11. Februar 2022 · Nr.

3 T E C H N I K W I RT S C H A F T G E S E L L S C H A F T Einzelpreis 4,40 Euro

Mit Schwung
ins neue
Fahrradjahr
Zerreißprobe Mobilität: Die steigende
Nachfrage führt dazu, dass im-

f ür Stromnetze
mer mehr Fahrräder in Europa
gebaut werden. Lieferengpässe
haben den Trend zur heimischen
Produktion verstärkt. Die Her-
steller – darunter auch Automo-
bilzulieferer – treiben dabei Digi-
Fokus: Die Elektrizitätsversorgung wird Verfügbarkeit
anders als heute herstellen müssen.
talisierung und Nachhal-
tigkeit voran. 8

„ ZITAT
Von Stephan W. Eder „Die Fahrgäste können

V
ersorgungssicherheit, da jetzt wie gewohnt
lohnt eine Blick zurück.
8. Januar 2021: In Südost- HD-Video-Streaming
europa löst durch einen
Lastfluss von fast 6 GW ein nutzen … und mit hoher
Sicherheitselement aus. Das paneuro-
päische Höchstspannungsnetz zerfiel
Geschwindigkeit surfen –
in zwei Teile – für eine Stunde. Ein Bei- selbst wenn ihr Zug in
nah-Blackout.
Versorgungssicherheit ist derzeit einem Tunnel steht.“
ein großes, ein Angst besetztes Thema
Simon Holmes, Chefingenieur
– bei der Gasversorgung. Und beim
Digital Communications beim
Strom? Die deutsche Stromversor-
gung sei „sehr zuverlässig“, so Jochen
Homann, Chef der Bundesnetzagen-
britischen Transport-
unternehmen Firstgroup 11
tur, mit Blick auf die Zahlen zu Unter-
brechungen der Stromversorgung für
2020. Aktuell heißt es noch: „Die Ener-
giewende und der steigende Anteil de-
zentraler Erzeugungsleistung haben
Wenn die
weiterhin keine negativen Auswirkun-
gen auf die Versorgungsqualität.“
Messlatte zu
Die Gretchenfrage ist: Bleibts dabei?
hoch liegt
Wie können Netzstabilität und Versor-
gungssicherheit nach 2030 gesichert
werden, wenn weder Kern- noch Koh-
lekraftwerke mit ihren rotierenden
Massen das Netz sichern? Es muss an-
ders funktionieren. Nur wie?
Auch wenn erneuerbare Energien
am 8. Januar 2021 nicht die Ursache
für den Beinah-Blackout waren, so
könne der zukünftige Umbau des
Energiesystems mit Netzstörungen
dieser Art einhergehen, so Matthias Technik hilft die eigene Leistung
Luther, Inhaber des Lehrstuhls für zu optimieren. Manchmal führt
Elektrische Energiesysteme an der das in die Irre. Foto: PantherMedia.net / bruesw
Universität Erlangen-Nürnberg.
Die Lösung sieht der Elektrotech- Karriere: Den Traumbody und
nikingenieur in der Digitalisierung den finanziellen Erfolg öffent-
Foto: imago images/ZUMA Wire/Sachelle Babbar

über alle Netzebenen hinweg: „Wie lichkeitswirksam zur Schau zu

wichtig Daten und Berechnungen in stellen, liegt dank digitaler Me-
Echtzeit sind, hat der Warnschuss im dien im Trend. Und Selbstopti-
Januar deutlich gemacht“,
erklärt er. 20 mierung hinterlässt Spuren –
nicht nur wünschenswerte. Der
Mensch läuft Gefahr, unerreich-
bare Ziele zu verfolgen. Die per-
sönliche Messlatte sollte
nicht zu hoch liegen. 28
2 DIESE WOCHE 11. Februar 2022 · Nr. 3
„ INHALT
Test! Test! Test!
Bis zu 220 Lackproben pro Tag durchlaufen ein
vollautomatisches Screening in einer weltweit
einmaligen Prüfanlage bei Byk in Wesel.
Wege aus dem Stau gesucht 12
12 % aller weltweit transportierten Container ste-
hen derzeit still: Corona sprengt die Lieferketten.
In der Industrie gewinnt das Supply-Chain-Risk-
Management an Bedeutung.
Bedeutung
Lüftung im Eigenbau
sorgt für Diskussion 18
Für ihr Selbstbausystem haben Wissenschaftler
viel Kritik in der Branche geerntet: Neben techni-
schen sind rechtliche Fragen zu beachten.
FOKUS:
Stabile Stromnetze 20
Staat und Wirtschaft arbeiten an der
sicheren Stromversorgung der Zukunft.
Die richtige Dividendenstrategie
in diesem Jahr 25
In diesem Frühling schütten Börsengesellschaf-
ten so viel Geld an ihre Eigner aus wie noch nie.
„Mit dieser Kraft lässt
sich fast jede Krise meistern“ 26
Der Historiker Gregor Schöllgen über die Familie
Schaeffler, ihre Krisenstrategie und ihr Verhältnis
zu Spitzenmanagern und der IG Metall.
Das Ronaldo-Prinzip 30
Der Weltklassefußballer Cristiano Ronaldo
forscht unermüdlich nach zusätzlichen Erfolgs-
faktoren. Davon können Manager lernen.
Aus dem VDI 39
Die Delegierten der Vorstandsversammlung ge-
nehmigten den Jahresabschluss 2020 und verab-
schiedeten den Haushaltsplan für das Jahr 2022.
Technik Boulevard 40
Bei der digitalen Spielwarenmesse
Nürnberg ging es um Anfassbares und
Trends wie „Toys go Green“.
Das Thema Nachhaltigkeit rückte
auch hier in den Fokus.
Updates für die
nachhaltige Produktion
Foto: Bettina Reckter
Porträt: Als Präsident der Wissenschaftlichen Gesellschaft für
Produktionstechnik (WGP) will Jens P. Wulfsberg nachhaltig wirken.
6 Von Martin Ciupek
S
eine Modelleisenbahn aus Kindheitsta-
gen hat Jens P. Wulfsberg längst verkauft
und „gegen ein Auto eingetauscht“, wie
er beiläufig sagt. Heute ist er Vater von
drei erwachsenen Kindern, lebt in einem
denkmalgeschützten Haus und nennt zwei Oldti-
merautos sowie ein Oldtimerboot sein Eigen. Das
sagt bereits einiges über den neuen Präsidenten
der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produkti-
onstechnik (WGP) aus, der das Amt zum Jahres-
wechsel von Christian Brecher von der RWTH Aa-
chen übernommen hat.
Wulfsberg ist Leiter des Laboratoriums Ferti-
gungstechnik (LaFT) der Helmut-Schmidt-Uni-
versität in Hamburg. Privat und als WGP-Präsi-
dent treibt ihn der nachhal-
tige Umgang mit Ressour-
cen an. Darauf hat für ihn
die Produktionstechnik ei-
nen großen Einfluss. Vor In-
teressenskonflikten durch
zusätzliche Anforderungen
im Produktionsumfeld
scheut er sich dabei nicht.
Dem Hochschulprofessor
ist bewusst, dass für viele In-
dustrieunternehmen noch
Foto: Stromnetz Berlin GmbH
das Credo „Wohlstand durch
quantitatives Wachstum“
gilt. Umso wichtiger ist es
Produktionsexperte Jens P. Wulfs- ihm, dass es der Forschung
berg will der auf Massenware gelingt, Wohlstand nicht nur
fokussierten Industrie etwas entge- über immer neue materielle
gensetzen. Foto: Helmut Schmidt Universität/LaFT Güter zu definieren und da-
für tragfähige Geschäftsmo-
delle für Unternehmen zu
finden. „Wenn wir weiter so viele Ressourcen ver-
brauchen wie heute, bekommen wir viel größere
Probleme“, mahnt er. Deshalb treibt er als Wis-
senschaftler Konzepte wie Update-Fabriken vo-
ran und engagiert sich in Hamburg für die welt-
weite FabCity-Bewegung.
Hinter FabCity verbirgt sich die Idee, dass eine
daran teilnehmende Stadt bis zum Jahr 2054 all
das lokal produzieren will, was in ihr gebraucht
wird. Wie sich solche lokalen Kreislaufsysteme
realisieren lassen, hat er als Zivilist auf der Fregat-
te „Sachsen“ der Bundesmarine erprobt. Dafür
wurde dort ein 3D-Drucker installiert. „Wir versu-
chen beispielsweise PET-Flaschen zu recyceln
und daraus ein Filament zu machen, mit dem wir
Teile drucken können.“ Damit ließen sich auch
andere lokale Kreislaufkonzepte realisieren.
Bei den Update-Fabriken geht es dagegen da-
rum, Produkte so zu bauen, dass sie wie
Smartphones von FairPhone oder dem deutschen
Wettbewerber ShiftPhone durch den einfachen
Austausch von Komponenten nicht nur leicht re-
pariert, sondern auf den neuesten Stand der
In 10 Jahren:
Digitale Transformation –
Foto: Revell
Wohin führt sie unsere
Gesellschaft?
„ www.ingenieur.de/podcast
Technik gebracht werden können. Das erhöht die
Nutzungsdauer und schont damit Ressourcen.
Für ihn ist es ein Fehler, dass die Nachhaltig-
keitsdiskussion in Deutschland oft auf Energie-
themen reduziert wird. Insgesamt seien Ressour-
cenverbrauch sowie soziale und ökonomische
Nachhaltigkeit in die Betrachtung mit einzube-
ziehen. Dazu kommt: Prioritäten wie geringere
Stückkosten und hohe Produktivität habe die
deutsche Industrie durch Automatisierungstech-
nik schon lange gut in Griff. Aber da werde der
Vorsprung im globalen Wettbewerb jetzt immer
geringer. Um weiter zu kommen, seien zusätzli-
che Schritte notwendig. „Deshalb gibt es jetzt
weitere Zielgrößen wie Nachhaltigkeit und Res-
sourcen, die das Gesamtsystem aber auch kom-
plexer machen“, stellt er fest.
Forscher haben hier laut Wulfsberg die Mög-
lichkeit, neue Konzepte und Geschäftsmodelle
frei von wirtschaftlichen Zwängen zu entwickeln
und ihre Machbarkeit zu demonstrieren. Das ist
für ihn der „push“ – das alternative Angebot an
die Konsumenten, die etwas ändern wollen.
Dem Hochschulprofessor helfen seine Erfah-
rungen aus der Praxis. Bereits in seinem Maschi-
nenbaustudium an der Universität in Hannover
wurde ihm dieser von seinen Professoren vorge-
lebt. Inzwischen ist er um viele eigene Erfahrun-
gen reicher. Die hat er beispielsweise als Verant-
wortlicher in der Produktionsplanung beim Me-
dizintechnikspezialisten Olympus Winter & Ibe
GmbH in Hamburg gesammelt. „Ich habe da
nach allen Regeln der Lehre einen neuen Produk-
tionsbereich neu geplant, bis mich jemand fragte,
ob ich weiß, dass in dem Bereich Tageslicht erfor-
derlich ist“, erinnert er sich. Dafür habe er dann
gut 15 unterschiedliche Verordnungen studiert,
beispielsweise für Arbeitsstätten sowie den
Brandschutz. Seine ursprüngliche Planung war
danach hinfällig. Heute kann er darüber schmun-
zeln. Diesen Erfahrungsschatz wird er künftig
auch in der neuen Rolle bei der WGP erweitern.
Jens P. Wulfsberg
„ ist seit Anfang 2022 Präsident der Wissen-
schaftlichen Gesellschaft für Produktions-
technik (WGP).
„ studierte 1980 bis 1986 an der Universität
Hannover Maschinenbau und promovier-
te dort 1991. Anschließend verantwortete
er bis 2000 beim Medizintechnikanbieter
Olympus Winter & Ibe die Produktions-
planung und Produktentwicklung.
„ An der Helmut-Schmidt-Universität in
Hamburg ist er seit 2001 tätig. Als Profes-
sor leitet er dort inzwischen das Labora-
torium Fertigungstechnik (LaFT).

Kein Konsens für den Öko-Landbau
Agrarpolitik: Frankreich und Deutschland kommt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der
ab 2023 geltenden EU-weiten Reform der Landwirtschaft zu. Doch die Staaten sind sich uneins.
Von Thomas A. Friedrich
P
aris und Berlin suchen den Schulter-
schluss in der Landwirtschaftspolitik.
Der neue Bundesminister für Ernäh-
rung und Landwirtschaft (BMEL), Cem
Özdemir, tauschte sich Ende Januar
erstmals per Videoschalte mit seinem französi-
schen Amtskollegen Julien Denormandie aus.
Doch Einigkeit sieht anders aus.
Das französisch-deutsche Landwirtschaftsduo
könnte von der Sozialisation her kaum unter-
schiedlicher sein. Der 41-jährige Julien Denor-
mandie ist gelernter Agraringenieur und stammt
aus dem katholisch-konservativen Südwesten
Frankreichs. Verheiratet mit einer Agrarökono-
min haben die beiden vier Kinder. Emmanuel
Macron betraute den im Wirtschafts- und Finanz-
ministerium zunächst als Wirtschaftsberater täti-
gen Denormandie mit dem Aufbau seiner Partei-
organisation „La République en Marche“. Schon
2012 berief ihn Macron als Staatssekretär in den
Elysée. 2016 wurde er Wirtschaftsminister und
2020 Minister für Landwirtschaft und Ernährung.
Ganz anders der im schwäbischen Urach gebo-
rene Sohn aus einer türkischen Gastarbeiterfami-
lie. Als Einzelkind aufgewachsen, absolvierte Cem
Özdemir nach Erlangung der Fachhochschulreife
ein Studium der Sozialpädagogik an der Evangeli-
schen Fachhochschule für Sozialwesen in Reut-
lingen. Der 57-jährige grüne Politiker ist mit einer
aus Argentinien stammenden Journalistin verhei-
ratet und hat zwei Kinder. Özdemir ist seit der Ju-
gend Vegetarier und bezeichnete sich in einem
Zeitungsinterview als „säkularen Muslim“.
Auf der Agenda der Berliner Ampelkoalition
steht ein Gezeitenwechsel an: „Wir werden die ge-
samte Landwirtschaft in ihrer Vielfalt an den Zie-
len Umwelt- und Ressourcenschutz ausrichten.
Wir wollen eine Landwirtschaft im Einklang von
Natur und Umwelt weiterentwickeln. Wir wollen
30 % Ökolandbau bis zum Jahr 2030 erreichen.“
Özdemir schlägt beim Pflanzenschutz eine Kehrt-
wende gegenüber Amtsvorgängerin Julia Klöck-
ner (CDU) auf EU-Ebene ein.
Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir neh-
men Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt. Ferner
soll ein digitales Herkunfts- und Identifikations-
system Nährstoff- und Pflanzenschutz, mit dem
Ziel, die Reduktionsstrategie voranzubringen,
eingeführt werden in der EU.“ Das Bundesland-
wirtschaftsministerium macht sich für ein euro-
paweites Melderegister zum Einsatz von Pflan-
zenschutzmitteln stark. Özdemir hat dafür eine
Reform der Verordnungen der EU-Agrarstatistik
im Visier.
Am Tag eins nach seiner Vereidigung zum Bun-
deslandwirtschaftsminister machte Özdemir per
Tweet seine Eckpunkte zur Reform klar: „Die Ziel-
erreichung der Farm-to-Fork-Strategie muss sys-
tematisch überprüf- und messbar sein. Daher ist
die Übermittlung der Daten zur Anwendung von
Pflanzenschutzmitteln nur alle fünf Jahre – wie
von der Kommission vorgeschlagen – nicht ak-
zeptabel.“ Und seine Pressestelle legte unmiss-
verständlich nach: „Deutschland wird deshalb ge-
gen den vorliegenden Entwurf stimmen.“
Dennoch klingen vor allem Dur-Töne in der Ver-
lautbarung der BMEL-Pressestelle nach dem vir-
tuellen Treffen zwischen Denormandie und Öz-
demir: „Ich bin dankbar, dass Frankreich wäh-
rend seiner Ratspräsidentschaft Themen adres-
siert, die auch für die europäische und deutsche
Landwirtschaft wichtig sind. Uns eint das Ziel ei-
ner agrarökologischen Wende, einer nachhaltigen
Landwirtschaft mit einem deutlich verringerten
Einsatz von Pestiziden und einer Reduktion der
importierten Entwaldung und Waldschädigung.
Gemeinsam werden wir hier vorangehen, wir ste-
hen im Agrar- und Fischereirat an Frankreichs
Seite“, so Özdemir. In Wirklichkeit aber stößt sich
Özdemirs visionärer Ansatz einer grünen Trans-
formation in der Landwirtschaft im Sinne des
Green Deals hin zu mehr Biodiversität in realiter
hart an den Vorgaben aus Paris.
Eine Entscheidung über das Herbizid Glypho-
sat steht für 2022 an. Aktuell prüfen die EU-Zulas-
sungsbehörden den Antrag auf Neuzulassung.
Unlängst hatten sich die zuständigen Behörden
in Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und
Schweden dafür ausgesprochen, die Risikoein-
stufung von Glyphosat nicht zu ändern. Das hie-
ße, den Wirkstoff über 2023 hinaus zu genehmi-
gen. Das BMEL will für Glyphosat definitiv einen
Schlusspunkt in 2023 setzen. Eine Wiederzulas-
sung wäre nach dem aktuellen Bericht der Gly-
phosat-Bewertungsgruppe sowie der EU-Behör-
de für Lebensmittelsicherheit Efsa aber möglich.
Der französische Landwirtschaftsminister hat
sich seine eigene Agenda zurechtgelegt. Er will
die anstehende Überarbeitung der EU-Pestizid-
richtlinie mit einem völlig separaten Rechtsrah-
men zu Rückstandshöchstmengen verknüpfen.
Dieses Vorgehen wird von Kritikern wie Green-
peace als „klammheimliche“ Überarbeitung des
derzeitigen Rahmens für Pestizidtoleranzen an-
gesehen.
Als Vorsitzender des EU-Agrarrats will Denor-
mandie die lang erwartete Überarbeitung der
Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von
Pestiziden voraussichtlich schon beim Agrarmi-
nisterrat im März von den EU-Landwirtschafts-
11. Februar 2022 · Nr. 3
Julien Denormandie:
Der französische Land-
wirtschaftsminister
will die anstehende
Überarbeitung der
EU-Pestizidrichtlinie
mit einem völlig sepa-
raten Rechtsrahmen zu
Rückstandshöchstmen-
gen verknüpfen.
Foto: imago images/Hans Lucas/Bouzas
Cem Özdemir:
Der deutsche Landwirt-
schaftsminister hofft
bei einer agrarökologi-
schen Wende innerhalb
der EU gemeinsam mit
Frankreich vorangehen
zu können.
Foto: BMEL/Thomas Trutschel/photothek
DIESE WOCHE 3
Foto: panthermedia.net / Günter Fischer
kollegen verabschieden lassen. Ob es tatsächlich
dazu kommt, hängt auch vom Votum Özdemirs
ab. Mit der Reform will die EU-Kommission ihren
ambitionierten Zielen des Green Deal im Rahmen
der Farm-to-Fork-Strategie den Weg ebnen. Im
Klartext heißt dies eine Halbierung des Einsatzes
von Pflanzenschutzmitteln in der EU bis 2030.
Dazu bedarf es verlässlicher Daten über die ver-
wendeten Spritzmittel in einer jährlichen Erfas-
sung und nicht nur alle fünf Jahre.
Auch hier gibt es keinen Konsens zwischen Pa-
ris und Berlin. Der agrarpolitische Sprecher der
Grünen im Europäischen Parlament, Martin
Häusling, warf Julien Denormandie am 25. Januar
in der Aussprache mit dem Ratspräsidenten in
Brüssel vor, dass Frankreich die Mittel für den
ökologischen Landbau im nationalen GAP-Stra-
tegieplan zurückgefahren habe und den ökologi-
schen Landbau benachteilige.
„Wie ist dies mit dem Green Deal vereinbar?“,
wollte er vom Ratspräsidenten wissen. Gleich-
zeitig erwartete er einen fairen Wettbewerb und
ein „Aus“ der Notfallzulassung für Insektengifte
aus der Gruppe der Neonikotinoide auch in
Frankreich. In den meisten EU-Staaten, so auch
in Deutschland, sind diese seit 2019 verboten.
Frankreich aber macht von Ausnahmeregelungen
für die heimischen Rübenbauern Gebrauch. De-
normandie kanzelte den deutschen EU-Abgeord-
neten ab: „Sie als Grüner haben die Gewohnheit,
solche falschen Behauptungen aufzustellen“,
entgegnete Denormandie sichtlich erregt.
Die hitzige Debatte im EP-Agrarausschuss zei-
tigte noch ein deutsch-französisches Nachspiel.
In einem presseöffentlichen Schreiben an Denor-
mandie beschwerte sich Martin Häusling als grü-
ner EU-Koordinator für Landwirtschaft: „Ich ha-
be es bisher noch nicht erlebt als EU-Parlamenta-
rier, dass man mich der Falschaussagen bezich-
tigt hat. Ich habe eine richtige Aussage getroffen,
dass Frankreich die Beihilfezahlungen für den or-
ganischen Landbau eingestellt hat.“ Im EU-Parla-
ment herrsche ein respektvolles Miteinander
auch angesichts von widerstreitenden politischen
Auffassungen. Dies werde auch von Gästen im
EP-Agrarausschuss erwartet, so Häusling an die
Adresse von Denormandie.
Ob Cem Özdemir von der verbalen Entgleisung
seines französischen Amtskollegen Kenntnis hat,
ist nicht überliefert. Ob er auf den höchsten Or-
den der Französischen Republik „Pour le Mérite“
eines Tages hoffen darf, den Denormandie im De-
zember seiner deutschen Kollegin Julia Klöckner
noch kurz vor deren Ausscheiden in Paris verlie-
hen hatte, bleibt abzuwarten.
4 DIESE WOCHE 11. Februar 2022 · Nr. 3

„ BILD DER WOCHE Streit um Extra-Milliarden für

Stuttgart 21 geht vor Gericht
Verkehr: Stuttgart 21 startete
1995 als ehrgeiziges und durchaus
nicht unumstrittenes Projekt. Das
Verkehrs- und Städtebauprojekt
rund um den Hauptbahnhof wurde
mit 2,5 Mio. € veranschlagt. Dafür
sollten elf neue – überwiegend un-
terirdisch verlaufende – Bahnstre-
cken über eine Gesamtlänge von
57 km sowie ein neuer Durchgangs-
hauptbahnhof entstehen. Die von
den oberirdischen Gleisen befreiten
Flächen für Städtebauprojekte ge-
nutzt werden.
Doch wie bei vielen Großbaupro-
jekten in Deutschland (BER, Elb-
philharmonie u. a.) laufen die Kos-
ten aus dem Ruder. Mittlerweile ist
von Baukosten in Höhe von
8,2 Mrd. € die Rede, der Bundes-
rechnungshof hält insgeheim rund
10 Mrd. € für realistisch.
Schon seit Jahren liegen die Pro-
jektpartner im Streit, wer in welcher
Höhe für die (Mehr-)Kosten auf-
kommen soll bzw. wie es in Zukunft
sein wird, wenn die Kosten noch
weiter steigen. Ende 2016 hatten die
Deutsche Bahn AG und die Eisen-
bahn-Infrastrukturunternehmen
Klage gegen die Partner beim Ver-
waltungsgericht eingereicht, um die
Mehrkostenbeteiligung der anderen
(Flughafen, die Stadt Stuttgart und
das Land Baden-Württemberg) ge-
richtlich klären zu lassen. Vorange-
gangene Einigungsversuche waren
gescheitert.
Nun kommt offenbar endlich Be-
wegung in die Sache, denn das
Stuttgarter Verwaltungsgericht be-
stätigte, dass die zuständige Kam-
mer beabsichtige, das Verfahren in
diesem Jahr anzugehen.
Nicht erfreut zeigte sich der ba-
den-württembergische Verkehrsmi-
nister Winfried Hermann (Bündnis
90/Die Grünen). Er ist der Ansicht,
die Bahn und ihr Eigentümer Bund
müssten „endlich davon Abstand
nehmen, die freiwilligen Ko-Finan-
zierer des Projekts auf Beteiligung
an den gigantischen Kostensteige-
rungen zu verklagen“. pek

Bilderbuchsprengung einer Autobahnbrücke
Eine Brücke solchen Formats ist in
Deutschland noch nie gesprengt
worden. Am Sonntag klappte die
Talbrücke Rinsdorf auf der A45
zwischen den Anschlussstellen Siegen
Süd und Wilnsdorf bilderbuchmäßig in
sich zusammen. 120 kg Sprengstoff
waren nötig, um das 500 m lange und
70 m hohe Bauwerk zu Fall zu bringen.
Sprengmeister Michael Schneider
3D-gedruckte Pflaster
für Missionen im All
podcast: Das Deutsche Zentrum
für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat
einen 3D-Drucker entwickelt, mit
dem Weltraumreisende ihre Wun-
den künftig versorgen sollen. Das
Gerät sieht aus wie ein Packbandab-
roller. Es spendet allerdings keine
schnöde Klebefolie, sondern leben-
de Pflaster.
Diese Pflaster bestehen aus zwei
Komponenten: Einer Biotinte mit
Foto: picture alliance/dpa/Rene Traut
zeigte sich zufrieden mit seiner Arbeit.
Schließlich sei die alte Brücke exakt in
ihrem auf dem Boden vorbereiteten
Bett gelandet. Auch das seit rund zwei
Monaten bereits befahrbare neue
Teilstück direkt neben der gesprengten
Brücke sei völlig unversehrt geblieben.
Allerdings: Auf der A45 warten noch
rund 60 weitere Brücken auf Sprengung Astronaut Matthias Maurer
oder Sanierung. pek erprobt den Bioprinter auf der Raum-
station ISS. Foto: Nasa/ESA
menschlichen Zellen sowie einem
„Crosslinker“. Im Druckkopf wer-
den beide Materialien vermengt
und bilden ein Gel aus, dass auf
Wunden haftet – auch unter Bedin-
gungen der Schwerelosigkeit.
Astronaut Matthias Maurer hat
den Bioprinter bereits auf der
Raumstation ISS getestet. Dabei
trug er allerdings keine menschli-
chen Zellen auf seine Haut auf, son-
dern fluoreszierende Mikropartikel
auf ein Trägermedium. Die entstan-
denen Schichten sollen verglichen
werden mit Proben, die zeitgleich
unter irdischen Bedingungen an der
TU Dresden entstanden sind.
Sollte sich die Technik durchset-
zen, könnte sie auch auf der Erde
eingesetzt werden – etwa in entlege-
nen Gebieten. Ziel ist u. a. eine
schnellere Wundheilung. „Bioprin-
ting ist ein wichtiger Schritt hin zu
personalisierter Medizin“, erklärt
DLR-Projektleiter Michael Becker.
Weitere Details des Experiments
verrät er in der neuen Folge des
Podcasts „Druckwelle“. sta
„ www.ingenieur.de/druckwelle

KfW-Förderung: Drei Schritte vor und zwei zurück

Wohnungsbau: Von einem Tag auf den
anderen hatte das Bundesministerium für
Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) En-
de Januar einen Stopp für Anträge nach
der Bundesförderung für effiziente Ge-
bäude (BEG) der Kreditanstalt für Wieder-
aufbau (KfW) verkündet. Die Branche war
überrascht: Der Zentralverband des Deut-
schen Baugewerbes sprach von einem
„Schock für Bauherren und Bauwillige“,
die Bundesarchitektenkammer kritisierte,
der Stopp untergrabe „das Vertrauen von
Architekten in die Gebäudeförderung“.
Das Ministerium hatte die Hauruck-
aktion in die Wege geleitet, weil sich
zum Ende der Förderungslaufzeit eine An-
tragsflut abzeichnete, die laut BMWK
Mehrkosten in Milliardenhöhe bedeutet
hätte. Minister Robert Habeck will eine
Wohnungsbauförderung für effiziente Ge-
bäude nun neu aufstellen, mit strengere
Kriterien und effektiverem Beitrag zu den
Klimazielen. Mit der alten Förderung sei-
en auch Penthouse-Wohnungen und Lu-
xusapartments gefördert worden – „mit
unserem sauer verdienten Steuergeld“, ar-
gumentierte Habeck im ARD-Morgenma-
gazin. Doch er musste nach einem massi-
ven Protest aus der Branche auch wieder
etwas zurückrudern.
Ursprünglich sollten alle Anträge ge-
stoppt werden, nun werden sie bewilligt,
wenn sie vor dem 24. Januar eingegangen
sind. Danach werden Anträge abgelehnt.
Das Ziel der Regierung, 400 000 Wohnun-
gen jährlich zu schaffen, sieht Habeck
durch den Förderstopp nicht in Gefahr.
„Die Ziele müssen erreicht werden durch
eine soziale Wohnraumförderung – aber
nicht durch die Gelder, die wir für den Kli-
maschutz bereitstellen“, sagte er der ARD.
In den letzten Legislaturperioden sei es
üblich gewesen, alles, was man habe fi-
nanzieren wollen, über Klimaschutzgelder
zu finanzieren. Das müsse nun wieder ge-
trennt werden. Die Baubranche vermeldet
indes für 2021 mit 6 % die stärksten Preis-
anstiege seit 20 Jahren. Es gilt also, schnell
neue Regelungen aufzustellen, damit die
weggefallene Förderung nicht zusätzlich
als Preistreiber wirkt. dpa/kur

„ DIALOG
Der schmale Pfad in
die Zukunft
Diese Klicks lohnen sich – das neue
Digitalangebot der VDI nachrichten
(Nr. 1/22)
Vielen Dank für die Modernisie-
rung der VDI nachrichten. Ich
mag auf das Blättern mit den
Fingern – nach wie vor – nur ungern
verzichten, und so finde ich es gerade-
zu beispielhaft, wie Sie mit Ihrer Re-
daktion den schmalen Pfad gehen, so-
wohl den digitalen wie auch den kon-
ventionellen Weg zu beschreiten. Wenn
sich die Klicks für uns Leser genauso
lohnen, wie es bisher bei den Druck-
seiten der Fall war – und hoffentlich
bleiben wird – dann hat sich die Mühe
gelohnt. In diesem Sinn: Bleiben Sie
auf dem Pfad in die Zukunft für uns In-
genieure.
Eberhard Wühle, Essen
Hochofenersatz
genügt nicht
Die letzte Ofenreise – Stahlindustrie
steigt auf Direktreduktion um
(Nr. 2/22)
Die Stahlindustrie hat immer-
hin die Problematik mal konse-
quent durchdekliniert, wie der
Artikel gut ausweist. Es ist demnach
nicht allein mit dem Hochofenersatz
getan, sondern betrifft die ganze In-
frastruktur bis zum Halbzeug. Wie da-
bei die Konverter passen, ist nicht
ganz klar, sollen die doch den über-
schüssigen Kohlenstoff aus dem Roh-
eisen brennen, den es bei der Direkt-
reduktion ja nicht mehr geben soll,
„Man fragt sich, ob man mit der
Wasserstoffroute nicht langfristig auf
das falsche Pferd setzt, wo man bereits
an der elektrolytischen Direktreduktion
arbeitet, die im Prinzip deutlich
effizienter wäre.“
C. Linhart über die Alternativen zum Hochofen in
der Stahlproduktion.
der aber gerade im Konverter die
Energie für die höhere Temperatur für
die Stahlschmelze liefert. Ohne mas-
sive Subventionierung ist das nicht zu
stemmen.
Das ist für die Branche nichts Neues,
wurde sie ja schon lange als strategi-
sche Ressource von allen Regierungen
gefördert. Eine nachhaltige Wirtschaft
wird sicher weniger Stahl benötigen
als bisher, da stellt sich schon die Fra-
ge, wie viel Förderung Sinn macht.
11. Februar 2022 · Nr. 3 DIESE WOCHE
Auf der anderen Seite fragt man
sich, ob man mit der Wasserstoff-
route nicht langfristig auf das fal-
sche Pferd setzt, wo man bereits an
der elektrolytischen Direktredukti-
on arbeitet (z. B. Siderwin-Projekt
von Arcelor), die im Prinzip deut-
lich effizienter wäre als der Umweg
über den Wasserstoff und dabei
noch reinen Sauerstoff emittiert.
Damit wäre eine Eisengewinnung
direkt neben den Minenstandorten
in Wüstengebieten möglich sowie
die Verwertung des Rotschlamms,
der beim Aluminium abfällt. Für
Klima und Umwelt eigentlich die
derzeit einzig sinnvolle Perspektive.
C. Linhart, Hamburg
Zwölf Stunden
Begeisterung
Verschub der A6-Autobahnbrücke
am Neckartalübergang (Vn+)
Ein sehr schöner Artikel zum
Brückenquerverzug. Aber war
der überhaupt erforderlich?
Einfacher, preiswerter und schnel-
ler ist es, die Achse um 20 m dauer-
haft zu verschieben.
Eine neue Brückenhälfte neben die
alte setzen, die alte Brücke abrei-
ßen und die zweite Brückenhälfte
neben die erste setzen. Die Vorteile
sind erstens der Umweltschutz und
5
zweitens die Kosten. Ich weiß von
anderen Brückenverschüben wel-
che zwischen 25 % bis 30 % der Ge-
samtbaukosten verursacht haben.
Das ist viel Geld für eine Leistung,
die hinterher keiner mehr sieht, die
die Umwelt belastet hat, aber für ca.
zwölf Stunden die gesamte Bauin-
dustrie begeistert – ist halt Inge-
nieurskunst made in Germany.
R. Paul
„ KONTAKT
„ Leider können wir von den Zusen-
dungen nur einen kleinen Teil veröf-
fentlichen. Oft müssen wir kürzen,
damit möglichst viele Leser zu Wort
kommen.
„ Redaktion VDI nachrichten,
Postfach 101054, 40001 Düsseldorf,
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6 REPORTAGE
Von Bettina Reckter
B
ehutsam schraubt der Ro-
boterarm den Becher auf
und stellt ihn mit dem
Deckel zusammen aufs
Shuttle. Gemeinsam glei-
ten die beiden auf einer Schiene
zum ersten Modul, wo der nächste
Roboterarm die Kartusche mit dem
Bindemittel über den Becher hält.
Mit deutlichem Klacken öffnet sich
das Ventil, in einem kräftigen Strahl
ergießt sich die Flüssigkeit in den
Behälter. TokTokTok – so tröpfelt der
letzte Rest nach, bis die gewünschte
Menge exakt dosiert ist. Hinüber
geht es zur nächsten Station, wo
Pulver in den Behälter rieselt.
Genau 6,5 min stehen für diesen
Vorgang zur Verfügung, egal um
welche Flüssigkeit oder welches
Pulver es sich handelt. Das klingt
erstmal nicht nach Hochdurchsatz,
womit sich die Anlage zum Testen
von Lacksystemen von Byk in Wesel
brüstet. Eine Laborantin oder ein
Laborant würde das bestimmt
schneller hinkriegen. Doch dahinter
steckt System. „Wir haben das ge-
nau ausgeklügelt“, erzählt Manfred
Knospe, Leiter der High-Through-
put-Screening-Anlage (HTS). Er hat
sie mit seinem Team aus Anwen-
dungstechnik und Forschung&Ent-
wicklung ausgetüftelt und geplant,
den Aufbau überwacht und sie
schließlich in Betrieb genommen.
Die einzelnen Module stammen
von der Firma Chemspeed, einem
auf Laborautomation spezialisier-
ten Anlagenbauer in der Schweiz.
Insgesamt 32 Stationen mit 27 un-
terschiedlichen Funktionalitäten
wurden beauftragt, sieben davon
sind komplette Neuentwicklungen,
die es so bisher nicht gab. „Einige
haben wir uns schützen lassen, weil
da so viel von unserem Know-how
drinsteckt“, erklärt Knospe. Andere
Module wurden nach den Wün-
schen von Byk modifiziert.
Byk und Altana
„ Byk ist einer der vier Ge-
schäftsbereiche von Altana,
einem weltweit tätigen Spe-
zialchemiekonzern mit über
6500 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern. Die Unterneh-
mensgruppe bietet umwelt-
verträgliche Speziallösun-
gen für Lackhersteller, Lack-
und Kunststoffverarbeiter,
die Druck- und Verpa-
ckungsindustrie, die Kosme-
tikbranche sowie die Elek-
troindustrie an.
„ Die Altana Gruppe hat ihren
Sitz in Wesel am Niederrhein
und verfügt über 48 Produk-
tionsstätten sowie 65 Ser-
vice- und Forschungslabor-
standorte weltweit.
„ Im Jahr 2020 erzielte das
Unternehmen einen Umsatz
von rund 2,2 Mrd. €. In den
ersten sechs Monaten 2021
stieg der Umsatz um 24 %
auf 1334 Mio. € gegenüber
dem Vorjahreszeitraum. Je-
des Jahr fließen etwa 7 % des
Umsatzes in die Forschung
und Entwicklung.
11. Februar 2022 · Nr. 3
Dabei herausgekommen ist eine
weltweit einmalige Anlage zum
Erstellen und Testen von Lacken
und Farben. Und das mit atembe-
raubender Geschwindigkeit, ob-
wohl jedem der 32 Module die er-
wähnten 6,5 min Zeit eingeräumt
sind. „Eigentlich war das eine einfa-
che Rechenaufgabe“, schmunzelt
Knospe. Ein Tag hat 1440 Minuten,
verteilt auf 220 Proben entfallen auf
jede 6,5 min. In dieser Zeit muss die
Arbeit an jeder beliebigen Station
erledigt sein, muss die einzelne Pro-
be das Modul verlassen haben und
Platz für die nächste machen.
Auf einer Fläche von 900 m² fügt
sich die Anlage auf dem Gelände
von Byk und der Muttergesellschaft
Altana perfekt zwischen Labore und
Produktion. Der Chemiekonzern
mit Sitz in Wesel entwickelt u. a. Ad-
Test! Test!
ditive, mit denen die Kunden zum
Beispiel Lacke entsprechend ihrer
Anforderungen verbessern. Welcher
Zusatzstoff welche Eigenschaften
begünstigt, ist das Ergebnis lang-
Test!
wieriger Forschungs- und Entwick-
lungsarbeit – wenn man so will, von
trial and error. Entsprechend viele
Probenansätze müssen getestet
werden. Glänzt der Lack schön, lässt
er sich blasenfrei applizieren, hält er
einem gewissen Abrieb stand? All Chemie: Bis zu 220 Lackproben pro Tag
diese Fragen sind zu klären. Und da- durchlaufen ein vollautomatisches
für steht hier die 15 Mio. € teure
HTS-Anlage.
Screening in einer weltweit einmaligen
Als kreatives Unternehmen Prüfanlage bei Byk in Wesel.
forscht Byk permanent an neuen
Additiven – auch für Farben, Kleb-
und Kunststoffe. Ein etwa 100-köp-
figes Team hat diese bisher in teils
ermüdender, langwieriger Handar-
beit getestet. Das soll die HTS-Anla-
ge künftig erledigen. Beispiel gefäl-
lig? „Allein für ein einziges Netz-
und Dispergiermittel braucht eine
Person 80 Wochen – unsere Anlage
schafft das in weniger als einer“,
sagt der Projektleiter.
Stephan Küpper sitzt vor seinem
Lieblingsspielzeug am Arbeits-
platz, einem riesigen Touchscreen,
der ein wenig an den Spielfilm Mi-
nority Report erinnert und nach den
Methoden der Gamification entwi-
ckelt wurde. Von hier aus überwacht
der Operator die Abläufe in der ge-
samten Anlage in 3D-Darstellung.
Der Clou: Auf dem Leuchttisch wird
ihm nicht nur angezeigt, wenn In-
ventar zur Neige geht, er kann per
Fingertipp auch gleich für Nach-
schub sorgen.
Gelb poppt gerade eine Warnmel-
dung auf: „In Modul 2 gehen all-
mählich die Becher aus“, übersetzt
Küpper. Ein neues Rack muss her.
Per „drag and drop“ ist der Befehl
schnell gegeben, ohne dass Küpper
die Maschine anhalten muss. Zu-
gleich hat er stets einen großen Mo-
nitor im Blick. In jedem Modul hän-
gen Kameras, die allerdings nur
dann Livebilder auf den Monitor
schicken, wenn sie in Aktion sind.
Eine Störung würde zudem sofort
mit roter Warnmeldung auf den
Touchscreen gespielt.
Im Paarlauf der Bechergläser er-
reicht das Shuttle derweil den
Speedmixer, einem von drei unter-
schiedlichen Dispergieraggregaten
in der Anlage. Sie sollen für eine be-
sonders gute Verteilung der Partikel Exakt dosiert: Bis aufs Milligramm genau wiegt der Dosierkopf Feststoffe wie Pigmente, Füllstoffe und
sorgen. Während der Speedmixer im pulverförmige Additive und gibt sie über die Kartuschen ins Probengefäß. Foto: Byk

