25. Februar 2022 · Nr.

4 T E C H N I K W I RT S C H A F T G E S E L L S C H A F T Einzelpreis 4,40 Euro

Hightech für die Feldarbeit

Fokus: Maschinenhersteller profitieren von der Investitionsbereitschaft
der Landwirte. Das schlägt sich auch in Neuentwicklungen nieder.

M. Ciupek und T. Meyer wirte: „Man kann bereits heute den ben Landtechnikhersteller am Pro- Modelle sei, könne er sich niemals
Weizen der übernächsten Ernte zu ei- duktionsstandort Deutschland 2021 rein über die Dieselersparnis amorti-

D
ie Landtechnikbranche
zeigt sich aktuell beson-
ders erfindungsreich und
hätte das auch gerne auf
der Branchenmesse Agri-
technica in Hannover präsentiert. Die
Messe vor Ort wurde abgesagt, aber
einen Trost gibt es immerhin für die
Hersteller: Der Markt boomt.
Hubertus Paetow, Präsident der
Deutschen Landwirtschaftsgesell-
schaft (DLG), nennt einen Grund für
die Investitionsbereitschaft der Land-
Systemtraktor: Das Brückenfahrzeug von Nexat kann anstelle des Mähdreschermoduls andere Anbaugeräte aufnehmen und damit auf dem Feld vielseitig eingesetzt werden. Foto: NEXAT GmbH
nem Preis verkaufen, der 30 % über
dem Schnitt der letzten fünf Jahre
liegt.“ Daraus resultiere der Nachfra-
geboom bei der Landtechnik. Durch
die steigenden Preise für Diesel, aber
auch für Kunstdünger und Pflanzen-
schutzmittel geht es jetzt vor allem
darum, mit weniger Ressourcenauf-
wand zu den gleichen oder sogar bes-
seren Ergebnissen zu kommen.
Geld für solche Neuentwicklungen
scheint vorhanden zu sein. Dem
Branchenverband VDMA zufolge ha-
ihre Umsätze gegenüber dem Vorjahr
um 16 % auf den Rekordwert von
rund 10,5 Mrd. € gesteigert. Noch
stärker wuchs der Export, der um
19 % zulegte. Besonders nachgefragt
waren Traktoren, digitale Systemlö-
sungen und Pflanzenschutztechnik.
Laut Markus Demmel, dem Vorsit-
zenden der Max-Eyth-Gesellschaft
Agrartechnik im VDI, ist die klassi-
sche Agrartechnik „bereits sehr gut
entwickelt“. Allerdings: Obwohl ein
neuer Traktor sparsamer als betagte
sieren. Anstelle der einzelnen Ma-
schine betrachten die Entwickler da-
her immer öfter den kompletten Ar-
beitsprozess.
Beispielhaft dafür ist ein neuer Sys-
temtraktor in Brückenbauweise, der
durch den Einsatz von Elektromotoren
aus der Automobilindustrie möglich
wurde. Er steht zudem für den ver-
stärkten Branchentrend zur Zusam-
menarbeit mit Partnern, beispielswei-
se in Sachen vernetzter Module
und Wasserstofftechnik. 20

Leere Gasspeicher „ ZITAT Wie Mensch und

zehren an den Nerven
Energiewirtschaft: Auch
wenn das Bundeswirtschafts-
ministerium stoisch versichert,
die deutsche Gasversorgung sei
in diesem Winter „weiterhin ge-
währleistet“, so hängen bange
Blicke an den Wetterprognosen
für die nächsten Wochen. Warum
die Gasspeicher so leer sind? Weil
es ein Markt ist; wie der funktio-
niert, haben wir uns ange-
sehen. 8 land den Gashahn zudreht.
Die Angst geht um, dass Russ-
Foto: PantherMedia / witoldkr1
„Die Bau- und Wohnwirtschaft
sind nicht so auf Zielfahrt,
wie es sein sollte … ich will
ausdrücklich unterstreichen,
dass Klimaschutz nur einer
der Aspekte im Bauen ist.“
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister,
auf dem 13. Wohnungsbau-Tag zu den
Klimazielen im Bausektor 12
Roboter kooperieren
Wissenschaft: Mit interdisziplinärer For-
schung verbessern Universitäten hierzulande
ihre Reputation. Dabei setzt die TU Chemnitz
auf die Mensch-Maschine-Interaktion. Mehr
als 120 Wissenschaftler und Wissenschaftle-
rinnen verschiedener Fachdisziplinen, darun-
ter Ingenieurwissenschaftler, Psychologin-
nen, Informatiker und Sozialwissenschaftle-
rinnen, gehen am Sonderforschungsbereich
„Hybrid Societies“ der Frage nach, wie
Mensch und Roboter künftig zusam-
menwirken. 28
2 DIESE WOCHE
„ INHALT
Foto: HanseGarnelen
Beethoven für die Shrimps
Für die Garnelenzucht setzt ein Maschinenbau-
ingenieur in Norddeutschland auf die Abwärme
einer Papierfabrik.
Eine nachhaltig runde Sache
Reifen und Felgen rücken immer stärker in den
Fokus der Nachhaltigkeitsbemühungen. Bei den
Reifen ist auch Löwenzahn im Spiel.
Der Mond, die Oberstufe
und der Krater
Am 4. März wird eine Raketenstufe auf dem
Mond einschlagen. Und dann? Das Wichtigste
zum Weltraumschrott im Erde-Mond-System.
FOKUS:
Landtechnik der Zukunft 20
Neue Maschinen und digitale Anwendungen
steigern die Produktivität.
Das Röcheln im Herzen
des Käfers
Die Bauweise gilt als Exot im Motorenbau.
Doch weder VW Käfer noch Porsche 911 sind
ohne Boxermotoren denkbar.
„Soylent Grün ist
Menschenfleisch!“
Der Spielfilm „… Jahr 2022 … die überleben
wollen“ schockierte mit einem Szenario aus
Nahrungsknappheit und Umweltkatastrophen.
Coronawelle sorgt
für Grippedelle
Ein konsequentes Hygieneregime zahlt
sich für die Firmen aus.
Aus dem VDI
Der Kölner VDI-Arbeitskreis startet eine
Vortragsreihe mit dem Thema „Feldrobotik
in der Agrarwirtschaft“.
Technik Boulevard 40
Nicht nur Schweizer Taschenmesser
oder Bowie-Knife: Auch die zahlrei-
chen deutschen Messerhersteller
haben Ikonen im Portfolio, die
weltweit bekannt und beliebt
sind. Wir zeigen eine Auswahl.
25. Februar 2022 · Nr. 4
„KI ist ein
Wachstumstreiber“
Porträt: Michael Weyrich ist seit Anfang 2022 neuer Vorsitzender
der VDI/VDE-GMA. Hier will er KI und Digitalisierung vorantreiben.
6 Von Martin Ciupek
D
ie Begeisterung für Automatisie-
rungstechnik ist dem neuen Vorsit-
zenden der VDI/VDE-Gesellschaft
Messtechnik und Automatisierungs-
10 technik (GMA) auch im privaten Um-
feld anzumerken. Dort erfreut sich Michael Wey-
rich z. B. an den Assistenzsystemen von Neuwa-
gen und hat seine Heizungsanlage mit Funktech-
nik automatisiert. Grenzen gibt es im privaten
Anwendungsbereich für ihn eher aufgrund per-
sönlicher Bedürfnisse. „Mein Elektriker hat mich
noch nicht überzeugen können, auch meine Be-
14 leuchtung per Bussystem zu steuern“, berichtet
er schmunzelnd.
Hauptberuflich leitet
Weyrich das Institut für
Automatisierungstechnik
und Softwaresysteme
(IAS) an der Universität
Stuttgart, wo er sich so-
wohl für die Forschung
und die Wissensvermitt-
lung als auch die Nach-
Foto: Universität Stuttgart
wuchsgewinnung enga-
giert. „Als Universitäts-
Foto: Tevel Aerobotics Technologies
professor sehe ich es als
eine meiner wichtigsten
Aufgaben, Talente für un-
Automatisierungsexperte Michael sere Arbeitswelt in
Weyrich will Digitalisierung und KI in Deutschland zu sichern.
der Branche vorantreiben. Und jeder der sich mit
Demographie auskennt,
weiß, dass wir uns dazu
stark internationalisieren müssen“, hebt er her-
vor. Er sagt: „Menschen mit Zuwanderungsinte-
resse können Sie in Deutschland nur halten,
wenn Sie ihnen ein attraktives Umfeld bieten.“
26 Erfahrungen im Umgang mit unterschiedli-
chen Kulturen und Nationalitäten hat der Hoch-
schulprofessor als Manager bei der damaligen
DaimlerChrysler AG gesammelt. Im deutsch-
amerikanischen Konzern war er als Leiter des
Fachgebiets „CAx/IT-Prozesskette – Produktion“
in den Pkw-Werken unterwegs und vier Jahre in
Indien stationiert, wo er ein Offshore-IT- und En-
27 gineering-Dienstleistungszentrum aufbaute. Zu-
dem hatte er über die Lkw-Sparte Kontakte nach
Japan.
Als Vorsitzender der Gesellschaft Messtechnik
und Automatisierungstechnik möchte er nun vor
allem die Digitalisierung und künstliche Intelli-
genz in der Branche vorantreiben. „Das sind nicht
nur Buzzwords, sondern Hauptinnovationstrei-
32 ber für die Automatisierungstechnik“, hebt Wey-
rich hervor. Das führe zu dem Paradigmenwech-
sel, sodass dabei die Software und nicht mehr die
Mechanik eine führende Funktion habe.
Er verweist auf die Automobilindustrie, wo be-
reits Entwicklungsprozesse darauf ausgerichtet
39
Aktueller Podcast:
Welche Versicherungen im
Job wirklich wichtig sind
r
„ www.ingenieur.de/podcast
tte
:O
Fo
to
seien, neue Softwarefunktionen „Over-the-Air“
(per Funk) auf Fahrzeuge zu übertragen, die
längst beim Kunden sind. „Auf diese Weise läuft
die Produktion auch nach dem Verlassen der Fa-
brik quasi weiter“, so der GMA-Vorsitzende. Da-
mit gehe eine Transformation der Wertschöpfung
und ganzer Geschäftsmodelle einher, weil das
Produkt auch noch während seines Gebrauchs
verändert werden könne. Im Automobilbereich
sei man hier schon wesentlich weiter als im Ma-
schinenbau. Prinzipiell sei das Konzept aber auf
viele Automatisierungsprozesse übertragbar.
In den vergangenen Jahren sei im Rahmen von
Industrie 4.0 schon einiges erreicht worden,
aber insgesamt ist der Weg für ihn noch weit, bis
alle Komponenten nach dem Prinzip von
plug&play automatisch interagieren können. „Im
Bereich der Heizungstechnik bekommt man das
mit autoadaptiven Funktionen heute schon gut
hin. In großen Anlagenkonglomeraten und Fabri-
ken geht das aber wegen der großen und speziel-
len Software-Entwicklung bisher nur mit einem
hohen finanziellen Aufwand“, räumt er ein. Nun
gehe es um die Strukturen von Datenräumen und
deren Informationsschnittstellen, die den An-
wendern Nutzen bringen. Als Datenraum defi-
niert er Strukturen aus Speichersystemen, über
die Digitale Zwillinge von der physischen Welt be-
reitgestellt werden.
Bezüglich der Relevanz für Unternehmen ver-
weist er auf die Siemens AG. Als Abteilungsleiter
war er nach seiner Zeit im Daimler-Konzern dort
in der Industrieautomatisierung im Thema „Mo-
tion Control“ einst selbst für den Aufbau eines
neuen Geschäfts auf der Basis von Software und
Dienstleistungen verantwortlich und hat die Ent-
wicklung bis heute verfolgt. Rückblickend sagt er:
„Es funktioniert.“
Für Hobbys bleibt dem Vater von zwei erwach-
senen Kindern wenig Zeit. Als Hobby bezeichnet
er deshalb auch sein Buchprojekt, in dem es um
Automatisierungstechnik geht. Ablenkung von
seinem Beruf findet er dagegen, indem er sich im
eigenen Haushalt gerne handwerklich betätigt.
Michael Weyrich
„ ist seit 1. Januar Vorsitzender der VDI/
VDE-Gesellschaft Messtechnik und Au-
tomatisierungstechnik (GMA).
„ leitet das Institut für Automatisierungs-
technik und Softwaresysteme (IAS) an
der Universität Stuttgart.
„ Der promovierte Elektrotechnikinge-
nieur war in Funktionen bei der Daimler
AG und der Siemens AG tätig.

Auch der Westen ist verwundbar
Politik: Der Westen reagiert mit Sanktionen auf die Eskalation in der Ukraine. Ein Handelskrieg kann beide
Seiten ökonomisch schwer belasten. Denn auch Putin hält einige Trümpfe in Händen. Erdgas ist nur einer davon.
Von André Weikard
und Stephan Eder
E
inen Aufmarsch Zehntau-
sender Soldaten, TV-Bil-
der von Menschen auf der
Flucht und Truppen, die
feindselig in einen Nach-
barstaat eindringen hat Europa seit
vielen Jahren nur mehr aus der Fer-
ne gesehen. Die Furcht vor einer
Atommacht Russland, die unbere-
chenbar geworden ist, martialische
Machtdemonstrationen, Blockbil-
dung und Stellvertreterkriege schie-
nen Relikte aus dem Kalten Krieg zu
sein, längst Geschichte. In dieser
Woche holte Wladimir Putin all das
in die Gegenwart zurück. Und an-
ders als in den vorangegangenen
Konflikten in Georgien oder bei der
Okkupation der Krim ist der Westen
diesmal bereit, dem Kremlpotenta-
ten die Stirn zu bieten.
Erste Sanktionen werden unmittel-
bar als Reaktion auf die militäri-
sche Eskalation in der Ukraine ver-
hängt. Wo das Sanktionskarussell
enden wird, ist aber noch völlig un-
gewiss. Dabei erscheint das ökono-
mische Kräfteverhältnis zwischen
der EU und Russland nur auf den
ersten Blick eindeutig. Das Münch-
ner Ifo Institut bescheinigt Russ-
lands Volkswirtschaft in einer Analy-
se zwar „jenseits des Energie-
markts“ eine „untergeordnete Rol-
le“ als Handelspartner der EU und
veranschaulicht das mit einem Grö-
ßenvergleich der Bruttoinlandspro-
dukte. Das russische entspreche ge-
rade einmal der „kombinierten
Wirtschaftsleistung von Belgien und
den Niederlanden“.
Ein genauerer Blick offenbart
aber, dass Russlands Exporte nach
Deutschland sich auf nur drei Sek-
toren, nämlich Rohstoffe, Bergbau
und Metalle, konzentrieren, in de-
nen zum Teil große Abhängigkeiten
bestehen. 93 % der aus Russland
eingeführten Warenwerte lassen
sich diesen Sektoren zuordnen.
Im Gegensatz dazu importiert
Russland Fahrzeuge, Computer,
elektronische Waren, Textilien und
Agrargüter aus der EU. Allein die
Maschinenexporte erreichen aber
einen Anteil von 20 % an den ge-
samten russischen Einfuhren der je-
weiligen Güter. In vielen Bereichen
ist Russland also weitgehend autark.
Während die proukrainische Alli-
anz folglich als maximale ökonomi-
sche Waffe auf eine Abtrennung
Russlands vom internationalen
Zahlungsverkehr (Swift-System)
setzt, wie sie bereits gegenüber dem
Mullahregime im Iran wirkungsvoll
zum Einsatz kam, hält auch Russ-
land eine Reihe von Trümpfen in
Händen. Die Erdgaslieferungen
nach Westeuropa sind nur einer da-
von. Und womöglich nicht einmal
mehr der mächtigste. Denn seit Wo-
chen bemühen sich die EU und die
Bundesregierung auch mittels einer
Revanchist Putin führt in einer fast einstündigen TV-Ansprache seine kruden Theorien vom „Genozid“
an den Russen in der Ostukraine aus. Wenige Stunden später rollen die Panzer.
fieberhaften Reisediplomatie um
zusätzliche Gaslieferungen von an-
deren Partnerländern.
Am Samstag letzter Woche mach-
te EU-Kommissionspräsidentin Ur-
sula von der Leyen auf der Münche-
ner Sicherheitskonferenz deutlich:
„Heute kann ich Ihnen mitteilen,
dass – selbst bei einer völligen Un-
terbrechung der Gasversorgung
durch Russland – wir diesen Winter
auf der sicheren Seite sind.“
Es sind die LNG-Transporte, die
auf Betreiben der EU-Energiekom-
missarin Kadri Simson auf den Weg
gebracht wurden, die Deutschland
jetzt mit absichern, falls Putin nicht
liefert. Wie teuer dieses Gas dann
wird, bleibt abzuwarten.
Wirtschaftsminister Robert Ha-
beck schwört die Deutschen schon
einmal auf die Konsequenzen ein:
„Ich will noch einmal betonen, dass
Krieg Preise treibt.“ Damit muss er
nicht nur russisches Gas gemeint
haben. Auch Erdöl beziehen die
Länder der Europäischen Union zu
gut einem Viertel aus Russland –
und Steinkohle. Ifo-Präsident Cle-
mens Fuest warnte bereits in der
Vorwoche: „Selbst wenn die Gaslie-
ferungen nicht eingeschränkt wür-
den, käme es zu einem Preis-
schock.“ Die Inflationsrate, ohnehin
für 2022 vom Ifo Institut schon bei
4 % erwartet, „könnte noch höher
ausfallen“, so Fuest.
Auch weil weitere Rohstoffe die
Teuerung zusätzlich anfeuern dürf-
ten. Aluminium, unverzichtbarer
Werkstoff unter anderem der hiesi-
gen Automobilindustrie, stammte
nach Angaben der Deutschen Roh-
stoffagentur (DERA) 2020 zu rund
22 % aus Russland. In den Jahren
davor habe der russische Anteil so-
25. Februar 2022 · Nr. 4 DIESE WOCHE 3
Foto: picture alliance/dpa/ REUTERS/Sputnik/Alexey Nikolsky/Kremlin
hängten Einfuhrbeschränkungen in
die EU gingen bereits mit einer re-
gelrechten Preisexplosion bei dem
begehrten Mineraldünger einher.
Um mehr als 60 % hat sich Kornkali
seit dem Juli 2021 verteuert. Und
das, obwohl bislang nur bestimmte
Kaliprodukte, etwa die Hälfte der
Exporte aus Belarus, von den Straf-
maßnahmen erfasst wurden.
Die bislang wegen der Besetzung
der Krim verhängten Sanktionen,
die noch immer in Kraft sind, haben
laut Berechnungen des Ifo Instituts
insofern ihr Ziel erreicht, als sie
Russland tatsächlich einen weitaus
stärkeren Schaden zugefügt haben,
als die europäischen Volkswirt-
schaften zu verkraften hatten. So
gehen die Experten davon aus, dass
die deutsche Wirtschaftsleistung
durch die Strafmaßnahmen jährlich
um rund 5 Mrd. € gemindert wird.
Das wären nur 0,16 % des deut-
schen Bruttoinlandsprodukts.
Auf der Gegenseite schlagen die
wirtschaftlichen Einbußen mit etwa
1,2 % zu Buche. Die Ifo-Experten
glauben, dass dieses Verhältnis auch
bei weiteren wirtschaftlichen Be-
gar über 30 % gelegen (s. auch S. 16). schränkungen erhalten bliebe.
Wenigstens ein weiteres Industrie- „Würden weitere Sanktionen ver-
metall bereitet der Automotive-In- hängt, könnten diese die deutsche
dustrie mindestens genauso große Wirtschaft zusätzlich belasten, aber
Sorgen: Palladium. Das Edelmetall, die russische Wirtschaft noch deut-
das in der Abgasreinigung zum Ein- lich stärker“, sagt Lisandra Flach,
satz kommt, hat sich im Zuge des die beim Ifo Institut das Zentrum
Konflikts in der Ukraine seit Jahres- für Außenwirtschaft leitet, in einem
beginn bereits um mehr als 25 % Pressestatement vom Ende voriger
verteuert. Russland dominiert den Woche.
Weltmarkt mit einem Marktanteil Auch die deutsche Börse teilte zu
von 42 %. Auch die metallische Al- Wochenmitte diesen Optimismus.
ternative zu Palladium im Katalysa- Der Deutsche Aktienindex Dax
torenbau, Platin, stammt zu 13 % knickte in erster Reaktion auf das
aus Putins Reich. Für Nickel trifft Einrücken russischer Panzer und
das sogar auf 49 % der weltweiten Truppen in die selbsterklärten
Produktion zu. Volksrepubliken im Osten der
„Man muss Ebenfalls sensibel für den Russ- Ukraine zwar kurz ein, erholte sich
deutlich sagen, landkonflikt sind die Düngemittel- im Tagesverlauf aber wieder. Offen-
preise und damit mittelbar die Prei- bar verlassen die Börsianer sich da-
dass Sanktionen se von Agrarerzeugnissen. Kalisalze, rauf, dass Putin mit den Sanktionen
die den Stoffwechselprozess von zu packen sein wird.
auch unsere Pflanzen und damit das Wachstum
beschleunigen, kommen zu ca. ei- Ein Blick auf die Vergangenheit
eigene Wirt- nem Drittel des weltweiten Bedarfs mahnt, dass die insgesamt verkraft-
schaft hart aus Russland und dem verbündeten baren Kosten von Handelsrestriktio-
Belarus. nen gegem Russland für einzelne
treffen werden.“ Die im Sommer 2021 gegen die Branchen durchaus relevant sein
belarussische Kaliindustrie ver- können. Das trifft besonders auf
Bundeswirtschafts-
den Fahrzeug- und den Maschinen-
minister Robert Habeck
bau zu. Dieser büßte verglichen zu
der Zeit vor der Krimkrise bis zum
Rohstoffriese Russland Jahr 2018 die Hälfte seiner Exporte
Rohstoff Weltmarktanteil nach Russland ein, jener immerhin
Russland (2020) 20 % seiner Ausfuhren.
Auch regional sind verschiedene
Nickel 49 %
Regionen Deutschlands unter-
Palladium 42 % schiedlich stark von den bestehen-
Diamanten 33 % den Sanktionen betroffen. Eine Be-
fragung der IHK Düsseldorf im Ver-
Aluminium 26 % bund mit dem Ifo Institut kam 2021
Platin 13 % zu dem Ergebnis, dass weniger als
Stahl 7% ein Drittel der bayerischen Unter-
nehmen ihre Geschäftstätigkeit mit
Kupfer 4% Russland eingeschränkt sehen, aber
Quelle: World Bureau of Metal Statistics 61 % der befragten sächsischen Un-
ternehmer.
4 DIESE WOCHE
Licht und Schatten in der Weltwirtschaft
IW-Konjunkturampel: Die Konjunkturerholung ist weiter von Corona und zunehmend von der Geopolitik abhängig.
Von Michael Grömling
D
ie Perspektiven für
die Weltwirtschaft
sind weiterhin gut.
Die globale Wert-
schöpfung wird nach
aktueller Schätzung im Jahr 2022
um 4 % zulegen. Dabei muss be-
dacht werden, dass bereits im
vergangenen Jahr der Coronaein-
bruch von 2020 mehr als ausge-
glichen wurde: Die Weltwirt-
schaftsleistung legte 2021 um fast
6 % zu – nach dem Rückgang von
gut 3 % im Jahr 2020.
Diese famose Aufholbilanz kön-
nen zum größten Teil die aufstre-
benden Volkswirtschaften für
sich verbuchen. Zum einen ka-
men sie im Krisenjahr 2020 mit
einem Rückgang ihrer Wirt-
schaftsleistung um gut 2 % deut-
lich weniger unter Druck als die
fortgeschrittenen Länder
(-4,5 %).
Zum anderen konnten sie 2021
mit rund 6,5 % stärker zulegen als
die fortgeschrittenen Länder
(5,2 %). Vor allem Europa tat sich
schwer, die Ausfälle von 2020 zu
kompensieren. Nach dem Rück-
gang um fast 6 % im Jahr 2020
reichte es im vergangenen Jahr
nur für ein Plus von gut 5 %.
Alle Weltregionen können wie-
der deutlich über dem Vorkrisen-
niveau wirtschaften. Eine sichere
Wette ist dies jedoch nicht – denn
der globale Wirtschaftspfad ist
trotz des weit verbreiteten Opti-
mismus mit großen Risiken ge-
pflastert. Die Coronapandemie
Rückenwind für Werkzeugmaschinenbranche
Maschinenbau: Nach dem deut-
lichen pandemiebedingten Ein-
bruch der deutschen Werkzeugma-
schinenindustrie im Jahr 2020 ist
die Branche im vergangenen Jahr
mit starken Auftragseingängen wie-
der auf Wachstumskurs. Das bele-
gen die aktuellen Zahlen des Ver-
bands Deutscher Werkzeugmaschi-
nenfabriken (VDW).
Nach Schätzungen des VDW ha-
ben die Unternehmen im Jahr 2021
Maschinen und Dienstleistungen
im Wert von rund 12,7 Mrd. € pro-
duziert. Das entspricht einem Zu-
wachs von 4 % gegenüber dem Vor-
jahr, liegt aber hinter den rund
17 Mrd. € der beiden Jahre vor der
Pandemie.
Für 2022 erwartet der VDW sogar
ein Produktionsplus von 14 %. „Der
Optimismus für 2022 gründet auf
der hervorragenden Nachfrageent-
wicklung seit Mitte vergangenen
Jahres“, sagte Franz-Xaver Bern-
hard, Vorsitzender des VDW. Als Sig-
nal für einen weltweiten Nachhol-
bedarf wertete er den Auftragsein-
gang, der 2021 gegenüber dem Vor-
jahr um 58 % zulegte. Dabei wuchs
die Auslandsnachfrage mit 62 % et-
25. Februar 2022 · Nr. 4
IW-Konjunkturampel – Februar 2022
Industrieproduktion
Produktion Auftragseingang
Einkaufsmanagerindex
Erwerbstätige
Beschäftigung Arbeitslose
Arbeitslosenquote
Konsum VGR
Nachfrage
Konsumentenvertrauen
Investitionen
Exporte
Relative Wertveränderung der letzten drei Monate gegenüber dem vorhergehenden Dreimonatsdurchschnitt.
■Verbesserung ■keine relevanten Veränderungen ■Verschlechterung ■keine Daten vorhanden
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, Stand: 14. 2. 2022
Corona beeinflusst weiter das Geschehen: Erkrankte Mitarbeitende
und logistische Probleme bremsen in vielen Ländern die Industriepro-
duktion.
bestimmt nach wie vor die Spiel-
regeln. Die fünfte Infektionswelle
hat rund um den Globus das Nor-
malisierungstempo empfindlich
gebremst.
Die Einschränkungen auf der
Nachfrageseite sind zwar längst
nicht so hart wie im Vorjahres-
winter. Produktionsprobleme be-
stehen aber weiterhin. Fehlende
Mitarbeitende – aufgrund von Er-
krankung, Betreuung von Ange-
hörigen oder harter Einschrän-
kungen wie in China – sorgen im-
was stärker als die im Inland. Über-
durchschnittlich entwickelte sich
laut den vorläufigen VDW-Zahlen
der europäische Markt mit einem
Plus von 90 %, gefolgt von den USA
(+66 %). In Asien stieg die Nachfrage
mit +61 % ebenfalls deutlich, sodass
die USA und China die größten Ab-
satzmärkte für die Branche bleiben.
Die Prognose für 2022 ist aller-
dings noch von Unsicherheit ge-
prägt. Der VDW verweist z. B. darauf,
dass hohe Infektionszahlen mit der
Omikron-Variante das Wirtschafts-
leben hemmen könnten. Eine Hy-
pothek für das Gesamtergebnis sei
zudem der schwache Jahresstart.
Dazu erschwere die No-Covid-Stra-
tegie Chinas eine Normalisierung
der Lieferketten.
„Engpässe in den Lieferketten von
Elektronikbauteilen und Metaller-
zeugnissen waren das beherrschen-
de Thema für die Industrie im ver-
gangenen Jahr, und sie dauern an“,
berichtete Bernhard. Neben Aufträ-
gen aus den klassischen Anwender-
branchen Automobilindustrie und
Luftfahrt hoffen die Maschinenher-
steller nun auch auf neue Anwen-
dungsfelder durch die Energiewen-
Deutschland Eurozone USA China
mer wieder für Verklemmungen
in der Produktion und der globa-
len Logistik sowie für Risiken bei
den Infrastrukturen.
Die damit verbundenen Preis-
risiken nehmen allenfalls lang-
fristig ab. Letztlich bleiben der
weitere Pandemieverlauf und sei-
ne Gefahren für die Gesundheits-
systeme und das wirtschaftliche
Miteinander nicht vorhersehbar.
Das Virus wirkt global, die welt-
weiten Impffortschritte entschei-
den über seine nachhaltige Zu-
rückdrängung.
de und den Umbau der Energiewirt-
schaft. Aufgrund niedriger Stück-
zahlen z. B. von Windkraftanlagen
und deren hoher Lebensdauer
stand die Energiewirtschaft bislang
nicht im Fokus der Werkzeugma-
schinenbranche. Das könnte sich
jetzt aber ändern. ciu
„ ERRATUM
In der Ausgabe 3/22 hatten wir im
Beitrag „Die Technik-Welt zu Hause
begreifen“ berichtet, dass der Kos-
mos Verlag seit 200 Jahren Experi-
mentierkästen entwickelt. Richtig
ist, dass es die Firma seit 200 Jahren
gibt, die Experimentierkästen aber
entwickelt sie (erst) seit 100 Jahren.
Im Artikel „Streit um Extra-Milliar-
den für Stuttgart 21 geht vor Ge-
richt“ in der gleichen Ausgabe ist
vielen Lesern natürlich sofort auf-
gefallen, dass die ursprünglichen
Planungskosten für Stuttgart 21
nicht 2,5 Mio. € betragen, sondern
2,5 Mrd. €.
Wir bitten die Fehler zu entschuldi-
gen. red
aus Russland, den Unwägbarkei-
ten im globalen Warentransport
sowie der Energie- und Rohstoff-
preisentwicklung.
Eine lange Liste von Unwägbar-
keiten gibt es auch bei China.
Dazu zählen die restriktive in-
nenpolitische Gangart, die Stabi-
lität des Finanzsystems, die Be-
„Die Selbstver- ziehungen zu den Nachbarstaa-
ten und den USA sowie die wach-
ständlichkeit sende Besorgnis in Europa über
stabiler Wert- Chinas Kurs. Insgesamt gesehen
wird die geografische Lage der
schöpfungs- Wirtschaftspartner für die Unter-
ketten ist ins nehmen auf der Beschaffungs-
und Absatzseite immer wichtiger.
Wanken Die Selbstverständlichkeit stabi-
geraten.“ ler Wertschöpfungsketten ist ins
Michael Grömling,
Wanken geraten.
Aus den pandemiebedingten
Leiter der Forschungs- Produktions- und Lieferproble-
gruppe Konjunktur (IW) men sowie aus den geopoliti-
Foto: IW schen Konfrontationen erwächst
eine globale Inflationsgefahr. In
den USA stiegen die Verbraucher-
preise zuletzt um mehr als 7 % an.
Die Inflationsrate in Deutschland
Die Geopolitik ist ein ernstes liegt derzeit bei rund 5 %. Auf der
Konjunkturrisiko. Die Gefahr ei- Erzeugerebene sind die Preis-
ner militärischen Eskalation in sprünge weitaus gewaltiger.
der Ukraine ist real, die wirt- Das schafft neue Unsicherhei-
schaftlichen Auswirkungen im ten hinsichtlich des Konsum-
Handel mit Russland sind schwer und Investitionsverhaltens sowie
kalkulierbar. Die direkten ökono- der Zinsentwicklung. Die Risiko-
mischen Effekte auf Deutschland prämien steigen. Um die Inflati-
erscheinen überschaubar, was onserwartungen im Zaum zu hal-
wegfallende Lieferanten und ten, müssen sich selbst verstär-
Kunden betrifft sowie die Ein- kende Zweitrundeneffekte ver-
schränkungen der eigenen Pro- mieden werden. Das gilt vor al-
duktion vor Ort. Aber große Risi- lem für weit über das schwache
ken bestehen bei ausbleibenden Produktivitätswachstum hinaus-
Energie- und Rohstofflieferungen gehende Lohnsteigerungen.
Noch mehr
VDI nachrichten
jetzt mit Vn+
Im digitalen Angebot von VDI nachrichten erhalten
Sie zusätzliche Informationen und multimediale
Beiträge zu den bewährten Artikeln der Print- und
E-Paper-Ausgabe. In dieser Woche zählen zu diesem
Angebot::
Systemtraktor im Einsatz: Manche Dinge möchte
man am liebsten selbst einmal sehen. Zum Beitrag
über das modulare Konzept von Nexat (S. 24) gibt
es online daher neben dem ausführlichen Text und
zusätzlichen Bildern noch zwei Filme.
Geothermie, Energiewende aus der Tiefe:
Im Boden schlummern große Reserven für die Wär-
meversorgung, die bislang kaum genutzt werden.
Da die Zeit drängt, könnte die Geothermie bald ihre
große zweite Chance bekommen.
Einer Studie zufolge liegt das technisch nutzbare
Potenzial bei mindestens 25 % des Wärmebe-
darfs von Deutschland. Damit wäre dann auch
ein möglicher Ersatz für Erdgas in Sicht, nicht nur
für den Heiz-, sondern auch den Prozesswärme-
bedarf.
„ vdi-nachrichten.com
6 REPORTAGE 25. Februar 2022 · Nr. 4

Beethoven f ür
die Shrimps
Lebensmitteltechnik: Meeresdelikatessen der Zukunft
werden nicht mehr aus dem Ozean gefischt, sondern in
Industriegebieten tief im Binnenland aufgezogen. Für
die Garnelenzucht setzt ein Maschinenbauingenieur in
Norddeutschland auf die Abwärme einer Papierfabrik.

Von Wolfgang Heumer Zudem verursachten die Aquakul-

turen „große Umweltschäden,

D
as Industriegebiet am Ortsrand von
Grevesmühlen hat mit den Küsten La-
teinamerikas oder Südostasiens
kaum etwas gemeinsam. Die Luft-
temperatur erreicht bestenfalls für ei-
nige Stunden im Jahr die in den Subtropen ganz-
jährig vorherrschenden Werte. Und selbst in sehr
sonnigen Sommern steigt die Wassertemperatur
der nahe gelegenen Ostsee kaum über 20 °C.
Dennoch entwickelt sich der Ort in Mecklen-
burg-Vorpommern zur Heimat von White-Tiger-
Garnelen, die sich in 29 °C warmen Wasser am
wohlsten fühlen. Gleich zwei Zuchtbetriebe für
die von Gourmets geschätzten Delikatessen sind
dort ansässig. Das jüngste der beiden Unterneh-
men, die Firma HanseGarnelen, ist streng ge-
nommen eine Versuchsanlage. „Wir erproben
hier ein System, das die Umweltbelastung aus
Aquakulturen auf ein absolutes Minimum redu-
zieren soll“, sagt Gründer Rupert Baur. Das Sys-
tem wird die Basis für eine Großanlage, die der
Münchner Maschinenbauingenieur bereits im
Detail geplant hat und derzeit in Glückstadt an
der Elbe baut. Der Clou des Projektes: Ihren Wär-
mebedarf wird die Anlage aus dem Brauchwasser
einer benachbarten Papierfabrik decken.
Aquakulturen sind längst unverzichtbar, um
den Proteinbedarf der Weltbevölkerung zu de-
cken. Seit 1990 stieg der Anteil von gezüchteten
Fischen und Krustentieren am weltweiten Ver-
brauch von 18 % auf 56 %; dabei verfünffachte
sich die in Anlagen produzierte Gesamtmenge
laut Welternährungsorganisation FAO auf
87 Mio. t. Obwohl Aquakulturen als sinnvolle Al-
ternative zur Überfischung der Meere gelten, ste-
hen Umweltorganisationen ihnen skeptisch ge-
genüber. Häufig werde der Zuchtfisch mit Wild-
fisch gefüttert, kritisiert beispielsweise der WWF.
Saubere Sache: Um die Effizienz seiner Garnelenzucht zu steigern
und die Kosten zu senken, hat Rupert Baur (rechts) die Reinigung des
Wassers in die Kreislaufanlage integriert. Foto: Wolfgang Heumer
wenn Chemikalien, Nahrungsreste,
Fischkot und Antibiotika in Flüsse
und Meere gelangen“. Besonders kri-
tisch sehen die Umweltschützer die
Garnelenzucht. „Allein auf den Philip-
pinen sind für die Errichtung von
Shrimpzuchten zwei Drittel der Mangro-
venwälder abgeholzt worden“, heißt es
beim WWF.
Sogenannte Kreislaufanlagen gelten un-
ter Umweltaspekten als sinnvolle Alternati-
ve. Anders als bei Teichanlagen an fließenden
Gewässern oder Netz- und Käfiganlagen im Meer
entweichen aus den geschlossenen Kreisläufen
keine Stoffe – es sei denn, zuvor gereinigtes Was-
ser wird in die Kanalisation eingeleitet.
Dafür haben diese Systeme ein anderes Pro-
blem. „Betriebswirtschaftlich gesehen gibt es der-
zeit noch zu wenige Beispiele von erfolgreichen
Anlagen“, räumt Andreas Mäck ein, der mit dem
Zuchtbetrieb Fresh Völklingen im Saarland eine
Kreislaufanlage betreibt. Ursprünglich war dies
eine Unternehmung des örtlichen Wasserversor-
gers. Doch der wirtschaftliche Erfolg blieb aus,
weil der Kreislaufbetrieb und die dafür notwendi-
ge Technik hohe Betriebskosten verursachen.
Nun will Mäck das Unternehmen auf Kurs brin-
gen; er setzt auf die Zucht von hochwertigem Yel-
lowtail-Kingfish, der sonst nur als tiefgefrorener
Wildfang aus Gewässern südlich des Äquators
eingeführt wird. „Unser Produkt kommt frisch
und in bester Qualität zum Kunden, sodass wir
höhere Preise als für Massenprodukte oder Tief-
kühlware erzielen können“, erläutert Mäck.
Für seine Idee einer ertragreichen Garnelen-
zucht setzt Rupert Baur dagegen nicht auf eine
betriebswirtschaftliche, sondern eine technische
Lösung. Er will vor allem die Kosten für die Reini-
Garnelenkarussell: Das Wasser in den Aufzuchtbecken
wird durch an einer Ecke eingeblasene Luft zur Zirkulation
gebracht. Foto: HanseGarnelen
gung des Wassers und für die Energieversorgung
senken. Auf den ersten Blick ist seine Versuchsan-
lage in Grevesmühlen allerdings wenig Hightech.
Das lang gestreckte Betriebsgebäude ist schon
nicht mehr taufrisch. Im Innern stehen auf zwei
Ebenen übereinander vier jeweils 32 m x 5 m gro-
ße Becken mit insgesamt 400 m3 Wasserinhalt.
Baur hat Halle und Becken aus einer bestehenden
Garnelenzucht übernommen, die ein paar Jahr
zuvor insolvent gegangen war. Für den Unterneh-
mer ein Glücksgriff: Es handelt sich um eine
Kreislaufanlage ohne Verbindung zu einem offe-
nen Gewässer.
Bis er sich für das Thema Aquakultur zu inte-
ressieren begann, war Baur als Maschinenbauin-
genieur für Förder-und Anlagentechnik in der Le-
bensmittelindustrie tätig. Mit seinem techni-
schen Wissen im Hinterkopf hatte er schon vor
längerer Zeit eine Lösung skizziert, wie die
Hauptkostentreiber in Kreislaufanlagen – die
Wasseraufbereitung und die Versorgung mit Wär-
meenergie – gebremst werden können. Seit
knapp zwei Jahren hat er in Grevesmühlen die
Möglichkeit, seine Ideen praktisch zu erproben.
Unabhängig davon, ob sie Fische oder Krusten-
tiere wie Garnelen züchten, haben die Betreiber
von Kreislaufanlagen mit einem Problem zu
kämpfen, das auch Hobby-Aquarianer beschäf-
tigt. Neben Schwebstoffen aus Futtermittelresten
sammeln sich im Beckenwasser Ammonium
(NH4+) und Ammoniak (NH3) aus den Ausschei-
dungen der Tiere an. Die für die Wasserbewohner
toxischen Stickstoffverbindungen müssen in ei-
nem zweistufigen Verfahren beseitigt werden: In
der Nitrifikation werden sie in Nitrit (NO2-) und
Nitrat (NO3-) und in der schließenden Denitrifi-
kation in Stickstoff und Kohlendioxid verwandelt.
Derzeit geschieht das zumeist in komplexen und
sehr teuren Klärsystemen.

