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Petra Wagner

Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung


als inklusives Praxiskonzept
in der Kita

Zwei konzeptionelle Kerngedanken kennzeichnen Inklu- Inklusion in der Praxis:


sion in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen: Die He- Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung
terogenität der Lernvoraussetzungen und Lernwege von
Kindern seien zu berücksichtigen und für Bildungsprozes-
Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung ist ein früh-
se zu nutzen. Barrieren, die den Zugang von Kindern zu
pädagogischer Ansatz, eine Adaption des „Anti-Bias-
Bildungseinrichtungen und Bildungsinhalten behindern,
Approach“ (= Ansatz gegen Einseitigkeiten und Diskrimi-
seien abzubauen. (g DUK 2009) Das ist einfach gesagt
nierung) von Louise Derman-Sparks, der in den 1980er
und geschrieben, doch wie ist eine entsprechende päd-
Jahren in den USA entwickelt wurde, für Kinder ab zwei
agogische Praxis zu gestalten? Wie müssten sich Erzie-
Jahren. In Deutschland wurde er seit 2000 als Praxiskon-
hungs- und Bildungseinrichtungen als lernende Organi-
zept für Kindertageseinrichtungen erprobt und verbreitet
sationen entwickeln, was müssten die Beteiligten wissen
und als „Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“ über-
und können?
setzt, bei der es darum geht, sich der Ursachen und Wir-
kungen von Vorurteilen und Diskriminierung in Kinderta-
Gefragt sind pädagogische Konzepte, die fundiert und
geseinrichtungen bewusst zu werden und pädagogische
gleichzeitig praxisrelevant sind, um Inklusion zu realisie-
Praxis gezielt zu verändern. Gemeint sind Vorurteile und
ren. Dazu gehört auch, dass sie Hinweise geben, wie Kin-
Abwertungen aller Art, die an den unterschiedlichen Merk-
der mit ihren verschiedenen Identitätsmerkmalen wahr-
malen von Menschen festgemacht werden: an Hautfarbe,
genommen und angesprochen werden, ohne Stigmati-
Herkunft, Sprache wie auch Religion, Geschlecht, sozialer
sierung, Stereotypisierung oder Festlegung auf nur ein
Schicht, sexueller Orientierung, Alter, Behinderung.
Merkmal ihrer Identität.

Der Anspruch auf Inklusion bezieht seine Legitimität aus Die bildungs- und gesellschaftspolitische Relevanz und
den Menschen- und Kinderrechten: „Education for all“ war Brisanz des Ansatzes liegt in der Verknüpfung des Rechts
bereits 1990 das Motto der globalen Initiative der Ver- auf Bildung mit dem Recht auf Schutz vor Diskriminierung.
einten Nationen für Bildungsgerechtigkeit und gegen Bil- Damit hat Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung eine
dungsbenachteiligung. Praxiskonzepte müssten von die- klare Wertorientierung: Unterschiede sind gut, diskriminie-
ser Wertorientierung ausgehen und verdeutlichen, dass rende Vorstellungen und Handlungsweisen sind es nicht.
die Gestaltung einer inklusiven pädagogischen Praxis Respekt für die Vielfalt findet eine Grenze, wo unfaire Äu-
nicht ausreichen wird, um Bildungsbarrieren abzubauen, ßerungen und Handlungen im Spiel sind. Interventionen
sondern von institutionellen und strukturellen Veränderun- sind gefordert, mit denen man sich deutlich gegen Abwer-
gen begleitet und initiiert sein muss. tung und Ausgrenzung ausspricht.

Konzepte, die Kinder und Familien in ihren Mehrfachzu- Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass sich Kinder auch
gehörigkeiten adressieren, die Diversitätsbewusstsein mit aus Vorurteilen und Einseitigkeiten ihr Bild von der Welt
Diskriminierungskritik verknüpfen, die nicht nur individuelles konstruieren: Kinder nehmen früh Unterschiede zwischen
professionales Handeln, sondern auch den institutionellen Menschen wahr und unterscheiden vertraute von unver-
Kontext in den Blick nehmen, sind nach wie vor Mangelwa- trauten Personen. Etwa im dritten Lebensjahr zeigen sie
re (g vgl. Sulzer/ Wagner 2011, 42). Eines der wenigen in- Unbehagen gegenüber äußeren Merkmalen und Beson-
klusiven Praxiskonzepte ist der Ansatz Vorurteilsbewusster derheiten von Menschen. Und sie verweisen auf solche
Bildung und Erziehung, der seit 2000 vom Berliner Institut Merkmale bei Aushandlungen um Spielpartner und Spiel-
für den Situationsansatz im Rahmen von KINDERWELTEN ideen: Sie wollen nicht neben bestimmten Kindern sitzen,
entwickelt und bundesweit erprobt wurde. sie nicht an der Hand halten oder schließen sie von ihrem
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Spiel aus, weil sie dick sind, „komisch reden“, „komisch