Voll im Blick: Stephan Küpper
überwacht bei Byk die vollau-
tomatische Testanlage über
den Monitor. Kameras in
jedem Modul dokumentieren
den Prozess. Foto: Bettina Reckter
Regelfall für hochviskose, also eher
zähflüssige Materialien verwendet
wird, stehen noch Dispermaten für
mittelviskose und sogenannte
Shaker für niedrigviskose Proben
zur Verfügung. Hier werden Proben
bis zu elf Stunden angerieben, also
intensiv gemischt.
Aber wie passt das mit der Anfor-
derung überein, dass eine Probe je-
des Modul nach spätestens 6,5 min
verlassen haben muss? Die Lösung:
Auf vier Schüttelplatten können bis
Schicht für Schicht: Der fertig angerührte Lack wird auf Glas, zu 100 Proben parallel laufen. Die-
Blech oder Karton aufgetragen. Nach der Trocknung erfolgt der ses Prinzip der Vervielfältigung wird
Qualitätscheck mithilfe modernster Prüftechniken. Foto: Bettina Reckter in der HTS-Anlage überall dort ver-
wendet, wo die enge Zeitvorgabe
von 6,5 min nicht einzuhalten wäre.
Mess- und Prüftechnik begleitet
den gesamten Prozess, zum Beispiel
zur Ermittlung des pH-Werts in
wässrigen Systemen. In der Regel
sinkt der pH-Wert, wenn man Pig-
mente in flüssigen Systemen an-
reibt. Unter einem Wert von sieben
muss angeglichen werden. Denn
käme etwa angeriebener Ruß mit ei-
nem pH-Wert von 2 mit einem basi-
schen Bindemittel in Kontakt, wür-
de die gesamte Probe sofort ausei-
nanderfallen wie saure Milch. Zum
Abpuffern dienen Ammoniak oder
andere Amine.
Die Partikelgröße lässt sich per
Dynamic Light Scattering, der dyna-
mischen Lichtstreuung, in der flüs-
sigen, verdünnten Probe messen.
Auch die Rheologie ist ein wichtiges
Thema. Welche Fließeigenschaften
hat der Lack, ist er dick oder dünn,
mehr wie Pudding oder eher wie Öl?
So langsam wird die Lackprobe fer-
tig. Die abgewogenen Füllstoffe,
Messen: Beim Auftragen der Probe dürfen die rheologischen Pigmente, Bindemittel und das Ad-
Eigenschaften nicht durch Scherkräfte beeinflusst werden. Foto: Byk ditiv sind gemischt und mithilfe
11. Februar 2022 · Nr. 3
feinster Glas- oder Zirkoniumperlen
angerieben, die Perlen selbst an-
schließend per Zentrifuge abgefil-
tert.
Nun beginnt der spannendste Teil
der Prozedur: Wie verhält sich ei-
gentlich der fertige Lack beim Verar-
beiten? Der Roboter vollführt sein
Ein-Arm-Ballett, er nimmt eine
„Für ein Netz- und
Dispergiermittel
benötigt eine Person
80 Wochen – die
Anlage schafft das in
weniger als einer.“
Manfred Knospe,
Leiter der HTS-Anlage bei Byk
Foto: Altana
Spritze auf, die eine vorher definier-
te Menge Material aus dem Proben-
glas entnimmt und auf einen Papp-
karton, ein Blech oder eine Glas-
platte gibt. Der Roboter entnimmt
eine Rakel aus dem Ständer, mit der
er den Lack über die Platte zieht.
Die Schichtdicke liegt je nach
Wunsch zwischen 6 μm und
REPORTAGE 7
Störung behoben: Über den
riesigen Touchscreen, der nach
den Methoden der Gamificati-
on entwickelt wurde, ordert
der Operator Nachschub für
Modul 2. Foto: Bettina Reckter
1000 μm (Tausendstelmillimeter).
Möglich ist zudem Spritzlackieren
und Gießen, „wobei Aufgießen nicht
unbedingt zu den Standardanwen-
dungen in der Industrie zählt“, er-
klärt Projektleiter Knospe. Im Labor
aber lässt sich darüber ermitteln,
wie stark das Material schäumt bzw.
wie gut ein zugefügter Entschäumer
wirkt. Beim Rühren wie auch beim
Lackauftrag per Rolle können Bläs-
chen entstehen, die bestenfalls so-
fort platzen. Dann gehts zur Trock-
nung. Viele Lacke trocknen an der
Luft, andere unter UV-Licht, wieder
andere werden bei Temperaturen
bis 180 °C eingebrannt.
Von Interesse für die Fachleute im
Lacklabor sind Glanz, Farbe,
Schichtdicke, aber auch die Anzahl
der Schaumblasen, die sich beim
Auftrag gebildet haben. Dafür schlie-
ßen entsprechende Prüfeinheiten
den Parcours durch die HTS-Anlage
ab. Leere Module warten auf weitere
Messgeräte, auf zusätzliche Applika-
tions- oder Trocknungsmethoden.
Bei Byk will man gerüstet sein für die
Zukunft. Derweil wird mit jeder Pro-
be, die in der Anlage geprüft wird, ein
enormer Datensatz an Messwerten
und Parametern generiert, der den
unterschiedlichsten Abteilungen von
Byk für die Forschungs- und Ent-
wicklungsarbeit quasi per Knopf-
druck zur Verfügung steht.
Noch arbeitet die Anlage nicht im
24/7-Betrieb. „Das kann nur suk-
zessive hochgefahren werden“, er-
klärt Manfred Knospe. Wenn sie auf
vollen Touren läuft, werden es
220 Proben täglich sein, die die An-
lage autark herstellt, appliziert,
trocknet und misst.
8 TECHNIK & WIRTSCHAFT
„ KOMMENTAR
Alt und wertvoll
Ältere Menschen erinnern sich vielleicht
noch wehmütig an Zeiten, in denen jeder
technisch begabte Mensch Produkte selbst
aufschrauben und im Idealfall reparieren
konnte. Heute ist das oft nur noch mit gro-
ßem Aufwand möglich – wenn überhaupt.
Das soll sich nun wieder ändern.
In ihrer Sustainable Products Initiative
(SPI) macht sich die Europäische Union für
die Reparatur von Produkten stark. Und
auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grü-
nen und FDP ist ein „Recht auf Reparier-
barkeit“ verankert. Zi
barkeit Ziel ist es, den Ressour-
cenverbrauch zu re-
duzieren, indem die
Produktlebenszyklen
verlängert werden.
Das erfordert jedoch
ein Umdenken bei
den Herstellern, die
Martin Ciupek, bisher von der Weg-
Ressortleiter, sieht
werfgesellschaft pro-
das Produktdesign in
einer Schlüsselrolle. fitieren. Es erfordert
Foto: VDIn/Zillmann auch einen Sinnes-
wandel bei den Kon-
sumenten, Langlebigkeit höher zu bewer-
ten als den Neuheitsgrad eines Produktes.
Technisch gibt es sogar viel Innovations-
potenzial. Wissenschaftler Jens P. Wulfs-
berg (s. Seite 2) denkt beispielsweise an
„Update-Fabriken“, in die Automobile
nach mehreren Jahren der Nutzung hi-
neinfahren und auf dem aktuellen Stand
der Technik wieder herauskommen.
Neu ist die Idee eines veränderbaren
Grundgerüstes nicht. Bei dem von Uhren-
hersteller Swatch und Mercedes gemein-
sam entwickelten Ur-Smart gehörte es zur
Konzeptidee, die Verkleidungen in der
Fahrgastzelle bei Bedarf wechseln zu kön-
nen. Computer- und Handy-Anbieter neh-
men immer öfter Produkte zurück und
bringen sie überarbeitet (refurbished) wie-
der auf den Markt. Andere, wie Fairphone
und Shiftphone, setzen auf Modularität
und die leichte Austauschbarkeit von Bat-
terie, Display, Kamera, etc. Bisher bedeutet
das aber vor allem Handarbeit.
Es ist ganz im Sinne einer funktionieren-
den Kreislaufwirtschaft, wenn solche Kon-
zepte eine Renaissance erleben. Fest steht
aber auch: Bereits heute stellen Produktde-
signer die Weichen dafür, ob eine Überar-
beitung und das Recycling künftig wirt-
schaftlich erfolgen können. Damit sind im
Produktdesign und im Produktlebenszy-
klus-Management neue Strategien gefragt,
die die Unterschiedlichkeiten von Mecha-
nik, Elektronik und Software berücksichti-
gen. Allein mit einem Schraubendreher ist
es längst nicht mehr getan.
„ mciupek@vdi-nachrichten.com
11. Februar 2022 · Nr. 3
Mit Schwung
ins Jahr 2022
Mobilität: Die Fahrradbranche produziert wieder
stärker in Europa. Auch Nachhaltigkeit und
Digitalisierung gewinnen im
wachsenden Absatzmarkt an Bedeutung.
Von Martin Ciupek
D
ie Coronapandemie
sorgt für einen Boom im
Fahrradmarkt und
bremst ihn gleichzeitig.
Gründe dafür sind das
zunehmende Bedürfnis nach nach-
haltiger Mobilität und Bewegung an
der frischen Luft auf der einen Seite
sowie Lieferengpässe bei wichtigen
Komponenten aus Fernost auf der
anderen Seite. Daraus ergeben sich
allerdings auch Chancen für die
Fahrradindustrie in Europa. Wer
Spaß am Fahrrad hat, kann sich zu-
dem auf eine zunehmende Varian-
tenvielfalt freuen. Denn Fahrräder
passen sich damit immer besser an
individuelle Bedürfnisse und Ein-
satzprofile an.
Lokale Produktion nimmt zu:
Schon 2020 zeichnete sich eine
Knappheit an bestimmten Fahrrad-
komponenten und -modellen ab.
Das hat sich bisher nicht wesentlich
verändert. Vor der Pandemie kamen
etwa 90 % aller in Europa verbauten
Fahrradrahmen aus asiatischer Pro-
duktion, insbesondere aus Taiwan
und China. Produktionsausfälle in
Asien sowie steigende Frachtkosten
bei gleichzeitig steigender Nachfra-
ge in Europa führen inzwischen je-
doch zu einem Umdenken. Die Pro-
duktion in Europa gewinnt wieder
an Bedeutung.
Alexander Eilhauer, der bei Riese &
Müller den Einkauf und das Liefer-
kettenmanagement verantwortet,
sagt: „In den vergangenen Jahren ha-
ben wir den Anteil unserer europäi-
schen Zulieferer kontinuierlich wei-
ter erhöht.“ Dies sei auch dadurch
möglich, dass inzwischen die Zahl
der Zulieferer in Europa gewachsen
sei. „Bei einem unserer volumen-
stärksten Modelle liegt der Anteil der
europäischen Zulieferer aktuell bei
über 60 %“, stellt Eilhauer fest.
Nachhaltigkeit: In Ghana produziert my Boo Fahrradrahmen aus Bambus und
Sisal. In Kiel werden die Fahrräder dann montiert. Foto: my Boo
Die Trendwende ist auch möglich,
weil bereits vor 2020 Unternehmen
in die lokale Produktion investiert
haben. Mit Fördergeldern aus der
Europäischen Union ist beispiels-
weise in Portugal ein „Bike Valley“
entstanden. Verschiedene einheimi-
sche Komponentenanbieter haben
sich dort zusammengeschlossen
und in der Region Agueda die ge-
meinsame Triangle‘s Cycling Equip-
ments S.A. gegründet. Damit lassen
sie die gut 90-jährige Tradition der
Fahrradproduktion in der Region
wieder aufblühen. Nur sind viele
Prozesse inzwischen hochautomati-
siert. Dazu sind beispielsweise
Schweißroboter im Einsatz und Au-
tomaten, die die Rahmenrohre für
die Weiterverarbeitung vorkonfek-
tionieren.
Im belgischen Leuven steht dage-
gen die Produktion von kohlenstoff-
faserverstärkten Rahmen im Vorder-
grund. Das Unternehmen Rein4ced
hat dafür 2017 einen neuen Ver-
bundstoff entwickelt, der zusam-
men mit einem neuen Verfahren ei-
ne vollautomatische Produktion
hochwertiger Carbonrahmen er-
laubt. Statt der sonst üblichen Du-
roplast-Kunststoffe setzt das Unter-
nehmen Thermoplaste als Grund-
material zum Einbetten der Faser-
matten aus Carbon ein und ver-
stärkt das Material durch hauch-
dünne Stahlfasern. Auch hier kom-
men Roboter zum Einsatz.
Das wachsende Interesse an nach-
haltigen Mobilitätskonzepten zeigt
auch Auswirkungen auf die Herstel-
ler. Materialien, Lieferketten, Pro-
duktionsverfahren sowie Entsor-
gungskonzepte werden zunehmend
hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks
hinterfragt und optimiert. Eilhauer
von Riese & Müller sagt dazu: „Un-
ser Ziel ist es, bis 2025 das nachhal-
tigste Unternehmen der E-Bike-
Branche zu sein.“ In den vergange-
nen beiden Jahren sei man dazu die
Teilziele Abfallvermeidung (Zero
Waste) und Emissionsvermeidung
angegangen. Gemeinsam mit den
Zulieferern wurden beispielsweise
Produktverpackungen optimiert.
„Dadurch konnten wir bereits im
Vorfeld Verpackungsmüll vermei-
den und allein bei der Rahmenan-
lieferung über 70 000 m2 Verpa-
ckungsmaterial einsparen“, ver-
deutlicht er. Für 2021/2022 sei Riese
& Müller nun dabei, sich zusammen
mit seinen Lieferanten einen um-
fassenden Überblick über seine
komplexe globale Liefer- und Wert-
schöpfungskette zu verschaffen. Es
gehe also Schritt für Schritt weiter
voran.
Ein besonderes Beispiel für den
Einsatz nachhaltiger Materialien ist
der Fahrradhersteller my Boo aus
Kiel. Das Unternehmen lässt die
Fahrradrahmen in Ghana aus Bam-
bus fertigen. Verbunden werden die
Elemente durch in Harz getränkte
Naturfasern aus Sisal. Für Maßhal-
tigkeit sorgen Montagerahmen und
Lehren, die das Unternehmen den
Beschäftigten dort zur Verfügung
stellt. Vor dem Weg in die Kieler
Montagefabrik werden die Rahmen
in Ghana noch lackiert, damit sie
auf ihrer ersten Reise bereits witte-
rungsbeständig sind. Damit hat das
Unternehmen nach eigenen Anga-
ben bisher nicht nur Arbeitsplätze
in Kiel geschaffen, sondern auch
über 35 in Ghana. Neben fairer Be-
zahlung engagiert sich das Unter-
nehmen dort nach eigenen Anga-
ben zudem für die Schulausbildung
von Kindern.
Der Rahmenbauer Rein4ced aus
Leuven setzt dagegen auf kurze We-
ge. Das belgische Unternehmen hat
seine Fabrik für Carbonrahmen in
der Nähe eines Wohngebiets. Als
Abgrenzung der industriellen Akti-
vitäten zu den Nachbarn wurde dort
eine Grünfläche im hinteren Teil ih-
 11. Februar 2022 · Nr. 3 TECHNIK & WIRTSCHAFT 9

Digital abgesperrt: Hier wird das Smartphone zum Schlüssel. Foto: www.pd-f.de | Luka Gorjup | Lux Fotowerk

Lastenfahrräder und Neue Antriebsoption:

E-Bikes erfreuen sich in Im Mittelmotorsystem
Deutschland steigender von Valeo ist eine Auto-
Nachfrage. Das Angebot matikschaltung inte-
deckt immer mehr An- griert. Erste Fahrräder
wendungsbereiche ab. mit diesem Antrieb
kommen in diesem Jahr
auf den Markt. Foto: Valeo
Foto: www.r-m.de | pd-f

res Grundstücks angelegt. Seit vori-
gem Jahr wird ein Teil der Grünflä-
che für den Anbau von eigenem Ge-
müse und Obst genutzt. In Teamar-
beit sei das Projekt gewachsen und
man freue sich im kommenden Jahr
die Ernte in der gemeinsamen Mit-
tagspause zu genießen.
Bei den Herstellern von Fahrradta-
schen und Fahrradbekleidung zählt
der Outdoorausrüster Vaude zu den
Vorreitern. Seit diesem Jahr arbeitet
das Unternehmen mit Sitz in Tett-
nang nach eigenen Angaben klima-
neutral. 2008 hat das Unternehmen
bereits das europäische Umweltma-
nagementsystem EMAS eingeführt.
Ein Jahr später wurde der Standort
nach Unternehmensangaben bereits
zu 100 % mit Ökostrom versorgt. Seit
vorigem Jahr erfolgt auch der Trans-
port von der Produktion bis zu den
Kunden laut Vaude klimaneutral. In
der Kollektion für 2022 sei bereits die
Hälfte aller Produkte überwiegend
aus recycelten oder biobasierten Ma-
terialien hergestellt.
Auffallend ist auch die zunehmen-
de Vielfalt an Fahrradmodellen auf
unseren Straßen. Sie reicht von
leichten Rennrädern für die Straße
über Rennräder mit breiteren Reifen
für raueres Gelände (Gravelbikes),
City- und Trekking-Fahrräder sowie
Mountainbikes bis hin zu schweren
Transportfahrrädern (Cargobikes).
Mit dem E-Bike-Trend sind auch
Touren-E-Bikes bzw. Sport Utility
Vehicles (SUV) im Aufwärtstrend.
Analog zur Automobilbranche kom-
men in dem Segment geländefähige
Stadtfahrzeuge auf den Markt, die
robuster aufgebaut sind als Alltags-
fahrräder. Ihr Markenzeichen sind
breitere Reifen, die vom Mountain-
bike inspiriert sind. Ansonsten ver-
fügen diese Fahrräder über eine all-
tagstaugliche Komplettausstattung
mit entsprechender Lichtanlage,
Schutzblechen und Gepäckträger.
Auch bei den Antriebskonzepten Antriebshersteller wie Bosch und
nimmt die Vielfalt zu. Das gilt so- Brose rüsten ihre Konzepte zuneh-
wohl für Schaltungsvarianten und mend mit Funktionen aus, die sich
Kettenalternativen als auch für die über Smartphone-Apps des Herstel-
verfügbaren Elektromotoren. Sogar lers steuern lassen. Auf der Eurobike
Wasserstoffantriebe sind im Ge- 2021 hatte beispielsweise Automo-
spräch. Das niederländische De- bilzulieferer Brose sein Konzept vor-
signbüro StudioMOM hat dazu ge- gestellt, mit dem das Smartphone
rade eine Studie zusammen mit quasi zum Bordcomputer des E-Bi-
dem australischen Brennstoffzel- kes wird. Per Bluetooth verbindet
lenhersteller Lavo vorgestellt. sich das eingeschaltete Display des
Aber auch bei den batterieelektri- Fahrradantriebs dann mit dem Mo-
schen Antrieben tut sich wieder biltelefon. Laut Hersteller lassen
was. Der französische Automobilzu- sich darüber dann individuelle Un-
lieferer Valeo will ein neues Moto- terstützungsstufen einstellen sowie
renkonzept auf den Markt bringen, Routen aufzeichnen und speichern.
bei dem Automatikschaltung und Zudem zeigt die App zusätzliche
Mittelmotor in einer kompakten Live-Daten wie Geschwindigkeit,
Einheit verbaut sind. Ab April soll Motorleistung oder verbleibende
der 48-V-Motor am Markt verfügbar Reichweite an.
sein. Sogar Reparaturen sollen per Di-
gitaltechnik einfacher werden. US-
Digitalisierung bringt Zusatzfunk- Fahrradhersteller Cannondale hat
tionen und Diebstahlschutz: Das dazu beispielsweise ein App entwi-
smarte Motorenkonzept von Valeo ckelt, die per Augmented Reality
steht gleichzeitig für einen weiteren Bauteile am Fahrrad über die Kame-
Trend, die Digitalisierung. Der ra des Smartphones identifiziert
smarte Antrieb soll sich vor allem und die passenden Ersatzteile an-
bei Cargobikes und insbesondere zeigt.
gewerblich genutzten Lieferfahrrä- Auch beim Diebstahlschutz sind
dern auszeichnen. Denn durch die digitale Lösungen zunehmend im
automatische Schaltung und sowie Einsatz. Sie helfen beispielsweise
eine Rückwärtsfahrfunktion sollen Schlösser einfach per App zu öffnen
sich Anwender stets auf die Fahrsi- oder entwendete Fahrräder wieder-
tuation konzentrieren können. zufinden. Das lohnt sich besonders
bei hochwertigen und teuren Fahr-
rädern. So ist die Technik auch für
Modelle verfügbar, denen man das
Top 5 Trends im Jahr 2022: von außen nicht unbedingt ansehen
„ Produktion in Europa gewinnt an Bedeutung kann.
Seit diesem Jahr stattet beispiels-
„ Hersteller investieren in nachhaltige Produkte und
weise der Bambusfahrradhersteller
Prozesse
my Boo seine E-Bikes serienmäßig
„ Vielfalt bei Ausstattungsvarianten und Modellen mit einem digitalen Diebstahl-
nimmt zu schutz und App-Funktionen aus.
Zum Einsatz kommt dabei die Lö-
„ Digitalisierung bringt Zusatzfunktionen und Dieb-
sung „It’s my Bike“ des Start-ups
stahlschutz
IoT Venture aus Darmstadt. Beim
„ Zunehmender Radtourismus erfordert die Lösung von Kauf eines solchen Elektrofahrrads
Nutzungskonflikten kann die my Boo-App mit allen di-
gitalen Angeboten laut Anbieter
kostenfrei für drei Jahre aktiviert
werden. Neben einem digitalen
Diebstahlschutz mit Bewegungs-
alarm können darüber beispiels-
weise auch Fahrdaten analysiert
werden. Zusätzlich kann ein Un-
fallassistent aktiviert werden, bei
dem im Falle eines Sturzes hinter-
legte Notfallkontakte informiert
werden.
Boom im Radtourismus: Gerade
durch die Pandemie erfreut sich das
Fahrrad auch in der Freizeit und im
Urlaub wachsender Beliebtheit. Bei-
spielsweise geht der Tourismusver-
band Ostbayern hier von einem an-
haltenden Wachstum aus. Urlaubs-
regionen versuchen durch entspre-
chende Angebote attraktiv für die
radelnde Zielgruppe zu sein, bauen
Streckennetze aus und oft auch den
Fahrradverleih.
Gerade Mountainbiken gehört in
Deutschland zu den beliebtesten
Freizeitsportarten. Das führt aller-
dings auch zu Nutzungskonflikten
mit Wanderern und Waldbesitzern.
Das Mountainbike Tourismusfo-
rum will hier mit einer Initiative
für mehr Miteinander sorgen, Auf-
klärungsarbeit leisten und nach-
haltige Lösungen entwickeln. In
Anlehnung an die „Plattform In-
dustrie 4.0“ haben sich unter dem
Namen „Bike Spirit 4.0“ dazu füh-
rende Unternehmen zusammen-
geschlossen. Sie wollen damit
gleichzeitig ein gesellschaftliches
Bike-Ökosystem für die Zukunft
aufbauen.
Die Beliebtheit von Radreisen
und Bikepacking spornt auch die
Anbieter von Zubehör an. In Form
von passenden Radtaschen wird der
Markt stetig um die Ansprüche sol-
cher Radreisegattungen erweitert.
Dazu gehören beispielsweise Ta-
schen zur Direktmontage am Rad
auch ohne Gepäckträger, wie beim
Bikepacking üblich.
10 TECHNIK & WIRTSCHAFT
„Elektra“ verzichtet auf Abgase
Elektromobilität: Mit der „Elektra“ hat im Berliner Hafen das weltweit
erste emissionsfreie Schubschiff seinen Betrieb aufgenommen.
Von Wolfgang Heumer
A
uf den ersten Blick sieht Elektra genau-
so aus wie jedes andere Schubboot auf
Flüssen und Kanälen. Dieser Fahr-
zeugtyp ist die moderne Form des Bin-
nenfrachtschiffes, das seine Ladung
auf einem oder mehreren unmotorisierten Leich-
tern vor sich herschiebt. Auch Elektra hat die ty-
pisch kantige Form eines Pontons, der Führer-
haus, Wohntrakt für die Crew, den Motor und die
Dieseltanks trägt.
Aber wenn das 20 m lange und 8 m breite Boot
einen Kahn mit bis zu 1400 t Ladung 8,5 km/h
schnell durch den Berliner Stadthafen wuchtet,
stößt es kein Abgas, sondern nur Dampf aus; statt
eines laut nagelnden Dieselaggregats ist nur ein
leises Rauschen zu hören. Elektra wird von Elek-
tromotoren anstelle der üblichen Verbrenner be-
wegt.
Die elektrische Energie für das Schubschiff Elek-
tra kommt aus drei Brennstoffzellen sowie aus 250
Akkus. Mit diesem hybriden System ist das Schub-
boot weltweit einzigartig und soll als Versuchsob-
jekt den Weg zum klimaneutralen Betrieb von Bin-
nenschiffen ebnen. „Gerade für Ballungsräume
macht dieses Energiesystem Sinn, weil es emissi-
onsfrei ist und Lärmschutz garantiert“, ist Gerd
Holbach überzeugt, der das Fachgebiet „Entwurf
und Betrieb maritimer Systeme“ an der TU Berlin
leitet und die Elektra mit dem Berliner Hafen- und
Logistikunternehmen Behala entwickelt hat.
Emissionsarme Binnenschiffe: Prinzipiell genie-
ßen Binnenschiffe den Ruf, im Frachtverkehr
deutlich weniger umwelt- und klimaschädlich zu
sein als Lastkraftwagen. Laut Umweltbundesamt
emittiert ein Lkw 117 g Treibhausgase pro La-
dungstonne und Kilometer, beim Schiff sind es
dagegen nur 30 g. Vielleicht hat dieses Image da-
zu beigetragen, dass alternative Antriebssysteme
bislang keine nennenswerte Rolle auf den Bin-
nenwasserstraßen spielen – obwohl es bereits vor
rund 110 Jahren auf der Havel etwa 100 elektrisch
betriebene Binnenschiffe gab, die den Strom aus
Akkus bezogen.
Holbach war so gesehen in einer Berliner Tradi-
tion verwurzelt, als er vor fünf Jahren die Weichen
für das Pilotprojekt Elektra gemeinsam mit der
Behala stellte. „Es war von Anfang an klar, dass
dieses innovative Schubboot dieselben Anforde-
rungen im Betrieb erfüllen muss wie ein konven-
tionelles Schiff und dass in der Perspektive die
Betriebskosten in vergleichbarer Größenordnung
liegen müssen“, unterstreicht Behala-Prokurist
Klaus-Günter Lichtfuß. Grundsätzlich ist das An-
Die Elektra ist das erste emissionsfrei fahrende Schubschiff der Welt. Hier beim Stapellauf im Mai 2021. Ihr Heimathafen ist der Berliner Westhafen. Bald soll sie mit grünem Wasserstoff
zwischen Berlin und Hamburg pendeln. Foto: Behala
11. Februar 2022 · Nr. 3
triebssystem so konzipiert, dass es auf jede Art
der Binnenschiff übertragen werden kann.
Der Antrieb der Elektra: Die einzelnen techni-
schen Komponenten für Elektra sind für sich nicht
ungewöhnlich. Die elektrische Energie für die bei-
den je 210 kW starken Elektromotoren wird zum
einen von drei Brennstoffzellen mit einer Leistung
von jeweils 100 KW erzeugt. Zum anderen kommt
der Strom aus 250 Akkus – Gesamtgewicht 25 t –
mit einer Kapazität von 2 x 1 025 kWh für den An-
trieb und 300 kWh für das Bordnetz. Um den Ver-
brauch zu minimieren, werden die Kabinen und
der Steuerstand u. a. aus einer Wasser-Wasser-
„Gerade für Wärmepumpe beheizt; den Rest liefert die Abwär-
me der Brennstoffzellen und aus dem Akku-Raum.
Ballungsräume
macht dieses Außerdem galt es, ausreichend Wasserstoff auf
dem Schiff zu bunkern. Die Konstrukteure entwi-
Energiesystem ckelten ein System aus sechs Druckbehältern, die
jeweils 125 kg mit auf 500 bar komprimiertem
Sinn, weil es Wasserstoff aufnehmen können. Das Besondere
an diesen Tanks: Sie können einzeln entnommen
emissionsfrei und mithilfe des Bordkrans zum Austausch an
ist und Land gestellt werden. Um Kraftstoff zu „bun-
kern“, müssen einfach sechs neue „Multiple
Lärmschutz Energy Gas Container“ angeliefert werden.
Das Ganze ist mehr als die Summe aller Teile – die
garantiert.“ eigentliche Herausforderung steckte darin, all diese
Gerd Holbach, Komponenten an Bord unterzubringen. Denn ne-
Leiter des Fachgebiets ben dem Wohnbereich für die Besatzung und für
„Entwurf und Betrieb den geräumigen Steuerstand musste dort noch
maritimer Systeme“ Platz für die aufwendige Verkabelung vorhanden
an der TU Berlin sein. Insgesamt waren 2 km Kabel – von der dünnen
bis zur armdicken Datenleitung – erforderlich, um
die elektrischen Komponenten sowie die Überwa-
chungs- und Steuerungstechnik zu verdrahten.
Das Energiemanagementsystem und die Fahr-
assistenzsysteme waren ein zentrales Thema des
Modellversuchs. Ein von Brennstoffzellen mit
Strom versorgter Antrieb verhalte sich ausgerech-
net an einem neuralgischen Punkt anders als ein
dieselgetriebenes System, erläutert Holbach in ei-
nem über das Projekt gedrehten Film der TU Ber-
lin. Demnach reagieren die Zellen und damit die
Elektromotoren leicht verzögert und mit einer
langsameren Leistungssteigerung als ein Diesel-
motor, wenn der Steuermann plötzlich „Gas ge-
ben“ muss. Weil dies zumeist in kritischen Situa-
tionen – beispielsweise im Begegnungsverkehr
oder bei Hafenmanövern – notwendig wird,
bringt das Energiemanagement in diesem Fall so-
fort die Akkus ins Spiel. Sie stellen den Motoren
den Strom für eine unverzügliche Reaktion zur
Verfügung. Im Normalbetrieb sind sie dagegen in
erster Linie die Energiereserve, falls der Wasser-
stoffvorrat nicht bis zum Ziel reicht.
Die Elektra im Einsatz: Auch die Einsatzplanung
für ein wasserstoffbetriebenes Binnenschiff un-
terscheidet sich deutlich von Schubbooten mit
Dieselmotoren. Diese Planungsprozesse sind
deshalb ein zentrales Thema des bis 2024 ange-
setzten Elektra-Projekts. „Dieselbetriebene Schif-
fe tanken einmal und können dann sehr weit fah-
ren, bevor sie wieder bunkern müssen“, erläutert
Holbach in dem Dokumentationsfilm. Die Reich-
weite der Elektra ist dagegen auf 340 km im rei-
nen Wasserstoffbetrieb begrenzt; als maximale
Reserve können die Akkus den Fahrbetrieb noch
für weitere 60 km aufrechterhalten. Um böse
Überraschung unterwegs zu vermeiden, berech-
net der Bordcomputer deswegen anhand aktuel-
ler Daten über Wind- und Strömungsverhältnisse
auf der Strecke, wie schnell das Schiff wo fahren
darf und wie hoch der Verbrauch ist.
In der ersten Versuchsphase wird die Elektra zu-
nächst nur im Berliner Westhafen für das Manö-
vrieren von Hafenleichtern eingesetzt. Für den
anschließend geplanten Streckentest zwischen
Berlin und Hamburg haben die Projektpartner
bereits vorgesorgt. Der Energieversorger H2
Green Power & Logistics wird die Wasserstoffcon-
tainer nicht nur in Berlin, sondern auch in Lüne-
burg austauschen. Die Akkus können in Berlin an
einer speziellen Stromtankstelle innerhalb von
wenigen Stunden geladen werden. Sollte ihnen
unterwegs „der Saft ausgehen“, kann die Nachla-
dung aber auch über einen Starkstromanschluss
erfolgen. Den gibt es in jedem Hafen.
Insgesamt kostet das Elektra-Projekt rund
13 Mio. €. Davon kommen 8 Mio. € aus dem Bun-
desverkehrsministerium. Die Forschungsarbei-
ten werden bis 2024 abgeschlossen sein. Die
„Elektra“ soll danach aber in Betrieb bleiben und
für die Behala mit bis zu 1 400 t Fracht zwischen
Berlin und Hamburg pendeln.
 11. Februar 2022 · Nr. 3 TECHNIK & WIRTSCHAFT 11

Das Internet in
vollen Zügen
genießen
Mobilfunk: Britische Ingenieure haben eine
5G-Technologie für den Schienenverkehr entwickelt,
die speziell auf Bahnanforderungen abgestimmt ist.
Rail-5G schafft Datenraten von mehr als 1 Gbit/s.

Von Peter Weißenberg 5G und WLAN entwickelt, die genau

V
or wenigen Tagen war es
mal wieder so weit: Si-
mon Holmes steigt in
den Vorortzug Richtung
Londoner City – und der
ist brechend voll. „Wie die Sardinen
in der Büchse haben wir da im Gang
gestanden“, stöhnt der Ingenieur.
Na ja, wenigstens vergeht die Stun-
de bis Paddington Station mit
E-Mails checken und Nachrichten
schauen auf dem Smartphone et-
was zügiger. Schließlich gibt es ja
WLAN an Bord … theoretisch. „Ich
konnte mich wegen Überlastung
noch nicht einmal ins Netz einwäh-
len – und der Mobilfunkempfang ist
auch fast gleich null gewesen“, erin-
nert er sich.
Die Situation ärgert Holmes noch
heute. Schließlich kennt er die Lö-
sung gegen das einsame Leben in
vollen Zügen. Er ist Chefingenieur
Digital Communications bei First-
group. Das Unternehmen betreibt
in Großbritannien, Irland, Nord-
amerika und Deutschland Eisen-
bahnen, Straßenbahnen und Busse.
Holmes hat in den vergangenen
fünf Jahren eine Mischung von LAN,
diese Bandbreiten- und Empfangs-
probleme beseitigt. Als Geschäfts-
führer des Tochterunternehmens
Evo-Rail vermarktet er diese Tech-
nik nun unter dem Namen Rail-5G.
In einigen Ländern verfügen erste
Strecken schon über Rail-5G: Erste
Strecken in England, Frankreich,
Spanien und den USA sind bereits
mit dem superschnellen Internetzu-
gang ausgerüstet, den Holmes zu-
sammen mit Forschenden der Uni-
versität Bristol entwickelt hat;
Rail-5G funktioniert anders als rei-
ner Mobilfunk mit beständiger
Bandbreite auch in Tunneln, selbst
bei Hunderten gleichzeitiger Nutzer
und mit einer Geschwindigkeit von
bis zu 1 Gbit/s.
An besserem Internet – oder erst
einmal überhaupt einem Zugang –
arbeiten rund um den Globus Bahn-
unternehmen und Mobilfunk-Netz-
betreiber. Die Deutsche Bahn (DB)
etwa will zusammen mit der Deut-
schen Telekom ihr gesamtes Stre-
ckennetz lückenlos mit ihrem Mo-
bilfunknetz und mit schnellem In-
ternet versorgen.
Allerdings frühestens Ende 2026
und ohne bisher zu sagen, wie
Es nervt: Ruckelnde Filme, lahme Internetverbindungen, unterbrochene Telefonate – Bahnkunden müs-
sen aktuell noch leidensfähig sein. Doch es gibt Hoffnung. Foto: imago images/imagebroker/Michaela Begsteiger
schnell denn „schnelles Surfen“
dann sein wird.Im Moment geht es
eher darum, zumindest in den
Schnellzügen des Fernverkehrs ver-
lässlich die Internetverbindung ein-
zurichten. Gerade jetzt mit wieder
zunehmenden Passagierzahlen
sackt die Bandbreite allerdings wie-
der deutlich ab – und geht in vielen
Bereichen auch schon mal auf null.
Selbst der Versand einer E-Mail wird
da zum Geduldsspiel.
Schwachstelle sind die Netze der
Telekommunikationsanbieter: Die
Schienenunternehmen sind indes
für die Internetgeschwindigkeit
nicht zuständig. Die Telekommuni-
kationsanbieter und ihre Netze ent-
lang der Schienen sind die
Schwachstelle. Denn auf diesem
Weg werden die Daten aus dem
Zug-WLAN verschickt, was die Zug-
gesellschaften mit zweistelligen
Millionensummen pro Jahr bezah-
bessertes Kundenerlebnis für die
Passagiere bieten ist der Ingenieur
überzeugt: „Die können jetzt wie ge-
wohnt HD-Video-Streaming nut-
zen, auf Büroanwendungen wie Vi-
deokonferenzen zugreifen, an
3D-Spielen teilnehmen und mit ho-
her Geschwindigkeit surfen – selbst
wenn ihr Zug in einem Tunnel
steht.“ Gerade in Deutschland legen
virtuelle Besprechungen an solchen
Punkten eine Zwangspause ein.
Die Ausstattung entlang der Tras-
se erlaube einen symmetrischen
Durchsatz von mehr als 1 Gbit/s
statt 10 Mbit/s bis 20 Mbit/s. „Das
„Im Gegensatz hat das Potenzial, ein erschwingli-
ches und sicheres Gleis- und Zug-
zu Systemen von system für wichtige betriebliche Ab-
läufe zu bieten“, so der Entwickler.
von Telekommu- Die Daten werden dabei schon di-
rekt im Zug verschlüsselt – das be-
nikationsanbie- deutet, Evo-Rail erhält dazu keinen
tern profitiert Zugang.

