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Dienstag, 10.

Dezember 2019

Moderne Staatlichkeit

Zusammenfassung

- Überblick über die vormoderne Staatlichkeit

• Vom sesshaft werden der Menschheit bis hin zur segmentierten Staatlichkeit
des europäischen Mittelalters

- De nition Staatlichkeit:

• Max Weber: Die Gemeinschaft, die „innerhalb eines bestimmten Gebietes […]
das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg)
beansprucht“, also ein auf Legitimität gestütztes „Herrschaftsverhältnis von
Menschen über Menschen“.

• James C. Scott: Webers De nition ist berühmt und elegant. Sie setzt aber so
vieles bereits voraus, was Staaten ausmacht...

- Typen legitimer Herrschaft:

• Rational

- auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen und des


Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen
ruhen (legale Herrschaft).

• Traditional
- auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen
und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen ruhen (traditionale
Herrschaft).

• Charismatisch
- auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft
oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder
geschaffenen Ordnungen (charismatische Herrschaft).
- Warum gibt es Staaten
• Gewalttheorie
- Gewaltsame Etablierung von Hierarchien bei Bevölkerungsverdichtung
- Unterwerfung dörflicher Ansiedlungen
• Friedens-/ Vertragstheorie

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- Zusammenschluss zu Staaten, damit eine Zentralgewalt den Frieden
garantiert
- Bewusster Zusammenschluss von Menschen und Unterwerfung unter eine
Zentralgewalt

• Gemeinwohltheorie
- Staat leistet etwas, was tribale oder dör iche Einheiten nicht zu leisten
vermögen: Sicherheit, Infrastruktur, Wissensaustausch, Absicherung des
Handels etc.

- „Hydraulische“ Staatstheorie Karl Wittfogels: Die Errichtung und Verwaltung


groß ächiger Bewässerungssysteme machte die Etablierung von
Staatsstrukturen notwendig

• Klassenkampftheorie

- Herrschende Klasse unterwirft die Menschen, um eine bestimmte


Wirtschafts- und Herrschaftsordnung abzusichern

- Neolithische Revolution

• Die Frage nach der neolithischen Revolution ist deswegen bedeutsam, weil sie
die Voraussetzung jeder Staalichkeit darstellt

• Ausbreitung der Menschheit fand in Form von Jäger- und


Sammlergesellschaften statt. Nur lassen sich Jäger und Sammler weder e ektiv
beherrschen noch besteuern...

• Rücken-Zur-Wand-Theorie

- Ausgehend von der Beobachtung, dass die sesshafte Lebensweise ein


ungünstigeres Verhältnis von Arbeitsaufwand und Kalorienertrag aufweist,
wurde in schlechter werdenden klimatischen/naturräumlichen
Voraussetzungen sowie steigendem Bevölkerungsdruck die Ursache
gesehen.

- Das passt allerdings nur bedingt mit den empirischen Befunden zusammen.
So fand der Übergang zur sesshaften Lebensweise wahrscheinlich
ursprünglich in dem als „Fruchtbarer Halbmond bezeichneten Gebiet vor ca.
10.000 Jahren statt. Dieser zeichnet sich durch sehr fruchtbare
Schwemmböden aus.

- Nachteil des sesshaften Lebens: Durch das Zusammenleben und das


Domestizieren von Tieren wurden die Ausbreitungsbedingungen von
Krankheiten deutlich verbessert. Die durchschnittliche Sterblichkeit nahm
dadurch deutlich zu.

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- Durch das Zusammenleben und das Domestizieren von Tieren wurden die
Ausbreitungsbedingungen von Krankheiten deutlich verbessert. Die
durchschnittliche Sterblichkeit nahm dadurch deutlich zu.

- Erst ab ca. 4000 v. Chr. führten Anpassung und wachsende Resistenz gegen
Krankheiten dazu, dass die durch die sesshafte Lebensweise ermöglichte
höhere Fruchtbarkeit in einem sukzessiven Anwachsen der menschlichen
Bevölkerung resultierte.

- Erste Staaten bildeten sich in Ägypten, in Pakistan und vor allem in


Mesopotamien (das heutige Irak). In Mesopotamien hat die Archäologie die
ältesten Zeugnisse von Zivilisation gefunden

- Frühe Staatlichkeit

• Frühe Staaten waren Agrarzivilisation. Sie zeichneten sich u.a. aus durch:

- Ein dynastisches Herrschertum überlokalen Ausmaßes

- Städte mit Stadtmauern, in denen ca 10% der Bevölkerung wohnten

- Entwaldung

- Sinnierende Religion

- Herrschaftsarchitektur

- Schrift

- Münz- und Steuerwesen

• James C. Scott: Frühe Staaten waren „Getreidestaaten“, weil nur Getreide eine
verlässliche Besteuerung der Untertanen zulässt

- Besteuerung wiederum ist eine wesentliche Grundlage der Arbeitsteilung,


die sich mit der Einrichtung früher Staaten etabliert. Das meinte
beispielsweise die Herausbildung einer Kriegerkaste, die sich nicht
selbständig um den Lebensunterhalt kümmern musste

• Langsam bildeten sich größere Staatliche Einheiten heraus. Ägypten stellt ein
frühes Beispiel einer staatlichen Ziviliation dar, dass von besonderen
naturräumlichen Bedingungen pro tierte

- Gutes Beispiel dafür, dass die frühen Staaten sich fast immer in Flusstälern
bildeten

• Das Persische Reich bildete sich um 550 v. Chr. heraus. Das Römische Reich
hatte eine lange Etablierungsphase und erreichte seine größte Ausdehnung um
ca. 115 n. Chr. unter Kaiser Trajan

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- Man darf sich das persische oder das römische Großreich aber nicht als
e zient verwaltete Zentralstaaten vorstellen. Auch hier handelte es sich um
segmentierte HerrschaftsformenDer Provinzgouverneur war kein
„Dienstleister“, sondern zur Selbstherrschaft ermächtigte „Fürsten auf Zeit“.

- Spezialfälle stellen die (teilweise republikanischen) Stadtstaaten im


Mittelmeerraum dar. Hier wurde das dynastische Prinzip teilweise durch die
Wahlherrschaft ersetzt.

- Das Römische Reich ging langfristig an imperialer Überdehnung zugrunde.


Grundsätzlich waren die frühen Staaten aber höchst fragil.

• Seuchen und Krankheiten

• Klimatische Veränderungen

• Der segmentierte Charakter von Herrschaft führte immer wieder zu


Kon ikten

• Zur Erhaltung der Herrschaft mussten Kriege geführt werden, die einen
steten Geldzu uss erforderlich machte. Nach Paul Kennedy kamen alle
historischen Großreiche diesbezüglich irgendwann an ihre Grenzen

- Segmentierte Staatlichkeit des europäischen Mittelalters

• Völkerwanderung seit dem späten 5. Jahrhundert führte zu einem Verfall der


europäischen Staatlichkeit und einem massiven Bevölkerungsschwund

• Unter Karl dem Großen kam es zu einer Restauration von Staatlichkeit, die aber
an einen permanenten Kriegszustand gekoppelt war.

• Christianisierung spielte eine zentrale Rolle für die Etablierung der


„Christianitas“, der politischen und kulturellen Gemeinschaft der lateinischen
ChristenheitRhein-Donau bildeten über Jahrhunderte eine Zivilisationsgrenze

• Das Heilige Römische Reich war eigentlich kein Staat, sondern der Rahmen für
eine Vielzahl von segmentierten Adelsherrschaften.

• Der Kaiser konnte im Grunde nur herrschen, wenn er präsent war. Aus diesem
Grund befand er sich nahezu permanent auf reisen...

• Auch stand der Kaiser nicht alleine an der Spitze der Christenheit, sondern er
teilte diese Rolle mit einer geistigen Gewalt, nämlich dem Papst.

• Für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit war der Rechtspartikularismus
wesentlich. Das bedeutet, Adelsherrschaften hatten ihre eigene
Gerichtsherrschaft und partikulares Recht

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• Im Selbstverständnis des agrarischen Segmentarismus fand der lokale
Urteils ndungsrat ein Recht, das alt, gottgegeben und unabänderlich für den
Menschen war, selbst für den Kaiser

• Insofern waren die lokalen Herrschaften für überlokale


Rechtsvereinheitlichungsbemühungen kaum o en, weil sie damit
Herrschaftsrechte aufgaben.

• Der Kaiser besaß jedoch auch verschiedene Rechte, u.a. das der
Privilegienvergabe sowie das Strom- und Straßenregal

• Rechtssprechung gehörte zu den wichtigsten Machtinstrumenten des Kaisers.