Exot an der Ostsee: White-Tiger-
Shrimps werden normalerweise in
Lateinamerika und Südostasien für
den deutschen Markt produziert.
Foto: HanseGarnelen
Nach einer mechanischen Reinigung läuft das
Wasser in einen Tank – den sogenannten Tropf-
körper. Dort verwandeln Bakterien die toxischen
Stickstoffverbindungen in Nitrit und Nitrat. Bei-
des wird in der nächsten Reinigungsstufe eben-
falls von Bakterien in molekularen Stickstoff und
Kohlendioxid verwandelt. Abgesehen von den Be-
triebskosten und dem erheblichen Platzbedarf
hat dieses Verfahren weitere Nachteile: bis zu
10 % des Wasservolumens müssen täglich durch
Frischwasser ersetzt werden. Aufgrund der Kos-
ten sind die eigentlich ökologisch sinnvollen
Kreislaufanlagen kaum wirtschaftlich zu betrei-
ben. Nach Überzeugung der Landwirtschafts-
kammer Niedersachsen „sollte eine Anlage des-
halb eine minimale Produktionskapazität von et-
wa 100 t pro Jahr ermöglichen, um ein langfristi-
ges, rentables Ergebnis zu erzielen“. Eine solche
Menge White-Tiger-Shrimps pro Jahr zu züchten,
ist ein hehres Ziel. Garnelenlarven wiegen gerade
einmal 0,001 g – es dauert ein halbes Jahr, bis sie
das Verkaufsgewicht von 25 g erreicht haben.
Rupert Baur hat deshalb für seine auf eine Ka-
pazität von 85 t ausgelegte Großanlage in Glücks-
tadt eine Idee für den Beckenbetrieb und die Was-
serreinigung, die er nun in Grevesmühlen testet.
Zunächst teilte er die vier 32 m langen Becken in
kleinere Lebensräume auf und ordnete jedem
dieser Zuchtbecken eine „Kinderstube“ mit 18 m3
Wasserinhalt zu, in der die Jungtiere die ersten
Lebenswochen verbringen. Das vereinfacht
schon die Abläufe – die Garnelen müssen nicht
ihrem Wachstum entsprechend immer wieder
umgesetzt werden.
Baur verändert die Strömungstechnik in den
Becken: Das Wasser wird nicht mehr durch Pum-
pen in Zirkulation gebracht, sondern durch ein-
geblasene Luft. Schwebstoffe aus den Futterres-
Maschinenbauingenieur und Garnelenzüchter: Rupert Baur will mit einem neuen technischen Verfahren Aquakultur-
kreislaufanlagen optimieren und ihre Kosten senken. Foto: Wolfgang Heumer
ten sammeln sich in der Mitte des Beckens und
werden dort abgesaugt – ein mechanischer Filter
außerhalb der Anlage wird überflüssig. Zudem
verringert das Prinzip den Energiebedarf und er-
laubt eine für die Tiere angenehmere Strömung:
„Für Garnelen ist eine Strömungsgeschwindigkeit
von 10 cm/s bis 30 cm/s ideal“, erläutert der Un-
ternehmer, „das entspricht ihrer eigenen
Schwimmgeschwindigkeit, sodass sie scheinbar
unbeweglich im Wasser stehen.“
Vor allem aber hat Baur das Reinigungssystem
auf das Wesentliche reduziert und weitgehend in
die Becken integriert. Die Nitrifikation und Deni-
trifikation übernehmen Bakterien auf hunderten
etwa daumengroßen Kunststoffkörpern, die in ei-
ner Ecke jedes Wasserbeckens schwimmen. Die
„Bio-Balls“, wie Baur sie nennt, sind nicht massiv,
sondern bestehen aus einer Gitterstruktur. „Pro
Kubikmeter ergibt dies eine vom Wasser benetzte
Oberfläche von 700 m2 bis 800 m2“, erläutert der
Ingenieur. Auf dieser Fläche sitzen Bakterien, die
in der ersten Stufe – der Nitrifikation – Ammoni-
um und Ammoniak in Nitrit und Nitrat verwan-
deln. „Etwa 20 % des gesamten Wasservolumens
wird kontinuierlich über die Bio-Balls geleitet“,
sagt Baur. Aus dem Strom werden wiederum 20 %
zur Denitrifikation geführt.
In herkömmlichen Anlagen müsste hier Koh-
lenstoff – zum Beispiel in Form von Zucker – zu-
geführt werden, um den Prozess am Laufen zu
halten. „Wir können darauf verzichten, weil wir
die im Becken schwimmenden Schwebstoffe als
Kohlenstoffquelle verwenden“, sagt Baur. Die be-
triebswirtschaftlichen Folgen verdeutlicht er am
Wasserverbrauch: „Wir müssen täglich nur noch
etwa 0,5 % und nicht mehr bis zu 10 % des Ge-
samtvolumens durch Frischwasser ersetzen.“
Beim Rundgang durch die nur spärlich be-
leuchtete Zuchtanlage ist dieses System nur zu
25. Februar 2022 · Nr. 4 REPORTAGE 7
Zweigeschossig: Die Foto: Wolfgang Heumer
insgesamt vier Wasser-
becken sind in der Gre- erkennen, wenn Baur oder seine Beschäftigten
vesmühlener Kreislauf- mit einer Taschenlampe in die Becken leuchten.
anlage in zwei Stock- Jeweils in einer Ecke ist der Reinigungsbereich
werken übereinander abgeteilt; auf der Wasseroberfläche schwimmen
angeordnet. die „Bio-Balls“, die durch den Bakterienfilm
bräunlich gefärbt sind. In den ersten Becken
scheint kein Besatz zu sein – „man sieht die Tiere
nur nicht, weil sie anfangs mikroskopisch klein
sind“, versichert Baur. Ein paar Stationen weiter
wird das Bild klarer: Die Garnelen sind bereits fin-
gerlang. „In ein paar Wochen sind sie erntereif“,
freut sich der Garnelenzüchter. Bis zu dem Punkt,
an dem sie mit einem Stromschlag betäubt und
anschließend geschlachtet werden, haben die
Tiere vermutlich ein entspanntes Dasein gehabt.
Denn in der feuchtwarmen Halle erklingt perma-
nent und leise klassische Musik. „Garnelen sind
sehr schreckhaft“, erläutert Baur. Damit sie nicht
durch das Klappern einer Tür gestresst werden,
ist die Halle in einen Klangteppich gehüllt: „Beet-
hoven mögen die Garnelen am liebsten.“
Welche Musik die Garnelen in ihrem Domizil in
Glückstadt hören werden, ist noch offen. Fest
steht aber bereits, dass Baur dort eine weitere
technische Lösung ausprobieren will. Den Ener-
giebedarf für die Beheizung von Wasser und Halle
will er in enger Zusammenarbeit mit einer be-
nachbarten Papierfabrik decken: „Wir werden die
Abwärme des dort eingesetzten Prozesswassers
nutzen“, kündigt Baur an. Auch wenn der Bau be-
reits begonnen hat, wird noch einiges Wasser
durch die Elbe fließen, bis Baur in Glückstadt sein
Produktionsziel von 85 t White-Tiger-Shrimps er-
reicht. In der Versuchsanlage in Grevesmühlen
hat es deutlich länger als ein Jahr gedauert, bis
Baur das Zuchtziel erreicht hat: 6 t. Dank der da-
bei gesammelten Erfahrungen hofft er nun, „dass
wir in Glückstadt schneller zum Ziel kommen“.
8 TECHNIK & WIRTSCHAFT 25. Februar 2022 · Nr. 4

„ KOMMENTAR
Zwickmühle
Angesichts der eskalierenden Sicherheits-
Warum Deutschland
lage fällt vielen urplötzlich auf, dass eine
diversifizierte Versorgungslage für Erdgas
echt gut wäre. Neu ist das nicht. Aber es
passierte sehr lange gar nichts. Russland –
zittern muss
Energieversorgung: Die Gasspeicher sind mitten im Winter leer.
und früher die UdSSR – hat immer gelie-
Hauptursache sind Spekulationen an den Energiemärkten.
fert. Flüssigerdgas, kurz LNG, ausgerech-
net vom damaligen US-Präsidenten Do-
Eine gezielte Verkürzung der Importe lässt sich nicht belegen.
nald Trump unter fast erpresserisch anmu-
tenden Bedingungen sich aufdrücken zu
lassen, das wollte niemand. Nur darauf zu
verweisen, LNG-Terminals gebe es doch Von Manfred Schulze

schon woanders in Europa (28 mit Jahres-
kapazitäten von
>1 Mio. m³ waren es
2018), beruhigt die
Nerven aber nicht.
Es könnten besser
mehr sein, und dann
halt auch eigene.
Energieredakteur Denkt sich auch
Stephan W. Eder
die Bundesregierung
denkt, Energiepolitik
gehört am besten – und ihr Bundeskli-
europäisch gedacht. maminister Robert
Foto: VDIn/Zillmann
Habeck. Doch es gibt
Ärger deswegen. Mit den Grünen in Ha-
becks Heimat Schleswig-Holstein. Da ist
am 8. Mai Landtagswahl. Letztes Wochen-
ende beim Wahlparteitag heimste ein An-
trag, der Unterstützung für den Bau des
LNG-Terminals Brunsbüttel vorsah, nur 56
von 122 Stimmen ein. Zu wenig, glatt
durchgefallen. Grüne Radikalinskis auf
Stimmenfang beim Stammklientel? Eine
Basisrevolte gegen die Etablierten (den
schleswig-holsteinischen Energieminister
Philipp Albrecht und seinen Bundeskolle-
gen Habeck)? Der Verdacht kommt schnell
auf. Aber ein Gegenargument lohnt sich zu
bedenken: die Zeitachse.
Denn der Neubau eines LNG-Terminals
in Deutschland hilft in der aktuellen Lage,
drehte Russland den Gashahn zu – nichts!
Kurzfristig wäre es einfacher, in der EU be-
stehende Standorte auszubauen. Wer Ener-
giepolitik europäisch denkt, kommt daran
nicht vorbei, genau das ernsthaft zu prü-
fen. Dass Europa zählt, verdeutlichte EU-
Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen
auf der Münchener Sicherheitskonferenz:
„Heute kann ich Ihnen mitteilen, dass –
A
uch wenn das Bundes-
wirtschaftsministerium
stoisch versichert, dass
die Gasversorgung in
Deutschland in diesem
Winter „weiterhin gewährleistet“
sei, hängen die bangen Blicke in der
Industrie und der Energiewirtschaft
längst an den Wetterprognosen für
die nächsten Wochen. Wird es noch
mal länger draußen kalt, kann es
durchaus sein, dass auch so man-
cher Gaskessel kalt bleibt.
In Rehden, auf halber Strecke zwi-
schen Bremen und Oldenburg, gibt
es außer dem kleinen Kirchturm
noch viele Rohre und Ventile zu se-
hen. Gut gesichert vor unberechtig-
tem Zutritt, betreibt die Astora den
größten Erdgasspeicher Deutsch-
lands. Allein hier lagern in guten
Zeiten mehr als 4 Mrd. m3 Erdgas.
Zusammen mit den anderen unter-
irdischen Lagern im Gestein und
Salzkavernen können deutschland-
weit 23,7 Mrd. m3 Reserven (ent-
spricht 241 TWh) vorgehalten wer-
den. Nur die USA, Russland und die
Ukraine haben mehr Speicher.
Doch die Zeiten sind nicht gut.
Jahrzehntelang galt bei der Gas-
speicherung die Regel: Im Sommer
pumpten die Gashändler die über-
schüssigen Gasmengen in die Erde;
im Winter, wenn das Pipelinegas al-
lein nicht für die Kraftwerke, Heiz-
kessel und Industriebrenner reichte,
wurde nachgefüttert. Das hatte
auch viel mit der Verlässlichkeit des
Preises zu tun, der bis vor wenigen
Jahren noch eng an den Ölpreis ge-
koppelt war, heute aber vom Bör-
senhandel bestimmt ist. Bisher war
das kein Problem, wenngleich es
seit Jahren Stimmen gibt, die eine
staatliche Regulierung für die Reser-
ve fordern.
An kalten Wintertagen werden
üblicherweise bis zu 60 % des Be-
darfs aus den Speichern abgedeckt.
Dass die Speicherinhalte Deutsch-
lands Bedarf bei einem Ausfall der
Lieferwege allein für rund 100 Tage
decken könnten, war gut zu wissen.
Aber garantiert war das tatsächlich
nie – und so gab es auch bereits im
Frühjahr 2012 eine Zeit, in der im
Süden Gaskraftwerke vom Netz ge-
nommen werden mussten.
Erklärt die Bundesnetzagentur die
„Gasmangellage“, greifen Notfall-
pläne. Eine vom Staat regulierte
Gasreserve gibt es trotz seit Jahren
erhobener Warnungen nicht. Dass
Astora im Eigentum der Gazprom
ist, eröffnet für viele Kommentato-
ren angesichts des Säbelrasselns in
Russland und des Ringens um den
Bau von Nord Stream II eine nahe-
liegende Argumentationskette: Pu-
tin erpresst uns mit seinem Gas, den
Leitungen und Speichern. Doch so
einfach ist es offenbar nicht. Die Ur-
sachen für die fehlenden Reserven
mitten im Winter sind vielschichtig
– und beeinflussen sich gegenseitig.
Förderleistung der
Erdgaspipelines aus
Osteuropa
Pipeline Jahreskapazität
in Mrd. m³
BRUA 4,5
Bruderschaft 32,0
Jamal 33,0

selbst bei einer völligen Unterbrechung Nord Stream 1 55,0

der Gasversorgung durch Russland – wir Nord Stream 2 120,0
diesen Winter auf der sicheren Seite sind.“ Nordlicht 51,0
Es sind die LNG-Transporte, die Deutsch- Tanap 16,0*
land absichern, wenn Putin nicht liefert. TAP 10,0**
Der Pferdefuß: Wer LNG für Brunsbüttel Turkish Stream 31,5
sagt, meint Wasserstoff für Deutschland. White Stream 32,0
Da will die Bundesregierung hin – mög- * stufenweise Erweiterung auf
60 Mrd. m³ geplant
lichst eigenständig eine Wasserstoffwirt- ** Erweiterung auf 20 Mrd. m³ geplant
schaft aufbauen. Also braucht es eigene In- Quelle: Unternehmen

frastruktur. Habeck hat viel vor und wird
noch manchen Ärger kriegen.
„ seder@vdi-nachrichten.com
Die Gasversorgung Mittel- und Südeuropas läuft über eine große Anzahl von
Pipelines, die teilweise schon in den 1960er-Jahren gebaut wurden. Die Grafik zeigt
ausgewählte wichtige Pipelines aus dem Osten und Südosten. Weitere Pipeline-
Netze verbinden Afrika und die Nordsee-Gasfeldern mit Europa.

Dreht Russland den Gashahn zu,
ist die Versorgung gefährdet. West-
europas größter Erdgasspeicher im
niedersächsischen Rehden ist nur
zu 3,6 % gefüllt. Foto: PantherMedia / witoldkr1
Seit 2008 ist in Deutschland und
auch in der EU der Gasmarkt „libe-
ralisiert“. Das schließt ein zwingen-
des Unbundling, also die Entflech-
tung von Gasproduzenten, Händ-
lern und der Infrastruktur, ein, wo-
bei darunter allerdings lediglich ver-
standen werden muss, dass unter-
schiedliche Firmen diese Geschäfte
betreiben – während die Gesell-
schafter oft dieselben sind.
Zudem gelten für Leitungen und
Speicher strikte Auflagen, so dass
die Betreiber einen diskriminie-
rungsfreien Zugang für alle Markt-
teilnehmer gewährleisten müssen.
Astora hat also lediglich ein Gefäß in
Rehden, dessen Kapazitäten regel-
mäßig versteigert werden. Nur: In
diesem Sommer wurde, anders als
in den Vorjahren, nur wenig Gas ein-
gespeichert. Von Gazprom nicht,
aber auch nicht von anderen Händ-
lern, die das ebenso hätten tun kön-
nen, wie auch zusätzliche Mengen
bei den Produzenten zu ordern.
Warum Letztes nicht erfolgte, er-
klärt Philipp Eggert, Leiter Markt-
analyse beim Energieverbund Tria-
nel, mit einem komplexen Gemisch
„globaler Störfälle, die über das Jahr
hinweg letztlich zu einer Panik an
den Märkten“ führten. Bereits seit
Mitte 2020 stieg in Asien die Nach-
frage nach LNG (Liquefied Natural
Gas). Die Preise dort lagen bei mehr
als dem Doppelten des Europa-Le-
vels. Im Frühjahr sorgte in Südame-
rika zudem Trockenheit für einen
Mangel an Strom aus Wasserkraft
und daher für einen Ersatzbedarf,
der mit Erdgas gedeckt wurde.
Ferner lagen die Temperaturen in
der ersten Winterhälfte 2020/21 zu-
nächst in Asien sehr niedrig, in
Europa folgte dann ein kalter Früh-
ling, verbunden mit geringen Wind-
krafteinspeisungen. Dies musste
mit erheblichen Mengen Gas kom-
pensiert werden – zumal 2021 be-
reits mehrere Kernreaktoren in
Deutschland und erhebliche Kohle-
25. Februar 2022 · Nr. 4 TECHNIK & WIRTSCHAFT 9
Standorte der Gas- Foto: Initiative Energien Speichern e. V. (INES)
speicher in Deutsch-
kraftwerksleistungen europaweit ter – bei möglicherweise geringerem land, Stand August sogar deutlich ausgeweitet zu ha-
abgeschaltet worden waren. Hinzu Preislevel – verkaufen zu müssen, 2019, im Internet zu ben. Nord Stream 1 sei voll ausgelas-
kamen technische Störungen auf ei- wollte kein Händler riskieren. finden unter www. tet gewesen.
nigen norwegischen Plattformen. Die Speicherfüllstände lagen da- energien-speichern.de. Zumindest für die Jamal-Pipeline
her bereits im Verlauf des Sommers Die Gasspeicherung ist gilt das allerdings nicht, hier wur-
In allen Monaten des Jahres 2021 deutlich unter den üblichen Werten. in Deutschland privat- den am Grenzpunkt Mallnow zeit-
lagen die Importmengen für Inzwischen sind sie bei lediglich ei- wirtschaftlich organi- weilig sogar erhebliche Gasflüsse
Deutschland deutlich unter den nem Drittel der Kapazität. Die häu- siert. Die Branche wird aus Deutschland in Richtung Polen
Vorjahreswerten, im November so- fig kolportierte Annahme, dass Gaz- vertreten durch die registriert.
gar um rund 20 %. Zugleich stiegen prom neben seinen vertraglichen Initiative Energien Wirtschaftsminister Robert Ha-
die Zahlungen an die Lieferanten al- Lieferverpflichtungen keine zusätz- Speichern e. V. beck will nun schnellstens nach
lein in diesem Monat auf lichen Mengen anbiete, bleibt damit Möglichkeiten suchen, die Abhän-
13 329 €/TJ (Terajoule). Ein Jahr zu- eine nicht überprüfbare Behaup- gigkeit vom russischen Erdgas zu
vor waren es noch 4028 €/TJ. Der tung, sieht man einmal von Einkäu- verringern, und auch prüfen, wie
Leipziger Importeur Verbundnetz fen bei Kurzfristauktionen ab. die Speicher besser als zuverlässige
Gas berichtet von „etwas geringeren Hier herrscht seit Jahresbeginn Reserve eingebunden werden kön-
Mengen“ um den Jahreswechsel 2022 tatsächlich Funkstille in Mos- nen. Letzteres wäre sicher ein Weg,
2020/21, wobei allerdings die russi- kau – wohl auch, weil man über eine um im nächsten Winter nicht wie-
schen Vertragspartner „jederzeit zu- neue Pipeline nach China liefern der bangen zu müssen. Doch ange-
verlässig und im bestellten Maße kann. Hingegen versichert der Gas- sichts der nun sehr teuren Energie
geliefert“ haben. Das teuer gewor- konzern, im vergangenen Jahr seine wird dazu ein tiefer Griff in die
dene Gas einzuspeichern und spä- nach Westen gelieferte Gasmenge Staatskasse nötig werden.
Versorgungssicherheit im deutschen Gassektor Die Rolle von Erdgas im
deutschen Energiemix
„ Wer gewährleistet in Deutschland die Versorgung mit Gas? In
Deutschland ist die Gewährleistung der Versorgungssicherheit in der „ Primärenergieanteil: Erdgas lieferte 2021 einen Anteil
leitungsgebundenen Energieversorgung seit vielen Jahren primär ei- von 26,7 % des Primärenergieverbrauchs in Deutsch-
ne Aufgabe der am Markt tätigen Unternehmen und in § 16 EnWG land, noch höher ist der Anteil von Öl mit 31,8 % (AGEB
(Energiewirtschaftsgesetz) geregelt. vom Dezember 2021). Der Gasverbrauch lag damit um
3,9 % über Vorjahr.
„ Wer überwacht in Deutschland die Versorgung mit Gas? Die Über-
wachungsfunktionen und Risikoanalyse wurden der Bundesnetz- „ Brückentechnologie: Laut Branchenverband Zukunft
agentur übertragen. Gas gilt der Energieträger als unverzichtbare Brücken-
lösung für die Energiewende, um die sich bis 2030 ab-
„ Wer stellt in einer Krise in Deutschland die Versorgung mit Gas zeichnende Stromlücke durch den Atom- und Kohle-
sicher? Für ein übergeordnetes Krisenmanagement „bei einer sich ausstieg zu decken. Kritiker dieser Strategie, darunter
abzeichnenden Mangelversorgung“ ist das Bundeswirtschaftsminis- nicht nur Protestbewegungen wie Fridays für Future,
terium zuständig. Hier wurde ein Krisenstab gebildet und einberu- sondern auch die Ökonomie-Professorin Claudia Kem-
fen, der die Eskalationsstufe festlegt und die Kommunikation mit fert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
betroffenen Nachbarländern koordiniert. Sollte es notwendig wer- (DIW) in Berlin, fordern hingegen den kurzfristigen
den, erstellt der Krisenstab den Kabinettsentwurf für die Inkraftset- Ausstieg auch aus der Erdgasnutzung.
zung einer Rechtsverordnung zur Sicherung der Gasversorgung.
„ Klimaeffekt von Erdgas: Er wird unterschiedlich bewer-
„ Arbeitsgrundlage für den Krisenstab wäre der Notfallplan Gas, der tet und dargestellt. Bei der Verbrennung von Erdgas
die Gasströme und Meldewege regeln würde. Er weist den Gashänd- entsteht im Vergleich zur Kohle weniger CO2. Entlang
lern, Netz- und Speicherbetreibern in einer Krise bestimmte Aufga- der Wertschöpfungskette von Erdgas entweicht zum
ben zu – bis hin zu der Entnahme aus den Speichern und dem Ab- Teil – je nach Herkunft und den entsprechenden För-
schalten von Kunden aus der Industrie, einschließlich nicht system- der- und Transportbedingungen – das Treibhausgas
relevanter Gaskraftwerke. Methan in sehr großen Mengen.
10 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Eine nachhaltig
runde Sache
Verkehr: Reifen und Felgen rücken immer mehr
in den Fokus der Nachhaltigkeitsbemühungen.
Bei den Reifen ist auch Löwenzahn im Spiel.
Von Peter Weißenberg
S
elbst Blumenfreunde ge-
hen an Taraxacum kok-sag-
hyz meist achtlos vorbei.
Dahinter verbirgt sich eben
ganz profaner Löwenzahn.
Christian Schulze Gronover aller-
dings kann die Pflanze so richtig be-
geistern. Denn der Ingenieur am
Fraunhofer-Institut für Molekular-
biologie und angewandte Ökologie
(IME) arbeitet seit mehr als einem
Jahrzehnt daran, mithilfe des leuch-
tend gelben Krauts eines der drän-
gendsten Probleme der Reifenin-
dustrie zu beseitigen. Jetzt ist die
Überholspur Richtung Marktreife in
Sicht.
Es geht um eine nachhaltige He-
rausforderung bei allen Lkw, Zwei-
rädern und Pkw: Ihre Reifen aus
Gummi verursachen nicht nur
durch den Abrieb im Betrieb und
die Entsorgung, sondern bereits bei
der Herstellung massive Belastun-
gen für Umwelt und Menschen.
Denn ihr wesentlicher Bestandteil
ist Kautschuk des tropischen Baums
Hevea Brasiliensis. Rund 70 % aller
weltweiten Vorräte davon benötigt
die Reifenindustrie. Für seinen An-
bau werden oft Urwälder gerodet,
die Monokulturen zerstören Fauna
und Flora und auch die Menschen
dort leiden unter den Folgen.
Kautschuk aus Löwenzahn für Rei-
fen: Schulze Gronovers Team hat
zusammen mit dem Reifenherstel-
ler Continental eine Alternative ge-
sucht. „Unser Löwenzahnkautschuk
ist einsetzbar für alle gängigen Pro-
dukte und bietet eine spannende
Perspektive für die hiesige Land-
wirtschaft“, so der Forscher, der für
den Deutschen Zukunftspreis 2021
nominiert war. Statt nach sieben
Jahren – wie bei einem neu ge-
pflanzten Tropenbaum – ist der La-
tex aus dem Löwenzahn zweimal im
Jahr zu gewinnen. Die anspruchslo-
25. Februar 2022 · Nr. 4
Fahrzeugreifen
bestehen zu rund 40 %
aus Kautschuk. Seit se Pflanze wächst zudem auch auf
einiger Zeit soll Löwen- kargen Böden, in widrigem Wetter
zahn den benötigten und vor der Haustür.
Kautschuk liefern.
In einem Prototyp hat Continental
das tropische Kautschuk bereits
vollständig durch das heimische
Kraut ersetzt. Zumindest teilweise
soll diese Alternative schon bald
zum Standard in vielen Pneus wer-
den. Auch Mitbewerber Goodyear
arbeitet mit dem Kautschukersatz.
Wettbewerber Bridgestone setzt da-
Die Reifen- gegen auf Latex aus dem texani-
schen Guayule-Strauch und kündigt
industrie entsprechende Produkte an.
benötigt rund Der finnische Hersteller Nokian
70 %
hat in einem Konzeptreifen 93 % der
eingesetzten Materialien durch re-
cycelte oder erneuerbare Stoffe be-
stückt. Entwicklungsleiter Jouko Ilo-
der weltweiten mäki verwendet dazu etwa „erneu-
erbare Öle wie Rapsöl“.
Kautschuk- Er betont: „Fast alle Weichmacher,
Harze und Verarbeitungshilfsstoffe
vorräte stammen aus erneuerbaren Res-
sourcen.“ Natürliche Reishülsen-
asche ist der Hauptfüllstoff für die
Lauffläche und die Seitenwand. Er-
neuerbare Cordfasern machen den
Reifen widerstandsfähiger. Mit die-
sen Materialien experimentieren
auch Yokohama, Goodyear und Pi-
relli.
Reduzierung der CO2-Emissionen
schweißt Reifenhersteller zusam-
men: Der nachhaltige Reifen muss
Fahrt aufnehmen. Denn die Herstel-
ler stehen nicht nur unter dem
Druck der staatlichen Umwelt- und
ANZEIGE
Nachhaltigkeitsauflagen. Auch viele
Autohersteller haben sich inzwi-
schen zum Ziel gesetzt, bis Mitte des
Jahrhunderts vollkommen CO2-
neutral zu wirtschaften. Und damit
nehmen sie auch ihre Zulieferer in
die Pflicht.
Die elf weltgrößten Reifenherstel-
ler haben sich deshalb bereits im
Tire Industry Project sowie mit der
Gründung der Globalen Plattform
für nachhaltigen Naturkautschuk
auf Ziele verpflichtet, die Arbeitsbe-
dingungen und den Naturschutz
verbessern sollen. Aber allein wegen
der langen Lieferwege ist der bishe-
Reifen aus dem Kautschuk des
Löwenzahns: der Taraxagum von
Continental. Foto: Deutscher Zukunftspreis/Ansgar Pudenz
rige Materialmix auch dann kaum
zu dekarbonisieren. Darum setzt et-
wa Michelin darauf, synthetischen
Kautschuk aus dem Gas Butadien
herzustellen – und dieses wiederum
aus nachhaltigem Bioethanol.
Dabei geht es neben nachhaltige-
ren Inhalten vor allem um ökono-
mischeren Einsatz. Durch optimier-
ten Rollwiderstand und geringeres
Gewicht sind im Fahrbetrieb Ver-
brauchsvorteile von bis zu 20 % zu
erzielen. Allerdings erkaufen sich
die Öko-Pneus das mit etwas
schlechteren Werten vor allem bei
der Nasshaftung. Vorausschauendes
und defensives Fahren ist also nicht
nur aus ökologischen Gründen an-
gebracht.
Pro Jahr müssen 600 000 t Altrei-
fen entsorgt werden: Am Ende des
Reifenlebens kommt zudem eine
weitere Herkulesaufgabe auf die
Hersteller zu: Allein in Deutschland
verzeichnet das Umweltbundesamt
Jahr für Jahr knapp 600 000 t Altrei-
fen, die wegen des komplexen Auf-
baus und der vielen Inhaltsstoffe
nur von Spezialfirmen recycelt wer-
den können.
Immerhin haben die Reifenpro-
duzenten längst erkannt, dass alte
Pneus auch eine Basis der nächsten
Generation ihrer Produkte sind –
und setzen etwa den Ruß aus der
Verbrennung wieder ein. Ein weite-
rer Baustein auf dem Weg zum „Rei-
fen aus 100 % biologisch hergestell-
ten und recycelten Materialien“, wie
Foto: Deutscher Zukunftspreis/Ansgar Pudenz
ihn Michelin verspricht. Für 2050,
das magische Datum für alle großen
Reifenproduzenten.
Zu einem Reifen gehört eine Felge:
Hergestellt mit Ökostrom und aus
Aluminium, das sortenrein recycelt
wurde: Die erste klimaneutrale Fel-
ge ist Teil einer Nachhaltigkeitsstra-
tegie, die noch weitergeht.
Vor ein paar Tagen erst hat sich
Ronal eine neue Rohstoffquelle für
seine Alufelgen erschlossen; aller-
dings nicht in den traditionellen
Förderländern von Bauxit: Der Fel-
genhersteller wird das kostbare Ma-
terial künftig verstärkt aus Kanada
beziehen – vom Unternehmen
Eccomelt. Dessen Name ist Pro-
gramm: Die Firma holt das soge-
nannte Sekundäraluminium aus ge-
brauchten Rädern. Ein Meilenstein
für die Nachhaltigkeitsbestrebun-
gen der Schweizer. Denn „mit 74 %
hat das Material den größten Anteil
alles verursachten CO2 in der Bi-
lanz“, so Vorstandschef Oliver Brau-
ner. Mit dem Eccomelt-Material
kann der Räderhersteller diesen An-
teil um mehr als 90 % senken.
Brauners Unternehmen ist ein Pio-
nier bei der Dekarbonisierung von
Felgen. Und das schon länger. Zu-
sammen mit Audi und Alcoa hat die
Firma in einem Pilotprojekt ein
Schmelzverfahren entwickelt, bei
dem Sauerstoff anstelle von Kohlen-
dioxid freigesetzt wird. Das Joint
Venture Elysis verwendet dazu eine
sogenannte inerte Anode als Ersatz
für Kohlenstoffanoden, die sonst bei
der Elektrolyse verwendet werden.
Im Elektroauto Audi e-tron GT ist
die Felge daraus erstmals eingesetzt
worden.
Das gleiche Ziel hat auch Ronal.
Und auch schon die passende Felge
dazu: Die R70-blue ist komplett mit
Ökostrom in Deutschland herge-
stellt und besteht fast nur aus wie-
derverwertetem Aluminium, das
ebenfalls wieder vollständig recycel-
bar ist. Statt rund 1 t CO2-Ausstoß
für einen Satz Alufelgen aus Asien
steht bei diesem Produkt also eine
Null.

