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Der Einsatzgruppen-Prozess war der neunte von zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen.

Er wurde vom 15. September 1947 bis zum 10. April 1948 im Schwurgerichtssaal 600 des
Nürnberger Justizpalastes durchgeführt, in dem bereits der Nürnberger
Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem International Military Tribunal (IMT) stattgefunden
hatte. Im Gegensatz zum Hauptkriegsverbrecherprozess fand der Einsatzgruppen-Prozess
vor einem amerikanischen Militärgericht (Nuremberg Military Tribunal, NMT) statt, es gab
keine Viermächte-Kontrolle. Offiziell wurde der Fall als „The United States of America
against Otto Ohlendorf, et al“ (deutsch: „Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Otto
Ohlendorf und andere“) bezeichnet.

Angeklagt waren 24 ehemalige SS-Führer, die als Kommandeure der Einsatzgruppen der
Sicherheitspolizei und des SD die Verantwortung für die Verbrechen der Einsatzgruppen
in der besetzten Sowjetunion trugen. Die Einsatzgruppen erhielten vor Beginn des Krieges
gegen die Sowjetunion den Auftrag, Sowjetfunktionäre und die „jüdische Intelligenz“ der
Sowjetunion zu ermorden. Innerhalb der ersten drei Monate des Krieges gegen die
Sowjetunion eskalierte die Mordtätigkeit der Einsatzgruppen im Osten, so dass spätestens
Anfang Oktober 1941 unterschiedslos jüdische Männer, Frauen, Kinder und Greise
erschossen wurden. Auch versprengte Kriegsgefangene, „Zigeuner“, Psychiatriepatienten
und Geiseln aus der Zivilbevölkerung gehörten zu den Opfern der Einsatzgruppen.[1] Die
Zahl der Opfer, die von den Einsatzgruppen von Juni 1941 bis 1943 in der Sowjetunion
ermordet wurden, wird auf mindestens 600.000, nach anderen Angaben auf mehr als eine
Million Menschen geschätzt.[2] Die Anklage ging auf Basis der Einsatzgruppen-Meldungen
von mehr als einer Million Opfern aus.[3]

Das Verfahren endete ohne Freisprüche: 14 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, zwei
erhielten lebenslange Haftstrafen und fünf wurden zu Freiheitsstrafen zwischen zehn und
zwanzig Jahren verurteilt. Ein Angeklagter verübte vor Prozessbeginn Suizid, einer schied
wegen Krankheit aus dem Verfahren aus und ein weiterer wurde nach Anrechnung der
verbüßten Untersuchungshaft entlassen. Im Zuge der Westintegration wandelte
Hochkommissar John McCloy Anfang 1951 auf Empfehlung des Advisory Board on
Clemency for War Criminals von den 14 Todesurteilen gegen die in Landsberg Inhaftierten
des Einsatzgruppenprozesses zehn Urteile in Haftstrafen um. Davon wurden vier
Todesurteile in lebenslange Haftstrafen umgewandelt und sechs Haftstrafen auf zehn
beziehungsweise fünfundzwanzig Jahre reduziert. Vier Todesurteile wurden am 7. Juni
1951 vollstreckt. Auch die Haftstrafen weiterer Häftlinge wurden verkürzt. Die letzten drei
Inhaftierten des Einsatzgruppenprozesses wurden im Mai 1958 aus der Haft entlassen.
Vorgeschichte und Vorbereitung des Verfahrens
Einsatzgruppen im Krieg gegen die Sowjetunion (1941–1943)

Einsatzgruppen zur „Säuberung der befreiten Gebiete von marxistischen Volksverrätern


und anderen Staatsfeinden“[4] wurden erstmals bei dem „Anschluss Österreichs“ an das
Deutsche Reich eingesetzt. Die erste Einsatzgruppe, das Einsatzkommando Österreich,
stand unter Befehl von Franz Six, einem späteren Angeklagten im Einsatzgruppen-
Prozess. Auch bei der Annexion des Sudetenlandes 1938 und bei der „Zerschlagung der
Rest-Tschechei“ 1939 wurden Einsatzkommandos beziehungsweise Einsatzgruppen
eingesetzt, die Gegner der nationalsozialistischen Herrschaft aufspüren und vernichten
sollten. Während die Einsatzgruppen bei diesen Einsätzen vor Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs noch auf Basis von Listen mit namentlich aufgeführten Gegnern operierten,
nahm der Einsatz beim Überfall auf Polen erstmals Züge von Völkermord an. Bestimmte
Gruppen, wie Angehörige der polnischen Intelligenz, katholische Pfarrer und Adelige
wurden pauschal zu Feinden erklärt und in vielen Fällen ermordet. Obwohl die Zahl der
Opfer wie auch die Menge der beteiligten Einsatzgruppen-Angehörigen in Polen
beträchtlich war, spielten diese Morde im Einsatzgruppen-Prozess keine Rolle. Aufgrund
der Beweislage konzentrierte sich die Anklage auf die Taten der Einsatzgruppen in der
besetzten Sowjetunion, beginnend mit der Vorbereitung auf den Überfall auf die
Sowjetunion 1941 bis zur Eingliederung in stationäre Verbände beziehungsweise den
beginnenden Rückzug 1943.

Bereits am 13. März 1941, etwa drei Monate vor dem Überfall des Deutschen Reiches auf
die Sowjetunion, informierte der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard
Heydrich den Generalquartiermeister der Wehrmacht Eduard Wagner über die
Verwendung von Einsatzgruppen im Zuge des „Unternehmens Barbarossa“.[5] Hitler selbst
hatte zuvor den Reichsführer SS Heinrich Himmler mit der Umsetzung der
„Sondermaßnahmen“ während des Unternehmens Barbarossa betraut:

„Im Operationsgebiet des Heeres erhält der Reichsführer SS zur Vorbereitung der
politischen Verwaltung Sonderaufgaben im Auftrage des Führers, die sich aus dem
endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter Systeme ergeben. Im
Rahmen dieser Aufgaben handelt der Reichsführer SS selbstständig und in eigener
Verantwortung. […] Der Reichsführer SS sorgt dafür, dass bei Durchführung seiner
Aufgaben die Operationen nicht gestört werden. Näheres regelt das OKH mit dem
Reichsführer SS unmittelbar.“[6]

Heydrich, als Stellvertreter Himmlers, und der Oberbefehlshaber des OKH Walther von
Brauchitsch legten schließlich nach Verhandlungen folgendes fest: Die Wehrmacht sollte
die Einsatzgruppen logistisch unterstützen und die Einsatzgruppen sollten
eigenverantwortlich sicherheitspolizeiliche Sonderaufgaben im rückwärtigen Heeresgebiet
wahrnehmen. Diese Aufgaben sollten die Sicherung wichtiger Dokumente staatsfeindlicher
Organisationen, die Verhaftung wichtiger Einzelpersonen sowie das Erkunden
„staatsfeindlicher Bestrebungen“ umfassen.[

Für die Einsatzgruppen wurden etwa 3000 geeignete Angehörige des RSHA und der
Waffen-SS angeworben und im Mai 1941 im sächsischen Pretzsch versammelt.[8] Ein
allgemeiner „Judentötungsbefehl“ existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, vielmehr
entwickelte sich die Befehlsgebung dazu allmählich. Im Juni/Juli 1941 sollte es zunächst
Aufgabe der Einsatzgruppen sein, die „jüdisch-bolschewistische Intelligenzschicht“ und
Widerstandskämpfer in den besetzten Gebieten zu ermorden sowie die einheimische
Bevölkerung bei antijüdischen Pogromen zu unterstützen. Erst im August/September 1941
erging ein allgemeiner „Judentötungsbefehl“ an die Führer der Einsatzgruppen.[9]
Insgesamt wurden vier Einsatzgruppen gebildet, die sich wiederum in Einsatz- oder
Sonderkommandos gliederten:[7]

• Der Einsatzgruppe A, zunächst unter dem Kommandeur Walter Stahlecker, gehörten etwa
1000 Männer an. Ihr Operationsgebiet war ausgehend von Ostpreußen das rückwärtige
Armeegebiet der Heeresgruppe Nord im Baltikum und den angrenzenden nordöstlichen
russischen Bezirken bis vor Leningrad.

• Der Einsatzgruppe B, zunächst unter dem Kommandeur Arthur Nebe, gehörten etwa 655
Männer an. Ihr Operationsgebiet war ausgehend von Warschau das rückwärtige
Armeegebiet der Heeresgruppe Mitte von Weißrussland bis an den Rand von Moskau.

• Der Einsatzgruppe C, zunächst unter dem Kommandeur Otto Rasch, gehörten etwa 700
Männer an. Ihr Operationsgebiet war ausgehend von Oberschlesien das rückwärtige
Armeegebiet der Heeresgruppe Süd in der mittleren Ukraine.

• Der Einsatzgruppe D, zunächst unter dem Kommandeur Otto Ohlendorf, gehörten etwa
600 Männer an. Ihr Operationsgebiet war das rückwärtige Armeegebiet der deutschen 11.
Armee und des rumänischen Heers in Moldawien, der südlichen Ukraine und auf der Krim.