Zentral war das sog. Evokationsrecht, d.h. die Möglichkeit, bei Bedarf einen
Rechtsfall an sich ziehen zu können

- Territorialisierung und Konfessionalisierung

- Einführung

• Ausgangspunkt der modernen Staatsbildung bzw. des Beginns der modernen


Staatlichkeit

• segmentierte Adelsherrschaft des Spätmittelalters

- So gab es innerhalb bestimmter Territorien unterschiedliche Machtzentren,


die teilweise die „Zentralgewalt“ in den Schatten stellten

- So war Burgund unter Karl dem Kühnen (1433-1477) sicherlich „mächtiger“


als der französische König, dessen Lehensmann Karl war

• „Territorialisierung“

- bezeichnet die zunehmende Zurückdrängung dieser segmentierten


Adelsherrschaften und die sukzessive Herausbildung einer staatlichen
Zentralgewalt.

- Die Formen der Territorialisierung stellten sich im europäischen Maßstab


allerdings sehr unterschiedlich dar. Während sich in Frankreich und England
vergleichsweise früh Zentralstaaten entwickelten, blieb das Heilige Römische
Reich in hunderte Einzelterritorien aufgesplittert

• Konfessionalisierung.

- Während das Heilige Römische Reich bis in das 16. Jahrhundert hinein die
Einheit der Christianitas repräsentiert hatte, kam es mit der Reformation zu
einer Aufspaltung in unterschiedliche Konfessionen.

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- „Konfessionalisierung“ bezeichnet dabei nicht nur die Etablierung einer
bestimmten Glaubensrichtung, sondern die Aufspaltung von Ländern,
Städten oder Dörfern in bestimmte Konfessionen

- Konfessionalisierung trug zur Staatsbildung wesentlich bei, u.a. deswegen,


weil die Religion zum „Vehikel“ für Machtkon ikte wurde. Im Zuge dieser
Kon ikte wurden segmentierte Adelsherrschaften sukzessive geschwächt.

- Vor allem wurde mit der Reformation die „Doppelspitze“ aus weltlicher und
geistlicher Gewalt geschwächt. Protestantische Länder hatten darum ein
höheres Potential der Ausbildung einer Zentralstaatlichkeit, als das bei
katholischen Ländern der Fall war

- Territorialisierung in der Frühen Neuzeit

• Herrschaft wurde im Verlauf der Frühen Neuzeit militärisch besser durchsetzbar.

- Das beruhte einerseits auf der Durchsetzung von Kanonen und Schießpulver.
Eine wichtige Rolle spielte dabei das Osmanische Reich, das sich seit 1463
nach Osteuropa „hineinzuerobern“ begann und das seine Erfolge als
„Gunpowder Empire“ begründete

- Das führte längerfristig zu einem Bedeutungsverlust der Burgen. Deren


Schutzfunktion di erenzierte sich zur Festung aus, die Wohnfunktion zum
Schloss

- Daneben verschwanden die Ritterheere, die etwa den 100-jährigen Krieg


noch stark geprägt hatten und machten Söldnerheeren Platz, die aus den
bäuerlichen Unterschichten rekrutiert wurden. Solche Söldner wurden
beispielsweise aus der Schweiz oder aus Hessen rekrutiert

- Erst im Zuge der Revolutionskriege nach 1789 setzte sich die „Levée en
masse“ durch, d.h. die Aufstellung von „Volksarmeen“.

• Ausdünnung der europäischen Monarchien.

- Seit sich im 13. Jahrhundert das Prinzip der Primogenitur einhergehend mit
der Benachteiligung von Nebenlinien und dem Ausschluss weiblicher
Erbfolge durchsetzten, dünnten die europäischen Monarchien personell
immer mehr aus

- Das führte seit dem 17. Jahrhundert zu mehreren großen europäischen


Kon ikten. U.a.:

• Pfälzischer Erbfolgekrieg (1688–1697)

• Spanischer Erbfolgekrieg (1701-1714)

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• Österreichischer Erbfolgekrieg (1740-1748)

- Die Folge dieser dynastischen Ausdünnung war eine zunehmende


Konzentration monarchischer Herrschaft, die sich u.a. in sog.
„zusammengesetzten“ Monarchien äußerte

• Beispiel dafür dürfte die habsburgische Herrschaft über das Königreich


Spanien darstellen. Aber z.B. auch die von 1697 bis 1706 und von 1709 bis
1763 bestehende Personalunion zwischen dem wettinischen
Kurfürstentum Sachsen und der Adelsrepublik bzw. Wahlmonarchie Polen-
Litauen durch Kurfürst Friedrich August „den Starken“ von Sachsen

- Ein grundlegender Unterschied bestand zwischen dem Heiligen Römischen


Reich und beispielsweise Frankreich

• Der französischen Krone gelang es durch die Aneignung von


Adelsherrschaften und Fürstentümern sukzessive ihre Machtbasis und ihr
Territorium zu erweitern

• Im Heiligen Römischen Reich gab es indes eine Wahlmonarchie. Das


limitierte e ektiv die Möglichkeiten des Kaisers, territoriale Gewalten zu
schwächen

- Grundzüge der Staatsbildung im heiligen Römischen Reich

• Die Reichsreform gewann unter Kaiser Maximilian I. seit dem Wormser Hoftag
1495 an Dynamik. Dabei wurde die innere Organisation des Heiligen Römischen
Reiches fundamental verändert:

- Fehdeverbot, d.h. der Verbot von interlokalen Adelskon ikten

- Einrichtung von Reichsgerichten

- Einteilung des Reichs in Reichskreise

• Zentralebene des Staates

- Wird (1) horizontal nach dem Modell des „institutionalisierten


Bipolarismus“ (Bernd Marquardt) organisiert:

• Kaiser und der Reichstag als Versammlung der pazi zierten Reichsstände
waren die beiden bestimmenden Gewalten im Reich

• Beide waren nunmehr gemeinsam für die Reichsgesetzgebung


einschließlich Verfassungsfragen zuständig. Reichstage fanden zumeist in
den Reichsstädten Regensburg, Nürnberg oder Augsburg statt

- Diese reorganisierte Zentralebene beanspruchte (2) das Gewaltmonopol.

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• Es de nierte also die Grenzen legaler Gewaltanwendung.

- Damit ging (3) eine umfassende Friedensp icht einher.

• 1495 wurde das absolute und ewige Verbot der eigenmächtigen


Kriegsführung aller in das Reich eingeordneter Mächte festgelegt

- Damit einher ging (4) eine strikte Kriminalisierung des Friedensbruchs.

• Der interlokale Krieg galt nicht mehr als ritterlich und ehrenvoll.
Kriminalisierung solcher Kon ikte als „Reichsrebellion“ gegen den Kaiser
oder als „Landsfriedensbruch“ gegen Nachbarstände.

- Aufbau einer (5) mehrstu gen Gerichtsverfassung mit obersten


Reichsgerichten an der Spitze:

• Reichshofrat in Wien und Reichskammergericht im Westen (erst in Speyer,


ab 1687 in Wetzlar)

- Scha ung eines (6) e zienten Exekutionssystems, um Urteil des Reichstags,


des Kaisers und der Reichsgerichte durchzusetzen.

• Scha ung von 11 sog. Reichskreisen

- Deutliche Erweiterung (7) der territorialen Basis des habsburgischen Kaisers


besonders zwischen 1477 (Burgundischer Erbfolgekrieg) und 1526 durch
Erwerbung und dynastische Verklammerung von Reichsfürstentümern (vor
allem Böhmen)

- Aufbau einer (8) leistungsfähigen Finanzverfassung.

• Die Vasallenp icht zur persönlichen Hilfe wurde in stetige nanzielle


P ichten umgewandelt. In der systematischen ökonomischen-politischen
Erfassung der Fläche und der di zilen komparativen Bewertung der
Stände ist eine fundamentale Entwicklung der Staatlichkeit zu sehen

- Integration (9)der wichtigeren regionalen und lokalen Herrschaftsinhaber in


ein abgestuftes System von supralokalen Ständetagen und Gerichtshöfen

- Grundzüge der modernen Staatsbildung im heiligen römischen Reich

• Insgesamt wurde das Heilige Römische Reich zu einem an Vorformen des


Föderalismus gemahnenden Gebilde weiterentwickelt, das wesentlich durch
das Subsidiaritätsprinzip gekennzeichnet war

- Zentralisierung grundlegender Herrschaftsaufgaben, bei gleichzeitiger


Sicherung der Autonomie der Fürstentümer

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- Erst im 18. Jahrhundert wurden die Institutionen des Reichs zunehmend
ausgehöhlt und verloren an Sinn…

- Flächenstaaten und Absolutismus

• Das Heilige Römische Reich blieb – nicht zuletzt aufgrund seines Charakters als
Wahlmonarchie – ein partikulares Gebilde

- Frankreich und England entwickelten sich hingegen im Laufe der Frühen


Neuzeit zu Flächenstaaten, wobei dieser Vorgang keineswegs gradlinig
erfolgte, sondern von intensiven Auseinandersetzungen bis hin zum
Bürgerkrieg begleitet war

• Was macht einen modernen Staat aus?