len müssen. Anders nähert sich der
Ansatz von Evo-Rail dem Problem:
Die Technik dahinter: So funktioniert Rail-5G „Im Gegensatz zu Systemen von Te-
lekommunikationsanbietern profi-
Diese Lösung für zuverlässig schnelles Internet in Zügen besteht aus
tiert Rail-5G davon, dass es von
vier Hauptbestandteilen:
„ Das Netz an der Strecke: Pfeiler und Antennen, die entlang der
Bahnexperten speziell für genau
diese Form der Mobilität entwickelt
Gleise montiert sind, um eine direkte Sichtverbindung und nahezu wurde“, so Holmes.
lückenlose Abdeckung der Antennen im Zug zu gewährleisten. Rail-5G benötigt nur einen Bruch-
„ Verteilte LAN-Zugänge: Das streckenseitige Netz ist an mehreren
teil der Leistung des Mobilfunks,
überträgt aber Daten bis zu 100-mal
Standorten per Drahtverbindung mit dem Internet verbunden. Das
schneller als etwa mit LTE. Der Trick
gewährleistet einen Lastausgleich, eine höhere Verfügbarkeit und
die Möglichkeit, das streckenseitige Netz abschnittsweise zu erwei-
dahinter sind Pfeiler entlang der
Strecken, die im maximalen Ab-
tern.
stand von 3 km stehen und mit
„ Funkzugangsnetz: Die mmWave-Beamforming-Funkgeräte 5G-Sendern bestückt sind.
(Strahlformungstechnik für den Arbeitsbereich von Millimeter-
Wellen) – sowohl streckenseitig als auch im Zug – überbrücken und Diese Sender an den Masten lie-
integrieren die entsprechenden streckenseitigen und fahrzeugseiti- fern die Signale aus einem drahtge-
gen Netzwerke. Diese Bordnetze umfassen sogenannte Backbone- bundenen Highspeed-Netz an je ei-
Switches des Zuges und sogenannte WLAN-Gateway-Server. nen Empfänger am Zuganfang und
-ende – wie mit einer Art Richtfunk.
„ Das Netz im Zug: Rail-5G nutzt die bestehenden WLAN-Investitio-
Die schnelle Datenverbindung ist
nen des Zugbetreibers optimal aus oder kann als WLAN-Paket-
dann im Zug selbst wieder mit dem
lösung angeboten werden. Dadurch wird die vorhandene mobile
bordeigenen WLAN verbunden. „Bis
4G-Bandbreite von 10 Mbit/s bis 20 Mbit/s mit einem potenziellen
auf die Zugantennen nutzen wir nur
symmetrischen Durchsatz von mehr als 1 Gbit/s, also 1000 Mbit/s,
die bestehenden Bordsysteme in
aufgewertet.
den Zügen“, so Holmes. Die erhöhte
Bandbreite werde ein deutlich ver-
Rail-5G davon, Neue Geschäftsmodelle für schnel-
les Internet im Zug: In Holmes‘ Ide-
dass es von alvorstellung besitzt, betreibt und
wartet sein Unternehmen
Bahnexperten zusammen mit Hardwarepartnern
speziell für im Namen der Bahnkunden das
Netz. Der Rail-5G-Entwickler ist
genau diese aber natürlich keine karitative
Organisation, die den Bahnreisen-
Form der den schnelles Internet schenken
würde.
Mobilität ent- Evo-Rail spekuliert auf lang lau-
wickelt wurde.“ fende Betreiber-Verträge, 15 Jahre
und mehr. Dafür bieten sie an, die
Simon Holmes, Chef-
Infrastruktur für die Bahnunterneh-
ingenieur Digital Commu- men kostenfrei zu erstellen. Quasi
nications bei Firstgroup wie bei einem Mobilfunkvertrag mit
inklusivem Smartphone. Das Gerät
ist umsonst, aber der Tarif ist teurer.
Alternativ: „Wenn wir einen Teil
der überschüssigen Bandbreite
selbst vermarkten dürften oder an
den Einnahmen teilhaben“, rechne
sich das auch, so Holmes. Netflix,
Facebook, Zoom oder Werbetrei-
bende etwa könnten für den schnel-
len Zugang zu ihren Bahn fahren-
den Kunden Gebühren zahlen. Das
wäre ja mal ein feiner Zug.
12 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Wege aus dem Stau gesucht
Logistik: 12 % aller weltweit transportierten Container stehen derzeit still: Corona sprengt
die Lieferketten. In der Industrie gewinnt das Supply-Chain-Risk-Management deswegen an Bedeutung.
Wenn auf See nichts mehr geht, stehen auch an Land die Bänder still: Volkswagen musste wegen Chipmangels das Werk in Emden zeitweise ganz schließen. Foto: PantherMedia / Ivan Tykhyi
Von Wolfgang Heumer
E
instmals waren Fracht-
schiffe vielen Firmen
auch als Zwischenlager
willkommen. So lange
sich die Container an
Bord befanden, kosteten sie weder
Mühe noch Geld, lautete die Devise
in den auf schlank getrimmten Just-
in-Time-Produktionsabläufen. „Das
damit verbundene Risiko war schon
immer da“, sagt Holger Ketz,
Deutschlandchef der international
agierenden Logistikgruppe Kühne +
Nagel (K+N), „aber Corona hat es
jetzt auf den Punkt gebracht.“
Seit vielen Monaten stauen sich
die Containerschiffe vor allem vor
den chinesischen und US-amerika-
nischen Häfen. Im Vergleich zu An-
fang Dezember hat sich die aus der
Menge der betroffenen 20-Fuß-
Standardcontainer (TEU) und der
Wartezeit kumulierte Staulänge im
„Global Disruption Indicator“ von
K+N auf 12,2 Mio. TEU-Tage ver-
doppelt. Am Kiel-Institut für Welt-
wirtschaft bringt es der Seever-
kehrsexperte Vincent Stammer auf
eine kürzere Formel: „Derzeit befin-
den sich etwa 12 % der weltweit
transportierten Container auf ei-
nem unbewegten Schiff.“ Nach ei-
ner vorübergehenden Erholung im
Herbst 2021 marschiert der Stauin-
dex im Kiel Trade Indicator wieder
auf den Höchstwert von knapp 14 %
aus dem vergangenen Sommer zu.
Die Konsequenzen sind seit vielen
Monaten auf allen Ebenen – von der
Industrie über den Handel bis zum
Verbraucher – zu spüren. In einer Er-
hebung des Ifo-Institutes im Auftrag
der Bundesvereinigung Logistik
(BVL) gaben 75 % der befragten Un-
ternehmen an, dass die Produktion
„nicht im Einklang mit der kräftigen
Nachfrage gesteigert werden konn-
te“. Wie andere Automobilhersteller
musste VW aufgrund fehlender
Halbleiter für die Bordelektronik die
Bänder bremsen und das Werk in
Emden zeitweise ganz schließen.
Vier von fünf Einzelhändler mel-
deten ausgerechnet im Weihnachts-
Teuer: Die gewichte-
ten Transportkosten für
einen 40-Fuß-Container
auf acht wichtigen Ost-
West-Schiffsverbindun-
gen sind zuletzt explo-
diert. Zu den Strecken
zählt beispielsweise
Schanghai-Rotterdam.
Quelle: Drewry World Container Index
11. Februar 2022 · Nr. 3
geschäft, dass sie bestellte Ware
nicht rechtzeitig bekommen hatten.
Für die Kunden bedeutete dies stei-
gende Preise und lange Gesichter.
Nun ziehen immer mehr Firmen
die Konsequenzen. „Die Bedeutung
eines guten Supply-Risk-Manage-
ment ist schlagartig deutlich gewor-
den“, sagt Carsten Knauer, Leiter
der Sektion Logistik im Bundesver-
band Logistik, Materialwirtschaft
und Einkauf (BME). Ähnlich wie
Ketz ist Knauer überzeugt, dass die
jetzt sichtbaren Risiken im Grunde
nicht neu sind: „Die Notwendigkeit,
solchen Gefahren vorzubeugen, ha-
ben viele grundsätzlich gesehen.
Aber am Ende mangelt es an der Be-
reitschaft, Geld dafür in die Hand zu
nehmen.“ Lean-Management hatte
offenbar mehr Sexappeal als Risiko-
vorsorge. „Jetzt ist das gute, alte La-
ger wieder zum Thema geworden“,
stellt Knauer fest.
Der Einfluss von funktionierenden
Lieferketten ist signifikant. Nach An-
gaben des IW Köln gibt es EU-weit
bei 5200 wichtigen Produktgruppen
strategische Abhängigkeiten von
ausländischen Zulieferern. Der Ge-
samtwert dieser Vorleistungsgüter
betrug in 2020 rund 2400 Mrd. €. Da-
von kamen Waren im Wert von
934 Mrd. € aus Drittstaaten – das
sind die Produkte, die jetzt mögli-
cherweise irgendwo im Stau stehen.
Wie schnell die Lieferkette reißen
kann, hat die Havarie des Contai-
nerfrachters Ever Given im Suezka-
nal vor knapp einem Jahr deutlich
gemacht – es dauerte Monate, bis
sich die weltweite Schifffahrt davon
erholt hatte.
Doch mitunter genügen auch
schon kleinere Katastrophen, um
nachhaltige Schäden zu verursa-
chen. „Unter Umständen kann
schon ein schwerer Unfall auf der
einzigen Werkszufahrt zu einem
Produktionsausfall führen“, erklärt
der BVL-Vorsitzende Thomas Wim-
mer. Generell gelte: „Je günstiger die
Produkte sein sollen, je schneller
wir sie haben möchten und je indi-
vidueller sie sind, desto größer sind
die Herausforderungen.“
Inzwischen reagiert die Wirt-
schaft. Einer Umfrage des IW Köln
unter 4500 Firmen zufolge haben
71 % der Unternehmen begonnen,
ihre Lieferketten neu zu ordnen. Da-
von suchten sich 44 % neue oder zu-
sätzliche Lieferanten, 27 % erhöhten
die Lagerbestände. Knapp ein Viertel
minderte das Risiko durch die Vertei-
lung der Lieferanten auf mehrere
Länder oder Regionen. 22 % änder-
ten ihre Lieferwege. Doch BME-Ex-
perte Knauer warnt vor übertriebe-
nen Erwartungen an eine besser ge-
schützte Lieferkette: „Man kann die
Zahl der Risiken verkleinern, aber
nicht völlig ausschalten.“
71 %
der deutschen Firmen
ordnen ihre Lieferketten
gerade neu. Davon suchen
sich 44 % neue oder
zusätzliche Lieferanten.
Auch VW hat Konsequenzen aus
der Corona-Krise gezogen. Bereits
im Frühjahr 2020 sei ein Manage-
menttool zur Steuerung von Versor-
gungsketten in globalen Krisen ent-
wickelt worden, teilte ein Unterneh-
menssprecher mit. Neben dem Kri-
senmanagement trage das System
dem schnellen Informationsaus-
tausch zwischen allen beteiligten
Ressorts wie der Beschaffung, Pro-
duktion, Vertrieb sowie der Logistik
Rechnung. Den Angaben zufolge
hat sich die Konzernstrategie in der
jüngeren Vergangenheit auch ohne
Corona deutlich verändert: „Schon
heute sourcen wir aus gesamtwirt-
schaftlicher Betrachtung die Mehr-
heit unserer Teile regional.“ Die Ab-
kehr von globalen Versorgungsnet-
zen sei unter anderem einer Verrin-
gerung der Emissionen als Beitrag
zum Klimaschutz geschuldet.
Als praxisnaher Logistiker gibt der
K+N-Deutschlandchef Ketz Unter-
nehmen ganz pragmatische Tipps
zur Risikobegrenzung: „Sie müssen
Transparenz auch gegenüber den
Geschäftspartnern schaffen; für den
Warentransport empfehle ich einen
möglichst breiten Carriermix und
gemischte Vertragslaufzeiten für
kurze, mittlere und langfristige Zeit-
räume.“
Kurzfristige Entscheidungen kom-
men den Auftraggeber in der Contai-
nerschifffahrt derzeit teuer zu ste-
hen. Wer auf die Schnelle auf dem
Spot-Markt einen Stellplatz für einen
40-Fuß-Container buchen will, muss
je nach Strecke bis zu 20 000 $ bezah-
len – im langfristigen Frachtvertrag
würde die Box nur einen Betrag im
unteren vierstelligen Bereich kosten.
Wie selten solche Stellplätze gewor-
den sind, zeigen Zahlen aus der Ree-
derei Hapag Lloyd. Der fünftgrößte
Containertransporteur der Welt hat
auf seinen zwischen Asien und
Europa pendelnden Frachtern wö-
chentlich etwa 75 000 Stellplätze zur
Verfügung – die Nachfrage liegt aber
bei mehr als 500 000.
Ein Ende der Auswirkungen der
Corona-Krise auf Industrie, Handel
und Verbraucher ist jedoch noch
nicht in Sicht – im Gegenteil. Bei sei-
nen täglichen Auswertungen der
weltweiten Schiffsbewegungen stellt
der Kieler Wirtschaftswissenschaftler
Vincent Stammer einen Rückgang
der Exporte aus China um 4,9 % fest.
Auf dem Roten Meer – der wichtigs-
ten Schiffshandelsroute zwischen
Europa und Asien – seien gegenwär-
tig 15 % weniger Waren unterwegs,
als unter normalen Umständen zu
erwarten wären. So groß sei die Lü-
cke zuletzt Mitte 2020 gewesen, als
die Corona-Pandemie erstmals zahl-
reiche Volkswirtschaften in den
Lockdown zwang. Stammer erkennt
darin ein Alarmsignal: „Es zeichnet
sich ab, dass der Omikron-Ausbruch
in China und die Eindämmungsver-
suche der chinesischen Regierung
durch harte Lockdowns und Werks-
schließungen im Frühjahr negative
Folgen für Europa haben dürften.“

Die Maschine rückt
in den Hintergrund
Industrie 4.0: Konzepte für digitale Geschäftsmodelle werden bei der
Körber AG losgelöst von der eigenen Maschinentechnik entwickelt und in
Start-ups ausgegründet. Im Maschinenbau ist das eine Besonderheit.
Von Martin Ciupek
W
ährend viele Maschinenbauun-
ternehmen noch nach passenden
Strategien zur Digitalisierung su-
chen, scheint die Körber AG aus
Hamburg ihren Weg gefunden zu
haben. Neben den Geschäftsfeldern Pharma,
Supply Chain (Logistiklösungen), Tissue (Gewe-
beproduktindustrie) und Tabak hat der Technolo-
giekonzern 2017 das Geschäftsfeld Körber Digital
am Markt positioniert. Aus der bis dahin internen
Innovationseinheit des Konzerns mit über 10 000
Mitarbeitenden hat sich hier ein Team herausge-
bildet, das inzwischen selbst Unternehmen aus-
gründet und externe Kunden bei der Digitalisie-
rung unterstützt. Voriges Jahr wurde der Unter-
nehmensteil dafür von Infront Consulting als
„Champion der Digitalen Transformation“ ausge-
zeichnet und erhielt die beste Bewertung in der
Kategorie Maschinenbau.
In der Mischung aus Erfahrung und Agilität liegt
für Körber-Digital-Geschäftsführer Daniel Szabo
das Erfolgsgeheimnis. „Wir verwenden die hun-
dertjährige Erfahrung als führendes Unterneh-
men in diversen Maschinenbaubereichen. Wir
haben dadurch den Zugang zu aktuellen Heraus-
forderungen der Kunden und können damit eine
kommerzielle Lösung deutlich schneller skalieren
und vorantreiben, als das bei einem reinen Start-
up der Fall wäre“, sagt er. Er bezieht in diese
Rechnung auch Unternehmen ein, die in der Ver-
gangenheit von Körber übernommen wurden
und älter als die Dachmarke sind. Denn der
Grundstein für die heutige AG wurde 1946 mit der
Hauni Maschinenfabrik Körber & Co. KG für die
Zigarettenproduktion gelegt.
Laut Szabo verfolgt sein Geschäftsbereich im
Wesentlichen drei Ziele: erstens die Unterstüt-
zung der Geschäftsbereiche im Digitalisierungs-
prozess – „Capability building“ nennt er das. Da-
zu gehörten beispielsweise Trainings zur agilen
Softwareentwicklung und zur Identifikation neu-
er, serviceorientierter Geschäftsmodelle. Zwei-
tens die Entwicklung digitaler Produkte, die nah
an den Kernkompetenzen der Holding liegen.
„Wir helfen den Geschäftsbereichen, wenn sie ei-
Die Körber AG
„ sitzt in Hamburg und beschäftigt an ih-
ren mehr als 100 Standorten weltweit
10 584 Mitarbeitende (Stand 2020). Sie
erzielte einen Jahresumsatz von
1,76 Mrd. €.
„ hat fünf Geschäftsbereiche: Pharma,
Supply Chain (Logistiklösungen), Tissue
(Gewebeproduktindustrie), Tabak und
seit 2017 Körber Digital.
„ Der jüngste Geschäftsbereich „Körber
Digital“ hat inzwischen über 250 Mitar-
beitende an Standorten in Berlin, Karls-
ruhe, Porto (Portugal) und in Greenbay
(USA). Durch die Mehrheitsbeteiligung
am KI-Beratungsunternehmen DAIN
Studios sind zum Jahreswechsel weitere
Standorte in Helsinki und München hin-
zugekommen.
11. Februar 2022 · Nr. 3
ne digitale Verlängerung für ihr Hardwareprodukt
bauen wollen“, verdeutlicht er. Und drittens den
Aufbau eigenständiger Firmen, die mit den
Marktbedürfnissen wachsen können.
Auf den letzten Bereich verwende Körber Digi-
tal die meiste Energie. Dafür sorgen inzwischen
mehr als 200 Mitarbeitende an Standorten in Ber-
lin, Karlsruhe, Porto (Portugal) und im US-ameri-
kanischen „Tissue-Valley“ Greenbay. Darin sieht
Szabo auch den größten Unterschied zu anderen
Industrieunternehmen: „Klassische Maschinen-
bauer sehen digitale Entwicklungen eher als Ver-
längerung von ihrem Hardwaregeschäft. Für uns
ist das ein eigenständiges Geschäft.“
Ausgründung von Start-ups: Bisher wurden
FactoryPal und InspectifAI ausgegründet. Weitere
Start-ups sollen bald folgen. Die beiden Firmen
verfolgen laut dem Geschäftsführer von Körber
Digital verschiedene Ziele: FactoryPal führe
durch die Anwendung von Künstlicher Intelligenz
beispielsweise zu bis zu 30 % Effizienzsteigerung
in der Gewebeherstellung. Die Softwarelösung
des Unternehmens unterstütze dabei beispiels-
weise Maschinenführer an Tissue-Konvertie-
rungsanlagen, an denen große Papierrollen zu
kleineren Rollen verarbeitet werden.
Industrielle Bildverarbeitung spielt dagegen ei-
ne zentrale Rolle bei InspectifAI. Die Lösung des
Unternehmens konzentriert sich auf Qualitäts-
kontrollen bei injizierbaren Medikamenten und
Impfstoffen. Hier müssen die Inhalte der befüll-
ten Fläschchen zu 100 % auf Reinheit geprüft wer-
den. Die künstliche Intelligenz helfe hier, den
Prozess hinsichtlich der Erkennungsraten und
der Prozessgeschwindigkeit signifikant zu verbes-
sern. „Hier kommen Algorithmen zum Einsatz,
die sich basierend auf menschlichen Erfahrungs-
werten und Daten weiterentwickeln und sich
selbst validieren“, berichtet Szabo. Manuelle
Nachprüfungen der Produkte und Nachjustierun-
gen in den Prozessen würden damit reduziert.
Mit K-Engage steht zeitnah die nächste Aus-
gründung an. Hier geht es um Gamification. Da-
bei werden Prinzipien aus der Spielepsychologie
genutzt, um Mitarbeitende in der Lagerhalle bei
der Kommissionierungsarbeit stärker zu motivie-
ren. Damit soll die Leistungsfähigkeit gesteigert
werden. Szabo hat während seines Studiums
selbst im Lager gejobbt. „Als Student sieht man
das als Abwechslung. Wenn man das täglich
macht, braucht es zwischendurch zusätzliche
Motivationsschübe“, sagt er.
Den mangelnden Mehrwert vieler Indus-
trie-4.0-Ansätze sieht Szabo als Grund dafür, dass
die digitale Transformation im Maschinenbau
zwischenzeitlich ins Stocken geraten ist. Mehr-
wert entstehe erst dann, wenn auch tatsächlich
etwas anders gemacht werde als bisher. „Wir
müssen also sicherstellen, dass der Kunde in der
Lage ist, das umzusetzen“, sagt er. Was einfach
klingt, wird nach seiner Ansicht bisher aber oft
nicht konsequent umgesetzt. Viele Unternehmen
hätten zwar verstanden, dass dazu zunächst Da-
ten benötigt würden und es gelte daraus Erkennt-
nisse abzuleiten. Das Ergebnis seien Dashboards,
also digitale Anzeigen, auf denen Auswertungen
dargestellt werden.
„Hier hören viele Lösungen dann aber schon
auf“, stellt Szabo fest. Das Problem macht er an
einem Beispiel deutlich: „Das ist so, wie wenn
TECHNIK & WIRTSCHAFT 13
Zum klassischen
Geschäft bei Körber
gehören Anlagen für meine Waage mir ein Übergewicht anzeigt. Solan-
die Tissue-Industrie, ge ich keinen Anreiz habe, etwas dagegen zu tun,
auf denen große Gewe- wird sich daran vermutlich nichts ändern.“ Das
bebahnen verarbeitet hätten manche Unternehmen bereits erkannt.
werden. Digitalisierung „Aber selbst eine Empfehlung hilft wenig, wenn
spielt auch hier eine sie nicht umgesetzt wird“, sagt er.
Rolle. Foto: Körber Deshalb ist für ihn entscheidend, was danach
passiert. Sein Erfolgsrezept: „Das ist die Assistenz,
wie die Empfehlung umzusetzen ist.“ Auf höhe-
ren Stufen würden z. B. Anleitungen zu bestimm-
ten Schritten gegeben, bis hin zum Definitions-
grad der Autonomie, mit der Empfehlungen dann
umgesetzt werden. Das sei wichtig, um Mehrwert
zu erzeugen. Sonst würden vor allem zusätzliche
Kosten für die Software generiert. „Wir fokussie-
ren uns deshalb nicht auf Plattformen, weil Platt-
formen meist nur auf Datenverfügbarkeit abzie-
len, ein paar Insides liefern und dann vielleicht
auch noch eine Empfehlung geben.“
Ein wesentliches Differenzierungsmerkmal zu
Digitalisierungskonzepten anderer Maschinen-
bauunternehmen sieht Szabo auch im Entwick-
lungsansatz: „Wir bauen maschinen-agnostisch.
Das heißt, wir bauen Softwareprodukte, die los-
gelöst von der Anlage sind.“ Somit könnten die
auf die Kernbranchen von Körber zugeschnitten
„Klassische Lösungen, auch auf Fremdanlagen eingesetzt
werden. Er spricht von „skalierbaren Produkten“,
Maschinenbauer deren Einsatzbereiche nach Bedarf erweitert und
auf andere Maschinen übertragen werden kön-
sehen digitale nen. Dadurch unterscheide man sich von den ty-
pischen Produkt- und Serviceanbietern.
Entwicklungen Mit Blick auf den deutschen Maschinenbau im
eher als Verlän- Allgemeinen stellt Szabo fest: „Es fehlt noch etwas
das Verständnis für digitale Geschäftsmodelle.“
gerung von Man tue sich oft noch schwer, sich vom Ansatz
‚technology first‘ zu lösen. Die Folge seien stei-
ihrem Hardware- gende Kosten, aber nicht zwingend ein Mehrwert
für die Kunden. Dennoch sieht der Digitalexperte
geschäft. Für uns Deutschland grundsätzlich gut aufgestellt: „In
ist das ein Deutschland gibt es dafür Top-Talente und wir
haben hier, um Berlin herum, eines der größten
eigenständiges digitalen Ökosysteme der Welt. Zudem haben wir
das Know-how für Prozesse und Anlagen, wo die
Geschäft.“ Daten herkommen. Das müssen wir jetzt zusam-
menbringen.“
Daniel Szabo ist Um die Daten zusammenführen zu können,
Geschäftsführer von hat Körber Digital eine eigene Lösung entwickelt.
Körber Digital. „Auf dem Markt gab es bisher nichts Passendes,
Foto: Viktor Strasse was unseren Ansprüchen und Bedürfnissen ge-
nügte. Auch heute gibt es nur wenige Lösungen,
die relativ große Datenströme, neutral über alle
Anlagen, bewältigen können“, berichtet Szabo.
Die Lösung biete man auch anderen Unterneh-
men an. Er glaubt, dass auch darin noch ein gro-
ßes Geschäftspotenzial liegt.
14 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Aluminium
auf den Punkt
geschweißt
Produktion: Das Punktschweißen von Serienteilen
aus Aluminium galt lange als unwirtschaftlich – zu
schnell verschlissen die Schweißkappen. Eine clevere
Kombination aus Hard- und Software will das ändern.
Von Patrick Schroeder
E
gal ob Pkw, Lkw, Schie-
nenfahrzeug oder Flug-
zeug: Aluminium ist in
der Industrie beliebt. Das
Material ist leicht und
korrosionsbeständig. Und gerne
würden Hersteller die Bleche mit
dem Widerstandspunktschweißen
verbinden – ein Verfahren, das beim
Fügen von Stahlblechen wegen der
hohen Wirtschaftlichkeit längst
etabliert ist. Roboter pressen dabei
zwei Bleche mit einer Schweißzange
zusammen. Fließt nun durch die
Kupferkappen an beiden Greifba-
cken Strom, schmilzt das Material
auf. Es entsteht ein runder Schweiß-
punkt, die sogenannte Schweißlin-
se. Eigentlich simpel. Doch nicht im
Fall von Aluminium.
Das Problem: Schmelzflüssiges Alu-
minium reißt Löcher in die Kupfer-
kappen und macht sie unbrauch-
bar. Die Elektroden verschleißen,
Schweißverbindungen werden un-
sauber. Probleme, die Unterneh-
men seit Jahren zu lösen versuchen.
Der Roboterhersteller Kuka bei-
spielsweise setzt auf eine Drehbe-
wegung der Schweißzange, damit
die Elektroden nicht im starren
Kontakt mit dem schmelzflüssigen
Aluminium verharren. Andere Her-
steller nutzen ein Edelstahlband
zwischen Schweißkappe und Blech,
um den Kontakt ganz zu vermeiden.
„Das ist prinzipiell eine gute Idee,
die sich allerdings nicht durchsetzt,
Im Automobilbau werden Aluminiumbleche häufig punktgeschweißt. Hier entsteht ein Fahrzeug-
unterboden. Foto: G. Hau, Matuschek Messtechnik GmbH
11. Februar 2022 · Nr. 3
weil sie die Bewegungsfähigkeit der
Schweißzange einschränkt“, sagt
Gregor Hau, Ingenieur bei der Ma-
tuschek Meßtechnik GmbH, ein
Spezialist für Schweißtechnologie
aus Alsdorf bei Aachen. Auch ande-
re Methoden, wie das Verkleben
oder Nieten, seien wegen der hohen
Kosten bei vielen Anwendern unbe-
liebt. „Wir haben deshalb ein Ver-
fahren entwickelt, welches das zu-
verlässige und kostengünstige
Punktschweißen von Serienteilen
aus Aluminium ermöglicht.“
Herzstück der Lösung aus Alsdorf
ist eine oszillierende Schleifeinheit.
Sie reinigt die Kupferkappen wäh-
rend der laufenden Produktion und
raut ihre Oberfläche auf. Ein kleiner
Eingriff mit großer Wirkung. Greift
die Zange zu, durchdringt die raue
Außenseite der Kappen, die zudem
von innen wassergekühlt sind, die
Oxidschicht des Metalls – ein typi-
sches Charakteristikum von Alumi-
nium – und tritt mit dem Basismate-
rial in Kontakt. „Die Rauigkeit be-
wirkt eine bessere elektrische und
thermische Leitfähigkeit in der Kon-
taktzone zwischen Schweißkappe
und Aluminiumblech. Somit ver-
hindern wir den gefürchteten Hot-
Spot, die Entstehung von zu viel
Wärme und schmelzflüssigem Alu-
minium auf der Oberfläche – eben-
so ein unkontrolliertes Wachstum
der Schweißlinse“, erklärt Hau.
Die Folge: Die Lebensdauer der
Kupferkappen steigt. „Je nach Legie-
rung können wir zwischen den
Schleifvorgängen 100 bis 150
Schweißzangen
werden im Automobil-
bau meist von Indus- Schweißpunkte setzen“, sagt Hau.
trierobotern geführt. „Da dabei nur wenig Material abge-
Bei genauem Hinsehen tragen wird, lassen sich die Kappen
sind die Schweiß- rund 180 mal bearbeiten. Somit
kappen erkennbar. sind vor einem Austausch bis zu
20 000 Schweißungen möglich.“
Zum Einsatz kommt das Schweiß-
system aus Alsdorf unter anderem
beim belgischen Automobilzuliefe-
rer Snop Automotive. Das Unter-
nehmen nutzt das Widerstands-
punktschweißen, um den Unterbo-
den eines Elektro-Pkw zu fügen.
Fast 50 Schweißpunkte verbinden
dabei zwei Alubleche. „Anfangs ha-
ben wir die Kappen nach jedem
Bauteil bearbeitet, inzwischen sind
wir schon bei drei Teilen“, erklärt
Schweißexperte Pascal Demey. Und
es scheint noch Luft nach oben zu
geben. „Bei Laborversuchen für Ja-
guar Landrover konnten wir sogar
960 Schweißpunkte ohne Bearbei-
tung der Elektrodenkappen setzen“,
ergänzt Hau. Somit wären unter Ide-
albedingungen über 170 000
Schweißungen pro Kappe möglich.
Doch der Elektrodenverschleiß ist
nicht das einzige Problem beim
Punktschweißen von Serienteilen
aus Aluminium. Erschwerend
kommt hinzu: Passen Bauteile nicht
100%ig zusammen, entstehen Luft-
spalten, die der Schweißroboter
durch höheren Anpressdruck ent-
fernen muss. Und dieser Druck
führt zu Variationen im Schweiß-
ergebnis. Abwandlungen entstehen
auch durch sogenannte Neben-
schlüsse. Dabei fließt der Strom
über bereits vorhandene Schweiß-
punkte ab, sodass sich am aktuellen
Punkt weniger Wärme entwickelt.
Nicht zuletzt verändert sich das Er-
gebnis durch den unregelmäßigen
Einsatz von Strukturklebstoffen. Die
Antwort von Matuschek auf diese
Probleme: Sensoren an der
Foto: G. Hau, Matuschek Meßtechnik GmbH
Foto: F. Pfaffendorf, Magna International Stanztechnik GmbH
Saubere Schweißpunktober-
flächen entstehen nur, wenn die
Schweißkappen unversehrt und
die Prozessparameter optimal
eingestellt sind.
Schweißzange, die im Mikrosekun-
denbereich Informationen über
elektrische und mechanische Ände-
rungen an eine Software in der
Schweißsteuerung schicken.
„Unsere Algorithmen erkennen
sämtliche Einflussfaktoren und
Störgrößen und kompensieren
schwierige Schweißverhältnisse, in-
dem sie Schweißstrom, Schweißzeit
und Anpressdruck in Echtzeit aufei-
nander abstimmen“, so Hau. Zu-
dem könne die Software mit den
Sensordaten die Qualität der
Schweißpunkte überwachen. „Eine
Kombination aus adaptiver Prozess-
regelung und integriertem Quali-
tätsüberwachungstool, welche die
hohe Sensitivität des Werkstoffs ge-
genüber Störgrößen neutralisiert,
gab es nach meiner Kenntnis beim
Widerstandspunktschweißen von
Aluminium bislang nicht“, sagt Ale-
xander Dumpies, Fachbereichsleiter
Prozessschweißen am Branchen-
Forschungsinstitut SLV in Halle/S.
Auch der Einsatz eines oszillieren-
den Schleifkopfes zur Überwindung
der prozessstörenden Oxidschicht
sei technologisch naheliegend, zu-
vor aber in der Serienfertigung nicht
praxiswirksam umgesetzt worden.