• Am 23. Juni 1941, einen Tag nach dem Überfall auf die Sowjetunion, folgten die
Einsatzgruppen der Wehrmacht. Die Kommandos der Einsatzgruppen verübten, teilweise
mit Angehörigen der ortsansässigen Polizei und im Beisein beziehungsweise sogar unter
Mithilfe der Bevölkerung, Massaker an den einheimischen Juden, „Zigeunern“,
Kriegsgefangenen sowie kommunistischen Funktionären. Die Opfer, darunter Frauen,
Kinder und Greise, wurden hauptsächlich durch Erschießen in Schluchten, Gruben oder
Steinbrüchen in Gruppen ermordet. Die Massenerschießungen führten bei vielen
Angehörigen der Einsatzgruppen zu psychischen Ausnahmeerscheinungen, die auch
durch den tolerierten erheblichen Alkoholkonsum nicht schwanden. Daher wurden seitens
des RSHA den Einsatzgruppen zusätzlich so genannte Gaswagen zur Verfügung gestellt,
in denen mittels Auspuffgasen ab Ende 1941 die größtenteils jüdischen Opfer ermordet
wurden.[7] Bekanntheit erlangte insbesondere das Massaker in der Schlucht Babi Yar, dem
am 29. und 30. September 1941 über 33.000 Juden zum Opfer fielen.[10] Zum
Jahreswechsel 1941/42 meldeten die Einsatzgruppen folgende Zahlenangaben zu den
getöteten Juden: Einsatzgruppe A 249.420, Einsatzgruppe B 45.467, Einsatzgruppe C
95.000, Einsatzgruppe D 92.000.[11] Ein Wehrmachtsangehöriger wurde Zeuge von
Erschießungen und berichtete nach Kriegsende:

• „Unter anderem lag in dem Grab ein alter Mann mit einem weißen Vollbart, der über seinem
linken Arm noch ein kleines Spazierstöckchen hängen hatte. Da dieser Mann noch durch
seine stoßweise Atemtätigkeit Lebenszeichen von sich gab, ersuchte ich einen der
Polizisten, ihn endgültig zu töten, worauf dieser mit lachender Miene sagte: ‚Dem habe ich
schon siebenmal was in den Bauch gejagt, der krepiert schon von alleine.‘“[12]

• Nach der Etablierung einer deutschen Zivilverwaltung in den besetzten sowjetischen


Gebieten wurden durch Einheiten der Ordnungspolizei, Waffen-SS und sogenannter
einheimischer Hilfswilliger, die den eingesetzten Höheren SS- und Polizeiführern
unterstanden, weitere Massenmorde an Juden begangen.[8] Insgesamt fielen mindestens
600.000 und möglicherweise über 1.000.000 Menschen diesen Mordaktionen zum Opfer.[2]
Die Sonderkommandos der Aktion 1005 unter der Leitung von Paul Blobel mussten ab
Sommer 1943 die verscharrten Leichen der Ermordeten exhumieren und anschließend
verbrennen, um die Spuren dieser Verbrechen zu beseitigen.[10]
Otto Ohlendorf als Zeuge (1945–1946)

Otto Ohlendorf war als SS-Brigadeführer und Kommandeur der Einsatzgruppe D einer der
drei höchstrangigen Angeklagten im Einsatzgruppen-Prozess. Nur Jost und Naumann
waren ihm in Dienstgrad und Dienststellung ebenbürtig, doch Ohlendorf war auch diesen
beiden Mitangeklagten in Sachen Intellekt, Auftreten und Ausstrahlung weit überlegen. So
würde Ohlendorf auf Seiten der Angeklagten im Mittelpunkt des Verfahrens stehen, dessen
offizielle Bezeichnung entsprechend The United States of America against Otto Ohlendorf,
et al. lautete. Bevor auch nur die Vorüberlegung zu einem Einsatzgruppen-Prozess
stattfand, legte Ohlendorf Zeugnis über die Struktur, Befehle und Einsätze der
Einsatzgruppen ab: erst als Kriegsgefangener der Engländer und dann als Zeuge der
Anklage im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Ohne Ohlendorfs Aussagen hätte
der Einsatzgruppen-Prozess wohl nicht stattgefunden, da sie den Anstoß zur Erweiterung
und Fokussierung des Nachfolgeprozesses gaben. Der amerikanische Ankläger Whitney
Harris sagte über Ohlendorf, dieser habe „den Einsatzgruppen-Prozess geschaffen“.[13]

Ohlendorf hatte im Juli 1942 das Kommando der Einsatzgruppe D an Walther Bierkamp
abgegeben und war nach Berlin zum Reichssicherheitshauptamt zurückgekehrt, wo er
wieder die Leitung des SD-Inland (Amt III) übernahm. Daneben war er für das
Reichswirtschaftsministerium tätig. Zum Zeitpunkt des Kriegsendes hielt sich Ohlendorf mit
der Regierung Dönitz bei Flensburg auf. Am 21. Mai 1945 war Ohlendorf mit hunderten
Mitarbeitern der Regierung Dönitz in britische Kriegsgefangenschaft gegangen, denn er
hegte die Hoffnung, auch den Alliierten als „Meinungsforscher“ und selbsterklärter
Wirtschaftsexperte nützlich zu sein.[14]

Ohlendorfs Aussage in Nürnberg war eine Sensation. Am 3. Januar 1946 trat er erstmals
in den Zeugenstand,[15] und schockierte die Angeklagten nebst ihren Verteidigern mit den
nüchtern vorgetragenen Details der Einsatzgruppen-Massenmorde. Für die Anklage war
seine Aussage äußerst wertvoll: Der zweite IMT-Ankläger Telford Taylor bezeichnete
Ohlendorfs Zeugnis im Sinne der Beweislast in seinen Memoiren als “real blockbuster”
(ungefähr: Die Aussage „schlug ein wie eine Bombe“).[16] Vernommen wurde Ohlendorf im
Zeugenstand vom Anklagevertreter John Amen, der schon 1945 seine Vernehmung in
britischer Gefangenschaft geleitet und teils persönlich geführt hatte. Unter Amens
Befragung kam es dabei zum entscheidenden Durchbruch in Ohlendorfs
[17]
Aussageverhalten. Später reklamierten andere Mitglieder des Militärgerichts die
Erzielung des entscheidenden Ohlendorff-Geständnisses für sich, so Richter Musmanno in
seinem Buch über den Prozess. Musmanno erweckt darin den Eindruck, er habe „im
Alleingang ermittelt, angeklagt, verhandelt und verurteilt“.[18]

Fund der Einsatzgruppen-Meldungen in Berlin (1946–1947)


Die Einsatzgruppen-Meldungen waren von zentraler Bedeutung für den Einsatzgruppen-
Prozess – für dessen Zustandekommen, für die Identifizierung und Suche nach den
Tatverdächtigen sowie als Beweisstück im Prozess selbst. Mit dem Begriff
„Einsatzgruppen-Meldungen“ werden folgende Berichtsreihen und Dokumente
[19]
bezeichnet:

• Ereignismeldungen UdSSR, von denen 195 zwischen Juni 1941 und April 1942 erfolgten.
Bis auf eine Meldung blieben alle erhalten.[20]

• Tätigkeits- und Lageberichte der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in der
UdSSR, die im gleichen Zeitraum wie die Ereignismeldungen UdSSR abgegeben wurden,
aber in längeren Zeitabständen. Diese Berichte haben eher summarischen Charakter und
behandeln oft die gleichen Taten wie die Ereignismeldungen.[20]

• Meldungen aus den besetzten Ostgebieten, welche die Ereignismeldungen UdSSR als
regelmäßige Berichte ablösten. Diese Meldungen beinhalten im Vergleich zu den
Ereignismeldungen UdSSR weniger direkte Aussagen zum Mord an den Juden, dafür mehr
Details zur Partisanenbekämpfung.[20]

• Drei Berichte: zwei Berichte von Walter Stahlecker, der erste aus dem Oktober 1941 und
der zweite vom Januar 1942,[21] sowie der Bericht von Karl Jäger aus dem Dezember
1941.[22]
Diese Berichte wurden im Zeitraum von Juni 1941 bis Mai 1943 von den Stäben der
Einsatzgruppen per Funk und Kurier nach Berlin an das RSHA gemeldet. Sie enthielten detaillierte
Angaben zu den Zahlen ermordeter Juden und anderer Sowjetbürger, zu Tatorten und beteiligten
Einheiten. Die Berichte unterlagen der Geheimhaltung, die meisten trugen den Vermerk „Geheime
Reichssache.“[19] Sie wurden in zweistelliger Anzahl kopiert und dann in nummerierten Exemplaren
weitergegeben. Der Verteiler umfasste Empfänger in Dienststellen des RSHA sowie in hohen
Ämtern in NSDAP, Reichsregierung und Militär.[23] Selbst in den Einsatzgruppen war die Zahl der
Personen mit Zugang zu diesen Berichten und deren Übertragung begrenzt, so hatten in der
Einsatzgruppe D nur drei Offiziere und ein Funker Zugang zu den eigenen Meldungen.[24]

Die amerikanische Einheit 6889th BDC (Berlin Document Center) stellte in Berlin ab 1945 auf
Befehl von General Lucius D. Clay Akten der Reichs- und NS-Behörden sicher. Hauptaufgabe war
die Versorgung der Viermächteverwaltung mit benötigten administrativen Unterlagen. Der Fokus
auf die Dokumentation und Verfolgung von NS-Verbrechen entwickelte sich erst sukzessive mit
der Abgabe von Verwaltungsunterlagen an bizonale und dann deutsche Behörden. Die 6889th
BDC bildete damit den Ursprung des Berlin Document Center.[25] Am 3. September 1945 stellte die
6889th BDC im vierten Stockwerk des Hauptquartiers der Gestapo in der Berliner Prinz-Albrecht-
Straße (heute Topographie des Terrors) zwei Tonnen an Unterlagen sicher. Die Unterlagen
enthielten unter anderem 578 Aktenordner aus Beständen des RSHA und der Gestapo. In zwölf
der Aktenordner (Nr. E316 und E325–E335) befand sich ein fast kompletter Satz der
Ereignismeldungen UdSSR und der Meldungen aus den besetzten Ostgebieten.[19] Die
Einsatzgruppen-Meldungen befanden sich von da an zwar im Besitz der Amerikaner, doch entdeckt
wurden sie erst ein gutes Jahr später: Ende 1945 befanden sich an verschiedenen Orten der
Document-Center-Einheiten in der amerikanischen Zone mehr als 1600 Tonnen Unterlagen, nach
Schätzung von Ferencz hatte allein das Berliner BDC acht bis neun Millionen sichergestellte
Dokumente in Verwahrung. Die Sichtung der Akten schritt nur langsam voran. Daher waren die
Einsatzgruppen-Meldungen der Anklage im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess noch nicht
bekannt und dort kein Beweismittel.[26]