aussehen“, ein Junge/ ein Mädchen sind usw. Kinder bau- Praxisbeispiel:
en die Bezugnahme auf äußere Merkmale in die Durch-
setzung ihrer Spielinteressen ein. Sie übernehmen dabei Familienwände sind großformatige Fotos der Familien
nicht 1:1, was Erwachsene sagen, sondern experimentie- der Kinder, angebracht auf Augenhöhe, an einer gut
ren mit einem Argumentationsmuster, das Vorurteile kenn- einsehbaren Stelle des Kindergartens. Die Auswahl
zeichnet: Ein Merkmal wird bewertet, für die ganze Person und Zusammenstellung geschieht mit den Familien
genommen und „begründet“ ihre Sonderbehandlung oder gemeinsam. Sie definieren, wer zu den Bezugsperso-
ihren Ausschluss. nen ihres Kindes gehört, wer alles ihre Familie aus-
macht. Dominiert die Erzieherin die Definition mit ihrer
Die Auswirkungen solcher Ein- und Ausschlusspraxen Normvorstellung von Familie, so haben Eltern und
unterscheiden sich je nachdem, welcher sozialen Grup- Kinder, deren Familie von dieser Norm abweicht, kein
pe ein Kind angehört. Für Kinder aus diskriminierten oder Zutrauen. Sind wirklich die Personen abgebildet, die
benachteiligten Familien können abwertende Urteile über dem Kind nahestehen, so schafft die Familienwand
ihre soziale Gruppe zu Beschädigungen ihres Selbstbil- eine wichtige Verbindung zwischen Familie und Kin-
des führen, die ihre Lernbereitschaft ernsthaft gefährden. dergarten. Sie repräsentieren die Familien als primäre
Bezugsgruppen von jedem einzelnen Kind: „Das bin
Damit die Erfahrungen von Kindern mit Abwertung und ich und das ist meine Familie!“ Diese Repräsentati-
Ausgrenzung nicht zur Lernbehinderung werden, brauchen on erleichtert wiederum die Identifikation des Kindes
sie Bildungseinrichtungen, in denen sie selbst in ihrer Be- mit dem Kindergarten: „Ich und meine Familie sind an
sonderheit wahrgenommen und gestärkt werden. Respekt diesem Ort willkommen!“ Die Familienwand kann für
für ihre eigenen Familienkulturen und die aktive Ausein- Kinder ein Ort des Trostes sein und sie ist häufig der
andersetzung mit anderen hilft ihnen, mit Unterschieden Anlass für Gespräche unter Kindern, über Gemein-
kompetent umzugehen. Zeigen Kinder Vor-Vorurteile, so samkeiten und Unterschiede.
sind Erwachsene aufgefordert, vorurteilsbewusst einzu-
greifen. Eine klare Positionierung gegen Ausgrenzung
und Diskriminierung vermittelt Kindern Schutz und ein in- Ziel 2: Allen Kindern Erfahrungen mit Vielfalt
neres Bild davon, wie man unfairem Verhalten und Den- ermöglichen
ken widerstehen kann. Es stärkt sie darin, sich selbstbe-
wusst und neugierig auf Bildungsprozesse einzulassen. Auf der Grundlage von Respekt und Wertschätzung für
Über das akute Eingreifen hinaus muss kontinuierlich und die eigenen Besonderheiten und einem sich vertiefenden
verlässlich eine Alltagskultur gestaltet werden, die von Re- Wissen darum, was die eigenen Besonderheiten aus-
spekt, Wertschätzung und dem Streben nach Gerechtig- macht und wie sie zu erklären sind, erleben Kinder aktiv
keit geprägt ist. die soziale Vielfalt in ihrem Nahraum: Sie begegnen Men-
schen, die anders sind als sie selbst, anders aussehen,
Das Praxiskonzept vorurteilsbewusster Bildung und Erzie- sich anders kleiden, sich anders verhalten usw. Indem
hung für Kindertageseinrichtungen 1 orientiert auf 4 Ziele, die Unterschiede aktiv thematisiert und benannt werden,
die aufeinander aufbauen: erweitern Kinder ihre Empathie und ihr Weltwissen. Kin-
dergärten sind Orte für Kinder, die viele unterschiedliche
Ziel 1: Alle Kinder in ihrer Identität stärken Familienkulturen zusammen bringen. Damit hieraus ein
wirklicher Dialog und ein Kennenlernen wird, sind bewus-
Das Recht aller Kinder auf Schutz und Sicherheit ist glaub- ste Schritte seitens der Fachkräfte notwendig, denn allei-
haft einzulösen, denn Wohlbefinden ist grundlegend, da- ne aus der heterogenen Zusammensetzung von Gruppen
mit Kinder lernen können. Kinder fühlen sich wohl im Kin- ergibt sich noch kein kompetenter Umgang mit den Unter-
dergarten, wenn sie hier Sicherheit und Schutz erleben. schieden.
Zu ihrer Sicherheit und zu ihrem Wohlbefinden trägt bei,
wenn sie eine positive Resonanz auf ihre Vorerfahrun-
gen, ihre Fähigkeiten, ihre Interessen, auf ihre Herkunft
und Familie bekommen. Vorurteilsbewusste Bildung und
Erziehung zielt daher auf die Stärkung jedes Kindes in
seiner Identität, ein Vorgang, der ohne Anerkennung der
Familienkultur(en) eines Kindes nicht gelingen kann.

1) Dieser pädagogische Ansatz wurde in Kalifornien für Kinder ab 2 Jahren entwickelt und im Rahmen von KINDERWELTEN seit 2000 auf der Grund-
lage des Situationsansatzes für Deutsch-land adaptiert. Der „Anti-Bias Approach“ von Louise Derman-Sparks und ihren KollegInnen (1989) setzt
auf die bewusste Auseinandersetzung mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten und gleichzeitig auf eine deutliche Positionierung gegen Vorurteile,
Diskriminierung und Einseitigkeiten. www.kinderwelten.net. Siehe auch Erläuterungen am Ende des Texts.