- eine einheitliche Finanzverwaltung, Gerichtsamkeit und ein stehendes Heer

• Diese Eigenschaften eigneten sich seit dem späten 15. Jahrhundert


verschiedene Territorien des Heiligen Römischen Reiches an. Dazu
gehörten neben Bayern, Sachsen, Hannover, Hessen-Kassel, Württemberg
vor allem auch Brandenburg-Preußen

• Als Machtfaktor von eigenem Recht wuchsen diese Länder gewissermaßen


aus dem Reich heraus.

• In Frankreich gelang es der Krone, ihre Macht zunehmend zu akkumulieren und


segmentäre Gewalten (wie beispielsweise Burgund) sukzessive zu
„mediatisieren“

- Auf diese Weise wurde Frankreich zum ersten „absolutistischen“ Staat.


Wobei dieser Begri nicht mit einer wirklich durchsetzbaren Zentralherrschaft
verwechselt werden darf. Auch die „absolute“ Gewalt des französischen
Königs wurde durch zahlreiche Sondergewalten eingeschränkt

- In dem unter seiner Regentschaft errichteten Residenzschloss Versailles


(hauptsächlicher Ausbau in den 1670er und 1680er Jahren) zog Ludwig XIV.
ab 1682 den französischen Hochadel an einem Ort zusammen. Dieser folgte
aus eigenem Interesse, weil man sonst von den Entscheidungsprozessen
ausgeschlossen gewesen wäre: Versailles wurde damit zum Inbegri der
hö schen Kultur der Frühen Neuzeit

- Konfessionalisierung

• Die Konfessionalisierung nahm ihren Ausgang mit den Thesen Martin Luthers,
die dieser 1517 in Wittenberg verö entlichte

- Stoßrichtung nicht zuletzt gegen bestimmte Finanzpraktiken der katholischen


Kirche, die letzterer nicht nur Prachtentfaltung ermöglichte, sondern auch

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den Aufbau einer leistungsfähigen Streitmacht und einer strikten
Finanzverwaltung

- Das evangelische Bekenntnis diente Fürsten nicht nur als neue spirituelle
Basis, sondern auch zur Durchsetzung territorialer Herrschaftsansprüche

- Vor allem aber schwächte die Konfessionalisierung die „Doppelspitze“ von


weltlicher und geistlicher Gewalt, von Monarch und Papst

• Es ist deswegen signi kant, dass Henry VIII. eine anglikanische Kirche
begründete…

- Entwicklung von moderner Staatlichkeit

• Max Weber: „Art und Maß der Anwendung oder androhung von Gewalt nach
außen spielt für Struktur und Schicksal politischer Gemeinschaften eine
spezi sche Rolle.“

• Die Stärkung der Fürstenherrschaft in der Frühen Neuzeit und damit die
territitoriale Machtkonzentration ist ohne Krieg nicht denkbar

• Der Zusammenhang zwischen Krieg und Staatsbildung hat verschiedene


Dimensionen

- Die Forschung hat sich lange Zeit darauf konzentriert, dass die sich
verändernden Anforderung der Kriegsführung eine „Staatsverdichtung“ und
Zentralisierung staatlicher Aufgaben notwendig gemacht habe

- vEin weiterer wichtiger Gesichtspunkt besteht darin, dass die zunehmenden


Adelsfehden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts oftmals deren
gewaltsame Pazi zierung notwendig machte. Frankreich ist ein gutes Beispiel
dafür: Dem desolaten Zustand der französischen Krone 1515 bei der
Thronübernahme Franz I. folgte eine sukzessiv Arrondierung von deren
Macht

- Eine wesentliche Bedeutung des Krieges besteht darin, die Beziehung


zwischen der Fürstenherrschaft und den Ständen zu dynamisieren

- Auch nach dem 30-jährigen Krieg dienten Kriege der Staatsbildung. Das war
etwa bei den beiden „Newcomern“ unter den europäischen Großmächten im
18. Jahrhundert der Fall: Russland und Brandenburg-Preußen arrondierten
und konsolidierten ihre Macht durch Kriege und territoriale Erwerbungen

• Ohne die drei Schlesischen Kriege hätte Preußen beispielsweise seinen


Status innerhalb der „Pentarchie“ nicht behaupten können.

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- Krieg und Militär in der frühen Neuzeit

• Veränderungen der Militärtechnik (Schießpulver, Kanonen, Sölnderheere)

• Übergang zu Söldnerheeren und „Kriegshaufen“

- Das schuf – in Abgrenzung von der ritterlichen „Ehre“ - anfangs durchaus


normative Freiräume (etwa eine „freche“ Kleidung), die im Laufe des 16.
Jahrhunderts jedoch einer stärkeren Disziplin wichen

- Das wirksamte Mittel gegen den „Gewalthaufen“ war die Artillerie und
Schusswa en. Beispielsweise wurde die Arkebuse (als Sammelbezeichnung
für eine Gruppe von Vorderladern seit dem 15. Jahrhundert entwickelt

- Das Problem bestand allerdings in den langen Nachladezeiten, weshalb


Artillerie Reiterangri en oftmals hil os ausgeliefert waren

- Zunehmend wurde deswegen Artillerie, Infantrie und Kavallerie miteinander


kombiniert

- Im 16. Jahrhundert wurden militärische Dienstleistungen immer öfter


externalisiert, d.h. spezialisierten Kriegsunternehmern übertragen

• Bereits im 16. Jahrhundert war der Stand der Staatsbildung jedoch soweit,
dass es diesen Kriegsunternehmern nicht mehr gelang, eigene
Herrschaften zu etablieren. Wallenstein scheiterte beispielsweise in
Mecklenburg damit, sich als Reichsfürst einzurichten

- Mitte des 17. Jahrhunderts wurde in Frankreich mit der Aufstellung eines
stehenden Heeres begonnen. Das wurde von den meisten größeren Mächten
übernommen

• Seitdem setzten sich auch sukzessive Uniformen durch. Diese waren bei
wachsenden Heeresgrößen notwendig, um die eigenen Leute zu
identi zieren. Gerade auch, weil man bei intensivem Artillerieeinsatz wegen
des Pulverdampfs praktisch nichts sehen konnte

- Egal in welcher Form: wer Kriege gewinnen wollte, brauchte dafür sehr viel
Geld. Geld bekam man über Kredite oder über Steuern

• Typisch dafür waren etwa Spanien und Schweden. Hohe Besteuerung darf
dabei allerdings nicht mit E zienz verwechselt werden

- Habsburg und die Türkengefahr

• Im Jahr 1453 eroberten die Osmanen Konstantinopel und brachten das


Byzantinische Reich zu Fall. Seit 1463 ngen sie an, sich langsam nach
Südosteuropa „hineinzuerobern“

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• Die militärischen Erfolge des Osmanischen Reiches beruhten neben
Schießpulver und innovativen Militärtaktiken auch auf einer e zienten
Verwaltung und funktionierenden Institutionen (z.B. die sog. „Knabenlese“)

• Insgesamt wurde die Osmanische Bedrohung (zeitgenössisch als


„Türkengefahr“ bezeichnet) als existentiell wahrgenommen, weshalb es auch
immer wieder zu Koalitionen zwischen Habsburg, Armeen aus dem Reich,
Polen-Litauen und sogar Frankreich kam

• Während der innerösterreichischen Versammlung in Bruck an der Mur im Jahr


1578 wurde beschlossen, dass alle Länder an den Militärausgaben und der
Entwicklung einer militärischen Strategie zur Verteidigung des Habsburger
Reiches teilhaben müssten

• Die Militärgrenze war zeitweise über 1800 km lang. Sie sollte mit sog.
Wehrbauern besiedelt und durch Festungen gesichert werden

• Zur Abwehr der Türkengefahr brauchte der Kaiser Geld, das über Steuern
aufgebracht werden sollte. Die Landstände mussten dabei nach 1556 ein sog.
„Gült“ leisten, etwa in Form von Soldaten, Pferden, Kriegsgerät

- Zugleich schuf die Rekrutierung von Bauern für die Türkenabwehr und die
Militärgrenze neue Spielräume, sich aus der feudalen Abhängigkeit zu
befreien.

