com/wirtschaft/konjunktur/ Länder ein Angebot machen zu
konjunkturecho/ können und Daten für diese Länder
anbieten zu können.

Die Macht der
Meinung(smanipulation)
IT-Sicherheit: Im Krieg werden soziale Netzwerke zur Waffe. Propaganda und Desinformation können
entscheidend sein für militärische Erfolge. Beispiele unter anderem aus dem Ukrainekrieg verdeutlichen das.
Von Uwe Sievers
D
ie Informationskämpfer weltweit wei-
ten ihre Aktivitäten beständig aus, je-
doch sehr unterschiedlich. Für das
Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV) gibt das Anlass zur Warnung.
„Russische Akteure sind weiterhin bestrebt, die
politische und öffentliche Meinung in Deutsch-
land durch die Verbreitung von Propaganda, Des-
information sowie durch weitere Einflussnahme-
versuche zu Russlands Gunsten zu steuern“, be-
tont das BfV.
Doch den Vizepräsidenten des BfV, Sinan Selen,
beunruhigt eine weitere Entwicklung: „Auch in
Ihren Unternehmen müssen Sie Effekte wie Des-
information und Deepfake mitberücksichtigen“,
warnte er während einer Tagung in Berlin. Dann
stimmte er die Wirtschaft auf weitere Aktivitäten
ein: „Ich befürchte, dass Sie in Zukunft noch an-
spruchsvollere Aufgaben erhalten werden.“ Öf-
fentlich nennt er keine Details, ergänzt aber: „Seit
Anfang der Krise sind wir beim BfV in einem
24/7-Modus.“
Das BfV untermauert seine Warnungen mit
zwei Beispielen: „Unter dem Hashtag #bloody-
trade bauen aktuell Twitter-Accounts Druck auf
Unternehmen auch in Deutschland auf, sich aus
dem Russlandgeschäft zurückzuziehen.“ Dabei
dürfte es sich um eine Aktion ukrainischen Ur-
sprungs handeln.
Gleichzeitig beobachtet das Amt russische Ak-
tivitäten, zum Beispiel diese: „Kürzlich hat die
russische Botschaft in Deutschland das E-Mail-
Postfach sos@russische-botschaft.de eingerich-
tet.“ Russische Landsleute sollen Angriffe und Be-
lästigungen dorthin melden, doch das BfV fürch-
tet, dass diese Informationen für weitere Maß-
nahmen genutzt werden könnten. „Es ist anzu-
nehmen, dass die Einrichtung des SOS-Postfachs
der russischen Botschaft in Deutschland zur öf-
fentlichkeitswirksamen Verbreitung russischer
Narrative beitragen soll. Auch kann nicht ausge-
schlossen werden, dass die russischen Nachrich-
tendienste die erhaltenen Informationen gezielt
für operative Zwecke, etwa der Anbahnung, nut-
zen“, befürchtet der Verfassungsschutz.
In der Medienwelt – und zwar überall auf der
Welt – gehen Profis etwas raffinierter vor. Be-
troffenheit schafft Aufmerksamkeit und Klicks –
in Fotos und Bewegtbildern. Boulevardmedien
haben das seit Langem perfektioniert. Doch die
heutigen Kampfplätze sind Twitter, Tiktok,
Instagram, Youtube & Co. Hier kann jeder etwas
senden und je öfter es wiederholt und geteilt
wird, optimalerweise mit Fotos und Videos unter-
legt, desto glaubwürdiger erscheint es. Pure Fak-
ten haben dagegen kaum eine Chance.
Eine professionelle Manipulation der öffentli-
chen Meinung bedarf eines entsprechenden Pro-
pagandaapparats, wie er etwa in Russland mit der
Internet Research Agency (IRA) des Putin-Freun-
des Jewgeni Prigoschin vorhanden ist. Die IRA
mit Sitz in Sankt Petersburg beschäftigt viele
Hundert Mitarbeitende. Zu deren Aufgaben zählt,
mit gefälschten Fotos und Fake-Videos in sozia-
len Netzwerken Stimmungen zu erzeugen, die
Meinung in den Kommentarbereichen großer
Nachrichtenportale zu dominieren oder diskredi-
tierende Beiträge über Oppositionelle zu
erstellen.
8. April 2022 · Nr. 7
Die Agentur hat ihren Namen jedoch nicht nur
zur Tarnung, sondern betreibt tatsächlich For-
schung, vornehmlich in eigener Sache. Die Süd-
deutsche Zeitung (SZ) zitiert aus einem Strategie-
papier der Petersburger Agentur. Darin werden
umfangreiche Analysen der sozialen Netzwerke
beschrieben. „Die Altersverteilung der Nutzer
wird ebenso unter die Lupe genommen wie die
Tageszeit, in der die Aktivität am höchsten ist, so-
wie die politische Einstellung des Publikums“, zi-
tiert die SZ. Danach wird untersucht, „welches
Echo provokative Kommentare auf unterschiedli-
chen Portalen auslösten und welcher Grad an
Schärfe im Ton den größten Erfolg bringt“.
Angesichts solcher Forschungsarbeiten über-
rascht der Dilettantismus der aktuellen russi-
schen Propagandaarbeit. Zumal schon lange mit
umfangreichen Kampagnen Erfahrung gesam-
melt wurde, etwa beim ersten Ukraine-Konflikt
(Donbas) und der Annexion der Krim oder bei
den US-Wahlen Obamas. Auch bei den letzten
französischen Präsidentschaftswahlen hat man
erfolglos versucht mitzumischen, bei den Brexit-
Entscheidungen hatte die russische Propaganda
mehr Erfolg. In Trumps erstem Wahlkampf wurde
die Intensität sogar dermaßen erhöht, dass Agita-
toren in die USA reisten und mit lokalen Trump-
Fans gemeinsam agierten. Eine Untersuchungs-
kommission hat Taktik und Methoden beleuch-
tet. Heraus kam der nach dem ehemaligen FBI-
Chef und Leiter der Kommission benannte Mul-
ler-Bericht, in dem von „informationeller Kriegs-
führung gegen die USA“ gesprochen wird.
Doch nicht jede Desinformation ist für das Aus-
land gedacht. Oft soll sie den Rückhalt für die ei-
gene Politik in der Bevölkerung sichern. Überzeu-
gend wirkten diese Aktionen eher nicht: Russ-
lands an die eigene Bevölkerung gerichtete Pro-
paganda „hat sich als dilettantisch erwiesen“, ur-
teilt das US-Onlineportal „The Hill“. Die staatli-
che Propaganda habe den Krieg im eigenen Land
zunächst nicht angepriesen, weil sie damit rech-
nete, dass er nur dann populär sein würde, wenn
er kurz und erfolgreich sei. Die Maßnahmen kön-
nen auch deswegen so primitiv ausfallen, weil sie
TECHNIK & WIRTSCHAFT 13
Der einsame, erfolg- Foto: Panthermedia.net/Leo Lintang
reiche Hacker ist oft
nur ein Mythos. Das mit Zensurmaßnahmen untermauert werden.
Thema Meinungs- Wenn über alle Medienkanäle nur noch Staats-
bildung und Desinfor- meinung verbreitet wird, verschwimmt der Un-
mation der Öffentlich- terschied zwischen Realität und Desinformation.
keit wird stattdessen
strategisch angegan- Ganz anders die Kampagnen der ukrainischen
gen – von Menschen Regierung. Der ukrainische Präsident Selenskyj,
mit einem „normalen“ einst ein bekannter Schauspieler in der Ukraine,
Büroalltag. betreibt von Anbeginn viel Aufwand für seine Öf-
fentlichkeitsarbeit. Fast täglich entstehen Videos
mit heroischen Nachrichten und mit Musik un-
terlegten Appellen. Er findet mit seinem Medien-
stab nicht nur die richtigen Worte, sondern auch
die richtigen Bilder, um die ukrainische Bevölke-
rung ebenso wie die Weltöffentlichkeit für sich zu
gewinnen. Ein Video der ukrainischen Regierung
Tiktok-Videos zeigt unter anderem Plüschtiere zwischen Trüm-
mern zerbombter Häuser. Auch hier weiß man:
über den Beim Kampf um die Meinungshoheit ist Betrof-
Mythos des fenheit das Schlüsselelement.
erfolgreichen Manchmal werden aber auch Mythen geschaf-
fen, etwa der Geist von Kiew: Die Geschichte ei-
ukrainischen nes draufgängerischen Einzelkämpfers, der mit
seinem Flugzeug etliche russische Flugzeuge ab-
Jagdfliegers geschossen haben soll. Niemand weiß, um wen es
erzielten mehr sich handelt, der Pilot bleibt namenlos, doch Ge-
schichten dazu kursieren durch alle sozialen Net-
als ze. Die New York Times (NYT) berichtet, dass der
200 Mio.
offizielle ukrainische Twitter-Account die Ge-
schichte in einer spannenden Videomontage zu
dröhnender Musik teilte, die zeigt, wie der Jäger
durch den ukrainischen Luftraum stürzt, wäh-
Aufrufe rend um ihn herum feindliche Flugzeuge explo-
dieren. Auch der ukrainische Sicherheitsdienst,
die wichtigste Sicherheitsbehörde des Landes,
habe die Geschichte auf seinem offiziellen Tele-
gram-Kanal verbreitet. Die Videos wurden laut
NYT auf Twitter mehr als 9,3 Mio. Mal aufgerufen,
der Flieger wurde in Tausenden Facebook-Grup-
pen mit bis zu 717 Mio. Followern erwähnt. „Tik-
tok-Videos mit dem Hashtag #ghostofkyiv er-
reichten mehr als 200 Mio. Aufrufe“, schreibt die
US-Tageszeitung. In den Videos seien teils sogar
am Computer erzeugte Szenen eines Flugsimula-
tors verwendet worden.
14 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Wege aus der Wegwerfgesellschaft
Kreislaufwirtschaft: Die EU-Kommission macht nachhaltige Produkte zur Norm. Handys, Tablets oder Solaranlagen
sollen über den gesamten Lebenszyklus künftig repariert, wiederverwendet oder recycelt werden.
Von Thomas A. Friedrich
D
ie EU-Kommission will
erreichen, dass Elektro-
nikprodukte nach Erst-
gebrauch nicht mehr in
der Tonne oder auf
Müllhalden landen, sondern in ei-
ner ressourcenschonenden Kreis-
laufwirtschaft aufgehen. Mit dem in
der vergangenen Woche vorgelegten
Aktionsplan für die Kreislaufwirt-
schaft wartet die Kommission mit
neuen Vorschriften auf, um fast alle
physischen Waren auf dem EU-
Markt während ihres gesamten Le-
benszyklus, vom Design über den
täglichen Gebrauch bis hin zur Ent-
sorgung oder Umnutzung, umwelt-
freundlicher und energieeffizienter
zu machen.
„Es ist höchste Zeit, dass wir das
Modell der Wegwerfgesellschaft ad
acta legen, das für unseren Plane-
ten, unsere Gesundheit und unsere
Wirtschaft so schädlich ist. Die vor-
gelegten Vorschläge stellen sicher,
dass in Europa nur die nachhaltigs-
ten Produkte angeboten werden“,
sagte Exekutiv-Vizepräsident Frans
Timmermans vor der Presse in
Brüssel.
Verbraucher sollen auch vor Green
Washing geschützt werden. „Wir
unterstützen Verbraucherinnen und
Verbraucher, die sich mehr und
mehr Produkte wünschen, die eine
längere Lebensdauer haben und re-
pariert werden können“, erklärte
die für Werte und Transparenz zu-
ständige EU-Kommissarin Vera Jou-
rová. So beinhaltet das Vorschlags-
paket auch neue Vorschriften zur
Stärkung der Verbraucher beim grü-
nen Wandel. Eine bessere Produkt-
information über die ökologische
Nachhaltigkeit solle gewährleistet
werden, um Verbraucher vor Grün-
färberei, dem sogenannten Green
Washing, zu schützen.
Die von der Brüsseler Behörde
vorgelegten Vorschläge fußen auf
der EU-Ökodesign-Richtlinie, die
über 30 Produktgruppen einer kriti-
schen Energiebilanz unterzogen
und 2009 zum Beispiel den energie-
verschwendenden Fadenglühbir-
nen europaweit den Garaus ge-
macht hatte.
Bis 2030 sollen 132 Mio. t Primär-
energie eingespart werden. Jetzt
führt die EU-Kommission in ihrer
Begründung zur Revision an, dass al-
lein 2021 dank der bestehenden
Ökodesign-Anforderungen Energie-
kosten in Höhe von 120 Mrd. € ein-
spart worden seien. Die Vorschriften
hätten zu einem Rückgang des jährli-
chen Energieverbrauchs der betref-
fenden Produkte um 10 % geführt.
Das im Einklang mit dem Europäi-
schen Green Deal anvisierte Ziel zur
Einsparung von Primärenergie ent-
spreche rund 150 Mrd. m³ Erdgas
und damit fast der Gesamtheit der
russischen Erdgasimporte der EU, so
die EU-Kommission.
8. April 2022 · Nr. 7
Reparatur als neues Geschäftsmodell: Nach den Plänen der EU-Kommission könnte es damit bald
klappen. Foto: imago images/Westend61
Fast Fashion soll der Garaus ge-
macht werden. Gleichzeitig legte
die Kommission vergangene Woche
eine neue Strategie vor, damit Texti-
lien haltbarer werden bzw. sich re-
parieren, wiederverwenden oder re-
cyceln lassen, um „Fast Fashion“,
Textilabfälle und die Vernichtung
unverkaufter Textilien zu unterbin-
den.
Der neue Kommissionsvorschlag
soll im Rahmen der bestehenden
EU-Ökodesign-Richtlinie ein mög-
lichst breites Spektrum von Produk-
ten abdecken sowie den Geltungs-
bereich der Produktanforderungen
ausweiten. Dabei sollen nicht nur
Mindestkriterien für die Energieeffi-
zienz, sondern auch für die Kreis-
laufwirtschaft sowie eine Verringe-
rung des Umwelt- und Klimafußab-
drucks von Produkten festgelegt
werden. Dies solle zu einer höheren
Energie- und Ressourcenunabhän-
gigkeit und zur Eindämmung der
Umweltverschmutzung führen, ap-
pelliert die EU-Kommission an die
Mitgliedstaaten, bei der Umsetzung
zügig voranzuschreiten.
Im Europäischen Parlament wird
der Faden schon diese Woche kon-
kret aufgenommen. Auf Initiative
der Grünen-Fraktion hat das EU-
Parlament für Donnerstag eine Ab-
stimmung im Rahmen der EU-
Kreislaufwirtschaft zum „Recht auf
Reparatur“ auf die Agenda gesetzt.
Im Textentwurf wird betont, dass
ein wirksames Recht auf Reparatur
den Lebenszyklus eines Produkts
berücksichtigen sollte, ebenso wie
Produktdesign, ethische Produkti-
on, Standardisierung, Kennzeich-
nung zur Reparierbarkeit und zur
erwarteten Haltbarkeit eines Pro-
dukts. Zu einem angemessenen
Recht auf Reparatur gehöre nach
Ansicht der Abgeordneten auch,
dass die Reparaturindustrie und die
2021 wurden Verbraucher kostenlosen Zugang zu
Wartungsinformationen und Repa-
infolge der raturfähigkeit erhielten.
„Der Kommissionsvorschlag für
Ökodesign- eine nachhaltige Produktpolitik ist
Richtlinie ein Durchbruch auf dem Weg zur
Kreislaufwirtschaft, einem klima-
in der EU neutralen Kontinent und zu einer
weniger starken Abhängigkeit von
Energiekosten Rohstoffimporten“, lobte die deut-
sche grüne Europaabgeordnete An-
in Höhe von na Cavazzini die Kommissionsini-
tiative. Die Produkte der Zukunft
120 Mrd. € würden so designt, dass sie reparier-
bar und länger haltbar blieben.
Durch mehr gezieltes Recycling
einspart. werde damit in Zukunft aus Müll ein
wertvolles Rohstofflager.
Zustimmung kommt auch aus der
Elektronikbranche: „Die EU-Kom-
mission geht mit der Überarbeitung
der Ökodesign-Regulierung einen
wichtigen Schritt hin zu einem
nachhaltigen und klimaneutralen
Europa. Ob Smartphones, Tablets
oder smarte Waschmaschinen“, er-
klärte Bitkom-Hauptgeschäftsfüh-
rer Bernhard Rohleder. Auch die
Nutzerinnen und Nutzer digitaler
und elektronischer Geräte würden
künftig davon profitieren, dass As-
pekte der Kreislaufwirtschaft, wie
die Robustheit und Recycelbarkeit
von Geräten, noch stärker ins Zen-
trum rückten. Bei der Ausgestaltung
der Vorgaben sei es aus Sicht des
Bitkom wichtig, die Hersteller mit
einzubeziehen, um praxistaugliche
Lösungen zu finden.
Auch aus den von den Grünen
verantworteten Ministerien für Um-
welt (BMUV) beziehungsweise Wirt-
schaft und Klimaschutz (BMWK)
kommt Unterstützung. In einer ge-
meinsamen Presseerklärung heißt
es: „Der von der EU-Kommission
vorgelegte Entwurf für eine ‚Sustai-
nable Products Initiative‘ (SPI) so-
wie einen Vorschlag für eine EU-
Strategie für nachhaltige Textilien,
begrüßen wir.“ Die bislang geltende
Ökodesign-Richtlinie solle von ei-
ner neuen Verordnung abgelöst
werden. Die Richtlinie habe bisher
nur für eine begrenzte Anzahl von
Produktgruppen Geltung gehabt
wie z. B. für Waschmaschinen, Kühl-
schränke, TV-Geräte, Beleuchtung
und Motoren.
Künftig sollten auch Textilien, Mö-
bel, Stahl, Zement und Chemika-
lien vom Ökodesign umfasst wer-
den. Insbesondere Textilien, die im
EU-Binnenmarkt verkauft werden,
sollen künftig strengere Anforde-
rungen an nachhaltige Produktion,
Haltbarkeit und Kreislauffähigkeit
erfüllen.
Es sei richtig, so Staatssekretärin
im Verbraucherschutzministerium
Christiane Rohleder, dass „nachhal-
tige Produkte in Zukunft der Stan-
dard in der EU“ sein sollen, denn
Ressourcen seien endlich. Daher
müssten Produkte langlebiger und
besser reparierbar werden. Dies
nutze der Umwelt und dem Ver-
braucherschutz.
Der Verband der Chemischen In-
dustrie (VCI) unterstützte zwar das
Ziel, die Kreislaufwirtschaft zu för-
dern, warnt aber vor einem verkürz-
ten Verständnis von Nachhaltigkeit.
Der Fokus des Brüsseler Gesetzent-
wurfs liege auf Kriterien zur Stär-
kung der Kreislaufwirtschaft, wie et-
wa der Haltbarkeit oder Recycling-
fähigkeit von Produkten. Dabei be-
stünde die Gefahr, dass Beiträge zur
Nachhaltigkeit während der Nut-
zenphase von Produkten außer Acht
gelassen werden.
„Bei der Beurteilung von Nach-
haltigkeit ist es wichtig, alle Beiträge
im Blick zu behalten und eine ganz-
heitliche Betrachtung im Auge zu
behalten“, fordert VCI-Geschäfts-
führer Gerd Romanowski. Chemi-
sche Erzeugnisse leisteten an unter-
schiedlichen Stellen des Lebenszy-
klus von unzähligen Produkten ei-
nen wichtigen Beitrag. Immer grö-
ßere Rotorblätter von Windkrafträ-
dern seien nur ein Beispiel von vie-
len, die ohne Stabilisierung durch
Kunststofffasern nicht möglich sei-
en, so der VCI-Experte für Wissen-
schaft, Technik und Umwelt.
 8. April 2022 · Nr. 7 AUS DEN UNTERNEHMEN/START-UP
Ökopapier
aus Ananas
Umwelt: Betreiber von Ananasplantagen verbrennen jedes Jahr
Millionen Tonnen Pflanzenblätter. Das Start-up Eco:fibr gewinnt daraus
lieber Zellulose für die Herstellung von Papierwaren.
C
Von Patrick Schroeder
osta Rica ist der weltweit größte Produzent
von Ananas. Auf einer Anbaufläche von
rund 40 000 ha wachsen jedes Jahr etwa
3,4 Mio. t Früchte. Und alle Jahre wieder se-
hen die Felder nach der Ernte aus wie ein
Schlachtfeld. Sie sind übersäht mit dicken und stacheli-
Hannover gen Pflanzenblättern, die sich kaum kompostieren las- gend Geld, um alle Personal- und Entwicklungskosten abzude-
n Ein 44,5 Mio. t schweres Problem für Bauern. Sie
sen.
müssen die Bl Blätter
B ätter mmit Chemikalien trocknen und an-
it C
Foto [M]: panthermedia.net/Andreas Weber/VDIn
schließend verbrennen. Pro H Hektar
ekktaar za
zahlen
ahle sie dafür bis zu
2500 $. Und sorgen für
CO2-Ausstoß und eine
Belastung des Grund-
wassers.
„Die gute Nachricht:
Zukünftig wird es nicht
mehr nötig sein, die Pflanzen-
blätter zu verbrennen“, sagt Juli-
an Kolbeck, Mitgründer des hanno-
verischen Start-up Eco:fibr. „Denn wir
haben eine Möglichkeit gefunden, aus
dem Material Zellstoff für umwelt-
freundliches Papier zu gewinnen.“
Eco:fibr – das sind die Gründer Julian Das Gründertrio Michelle Spitzer, Merit Ulmer und Julian
Kolbeck, Merit Ulmer und Michelle Spit- Kolbeck (v.l.) – drei ehemalige Studierende der Leibniz Univer-
zer. Drei ehemalige Studierende der sität Hannover (LUH). Foto: Eco:fibr
Leibniz Universität Hannover (LUH),
die gemeinsam am Institut für Techni-
sche Chemie ein Verfahren für die Zellstoffgewinnung aus Ananasblät-
tern entwickeln. Wie der Prozess genau funktioniert, will das Start-up
nicht verraten. Derzeit laufen Patentierungen.
In seinen Grundzügen scheint das Vorgehen aber der klassischen
Zellulosegewinnung zu ähneln. Blätter, aus Costa Rica angeliefert,
landen dabei zunächst in einem Häcksler. Die wenigen Zentimeter klei-
nen Stücke anschließend in einem Reaktor. Dort extrahieren Chemika-
lien die Zellulose. Und das besonders umweltschonend. „In Holz befin-
det sich viel Lignin. Das ist eine Kitsubstanz, die sich in der klassischen
Zellulosegewinnung mit schwefelhaltigen Chemikalien und schädli-
chen organischen Lösemitteln entfernen lässt“, erklärt Merit Ulmer.
„Da Ananasabfälle viel weniger Lignin enthalten, können wir auf diese
umweltbelastenden Stoffe verzichten.“
Und auch im nächsten Schritt, dem Bleichen der Zellulose, nutzt
das Team der Umwelt zuliebe keine klassischen
Chlorverbindungen. Zum Einsatz kommt
stattdessen eine sauerstoffbasierte
Bleiche. Fehlt nur noch das Trocknen
– und schon ist das Produkt fertig:
Fluffiger weißer Zellstoff, aus dem
sich Papierprodukte herstellen lassen –
vollständig recycelbar und für die
Heimkompostierung geeignet.
Von einer Produktion im industriellen
Maßstab ist Eco:fibr allerdings noch weit
entfernt. Derzeit produzieren die jungen
Erfinder im Labor nur wenige Gramm der
Zellulose. Kleine Proben quasi, mit denen
das Start-up bei Kunden aus der Papierindus-
trie vorfühlt. Dort scheint das Material nach
ersten Analysen auf gute Resonanz zu stoßen.
So seien die Fasern lang und steif genug, damit
15
Bei der Ananasernte fallen Berge von stacheligen Blättern
an. Bisher werden sie in aller Regel chemisch getrocknet
und auf dem Feld verbrannt. Foto: Eco:fibr
Papiermaschinen sie problemlos verarbeiten können. Und
auch in der Politik stößt die Zellulosegewinnung aus Ana-
nasabfällen auf Anklang. Die niedersächsische Landesregie-
rung fand die Idee so gut, dass sie die Studierenden mit ei-
nem Gründungsstipendium in Höhe von 33 000 € unter-
stützt. Das Bundeswirtschaftsministerium gibt ebenfalls
finanzielle Rückendeckung. Im Rahmen des Förderpro-
gramms Exist erhalten die Studenten 133 500 €. Genü-
cken, eine GmbH auszugründen und sorgenfrei die nächsten
Schritte anzugehen.
„Das Team von Eco:fibr hat sich die Förderung mit dem Exist-
Gründerstipendium sehr verdient. Be-
reits seit vielen Jahren arbeiten sie uner-
müdlich interdisziplinär am Projekt“, sagt
Janina Segatz, Gründungsberaterin bei der
Leibniz Universität Hannover. „Das Ergebnis
ist ein echter Problemlöser.“
Und so sieht der Plan für die Zukunft aus:
Zunächst will Eco:fibr einen Proof-of-Concept
erbringen. Mit einer Pilotanlage, die im indus-
triellen Maßstab arbeitet. Sie wird bis zu 5 t Zel-
lulose aus angelieferten Ananasblättern
gewinnen. Nach diesem Durchführbar-
keitsbeweis ist für Ende 2022 eine Fi-
nanzierungsrunde geplant. Und
danach, 2023, steigt die
Spannung. Dann be-
ginnt in Costa Rica
der Aufbau ei-
ner Produktionsanlage. Eco:fibr wählt
dabei als Standort die Nordregion
des Landes, wo sich aufgrund
der fruchtbaren Vulkanböden
der Großteil des Ananas- Eco:fibr GbR
anbaus befindet. Eine Re- „ Gründung: 20
gion, die zugleich Anlauf- 22
punkt für viele Flüchtlinge aus „ Branche: Zells
toffproduktion
angrenzenden Ländern ist. „Wir „ Mitarbeitende
möchten hier sichere und fair be- : 10
zahlte Arbeitsplätze schaffen“, „ Ve rtrieb: weltweit
sagt Kolbeck. „ Umsatz: k.A.
Die Pläne von Eco:fibr sind
ehrgeizig. Perspektivisch möchte
das Unternehmen alle 4,5 Mio. t
Pflanzenreste in Costa Rica für die Um-
wandlung gewinnen. Aus dieser Menge
könnten die Anlagen pro Jahr 450 000 t Zellulo-
se produzieren. Material, welches das Start-up nach
Deutschland exportieren möchte. „Wir wollen uns zu-
nächst auf Nischen konzentrieren – etwa auf Hersteller
von Hygienepapier, Verpackungspapier oder Wand-
papier“, sagt Kolbeck.
Langfristig möchte das Start-up das Material
dann auch in Zentralamerika vermark-
ten, um Transportemissionen zu redu-
zieren. Hat das Unternehmen in Costa
Rica Erfolg, wäre zudem eine Expansi-
on in andere Länder denkbar – etwa
nach Brasilien. „Wir schätzen, dass sich
weltweit pro Jahr rund 33 Mio. t Zellulose
aus Ananasrückständen herstellen lassen.
16 TECHNIK & WIRTSCHAFT 8. April 2022 · Nr. 7

Von Angela Schmid

Energieeffizienz wird
U
nternehmen und Verbraucher stöh-
nen unter den aktuellen Kosten für
Strom, Gas und Kraftstoff. Allein der
Blick auf die Tanksäule gleicht bei
Preisen von rund zwei Euro pro Liter
Benzin einem Albtraum. Siegfried Russwurm,
Präsident des Industrieverbands BDI, erinnert die
Situation an die Ölkrise der 1970er-Jahre. Und er
hat mahnende Worte: „Die steigenden Strom-
immer wichtiger
und Gaspreise drohen die Wirtschaft zu erdrü-
cken.“ In einer Blitzbefragung des Deutschen In-
dustrie- und Handelskammertags (DIHK) unter
3700 Unternehmen nennen neun von zehn Un-
ternehmen höhere Energiekosten als spürbaren
Effekt des Ukraine-Krieges im eigenen Betrieb.
„Bereits vor dem Krieg haben rund zwei Drittel al-
ler Unternehmen hier ein Risiko für ihre geschäft-
liche Entwicklung gesehen“, erklärt DIHK-Haupt-
geschäftsführer Martin Wansleben. Kritik an den
verhängten Sanktionen gebe es aber kaum. Wans-
leben: „Selbst für die stark betroffenen Unterneh-
men ist Krieg keine Basis für Geschäfte.“
Trotz aller Brisanz kann die Kostenexplosion
mittelfristig eine positive Seite haben. Denn da-
mit erhält die Energieeffizienz eine größere Be-
deutung. Bisher wirtschaftlich unattraktive Tech-
nologien können rentabel werden, das Interesse
von Unternehmen an einer energetischen Auto-
nomie durch Investitionen in „grüne“ Energie
kann zunehmen und Politiker können unterstüt-
zende Förderinstrumente entwickeln. Das würde
den CO2-Ausstoß verringern und der Natur die
Chance geben, etwas aufzuatmen.