Wärmepumpe halbiert Brennstoffbedarf
Erneuerbare Energien: Das Bayerische Zentrum für Angewandte Energieforschung (ZAE Bayern) hat
eine neue Variante der Kombination von Biomassefeuerung und Absorptionswärmepumpe entwickelt.
Von Christian Dany
M
anuel Kausche kennt
die landläufigen An-
forderungen an Heiz-
systeme: „Sie müssen
einfach und günstig
sein und immer funktionieren“, sagt
er. Auch effizientere Systeme hätten
es oft schwer, wenn sie weniger be-
kannt sind, komplexer sind oder in
der Anschaffung teurer. Mit steigen-
den Öl- und Gaspreisen im Verbund
mit der CO2-Steuer sieht der Maschi-
nenbauingenieur vom Bayerischen
Zentrum für Angewandte Energie-
forschung (ZAE Bayern) aber einen
Epochenwechsel bevorstehen. Auch
sei aufgrund klimatischer Verände-
rungen in Zukunft mit wachsendem
Kühlbedarf zu rechnen. Unter diesen
Vorzeichen habe das ZAE Bayern im
dreijährigen Forschungsprojekt
„BioWap“ zwei Schlüsseltechnolo-
gien miteinander kombiniert: Bio-
masse und Wärmepumpe.
„Die Systemidee besteht aus der
Kombination von Holzfeuerung, wie
in konventionellen Heizkesseln, und
der etablierten Technologie von Ab-
sorptionskälteanlagen“, erklärt Kau-
sche. Messungen an dem entwickel-
ten Funktionsmuster hätten ergeben,
dass hier ein Brennstoffnutzungsgrad
von über 200 % möglich sei.
„Durch den thermischen Wärme-
pumpenprozess kann eine zusätzli-
che Umweltwärmequelle mit nied-
riger Temperatur erschlossen wer-
den. Der Brennstoffbedarf und die
Emissionen halbieren sich“, sagt der
Projektleiter. Außerdem könne das
System ganzjährig Kälte für Klimati-
sierung oder industrielle Zwecke
bereitstellen.
ZAE Bayern forscht schon lange an
Wärmepumpen: Das ZAE Bayern
forscht seit 1991 an Erneuerbaren-
und Effizienztechnologien. Es ist als
eingetragener Verein organisiert mit
Unternehmen, Verbänden und In-
stitutionen als Mitgliedern. Im Be-
reich von Sorptionswärmepumpen
und -kühlsystemen wurde am
Standort Garching eine langjährige
Expertise aufgebaut. „Elektrome-
chanisch angetriebene Wärmepum-
pen und Kältemaschinen arbeiten
mit einem Kompressor zur Verdich-
tung“, unterscheidet Kausche. „Da-
gegen wird bei thermisch angetrie-
benen Systemen Wärme auf hohem
Temperaturniveau zugeführt.“
Warum heißt das Wärmepumpe?
In beiden Fällen erhält der Antrieb
einen Kreislauf aufrecht, so Kau-
sche: „Im Innern der Maschine wird
kontinuierlich ein flüssiges Kälte-
mittel auf niedrigem Temperatur-
und Druckniveau verdampft. Dem
zu kühlenden Objekt wird Wärme
entzogen und bei höherer Tempera-
tur wieder abgegeben. Sie wird also
durch den Antrieb von niedriger auf
höhere Temperatur ‚gepumpt‘.“ Da-
her der Name.
Sorptionswärmepumpen und
-kältemaschinen sind eigentlich ei-
Versuchsanlage für eine Biomasse-Wärmepumpe im Projekt „BioWap“ (v. li.): Brennstoffzuführung,
Hochtemperaturdesorber und Hydraulik- und Steuerungsmodul. Im Hintergrund ist die Absorptionswär-
mepumpe zu erkennen, mit (v. li.): Brennstoffzuführung, Hochtemperaturdesorber und Hydraulik- und
Steuerungsmodul. Foto: ZAE Bayern
ne Uralt-Technik: Erste Erfindungen
wurden im 19. Jahrhundert in Eng-
land gemacht. 1927 war der erste
Kühlschrank nach dem Absorpti-
onsprinzip für den Hausgebrauch in
Deutschland erhältlich. Absorpti-
onskühlschränke in Hotelzimmern
und Campingmobilen sind heute
Massenprodukte.
Von den Absorptionsmaschinen
lassen sich die Adsorptionsmaschi-
nen unterscheiden, die mit einem
Feststoff, meist Zeolith oder Silica-
gel, und Wasser als Kältemittel ar-
beiten. Gasbetriebene Absorptions-
wärmepumpen in allen Leistungs-
bereichen gibt es zwar seit rund
zehn Jahren auf dem Markt. Aber sie
konnten sich bislang noch nicht
durchsetzen, obwohl sie oft Wir-
kungsgrade um die 160 % haben.
Heiz- und Kühlsystem müssen auf
Paletten passen: Die Versuchsanla-
ge, die das ZAE Bayern aufbaute, ist
für größere Gebäude gedacht: Land-
wirtschaftsbetriebe, Wohn-, Gewer-
be- und Kommunalbauten, Hotels
oder auch die Industrie. In dieser
Größe und Ausführung ist das Sys-
tem keine Technik für das Eigen-
heim. Eine Heizleistung von ca.
100 kW thermischer Leistung und
eine Kühlleistung von bis zu 75 kW
waren angestrebt, so Kausche.
Dabei sollte die Anlage „türgän-
gig“ im „Europaletten“-Design sein
– mit möglichst viel Leistung der
drei Hauptkomponenten: Absorpti-
onswärmepumpe, Hochtempera-
turdesorber und Hydraulik- und
Steuerungsmodul. „Alle Kompo-
nenten wurden neu konzipiert, kon-
struiert und gefertigt“, blickt Kau-
sche zurück.
Die einstufige Absorptionswärme-
pumpe basiere auf berieselten Rohr-
bündelwärmetauschern. Sie nutze
11. Februar 2022 · Nr. 3 TECHNIK & WIRTSCHAFT
das Kältemittel Wasser und die wäss-
rige Lithiumbromidlösung als Ar-
beitsstoffpaar. „Lithiumbromid ist ef-
fizienter als das Stoffpaar mit Ammo-
niak als Kältemittel und Wasser“, gibt
Kausche einen Einblick, warum die-
ses Arbeitsstoffpaar gewählt wurde.
Von Nachteil sei dagegen, so der
ZAE-Ingenieur, dass die Technik we-
gen der Gefahr des Einfrierens beim
Kältemittel Wasser auf Plusgrade bei
der Umweltwärmequelle angewiesen
sei. Während Außenluft also kritisch
sei, könnten hingegen Grundwasser,
Abwasser, Erdwärmesonden oder
auch Restwärme aus der Rauchgas-
kondensation eingesetzt werden.
Denkbar wäre, dass bei einem Betrieb
mit Außenluft die Biomassefeuerung
ohne den Wärmepumpenprozess be-
trieben werde, sobald die Außenluft-
temperatur ins Minus falle.
Manuel Kausche, Biomasse-Wärmepumpe nutzt
Maschinenbauinge- Brennstoff und Antriebsenergie
nieur vom Bayerischen mehrfach: Als Antriebseinheit des
Zentrum für Ange- Wärmepumpensystems dient ein
wandte Energiefor- direkt mit Biomasse befeuerter
schung (ZAE Bayern). „Hochtemperaturdesorber“. Die
Kausche leitet beim sinnvollste Lösung war, hier auf ei-
ZAE das Projekt nen bestehenden Biomassekessel
„BioWap“, bei dem als Entwicklungsgrundlage zurück-
eine Biomasse-Wärme- zugreifen. Deshalb wurde der De-
pumpe entwickelt sorber beim Projektpartner HDG
wurde. Foto: ZAE Bayern Bavaria gebaut. „Die größte Heraus-
forderung war es, die Vakuumdicht-
heit herzustellen“, berichtet Wolf-
gang Aich, Entwicklungsingenieur
bei dem Kesselhersteller.
„Die in der Hochtemperaturstufe
eingekoppelte Antriebswärme wird
für den Antrieb der konventionellen
Basisstufe nochmals genutzt“, er-
läutert Kausche. Diese kaskadenar-
tige Nutzung der Brennstoff- res-
pektive Antriebsenergie stelle „eine
absolute Innovation dar“. Bei den
Messungen am Funktionsmuster
15
habe ein brennstoffbezogener Wir-
kungsgrad zur Wärmebereitstellung
von 1,7 nachgewiesen werden kön-
nen: BUEh für „Biomass Utilization
Efficiency Heat“ nennt sich diese
Zahl.
Konkret wurden mit den Holzpel-
lets über den Biomassekessel
56,3 kW zugeführt, das System stellt
dann 95,7 kW Heizwärme auf einem
Temperaturniveau zwischen 31,5 °C
und 40 °C bereit. Nutzt man die Effi-
zienz des zweistufigen Prozesses
maximal aus, dann beträgt der über
den Kaltwasserkreis zugeführte Nie-
dertemperaturwärmeanteil zwi-
schen 9 °C und 5,6 °C 52,2 kW. Diese
Kälte könne gleichzeitig zur Küh-
lung oder Klimatisierung verwendet
werden. Dabei macht der elektri-
sche Energiebedarf nur etwa 1 % der
bereitgestellten Nutzwärme aus.
Entwickler suchen Partner für De-
monstrationsanlagen mit der Bio-
masse-Wärmepumpe: Allerdings
sind mehrere Betriebsmodi mög-
lich: Je nach Temperaturhub unter-
scheiden sich die Systemeffizienz
und die Nennleistung. Im Betrieb
mit maximalem Temperaturhub –
von 4 °C auf 95 °C – lässt sich nur ei-
ne BUEh von 1,0 erreichen. Damit ist
der Hochtemperaturbereich als Ein-
satzgebiet weniger interessant, weil
die Effizienzverbesserung nur ge-
ring wäre. Der Kesseltauschmarkt
sowie klassische Nah- und Fernwär-
menetze sind deshalb keine idealen
Einsatzfälle. „Wenn, dann würde
das ‚BioWap‘-System zu einem Nie-
dertemperaturwärmenetz nach
dem Konzept der ‚kalten Nahwär-
me‘ passen“, sagt Kausche mit Be-
zug auf Überlegungen im Bereich
der kommunalen Wärmewende.
Ideal, so der ZAE-Experte, sei das
System für Kunden mit gleichzeiti-
gem Heiz- und Kühlbedarf im mitt-
leren Leistungssegment und Zu-
gang zu regionalen Holzressourcen;
dies seien zum Beispiel Landwirt-
schaftsbetriebe mit Gewächshäu-
sern und im Lebensmittelbereich
zum Beispiel Brauereien. Aber auch
Wohn-, Gewerbe- und Kommunal-
bauten, Hotels und Industriebetrie-
be, die auf ökologische Konzepte
setzen, gehören zu den möglichen
Einsatzfeldern. Die gleichzeitige
Wärme- und Kältenutzung erwei-
tern den Einsatzbereich und erhö-
hen den Jahresnutzungsgrad.
Für einen erfolgreichen Feldtest
bedarf es noch weiterer Entwick-
lungsschritte. Zurzeit sondiert Kau-
sche zusammen mit der HDG Bava-
ria den Markt und freut sich über in-
novationsoffene Gemeinden und
Partnerfirmen, die Interesse an der
Mitwirkung an einem Feldtest mit
Demo-Anlagen haben. Davon un-
abhängig sollen die am ZAE Bayern
entwickelten Absorptionswärme-
pumpen künftig durch ein ausge-
gründetes Unternehmen vermark-
tet werden: Derzeit befinde sich ei-
ne Firma als Anbieter von Absorpti-
onswärmepumpen in Gründung.
16 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Hightech für das
Olympia-Image
Fernsehtechnik: Mit hochmodernen TV-Techniken
will China während der Winterolympiade sein
Ansehen aufpolieren.
Von Rainer Bücken
D
iese Olympischen Win-
terspiele hätten zu kei-
nem ungünstigeren
Zeitpunkt stattfinden
können als gerade jetzt.
Weltweit grassiert die Omikron-
Pandemie, und China ist alles ande-
re als auf dem Kurs der Menschen-
rechtsunterstützung. Dabei haben
die Olympischen Winterspiele 2022
auch einen gewissen Jubiläums-
charakter – vor 30 Jahren gab es
erstmals olympisches HDTV.
1992 lud das Eureka-95-Konsorti-
um in die französischen Alpen nach
Albertville ein. Teile der Spiele wur-
den mit zahlreichen analogen Ka-
meras, Monstermonitoren und Re-
kordern in diversen Übertragungs-
wagen in HDTV aufgezeichnet und
europaweit übertragen. Ziel: erst-
mals hochaufgelöste olympische
Bilder mit 1250 Zeilen und einem
breiten Bildformat. Inzwischen ist
HDTV digital und mit 1920 x 1080
Bildpunkten Weltstandard. Doch
vielen reicht das nicht, es müssen
vier- bzw. 16-mal so viele Bildpunk-
te her, nämlich 4K mit 3840 x 2160
oder – besser – 8K mit 7680 x 4320
Bildpunkten.
Mit diesen Ultra High Definition
(UHD) genannten Techniken (4K
heißt genauer UHD1, 8K heißt
UHD2) experimentiert die japani-
sche Fernsehanstalt NHK seit 1995.
Sie hat eigene Studios und vor allem
einen eigenen 4K/8K-TV-Satelliten-
kanal. Da UHD zu technisch klingt,
sprechen Japaner lieber von Super
Hi-Vision (SHV). Und damit wurden
während der Olympischen Som-
merspiele 2012 in London, also vor
zehn Jahren, erstmals Wettkämpfe
übertragen (s. VDI nachrichten 20.
Juli 2012) – in 8K.
Seitdem ist NHK mit ihrer
8K-Technik regelmäßiger Gast bei
allen Olympischen Spielen, Fuß-
ball-Weltmeisterschaften, großen
Konzerten, Ballettauftritten, Aus-
stellungen, in Museen und Galerien.
„Bei NHK verwenden wir 8K, um
11. Februar 2022 · Nr. 3
Aufnahmen von wertvollen Kultur-
gütern wie nationalen Schätzen so-
wie Aspekten des historischen Erbes
und Kunstwerken aufzunehmen“,
erklärte Terunobu Maeda, Präsident
von NHK, während einer Pressekon-
ferenz im Dezember 2021.
Jetzt sind in Japan über den Satel-
litenkanal BS8K etwa 50 h Liveüber-
tragung in 8K der Olympischen
Spiele aus China zu erleben, so von
Eröffnungs- und Schlussfeier, dem
Eiskunstlauf und anderen Sportar-
ten. In 4K mit 3840 x 2160 Pixel sind
sogar 180 h geplant. Das machen al-
le neuen Fernseher möglich.
China macht es nach: „Klassisches“
HDTV mit 1920 x 1080 Bildpunkten
hatte bei den Olympischen Spielen
2008 – ebenfalls in Peking – Premie-
re. Und jetzt eine weitere – zumin-
dest aus chinesischer Sicht. Die
Olympischen Spiele 2022 werden
durch OBS, dem Olympic Broad-
casting Services, in nativem
8K-UHD (also UHD2) produziert –
und nicht mehr durch NHK. OBS ist
seit 2001 für das sogenannte Welt-
bild zuständig, das von allen „Rights
Holding Broadcasters“ (RHBs) in
über 220 Länder übertragen wird.
Neben klassischem Fernsehen
sind inzwischen mehr Wettkämpfe
im Internet, über Apps und soziale
Medien zu empfangen. OBS wird
über 6000 h produzieren und in ver-
schiedenen Techniken zur Verfü-
gung stellen, 400 h mehr als für Pye-
ongchang 2018, über 900 h sind live.
Die 8K-UHD-Bilder werden in der
Regel mit Panasonic- und Sony-Ka-
meras aufgenommen und durch
bildverbessernde High-Dynamic-
Range-Technik aufgebrezelt, helle
Bildteile werden noch heller, dunkle
noch dunkler, die Dynamik im Bild
wird größer. Durch die 5.4.1-immer-
sive Audiotechnik fühlen sich die
Zuschauer wie im Stadion. Nur der
Applaus ist diesmal eher verhalten,
Publikum kaum zugelassen.
In Peking und Guangdong werden
auch Kabelnetze 8K-mäßig befeu-
ert. Chinesische Gerätehersteller
wie Skyworth, TCL und Konka sehen
Hohe Bildqualität:
China setzt bei der
Übertragung der beim 8K-Absatz „eine goldene Ent-
aktuellen Olympischen wicklungsphase“. Wer hierzulande
Winterspiele auf mo- in einen 8K-Fernseher investiert
dernste Aufzeichnungs- hat, bekommt zwar auch ein besse-
und Sendetechnik. res Bild als in HDTV oder 4K UHD,
Foto: Bruce Bennett/Getty Images allerdings ist das nur hochskaliert.
In China werden die olympischen
Programme über mehrere TV-Ka-
näle der China Media Group (CMG)
übertragen, nämlich mehr als 600 h
über CCTV1, CCTV5, CCTV5+ sowie
CCTV16, den speziellen 8K-Satelli-
tenkanal. In den Highspeed-Zügen,
die Peking mit Zhangjiakou mit
350 km/h verbinden, wo sich das
zweite Olympia-Zentrum befindet,
gibt es zusätzliche Livestreaming-
Studios. Da sind auch 4K über das
5G-Mobilfunknetz sowie 8K und KI-
„Die UHD- Übertragungen möglich.
„Die UHD-Videotechnik ist zu-
Videotechnik ist sammen mit 5G und KI eine Schlüs-
zusammen mit selrichtung der heutigen Informati-
onstechnologie. Sie wird dazu bei-
5G und KI eine tragen, Sendeterminals, Displays
und Chips zu fördern“, sagte Xiao
Schlüssel- Yaqing, Minister der Industrie und
Informationstechnologie. Kulturelle
richtung der Programme werden ebenfalls schon
heutigen Infor- 8K-mäßig übertragen. Die Mobil-
funkanbieter Migu (China Mobile),
mationstechno- Kuaishou und Tencent werden „Tau-
sende von Stunden“ Olympia in 8K
logie. Sie wird übertragen. Hierzulande ist im In-
ternet das 8K-Programm von
dazu beitragen, CCTV16 nicht zu sehen, Geo-Blo-
Sendeterminals, cking verhindert es.
Displays und OBS bietet noch mehr: 80 h 8K in
Verbindung mit virtueller Realität
Chips zu (VR) und erste „echte“ 8K-VR-Bril-
len sollen verfügbar sein. Die Zu-
fördern.“ schauer können so um Athleten he-
Xiao Yaqing, rumgehen, sich an Sportstätten um-
chinesischer Minister für sehen und Aufnahmen aus zusätzli-
Industrie und IT chen Bild- und Blickwinkeln erle-
ben; sechs 180°-Multi-Kamera-Sys-
teme und eine für 360° machen es
möglich.
Drohnen, teilweise mit 8K-Kame-
ras ausgestattet, kommen vor allem
bei alpinen Wettkämpfen zum Ein-
satz, aber auch beim Biathlon,
Cross-country Skiing, Riesenslalom
etc. Minikameras – aufgestellt an
entscheidenden Punkten – lassen
Sporterlebnisse auf Bildschirme
überspringen. Für besonders kriti-
sche Zeitmessungen setzt OBS auf
die Kamera Scan‘O‘Vision Myria
photofinish von Omega, die
10 000 Bilder/s liefert.
5G-Datenübertragung für die Live-
produktionen: Alle Austragungs-
stätten sind mit der neuesten
5G-Mobilfunktechnik komplett ver-
sorgt, um u. a. erstmals Signale von
über 30 Livekameras – auch auf
Snowmobiles montiert – drahtlos in
die Ü-Wagen zu übertragen. Von
dort geht es dann per Glasfaser oder
Richtfunk ins IBC, dem Internatio-
nal Broadcast Centre.
Überall kommt die Internettech-
nologie nach dem Internetprotokoll
zum Zuge, die klassische Fernseh-
studiotechnik ist out. Für Shen Hai-
xiong, Präsident von CMG, „wird 5G
der bevorzugte Übertragungsweg
für 8K sein“. Mit Projekten wie „100
Städte und 1000 Screens“ soll die
Technik popularisiert werden.
Weltweite Übertragungen: In den
USA ist NBCUniversal der Rechte-
halter, sendet über 2800 Olympia-
Stunden über die Netze von NBC,
Peacock, USA Network, CNBC,
NBCOlympics sowie die NBC-
Sports-App. Comcast NBCUniversal
bietet über NBC mit der
Xfinity-Technik live 8K-Virtual-Rea-
lity-Programme der Spiele. Zu-
schauer können ein deutlich weite-
res Bildformat als bei regulären
8K-Aufnahmen sehen.
Für Europa ist Discovery, der
Mutterkonzern von Eurosport, der
Rechtehalter. 50 Broadcaster wer-
den versorgt, auch ARD und ZDF,
die für Übertragungsrechte Sub-
lizenzen erworben haben und sich
täglich abwechseln. Eurosport über-
trägt ebenfalls olympische Bilder.
Doch nur bei Eurosport 4K sowie im
HD+-Bouquet sind die Spiele in
UHD1 zu sehen. Wenn das nächste
Mal das olympische Feuer 2024 in
Paris entzündet wird, dürfte 8K eine
noch wichtigere Rolle spielen.

Geld und Rekorde
Kernfusion: Die Forschung macht Fortschritte. In den USA und auch im Forschungszentrum
Jülich. Ein deutsches Start-up sammelte zudem letzte Woche 35 Mio. € bei Investoren ein.
Von Stephan W. Eder
W
issenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern von Eurofusion ist es
gelungen, einen Energiepuls in
bisher unerreichter Höhe zu er-
zeugen. Beim Rekordversuch
setzten die Fusionsreaktionen im Joint European
Torus (JET) während eines 5 s dauernden Plas-
ma-Pulses insgesamt 59 MJ Energie als Wärme
frei. Die Ergebnisse, die Wissenschaftler diese Wo-
che bei einer Pressekonferenz bekannt gaben, lie-
fern den bisher deutlichsten Beweis für das Po-
tenzial der Fusionsenergie, sichere, nachhaltige
und kohlenstoffarme Energie zu liefern. „Die Wis-
senschaftler verdoppelten damit den bisherigen
Rekord von 21,7 MJ, der bereits im Jahr 1997 im
JET erreicht wurde“, erklärt Christian Linsmeier,
Leiter des Jülicher Instituts für Plasmaphysik.
Dessen Forscher und Ingenieure sind mit ihrer
wissenschaftlichen Expertise am JET beteiligt.
JET ist eine europaweit gemeinsam betriebene
Versuchsanlage zur Entwicklung von Kernfusi-
onsreaktoren des gegenwärtig leistungsfähigsten
Typs Tokamak. Die im britischen Oxfordshire ge-
legene Anlage nahm 1983 ihren Betrieb auf und
ist derzeit der größte Fusionsreaktor dieser Art.
Die Anlage, in der Temperaturen erreicht werden,
die zehnmal heißer als im Zentrum der Sonne
sind, ist ein wichtiger Prüfstand für das Kernfusi-
ons-Reaktorexperiment Iter, eines der größten
wissenschaftlichen Gemeinschaftsprojekte der
Geschichte. JET kann ähnliche Bedingungen wie
Iter und künftige Fusionskraftwerke erreichen
und ist der einzige Tokamak der Welt, der mit
demselben Deuterium-Tritium-Brennstoffge-
misch betrieben werden kann, das für diese Anla-
gen vorgesehen ist. „Ein anhaltender Impuls der
Deuterium-Tritium-Fusion auf diesem Leistungs-
niveau – fast im industriellen Maßstab – ist eine
durchschlagende Bestätigung für alle, die an der
globalen Fusionsforschung beteiligt sind“, sagt
Bernard Bigot, Generaldirektor von Iter. „Für das
Iter-Projekt sind die JET-Ergebnisse ein starker
Vertrauensbeweis, dass wir auf dem richtigen
11. Februar 2022 · Nr. 3
Weg sind, um die volle Fusionsleistung zu de-
monstrieren.“
Mitte letzter Woche meldete das Münchner
Start-up Marvel Fusion, es habe weitere 35 Mio. €
an frischem Kapital erhalten. Hauptgeber dieser
Summe ist der Wagniskapitalinvestor Earlybird.
Eine große Summe, denn Marvel Fusion macht
vor allem Technologieentwicklung. Weitere Geld-
geber für das Start-up sind Blue Yard
Ventures und der Investor Albert
Wenger; die Investment-
sparte Skion der BMW-Er-
bin Susanne Klatten ist
Ende 2020 ausgestie-
gen. Hilfe will sich
Marvel von großen
Industriepartnern
holen, etwa von Sie-
mens Energy (Kraft-
werkdesigns, Ener-
giewandlung),
Trumpf und Thales
(beide: Lasersysteme).
Trumpf-Cheftechnolo-
ge Peter Leibinger bezeich-
nete Kernfusion als „essenziel-
len Bestandteil der Energiesouve-
ränität Deutschlands und Europas“.
Nicht nur in Europa wird daran gearbeitet, die
Kernfusion mithilfe von Lasertechnologie ans
Laufen zu bringen und industriell nutzen zu kön-
nen. Hilfestellung für die Münchner kommt auch
aus den USA. Das zentrale Kernfusionslabor, die
National Ignition Facility (NIF) des Lawrence
Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifor-
nien, berichtete im Wissenschaftsmagazin Na-
ture, es sei das erste Mal gelungen, brennendes
Plasma zu erzeugen – und dabei netto einen
Energiegewinn einzufahren.
US-Forschungslabor gelingt brennendes Fusi-
onsplasma mit Lasertechnik: Bei den Experi-
menten am LLNL fokussieren 192 Laser auf Kap-
seln, in denen sich eine Mischung aus Deuterium
und Tritium befindet. Konkret: Diese Laseranord-
TECHNIK & WIRTSCHAFT 17
nung jagte einen Lichtblitz von 20 ns Länge auf
die Kapseln, mit einer Spitzenenergie von 1,9 MJ,
die 500 TW erzeugen können. Dies erzeugte
Röntgenstrahlen in einem Strahlungshohlraum.
Was dann passiert? Das Fusionsprinzip, das am
NIF erprobt wird, heißt Trägheitsfusion. Die
Oberfläche eines solchen Kügelchens verdampft
bei einem Laserbeschuss dieser Energie explosi-
onsartig; aus Gründen des Impulserhalts bildet
sich eine sehr energiereiche, nach innen gerichte-
te Druckwelle, die das Innere extrem komprimiert
und die Temperatur ansteigen lässt. In Kalifor-
nien wurden immerhin 50 Mio. K erreicht, was
genügte, um die Wasserstoffkerne zu verschmel-
zen (zu Heliumkernen) und Energie freizusetzen.
In den wenigen Nanosekunden, in denen das Fu-
sionsplasma wegen seiner eigenen Masseträgheit
noch nicht auseinanderstiebt, kommt es zu den
thermonuklearen Reaktionen.
Kernfusionsforschung in den USA schon letztes
Jahr erfolgreich: Viermal gelang dieses Plasma-
brennen den US-Amerikanern, von den Experi-
menten Ende 2020 und Anfang 2021 hatten sie
schon berichtet. Am 8. August 2021 konnte dann
für 100 ps eine Energiemenge von 1,3 MJ erzeugt
werden. Damals, so berichtete das mehr als 100
Leute starke Forschungsteam des NIF in einem
Artikel in „Science“, wurden etwa 70 % der zuvor
Targetkammer für hineingesteckten Laserenergie wieder freigesetzt.
das Kernfusions- Der Unterschied zu der Technologie, die das
experiment der deutsche Start-up Marvel Fusion verfolgt, liegt im
National Ignition verwendeten Brennstoff. Die Münchner setzen
Facility des Lawrence auf die Wasserstoff-Bor-Fusion. Mit einem Ener-
Livermore National giegewinn von 8,7 MeV hat die Fusion eines Bor-
Laboratory (LLNF) in kerns mit einem Wasserstoffkern zu drei Helium-
Kalifornien. Foto: LLNL kernen zwar deutlich weniger Energiegewinn als
die Deuterium-Tritium-Fusion, vermeidet aber
das schwere Wasserstoffisotop Tritium. Zudem
wird statt Neutronenstrahlung Helium freige-
setzt. Der frühere Chefwissenschaftler bei Marvel
Fusion, Markus Roth, hatte das Unternehmen En-
de März 2020 verlassen. Roth hat nach Berichten
der FAZ inzwischen ein neues Start-up mitge-
gründet: Focused Energy, eine Ausgründung der
TU Darmstadt mit 28 Mitarbeitern.
18 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Lüftung im
Eigenbau sorgt
für Diskussion
Gebäudetechnik: Für ihr Selbstbausystem haben
Wissenschaftler viel Kritik in der Branche geerntet:
Neben technischen sind auch
rechtliche Fragestellungen zu beachten.
Von Markus Strehlitz
S
eitdem die Corona-Pande-
mie die ganze Welt erfasst
hat, ist vieles anders: Schü-
ler werden regelmäßig auf
Infektion getestet, selbst im
Winter wird viel gelüftet und über
Lüftungsanlagen wird kontrovers
diskutiert. Seitdem ein Team um
Frank Helleis, Leiter der Instrumen-
tenentwicklung am Max-Planck-In-
stitut für Chemie (MPIC), ein Selbst-
bausystem entwickelt hat, das bei-
spielsweise Schulsäle mit Frischluft
versorgen soll (s. VDI Nachrichten
39/21), ist die Branche in Aufruhr.
Es gibt viel Kritik an dem System,
das eine kostengünstige Alternative
zu professionellen Raumlufttechni-
schen Anlage (RLT) darstellen soll.
Kritisiert werden zum Beispiel man-
gelnde Wirksamkeit, eine schlechte
Energieeffizienz und nicht erfüllte
Brandschutzanforderungen.
Beide Seiten präsentieren Argu-
mente und Daten, die diese stüt-
zen. So kontert Helleis zum Beispiel
den Brandschutzvorwurf mit einem
Gutachten, das sein System entlas-
tet. Die Wirksamkeit belegt er mit ei-
ner Vergleichsstudie, in der der Ein-
satz verschiedener Lüftungsmetho-
den in unterschiedlichen Szenarien
in Schulen simuliert wurde.
Uwe Franzke, Geschäftsführer des
Instituts für Luft- und Kältetechnik
(ILK) in Dresden, stellt nicht infrage,
dass das MPIC-System grundsätz-
lich funktionieren kann. Das zu-
grunde liegende Prinzip der Quell-
Das Fensterlüftungssystem mit zusätzlich verteilter Absaugung über Hauben kann von Laien nach
Anleitung gebaut werden. Wie gut Lüftungskonzepte wirklich vor Infektion mit Viren schützen, unter-
sucht gerade die Studie „Sicheres Klassenzimmer“ der Hochschule München. Foto: A. Koppenborg/D. Jack
11. Februar 2022 · Nr. 3
beziehungsweise der Schichtenlüf-
tung sei ja auch schon lange be-
kannt. Allerdings seien die notwen-
digen Randbedingungen in Klas-
senräumen häufig nicht gegeben.
Das betreffe etwa die benötigten
Temperaturunterschiede, aber vor
allem die Abstimmung zwischen
dem durch die Personen verursach-
ten, aufsteigenden und dem abge-
saugten Luftvolumenstrom.
Geringer Erfassungsgrad: Optimale
Bedingungen braucht seiner Mei-
nung nach daher vor allem die Er-
fassung dieser aufsteigenden Luft.
Im Konzept des MPIC steigt die er-
wärmte Luft an den Schülern empor
und nimmt dabei deren eventuell
virenbelastete Atemluft mit. Diese
wird dann von Hauben, die über
den Schülern angebracht sind, ab-
gesaugt. Diesen Effekt hat das ILK in
einem Gymnasium in Erfurt unter-
sucht, wo ein solches Selbstbau-
Lüftungssystem installiert ist. Das
Ergebnis: Der Erfassungsgrad einer
untersuchten Haube liegt bei weni-
ger als 10 %.
„Wenn der aufsteigende Luftvolu-
menstrom nicht komplett erfasst
wird, dann mischt sich ein Teil die-
ser Luft wieder mit der Raumluft –
und dann können die Viren überall
verteilt werden“, sagt Franzke. Das
System hätte nur dann einen Vorteil,
wenn die Erfassung tatsächlich per-
sonenbezogen funktioniere und der
abgesaugte Luftvolumenstrom in
der praktischen Ausführung auch
dem an den Personen aufsteigen-
den Luftvolumenstrom entspreche.
Mit dem Lüftungs-
system ist Schulleiter
Roland Wollowski Ein weiteres Problem sieht Franz-
(unten) so weit zufrie- ke in der Haftung. Beim Einbau ei-
den. Die Haftungsfra- ner professionellen RLT-Anlage haf-
gen sind geklärt. tet im Schadensfall der Fachbetrieb,
der diese installiert hat. Der ist auch
für die Kontrolle und Einregulierung
zuständig. Vor allem aber trägt der
Fachbetrieb die Verantwortung,
dass die Anlage sachgerecht sowie
betriebssicher eingebaut wird und
alle Gesetze, geltenden Richtlinien
und Vorschriften für einen dauer-
haften Betrieb eingehalten werden.
Michael Porcher von der Berufs-
genossenschaft Energie Textil Elek-
tro Medienerzeugnisse (BG ETEM)
weist darauf hin, dass jeder, der eine
solche Anlage in Verkehr bringe,
sich mit entsprechenden Haftungs-
fragen beschäftigen müsse. So sei
etwa zu klären, ob eine entspre-
chende Anlage unter die Maschi-
nenrichtlinie fällt. Dann müsste bei
der Installation eine Reihe formaler
Anforderungen erfüllt werden. Hier-
zu zählt etwa eine Konformitätser-
klärung. „Die Person, die diese un-
terschreibt, trägt dann auch die Haf-
tung, wenn die Lüftungsanlage ir-
gendwann mal ursächlich für einen
Schaden ist“, erklärt Porcher.
Nach der Installation kommt der
Betrieb der Anlage. Und hier gibt
es weitere rechtliche Anforderun-
gen. So muss der Betreiber der Anla-
ge laut Porcher eine Gefährdungs-
beurteilung durchführen. „Alle
möglichen Gefährdungen müssen
ermittelt und abgewogen werden.
Und gegebenenfalls sind Maßnah-
men zu ergreifen, damit es nicht zu
gesundheitlichen Beeinträchtigun-
gen von Menschen kommt“, sagt
Porcher. Franzke fragt sich daher:
„Wer übernimmt die Verantwortung
bei einem System Marke Eigenbau?“
Steht der Schulleiter dann in der
Haftung? Oder gar die Eltern, die die
Anlage am Wochenende nach Vor-
gabe des MPIC errichtet haben?
Diese Rolle wird wohl kaum jemand
Foto: Elena Klimach
übernehmen wollen, der dafür
nicht ausgebildet ist. Solche Fragen
haben auch die Integrierte Gesamt-
schule (IGS) Mainz-Bretzenheim
beschäftigt, in der das MPIC-System
erstmalig eingesetzt wurde – zu-
nächst zusammengebaut von enga-
gierten Eltern. Die Stadt Mainz habe
aber als Schulträger zunehmend in
den eigenen Werkstätten unterstüt-
zende Arbeiten übernommen, wie
Schulleiter Roland Wollowski be-
richtet. Sowohl Schulträger als auch
Ministerium seien von Beginn an
involviert gewesen. Installiert wurde
das System dann von einem Messe-
baubetrieb, der durch die Corona-
Pandemie viele freie Kapazitäten
hatte.
Beim System in der IGS steht der
Schulträger in der Verantwortung,
so Wollowski. „An ihn wenden wir
uns auch, wenn etwas an der Anlage
repariert werden muss.“ Vor der In-
betriebnahme sei das System von
Fachleuten wie einem Brandschutz-
experten abgenommen worden.
Selbstbau kann also eine Alternative
sein, wenn Fragen wie Haftung und
Betrieb vorher zuverlässig geklärt
wurden. Andernfalls wäre es nicht
verantwortbar.
Seit Januar 2021 nutzt die Ge-
samtschule das System, mittlerweile
wird es in insgesamt 60 Klassenräu-
men permanent betrieben. Zusätz-
lich lüften die Lehrkräfte nach jeder
Schulstunde. Und Wollowski zeigt
sich zufrieden. Er könne keine Ab-
striche bei der Behaglichkeit fest-
stellen. Es habe auch noch keine Be-
schwerden gegeben, dass das Sys-
tem im Betrieb zu laut sei und den
Unterricht störe. Die Frage nach der
Wirksamkeit soll die Studie „Siche-
res Klassenzimmer“ der HS Mün-
chen beantworten, in die unter an-
derem die Daten von in den Klas-
senräumen der Schule installierten
CO2-Sensoren einfließen. Ein Zwi-
schenbericht wird im April erwartet.

Pannendienst
im Orbit
Robotik: Künftig könnten Roboter
Satelliten abschleppen. Die nötigen
Kopplungselemente werden nun getestet.
Von B. Strauch und i. Hartbrich
E
in Wettersatellit im Jahr 2035. Der
Treibstoff für Bahnkorrekturen und
Ausweichmanöver geht zur Neige, aber
der Satellit ist noch voll funktionsfähig.
Er fliegt daraufhin eine kleine Raum-
station an – eine Art fliegende Zapfsäule – und
füllt seine Tanks auf.
Der gleiche Satellit fünf Jahre später: Die An-
tenne ist kaputt. Ein Reparaturroboter tauscht
von einem zweiten Satelliten aus die Hardware.
Noch einmal fünf Jahre später: Mittlerweile ist
die Ansteuerung der Triebwerke ausgefallen.
Nichts mehr zu machen, der Satellit ist manö-
vrierunfähig und reif für den Schrott. Ein orbitaler
Abschleppdienst dockt an den Satelliten an und
bringt ihn zum Abstürzen.
Das sind nur drei Beispiele für das On-Orbit-
Servicing in der Raumfahrt, das Satelliten zu ei-
nem längeren Leben verhelfen soll – und zu ei-
nem zuverlässigen Ableben. Tanken, Reparieren,
Upgraden, Abschleppen – all diese Szenarien ba-
sieren auf derselben Technologie: Satelliten müs-
sen aneinander andocken und anschließend eine
stabile Verbindung halten können, mechanisch,
wie auch elektronisch.
Für genau diese Aufgabe hat das Unternehmen
iBoss, eine Ausgründung der RWTH Aachen, das
Kopplungselement Issi (Intelligent Space System
Interface) entwickelt. Im vergangenen Jahr wurde
die Komponente mit dem Europäischen Raum-
fahrtinnovationspreis ausgezeichnet. Nun steht
der erste Härtetest im Weltall bevor: Ein Experi-
ment mit zwei Prototypen soll zur Internationa-
len Raumstation (ISS) fliegen.
Auf der Erde funktioniert die Kupplung aus Aa-
chen bereits. Issi wird auch im Rahmen des Pro-
jekts upBus verwendet, für das in der Eifel eine Pi-
lotstrecke geplant ist. Die Idee: Eine Passagierka-
bine soll auf einem elektrisch angetriebenen
Fahrgestell eines Tages autonom durch die Stra-
ßen rollen, um an einer Übergabestation vollau-
tomatisch an eine Seilbahn anzudocken und so
dem alltäglichen Verkehrsstau im Wortsinne zu
entschweben.
Für die Weltraumanwendung wurde Issi robust
gemacht gegen kosmische Strahlung und gegen
die Vibrationslasten beim Start der Antares-Rake-
te. Die Reise ins All beginnt am 19. Februar auf
Reparatur im Orbit: Bislang sind Satelliten – einmal gestartet – jedem Zugriff
entzogen. Die Technologien für das sogenannte On-orbit-Servicing werden nun
nach und nach entwickelt. Foto: iBoss
11. Februar 2022 · Nr. 3 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Aachener Kupplung:
Zwei solcher Mechanis-
men können sich inei- dem Gelände des Rüstungskonzerns Northrop
nander verhaken. Auf Grumman in Wallops Island im Bundesstaat Vir-
diese Weise können Sa- ginia an der US-Ostküste. Womöglich wird es
telliten einander Hu- dann der deutsche Astronaut Matthias Maurer
ckepack nehmen. Die sein, der in 400 km Höhe auf der ISS die Aachener
kupferfarbenen Pins Transportkiste entgegennimmt.
übertragen bis zu 5 kW Installiert wird das iBoss-Experiment am japa-
elektrische Leistung, nischen Balkon der ISS, also im Vakuum außer-
die optische Datenver- halb der Station. Zwei Kopplungselemente wer-
bindung (abgebildetes den auf einem Schlitten positioniert. Mehrfach
Element: 1 Gbit/s) ist müssen sie eine Verbindung herstellen und wie-
in der Mitte unterge- der trennen, mitunter auch unter einem Winkel-
bracht. Foto:iBoss versatz, schildert iBoss-Geschäftsführer Thomas
Schervan.
Bewährt sich die Hardware im Vakuum, so die
Hoffnung, könnte sie künftig für einen wachsen-
den Weltraummarkt interessant sein, den New
Space, der auf immer günstigeren Weltraum-
transporten basiert. Laut iBoss kalkuliert die eu-
ropäische Weltraumbehörde ESA aktuell noch mit
rund 12 000 $ je hochgeschossenem Kilogramm
Last. Das Ziel sei, in absehbarer Zeit eine Redukti-
on auf 1000 $/kg in den erdnahen Orbit zu errei-
chen – dank neuer privater Anbieter wie SpaceX
des Elektroautopioniers Elon Musk. Branchen-
prognosen zufolge steigt die Zahl der Satelliten
von 1500 im Jahr 2010 auf 30 000 im Jahr 2025.
Anwendungen für seine Kopplungselemente
sieht iBoss beispielsweise im Rahmen von Satelli-
tenkonstellationen, die das Ziel verfolgen, den
Globus mit Breitbandinternet zu versorgen. Al-
lein SpaceX hat bis Dezember 2021 rund 1750
Starlink-Satelliten gestartet. In der finalen Aus-
baustufe soll die Flotte im erdnahen Orbit 12 000
Satelliten stark sein. „Da oben gibt es immer
mehr zu tun“, sagt Kai-Uwe Schröder, Leiter des
Instituts für Strukturmechanik und Leichtbau an
der RWTH Aachen und einer der iBoss-Gründer.
Die konkretesten Gespräche führt das Unter-
nehmen laut CEO Thomas Schervan allerdings
mit den Herstellern einer neuen Klasse kleiner
Raumstationen. Für das ISS-Experiment koope-
riert iBoss mit Skycorp, das einen modularen geo-
stationären Satelliten auf Basis der Issi-Schnitt-
stelle bauen will. Zu den Partnern zählt auch das
US-Unternehmen Arkisys, das das Ziel ausgege-
ben hat, eine Mini-Raumstation in einen niedri-
gen Erdorbit zu bringen: den „Port“. Dieser soll
eine Mischung aus fliegendem 3D-Drucker und
Montagedock für Satelliten sein.
Jetzige Satelliten lassen sich mit Issi noch nicht
verbinden. Denn – das ist das Prinzip – beide Sa-
telliten benötigen das Kopplungselement. Laut
Thomas Schervan ist die vom Bürener Maschi-
nenbauer Heggemann gefertigte Hardware auf
beiden Seiten dieselbe. Den Andockvorgang er-
läutert Schervan so: Ein Kopplungselement über-
nimmt den aktiven Part, fährt eine Art Stutzen aus
19
und dreht ihn um 45 °, sobald er weit genug in
den gegenüberliegenden Part vorgedrungen ist.
Die Kopplungselemente sind nun miteinander
verhakt und ziehen sich aneinander fest. Zusätz-
lich wird per Steckverbindung eine Stromübertra-
gung und per optischer Infrarottechnik ein Da-
tenlink hergestellt. Nach 5 s steht die Verbindung.
Und weil im Weltall allerhand schiefgehen kann,
gilt für den aktiven Satelliten wie auch für den in-
aktiven das Prinzip der Freiwilligkeit. „Beide Sei-
ten können jederzeit loslassen“, sagt Schervan.
Als Alleinstellungsmerkmal bezeichnet iBoss
die in der Grundposition vollkommen glatte
Oberfläche des Kopplungselements. Während
jeglicher orbitaler Manöver gibt es demnach
nichts, was im Weg stünde.
Issi ist nicht für den „Erstkontakt“ zweier Satel-
liten zuständig, also für die Phase, in der die Sa-
telliten ihre Geschwindigkeiten und Drehraten
aneinander angleichen und sich erstmals gegen-
seitig „im Griff haben“. Dafür bräuchte es etwas
Robusteres: Fangnetze und Greifer zum Beispiel.
Das Kopplungselement kommt erst dann zum
Einsatz, wenn das anfängliche Taumeln beendet
ist und sich die Satelliten relativ zueinander in
Ruhe befinden.
Bislang sind Satelliten und Raumstationen Uni-
kate – ebenso wie die meisten darin verbauten
Komponenten. Hinzu kommt: Sie sind in der Re-
gel nicht modular aufgebaut und deshalb nicht
reparierbar. Träten Fehler an Batterien, Solarpa-
neels oder Elektronik auf, „kann man den Hun-
derte Millionen schweren Satelliten nur noch
wegschmeißen“, sagt Kai-Uwe Schröder.
Je stärker die Industrialisierung in der Satelli-
tenfertigung und je voller die Orbits, desto eher
stößt das klassische Hardwaredesign in der
Raumfahrt an seine Grenzen. „Wir müssen Satel-
liten anders denken“, nennt Schröder das schon
2010 geprägte Motto für den New Space.
Immer mehr Satellitenbauer verwenden mitt-
lerweile Standardkomponenten und in Zukunft –
so die Hoffnung von iBoss – auch Standard-
schnittstellen. Damit würden Satelliten zugäng-
lich für lebensverlängernde Maßnahmen. „Mit Is-
si kann ein neues Modul, ein neues Triebwerk, ein
neuer Tank andocken“, sagt Thomas Schervan.
Unterm Strich entstünden Austauschkosten im
erdnahen Orbit, die wenige Prozent des Gesamt-
budgets einer neuen Mission ausmachten, je
nach zu tauschendem Modul.
Die Aachener Idee klingt simpel. Im All wird
der defekte oder aus Treibstoffmangel langsam
Richtung Atmosphäre absinkende Satellit von ei-
nem angedockten Ersatzmodul repariert, bezie-
hungsweise abgeschleppt. Wie ein Auto, dem der
Sprit ausgegangen ist – „sozusagen der ADAC der
Lüfte“, sagt Schervan.
20 FOKUS: STABILE STROMNETZE
Blaues Auge
statt Blackout
Stromnetze: Am 8. Januar 2021 zerfiel das europäische
Stromübertragungsnetz in zwei Teile.
Ein Beinah-Blackout. Er zeigte, wie gut die
Ausgleichsmechanismen funktionieren und was zu tun ist.
Von Josephine Bollinger-Kanne
D
er Warnschuss durch den
Stromnetzsplit zwischen
Nordwest- und Südosteuro-
pa im Januar 2021 verhallte
in Deutschland nahezu ge-
räuschlos. Erweiterter Datenaustausch
in Echtzeit und Inselnetzfähigkeit gel-
ten als Mittel gegen Blackouts. Die Flut-
katastrophenschäden im Ahrtal und ho-
he Energiepreise machen bewusst, wie
wertvoll Strom aus der Steckdose ist.
Zwei Ereignisse griffen im letzten Jahr
die Gefahr von Stromausfällen exem-
plarisch auf. Zum einen richteten das
Land Nordrhein-Westfalen und die
Stadt Bonn Anfang Oktober den ersten
landesweiten Katastrophenschutztag
aus. „Tausende informieren sich zum
Thema Stromausfall. Es war ein Test.
Und der lief sehr überzeugend“, ist das
Fazit vom Bund für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe.
Zum anderen verspricht der Strea-
mingdienst Joyn als Inhalt der Fernseh-
serie „Blackout“: „Kein Strom, dafür
Spannung pur“; nach dem
gleichnamigen Roman
von Marc Elsberg. Ein
Computervirus legt darin
Ein Lastfluss aus
das europäische Strom- Südost- nach
netz lahm. Tagelang
kämpfen sich in Folge Nordwesteuropa
dessen die Menschen im
von fast
6 GW
Winter durch Dunkelheit,
Kälte und Chaos.
Der Ernstfall: Im realen
Leben unterbrach ein
400-kV-Stromsammel- spaltete am
schienenkuppler am 8. Ja-
nuar 2021 den Stromfluss 8. Januar 2021
im kroatischen Umspann-
werk Ernestinovo – und
das Stromnetz in
setzte damit eine Ausfall- Europa auf
kette in Gang. Am Ende
trennte sich das südosteu-
ropäische Stromnetz vom nordwestli-
chen Netzverbund ab. Nach Lesart des
kroatischen Übertragungsnetzbetrei-
bers Hops tat der Kuppler genau das,
was er sollte, damit nicht noch mehr
Schäden eintreten.
In der Tat haben Stromsammelschie-
nenkuppler in Umspannwerken einen
Schutz, der ähnlich wie Sicherungen in
Haushaltsstromkreisen funktioniert
und für bestimmte Netzlasten ausgelegt
ist. Wird die Höchstlast überschritten,
löst der Schutz aus und unterbricht den
Stromfluss.
Genau das war der Fall, als an jenem
Januartag ein extrem hoher Stromfluss
von knapp 6 GW aus Südosten Richtung
Nordwesten vorlag, der teilweise über
den Kuppler lief und diesen überlastete.
Sehr kalte Temperaturen hatten im
Nordwesten den Strombedarf in die Hö-
he getrieben, während die Länder in
11. Februar 2022 · Nr. 3
Südosteuropa das orthodoxe Weih-
nachtsfest feierten und vergleichsweise
wenig Strom verbrauchten.
Ergebnisse und Empfehlungen aus
dem Beinah-Blackout: Der hohe Leis-
tungstransport war laut Abschlussbe-
richt von dem europäischen Verband
der Übertragungsnetzbetreiber Entso-E
und Europas Regulierungsbehörde Acer
(dem Pendant zur deutschen Bundes-
netzagentur) jedoch nicht die alleinige
Ursache für die Systemauftrennung. Es
kam zu einer Verkettung von Umstän-
den, zu der sowohl die Netztopologie als
auch die besondere Lastsituation bei-
trugen.
Die Marktuntersuchungen zeigten,
dass der überlastete Sammelschienen-
kuppler in Ernestinovo die Netzauftren-
nung in Gang setzte. Das bestätigt das
Expertengremium im Abschlussbericht
(Investigation Expert Panel), den die
Entso-E am 15. Juli 2021 vorlegte. Flori-
an Bennewitz vom deutschen Übertra-
gungsnetzbetreiber Amprion bestätigte
dies im Gespräch mit VDI nachrichten.
Amprion ist verantwortlich
für die Frequenzüberwa-
chung im kontinentaleuro-
päischen Synchronnetzver-
bund und koordinierte das
Vorgehen mit den Aus-
gleichsmaßnahmen.
Regelbare Industrielasten
leisteten die Stabilisie-
rung: Um die fehlende Er-
zeugungsleistung und da-
durch die Netzfrequenz von
49,75 Hz auf die nötige Sta-
bilitätsmarke von 50 Hz an-
zuheben, gingen in Frank-
reich und Italien Industrie-
betriebe vom Netz, die da- Ganz Europa wurde am 8. Januar 2021 in zwei separate synchronisierte
für eine Vergütung erhiel- Netzspannungsbereiche aufgeteilt. Die Trennungslinie zog sich durch
ten. Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Rumänien.
Zusätzlichen Strom lie-
ferten Kraftwerke in Europa als Regelre-
serve sowie die Synchrongebiete UK
(Großbritannien) und Skandinavien. In
Südosteuropa reduzierten dagegen
Kraftwerke ihre Leistung, um die erhöh-
te Netzfrequenz zu senken.
„Die automatisierten Reaktionen und
weiteren koordinierten Maßnahmen
sorgten dafür, dass die Teilnetze bereits
nach einer Stunde (nach der Trennung,
Anm. d. Red.) zusammengeschaltet und
der Normalbetrieb wiederhergestellt
werden konnte“, so Bennewitz. „Hilf-
reich war das ‚Entso-E Awareness Sys-
tem‘ (EAS), das jedem Übertragungs-
netzbetreiber in Echtzeit einen Über-
blick über den Systemzustand aller eu-
ropäischen Netze gibt.“ Eingeführt wur-
de es als Konsequenz aus der Netzstö- Rund eine Stunde dauerte es am 8. Januar 2021, bis die Netzfrequenz sich
rung von 2006, bei der Millionen Haus- wieder um die 50 Hz eingeschwungen hatte und die beiden getrennten euro-
halte in Europa für mehrere Stunden päischen Netzgebiete wieder verbunden werden konnten (15:08).
keinen Strom hatten.
 11. Februar 2022 · Nr. 3 FOKUS: STABILE STROMNETZE 21
Foto: Stromnetz Berlin GmbH

Blackout durch einen Kabel-

schaden: Stromausfälle sind in
Deutschland selten. Vor drei
Jahren trennte ein Bagger ein
Hochspannungskabel (110 kV) in
Berlin-Köpenick. Fast anderthalb
Tage dauerten die Reparaturen.