Brigadegeneral Telford Taylor leitete – erst als Stellvertreter von Robert H. Jackson und
dann ab Oktober 1946 als dessen Nachfolger – als Hauptankläger die Ermittlungen in den
Nürnberger Nachfolgeprozessen. Anfang 1946 hielt sich Taylor in Washington D.C. auf,
um Mitarbeiter für die von ihm geleitete Ermittlungsbehörde Office of Chief of Counsel for
War Crimes (OCCWC) zu gewinnen, was sich als schwierig herausstellte: Die wenigen
Juristen, die im Dienst der US-Army 1944/45 Erfahrung mit der Ermittlung und Anklage von
Kriegsverbrechen gesammelt hatten, waren nun demobilisiert und wenig gewillt, eine
lukrative Beschäftigung im heimatlichen Zivilleben aufzugeben, um im zerstörten
Deutschland eine Uniform zu tragen. Daher war das OCCWC chronisch unterbesetzt. Der
Strafrechtsprofessor Sheldon Glueck, bei dem Taylor an der Harvard Law School (HLS)
studiert hatte, empfahl diesem den jungen HLS-Absolventen Benjamin Ferencz als
„vielversprechenden Studenten“, der bereits ab Februar 1945 beim Judge Advocate in
Deutschland Erfahrungen bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen gesammelt hatte.
Ferencz war Ende 1945 demobilisiert worden und in die USA zurückkehrt. Am 20. März
1946 akzeptierte Ferencz Taylors Angebot und war nun civilian war crimes investigator
(Zivilermittler für Kriegsverbrechen) beim OCCWC. Ferencz war gerade erst 26 Jahre alt.
Gegen Mitte 1946 traf er wieder in Deutschland ein. Taylor schickte ihn unverzüglich nach
Berlin, wo Ferencz ein Team von Ermittlern aufbauen sollte. Seine Aufgabe umfasste die
Überprüfung der beschlagnahmten Unterlagen der nationalsozialistischen Behörden in
Hinblick auf die Verwertbarkeit für die Nürnberger Nachfolgeprozesse. Am 16. August 1946
ernannte Taylor Ferencz zum Leiter der Berliner Zweigstelle des OCCWC.[26]

Ferencz datiert die Entdeckung der Einsatzgruppen-Meldungen auf Ende 1946/Anfang


1947.[26] Ein Mitarbeiter seines OCCWC-Teams habe ihm mehrere Leitz-Ordner gezeigt,
welche einen nummerierten Satz der mimeographierten Original-Berichte enthielten.
Ferencz erkannte sofort die Bedeutung der Berichte als Beweismittel, flog nach Nürnberg
und legte sie Taylor vor.[27] Die erste schriftliche Erwähnung der Einsatzgruppen-
Meldungen in OCCWC-Unterlagen stammt vom 15. Januar 1947. Von März bis April 1947
analysierte das Team von Ferencz die Einsatzgruppen-Meldungen. Beim Abgleich der
dabei identifizierten Täter mit den Personalunterlagen der Kriegsgefangenen in
amerikanischer Hand stellte sich heraus, dass einige der nun Gesuchten bereits als
„unbelastet“ entlassen worden waren, so auch Heinz Schubert. Die Zeit drängte –
Auswertung und strafrechtliche Verwertung der Einsatzgruppen-Meldungen durch die
Amerikaner waren rückblickend nur in einem engen Zeitfenster möglich. Anfang 1947
plante Taylor noch 18 Nürnberger Nachfolgeprozesse, musste diesen Umfang aber
angesichts von Budget- und Zeitmangel reduzieren. Noch am 14. März 1947 schlug Taylor
der amerikanischen Militärregierung vor, drei der geplanten Prozesse als „weniger
notwendig“ nicht durchzuführen. Einer der zur Kürzung stehenden Prozesse war gegen
Ohlendorf und andere hohe Mitglieder des SD, der Gestapo und des RSHA vorgesehen.
Bis zu diesem Zeitpunkt war die Schwere der Einsatzgruppen-Verbrechen und die
Beweiskraft der Einsatzgruppen-Meldungen in der Spitze der amerikanischen
[26]
Anklagebehörde noch nicht erkannt worden.

Als Ferencz seinem Vorgesetzten Taylor Anfang 1947 die Einsatzgruppen-Meldungen


erstmals präsentierte, lehnte dieser die Einleitung eines zusätzlichen Einsatzgruppen-
Prozesses vorerst ab. Es gäbe einfach nicht genug Personal, Budget und Zeit für die
Durchführung von mehr als den bereits geplanten Nachfolgeprozessen. Was genau Taylor
zu seinem Sinneswandel bewegte, bleibt unklar, es mag die Dringlichkeit des Vortrags von
Ferencz gewesen sein oder die eindeutige Beweislage anhand der Einsatzgruppen-
Meldungen – jedenfalls wandelte Taylor das gegen Ohlendorf und eine lose definierte
Gruppe von hochrangigen SS-Tätern geplante Verfahren um: Es sollte nun im Verfahren
nur noch um die Einsatzgruppen in der besetzten Sowjetunion gehen, nur Ohlendorf sollte
Angeklagter bleiben. Am 22. März 1947 bestimmte Taylor den leitenden Staatsanwalt für
das Verfahren: Benjamin Ferencz, mit 27 Jahren der jüngste leitende Staatsanwalt bei den
Nürnberger Prozessen. Das war die formelle Geburtsstunde des Einsatzgruppen-
Prozesses.[26]

Ferencz schrieb später, dass Taylor ihm „seinen“ Prozess unter einer Bedingung gab: keine
Neuanstellungen von Staatsanwälten oder Ermittlern im OCCWC; das Verfahren musste
innerhalb des bereits festgelegten (Personal-)Budgets und Zeitrahmens stattfinden. Es
gelang Ferencz, von den parallel laufenden Nürnberger Nachfolgeprozessen vier
Staatsanwälte für sein Verfahren abzuziehen: Arnost Horlik-Hochwald, ursprünglich aus
Tschechien, Peter Walton aus Georgia, John Glancy aus New York und James Heath aus
Virginia. Diese Mitarbeiter bildeten nicht die Elite der amerikanischen
Militärstaatsanwaltschaft; die anderen leitenden Staatsanwälte gaben eher ihre
schlechteren Mitarbeiter ab. Insbesondere James Heath war zwar ein erfahrener
Staatsanwalt, hatte jedoch ein schweres Alkoholproblem. Taylor wollte Heath ursprünglich
feuern, doch Ferencz, der mit Heath in Nürnberg ein Zimmer geteilt hatte, gab ihm eine
Chance.[28]

Das zuständige Gericht war das Nuremberg Military Tribunal II (NMT-II). Der vorsitzende
Richter war Michael A. Musmanno, vorher Richter in Pittsburgh, Pennsylvania. John J.
Speight, ein angesehener Anwalt aus Alabama, und Richard D. Dixon, ein ehemaliger
Richter des Supreme Court des Staates North Carolina, vervollständigten die Richterbank.
Das Verfahren wurde von Musmanno dominiert.[29]
Die Angeklagten
Unter den Angeklagten befanden sich acht Juristen, ein Universitätsprofessor, ein
Zahnarzt, ein Opernsänger sowie ein Kunstsachverständiger.[30] Nach ihrem Rang
geordnet, wurden sechs Brigadeführer (entsprach den Generälen der Wehrmacht), 16
Sturmbann-, Obersturmbann- und Standartenführer (Stabsoffiziere von Major bis Oberst)
und ein Oberscharführer (Unteroffizier) angeklagt. Der Beschuldigte Haussmann beging
noch vor der Verfahrenseröffnung am 31. Juli 1947 in der Untersuchungshaft Suizid. Die
Anklageschrift wurde am 3. Juli 1947 fertiggestellt und am 29. Juli 1947 durch die Namen
weiterer Beschuldigter, nämlich Steimle, Braune, Haensch, Strauch, Klingelhöfer und
Radetzky, ergänzt.[31] Die bei Gericht eingereichte Anklageschrift wurde noch im Juli 1947
den Beschuldigten übergeben und enthielt folgende drei Anklagepunkte bezogen auf alle
Angeklagten:[9]

1. Verbrechen gegen die Menschlichkeit


2. Kriegsverbrechen
3. Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation
Verteidigung
Der Einsatzgruppen-Prozess fand wie die elf anderen Nürnberger Nachfolgeprozesse auf
der Grundlage von Kontrollratsgesetz Nr. 10 (CCL10) statt. CCL10 übernimmt die
Regelungen des Londoner Statuts, damit auch dessen Verfahrensregeln.[33] Diese
Verfahrensregeln gaben jedem Angeklagten das Recht auf einen Verteidiger seiner
Wahl.[33] Einem Angeklagten, der keinen Anwalt wählte oder diesen nicht bezahlen konnte,
wurde ein Pflichtverteidiger gestellt. In der Praxis wählten die Angeklagten ihre Verteidiger
selbst. Nahm der gewünschte Anwalt das Mandat an, wurde seine Arbeit durch die
amerikanische Militärregierung mit 3.500 RM pro Monat vergütet, bei Übernahme eines
weiteren Mandats im selben Prozess zusätzlich 1.750 RM.[34] Die Nebenleistungen waren
deutlich wertvoller als das Gehalt: Jeder Anwalt erhielt in der amerikanischen Kantine drei
Mahlzeiten am Tag mit einem Energiegehalt von 3.900 kcal, während die deutsche
Bevölkerung in der amerikanischen Zone während des Hungerwinters 1947/48 offiziell pro
Person maximal 1.500 kcal/Tag auf Lebensmittelkarten erhielt.[35] Zusätzlich erhielten die
Anwälte eine Stange Zigaretten pro Woche, die eigentliche harte Währung bis zur
Währungsreform von Juni 1948.[36] Der Schwarzmarktpreis einer Stange Zigaretten lag im
Winter 47/48 zwischen 1000 und 2000 RM.[37] Die Berufung als Strafverteidiger in den
Nürnberger Prozessen war unter Anwälten begehrt, und die meisten Angeklagten wurden
von ihren Wunschanwälten verteidigt.[36]

Obwohl die Hauptverhandlung mittels Simultandolmetschern gleichzeitig auf Deutsch und