Eine der Technologien, die bei den aktuellen

Energiepreisen interessant werden könnte, ist
die Hochtemperaturwärmepumpe. Sie kann nach
Angaben von Alexander Sauer, Leiter des Fraun-
hofer-Instituts für Produktionstechnik und Auto-
matisierung IPA und des Instituts für Energieeffi-
zienz in der Produktion EEP der Universität Stutt-
Produktion: Bisher unwirtschaftliche Maßnahmen zur Einsparung fossiler
Energieträger in der Industrie werden durch steigende Energiekosten
attraktiv. Kurzfristige Lösungen wirken dagegen eher unspektakulär.
Nachhaltigkeit rückt Foto: PantherMedia / malpetr

gart, den Energieeinsatz im Vergleich zu her- durch steigende

kömmlichen Technologien um etwa ein Drittel verhelfen. „Unternehmen wägen natürlich ab, Energiekosten in der dungselementen oder Ventilen bis hin zu einer
sinken lassen. Konkret können Hochtemperatur- was das kostet und welches Risiko damit verrin- Industrie stärker in intelligenten und damit sinnvollen Nutzung von
wärmepumpen fossil befeuerte Anlagen ersetzen, gert wird. Dass dies heute aber anders bewertet den Vordergrund. Doch Licht und Wärme. „Längst noch nicht alle Unter-
sofern bei der Wärmebereitstellung ein Träger- wird als noch vor einem halben Jahr, ist auch viele Maßnahmen nehmen haben auf eine LED- Beleuchtung umge-
medium wie Wasser, Luft oder Temperieröl er- klar“, macht Sauer deutlich. „Die wirtschaftliche wirken eher mittel- bis stellt“, erklärt er.
wärmt und genutzt wird. Bei geeignetem Tempe- Betrachtungsweise verschiebt sich immer mehr langfristig. Planungs-
raturniveau lassen sich damit vor allem Gas- und hin zu einer energetischen Autonomie und dann sicherheit ist deshalb Ein großer Stromfresser ist die vor allem in der
Ölkessel ersetzen. Denn neben Strom, welcher ist der Strom auch echt grün und nicht über Zerti- wichtig. Produktion benötigte Lüftung, die oft auf maxi-
zum Antrieb der Wärmepumpe eingesetzt wird, fikate grün geworden.“ male Leistung läuft, aber nicht immer gebraucht
nutzen Hochtemperaturwärmepumpen Energie Bisher fehlt aber genau das, was BDI-Präsident wird. Haben die Mitarbeiter Feierabend, kann sie
aus der Umwelt oder anderweitig anfallende Ab- Russwurm fordert: Planungssicherheit. Die Basis ganz einfach abgeschaltet oder bei geringer Pro-
wärme als Wärmequelle. Somit wird für wirtschaftliche Berechnungen. duktion reduziert werden. Allein bei einer intelli-
der Primärenergieeinsatz im Ver- Niemand weiß zurzeit, wie sich die genten Steuerung der Lüftung rechnet Sauer mit
gleich zu konventionellen Wand- Energiepreise in den kommenden Einsparpotenzial von bis zu 30 %. Einfach zu be-
lungsanlagen bei der Bereitstellung Jahren entwickeln und auf welchem heben seien auch die oft vorkommenden Lecka-
der gleichen Menge an thermischer Level sie sich einpendeln werden. gen bei Druckluftsystemen, die ohnehin viel
Energie verringert. Sauer ist überzeugt: „Keiner rechnet Energie verschlingen. Dennoch: Das alles kann
Aus technischer Perspektive kön- mehr mit den günstigen Preisen von sich zwar positiv auf der Energierechnung be-
nen diese Wärmepumpen, nach Anfang 2020/21 – aber es rechnet merkbar machen. „Eine Kompensation für die
heutigem Stand, in Industriezwei- auch niemand damit, dass die Prei- zurzeit wahnsinnig hochschnellenden Energie-
gen eingesetzt werden, bei denen se so hoch bleiben wie bisher.“ kosten ist dies aber nicht – da sind Unternehmen
Wärme auf einem Temperaturni- Alexander Sauer: Das bedeutet: Selbst wenn sich chancenlos“, erklärt der IPA-Leiter.
veau bis 150 °C benötigt wird. „Ener- „Die wirtschaftliche aktuell die Anschaffung einer Hoch-
getisch eignen sich dazu insbeson- Betrachtungsweise temperaturwärmepumpe rentieren Vor den Maßnahmen steht jedoch die Transpa-
dere die Papier-, Lebensmittel-, Gal- verschiebt sich immer würde, kann die Berechnung in eini- renz – „ohne sie bleiben auch Energieeffizienzpo-
vanik-, Automobil- und Chemiein- mehr hin zu einer ener- gen Monaten schon wieder überholt tenziale meistens unentdeckt“, erklärt Armin
dustrie“, erklärt Sauer. „Aus ökono- getischen Autonomie“, sein. Sauer: „Unternehmen brau- Kühn, Teamleiter Industrie bei der Deutschen
mischer Perspektive sind Hochtem- sagt der Leiter des In- chen in den nächsten zwei bis drei Energie-Agentur (dena). Gerade bei kleineren
peraturwärmepumpen vor allem in stituts für Energieeffi- Monaten eine politische Aussage, Unternehmen würde dies oft noch fehlen. „Durch
den energieintensiven Branchen ge- zienz in der Produktion ob die Bundesregierung Maßnah- Messung und Analyse in Verbindung mit Sensorik
eignet, da hier in der Regel geringere EEP, Universität Stutt- men ergreift, um die Energiepreise und Digitalisierung ist hier noch einiges mög-
spezifische Stromkosten vorliegen.“ gart. Foto: Fraunhofer IPA/Rainer Bez zu senken oder sie dem freien Markt lich.“
Somit könne die Energiekostendif- überlässt. Nur auf dieser Basis kön- Künstlicher Intelligenz (KI) wird aus Sicht von
ferenz zum Gas- und Ölpreis geschmälert wer- nen mittelfristig Investitionen getätigt werden.“ Kühn als alleiniges Mittel zur Steigerung der
den. Auch wenn die Amortisationszeit von an- Sinnvoll sind für Sauer unter anderem sofortige Energieeffizienz jedoch zu viel Bedeutung beige-
fangs 16 zuletzt auf etwa sechs bis neun Jahre ge- Abschreibungen auf Investitionen in effiziente messen. „Insbesondere für die Zielgruppe der
fallen war, liegt die Technik aktuell noch im Dorn- Technologien, Zuschüsse oder eine schnelle Um- KMU sollte Digitalisierung grundsätzlicher be-
röschenschlaf. Bei den heutigen Energiepreisen setzung von Förderprojekten. Dennoch: All dies trachtet werden. Dort dient sie eher als Mittel zur
könne sich die Amortisationszeit auf bis zu zwei wirkt nicht von heute auf morgen. Aber es gibt sie: Steigerung der Produktivität und der Qualitätssi-
Jahre reduzieren, erklärt der Energieexperte. Ansätze, die für Unternehmen relativ einfach und cherung, wobei aber klare Synergien zur Steige-
vor allem kurzfristig umzusetzen sind. Die Maß- rung der Energieeffizienz bestehen und genutzt
Auftrieb könnten auch Investitionen in eigene nahmen klingen ziemlich unspektakulär, haben werden sollten. Auch hier ist die Steigerung der
PV- oder Windenergieanlagen erhalten und da- aber eine nicht zu unterschätzende Einsparwir- Transparenz durch Sensorik und Verfügbarma-
mit Unternehmen zu mehr Energieautonomie kung. Sie reichen von der Isolierung von Verbin- chen von Daten ein wesentlicher Effekt.“
 8. April 2022 · Nr. 7 TECHNIK & WIRTSCHAFT 17

Tiefste
Einblicke in
wachsende
Bauteile
Additive Fertigung: An der Universität Kassel steht
die hellste Labor-Röntgenquelle der Welt.
Sie eröffnet neue Wege der Prozessoptimierung und
Qualitätskontrolle beim 3D-Drucken.
Die Forscher Thomas Foto: Universität Kassel

Niendorf (re), Leiter

Von Stefan Asche es deshalb so richtig grell leuchten: des Fachgebiets Metal- kussierten Röntgenstrahl direkt auf plantatwerkstoffe, neue Leichtbau-
Die Forscher haben die mit Abstand lische Werkstoffe im In- einen Punkt in einem definierten komponenten oder neue Werkzeug-

D
ie Sache ist nicht ganz
simpel. Aber Alexander
Liehr findet eine pas-
sende Analogie: „Im
Prinzip ist es genau wie
bei der Fotografie. Stellen Sie sich
vor, Sie wollen einen ruhenden Ge-
genstand abbilden. Dann genügt
ein simples Teelicht zur Beleuch-
tung – vorausgesetzt, die Blende ist
entsprechend lange geöffnet.“ An-
ders sei dies bei bewegten Objekten.
Dann braucht es nach Angaben des
Leiters des Labors für die Röntgen-
feinstrukturanalyse an der Universi-
tät Kassel deutlich mehr Helligkeit,
um ein unverzerrtes Bild zu erstel-
len. Zur Verdeutlichung erklärt der
39-Jährige: „Die grellen Flutlichter
in Fußballstadien werden nicht et-
wa installiert, damit die Kicker den
Ball sehen. Hier geht es im Wesentli-
chen um scharfe Bilder in den TV-
Kameras.“
Liehr hat in seinem Job aber gar
keine Fußballer im Fokus, sondern
die Entstehung von 3D-gedruckten
Bauteilen – auf atomarer Ebene. Zu-
sammen mit seinem Chef Thomas
Niendorf, dem Leiter des Fachge-
biets „Metallische Werkstoffe“ am
Institut für Werkstofftechnik, lässt er
Alexander Liehr analysiert hier eine Metallprobe mithil-
fe einer konventionellen Röntgenröhre. Einblicke in den
Entstehungsprozess – wie sie die neue Höchstleistungsan-
lage ermöglicht – können auf diesem Weg nicht gewon-
nen werden. Foto: Christine Buhl/Universität Kassel
hellste Labor-Röntgenquelle der
Welt installiert. Sie projiziert eine
Energiedichte von 1000 W auf eine
Kreisfläche im Durchmesser von
nur 50 μm. Pro Sekunde prasseln
1014 Photonen auf diesen winzigen
Fleck. Bisherige Geräte schaffen
maximal die Hälfte. Und zum Ver-
gleich: Der klassische Röntgenappa-
rat beim Arzt ist schon bei 107 Pho-
tonen/s an seinem Limit.
Genutzt wird die Strahlenintensi-
tät auf zwei Wegen. Liehr: „Zum ei-
nen agieren wir genau wie konven-
tionelle Materialprüfer: Wir durch-
leuchten also fertige Bauteile.“ Alle
rückseitig austretenden Photonen
würden aufgefangen und sichtbar
gemacht. „Mit diesem klassischen,
bildgebenden Verfahren lassen sich
feinste Risse, Porositäten und Ein-
schlüsse im Metall erkennen.“ Das
Problem: Die räumliche Tiefe der
Probe darf 2 mm nicht überschrei-
ten.
Bei größeren Bauteilen kommt
deshalb die zweite Herangehens-
weise zum Zuge. Dabei wird das
Bauteil während seiner Entstehung
analysiert – Punkt für Punkt. Nien-
dorf erläutert: „Wir lenken den fo-
Die Strahlenquelle – hier ohne Pumpen
und Kühlaggregat. Der Metallstift im Vorder-
grund ist ein Kollimator. Er richtet die Rönt-
genstrahlen auf den zu untersuchenden
Punkt der Probe. Foto: Universität Kassel
stitut für Werkstoff- Abstand zum fortschreitenden
technik der Universität Schmelzbad. Zugleich fangen wir
Kassel, sowie Alexan- Strahlen auf, die von der Probe zu-
der Liehr, Leiter des rückgestreut werden.“ Die entspre-
Labors zur Röntgenfein- chende Strahlenbeugung gebe Auf-
strukturanalyse. In der schluss über den Aufbau des Kris-
Bildmitte: die aktuell tallgitters und die atomare Stapel-
hellste Labor-Röntgen- struktur. Orte, an denen diese Struk-
quelle der Welt. tur verzerrt ist – etwa durch Druck-
oder Zugspannung –, seien später
anfällig für Risse. Auch andere Ferti-
gungsdefekte, beispielsweise feh-
lende Schichtanbindungen (Lack of
Fusion), würden sichtbar. „Wir er-
fahren also, welche Prozessfenster
bei bestimmten Materialien günstig
bzw. ungünstig sind.“
Doch damit nicht genug: „Wir kön-
nen auch erkennen, wie verschiede-
ne Legierungen nach Abschluss des
Druckprozesses aufgebaut sind, al-
so welche Gefügebestandteile sie
dann haben“, so Niendorf. Dies sei
besonders bei Materialien mit mul-
tiplen Phasenumwandlungen, also
mehrfachen Änderungen des Auf-
baus während des Abkühlens und
Wiedererwärmens, interessant.
Genutzt werden sollen die vielen
Infos auch, um gänzlich neue Werk-
stoffe zu entwickeln. „Unser Ziel ist
es, Materialbibliotheken zu schaf-
fen“, so Niendorf. Aus ihnen solle
ersichtlich werden, welche Pulver-
mixturen (mit welchen chemischen
Zusammensetzungen) sich defekt-
frei auftragen lassen – und welche
nicht. Dabei wird es den Forschen-
den aus Kassel möglich sein, bis zu
sieben verschiedene Pulverfraktio-
nen ins Schmelzbad zu schießen.
Die Plattform der Nordhessen ist
absichtlich offen gestaltet. Deshalb
lassen sich problemlos weitere Sen-
soren – etwa zur Analyse von Tem-
peratur, Magnetismus und Akustik –
ergänzen. Fernziel ist, sämtliche
Sensordaten in Echtzeit auszuwer-
ten und in den laufenden Produkti-
onsprozess rückzukoppeln. Etwaige
Fehler können also schnell erkannt
und bestenfalls sofort korrigiert
werden.
Zu den Zielbranchen zählen die
üblichen Verdächtigen: Medizin-
technik, Automotive, Luft- und
Raumfahrt sowie Maschinen-, Anla-
gen- und Formenbau. Mit der Kas-
seler Anlage könnten etwa neue Im-
stähle mit geringster Empfindlich-
keit gegenüber Temperaturschwan-
kungen entwickelt werden.
Ganz billig ist der Spaß aber nicht.
Alleine die Röntgenquelle schlägt
mit 500 000 € zu Buche. Hinzu
kommt noch die eigens angefertigte
Anlage zum Laserauftragschweißen
sowie eine umfangreiche Sicher-
heitstechnik, um die Strahlen im
Zaum zu halten. In Summe werden
über 2 Mio. € für die Technik fällig.
Die muss aber niemand sofort aus-
geben. Niendorf: „Unsere Anlage ist
gefördert von der Deutschen For-
schungsgemeinschaft.“ Sie solle der
Allgemeinheit dienen. Deshalb:
„Wer die Funktionen testen und die
Möglichkeiten nutzen will, kann
mich jederzeit anschreiben“, so der
Professor. „Ich hoffe, dass die Geräte
irgendwann 24/7 durchlaufen und
viele Innovationen hervorbringen.“
Die ersehnten Innovationen müs-
sen nicht zwingend per Laserauf-
tragschweißen entstehen. Auch an-
dere Druckverfahren seien denkbar.
„Ein Pulverbett würde den Prozess
aber deutlich erschweren“, schränkt
Niendorf ein.
Selbst Kunststoffe könnten theo-
retisch mittels Röntgenbeugung
analysiert werden. Denn auch in ih-
nen gebe es teilkristalline Phasen.
„Allerdings steht die Forschung hier
noch ganz am Anfang.“
Das ganze Interview zur Röntgen-
feinstrukturanalyse können Sie
hören in der 37. Ausgabe des
Podcasts „Druckwelle“. Dort er-
fahren Sie auch, wie es möglich
ist, die Strahlenintensität dauer-
haft aufrechtzuerhalten – und
welche Schutzmaßnahmen ge-
troffen werden müssen.
www.ingenieur.de/druckwelle
18 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Veränderungen
besser beherrschen
Produktentwicklung: Das neue V-Modell schafft Strukturen für
interdisziplinäre Entwicklungsprozesse. Cyber-physische Produkte und
Geschäftsmodelle werden in der VDI-Richtlinie nun berücksichtigt.
Von Martin Ciupek
V
iele Informationen und Bedürfnisse
sind bei einer interdisziplinären Pro-
duktentwicklung zu berücksichtigen.
Eine Methode, um hier Strukturen zu
schaffen, ist das V-Modell nach der
Richtlinie VDI/VDE 2206. In nahezu jedem zu-
kunftsorientierten Unternehmen des Maschinen-
baus ist das Entwicklungsmodell laut Iris Gräßler
heute schon zu finden. Die Leiterin des Lehr-
stuhls für Produktentstehung am Heinz-Nixdorf-
Institut der Universität Paderborn ist als Vorsit-
zende des Gremiums für die Neuentwicklung der
VDI-Richtlinie 2206 „Entwicklung mechatroni-
scher und cyber-physischer Systeme“ verant-
wortlich. Denn bisher fehlten wichtige Elemente,
mit denen beispielsweise cyber-physische Syste-
me (CPS) praxisgerecht abgebildet werden kön-
nen. CPS sind mit dem Internet der Dinge und
Dienste (IoT) vernetzte Komponenten und Syste-
me mit ihren digitalen Zwillingen. Diese Lücke
wurde mit der neuen Fassung geschlossen..
Den hohen Verbreitungsgrad des V-Modells
macht Gräßler im Wesentlichen an drei Punkten
fest: „Erstens hilft es, die große Komplexität der
heutigen technischen Systeme in handhabbare
Abschnitte herunterzubrechen. Zweitens stelle es
per se immer die Absicherung der Eigenschaften
in den Vordergrund. Das heißt, der Systement-
wurf wird während der Entwicklung kontinuier-
lich verifiziert und validiert“, erklärt sie. Letzteres
sei insbesondere für sicherheitskritische Systeme
entscheidend. Drittens biete das V-Modell nun
„eine hervorragende Grundlage, mit hohen Än-
derungsraten während der Produktentwicklung
umzugehen“. Die Hauptanwendungsfälle für die-
ses Entwicklungsmodell sieht sie in der Entwick-
lung mechatronischer und cyber-physischer Sys-
teme. Dabei stamme das V-Modell selbst ur-
sprünglich sogar aus der Softwaretechnik. „Ge-
nau da ist es nach wie vor anwendbar – nur, dass
8. April 2022 · Nr. 7
man jetzt sehr viele Erfahrungen in der Industrie
gesammelt hat, wie man die Prinzipien des Mo-
dells auch auf technische Gesamtsysteme über-
tragen kann“, erklärt die Professorin.
Das bisherige V-Modell stammte aus dem Jahr
2004, wo es viele der heutigen Anforderungen in
der Form nicht gab. CPS nutzen heute beispiels-
weise verschiedene Dienste wie Methoden der
künstlichen Intelligenz. „Das heißt, diese Systeme
können sich während des Betriebs in ihren Eigen-
schaften und Verhalten verändern“, verdeutlicht
Gräßler. Dadurch bekomme ein präventives Qua-
litätsmanagement plötzlich eine völlig neue Be-
deutung. Zusätzliche Anforderungen ergeben
sich laut der Professorin auch hinsichtlich der
Nachhaltigkeit von Produkten und Prozessen.
Daraus leitet sie das Ziel ab, eine zirkuläre Wert-
schöpfung von Anfang an im Entwicklungspro-
zess zu verankern. „Dafür muss ich dann ständig
prüfen, in welcher Qualität die recycelten Mate-
rialien zurückgekommen sind und für welche
Einsatzfelder sie sich dann überhaupt noch eig-
nen. Das Ganze muss ich quasi schon über Jahre
hinaus im Voraus berücksichtigen“, erklärt sie.
Die neue Richtlinie eigne sich deshalb nun auch
für die agile Produktentwicklung.
Erweitert wurde dazu auch die Hauptmerkmal-
liste nach Pahl/Beitz, anhand derer bereits in der
bisherigen Version wichtige Aspekte abgehakt
werden konnten – quasi wie auf einer Einkaufslis-
te. „Wir haben Punkte zum Datenaustausch, Da-
tenspeicher und die nötigen Schnittstellen er-
gänzt“, verdeutlicht Gräßler. Dabei gehe es um
Fragen rund um die digitale Kommunikation so-
wie Aspekte der Cybersecurity und neuer Ge-
schäftsmodelle. Eine dieser Fragen könne sein:
Wird die Software beispielsweise wie bei Tesla au-
tomatisch ‚over-the-air‘ aufgespielt oder beim
Werkstattbesuch aktualisiert?
Insgesamt elf Schwachpunkte hatte das Gremi-
um in der Richtlinienarbeit beim bisherigen
V-Modell identifiziert. Deshalb waren in den ver-
Das neue V-Modell:
Auffallend sind die
sechs Kontrollpunkte so-
wie die drei Stränge zur
Modellierung, Anforde-
rungs- und Systement-
wicklung. Grafik: VDI 2206:2021–11
„Der System-
entwurf wird
während der
Entwicklung
kontinuierlich
verifiziert und
validiert.“
Iris Gräßler, Leiterin des
Lehrstuhls für Produktent-
stehung am Heinz-Nix-
dorf-Institut der Universi-
tät Paderborn, zum Nut-
zen des neuen V-Modells.
gangenen Jahren auch mehrere Derivate des
Grundmodells entstanden. Die verschiedenen
Ausprägungen galt es „durch harte Arbeit“, wie
Gräßler es nennt, wieder zusammenzuführen. Va-
rianten aus Forschung und Industrie wurden da-
zu von Vertretern aus beiden Bereichen analysiert
und verglichen. „Wir haben parallel immer wie-
der die Teilergebnisse mit nach Hause genom-
men und überprüft: die Industrievertreter in ihre
Unternehmen und die Wissenschaftler zu ihren
Forschungs- und Industriekontakten“, erklärt die
Vorsitzende des Gremiums. Abschließend wur-
den die Ergebnisse in einem Workshop validiert.
Neben zusätzlichen Aspekten zur Entwicklung
von CPS und Geschäftsmodellen gibt es nun auch
Kontrollpunkte sowie drei Stränge für Anforde-
rungsentwicklung, Systementwicklung, Modellie-
rung & Analyse. Besonders hebt Gräßler die sechs
Kontrollpunkte hervor, die nun in der VDI/VDE
2206 aufgeführt sind. Sie sagt: „Wenn man möch-
te, kann man daraus beispielsweise Meilensteine
für einen Stage-Gate-Prozess oder das Definition-
of-Done eines agilen Ansatzes machen.“ Die
Punkte enthalten Kontrollfragen, wie weit die
Entwicklung zu dem Zeitpunkt sein muss, um gu-
ten Gewissens sagen zu können, dass der Ab-
schnitt hinreichend beleuchtet wurde und abge-
schlossen werden kann.
Schnell kommt Gräßler dabei wieder zu einer
anderen Neuheit im V-Modell. „Unser allererster
Kontrollpunkt ist dabei das Geschäftsmodell. Das
heißt, da hinterfragen wir: Können wir damit
überhaupt Geld verdienen? Und in welcher Form
verdienen wir das Geld?“, erklärt die Professorin.
Als Beispiel dafür nennt sie das Geschäftsmodell-
muster „razor and blade“, bei dem das Kernpro-
dukt eher kostendeckend verkauft wird, während
die regelmäßig benötigten Rasierklingen für die
Gewinne sorgen. „Wer den Rasierer einmal lieb-
gewonnen hat, ändert das nicht gern. Analog
können das Kaffeekapseln oder Softwareupdates
sein“, stellt sie fest. Daraus resultierten regelmä-
ßige Einnahmen und gute Gewinnmargen. „Das
Ganze übertragen wir auf Werkzeugmaschinen
oder Flugzeugturbinen. Da kommen wir dann zu
Betreibermodellen und Wartungskonzepten. All
das kann ich dann planen.“
Weitere Kontrollpunkte und Kontrollfragen gibt
es für Spezifikation, Architektur, Implementie-