Die sogenannte „Heatmap“, eine Darstellung der Phasenwinkeldifferenz der Netzspannung,

vom 8. Januar 2021. Sie gestattet einen Rückschluss auf den Lastfluss, also die Leistungsverschie-
bungen zwischen Punkten im Netz. Die höchste Differenz tauchte am 8. Januar 2021 etwa dort auf,
wo auch später die Netztrennung erfolgte – auf einer Linie von Kroation nach Rumänien. Foto: ENTSO-E

Ungewöhnliche Netztopologie führte
zu Beinah-Blackout: „Im Umspannwerk
Ernestinovo laufen viele Höchstspan-
nungsleitungen aus der Region zusam-
men. Es ist ein Drehkreuz für grenz-
überschreitende Stromtransporte“, er-
läutert Bennewitz. Anders, als es bei vie-
len Übertragungsnetzbetreibern (inklu-
sive Amprion) üblich ist, habe der Netz-
betreiber Hops seinen Sammelschie-
nenkuppler in der Sicherheitsberech-
nung nicht berücksichtigt. Dies war bis-
lang auch nicht vorgeschrieben. Ebenso
leisteten die ungewöhnliche Topologie
im Umspannwerk und der Netzbetrieb
in Südosteuropa nahe der tsche-
chischen Grenze der Netzauftrennung
Vorschub.
Drei der insgesamt 22 Empfehlungen
im Abschlussbericht von Entso-E und
Acer sind höhere Sicherheitsmargen im
Netz, Regeln für die Topologie – sprich,
der elektrischen Konfiguration der Be-
triebsmittel – und umfassendere Sicher-
heitsberechnungen. „Es war ein Warn-
schuss“, sagt Bennewitz. Allerdings be-
stand bei diesem Vorfall keine Gefahr ei-
nes großflächigen Stromausfalls und so-
mit eines Blackouts in Europa.
Exakte und schnelle Ausfallrechnun-
gen können im Ernstfall Abhilfe schaf-
fen: Im Unterschied zur Fernsehserie
handelte es sich im letzten Januar nicht
Das paneuropäische Stromnetz
„ Der europäische Synchronnetzverbund
reicht von Kontinentaleuropa bis
nach Nordafrika und in die Türkei.
„ Die Hochspannungs- und Höchstspan-
nungsleitungen der Länder sind mitei-
nander verbunden. Gebräuchlich sind
im Verbund Spannungen von 220 kV
und 380 kV. Das kontinentaleuropäi-
sche Verbundnetz läuft mit einer Fre-
quenz von 50 Hz.
„ Weicht im Netz die Frequenz von 50 Hz
ab, regeln die Übertragungsnetzbe-
treiber die Frequenz aus. Liegt die Er-
zeugung über dem Verbrauch, steigt
die Frequenz. Kraftwerke fahren dann
die Leistung herunter oder Verbrau-
cher können zugeschaltet werden. Ist
umgekehrt zu wenig Stromleistung
verfügbar, um den Bedarf zu decken,
und die Frequenz sinkt, wird entwe-
der die Einspeisung erhöht oder der
Verbrauch gesenkt.
„ Die Entso-E ist der Verband der euro-
päischen Übertragungsnetzbetreiber
für die Stromnetze. Es sind 39 Netzbe-
treiber aus 35 Ländern – allein in
Deutschland sind es vier Übertra-
gungsnetzbetreiber (50Hertz, Ampri-
on, Tennet, TransnetBW).
um ein mutwilliges Hackerszenario. „Ei-
ne Verkettung von ungeplanten Ereig-
nissen, die bei dem heutigen Datenaus-
tausch gar nicht vorhersagbar ist“, sagt
Matthias Luther, Inhaber des Lehrstuhls
für Elektrische Energiesysteme an der
Friedrich-Alexander-Universität Erlan-
gen-Nürnberg.
Auch wenn erneuerbare Energien au-
genscheinlich nicht die Ursache für die-
sen Stresstest waren, könne der zukünf-
tige Umbau des Energiesystems mit
Netzstörungen dieser Art einhergehen,
so der Elektrotechnikingenieur. „Die zu-
nehmende Integration erneuerbarer
Energien schafft eine neue Architektur,
für die unsere Netze ausgelegt sein müs-
sen. Sie müssen mehr denn je der Flexi-
bilisierung durch die rasant wachsende
Anzahl von regenerativen Erzeugern ge-
recht werden“, so Luther weiter.
Aktuell sichern noch überwiegend
konventionelle Kraftwerke und Pump-
speicherkraftwerke den stabilen
Stromnetzbetrieb ab, indem sie bei Eng-
pässen zusätzliche Leistung ins Netz
einspeisen oder bei weniger Strombe-
darf die Erzeugung herunterfahren. Ge-
hen die Kernkraft- und Kohlekraftwerke
vom Netz, sind verstärkt umrichterba-
sierte Erzeugungsanlagen, Speichersys-
teme und zukünftig Elektrolyseure zur
Wasserstoffgewinnung gefragt.
Dadurch nehme die Netzdynamik
zu, und es käme vermehrt zu komple-
xen Ausgleichsvorgängen, über die es
heute noch keine Betriebserfahrung
gibt, macht Luther klar. Das sei künftig
sowohl in der Betriebsplanung als auch
im Onlinebetrieb in den Netzleitstellen
zu berücksichtigen. „Auf europäischer
Ebene brauchen wir einen Datenaus-
tausch und dynamische Netzsicher-
heitsrechnungen in Echtzeit“, präzi-
siert er.
Die Lösung für zukünftige Stromnetz-
stabilität sieht Luther in der Digitalisie-
rung über alle Netzebenen hinweg. Die
sei nötig, um Zugriff auf Erzeugungs-
und Verbrauchsdaten in Echtzeit zu ha-
ben. Auch die Inselnetzfähigkeit von
umrichtergesteuerten Erzeugern und
Speichern helfe im Fall des Falles, Groß-
störungen zu vermeiden oder aber das
Netz nach einem Blackout wieder hoch-
zufahren.
„Netzsicherheitsrechnungen im Mil-
lisekundenbereich und neue Werkzeuge
für exakte Modellierungen vielfältiger
Betriebszustände können zeigen, wel-
che Umstände ungünstigerweise zu-
sammenkommen können und welche
Eingriffe notwendig werden. Wie wich-
tig Daten und Berechnungen in Echtzeit
sind, hat der Warnschuss im Januar
deutlich gemacht“, erklärt Luther.
22 FOKUS: STABILE STROMNETZE 11. Februar 2022 · Nr. 3

„Wir müssen jetzt

echt schnell werden“
Stromnetze: Die Netzbetreiber im Forum Netztechnik/Netzbetrieb des
VDE sehen einen guten Ansatz in der Ankündigung der Bundesregierung,
das Netz zügig auszubauen. Sie mahnen die sofortige Umsetzung an.

Von Alexander Morhart leistung in der Nord- und Ostsee in neun Jahren
30 GW; dazu Ladesäulen für 15 Mio. Elektroautos.

D
irk Biermann, Vorstandsmitglied
beim VDE-Forum Netztechnik/Netz-
betrieb (FNN), hat an den Stromnetz-
plänen der neuen Bundesregierung
nicht viel zu kritisieren. Bei einer On-
linepresseveranstaltung des Forums im Dezem-
ber lobte Biermann, im Hauptberuf Geschäfts-
führer „Märkte und Systembetrieb“ beim Über-
tragungsnetzbetreiber 50Hertz Transmission in
Berlin, die Beschleunigungsankündigungen im
Koalitionsvertrag. „Für den massiven Ausbau der
erneuerbaren Energien brauchen wir mehr Tem-
po und Verbindlichkeit beim Netzausbau auf al-
len Ebenen“, stand da.
„Ja, wir können das schaffen, denn es ist ja kei-
ne neue Herausforderung – aber wir müssen jetzt
echt schnell werden“, so Biermann. Mit „wir“ for-
derte er nicht in erster Linie die rund 890 Strom-
netzbetreiber in Deutschland auf, sondern die
Bundesregierung. Beschleunigte Entscheidungs-
prozesse, schlankere Genehmigungsverfahren
und kürzere Klagewege mahnte Biermann ge-
meinsam mit Joachim Kabs an, seinem FNN-Vor-
standskollegen. Etwas später schob
Biermann allerdings nach, das
müsse erst noch umgesetzt wer-
den: „Und das ist der Knackpunkt –
Manche Genehmi-
wie schnell geht das jetzt?“ gung einer
Stärkerer Stromtrassenausbau Stromtrasse
müsste 2022 aufgesetzt werden:
Was Kabs und Biermann sagen, hat
dauerte bisher
Last- und Einspeisezuwächse erfolgten nicht
im gleichen Gebiet, sondern zunehmend regional
abweichend voneinander, so Kabs. Schwierig sei
ein Netzausbau, „wenn sie über viele Gemarkun-
gen und viele Gemeinden müssen, um das Kabel
zu legen oder die Leitung zu bauen“. Verglichen
damit sei der Ausbau der erneuerbaren Energien
„relativ einfach“ und „schnell genehmigt“.
Technisch ist der Bau eines Leitungsabschnitts
bekanntlich fast immer in weniger als einem Jahr
zu bewerkstelligen. „Dem Ingenieur ist nichts zu
schwör“, schmunzelte Biermann, um gleich wie-
der ernst zu werden: „Der Ingenieur muss recht-
zeitig anfangen und rechtzeitig anfangen dürfen.“
Der klassische Zielkonflikt sei der zwischen Kli-
maschutz und Naturschutz.
„Es ist ja vollkommen in Ordnung, wenn man
sagt, die Leitung soll nicht (...) durch eine be-
stimmte Region geführt werden, weil da der Vo-
gelschutz Vorrang hat.“ Dann müsse aber frühzei-
tig die Entscheidung getroffen werden, wo diese
Leitung ansonsten hinsolle. Da müsse sie dann
auch gebaut werden. Was nicht ge-
he: „Dass man das durch lange Ge-
nehmigungsverfahren und ver-
schiedene Instanzen durchziehen
muss – und erst nach zehn Jahren
weiß, ob jetzt der Vogelschutz Vor-
rang hat (...) oder die Leitung.“
Manche Genehmigungsverfahren

15 Jahre,
Gewicht, schließlich ist das VDE dauerten derzeit „15 Jahre und Höchstspannungs- Foto: Rainer Weisflog

FNN der technische Regelsetzer für
die Stromnetze in Deutschland.
Wie schnell es ihrer Meinung nach
gehen sollte, steht in einem Papier
in Zukunft soll
von 50Hertz und sieben weiteren
Unternehmen von Anfang Januar
alles in
mit dem Titel „Gemeinsam schnel-
ler klimaneutral“: „Noch im ersten
Halbjahr 2022 sollen Bund, Länder
8 Jahren
und Kommunen alle notwendigen
Maßnahmen anstoßen (...).“
fertig sein
In der „Eröffnungsbilanz Klima-
schutz“ des Wirtschaftsministeriums vom 13. Ja-
nuar hat es der Netzausbau allerdings nicht in die
Liste der acht „Sofortmaßnahmen“ geschafft –
obwohl Biermann gewarnt hatte, es dürfe „nicht
die Legislatur verstreichen“, sonst „haben wir
wieder vier Jahre verloren“.
Doch warum die Eile? Joachim Kabs, Vorsitzen-
der des VDE FNN und Mitglied der Geschäftsfüh-
rung des Verteilnetzbetreibers Bayernwerk Netz
in Regensburg, schrieb dazu auf Nachfrage der
VDI nachrichten: „Viele Mittelspannungsnetze
der Verteilnetzbetreiber (...) werden an der Kapa-
zitätsgrenze betrieben.“
Hier sei ein weiterer Netzanschluss von Erneu-
erbare-Energien-Anlagen ohne Gefährdung der
Versorgung nur nach Optimierung, Verstärkung
oder Ausbau des Netzes möglich. Das ist man-
cherorts schon seit einem Jahrzehnt oder länger
der Fall.
Dirk Biermann sagte, neu sei jetzt, „dass es alles
viel, viel schneller gehen soll“. Statt weniger als
50 % erneuerbaren Stroms, wie es heute der Fall
ist, sollen es laut Koalitionsvertrag im Jahr 2030
80 % sein; statt derzeit gut 8 GW Offshore-Nenn-
länger“. Eine einfache Rechnung
zeigt jedoch, dass für das Zieljahr
2030 Genehmigungsverfahren plus
Klageverfahren plus Bau bei 2022
begonnenen Netzausbauprojekten
nur acht Jahre dauern dürfen. Die
Vorschläge in dem erwähnten Pa-
pier von 50Hertz und den sieben
Mitstreitern sollen jedenfalls hel-
fen – ohne eine absolute Zahl zu
nennen –, die Dauer von Genehmi-
gungsverfahren zu halbieren.
Dafür sind auf sechseinhalb eng bedruckten
Seiten sehr detailliert Maßnahmen beschrieben.
Das reicht vom Wegfall von Doppelprüfungen bei
der Bundesfachplanung und Planfeststellung bis
zur Beschränkung von Einspruchsfristen; von der
Genehmigungsfiktion bei behördlicher Untätig-
keit über gelockerten Lärmschutz bis zu Zahlun-
gen an Anliegergemeinden und mehr Personal
für Behörden und Gerichte.
Wie teuer wird der Stromnetzausbau in den
kommenden Jahren? Für die Verteilnetze seien
„die Berechnungen noch nicht abgeschlossen“,
so Kabs. Dabei gibt es bei der Abschätzung von
Umfang und Kosten noch viel zu tun: Die letzte
Gesamtstudie zum Ausbau ist die Dena-Verteil-
netzstudie vom Dezember 2012, in der für 2030
noch eine Braunkohle-Nennleistung von 14,7 GW
angenommen worden war. Die neue Bundesre-
gierung will dann aus der Kohleverstromung
komplett ausgestiegen sein.
Zwei seither veröffentlichte Untersuchungen
zu Strom-Verteilnetzen – die E-Bridge-Studie von
2014 und die Agora-Studie von 2019 – beleuchten
nur Teilaspekte. Ein jährlicher Bericht der Bun-
trassen schnell
genehmigen – davon desnetzagentur erfasst den kurzfristigen Ausbau
hängt ab, wie schnell auf den unteren Spannungsebenen nicht.
die Energiewende
wirklich werden kann. Zum Umfang, zum aktuellen Stand und zu den
Gesamtkosten des Übertragungsnetzausbaus
nannte Dirk Biermann während der Onlineveran-
staltung im Dezember die Zahl 130 Mio. €. Dies
präzisierte 50Hertz-Pressesprecher Volker Gu-
stedt auf Nachfrage von VDI nachrichten wie
folgt: „Im Netzentwicklungsplan Strom 2035
(2021), den die Bundesnetzagentur jetzt bestätigt
hat, haben die vier Übertragungsnetzbetreiber
Kosten in Höhe von 72 Mrd. € bis 76,5 Mrd. € für
den Netzausbau an Land und 33 Mrd. € bis
38,5 Mrd. € für den Netzausbau auf See veran-
schlagt. Das sind in Summe 105 Mrd. € bis
115 Mrd. € bis 2035. Diese Zahlen geben aber
noch das Ausbauziel von bis zu 32 GW installierte
Leistung offshore wieder. Die neue Bundesregie-
rung will das Ausbauziel auf 40 GW bis 2035 erhö-
hen. Damit steigen auch die Kosten.“
Angesichts solcher Beträge beklagen die Netz-
betreiber die Begrenzung des Eigenkapitalzinses
bei Netzinvestitionen durch die Bundesnetzagen-
tur. 2010 hatte der damalige Tennet-Chef Lex
Hartman „10 % bis 12 %“ vor Steuern als nötig be-
zeichnet. Im Oktober 2021 senkte die Bundes-
netzagentur den Wert auf 5,07 % – viel weniger als
in anderen Staaten, schrieb Biermann mit Beru-
fung auf den Branchenverband BDEW.
Was, wenn es mit dem Netzausbau nicht
schnell genug vorangeht? Dass in zehn Jahren
Strom rationiert werden müsste, denkt Dirk Bier-
mann nicht. „Strom werden wir haben; aber wir
haben dann vielleicht nicht den erneuerbaren
Strom, wenn wir jetzt nicht zügig voranmachen.“

Stromnetze: Im Zuge der Energiewende muss es darum gehen, verstärkt dezentrale erneuerbare
Anlagenparks, Demand-Side-Management und Energiespeicher für stabile und sichere Stromnetze zu nutzen.
E
Von Hans-Christoph Neidlein
in klimaneutrales Strom-
system bis 2035, 80 % er-
neuerbarer Strom und
Kohleausstieg bis 2030
bei einem deutlich stei-
genden Strombedarf: Das sind zen-
trale Ziele der Energiepolitik der
neuen Bundesregierung. „Das ge-
samte Stromsystem und die Netze
müssen sich auf diese neue Welt
vorbereiten und neu erfinden“, be-
tonte Staatssekretär Patrick Grai-
chen vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Klimaschutz
(BMWK) bei der Tagung „Zukünftige
Stromnetze“ des Konferenzveran-
stalters Conexio-PSE Ende Januar.
Als Toppriorität sieht Graichen,
der bis zu seinem Amtsantritt Mitte
Dezember noch Chef des Think-
tanks Agora Energiewende war, den
schnelleren Stromnetzausbau. Hier-
zu werde das BMWK mit dem ange-
kündigten „Oster-Gesetzespaket“
den Bundesbedarfsplan festschrei-
ben. Den jüngst von der Bundes-
netzagentur vorlegten Szenariorah-
men zum Netzentwicklungsplan
(NEP) Strom 2035 sieht Graichen
hierfür als gute Grundlage.
Bundesregierung setzt auf System-
entwicklungsplan: Ergänzt werden
müssten die aktuellen NEP Strom
und Gas jedoch durch einen Sys-
tementwicklungsplan (SEP) mit ei-
nem übergreifenden Blick auf die
angestrebte Klimaneutralität im
Jahr 2045, betonte der Staatssekre-
tär. Hierbei gelte es, auch die Ver-
zahnung mit den Wasserstoffnetzen
sowie der Verteilnetzebene – inklu-
sive der Wärmenetzen – in den Blick
zu nehmen.
Er appellierte, bei diesem zusätz-
lichen Planungsschritt die nötige
Verfahrensbeschleunigung im Auge
zu behalten. Sein Appell steht im
Zusammenhang mit einem jüngst
von der Deutschen Energieagentur
vorgelegten Vorschlag für einen SEP.
Für spruchreif hält er einen derarti-
gen Systementwicklungsplan bis
zum Jahr 2024.
Graichen unterstrich, dass es not-
wendig sei, Genehmigungsverfah-
ren für den Netzausbau zu be-
schleunigen und zu verschlanken,
so wie dies der Koalitionsvertrag der
Ampel-Regierung vorsieht. Wichtige
Stellschrauben hierfür seien die
Zusammenlegung der Bundesfach-
planung mit der Planfeststellung so-
wie die Standardisierung von Arten-
schutzauflagen.
Schlanke Netzplanung mit Bürger-
beteiligung: Grundsätzlich sieht
Graichen eine Genehmigungsbe-
schleunigung mit einer Bürgerbe-
teiligung vereinbar. „Man muss ja
nicht alles zweimal planen und
kann trotzdem die Leute anhören.“
Dazu gehöre auch, die „Dinge nicht
liegen zu lassen, sondern anzuge-
hen“. Deshalb müssten nun zeitnah
11. Februar 2022 · Nr. 3 FOKUS: STABILE STROMNETZE
Verteilte Sicherheit
Dezentral verteilte Stromerzeuger wie Windkraftanlagen sollen in Zukunft mit für Stromnetzstabilität
sorgen. Im Bild heben Kräne einen Rotorkranz mit Rotorblättern an. Foto: mauritius images / Rupert Oberhäuser
die Personalkapazitäten in den zu- Norddeutschland zu errichten, um
ständigen Behörden und Gerichten dort überschüssigen Windstrom off-
aufgestockt werden. shore und an Land verwerten zu
Selbst wenn diese Personalkapa- können und den zusätzlichen
zitäten da wären, gäbe es ein Man- Transportbedarf der Stromautobah-
ko, verdeutlicht Graichen: „Was der- nen in den Süden zu minimieren.
zeit im Energiewirtschaftsgesetz zur
Netzplanung angelegt ist, ist noch Eine vorausschauende, integrierte
nicht ausreichend.“ Eine wichtige Netzplanung zwischen der Übertra-
Aufgabe hierbei sei es, die Standorte gungs- und der Verteilnetzebene
der Elektrolyseure für den geplan- hält der Staatssekretär für entschei-
ten Markthochlauf des Wasserstoffs dend: „Wir müssen gucken, dass wir
zu definieren. Graichen plädiert da- diese Zusammenarbeit besser hin-
für, Elektrolyseure vorrangig in kriegen.“ Es habe hierfür in den ver-
gangenen Jahren zwar erste Ansätze
gegeben, doch diese müssten nun
auf eine dauerhafte und stabile Ebe-
Forschungsprojekt: Modell für ein ne gebracht werden. Die Verteilnet-
Stromsystem der Zukunft ze erlangten in Folge der Energie-
„ Die Jacobs University Bremen und das Institut für Infor- wende eine immer höhere Bedeu-
matik aus Oldenburg (Offis) modellieren künftige Be- tung, weil sie den Großteil des ange-
lastungen eines zukünftigen Stromsystems. Das For- strebten Zubaus von Photovoltaik
schungsvorhaben heißt „Resilienz im digitalisierten und Onshore-Wind schulterten, be-
Stromsystem: Marktregeln für den Umgang mit Gleich- tonte Graichen. Dazu kämen die
zeitigkeitseffekten in Systemdienstleistungsmärkten“, vielen neuen Verbraucher im Rah-
so beide Institutionen Ende Januar. men der Sektorenkopplung, seien es
E-Fahrzeuge oder Wärmepumpen
„ Charakteristisch ist, dass es immer weniger große auf Verteilnetzebene.
Kraftwerkseinheiten gibt und immer mehr dezentral Auch gelte es, die Netzentgeltre-
verteilte Erzeugungseinheiten. gulierung und eine Netzentgeltre-
„ Mithilfe der Spieltheorie und des maschinellen Lernens form anzugehen, wobei er wisse,
modellieren die Forschenden des Offis dabei die zu er- wie schwierig das sei. „Doch mit ei-
wartenden künftigen Belastungen eines solchen Sys- nem System, das aus den 1980er-
tems aus Sicht der Netzbetreiber. Sie modellieren dabei Jahren stammt, ist man nicht fit für
das Verhalten der einzelnen Marktakteure und wollen eine dezentral geprägte Energie-
auch Antworten geben, wie genau kritische Situationen welt“, sagte Graichen. Dazu gehöre
vermieden werden können. die „1000-Dollar-Frage“, nämlich
die Weiterentwicklung des Strom-
marktdesigns. Die Diskussionen
23
hierüber müssen in diesem und im
kommenden Jahr geführt werden.
Netzbetreiber und Branchenver-
treter reagierten überwiegend po-
sitiv auf diese Ankündigungen und
Einschätzungen. Wobei sowohl Si-
mone Peter, Chefin des Bundesver-
band Erneuerbare Energie (BEE),
Hans-Martin Henning, Chef des
Fraunhofer-Instituts für Solare
Energiesysteme (ISE), als auch Tho-
mas Dederichs, Leiter Energiepoli-
tik beim Übertragungsnetzbetreiber
Amprion, dafür plädierten, einen
noch stärkeren Fokus auf die Flexi-
bilisierungspotenziale zu legen.
Konkret gemeint ist, die dezentral
verteilten Anlagen auf Basis erneu-
erbarer Energien, von Lastmanage-
ment und Speicher verstärkt für Sys-
temstabilität, also für stabile Netze
und eine stabile Stromversorgung,
zu nutzen. So sei es möglich, 25 %
bis 30 % mehr erneuerbaren Strom
netzdienlich zu nutzen, sagte Pe-
ters. Sie verwies hierbei auch auf
das hohe Potenzial der deutsch-
landweit 9500 Biogasanlagen für die
Bereitstellung gesicherter Leistung.
Wenn mehr dezentrale Anlagenbe-
treiber und Prosumer in das Last-
management einbezogen würden,
erhöhe dies zudem insgesamt die
Akzeptanz für den Ausbau der er-
neuerbaren Energien.
Einen „echten Paradigmenwech-
sel“ mit stärkerer Einbeziehung von
Flexibilitäten auf allen Netzebenen
sowie ein anderes Strommarktde-
sign mahnte Fraunhofer-ISE-Chef
Henning an. Dadurch könne auch
der Netzausbaubedarf begrenzt
werden. Gleichzeitig warnte er da-
vor, „irgendwelchen Autarkiegedan-
ken hinterherzulaufen“, also zu
meinen, alle Bedarfe ließen sich aus
nationalen Ressourcen decken.
„Der Aspekt der Dezentralität ist
uns extrem wichtig“, sagte Dede-
richs. Angekommen ist die neue
Philosophie für die Stromnetze also
bei den Netzbetreibern. Allerdings
bewege man sich hierbei auf „teils
unbekanntem Terrain“, so der Am-
prion-Manager. Und da die Netzbe-
treiber für die Stromnetzstabilität
Versorgungssicherheit geradeste-
hen, stellt eine neue Technologie in
der Regel eine Herausforderung für
sie dar.
Dederichs sagte, der Ansatz, sta-
bile Stromnetze über die Kombina-
tion von volatilen erneuerbaren
Energien, Demand-Side-Manage-
ment und Energiespeichern zu ge-
währleisten, sei bisher weltweit
noch nirgends in großem Stil umge-
setzt worden. So müssten beispiels-
weise verstärkt Anreize dafür gesetzt
werden, Windparks für die soge-
nannte Momentanreserve zu nut-
zen. Jedenfalls springe die Debatte
zu kurz, wenn man zur Gewährleis-
tung der Versorgungssicherheit nur
den Zubau von Gaskraftwerken for-
dere, so Dederichs.
24 AUS DEN UNTERNEHMEN/START-UP
Vorbilder aus
dem Meer
Bionik: Die Gewässerbiologin Petra Ditsche hat
Clingtechbionics gegründet, ein Start-up, das Saugnäpfe für
raue Oberflächen entwickelt. Das Ein-Frau-Unternehmen
wird künftig personelle Hilfe brauchen.
Von Matilda Jordanova-Duda
E
s ist ein merkwürdig weicher, leicht glibberi-
ger Saugnapf. Und es erfordert ordentlich
Kraft, um ihn von der geriffelten Metallplatte
abzureißen. 22 kg zeigt die daran gehängte
Waage, als er sich schließlich löst. Ein norma-
ler Saugnapf haftet erst gar nicht auf einer solchen struk-
turierten Oberfläche. Doch was Petra Ditsche, Gründerin
von Clingtechbionics, ausgetüftelt hat, hat ein Vorbild in
der Natur. Der Northern Clingfish saugt
sich mit dem Bauch auf rauen Felsen fest,
damit ihn die Brandung nicht weg-
schwemmt. Die Gewässerbiologin hat den
kleinen Fisch viele Jahre lang in den USA an
der University of Washington erforscht.
„Wie schafft er es, diesen Kräften stand-
zuhalten?“, fragte sie sich. Als sie mit Adam
Summers das Prinzip entschlüsselte, überlegte
die Forscherin: „Wie kann man das für die Technik nut-
zen?“ Das Lernen von Lösungen der Natur bezeichnet
Ditsche als ihr Steckenpferd. Kein Wunder, denn sie pro-
movierte an der Universität Bonn bei Wilhelm Barthlott,
dem Entdecker des Lotuseffekts, der der Fähigkeit wasser-
abweisender mikro-nanostrukturierter Oberflächen zur Petra Ditsche muss 22 kg zur
Selbstreinigungs einen Namen gab. Hochstrecke bringen, um ihren
Saugnapf von Flächen zu lösen.
Der erste Prototyp des bionischen Saugnapfs entstand Foto: Jordanova-Duda
während ihrer Forschungsarbeiten in den USA. „Es kamen
viele Interessenten auf mich zu und schilderten diverse Probleme, die sich
mit dieser Technologie lösen ließen“, erzählt sie. Zurück in Deutschland,
entwickelte te sie den Prototyp weiter und meldete die Erfindung zum Patent
an. Mithilfe illf eines Exist-Gründerstipendiums an der Universität Bonn hat
Ditsche ab a 2020 die Gründung von Clingtechbionics vorangetrieben: Im
letzten n Sommer war es dann so weit.
Werer hofft, eine zerstörungsfreie Lösung für seine Bad- und Küchen-
fliesen zu z haben, muss sich gedulden. Das Objekt der Begierde ist zu-
nächst nicht ht für den Endverbraucher und seinen Haushalt gedacht. Die Grün-
derin wird
wii mit ihrem Produkt zwar in den nächsten Monaten in die Serien-
produktionu gehen, aber nur mit B2B-Kunden und Lizenznehmern arbei-
ten. Einen
E B2B-Partner für Haushalt und Sanitär sucht sie noch. „Es ist ei-
ne hierarchische
h Kombination aus stabilen und aus extrem anpassungs-
fähigen
hii Strukturen, die sich an verschiedene Rauheitslevel des Unter-
grunds
ru adaptieren“, schildert die Bionikerin das vom Fisch abgekupferte
Prinzip
rin
i und pappt den Saugnapf auf glatte, raue, grob strukturierte und
gebogene Metallplatten und Fliesen. Ihr Labor befindet sich im Business
ge
Campus der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS). Ditsche arbeitet
dort mit Materialwissenschaftlern zusammen.
Nur auf luftdurchlässigen Flä-
chen haftet der Saugnapf
nicht. Die widerstandsfähige Be-
festigung ist reversibel: An einer
St. Augustin Lasche lässt sie sich leicht abziehen.
Welche Kunststoffe darin kombiniert
wurden und welche Strukturen die Rei-
Foto [M]: panthermedia.net/Andreas Weber/VDIn
bung an den Rändern erhöhen, ist Betriebs-
geheimnis. An ihr Produkt legt Ditsche stren-
ge Nachhaltigkeitskriterien an: Das Material
soll recycelbar und idealerweise regional er-
zeugt, der Saugnapf wiederverwendbar sein.
Der bionische Saugnapf lässt sich gut unter
Wasser anbringen. Diese Eigenschaft nützt Aqua-
blast, Hauptgeschäftspartner in den USA und Pi-
lotkunde. Aquablast vertreibt Boxsäcke für Aqua-
11. Februar 2022 · Nr. 3
Auch unter Wasser, etwa bei Schildkröten, lässt sich
der Saugnapf anbringen und damit eine nichtinvasive
Lösung erzielen. Foto: privat
training und -reha für Schwimmbäder. Die 25 kg schweren Sä-
cke werden mittels Spannseil und Saugnapf am Boden des Be-
ckens befestigt. Die Konstruktion hält etliche Tritte und Schlä-
ge aus. Dem gut vernetzten Wassersportausrüster verdankt
Clingtechbionics die Hälfte der Anfragen, so Ditsche. Eine wei-
tere Anwendung entwickelt das Start-up mit einem Industrie-
partner, der süddeutschen Firma Schmalz: Vakuumgreifer, die
ein deutlich breiteres Spektrum von Stückgut befördern kön-
nen. „Es geht um grob raue und stark strukturierte Objekte“, sagt
Ditsche. Die Partner experimentieren mit verschiedensten Oberflächen
und Gegenständen, die die Roboter greifen, mit Un-
terdruck ansaugen und in Kisten ablegen sollen.
Spezielle Saugnäpfe fertigt Ditsche hingegen in ih-
rem Labor selbst – und zwar für Forschungsinstitute
auf den Azoren, in Florida, in Queensland und Seattle,
die Meerestiere orten wollen. Dieses Anwendungsge-
biet liegt der Biologin besonders am Herzen. „Meeres-
schildkröten landen oft versehentlich in den Fischernet-
zen. Dann werden sie in einer Station aufgepäppelt und
ausgesetzt.“ Um zu erfahren, ob sie es wirklich schaffen,
werden sie mit Peilsendern ausgestattet. „Die Sender werden
teilweise mit Epoxidharz auf dem Panzer festgegossen. Das
erhöht den Schwimmwiderstand oder es bleibt Müll hängen.
Es wäre super, eine neue Methode zu haben.“
Nichtinvasive Lösungen brauche es auch für die
Markierung von Walen und Delfinen. Für die
Langzeitmessungen werden ihnen die Tracker
bislang mit einem Pfeil durch die Flosse ge-
schossen. Die Wunde könnte sich entzünden. Die
neue Anwendung erfordert Wissen über Hydro-
dynamik: Der Saugnapf muss auf dem bieg-
samen Gewebe der Meerestiere haften, Clingtechbionics U
die zudem ständig in Bewegung sind. G
Die Einzelfertigungen für die mee- „ gegründet: 20
21
resbiologische Forschung kosten
„ in: St. Augusti
zwischen 200 $ und 500 $ und n bei Bonn
bringen mittlerweile nennens- „ Produkte: bion
ische Saug-
werte Umsätze ein. Das hilft der näpfe für Aquaspor
Gründerin auf der Suche nach Fi- t, Indus-
trie, Haushalt und
nanzierung. Mit 150 000 € Wandel- di e mee-
resbiologische Fo
darlehen der NRW.Bank und mithil- rschung
„ Mitarbeiter: –
fe eines Netzwerks freiberuflicher
Fachkräfte für Materialwissen- „ Umsatz: –
schaften, Konstruktion und Marke-
ting bereitet sie die Serienproduktion
und die Markteinführung ihrer Produkte für
Industrie, Aquasport, Garten und Haushalt vor.
„Bisher läuft es nach Plan“, sagt die Gewinnerin
des NUK-Gründerwettbewerbs 2021. NUK steht für
Neues Unternehmertum Rheinland.
Da sie ein Fan vom organischen Wachstum sei, sollten
die Arbeitsplätze den Aufträgen folgen und nicht umge-
kehrt. Ingenieure und Ingenieurinnen werde Clingtech-
bionics auf jeden Fall brauchen. Im Business Campus
der H-BRS finde sie die richtige Umgebung. Studie-
rende bei Abschlussarbeiten zu betreuen und
dann eventuell zu übernehmen, wäre denk-
bar. Ditsche schwebt ein flexibles Arbeits-
modell vor, bei dem allein das Ergebnis
zählt, nicht so sehr „wann, wo und in wie
viel Stunden man das erreicht“. Schließlich
habe sie als alleinerziehende Wissenschaftle-
rin – dank eines tollen Chefs – selbst auf diese
Weise erfolgreich arbeiten dürfen.

