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18/01/2023, 10:21 Marion Ackermann: „Starke Weiblichkeit zeigen“ | 

WELTKUNST

Interview mit Marion Ackermann

„ICH WILL EINE STARKE


WEIBLICHKEIT ZEIGEN“
Für Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sind
Künstlerinnen in deutschen Museen noch immer zu wenig sichtbar. Ein Gespräch über Quoten,
gläserne Decken, die Veränderung des Kanons – und die wiedergewonnenen Juwelen von Dresden

Von SARAH ALBERTI (https://www.weltkunst.de/autoren/sarah-alberti)


17.01.2023
Erschienen in Kunstplaner 2023

Kuratorin Cecilia Alemani zeigte in ihrer Hauptausstellung auf der Biennale in Venedig im vergangenen
Jahr zahlreiche Künstlerinnen und die Präsenz von Frauen im internationalen Ausstellungsgeschehen
nimmt zu. Dennoch sind Künstlerinnen in der Museums- und Ausstellungslandschaft noch immer
unterrepräsentiert. Welchen Beitrag können Museen zur Sichtbarkeit von Künstlerinnen leisten? Sind
Gruppenausstellungen ein sinnvoller Weg? Und wie können mehr Frauen in Führungspositionen
gelangen?

Frau Ackermann, bevor wir über die Präsenz von Künstlerinnen sprechen,
kommen wir zu einem aktuellen Thema: Kurz vor Weihnachten 2022
konnte ein Teil des 2019 beim Einbruch in das Historische Grüne Gewölbe
entwendeten Diebesgutes sichergestellt werden. Wie hat Sie diese
Nachricht erreicht und was hat sie bei Ihnen ausgelöst?

https://www.weltkunst.de/kunstwissen/2023/01/marion-ackermann-staatliche-kunstsammlungen-dresden-juwelen 1/5
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Als mich die Nachricht am Samstag vor dem 4. Advent erreichte,


(https://www.weltkunst.de/kunstwissen/2022/12/bild-des-tages-gruenes-gewoelbe-dresden-juwelen)
habe ich mich natürlich sehr gefreut. Uns allen fiel eine gewaltige Last von den Schultern. Statistisch
gesehen führten nur etwa zehn Prozent aller Kunstdiebstähle zur Rückgewinnung der Werke, insofern
haben wir großes Glück gehabt.

Wie ist der Zustand der Stücke?

Wie eine Restauratorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden am Dienstag, den 10. Januar 2023 in
der Hauptverhandlung ausgesagt hat, weisen die Objekte unterschiedliche Erhaltungszustände auf, wobei
die Bandbreite der äußeren Einwirkungen von mechanischen Beschädigungen bis hin zu eingedrungener
Feuchtigkeit reicht. Diese Schäden können jedoch nahezu vollständig restauriert werden. Die Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden werden eine Expertenkommission einberufen, um den Zustand der Objekte
und die Restaurierungsmaßnahmen zu diskutieren.

Wann werden die Stücke wieder im Schloss zu sehen sein?

Wir werden die Schmuckstücke baldmöglichst nach Prozessende ausstellen.

Nun zu unserem eigentlichen Thema: Wie steht es derzeit um die


Sichtbarkeit von Künstlerinnen in Deutschland?

In den letzten 20 Jahren hat sich viel verbessert. Viele Künstlerinnen sind inzwischen einfach oder
mehrfach ausgestellt worden. Allerdings heißt das nicht, dass sie auch in den kunsthistorischen Kanon
eingegangen sind. Die SCHIRN in Frankfurt hat beispielsweise 2015 eine Ausstellung zu 18
Künstlerinnen der Avantgarde gemacht, die bei der legendären STURM-Galerie in Berlin vertreten und
international aktiv waren. Die Positionen waren auch mir vollkommen neu. Einem breiteren Publikum
sind sie weiterhin nicht bekannt.

Vor vier Jahren gab es in Dresden unter Ihrer Ägide gleich zwei
Ausstellungen, die ausschließlich weibliche Positionen zeigten. Sind
Ausstellungen, deren kuratorischer Ansatz ein soziologischer ist, ein
sinnvoller Weg, um Künstlerinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen?

Als es in den 1980er-Jahren mit Ausstellungen von und über Künstlerinnen losging, haben sich viele
geweigert, daran teilzunehmen, weil sie eben nicht nur in ihrer Rolle als Frau dargestellt werden wollten.
Das ist nach wie vor problematisch. Ich bezweifle, dass es so etwas wie einen weiblichen oder männlichen
Blick gibt. Feministische Kunstgeschichte hat mich nie interessiert. Für mich waren solche Ausstellungen
allerdings oft mit einem enormen Erkenntnisgewinn verbunden.

https://www.weltkunst.de/kunstwissen/2023/01/marion-ackermann-staatliche-kunstsammlungen-dresden-juwelen 2/5
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Inwiefern?

