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Dezember 2019
Moderne Staatlichkeit
Zusammenfassung
• Vom sesshaft werden der Menschheit bis hin zur segmentierten Staatlichkeit
des europäischen Mittelalters
- De nition Staatlichkeit:
• Max Weber: Die Gemeinschaft, die „innerhalb eines bestimmten Gebietes […]
das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg)
beansprucht“, also ein auf Legitimität gestütztes „Herrschaftsverhältnis von
Menschen über Menschen“.
• James C. Scott: Webers De nition ist berühmt und elegant. Sie setzt aber so
vieles bereits voraus, was Staaten ausmacht...
• Rational
• Traditional
- auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen
und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen ruhen (traditionale
Herrschaft).
• Charismatisch
- auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft
oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder
geschaffenen Ordnungen (charismatische Herrschaft).
- Warum gibt es Staaten
• Gewalttheorie
- Gewaltsame Etablierung von Hierarchien bei Bevölkerungsverdichtung
- Unterwerfung dörflicher Ansiedlungen
• Friedens-/ Vertragstheorie
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• Gemeinwohltheorie
- Staat leistet etwas, was tribale oder dör iche Einheiten nicht zu leisten
vermögen: Sicherheit, Infrastruktur, Wissensaustausch, Absicherung des
Handels etc.
• Klassenkampftheorie
- Neolithische Revolution
• Die Frage nach der neolithischen Revolution ist deswegen bedeutsam, weil sie
die Voraussetzung jeder Staalichkeit darstellt
• Rücken-Zur-Wand-Theorie
- Das passt allerdings nur bedingt mit den empirischen Befunden zusammen.
So fand der Übergang zur sesshaften Lebensweise wahrscheinlich
ursprünglich in dem als „Fruchtbarer Halbmond bezeichneten Gebiet vor ca.
10.000 Jahren statt. Dieser zeichnet sich durch sehr fruchtbare
Schwemmböden aus.
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- Durch das Zusammenleben und das Domestizieren von Tieren wurden die
Ausbreitungsbedingungen von Krankheiten deutlich verbessert. Die
durchschnittliche Sterblichkeit nahm dadurch deutlich zu.
- Erst ab ca. 4000 v. Chr. führten Anpassung und wachsende Resistenz gegen
Krankheiten dazu, dass die durch die sesshafte Lebensweise ermöglichte
höhere Fruchtbarkeit in einem sukzessiven Anwachsen der menschlichen
Bevölkerung resultierte.
- Frühe Staatlichkeit
• Frühe Staaten waren Agrarzivilisation. Sie zeichneten sich u.a. aus durch:
- Entwaldung
- Sinnierende Religion
- Herrschaftsarchitektur
- Schrift
• James C. Scott: Frühe Staaten waren „Getreidestaaten“, weil nur Getreide eine
verlässliche Besteuerung der Untertanen zulässt
• Langsam bildeten sich größere Staatliche Einheiten heraus. Ägypten stellt ein
frühes Beispiel einer staatlichen Ziviliation dar, dass von besonderen
naturräumlichen Bedingungen pro tierte
- Gutes Beispiel dafür, dass die frühen Staaten sich fast immer in Flusstälern
bildeten
• Das Persische Reich bildete sich um 550 v. Chr. heraus. Das Römische Reich
hatte eine lange Etablierungsphase und erreichte seine größte Ausdehnung um
ca. 115 n. Chr. unter Kaiser Trajan
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- Man darf sich das persische oder das römische Großreich aber nicht als
e zient verwaltete Zentralstaaten vorstellen. Auch hier handelte es sich um
segmentierte HerrschaftsformenDer Provinzgouverneur war kein
„Dienstleister“, sondern zur Selbstherrschaft ermächtigte „Fürsten auf Zeit“.
• Klimatische Veränderungen
• Zur Erhaltung der Herrschaft mussten Kriege geführt werden, die einen
steten Geldzu uss erforderlich machte. Nach Paul Kennedy kamen alle
historischen Großreiche diesbezüglich irgendwann an ihre Grenzen
• Unter Karl dem Großen kam es zu einer Restauration von Staatlichkeit, die aber
an einen permanenten Kriegszustand gekoppelt war.
• Das Heilige Römische Reich war eigentlich kein Staat, sondern der Rahmen für
eine Vielzahl von segmentierten Adelsherrschaften.
