6. Mai 2022 · Nr.

9 T E C H N I K W I RT S C H A F T G E S E L L S C H A F T Einzelpreis 4,40 Euro

Das Ende
des Weiter-so
Fokus : Sollen technische Innovationen Erfolg haben,
muss die Gesellschaft sie als Mehrwert akzeptieren.
Vor allem die Jugend stellt die Frage nach dem Sinn.

Von Wolfgang Schmitz nologien wieder Anschluss zur Welt- eingebettet sein. Umso wichtiger sei rem Sozialwesen dienen.“ Elementar
spitze zu finden“. es zu zeigen, dass mit dem techni- sei die Frage: „Welche Technik möch-

D
er Wissenschaftliche Bei-
rat beim Bundesministeri-
um für Wirtschaft und Kli-
maschutz (BMWK) hat vor
wenigen Tagen ein Gut-
achten zum Thema „Die Zukunft der
Arbeit in der digitalen Transformati-
on“ veröffentlicht. Das Ministerium
spricht von einem „Aufholprozess“,
„um bei maßgeblichen digitalen Tech-
Von Chancen ist darin nicht die Re-
de. Schon gar nicht von der Chance,
die Digitalisierung für eine Neugestal-
tung der Arbeits- und Lebenswelten
zu nutzen. Dies aber fordern viele jun-
ge Menschen ein. Sie wollen Sinn in
dem sehen, was ihre Arbeit bietet.
Technische Abläufe und Innovationen
können allein darauf keine Antworten
geben. Sie müssen gesellschaftlich
schen Wandel auch Chancen, Mög-
lichkeiten und neue Perspektiven ver-
bunden sind, dass das Loslassen von
Altem befreiend sein kann, sagt Oliver
Parodi, Leiter des Karlsruher Transfor-
mationszentrums für Nachhaltigkeit
und Kulturwandel (KAT). „Darauf
müssen wir achten und Techniken so
gestalten und implementieren, dass
sie unseren Grundwerten und unse-
ten wir und welchen Stellenwert mes-
sen wir ihr in unserem Leben bei?“
Auf die Praxis bezogen, stellt die In-
dustriesoziologin Sabine Pfeiffer fest:
„Damit lebendige Arbeit das Neue le-
bendig machen kann, braucht sie Alt-
bekanntes: gute Arbeit, sinnhafte
Lernformen, Freiraum und Mitbe-
stimmung, Entwicklungsper-
spektiven und Anerkennung.“ 20
Foto: PantherMedia / alphaspirit

Häuser aus Pilzen: eine „ ZITAT Nachhaltigkeit

Hoffnung für die Bauindustrie
Bauforschung: Der Bausek-
tor zählt noch zu den größten
CO2-Emittenten, zugleich wer-
den Baustoffe knapper und teu-
rer. Bei der Entsorgung sieht es
noch schwieriger aus: Deutsch-
land deponiert 228,1 Mio. t Bau-
abfälle pro Jahr. In Karlsruhe wird
an einer Idee geforscht, die diese
Probleme lösen könnte: aus
Pilzen produzierte Bau-
teile für Häuser. 16
„Neue Gebäude bieten den
Vorteil, dass man schon bei
der Planung, also bevor der
erste Mensch zum Hammer
greift, das Gebäude wirklich
digital aufbauen kann.“
Mauersteine aus Pilz: Die Bau-
teile sind leicht, robust und las-
sen sich kompostieren. Foto: Carlina Teteris
Peter Weckesser,
CIO von Schneider Electric SE
erreicht Chefetage
Karriere: Chief Sustainability Officers
(CSOs) verantworten das Thema Nachhaltig-
keit auf allen Ebenen im Unternehmen. „Es ist
zu erwarten, dass die Rolle des CSOs in den
nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewin-
nen wird“, heißt es in einem Report des Bera-
tungsunternehmens Deloitte. Denn zum ei-
nen sehen Unternehmen in Nachhaltigkeit ei-
nen Wettbewerbsvorteil, zum anderen müs-
sen sie zunehmend entsprechende gesetzli-
8 che Vorgaben erfüllen. Ein Job auch
für Ingenieurinnen und Ingenieure. 28
2 DIESE WOCHE 6. Mai 2022 · Nr. 9
„ INHALT
Höchste Stufe
Die gestufte Verbrennung gilt in der Raumfahrt
als die komplizierteste Antriebstechnik. Trotz-
dem gehen Raketenbauer neuerdings wieder das
Wagnis ein.
Gedruckte Keramikteile –
ganz ohne Sinterofen 12
Forschende aus Thüringen entwickeln ein
Verfahren, um Bauteile aus technischer Keramik
herzustellen.
Wagnis Wandeldarlehen 19
Wandeldarlehen sind für Start-ups in einer
sehr frühen Phase interessant. Für Investoren
kann sogar ein Invest-Zuschuss rausspringen.
FOKUS:
Lust auf das Neue 20
Der technische Fortschritt wird nur zum
Erfolg, wenn er den Menschen mitnimmt.
Mit schwimmenden Zäunen
gegen die Plastikflut 25
Das Start-up Plastic Fischer GmbH aus Köln
befreit die am stärksten verschmutzten Flüsse
der Welt von ihrer Plastikfracht.
Völlig abgehoben 26
In den 1960er-Jahren betrieb die Bundesregie-
rung ein ehrgeiziges Senkrechtstarterprogramm.
Zurück blieben milliardenschwere Fehlinvestitio-
nen und einige Prototypen.
Die Nachhaltigkeit stärkt
ein Unternehmen 30
Textildienstleister Mewa macht mit der
Umstellung auf einen grünen Fuhrpark gute
Erfahrungen. Und seine Kundschaft auch.
Aus dem VDI 39
Nach dem pandemiebedingten Einbruch erholt
sich der Jobmarkt. Noch nie erfasste der Inge-
nieurmonitor so viele offene Stellen.
40
Technik Boulevard
Wir verbringen heutzutage mehr Zeit
vor digitalen Geräten denn je. Als
analogen Freizeitausgleich stellen wir
Alternativen vor: Brettspiele.
Vom CEO zum Visionär
Porträt: Reinhard Ploss, seit April neuer Präsident der
Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, Acatech.
Foto: dpa Picture-Alliance/Uli Deck
Von Werner Schulz
N
och fällt es schwer, sich den kühlen
und knorrigen Verfahrenstechniker
6 und promovierten Technologen
Reinhard Ploss an einem anderen Ort
vorzustellen als auf seinem lang ver-
trauten Posten als CEO der Infineon Technologies
AG in Neubiberg bei München. Knapp zehn Jahre,
von Anfang Oktober 2012 bis Ende März 2022,
war das sein Wirkungsfeld. Eine Position, die er
ganz unglamourös und ohne launige Twitter-
Sprüche, dafür umso effektiver und erfolgreicher
ausgefüllt hat. Und Infineon mit mutigem Weit-
blick unter die ersten zehn des weltweiten Chip-
geschäfts katapultiert hat.
Auf seiner letzten Aktionärsversammlung im
Februar präsentierte Ploss glänzende Ergebnisse
für das im September abgeschlossene Geschäfts-
jahr 2021: Der Umsatz legte um satte 29 % auf
knapp 11 Mrd. € zu, der Ge-
winn verdreifachte sich auf
1,2 Mrd. €. Im Oktober des
letzten Jahres ging eine neue
Waferfab in Villach an den
Start. Sie läuft im digitalen
Gleichtakt mit dem beste-
henden Werk in Dresden.
Der gebürtige Bamberger
Reinhard Ploss blickt mit
66 Jahren also auf einen lan-
Foto: PantherMedia / VadimVasenin
gen und stetigen Aufstieg
zurück. Angefangen hatte er
1986 als Prozessingenieur in
der Chipherstellung bei der
An der Spitze der Acatech steht als damaligen Siemens AG in
deren Präsident seit April Ex-Infineon- München. 1993 ging er als
Chef Reinhard Ploss. Leiter der Technik an den
Foto: dpa Picture-Alliance/Reuters/Andreas Gebert Siemens-Standort in Villach.
Zurück in München über-
nahm er 1996 die Leitung
des Geschäftszweigs Leistungshalbleiter. Und
hatte damit sein fachliches Metier gefunden, das
er bis heute mit Bravour und Energie verfolgt. Mit
der Ausgründung des Halbleiterbereichs als Infi-
neon Technologies AG nahm sein Aufstieg deutli-
che Konturen an. 2007 schaffte er es in den Vor-
stand.
Ploss musste auf dem Weg zum Weltmarkt-
status von Infineon etliche Male handelspoli-
tisch begründete Widerstände diverser Regulie-
rungsbehörden überwinden. Die Akquisition des
US-Wettbewerbers International Rectifier ging
2015 noch relativ problemlos vonstatten. Lang-
wieriger verlief die Übernahme des Silicon-Val-
ley-Pioniers Cypress Semiconductor. Die wurde
erst nach dreijährigem Hin und Her im April 2022
abgeschlossen.
Krachend gescheitert am Einspruch des restrik-
tiv agierenden Committee on Foreign Investment
in the United States (CFIUS) im US-Kongress war
2017 hingegen der Zukauf des US-Anbieters Wolf-
Aktueller Podcast:
LinkedIn wie ein Profi
odee
Foto: Cocktail Games/Asm
nutzen
„ www.ingenieur.de/podcast
speed. Aber auch das galt und gilt einem Naturell
wie Reinhard Ploss nur als Episode einer rasch zu
verschmerzenden Enttäuschung. „Immer wieder
aufstehen, wenn man mal auf die Nase gefallen
ist“, diesen Wahlspruch hat er aus seiner Promoti-
onszeit an der TH München verinnerlicht.
„Wir brauchen eine Kultur des Mutes, indem
wir Risiken bewusst eingehen“, wird Ploss in ei-
nem Zeitungsinterview zitiert. Er wünscht sich
den Abschied vom altgewohnten hierarchischen
Denken in Organisationen. „Ich will, dass die
nächste Ebene den Mut hat, mutige Entscheidun-
gen zu treffen.“ Das ist einer seiner Grundsätze
für Unternehmen, die an vorderster Front der in-
dustriellen Innovation stehen.
Diese Gelassenheit gilt auch für eines seiner
selten ausgeübten Hobbys: den Bau von Modell-
flugzeugen. Ausgefeilte Hightechflieger natürlich,
akribisch entworfen und konstruiert. Hin und
wieder lässt er sie auf einem Flugplatz in seiner
Umgebung starten. Wenn da mal etwas schief-
geht, „dann war eben der Boden härter als der
Flieger“.
Vielleicht gilt das auch für das nächste berufli-
che Engagement von Reinhard Ploss: Seit Mitte
März 2022 ist er einer der beiden Präsidenten der
Deutschen Akademie der Technikwissenschaften,
der Acatech, in München. Sie agiert als vom Bund
und den Ländern geförderte Stimme für die ge-
sellschaftliche Akzeptanz der Technik. Mit mehr
als 600 Mitgliedern, mehrheitlich Naturwissen-
schaftlern, einem hundertköpfigen Senat, Vor-
stand, Präsidium, Kuratorium und allen anderen
Konstituenten, die man von einem akademi-
schen Honoratiorengremium erwartet.
Sicher ist, dass Reinhard Ploss auch hier seine
Strategie der Expansion und des Bedeutungszu-
wachses produktiv für die nationale Innovations-
politik einsetzen wird. „Nur mit klug eingesetzter
Innovation erreichen Deutschland und Europa
ihre Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele, wah-
ren die Wettbewerbsfähigkeit und soziale Balance
und erlangen technologische Souveränität.“
Reinhard Ploss
„ Präsident der Deutschen Akademie der
Technikwissenschaften (Acatech) seit
April 2022
„ CEO Infineon* 2012 bis März 2022, davor
seit 2007 Vorstand Fertigung
„ Bei Siemens seit 1986 im Halbleiter-
bereich tätig
„ Promovierter Verfahrenstechnik-
Ingenieur (TU München)
* 1999 spaltete Siemens seine Halbleitersparte
unter dem Namen Infineon Technologies AG ab

Tickende
Zeitbomben
Umwelt: Der gedankenlose Umgang mit
Lithiumbatterien und -akkus gefährdet Mensch
und Maschine in der Recyclingbranche. Und er
treibt die Versicherungsprämien in die Höhe.
Von Martin Boeckh
L
ithiumbatterien und -ak-
kus stecken in E-Bikes,
Smartphones, Stabmixern,
Gartengeräten, blinken-
den Kinderschuhen und
singenden Grußkarten. Ihre hohe
Energiedichte macht sie für mobile
Anwendungen aller Art unersetzbar.
Das ist die eine Seite der Medaille.
Auf der anderen Seite brennt es
nicht nur in Deutschland jeden Tag
in einer Recyclinganlage, sagen Ent-
sorgerverbände wie der Bundesver-
band Sekundärrohstoffe und Ent-
sorgung e. V. (bvse) und der Bundes-
verband der Deutschen Entsor-
gungs-, Wasser- und Rohstoffwirt-
schaft e.V. (BDE). Auch Anlagenbe-
treiber warnen vor einem Problem,
das meist unter Ausschluss der öf-
fentlichen Beobachtung abläuft –
wenn nicht gerade eine komplette
Anlage unübersehbar mit schwar-
zen Qualmwolken abfackelt.
Recycler reden nur ungern offen
über das Thema Lithiumzellen und
dadurch ausgelöste Brände, denn
manchmal ist es billiger, die ent-
standenen Brandschäden ohne Ver-
sicherungsbeteiligung zu beheben.
Der Hintergrund: Jeder Brand lässt
die Versicherungsprämien steigen.
Das Problem sind nicht die auf
Elektroschrott spezialisierten Re-
cyclinganlagen. Nach §21 Abs. 1 des
Elektrogesetzes dürfen die Erstbe-
handlung von Elektro- und Elektro-
nikaltgeräten ausschließlich zertifi-
zierte Betriebe durchführen, die
durch Sachverständige überprüft
werden. Es sind auch weniger die
Transporte ausgedienter Lithium-
zellen zu den Recyclinganlagen,
auch wenn es hier immer mal wie-
der zu spektakulären Bränden auf
Bundes- und Landstraßen kommt.
Besonders gefährdet, da ist sich
die Entsorgungsbranche einig,
sind LVP-Sortieranlagen, die Leicht-
verpackungen aus dem Dualen Sys-
tem sortieren. Falsch entsorgte Li-
thiumzellen, die nicht selten noch
eine erhebliche Restenergie enthal-
ten, werden dort zu „tickenden Zeit-
bomben“, wie es die Dekra unlängst
formulierte. Das Sicherheitsunter-
nehmen schätzt, dass es jede Woche
in Deutschland in einer Recycling-
anlage zu einem Feuer kommt. Der
Verband Österreichischer Entsor-
gungsbetriebe (VOEB) geht sogar
weiter und spricht von täglichen
Bränden in Tonnen, Fahrzeugen,
Betriebshöfen oder Sortieranlagen
in Österreich wie in Deutschland.
6. Mai 2022 · Nr. 9 DIESE WOCHE 3
So gefährlich sind Foto: VOEB/Feuerwehr AT/R.Berger
Lithiumakkus: Der
Das Hauptproblem: Lithiumzel- Akku wurde nur legt – gesichert mit einer feuerhem- nen zeigen ganz deutlich, dass die
len entzünden sich auch ohne ex- gequetscht und sollte mendem Schüttung, um jede me- Zahl der Fehlwürfe ständig zu-
terne Zündquellen wie Funken oder dabei den Transportzu- chanische Beschädigung auch im nimmt – trotz Verbraucheraufklä-
Feuer. Es genügt die mechanische stand oder die Situati- Falle eines Unfalls zu vermeiden. rung und der Pflicht, dass jeder, der
Belastung oder Beschädigung der on auf einem Trans- Doch so lässt sich die Feuergefahr Batterien und Akkus verkauft, diese
Außenhülle. Bereits das Herunter- portband einer Recyc- in einer LVP-Sortieranlage nicht re- auch zurücknehmen muss.
fallen eines Smartphones kann zu linganlage simulieren. duzieren. Verbraucherinnen und
einer Stichflamme führen. Oder Es kam auch ohne Verbraucher sind gefragt, obwohl Mit den leistungsstarken hochex-
wenn auf dem Transportband einer Zündquelle zu laut dem österreichischen VOEB plosiven Lithiumbatterien beschäf-
Sortieranlage eine falsch entsorgte einer Explosion.Das „die Bevölkerung nur unzureichend tigt sich seit Jahren Roland Pomber-
Lithiumzelle zwischen die Rollen eingeklinkte Infrarot- über die Gefahren von Lithiumbat- ger von der Montanuniversität Le-
gerät und gequetscht wird. bild zeigt die Hitze- terien informiert ist“. oben (Österreich). „Wir können den
Durch Selbstzündung entstehen verteilung. Doch das Problem dürfte an an- Zusammenhang zwischen der stei-
Metallbrände mit Temperaturen bis derer Stelle liegen – in Österreich genden Anzahl von Lithiumbatte-
2000 °C. In Recyclingbetrieben ver- wie in Deutschland, wie die Sam- rien im Restmüll und den Bränden
brennen in der Folge Müllberge un- mel- und Recyclingbilanzen für Alt- bei Entsorgungsbetrieben eindeutig
kontrolliert und können Giftstoffe batterien zeigen. Trotz erheblicher belegen.“ Die Hersteller erfüllten
verbreiten. „Akkus werden häufig Werbeanstrengungen der sechs die geforderte Sammelquote und
von den Verbrauchern nicht, wie ge- Rücknahmesysteme für Geräte-Alt- fühlten sich nicht zuständig. Die
setzlich vorgeschrieben, vom übri- batterien GRS Batterien, CCR Rebat, Konsumenten hätten kein Bewusst-
gen Müll getrennt“, sagt Andreas ERP Deutschland, Ecobat Logistik sein dafür und wüssten oft nicht,
Biermann, Entsorgungsexperte bei GmbH, Öcorecell, DS Entsorgungs- worin Lithiumbatterien stecken.
Dekra Certification. „In vielen Wert- und Dienstleistungs-GmbH kommt Für die Politik habe das Thema
stoffhöfen wird zudem der Schrott nicht einmal jede zweite Altbatterie (noch) keine Priorität.
bei der Anlieferung nicht sorgfältig ins Recycling. Laut Umweltbundes- Der BDE macht sich seit Jahren
kontrolliert.“ amt (UBA) wurden 2020 in Deutsch- für eine Pfandpflicht von Altbatte-
land 65 368 t Gerätebatterien in Ver- rien stark. „Die Lage ist drama-
In vielen Wertstoffhöfen hat man kehr gebracht – ein Anstieg um tisch“, sagt BDE-Präsident Peter
die Problematik erkannt und be- 16,9 % gegenüber dem Vorjahr. Zu- Kurth. „Wir können und wollen
handelt die von Bürgern angeliefer- gleich wurden aber 1282 t weniger nicht zusehen, bis wir bei diesen
ten Elektroaltgeräte „wie rohe Eier“: Altbatterien als im Vorjahr einge- Brandfällen Tote und Schwerver-
Eingebaute Akkupacks werden, wo sammelt. So rutschte die Sammel- letzte beklagen müssen.“ Auch der
möglich, ausgebaut, einzeln in Plas- quote von 52,2 % (2019) auf 45,6 %. bvse verschließt sich keiner Pfand-
tikfolie gewickelt, damit sich Pole Die Gründe dafür sind eine zu pflicht, möchte diese allerdings erst
oder Kabelenden nicht berühren, niedrig angesetzte Sammelquote langfristig und nur bei größeren Zel-
und einzeln in Transporttonnen ge- sowie Fehlanreize und Schlupflö- len, wie sie in E-Bikes, Saugrobotern
cher im Batteriegesetz. So haben et- und Werkzeugen verbaut werden.
wa die Sammelsysteme keinen An- bvse-Experte Andreas Habel appel-
reiz, mehr Altbatterien einzusam- liert an die Produktverantwortung
Hoher Verwertungsgrad meln, als die ab 2021 gesetzliche der Hersteller: „Es handelt sich hier
„ Die Verwertungsquoten von Altbatterien bewegen sich Sammelquote von 50 %, da alles da- um hoch energiehaltige Systeme,
– anders als die Sammelquoten – auf hohem Niveau. rüber hinaus zusätzliche Kosten die eine verheerende Zündflamme
Laut Umweltbundesamt schwankten sie zwischen verursacht, kritisiert die Deutsche erzeugen können. Die Hersteller
102,5 % (2019) und 88,4 % (2020). Schwankungen und Umwelthilfe DUH e.V. machen sich um den Umgang nach
Überschreitung der 100-Prozent-Marke sind Folge der dem Gebrauch noch viel zu wenig
schwankenden Lagerbestände der Sortierer. Doch wo bleibt nun rund die Hälfte Gedanken. Sie müssten sich an den
aller in Verkehr gebrachten Zellen? Versicherungsprämien der Anlagen-
„ „Im Jahr 2020 wurden keine Altbatterien einer Depo- Keiner weiß es so recht. Viele Lithi- betreiber beteiligen“, so seine For-
nierung oder Verbrennung zugeführt“, schreibt das umakkus verbleiben oft über viele derung.
UBA. In die Verwertung kamen 150 943 t Blei-Säure-Alt- Jahre in den Geräten und gammeln Doch das dürfte ebenso Wunsch-
batterien, 1048 t Nickel-Cadmium-Altbatterien und in Schreibtischschubladen vor sich denken bleiben wie die von vielen
29 620 t sonstige Altbatterien. In diese Kategorie fallen hin. Kürzere Zeiträume schätzen die geforderte Pfandpflicht. Mitte März
auch Lithium (Li)- und Lithium-Ionen (Li-Ion)-Altbat- Recycler für die Alkali-Mangan-Zel- verabschiedete das EU-Parlament
terien mit jährlich stark wachsendem Marktanteil. len. Doch stichprobenartige Analy- die neue Batterieverordnung. Von
sen von Restmüll- und LVP-Fraktio- Pfandpflicht war keine Rede mehr.
4 DIESE WOCHE 6. Mai 2022 · Nr. 9
„ IFO-BRANCHENKONJUNKTURTEST
Ifo-Geschäftsklima fängt sich nach
dem März-Einbruch im April wieder
Die Stimmung in der
deutschen Wirtschaft hat
sich auf niedrigem Niveau
stabilisiert. Der Ifo-Ge-
schäftsklimaindex ist im
April auf 91,8 Punkte ge-
stiegen, nach 90,8 Punk-
ten im März. Dies war vor
allem auf weniger pessi-
mistische Erwartungen
der Unternehmen für die
kommenden Monate zu-
rückzuführen. Die aktuel-
le Lage bewerteten sie ebenfalls minimal besser. Nach dem ers-
ten Schock über den russischen Angriff zeigt die deutsche Wirt-
schaft sich widerstandsfähig. ifo/aw
Chemie
In der chemischen Industrie wa-
ren die Geschäftserwartungen mit
dem russischen Einmarsch in die
Ukraine eingebrochen. Zwar war
die aktuelle Geschäftssituation
immer noch vielerorts günstig, für
die kommenden Monate fürchte-
ten die Unternehmen aber Ge-
schäftsrückgänge. Insbesondere
die enormen Preisanstiege bei den Energieträgern setzten die
energieintensive Branche unter große Druck. Allerorts muss-
ten die Verkaufspreise angehoben werden.
Automobil
In der Kfz-Branche gab es weiter-
hin große Engpässe beim Material.
Die Kapazitätsauslastung sank ge-
genüber dem Vorquartal wieder.
Dies, obwohl die Auftragsbücher
noch immer prall gefüllt waren.
Gleichzeitig wurden weitverbreitet
die Verkaufspreise angehoben. Die
Geschäftsperspektiven hatten sich
mit Kriegsbeginn verdunkelt. Viele Unternehmen rechneten
mit einer ungünstigen Geschäftsentwicklung.
Tiefbau
Im Tiefbau verschärften sich die
Materialengpässe mit Kriegsaus-
bruch erheblich. Russland und die
Ukraine sind wichtige Lieferanten
von Baustahl und Bitumen. In lau-
fenden Projekten stellt sich die
Frage, inwieweit Kostensteigerun-
gen weitergegeben werden kön-
nen. Neue Projekte sind kaum kal-
kulierbar. Im April meldeten bereits 9,3 % der Unternehmen
Auftragsstornierungen, nach 3,9 % im März.
Das Ifo Institut fragt monatlich bei
9000 Unternehmen in Deutschland
wichtige Daten ab. So ermitteln die
Münchner Wissenschaftler nach Bran-
chen gesplittet die aktuelle Geschäfts-
lage und die Erwartungen für die
nächsten sechs Monate in den Unter-
nehmen. Beispiel: Wenn 40 % der Be-
fragten ihre derzeitige wirtschaftliche Felix Leiss,
Lage positiv beurteilen, 60 % dagegen Konjunkturexperte
negativ, ergibt das eine Geschäftslage Ifo Institut Foto: Ifo Institut
von minus 20 %.
Weitere Grafiken und Texte zur Konjunktur der Branchen
Maschinenbau, Kunststoffe, Architektur, Elektronik, Me-
talle und Hochbau sowie Ingenieurbüros finden sich im
Netz: www.vdi-nachrichten.com/ifo
Weichmacher und andere Chemikalien
belasten Kinder und Jugendliche
Chemie: Schadstoffe finden sich überall – in der weise sei aber die mittlere Belastung mit Weich-
Umwelt und sogar im Menschen. Dieser ist gera- machern, die bereits reguliert sind, gesunken. Die
de in Europa teilweise bedenklich hoch belastet. politischen Instrumente der Vergangenheit zeig-
Das Fazit zog die europäische Human-Biomoni- ten also Wirkung. Dennoch sei die Summe der ge-
toring-Initiative HBM4EU auf ihrer internationa- fundenen Weichmacher immer noch zu hoch.
len Abschlusskonferenz letzte Woche in Brüssel. Die Initiative mahnt deshalb weiteren Hand-
Die vom Umweltbundesamt (UBA) initiierte lungsbedarf seitens der Politik an. Verwendung
Initiative hat erstmals den Ist-Zustand der Belas- und Inverkehrbringen von Chemikalien regelt die
tung der EU-Bevölkerung erhoben. Trauriges Er- Europäische Union (EU). Aus den Ergebnissen
gebnis: Gerade Weichmacher finden sich in allen der HBM4EU seien Maßnahmen zum Schutz von
untersuchten Kindern und Jugendlichen, aber Mensch und Umwelt abzuleiten. Auch wenn das
auch polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS), die Projekt im Juni 2022 ausläuft, soll die Arbeit in der
zum Beispiel in beschichteten Pfannen verwen- Europäischen Partnerschaft für Risikobewertung
det werden – teils in hohen Mengen. Erfreulicher- von Chemikalien (PARC) fortgeführt werden.
ICE als mobiler Lazarettzug
Schienenverkehr: Mit rund 100 Mrd. € will
die Bundesregierung die Bundeswehr erneuern.
Das Geld soll auch in drei ICE 3 Neo fließen, die
als mobile Lazarettschnellzüge eingesetzt werden
können. Sie werden so konzipiert, dass die nor-
male Bestuhlung bei Bedarf gegen 30 Intensivbet-
ten ausgetauscht werden kann. Nach Angaben
des Verteidigungsministeriums sollen die Züge
dann zur Versorgung Verwundeter und für den
Transport von Intensivpatienten eingesetzt wer-
den, die statt per Flugzeug – wie bisher – per ICE
in andere Krankenhäuser verlegt werden können.
Die drei ICE sollen ab 2025 zur Verfügung stehen,
pro Zug sind 25 Mio. € bis 30 Mio. € im Gespräch.
Die Idee ist nicht neu, in beiden Weltkriegen
des letzten Jahrhunderts waren bereits Lazarett-
züge im Einsatz, die Verwundete schnell von der Drei ICE 3 Neo sollen bis 2025 als schnelle
Front weg- und in die Krankenhäuser bringen Lazarettzüge zur Verfügung stehen – Stückpreis
sollten. In ihnen konnten bereits Operationen rund 30 Mio. €. Foto: imago images/Jan Huebner
durchgeführt werden.
Der letzte Vorschlag zum Thema Lazarettzug ist
noch nicht so lange her, erst Mitte 2020 plädierte Ihr Vorschlag basierte mutmaßlich auf den
die damalige Verteidigungsministerin Annegret Maßnahmen Frankreichs, das während der Coro-
Kramp-Karrenbauer dafür, die EU mit einem La- na-Pandemie Intensivpatienten mit dem Schnell-
zarettzug besser auf Epidemien und eine große zug TGV zu freien Behandlungskapazitäten im
Zahl Schwerverletzter vorbereiten. Lande brachte. pek
Die Website Noch mehr
zur Messe VDI nachrichten
Hannover Messe: Die weltweit jetzt mit Vn+
größte Industriemesse kann wieder in
digitaler Form besucht werden, darüber
Im digitalen Angebot von VDI nachrichten erhal-
hinaus feiert sie aber auch ein analoges
ten Sie zusätzliche Informationen und multime-
Comeback. Vom 30. Mai bis zum 2. Juni
diale Beiträge zu den bewährten Artikeln der
besteht die Möglichkeit, unmittelbar
Print- und E-Paper-Ausgabe. In dieser Woche zäh-
Kontakte zu knüpfen, die technischen
len dazu:
Highlights vor Ort zu begutachten und
spannende Vorträge aus den Bereichen
Schadhafte Stromspeicher: Noch immer warten
Technik, Arbeitsmarkt und Karriere zu
zigtausend Nutzer von Solarstromspeichern der
verfolgen.
Leipziger EnBW-Tochter Senec auf die Wiederinbe-
Welche Aufgaben und Herausforde-
triebnahme ihrer Anlagen. Wann diese erfolgen
rungen stellen sich der Industrie zur-
wird, weiß selbst das Unternehmen nicht genau.
zeit? Mit welchen Innovationen sorgen
Ingenieurinnen und Ingenieure für Auf-
Flugzeugentwicklung abgebrochen: Russland
sehen? Und nicht zuletzt: Wo auf der
und China haben infolge des Ukrainekriegs die ge-
Messe spielt sich was ab? Auf ihrer Web-
meinsame Entwicklung des Großraumjets CR929
site informiert VDI nachrichten über
gestoppt. Für kritische Komponenten – darunter
das tagesaktuelle Geschehen auf der
Triebwerke und Fahrwerke – waren die westlichen
Hannover Messe, stellt Produkte vor
Zulieferer abgesprungen.
und versorgt karrierebewusste techni-
sche Fachkräfte auf dem Job Hub mit
Schweres Geschütz aufgezogen: Panzerhau-
Tipps zum beruflichen Weiterkommen.
bitzen aus deutscher Produktion sollen der Ukrai-
Einer von mehreren thematischen
ne helfen, die russische Aggression abzuwehren.
Schwerpunkten auf der Hannover Mes-
Doch wie funktionieren diese Waffensysteme und
se ist die industrielle Transformation.
was können sie im Einsatz bewirken?
Wie Unternehmen die Herausforderung
bewältigen, ist eines der Kernthemen,
„ vdi-nachrichten.com
denen sich die Website widmet. ws
„ www.ingenieur.de/hannover-messe-special/
 6. Mai 2022 · Nr. 9
Wenn Firmen und Staaten
sich nicht an Regeln halten
Big-Brother-Award: Der Datenschutz-Negativpreis stellt 2022
sogar staatliche Datenschützer an den Pranger.
Von Chr. Schulzki-Haddouti
W
eil die irische Da-
tenschutzbeauftrag-
te Helen Dixon auch
fünf Jahre nach
Inkrafttreten der
Datenschutzgrundverordnung
(DSGVO) diese noch immer nicht
durchsetzt, erhielt sie beim Big-
Brother-Award den Preis in der Ka-
tegorie „Lebenswerk“. Unter ihrer
Obhut habe sich Irland zurr „Oase
für Geschäftsmodelle des Überwa-
chungskapitalismus“ von Facebook,
cebook,
Google, Apple, Microsoft, Oracle
und Salesforce entwickelt, so
o Jury-
mitglied Rena Tangens.
Die Unternehmen unterhal- al-
ten in Irland ihre europäi- i-
schen Hauptquartiere. Des--
halb leiten die Datenschutz-
behörden in den EU-Mit-
gliedstaaten die Daten-
schutzbeschwerden von
n sende Kontrollen erhöhen den
Bürgerinnen und Bürgern an n Druck auf Beschäftigte – beson-
die irische Behörde weiter. er.
Den Preis erhält die Behördee für
„jahrelanges Verschleppen, n, de
facto Nicht-Bearbeiten von on Be-
schwerden, bürokratische Winkel-
züge, abschreckende Kosten
schwerdeführer und mangelnde
n für Be-
nde Ko-
Ko
operation mit den europäischen
Kolleginnen und Kollegen“.
Die irische Datenschutzbehörde
wirke „wie ein schwarzes Loch, in
dem Beschwerden gegen die großen
Digitalkonzerne einfach verschwin-
den“, erklärt Tangens. Sie vermutet,
dass das daran liegt, dass „Irland da-
von profitiert, dass es den Big-Tech-
Konzernen ermöglicht, ihren Über-
wachungskapitalismus ohne Rück-
sicht auf Bürgerrechte durchzuzie-
hen“.
In diesem Jahr wurde auch das
Bundeskriminalamt für seine Art,
wie es personenbezogene Daten in
DIESE WOCHE
Dateien abspeichert und nutzt mit
Kritik „gewürdigt“. So werden ent-
gegen der verfassungs- und europa-
rechtlichen Vorgaben Daten in Da-
teien nicht oder unzureichend ge-
kennzeichnet. Jurymitglied Thilo
Weichert warnt: „Das bloße Foto-
grafieren von Polizisten und Polizis-
tinnen kann unter dem Label ‚poli-
tisch motivierte Kriminalität‘ abge-
legt werden – ohne dass es je zu ei-
ner Anklage, geschweige denn zu ei-
ner Verurteilung gekommen ist.“ ist.
Der Big-Brother-Award richtet
sich gegen Datenmissbrauch und
Spionage. Foto: panthermedia.net/ Jürgen Fälchle
Möglicherweise werden Betroffene
dieser Etikettierungen später durch
den Fehler ungerechtfertigt als Ge-
fährder oder Straftäter behandelt.
Das schwedische Unternehmen
Klarna Bank erhielt den Big-
Brother-Award in der Kategorie Ver-
braucherschutz. Jury-Mitglied und
Netzaktivist padeluun (Pseudonym)
wies darauf hin, dass Klarna in-
transparent Daten und Macht bün-
delt, indem es zugleich als Shop-
ping-Service, Zahlungsdienstleister,
5 6. Mai 2022 · Nr. 9
Preisvergleichsportal, persönlicher
Finanzmanager, Bonitätskontrol-
leur und Bank fungiert.
Auch die Bundesdruckerei GmbH
wurde mit dem Negativ-Preis ausge-
zeichnet. Der Grund ist, dass sie der
Jury zufolge energiefressende
Blockchain-Techniken fördert, die
auch Konsequenzen für den Daten-
schutz haben können. So betreibt
sie ein Projekt, das die Authentizität
von ScSchulzeugnissen mithilfe von
Blockchain belegen will.
Blockc
In d der Kategorie „Arbeitswelt“
der Preis an die Firma Lieferan-
ging de
do für unzulässige Kontrolle ihrer
beschäftigten Fahrer über die so-
besc
genannte Scoober-App. Sie er-
gen
fasst neben dem Zeitpunkt der
fa
Abholung im Restaurant und
A dann verdenken, wenn Verbraucher nach diesen
der Übergabe an Kunden alle
d drei bis vier Jahren auf ein neues Smartphone
115 s bis 20 s den Standort der
Fahrer. „Dauerhafte, umfas-
F ohne aktuelles Betriebssystem manche Apps
se
Dr
ders, wenn das Tempo der Erle-
der
digung von Aufträgen sich auf das
digu
Gehalt auswirkt“, erklärte Jurymit-
glied PPeter Wedde. Ein Fahrer sagte
Interview: „Ich wusste, die sehen
im Inte
genau auf der Karte, wo ich bin.
das gen
Ich bin in der Probezeit auch über
rote Ampeln gefahren, wenn nichts
kam.“
Die Big-Brother-Awards werden
in Deutschland seit über 20 Jahren
an Firmen, Organisationen und Per-
sonen verliehen, „die in besonderer
Weise und nachhaltig die Privat-
sphäre von Menschen beeinträchti-
gen sowie persönliche Daten ver-
kaufen oder gegen ursprüngliche
Interessen verwenden“. Nur die we-
nigsten Preisträger holten die Big-
Brother-Award-Statue bisher ab. In
diesem Jahr schenkten die Veran-
stalter sie spontan dem Betriebsrat
von Lieferando, der bei der Verlei-
hung in Bielefeld im Publikum saß.
DIESE WOCHE 5
„ DIALOG
Lächerliche
Garantiedauer
Wege aus der Wegwerfgesellschaft – Die EU-
Kommission macht nachhaltige Produkte zur
Norm (Nr. 7/22)
Leider ist zu befürchten, dass wieder die
Hauptverantwortung auf die Verbrau-
cher abgeschoben wird. Bei jedem De-
fekt muss man doch die schwerwiegende Ent-
scheidung treffen: Lohnt es sich oder lohnt es
sich nicht?
Das heißt, habe ich nach der Reparatur für meh-
rere Jahre ein funktionierendes Gerät/Maschine?
Oder sind viele Bauteile derart gealtert/verschlis-
sen bzw. wurden durch den Defekt weitere Bau-
teile derartig geschädigt, dass diese nach kurzer
Zeit auch ausfallen? Die meisten Verbraucher
sind Laien, die diese Abschätzung gar nicht vor-
nehmen können. Aber auch Fachleute können
oftmals nur eine sehr grobe Abschätzung vor-
nehmen.
Wäre es aber nicht sinnvoll für Geräte/Maschi-
nen, die oftmals eine Lebensdauer von zehn bis
20 Jahren haben, die bislang lächerliche zwölf bis
24 Monate gültige Garantie deutlich aufzusto-
cken?
Aber leider ist die EU noch nicht einmal in der
Lage, gegen die lächerlich kurzen Update-Zeiten
bei Smartphones anzugehen. Wem will man es
umsteigen – aus Sicherheitsgründen, oder weil
nicht mehr funktionieren?
Edmund Dörrhöfer, Flörsheim
„ KONTAKT
„ Leider können wir von den Zusendungen nur einen
kleinen Teil veröffentlichen. Oft müssen wir kürzen,
damit möglichst viele Leser zu Wort kommen.
„ Redaktion VDI nachrichten,
Postfach 101054, 40001 Düsseldorf,
leserbriefe@vdi-nachrichten.com
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6 REPORTAGE 6. Mai 2022 · Nr. 9
Von Iestyn Hartbrich
G
erade gegründet stand
die Rocket Factory Augs-
burg auch schon vor ei-
nem Riesenproblem.
Das Start-up wollte 2018
eine kleine Rakete für Nutzlasten bis
200 kg entwickeln, einen sogenann-
ten Microlauncher. Zu dieser Zeit
war das voll im Trend. So sehr im
Trend, dass weltweit Dutzende, eher
Hunderte, Unternehmen den glei-
chen Plan hatten. Dem Team um die
Gründer Stefan Brieschenk und Jörn
Spurmann schwante: Die Rakete
musste mehr sein als
Höchste
einfach nur klein.
Also entschied sich die
Rocket Factory Augsburg
(RFA) zu einem Schritt,
Stufe
der in der Raumfahrtsze-
ne sehr unterschiedliche
Reaktionen provozierte.
Spott zum Beispiel. Neid.
Und Argwohn.
Zusammengefasst lau-
Raketen: Die gestufte tete der neue Plan, eine
Verbrennung gilt in leistungsfähigere Rakete
zu bauen, die 1300 kg in
der Raumfahrt als erdnahe Orbits bringen
die komplizierteste kann. Voraussetzung:
Antriebstechnik. Trotzdem Die RFA würde sich an
einem der komplizier-
gehen Raketenbauer neuerdings testen Triebwerkstypen
wieder das Wagnis ein. der Raumfahrtgeschich-
Porträt eines widerspenstigen te versuchen müssen. In
lächerlich kurzer Zeit
Triebwerkstypen. noch dazu. Zehn Jahre
Entwicklungszeit gelten
in der Szene als ambitio-
niert, die RFA wollte es in vier schaf-
fen. „Wir haben alles auf diese eine
Karte gesetzt“, sagt Brieschenk.
Staged Combustion heißt die An-
triebstechnik, zu deutsch etwa: ge-
stufte Verbrennung. In der Raum-
fahrtgeschichte sind einige Trieb-
werke, die dieses Prinzip nutzen, zu
Legenden geworden. Das Haupt-
triebwerk des Space Shuttles ist eins
davon. Je drei Motoren waren am
Heck von Atlantis und Co. montiert.
Eine andere Ikone ist das sowjeti-
sche RD-180, ein Sinnbild an Zuver-
lässigkeit. In den 1990er-Jahren be-
gannen die USA, diesen Motor ein-
zukaufen. Heute nutzt die Schwer-
lastrakete Atlas V das Triebwerk, mit
der der Marsrover Curiosity gestar-
tet wurde.
Ein drittes Beispiel ist das eben-
falls sowjetische RD-170, mit
7,9 MN Schub im Vakuum das
mächtigste Flüssigkeitstriebwerk
der Geschichte. Wobei manche wi-
dersprechen würden: Das Triebwerk
war so mächtig, dass die Sowjets
den Treibstoff auf vier Hauptbrenn-
kammern verteilen mussten. Je vier
dieser Boostertriebwerke waren die
Starthilfen für die Energija-Rakete,
den Träger für das sowjetische Shut-
tle-Pendant Buran. Derivate des An-
triebs fliegen noch immer.
Zwischen dem Buran-Programm
und der Rocket Factory Augsburg
liegen Welten – nicht nur beim
Schub. Was ist das für ein
Triebwerkstyp, der für die Sowjet-
union wie auch für ein Augsburger
Klassiker der Raumfahrt: Das RD-180-Triebwerk wird in Russland Start-up gleichermaßen interessant
gebaut. Heute ist es der Hauptstufenantrieb der US-Schwerlastrakete ist, der die ganz großen Raketen an-
Atlas V. Inzwischen sind die Lieferungen ausgesetzt. Foto: NASA/Kim Shiflett treibt – und nun die ganz kleinen?
Ganz am Anfang jedes Trieb-
werksdesigns steht die Frage, wie
ein möglichst hoher Druck in der
Brennkammer erzielt werden kann.
Je höher der Brennkammerdruck,
desto schneller das Gas beim Aus-
tritt aus der Düse und desto effi-
zienter der Antrieb.
Das Problem ist nur: Im Tank ist
der Treibstoff bei moderaten Drü-
cken um 4 bar gelagert. Turbopum-
pen sind nötig, um den Treibstoff
aus den Tanks hinauszubefördern
und ihn auf dem Weg in die Brenn-
kammer unter Druck zu setzen. Der
große Unterschied zwischen den
Motortypen liegt darin, wie diese
Pumpen angetrieben werden.
Das 08/15-Triebwerk in der Raum-
fahrt, der Gasgeneratorzyklus, ver-
brennt eine Fraktion des Treibstoffs
in einer Vorbrennkammer, um die
Turbinen für die Pumpen zu betrei-
ben, und lässt das Abgas anschlie-
ßend durch einen Auspuff entwei-
chen. Das ermöglicht relativ einfa-
che Designs, ist aber aus zwei Grün-
den suboptimal. Erstens wird ein
Teil des Treibstoffs nicht für die
Schuberzeugung genutzt. Zweitens
ist der Brennkammerdruck design-
bedingt limitiert: Im Gasgenerator-
zyklus kann ein bestimmter Druck –
grob 150 bar – nicht überschritten
werden.
Staged Combustion ist der Ver-
such, diese Nachteile loszuwerden.
Die Effizienz steigt laut RFA um 7 %,
die Nutzlastkapazität um 30 %. Wa-
rum also nicht den gesamten Treib-
stoff in die Brennkammer leiten?
Wenn das so einfach wäre ... Ge-
nerationen von Designteams haben
sich an der Technologie abgearbei-
tet, in den USA wie auch in der Sow-
jetunion. Die große Schwierigkeit
liegt darin, die Turbinen für die
Pumpen nicht zu überlasten. Bei
der gestuften Verbrennung gibt es
keinen Auspuff; das Abgas aus der
Vorbrennkammer (Preburner ge-
nannt) verbleibt im Triebwerk. Ein
heißes aggressives Medium trifft al-
so bei Drücken jenseits der 250 bar
auf die Turbinenschaufeln. Eine Zu-
mutung – egal für welches Material.
Und deshalb wird die Temperatur
im Preburner bewusst niedrig ge-
halten, 1000 K statt 3500 K. In ande-
ren Worten: Man gibt sich alle Mü-
he, extra schlecht zu verbrennen.
Das lässt sich über das Mischungs-
verhältnis des Treibstoffs steuern.
Flüssigraketen fliegen mit einer
Kombination zweier Treibstoffe:
Fuel (Brennstoffe wie z. B. Kerosin
oder Wasserstoff) und Oxidizer
(meist Flüssigsauerstoff/LOX). Wer-
den diese so gemischt, dass entwe-
der viel zu viel Fuel oder viel zu viel
Oxidizer vorliegt, verbrennen sie
kälter. Man spricht auch von fuel-
rich und oxygen-rich – analog zur
fetten und mageren Verbrennung
im Automobil. In beiden Fällen ist
die Verbrennung nicht besonders
stabil. Die Kunst liegt also darin,
nicht nur schlecht zu verbrennen,
sondern stabil schlecht. Das ist
schon im stationären Betrieb kom-
pliziert, beim Starten des Antriebs
ist es verflucht kompliziert.
Sowohl die USA als auch die Sow-
jetunion waren dennoch erfolg-
reich, wenn auch ganz unterschied-
liche Technologien dabei herausge-
kommen sind. Beide Seite mussten
früh einsehen, dass der Treibstoff
Kerosin (RP-1) Probleme bereitet.
Jeder Versuch, diesen fuel-rich zu

