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Einzelkämpfer
28.10.–03.11.2013
56. InternationalES
LeipzigER Festival für
Dokumentar- uND
AnimationsFilm
www.Dok-leipzig.de
Filmheft | Einzelkämpfer | 1
Mit seinen Schulvermittlungsprojekten bietet DOK Leipzig Lehrern/innen die Möglichkeit, sich gemein-
sam mit ihren Schülern/innen ausgesuchte Dokumentarfilme im Kino anzuschauen.
Das Vermittlungskonzept von „DOK macht Schule“ besteht aus drei Teilen:
• Schulvorbereitungsstunden vor der Vorführung in den Schulklassen
• Filmhefte, die den Lehrern/innen eine individuelle Vor- und Nachbereitung ermöglichen
Inhaltsverzeichnis
DOK macht Schule2
Inhalt3
Thema4
Filmische Mittel10
Materialien15
Unterrichtsvorschläge14
Literaturhinweise, Links und
Filmempfehlungen17
Impressum
Herausgeber:
Dok Leipzig (V.i.S.d.P.) und Bundeszentrale für politische Bildung/bpb
Adresse:
Leipziger Dok-Filmwochen GmbH, Katharinenstr. 17, 04109 Leipzig, Tel.: +49 (0)341 30864-0,
Fax: +49 (0)341 30864-15, info@dok-leipzig.de, www.dok-leipzig.de
und
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Fachbereich Multimedia, Adenauerallee 86, 53113 Bonn,
Tel.: +49 (0)228 99-515-0, Fax: +49 (0)228 99-515-113, info@bpb.de, www.bpb.de
Autorin: Luc-Carolin Ziemann
Redaktion: Katrin Willmann (bpb), Andreas Kötzing, Marie Schreier (bpb)
Layout: Lisa Gerkens
Bildnachweis: Lichtblick Media GmbH
Lizenziert nach der Creative Commons Attribution-noncommercial-noDerivs 3.0 Germany License
© Juni 2013
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Inhalt
Filmografie
Wick-a-Woo – Are you ready (2004), Dinner für Kalle (2005), Wunderland (2006), Besuch zum Mittag
(2007), Königskinder (2007), In Zeiten des Booms (2008), Klavierstunde (2009), Einzelkämpfer (2013)
Einzelkämpfer
Deutschland 2013, 93 min., DCP, Farbe
Buch & Regie: Sandra Kaudelka
Produktion: Martin Heisler
Kamera: Jenny Lou Ziegel, Hendrik Reichel
Schnitt: Sandra Kaudelka, Vessela Martschewski
Originalton: Felix Heibges
Sound Design: Daniel Engel
Mischung: Alexander Leser
Musik: Cassis Birgit Staudt
Redaktion ZDF: Christian Cloos
Eine Lichtblick Media Filmproduktion in Koproduktion mit ZDF „Das Kleine Fernsehspiel“ und dffb, Berlin
Altersempfehlung: ab 12 Jahren
Klassenstufen: 7-13
Themen: Deutsche Geschichte, Sozialismus, Sport, Manipulation, Vorbilder, Doping
Unterrichtsfächer: Gemeinschaftskunde/Ethik, Sport, Politik, Geschichte, Religion, Deutsch
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So klein die DDR als Land war, so groß war sie stungssportlerin vorbereitet. Die Erinnerungen an
im Sport. Immer wieder beeindruckten DDR-Ath- das harte Training verfolgen sie bis heute und führten
leten bei internationalen Wettkämpfen. Die heraus- sie schließlich zu der Frage, warum Menschen bereit
ragenden Leistungen ihrer Spitzensportler waren sind, als Sportler regelmäßig die Grenze ihrer men-
für die DDR ein wichtiges Instrument, um das Re- talen und körperlichen Leistungsfähigkeit zu über-
nommee des SED-Staates außen- und innenpolitisch schreiten und durch Doping sogar ihre Gesundheit
zu steigern. Die Sportler galten als „Diplomaten im zu riskieren.
