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Langfristige Professionalisierung?
Sitzung 7 / 13 – Prof. Dr. Edzard Schade @EdzardSchade – IKMZ Universität Zürich
31.10.2022
Grobübersicht der heutigen Sitzung
Quellenangabe Frontbild: Die Schweizer Filmwochenschau auf Reportage, 1940, Sammlung Cinémathèque suisse
Sie wissen, dass die Boulevardisierung der Presse anfangs des 20. Jahrhunderts gerade in den
Eliten als Bedrohung der bürgerlichen Öffentlichkeit verstanden wurde und als Argument für die
universitäre Institutionalisierung der Medienforschung diente.
Sie können die Geschichte des Journalismus in verschiedene Perioden unterteilen und aufzeigen,
wie sich die publizistischen Berichterstattungsmuster und journalistischen Kommunikatorrollen
wandelten.
Weiterführende Information
http://libraryblogs.is.ed.ac.uk/hcalibrarian/2
018/10/04/battle-of-cable-street-through-
our-newspaper-archives/
Weiterführende Information
https://en.wikipedia.org/wiki/File:Black_Frida
y,_London,_18_November_1910,_suffragett
e_attacked.jpg#filehistory
GeSoMe // Block 7 / 13 // Edzard Schade 5
Das historische Dokument: Oskar Wettstein: «Die Tagespresse
als geistige Volksnahrung» (24.9.1912)
«[…] Aber schlimmer als all’ dies scheint mir die wachsende Tendenz zum Sensationellen. Es ist
ganz selbstverständlich, dass bei grossen Ereignissen der Leser möglichst viel und dass er es
möglichst rasch wissen will. Wenn eine Katastrophe, wie die der ,Titanic’ eintritt, ist das ohne
weiteres klar. Aber es gibt auch Ereignisse, bei denen ein solches berechtigtes Interesse nicht
vorhanden ist, und jeder dennoch möglichst viel wissen möchte. Ich denke an die
menschlichen Lebens. Wir brauchen nur den Blick nach England zu richten. Hier hat unter dem
«Auch in der Schweiz haben wir eine solche Berichterstattung bekommen. […] Man könnte auch
daran erinnern, dass selbst schweizerische Zeitungen über Mörder wie Luccheni, Hofrichter und
deren Aufenthalt im Gefängnis die detailliertesten Berichte gebracht haben; sie berichteten
gewissenhaft, was diese Herren taten und liessen, wie sie genährt wurden, was sie für psychische
und physische Bedürfnisse hatten usw.
Es gibt grosse Persönlichkeiten, über deren Psychologie wir weniger gut unterrichtet sind, wie
über diejenige dieser Ehrenmänner, welche andere kaltblütig umgebracht haben. Das sind
Erscheinungen, welche uns erschrecken müssen. Sie zeigen eine Neigung unserer Presse, die
Dinge nicht mehr so zu betrachten, wie es dem natürlichen ethischen Empfinden entspricht,
sondern wie es am besten dem geschäftlichen Interesse dient.»
Moderator: unbekannt
Oder konkreter gefragt: Worin unterscheidet sich eine professionelle Journalistin von einem
unprofessionellen «Schreiberling»?
«Mit Professionalität lässt sich eine durch Organisation, Ethik, Wissenschaft und Berufskultur in
besonderer Weise qualifizierte Form der Berufsausübung bezeichnen, deren Standards durch
Ausbildung und berufliche Sozialisation vermittelt und im Berufsleben habituell ausgeprägt
werden» (Krzeminski 2002: 19f.).
Kernziele «Organisation»
Berufszugang (mit)regeln
(vgl. Schade 2015 & 2017; Kepplinger 2011: 226ff.; Stichweh 2005; Tenscher 2003; Krzeminksi 2002; Lamnek 1999 &
2002; Goode 1957)
Wachsendes staatliches Engagement schwächt die Rolle der Berufsverbände und Betriebe in
der Aus- und Weiterbildung
Kernziele «Spezialisierung»
«Entspezialisierung» seit 1980er Jahre durch Generalistinnen und Generalisten vor allem beim
kommerziellen Radio, Fernsehen und Online-Bereich als Qualitätsrisiko und Innovationschance
Kernziele «Ethik»
Altruistische bzw. gemeinnützige Motive bis heute Argument zur Sicherung von Privilegien
Problem: Unter einem «Dienst an der Allgemeinheit» wird ganz Unterschiedliches verstanden:
Geht es um Bildung & Kultur, aktuelle & zuverlässige Information, Unterhaltung & Zerstreuung?