Englisch durchgeführt wurde, waren Anwälte mit Kenntnissen beider Sprachen im Vorteil.
So wurde das Protokoll nur auf Englisch geführt, und in abgekürzter Form veröffentlicht:
Anwälte mit englischen Sprachkenntnissen konnten so einige Übersetzungsfehler im
Protokoll korrigieren lassen, bevor diese in die offiziellen Proceedings (deutsch:
„Sitzungsprotokolle“) gelangten.[36] Fast jeder Angeklagte verfügte über zwei
Strafverteidiger, einen Hauptverteidiger und dessen Assistenten. So waren auf Seiten der
Verteidigung mehr als 40 Anwälte am Verfahren beteiligt.[38] Zahlenmäßig war so die
Verteidigung der Staatsanwaltschaft 2:1 überlegen. Diese Überlegenheit wurde jedoch
durch das große Ermittlungsteam der Staatsanwaltschaft (eine “army of researchers”,[36]
deutsch etwa: eine „Armee von Rechercheuren“) mehr als aufgewogen. Daneben war die
Verteidigung auch durch die im Vergleich zur Staatsanwaltschaft kurze Vorbereitungszeit
und die mangelnde Vertrautheit mit den Gepflogenheiten eines zumindest kulturell nach
amerikanischem Rechtsverständnis ablaufenden Verfahrens benachteiligt. Um diese
strukturellen Nachteile auszugleichen, und nicht den Anschein eines unfairen Verfahrens
zu erwecken, stellte die amerikanische Militärregierung den Verteidigern die Infrastruktur
zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Verfügung: Im Defendant’s Information Center
(deutsch etwa: „Informationszentrum der Angeklagten“) hatten die Verteidiger das Recht
auf Einsicht in alle Verfahrensakten, und dort konnten Zeugen einbestellt und durch die
Verteidigung befragt werden. Auch geheizte Büroräume konnten die Verteidiger hier für die
Verfahrensdauer nutzen, ein wichtiges Detail im kriegszerstörten Nürnberg.[36]

Auswahl der Strafverteidiger

Bei der Auswahl ihrer Anwälte waren die Angeklagten kaum eingeschränkt. Während
Sprach- und Verfahrenskenntnisse für einen amerikanischen Anwalt gesprochen hätten,
waren solche Anwälte 1947 in Nürnberg kaum verfügbar. Auch erschien es den
Amerikanern fairer, deutsche Anwälte als Verteidiger zuzulassen, die mit dem Angeklagten
neben der Sprache und Kultur auch die gemeinsame Erfahrung der NS-Zeit teilten. So
waren alle Strafverteidiger Deutsche. Auch eine politische Belastung vor 1945 war kein
Hindernis für eine Zulassung zum Verfahren. Im Interesse der Vermeidung von unfairen
Einschränkungen waren nur Anwälte ausgeschlossen, die in ihrem
[36] So war Hans
Spruchkammerverfahren als „Hauptschuldige“ eingestuft worden waren.
Gawlik vor 1945 in Breslau als Staatsanwalt tätig, zeitweise auch an einem Sondergericht,
wurde als Verteidiger von Naumann aber zugelassen.[39]

Einige der mehr als 40 Rechtsanwälte legten während der Nürnberger Prozesse den
Grundstein für eine spätere Karriere als Strafverteidiger in NS-Prozessen: Rudolf
Aschenauer, Verteidiger von Ohlendorf, vertrat im Laufe seiner Juristenkarriere mehrere
hundert Angeklagte in NS-Prozessen und betätigte sich außerdem als rechtsextremer
Publizist und Mitgründer zahlreicher Organisationen, die Angeklagten in NS-Prozessen
beistanden oder in ihrem Sinne Presse- und Lobbyarbeit betrieben. Hans Gawlik wurde
1950 zum Leiter der staatlichen Zentralen Rechtsschutzstelle berufen, und vertrat
zusammen mit seinem Assistenten Gerhard Klinnert, der Hauptverteidiger von Seibert war,
auch den KZ-Arzt Waldemar Hoven im Nürnberger Ärzteprozess.[40] Günther Lummert,
Verteidiger von Blume, war auch als Strafverteidiger im I.G.-Farben-Prozess und im
Wilhelmstraßen-Prozess tätig, danach arbeitete er als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht
Köln und publizierte im konservativen Markus-Verlag. Der angesehene Nürnberger Anwalt
Friedrich Bergold, Verteidiger von Biberstein, hatte im Nürnberger Prozess Martin Bormann
in Abwesenheit vertreten. Fritz Riediger, Verteidiger von Haensch, vertrat auch Walter
Schellenberg im Wilhelmstraßen-Prozess. Die meisten dieser Rechtsanwälte hatten schon
zur Zeit des Nationalsozialismus eine Zulassung als Rechtsanwalt, so war Hans Surholt,
Verteidiger von Rasch, schon vor dem Volksgerichtshof als Strafverteidiger zugelassen.[41]
Argumente der Verteidigung

Es gab keine abgestimmte Strategie der 22 Verteidigerteams. Dies war primär eine Folge
der unterschiedlichen Beweislage und Tatbeiträge der einzelnen Angeklagten. Eine
Verteidigungslinie, die den Unrechtsgehalt der Taten der Einsatzgruppe und die Reue des
Angeklagten betonte, dabei aber den individuellen Tatbeitrag zu minimieren suchte und
möglichst noch eine innere Distanz zum NS-Regime herausstellte, war bei Angeklagten
wie Graf und Rühl erfolgversprechend. Bei Männern wie Ohlendorf und Blobel wäre sie
zum Scheitern verurteilt gewesen. Auch die kurze Vorbereitungszeit und mangelnde
Erfahrung mit den Usancen eines Gerichtsverfahrens nach amerikanischen
Gepflogenheiten spielten eine Rolle. Bestimmend blieb die erdrückende Beweislage, die
allein auf den Tätigkeitsberichten der Einsatzgruppen und den Vernehmungsprotokollen
der Angeklagten selbst beruhte. Dementsprechend brachten die verschiedenen
Anwaltsteams einen unterschiedlichen Mix an mehr oder weniger schwachen
Verteidigungsargumenten vor, in der Hoffnung nach der Schrotschuss-Methode mit
wenigstens einem der Argumente einen Treffer zu landen. Im Ergebnis unterminierten sie
so gegenseitig ihre Positionen.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Plädoyers gab es drei „Verteidigungslinien“ der


Strafverteidiger:

1. das Abstreiten der Strafbarkeit der Taten der Angeklagten in den Einsatzgruppen,
2. die Minimierung des individuellen Tatbeitrags eines Angeklagten,
3. das Vorbringen von mildernden Umständen zugunsten des Angeklagten.

Ein Infragestellen der Rechtmäßigkeit der Anklage im Einsatzgruppen-Prozess auf Basis


des Grundsatzes nulla poena sine lege war bei organisierten Massenmorden der mittleren
Befehlsebene – im Gegensatz zum Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, wo mit
„Verbrechen gegen den Frieden“ ein neuer Straftatbestand geschaffen worden war –
schwer möglich. Fragen der Rechtmäßigkeit und Zuständigkeit des Gerichtes waren durch
CCL10 geklärt, und wurden im Verfahren nicht thematisiert.

Die Strafbarkeit der Taten wurde mit zwei Hauptargumenten bestritten: Die Tötung der
Opfer der Einsatzgruppen sei Putativnotwehr gewesen, und der jeweilige Angeklagte habe
unter Befehlsnotstand gehandelt.

Fast jeder Strafverteidiger versuchte den individuellen Tatbeitrag seines Mandanten als
möglichst gering darzustellen. Auf der einfachsten Ebene ging es dabei um die Zeiten der
Anwesenheit an den Tatorten der Massenerschießungen, zum Beispiel ob ein Angeklagter
seine Dienststellung als Kommandeur eines Sonderkommandos wirklich schon am 15. des
Monats oder nicht erst zwei Monate später angetreten hatte. Belege über Zahnarztbesuche
in Berlin[42] und Ähnliches wurden zur kalendarischen Rekonstruktion vorgebracht. Die
Frage der Anwesenheit im Osten zu bestimmten Zeitpunkten war entscheidend, weil die
Anklage für jeden Angeklagten eine Reihe von konkreten Tatvorwürfen mit Orten und
Kalenderdaten aus den Einsatzgruppenmeldungen vorbrachte. Auch wenn das
Zurückweisen vereinzelter Anklagepunkte gelang, waren die meisten Angeklagten der
Verantwortung für eine ganze Reihe von Massenmorden angeklagt. Abwesenheit während
eines der Massenmorde entband nicht von der Schuld für die verbliebenen Taten. Ein
schwerer wiegendes Argument war die mangelnde Kommandogewalt. Bei klar
ausgewiesenen Einheitsführern der Einsatzgruppen, Sonderkommandos und
Einsatzkommandos war diese Verteidigung aussichtslos, anders bei Stabsoffizieren wie
Seibert, Fendler oder Radetzky. Die Verteidiger solcher Angeklagter brachten regelmäßig
vor, dass ihre Mandanten – so im Fall von Seibert und Fendler, die Leiter Amt III (Abwehr
und Nachrichtendienst) waren – einzig mit dem Sammeln von Informationen befasst
gewesen seien. Der Anwalt von Radetzky versuchte, dessen Tätigkeit, die das Übersetzen
umfasste, als reines Spezialistentum ohne Entscheidungsgewalt darzustellen. Gelegentlich
wurde vorgebracht, dass die Angeklagten an den Morden nicht nur unbeteiligt gewesen
seien, sondern diese gar nicht bemerkt und sie noch nicht einmal vom Hörensagen gekannt
hätten. Die letztgenannte Behauptung stellte allerdings im Verfahren eher die
Glaubwürdigkeit eines Angeklagten in Frage, als dass sie ihn wie gewünscht von den Taten
seiner Einheit distanzierte.