blauen Trainingsanzug“. Ein staatlich organisiertes In ihrem Film macht Kaudelka sich auf die filmische
Fördersystem sollte für stetigen Nachschub an Spit- Suche nach den sportlichen Idolen ihrer Kindheit. Sie
zenathleten sorgen, damit der Medaillenregen nicht porträtiert vier ehemalige DDR-Athleten, die mit ihr
versiegte. Das sogenannte „DDR-Sportwunder“, das über ihre aktive Zeit und das Leben danach sprechen:
bis heute das Selbstverständnis und die Identität vie- die dreifache Europameisterin im Wasserspringen
ler Ostdeutscher prägt, ist nicht nur das Ergebnis ge- Brita Baldus, die Weltrekord-Staffelläuferin Ines Gei-
schickter Talentförderung, sondern fußt auch darauf, pel, der Olympiasieger im Kugelstoßen Udo Beyer
dass die Bedürfnisse des Individuums dem unbe- und die 400-Meter-Weltrekordlerin Marita Koch.
dingten Erfolgswunsch untergeordnet werden muss- Sie alle führen heute, mehr als zwanzig Jahre nach
ten. Inzwischen weiß man, dass die herausragenden dem Mauerfall, ein ganz anderes Leben und bewer-
Leistungen der DDR-Kader auch auf das staatlich ten das DDR-Sportsystem sehr unterschiedlich. In
organisierte Doping zurückzuführen sind, dem die der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, die aufs
Sportler häufig ohne ihr Wissen und ihre Zustim- engste mit dem politischen System verknüpft ist, sind
mung ausgesetzt waren. sie letztlich alle Einzelkämpfer.
Die Regisseurin Sandra Kaudelka war selbst jahre-
lang Teil des DDR-Sportsystems. Obwohl sie an Sport
kaum interessiert war, wurde sie schon im Kinder-
garten als talentierte Turmspringerin „entdeckt“ und
fortan in der Sportschule auf eine Karriere als Lei-
Filmheft | Einzelkämpfer | 4
Thema
Der Sport hatte in der DDR
eine besondere Bedeutung: Er
wurde intensiv staatlich gefördert
und seine Relevanz war sogar in
der Verfassung verankert. Dabei
wurde der Sport explizit nicht als
„Selbstzweck, sondern [als] Mittel
zum Zweck“ , nämlich der Heraus-
bildung der „sozialistischen Per-
sönlichkeit“ verstanden, wie der
letzte Staatsratsvorsitzende der
DDR, Erich Honecker, schon 1948
betonte. Die sportlichen Erfolge
der DDR-Athleten sollten das in-
ternationale Ansehen der DDR
verbessern – jede Goldmedaille
galt als Beweis für die Überlegen-
heit des Sozialismus.
Tests (etwa des Sprungvermögens
und der Schnelligkeit). Die Vor- Sozialistische Persönlichkeit
Erklärtes Ziel der SED war die Schaffung
Das Sportsystem der DDR lieben und Interessen der Kinder eines neuen „sozialistischen Menschen“.
Das DDR-Sportsystem war kom- spielten nur eine Nebenrolle. So Auf der Grundlage der marxistischen Ge-
sollte aus Sandra Kaudelka eine sellschaftstheorie wurde diese Idealvor-
plex: diverse Sportgemeinschaf- stellung in das Leitbild der „allseitig ent-
ten, Wettbewerbe (Spartakiaden Wasserspringerin werden, obwohl wickelten sozialistischen Persönlichkeit“
etc.) und Abzeichen, sowie spezi- sie Angst vor dem Springen hatte gefasst. Deren historisch neue Qualitäten
sollten die Einnahme eines sozialistischen
elle Kinder- und Jugendsportschu- – es reichte, dass sie klein und zier- Klassenstandpunktes, Verantwortungs-
len (KJS) und Trainingszentren lich war und über gute Koordinati- bewusstsein für das Ganze, allseitige
onsfähigkeiten verfügte, um sie als Bildung, hohes fachliches Wissen und
bildeten ein nationales System, Können, sozialistischer Gemeinschafts-
aus dem tatsächlich ungewöhn- geeignet erscheinen zu lassen. geist, Disziplin, kulturelle Aktivität und
lich viele Spitzensportler/innen Gefördert wurden die so ent- Interessiertheit sein. Die Arbeiterklasse
sei als herrschende Klasse berufen, diese
hervorgingen. Als Grundlage des deckten Talente vorrangig in den sozialistische Menschengemeinschaft zu
Sportsystems galt die staatlich or- Kinder- und Jugendsportschulen schaffen.