Datenspeicher f ür die Ewigkeit
Speichertechnik: Forschende in Großbritannien haben gezeigt, dass Datenspeicher mit 500 TByte prinzipiell möglich sind.
Sie nutzen dafür eine bestimmte Materialeigenschaft von Glas, um zwei zusätzliche Speicherdimensionen zu erzeugen.
Von Werner Schulz
A
m 28. Oktober 2021 er-
schien in der internatio-
nalen wissenschaftlichen
Fachzeitschrift „Optica“
eine Veröffentlichung,
die so klingt, als könne es eine Rück-
kehr der alten Datenträger geben.
Kurz rekapituliert: Die rotierenden
optischen Datenscheiben feierten
ihren Durchbruch in die digitale
Medienwelt ab den 1980er-Jahren
mit Audio-CDs (1982), CD-ROM
und DVDs (1996). Es folgten Anfang
des Jahrtausends die etwas größe-
ren HD-DVDs (2005) und die Blu-
ray Discs (2006). Wichtig für den
weiteren Kontext: Eine gängige CD-
ROM bietet 700 MByte an Speicher-
umfang, eine einseitige Blu-ray Disc
mit ihren vier Datenschichten
(BDXL) hat etwa 180-mal so viel:
ganze 128 GByte.
Zurück zur Wissenschaft und der
laseroptischen Speichermethode
„High speed ultrafast laser anisotro-
pic nanostructuring by energy de-
position control via near-field en-
hancement“. Dabei geht es darum,
mit einem speziellen Laser be-
stimmte Nanostrukturen im Materi-
al zu erstellen und so Daten zu spei-
chern. Anisotrop bedeutet hier, dass
die Lichtbrechung richtungsabhän-
gig ist, statt – wie bei Isotropie – von
allen Richtungen gleich. Die Spei-
chermethode wurde am Optoelect-
ronics Research Centre der briti-
schen University of Southampton
entwickelt und löste weltweit Reso-
nanz aus.
Aber der Reihe nach: Was sind das
Prinzip und das Fertigungsverfah-
ren des neuen Laserspeichers, der
von den Forschern als „fünfdimen-
sional“ bezeichnet wird? Er zielt mit
seiner hohen Speicherdichte auf
große Datenvolumina und durch
die Speicherung in Glas auf extrem
langen Datenerhalt. Die Autoren
versprechen eine alle bisherigen
Maßstäbe sprengende Zahl von
13,8 Mrd. Jahren. Der neue Laser-
speicher tritt somit in den Wettbe-
werb mit utopischen Zukunftskon-
zepten wie DNA-basierten Medien,
die Daten nach dem Prinzip der
menschlichen Erbinformation spei-
chern sollen. Damit sollen zwar
Hunderte von Terabyte pro Gramm
DNA gespeichert werden können,
doch dürfte die Dauer ihres Daten-
erhalts erheblich eingeschränkt
sein. Die heutigen optischen Spei-
cher können Daten für einige Deka-
den lesbar halten.
Wie realisieren also die Forschen-
den der Uni Southampton die neu-
en Maßstäbe der Datendichte und
des Datenerhalts? Mit einigen recht
kniffligen und nicht einfach zu ver-
mittelnden Details bei der Erzeu-
gung einer feinen Spiralspur, wie sie
für die Datenspeicherung auch
schon auf der CD zum Einsatz kam.
Sie besteht aus einer Folge von mi-
kroskopischen Vertiefungen in der
Oberfläche der Platte, sogenannten
Pits, die die einzelnen Bits des Da-
tenstroms repräsentieren. Bei der
CD besteht sie aus Polycarbonat.
Die neue 5D-Speicherung hinge-
gen geschieht in einer Quarzglas-
scheibe in Gestalt von „Voxeln“: von
dreidimensionalen Gitterpunkten
in einer mehrschichtigen Anord-
nung. Das sind nanoskalige „aniso-
trope“ Strukturen mit lokal unter-
schiedlicher Lichtbrechung. Diese
werden mit extrem kurzen Laserim-
pulsen von einigen Femtosekunden
(10–15 s) und einer Wiederholrate
von einigen Megahertz (106 Hz) in
die Oberfläche eingebrannt.
Die Pits werden in einem zweistu-
figen Prozess erzeugt, zunächst
durch hochenergetische Laserim-
pulse, deren Energie oberhalb der
Schwelle einer sogenannten „Mi-
kroexplosion“ im Quarzglas liegt.
Die dabei entstehenden Vertiefun-
gen werden anschließend per „Nah-
feldverstärkung“ durch zahlreiche
niedrigenergetische Folgeimpulse
zu lamellenförmigen anisotropen
Vertiefungen mit Abmessungen von
500 nm x 50 nm verlängert. Die La-
mellen verlaufen also in Richtung
der Abtastspur beim späteren Ausle-
sen der Daten. Diese Verlängerung
minimiert thermische Schäden
durch die initialen Megahertz-Im-
pulse – das Verfahren ist allerdings
auch recht zeitaufwendig.
Die so erzeugten anisotropen Na-
nostrukturen werden zur Daten-
speicherung genutzt. Sie erlauben
Abtastraten von 106 Voxeln/s. Das
ergibt die mögliche Auslesege-
schwindigkeit von 225 kByte/s, das
25. Februar 2022 · Nr. 4
Blu-ray Discs, DVDs
und CDs sind günstige
optische Daten-
speicher. Doch nach
einigen Dekaden
verblasst auf ihnen
die Information.
Foto: imago images/Panthermedia
TECHNIK & WIRTSCHAFT
entspricht etwa 100 Seiten einer ty-
pischen Textvorlage. Die ersten CD-
Laufwerke für Computer lasen mit
150 kByte/s, ein modernes Laufwerk
liest eine CD hingegen mit bis zu
10 800 kByte/s. Auf der Fläche einer
traditionellen CD könnten aller-
dings mit der 5D-Speicherung theo-
retisch 500 TByte an Daten gespei-
chert werden. Das entspräche einer
Zahl von über 700 000 CD-ROMs.
Zu den dreidimensionalen räum-
lichen Repräsentationen der Voxel
in Bezug auf die Position, Ausrich-
tung und Größe der nanoskaligen
Lamellenstrukturen treten aber
zwei weitere Dimensionen: ihre op-
tischen Eigenschaften in Bezug auf
11
die Anisotropie des Speichermateri-
als. Dessen anisotropes Verhalten
mit richtungsabhängiger Brechung
erzeugt nämlich eine gut bekannte
optische Anomalie der Lichtbre-
chung: Strahlen mit unterschiedli-
cher Polarisation werden doppelt
gebrochen, und zwar entlang zweier
Kristallachsen, von denen jede ei-
nen anderen Brechungsindex hat.
Sie werden deshalb mit unter-
schiedlichen Phasen- beziehungs-
weise Ausbreitungsgeschwindigkei-
ten in zwei verschiedene Richtun-
gen abgelenkt.
Dies ergibt eine „langsamere“ und
eine „schnellere“ Achse der Licht-
ausbreitung, mit einer Verzögerung
der Ausbreitung auf der langsamen
Achse. Diese beiden Größen – die
Ausrichtung entlang der Nano-
lamellen und die entstehende Ver-
zögerung – lassen sich neben den
drei Raumdimensionen als zwei zu-
sätzliche optische Dimensionen der
„5D“-Speicherung nutzen.
Noch reden wir von einer Labor-
errungenschaft. Das räumt das For-
schungsteam auch ein. Es existiert
eine Quarzglasscheibe von der Grö-
ße einer CD mit 5 GByte an Textda-
ten, die sich fehlerfrei auslesen las-
sen. Jeder Voxel repräsentiert 4 bit,
und zwei Voxel bilden einen Buch-
staben des Texts. Vor allem die
Schreibgeschwindigkeit, so das
Team, müsse entscheidend erhöht
werden, damit der angepeilte Spei-
cherumfang von 500 TByte in weni-
ger als 60 Tagen produziert werden
kann. Das Besondere am 5D-Daten-
speicher ist also nicht seine Schnel-
ligkeit, sondern seine Größe und
Langlebigkeit. Der Speicher eignet
sich daher wohl vor allem für die
professionelle Datenspeicherung
und nicht für das Back-up persönli-
cher Urlaubsfotos.
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12 TECHNIK & WIRTSCHAFT 25. Februar 2022 · Nr. 4

Zielkonflikt beim Wohnungsbau

Wohnungsbau: Was ist wichtiger: Klimaschutz oder Bezahlbarkeit von Wohnraum? Beides gleich
wichtig, sagt die Politik. Doch aktuell stehen teure Standards günstigen Mieten entgegen.

Von Fabian Kurmann

D
er 13. Wohnungsbau-Tag vergangene
Woche in Berlin hatte alle Zutaten für
eine spannende Diskussion: eine Stu-
die der Arbeitsgemeinschaft für zeit-
gemäßes Bauen, die nahelegt, energe-
tische Standards bei Gebäude zu senken, sieben
Verbände der Wohnungswirtschaft, die sich trotz
teils diametraler Interessenlagen zu fünf gemein-
samen Forderungen durchgerungen haben, und
eine komplett neue Regierung mit Klimafokus,
von der immerhin zwei Spitzenlichter vor Ort auf-
blitzten: der grüne Klimaschutzminister Robert
Habeck und die Bauministerin Klara Geywitz für
die SPD in Rot. Ihr Ministerium war 23 Jahre lang
an andere Ministerien angegliedert, ein Neben-
thema sozusagen. Seit 2021 gibt es wieder ein ei-
genständiges Bundesministerium für Wohnen,
Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). Woh-
nen ist damit als Thema politisch wieder in die
erste Liga aufgestiegen. Doch das hat einen Preis.
Das Ziel hat die Bundesregierung im Koaliti-
onsvertrag festgelegt auf 400 000 neu geschaffene Bauministerin Klara Geywitz (li.) diskutiert Forderungen mit drei Verbandschefs (v. re.): Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieter-
Wohnungen im Jahr. Ein Viertel davon sollen So- bund, Felix Pakleppa vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe und Andreas Ibel vom Bundesverband Freier Immobilien- und Woh-
zialwohnungen sein. Die Herausforderung, nungsunternehmen. Anke Plättner moderierte die Veranstaltung. Foto: Verbändebündnis Wohnungsbau/Tobias Seifert
300 000 Wohnungen neu zu schaffen, sei groß,
sagte Geywitz. „Aus meiner Sicht sind die 100 000
Sozialwohnungen sogar noch ein wenig schwieri- hen Energiesparansprüchen sei die Herausforde- Daher Habeck: „Ich will ausdrücklich unterstrei-
ger.“ Der Grund: Sozialwohnungen kosten den rung einfach zu groß, so der Wohnungsforscher. chen, dass Klimaschutz nur einer der Aspekte im
Staat Geld. Die Miethöhe ist begrenzt, gestiegene Berechnungen der Experten zeigten außerdem, Bauen ist.“ Die soziale Frage mit genug und kos-
Grundstücks- und Baukosten können nicht ein- dass die größten Einsparungen an CO2 pro einge- tengünstigem Wohnraum zu beantworten, sei
fach an die Mietenden weitergegeben werden. setztem Euro mit niedrigeren Effizienzhausstufen mindestens ebenso wichtig. „Wir werden das so
Während es unter Kanzlerin Angela Merkel die erreicht werden, danach steigen die Kosten für je- auflösen, dass wir nicht alles über die KfW-Förde-
vergangenen zwölf Jahre durchaus salonfähig de zusätzlich zu sparende Tonne CO2-Äquivalent. rung bereitstellen, sondern verschiedene Aspekte
war, für günstige Mieten den Gebäudeenergie- Die Studienautoren plädieren daher für einen mit verschieden Töpfen bearbeiten.“
standard niedrig zu halten, sind Klimaschutz und mittleren Standard, also EH 115 und EH 70, „weil
Sozialwohnungen zwei Themen, die in der Am- auch mit dem kann ich Klimaneutralität errei- Leider war Bundesfinanzminister Christian Lin-
pelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen chen“, argumentiert Walberg. Allerdings wird bei der in Berlin nicht anwesend, so blieb die wie-
und FDP beide die höchste Priorität haben. Ent- diesem Ansatz am Ende mehr erneuerbare Ener- derholte Frage von Dietmar Bartsch (Die Linke),
sprechend appellierte Geywitz, den Klimaschutz gie für die Gebäude benötigt, weil sie auf den un- woher das Geld für zusätzliche Maßnahmen
und den Wohnungsbau künftig zusammen zu teren EH-Stufen auch etwas weniger effizient komme, unbeantwortet. Dabei bemühte er sich
denken. „Der Wunsch meines Hauses ist, dass wir sind. Diese zusätzliche Energie müsste künftig al- bei Rückfragen – wie schon Geywitz und Habeck
das nicht gegeneinander diskutieren, sondern in- so klimaneutral erzeugt werden, da- – der politischen Tretmine auszu-
telligente Lösungen schaffen und die beste Tech- mit die CO2-Rechnung aufgeht. Das wweichen, sich zwischen Klimazie-
nologie.“ Ziel sei es, mit möglichst wenig Geld könnte aber angesichts des lahmen- llen und Mietkosten entscheiden zu
möglichst viel CO2 einzusparen. den Ausbaus bei erneuerbaren Ener- mmüssen. Das Verbändebündnis der
gien schwierig werden. Ab 2025 soll WWohnungswirtschaft forderte indes
Auftritt der Wissenschaft: Eine Studie dazu, wo auch der Anteil erneuerbarer Wärme kklar, die Klimaneutralität bezahlbar
das Geld für Klimaschutz im Gebäudebereich am laut Koalitionsvertrag bei 65 % liegen. uumzusetzen und für die zusätzlich
meisten bewirkt, stellte Dietmar Walberg vor. Der ggeplanten Sozialwohnungen ent-
Wohnungsforscher vom Thinktank „Arbeitsge- An dieser Stelle kommt Bundeskli- ssprechend mehr Mittel bereitzu-
meinschaft für zeitgemäßes Bauen“ (Arge Kiel) maschutzminister Robert Habeck ins stellen sowie Investitionsbedin-
präsentierte Untersuchungsdaten, die zeigen, Spiel. Unter Klimaaspekten ist er mit gungen langfristig verlässlich zu
dass höhere Effizienzhausstandards (EH) zwar der Branche unzufrieden. „Die Maß- Dietmar Walberg von gestalten.
ein wenig mehr einsparen, dafür aber mit jeder nahmen im Bauen und Wohnen rei- der „Arbeitsgemein- Einig waren sich Wissenschaft,
Stufe viel teurer werden (s. Kasten). Mit den ho- chen nicht aus. Die Bau- und Wohn- schaft für zeitgemäßes Politik und Verbände zumindest da-
wirtschaft ist nicht so auf Zielfahrt, wie Bauen“ argumentiert rin, dass im Quartier Veränderun-
es sein sollte“, sagte er in Berlin. Dabei für Effizienzstandards, gen besser umsetzbar sind als im
habe die neue Regierung die Ziele für die pro Euro am meis- einzelnen Heizungskeller. Vorbild
Knifflige Lage für bezahlbaren Wohnungsbau CO2-Einsparung eins zu eins von der ten bringen. sind skandinavische Städte, die ver-
Vorgängerregierung übernommen: bis Foto: Verbändebündnis Wohnungsbau/
schiedene verfügbare Energiequel-
„ Einsparungen werden mit jeder Effizienzhaus-Stufe teurer, sagt Woh- Tobias Seifert
2030 die Emissionen in Deutschland len in einem System zusammenge-
nungsforscher Dietmar Walberg. Hierbei gilt: Je kleiner die Kennzahl
um 65 % senken, bis 2040 um 88 %. führt haben. „Es ist einfacher im
beim Effizienzhaus(EH) ist, desto geringer ist der Energiebedarf der
„Das wurde unterlegt mit Zielvereinbarungen für System etwas zu verändern, als jede Ölheizung
Immobilie. Als Vergleich dient ein Referenzgebäude, das den Vorga-
die Sektoren, die in der Gesamtheit erfüllt werden einzeln anzuschauen und die dann zu ersetzen“,
ben des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) entspricht. Im Geschoss-
müssen. Wer sagt, in einem Bereich, in einem sagte Habeck. Auch Walberg sah „jede Menge Po-
wohnungsbau müssten für EH 115 bis EH 70 um die 500 €/m2 inves-
Sektor sind wir langsamer, muss in gleicher Men- tenzial im Quartier, dort, wo über intelligente
tiert werden, beim Standard EH 55 oder EH 40 bis zu 1000 €/m2. „Bei
ge anderswo sagen, da können wir schneller Energieversorgung nachgedacht werden kann
Einfamilienhäusern können Sie noch einmal locker 500 €/m2 oben
sein“, argumentierte der Minister und verwies und muss“. Gemeinsam mit gewerblichen Eigen-
drauf legen. Dort müssten wir für einen EH-55- oder EH-40-Stan-
darauf, dass diese Debatte der Politik und Wirt- tümern könnten private Eigentümer Skaleneffek-
dard bis zu 1500 €/m2 investieren.“ Außerdem falle der theoretische
schaft noch bevorstehe. Die Überschreitungen im te erreichen, die ihnen allein verwehrt blieben.
Einspareffekt in der Praxis geringer aus als berechnet, so Walberg.
Bausektor lägen im Jahr 2020 voraussichtlich bei Auch der Zugang zu Ressourcen sei im Verbund
„ Mehr grüne Energie für ineffizientere Gebäude müsste aber zusätz- 12 Mio. t. CO2-Äquivalent. Sollte sich das nicht besser, „damit Sie auch in Zukunft noch den
lich erzeugt werden, was den Druck für den Energiesektor erhöhte. ändern, kündigte er baupolitische Maßnahmen Dachdecker finden, der überhaupt das Dach
an, etwa EH 55 zum neuen Standard beim Neu- deckt“, so der Forscher mit Blick auf die ausgelas-
„ Gestiegene Materialkosten, ausgelastete Betriebe und teure Grund- bau zu machen, perspektivisch sogar den noch teten Kapazitäten der Branche. Den Kommunen
stücke treiben Kosten für Wohnraum parallel weiter nach oben. strengeren EH 40. Doch in der Koalition müssen komme als Dreh- und Angelpunkt dabei eine
eben mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt werden. strategische Bedeutung zu.

Mit Biogas zum „grünen“
Schwerlastverkehr
Kraftstoffe: Der Einsatz von Gas und Batterie- oder Wasserstoffelektrik als
Antriebsenergie soll Treibhausgasemissionen des Lkw-Verkehrs spürbar senken.
Von Thomas Gaul
F
ast alle schweren Nutz-
fahrzeuge haben noch ei-
nen Verbrennungsmotor,
der mit Diesel angetrieben
wird. Dabei ist der Hand-
lungsdruck in puncto Klimaschutz
insbesondere für den Verkehrssek-
tor da: Lkw repräsentieren zwar nur
knapp 6 % aller Fahrzeuge auf deut-
schen Straßen, aber 30 % der ge-
samten Verkehrsemissionen und
damit knapp 6 % der gesamtdeut-
schen CO2-Emissionen. Batterie-
und Wasserstoffelektrik sind für Lkw
zumindest im Langstreckenverkehr
aber weiterhin Zukunftsmusik.
Technik und Wirtschaftlichkeit
sind noch nicht so weit. Die Batte-
rien wären zu groß und zu schwer.
Und die Brennstoffzellenmodelle
der schweren Lkw-Klasse für den
Langstreckenverkehr müssen erst
noch zur Marktreife entwickelt und
dann auch kostengünstig gebaut
werden.
EU-Programm „Fit for 55“ zeigt
Wirkung: Die erhöhte Nachfrage
nach erneuerbaren Kraftstoffen hat
das Marktumfeld bereits positiv be-
einflusst. Gekoppelt ist sie mit einer
Vielzahl neuer Gesetze, Vorgaben
und Förderprogramme der deut-
schen Bundesregierung für erneuer-
bare Kraftstoffe, emissionsarme
Fahrzeuge im Straßengüterverkehr
sowie die Mautbefreiung für Lkw,
die mit CNG (Compressed Natural
Gas) oder LNG (Liquefied Natural
Gas) angetrieben werden. Und es
gibt die CO2-Abgabe auf fossile
Energieträger. Diese Entwicklung
wird durch das von der EU-Kom-
mission vorgelegte Programm „Fit
for 55“ auf europäischer Ebene vo-
rangetrieben. Entscheidendes Ge-
wicht wird auch die Überarbeitung
der Energiebesteuerung haben:
Kraftstoffe und Antriebe werden
künftig nach Energiegehalt und
Umweltleistung (Emissionen von
Treibhausgasen (THG)) besteuert.
Die Anrechnung von fossilem Erd-
gas auf die Erfüllung der THG-Quo-
te wurde abgeschafft.
Zukunftsträchtig ist die Produktion
von LNG, das neben dem Schwer-
lastverkehr auch für Schiffe einge-
setzt werden kann. Dazu muss das
Biomethan von der Biogasanlage al-
lerdings verflüssigt werden, wozu
der Aufbau einer Infrastruktur mit
Verflüssigungsanlagen und Tank-
stellen gehört. Für Biogasanlagen ist
der Einstieg in die Kraftstoffproduk-
tion mit einem Wechsel des Sub-
strats zu mehr Wirtschaftsdünger
verbunden, weil nur so eine Anrech-
nung auf die THG-Minderungsquo-
te möglich ist.
Die Nachfrage nach Bio-LNG
kommt vor allem von Lebensmittel-
ketten, die ihre Transporte
CO2-neutral durchführen wollen.
Die Reichweite der Fernverkehr-
Lkw mit LNG liegt inzwischen bei
1600 km, sodass die üblichen
Routen kein Hindernis mehr dar-
stellen. Allerdings haben nicht alle
Hersteller Lkw für diesen Kraftstoff
in ihrem Programm, und viele Spe-
ditionen haben nur eine Lkw-Marke
in ihrem Fuhrpark.
25. Februar 2022 · Nr. 4 TECHNIK & WIRTSCHAFT
LNG – wenig Tankstellen, deutli-
ches Wachstum: „Derzeit sind 10 %
der neu zugelassenen Sattelzugma-
schinen in Deutschland mit einem
Gasmotor ausgerüstet. Wir sind
überrascht, dass der LNG-Antrieb
dabei deutlich überwiegt, obwohl es
aktuell nur 70 öffentliche LNG-
Tankstellen im Bundesgebiet gibt“,
so Claus Sauter, Vorstandsvorsitzen-
der der Verbio AG, eines Herstellers
und Anbieters von Biokraftstoffen.
„Mit dem Bau einer großtechni-
schen Verflüssigungsanlage für ca.
60 000 t/Jahr Bio-LNG am Standort
Zörbig (Sachsen-Anhalt, Anm. der
Redaktion) und der Errichtung von
bis zu 20 Verbio-eigenen LNG-Tank-
stellen wollen wir die Potenziale in
diesem Wachstumssegment nutzen.
Damit bilden wir perspektivisch bei
Bio-LNG die gesamte Wertschöp-
fungskette von der Rohstofferfas-
sung bis in den Lkw-Tank ab.“
Bundesweiter Gastransport per
LNG nötig: Mit dem Aufbau einer
vollständigen Lieferkette für
CO2-neutrales LNG auf Basis von
Biomethan und der geplanten Gas-
verflüssigungsanlage in der Rhein-
land-Raffinerie setzt auch Shell auf
die Dekarbonisierung des Straßen-
transports.
Es ist geplant, die Verflüssigungs-
anlage über das öffentliche Gasnetz
zu speisen, über das auch Biome-
than aus allen Teilen Deutschlands
transportiert wird, da es sich che-
misch und physikalisch nicht von
Erdgas unterscheidet. Mit der An-
wendung der Massenbilanzierung
muss das Biomethan nicht für sich
13
LNG-Tankanlage in Foto: picture alliance/dpa/Stefan Puchner
Baden-Württemberg,
2016. Durch den Ein- transportiert, gesammelt oder (ge-
satz von Flüssiggas, kühlt/verdichtet) gelagert werden.
kurz LNG, könnte In der Anlage wird es verflüssigt und
Schadstoffausstoß ver- von dort an LNG-Tankstellen in spe-
ringert werden. Bei ziellen Tankfahrzeugen ausgeliefert.
LNG auf Biogasbasis
sieht es auch bei den Joint Venture für Bio-LNG: In einem
CO2-Emissionen besser Gemeinschaftsunternehmen wollen
aus als beim Diesel. die Leipziger Balance Erneuerbare
Energien GmbH – eine 100 %ige
Tochter der VNG AG – und der nie-
dersächsische Biogasanlagen-Her-
steller EnviTec Biogas AG gemein-
sam LNG für den Nutz- und Schwer-
lastverkehr herstellen und vermark-
ten.
Die in Brandenburg, nahe Berlin,
geplante Bio-LNG-Verflüssigungs-
anlage soll neben der eigentlichen
Verflüssigung von Biomethan über
Lagertanks und eine Abfüllstation
für die Abholung mittels Tankwagen
verfügen.
Neben der Verwendung von selbst
erzeugtem Biomethan kauft das
Joint Venture ab sofort Biomethan
zu und bietet zusätzlich anderen
Biomethanproduzenten die Mög-
lichkeit der Verflüssigung von Bio-
methan als Dienstleistung an, so-
dass der Kunde die entstehenden
Produkte auch selbst vermarkten
kann.
14 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Der Mond, die
Oberstufe und
der Krater
Raumfahrt: Am 4. März wird eine
Raketenstufe auf dem Mond einschlagen.
Und dann? Die wichtigsten Fragen und
Antworten zum Weltraumschrott im
Erde-Mond-System.
Von Iestyn Hartbrich
W
enn sich der Staub
legt, hat der Mond
einen Krater mehr.
Einen ganz kleinen.
Am 4. März wird ein
von der Erde startendes Objekt vol-
ley auf der Rückseite einschlagen.
Was ist das für ein Objekt?
Wahrscheinlich handelt es sich um
die Oberstufe einer chinesischen
Chang‘e-Mission aus dem Jahr 2014.
Darauf deuten spektrografische
Analysen der Universität von Arizo-
na hin. Sicher ist das allerdings
nicht. Das Objekt ist auch schon für
ein SpaceX-Fabrikat gehalten wor-
den.
Wer hat das Objekt entdeckt?
Das war der unabhängige Astronom
Bill Gray, der weder für die Nasa
noch für eine andere Regierungs-
einrichtung arbeitet. Er betreibt
statt dessen die Website „Project
Pluto“ und stellt Profis und Laien
Astronomie-Software zur Verfü-
gung.
Wie kann es sein, dass einer wie
Bill Gray das Objekt entdeckt und
nicht die US-Regierung?
Die USA katalogisieren sämtlichen
Weltraumschrott oberhalb einer be-
stimmten Größe, der sich in den
Erdorbits bewegt. Das bedeutet: Sie
verfolgen die Objekte vom Boden
aus, Überflug für Überflug. Die da-
zugehörigen Bahnen sind annä-
hernd rund und vor allem regelmä-
ßig. Objekte wie die Chang‘e-Ober-
stufe hingegen landen niemals im
Katalog. Das liegt daran, dass Ob-
jekte, die im Erde-Mond-System un-
terwegs sind, der gravitativen Wir-
kung beider Himmelskörper ausge-
setzt sind. Ihre Bahnen sind vielfach
Weltraumschrott am
Mond und am Mars
„ Schätzungen zufolge sind
im Erde-Mond-System noch
mindestens ein Dutzend Ra-
ketenteile aus den Mond-
programmen der USA und
der Sowjetunion unterwegs.
„ Am Mars gibt es derzeit 13
unkontrollierte Teile.
25. Februar 2022 · Nr. 4
gekrümmt; sie wirken
chaotisch. Hinzu kommt
eine ausgeprägte Elliptik,
die die Objekte mal hinter
den Mond führt und dann ganz
nah an die Erde. Für ein Teleskop
haben die Objekte mehr Ähnlich-
keit mit Asteroiden als mit Satelliten
der Erde. Deshalb werden Oberstu-
fen aus den Mondprogrammen
häufig von Menschen gefunden, die
sich die Asteroidensuche zum
Hobby gemacht haben.
Was fliegt eigentlich alles herum
zwischen Erde und Mond?
Der geostationäre Orbit (GEO) ist
ein kreisförmiger Orbit 36 000 km
über dem Äquator, der so etwas wie
die äußere Grenze für normale Sa-
telliten markiert. Zwischen Erde
und Mond liegen annähernd
384 000 km und auch dieser Raum
ist nicht leer. Er enthält erstens die
Überbleibsel der Mondprogramme:
lateinische, kyrillische und chinesi-
sche Schriftzeichen zieren die ein
oder andere irrlichternde Raketen-
stufe.
Hinzu kommen zweitens Rake-
tenteile, die ihre Fracht noch weiter
draußen abgesetzt haben. Das
Zweikörpersystem aus Erde und
Sonne hat fünf sogenannte Lagran-
ge-Punkte mit der Eigenschaft, dass
sich Sonden und Teleskope, die ein-
mal dort angekommen sind, relativ
zur Achse Sonne-Erde nicht mehr
bewegen. Prominent ist der Lagran-
ge-Punkt 2 in 1,5 Mio. km Abstand
zur Erde, weil das James-Webb-Te-
leskop dort platziert wird. Von die-
sem Punkt aus befindet sich die
Sonne immer genau hinter der Erde:
Ein Hitzeschild genügt, um die Wär-
mestrahlung der Sonne und der Er-
de von den Messinstrumenten fern-
zuhalten.
Und was passiert mit den Raketen-
stufen?
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten“,
sagt Holger Krag, Leiter des Welt-
raumschrottbüros der europäi-
schen Weltraumagentur ESA. „Ent-
weder kommt das Objekt auf der Er-
de herunter, oder auf dem Mond.“
Gibt es keine Regeln für die Entsor-
gung?
Nein, jenseits des GEO gibt es keine
Entsorgungsregeln, nur einen Satz
60 Jahre alte Haftungsregeln. Der
Staat, der den Raketenstart verant-
wortet, haftet – unabhängig vom Or-
bit und auch unabhängig davon, ob
er fahrlässig gehandelt hat.
Wie ließe sich eine Mondoberstufe
überhaupt entsorgen?
Es gibt mehrere Möglichkeiten. Ide-
al wäre es, wenn die Objekte sich
Jedes Jahr treten mit ihrem restlichen Treibstoff in ei-
ne Erdumlaufbahn bringen, wo sie
laut ESA bis zu
200 t
vermessen werden können. Schritt
zwei der Idealprozedur wäre der
kontrollierte Absturz über dem Pa-
zifik. „Das ist sehr komplex, das
macht noch niemand so“, sagt Krag.
Weltraumschrott Für den kontrollierten Absturz muss
in die das Raumfahrzeug speziell ausge-
rüstet werden. Es braucht robuste
Erdatmosphäre und redundante Kommunikations-
kanäle, es braucht eine Treibstoffre-
ein. Mond- serve.
technik fällt Gibt es einen Plan B?
dabei kaum ins Variante zwei wäre der Absturz auf
dem Mond, so wie am 4. März. Für
Gewicht. Planeten wie den Mars gelten die
Planetary Protection requirements:
besondere Schutzregeln für den
Kontakt mit irdischer Materie. Für
den Mond gelten diese Regeln nicht;
diese Entsorgung wäre also sauber
und permanent. In Sonderfällen
können solche Mondcrashs sogar
wissenschaftlich spannend sein,
wenn nämlich die Staubwolken
spektroskopisch durchleuchtet wer-
den können.
Nur für Missionen zu den Lagran-
ge-Punkten gibt es noch eine weite-
re Option: die Entsorgung in einem
heliozentrischen Orbit. Die Ober-
stufen werden dann Satelliten der
Sonne.
Und Plan C?
Den gibt es nicht. Das Objekt würde
irgendwann die Erdatmosphäre er-
reichen. Je nach Größe würde es
dann teilweise verglühen und
Foto (M): Original image by Lick Observatory, ESA, Hubble / Montage G. Schmidt, VDIn / panthermedia.net/Lumumba
Ein Krater mehr:
Am 4. März schlägt
ein Raketenteil auf
dem Mond ein.
schließlich abstürzen. Hoffentlich
ins Meer.
Allerdings fallen die sporadischen
Flüge zum Mond gegenüber der
restlichen Raumfahrt kaum ins Ge-
wicht. Jedes Jahr treten laut Esa zwi-
schen 100 t und 200 t Weltraum-
schrott aus den niedrigen Erdorbits
unkontrolliert in die Erdatmosphäre
ein.
Das bedeutet, der Mond ist eine
reale Entsorgungsoption?
Ja, noch ist er das. Aber das bleibt
nicht so. „Wir fangen ja gerade erst
an, die Mondorbits und die Lang-
rangepunkte stärker zu nutzen …“,
sagt Holger Krag. Die Nasa startet
noch in diesem Jahr das Mondpro-
gramm Artemis, China fliegt regel-
mäßig zum Mond, es gibt transna-
tionale Pläne, eine bewohnbare Sta-
tion auf der Oberfläche zu bauen.
Krag rät deshalb dazu, Zonen für
kontrollierte Abstürze einzurichten,
sollte eine Entsorgung auf dem
Mond infrage kommen.
Gibt es auch am Mars ein Müllpro-
blem?
Ja, und das Problem ist weitaus
komplizierter. „Am Mond können
wir die Objekte immer noch mit Te-
leskopen entdecken. Auf dem Mars
geht das nicht: Wir verlieren kom-
plett die Übersicht“, warnt Krag.
Hinzu kommt: Auf dem Mars gelten
die Planetary Protection Require-
ments sehr wohl; Mikroorganismen
von der Erde dürfen nicht zur Ober-
fläche gelangen. Außerdem gibt es
zwei Monde, die relativ nah an der
Oberfläche umlaufen.
Noch gibt es nur 13 unkontrollier-
te Objekte am Mars. „Aber auch auf
der Erde haben wir mal klein ange-
fangen“, sagt Krag „Am Mars haben
wir noch die Chance, die Vermül-
lung zu verhindern.“

