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PÄDAGOGISCHE
PSYCHOLOGIE
DES LERNENS UND
LEHRENS
0. INHALT
0. Inhalt ................................................................................................................................. 4
1. Grundbegriffe .................................................................................................................... 4
1.1. Psychologie ................................................................................................................ 4
1.2. Lernen aus verschiedenen Perspektiven .................................................................... 4
1.3. Die drei Hauptströmungen im Überblick ..................................................................... 6
2. Behavioristische Lerntheorien ........................................................................................... 7
2.1. Assoziatives Lernen ................................................................................................... 7
2.2. Klassisches Konditionieren......................................................................................... 8
2.3. Operantes Konditionieren ......................................................................................... 16
2.4. Erlernte Hilflosigkeit .................................................................................................. 28
3. Sozial-kognitive Lerntheorie ............................................................................................ 31
3.1. Das Bobo-Doll Experiment (Bandura, 1965)............................................................. 31
3.2. Phasen des Beobachtungslernens ........................................................................... 32
3.3. Wirkungen des Beobachtungslernens ...................................................................... 34
3.4. Modellernen und Mediengewalt ................................................................................ 35
4. Theorien des kognitiven Lernens .................................................................................... 37
4.1. Das Gedächtnis & Wissen: Überblick ....................................................................... 37
4.2. Gedächtnismodelle ................................................................................................... 40
4.3. Netzwerktheorien der Speicherung deklarativen Wissens ........................................ 46
4.4. Speicherung Prozeduralen Wissens & die ACT-Theorie .......................................... 54
4.5. Wissenserwerb/ Aufbau von Wissen ........................................................................ 56
4.6. Konzeptuelle Veränderungen ................................................................................... 58
4.7. Vergessenstheorien ................................................................................................. 60
4.8. Schlussfolgerungen für den Unterricht ..................................................................... 61
5. Konstruktivistische Lerntheorien ..................................................................................... 64
5.1. Formen des Konstruktivismus .................................................................................. 64
5.2. Wissenserwerb gemäß konstruktivistischer Theorien ............................................... 64
5.3. Implikationen für den Unterricht ................................................................................ 65
6. Selbstgesteuertes Lernen ............................................................................................... 66
6.1. Steuerung des eigenen Lernens .............................................................................. 66
6.2. Theorien des Selbstgesteuerten Lernens ................................................................. 67
6.3. Förderung von Selbstreguliertem Lernen ................................................................. 69
7. Problemlösung, Transfer & Expertensettings .................................................................. 73
7.1. Problemlösen ........................................................................................................... 73
7.2. Ergebnisse der Experten-Novizen-Forschung .......................................................... 77
7.3. Transfer .................................................................................................................... 78
8. Gedächtnis- und Lernhilfen, Lernstrategien .................................................................... 80
8.1. Unterscheidung von Lernstrategien .......................................................................... 80
8.2. Beispiele für Lernstrategien ...................................................................................... 82
8.3. Metakognition ........................................................................................................... 85
8.4. Förderung im Unterricht............................................................................................ 86
8.5. Gute und schlechte Strategienutzer ......................................................................... 87
8.6. Empirie zu Metakognition und Lernstrategien........................................................... 87
9. Unterrichtsqualität ........................................................................................................... 88
9.1. Unterrichtsmodelle und Forschungsrichtungen ........................................................ 88
9.2. Die Qualitätsmerkmale nach Helmke ....................................................................... 89
9.3. Lehrermerkmale ....................................................................................................... 93
9.4. Aptitude-Treatment-Interaction (ATI) ........................................................................ 95
9.5. Exkurs: Hausaufgaben und ihre Relevanz für Lernen .............................................. 95
10. Lehrstrategien ............................................................................................................... 97
10.1. Darstellende Methoden .......................................................................................... 97
10.2. Problemorientiert-entdeckendes Lernen ................................................................. 99
10.3. Kooperatives Lernen ............................................................................................ 104
Anhang ............................................................................................................................. 106
A1 Exkurs: Umgang mit ADHS ...................................................................................... 106
A2 Überblick über die Hattie-Studie 2009...................................................................... 106
4 1.1 Psychologie
1. GRUNDBEGRIFFE
1.1. Psychologie
Definition (Pongratz, 1967): Psychologie ist die Erfahrungswissenschaft vom Erleben
und Verhalten des Menschen.