ganisierte Talentsuche, die bereits (KJS), die in der DDR einen be-
Sportgemeinschaften
im Kindergarten einsetzte. Ver- sonderen Status hatten. Für die In der DDR wurde Sport selten individuell
schiedene obligatorische Wett- Aufnahme konnte man sich nicht betrieben, sondern war in verschiedenen
Gruppenformen organisiert. Es gab Be-
kämpfe boten die Möglichkeit, auf bewerben, man wurde von Trai- triebssportgemeinschaften (BSG), Sport-
breiter Basis sportlich talentierte ner/innen oder Lehrer/innen vor- gemeinschaften (SG) und Schulsport-
geschlagen oder während eines gemeinschaften (SSG), in denen die
Kinder zu entdecken. Ab 1973 Mitgliedschaft sehr günstig oder sogar
wurde ergänzend dazu die „Ein- Wettbewerbes oder einer Sich- kostenlos war.
heitliche Sichtung und Auswahl tung als Talent „entdeckt“. Auf-
Kinder- und Jugendspartakiaden
(ESA)“, eine landesweite, allge- genommen wurden in der Regel Spartakiaden waren Sportwettkämpfe,
meinsportliche Überprüfung der nur Kinder, die die hohen körper- die in der DDR und anderen Ländern
lichen und sportlichen Vorausset- des Ostblocks regelmäßig auf Kreis- und
Schüler/innen in den Klassenstu- Bezirksebene durchgeführt wurden, um
fen 1, 3 und 6 durchgeführt. Hier zungen erfüllten, ausgezeichne- schließlich in den DDR-Meisterschaften
ging es vorrangig um die Begut- te Schulnoten vorweisen konnten zu münden. Hier sollten Kinder und Ju-
gendliche zu regelmäßiger sportlicher
achtung körperlicher Merkmale und aus politisch untadeligem El- Betätigung animiert werden. Sie dienten
wie Größe und Körperbau und die ternhaus kamen. Der Großteil aber auch zu Sichtungszwecken, um früh-
der KJS-Schüler wurde im Inter- zeitig potenzielle Leistungssportler zu er-
Auswertung einfacher sportlicher kennen.
nat untergebracht. Neben dem
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• Beschreibt verschiedene Gründe, aus denen Men- • Udo Beyer spricht im Film davon, der Leistungs-
schen Sport treiben. Diskutiert darüber, inwiefern sport in der DDR sei wie ein „Kapitalismus im So-
sich die Motive von Leistungs- und Freizeitsport- zialismus“ gewesen. Was ist damit gemeint?
lern unterscheiden.
• „Jeder war im DDR-Sport Einzelkämpfer, man musste
• Die Regisseurin Sandra Kaudelka war Wasser- sich gegen den Druck des Systems behaupten“, sagt Ines
springerin wider Willen. Erklärt, wie es dazu kam. Geipel. Überlegt gemeinsam, warum sich unter
den Sportlern/innen keine Gemeinschaft gebildet
• Sportler/innen galten in den DDR als „Diplo- hat, die gemeinsam Kritik artikuliert hat.
maten im Trainingsanzug“. Diskutiert darüber,
was mit dieser Formulierung gemeint sein könnte. • „Ich habe die Teilung des Landes im Bauch ausgetragen.“
Tragt an der Tafel zusammen, welche Aufgaben Erläutert, was Ines Geipel mit diesem Satz meint.
Diplomaten zu erfüllen haben. Teilt euch in Klein-
gruppen auch und diskutiert darüber, ob Sportler/ • Wie sieht das Leben der vier Sportler/innen heute
innen diese „politische“ Mission übernehmen aus? Wie haben ihre Erfahrungen als Sportler ihr
können oder nicht. Bündelt die Ergebnisse eurer Leben in der Gegenwart geprägt?
Gruppen-Diskussionen und tragt sie euren Mit-
schüler/innen vor.
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FILMISCHE MITTEL
Dokumentarfilm
Im weitesten Sinne bezeichnet der Begriff
non-fiktionale Filme, die mit Material, das
sie in der Realität vorfinden, einen Aspekt
der Wirklichkeit abbilden. John Grierson,
der den Begriff prägte, verstand darunter
den Versuch, mit der Kamera eine wah-
re, aber dennoch dramatisierte Version
des Lebens zu erstellen; er verlangte von
Dokumentarfilmern/innen einen schöp-
ferischen Umgang mit der Realität. Im
Allgemeinen verbindet sich mit dem Do-
kumentarfilm ein Anspruch an Authentizi-
tät, Wahrheit und einen sozialkritischen
Impetus, oft und fälschlicherweise auch
an Objektivität. In den letzten Jahren ist
der Trend zu beobachten, dass in Misch-
formen (Doku-Drama, Fake- oder Perfor-
ming-Doku) dokumentarische und fikti-
onale Elemente ineinander fließen und
Sandra Kaudelkas Doku- ganz bewusst auf einen objektiven sich Genregrenzen auflösen.