rung, Integration und Übergabe. Die Spezifikati-
on am Kontrollpunkt 2 bildet dabei z. B. den Ab-
schluss der Anforderungserhebung. Nach und
nach lassen sich damit alle wichtigen Aspekte im
Prozess abhaken. „Mit der Entwicklung von hoch-
auflösenden Fahrzeugscheinwerfern bei Hella
zeigen wir den Einsatz der Kontrollpunkte“, sagt
Gräßler und verweist auf eines von mehreren Pra-
xisbeispielen, in denen das neue Modell bereits
eingesetzt wurde. Mittels adaptiver Funktionen
blenden solche Scheinwerfer z. B. andere Ver-
kehrsteilnehmer im Fernlichtkegel aus oder proji-
zieren Informationen auf die Straße.
Die Anwendung bei Hella macht auch die
Funktion der spezifischen Kontrollfragen deut-
lich. So musste zunächst geklärt werden, ob die
8. April 2022 · Nr. 7 TECHNIK & WIRTSCHAFT
ausgewählte Funktion tatsächlich die Verkehrssi-
cherheit erhöht und ob seitens des Gesetzgebers
eine Zulassung überhaupt möglich ist. An Kon-
trollpunkt 2 „Spezifikation“ wurde beispielsweise
hinterfragt, ob Dateninfrastruktur und Rechen-
leistung im Zielfahrzeug überhaupt dafür geeig-
net sind. Auch die Frage, ob sich die Lichtfunkti-
on durch Messtechnik absichern lässt, wurde hier
geklärt. In Punkt 3 wurde u. a. kontrolliert, ob al-
ternative Systemarchitekturen ausreichend ana-
lysiert wurden. Eine Frage bei der Implementie-
rung (Kontrollpunkt 4) war, ob die entwickelten
optischen Komponenten überhaupt in großen
Stückzahlen produziert werden können.
Bei der Integration (5) musste geklärt werden,
ob bis dahin alle Komponenten der Systemstruk-
tur integriert und die notwendigen Schnittstellen
umgesetzt wurden. Beim Kontrollpunkt 6 „Über-
gabe“ wurde schließlich hinterfragt, ob das Sys-
tem und die Bedienung und Handhabung des
Systems vollständig und nachvollziehbar doku-
mentiert sind. Betreut wurde das Projekt von Ro-
land Lachmayer, dem geschäftsführenden Leiter
des Instituts für Produktentwicklung und Geräte-
bau an der Leibniz Universität Hannover. Er bi-
lanziert: „Die Kontrollpunkte der erweiterten
Richtlinie können den Entwickler dabei unter-
stützen, vor und während des Entwicklungspro-
zesses die eigene Tätigkeit zu reflektieren. Die
projektspezifische Erweiterung der Kontroll-
punkte ist eine hilfreiche Methode, um die Ar-
beitsinhalte der einzelnen Phasen des V-Modells
zu strukturieren.“
Wie die Entwicklung eines cyber-physischen
Systems aussehen kann, wird am Beispiel der
Qualitätssicherung mittels Sensorik deutlich. Die
Iris Gräßler ist Leiterin BST Group (BST) konzipierte mit dem neuen
des Richtliniengremi- V-Modell eine Lösung zur Spektralmessung für
ums, das die Richtlinie die Farbüberwachung im Druckprozess. Dabei
VDI/VDE 2206 zum laufen flexible Bahnmaterialien mit Geschwin-
V-Modell überarbeitet digkeiten von bis zu 1000 m/min durch die Ma-
hat. Hauptberuflich schine. Besondere Aufmerksamkeit galt in dem
ist sie Professorin Fall dem cyberphysischen Aspekt bei der Kom-
an der Universität in pensation des Thermochromatischen Shift. Bei
Paderborn. Foto: UPB diesem Phänomen verändert sich eine aufgetra-
gene Farbe in Abhängigkeit von der in der Druck-
maschine ansteigenden Materialtemperatur. Die-
selbe Farbe wirkt nach dem Druck, also im abge-
kühlten Zustand, anders, als sie in der Maschine
gemessen werden kann. Der Effekt ist dabei ins-
besondere vom verwendeten Pigment abhängig.
Zwar kann dieser Shift physikalisch modelliert
werden, um die Qualität der Prozessüberwa-
chung und damit das Druckergebnis zu verbes-
19
sern. Aber die Berücksichtigung der Vielfalt an Pa-
rametern in einem umfangreichen Materialport-
folio erfordert einen sehr hohen Rechenaufwand.
Deshalb wurden Cloud-basierte, selbstlernende
Analysesysteme als Lösungsansatz gewählt. „Im
Beispiel der Inline-Spektralmessung in der bahn-
verarbeitenden Industrie wurde am Kontroll-
punkt ‚Geschäftsmodell‘ beispielsweise die
Cloud-basierte Entkopplung der Analysefunktion
vom materiellen Kernprodukt festgelegt. Auf-
grund der Zentralisierung des Rechenaufwands
werden Kosten eingespart und gleichzeitig lernt
das System schneller“, fasst Gräßler eine wesent-
liche Erkenntnis zusammen.
Das Entwicklungsteam um den damaligen Pro-
jektleiter und heutigen Professor Michael Dattner
von der Berliner Hochschule für Technik, wählte
diesen Weg, um den ungleichen Entwicklungssta-
dien bzw. Erfüllungsgraden bei der Entwicklung
der unterschiedlichen Subsysteme gerecht zu
werden. Damit konnten z. B. grundlegende Ge-
schäftsmodellfragen wie ein optionales Abo-Mo-
dell geklärt werden, während die Entwicklung der
Technik bis zum Kontrollpunkt „Implementie-
rung“ eher klassisch verlief.
Erst im Kontrollpunkt „Integration“ kamen ge-
genüber dem bisherigen V-Modell zusätzliche
Anforderungen für das CPS hinzu. Beispielsweise
ging es dann um Aspekte wie Datensicherheit,
Schutz vor unberechtigtem Zugang und rechtli-
che Rahmenbedingungen für die Kommunikati-
on von kundenrelevanten Daten. Fazit des Teams:
„Das neue V-Modell mit den Kontrollpunkten
und der erweiterten Hauptmerkmalliste hat bei
der Überführung eines rein mechatronischen
Systems in ein cyber-physisches System valide
Hilfestellung geben können.“ An Kontrollpunkt 6
wurde demnach festgestellt, dass nun alle Spezifi-
kationen eingehalten werden.
Abhängig vom Anwendungsfall ist es laut Gräß-
ler auch möglich, mehrere Vs zu verschachteln.
Im Gremium habe es dazu viele Diskussionen ge-
geben, insbesondere um die Frage, was am An-
fang und was am Ende steht. „Das sind im ein-
fachsten Fall am Anfang die Anforderungen des
Systems und am Ende das ausgelieferte System“,
so Gräßler. Am Ende könne aber auch ein Muster
stehen, das im nächsten Zyklus weiterentwickelt
wird. Auch der vorzeitige virtuelle Test könne eine
Verzweigung sein. Noch ist dieser Aspekt in der
VDI/VDE 2206:2021 nicht näher ausgeführt. „Wir
haben lange überlegt, ob wir das explizit in das
Grundmodell reinnehmen und haben uns ent-
schieden, dazu im Nachgang noch ein Beiblatt zu
entwickeln“, fasst sie das Ergebnis zusammen.
20 FOKUS: ENERGIEWENDE ZU HAUSE
Auf der Suche
nach den
Alternativen
Energiewende zuhause:
Wie möglichst schnell aus Öl
und Gas? Wir haben da ein paar
Hilfestellungen für Sie.
Von Stephan W. Eder
D
er Wirtschaftskrieg, der durch die Sank-
tionen gegen den russischen Präsiden-
ten Wladimir Putin eingeläutet worden
ist, ist bei uns allen angekommen. Spä-
testens mit seinem Dekret, Energielieferungen –
unter anderem nach Deutschland – will er nur
noch in Rubel bezahlt sehen. Öl und Gas waren
vor Putins Kriegseröffnung in der Ukraine schon
teuer, seine Erklärung machte allen die Abhängig-
keiten, vor allem beim Erdgas, noch einmal sehr
deutlich. Es droht ein industrieller und damit ein
wirtschaftlicher Kollaps. Bundeswirtschaftsmi-
nister Robert Habeck rief daraufhin zum Energie-
sparen auf. Alle sollten tun, was ihnen möglich
ist. Das hilft am schnellsten.
Es ist die Spitze eines Eisbergs: Schon ange-
sichts der im letzten Jahr steigenden Energieprei-
se können sich Energieberatungsstellen seit Mo-
naten kaum noch retten vor den Anfragen: Wie
kann ich weniger Energie verbrauchen? Wie mög-
lichst schnell raus aus Öl und Gas? Angesichts der
wohl just gut überstandenen Heizsaison wäre es
jetzt die Zeit, über den Sommer hinweg Haus und
Hof fit zu machen. Mancher plant die eigene
Energieautarkie, eine andere ist schon damit zu-
frieden den alten Gasbrenner besser heute als
morgen los zu werden. Und wodurch zu ersetzen?
Das Zeitalter der Wärmepumpe bricht an. Von
der deutschen Energieagentur bis zum Handwerk
sind sich viele einig: Wärmepumpen, also eine
strombasierte Technologie, soll Öl- und Gas im
Heizsektor weitgehend. Das geht; Die Schweden
machen das schon lange so. Also geht der Run auf
Wärmepumpen los. Aber es gibt Haken und Ösen,
vor allem beim Bestandsbau. Nicht umsonst hat-
te sich der VDI eingeschaltet und zusammen mit
dem Handwerk die VDI-Richtline 4645, Blatt 1
aufgelegt. Sie legt Grundlagen für Schulungen,
die es Installateuren ermöglichen, die Technik so
zu installieren, dass der Hausbesitzer auch das
bekommt, was der Hersteller verspricht. In unse-
rer Ausgabe 10/2019 haben wir uns in unserem
Fokus „Energie im Haus“ intensiv mit der Wärme-
pumpe beschäftigt. Alles wesentlich Wissenswer-
tes rund um diese Technik finden Sie dort oder in
der Online-Ausgabe dieses Fokus, in der wir diese
Strecke erstmals im Netz zur Verfügung stellen.
Was können wir sonst noch tun? Für wen die
Wärmepumpe – warum auch immer – kein gang-
barer Weg ist, für den bieten sich als direkte Wär-
meerzeuger Pellet- und Holzheizungen an sowie
Geothermie, wo dies machbar ist. Die Solarthem-
rie ist eine weitere, schon lange erprobte Option,
zumindest als Zusatzheizung.
Oft viel einfacher ist es, den Strom selbst bereit
zu stellen, und darauf fokussieren wir uns auf den
kommenden Seiten. Nicht nur jene, die Haus und
Hof besitzen, auch Mieterinnen und Mieter kön-
nen etwas tun. Kombiniert mit einem Stromspei-
cher lässt sich eine gewisse Autarkie bei der
Stromversorgung erreichen. Oder eine Wärme-
pumpe mit selbst erzeugtem Ökostrom betreiben
– zumindest teilweise. Manches aber, was wün-
schenswert erscheint, wie die Einbindung eines
Elektroautos, ist schlicht noch nicht machbar .
Geld aber gibt es aus vielen Fördertöpfen, dafür
sorgen derzeit Bund und Länder.
8. April 2022 · Nr. 7
Energie ei
Autarkie: Mini-Windräder, mobile
in Zeiten steigender Kosten für Strom, Öl und Gas suche
Von Patrick Schroeder immer mehr Haushalte neben der
Windkraft auch für Photovoltaik-
W
ie wäre es, eine Mi- anlagen. Besonders beliebt: Plug-
ni-Windkraftanlage and-Play Geräte, die ohne Pla-
auf dem Dach zu nungs- und Installationsaufwand
montieren? Das An- Strom für den eigenen Bedarf er-
gebot ist groß. Im In- zeugen. Zu den Herstellern zählt
ternet tummeln sich hunderte Her- die Bosswerk GmbH aus Nettetal.
steller von Mikro-Windanlagen mit Unter der Marke „Green Akku“ ver-
einer Leistung von weniger als 2 kW. treibt das Unternehmen eine kom-
Modelle, die mit Einstiegspreisen pakte Photovoltaik-Anlage, die auf
von rund 180 € locken. Doch die Ver- jedem Balkon Platz findet. Zwar
braucherzentrale warnt: Viele Ange- lassen sich keine Pauschalaussa-
bote sind minderwertig und weit gen zur Leistung treffen. Doch das
entfernt von der Qualität von Solar- Unternehmen rechnet vor: Ein Mo-
anlagen. Ebenso von einem wirt- dul mit 245 Wp erbringt in der Re-
schaftlichen Betrieb. So erzeugt eine gion Würzburg eine Solarstro-
Mikro-Windanlage mit einem Rotor- mernte von rund 265 kWh pro Jahr.
durchmesser von 1 m und einer Ro- Der Haushalt spart also bei einem
torfläche von 0,8 m2 durchschnitt- Strompreis von 36 ct/kWh knapp
lich 96 kWh Strom pro Jahr. Bei ei- 95 €. In knapp vier Jahren sind die
nem derzeitigen Strompreis von Investitionskosten für das Plug-
rund 36 ct/kWh spart der Anwender and-Play Gerät demnach wieder
rund 35 €. Und vor der Amortisation eingespielt. Doch auch hier gibt die
dürften viele Modelle den Geist auf- Verbraucherzentrale zu bedenken:
geben. Vorsicht ist also geboten. Zu- Einfach aufstellen und loslegen ist
mal Vibrationen und Geräusche die nicht in allen Fällen legal. So müs-
Nachbarn ärgern könnten. sen Mieter von Wohnungen und
Bei privaten Windkraftanlagen Häusern vorher das Okay des Ei-
geht es aber auch eine Nummer grö- gentümers einholen.
ßer. Der Hersteller Easy Wind aus
Enge-Sande in Schleswig-Holstein
etwa baut eine Kleinwindanlage na-
mens Easy Wind 6, die rund 30 000 €
kostet. Der Rotor aus einem Stahl-
GFK-Verbund hat einen Durchmes-
ser von 6,8 m. Montiert ist er auf ei-
nem bis zu 19 m hohen Mast. So
lässt sich schon viel mehr Strom er-
zeugen. Laut Hersteller liegt der Jah-
resertrag der Anlage bei bis zu
15 000 kWh.
Doch lohnt sich die Investition
tatsächlich? Das Statistische Bun-
desamt geht davon aus: Der Durch-
schnittshaushalt in Deutschland
benötigt jährlich 3106 kWh Strom.
Bei 36 ct/kWh entspricht das Kosten
von 1118 €, die der Haushalt jedes
Jahr mit der Windkraftanlage spart.
Die restlichen 11 894 kWh könnte
der Haushalt ins öffentliche Netz
einspeisen. Bei einer Vergütung von
knapp 5 ct liegt der Umsatz bei rund
595 €. Unterm Strich spart der Besit-
zer der Windkraftanlage also 1713 € Photovoltaikanlagen auf Privathäusern rechnen sich vor allem dann, wenn der
pro Jahr, sodass die Amortisations- erzeugte Strom vor Ort verbraucht wird – etwa zum Laden eines E-Autos. Hintergrund:
zeit 17,5 Jahre beträgt – die Umsatz- Die Einspeisevergütung beträgt aktuell nur noch 7 ct/kWh. Foto: E.ON/Malte Braun
steuer für die Einspeisevergütung
außer Acht gelassen. Foto: Easywind
Doch Achtung: Die Regelung für
den Bau einer Windkraftanlage die-
ser Größe ist von Bundesland zu
Bundesland verschieden. Um kei-
ne bösen Überraschungen zu erle-
ben, sollten sich Interessenten vor
dem Kauf beim Bauamt erkundi-
gen. Wichtig ist es zudem, die
Windkraftanlage beim Stromnetz-
betreiber und der Bundesnetz- Windkraftanlage für
agentur anzumelden und Versiche- den großen Garten: Der
rungen abzuschließen. Erst dann Hersteller Easy Wind
steht der autarken Energiegewin- verspricht einen Jahres-
nung mit Windkraft nichts mehr im ertrag von bis zu
Weg. 15 000 kWh. Zuvor
Um den horrenden Energieprei- müssen aber 30 000 €
sen zu entgehen, interessieren sich investiert werden.
 8. April 2022 · Nr. 7 FOKUS: ENERGIEWENDE ZU HAUSE
infach selber machen
e Solarmodule, Wasserkraftwerke für den Rucksack, Biogasanlagen für den Garten –
en immer mehr Haushalte nach Alternativen. Vieles ist möglich, aber nicht alles rentiert sich finanziell.
Biogas aus Garten-
abfällen, Speiseresten
und Exkrementen:
Die Anlage des israeli-
sche Unternehmens
Home Biogas erzeugt
laut Hersteller täglich
bis zu 2500 l Biogas.
Voraussetzung ist aller-
dings eine Außentem-
peratur von mindes-
tens 20 °C. Foto: HomeBiogas
Für den Balkon: Pho-
tovoltaikanlagen wie
diese können laut Her-
steller Bosswerk die
Stromrechnung jähr-
lich um knapp 100 €
senken. Foto: GreenAkku
Wasserkraftwerk für unterwegs: Sobald sich
der Rotor des „Blue Freedom“ dreht, können
elektrische Geräte, etwa Smartphones, geladen
werden. Der Preis: 299 €. Foto: Blue Freedom
Natürlich geht es auch im Solar-
bereich eine Nummer größer. Seit
Jahren etabliert: die eigene Photo-
voltaik-Anlage auf dem Dach. Der
Energiekonzern Eon beispielsweise
bietet Anlagen inklusive Montage
auf dem Dach ab 10 500 € an. Diese
Einstiegsmodelle benötigen eine
Fläche von 19 m2 und produzieren
jährlich durchschnittlich 3420 kWh
Strom. Der Bedarf des Durch-
schnittshaushalts wäre somit ge-
deckt, die Amortisation in 8,5 Jahren
erreicht. Rein rechnerisch. Doch die
Realität sieht anders aus. Wenn tags-
über die Sonne scheint, sind die
meisten Menschen bei der Arbeit.
Sie speisen deswegen den Strom in
das öffentliche Stromnetz ein. Und
erhalten nach dem Erneuerbare-
Energien-Gesetz (EEG) eine staat-
lich garantierte Vergütung.
Diese Vergütung ist allerdings in
den letzten Jahren stark gesunken.
Photovoltaik-Anlagen, die 2022 in
Betrieb gehen, bekommen nur noch
knapp 7 ct/kWh. 16 % weniger als
2021. Mit der Einspeisung allein las-
sen sich die Anlagen laut Stiftung
Warentest daher nicht mehr kosten-
deckend betreiben. Ein Ausweg:
Möglichst viel Strom selbst verbrau-
chen. Etwa, indem tagsüber das
E-Auto lädt oder die Waschmaschi-
ne läuft – eventuell gesteuert über
eine Zeitschaltuhr-App. Eine Alter-
native ist es zudem, eine Photovol-
taik-Anlage mit Stromspeicher zu
wählen. Erhältlich sind solche Mo-
delle bei Eon ab 16 000 €. Sie ermög-
lichen angeblich eine bis zu 70%ige
Unabhängigkeit vom Versorger.
Zunehmend mehr Haushalte wol-
len nicht nur von Stromanbietern,
sondern auch von Gaskonzernen
unabhängiger werden. Hierfür bie-
tet das israelische Unternehmen
Home Biogas einen Ansatz: eine
Biogasanlage für den Garten. Das
größte Modell, Home Biogas 7, erin-
nert optisch an ein Zelt und benö-
tigt eine Aufstellfläche von 400 cm x
180 cm. Nach dem Aufstellen muss
der Besitzer den 4300 l großen Fer-
menter aktivieren, indem er via fri-
schem Tiermist genügend hungrige
21
Bakterien ins System bringt. Im All-
tag kann er anschließend neben
Mist auch Küchenabfälle über einen
Trichter in die Biogasanlage füllen
– es existiert sogar eine Anschluss-
möglichkeit zur Toilette.
Home Biogas verspricht: Pro Tag
verarbeitet die Anlage bis zu 20 l Kü-
chenabfälle, 70 Toilettenspülungen
und 36 l Tierdung. Aus dieser wilden
Mischung entstehen täglich bis zu
2500 l Biogas, das Haushalte zum
Heizen oder Kochen nutzen kön-
nen. Der Preis für die Mini-Biogas-
anlage: 1333 $. Doch Achtung: Die
Anlage funktioniert nur bei Tempe-
raturen von mindestens 20 °C.
Spielt Wasserkraft eine Rolle bei
der autarken Energieversorgung? Be-
dingt! Schließlich fließt durch die
wenigsten Grundstücke ein Bach.
Doch wenn der Fluss nicht zur Was-
2300 kWh
verbraucht eine Person
im Haushalt pro Jahr. Das
entspricht Kosten von gut
800 €
serkraftanlage kommt, dann geht die
Anlage eben zum Fluss. Hier kommt
Portable ins Spiel, ein Wasserkraft-
werk für den Rucksack, produziert
vom Unternehmen Blue Freedom.
Das Gehäuse der Mini-Anlage sieht
aus wie ein Ufo, 22 cm klein und
690 g leicht. Im Inneren befindet sich
ein blauer Rotor, den der Besitzer
entnimmt, mit einem Stromkabel
verbindet und in die Bachströmung
setzt. Den erzeugten Strom speichert
Portable in einem 5000 mAh-Lithi-
um-Ionen-Akku. Digitalkameras,
Camping-Kühlschränke oder LED-
Lampen lassen sich über zwei USB-
Ports laden. Ein Smartphone ist laut
Blue Freedom in durchschnittlich ei-
ner Stunde geladen. Die Kosten für
das Mini-Wasserkraftwerk: 299 €.
22 FOKUS: ENERGIEWENDE ZU HAUSE
Für wen lohnt sich die Nachrüstung
eines Batteriespeichers für
die eigene Solarstromanlage?
Seit dem Jahr 2000 erhalten Betreiber einer Solar-
stromanlage für den erzeugten und ins Netz einge-
speisten Solarstrom eine Vergütung entsprechend dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG. Diese Vergü-
tung ist im EEG gesetzlich festgelegt und hat sich über
die Jahre immer wieder geändert. Ob und wann es sich
lohnt, einen Stromspeicher für Anlagen nachzurüsten,
hängt also immer vom Baujahr der Anlage ab. Hinzu
kommt: Die EEG-Vergütung entfällt nach dem 20. Be-
triebsjahr. Danach lässt sich mit dem Strom also nur
der Marktpreis erzielen.
Solarstromanlagen, gebaut vor 2001
Diese über 20 Jahre alten Photovoltaikanlagen erhal-
ten keine feste Einspeisevergütung mehr. Im EEG 2021
ist geregelt, dass der eingespeiste Strom zunächst bis
2027 mit dem Marktwert (Börsenstrompreis) vergütet
wird, der sich in den letzten Jahren zwischen 3 Cent/
kWh und 5 Cent/kWh eingependelt hatte, gegen Jah-
resende 2021 aber exorbitant anstieg. Um möglichst
viel Strom selbst zu nutzen und Bezugskosten von
rund 30 Cent/kWh zu sparen, erscheint dennoch die
Anschaffung eines Speichers sinnvoll. Da die Anlagen-
lebensdauer auf grob 30 Jahre geschätzt wird, ist zu
berechnen, ob sich die Investition in einen Speicher
noch lohnt – vor allem, wenn noch die Wechselrichter
oder der Zählerschrank erneuert werden müssen.
Photovoltaikanlagen, gebaut von 2002 bis 2008
Betreiber dieser Anlagen erhalten eine den damaligen
Kosten der Technik angemessene sehr hohe Einspeise-
vergütung von über 40 Cent/kWh. Die Jahre bis zum
Ablauf der über 20 Jahre garantierten Vergütung sind
aber über kurz oder lang gezählt. Danach wird ein
Speicher sehr sinnvoll, denn die hohe Vergütung fällt
dann weg oder beläuft sich nur auf einige Cent/kWh.
Sollte ein Wechselrichter innerhalb der kommenden
Jahre ausfallen, könnte man einen Gleichstrom-Spei-
cher (DC) erwägen, mit dem der Solarstrom direkt im
Speicher aufgenommen wird. Sobald dann die Vergü-
tung wegfällt, macht ein Speicher Sinn.
Solarstromanlagen, errichtet von 2009 bis zum
1. Quartal 2012
Zwischen Anfang 2009 und März 2012 werden Boni
zwischen 12 Cent/kWh und 22 Cent/kWh auf selbst
genutzten Solarstrom gewährt. Der zusätzlich zur Ein-
speisevergütung gezahlte Bonus ist für die 20-jährige
Dauer garantiert. Interessenten sollten sich daher zeit-
nah einen Speicher anschaffen, denn jedes Jahr Vergü-
tung zählt für die Berechnung der Wirtschaftlichkeit.
Von Juli 2010 bis zum 1. Quartal 2012 wurde der Eigen-
verbrauchsbonus weiterentwickelt. Ab einer Eigenver-
brauchsquote von 30 % gibt es noch einmal einen Zu-
schuss. Vorteil: Anteile über 30 % sind mit einer Batte-
rie ohne Weiteres zu erreichen. Ein Wechselstrom-Sys-
tem (AC) holt mehr Vergütung heraus, denn es wird
der in die Batterie fließende Strom für die Zahlungen
gewertet. Effizienzverluste spielen also keine Rolle.
Photovoltaikanlagen, gebaut ab dem
2. Quartal 2012
Seit 2012 sind die Kosten für Solarstrom nun erheblich
günstiger als der Strom vom Versorger aus dem Netz.
2013 sank die Einspeisevergütung unter 17 Cent/kWh.
Spezielle (teilweise auch bundeslandspezifische För-
derprogramme) unterstützen die Entscheidung für ei-
ne Stromspeichernachrüstung. Die Stromgestehungs-
kosten einer Photovoltaikanlage mit Speicher liegen
mindestens 10 Cent/kWh unter den aktuellen Strom-
kosten. Batteriespeicher als Ergänzung zur Solaranlage
gelten daher – spätestens mit dem Baujahr 2016 der
Solaranlage – als wirtschaftlich lohnend.
Ausgewählte weitere Informationen
Infos zur Wirtschaftlichkeit von Speichernachrüstun-
gen liefern unter anderem:
„ https://solarenergie.de/stromspeicher/nachruestung
„ www.wegatech.de/ratgeber/photovoltaik/stromspeicher/
nachruestung/
„ https://maxx-solar.de/kosten-batteriespeicher/
8. April 2022 · Nr. 7
Reserve für Heim
und Netz
Stromspeicherung: In Deutschland entwickeln sich Solarstromspeicher
zum Massenmarkt – und die Bedingungen werden immer besser.
Von Christian Dany
D
as Europäische Parla-
ment erwartet eine
14-fache Steigerung der
weltweiten Nachfrage
nach Batterien bis zum
Jahr 2030 und 17 % dieser Nachfrage
könnten auf die EU entfallen. Das
Fortschreiten der Digitalisierung so-
wie der Ausbau schwankender er-
neuerbarer Energien und – vor al-
lem – der Elektromobilität sind die
wesentlichen Treiber dieser Ent-
wicklung. Angesichts des Krieges in
der Ukraine kommt jetzt noch das
Thema Selbstversorgung hinzu –
viele Menschen wollen sich
möglichst unabhängig machen.
Und selbst erzeugter Strom lässt
sich am besten über Batterien zu
Hause speichern. Beim Übergang
der EU hin zu einer klimaneutralen
Wirtschaft gelten Batterien als eines
der wichtigsten Elemente.
Während bei mobilen Anwendun-
gen wie der Elektromobilität auf-
grund der hohen Energiedichte
kaum ein Weg an der Lithium-Io-
nen-Technologie (LI) vorbeiführt,
sind bei stationären Batterien meh-
rere Alternativen möglich – und in
vielen Fällen auch wirtschaftlich
(s. Kasten). Doch auch bei Stationär-
batterien dominiert wegen der mitt-
lerweile aufgebauten Massenpro-
duktion die LI-Technologie.
Lithium-Ionen-Technologie domi-
niert. Der Grund: Der mit der eige-
nen Solaranlage erzeugte Strom ist
preiswerter als der Strom aus der
Steckdose. Aber auch das Einspei-
sen des erzeugten Solarstroms, ver-
gütet nach dem Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz (EEG), lohnt sich inzwi-
schen nicht mehr zwangsläufig. Den
Eigenverbrauch des Stroms einer
Photovoltaikanlage mithilfe eines
Batteriespeichers kräftig zu erhö-
hen, spart also mehr an Kosten für
den Strombezug ein, als man an Ver-
gütung für die Einspeisung ins Netz
bekommen würde.
Die Nachfrage nach Solarstrom-
speichern steigt ständig. Nach An-
gaben des Bundesverbands Solar-
wirtschaft (BSW-Solar) wurden 2021
ca. 141 000 neue Heimspeicher in
Deutschland installiert. Vermutlich
könnte die Zahl noch höher sein,
doch in letzter Zeit häuften sich die
Lieferschwierigkeiten bei einigen
Batterien aus Fernost.
Insgesamt sind in der Bundesre-
publik schon rund 400 000 Batterie-
speicher für Solarstrom im Einsatz.
Während ungefähr jede zweite neue
Photovoltaikanlage gleich mit ei-
nem Speicher ausgestattet wird, be-
steht noch ein sehr hohes
Nachrüstpotenzial bei den rund
2 Mio. bestehenden Solarstrom-
anlagen (s. Kasten).
Rack eines Lithium-Ionen-Solarspeichers: In diesen Typ der Firma Senec
passen vier Batterieeinheiten zu je 2,5 kWh. Foto: Martin Boeckh
Solarspeicherpreise in den letzten
Jahren um fast die Hälfte gesun-
ken: Eine Untersuchung der RWTH
Aachen hat für Kleinspeicher mit ei-
ner nutzbaren Kapazität von 5 kWh
einen Durchschnittspreis von brut-
to 1747 €/kWh ergeben. Bei Spei-
chergrößen über 10 kW sinkt der
spezifische Preis auf 1212 €/kWh.
Abhängig von der Zyklenzahl über
die Lebensdauer ergeben sich Kos-
ten von 10 Cent/kWh bis 30 Cent/
kWh.
Der Skaleneffekt bei größeren
Speichern macht sich für Gewerbe-
und Landwirtschaftsbetriebe mit
höherem Stromverbrauch bezahlt.
Zudem wird die Optimierung des
Insgesamt sind in der Bun-
desrepublik schon rund
400 000 Batteriespeicher
für Solarstrom im Einsatz
Eigenverbrauchs umso interessan-
ter, wenn die EEG-Umlage ab Juli
wegfällt, wie es die Bundesregierung
plant. Noch müssen bei Photovol-
taikanlagen mit mehr als 30 kW
Nennleistung für den Selbstver-
brauch 1,5 Cent/kWh für die anteili-
ge EEG-Umlage abgeführt werden –
aber das interessiert Eigenheimbe-
sitzerinnen und -besitzer nicht. De-
ren Photovoltaikanlage ist in der Re-
gel kleiner.
Mit einem Batteriespeicher lassen
sich außerdem Stromausfälle über-
brücken: Dient der Solarspeicher
gleichzeitig als Netzersatzanlage
oder USV (unterbrechungsfreie
Stromversorgung, die in sensiblen
Bereichen wie Krankenhäusern er-
forderlich ist), können Investitionen
in wartungsintensive Blockheiz-
kraftwerke (BHKW) oder Ähnliches
vermieden werden. Batteriespeicher
können aber nicht nur Geld sparen,
sondern auch Geld verdienen:
Durch die Bereitstellung von Regel-
energie zur Stabilisierung des
Stromnetzes – und das ohne nen-
nenswerten Mehraufwand oder In-
vestitionskosten.
Speicher im dreistelligen Kilo-
watt-Bereich lassen sich wirtschaft-
lich und technisch optimal in virtu-
elle Kraftwerke integrieren. Die Next
Kraftwerke GmbH zum Beispiel
nimmt Batteriespeicher in ihr virtu-
elles Kraftwerk auf, wenn sie über
mindestens 400 kW - und bei dieser
Leistung über eine Stunde - Spei-
cherkapazität verfügen.
Das Kölner Unternehmen, das ei-
nes der größten virtuellen Kraftwer-
ke in Europa betreibt, bietet den-
noch auch wesentlich kleineren
Speichern die Möglichkeit, Primär-
regelenergie zu liefern: Hierzu wird
mit dem Solarbatteriehersteller
Sonnen GmbH aus Wildpoldsried
zusammengearbeitet: Während
Sonnen die Aggregation, Steuerung
und Verfügbarkeitsberechnung der
flexiblen Batterieleistung über-
nimmt, verantworten die Kölner die
Anbindung des Batterieschwarms
an die Leitstellen der Übertragungs-
netzbetreiber und Regelenergie-
märkte sowie die Gebote und deren
Abrechnung.
Sonnen, früher selbstständig, ge-
hört inzwischen zu Shell und ist ei-
ner der führenden Anbieter auf dem
deutschen Markt für Solarspeicher
im Eigenheimbereich, also für klei-
nere Dachanlagen. Durch die Ko-
operation mit Next Kraftwerke kann
also der eigene Speicher bzw. die ei-
gene Solaranlage mit zur Netzstabi-
lisierung beitragen.
 8. April 2022 · Nr. 7 FOKUS: ENERGIEWENDE ZU HAUSE 23

Fördergeld für die private Energiewende

Finanzen: Angesichts steigender Energiepreise lohnen Investitionen in selbst gewonnenen Strom immer häufiger. Öffentliche
Zuschüsse, zinsgünstige Darlehen und innovative Mietmodelle ermöglichen den Wechsel auch ohne eigenen Kapitaleinsatz.