Für jeden Angeklagten brachten die Strafverteidiger mildernde Umstände vor. Zeugen und
eidesstattliche Versicherungen sollten vom guten Leumund und der Charakterstärke der
Angeklagten zeugen, was im amerikanischen Recht als character evidence üblich ist.
Untergebene und gleichgestellte SD- und SS-Männer versicherten mündlich und schriftlich,
dass der Angeklagte ein fürsorglicher Vorgesetzter und aufrechter Offizier gewesen sei.
Nur Blobel, der „als bösartig und feige“ galt, war als einziger Angeklagter unter
Seinesgleichen so verachtet, dass er keine derartigen Aussagen zu seinen Gunsten
vorbringen konnte.[43] Ein weiteres geläufiges Argument war das menschliche Verhalten in
anderen Einsätzen außerhalb der Einsatzgruppen. Braune sei in seiner Zeit als KdS in
Norwegen 1945 geradezu oppositionell gewesen, da er Befehle des Reichskommissars
Terboven aufgehoben und den internierten Einar Gerhardsen freigelassen habe.[44] Die als
mildernde Umstände vorgebrachten Punkte schwächten teilweise andere Argumente und
waren so im Sinne der Verteidigung kontraproduktiv. So brachten mehrere Angeklagte vor,
aus „Fürsorge für ihre Männer“ jeden Untergebenen, der zu viel trank oder anderweitig
nicht mit den „Exekutionen“ fertig wurde, zurück nach Berlin versetzt zu haben. Das machte
das Argument vom Befehlsnotstand für die jeweils Untergebenen zunichte. Auch das
positive Verhalten in anderen Diensteinsätzen ohne Karriereeinbußen,
Disziplinarmaßnahmen, gar die Todesstrafe zeigte eher, dass eine Entscheidung gegen
das Morden möglich war.
Verfahren und Urteil
Plädoyer der Angeklagten (September 1947)

Am 15. September 1947 wurde das Verfahren durch die Verlesung der Anklage im Beisein
der Angeklagten eröffnet. Dieser Verfahrensschritt gehört als arraignment zum
angelsächsischen Strafprozessrecht. Der Angeklagte muss auf die Verlesung der Anklage
antworten (plea), und sich entweder „schuldig“ oder „nicht schuldig“ bekennen. Alle
Angeklagten im Einsatzgruppen-Prozess antworteten mit „Nicht schuldig im Sinne der
Anklage“. Die Bedeutung dieser Antwort wurde nicht hinterfragt, aber im Laufe des
Prozesses deutlich: Die Verteidigung konnte angesichts der Beweislast nicht die
Tatbeteiligung der Angeklagten anfechten und versuchte daher über
Erlaubnistatbestandsirrtum und Befehlsnotstand die individuelle Schuld der Angeklagten
zu widerlegen. Die Erwiderung „Nicht schuldig im Sinne der Anklage“ entwickelte sich in
den kommenden Jahren zur Standardantwort in Kriegsverbrecherprozessen, auch weil
sich die Strafverteidiger aus den Nürnberger Prozessen zu Spezialisten auf diesem Gebiet
entwickelten und sich koordinierten.[45]

Hauptverhandlung (September 1947 bis Februar 1948)

Die Hauptverhandlung im Einsatzgruppen-Prozess begann am 29. September 1947 vor


dem Militärtribunal II-A im Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes, in dem
zwei Jahre zuvor der Hauptkriegsverbrecherprozess stattgefunden hatte. Der leitende
Staatsanwalt Benjamin Ferencz eröffnete die Hauptverhandlung mit der Präsentation der
Anklage. Trotz der Bedeutung des Verfahrens und der mindestens sechsstelligen Zahl der
Mordopfer nahm die Anklage für die Präsentation ihrer Beweise nur zwei Verhandlungstage
in Anspruch. Es wurden 253 Beweisstücke vorgebracht, die fast ausschließlich aus
Auszügen aus den „Tätigkeits- und Lageberichten“ der Einsatzgruppen sowie aus
eidesstattlichen Erklärungen der Angeklagten bestanden. Die ungewöhnlich kurze Zeit von
zwei Tagen für die Beweisaufnahme erklärte sich sowohl aus der Stärke der Beweise als
auch aus der Schwierigkeit, Zeugen der Anklage aus der Sowjetunion Stalins vorzuladen
oder gar vor Ort Untersuchungen vorzunehmen. Die Staatsanwaltschaft präsentierte daher
nur zwei Zeugen, Rolf Wartenberg, ein Vernehmer beim OCCWC und François Bayle von
der französischen Marine, der als Graphologe auftrat.[46]

Am 6. Oktober 1947 plädierte mit Rudolf Aschenauer der erste Verteidiger. Sein Mandant
war Ohlendorf. Aschenauer gehörte zu den jüngsten Anwälten des Prozesses, nahm
jedoch schnell eine Führungsrolle auf Seiten der Verteidigung ein, ebenso wie sein
Mandant unter den Angeklagten. Aschenauer hatte einen dramatischen Auftritt, auf den
Richter Musmanno wirkte er wie ein „Shakespeare-Schauspieler“. Zur Überraschung des
Gerichtes stritt Aschenauer weder Tat noch Tatbeteiligung Ohlendorfs ab. Sein Mandant
sei in der besetzten Sowjetunion an Hinrichtungen beteiligt gewesen. Diese Hinrichtungen
seien jedoch als staatliche Selbstverteidigung zu sehen – zumindest habe das sein
Mandant zur Tatzeit geglaubt. Daher läge ein Fall von Putativnotwehr vor. Die
Putativnotwehr existierte sowohl im deutschen Rechtskreis, als auch im
angloamerikanischen Rechtskreis, wo sie im Case Law – wenn auch selten – angewendet
wurde. Der Angeklagte hatte also unschuldige Zivilisten erschießen lassen, aber dies im
Glauben getan, er müsse es tun, um das Deutsche Reich vor dem Bolschewismus (sprich:
„den Juden“) zu schützen und überhaupt die fortgesetzte Existenz des deutschen Volkes
im „Todeskampf mit der Sowjetunion“ sicherzustellen. Die zweite Verteidigungslinie
Aschenauers war der Befehlsnotstand. Ohlendorf hätte militärischer Führung
unterstanden, und durch eine direkte Befehlskette von Hitler über Bruno Streckenbach sei
ihm durch den „Führerbefehl“ der Befehl zur Vernichtung der Juden erteilt worden.
Nichtbefolgung hätte schlimme Folgen für Ohlendorf gehabt – im Krieg sei
Befehlsverweigerung mit dem Tode bestraft worden.[47]

Die Hauptverhandlung dauerte bis Februar 1948, und nahm 78 Verhandlungstage ein. Vom
4. bis zum 12. Februar 1948 plädierten die Strafverteidiger. Am 13. Februar 1948 fand das
Schlussplädoyer der Anklage statt.[48]

Strafmaß und Urteil (März bis April 1948)

Bei der Beratung des Urteils nach Abschluss der Hauptverhandlung wurde den drei
Richtern Musmanno, Speight und Dixon schnell klar, dass sie nach geltendem Recht
Todesurteile verhängen würden. Musmanno hatte schon im Pohl-Prozess als Richter an
Todesurteilen mitgewirkt, aber nicht als leitender Richter. Nun trug er schwer an seiner
Verantwortung, da er in der Vergangenheit gegen die Todesstrafe gearbeitet hatte: im
Versuch, die Exekution von Sacco und Vanzetti aufzuhalten, und als Strafverteidiger und
Revisionsrichter in Pennsylvania. Ferencz gegenüber äußerte Musmanno in einem Brief
nach Verkündung des Urteils, dass er die Verhängung der Todesstrafe als „unerträgliche
Last“ auf seinem Gewissen empfinde. Musmanno verbrachte schlaflose Nächte mit dem
Gedanken daran, einem Menschen ins Gesicht zu sehen, und ihm zu verkünden, dass er
sterben müsste. Musmanno, italo-amerikanischer Herkunft und katholisch, bat einen alten
Freund, U.S. Army Chaplain Francis Konieczny um seelischen Beistand.[49]

Gegen Ende März hatte das Richterkollegium die Arbeit der Urteilsfindung abgeschlossen.
Konieczny half Musmanno auf dessen Bitte hin, einen Rückzugsort zum „Meditieren und
Beten“ zu finden. Dieser Ort war ein Kloster 50 km von Nürnberg entfernt, wo Musmanno
einige Wochen verbrachte. Dabei standen ihm die Mönche Stephan Geyer vom Kloster
Seligenporten und Carol Mesch zur Seite. Mesch sprach neben seiner Muttersprache auch
Italienisch und übersetzte für Geyer, der nur Deutsch sprach. Dazu lud Musmanno noch
Lieutenant Giuseppe Ercolano ein, den er aus seiner Zeit in Krieg in Italien kannte. Der
Inhalt der Gespräche ist nicht überliefert, doch gibt es einen signifikanten Hinweis darauf,
wie Musmanno die Todesstrafe mit seinem Gewissen vereinbaren konnte: Jeder zum Tode
verurteilte Angeklagte hatte im Verfahren Morde selbst zugegeben. Angeklagte, die trotz
erdrückender Beweislast alles abstritten, erhielten keine Todesstrafe. In diesem Sinne blieb
Musmanno seiner Einstellung zur Todesstrafe treu: Wo die Gefahr eines Justizirrtums
bestand, lehnte er sie als unrevidierbar ab, doch beim Vorliegen eines Geständnisses und
einer großen Schuld hielt er sie für die richtige Strafe.[49]