Stabile Erträge: Auch in Seit-
wärtsmärkten wie sie für eine
Zinserhöhungsperiode typisch
sind, lässt sich mit Dividenden-
titeln Rendite machen.
Die richtige
Dividendenstrategie 2022
Geldanlage : Im Frühling schütten Börsengesellschaften einen Großteil ihrer
Gewinne an ihre Eigentümer aus – dieses Jahr so viel wie noch nie.
Von Stefan Terliesner
B
ereits im Februar beginnt
für die gut 12 Mio. Aktio-
näre in Deutschland die
mitunter beste Zeit des
Jahres. Denn auch für das
vergangene Geschäftsjahr 2021
schütten zahlreiche Unternehmen
wieder hohe Dividenden aus. Sie-
mens zum Beispiel hält am 10. Feb-
ruar Hauptversammlung ab. Bereits
einen Tag später dürfte sich der
Geldbeutel der Siemens-Eigentü-
mer füllen. Der Höhepunkt der Di-
videndensaison ist dann im April
und Mai erreicht.
Die Dekabank prognostiziert für
die im Dax und MDax notierten Ge-
sellschaften eine Rekordausschüt-
tung von 55,3 Mrd. €, nach
39,7 Mrd. € im Vorjahr. Der Schät-
zung zufolge werden 66 der insge-
samt 90 Unternehmen ihre Dividen-
de erhöhen. „Die Dax-Unterneh-
men haben 2021 so viel Gewinn er-
wirtschaftet wie nie zuvor“, sagt Joa-
chim Schallmayer, Leiter Kapital-
märkte bei der Dekabank. Und die
Aussichten für anhaltende Unter-
nehmenserfolge seien gut. „Der Di-
videndentrend bleibt bis 2024 in-
takt“, ist Schallmayer überzeugt.
Auch Allianz Global Investors und
Commerzbank betonen jeweils in
einer Studie die Bedeutung von Ge-
winnausschüttungen für Aktionäre.
Laut Commerzbank bieten die Dax-
Unternehmen derzeit im Schnitt ei-
ne erwartete Dividendenrendite
von mehr als 3 %.
Die prognostizierte Rendite für
einzelne Gesellschaften finden Inte-
ressierte zum Beispiel über die In-
ternetseite mydividends.de. BASF
kommt aktuell auf 4,6 %. Je nach
Entwicklung des Aktienkurses sinkt
oder steigt die Rendite. Attraktive
Niveaus finden Anleger allemal.
Von Investments in einzelne Ak-
tien raten Vermögensverwalter al-
lerdings ab. Marian Henn, Partner
bei Allington Investors, führt aus:
„Eine Dividendenstrategie ist weit
mehr, als einfach die Unternehmen
mit der höchsten Dividendenrendi-
te zu erwerben. Um ein Unterneh-
men zu finden, das langfristig stabil
eine attraktive und bestenfalls
wachsende Dividende ausschütten
kann, gehört sehr viel Analysearbeit
dazu. Nur wenige Privatanleger wer-
den die Zeit hierfür aufbringen wol-
len und können.“
Was neben der Dividendenrendite
sonst noch wichtig ist, skizziert
Markus Schultes von Unikat in drei
Worten so: Marktposition, Bilanz-
stärke und Wachstumsaussichten.
Und wörtlich: „Nur wer in bilanziell
hervorragend aufgestellte Unter-
nehmen mit dauerhaften Wettbe-
werbsvorteilen investiert, wird sich
über nachhaltige Dividendenrendi-
ten freuen können.“ Seinen Ausfüh-
rungen zufolge versuchen zahlrei-
che Unternehmen durch die Aus-
schüttung einer hohen Dividende
über ein nicht mehr zukunftsfähiges
Geschäftsmodell hinwegzutäu-
schen. „Wenn ein Unternehmen zur
Dividendenfinanzierung seine eige-
ne Substanz angreift, sollten die
Alarmglocken der Anleger läuten“,
unterstreicht Schultes.
„Wichtig ist, sich die Hintergrün-
de der Dividendenzahlungen genau
anzuschauen“, sagt auch Dyrk Vie-
ten, Sprecher der Geschäftsführung
Vermögenscheck
„ Im Rahmen des VDI nach-
richten Vermögenschecks
stehen Ihnen unabhängige
Vermögensverwalterinnen
und -verwalter für individu-
elle Informationsgespräche
zur Verfügung. Sie geben ko-
ordiniert durch die V-Bank
wertvolle Tipps zu Beteili-
gungen oder Immobilienbe-
sitz. Bis zum 20. 2. ist dieser
Service für Sie kostenlos.
Anmeldung unter:
„ www.vdi-nachrichten.com/ver
moegenscheck
11. Februar 2022 · Nr. 3 FINANZEN 25
Foto: PantherMedia / Andriy Popov
„ PARKETTNOTIZEN
Notenbanken im
Zinsdilemma
Die Engländer haben es getan, die US-Amerika-
ner wollen es, die Europäer zieren sich noch.
Steigende Leitzinsen sind derzeit das beherr-
schende Thema an den Finanzmärkten. Seit der
jüngsten Sitzung hat sich der Zungenschlag der
Europäischen Zentralbank (EZB) geändert. Die
Zeichen stehen auch hier auf höhere Zinsen.
Bis vor Kurzem hatte EZB-Chefin Christine La-
garde noch davon gesprochen, dass sich Zinsen
in beide Richtungen ändern könnten, also weite-
re Zinssenkungen nicht ausgeschlossen seien.
Dieser Passus wurde aus der aktuellen Rede ent-
fernt. Bevor jedoch wirklich etwas geschieht,
wollen die Euro-Währungshüter neue Daten zu
Inflation und Wachstum im März abwarten und
dann nach Aktenlage entscheiden.
Konkret bedeutet dies, dass eine zuvor ausge-
schlossene Zinsanhebung im laufenden Jahr
nicht möglich erscheint. Was dem „normalen“
Publikum als Petitesse erscheinen dürfte, ist aus
Notenbank-Perspektive ein Quantensprung,
wenn auch ein erwartbarer.
von Ficon Vermögensmanagement. Auch die EZB kann sich dem internationalen
Und er ergänzt: „Die Dividenden Konzert nicht entziehen, weil dies zwangsläufig
sollten immer aus dem Cashflow ge- zu Disharmonien führen würde. Schon jetzt steht
zahlt werden.“ Steigende Ausschüt- der Euro tendenziell unter Druck, was wiederum
tungen bei gleichzeitiger Zunahme ddie Inflation befeuert. Da
der Verbindlichkeiten sowie unver- EEnergielieferungen vor-
änderten oder sogar abnehmenden nnehmlich in US-Dollar
Investitionen seien ein striktes Aus- bbezahlt werden, ist ein
schlusskriterium. ffallender Euro ein glatter
Das Abarbeiten einer Reihe weite- NNachteil.
rer qualitativer Kriterien ergebe am
Ende des Tages ein recht robustes W
Worauf müssen sich die
Bild hinsichtlich der Eignung einer Menschen also einstel-
M
Stefan Wolff len? Die Zinsen werden
Aktie für eine langfristig erfolgreiche
arbeitet als nicht ins Kraut schießen,
Dividendenstrategie. Dann könne
Finanzjournalist sondern in homöopathi-
ein Anleger mit seinem Portfolio
u. a. für das ARD- schen Dosen steigen.
„sehr ansprechende Erträge ern-
Börsenstudio. Trotzdem bleibt das nicht
ten“, sagt Vieten.
Der Geldanlageprofi nennt einen
Foto: privat
ohne Folgen, wie die Re-
weiteren Grund für das Hinzuzie- aktionen an der Börse
hen seiner Zunft: „Ein unabhängiger schon jetzt zeigen. Von Wagniskapital abhängige
Vermögensverwalter erhält neben Hightechfirmen verzeichnen massiv sinkende
einem Verwaltungshonorar keine Kurse. Die Aktienmärkte insgesamt leiden darun-
weiteren Vergütungen. Sowohl der ter, dass in (ferner) Zukunft sichere Zinsanlagen
Investor wie auch der Vermögens- zu einer ernsthaften Konkurrenz erwachsen
verwalter profitieren ausschließlich könnten. Kurzum sind die Märkte im Angesicht
von der (positiven) Entwicklung des der Geschehnisse hochgradig nervös.
Portfolios.“ Schultes weist auch auf
die Möglichkeit hin, über den Kauf An billiges Geld hatte man sich schnell und
von Fondsanteilen an regelmäßigen gern gewöhnt. Der Entzug kann heftig werden.
Erträgen teilzuhaben. Das gilt übrigens nicht nur für die Börse. Mit hö-
heren Zinsen soll ja die Inflation im Zaum gehal-
Für Anleger könne zum Beispiel ten werden. Doch natürlich hängt an dieser Maß-
der S&P US Dividend Aristocrats nahme ein Preisschild. Wer Teuerung stoppt,
ETF (WKN: A1JKS0) interessant stoppt auch Wachstum. Höhere Zinsen werden
sein. Der Börsenindexfonds umfas- Investitionen kosten, Kursgewinne und letztend-
se mehr als 100 US-Firmen mit ho- lich auch Arbeitsplätze.
her Dividendenrendite, die gleich- Am Ende des Tages könnte sich aber auch he-
zeitig für mindestens 20 aufeinan- rausstellen, dass die durch die Corona-Pandemie
derfolgende Jahre ihre Ausschüttun- künstlich entfachte Inflation tatsächlich ein
gen steigern oder konstant halten Strohfeuer war. Noch sind die viel zitierten Son-
konnten. Für die Region Asien gebe derfaktoren nicht wieder herausgerechnet, wie in
es ein ähnliches Produkt, den Pan Deutschland die temporäre Mehrwertsteuersen-
Asia Dividend Aristocrats ETF kung oder die CO -Abgabe und weltweit der
2
(A1T8GC). Containermangel und Lieferengpässe.
Ob nun über einen Dividenden-
fonds oder ein individuell gemäß Inzwischen gestatten sich nicht einmal die No-
den Wünschen des Anlegers struk- tenbanken selbst die Geduld, die sie zuvor
turiertes Portfolio, den warmen selbst eingefordert haben, weil eben auch die Be-
Geldregen im Frühjahr sollte man fürchtung Raum greift, die Teuerung könnte
als Renditeoption nicht außer Acht doch deutlich an Breite gewinnen. Die Gefahr
lassen. Wer eine eingehende indivi- dafür ist nicht von der Hand zu weisen. Auf der
duelle Beratung in Anspruch neh- anderen Seite bleiben viele Waren und Güter teu-
men möchte, kann sich noch bis er. Selbst wenn die Inflationsrate niedriger aus-
zum 20. 2. für den Vermögenscheck fallen sollte, heißt das ja nicht, dass die Preise
der VDI nachrichten anmelden. sinken.
26 TECHNIK & KULTUR
„Mit dieser Kraft
lässt sich fast jede
Krise meistern“
Biografie: Der Historiker Gregor Schöllgen über die Familie Schaeffler, ihre
Krisenstrategie und ihr Verhältnis zu Spitzenmanagern und der IG Metall.
Von Peter Steinmüller
VDI nachrichten: Herr Profes-
sor Schöllgen, wie reagierten Sie,
als die Familie Schaeffler anfrag-
te, ob Sie aus Anlass des 75. Fir-
menjubiläums die Familien- und
Unternehmensgeschichte in ei-
nem Buch aufbereiten könnten?
Gregor Schöllgen: Geehrt und
gefordert. Es ist ja nicht selbstver-
ständlich, dass eine Familie und ein
Unternehmen von dieser Statur und
mit dieser bewegten Geschichte ei-
nem unabhängigen Historiker die
Möglichkeit geben, ihr Innenleben
unter die Lupe zu nehmen. Und das
ohne jeden Vorbehalt.
Wie gingen Sie an die Aufgabe he-
ran?
Unverzichtbar war der uneinge-
schränkte Zugang zu den Papieren
der Firma und der Familie. Den sag-
ten mir die Familie Schaeffler und
die Führung ihres Unternehmens
zu. Und daran haben sie sich ohne
Abstriche gehalten. Eine zweite he-
rausragend wichtige Quelle waren
Gespräche vor allem mit ehemali-
gen Mitarbeitern. Dass darunter
auch solche waren, von denen die
Schaefflers sich getrennt hatten,
fand ich respektabel.
Gibt es Sachverhalte, die Sie beim
Verfassen des Buchs überrascht
haben?
Ja, die gibt es. Mir war nicht be-
wusst, mit welchen existenziellen
Herausforderungen es die Familie
und ihr Unternehmen wiederholt
zu tun hatten und wie entschlossen
und konsequent sie damit umge-
gangen sind.
Was waren die Stärken, die Scha-
effler diese Krisen hat bewältigen
lassen?
Es gibt ein Merkmal, das Schaeffler
von den allermeisten Familienun-
ternehmen unterscheidet: In den 75
Jahren seines Bestehens hat das Un-
ternehmen nur vier Gesellschaftern
gehört, dabei immer nur zweien zur
gleichen Zeit. Zu zweit kann man
sich in der Regel schneller und di-
rekter verständigen als in einem
deutlich größeren Kreis. Und dann
konnten sich die Schaefflers von
Anfang an auf ihre hohe Innovati-
onskraft verlassen. Mit dem glei-
chermaßen einfachen wie genialen
Entwurf des käfiggeführten Nadella-
gers hat Georg Schaeffler 1950 ge-
zeigt, wie es gehen kann und gehen
muss. Dabei war er von Hause aus
11. Februar 2022 · Nr. 3
kein gelernter Ingenieur, sondern
Diplomkaufmann. Diese Neugier
hat ihn zeitlebens angetrieben und
seine Leute mitgerissen. Das sorgt
auch in schweren Krisen für Zuver-
sicht.
Ist es nicht ein großes Risiko,
wenn Entscheidungen von einer
ganz kleinen Zahl von Personen
getroffen werden?
Ja, sicher. Deswegen und weil die
beiden keine Techniker waren und
sind, haben Maria-Elisabeth und ihr
Sohn Georg F. W. Schaeffler unmit-
telbar nach dem Tod des Patriar-
chen im Sommer 1996 zwei Gre-
mien installiert, die zu Lebzeiten
Georg Schaefflers so nicht denkbar
waren. Zum einen wurde eine Ge-
schäftsleitung berufen, die diesen
Namen auch verdiente. Zum ande-
ren riefen die beiden Gesellschafter
einen Beirat aus unabhängigen
Fachleuten ins Leben. Das war ein
maßgebliches Gremium. Mit der
Überführung des Unternehmens in
eine GmbH und wenig später in ei-
ne AG wurde der Beirat durch den
Aufsichtsrat abgelöst. Dank dieses
stabilen Rahmens konnte der Gene-
rationenwechsel, denn ein solcher
war der Übergang, bruchlos vollzo-
gen werden. Das gelingt beileibe
nicht immer und nicht allen.
Diese Leitungsstrukturen wurden
aber eingezogen, obgleich das Un-
ternehmen 50 Jahre lang auch oh-
ne sie erfolgreich war.
Schaeffler: Vom Teppichhersteller zum Weltkonzern
„ 1940: Wilhelm Schaeffler
erwirbt eine Teppichfabrik
im oberschlesischen Kat-
scher. Der jüngere Bruder
Georg Schaeffler wird
ebenfalls Gesellschafter.
„ Während des Zweiten Welt-
kriegs beginnt das Unter-
nehmen der Brüder mit der
Fertigung von Nadellagern
für die Rüstungsindustrie.
„ Nadellager weisen wegen
der verwendeten Zylinder-
rollen im Vergleich zu an-
deren Wälzlagern eine
niedrigere Bauform auf.
„ Am 30. 11. 1946 gründen
die Schaeffler-Brüder mit
Das ist richtig. Allerdings war auch
Georg Schaeffler kein Alleinunter-
halter. Zum einen hatte er bis zu
dessen Tod 1981 den älteren Bruder
Wilhelm an seiner Seite. Der war
studierter Betriebswirt, hatte in den
30er-Jahren das Handwerk bei der
Dresdner Bank gelernt und küm-
merte sich jetzt um die Finanzen.
Vor allem aber hatte Georg Schaeff-
ler einen Kreis fähiger und hoch
motivierter Ingenieure um sich ge-
schart. Das waren Leute, die er ach-
tete und von denen er sich gegebe-
nenfalls auch korrigieren ließ.
Tief verschachtelte Unterneh-
mensstrukturen waren über Jahr-
zehnte typisch für Schaeffler. Wie
konnten da die oft beschworenen Lineartechnik und die Motorenele-
kurzen Entscheidungswege funk- mente, mit der Gründung von LuK
tionieren? im Jahr 1965 Kupplungssysteme
Weil die Größe des Unternehmens und anderes mehr.
und seine innere Struktur nichts an
den Eigentumsverhältnissen und – Krisenerprobte Improvisation war
was sehr wichtig ist – an dem unhin- laut Georg Schaeffler die Stärke
terfragten Vertrauen der beiden seines Unternehmens. Aber ist ein
Brüder änderte. Im Übrigen ist diese Konzern mit den Strukturen des
Verschachtelung nicht nur bei den Mittelständlers im Nachteil?
Schaefflers zu beobachten, im Ge- Ein Familienunternehmen wie das
genteil. Sie war eine fast zwangsläu- der Schaefflers entsteht typischer-
fige Begleiterscheinung der unge- weise, indem ein Einzelner eine zün-
heuren Dynamik, mit der neuge- dende Idee hat, die sich umsetzen
gründete Unternehmen wie dieses und kapitalisieren lässt, dann die
infolge des Wirtschaftswunder- richtigen Leute findet – oder auch
booms wuchsen. Entscheidend war, anzieht – und mit diesen durchstar-
dass sich die Schaefflers auch in der tet. Mit dieser Kraft, einer Mischung
Boomzeit auf ihre Kernkompeten- aus Kompetenz, Loyalität und Zuver-
zen konzentriert haben. Das waren sicht, lässt sich fast jede Krise meis-
allen voran die Wälzlager, dann die tern. Die Frage ist, ob sich diese in-
novative Kraft bewahren und trans-
formieren lässt, wenn das Unterneh-
men und die Belegschaft so rasant
wachsen wie die heutige Schaeffler
Gruppe in den vergangenen 25 Jah-
kurz vor Kriegsende verla- „ 2001 steigt Schaeffler mit der ren. Es sieht ganz danach aus.
gerten Maschinen ihr bis Übernahme von FAG Kugel-
heute bestehendes Unter- fischer in Schweinfurt zum Seit 1996 wird das Unternehmen
nehmen mit Sitz in Her- weltweit zweitgrößten Wälz- nicht mehr direkt von der Familie
zogenaurach. lagerhersteller auf. geführt. Trafen die Schaefflers bei
der Auswahl ihrer Spitzenmana-
„ 1950 meldet Georg „ 2009 stürzt die Übernahme ger die richtigen Entscheidungen?
Schaeffler das käfigge- der Continental AG während Genau genommen waren bezie-
führte Nadellager zum Pa- der weltweiten Finanzkrise hungsweise sind es zwei. Der erste,
tent an. Es minimiert den Schaeffler in eine existenziel- den Maria-Elisabeth Schaeffler 1998
Verschleiß und ist unter le Krise. holte, war Jürgen M. Geißinger, ein
dem Markennamen INA „ 2015 geht Schaeffler an die erfahrener, profilierter, ehrgeiziger
entscheidend für den ra- Börse. Ingenieur, dem das Unternehmen
santen Aufstieg des Un- viel verdankt. Er war der Mann, der
ternehmens. „ 2020 erwirtschafteten 83 300 den Konzern nach der langen Zeit
Mitarbeitende einen Umsatz des Patriarchats so aufstellte, dass
„ 1965 gründen die Brüder von 12,6 Mrd. €.
sich Schaeffler innerhalb eines Jahr-
den Automobilzulieferer
zehnts die Übernahme der zweiten
LuK in Bühl, seit 1999 ge- „ Auf www.schaeffler.com (Konzern ->
Geschichte) findet sich eine ausführ- Hälfte von LuK, die komplette Über-
hört das Unternehmen
liche Firmengeschichte. nahme der FAG und den Einstieg
komplett zu Schaeffler.
bei Conti zutrauen konnte. Richtig
ist allerdings auch, dass er die Bo-

denhaftung verlor und das Vertrau-
en der Schaefflers verspielte. Das er-
warb sich Klaus Rosenfeld, ein pro-
filierter Banker, der im Frühjahr
2009, also während der schweren
Krise um Conti, von den Schaefflers
als Finanzvorstand geholt wurde
und nun seinerseits das Unterneh-
men finanziell zukunftsfähig auf-
stellte. Anfang Oktober 2013 trenn-
ten sich die Schaefflers von Geißin-
ger, Rosenfeld übernahm zunächst
interimistisch, Anfang Juli 2014
endgültig den Vorstandsvorsitz und
führte das Unternehmen im Herbst
2015 an die Börse.
Die Krise bei der Übernahme von
Continental konnte Schaeffler er-
staunlich schnell meistern. Wa-
rum gelang das so gut?
Dass die Schaefflers es schafften, lag
an ihrem Stehvermögen, an der soli-
Technikgeschichtliche Tagung auf Herbst verschoben
Wissenschaft Die ursprünglich
für Anfang März geplante Technikge-
schichtliche Tagung des Interdiszip-
linären Gremiums Technikgeschich-
te des VDI wird aufgrund der aktuel-
len Pandemielage verschoben. Heike
Weber, Professorin für Technikge-
schichte an der TU Berlin und Vorsit-
zende des Gremiums, erläutert die
Beweggründe: „Unser Tagungsmotto
‚Reparieren, Improvisieren, Re-Ar-
rangieren‘ steht für den Gedanken,
dass Technik immer im Fluss ist und
sie funktionsfähig zu halten, immer
auch bedeutet, sie an veränderte
Aufgaben oder auch neue gesell-
schaftliche Rahmenbedingungen
anzupassen. In diesem Sinne haben
11. Februar 2022 · Nr. 3
den operativen und technischen
Substanz ihres Unternehmens, an
einem kleinen Kreis erfahrener und
loyaler Berater, auf die sie sich ver-
lassen konnten, und nicht zuletzt an
der Solidarität der Belegschaft. Die
spontane Solidaritätsbekundung,
zu der sich Mitte Februar 2009 8000
Mitarbeiter in Herzogenaurach zu-
sammenfanden, war ein authenti-
scher Ausdruck der Verbundenheit.
Und dann waren da noch die IG Me-
tall und ihr Vorsitzender Berthold
Huber. Deren besonnene und kon-
struktive Kooperation war für das
Meistern dieser schweren Krise mit-
entscheidend. Für die IG Metall wie-
derum bedeutete die Ende Februar
2009 unterzeichnete „Zukunftsver-
einbarung“ der Einstieg in die Mit-
bestimmung, von der man bis dahin
bei Schaeffler nichts wissen wollte.
Wie kam es zu dieser engen Ab-
stimmung der Schaeffler-Familie
mit der IG Metall?
Das Verhältnis der Schaefflers zu
den Gewerkschaften und insbeson-
dere zum Betriebsrat war aufs Gan-
ze gesehen unbelastet. Georg Scha-
effler stand im Gespräch mit dem
Betriebsrat und besuchte selbstver-
ständlich die Betriebsversammlun-
gen. Bezeichnenderweise gab es,
von einem „Warnstreik“ in der Früh-
phase abgesehen, bis 1992 keinen
Streik. Das ist in dieser Branche eher
die Ausnahme. Und auch diese Aus-
Beim Börsengang einandersetzung wurde nach einem
von Schaeffler am Gespräch zwischen Georg Schaeff-
9. Oktober 2015 grü- ler („Jungs, was ist denn los?“) und
ßen vom Frankfurter dem Konzernbetriebsrat beigelegt.
Parkett: Gesellschafte- Daran knüpften Maria-Elisabeth
rin Maria-Elisabeth und Georg F. W. Schaeffler an, als sie
Schaeffler-Thumann im Mai 1997 nach sieben Verhand-
mit (v. l.) ihrem Sohn, lungsrunden mit dem Betriebsrat
dem Aufsichtsratsvor- und der Gewerkschaft ein Bündnis
sitzenden Georg F. W. für Arbeit schlossen.
Schaeffler, ihrem Ehe-
mann Jürgen R. Thu- Was waren dessen Eckpunkte?
mann und Klaus Rosen- Für Gesellschafter und Geschäfts-
feld, Vorstandsvorsit- führung ging es um eine Flexibilisie-
zender der Schaeffler rung der Arbeitszeiten auf Basis der
AG. Foto: Schaeffler 35-Stunden-Woche, insbesondere
um die Etablierung des Samstags als
Regelarbeitszeit ohne Lohnzu-
schlag. Im Gegenzug sagten sie bis
zur Jahrtausendwende eine Arbeits-
platzgarantie und die Schaffung von
zusätzlich 600 Arbeitsplätzen in
Herzogenaurach zu. Daran haben
sie sich ebenso gehalten wie an die
Zusagen, die sie nach der Übernah-
wir als Organisatoren der Tagung
entschieden, den Termin der Jahres-
tagung pandemiebedingt zu ver-
schieben.“ Neuer Termin ist der 15.
und 16. September 2022. Die Teil-
nahme ist sowohl im Deutschen
Technikmuseum Berlin als auch on-
line in der Videokonferenz möglich.
Die erste der vier Sessions be-
schäftigt sich mit dem „Improvisie-
ren und Re-Arrangieren“. Der Ge-
genstand des Vortrags „Nieten,
Schwitzen, Schweißen – Aus dem
langen Leben des Dampfschiffs Kurt-
Heinz“ kann am Tagungsort besich-
tigt werden, denn der Schlepper ist Mit dem ÖPNV in Lissabon und damit mit den berühmten gel-
als begehbares Exponat im Deut- ben Straßenbahnen beschäftigt sich einer der Vorträge der Tech-
schen Technikmuseum ausgestellt. nikgeschichtlichen Tagung. Foto: gemeinfrei
TECHNIK & KULTUR
Foto: Gudrun Senger
Gregor Schöllgen
„ lehrte von 1985 bis 2017
Neuere und Neueste Ge-
schichte an der Universität
Erlangen und in der Atta-
chéausbildung des Auswär-
tigen Amtes.
„ war Mitherausgeber der Ak-
ten des Auswärtigen Amtes
und des Willy-Brandt-Nach-
lasses.
„ verfasste Biografien von Wil-
ly Brandt und Gerhard
Schröder sowie zu den Un-
ternehmerfamilien Diehl,
Brose, Schoeller und Schi-
ckedanz.
„ Sein aktuelles Buch
„Schaeffler. Biographie einer
Familie und ihres Unterneh-
mens“ ist im Dezember 2021
bei DVA erschienen.
me der FAG im Herbst 2001 dem
dortigen Betriebsrat und der Ge-
werkschaft gaben. So gesehen war
das Verhältnis der Schaefflers zur IG
Metall 2009 ziemlich belastbar.
Widersprach das insgesamt gute
Verhältnis schon der Brüder Scha-
effler zur IG Metall nicht ihrem po-
litischen Selbstverständnis?
Für Wilhelm und Georg Schaeffler
war das kein Widerspruch. Dass sie
der CSU nahestanden, war bekannt,
wenn sie auch politisch weder dort
noch sonst irgendwo in Erscheinung
getreten sind. Dass der Einzug Willy
Brandts ins Kanzleramt für die Brü-
der Schaeffler dem Weltuntergang
ziemlich nahe kam, war kein Ge-
heimnis. Aber damit waren sie in Un-
ternehmerkreisen nun wahrlich kei-
ne Ausnahme. Ihrem Verhältnis zur
IG Metall tat das keinen Abbruch.
Aber wie passt die Berufung Wolf-
gang Falcks zum Personalchef in
27
dieses Bild, eines Mannes mit
rechtsradikalem Profil?
Bis sich die Partei 1952 auflöste und
damit einem Verbot durch das Bun-
desverfassungsgericht zuvorkam, war
Wolfgang Falck Mitglied der Sozialis-
tischen Reichspartei (SRP), einer Par-
tei mit deutschnationaler, krypton-
ationalsozialistischer Ideologie. Falck
saß für die SRP auch im niedersächsi-
schen Landtag, wo die Partei immer-
hin 16 Abgeordnete stellte. Die Scha-
efflers holten Falck 1955, weil sie ihm
das Personalmanagement zutrauten.
Tatsächlich wurde er ein sehr erfolg-
reicher und respektierter Personaler.
In Bayern angekommen, engagierte
sich Falck in der CSU und machte ge-
gen die SPD mobil. Den Schaefflers
war das recht, solange er nicht weiter
ging. Und das tat er nicht. Das erklärt
auch, warum es bis zu Falcks Eintritt
in den Ruhestand 1990 keine nen-
nenswerten Differenzen mit dem Be-
triebsrat oder der IG Metall gegeben
hat.
Bei Forschungsprojekten benennt
der Abschlussbericht üblicherwei-
se den weiteren Forschungsbe-
darf. Wo sehen Sie diesen beim
Thema „Schaeffler“?
Was die Geschichte der Familie und
ihres Unternehmens angeht, so
darf sie mit meinem Buch auch
deswegen als erschöpfend er-
forscht gelten, weil ich uneinge-
schränkten Zugang zu sämtlichen
Papieren hatte. Offen ist die Frage
nach der Zukunft: Ist die Schaeffler
Gruppe so aufgestellt, dass sie der
Pionier bleiben wird, der sie nach
eigenem Verständnis immer gewe-
sen ist? Vieles spricht dafür. Aber
die Antwort auf diese Frage gibt
nicht der Historiker.
Maria-Elisabeth Schaeffler hat die
Verantwortung weitgehend an Ih-
ren Sohn abgegeben. Georg F. W.
Schaeffler geht auf die 60 zu, er
ist der einzige Vertreter der Fami-
lie in seiner Generation. Wie kön-
nen die Identität und Zukunft des
Unternehmens gesichert werden?
Indem die Entscheidungen recht-
zeitig und weitsichtig getroffen und
nicht ohne Not vorzeitig kommuni-
ziert werden. So wie das Unterneh-
men heute auf der Gesellschafter-
wie auf der operativen Ebene aufge-
stellt ist und geführt wird, besteht
dazu keine Veranlassung.
In der zweiten Session „Konjunk-
turen des Reparierens im 20. Jahr-
hundert“ wird unter anderem das
„Luxemburger Schuhmacherhand-
werk im Wandel der Zeit“ behandelt.
Session Nummer drei untersucht das
Reparieren von Infrastrukturen. Da-
zu zählt das „Personennahverkehrs-
system in Lissabon in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Die
vierte Session widmet sich dem Nut-
zen und Umnutzen technischen Kul-
turerbes. Als eines der Beispiele
dient der Umgang mit historischen
Grubenfahrzeugen. pst
„ www.vdi.de/netzwerke-aktivitaeten/
technikgeschichte
28 KARRIERE & MANAGEMENT
„ KOMMENTAR
Selbstdeprimiert
Nach dem Referendariat heuerte Thomas
bei einem namhaften Rechtsanwaltsbüro
an. Die Arbeit kostete viel Kraft, Nerven
und Zeit. Zeit, die er gerne auch in Familie,
Freunde und eine Bürgerinitiative inves-
tiert hätte. Also reduzierte er seinen Karrie-
re- und Gehaltsanspruch und wechselte
auf eine Stelle bei der Stadt, wo alles weni-
ger getrieben ablaufe, sagt er. Thomas hat
sich von äußeren Erwartungen befreit und
s auf seine eigene
sich
A selbstoptimiert.
Art
Damit entspricht er
n
nicht dem Idealtypus
d ständig im Auf-
des
s
stieg Begriffenen, der
e
eine bessere Version
s
seiner selbst werden
Wolfgang Schmitz,
Redakteur: Thomas will, der sich müht, sei-
ist kein Ideal, aber ne Individualität in ei-
glücklich. ne Schablone zu pres-
Foto: VDIn/Zillmann
sen. Thomas begnügt
sich mit sich selbst.
Solange dir alle Welt zujubelt und du den
Vorstellungen entsprichst, ist alles im Lot.
Aber wehe, du fällst. Wie jüngst Max Eberl
von Borussia Mönchengladbach. Nach 23
Jahren Vereinsarbeit verkündete der Sport-
direktor unter Tränen seinen Rücktritt.
Lange galt er als der optimale Manager.
Jetzt sei er völlig fertig. Erst im Scheitern
erkennt Eberl, was sich um ihn herum tut,
wie unerträglich der Druck ist. „Ich bin ein
ganz gutes Beispiel dafür, was auf der Welt
gerade passiert“, sagte der 48-Jährige.
Wer Tag für Tag an sich herumfrickelt,
um das „Beste“ aus sich herauszuholen, im
Büro Überstunde auf Überstunde sam-
melt, um anschließend seine Muskeln im
Fitnessstudio zu definieren, verliert den
Kontakt zur Gemeinschaft, ist Anja Röcke,
Soziologin und Buchautorin („Soziologie
der Selbstoptimierung“, Suhrkamp), über-
zeugt. Selbstoptimierung sei Ausdruck ei-
ner stark individualisierten Gesellschaft.
Der Mensch begreife sich als eigenständi-
ges Unternehmen und arbeite ohne Unter-
lass an seiner „Performance“. Der kapita-
listische Wachstumszwang projiziere sich
auf das Individuum.
Um Missverständnisse auszuschließen:
Sich zu entwickeln und Karriere zu ma-
chen, dient Person und Gesellschaft. Der
Versuch der Optimierung aber muss schei-
tern, weil die Messlatte immer höher gelegt
wird und das Optimum immer eine Fata
Morgana bleibt. Juli Zeh beschreibt das in
ihrem Roman „Unter Menschen“ als einen
„Wettlauf von Konformisten, die sich als
etwas Besonderes inszenieren“.
An diesem Lauf nimmt Thomas nicht
teil. Er hat womöglich nicht alles, aber vie-
les richtig gemacht. Das reicht ihm.
„ wschmitz@vdi-nachrichten.com
11. Februar 2022 · Nr. 3
Völlig
vermessen
Lifestyle: Wer auf der Höhe sein will, sollte sich
optimieren – so das Credo von Fitnessfachleuten und
Karrierecoaches. Selbstoptimierung ist
ein Trend, der immer mehr Kritik provoziert.
Von Sebastian Wolking
Z
um Frühstück mischt sich
Florian Schumacher et-
was Kakaobutter und
MCT-Öl in den Kaffee, um
energisch in den Tag zu
starten. Seine Smartwatch am
Handgelenk zählt fortan Kalorien-
verbrauch, Schritte und die Minu-
ten, die er stehend verbringt. Da-
mit das nicht so viele sind, treibt er
mindestens fünfmal die Woche
Sport; er joggt, fährt Rennrad und
stemmt Hanteln.
Natürlich hat sein Rennrad Sen-
soren, die Tempo und Wattzahl für
ihn festhalten. Beim Joggen bindet
er sich für die Herzfrequenzmes-
sung einen EKG-Brustgurt um. Re-
gelmäßig stellt sich Schumacher
auf seine Wi-Fi-Waage, um die
exakte Bioimpedanz seines Körpers
zu messen; schließlich will er wis-
sen, ob und wie sich die Anteile von
Zellmasse, Wasser und Fett verän-
dern.
In seiner Münchener Wohnung
hat Schumacher jedes Zimmer mit
einem Luftqualitätssensor ausge-
stattet. Wird der CO2-Grenzwert von
1000 ppm (parts per million – Volu-
menteile pro Million Volumenteile)
überschritten, kommt eine Benach-
richtigung aufs Handy. Im Schlaf
trägt er am Finger einen intelligen-
ten Ring eines finnischen E-Health-
Unternehmens. Der verschafft ihm
Überblick über seine Herzratenva-
riabilität. „Momentan sehe ich mich
nach Nahrungsergänzungsmitteln
um, die mein Durchschlafen ver-
bessern können“, sagt Schumacher.
90 % bis 95 % seiner Mahlzeiten
kocht er selbst, möglichst frisch,
möglichst vegan. Dass er Vorsorge-
untersuchungen wahrnimmt, ver-
steht sich von selbst. „Ich habe ver-
schiedene Ärzte ausprobiert“, sagt
Schumacher. „Ich sehe sie als Part-
ner. Manchmal bringe ich Messwer-
te mit, um sie gemeinsam zu be-
sprechen.“
Für den Diplom-Ingenieur ist
Selbstoptimierung Alltag. 2012
gründete er „Quantified Self Germa-
ny“, eine Gemeinschaft von digita-
len Selbstvermessern. Seitdem ver-
dient er sein Geld durch Reden und
Beratung, auch Bücher zum Thema
hat er geschrieben. Schumacher will
gesund und erfolgreich sein, gut
aussehen und alles im Griff haben –
er will sein Leben optimieren. Von
vielen seiner Gleichaltrigen unter-
scheidet er sich damit kein Stück.
„Auffallend ist, dass insbesondere
in den letzten drei Jahrzehnten das
Narrativ von Selbstoptimierung zu-
nehmend ans Paradigma der Tech-
nik gebunden ist“, sagt Medienwis-
senschaftler Daniel Rurländer von
der Universität Passau, der sich in-
tensiv mit dem Thema auseinander-
gesetzt hat. Speziell die Fotoplatt-
form Instagram hat sich zum Tum-
melplatz für Perfektionisten entwi-
ckelt. Influencer stellen ihren
Traumbody oder finanziellen Erfolg
zur Schau. Längst deuten Studien
auf die schädlichen Auswirkungen
der Narzisstenparade hin, insbe-
sondere für junge Menschen. „Ne-
gativbeispiele zeigen, dass die in der
modernen Leistungsgesellschaft ge-
führte Selbstoptimierung in Perver-
sion münden kann: Man muss
krankhaft schlank und reicher als
reich sein sowie an beiden Seiten
der Lebenskerze brennen“, so Rur-
länder.
Aber auch Businessnetzwerke wie
Linkedin oder Xing verleiten zur gehende Superheld muss in einer
Optimierung; durch neue Zertifika- Transitionsphase nicht nur lernen,
te oder Referenzen lässt sich die seine übermenschlichen körperli-
Wirkung des Lebenslaufs immer chen Kräfte zu beherrschen, son-
weiter verstärken. Selbst Filme lie- dern auch die ‚richtige‘ moralische
Haltung entwickeln“, erklärt Rur-
länder. Selbstoptimierung gelte
heute als „wünschenswert und
wahnhaft“ zugleich.
Denn parallel dazu hat sich in den
vergangenen Jahren eine lautstar-
ke Gegenbewegung herausgebil-
det. Einer ihrer populärsten Vertre-
ter ist Svend Brinkmann, Psycholo-
gieprofessor an der Uni Aalborg.
„Ich bin kein Man müsse anerkennen, findet der
Kontrollfreak. Ich Däne, dass es Grenzen gibt, über die
hinaus sich ein Mensch nicht wei-
suche eine Balance. terentwickeln und verbessern kön-
ne, so sehr er sich auch anstrengen
Das Tracken mag.
Sein Buch mit dem reißerischen
hilft mir, einen Titel „Pfeif drauf!: – Schluss mit dem
gesunden Kurs Selbstoptimierungswahn“ landete
in Dänemark auf Platz eins der Best-
zu bewahren.“ sellerliste. Mehr Romane lesen, we-
niger Selbsthilfebücher, lautet ein
Florian Schumacher,
Ratschlag von Brinkmann. Dabei
Gründer von „Quantified
handelt es sich bei seinem eigenen
Self Germany“
Foto: Emanuel Klempa
Werk – spitzfindig formuliert – um
ein Selbsthilfebuch, das vor Selbst-
hilfebüchern schützen soll.
In jüngster Vergangenheit er-
gen voll im Trend. Medienwissen- schienen Ratgeber wie „Ich bin da
schaftler Rurländer hat das gemein- mal raus – Ideen gegen den Opti-
sam mit seinen Studierenden am mierungswahn“. Die beiden Auto-
Phänomen der Superhelden-Block- rinnen haben es laut Inhaltsbe-
buster, die in den letzten Jahren zu schreibung satt, „beständig an uns
einem dominierenden Genre ge- arbeiten müssen, um gesünder, fit-
worden sind, untersucht. „Der an- ter, produktiver, optimistischer zu