Von Matilda Jordanova-Duda nung, Projektierung und Installation der So- hohe Investitionskosten umgehen, der admi-
larpaneele und Batteriespeicher. Das nistrative Aufwand fällt weg. Mehrere An-

V
iele Photovoltaikanlagen in Deutsch-
land sind auf privaten Dächern instal-
liert und dienen in erster Linie der Ei-
genversorgung. Was nicht direkt im
Haushalt verbraucht wird, wird ins öf-
fentliche Netz gespeist. Besitzern kleiner Photo-
voltaikanlagen bis 10 kWp – das ist die übliche
Haushaltsgröße – wurde das Einspeisen im März
2022 mit 6,63 Cent/kWh vergütet. Dieser Satz
wird voraussichtlich ab Mitte des Jahres fast ver-
doppelt und sogar rückwirkend angewendet wer-
den, wenn das „Oster-Paket“ der Bundesregie-
rung in Kraft tritt.
Eine schlüsselfertige Anlage kostet nach
BUND-Angaben im Schnitt rund 1300 € pro in-
stalliertem Kilowatt-Peak zuzüglich Umsatzsteu-
er. Für den Speicher rechnet man ungefähr das
Doppelte. Für die Finanzierung gibt es eine über-
wältigende Anzahl zinsgünstiger Darlehen und
Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen
sowie Banken und Stromversorgern. Die öffentli-
che Hand verspricht eine vereinfachte Förderung
durch das Programm BEG (Bundesförderung für
effiziente Gebäude): Die Antragstellenden kön-
nen sich für einen direkten Investitionszuschuss
oder aber für einen zinsgünstigen Kredit mit Til-
gungszuschuss entscheiden. Gefördert werden
zudem die Fachplanung und Baubegleitung. Die
günstigen Kredite vergibt die Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW), für Zuschüsse ist das BAFA
(Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle)
zuständig.
„Um Fördermittel zu erhalten, ist es Pflicht, ein
Handwerksunternehmen mit den Arbeiten zu
beauftragen. Reichen Sie Ihren Antrag ein, bevor
Sie Liefer- und Leistungsverträge abschließen“,
mahnt die KfW. Wenn die Photovoltaikanlage als
Einzelmaßnahme geplant ist, gibt es das Förder-
programm „Erneuerbare Energien 270“. Die
staatliche Bank fördert die Anschaffung, die Pla-
Ganze läuft jedoch über die Haus- bieter, etwa Entega, Zolar, DZ-4 und
bank. Der effektive Jahreszins der Yello Solar, haben das Modell, je-
KfW-Förderkredite beträgt im doch nur für frei stehende Einfa-
günstigsten Fall 1,75 %. Bei un- milienhäuser. Die Vermieter
terschiedlichen Laufzeiten übernehmen die Installation,
sind bis zu drei tilgungsfreie Versicherung, Wartung und
Anlaufjahre möglich. In Reparaturarbeiten gegen
den KfW-Förderprogram- monatliche Zahlungen. Je
men ist ein „Vorteilsrech- nach Größe der Anlage und
ner“ integriert, der den di- des Speichers liegen diese
rekten Vergleich der Kre- zwischen 50 € und 160 €
ditkonditionen mit denen pro Monat. Der Haushalt
der Hausbank erlaubt. nutzt den Solarstrom selbst
und reduziert dadurch seine
Manche Banken oder Fin- Stromrechnung bzw. behält
techs bieten spezielle Solar- die Einspeisevergütung. Nach
kredite an: Diese sind ziemlich Ablauf des Mietvertrags kann die
günstig, weil die garantierte Ein- Anlage zum Restwert gekauft wer-
speisevergütung wie auch der billige den. Nachteil ist die lange Vertrags-
Eigenstromverbrauch als Sicherheit bindung an einem Anbieter – und für
gelten. Solarkredite können ein KfW-Darle- das Mietmodell gibt es keine Förderung.
hen ersetzen oder ergänzen. Solche haben bei- Auch kleine Module bis 600 W, sogenannte So-
spielsweise ING, Targobank, Schwäbisch Hall Innovative Energie- larsteckergeräte, produzieren Strom für den Ei-
oder Smava im Angebot (s. www.finanzierung- gewinnung wird gengebrauch: Interessant sind sie vor allem für
photovoltaik.info). gesondert gefördert. Wohnungsmieter, weil sie sich leicht abbauen
Der Fördermittelcheck der gemeinnützigen Die Picea-Systeme des und beim Umzug mitnehmen lassen (Beispiel s.
Plattform CO2online verschafft einen Überblick, Berliner Start-ups HPS S. 21). Ob sie sich im Einzelfall lohnen, lässt sich
wo es Geld bei den Ländern und Kommunen zu kombinieren etwa eine mithilfe des „Wattrechners“, vom Hersteller In-
holen gibt. Bayern zahlt beispielsweise unter be- Batterie, einen Elektro- dielux zusammen mit der Hochschule für Wirt-
stimmten Voraussetzungen einen Speicherbonus lyseur und eine Brenn- schaft und Technik Berlin entwickelt, feststellen.
von mindestens 500 €. Je größer Photovoltaikan- stoffzelle als Speicher Für die private Stromwende spielen andere
lage und Speicher sind, desto höher der Zu- für Solarstrom. Dafür Technologien bisher kaum eine Rolle. Die KfW
schuss. Die Stadt Aachen unterstützt kleine Anla- gibt es rund 15 000 € fördert mit ihrem Programm 270 auch Wasser-
gen auf Dächern und an Fassaden, Braunschweig als KfW-Zuschuss. kraftwerke bis 20 MW, Kleinwindräder und Kraft-
finanziert die Nachrüstung von Speicherkapazität Foto: PantherMedia / Armin Karg Wärme-Kopplungsanlagen auf der Basis von Bio-
mit. Düsseldorf, Köln, Freiburg oder München le- masse oder Erdwärme. „Innovative Energiege-
gen ebenfalls nach. Wichtig ist, Kumulierungsver- winnung“ beschenkt die KfW mit bis zu 34 300 €
bote zu beachten: Nicht alle Förderinstrumente im Programm „Energieeffizient Bauen und Sanie-
dürfen miteinander kombiniert werden. ren – Zuschuss Brennstoffzelle“. Der Grundbetrag
Alternativ lässt sich eine Solaranlage mit oder liegt bei 6800 €, hinzu kommen 550 € je angefan-
ohne Speicher auch mieten. Dadurch lassen sich genen 0,1 kW elektrischer Leistung.

Das E-Auto als Pufferspeicher für die Solaranlage

Elektromobilität: Beim bidirektionalen Laden kann das E-Mobil den Strom aus der heimischen Photovoltaikanlage zurück
ans Haus abgeben oder gegen Entgelt ins Stromnetz einspeisen. In Deutschland ist das noch Zukunftsmusik.

Von Peter Kellerhoff mangelt es auch an den politischen installierten Photovoltaikanlage

Rahmenbedingungen, die für eine liegt festgeschrieben für die nächs-

E
s wäre im Rahmen der Ener-
giewende eine ideale Kom-
bination – die Photovoltaik-
anlage auf dem Dach und
das E-Mobil, das als Pufferspeicher
für die erzeugte Energie dient und
diese bei Bedarf ans Haus abgibt
oder sie ins Stromnetz einspeist. Die
Rede ist vom bidirektionalen Laden,
dem Laden in beide Richtungen.
Doch es fehlt an allen Ecken und
Kanten. Viele, vor allem europäische
E-Mobile, sind technisch (noch)
nicht für das bidirektionale Laden
ausgelegt, der CCS-Ladestecker
(Combined Charging System) eben-
falls nicht. Besser macht man es in
Asien, wo etwa der Nissan Leaf oder
verschiedene Mitsubishi-Modelle
das bidirektionale Laden durch das
entsprechende Batteriemanage-
ment und den Chademo-Ladeste-
cker bereits beherrschen. Zumin-
dest VW hat angekündigt, in diesem
Jahr alle E-Autos des Konzerns seri-
enmäßig mit bidirektionalen Lade-
systemen auszustatten.
Zudem fehlt es einerseits – ganz
banal – an einer Plattform, um
E-Autos dezentral in das Energiesys-
tem zu integrieren. Andererseits
Wallboxen für den ein-
fachen Ladevorgang
gibt es für wenige Hun-
dert Euro. Wallboxen
für bidirektionales La-
den kosten (noch) ein
Vielfaches dessen.
Foto: Heidelberger Druckmaschinen AG
intelligente und bidirektionale Ein-
bindung von E-Autos ins Energie-
netz Voraussetzung sind.
Experten sehen in V2G (Vehicle to
Grid) eine Möglichkeit, wie Batte-
rien von Elektrofahrzeugen zur Sta-
bilität des Stromnetzes beitragen
können: „Grün“ produzierter Strom
könnte dezentral in Elektroautos ge-
speichert werden, wenn er zur Ver-
fügung steht, und wieder abgege-
ben werden, wenn er benötigt wird.
Lastspitzen können besser ausgegli-
chen werden und die Netzstabilität
verbessert werden.
Die Vorteile liegen auf der Hand,
verabschieden müssen sich Besitzer
und Besitzerinnen einer Photovol-
taikanlage und eines E-Mobils aber
von der Vorstellung, durch V2G viel
Geld zu verdienen. Die Einspeise-
vergütung einer in diesem Monat
ten 20 Jahre bei unter 8 Cent/kWh –
Tendenz von Monat zu Monat wei-
ter fallend. Zum Vergleich: Vor zehn
Jahren lag die Einspeisevergütung
noch bei 25 Cent/kWh.
Daraus ergibt sich, dass der indi-
viduelle Vorteil des bidirektionalen
Ladens eindeutig bei der V2H-Vari-
ante (Vehicle to Home) liegt. „Grün“
erzeugter Strom vom Hausdach, der
in den Batterien des E-Mobils flexi-
bel dem Haus oder dem Stromnetz
zugeführt werden kann – oder eben
der sauberen Fortbewegung dient.
Nicht zu vergessen: die Möglichkeit
der Stromautarkie. Auch bei länge-
ren Stromausfällen taut die Kühltru-
he nicht ab. Bei rasant steigenden
Strompreisen – vielerorts müssen
mittlerweile mehr als 40 Cent/kWh
an die Versorger gezahlt werden –
ein gewichtiges Argument.
24 FINANZEN 8. April 2022 · Nr. 7
„ PARKETTNOTIZEN
Die Sorge vor
Rückschlägen wächst
Das erste Quartal war aus Börsensicht nicht gera-
de erfolgreich. Trotz einer starken Aufholjagd im
März hat der Deutsche Aktienindex (Dax) in den
ersten drei Monaten dieses Jahres mehr als 9 %
eingebüßt. Angesichts der allgemeinen Gemen-
gelage mag das nicht weiter verwundern. Eben-
falls nicht, dass die Ausblicke eher zurückhaltend
ausfallen.
Der Start in das zweite Quartal dürfte also
holprig ausfallen. Dabei dominieren bei den
Unternehmen Versorgungsängste. Vor allem
fürchten die Firmen Energiemangel, sei es, dass
die Politik sich dafür entscheidet, die Sanktionen
gegen Russland auf Öl und Gas auszuweiten, sei
es, dass Russland selbst den Gashahn zudreht.
Schon jetzt drücken die stark gestiegenen Prei-
se auf die Gewinnmargen, weshalb die kommen-
den Quartalszahlen
Q zu einem wichtigen Grad-
messer
m werden dürften.
Bis
B die neue Bilanzsaison
wieder
w startet, muss man
sich
s mit einigen Nach-
züglern
z bescheiden.
A
Ansonsten laden immer
mehr Konzerne ihre Ak-
m helf durchgeführt. Lockdowns und
ttionärinnen und Aktio-
Stefan Wolff näre zur Hauptversamm-
arbeitet als lung. Dabei geht es nicht
Finanzjournalist u. a. nur um den Blick in den
für das ARD-Börsen- Rückspiegel. Auch hier
studio. Foto: privat sind die Ausblicke ent-
scheidender Hinweis für
zukünftige Anlageent-
scheidungen. Und natürlich sind die in Aussicht
gestellten Gewinnbeteiligungen, die Dividenden,
gerade in Krisenzeiten eine wichtige Größe.
Die Saison der Hauptversammlungen nimmt
dieser Tage Fahrt auf. Auch wenn es bei vielen
Unternehmen wegen der Coronapandemie nicht
wie gewünscht rund lief, werden das die Aktionä-
rinnen und Aktionäre nicht zu spüren bekom-
men. Ganz im Gegenteil können sie sich auf Re-
kordausschüttungen freuen, denn das Füllhorn
ist prall gefüllt. Allein die 40 Dax-Unternehmen
werden schätzungsweise 46,5 Mrd. € an Dividen-
den zahlen. Vergangenes Jahr waren es noch
34 Mrd. €. Das liegt zum einen daran, dass es im
vergangenen Jahr noch 30 Dax-Werte waren.
Doch rechnet man diesen Zuwachs heraus, sind
die Dividenden immer noch um fast ein Drittel
gestiegen.
Natürlich liegt den Firmen daran, ihre Anteils-
eignerinnen und -eigner bei Laune und damit
bei der Stange zu halten. Denn in Zeiten der
Zinswende leiden vor allem die Aktien jener
Wachstumswerte, die zuvor gehypt worden sind.
Eine solide Gewinnausschüttung suggeriert Si-
cherheit und stellt einen wertvollen Baustein der
Rendite dar. Gerade wenn einige Zinspapiere
wieder beginnen, ein wenig Attraktivität zu ent-
falten, sind Dividenden ein wichtiges Argument
für Aktien.
Daneben setzt man an der Börse auf die altbe-
kannten Argumente. So haben die niedrigen
Zinsen trotz einer strafferen Geldpolitik der No-
tenbanken nicht von ihrer negativen Strahlkraft
verloren. Nach wie vor gelten Aktien darüber hi-
naus auch als effektiver Schutz vor Inflation.
Schließlich handelt es sich dabei um Sachwerte.
Und doch wähnt man sich an der Börse inzwi-
schen in einem Bärenmarkt. Trotz starker Expor-
te und weiter wachsender Unternehmensgewin-
ne fürchtet man eine Rezession. Eine solche wür-
de natürlich nicht spurlos an der Börse vorbei-
ziehen.
Fintechs finanzieren
den Mittelstand
Mittelstandsfinanzierung: Statt Angebote von mehreren Banken
einzuholen und einen aufwendigen Prüfprozess zu durchlaufen, setzen immer
mehr KMU auf die Flexibilität von digitalen Kreditvermittlern.
Von Matilda Jordanova-Duda
E
in Betriebsmittelkredit
für die neue CNC-Fräs-
maschine? Überbrü-
ckungsgeld, bis die Kun-
den ihre Rechnung be-
zahlen? Oder die Finanzierung der
Expansionspläne? Bei den im letz-
ten Jahrzehnt gegründeten Fintechs
werden Mittelständler oft fündig.
Während der Corona-Krise schaute
jedes vierte Unternehmen nach Al-
ternativen zur Hausbank, so der Fi-
nanzmonitor 2021. Die Umfrage un-
ter Finanzverantwortlichen wird
seit 2016 von dem Lehrstuhl für Un-
ternehmensfinanzierung der TU
Darmstadt im Auftrag der Plattform
für digitale Kreditvergabe Credits-
unterbrochene Lieferketten ver-
langten den Unternehmen viel Fle-
xibilität ab. Hier konnten die Fin-
techs ihre größte Stärke ausspielen:
die schnelle automatisierte Bearbei-
tung der Anträge. Eine Zu- oder Ab-
sage gibt es in der Regel binnen 48
Stunden. Bei der Hausbank dauert
es dagegen mehrere Wochen.
Gleichzeitig lernten die kleinen und
mittleren Unternehmen während
der Pandemie, digitale Dienstleis-
tungen zu schätzen.
Die meisten Fintechs bündeln An-
gebote verschiedener Banken, in-
stitutioneller Investoren wie Versi-
cherungen und Pensionskassen,
Private-Equity-Fonds und sogar von
Privatpersonen wie beim Crowdlen-
ding. Bei bester Bonitätsklasse sei
ein Kredit häufig bereits nach weni-
gen Sekunden vergeben, so Dirk
Schiereck von der TU Darmstadt.
Das Institut für Mittelstandsfor-
schung (IfM) Bonn hat 2021 eben-
falls das Verhältnis von Fintechs und
KMU untersucht: „Während
Crowdfunding, Crowdinvesting und
sogenannte Initial Coin Offerings
(ICOs) tendenziell auf junge Unter-
nehmen abzielen, bietet die digitale
Kreditvergabe vor allem Chancen
für etablierte KMU. So sind Fintechs
dort stark aufgestellt, wo sich Kre-
ditvergabeprozesse standardisieren
bzw. digitalisieren lassen. Sie agie-
ren dabei oftmals in Nischenmärk-
ten, die für Hausbanken bisher we-
nig lukrativ sind, etwa unbesicherte
Kleinkredite oder kurzfristige Be-
triebsmittelfinanzierungen.“
Der Antragsteller gibt die wich-
tigsten Daten wie die benötigte
Summe und die Bilanzkennzahlen
auf einer Plattform ein und be-
kommt bald mehrere Angebote zur
Auswahl. Hätte er jeden Finanz-
dienstleister einzeln kontaktiert,
wäre der Aufwand viel größer. Die
Transparenz senkt zudem die Kos-
ten für das geliehene Geld. Mittel-
ständler vergleichen kaum Angebo-
Die Coronapandemie hat die Akzeptanz von digitalen Lösungen im
Finanzsektor stark vorangetrieben. Foto: panthermedia/jamesteohart
te, weiß Martin Hipp, sondern wen-
den sich direkt an die Hausbank.
Hipp war jahrelang beim Maschi-
nenbauer Manz für Finanzen zu-
ständig, bevor er 2019 die Seiten
wechselte und Finmatch gründete,
eine Art „Tinder für Firmenkredite“.
Finmatch vermittelt nur Firmen mit
einem gewissen Jahresumsatz an
die Geldgeber: Mehr als 5 Mio. €
müssen es schon sein. Auch andere
Fintechs spezialisieren sich auf eine
bestimmte Zielgruppe, etwa Start-
ups, Soloselbstständige oder größe-
re Familienunternehmen.
„Bei bester Bonitätsklasse
ist ein Onlinekredit häufig
bereits nach wenigen
Sekunden vergeben.“
Dirk Schiereck, Professor für Unterneh-
mensfinanzierung an der TU Darmstadt
Die Schwarmfinanzierung ist eher
etwas für Gründer, die noch keine
Sicherheiten oder ein innovatives
Geschäftsmodell haben. Doch bis-
weilen greifen auch gestandene
Mittelständler darauf zurück. Auf in
vesdor.de, früher Kapilendo, preisen
Firmenchefs und -chefinnen ihre
Waren, Dienstleistungen und Ge-
schäftsmodelle in Videos an, ma-
chen Angaben über Umsatz und
Mitarbeiterzahl und legen ihre Zu-
kunftspläne offen.
„Nahezu alle interviewten Banken
verfolgen mittlerweile eine Strate-
gie, wie sie mit Fintechs umgehen
und haben entsprechende Maßnah-
men initiiert“, schreiben die IfM-
Autoren. „So screenen sie beispiels-
weise den Fintech-Markt, um unter-
schiedliche Lösungen zu identifizie-
ren und diese – etwa mithilfe von
Inkubatoren, Hubs oder gezielten
Beteiligungen – in ihr Angebot zu
integrieren.“ Aus dem früher ausge-
prägten Konkurrenzdenken zwi-
schen alten und neuen Finanz-
dienstleistern ist heute eher eine
Kollaboration geworden.
In der Corona-Krise mussten
auch einige Fintechs Federn lassen.
Für sie erschwerte sich die einfache
Bewertung der Kreditwürdigkeit an-
hand von Kennzahlen, wie einer der
von IfM zitierten Experten zugibt:
„Der Blick in den Rückspiegel“ sei
weniger aussagekräftig, „weil 2019
einfach nicht 2020 ist“. Sie reagier-
ten daher, wie schon die Hausban-
ken, auch mit einer restriktiveren
Kreditvergabe. Währenddessen pro-
fitierten die klassischen Finanzinsti-
tute von den staatlichen Corona-
Hilfen, weil sie diese an die Firmen
durchreichen durften.
Wie sich der Krieg in der Ukraine
auswirken wird, lässt sich bisher nur
im Ansatz erkennen. Für den ex-
portorientierten Mittelstand, der
bislang in engen Geschäftsbezie-
hungen mit russischen Kunden
stand, sieht Schiereck erhebliche Ri-
siken, „nicht nur weil Lieferung und
Bezahlung rein technisch schwieri-
ger werden, sondern auch weil die
Exportbürgschaften ausgesetzt wur-
den“. Die Banken schauten nun ge-
nauer auf die operativen Risiken ih-
rer Kreditnehmer: „Das macht Kre-
dite nicht nur teurer, sondern
schränkt die Verfügbarkeit ganz
grundsätzlich stark ein.“ Aber auch
andere KMU müssten um ihre Kre-
ditwürdigkeit bangen, wenn sie sehr
energieintensiv produzieren oder
von bestimmten Rohstoffen wie
Aluminium und Titan abhängig
sind, die sich stark verteuert haben.
 8. April 2022 · Nr. 7 FINANZEN 25

Mezzanine-Kapital zur F&E-Finanzierung

Mittelstandsfinanzierung: Da es für größere F&E-Vorhaben keine Erfolgsgarantie gibt, tun sich Banken mit Investitionen
schwer. Mezzanine-Kapital schont die Liquidität, erhöht das Eigenkapital und lässt den Gesellschaftern operativ freie Hand.

Von Sabine Philipp nieurunternehmens orientiert: tung einer typischen stillen Beteili- mittel nicht grundsätzlich aus. Fut-

D
ie Alumina Systems
GmbH aus dem fränki-
schen Redwitz hat von
der Battery Consult AG
aus der Schweiz eine Li-
zenz zur Weiterentwicklung einer
Batterie auf Natrium-Nickel-Chlo-
rid-Basis erworben, um diese zur
Serienreife zu bringen. Dazu hatte
der Hersteller für Keramik-Metall-
Verbundsysteme Investitionen im
einstelligen Millionenbereich zu
stemmen, unter anderem für neue
Maschinen und für eine Serienofen-
anlage für einen Millionen-Output
an Keramikrohren. Denn im her-
kömmlichen Aluminiumoxidofen
hätte das Material nicht ohne Kon-
tamination der Ofenisolierung ver-
arbeitet werden können.
„Grundsätzlich vereinbaren wir ei-
nen festen Basiszins und einen flexi-
blen Zinsanteil, der bei schlechter
Geschäftslage ausgesetzt wird, um
die Liquidität zu schonen“, erklärt
Christian Futterlieb, Geschäftsfüh-
rer der VR Equitypartner. Das Betei-
ligungsunternehmen ist eine
100 %ige Tochter der DZ Bank und
gehört zur Genossenschaftlichen Fi-
nanzgruppe. Als Finanzierungsform
wurde das Instrument einer typi-
schen stillen Beteiligung gewählt.
„Sind alle rechtlichen Vorausset-
zung erfüllt, kann das kapitalauf-
nehmende Unternehmen die Vergü-
gung steuerlich geltend machen.
„Grundsätzlich Dies muss im Einzelfall durch den
Steuerberater individuell geprüft
vereinbaren wir und bestätigt werden“, erklärt Di-
einen festen plom-Kaufmann Futterlieb.
Basiszins und Da der Aufwand für die Prüfung
und für die regelmäßigen Repor-
einen flexiblen tingpflichten für beide Seiten recht
hoch ist, rentiert sich das Instru-
Zinsanteil.“ ment meist erst bei höheren Investi-
Christian Futterlieb, tionsbeträgen. Bei VR Equitypartner
Geschäftsführer VR Equity- beginnen die Beteiligungen ab rund
partner 500 000 € und können bis zu einem
Volumen von 20 Mio. € reichen.
Mezzanine-Kapital schließt Förder-
terlieb: „Wer eine öffentliche Förde-
rung beantragen will, muss solvent
sein.“ Mezzanine stärkt die Eigenka-
pitalbasis.
Davon hat auch die Alumina Sys-
tems profitiert. Sie hatte sich im
Rahmen des zweiten europäischen
Großvorhabens zur Batteriezellfer-
tigung (European Battery Innovati-
on – EuBatIn) beworben. Im vergan-
genen Jahr kam der Bescheid, dass
das Unternehmen mit 8,7 Mio. € ge-
fördert werde. Mit den Mitteln soll
die Infrastruktur aufgebaut werden,
um die Batterie im großen Maßstab
herzustellen.