Vom 8. bis 9. April 1948 sprach das Gericht die Urteile im Einsatzgruppen-Prozess. Alle
Angeklagten wurden schuldig gesprochen. Bis auf die Beschuldigten Rühl und Graf, denen
lediglich die Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation zur Last gelegt wurde,
waren die weiteren Angeklagten zusätzlich auch wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit verurteilt worden.[50] Am 10. April 1948 wurde das Strafmaß
festgelegt.[48] Es gab 14 Todesurteile: Ohlendorf hatte schon als Zeuge im
Hauptkriegsverbrecherprozess die Ermordung von 90.000 Menschen zugegeben. Blobel
hielt die Zahl seiner Opfer von Babyn Jar (33.000) für übertrieben, aber 10.000 bis 15.000
Opfer gab er zu. Blume und Sandberger gaben die Ermordung von Menschen zu, auch
wenn sie auf Befehlsnotstand plädierten. Braune gab das Massaker von Simferopol zu.
Haensch gab zu, Massenerschießungen befohlen und geleitet zu haben, auch wenn ihm
die genaue Zahl entfallen war. Naumann hielt den „Führerbefehl“ immer noch für korrekt
und hatte entsprechend gehandelt, auch wenn ihm die Opferzahl von 135.000 „etwas
übertrieben“ erschien. Biberstein nahm an Hinrichtungen teil, um die Erfahrung zu machen.
Schubert gab zu, die Hinrichtung von 800 Menschen geleitet zu haben. Seibert war als
Stellvertreter Ohlendorfs an dessen Morden mitschuldig. Strauch gab zu, den Befehl
ausgeführt zu haben. Klingelhöfer hoffte auf den Sieg Hitlers und hatte den Befehl
ausgeführt.[49] Auch Ott und Steimle erhielten die Todesstrafe.[51] Angeklagte, die keinen
Mord zugaben (Fendler, Nosske, Radetzky, Rühl, Schulz und Six) wurden zu langen
Haftstrafen verurteilt. Selbst Jost, im SS-Generalsrang und Kommandeur der
Einsatzgruppe A, wurde nicht zum Tode verurteilt, denn er hatte seine Taten nicht
zugegeben. Graf war der einzige Angeklagte, der den Gerichtssaal als freier Mann verließ,
sein Strafmaß war mit der Dauer der Untersuchungshaft abgegolten.[49]
Vollzug der Urteile
Nach der Urteilsverkündung wurden auch die Verurteilten des Einsatzgruppenprozesses
bis auf Graf, dessen Haftstrafe bereits durch die Untersuchungshaft abgegolten war, in das
Kriegsverbrechergefängnis Landsberg zur Strafverbüßung überführt. Die zum Tode
Verurteilten mussten rote Jacken tragen und wurden daher allgemein als „Rotjacken“
bezeichnet.[52] Die Gefangenen konnten an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen und
auch selbst solche organisieren. Viele der in Landsberg inhaftierten Häftlinge traten
während ihrer Haftzeit der Kirche wieder bei, so auch Blobel und Klingelhöfer.[53] Bis auf
Nosske reichten alle Verurteilten des Einsatzgruppen-Prozesses Gnadengesuche ein, die
jedoch durch den amerikanischen Militärgouverneur Lucius D. Clay im März 1949
abschlägig beschieden wurden.[9] Derweil regte sich in der deutschen Öffentlichkeit Kritik
am amerikanischen War Crimes Program, insbesondere von kirchlicher und politischer
Seite. Im Zuge kollektiver Verdrängung setzten ab Ende der 1940er Jahre Kampagnen für
die in Landsberg einsitzenden Gefangenen ein. Die Gefangenen wurden als Opfer
dargestellt, die unter Befehlsnotstand gehandelt hätten, durch rachsüchtige Zeugen
verleumdet und aufgrund fragwürdiger Rechtsgrundlagen verurteilt worden seien. Die
Urteile selbst wurden als „Siegerjustiz“ diffamiert. Die Proteste hingen ursprünglich mit den
Überprüfungsverfahren zum Dachauer Malmedy-Prozess zusammen, der am 18. Juli 1946
endete. In diesem Verfahren waren alle 73 Angeklagten wegen der Erschießung
amerikanischer Kriegsgefangener während der Ardennenoffensive für schuldig befunden
worden. Insgesamt wurden 43 Todesurteile ausgesprochen. Von den Anwälten der
Verurteilten des Malmedy-Verfahrens wurden die amerikanischen Vernehmungsbeamten
öffentlich beschuldigt, durch Folter Geständnisse von den Beschuldigten erzwungen zu
haben. Die US-Army nahm deshalb interne Ermittlungen auf, die keine Hinweise auf
systematische Misshandlungen der Beschuldigten erbrachten. Zudem wurde eine faire
Verhandlung bescheinigt. Dennoch fand der Protest in der Folge nicht nur bei den
Gefangenen, deren Familien und Anwälten, sondern schließlich auch bei Vertretern der
katholischen und evangelischen Kirche, der Presse und öffentlicher Einrichtungen
Unterstützer. Zudem weitete sich diese Kritik allmählich auch auf die anderen Verfahren
der Dachauer und Nürnberger Folgeprozesse aus. Die Unterstützerpropaganda forderte
nun die Überprüfung aller Verfahren der Nürnberger und Dachauer Prozesse und daraus
resultierend die Aussetzung der Todesstrafen sowie Reduktion der Haftstrafen. Diese
Forderungen wurden mit dem Hinweis auf Befehlsnotstand, nicht rechtsstaatliche
Vernehmungsmethoden, fragwürdige Rechtsgrundlagen, ungleiche Strafzumessung bei
identischem Tatbestand und später auch Abschaffung der Todesstrafe untermauert.[54]
Anstelle des Begriffs „Kriegsverbrecher“ wurde ab Anfang der 1950er Jahre für die in
Landsberg Inhaftierten vielfach die Bezeichnung „Kriegsgefangene“ bzw.
„Kriegsverurteilte“ verwendet. In der Presse und Politik setzte sich statt des Begriffs
Kriegsverbrecher allmählich der Terminus sogenannte Kriegsverbrecher durch oder wurde
nur noch in Anführungszeichen gesetzt. Letztlich wurden Kriegsverbrecher vielfach nicht
mehr als solche bezeichnet.[55]

Als Vertreter der katholischen Kirche engagierten sich insbesondere der Kölner Kardinal
Josef Frings sowie der Weihbischof im Erzbistum München und Freising Johannes
Neuhäusler, der als Sonderhäftling im KZ Sachsenhausen und im KZ Dachau inhaftiert
gewesen war. Neuhäusler und Frings intervenierten zugunsten der Landsberger
Inhaftierten vehement bei amerikanischen Politikern und Kongressabgeordneten und
erreichten auch eine positive Stellungnahme des Vatikans.[56] Neuhäusler engagierte sich
auch für Blobel.[57]

Theophil Wurm, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, stand an


der Spitze des Engagements von Vertretern der evangelischen Kirche für die Landsberger
Gefangenen. Gemeinsam mit Neuhäusler begründete er 1949 die „Christliche
Gefangenenhilfe“, die ab Oktober 1951 als Verein Stille Hilfe für Kriegsgefangene und
Internierte weitere Unterstützer- und Lobbyarbeit leistete. Der Rechtsberater von Wurm
bezeichnete im März 1949 die Verbrechen der Einsatzgruppen als „auf Jahrzehnte hinaus
die schwerste Belastung des deutschen Namens in der Welt“ und riet von weitergehendem
Engagement zugunsten der „Ohlendorf-Gruppe“ ab. Dennoch setzte sich Wurm auch für
die Verurteilten des Einsatzgruppen-Prozesses ein.[58] Ein weiterer prominenter
evangelischer Fürsprecher der „Kriegsverurteilten“ war Otto Dibelius.

Weitere Lobbyarbeit zugunsten der in Landsberg Inhaftierten wurde vom Heidelberger


Juristenkreis geleistet, dem als zentrale Person des Protestes Rudolf Aschenauer
angehörte. Neben Juristen, Richtern, Beamten des Justizministeriums gehörten dieser
Vereinigung auch Verwaltungsfachleute der evangelischen und katholischen Kirche an.[59]

Die deutsche Bevölkerung lehnte das amerikanische War Crimes Program größtenteils ab.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch deutsche Politiker zugunsten der Landsberger
Häftlinge bei den maßgeblichen amerikanischen Instanzen intervenierten. Nach Gründung
der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 appellierte auch Bundeskanzler Konrad
Adenauer Ende Februar 1950 an McCloy, nach der im Grundgesetz verankerten
Abschaffung der Todesstrafe die Hinrichtungen auszusetzen und die Urteile in Haftstrafen
umzuwandeln. Im Deutschen Bundestag vertraten bis auf die Abgeordneten der KPD und
einige SPD-Abgeordnete alle dort vertretenen Parteien diese Haltung. Insbesondere
setzten sich Vertreter der FDP für die in Landsberg Inhaftierten ein.[60] Für Sandberger
engagierten sich beispielsweise Bundespräsident Theodor Heuß und Carlo Schmid.[58]
Selbst in den USA, wo die Durchführung der Nürnberger Prozesse mehrheitlich befürwortet
wurde, initiierten rechtskonservative und antikommunistische Politiker Kampagnen
zugunsten der in Landsberg Inhaftierten. Als Gegner der Truman-Regierung
instrumentalisierten insbesondere die amerikanischen Senatoren William Langer (North
Dakota) und Joseph McCarthy (Wisconsin) die „Kriegsverbrecherfrage“,[61] da in den von
ihnen vertretenen Bundesstaaten viele Amerikaner deutscher Herkunft lebten. So
intervenierte Langer erfolgreich für Sandberger.[58]

Die von dem amerikanischen Kriegsminister Kenneth Claiborne Royall eingesetzte


Simpson-Kommission untersuchte schließlich 65 Todesurteile und stellte die
Rechtmäßigkeit der Verfahren fest. Die Kommission empfahl jedoch die Umwandlung von
29 Urteilen in lebenslange Haftstrafen und die Einrichtung einer permanenten
Begnadigungsinstanz. Der Abschlussbericht vom 14. September 1948 wurde aber
zunächst nicht veröffentlicht. Nach einem vorübergehenden Exekutionsstopp wurden die
Hinrichtungen Ende 1948 in Landsberg wieder aufgenommen. Die Ergebnisse der
Simpson-Kommission wurden schließlich am 6. Januar 1949 doch veröffentlicht,[54]
wahrscheinlich weil ein Kommissionsmitglied öffentlich behauptete, der
Kommissionsvorsitzende habe Beweise für Foltervorwürfe unterschlagen.[62]

„Gerechtigkeit durch Gnade“ – McCloy und das Peck Panel (März bis
August 1950)

Aufgrund dieser wachsenden Kritik am amerikanischen War Crimes Program wurde


seitens General Thomas T. Handy, dem Oberbefehlshaber der US-Army in Europa (United
States European Command), am 28. November 1949 die von der Simpson-Kommission
empfohlene Einrichtung einer Begnadigungskommission (War Crimes Modification Board)
für die Verurteilten der Dachauer Prozesse befohlen.[63] Der amerikanische Hohe
Kommissar John McCloy, der die Gnadenbefugnis für die Verurteilten aus den Nürnberger
Prozessen innehatte, richtete im März 1950 ein entsprechendes Äquivalent ein. Das
dreiköpfige Advisory Board on Clemency for War Criminals wurde nach seinem
Vorsitzenden David W. Peck allgemein Peck Panel genannt. Im Grundsatz sollte laut
McCloy „Gerechtigkeit durch Gnade“ geübt werden.[64] Für die zwanzig noch in
amerikanischer Haft befindlichen Verurteilten aus dem Einsatzgruppen-Prozess empfahl
das Peck Panel am 28. August 1950 in sieben Fällen eine Beibehaltung der Todesstrafe.
Viermal sollte die Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden, und in drei
Fällen sollte eine Freiheitsstrafe verkürzt werden. Sechs Verurteilte sollten nach der
Empfehlung sofort freigelassen werden, zwei davon hatten im Prozess noch ein Todesurteil
erhalten.[65]