Stärkerer Einbezug der Rezipientinnen und Rezipienten in Fragen der Qualitätssicherung und
Angebotsentwicklung – auch mit Hilfe einer entsprechenden Medienpolitik
Zentrale Rolle der Medien bei der Herstellung von Öffentlichkeit (Medien als «Vierte Gewalt»)
sichert starke gesellschaftliche Position.
Stärkerer Einbezug der Rezipientinnen und Rezipienten bzw. der potenziellen Nutzergruppen in die
Angebotsentwicklung und Fragen der Qualitätssicherung.
Schätzen Sie das berufssoziologische Konzept der «Professionalisierung» als überholt ein oder
besitzt es noch heute gesellschaftliche Brisanz?
Oder anders gefragt: Kann eine Verpflichtung auf Qualitätsnormen gelingen, wenn sie nicht sozial
verbindlich abgesichert wird?
Obrigkeitliche Briefwechsel,
Fürstliche Privatkorrespondenzen,
Gesandtschaftsberichte,
Von Ende 16. bis Mitte 18. Jahrhundert dominantes Berichterstattungsmuster der damaligen
Nachrichtenblätter
Expansion des Pressewesen nach Aufhebung der Zensur und Professionalisierung der Produktion
journalistischer Texte:
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts vielenorts Auf- und Ausbau von Redaktionen mit hauptberuflichen
Journalisten.
Neue Zeitungstypen wie der Generalanzeiger und die Frühformen der Boulevardpresse.
Meinungs- bzw. Parteipresse veränderte sich vielfach hin zu professionell geführten Parteiorganen.
u.a.
Korrespondieren
Berichten über Tagesereignisse
Redigieren
Selektieren, Prüfen, Sichten, Ergänzen, Kürzen usw. von Nachrichten
Schriftstellerische Funktion
Tageskritik, Kommentierung aktueller Entwicklungen
• Informationsjournalismus
• Präzisionsjournalismus
• Interpretativer Journalismus
• Investigativer Journalismus
• Neuer Journalismus
• Anwaltschaftlicher Journalismus
• u.a.
(vgl. u.a. Weichert et al. 2015; Bleicher/Pörksen 2004; Weischenberg 2002; Haas 1999; Haller 1987)
Wahrheit und die „richtigen“ Fakten setzen sich nicht automatisch durch
Weiterführende Information
https://www.srf.ch/kultur/im-fokus/der-archivar/unglaublicher-schatz-die-schweizer-filmwochenschau-geht-online
Zusammenhänge herstellen
Hintergründe recherchieren
Kritische Analysen
Anwaltschaftlicher Journalismus
• Herausbildung in den 1920er Jahren / «Wiederentdeckung» in den 1960er und 1970er Jahren
• Abgrenzung vom gängigen Journalismus: Kritik und vor allem Negativismus alleine brächten die
Welt noch nicht voran.
«Journalismus ist eine Art Feedback-Mechanismus, eine Hilfe zur Selbstkorrektur der Gesellschaft.
[…] Wir brauchen Wissen darüber, was und wie man Probleme lösen kann. Deshalb geht es auch
nicht darum, hin und wieder ein paar ‘good news’ einzustreuen, sondern darum, dem Publikum
regelmässig innovative Ideen und realistische Wege zur Problemstellung vorzustellen, die sonst
ausserhalb des gängigen Blickwinkels bleiben. Insofern muss Solution Journalism mit dem
hergebrachten Journalismus verknüpft werden.»
Das normative Verständnis von Qualität und Professionalität hängt vom verfolgten
journalistischen Bericherstattungsmuster ab und wandelt sich dementsprechend im Zeitverlauf.
Fachhochschule Graubünden
Scola auta spezialisada dal Grischun
Scuola universitaria professionale dei Grigioni
University of Applied Sciences of the Grisons