werden“. Sogar IHK-Seminare wer-
ben heute mit Slogans wie „Perfekti-
on oder Gelassenheit? – Selbstopti-
mierung ohne Stress“ um zahlende
Teilnehmer und Teilnehmerinnen.
Die Kritik am Selbstoptimierungs-
trend ist politisch höchst korrekt –
und zu einem eigenen Geschäfts-
modell geworden. In weiten Teilen
der Gesellschaft ist Selbstoptimie-
rung zu einem schicken Schimpf-
wort mutiert. Gerne wird es auch in
einem Atemzug mit dem Bähbegriff
Neoliberalismus gebraucht, um ihm
die letzte Legitimität zu nehmen.
„In den letzten Jahren kam es zu ei-
nem signifikanten Paradigmen-
wechsel“, bestätigt Medienwissen-
schaftler Rurländer. Was früher po-
sitiv aufgeladen war, werde heute
als pathologisch wahrgenommen.
Doch ist dieses Extrem möglicher-
weise genauso ungesund wie das an-
dere. „Die Sehnsucht nach einem op-
timierten Selbst scheint etwas sehr
Menschliches zu sein“, meint Rur-
länder. Schon im Jugendalter sei das
feststellbar. So könne „der Kauf von
Anti-Pickel-Gesichtswasser als ein
Zeichen des Kampfes um Makello-
sigkeit gedeutet werden“.
Die Soziologin Farina Wagner vom
Deutschen Institut für Erwachse-
nenbildung in Bonn beklagte jüngst
in einem Beitrag für den Hessischen
Volkshochschulverband, dass
Selbstoptimierung in der Erwachse-
nenbildung fast ausschließlich ne-
gativ konnotiert sei. So erscheine
die – durchaus berechtigte – Kritik
11. Februar 2022 · Nr. 3 KARRIERE & MANAGEMENT
Die Gestaltung einer
universellen Ethik
Forschung: Ein globales Netzwerk soll
interdisziplinär und interkulturell Antworten auf
ethisch-technische Fragen zu finden.
Von Wolfgang Schmitz
M
alavika Jayaram, Execu-
tive Director des Digital
Asia Hub, beschreibt das
Vorhaben sehr anschau-
lich: „Wir wollen eine Ethik für die
ganze Welt. Das ist wie eine Reise.“
Es solle keine „monolithische Ethik“
sein, sondern eine bewegliche, die
auf ihrer Reise permanent neue Er-
fahrungen aufsaugt. Die grundle-
gende wie weltumspannende Frage:
Wie kann Ethik in die Gestaltung
von Algorithmen integriert werden?
Der Thinktank Digital Asia Hub ist
einer der Partner des interdiszipli-
när und interkulturell aufgestellten
Forschungsprojekts „Ethik der Digi-
talisierung – von Prinzipien zu Prak-
tiken“, das Erkenntnisse und Per-
spektiven vor wenigen Tagen dem
Bundespräsidenten vortrug. Frank-
Walter Steinmeier ist Schirmherr
der Initiative.
Der Tracker zeigt an: „Da ist Luft Die Ethikreise hat erst begonnen.
nach oben. Du hast noch nicht das Sie startete jeweils in den 51 Län-
Optimale aus dir herausgeholt.“ dern, die an dem Projekt beteiligt
sind und an dem sowohl Wissen-
schaftler als auch Studierende aus
vielen verschiedenen Fachberei-
Foto: PantherMedia.net / bruesw
chen beteiligt sind. „Insbesondere
der globale Süden war bislang stark
am Begriff schon „fast als selbstver- vertreten, was sehr bereichernd
ständlich und gerät damit in den war“, zieht Wolfgang Schulz, For-
Sog der Normalisierung“. Es sei an schungsdirektor des Alexander von
der Zeit, „das Denken des Problems Humboldt Instituts für Internet und
wieder zu öffnen“. Immerhin könne Gesellschaft, Zwischenbilanz.
Selbstoptimierung auch bedeuten, Sozialwissenschaftler kooperie-
sich aus einer selbst verschuldeten ren mit Informatikern, Psychologen
beruflichen Situation befreien oder mit Stadtplanern. „Dabei werden
sich lebenslang weiterbilden und wissenschaftliche Silos aufgebro-
lernen zu wollen. Dahinter steckt chen“, sagt Schulz. Letztlich geht es
das Motiv des sozialen Aufstiegs darum, abstrakte Konzepte auf reale
durch Bildung. „Was wir brauchen, Gegebenheiten anzusetzen. Ein Vor-
ist ein differenziertes Verständnis haben, das aufgrund seiner Kom-
von Selbstoptimierung“, sagt Daniel plexität an den Turmbau zu Babel
Rurländer. denken lasse, meint Carla Hustedt
von der Stiftung Mercator, die das
Auch Florian Schumacher befrie- Projekt fördert. „Das sind zwar enor-
digt keineswegs nur sein Ego. Er me Anstrengungen – aber mit loh-
investiert viel Energie in die Selbst- nenswerten Erfahrungen.“
verbesserung, benötigt altherge- In den Einzelprojekten, deren Er-
brachte Tugenden wie Fleiß, Diszip- kenntnisse ausgetauscht und abge-
lin oder Durchhaltevermögen. Und glichen werden, geht es etwa um
Neugier, die sei entscheidend. „Man
wird mehr und mehr zum Exper-
ten“, sagt er. „Es erfordert die Bereit-
schaft, sich mit einem Thema ausei- „ FERNSTUDIUM
nanderzusetzen. Darauf muss man
Lust haben.“
Sich selbst sieht der Self-Tra-
cking-Guru als eine ganz normale
Person, nicht als einen Besessenen.
„Ich bin kein Kontrollfreak. Ich su-
che eine Balance. Das Tracken hilft
mir, einen gesunden Kurs zu be-
wahren. 80 % Kontrolle und 20 %
laufen lassen“, betont Schumacher.
„Es gibt auch mal einen Sonntag, wo
ich faul daheim auf dem Sofa he-
rumlümmele.“ Manchmal gönnt er
sich sogar eine Pizza und ein gutes
Glas Wein.
29
Bildung und wie die Ungleichhei-
ten, die durch die Digitalisierung
forciert werden, begrenzt und redu-
ziert werden können, wie junge
Menschen lernen, mit der Digitali-
sierung umzugehen. Oder um Bal-
lungsräume, in denen für alle und
nicht für wenige geplant wird. „Es
geht auch um das Überleben der
Städte angesichts des Klimawan-
dels“, so Malavika Jayaram. Und es
dreht sich um Fragen wie: Wer hat
die Handlungsvollmacht? Wer soll
die Zukunft der Städte bestimmen?
Wer bleibt außen vor? Wie werden
automatisierte Entscheidungen
transparent gestaltet? Wie werden
die Daten gesichert? Zentrales An-
liegen aller Einzelprojekte ist es, den
Menschen im Auge zu behalten.
Denn durch den digitalen Wandel,
so Hustedt, bestünde die Gefahr,
dass Machtverhältnisse unsichtbar
verschoben würden.
Eine Problematik sei, so der Wis-
senschaftler Wolfgang Schulz, dass
die Ethik der Technik immer nur fol-
gen könne. „Wir müssen Dinge mit-
gestalten, die wir noch nicht voll-
ends verstehen.“ Eine andere Pro-
blematik bei der Gestaltung einer
universellen Ethik sei, so Malavika
Jayaram, dass die Gesetze in den
einzelnen Ländern genauso ver-
schieden seien wie kulturelle Werte.
Zudem sei das Vertrauen in Technik
in den Ländern gering, in denen
auch das Vertrauen in die Politik
schwach ausgeprägt sei.
Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier fordert, das Projekt
weiterzuführen. „Die Ethik der Digi-
talisierung liegt nicht auf der Stra-
ße“, sie müsse aktiv gefördert wer-
den. Wer denke, nur Deutschland
und Europa beschäftigten sich mit
Ethik, während man sich anderswo
ausschließlich auf „stürmische
technische Entwicklungen“ kon-
zentriere, täusche sich. Auch das Si-
licon Valley führe ethische Diskus-
sionen. Wenn das an anderen Orten
der Welt weniger der Fall sei, enthe-
be das kein Land von der Verpflich-
tung zur Debatte.
30 KARRIERE & MANAGEMENT
„ FÜHREN UND VERÄNDERN
Mehr Lust als
Frust im Projekt
Die Leitung von Projekten ist eine Kunst für sich.
Während sich die einen nach projekthaftem Ar-
beiten sehnen, die einhergehende Belastung lo-
cker wegstecken und sich ständig neu motivie-
ren, haben andere Mühe, Rückschläge zu verar-
beiten und mit Frust klarzukommen. Was der ei-
nen lockende Herausforderung ist, ist des ande-
ren Waterloo.
Genau deshalb braucht es gute Strategien, um
in Projekten mehr Lust als Frust zu kultivieren.
Wie in der gesamten Führungsarbeit hilft eine
gute Resilienz, wenn Dinge komplex und un-
übersichtlich sind. Diese seelische Widerstands-
kraft richtet uns auf, wenn Dinge schiefgehen,
und sie erlaubt es, mit Krisen, Enttäuschungen,
Rückschlägen und Konflikten gut umzugehen.
Tatsächlich gibt es in
Projekten einige
Brandbeschleuniger,
die den Verschleiß der
Beteiligten begünsti-
gen:
– Heute hü, morgen
hott: ständig wechseln-
de Anforderungen
– Alltag versus Projekt- Ulrike Felger ist
arbeit: mangelndes Coach, Moderatorin
Gleichgewicht zwi- und Expertin für
schen Linie und Projekt Kommunikation und
– Zu viel auf dem Tab- Changeprozesse.
lett: fehlende Priorisie- Foto: privat
rung bei Projekten und
Themen
– Der Schatten des Budgets: ständiger Zeit- und
Kostendruck
Ihre Balance können Projektverantwortliche
durch innere Haltung ein gutes Stück steuern:
Bemühen wir uns, das Gute im Schlechten zu se-
hen und nehmen wir an, was nicht zu ändern ist?
Einfluss nimmt auch der eigene Anspruch: Über-
mäßige Kontrolle nimmt Mitarbeitenden die Luft
zum Atmen – und bürdet dem Chef oder der
Chefin eine enorme Verantwortung auf.
Grundsätzlich empfiehlt sich ein durchdachtes
Erwartungsmanagement. Alle Beteiligten müs-
sen klare Vorstellungen haben, was möglich ist
und was nicht. Meetings und Meilensteingesprä-
che bieten immer wieder Anknüpfungspunkte,
um hier konstruktiv ins Gespräch zu gehen.
Natürlich gibt es einen Knigge für gutes Pro-
jektmanagement:
– Klar definierte Arbeitslast: Arbeitsaufwand und
Workload für Mitarbeitende und Projektleitung
müssen klar umrissenen werden. Verwaschene
Konturen strapazieren die Arbeitsmoral.
– Rückendeckung aus dem Management: Unter-
stützung aus der Firmenspitze und ein guter Aus-
tausch sollten selbstverständlich sein.
– Gutes Wissensmanagement: Projekte leben da-
von, dass Informationen geteilt werden.
– Saubere Entscheidungsfindung: Wenn der Pro-
jektfahrplan justiert wird, muss klar sein, wer an
welcher Stelle für was verantwortlich zeichnet.
– Projekte sind Teamsport: Konkurrenzdenken
und Eifersüchteleien strapazieren die Stimmung
und gefährden den Projekterfolg. Hier ist Projekt-
management als Führungsaufgabe gefragt.
– Intelligente Fehlerkultur: Lernen aus Fehlern
und Lessons Learned helfen, Vorhaben künftig
noch besser auf Spur zu bringen und zu halten.
Übrigens: Projektfrust resultiert oft genug aus
jenem Herzblut, das Menschen in ein Projekt in-
vestieren. Wer ausbrennt, hat vorher gelodert!
Deshalb ist es so wichtig, auftretenden Frust
frühzeitig zu erkennen und aufmerksam damit
umzugehen. Denn genau diese Leidenschaft
bringt Dinge wesentlich voran.
11. Februar 2022 · Nr. 3
Das Ronaldo-Prinzip
Leadership: Der Weltklassefußballer Cristiano Ronaldo forscht unermüdlich
nach zusätzlichen Erfolgsfaktoren. Davon können Manager lernen.
Von Jürgen Schmid
S
atte 38 Mio. € – so viel Um-
satz brachte Manchester
United der Verkauf des Tri-
kots von Cristiano Ronaldo
ein, als dieser im vergange-
nen Herbst zum Verein zurückkehr-
te. Allein am ersten Tag! Das ist
selbst unter den Topstars der Cham-
pions League absoluter Rekord.
Schade, dass so wenige Maschi-
nenbauer Ambitionen haben, ihm
das nachzumachen. Ohne Frage ist
Cristiano Ronaldo ein sehr guter
Fußballer. Aber das sind andere
auch. Vielleicht sind diese nicht
exakt gleich gut, aber selbst ein Cris-
tiano Ronaldo ist kein Übermensch.
Er kann gar nicht um den gleichen
Faktor besser sein als die anderen
Fußballstars, wie die Umsätze, für
die er sorgt, höher sind. Woran liegt
es also, dass gerade nach seinem
Trikot so viele Menschen Schlange
stehen?
Liegt es daran, dass er so oft ein
Extratraining einlegt, während seine
Mannschaftskollegen schon die
Playstation eingeschaltet haben?
Liegt es daran, dass er die Selbstop-
timierung auf immer neue Höhen
treibt? Wie Schlagzeilen verkündet
haben, lässt er sich sogar von einem
Schlafberater coachen, um seine
Leistungsfähigkeit zu verbessern.
Aber was ihn aus der Riege der
hart arbeitenden Sportlerinnen und
Sportler weit heraushebt, ist etwas
anderes. Cristiano Ronaldo forscht
unermüdlich nach zusätzlichen Er-
folgsfaktoren. Nach Faktoren, um
die sich andere erfolgreiche Fußbal-
ler nicht so entschlossen und kon-
sequent bemühen. Nach Bereichen,
die in der Branche kaum genutzt
werden. Und er kümmert sich in-
tensiv darum, genau diese Felder für
sich zu nutzen.
Er sorgt gezielt für seine öffentli-
che Wertsteigerung. Er macht sys-
tematisch Dinge, über die die Me-
dien berichten – berichten wollen.
Denn dafür, dass sein Name und
seine Erfolge im Gespräch bleiben,
schaltet er keine Anzeigen, lässt er
keine Werbevideos produzieren
oder bezahlte Inhalte drucken.
Nicht nötig und auch gar nicht ge-
wollt: Er sorgt für viel mehr Effekt,
wenn er die Aufmerksamkeit durch
sein Tun bekommt statt sie zu er-
kaufen.
Er ist nicht der erste Fußballer,
der dieses Prinzip für sich entdeckt
hat – siehe etwa David Beckham –,
aber er nutzt es so konsequent wie
keiner vor ihm.
Sein Ziel ist der maximale Ver-
marktungserfolg. Und 38 Mio. €
Umsatz an einem Tag sind der
messbare Beweis.
Was können Sie als Maschinen-
bauer von Cristiano Ronaldo ler-
nen? Sicher arbeiten Sie bereits hart
daran, dass Ihre Produkte qualitativ
hochwertig sind und Ihre Maschi-
Zusätzliche Erfolgsfaktoren lassen sich mit den richtigen Fragen erschließen,
rät Jürgen Schmid. Dazu gehört etwa: Was braucht es, damit Ihre Produkte
nicht verkauft werden müssen, sondern gekauft werden? Foto: Martina Draper
nen technische Vorteile gegenüber
denen der Wettbewerber bieten.
Doch das tut Ihr Wettbewerber
auch. Mit dem Ergebnis, dass Ihre
Verkaufsmannschaft weiterhin
mühsam an die Türen der Einkäufer
klopfen muss, anstatt dass die Kun-
den bei Ihnen Schlange stehen.
Um da rauszukommen, brauchen
Sie das Ronaldo-Prinzip – den Blick
auf die zusätzlichen Erfolgsfakto-
ren. Was hat Ihr Wettbewerber nicht
auf dem Schirm, was dazu beitragen
kann, dass Ihre potenziellen Kun-
den hinschauen? Was braucht es,
damit Ihre Produkte nicht verkauft
werden müssen, sondern gekauft
werden?
Von Cristiano Ronaldo direkt et-
was abschauen, wird Ihnen nicht
gelingen. Ihre Erfolgsfaktoren funk-
tionieren mit Sicherheit anders als
seine. Wenn Sie sich als CEO einen
Schlafberater zulegen, können Sie
kaum darauf hoffen, dass die Bran-
chenpresse bewundernd darüber
berichtet. Aber es gibt diese zusätz-
Jürgen Schmid
„ ist Inhaber von Jürgen
Schmid Maschinendesign.
Seine Kunden kommen aus
der ganzen Welt. Sein Unter-
nehmen ist mit 200 interna-
tionalen Awards ausgezeich-
net worden.
„ Zu Schmids Innovationen
gehören die Erfindung des
Mini-Akkuschraubers und
das Design der Spritzgieß-
maschine von Arburg, des
Liebherr-Autokrans und der
Autowaschanlagen von
Washtec.
„ erläutert regelmäßig The-
men der Unternehmensfüh-
rung in den VDI nachrich-
ten.
lichen Erfolgsfaktoren auch im Ma-
schinenbau.
Wir hatten erst kürzlich den Fall,
dass der Investor vom Topmanage-
ment eines weltweit führenden Ma-
schinenherstellers forderte: „Sorgen
Sie bei der Entwicklung der neuen
Anlage für ein iPhone-Design!“ Die
Manager nickten – und sahen sich
danach fragend an. So eine Ansage
ist auch für uns eine Herausforde-
rung, denn wir kamen schnell zu
dem Schluss: Es kann ja wohl nicht
darum gehen, dass die Anlage das
Aussehen eines iPhones kopiert. Es
muss stattdessen um den Effekt ge-
hen: den Stolz, den der Besitz eines
iPhones verspricht, den „Haben
will“-Sog.
Gemeinsam mit dem Team vor
Ort machten wir uns daran, ein
wirksames Maschinendesign zu
entwickeln. Als das Produkt erst-
mals auf der Leitmesse in Mailand
ausgestellt war, kam der Investor di-
rekt zum Messestand – und strei-
chelte die Maschine. So hat es mir
zumindest der Vorsitzende des Vor-
stands hinterher erzählt. Wir hatten
wie vermutet die Vorstellung des In-
vestors präzise getroffen. Und auch
die Kunden sind begeistert, wie die
Verkaufszahlen bewiesen haben.
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie
Sie diesen iPhone-Effekt bezie-
hungsweise das Ronaldo-Prinzip
auf Ihr Produkt übertragen. Hinter
dieser Antwort steckt mindestens so
viel Arbeit, wie Cristiano Ronaldo
und Steve Jobs investiert haben, bis
sie ihren zusätzlichen Erfolgsfaktor
identifiziert und dann auch noch
konsequent umgesetzt haben.
Aber ich kann Ihnen sagen: Wenn
Sie sich nicht fest vornehmen, die-
sen Erfolgsfaktor zu finden und an-
zugehen, wenn Sie sich den
38-Mio.-Umsatz am ersten Tag nicht
entschlossen als Ziel vornehmen
und nach Möglichkeiten suchen, es
zu erreichen, nutzen Sie nicht das
Ronaldo-Prinzip. Obwohl Sie es
könnten – wenn Sie wollten.

„Krisen f ördern Veränderungsenergie“
Podcast: Macht der Job noch Spaß? Verdiene ich das, was ich verdiene? In Krisensituationen neigen
Menschen dazu, den Istzustand zu hinterfragen, wissen die Berater Ragnhild Struss und Johann Claussen.
Von W. Schmitz und P. Sieben
VDI nachrichten: Eine Forsa-
Studie zeigt, dass seit Beginn der
Coronakrise ein Viertel der Arbeit-
nehmenden wegen der Krise bei
einem neuen Unternehmen ange-
heuert hat. Wie kommt das?
Struss: Das liegt nicht nur an der
derzeitigen Lage. Generell stellen
wir immer wieder fest, dass die Job-
Person-Passung leider nicht zur ei-
genen Zufriedenheit mit der Ar-
beitssituation führt.
Claussen: Hinzu kommt der stär-
kere Drang nach Selbstverwirkli-
chung und die damit verbundene
Frage: Passt der Job eigentlich noch
zu mir? Das zeigt sich auch darin,
dass viele ihren Job kündigen, ohne
einen neuen zu haben.
Ingenieurinnen und Ingenieure
haben auf dem Arbeitsmarkt ver-
gleichsweise gute Karten. Das al-
lein ist aber noch keine Erklärung
für die hohen Wechselquoten.
Struss: Die Alternativen auf dem
Arbeitsmarkt sind tatsächlich ggege-
g wo man sich wohlfühlt, wo man sein
Vom Bildungsnachwuchs
bis zu Berufserfahrenen
„ Ragnhild Struss und Johann
Claussen leiten das Karriere-
beratungsunternehmen
Struss & Claussen Personal
Development in Hamburg.
„ Die Kundschaft reicht von
Schülern und Schülerinnen
über Studierende, Absolven-
ten und Absolventinnen bis
zu Berufserfahrenen und Un-
ternehmen.
11. Februar 2022 · Nr. 3
ben, was dazu führt, dass viele ihren
Job sehr kritisch betrachten. Wenn
Außenirritationen spürbar sind, wie
jetzt etwa durch die Pandemie oder
die Transformation, ist man auch
innerlich eher bereit, Veränderun-
gen vorzunehmen. Die Pandemie
verhält sich wie eine Lupe, die auf
die bestehenden Probleme schaut.
Die Analyse der eigenen Fähigkei-
ten, Stärken und der Persönlichkeit
ist wichtig, um dann den nächsten
Schritt zu gehen, sich intensiv poten-
zielle Arbeitgeber anzuschauen, sich
einen Job auszusuchen, der zum ei-
genen Wesen, zu den eigenen Vor-
stellungen und zu den eigenen Kom-
petenzen passt. Krisensituationen
fördern diese Veränderungsenergie.
Was sind Hauptmotive, weshalb
jemand seinen Job wechselt?
Claussen: Natürlich gibt es das
Gehalt, das auch Ausdruck der Wert-
schätzung ist und das deshalb auch
weit oben auf der Rangliste steht. Wir
stellen aber immer wieder fest, dass
es noch wichtiger ist, sich zu fragen,
Potenzial ausschöpfen kann.
Welche Anzeichen deuten darauf
hin, dass mir mein Job auf Dauer
keinen Spaß machen wird?
Claussen: Das ist individuell ver-
schieden. Typische Anzeichen sind,
dass man weniger Energie spürt, an-
triebslos ist, weniger schläft und
nicht das Gefühl hat, noch etwas auf
die Beine stellen zu können, was zu
physischer Erschöpfung und seeli-
schen Leiden führen kann. Dann ist
es Zeit, sich Hilfe zu suchen. Oft
spiegelt einem auch das Umfeld,
dass etwas nicht stimmt, wenn man
etwa nervös auf Dinge reagiert.
KARRIERE & MANAGEMENT 31
zunehmen, äußern sich positiv auf
Engagement und Leistung von Ar-
beitnehmern, weil man sehr große
Effekte von Autonomie und Verant-
wortung erlebt. Mitgestalten zu
können und die daraus entstehende
Zufriedenheit sind positive Effekte
für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber.
Ist es immer noch eine goldene
Regel, ein bis zwei Jahre durchzu-
halten, bevor an einen Arbeitge-
berwechsel gedacht wird?
Struss: Die Probezeit bietet Ar-
beitgebern wie Arbeitnehmern die
Gelegenheit, zu überprüfen, ob es
sich um die geeignete Stelle handelt.
Johann Claussen: „Wichtig Ragnhild Struss: „Die Analy- Es wäre im Lebenslauf nicht gut,
ist, sich zu fragen, wo man se der eigenen Fähigkeiten ist vier Probezeiten in Folge vorzeitig
sein Potenzial ausschöpfen wichtig, um den nächsten beendet zu haben. Das lässt sich
kann.“ Foto: Florian Janssen Schritt zu gehen.“ Foto: Florian Janssen durch intensive Reflexion umgehen:
Was kann ich? Wie möchte ich ar-
beiten? Welche Werte sind mir wich-
Struss: Auch wenn man bei der tig? Um in der Praxis festzustellen,
Arbeit häufig Stress hat oder mehr- ob die Antworten auf diese Fragen
mals schlechte Bewertungen be- in der entsprechenden Unterneh-
kommt oder viele Überstunden menskultur umsetzbar sind. Das er-
schiebt, mit denen man schlecht le- spart böse Überraschungen.
ben kann, sollte man das kritisch Claussen: Wenn Bewerber oder
hinterfragen und an einen Wechsel Bewerberinnen eingeladen sind,
denken. Sollten die eigenen Wert- sollten sie die Chance nutzen, au-
vorstellungen mit denen meines Ar- thentische Fragen zu stellen, die un-
beitgebers nicht übereinstimmen, erwünschte Entwicklungen vermei-
weist das auch darauf hin, langfris- den, etwa: Was kann ich als Bewer-
tig keinen Spaß an der Arbeit zu ha- ber oder Bewerberin erwarten?
ben. Ebenso, wenn die eigenen Ta-
lente nicht zum Einsatz kommen.
Entscheidungen zu treffen, ist
Besteht die Gefahr, vorschnell zu knifflig. Besonders schwierig wird
handeln? es, wenn es um wichtige Fragen
Struss: Es ist nicht so, dass man wie „Kündige ich oder bleibe
einen Job sofort beim ersten Unzu- ich?“ geht. Wer kann helfen?
friedenheitsgefühl kündigen sollte. Zwei Fachleute geben Tipps.
Es gibt ja auch die Alternative, am
Job etwas zu verändern. Verände- www.ingenieur.de/podcast
rungen an der eigenen Tätigkeit vor-
Arbeitssicherheit Elektroingenieur für elektrische Maschinenbau, Anlagenbau Senior Project Engineer (m/w/d) Ingenieurin / Ingenieur Konstruktion und
Sicherheitsingenieur (m/w/d) Antriebstechnik und Maschinendesign Ingenieur Rohrleitung / Engineer Piping CyPlus GmbH über Röhm ID: 026939012 Abwicklung (m/w/d)
Dr. Willmar Schwabe (m/w/d) (m/w/d) Diplom-Ingenieur (FH/DH) (w/m/d) oder BORSIG Process Heat Exchanger GmbH
Karlsruhe-Durlach ID: 026939015 Linde Hydraulics GmbH & Co. KG VERBIO Vereinigte BioEnergie AG Bachelor (w/m/d) der Fachrichtung Berlin ID: 027017267
Aachen ID: 026974323 Leipzig ID: 026956160 Bauingenieurwesen für den Bereich Tiefbau
Brandschutzingenieur / Bautechniker (m/w/d) Service-Techniker / Ingenieur (m/w/d)
Katholisches Klinikum Bochum gGmbH Ingenieur (m/w/d) Maschinenbau / Projektingenieur Sondermaschinenbau Vermögen und Bau Baden-Württemberg Luftfahrtindustrie
Bochum ID: 026939008 Elektrotechnik als Inbetriebnahmeingenieur (w/m/d) Heidelberg ID: 026939002 NORD-MICRO GmbH & Co. OHG a part of Collins
MAN Energy Solutions SE Matthews International GmbH Architekt oder Bau-Ingenieur (m/w/d) Aerospace, Frankfurt am Main ID: 026999647
Automatisierungstechnik Oberhausen ID: 026971195 Vreden (Münsterland) ID: 026959162 Hochbau Vermessungsingenieur (m/w/d) oder
Trainer Sicherheitstechnik (m/w/d) Technische Mitarbeiterin / Technischen Vertriebsingenieur Sondermaschinenbau Südpfalzwerkstatt, Offenbach ID: 026971375 vergleichbare Qualifikation
Festo Didactic SE, Denkendorf ID: 026944889 Mitarbeiter (w/m/d) Schwerpunkt Converting (w/m/d) Albtal-Verkehrs-Gesellschaft mbH
Diplom-Ingenieur*in, Bachelor oder Master of
Elektroingenieurin / Elektroingenieur (w/m/d) Karlsruher Institut für Technologie Matthews International GmbH Science Bauwesen/Verkehrswesen als Karlsruhe ID: 026999688
Karlsruher Institut für Technologie Eggenstein-Leopoldshafen ID: 027006444 Vreden (Münsterland) ID: 026959161 Projektingenieur*in (w/m/d)
Eggenstein-Leopoldshafen ID: 027004407 Rheinbahn AG, Düsseldorf ID: 026969213
Technische Leitung
Engineer for Electronics Development (m/f/d) Vertriebsingenieur Sondermaschinenbau
MED-EL Medical Electronics Schwerpunkt Energiespeichertechnik (w/m/d) Sachgebietsleitung Kanalbetrieb (m/w/d)
Bauwesen Ingenieurin / Ingenieur Elektrotechnik – Stadt Friedrichshafen ID: 026878270
Innsbruck (Österreich) ID: 027003533 Matthews International,Vreden ID: 026959160 Instrumentation & Control (m/w/d)
Bauingenieur*in / Verkehrsingenieur*in /
R&D Engineer, Implantable Electrodes (m/f/d) Maschinenbauingenieur (d/m/w) im Bereich BORSIG ZM Compression GmbH Technischer Leiter (m/w/d) Anlagen- und
(FH-Diplom/Bachelor) für die Durchführung
MED-EL Medical Electronics Schweisstechnik Meerane ID: 027017270 Maschinenbau
von Planrechtsverfahren im Rahmen des
Innsbruck (Österreich) ID: 026866234 Stadtwerke Verkehrsgesellschaft Frankfurt am über SCI-Selection – A Division of Stanton Chase
Strukturstärkungsgesetzes Projektleitung Hochbau Neubau- und
Main mbH‘ ID: 026978611 Bad Homburg, Ostwürttemberg ID: 026866049
Eisenbahn-Bundesamt (EBA) International Product Manager (m/w/d) Sanierungsprojekte (m/w/d)
Saarbrücken ID: 026936999 Industry Senior Quality Expert (m/w/d) Black Belt Stadtwerke München GmbH ID: 026970551 Leiter (m/w/d) Fertigung – Serie / Xchange
Projektingenieur (m/w/d) im Anlagenbau MENNEKES Elektrotechnik GmbH & Co. KG Jungheinrich, Norderstedt ID: 026973807 Bauleiter:in (w/m/d) DEUTZ AG, Ulm ID: 026865894
VERBIO AG, Leipzig ID: 026936923 Kirchhundem ID: 026870026 Berliner Wasserbetriebe ID: 027013081 Technischer Leiter (m/w/d) Anlagen- und
Projektleiterin / Projektleiter (m/w/d)
Bauingenieur (w/m/d) für Planung und Energie & Umwelt BORSIG ZM Compression GmbH Techniker oder Jungingenieur (m/w/d) für den Maschinenbau
Bauvorbereitung im Bereich Straßenbau Meerane ID: 027017268 (Quer-)Einstieg in die Bereiche Sanitär- oder über SCI-Selection – A Division of Stanton Chase
Betriebsingenieur / Netzingenieur Abwasser Bad Homburg, Ostwürttemberg ID: 026865414
Die Autobahn GmbH des Bundes (m/w/d) R&D Test Engineer (m/f/d) Lüftungstechnik
Nürnberg ID: 026956897 Netzgesellschaft Potsdam GmbH MED-EL Medical Electronics ZWP Ingenieur-AG, Bochum ID: 027009144 Leiter (m/w/d) Baustofftechnologie
Projektleiter Bau und Technik (m/w/d) Potsdam ID: 026873695 Innsbruck (Österreich) ID: 026997602 Bauingenieurinnen (m/w/d) der Fachrichtung BERGER BETON SE, Passau, München,
Klinikverbund Südwest Tiefbau, Straßenbau oder Siedlungswasserbau Regensburg, Nürnberg ID: 026869335
Ingenieurin / Ingenieur als techn. Prozessingenieur (m/w/d) Prozesstechnik
Sindelfingen ID: 026952899 Sachbearbeiter/in (m/w/d) im Dezernat 25 B. Braun Melsungen, Berlin ID: 026871160 Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR
(GMSH), Kiel ID: 027004348
Technischer Vertrieb & Beratung
Abteilungsleiter Verkehrs- und Bezirksregierung Düsseldorf ID: 026939267 Vertriebsingenieur / Sales Engineer (m/w/d)
Betriebszentrale (VBZ) (w/m/d)
Mechatronik, Embedded Projektbevollmächtigte*r / (w/m/d)
Ingenieur*in Systems Flottweg, Vilsbiburg ID: 026943508
Die Autobahn GmbH des Bundes Verfahrens-/Labor-/Umwelttechnik (m/w/d) Fachrichtung Informatik, Mechatronik,
München ID: 026939778 Techniker für die Fahrzeugautomatisierung Elektrotechnik o. Wirtschaftsingenieurwesen Ingenieurin / Ingenieur Vertrieb (m/w/d)
SWM Services GmbH
(m/w/d) Karlsruher Institut für Technologie (KIT) BORSIG Process Heat Exchanger GmbH
Dipl.-Ingenieur/Ingenieurin (FH) / Bachelor München ID: 026862633
Götting KG, Lehrte bei Hannover ID: 026956329 Eggenstein-Leopoldshafen ID: 026987587 Gladbeck ID: 027017262
der Fachrichtungen Bauingenieurwesen / Betriebsingenieur Verfahrenstechnik
Vermessungswesen (w/m/d) (m/w/div.) Mechanical Engineer at EMBL Hamburg Betreuungsingenieur VT (w/m/d) Ingenieurin / Ingenieur Konstruktion und
Regierungspräsidium Tübingen Stadtwerke Potsdam GmbH ID: 026869946 (m/f/d) Wacker Chemie AG, Nünchritz ID: 026982793 Abwicklung (m/w/d)
Ehingen (Donau) ID: 026939709 EMBL, Hamburg ID: 026868405 Consultant (m/w/d) im Bereich Digitalisierung BORSIG Process Heat Exchanger GmbH
Technische Betriebsleitung (w/m/d) des Fahrzeugtechnik Medizintechnik, Biotechnik und Informationssicherheit Gladbeck ID: 027017261
Immobilienservicebetriebes Projektmanager für die Entwicklung BBH-Gruppe, München ID: 026977886 Sales- / Marketing Engineer (m/w/d)
R&D Engineer, Implantable Electrodes (m/f/d)
Stadt Bielefeld ID: 026953064 innovativer Kompressoren (m/w/d) Ingenieur*in (w/m/d) in der Fachrichtung Epson Europe Electronics GmbH
MED-EL Medical Electronics
ROTORCOMP VERDICHTER GmbH Architektur- bzw. Bauingenieurwesen München ID: 027001411
Baumanagerin / Baumanager (w/m/d) Innsbruck (Österreich) ID: 026866236
Germering ID: 026958680 (FH/Bachelor) als Projektsachbearbeiter*in /
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Consultant (m/w/d) in der
Berlin ID: 027003713 Fertigungstechnik, Produktion Naturwissenschaften bzw. Projektleiter*in energiewirtschaftlichen Beratung
Projektleiter in der Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBH-Gruppe, Berlin ID: 026977889
Projektmanager*in Infrastruktur Verkehr Technischer Planer / Projektleiter Operations
Fahrzeugautomatisierung/Mobilrobotik Bonn ID: 026865876
(m/w/d) (m/w/d) Senior Consultant (m/w/d) Energie- und
(m/w/d) Ingenieur / Architekt / Projektsteuerer
Stadtwerke München GmbH ID: 026956400 Rittal GmbH & Co. KG, Herborn ID: 026987504 Wärmewende
Götting KG, Lehrte bei Hannover ID: 026955846 (m/w/d) als Baumanager
Bauingenieur*in für den Wasserbau und BBH-Gruppe, Berlin ID: 026977887
Forschung & Entwicklung Research Engineer* Life Cycle Assessment (LCA) BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH
Bauwerksunterhalt (w/m/d) Berlin ID: 026865402 (Senior) Consultant (m/w/d) Systems
Hochschulabsolvent / Patentanwaltskandidat Air Liquide Forschung und Entwicklung GmbH
Landeshauptstadt München ID: 027009054 Engineering, Anforderungsmanagement,
(m/w/d) der Fachrichtung Physik, Frankfurt am Main ID: 026972149
Bauprojektleitung (m/w/d) Maschinenbau, Elektrotechnik oder Informatik
Prozessmanagement Prozessmanagement
Allbau Managementgesellschaft mbH WSL Patentanwälte Partnerschaft mbB Produktmanagement Fachbereichsleitung (m/w/d) Rücker + Schindele Beratende Ingenieure GmbH
Essen ID: 027028569 Wiesbaden ID: 027032630 Specialist, Product Management and Technical Arbeitsvorbereitung / Industrial Engineering München ID: 026866030
Writing (m/w/d) Weidemann GmbH, Korbach ID: 026937298
Sachbearbeitung Technische Prüfungen Chemiker im Bereich analytische Entwicklung Verfahrenstechnik
(m/w/d) im Bereich Rechnungsprüfung MED-EL Medical Electronics Labormanager*in im Venture Lab ChemSPACE
(m/w/d) Head of Process Control (m/f/d)
Stadt Lünen ID: 026866034 Innsbruck (Österreich) ID: 026997600 (m/w/d)
CORDEN PHARMA INTERNATIONAL GmbH Bayer Vital GmbH, Leverkusen ID: 026936982
Frankfurt-Fechenheim ID: 027028134 Technischer Produktmanager (m/w/d) VERBIO Vereinigte BioEnergie AG
Abteilungsleitung Neubau, Um- und Ausbau Projektingenieur (w/m/d) Abscheidung
Identifikationssyteme / Auto-ID Leipzig ID: 026936898
Bauüberwachung (w/m/d) Gebäude- und Wacker, Burghausen ID: 026877850
Die Autobahn GmbH des Bundes PCS, München ID: 026869957 Planungsingenieur*in oberflächennahe
Fulda ID: 026869664
Maschinenmanagement Geothermie (TBA) Leiter:in Qualitätsmanagement Automotive
ERP Application Support (m/f/d)
Projektmanagement
Geo-En Energy Technologies GmbH Meteor GmbH, Bockenem ID: 026975319
Chemieingenieurwesen MED-EL Medical Electronics Entwicklungsingenieur / Elektroingenieur Berlin-Schöneberg ID: 026971940
Chemical Engineer* Hydrogen, Syngas and Innsbruck (Österreich) ID: 026997599 (m/w/d) als Konzept- und Produktentwickler Versorgungstechnik
(m/w/d) Digital- Smart Home (Senior) Consultant (m/w/d) Systems
Decarbonization Projektleiter für kleine und mittelgroße Engineering, Anforderungsmanagement, Ingenieur / Ingenieurin (m/w/d) der
Air Liquide Forschung und Entwicklung GmbH HEWI Heinrich Wilke GmbH Fachrichtung Maschinenbau, Elektrotechnik
Investitionsprojekte im Bereich Bad Arolsen ID: 026936440 Prozessmanagement
Frankfurt am Main ID: 026973326 Abwasserreinigung (w/m/d) Rücker + Schindele Beratende Ingenieure GmbH oder Versorgungstechnik
Research Engineer* Modelling & Simulation – Berliner Wasserbetriebe ID: 027012584 Production System Manager / Operational München ID: 026865405 Landkreis Hildesheim ID: 026821956
Green Hydrogen and Electrolysis Excellence (m/w/d)
Referentin / Referent Technische Ingenieur (m/w/d) Versorgungstechnik
Air Liquide Forschung und Entwicklung GmbH Hexagon Purus GmbH, Kassel ID: 026884677 Qualitätssicherung Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen
Gebäudeausrüstung – Gebäudeautomation
Frankfurt am Main ID: 026971979 (w/m/d) Ingenieur*in oder Architekt*in (m/w/d) der Technischer Berater mit Schwerpunkt (LBIH), Wiesbaden ID: 026960866
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Fachrichtung Bauingenieurwesen oder ESD-Sicherheit (m/w/d)
Prozessingenieur (m/w/d) Anlagenbetriebstechnikerin /
Berlin ID: 027006371 Architektur beim Amt für Wohnungswesen DPV Elektronik-Service, Eppingen ID: 027033644
CORDEN PHARMA INTERNATIONAL GmbH Versorgungstechnikerin als
Stadt Köln ID: 026878102
Frankfurt-Fechenheim ID: 027028057 Betriebsingenieur (m/w/d) Softwareentwicklung Laborgebäudemeisterin (w/m/d)
Technische Oberinspektoranwärterinnen / Leibniz-Institut für Altersforschung Tiefbauingenieur/-in (w/m/d) für den Neubau Softwareentwickler C++ (m/w/d) Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY
Technische Oberinspektoranwärter (m/w/d) Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI) des Europäischen Zentrums für mittelfristige Götting KG, Lehrte bei Hannover ID: 026955948 Hamburg ID: 027012110
Regierungspräsidium Gießen ID: 026866073 Jena ID: 027001180 Wettervorhersagen
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Technischer Projektmanager Verwaltung
Elektrotechnik, Elektronik Hardwaren. Prog., embed. Syst. Bonn ID: 026877986 Softwareentwicklungsprozesse (m/w/d) Executive Assistant (m/w/d) to the CEO
Entwicklungsingenieur Kommunikation und csi entwicklungstechnik GmbH PTV Group, Karlsruhe ID: 026939737
Ingenieur Test Bench / Systemtest (m/w/d) Bauleiterin (m/w/d) oder Technikerin (m/w/d) Weissach, Neckarsulm, Ingolstadt, Affalterbach,
Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH Sensorik (m/w/d) der Fachrichtung Hochbau Technische/r Sachbearbeiter/in (m/w/d) für
Festo SE & Co. KG, Esslingen ID: 026952781 München ID: 027013829
Schwieberdingen bei Stuttgart ID: 026937297 Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR die Bautechnik
Kiel ID: 026874066 Teamleiter Software (m/w/d) Landratsamt Weilheim ID: 027000126
Senior Projektingenieur EMSR (m/w/d) Konstruktion, CAD Mercedes-AMG, Affalterbach ID: 026862848
VERBIO AG, Leipzig ID: 026936953 Konstrukteur im Sondermaschinenbau Elektro-Konstrukteur EPLAN P8 (w/m/d) Stadtbaurätin * Stadtbaurat (w/m/d)
Matthews International GmbH Systemingenieur*in Air SIGINT Ground Systems
Ingenieur (m/w/d) Elektrotechnik (w/m/d) Stadt Wolfenbüttel über zfm Executive
Vreden (Münsterland) ID: 026959157 Engineering (w/m/d)
Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen Matthews International GmbH Consulting GmbH ID: 026973979
HENSOLDT, Ulm ID: 026865867
(LBIH), Wiesbaden ID: 026950278 Vreden (Münsterland) ID: 026959159 Bauingenieur Straßenplanung (w/m/d) Vermessungsingenieur*in (m/w/d) in der
Ingenieur in der Fahrzeugautomatisierung / Ingenieurin / Ingenieur Berechnungen Die Autobahn GmbH des Bundes Technische Dienstleistung, Abteilung Grundstückswertermittlung im Amt
Mobilrobotik (m/w/d) Schwerpunkt: (m/w/d) München ID: 026939353 Engineering für Liegenschaften, Vermessung und Kataster
Sicherheitsbewertungen BORSIG Process Heat Exchanger GmbH Terminplaner / Scheduler (m/w/d) Ingenieur (m/w/d) Elektrotechnik der Stadt Köln
Götting KG, Lehrte bei Hannover ID: 026955897 Berlin ID: 027033645 T.A. Cook, Berlin ID: 026939022 TGM Kanis Turbinen, Nürnberg ID: 026937028 Stadt Köln ID: 026810683
11. Februar 2022 · Nr. 3 KARRIERE & MANAGEMENT 33