- Preußen und die Schlesische Frage

• Brandenburg-Preußen entwickelte sich während des 17. und 18. Jahrhunderts


von einem mittleren Fürstentum zu einer europäischen Großmacht. Dabei
konnte es sein Territorium stetig vergrößern

- Dieser Machtzuwachs beruhte ganz wesentlich auf der Armee

- Der intensive Drill, die hohen Militärausgaben bei gleichzeitig hoher


Besteuerung machten Preußen im 18. Jahrhundert beinahe zum Inbegri
eines „Fiscal Military State“

• Eroberung Schlesiens stellt Rechtsbruch da

- Annexionsverbot in Europa

- 7Jähriger Krieg als Konsequenz, Preußen gegen Frankreich, Österreich,


Russland, das Reich

- Indem Friedrich den Krieg „überstand“ konnte er den Preußischen


Großmachtsstatus sichern, was gleichfalls als ein Beitrag zur Staatsbildung
verstanden werden kann: Schlesien wurde nicht geerbt, nicht gekauft,

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sondern erobert. Das bedeutete eine klare Erweiterung der machtpolitischen
Optionen zur Staatsbildung innerhalb Europas.

- Napoleon und die Revolutionskriege

• Das „Ancien Regime“ in Europa wurde wesentlich durch die Revolutionskriege


und die Herrschaft Napoleon Bonapartes beseitigt

• Napoleons Karriere wurde durch durchlässige Hierarchien in der französischen


Armee ermöglicht (Levée en masse 1793)

• Zugleich stellten die französischen militärischen Erfolge das bis dahin


selbstverständliche dynastische Prinzip der Herrschaftsnachfolge in Frage

• Indem Napoleon an vielen Orten neue Herrscher ohne dynastische Legitimation


einsetzte, demonstrierte er einen ganz neuen Möglichkeitsraum der militärisch
legitimierten Staatsbildung

- Gleichwohl warf Napoleon das dynastische Prinzip nicht über Bord, sondern
versuchte sich durch Heirat und die Einsetzung von Familienmitgliedern
gewissermaßen in die europäischen Dynastien einzuschreiben

• Das wurde allerdings nach Napoleons Niederlage bei Leipzig (1813)


sukzessive rückgängig gemacht

• Der Wiener Kongress 1814-15 versuchte die Staatenordnung des Ancien


Regime wiederherzustellen. Der österreichische Außenminister Clemens von
Metternich schätzte dabei vor allem deren friedenssichernden Charakter

- Am Ende konnte das aber nur sehr unvollständig funktionieren.

- England als erster Verfassungsstaat?

- Als Gegenbegri zum Absolutismus lässt sich Verfassungsstaatlichkeit


provisorisch als explizite Rechtsbindung des Monarchen de nieren. Das
bedeutet, dass er in seinem Handeln und in seiner Machtausübung nicht
„absolut“ ist, sondern sich an bestimmte Gesetze halten muss.

- John Locke: Theorie der „Natürlichen Akkumulation“: Menschen eignen sich


Eigentum durch Arbeit an und begründen auf diese Weise ihr Bürgerrecht.

• Rechenschaftsp icht des Monarchen gegenüber seinen Untertanen

• Eine Regierung besitzt nur dann eine Legitimation, wenn sie von den
Untertanen akzeptiert wird. Sie muss die natürlichen Rechte Leben, Freiheit und
Eigentum beschützen. Wenn das nicht der Fall ist, haben die Untertanen ein
Recht auf Widerstand gegen die Regierenden.

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- Thomas Hobbes: das Widerstandsrecht ist an die Vermeidung des Bürgerkriegs
gekoppelt.

- Die Begründung legitimer Herrschaft auf dem Begri des Eigentums wurde später
als frühkapitalistische Begründung des „Possessive Individualism“ interpretiert.

• Gemeint ist ein Denken, das individuelle (Bürger-)Rechte wesentlich durch


Besitz begründet. Damit wurde allerdings die demokratische Partizipation
deutlich eingeschränkt

- Die Eigentumsbindung der politischen Partizipation äußerte sich


beispielsweise noch im Preußischen Dreiklassenwahlrecht, das erst 1918
aufgehoben wurde

- Vorraussetzungen der Verfassungsstaatlichkeit

• England war der Staat, in dem sich kapitalistische Strukturen am frühesten


entwickelten. Die Feudalbeziehungen waren hier ohnehin schwächer
ausgeprägt als auf dem europäischen Kontinent.

- Im 16. Jahrhundert kam es bereits zu einer Durchsetzung ungeteilter


Eigentumsrechte im Zuge der sog. „Enclosures“-Bewegung. In
Kontinentaleuropa sollte das noch mehr als 200 Jahre dauern.

• England das Land, in dem sich die Wissenschaftsrevolution im 17. Jahrhundert


am nachdrücklichsten durchsetzte.

- Das lässt sich auch als Ausdruck einer Kultur der „Englishness“
interpretieren, die seitdem zunehmend attraktiv wurde und sich durch eine
vergleichsweise „Einfachheit“ und bürgerliche Zurückgenommenheit
auszeichnete.

• Es gab eine lange Tradition der Kon ikte zwischen Krone und Ständen in
England. Das fand seinen berühmten Ausdruck in der „Magna Carta“ von 1215,
die die Macht des Königs Johann „Ohneland“ einschränkte und damit ein
Schlüsseldokument in der Geschichte der Verfassungsstaatlichkeit darstellt.

- Kon ikt resultierte aus dem Versuch Johanns, in die Autonomie der Barone
einzugreifen und verstärkt Steuern („Schildgeld“) zu erheben. Dem wurde mit
der Magna Carta ein Riegel vorgeschoben.

- Der Kon ikt zwischen Monarchie und Ständen in England

• Wie in Frankreich vermischten sich im 16. Jahrhundert politische und religiöse


Kon ikte.

- 1534 löste Henry VIII. die englische Kirche von Rom, um die Scheidung von
Katharina von Aragon zu erreichen. Das war zunächst noch kein

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„reformatorischer“ Akt, weil die Anglikanische Kirche bis auf die Bindung an
den Papst mehr oder weniger dieselbe blieb.

- Allerdings sickerten nach und nach „reformatorische“ Inhalte in die


Anglikanische Kirche ein, die auf diese Weise einen zunehmend reformierten
Charakter annahm.

- Die Konfessionsfrage blieb während des 16. Jahrhunderts ein gravierendes


Politikum, zumal die erbberechtigten Stuarts katholisch waren, nachdem
Elisabeth I. ohne Nachkommen gestorben war.

- Zugleich standen aber auch die grundlagen monarchischer Herrschaft in


Frage, mithin die Legitimität monarchischer Herrschaft aus dem
Gottesgnadentum.

• Die Kon ikte zwischen Krone und Ständen lassen sich somit auch als
Auseinandersetzungen um den Absolutismus verstehen

- Zwischen 1642 und 1649 kam es in England zu einem blutigen Bürgerkrieg,


der im wesentlichen zwischen den (katholischen) Royalisten und den
protestantischen (teilweise puritanischen) Anhängern des Parlaments geführt
wurde. Konkreter Anlass war ein versuchter Staatsstreich Karl I., als dieser
1642 führende Parlamentarier festnehmen lassen wollte.

• Entscheidend für den Kriegsverlauf und den Sieg der Parlamentsanhänger


war die Aufstellung der „New Model Army“ durch Oliver Cromwell und
Thomas Fairfax 1644/45

- Der Kon ikt zwischen Krone und Ständen fand seinen vorläu gen Höhepunkt
in der Hinrichtung Karl I. 1649: Monarchen waren bekanntermaßen früher
schon umgebracht worden. Es war jedoch etwas völlig anderes, einem
Monarchen den Prozess zu machen und ihn ö entlich hinzurichten.

- 1660-1689 Stuart-Restauration

• Dabei ging es einerseits um die Neuausgestaltung der Monarchie, aber


auch um die Rekatholisierung, die bereits von Karl I. versucht worden war.

• 1687 erließ Jakob II. eine Toleranzerklärung (Declaration of Indulgence), die


den bisher unterdrückten Sekten und Katholiken eine Reihe von Freiheiten
garantierte. Dazu gehörte etwa das Recht auf Versammlung.

- Die Glorious Revolution

• 1689 trat das neu gewählte Convention Parliament zusammen und setzte
Wilhelm III. von Oranien und Maria II. als Thronfolger ein.

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• Das Parlament sicherte sich „für alle Zukunft“ das Recht, gemeinsam mit
den königlichen Gerichtshöfen den Inhalt und insbesondere die Grenzen
der königlichen Prärogative zu bestimmen. Der Krone wurde ferner das
Recht abgestritten, unliebsame Richter des Amtes zu entheben,
gemeinsame Beschlüsse des Parlaments und der Krone einseitig außer
Kraft zu setzen und schließlich eine Stellung außerhalb des Gesetzes
einzunehmen.

• Durch die Zustimmung der Krone wurde die Declaration of Rights im


Dezember 1689 in entschärfter Form zur Bill of Rights und vervollständigte
damit auf der Verfassungsebene das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.