mentarfilm beginnt mit einer Erzähler, der Zuschauer/innen aus Exposition
Schwimmhallenszene, in der klassischen TV-Dokumentationen Einführung und Schilderung der Aus-
gangssituation eines Films. Die Expo-
viele Mädchen und Jungen ins vertraut ist, in denen die Illusion sition ist ein wichtiger Bestandteil der
tiefe Wasser springen und dabei einer historischen „Wahrheit“ ge- filmischen Dramaturgie. Ähnlich wie in
fröhlich in die Kamera winken. nährt wird. der Literatur führt sie in Grundstimmung,
Handlungsort, -zeit, und -situation ein,
Im Off-Kommentar hört man die Sandra Kaudelka will Antworten stellt die Hauptfiguren vor und gibt unter
Stimme der Regisseurin, die die auf persönliche Fragen finden, die Umständen schon erste Hinweise auf den
Ausgang der Handlung.
Erzählung mit den Worten begin- sie seit ihrer Kindheit bewegen:
nt: „Wenn ich an meine Kindheit Warum haben sich in der DDR so Montage /
denke, denke ich an Chlorwasser“. viele Menschen meist freiwillig für Schnitt im Dokumentarfilm
Als Schnitt oder Montage bezeichnet
Anschließend skizziert sie mit we- den Leistungssport entschieden? man die Anordnung und Zusammenstel-
nigen Sätzen ihre persönliche Ge- Wie ist es den einstigen DDR- lung der einzelnen Bildelemente eines
Filmes einschließlich der Szenenfolge
schichte, die die Bilder der fröhlich Spitzensportlern/innen nach dem und der Anordnung der verschiedenen
lachenden Kinder konterkariert. Ende der DDR ergangen? Sequenzen. In der Filmmontage entsteht
In dieser kurzen Exposition wird So selbstverständlich diese per- aus den einzelnen Filmszenen eine Er-
zählung, ein filmischer Text. Dabei ist
das wichtigste stilbildende Ele- sönliche Herangehensweise im die Bezeichnung Filmschnitt eigentlich
ment des Films „Einzelkämpfer“, Film erscheint, so wenig war sie irreführend, denn die Kunst der Montage
liegt nicht in virtuos gesetzten Schnitten,
die bewusst persönliche Erzähl- Bestandteil des ursprünglichen sondern in der Interpretation des Mate-
perspektive, bereits deutlich. Konzepts. Sie hatte einfach nie- rials und im Zusammenfügen einzelner
manden gefunden, der eine Ge- Elemente zu einer großen Erzählung. Im
Dokumentarfilm ist die Filmmontage für
Erzählhaltung: schichte wie die ihre erlebt hatte die Dramaturgie des Films mindestens
Die Ich-Erzählerin und bereit war, darüber vor der ebenso wichtig wie die Drehbucharbeit,
Die Erzählhaltung prägt Filme da beide mit dem Aufbau der Geschichte
Kamera zu berichten, betont Kau- des Films befasst sind
auf ganz entscheidende Weise, delka. Damit wäre aber die Per-
egal ob Dokumentar- oder Spiel- spektive des Kindes, das unge-
film. Bei ihrem Debütfilm „Einzel- wollt ins Leistungssportsystem
kämpfer“ hat sich Sandra Kaudelka der DDR rutscht, verloren gegan-
für die sehr persönliche Ich-Per- gen. Um das zu verhindern, wurde
spektive entschieden. Indem sie Kaudelka zur Erzählerin ihrer ei-
ihre eigene Betroffenheit zum genen Geschichte und avancierte
Ausgangspunkt der filmischen damit zur fünften Mitwirkenden
Recherche macht, verzichtet sie ihres eigenen Films.