Krebstherapie europaweit verbessern
Gesundheit: Die Behandlung von Krebs darf weder an Grenzen noch an langwierigen Anträgen für eine Kostenübernahme
durch die Krankenkassen scheitern. Dies forderte das EU-Parlament vergangene Woche in einem Sonderausschuss.
D
Von Thomas A. Friedrich
er Zugang zu Krebstherapien und
Arzneimitteln bleibt vielen EU-Bür-
gern verwehrt. 2020 starben in der EU
1,3 Mio. Frauen und Männer an
Krebs, darunter 6000 Kinder und Ju-
gendliche. Die Intensivbehandlung von an Co-
vid-19 Erkrankten hat die Situation in den letzten
beiden Jahren weiter verschärft. Nach Schätzun-
gen der EU-Kommission gibt es derzeit 1 Mio.
nicht diagnostizierter Krebsfälle in der EU, ca.
100 Mio. Vorsorgeuntersuchungen zum Scree-
ning von Brustkrebs, Prostata oder kolorektales
Karzinom unterbleiben.
Wegen der Überbelastung der Gesundheitssys-
teme erhielt jeder fünfte Krebspatient die benö-
tigte chirurgische oder chemotherapeutische Be-
handlung nicht rechtzeitig. Nach der Veröffentli-
chung des europäischen Plans zur Krebsbekämp-
fung im November 2021 startete die Kommission
jetzt im Februar mit der Veranstaltung „Gleichen
Zugang für alle schaffen“ eine Reihe neuer Initia-
tiven. Dabei stehen geschlechtsspezifische Maß-
nahmen zur Bekämpfung von Krebs bei Frauen
im Mittelpunkt. Den europäischen Plan zur
Krebsbekämpfung versteht EU-Gesundheits-
kommissarin Stella Kyriakides als „politische
Kampfansage an den Krebs und weiteren Schritt
zur Verwirklichung der Europäischen Gesund-
heitsunion“. Von diesem hehren Ziel ist die Union
aus 27 Mitgliedstaaten jedoch weit entfernt.
Rund 40 % der Krebsfälle wären vermeidbar, so
der Befund des EU-Parlaments. Mit Vorsorge-
strategien könnte Krankheiten zielgerichtet vor-
gebeugt und Menschenleben gerettet wer-
den. Bisher scheiterte eine erfolgreiche Krebsbe-
kämpfung an geringen nationalen Kompetenzen
in der Gesundheitspolitik, mangelnder For-
schungskoordination und fehlenden grenzüber-
schreitenden, klinischen Studien. „Wenn wir jetzt
nicht entschlossen handeln, wird es bis 2035 rund
24 % mehr Krebsfälle geben, womit die Krankheit
zur häufigsten Todesursache in der EU avancie-
25. Februar 2022 · Nr. 4
ren könnte“, mahnte Kyriakides. Der europäische
Plan zur Krebsbekämpfung ist für den kommen-
den Siebenjahreszeitraum mit 4 Mrd. € ausgestat-
tet. Rund 1,25 Mrd. € stammen aus dem künfti-
gen Programm EU4Health.
Scheiterten Krebstherapien bisher oft an natio-
nalen Grenzen und mangelnder Verfügbarkeit
von Arzneimitteln, soll dies in Zukunft unbüro-
kratisch EU-weit organisiert werden. Das fordert
das EU-Parlament in dem mit großer Mehrheit
beschlossenen Abschlussbericht des Sonderaus-
schusses „Krebsbehandlungen in der EU“. Die
Abgeordneten zeigen sich alarmiert, dass es für
Kranke immer noch schwierig ist, Zugang zu Ge-
sundheitsdiensten zu erhalten und an klinischen
Studien in anderen EU-Staaten teilzunehmen.
Daher sollen der geltende EU-Rechtsrahmen re-
formiert und Kompetenzen der Mitgliedstaaten
bei der Vorsorge auf die EU übertragen werden.
Ziel der von der EU-Kommission proklamierten
EU-Gesundheitsunion sei mehr Mobilität und
der Zugang zu hoch spezialisierter Ausrüstung
und Versorgung über Ländergrenzen hinweg für
TECHNIK & WIRTSCHAFT
An Krebs starben
2020 in der EU rund
1,3 Mio. Menschen,
darunter 6000 Kinder
und Jugendliche.
Foto: panthermedia.net / vitanovski
15
alle EU-Bürger. Es könne lebenswichtig sein, ei-
nen Experten im Ausland zu konsultieren, wenn
etwa bei einer seltenen Krebsart im eigenen Land
kein Spezialist vorhanden sei. Im Parlamentsbe-
richt heißt es dazu: „Es sollte ein einheitliches Re-
gelwerk für die Genehmigung und Erstattung der
Gesundheitsversorgung über Grenzen hinweg ge-
ben. Das schließt auch das Recht auf eine Zweit-
meinung ein.“ Auch die multinationale Zusam-
menarbeit bei länderübergreifenden klinischen
Studien müsste wirksamer werden.
Was sich während der Coronakrise bei der Be-
schaffung von medizinischen Schutzeinrichtun-
gen und Vakzinen bewährt habe, müsse auch bei
der Krebsbekämpfung zum Maßstab werden. Um
Engpässen entgegenzuwirken und Krebsthera-
pien EU-weit zugänglicher und erschwinglicher
zu machen, soll es ein gemeinsames Arzneimit-
telbeschaffungsverfahren geben. Dies gelte ins-
besondere für seltene, pädiatrische und neuartige
Krebsmedikamente und -therapien. Außerdem
sollen die Lieferketten für Krebsmedikamente di-
versifiziert und strategische Vorräte an kritischen
Krebsmedikamenten angelegt werden.
Auch in der EU-weiten Forschung gibt es nach
Ansicht des gesundheitspolitischen Sprechers der
EVP-Fraktion im EU-Parlament, Peter Liese
(CDU), Handlungsbedarf: „Wir wollen grenzüber-
schreitende Forschung erleichtern und Forsche-
rinnen und Forschern den roten Teppich ausrol-
len und keine Steine in den Weg legen.“
Darüber hinaus fordern die Abgeordneten An-
reize zur Förderung der Entwicklung von Arznei-
mitteln für Kinderkrebs, so Liese, der selbst als
Arzt in einer Kinderklinik gearbeitet hat. Die fran-
zösische Berichterstatterin des Sonderausschus-
ses zur Krebsbekämpfung, Veronique Trillet-Le-
noir (RenewEurope), wertet den EU-Bericht als
Meilenstein. „Zwölf Jahre nach der letzten euro-
päischen Strategie zur Krebsbekämpfung ist die
jetzt vorgestellte Strategie von historischer Be-
deutung. Wir werden endlich in der Lage sein, ge-
meinsam die gesundheitlichen Ungleichheiten in
der EU wirksam zu bekämpfen.“
16 TECHNIK & WIRTSCHAFT
„ ROHSTOFFPREISE
Akute Knappheit bei Industriemetallen
Die bedeutendsten Industrie-
metalle wie Aluminium, Blei,
Kupfer, Nickel, Zink und Zinn
werden alle an der Londoner
Metallbörse (LME) gehandelt.
In den letzten Monaten und
Wochen erreichten Kupfer,
Zinn oder Zink dort sogar
neue Rekordstände. Alumini-
um notiert kurz unterhalb al-
ter historischer Höchststän-
de. Dies weist darauf hin, dass
die Nachfrage hoch und die
Marktdeckung, also die Diffe-
renz zwischen Angebot und
Nachfrage, negativ ist oder
sich in einem fragilen und
knappen Gleichgewicht be-
findet.
Ein anderer wichtiger Indi-
kator, der die aktuelle Situati-
on auf den Rohstoffmärkten
widerspiegelt, ist das Verhält-
nis zwischen den Preisen auf
dem Kassa- und dem Termin-
markt. Vereinfacht gesagt
werden beim Terminmarkt
die gehandelten Rohstoffe zu
einem späteren Termin gelie-
fert, beim Kassamarkt erfolgt
die Lieferung innerhalb weni-
ger Tage. Ein typischer Kon-
trakt für den Terminmarkt ist
der Dreimonatskontrakt. Un-
ter normalen Bedingungen
liegen die Preise des Dreimo-
natskontraktes über dem
Preis des Kassamarktes, da
beim Terminkontrakt noch
zusätzliche Kosten wie Zin-
sen, Lagerhaltung und Versi-
cherung dazukommen.
Liegen die Kassapreise über
denen des Termingeschäftes,
so spricht man von einer
Backwardation des Marktes.
Diese Situation kann durch
eine akute Knappheit ausge-
löst werden, wenn erwartet
wird, dass die Rohstoffe jetzt
dringender benötigt werden
als zu einem späteren Zeit-
punkt. Genau in dieser Back-
wardation befinden sich der-
zeit die Märkte aller sechs
LME-Industriemetalle. Das
ist zum ersten Mal seit 2007
der Fall. Käufer zahlen eine
Prämie für den Zugang zu den
Metallen vor dem Hinter-
grund sinkender Lagerbe-
stände, Verzögerungen in der
Lieferkette, Produktionspro-
blemen und einer steigenden
Nachfrage nach Industrieroh-
stoffen in allen Bereichen.
Dennis Bastian
Der Autor ist Experte für Indus-
triemetalle bei der Deutschen
Rohstoffagentur (DERA).
Die in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR)
ansässige Deutsche Rohstoffagentur (DERA) analysiert und bewertet
für die Leser der VDI nachrichten die Preise der Basismetalle. Die dar-
gestellten Rohstoffpreise sind indexiert. Ausgangpunkt ist das Preis-
niveau vom April 2017. Die DERA ist das rohstoffwirtschaftliche Kom-
petenzzentrum für die deutsche Wirtschaft. Die DERA berät deutsche
Unternehmen bei der nachhaltigen sowie sicheren Rohstoffversor-
gung und informiert über Preis- und Lieferrisiken auf den internatio-
nalen Rohstoffmärkten.
25. Februar 2022 · Nr. 4
Die Rusal-Aluminiumschmelze im russischen Bratsk könnte von westlichen Sanktionen betroffen sein,
falls die Ukrainekrise eskaliert. Hier entsteht 1,5 % der weltweiten Aluminiumproduktion.
Aluminiumpreis
schießt nach oben
Rohstoffe: Der Preis für Aluminium liegt jenseits von 3200 $/t.
Das Metall ist damit so teuer wie seit 13 Jahren nicht mehr.
Von Peter Odrich
D
er Aluminiumpreis entwickelt sich
sprunghaft nach oben und hat mitt-
lerweile das Niveau von vor 13 Jahren
erreicht. Ähnlich haben sich in die-
sem Jahr bisher nur wenige Industrie-
metalle – etwa Nickel – entwickelt. Dafür gibt es
zahlreiche Gründe. Der weltweite Aluminiumver-
brauch stieg 2021 nach dem Einbruch im ersten
Pandemiejahr steil. 2020 hatte es weltweit noch
einen Überschuss von 1,9 Mio. t gegeben, um die
der Verbrauch hinter der Produktion zurückblieb.
Im vergangenen Jahr aber überstieg der Ver-
brauch die Erzeugung um 1,2 Mio. t. Für 2022
zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Der-
zeit liegen weltweit in den Metalllagerhäusern
nur noch 1,5 Mio. t. Das ist bei einem erwarteten
Verbrauch von 66 Mio. t in diesem Jahr wenig.
Zu den Ursachen dafür, dass die Produktion
nicht mit dem Aluminiumverbrauch Schritt hält,
zählt besonders das Covid-Virus. Im Jahre 2020
hat es die Produktion aluminiumhaltiger Indus-
trieerzeugnisse stark gebremst. Im größten Pro-
duzentenland China können viele Aluminium-
produzenten ihre Kapazitäten gegenwärtig we-
gen der covid-bedingten Lockdowns noch immer
nicht ausfahren. Ein Auslaufen dieser Beschrän-
kungen ist aber noch nicht abzusehen, da Peking
in der Pandemiebekämpfung weiter rigoros ver-
fährt. Hinzu kommt die anhaltende Stromknapp-
heit in China, die die Produktion der Aluminium-
hütten zusätzlich stark behindert.
Aber auch andere Einflüsse tragen zur ange-
spannten Situation am Aluminiummarkt bei. Da-
zu gehören die massiven Spannungen zwischen
Russland und der Ukraine. Die Vereinigten Staa-
ten drohen mit einer Ausweitung der Sanktionen
gegen Russland, falls die militärische Auseinan-
dersetzung in der Ukraine weiter eskaliert. Dazu
dürfte auch die Sperrung der Grenzen für russi-
sches Aluminium gehören.
Der größte russische Produzent ist Rusal. Auf
diesen Konzern entfallen rund 13 % der Welta-
luminiumproduktion außerhalb der chinesi-
schen Grenzen. Vor einigen Jahren hatten die
Amerikaner schon einmal Sanktionen gegen Ru-
Foto: dpa Picture-Allaince/TASS/Alexander Ryumin94
sal verhängt. Die Folge war ein beträchtliches
Preischaos an den Aluminiummärkten.
Aber selbst das Marktgeschehen treibt derzeit
den Aluminiumpreis direkt nach oben. Mehr und
mehr industrielle Einkäufer, die sich auf längere
Sicht durchaus gut eingedeckt fühlten, bemühen
sich inzwischen darum, die Liefertermine für Alu-
minium vorzuziehen. Dies ist allerdings nur
durch Preiszugeständnisse möglich. In der Folge
werden gegenwärtig besonders hohe Prämien für
vorzeitige Aluminiumauslieferungen bezahlt, wie
gegenüber VDI nachrichten von zahlreichen Tra-
dern an der größten europäischen Metallbörse,
der London Metal Exchange (LME), bestätigt
wird.
An der LME hat der Aluminiumpreis in den we-
nigen Wochen seit Beginn dieses Jahres um
13 % zugelegt. Ganz überwiegend wird im Me-
tallhandel damit gerechnet, dass schon in abseh-
barer Zeit der bisherige Allzeitpreisrekord von
3380 $/t, der im Jahre 2008 aufgestellt worden
war, übertroffen werden dürfte. Die amerikani-
sche Investmentbank Goldman Sachs, die tradi-
tionell selbst stark am Metallhandel interessiert
ist, setzt noch für dieses Jahr auf einen neuen
Höchststand von 4000 $/t. Dabei spielt die Ener-
giepreisentwicklung eine ganz wesentliche Rolle.
Elektrische Energie ist nicht nur in China
knapp und entsprechend teuer. Das Gleiche gilt
auch für Europa. Im Februar 2022 stehen in
Europa rund 800 000 t Schmelzkapazität für Alu-
minium still, weil der Strom zu teuer oder nicht
verfügbar ist. Mitte Februar kündigte der bedeu-
tende norwegische Aluminiumproduzent Norsk
Hydro die Reduzierung der Nutzung seiner slo-
wakischen Anlagen (Slovalco) auf nur noch 60 %
an. Direkt in Verbindung mit der Stromknappheit
muss auch die CO2-Gebührenbelastung in die Er-
wartungen einbezogen werden. Die gesetzliche
Abgabe je ausgestoßener Tonne CO2 ist seit Jah-
resfrist deutlich nach oben gegangen, was die
Aluminiumproduzenten ganz erheblich belastet.
Aluminium ist nämlich das Industriemetall, das
mit dem relativ höchsten Energieaufwand produ-
ziert wird. Solange die Energiepreise steigen, so-
lange wird voraussichtlich auch der Aluminium-
preis in die Höhe gehen.

Birken entfernen Mikroplastik aus dem Boden
Umwelt: Böden sind viel stärker mit Mikroplastik belastet als die Weltmeere. Bäume könnten
helfen, die Umweltbelastung abzuwenden. Das fand jetzt ein Forschungsteam heraus.
Von Bettina Reckter
M
it Mikroplastik belas-
tete Böden könnten
mithilfe von Bäumen
saniert werden. Be-
sonders die Hänge-
birke eignet sich für diese Aufgabe,
denn sie nimmt während ihrer
Wachstumsphase Mikroplastik über
die Wurzeln auf. Das zeigten erst-
mals Forschende unter Leitung des
Leibniz-Instituts für Gewässeröko-
logie und Binnenfischerei (IGB).
Noch ist nur wenig darüber be-
kannt, wie feinste Polymerpartikel
überhaupt mit Landpflanzen intera-
gieren. Allerdings hatten Studien
kürzlich bereits gezeigt, dass Weizen
Mikroplastik aufnehmen kann. Nun
ging ein Forschungsteam des IGB
und des Geoforschungszentrums
Potsdam (GFZ) in einem interdis-
ziplinären Vorreiterprojekt des Ber-
liner Kunststudios Studio Austen ei-
nen Schritt weiter. Das Team konnte
zeigen, dass auch Bäume Mikro-
plastik aufnehmen und speichern.
Zur Sanierung kontaminierter Bö-
den wird die Hängebirke (Betula
pendula Roth.) ohnehin schon ein-
gesetzt. In ihrem Gewebe kann sie
Schwermetalle und sogar indus-
trielle Schadstoffe, wie etwa polya-
romatische Kohlenwasserstoffe,
speichern. Mikroben, die diese Bäu-
me besiedeln, bauen die Schadstof-
fe dann ab. Weil Hängebirken ein
flaches Wurzelwerk ausbilden und
sich so die Prozesse direkt unterhalb
der Bodenoberfläche beobachten
lassen, wählte das Team diese Bäu-
me für seine Forschungen aus.
Zunächst markierten die For-
schenden Plastikkügelchen von
5 μm bis 50 μm Größe mit einem
fluoreszierenden Farbstoff und ga-
ben sie in die Erde von eingetopften
Bäumen. Fünf Monate später unter-
suchten sie die Wurzelproben mit-
hilfe von Fluoreszenz- und konfoka-
ler Laser-Scanning-Mikroskopie.
Das Team fand fluoreszierendes
Mikroplastik in verschiedenen Ab-
schnitten und Schichten des Wur-
zelwerks. Dabei schwankte der pro-
zentuale Anteil der Wurzelabschnit-
te mit Mikroplastikpartikeln zwi-
schen 5 % und 17 %. „Die Aufnah-
merate von Mikroplastik und die
25. Februar 2022 · Nr. 4
Reinigungswirkung:
Birken können Schad-
stoffe aus Böden
entfernen. Das gilt
nach aktuellen Unter-
suchungen auch für
Mikroplastik. Foto: Kat Austen
TECHNIK & WIRTSCHAFT
Auswirkungen auf die kurz- und
langfristige Gesundheit der Bäume
müssen noch untersucht werden.
Aber diese Pilotstudie deutet darauf
hin, dass die Birke ein echtes Poten-
zial für langfristige Lösungen zur
Bodensanierung hat – einschließ-
lich der Verringerung der Menge an
Mikroplastik im Boden und mögli-
cherweise im Wasser“, sagt Kat Aus-
17
ten, die Hauptautorin der Studie. Sie
leitet das Studio Austen und ist am
IGB Projektkoordinatorin für das
bürgerwissenschaftliche Projekt
„Action“.
Hintergrund: Mehr als 400 Mio. t
Plastik werden jedes Jahr in der Welt
produziert. Etwa ein Drittel des als
Müll anfallenden Kunststoffs landet
später im Boden oder in den Gewäs-
sern. Meist zerfällt der Müll in Parti-
kel kleiner als 5 mm und gilt dann
als Mikroplastik. Sind die Stücke
kleiner als 0,1 μm, spricht man von
Nanopartikeln.
Auch wenn das Mikroplastik in
den Weltmeeren häufiger ein Thema
ist – die Verschmutzung an Land ist
wesentlich größer. Experten schät-
zen sie je nach Umgebung auf das
vier- bis 23-fache. Dennoch spielt
das Wasser für die Verbreitung von
Mikroplastik eine wichtige Rolle. So
werden Plastikpartikel aus syntheti-
schen Kleidungsfasern ausgewa-
schen und landen im Klärschlamm.
In Deutschland wird dieser großen-
teils verbrannt, in anderen Ländern
noch als Dünger auf Feldern ausge-
bracht.
18 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Neue Technologien
bringen neue
Bedrohungen
IT-Sicherheit: Cybercrime boomt. Leider.
Das Bundesinnenministerium möchte daher mehr
Schlagkraft für das Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik.
Von Uwe Sievers
K
riminelle konnten im
letzten Jahr laut einem
FBI-Bericht mit SIM-
Kartenbetrug, in Fach-
kreisen SIM-Frauds ge-
nannt, 68 Mio. $ erbeuten. Was
steckt dahinter? Beim SIM-Fraud
nutzt ein Hacker die Mobiltelefon-
nummer eines Nutzer oder einer
Nutzerin und übernimmt die On-
line-Identität des Opfers. Während
sich die meisten Menschen kaum
der Gefahr dieser Betrugsvariante
bewusst sein dürften, finden An-
greifer immer neue Wege, um an die
dafür benötigten Daten zu kom-
men. Haben sie Namen und Num-
mer des Anschlussteilnehmers, las-
sen sie sich in dessen Namen eine
neue SIM-Karte an eine falsche
Adresse zusenden. Es geht ihnen
um den Diebstahl sogenannter Cre-
dentials, der Zugangsdaten.
Denn zahlreiche Banken und On-
lineshops nutzen die SMS-basierte
Verifikation der Kunden. Darüber hi-
naus verwenden die meisten Unter-
nehmen für Mitarbeitende und Kun-
den eine Zwei-Faktor-Authentifizie-
rung (2FA), weil die Authentifizie-
rung nur mit einem Passwort als un-
sicher gilt. Doch noch immer bildet
die SMS dafür eine wesentliche Vari-
ante, obwohl diese längst als unsi-
cher eingestuft wird. Das nutzen An-
greifer aus: Haben sie die SIM-Karte,
können sie relativ leicht Passwörter
zurücksetzen, bei vielen großen On-
linehändlern einkaufen gehen oder
auf Bankkonten zugreifen. Das ist
SIM-Fraud, ein Beispiel für immer
neue Verbrechen im Cyberspace.
Doch das ist nicht alles, sagt Arne
Schönbohm, Präsident des Bundes-
amts für Sicherheit in der Informati-
onstechnik (BSI). „Wir sehen, wie
viel beruflich und privat inzwischen
im Digitalen geht, doch damit stei-
gen die Risiken“, betonte Schön-
bohm anlässlich der Eröffnung des
IT-Sicherheitskongresses. Er warnte,
dass Informationssicherheit „die
Voraussetzung einer nachhaltigen
Digitalisierung“ sei.
Zum 18. Mal veranstaltete das BSI
diesen Kongress, zum zweiten Mal
25. Februar 2022 · Nr. 4
Das Böse ist immer
und überall. Die
ausschließlich online, mit mehr als verwendeten Techni- ministerin Nancy Faeser in ihrer Er-
8000 Teilnehmenden. Die breite ken von Cyberangriffen öffnungsrede. Sie nutzte ihren Bei-
Themenpalette des Kongresses werden immer trag für die Ankündigung weiterer
zeigt, wie neue Technologien neue ausgefeilter, damit Veränderungen. „Wir wollen das BSI
Angriffsrisiken mitbringen, zum steigen auch die zu einer Zentralstelle für Cybersi-
Beispiel 5G. Eine Studie des BSI be- Gefahren für digitale cherheit im Bund-Länder-Verhält-
legt, dass die in 5G-Netzen einge- Strukturen. nis ausbauen“, kündigte sie an.
setzte O-RAN-Technologie Design- Das sei eine Voraussetzung für die
schwächen hat, die für Angriffe ge- Koordination und Unterstützung
nutzt werden können. Open Radio zwischen Bund und Ländern, da die
Access Network (O-RAN) ist als Vir- Zusammenarbeit bislang nur im
tualisierung für Mobilfunknetze ge- Einzelfall im Wege der Amtshilfe
dacht, um die bisherige Abhängig- möglich gewesen sei, so Faeser. Die
keit der Mobilfunknetzbetreiber von Zuständigkeit des Amts beschränkte
einzelnen Herstellern und ihren sich bisher auf die Behörden des
Produkten aufzuheben. Kongress- Bundes. Allerdings wurden in den
beiträge beschäftigten sich damit, vergangenen Jahren mit mehreren
wie 5G-Netze effizient abgesichert Landesregierungen Kooperations-
werden können. verträge geschlossen. „Die Cybersi-
cherheitsarchitektur nachhaltig zu
Quantencomputer knacken Ver- stärken und IT-Sicherheit zu ge-
schlüsselungen: Auch andere mit währleisten, das sind zentrale Ziele
neuen Technologien einhergehende der neuen Bundesregierung“, sagte
Sicherheitsprobleme bildeten grö- Faeser.
ßere Themenkomplexe, etwa Quan-
tencomputing. Viele der bisherigen Hersteller von Software sollen für
Verschlüsselungsverfahren können Schäden durch ihre Produkte haf-
von Quantencomputern in Windes- ten: Faeser plant weitere Maßnah-
eile ausgehebelt werden, daher sind men: „Wir werden dafür sorgen,
neue Verschlüsselungsalgorithmen dass Hersteller für Schäden haften,
notwendig. die fahrlässig durch Schwachstellen
Das BSI hat innerhalb von drei in ihren Produkten verursacht wer-
Jahren die Zahl seiner Mitarbeiten- den.“ Eine weitere Ankündigung be-
den verdoppelt und auch zusätzli- trifft Einschränkungen bei der Ana-
che Aufgaben erhalten. Ein Hinweis lyse von Software und der Suche
auf die Relevanz der Thematik, die nach Sicherheitslücken: „Wir wer-
auch von politischer Seite hervorge- den der IT-Sicherheitsforschung er-
hoben wird: „IT-Sicherheit ist ele- möglichen, Schwachstellen in ei-
mentarer Bestandteil der inneren nem verantwortungsvollen Verfah-
Sicherheit“, betonte Bundesinnen- ren legal identifizieren und melden
zu können.“ Dies verweist auf
Schwierigkeiten der aktuellen Ge-
setzeslage für Sicherheitsexperten.
Beispielsweise bei der von der CDU
für den Bundestagswahlkampf ver-
wendeten App. Eine Sicherheitsfor-
scherin des Chaos Computer Clubs
(CCC) hatte Schwachstellen ent-
deckt und der Partei gemeldet.
Doch anstatt sich dafür zu bedan-
ken, wurde die Forscherin von der
Partei verklagt.
Cyberangriffe auf das Stromnetz –
selbst private Solarpanels bergen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser möchte die Rolle des Gefahren: Fast zeitgleich zum BSI-
Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik zu einer Kongress fand mit der IT-Defense
Zentralstelle für Cybersicherheit im Bund-Länder-Verhältnis ein weiterer Security-Kongress statt,
ausbauen. Foto: imago images/Frank Ossenbrink der anders als fast alle derartigen
Foto: panthermedia.net/MarkoAliaksandr
Veranstaltungen ohne Sponsoren
und Werbevorträge auskommt. Si-
cherheitsspezialisten präsentierten
nach coronabedingter Pause in
Präsenz und mit strengem Hygie-
nekonzept unter anderem neue
Schwachstellen. So zeigte IT-Si-
cherheitsexpertin Paula Januszkie-
wicz während der hybriden Veran-
staltung, wie sich Windows-10-Sys-
teme hacken lassen. Das hatte sie
zuvor schon bei Windows 7 gezeigt
und wird sie wohl bald auch bei
Windows 11 demonstrieren kön-
nen. Sie setzt dabei nicht auf
Schadsoftware, sondern nutzt sys-
temimmanente Designschwächen
und bedient sich der Windows-ei-
genen Bordmittel.
Daneben präsentierten Fachleu-
te, wie Angriffe auf 5G-Netze ausse-
hen können und welche Gefahren
von Solargeneratoren ausgehen
können. Stephan Gerling, Sicher-
heitsforscher bei Kaspersky, zeigte
Schwachstellen dieser bei vielen
Hausbesitzern vorhandenen Gerä-
te. Dezentrale Energieanlagen, wie
Solarpanels, sind zwar isoliert be-
trachtet noch keine gravierende
Gefahrenquelle. Ein koordinierter
Angriff auf Hunderte oder Tausen-
de solcher Systeme könnte jedoch
das gesamte Stromnetz in Schiefla-
ge bringen, wie Gerling eindrucks-
voll darlegte.
Digitale Kongresse werden immer
besser: Beide Veranstaltungen war-
teten mit innovativen Techniken di-
gitaler Kongresse auf, wobei das BSI
Maßstäbe setzte. In einem virtuel-
len Raum konnten sich Teilnehmer
und Teilnehmerinnen wie bei einer
Präsenzveranstaltung bewegen, an
Messeständen Informationen abru-
fen oder mit den Vortragenden in
Kontakt treten.
Aber auch für die IT-Defense wur-
de nicht am Einsatz technischer
Mittel gespart: Per Videokonferenz-
tool konnten Onlineteilnehmerin-
nen und -teilnehmer aktiv werden,
in einen Dialog eintreten oder auf
der Bühnenleinwand eingeblendet
werden, wenn sie Fragen stellen
wollten, während schwenkbare Ka-
meras die Zuschauerresonanz ein-
fingen.
 25. Februar 2022 · Nr. 4
Spielesoftware hilft
Parkinson-Patienten
E-Health: Anhand aufgezeichneter Bewegungsmuster von
Parkinson-Patienten hilft eine Software der Motognosis GmbH
in Berlin das Fortschreiten der Erkrankung zu erfassen.
Von Bettina Reckter
B
estimmte neurologische Erkrankungen sind
nicht heilbar. Parkinson und Multiple Sklerose
(MS) gehören dazu. Wenn aber ihr Verlauf gut er-
fasst ist, lassen sich immerhin die Therapie und
damit die Lebensumstände der Betroffenen ver-
bessern. Das Berliner Unternehmen Motognosis will dazu
beitragen. Basis ihrer Entwicklung ist eine Technologie zur
Bewegungsanalyse, wie sie die Spieleindustrie zur Steuerung
von Videospielkonsolen nutzt.
Angefangen hatte alles mit der Bachelorarbeit von Karen Ot-
te. Sie untersuchte, inwieweit die Trackingtechnologie Kinect
von Microsoft auch im medizinischen Kontext von Nutzen sein
könnte, und bestätigte die Machbarkeit in
einem Projekt der neuroimmunologischen
Arbeitsgruppe von Friedemann Paul an
der Berliner Charité mit dem Berliner Unter-
nehmen Meedical. „Es war ein Versuchsbal-
lon“, erinnert sich die Medizininformatikerin.
„Wir wollten ausprobieren, ob man die motorischen
Symptome, die viele neurologische Erkrankungen mit
sich bringen und Rückschlüsse auf das Fortschreiten der
Krankheit zulassen, mithilfe der Technik erfassen kann.“
Bis dahin erfolgte die Verlaufskontrolle bei Parkinson-Pa-
tienten lediglich bei Arztterminen vor Ort, meist als subjek-
tive Einschätzung oder mit einer Stoppuhr. Wie lange benö- Zum Gründungsteam gehört ne-
tigen die Erkrankten, um ein paar Schritte über den Gang zu ben Karen Otte und Sebastian Man-
machen? Wie lange brauchen sie zum Aufstehen und Hinset- sow-Model auch Alexander Brandt
zen? Wenn es gelänge, solche Tests zu automatisieren, könn- (nicht im Bild). Foto: Motognosis
te das die Medizin wesentlich voranbringen.
Ausgestattet mit einer kostengünstigen 3D-Kamera und einem Benutzer-
interface mit entsprechender Software begann Otte mit der Arbeit – zunächst
an gesunden Probanden. Per Video erhielten diese Bewegungsanleitungen,
erfasst wurden dann Ganggeschwindigkeit, Schrittlänge und Armbewegun-
gen. Die Daten wurden lokal gespeichert bzw. verschlüsselt über VPN-Lei-
tung ans Forschungsinstitut geschickt.
Die Versuche waren vielversprechend, die Ergebnisse viel besser auszuwerten
als bei den Routinemessungen mit der Stoppuhr. So entstand quasi die Idee
für Amsa, das erste Medizinprodukt am Markt, das motorische Symptome in
diagnostischer Qualität zu Hause erfasst. Das Potenzial in dieser Technolo-
gie erkannten auch andere, Fördermittel und Gelder für die Auftragsfor-
schung von Industriepartnern standen bereit. Logische Konsequenz: eine
eigene Firma, gegründet von den drei Protagonisten – Karen Otte, die junge
Forscherin, Alexander Brandt, Neurowissenschaftler und MS-Spezialist an
der Charité, sowie Sebastian Mansow-Model, Mitgründer von Meedical. Es
war der Startschuss für die Motognosis GmbH, der im Jahr 2014 fiel.
„Aufstehen, drei Meter gehen, umdrehen, weiter-
laufen – mit den richtigen Algorith-
men lässt sich die Ganzkörperdy-
Motognosis GmbH namik der Erkrankten über solch ei-
„ Branche: Digit nen Versuch sehr gut erfassen“, erzählt
al Health
Mansow-Model. Zwar erreichten die Tests
„ Gründung: 20
14 nicht die Exaktheit, wie sie die großen Gang-
„ Produkt: digit labore erzielen, in denen Marker und Senso-
ale Ganz-
körperbewegungsa ren am ganzen Körper angebracht und vermes-
nalyse sen werden. „Aber unser System war gut genug
bei neurologische
n Er-
krankungen und sehr nah dran an der Genauigkeit von mar-
kerbasierten Systemen“, meint er. So nah, dass es
„ Mitarbeitende
: 12 in der klinischen Routine interessant ist. „Schon in
„ Umsatz: k. A. den ersten Pilotstudien zeigte sich, dass wir validier-
te und nachvollziehbare Messwerte erzeugen – ganz
ohne Wearables und teure Labore.“
Es folgten Patientenstudien an der Charité, unter-
stützt u. a. durch das Pharmaunternehmen Novartis,
AUS DEN UNTERNEHMEN 19
Mit einer 3D-Kamera zeichnet das Produkt Amsa die Bewe-
gungsmuster von an Parkinson und Multiple Sklerose (MS)
Erkrankten im häuslichen Umfeld auf und liefert so exakte
Daten für eine individuelle Therapie. Foto: Motognosis
das Medikamente gegen neurologische Erkrankungen entwickelt.
Nicht nur die Forschung, auch niedergelassene Ärztinnen und Ärz-
te waren begeistert von der Technologie. „Gerade bei Parkinson
gibt es eine solch starke Fluktuation der Symptome, dass wir mit
unserer Entwicklung bei der Routineversorgung offene Türen ein-
gerannt haben“, erzählt der Motognosis-Geschäftsführer.
Die nächsten Schritte, dafür wurden Business Angels mit an
Bord genommen, waren die Produktentwicklung und der not-
wendige Zertifizierungsprozess als Medizinprodukt. 2020 dann der
Start eines Pilotprojekts zur Betreuung von Parkinson-Patienten in ihrem
eigenen Zuhause. Die Datenauswertung bezieht sich auf klinisch etablier-
te Messwerte wie Ganggeschwindigkeit, Schrittlänge oder Körper-
schwankungen, je nach Setting wird ein PDF-Bericht h erstellt von der
einzelnen Messung oder aber Verlaufsreports. Ergänzendnz können die
Betroffenen über einen Fragebogen n sowie als Video-
nachricht eine Eigeneinschätzung abgeben.
bg Der Vorteil:
Die Auswertung lässt sich problemlos lo automatisieren,
eine Beurteilung des Symptomverlaufs u wird maschinell
generiert, was den Aufwand insgesamtt minimiert.
m
Eine weitere At-home-Studie mit MS-Patienten
M soll im
April starten. „Aktuell sammeln wir die Daten,
D die für eine Er-
stattung bei den Krankenkassen nötig sind,
n damit wir in eine
in
breite Routineversorgung einsteigen können“,
nn sagt Mitgrün-
derin Karen Otte. Den Standardpaketpreiss kalkuliert Mansow-
Model derzeit mit monatlich 105 € für den Betrieb
B des Systems.
Und wie sieht die Zukunft aus? Otte und ihr
ih Team haben be-
reits Ideen: „Wenn unser System auch auf uf Smartphones
und Tablets läuft, kann es mobil eingesetzt wer-
w
den.“ Dafür tüfteln sie gerade an Lösungen,
die den Datenschutz umfänglich ge-
währleisten. Ein mobiles System böte sich auch für
die Bewegungsanalyse von Neugeborenen an.
Per Handykamera aufgezeichnet, könnten
Hebammen und Kinderärzte anhand
spezifischer Bewegungsmuster beur- Berlin
teilen, wie sich die Babys entwickeln.
Gemeinsam mit der Uniklinik
Foto [M]: panthermedia.net/Andreas Weber/VDIn
Schleswig-Holstein in Lübeck und
anderen Partnern prüfen die Fachleu-
te von Motognosis zurzeit, inwieweit
sich diese Analyse automatisieren lässt.
Ist die neurologische Entwicklung der
Kinder normal oder besteht das Risiko
einer Zerebralparese? Diese führt zu
spastischen Störungen des Nerven- und
Muskelsystems, wird aber üblicherweise
erst bei Kindern im Alter von vier bis fünf Jah-
ren zuverlässig diagnostiziert. Eine automatische
Erfassung im Rahmen der U-Untersuchungen und
damit eine Früherkennung wäre hier hilfreich.
„Die Hauptmessreihe startet jetzt“, sagt Otte, „in
knapp zwei Jahren hoffen wir, einen leistungsfähigen Pro-
totyp vorstellen zu können.“ Dessen Zertifizierung wird
allerdings nochmal Zeit in Anspruch nehmen, sagt die In-
formatikerin, die neben der Forschung und ihrer Promo-
tion am Experimental and Clinical Research Center der
Charité auch den Prozess der Medizinproduktzer-
tifizierung für Motognosis durchgeführt hat.
Was folgen könnte, hat Mitgründer Mansow-
Model bereits auf dem Schirm: entsprechen-
de Systeme für die Orthopädie, für Schlagan-
fallpatienten oder für solche mit seltenen Er-
krankungen. „Es gibt ein sehr breites Spektrum
mit drastisch unterdiagnostizierten Patienten-
gruppen, denen wir hoffen helfen zu können.“
20 FOKUS: LANDTECHNIK DER ZUKUNFT 25. Februar 2022 · Nr. 4

Von Tobias Meyer

M Technische Früchte
an kann bereits heute
den Weizen der über-
nächsten Ernte zu ei-
nem Preis verkaufen,
der 30 % über dem
Schnitt der letzten fünf Jahre liegt“,
sagt Hubertus Paetow, Präsident der
Deutschen Landwirtschaftsgesell-
schaft (DLG). Das ermöglicht Inves-
titionen, weshalb die Landtechnik-
des Einfallsreichtums
branche boomt. Auch die Pandemie Landmaschinen: Agrartechnik boomt. Beinahe ausgeschöpfte
drückte die rege Nachfrage kein Optimierungspotenziale derzeitiger Maschinen führen nun zu ganz neuen Ideen.
bisschen. Mit Chipkrise, steigenden
Rohstoffpreisen und Lieferengpäs-
sen kämpfen die Hersteller zwar
auch hier, generell aber ist die Stim-
mung gut. „Zudem agieren selbst H2-Agrar-Projekt
die kleineren, mittelständischen
Hersteller aus Deutschland inzwi- Wirtschaften mit Wasserstoff
schen auf dem Weltmarkt, es gibt
Bisher kommt die Energie für Landmaschinen vorwiegend
meines Wissens nach keinen mehr
von Dieselmotoren. Batterieelektrische Konzepte sind nur
mit unter 50 % Exportanteil“, sagt
vereinzelt bei kleinen Maschinen zu finden. Deshalb rückt
Paetow.
im Rahmen der Klimaschutzdiskussion die Wasserstofftech-
Trotzdem darf sich die Branche
nik als Energiequelle in den Fokus. Mit dem H2-Agrar-Projekt
nicht ausruhen: Eine schon länger
sollen nun die Potenziale und Perspektiven der Wasserstoff-
bekannte Herausforderung sind die
nutzung in der Landwirtschaft ausgelotet werden. Im Mit-
immer weiter steigenden Betriebs-
telpunkt stehen Lösungen für eine dezentrale Wasserstoff-
mittelpreise, etwa bei Kunstdünger,
produktion und -nutzung in der Landwirtschaft und die Fra-
Pflanzenschutzmitteln und Diesel.
ge, wie diese wirtschaftlich erfolgreich umgesetzt werden
Daher sind die Hersteller natürlich
können. Dabei werden im Gesamtsystem auch die Wasser-
bestrebt, hier technische Lösungen
stoffversorgung und die Sektorkopplung betrachtet. Aus-
anzubieten, die mit weniger Auf-
gangspunkt sind wasserstoffbetriebene Traktoren, mit de-
wand zu gleichen oder sogar besse-
nen alternative Mobilitätslösungen demonstriert und er-
ren Ergebnissen kommen.
probt werden sollen. Landmaschinenhersteller AGCO Fendt
„Da die Agrartechnik aber tech-
wurde dafür mit seinen Partnern gerade als einer der „DLG-
nologisch bereits sehr gut entwi-
Agrifuture Concept Winner 2022“ ausgezeichnet. ciu Foto: PantherMedia / jroballo
ckelt ist, kann künftig nicht mehr
mit so großen Verbesserungspoten-
zialen wie früher gerechnet wer-
den“, sagt Markus Demmel, Vorsit-
zender der Max-Eyth-Gesellschaft
Agrartechnik im VDI. Ein neuer
Traktor ist an der Zapfsäule natür-
lich sparsamer als betagte Modelle, Common Coverage Map
er kann sich aber niemals rein über
die Dieselersparnis amortisieren. Foto: AMAZONEN-WERKE Kabelloser Datentransfer
Ähnlich verhält es sich bei Feldsprit-
zen und Düngerstreuern. Oft arbeiten auf Feldern Maschinen unterschiedlicher
Hersteller zusammen. Eine direkte Kommunikation per
Anstelle der einzelnen Maschine Funk war dabei bisher kaum möglich. Daten werden
betrachten die Entwickler daher stattdessen teilweise per USB-Stick ausgetauscht. Damit
immer öfter das komplette Arbeits- sich Maschinen nun direkt herstellerübergreifend ver-
verfahren. Als Beispiel nennt Dem- ständigen können, entwickelte der Verein „AEF – Agricul-
mel die Einarbeitung von Stroh: Ziel tural Industry Electronics Foundation“ die „Common Co-
sei dabei eine möglichst gleichmä- verage Map“. Sie ist eine Erweiterung der Section-Con-
ßige Verteilung der Biomasse im Bo- trol-Funktionalität, die es im ISOBUS – dem Standard-
den. Früher verbesserten dafür al- bussystem der Landtechnik – bereits für den Betrieb von
leine die Hersteller von Grubber Mehrmaschinenlösung in gemischten Flotten gibt. Mit-
und Co. ihre Geräte. Eigentlich sei hilfe der neuen Lösung können die Maschinen Führungs-
aber bereits der Mähdrescher an linien und Feldgrenzen untereinander austauschen und
dem Prozess beteiligt: Wird dort das Controlled Row Farming ihre Tätigkeiten miteinander koordinieren. In einem
Stroh durch den Häcksler möglichst Feldtest am Bildungszentrum DEULA Westfalen-Lippe
idealverteilt, fällt die Einarbeitung Reihenweise Dünger sparen GmbH wurde die drahtlose Kommunikation per WLAN
in den Boden sehr viel leichter und (802.11p) im Frühjahr 2021 demonstriert. ciu
Der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln wird von
der Vorgang wird insgesamt effi-
Verbrauchern zunehmend kritisch betrachtet. Eine Ertragsop-
zienter. „Das Beispiel ist technisch
timierung trotz geringeren Einsatzes solcher Stoffe ist Ziel des
bereits in der Praxis angekommen,
„Controlled Row Farming“. Bei dem neuen Ackerbauverfahren
künftig soll aber in viel mehr Berei-
erfolgt jede pflanzenbauliche Maßnahme im Bezug zu einer
chen der Agrartechnik auf diese Art
festen Reihe. Durch den Anbau aller Kulturpflanzen in einem
über den maschinellen Tellerrand
festen und einheitlichen Reihenabstand von 50 cm können
geblickt werden“, sagt Demmel.
laut Amazonenwerke H. Dreyer Erträge optimiert und Be-
Neben den immer raffinierteren
triebsmittel effizienter eingesetzt werden. Mit einem Reihen-
Optimierungen warten viele Bran-
versatz von 25 cm könnten zudem positive Fruchtfolgeeffekte
chenkenner auch schon auf den
erreicht werden. Zusammen mit seiner Tochterfirma Schmot-
nächsten disruptiven Einschlag,
zer Hacktechnik und der Agravis Raiffeisen AG erprobt der
vergleichbar mit dem Traktor, als
Landtechnikhersteller entsprechende Verfahren auf einem
dieser Pferd und Ochse verdrängte.
Testfeld. Als Nebeneffekt sehen die Unternehmen eine höhe-
Die niedersächsische Firma Kalver-
re Biodiversität durch die Aussaat von Begleitpflanzen. Gleich- Foto: AEF e.V.
kamp hat mit ihrem Nexat-System
zeitig könne dadurch die Wasserverdunstung und damit die
bereits Anlauf genommen (siehe
Bodenerosion reduziert werden. ciu
Seite 24): ein Brückenrahmenfahr-
zeug, das von der Saat bis zur Ernte
sämtliche Tätigkeiten übernimmt.
„Das Gantry-Konzept an sich ist
nicht neu. Nun aber standen Tech-
nologien bereit, die erstmals für den
 25. Februar 2022 · Nr. 4 FOKUS: LANDTECHNIK DER ZUKUNFT 21

Durchbruch sorgen könnten. Den-

noch wird es mittelfristig erst ein-
mal eine Nischenmaschine bleiben,
aber sicherlich bereits jetzt viele Im-
pulse in die Branche schicken“, sagt
Demmel. Jetzt sind auch Anbauge-
rätehersteller gefragt, Module mit
passenden Koppelpunkten für das
neue System zu entwickeln.
Dabei wird deutlich, wie wichtig
es ist, dass sich alle an einem Pro-
zess Beteiligten zusammensetzen,
gemeinsam Lösungen erarbeiten –
und nicht nur jeder seine Nische
Foto: Bayer AG
bestmöglich bedient. Nach Dem-
mels Ansicht ist es nämlich nur
Integriertes Drift-Management scheinbar ein Vorteil, als Fullliner
alle Sparten unter einem Dach zu
Automatisiertes Obstpflücksystem
Zielgenauer Pflanzenschutz haben, da die Kommunikation samt

Wind hat bisher einen gezielten Pflanzenschutz erschwert. Das

soll sich durch das integrierte Drift-Management-Konzept der
Crop Science Division der Bayer AG nun ändern. Dafür werden
von dem System zusätzliche Informationen zur Abdriftneigung
und eventuell einzuhaltende Pufferzonen und Abstandsregelun-
gen auf den Etiketten von Pflanzenschutzmitteln erfasst. In der
Praxis werden die Informationen beim Einfüllen des Pflanzen-
schutzmittels in die Spritze dann in eine Anwendungskarte
übertragen. Auf dem Feld liefern Sensoren dann in Echtzeit
Informationen zu Windrichtung und -geschwindigkeit. Dement-
sprechend werden automatisch Driftreduzierungsdüsen zuge-
schaltet, die dafür sorgen, dass Pufferzonen und Abstandsrege-
lungen eingehalten werden.
Drohne wird Erntehelfer Blick aufs große Ganze in Konzer-
nen durchaus komplex ist. Externe
Die Obsternte ist meist noch Handarbeit. Dabei wer- Kooperationen mit kleineren Her-
den jedes Jahr weltweit über 800 Mio. t Obst produ- stellern seien da meist nicht sehr
ziert. Das könnten teilweise bald Drohnen überneh- viel schwieriger zu organisieren.
men. Dafür sorgt neben der Digitalisierung nun ein
Greifarm. Der israelische Hersteller Tevel hat damit Eine stark wirtschaftlich geprägte
zusammen mit dem japanischen Unternehmen Ku- Agrarpolitik hat zudem lange Zeit
bota ein automatisiertes Obsterntesystem aufge- vor allem Anreize geschaffen, die
baut. Die Ernte übernehmen dabei mehrere Droh- Ökologiefragen zu vernachlässigen.
nen, die per Kabel mit einem Begleitfahrzeug ver- Viele Landwirte gingen schlicht mit
bunden sind. Das Fahrzeug liefert Strom und dient den Produkten und Verfahren auf
als Zentrale für den Datenaustausch. In einer Com- die Felder, die sie von Amt und Lob-
ciu puterdarstellung ist zu erkennen, dass das Obst in by empfohlen bekamen. „Heute
Kisten abgelegt und von Traktoren abgeholt wird. sind wir etwas selbstbewusster und
Prinzipiell soll mit dem Arm auch die Pflege der arbeiten so, wie es uns die markt-
Pflanze möglich sein. Das Konzept erhielt den Zu- wirtschaftlichen Rahmenbedingun-
kunftspreis Agrartechnik 2022 der DLG. ciu gen nahelegen“, sagt DLG-Präsident
Paetow. „Entsprechend des allge-
meinen Trends möchten daher auch
die Landwirte umweltbewusster
agieren, was aber nicht unbedingt
gleich Bio bedeuten muss.“
Das merken auch die Hersteller:
Mechanische Unkrautbekämpfung
– also Hacken statt Spritzen – hat
Hochkonjunktur. Daher kaufen gro-
ße Hersteller wie die Amazonen-
Werke H. Dreyer heute fast verges-
sene Unternehmen wie den Hack-
spezialisten Schmotzer. Die Firma
Lemken geht noch einen Schritt
weiter: Sie sicherte sich 2018 mit
dem 50-Mann-Unternehmen Steke-
Foto: Tevel Aerobotics Technologies tee ebenfalls einen entsprechend
ausgerichteten Hersteller – und
stellte zwei Jahre später die Produk-
tion von klassischen Pflanzen-
schutzspritzen komplett ein.