Mit Susanne Meyer-Büser habe ich 2011 in der Ausstellung „Die andere Seite des Mondes“ acht
Künstlerinnen präsentiert, die die ästhetischen Neuerungen im Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts
maßgeblich mitgeprägt haben: Claude Cahun, Sonia Delaunay, Germaine Dulac, Florence Henri, Hannah
Höch, (https://www.weltkunst.de/kunstwissen/2022/11/hannah-hoech-trauernde-frauen) Katarzyna
Kobro, Dora Maar (https://www.weltkunst.de/auktionen/2022/06/dora-maar-pablo-picasso-artcurial-
die-herrin-der-blicke) und Sophie Taeuber-Arp. Auffällig war, dass sie vor allem mit ephemeren und
leichten Materialien gearbeitet haben, die für den einfachen Transport in einen kleinen Koffer passten.
Ihre Lebensumstände haben die Kunst beeinflusst. Viele Künstlerinnen hatten Ausfallzeiten, in denen sie
sich um ihre Kinder gekümmert haben. Oder ihr Werk wurde einfach nicht überliefert. Von Kobro, deren
Atelier im Krieg ausgebombt wurde, sind heute nur noch 19 Arbeiten bekannt.

Gibt es neben Ausstellungen andere


Möglichkeiten, Künstlerinnen
nachträglich in den Kanon
einzuschreiben?

Wichtiger als Ausstellungen finde ich Ankäufe. Über


sie können wir Werke und Namen quasi für die
Ewigkeit im spezifischen Kanon eines Museums
verankern und hoffen, dass künftige Generationen
sie entdecken werden. So ist es mir gegangen, als ich
in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen auf Lee
Bontecou traf. Ich war fasziniert von ihrem Werk,
das über eine Schenkung ans Haus gekommen war.
Mein Vorgänger Werner Schmalenbach hatte in 30
Jahren Amtszeit nur zwei Werke von Künstlerinnen
in die Sammlung aufgenommen. Als ich in
Düsseldorf anfing, waren in der Sammlung neun
Rosalba Carriera (1673-1757) war mit ihrer Pastellmalerei
ein Superstar des Rokoko, hier ihr Porträt einer höfischen Prozent Künstlerinnen vertreten. Als ich gegangen
Dame, genannt „Eine Dame in blauem Mantel über hellem bin, waren wir bei etwa 25 Prozent.
Kleid“. © SKD

Im Bestand der Neuen


Nationalgalerie in Berlin sind derzeit neun Prozent der Kunstwerke von
Künstlerinnen. Wie ist die Quote in Dresden?

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Das lässt sich für unseren Verbund aus 15 Museen mit 1,5 Million Objekten kaum pauschal greifen: In der
Sammlungspräsentation im Albertinum sind derzeit knapp über 200 Künstler und 31 Künstlerinnen
vertreten. Im Bestand der Gemäldegalerie Alter Meister sind rund 3800 Werke verzeichnet, knapp 100
Werke, also ca. drei Prozent, stammen von Künstlerinnen.

Manche Museen haben begonnen, ausschließlich Werke von Künstlerinnen


anzukaufen. Gibt es an den Kunstsammlungen eine Frauenquote für
Ankäufe?

Zahlen helfen bei der Bewusstseinsbildung und sind interessant, um Fortschritte zu bemessen. Ich würde
aber nie nach Quote sammeln. Das Albertinum schaut seit Jahren gezielt nach weiblichen Positionen, die
zu wenig gezeigt worden sind. Nach der Ausstellung „Medea muckt auf. Radikale Künstlerinnen jenseits
des Eisernen Vorhangs“ haben wir gesagt: Diese Künstlerinnen müssen stärker in unsere Sammlung. Das
gilt insgesamt für Kunst aus der Zeit der DDR. Von unserem Freundeskreis haben wir zusätzliches Geld
für Ankäufe bekommen und konnten so wichtige Werke, etwa von Else Gabriel oder Annemirl Bauer,
erwerben. Als ich 2016 nach Dresden kam, waren mir viele künstlerische Positionen aus der DDR nicht
bekannt. Für mich begann eine große Entdeckungsreise, verbunden mit einem großen Staunen. Ich
kannte etwa auch Gabriele Stötzer (https://www.weltkunst.de/kunstwissen/2022/11/gabriele-stoetzer-
rebellinnen-film-fotografie-erfurt) oder Ruth Wolf-Rehfeldt
(https://www.weltkunst.de/kunstwissen/2016/06/typewritings-bilder-aus-zeichen) nicht, der das
Albertinum 2018 eine große Einzelausstellung gewidmet hat.

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Zu DDR-Zeiten stand Ruth Wolf-Rehfeldt im Schatten ihres


Künstlermannes. Nun ist sie berühmt. Ihr Werk „Wo
Stehen Sie?“ entstand in den späten 1970er Jahren. ©
Privatsammlung, Berlin

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