verbrennen, scheiterte daran, dass
heiße Rußpartikel die Turbinen-
schaufeln erodierten. Und bum!
Die USA blieben fuel-rich und
wechselten den Treibstoff; das Spa-
ce Shuttle wurde mit Wasserstoff an-
getrieben. Die Sowjets mochten sich
vom Kerosin nicht trennen und lös-
ten das Problem spektakulär. Sie
verbrannten oxygen-rich. Und das
bedeutet: Unmengen heißen Sauer-
stoffs an der Turbine. „Bei sauer-
stoffreicher Verbrennung muss man
extrem aufpassen, was man tut.
Man kann sich seine Hardware in
Sekundenbruchteilen grillen“, sagt
Jan Deeken, Triebwerksexperte am
Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR). Es gehört zu den
Anekdoten der Raumfahrtfor-
schung, dass die US-Teams bis zum
Zerfall der Sowjetunion nicht für
möglich hielten, dass die Technik
überhaupt beherrschbar ist.
Für die Rocket Factory Augsburg
kommt die große Gelegenheit im
Jahr 2019. Das Start-up bekommt ei-
ne Turbopumpe aus der Produktion
der ukrainischen Firma Yuzhmash
zum Kauf angeboten. Ein Relikt aus
dem sowjetischen Staged-Combus-
tion-Programm der 1980er-Jahre.
Die RFA schlägt zu.
Die Turbopumpe muss immer zu-
erst entwickelt werden. Zurück in
Augsburg ist die Pumpe deshalb der
Ausgangspunkt für den neuen LOX-
Kerosin-Motor Helix. Die RFA-
Teams nehmen das Stück buchstäb-
lich auseinander. In ungezählten
Hardwaretests versuchen sie he-
rauszufinden, wo die Reserven lie-
gen, welche Winkel kritisch sind
und welche Durchmesser überdi-
mensioniert. „Weg vom Computer,
rein ins Labor“, sagt Brieschenk.
Ausgehend von der ukrainischen
Pumpe kommen die Triebwerkste-
ams zu einem – patentrechtlich wie
technologisch – eigenen Design.
Nach und nach integrieren sie neue
Komponenten. Die Turbopumpe er-
hält Keramiklager aus deutscher Fa-
brikation, die schneller drehen als
die alten Stahlkugellager. Parallel
entwickelt die RFA ein additives Ver-
fahren, um aus einem Kupferwerk-
stoff den Preburner und die Haupt-
brennkammer zu drucken.
Und irgendwann, im Sommer
2021 naht der Moment der Wahr-
Ikone: Die Energija-Rakete ist nur zweimal geflogen, einmal davon mit dem Buran-Shuttle. Buran landete
wie eine Eins, dennoch wurde das Programm nach dem Zerfall der Sowjetunion beendet. Foto: dpa Picture-Alliance/Uli Deck
heit. Die RFA schickt einen Prototy-
pen des Helix-Antriebs an einen
Teststand in Esrange, Schweden.
Der Antrieb soll erstmals gezündet
werden. Dass die Helix-Entwicklung
zu diesem Zeitpunkt noch keine
zehn Jahre in Anspruch genommen
hat, sondern erst drei, bringt der
RFA den Vorwurf der Scharlatanerie
ein. Das Start-up führt die Abkür-
zung wesentlich auf den Glücksfund
in der Ukraine zurück. „Wir waren
zum richtigen Zeitpunkt am richti-
gen Ort. Wir haben fünf Jahre ge-
spart“, sagt Gründer Brieschenk.
Anfang der 2000er-Jahre gibt es für
das RD-180 stabile Lieferketten
zwischen dem russischen Trieb-
werksbauer Energomash und der
US-Raketenfirma ULA. Staged-
Combustion-Neuentwicklungen
hat es kaum noch gegeben. Zu kom-
pliziert, zu zeitaufwendig. Und zu
teuer. Das US-Verteidigungsminis-
terium kalkuliert, allein der Aufbau
einer Fertigung für ein Triebwerk
vom Schlage des RD-180 werde
1 Mrd. $ kosten. Die Initiative er-
lahmt. Es ist ruhig geworden um die
Staged-Combustion-Technologie.
Das ändert sich, als die damals
jungen US-Unternehmen Blue Ori-
gin und SpaceX beginnen, die Trieb-
werke für ihre Deep-Space-Missio-
nen zu entwickeln. Blue Origin ar-
beitet bis heute am BE-4-Motor für
seine Rakete New Glenn.
6. Mai 2022 · Nr. 9
SpaceX versucht sich am Raptor,
einem LOX/Methan-Motor mit un-
erreichten 300 bar Brennkammer-
druck; in der Triebwerksforschung
ist von full flow staged combustion
die Rede. „Full flow ist die Heirat aus
fuel-rich und oxygen-rich“, sagt der
DLR-Forscher Deeken. Das bedeu-
tet: Die Turbopumpe für den Brenn-
stoff wird von einem brennstoffrei-
chen Gemisch angetrieben, die Sau-
Das schub- erstoffpumpe von einem sauerstoff-
reichen Gemisch. Auf diese Weise
stärkste Flüssig- durchläuft der gesamte Treibstoff –
triebwerk der fuel und oxidizer – die Preburner:
Durch den größeren Massenstrom
Geschichte war können dort die Drücke sinken. Da-
für muss SpaceX zwei unvollständi-
mit
7,9
ge Verbrennungen stabil beherr-
schen. Full flow gilt als das komple-
xeste Triebwerksdesign überhaupt.
Dieser Aufbau ist noch nie in der
Geschichte der Raumfahrt geflogen.
MN der
Im August 2021 ist das Augsburger
sowjetische Helix-Triebwerk am Teststand fest-
Staged-Combus- geschnallt. Nach Brieschenks Schil-
derungen gibt es zwei Möglichkei-
tion-Motor ten. Entweder der Test gelingt, dann
kann die RFA damit beginnen, Ra-
RD-170. keten zu verkaufen. Oder er geht
schief, dann ist die Rocket Factory
Augsburg Geschichte.
Dann der Countdown. Der erste
Funke im Preburner, der erste Treib-
stoff fließt auf die Turbine, die dreht
immer schneller. Und die Pumpe:
hält. Nach 8 s schaltet das Testteam
REPORTAGE 7
ab. Die Parameter sind stabil, das
Triebwerk hat seinen ersten Hoch-
lauf überstanden.
Die Investoren – darunter der Sa-
tellitenbauer OHB – sind der RFA
treu geblieben. Das Bremer Famili-
enunternehmen hat gleich 25 Auf-
träge für seine Satelliten platziert.
Insgesamt haben zehn Kunden
Starts gebucht. Der Erststart ist für
Ende 2022, spätestens Anfang 2023
geplant. Darüber entscheidet ein
letzter großer Hardware-Test, bei
dem die Zweitstufe samt Triebwerk
gezündet wird.
Die RFA-Rakete soll 30 m hoch
sein und in der Grundvariante aus
zwei Stufen bestehen. Neun Helix-
Triebwerke sollen die Erststufe an-
treiben, ein zehntes mit einer vaku-
umoptimierten Düse die Zweitstufe.
Als Startkosten nennt die RFA
3 Mio. € für den zweistufigen Träger
und 5 Mio. € für eine dreistufige Va-
riante, die mehrere erdnahe Orbits
in Serie anfliegen und deshalb meh-
rere Satelliten absetzen kann.
Aus dieser Kalkulation folgt ein
Preis pro Triebwerk von 200 000 €.
Dazu haben die RFA-Designteams
einiges anders gemacht als die Sow-
jets vor 40 Jahren. Schrauben statt
Schweißnähten, 3D-Druck statt
Galvanik: Alles ist auf die Produkti-
on kleiner Serien getrimmt.
Für die ersten Raketen ist die
Marke von 200 000 € noch knapp
verfehlt worden. Langfristig orien-
tiert sich Brieschenk am Kostenre-
gime des Motorsports. „Wir wollen
Raketentriebwerke so günstig bauen
wie Formel-1-Motoren“, sagt der
Gründer. Bedeutet: 100 000 € das
Stück sind das Ziel. Um das zu errei-
chen, plant die RFA, ihre Erststufen
samt Motoren wiederzuverwenden.
Irgendwann einmal. Die sauerstoff-
reiche Verbrennung ist dabei eine
Hilfe, denn das aggressive Gasge-
misch entfernt sämtliche Verbren-
nungsrückstände schon im Betrieb.
„Nach dem Flug sieht die Pumpe
aus wie neu“, sagt Brieschenk. Für
den Erststart ist Wiederverwendbar-
keit noch kein Thema. Die Devise
laut Gründer Brieschenk: „Hauptsa-
che schnell am Markt“.
Vielleicht ist das Ziel ehrgeizig ge-
nug. Denn bislang sind Staged-
Combustion-Antriebe alles mögli-
che gewesen, aber nicht schnell am
Markt.
8 TECHNIK & WIRTSCHAFT
„ KOMMENTAR
„Rumpelig“ –
wenns dabei
bliebe ...
Der derzeitig medial sehr präsente Krisen-
erklärer Robert Habeck schaut auf die ost-
deutschen Bundesländer Brandenburg
und Berlin und – nein, er sorgt sich nicht –
er stellt Dinge klar: Er sprach in Zusam-
menhang mit einem schnellen Ölembargo
gegen russische Lieferungen davon, es
werde dort „rumpelig werden“. Weil dort
ansässigeg Großraffinerien doch sehr ab-
hängig sind vom rus-
sischen Öl. „Rumpe-
lig“? – das stimmt
fast positiv. Es sugge-
riert: Der Weg ist be-
kannt, sonst wäre die
Einschätzung über
Energieredakteur den Belag kaum zu
Stephan W. Eder treffen. Wenn es nur
fürchtet, dass es
dabei bliebe ...
mehr als nur „rum-
pelig“ werden wird. Habeck bezog sich
Foto: VDIn/Zillmann
nur aufs Ölembargo,
das die EU (Stand Dienstag) wohl diese
Woche verkünden wird. Ölreserven hat das
Land. Nach dem am Sonntag vorgestellten
zweiten „Fortschrittsbericht“ zur Abhän-
gigkeit von russischen Rohstoffen hat
Deutschland gut gearbeitet: Nur noch 12 %
der Rohölimporte kommen aus Russland,
statt der noch 35 % im letzten Jahr. Und
beim Gas? Da sank die Abhängigkeit von
55 % (2021) auf jetzt 35 %. Und die Bun-
desnetzagentur hat diese Woche begon-
nen, die Daten größerer Verbraucher aus
der Wirtschaft für die „Sicherheitsplattform
Gas“ zu erheben. Die braucht es im Ernst-
fall bei einer akuten Gasverknappung für
„ein effizientes Management im Krisen-
fall“, so die Bonner Agentur. Sprich: Wer
bekommt wie viel und wer nichts.
Wer meinte, damit wäre alles geregelt,
dürfte irren. Der Krieg in der Ukraine ent-
puppt sich – nach der Corona-Pandemie –
als weiteres Lehrstück für die global ver-
netzte Ökonomie. Was heißt das? Wenn es
hier bei den Preisen rumpelt, dürfte es in
anderen Ländern dieser Welt im Funda-
ment gewaltig krachen. Und was weit weg
scheint, ist ganz schnell ganz nah, wenn
Ressourcen und Teile der Wertschöpfungs-
kette ausfallen, weil bisher allenfalls als
„Mondpreise“ bezeichnete Kurse auf dem
Energiemarkt tatsächlich aufgerufen wer-
den. Und Energie daher für manche Volks-
wirtschaften fast unbezahlbar wird.
Da helfen der deutschen Industrie dann
auch die jetzt anlaufenden Ukrainehilfen
aus dem Hause Habeck nicht mehr. Es
könnte sehr ungemütlich werden – wenn
es doch nur gemütlich „rumpelig“ bliebe ...
„ seder@vdi-nachrichten.com
6. Mai 2022 · Nr. 9
„Digitalisierung ist Basis zur
Erreichung der Klimaziele“
Industrie: Peter Weckesser, CIO des Elektronikkonzerns Schneider Electric, betont die
Bedeutung einer integrierten, standardisierten Digitalisierung bei großen Projekten.
Von Stephan W. Eder
VDI nachrichten: In Düsseldorf
entsteht, analog zum gleichnami-
gen Berliner Projekt, ein neuer Eu-
ref-Campus. Schneider Electric
wird hier mit der neuen Deutsch-
landzentrale Ankermieter und
maßgeblicher Technologiepartner
sein. Herr Weckesser, welche Rol-
le spielt bei einem solchen Bau-
projekt, das sich auch Nachhaltig-
keit auf die Fahne schreibt, die
Digitalisierung?
Peter Weckesser: Schneider
Electric hat schon lange eine sehr
konsistente Strategie, die auf drei
Eckpfeilern beruht: Erstens die
Elektrifizierung, das ist unser Kern-
geschäft; zweitens die Nachhaltig-
keit, da sind wir seit 15 Jahren mit
einem Sustainability-Programm en-
gagiert. Die dritte Säule ist die Digi-
talisierung. Wir glauben, dass diese
drei Säulen extrem zusammenhän-
gen und dass die Digitalisierung ein
ganz wichtiges Fundament, also ein
Enabler, für die beiden anderen Zie-
le ist.
Diese Strategie spiegelt sich in
den Gebäuden, die wir selbst bauen,
aber auch bei Partnerschaften wie
dem Mietobjekt des Euref-Campus
am Düsseldorfer Flughafen wider.
Neue Gebäude bieten den Vorteil,
dass man schon bei der Planung, al-
so bevor der erste Mensch zum
Hammer greift, das Gebäude wirk-
lich digital aufbauen kann. Das pas-
siert jetzt auch bei dem Euref-Cam-
pus.
Schneider Electric hat jüngst in
Grenoble ein Gebäude errichtet, das
heißt Intensity. Dieses ist ähnlich
konzipiert wie der Euref-Campus
und wurde aktuell gerade erst in Be-
trieb genommen. Das Gebäude, ge-
staltet für einige Tausend Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter, ist extrem
energieeffizient ausgelegt. Es er-
zeugt eigene Energie durch Wind-
turbinen und Solarzellen, speichert
Strom mit Batterien, nutzt Wärme-
pumpen für eine möglichst effizien-
te Beheizung des Gebäudes und ist
in ein Microgrid eingebunden. In-
nerhalb dieses Microgrids teilt es
seinen Energieüberschuss – in Gre-
noble sind wir energiepositiv – mit
anderen Gebäuden in der Umge-
bung. Außerdem binden wir Elek-
tromobilität mit ein.
Genauso sieht die Planung am
Euref-Campus in Düsseldorf aus.
Von der Architektur wird das Ge-
bäude von vorne herein auf maxi-
male Energieeffizienz ausgelegt. Zu-
dem aber wird alles so konzipiert,
dass das technisch Machbare, was
heute möglich ist, in diesem Gebäu-
de auch wirklich umgesetzt wird. In
Düsseldorf spielt Elektromobilität
eine große Rolle. Dies in Form von
Lademöglichkeiten und einer gro-
ßen Anzahl an Elektroparkplätzen.
Es geht nicht zuletzt auch um indi-
viduelle Ladekonzepte für viele Mit-
arbeiter, die zu Hause keine ent-
sprechenden Möglichkeiten haben.
Wo fängt bei solch einem Projekt
die Digitalisierung für Schneider
Electric im Grundsatz an? Wie pas-
siert das in der Bauphase? Wer-
den da schon alle Ressourcen digi-
tal erfasst?
Das Thema Life Cycle Management
haben wir als Kernthema innerhalb
von Schneider über alle Bereiche
etabliert, sowohl für Gebäude als
auch für Industrieanlagen. Schnei-
der Electric kommt ja klassisch aus
dem Bereich der tangiblen Produk-
te, so etwas wie Schalter, Schützer,
Steckdosen, Steuerungssysteme –
alles Dinge, die sich zwar theore-
tisch anfassen lassen, die aber oft in
einem Schaltschrank verbaut und
daher Teil einer Gesamtlösung sind.
Die Erfahrung zeigt, dass wir mit
unseren Kunden nicht nur über un-
sere Produkte reden müssen, son-
dern über den kompletten Lebens-
zyklus ihrer Applikation, in die un-
sere Produkte eingebunden sind. Es
geht also um den Bedarf homoge-
ner, skalierbarer und investitionssi-
cherer Gesamtlösungen.
Wenn wir an das Thema Gebäude
denken, dann beginnt das wirklich
Foto: Schneider Electric
Peter Weckesser
„ Chief Information Officer
(CIO) Schneider Electric seit
Juni 2020
„ Digital Transformation Of-
ficer bei der Airbus-Sparte
Defence & Space seit 2017
„ Chief Operating Officer für
Product Lifecycle Manage-
ment bei Siemens. Weck-
esser begann seine berufli-
che Laufbahn bei dem
Münchner Konzern
„ Der Physiker promovierte an
der Universität Karlsruhe in
den Computerwissenschaf-
ten
bei der Planung des Gebäudes –
oder auch einer Industrieanlage.
Wir investieren in Plattformen und
Partnerschaften, sodass wir für un-
sere Kunden entsprechende Ange-
bote haben. Dabei arbeiten wir in-
tensiv mit Partnern zusammen,
zum Beispiel mit AutoCAD, in deren
Tools wir unsere ganzen Elektropla-
nungswerkzeuge mit einbringen.
Über AutoCAD sind Sie dann beim
Thema Building Information Mo-
deling (BIM) ...
BIM kommt eigentlich erst später
zum Zuge, jetzt sind wir noch bei
der Planung, da managen wir noch
keine Informationen des Gebäudes.
Der Start von BIM ist tatsächlich
dann, wenn die ganzen für die Ar-
chitektur relevanten Designinfor-
mationen entstehen. Da wird dann
viel gerechnet, zum Beispiel über
Energiebilanzen. In dieser Simulati-
on sind ebenso alle Energieerzeuger
und -verbraucher enthalten. Wir
sprechen in diesem Zusammen-
hang von einem Prosumerkonzept,
weil ein Gebäude in diesem Fall
auch ein Energieerzeuger ist und zu
bestimmten Zeiten auch Energie-
überschuss produzieren kann. Sol-
che Dinge werden in der Planungs-
phase digital modelliert und auch
simuliert.
Dann kommt typischerweise die
Umsetzungsphase. Gerade Infra-
strukturen und Gebäude sind große
Projekte, die gemanagt werden
müssen. In diesem Sektor haben wir
vor zwei Jahren die Firma RIB ak-
quiriert. Das Unternehmen sitzt in
Stuttgart, ist Weltmarktführer im Be-
reich Ausführungssysteme für große
Bauten und Infrastrukturprojekte,
und leistet alles, was mit Planung zu
tun hat. Mit dem Angebot von RIB
haben wir mittlerweile ein Werk-
zeug an der Hand, mit dem wir die
Lücke zwischen der reinen Planung
und dem Betrieb schließen können,
nämlich die Ausführungs- bzw. Um-
setzungsphase.

In dieser Phase entstehen weitere
Daten im Lebenszyklus eines Pro-
jekts. Wenn das Gebäude dann ge-
baut ist, fallen Millionen von Daten
an, von jeder Elektrotankstelle, von
jedem Temperatursensor, von je-
dem Lichtschalter. Dann sind wir in
der Lage, diese Daten in die digitale
Simulation einzuspeisen.
Sie haben also einen lebenden di-
gitalen Zwilling des Gebäudes,
den Sie weiter aufbauen, der
dann auch einen Forecast ermög-
licht?
Genau. Wir sind da noch nicht über-
all perfekt, entwickeln uns aber
mehr und mehr dahin. Dies ergän-
zend zu dem digitalen Zwilling der
Planungsphase. Wenn dann nach
der Bauphase alles erfolgreich läuft,
haben wir ein reales Gebäude, das
reale Daten liefert. Aufbauend da-
rauf, kann ich Optimierungen
durchführen. Diese basieren auf al-
len verfügbaren Energieflüssen. Wir
haben geplant, dass ein Gebäude ei-
nem Veränderungsprozess unter-
liegt. Es wird immer weiterentwi-
ckelt, umgebaut oder Räume wer-
den anders genutzt, als es ursprüng-
lich angedacht war. Ich kenne kein
Gebäude, das in seiner Lebenszeit
nicht verändert wurde.
Das bedeutet letztlich einen Wie-
dereinstieg in die Planungsphase, al-
le Veränderungen aber können jetzt
wirksam mit effizienten Planungs-
tools umgesetzt werden. Die mögli-
che Gesamtsimulation zeigt dann
unmittelbar, wie sich die Verände-
rungen auf das komplette Gebäude
auswirken. So eine Modifikation, Re-
novierung oder Erweiterung – auch
wenn es um eine Erweiterung tech-
nischer Systeme geht – würde man
schon vor einem Investment in diese
Planungstools einfügen, um sie si-
mulieren zu können. Bei den zahlrei-
chen Bestandsgebäuden gibt es je-
doch das Problem, dass es keine ak-
tuellen Planungsdaten dazu gibt, al-
so die digitale Historie fehlt.
Beim digitalen Zwilling sagten
Sie: Da sind wir noch nicht überall
perfekt. Was fehlt denn noch?
Es fehlt noch eine vollständige In-
tegration über den Lebenszyklus.
Uns fehlen noch einige Software-
Tools. RIB ist eine ziemlich neue
Akquisition, es sind noch nicht alle
Integrationen durchgeführt, es liegt
also noch ein Teil der Roadmap vor
uns. Zusätzlich entstehen neue
Themen, wie das ganze Umfeld der
Elektromobilität, das intelligente
Management der Elektrotankstel-
len, die Planung, wann welche
Fahrzeuge geladen werden und wie
sich Wettervorhersagen einbinden
lassen.
Gibt es das nicht alles schon?
Da gibt es bereits sehr viel, korrekt.
Was keiner von der Stange fertig hat,
ist die Gesamtintegration dieser
Themen. Und das ist etwas, was
man nicht unterschätzen sollte. Bei
dieser Gesamtintegration ist es
wichtig, dass diese herstellerüber-
greifend ist. Es geht also maßgeblich
um offene Programmierschnittstel-
len, über die die Kommunikation
mit anderen Herstellern stattfindet.
An diesen Themen arbeiten wir,
aber es gibt weiterhin Handlungs-
bedarf.
Was kann Digitalisierung dabei
leisten, unser Siedlungswesen
besser zu adaptieren an die Anfor-
derungen, die mit dem Klimawan-
del aufkommen? Wie ist Schnei-
der Electric da aktiv, kaufen Sie
strategisch zu?
Wir sehen den Klimawandel ganz
klar als die größte Herausforderung,
die diese Generation vor sich hat.
Dabei sind wir sehr aktiv, in den Be-
reich der Nachhaltigkeit investieren
wir massiv.
Die beschriebenen Beispiele
lassen sich auf viele Gebäude, aber
auch auf die zukünftige Stadtent-
wicklung übertragen. Die Umset-
zung bei einer bestehenden Infra-
6. Mai 2022 · Nr. 9 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Künstlerische Ansicht Foto: EUREF-Campus Düsseldorf, © EUREF AG
des im Bau befindli-
chen Euref-Campus am struktur ist dabei vergleichsweise
Flughafen Düsseldorf. aufwendiger und teurer als bei
Ankermieter ist der neu zu planenden Projekten. Aber
Elektronikkonzern wir müssen ganz konsequent den
Schneider Electric, der Weg der Weiterentwicklung exis-
hier seine Deutschland- tierender Infrastrukturen gehen.
zentrale hin verlegen Wir treiben all die Themen inten-
wird. Digitalisierung siv voran. Wir sind sehr intensiv an
gilt als Schlüsseltech- all den Themen dran, die mit
nologie für Planung, Energieeffizienz und -manage-
Bau und Betrieb des ment zu tun haben, vor allem
Gebäudes. auch an Microgrids.
In welcher Hinsicht?
Microgrid-Konzepte bestehen da-
rin, dass Demand und Supply mög-
lichst ausgeglichen sind, beim Eu-
ref-Campus-Microgrid ist das erst
einmal innerhalb des Campus der
Fall. Wobei das Microgrid grund-
sätzlich nicht auf den Campus be-
schränkt ist. Der Campus wird mit
„Wir dürfen anderen umliegenden Gebäuden in
nicht, weil mög- das Microgrid integriert sein. Wenn
der Euref-Campus überschüssige
licherweise noch Energie produziert, wird er diese
anderen Verbrauchern in der nahen
nicht alle Fragen Umgebung zur Verfügung stellen
können.
beantwortet
sind, die Der folgerichtige Anschluss wäre
dann die Stadt- und Quartierent-
Chancen der wicklung. Was können Sie da an-
bieten?
Digitalisierung Wir werden keine Stadtplanung
selbst durchführen, aber wir stellen
totreden.“ alle Tools und Werkzeuge über den
Peter Weckesser, kompletten Lebenszyklus zur Ver-
CIO Schneider Electric SE fügung. Kunden sollen dabei auch
den Wettbewerb sehen und zwi-
schen verschiedenen Lösungen die
Auswahl haben. Wir gehen damit
ganz klar einen offenen Weg. Unser
Anspruch ist es, mit unseren Pro-
dukten die Kernprozesse abdecken
zu können. Das sehen wir als Wett-
bewerbsvorteil. Die Durchgängig-
keit unserer Toolplattform gilt es
permanent zu optimieren. Aber wir
wollen auch bei all unseren Tools
offene Schnittstellen anbieten, um
andere Tools und Lösungen inte-
grieren zu können.
9
Wie beurteilen Sie die Bundesre-
gierung und das Fit-for-55-Paket?
Inhalte des Koalitionsvertrags in
Richtung Entwicklung nachhaltiger
Energienutzung, nachhaltiger Re-
chenzentren oder digitaler Zwillinge
– das sind alles sehr gute Dinge, die
den technologischen Fortschritt im
Blick haben. Dem stehen wir sehr
positiv gegenüber. Auch das Fit-for-
55-Paket begrüßen wir sehr. Weil wir
eine absolute Notwendigkeit und
moralische Verpflichtung haben,
diese Ziele zu erreichen.
Ist Digitalisierung als Enabler ge-
nug eingebunden?
Die Digitalisierung ist erst mal vom
Ambitionslevel gut eingebunden,
die Umsetzung ist das Schwierige.
In Deutschland stehen wir uns da
manchmal selbst etwas im Weg.
Meine Empfehlung für Deutschland
ist, dass wir mehr auf die Chancen
als auf die Risiken schauen. Wir dür-
fen nicht, weil möglicherweise noch
nicht alle Fragen beantwortet sind,
die Chancen der Digitalisierung tot-
reden. Meiner Meinung nach ist da
aber ein Umdenken sehr stark spür-
bar. Letztlich ist die Digitalisierung
Basistechnologie zur Erreichung der
Klimaziele. Das muss uns bewusst
sein.
Wo spürt denn ein Unternehmen
wie Schneider Electric so ein Um-
denken in Sachen Nachhaltig-
keit?
Ich bin der Meinung, das Thema ist
in der Gesellschaft angekommen.
Wir in Deutschland haben schon
verstanden, dass das größte Pro-
blem die Erreichung der Klimaziele
ist. Die Umsetzung wird wieder die
Herausforderung sein. Bei den Kun-
den merke ich das sehr deutlich: Ich
kenne keinen, mit dem ich rede, der
nicht die Nachhaltigkeit auf seiner
Agenda hat. Jedes Unternehmen
wird seine eigenen Sustainability-
Ziele definieren müssen. Unterneh-
men wie wir haben den Scope 3 bei
der Sustainability, also die Nachhal-
tigkeit unserer Lieferkette im Blick.
Das ist ein relevantes Einkaufskrite-
rium, und die Bedeutung wird im-
mer größer werden. Ohne die voll-
ständige Umsetzung von Scope 3
werden wir unsere gesteckten Ziele
für 2050 nicht erreichen können.
Ist die aktuelle Energiekrise ein
Enabler?
Die Energiekrise, die jetzt durch den
aktuellen und tragischen Konflikt
über uns hereinbricht, könnte ein
Enabler für den schnelleren Um-
stieg auf grüne Energie sein. Unser
größtes Problem in Deutschland ist
die Kohle, sprich der extrem hohe
Kohleanteil. Meiner Meinung nach
wäre es besser gewesen, die Kohle
so schnell wie möglich, das heißt,
vor dem Gas, auszuphasen. Der ak-
tuelle Konflikt bringt uns da in eine
durchaus herausfordernde Situati-
on
Energie einzusparen ist die güns-
tigste Ressource und das ist es, was
wir tun, was ja auch gesellschaftlich
gefordert wird. Energieeffizienz hat
also einen hohen Stellenwert. Aber
natürlich muss weiterhin Energie
erzeugt werden. Diese Erzeugung
müssen wir also zudem so schnell
wie möglich so grün wie möglich
umsetzen.
10 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Mehr Wärme
aus Müll
Wärmewende: Mit besonderen Wärmepumpen
will die Hamburger Stadtreinigung deutlich mehr
Fernwärme aus der Müllverbrennung
Rugenberger Damm gewinnen.
Von Eva Augsten
D
ie massige blaue Ma-
schine schaukelt leicht,
als der Kran sie vom Lkw
hebt. Mithilfe von Gur-
ten manövrieren Helfer
die am Haken schwebenden 80 t an
ihren Platz im neu errichteten Ge-
bäude. „Beim letzten Ortstermin im
Winter war hier noch eine Baugru-
be“, kommentiert Rüdiger Siechau,
Geschäftsführer der Stadtreinigung
Hamburg. Die blaue Maschine ist
eine von drei Absorptionswärme-
pumpen, die bis Ende 2023 insge-
samt zusätzliche 350 GWh an Ener-
gie aus dem Rauchgas der Müllver-
brennung Borsigstraße ziehen sol-
len. Das sind fast 9 % der Fernwär-
me in Hamburg. „Ohne mehr Müll
zu verbrennen“, betont Siechau.
Auf die Umsetzungsgeschwindig-
keit des Projekts sind die Beteiligten
besonders stolz. „Es wurde im Re-
kordtempo geplant und durchge-
führt“, sagt Umweltstaatsrat Micha-
el Pollmann. In Zahlen heißt das:
2017 gab es erste Überlegungen, im
September 2020 gaben Gremien
und Behörden grünes Licht für die
Umsetzung. Gut anderthalb Jahre
später stehen die Wärmepumpen
nun auf dem Betriebsgelände der
Stadtreinigung. „Komplett im Zeit-
plan, und das bei einem öffentli-
chen Projekt und in diesen Zeiten“,
schwärmt ein Ingenieur der Stadt-
reinigung. Noch Ende dieses Jahres
sollen zwei der Wärmepumpen ih-
ren Betrieb aufnehmen, die dritte
soll Ende 2023 folgen.
Hitze statt Strom treibt die Wär-
mepumpen an: Bisher gelangt
Müllwärme aus der Borsigstraße
auf zwei Wegen ins Hamburger
Fernwärmenetz. Die beiden Linien
zur Restmüllverbrennung geben
fast ihren gesamten Dampf an das
benachbarte Heizkraftwerk Tief-
stack ab. Dieses liefert wiederum
Fernwärme für das Netz der Ener-
giewerke Hamburg. In der dritten
Linie verbrennt die Stadtreinigung
Altholz in einem eigenen Heizkraft-
werk. Daraus koppelt sie auch
Dampf aus, um daraus Fernwärme
zu machen.
Ein Teil der Energie, der im
Rauchgas der Müllverbrennung
steckt, soll in Zukunft die Absorpti-
onswärmepumpen antreiben. Im
Gegensatz zu elektrischen Wärme-
pumpen nutzen die thermischen
Wärmepumpen nicht den Wechsel
von mechanischer Kompression
und Entspannung, um Wärme von
„kalt“ nach „warm“ zu pumpen,
sondern von Absorption und De-
sorption (s. Kasten).
6. Mai 2022 · Nr. 9
Als Niedertemperatur-Wärme-
quelle dient das Abgas nach dem
Rauchgaswäscher. Mit etwa 70 °C ist
es für eine direkte Nutzung in der
Fernwärme zu kalt. Doch mit den
Wärmepumpen lässt sich noch eini-
ges rausholen. Das Abgas soll in der
neuen Anlage auf 32 °C herunter-
kühlen. Dabei wird vor allem Kon-
densationswärme frei, denn nach
dem Wäscher ist das Abgas voll mit
Wasser gesättigt.
Die Absorptionswärmepumpe
muss nicht um Ökostrom konkur-
rieren: Auf 80 °C lässt sich das Fern-
wärmewasser mithilfe der Wärme-
pumpen erhitzen. Zum „Auftop-
pen“ der Temperatur steht dann
noch die Wärme aus der Feuerung
zur Verfügung, denn an kalten Tagen
liegt die Vorlauftemperatur im Fern-
wärmenetz auch mal bei 130 °C.
Das Verhältnis von eingesetzter
Wärme zur nutzbaren Wärme ist bei
der Absorptionswärmepumpe mit
1,6 deutlich geringer als bei elektri-
schen Wärmepumpen. Im Gegen-
zug entfällt der verlustreiche Wand-
lungsschritt von der Wärme zum
Strom. Hinzu kommt: Gerade im
Winter werden künftig Millionen
elektrischer Wärmepumpen und
E-Autos um den verfügbaren Strom
konkurrieren. Gerade dann, wenn
das Fernwärmenetz viel Energie
braucht, wird der Strom also knapp
und teuer sein.
Erste Absorptionswärmepumpe
dieser Größenordnung in Deutsch-
land: Absorptionswärmepumpen
sind bisher vor allem in Form von
Kältemaschinen bekannt. Sie er-
möglichen es zum Beispiel, ein Ge-
bäude mithilfe einer Solarthermie-
anlage zu kühlen. Zum Heizen nutzt
man sie bisher selten. Wenn, dann
sind sie unter dem Namen „Gaswär-
mepumpe“ zu finden, da die An-
triebswärme in der Regel aus einem
Gasbrenner kommt.
Die thermisch angetriebenen
Großwärmepumpen der Stadtreini-
gung Hamburg stammen vom indi-
schen Hersteller Thermax. Es sind
laut Pressemitteilung die ersten Ge-
räte dieser Art in Deutschland. Doch
das Projekt in der Borsigstraße soll
nicht das einzige bleiben. Im Jahr
2027 soll am Rugenberger Damm, ei-
ner weiteren Abfallverbrennung in
Hamburg, eine Absorptionswärme-
pumpe mit einer Leistung von
30 MW in Betrieb gehen.
Die Wärmequelle Müll für die Wär-
mepumpe gibt es reichlich: Müll-
wärme soll gemeinsam mit ver-
schiedenen erneuerbaren Energie-
quellen zuerst die Kohle und später
auch das Erdgas aus dem Hambur-
ger Fernwärmenetz verdrängen. Die
Verbrennung von Abfällen soll per-
spektivisch etwa die Hälfte der
Fernwärme liefern. „Die hier er-
zeugte Wärme führt sofort zu einer
Reduktion der Kohlefeuerung am
Heizkraftwerk Tiefstack“, erklärt
Umweltstaatsrat Michael Pollmann.
Laut Kalkulation der Stadt Hamburg
soll dies 104 000 t CO2 einsparen.
Die Frage, ob man die Abfallver-
brennung wirklich als CO2-neutral
ansetzen darf, führt regelmäßig zu
Differenzen mit Klimaschutzgrup-
pen. Schließlich wird beim Verbren-
nen unbestreitbar CO2 frei. Die
Hamburger Umweltbehörde argu-
mentiert: Diese Emissionen würden
ohnehin anfallen, schließlich sei
man verpflichtet, den Müll zu ent-
sorgen. Nach gängigen Standards
sei das CO2 daher in der Abfallver-
brennung bilanziert und müsse
nicht erneut in der Klimabilanz der
Fernwärme auftauchen.
Abfall als Wärmequelle dürfte in
Hamburg langfristig zur Verfü-
gung stehen: Kritiker befürchten,
die Stadt könne die Müllvermeidung
vorsätzlich verschleppen, weil sie auf
die Wärme angewiesen sei. Sichau
hält dagegen: „Natürlich wollen wir,
dass der Müll weniger wird. Die Rest-
müllmenge in Hamburg ist in ver-
gangenen zehn Jahren immerhin um
rund 100 000 t gesunken. Doch die
Gewerbeabfälle nehmen eher zu,
und auch im europäischen Trend
steigt das Abfallaufkommen.“
Dieser Müll muss weg – auch im
Sommer. Fernwärme braucht man
in Hamburg dann nur wenig. Die
Laufzeit der neuen Wärmepumpen
wird daher erst einmal auf gut
5000 Stunden jährlich begrenzt
sein. Perspektivisch könnten even-
tuell Saisonalspeicher helfen.
Im Rahmen des Norddeutschen
Reallabors soll am Kraftwerk Tief-
stack zum Beispiel ein versalzener
Grundwasserleiter in 1200 m Tiefe
Wärme speichern. Doch erst einmal
ist hier ausprobieren im „kleinen“
Maßstab angesagt – die Hamburger
Energiewerke rechnen mit einer
Wärmeleistung von 2,6 MW für das
Projekt.
Eine der drei Absorp-
tionswärmepumpen
kommt am 21. April Die neuen Wärmepumpen sind Teil
2022 an der Müllver- eines Konzepts: Sie sollen Wärme in
brennung Borsigstraße Hamburg „langfristig preisstabil“
der Stadtreinigung machen. Die neuen Wärmepumpen
Hamburg an. Foto: Eva Augsten hat sich die Stadtreinigung 55 Mio. €
kosten lassen. Für die als „innova-
tiv“ eingestufte Technologie gibt es
7,6 Mio. € Zuschuss vom Bundes-
amt für Wirtschaft und Ausfuhrkon-
trolle (Bafa) und weitere 7,1 Mio. €
aus dem Europäischen Fonds für re-
gionale Entwicklung (Efre). Zu wel-
chen Wärmekosten das unterm
Strich führt, verrät die Stadtreini-
gung allerdings nicht.
„Sozial gerechte“ Wärmepreise
hatte die Stadt den Hamburgerin-
nen und Hamburgern fest verspro-
chen, als sie die Fernwärmegesell-
schaft von Vattenfall zurückkaufte.
Kritiker des Rückkaufs fürchteten,
dass klimafreundlichere Wärme die
Kosten in die Höhe treiben würde.
Doch wie es aussieht, behielten die
Befürworter recht und die Abkehr
von fossilen Brennstoffen zahlt
sich aus. Die Stadtreinigung liefert
nach eigenen Angaben „langfristig
preisstabile Wärme“ an die Fern-
wärmegesellschaft, die nur anteilig
an einen Index gebunden sei, um
die Inflation auszugleichen. Wer
auf Gas und Kohle angewiesen ist,
kann von solchen Verträgen nur
träumen.
Arbeitsweise der Absorptionswärmepumpe
„ Im Kreisprozess der Absorptionswärmepumpe ver-
dampft auf der Niedertemperaturseite Wasser unter
geringem Druck.
„ Der Wasserdampf wird danach von einer noch nicht
gesättigten Lithiumbromid-Lösung absorbiert.
„ Eine Pumpe erhöht den Druck im Fluid – allerdings
mit deutlich weniger Energieeinsatz als bei einer elek-
trischen Wärmepumpe, da sich die Flüssigkeit (die
wässrige Lithiumbromid-Lösung) praktisch nicht
komprimieren lässt.
„ Der eigentliche Antrieb für den Prozess ist Hitze aus
dem heißen Teil des Abgasstroms.
„ Die Hitze treibt den Wasserdampf wieder aus dem Li-
thiumbromid heraus.
„ Dann kann der Dampf seine Wärme auf hohem Tem-
peraturniveau an das Fernwärmenetz abgeben.
12 TECHNIK & WIRTSCHAFT 6. Mai 2022 · Nr. 9