Definition (Zimbardo, 2008): Lernen ist ein Prozess, der in einer relativ konsistenten
Änderung des Verhaltens oder im Verhaltenspotentials resultiert und auf Erfahrung
aufbaut. […] Lernen ist nicht direkt zu beobachten, es muss aus der Leistung, also
dessen Ausdruck im beobachtbaren Verhalten, erschlossen werden.
Lernen ist der Prozess, durch den deklaratives und prozedurales Wissen über die
Welt sowohl aufgrund externer Anregungen wie auch durch die Eigenaktivität des
Lernens entsteht oder verändert wird. Wissenselemente sind im Gedächtnis
gespeicherte und wieder abrufbare Informationen. Lernen ohne die Fähigkeit der
gedächtnismäßigen Speicherung ist unmöglich!
sozial konstruiert
Bestimmter Fundus erworben; Anreize von
Grundlage:
wird erworben; außen;
Voraussetzungen des
Anreize von außen Art des Lernens durch
Lerners oder der
Vorwissen bestimmt
Umgebung
LERNEN
Herausforderung zu
Anleitung von Schülern zu
Transmission vollständigem Wissen / Ko-
vollständigem Wissen
Konstruktion mit Schülern
Vermittlung und
Manager, führt individuelle Vorstellungen
Vorführung effektiver
Aufsicht und korrigiert und Anhören der
Strategien und Korrektur
entstandenen
Konzeptionen
PEERS
Aktiver Verarbeiter,
-ROLLE
2. BEHAVIORISTISCHE LERNTHEORIEN
Definition (Zimbardo, 2008): Behaviorismus ist ein wissenschaftlicher Ansatz, der das
Feld der Psychologie auf messbares, beobachtbares Verhalten reduziert. Aus
behavioristischer Perspektive interessiert damit nur objektiv bestimmbares Verhalten und
dessen Beziehungen zu Umweltstimuli.
Der Behaviorismus ist eine Richtung der objektiven Psychologie: Die Lehre vom
Verhalten, von Handlungen und Reaktionen. Behaviorismus konzentriert sich alleine auf
nach außen erkennbare Verhaltensweisen/ Handlungen/ Reaktionen und ignoriert dabei
nach innen gerichteten Reaktionen.
Behavioristische
Lerntheorien
Klassisches Operantes
Konditionieren Konditionieren
Pawlow Skinner
Assoziatives Lernen: Jede Reaktion (Response, R), die mit einem Reiz (Stimulus, S)
wiederholt in Kontiguität stand, wird auch in Zukunft durch diesen Reiz ausgelöst.
8 2.2 Klassisches Konditionieren
Klassisches Konditionieren ist eine Art des Lernens, bei der Verhalten (konditionierte
Reaktion, CR) durch einen Stimulus (konditionierter Stimulus, CS) hervorgerufen wird,
welcher seine Wirkung durch die Assoziation mit einem biologisch bedeutsamen
Stimulus (unkonditionierter Stimulus, UCS) erlangte.
Ein NS wird wiederholt mit dem UCS gepaart. Nach einigen Wiederholungen folgt der
UCR (jetzt CR) vorhersagbar dem NS (jetzt CS).
3.Nachkonditionierungsphase:
Nach der Konditionierung setzte der Speichelfluss schon beim Glockenton ein.
Nach Verbindung des UCS mit dem NS folgt tatsächlich eine konditionierte Reaktion
(CR) auf den Glockenton (dann CS).