• Der Kaiser konnte im Grunde nur herrschen, wenn er präsent war. Aus diesem
Grund befand er sich nahezu permanent auf reisen...
• Auch stand der Kaiser nicht alleine an der Spitze der Christenheit, sondern er
teilte diese Rolle mit einer geistigen Gewalt, nämlich dem Papst.
• Für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit war der Rechtspartikularismus
wesentlich. Das bedeutet, Adelsherrschaften hatten ihre eigene
Gerichtsherrschaft und partikulares Recht
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• Im Selbstverständnis des agrarischen Segmentarismus fand der lokale
Urteils ndungsrat ein Recht, das alt, gottgegeben und unabänderlich für den
Menschen war, selbst für den Kaiser
• Der Kaiser besaß jedoch auch verschiedene Rechte, u.a. das der
Privilegienvergabe sowie das Strom- und Straßenregal
- Einführung
• „Territorialisierung“
• Konfessionalisierung.
- Während das Heilige Römische Reich bis in das 16. Jahrhundert hinein die
Einheit der Christianitas repräsentiert hatte, kam es mit der Reformation zu
einer Aufspaltung in unterschiedliche Konfessionen.
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- „Konfessionalisierung“ bezeichnet dabei nicht nur die Etablierung einer
bestimmten Glaubensrichtung, sondern die Aufspaltung von Ländern,
Städten oder Dörfern in bestimmte Konfessionen
- Vor allem wurde mit der Reformation die „Doppelspitze“ aus weltlicher und
geistlicher Gewalt geschwächt. Protestantische Länder hatten darum ein
höheres Potential der Ausbildung einer Zentralstaatlichkeit, als das bei
katholischen Ländern der Fall war
- Das beruhte einerseits auf der Durchsetzung von Kanonen und Schießpulver.
Eine wichtige Rolle spielte dabei das Osmanische Reich, das sich seit 1463
nach Osteuropa „hineinzuerobern“ begann und das seine Erfolge als
„Gunpowder Empire“ begründete
- Erst im Zuge der Revolutionskriege nach 1789 setzte sich die „Levée en
masse“ durch, d.h. die Aufstellung von „Volksarmeen“.
- Seit sich im 13. Jahrhundert das Prinzip der Primogenitur einhergehend mit
der Benachteiligung von Nebenlinien und dem Ausschluss weiblicher
Erbfolge durchsetzten, dünnten die europäischen Monarchien personell
immer mehr aus
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• Österreichischer Erbfolgekrieg (1740-1748)
• Die Reichsreform gewann unter Kaiser Maximilian I. seit dem Wormser Hoftag
1495 an Dynamik. Dabei wurde die innere Organisation des Heiligen Römischen
Reiches fundamental verändert:
• Kaiser und der Reichstag als Versammlung der pazi zierten Reichsstände
waren die beiden bestimmenden Gewalten im Reich
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• Es de nierte also die Grenzen legaler Gewaltanwendung.
• Der interlokale Krieg galt nicht mehr als ritterlich und ehrenvoll.
Kriminalisierung solcher Kon ikte als „Reichsrebellion“ gegen den Kaiser
oder als „Landsfriedensbruch“ gegen Nachbarstände.