Gedruckte
Keramikteile – ganz
ohne Sinterofen
Additive Fertigung: Forschende aus Thüringen entwickeln
gerade ein neues Verfahren, um Bauteile aus technischer Keramik
herzustellen – in nur einem Produktionsschritt. Dabei setzen sie
auf ultrakurzgepulste Laserstrahlung.

Von Stefan Asche und anschließend, bei sehr hohen Temperaturen,

gesintert werden. Erst dann ist das Bauteil voll be-

T
echnische Keramiken haben beeindru-
ckende Eigenschaften: Sie sind in aller
Regel elektrisch isolierend, hochtempe-
raturbeständig, unempfindlich gegen-
über Säuren und Laugen, korrosions-
fest, verschleißfest und sehr hart. Entsprechend
groß ist das Spektrum ihrer Einsatzgebiete. Es
reicht von der Luft- und Raumfahrt über die
Mess-, Medizin-, Elektro-, Microsystem- und So-
lartechnik bis hin zum Maschinen- und Anlagen-
bau. Doch wie so oft liegen auch bei diesem ver-
meintlichen Wunderwerkstoff Segen und Fluch
sehr nahe beieinander: Die Herstellung kerami-
scher Bauteile ist nämlich genau wegen ihrer Ei-
genschaften aufwendig und oft
werkzeugintensiv. Abhilfe schaffen
will die additive Fertigung. For-
schende aus Thüringen entwickeln
gerade ein neuartiges Verfahren.
lastbar.
Diesen zweiten Produktionsschritt wollen die
Thüringer Experten – teils von der Ernst-Abbe-
Hochschule Jena, teils von der Hermsdorfer LCP
Laser-Cut-Processing GmbH – umgehen. Ihren
Ansatz dazu nennen sie „UKP-SLS-Keramik“ –
womit ihr Weg schon mal skizziert ist: Sie setzen Im Inneren des Druckers lenkt eine Scan-Optik den ultrakurzgepulsten Laser
auf das selektive Lasersintern (SLS) und nutzen ins Keramikpulverbett. Foto: Ernst-Abbe-Hochschule Jena
dabei einen Ultrakurzpuls-Laser (UKP).
Das SLS-Verfahren ist aus dem Kunststoffbe-
reich bekannt. Kurzer Exkurs: Im ersten Schritt
wird eine dünne Schicht Polymerpulver ausge-
bracht. Anschließend fährt ein kontinuierlich
strahlender Laser die Konturen des gewünschten
Bauteils sowie alle innenliegenden
Flächen ab. Getroffene Partikel bil-
den dadurch Sinterhälse zu ihren
Nachbarn aus – es entsteht also fes-
tes Material. Durch Wiederholung

Foto: Ernst-Abbe-Hochschule Jena

Um die Vorteile des neues Ansat-
zes im Detail zu verstehen, hilft ein
Blick auf die aktuell marktführende
Drucktechnik zur Herstellung von
Keramikbauteilen. Entwickelt wur- Anne-Marie Layher
de sie vom österreichischen Unter- von der Ernst-Abbe-
nehmen Lithoz. Sie funktioniert – in Hochschule Jena:
aller Kürze – so: Zunächst wird eine „Wir forschen noch am
lichtaushärtende Binderflüssigkeit, optimalen Pulver.“
in die winzige Keramikpartikel dis- Foto: Ernst-Abbe-Hochschule Jena
pergiert sind, in eine transparente
Wanne gefüllt. Von oben taucht
dann die Bauplattform ein – bis knapp über den
Boden. Die schmale Schicht zwischen Plattform
und Wannenboden wird nun von unten selektiv
bestrahlt. Es entsteht die erste Schicht des Bau-
teils. Anschließend wird die Bauplattform minimal
angehoben – und alles beginnt von vorne. Dieser
Prozess wird so oft wiederholt, bis das Zielobjekt in
seine gewünschte Form gebracht ist.
Dabei handelt es sich dann allerdings zunächst
nur um ein sogenanntes Grünteil. Dieses muss in
einem zweiten Produktionsschritt erst entbindert
Das gesamte Interview kann abgehört wer-
den auf der „Druckwelle“, dem Podcast zur
additiven Fertigung von VDI nachrichten
und Ingenieur.de. In der entsprechenden
Folge (41) wird auch erklärt, wann die ers-
ten gedruckten Keramikteile bestellt wer-
den können – und ob der Drucker irgend-
wann zu kaufen sein wird.
www.ingenieur.de/druckwelle
der einzelnen Schritte wächst das
gewünschte Bauteil innerhalb des
Pulverbetts in die Höhe.
Ein UKP-Laser strahlt aber nicht
kontinuierlich. Er geht an und aus –
im extrem schnellen Wechsel. Kon-
kret: Bei den Thüringern beträgt die
Pulsdauer zwischen 300 Femto-
sekunden und zehn Pikosekunden.
Zur Einordnung: Eine Femtosekun-
de entspricht dem Billiardenstel ei-
ner Sekunde. Um es zu veranschau-
lichen: Licht benötigt für die Strecke
von der Erde zum Mond etwa 1,3 s. In 300 Femto-
sekunden durchquert es gerade mal den Durch-
messer eines menschlichen Haares. Die Repititi-
onsrate der ultrakurzen Lichtstrahlen liegt bei
satten 20 MHz. Pro Sekunde lassen es die Thürin-
ger also 20 Mio. Mal blitzen.
Eine weitere Besonderheit von UKP-Lasern ist
ihr sehr kleiner Spot. „In unserem Fall misst er
lediglich 27,4 μm im Durchmesser“, weiß Daniel
Störzner, Geschäftsführer der LCP Laser-Cut-Pro-
cessing GmbH. „Die Laserleistung von 80 W ist al-
so stark fokussiert.“
Und wozu das alles? Anne-Marie Layher, Dok-
torandin an der Hochschule Jena, erklärt: „Die
Summe aus hoher Laserleistung, hoher Repititi-
onsrate und kleiner Spotgröße erlaubt es, das Pul-
vermaterial lokal sehr begrenzt zu verfestigen.“
Ergebnis seien Strukturen mit einer relativ hohen
Dichte. „Unser Ziel ist es, mindestens 90 % zu er-
reichen.“ Denn dann sei ein weiterer Sinterpro-
zess oft nicht nötig.
Voraussetzung für eine hohe Bauteildichte ist
die Dichte des Pulverbetts. „Wir wollen sie erhö-
hen, indem wir unterschiedliche Partikelgrößen
mischen“, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin.
„Zusätzlich untersuchen wir den Einsatz von so-
wohl sphärischen als auch spratzigen Partikeln.“
Aktuell liege der Forschungsschwerpunkt auf den
Keramikpulvern Zirconiumoxid und Aluminium-
oxid – inklusive Mischformen. Je nach Korngröße
kosten sie zwischen 8 €/kg und 250 €/kg.
Keramikgehäuse für Sensoren, aufgebracht auf ein Keramiksubstrat. Viele
solcher Bauteile ließen sich in einem einzigen Baujob fertigen. Der Laser
könnte am Anfang des Druckprozesses genutzt werden, um Ritzlinien auf dem
Substrat zu erzeugen. Dann ließen sich die Bauteile später leicht vereinzeln.
Der Bauraum der aktuellen Anlage ist über-
schaubar: Das Scanfeld hat einen Durchmesser
von 5 cm und eine Höhe von 20 cm. Dennoch
sind auch größere Bauteile denkbar. Die For-
schenden erwägen nämlich die Herstellung von
Hybridobjekten: „Zum einen wollen wir Struktu-
ren auf ein bestehendes Substrat auftragen“, so
Störzner. „Zum anderen wollen wir den UKP-SLS-
Prozess mit der subtraktiven Laserbearbeitung
kombinieren – in einer Aufspannung, zeitlich und
räumlich frei kombinierbar.“ Gedruckte Teile
könnten also Bohrungen oder – mittels Feinstruk-
turierung – hydrophobe Oberflächen erhalten.
Weitere Vorteile im Vergleich zum oben skiz-
zierten Lithoz-Verfahren: Der Schrumpf ist deut-
Daniel Störzner, Ge- lich geringer – nicht zuletzt, weil kein Bindemittel
schäftsführer der LCP ausgebrannt werden muss. Es ist außerdem kein
Laser-Cut-Processing Sinterofen nötig. Und das Pulver ist – anders als
GmbH: „Das Verfahren die Lithoz-Flüssigkeit – unbegrenzt lagerfähig.
bietet großes Nachhal- Wo so viel Licht, da auch Schatten: Der Baupro-
tigkeitspotenzial.“ zess ist langsamer, der Bauraum kleiner, die
Foto: LCP Laser-Cut-Processing Hardware teurer und die Dichte der entstehen-
den Bauteile kommt derzeit nicht annähernd an
die Werte der Österreicher (+99 %) heran.
Faszinierend ist, wie „grün“ die Produktion der
Thüringer werden könnte. Störzner: „Wenn wir
die Energie für die Maschinen aus regenerativen
Quellen gewinnen, dann haben wir das nachhal-
tigste Herstellungsverfahren überhaupt!“ Der
41-Jährige erklärt: „Man kann fast alle Keramik-
teile mit dem Laser zu Pulver machen. Und aus
dem Pulver erschaffen wir dann neue Bauteile.“

Industrie 4.0 für
Bestandsmaschinen
Automation: Die Maschinen laufen noch gut, doch in der Produktion ist
zunehmend Vernetzung gefordert. Eine nachhaltige Lösung dafür ist Retrofit.
Von Stephane Itasse
W
enn am 30. Mai die
Hannover Messe
unter dem Leitmot-
to der „Industrial
Transformation“ be-
ginnt, stellt sich für viele etablierte
Unternehmen die Frage, was das für
ihre Bestandsmaschinen bedeutet.
Denn neben Digitalisierung ist
Nachhaltigkeit ein zentrales Ziel
dieser Tage. Prinzipiell lassen sich
viele dieser Maschinen entspre-
chend nachrüsten. Die vor über
zehn Jahren in Hannover vorgestell-
te Industrie 4.0 könnte dadurch ei-
nen neuen Schub erhalten.
Argumente für ein solches Maschi-
nenretrofit gibt es viele: Wirtschaft-
lichkeit verbessern, Budget scho-
nen, Produktivität erhöhen, kein
unnötiges Risiko eingehen, Resi-
lienz und Nachhaltigkeit stärken –
das waren bisher die Gründe. Mit
Industrie 4.0 kam eine weitere Auf-
gabe hinzu: Es geht nun darum, Be-
standsanlagen einschließlich aktu-
eller Sensorik an eine zukunftsfähi-
ge IT anzuschließen. Die damit ge-
wonnenen Informationen helfen,
die Effizienz in der Produktion zu
verbessern, ein gezielteres Energie-
management zu realisieren und die
Anlagen vorausschauend zu warten.
Je nach Bedarf reichen die Lösun-
gen von der einfachen Erfassung
von Maschinenzuständen bis hin
zur Simulation von Prozessen mit
digitalen Zwillingen von Maschi-
nen. Angesichts der vielen Möglich-
keiten ist es daher wichtig, das Ziel
für die Erneuerung einer Maschine
vorab zu klären. „Ein sinnvolles Re-
trofit bedeutet, dass man nicht nur
die Daten erfasst, sondern auch et-
was damit macht“, verdeutlicht
Martin Karkowski, Experte für Pro-
duktionsvernetzung beim Mittel-
stand 4.0-Kompetenzzentrum Saar-
brücken.
Es macht einen Unterschied, ob
einfach nur Messdaten erfasst wer-
den sollen, Dashboard-Anzeigen
gewünscht sind oder das Ziel die
Transparenz in der gesamten Pro-
duktion bis zur vorausschauenden
Wartung von Anlagenteilen ist. Im
nächsten Schritt wird definiert, wel-
che Informationen notwendig sind,
um das Ziel zu erreichen. Erst dann
lässt sich klären, über welche Signa-
le diese Information zu ermitteln
ist. Dazu kommt die Frage: Welche
physikalischen Zusammenhänge
gibt es zwischen der Information
und den Messsignalen?
Ist all das geklärt, wird die Senso-
rik ausgewählt und an der Anlage
integriert. In weiteren Schritten
werden Datenspeicher im IT-Sys-
tem eingerichtet, Lösungen für die
Auswertung und Visualisierung der
Daten aufgesetzt sowie Systemtests
durchgeführt. „Es ist ein Teamwork
aus verschiedenen Disziplinen“, be-
tont Karkowski.
Welche Vorteile eine umfangrei-
che digitale Nachrüstung bringen
kann, zeigt sich im Siemens-Werk
Bad Neustadt an der Saale. Rund
500 000 Elektromotoren verlassen
6. Mai 2022 · Nr. 9 TECHNIK & WIRTSCHAFT
dort jedes Jahr die Hallen. Ohne
dass sich die Lieferzeiten verlän-
gern, steigt die Individualisierung
dabei rasant: Jedes Jahr kommen et-
wa 35 000 neue Varianten dazu. „Das
bedeutet: Wir haben alle sieben Mi-
nuten irgendwo in der Produktions-
kette ein neues Set-up“, berichtet
Peter Deml, der in dem Siemens-
Werk für die Vernetzung der Maschi-
nen zuständig ist. „Wir brauchen di-
gitale Unterstützung, um das besser
zu gestalten.“
Für ein Retrofitprojekt wählte Sie-
mens ein Dreh-Fräszentrum Index
G300, Baujahr 2000. Mechanisch
war dieses in einem guten Zustand,
deshalb wurde nur die elektrische
Antriebs- und Steuerungstechnik
ersetzt. Sie bekam Schnittstellen für
die Datenanalyse und einen digita-
len Zwilling für die Simulation. Das
gesamte Projekt erstreckte sich über
zwölf Wochen und war damit vier-
mal schneller als der Kauf einer
neuen Maschine. Dazu trug auch
die „digitale Inbetriebsetzung“ bei.
Die virtuelle Maschine wurde dabei
parallel zur mechanischen Umrüs-
tung aufgesetzt.
Die Genauigkeit der digitalen
Zwillinge liegt laut Deml bei etwa
95 %. Allerdings brauche man auch
Personal, das den Zwilling technisch
verstehe und daraus Verbesserungs-
prozesse ableiten könne. Nur dann
sei er auch sein Geld wert.
Deml beziffert die Kosten in dem
Projekt inklusive neuer Schnittstel-
len auf 20 000 €. Für den Umbau der
Hardware und der Steuerung ka-
men etwa 140 000 € dazu. Dennoch
13
Am Modell einer Dampfmaschine wird deutlich, wie eine
Fernüberwachung mit wenigen Komponenten realisiert
werden kann. Foto: TU Chemnitz
war das laut dem Fachmann 75 %
weniger als bei einer Neubeschaf-
fung. Dank des digitalen Zwillings
sei die Inbetriebnahme innerhalb
einer Woche gelungen. Die Produk-
tivität sei durch das Retrofit um 5 %
Bei einem bis 8 % gestiegen. Dafür sorgen nun
kürzere Bearbeitungszyklen, neue
Retrofitprojekt Apps auf der Steuerung und die di-
bei Siemens gitale Anbindung einer optischen
Wellenmessmaschine sowie der
lagen die Kosten Werkzeugverwaltung.
um
75 %
Für die einfache Vernetzung älte-
rer Maschinen ist aber nicht
zwangsweise ein komplettes Retro-
fit notwendig. Je nach Anforderun-
gen kann es bereits genügen, die
unter den Signalsäulen auf der Maschine aus-
zuwerten. Werden die Informatio-
Kosten für eine nen dokumentiert, erlaubt das bei-
Neuanschaffung. spielsweise Rückschlüsse auf die
Auslastung der Maschine oder aber
auch auf ihre Störanfälligkeit.
Wie wenig zur einfachen Vernet-
zung von Anlagen nötig ist, zeigt
auch ein mobiler Demonstrator
vom Mittelstand 4.0-Kompetenz-
zentrum an der TU Chemnitz (Fo-
to). Dort wurde eine einfache Mo-
delldampfmaschine mit Sensorik
und Anzeigegerät aufgerüstet. So
werden Betriebszustände wie das
„Aufheizen“ erkannt.
14 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Simulierte Quantencomputer
Informationstechnik: Aufgaben, für deren Lösung in der Vergangenheit aufwendige
Quantencomputer notwendig waren, sollen künftig durch Simulatoren gelöst werden.
E
Von Harald Weiss
chte Quantencomputer, also Systeme,
die mit quantenmechanischen Zustän-
den arbeiten, sind extrem aufwendig
und teuer. Dass trotzdem massiv daran
geforscht wird, liegt daran, dass sie in
absehbarer Zukunft kombinatorische Optimie-
rungsaufgaben lösen könnten, für die konventio-
nelle Systemen viel zu lange rechnen müssten –
oder die für sie gar nicht lösbar sind. Neuerdings
allerdings kommen immer mehr Simulatoren auf
den Markt, die vorgeben, einen Quantencompu-
ter simulieren zu können. Das Quantencompu-
ter-Infoportal Quantiki listet auf seiner Webseite
bereits über 150 verschiedene Simulatoren auf;
darunter viele namhafte Anbieter, wie IBM, Intel,
Microsoft und das Fraunhofer-Institut.
Doch wozu benötigt man dann noch die ex-
trem teuren und komplexen Quantencomputer,
wenn sich deren Funktionen und Programme
einfach simulieren lassen? Die Antwort wird klar,
sobald man etwas tiefer in den Workflow der Al-
gorithmen- und Softwareentwicklung von Quan-
tencomputern einsteigt: Im Gegensatz zu her-
kömmlichen Computern können Quantencom-
puterprogramme nicht schrittweise getestet wer-
den (Debugging). Ein einmal angestoßener Algo-
rithmus läuft bis zur Ergebnisausgabe durch –
oder er stürzt zwischendurch ab. Die Ausgabe von
Zwischenzuständen ist bei einem Quantencom-
puter nicht möglich.
Das bedeutet, dass die Programmierung auf ei-
nem Quantencomputer mit viel Trial and Error
verbunden ist. Bis ein solches Programm auf ei-
nem Quantencomputer fehlerfrei zum Laufen
kommt, werden viel Zeit und sehr teure Compu-
terressourcen verbraucht. Genau hier setzen die
Quantencomputer-Simulatoren an, indem die
gesamte Vorlaufphase eines Quantencomputer-
Programms – vom Algorithmusdesign über die
Programmierung bis hin zum finalen Test – auf ei-
nem konventionellen Computer ausgeführt wer-
den kann. Erst wenn alles fehlerfrei funktioniert,
erfolgt die Portierung auf einen echten Quanten-
computer. Das geht schneller und ist selbst dann
kosteneffizienter, wenn der Quantencomputer-
Simulator auf einem konventionellen Supercom-
puter betrieben wird.
Nicht nur bei der Softwareentwicklung sind
Quantencomputer-Simulatoren praktisch un-
umgänglich. Auch beim Aufbau des erforderli-
chen Quantencomputer-Know-how sind sie un-
ersetzlich, da sie relativ kostengünstig im Schu-
lungsbereich eingesetzt werden können. Dieser
Punkt wird bei der zukünftigen Quantencompu-
ter-Nutzung immer wichtiger, denn viele Quan-
tencomputer-Experten sehen gerade im fehlen-
den Know-how ein zunehmend großes Problem
bei der weiteren Quantencomputer-Entwicklung.
„Heutzutage erfordert das Entwerfen eines Quan-
tenschaltkreises in der Regel promovierte Kennt-
nisse in Quantencomputer-Informatik“, sagt Nir
Minerbi, CEO von Classiq, einem Plattformanbie-
ter für das Design von Quantencomputer-Algo-
rithmen: „Simulatoren können hier helfen, die
Einstiegsvoraussetzungen zu reduzieren und das
erforderliche Know-how schneller aufzubauen.“
Die Auswahl des geeigneten Simulators erfolgt
entsprechend dem jeweiligen Einsatzfeld und
den verfügbaren IT-Ressourcen. Wobei sich die
Simulatoren hauptsächlich in der technischen
Umsetzung unterscheiden. Beispielsweise bei der
gewählten Programmiersprache oder der Ablauf-
umgebung. Inhaltlich sind die grundlegenden
Funktionen dagegen sehr ähnlich. „Ein echter
Quantum-Schaltkreis auf einem Quantencompu-
6. Mai 2022 · Nr. 9
ter lässt sich letztlich mit der Multiplikation einer
Matrix mit einem Vektor abbilden, und das lässt
sich auf jedem Computer ausführen“, so der
Quantencomputer-Spezialist Frank Zickert.
Die Sache hat aber einen Haken, denn auch
wenn ein Quantencomputer-Simulator relativ
günstig entwickelt werden kann und viele Gründe
für dessen Einsatz sprechen, so müssen alle Si-
mulatoren bei einem Performance-Vergleich pas-
sen. Selbst die schnellsten Simulatoren sind um
Faktoren langsamer als alle Quantencomputer.
„Ein Qubit flippen dauert auf einem Simulator in
der Größenordnung von 10–2 s, auf einem Quan-
tencomputer dagegen nur 10–7 s“, sagt Stefan
Walter, Technical Consultant bei Fujitsu. Wie sich
das auf eine ganze Aufgabenstellung auswirkt,
lasse sich nicht so einfach be-
antworten. „Ein Performance-
„Wir stehen an der Vergleich von Simulator und
V
Quantencomputer hängt von
Schwelle eines neuen der Anzahl der Qubits und
vom Algorithmus ab“, erläu-
Zeitalters der Compu- tert er die Problematik.
Fujitsu ist auf diesem Gebiet
tertechnologie. In sehr aktiv. So hat das Unter-
Zukunft wollen wir nehmen soeben einen eigenen
neuen Quantencomputer-
mit unserem neuen Simulator vorgestellt, der nach
eigenen Angaben der weltweit
Simulator die Entwick- schnellste Simulator sein soll.
Das System läuft auf 64 Clus-
lung von Quanten- tern eines hauseigenen Super-
anwendungen deut- computers. Der Simulator
kann 36 Qubit verarbeiten und
lich beschleunigen.“ soll doppelt so schnell sein wie
vergleichbare Systeme von
Vivek Mahajan, CEO von Fujitsu
IBM oder Intel. Im September
soll eine neue Version für
40 Qubit auf den Markt kommen. Der Simulator
nutzt eine Weiterentwicklung der Quantencom-
puter-Simulationssoftware Qulacs, die zu einem
verteilten „Zustandsvektorsimulator“ ausgebaut
wurde. „Wir stehen an der Schwelle eines neuen
Zeitalters der Computertechnologie“, schwärmte
Fujitsus CEO Vivek Mahajan über den neuen Si-
mulator. „In Zukunft wollen wir mit unserem
neuen Simulator die Entwicklung von Quanten-
anwendungen deutlich beschleunigen.“
Das erhofft sich die gesamte Branche, denn
trotz der bedeutenden technologischen Entwick-
lungen bei den Systemen und den Simulatoren
werden Quantencomputer noch lange nicht im
Produktionsalltag anzutreffen sein. „Frühestens
in zehn bis 15 Jahren werden Quantencomputer
einen ROI erzielen – aber es ist wichtig, sich jetzt
schon darauf einzustellen und das Know-how
aufzubauen sowie geeignete Anwendungen zu
definieren“, lautet Walters Prognose und sein ein-
dringlicher Rat an die IT-Manager aus nahezu al-
len Bereichen: „Quantencomputing wird in alle
Branchen vordringen, denn komplexe kombina-
torische Optimierungen sind überall anzutref-
fen.“ In Deutschland experimentieren unter an-
deren BASF, BMW, Bosch, Infineon und Trumpf
mit der neuen Technologie. „Als Automobilher-
steller befindet sich BMW am Ende der Wert-
schöpfungskette des Quantencomputing“, sagte
Oliver Zipse, Vorstandsvorsitzender von BMW,
anlässlich der Eröffnung des „IBM Quantum Sys-
tem One“ in Ehningen. Doch bis zur kommerziel-
len Nutzung dieser Systeme ist es noch ein weiter
Quantencomupter wie die von IBM sind sehr aufwendig zu entwickeln – Weg. „Die neuen Quantenlösungen erfordern
nicht nur hardwaretechnisch, auch die Programmierung ist anspruchs- mehr als nur technologisches Quantenwissen –
voll. Daher wird das Computing mit Supercomputern im Vorfeld simu- sie erfordern viel mehr domänenspezifisches
liert. Im Bild justiert Forscherin Maika Takita Bauteile der Kryostaten, die Wissen in den Bereichen Finanzen, Industrie,
den supraleitenden Quantenrechner kühlen, im Labor des Thomas J. Wat- Chemie, Logistik, Kryptografie und vieles mehr“,
son Research Center von IBM in Yorktown Heights, New York. Foto: Connie Zhou/IBM meint Nir Minerbi.