Um das Vorhaben zu finanzieren,

hat das Unternehmen Mezzanine-
Kapital bei der Beteiligungsgesell-
schaft VR Equitypartner GmbH auf-
genommen. Dabei handelt es sich
um einen Hybrid zwischen Eigenka-
pital und Kredit. In der Bilanz wirkt
es sich wie Eigenkapital aus, weil
der Mezzanine-Kapitalgeber bei ei-
ner Insolvenz in der Rangfolge hin-
ter anderen Gläubigern zurücktritt.
Zwar sind die Zinsen höher als bei
Darlehen, doch durch die Endfällig-
keit wird die Liquidität nicht durch
Tilgungen belastet. Anders als bei
einer klassischen Eigenkapitalbetei-
ligung bleibt zudem die Gesell-
schafterstruktur erhalten und die
Gesellschafter haben weiterhin das
Ruder komplett in der Hand. Mez-
zanine-Geber haben darüber hi-
naus kein umfassendes Mitsprache-
recht und nehmen nicht an zukünf-
tigen Wertsteigerungen des Unter-
nehmens teil. Gegenüber dem Mez-
zanine-Geber müssen sie meist
auch keine Sicherheiten stellen. Die
Laufzeiten liegen in der Regel zwi-
schen fünf und acht Jahren.
„Die Vergütung für die stille Betei-
ligung ist aufgrund des höheren Ri-
sikos natürlich auch höher als bei
einem Kredit“, erklärt Holger Wam-
pers, Ingenieur und Geschäftsführer
der Alumina Systems. „Zum damali-
gen Entwicklungsstand hätten wir
von einer Bank allerdings keinen
Cent bekommen.“ Denn es habe
weder ein fertiges Produkt noch ei-
ne Garantie dafür gegeben, dass die
Entwicklung zum Erfolg führen
würde. Daher gehören regelmäßige
Reportings über die wirtschaftliche
Entwicklung zu den vertraglichen
Pflichten gegenüber dem finanzie-
renden Beteiligungsunternehmen.
Wie Wampers erklärt, kann so ein
Bericht recht umfangreich sein.
Ein Grund dafür ist, dass sich das
Beteiligungsunternehmen regelmä-
ßig informieren muss, da es ein ho-
hes Risiko ohne Sicherheiten ein-
geht. Ein weiterer Grund ist, dass
sich die Vergütung an der wirt-
schaftlichen Entwicklung des Inge-
26 TECHNIK & KULTUR
„Wir befinden uns in einem Kampf
um die Früchte des Wohlstands“
Von Wolfgang Schmitz
VDI nachrichten: Herr Profes-
sor Precht, in Ihrem neuen Buch
„Freiheit für alle“ schreiben Sie:
„Ohne soziale und ökonomische
Kreativität sowie den Mut zu ech-
ten Veränderungen dürften sich
die befürchteten Szenarien von
künftigen Verteilungskämpfen,
aufflammendem Nationalismus,
Massakern und Kriegen kaum ver-
hindern lassen.“ Eine propheti-
sche Aussage. Fühlen Sie sich auf
traurige Art und Weise bestätigt?
Precht: Das hat sich nicht auf
Auseinandersetzungen wie Kriege
bezogen, sondern eher auf soziale
Verteilungskämpfe. Es geht darum,
dass wir zwei langfristige Probleme
im 21. Jahrhundert haben, das eine
ist die ökologische Herausforde-
rung, das andere die soziale Un-
gleichheit. Diese Probleme werden
langfristige Aufgaben bleiben.
Wir befinden uns im zweiten Ma-
schinenzeitalter. Produktionswei-
sen, Arbeitsprozesse, Tätigkeits-
felder und Kommunikation verän-
dern sich. Und dadurch auch
grundlegend die Gesellschaft,
schreiben Sie. Wer passt sich da
eigentlich wem an? Wir der Tech-
nik oder die Technik uns?
Das ist eine große philosophische
Frage. Es ist schwer, das in eine kur-
ze Antwort zu fassen. In gewisser
Hinsicht geschieht beides. Zunächst
einmal wird sich der Mensch an die
technischen Veränderungen anpas-
sen, die wiederum wirtschaftliche
Veränderungen nach sich ziehen.
Industrielle Revolutionen bedeuten
immer den Aufstieg bestimmter
Branchen und den Niedergang an-
derer. Damit gehen Revolutionen
der Arbeitswelt einher. Das ist jetzt,
in der vierten industriellen Revolu-
tion, nicht anders. Man denke an
die Bedeutungsverlagerung von
Agrar- zu Industriestaaten Anfang
des 19. Jahrhunderts mit giganti-
schen Veränderungen der Gesell-
schaft. Oder schauen wir zurück,
wie sich die Gesellschaft durch die
Verstädterung und die Massenpro-
duktion während der zweiten in-
dustriellen Revolution verändert
hat. Die Menschen passen sich wirt-
schaftlichen Gegebenheiten an, die
durch die technischen Neuerungen
ermöglicht wurden. Die wesentliche
Aufgabe besteht darin, dass die
Menschen nicht nur zu Handlan-
gern moderner Technologien wer-
den, sondern dass man die Technik
so produktiv gestaltet, dass mög-
lichst viele Menschen möglichst viel
profitieren. Das ist dann der umge-
kehrte Anpassungsprozess.
Wer könnte diesmal Profiteur der
technischen Entwicklung sein und
wer zieht den Kürzeren?
Eigentlich ist es immer gleich. In der
ersten industriellen Revolution gab
8. April 2022 · Nr. 7
Foto: Christian O. Bruch
es zwar einen immensen Anstieg
der Wirtschaftsleistung, aber gleich-
zeitig die Massenverelendung der
Arbeiter. Wenn man sich die zweite
industrielle Revolution anschaut,
also die Zeit des Fließbands und der
Massenproduktion, war es immer
so, dass die Segnungen des Wohl-
stands zuerst wenigen zuguteka-
men. Dem folgte ein langer gesell-
schaftlicher Kampf, um die Früchte
ausgeglichener zu verteilen. In ei-
nem solchen Kampf befinden wir
uns wieder.
Droht eine Zweiklassengesell-
schaft, in der die einen attraktive
Jobs haben und die anderen gar
keine mehr?
Das wäre die Gefahr. Es ist eine
Dreiteilung: einerseits die privile-
gierten Jobs, die künftig sehr gut be-
zahlt sind und eine exzellente Aus-
bildung voraussetzen und die für
viele unerreichbar sind, sei es aus
mangelnder Begabung oder aus
Gründen der Herkunft. Die zweite
Gruppe wären die, die Arbeit ver-
richten, die sonst keiner machen
will. Ich denke da etwa an die Alten-
und Krankenpflege. Und die dritte
Gruppe, die sich durch die Digitali-
sierung vergrößern wird, hat Jobs im
Bereich geistiger Routinearbeiten,
die künftig Maschinen weit effizien-
ter ausführen können. Für diese
Leute gibt es keine unmittelbare
Verwendung. So kommen wir in ei-
ne Gesellschaft, in der die Arbeitslo-
sigkeit und der Fachkräftemangel
gleichzeitig ansteigen.
Ein zweifelhafter Fortschritt.
Menschheitsgeschichtlich ist das
aber zu begrüßen. Denn wer muss
sich heute noch kaputt schuften?
Richard David Precht
hält es für falsch, die
Wenn künftig die langweiligen, ein- Mint-Fächer in den
tönigen Arbeiten aussterben, weil Schulen flächende-
sie von Maschinen ausgeführt wer- ckend zu fördern,
den, dann ist das eine sehr gute Ent- „schließlich braucht
wicklung. Es ist aber natürlich ein man keine schlechten
Problem für die Menschen, die ihre Ingenieurinnen und
Arbeit verlieren. Informatiker“.
Die Fachleute, die die Automati-
sierung bewerkstelligen und ver-
feinern, sind Ingenieure und Infor-
matiker. Der Ruf nach mehr von
ihnen ist doch nachvollziehbar.
Ja. Es liegen allerdings die falschen
Rezepte auf dem Tisch. Etwa, indem
man sich dafür einsetzt, dass in den
Schulen flächendeckend die Mint-
Fächer stärker gefördert werden.
Das halte ich für falsch, schließlich
braucht man keine schlechten Inge-
nieurinnen und Informatiker. Fähi-
ge Fachleute sind gefragt. Die be-
kommt man nicht mit dem Gieß-
kannenprinzip. Dass diejenigen, die
sich überhaupt nicht für Mathema-
tik und Physik interessieren, genö-
tigt werden, sich intensiver als bis-
lang mit diesen ungeliebten Fä-
Richard David Precht
„ ist Philosoph, Publizist und Autor. Der 57-Jährige ist
Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana
Universität Lüneburg sowie Honorarprofessor für Phi-
losophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik
Hanns Eisler in Berlin.
„ Seine Bücher zu philosophischen und gesellschaftspo-
litischen Themen wurden zu Bestsellern und laut Gold-
mann Verlag in mehr als 40 Sprachen übersetzt.
„ Er moderiert seit zehn Jahren die Philosophiesendung
„Precht“ im ZDF, für die der Wahl-Düsseldorfer 2013
den Deutschen Fernsehpreis verliehen bekam.
chern zu beschäftigen, ist kein Weg,
um hinten raus massenweise Spit-
zeninformatiker zu bekommen.
Was heißt das für unser Bildungs-
system?
Das heißt, dass die Begabten recht-
zeitig von den Unbegabten zu tren-
nen sind, um ihre Talente entfalten
und sie fördern zu können. Davon
profitieren Talente und weniger Be-
gabte. Davon ist in der schulischen
Normalität aber nichts zu sehen.
Ist das Bildungssystem mit seiner
Didaktik antiquiert?
Für einen guten Ansatz halte ich et-
wa, die Digitalisierung als Indivi-
dualunterricht am Computer anzu-
bieten. Nachdem Schüler das
Grundrüstzeug in Mathematik bis
zum 6. Schuljahr gelernt haben, wä-
re es förderlich, mithilfe von Selbst-
lernprogrammen im eigenen Rhyth-
mus zu lernen. Ansonsten werden
die Begabten nicht individuell ge-
nug gefördert und das restliche
Drittel in der Mittelstufe entwickelt
keine Affinität dafür. Individualisie-
rung des Lernens wäre der Schlüssel
für einen besseren Mathematik-
und Informatikunterricht.
Das setzt entsprechend geschulte
Lehrer voraus.
Oder eben keine Lehrer. Ich plädiere
für so viele Praktiker wie möglich in
den Schulen, vor allem in den Na-
turwissenschaften. Jemand, der in
der Physikforschung tätig war oder
ist, der eine didaktische Ader hat
und Spannendes über seine Tätig-
keit erzählt, würde einen Funken
entfachen, den viele Lehrer nicht
entfachen könnten.
Umfragen ergeben ernüchternde
Werte, was die Arbeitszufrieden-
heit in Deutschland betrifft.
Die Gewerkschaften machen seit
Jahren Umfragen, die sehr konstan-
te Ergebnisse liefern. Demnach fin-
det ein Viertel der Befragten ihren
Job gut, ein Viertel hat innerlich ge-
kündigt. Die Hälfte sagt: „Geht so ei-
nigermaßen.“ Und wo sind Burn-
out-Quoten und Unzufriedenheit
am höchsten? Bei geistigen Routine-
berufen. Es ist selten das Handwerk,
es sind sehr selten Ärzte. Man trifft
Unzufriedene vor allem im Bereich
Verwaltung und Banken, dort, wo
viel Arbeit wegfallen wird. Es ist also
eine gute Nachricht, dass die Digita-
lisierung diese tendenziell stump-
fen Jobs ersetzt.
Wir können die Unzufriedenen
aber nicht ihrem Schicksal über-
lassen.
Deshalb brauchen wir eine andere
Form finanzieller Absicherung, so-
dass die Arbeitenden nicht mehr al-
lein die Nichtarbeitenden finanzie-
ren. Bliebe das langfristig der Fall,
würde das gesellschaftliche Unzu-
friedenheit fördern und zur Stigma-

Philosophie: Die adäquate Antwort auf die Freiheiten, die eine digitale Welt bieten kann, wäre der Wandel
von einer Arbeitsgesellschaft in eine „Sinngesellschaft“, schreibt der Philosoph Richard David Precht.
tisierung der Nichtarbeitenden bei-
tragen. Daher kommen wir mittel-
fristig um ein bedingungsloses
Grundeinkommen, zumindest in
Höhe von 1500 €, nicht umhin. Das
wäre die adäquate Antwort auf eine
sich verändernde Arbeitsgesell-
schaft, die sich zu einer, wie ich sie
nenne, „Sinngesellschaft“ wandelt.
Wie soll das finanzierbar sein?
Durch drei Säulen: die geringere Be-
steuerung von Arbeit, eine Wert-
schöpfungsabgabe und eine Fi-
nanztransaktionssteuer. Die Idee
ist, Kapitalflüsse deutlich stärker zu
besteuern und die Besteuerung von
Arbeit allmählich herunterzufahren.
Lohnnebenkosten müssten gesenkt
und Unternehmensgewinne höher
besteuert werden.
Und Sie verlangen eine Microsteu-
er.
Wir alle bewegen ja Geld, ob beim
Einkauf oder beim Geldabheben.
Eine Microsteuer von 0,4 % fiele
99 % der Haushalte hierzulande
nicht auf. Sie bringt in der Masse
enorm viel, vor allem an der Börse.
Das hat den Effekt, dass, wer viel
Geld bewegt, auch entsprechend
viel zahlt, und wer wenig Geld be-
wegt, wenig zahlt.
Je weniger Menschen fürs Nichtar-
beiten bezahlt werden, desto lau-
ter wird die Kritik, die sich an der
„sozialen Hängematte“ entzündet
und an dem verlorenen Boden im
internationalen Wettbewerb.
Es gibt nachvollziehbare Argumente
gegen ein bedingungsloses Grund-
einkommen. Das Faulheitsargu-
ment gehört sicher nicht dazu.
Hartz-IV-Empfänger, die heute et-
was dazu verdienen, drücken einen
erheblichen Teil der Unterstützung
wieder an den Staat ab. Motiviert
das zum Arbeiten? Sicher nicht. In
meinem System erhalten die Men-
schen ein Grundeinkommen und
die Möglichkeit, bis 20 000 € im Jahr
steuerfrei dazu zu verdienen. Das
steigert die Motivation enorm! Zu-
dem werden dann viele wenig at-
traktive Arbeiten in Teilzeit ge-
macht werden. Grundeinkommen
und Zuverdienst lohnen sich sehr.
Wichtige Voraussetzung für das
Modell sind allerdings wasser-
dichte Teilzeit-Arbeitsverträge.
Das sichert beide Seiten ab. Wir
brauchen Verlässlichkeit in der
Flexibilität.
Welchen Effekt hätte das
auf die Gesellschaft? Wür-
den sich mehr Bürgerinnen
und Bürger aufgrund grö-
ßerer zeitlicher Möglich-
keiten ehrenamtlich engagieren? ? dels einleiten?
Ich bin kein Illusionist. In den Berei-
chen, in denen das Arbeitsethos
sehr hoch ist, ist auch das Ehrenamt
hoch. Bei sozial Abgehängten ist das
Gegenteil der Fall. Sozial abgehängt
zu sein, ist ein drückendes Problem,
weil man von der Arbeitsleistung
der anderen lebt. Mit einem Grund-
einkommen lebt man allerdings
nicht mehr auf Kosten der anderen.
Damit wird dieser Zustand aus dem
Prekären befreit. Man gilt nicht
mehr als Sozialschmarotzer. Das
hebt das Selbstwertgefühl. Die Quo-
te derer, die mit einem bedingungs-
losen Grundeinkommen die Hände
in den Schoß legen, wäre ver-
schwindend klein.
8. April 2022 · Nr. 7
Die „gigantische
he
Transformation“ der
Arbeitswelt ist Thema
des neuen Buches von
Richard David Precht.
Foto: Goldmann Verlag
TECHNIK & KULTUR
Wer die Frage nach dem Glück der
Menschen stellt, gilt schnell als
Träumer oder Philanthrop. Ist die
Frage nach dem Glück eine naive,
vor allem in Bezug auf die Arbeits-
welt?
Solche Fragen stellen sich immer
mehr junge Menschen. Sie wollen
Zeit für Reisen und Sport, für Freun-
de
d und Familie. Das sind heu-
tte normale Ansprüche. Es hat
ssich viel an die veränderte
Ökonomie angepasst. Früher
Ö nicht, es ist auch nicht ihre Aufgabe.
sstand die Frage nach der Arbeit
iim Zentrum, heute die Frage
nach dem guten Leben: Was ist
n denken, ist dort aber weitaus größer
ssinnvoll? Das ist logische Folge
unseres Wohlstands. Unsere Ge-
u es einige Vertreter, die nicht abge-
ssellschaft kann es sich leisten, eine
SSinngesellschaft zu sein. Früher
war nicht genug für jeden vorhan-
w dingungslosen Grundeinkommens,
den, heute ist genug für alle da, der
d in Deutschland Teile der Linkspar-
Wohlstand ist nur nicht gut genug
verteilt.
Wer könnte den Prozess des Wan-
Man könnte verlangen, dass die Ge-
werkschaften oder die Parteien an-
fangen. Aber leider kenne ich die
Politik so: Man wartet ab, bis es Kri-
sen und Crashs gibt. Ein bevorste-
hender Crash wäre etwa der Crash
des Rentensystems. Irgendwann
wird ein einziger Beschäftigter ei-
nen Rentner finanzieren müssen. Es
fällt der Politik tatsächlich nichts
Kreativeres ein, als zu verlangen,
dass alle bis über 70 arbeiten. So, als
ob man all die Leute wirklich ge-
brauchen könnte. Und wenn die Ar-
beitslosigkeit in den von mir be-
schriebenen Bereichen steigt, müs-
sen auch griffige Konzepte her. Am
Anfang reagiert die Politik in der Re-
27
gel mit Finanzspritzen, Überbrü-
ckungsgeldern und Umschulungen
etc. Irgendwann führt das aber
zwangsläufig in die totale Sackgas-
se. Wir werden stattdessen ganz neu
über unseren Sozialstaat nachden-
ken müssen.
Also fällt die Politik als kreativer
Antreiber flach. Wer aber küm-
mert sich dann?
Die Unternehmen können das auch
Die Bereitschaft, über eine Grund-
einkommensgesellschaft nachzu-
als bei den Parteien. Auch dort gibt
neigt sind. In Österreich sind die li-
beralen NEOS Befürworter des be-
tei, eine größere Gruppe bei den
Grünen und auch von der CDU wer-
de ich immer wieder zu dem Thema
eingeladen. Nur für die SPD scheint
das kein Thema zu sein. Wenn wir
Parteien hätten, in denen voraus-
schauend in die Zukunft gewandt
gedacht wird, wäre das Grundein-
kommen ein sehr relevantes Thema.
Ich glaube aber, es gibt heute in den
Parteien mehr Unternehmensbera-
ter als Vordenker.
Wie realistisch ist es denn, dass
wir mittelfristig von einer Kon-
sumgesellschaft zu einer gemein-
wohlorientierten Sinngesellschaft
kommen?
Das eine wird das andere nicht er-
setzen. Beides wird nebeneinander
existieren. Gesellschaften erwei-
tern sich und nehmen neue Kon-
zepte auf.
28 KARRIERE & MANAGEMENT 8. April 2022 · Nr. 7

„ KOMMENTAR
Seismografen der
Konjunktur
Prognosen sind bekanntermaßen schwie-
rig, wenn sie die Zukunft betreffen. Das gilt
für Kriegszeiten besonders. Kaum hatten
sich die Ingenieurdienstleister von der Co-
ronakrise einigermaßen erholt, droht der
nächste Einbruch. Doch aktuelle Arbeits-
marktzahlen sprechen dafür, dass sich der
Schaden in Grenzen hält.
Ingenieurdienstleister sind Seismografen
der Konjunktur: Unternehmen nehmen ih-
re Dienste in Anspruch, weil sie so eine be-
sonders flexible Personalpolitik betreiben
k
können. Geht es mit
d Konjunktur berg-
der
a werden als Erstes
ab,
die Verträge mit den
d
Dienstleistern gekün-
D
d
digt, ihre Mitarbeiten-
d
den zu den Verleihbe-
Peter Steinmüller, trieben zurückge-
Ressortleiter: Inge- schickt, Projekte einge-
nieurdienstleister
bieten Chancen für
die Orientierung.
Foto: VDIn/Zillmann
stellt oder verschoben.
Geht es mit den Auf-
trägen wieder auf-
Auf der Suche nach
der neuen Rolle
wärts, decken die Kon-
zerne den steigenden Arbeitskräftebedarf
über die Ingenieurdienstleister, um die
Neueinstellungen bei noch unklaren Per-
spektiven zu vermeiden. Spezial Ingenieurdienstleister: Die digitale Transformation verändert
Industriebetriebe schützen so ihre auch diese Branche und macht die Nachwuchssuche schwieriger.
Stammbelegschaft und verlagern die Kon-
junkturrisiken auf die Dienstleister und die fällt es schwer, die Rolle der Inge-
Von Manfred Bergheim
dort angestellten Ingenieurinnen und In- nieurdienstleister in dieser Gemen-

genieure. Das zeigen die Zahlen der aktuel-
len Lünendonk-Liste zum Ingenieurdienst-
leistermarkt. Demnach ging die Zahl der
Beschäftigten bei den Branchengrößen
von 2019 auf 2020 um bis zu einem Fünftel
zurück.
Aber sie wuchs wieder im Aufschwung:
Für dieses Jahr erwarteten die Unterneh-
men noch im vergangenen Herbst ein
Wachstum von stolzen 14 %. Zwar war
rechnete noch niemand mit einem Krieg in
Europa, aber aktuell gibt es noch Grund
für Zuversicht. Vom „Jobwunder in der
Doppelkrise“ schreibt die Süddeutsche
Zeitung. Trotz neuer Coronawelle und
Krieg sei die Arbeitslosigkeit fast so niedrig
wie vor der Pandemie. Auch das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwar-
tet eine weitere Erholung des europäi-
schen Arbeitsmarktes.
Wer als Jungingenieurin oder Ingenieur
den Berufseinstieg sucht oder sich als er-
fahrene Fachkraft neu orientieren will,
dem bieten Ingenieurdienstleister also
auch jetzt die Chance dazu – besonders
wenn er oder sie Kenntnisse in IT und
Elektronik mitbringt.
„ psteinmueller@vdi-nachrichten.com
D
ie deutsche Industrie
befindet sich in einer
schwierigen Lage. Zwar
waren im vergangenen
Jahr die Auftragseingän-
ge durchaus vorhanden, aber wegen
der in der Coronapandemie unter-
brochenen Lieferketten konnte
nicht in vollem Umfang produziert
werden. Nun gibt es vor allem in der
Automobilindustrie erneut Materi-
alengpässe durch die Auswirkungen
des Ukrainekrieges. Das alles betrifft
natürlich auch die Engineering-
Dienstleister, die sich grundsätzlich
neu orientieren müssen.
„Die beiden Coronajahre haben
viel verändert. Ich bin froh, dass wir
trotz Einschnitten gut durch die
Pandemie gekommen sind. Jetzt
stehen wir vor der nächsten Heraus-
forderung: dem Krieg in der Ukrai-
ne“, sagt Markus Eckhardt, Ge-
schäftsführer der Brunel GmbH, mit
rund 2800 Mitarbeitenden in
Deutschland ein mittelgroßer Engi-
neering-Dienstleister.
„Die Hersteller treten auf die Pro-
jektbremse, was sich unmittelbar
auf die Geschäfte der Engineering-
Dienstleister auswirkt. Im letzten
Jahr gingen ihre Prognosen für das
laufende Jahr 2022 noch von einem
starken Wachstum aus, was sich al-
lerdings wohl aufgrund der ökono-
mischen und politischen Lage nicht
realisieren lassen wird“, erklärt Ma-
„Durch strategisch
ausgerichtete Fortbil-
dung bei den Entwick-
lungsdienstleistern
wird ein Riesenpoten-
zial freigesetzt.“
Christiane Benner,
Zweite Vorsitzende der IG Metall
Foto: Gaby Gerster/IG Metall
rio Zillmann, Partner bei der Lünen-
donk & Hossenfelder GmbH, die
u. a. regelmäßig ein Ranking der En-
gineering-Dienstleister veröffent-
licht (siehe Grafik).
Wichtigste Branchen für die Engi-
neering-Dienstleister sind Automo-
tive und Aerospace. Dort bestehen
teilweise jahrzehntelang gewachse-
ne Strukturen mit den Zulieferern
und Herstellern. Nun erlebt die Au-
tomobilindustrie bekanntermaßen
eine Transformation durch soft-
waregetriebene Technologien. Ste-
fan Bratzel, Direktor des Center of
Automotive Management (CAM),
gelage zu bestimmen. „Zwar versu-
chen die Fahrzeughersteller eigene
IT- und Softwarekompetenz schnell
aufzubauen, aber sie sind weiterhin
darauf angewiesen, mit externen
Partnern zusammenzuarbeiten“,
sagt Stefan Bratzel.
Christiane Benner, Zweite Vorsit-
zende der IG Metall, sieht die Auto-
mobilindustrie gar nicht per se als si-
cheren Hafen für Dienstleister. Sie er-
wartet bei den Fahrzeugherstellern in
Zukunft eher stärkere Kooperationen
mit Softwareunternehmen. „Die Ent-
wicklungsdienstleister müssen in der
Mobilitätswende ihre eigene Rolle fin-
den. Sie sind ja in dieser Sandwichpo-
sition zwischen den Zulieferern und
den Herstellern. Und sich dann mit
dem Schwerpunkt IT zu profilieren,
ist schwer“, betont Benner.
Mario Zillmann beobachtet schon
länger, dass die Digitalisierung der
Fahrzeuge eine andere Kategorie von
Dienstleistern hervorbringt. Das
Thema Hardwareproduktion, also
Motoren und Getriebe, ginge stark
zurück. Die Nachfrage nach Soft-
ware, vor allem für Embedded-Lö-
sungen, aber auch für Infotainment,
sei dagegen sehr groß.
Auch die Systemintegration, das
Vernetzen der verschiedenen Kom-
ponenten, sei zu beachten. „Data
Analytics ist ebenfalls ein riesengro-
ßes Thema. Und in diesem Zusam-
menhang sehen wir schon, dass