- Das bedeutete allerdings keineswegs die Einführung einer


konstitutionellen Monarchie in England. Diese basierte vielmehr auf
Konzessionen, die nicht 1689, sondern erst im Zuge der nächsten zwölf
Jahre erkämpft wurden. Das hing vor allem damit zusammen, dass
Wilhelm von Oranien viele Kriege führte, für die er Geld brauchte. Erst
die daraus resultierenden Kon ikte sicherten langfristig das
Mitspracherecht des Parlaments in entscheidenden politischen Fragen

• Es war lediglich die Kontinuität der Institutionen, die den Eindruck


aufkommen lassen, England sei der erste repräsentative Verfassungsstaat
gewesen.

- Tatsächlich war das Parlament (House of Lords und House of Commons)


lediglich eine Ständevertretung

• Es führt kein Weg um die Feststellung herum, dass mit der Glorious
Revolution und der Bill of Rights eine eindeutige Eingrenzung der Macht
des Königs stattfand. Das begründete möglicherweise eine
Reformfähigkeit, die es England ermöglichte, später die Parlamentarische
Demokratie ohne institutionelle Brüche einzuführen.

- Frankreich und die USA als Prototypen moderner Staatlichkeit

- Entwicklung der Staatlichkeit bis zum Ende des Ancien Regime

• Seit dem 15. Jahrhundert hatte sich über einen langen Zeitraum der
„Monarchische Friedens- und Justizstaat“ (Bernd Marquardt) herausgebildet. Er
war zunächst begründet in einer Stärkung der Fürstenherrschaft und dem
Erlass (und der Durchsetzung) des Fehdeverbots nach 1495.

• Ein wesentlicher Katalysator war dabei der Dreißigjährige Krieg, der


gewissermaßen die Grenze zwischen Staatsbildungskriegen und Kriegen
zwischen souveränen Staaten markiert.

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- Wie souverän die Staaten nach innen tatsächlich waren, ist allerdings bis
heute stark umstritten. Das kann an den Debatten um den Begri des
Absolutismus genauso gezeigt werden wie an der Frage der Besteuerung der
Untertanen.

• Die intensiven Debatten um den Begri des Absolutismus haben gezeigt, dass
von einer „absoluten“ Macht des Königs selbst im Frankreich Ludwig XIV. keine
Rede sein kann.

- Neu war eher die Inszenierung der absoluten Macht des Königs und des
unendlichen Abstands zwischen dem Monarchen und seinen Untertanen.

- Verhandlungen und Vereinbarungen mit den Ständen waren danach nicht


mehr ohne Gesichtsverlust möglich. Das heißt aber nicht, dass kein
Interessensausgleich stattfand!

• Zugleich gab es verschiedene Entwicklungen, die nicht zuletzt mit dem Krieg
und der Etablierung stehender Heere seit der Mitte des 17. Jahrhunderts
zusammenhingen, und zur Staatsbildung beitrugen.

- Dazu gehörte vor allem die Fähigkeit des Staates, seine Untertanen e ektiv
und dauerhaft zu besteuern, um auf diese Weise das Militär zu nanzieren.
Dabei handelte es sich bis zur Ausbildung moderner Sozialstaatlichkeit im 20.
Jahrhundert stets um den mit Abstand größten Posten im Staatshaushalt.

• In Frankreich und Spanien führte der Versuch, das Steueraufkommen im 17.


Jahrhundert zu erhöhen, jedoch zu massiven Kon ikten mit den Ständen. Das
bekannteste Beispiel dafür ist die französischen „Fronde“ 1648-1653

• Der Aufbau einer e zienten Steuerverwaltung war ein zentrales Moment der
Staatsbildung. Sie machte genauso wie die Kriegsführung an sich den Aufbau
von Verwaltungen notwendig, was in den europäischen Staaten allerdings sehr
unterschiedlich ausgeprägt war.

- So betrieb England im Unterschied zu Frankreich beispielsweise praktische


keine Innenpolitik, was in vielerlei Hinsicht auch die unterschiedliche soziale
Prägung der beiden Staaten erklären kann.

• Staatsbildung war ein gradueller, langfristiger Prozess, bei dem nicht zuletzt der
Glaube und der Krieg eine zentrale Funktion übernahmen und immer wieder
bestehende historische Tendenzen beschleunigten und zum Durchbruch
verhalfen.

• Die Konfessionalisierung war aus verschiedenen Gründen wichtig: Sie wurde


machtpolitisch von Fürsten instrumentalisiert und bildete einen Auslöser für

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verschiede Kriege während des 16. und des 17. Jahrhunderts: Von den
französischen Religionskriegen bis hin zum Dreißigjährigen Krieg

- Die Konfessionalisierung führte zu starken Migrationsbewegung und der


konfessionellen Homogenisierung von Territorien. Damit stimulierte sie auch
Debatten über ein nationales Selbstverständnis

• Insgesamt fand Staatsbildung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen
des „Ancien Regimes“ statt, d.h. einer ständisch gegliederten Gesellschaft und
ihrer „Präsenzkultur“ (Barbara Stolberg-Rilinger: „Des Kaisers alte Kleider“)
statt.

- Im Rahmen des Ancien Regime wurde die Herrschaft durch dynastisch


strukturierte Monarchien ausgeübt. Die Legitimationsprinzipien von
Herrschaft (Dynastie und Abkunft, Gottesgnadentum) waren nur in
Monarchien denkbar. Es fand ein steter Rekurs auf die „alte“ Ordnung statt,
der allerdings irgendwann unglaubwürdig wurde.

- Das „Ancien Regime“ wurde im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts durch
zwei Ereignisse grundlegend in Frage gestellt, nämlich die Amerikanische
Revolution (ab 1763) und die Französische Revolution (ab 1789)

• In den dreizehn britischen Kolonien in Nordamerika hatte sich seit dem 17.
Jahrhundert eine im Vergleich zu Europa egalitäre Gesellschaft entwickelte.
Es gab zwar eine „Agrarian Elite“ und „Gentleman Farmers“, die die
politische Elite stellten. Aber in den Kolonien hatte sich keine
Ständegesellschaft im europäischen Verständnis entwickelt

• Zugleich gab es gegenüber dem britischen Mutterland sowohl ein


Überlegenheits- wie ein Unterlegenheitsgefühl: Einerseits prosperierten die
Kolonien und aufgrund der günstigen natürlichen Voraussetzungen waren
die Kolonisten im Durchschnitt größer und kräftiger als Engländer. Auf der
anderen Seite fühlten sich viele Kolonialisten als Untertanen zweiter Klasse

• Der Kon ikt mit Großbritannien eskalierte (einmal wieder) an der Frage der
Besteuerung. Es begann zunächst ein Kon ikt um den Zusammenhang von
Besteuerung und politischer Repräsentation. Anlass war zunächst, dass
die britische Krone nach dem Siebenjährigen Krieg dringend Geld brauchte
und darum die Steuerlast für die Kolonien erhöhte.

• Aufgrund des möglichen Staatsbankrotts unternahm England ab 1766 eine


Reihe wirtschaftlicher Schritte, um mehr Einnahmen aus den Kolonien zu
erhalten. Das wurde damit gerechtfertigt, dass die Kolonisten vom Frieden
pro tierten, nachdem die Franzosen besiegt worden waren. Viele

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Amerikaner waren hingegen der Meinung, dass sie sich durch ihren Einsatz
in den Franzosen- und Indianerkriegen ausreichend bewährt hätten.

• Die Unabhängigkeitserklärung, die am 4. Juli 1776 verlesen wurde, gehört


zu den wirkmächtigsten Dokumenten der modernen Staatsgeschichte. De
hauptsächlich von Thomas Je erson verfasste Text beruhte auf der
politischen Philosophie John Lockes und der Schottischen Aufklärung.
Besonders die Präambel wird bis heute immer wieder zitiert.

• Grundsätzlich entwickelte sich im Rahmen der gewerblichen Entwicklung des


18. Jahrhunderts ein Ungleichgewicht zwischen politischer Macht und
Repräsentation sowie der Verteilung der Reichtümer. Das aufstrebende
Bürgertum wurde politisch kaum repräsentiert.

- Die monarchische Staatsverfassung geriet immer stärker in Widerspruch zu


den virulenten Aufklärungsdiskursen. Diese postulierten nicht nur eine
Gleichheit der Bürger, sondern eine rationale Gestaltung des Staates

- Es gab eine breite Debatte um die Verbesserung der staatlichen Institutionen,


eine angemessene Wirtschafts- und Gewerbepolitik sowie eine ausgeprägte
Luxuskritik.