Ein Abkommen, das für den transatlantischen Datenverkehr den rechtssicheren Datenaustausch sichert, ist endlich in Sicht. Die Zeit drängt. Viele kleine und mittlere Unternehmen
speichern und verarbeiten ihre Daten in den Cloud-Diensten großer US-Anbieter wie Microsoft, Amazon und Google. Foto: PantherMedia / Antartis
Z
Von Chr. Schulzki-Haddouti
um Jahresende 2022 soll
das neue Abkommen für
den transatlantischen Da-
tenverkehr stehen. Es wird
das Nachfolgeabkommen
für den „EU-US Privacy Shield“ sein,
der 2020 vor dem Europäischen Ge-
richtshof (EuGH) scheiterte. Ein No-
Spy-Abkommen zwischen der Euro-
päischen Union und den USA bleibt
jedoch außer Reichweite.
Die EU-Kommission und die Bi-
den-Administration einigten sich
Ende März auf Grundsätze für das
neue Abkommen. Einige Hürden
seien für den sogenannten „Transat-
lantischen Datenschutzrahmen“
noch zu nehmen, erwartet EU-Jus-
tizkommissar Didier Reynders. Geht
es nach ihm, sollen bereits Ende des
Jahres die Verhandlungen abge-
schlossen sein.
Die Zeit drängt. Viele kleine und
mittlere Unternehmen speichern
und verarbeiten ihre Daten in den
Cloud-Diensten großer US-Dienste
wie Microsoft, Amazon und Google.
Auch die Kommunikation in sozia-
len Netzwerken basiert auf Twitter
und Facebook oder auf Diensten
wie Slack, die auf Team-Kommuni-
kation spezialisiert sind. Im Zuge
der Corona-Pandemie wurden Vi-
deokonferenzsysteme wie Zoom
oder Webex zum Standard.
Aktuell müssen Unternehmen die
Transfers von personenbezogenen
Daten von EU-Bürgern mit den im
Juni 2021 aktualisierten Standard-
vertragsklauseln absichern. Dazu
müssen sie eine Risikoabschätzung
im Rahmen eines Transfer Impact
Assessments (TIA) vorhalten. Darin
stellen die Vertragspartner dar, wie
der Datenempfänger im Drittland
den rechtlichen Anforderungen
nachkommen will.
Die Etablierung dieser Regelun-
gen ist in der Regel mit erheblichen
6. Mai 2022 · Nr. 9 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Transatlantischen
Datenaustausch
absichern
Datenschutz: Der „Transatlantische
Datenschutzrahmen“ soll als Nachfolger des
„Privacy Shield“ Unternehmen noch in diesem Jahr
Erleichterungen bringen.
Rechtsberatungskosten verbunden. Reynders hatte über ein Jahr lang
Allgemein gültige Rahmenbedin- intensiv mit der US-Handelsminis-
gungen wie der „Transatlantische terin Gina Raimondo über die
Datenschutzrahmen“ sollen diesen Grundsätze der neuen Vereinbarung
Aufwand weitgehend unnötig ma- verhandelt. Das erhoffte No-Spy-
chen. Unter dem Vorläuferabkom- Abkommen ist dabei nicht heraus-
men Privacy Shield konnten die gekommen.
Dienste in der Regel ohne weitere Den Zugriff der US-Geheimdiens-
rechtliche Absicherungen genutzt te sollen im kommenden Abkom-
werden. men neue Regeln und Garantien
aber immerhin auf das beschrän-
Der österreichische Datenschutz- ken, was „zur Verfolgung definierter
experte und Bürgerrechtler Max nationaler Sicherheitsziele notwen-
Schrems (s. Kasten) hatte den Priva- dig und verhältnismäßig“ sein soll.
cy Shield erfolgreich vor den EuGH Die Biden-Administration wird
gebracht, nachdem er auch schon der EU-Kommission dazu einen
das Vorläuferabkommen Safe Har- Rechtstext vorlegen, über den ge-
bor dort zu Fall gebracht hatte. Bei- meinsam beraten werden soll. Mög-
de Abkommen waren daran ge- licherweise handelt es sich um eine
scheitert, dass es ihnen nicht gelun- Verfügung („Executive Order“), die
gen war, die weitreichenden Zu- von Joe Biden unterzeichnet werden
griffsmöglichkeiten von US-Ge- würde. Die US-Sicherheitsbehörden
heimdiensten auf die Daten von sollen den Vorverhandlungen zufol-
EU-Bürgern zu unterbinden. ge „Verfahren einführen, die eine
wirksame Kontrolle der neuen Da-
tenschutz- und Bürgerrechtsstan-
dards gewährleisten“.
Was ist Schrems II?
„ Schrems II ist benannt nach dem österreichischen Ju- Ein „neues zweistufiges Rechtsbe-
risten und Datenschutzaktivisten Maximilian Schrems. helfssystem“ soll Beschwerden von
Es ist ein Fall vor dem Europäischen Gerichtshof Europäern über den Zugriff auf Da-
(EuGH, 2020), der über die Mechanismen entschied, ten durch US-Geheimdienste unter-
die den Transfer personenbezogener Daten aus der EU suchen und beilegen können. Dafür
in die USA ermöglichen. soll ein Sondergericht eingerichtet
werden, das die Beschwerden prü-
„ Konkret geht es dabei darum, dass bei einer Übermitt- fen und über sie entscheiden kön-
lung von personenbezogenen Daten zwischen der EU nen soll.
und den USA der Datenexporteur zukünftig bewerten Die EU-Kommission erwartet au-
muss, ob für die vom Transfer betroffenen Daten ein ßerdem strenge Auflagen für die Un-
angemessenes Datenschutzniveau im Empfängerland ternehmen, die EU-Daten verarbei-
gewährleistet ist. ten. An der bisherigen Pflicht zur
Selbstzertifizierung wird nichts ge-
„ Dabei geht es um die sicheren Übertragungswege der
ändert.
Daten sowie die sichere Speicherung der Daten beim
Die Zertifizierung soll sich an Vor-
Empfänger, sodass niemand anderes als der Empfän-
gaben des US-Handelsministeriums
ger – zum Beispiel Geheimdienste – auf sie Zugriff hat.
orientieren. Hinzu kommen beson-
„ Der Urteilsspruch des EuGH im Fall Schrems II vom dere Überwachungs- und Überprü-
16. Juli 2020 beendete das bis dahin geltende transna- fungsmechanismen, über die noch
tionale Safe-Harbor-Abkommen zwischen der EU und verhandelt werden wird. Im Ergeb-
den USA. Experten bewerten das als starkes Signal für nis sollen die Vorgaben des Europäi-
den Grundrechtsschutz in Europa. schen Gerichtshofs eingehalten
werden.
15
Der EuGH hatte festgesellt, dass
rechtliche Regelungen wie der US-
amerikanische Foreign Intelligence
Surveillance Act (Fisa) oder der
Cloud Act es den US-Sicherheitsbe-
hörden ermöglichen, EU-Bürgerin-
nen und -Bürger massenhaft zu
überwachen. Außerdem urteilte das
Gericht, dass der US-Datenschutz-
standard nicht dem europäischen
entspreche. Damit stellte es erneut
klar, dass ohne Reformen auf US-
Seite kein angemessener Daten-
schutz erreicht werden könne.
Sobald die USA ihr Reformwerk
abgeschlossen haben, kann die EU-
Kommission über den Angemessen-
heitsbeschluss nach Art. 45 Daten-
schutzgrundverordnung (DSGVO)
beraten. Er würde den USA als Ziel-
land des Datentransfers ein ähnli-
ches Datenschutzniveau wie in der
EU attestieren. Solche Beschlüsse
gibt es etwa für die Schweiz, Kana-
da, Neuseeland und Japan. Auch
nach dem Brexit wurde ein befriste-
ter Angemessenheitsbeschluss für
Großbritannien etabliert. Erfah-
rungsgemäß dauert dieser Prozess
ca. sechs Monate. Dabei werden der
Europäische Datenschutzaus-
schuss, die EU-Mitgliedstaaten und
das Europaparlament einbezogen.
Die EU-Kommission und die Biden-
Administration vertrauen darauf,
mit dem geplanten Transatlanti-
schen Datenschutzrahmen eine
„dauerhafte Grundlage“ zu schaf-
fen.
Die von Max Schrems gegründete
Bürgerrechtsorganisation Noyb be-
mängelte, dass mit der geplanten
Executive Order des US-Präsidenten
lediglich eine Zusicherung der Exe-
kutive vorliegen würde. Die beste-
henden Überwachungsgesetze wür-
den nicht geändert werden. Die Zu-
sicherungen könnten jedoch nicht
eingeklagt werden und hätten keine
externe Wirkung. Noyb hält ein No-
Spy-Abkommen mit Basisgarantien
für die bessere Lösung.
16 TECHNIK & WIRTSCHAFT
Der Pilz als Bauteilfabrik
Bauforschung: Ein Haus einfach kompostieren? Das geht – falls es aus organischem Material
gebaut wurde. Forschende aus Karlsruhe und Zürich arbeiten mit einem Pilz, der Bauteilen
aus Holzabfällen große Stabilität verleiht. Und beim Wachstum bindet dieser sogar noch CO2.
Ungewohnt und zäh: Diese Bausteine hat ein Pilz aus Holzabfällen hergestellt. Sie bekommen nur eine kleine Delle, wenn eine Bowlingkugel von einer Leiter auf sie herabfällt. Foto: Carlina Teteris
D
Von Stephanie Sudahl
ie Baubranche steht vor großen He-
rausforderungen: Noch immer ist die
Zementindustrie einer der größten
CO2-Emittenten weltweit und nun
werden die Baustoffe knapp und da-
mit teuer. Der Neubau braucht Lösungen. Noch
problematischer ist es jedoch beim Abriss von
Gebäuden: Die größte Abfallgruppe in Deutsch-
land sind mit 228,1 Mio. t im Jahr die Bauabfälle.
Das ist auch Dirk Hebel vom Karlsruher Institut
für Technologie (KIT) bewusst. Als Professor für
nachhaltiges Bauen erforscht er deshalb organi-
sche, kompostierbare Baustoffe – hier kommt ein
Pilz als Baustofffabrikant ins Spiel.
Auf den ersten Blick sieht ein Baustein aus Pilz
befremdlich aus. Seine Oberfläche ist fluffig, die
Farbe geht ins Gelbliche. „Doch das sind nur die
Äußerlichkeiten“, sagt Hebel. Das Baumaterial,
das aus dem Wurzelwerk der Pilze besteht, ist ein
wahrer Alleskönner. Hebel fertigt aus diesem
„Myzel“ genannten Wurzelgeflecht schon Däm-
mungen, Bausteine und Spanplatten. Zudem ist
der neue Werkstoff viel leichter als Lehmziegel
oder solche aus Kalksandstein. Die Leichtigkeit
tut der Robustheit keinen Abbruch, wie der Test
eines Fernsehreporters zeigte: Dabei ließ er eine
Bowlingkugel von einer Leiter aus auf einen nor-
malen Lehmziegel fallen und danach auf einen
Pilz-Stein. Der Ziegel zerbracht. Nicht jedoch der
Baustein aus Pilz. Eine leichte Delle war das einzi-
ge Zeichen der Konfrontation mit der Kugel.
Die Herstellung ist simpel. Pflanzliche Grund-
stoffe wie Hanf, Bambus oder Späne werden zu-
sammen mit einem sterilisierten Substrat in
handliche Plastiktüten gefüllt. Dazu kommt ein
weißer, abgestorbener Pilz, etwa die Schmetter-
lings-Tramete (Trametes versicolor). Fachleute
kennen sie von abgestorbenen Baumstümpfen.
Die Pilze, die Dirk Hebel einsetzt, werden aller-
dings in einer Petrischale im Labor gezüchtet und
nicht etwa von kaputten Bäumen im Wald geern-
tet. Nach der Aufzucht zerkleinern die Forschen-
den den Pilz und füllen ihn in die leicht ange-
feuchtete Mischung der Plastiktüte. Anschlie-
ßend verschließen sie den Beutel bis auf einen
schmalen Schlitz. Innerhalb weniger Tage wächst
nun das Myzel als weiße Fäden.
Der Pilz ernährt sich von Zuckerstoffen des or-
ganischen Grundmaterials und verwebt sich mit
den Grundstoffen des gesamten Tüteninhalts wie
6. Mai 2022 · Nr. 9
ein Kleber. Diese Verwebungen sind so stark, dass
feste Steine und Platten entstehen.
Startpunkt für Hebels Forschungen war ein Auf-
enthalt in Äthiopien vor mehr als zehn Jahren.
Dort war der Architekt Gründungsdirektor des
Ethiopian Institut of Architecture, Building Con-
struction and City Development. Ihm fiel damals
auf, wie ökologisch die Menschen dort mit Mate-
rialien umgehen. „Sie verwenden alles, werfen
nichts weg“, beobachtete Hebel, zu dessen Aufga-
benfeldern es gehörte, neue Gebäude für die Ad-
dis Ababa University zu errichten. Doch schnell
wurde damals klar, dass dafür Baumaterial fehlte.
Da die Lieferzeiten für Zement länger als ein
halbes Jahr betrugen, richtete sich sein Blick auf
lokal verfügbare Materialien. Grundstoffe wie
Lehm, Strohplatten und Eukalyptusholz sind bis
heute die Alleskönner der dortigen Bauszene. He-
bel begriff in der Situation traditionelle Baumate-
rialien als Chance für umweltgerechtes Bauen,
wenn das alte Material mit neuem Wissen und di-
gitaler Technik kombiniert würde. 2014 beginnt er
die Forschung mit Pilzen als Baumaterial.
Dabei inspiriert den Wissenschaftler der Künst-
ler Philip Ross. Der US-Amerikaner fertigt bereits
Tische und Stühle aus Myzel – später auch vega-
nes Leder für Luxushandtaschen aus Pilzgeflecht.
Hebel geht es weniger um neue Konsumpro-
dukte als um die ökologischen Aspekte. Drei Jahre
Pilzprodukte: Mithilfe des Pilzes entstehen auch stabile Platten. An einem
Kleber für Pressspanplatten wird aktuell noch geforscht. Foto: Carlina Teteris
Dirk Hebel forscht als
Professor für Entwerfen
und nachhaltiges Bau-
en am Karlsruher Insti-
tut für Technologie zu
nachhaltigen Baumate-
rialien – darunter auch
solche, die mit Hilfe
von Pilzen hergestellt
werden. Foto: Astrid Eckert
später ist er mit der Forschung an Myzel so weit,
dass er in Deutschland als führender Experte für
das Bauen mit Pilzen gilt. Mit dem Pavillon „My-
co-Tree“ schafft er es bis nach Seoul zur Biennale
of Architecture and Urbanism. Die Wissenschaft-
ler setzen dort eine tragende Konstruktion aus
dem Pilzmaterial um, die zeigt, dass sich biolo-
gisch abbaubare Materialien und Leichtbau kom-
binieren lassen. Es werden Baumaterialien aus
schnell wachsendem Bambus und Pilzen er-
forscht, die Alternativen zu ressourcenintensiven
Verbundstoffe wie Beton werden sollen – aber mit
einfacherer Entsorgung und Abtragung.
Die Baubranche soll künftig zur echten Kreis-
laufwirtschaft werden, wünscht sich Hebel.
Das heißt, Gebäude sollten in Zukunft so kon-
struiert sein, dass sie demontierbar und kompos-
tierbar sind. Baustoffe wie das Pilzkomposit las-
sen sich laut dem Wissenschaftler einfach züch-
ten und benötigen dafür weder landwirtschaftli-
che Fläche noch erzeugen sie Müll. Zur Produkti-
on reichten Lager- und Produktionshallen, in de-
nen die Pilztüten gestapelt werden könnten. Die
organische „Steinzucht“ ist laut dem Professor
simpel und bindet sogar noch CO2.
Bei der weiteren Verarbeitung des Stoffs wird
das Myzel erhitzt – der Pilz stirbt ab und kann
nicht mehr weiter wachsen. „Was bleibt, sind
Strukturen, die an Knochenmasse erinnern“, er-
klärt Hebel. Mittlerweile sei das Myzel produkti-
onsreif. Heute werden Wandpaneele, Tische,
Stühle und Lampenschirme aus dem organischen
Stoff hergestellt. An einem Kleber aus Myzel wer-
de derzeit noch geforscht. Mit seiner Hilfe könn-
ten Holzwerkstoffe umweltfreundlich gefügt wer-
den, so der Wissenschaftler. Momentan verbin-
den synthetische Harze gängige MDF-Platten.
Das macht es unmöglich, die Platten später zu
kompostieren oder schadstofffrei zu verbrennen.
„Wir nehmen einen fantastischen Grundstoff wie
Holz und machen ihn in unseren Produktions-
prozessen zu Sondermüll“, resümiert Hebel.
Stattdessen fordert er, Kunststoffpumpen in Fa-
briken mit ökologischem Myzel-Kleber zu füllen.
Konstruktive Raffinessen der Natur nutzen For-
schende auch anderswo, so an der Uni Stuttgart.
Dort inspirierten Meereslebewesen die ressour-
censchonende Geometrie eines Pavillons auf der
Bundesgartenschau 2019. Zusammen mit den
Pilzbaustoffen könnte dies helfen, die EU-Klima-
ziele zu erreichen: Treibhausgase bis 2030 um
55 % senken und bis 2050 klimaneutral sein.

Ein EU-Beitritt der
Ukraine ist in weiter Ferne
Politik: Die Ukraine fordert im Krieg mit Russland die sofortige Aufnahme in
die Europäische Union und will Nato-Mitglied werden. Beides ist illusorisch.
Von Thomas A. Friedrich
W
ir wenden uns an
die EU zur unver-
züglichen Aufnah-
me der Ukrai-
ne nach einer neuen
speziellen Prozedur“, sagte Wolody-
myr Selenskyj wenige Tage nach
dem Angriff Russlands auf die
Ukraine. „Ich bin überzeugt, dass
das gerecht ist. Ich bin überzeugt,
dass wir das verdient haben.“
Kiew hatte bereits die Aufnahme
in die Europäische Union in ihrer
Verfassung verankert. Auch EU-
Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen sprach sich für einen
Beitritt der Ukraine aus: „Im Laufe
der Zeit gehören sie tatsächlich zu
uns. Sie sind einer von uns, und wir
wollen sie drin haben.“ Bisher galt
eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine
als ausgeschlossen. Ein solcher
Schritt dürfte zudem nach Ansicht
von EU-Diplomaten eine Einigung
mit Russland unmöglich machen.
Bereits seit Ende des Sowjet-
regimes in den 1990er-Jahren hat
Kiew proklamiert, dass die Ukraine
der EU beitreten möchte. Seit der
„Orangenen Revolution“ in der
Ukraine 2004 sind diese Forderun-
gen lauter geworden.
Eine bevorzugte Behandlung der
Ukraine trifft im internationalen
Umfeld jedoch nicht auf ungeteilte
Zustimmung. Im Gegenteil. Vor al-
lem die Balkanländer, denen die EU
schon 2003 einen Beitritt in Aus-
sicht gestellt hatte oder deren Bei-
trittsgesuche anhängig sind, reagie-
ren äußerst kritisch auf ein be-
schleunigtes Verfahren zugunsten
der Ukraine. Zu diesen Ländern
zählen Albanien, Bosnien-Herzego-
wina, Serbien, Montenegro, Nord-
mazedonien und Kosovo.
Während die Kommissionspräsi-
dentin vage bleibt und davon
spricht, dass es eine „längere Zeit
benötige“ für eine Vollmitglied-
schaft, geht der bayerische CSU-Eu-
ropaabgeordnete Manfred Weber
deutlicher weiter. Die EU sollte der
ukrainischen Regierung eine maß-
geschneiderte Werte- und Wirt-
schaftsunion vorschlagen, als ersten
Schritt zum Beispiel mit einer Zoll-
union. Die Ukraine könnte vor al-
lem wirtschaftlich zügig einen ähn-
lichen Status erhalten wie die
Schweiz oder Norwegen.
Weber, Chef der größten im Parla-
ment befindlichen Fraktion der Eu-
ropäischen Volkspartei (EVP; Christ-
demokraten), sagte in einem FAZ-
Gastkommentar letzte Woche:
„Wenn Präsident Selenskyj um die
Mitgliedschaft in der EU angefragt
hat, dann ist das eine Ehre für die
Gemeinschaft, keine Last.“ Nie-
mand verkörpere derzeit so sehr die
Werte Europas wie die Ukraine.
Es gibt bereits ein Assoziierungs-
abkommen, das eine enge wirt-
schaftliche Zusammenarbeit vor-
sieht, vor allem im Energiebereich.
Für ukrainische Bürgerinnen und
Bürger gilt Visafreiheit bei Reisen in
die EU. Seit dem russischen Ein-
marsch leistet die Europäische Uni-
6. Mai 2022 · Nr. 9 TECHNIK & WIRTSCHAFT
on massive Direkthilfe und politi-
sche Unterstützung. Die EU-Staats-
und Regierungschefs beschlossen
bereits fünf Sanktionspakete gegen
Russland im Banken- und Finanz-
sektor. Gleichzeitig ergreift die EU
mit den Nato-Verbündeten Partei
zugunsten der Ukraine und geneh-
migte Waffenlieferungen im Wert
von 1 Mrd. €.
Kaum hatte Selenskyj den EU-An-
trag gestellt, meldeten sich zwei
weitere Aspiranten für eine EU-
Mitgliedschaft an. Zum einen das
kleine Moldawien, das zwischen der
Ukraine und dem EU-Land Rumä-
nien eingeklemmt liegt. Ferner
Georgien: Östlich am Schwarzen
Meer gelegen, weist das Land keine
gemeinsame Grenze mit der EU
auf. Doch eine „unverzügliche“ Auf-
nahme bleibt für die kriegsgeplagte
Ukraine – und auch die beiden an-
deren Staaten – Wunschdenken. Auf
einen frühestmöglichen Beitrittster-
min angesprochen, antwortete von
der Leyen: „Das ist schwer zu sagen
… Es müssen Reformen durchge-
führt, Prozesse eingerichtet wer-
den.“ Von einem Fast-Track-Auf-
nahmeverfahren kann also keine
Rede sein.
Für eine Aufnahme in die EU
muss ein Land einen ganzen Kata-
log von wirtschaftlichen, rechts-
staatlichen und sozialen Kriterien
erfüllen. Oft dauert es Jahre, bis alle
Punkte begutachtet und erfüllt sind.
Die Ukraine ist bei vielen Kriterien
zurzeit noch weit weg vom EU-Stan-
dard. Die EU fordert für die Aufnah-
17
Foto: dpa picture alliance / The Presidential Office of Ukraine/Sven Simon
Der ukrainische Präsi-
dent Wolodymyr Se-
lenskyj empfing Anfang me unter anderem eine institutio-
April die EU-Kommissi- nelle Stabilität, die mit dem aktuel-
onspräsidentin Ursula len Krieg allerdings nicht in Ein-
von der Leyen. Die klang zu bringen ist.
Antragspapiere für
einen Beitritt des „Ein besonderes Problem ist zu-
Landes zur EU wurden dem, dass die Korruption in der
vor laufenden Kameras Ukraine weitverbreitet ist“, sagt
überreicht. ein EU-Diplomat gegenüber
VDI nachrichten. Erst wenn diese
zurückgefahren werde, habe die
Ukraine eine Chance, Beitrittsver-
handlungen aufnehmen zu können.
Während Länder wie Deutsch-
land, Frankreich, Spanien und die
Niederlande eher auf der Bremse
stehen, möchten die osteuropäi-
schen Länder die Integration der
Ukraine vorantreiben. Einig ist man
sich aber darin, dass die EU ein Zei-
chen aussenden und Beitrittsper-
spektiven geben soll.
Das könnte zum Beispiel sein,
dass die Ukraine den offiziellen Sta-
tus „Beitrittskandidat“ erhielte. Ei-
nen entsprechenden Vorschlag will
EU-Ratspräsident Charles Michel
den 27 EU-Chefs bei ihrem turnus-
gemäßen Treffen in der zweiten Ju-
nihälfte vorlegen.
Eine formelle Anfrage vonseiten
der Ukraine gibt es nach Angaben
der EU-Kommission bisher nicht.
18 FINANZEN 6. Mai 2022 · Nr. 9
„ PARKETTNOTIZEN
Ein schwacher Euro
befeuert die Inflation
An den Devisenmärkten ist der Euro in Ungnade
gefallen. Gegenüber dem US-Dollar hat die Ge-
meinschaftswährung im laufenden Jahr fast 7 %
verloren, innerhalb eines Jahres sogar etwa 13 %.
Bei Währungen sind diese Veränderungen ganz
erheblich. Es scheint nur eine Frage der Zeit,
dass der Euro zum Dollar Parität erreicht, also
ein Verhältnis 1:1. Das letzte Mal bekam man vor
20 Jahren nur 1 $ für 1 €.
Der Grund für die Talfahrt liegt vor allem in den
unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die die je-
weiligen Notenbanken bei der Zinswende vorge-
ben. Während die US-Notenbank (Fed) die Leit-
zinsen anhebt, tut sich die Europäische Zentral-
bank (EZB) mit diesem Schritt noch schwer. Erst
wenn die Anleiheaufkaufprogramme ausgelau-
fen sind, soll eine Zinsanhebung erfolgen.
Damit geht die Schere zwischen den Zinsen in
den USA und dem Euroraum weiter auseinan-
der. Die Tempounterschiede haben zum Teil
empfindliche Folgen. Da die Fed auch verbal die
Zügel angezogen hat – indem sie beispielsweise
große Entschlossenheit zeigt, die Inflation zu be-
kämpfen, setzt das den Euro tendenziell weiter
unter Druck. Auch an den
Aktienmärkten sind die
Spuren sichtbar. Sicher-
heitsorientierte Anlege-
rinnen und Anleger sind
auch bereit, bei minima-
len Zinsen die Lager zu
wechseln.
Mit dem Abwärtstrend Stefan Wolff
des Euro verschärfen arbeitet als
sich die Probleme. Finanzjournalist u. a.
Schließlich werden Roh- für das ARD-Börsen-
stoffe in US-Dollar be- studio.
zahlt. Der Preisauftrieb Foto: privat
bei Öl und Benzin wird
sich beschleunigen, falls
keine Gegenmaßnahmen erfolgen. Schon jetzt
haben die stark gestiegenen Importpreise das
Wirtschaftswachstum im ersten Quartal emp-
findlich eingebremst. Das deutsche Bruttoin-
landsprodukt ist lediglich um 0,2 % gewachsen,
was vor allem an den teureren Rohstoffen gele-
gen hat.
Mehr noch: Die Energiedebatte drückt zusätz-
lich auf den Euro. Ein Ölembargo gegen Russland
könnte einige Euroländer in eine Rezession stür-
zen. Sollte Russland Europa den Gashahn abdre-
hen, wäre dies ohnehin der Fall. Der Stopp der
russischen Gaslieferungen nach Polen und Bul-
garien hat für Alarmstimmung gesorgt. Mehr und
mehr Beobachterinnen und Beobachter halten
ein Ende der Gaslieferungen nur für eine Frage
der Zeit.
In der Frage eines Ölembargos zeigt man sich
innerhalb der EU uneinig. Schon im Vorfeld wer-
den Ausnahmen diskutiert, kursierende Zeitplä-
ne gestreckt. Gut möglich, dass der Kreml der
Debatte vorgreift.
Unterm Strich zeigt sich, wie nah Europas
Wirtschaft vor einem Abgleiten in die Rezession
steht. Die US-Wirtschaft steht da besser da. Die
Ukraine ist eben nicht nur geografisch weiter
weg. Auch die Verknüpfungen sind weniger eng.
Und was ist aus den vermeintlichen Vorteilen
einer schwachen Währung geworden? Zumin-
dest sind die Stimmen komplett verstummt, die
einen schwachen Euro als wichtige Stütze für die
deutsche Exportwirtschaft sehen. Natürlich wer-
den deutsche Waren und Güter im Dollar-Aus-
land günstiger. Wenn die Herstellungspreise ins
Unermessliche steigen, nützt das aber wenig.
Ehrenrettung für die
Heuschrecke
Gründungsfinanzierung: Private-Equity-Geldgeber bewirken mehrheitlich
Positives in den investierten Unternehmen, besagt eine aktuelle Studie.
Von Stefan Terliesner
I
mmer mehr „Einhörner“ wer-
den in Deutschland gesichtet.
Hier gemeint ist natürlich
nicht das Fabelwesen von
Pferdegestalt, sondern Start-
up-Unternehmen mit einer Markt-
bewertung vor einem Börsengang
oder Exit von über 1 Mrd. $. Im ver-
gangenen Jahr schafften dies zum
Beispiel die Softwarefirma Mambu,
der Digitalversicherer Wefox sowie
der digitale Vermögensverwalter
Scalable Capital. Möglich wurden
diese Bewertungen, weil Wagnis-
kapitalgeber massiv zusammen mit
anderen Investoren in die Jung-
unternehmen investierten. Unter
dem Strich berichtet der Bundesver-
band Deutscher Kapitalbeteili-
gungsgesellschaften (BVK) für 2021
von rekordhohen 4 Mrd. € – so viel
Venture Capital in Deutschland wie
noch nie.
Aber nicht nur Wagniskapital erle-
be einen Boom, auch sonst würden
Kapitalgeber rege investieren. Ins-
gesamt 12,6 Mrd. € seien vor allem
in Start-ups und mittelständische
Unternehmen geflossen. Gegen-
über dem Vorjahr sei dies zwar ein
Rückgang um 16 %. „Nach den Re-
kordjahren 2019 und 2020 bleibt das
Investitionsniveau in allen Markt-
segmenten auf hohem Niveau“, be-
tont Frank Hüther, Vorstandsspre-
cher des BVK. In Summe seien fast
1000 Unternehmen im Jahresverlauf
mit Beteiligungskapital finanziert
worden.
Empfänger der Finanzierungen
dürften primär kleine und mittlere
Unternehmen mit weniger als 500
Beschäftigten gewesen sein. Laut ei-
ner im Oktober 2021 veröffentlich-
ten Studie des BVK, basierend auf
der Analyse des Instituts für Mittel-
standsforschung (IfM) Bonn, traf
dies 2020 auf neun von zehn Beteili-
Beteiligungsgesellschaften sind oft besser
als ihr Ruf. Unter ihrem Einfluss wachsen Er-
trag und Investitionen. Foto: PantherMedia / Olivier Le Moal
gungszielen zu. „Die Unternehmen
stehen vor großen Herausforderun-
gen“, betonte Ulrike Hinrichs, Ge-
schäftsführendes Vorstandsmitglied
des BVK, anlässlich der Präsentation
der Studie. Sie zählt auf: globaler
Wettbewerb, fortschreitende Digita-
lisierung, Investitionen in den Um-
weltschutz und eine nachhaltige
Wertschöpfungskette, Sicherung
der Unternehmensnachfolge, Fach-
kräftemangel und Erschließung
neuer Wachstumspotenziale.
Um in diesem Umfeld erfolgreich
bestehen zu können, leiste Beteili-
gungskapital einen essenziellen
Beitrag. Immer mehr Mittelständler
hätten verstanden: Berührungs-
ängste seien fehl am Platz. Beteili-
gungsgesellschaften seien ein stra-
tegischer Partner, zumeist auf Zeit,
aber immer mit einer mittel- bis
langfristigen Ausrichtung. Im
Durchschnitt blieben sie länger als
fünf Jahre engagiert und böten so-
mit Planungssicherheit für die Un-
ternehmen. Einige Eigenkapitalge-
ber würden ihre Portfoliounterneh-
men sogar über Jahrzehnte beglei-
ten, haben BVK und IfM festgestellt.
Wie der Studie weiter zu entneh-
men ist, entwickeln sich mit Beteili-
gungskapital finanzierte Unterneh-
men „insgesamt positiver“ als die
Vergleichsunternehmen, die nicht
mit Beteiligungskapital finanziert
wurden. Fest machen BVK und IfM
diese Aussage an betriebswirt-
schaftlichen Kennzahlen.
Ausgangspunkt seien die Jahres-
abschlüsse von 92 Portfoliounter-
nehmen unterschiedlicher Größe
und aus verschiedenen Branchen.
So sei der Beschäftigungsaufbau in
den drei untersuchten Jahren mit
13 % kräftiger ausgefallen als bei
den Vergleichsunternehmen mit
6,8 %.
Auch wegen einer erhöhten In-
vestitionstätigkeit sei der Umsatz
der Portfoliofirmen um fast 21 % ge-
stiegen, der der Vergleichsgruppe
nur um 13 %. Zudem lag den Aus-
führungen zufolge die durch-
schnittliche Eigenkapitalquote mit
rund 29 % bis 31 % höher als bei den
Vergleichsunternehmen (24 % bis
28 %). Um das Wachstum zu finan-
zieren, hätten die mit Beteiligungs-
kapital finanzierten Unternehmen
auch vermehrt Fremdkapital in An-
spruch genommen. Laut BVK ist
dies angesichts der Niedrigzins-
situation auf den Kapitalmärkten
„nicht verwunderlich“.
In der Vergangenheit wurde Ak-
teuren aus der Private-Equity-Bran-
che immer wieder vorgeworfen, sie
würden sich wie „Heuschrecken“
verhalten: Unternehmen mit guten
Cashflows „abgrasen“ und mit
Schulden überhäuft zurücklassen.
Oder Finanzinvestoren würden ein-
seitig auf Kostensenkungen setzen,
statt auf die langfristigen Perspekti-
ven eines Unternehmens. Gewiss
gab und gibt es solche Fälle. Doch
der Mittelstand selbst ist heutzutage
aufgeschlossener gegenüber dieser
Art der Finanzierung.
„Mittelständische Unternehmen
wollen zwar traditionell die Zügel
in der eigenen Hand behalten,
trotzdem sehen immer mehr Unter-
nehmerinnen und Unternehmer
auch Vorteile in der Aufnahme von
Beteiligungskapital“, sagt Benjamin
Schöfer, Referent beim Deutschen
Mittelstandsbund, auf Anfrage.
Durch eine strategische Partner-
schaft könne neben Liquidität auch
Know-how eingeholt werden. Gera-
de bei wichtigen Zukunftsthemen
wie Digitalisierung oder Nachhaltig-
keit sei das ein nicht unerheblicher
Faktor. „Unternehmen sollten je-
doch mit unabhängigen Beratern
prüfen, ob diese Finanzierungsform
für sie passend ist“, lautet seine
Empfehlung.
 6. Mai 2022 · Nr. 9 FINANZEN 19

Wagnis Wandeldarlehen
Gründungsfinanzierung: Wandeldarlehen sind vor allem für Start-ups in einer sehr frühen Phase interessant, wenn ihr Wert
noch nicht bekannt ist. Für Investoren kann unter bestimmten Bedingungen sogar ein Invest-Zuschuss rausspringen.

Von Sabine Philipp ell“, kommentiert Saur. Mit der Fol-

ge, dass die Parteien allzu häufig bei

D
er Prototyp ist fast fertig.
Und auf einmal geht das
Geld aus. Von Banken
können Start-ups in die-
ser frühen Phase keinen
Cent erwarten. Für Investoren, die
sich mit Eigenkapital engagieren
wollen, ist die Situation ebenfalls
schwierig. Denn weil das Unterneh-
men noch sehr jung ist, gibt es noch
keine Bewertung, an der sie sich ori-
entieren könnten. Hier können
Wandeldarlehen einen Weg aus dem
Dilemma weisen.
Dabei vergibt ein Investor die
Finanzspritze zunächst in Form ei-
nes Darlehens. „Wenn es dann zu
einem späteren Zeitpunkt eine
größere Investorenrunde gibt und
das Unternehmen in diesem Zu-
sammenhang eine Bewertung er-
hält, wird das Darlehen plus Zinsen
und einem Aufschlag in Eigenkapi-
tal gewandelt“, sagt Roland Kirch-
hof, Co-Vorstand beim Business An-
gels Netzwerk Deutschland e. V.
(BAND). Wie das in der Praxis funk-
tioniert, erklärt der Jurist an einem
Beispiel:
„Wenn das Start-up in der Finan-
zierungsrunde mit 1 Mio. € bewertet
wird, dann beliefen sich die Ge-
schäftsanteile eines Business An-
gels, der 100 000 € investiert hat, ei-
gentlich auf 10 %.“ Dafür, dass der
Angel so früh ins Risiko gegangen
ist, erhält er jedoch einen Abschlag
auf die Bewertung des Unterneh-
mens, genannt Discount, der oft bei
20 % liegt.
„Im Hinblick auf den Anteil des
Business Angels wird daher von ei-
ner geringeren Bewer-
tung von 800 000 €
ausgegangen, sodass „Manchmal
er nicht 10 % der An-
teile, sondern 12,5 % haben Inves-
erhält. In gleicher Wei-
se werden die aufge- toren sehr
laufenen Zinsen (meist
10 %) berücksichtigt.“
abenteuerliche
Vorstellungen
Das Instrument der
Wandeldarlehen ist von der Höhe
vor einigen Jahren
aus den USA herüber- ihres Discounts.“
geschwappt. „Bevor Till-Manuel Saur,
wir von dieser Welle Rechtsanwalt und Partner
überrollt werden, woll- der Wirtschaftskanzlei
ten wir Investoren und Osborne Clarke am
Start-ups einen Vertrag Standort Berlin
anbieten, der für beide
Seiten ausgewogen
sein sollte“, so Kirch-
hof. Dieser wurde von der Kanzlei
Osborne Clarke und dem German
Standards Setting Institute (Gessi)
erarbeitet, einem Joint Venture vom
BAND und dem Bundesverband
Deutsche Startups e. V.
Er wurde so aufgesetzt, dass die
Investitionen „Invest“-förderfähig
gestaltet werden können. Beim In-
vest-Programm können Investoren,
die über Wandeldarlehen Ge-
schäftsanteile an Start-ups erwer-
Adam und Eva anfangen. „Das führt
dann oft dazu, dass sehr intensiv
über Kleinigkeiten diskutiert wird,
die im Grunde unwichtig sind, was
aber die Kosten in die Höhe treibt.“
So sei es völlig irrelevant, ob das
Geld fünf oder zehn Tage nach Un-
terzeichnung überwiesen wird. „In
dem Standardvertrag haben wir uns
auf die wesentlichen Punkte be-
schränkt, wie Discount und Fall-
back-Bewertung. Letztere ist wich-
tig für den Fall, dass das Start-up
seine Ziele nicht erreicht hat und
daher keine Investoren für eine Fi-
nanzierungsrunde gewinnen konn-
te. „Für diesen Notfall muss man ei-
ne Bewertung finden, die einerseits
niedrig genug ist, um die negative
Performance abzubilden.“ Anderer-
seits müsse sie hoch genug sein, da-
mit die Gründer am Ende noch über
Bremsen den Sturz: Wandeldarlehen können für Investoren den Vorteil haben, dass sie im Falle einer eine nennenswerte Zahl an Anteilen
Pleite Ansprüche an die Insolvenzmasse haben – anders als Teilhaber. Foto: PantherMedia/Mihai Barbu verfügen. Denn sonst gäbe es für sie
gar keine Motivation mehr, weiter-
zumachen.
ben, 10 % des Geldes zurückerhal- Der Vertrag soll den Parteien zu-
ten. „Die Ivest-Förderfähigkeit war dem dabei helfen, sich auf das We- „ Hier kann der Standardvertrag nach ei-
auch ein Grund dafür, dass der Ver- sentliche zu fokussieren. „Start-up- ner Registrierung kostenlos herunterge-
trag eine Auszahlung als Darlehen Finanzierung ist in Deutschland laden werden:
an den Investor praktisch aus- noch relativ jung, die Verträge sind www.standardsinstitute.de/
schließt“, so Kirchhof. „Es muss in dementsprechend oft sehr individu- wandeldarlehen
Eigenkapital gewandelt werden.“
Eine Ausnahme sei fast nur möglich,
wenn das Unternehmen Insolvenz
anmeldet. In diesem Fall hat das
Wandeldarlehen gegenüber einer
direkten Beteiligung den Vorteil,
dass der Geldgeber Ansprüche an
die Insolvenzmasse machen kann.
Der Schutz für den Investor ist bei
der Gründungsfinanzierung in der
Praxis denkbar gering.
Schließlich sind im
Falle einer Liquidation
selten relevante Ver-
mögenswerte vorhan-
den.
Der BAND-Vertrag
ist als Lückentext ge-
staltet. „Start-ups soll-
ten sich vor dem Aus-
füllen jedoch sehr ge-
nau mit den Details
befassen“, rät Till-Ma-
nuel Saur. Der Rechts-
anwalt und Partner
von Osborne Clarke
war federführend bei
der Vertragsgestaltung.
Um den Vertragspart-
nern eine Orientierung
zu geben, wurden
mehrere Seiten mit
Verwendungshinweisen eingefügt.
In diesen werden die wesentlichen
Parameter erklärt.
So wird beispielsweise beschrie-
ben, in welchem Rahmen sich der
Discount bewegen sollte. „Manch-
mal haben Investoren sehr abenteu-
erliche Vorstellungen von der Hö-
he“, so Saur. Da sie rhetorisch oft
sehr geschickt seien, würden diese
für unerfahrene Unternehmen
plausibel klingen.
20 FOKUS: DIE LUST AUF DAS NEUE 6. Mai 2022 · Nr. 9

Von Wolfgang Schmitz

W
ir wünschen uns eine bunte Zu-

Den Menschen
kunft, in der wir Talente und Nei-
gungen ausleben können, in der
der Wohlstand gesellschaftlich
breit gestreut ist und die uns Frei-
heiten und ein hohes Maß an medizinischer Ver-
sorgung gewährleistet. Wir haben den gerechtfer-
tigten Anspruch auf Arbeit, die uns Sicherheit
verschafft, Spaß oder zumindest zufrieden macht
und uns Zeit für unser Privatleben lässt.
nicht aus dem
Auge verlieren
Die Technik soll und kann uns dabei helfen, in-
dem sie uns etwa von körperlich harter und geis-
tig stumpfer Arbeit befreit. Junge Menschen wol-
len diese Chance nutzen, um ihr Leben anders zu
gestalten, als ihre Eltern es getan haben. Oder,
wie es der Philosoph und Publizist Richard David
Precht gegenüber VDI nachrichten sagt: „Früher Transformation: Wenn der technologische
stand die Frage nach der Arbeit im Zentrum, heu- Wandel eine Erfolgsgeschichte werden soll, geht
te die Frage nach dem guten Leben: Was ist sinn-
voll? Das ist logische Folge unseres Wohlstands.
das nur, wenn der Mensch ihn auch als
Unsere Gesellschaft kann es sich leisten, eine gesellschaftlichen Fortschritt wahrnimmt.
Sinngesellschaft zu sein.“ Konsumieren um des
Produzierens und Maximierens willen ist in die-
ser Gesellschaft nicht vorgesehen.
So weit die Theorie. In der Praxis finden wir kei-
nen Ausgang aus dem Hamsterrad. Darauf weisen
zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse hin.
Der „Stressreport Deutschland 2019“ der Bundes-
anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
(BMAS) ist nur einer von vielen Belegen für zu-
nehmende psychische Belastungen. Demnach
klagt etwa die Hälfte aller Beschäftigten hierzu-
lande über Multitasking, Termin- und Leistungs-
druck sowie weitere Stressfaktoren.