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Praxisbeispiel: Praxisbeispiel:
Eltern sind eingeladen, zum mehrsprachigen Lese- Was haben wir denn da in der Verkleidungsecke? Der
fest beizutragen, indem sie in bestimmten Ecken des Erzieherin fällt auf, dass eher Mädchen in der Ver-
Kindergartens ein Buch in ihrer Familiensprache vor- kleidungsecke spielen und Jungen eher nicht. In ei-
lesen oder eine Geschichte erzählen. Für alle Kinder ner Kinderversammlung teilt sie ihre Beobachtungen
ist es anregend: Die einen erleben, dass ihre Eltern mit. Es entsteht eine engagierte Diskussion, in der die
etwas Wichtiges im Kindergarten tun und haben auch Kinder die Ausstattung der Verkleidungskiste bemän-
Stoff für Gespräche zuhause. Die anderen hören Ge- geln: Nur Frauensachen seien da drin, da könne man
schichten in einer Sprache, die sie nicht verstehen, gar nichts anderes spielen. Außerdem fehlten inter-
aber sie bekommen etwas mit vom Klang, von der essante, „andere“ Sachen. Eine Untersuchung folgt:
Konzentration der Zuhörenden. Und auch sie erleben, Was ist wirklich drin in der Verkleidungsecke, was
dass die Eltern von Kindern, die bisher nicht so aktiv in fehlt? Tatsächlich ist die Ausstattung einseitig. Was
Erscheinung getreten sind, etwas Wichtiges beitragen fehlt? Ideen werden notiert, was beschafft werden soll
können. und wo man es bekommen kann: Von zuhause, vom
Second-Hand-Laden, vom Theater-Fundus… Im Ver-
lauf der Bestückung der Verkleidungsecke mit ande-
Ziel 3: Kritisches Denken über Gerechtigkeit ren Kleidungsstücken und Utensilien wird eine weiter
und Fairness anregen Einseitigkeit erkennbar: Wenn Jungen in einer Verklei-
dungsecke spielen, wo nur Frauenkleider sind, dann
Kinder sollen im Kindergarten erfahren, dass es gerecht seien die schwul… Die Erzieherin hat neue Fragen für
und fair zugeht: Alle Kinder haben ihren Platz, alle können weitere Untersuchungen…
spielen und lernen, keines wird drangsaliert, gehänselt,
verletzt, beschimpft oder ausgegrenzt. Für die Verdeutli-
chung dieser Werte sind die Erwachsenen zuständig. Nor- Ziel 4: Aktivwerden gegen Unrecht und
men und Werte übermitteln sich Kindern über das, was Diskriminierung
ihre Bezugspersonen sagen und machen, und auch dar-
über, was sie nicht sagen und nicht machen. Mit etwa 4 Kommt es zu diskriminierenden Äußerungen und Hand-
Jahren unterscheiden Kinder unmoralisches Handeln und lungen im Kindergarten, so müssen die Erwachsenen ein-
Verstöße gegen soziale Konventionen. Unmoralisches greifen. Sie sagen „Stopp“ und signalisieren damit, dass
Handeln wird für schlecht befunden, dazu zählen: etwas sie mit solchen Formen nicht einverstanden sind. Dann
wegnehmen, schlagen, kaputt machen, beschimpfen, aus- wenden sie sich beiden Seiten zu. Die eine Seite braucht
lachen, etwas ungerecht verteilen. Verstöße gegen Kon- Trost, die andere braucht die Erinnerung an gemeinsame
ventionen (wie z.B. Tischmanieren, Begrüßungen, Anrede Normen und die Zusicherung, weiterhin dazu zu gehören.
von Erwachsenen) werden akzeptiert, wenn Autoritäten Das ist wichtig, damit sie für weiteres Nachdenken über
dies erlauben oder wenn veränderte Umstände es nahe Fairness offen sein können.
legen oder wenn andere Konventionen gelten. Im fünf-
ten Lebensjahr ist das moralische Wissen der Kinder so ErzieherInnen fragen sich: Was war geschehen, was dar-
weit, dass sie die Regeln kennen. Was nicht heißt, dass an war unfair? Spielten stereotype Vorstellungen über
sie sich sozial erwünscht verhalten. Dies tun sie mit der bestimmte Gruppen eine Rolle? Oder war es ein Missver-
Entwicklung ihres „Moralischen Selbst“: Mit wachsender ständnis? Oder etwas anderes? Das kann man so schnell
Fähigkeit zur Perspektivenübernahme verstehen Kinder, nicht beurteilen und schon gar nicht, wenn man aufgeregt
dass ihre Handlungen negative Auswirkungen auf andere ist. Besser als eine eilige Reaktion ist dann eine wohlüber-
haben können. Sie sehen ihre Handlungen aus der Sicht legte, nachdem man sich den Vorgang vergegenwärtigt
der anderen. Und verstehen, dass sie von ihnen bewer- hat. Wichtig ist, überhaupt zu reagieren und mit der Inter-
tet werden. Weil sie möchten, dass ihr Verhalten positiv vention für Klarheit zu sorgen. Manchmal ist es weniger
bewertet wird, sind sie zunehmend bereit, sich in Über- die unmittelbare Intervention der ErzieherInnen, sondern
einstimmung mit den Wünschen ihrer Bezugspersonen zu die längerfristige Beschäftigung mit dem Thema, bei der
verhalten – wenn diese ihre Regeln klar machen und bei es viel zu lernen gibt. Es geht um Sachwissen, Moral,
ihrer Einhaltung Hilfestellung geben. Kommunikation. Erleben Kinder hingegen, dass Einseitig-