Ein Gnadengesuch für Radetzky wurde durch den evangelischen Pfarrer Karl Ermann aus
Landsberg beispielsweise folgendermaßen begründet: „Im Dezember 1948 hat er auf
Bitten des Anstaltspfarrers die Aufgabe übernommen, mit einem Kreis von Gefangenen ein
Krippenspiel zu erarbeiten, das dann am Heiligen Abend in der Gefängniskirche gespielt
wurde. Am Weihnachtsfest 1949 gestaltete er einen weihnachtlichen Abend in Lied,
Dichtung und Musik. […] In vielen Abenden, die unter dem Thema ‚Kammermusik und
Dichtung‘ standen, verstand er es, den Mitgefangenen die Welt der klassischen deutschen
Dichtung und Musik nahezubringen. […] Ich bin gewiß, daß er sich draußen bestens
bewähren wird und daß er nicht unwesentlich zur Stärkung der aufbauwilligen Kräfte in
unserem Volk beitragen kann.“[53]

Öffentlicher Druck und McCloys Entscheidung (September 1950 bis


Januar 1951)

Der öffentliche Protest manifestierte sich schließlich während einer Demonstration in


Landsberg am 7. Januar 1951. Bis zu 4000 Teilnehmer aus Landsberg am Lech und
Umgebung fanden sich um elf Uhr auf dem Landsberger Hauptplatz ein, um gegen die
Wiederaufnahme der Hinrichtungen und für die Begnadigung der Gefangenen im
Kriegsverbrechergefängnis Landsberg zu demonstrieren. Bereits im Vorfeld fuhren
Lautsprecherwagen im Auftrag der Stadtverwaltung durch Landsberg, um die Einwohner
zur Teilnahme an der Demonstration aufzurufen. Neben den Bundestagsabgeordneten
Gebhard Seelos von der Bayernpartei und Richard Jaeger von der CSU nahmen auch
Vertreter des Bayerischen Landtags, der Kirchen und der ortsansässigen Behörden teil.
Etliche jüdische Displaced Persons, die zum Gedenken der mehr als 90.000 durch die
Einsatzgruppe D ermordeten Juden ebenfalls nach Landsberg gekommen waren, störten
die Kundgebung durch Zwischenrufe wie „Massenmörder“, als Seelos auf Ohlendorf und
weitere Inhaftierte des Einsatzgruppen-Prozesses zu sprechen kam. Die Polizei ging mit
Gummiknüppeln gegen die jüdischen Gegendemonstranten vor. Auch antisemitische
Parolen wie „Juden raus“ sollen gefallen sein, wie die Süddeutsche Zeitung nach der
Demonstration berichtete.[66] Auf dem Höhepunkt der Begnadigungskampagne zum
Jahreswechsel 1950/51 erhielt McCloy Morddrohungen und wurde daraufhin samt seiner
Familie von Leibwächtern geschützt. Selbst der SPD-Vorsitzende und ehemalige KZ-
Häftling Kurt Schumacher sowie die Schwester von Sophie Scholl, Inge Scholl,
protestierten gegen die Hinrichtungen. Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg, bekannt
als die „Mutter der Landsberger Häftlinge“ und spätere Präsidentin der Stillen Hilfe, wurde
persönlich bei McCloys Ehefrau vorstellig, damit diese sich bei ihrem Ehemann für
Begnadigungen einsetzen sollte.[67]

Die Proteste zeigten schließlich Wirkung. Das Strafmaß der zu diesem Zeitpunkt noch 89
Inhaftierten der Nürnberger Prozesse wurde am 31. Januar 1951 in 79 Fällen reduziert. In
zehn Fällen wurde es jedoch bestätigt, darunter auch fünf Todesurteile.[68] Von den zum
Tode Verurteilten des Einsatzgruppen-Prozesses betraf dies Blobel, Braune, Ohlendorf
und Naumann aufgrund der von McCloy konstatierten „Ungeheuerlichkeit der
Verbrechen“.[9] Strauch war bereits aufgrund eines Auslieferungsgesuches an Belgien
ausgeliefert worden und wurde dort ebenfalls zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde jedoch
aufgrund von „Geisteskrankheit“ nicht vollzogen.[69] Bei den weiteren zum Tode Verurteilten
des Einsatzgruppen-Prozesses wurde bei Sandberger, Ott, Biberstein und Klingelhöfer die
Todesstrafe in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Die Abänderung von
Todesurteilen in lebenslange Haft beim Auftauchen geringfügigster Zweifel wurde der
Angemessenheit halber auch auf jene Verurteilte ausgedehnt, die bei gleicher Position und
Verantwortung Verbrechen begangen hatten.[70] Blumes Todesurteil wurde auf 25, das von
Steimle auf 20, das von Haensch und Seibert auf jeweils 15 und das von Schubert auf 10
Jahre Haft reduziert.[9] Die Haftstrafen wurden ebenfalls abgesenkt. Radetzky und Rühl
wurden bereits im Februar 1951 aufgrund verbüßter Haft entlassen. Die lebenslangen
Haftstrafen von Jost und Nosske wurden auf 10 Jahre, die 20-jährige Haftstrafe bei Six auf
10 und bei Schulz auf 15 sowie Fendlers 10-jährige Haftstrafe auf 8 Jahre Haft reduziert.[71]

Mehrfacher Aufschub und Vollzug: Die letzten Todesurteile (Februar bis


Juni 1951)

Neben den vier bestätigten Todesurteilen des Einsatzgruppen-Prozesses wurde auch


jenes gegen Oswald Pohl bestätigt. Pohl, zuvor Leiter des WVHA, wurde im Prozess
Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS zum Tode verurteilt. Letztlich wurden noch
jene Todesurteile gegen Georg Schallermair und Hans-Theodor Schmidt bestätigt, die
während der Dachauer Prozesse in einem Nebenprozess zum Dachau-Hauptprozess
beziehungsweise dem Buchenwald-Hauptprozess zum Tode verurteilt worden waren. Für
die Hinrichtungen war als Scharfrichter Feldwebelleutnant Britt vorgesehen, der durch
seinen Assistenten Josef Kilian erst theoretisch angelernt werden musste. Der ehemalige
Funktionshäftling Kilian war im Nordhausen-Hauptprozess, der im Rahmen der Dachauer
Prozesse stattfand, aufgrund seiner Tätigkeit als Henker im KZ Mittelbau zu lebenslanger
Haft verurteilt worden. John C. Woods, der ab Mitte 1946 die Exekutionen im
Kriegsverbrechergefängnis vorgenommen hatte, war bereits in die USA zurückgekehrt und
1950 verstorben.[72]

Die sieben Todeskandidaten wurden nach Bekanntgabe dieser Entscheidung umgehend


in die Kellerzellen des Kriegsverbrechergefängnisses verbracht. Dort wurde ihnen von
Graham die Bestätigung ihrer Todesurteile mitgeteilt und die Möglichkeit der Abgabe eines
Gnadengesuchs eröffnet. Die Exekutionen sollten am Donnerstag den 15. Februar 1951
nach Mitternacht vollzogen werden, und die Todeskandidaten mussten bereits ihren Besitz
und auch die Unterbekleidung abgeben. Noch am 15. Februar 1951 um 3:00 Uhr verfügte
der United States Solicitor General Philip B. Perlman die Aussetzung der Hinrichtungen der
sieben „Rotjacken“ nach Intervention durch deren Rechtsbeistand Warren Magee in
Washington, D.C. Die zu Exekutierenden wurden daraufhin wieder in den Trakt D des
Kriegsverbrechergefängnisses verbracht.[72] Eine für den 24. Mai 1951 angesetzte
Exekution der „Rotjacken“ wurde nach dem gleichen Ablauf am 25. Mai 1951 ebenfalls
ausgesetzt.[73]
Ein weiterer Exekutionstermin wurde schließlich für den 7. Juni 1951 angesetzt. Bereits am
6. Juni 1951 wurden die Sicherheitsmaßnahmen im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg
verschärft. Ein letztes Mal erhielten die sieben Todeskandidaten am 6. Juni 1951 Besuch
von ihren Ehefrauen. An diesem Tag lehnte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten
Staaten abschließend einen Antrag auf Verschiebung der Exekutionen ab. Um 23:00 Uhr
wurde den Todeskandidaten in ihren Zellen von Graham die endgültige Entscheidung des
Obersten Gerichtshofes und der für Mitternacht festgelegte Exekutionszeitpunkt mitgeteilt.
Danach wurden sie noch von den beiden Anstaltsgeistlichen in ihren Zellen aufgesucht.
Am 7. Juni 1951 wurden im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg zwischen 0:00 und 2:30
Uhr schließlich die sieben Todesurteile durch Erhängen vollstreckt.[74] Während der
Hinrichtungen waren auch der deutsche Vizekanzler Franz Blücher und der
Bundesfinanzminister Fritz Schäffer anwesend.[75] Es waren die letzten der insgesamt 255
nach Kriegsende in Landsberg vollzogenen Exekutionen.[72] Die Leichname von Pohl,
Naumann und Blobel wurden auf dem Spöttinger Friedhof in Landsberg beigesetzt und die
der anderen in deren Heimatorten.[74]

Begnadigung, Haftverkürzung und Strafaussetzung auf Bewährung (1951


bis 1958)

Schließlich nahm im August 1955 der im Deutschland-Vertrag beschlossene paritätische


Gnadenausschuss, bestehend aus drei deutschen und drei Vertretern der Westalliierten,
seine Arbeit auf. Die deutschen Mitglieder standen unter dem starken Druck der deutschen
Öffentlichkeit nach Freilassung der Inhaftierten, während die alliierten Vertreter Rücksicht
auf die dortige öffentliche Meinung nehmen mussten.[76] Auch die zu Haftstrafen
Verurteilten des Einsatzgruppen-Prozesses erhielten im Laufe der 1950er Jahre „on
parole“ – mit Auflagen, das heißt auf Bewährung – ihre Freiheit. Am 9. Mai 1958 wurden
die letzten vier Landsberger Häftlinge entlassen, darunter Ott, Sandberger und
Biberstein.[77] Ihre Haftstrafen wurden in befristete Freiheitsstrafen umgewandelt, womit die
Haft rückwirkend als verbüßt galt.[78] Damit endete das War Crimes Program in der
Bundesrepublik Deutschland und die Tätigkeit des Begnadigungsausschusses.[79]
Wertungen und Wirkungen
In dem nach rechtsstaatlichen Normen geführten Einsatzgruppen-Prozess stand, ebenso
wie bei den anderen Kriegsverbrecherprozessen der Alliierten, zunächst die
rechtsstaatliche Ahndung der NS-Verbrechen im Vordergrund. Laut Aussagen eines
Einsatzgruppenangehörigen, der als Zeuge im Einsatzgruppen-Prozess auftrat, kannten
die Vernehmungsbeamten jedoch nicht das wahre Ausmaß der Verbrechen in den
besetzten Teilen der Sowjetunion. Um die Angeklagten und sich nicht zu belasten, habe er
selbst sehr zurückhaltend ausgesagt. Zudem fehlten Dokumente und Zeugen, um
Sachverhalte eindeutiger aufklären und so die Verantwortung für Verbrechen einzelner
Angeklagter präzisieren zu können.[58] Der Einsatzgruppen-Prozess, in der
zeitgenössischen Presse als „größter Mordprozess der Geschichte“ bezeichnet,[80] führte
trotz teilweise umfassender Berichterstattung nicht zu einer breiten öffentlichen
Diskussion.[58]