Ein Armutszeugnis im wahrsten Wortsinn ist

die Tatsache, dass das reiche Deutschland zwar
das Massenelend des einsetzenden Industriezeit-
alters überwinden konnte, die Zahl der sozial Ab-
gehängten aber nicht geringer wird. Sie steigt so-
gar. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsfor-
schung (DIW) ist die Armut von 12 % zur Jahrtau-
sendwende auf 16 % im Jahre 2017 gestiegen. Die
unteren 10 % der Haushalte bezogen nach allen
staatlichen Transfers ungefähr das gleiche inflati-
onsbereinigte Einkommen wie vor zwei Jahr-
zehnten. Das obere Zehntel verbuchte hingegen
in diesem Zeitraum fast 25 % mehr.
In der Sinngesellschaft soll Arbeit weniger als
das halbe Leben sein. Dennoch: Wissenschaftler
vom Institut für Makroökonomie und Konjunk-
turforschung sowie der Universität Duisburg-Es-
sen haben ermittelt, dass zwischen 1950 und 1980
die Wochenarbeitszeiten in allen Industrielän-
dern zurückgingen. Seit den 1980er-Jahren habe
die „materielle Sättigung“ aber einem „neuen
und wachsenden Gefühl des finanziellen Mangels
in weiten Teilen der Bevölkerung Platz gemacht“.
Die dadurch wieder ansteigenden Wochen-
arbeitszeiten gingen insbesondere auf das Konto
der Beschäftigten mit höheren Löhnen. Eine
mögliche Erklärung, so die Forscher: „Insbeson-
dere die obere Mittelschicht eifert den Konsum-
normen der Reichen nach und opfert dafür Frei-
zeit.“ Sie verausgabe sich, um beim Rennen um
gute Bildung und gute Wohnbedingungen mitzu-
halten, während die unteren Einkommensgrup-
pen schlichtweg resignierten.
Die Bevölkerung hört von Wirtschaftsprophe-
ten, dass keine Zeit zum Luftholen sei. Augen zu
und durch, die Konkurrenz schläft nicht. DIW-
Präsident Marcel Fratzscher etwa prophezeit,
dass die nächsten vier Jahre entscheidend sein
werden, „nicht allein dafür, ob Deutschland die
gesteckten und objektiv notwendigen Ziele mit-
tel- bis langfristig erreichen wird, sondern auch,
ob sich deutsche Unternehmen in zehn oder 20
Jahren noch im globalen Wettbewerb behaupten
können“. Er betont: „Wie die Erfahrung der Auto-
mobilbranche mit alternativen Antrieben und au-
tonomem Fahren zeigt, ist die Gefahr groß, dass
die Transformation verschlafen wird.“
Die Aussage von Fratzscher ist aus ökonomi-
scher Perspektive nachvollziehbar. Wenn sich
aber Menschen nicht mehr als Gesellschaftsmit-
glieder wertgeschätzt fühlen, weil sie sich fragen,
was die tollste Technik bringt, wenn diese sie
nicht aus dem Hamsterrad befreit, und wenn In-
novationen ausschließlich technischer Natur
bleiben, wird sich die Lust auf den Wettbewerb
und die Lust auf neue Herausforderungen in
Grenzen halten. Oder, wie der Hirnforscher Ge-
rald Hüther sagt: „Wer unter Druck steht, mög-
lichst gut abliefern zu müssen, der kann nur
schwerlich Lust dabei empfinden. Wer fürchten
muss, nicht gut genug zu sein, der hat Mühe, mit
Ein Großteil der Beschäftigten in Unternehmen der Automobilindustrie
anderen in Beziehungen zu treten.“
sieht Weiterbildung als durchaus zu bewältigende Herausforderung. Der
Wenn es in Anbetracht von Automatisierung
Optimismus überwiegt.
und Digitalisierung gebetsmühlenartig heißt:
„Wir müssen den Menschen mitnehmen“, ist das
zu begrüßen, es drängen sich aber auch reflexar-
tig Fragen auf: Wen sonst außer dem Menschen
sollen wir mitnehmen? Wer steht hier im Zentrum
allen Handelns? Und wer ist hier das aktive „Wir“:
die „Zukunftsgestalter“, eine privilegierte Elite?
Für Hüther steht fest, dass nur diejenigen mitzie-
hen, die sich selbst als mitgestaltendes Subjekt
wahrnehmen.
In diese Richtung denkt auch Julia Arlinghaus.
Die Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Fabrik-
betrieb und -automatisierung (IFF) hält die Rah-
menbedingungen für bedingt günstig, weil digita-
le Technik so weit sei, dass auch der Mittelstand
auf kollaborative Roboter oder haptische Senso-
rik zurückgreifen könne. „Robotik wird bezahl-
bar.“ Neue Geschäftsmodelle wirkten als „Game-
changer“. Leider seien aber trotz großer Fort- Überrascht werden Beschäftigte in der Automobilindustrie nicht von
schritte viele Hoffnungen auf Industrie 4.0 bis- den anstehenden technischen Aufgaben. Vieles wird bereits praktiziert
lang nur bruchstückhaft umgesetzt. Es gebe eini- oder ist in Planung.
ge Leuchtturmprojekte, aber es mangele in der
 6. Mai 2022 · Nr. 9 FOKUS: DIE LUST AUF DAS NEUE 21

Die Industriesoziologin Sabine Pfeiffer: „Leben-

dige Arbeit ist nicht das Problem – sie ist die
Lösung. Lebendige Arbeit ist nicht Opfer, sondern
Motor der Transformation.“ Foto: Andreas Amann

Menschen „da unten“ denken. Sabine Pfeiffer:

„Da sehe ich eine große Distanz zur Basis.“ Es
hieße, die Beschäftigten seien beunruhigt, hätten
Angst vor dem, was auf sie zukommt. Dabei, so
Pfeiffer, sei es nicht der technische Wandel, der
ihnen Sorgen bereite, hier herrsche Optimismus,
schließlich seien neue Technologien am Arbeits-
platz bereits angekommen, der technische Wan-
del sei ein seit Jahrzehnten permanenter und ein-
geübter Prozess. Wenn es Unsicherheiten gebe,
dann äußern sie sich in der Frage: Was machen
die „da oben“, was planen die mit und für uns?

Sabine Pfeiffer und ihr Team haben bei ihren Er-

Breite. Der Fokus müsse stärker auf den Men-
schen gelegt werden, er müsse sich im Sinne
Hüthers als Mitgestalter fühlen, dann wirke die
Entwicklung flächendeckend. „Mehr als 50 % der
Herausforderungen scheitern, weil Menschen sie
ablehnen und nicht mit neuen Technologien um-
gehen können. Das können wir beeinflussen, in-
dem wir mehr Ressourcen für die Arbeitswelt, für
interdisziplinäre Arbeit aufbringen.“
Franziska Cooiman hält es auch für unbedingt
erforderlich, Technik stärker in einen gesamtge-
sellschaftlichen Rahmen einzupassen. Die Mitar-
beiterin am Weizenbaum-Institut, das zur ver-
netzten Gesellschaft und zu Arbeiten in hochau-
tomatisierten, digital-hybriden Prozessen
forscht, begrüßt die Vorzüge der Digitalisierung.
Kurz und prägnant
„ „Technologischer Fortschritt gilt als
sichtbarstes Zeichen menschlicher Fort-
entwicklung. Solange wir aber die Ein-
bettung von Technik in Umwelt und Ge-
sellschaft nicht mitdenken, fehlt uns der
Blick dafür, wo sie uns hintreibt. Um in
der neuen Realität gut zusammenleben
zu können, müssen wir auch unsere Vor-
stellung von Fortschritt ändern, sonst
verschieben wir die Probleme einfach
weiter in die Zukunft.“
Die Politökonomin Maja Göpel in ihrem Buch
„Unsere Welt neu denken“, Ullstein Verlag 2020
Sie hält es aber für einen Irrglauben, die Hoffnun-
gen nahezu ausschließlich auf Technologien so-
wie Ingenieurinnen und Informatiker zu setzen.
„Digitalisierung“ fungiere als „eine ideenlose Po-
litik, die sich mit den Krisen der Gegenwart kon-
frontiert sieht“. Cooiman sagt: „Da, wo sich
grundlegende Fragen von Verteilung, Infrastruk-
tur und Klimagerechtigkeit stellen, kommt Digi-
talisierung als scheinbares Allheilmittel gelegen.“
Dahinter stecke der Glaube an einen „quasi un-
politischen Fortschritt“, der sich über technologi-
sche Errungenschaften erreichen ließe, ohne dass
die Gesellschaftsordnung berührt werden müsse.
Neue Technologien, neue Lebens- und Arbeits-
welten – das, was gemeinhin unter „Wandel“ ver-
standen wird – fußen auf neuem Denken und das
wiederum auf Bildungsprozessen. Die Crux ist
aber für Sabine Pfeiffer, die zum Wandel von Ar-
beit und Gesellschaft forscht: „Wir konzipieren
Bildung zu oft als reaktives Bündel auf gegebene
Anforderungen. Wir denken Technologie zu oft
als Voraussetzung für Arbeit, dabei ist menschli-
che Arbeit die Voraussetzung für Technologie.“
Die Arbeitssoziologin an der Friedrich-Alexan-
der-Universität Erlangen-Nürnberg erlebt immer
wieder, dass bei Diskussionen unter Bildungs-
fachleuten „viel heiße Luft“ herauskommt, wenn
es um künftig gefragte Kompetenzen gehe: „Viel
IT, ja, aber welche? Und dass Social Skills benötigt
werden, weiß man doch seit den 80er-Jahren.“
Auch CEOs, Personalmanager und Politiker sei-
en in Sachen Bildung nicht gerade Vorbilder, gin-
gen sie doch von Vorurteilen und nicht von Tatsa-
chen aus. Sie glaubten zu wissen, wie und was die
Der Blick geht nach
vorne. Die Lust auf
das Neue entsteht
nur, wenn der techno-
logische Wandel
menschenzentriert ist.
Foto: PantherMedia / VadimVasenin
hebungen vor Ort, in Unternehmen der Automo-
bilindustrie – ob bei Autoherstellern, Zulieferern,
im KFZ-Handel oder -Handwerk – Anfang 2022
insgesamt 4136 Frauen und Männer in unter-
schiedlichsten Abteilungen und Tätigkeiten be-
fragt, deren fachliches Niveau häufig „beeindru-
ckend“ war. So seien 11 % der in der Studie be-
fragten Mitarbeitenden bereits mit maschinellem
Lernen vertraut. „Viele von ihnen wollen das, die
haben keine Angst vor der Technik. Oft passen al-
lerdings die Lernangebote nicht, sie zielen häufig
an der Arbeitsrealität vorbei.“
Sabine Pfeiffer ist überzeugt: „Die Beschäftig-
ten wuppen das.“ Wenn jemand den Wandel her-
beiführe, dann seien das letztlich die Beschäftig-
ten an der Basis. „Lebendige Arbeit ist nicht das
Problem – sie ist die Lösung. Lebendige Arbeit ist
nicht Opfer, sondern Motor der Transformation“,
sagt die gelernte Werkzeugmacherin. Grundlage
für die künftige Arbeitswelt sei, so Pfeiffer, Men-
schenbildung im humanistischen Sinne mit tech-
nischer Bildung zu verbinden. Und: „Damit le-
bendige Arbeit das Neue lebendig machen kann,
braucht sie Altbekanntes: gute Arbeit, sinnhafte
Lernformen, Freiraum und Mitbestimmung, Ent-
wicklungsperspektiven und Anerkennung.“ Da-
nach sehe es aber nicht aus: „Das alles ist in unse-
rer Arbeitswelt nicht mehr selbstverständlich.“
Dass die Jungen die Welt von morgen zwangs-
läufig weniger stressgetrieben gestalten als die
„alten weißen Männer“, dafür gibt es keine Ga-
rantie. Dennoch: Viele Führungsetagen sind häu-
fig noch Bastionen des Gestern. Für die Schwei-
zer Wirtschaftspsychologin Heike Bruch bedeutet
zeitgemäße Führung, dass Vorgesetzte den Sinn
und die Identifikation der Mitarbeitenden mit
dem, was sie tun, ins Zentrum stellen. „Kernauf-
gabe der Führung ist, die Sicht der Mitarbeiten-
den auf ihre Arbeit zu transformieren, sodass sie
den Sinn sehen und erkennen, wozu sie beitragen
und warum sie gebraucht werden.“ Notwendig
sei es, die Mitarbeitenden emotional anzuspre-
chen und deren Engagement zu stärken, „indem
sie Inspiration und Identifikation steigern“.
Wie Sabine Pfeiffer sieht auch Eike Permin, der
eine Stiftungsprofessur für Digitale Produktion an
der TH Köln innehat, in der Digitalisierung das
geringere Problem: „Der Fortschrittsglaube hat
sich in der Historie oft als viel stärker erwiesen als
der tatsächliche technische Fortschritt. Insofern
bin ich bei der Gefahr einer übermächtigen
künstlichen Intelligenz ganz entspannt.“
22 FOKUS: DIE LUST AUF DAS NEUE
Eine Stadt als Reallabor
Projekt: Der Verein „Ingenieure retten die Erde“ entwickelt mit dem „Humanotop“ eine Modellstadt.
Der Grundgedanke: Städte bieten wichtige Bausteine für eine nachhaltige menschliche Entwicklung.
Von Matilda Jordanova-Duda
D
ie Rettung der Erde
fängt unspektakulär an:
ein graues Gebäude mit-
ten in einem Industrie-
gebiet an der deutsch-
holländischen Grenze. Vorne 26 La-
desäulen und eine E-Bike-Station,
Windräder am Horizont und hinter
dem Haus ein schwarzer Container
voll ausrangierter Autobatterien. Sie
liegen dicht an dicht auf Regalen
und speichern den überschüssigen
Windstrom. „Die Batterien sind alle
des gleichen Typs, haben jedoch un-
terschiedliche Restkapazitäten. Zu-
sammen macht es 1,4 MW Spei-
cherkapazität aus“, erklärt Natalia
Soldan. Die Maschinenbauinge-
nieurin promoviert über Batterie-
recycling an der RWTH Aachen am
Lehrstuhl für Production Enginee-
ring of E-Mobility Components
(PEM). „Wenn eine Batterie im Spei-
cher nicht mehr funktioniert,
kommt sie zu mir zum Recycling
und wir setzen eine andere rein.“
Soldan ist Mitgründerin des Ver-
eins „Ingenieure retten die Erde“,
der auf die Initiative des PEM-Lei-
ters Achim Kampker zurückgeht.
Die Batterien, die ein zweites und
ein drittes Leben haben, und auch
sonst alles, was man hier sieht und
noch sehen wird, sind Puzzlestücke
der Humanotop-Vereinsidee. So
nennen die Erdretter kleine Sied-
lungen, die das meiste, wass der
Mensch an Energie und Nahrung hrung
braucht, nachhaltig und klima ima-
neutral selbst produzieren. Mo-
dernste Technologie soll ein gu-
u-
tes, kein entbehrungsreichess
Leben für die Bewohner und d dung: „Wir gucken einmal im
Bewohnerinnen ermöglichen.
Humanotope sind eine frei zu--
gängliche Blaupause für beste- e-
hende und zukünftige Städte.
Das Humanotop im Gewerbe- erbe-
park Avantis ist das erste Projekt,
ojekt,
das der Verein realisiert. Es entsteht
tsteht
in der ehemaligen Produktionsstät- tät
te des Photovoltaikherstellers Trina
Solar, die länger leer stand. Seit An-
fang 2020 ist dort ein „Kompetenz-
zentrum für nachhaltige Mobilität“.
Angesiedelt haben sich PEM, seine
Spin-offs PEM Motion und Alterna-
tive Energy Driven Solutions und
die Start-ups Velocity, Ducktrain
und Mansio. Sie alle denken auf ihre
Art und Weise die Mobilität neu. Der
Streetscooter hat dem Aachener
Professor Kampker den Ruf einge-
bracht, gewagte Visionen in die Pra-
xis umsetzen zu können. Wer die Pa-
ketzulieferung elektrifizieren kann,
schafft es womöglich auch, die Stadt
der Zukunft im Kleinen zu bauen.
„Ingenieure retten die Erde“
stemmen die Dekarbonisierung von
Avantis mithilfe von Spenden, Mit-
gliedsbeiträgen und viel ehrenamt-
licher Arbeit. Eine Grafik auf der
Webseite humanotop.earth zeigt,
wie weit die einzelnen Bereiche
Energie, Wasser, Lebensmittel und
6. Mai 2022 · Nr. 9
Im Gewerbepark
Avantis wollen
Menschen und Unter- Mobilität gediehen sind. Demnach
nehmen ihr techni- sind 20 % des Vorhabens bereits
sches Wissen für umgesetzt, für 30 % steht die Finan-
eine nachhaltige zierung. „Wir probieren hier einzel-
Modellstadt nutzen. ne Bausteine aus und führen sie
Foto: Ingenieure retten die Erde mehr oder weniger sichtbar schritt-
weise zusammen“, erläutert Kamp-
ker. „Die Idee lebt davon, dass Men-
schen ihre Expertise einbringen und
selber etwas bewegen wollen.“
Vereinsmitglieder und Studieren-
de haben weitgehend freie Hand,
ihr eigenes Ding zu verwirklichen.
Es muss nur ins Gesamtkonzept
passen und Mitstreiter überzeugen.
„Das macht es weniger steuerbar,
aber auf lange Sicht besser“, so
Kampker. Mit einem großen Förder-
Kamp
topf könne
k man ein Ziel schneller
erreichen, aber das sei nicht ihr
erre
Weg. Deshalb gebe es auch kei-
W sich, nachdem die Pandemie die Ar-
nen Zeitrahmen für die Vollen-
n beiten stark ausgebremst hat. „Wir
d wollen, dass man reinkommt und
JJahr, was wir erreicht haben.“
Soldans Lieblingspuzzlestück
So
ist der Bioreaktor. In der Kiste
verwa
verwandeln sich landwirtschaftli-
Reste – Stroh, Mist, Gemüseab-
che Re
Foto: PantherMedia / VadimVasenin
fälle – in Humus. Die Bewässerung,
Belüftung
B lüft und die Temperatur wer-
den mithilfe von Sensoren gesteu-
ert. „Humus braucht perfekte Be-
dingungen“, weiß die Ingenieurin,
die auf einem Bauernhof in Brasi-
lien aufgewachsen ist. Sie hat zwei
Studierende betreut, die den Bio-
reaktor für ihre Abschlussarbeit ent-
wickelten. Der nächste Schritt sei,
eine große Anlage zu bauen und auf
die Landwirte zuzugehen. Bei ihnen
könnte der nährstoffreiche Humus
den Dünger ersetzen.
Landwirtschaft ist ein großes The-
ma für die Selbstversorger. Um
Avantis herum liegen viele Bauern-
höfe. Mit deren Gülle betreibt das
Humanotop eine Fliegenlarven-
zucht. Aus den Larven wird wahl-
weise Futtermehl oder ein Schmier-
stoff gewonnen. Neben der Werk-
halle des Kompetenzzentrums baut
zudem der Aachener Urban Farmer
Aixponic eine kombinierte Fisch-
und Gemüsezucht auf. Das Fisch-
futter komme von lokalen Zuliefe-
rern, die Fischausscheidungen wer-
den die Pflanzen düngen, erzählt
Soldan. Die Kantine wird in einigen
Monaten Dorade, Wolfsbarsch und
Meeresspargel praktisch aus dem
Hinterhof auftischen.
Das „produktive Dach“, auf dem
Solar und Salat koexistieren,
konnte nicht wie geplant entstehen,
weil es Probleme mit der Traglast
gab. „Wir wollen aber die Fassade
begrünen und mit Regenwasser be-
wässern“, so Soldan. Auch die Ein-
richtung eines Elektrolyseurs ist in
Vorbereitung. Zusammen mit dem
stationären Batteriespeicher wird
der grüne Wasserstoff das Humano-
top energetisch autark machen. „Es
passiert gerade sehr viel“, freut sie
gleich sieht: Hier ist es anders. Dann
will man es selbst so machen.“
Im deutsch-holländischen Indus-
triepark sind weitere Unternehmen
angesiedelt: DocMorris hat vor Kur-
zem hier sein Versand-
zentrum erweitert. Die
Deutsche Post und
DHL testen auf dem
Gelände innovative Zu-
stellung. „Wir begrü-
ßen grundsätzlich das
Engagement von Pro-
fessor Kampker und
die Vision eines Huma-
Achim
A hi K
notops“, betont Felix
Idee lebt davon, dass
Delahaye, Geschäfts-
Menschen selber et-
führer des Gewerbe-
was bewegen wollen.“
parks. „Wir haben Un-
Foto: Matilda Jordanova-Duda
terstützung bei der
Umsetzung von einzel-
nen Vorhaben angebo-
ten, sofern diese mit dem Konzept
und Betrieb eines Gewerbeparks
vereinbar sind.“ Ob sich seine Kun-
den inspirieren ließen, sagt er nicht.
„Interesse kommt stärker aus dem
niederländischen Teil“, meint Kamp-
ker. „Wir müssen aber erst einmal et-
was Sichtbares hinkriegen.“
Städte für die Initiative zu gewin-
nen, sei auch nicht so leicht. Sowohl
die Politik als auch die Verwaltung
müssten mitspielen und es müsste
eine passende Förderkulisse beste-
hen. In Aachen ist der Verein mit sei-
ner Idee abgeblitzt, die Büchel-Bra-
che am Rande der Altstadt in ein
Humanotop zu verwandeln. Nun
tut er das in einem verlassenen Dorf
in Spanien. Etwa 25 Studierende aus
verschiedenen ingenieurwissen-
schaftlichen Fachrichtungen der
RWTH und der FH Aachen arbeiten
in Gruppen zusammen, um die Teil-
aspekte des Humanotops Aldea zu
verwirklichen. Sie restaurieren die
Häuser, erproben verschiedene
Wohnkonzepte, wirtschaften spar-
sam mit dem Wasser, bauen ein lo-
kales Versorgungsnetz mit aus-
schließlich erneuerbaren Energie-
quellen auf und Lebensmittel auf
Dächern und in Hochbeeten an.
„Verlassene Dörfer – sogenannte
Abandonadas – bieten mit einer
Basisinfrastruktur und der Kombi-
nation aus verfügbaren Flächen für
Bau, Landwirtschaft und Natur eine
perfekte Grundlage für das Huma-
notop“, heißt es. Es
hätte auch die Eifel sein
können, aber den Stu-
dierenden sei das wohl
zu langweilig gewesen,
meint Kampker. Wich-
tiger noch: Es soll keine
deutsche, sondern eine
europäische Modell-
stadt werden. Spanien
Kampker: k „DieDi
habe großes Interesse,
dörfliche Strukturen
wiederzubeleben.
Aldea sei keine „Hip-
pie-Kommune“, son-
dern setze auf Techno-
logie. Kampker: „Wir
glauben, für die meisten Themen
gibt es technische Lösungen, nur
wurden sie nie richtig zusammen-
gebracht.“ Autarkie ist eine Idee,
die der Krieg in der Ukraine plötz-
lich in den Vordergrund geschoben
hat. Mit Abkapselung habe das Hu-
manotop jedoch nichts gemein:
„Kultureller Austausch und Handel
sind positiv. Wir wollen nicht alles
selbst herstellen.“

„Technik
ist kein
Schicksal“
Forschung: Für Oliver Parodi,
Leiter des neuen Karlsruher
Transformationszentrums für
Nachhaltigkeit und Kulturwandel,
ist die Frage zentral: Welchen
Stellenwert messen wir Technik in
unserem Leben bei?
Von Hans-Christoph Neidlein
VDI nachrichten: Herr Parodi, unsere Ge-
sellschaft steht vor vielfältigen und tiefgreifen-
den Wandlungsprozessen. Dabei geht es um ei-
ne Transformation unserer Lebens- und Wirt-
schaftsweise hin zu Zukunftsfähigkeit und
Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen und
Sektoren. Welche Impulse möchte und kann
das Karlsruher Transformationszentrum für
Nachhaltigkeit und Kulturwandel hier setzen?
Parodi: Das KAT baut auf 25 Jahre Nachhaltig-
keitsforschung und zehn Jahre Reallaborerfah-
rung auf. Wir operieren an der Schnittstelle von
Wissenschaft und Gesellschaft, tragen Wissen in
die Gesellschaft, erarbeiten aber vor allem ge-
meinsam mit – teils sehr unterschiedlichen – ge-
sellschaftlichen Akteuren Lösungsansätze und
stoßen Wandlungsprozesse an. Dabei sehen wir
die beginnende „Große Transformation“ als ge-
samtgesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe, wo
es essenziell ist, Einzelinteressen, Systemgrenzen
und überkommene Strukturen zu überwinden.
Hier möchten wir Brücken bauen und zur Ver-
ständigung beitragen. Dabei muss man Nachhal-
tigkeit bzw. unsere herrschende nicht nachhaltige
Lebens- und Wirtschaftsweise zunächst einmal
als kulturelles Tiefenphänomen verstehen lernen.
Nur dann haben wir eine Chance auf einen wirkli-
chen und dauerhaften Wandel, wo nicht all die
technischen Errungenschaften langfristig durch
Rebound-Effekte oder Ähnliches wieder zunichte
gemacht werden.
Wie treiben Sie entsprechende Experimentier-
räume voran, wo die Lust auf das Neue gelebt
und erprobt werden kann?
Unsere transdisziplinäre und transformative Ar-
beit lebt stark von Dialog und Resonanz. Wir grei-
fen Ideen und Impulse aus der Gesellschaft auf,
unterstützen und erforschen sie, experimentie-
ren mit diesen – oder setzen sie auch mal selbst.
Woher der Impuls stammt, ist letztlich neben-
sächlich, Hauptsache, es ist genug Energie darin.
Lust, etwas zu verändern, ist ein sehr viel besserer
Motor als die Pflicht, gerade wenn es um wirklich
Neues geht. Und dann begeben wir uns mit in
den Wandlungsprozess, betreiben Wandel koope-
rativ mit unseren Partnern und erforschen ihn
aus der aktiven Innenperspektive. Das ist für die
Wissenschaft ungewöhnlich, bietet aber eben
auch ungewöhnliche Möglichkeiten.
Kommt das bei den Menschen vor Ort an? Oder
überwiegen häufig die Macht der Gewohnheit
und das Festhalten an gewohnten Verhaltens-
weisen und Strukturen?
Na ja, Nachhaltigkeitstransformation ist im We-
sentlichen der Kampf gegen jahrzehnte- und
jahrhundertealte Gewohnheiten, Strukturen und
Weltsichten, die uns einst gute Dienste geleistet
haben, uns heute – und künftigen Generationen –
6. Mai 2022 · Nr. 9 FOKUS: DIE LUST AUF DAS NEUE
Der Mensch hat es selbst in der Hand, „wie menschlich oder humanistisch wir Technik gestalten“, sagt Oliver Parodi.
aber mehr schaden als nutzen. Insofern ist es
auch kein leichtes Unterfangen. Und man trifft
unweigerlich auf Widerstand. Wer will denn
schon seine alten lieb gewonnenen Gewohnhei-
ten ändern? Umso wichtiger ist es zu zeigen, dass
mit dem Wandel auch Chancen, Möglichkeiten
und neue Perspektiven verbunden sind, dass das
Loslassen von Altem befreiend sein kann, dass
Suffizienz zwar weniger Materielles, dafür aber
mehr Zufriedenheit mit sich bringen kann, oder,
um es auf den Punkt zu bringen: dass eine nach-
haltige Zukunft lebenswert ist.
Stichwort gesellschaftliche Diversität: Wie
wichtig ist es, Menschen mit Migrationshinter-
grund bei dieser Transformation mitzunehmen
und welche Chancen bietet dies?
Sehr wichtig. Nicht nur, weil die eingeleitete
Nachhaltigkeitstransformation eine gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe ist, sondern auch, weil
sie letztlich alle und jeden betreffen wird. Die
Gefahr, dass bei den tiefgreifenden Transforma-
tionsprozessen gesellschaftliche Gruppen abge-
hängt werden – und hier rede ich nicht nur von
Menschen mit Migrationshintergrund – ist sehr
hoch. Integration und Kohäsion sind dement-
sprechend nicht nur Ziel von, sondern auch Vo-
raussetzung für eine gelingende Nachhaltig-
keitstransformation. Bei Geflüchteten und Men-
schen mit Migrationshintergrund kommt als
Chance hinzu, dass sie oft Perspektiven, Wissen
und Kompetenzen mitbringen, die sehr berei-
chernd sein können.
Oliver Parodi
„ leitet das Karlsruher Transformations-
zentrum für Nachhaltigkeit und Kultur-
wandel (KAT), das im Februar 2022 seine
Arbeit aufnahm.
„ ist promovierter Philosoph, Kulturwis-
senschaftler und Diplom-Ingenieur.
„ www.transformationszentrum.org/
23
Foto: panthermedia.net / depositedhar
Welche Rolle spielen digitales Know-how und
entsprechende Bildungsangebote? Vielfach
wird ja befürchtet, dass es künftig eine Zwei-
klassengesellschaft der technisch Privilegier-
ten und der Abgehängten geben wird?
Technisch Privilegierte und Klassengesellschaf-
ten hat es zu allen Zeiten gegeben, das wäre zu-
mindest nichts Neues. Bei der Digitalisierung
kommt hinzu, dass sie so ubiquitär und grund-
sätzlich in unser Leben greift. Bildung, gesell-
schaftliche Teilhabe und auch unser Selbstver-
ständnis sind stark von ihr betroffen. Darauf
müssen wir achten und Techniken so gestalten
und implementieren, dass sie unseren Grundwer-
ten und unserem Sozialwesen dienen.
Muss sich denn die Arbeitsgesellschaft der Zu-
kunft grundlegend ändern?
Ob sie das muss, weiß ich nicht, dass sie es aber
wird, davon bin ich überzeugt.
Wer wird künftig den Takt angeben, der
Mensch oder die Technik? Sind Sie optimis-
tisch, dass eine neue Symbiose hin zu mehr
Nachhaltigkeit gelingen kann?
Der Schlüssel liegt bereits in der Fragestellung.
Als Technikphilosoph würde ich sagen, es geht
zunächst darum, Technik nicht als etwas uns Äu-
KAT-Leiter
KAT L it Oli
Oliver ßeres, als Gegenüber zu erkennen – und dann
Parodi: „Das Loslassen gegebenenfalls als Heilsbringer zu verherrlichen
von Altem kann oder als Dämon zu verteufeln, sondern sie als
befreiend sein.“ Foto: KAT Teil unserer selbst, als menschliche Äußerung
und Regung zu verstehen. Technik ist kein
Schicksal. Sie passiert uns nicht, sondern ist uns
eigen. Dementsprechend würde ich Ihre Frage
umformulieren: Welche Technik möchten wir
und welchen Stellenwert messen wir ihr in unse-
rem Leben bei? Hinter der Frage nach der richti-
gen Technik steckt dementsprechend auch im-
mer die Frage: Wer möchten wir sein? Und als In-
genieur antworte ich Ihnen: Das gestaltende
Moment der Technik ist auch für eine Kultur der
Nachhaltigkeit unerlässlich. Ihre Passung aber
hängt sehr davon ab, wie tief unser Nachhaltig-
keitsverständnis ist, das wir in ihr implementie-
ren, und wie menschlich oder humanistisch wir
Technik gestalten.
24 FOKUS: DIE LUST AUF DAS NEUE
Gemeinsam sind sie stark
Transformation: Der technische Wandel ist komplex, seine Folgen sind intransparent. Um ihn zu stemmen,
tun sich Mittelstand und Wissenschaft in „Zukunftszentren“ und „Denkfabriken“ zusammen.
Von Matilda Jordanova-Duda
V
irtual und Augmented
Reality, maschinelles Ler-
nen, Algorithmen,
3D-Druck und Chatbots:
Es schwirrt einem der
Kopf vor lauter unverständlicher
Termini. „Digitalisierung und künst-
liche Intelligenz hören sich kompli-
ziert an und lassen sich nicht wie
ein Hammer oder eine Drehbank hbank
anfassen. Mehr betriebliche Akteure
kteure
müssen eine Idee entwickeln kön-
nen, was man Sinnvolles damit amit
anstellen kann“, sagt Urs Ruf uf
von der gewerkschaftsnahen n Lernplattformen.
Technologieberatungsstelle
TBS NRW. „Wenn Wissen-
schaftler in die Werkshallee
kommen, können sie sich h hängige
nicht immer mit den Beschäf- f-
tigten verständigen, es sei denn,
nn,
man spricht über Fußball.““ Es
brauche eine Brücke zwischen schen
Technikentwicklern und denjeni- njeni-
gen, die Technik einsetzen. Diese
Brücke will das Zukunftszentrum KI
(ZuZ KI) NRW bauen.
Elf öffentlich geförderte Zukunfts-
zentren KI gibt es bundesweit, die
dem Mittelstand bei der Einführung
intelligenter Maschinen unter die Ar-
Die Workshops des Zukunftszentrums KI NRW laufen unter der Regie von Sozialpartnern und fachlich
begleitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Foto: ZuZ KI NRW
Foto: PantherMedia / VadimVasenin
6. Mai 2022 · Nr. 9
me greifen sollen. Einzigartig in
NRW ist: Das Zukunftszentrum wird
von den Sozialpartnern mitgetragen.
Die Bildungseinrichtungen der Un-
ternehmerverbände und der Ge-
werkschaften sind am Verbund von
acht Kooperationspartnern unter der
Federführung der Innovationsagen-
tur des Landes Zenit beteiligt. Auch
die Universität Siegen und die Fern-
universität Hagen gehören ihm an.
Das ZuZ KI NRW bietet Unterneh-
men eine Einstiegsgespräch und da-
nach bis zu fünf Tage Intensivbera-
tung kostenlos an. Es vermittelt
Qualifizierungen und entwickelt
Qu
Le Rund 130 Un-
ternehmen
te haben sich seit der
Gründung
G im März 2021 bera-
ten
t lassen. Das herstellerunab-
h Angebot richtet sich
explizit
ex an kleine und mittlere
Unternehmen
Unt mit ein paar bis ein
paar Hundert
H Beschäftigten.
„Die
„Di Größe ist für den KI-Einsatz
nicht entscheidend: Jeder Betrieb
kann etwas für sich herausholen.
Die Grundvoraussetzung ist, dass
Daten vorhanden sind. Das ist im
produzierenden Gewerbe immer
der Fall“, so Zenit-Geschäftsführer
Jürgen Schnitzmeier. Um die Daten
nutzen zu können, sei Digitalisie-
rung Schritt eins, die KI der zweite.
Der Mensch lenkt, KI unterstützt
ihn. Die Zukunftszentren KI helfen
Unternehmen, den technisch und
wirtschaftlich effektivsten Weg zu
gehen, zentral aber bleibt der
Mitarbeitende. Foto: panthermedia.net/ipopba
„Die Angebote sind darauf ange-
legt, möglichst viele Zielgruppen
im Unternehmen – Geschäftsfüh-
rung, Interessenvertretungen, Mit-
arbeitende – zusammenzubringen,
um gemeinsame Lösungen zu erar-
beiten“, so Isabelle Wanders vom
Bildungswerk der nordrhein-west-
fälischen Wirtschaft. Es gebe ver-
schiedene Weiterbildungsformate
in Präsenz und Online, etwa Sozial-
partner-Workshops mit Einbindung
beider Betriebsparteien.
Die Sozialpartner beim ZuZ wol-
len nicht irgendeine KI einführen
helfen, sondern eine „menschen-
zentrierte“. Die soll Prozesse und
Produkte verbessern, aber auch die
Arbeit angenehmer und gesünder
machen. Die Weiterbildungen wer-
den von den Konsortialpartnern des
Verbunds gemeinsam entwickelt
und setzen unterschiedliche
Schwerpunkte. Möglich seien au-
ßerdem passgenaue Qualifizierun-
gen, die nach einer Beratung auf
den Bedarf des jeweiligen Unter-
nehmens zugeschnitten sind.
Ingenieuren, Ingenieurinnen und
anderen Technikaffinen legt Wanders
die Veranstaltungsreihe „Digitalisie-
rung und KI: Eine Reise durch die be-
triebliche Praxis“ besonders ans Herz.
Die einstündigen Online-Workshops
ließen sich gut in den beruflichen All-
tag integrieren. Immer am letzten
Dienstag des Monats wird virtuell ein
Mittelständler besucht, der eine be-
stimmte Art von Digitalisierung und
KI aktuell implementiert.
Behandelt werden etwa die Ein-
führung von Augmented Reality
(AR) für Inbetriebnahmen, Anlagen-
planung oder die Fehlersuche, die
Bilderkennung mit KI sowie daten-
basierte Lösungen, die z. B. den
Energieverbrauch in der Stahlpro-
duktion senken. Nach den Einbli-
cken in die Praxis können Teilneh-
mende untereinander sowie mit den
Vertretern des Unternehmens und
den ZuZ-Fachleuten diskutieren.
Aus Erfahrungen erfolgreicher
Unternehmer lernen heißt siegen
lernen. So ungefähr soll es auch bei
der Digitalen Denkfabrik in Geest-
land bei Cuxhaven funktionieren.
Sie geht auf eine Initiative des Ge-
schäftsführers des Cloud- und Cy-
bersecurity-Spezialisten Merentis,
Andree Plat, zurück. Unternehmer
wollten alle eine Veränderung in ih-
rem Betrieb herbeiführen, aber, so
schildert es Miriam Fels vom Marke-
ting der Digitalen Denkfabrik, es ge-
be keinen konkreten Fahrplan für
die digitale Transformation. „Alle
Firmen sind gleichzeitig davon be-
troffen, alle sind dabei zu lernen,
um wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Bleibt der Austausch. So kommen
seit März Firmenchefinnen und
-chefs, Prozess- und Change-Mana-
ger und weitere Fach- und Füh-
rungskräfte mit Experten und Ex-
pertinnen aus Wirtschaft und Wis-
senschaft zusammen. Die virtuellen
„Fokusgruppen“ widmen sich be-
stimmten Themen: Den Auftakt ma-
chen Fachkräftemangel, New Work
und digitale Assistenz. Wie wird ein
Unternehmen agiler? Wie kann es
Azubis und Studierende gewinnen?
Wie kann es das volle Potenzial der
Mitarbeitenden erkennen und nut-
zen? Die Teilnehmenden sollen sich
ein halbes Jahr lang zweimal pro
Monat für vier Stunden in einem
moderierten Format austauschen
und eigene Erfahrungen einbrin-
gen. Gezielte Trainings ergänzen das
überregionale Angebot der Digita-
len Denkfabrik. Eine dreistufige
Mitgliedschaft regelt den Zugang zu
den Veranstaltungen.
„Wir mischen die Gruppen be-
wusst, damit jeder von den anderen
lernen kann“, sagt Fels. Für die Fort-
geschrittenen in Sachen digitale
Transformation müsse das kein Nach-
teil sein, denn vielleicht gebe es Din-
ge, die sie übersehen hätten. Vertreten
seien vor allem mittlere bis große Un-
ternehmen. Bunt gemischt sind auch
die Branchen: Auto- und Lebensmit-
telindustrie, Handwerk, Versicherun-
gen, Immobilien- und Gesundheits-
wirtschaft oder Verkehrsbetriebe.
 6. Mai 2022 · Nr. 9 AUS DEN UNTERNEHMEN/START-UP 25