Dienstleister, die aus der IT kom-
men, sich im Engineering-Markt
massiv verstärkt haben. Das spiegeln
schon die veränderten Kundenanfor-
derungen wider“, so Zillmann weiter.
Für die meisten der klassischen
Entwicklungsdienstleister sei das
aber ein neues Feld. Dabei sei der
Fachkräftemarkt bereits leer gefegt.
Die Dienstleister suchten ja keine
klassischen Ingenieure, sondern
verstärkt Softwareentwickler. Und
die gebe es derzeit kaum auf dem
Markt. Das sei für die Dienstleister
klar ein Wachstumshemmnis. Hinzu
komme, dass Ingenieure mit IT-
Kompetenz sich die Arbeitgeber
letztendlich aussuchen können.
Und dabei sei das Gehaltsangebot
Die Coronakrise hat bei den Ingenieurdienstleistern tiefe Spuren hinter-
lassen. Die Beschäftigtenzahlen gingen im Jahr 2020 teilweise drastisch
zurück, die Umsätze fielen um 13,6 %.
schon ein wichtiger Punkt, so Mario
Zillmann weiter.
Mit ihrer strategischen Ausrich-
tung haben viele Entwicklungs-
dienstleister derzeit Probleme, sagt
auch Christiane Benner. Und es ge-
be in der Tat Tendenzen, dass klassi-
sche Konstruktionsaufgaben immer
weniger nachgefragt werden bzw.
sich in den Bereich der Plattform-
ökonomie verlagern.
„Die großen Dienstleister sind auf
dem Arbeitgebermarkt ganz gut po-
sitioniert. Die haben ihre Weichen
gestellt. Aber für den Rest wird es
tatsächlich schwierig“, konstatiert
Mario Zillmann. Der Trend gehe
deutlich zu kompletten oder zumin-
dest großen Arbeitspaketen, die von
den Dienstleistern in Eigenverant-
8. April 2022 · Nr. 7 KARRIERE & MANAGEMENT
Die Luftfahrtindustrie ist ein
klassischer Kunde von Inge-
nieurdienstleistern. Für deren
Beschäftigte wird IT-Kompetenz
immer wichtiger. Foto: Rainer Weisflog
wortung übernommen werden.
„Auch unsere Kunden sind in einer
Situation, dass sie stärker in die Mo-
dernisierung von operativer Tech-
nologie und IT investieren müssen.
Daraus ergeben sich für die Engi-
neering-Dienstleister natürlich
neue Anforderungen. Darauf müs-
sen wir uns einstellen“, erläutert
Markus Eckhardt.
Tatsächlich gebe es eine hohe
Nachfrage nach Komplettlösungen.
Aber auch im Bereich der Projektun-
terstützung durch Arbeitnehmer-
überlassung – das macht 60 % bis
70 % des Geschäftes von Brunel aus
– werde die Nachfrage deutlich stei-
gen. Für Dienstleister mit einer star-
ken Recruiting-Expertise sei weiter-
hin deutliches Wachstum möglich,
ist Markus Eckhardt überzeugt. Da-
bei ginge es auch um Ingenieurin-
nen und Ingenieure, die beispiels-
weise im Boommarkt erneuerbare
Energien nachgefragt werden. Auch
in den Branchen wie Life Sciences,
Pharma, Spezialchemie und Le-
bensmitteltechnologie gebe es
wachsenden Bedarf.
Die bei den Entwicklungsdienst-
leistern beschäftigten Ingenieure
und Ingenieurinnen müssten unbe-
dingt für die auf die Zukunft ausge-
richteten IT-Kompetenzen qualifi-
ziert werden, betont Christiane Ben-
ner. Es dürfe nicht bei den kurzfris-
tig angelegten Einsatzqualifizierun-
gen bleiben. „Durch strategisch aus-
gerichtete Fortbildung bei den Ent-
wicklungsdienstleistern (EDL) wird
ja ein Riesenpotenzial freigesetzt.
Ziel muss es sein, dass diese Arbeits-
kräfte bei der jetzt neu ausgehandel-
ten Arbeitsteilung zwischen OEM,
Zulieferern und EDL ihre Rolle fin-
den können. Einige EDL versuchen
ja, sich als Systemanbieter zu etab-
lieren; und da bräuchten sie die
strategischen Weiterbildungsplatt-
formen unbedingt, um mit den
OEM an den Themen der Zukunft zu
arbeiten – „als Partner auf Augenhö-
he“, sagt Christiane Benner.
29
„ FÜHREN UND VERÄNDERN
Das Wissen
weitergeben
Sharing is caring – was für zwischenmenschliche
Beziehungen gilt, passt auch an anderer Stelle:
Im betrieblichen Wissensmanagement ist es un-
verzichtbar, mit anderen zu teilen. Doch genau
dieses Teilen fällt vielen Führungskräften beson-
ders schwer – und noch mehr jenen, die auf der
Karriereleiter vorankommen wollen.
Denn die Verlockung ist groß, Hard Facts, Pro-
zess-Know-how oder das Wissen um kompetente
oder erfahrene Personen allein für die Verwirkli-
cchung eigener Ziele ein-
zzusetzen. Doch das Kulti-
vvieren von Herrschafts-
wissen steht einer moder-
w
nen Führungskraft
n
sschlecht zu Gesicht: Es
bremst Abläufe, generiert
b
Abstimmungsschleifen
A
und ist für die Betroffe-
u
Ulrike Felger ist nen ein beständiger Quell
Coach, Moderatorin von Frustpotenzial und
und Expertin für Ohnmachtsgefühlen.
Kommunikation und Gerade Projekte leben
Changeprozesse. davon, dass Informatio-
Foto: privat nen ohne Wenn und Aber
geteilt werden. Es ist die-
se Art von Großzügigkeit, die Teams und Projekt-
gruppen zusammenschweißt und zu mehr
macht als die Summe ihrer Teile.
Wissensmanagement ist eine Führungsaufga-
be. Dies gilt insbesondere in Kontexten, in de-
nen asynchron oder dezentral gearbeitet wird
und der Chef den Flohzirkus auf lange Sicht zu-
sammenhalten muss. Wo es kaum möglich ist, al-
le Beteiligten zur gleichen Zeit an einen Tisch zu
holen, wird das intelligente Management von
Wissen zum absoluten Erfolgsparameter.
Damit alle Beteiligten ihr Know-how offen tei-
len und in einen aktiven Austausch treten, bedarf
es guter Vorbilder. Das notwendige Mindset ent-
wickelt sich insbesondere dann, wenn die Füh-
rungsriege dies selbst vorlebt – also auch der Pa-
triarch oder die graue Eminenz der Abteilung
über Dekaden angesammelte Erfahrungen pro-
aktiv an die Kolleginnen und Kollegen weiterge-
ben, statt diese unter Verschluss zu halten.
Wirklich dringlich wird gutes Wissensmanage-
ment angesichts der digitalen Transformation,
mit der in den meisten Organisationen kein Stein
auf dem anderen bleibt. Auch abseits der IT sind
fitte Mitarbeitende ein gesuchtes Gut und stän-
dig auf dem Sprung. Die Gefahr, zentrale Wis-
sensträger und damit wertvolles Wissen auf Nim-
merwiedersehen zu verlieren, ist groß.
Ein Grund mehr, den Wissensschatz eines Be-
triebs leicht zugänglich zu fassen. Systemati-
sches Wissensmanagement fördert und entwi-
ckelt die Kompetenzen der Belegschaft und er-
höht dabei die Innovationsfähigkeit eines Unter-
nehmens. Deshalb sollten sich gerade mittel-
ständische Unternehmen mit der Frage befassen,
wie sie sich rund um die wertvolle Ressource
„Wissen“ nachhaltig aufstellen.
Diese Fragen helfen, ein zukunftsfähiges Wis-
sensmanagement auf den Weg zu bringen:
– Was verstehen wir unter Wissen?
– Wer sind unsere zentralen Wissensträger?
– Von was reden wir eigentlich? Was ist schon da?
– Wie behalten wir den Überblick?
– Wen müssen wir ggf. noch ins Boot holen?
Ein funktionierendes Wissensmanagement er-
kennt die Beteiligten als zentrale Schlüsselfigu-
ren an. Vor allem Eigentümer, Geschäftsführerin-
nen und Führungskräfte legen mit ihrem Verhal-
ten, ihrer Denkweise, ihrem Engagement und ih-
rer Vorbildfunktion die großen Linien. Und ent-
scheiden so auch über Erfolg oder Scheitern von
Wissensmanagement im Betrieb.
30 KARRIERE & MANAGEMENT
„Der Bedarf an Maschinenbauingenieuren
ist stark zurückgegangen“
Spezial Ingenieurdienstleister: Ferchau-Geschäftsführer Alexander Schulz über veränderte
Qualifikationsanforderungen an Ingenieurinnen und Ingenieure und das Fremdeln von IT-Fachkräften mit der Automobilbranche.
Von Manfred Bergheim
VDI nachrichten: Herr Schulz,
wie ist Ihr Unternehmen bisher
durch die Coronakrise gekom-
men?
Alexander Schulz: In der Mitte
des letzten Jahres ist unser Geschäft
wieder deutlich angesprungen. Und
auch in diesem Jahr ist die Nachfra-
ge nach qualifizierten Mitarbeitern
und nach Lösungen im Engineering
extrem hoch. Vor allem in den Fel-
dern der Digitalisierung haben wir
derzeit eine große Nachfrage. Meine
Vermutung ist, dass die Unterneh-
men noch stark verunsichert sind
und sich bei eigenen Einstellungen
zurückhalten.
Welche Qualifizierungen werden
besonders nachgefragt?
Alle Qualifikationen mit Bezug zur
Digitalisierung bis hin zur Elektro-
nik werden gesucht. Das wird wohl
Alexander Schulz
„ ist zusammen mit Frank
Ferchau Geschäftsführer
der Ferchau GmbH.
„ studierte Flugwissenschaft
an der Universität der Bun-
deswehr in München.
„ Die 1966 in Gummersbach
gegründete Ferchau GmbH
ist laut Lünendonk-Liste der
drittgrößte Anbieter von En-
gineering Services in
Deutschland. Rund 7500 In-
genieurinnen, Ingenieure
und IT-Fachkräfte erwirt-
schafteten im Jahr 2021 ei-
nen Umsatz von 630 Mio. €.
IT-Fachkräfte schätzen flexible Arbeits-
bedingungen, sagt Alexander Schulz.
Deshalb arbeiteten sie gern bei Dienst-
leistern. Foto: panthermedia.net/Gorodenkoff
auch in allen anderen Unterneh-
men der Entwicklungsdienstleister-
branche so sein.
„Unsere Wurzeln liegen im Engi-
neering, die Zukunft spricht IT“,
schreibt Ferchau ja auch pro-
grammatisch in der Selbstdarstel-
lung. Was heißt das für Ihr Unter-
nehmen?
Gerade weil Ferchau historisch ge-
sehen stärker aus dem klassischen
Maschinen- und Anlagenbau
kommt, beschäftigt es uns sehr, dass
wir mittlerweile etwa 40 % unseres
Geschäftes in der Digitalisierungs-
technik, Informationstechnik und
Softwareentwicklung machen. Wir
wollen das Unternehmen noch stär-
ker auf diese Themen ausrichten.
Wo bleiben da die klassischen In-
genieurinnen und Ingenieure?
Der Bedarf an klassischen Maschi-
nenbauingenieuren ist stark zu-
rückgegangen. Das ist auch preisge-
trieben. Deshalb bieten wir unseren
Kunden Leistungen im klassischen
Ingenieurumfeld auch aus Best Cost
Countries wie Indien an.
Wie sieht es in der Energietechnik
aus?
Da gibt es auch rege Nachfrage, vor
allem im Bereich der erneuerbaren
Energien. Wenn ich nur an die
Windkraftanlagen denke, die off-
shore an der Küste gebaut werden
sollen: Da geht es um Maschinen-
bau, um Meerestechnik, Schiffs-
technik, sodass wir schon beste-
hende Kompetenzen gut nutzen
können, um zu partizipieren. Das
ist schon ein Riesenthema. Allge-
mein ist die Ökologie ein Mega-
trend. Die Menschen möchten
auch mit ihrer Arbeit dazu beitra-
8. April 2022 · Nr. 7
gen, dass die Umweltbedingungen
sich verbessern.
Wo und wie sehen Sie Ihre Wachs-
tumschancen?
Wir haben bestimmte Themen, die
aus unserer Sicht in Deutschland
wichtig sind. Das ist der gesamte
Automotive-Bereich, die gesamte
Mobilitätsbranche. Deshalb haben
wir durch den Zusammenschluss
mit dem Mobility-Engineering-Spe-
zialisten M Plan unsere Kompeten-
zen deutlich gestärkt. Mit unseren
Geschäftsbereichen Automotive
und Aviation fokussieren wir zwei
wesentliche Branchensegmente in
Deutschland.
Ferchau ist breit aufgestellt. Wie
sind Ihre Geschäftsfelder inzwi-
schen gewichtet?
Das Arbeitnehmerüberlassungsge-
schäft hat etwa einen Anteil von ca.
55 %. Dabei geht es um personelle
Dienstleistungen bei den Kunden
vor Ort.
Das Contract-Geschäft mit der
Vermittlung von Freelancern hat
einen Anteil von ca. 25 %. Und
dann führen wir in unseren Com-
petence Centern, also in unseren
eigenen Räumlichkeiten, im Kun-
denauftrag Entwicklungen durch.
Wir betreiben aber auch bei unse-
ren Kundenunternehmen Prüf-
und Testfelder bzw. separate Ent-
wicklungsabteilungen. Das macht
zusammen ca. 15 % vom Geschäft
aus. Der kleinste Bereich „Direct“
ist die Personalberatung und Di-
rektvermittlung von Arbeitneh-
mern. Auch da geht es ganz stark
um IT-Führungskräfte.
Wie schätzen Sie die eigene Ar-
beitgeberattraktivität ein?
Unser großer Vorteil ist, dass wir
uns individueller auf die Erwar-
tungen unserer Mitarbeiter ein-
stellen können. Die Mitarbeiter
können in unterschiedlichen Kun-
denunternehmen arbeiten und
wir bieten Einblicke in unter-
schiedliche Branchen.
Also beispielsweise als IT-Ent-
wickler in der Automobilindustrie
oder im E-Commerce. Nach mei-
nem Eindruck erwarten IT-Fach-
kräfte, die für Aufgaben in Digitali-
sierungsprozessen rekrutiert wer-
den, flexible Rahmenbedingun-
gen, die häufig von Start-ups, jun-
gen Unternehmen der Digitalisie-
rungsbranche oder Dienstleistern
wie uns geboten werden. Für die
Automobilindustrie ist es heraus-
fordernd, den Erwartungen der IT-
Alexander Schulz: Fachkräfte nachzukommen – hier
„Alle Qualifikationen können wir eine Brücke bauen.
mit Bezug zur Digitali-
sierung bis hin zur Welche Erwartungen haben die IT-
Elektronik werden Spezialisten denn?
gesucht.“ Foto: Ferchau Die IT-Fachkräfte arbeiten gerne
sehr flexibel und mobil, auch gerne
nachts. Und sie passen vielleicht
auch nicht in die Gehaltsmodelle in
der Automobilindustrie. Die Fach-
kompetenzen werden benötigt,
aber der Cultural Fit passt nicht im-
mer.
Die Automobilindustrie ist stark
reglementiert, wenn ich an die Rah-
menbedingungen, an die Arbeitsbe-
dingungen denke. Auch durch un-
flexible Reglementierungen der Ta-
rifparteien. Wir bemerken, dass vie-
le IT-Entwickler sich nicht so sehr
von der Automobilindustrie ange-
zogen fühlen. Sie haben kein Benzin
im Blut, heißt es. Diese Bewerber
können sich aussuchen, in welchen
Branchen, in welchen Themenge-
bieten sie arbeiten möchten.
 8. April 2022 · Nr. 7 KARRIERE & MANAGEMENT 31

Stress, Gesundheit: Der Krieg in der Ukraine, Corona, Angst

vor Jobverlust und Arbeitsverdichtung – viele

lass nach
Menschen leiden zurzeit besonders unter Stress.
Resilienz lässt sich trainieren.

Der Mensch an sich mag Veränderungen nicht so gern. Wir leben aber in einer Zeit, wo die Umwälzungen im Beruf und in der Gesellschaft massiv sind. Das verursacht bei vielen Stress.
Den Umgang damit kann man erlernen. Foto: panthermedia.net/Edite Artmann

Von Chris Löwer noch abschalten? Kann ich genießen? Kann ich sondern wird Wege suchen und finden Natürlich

A
rbeit in internationalen Teams, digitale
Transformation, Jobunsicherheiten,
Stress mit Kollegen, hoher Kranken-
stand, ausufernde Projekte und dann
auch noch Corona und Krieg. Das ist
alles ein bisschen viel auf einmal. Da kann man
schon mal verzweifeln, ausrasten, aufgeben …
Muss man aber nicht. Wenn man gelernt hat, mit
Widrigkeiten umzugehen. Stichwort Resilienz. Es
geht um innere Widerstandskraft und darum,
selbst Krisen positiv für sich zu nutzen – statt an
ihnen zu verzweifeln.
Leicht gesagt, gerade jetzt. „Wir leben in einer
Art Dauer-Change-Prozess“, bemerkt Zuzana
Blazek, Forscherin im Kompetenzzentrum Fach-
kräftesicherung (Kofa) am Institut der deutschen
Wirtschaft Köln. „Das Dumme ist nur, dass der
Mensch im Grunde Veränderungen nicht allzu
sehr liebt.“ Das muss er zwar auch nicht, aber er
sollte damit zurechtkommen. Denn übersichtli-
cher, berechenbarer und einfacher wirds wohl
nicht mehr. Blazek: „Wir leben nun mal in einer
VUCA-Welt, die viel von uns fordert.“ VUCA ist
die Abkürzung für „Volatility“ (Volatilität), „Un-
certainty“ (Unsicherheit), „Complexity“ (Komple-
xität) und „Ambiguity“ (Mehrdeutigkeit). Eine Be-
schreibung, die längst schon vor der Pandemie
etabliert war.
„Es gab schon immer Zeiten mit viel Arbeit und
auch Überforderung. Aber was wir gerade erle-
ben, ist eine große neue Herausforderung“, sagt
Coach und Resilienztrainerin Renate Sperber.
„Die Abläufe sind nicht mehr wie gewohnt, Lie-
ferengpässe sind spürbar, die Kollegen fallen aus,
um nur ein paar Dinge zu nennen. Gerade Men-
schen mit Kindern sind oft am Limit.“ Vieles müs-
se neu organisiert werden, alles sei umständli-
cher, verschiedene Ängste kämen dazu: „Das
strahlt auch alles in den Job ab. Das ist schwer zu
trennen. Deshalb tritt jetzt oft zutage, wie resi-
lient wir sind.“
Aber wie erkennt man das, bevor es zu spät ist,
dass man Job und Alltag nicht mehr packt? „Resi-
lienz ist ein Begriff aus der Technik. Das wissen
Ingenieure sicher“, erklärt Sperber. „Er besagt,
wie gut ein Gegenstand nach Druck wieder in den
Urzustand zurückfindet.“ Deshalb sollte man
sich zur Selbstdiagnose fragen: Wie gut kann ich
nach einem Arbeitstag entspannen? Kann ich
lachen? Habe ich mich verändert? Habe ich das
Gefühl, ich kann gar nichts tun? Oder bin ich
schon resigniert?
Astrid Weidner, diplomierte Wirtschaftsinge-
nieurin und Coach, empfiehlt bei der Selbstbefra-
gung an kritischen Stellen ins Detail zu gehen: „Es
lohnt sich, die Frage jeweils einzugrenzen: Bin ich
bezüglich eines bestimmten Themas resilient?
Bin ich resilient genug für diese Aufgabe oder für
diesen Job? Bin ich resilient genug, um eine be-
stimmte Herausforderung zu einem bestimmten
„Die Abläufe Zeitpunkt zu bestehen?“ Blazek empfiehlt, sich
jeden Abend kurz zu reflektieren. Vielleicht mit
sind nicht mehr einem Tagebuch. Das muss nicht viel Zeit bean-
wie gewohnt, spruchen, sollte aber ehrliche Antworten liefern
auf Fragen wie: Was war heute im Job gut? Was
Lieferengpässe nicht? Was hat mir Freude bereitet? Was weniger?
Welche Grenzen habe ich nicht gesehen oder
sind spürbar, die selbst gesetzt? Was hätte wie besser laufen kön-
nen?
Kollegen fallen
aus, um nur ein Das ist die Grundlage, um resilienter zu wer-
den. Weidner umreißt vier Schritte dazu:: Analyse
paar Dinge zu der Ist-Situation, Entlastung, Neuausrichtung so-
wie Planung und Umsetzung der ersten Schritte.
nennen.“ „Diesen Prozess gilt es in Schleifen zu durchlau-
Renate Sperber, Coach fen“, sagt sie. Und während dieser Schleifen wird
und Resilienztrainerin man unter anderem daran arbeiten, Dinge so zu
akzeptieren, wie sie sind. „Das Akzeptieren einer
Tatsache oder Situation heißt nicht, dass wir sie
gut finden“, sagt Sperber. „Es geht darum, Situa-
tionen anzunehmen. Hier hilft es
sehr, nach guten Anteilen zu su-
chen. Und dankbar zu sein.“ Heißt
auch: Pessimismus und Schwarz- „ FERNSTUDIUM
malerei beiseiteschieben. Vor allem
aber: „Verlassen Sie die Opferrolle“,
betont Sperber. „Entdecken Sie, was
Sie tun können. Das Erleben der
Selbstwirksamkeit ist der wichtigste
Punkt, um Resilienz aufzubauen.“
Sich klar über die Selbstverantwor-
tung werden, darüber, dass man das
Heft des Handelns selbst in den
Händen hält. „Übernehmen Sie Ver-
antwortung für sich und Ihr Glück.“
Außerdem gelte es, sich klare und
erreichbare Ziele zu setzen. Sperber:
„Wer sein Ziel kennt, lässt sich nicht
von Problemen davon abhalten,
sollten Unternehmen dabei unterstützen, resi-
lienter zu werden. „Beschäftigte fordern das in-
zwischen ein“, weiß Blazek, „das zählt dazu, um
als attraktiver Arbeitgeber Fach- und Führungs-
kräfte zu gewinnen und zu halten.“ Dafür seien
eine auf Vertrauen und gegenseitiger Unterstüt-
zung basierende kollegiale Zusammenarbeit so-
wie eine gute Führungs- und Kommunikations-
kultur unabdingbar, so Weidner.
„Fördern lässt sich die Teamresilienz durch ge-
genseitige Wertschätzung, eine positive Fehler-
kultur und eine gemeinsame Wertebasis“, sagt
Blazek. Hinzu komme noch die organisationale
Resilienz. Sie fragt danach, wie das Unternehmen
etwa mit Kernprozessen und Informationen um-
geht. Gibt es eine offene Fehlerkultur, mit der
man Fehler von Mitarbeitern transparent behan-
delt und daraus lernt? Oder herrscht eine Kritik-
kultur, sodass sich Mitarbeitende nicht trauen
Fehler zuzugeben und dadurch eine Arbeitsum-
gebung des Misstrauens entsteht? Auch wie Ab-
teilungen in Krisensituationen zusammenarbei-
ten, müsse im Zuge der organisationalen Resi-
lienz beobachtet werden. Blazek: „Förderlich für
die Entwicklung organisationaler Resilienz sind
gemeinsame Visionen und Ziele, eine positive,
wertschätzende Kultur sowie offen kommunizier-
te Informationen.“ Für sie ist eines unabdingbar:
„Unternehmen müssen Resilienz zum Kern ihres
Gesundheitsmanagements machen. Das ist kein
Nice-to-have!“
32 KARRIERE & MANAGEMENT
Die Technik
komplementär
sehen
Mindset: Der Ingenieur Rahman Jamal hat ein Buch
über mehr Toleranz in der Gesellschaft geschrieben.
Damit meint er besonders das Ingenieurwesen.
D
Von Claudia Burger
iese Freundlichkeit und
Höflichkeit im Umgang
mit anderen Menschen,
die der Ingenieur Rah-
man Jamal an den Tag
legt, wünscht man sich mehr im All-
tag. Dann wäre die Welt ein kleines
bisschen besser. Jamal, ein Mitt-
fünfziger, ruht in sich, weiß, was er
kann, weiß auch, dass niemand al-
les weiß und nimmt das mit Humor.
Der Technikvordenker und ehemali-
ge Topmanager, der nach eigenen
Angaben 3000 Bücher gelesen hat,
ist ein wahrer Tausendsassa mit ei-
ner Mission: Er will seinen Berufs-
stand versöhnen mit den „Laberfä-
chern“, wie die Geisteswissenschaf-
ten despektierlich in technischen
Kreisen, aber nicht nur dort, gern
genannt werden. Ingenieure und In-
genieurinnen müssten über den
Tellerrand schauen.
Angelehnt an Robert Musil, einen
seiner Lieblingsautoren, hat er sich
die „Musilisierung der Ingenieure“
auf die Fahne geschrieben. „Robert
Musil war ja sowohl Ingenieur als
auch Philosoph und Schriftsteller.
Er hat diese Dinge komplementär
gesehen.“ Viele Theorien etwa aus
der Quantentheorie hätten ihren
Ursprung ganz woanders als in der
Physik. Technik müsse mit Ethik, Li-
teratur und vielleicht sogar Mystik
verknüpft werden, damit sie die
Menschheit wirklich voranbringen
könne. „Gerade bei brisanten The-
men wie künstlicher Intelligenz
müssen wir als Ingenieure Verant-
wortung übernehmen und die Frage
stellen: Welchen Nutzen bringen
diese Errungenschaften für die Ge-
sellschaft? Wenn ich auf Augenhöhe
mit Geisteswissenschaftlern darü-
ber sprechen kann, mit Respekt und
Wertschätzung, dann habe ich ei-
nen viel fruchtbareren Boden, als
wenn nur Gleichgesinnte unter sich
bleiben“, so Jamal.
In seinem Buch betont er, dass die
Vertreterinnen und Vertreter techni-
scher und naturwissenschaftlicher
Berufe zu einer „ganz besonderen
Gattung Mensch gehören. Ich mag
sie!“ Es sei jedoch unabdingbar,
dass „man sich bewusst macht, wel-
che Auswirkungen die eigenen tech-
nische Errungenschaften auf die
Gesellschaft haben“ und dabei ver-
weist er auch auf die ethischen
Grundsätze des VDI. „Ingenieurin-
8. April 2022 · Nr. 7
nen und Ingenieure von morgen
müssen Humanisten sein.“ Dies
könne aber nur gelingen, wenn In-
genieure und Ingenieurinnen nicht
nur „Verständnis für nicht techni- Rahman Jamal ist Industrie-4.0-Experte und blickt auf eine jahrelange Karriere als Topmanager zurück. Er
sche Disziplinen mitbringen, son- betont die Verantwortlichkeit der Naturwissenschaftler für ihr Tun. Foto: Rahman Jamal
dern auch offen sind für eine frucht-
bare interdisziplinäre Zusammenar-
beit“.
Und er selbst? Wie hat er den Wi-
derspruch aufgelöst, als Topmana-
ger zu arbeiten und trotzdem den
eigenen Grundsätzen zu entspre-
chen? Jamal räumt ein, dass das Foto: Lektor
a
komplex ist. Mit Glück könne
man auf eine Firma treffen, wo
der Profit sozusagen Nebenef-
fekt sei. „Wenn man die Dinge
gut macht, dann kommt der
Profit.“ Nicht viele Firmen
tickten so. Er habe das Glück
gehabt, dass er bei National
Instruments, wo er 30 Jahre
gearbeitet hat, „durch den
Gründer sehr stark beein-
flusst Dinge tat, wo der Pro-
fit wirklich als Nebeneffekt
mit daherkam“. Aber die-
Rahman Jamal
„ ist als Tech-Visionär, Berater und Autor tätig
i versuchte er immer wieder, Tech-
„ Nach seinem Abitur und dem Studium der Elektrotech-
nik an der Universität Paderborn, das er als Diplom-In-
genieur abschloss, begann Jamal seine berufliche
Karriere im Jahr 1991 bei der National Instruments
Germany GmbH als Applikationsingenieur.
„ In den folgenden Jahren übernahm er verschiedene
Führungspositionen zuerst in der deutschsprachigen
Region, später auf europäischer und schließlich globa-
ler Ebene.
„ In seiner gesamten Laufbahn war Jamal sehr aktiv in
den unterschiedlichsten Gremien und industriellen
Konsortien. Zu nennen ist seine aktuelle Aktivität im
Industry Advisory Board des Spitzenclusters „Internet
of Production“ an der RWTH Aachen.
Das neueste Buch
„ Rahman Jamal hat mehrere technische Bücher ge-
schrieben. Im vergangenen Herbst veröffentlichte der
Ingenieur ein persönliches Buch mit dem Titel: „Der
Mann ohne Muttersprache“. Darin erzählt er von sei-
ner Kindheit und seinem Lebens- und Karriereweg in
Deutschland, seiner Sicht auf die Welt und davon, wie
Ingenieure und Ingenieurinnen handeln sollten, und
behandelt viele andere Aspekte.
„ Rahman Jamal: Der Mann ohne Muttersprache, Lekto-
ra Verlag, Paderborn 2021, 384 S., 13,95 €
ses Glück habe man nicht immer.
Und je größer die Firma wird, desto
komplizierter werde es mit der
Kommunikation, mit Shareholder-
Value und anderen Faktoren. Und je
höher man steige, desto mehr gera-
te man in die Position, wo ja ein Teil
des Gehaltes „ein Schmerzensgeld“
werde.
w „Das ist eine Realität, die
man nicht leugnen kann. Aber
m Entwicklungsländern und hoch ent-
man kann möglichst lange versu-
m wickelten Ländern zu schmälern.“
cchen, den Teil so gering wie mög-
llich zu halten“, so Jamal. Und er
fführt weiter aus: „Durch eine auf-
rrichtige, transparente Firmenkultur,
durch eine offene Führung, die ge-
paart ist mit Achtsamkeit, Empathie
und all diesen Dingen, die man
wirklich lebt und nicht aus Manage-
mentbüchern herausfiltert und ver-
sucht sich danach zu benehmen,
sondern aus einer inneren Haltung
heraus.“
Bereits in seinen Technikbüchern
nikfachkräfte durch vorangestellte
Zitate von Größen aus den Geistes-
wissenschaften mit anderen Ansät-
zen vertraut zu machen und zum
Nachdenken zu bringen. Bildung ist
ein bedeutendes Thema für Rah-
man Jamal. Er kam im Alter von
zehn Jahren 1975 mit seinen Eltern
nach Deutschland, hatte zuvor in
Myanmar, Bangladesch sowie Pakis-
tan gelebt und sprach kein Wort
Deutsch. In Ostwestfalen ging er zur
Schule. Er beschreibt beeindru-
ckend und humorvoll, wie es ihm
gelang, in die deutsche Gesellschaft
zu finden. Er selbst habe gute Erfah-
rungen gemacht, viele hätten sich
bemüht und er selbst auch. Sogar in
der Freiwilligen Feuerwehr hat sich
Jamal engagiert.
Er warnt aber auch: „Wenn ein
junger Mensch schon beim Betreten
der Schule glaubt, in seiner Umge-
bung feindselige Schwingungen
wahrzunehmen, wird er instinktiv
auf Überlebenskampf umschalten.
Das Letzte, woran er dabei denkt,
sind Erfolge.“
Seine Eindrücke der ersten zehn
Jahre prägten sein ganzes weiteres
Leben: „Das waren ja Entwicklungs-
länder. Und als ich hierher kam, war
die Diskrepanz zwischen diesen
Ländern und einem hoch entwi-
ckelten Land wie Deutschland rie-
sig“, erzählt er. „Ich konnte den
Wasserhahn aufdrehen und das
Wasser kam einfach. Das kannte ich
vorher nicht. Ich wollte einfach was
dazu beitragen, die Kluft zwischen
Deshalb habe er sich für eine tech-
nische Laufbahn entschieden.
Wenngleich auch das deutsche Bil-
dungssystem einen Kulturschock
bei ihm ausgelöst habe. „Bildung
war in meiner alten Heimat ein Pri-
vileg, hier aber selbstverständlich.
Das heißt, auch die Wertschätzung
für Bildung ist in Deutschland nicht
so hoch, wie ich das zuvor erlebt ha-
be.“
Zur Bildung zählt für Jamal auch
Achtsamkeit und Meditation. „Das
sind keine Modewörter“, betont er.
Jeder habe das in sich, es sei nur ver-
loren oder verlernt. Damit meine er
nicht die Yogamatte mit Räucher-
stäbchen. Er findet es bemerkens-
wert, dass auch Führungskräfte und
Firmen auf den Zug aufspringen. Er
sieht das kritisch: Es gehe oft nur
darum, sich selbst zu optimieren.
„Aus der Meditation ist eine neue
und überall verfügbare Ware gewor-
den – kompatibel zu unserer mate-
riellorientierten Konsumgesell-
schaft.“
Wenn Sie mehr über Rahman
Jamal wissen möchten, beispiels-
weise warum der Bundespräsi-
dent ihn mal nach seiner Visiten-
karte fragte, hören Sie die aktuel-
le Folge unseres Podcasts.
www.ingenieur.de/podcast
 8. April 2022 · Nr. 7 KARRIERE & MANAGEMENT 33