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- Erst im 18. Jahrhundert wurden die Institutionen des Reichs zunehmend
ausgehöhlt und verloren an Sinn…
• Das Heilige Römische Reich blieb – nicht zuletzt aufgrund seines Charakters als
Wahlmonarchie – ein partikulares Gebilde
- Konfessionalisierung
• Die Konfessionalisierung nahm ihren Ausgang mit den Thesen Martin Luthers,
die dieser 1517 in Wittenberg verö entlichte
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den Aufbau einer leistungsfähigen Streitmacht und einer strikten
Finanzverwaltung
- Das evangelische Bekenntnis diente Fürsten nicht nur als neue spirituelle
Basis, sondern auch zur Durchsetzung territorialer Herrschaftsansprüche
• Es ist deswegen signi kant, dass Henry VIII. eine anglikanische Kirche
begründete…
• Max Weber: „Art und Maß der Anwendung oder androhung von Gewalt nach
außen spielt für Struktur und Schicksal politischer Gemeinschaften eine
spezi sche Rolle.“
• Die Stärkung der Fürstenherrschaft in der Frühen Neuzeit und damit die
territitoriale Machtkonzentration ist ohne Krieg nicht denkbar
- Die Forschung hat sich lange Zeit darauf konzentriert, dass die sich
verändernden Anforderung der Kriegsführung eine „Staatsverdichtung“ und
Zentralisierung staatlicher Aufgaben notwendig gemacht habe
- Auch nach dem 30-jährigen Krieg dienten Kriege der Staatsbildung. Das war
etwa bei den beiden „Newcomern“ unter den europäischen Großmächten im
18. Jahrhundert der Fall: Russland und Brandenburg-Preußen arrondierten
und konsolidierten ihre Macht durch Kriege und territoriale Erwerbungen
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- Krieg und Militär in der frühen Neuzeit
- Das wirksamte Mittel gegen den „Gewalthaufen“ war die Artillerie und
Schusswa en. Beispielsweise wurde die Arkebuse (als Sammelbezeichnung
für eine Gruppe von Vorderladern seit dem 15. Jahrhundert entwickelt
• Bereits im 16. Jahrhundert war der Stand der Staatsbildung jedoch soweit,
dass es diesen Kriegsunternehmern nicht mehr gelang, eigene
Herrschaften zu etablieren. Wallenstein scheiterte beispielsweise in
Mecklenburg damit, sich als Reichsfürst einzurichten
- Mitte des 17. Jahrhunderts wurde in Frankreich mit der Aufstellung eines
stehenden Heeres begonnen. Das wurde von den meisten größeren Mächten
übernommen
• Seitdem setzten sich auch sukzessive Uniformen durch. Diese waren bei
wachsenden Heeresgrößen notwendig, um die eigenen Leute zu
identi zieren. Gerade auch, weil man bei intensivem Artillerieeinsatz wegen
des Pulverdampfs praktisch nichts sehen konnte
- Egal in welcher Form: wer Kriege gewinnen wollte, brauchte dafür sehr viel
Geld. Geld bekam man über Kredite oder über Steuern
• Typisch dafür waren etwa Spanien und Schweden. Hohe Besteuerung darf
dabei allerdings nicht mit E zienz verwechselt werden
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• Die militärischen Erfolge des Osmanischen Reiches beruhten neben
Schießpulver und innovativen Militärtaktiken auch auf einer e zienten
Verwaltung und funktionierenden Institutionen (z.B. die sog. „Knabenlese“)
• Die Militärgrenze war zeitweise über 1800 km lang. Sie sollte mit sog.
Wehrbauern besiedelt und durch Festungen gesichert werden
• Zur Abwehr der Türkengefahr brauchte der Kaiser Geld, das über Steuern
aufgebracht werden sollte. Die Landstände mussten dabei nach 1556 ein sog.
„Gült“ leisten, etwa in Form von Soldaten, Pferden, Kriegsgerät
- Zugleich schuf die Rekrutierung von Bauern für die Türkenabwehr und die
Militärgrenze neue Spielräume, sich aus der feudalen Abhängigkeit zu
befreien.
- Annexionsverbot in Europa
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sondern erobert. Das bedeutete eine klare Erweiterung der machtpolitischen
Optionen zur Staatsbildung innerhalb Europas.
- Gleichwohl warf Napoleon das dynastische Prinzip nicht über Bord, sondern
versuchte sich durch Heirat und die Einsetzung von Familienmitgliedern
gewissermaßen in die europäischen Dynastien einzuschreiben
• Eine Regierung besitzt nur dann eine Legitimation, wenn sie von den
Untertanen akzeptiert wird. Sie muss die natürlichen Rechte Leben, Freiheit und
Eigentum beschützen. Wenn das nicht der Fall ist, haben die Untertanen ein
Recht auf Widerstand gegen die Regierenden.
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- Thomas Hobbes: das Widerstandsrecht ist an die Vermeidung des Bürgerkriegs
gekoppelt.
- Die Begründung legitimer Herrschaft auf dem Begri des Eigentums wurde später
als frühkapitalistische Begründung des „Possessive Individualism“ interpretiert.
- Das lässt sich auch als Ausdruck einer Kultur der „Englishness“
interpretieren, die seitdem zunehmend attraktiv wurde und sich durch eine
vergleichsweise „Einfachheit“ und bürgerliche Zurückgenommenheit
auszeichnete.