Wie die neue Bundesregierung

samt grün geführten Umwelt- und
Landwirtschaftsministerien die
Spot Farming künftigen innovativen Technologien
hinsichtlich Nachhaltigkeit bewer-
Kulturpflanzen und Standort im Kontext betrachten tet und fördert ist für DLG-Präsident
Paetow dabei von besonderem Inte-
Der Pflanzenbau, wie er aktuell betrieben wird, ist ge- resse: „Die Politik strebt größtenteils
prägt von Zielkonflikten. Maschineneinsatz versus Bo- eine Änderung des Verbraucherver-
denschutz, Pflanzenschutz- und Düngung versus Arten- haltens an, worauf sich Markt und
vielfalt, das sind zwei Beispiele. Das Konzept „Spot Far- Landwirt einstellen werden – das
ming“ setzt deshalb die Pflanze in den Kontext mit dem gab es ja schon immer. Und wenn
Feld und der umgebenden Landschaft. Als ganzheitli- wir künftig nicht mehr spritzen dür-
ches Pflanzenbausystem soll es den Landwirten die Be- fen, dann hacken wir eben – und die
obachtung der Zusammenhänge erleichtern. Digitali- Hersteller liefern das nötige Equip-
sierte Prozesse sollen dabei helfen, optimale Nutzpflan- ment.“
zen für die jeweiligen Standortbedingungen auszuwäh- Neue Vorschriften und Verfahren
len, die räumlichen und zeitlichen Managementprakti- bedeuten nämlich oft auch neues
ken zu verbessern, die Effizienz von Agrochemikalien zu Gerät – der Boom in der Landtech-
erhöhen und funktionale Strukturen in der Agrarland- nik wird also auch durch einen
schaft zu stärken. Das Konzept ist eine Gemeinschafts- eventuell härteren Kurswechsel in
entwicklung von TU Braunschweig, Johann-Heinrich- der Agrarpolitik kaum gebremst
von-Thünen-Institut und Julius-Kühn-Institut. ciu Foto: TU Braunschweig/Thünen-Institut/Julius Kühn-Institut / anko_ter – Fotolia.com
werden. Und dass die Landwirt-
schaft in Deutschland irgendwann
Foto: PantherMedia / iLixe48

komplett brachliegt, werden die

Bauern zu verhindern wissen, da sie
indirekt auch den immer stärker auf
regionale Produkte fokussierten
Verbraucher hinter sich haben.
22 FOKUS: LANDTECHNIK DER ZUKUNFT
Wichtiger als
Roboter sind Daten
Agrartechnik: Landwirte bekommen zunehmend digitale Hilfe.
Für den Durchbruch braucht es aber eine standardisierte Datenbasis.
Von Tobias Meyer
L
andwirtschaft ist ein traditionelles Ge-
schäft. Dennoch wird auch auf dem Feld
und in den Ställen zunehmend digitali-
siert. App-Start-ups und Roboter kom-
men aus der Nische. Da sich das begriff-
liche Anhängsel „4.0“ in der Industrie als Syno-
nym für Zukunftstechnologie etabliert hat, ist es
nicht verwunderlich, dass auch andere Branchen
damit hantieren, wenn es um die innovative Neu-
ausrichtung geht. Aktuell hört man daher des öf-
teren von Landwirtschaft 4.0.
„Der Begriff ist hier aber nicht fest definiert,
sondern eher ein Sammelbegriff für die Agrarwelt
der Zukunft, von Digitalisierung und Vernetzung
bis hin zu Urban- und Vertical-Farming“, erklärte
Martin Kraft vom Braunschweiger Thünen-Insti-
tut kürzlich auf dem VDI-Expertenforum zu
Industrie-4.0-Technologien in der Landwirt-
schaft. Zudem reiche es nicht, die Industrieansät-
ze samt entsprechender Technik auf die Bauern
und ihre Felder anzuwenden, denn dort herr-
schen ganz andere Bedingungen. „Ein digitaler
Zwilling für die Landwirtschaft benötigt Modelle
von Pflanzen und Tieren. Das ist aber nicht ein-
fach, da das selbstregulierende Systeme sind.
Auch ohne Einwirkung von außen verändern sie
sich, wachsen und entwickeln sich weiter. In In-
dustrie-4.0-Modellen ist das nicht so“, sagte
Kraft. Daher könnten hier auch keine Ziele wie et-
wa die viel beschworene Losgröße 1 angestrebt
werden. Dafür seien die Prozesse viel zu langwie-
rig. Getreidefelder könnten nicht spontan auf
neue, vom Markt geforderte Produkte umgestellt
werden und die schnellere Mast von Tieren werde
heute bereits ethisch hinterfragt.
Welche Potenziale kann die Landwirtschaft 4.0
also heben, wenn Einflussfaktoren wie des Wet-
ter nicht einfach verändert werden können? Viele
Landwirte kennen ihre Produktionssystematik
nicht im Detail. Ob ein einzelnes Feld hinsichtlich
Diesel-, Dünger- und Spritzmitteleinsatz über-
haupt rentabel war, wird oft nicht klar nachkalku-
liert. Dementsprechend vage sind die Erfah-
rungswerte, auf deren Basis Entscheidungen ge-
troffen werden. Zudem verändern sich Boden
und Klima stetig. Die Strategie des Landwirts
müsste daher ebenfalls stetig nachjustiert wer-
den. Dazu seien genaue, aktuelle Daten nötig.
Firmen wie Pessel, AppsforAgri oder Sencrop
bieten dafür digitale Wetterstationen an, die auf
jedem Feld platziert und per Smartphone von
25. Februar 2022 · Nr. 4
überall abgefragt werden können. Aus Tempera-
tur, Feuchtigkeit und Onlinewettervorhersagen
errechnet eine App dann die aktuelle Anfälligkeit
für mehr als 100 Krankheiten in über 40 Kulturen.
So muss der Landwirt nur auf reale Gefahren rea-
gieren, statt im Frühjahr einfach standardmäßig
mit der Spritze auf den Acker zu fahren. Durch die
Messdaten soll zudem der ideale Zeitpunkt für
Aussaat, Düngung und Ernte bestimmt werden
können. Sensoren erkennen heute zudem, wel-
che Nährstoffmenge die Pflanzen vor dem Traktor
benötigen und steuern den Düngerstreuer ent-
sprechend. Selbst Güllefässer können messen,
welche Nährstoffe sie aufs Feld bringen.
Mähdrescher können heute durchgehend erfas-
sen, wo auf dem Acker sie welche Mengen ern-
ten. All diese Daten zusammen könnten wegwei-
send für die Strategie der nächsten Anbauperiode
sein – wenn sie denn global zusammengefasst
werden könnten. In der Realität setzen viele Ma-
schinenhersteller aber derzeit eher auf digitale
Inseln statt auf möglichst breite Kooperation.
„Derzeit werden Daten vor allem erfasst, um Be-
hörden zufriedenzustellen. Nur selten wird damit
ein eigener Mehrwert generiert“, sagt Kraft. Eine
Hemmschwelle sei für die Landwirte zudem das
fehlende Vertrauen hinsichtlich der Datennut-
zung durch die beteiligten Technikhersteller. Die
Experten des VDI-Forums empfehlen daher ein
Modell, in dem der Nutzer alleine bestimmt, ob er
seine Daten zugänglich machen möchte. Wenn ja,
sollte der Hersteller das honorieren, etwa durch
Rabatte oder Mehrleistung. Das Unternehmen
müsste die Daten quasi vom Landwirt kaufen.
Gut vernetzt sind bereits größere Höfe wie der
40 Mitarbeiter umfassende Betrieb von Stefan
Teepker, der im norddeutschen Handrup 3 Mio.
Hähnchen und 1200 Schweine mästet sowie
1400 ha Acker bewirtschaftet. Dort wird die Digi-
talisierung genutzt, wo es möglich ist. Von einer
durchgängigen Lösung sei man allerdings noch
weit entfernt, stellt Teepker im Alltag immer wie-
der fest. Er bemängelt dabei nicht die Technik an
sich, sondern wie lückenhaft sie implementiert
wird. „Wir können Futter per App exakt so bestel-
len, wie der Silofüllstand das auf dem Smartpho-
ne empfiehlt. Die Buchhaltung ist ebenfalls kom-
plett in der Cloud organisiert – der Lkw-Fahrer
aber bringt dann einen Lieferschein auf Papier
mit. Die Behörden bestehen ebenfalls auf Origi-
nalunterschriften, ein Fax ist dort zudem immer
gerne gesehen“, berichtet er.
Datensammler: Sol-
che Wettersensoren er-
fassen z. B. Regenmen- Grundlage für eine umfassende Dateninfra-
gen, die in Datenmo- struktur könnte das Gaia-X-Projekt sein – das
delle einfließen. Land- Projekt zum Aufbau einer leistungs- und wettbe-
wirte können damit werbsfähigen, sicheren sowie vertrauenswürdi-
bessere Entscheidun- gen Dateninfrastruktur für Europa. Die Landwirt-
gen treffen. Foto: Sencrop schaft wäre dabei nur ein Teilbereich, daneben
stehen auch Smart City, Industrie, Energie, Medi-
zin, Finanzen und der Öffentliche Sektor mit auf
der Agenda. So könnten Daten auch interdiszipli-
när einfacher ausgetauscht werden, etwa zwi-
schen Landwirten und Logistikfirmen oder Ener-
gie- und Agrarwelt beim Biogas.
Auch für die aktuell immer breiter auftretenden
Hersteller von Agrarrobotern (siehe auch S. 39)
sind Daten als Grundlage elementar. In Deutsch-
land gehen diese vor allem im kleinteiligen Ge-
müsebau gegen Unkraut vor, anderswo aber
denkt man bereits größer. Chuck Baresich vom
kanadischen Agrardienstleister Haggerty Creek
etwa hat bereits mehrere Roboter im kommer-
ziellen Einsatz. Kaufen und sofort loslegen funk-
tioniere damit aber nicht. „Der Einstieg in die Au-
App erkennt tomatisierung ist eine Datenbank, lange bevor
aktuelle der Roboter kommt. Denn viele Dinge weiß der
Landwirt aus Erfahrung: Wie tief muss er auf wel-
Anfälligkeit für chem Acker bei welchem Wetter für welche
Frucht pflügen? Bevor das nicht alles digital vor-
mehr als liegt, braucht man nicht über den Kauf eines Ro-
100
boters nachdenken“, weiß Baresich. Die eigentli-
che Automatisierung sei dagegen eine „low-han-
ging-fruit“. Die repetitiven Arbeiten wurden über
viele Jahre von Menschen ausgeführt und opti-
Krankheiten miert, das zu automatisieren sei einfach.
in über
40
Die große Herausforderung sind die sehr unter-
schiedlichen Bedingungen. Industrieroboter
werden auf einen Vorgang eingestellt und arbei-
ten dann teils jahrelang unter gleichen Bedingun-
gen. Auf dem Acker gilt das quasi nie. Zudem sind
Kulturen. für effiziente Abläufe auf dem Feld manchmal
auch kreative Lösungen eines Fahrers gefragt, der
Roboter dagegen ist nur so gut wie seine Software.
„Manchmal ist der Computer der Meinung, etwas
wäre nicht möglich, eine bestimmte Art zu wen-
den etwa. Als Praktiker stehen wir dann daneben
und fragen uns, warum das nicht geht“, sagt Bare-
sich. Seiner Einschätzung nach steckten die auto-
nomen Helfer daher trotz Serienproduktion noch
in den Kinderschuhen. Dennoch sieht er die Au-
tomatisierung als wichtige Chance für die künfti-
ge Landwirtschaft, viele Hersteller haben das ver-
standen: John Deere stellte auf der CES im Januar
2022 einen marktreifen autonomen Traktor vor,
der schon dieses Jahr erhältlich sein soll.
 25. Februar 2022 · Nr. 4 FOKUS: LANDTECHNIK DER ZUKUNFT 23

Die Unbeirrbare
Beruf: Die Maschinenbauingenieurin Franziska Wittek hat eine Leidenschaft
für große Fahrzeuge. Beim Landmaschinenhersteller Claas kann sie die ausleben.

vorgesehene Praktikum absolvierte

M
Von Claudia Burger
anche Menschen sa-
gen: „Think Big“,
wenn sie etwas Über-
greifendes auf die
Beine stellen wollen.
Franziska Wittek hat das sogar tat-
kräftig umgesetzt. Sie hat aus der
Beschäftigung mit großen Dimen-
sionen ihren Beruf gemacht. Schon
als Kind beobachtete sie in ihrem
Wohnort, einem 600-Seelen-Dorf
im Süden von Sachsen-Anhalt, die
Schar der großen Mähdrescher und
Landmaschinen, die zur Erntezeit
auf die Felder fuhren. „Beeindru-
ckend“ fand sie das. Dass sie später
einmal maßgeblich an der Entwick-
lung dieser Geräte mitwirken wür-
de, war allerdings da-
mals noch nicht in ih-
rem Kopf verankert.
„Ich muss für
Ihr Herz schlug eher
für Autos. Ihr Vater ist
mich eine Stelle
gelernter Kfz-Mecha- finden, mit der
niker und sie verbrach-
te in jungen Jahren ich Spaß habe
dort viel Zeit mit ihm
in der heimischen
und mindestens
Werkstatt, griff zum an
sie bei ihrem jetzigen Arbeitgeber in
der Vorentwicklung. Damals lernte
sie in der Zusammenarbeit einen
Kollegen in den USA kennen, der ihr
anbot, doch auch in den USA beruf-
liche Erfahrung zu sammeln. Der
Gedanke gefiel Wittek. Sie brachte
die noch offenen Studieninhalte zu
Ende und ging für ein halbes Jahr zu
Claas nach Omaha in Nebraska in
die Abteilung Engineering. Auch da
war sie unterstützend in der Kon-
struktion tätig. Sie blickt gern zu-
rück: „Das war eine super Erfah-
rung. Ich würde das immer wieder
machen. Es kann einen nur weiter-
bringen.“ Nach ihrer Rückkehr
dockte sie bei Claas im Bereich Sys-
temtechnik in Deutschland an,
schrieb ihre Diplomar-
beit und startete 2012
dort ihre berufliche
Karriere. Ihre Diplom-
arbeit hatte sie über
Achsen für Mähdre-
scher geschrieben, die Franziska Wittek hat-
an Hängen eingesetzt te nie Scheu vor Tech-
werden. bis zum Serienstart. Das war eine nik. Sie war gut in den schinen. Die Motoren werden von
herausfordernde Zeit, denn die Mint-Fächern und ver- Claas zugekauft, müssen dann in
Die Aufgabe: Ein neu- Schneckenschneidwerke werden in brachte in jungen Jah- das Maschinenkonzept integriert
es Achskonzept zu Ungarn hergestellt und die Zusam- ren Zeit in der Kfz-Werk- und getestet werden.

90 %
Schraubenzieher und
anderem Werkzeug,
hantierte und bastelte
und erfreute sich am
Ergebnis. Überhaupt
hatte sie weder Scheu
der Tage gern
vor Technik noch vor zur Arbeit gehe.“
Mathematik und ande-
Franziska Wittek, Moto-
ren Mint-Fächern.
renvalidierung bei Claas
Klar, sie sei ehrgeizig,
aber die naturwissen-
schaftlichen Fächer
seien ihr immer leicht gefallen. Und
sie hat sich nicht beirren lassen, ließ
sich in kein Rollenklischee pressen
und begann ein Maschinenbaustu-
dium an der TU Dresden. Ihre In-
tention: Maschinen und Technolo-
gie zu entwickeln, die Menschen ei-
nen Mehrwert bringen, die etwas zu
einem besseren Leben beitragen.
Während des Studiums schwenk-
te ihre Faszination vom Automobil-
bau hin zu einem anderen Stecken-
pferd: Die großen Offroadmaschi-
nen. Autokräne, Baukräne und eben
Landmaschinen, die sie schon aus
der Kindheit kannte. „Der Fachbe-
reich war zudem familiär, das hat
mir sehr gefallen“, sagt die 35-Jähri-
ge. Dass sie eine von ganz wenigen
Frauen im Studiengang war, sei
„Fluch und Segen zugleich gewe-
sen“. „Man ist sofort bekannt. Aber
anders als bei männlichen Kommi-
litonen, wo vorausgesetzt wird, dass
sie es können, ist es so: Du bist eine
Frau, du musst mir erst mal zeigen,
dass du das auch kannst.“ Diese
Hürde müssten weibliche Studie-
rende oft erst einmal nehmen, das
sei ihre Erfahrung.
Das in der Vertiefungsrichtung Off-
roadmaschinenbau, Agrarsystem-
technik und Baumaschinentechnik
entwickeln, das die menarbeit erforderte viel Koordina-
Mähdrescher auch an tionsgeschick. Zwei- bis dreimal im
Hanglagen in eine ge- Jahr war Wittek vor Ort, „der
rade Ernteposition menschliche Kontakt ist wichtig“,
bringt. Die da gewon-
nenen Erkenntnisse
betont die Maschinenbauingenieu-
rin. Zur anderen Zeit musste es über
setzte sie auch in der Telefon klappen, denn digitale Mee-
ersten beruflichen Sta- tings und Skype gehörten noch
tion ein. Zwei Jahre ar- nicht zur Tagesordnung. Aber das
beitete sie inklusive funktionierte laut Wittek ganz gut.
Diplomarbeit in dieser
Abteilung, dann wech- Und dann kündigte sich das größte
selte sie als Assistenz des Geschäfts- Projekt im Leben an: Wittek wurde
führers in die Business Unit Grain schwanger, sie ging in Elternzeit,
(Mähdrescher und Traktoren), ein bekam eine Tochter und kehrte vor
früher Karrieresprung. Sie erlangte eineinhalb Jahren zu Claas zurück –
dort auch viel wirtschaftswissen- auf eine neuen Position und mit
schaftliches Wissen und machte noch verringerter Stundenzahl, aber
technische Projektarbeit. Dann nicht weniger Leidenschaft für die
stieg sie in die Projektleitung Schne- Aufgabe. Sie ist verantwortlich für
ckenschneidwerke ein. Ungefähr die Validierungskoordination im Be-
dreieinhalb Jahre füllte sie die Auf- reich Motorenprüfungen für alle
gabe aus, begleitete mehrere Projekt Motoren übergreifend über alle Ma-
Über Claas
„ Das 1913 gegründete Familienunternehmen Claas ist einer der welt-
weit führenden Hersteller von Landtechnik. Das Unternehmen mit
Hauptsitz im westfälischen Harsewinkel ist nach eigenen Angaben
Weltmarktführer bei Feldhäckslern. Die europäische Marktführer-
schaft besitzt Claas nach eigenen Angaben darüber hinaus im Seg-
ment der Mähdrescher.
„ Auch mit Traktoren sowie mit landwirtschaftlichen Pressen und
Grünland-Erntemaschinen liegt der Konzern nach eigenen Angaben
auf weltweiten Spitzenplätzen. Zur Produktpalette gehört auch land-
wirtschaftliche Informationstechnologie.
„ Claas beschäftigt an 35 Standorten weltweit (davon sechs in
Deutschland) mehr als 11 900 Mitarbeitende, davon rund 5800 in
Deutschland und erzielte im Geschäftsjahr 2021 einen Umsatz von
4,8 Mrd. €.
„ www.claas-gruppe.com
statt des Vaters. Foto: Claas
Es ist eine Schnittstellenfunktion,
wo die Koordination zwischen den
Konstruktionsbereichen und den
einzelnen Versuchsbereichen er-
folgt. Die Aufgabe ermöglicht ihr
wiederum neue Einblicke in das Un-
ternehmen. „In der Technischen
Entwicklung kenne ich mittlerweile
sehr viele Kollegen. Das zahlt sich
an vielen Stellen aus.“
Besonders spannend findet sie,
dass bei Claas die Bandbreite der
Produkte groß ist. „Es gibt da wirk-
lich die ganz kleinen Mähdrescher
und Traktoren, die beispielsweise in
Entwicklungsländern den Sprung
von der Handarbeit auf dem Feld zu
maschinenbetriebener Feldarbeit
erst möglich machen, bis hin zu
hoch entwickelten riesigen Maschi-
nen, die auf dem Feld noch das letz-
te Prozent herausholen.“
Und auch der Blick in die Zukunft
der Motoren ist für sie interessant:
„Wir sind selber sehr gespannt, wo
es hingeht.“ Sie vermutet, dass im
Bereich der Offroadmaschinen auch
in Zukunft Verbrennungsmotoren
eingesetzt werden, jedoch vollsyn-
thetische oder alternative Kraftstof-
fe wie Wasserstoff stärker in den Vor-
dergrund rücken werden.
Wittek ist zufrieden mit ihrem Be-
rufsleben bei Claas. „Ich muss für
mich eine Stelle finden, mit der ich
Spaß habe und mindestens an 90 %
der Tage gern zur Arbeit gehe. Und
sogar, wenn der Tag mal schwierig
war, sagen kann, es ist menschlich
immer noch super. Wir können
auch noch einen Kaffee trinken,
wenn wir ein Thema kontrovers dis-
kutiert haben.“ Sagt es und geht los
zur nächsten Besprechung.
24 FOKUS: LANDTECHNIK DER ZUKUNFT
Systemtraktor setzt neue Maßstäbe
Landtechnik: Der Systemtraktor Nexat kann mit entsprechenden Modulen klassische
Traktoren und auch Mähdrescher ersetzen. Und das ist nicht die einzige Innovation.
Von Martin Ciupek
A
llein durch ihre Größe ist diese Land-
maschine beeindruckend. 14 m be-
trägt die aktuelle Arbeitsbreite auf dem
Feld, mit Spritzenaufsatz sogar bis zu
70 m. Gleichzeitig hält sie die für die
europäische Straßenzulassung nötige Breite von
3,5 m ein, weil die beiden Raupenfahrwerke um
90 Grad geschwenkt werden können. Technisch
hat der Systemtraktor Nexat viel Neues zu bieten.
Denn die beiden 550-PS-Dieselaggregate dienen
nur als Übergangslösung. Der eigentliche Antrieb
erfolgt über Elektromotoren in den Fahrwerken.
Elektromotoren aus der Automobilindustrie,
die Möglichkeiten zur Steuerung von Landma-
schinen per GPS und modulare Anbausysteme
sind für die Entwickler Klemens und Felix Kalver-
kamp die entscheidenden technischen Faktoren,
warum sie sich an die Entwicklung des neu konzi-
pierten Systemtraktors gewagt haben. „Wir haben
in jeder Raupe 160 kW. Ein vergleichbarer Indus-
triemotor ist 500 kg schwer und hat einen halben
Kubikmeter Volumen“, erklärt der Ingenieur Kle-
mens Kalverkamp. Damit waren diese Antriebe
nicht verwendbar. Das änderte sich, als in der Au-
tomobilindustrie ein 160-kW-Motor mit 50 kg
verfügbar war. „Diese Leistungsdichte erlaubt
plötzlich Lösungen, die bisher nicht realisierbar
waren“, beschreibt er den Durchbruch. Ein sol-
ches Fahrzeug, das auf dem Acker immer diesel-
ben Fahrspuren nutzt, sei zudem nur per GPS-
Navigation zu steuern.
Kalverkamp kennt die Branche gut. Bevor er
zusammen mit seinem Sohn Felix das Unterneh-
men Kalverkamp Innovation und schließlich Ne-
xat gründete, war Klemens Kalverkamp Teil der
Geschäftsführung der Landmaschinenfabrik
Grimme, Hersteller von Rüben- und Kartoffel-
technik. Nach seinem Ausscheiden bei Grimme
2013 hatte er nach eigenen Angaben zwei Jahre
Konzepte gewälzt und sich gefragt, wie die Land-
technik 2025 aussehen könnte.
Nun will er eine Systemplattform aufbauen, die
mit verschiedenen Anbaumodulen für alle Pro-
zesse von der Aussaat über den Pflanzenschutz
und die Düngung bis hin zur Ernte mit Mäh- und
Dreschvorrichtungen ausgerüstet werden kann.
Sein Ziel ist es zudem, die Prozessoptimierung
durch entsprechende Softwaremodule und
künstliche Intelligenz voranzutreiben. Anlässlich
der in Präsenz ausgefallenen Branchenmesse
Agritechnica 2022 erhielt Nexat dafür als einziges
Unternehmen die Goldmedaille beim DLG „Inno-
vation Award Agritechnica“.
Welchen Einfluss das Konzept auf die Prozesse
in der Landwirtschaft hat, wird bei der Bodenbe-
arbeitung deutlich. In Verbindung mit der GPS-
Steuerung und dem Controlled Traffic Farming
(CTF), bei dem ganzjährig dieselben Fahrspuren
für alle Arbeitsschritte genutzt werden, reduziert
der Nexat-Systemtraktor die Bodenverdichtung
nach Herstellerangaben auf 5 %. Zum Vergleich:
Bei der bisher gängigen Feldarbeit mit Landma-
schinen weltweit liegt die Bodenverdichtung bei
bis zu 70 %. Beim CFT-Einsatz mit klassischen
Maschinen sind es noch etwa 20 %.
Die Folge der bisherigen Vorgehensweise: Be-
sonders in Europa wird viel gepflügt, um den Bo-
den aufzulockern. Kalverkamps Ansatz geht in ei-
ne andere Richtung. „Was ich nicht verdichte,
brauche ich auch nicht auflockern“, stellt er fest.
Ohnehin würde in Ländern wie den USA längst
die Direktsaat bevorzugt. Der Grund: Wind führt
jährlich weltweit zu Erosionen von 39 Mrd. t an
Erdreich und einem Verlust von etwa 10 Mio. ha
an Ackerfläche.
25. Februar 2022 · Nr. 4
Modulaustausch:
Das Brückenfahrzeug
wird hier vom Mähdre- Flexibel wird das Plattformkonzept durch die
scherelement (re.) auf Anbaugeräte, die vom Systemtraktor aufgenom-
ein Tanksystem umge- men werden können. Die kommen von Partner-
rüstet. Laut Hersteller firmen. „Wir konzentrieren uns auf den System-
sind dafür weniger traktor und arbeiten mit allen mittelständischen
als 10 min nötig. Unternehmen zusammen, um über Kooperatio-
nen die Innovationsgeschwindigkeit hoch zu hal-
ten“, berichtet der gut vernetzte Landtechnikspe-
zialist. Eine Ausnahme nennt er allerdings: „Das
einzige Gerät, was wir selbst entwickeln mussten,
weil wir dafür keinen mittelständischen Anbieter
gefunden haben, ist der Mähdrescher.“ Große
Hersteller hätten seine Anfrage abgelehnt, weil
sie kein Konkurrenzsystem unterstützen wollten.
„Wir brauchten aber zwingend ein Mähdrescher-
modul“, so Kalverkamp.
„Bei allen anderen Modulen – die Amerikaner
„In zehn bis sprechen von Apps – sind wir weltweit offen für
Kooperationen“, sagt der Unternehmer. Gerade
15 Jahren wird wurde der erste US-Investor mit an Bord genom-
kein Landwirt men und in diesem Jahr sei die erste Vorführung
in den USA geplant. „Das bedeutet, dass wir die
mehr eine regional benötigte Pflanz- und Saattechnik auch
regional adaptieren werden.“ Für die Maisernte
Entscheidung benutze der Systemtraktor z. B. Schneidwerke
und Maispflücker von Geringhoff.
so gut treffen „In den vergangenen Jahren haben wir bereits
können wie über 1000 ha Mais geerntet“, sagt der Nexat-Chef.
Das System könne damit alle Früchte ernten, die
die Decision auch mit den bisherigen Mähdreschern geerntet
werden können. Die bisherigen Module könnten
Engine.“ bereits teilautomatisiert von einem Bediener in
Klemens Kalverkamp, weniger als 10 min gewechselt werden. Künftig
Geschäftsführer soll dies auch ohne menschliches Eingreifen
der Nexat GmbH möglich sein.
Die Gründer: Klemens Kalverkamp (li.) und sein
Sohn Felix sind Geschäftsführer der Kalverkamp
Innovation GmbH sowie der neu gegründeten
Nexat GmbH. Foto: NEXAT GmbH
Foto: NEXAT GmbH
Auch „carbon farming“ sieht Kalverkamp als
Einsatzbereich. Dabei können Landwirte sogar
zusätzliche Einnahmequellen generieren, wenn
sie CO2 aus der Atmosphäre in ihren Feldern spei-
chern. „Die Pflanze nimmt CO2 aus der Umge-
bung auf und gibt einen Teil dessen wieder an
den Boden ab. Der so gebundene Kohlenstoff
kann dann im CO2-Handel berücksichtigt wer-
den“, beschreibt er den Ansatz. Das sei deshalb
gerade einer der größten Hypes in der Landtech-
nikbranche, getrieben von großen Genossen-
schaften und auch Nahrungsmittelkonzernen.
Wirtschaftlich könne das Nexat-System bei
Ackergrößen ab 5 ha eingesetzt werden. Solche
Flächen finde man bereits in Ostdeutschland,
aber insbesondere in Osteuropa und Russland
sowie Amerika. Neben großen Betrieben sieht
Kalverkamp vor allem Lohnunternehmer und
Maschinenringe als potenzielle Kunden. „Land-
wirte müssen die Systeme nicht mehr selbst be-
sitzen“, hebt er hervor.
Digitalisierung und Wasserstoff sind weitere
Entwicklungsschwerpunkte. Kalverkamp sagt:
„Hier ist der Wandel bereits im vollen Gange.“
Künstliche Intelligenz würde den Wandel noch
beschleunigen. „Der Landwirt muss ja täglich
Entscheidungen treffen, ob er auf dem Acker jetzt
was tun muss und wie er dabei genau vorgeht.
Saatguthersteller wie Bayer haben dafür bereits
Programme entwickelt, die dem Bauer Empfeh-
lungen geben können, was aufgrund von Wetter-
lage oder Insektenwachstum zu tun ist“, erklärt
Kalverkamp. Man spreche hier von Decision En-
gines. „In zehn bis 15 Jahren wird kein Landwirt
mehr eine Entscheidung so gut treffen können
wie diese Decision Engine.
Die zwei Dieselmotoren im Querbalken der
Maschine möchte das Unternehmen bald austau-
schen. Kalverkamp verrät: „Wir arbeiten aktuell in
einem Forschungsprojekt mit der Universität Os-
nabrück an einer Ausrüstung mit Wasserstoff.“
Der erste Prototyp mit Wasserstoff solle bis zum
Jahreswechsel laufen.
Gut drei Jahre Praxiserfahrung hat das Unter-
nehmen nach eigenen Angaben mit dem System
bereits gesammelt. Jetzt stehen die nächsten
Schritte an. „Wir haben das Ziel, bis 2025 auf drei
Kontinenten aktiv zu sein“, sagt Kalverkamp. Er
erklärt: „Insgesamt wollen wir dann an vier Orten
weltweit produzieren. In Osnabrück wollen wir
für Westeuropa und die Ukraine produzieren, da-
zu in Russland sowie in Nord- und Südamerika.“
 25. Februar 2022 · Nr. 4 FINANZEN 25

Kaum Kapital
f ür kommende
Raumfahrer
Business Angels: Die privaten Start-up-Unterstützer
Gründer aus dem
investieren selten in hochfliegende Pläne von Luft- und Raumfahrtbereich
Raumfahrtfirmen. Deutlich lieber sind ihnen haben es schwer,
Softwareschmieden sowie Unternehmen, Wagniskapital zu
bekommen.
die sich um irdische Umweltprobleme kümmern. Foto: PantherMedia / julien Tromeur

Aktuelle Ergebnisse einer Panel-Befragung.