Fachkräfte für neue Facetten

ihrer Profession gesucht
Arbeitsmarkt: Auf welche Transformationsthemen sollten sich Ingenieure und Ingenieurinnen in ihrer Karriereplanung
einstellen? Ein Blick auf innovative Tätigkeiten bei VW und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Z
Von Annegret Handel-Kempf

um Treiber für Zukunftstechnologien

könnte Deutschland werden, in einer
Zeit, in der Menschen überall auf der
Welt nach klimaneutralen Mobilitätslö-
sungen, umweltfreundlichen Materia-
lien und nachhaltigen Methoden zum Bauen und
Anbauen suchen. Ein weites Feld, in dem sich vie-
les entwickelt und gedeiht, vor allem mehr mög-
lich ist, als in Arbeitsmarktbroschüren zu den
Klassenzimmern vordringt. Ein Feld, das auch
hochinteressante Forschungsvorhaben umfasst,
die gesamtgesellschaftlich von großem Wert sein
könnten. Wer hätte etwa gedacht, dass Studieren-
de der Ingenieurwissenschaften (Maschinenbau,
Luft- und Raumfahrttechnik, Elektrotechnik) ge-
sucht werden, die ihre Expertise bei neuartigen
Systemen für die Landwirtschaft in abgelegenen
Gebieten und Wüstengebieten einbringen?
Konkret ortete beispielsweise das Eden-Team
des Deutschen Zentrums für Luft- und Raum-
fahrt e. V. (DLR) zum Jahreswechsel „hoch moti-
vierte Studierende, die ihre Masterarbeiten
durchführen wollen“. Und zwar, indem sie die
Entwicklung des patentierten „Mobilen Pflanzen-
anbaueinheit“-Systems (Mepa) unterstützen, das
nach Angaben auf der DLR-Website als mobiles,
entfaltbares, (halb-)geschlossenes Gewächshaus
für den Einsatz in Trockengebieten und für hu-
manitäre Hilfsmaßnahmen, zum Beispiel in
Flüchtlingslagern, vorgesehen ist.
„In der internationalen Forschungslandschaft
nimmt das DLR eine führende Rolle ein, denn
unsere Ingenieurinnen und Ingenieure befassen
sich häufig als Erste mit neuen Fragestellungen in
den Ingenieurwissenschaften“, sagt Iris Werner
vom Personalmarketing des DLR. „Mit ihrer Ar-
beit treiben sie auf ihren Forschungsgebieten
Entwicklungen voran“, in einem „inspirierenden
Arbeitsumfeld, das vom Streben nach Innovation
und Bestleistungen“ geprägt sei. Mehr als 2000
Ingenieurinnen und Ingenieure, das ist rund die
Hälfte der wissenschaftlichen Mitarbeitenden
beim DLR, seien dort momentan beschäftigt.
„Auch aktuell suchen wir Ingenieurinnen und In-
genieure aller Fachrichtungen für vielfältige For-
schungsprojekte: Mehr als 200 Stellen sind an un-
seren 30 Standorten in Deutschland offen“, so
Werner auf die Frage, wie viele Ingenieure für Zu-
kunftstechnologien gebraucht werden.
Stichwort Karriereplanung: Angehende Inge-
nieurinnen und Ingenieure können nach Aus-
kunft der Personalmanagerin bereits während ih-
res Studiums beim DLR in ihre wissenschaftliche
Karriere einsteigen und direkt in internationalen
Projekten Berufspraxis sammeln: Im Rahmen
„studentischer Tätigkeit“ oder wenn sie – wie
beim Beispiel mit Mepa – eine Abschlussarbeit
verfassen. Iris Werner: „Von Anfang an arbeiten
sie hier mit international renommierten Köpfen
aus Ingenieur- und Naturwissenschaften auf Au-
genhöhe zusammen, rundum vernetzt in inter-
disziplinären Teams mit Forscherinnen und For-
schern weiterer DLR-Institute sowie mit Universi-
täten, Forschungseinrichtungen und Indus-
trieunternehmen aus aller Welt.“ Neben Ab-
schlussarbeiten und Praktikumsplätzen für Stu-
dierende finden sich im Jobportal des DLR Ange-
bote zum Direkteinstieg für Absolventinnen oder
Berufserfahrene sowie Promotionsstellen und
Interessante Aufgaben warten: Check der Telemetrieeinheit vor dem Einbau in eine Turbine in einem Teststand beim Deutschen
Luft- und Raumfahrtzentrum. Foto: DLR
Führungspositionen auch in Themen der Trans-
formation.
Die Projekte des DLR seien in vielfältigen For-
schungsgebieten angesiedelt. Die 55 Institute bö-
ten „eine technologisch einmalige Ausstattung –
vom Hochleistungsrechner über die größte euro-
päische Forschungsflugzeugflotte und Labore bis
zu Windkanälen, Tunnelsimulationsanlagen oder
Prüfständen für Raketenantriebe.“ Beispielsweise
gibt es das Zentrum für Leichtbauproduktions-
technologie (ZLP) in Stade und Augsburg, wo
Strategien erarbeitet werden, um Leichtbaustruk-
turen unter anderem umweltbewusst herzustel-
len. Dabei werden an multifunktionalen Großan-
lagen Prozessschritte untersucht, integriert und
mit der entsprechenden technischen Infrastruk-
tur im Industriemaßstab abgebildet.
Am Institut für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart
kümmert man sich um die Entwicklung von
Leichtbautechnologien und Werkstoffen für die
Mobilität der Zukunft. Feste Mitarbeitende und
Studierende konzentrieren sich dabei vor allem
auf nachhaltige Materiallösungen und Sandwich-
materialien. „Next Generation Car“ oder
„U-Shift“ heißen Projekte, in denen Holz-Hybrid-
und Sandwichmaterialien für die Fahrzeuggene-
rationen der Zukunft entwickelt, charakterisiert
und simuliert werden. Spannend sind Leichthöl-
zer mit einer vorteilhaften Kombination aus me-
chanischen Eigenschaften und geringer Dichte.
In diesem Rahmen vergab das DLR vor einiger
Zeit an Studierende in Maschinenbau, Fahrzeug-
technik oder Luft- und Raumfahrt eine Studien-
bzw. Abschlussarbeit zur Charakterisierung und
Simulation von Leichthölzern. Dabei ging es un-
ter anderem um ein Prüfprogramm zu deren Ma-
terialcharakterisierung.
An vielen Universitäten, Hochschulen und Insti-
tuten in Deutschland werden Fachkräfte ausge-
bildet, die auf neue Facetten ihrer Profession vor-
bereitet sind. Doch der interessanteste Beruf
nützt nur, wenn man einen Job hat. Über die Stra-
tegieplattform „Transformation Automobilwirt-
schaft“ sollen deshalb nach dem Willen der neu-
en Ampelkoalition in der Traditionsbranche unter
neuen Vorzeichen Arbeits- und Ausbildungsplät-
ze gesichert werden.
Szenenwechsel zu einem anderen Feld dieser
Branche, bei der auf dem Weg zur Klimaneutrali-
tät nicht mehr der Verbrennungsmotor die Art der
Arbeitsplätze definiert. Volkswagen Group Com-
ponents eröffnete kürzlich in Salzgitter „eines der
modernsten Labore für Zellforschung und Ent-
wicklung in Europa“, so das Unternehmen. In
„Wir siedeln vier Laboren forschen zunächst rund 250 Exper-
tinnen und Experten in den Bereichen Zellent-
Spitzen- wicklung, Analytik und Tests. Den Planungen zu-
forschung an folge wird ab 2025 die „Volkswagen Einheitszelle“
in Salzgitter vom Band laufen. Dort, wo seit Jahr-
und schaffen zehnten Motoren produziert werden, soll allmäh-
lich die neue Einheitszelle die Transformation an-
damit als treiben und durch Synergien die Batteriekosten
laut VW um bis zu 50 % reduzieren.
Vorreiter der
Branche die Mehr als 500 Mitarbeitende sind im Center of
Excellence (CoE) Batteriezelle in Salzgitter tätig,
Arbeitsplätze davon etwa 160 in der Zellentwicklung. Tendenz
steigend: Bis Ende 2022 soll das CoE mehr als
von morgen.“ 1000 Mitarbeitende beschäftigen, davon rund 250
Thomas Schmall, Experten und Expertinnen für die Erforschung,
Konzernvorstand Technik Analyse und Entwicklung von geeigneten Zellma-
der Volkswagen AG terialien und -formaten.„Wir siedeln Spitzenfor-
schung an und schaffen damit als Vorreiter der
Branche die Arbeitsplätze von morgen“, sagte
Thomas Schmall, Konzernvorstand Technik der
Volkswagen AG. „Mit den neuen, hochmodernen
Laboren bauen wir unsere Entwicklungs-, Pro-
zess- und Fertigungskompetenz für die Batterie-
zelle – für das Herzstück des E-Fahrzeugs – weiter
aus. Der Volkswagen-Standort Salzgitter zeigt, wie
die Transformation der deutschen Automobil-
wirtschaft von konventionellen Antrieben zur
E-Mobilität gelingen kann.“
Arbeitssicherheit Chemieingenieurwesen Fertigungstechnik, Produktion Ingenieur (m/w/d) für den Produktionsbereich Tester (m/w/d) Software und Hardware für
Referentinnen/Referenten Sicherheitstechnik Scale-Up – Ingenieur (m/w/d) für den Professur (W2) Cyber-Physical Production „BuLiMe“ (Li-Butyl & Li-Metall) Crashtest-Anlagen
(Dipl.-Ing./M.Sc.) (m/w/d) Produktionsbereich Lithium Technikum Systems, insbesondere industrielle Robotik Albemarle Germany GmbH MESSRING
Berufsgenossenschaft Handel und Albemarle Germany GmbH und Automatisierungstechnik Langelsheim ID: 028038515 Gilching ID: 028044091
Warenlogistik (BGHW) Langelsheim ID: 028038516 Hochschule Hof ID: 028019194 Mechatronik, Embedded Softwareentwicklung
Mannheim ID: 028195368 Qualification / Validation Engineer (f/m/d) Ingenieure / Ingenieurinnen (Bachelor oder Systems Software Engineer (w/m/d) Schwerpunkt
Sicherheitsingenieur/ -Fachkraft (m/w/d) ITM Medical Isotopes GmbH Master) (m/w/d) Konstrukteur (m/w/d) Elektrotechnik Steuerungstechnik/Robotik
ias Aktiengesellschaft Garching, München ID: 028258919 Berufsgenossenschaft Holz und Metall Sonderbau Schuler, Gemmingen ID: 028111188
Karlsruhe ID: 028195185 Stuttgart ID: 028038989 Jungheinrich, Lüneburg ID: 028228769
Einkauf und Beschaffung Software Engineer (w/m/d) – Schwerpunkt
Automatisierungstechnik Technischer Einkäufer – Einkauf (m/w/d) Industrial Engineer (m/w/d) Systementwickler (m/w/d) Visualisierung
Ingenieur (m/w/d) Elektrotechnik oder Leit- ZIMM Group GmbH f.a.n. frankenstolz Schlafkomfort H. Neumeyer Mechatronik/Elektrotechnik Schuler Pressen GmbH
und Sicherungstechnik als Grundsatzbearbeiter Ohorn ID: 028134630 GmbH & Co. KG Bürkert Fluid Control Systems Gemmingen ID: 028068320
Harzer Schmalspurbahnen GmbH Oschatz ID: 028265784 Menden ID: 028211128
Elektrotechnik, Elektronik Senior Software Engineer (d/m/w)
Wernigerode ID: 028228800 Forschung & Entwicklung Prüfingenieur*in (m/w/d) der Fachrichtung Airbus
Ingenieur*in (m/w/d) der Elektrotechnik für Maschinenbau, Fahrzeugtechnik, Manching ID: 028042340
Bauwesen die Planung und Umsetzung des Großprojektes Projektingenieur/Konstruktionsingenieur im
Bereich kundenspezifische Elektrotechnik, Physikalische Technik,
Bauingenieur (m/w/d) Ost-West-Achse beim Amt für Brücken, Tunnel Mechatronik Technische Dienstleistung,
Niedersächsische Landesbehörde für und Stadtbahnbau Leistungskondensatoren (m/w/d) Engineering
Panasonic Industrial Devices Europe GmbH BAM – Bundesanstalt für Materialforschung
Straßenbau und Verkehr Stadt Köln ID: 028240254 und -prüfung Ingenieur*innen (w/m/d)
Stade ID: 028259396 Lüneburg ID: 028242503
Diplom-Ingenieurin/Diplom-Ingenieur (Master) Baruth/Mark ID: 028133812 Bundesagentur für Arbeit
Architekt*in / Ingenieur*in als Projektleitung oder Naturwissenschaftler*in (Master) FCAS Chief Engineer Germany (d/f/m) verschiedene Standorte ID: 027886704
in der Bestandsentwicklung und (m/w/d) Airbus Medizintechnik, Biotechnik
Manching ID: 028228290 R&D Engineer, Implantable Electrodes (m/f/d) Technischer Betreuer (w/m/d)
Bauunterhaltung (m/w/d) Berufsgenossenschaft Handel und
MED-EL Medical Electronics Wacker Chemie AG
Landeshauptstadt Stuttgart ID: 028238201 Warenlogistik (BGHW) Entwickler / Konstrukteur R&D (m/w/d)
Innsbruck ID: 028132472 Nünchritz ID: 028086010
Architekt*in als Projektleitung für öffentliche Mannheim ID: 028195599 DSI Getränkearmaturen GmbH
Hamm ID: 028110279 Junior Vertriebsingenieur (m/w/d)
Bauten (m/w/d) Diplom-Ingenieurin/Diplom-Ingenieur Naturwissenschaften WITRON Gruppe
Landeshauptstadt Stuttgart ID: 028238200 (FH/Bachelor) (m/w/d) Ingenieur*innen (m/w/d) als technische
Berufsgenossenschaft Handel und Gebäude- und Parkstein ID: 028086887
Bauingenieurin / Bauingenieur (m/w/d) Maschinenmanagement Sachbearbeiter*innen / als technische
(FH-Diplom / Bachelor) (oder vergleichbar) für Warenlogistik (BGHW), Mannheim, Großraum Sachbearbeiter (m/w/d) Technische Dokumentation
Koblenz/Mayen ID: 028195448 Leitung des Facility Managements (m/w/d) Fernstraßen-Bundesamt, Bonn ID: 028265582
das Fachgebiet Oberbau und Bahnübergänge Dipl.-Ing. Elektrotechnik (m/w/d) / Bachelor of
Elektroingenieur Stromnetz (m/w/d) TECHNOSEUM
Eisenbahn-Bundesamt (EBA) Engineering (Fachrichtung Elektrotechnik)
München, Nürnberg ID: 028227932 Stadtwerke Tübingen GmbH ID: 028196305 Mannheim ID: 028108070 Projektmanagement (m/w/d)
Lehrkraft für besondere Aufgaben (w/m/d) Maschinenbauingenieur Extrusion (m/w/d) Projektmanager im Bereich Bau (m/w/d) Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Vermessungsingenieur*in (m/w/d) in der
Elektrotechnik Röhm GmbH Klinikum Esslingen GmbH ID: 028246733 Frankfurt am Main, Bockenheim, Ginnheim und
Abteilung für Bodenordnung und Ortsbaurecht
im Sachgebiet „Auszüge aus dem Bau- und Hochschule Ruhr West Weiterstadt ID: 028265277 Landschaftsarchitekten / Architekt (m/w/d) Westend ID: 028258750
Planungsrecht, Bauleitplanbestand, Mülheim an der Ruhr ID: 028134159 Hardwaren. Prog., embed. Deutsche Stiftung Denkmalschutz Technische Leitung
Baulastenverzeichnis“ Leitung (m/w/d) Projektmanagement Syst. Bonn ID: 028232138
Stadt Köln ID: 028212278 Teamleiter Netzentwicklung und
Produktentwicklung und stellvertretende System and Requirements Engineer – Ingenieurin / Ingenieur (m/w/d) (FH-Diplom / Assetmanagement (m/w/d)
Projektmanager (m/w/d) für Bauprojekte Entwicklungsleitung Nutzfahrzeug Applikation (m/w/d) Bachelor) Hochbau / Brandschutz über KEPPLER. Personalberatung
THOST Projektmanagement GmbH Smart Battery Solutions GmbH Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH Eisenbahn-Bundesamt (EBA) Raum Hannover ID: 028228282
München ID: 028210594 Kleinostheim ID: 028136624 Schwieberdingen bei Stuttgart ID: 028196711 Muünchen, Nürnberg ID: 028227869
Head of Development Automated Driving
Techniker / Meister / Ingenieur / Konstrukteur Software Engineer (w/m/d) Schwerpunkt Spezialist/-in Regenerative Energien (m/w/d) (m/w/d)
(m/w/d) als Projektleiter Stahlbau Steuerungstechnik IT-Consulting Bayerische Staatsforsten AöR Jungheinrich
Deutsche Industrie- und Parkhausbau GmbH Schuler Pressen GmbH Physiker / Informatiker / Naturwissenschaftler Regensburg ID: 028208899 Lüneburg, Norderstedt ID: 028192467
verschiedene Standorte ID: 028192419 Gemmingen ID: 028134778 als Wissenschaftlicher Berater für innovative
Projektingenieur (m/w/d) Systemtechnik Bauingenieur/in / Architekt/in in leitender
Kommunikationssysteme (d/m/w)
Architekt/in bzw. Bauingenieur/in (m/w/d) Konstrukteur (w/m/d) Schwerpunkt Schienenfahrzeuge Funktion / Fachbereichsleitung Bauen und
VDI/VDE Innovation + Technik GmbH
LVR-Klinik Langenfeld elektrische Hardware Stuttgarter Straßenbahnen AG ID: 028210335 Infrastruktur (w/m/d)
Berlin, Bonn, Hannover ID: 028228433
Langenfeld ID: 028192730 Schuler Pressen GmbH Junior Projektsteuerer / Projektplaner Stadt Ludwigsfelde ID: 028109915
Gemmingen ID: 028134725 Konstruktion, CAD (m/w/d)
Architekt/in oder Ingenieur/in im Leiter/in Engineering (m/w/d)
Bauprojektmanagement (w/m/d) Professur (W2) elektrische Antriebstechnik Technische Mitarbeiterin / Technischer ILF Beratende Ingenieure GmbH Leviat GmbH
Bundeskriminalamt Hochschule Ravensburg-Weingarten Mitarbeiter (w/m/d) Fachrichtung München, Bremen, Hamburg, Essen Langenfeld (Rheinland) ID: 028087184
Wiesbaden ID: 028087123 Weingarten ID: 028032637 Physikalische Technik, Anlagenbau oder ID: 028134847
Maschinenbau Abteilungsleiter (m/w/d) Elektroplanung
Bauingenieurin (w/m/d) Straßenbau TGA-Ingenieur (w/m/d) für Neu-, Um- und Geschäftsfeldleiter*in Quantensysteme Deutsche Elektro
Die Autobahn GmbH des Bundes Erweiterungsbauten Karlsruher Institut für Technologie Fraunhofer-Institut für Angewandte
Eggenstein-Leopoldshafen ID: 028210425 Heppenheim, Reichelsheim, Frankfurt am Main,
Bochum ID: 028191733 Deutscher Bundestag Festkörperphysik IAF Mannheim, Heidelberg (Home-Office)
Berlin ID: 028111582 Kunststofftechnik Freiburg ID: 028019218 ID: 028041105
Bauingenieurin (w/m/d) konstruktiver
Ingenieurbau Ingenieur (m/w/d) Elektrotechnik als Konstrukteur (m/w/d) Projektleiter Entwicklung (g*)
Die Autobahn GmbH des Bundes Bereichsleiter Funk- und über D. Kremer Consulting Technischer Vertrieb &
Murrelektronik
Bochum ID: 028191727 Elektroenergieanlagen Oppenweiler (Home-Office) ID: 028037891 Rahden ID: 028113044 Beratung
Harzer Schmalspurbahnen GmbH Ingenieur / Techniker / im Bereich Ingenieur (m/w/d) im technischen Vertrieb
Techniker*in
Landeshauptstadt Kiel ID: 028135257
Wernigerode ID: 028112304 Luft- und Raumfahrt Produktionstechnik Maschinenbau (m/w/d) Stadtwerke Tübingen GmbH ID: 028242566
Projektleiter Regional Telekommunikation Quality assurance manager for the ULTRASAT Senior Flexonics GmbH Sales Manager (m/w/d) Region
Junior Projektsteuerer / Projektplaner camera (m/f/d)
(m/w/d) Kassel ID: 028105945 Berlin/Brandenburg
(m/w/d) – Schwerpunkt Bahn Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY
PYUR c/o Tele Columbus AG Maschinenbauingenieur*in (m/w/d) HTS tentiQ GmbH
ILF Beratende Ingenieure GmbH Hamburg ID: 028209149
Sachsen-Anhalt ID: 028074593 3A Composites GmbH Berlin ID: 028070266
München ID: 028134839
Ingenieur (m/w/d) oder staatlich geprüfte Maschinenbau, Anlagenbau Singen ID: 028087185 Sales Manager (m/w/d) Region Bayern Süd
Mitarbeiter:in Operatives Assetmanagement
Technikerin (m/w/d) als Elektrofachplaner Ingenieur*in Versorgungstechnik (m/w/d) HTS TENTIQ GmbH
(w/m/d) Senior Engineer (m/w/d) Mechanischer
Fachrichtung Nachrichtentechnik in der Stadtwerke Speyer GmbH ID: 028265369 München ID: 028070237
Berliner Wasserbetriebe ID: 028133641 Antriebsstrang von Windenergieanlagen
Technischen Gebäudeausrüstung
Versorgungsingenieure/-innen (w/m/d) (FH / Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme Ingenieur / Fachplaner (m/w/d) für technische Ingenieurin/Ingenier (w/m/d) betriebliche
Bachelor) als Projektsachbearbeiter/-innen Kiel, Büdelsdorf ID: 028079445 IWES Gebäudeausrüstung Energie- und Umweltberatung
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Bremerhaven ID: 028228625 BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH Kreis Unna ID: 028287826
Software Engineer (w/m/d) im Maschinenbau Berlin ID: 028264387
Bonn ID: 028111752 Konstrukteur (m/w/d) Verfahrenstechnik
Schuler Pressen GmbH
Bauingenieurin / Bauingenieur oder Gemmingen ID: 028069353 esco Metallbausysteme GmbH Bauleiter:in (w/m/d)
Ditzingen ID: 028228975 Projektingenieur (m/w/d) Verfahrenstechnik
Architektin / Architekt (w/m/d) Berliner Wasserbetriebe ID: 028259732 VERBIO Vereinigte BioEnergie AG
Ingenieure, Techniker, Meister (m/w/d)
Hessen Mobil Straßen- und Projektingenieure Industrial Engineering Bauleiter*in Instandhaltungsservice (w/m/d) Leipzig ID: 028212371
TÜV Saarland Bildung + Consulting GmbH
Verkehrsmanagement (m/w/d) Berliner Wasserbetriebe ID: 028259313
Sulzbach ID: 027783214 Ingenieur*in Sondermaschinenbau
Wiesbaden ID: 028111372 Linde Hydraulics
Versuchstechniker (m/w/d) Elektrowerkzeuge Aschaffenburg ID: 028192551 Ingenieurin/Ingenieur (FH-Diplom/Bachelor) ELIOG Industrieofenbau GmbH
Ingenieur (d/m/w) für das (m/w/d) im Studiengang Elektrotechnik Römhild ID: 028146446
Techtronic Industries ELC GmbH
Rechnungsprüfungsamt Qualitätsingenieur / Quality Engineer Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Donau MDK
Winnenden ID: 028262620 Anlageningenieur (m/w/d) Compliance
Stadt Celle ID: 028298435 GARDENA (m/w/d) Nürnberg ID: 028259198
Energie & Umwelt Engineering
Ingenieurinnen / Ingenieure (m/w/d) als Husqvarna Group
Prozessmanagement Evonik Operations GmbH
technische Sachbearbeiterinnen / als Ingenieur*in der Fachrichtung Ulm ID: 028192242
Essen ID: 028083317
technische Sachbearbeiter (m/w/d) Geowissenschaften oder Umwelttechnik Projektingenieur*in für die Instandhaltung von
Konstrukteur (m/w/d) zur Auslegung und
Fernstraßen-Bundesamt, Bonn ID: 028265554 (w/m/d) Anlagen des Fahrwegs U-Bahn (m/w/d) Versorgungstechnik
Produktbetreuung von industrieller
Landeshauptstadt München ID: 028211387 Stadtwerke München GmbH ID: 028148297
Projektleitung für die Instandsetzung von elektrischer Beheizung Ingenieur (m/w/x) Objektüberwachung
Ingenieurbauwerken (w/m/d) Ingenieur für Arbeitsschutz und Umweltschutz GC-heat Gebhard GmbH & Co.KG Qualitätssicherung, Testing Versorgungstechnik
Landeshauptstadt München ID: 028265113 (m/w/d) Waldbröl ID: 028143793 Sweco GmbH
Application Engineer (m/f/d) EL-Quality
Berufserfahrene:r Ingenieur:in Elektrotechnik Amcor Flexibles Singen GmbH Ingenieur / Physiker (m/w/d) Technische Control of Solar Cells by means of München ID: 028209483
– elektr. Energietechnik / Gebäudeautomation Singen ID: 028135391 Akustik Machine-Learning Energieingenieur (m/w/d)
(w/m/d) Ingenieur:in Regenwasseragentur (w/m/d) LogoMotive GmbH halm. elektronik gmbh Handtmann Service GmbH & Co. KG
Berliner Wasserbetriebe ID: 028260120 Berliner Wasserbetriebe ID: 028133729 Nürnberg ID: 028086624 Frankfurt am Main ID: 028242456 Biberach ID: 028265047
8. April 2022 · Nr. 7 KARRIERE & MANAGEMENT 35
36 KARRIEREBERATUNG
„ KARRIERE
Bin ich nun
Teamleiter oder
nicht?
3.182. Frage:
Innerhalb meiner Abteilung über-
nehme ich zunehmend koordinieren-
de Aufgaben in meinem fachlichen
Zuständigkeitsbereich. Mein Verant-
wortungsbereich wächst und meine
Aufgaben beginnen, denen eines
Teamleiters zu ähneln.
Allerdings steht dieser Funktion ak-
tuell keine offizielle Stelle gegen-
über, es gibt auch keinen entspre-
chenden Arbeitsvertrag oder eine
Darstellung in einem offiziellen Or-
ganigramm. Ich bin nach wie vor
Sachbearbeiter.
Wann darf ich mich Teamleiter nen-
nen, z. B. im Lebenslauf? Muss diese
Funktion entsprechend bezeichnet
sein oder genügt es, wenn die Abtei-
lungsleitung innerhalb der Arbeits-
gruppe eine Teamleiterstrukturie-
rung erfindet? Sollte Letzteres mög-
lich oder gar gängig sein, wie stelle
ich sicher, dass dies im Arbeitszeug-
nis bestätigt wird?
Es könnte ja sein, dass später vonsei-
ten meiner Chefs gesagt wird: „Das
mit dem Teamleiter war eher als Me-
tapher gemeint.“ In diesem Fall wä-
re ich ein Hochstapler, wenn ich
mich extern als Teamleiter bewürbe.
Antwort:
Präzisieren wir zunächst Ihren letz-
ten Satz: „Bewerbung als Teamlei-
ter“ wird umgangssprachlich ge-
braucht im Sinne der Bewerbung
„um die Position eines …“. In der
Hinsicht können Sie machen, was
immer Sie wollen, Sie können sich
auch „um die Position“ eines CEO/
Vorstandsvorsitzenden bewerben.
Das hätte zwar keine Chance, wäre
aber erlaubt.
Konkret: Typische Bewerber um (es
muss „um“ heißen, nicht etwa
„auf“) die ausgeschriebene Position
8. April 2022 · Nr. 7
eines Teamleiters sind Angestellte,
die heute schon Teamleiter oder
noch Sachbearbeiter sind und erst-
mals Teamleiter werden wollen.
Beides wird grundsätzlich akzep-
tiert.
Schwieriger wird es, wenn Sie mit
Ihrer „Bewerbung als Teamleiter“
ausdrücken wollen, dass Sie im Le-
benslauf angeben würden, heute
Teamleiter zu sein. Dazu brauchen
Sie eine beweisbare „Deckung“
durch Ihren Arbeitgeber (die Sie ha-
ben, aber nicht unbedingt der Be-
werbung beifügen müssen). Das
Unternehmen müsste Ihnen und/
oder der betriebsinternen Öffent-
lichkeit schriftlich (!) mitgeteilt ha-
ben, dass Sie ab … Teamleiter sind.
Fehlt dieses Dokument (Arbeitsver-
trag, direkte Ernennungs-Mittei-
lung an Sie oder an alle, veröffent-
lichtes Organigramm mit Ihrem Na-
men unter der Bezeichnung „Team-
leiter“), dann sind Sie keiner. Sie
dürften sich zwar, siehe oben, um
die offene Position eines solchen
bewerben, aber Sie dürften nicht in
der Bewerbung schreiben, Sie seien
heute bereits einer. Das wäre in der
Tat Hochstapelei.
Wenn Sie im Zweifel sind, ob das
nun eine offizielle Ernennung war
oder nicht, können Sie sich eine
Kontrollfrage stellen (die Sie auch
schon angeschnitten haben): Bin
ich absolut sicher, dass mir der Ar-
beitgeber in einem Zwischen- oder
Endzeugnis diesen Status bestäti-
gen würde? Falls das nicht der Fall
ist, ist Vorsicht geboten.
Auf Ihre Frage, wie Sie diese Bestäti-
gung in einem Zeugnis sicher errei-
chen können, bleibt mir als Antwort
nur der Hinweis auf meine obige
Darstellung: Sie brauchen eine
schriftliche Ernennungsbestätigung
durch Ihren Arbeitgeber, sonst gibt
es keine Möglichkeit, den Status im
Zeugnis durchzusetzen.
Aber es gibt eine „weiche“ Lösung
für Sie, mit der Sie ziemlich nahe an
Ihr Ziel herankommen (Sie möch-
ten sich als Bewerber um eine aus-
geschriebene Teamleiterposition
natürlich positiv von jenen Mitbe-
werbern abheben, die heute nur
Sachbearbeiter sind und Ihre spe-
ziellen zusätzlichen Erfahrungen
noch nicht vorweisen können):
Beschreiben Sie im Lebenslauf und
ggf. zusätzlich im Anschreiben ein-
fach die Zusammenhänge so, wie
sie sind, z. B. in einer von drei Vari-
anten:
1. „Seit XX/XXXX: Entwicklungsin-
genieur (mit zunehmenden koordi-
nierenden und teamleitenden
Funktionen, die wegen fehlender
entsprechender Stelle derzeit nicht
„Karriereberatung“
offiziell bestätigt werden können).“
Oder:
2. „Seit XX/XXXX: Entwicklungsin-
genieur mit Teamleiterfunktion
(wegen noch fehlender Teamleiter-
Stelle kann dieser Status derzeit
nicht offiziell bestätigt werden).“
Oder:
3. „Seit XX/XXXX: Teamleiter in der
Entwicklung (wegen fehlender
Planstelle noch nicht offiziell bestä-
tigt).“
Es kommt darauf an, wie risikofreu-
dig Sie sind und wie groß Sie die
Chance einschätzen, dass man eine
der Ihren entsprechende Version ei-
Service für Querleser:
Es ist empfehlenswert, bei der
Gestaltung des eigenen Werde-
ganges einen klar erkennbaren
roten Faden anzustreben. Defi-
niert man diesen aber extrem
eng und folgt man ihm über eine
sehr lange Zeit, ist man (fast) nur
noch für fremde Unternehmen
genau dieser Struktur in genau
diesem Produktbereich mit ge-
nau diesen Aufgaben interes-
sant. Die erstrebenswerte vielfäl-
tige Einsatzmöglichkeit eines Be-
werbers geht dann verloren.
nes Tages im Zeugnis halbwegs be-
stätigt. Denken Sie bei jeder der
drei Varianten daran, einen Aufga-
bendetailpunkt darunter anzuge-
ben, der die Teamleitungsfunktio-
nen noch einmal aufgreift (etwa wie
der erste Halbsatz in der Klammer
meines Beispiels Nr. 1).
„ KARRIERE
Ihre Fragen Wie eng muss ich
zum Thema
dem „roten Faden“
beantwortet folgen?
Dr.-Ing. E. h.
Heiko Mell, 3.183. Frage:
Karriereberater Ich arbeite in der Qualitätsabteilung
in Rösrath. des Produktionsbetriebes eines Kon-
„ heiko-mell.de zern-Produktbereichs. Derzeit bin ich
in einem Oberflächen-Veredelungs-
bereich (A) tätig. Sollte sich die Gele-
genheit ergeben, innerhalb dieses
Produktionsbetriebes in eine ähnli-
che oder höhere Position zu wech-
seln, wäre das sicher mit einem
Wechsel des Verarbeitungsbereichs
(möglich wären mehrere) verbun-
den. Theoretisch wären auch Verset-
zungen in stabsähnliche Hauptabtei-
lungen möglich, die allerdings mei-
nen roten Faden zerreißen würden
und darüber hinaus auch meinen Fä-
higkeiten und Interessen zuwider lie-
fen.
Wenn es mir gelänge, mein direktes
Aufgabengebiet im Bereich der Qua-
lität innerhalb der Produktion (ggf.
Instandhaltung) anzusiedeln, wäre
der rote Faden meines Lebenslaufes
dann hinreichend fortgeschrieben
oder sollte ich mich darum bemü-
hen, im Bereich der speziellen Ober-
flächen-Veredelung(A) zu bleiben –
zur Not extern?
Antwort:
Der Blick auf den „roten Faden“ in-
nerhalb des eigenen Werdeganges
ist schon sehr wichtig. Je konse-
quenter er über verschiedene Be-
schäftigungsphasen durchgehalten
wird, desto begehrter wird man als
Bewerber um Positionen, die genau