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Während der Interviews stell- Rostocker Strand einen Tiefstart aus dem Rahmen, doch der ehe-
te sich heraus, dass diese Erzähl- (und geht lachend zu Boden) und maligen Leichtathletin gelingt es,
haltung den Film auch in anderer Ines Geipel posiert vor ihrem ei- beide Rollen auszufüllen. Wenn
Hinsicht prägte. Indem die Regis- genen Portrait bei einer nachge- sie die juristischen Hintergrün-
seurin nicht nur fragende Filme- stellten Staffelübergabe. Alle drei de des Dopingprozesses erläutert,
macherin, sondern zugleich be- nehmen eine gewisse ironische tritt sie als „Expertin“ in Erschei-
troffene Sportler/in ist, wurden Distanz zu ihrer Haltung ein. An- nung. Wenn Sie mit stockenden
aus den Interviews intensive Ge- ders geht es Brita Baldus, der man Interview
spräche auf „Augenhöhe“. deutlich anmerkt, dass es bei ihr Interviews dienen der Informationsbe-
innerlich noch immer „klick“ schaffung und der Recherche. Sie ge-
hören in Dokumentarfilmen und ande-
Die Inszenierung der macht und ihr das Adrenalin in die ren dokumentarischen Formaten zu den
Mitwirkenden Adern schießt, wenn sie die Arme wichtigsten Bestandteilen. Im Grunde
ist ein Interview eine Befragung, bei der
Sandra Kaudelka setzt ihre vier hebt und sich zum Sprung streckt. die Rollen klar verteilt sind: Ein Intervie-
Gesprächspartner/innen auf ver- In dieser Szene spürt man förm- wer fragt, der Interviewpartner antwortet.
schiedene Weisen ins Bild. Die lich, dass sich die Sportlervergan- Vor dem Interview muss deutlich verab-
redet werden, dass dieses Gespräch zur
Gespräche werden häufig an genheit nicht so leicht abschütteln Veröffentlichung bestimmt ist. Im fertigen
einem ruhigen Ort im Sitzen mit lässt. Film können Interviews ganz unterschied-
lich eingebunden werden. Am häufigsten
der klassischen halbnahen Inter- Es ist auffällig, dass in diesem wird auf das „Sit-Down-Interview“ zu-
view-Einstellung gefilmt. Dane- Dokumentarfilm ausschließlich rückgegriffen, das in einem ruhigen, ab-
Sportler/innen zu Wort kommen. geschlossenen Raum geführt und in dem
ben begleitet die Kamera die Mit- der Interviewte häufig in einer Halbnah-
wirkenden auch im Alltag, zeigt Auf den Einsatz von Experten/ oder Naheinstellung gefilmt wird, bei der
sie mit ihren Familien, bei der Ar- innen, die Hintergründe erläu- Kopf und Schultern sichtbar sind. Diese
Einstellung wird auch als „Talking Heads“
beit und bei offiziellen Anlässen in tern oder historische Fakten lie- bezeichnet.
der Öffentlichkeit. Ergänzend hat fern, wird ganz verzichtet. Das
gleiche gilt für Sportfunktionäre/ Kommentar/Voice-Over
die Regisseurin die vier ehema- Auf der Tonspur vermittelt eine Erzähler-
ligen Sportler/innen gebeten, sich innen. Die Mitwirkenden sind aus- stimme Informationen, die dem besseren
noch einmal in ihre „typischen“ schließlich Experten/innen in ei- Verständnis der Geschichte dienen sol-
len und mitunter Ereignisse zusammen-
Sportposen zu begeben. In diesen gener Sache. fassen, die nicht im Bild zu sehen sind. Im
„Reenactments“ steht Udo Beyer Nur Ines Geipel, die sowohl frühen Dokumentarfilm war es üblich, die
Opfer des DDR-Sportsystems als Bilder, die damals meist noch ohne Ton
plötzlich mit seiner Olympiakugel aufgenommen wurden, mit einem sehr
auf dem Bürgersteig vor seinem auch Spezialistin für das Thema starken Kommentar zu versehen. Ge-
Reisebüro, Marita Koch probt am Doping ist, fällt diesbezüglich gen die Verwendung solcher autoritären
Kommentare regte sich Widerstand, als
es mit der Entwicklung neuer Kamera-
technik Ende der 1950er-Jahre möglich
wurde, dokumentarische Bilder auch
mit Original-Ton aufzunehmen. Ab den
1960er-Jahren entstanden immer mehr
Dokumentarfilme, die bewusst auf einen
Kommentar verzichteten.
Reenactment
Mit dem filmischen Reenactment (engl.
Nachstellung, Wiederaufführung) be-
zeichnet man den Versuch, historische
Momente in möglichst authentischer
Weise in Szene zu setzen, um sie für die
Zuschauer/innen erlebbar zu machen.