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keiten und Diskriminierungen ignoriert und das Sprechen von Vielfalt ergänzt. Einseitigkeiten und Diskriminierung
darüber vermieden wird, so können sie nicht lernen, Kon- werden mit den Kindern thematisiert.
flikte und Kontroversen konstruktiv auszutragen.
Das alles verlangt viel von den Fachkräften: Sie sind auf-
Ein Kindergarten, in dem Kinder aufgrund eines bestimm- gefordert, immer wieder kritisch zu überprüfen, wie weit
ten Merkmals ihrer Identität Abwertung und Ausgrenzung sie in der Lage sind, Menschen eine Lebensgestaltung
erfahren, ohne dass Erwachsene eingreifen und ihnen zuzugestehen, die sich von ihrer eigenen unterscheidet.
beistehen, ist kein guter Ort des Aufwachsens. Er ist es Es ist ein Vorgang der „Dezentrierung“: Man versucht,
weder für die ausgegrenzten Kinder noch für die anderen. seine eigenen Norm- und Wertvorstellungen nicht abso-
Hier zu sein ist für die einen mit einer unmittelbaren Beein- lut zu setzen, sie nicht als die einzig wahren Grundlagen
trächtigung ihres Wohlbefindens und damit ihrer Lernmo- sinnvoller Lebensgestaltung zu behaupten. Das heißt: Re-
tivation verbunden. Und alle Kinder verstehen: Hier wird spekt zu entwickeln für unterschiedliche Antworten auf die
man nicht geschützt, von den Erwachsenen ist keine Hilfe Grundfragen menschlichen Daseins.
zu erwarten. Kinder brauchen aber Hilfe bei Übergriffen,
bei verbalen wie körperlichen Aggressionen oder anderen Dazu gehört die Reflexion des eigenen Umgangs mit Un-
Einschränkungen ihres Wohlbefindens. Es ist falsch, ihre terschieden: Wie steht man zu bestimmten Unterschie-
Beschwerden als „Petzen“ zurückzuweisen. Ausgrenzung den? Wie findet man es, dass in einer Familie nicht ge-
und Diskriminierung sind schwerwiegende Probleme, die meinsam gegessen wird – ist es kein „richtiges“ Familien-
Kinder nicht unter sich lösen können. leben? Diese Mutter mit Gehbehinderung – will man ihr
ein zweites Kind ausreden? Der Vater, der nicht arbeitet
– meint man, er bemühe sich nicht wirklich? Die allein er-
Praxisbeispiel: ziehende Mutter, tut sie einem Leid? Findet man, die ka-
In einer Kindergruppe wird die Aufschrift „hautfarben“ tholische Mutter übertreibe es mit ihrer Religiosität? Und
auf der Pflasterpackung zum Thema. „Was bedeutet dass dem Sohn des lesbischen Elternpaars letztendlich
das, was glaubt ihr?“ fragt die Erzieherin. Dass dieses doch der Vater fehle?
Pflaster zur Hautfarbe passt, meinen die Kinder. Es
folgt eine kleine Untersuchung: Kinder vergleichen die Die eigenen Irritationen sind wichtig: Sie geben wertvolle
Pflasterfarbe mit ihrer Hautfarbe, zuerst in der Grup- Hinweise auf das eigene Normen- und Wertegefüge und
pe, dann bei Kindern auf dem Schulhof, dann auch in können der Anlass sein, sich dieses zu vergegenwärtigen.
ihren Familien. Sie stellen fest, dass die Bezeichnung Wie bin ich zu dieser Überzeugung gekommen? Und wa-
„hautfarben“ nicht korrekt und außerdem unfair ist, rum denke ich, dass sie wichtig ist, wie begründe ich sie?
weil die meisten Kinder und Erwachsenen eine ande- Das eigene Wertesystem gehört in der Regel zu den nicht
re Hautfarbe haben. Sie schreiben dem Pflasterher- weiter hinterfragten Selbstverständlichkeiten, die man in
steller einen Brief und erhalten als Antwort eine Paket seinem „kulturellen Gepäck“ mit sich herumträgt. Unter
mit durchsichtigen Pflastern. Die Kinder sind erfreut, „Seinesgleichen“ besteht auch kein Anlass, es auszupac-
diese Pflaster finden sie fair! (berichtet von Derman- ken und zu erklären. Man tut dies nur, wenn andere es
Sparks). nicht verstehen oder dadurch in Frage stellen, dass sie
etwas ganz anderes richtig finden.

Herausforderungen an pädagogische Fachkräfte Um Licht in die eigenen blinden Flecken zu bringen, muss
diese Gelegenheit des In-Frage-Stellens geschaffen und
Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung hat eine klare gesucht werden. Es geht darum, Raum zu geben für an-
Wertorientierung: Unterschiede sind gut, diskriminierende dere Erfahrungen von Menschen, sie anzuhören, wissen-
Vorstellungen und Handlungsweisen sind es nicht. Re- suchende Fragen an sie zu stellen, sie kennen lernen zu
spekt für die Vielfalt findet eine Grenze, wo unfaire Äu- wollen. Günstig ist, eine Fragestellung zu wählen, zu der
ßerungen und Handlungen im Spiel sind. Es gehe dar- alle Beteiligten etwas sagen können. Was und wie sie
um, so Louise Derman-Sparks (1989), die Spannung es sagen, wird unterschiedlich sein. Es entspricht einem
zwischen dem „Respektieren von Unterschieden“ und Prinzip der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung:
dem „Nicht-Akzeptieren von Vorstellungen und Handlun- An Gemeinsamkeiten ansetzen und von da aus Unter-
gen, die unfair sind“, jeweils kreativ auszutragen (Louise schiede beschreiben.
Derman-Sparks, 1989). Es muss also in jedem Einzelfall
überprüft und untersucht werden: Ist das fair? Ist das ge-
recht? Entspricht das der Wahrheit oder ist es eine Ver-
zerrung, um sich über Menschen lustig zu machen? Die
Lernumgebung wird entsprechend verändert: Stereotype
und einseitige Darstellungen von Menschen haben hier
keinen Platz, die Ausstattung wird um fehlende Aspekte
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Beispiel: Das Familienspiel