• Es gab eine lange Tradition der Kon ikte zwischen Krone und Ständen in
England. Das fand seinen berühmten Ausdruck in der „Magna Carta“ von 1215,
die die Macht des Königs Johann „Ohneland“ einschränkte und damit ein
Schlüsseldokument in der Geschichte der Verfassungsstaatlichkeit darstellt.
- Kon ikt resultierte aus dem Versuch Johanns, in die Autonomie der Barone
einzugreifen und verstärkt Steuern („Schildgeld“) zu erheben. Dem wurde mit
der Magna Carta ein Riegel vorgeschoben.
- 1534 löste Henry VIII. die englische Kirche von Rom, um die Scheidung von
Katharina von Aragon zu erreichen. Das war zunächst noch kein
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„reformatorischer“ Akt, weil die Anglikanische Kirche bis auf die Bindung an
den Papst mehr oder weniger dieselbe blieb.
• Die Kon ikte zwischen Krone und Ständen lassen sich somit auch als
Auseinandersetzungen um den Absolutismus verstehen
- Der Kon ikt zwischen Krone und Ständen fand seinen vorläu gen Höhepunkt
in der Hinrichtung Karl I. 1649: Monarchen waren bekanntermaßen früher
schon umgebracht worden. Es war jedoch etwas völlig anderes, einem
Monarchen den Prozess zu machen und ihn ö entlich hinzurichten.
- 1660-1689 Stuart-Restauration
• 1689 trat das neu gewählte Convention Parliament zusammen und setzte
Wilhelm III. von Oranien und Maria II. als Thronfolger ein.
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• Das Parlament sicherte sich „für alle Zukunft“ das Recht, gemeinsam mit
den königlichen Gerichtshöfen den Inhalt und insbesondere die Grenzen
der königlichen Prärogative zu bestimmen. Der Krone wurde ferner das
Recht abgestritten, unliebsame Richter des Amtes zu entheben,
gemeinsame Beschlüsse des Parlaments und der Krone einseitig außer
Kraft zu setzen und schließlich eine Stellung außerhalb des Gesetzes
einzunehmen.
• Es führt kein Weg um die Feststellung herum, dass mit der Glorious
Revolution und der Bill of Rights eine eindeutige Eingrenzung der Macht
des Königs stattfand. Das begründete möglicherweise eine
Reformfähigkeit, die es England ermöglichte, später die Parlamentarische
Demokratie ohne institutionelle Brüche einzuführen.
• Seit dem 15. Jahrhundert hatte sich über einen langen Zeitraum der
„Monarchische Friedens- und Justizstaat“ (Bernd Marquardt) herausgebildet. Er
war zunächst begründet in einer Stärkung der Fürstenherrschaft und dem
Erlass (und der Durchsetzung) des Fehdeverbots nach 1495.
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- Wie souverän die Staaten nach innen tatsächlich waren, ist allerdings bis
heute stark umstritten. Das kann an den Debatten um den Begri des
Absolutismus genauso gezeigt werden wie an der Frage der Besteuerung der
Untertanen.
• Die intensiven Debatten um den Begri des Absolutismus haben gezeigt, dass
von einer „absoluten“ Macht des Königs selbst im Frankreich Ludwig XIV. keine
Rede sein kann.
- Neu war eher die Inszenierung der absoluten Macht des Königs und des
unendlichen Abstands zwischen dem Monarchen und seinen Untertanen.
• Zugleich gab es verschiedene Entwicklungen, die nicht zuletzt mit dem Krieg
und der Etablierung stehender Heere seit der Mitte des 17. Jahrhunderts
zusammenhingen, und zur Staatsbildung beitrugen.
- Dazu gehörte vor allem die Fähigkeit des Staates, seine Untertanen e ektiv
und dauerhaft zu besteuern, um auf diese Weise das Militär zu nanzieren.
Dabei handelte es sich bis zur Ausbildung moderner Sozialstaatlichkeit im 20.
Jahrhundert stets um den mit Abstand größten Posten im Staatshaushalt.
• Der Aufbau einer e zienten Steuerverwaltung war ein zentrales Moment der
Staatsbildung. Sie machte genauso wie die Kriegsführung an sich den Aufbau
von Verwaltungen notwendig, was in den europäischen Staaten allerdings sehr
unterschiedlich ausgeprägt war.
• Staatsbildung war ein gradueller, langfristiger Prozess, bei dem nicht zuletzt der
Glaube und der Krieg eine zentrale Funktion übernahmen und immer wieder
bestehende historische Tendenzen beschleunigten und zum Durchbruch
verhalfen.