Gerade in dokumentarischen Formaten
werden mit dem Reenactment Szenen,
bei denen keine Kamera anwesend war,
nachträglich inszeniert, also mit Darstel-
lern ins Bild gesetzt. Diese Praxis wird
häufig als zu spekulativ kritisiert.
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Worten enthüllt, was die Staats- Arten von Archivmaterial. Darun- Investigativer Journalismus
sicherheit ihr persönlich angetan ter sind Aufnahmen aus Rund- Diese spezielle Form des Journalismus
kommt zum Einsatz bei der Aufdeckung
hat, erleben wir sie als körperlich funkarchiven (sowohl der DDR als von Skandalen in Wirtschaft oder Poli-
und seelisch verletzte Frau, die auch der BRD und anderer west- tik. Elementarer Bestandteil des investi-
gativen Journalismus ist eine detaillierte
auch Jahrzehnte später schwer licher Länder) aber auch private und umfangreiche Recherchearbeit, die
fassen kann, welch perfider Me- Videoaufnahmen von Sandra Kau- bisher unbekannte (oder verdeckt gehal-
thoden sich die DDR-Sportfunk- delka als Wasserspringerin aus den tene) Informationen und Zusammenhän-
ge aufdeckt.
tionäre bedienten, wenn sie ihre 1980er-Jahren.
Autorität in Frage gestellt sahen. Die „offiziellen“ TV-Materialien rin selbst mit erklärenden Anmer-
Udo Beyer, der das DDR-Sport- zeigen verschiedene Wettkämp- kungen („Wir haben das Training
system viel positiver bewertet fe und auch die klassischen Ju- verweigert, wir wollten, dass man uns
als Geipel, ist ebenfalls ein Ge- belbilder vom Turnfest in Leipzig gehen lässt.“). Dadurch kann man
sprächspartner, der kein Blatt vor fehlen nicht. Sie werden ergänzt erahnen, wie groß der Druck auf
den Mund nimmt, so dass diese durch Hintergrundreportagen: die jungen Sportler/innen gewe-
beiden Mitwirkenden zusammen Udo Beyer wird zum Beispiel beim sen ist.
einen nachhaltigen Eindruck der Besuch des DDR-Fernsehens einer Sandra Kaudelka hat sich für
enormen Bandbreite möglicher re- Kindertagesstätte gezeigt und den Umgang mit den verschie-
trospektiver Sichtweisen und Posi- Marita Koch in ihrer neuen Woh- denen Materialien eine eigene
tionen vermitteln. nung gefilmt. Zu sehen ist ein Dramaturgie erarbeitet, die einen
Zwischen diesen klar gesetzten durchweg positives Bild der DDR, Schwerpunkt auf die gestalte-
Antipoden lernt man mit Brita in der glückliche Bürger/innen rischen Möglichkeiten des Kom-
Baldus und Marita Koch zwei sich beim gemeinsamen Sporttrei- mentars legt. Sie durchsetzt die
Sportler/innen kennen, die dem ben treffen und Leistungssport- historischen Original-Kommen-
DDR-Sportsystem deutlich ambi- ler/innen bereit sind, „für ihr so- tare teilweise kontrapunktisch mit
valenter gegenüber stehen. zialistisches Vaterland“ alles zu persönlichen Erklärungen und
Sandra Kaudelka agiert in den geben. Wie es bis heute im Fernse- schafft auf diese Weise einen Di-
Gesprächen nicht wie eine inve- hen üblich ist, stehen die Aufnah- alog der offiziellen Darstellung
stigative Journalistin, sondern men selten „pur“ für sich, sondern mit ihrer eigenen Wahrnehmung.
versucht, eine Gesprächspartne- sind durchgängig mit einem OFF- Auf eine ähnliche Art wird auch
rin auf Augenhöhe zu sein. Dass Kommentar unterlegt. Durch die das aktuelle Interviewmaterial mit
die Regisseurin im Gespräch mit erläuternde Interpretation wirken den Archivaufnahmen, darunter
Marita Koch in der Dopingfrage die Bilder heute sehr historisch. auch viele Fotos aus Privatarchi-
leicht befangen wirkt und nicht Bei den Videoaufnahmen vom ven, in ein produktives Span-
nachhakt, erklärt sie selbst damit, Sprungtraining der jungen Sandra nungsverhältnis gebracht.