Schwimmende Zäune
gegen die Plastikflut
Umwelt: Das Start-up Plastic Fischer GmbH aus Köln befreit die am
stärksten verschmutzten Flüsse der Welt von ihrer Plastikfracht. Barriere mitten im Fluss: Auftriebskörper halten verzinkte
Stahlgitter in die Strömung. Der Plastikmüll bleibt hängen
und lässt sich einfach abernten. Foto: Plastic Fischer GmbH

Von Bettina Reckter ten Stahlrahmen senkrecht in die Strömung, die den Plastik-
müll von allein in die Gitter treibt. „Die Soldaten mussten

E
xperten schätzen, dass weltweit Jahr für quasi nur noch abernten“, beschreibt es der Geschäftsführer
Jahr zwischen 8 Mio. t und 12 Mio. t. des Kölner Start-ups.
Kunststoffmüll über die Flüsse ins Meer „Die Menge an Plastik, die aus dem Fluss herausgeholt
treiben, umgerechnet so viel wie etwa eine wurde, stiegt exponentiell an“, freut sich Hirsch. Mehrere
Lkw-Ladung pro Minute. Viele Initiativen Systeme wurden entworfen, ständig weiter daran gefeilt
engagieren sich, diese enorme Plastikflut aus den und getestet. Das mit den Zäunen aufgefangene Material wird
Ozeanen wieder herauszubekommen. Aber nur weni- sortiert, recycelbares wie PET, Aludeckel und Glasflaschen an loka-
ge tun dies praktischerweise an der „Quelle“, indem sie le Wiederverwerter verkauft und sichergestellt, dass das Material in
den Abfall bereits auf den Flüssen abfangen. Dies aber die Wertschöpfungskette zurückgelangt. Nicht recycelbare Fraktio-
Köln hat sich die Plastic Fischer nen wie Folien und Multilayersysteme wer-
GmbH, ein junges Start-up aus den thermisch verwertet, sprich verbrannt.
Köln, zum Ziel gesetzt.
Foto [M]: panthermedia.net/Andreas Weber/VDIn
Jeder Schritt wird von einer unabhängigen Fir-
Die Idee kam dem Juristen ma verifiziert und zertifiziert.
Karsten Hirsch, dem Biotechno-
logen Georg Baunach und dem In- Die Technik selbst sei nicht die Crux, sondern
dustriedesigner Moritz Schulz 2018 eher die Logistik dahinter. „Wir organisieren den ge-
während eines gemeinsamen Urlaubs samten Prozess vom Technologiedesign über die
in Vietnam. Von ihrem Appartement aus Implementierung bis hin zum Sammeln, Sortieren
blickten sie weit über das Mekongdelta und
b und Verarbeiten.“ Das Design wurde als Open Source
beobachteten,
eo
o wie sich Plastik und anderer Un- ausgelegt, Bauanleitungen mit Schnittplänen und Er-
rat langsam
an aufs Meer zubewegte – in einem ste- klärvideo stehen zum kostenfreien Download
tigen Ba
Band rund um die Uhr. Die drei Gründer: Industriedesigner Moritz auf der eigenen Website. Aktuell zählen 45
Sie recherchierten,
ec konnten aber kein Unter- Schulz, Jurist Karsten Fischer und Financier Vollzeitbeschäftigte zum Team, nur zwei da-
nehmen fin ffinden,
i das sich dieses Problems sinnvoll Georg Baunach (v.l.). Foto: Plastic Fischer GmbH von arbeiten in Deutschland.
annahm. Zurück in Deutschland tüftelten sie zu- Wie aber damit Geld verdienen,
nächst an einem Wasserrad, das Kunststoffverpa- wenn die Entwicklung kos-
ckungen aus dem Fluss sammelt und sogar an Land hebt. Der Prototyp, tenlos nachgebaut werden kann? „So entstand
zusammengebaut aus Materialien im Wert von gerade einmal 300 €, be- die Idee, dass Unternehmen uns fürs
stand seinen ersten Praxistest an einem Kölner Bach so gut, dass die Sammeln und Verarbeiten pro Tonne
drei Freunde beschlossen, die Sache auf eine solide Basis zu stellen. Plastik bezahlen und hierfür von
uns ein Zertifikat erhalten“, er- Plastic Fischer GmbH
Im Frühjahr 2019 gründeten sie – eigenfinanziert – die Firma. Im klärt Hirsch. Sie zahlen hierbei
Sommer zogen sie nach Indonesien. Das Land gilt nach China als für die Umweltdienstleis- „ Branche: Um
welttechnik
zweitgrößter Meeresverschmutzer der Welt. Doch schnell stellte sich tung, nicht für das Material „ Gegründet: 20
heraus, dass sich das Rad, das in Köln so erfolgreich war, für einen selbst, welches lediglich vor 19
Einsatz in Südostasien nicht taugt, weil dort die Fließgeschwindigkeit Ort verarbeitet wird. Viele Fir- „ Beschäftigte:
45 weltweit
viel geringer ist. men möchten sich von den Mit- „ Umsatz: 250 00
Kurzerhand nahmen die Freunde Kontakt zur indonesischen Armee bewerbern abheben und mehr 0 € (2021)
auf, die sich gerade mit 1400 Soldaten der Sisyphos-Aufgabe stellte, tun als „nur“ CO2 zu kompensie-
den Citarum von Unrat zu reinigen. Der Fluss gilt als der dreckigste auf ren. Das Plastic-Fischer-Logo
der ganzen Welt und fließt auf seinem Weg durch West-Java auch durch schmückt nun Verpackungen
Bandung, die drittgrößte Stadt des Landes. Der indonesische Präsi- von Kunden und das Engage-
dent hatte damals veranlasst, das Gewässer inner- ment taucht in deren Nachhal-
halb weniger Jahre wieder auf Trink- tigkeitsberichten auf.
wasserqualität zu brin-
gen. So wurde auch den Vom Weltwirtschaftsforum wurden die Plas-
Freunden aus Deutschland tikfischer dieses Jahr als „Top Innovator“ ausge-
gestattet, sich an der Arbeit zu zeichnet, erzählt Hirsch stolz. Daraufhin folgten
beteiligen. Anfragen aus Südamerika, Indien und Afrika. Über
„Moritz hatte dann die Idee, einen 200 Organisationen haben das Paket mit der Bauan-
schwimmenden Zaun zu bauen“, er- leitung runtergeladen und nachgebaut. Momentan
zählt Karsten Hirsch. Realisiert werden konzentriert man sich auf Indien. Im vergan-
sollte das Ganze mit Materialien, die vor genen Jahr sind so 30 t Plastik gesammelt
Ort verfügbar sind, damit die Einheimi- worden, dieses Jahr sollen es 300 t sein
schen Bau und Reparatur jederzeit selbst- und 2023 die 1000-t-Marke geknackt
ständig durchführen können. Die Entwick- werden. Karsten Hirsch: „Wir haben in
lung selbst sei keine Rocket Science, meint verschiedenen Ländern gezeigt, dass
Hirsch, sondern vergleichsweise simpel. Im das funktioniert, dass man damit auch
Prinzip halten Auftriebskörper, in diesem Fall Jobs schaffen kann. Nur das Geld muss
robuste PVC-Rohre, verzinkte Netze in verzink- von anderen Firmen kommen.“
26 TECHNIK & KULTUR
Luftfahrt: In den 1960er-Jahren betrieb die Bundesregierung ein ehrgeiziges Senkrechtstarterprogramm.
Zurück blieben milliardenschwere Fehlinvestitionen und einige technisch anspruchsvolle Prototypen.
Von Wolfgang Heumer
D
en Erstflug der
VAK 191 B dürften eini-
ge der am Bau Beteilig-
ten mit gemischten Ge-
fühlen beobachtet ha-
ben. Als der Prototyp eines „Vertikal
startenden Aufklärungs- und
Kampfflugzeuges“ am 10. Septem-
ber 1971 vom Bremer Flughafen ab-
hob, war schon seit fünf Jahren klar:
Auch der dritte in Deutschland ent-
wickelte Senkrechtstarter würde
niemals in Serie gehen.
Zwar verabschiedete sich das
Bundesverteidigungsministerium
erst 1972 endgültig von dem auf-
wendigen Projekt – aber Johannes
Steinhoff, Luftwaffeninspekteur von
1966 bis 1970, hatte bereits kurz
nach seinem Amtsantritt den Geld-
fluss für das Projekt so weit gedros-
selt, dass die Vereinigten Flugtech-
nischen Werke (VFW) in Bremen
statt der erhofften 400 bis 500 Stück
nur drei Prototypen bauen konnten.
Dieses Schicksal erlitten auch die
anderen senkrecht startenden
Hoffnungsträger der deutschen
Luftfahrtindustrie – das Jagdflug-
zeug VJ 101C aus dem „Entwick-
lungsring Süd“ und das Transport-
flugzeug Do 31 von Dornier wurden
ebenfalls nach je drei Exemplaren
eingestellt. Die Ende der 1950er-
Jahre von Verteidigungsminister
Franz Josef Strauß und seinem Luft-
waffeninspekteur Josef Kammhuber
veranlassten verteidigungspoliti-
6. Mai 2022 · Nr. 9
Völlig abgehoben
schen Höhenflüge endeten in einer
finanziellen Bruchlandung: Die drei
Senkrechtstarterprojekte hätten
insgesamt 1,2 Mrd. DM verschlun-
gen, „ohne dass ein echter militäri-
scher Bedarf sichtbar war“, erklärte
Ernst Wolf Mommsen 1970 in einem
Spiegel-Interview nach seinem
Amtsantritt als Staatssekretär des
Verteidigungsministers Helmut
Schmidt. Nach dem Wechsel aus der
großen Koalition zur SPD-FDP-Re-
gierung wollte Schmidt mit dem
früheren Chef der Thyssen Röhren-
werke Managementkompetenz in
die Rüstungsbeschaffung bringen.
Josef Kammhuber, dem ersten In-
spekteur der Luftwaffe, wird nach-
gesagt, er habe schon beim Aufbau
der Bundeswehr nach einem beson-
deren Flugzeugtyp gesucht. Die von
den westlichen Flugzeugherstellern
Die VJ 101C war als Starfighter-Nachfolger geplant. Auch dieses angebotenen Maschinen wie die
Projekt scheiterte. Foto: imago/United Archives International US-amerikanische Grumman F11
Tiger, die französische Dassault Mi-
Foto: Wim van Rossem/Anefo, gemeinfrei
rage III oder die britische Saunders-
Roe SR.53 P.177 hatten in den Augen
des ehemaligen Chefs der Nachtjä-
ger in Hitlers Wehrmacht einen
Nachteil: Sie benötigten kilometer-
lange betonierte Start- und Lande-
bahnen. Angesichts der zunehmend
frostigen Atmosphäre im Kalten
Krieg befürchtete Kammhuber, dass
die Fliegerhorste im Falle eines hei-
ßen Krieges sofort von Bombern des
Warschauer Pakts zerstört und die
Luftverteidigung damit wehrlos
Josef Kammhuber (li.) fürchtete, dass im Kriegsfall die Start- würde. Senkrecht startende Flug-
bahnen konventioneller Flugzeuge zerstört würden. zeuge könnten dagegen in versteck-
Von der VAK 191 B wur-
den statt den geplanten bis
zu 500 Maschinen nur drei
Prototypen gebaut. Es ging
ihr damit genauso wie an-
deren deutschen Senk-
rechtstarterentwürfen.
Foto: dpa Picture-Alliance/Bilderarchiv
ten Winkeln auf ihren Einsatz war-
ten und wären so vor einem ver-
nichtenden Erstschlag geschützt.
Als Kammhubers Dienstherr förder-
te Bundesverteidigungsminister
Franz Josef Strauß die Idee des verti-
kalen Aufstieges aus einem weiteren
Grund: Eine solche technische Ent-
wicklung könnte der gerade wieder
gestarteten deutsche Luftfahrtin-
dustrie international Reputation
verschaffen. Der begeisterte Frei-
zeitflieger aus Bayern konnte sich
Deutschland ohne eigene Flugzeug-
werke nicht vorstellen.
Als sich das Verteidigungsminis-
terium und die Luftwaffe um 1957
erstmals mit der Senkrechtstarter-
idee an die Flugzeugentwickler in
Süddeutschland wandten, legten sie
die Messlatte sofort hoch. Das idea-
le Jagdflugzeug sollte neben der ver-
tikalen Start- und Landefähigkeit
vergleichbare Eigenschaften besit-
zen wie der 1954 erstmals vorge-
stellte F-104 Starfighter. Als Abfang-
jäger konzipiert, erreichte dieser
zweifache Schallgeschwindigkeit
und eine Höhe von 15 km. 1959
gründeten die Flugzeughersteller
Heinkel, Messerschmitt und Bölkow
eigens für die Entwicklung des
Senkrechtstarters VJ 101C den Ent-
wicklungsring Süd (EWR). Während
das 90-köpfige Team im Biblio-
theksbau des Deutschen Museums
über ein Konzept für den neuen
Flugzeugtyp sinnierte, stieg in
Großbritannien mit der Hawker
P.1127 bereits ein erster Prototyp in
die Luft.

Der Versuch war erfolgreich: Ab
1964 wurde die Hawker Siddeley
Harrier als einziges VTOL-Flugzeug
(Vertical Take-Off and Landing) in
Serie gebaut. Bis zur Außerdienst-
stellung bei der britischen Luftwaffe
und Marine vor zwölf Jahren wur-
den rund 350 Exemplare in ver-
schiedenen Ausführungen gefertigt.
Eines hatten alle Projekte in den
1950er- und 1960er-Jahren gemein-
sam: Mit der Entwicklung von Senk-
rechtstartern betraten die Konstruk-
teure an vielen Stellen technisches
Neuland. Zunächst ging es um die
Grundsatzfrage: Wie bekomme ich
ein Flugzeug senkrecht in die Höhe?
Fliegen beruht auf Aerodynamik;
erst der an den Tragflächen erzeugte
Auftrieb hält die Maschinen in der
Luft. Die ersten Senkrechtstarter,
die schon im Zweiten Weltkrieg er-
dacht worden waren, sollten sich
wie Helikopter mithilfe von waage-
recht drehenden Propellern in die
Höhe schrauben und dann mit ver-
tikal operierenden Propellern in die
aerodynamische Flugphase überge-
hen. In den modernen Varianten
wurde dieses System durch eine
Kombination von mehreren Strahl-
triebwerken und schwenkbaren
Luftaustrittsdüsen verfeinert, die
den Schubstrahl zunächst senkrecht
für den Steig- und dann waagerecht
für Vorwärtsflug lenkten.
Der Übergang vom Aufstieg in den
Flug – die Transitionsphase – war
eine komplexe Aufgabe. Ein tonnen-
schweres Flugzeug senkrecht mit
der Kraft von mehreren Tausend PS
in die Höhe zu bekommen, erfor-
dert eine absolut feinfühlige Ab-
stimmung der bis zu zehn in dieser
Phase zugeschalteten beweglichen
Austrittsdüsen. Piloten vergleichen
diese Situation gelegentlich mit der
Herausforderung, mit einem Tablett
voller Champagnergläser in einer
Hand auf einem großen Ball zu ba-
lancieren. Heutzutage geben Hoch-
leistungsrechner anhand der Infor-
mationen von Dutzenden Bewe-
6. Mai 2022 · Nr. 9 TECHNIK & KULTUR 27
gungssensoren die entsprechenden ten die Hintergründe. „Da fliegt es
Steuerungsimpulse. Damals hing nun, das deutsche Trauerspiel“,
der erfolgreiche Start im Wesentli- zitiert „Die Zeit“ damals einen na-
chen vom Feingefühl des Piloten mentlich nicht genannten Mitarbei-
und der Umsetzung seiner Lenkbe- ter der Versuchsanstalt für Luft- und
wegungen durch ein ausgeklügeltes Raumfahrt in Oberpfaffenhofen.
feinmechanisches und hydrauli- „Nun ist die Maschine ja so weit,
sches System ab. dass wir sie ins Deutsche Museum
stellen können“, soll dem Bericht
Das komplexeste Steuerungssys- zufolge ein weiterer Augenzeuge der
tem wurde für das dritte in Premiere gesagt haben.
Deutschland gebaute VTOL-Flug- Wenn Julia Menzel, Sammlungs-
zeug – die Dornier Do 31 – entwi- leiterin des Dornier Museums in
ckelt. Die 20 m lange Ma- Friedrichshafen, auf
schine mit einer Tragflä- die allererste Do 31
chenspannweite von am Eingang zur Aus-
17,14 m war als Trans- Die Senkrecht- stellung schaut, er-
portflugzeug konzipiert. kennt sie durchaus
Bei einem maximalen
startertechnik positive Aspekte des
Startgewicht von 24 t „ist hier entwi- Geschehens in den
(darunter 2,5 t Nutzlast) 1960er-Jahren.
waren für den Start ins- ckelt worden, „Dornier war mit
gesamt zehn Triebwerke vielen Entwicklun-
mit 2 x 60 kN und ohne dass ein gen weit der Zeit vo-
8 x 19,6 kN Leistung er- raus“, sagt sie und
forderlich. Die von den
echter militäri- meint damit nicht
Piloten vollzogenen Be- scher Bedarf nur die Dornier
wegungen des Steuer- Do X, die 1929 mit
knüppels wurden in ei- sichtbar war“. einer Länge von
Franz Josef Strauß, hier während eines Manövers im Jahr 1960, nem sogenannten Mi- 40 m das erste Groß-
Ernst Wolf Mommsen,
wollte mit dem Senkrechtstarterprogramm auch die deutsche schergetriebe in die für raumflugzeug der
Verteidigungsstaats-
Luftfahrtindustrie fördern. Foto: S. L. A. Marshall, United States Army Reserve/public domain die Flugstabilität erfor- Welt war, sondern
sekretär, im Jahr 1970
derlichen Bewegungen auch die Do 31. Im
der Düsen sowie der Sei- Flugzeugkonzept
ten und Höhenruder war unter anderem
dorthin hydraulisch übertragen. Die eine zivile Version vorgesehen, die
Impulse aus dem Cockpit wurden vom Münchner Hauptbahnhof
elektrisch an das Getriebe weiterge- senkrecht starten sollte.
geben – die Dornier Do 31 gilt des-
wegen als Wegbereiter der heute üb- „Die Idee feiert gerade ihre Re-
lichen Fly-by-Wire-Technologie, mit naissance“, sagt die Wissenschaft-
der auch in großen Verkehrsmaschi- lerin. „Senkrecht startende Flugzeu-
nen die Steuerung ausschließlich ge gelten derzeit als Verkehrsmittel
digital erfolgt. der Zukunft“, verweist sie auf aktu-
Neben ihrer technologischen Be- elle Projekte von Start-ups wie Volo-
deutung ist die Dornier Do 31 auch copter oder Lilium. Die zivilen
das Symbol politischer Kehrtwen- VTOL-Flugtaxis unterscheiden sich
dungen in der aus Steuermitteln fi- in drei Punkten von den militäri-
nanzierten Technologieförderung. schen Projekten der Nachkriegszei-
Als der 20-Tonner am 28. November ten. Sie gehen auf privatwirtschaftli-
1967 erstmals senkrecht abhob, che Initiativen zurück, fliegen elek-
Die Do 31 war ein Transportflugzeug, dessen zivile Version vom stand bereits fest, dass er nie in der trisch und ihre Entwicklung ist bis-
Dach des Münchner Hauptbahnhofs abheben sollte. Stattdessen Serienproduktion landen würde. Zu lang deutlich preiswerter als ihre
führte der Weg direkt ins Museum. Foto: Airbus Corporate Heritage laut und zu teuer im Betrieb, laute- politisch gewollten Vorbilder.
28 KARRIERE & MANAGEMENT 6. Mai 2022 · Nr. 9

„ KOMMENTAR
Gedanklicher
Mauerbau
Der durch nichts zu rechtfertigende Krieg
in der Ukraine war kaum ausgebrochen, da
solidarisierten sich hierzulande die Mit-
glieder der Allianz der großen Wissen-
schaftsorganisationen zunächst unterei-
nander, dann gemeinsam mit der Ukraine.
Konsequenterweise froren sie alle deutsch-
russischen Kooperationen umgehend ein –
e
eine alternativlose Re-
a
aktion auf den Bruch
a Werte, wie es
aller
h
hieß. Und die „einzig
m
mögliche“, wie Katja
B
Becker, Präsidentin
d Deutschen For-
der
s
schungsgemeinschaft
Wolfgang Schmitz, (DFG), meint. „Hier zu
Redakteur: Die For-
schenden auf beiden handeln, heißt daher
Seiten des Krieges auch: unsere Werte zu
zählen zu den Verlie- verteidigen ... Gerade
rern. Foto: VDIn/Zillmann in der Symbolik liegt
daher auch die Kraft unseres Handelns.“

Nachhaltigkeit erreicht
Vor dem Hintergrund, dass die Leitungen
der russischen Wissenschaftsorganisatio-
nen bereits seit Jahren staatlich indoktri-
niert sind, ist diese Handlungsweise nach-
vollziehbar. Andererseits ist sich auch die
Medizin-Professorin darüber im Klaren,
wie sehr das Einfrieren von Kooperationen
– die jetzt nur noch auf persönlichen Be-
die Chefetage
ziehungen einzelner Forschender beruhen Strategie: Chief Sustainability Officers (CSOs) könnten künftig
– insbesondere globalen Projekten wie der eine Schlüsselrolle im Unternehmen einnehmen.
Bekämpfung des Klimawandels schadet.
Den Kriegstreiber selbst wird das nicht Von Chris Löwer Umwelt-, Sozial- und Wirtschafts- einen hohen Bedarf an qualifizier-
jucken. Im Gegenteil. Putin setzt auf die aspekte verantwortlich. Die Rolle ei- ten Kräften in diesem Bereich. Hier

Abkapslung von westlichem Gedankengut,
das einer „Selbstsäuberung der russischen
Gesellschaft“ im Wege stehe. Der Westen
strebe über die Spaltung der russischen
Gesellschaft „die Zerstörung“ des Riesen-
reichs an. Forschende, die ihre über viele
Jahre gewachsenen Kooperationen, etwa
nach Deutschland, weiter pflegen wollen,
werden als „Verräter“ diskreditiert. Den
Machthaber stört es auch nicht, dass die
Vielfalt des russischen Wissenschaftssek-
tors langsam, aber stetig austrocknen wird,
oder, wie es Peter-André Alt, Präsident der
Hochschulrektorenkonferenz (HRK), for-
muliert, dass die dortigen Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler ihre „intellek-
tuelle Unabhängigkeit“ verlieren.
Die Leidtragenden sind die Forscherin-
nen und Forscher sowie die Studierenden.
Auf beiden Seiten. Schließlich wird mit den
Sanktionen zwangsläufig die Freiheit von
Forschung und Lehre ein Stück weit be-
schnitten, zu der auch die freie Wahl der
Kooperationspartner zählt. Der Traum von
wissenschaftlicher Vielstimmigkeit weicht
zusehends der Realität gedanklichen Mau-
erbaus.
„ wschmitz@vdi-nachrichten.com
V
or noch nicht allzu langer
Zeit leisteten sich Unter-
nehmen bestenfalls ei-
nen Umweltbeauftragten
– oder noch häufiger eine
Umweltbeauftragte, um sich ein
grünes Image zu geben. Heute ha-
ben die Experten und Expertinnen
für das Nachhaltigkeitsmanage-
ment gewichtigere Namen bekom-
men und höhere Hierarchieebenen
erklommen: Chief Sustainability Of-
ficer, kurz CSO. Beim Weltkonzern
Siemens hat Judith Wiese den Pos-
ten neben der Aufgabe als Personal-
vorständin inne. „Es ist zu erwarten,
dass die Rolle des CSOs in den
nächsten Jahren weiter an Bedeu-
tung gewinnen wird“, heißt es in ei-
nem Report zum Thema des Bera-
tungsunternehmens Deloitte.
„Der Chief Sustainability Officer
entwickelt sich in der Organisation
zu einem ‚Sense-Maker in Chief‘“,
heißt es weiter in dem Report. Aber
was machen diese „Sinnstifter“ ei-
gentlich? Alison Doyle vom Karriere-
portal Balance55 definiert: „CSOs
arbeiten daran, sicherzustellen,
dass die Geschäftspraktiken eines
Unternehmens wirtschaftlich, öko-
logisch und sozial nachhaltig sind.“
Sie entwickeln, verwalten und über-
wachen die Nachhaltigkeitsstrategie
und sind für die Verbesserung der
nes CSOs variiere je nach Organisa-
tion. „CSOs kommunizieren und ko-
ordinieren mit Management, Aktio-
nären, Kunden und Mitarbeitern,
um Nachhaltigkeitsprobleme zu
lösen“, so Doyle.
Genau das zählt zu den Aufgaben
von Alexander Holst, Managing Di-
rector bei Accenture und Leiter der
deutschsprachigen Sustainability
Strategy & Services Practice. Er ent-
wickelt unter anderem Nachhaltig-
keitsstrategien für Dax-Unterneh-
men – vom Produktdesign bis zur
Dekarbonisierung der gesamten
Lieferkette. Holst sieht einen hohen
Bedarf an CSOs. Aus zwei Gründen:
„Zum einen entdecken Unterneh-
men das Thema als Wettbewerbs-
vorteil und möchten entsprechende
Kompetenzen im Haus haben und
zum anderen müssen kleine und
mittlere Unternehmen regulatori-
sche Anforderungen erfüllen, was
nicht länger nebenbei zu erledigen
ist.“ Sprich: Mit einem Umweltbe-
richt ist es nicht getan. „Zahlreiche
Positionen werden derzeit mit eige-
nen Ressourcen, insbesondere aus
operativen Funktionen, besetzt“,
berichtet Gabriele Stahl, Partnerin
und Sustainability-Expertin bei
Odgers Berndtson.
Fraglich, ob das auf Dauer genü-
gen wird. Denn auch sie registriert
können auch Ingenieurinnen und
Ingenieure, ausgehend von ihrem
Fachgebiet, einen Start machen.
Denn allein schon das Design eines
Produkts entscheidet über dessen
Umweltverträglichkeit. Aber auch
im Einkauf, bei Prozessen oder in
der Logistik sind neue technische
Ideen gefragt.
„Die Rolle des CSOs ist eine der
agilsten im Unternehmen“, erklärt
Stahl. „Zu seiner Kernaufgabe ge-
hört es, gemeinsam mit dem Top-
management, eine konsequente
Durchdringung des Nachhaltig-
keitsgedankens sicherzustellen.“ In
dieser Funktion sei er, so die Exper-
tin, sowohl strategisch wie operativ
zwischen Unternehmensstrategie
und Prozessstrukturierung zu se-
hen: „Häufig zählen zu seinen Auf-
gaben zudem das Risikomanage-
ment und die Prozessanpassung un-
ter Nachhaltigkeitsaspekten.“ Das
müsse er oder sie der Organisation
vermitteln sowie nachhaltigkeitsbe-
zogene Werte und deren operative
Umsetzung verantworten. „Zu den
Fähigkeiten eines CSOs zählt des-
halb auch die Kommunikation mit
allen relevanten Stakeholdern. Er
muss Menschen mitnehmen und
begeistern können“, betont Stahl.
„Er muss ein Netzwerker und Inte-
grator sein. Unter diesen Gesichts-