„ UNTERNEHMENSNACHFOLGE
34 KARRIERE & MANAGEMENT 11. Februar 2022 · Nr. 3
11. Februar 2022 · Nr. 3 KARRIERE & MANAGEMENT 35
36 KARRIEREBERATUNG
„ KARRIERE
Woher stammt meine
Unzufriedenheit
3.176. Frage/1:
Nach dem Maschinenbaustudium an einer Fach-
hochschule bedeutete es anfangs für mich eine
große Befriedigung als Ingenieur zu arbeiten. Aber
nachdem ich mich schon davor als gelernter Kfz-
Mechaniker in meiner Arbeit geistig nicht genug
gefordert gefühlt hatte, stellte sich auch hier eine
– mir lange Zeit unbewusst gebliebene – Unzufrie-
denheit ein.
Ich entwickelte eigene Vorstellungen davon, wie
die Arbeit besser, effektiver, sinnvoller zu erledi-
gen wäre – und stieß damit auf Ablehnung bei den
Vorgesetzten.
Antwort/1:
Auf dieser recht schwachen Informationsbasis
lässt sich keine umfassende Analyse möglicher
Ursachen für Ihre mehrfache Unzufriedenheit
aufbauen. Es wäre z. B. interessant gewesen, die
Dauer und die Noten Ihres Studiums einerseits,
den von Ihnen ausgesuchten Arbeitgebertyp und
insbesondere den angetretenen Job (Positionsbe-
zeichnung) zu kennen. Vielleicht hätte man dann
etwas zu den zu vermutenden Gründen sagen
können.
Fest steht, dass Sie mit dem in Frage/1 abge-
druckten Verhalten einen krassen Fehler be-
schreiben, zumindest einen klaren Verstoß gegen
die Regeln des Systems:
Sie waren Berufsanfänger (als Ingenieur). Ich
kenne keine Organisation, keine durch fachlich
anspruchsvolle Aufgaben gekennzeichnete
Gruppe, die sich von „blutigen Anfängern ohne
einschlägige Praxis“ anhören mag, wie nach de-
ren Vorstellungen „die Arbeit besser, effektiver,
sinnvoller zu erledigen“ ist! Das gilt für eine Fuß-
ballmannschaft ebenso wie für Politiker mit Ab-
geordnetenstatus, für Rekruten bei der Bundes-
wehr, für Pkw-Fahrer mit Führerschein, Schau-
spieler bei einer Theatervorstellung oder Assis-
tenzärzte im Krankenhaus. Auch die freiwillige
Feuerwehr will von einem gerade vom ersten
Lehrgang kommenden Einsteiger nicht hören,
11. Februar 2022 · Nr. 3
dass man hier alles ganz anders machen müsste.
Stets ist der dazu stoßende Neuling sehr gut be-
raten, erst einmal zu tun, was ihm gesagt wird,
dabei möglichst tolle Leistungen in der ihm vor-
gegeben Art und Weise (!) zu zeigen, sich dabei
harmonisch ins Team zu integrieren – und dann
so langsam mit ersten vorsichtigen Verbesse-
rungsvorschlägen Profil zu gewinnen.
Das war der einfachere Teil meiner Antwort. Er
ist, wie man so schön sagt, „nicht verhandelbar“.
Es gibt aber auch noch einen zweiten Bereich,
der hier angesprochen ist und der nicht jedem
spontan einleuchten wird: Unabhängig vom Sta-
tus des Anfängers gilt auch für den erfahrenen
Mitarbeiter die Empfehlung, vor solchen Aktio-
nen sorgfältig zu prüfen, was eigentlich seine
„Karriereberatung“
Aufgabe ist, was von ihm erwartet wird und wo-
für er letztlich bezahlt wird („eingekauft worden
ist“).
Der Angestellte ist abhängig beschäftigt, so lautet
die Lehrbuch-Standarddefinition. Auch arbeitet
er „weisungsgebunden“! Was waren denn nun Ih-
re Weisungen? Gehörte dazu, ständig über „ande-
re“ (vermeintlich bessere) Methoden nachzuden-
ken und die Vorgesetzten damit zu beglücken,
wie man die von ihnen angeordnete Arbeit im
Gegensatz zu deren Vorgaben „effektiver, sinn-
voller“ erledigen könnte?
Ich bin da ziemlich skeptisch! Zu sagen, das was
Sie da tun sollten, könne man sinnvoller ma-
chen, beinhaltet nach allgemeinem Sprachemp-
finden die Aussage, es sei heute eben nicht be-
sonders sinnvoll. Das wird jeder Vorgesetzte, der
für das Bestehende verantwortlich ist, als Kritik
empfinden. Und Sie müssen stets damit rechnen,
dass Chefs darauf „verschnupft“ reagieren.
Nicht ohne Grund lautet eine meiner – aus dem
real existierenden System herausgefilterten – Re-
geln: Verbesserungsvorschläge sind stets auch ei-
ne Kritik am Bestehenden (und damit den für das
Bestehende Verantwortlichen entsprechend
„schonend“ nahezubringen). Es sei denn, Sie
wollen Krieg.
Frage/2:
Glücklicherweise kann ich den hierdurch entstan-
denen Bruch (und weitere) gut in meiner Vita um-
schreiben, ohne auf die tieferen Ursachen einzuge-
hen.
In meinem nächsten Job lief es zunächst über etli-
che Jahre gut. Aber ich bemerkte auch hier eine
Diskrepanz zwischen dem, was von mir verlangt
wurde und dem, was ich tun möchte.
Antwort/2:
Wir leben in einer Marktwirtschaft, die bestimmt
wird durch Märkte mit Angebot und Nachfrage,
durch Kauf und Verkauf.
Eines der obersten Prinzipien ist das Streben
nach Zufriedenheit des Kunden, also des Käufers.
Ihre Fragen Auch Arbeitskräfte werden auf ihrem (Arbeits-)
zum Thema Markt „gekauft“, also gegen Gehalt („Kaufpreis“)
unter Vertrag genommen. Ab diesem Punkt muss
die Zufriedenheit des Käufers das zentrale Ziel
beantwortet
sein. Wäre dieser Käufer nur mit bestimmten In-
Dr.-Ing. E. h. dustrieprodukten unzufrieden, blieben diese in
Heiko Mell, den Regalen als unverkäuflich zurück. Ist der
Karriereberater Käufer einer Arbeitskraft („Arbeitgeber“) mit sei-
in Rösrath. nem Erwerb unzufrieden, droht dem Arbeitneh-
„ heiko-mell.de mer Existenzgefährdung durch längere Arbeitslo-
sigkeit.
Für Ihr „Was ich tun möchte“ bleibt in diesem
Spannungsfeld nur begrenzter Raum. Natürlich
können Sie grundsätzlich frei wählen: den Typ
des Arbeitgebers, die Branche, die Region, die Art
der Tätigkeit, die Fülle der Verantwortung, was
immer Sie wollen. Vorausgesetzt, Sie sind nach
den Regeln des Systems (!) so gut, dass Sie die
freie Auswahl haben.
Als Beispiel: Der beste Profi-Sportler Deutsch-
lands einer bestimmten Disziplin kann sich na-
tional und international praktisch seinen Verein
und fast auch seine Bezüge aussuchen. Wer je-
doch eben erst aus einem Verein der unteren
Klasse hinausgeflogen ist, muss froh sein, wenn
ihn ein Verein der nächstniedrigeren Kategorie
noch einstellt.
Fazit: Zum Status des Angestellten gehört in den
meisten Fällen eine „Diskrepanz zwischen dem,
was von mir verlangt wird und dem, was ich tun
möchte“. Das ist bei Mechanikern so und bei In-
genieuren generell nicht viel anders. Es ist „sys-
temimmanent“.
Fragen Sie beispielsweise einmal einen erfahre-
nen Spitzenpolitiker wie etwa eine langjährige
 11. Februar 2022 · Nr. 3 KARRIEREBERATUNG 37

Bundeskanzlerin. Auch die wird Ihnen bestäti-
gen, dass sie diese Diskrepanz sehr gut kennt. Sie
ist Teil des Lebens, fürchte ich.
Frage/3:
Mein Vorgesetzter erfuhr durch einen unglückli-
chen Umstand von meiner Suche nach einer Verän-
derung innerhalb des Konzerns. Er gab mir eine
gewisse Zeit um meinen Veränderungswunsch um-
zusetzen, was mir nicht gelang. Dann handelte er
nach dem Grundsatz „Wer mit seiner Arbeit unzu-
frieden ist, bringt nicht seine volle Leistung“ und
komplimentierte mich vor die Tür. Ich denke nicht
einmal, dass er mit meiner Leistung unzufrieden
war.
Aktuell bin ich seit 19 Monaten ohne Job.
Antwort/3:
Das ist ein Zentralproblem des internen Wechsels
hinter dem Rücken des Vorgesetzten. Nie kann
man absolut sicher sein, dass der bisherige Chef
nicht so denkt und handelt wie in Ihrem Beispiel.
Wenn er einmal von Ihrer Absicht erfährt, seinen
Bereich verlassen zu wollen, wird er interessante
Projekte, mögliche Gehaltserhöhungen oder Be-
förderungen lieber an Mitarbeiter vergeben, die
„treu zur Fahne“ stehen. Außerdem sehen Vorge-
setzte einen solchen Wunsch schnell als persönli-
che Blamage an („Der kann seine Leute nicht hal-
ten, dem laufen die Mitarbeiter weg“). Externe
Wechsel nach normaler Kündigung haben diesen
Effekt deutlich weniger, damit können die Chefs
besser umgehen (sofern keine extremen Fluktuati-
onszahlen erreicht werden).
Also gilt die pauschale Empfehlung: Wer A sagt,
muss auch B sagen. Das heißt, wenn durchsi-
ckert, dass man gehen möchte, muss man auch
bald darauf gehen. Klappt das mit dem internen
Wechsel nicht, sollte man sich parallel extern ei-
nige „Eisen ins Feuer“ gelegt haben, um dann
auch zeitnah gehen zu können.
Nur wenige größere Unternehmen haben es ge-
schafft, intern eine Wechselkultur zu installieren,
die es dem Mitarbeiter erlaubt, garantiert ohne
Risiko Kontakt mit dem möglichen neuen Vorge-
setzten aufzunehmen. In anderen Häusern ist
ein Wechsel ohne ausdrückliche Zustimmung
des bisherigen Chefs sogar ausgeschlossen. Es ist
ein weites Feld – fragen Sie Ihre Personalabtei-
lung nach den internen Gepflogenheiten. Sie
wird Ihren aktuellen Vorgesetzten nicht gleich
über Ihre Absicht informieren. Das würde ihren
Ruf gefährden.
len. Aber nach seiner Aussage gelingt das am bes-
ten mit sklavischer Unterordnung. Später in dem Ar-
tikel wird dieses zwar verneint. Wie das geschieht,
ist aber geprägt von der Ansicht, dass sich das Sys-
tem schon von selbst regulieren wird. Also ist es
nicht notwendig, zur Veränderung anzuregen.
Antwort/4:
Wir sind uns einig, dass es „wichtig ist, den Chef
zufriedenzustellen“. Das ist auch meine Kernemp-
fehlung. Von „sklavisch“ steht nirgends etwas. Ganz
im Gegenteil: Ich betone stets, dass der moderne
Vorgesetzte gar keinen sich bedingungslos unter-
ordnenden Mitarbeiter sucht – also mit einem sol-
chen Persönlichkeitstyp gar nicht zufriedenzustel-
len wäre.
Aber lassen wir das einmal ruhen, es gibt hand-
festere Argumente:
a) Wenn ich klüger wäre als andere, insbesondere
als meine Vorgesetzten, dann würde ich meine
Talente einsetzen, um über den Chefs zu stehen.
Beispielsweise in der betrieblichen Hierarchie.
Ich hätte dann die Möglichkeit, nach unten hin
„auf breiter Front“ Maßnahmen anzuordnen,
durch welche die Arbeit „besser, effektiver, sinn-
voller“ erledigt werden könnte. Und ich wäre we-
niger gefährdet, mit meinen Ideen von unten her
oben auf Ablehnung zu stoßen und meine Lauf-
bahn zu gefährden.
b) Sie, geehrter Einsender, nennen an anderer
Stelle Ihres längeren Beitrags Ihr Alter. Sie müs-
sen etwa 20 Jahre alt gewesen sein als ich mit die-
ser Serie in den VDI nachrichten begonnen habe.
Hätten Sie damals schon diese Karriereberatung
gelesen und – sehr wichtig – beherzigt respektive
in eigenes Verhalten umgesetzt, wären Ihnen die
von Ihnen dargestellten Misserfolge weitgehend
erspart geblieben.
Sie hätten dann aus einer Erfolgsposition heraus
immer noch das System und diesen Herrn Mell
kritisieren können – das hätte Ihnen absolut frei-
gestanden. Aber auch das macht mehr Spaß,
wenn man es aus einer Erfolgsposition heraus
macht.
c) Als immerhin theoretisch gegebene Möglich-
keit hätten Sie versuchen können, sich an die
Spitze eines Unternehmens zu setzen. Nur von
dort aus haben Sie nämlich die Chance, wirklich
etwas im hier angesprochenen Bereich zu verän-
dern. Als „kleiner“ Mitarbeiter von ganz unten
her verschleißen Sie sich mit entsprechenden Be-
mühungen nur, ruinieren Ihren Werdegang und
bringen dem System nicht einmal Kratzer bei.
Karriere-Basics Das ist in anderen Bereichen des Lebens ebenso:
100 Tipps für den Wenn der Kapitän oder der erfolgreiche Torjäger
Erfolg im Beruf der Fußballnationalmannschaft einen Verbesse-
rungsvorschlag zum Regelsystem dieses Sports
Nr. 11: Die Fähigkeit vorbringt, dann kann es sein, dass ihm sogar zu-
zur Arbeit im Team
gehört wird. Kommt derselbe Vorschlag von ei-
ist auf praktisch al- nem Nachwuchsspieler, der gerade nach seinem
len Hierarchieebe- ersten Einsatz in der 3. Regionalliga dauerhaft
nen unverzichtbar.
auf die Reservebank verbannt wurde, hat die Idee
Aber befördert wer- keinerlei Gewicht.
den schließlich ein-
Als Erklärung dafür, dass ich gerade diesem Bei-
zelne Teammitglie-
trag so viel Raum widme: Ich finde, er eignet sich
der, die sich dabei
besonders gut zur Demonstration, wie ich hier
profiliert haben.
Lesern helfen kann – die tatsächlich danach su-
chen und diese Hilfe dann auch anzunehmen
bereit sind.
Allein, so meine ich, die Antworten 1 und 2 die-
ser Frage können Lesern, die ähnliche Probleme
haben oder haben könnten, wertvolle Hinweise
geben, wie sie zunächst einmal mit den „Tücken
des Systems“ fertig werden können – das sie dazu
nicht lieben, wohl aber akzeptieren und verste-
hen müssen.
Letztlich ist es eine Frage der Zielsetzung: Wenn
diese „pures Überleben im ungeliebten System“
heißt, ist ein gewisses Maß an Auflehnung viel-
leicht noch denkbar. Wenn es jedoch darum geht,
Erfolg zu haben, führen zu dürfen, Verantwor-
tung übertragen zu bekommen, Gestaltungs-
spielräume zu erringen und letztlich den durch
ein Studium begründeten Ansprüchen gerecht zu
werden, ist Anpassung kaum zu vermeiden. Das
ganze industrielle System beruht letztlich darauf,
dass viele den Vorstellungen einiger folgen.

(Sie schreiben dann in Ihrem längeren Beitrag

über die Ursachen Ihrer Unzufriedenheit und
nennen u. a. einen deutlich erhöhten IQ, der da-
zu führe, dass Sie sehr oft Zusammenhänge, Ab-
hängigkeiten und mögliche Folgen deutlich
schneller erkennen würden als Ihre bisherigen
Vorgesetzten. Ich nehme das einfach einmal so
hin, ich kann das schlecht beurteilen. Bleiben wir
auf mir vertrautem Terrain):

Frage/4:
Der absolute Hammer für mich ist der Artikel „Zu-
friedenheit – der Güter höchstes?“ von Heiko Mell
(Notizen aus der Praxis 339). Schon der erste Ab-
satz haut mich regelmäßig aus den Socken (Lesen
Sie den schon viele Jahre alten Beitrag immer wie-
der, wo Sie doch wissen, dass er Sie aufregt? H.
Mell).
Dieser Mann gibt seit Jahrzehnten Karrieretipps in
den VDI nachrichten und zementiert mit diesen
Aussagen einen Führungsstiel (ich schenke Ihnen
diesen Missgriff; H. Mell), wie der in der dunkels-
ten Zeit der Industrialisierung entstanden ist. Na-
türlich ist es wichtig, seinen Chef zufriedenzustel-

Kontakt
Bitte richten Sie Ihre Fragen an:
VDI nachrichten Karriereberatung,
Postfach 101054, 40001 Düsseldorf
karriereberatung@vdi-nachrichten.com
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38 AUS DEM VDI
Jahrgang 76 ISSN 0042–1758
Herausgeber:
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel,
Dr.-Ing. Volker Kefer.
Herausgeberbeiratsmitglieder:
Prof. Dr.-Ing. Dirk Abel,
Prof. Dr.-Ing. Marina Schlünz
Redaktion:
Chefredakteur Ken Fouhy, B.Eng. (kf)
Chef vom Dienst Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst)
Ressort Infrastruktur & Digitales
Dipl.-Ing. Regine Bönsch (rb),
Dipl.-Phys. Stephan W. Eder (swe),
Peter Kellerhoff M.A. (pek), Fabian Kurmann (kur)
Ressort Produktion & Umwelt
Dipl.-Ing. (FH) Martin Ciupek (ciu),
Dipl.-Kfm. Stefan Asche (sta), Iestyn Hartbrich (har),
Dipl.-Oecotroph. Bettina Reckter (ber)
Ressort Wirtschaft/Management/Karriere
Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst),
Claudia Burger (cer), Wolfgang Schmitz (ws),
André Weikard (aw)
Bildbeschaffung/Fotoarchiv
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Dipl.-Ing. Jens D. Billerbeck (jdb),
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Einem Teil dieser Ausgabe liegen Prospekte der
PFLITSCH GmbH & Co. KG, Hückeswagen, bei.
Einem Teil dieser Ausgabe liegen Prospekte der
Akademie der Ruhr-Universität gGmbH, Bochum, bei.
11. Februar 2022 · Nr. 3
VDI zeichnet herausragende
Wissenschaftler aus
Ehrungen: Auch in diesem Jahr zeichnete der VDI anlässlich seiner
Vorstandsversammlung wieder Persönlichkeiten für ihre hervorragenden Leistungen auf
dem Gebiet der Technik sowie für ihre Verdienste um die Gemeinschaftsarbeit aus.
Foto: Haroc Marqard
Ehrenzeichen des VDI Korrespondierende
Das Ehrenzeichen des VDI ist eine hohe Eh- Mitgliedschaft
rung, die der VDI in Würdigung besonderer
technischer Leistungen oder in Anerkennung Die Korrespondierende Mitgliedschaft wird an
ausländische Ingenieure oder Vertreter nicht-
von Verdiensten auf dem Gebiet der technisch-
wissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeit oder im be- technischer Fachgebiete vergeben, die sich
rufspolitischen Bereich im In- und Ausland verleiht. Das Eh- durch bedeutende Leistungen um die technisch-
renzeichen des VDI wurde 1931 anlässlich der 75-Jahr-Feier wissenschaftliche Gemeinschaftsarbeit des VDI
des VDI gestiftet und in diesem Jahr an drei Persönlichkeiten in besonderer Weise verdient gemacht haben.
vergeben:
Frank Brettschneider gilt als Experte in der Kom-
munikationsforschung. Speziell die Kommunikation
Klaus Büdicker ist ein anerkannter Ex-
perte für Sicherheit, Umwelt- und Ar- von Großprojekten gehört zu seinen Fachgebieten.
beitsschutz. In dieser Rolle arbeitete er Auch der VDI ist über die Auseinandersetzungen
seit 1987 für den FAG-Konzern in zum Großprojekt Stuttgart 21 mit Frank Brettschnei-
Schweinfurt. Büdicker engagierte sich der zusammengekommen. Um dem erheblich ge-
viele Jahre in der früheren VDI-Koordinie- stiegenen Legitimationsdruck der Ingenieure gegen-
rungsstelle Umwelttechnik (KUT), unter über den Bürgern zu begegnen,, hat der VDI g gemein-
anderem als deren Vorsitzender. Er war sam mit den maßgeblichen
einer der maßgeblichen Gründungsväter Klaus Büdicker ist Ingenieurverbänden die
ein anerkannter VDI-Initiative „Infrastruktur
des VDI-Fachbereichs „Betriebliches Si-
cherheitsmanagement“, den er seit 2006 Experte für den Ar- für unsere Zukunft – Gesell-
leitet. Auch im Unterfränkischen Bezirks- beitsschutz. Foto: VDI schaftlich tragfähige Lösun--
verein, dessen Vorsitzender er von 1998 gen entwickeln“ gestartet.
bis 2003 war, etablierte er mit der Gründung (1991) und Leitung Brettschneider hat sich von
des Arbeitskreises „Umwelttechnik und Arbeitssicherheit“ die Anfang an mit hohem per-
Kernthemen seines beruflichen Schaffens für den VDI vor Ort. sönlichen Einsatz ehren-
Frank Brettschnei-
Brettschnei
amtlich in diese Thematik
der hilft bei der
TThomas Eikmann gehört zu den führenden Repräsen- eingebracht, unter ande-
Kommunikation von
ta
tanten der Fachgebiete Hygiene und Umweltmedizin rem in die Arbeit an den
Großprojekten. Foto: VDI
und hat durch sein Wirken – insbesondere in über 20
u VDI-Richtlinien 7000 und
Ja
Jahren als Direktor des Instituts für Hygiene und Um- 7001. Frühzeitig hat er den Nutzen von -D-Echtzeit-
modellen für die Kommunikation mit Bürgern auf-
w
weltmedizin der Justus-Liebig-Universität – diese Fach-
g
gebiete entscheidend geprägt. Eikmann gilt außerdem gezeigt. Nicht zuletzt war sein Engagement aus-
aals Pionier auf dem Gebiet der umweltmedizinisch-toxi- schlaggebend dafür, dass der VDI das Thema „Öf-
kkologischen Bewertung von Schadstoffen in Böden. Die fentlichkeitsbeteiligung bei kritischen Infrastruktur-
Thomas Eikmann h
heutigen gesetzlichen Regelungen hierzu basieren im und Industrieprojekten“ zum Leitthema des Deut-
hat die Umweltme- Wesentlichen auf den in den 1980er-Jahren entwickel- schen Ingenieurtages 2014 ausgewählt hat.
dizin entscheidend ten „Eikmann-Kloke-Werten“. Eikmann hat während sei-
geprägt. Foto: VDI ner gesamten Laufbahn immer in einer Vielzahl von
Fachgesellschaften und wissenschaftlichen Kommissio-
nen mitgearbeitet. Hervorzuheben ist sein langjähriges, sehr en-
Foto: Haroc Marqard
gagiertes ehrenamtliches Engagement in der Kommission Reinhal-
tung der Luft im VDI und DIN, zuletzt als Mitglied im KRdL-Beirat
und als Vorsitzender des Fachbereichs III „Umweltqualität“, wo er
Der Ehrenring
1996 den Anstoß zur Gründung des KRdL-Gemeinschaftsausschus-
ses „Bioaerosole und biologische Agenzien“ gab. In der Ratsperi-
des VDI
ode 2000 bis 2004 war er Mitglied im Sachverständigenrat für Um- Mit dem Ehrenring des VDI werden seit über 80
weltfragen (SRU) der Bundesregierung und später Mitglied der Jahren junge Ingenieurinnen und Ingenieure
Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS). geehrt, die bereits Bedeutendes in ihrem jewei-
ligen Tätigkeitsbereich geleistet haben.
Ulrich Jumar hat sich intensiv und erfolgreich für die
U
W
Weiterentwicklung und die Anwendung der Automati- SStefan Scharf wurde für seine in-
s
sierungstechnik eingesetzt. Das Institut für Automation n
novativen, hochwirksamen und
u Kommunikation Ifak e. V., dessen Gründungsmit-
und a
anwendungsorientierten For-
g
glied er war und dessen Vorstandsvorsitzender und In- sc
schungsleistungen zu einer res-
st
stitutsleiter er seit 2005 ist, zeugt davon. Neben der so
sourceneffizienten und nachhalti-
th
theoretischen Fundiertheit, die er als Regelungstechni- g Produktionsgestaltung ausge-
gen
k der sich in jungen Jahren mit Algorithmen der
ker, ze
zeichnet. Mit besonderem Fokus
Ulrich Jumar hat M
Mehrgrößenregelung befasste, mitbrachte, standen a eine der energieintensivsten
auf
Stefan
Stefan
f SScharf
charf
h f be-
die Automatisie- die Wirtschaftsorientierung und der Nutzen für die In- B
Branchen der metallverarbeiten-
eindruckte mit an-
rungstechnik voran- dustrie immer ganz weit oben und begründen den gro- wendungsorientier-
den Industrie, auf das Gießereiwe-
getrieben. Foto: VDI ßen Erfolg seiner Arbeiten. Seinem hohen ehrenamtli- sen, entwickelt und erforscht
ter Forschung Foto: VDI
chen Engagement für die Stärkung der Industriefor- Scharf innovative Konzepte und
schung in der VIU und der Zuse-Gemeinschaft sowie den vielen Technologielösungen zu einer
Jahren intensiver Arbeit im VDI, angefangen vom Magdeburger nachhaltigkeitsorientierten Gestaltung von Produk-
Bezirksverein, dem VDI Wissensforum und nicht zuletzt in der VDI/ tionsprozessen. Scharf konnte ein revolutionäres
VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik, in dessen Technologie- und Anlagenkonzept zu einer dezen-
Beirat er seit über zehn Jahren aktiv mitwirkt, ist es zu verdanken, tralen, automatisierbaren Schmelzeversorgung in
dass die Industrieforschung im Bereich der Automatisierungs- Leichtmetallgießereien erarbeiten und dieses mit
technik Anerkennung findet und an Bedeutung gewinnt. einem schlagkräftigen Projektkonsortium zur An-
wendungsreife entwickeln.

„2022 kann das Jahr
des Aufbruchs werden“
Vorstandsversammlung: Rund 100 Delegierte genehmigten den Jahresabschluss
2020 und verabschiedeten den Haushaltsplan für das Jahr 2022.
A
uf der digital durchgeführten
Vorstandsversammlung des
VDI e. V. am 3. Februar 2022
begrüßte VDI-Präsident Vol-
ker Kefer knapp 100 Delegier-
te aus den Landesverbänden, den Be-
zirksvereinen sowie den Fachgesell-
schaften und Fachbeiräten des VDI.
Zunächst kamen die Zahlen auf den
Tisch. Eberhard Haller, Vorsitzender des
Finanzbeirats, präsentierte und erläu-
terte den nach HGB erstellten Jahresab-
schluss 2020, der trotz Coronawidrigkei-
ten besser ausfiel, als vorübergehend
befürchtet. Die umgehend ergriffenen
Gegenmaßnahmen mit einem strikten
Kostenmanagement haben laut Haller
erfreulicherweise schnell Wirkung ge-
zeigt. Der Jahresabschluss 2020 wurde
nach dem Bericht der Wirtschafts- und
Rechnungsprüfer durch eine breite
Mehrheit der Delegierten genehmigt.
Dem Präsidium und der Geschäftsfüh-
rung des Vereins wurde entsprechend
Entlastung für das Jahr 2020 erteilt.
VDI-Direktor Ralph Appel blickte im
Rahmen seiner Ausführungen auf die
wesentlichen Entwicklungen im Jahr
2021 zurück und präsentierte im An-
schluss den Haushaltsplan 2022: „2021
war das Jahr der Konsolidierung. 2022
kann das Jahr des Aufbruchs werden“,
so Appel. Nach den schon in 2020 coro-
nabedingt entstandenen Engpässen in
der VDI-Gruppe sei es im Spätsommer
des letzten Jahres absehbar gewesen,
dass sich die Coronasituation auch 2021
nicht grundsätzlich verbessern würde.
Appel: „Auch hier haben wir deshalb
schnell und überlegt gehandelt. Das
entwickelte Optimierungs- und Kosten-
einsparungsprogramm wurde konse-
quent umgesetzt und wir haben im Rah-
men eines Freiwilligenprogramms sozi-
alverträglich die Personalkosten des Ver-
eins der neuen Lage angepasst. Das war
schwierig und auch schmerzlich, aber
leider notwendig.“ Der VDI e. V. sei jetzt
für die Zukunft strukturell gut aufge-
stellt, stehe finanziell auf soliden Füßen
und werde sich im Rahmen eines fort-
laufenden Prozesses an die zu erwarten-
den Entwicklungen stetig anpassen.
Auch Zukunftsprojekte werden jetzt zü-
gig angegangen.
„Der VDI e. V. ist jetzt für die
Zukunft strukturell gut aufge-
stellt, steht finanziell auf
soliden Füßen und wird sich
im Rahmen eines fortlau-
fenden Prozesses an die zu
erwartenden Entwicklungen
stetig anpassen. Auch
Zukunftsprojekte werden
jetzt zügig angegangen.“
VDI-Direktor Ralph Appel
Hinsichtlich der Entwicklung der Mit-
gliederzahlen konnte in der Coronazeit
der Abwärtstrend im Jahr 2021 noch
nicht gedreht, aber doch deutlich ver-
ringert werden. Besonders erfreulich
sei, dass die bestehenden Mitglieder „zu
ihrem Verein stehen“. Appel: „Der VDI
e. V. zählt zum Ende des Jahres 2021
rund 135 000 Mitglieder.“
Der Haushaltsplan 2022 sowie die mit-
telfristige Finanzplanung zeigen nach
den beiden schwierigen Coronajahren
eine Entwicklung auf, die es erlaubt,
jetzt die wichtigen inhaltlichen Themen
des VDI mit Schwung anzugehen. Der
11. Februar 2022 · Nr. 3
Der Verein richtet
sich nach den heraus-
fordernden Jahren
der Pandemie neu
aus. Foto: VDI Technologiezentrum
Haushaltsplan 2022 wurde von der Vor-
standsversammlung entsprechend mit
deutlicher Mehrheit genehmigt.
Anschließend erläuterten die Vorsit-
zenden der Gliederungen des VDI die
Aktivitäten in ihren jeweiligen Themen-
feldern.
Der Präsident stellte dabei die Gedan-
ken des Präsidiums zur Weiterentwick-
lung des VDI vor. Die Aussprache darü-
ber ergab, dass dafür noch weiterer Dis-
kussionsbedarf besteht. Unter den Mit-
gliedern des Gremiums entstand dazu
eine lebhafte Diskussion.
Bei den Wortbeiträgen der Delegier-
ten äußerte sich Fenja Feitsch, Vorsit-
zende der VDI Young Engineers, besorgt
im Hinblick auf das Vorantreiben von
zukunftsgerichteten Projekten. Die VDI
Young Engineers sähen viel Potenzial,
um junge Mitglieder zu gewinnen und
auch über das ingenieurwissenschaftli-
che Studium hinaus im VDI zu halten,
aber Entscheidungswege müssten kür-
zer werden. Feitsch betonte, sie und ihre
Vorstandskollegen wünschten sich
mehr Dialog „mit“ den VDI Young Engi-
neers.
Eine Reihe von Anträgen wurde da-
nach auch aus Zeitgründen auf die
Frühjahrssitzung vertagt. Bei den ab-
schließenden Wahlen wurde Kira Kastell
in den Finanzbeirat gewählt. Kurt Bet-
tenhausen wurde als Vorsitzender des
Wissenschaftlichen Beirats gewählt,
nahm aber aufgrund des „knappen Er-
gebnisses“ der Abstimmung die Wahl
nicht an.
Anschließend erläuterte VDI-Präsident
Volker Kefer, dass er für eine zweite
Amtsperiode nicht mehr zur Verfü-
gung stehen würde. Kefer bleibt bis zur
Wahl einer/eines neuen Präsident*in
kommissarisch im Amt. Die somit an-
stehenden Neuwahlen werden auf der
Frühjahrssitzung der Vorstandsver-
sammlung erfolgen. VDI
AUS DEM VDI 39
„ AKTUELL
Nachhaltig heizen:
Erdwärmepumpen richtig
planen und installieren
Erdgekoppelte Wärmepumpen ge-
winnen im Zuge der Energiewende
deutlich an Bedeutung. Das im No-
vember 2020 in Kraft getretene Ge-
bäudeenergiegesetz (GEG) verbietet
ab dem Jahr 2026 den Einbau von
neuen Heizkesseln, die mit Heizöl
oder festen fossilen Brennstoffen
beschickt werden. Auch Erdgashei-
zungen sind nur eine Übergangslö-
sung. Effiziente Wärmepumpenan-
lagen hingegen sparen beim gegen-
wärtigen Stand der Technik gegen-
über mit fossilen Brennstoffen be-
feuerten Heizkesseln mindestens
50 % nicht erneuerbare Primärener-
gie ein. Beim Einsatz von Elektro-
wärmepumpen entstehen direkt
vor Ort auch keine Schadstoffemis-
sionen. Dadurch wird ein wesentli-
cher Beitrag zur Senkung der Im-
missionen in dicht bebauten Wohn-
gebieten geleistet.
Die Richtlinie VDI 4640 Blatt 1
stellt die korrekte Auslegung ther-
mischer Anlagen zur Nutzung des
Untergrunds nach dem neuesten
Stand der Technik dar. Sie definiert
und erläutert die Grundlagen zum
Wärmefluss im Untergrund und
nennt die nach dem Wasser- und
Bergrecht erforderlichen Genehmi-
gungen. VDI 4640 Blatt 1 behandelt
die umweltgerechte Materialwahl
und zeigt, wie Bohrungen richtig
auszuführen sind. Des Weiteren legt
sie dar, wie solche Anlagen instal-
liert und in Systeme eingebunden
werden können.
„ www.vdi.de/4640
Seminar: Rhetorik
für Ingenieure
Das Seminar vermittelt Tipps und
Tools sowie praktische Erfahrungen
und Erlebnisse, um die Kunst des
Redens zu erlernen und in Vorträ-
gen, Reden und Präsentationen an-
zuwenden. Die Teilnehmenden
üben darüber hinaus, die Zuhörer-
schaft mit authentischem Redestil,
Sprache und Körpersprache für Ide-
en zu begeistern und von ihren
Standpunkten zu überzeugen.
In den Grundlagen der effektiven
Rhetorik für Ingenieure erfährt
man, wie man rhetorische Wirkung
erzielen kann. Die Teilnehmenden
haben die Gelegenheit, ihr Selbst-
und Fremdbild im Hinblick auf
Selbstbewusstsein, rhetorische Fä-
higkeiten und persönliche Wirkung
abzugleichen und zu schärfen. 21.
bis 22. Februar 2022.
„ www.vdi-wissensforum.de/09SE044
„ MEIN VDI
Die VDI-Veranstal-
tungen in Ihrer
Region und zu Ihrem
Fachbereich finden
Sie im Mitgliederbereich „Mein
VDI“. Über die Detailsuche
können Sie auch nach PLZ oder
einen Zeitraum suchen.
„ www.vdi.de/meinvdi
40 TECHNIK BOULEVARD 11. Februar 2022 · Nr. 3

Die Technik-Welt zu Hause begreifen

Spielzeug: Die Spielwarenmesse in Nürnberg fand in diesem Jahr digital statt. Bei den Produkten geht es jedoch nach wie vor um Anfassbares und – das
zeigten Expertenvorträge und Interviews – Trends wie „Toys go Green“. Das Thema Nachhaltigkeit rückt auch hier in den Fokus. Von Ralf Fellenberg

Neue Welt für Volljährige In 70 Teilen auf die Jagd

Das seit dem 1. Februar erhältliche Globusset ist im Viele Science-Fiction-Fans kennen den mysteriö-
Rahmen der Plattform „Lego Ideas“ entstanden, sen Kopfgeldjäger, der in seiner eigenen Star-Wars-
auf der Fans ihre eigenen Setentwürfe und Ideen Serie immer nur stoisch „Der Mandalorianer“ ge-
einreichen können. Der Spielwarenkonzern setzt nannt wird. Sein Transportschiff, die Razor Crest,
einige davon dann in buntem Kunststoff um. Die gibt es jetzt als 70-teiligen Bausatz von Revell für al-
Inspiration für das neue Set war der Literaturklas- le Fans. Das Schiff im Maßstab 1:72 ist etwas mehr
siker „Reise um die Erde in 80 Tagen“. Der aus als 30 cm lang. Neben der beweglichen Laderampe
2 585 Elementen zusammengebaute Globus ist und der Mandalorianer-Pilotenfigur kann das Fahr-
über 40 cm hoch und lässt sich dank einer werk wahlweise im eingefahrenen oder ausgefahre-
Drehachse auch bewegen. Im Inneren sorgen Le- nen Zustand eingebaut werden. Für eine eigene
go-Technic-Elemente für Stabilität. Ein nettes De- imaginäre Kopfgeldjagd zwischen den Sternen zah-
tail: Die Namenssteine für Kontinente und Ozeane len Fans annähernd 60 €.
leuchten im Dunkeln. Allerdings wird als Alters-
empfehlung für das rund 200 € teure Set „ab 18 Jah-
re“ angegeben.
Foto: Lego Group

Lokale Helden
Woodheroes aus Österreich stellte zum Sonderthe-
ma „Toys go Green“ Spielwaren vor, bei denen na-
Foto: WoodHeroes

turbelassene Hölzer möglichst von lokalen Produ-

zenten verwendet wurden. Ein einfaches „Click &
Play“-System sorgt bei den Ritterburgen für kinder-
leichten Aufbau und stabilen Halt. Alle Burgen-
teile lassen sich individuell zusammenstecken,
das Bauwerk kann zudem beliebig erweitert
werden. Grundsets, wie das abgebildete, kos-
ten zwischen 90 € und 150 €. Die Zugbrücke die- Foto: Reve
ll

ser Burg ist voll funktionsfähig und kann mithilfe

einer Kurbel jederzeit geschlossen und geöffnet
werden. Optional gibt es Erweiterungsteile, sogar
Helden und Drachen aus Holz. Das fördert die
Kreativität beim Spiel über Generationen hinweg.

Vom Schüler zum Lehrer CO -neutral Gas geben

Der Stuttgarter Verlag Kosmos entwickelt seit 200
2
Die Wasserstofftechnik erobert nun auch die Spie-
Jahren Experimentierkästen. Mit „Miika K.I. – Künst- lewelt: Fischertechnik bietet mit dem „H2 Fuel Cell
liche Intelligenz erleben und verstehen“ gibt es ab Car“ eine topaktuelle Technologie als Konstrukti-
August für 120 € ein Set mit KI fürs Kinderzimmer: onsbaukasten an. Für entdeckungslustige junge
Der Roboter Miika wird über Gesten und Sprache ge- Menschen und „Forschende“ ab neun Jahren ist
steuert. Welcher Befehl welche Aktion hervorruft, der Brennstoffzellen-Bausatz für knapp 70 €
bringen Kinder ab zehn Jahren Miika selbstständig genau richtig. Aus diesem Baukasten lässt sich
bei. Schließlich muss er erst lernen, was welche Ges- zunächst ein Brennstoffzellenauto konstruie-
ten oder Audio-Befehle bedeuten. Doch bevor es los- ren. Dieses kann dann mithilfe der Wasserstoff-
geht, wird Miika aus 100 Einzelteilen zusammenge- reaktion in Bewegung gesetzt werden. Der Elek-
baut. Zum Lernen wird zwar ein Smartphone mit der trolyseur der reversiblen Brennstoffzelle spaltet
kostenlosen Miika-App benötigt, aber keine Inter- auch Wasser in Sauer- und Wasserstoff auf, wo-
netverbindung. Es wird auch nichts gespeichert. Fische
rtechn
ik
durch wieder neuer Kraftstoff für das Auto gewon-
Foto:
nen wird. Das notwendige 3-V-Netzgerät ist im
Bausatz enthalten.

Verräterische Geräusche
Das Spiel „Der Ring“ vom Ravensburger Verlag ge-
Foto: Franckh-Kosmos Verlag

wann auf der Spielwarenmesse den ToyAward in

der Kategorie für Jugendliche und Erwachsene. In
dem interaktiven „Hörspiel“ hören, rätseln und lö-
sen Spielende ab 14 Jahren mysteriöse Fälle. Illus-
trierte Karten liefern Geräusche oder Teile eines
Gesprächs, wenn die Handykamera über das
Spielmaterial bewegt wird. Nach dem Herun-
terladen der kostenlosen App „echoes“ können
ein bis vier Spielende den Tathergang rekonstru-
ieren. Es ist Erinnerungsvermögen, Kombinations-
Foto: Ravensburger Verlag

geschick und ein feines Gehör nötig um zu erken-

nen, wer da gerade spricht. „Der Ring“ ist der vierte
Titel der Reihe „echoes“. Jeder Fall kostet glatte
10 €. Tipp: mit Bekannten die Spiele ringtauschen.