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Urban Resource Exploration –

Produzieren in geschlossenen Stoffkreisläufen


Günther Bachmann

1933 forderte die Charta von Athen, in den druck liegt indessen nicht dort, sondern in den
Städten die Funktionen Arbeit und Wohnen hochentwickelten Industrieländern. Egal ob
räumlich zu trennen. Das war damals dringend man es geschichtlich und verantwortungs­
erforderlich und für Architekten und Stadtpla­ ethisch begründet oder durch die Wirtschaft­
ner bedeutete es einen großen Erfolg. Saubere lichkeit der technischen Neuerungen: Der Ein­
Luft und weniger Lärm bescherten so vielen stieg in eine neue Ära, die die Stadt als Mine
Menschen eine bessere Gesundheit. Mittler­ für Rohstoffe sieht, muss hier gelingen. Das
weile ist der technische Umweltschutz in den Lehnwort »Mine« erzeugt zunächst vielleicht
Industrieländern weit vorangekommen, wobei missverständ­liche Bilder und Analogien. Doch
es Unterschiede und weiterhin auch Defizite es ist in neuem, innovativem Zusammenhang
gibt. Heute nun steht eine neue und viel tiefer zu sehen: Vor jedem Rohstoffabbau (mining)
greifende Idee der Trennung an: Die Wieder­ steht die Planung und Exploration. Für die
gewinnung von Baumaterialien und Wertstoffen Stadt gilt das umso mehr. Das Ziel einer effi­
aus der gebauten Stadt heraus erfordert die zienten Rohstoffnutzung kann über Vermei­
Trennung von Materialströmen. dung, Verringerung, Reparatur und Langlebig­
keit, Wiedernutzung und Recycling erreicht
Die 2016 in Kraft getretenen Sustainable Deve­ werden. Verändertes Produktdesign, zirkuläre
lopment Goals (SDGs) der Vereinten Nationen Wirtschaftsprozesse und Eigentümerverantwor­
geben einen wichtigen Impuls für einen Neu­ tung, neue Materialien und Re-Design gehören
start der Kreislaufwirtschaft. Deutschland hat ebenso dazu wie Veränderungen im Verhalten
sie mit beschlossen und wendet sie auf natio­ der Nutzer sowie reduktive Praktiken in der
naler Ebene in der Deutschen Nachhaltigkeits­ Baukultur. Beim Urban Mining, das die Stadt
strategie an. Die SDGs sind heute für die Nach­ als riesige Rohstofflagerstätte begreift, geht es
haltigkeitspolitik, was gestern für den Städte­ also eher um Urban Resource Exploration.
Anmerkungen:
bau die Charta von Athen war: eine zeitgemäß
[1] vgl. UN Habitat, https://unhabitat.org/united-nations-
adopts-sdgs-cities-in-greater-focus/ und FAO Food auf den Punkt gebrachte Aufgabenbeschrei­ Urban Mining ist ein Stichwort, das pars pro
for the Cities multi-disciplinary initiative (Hrsg.): Chal­ bung. Sie fordert den ambitionierten Einstieg toto für die Morgenstadt steht. Es verbindet
lenges of food and nutrition security, agriculture and in die Kreislaufwirtschaft, eine Null-Toleranz- eine weitreichende Perspektive mit Gestal­
ecosystem management in an urbanizing world. Strategie gegenüber Bodenverschmutzung, tungswillen und – das ist besonders hervorzu­
http://www.fao.org/3/a-au725e.pdf (August 2017)
[2] Friege, Henning: Ressourcenmanagement und Sied­ eine Land Degradation Neutrality (LDN) und heben – schon jetzt mit griffigen und skalier­
lungsabfallwirtschaft. Challenger Report für den Rat eine nachhaltige Stadtentwicklung. baren Instrumenten, z. B. etwa zur Quantifizie­
für Nachhaltige Entwicklung. texte Nr. 48, 01/2015, rung von Sekundärrohstoffen, zur Technik der
https://www.nachhaltigkeitsrat.de/wp-content/up­ Zu Recht: Die Hälfte aller Menschen lebt schon Rückgewinnung, zur Digitalisierung von Recy­
loads/migration/documents/Challenger_Report_Res­
heute in urbanen Agglomerationen, für die cling-Mustern in Bauwerksinformationen, zur
sourcenmanagement_und_Siedlungsabfallwirtschaft_
texte_Nr_48_Januar_2015.pdf. Stand 13.06.2018 der Ausdruck »Stadt« beschönigend wäre. Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und zu Geschäfts­
[3] Rat für Nachhaltige Entwicklung – RNE (Hrsg.): Indus­ In gut 10 Jahren werden es 60 % sein, für bereichen wie der Aufbereitung und Wieder­
trie 4.0 und Nachhaltigkeit. Chancen und Risiken für die Jahrhundertmitte geht man von 80 % gewinnung von Wertstoffen. Eine lokal-autarke
die Nachhaltige Entwicklung. Bericht. Berlin 2016 der dann jedoch 9 –10 Mrd. Menschen aus. Kreislaufführung von Baumaterialien wäre
https://www.nachhaltigkeitsrat.de/wp-content/uploads/
migration/documents/20161230_IFOK_Bericht_­
828 Mio. Menschen leben heute in Slums und indessen nicht gesund und nicht sinnvoll. Sie
Industrie_4-0_und_Nachhaltige_Entwicklung.pdf. ihre Anzahl steigt. Städte sind Hotspots des würde Innovationen hemmen und trüge stark
Stand 13.06.2018 Umweltverbrauchs. Weltweit sind sie in der ideologische Züge.
[4] siehe: www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de Regel an Standorten mit agrarisch wertvollen
[5] Rat für Nachhaltige Entwicklung und Accenture
Böden entstanden und verdrängen die Urpro­ Die Zukunft der Stadt liegt in dezentraler Inte­
­Strategy Sustainability, unter Mitarbeit von Ökopol
­Institut für Ökologie und Politik GmbH: Chancen der duktion von Lebensmitteln auf weniger gute gration, in sozialer Durchlässigkeit und auch in
Kreislaufwirtschaft für Deutschland. Analyse von Restflächen. Sie verbrauchen weltweit bis zu so komplizierten und noch utopisch erschei­
­Potenzialen und Ansatzpunkten für die IKT-, Auto­ 80 % der Energie [1]. nenden Aufgaben wie der Reurbanisierung der
mobil- und Baustoffindustrie. Hamburg. Berlin 2017 Erzeugung von Lebensmitteln, die gleichwohl
https://www.nachhaltigkeitsrat.de/wp-content/up­
loads/migration/documents/RNE-Accenture_Studie_
Der größte Problemdruck liegt auf den Städten schon längst begonnen hat. Immer deutlicher
Chancen_der_Kreislaufwirtschaft_04-07-2017.pdf. in jenen Ländern, die wir früher als Entwick­ wird eine Grundvoraussetzung für dies alles:
Stand 13.06.2018 lungsländer kannten. Der größte Entwicklungs­ Die Stadt muss lernen, sich aus sich selbst zu