Von Stefan Asche spacte Ideen sehen sie nicht gerne. Trotzdem wirkt das Virus natür-
Deren Urheber landen im Beliebt- lich weiterhin als Stimmungsbrem-

D
ie Hitparade der Busi-
ness Angels ist seit an-
derthalb Jahren wie in
Stein gemeißelt: Auf den
Medaillenrängen befin-
den sich stets Softwareentwickler,
Umwelttechniker und E-Business-
Experten.
Etwas mehr Bewegung findet sich
abseits des Treppchens: So schoben
sich Industrieautomatisierer in der
jüngsten Runde des Business Angels
Panels von Platz 9 auf Platz 4 vor. Ei-
nen ähnlichen großen Sprung nach
oben machten Biotechniker – und
landeten auf Platz 5. Zu den großen
Absteigern zählen erstaunlicherwei-
se Logistiker und Life-Science-
Gründer. Sie schafften es im 4.
Quartal 2021 gerade noch so in die
Top 10. Die rote Laterne hielten –
wie eigentlich immer – die lokalen
Einzelhändler.
Neu aufgenommen in die Panel-
Befragung wurden Jungunterneh-
men aus der Luft- und Raumfahrt-
branche. Hintergrund: Das Thema
ist unter der Überschrift „New Spa-
ce“ gerade groß in Mode – und dank
der All-Eskapaden von Elon Musk,
Jeff Bezos und Richard Branson
auch in aller Munde. Die informel-
len Wagniskapitalgeber lassen sich
von diesem Hype allerdings nicht
mitreißen. Abgehobene und abge-
IV/2021
Corona bleibt: Hoffnungen auf ein schnelles
Ende der Pandemie wurden zuletzt ent-
täuscht – ein kleiner Stimmungsdämpfer.
heitsranking jedenfalls nur auf Platz
18 – von insgesamt 22.
Ursache dürften die astrono-
misch hohen Investitionssummen
sowie die meist Lichtjahre entfern-
ten Returns sein. Weitere Gründe
kennt der einschlägig erfahrene In-
vestor Rainer Horn, geschäftsfüh-
render Gesellschafter beim Münch-
ner Unternehmen SpaceTec Part-
ners: „Die Gründer haben meist
sehr viel Sachverstand, schauen
aber nur selten auf den Markt.“ Und
dieser Markt sei sehr speziell: „Die
Kunden sind oft staatliche oder
halbstaatliche Organisationen. Um
sie bedienen zu können, muss man
deren Beschaffungsprozesse ken-
nen.“ Außerdem müssten stets ex-
trem hohe Produktionsstandards
erfüllt werden.
Die Laune der Panel-Teilnehmer ist
zwiegespalten: Sie bewerteten ihre
Geschäftslage mit 5,02 Punkten. Die
Skala reicht dabei von 1 (=sehr
schlecht) bis 7 (=sehr gut). Bei den
Geschäftsaussichten reichte es für
5,21 Punkte. Beide Werte sind im
Vergleich zum Vorquartal leicht ge-
sunken. Sie liegen aber etwa auf
dem langjährigen Durchschnittsni-
veau – und damit weit über den
Werten aus dem 1. Quartal 2020, als
Corona erstmals in aller Munde war.
Industrie 4.0 wächst: Automatisierer
machen einen großen Satz nach vorne in
der Hitparade der Investoren.
se. Hintergrund: Business Angels
sind leidenschaftliche Networker!
Knapp 80 % von ihnen besuchten
vor der Pandemie regelmäßig Mat-
ching-Veranstaltungen. Ihr Ziel: Er-
fahrungen austauschen und neue
Gründerteams kennenlernen. Diese
Treffen dürften zuletzt rar gewesen
sein. Mit Folgen: Knapp 40 % der
Befragten gaben an, dass ihr „Deal-
flow“ reduziert wurde. Das bedeu-
tet, dass sie weniger Investitions-
möglichkeiten sahen. Folgerichtig
gaben dann auch gut 40 % an, dass
Corona Einfluss auf die Zahl ihrer
Erstinvestitionen hat.
Business Angels Panel Stimmungsaufhellend dürfte sich
„ Das Panel ist eine Initiative von die jüngste Exitbilanz ausgewirkt
VDI nachrichten, Business Angels haben: Die 43 Panel-Teilnehmer
Netzwerk Deutschland, Uni meldeten stolze zwölf Fälle, in de-
Duisburg-Essen und RWTH Aachen. nen sie sich von einer Beteiligung
trennten. Und nur in einem einzi-
„ Wagnisfinanzierer aus dem deutsch- gen Fall musste das investierte Kapi-
sprachigen Raum berichten quar- tal abgeschrieben werden. Eine
talsweise über ihr Engagement. solch positive Quote hat es in der in-
„ Teilnehmer sind mehrere Business zwischen 20-jährigen Geschichte
Angels des Jahres: Eckhardt Wohlge- der Umfrage erst wenige Male gege-
hagen, Frank Siegmund und ben. Die übrige Exitbilanz: zwei
Michael Friebe. Ebenfalls dabei sind Start-ups schlüpften unter die Fitti-
Alexander Pilar von Pilchau, che eines anderen Finanzinvestors,
Christoph von Einem, Benedict drei Teams kauften ihre Unterneh-
Rodenstock und Norbert Linn. mensanteile zurück und sechs Fir-
men wurden in die Hände eines
„ www.ba-panel.de strategischen Investors, etwa eines
Großunternehmens, übergeben.
Kurzum: Es floss reichlich Geld zu-
rück in die Kassen der Investoren.
Diese positive Entwicklung spie-
gelt sich auch im Budget der Befrag-
ten wider: Sie gaben an, erst 59 % ih-
rer für Angel-Investments vorgese-
henen Mittel investiert zu haben.
Heißt umgekehrt: Gut 40 % sind
noch für neue Engagements verfüg-
bar. So viel Geld lag in der Vergan-
genheit selten auf der hohen Kante.
Jungunternehmer scheinten dies
zu ahnen: Sie reichten viele Busi-
nesspläne ein. Jeder Panelist erhielt
im Durchschnitt 31 der ausformu-
lierten Geschäftsideen. Das langjäh-
rige Mittel liegt bei nur 20.
Und obwohl die Möglichkeiten
des persönlichen Kontakts virusbe-
dingt eingeschränkt werden muss-
ten, waren viele der Beteiligungsge-
suche erfolgreich: Jeder zweite In-
vestor machte frisches Kapital lo-
cker, teils gar für mehrere Start-ups.
Und welche Summe? Pro Deal flos-
Geld fließt: Durchschnittlich
sen gut 82 000 €. Verteilt auf die Ge-
machte jeder private Finanzierer
samtzahl aller Teilnehmer ent-
im Quartal gut 86 000 € locker.
spricht dies einem Durchschnittsin-
vestment von gut 86 000 € pro Engel.
26 TECHNIK & KULTUR
Das Röcheln
im Herzen
des Käfers
Automobil: Die Bauweise mit zwei gegenüberliegenden
Zylindern gilt als Exot im Motorenbau. Doch weder VW Käfer
noch Porsche 911 sind ohne Boxermotoren denkbar.
Von Hans W. Mayer
D
as Ende des Verbrennungsmotors
wird auch die Stimmenvielfalt höchst
unterschiedlicher Triebwerke ver-
stummen lassen, was von manchen
bejubelt und von anderen bedauert
werden dürfte. Das Nageln eines Diesels, der so-
nore Bass eines amerikanischen V8 oder das typi-
sche Reng-teng-teng eines Trabbi-Zweitakters
beim Gaswegnehmen wird es möglicherweise
nur noch als Hörbuch geben. Ebenso wie das hei-
sere Röcheln eines Boxermotors. Der feiert in die-
sem Jahr seinen 125. Geburtstag.
Seinen Namen erhielt der Boxermotor auf-
grund seines Funktionsprinzips: Die im flachlie-
genden Motor sich nach rechts und links bewe-
genden Kolben erinnern entfernt an die Fäuste
eines Boxers. Konstruktionsbedingt weisen Bo-
xermotoren zwar etliche Vorteile, aber auch eini-
ge handfeste Nachteile auf. Dennoch hielt man in
Wolfsburg länger als ein halbes Jahrhundert an
ihm fest. Von 1945 bis 2003 rollte der Volkswagen
Käfer mehr als 21,5 Mio. Mal vom Band.
Erfinder des Boxermotors war der Autopionier
Carl Benz, der 1897 den von ihm konstruierten
sogenannten Kontramotor in sein Modell „Dos-
à-dos“ einbaute. Das Triebwerk mit zwei gegen-
überliegenden Zylindern holte aus 1,7 l Hubraum
3,7 kW und kam auf 25 km/h Spitze.
Die konzeptbedingten Vorzüge des Boxers im
Vergleich zu konventionellen Reihen- oder V-Mo-
toren sind bis heute gleich geblieben: Die um 180
Grad versetzten und zu beiden Seiten der Kurbel-
welle flachliegenden Zylinder sorgen für einen
Mit diesem Porsche 356 jagte die Polizei von Nordrhein-Westfalen einst die Temposünder. Auch dieser
Typ war mit einem Boxermotor ausgestattet. Foto: Steinmüller
25. Februar 2022 · Nr. 4
vollständigen Ausgleich der auftretenden Mas-
senkräfte und damit für ruhigen, vibrationsar-
men Motorlauf und höheres Drehvermögen. Hin-
zu kommen kurze Baulänge, geringe Höhe und
niedriger Schwerpunkt.
Bis zum Zweiten Weltkrieg setzten zahlreiche
Motorradhersteller auf dieses Bauprinzip, bei-
spielsweise Puch (Österreich), Itar (Tschechoslo-
wakei), Mars, Maurer sowie vor allem BMW und
Zündapp in Deutschland. Nach dem Krieg bau-
ten neben Volkswagen auch immer mehr interna-
tionale Autohersteller Boxermotoren, in den USA
beispielsweise der glücklose Visionär Preston
Thomas Tucker 1946 in seinen avantgardistischen
Torpedo (Sechszylinder-Boxermotor mit 110 kW
aus 9,6 l (!) Hubraum), in Österreich die Fiat-
500-Ableger Steyr-Puch 500 und 650 TR mit
selbstentwickelten, leistungsstarken Zweizylin-
derboxern, in Deutschland die BMW-Kleinwagen
600 und 700 oder Goliath/Hansa 1100 und Lloyd
Arabella aus dem Borgward-Konzern, in Frank-
reich Citroën in den Typen 2 CV („Ente“), Ami 6
und GS, in Italien Alfasud, Alfa 33 und Alfa 145 so-
wie Lancia Flavia und Gamma. Den bislang ulti-
mativen Boxer offerierte von 2016 bis 2018 die
Manufaktur „W Motors“ aus Dubai in ihrem ultra-
schnellen Coupé Fenyr Supersport: ein Sechszy-
linder in Mittelmotoranordnung (4 l Hubraum,
671 kW), der 400 km/h Spitze erreichte.
Bei Porsche zählen Boxermotoren zum Mar-
kenkern. Schon der allererste Porsche 356 von
1948 wurde von einem leistungsgesteigerten Vier-
zylinderboxer (1131 cm³, 26 kW) aus dem Volks-
wagen Käfer angetrieben. 1964 löste der Porsche
911 mit seinem Sechszylinderboxer aus Leicht-
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metall die Baureihe 356 ab. Heute tut noch immer
ein solches Triebwerk Dienst im Heck des „Elfer“,
inzwischen auf bis zu 515 kW erstarkt.
Ausgestattet mit
„Kein anderes Motorenkonzept ist so stark mit
einem Boxermotor,
Porsche verwurzelt wie der Boxermotor“, sagt
rollte von 1945 bis
Thomas Wasserbäch, Leiter Entwicklung Boxer-
2003 der Volkswagen
motoren in Weissach. „Die Bauart als Kurzhuber
Käfer mehr als
bietet optimale Voraussetzungen für hohes Dreh-
21,5 Mio. Mal vom
vermögen. Durch die boxertypische Kurbelwel-
Band.
lenlagerung mit jeweils zwei Hauptlagern pro
Pleuel ergibt sich zum einen ein sehr steifer Kur-
beltrieb für hohe Zylinderleistungen und Hoch-
drehzahltauglichkeit, zum anderen ein großer Zy-
linderabstand, der große Bohrungsdurchmesser
und damit sehr gute Ladungswechselverhältnisse
ermöglicht.“ Die kurzen Abgaswege brächten
beste Voraussetzungen für die Abgasnachbe-
handlung mit, so Wasserbäch: „Zum einen för-
dern sie die erwünschte schnelle Aufheizung der
Katalysatoren nach dem Kaltstart, zum anderen
bieten sie die Möglichkeit, unterschiedliche Kata-
lysatordimensionen und zusätzliche Sensorik un-
terzubringen, was die Einhaltung verschärfter
Grenzwerte erleichtert.“
Auch für eine Hybridisierung bieten Boxermo-
toren laut Wasserbäch gute Chancen: „Ebenso
wie bei Reihen- oder V-Motoren ist bei ihnen die
„Das Boxer- Baulänge der entscheidende Faktor zur Fahr-
zeugintegration. Nach gängiger Praxis muss die
konzept Hybridscheibe zum elektrischen Fahren zwi-
verkörpert die schen Motor und Getriebe platziert werden, um
entsprechenden Bauraum zu ermöglichen. Mög-
harmonischste lich sind auch Mildhybridisierungen, beispiels-
weise durch Installation eines riemenbetriebe-
Form aller nen Startergenerators.“
Verbrennungs- Zu den Boxerpionieren zählt bis heute auch der
maschinen.“ japanische Allradspezialist Subaru. Den Anfang
machte im Mai 1966 der kleine Subaru 1000 mit
Jörg Kracke, einem 40 kW starken Vierzylinderboxer. Spätere
Technikexperte bei Meilensteine waren der weltweit erste Boxerdie-
Subaru Deutschland selmotor (2008) oder das Hybridmodell Subaru
VIZIV von 2013 mit Turbodieselboxer in Kombi-
nation mit drei Elektromotoren. „Das Boxerkon-
zept verkörpert die harmonischste Form aller Ver-
brennungsmaschinen“, sagt Jörg Kracke, Tech-
nikexperte bei Subaru Deutschland. „Mit seiner
vollkommen symmetrischen Bauweise und den
sich paarweise gegenüberliegenden Kolben, die
sich wie die Arme eines Boxers horizontal bewe-
gen, werden die Massenkräfte perfekt ausbalan-
ciert. Boxermotoren zeichnen sich durch hervor-
ragende Laufruhe und Vibrationsarmut aus, sie
benötigen weder Ausgleichswellen noch Aus-
gleichsgewichte an den Kurbelwellenwangen. Zu-
dem sind sie robuster und langlebiger als andere
Verbrennungsmotoren.“
Neben Vorzügen weisen Boxermotoren aller-
dings einige arttypische Nachteile auf. Der breite
Motor benötigt mehr Platz und kann nicht quer
eingebaut werden. Seine Herstellung ist aufwen-
diger und teurer, weil er aus mehr Teilen besteht,
zum Beispiel zwei Zylinderköpfen. Schon aus
Kostengründen steht daher das Weiterleben des
Boxers in den Sternen. Der Elektromotor könnte
ihm dann endgültig das Lebenslicht ausblasen.

„Soylent Grün ist Menschenfleisch!“
Kino: Der Spielfilm „… Jahr 2022 … die überleben wollen“ schockierte vor fünf Jahrzehnten
mit einem düsteren Szenario aus Klimawandel, Nahrungsknappheit und Umweltkatastrophen.
Von Jörn Schumacher
E
s ist eine düstere Welt, die
im Spielfilm „Soylent
Green“ (so der US-Origi-
naltitel) als Zukunft dar-
gestellt wird. Der kultige
Science-Fiction-Film von 1973, der
im Jahr 2022 spielt, schockierte
nicht nur mit einer unterernährten
Menschheit, die – ohne es zu wissen
– mit Menschenfleisch gefüttert
wird, sondern auch mit der Darstel-
lung einer Welt, die durch Klimaka-
tastrophe, Umweltverschmutzung
und Artensterben zugrunde gerich-
tet wurde. Erschreckend, wie real
der Film damals Probleme an-
sprach, die heute die Menschheit
beunruhigt.
Der Spielfilm kam am 23. Mai
1974 in die deutschen Kinos unter
dem Titel „… Jahr 2022 … die über-
leben wollen“. Und die Dystopie mit
Charlton Heston in der Hauptrolle
erfreut sich auch heute noch großer
Beliebtheit, weil sie die Zukunft des
Jahres 2022 so düster und spannend
zeichnet, dass einem Angst und
bange werden kann.
Das American Film Institute wähl-
te Hestons Schrei „Soylent Grün ist
Menschenfleisch!“ („Soylent Green
is people!“) auf Platz 77 der besten
Filmzitate des amerikanischen
Films.
Von Nahrung, die aus Verstorbe-
nen gemacht wird, ist zum Glück im
echten Jahr 2022 nichts bekannt,
aber so manches, was man bereits
1973 an Umweltkatastrophen be-
fürchtete, stellt die Menschheit heu-
te tatsächlich vor riesige Probleme.
Das Lexikon des internationalen
Films nennt den Film „einen der
frühesten ökologischen Thriller“.
Zahlreiche popkulturelle Verweise
tauchen immer noch auf, etwa in
mehreren Folgen der Fernsehserien
„Futurama“ und „Die Simpsons“, in
den 1980er-Jahren nannte sich die
Vorgängerband der „Ärzte“ „Soilent
Grün“.
Der kantige Charlton Heston ist
im Film als Detective Robert Thorn
unterwegs, der den Mord an einem
reichen, einflussreichen Mann na-
mens William R. Simonson aufklä-
ren soll. Was zunächst wie ein Routi-
nejob aussieht, entpuppt sich für
Thorn als heikles Politikum, das in
die höchsten Regierungskreise
reicht. Im New York des Jahres 2022
leben mittlerweile 40 Mio. Men-
schen, es herrscht Dauerhitze, Man-
gel an Wasser und vollwertiger Nah-
rung. Die letzten Bäume der Stadt
werden in einem Zelt gehütet wie
ein Heiligtum. Bauernhöfe werden
bewacht wie Festungen.
Der etwas ältere Mitbewohner
Thorns, Sol, hat noch Zeiten miter-
lebt, in denen es frisches Fleisch
und Gemüse gab. „Doch dann ha-
ben unsere wissenschaftlichen Zau-
berkünstler unser Wasser vergiftet,
den Erdboden verseucht und die
Tiere und Pflanzenwelt dezimiert“,
seufzt er. „Wie soll auch etwas über-
leben bei dem Klima ... Eine Hitze-
welle das ganze Jahr über!“ Und bei-
de leiern gemeinsam einen Satz he-
runter, den sie offenbar schon allzu
oft gehört haben: „Ein Treibhausef-
fekt, da muss ja alles verbrennen,
was lebt.“ Das war im Jahr 1973.
Heute ist der Klimawandel das
wichtigste Umweltproblem. Auch
die Vermüllung der Umwelt, Che-
mie in den Lebensräumen von Tie-
ren und Pflanzen, das Artensterben,
Welthunger und Überbevölkerung
sind aktuelle Probleme, die der Film
bereits anspricht. Dass die mangel-
hafte Ernährung der Weltbevölke-
rung einerseits und eine übermäßi-
Charlton Heston spielte die Hauptrolle in „Jahr 2022“.
Hier kämpft er auf einem Förderband mit Soylent-Grün-Päckchen
um sein Gleichgewicht. Foto: imago images/Ronald Grant/Mary Evans
25. Februar 2022 · Nr. 4 TECHNIK & KULTUR
Wie Müll werden
Demonstranten in
einer Szene von „Jahr ge Verwendung von Düngemitteln
2022“ aufgeladen und andererseits zu den großen Proble-
abtransportiert. Wel- men dieser Tage gehören, ist allseits
ches grauenhafte Ende bekannt. Eine problematische Mas-
sie finden, wird erst am sentierhaltung, die nicht nur un-
Filmende enthüllt. ethisch anmutet, sondern auch ge-
sundheitliche Probleme schafft,
klingt in „Soylent Green“ ebenso an
wie die Mahnung an einen men-
schenwürdigen Umgang mit Kran-
ken, Armen und Alten.
Angesichts der Lebensmittel-
knappheit werden die Menschen im
Film mit gepressten Täfelchen ge-
speist: „Soylent Rot“ und „Soylent
Gelb“, das aus Sojabohnen herge-
stellt sein soll. Der Name des Pro-
dukts ist eine Kombination aus Soy
(bedeutet im amerikanschen Eng-
lisch „Soja“) und Lent(il) (Linse).
Das neueste Produkt heißt „Soylent
Grün“ und wird angeblich aus
Plankton hergestellt.
Doch es gibt einen Lieferengpass.
Die hungernden Menschen an der
Essensausgabe werden von der Poli-
zei weggeschafft wie Müll: Mit
schweren Schaufelladern werden
sie auf Mülltransporter gehievt und
abtransportiert. Nur einigen weni-
gen Reichen ist ein Leben in klimati-
sierten Räumen mit fließendem
Wasser und kostbarem Gemüse
möglich.
Als Vorlage für den Film von Regis-
seur Richard Fleischer diente übri-
gens der Roman „New York 1999“
von Harry Harrison aus dem Jahr
1966. Einen Komplott zur massen-
haften Verarbeitung von Menschen
zu Nahrungsmitteln zur Versorgung
der gesamten Bevölkerung gibt es
darin nicht.
Der Autor wollte vor allem zeigen,
wie pervers die Welt der Superrei-
chen in der Zukunft sein würde. In
der Tat: Wer in dieser Gesellschaft
27
Foto: imago images/MGM/Mary Evans
arm oder alt ist, hat wenig Hoff-
nung, er kann sich höchstens auf
Wunsch einfach einschläfern lassen
– wie ein Tier.
Der Filmkritiker Wolfgang M.
Schmitt urteilte: „Indem der Kapi-
talismus Mensch und Natur aus-
beutet, untergräbt er selbst seine ei-
gene Existenzgrundlage“, und das
zeige der Film perfekt. Im Hinblick
auf die Ausbeutung des globalen Sü-
dens und der Verwüstung der natür-
lichen Grundlagen sei der Film ex-
trem nah dran an der heutigen Rea-
lität. Zudem ist der Film eine bitter-
böse Kritik an gedankenlosem Kon-
sum: Der Wert einer frischen, ge-
sunden und individuell zusammen-
gestellten Ernährung wurde hier er-
setzt durch das massenhafte Ab-
speisen mit einem gleichförmigen
Mastfutter. Dagegen ist selbst die
heutige Fast-Food-Kultur Haute
Cuisine.
Die bittere Wahrheit um „Soylent
Green“ offenbart der Film erst ganz
zum Schluss. Charlton Heston als
Detective Thorn röchelt sie zu-
nächst seinem Partner zu und of-
fenbart den wahren Grund für die
Nahrungsmittelknappheit: „Die
Ozeane sind leer, das Plankton geht
zugrunde.“ Dann schreit er das be-
rühmt gewordene Zitat seinen Mit-
menschen zu: „Soylent Grün ist
Menschenfleisch!“ Angesichts die-
ser düsteren Zukunftsaussicht aus
dem Jahr 1973 kann man nur hof-
fen, dass das Jahr 2022 ein weiterer
Schritt in Richtung zur Eindäm-
mung der Erderwärmung wird, und
dass sich die Menschheit auch in
den kommenden 50 Jahren für ei-
nen menschenwürdigen Umgang
miteinander und für eine nachhalti-
ge Ernährungspolitik starkmacht.
28 KARRIERE & MANAGEMENT 25. Februar 2022 · Nr. 4

„ SEITENHIEB
Wenn der Käfer
den Jedi küsst
In guter
Gebildete und solche, die sich dafür hal-
ten, wenden sich in diesen Tagen mit
Grauen ab. Für sie ist Karneval der Rück-
Gesellschaft
fall in die Zeit der Neandertaler: vulgär Interdisziplinarität I: An der TU Chemnitz
und primitiv. Wie falsch diese Vorstellung
untersuchen Forscher und Forscherinnen,
ist, zeigt die Historie. Die 68er-Generation
wie Mensch und Maschine in Zukunft
reklamierte für sich, die Gesellschaft
durch „freie Liebe“ aus spießig-miefigen
zusammenwirken könnten. Das dient nicht nur
F
Fesseln erlöst zu ha- der Gesellschaft, sondern auch der TU.
b Über so viel
ben.
I
Ignoranz können Je-
c nur leise lächeln.
cke Von Sebastian Wolking Bewässerungsroboter, die von Grab

A
Außereheliche sexu-
e Aktivitäten sind
elle
f sie olle Kamellen,
für
g
gehören sie doch seit
Wolfgang Schmitz,
Redakteur: Am Jahrhunderten zu ih-
Aschermittwoch ist rer geistigen Grund-
längst noch nicht ausstattung – wenn et-
alles vorbei. wa Cowboys und Jedi-
Foto: VDIn/Zillmann
Ritter die Teufelchen
und Marienkäfer bützen (für Nichtrhein-
länder: küssen) und die Polonaise die
Stimmung auf Höhepunkte treibt: „Wir
ziehen los mit ganz großen Schritten/
Und Erwin fasst der Heidi von hinten an
die Schulter ...“
Was aber, wenn Erwin und Heidi Ar-
beitskollegen sind und am Tag darauf ne-
beneinander erwachen. Was solls? In in-
novativen Unternehmen fallen kollegiales
Aneinanderrücken und leidenschaftlicher
Austausch unter „Teamgeist“. Spontane
Interdisziplinarität kann vor diesem Hin-
tergrund unter „agile Arbeitsmethoden“,
das Bettgeflüster unter „flache Hierar-
chien“ eingeordnet werden.
Am Aschermittwoch sind Karnevalisten
und Karnevalistinnen dermaßen fertig mit
der Welt, dass sie sich neu erfinden müs-
sen. Sie haben böse wie gute Seiten an
sich entdeckt, sie reflektieren und ziehen
ihre Lehren. Die körperliche und geistige
Runderneuerung fällt unter lebenslanges
Lernen. 2023 findet die Weiterbildung in
Sachen Soft Skills ihre Fortsetzung: Total-
zerstörung, Analyse, Neuaufbau – Helau!
„ wschmitz@vdi-nachrichten.com
D
ie Saugroboter in der
Küche waren der An-
fang. Bald werden sich
Mensch und Roboter
immer und überall be-
gegnen, auf dem Marktplatz und in
der U-Bahn. Sie werden miteinan-
der reden und arbeiten, sich viel-
leicht sogar die Hand schütteln. Da-
von ist man jedenfalls an der Tech-
nischen Universität Chemnitz über-
zeugt. Die Sachsen erforschen in ei-
nem Sonderforschungsbereich, wie
das Zusammenleben von Mensch
und Maschine gelingen kann.
„Menschen antizipieren das Ver-
halten anderer Menschen im öffent-
lichen Raum und stellen sich darauf
ein. Bei Maschinen ist das schwieri-
ger“, sagt Georg Jahn, Professor für
Angewandte Gerontopsychologie
und Kognition an der TU Chemnitz.
Aus evolutionärer Sicht sind wir
nicht darauf eingestellt, mit Robo-
tern zu kommunizieren, mit ihnen
den Bürgersteig zu teilen oder Pake-
te von ihnen in Empfang zu neh-
men. Aber genau das müssen wir
vielleicht bald nonstop.
Fabriken und Lager haben Robo-
ter bereits für sich eingenommen,
als Nächstes erobern sie – vielleicht
– den öffentlichen Raum. Science-
Fiction ist das jedenfalls schon lan-
ge nicht mehr. Mittlerweile gibt es
Modell soll transdisziplinäre Forschung ermöglichen
„ Das Institut für transformative
Nachhaltigkeitsforschung
(IASS) in Potsdam forscht nach
eigener Aussage „mit dem Ziel,
gesellschaftliche Wandlungs-
prozesse hin zur Nachhaltigkeit
zu verstehen, zu befördern und
zu Grab fahren und Wasser auf die
Erde gießen. Autonome Streufahr-
zeuge, die bei Glatteis Salz auf die
Straße streuen. Lieferroboter, die
Pizza und Pasta bis an die Haustür
bringen können. Die Deutsche
Bahn experimentiert mit einem Ser-
viceroboter, der Kunden nicht nur
spröde Auskunft geben, sondern vor
allem natürlich sprechen und Emo-
tionen vermitteln soll.
Supermarktgenossenschaft Edeka
testete in den vergangenen Jahren
einen Roboter, der als Einkaufsas-
sistent durch den Markt fährt, für
die Kunden Waren aus dem Regal
fischt und sie ihnen in den Wagen Im Sonderforschungsbereich
legt. Im Stadtstaat Singapur wan- „Hybrid Societies“ der TU Chemnitz
derte zu Beginn der Pandemie der wird die Interaktion von Menschen
Roboterhund Spot der US-Firma mit verkörperten digitalen Technolo-
Boston Dynamics durch die Parks, gien untersucht. Foto: Jacob Müller / TU Chemnitz
um die Passanten per Lautsprecher
daran zu erinnern, doch bitte Ab-
stand zu halten. Mittlerweile pa- Insgesamt 120 Forscher und For-
trouilliert Roboterpolizist Xavier das scherinnen untersuchen hier, wie
Stadtzentrum – eindringliche An- Mensch und Maschine in Zukunft
sprache bei Fehlverhalten inklusive. zusammenwirken können, sollten
Auf Hawaii führt ein Robo-Dog gar und vielleicht müssen. Darunter
Augenscans an Obdachlosen durch, sind Ingenieurwissenschaftler und
um sie auf Covid-Symptome zu tes- Psychologinnen, Mathematikerin-
ten. „Das ist höchst bedenklich“, so nen und Informatiker, Sozialwissen-
Georg Jahn. Jahn ist Ingenieurpsy- schaftlerinnen und Geisteswissen-
chologe und Vorstand des Sonder- schaftler. Das Projekt ist in höchs-
forschungsbereichs „Hybrid Socie- tem Maße interdisziplinär. Denn
ties“ an der TU Chemnitz. nicht nur technische Fragestellun-
niert sein, dass sie für alle betei- Entwicklung neuer For-
ligten gesellschaftlichen und schungsfelder führen „und
wissenschaftlichen Akteure von im Extremfall zu wissen-
konkretem Interesse ist“, heißt schaftlichen Paradigmen-
es im IASS. wechseln beitragen“.
In dieser Phase müssten die
wichtigsten Wissenslücken er- „ Die Ergebnisse werden in die

„ FERNSTUDIUM zu gestalten“.
„ Das IASS hat ein „Drei-Phasen-
Modell“ erarbeitet, in dem
transdisziplinäre Teams aus
„ In Phase zwei sei es wichtig zu
Wissenschaftlern, Wissen-
schaftlerinnen sowie Nichtaka-
demikern und Nichtakademi-
kerinnen erfolgreich forschen
können sollen.
„ In der ersten Phase wird der
Rahmen für das transdiszipli-
näre Projekt festgelegt. Um
welche gesellschaftliche He-
rausforderung geht es? „Die
Problemstellung muss so defi-
mittelt und ein Forschungsko-
operationsteam zusammenge-
stellt werden.
definieren, „wer was mit wel-
chen Mitteln und zu welchem
Zweck im Team“ beitrage. In der
dritten Phase werde das erar-
beitete Wissen dokumentiert
und gesellschaftlich verwendet.
Die Integration der Ergebnisse
in die Wissenschaft werde durch
Formen wie wissenschaftliche
Publikationen und Vorträge ge-
leistet, könne aber auch zur
Gesellschaft durch Anhörun-
gen, politische Debatten, Ver-
handlungen und andere dia-
logische Formate hineinge-
tragen.
„Indem gesellschaftliche Ak-
teure beteiligt sind, kann die
Wissensanwendung einen
anderen Grad an Legitimität
erreichen, als es bei der tradi-
tionellen Form des Wissens-
transfers von der Wissen-
schaft in die Politik oder in
andere gesellschaftliche
Gruppen möglich ist“, hofft
man im IASS.

gen stehen im Fokus, auch ethische,
rechtliche, psychologische. Etwa die
Frage, wie das Aussehen und die Be-
wegungsmuster eines Roboters auf
umstehende Menschen wirken.
Oder wie Menschen erkennen, wel-
che Absicht ein autonom fahrendes
Fahrzeug verfolgt, ob es die Fahrt
wohl verlangsamt oder schneller
wird. Wie Homo sapiens und Mr.
Robot mit Blicken kommunizieren
können oder wie sich Avatare so be-
wegen, wie es sich ihre Nutzer und
Nutzerinnen von ihnen wünschen.
„Wenn wir mit Robotik weiter-
kommen wollen, müssen wir mehr
über die Menschen lernen“, sagt
Christian Pentzold, Professor für
Kommunikations- und Medienwis-
senschaft in Chemnitz. Zudem rea-
giert jeder Mensch anders, wenn
sich ihm ein Android nähert. Das
Verhalten hängt von seinem Cha-
rakter, aber auch von Alter, Ge-
schlecht oder kultureller Prägung
ab; davon, ob er hochintelligent und
topfit oder kognitiv und körperlich
eingeschränkt ist.
Aber ob es realistisch ist, dass Ro-
boter irgendwann individuell auf
Menschen eingehen, ihr Verhalten
anpassen? „Wir sind technologisch
noch nicht auf dem Stand, Roboter
sicher über lange Zeit in komplexe
Umgebungen bringen und dort
operieren lassen zu können“, sagt
Ulrike Thomas, Professorin für Ro-
botik und Mensch-Technik-Interak-
tion an der TU. „Wir haben da eine
Forschungslücke.“ Dabei sei das
Thema drängender denn je. So
könnte man in Pandemiezeiten Ro-
boter gut gebrauchen, als Postboten
etwa, um zwischenmenschliche
Kontakte zu reduzieren oder zur
25. Februar 2022 · Nr. 4
Unterstützung im Krankenhaus
oder für Pflegekräfte.
Anfang 2020 war der Sonderfor-
schungsbereich „Hybrid Societies“
an der TU Chemnitz gestartet. Die
Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) fördert das Projekt in den ers-
ten vier Jahren mit 10 Mio. €. Die
Sachsen versprechen sich davon ei-
niges. „Die Universität wird interna-
tional sichtbarer mit Zukunftsthe-
men“, glaubt Georg Jahn. „Sie wird
attraktiver als Forschungsstandort.“
Der Name „Hybrid Societies“ ist
eine sprachliche Neuschöpfung,
taucht anderswo nirgends auf, in
Bei „Hybrid Societies“
untersuchen
120
Forscher und Forsche-
rinnen die Kooperation von
Mensch und Maschine
den Suchrankings im Internet wird
er vollständig von der TU Chemnitz
besetzt – auch das ist Teil des Kon-
zepts. Erste größere Studienergeb-
nisse werden im Laufe dieses Jahres
erwartet. Sie sind auch nötig; nach
vier Jahren entscheidet sich, ob die
DFG den Sonderforschungsbereich
um weitere vier Jahre verlängert.
Insgesamt ist eine Förderung über
zwölf Jahre möglich.
In der öffentlichen Wahrnehmung
geht die TU Chemnitz bisweilen
unter, an die Reputation einer
KARRIERE & MANAGEMENT
RWTH Aachen, des Karlsruher KIT
oder der TU München kann sie
nicht heranreichen. Dabei zählt sie
sich – speziell auf dem Gebiet der
Robotik und Mensch-Maschine-In-
teraktion – zur Beletage unter den
deutschen Forschungseinrichtun-
gen. Von 2017 bis 2019 erhielt die TU
Chemnitz von der DFG Bewilligun-
gen in Höhe von 28,2 Mio. € für ihre
Ingenieurwissenschaften.
Damit liegt sie immerhin auf
Rang 19 aller deutschen Universitä-
ten. Ganz vorne liegt die RWTH mit
mehr als 152 Mio. €. „Die TU Chem-
nitz ist in den Bereichen Robotik
und Mensch-Maschine-Interaktion
einer der wichtigsten Standorte in
Deutschland – und wird immer
wichtiger“, so Ingmar Rothe, Dokto-
rand und Vorstand des Sonderfor-
schungsbereichs.
Die Chancen stehen gut, dass auch
die hybride Gesellschaft Chemnitz
erhalten bleibt. Nach Angaben der
DFG werden 80 % aller Sonderfor-
schungsbereiche über die erste För-
derperiode hinaus bezuschusst.
Aber eine Garantie ist das nicht.
Eine Garantie gibt es auch nicht
dafür, dass sich Menschen und Ro-
boter wirklich in Zukunft ständig
über den Weg laufen. Das zeigt das
Beispiel von Innok Robotics aus
Bayern, das die hybride Gesellschaft
zum Geschäftsmodell gemacht hat-
te. Innok entwickelte zusammen
mit der TU Chemnitz den Einkaufs-
roboter für Edeka, vertreibt Bewäs-
serungsroboter, Inspektionsroboter,
Spritzmittelroboter, Transportrobo-
ter, Kameraroboter, Einwalkroboter
und Universalroboter. Ende des
letzten Jahres meldete Innok Insol-
venz an.
29
„ ARBEITSRECHT IM BLICK
Krank in der
Probezeit
Gerade in der Coronapandemie kommt es immer
wieder zur Situation, dass eine Probezeit durch
Krankheit unterbrochen wird. Arbeitgebende
können so die berufliche Eignung schlecht ein-
schätzen.
Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin benö-
tigt bei einer Probezeit dann eine Gelegenheit,
um die Beurteilung
nachzuholen. Es stellt
sich daher die Frage, ob
und wie eine bereits be-
stehende Probezeit ver-
längert werden kann. Ge-
nerell gilt: Die Erprobung
eines oder einer Mitar-
beitenden ist laut Teil-
zeit- und Befristungsge-
Claudia Knuth ist
setz ein zulässiger Grund
Partnerin und Fach-
zur Befristung eines Ar-
anwältin für
beitsverhältnisses (§ 14
Arbeitsrecht bei
Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG).
LUTZ | ABEL. Foto: LUTZ | ABEL
Wird jedoch – wie hier –
nachträglich eine weitere
Befristung vereinbart, genügt der Sachgrund der
Erprobung nicht als Rechtfertigung. In solchen
Fällen bieten sich andere Vorgehensweisen an.
Eine Möglichkeit zur faktischen Verlängerung
der Probezeit ist ein Aufhebungsvertrag mit
dem oder der Mitarbeitenden. Dadurch kann
vereinbart werden, dass das Arbeitsverhältnis
beispielsweise drei Monate nach Ablauf der tat-
sächlichen Probezeit endet. Bewährt sich der
oder die Mitarbeitende bis zum Ablauf dieser
Frist, kann er oder sie wieder eingestellt werden.
Anderenfalls endet das Arbeitsverhältnis auto-
matisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
Der Vorteil bei einem Aufhebungsvertrag liegt
darin, dass er im Einverständnis mit dem oder
der Mitarbeitenden geschlossen wird und daher
keine einseitige Maßnahme darstellt. Sollte das
Arbeitsverhältnis jedoch nach der vereinbarten
Frist enden, besteht das Risiko, dass von der Ar-
beitsagentur eine Sperrfrist verhängt wird. Daher
stellt der Aufhebungsvertrag nicht immer die op-
timale Lösung dar.
Alternativ kann das Arbeitsverhältnis auch vor
Ablauf der Probezeit mit einer Frist von bei-
spielsweise drei Monaten gekündigt werden. Bei
Bewährung kann daraufhin ein neuer Arbeitsver-
trag abgeschlossen werden, anderenfalls endet
auch hier das Arbeitsverhältnis automatisch.
Hinsichtlich einer drohenden Sperrfrist er-
scheint dies die günstigere Lösung zu sein. Je-
doch ist die Kündigung durch den Arbeitgeber
oder die Arbeitgeberin eine einseitige Maßnah-
me und kann bei dem Arbeitnehmer oder der Ar-
beitnehmerin den Anschein erwecken, er oder
sie werde vor vollendete Tatsachen gestellt. Gera-
de wenn erwartet wird, dass sich der oder die
Mitarbeitende doch noch bewähren kann, wirkt
dieses Vorgehen relativ hart. Um diesen Eindruck
zu vermeiden, kann ein Vorabgespräch mit der
betroffenen Person Klarheit schaffen.
Beide aufgeführten Alternativen sind von der
Rechtsprechung anerkannt, insbesondere wenn
der oder die Mitarbeitende während der Probe-
zeit wegen längerer Krankheit nicht hinreichend
beurteilt werden konnte. Der Aufhebungsvertrag
erscheint in solchen Fällen zwar schonender zu
sein, jedoch kann durch die Kündigung eine
Sperrfrist beim Arbeitsamt vermieden werden.
Im Ergebnis ist also im konkreten Einzelfall zu
beurteilen, welches Vorgehen günstiger ist. Na-
türlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass
der oder die Mitarbeitende dagegen gerichtlich
vorgeht, vor allem, wenn die betroffene Person
nicht wieder eingestellt wird.
30 KARRIERE & MANAGEMENT
Auf die spielerische Art
Interdisziplinarität II: In multidisziplinären Teams hakt es häufiger bei der Kommunikation.
Was tun, damit es besser läuft? Silja Klepp und Johanna Barnbeck kennen Antworten. Und ein Spiel.
Von Mareike Knoke
VDI nachrichten: Frau Klepp,
welche Erfahrungen haben Sie mit
Interdisziplinarität gemacht?
Klepp: Prägend war meine Post-
doczeit in einem Küstenforschungs-
projekt der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft. Die Teamleitung lag
in den Händen von Naturwissen-
schaftlerinnen und Naturwissen-
schaftlern. Ich forschte in dem für
mich neuen Teilbereich der Klima-
migration in Ozeanien. Die Teamlei-
tung ging davon aus, dass ich – wie
in Mint-Fächern üblich – innerhalb
meiner auf zwei Jahre befristeten
Stelle zwei, drei Publikationen in
Journals dazu veröffentliche. Doch
für mich, als konstruktivistisch for-
schende Geisteswissenschaftlerin,
war klar, dass ich erst einmal Feld-
forschung betreiben würde und län-
gere Zeit vor Ort sein würde, bevor
ich ein Paper darüber schreibe – so
wie es in der Ethnologie
g üblich ist.
Spielende Forscherinnen
„ Silja Klepp ist an der natur-
wissenschaftlich-mathemati-
schen Fakultät Professorin
für Humangeografie an der
Christian-Albrechts-Univer-
sität zu Kiel.
„ Johanna Barnbeck ist Me-
dienwissenschaftlerin.
„ Das Brettspiel „Collab“ steht
kostenlos zum Selbstausdru-
cken zur Verfügung und kann
auch als fertiges Spiel erwor-
ben werden.
„ https://interdisciplinarygames.net
Wurde zuvor über die unterschied-
lichen Erwartungen geredet?
Klepp: Leider nicht. Es gab Miss-
verständnisse und deshalb Enttäu-
schungen auf beiden Seiten. Und
das vergiftete letztlich die Arbeitsat-
mosphäre und machte ein vertrau-
ensvolles Arbeiten kaum möglich.
Was ist das Hauptproblem?
Klepp: Wir haben auf der einen
Seite die Technik- und Naturwissen-
schaften, die beobachten, messen
und dokumentieren, recht schnell
etwas veröffentlichen und sich oft
für die „harten und guten“ Wissen-
schaften halten. Auf der anderen
Seite die Geistes- und Sozialwissen-
schaften, die beobachten, analysie-
ren und reflektieren und am Ende
vielleicht auch ein Buch als Publika-
tion herausbringen. Das allein muss
kein Problem sein. Nur ist es leider
so, dass den Geisteswissenschaften
teilweise eine weniger wichtige Rol-
le unterstellt und dann in Projekten
eingeräumt wird. Dieses Missver-
ständnis muss von vornherein
durch Kommunikation, besser noch
Interaktion ausgeräumt werden.
Barnbeck: So kam es zu der Idee,
die Mitglieder eines Forschungs-
teams zunächst einmal ein kommu-
nikatives Spiel miteinander spielen
zu lassen und sich so über ihre Ar-
beit und ihre Disziplinen auszutau-
schen. Auch der Name „Collab“ –
von Collaboration – für das Brett-
spiel war schnell gefunden.
Sie beide haben parallel auch ein
Manifest für gute interdisziplinäre
Zusammenarbeit verfasst, das je-
dem Spiel beiliegt.
Barnbeck: Wir möchten einen Pa-
radigmenwechsel in der interdiszip-
25. Februar 2022 · Nr. 4
linären Forschung anregen und ver-
deutlichen, dass es dafür unter an-
derem Mut, Kommunikation, Ver-
trauen und Reflexion braucht. Silja
Klepp und ich hatten uns bei einem
Projekt kennengelernt. Wir stellten
schnell fest, dass wir ähnliche Er-
fahrungen gemacht hatten. Ich ha-
be während meiner Arbeit an der
Universität in Amsterdam als for-
schende Künstlerin in Projekten mit
Forschenden und Kunstschaffen-
den gearbeitet. Dort war es ebenso
schwierig, eine gemeinsame Spra-
che für die Teamarbeit zu finden.
Deshalb das Manifest.
Frau Barnbeck, Sie geben Kommu-
nikationsworkshops für Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaft-
ler. Sind Verständigungsprobleme
dort auch Thema?
Barnbeck: Nicht direkt, eher indi-
rekt. In einigen meiner Workshops
geht es unter anderem darum, For-
mate für die Wissenschaftskommu-
nikation zu entwickeln. Dabei ste-
hen Fragen wie „Wie visualisiere ich
meine Forschung?“ im Mittelpunkt.
Aber im Prinzip gelten für das Ziel,
die eigene Forschung für Laien be-
greifbar zu machen, ähnliche Be-
dingungen wie dafür, anderen fach-
fremden Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern nahezubringen,
was man eigentlich macht und wie
man arbeitet.
Ein wichtiger Bestandteil des
Spiels „Collab“ ist, Fragen zu be-
antworten. Zum Beispiel?
Barnbeck: „Wie würdest du dei-
nen Forschungsprozess beschrei-
ben?“ oder „Was ist dein Lieblings-
werkzeug (in der Forschung) und
warum?“ Die Idee ist, dass man sich
selbst in der Spielsituation ein biss-
chen aus dem konkreten For-
schungskontext lösen kann, um frei
über die Situation zu reflektieren.
Das funktioniert spielerisch meis-
tens besser, als wenn alle um einen
Konferenztisch herumsitzen und ei-
ne Person einen Vortrag hält.
Gibt es schon Rückmeldungen auf
„Collab“?
Klepp: Ja, die Leute sind sehr ange-
Silja Klepp: Mangeln- tan. Viele sagten: „Darüber habe ich
de Interaktion erzeugt gar nicht nachgedacht. Das ist bei
„Missverständnisse euch alles anders als bei uns. Jetzt
und Enttäuschungen“. verstehe ich, wie ihr tickt.“ Ich selbst
Foto: Jürgen Haacks, Uni Kiel/Andre Wunstorf war beim Testspielen mit meinem
Team auch überrascht, dass man in-
nerhalb von 90 Spielminuten eine
neue Haltung zur eigenen und zur
Arbeit anderer gewinnen kann.
Barnbeck: Als wir das Spiel vor
ein paar Monaten auf der Berlin Sci-
ence Week vorgestellt haben, gab es
Rückmeldungen von Ingenieuren,
die fragten, ob man nicht eine Art
Special Edition für Ingenieure und
Ingenieurinnen entwickeln könnte.
Johanna Barnbeck: Braucht es die denn?
„Ingenieure fragten Klepp: Innerhalb der Ingenieur-
nach einer Special Edi- wissenschaften sind so viele ver-
tion für Ingenieure und schiedene Fachrichtungen unter-
Ingenieurinnen.“ wegs, die vermutlich jeweils eben-
Foto: André Wunstorf/Uni Kiel falls ihre eigenen Fachsprachen be-
nutzen und von unterschiedlichen
Motivationen angetrieben werden,
dass auch die sich erst einmal zu-
sammenfinden müssen. Das gilt na-
türlich auch für die transdisziplinä-
re Zusammenarbeit mit praktisch
arbeitenden Ingenieuren und Inge-
nieurinnen, die eine weniger wis-
senschaftliche Sprache benutzen.
„ https://de.interdisciplinarygames.net/
manifesto