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verschiede Kriege während des 16. und des 17. Jahrhunderts: Von den
französischen Religionskriegen bis hin zum Dreißigjährigen Krieg
• Insgesamt fand Staatsbildung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen
des „Ancien Regimes“ statt, d.h. einer ständisch gegliederten Gesellschaft und
ihrer „Präsenzkultur“ (Barbara Stolberg-Rilinger: „Des Kaisers alte Kleider“)
statt.
- Das „Ancien Regime“ wurde im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts durch
zwei Ereignisse grundlegend in Frage gestellt, nämlich die Amerikanische
Revolution (ab 1763) und die Französische Revolution (ab 1789)
• In den dreizehn britischen Kolonien in Nordamerika hatte sich seit dem 17.
Jahrhundert eine im Vergleich zu Europa egalitäre Gesellschaft entwickelte.
Es gab zwar eine „Agrarian Elite“ und „Gentleman Farmers“, die die
politische Elite stellten. Aber in den Kolonien hatte sich keine
Ständegesellschaft im europäischen Verständnis entwickelt
• Der Kon ikt mit Großbritannien eskalierte (einmal wieder) an der Frage der
Besteuerung. Es begann zunächst ein Kon ikt um den Zusammenhang von
Besteuerung und politischer Repräsentation. Anlass war zunächst, dass
die britische Krone nach dem Siebenjährigen Krieg dringend Geld brauchte
und darum die Steuerlast für die Kolonien erhöhte.
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Amerikaner waren hingegen der Meinung, dass sie sich durch ihren Einsatz
in den Franzosen- und Indianerkriegen ausreichend bewährt hätten.
- Mitte der 1780er Jahre wurde Frankreich zudem von einer schweren
Wirtschaftskrise heimgesucht, welche die soziale Unzufriedenheit noch
einmal steigerte
• Die folgende Eskalation der Ereignisse kumulierte am 14. Juli 1789 im Sturm
auf die Bastille. Zwar konnte mittlerweile gezeigt werden, dass man dabei kaum
auf Widerstand traf und auch kaum Gefangene befreit wurden. Jedoch wurde
damit ein Symbol der alten Ordnung beseitigt
- Seit dem Herbst 1792 kam es unter der Herrschaft Robbespierres zu der
Entfaltung des „Terreurs“, der 1793 schließlich Ludwig XIV. zum Opfer el.
Damit problematisierte sich die Revolution im Rahmen des aufgeklärten
Diskurses freilich selbst…
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• Mit der Französischen Revolution wurden die Vorrechte des Adels von der
Konstituante abgescha t, der Adel behielt aber seine Titel. Bauern konnten bei
ihren bisherigen Landherren ihr Land für eine Summe des 20-Fachen der
bisherigen jährlichen Abgaben auslösen
• Zugleich wurde mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte die
Grundsätze einer zu erarbeitenden Verfassung formuliert, welche die
grundlegenden Freiheiten der Bürger festlegte und ihre Gleichheit vor dem
Gesetz postulierte
- Die Amerikanische und die Französische Revolution waren wegweisend für den
historischen Wandel zur modernen Verfassungsstaatlichkeit. Diese brauchte
allerdings noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte bis zu ihrer Verwirklichung.
- “Staat“ ist zunächst einmal lediglich die Bezeichnung für eine bestimmte
politische Ordnung
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- unter einer mehr oder weniger einheitlichen Form der – etablierten,
durchgesetzten oder beschlossenen – Machtausübung lebt.
- Im Vergleich zum Begri des Staates ist der Begri der Nation spezi scher. Er
bezeichnet größere Gruppen oder Kollektive von Menschen, denen
gemeinsame Merkmale wie Sprache, Tradition, Sitten, Bräuche oder
Abstammung zugeschrieben werden.
- Normalen Bauern habe gar nicht das Begri sarsenal zur Verfügung
gestanden, um eine Nationszugehörigkeit formulieren zu können. Der Adel
sei hingegen grundsätzlich, sowohl von seinen Standeseigenschaften wie
von seiner Denkungsart, europäisch orientiert gewesen.