punkten kann er Treiber und Men-
tor eines nachhaltigen Kulturwan-
dels sein.“ Ingenieurinnen und In-
genieure seien technisch versierte
Managerinnen und Manager. „Sie
agieren in der Regel sachlich, treffen
ihre Entscheidungen basierend auf
Fakten“, so Stahl. Was sie daher be-
herrschen (oder lernen) müssen,
um als CSO zu reüssieren: „In dieser
Funktion werden sie zum Multi-
Stakeholder-Manager, müssen mit
viel Geduld und Überzeugungskraft
die Menschen in ihren Organisatio-
nen überzeugen, auch ihr eigenes
Verhalten zu überdenken und zu
ändern. Vorbildfunktion spielt hier
eine wichtige Rolle.“
So sieht das auch Holst: „Es genügt
nicht, nur Kopfmensch zu sein. Ideen
und Maßnahmen müssen den Men-
schen auch nähergebracht werden,
damit diese umgesetzt werden. Ge-
fragt ist Empathie.“ Außerdem hält
Holst strategische Kompetenz, „das
Denken in Jahreszyklen“, wie auch
prozessuale Kompetenz für wichtig.
Können hier besonders Frauen Kar-
riere machen, wie es oft formuliert
wird? Holst kann das nicht bestäti-
gen; er registriert keine geschlechts-
spezifischen Unterschiede. Gabriele
Stahl sieht das anders: „Frauen inte-
ressieren sich sehr für Nachhaltig-
keit. Sie sind eher bereit, für nach-
haltiges Handeln auch einen ‚Preis‘
zu zahlen, also auf Liebgewonnenes
zu verzichten.“ Sie gingen mit die-
sem Thema emotionaler um und
wollten etwas Gutes tun – auch im
Hinblick auf ihre Kinder und deren
sichere Zukunft: „Das Tätigkeitsfeld
ist daher vor allem bei jüngeren
Frauen attraktiv.“ Eine Befragung
für die Sustainability-Studie von
Odgers Berndtson unter 60 Topfüh-
rungskräften aus der Industrie, dem
Handel und der Konsumgüterbran-
che hat jedoch ergeben, dass derzeit
die Mehrheit der CSOs in den Dax-
und MDax-Unternehmen männlich
6. Mai 2022 · Nr. 9 KARRIERE & MANAGEMENT
Wenn Generationen
aufeinanderprallen
Podcast: Die verschiedenen Generationen haben
unterschiedliche Auffassungen von Arbeit und
Karriere. Da sind Konflikte vorprogrammiert.
Von W. Schmitz und P. Sieben
M
an akzeptiert sich. Das
heißt nicht, dass man
sich insbesondere im Ar-
beitsleben immer ver-
steht. Wenn die Generationen aufei-
nanderprallen, kann schnell Kon-
fliktpotenzial entstehen. Auslöser
sind oft grundverschiedene Vorstel-
lungen von Arbeit und Karriere und
wie beide Aspekte in die Lebensge-
staltung passen. Unternehmen soll-
ten diese Tatsache anerkennen –
CSOs stellen sicher, dass die und lernen, dass sie
Geschäftspraktiken eines Unter- sehr viel Potenzial aus
nehmens wirtschaftlich, ökolo- dem Generationen-
gisch und sozial nachhaltig wissen ziehen kön-
sind. Foto: PantherMedia / duiwoy nen, sagt Eva Holden.
Sie ist Leiterin Perso-
nalentwicklung und
Change bei der VDI
GmbH. „Die soge-
ist. „Doch Frauen holen vor allem in nannten Babyboo-
den nicht börsennotierten Unter- mer und die Genera- „Jemand aus der
nehmen auf. Dort liegt die Frauen- tionen X, Y und Z ti-
quote bei Nachhaltigkeitsmanagern cken zum Teil sehr Generation Z
derzeit bei 50 %“, berichtet Stahl. unterschiedlich“, so
Holden. Die Nach- möchte, dass die
Ist diese Position ein Fahrstuhl in kriegsgeneration et-
die Führungsetage? „Sicherlich, ge- wa sei geprägt von
Unternehmens-
rade für Frauen“, betont Stahl. Denn einem sehr hohen vision zu seinen
Nachhaltigkeit gewinne durch die Durchhaltevermö-
EU-Taxonomie zunehmend an Be- gen. „Das Motto: Da Werten passt,
deutung für die unternehmensstra- musst du jetzt durch.
tegische Ausrichtung. Sie Andere Dinge, wie und spricht das
könne nicht länger als die eigene Gesund-
Selbstzweck gesehen heit, haben keine
dann auch
werden. Stahl: „Insofern „Die Rolle des Priorität, Arbeit geht deutlich an.“
ist es für Frauen ein gutes vor.“ Zudem seien
Sprungbrett, auf dem sie
Chief Information Menschen aus dieser Eva Holden, VDI
Foto: privat
sich für die Topführungs- Officers ist eine Generation es ge-
ebenen auch auf C-Le- wöhnt, sich in straffe
vel-Ebene bewähren der agilsten im Hierarchiestrukturen
können.“ Holst trifft je- einzufügen.
doch eine wichtige Ein- Unternehmen. Bei den nachfolgenden Genera-
schränkung: „Die Positi- Gabriele Stahl, Partnerin und tionen sehe das mitunter anders
on kann ein gutes Karrie- Sustainability-Expertin bei aus. Sie würden dazu neigen, Aufga-
resprungbrett sein, wenn Odgers Berndtson ben immer auch zu hinterfragen
das Unternehmen Nach- und auf Eigenverantwortlichkeit zu
haltigkeit einen großen dringen. Die jüngste Generation Z
Wert beimisst. Ist dem nicht so, be- ist wiederum einen Schritt weiter
steht die Gefahr, als CSO in einer als ihre Vorgängerinnen und Vor-
Sackgasse zu landen.“ gänger. Sie suche meist grundsätz-
Ein häufig vorgebrachtes Argument lich nach dem Sinn hinter der Arbeit
kann Holst allerdings nicht nachvoll-
ziehen: Gute CSOs schaffen sich
selbst ab. Denn irgendwann sei eine
Organisation nachhaltig ausgerichtet
und damit der Job erledigt. „Das sehe
ich so nicht“, meint Holst. Er ver-
gleicht die Entwicklung mit der von
Controllern, von denen auch lange
behauptet wurde, sie machten sich
selbst überflüssig, weil bald jeder im
Unternehmen Kostenrechnung auf
dem Schirm habe. Das möge sein. Welche Rahmenbedingungen
Doch Anforderungen, Wissen und fordern die Jungen, um ihr Leis-
Werkzeuge änderten sich ständig – so tungspotenzial abrufen und ihre
wie beim umweltgerechten Wirt- Work-Life-Balance-Ansprüche
schaften. Holst: „Es wird immer je- berücksichtigen zu können? Eva
manden geben müssen, der das ins Holden gibt Antworten.
Unternehmen trägt.“ Der Experte ist
www.ingenieur.de/prototyp
überzeugt: CSOs werden künftig eine
Schlüsselrolle spielen.
29
– ohne geht es nicht. Eva Holden:
„Das merkt man auch in Bewer-
bungsgesprächen. Jemand aus der
Generation Z möchte, dass die Un-
ternehmensvision zu seinen Werten
passt, und spricht das dann auch
deutlich an.“ Es gehe nicht nur um
die Frage: Was kann ich für das Un-
ternehmen leisten? Sondern vor al-
lem auch: Passt das Unternehmen
mit seinen Zielen zu mir und mei-
nen Werten? Und wie lässt sich der
Job in mein Privatleben integrieren,
das eine hohe Priorität für mich hat?
Offene Gespräche
würden helfen, Miss-
verständnisse und
Vorurteile zwischen
den Generationen
abzubauen. „Ich habe
das so oft erlebt: Im
Gespräch entsteht
dann plötzlich ein
Verständnis für die
Denkweise der ande-
ren. Fast immer lösen
sich dann Konflikte
von selbst auf.“ Auch
beim Besprechen von
Projekten oder beim
Verteilen von Aufga-
ben sollten Füh-
rungskräfte im Blick
behalten, dass die
Generationen unter-
schiedlich ticken.
„Für bestimmte The-
men braucht es un-
terschiedliche An-
sprachen. Die älteren
Kolleginnen und Kol-
legen wollen zu Recht
für ihre Erfahrung
wertgeschätzt wer-
den. Die Jüngeren tendieren dazu,
immer nach dem Warum zu fragen.“
Die Strukturen in vielen Unter-
nehmen seien aber nach wie vor an
der Babyboomer-Generation ausge-
richtet – doch die kommt allmählich
ins Rentenalter. Und damit dürfte in
den nächsten Jahren ein sehr arbeit-
nehmerfreundlicher Arbeitsmarkt
entstehen. „Wenn sie die jungen Ta-
lente für sich gewinnen wollen,
müssen Unternehmen jetzt etwas
ändern“, sagt Eva Holden. Schließ-
lich stünden Unternehmen nicht
nur im Wettbewerb um Kunden,
sondern auch um Mitarbeitende –
auf deren Bedürfnisse flexibel und
individuell zu reagieren sei.
Wie das gelingt und wie Teams
vom Generationenwissen aller Mit-
arbeitenden profitieren können, das
verrät Eva Holden in der aktuellen
Ausgabe von Prototyp, dem Karrie-
repodcast von ingenieur.de und VDI
nachrichten. Außerdem spricht sie
am 30. Mai beim VDI nachrichten
Job Hub auf der Hannover Messe
zum Thema „Babyboomer, Genera-
tion X, Y, Z: Generationenwissen als
Schlüsselkompetenz“.
„ www.ingenieur.de/hannovermesse
30 KARRIERE & MANAGEMENT
Nachhaltigkeit
stärkt
Unternehmen
Management: Der Textildienstleister
Mewa macht mit der Umstellung auf einen
grünen Fuhrpark gute Erfahrungen.
Und seine Kundschaft auch.
Von Christine Demmer
D
er Glaube ist in vielen Köpfern fest
verankert: „Mit Nachhaltigkeit ver-
dient man doch kein Geld.“ Dabei
bietet „grüne“ Unternehmensfüh-
rung enormes wirtschaftliches Poten-
zial – wenn man neben der Umwelt den Markt in
den Blick nimmt. Beispiele zeigen: Kunden schät-
zen es, wenn Lieferanten und Servicegeber vo-
rausschauend handeln.
Nachhaltigkeit hat sich zu einer beliebten Mar-
ketingstrategie entwickelt: Mit Ankündigungen
und „grünen“ Vorsätzen machen immer mehr
Unternehmen von sich reden. Nur selten aller-
dings erfährt man, ob sich die Annäherung an die
von den Vereinten Nationen verkündeten 17 Sus-
tainable Development Goals (SDGs) tatsächlich
so rechnet, wie es deren Verfechter behaupten.
Wenn von wirtschaftlichen Erfolgen berichtet
wird, werden meist indirekte Wirkungen hervor-
gehoben, etwa die steigende Zukunftsfähigkeit ei-
nes Unternehmens, sein Imagegewinn oder die
wachsende Motivation der Mitarbeitenden. Da ist
es ganz erfrischend, einmal zu hören, dass Nach-
haltigkeit auch wirtschaftlich sein kann.
Der Wiesbadener Textildienstleister Mewa ver-
sorgt Unternehmen und öffentliche Einrichtun-
gen in ganz Europa mittels eines Hol- und Bring-
services mit sauberer Berufsbekleidung. Für den
Transport setzt das Unternehmen seit 2021 in Er-
gänzung zu klassisch mit fossilen Brennstoffen
betriebenen Transportern und Lastkraftwagen
auch E-Sprinter, Lastenfahrräder sowie aktuell
nur in der Schweiz wasserstoffbetriebene Lkw
ein. Das nutze der Umwelt, freue die Kunden und
rechne sich mittelfristig sogar, sagt Vorstand Hans
Peter Weidling und versichert: „Der Business Case
ist vielversprechend.“
Aufgenommen wurde der Pilotbetrieb 2021 mit
Lastenfahrrädern und Elektrotransportern in der
„ FERNSTUDIUM
6. Mai 2022 · Nr. 9
Berliner Innenstadt. Weil die Umweltzone der
Hauptstadt ohnehin nur schadstoffarme Fahr-
zeuge zulässt, lohnte es sich für das Unterneh-
men, gleich einen Schritt weiter zu gehen. Elek-
trisch betriebenen Fahrzeugen stehen auch die
Fußgängerzonen offen, außerdem können sie di-
rekt vor den Kundenbetrieben ent- und beladen,
ohne Strafzettel für das Parken in zweiter Reihe
befürchten zu müssen.
Und mit Lastenfahrrädern wurde ein Trans-
portmittel aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert
erfolgreich wiederbelebt. „Die Kunden freuen
sich, weil die Wäsche jetzt schneller und direkter,
nämlich unter Umgehung des quälend langsa-
men Innenstadtverkehrs und ohne Umwege
durch Tiefgarage und Lastenaufzüge, zu ihnen
kommt“, berichtet Weidling. „Wir können die
Strecken effizienter planen, weil wir die Häuser
direkt anfahren und deshalb die Stoppfrequenzen
steigern können, im Optimum sogar auf das Dop-
pelte. Das kompensiert Mehrkosten.“
Weil die Touren direkt in Berlin starten, gebe es
praktisch keine unproduktiven Kilometer mehr,
versichert der Vorstand. Damit habe sich das Mo-
dell nicht nur als nachhaltig, sondern auch als
wirtschaftlich erwiesen. Mit dem Betrieb der Las-
tenräder wurde für den Pilotbetrieb ein Dienst-
leister inklusive Fahrern beauftragt. „Daher ha-
ben wir derzeit etwa 2 % höhere Kosten pro gelie-
fertem Wäschesack auf der Tour“, sagt Weidling.
Letztlich rechneten sich aber die Investitionen in
nachhaltige Mobilität.
Denn die Umstellung auf eigene Fahrer, der
Zeitgewinn, die größere Flexibilität sowie Skalen-
effekte durch mehr betriebene Fahrzeuge mach-
ten weitere Prozess- und Tourenoptimierungen
möglich und den derzeitigen Kostennachteil
wett. „Bei Betrachtung aller Aspekte – Kundenzu-
friedenheit, Mitarbeiterzufriedenheit und Ge-
samtkosten – sprechen wir bereits heute über ei-
ne wirtschaftliche Lösung zur Überbrückung der
letzten Meile in der Innenstadt“,
sagt Weidling. Seit April kommt die
Wäsche auch zu den Hamburger
Kunden per Pedalbetrieb und
E-Kastenwagen. „Weitere europäi-
sche Metropolen sind im Fokus“,
sagt Weidling. „Verkehrspolitisch
den größten Handlungsbedarf ha-
ben wir in Paris. Wir schauen uns
aber auch Städte wie Mailand, Lon-
don oder Brüssel genauer an.“
Auch ein zweiter Pilotversuch soll
dazu beitragen, den Widerspruch
zwischen Nachhaltigkeit und Wirt-
schaftlichkeit aufzulösen. Seit fast
einem Jahr setzt Mewa in der
Schweiz einen wasserstoffbetriebe-
nen Hyundai Lkw (Xcient Fuel Cell)
ein. Ein zweiter H2-Lkw wird im
Viel dran, viel drin
und trotzdem wendig.
Für den Innenstadtver- nächsten Monat unter anderem im Shuttlever-
kehr hat sich der Textil- kehr zu deutschen Standorten eingesetzt. Nach
dienstleister Mewa Angaben von H2Stations.org, einer Internetseite,
für Lastenfahrräder die einen weltweiten Überblick über alle Wasser-
entschieden. Foto: Mewa stoff-Tankstellen verschafft, gibt es derzeit knapp
700 Wasserstoff-Tankstellen in 33 Ländern, da-
runter rund 100 in Deutschland. Allerdings ist da-
von nur ein Bruchteil für Lkw geeignet.
Das grobmaschige Netz ist nicht der einzige
Nachteil, der mit geschickter Planung überwun-
den werden muss. „Der Investitionsaufwand für
Wasserstoff-Lkw übersteigt den für Dieselfahr-
zeuge“, räumt Weidling ein. „Im Zuge der Diesel-
preisentwicklung können wir allerdings zusehen,
wie sich der Business Case ins Positive dreht.“
Der Schlüssel zum Erfolg liege wie so oft in der
Skalierung: „Mehr H2-Lkw bedeuten mehr Inves-
titionsanreize für den Aufbau der notwendigen
Infrastruktur, mehr Wasserstoffproduktion, ein
dichteres Tankstellennetz und in Summe dann
auch sinkende Preise.“ Mit Reichweiten von mehr
als 500 km und Tankzeiten von weniger als 10 min
Mewa-Vorstand habe das Hydrogenium klare Vorteile gegenüber
Hans Peter Weidling: Elektro. „Mittelfristig sollen alle Kundenbeliefe-
„Verkehrspolitisch den rungen in der Schweiz CO2-neutral werden“, ver-
größten Handlungs- spricht der Vorstand.
bedarf haben wir in Mit seiner Nachhaltigkeitsstrategie hat der
Paris.“ Foto: Mewa Wiesbadener Dienstleister zwei Punktgewinne
erzielt: Er positioniert sich im Markt als nachhal-
tig durch „grünen Kundenservice“ und er nimmt
die zu erwartenden künftigen Umweltauflagen
strategisch und operativ vorweg. Weidling: „Wir
setzen uns jetzt schon mit den grünen Themen
auseinander, damit wir gar nicht erst unter Druck
geraten.“ Und das Beste, so der Vorstand, habe
ihn selbst überrascht: „Die Wirtschaftlichkeit ist
dabei bereits heute darstellbar.“
Nachhaltigkeit im Unternehmen, die sich lohnt:
einige Tipps für den Start
„ Beginnen Sie bei der nachhaltig bewussten Umstellung, angefan-
gen bei Arbeitsmaterialien bis hin zu Geschäftsreisen.
„ Verzichten Sie sowohl beim Einkauf als auch beim Verkauf auf un-
nötige Verpackungen. Auch die Kundinnen und Kunden freuen sich
darüber.
„ Arbeiten Sie mit Partnern zusammen, die ebenfalls nachhaltig wirt-
schaften.
„ Hören Sie auf die Ideen Ihrer Mitarbeitenden.
„ Berichten Sie über Ihre Erfolge. Binden Sie Nachhaltigkeit aktiv in
Ihre Kunden- und Mitarbeiterkommunikation ein.
„ Definieren Sie selbst bei kleinsten Vorhaben qualitativ, quantitativ
und zeitlich messbare Ziele: „Dieses Ergebnis ... wollen wir auf die-
se Art und Weise ... bis ... erreichen.“
 6. Mai 2022 · Nr. 9 KARRIERE & MANAGEMENT 31

Neue Kompetenzen für

die digitale Transformation
Maschinenbau: Die digitale Transformation erfordert neues Wissen und neue Fähigkeiten.
Der VDMA wollte wissen, was Fach- und Führungskräfte für ihre Beschäftigten planen.

Von Wolfgang Schmitz bereitschaft. Mehr als 40 % der Un-

ternehmen benennen Systeminge-

U
nter digitaler Transfor-
mation ist nicht allein
technologische Verän-
derung zu verstehen.
„Sie verlangt vor allem
neue Kompetenzen von Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern. Diese Fu-
ture Skills entscheiden zukünftig
über die Wettbewerbsfähigkeit un-
serer Unternehmen“, sagt Hartmut
Rauen, stellvertretender Hauptge-
schäftsführer des Verbands Deut-
Umschulung wird von
nieurinnen und -ingenieure, Tech-
nische Produktmanager und -ma-
nagerinnen sowie I.4.0-Servicetech-
nikerinnen und -techniker als die
wichtigsten Jobprofile. Um die
Kompetenzen sicherzustellen, set-
zen rund 80 % der Unternehmen
auf das Recruiting neuer Fachkräfte
mit entsprechenden Kompetenzen.
Weiterbildung wird als genauso
wichtig eingestuft. 80 % der Unter-
nehmen bilden ihre Fachkräfte fort.
Auch Umschulung wird von 56 %
der Unternehmen eingesetzt, um
die Mitarbeitenden zu qualifizieren.

56 %
der Unternehmen einge-
setzt, um Mitarbeitende
zu qualifizieren
scher Maschinen- und Anlagenbau
(VDMA). Eine genauere Analyse
zum Thema legt der Verband nun
gemeinsam mit der Management-
beratung Kienbaum in einer vor.
Demnach sehen die 148 befragten
Fach- und Führungskräfte aus der
Branche die größten Entwicklungs-
potenziale in interdisziplinärem Ar-
beiten, Agilität und Veränderungs-
Zwangsläufig betrachten die
meisten Befragten die Entwicklung
der Mitarbeitenden als vorrangige
Führungsaufgabe. Virtuelle Füh-
rung sowie die Entwicklung von Di-
gitalstrategien und digitalen Ge-
schäftsmodellen sind demnach wei-
tere wichtige Führungsaufgaben.
Vor dem Hintergrund, dass sich
90 % der befragten Unternehmen
in Veränderungsprozessen, vor allem
technologischer, organisationaler
oder/und prozessualer Natur, befin-
den, ist die Erkenntnis, dass Zu-
kunftskompetenzen sehr rar sind, er-
nüchternd: Vier von fünf Unterneh-
men sehen sich – auch aufgrund des
Fachkräftemangels – mit einem
„Skill-Gap“ konfrontiert. Sie geben
an, in den nächsten fünf bis zehn
Die Mensch-Maschine-Kooperation verlangt permanente Wissensauffrischung. Darüber werden sich im-
mer mehr Fach- und Führungskräfte bewusst. Foto: panthermedia.net/phonlamai
Jahren die benötigten Zukunftskom- zukunftsorientiertes Kompetenz-
petenzen aufbauen zu müssen. management ist auch für die Unter-
Dabei sind sich die meisten Be- nehmen des Maschinen- und Anla-
fragten über das Problem im Klaren. genbaus eine der zentralen Heraus-
Knapp jedes zweite Unternehmen forderungen in den nächsten Jahren.
arbeitet derzeit an der Definition Dieses kann allerdings nur gelingen,
dieser Kompetenzen. Jedes zehnte wenn die Unternehmen sowohl ihr
Unternehmen hat diese bereits in Kompetenzmanagement als auch ihr
Form eines Kompetenzmodells de- Lernangebot an der Unternehmens-
finiert. Über Veränderungen der strategie ausrichten.“
Unternehmenskultur berichten nur „ Der Studienbericht „Future Skills im Ma-
17 % der befragten Unternehmen. schinen- und Anlagenbau“ steht kosten-
Walter Jochmann, Managing Di- frei zur Verfügung.
rector bei Kienbaum Consultants https://vdma.org/viewer/-/v2article/
international, kommentiert: „Ein render/51415038
32 KARRIERE & MANAGEMENT 6. Mai 2022 · Nr. 9

„ FÜHREN UND VERÄNDERN

Sein Herz schlägt für
Führungskräfte
im Fehlermodus Prozessoptimierung
Es gibt sie, diese Killermomente, bei denen alles Porträt: Der Maschinenbauingenieur Carlos Klein und sein Team haben ein
vor Schreck erstarrt. Der Klassiker hierzulande:
das Konstatieren eines Fehlers. In unserer tradi-
Tool entwickelt, mit dem sie Mittelständlern Industrie 4.0 ermöglichen wollen.
tionellen „Fehler dürfen nicht passieren“-Menta-
lität made in Germany wird viel zu oft genau das

W
Von Claudia Burger
verschwiegen, was Prozesse, Menschen und gan-
ze Organisationen entscheidend weiterbringt: ow. Was für ein Satz:
„Ich finde diesen
Das Eingeständnis, dass etwas Mist war, schief- Lean-Gedanken fas-
gegangen ist, einfach nicht so funktioniert hat, zinierend, weil es
wie man es sich vorgestellt hat. Wenn im Projekt darum geht, sich
ein Rückschlag droht, wird das vorzugsweise ständig weiterzuentwickeln, immer
klein gekocht, margi- besser zu werden.“ Wenn der Inge-
nalisiert oder besser nieur Carlos Klein von sich und sei-
noch direkt unter den nem Unternehmen erzählt, spürt
Teppich gekehrt. An- man, dass der Gründer von Factory-
dernfalls sind die Be- puls bereits viel berufliche Erfah-
troffenen stigmatisiert, rung gesammelt hat. Und dass Ehr-
drohen ihnen Schuld, geiz und Zielstrebigkeit ein Teil sei-
Scham und Gesichts- ner Persönlichkeit sind. Schon als
verlust. Daran hat auch Kind machte er Leistungssport und
die Vielzahl an einge- Ulrike Felger ist ruderte bei den Deutschen Meister-
führten Produktions- Coach, Moderatorin schaften.
systemen bisher kaum und Expertin für Sein berufliches Wissen und seine
etwas geändert. Kommunikation und konzentrierte Einstellung münde-
Viele Vorgesetzte set- Changeprozesse.

zen auf Fehlervermei- Foto: privat
dung, sie riskieren da-
bei, in Routineprozessen zu erstarren, Innovation
zu ersticken, und verpassen so viele Chancen.
Führungskräfte im destruktiven Fehlermodus
drehen sich primär um eine Frage: Wer wars? Die
Suche nach Schuldigen mündet in Rechtferti-
gungsorgien tatsächlicher oder vermeintlicher
Verursacher. Vor allem aber resultiert sie in
Angst. Und – wen wunderts – diese führt zu neu-
en Fehlern.
Besser ist es, den konstruktiven Weg einzu-
schlagen: der Fehler als willkommener Lernim-
puls. Gemeinsam mit den Verantwortlichen be-
trachten kluge Chefs und Chefinnen, was uns ein
Fehler lehrt – um daraus neues Handeln abzulei-
ten. Das Ergebnis ist ein Fortschritt, der ohne
den ursprünglichen Lernimpuls so nie stattge-
funden hätte.
Machen wir also Schluss damit, Fehler als et-
was zutiefst Beunruhigendes, Negatives zu be-
trachten, sondern nehmen wir sie als das, was sie
sind: eine Lektion des Lebens. Im angelsächsi-
schen Sprachraum schaut man in Projekten auf
„lessons learned“, also auf jene Dinge, die wir
aus dem Geschehen für kommende Aufgaben
ableiten können.
Für eine Führungskraft ist dieses neue Fehler-
denken eine echte Herausforderung. Denn es
geht wieder einmal um die großen Themen: Ver-
trauen, Transparenz, Freiheitsgrade und – last,
but not least – das eigene Selbstwertgefühl als
Chef. Denn: Die Fehler der Mitarbeitenden sind
keine Schwäche des Vorgesetzten – auch wenn es
sich manchmal so anfühlt.
Spannend sind sogenannte „Fuckup Nights“.
Hier berichten Menschen von ihren gescheiter-
ten Projekten, eklatanten Fehlentscheidungen,
misslungenen Vorhaben. Im Fokus steht das Ler-
nen aus der Misere – und damit jene Lektion, von
der alle Beteiligten nur profitieren können. Eine
wichtige Botschaft der Fehleranalyse: An Misser-
folgen kann man wachsen, sie sind keinesfalls
das Ende einer beruflichen Karriere.
Fehler haben einen Mehrwert – vorausgesetzt
wir verstehen uns als denkende und aktiv han-
delnde Wesen, die in der Lage sind, ihr Tun kri-
tisch zu reflektieren. Denn das ist notwendig, um
Dinge, die wichtig sind, möglichst gut auf die
Spur zu setzen. Wer aus Fehlern lernt und dies
anderen zugesteht, hat eine wichtige Lektion des
Lebens auf jeden Fall schon gelernt.
ten im Jahr 2020 in der Gründung
der Firma, die sich auf die Fahne ge-
schrieben hat, der Fertigungsindus-
trie den Weg in das Internet of
Things (IoT) zu erleichtern. „Wir ha-
ben ein Produkt entwickelt, was In-
dustrie 4.0 und Digitalisierung ein-
fach machen soll. Das ist unsere
Mission“, sagt der 34-Jährige und
blickt auf den 3D-Drucker im Büro.
Damit meint er die Factory-Platt-
form. Über die Komplettlösung
werden laut Klein Daten von den
Maschinen erfasst, in der Cloud or-
chestriert, verarbeitet und mit Da-
ten aus anderen Systemen wie SAP
verknüpft. Die erzeugten Informa-
tionen und Alarme werden über
Dashboards direkt in der Microsoft-
Teams-App der Produktionsinge-
nieure angezeigt. „Wir haben uns
gefragt, was braucht der Kunde ei-
gentlich?“ Klein nennt ein Beispiel:
Einer Produktionsingenieurin oder
einem Instandhaltungsmeister feh-
le meistens Zeit und Informationen
in der Fabrik, um vorhersagen zu
können, wann etwas repariert wer-
den muss oder wie lange die Ma-
schinen schon laufen. Und dann
müsse ganz schnell repariert wer-
den, es passiere viel im Feuerwehr-
modus. Mit dem Produkt seiner Fir-
ma würden die Betroffenen die In-
fos rechtzeitig erhalten und bessere
Entscheidungen treffen können.
Nur mit Innovation und Technolo-
gie kann das deutsche verarbeiten-
de Gewerbe im Wettbewerb mithal-
ten, ist Klein überzeugt. Vor allem
im Mittelstand sei das Thema IoT
und Digitalisierung bislang wenig
angekommen.
Das liege auch daran, dass die An-
bieter für diese kleineren Firmen
keine passenden Angebote liefern.
Und genau hier sieht Klein die Ni-
sche für sein Produkt. „Wir können
das abbilden. Unser Produkt und
Preismodell sind genau für den Mit-
telstand entwickelt“, sagt Klein. Mit
dieser Idee machte sich Klein im
Pandemiejahr 2020 gemeinsam mit
Maschinenbauingenieur und Unternehmenschef Carlos Klein hat eine Lei-
denschaft für Lean Management und eine Passion für Prozessoptimierung. Zu-
sammen mit anderen entwickelte er die Factorypuls-Plattform. Soft- und Hard-
ware ermöglichen laut Klein die unkomplizierte Implementierung von IoT.
zwei Mitstreitenden in Hamburg
mit Factorypuls selbstständig. Da
lagen schon elf Jahre mit jeder Men-
ge Praxiserfahrung in Industrie und
Beratung hinter ihm.
Die Firma hatte ein Exist-Stipen-
dium vom Bundeswirtschaftsminis-
terium und nahm am Cloud-Start-
up-Programm von ADN für Micro-
soft teil. Das hat laut Klein geholfen.
Mittlerweile sind acht Mitarbeiter
„Ich bin mehr derjenige,
der die Sachen
zusammenbringt.“
Carlos Klein, Founder von Factorypuls
bei dem Hamburger Start-up tätig,
der Kundenstamm wächst. Klein,
dessen Vater Ingenieur war, kennt
den Mittelstand, er hat bei einem
Hidden Champion gearbeitet und
sein duales Studium absolviert. Die
Leidenschaft für Lean Management
hat Klein schon während seines Ma-
schinenbaustudiums in Hamburg
entwickelt. „Ich habe in der Zeit im
Qualitätsmanagement gearbeitet
und gemerkt, dass die Prozessopti-
mierung meine Passion ist“, sagt
Klein. Seine Kenntnisse dazu hat er
eigenständig weiterentwickelt, be-
legte Workshops, setzte sich mit
Lehrmethoden auseinander. Aber
selbst jemand, der so „lean“ ist,
möchte mal eine Auszeit.
Nach sechs Jahren und erfolgrei-
chem Studienabschluss führte ihn
der Weg nach Vietnam. Dort gefiel
Foto: NikitaKret/FactoryPuls
es ihm so gut, dass er sich ent-
schied, eine Weile zu bleiben. Zu-
nächst jobbte er als Englischlehrer
und führte im Anschluss bei einer
lokalen Firma das Qualitätsmana-
gement ein. Dann kam seine Tätig-
keit in einer kleinen Beratungs-
firma, einem von einem Deutschen
gegründeten Start-up in Vietnam.
Klein lernte dort seine Frau kennen.
Ihr Ausbildungs- und Berufsweg
führte sie nach Belgien, Klein ging
mit.
Hier dockte Klein als Berater bei
einem klassischen Automobilzulie-
ferer an, wollte dann aber wieder
mehr in Richtung Produktion gehen
und Lean Management um Digitali-
sierungsaspekte erweitern. Der Ge-
danke, eine eigene Firma zu grün-
den, war schon vor Deloitte da, aber
Klein wollte noch mehr Erfahrung
sammeln.
Und jetzt sammelt Klein Experten
und Expertinnen um sich und sagt:
„Ich bin da noch der Mensch mit der
geringsten tiefen Expertise. Ich bin
mehr derjenige, der die Sachen zu-
sammenbringt.“ Es sei natürlich nicht
so einfach, Fachkräfte zu finden, aber
bislang sei es gelungen. Und es sollen
noch mehr werden, denn die Vision
von Factorypuls sei, „2027 Europas
führender Industry-4.0-Plattforman-
bieter für den Mittelstand“ zu sein,
wie Klein betont.
Um diese Vision zu erreichen, sei
eine ausgewogene Work-Life-
Balance aller Teammitglieder not-
wendig. „Wir haben heute ein diver-
ses Team aufgebaut, welches eine
Empowerment-Kultur lebt und die-
ses Wachstum ermöglicht.“
Arbeitssicherheit Product Engineer (m/w/d) Gebäude- und Naturwissenschaften Senior-Referent (m/w/d) Normung
Sicherheitsingenieur (m/w/d) Bürkert Fluid Control Systems Maschinenmanagement Chemiker im Bereich analytische Entwicklung Jungheinrich AG
G+D Currency Technology GmbH Öhringen ID: 028731002 Betriebsingenieur Elektrotechnik / (m/w/d) Norderstedt ID: 028802101
Leipzig ID: 028706305 Gruppenleiter Planung Kabel (m/w/d) Automatisierung (m/f/d) Corden Pharma International GmbH Process Safety Engineer (m/f/d)
Energieversorgung Halle Netz GmbH Clariant SE Frankfurt-Fechenheim ID: 028788962 Procter & Gamble
Fachkräfte für Arbeitssicherheit (w/m/d)
Universität zu Köln ID: 028804140 Halle (Saale) ID: 028782315 Gendorf (Burgkirchen an der Alz) ID: 028702869 Entwicklungsingenieur (m/w/d/x) Groß-Gerau ID: 028691115
Projektingenieur Energietechnik (m/w/d) W2-Professur für das Fachgebiet Smart Spherea GmbH Qualitätsmanagement
Automatisierungstechnik john becker ingenieure Automation of Energy Systems Ulm ID: 028819079
Ingenieur*in Elektrotechnik / Ingenieur*in Lilienthal ID: 028789960 Hochschule Trier – Trier University of Applied Teamleiter (w/m/d) Qualitätsmanagement
Automatisierungstechnik – Sciences ID: 028659565 Projektmanagement und Qualitätssicherung
Ingenieur Schaltungsentwicklung für Senior Projektingenieur Versorgungstechnik / WITTENSTEIN SE
Lademanagementsystem E-Bus
Lenkungssteuergeräte (m/w/d) Hardwaren. Prog., embed. TGA (m/w/d) Igersheim-Harthausen ID: 028782964
Hamburger Hochbahn AG ID: 028666964
Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH Syst. 3M
Bauwesen Schwieberdingen bei Stuttgart ID: 028853778 Seefeld (bei München) ID: 028706471
Softwareentwicklung
Engineer for Testsystems (m/w/d)
Baumanager/in / Baubetriebswirt/in (w/m/d) Development Engineer Embedded Software Manufacturing Engineering Softwareentwickler (m/w/d)
Projektingenieur (m/w/d) elektrische Ziehm Imaging GmbH
Agileo Baumanagement GmbH (m/w/d) MED-EL Medical Electronics Versorgungstechnik / TGA
Frankfurt am Main ID: 028820909 Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH Innsbruck (Österreich) ID: 028801281 Nürnberg ID: 028672699
3M Deutschland GmbH
Schwieberdingen bei Stuttgart ID: 028726140 Wuppertal ID: 028706995 Systemadministration, Netze
Bau- oder Verfahrensingenieur (m/w/d) IT-Architektur
AVEA GmbH & Co. KG Elektrokonstrukteur als IT-Systembetreuer (m/w/d)
ED2021 – Software Architect für Ingenieur: in Elektrotechnik – Schwerpunkt
Engelskirchen ID: 028832095 BIM-Planungsingenieur (m/w/d) Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Bodenunterstützungssysteme (d/m/w) elektrische Energietechnik (w/m/d)
OHB Teledata GmbH Schwieberdingen bei Stuttgart ID: 028805286
Senior Bauleiter:in Kanalinfrastruktur (m/w/d) Airbus Defence & Space Berliner Wasserbetriebe ID: 028788615
Gilching ID: 028789039
BASF SE Manching ID: 028819027 Projektingenieur (m/w/d) Maschinen und IT-Security- und Netzwerk-Spezialist (m/w/d)
Ludwigshafen am Rhein ID: 028788992 Ingenieur (gn*) Messgeräte OHB Teledata GmbH
W2-Professur mit dem Fachgebiet Künstliche Anlagenbau
Siltronic AG Gilching ID: 028789040
Ingenieurin / Ingenieur (w/m/d) Technische Intelligenz BHS-Sonthofen GmbH
Burghausen ID: 028696837
Gebäudeausrüstung Technische Hochschule Mittelhessen Sonthofen ID: 028671343
Leitung (m/w/d) der Abteilung Haustechnik Technische Dienstleistung,
Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes NRW Friedberg ID: 028782040 Manager (m/w/d) energetische Engineering
Düsseldorf ID: 028714857 und Energiemanagement
IT-Hardwareentwicklung Modernisierung
Stadt Ulm ID: 028783329 Ingenieurin/Ingenieur (m/w/d) für
Ingenieur:in Geoinformation (w/m/d) BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH
Projektleitung Funk- und Lautsprecheranlagen Systemingenieur (m/w/d/x) Luftfahrzeuge in der Laufbahn der
Berliner Wasserbetriebe ID: 028788600 Berlin ID: 028707360
(m/w/d) Spherea GmbH Offizierinnen und Offiziere
Sachbearbeiterin / Sachbearbeiter (w/m/d) Stadtwerke München GmbH ID: 028805270 Ulm ID: 028828510 Ingenieurinnen und Ingenieure (w/m/d) für Bundeswehr, deutschlandweit ID: 028782470
Arbeits-, Gesundheits- und Brandschutz die Projektkoordination und
Betreuungsingenieur (w/m/d) EMR Konstruktion, CAD Projektbearbeitung in den Fachrichtungen Technische Dokumentation
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
Magdeburg ID: 028440826 Wacker Projektingenieur (w/m/d) im Bereich Planung Elektro- bzw. Nachrichtentechnik Ingenieur / Projektmanager (m/w/d)
Burghausen ID: 028782968 Die Autobahn GmbH des Bundes Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung THOST Projektmanagement GmbH
Ingenieure (m/w/d) der Fachrichtung Berlin ID: 028789417 Nürnberg, Hannover, Berlin, Hamburg
Energie & Umwelt Bochum ID: 028727063
Versorgungstechnik / Gebäudeklimatik / ID: 028692678
Gebäude-, Energie- und Umwelttechnik Mitarbeiterin / Mitarbeiter in der Wissenschaft Entwickler Secure Storage (m/w/d) Projektingenieur (m/w/d)
Bundesbau Baden-Württemberg (m/w/d) – Entwicklung stationärer ZARGES GmbH COLUMBUS McKINNON EMEA GmbH Technische Leitung
Schwäbisch Hall, Tauberbischofsheim, Batteriespeichersysteme Weilheim in Oberbayern ID: 028826666 Wuppertal ID: 028804860
Leiter (m/w/d) der Abt. Technik
Niederstetten ID: 028514885 Karlsruher Institut für Technologie Ingenieur (w/m/d) Landespflege Panpharma GmbH
Eggenstein-Leopoldshafen ID: 028789518
Luft- und Raumfahrt
Ingenieur (w/m/d) als Leiter Leit- und Die Autobahn GmbH des Bundes Trittau ID: 028781815
Industrial Engineer (d/m/w) (Industrialization Dillenburg ID: 028669062
Sicherungstechnik Teamleitung im Bereich Bauüberwachung & neutral Planning) – E-3A AWACS Geschäftsführer Produktion / Werkleiter
Kölner Verkehrs-Betriebe AG ID: 028846992 (w/m/d) Airbus Defence & Space Teamleitung konstruktiver Ingenieurbau (m/w/d)
Landeshauptstadt München ID: 028706331 Manching ID: 028819032 (w/m/d) über heiden associates
Ingenieur*in oder Naturwissenschaftler*in im
Aufgrabungsmanagement (w/m/d) Ingenieur*in Solaroffensive (m/w/d) Die Autobahn GmbH des Bundes Reinsdorf bei Zwickau ID: 028730717
Engineering Technical Data Manager (d/m/f) Dillenburg ID: 028666131
Landeshauptstadt München ID: 028825797 Landeshauptstadt Stuttgart ID: 028819732 (Offen) Technischer Vertrieb &
Ingenieurin / Ingenieur für den Bereich Ingenieur*in für die Energiewende (m/w/d) Airbus Helicopters Projektingenieur*in Elektrotechnik Beratung
Konstruktiver Ingenieurbau (w/m/d) Landeshauptstadt Stuttgart ID: 028819733 Donauwörth ID: 028819026 Hamburger Hochbahn AG ID: 028666963
Verkaufsingenieur/Techniker Wälzlager
Landeshauptstadt Wiesbaden ID: 028707822 Energiemanager*in (m/w/d) Ingenieur*in Betriebsplanung U-Bahn (m/w/d)
Maschinenbau, Anlagenbau Hamburger Hochbahn AG ID: 028666962
Vermessungsingenieur*in (m/w/d) in der MDC Berlin-Buch Hans Saurer Kugellager AG
Berlin ID: 028819067 Ingenieurinnen und Ingenieure (w/m/d) für
Abteilung Grundstückswertermittlung im Amt Projektingenieur Elektrotechnik (m/w/d) Stachen bei Arbon / Thurgau (Schweiz)
die Projektkoordination und
für Liegenschaften, Vermessung und Kataster Bauingenieur*in/Umweltingenieur*in als john becker ingenieure ID: 028660086
Projektbearbeitung in der Fachrichtung
Stadt Köln ID: 028832234 Betriebshofleitung (w/m/d) Versorgungstechnik Lilienthal ID: 028789959 Vertriebsingenieur (m/w/d) für
Ingenieur (m/w/d) im Projektmanagement für Münchner Stadtentwässerung ID: 028719547 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Senior Quality Expert (m/w/d) Black Belt Crashtest-Technologien
Bauprojekte der Bereiche öffentliche- und Fachbereichsleiter Umwelt (m/w/d) Berlin ID: 028789649 Jungheinrich Norderstedt AG & Co KG MESSRING
Industriebauten / Infrastruktur Stadt Halle (Saale) ID: 028847287 Norderstedt ID: 028790018 Gilching ID: 028690894
Ingenieur/in Verfahrenstechnik,
THOST Projektmanagement GmbH Energietechnik o. ä. (w/m/d) Automation Engineer (m/w/d) Manufacturing Gruppenleiter (m/w/d) Vertrieb und
Elektroingenieur*in Sekundärtechnik Strom
Nürnberg, Berlin, Leipzig, Hamburg DLR Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Engineering Netzanschlusswesen
mit Schwerpunkt Schutzberechnung (m/w/d)
ID: 028692550 Stuttgart ID: 028790172 MED-EL Medical Electronics SWU Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm GmbH
SWM Services GmbH
Techniker oder Meister (w/m/d) Fachrichtung München ID: 028682246 Innsbruck (Österreich) ID: 028801351 Ulm, Neu-Ulm ID: 028707439
Anlagenbetriebsleitung im Zentrum für
Elektro/ Elektrotechnik, Versorgungstechnik Asset-Manager (m/w/d) Schwerpunkt Energietechnik des Institutes für erneuerbare Produktionsingenieur (m/w/d) Verfahrenstechnik
und Bautechnik oder einer vergleichbaren Kabelmedien Energien und energieeffiziente Anlagen Rhenoflex GmbH
Fachrichtung Vertriebsingenieur (m/w/d) für Dosiersysteme
SWU Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm ID: 028793735 (m/w/d) Ludwigshafen ID: 028705941
Vermögen und Bau Baden-Württemberg und -anlagen
HAW Hamburg ID: 028691131
Mannheim ID: 028819855 Ingenieur (m/w/d) im Projektmanagement Junior-Projektleiter (m/w/d/x) für den Bereich LEWA GmbH
Bereiche Energietechnik oder Mobilität Konstrukteur (m/w/d) für die Testsysteme Leonberg ID: 028789266
Chemieingenieurwesen THOST Projektmanagement GmbH Produktstandardisierung: Ventile und Spherea GmbH
Berlin, Nürnberg ID: 028701716 Armaturen Ulm ID: 028829277 Verwaltung
Projektmanager (m/w/d) im Bereich
Engineering Holter Regelarmaturen GmbH & Co. KG Ingenieur/in Publikumsanlagen
Fahrzeugtechnik Schloß Holte-Stukenbrock ID: 028718535 Diplom-Ingenieur (m/w/d) (FH) oder Bachelor
3M Bundesamt für Verkehr (BAV)
der Elektrotechnik, Versorgungstechnik (HLS)
Seefeld (bei München) ID: 028707018 Entwicklungsingenieur (m/w/d) Fahrdynamik/ Auftragskonstrukteur (m/w/d) Ittigen (Schweiz) ID: 028666453
oder des Maschinenbaus
Fahrversuch & Simulation Vakuum-Automation, Systeme Staatliches Bauamt Schweinfurt ID: 028789669 Fachspezialist/in Fahrbahn/Oberbau
Senior Capital Project Manager (m/f/d) Honda R&D Europe (Deutschland) GmbH
Engineering EMEA J. Schmalz GmbH Bundesamt für Verkehr (BAV)
Offenbach am Main ID: 028789315 Glatten ID: 028781808 Ingenieur*in Fachrichtung Bauingenieurwesen
3M Ittigen (Schweiz) ID: 028666378
Stadt Karlsruhe ID: 028661550
Hilden ID: 028706456 Fertigungstechnik, Produktion Mechatronik, Embedded Bauingenieur/in / Architekt/in (m/w/i) für die
Ingenieur (m/w/d) im Projektmanagement
Senior Projektingenieur (m/w/d) Prozessentwickler (gn*) im Bereich Polieren Systems Sachbearbeitung in der Bauaufsicht
Bereich verfahrenstechnischer Anlagenbau
Verfahrenstechnik Siltronic Kreis Gütersloh ID: 028730417
Systemingenieur (Chemie und Pharma)
3M Deutschland GmbH Burghausen ID: 028690899 Kommunikations-Bodensysteme (m/w/d) THOST Projektmanagement GmbH Abteilungsleiter*in Bauaufsicht und
Hilden ID: 028706970 Leitung Geschäftsbereich Produktion (m/w/d) OHB Digital Connect GmbH Berlin, Hamburg, Hannover, Leipzig, Nürnberg Denkmalschutz
Senior Capital Project Manager (m/f/d) Theo-Lorch-Werkstätten gGmbH Bremen ID: 028825452 ID: 028701761 Landeshauptstadt Kiel ID: 028782957
Engineering EMEA Ludwigsburg ID: 028798605 Serienkonstrukteur Elektrik (m/w/d) Sachbearbeiterin/Sachbearbeiter (m/w/d) im
Prozessmanagement
3M Deutschland GmbH Forschung & Entwicklung Sumitomo (SHI) Demag Plastics Maschinerie Bereich Tiefbau, Straßenbau,
Gendorf (Burgkirchen an der Alz) ID: 028706420 Ingenieur / Techniker (m/w/d) Elektrotechnik/ Siedlungswasserwirtschaft, Ver- &
GmbH
Program Certification Engineering (d/m/f) Prozessleittechnik Entsorgungstechnik
Schwaig bei Nürnberg ID: 028706219
Elektrotechnik, Elektronik Airbus ALTEN GmbH Stadt Markdorf ID: 028553653
Testingenieur (m/w/d) ADAS/AD Sensoren Manching ID: 028696847 Medizintechnik, Biotechnik Ludwigshafen Am Rhein ID: 028693318
Direktor (m/w/d) VDI e.V.
ALTEN GmbH Ingenieurin/Ingenieur (m/w/d) im gehobenen Professur (W2) für das Fachgebiet Supply Chain und Quality Manager (m/w/d) über HEADSAHEAD GmbH
Stuttgart ID: 028693317 Technischen Dienst Medizintechnik Luftfahrt Düsseldorf ID: 028662757
Ingenieurin/Ingenieur (m/w/d) Bundeswehr, deutschlandweit ID: 028782469 Hochschule Bremerhaven ALTEN GmbH
Informationstechnik im gehobenen Entwicklungsingenieur (m/w/d) Bremerhaven ID: 028506688 Hamburg ID: 028693319 Webdesign, Multimedia
Technischen Dienst Regelungstechnik Supplier Quality Engineer (m/w/d) Appraisal Engineer (m/f/d) Web-Entwickler (m/w/i)
Bundeswehr RAYLASE GmbH Ziehm Imaging GmbH BP Europa SE IMS Messsysteme GmbH
deutschlandweit ID: 028782471 Weßling ID: 028707440 Nürnberg ID: 028672700 Gelsenkirchen ID: 028697207 Heiligenhaus ID: 028782266
34 KARRIERE & MANAGEMENT 6. Mai 2022 · Nr. 9
 6. Mai 2022 · Nr. 9 KARRIERE & MANAGEMENT 35