Arbeite, wann es dir passt
Arbeitszeit: Beim britischen Ingenieurbüro Arup gilt die Siebentagewoche.
Dieses Modell würde in Deutschland nicht funktionieren.
Von Constantin Gillies
A
m Freitag schon mittags
Schluss machen und die
restliche Arbeit am Sonn-
tagabend zu Hause erle-
digen – das ist beim briti-
schen Ingenieurbüro Arup kein Pro-
blem. Seit Kurzem können sich die
6000 Angestellten dort ihre Arbeits-
zeit völlig frei einteilen. Alles zwi-
schen Montag und Sonntag ist bei
Arup möglich. Eltern mit kleinen
Kindern nutzen diese Freiheit zum
Beispiel, um zwischen 15 Uhr und
20 Uhr Pause zu machen und den
Rest der Arbeit abends zu erledigen.
Sportlich Ambitionierte räumen
sich eine Stunde am Tag für ihre
Laufrunde frei.
Alles ist erlaubt, solange der Mitar-
beitende zwei Tage pro Woche im
Büro anwesend ist. Mit dieser tota-
len Flexibilisierung hat das Unter-
nehmen, das unter anderem beim
Bau der Oper in Sydney fe-
derführend war, weltweit
Schlagzeilen gemacht.
Und in Deutschland?
Zumindest wünschen
sich viele Angestellte
hierzulande mehr Frei-
heit bei ihren Stunden.
51 % sagen, dass für sie in Zukunft
ein Job ohne flexible Arbeitszeiten
gar nicht in Betracht kommt. Das er-
gab eine Umfrage, die Ende 2020
von der Unternehmensberatung
BCG durchgeführt wurde (Titel:
„Decoding Global Ways of Wor-
king“). Vor allem jüngere Arbeitneh-
mende pochen auf mehr Autono-
mie: 40 % sagen, flexible Zeiteintei-
lung sei das wichtigste Argument für
einen Jobwechsel – sogar noch ent-
scheidender als das Gehalt.
Zukunftsforschende halten den
Vorstoß von Arup generell für rich-
tig. „Der Trend geht klar in Richtung
Flexibilisierung der Arbeit“, sagt Ka-
rin Frick, Forschungsleiterin am
Gottlieb Duttweiler Institut (GDI),
einem Think Tank im schweizeri-
schen Rüschlikon. „Immer mehr
Wertschöpfung findet in Projekten
statt, und in diesem Umfeld verliert
die alte industrielle Logik von Nine-
to-five zunehmend ihren Sinn“, be-
gründet Frick.
Die Trendforscherin erwartet,
dass Arbeit in Zukunft dem Entste-
hen eines Films gleicht: Interne Mit-
arbeitende und externe Freelancer
und Freelancerinnen tun sich auf
Zeit zusammen, um gemeinsam ei-
ne Aufgabe zu stemmen. Punkt
17 Uhr oder 18 Uhr den Rechner
auszuschalten, passe nicht mehr in
diese Welt, so Frick.
Dass Unternehmen jetzt die
Stechuhr einmotten, hat natürlich
auch mit Corona zu tun. Während
der Pandemie durften viele Ange-
stellte erstmals arbeiten, wo und
wann sie wollten. „Alle haben sich
daran gewöhnt, abends zwei Stun-
den dranzuhängen, wenn es nötig
ist“, so Frick. Auf dieses Plus an
25. Februar 2022 · Nr. 4
Selbstbestimmung wollten viele
nicht mehr verzichten.
Arbeit an allen Tagen der Woche –
wie bei Arup in Großbritannien – ist
in Deutschland allerdings aus recht-
lichen Gründen nicht möglich. „Das
Arbeitszeitgesetz verbietet Sonn-
tagsarbeit“, sagt Thomas Winzer
von der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz,
Frankfurt am Main. Selbst wenn Ar-
beitnehmende und Arbeitgebende
sich einig seien, dürfe keine Aus-
nahme gemacht werden, betont der
Experte für modernes Arbeitsrecht.
Von dem Verbot des Arbeitszeitge-
setzes ausgenommen seien nur lei-
tende Angestellte, so Winzer, „und
das sind in der Regel nur wenige
Prozent der Belegschaft“. Samstags
In Deutschland
darf pro Tag
nicht mehr als
zehn Stunden ge-
arbeitet werden.
oder abends noch etwas für den Job
zu erledigen, ist dagegen auch in
Deutschland möglich, solange das
Tagespensum zehn Stunden nicht
übersteigt.
Jurist Winter sieht jedoch noch ei-
ne weitere Flexibilitätsbremse: die
deutsche Regel zur Ruhepause. Zwi-
schen Arbeitsende und -beginn
müssen elf Stunden Freizeit liegen.
Das kann in der modernen Arbeits-
welt zu Problemen führen. Was ist
zum Beispiel, wenn der oder die An-
gestellte abends um 23 Uhr auf dem
Handy noch schnell eine Büromail
beantwortet? Legt man das Gesetz
wörtlich aus, könnte diese Person
erst wieder um 10 Uhr morgens mit
der Arbeit beginnen.
Es müsste eine „Erheblichkeits-
schwelle“ gelten, meint deshalb
Anwalt Winzer. Sprich: Kurz eine
Mail zu schreiben, sollte nicht als
Unterbrechung der Ruhepause gel-
ten. Doch über diese Frage streiten
die Experten und Expertinnen noch.
In Deutschland setzt Arup sein Ar-
beitszeitmodell nur in abgespeckter
Form um. Die Angestellten dürfen
ihre Arbeitszeit zwischen Montag
und Freitag, 7 Uhr bis 19 Uhr, frei
KARRIERE & MANAGEMENT
wählen, wobei eben pro Tag nur ma-
ximal zehn Stunden möglich sind.
„Wir halten am Sonntag als kollekti-
ven freien Tag fest“, betont Norbert
Reuter, Leiter der Tarifpolitischen
Grundsatzabteilung bei Verdi. Um
Verhältnisse wie Großbritannien zu
schaffen, müsste das Arbeitszeitge-
setz geändert werden. Anwalt Win-
zer sieht dafür im Moment keine
politischen Mehrheiten. „Im Koaliti-
onsvertrag steht nichts zu einer
grundlegenden Reform.“ In puncto
Arbeitszeit seien „Revolutionen“ zu-
nächst nicht zu erwarten. Die Ge-
werkschaften begrüßen das. „Wir
halten am Sonntag als kollektiven
freien Tag fest“, betont Norbert Reu-
ter, Leiter der Tarifpolitischen
Grundsatzabteilung bei Verdi.
Foto: panthermedia.net/Elnur Amikishiyev
Auch die Ruhepausenregel ist für
die Gewerkschaft nicht verhandel-
bar. „Arbeit muss das menschliche
Maß wahren, sonst werden die
Menschen krank“, so Reuter. Geset-
zesänderungen hält er nicht für an-
gezeigt. „60 Stunden pro Woche sind
nach geltendem Arbeitszeitgesetz
schon heute möglich, wenn inner-
halb von sechs Monaten im Durch-
schnitt acht Stunden werktäglich
nicht überschritten werden – das
bietet genug Flexibilität.“ Die Ge-
werkschaften wollen vor allem ver-
hindern, dass aus der Siebentage-
option schleichend eine Siebenta-
geregel wird.
Heute mag es noch praktisch klin-
gen, am Sonntagabend schnell ein
paar Mails vom Tisch zu schaffen.
Doch was passiert, wenn der Chef
das morgen von jedem erwartet?
„Hier gilt es, den Anfängen zu weh-
ren“, betont Reuter. Paradiesisch
sind die Zustände in einer Siebenta-
gewoche nicht. Das zeigt auch der
Fall Arup. Es ist viel Abstimmung
nötig, Die „Financial Times“ zitiert
einen Büromanager, der sagt, sein
Kalender sehe aus „wie das Video-
spiel Tetris“ – also wie ein Puzzle aus
Zeitkacheln.
31
Karriereberater Bodo
Ikinger steht Interes-
senten am Recruiting
Tag der VDI nachrich-
ten (2. und 3. März) Re-
de und Antwort. Foto: privat
„Verschaffen Sie
sich Klarheit über
das Karriereziel!“
VDI nachrichten: Herr Ikinger, was beschäftigt
die Generation junger karrierebewusster Men-
schen vor allem?
Ikinger: Insbesondere Young Engineers begeis-
tern sich beruflich für innovative, zukunftsorien-
tierte Technologien vom Menschen für den Men-
schen. Dabei stehen insbesondere Nachhaltigkeit
und Umwelt- sowie Klimaschutz im Fokus. Dies
kann in unterschiedliche Richtungen gehen, zum
Beispiel bei der Mobilität mit regenerativen An-
trieben, bei der Energieerzeugung mit erneuerba-
ren Energien oder bei der Urbanisierung und Ge-
bäudetechnik mit nachwachsenden Materialien
und klimaneutraler Ausführung.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf
das Karrierebewusstsein?
Die Pandemie bestärkt das Bestreben, sich für
den Natur- und Umweltschutz einzusetzen. Das
Streben nach Führungspositionen lässt insge-
samt nach. Karriereorientierte bevorzugen eine
sinnerfüllte, verantwortungsvolle Position in der
Entwicklung oder bei der Ausführung nachhalti-
ger Projekte. Auslandsstationen als Karrierechan-
ce werden kaum angestrebt noch eingefordert.
Gibt es eine grundsätzliche Karrierestrategie?
Zunächst gilt es, sich Klarheit über das angestreb-
te Karriereziel und den Weg dorthin zu verschaf-
fen. Spontane Karrierewege aufgrund auftau-
chender Jobangebote mögen verlockend klingen,
doch führen sie den Betroffenen nicht unbedingt
zum mittel- und langfristigen Karriereziel. Das
bedeutet nicht, sich für Möglichkeiten zu ver-
schließen, sondern sie kritisch zu überprüfen.
Nennen Sie bitte fünf Kriterien, die zum Rüst-
zeug eines jungen Ingenieurs/einer jungen In-
genieurin gehören.
Diese Eigenschaften halte ich für junge Ingenieu-
rinnen und Ingenieure für wesentlich:
– Eigeninitiative und Selbstverantwortung,
– Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen sowie
Selbstwertgefühl,
– Agieren in Netzwerken und Teams,
– Lebenslange Lernbereitschaft, Aufgeschlossen-
heit für anderes und Neues,
– Kreativität, Lösungsorientierung, Zuversicht
und Ausdauer.
Recruiting Tag der
VDI nachrichten
„ Karriereberater Bodo Ikinger berät kos-
tenfrei auf dem VDI nachrichten Recrui-
ting Tag online am 2. und 3. März 2022.
Der Recruiting Tag Online ist die Karrie-
remesse für Ingenieure, Ingenieurinnen
sowie für ITler, egal ob Young Professio-
nals oder Professionals.
„ Registrieren Sie sich kostenfrei:
www.ingenieur.de/online
32 KARRIERE & MANAGEMENT
Coronawelle
sorgt für
Grippedelle
Strategie: Abstand halten, Hände waschen,
Klinken putzen – das ist in den Unternehmen
Realität. Ein konsequentes Hygieneregime
zahlt sich für die Firmen aus.
Von Manfred Godek
I
m Winter 2018/2019 schneite es gelbe Zet-
tel. Rund 2,3 Mio. Grippekrankschreibun-
gen registrierte das RKI deutschlandweit,
2017/2018 waren es sogar 5,5 Mio. gewesen.
Im Jahr 2018 resultierten daraus laut der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsme-
dizin Produktionsausfälle im Wert von 12,4 Mrd. €
und Wertschöpfungsausfälle von 21,2 Mrd. €. Mit
der Coronawelle kam die Grippedelle.
2020/2021 sank die Zahl der nach dem Seu-
chenschutzgesetz meldepflichtigen Influenzafäl-
le von 186 000 im Jahr davor auf nur 564 und die
der influenzabedingten Krankschreibungen um
rund die Hälfte. Von den bei der Krankenkasse
Barmer Versicherten waren zum Beispiel zwi-
schen dem 3. Oktober und dem 27. November
2019 im Wochendurchschnitt 1383 wegen Atem-
wegsbeschwerden krank gewesen. Im gleichen
Zeitraum 2020 schrumpfte die Zahl auf 722 und
im gerade zu Ende gegangenen Jahr 2021 war sie
mit 748 nur geringfügig höher.
Homeoffice kann dazu nicht den größten Bei-
trag geleistet haben. Sein Anteil war nur zwi-
schen Mitte Februar und Anfang April 2021 auf-
grund gesetzlicher Vorschriften mit rund 45 %
relativ hoch. Zwischen November 2020 und Ja-
nuar 2021 lag er zwischen 14 % und 24 %. Der
Schlüssel liegt demnach in den Betrieben.
„Wenn sich die Menschen weiterhin an die Vor-
gaben halten, wird die Grippe auch in nächster
Zeit keine nennenswerte Rolle spielen“, so Ursu-
la Marschall, Leitende Medizinerin bei der Bar-
mer. Stark rückläufig waren auch andere Infek-
tionen, die Betriebsärzten und -ärztinnen regel-
mäßig Sorgen bereiten: Noroviren und Salmo-
nellen.
„Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind
für den Infektionsschutz sensibilisiert und ver-
halten sich so, dass sie ihre Gesundheit und die
ihrer Kolleginnen und Kollegen schützen. Das
wollen wir weiterhin fördern und leben“, so ein
Sprecher des Technologieunternehmens SMS.
Die Maßnahmen hätten sich positiv auf den all-
gemeinen Krankenstand ausgewirkt.
25. Februar 2022 · Nr. 4
In seinem Unternehmen sei das Thema Hände-
hygiene bereits vor der Pandemie regelmäßig the-
matisiert worden, berichtet Frank Grodzki, Kon-
zernsprecher des Gabelstapler- und Lagertech-
nikspezialisten Kion. „Danach“ werde es sicher-
lich dauerhaft anders wahrgenommen und ver-
wirklicht werden. So dürfte die berührungsfreie
Begrüßung vielfach erhalten bleiben und das Tra-
gen von Masken in Erkältungszeiten ein oft zu be-
obachtendes Bild werden.
Der Maschinenbauer Kuka praktiziert ein in-
fektionsratenbasiertes Phasenmodell. Seit No-
vember gilt Phase eins – „rot“ – mit verschärften
Maßnahmen wie mobilem Arbeiten, Maskenge-
bot, 3G als Zugangsvoraussetzung, 2G bei not-
wendigen Dienstreisen und ansonsten alle
AHA+L-Regeln. „Im New Normal befanden wir
uns zuletzt im Sommer 2021 bis in den Septem-
ber hinein. In dieser Phase gilt unser Hygienekon-
zept unabdingbar weiter mit Maßnahmen wie
dem Einhalten des Abstands oder der regelmäßi-
gen Reinigung von Oberflächen“, so Ulrike Götz,
Sprecherin für Technologie.
Infektionsschutz sei jetzt Chefsache, was sich als
wichtiger Treiber für die zeitnahe Umsetzung von
Schutzmaßnahmen erweise, resümiert das Insti-
tut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesagentur für Arbeit (IAB). Spender mit Des-
infektionsmitteln und Einmalhandtüchern oder
Bodenmarkierungen können dort bleiben, wo sie
bereits sind, Reinigungsintervalle verkürzt statt
eingespart werden – bis hin zum regelmäßigen
Putzen von Touchpoints. Denn auch Nichtcoro-
naviren sind hartnäckig. Auf metallischen Ober-
flächen oder auf Papier überleben sie bis zu drei
Tage. Auf Schreibtischen befänden sich im
Durchschnitt 400-mal mehr Keime als auf einer
Toilette, warnt die TÜV Süd Advimo GmbH. Das
Unternehmen vereinfacht das New Normal mit
einem per Handy-App bedienbaren Hygienema-
nagementsystem. Pflichtenkataloge können ter-
mingerecht abgearbeitet und die Einhaltung do-
kumentiert werden.
Dabei hat die hygienische und desinfizierende
Reinigung eine zentrale Funktion. Die Pandemie
hat einige kreative Ideen hervorgebracht, etwa
Die Anzahl der Krank- Foto: panthermedia.net/Andriy Popov
schreibungen wegen der
Influenza ist drastisch emaillierte Oberflächen, die Bakterien abstoßen
gesunken. Die zusätzli- und smarte Displays an Armaturen, die Nutzende
chen Hygienemaßnah- zum Händewaschen animieren. Viele kommen
men in Unternehmen auf die fast banale Idee, häufiger sauber zu ma-
haben positive Effekte chen. Laut IAB haben vor allem größere Unter-
auf die Gesundheit der nehmen die Reinigungsintervalle verkürzt.
Mitarbeitenden. „In einem Reinigungsschema ist die Flächen-
desinfektion ohnehin elementar und eine Skalie-
rung nach Viren- oder Bakterienarten gar nicht
möglich“, so Marc-A. Eickholz, Geschäftsleiter
des Facility-Dienstleisters Niederberger Gruppe.
Allerdings veränderten sich die Prozesse.
Beispielsweise etabliere sich zunehmend die
sogenannte „Tagreinigung“ während der Be-
triebszeiten. Buchstäblich Luft nach oben gibt es
auf einem anderen Gebiet. „Die regelmäßige War-
tung und Reinigung nach der VDI-Norm 6022 ist
essenziell. Die Anlagen sollten zudem grundsätz-
lich mit einem hohen Frischluftanteil betrieben
werden“, sagt Marc-A. Eickholz, Geschäftsleiter
des Facility-Dienstleisters Niederberger Gruppe.
Laut IAB überprüfen nur 20 % der Unternehmen
ihre Klima- und Lüftungsanlagen regelmäßig,
obwohl darüber infektiöse Aerosole verbreitet
werden können. „Die regelmäßige Wartung und
Reinigung nach der VDI-Norm 6022 ist essenziell.
Die Anlagen sollten zudem grundsätzlich mit ei-
nem hohen Frischluftanteil betrieben werden“,
sagt Experte Eickholz.
Wenn aus technischen oder wirtschaftlichen
Gründen ein Umluftbetrieb unvermeidbar sei,
müssten Hochleistungsfilter oder andere Maßnah-
men wie UV-Licht-Technik zur Abscheidung oder
Inaktivierung von Viren zum Einsatz kommen.
Neben dem Schutz von Mitarbeitenden, Gäs-
ten und Kunden und Kunden gelte es, Ausfallzei-
ten und negative Berichterstattung zu vermeiden.
Gesundheits- und Wohlfühlaspekte seien auch
ein wichtiger Faktor beim Wettbewerb um neue
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zudem
leistungsrelevant, betont Bruno Hattayer, Be-
reichsleiter Real Estate Consulting & Advisory bei
Advimo. Arbeitgeber würden von ihren Mitarbei-
tenden daran gemessen, wie sie mit der Krise um-
gingen und die Gesundheit ihrer Angestellten si-
cherstellten.
Automatisierungstechnik Ingenieur / Stadtplanerin (m/w/d) Diplomingenieur (m/w/d) bzw. Bachelor of Konstruktionsingenieur (m/w/d) Qualitätssicherung,
Projektingenieur EMSR (m/w/d) Stadtstraßen Engineering (m/w/d) Landschaftsplanung bzw. Montanhydraulik GmbH Qualitätsmanagement
Gunvor Raffinerie Ingolstadt GmbH Behörde für Verkehr und Mobilitätswende Umweltschutz Holzwickede ID: 027320754 Ingenieur (FH-Diplom oder Bachelor) (m/w/d)
Ingolstadt ID: 027333433 Hamburg ID: 027190954 Stadt Reutlingen ID: 027312478 Projektingenieur (m/w/d) Anlagentechnik Qualitätsmanagement, Technische Chemie,
Anwendungstechniker (m/w/d) Getränke- / Bauleiter:in (w/m/d) Fachexpertin / Fachexperten Störfallvorsorge, Sika Deutschland GmbH Physikalische Technik, Umwelttechnik
Lebensmitteltechnologie Berliner Wasserbetriebe ID: 027236821 Industrie und Gewerbe Stuttgart ID: 027318604 BfS Bundesamt für Strahlenschutz
Albert Handtmann Armaturenfabrik GmbH & Kanton Thurgau (Schweiz) ID: 027236989 Freiburg ID: 027264163
Projektsteuerer (m/w/d) Entwickler (m/w/d) Fahrerassistenzsysteme /
Co. KG Klinikverbund Südwest GmbH Fachexpert:in Risikomanagement und Automatisiertes Fahren – Fahrversuch Technische Referentin / Technischer Referent
Biberach ID: 027156302 Sindelfingen ID: 027181405 Zielsysteme (w/m/d) Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH (w/m/d)
Elektroniker:in Betriebs- und Berliner Wasserbetriebe ID: 027166198 Schwieberdingen ID: 027275631 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
Bauleiter (m/w/d) Berlin ID: 027220890
Automatisierungstechnik (m/w/d) Bernhard Bauträger GmbH Entwicklungsingenieur – Kamerabasierte
BASF Coatings GmbH
Fertigungstechnik, Produktion Fahrerassistenzfunktionen (m/w/d)
Friedrichsdorf ID: 027182271 Softwareentwicklung
Münster ID: 026939793 Verfahrenstechniker (w/m/d) Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Projektleiter (m/w/d) PAUL HARTMANN AG Schwieberdingen bei Stuttgart ID: 027175600 Systemingenieur / Systemarchitekt Embedded
Bauwesen Fritz Herzog Bauunternehmen AG Heidenheim ID: 027221198 Software (m/w/d)
Andernach ID: 027200211 Leiter Arbeitsvorbereitung (m/w/d) embeX GmbH
Ingenieure/innen (w/m/d) in der Fachrichtung Ingenieur Lean Management (m/w/d) Flottweg SE
Versorgungstechnik / Technische Unna, Koblenz, Freiburg ID: 027305850
Bauleiter / Projektleiter Tief- und Straßenbau SEMIKRON Elektronik GmbH & Co. KG Vilsbiburg ID: 027128919
Gebäudeausrüstung, (FH / Bachelor) als (m/w/d) Nürnberg ID: 027222413 Industrial Software Engineer / 3D Printing &
Projektsachbearbeiter/innen Professorin/Professor (m/w/d)
Fritz Herzog Bauunternehmen AG Automation (m/f/d)
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Forschung & Entwicklung Hochschule für angewandte Wissenschaften
Marburg ID: 027200212 Vanguard Automation GmbH
Bonn ID: 027359976 Würzburg-Schweinfurt ID: 027095968
Entwickler / Konstrukteur (m/w/d) von Karlsruhe ID: 027353165
Sachgebietsleiter (w/m/d) Strategische
Abteilungsleitung Bezirksmanagement und Servomotoren und Aktuatoren Mechatronik, Embedded
Planung Ingenieur / Techniker (w/m/d) für Leitsysteme
Projektentwicklung (w/m/d) FERTIG Motors GmbH Systems
Stadt Erlangen ID: 027173302 B. Braun Melsungen AG
Landeshauptstadt München ID: 027359952 Marktheidenfeld ID: 027304162
Entwicklungsingenieur (m/w/d) Mechatronik / Melsungen ID: 027263084
Bauingenieur / Architekt (m/w/d) im Bereich Textil-Ingenieur / Projekt-Ingenieur (m/w/d)
Ingenieurinnen / Ingenieure (w/m/d) in den Elektrotechnik
Hoch- & Tiefbau für unseren Bereich Technik, Forschung & Systemadministration, Netze
Fachrichtungen Versorgungs-, Gebäude-, CONDOK GmbH
Allianz Versicherungs-AG Entwicklung
Elektro- oder Nachrichtentechnik Kiel ID: 027151007 IT-Administrator (m/w/d)
München ID: 027159477 Otto Markert & Sohn GmbH
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Stadt Obertshausen ID: 027341635
Ingenieurin / Ingenieur (w/m/d) für den Neumünster ID: 027304974 Medizintechnik, Biotechnik
Berlin ID: 027353221
Bereich Bauaufsichtliche Angelegenheiten im (Junior) Patentingenieur (m/w/d)
Projektingenieur (m/w/d) Technische Dienstleistung,
Bauingenieurin / Bauingenieur (m/w/d) Bundesbau PANPHARMA GmbH Engineering
(Master/Uni-Diplom) Einhell Germany AG
Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes NRW Trittau ID: 027346367 Chemikerin/Chemiker (Diplom Univ./Master)
Bundesanstalt für Straßenwesen – BASt Landau an der Isar ID: 027310604
Münster ID: 027133284 Technikerin/Techniker / Meisterin/Meister (m/w/d)
Bergisch Gladbach bei Köln ID: 027362784
Bauinformatiker Tiefbau Forschung & Lehre (m/w/d) Medizintechnik für die Technische Berufsgenossenschaft Handel und
Gesamtprojektleiter*in Planung medienübergreifender Netzbau (w/m/d) Wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in (m/w/d) Abteilung, Bereich Medizintechnik. Warenlogistik (BGHW)
U-Bahn-Neubau U4 Berliner Wasserbetriebe ID: 027166227 der Fachrichtung Technische Informatik, Landschaftsverband Rheinland München ID: 027332588
Hamburger Hochbahn AG ID: 027347831 Physikalische Ingenieurwissenschaft oder Düsseldorf ID: 027237427
Chemieingenieurwesen Maschinenbau Technische Dokumentation
Ingenieurin / Ingenieur für den Bereich (Teil-)Projektleiter (m/w/d)
Koordination (w/m/d) Elektroingenieur (m/w/d) BAM – Bundesanstalt für Materialforschung ACENTISS GmbH Betriebsingenieur (w/m/d) für
Landeshauptstadt Wiesbaden ID: 027333435 Gunvor Raffinerie Ingolstadt GmbH und -prüfung Stuttgart ID: 027172156 pharmazeutische Prozess- und Anlagentechnik
Ingolstadt ID: 027333430 Berlin ID: 027352955 CureVac Real Estate GmbH
Bauingenieur/in (m/w/d) als Leiter/in des Scientist – Screening (m/w/d) Tübingen ID: 027220944
Sachbereiches Kanalisation Elektrotechnik, Elektronik Gebäude- und CLARIANT SE
Stadt Bad Bad Oldesloe ID: 027333109 Planungsingenieur:in Elektrotechnik für Maschinenmanagement Planegg ID: 027161866 Technische Leitung
Ingenieur*innen oder Architekt*innen Brandschutzprojekte (w/m/d) Leiter:in HE4 Unterstützungsprozesse (w/m/d) Produktmanagement Teilprojektleitung Öffentliche Erschließung
(m/w/d) der Fachrichtung Berliner Wasserbetriebe ID: 027353009 Berliner Wasserbetriebe ID: 027166140 U-Bahn-Betriebshof (m/w/d)
Teamleiter Produkt Marketing (w/m/d) Stadtwerke München GmbH ID: 027235897
Bauingenieurwesen, Architektur beim Amt für Embedded Softwareentwickler für WILO SE
Wohnungswesen Hardwaren. Prog., embed.
Luftfahrtanwendungen (m/w/d) Syst. Dortmund ID: 027231773 Betriebsingenieur Ammoniak-Produktion
Stadt Köln ID: 027334351 Diehl Aviation Gilching GmbH (m/w/d)
Ingenieur / Techniker (m/w/x) Straßen- und Gilching, Dresden ID: 027303224 Entwicklungsingenieur Embedded Software Projektmanagement YARA Brunsbüttel GmbH
(m/w/d) Bauingenieur*in / Architekt*in als Brunsbüttel ID: 027286725
Entwässerungsplanung Integrations- und Testingenieur (m/w/d) embeX GmbH
Sweco GmbH Projektleitung für die Baudurchführung des
Systemverifikation Unna, Koblenz, Freiburg ID: 027305849 Großprojektes U9 (m/w/d) Leiter*in Instandhaltung
Cuxhaven ID: 027353350 Diehl Defence GmbH & Co. KG AGR Betriebsführung GmbH
Software Projektleiter/Architekt (m/w/d) Stadtwerke München GmbH ID: 027281414
Projektingenieur im Brückenbau für Neubau-, Röthenbach a. d. Pegnitz ID: 027303226 Herten ID: 027220828
ACENTISS GmbH (Teil-)Projektleiter (m/w/d)
Ausbau- und Erhaltungsmaßnahmen (w/m/d) Entwicklungsingenieur (m/w/d) Stuttgart ID: 027172157
Die Autobahn GmbH des Bundes Acentiss GmbH Technischer Vertrieb &
Antriebsauslegung Stuttgart ID: 027281905 Beratung
München ID: 027302586 Jungheinrich AG IT-Architektur
Konstrukteur (m/w/d) mit Projektleitung Norderstedt ID: 027332533 DevOps Hosting Security and Privacy Engineer Industrial Engineer – Production Planning Techniker Expert Helpdesk (m/w/d)
fischer Sondermaschinenbau GmbH (m/f/d) Second Source Eastern Europe (m/f/d) Kardex Deutschland GmbH
Ingenieur (gn*) für Messtechnik Einhell Germany AG Neuburg an der Kammel ID: 027179079
Horb am Neckar ID: 027284608 Siltronic AG Diehl Metering GmbH
Ansbach ID: 027303225 Landau an der Isar ID: 027318187
Fachbereichsleiter Hochbau / Burghausen ID: 027313137 Vertriebsingenieur (m/w/d) Umwelttechnik /
Gemeindeentwicklung (m/w/d) R&D Project Scientist (m/f/d) Abluftreinigung
Bereichsverantwortliche Elektrofachkraft IT Konstruktion, CAD MED-EL Medical Electronics Wessel-Umwelttechnik GmbH
Gemeinde Mainhausen ID: 027279116 (w/m/d) Konstrukteur / Projektleiter (m/w/d) Innsbruck (Österreich) ID: 027312626 Langenfeld,Hamburg ID: 027237327
Projektleitung für die Instandsetzung von Berliner Wasserbetriebe ID: 027236948 IKA Werke GmbH & Co. KG
Ingenieurbauwerken (w/m/d) Staufen ID: 027221088 Projektmanagement Verfahrenstechnik
Servicetechniker (m/w/d)
Landeshauptstadt München ID: 027304044 Kardex Deutschland GmbH Projektingenieur im Bereich Betriebsingenieur (w/m/d) für
Konstrukteur Produktentwicklung (m/w/d)
Berlin ID: 027180212 Verfahrenstechnik/Chemieanlagenbau/Prozes pharmazeutische Prozess- und Anlagentechnik
Technikerin / Techniker Hochbau (m/w/d) Senior Flexonics GmbH
stechnik (m/w/d) CureVac Real Estate GmbH
LVR-Klinikum Düsseldorf – Kliniken der Technical Writer (m/w/d) Kassel ID: 027191547
PTC – PARFORCE Technology Cooperation GmbH Stuttgart ID: 027192520
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf MED-EL Medical Electronics Luft- und Raumfahrt Marl ID: 027234279
Düsseldorf ID: 027278650 Innsbruck (Österreich) ID: 027173535 Verfahrensingenieur (m/w/d) Projektierung
#ET3R Functional and System Design Teilprojektplanung Objektplanung Umwelttechnik / Anlagenbau
Technischer Vertriebsmitarbeiter (m/w/d) Verkehrsanlagen U-Bahn-Betriebshof (m/w/d)
Energie & Umwelt Responsible for Military Mission Management Wessel-Umwelttechnik GmbH
Vertriebsinnendienst – Schwerpunkt Stadtwerke München GmbH ID: 027236031
Systems (f/m/d) Hamburg ID: 027237292
Kalkulation, Angebotserstellung und Sachbearbeiterin / Sachbearbeiter
Airbus Projektleiter/Projektingenieur – Elektrotechnik
Auftragserfassung im ERP-System „Erneuerbare Energien“ (w/m/d) Chemieingenieur bzw. Ingenieur der
Donauwörth ID: 027348940 (m/w/d)
Maurer SPS Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Verfahrenstechnik als Senior Consultant
München ID: 027304469 Bonn ID: 027359693 Ingenieur für Avionik- und Jungbunzlauer Ladenburg GmbH
Prozess- und Verfahrenstechnik (m/w/d)
Hardwareentwicklung (m/w/d) im Ladenburg ID: 027237796
Ingenieure/Ingenieurinnen (m/w/d) der Staatlich geprüfter Techniker (m/w/d) Günter Stahl GmbH Personal- und
Luftfahrtbereich Diplomingenieur (FH) / Bachelor of IT-Unternehmensberatung
Fachrichtung Architektur oder BfS Bundesamt für Strahlenschutz
ACENTISS GmbH Engineering (m/w/d) Nürnberg,Regensburg ID: 027043390
Bauingenieurwesen mit Schwerpunkt Hochbau Bonn ID: 027192567
Ottobrunn ID: 027281907 Stadt Reutlingen bei Stuttgart ID: 027173637
Stadt Salzgitter ID: 027308582
Spezialistin / Spezialist (w/m/d) für den Versorgungstechnik
Ingenieur für Avionik- und Ingenieur (m/w/d) der Fachrichtung
Ingenieurin / Ingenieur (w/m/d) für den Einkauf von Waren und Dienstleistungen im Diplom-Ingenieure (FH/DH) bzw. Bachelor
Hardwareentwicklung (m/w/d) im Architektur / Hochbau
Bereich Brandschutz als Projektteammitglied Bereich Entsorgung (m/w/d) der Fachrichtung
Luftfahrtbereich Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR
Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes NRW Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Versorgungstechnik, Facility Management
ACENTISS GmbH (GMSH)
Köln ID: 027264047 Bonn ID: 027331793 oder Energiemanagement für das Technische
Ottobrunn ID: 027172155 Flensburg ID: 027168025
Vermessungsingenieur*in (m/w/d) in der Sachbearbeiter*in Energiesteuerrecht (m/w/d) Gebäudemanagement
Abteilung Grundstückswertermittlung im Amt Landeshauptstadt Stuttgart ID: 027304017 Maschinenbau, Anlagenbau Prozessmanagement Vermögen und Bau Baden-Württemberg
für Liegenschaften, Vermessung und Kataster Ingenieur Werkstoffentwicklung (m/w/d) Junior Specialist (m/w/d) Produktionsleitung Ulm ID: 027320067
Bachelor (B. Eng. / B. Sc.) / Dipl.-Ingenieurin /
Stadt Köln ID: 027220856 Aluminium Rheinfelden Alloys GmbH Janoschka Deutschland GmbH
Dipl.-Ingenieur (FH) (w/m/d) der Ingenieur (m/w/d) der Fachrichtung
Rheinfelden (Baden) ID: 027340870 Kippenheim ID: 027237992
Bauingenieur / Hochbautechniker (m/w/d) als Fachrichtungen Bau-, Chemie-, Versorgungstechnik
Technischer Sachverständiger (m/w/d) Umweltingenieurwesen, Verfahrenstechnik Fachkraft Arbeitssicherheit (m/w/d) Prozessmanager (m/w/d) Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR
Württembergische Gemeinde-Versicherung a.G. Regierungspräsidium Freiburg G. RAU GmbH & Co. KG Flottweg SE (GMSH)
Stuttgart ID: 027262866 Freiburg im Breisgau Mitte ID: 027320137 Pforzheim ID: 027347667 Vilsbiburg ID: 027159368 Kiel ID: 027130751
34 KARRIERE & MANAGEMENT 25. Februar 2022 · Nr. 4