- Hinzu kamen verschiedene Entwicklungen, die schließlich zu einer Eskalation


der Ereignisse führten: Die europäische Hungerkrise 1770/72 hatte De zite
des Staates aufgezeigt, die Bürger in Zeiten existentieller Notlagen zu
unterstützen

- Mitte der 1780er Jahre wurde Frankreich zudem von einer schweren
Wirtschaftskrise heimgesucht, welche die soziale Unzufriedenheit noch
einmal steigerte

• Die folgende Eskalation der Ereignisse kumulierte am 14. Juli 1789 im Sturm
auf die Bastille. Zwar konnte mittlerweile gezeigt werden, dass man dabei kaum
auf Widerstand traf und auch kaum Gefangene befreit wurden. Jedoch wurde
damit ein Symbol der alten Ordnung beseitigt

- In der Folgezeit kam es zu verschiedenen Maßnahmen, die das „Ancien


Regime“ grundlegend beseitigten: So wurde das geteilte Eigentumsrecht
abgescha t, die Monarchie beseitigt, Vorrechte des Adels beseitigt und
Kirchengüter enteignet

- Seit dem Herbst 1792 kam es unter der Herrschaft Robbespierres zu der
Entfaltung des „Terreurs“, der 1793 schließlich Ludwig XIV. zum Opfer el.
Damit problematisierte sich die Revolution im Rahmen des aufgeklärten
Diskurses freilich selbst…

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• Mit der Französischen Revolution wurden die Vorrechte des Adels von der
Konstituante abgescha t, der Adel behielt aber seine Titel. Bauern konnten bei
ihren bisherigen Landherren ihr Land für eine Summe des 20-Fachen der
bisherigen jährlichen Abgaben auslösen

• Zugleich wurde mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte die
Grundsätze einer zu erarbeitenden Verfassung formuliert, welche die
grundlegenden Freiheiten der Bürger festlegte und ihre Gleichheit vor dem
Gesetz postulierte

- Wirkungsgeschichtlich kann die Erklärung der Menschenrechte kaum


überschätzt werden. Sie schufen eine Programmatik für die staatliche
Erneuerung bis in unsere Gegenwart

- Die Amerikanische und die Französische Revolution waren wegweisend für den
historischen Wandel zur modernen Verfassungsstaatlichkeit. Diese brauchte
allerdings noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte bis zu ihrer Verwirklichung.

- Merkmale moderner Verfassungsstaaten

1. Souveränisierung des Staates gegenüber der Religion. Trennung von Staat


und Kirche.

2. Souveränisierung des Staates gegenüber den Untertanen (bald


„Staatsbürger“ genannt), durch die Beseitigung der segmentären
Binnenstruktur der Gesellschaft (Abscha ung der Ständegesellschaft)

3. Scha ung einheitlicher Flächenstaaten mit individualisierten


„Massengesellschaften“

4. Scha ung von Nationalstaaten mit einem spezi schen Nationalbewusstsein

5. Scha ung leistungsorientierter Verwaltungsstaaten

6. Scha ung von „Gesetzgebungsstaaten“ und „Rechtsstaaten“ auf der Basis


einer ausgearbeiteten Verfassung

7. Scha ung einer mit der gewerblichen Entwicklung (Industrialisierung) und


der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft kompatiblen Staatsform

- Staat und Nation Begri ichkeit

- “Staat“ ist zunächst einmal lediglich die Bezeichnung für eine bestimmte
politische Ordnung

- eine irgendwie geartete politische Vereinigung einer größeren


Menschengruppe, die

- in einem mehr oder weniger geschlossenen Gebiet

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- unter einer mehr oder weniger einheitlichen Form der – etablierten,
durchgesetzten oder beschlossenen – Machtausübung lebt.

- Im Vergleich zum Begri des Staates ist der Begri der Nation spezi scher. Er
bezeichnet größere Gruppen oder Kollektive von Menschen, denen
gemeinsame Merkmale wie Sprache, Tradition, Sitten, Bräuche oder
Abstammung zugeschrieben werden.

- Das bedeutet insofern eine Abgrenzung zum mittelalterlichen


Lehensverband, weil in letzterem die Lehensverbindung die hauptsächliche
Begründung von Herrschaft lieferte. Die der Nation gemeinsamen Merkmale
werden aber eben gerade nicht mehr durch Lehensbeziehungen konstituiert.

- Ob es ein wirkliches Verständnis von Nation in Mittelalter und Früher Neuzeit


gegeben hat, ist in der historischen Forschung umstritten.

- Normalen Bauern habe gar nicht das Begri sarsenal zur Verfügung
gestanden, um eine Nationszugehörigkeit formulieren zu können. Der Adel
sei hingegen grundsätzlich, sowohl von seinen Standeseigenschaften wie
von seiner Denkungsart, europäisch orientiert gewesen.

- Dem „europäischen“ Charakter des Adels wird dabei durchaus zugestimmt.


Trotzdem gab es unter den Eliten einen klar identi zierbaren
„Reichspatriotismus“. Das bedeutete eine Identi kation mit dem Heiligen
Römischen Reich, seine Verteidigung gegen Feinde und die Bereitschaft, für
diese Verteidigung zu sterben.

- Dieser Reichspatriotismus geriet im 18. Jahrhundert jedoch in die Krise. Es


kam die Frage auf, ob man im Rahmen einer nicht-legitimen, nicht auf
Gesetzen beruhenden Herrschaft überhaupt patriotisch sein könne.

- Zugleich „erfand“ die Aufklärung den Nationalismus. Das geschah zum


einen, als sie im Nationalstaat die Voraussetzung für eine aufgeklärte
Gesetzesherrschaft sah und sich die Frage stellte, welche
Voraussetzungen ein solcher Nationalstaat haben musste, um gut zu
funktionieren

- Nationalismus in einem kulturell verstandenen Sinn war im späten 18.


Jahrhundert noch nicht zwingend mit der Forderung nach staatlicher
Einigung verbunden. So galt gerade die „föderative“ Struktur des Reiches
als Garantie einer kulturellen Toleranz, die Deutschland beispielsweise vor
Frankreich oder England auszeichnen sollte.

- Die Verbindung von Nationalismus und staatlicher Einigung wurde erst in


der Napoleonischen Ära tatsächlich wirkmächtig

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- Drei Formen von staatlicher Eignung

1. Nationale Transformation bestehender „alter“ Staaten (England,


Frankreich)

2. Uni zierende Nationalstaaten (Deutschland, Italien im 19.


Jahrhundert)

3. Sezessionistische Nationalstaaten, die aus der Zerstörung


übernationaler Großstaaten wie der Habsburher Monarchie
hervorgingen

- Insbesondere für die Uni zierenden und die Sezessionistischen


Nationalstaaten spielte der Nationalismus als
Integrationsideologie eine entscheidende Rolle.

- Insbesondere für die Uni zierenden und die Sezessionistischen


Nationalstaaten spielte der Nationalismus als
Integrationsideologie eine entscheidende Rolle.

- In Deutschland verband sich Nationalismus ebenfalls mit dem


politischen Liberalismus. So waren es zentrale Forderungen des am
Ende gescheiterten Revolutionsversuchs 1848/49, die nationale
Einigung zu scha en und Deutschland eine Verfassung zu geben.

- Der Verfassungsgedanke war in Europa ein zentraler Bestandteil


national Diskurse. Eine Verfassung sollte Freiheitsrechte garantieren,
welche als die Voraussetzung nationaler Selbstverwirklichung galten.

- Die deutsche Einigung fand allerdings dann 1870/71 vor allem unter
politischen Gesichtspunkten statt. Entscheidend waren „Verspätete
Staatsbildungskriege“ (Johannes Burckhardt), die schließlich die
Vereinigung gegen die partikulären Sonderinteressen möglich machten

- Deutsch-Deutsch/ Deutsch-Dänisch/ Deutsch-Frankreich

- Industrialisierung

- „Der fertig ausgebildeten Staatsgewalt, die all ihrer Rivalen und


Beschränkungen Herr geworden war, stand eine Gesellschaft gegenüber, in der
traditionelle Bindung an kleine ständische und regionale Gemeinschaften im
Verschwinden war und die Industrialisierung eine nie gekannte Mobilisierung
der Menschen und revolutionären sozialen Wandel ausgelöst hatte. Dem
dadurch entstandenen neuartigen Legitimations- und Identi kationsbedarf von
unten entsprach von oben das Interesse der Staatsgewalt an neuen
Möglichkeiten zur Machtsteigerung und Ressourcenmobilisierung. Das
Ergebnis war der moderne Nationalstaat“

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- Die Industrialisierung spielte aus dieser Perspektive eine mehrfache Rolle für
die Entstehung des modernen Nationalstaats:

1. Sie riss die Menschen aus ihren traditionellen sozialen Bedingungen, was
den Nährboden für Integrationsideologien wie den Nationalismus bildete

2. Auf der anderen Seite verscha te die Industrialisierung dem Staat völlig
neue Machtmittel und Möglichkeiten der Ressourcenmobilisierung. Das
sollte die Geschichte der Staatsgewalt besonders im 20. Jahrhundert
entscheidend bestimmen.