KINDERWELTEN hat ein Familienspiel entwickelt, das auf den Ausdruck (lebhaft, frech, verträumt, be-
zu einer Auseinandersetzung mit vielfältigen Familien- dürftig…). Auch Hypothesen darüber, wie wohl das Kind
konstellationen und –kulturen auffordert: Es sind 36 Me- ist, werden benannt: Mit diesem Kind kann man Pfer-
mory-Kartenpaare, die jeweils ein Kind und ein Kind mit de stehlen, das sagt seine Meinung, das kriegt die Er-
seiner Familie zeigen. Eine ausführliche Handreichung wachsenen immer rum, das ist anhänglich und leise…
enthält Anregungen, was außer dem „klassischen“ Me- Im zweiten Schritt finden die TeilnehmerInnen die Karte
mory mit den Karten gemacht werden kann, um Gemein- mit der Familie des Kindes. Die Frage lautet nun: Das
samkeiten und Unterschiede zu thematisieren. „Suchen Bild des Kindes im Kreis seiner Familie gibt euch etwas
und finden“ lautet eine Aufforderung, bei der es darum mehr Information über das Kind. Was verändert diese
geht, ganz genau auf die Details zu schauen: Finde das Information? Gibt es Überraschungen? Bestätigun-
Kind mit den Ohrringen, mit der Baseballmütze, mit ei- gen? Meist gibt es hier ein Raunen und nachdenkliche
nem Pferdeschwanz… Finde die Familie mit den Groß- Gesichter, denn einige Familien hat man sich so nicht
eltern, mit dem Hund, mit zwei Papas… Beim „Sortieren vorgestellt! Dass dieses blonde Kind eine Mutter mit
und Zuordnen“ erkennen Kinder bestimmte Merkmale Kopftuch hat! Dass dieses Kind der Sohn eines alleiner-
und beziehen sie aufeinander, wodurch sie ihre Vorstel- ziehenden Vaters ist! Dass dieses Mädchen zwei Väter
lungen hinterfragen und um neue Sichtweisen erweitern hat! Auch bei den Bildern, die das vorherige Bild zu be-
können: Suche Kinder, die schwarzes, blondes, braunes stätigen scheinen, lauern Einseitigkeiten und Vorurteile:
Haar haben. Welche Haarfarben findest du hier nicht? Was drücken wir aus, wenn wir von „vollständigen“ Fa-
Welches Kind hat die gleiche Haarfarbe wie du? Suche milien sprechen? Wenn wir beim dunkelhäutigen Vater
Familien mit einem, zwei, drei, mehr als drei Kindern. denken, er stamme aus Afrika? Wenn wir anerkennend
Wie viele Kinder sind in deiner Familie? „Gespräche finden, der alleinerziehende Vater scheine das alles „er-
über Familien“ können mit Fragen angeregt werden, die staunlich gut zu packen“, während sich die Frage von
Kinder Vermutungen und eigene Erfahrungen äußern Überforderung bei den alleinerziehenden Müttern nicht
lassen: Welche Familien sehen fröhlich aus? Woran er- stellt… Viele Denkanstöße sind es, die eine solche Be-
kennst du das? Was macht dich fröhlich? schäftigung mit dem Familienspiel auslösen. Es eignet
sich als Einstieg in
Das Familienspiel eine vertiefte Ausein-
eignet sich darüber andersetzung mit der
hinaus auch für Re- Tendenz, Menschen
flexionen der Erwach- spontan einzuordnen
senen über spontane und zu bewerten und
Bilder, die sie sich lädt ein, genauer hin-
von Kindern und Fa- zusehen, aus welchen
milien machen und Erfahrungen und Wert-
was diese mit ihren orientierungen sich
Erfahrungen und solche Einordnungen
Wertvorstellungen zu speisen. Da Teilneh-
tun haben: In Fortbil- merInnen auf diesel-
dungen wählen die ben Kinder- und Fami-
TeilnehmerInnen zu- lienbilder unterschied-
nächst das Bild eines lich reagieren und Un-
Kindes aus, das sie terschiedliches hinein
„anspricht“. In Paar- interpretieren, ist die
en tauschen sie sich Möglichkeit von „De-
darüber aus, was sie angesprochen hat: Das Kind zentrierung“, dem Abgehenkönnen vom eigenen Stand-
ähnelt einem Kind, das ich kenne, es ähnelt mir punkt als einzig richtig und wahr, unmittelbar gegeben,
selbst als Kind, ich habe auf den Blick reagiert, die Perspektivenvielfalt liegt auf der Hand.