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Urban Resource Exploration – Produzieren in geschlossenen Stoffkreisläufen

erneuern. Sie muss ihre Energieversorgung stoffe, mehr Mineralien. Trotz des Rohstoffüber­ rungsforen [3] inklusive Kodizes zur Nach­
und ihre Infrastruktur zur Mobilität sowie Teile flusses führen wir mineralische und chemische haltigkeit [4] entfalten unter Umständen über
der Nahrungsmittelversorgung koppeln. Und Rohstoffe aus aller Welt ein. Wir haben alles partizipative Attraktion mehr Wirkungen als
es geht um das Material selbst, aus dem die und glauben trotzdem, immer mehr zu brau­ zunächst erwartet.
Stadt gebaut ist. »Imperiale« Herangehens­ chen. Der Grund: Eingesetzte Rohstoffe gelan­
weisen lassen Städte dagegen weiter darauf gen über den Lebenszyklus eines Produkts Eine ambitionierte Kreislaufwirtschaft funktio­
setzen, dass sie alle Baumaterialien aus aller hinaus nicht oder nicht vollständig in den Pro­ niert auch unter heutigen Rahmenbedingun­
Welt allgegenwärtig beziehen können – und duktionsprozess zurück. Ausnahmen gibt es, gen bereits und sie bietet profitable Chancen.
sich darüber keine Gedanken machen müssen. aber das Recycling hat einen nur geringen Neue Geschäftsmodelle und Kooperations­
Wie lange noch wird das gutgehen? Umfang. Im Wesentlichen haben wir immer formen liefern dazu eine lohnende und lang­
noch eine Linearwirtschaft, keine Kreislaufwirt­ fristig solide Grundlage [5]. Im Grunde stellen
Das Bauen im Anthropozän setzt auf die Wie­ schaft. Das ist ökologisch fatal, ökonomisch sie ein großes Reformprogramm für die Gesell­
der- und Rückgewinnung von Baumaterial aus leicht­fertig und sozial unintelligent. schaft und Wirtschaft dar. Fortschritt und
dem »urbanen Ökosystem«. Es setzt auf die Lösungen im Sinne dieser Ziele fordern die
Trennbarkeit von Baustoffen, auf Lebenszyklen, Dennoch sieht sich Deutschland gerne als Mechanismen des Marktes ebenso heraus
zirkuläres Planen und zirkuläre Kostenkontrolle Recycling-Weltmeister. Aber die deklarierten wie auch die Politik; das Neue ist, dass weder
sowie auf Eigentümerverantwortung statt auf Recyclingquoten beziehen sich auf die einge­ der Markt noch die Regulation jeweils für sich
die linearen, expansiven Wachstumskategorien sammelten Abfälle, die in eine Aufbereitungs­ allein Erfolge versprechen. Es kommt also auf
wie Bedarf, Investitionskosten, Deponie und anlage gebracht werden, nicht auf das, was das Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik
Immobilienlogik. dabei herauskommt. Real recyceln wir etwa an, um markt­fähige Lösungen in einem siche­
35 % von dem Abfallvolumen, das zum Zweck ren regulativen Umfeld zu ent­wickeln.
Gedanken- und umstandsloses, verbrauchen­ der Beseitigung eingesammelt wird. Im Vorder­
des Wachstum bietet keine dauerhaften Lösun­ grund steht die leicht zu recycelnde Massen­ Urban Mining – in seiner das große transforma­
gen. Wachstum sollte weder Selbstzweck noch ware wie Glas, Papier, PET, Aluminium. Ver­ tive Potenzial ausschöpfenden Ausprägung –