(!) dazu passen. Nach dem Prinzip
„Wo viel Licht, da auch viel Schat-
ten“ hat das aber auch Nachteile: Je
eindeutiger Sie mit Ihrer erworbe-
nen Qualifikation in einen Zielbe-
reich hineinpassen (z. B. nach fünf-
zehn Jahren in der Oberflächen-
Veredelung A), desto uninteressan-
ter werden Sie als Bewerber um Po-
sitionen mit anderen Schwerpunk-
ten.
Und es gilt: Als Angestellter müssen
Sie nicht nur nach interessanten,
weiterführenden Positionen schau-
en, Sie müssen auch bei der Annah-
me jeder neuen Funktion die Frage
beantworten: Wo gehe ich hin,
wenn ich diesen neuen Job etwa
fünf Jahre (natürlich erfolgreich)
ausgeübt habe? Und da rate ich bei
einigen von Ihnen genannten Vari-
anten zur Vorsicht.
Ihr zentraler roter Faden (Stufe I) ist
zunächst einmal das Qualitätswe-
sen. Die nachgeordnete II. Stufe Ih-
res Qualifikationsprofils wäre der
Produktionsbetrieb mit vollkonti-
nuierlicher Fertigung. Und die spe-
zielle Oberflächen-Veredelung wäre
in Ihrem Fall Stufe III.
Ich würde bei jedem Wechsel zuse-
hen, die Stufe I beizubehalten und
sie nur bei Vorliegen außergewöhn-
licher Umstände aufzugeben (nega-
tives Beispiel wäre ein Wechsel in
den Vertrieb, weg von Q). Damit
wären Sie schon auf einer sehr soli-
den Schiene.
Die Stufe II mit dem Produktions-
betrieb und vollkontinuierlicher
Fertigung würde ich (als Qualitäts-
fachmann!) schon zurückhalten-
der betrachten: Wie viele solcher
Betriebe gibt es in der Region, für
die ich offen bin, wie leicht finde
ich also genau diese Umgebung,
wenn ich eines Tages extern wech-
seln will oder muss? Das bedeutet:
Stufe II kann beim Wechsel beibe-
halten werden, muss aber nicht.
Ganz im Gegenteil: Ein Weg zu
„neuen Ufern“, z. B. in eine ande-
re Produkt- und damit Produkti-
onsstruktur, würde langfristig Ih-
ren allgemeinen Marktwert eher
erhöhen.
Die Stufe III ist natürlich dann ein
positiv zu sehendes „Sahnehäub-
chen“, wenn genau diese drei Stu-
fen irgendwo gesucht werden. Aber
wie wahrscheinlich ist das? Ihre
Oberflächen-Veredelung (die Sie
mir eindeutig beschrieben haben)
klingt schon sehr speziell und dürf-
te eher selten vertreten sein. Ich
würde, um nicht (Qualitäts-) Spe-
zialist für ein ganz enges Gebiet zu
werden, sogar bewusst erwägen,
diese Stufe III loszuwerden.
Sie wissen ja: Ein Spezialist ist ein
Mensch, der von einem immer klei-
neren Gebiet immer mehr weiß, bis
er eines Tages von nichts alles weiß.
Für welche Berufsgruppe angeblich
das Gegenteil zutreffen soll, das
niederzuschreiben erspare ich mir
hier.
PS: Die von Ihnen erwähnte In-
standhaltung wird in verschiedenen
Unternehmen bzw. Branchen un-
terschiedlich bewertet. Es ist ein
wichtiger Aufgabenbereich mit an-
spruchsvollen Zielen und Tätigkei-
ten. Bei externen Bewerbungen je-
doch ist es mitunter schwer, aus
diesem Sektor auszubrechen und z.
B. in die Produktion zu wechseln.
„ NOTIZEN
AUS
„
DER PRAXIS
Karriere
532: Wer (sich) gut
präsentiert, …
Ich bin Anfang zwanzig, frischgeba-
ckener Wirtschaftsingenieur und
Organisator in der Hauptverwal-
tung eines deutschen Konzerns.
Meinen Kollegen und mir überträgt
man Projekte zur Optimierung von
struktur- und ablauforganisatori-
schen Regelungen; Auftraggeber
sind die Leiter der betroffenen
Fachabteilungen oder auch Vor-
standsmitglieder.
Manche dieser Aufträge finden wir
einleuchtend und sinnvoll, andere –
oft die von „ganz oben“ – erschlie-
ßen sich uns eher weniger, wir rei-
ßen uns dann nicht um die Erledi-
gung. In diesem speziellen Umfeld
erlebe ich zum ersten Mal, mit wel-
cher Wucht eine brillante Präsenta-
tion mühelos die dargebotenen In-
halte überspielen kann.
Betroffen ist ein älterer Kollege mit
zwanzig oder mehr Dienstjahren –
er ist hervorragend im ganzen Haus
vernetzt (weiß das aber nicht, da
man den Begriff noch nicht kennt)
8. April 2022 · Nr. 7 KARRIEREBERATUNG
Kontakt
„ Wir gewähren größtmögliche Diskretion. Jeder Fall
wird so dargestellt, dass es keine konkreten Hinweise
auf Sie als Fragesteller gibt. Es werden keine Namen
genannt.
„ Die Frage muss von allgemeinem Interesse sein und
erkennbar mit dem Werdegang eines Ingenieurs im
Zusammenhang stehen. Eine individuelle Beantwor-
tung von Briefen ist nicht vorgesehen. Rechtsauskünf-
te dürfen wir nicht erteilen. Autor und Verlag überneh-
men keinerlei Haftung.
„ Bitte richten Sie Ihre Fragen an:
VDI nachrichten Karriereberatung,
Postfach 101054, 40001 Düsseldorf
karriereberatung@vdi-nachrichten.com
www.vdi-nachrichten.com/heikomell
und absolut sturmerprobt. Er hat
eines der teils ungeliebten, teils er-
kennbar zu nichts führenden Pro-
jekte übertragen bekommen und
den Beginn der Auseinanderset-
zung mit den Details immer wieder
verschoben. Als er plötzlich vom
Bereichsleiter zum Vortrag über den
Stand der Dinge gebeten wird, hat
er, wie wir alle wissen, absolut
NICHTS vorzuweisen, nicht ein ein-
zelnes Stückchen Papier, nicht den
Ansatz eines Lösungskonzepts. Ich
fürchte sehr um seine Zukunft im
Team.
Karriere-Basics
Er jedoch überwindet den ersten
100 Tipps für den Schock in wenigen Minuten,
Erfolg schnappt sich zwei große weiße
im Beruf DIN A1-Bögen, etwas Tesafilm so-
wie einige Farbstifte und meldet
Nr. 15: Alles „Gute“
sich weisungsgemäß zur Berichter-
kommt von oben.
stattung.
Entscheidende Ver-
änderungen im Nach einiger Zeit – wir haben nicht
Unternehmen ge- das befürchtete „laute“ Gespräch
lingen nur, wenn durch die Tür hören können – er-
sie von der Spitze scheint er wieder, grinst zufrieden,
her gewollt und ist erschöpft, aber glücklich.
durchgesetzt wer-
den. Entsprechen- Später erfahren wir, was sich abge-
de Initiativen von spielt hat: Mit großer Geste befes-
unten her scheitern tigt der zum Rapport bestellte Kol-
lege von innen an der Tür des Be-
meist.
reichsleiter-Büros die beiden leeren
Blätter, schreibt auf das obere „Ist“
und auf das untere „Soll“: Dann
führt er mit vollem Ernst aus, er
wolle hier – bei diesem sehr an-
spruchsvollen, hochinteressanten
Fall – bewusst keine schwer ver-
ständlichen gedruckten Darstellun-
gen zeigen, sondern einmal de-
37
monstrieren, wie er die Gegeben-
heiten analysiert und bewertet ha-
be und zu welchen Lösungsideen er
gekommen sei.
Und dann malt er ohne jedes Zö-
gern das IST-Blatt voll. Das ist für
jemanden, der mit dem ganzen Un-
ternehmen eng vertraut ist, auch
aus dem Stegreif heraus durchaus
machbar. Einige Nachteile des Ist-
Zustandes kennt man, andere dür-
fen in Angleichung an früher gelös-
te Fälle unterstellt werden. Und vor
allem: Man kann das relativ leicht
mit ranghohen Managern machen.
Sie kennen die Details nicht, inte-
ressieren sich auch nicht dafür, ih-
nen geht es um die „große Linie“.
Eine Gruppe von in die Prozesse
eingebundenen Sachbearbeitern
hätte mehrfach widersprochen,
fehlende Einzelheiten angemahnt
und viele Ansätze mit „ist so nicht
richtig“ im Keim erstickt.
Hier aber „frisst“ sein hochrangiges
Publikum die Darstellung wider-
spruchslos. Der Rest ist Routine:
Wenn man den aktuellen Zustand
kennt und die Darstellung der dort
zutage tretenden Nachteile heraus-
gearbeitet hat, ergeben sich die Lö-
sungsansätze im Rahmen der „gro-
ßen Linie“ nahezu von allein.
Der nun zu Höchstform aufgelaufe-
ne Kollege füllt auch das zweite
Blatt, verweist auf die noch ausste-
hende Feinabstimmung mit den
betroffenen Abteilungen, bietet
großzügig an, den bisherigen Stand
auf Wunsch gern in üblicher Form
schriftlich zusammenzufassen und
kommt zum Schluss.
Er kassiert begeistertes Lob, gerade
auch für diese „äußerst interessante
Form der Präsentation“ (vermischt
mit der unter Bedauern vom Be-
reichsleiter geäußerten Vermutung,
zum Vortragsstandard könne man
das wegen des fehlenden Talents
anderer Mitarbeiter für diese freie
Vortragsweise wohl nicht erheben)
und darf gehen.
Aufbauend auf Erlebnissen wie die-
sem beginne ich einige Jahre da-
nach, dem real existierenden, be-
ruflichen System diverse Elemente
eines großen Spiels zuzuordnen. Als
ich später – auf einem Buchtitel –
von „Spielregeln“ spreche, wider-
spricht mir niemand. Bis zum heu-
tigen Tag.
38 AUS DEM VDI 8. April 2022 · Nr. 7

Herausgeber:
Jahrgang 76 ISSN 0042–1758

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel,

Dr.-Ing. Volker Kefer.
Vorteil MedConf im Mai
Vom 10. bis 12. Mai 2022 wird
die MedConf stattfinden, die
Herausgeberbeiratsmitglieder: Konferenz für Software- und
Prof. Dr.-Ing. Dirk Abel,
Prof. Dr.-Ing. Marina Schlünz
Geräteentwicklung in der
Medizintechnik. Teilnehmen-

Foto: panthermedia.net/alexraths
de haben die Möglichkeit, im
Redaktion: NH-Hotel in Aschheim-Dor-
Chefredakteur Ken Fouhy, B.Eng. (kf) nach live an der Konferenz
Chef vom Dienst Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst) teilzunehmen oder sich aktiv
Orientierung im Studium, online einzubringen. VDI-
Ressort Infrastruktur & Digitales
Dipl.-Ing. Regine Bönsch (rb),
Karriereplanung, fachliche Netzwerke, Mitglieder erhalten einen
Preisnachlass von 15 %. Bei Angabe ihrer Mitgliedsnum-
Dipl.-Phys. Stephan W. Eder (swe),
Peter Kellerhoff M.A. (pek), Fabian Kurmann (kur)
berufliche Qualifizierung, exklusive mer können sie unter medizintechnik@vdi.de ihren Pro-
Vergünstigungen, ShoppING-Angebote – mocode anfordern. Programm unter:
Ressort Produktion & Umwelt
Dipl.-Ing. (FH) Martin Ciupek (ciu), die Mitgliedschaft im VDI bietet eine Fülle
Dipl.-Kfm. Stefan Asche (sta), Iestyn Hartbrich (har),
Dipl.-Oecotroph. Bettina Reckter (ber) von Vorteilen – hier eine kleine Auswahl. „ www.medconf.de
Ressort Wirtschaft/Management/Karriere
Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst),
Claudia Burger (cer), Wolfgang Schmitz (ws),
André Weikard (aw)
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E-Mail: mitgliedsabteilung@vdi.de
für Abonnenten „ www.vdi.de/netzwerke-aktivitaeten/
Fragen zum Abonnement und zu Adressänderungen:
Telefon: +49 6123 9238–201 vdi-webinare
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Probeabonnement: www.vdi-nachrichten.com/probe

Das EH2C-Team (v.l.): Kai Tornow, Sven Schmitz und Christian Geml im Wasserstoff- und Brennstoffzellenlabor. Foto: DHBW Mannheim
Wasserstoff recyceln
Forschung: An der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) wird daran
gearbeitet, Wasserstoff als Nebenprodukt aus der Halbleiterproduktion nutzbar zu machen.
Von Frank Magdans
A
m Campus Eppelheim ver-
fügt die DHBW Mannheim
über ein eigenes Wasserstoff-
und Brennstoffzellenlabor
mit einem elektrochemi-
schen Verdichter (engl. Electrochemical
Hydrogen Compressor, kurz EHC). Die-
ses Labor bildet eine optimale Grundla-
ge für Forschungsvorhaben. Inzwischen
ist dort das Projekt EH2C angedockt.
Hierbei konzentriert sich ein Team um
Sven Schmitz auf einen spezifischen An-
wendungsfall: auf Wasserstoff, der wäh-
rend der Produktion von Solarzellen
und anderen Halbleitern anfällt.
Dem Forschungsprojekt EH2C ist das
Horizon-2020-Projekt Memphys voran-
gegangen. Hierbei haben die Experten
ein System entwickelt, mit dem sich
Wasserstoff reinigen und verdichten
lässt. Bei EH2C gehe es jetzt vier Stufen
höher auf dem Technology Readiness
Level (Technologiereifegrad), wodurch
das Verfahren schon sehr bald in der In-
dustrie zum Einsatz kommen könnte.
Denn bislang wird dieses Gas entweder
mit Luft verdünnt oder gelangt durch
Verbrennung in die Umgebung. Exper-
ten und Expertinnen schätzen, allein in
Europa seien dies jährlich mehrere Tau-
send Tonnen.
Wie der Einstieg in die Wasserstoffzukunft gelingt
Veranstaltung: Am 3. Mai richtet der VDI
im Rahmen der „Berliner Energietage“
die virtuelle Veranstaltung „Wie schaffen
wir den Einstieg in die Wasserstoffzu-
kunft?“ mit Vorträgen und Podiumsdis-
kussion aus. Daran nehmen auch Ver-
treter aus dem Wirtschafts- und Klima-
schutzministerium sowie MdBs aktiv
teil. Motivation für die Veranstaltung ist,
dass Wasserstoff einen entscheidenden
Faktor der Energiewende darstellt. Ins-
besondere für den Einsatz in der chemi-
schen Industrie als Rohstoff für eine
Vielzahl von Produkten, aber auch in
Neben einer detaillierten Wirtschaft-
lichkeitsanalyse wollen die Forscher den
elektrochemischen Verdichter dahinge-
hend optimieren, dass das System den
Wasserstoff aus den Abgasen der Halb-
leiterproduktion filtert und kompri-
miert. Letztlich soll der Wasserstoff wie-
der eingesetzt werden.
Die Experten haben ein
System entwickelt, mit dem
sich Wasserstoff reinigen und
verdichten lässt.
Die technische Herausforderung beim
Wasserstoffrecycling in der Halbleiterin-
dustrie besteht darin, dass es sich um
zahlreiche kleine und mittlere Produkti-
onsanlagen handelt. Herkömmliche
Aufbereitungsverfahren sind allerdings
nur für den großtechnischen Einsatz
konzipiert.
Hingegen reinigt die kompakte mo-
dulare Bauweise eines EHC-Recycling-
systems sowohl kleine als auch große
Abgasströme. Somit deckt das System
ein breites Spektrum an Produktionsan-
lagen ab. Darüber hinaus passt sich das
der Eisen schaffenden Industrie sowie
für die internationale Luft- und Seefahrt
bietet sich Wasserstoff direkt oder in
Form von synthetischen Treibstoffen als
Energieträger der Zukunft an.
Oftmals tritt jedoch in den Hinter-
grund, dass Wasserstoff ein Sekundär-
energieträger ist und zuerst treibhaus-
neutral hergestellt werden muss. Allein
für die Elektrolyse von Wasserstoff zur
Nutzung in der chemischen Industrie
werden voraussichtlich etwa 600 TWh
pro Jahr benötigt, so viel wie gegenwär-
8. April 2022 · Nr. 7
Recyclingsystem den wechselnden Ge-
gebenheiten an und gewährleistet trotz-
dem eine konstant hohe Reinheit.
Das Verfahren soll innerhalb der zwei-
jährigen Förderphase durch das Bun-
desministerium für Wirtschaft und Kli-
maschutz in die Demonstrationsphase
überführt werden. Den kooperierenden
Firmen soll der Ansatz einen sofortigen
Nutzen mit Recyclingraten von mindes-
tens 75 % ermöglichen. Gleichzeitig lie-
fert das Projekt wichtige Erkenntnisse
zur Anwendung des Recyclingverfah-
rens auch in anderen Bereichen.
Hintergrund: Im Rahmen der Solar-
und Halbleiterproduktion kommt Was-
serstoff sehr oft als Trägergas zum Ein-
satz, um verschiedene Präkursoren
(Vorläufersubstanzen) und Nebenpro-
dukte durch die Prozessanlage zu trans-
portieren. Eine hohe Qualität des End-
produktes erfordert einen hohen
H2-Reinheitsgrad, der sich in den Be-
triebskosten niederschlägt. Jedoch ist
Wasserstoff als Trägergas nicht oder nur
in sehr geringem Maß an den chemi-
schen Reaktionen in der Prozessanlage
beteiligt. Dadurch liegt der Stoff auch
noch zu großen Anteilen im Abgas vor.
Angesichts der großen Produktionsvolu-
mina in diesen stark wachsenden Bran-
chen, birgt das Recycling ein hohes wirt-
schaftliches und ökologisches Potenzial.
tig pro Jahr in Deutschland insgesamt
an Strom verbraucht werden. Für die
treibhausgasneutrale Stahlproduktion
in Deutschland kommen nochmals et-
wa 250 TWh Strom hinzu. Gegenwärtig
wird in Deutschland nur etwa die Hälfte
des Stroms regenerativ erzeugt. Für den
Inhalt der Veranstaltung ist Jochen The-
loke, Geschäftsführer der VDI-Gesell-
schaft Energie und Umwelt, verantwort-
lich. Interessierte können sich über den
Webauftritt der Energietage anmelden:
„ www.energietage.de/event/508-einstieg-in-
die-wasserstoffzukunft.html
AUS DEM VDI 39
„ AKTUELL
Seminar zum neuen
Einheitspatentsystem
In diesem oder im kommenden
Jahr wird das Einheitspatentsystem
eingeführt, durch das ein Einheits-
patent mit Wirkung in zahlreichen
europäischen Ländern geschaffen
wird. Solche Einheitspatente wie
auch bereits bestehende, vom Euro-
päischen Patentamt erteilte und in
mehreren Mitgliedsstaaten validier-
te EP-Patente können im Einheits-
patentsystem an einem einheitli-
chen Patentgericht mit Wirkung für
alle betreffenden Länder in einem
einzigen Verfahren durchgesetzt
werden, anstatt dass hierzu wie bis-
her separate Verfahren in jedem der
Mitgliedsstaaten geführt werden
müssen.
Zahlreiche Informationen zum Ein-
heitspatentsystem sind bereits
verfügbar. Eine kompakte Einfüh-
rung in den Themenkomplex bietet
das erste VDI/VPP-Seminar, das ei-
gentlich bereits im Februar stattfin-
den sollte, dann jedoch verschoben
werden musste. Im Kalender sollte
man sich daher nun den 7. und
8. Juni vormerken. Das Seminar
richtet sich übrigens in besonderer
Weise an Mitarbeiter von F&E-Ab-
teilungen, welche keine Patentan-
wälte sind und sich gleichwohl aus-
führlich über die inhaltlichen sowie
monetären Unterschiede zum klas-
sischen Europäischen Patent infor-
mieren möchten.
„ www.vpp-patent.de/seminar/gemein
schaftsveranstaltung-des-vdi-und-vpp-
zum-einheitspatentsystem
Wettbewerb „Faszination
Technik 2022“ für Schüler
und Schülerinnen der
Klassen 6 bis 8 läuft
Was wünschen sich Schülerinnen
und Schüler für die Schule der Zu-
kunft? Welche technischen Errun-
genschaften müsste es in 25 oder 50
Jahren geben, die das Miteinander
maßgeblich bestimmen und mitun-
ter den Alltag erleichtern?
Ideen hierzu können Lernende,
die die Klassen 6 bis 8 besuchen, im
Rahmen des Wettbewerbs „Faszina-
tion Technik 2022“ einreichen. Es
winken viele spannende Preise. Ein-
sendeschluss ist der 20. Mai; die
Preisverleihung mit dem hessischen
Kultusminister findet am 15. Juli
statt.
„ www.vdi.de/ueber-uns/vor-ort/landes
verbaende/hessen/nachwuchsfoerde-
rung/wettbewerb-faszination-technik/
aktueller-wettbewerb
„ MEIN VDI
Die VDI-Veranstal-
tungen in Ihrer
Region und zu Ihrem
Fachbereich finden
Sie im Mitgliederbereich „Mein
VDI“. Über die Detailsuche
können Sie auch nach PLZ oder
einen Zeitraum suchen.
„ www.vdi.de/meinvdi
40 TECHNIK BOULEVARD 8. April 2022 · Nr. 7

Frühlingstipps für Fahrradfans

Mobilität: Jetzt beginnt wieder die Zeit für Radtouren – in der Gruppe oder auch alleine. Damit aus dem Spaß kein Frust wird,
gibt es viele hilfreiche Neuheiten beim Zubehör und spezielle Lösungen für Kinder. Von Martin Ciupek

Foto: www.sportimport.de | pd-f | Taylor Chase

Vergessen ausgeschlossen Stopp per Fernsteuerung

Wohin mit dem Werkzeug? Mit den Tool Insert Kits Wenn die Kleinen auf ihrem Laufrad in Schwung
von Lezyne finden die Pannenhelfer leicht zugäng- kommen, sind sie mitunter schwer zu bremsen.
lich einen Platz im Lenkerende. Damit sind die Deshalb hat der deutsche Hersteller Mystopy eine
wichtigsten Inbus- oder Torx-Bits immer griffbe- gleichnamige Bremsvorrichtung entwickelt, die im
reit. Die Bit-Aufnahme des Tools kann um 90 Grad Ernstfall per Funk aktiviert werden kann. Der
geschwenkt werden, um auch Verschraubungen Bremsassistent ist für die Puky-Laufrad-Modelle
an engen Stellen zu erreichen. Der Hebel des LR M, LR 1L und LR 1L BR konzipiert. Zur Montage
Werkzeugs reicht aus, um auch Schrauben mit wird der Sattel abgenommen, die Bremsvorrich-
höheren Drehmomenten festzuziehen. Die Tool tung aufgesteckt und der Sattel wieder aufgesetzt.
Kits sind in drei verschiedenen Größen mit fünf, Die Akkulaufzeit beträgt laut Hersteller 250 Tage im
acht oder elf Bits erhältlich. Die Inserts passen in Off-Modus und 105 Stunden im aktivierten Zu-
alle gängigen Lenkerformen. Ergänzend gibt es da- stand. Mystopy kostet 64,99 €.
zu ein Tubeless Insert Kit zum Reifenflicken. Die je-
weiligen Kits sind im Handel erhältlich. Sie kosten
ab 34,95 €.
Foto: pd-f.de / EUROBIKE / Messe Friedrichshafen

Flotter Flitzer für Kids

Damit sich bereits die kleinen ganz groß fühlen, hat
der britische Hersteller Early Rider das Modell „Bel-
ter 16“ konzipiert. Durch den Aluminiumrahmen
mit gebürstetem Finish und das aufgeräumte De-
sign steht es Rädern für ältere Zielgruppen optisch
in nichts nach. Das gilt auch für die Komponen-
ten: Für die effiziente Kraftübertragung sorgt
ein wartungsarmer Gates-Riemenantrieb.
Auch für Lenker und Vorbau wurden hochwer-
tige Komponenten gewählt. Dicke 2,0-Zoll-Rei-
fen, V-Bremsen von Tektro mit kindgerechten
Bremshebeln und Plattformpedale sollen den Kin-

Foto: www.puky.de | pd-f

dern ein sicheres Fahrgefühl verleihen. Katzenau-
gen, Klingel und Reflektoren für vorn und hinten
gehören zum Lieferumfang. Preis: 425 €

Kurvenlicht fürs Fahrrad Handy immer im Blick

Wenn zur Lenkbewegung bei der Kurvenfahrt noch Hohe Flexibilität zeichnet die Handyhalterung
eine deutliche Neigung kommt, wird es für die meis- Compit Anywhere aus. Mit ihrem robusten Klett-
ten Fahrradscheinwerfer schwer, den Fahrweg rich- band und entsprechenden Klemmringen lässt sie
tig auszuleuchten. Der Kurvenlichtassistent Leval sich einfach auf Lenkern sowie Rohren zwischen
gleicht das mit einem siebenfach kugelgelagerten 22 mm und 75 mm Durchmesser befestigen. Die
Gyroskop mit Servomotor aus. Der Beleuchtungs- Montagebreite beträgt 45 mm. Die Halterung ist
spezialist Busch & Müller hat das System für E-Bikes damit für alle Fahrradtypen geeignet. Sie kann
entwickelt. Es sorgt dafür, dass die Oberkante des aber genauso an Kinderwagen oder E-Scooter
Lichtfelds (Hell/Dunkel-Grenze) jederzeit waage- montiert werden. Um das Handy auf der Halte-
recht auf derselben Höhe bleibt. Leval ist ein elektro- rung andocken zu können, ist laut Hersteller SKS
Foto: www.sks-germany.com | pd-f

nisch gesteuerter 15-V-Adapter, der wie ein her- Germany zusätzlich ein Smartphonecover erforder-
kömmlicher Scheinwerferhalter zwischen E-Bike lich. Alternativ gibt es auch Coveradapter und
und Scheinwerfer montiert wird. Preis: 74,90 € Smartphonetaschen mit entsprechendem Adapter.
Compit Anywhere wiegt ca. 50 g und kostet 24,99 €.
Foto: www.fahrer-berlin.de | pd-f

Stauraum für das Schloss

Zu einem teuren Fahrrad gehört auch ein gutes
Schloss. Oft stellt sich dann aber die Frage, wo das
hinkommt, wenn es nicht benötigt wird. Das Un-
ternehmen Fahrer Berlin hat dafür den Chain Bag
entwickelt. Das ist eine Tasche aus PVC-freiem Ny-
lon mit Rolltopverschluss, mit einem Gewicht
von 115 g. Der Chain Bag wird inklusive
Schraubenset zur Montage an den Flaschen-
Foto: www.pd-f.de / EUROBIKE Friedrichshafen

halterösen ausgeliefert. Falls die wetterfeste Ta-

sche mal nicht benötigt wird, kann sie schnell
abgeschraubt oder für den Transport anderer Din-
ge wie Snacks und Werkzeug genutzt werden. Der
Hersteller fertigt aus Neopren und recycelter Lkw-
Plane verschiedene Taschen, Hüllen und Anhänger.
Das Produkt Chain Bag kostet 29 €.