„ STELLENGESUCH
KARRIERE & MANAGEMENT 35
36 KARRIEREBERATUNG
„ BEWERBUNG
Erst abgesagt,
dann eingeladen
3.177. Frage:
Ich wende mich an Sie, weil ich mich
in einer sehr ungewohnten Position
im Bewerbungsverfahren befinde.
Vor knapp drei Monaten hatte ich
mich um die ausgeschriebene Stelle
XY beim Konzern ABC beworben.
Nach ca. einem Monat erhielt ich
dann ohne Einladung zum Vorstel-
lungsgespräch eine Absage.
Jetzt kam dann sehr überraschend ei-
ne E-Mail vom Konzern ABC. Man ha-
be das Bewerbungsverfahren verlän-
gert und alle bisher nicht näher be-
trachteten Bewerbungen neu bewer-
tet. Damit verbunden war eine Einla-
dung zum Erstrundengespräch.
Welche Ursache schätzen Sie mit Ih-
rer Erfahrung als die realistischste
für das Neuaufrollen des Bewer-
bungsverfahrens ein?
Zunächst habe ich dem Unterneh-
men mitgeteilt, dass ich noch inte-
ressiert bin, aber ehrlich gesagt
nicht mehr jedes Detail der Stellen-
beschreibung (Anzeige) im Kopf
hätte.
Ist es besser, die Vorgeschichte der
Absage im Bewerbungsgespräch zu
verschweigen oder darf man diese
ruhig ansprechen? Für meine eigene
Einschätzung möchte ich nämlich
gerne den Grund dafür wissen.
Antwort:
Den wirklichen Grund werden Sie
nie erfahren, das gehört zum Pro-
zess „Bewerbung“ dazu. Aber wir
können uns dem Gesamtzusam-
menhang zumindest weitgehend
annähern:
25. Februar 2022 · Nr. 4
Die Bewertung eingegangener Be-
werbungen durch das suchende
Unternehmen ist ein „relativer Pro-
zess“, kein absoluter. Es geht da-
rum, die aus der subjektiven Sicht
des Empfängers bestgeeigneten Zu-
schriften aus dem eingegangenen
„Stapel“ zu suchen. Wer dazu ge-
hört, weiß man erst, wenn man alle
eingegangene Post gelesen hat.
Man braucht in der Regel fünf bis
zehn „gute“ Bewerbungen, aus de-
ren Absendern man eine Vorstel-
lungsrunde zusammenstellt. Der
Rest der eingegangenen Zuschriften
wird in zwei Gruppen aufgeteilt:
„Absage in ca. 14 Tagen“ (nicht etwa
sofort, das mögen die Kandidaten
nicht) und „Reserve“ (eventuell für
eine spätere Nachlese geeignet,
aber zunächst nicht vorrangig inte-
ressant).
Für das, was in Ihrem Fall passiert
ist, gibt es mehrere mögliche Erklä-
rungen. Allen gemeinsam ist, dass
Ihr Eignungsgrad den Empfänger
nicht begeistert hat! Entweder hatte
er mehrere andere Zuschriften, die
er für geeigneter hielt und war si-
cher, auf Sie verzichten zu können
oder er hat Ihre Absage spontan
veranlasst, ohne sich zu vergewis-
sern, dass er mehrere besser pas-
sende im „Stapel“ findet (auch das
kommt vor).
Ein solches „negatives Aussortie-
ren“ kann an Ihrer fachlichen Ge-
samtqualifikation liegen, aber auch
an einzelnen Details in Ihren Unter-
lagen (Alter, Branchenpraxis,
Dienstzeiten pro Arbeitgeber, Exa-
mensnote, Arbeitgeberzeugnis, frü-
hestes Eintrittsdatum oder auch
Gehaltsvorstellung).
Also hat der Empfänger entweder
zunächst mit den aus seiner Sicht
„besseren“ Kandidaten gesprochen,
diese sind aber alle im Gespräch
durchgefallen oder haben ihm ab-
gesagt, vielleicht erwiesen sie sich
auch auf Nachfrage als zu teuer etc.
Oder er hat vergeblich auf bessere
Bewerber gehofft und stand am
Schluss „allein auf weiter Flur“. Die
erstgenannte Variante ist die wahr-
scheinlichste.
Da blickte der potenzielle neue
Chef nun auf die Trümmer seiner
Suchaktion, die Besetzung der Posi-
tion war in weite Ferne gerückt. In
einem solchen Falle hat er zwei
Möglichkeiten: Er schreibt den Fall
neu aus (das kostet und dauert).
Oder er beißt in den sauren Apfel
(peinlich ist das schon), senkt seine
Anforderungen bzw. weitet die Ge-
haltsbandbreite nach oben aus und
sieht sich die auf „Reserve“ liegen-
den und – falls er keine zurückge-
legt hat, dann zähneknirschend die
bereits abgesagten – Kandidaten
noch einmal an. Irgendetwas muss
geschehen. Es ist immer noch bes-
ser, es kommt ein weniger idealer
neuer Mitarbeiter als gar keiner.
Für Sie gilt als Empfehlung: Auch
Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten.
Suchen Sie sich eine aus:
a) Wenn Sie sehr hohe Ansprüche
an Ihr berufliches Umfeld stellen
und heute in einer sehr soliden, ab-
solut ungefährdeten Position arbei-
ten, könnten Sie die frühere Absage
als schlechtes Zeichen für Ihr opti-
males Hineinpassen in das suchen-
de Unternehmen werten. Nach dem
ersten Eindruck des Bewerbungs-
empfängers hatte der Sie spontan
als ungeeignet oder uninteressant
eingestuft. Das muss Ihnen nicht
gefallen: „Dann kommen wir eben
nicht zusammen, sollen die doch
weiter nach vermeintlich Besseren
suchen.“ Aber für Sie wäre der Fall
erledigt. Es besteht nämlich die Ge-
fahr, dass die Einladung jetzt nur
auf einem vom späteren Vorgesetz-
ten ungeliebten Kompromiss be-
ruht und er unterbewusst doch im-
mer wieder nach seiner Idealquali-
fikation sucht – die Sie natürlich
immer noch nicht bieten können.
b) Falls Sie den ausgeschriebenen
Ihre Fragen Job dringend brauchen, wenig Al-
ternativen haben und auch nicht so
zum Thema
besonders empfindlich sind, wenn
„Karriereberatung“
jemand Sie nicht spontan als Pro-
beantwortet
blemlösung (offene Stelle) einstuft,
Dr.-Ing. E. h.
dann können Sie die Schulter zu-
Heiko Mell,
cken und sagen „Chance ist Chan-
Karriereberater
ce“, dort hingehen und warten, ob
in Rösrath.
Sie sich nun besser durchsetzen
„ heiko-mell.de können als beim ersten Versuch.
Bietet man Ihnen den Job schließ-
lich an, sagen Sie zu – und werten
nur das Ergebnis, nicht die Erleb-
nisse auf dem Weg dorthin. Das Ziel
ist das Ziel, wer redet hinterher
noch von Irritationen im Vorfeld?
Karriere-Basics
Die Entscheidung müssen Sie tref-
100 Tipps für den fen.
Erfolg im Beruf In jedem Fall gilt: Wenn Sie die Ein-
ladung annehmen, dann gehen Sie
Nr. 12: Als „guter fröhlich und selbstbewusst dort
Mitarbeiter“ gilt nur hin, „vergessen“ die Vorgeschichte,
jemand, den sein fragen nicht nach den Hintergrün-
Vorgesetzter dafür den (weil man Ihnen ohnehin eine
hält. Das entspricht „Geschichte“ erzählen würde) –
dem Grundprinzip und falls man Ihnen von sich aus
auf allen Märkten, eine Erklärung anbietet, dann glau-
auch auf dem für ben Sie diese und finden sie absolut
Arbeit: Der Käufer überzeugend.
entscheidet, ob er PS: Sie sollten über Ihre Bewer-
mit dem gezahlten bungsfälle eine sorgfältige Ablage
Geld (hier das Ge- führen und diese länger aufbewah-
ren. Man weiß nie, ob man diese
halt) ein „gutes Pro-
Details nicht doch noch einmal
dukt“ erworben hat.
braucht. Ihre Bemerkung gegen-
Oder eben nicht.
über dem anrufenden Bewerbungs-
empfänger, Sie hätten die Details
inzwischen vergessen, war nicht
sehr förderlich.

„ KARRIERE
Wer zweimal
ablehnt, ist
„draußen“
3.178. Frage/1:
Ihre Ausführungen zum Thema „Füh-
ren oder nicht“ müssen m. E. um ei-
nen wesentlichen Punkt ergänzt wer-
den: Zu oft bzw. zu lange kann man
intern angebotene Führungspositio-
nen nicht ablehnen, wenn man den-
noch weiter aufsteigen will.
Konkretes Beispiel aus einem techni-
schen Zentralbereich unseres Kon-
zerns: Ich wurde kürzlich als Nachfol-
ger meines direkten Chefs vom Sach-
bearbeiter zum Gruppenleiter (fachli-
che und disziplinarische Führung) be-
fördert. Nach meiner Einschätzung
wäre hier ein Kollege, der eine mit
meiner fast identische Position in un-
serem Team innehatte, eher mit der
Beförderung „dran gewesen“. Für ihn
sprach die Aktenlage (Dienstzeit,
Übernahme entsprechender Sonder-
aufgaben). Außerdem unterstelle ich
ihm entsprechende Ambitionen.
Durch meinen Aufstieg wurde aus
diesem Kollegen ein unterstellter
Mitarbeiter von mir. Dieses Problem
habe ich mit meinem Vorgänger be-
sprochen. Er bestätigte meine Ein-
schätzung. Der erwähnte Kollege hat-
te Interesse an einem Aufstieg, die
Vorgesetzten sahen bei ihm entspre-
chendes Potenzial. Es waren ihm zu-
vor zweimal Führungspositionen in
anderen Bereichen angeboten wor-
den. Er hatte zweimal abgelehnt, ein
drittes Mal wurde er nicht gefragt.
Antwort/1:
Eine solche klare Regel (wer zwei-
mal ablehnt, bekommt nie wieder
eine Chance) gibt es in vielen Un-
ternehmen – festgeschrieben und
nachlesbar oder nur praktiziert. Je-
der aufstiegsorientierte Mitarbeiter
sollte wissen, wie die – geschriebe-
nen oder ungeschriebenen – Regeln
bei seinem Arbeitgeber lauten. Es
wäre geradezu sträflich leichtsinnig,
sich nicht rechtzeitig darum zu
kümmern.
Der Vorwurf geht an jenen Kollegen
von Ihnen, der aber hier nicht unse-
rem Urteil unterliegt. Wenn Ihre In-
formationen über die ganze Angele-
genheit korrekt sind, dürfte man so-
gar unterstellen, dass er inzwischen
nicht mehr an einer Beförderung in-
teressiert ist, sonst hätte er nicht
zweimal ein Angebot ablehnen
dürfen.
Kontakt
„ Wir gewähren größtmögliche Diskretion. Jeder Fall wird so darge-
stellt, dass es keine konkreten Hinweise auf Sie als Fragesteller gibt.
Es werden keine Namen genannt.
„ Die Frage muss von allgemeinem Interesse sein und erkennbar mit
dem Werdegang eines Ingenieurs im Zusammenhang stehen. Eine
individuelle Beantwortung von Briefen ist nicht vorgesehen. Rechts-
auskünfte dürfen wir nicht erteilen. Autor und Verlag übernehmen
keinerlei Haftung.
„ Bitte richten Sie Ihre Fragen an:
VDI nachrichten Karriereberatung,
Postfach 101054, 40001 Düsseldorf
karriereberatung@vdi-nachrichten.com
www.vdi-nachrichten.com/heikomell
Warum es Regeln dieser Art gibt?
Nun, es ist ja nicht etwa so, dass die
Vorgesetzten morgens beim Früh-
stück schnell einmal entscheiden,
dem Herrn X die freie Führungspo-
sition anzubieten (nimmt er die an,
ist es gut, lehnt er ab, ist ja auch
nichts weiter passiert).
Im Gegenteil dazu sind einem der-
artigen Angebot sehr eingehende,
mitunter auch sehr komplexe Über-
legungen vorangegangen. Man hat
auf Seiten der Chefs mindestens
folgende Überlegungen angestellt
und dabei das Für und Wider sorg-
fältig abgewogen:
Potenzial für Leitungsaufgaben der
infrage kommenden Mitarbeiter,
optimale Lösung des Besetzungs-
problems aus Sicht der Vorgesetzten
bzw. aus Interessenlage des Unter-
nehmens; was sagen ggf. die Kolle-
gen zur Beförderung von X, ist mit
Unruhe/Widerstand zu rechnen,
wäre die Suche nach einem exter-
nen Kandidaten die bessere Lösung,
ist die Annahme des Angebots für X
zumutbar, ernennen wir ihn direkt
endgültig oder erst einmal zur Be-
währung kommissarisch, wie gehen
wir mit der Frage AT-Vertrag bzw.
Gehalt um, wie verkaufen wir diese
Lösung gegenüber HR, dem Be-
triebsrat und – nicht zu vergessen –
der Topmanagement-Etage.
Das wird diskutiert, es reift, wird
dem Kandidaten X als überzeugen-
de Lösung sowie tolles Angebot
präsentiert und der lehnt ab. Das ist
für die Vorgesetzten schon eine Ent-
täuschung. Und sie erfahren: Mit
ihrer Idee, X aufsteigen zu lassen
und ihn als Lösung des Problems zu
sehen, lagen sie falsch. X hat bewie-
sen, dass seine Chefs im Irrtum wa-
ren. So etwas soll man seinen Vor-
gesetzten möglichst nicht antun,
Freude wird man daran nicht ha-
ben. Fazit: X sagt „kein Interesse“,
die Chefs sind „sauer“.
Nach einer gewissen Zeit kommt X
noch einmal als Aufstiegskandidat
bei einer anderen Position ins Ge-
spräch. Noch einmal der gleiche
Aufwand, noch einmal die gleiche
Enttäuschung bei den Chefs: Waren
diese beim ersten Mal sauer, sind
sie jetzt extrem sauer. Und beschlie-
ßen: Der bekommt von uns kein
Angebot mehr. Menschlich ver-
ständlich? Aber unbedingt.
Ich weiß, dass da noch Argumente
undiskutiert bleiben: Die beiden
Angebote müssen X ja nicht unbe-
dingt gefallen haben, vielleicht
strebt er ja in eine ganz andere
Richtung. Dann hätte er geschickter
operieren müssen. Schon im Vor-
25. Februar 2022 · Nr. 4 KARRIEREBERATUNG 37
feld hätte er seinem Chef vorsichtig
verdeutlichen sollen, was er gern
hätte und was er eher nicht will. Er
hätte es zu den Angeboten mit dem
vorgeschalteten erheblichen Über-
legungsaufwand auf Seiten der
Chefs gar nicht erst kommen lassen
dürfen.
Das für den Fall, dass Sie oder ein
anderer Leser eines Tages etwas
„geschenkt“ bekommen sollen, was
Sie gar nicht haben wollen (ein Da-
naer-Geschenk, wie man seit Ho-
mer sagt; auch die Trojaner haben
damit nicht klug umgehen können,
es soll ihren Untergang eingeleitet
haben).
Frage/2:
Erlauben Sie mir einen Versuch in
Hellseherei: Bei Ihnen läuten die
Alarmglocken, mit dem bei der Be-
förderung nicht berücksichtigen Mit-
arbeiter habe ich eine tickende Zeit-
bombe im Team. Bereits mein Vor-
gänger hatte die Versetzung dieses
Mannes in einen anderen Bereich
(ohne Aufstieg) angeschoben.
Antwort/2:
Sie sehen, wie stark die Enttäu-
schung über die zweimalige Absage
des X bei seinem früheren Chef ge-
wirkt hat.
Für Sie, geehrter Einsender, als dem
neuen Teamleiter gilt: Erkennen Sie
das Problem, das in X ruhen könnte
(haben Sie gemacht) – und reden
Sie mit ihm ganz offen. Aber Ach-
tung: nicht etwa anbiedernd in
Richtung „eigentlich hättest du das
ja verdient gehabt“, sondern selbst-
bewusst:
„Ich weiß, dass man dir zwei Beför-
derungenangeboten hatte, die du
beide abgelehnt hast. Damit bist du
nach den internen Regeln ‚draußen‘
– wofür ich nichts kann. Man hat
mich auf diese Position gesetzt, ich
habe das Angebot angenommen.
Ich weiß nicht, wie du darüber
denkst und was jetzt in dir vorgeht.
Vielleicht sitze ich auf dem Stuhl,
den du gern gehabt hättest, wie
man im Kollegenkreis munkelt. Ich
habe mich nicht selbst dorthin be-
fördert. Solltest du dich über mei-
nen Aufstieg ärgern, beschwere
dich bei den höheren Vorgesetzten,
die das verantwortet haben, aber
laste das nicht mir an.
Ich biete dir eine faire, konstruktive
Zusammenarbeit an und hoffe, dass
auch du deinerseits dazu bereit
bist. Ich gebe der Entwicklung eines
guten, sachlichen Verhältnisses zwi-
schen uns eine Chance und hoffe,
dass auch du deinerseits dazu be-
reit bist.“
Und dann ist er gefordert, irgendet-
was zu sagen – warten Sie einmal
ab, was das sein wird. Vielleicht
wird er ja gar nicht so gern ohne
Aufstieg abgeschoben und bleibt
lieber, wo und was er ist – und viel-
leicht hat er ja frühere Ambitionen
längst begraben. Auch das kommt
vor. Ob Sie ihm in dieser Hinsicht
allerdings jemals voll vertrauen
können, bleibt offen.
Sollte er aber negative Reaktionen
und weitere Aufstiegsambitionen,
vielleicht sogar solche im Hinblick
auf Ihre neue Position, erkennbar
werden lassen, müssten Sie die Po-
litik Ihres Vorgängers fortsetzen und
versuchen, den potenziellen „Stö-
renfried“ loszuwerden.
38 AUS DEM VDI 25. Februar 2022 · Nr. 4

Herausgeber:
Jahrgang 76 ISSN 0042–1758

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel,

Dr.-Ing. Volker Kefer.
Vorteil HDI Cyberkongress
Von Ransomware bis Cy-
berjacking: Hackerangriffe
Herausgeberbeiratsmitglieder: nehmen rasant zu und

Foto: panthermedia.net/Andreus
Prof. Dr.-Ing. Dirk Abel,
Prof. Dr.-Ing. Marina Schlünz
werden für immer mehr
Unternehmen zu einem
schwerwiegenden Risiko.
Redaktion: Unser Kooperationspartner
Chefredakteur Ken Fouhy, B.Eng. (kf) HDI veranstaltet am
Chef vom Dienst Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst) 15. März einen virtuellen
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Dipl.-Oecotroph. Bettina Reckter (ber) von Vorteilen – hier eine kleine Auswahl. cyber-kongress
Ressort Wirtschaft/Management/Karriere
Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst),
Claudia Burger (cer), Wolfgang Schmitz (ws),
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vdi-nachrichten@vuservice.de
Probeabonnement: www.vdi-nachrichten.com/probe

Wenn der Roboter den
Acker bestellt
Landtechnik: Der Kölner VDI-Arbeitskreis startet eine Vortragsreihe
mit dem Thema Feldrobotik in der Agrarwirtschaft.
M
it dem Thema Feldrobo-
tik in der Landwirtschaft
hat der VDI Arbeitskreis
Landtechnik in Köln im
Dezember sein Vortrags-
programm eröffnet. Seit 45 Jahren orga-
nisiert er jeweils zum Wintersemester
seine Vortragsreihe, bestehend aus drei
Vortragsabenden und einer Exkursion.
Der Programmausschuss, bestehend
aus Industrie- und Hochschulvertrete-
rinnen und -vertretern, setzt sich jedes
Jahr erneut das Ziel, aktuelle Themen
und Entwicklungen in der Bau- und
Landmaschinentechnik zu präsentieren
und zur Diskussion zu stellen.
Sebastian Henrichmann von der Firma
Agravis begann die diesjährige Vortrags-
reihe mit der Vorstellung verschiedener
Feldroboter und Berichten der Agravis
Future Farm. Auf der Agravis Future
Farm testet die Firma unter anderem
Feldroboter und digitale Lösungen für
den Pflanzenbau. „Wir waren selbst
überrascht, wie zuverlässig die Feldro-
VDI-WoMentorING ist gestartet
Pilotprojekt: Nach intensiven Vor-
bereitungen ist das einjährige bundes-
weite Onlinepilotprogramm mit 21
Frauentandems am 22. Januar 2022 ge-
startet. Initiatorin Dr. Melanie Zimmer-
mann leitete das Team aus Ehrenamtli-
chen und Mitarbeiterinnen der VDI-
Hauptgeschäftsstelle, gemeinsam stell-
ten sie dieses Programm auf die Beine.
Das Kick-off-Meeting, das erste Ken-
nenlernen der Mentees mit ihren Men-
torinnen, war geprägt von großer Offen-
heit und dem Willen zur Zusammenar-
beit. Es wurden Erfahrungen ausge-
tauscht; die Mentees und Mentorinnen
boter im Einsatz waren“, so Henrich-
mann.
Im Anschluss berichtete Philipp Kamps
von der Firma Agxeed über die Ent-
wicklung und den Einsatz des Agxeed
Agbots – einem autonom arbeitenden
Roboter, der als Zug- und Trägerfahr-
zeug handelsübliche Geräte betreiben
kann. In seinem Vortrag ging Kamps auf
aktuelle Probleme in der Landwirtschaft
ein. Er skizzierte die sich durch den Ag-
bot ergebenden Möglichkeiten in Bezug
auf eine nachhaltige und gesellschaft-
lich wie politisch akzeptierte Landbe-
wirtschaftung. Weiterhin gab er einen
Ausblick darauf, wie das leichte Träger-
fahrzeug durch einen hybriden oder
vollelektrifizierten Antrieb zukünftig
noch ressourcenschonender arbeiten
kann.
Abgeschlossen wurde die Veranstal-
tung von Landwirt Volker Hack, der sich
auf den Gemüsebau spezialisiert hat.
Hack, der seinen Betrieb in den kom-
menden Monaten auf Biolandbau um-
haben sich ebenfalls untereinander ver-
netzt. Workshops und ein Impulsvortrag
rundeten die Onlineveranstaltung ab.
Ziel des VDI-WoMentorING ist genau
das: Ingenieurinnen mit unterschiedli-
chen Erfahrungshorizonten zusammen-
zubringen, Vorbilder sichtbar zu ma-
chen und aufzuzeigen, dass Ingenieu-
rinnen gemeinsam die Herausforderun-
gen des Ingenieurberufs meistern und
sich gegenseitig unterstützen können.
Die Teilnehmerinnen haben dieses
erste Treffen als Bereicherung empfun-
den: „Es sind lauter tolle Frauen dabei,
25. Februar 2022 · Nr. 4
Die Digitalisierung in der
Landwirtschaft nimmt an Fahrt
auf. Roboter werden alltäglich.
Foto: panthermedia.net/ paulgrecaud
stellt, wird zukünftig einen Agxeed Ag-
bot einsetzen. Durch den autonomen
Einsatz des leichten Trägerfahrzeuges
möchte Hack sowohl personelle als
auch monetäre Ressourcen einsparen.
Weitere Gründe für den Einsatz von Ro-
botern in der Landwirtschaft sieht er als
Anwender in der flexiblen Einsatzzeit
und der Zeitersparnis gegenüber kon-
ventioneller Technik.
Unter Leitung von Prof. Dr. Heiner We-
sche wurde im Anschluss an die Vorträ-
ge Raum zur Diskussion geboten. Neben
den technischen und praktischen As-
pekten der Robotik wurden ebenfalls
rechtliche Grundlagen, Einsatzmöglich-
keiten und zukünftige Chancen in der
Landwirtschaft vertieft.
Die Veranstaltung fand pandemiebe-
dingt als Webkonferenz statt. So konn-
ten die Landtechnik-Arbeitskreise aus
München und Dresden auch teilneh-
men, sodass mehr als 180 Interessierte
den Vorträgen und der Diskussion fol-
gen konnten. VDI
die sich untereinander unterstützen
werden. Vielen Dank für diese tolle
Möglichkeit! Die sehr gut organisierte
Auftaktveranstaltung macht Freude auf
mehr“, so Petra Wagner, eine der Mento-
rinnen.
Im weiteren Verlauf des Pilotpro-
gramms werden sich die Teilnehmerin-
nen in den jeweiligen Tandems austau-
schen. Für die gesamte Gruppe sind
weitere Onlineveranstaltungen und
Workshops geplant.
Das Programm wird regelmäßig eva-
luiert. VDI
„ www.vdi.de/womentoring
AUS DEM VDI 39
„ AKTUELL
Technik aufs Ohr: Neue
Mobilitätskonzepte
Ein vollautonomes Transport- und
Arbeitsfahrzeug soll unsere Städte
revolutionieren und ein fester Be-
standteil der Smart City werden.
Was der CityBot von EDAG alles
kann und wie Mobilität Spaß
macht, berichtet Johannes Barck-
mann, Global Design Manager bei
EDAG, in einer neuen Spezialfolge
des VDI-Podcast „Technik aufs
Ohr“.
Mobilität fasziniert den Podcast-
gast. „Früher hatten wir Benzin im
Blut, heute Bits und Bytes“, erzählt
Johannes Barckmann. Die Smart Ci-
ty ist für den Experten ein „eigener
Organismus“. Die Stadt versorgt
sich selbst mit Energie und die Ge-
bäude sind CO2-neutral. Der bei der
EDAG Engineering GmbH entwi-
ckelte CityBot soll ein fester Be-
standteil der Stadt der Zukunft sein
und autonom durch die Straßen
fahren. „Freundlich, leise und
smart.“ Kommunale Arbeiten soll
der CityBot zudem durchführen.
Dazu zählt auch die Müllerken-
nung: Dazu gehört das Sammeln
und Sortieren . Über verschiedene
Module soll das Gefährt aber auch
Güter oder Menschen an ihr Ziel
bringen. Mit 30 km/h bewegt sich
der Bot durch die Stadt. „Das soll
auch etwas die Hürde nehmen, sich
als Passagier in den CityBot zu set-
zen.“
„ www.vdi.de/podcast
VDI Wissensforum:
Seminar zum Thema
Alternative Kraftstoffe
Verbrennungskraftmotoren sind
nach wie vor der wichtigste Antrieb
in Fahrzeugen. Nachdem motoren-
seitig in den vergangenen Jahren er-
hebliche Anstrengungen zur Emis-
sionsminimierung unternommen
wurden, geraten nun die Kraftstoffe
stärker ins Blickfeld. Experten sind
sich einig darin, dass die angestreb-
ten Klimaziele nicht allein mit Elek-
tromobilität erreicht werden kön-
nen. Eine Alternative, besonders für
Bestandsfahrzeuge, liegt bei alter-
nativen Kraftstoffen – insbesondere
E-Fuels aus Wasserstoff. In dem
zweitägigen Seminar am 27. und
28. Juni in Hannover erhalten Sie
ein breites Wissen zu den verfügba-
ren alternativen Energieträgern aus
Pflanzenöl, Methanol und E-Fuels.
Informieren Sie sich zu Herstellung,
Einsatz und Brennverhalten dieser
Energieträger im Verbrennungsmo-
tor. sowie zur Herstellung und Ein-
satz dieser Energieträger.
„ www.vdi-wissensforum.de/01SE144
„ MEIN VDI
Die VDI-Veranstal-
tungen in Ihrer
Region und zu Ihrem
Fachbereich finden
Sie im Mitgliederbereich „Mein
VDI“. Über die Detailsuche
können Sie auch nach PLZ oder
einen Zeitraum suchen.
„ www.vdi.de/meinvdi
40 TECHNIK BOULEVARD 25. Februar 2022 · Nr. 4

Deutsche Messerikonen
Messer: Jeder kennt Schweizer Taschenmesser oder das Bowie-Knife aus den USA. Doch auch die zahlreichen deutschen
Messerhersteller haben Ikonen im Portfolio, die weltweit bekannt und beliebt sind. Eine Auswahl. Von Peter Kellerhoff

Böker Sportmesser Mercator Messer

Handarbeit. Richtig gelesen. Jedes Böker Sportmes- Ein einfaches, funktionelles, leichtes, robustes
ser mit seinem unverwechselbaren Design wird in Messer – darum griffen im Kaiserreich wohl so viele
Solingen – oder im Werk in den USA – per Hand Soldaten zum praktischen Mercator von Otter.
produziert. Und das schon seit 1869. Ebenfalls rich- Noch heute wird es aufgrund seiner minimalisti-
tig gelesen. Seit über 150 Jahren gibt es dieses Mes- schen und soliden Art weltweit geschätzt. Die
ser, das in den USA fast beliebter zu sein scheint schmale Bauart (7 mm) und sein leichtes Gewicht
als in seinem Herkunftsland. Natürlich änderte (ab 50 g) eignen sich für ein Immer-dabei-Dasein.
sich die Toolkonfiguration mit der Zeit etwas, Das Messer wird von Hand montiert und vernietet.
so etwa beim Dosenöffner. Doch die Grund- In der Standardausführung hat es einen schwarzen,
form blieb. Verschiedene Schalenmaterialien ste- pulverbeschichteten Stahlgriff. Zur Wahl stehen
hen zur Wahl: Kunststoff, Horn oder diverse Holz- aber auch Griffe aus Kupfer und Messing. In zwei
sorten. Die Länge des Böker in ausgeklapptem Zu- Größen (11 cm und 10 cm) und zwei Stahlsorten
stand beträgt 15,50 cm, das Gewicht 98 g. Der Preis (Carbon und rostfrei) erhältlich ab 29 €.
startet - je nach Schalenmaterial - bei 139 €.

Foto: Peter Kellerhoff

Ankermesser
Der ins Holz der Griffschale eingelassene und fest
vernietete Anker deutet bereits darauf hin: Der Ur-

Foto: Otter
Foto: Otter

sprung des Ankermessers findet sich in maritimen

Gefilden. Einst als Arbeitsmesser für den rauen
Seegang konzipiert, findet es heute viele Anhänger
auch außerhalb des Meeres. Die gerade Klingen-
form ist klar auf seine einstigen Einsatzgebiete
ausgerichtet: Taue und Seile zügig durchtren-
nen und Fische entschuppen. Heute hat sich
dieses Modell als Alltagsmesser für viele Bereiche
etabliert. Die Bohrung und Lederschlaufe ermögli-
chen ein Sichern des Messers gegen Verlust. Das
Ankermesser gibt es mit unterschiedlichen Griff-
materialien, zwei Klingenstahlsorten und in zwei
Größen. Der Preis: ab 64 €.

German Army Knife Toledo

Das German Army Knife, kurz GAK genannt, wird Typisch deutsch ist das Toledo-Messer, das nach
seit den 1970er-Jahren an die Bundeswehrsoldaten Wissen des Autors nirgendwo anders hergestellt
ausgegeben. Nach den Spezifikationen der Bundes- wird. Gerne wird es auch als Herrenmesser be-
wehr stellten viele deutsche Hersteller es her, am be- zeichnet. Warum es jedoch nach der alten spani-
kanntesten ist jedoch Victorinox in der Schweiz. Das schen Klingenstadt Toledo benannt wurde, könnte
Unternehmen entwickelte es sogar zu einer zivilen als eine Reminiszenz an deren jahrtausendalte
Serie mit roten Schalen weiter. Mittlerweile in der Tauschierungstechniken gelten. Jedenfalls lehr-
vierten Generation, GAK1 bis GAK 4 (v. l. n. r.) ge- te man in den 1920er-Jahren diese Verziertech-
nannt, können sie natürlich nicht neu erworben nik an der „Solinger Fachschule für Stahlwaren
werden, sie sind jedoch reichlich - auch neuwertig - Industrie“. Die 8 cm langen Schalen des Messers,
auf vielen Verkaufsplattformen erhältlich. in die Ornamente eingearbeitet und farblich – oft
auch mit Werbung versehen – abgesetzt werden,
Foto: Peter Kellerhoff

bestehen aus Messing. Unterschiedliche Werkzeug-

kombinationen sind möglich. Preis: ab 50 €.

Küchenklassiker
Wahrlich, in Bezug auf die anderen Messerikonen
in diesem Technik Boulevard ist es das Aschenput-
tel. Aber was für eines. „Klassiker, mittel – Gemüse-
messer“, so heißt es schnörkellos bei Robert Herder
in Solingen. Seit 80 Jahren im Programm. Wie die
Variante nach 20 Jahren (vernachlässigender)
Dauernutzung aussehen kann – siehe links. Alt,
aber scharf. Das Carbon mit 56 HRC (Härte-
grad Rockwell) bis 57 HRC tut seinen Dienst –
unermüdlich. Selbst wenn mancher dies als „per-
fektes Kartoffelmesser“ bewirbt. Das ist reines Un-
Foto: Stephan W. Eder

derstatement. Diese 8,5-cm-Klinge mit „Solinger

Foto: Peter Kellerhoff

Dünnschliff“ schält und schneidet lebensmittel-

technisch so ziemlich alles. Griffvarianten: Rotbu-
che und Kirsche; Straßenpreise 12 € bis 15 €. swe