dass es ihr eben nicht darum ge- Kaudelka in Leipzig handelt es sich Schließlich endet „Einzelkämp-
gangen sei, Dopingsünder über- um Amateuraufnahmen. Die kör- fer“ ganz bewusst im Hier und
führen. Sie wollte wissen, wie nigen Videobilder aus dem Jahre Jetzt. Die Kamera begleitet die
die Vorzeigeathleten in der DDR 1989 zeigen Sandra und ihre Trai- vier ehemaligen Sportler/innen
gelebt haben und zeigen, wie ningsgruppe in der Schwimmhal- ein letztes Mal in ihren Alltag und
Menschen, die so lange Teil des le und fokussieren immer wieder zeigt, wie sie in der Gegenwart an-
Sportsystems waren, heute damit auf die damals 12-jährige, die auf gekommen sind und damit auch
umgehen. dem Sprungbrett steht, den Kopf ihr Sportlerleben ein Stück weit
hängen lässt und dann sich – zit- zurück gelassen haben – wenn
ternd vor Kälte – auf eine Bank auch die Erfahrungen als Spit-
Archivmaterial: Die Arbeit
zurückzieht und den nächsten zensportler/innen in der DDR sie
mit historischem Material
Sprung verweigert. Diese an sich immer begleiten werden.
Neben Interviews und beglei-
tenden Aufnahmen aus dem All- nicht besonders spektakulären
tag nutzt der Film verschiedene Bilder kommentiert die Regisseu-
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Unterrichtsvorschläge
MATERIALIEN
Schaden dem Ansehen des DDR-Leistungssports beifügen. nen inoffiziellen Arbeitgebern auf offene Ohren. Die
Mit dem Vorsitzenden des SC Motor Jena wird eine Ausspra- Herren traten daraufhin tatsächlich an, klingelten
che geführt und ihm mitgeteilt, dass die Schmidt von ihrem auch an meiner Tür, kamen jedoch nicht über deren
leistungssportlichen Auftrag zu entbinden ist und aus dem Schwelle. Die Stasinummer war am Ende, Falkenthal
SC Motor Jena ausdelegiert wird. Von diesem Sachverhalt ist jedoch war es nicht. Er war im Schutz der Macht und
der Vizepräsident des DTSB Genosse Köhler zu informieren.“ hatte ein Ziel. Im Zusammenhang mit einer Unter-
[…] Im Folgenden wurden diverse Spitzel auf mich an- leibsoperation noch im Jahr 1984 sah sein Selbstfes-
gesetzt. Einer davon mit bürgerlichem Namen Jürgen selungsplan vor, mich damit „zumindest längere Zeit auf
Falkenthal, Speerwerfer, Nachbar und vermeintlicher Eis legen zu können.“ Wenn schon nicht anders möglich,
Freund, der unter dem Decknamen „Ilja Vogelberg“ sollten Bestzeiten und damit die Möglichkeit zur Re-
mehr als 3000 Seiten Stasiberichte über den gesamt- publikflucht über den medizinischen Weg verhindert
en Sportclub lieferte. Falkenthal – offenbar unter Er- werden. Erst bei einer Neuöffnung des Bauches durch
folgsdruck – versuchte bei seinen Stasi-Arbeitgebern einen sorgsamen Chirurgen in einem Berliner Klini-
zu punkten. Zunächst schlug er findungsreich vor, in kum zwanzig Jahre später – im Jahr 2004 – konnte
der DDR einen ähnlich aussehenden Mann wie Erne- geklärt werden, was es mit besagter Eisliege-Aktion
sto Canto per Foto zu ermitteln, damit ich von der ge- auf sich hatte: Mein gesamter Bauch samt Muskula-
planten Flucht ablassen würde. Ein aztekischer Kopf tur war durchschnitten worden. Alle inneren Organe
schien im Land jedoch nicht ohne weiteres auffindbar. waren verletzt.“
Und so wusste der diensteifrige Falkenthal denn bald
zu berichten, dass ich Alkoholikerin geworden war Ines Geipel in ihrer Dankesrede zur Verleihung des
bzw. zur Prostituierten avancierte. Details erübrigen DJK-Ethik-Preis des Sports 2011
sich an der Stelle, aber in seinem Bericht vom 7. 11.