„ WEITERBILDUNG
36 KARRIEREBERATUNG
„ NOTIZEN AUS
„ DER PRAXIS
Berufswegplanung
534: Die Bausteine Ihrer
Richtungswahl: Talent,
Spaß, Zukunft
Zwischen Schule und Rente müssen
Sie mehrere äußerst wichtige Ent-
scheidungen über Art und Richtung
Ihres künftigen beruflichen Engage-
ments treffen. Das erste Glied in der
Kette dieser Festlegungen besteht in
der Auswahl von Typ und Fachrich-
tung Ihres Studiums. Eine ausge-
sprochene „Bosheit des Systems“:
Zu jenem Zeitpunkt (Abitur) wissen
Sie noch so gut wie nichts über die
Hintergründe und Zusammenhänge
im Berufsleben – zum „Ausgleich“
dafür ist Ihre fällige Wahl besonders
folgenschwer, in hohem Maße prä-
gend und „verfolgt“ Sie in Ihren Pa-
pieren über viele Jahrzehnte hinweg.
6. Mai 2022 · Nr. 9
Die nächste dieser Entscheidungen,
die Wahl des Berufseinstiegs nach
Branche, Fachrichtung und Unter-
nehmenstyp, ist ebenfalls noch von
sehr großer Bedeutung für Ihren
weiteren Weg. Aber die Ihnen offen-
stehende Bandbreite von Möglich-
keiten ist durch das vorprägende
Studium nicht mehr uferlos. Hinzu
kommen Ihr gestiegenes Alter, Ihr
gewachsenes Erfahrungsspektrum
und Ihre – hoffentlich – langsam
zunehmende Klarheit über Ihre Zie-
le in diesem Bereich.
Ihre Fragen Der durchaus auch noch bedeutsa-
zum Thema me Rest der Kette besteht aus zahl-
„Karriereberatung“ reichen Einzelentscheidungen über
beantwortet anzustrebende Positionen bzw. zu
Dr.-Ing. E. h. akzeptierende entsprechende An-
Heiko Mell, gebote. Dabei sind Sie dann durch
Karriereberater Studium, Berufseinstieg und erste
bzw. auch längere Berufspraxis
in Rösrath.
noch stärker vorgeprägt – was die
„ heiko-mell.de
Bandbreite Ihrer Möglichkeiten im-
mer weiter einschränkt, aber ekla-
tante Fehler absolut nicht aus-
schließt.
In dieser Phase zwischen einem Al-
ter von etwa 19 und 54 Jahren wer-
den die Weichen gestellt für einen
Weg, der entweder zum Senior-
Experten in der Antriebsstrang-
entwicklung für Nutzfahrzeuge,
zum „mit allen fachlichen Wassern
gewaschenen“ Beauftragten für Ar-
beitssicherheit, zum Leiter eines
Produktionswerks für Halbleiter,
zum Projektleiter für Angebote im
Anlagenbau oder zum Geschäfts-
führer führt. Beispielsweise.
Ein einmal eingeschlagener Weg
wird mit jedem abgelaufenen Jahr
immer schwieriger zu korrigieren.
Daher brauchen Sie systemkonfor-
me Orientierungshilfen, um Ihre je-
weiligen Entscheidungen von An-
fang an so optimal wie möglich ab-
zusichern. Erlauben Sie mir an der
Stelle einen Einschub: Ich halte es
für denkbar, dass viele Leser an die-
ser Stelle sagen: „Das weiß ich doch
alles.“ Aber ich rate dringend davon
ab, diesen Satz etwa so fortzufüh-
ren: „…, und ich bin sicher, auf die-
sem Gebiet bisher keinen Fehler ge-
macht zu haben sowie auch keinen
mehr zu machen“ – um das zu glau-
ben, sehe ich täglich zu viele große
und kleine Katastrophen Und es
gibt in allen Altersgruppen Leser,
die gerade in diesem Bereich äu-
ßerst unsicher sind.
Für die in den einzelnen Berufs-
wegphasen jeweils anstehenden
Richtungsentscheidungen gibt es
drei wesentliche Bausteine:
1. Talent: Was kann ich?
2. Spaß: Was würde ich gerne tun?
3. Zukunft: Was trägt mich noch
morgen und übermorgen – mög-
lichst bis zur Rente?
Dabei gilt die „Mell‘sche Prioritä-
tenskala“ auch hier: Sie müssen für
sich eine Rangfolge der einzelnen
„Steine“ festlegen – und dürfen auf
eine Stufe der Skala nur einen Be-
griff schreiben. Natürlich ist es reiz-
voll zu fordern: „Ich will sowohl tun,
was mir Spaß macht, als auch, wo-
für ich Talent habe und was mich
dann auch noch bis zum Ende des
Berufsweges sicher ernährt.“ Aber
genau das lässt das System in der
überwältigenden Mehrzahl der Fäl-
le einfach nicht zu.
Bedenken Sie auch, dass wir nicht
über „die optimale Methode zur
freien Entfaltung der Persönlichkeit
im Arbeitsleben“ sprechen. Son-
dern hier geht es um die Existenz
als abhängig beschäftigter Ange-
stellter (offizielle Definition). Des-
sen Berufsweggestaltung muss stets
bestimmten Anforderungen und
Erwartungen von Arbeitgebern ent-
sprechen.
Zu 1. Talent: Wer als Angestellter en-
gagiert eine berufliche Tätigkeit
ausübt, strebt dabei Erfolg an, von
dessen Anerkennung lebt er. Die
Basis des Erfolgs ist Leistung, defi-
niert nicht nach absoluten Maßstä-
ben, sondern nach den individuel-
len Vorstellungen der jeweiligen,
häufig auch noch wechselnden Vor-
gesetzten. Wesentliche Grundlage
von kontinuierlichen Leistungen
über wechselnde Umfeldbedingun-
gen hinweg ist Talent im zentralen
Anforderungsbereich der Tätigkeit.
Zwar kann man auch Untalentierte
schulen und so mittelmäßige Leis-
tungen erreichen, aber erst Talent +
Schulung und/oder + Erfahrung
lassen Überdurchschnittliches er-
warten.
Zur Karriere gehört dann noch
mehr als Leistung allein – aber ohne
Leistung ist (fast) alles nichts. Da-
mit sind wir wieder beim Talent:
Was also kann ich? Es muss sogar
noch etwas konkreter heißen: Was
kann ich besser als die Masse der
anderen? Diese bildet den Maßstab:
in der Schule, im Privatbereich, im
Sportverein, im Studium, in der be-
ruflichen Praxis.
Jeder Mensch kann etwas, das ihn
über den Durchschnitt seines Um-
felds hinaushebt. Er muss nur sorg-
fältig und systematisch danach su-
chen, muss sich und die anderen
kritisch und aufmerksam beobach-
ten. Und er darf die Lösung nicht
allein in strahlender, preiswürdiger
Spitzenbegabung suchen. Vielleicht
liegt seine Stärke darin, sich in ein
Fachgebiet systematisch und im-
mer tiefer hineinzufressen, wäh-
rend er erkennen muss, dass ihm
dabei der „Blick über den Teller-
rand“ nicht gegeben ist („Fachspe-
zialist“). Oder er erkennt, dass er als
Mitglied die Gruppe irgendwo im
Hintergrund zusammenhält, wäh-
rend deren offizielle Führung nicht
seine Stärke ist („graue Eminenz“).
Oder er erkennt, dass ihn klare Vor-
gaben und Anweisungen im gleich-
bleibenden Umfeld eher anspre-
chen als die ständige Herausforde-
rung durch immer neue, nicht vor-
hersehbare Anforderungen (Linie/
Stab bzw. Ausführung/konzeptio-
nelle Anforderungen).
Ich rate, schon in jüngeren Jahren
in der Schule mit ersten Aufzeich-
nungen dazu zu beginnen. Und
wenn es einfache Auflistungen un-
ter „+“ und „-“ sind. Dazu gehört
das Interesse für Fächer ebenso wie
erste Erkenntnisse über das Aus-
Karriere-Basics
100 Tipps für den Erfolg
im Beruf
Nr. 17: Rechnen Sie stets damit,
dass ein von Ihnen heute neu
übernommener Job früher oder
später wieder auf dem Arbeits-
markt „verkauft“ werden muss.
Prüfen Sie: Was wäre die folge-
richtige nächste Position – und
gibt es die überhaupt oder führt
mich dieser Job in eine Sackgasse.
kommen mit der Gruppe. Maßstab
sind immer die anderen. „Ich bin
ganz gut im Umgang mit dem
Smartphone und dem PC“ reicht
nicht, um es unter Talent einzuord-
nen. „Ich gehöre auf diesen Gebie-
ten mindestens zum oberen Drittel
meines Umfeldes“, so müsste es
schon heißen.
Manches Talent zeigt sich in der Fä-
higkeit, das eigene Interessengebiet
(z. B. Bauwesen) später etwa in die
kreativ fordernde Rolle des Archi-
tekten einzubringen, während ein
anderer Talenttyp besser damit zu-
rechtkommt, als Bauamtsvorsteher
entsprechende Anträge zu bearbei-
ten und Vorschriften zu interpretie-
ren. Auch dafür zeigen sich Ansätze
in frühen Jahren.
Neben dem aufmerksamen Beob-
achten der eigenen Stärken und
Schwächen (wobei stets die ande-
ren den Maßstab bilden) hilft früh-
zeitiges Lesen von Stellenanzeigen
im Internet. Dort wird beschrieben,
was in völlig unterschiedlichen Po-
sitionen und Fachgebieten zu tun
ist und was gefordert wird. Schon
vor dem Abitur könnte man damit
beginnen, sich zu fragen: „Könnte
ich das, liegen dort meine Talente?“
Vielleicht unterstreicht ein „leben-
des Beispiel“ das Gesagte beson-
ders gut:
Am Ende der Schulzeit wusste ich
über mich:
a) ich kann gut erklären,
b) ich bin vielseitig interessiert, not-
falls sogar an Religion, Biologie und
Erdkunde,
c) besondere Stärken sind Deutsch
(Aufsatz) und Mathematik,
d) über die Schule hinaus interes-
siert mich mechanische Technik,
e) ich komme mit unterschiedli-
chen Autoritätspersonen (Lehrern)
gut aus,
f) die Klassenkameraden akzeptieren
mich und meine Fähigkeiten, aber sie
lieben mich (mit Ausnahme weniger
enger Freunde) nicht, wählen mich
auch nicht zum Klassensprecher; an-
dererseits übertrugen mir die Lehrer
gern Verantwortung.
Im danach absolvierten zweijährigen
technischen Praktikum und im Studi-
um ergaben sich darauf aufbauend
Bestätigungen, neue Erkenntnisse,
auch zu Schwächen, und fällige Kor-
rekturen obiger Liste: Die Punkte a, b,
d, e, f bestätigten sich. Aus Punkt c
blieb Deutsch, die Fähigkeit zur Prä-
sentation vor Publikum kam hinzu.
Dafür entfiel Mathematik, meine Be-
gabung trug bei höheren Anforde-
rungen nicht mehr.
Dann zeigte sich eine eklatante Ta-
lentschwäche: Mein räumliches
Vorstellungsvermögen ist so
schwach, dass ich technische
Zeichnungen nur sehr schlecht in-
terpretieren kann – das war das En-
de des Berufswegs „Konstrukteur“.
In den ersten Berufsjahren bestätig-
ten sich die genannten Talentpunk-
te. Zwei neue Schwächen kamen
hinzu: Der Versuch, mir die Pro-
grammierung eines damals übli-
chen lochkartengesteuerten Groß-
computers zu vermitteln, war nicht
erfolgreich, die dort erkennbare Lo-
gik ist nicht meine. Und ich erkann-
te, meine Stärke ist die Lösung an-
spruchsvoller Einzelfälle, für die
Abarbeitung gleichartiger Aufga-

benstapel fehlt mir jegliches Talent.
Dafür zeigte sich eine besondere
Stärke im Verständnis hierar-
chischer Strukturen und in der In-
terpretation von Denk- und Hand-
lungsprozessen höherer Vorgesetz-
ter.
Die heute ausgeübte Tätigkeit als
Karriereberater für immer wieder
wechselnde Persönlichkeiten mit
wechselnden Anforderungen einer-
seits und die Arbeit als Autor im
Fachgebiet haben ihre Basis in zum
Glück früh und richtig erkannten
Talenten.
Eine solche Erkenntnis ist nach
meiner festen Überzeugung bei je-
dem Menschen möglich – sofern er
das will und die Lösung entschlos-
sen angeht.
Zu 2. Spaß: Ich würde auf der ge-
nannten Prioritätenskala gern ei-
nen größeren Sprung zwischen Ta-
lent und Spaß einbauen, um letzte-
ren noch tiefer herabzustufen. Für
den Begriff als solchen, der eher der
Umgangssprache entstammt, gibt
es eigentlich in der Praxis kaum ei-
nen großen Spielraum. Kein Ar-
beitsvertrag enthält das „Recht auf
Spaß“. Selbst wenn man stattdessen
von „Freude“ spricht, entsteht
leicht ein überhöhter, nur schwer
durchzusetzender Anspruch.
Darf man denn nicht tun, woran
man besondere Freude hat, was
man gern machen würde? Im Prin-
zip schon. Aber besser und nach-
haltiger ist es, man entwickelt Freu-
de an dem und tut das gern, was es
im gefundenen Tätigkeitsgebiet oh-
nehin zu machen gilt! Sofern es im
Rahmen vorhandener Talente liegt.
Bleibt die Frage einer automati-
schen Übereinstimmung von Talent
und Spaß. Sie ist keineswegs pau-
schal und schon gar nicht zu 100 %
gegeben. Besonders oft zu beob-
achten ist die Freude an bestimm-
ten Tätigkeiten ohne jegliches Ta-
lent dafür. Wir alle kennen solche
Beispiele. Geht man wie hier be-
schrieben vor und setzt Talent auf
Platz eins der Richtungswahl, kann
das nicht passieren.
Schließlich zeigen die Lebensläufe
engagierter, erfolgreicher Men-
schen, dass im Laufe des Berufsle-
bens Tätigkeiten mit ihren Zustän-
digkeiten und Verantwortlichkeiten
alle paar Jahre wechseln – sodass
die Bedeutung des Punkts „Spaß“
allein dadurch relativiert wird.
Zum Abschluss der Aussagen über
diese beiden Bausteine eine Vision:
Würden Sie Ihren CEO fragen: „Ha-
ben Sie eigentlich Talent für diese
Position?“ Es wäre eine Frechheit
und hätte Konsequenzen. In dieser
Kontakt
„ Wir gewähren größtmögliche Diskretion. Jeder Fall wird so darge-
stellt, dass es keine konkreten Hinweise auf Sie als Fragesteller gibt.
Es werden keine Namen genannt.
„ Die Frage muss von allgemeinem Interesse sein und erkennbar mit
dem Werdegang eines Ingenieurs im Zusammenhang stehen. Eine
individuelle Beantwortung von Briefen ist nicht vorgesehen. Rechts-
auskünfte dürfen wir nicht erteilen. Autor und Verlag übernehmen
keinerlei Haftung.
„ Bitte richten Sie Ihre Fragen an:
VDI nachrichten Karriereberatung,
Postfach 101054, 40001 Düsseldorf
karriereberatung@vdi-nachrichten.com
www.vdi-nachrichten.com/heikomell
6. Mai 2022 · Nr. 9 KARRIEREBERATUNG 37
Frage muss eine positive Antwort
unterstellt werden, sonst wäre er
nicht so weit gekommen. Aber wür-
den Sie ihn fragen: „Haben Sie ei-
gentlich Spaß an diesem Job?“ Das
wäre unter Umständen noch er-
laubt, aber die Frage stellt sich
nicht, er würde sie nicht verstehen.
Fast alle CEOs sind gern, was sie
sind, und würden es gern bleiben.
Aber ihre Motive gehen über „Spaß
daran“ weit hinaus. Oder sie ver-
ordnen sich Spaß an dem, was nun
einmal getan werden muss.
Fazit: Überbewerten Sie den Spaß-
faktor beim beruflichen Tun nicht.
Machen Sie gern, was Sie gerade
tun müssen, das reicht (und das ist
machbar!).
Zu 3. Zukunft: Die Frage ist berech-
tigt, das dahinterstehende Anliegen
erst recht. Eine verlässliche Antwort
darauf gibt es nicht. Die 35 Jahre
zwischen Abitur und Ende der Be-
weglichkeit auf dem Arbeitsmarkt
sind zu lang, die Veränderungsge-
schwindigkeit in Wirtschaft, Gesell-
schaft und vor allem Politik ist zu
hoch, als dass sichere Prognosen
möglich wären. Was heute als todsi-
cher gelten darf, kann morgen vom
Markt verschwinden oder wird poli-
tisch verteufelt. Hier können Sie
nur vermeiden, auf ein jetzt schon
als sterbend erkennbares Pferd auf-
zusteigen – und Sie müssen Märkte
und Trends beobachten und gege-
benenfalls rechtzeitig einen Wech-
sel vorbereiten.
Es gibt einfach keine absolute Zu-
kunftssicherheit im Bereich der Un-
ternehmen der freien Wirtschaft.
Allein während meines aktiven Be-
rufslebens hat es die ehemals „zu-
kunftssicheren“ Felder Bergbau,
Atomenergie, Verbrennungsmoto-
ren, Erdgas- und Mineralölwirt-
schaft und IT-Hardware „voll er-
wischt“ (ohne Anspruch auf Voll-
ständigkeit).
Geben Sie also Ihrem erkannten Ta-
lent den Vorzug, seien Sie froh, wenn
es Ihnen gelingt, an dieser Richtung
einigen Spaß zu haben und sehen Sie
die sichere Zukunft als die große, per-
manente Herausforderung ohne end-
gültige Lösung an.
Aber ein „Ich weiß nicht, wohin ich
mich orientieren soll“ dürfte es ei-
gentlich nicht geben. Nicht zum
Zeitpunkt des Abiturs und erst recht
nicht mit Anfang 40 und also „mit-
tendrin“ im Berufsleben.
Dass dann noch hier oft besproche-
ne Fragen wie Karriereziele, roter
Faden im Werdegang und Ausrich-
tung auf den Arbeitsmarkt hinzu-
kommen, ist selbstverständlich.
Aber das sind jeweils komplexe ei-
genständige Themen.
38 AUS DEM VDI 6. Mai 2022 · Nr. 9

Herausgeber:
Jahrgang 76 ISSN 0042–1758

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel,

Dr.-Ing. Volker Kefer.
Vorteil MedConf im Mai
Vom 10. bis 12. Mai 2022 wird
die MedConf stattfinden, die
Herausgeberbeiratsmitglieder: Konferenz für Software- und
Prof. Dr.-Ing. Dirk Abel,
Prof. Dr.-Ing. Marina Schlünz
Geräteentwicklung in der
Medizintechnik. Teilnehmen-

Foto: panthermedia.net/alexraths
de haben die Möglichkeit, im
Redaktion: NH-Hotel in Aschheim-Dor-
Chefredakteur Ken Fouhy, B.Eng. (kf) nach live an der Konferenz
Chef vom Dienst Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst) teilzunehmen oder sich aktiv
Orientierung im Studium, online einzubringen. VDI-
Ressort Infrastruktur & Digitales
Dipl.-Ing. Regine Bönsch (rb),
Karriereplanung, fachliche Netzwerke, Mitglieder erhalten einen
Preisnachlass von 15 %. Bei Angabe ihrer Mitgliedsnum-
Dipl.-Phys. Stephan W. Eder (swe),
Peter Kellerhoff M.A. (pek), Fabian Kurmann (kur)
berufliche Qualifizierung, exklusive mer können sie unter medizintechnik@vdi.de ihren Pro-
Vergünstigungen, ShoppING-Angebote – mocode anfordern. Programm unter:
Ressort Produktion & Umwelt
Dipl.-Ing. (FH) Martin Ciupek (ciu), die Mitgliedschaft im VDI bietet eine Fülle
Dipl.-Kfm. Stefan Asche (sta), Iestyn Hartbrich (har),
Dipl.-Oecotroph. Bettina Reckter (ber) von Vorteilen – hier eine kleine Auswahl. „ www.medconf.de
Ressort Wirtschaft/Management/Karriere
Dipl.-Soz. Peter Steinmüller (pst),
Claudia Burger (cer), Wolfgang Schmitz (ws),
André Weikard (aw)
VDIni-Club-
Mitgliedschaft
Foto: VDI

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Recruiting Tage 2022
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„ ingenieur.de/hamburg

Jobboom sorgt für
Rekord-Stellenangebot
Arbeitsmarkt: Nach einem pandemiebedingten Einbruch erholt sich der Jobmarkt für
Ingenieure. Noch nie erfasste der VDI/IW-Ingenieurmonitor so viele offene Stellen.
Von Frank Magdans
S
eit dem Tiefpunkt zu Beginn
der Corona-Pandemie ist die
Zahl der offenen Stellen für In-
genieure stetig gestiegen. Sage
und schreibe 140 000 offene
Stellen waren im vierten Quartal des
Vorjahres monatsdurchschnittlich zu
besetzen. Dies stellt den höchsten Quar-
talswert seit Beginn der Aufzeichnungen
des Ingenieurmonitors im Jahr 2011 dar.
Mehr als 91 000 Jobs verteilen sich auf
die klassischen Ingenieurberufskatego-
rien, knappe 49 000 offene Stellen auf
die Informatikbranche. Im Vergleich
zum Vorjahresquartal zeigte die Arbeits-
kräftenachfrage mit einem Plus von
51,4 % einen deutlichen Zuwachs. Zu
diesen Ergebnissen kommt der neue
VDI/IW-Ingenieurmonitor, den das Köl-
ner Institut der deutschen Wirtschaft
(IW) für den VDI erstellt. Der Quartals-
wert vor der Corona-Pandemie lag bei
117 400 zu besetzenden Positionen.
140 000
Ingenieurstellen waren im
vierten Quartal 2021 zu
besetzen – der höchste Wert,
den der VDI/IW-Ingenieur-
monitor je erfasst hat.
Für das erste Quartal 2022 ist mit einer
weiteren Zunahme der Zahl offener
Stellen zu rechnen, obwohl im Laufe des
Jahres durch den Ukraine-Krieg eine
konjunkturelle Abkühlung wahrschein-
lich ist. Die Auswirkungen dieses Ab-
schwungs auf den Ingenieurarbeits-
markt bleiben abzuwarten.
Die größten Engpässe bestehen laut
der Erhebung bei den Ingenieurberufen
im Bereich Bau und Vermessung, Infor-
matik sowie Energie- und Elektrotech-
Wege zu technischer Bildung
TAGUNG: Die globalen Herausforde-
rungen für Öko-, Sozial- und Wirt-
schaftssysteme sind heute präsenter als
je zuvor. Dabei ist Nachhaltigkeit nicht
allein als Umwelt- oder Entwicklungs-
problem zu sehen; vielmehr ist sie eine
Frage der wirtschaftlichen, politischen,
kulturellen, technischen, ökologischen
und nicht zuletzt moralischen Entwick-
lung und Gestaltung der Gesellschaft
geworden.
Es ist daher von zentraler Bedeutung,
dass zukünftige Ingenieur*innen die
Anforderungen einer nachhaltigen Ent-
Mangel an Ingenieuren und Ingenieurinnen herrscht vor allem in den Berufsfel-
dern Vermessung, Informatik sowie Energie- und Elektrotechnik. Foto: PantherMedia / Randolf Berold
nik. Knappheit bestehe jedoch auch in
allen anderen Ingenieurberufen.
In den kommenden Jahren wird infolge
der Digitalisierung und des Klimaschut-
zes der Bedarf an Beschäftigten in Inge-
nieur- und Informatikerberufen deut-
lich zunehmen. Zudem nimmt der jähr-
liche demografische Ersatzbedarf an
Mint-Akademikern und -Akademikerin-
nen um 7400 zu. Die Erschließung von
inländischen Fachkräftepotenzialen, et-
wa von Älteren, Frauen, weiteren Studi-
eninteressierten und jüngeren Bevölke-
rungsgruppen, gewinnt damit nach wie
vor an Bedeutung.
Regional gibt es deutliche Unterschie-
de bei den Engpässen an Ingenieuren
und Ingenieurinnen. Am stärksten be-
wicklung kennen. Es geht darum, die ei-
genen beruflichen Handlungsfelder zu
kennen, um den demokratischen Dis-
kurs mitzugestalten. Vor diesem Hinter-
grund ist auch das Thema der diesjähri-
gen Ingenieurpädagogischen Jahresta-
gung zu verstehen: „Technische Bildung
für eine nachhaltige Entwicklung“.
Die 16. Auflage der Veranstaltung fin-
det vom 12. bis 14. Mai hybrid statt.
Veranstaltungsorte sind sowohl das In-
ternationale Begegnungszentrum der
TU Dortmund als auch das sogenannte
6. Mai 2022 · Nr. 9
troffen ist der Raum Sachsen-Anhalt
und Thüringen mit 547 gesamtwirt-
schaftlichen Stellen je 100 Arbeitslosen.
Darauf folgen Sachsen (523 zu 100) so-
wie an dritter Stelle Bayern mit einer
Engpassrelation von 520 zu 100.
Der Ingenieurmonitor wird einmal pro
Quartal gemeinsam vom VDI und dem
Institut der deutschen Wirtschaft heraus-
gegeben. Die Auswertung präsentiert ei-
nen Überblick über den aktuellen Stand
und die Entwicklung relevanter Indikato-
ren des Arbeitsmarkts in den Ingenieur-
und Informatikberufen. Den vollständi-
gen Bericht können Interessierte hier
kostenfrei herunterladen:
„ www.vdi.de/ueber-uns/presse/
publikationen
Triple Z (ZukunftsZentrumZollverein) in
Essen.
Der VDI Ruhrbezirksverein unterstützt
die 16. Ingenieurpädagogische Regio-
naltagung; die Teilnahme ist somit für
Mitglieder des VDI Ruhrbezirksvereins
kostenfrei.
Diese melden sich bitte über dessen
Internetpräsenz an. Interessierte VDI-
Mitglieder aus anderen Bezirksvereinen
melden sich hingegen über die Veran-
staltungsseite an. VDI
„ ipw-edu.org/tagungen
AUS DEM VDI 39
„ AKTUELL
Richtlinie hilft beim Finden
des geeigneten Systems
zur Kommissionierung
Der Fachausschuss Logistiksysteme
und -management des VDI hat in
einer Arbeitsgruppe die neue Richt-
linie 3299 erstellt. Sie zeigt vor-
nehmlich kleinen und mittelständi-
schen Unternehmen, die sich mit
der Planung und dem Betrieb von
Kommissioniersystemen befassen,
einen Weg auf, das bestgeeignete
System zu finden. Die Richtlinie er-
gänzt die bewährte VDI 3590, die
den strukturellen Aufbau von derar-
tigen Systemen beschreibt. Im Mit-
telpunkt steht eine Systematik zur
Systemfindung.
Die Strukturierung nach Kom-
missioniersystemklassen und die
Definition der wichtigsten Eig-
nungskriterien für einen spezifi-
schen Anwendungsfall bilden eine
für den Anwender wertvolle Hilfe-
stellung bei der strategischen Pla-
nungsvorbereitung und der Aus-
wahl von Kommissioniersystemen.
Der entwickelte Planungsleitfaden
gibt an, welche Entscheidungen in
welcher Planungsphase zu treffen
und welche Größen sowie Kenn-
werte dazu jeweils einzubringen
sind. Im Rahmen des LogiMAT Fo-
rums, das die Messe Stuttgart orga-
nisiert, wird die Richtlinie vorge-
stellt. Experten aus dem Bereich der
Lieferanten und Lagerbetreiber dis-
kutieren deren Nutzen und Wirk-
samkeit.
Datum: 1. Juni 2022; Zeit: 11:00
bis 11:50 Uhr; Ort: LogiMAT Arena –
Atrium, Eingang Ost
Start-up Innovation Forum
vernetzt Industrie und
Gründer
Welche Chancen und Risiken sind
damit verbunden, dass Unterneh-
men zunehmend auf Werkzeuge
und Mechanismen zurückgreifen,
die in der Start-up-Welt entstanden
sind? Dieser Frage widmet sich das
VDI Start-up Innovation Forum #2.
Kooperationspartner ist Nexster,
das Entrepreneurship-Center der
Hochschule Hannover. Die Teilneh-
menden können dabei aus einem
breiten Programmangebot wählen,
das in drei Wahlmodule unterteilt
ist. Gerahmt wird das Forum von ei-
ner Kontaktbörse der Hochschule,
Livemusik und Räumen, in denen
Ingenieur*innen und für das Event
geladene Start-ups direkt miteinan-
der ins Gespräch kommen können.
Die Veranstaltung ist kostenlos
und findet via Zoom statt. Datum:
12. Mai 2022; Uhrzeit: 17:30 bis
19:30 Uhr.
„ www.vdi.de/veranstaltungen
„ MEIN VDI
Die VDI-Veranstal-
tungen in Ihrer
Region und zu Ihrem
Fachbereich finden
Sie im Mitgliederbereich „Mein
VDI“. Über die Detailsuche
können Sie auch nach PLZ oder
einen Zeitraum suchen.
„ www.vdi.de/meinvdi
40 TECHNIK BOULEVARD 6. Mai 2022 · Nr. 9

Unterhaltung abseits der Bildschirme

Spiele: Wir verbringen heutzutage mehr Zeit vor digitalen Geräten denn je. Seit dem Start der Corona-Pandemie werden auch Arbeitsbesprechungen virtuell
abgehalten. Als analogen Freizeitausgleich stellen wir Alternativen zu Fernsehen, Streaming und Smartphone-Games vor: Brettspiele. Von Ralf Fellenberg

Natürlich kombiniert Den richtigen Ton treffen

Das Spielprinzip von „Cascadia“ ist ein klassisches Jede Menge Lacher sind garantiert bei „Top Ten“,
„Plättchen-Legespiel“ und damit nicht neu. Das einem kooperativen Familien- und Partyspiel. Auf
Thema hingegen verspricht Erholung vom digita- eine gestellte Frage müssen alle Mitspielenden eine
len Alltag: Bei diesem schnell erklärten und doch Antwort geben. Die Besonderheit: Jeder hat zuvor
raffinierten Familienspiel steht das Thema Natur verdeckt eine Intensität zwischen 1 und 10 zugelost
im Vordergrund. Durch Kombination von Tieren bekommen und muss seine Antwort entsprechend
und Wildnisarten – das reicht von Gebirge und tunen. Von „mir egal“ bis „ich erschieße ihn“ kön-
Wald über Prärie und Feuchtgebiet hin zum nen z. B. die Reaktionen lauten, wenn einem ein
Fluss – bauen die Spielenden eine Landschaft Parkplatz weggeschnappt wurde. Der Fragende
vor sich auf, die am Ende anhand mehrerer Krite- muss nun die Antworten in die richtige Intensitäts-
rien bewertet wird. Abwechslung bringen variieren- reihenfolge sortieren. Das 22-€-Spiel glänzt mit ei-
de Wertungskarten ins Spiel und versprechen für ner besonders ideenreichen Fragenauswahl.
35 € jeweils annähernd 45 min Spaß pro Runde.
Das Spiel wird schon jetzt als ein möglicher Kandi-
dat für das „Spiel des Jahres 2022“ gehandelt.
Foto: Franckh-Kosmos Verlag

Artenschutz für Zoohause

In dem Spiel „Arche Nova“ auf dem Niveau „Kenner
bis Experte“ versuchen die bis zu vier Spielenden
jeweils einen attraktiven Zoo aufzubauen. Dabei
gilt es, möglichst viele Artenschutzpunkte zu erzie-
len. Ein kluger Aktionsauswahlmechanismus trifft
Foto: Feuerland Verlagsgesellschaft mbH

hier auf eine Flut von 250 Karten, die alle Charak-
teristika eines Zoos hervorragend wiedergeben:
Exotische und heimische Tiere, Sponsoren,

odee
Forschungskooperationen, Verbandsaktivitä-

Foto: Cocktail Games/Asm

ten und Artenschutzprojekte. Mit einer Spieldau-
er von 90 min bis 150 min ist es kein Gelegenheits-
spiel für zwischendurch, sondern eine Empfehlung
für Brettspielfreunde an verregneten Sonntagnach-
mittagen. Das Erstlingswerk des Autors Mathias
Wigge für 65 € sorgt weltweit für Aufmerksamkeit.

Bunte Wirtschaftswelt Kooperativ assoziieren

Aus dem Italienischen übersetzt bedeutet der Name „So Kleever“ ist ein Wortspiel mit ordentlich Spaß.
des Spiels „Mille Fiori“ „1000 Blumen“. Entspre- Zutaten sind quadratische Wortplättchen und ein
chend bunt geht es hier zu. An das Spielthema „Glas- Plastikraster in Kleeblattform. Auf jede Kante eines
herstellung“ erinnern allerdings nur die transparen- Plättchens ist ein Begriff gedruckt. Liegen vier da-
ten Spielsteine. Ziel ist es, die eigenen Karten auf ei- von auf dem Zwei-mal-zwei-Kleeblattraster, zeigen
nem Brettspielplan so geschickt einzusetzen, dass immer zwei Begriffe nach außen in dieselbe Rich-
Spielende den erfolgreichsten und lukrativsten Han- tung. Für die Begriffspaare schreiben die Spie-
del aufbauen. Das Kennerspiel stammt aus der Feder lenden insgesamt vier Überbegriffe direkt auf
des Altmeisters Knizia und kostet annähernd 34 €. den Rand des Plastikkleeblatts und entfernen
Mille Fiori funktioniert erst so richtig ab drei Perso- dann die Begriffsplättchen aus der Mitte. Die an-
nen, dann aber greifen die pfiffig verzahnten Ketten- deren müssen nun puzzeln, wie die Plättchen ur-
Foto: Repos Production SRL

zugsmöglichkeiten sauber ineinander und schaffen sprünglich lagen – zur Verwirrung wird ein fünftes,
ein wohliges und ständig belohnendes Spielgefühl. zufälliges Plättchen hinzugemischt. Das lockere
Spiel dauert ca. 30 min und lässt sich – anders als
offiziell angegeben – auch gut zu zweit spielen.

Einstieg ins Terraforming

Das ausgezeichnete Kennerspiel „Terraforming
Mars“ hat einen Ableger für Neulinge in der Raum-
fahrt bekommen. Die Spielenden lenken bei dieser
simpleren Variante ihre Konzerne mit dem Ziel,
den Mars bewohnbar und nutzbar zu machen.
Durch geschickten Einsatz versuchen bis zu vier
Spielende in dem 50 € teuren Titel die drei glo-
balen Parameter des Mars – Wasser/Ozeane,
Sauerstoff und Temperatur – zu erhöhen und
dabei die besten Projektkarten zu wählen. Durch
einen geschickten Auswahlmechanismus wird da-
bei die Spieldauer im Vergleich zum großen Bruder
Foto: Schmidt Spiele

auf „nur“ annähernd 60 min gesenkt und auch die

Komplexität zumindest einstiegsfreundlicher.

Quelle: Schwerkraft Verlag