unhinterfragte Geschäftsgrundlage sein. Tat­ gleichbares ist für die zukunftsstrategischen ist Zukunftsmusik. Und natürlich gilt hier wie
sächlich beobachten wir erstaunliche Wachs­ Hightechstoffe nicht der Fall [2]. Konkurrenz­ anderswo: Utopien müssen sich an der Reali­
tumseffekte bei solchen Unternehmen, die druck und lineare Logistik sowie ein recycling- tät messen lassen, sie müssen es aushalten,
sich konsequent und innovativ auf die Agenda feindliches Produktdesign führen noch allzu dass man ihr Gewicht anhand realer Verbind­
der Nachhaltigkeit einlassen. Nachhaltiges häufig zu einer Entscheidung gegen das lichkeiten misst, auch wenn das manchmal
Wirtschaften ist keine grüne Randerscheinung, ­Recycling; Bequemlichkeit, Ideenlosigkeit und schmerzlich ist und womöglich zurückwirft.
sondern Herausforderung für den Mainstream: mangelnde Aufklärung tun ihr Übriges. Wäh­ Aber erhabene Unverbindlichkeit bringt ohne­
in der Energiewirtschaft, im Konsum, in der renddessen werden jedoch immer weitere hin nichts. Urban Mining schneidet hier gut ab,
Chemie und auch am Bau. Aktuelle Schlag­ Stoffströme mengenrelevant und für die Wert­ denn viele Techniken, Verfahren, Einsichten
zeilen zu Kostenexplosionen am Bau, zur Min­ schöpfung bedeutsam, für die es noch keine und Haltungen der Experten sind schon vor­
destentlohnung, zur Mietpreisentwicklung, zum zirkulären Vorgehensweisen gibt. Das gilt handen. Ihre Weiterentwicklung schreitet zügig
Wohnungsbedarf verstellen oft den Blick auf sowohl für die Bauwirtschaft als auch für die voran, was nicht bedeutet, dass es schnell und
den wirklichen Megatrend Nachhaltigkeit. Die Industrie. tiefgreifend genug geht. Die globale Urbani­
alte Glücksformel des Bauens »größer, mehr, sierung verlangt eine viel schnellere Gangart
solitär« beantwortet die wirklichen Zukunfts­ Eine grundlegende Reform des Kreislaufwirt­ auf Seiten des urbanen Recyclings.
fragen der Städte nicht mehr. schaftsgesetzes ist nötig. Zu lange schon Aber auch die Realität muss sich an der not­
wird sie durch Lobbyisten und überkommene wendigen Utopie messen.
Recycling und modernes Bauen müssen viel Besitzstandswahrung blockiert. Multi-Stake­
mehr als jetzt Gegenstand von Allgemein­ holder-Partnerschaften von Akteuren aus Zivil­
bildung werden. Noch liegen die Schulatlan­ gesellschaft, Praxis, Forschung und Unterneh­
ten völlig falsch, wenn sie vom rohstoffarmen men bieten hier bessere Alternativen. Sie kön­
Deutschland sprechen. Tatsächlich ist Deutsch­ nen zwar kein Recht setzen, aber sie können
land reich an Rohstoffen; nur sind die eben praktische Regeln schaffen. Best-practice-
nicht tief im Erdinnern zu finden. Noch nie Standards können im kooperativen Wettbe­
zuvor gab es in Deutschland mehr Metalle, werb bestimmt werden und sich so neue Ver­
mehr Kunststoff, mehr ölbasierte Verbund­ fahrensweisen herausbilden. 4.0-Digitalisie­

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