1984 heißt es dann: „Vielleicht wäre die Situation, in der
sich die Schmidt derzeit befindet genau das Richtige, sie an die
Wand zu nageln und in ihr eine hörige Mitarbeiterin für uns
zu erzielen, die sich dadurch selbst fesselt.“ Sein Vorschlag,
mich für den Geheimdienst zu werben, stieß bei sei-
Filmheft | Einzelkämpfer | 17
Literaturhinweise, Links
Kinofenster
Das Onlineportal für Filmbildung der bpb und der Vision Kino gGmbH – Netzwerk für Film- und Medien-
kompetenz, das sich insbesondere an Lehrer/innen und Multiplikatoren/innen wendet.
www.kinofenster.de
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Eine kurze Geschichte des Dokumentarfilms
Überblickstext mit besonderem Fokus auf der Frage , inwieweit Dokumentarfilm überhaupt in der Lage ist,
die Wirklichkeit auf die Leinwand zu bannen.
www.kinofenster.de/filmeundthemen/archivmonatsausgaben/kf0711/wie_wirklich_ist_die_wirklichkeit/
Dokumentarfilm in Deutschland
Seit Jahren erschließt sich der Dokumentarfilm kontinuierlich ein immer größer werdendes Kino-Publi-
kum in Deutschland. Dieser Text gibt eine kurze Einführung in die Entwicklungen des Genres.
www.goethe.de/kue/flm/fmg/de964789.htm
Dokumentarfilm über die Lebensgeschichte des wahrscheinlich besten Radsportlers der DDR. Weil er sich
weigerte, in die SED einzutreten, blieb ihm eine internationale Karriere verwehrt.
„Die Goldmacher – Sport in der DDR“, Regie: Albert Knechtel, Deutschland 2008, 94 min.
Dokumentarischer Rückblick auf 40 Jahre Sport in der DDR und dessen Bedeutung für die Identifikation
mit dem Staat.
„Ich habe ein behindertes Kind“, Regie: Hans-Joachim Seppelt, TV-Beitrag, Deutschland 2000, 9 min.
Dieser Beitrag schildert, wie Funktionäre rücksichtslos die Überlegenheit des Sozialismus im Sport de-
monstrieren wollten, indem Trainer und Sportmediziner ihre Schützlinge dopten.
http://www.bpb.de/mediathek/649/ich-habe-ein-behindertes-kind
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„Bigger Stronger Faster“, Regie: Chris Bell, USA 2008, 105 min.
Ein Dokumentarfilm über den die Zusammenhänge zwischen dem „Amerikanischen Traum“, der Kultur
der Superlative und dem vermehrten Missbrauch von Anabolika in den USA.
Bette, Karl-Heinrich; Schimank, Uwe: Doping: der entfesselte Leistungssport. Dossier der BPB, Siehe: http://
www.bpb.de/apuz/31085/doping-der-entfesselte-leistungssport?p=all
Geiger, Hansjörg: Sport und Staatssicherheit: Überwachung, Verfolgung und Außendarstellung, in: En-
quete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (Hrsg.):
Band III.2 Rolle und Bedeutung der Ideologie, integrativer Faktoren und disziplinierender Praktiken in Staat
und Gesellschaft der DDR, Frankfurt - Baden Baden 1995, S. 662-674
Geipel, Ines: No Limit. Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft? Stuttgart 2008
Spitzer, Giselher: Doping in der DDR. Ein historischer Überblick zu einer konspirativen Praxis. Köln 1998.
www.bpb.de/shop/lernen/themenblaetter/36669/sport-und-welt-politik
Saubere Leistung? – Grenzen akzeptieren. Acht Module für einen fächerübergreifenden Unterricht zum
Problemfeld Doping
www.bpb.de/shop/lernen/themen-und-materialien/154163/saubere-leistung-grenzen-akzeptieren
Planet Wissen ist ein gemeinsames Portal von WDR, SWR und BR mit historischem Überblick zum Thema
Doping (inkl. Videos und Beispielen)
www.planet-wissen.de/sport_freizeit/olympische_spiele/doping/
Zur Autorin
Luc-Carolin Ziemann kuratiert und organisiert Filmprogramme und andere Veranstal-
tungsformate. Sie ist außerdem als freie Autorin (Print, Online, Hörfunk) und Filmver-
mittlerin tätig und leitet seit 2008 das Schulvermittlungsprogramm von DOK Leipzig.
DOK macht Schule wird gefördert von der Bundeszentrale für politische
Bildung/bpb und der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk
und neue Medien (SLM).