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Farbenblinde oder touristische Vorgehensweisen sind sich wohl fühlen und zugehörig sind. Die Perspektiven der
kontraproduktive Wege des Umgangs mit Unterschieden 2 : Beteiligten zu erkennen ist die Grundlage für eine partei-
Weder das Leugnen von Unterschieden noch das Zu- liche Intervention, die ein geschärftes Sensorium für Ab-
schreiben von „typischen“ Merkmalen und Gepflogenhei- wertung und Ausgrenzung erfordert und geklärte Stand-
ten an bestimmte Gruppen hilft, die vorhandenen Unter- punkte, worauf es auch in moralischer Hinsicht im Kinder-
schiede und die Gemeinsamkeiten in den Familienkultu- garten ankommt.
ren zu verstehen und kompetent mit ihnen umzugehen.
Schlussfolgerung
Für pädagogische Fachkräfte besteht eine zentrale Heraus-
forderung darin, Perspektivenvielfalt anzuerkennen und Kinder konstruieren ihre Bildungsprozesse eigensin-
gleichzeitig Stellung zu beziehen, d.h. seine moralische nig, aber nicht in einem luftleeren Raum. Sie bauen
Orientierung darüber einzubringen, was für ein gutes Zu- auch die impliziten Botschaften ihrer Bezugspersonen
sammenleben der Menschen akzeptabel oder inakzep- über gut und böse, richtig und falsch in ihr soziales
tabel ist. Gelingt es ihnen, Perspektivenvielfalt nicht als Wissen über die Menschen und über die Regeln ihres
Bedrohung, sondern als Tatsache zu sehen und von blin- Zusammenlebens ein. Zurückhaltung der Erwachse-
den Flecken in ihrer eigenen Wahrnehmung auszugehen, nen ist gefragt bei der Rücknahme von Belehrungs-
so begeben sie sich in einen dialogischen Prozess des aktivitäten auf Grund der realistischen Einschätzung,
Nachfragens, Klärens, Zur-Kenntnis-Nehmens und erneu- dass Kinder nicht einfach das lernen, was sie ihnen
ern ihre Wert- und Normvorstellungen auf einer weiterent- beizubringen versuchen. In moralischer Hinsicht hin-
wickelten Grundlage. gegen dürfen sich ErzieherInnen in der Kita nicht
„raushalten“, denn damit bestätigen sie herrschende
Indem offensiv Gelegenheiten geschaffen und genutzt wer- Mechanismen von Ungleichbehandlung und Ausgren-
den, um von Menschen zu erfahren, was das Besondere zung. Sie müssen explizit Stellung dagegen beziehen.
an ihrer Perspektive ist, erweitert man sein Verständnis Gleichzeitig sind sie verantwortlich für die Gestaltung
dafür, wie dieselbe Situation aus dem Blickwinkel anderer der Lernumgebung: Eine Lernumgebung, die allen
aussehen kann. Vorurteilsbewusstes Intervenieren heißt Kindern Schutz und Zugehörigkeit zusichert, in der re-
dann, hierbei nicht stehen zu bleiben, nach der Maxime. spektvoll mit Unterschieden umgegangen wird und in
„Du siehst es so, ich sehe es eben so.“ Nicht jedes Inter- der Kinder lernen, sich gegen Hänseleien, Ausschluss
esse ist gleichwertig. Erwachsene sind dafür da, Kinder und Ungerechtigkeit zu wehren. Bildungsprozesse un-
vor Abwertung und Geringschätzung zu schützen. Erzie- terstützt man nicht mit moralischer Abstinenz, son-
herInnen müssen dafür sorgen, dass alle Kinder ihr Recht dern mit Klarheit und Dialogbereitschaft.
auf Bildung einlösen können, und hierzu gehört, dass sie

2) Siehe Erläuterungen am Ende des Texts.

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ANHANG: Wenn sich die Figuren auch nicht zur Widerspiegelung


oder Repräsentation dessen eignen, was die Kinder in
Achtung Pseudovielfalt: Der touristische Ansatz der Kindergruppe ausmacht, so übermitteln sie dennoch
Bilder. Stereotype Bilder davon, wie Menschen sind, prä-
Der touristische Ansatz ist dadurch gekennzeichnet, dass gen ganz stark die Vorstellungen über sie, man kann sich
er einen Ausflug in die Welt der „Anderen“ unternimmt, ihrer kaum erwehren. Dies beginnt früh: Die Fülle an Bil-
gleich einer touristischen Reise. Man lernt das kennen, dern in ihrer Lernumgebung vermittelt Kindern wichtige
was „typisch“ ist und findet es besonders interessant, Botschaften über Menschen und geht ein in ihr „Wissen“,
wenn es exotisch, farbenfroh und ungewöhnlich ist. „Be- auch ohne dass sie jemals Kontakt zu ihnen gehabt haben
reichert“ um diese Reiseerfahrung, und vielleicht um ein müssen. Die Bilder sind der Stoff, aus dem Vorurteile auch
prächtiges Souvenir, kehrt man zurück „nach Hause“, wo gemacht sind.
alles so ist wie vorher...

Beispiele touristischer Darstellungens gibt es viele, auch Achtung Pseudogleichheit: Der farbenblinde Ansatz
in der Kita. Zum Beispiel dieses Mobile mit der dekorati-
ven Weltkugel und den bunten, lustigen Figürchen dran. Der farbenblinde Ansatz ist gekennzeichnet von einem
Möglicherweise hat sie jemand angebracht, um Kindern häufig positiv gemeinten Anliegen: „Alle Kinder sind
eine Vorstellung von den „Kindern einer Erde“ zu vermit- gleich, ich mache keine Unterschiede!“ Man möchte nicht,
teln? dass Ungleichheit und Unterschiede thematisiert werden
und dadurch erst recht in die Aufmerksamkeit der Kinder
Wenn man sie genauer betrachtet und sich dabei fragt, gerät. Die vielleicht ohne diese Thematisierung, so ist die
ob sie Kindern Identifikationsangebote geben können, Hoffnung, die Unterschiede gar nicht bemerkt hätten. Das
muss man wohl verneinen. Kein Kind in der Gruppe, das zugrunde liegende Bild vom Kind ist das eines vorurteils-
eine dunkle Hautfarbe hat, wird sich mit der Darstellung freien, grundsätzlich für seine Umgebung und für andere
der „Afrikanerin“ identifizieren können: Mit dem riesigen, Menschen offenen Jungen oder Mädchen, dem das ge-
unförmigen Mund, dem obligatorischen Wasserkrug auf meinsame Spiel wichtiger ist als äußere Unterschiede.
dem Kopf. Kein Kind mit Familienwurzeln in Asien wird Es korrespondiert mit einem Bild vom Kindergarten als
sich identifizieren können mit dem gelbhäutigen Jungen, Schonraum, der von der rauen Wirklichkeit „draußen in
der sogar im Stehen mit Stäbchen Reis isst. Der englische der Gesellschaft“ abgeschirmt bleiben soll, damit Kinder
Gentleman mit Schirm und Melone, die Flamenco tanzen- unbeeinflusst davon ihre Kindheitsjahre genießen kön-
de Spanierin, der Dudelsack spielende Schotte, natürlich nen. In einem solchen Kindergarten gibt es keine Konflik-
im Schottenrock und das holländische Mädchen mit Holz- te, hier wird unbeschwert Kindergeburtstag gefeiert: Alle
schuhen, Häubchen und Tulpe – sie alle sind derart redu- Kinder freuen sich, alle lachen, alle sind süß und nett. (s.
ziert auf ein bestimmtes Stereotyp, dass sie hellhäutige Bild aus: Conny kommt in den Kindergarten. Cornelsen).
Kinder in Europa kaum zur Identifikation einladen. Wer wen einlädt und wen nicht, ist hier kein Thema…