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- Drei Formen von staatlicher Eignung
- Die deutsche Einigung fand allerdings dann 1870/71 vor allem unter
politischen Gesichtspunkten statt. Entscheidend waren „Verspätete
Staatsbildungskriege“ (Johannes Burckhardt), die schließlich die
Vereinigung gegen die partikulären Sonderinteressen möglich machten
- Industrialisierung
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- Die Industrialisierung spielte aus dieser Perspektive eine mehrfache Rolle für
die Entstehung des modernen Nationalstaats:
1. Sie riss die Menschen aus ihren traditionellen sozialen Bedingungen, was
den Nährboden für Integrationsideologien wie den Nationalismus bildete
2. Auf der anderen Seite verscha te die Industrialisierung dem Staat völlig
neue Machtmittel und Möglichkeiten der Ressourcenmobilisierung. Das
sollte die Geschichte der Staatsgewalt besonders im 20. Jahrhundert
entscheidend bestimmen.
- Das war in Europa von großer, in den USA aber von epochaler Bedeutung.
Das Land hatte noch bis in die 1920er Jahre mit seiner „inneren
Staatsbildung“ bzw. „inneren Kolonialisierung“ (Adam Tooze) zu tun. Der
Bau der ersten interkontinentalen Eisenbahnlinien in den 1860er Jahren
(nicht zuletzt eine Reaktion auf die Goldfunde in Kalifornien ab 1848) schuf
die Vereinigten Staaten im Grunde erst als Nationalstaat…
- Die Industrialisierung gab dem Staat neue Mittel der Beherrschung an die
Hand. Der Nationalismus bildete eine der zentralen Ideologien, ohne die die
Entstehung und soziale Integration moderner Nationalstaaten nicht denkbar
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gewesen wäre. Zugleich wurde der Zauberlehrling der Geister nicht mehr Herr,
die er gerufen hatte
- Zum einen wurde nun stärker di erenziert, wer eigentlich zur Nation
gehören sollte. Tradition, Sprache und Kultur wurden etwa beim
zunehmend virulenten Antisemitismus als nicht mehr ausreichend
angesehen, um Teil der Nation zu sein.
- Der Begri „Republik“ stammt aus der Antike („res publica“), war aber lange
Zeit keineswegs gleichbedeutend mit dem heutigen Verständnis als Herrschaft
des Volkes. Republik war vielmehr bei Bodin noch ein Überbegri für
Monarchie und Aristokratie als unterschiedlichen Herrschaftsformen
- Die Idee der Demokratie war aus der Antike bekannt, war aber bereits bei
Aristoteles an bestimmte Bedingungen geknüpft: Vor allem, dass es sich um
eine kleinräumige Stadt handelte und dass die Armen und diejenigen, die keine
Bürger waren, von der Entscheidungs ndung ausgeschlossen waren.
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- Im Mittelalter gab es immer wieder bestimmte Formen der demokratischen
Selbstherrschaft, die aber eher in geographisch abgeschlossenen
Gegenden zu nden waren (wie z.B. Island, aber etwa auch die
„Bauernrepublik“ Dithmarschen)
- Der moderne Begri der Demokratie als Herrschaft des Volkes rückte erst
im Laufe des 18. Jahrhunderts in den Vordergrund.
- Das zentrale Argument, weshalb die Demokratie bis in das 18. Jahrhundert
nahezu von allen relevanten politischen Theoretikern verworfen wurde, war,
dass Demokratie gleichbedeutend mit der Herrschaft des Pöbels sei. Die
Besitzlosen würden in einer Demokratie den Staat sofort in Besitz nehmen.
- Die Idee der Republik als Selbstherrschaft eines Territoriums sowie die
Demokratie als Herrschaft des Volkes bildeten sich seit dem 17. Jahrhundert
heraus und entfalteten dann ihre Wirksamkeit im politischen Diskurs.
- Au ällig ist vielmehr, dass sich die Konzepte Republik und Demokratie seit
dem späten 18. Jahrhundert mit dem modernen Verfassungsstaat
verbanden.
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- Im 19. Jahrhundert gehörte die Forderung nach einer Verfassung zu den
zentralen Forderungen der nationalen Demokratiebewegungen. Die Verfassung
sollte nicht nur sicherstellen, dass der Monarch in seinen Handlungen sich an
grundlegende Gesetze halten musste. Vor allem sollte dadurch das gerade
durch die Etablierung des modernen Anstaltsstaat vorhandene
Missbrauchspotential durch eine Verfassung beherrschbar gemacht werden.