- Eine zentrale Rolle spielten während des 19. Jahrhunderts


Bevölkerungswachstum und Urbanisierung, die eine wesentliche Folge der
kapitalintensiven gewerblichen Produktionsweise waren. Die traditionellen
Integrationsideologien wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Stadt- oder
Dorfgemeinschaft wurden damit zunehmend untauglich. Das Ruhrgebiet wurde
beispielsweise von einer ländlich geprägten Region um die Mitte des 19.
Jahrhunderts zu Europas größtem Industrierevier mit 1914 ca. 5 Mio.
Einwohnern.

- Es bildete sich zunehmend ein städtisches Proletariat sowie ein


Wirtschaftsbürgertum heraus, dass sein Selbstverständnis wesentlich auf
Besitz und ökonomischen Erfolg aufbaute. Der Nationalismus war dabei
allersdings nur eine Integrationsideologie unter mehreren. Gerade die
Arbeiterbewegung propagierte vor dem Ersten Weltkrieg ein solidarisches
und eher „internationalistisches“ Selbstverständnis

- Große Konsequenzen für die Staatsbildung und die Herrschaftsverdichtung


hatte der Bau von Eisenbahnen. Der Eisenbahnsektor bildete nicht nur einen
extrem dynamischen Wirtschaftszweig, er veränderte auch die Möglichkeit
der e zienten Beherrschbarkeit von Territorien fundamental.

- Das war in Europa von großer, in den USA aber von epochaler Bedeutung.
Das Land hatte noch bis in die 1920er Jahre mit seiner „inneren
Staatsbildung“ bzw. „inneren Kolonialisierung“ (Adam Tooze) zu tun. Der
Bau der ersten interkontinentalen Eisenbahnlinien in den 1860er Jahren
(nicht zuletzt eine Reaktion auf die Goldfunde in Kalifornien ab 1848) schuf
die Vereinigten Staaten im Grunde erst als Nationalstaat…

- Transformation des Nationalstaats und des Nationalismus

- Die Industrialisierung gab dem Staat neue Mittel der Beherrschung an die
Hand. Der Nationalismus bildete eine der zentralen Ideologien, ohne die die
Entstehung und soziale Integration moderner Nationalstaaten nicht denkbar

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gewesen wäre. Zugleich wurde der Zauberlehrling der Geister nicht mehr Herr,
die er gerufen hatte

- Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts veränderte sich der Nationalismus in


zweifacher Hinsicht:

- Zum einen wurde nun stärker di erenziert, wer eigentlich zur Nation
gehören sollte. Tradition, Sprache und Kultur wurden etwa beim
zunehmend virulenten Antisemitismus als nicht mehr ausreichend
angesehen, um Teil der Nation zu sein.

- Zum anderen begann der Nationalismus über das Territorium des


Nationalstaats hinauszudenken. Es war die Frage, ob sich eine Nation auf
ihr historisch erworbenes Territorium beschränken musste.

- Und schließlich begann sich der Nationalismus zu „emotionalisieren“: Er ng


an, seine Mythen auszugestalten, seine Geschichte zu „glätten“, historische
Enttäuschungen zu epochalen Wendepunkten zu stilisieren

- Für den Nationalstaat konnte das alles langfristig nicht ohne


Konsequenzen bleiben. Es trug zu mannigfaltigen „Fehlwahrnehmungen“,
falsche Situationseinschätzungen und emotionalisierten Entscheidungen
bei, ohne die das kriegerische 20. Jahrhundert möglicherweise anders
verlaufen wäre.

- Die Entstehung des demokratisch- republikanischen Verfassungsstaates

- Republik und Demokratie

- Der Begri „Republik“ stammt aus der Antike („res publica“), war aber lange
Zeit keineswegs gleichbedeutend mit dem heutigen Verständnis als Herrschaft
des Volkes. Republik war vielmehr bei Bodin noch ein Überbegri für
Monarchie und Aristokratie als unterschiedlichen Herrschaftsformen

- Die semantische Veränderung des Begri s der Republik beruhte auf


verschiedenen Voraussetzungen: Zunächstbildeten sich mit den
Niederlanden und der Schweiz Staatsgebilde heraus, die auch mit den
bisherigen Kategorien der Mischverfassung nicht mehr ohne weiteres zu
greifen waren. (Mischverfassung zeichnet sich dadurch aus, dass sie
Elemente mehrerer Verfassungstypen enthält: Monarchie, Aristokratie und
Städteautonomie beispielsweise).

- Die Idee der Demokratie war aus der Antike bekannt, war aber bereits bei
Aristoteles an bestimmte Bedingungen geknüpft: Vor allem, dass es sich um
eine kleinräumige Stadt handelte und dass die Armen und diejenigen, die keine
Bürger waren, von der Entscheidungs ndung ausgeschlossen waren.

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- Im Mittelalter gab es immer wieder bestimmte Formen der demokratischen
Selbstherrschaft, die aber eher in geographisch abgeschlossenen
Gegenden zu nden waren (wie z.B. Island, aber etwa auch die
„Bauernrepublik“ Dithmarschen)

- Der moderne Begri der Demokratie als Herrschaft des Volkes rückte erst
im Laufe des 18. Jahrhunderts in den Vordergrund.

- Das zentrale Argument, weshalb die Demokratie bis in das 18. Jahrhundert
nahezu von allen relevanten politischen Theoretikern verworfen wurde, war,
dass Demokratie gleichbedeutend mit der Herrschaft des Pöbels sei. Die
Besitzlosen würden in einer Demokratie den Staat sofort in Besitz nehmen.

- Die Machtkon ikte in zahlreichen deutschen Städten und die


Infragestellung der Patrizierherrschaft seit dem Spätmittelalter schien das
sehr deutlich zu zeigen. Genauso galt das Klientelwesen in den
italienischen Stadtrepubliken lange Zeit als Menetekel der Demokratie.

- Die Idee der Republik als Selbstherrschaft eines Territoriums sowie die
Demokratie als Herrschaft des Volkes bildeten sich seit dem 17. Jahrhundert
heraus und entfalteten dann ihre Wirksamkeit im politischen Diskurs.

- Das meinte allerdings noch keineswegs per se moderne Staatlichkeit: In


der Schweiz wurde die Idee der Verfassung beispielsweise lange Zeit sehr
skeptisch betrachtet. Es wurde befürchtet, dass ein geschriebenes,
vereinheitlichtes Recht die Tradition der kleinräumigen, partikularen
Kon iktregelung, auf der die Selbstverwaltung der Kantone beruhte,
zerstören könne.

- Au ällig ist vielmehr, dass sich die Konzepte Republik und Demokratie seit
dem späten 18. Jahrhundert mit dem modernen Verfassungsstaat
verbanden.

- Historische Vorraussetzungen für den modernen Verfassungsstaat

- Verfassungsstaat, Republik und Demokratie gehen historisch aus dem Grund


eine „Wahlverwandtschaft“ ein, weil die sozialen Träger der gesellschaftlichen
Entwicklung (v.a. die Angehörigen der „Bürgerlichen Gesellschaft“) auf eine
Staatsform drängten, die zu der dynamischen gewerblichen Entwicklung
passte und ihnen politische Partizipation sicherte.

- Gerade die Versuche der alten Stände, ihre Herrschaftsprivilegien zu


sichern, wurden seit dem späten 18. Jahrhundert zumindest als Ausdruck
einer irrationalen, pompösen Willkürherrschaft wahrgenommen.

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- Im 19. Jahrhundert gehörte die Forderung nach einer Verfassung zu den
zentralen Forderungen der nationalen Demokratiebewegungen. Die Verfassung
sollte nicht nur sicherstellen, dass der Monarch in seinen Handlungen sich an
grundlegende Gesetze halten musste. Vor allem sollte dadurch das gerade
durch die Etablierung des modernen Anstaltsstaat vorhandene
Missbrauchspotential durch eine Verfassung beherrschbar gemacht werden.
Die Unmittelbarkeit des Staatsbürgers zum Staat bedeutete schließlich auch
die Möglichkeit, dass dieser einen verstärkten Zugri s auf ihn hatte

- Eine wesentliche Voraussetzung dafür war ein Wandel der Staatlichkeit, für den
die Verfassung nur ein Symptom ist, nämlich die Herausbildung des modernen
Anstaltsstaates (Max Weber). Mit Anstaltsstaat ist gemeint, dass der Staat
zunehmend Institutionen ausbildet, die Aufgaben regulär für ihn übernehmen.
Dazu gehört zunächst die Staatsverwaltung, die zunehmend ausgebaut wird
und den Charakter einer regulären Bürokratie annimmt. Das meint
insbesondere die Ausbildung bestimmter Ministerien, wobei die
Kriegsministerien und die Finanzministerien (die sich in den meisten Fällen aus
der fürstlichen „Kammer“ entwickeln) besonders wichtig waren.