Dennoch wurde, in Relation zu den anderen Nürnberger Folgeprozessen, in diesem


Verfahren die höchste Anzahl an Todesurteilen verkündet.[9] Das ab Ende der 1940er Jahre
einsetzende „Gnadenfieber“ war nicht nur der deutschen und teilweise amerikanischen
Unterstützerpropaganda geschuldet, die vehement zugunsten der Verurteilten
intervenierte. Den Westalliierten lag im Zuge des Kalten Krieges sehr daran,
Westdeutschland als Bündnispartner zu gewinnen und nicht durch vermeintliche
„Siegerjustiz“ zu verprellen.[81]

Nach ihrer Haftentlassung konnten auch die nach dem Einsatzgruppen-Prozess in


Landsberg Inhaftierten Heimkehrerentschädigungen erhalten und sich in die
bundesdeutsche Gesellschaft integrieren. So erhielt Steimle eine Anstellung an einem
pietistischen Internat[58] und Biberstein beim Kirchengemeindeverband Neumünster.[82]
Jost und Blume waren später als Wirtschaftsjuristen und Haensch als Industriejurist tätig.
Nosske wurde Rechtsberater bei einem Mieterverein, und Six arbeitete als Werbeleiter bei
der Porsche-Diesel-Motorenbau. Seibert war als Kreditsachbearbeiter bei einer
Exportfirma beschäftigt, und Rühl, Radetzky, Fendler sowie Sandberger wurden als
kaufmännische Angestellte tätig.[83]

Chefankläger Ferencz verkündete vor dem Prozess, dass das Verfahren dazu beitragen
sollte, künftig die Tötung von Menschen aus rassischen, religiösen und politischen Motiven
als Völkermord strafrechtlich zu verfolgen. Das Urteil beinhaltete die „Wiederverkündung
und Weiterentwicklung internationaler Grundsätze“, welche „in gleicher Weise für Einzelne
und Nationen bindend“ sein sollten.[84] Heribert Ostendorf merkt dazu an, dass durch die
Nürnberger Prozesse das Ziel, ein wirksames internationales Strafrecht zu etablieren,
letztlich nicht erreicht wurde.[85]
Der Darstellung Ohlendorfs, der in seiner Verteidigungsstrategie durchgehend behauptete,
dass es einen allgemeinen „Judentötungsbefehl“ bereits vor dem Krieg gegen die
Sowjetunion gegeben habe, wurde von den anderen Angeklagten während des Prozesses
nicht widersprochen. Die These, es sei ein Befehl zur Ermordung der gesamten jüdischen
Bevölkerung schon vor dem September 1941 ergangen, wurde anfangs von einem Großteil
der Historiker übernommen (vgl. NS-Forschung und Holocaustforschung).[86] In den 1960er
Jahren rückten Nosske und Sandberger von dieser Darstellung ab; so erinnerte sich
Nosske, diesen Befehl erst im August 1941 erhalten zu haben. Diese Richtigstellung, dass
es einen allgemeinen „Judentötungsbefehl“ im Juni 1941 noch nicht gab, wurde durch
Erkenntnisse und Forschungen zu bundesdeutschen NS-Prozessen mit dem Tatkomplex
„Einsatzgruppenverbrechen“ bestätigt. Aufgrund dieser Tatsache handelten die
Hauptverantwortlichen der Einsatzgruppen zunächst in Eigenverantwortung, die auf
Befehlsnotstand basierende Verteidigungsstrategie entbehrte somit der Grundlage.[9]
Spätere juristische Aufarbeitung der
Einsatzgruppenverbrechen
Die Verbrechen der Einsatzgruppen drangen erst mit dem Ulmer Einsatzgruppen-Prozess
ins breitere öffentliche Bewusstsein. Im Ulmer Einsatzgruppenprozess, der vom 28. April
1958 bis 29. August 1958 durchgeführt wurde, mussten sich zehn ehemalige Angehörige
des Einsatzkommandos Tilsit dafür verantworten, im Sommer 1941 etwa 5500 jüdische
Männer, Frauen und Kinder im deutsch-litauischen Grenzgebiet ermordet zu haben. Unter
ihnen befanden sich die Leiter des Einsatzkommandos Tilsit Hans-Joachim Böhme,
Bernhard Fischer-Schweder und der Leiter des SD-Abschnitts Tilsit Werner Hersmann.[87]
Der zuständige Oberstaatsanwalt Erwin Schüle wertete die Unterlagen des
Einsatzgruppen-Prozesses in Nürnberg, die vorhandene Fachliteratur, SS-Personalakten
und die erhalten gebliebenen „Einsatzmeldungen UdSSR“ aus, um das Verbrechen
aufzuklären. Unter den 173 Zeugen befanden sich sechs der in Landsberg Begnadigten
des Nürnberger Einsatzgruppen-Prozesses, so auch Sandberger. Im Ulmer
Einsatzgruppenprozess wurden alle Angeklagten schuldig gesprochen und mit drei bis zu
fünfzehn Jahren Zuchthaus sowie vorübergehendem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte
bestraft.[88] Während des Prozesses traten schockierende Details zutage, so Fotografien
der Verbrecher am Tatort nach Begehung der Verbrechen und Aussagen über die
Trinkgelage nach der Tat, welche mit dem Geld der Opfer bezahlt wurden. Die Mentalität
des „Nicht-Wissen-Wollens“ wandelte sich daraufhin in der deutschen Bevölkerung. Nun
sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung für die strafrechtliche Ahndung von NS-
Verbrechen aus.[88] Die während des Ulmer Prozesses offensichtlich gewordenen
Versäumnisse in Justiz und Politik bei der Ahndung von NS-Verbrechen in den 1950er
Jahren führten dazu, dass die Justizminister der Länder im Oktober 1958 die Zentrale Stelle
der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
gründeten. Bereits im Dezember 1958 nahm diese Behörde Vorermittlungen zu den im
Ausland begangenen Konzentrationslager- und Einsatzgruppenverbrechen auf, mit Schüle
als erstem Leiter.[89] Das Beweismaterial über die Verbrechen der Einsatzgruppen und -
kommandos wurden ausgewertet und danach Ermittlungsverfahren durchgeführt.
Zwischen 1958 und 1983 fanden fünfzig Prozesse mit 153 Angeklagten statt.[90] So
erhielten beispielsweise die Führer von Einsatzkommandos der Einsatzgruppen Albert
Rapp, Albert Filbert, Paul Zapp lebenslange Haftstrafen und Otto Bradfisch, Günther
Herrmann, Erhard Kroeger, Robert Mohr sowie Kurt Christmann zeitige Haftstrafen.
Oswald Schäfer wurde aus Beweismangel freigesprochen, bei Bernhard Baatz wurde
aufgrund von Verjährung und bei Erich Ehrlinger wegen Verhandlungsunfähigkeit das
Verfahren eingestellt. Karl Jäger und August Meier begingen in der Untersuchungshaft
Suizid. Auch in der DDR kam es zu mindestens acht Verfahren gegen Angehörige von
Einsatzgruppen, in denen Todesurteile und lebenslängliche Haftstrafen ausgesprochen
wurden.[91]
Literatur
Primärliteratur und Memoiren

• Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law
No. 10., Vol. 4: United States of America vs. Otto Ohlendorf, et. al. (Case 9:
„Einsatzgruppen Case“). US Government Printing Office, District of Columbia 1950. (Band
4 der 15-bändigen „Green Series“ über die Nürnberger Nachfolgeprozesse. Der Band
enthält u.a. Anklage, Urteil und Auszüge aus den Prozessunterlagen.)

• Die Prozessunterlagen befinden sich in der National Archives and Records Administration
(NARA); die für den Prozess relevanten Bestandsnummern (Record Group) sind 94, 153,
238, 260, 319, 338 und 446. Wesentliche Prozessunterlagen wurden in Form von drei
Mikrofilm-Reihen veröffentlicht:

• Records of the United States Nuernberg War Crimes Trials, United States of America v.
Otto Ohlendorf et al. (Case 9). NARA, Washington 1973. (National Archives Microfilm
Publication M895, 38 Rollen, Inhaltsverzeichnis und Findbuch vom Bearbeiter John
Mendelsohn, Washington 1978.)

• Records of the United States Nuernberg War Crimes Trials Interrogations, 1946–1949.
NARA, Washington 1977. (National Archives Microfilm Publication M1019, 91 Rollen,
Inhaltsverzeichnis)

• Interrogation Records Prepared for War Crimes Proceedings at Nuernberg 1945–1947.


NARA, Washington 1984. (National Archives Microfilm Publication M1270, 31 Rollen,
Inhaltsverzeichnis)

• Telford Taylor (Hrsg.): Final Report to the Secretary of the Army on Nuernberg War Crimes
Trials under Control Council Law No. 10. US Government Printing Office, District of
Columbia 1950.

• Telford Taylor: The Anatomy of the Nuremberg Trials – a Personal Memoir. Knopf, New
York 1992, ISBN 0-39458355-8.

• Benjamin Ferencz: Von Nürnberg nach Rom. Ein Leben für die Menschenrechte. In:
Aufbau. Das jüdische Monatsmagazin. Zürich, Heft 2/2006, ISSN 0004-7813, S. 6–9.

• Michael A. Musmanno: The Eichmann Kommandos. Macrae Smith, Philadelphia 1961.


(Britische Lizenzausgabe bei Peter Davies, London 1962.)

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