Die Unmittelbarkeit des Staatsbürgers zum Staat bedeutete schließlich auch
die Möglichkeit, dass dieser einen verstärkten Zugri s auf ihn hatte
- Eine wesentliche Voraussetzung dafür war ein Wandel der Staatlichkeit, für den
die Verfassung nur ein Symptom ist, nämlich die Herausbildung des modernen
Anstaltsstaates (Max Weber). Mit Anstaltsstaat ist gemeint, dass der Staat
zunehmend Institutionen ausbildet, die Aufgaben regulär für ihn übernehmen.
Dazu gehört zunächst die Staatsverwaltung, die zunehmend ausgebaut wird
und den Charakter einer regulären Bürokratie annimmt. Das meint
insbesondere die Ausbildung bestimmter Ministerien, wobei die
Kriegsministerien und die Finanzministerien (die sich in den meisten Fällen aus
der fürstlichen „Kammer“ entwickeln) besonders wichtig waren.
- Die bei Bodin formulierte Souveränitätsidee wird, vom Monarchen auf den
Staat übertragen, im 19. Jahrhundert zumindest in Westeuropa
verwirklicht. Die segmentäre Binnenstruktur wird durch die Abscha ung
der Ständegesellschaft beseitigt. Der Staat wird dadurch gegenüber seinen
Untertanen (seit der Französischen Revolution zunehmend als „Citoyen“ –
Staatsbürger bezeichnet) souverän. Das impliziert aber zugleich die
tendenzielle Gleichheit der letzteren gegenüber dem Staat und seinen
Gesetzen.
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mit der gewerblichen Entwicklung (Industrialisierung) und der
Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft kompatiblen Staatsform.
- Nach den Napoleonischen Kriegen wurde jedoch zunächst versucht, die Zeit
wieder zurückzudrehen. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 wurde nicht zuletzt
der Versuch unternommen, die alte Ordnung auf dem kontinent wieder zu
rekonstruieren. Das wurde besonders durch die von Zar Alexander initiierte
„Heilige Allianz“ unterstrichen. Wie das Ganze zu bewerten ist, bleibt allerdings
umstritten. Wolfgang Siemann hat in seiner großen Metternich-Biographie den
österreichischen Außenminister gerade nicht als bornierten Traditionalisten
gesehen, sondern als Friedenswahrer: Für Siemann sah Metternich gerade das
Gewalt- und Kriegspotential moderner Staatlichkeit.
- Wie dem auch sei: Die Zeit der Restauration und des „Vormärz“ bis zur
europäischen Revolutionskaskade 1848 war von entscheidenden
Modernisierungsde ziten geprägt: Während sich insbesondere die Wirtschaft
dynamisch entfaltete, blieb die Herrschaftsstruktur unter Einsatz von
Repressialien konserviert.
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1850 für Preußen in Kraft, wobei der monarchische Wille explizit der Kontrolle
des Gesetzgebers entzogen wurde.
- vUm 1870 war bereits deutlich geworden, dass eine Verfassung keineswegs
gleichbedeutend war mit demokratischem Radikalismus, wie das 25 Jahre
vorher noch so erscheinen konnte. Vielmehr wurde eine Verfassung jetzt
zum Ausweis eines modernen Staates. Das Fehlen einer Verfassung und die
ausbleibende nationalstaatliche Einigung wurden in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts zunehmend als Modernitätsde zite wahrgenommen.
Darum kreist u.a. eine der wichtigsten historischen Debatten der letzten 30
Jahre, nämlich wie „modern“ das Kaiserreich war. Gab es auch nach 1871
eine Modernisierungsde zit, weil die agrarischen Eliten weiterhin die Macht
in ihren Händen hielten (Hans-Ulrich Wehler)? Oder war das Kaiserreich
tatsächlich auch im Vergleich zu Frankreich und England ein moderner Staat
(Blackbourn, Eley)?
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als Mittel, staatliche Gesetze, Anweisungen und Direktiven auch auf
kommunaler Ebene durchzusetzen. Die Autonomie der letzten
Reichsstädte wie Frankfurt wurde 1866 aufgehoben. Zugleich zog der
Staat damit immer mehr Aufgaben an sich (Seuchenpolizeit, Hygiene,
Armenfürsorge etc.)
- (1) auf der Gleichheit des Zugangs zu Ämtern für alle Bürger.
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