- Daneben wurde die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols den


Herrschaftsträgern aus der Hand genommen und speziellen
Organisationen (vor allem der Polizei) übertragen. Dazu gehörte aber auch
die Etablierung eines unabhängigen Gerichtswesens im Zuge der
Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative.

- Ein zentraler Unterschied zum „Ancien Regime“ bestand dabei nicht


zuletzt im Problem der Repräsentation. Amtsträger in der Frühen Neuzeit
repräsentierten nicht die Herrschaft, sondern verkörperten sie. Damit
gingen jedoch ein grundlegend verschiedenes Verständnis von Rolle,
Aufgabe und Inszenierung des Amtes einher

- Die bei Bodin formulierte Souveränitätsidee wird, vom Monarchen auf den
Staat übertragen, im 19. Jahrhundert zumindest in Westeuropa
verwirklicht. Die segmentäre Binnenstruktur wird durch die Abscha ung
der Ständegesellschaft beseitigt. Der Staat wird dadurch gegenüber seinen
Untertanen (seit der Französischen Revolution zunehmend als „Citoyen“ –
Staatsbürger bezeichnet) souverän. Das impliziert aber zugleich die
tendenzielle Gleichheit der letzteren gegenüber dem Staat und seinen
Gesetzen.

- Auf diese Weise wurden einheitliche Flächenstaaten mit


individualisierten „Massengesellschaften“ gescha en, in denen sich
zugleich ein spezi sches Nationalbewusstsein entfaltete. Als Problem
und Aufgabe stellte sich dann aber vor allem auch die Scha ung einer

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mit der gewerblichen Entwicklung (Industrialisierung) und der
Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft kompatiblen Staatsform.

- Nach den Napoleonischen Kriegen wurde jedoch zunächst versucht, die Zeit
wieder zurückzudrehen. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 wurde nicht zuletzt
der Versuch unternommen, die alte Ordnung auf dem kontinent wieder zu
rekonstruieren. Das wurde besonders durch die von Zar Alexander initiierte
„Heilige Allianz“ unterstrichen. Wie das Ganze zu bewerten ist, bleibt allerdings
umstritten. Wolfgang Siemann hat in seiner großen Metternich-Biographie den
österreichischen Außenminister gerade nicht als bornierten Traditionalisten
gesehen, sondern als Friedenswahrer: Für Siemann sah Metternich gerade das
Gewalt- und Kriegspotential moderner Staatlichkeit.

- Wie dem auch sei: Die Zeit der Restauration und des „Vormärz“ bis zur
europäischen Revolutionskaskade 1848 war von entscheidenden
Modernisierungsde ziten geprägt: Während sich insbesondere die Wirtschaft
dynamisch entfaltete, blieb die Herrschaftsstruktur unter Einsatz von
Repressialien konserviert.

- Zu der Revolution 1848 trugen in Deutschland jedoch nicht zuletzt die


Handwerker bei, die durch die Wirtschaftskrise seit 1845 schwer getro en
worden waren und die unter der zunehmenden industriellen Konkurrenz zu
leiden hatten.

- Die in ihrer Anfangszeit erfolgreiche Revolution führte zu Ansätzen des


Parlamentarismus und der Verfassungsgebung, die später – im Zuge der
erneuten Restauration – dann aber zurückgenommen wurden.

- Die nach der zumindest im Südwesten und in Preußen zeitweise erfolgreiche


Revolution 1848 führte zur Einrichtung des Parlaments in der Frankfurter
Paulskirche. Dieses Parlament erarbeitete bis zum Frühjahr 1849 einen
Entwurf für eine Reichsverfassung, die als wichtiges Element u.a. die
Gewaltenteilung von Exekutive und Judikative enthielt, die sich gegenseitig
kontrollieren sollten. An die Stelle des „Deutschen Bundes“ sollte das
„Deutsche Reich“ treten.

- vor allem aber sollten bestimmte „Grundrechte“ wie Pressefreiheit,


Freizügigkeit, Vereins- und Versammlungsfreiheit und die Glaubensfreiheit
sowie Gleichberechtigung der Konfessionen gewährleistet werden.

- Die sog. Paulskirchenverfassung trat allerdings aufgrund der


Niederschlagung der Revolution und trotz des von Ferdinand I. gegebenen
Verfassungsversprechens nie in Kraft. Sie entfaltete jedoch eine beachtliche
intellektuelle Ausstrahlung. Eine „abgeschwächte“ Verfassung trat jedoch

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1850 für Preußen in Kraft, wobei der monarchische Wille explizit der Kontrolle
des Gesetzgebers entzogen wurde.

- Eine erste übergreifend wirksame Verfassung erhielt Deutschland erst 1871


im Zuge der Reichseinigung. Die Reichsverfassung ging aus der 1867
erlassenen Verfassung des Norddeutschen Bundes (nach dem Krieg gegen
Österreich) hervor.

- Bemerkenswert war dabei insbesondere das allgemeine und gleiche


Männerwahlrecht für den Reichstag. Dieses Verfassungselement wurde
allerdings durch das Preußische Dreiklassenwahlrecht unterlaufen. Zudem
waren die Rechte des Parlaments im Vergleich zu heute beschränkt. Von
zentraler Bedeutung, und immer wieder Gegenstand heftiger politischer
Debatten, war allerdings das Budgetbewilligungsrecht des Reichstags.

- vUm 1870 war bereits deutlich geworden, dass eine Verfassung keineswegs
gleichbedeutend war mit demokratischem Radikalismus, wie das 25 Jahre
vorher noch so erscheinen konnte. Vielmehr wurde eine Verfassung jetzt
zum Ausweis eines modernen Staates. Das Fehlen einer Verfassung und die
ausbleibende nationalstaatliche Einigung wurden in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts zunehmend als Modernitätsde zite wahrgenommen.
Darum kreist u.a. eine der wichtigsten historischen Debatten der letzten 30
Jahre, nämlich wie „modern“ das Kaiserreich war. Gab es auch nach 1871
eine Modernisierungsde zit, weil die agrarischen Eliten weiterhin die Macht
in ihren Händen hielten (Hans-Ulrich Wehler)? Oder war das Kaiserreich
tatsächlich auch im Vergleich zu Frankreich und England ein moderner Staat
(Blackbourn, Eley)?

- Die erste wirklich demokratische Verfassung, die umfassende politische


Partizipationsrechte, Gesetzgebungskompetenz des Parlaments,
Rechtssicherheit und Frauenwahlrecht enthielt, stellte die 1919 in Kraft
getretene Weimarer Reichsverfassung dar.

- Insbesondere die lange Debatte und der lange Kampf um das


Frauenwahlrecht, das sich in Europa erst nach dem Ersten Weltkrieg
durchsetzte, demonstriert den mühsamen Weg zum republikanisch-
demokratischen Verfassungsstaat.

- Das werden des modernen Anstaltsstaates

- Die universale Staatlichkeit äußerte sich nicht zuletzt im Durchgri der


Staatsgewalt auf Bereiche, die seinem Ein uss bislang größtenteils
entzogen war. So erwies sich beispielsweise die sich insbesondere
während der 1830er Jahre durchsetzende kommunale Selbstverwaltung

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als Mittel, staatliche Gesetze, Anweisungen und Direktiven auch auf
kommunaler Ebene durchzusetzen. Die Autonomie der letzten
Reichsstädte wie Frankfurt wurde 1866 aufgehoben. Zugleich zog der
Staat damit immer mehr Aufgaben an sich (Seuchenpolizeit, Hygiene,
Armenfürsorge etc.)

- Zugleich brauchte der Staat geeignetes Personal, um all diese Aufgaben


sachgerecht durchzuführen. Modernes Beamtentum beruhte dabei

- (1) auf der Gleichheit des Zugangs zu Ämtern für alle Bürger.

- Auf (2) dem Konzept abstrakter Staats- statt personaler


Fürstendienerschaft.

- Auf (3) gesteigerten Ansprüchen an professionelle Quali kation und


Einsatzbereitschaft der Beamten.

- Schließlich (4) auf der landesweiten Vereinheitlichung der


Beamtenhierarchie und –besoldung sowie ihrer Vorgehensweise.

- Der republikanisch-demokratische Verfassungsstaat ist von seiner


Konzeption und seinem Selbstverständnis her ein inklusiver Staat; er
postuliert die Gleichheit der Menschen vor seinen Organen und
Institutionen. Hierarchien und Ungleichheit mag es im realen
gesellschaftlichen Leben geben, aber nicht bezüglich der staatlichen
Institutionen. Bekanntermaßen ist dieses Idealbild oft genug historisch
nicht erreicht worden. Das beeinträchtigt die historische Wirksamkeit
dieses Anspruches aber keineswegs. Die Korruptionskritik ist im Grunde
immer Ausdruck davon, dass sich das Konzept des universalistischen und
egalitären Staates durchgesetzt hat.

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