Sind sie eine Anregung zum Thema Vielfalt? Das Mobile Der farbenblinde Ansatz spart etwas aus, was zu den Er-
ist von seinem Informationsgehalt her flach: Jede Figur ist fahrungen von Kindern gehört. Und nimmt sie nicht ernst
ungefähr gleich groß, es gibt jeweils nur eine Figur, Mann in ihrer wachsenden Wahrnehmung der vorhandenen
oder Frau, es gibt die Beschränkung auf einige wenige Unterschiede zwischen Menschen. Im farbenblinden An-
äußere Attribute (Hautfarbe, Bekleidung, Gegenstände), satz wird ignoriert, dass Kinder früh Botschaften darüber
man erfährt nicht, was sie machen und wie andere Men- auswerten, wie bestimmte Merkmale von Menschen be-
schen in dem Land aussehen. In den Fehlinformationen wertet werden und dass sie diese Botschaften von überall
liegen Botschaften, die sich den BetrachterInnen übermit- herbekommen und sich ihren Reim darauf machen. Sie
teln: bekommen sie auch von „farbenblinden“ Erwachsenen
– und lernen von ihnen, dass Unterschiede heikel sind,
n Manche Länder tauchen nicht auf. Sind sie bedeu- denn man darf darüber nicht sprechen… So lassen sich
tungslos? Sind sie so unwichtig, dass es über sie Kompetenzen kaum erwerben, die für soziales Handeln
nicht einmal ein Stereotyp gibt? grundlegend sind: Sich in die Perspektiven anderer hin-
n Das Land der „Autoren“ taucht in der Regel nicht auf. einversetzen, Empathie entwickeln, seine Bedürfnisse,
Im Mobile gibt es keine Deutsche/ keinen Deutschen. Gedanken und Gefühle äußern, erkennen, was fair und
Die Botschaft: Es geht hier um „die Kultur der Ande was unfair ist, Stellung beziehen und Konflikte austra-
ren“, über sie gibt es etwas zu lernen, denn wir selbst gen. Mit der Absicht, Kinder zu schonen, werden sie mit
sind „normal“. bestimmten Erfahrungen alleine gelassen und erhalten
n Die anderen sind homogene Gruppen – und ganz keine Unterstützung für einen kompetenten Umgang mit
anders als wir! Unterschieden und Ungerechtigkeit.

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Literatur

Azun, Serap/ Enßlin, Ute/ Henkys, Barbara/ Krause, Sulzer, Annika/ Wagner, Petra (2011): Inklusion in der
Anke/ Wagner, Petra (2010): Mit Kindern ins Gespräch Frühpädagogik: Qualifikationsanforderungen an die Fach-
kommen. Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung mit kräfte. Expertise für die WIFF im DJI, München. www.wei-
Persona Dolls. Das Praxisheft. Berlin. Zu beziehen über terbildungsinitiative.de
das Projektbüro Kinderwelten.
Wagner, Petra/ Hahn, Stefani/ Enßlin, Ute (Hg.): Mac-
Das Familienspiel (2010). Entwickelt von KINDERWEL- ker, Zicke, Trampeltier ... Vorurteilsbewusste Bildung und
TEN/ Serap Azun. Verlag das Netz. Bestellen bei www. Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Handbuch für die
verlagdasnetz.de (19.90€ plus Porto) Fortbildung. verlag das netz: Berlin 2006

Derman-Sparks, Louise/ A.B.C. Task Force: Anti-Bias- Wagner, Petra (Hrsg.) (2013): Handbuch Inklusion.
Curriculum: Tools for empowering young children. Was- Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erzie-
hington D.C.: NAEYC, 1989 hung. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau

DUK Deutsche UNESCO Kommission (2009): Früh- Wagner, Petra (2011): Diversitätsbewusstsein als Qualifi-
kindliche Bildung inklusiv gestalten: Chancengleichheit kationsanforderung an pädagogische Fachkräfte. In: PFV-
und Qualität sichern. Resolution der 69. Hauptversamm- Jahrbuch, S.94-103. Verlag das Netz: Berlin
lung. Hrsg. v. Dt. UNESCO Kommission. Brühl

IN KÜRZE:

Der Ansatz Vorurteilsbewusster Bildung und tiert, als Ansatz Vorurteilsbewusster Bildung und Erzie-
Erziehung von KINDERWELTEN hung übersetzt und seit 2000 weiter entwickelt. Vorurteils-
bewusste Bildung und Erziehung folgt einer klaren Wert-
Der Ansatz stammt aus den USA, wo er Anti-Bias Ap- orientierung: Unterschiede sind gut, diskriminierende Vor-
proach genannt wird, übersetzt ein Ansatz gegen Einsei- stellungen und Handlungsweisen sind es nicht. Respekt
tigkeiten und Diskriminierung. Gemeint sind Einseitigkei- für die Vielfalt findet eine Grenze, wo unfaire Äußerungen
ten im Sinne von Bevorzugungen oder Benachteiligungen und Handlungen im Spiel sind. Es gehe darum, so Loui-
von jungen Kindern ab dem Krippenalter, die sich auf ihre se Derman-Sparks, die Mitbegründerin des Ansatzes, die
Bildungsprozesse auswirken. Gemeint sind auch Einsei- Spannung zwischen dem „Respektieren von Unterschie-
tigkeiten im Sinne von Beteiligung und Einflussnahme: den“ und dem „Nicht-Akzeptieren von Vorstellungen und
Es geht um das Aufdecken von Mustern in den Abläufen, Handlungen, die unfair sind“, jeweils kreativ auszutragen.
den Personalbesetzungen, der Raumgestaltung und dem Es muss also in jedem Einzelfall überprüft und untersucht
pädagogischen Angebot, die manche Kinder und ihre Fa- werden: Ist das fair? Ist das gerecht? Entspricht das der
milien übergehen, ignorieren, ausgrenzen oder abwerten. Wahrheit oder ist es eine Verzerrung, um sich über Men-
Der Grundgedanke ist, dass alle Kinder sich wohl fühlen schen lustig zu machen? Die Lernumgebung und die In-
und sich zugehörig fühlen müssen, um in der Kita gut teraktion mit Kindern werden entsprechend verändert:
lernen zu können. Und dass eine Kita, in der Kinder auf- Stereotype und einseitige Darstellungen von Menschen
grund eines bestimmten Merkmals ihrer Identität oder ih- haben hier keinen Platz, die Ausstattung wird um fehlende
rer Familienkultur Abwertung und Ausgrenzung erfahren, Aspekte von Vielfalt ergänzt. Einseitigkeiten und Diskrimi-
ohne dass Erwachsene eingreifen und ihnen beistehen, nierung werden mit den Kindern thematisiert, auch in der
kein guter Ort des Aufwachsens ist. Er ist es weder für Zusammenarbeit mit Eltern und in der Zusammenarbeit
die ausgegrenzten Kinder noch für die anderen. Hier zu im Team. Dies geschieht in einer systematischen Ausein-
sein ist für die einen mit einer unmittelbaren Beeinträch- andersetzung mit vier Zielen, die aufeinander aufbauen:
tigung ihres Wohlbefindens und damit ihrer Lernmotivati-
on verbunden. Und alle Kinder verstehen: Hier wird man Ziel 1: Alle Kinder in ihrer Identität stärken
nicht geschützt, Abwertung und Herabwürdigung werden Ziel 2: Allen Kindern Erfahrungen mit Vielfalt ermöglichen
geduldet.
Ziel 3: Kritisches Denken über Gerechtigkeit und Fairness
Der Anti-Bias Approach wurde in Berlin im Rahmen von anregen
KINDERWELTEN für Verhältnisse in Deutschland adap- Ziel 4: Aktivwerden gegen Unrecht und Diskriminierung
8
Zur Sache...
www.kath-kita-bayern.de
info@kath-kita-bayern.de

In einem ersten Projekt KINDERWELTEN (2000-2003) Die Fachstelle bietet Beratung, Fortbildungen und Publi-
wurden diese Ziele und die dazu gehörenden Prinzipien kationen zur Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung
zur Umsetzung in Kitapraxis für die Situation in Deutsch- an und führt Veranstaltungen und Vertiefungsprojekte
land adaptiert, der Ansatz als „Vorurteilsbewusste Bildung durch. g www.kinderwelten.net
und Erziehung“ übersetzt: Frei von Vorurteilen kann nie-
mand sein, aber jeder und jede kann versuchen, sich der Träger der Fachstelle wie auch der vorangegangenen
Vorurteile bewusst zu werden, die er oder sie hat, und zu KINDERWELTEN-Projekte ist das Institut für den Situa-
verstehen, woher sie rühren, welche Funktion sie erfüllen tionsansatz ISTA in der Internationalen Akademie INA
und welche Auswirkungen sie haben. gGmbH in Berlin.

In einem zweiten Projekt (g 2004-2007) wurde der An- Kontakt:


satz in über 30 Kitas in drei Projektregionen verbreitet und
weiter entwickelt (Baden-Württemberg, Thüringen, Nie- KINDERWELTEN Fachstelle
dersachsen). In einem dritten Projekt KINDERWELTEN Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung
(g 2007-2010) fand die Ausweitung in 8 Kompetenzker-
nen statt, in denen bundesweit neben fast 50 Kitas auch Institut für den Situationsansatz/
10 Grundschulen und 18 Fachschulen für Sozialpädago- Internationale Akademie INA gGmbH
gik beteiligt waren. Das Projekt wurde gefördert mit Mitteln
des BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Vielfalt Leitung: Petra Wagner
tut gut“ und der Bernard van Leer Fundation, die KINDER- petra.wagner@kinderwelten.net
WELTEN seit 2000 ermöglicht hat. www.kinderwelten.net
www.situationsansatz.de
Ab August 2011 unterstützte die Bernard van Leer Foun-
dation den Aufbau der Fachstelle KINDERWELTEN für
Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung, um die in den Dezember 2014
Projekten entwickelten Praxis- und Fortbildungskonzepte Petra Wagner
einer breiten Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen.

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