Beim klassischen Konditionieren ist das Timing entscheidend. CS und UCS müssen
zeitlich eng beieinander liegen (Kontiguität: zeitlich-räumliches gemeinsames Auftreten
der Reize), damit der Organismus sie als zeitlich verbunden wahrnimmt ( Grundlage
des Lernprozesses).
Beispiel: Das Verteilen von Redbull-Proben bei Surf-, Skateboard-, MTB-, Freeride-Turnieren schafft
eine Verbindung zwischen der Produktmarke und den abenteuerlichen Erlebnissen
Phase 2: Konditionierung
NS + UCS → UC
CS → CR
Phase 3: Extinktion
CR wird schwächer, wenn CS alleine auftritt (ohne UCS)
schwieriger als Konditionierung
Ängste sehr löschungswiderstandsfähig (meist nur mit Gegenkonditionierung)
Phase 5: Ersparnis
bei erneutem Konditionieren nach erfolgreicher Löschung gewinnt CR schneller an
Stärke als ursprünglich
Fazit:
Klassisches Konditionieren ist komplexer als Pawlow angenommen hatte: Ein NS wird
nur dann ein effektiver CS, wenn er kontingent und informativ ist.
Je ähnlicher der Reiz dem ursprünglichen CS ist, desto stärker die Reaktion (
Generalisierungsgradient)
Generalisierung ist in der Natur eine Art Sicherheitspolster: neue aber
vergleichbare Ereignisse bekommen dieselbe Bedeutung → gleiche Reaktion
Beispiel: Ein Raubtier gibt einen anderen, aber ähnlichen Laut von sich → das Beutetier
erkennt die Gefahr und reagiert entsprechend!
Reizdiskrimination
Ein Konditionierungsprozess, bei dem der Organismus lernt, unterschiedlich auf
Reize zu reagieren, die sich von dem CS entlang einer Dimension (z.B. Unterschiede
in Farbton oder Tonhöhe) unterscheiden.
Beispiel: Eine Maus läuft nur vor der grauen Katze, nicht aber vor der
braunen Katze weg.
Durch Konditionierung hat der CS einiges von der Macht des biologisch bedeutsamen
UCS übernommen (da er nun die Reaktion CR auslösen kann) CS ist in gewissem
Sinne zum Stellvertreter des US geworden.
Nun können konditionierte Reize eingesetzt werden, um einen weiteren Reiz zur
Auslösung der gleichen Reaktion zu konditionierten.
Assoziative Konditionierung
Späterer CS1 und CS2 werden nur vor dem Aufbau einer Konditionierung miteinander
gekoppelt.
(↔ Konditionierung höherer Ordnung: Zuerst wird Konditionierung aufgebaut, dann
Stimuli miteinander gekoppelt)
Konditionierte Furcht
Versuch nach Watson & Rayner (1920): „Der kleine Albert“ (11 Monate alt)
Ziel: Nachweis, dass viele Furchtreaktionen als eine Paarung aus einem NS mit etwas
natürlich Furchtauslösendem verstanden werden können.
Ergebnis: Nach wiederholter Kopplung zeigte Albert auf den Reiz "Ratte" die
konditionierte Reaktion Angst.
2.2 Klassisches Konditionieren 13
*Orientierungsreaktion
Erwerbsphase:
Konditionierte Furchtreaktionen könne über Jahre hinweg anhalten, auch wenn der
ursprüngliche furchteinflößende UCS nie wieder Auftritt. → Kann folglich nur sehr
schwer wieder gelöscht werden.
Ist intensive Angst beteiligt, dann kann es sogar nach nur einmaliger Koppelung des NS
mit UCS zur Konditionierung kommen (z.B. Autounfall bei Regen Panik bei Regen im
Auto).
Methode: Menschen durch geeignete Übungen zur völligen Entspannung bringen und
in diesem Zustand mit dem furchtauslösenden Reiz konfrontieren Überwindung der
Furcht
Schulangst
Klassenzimmer bietet viele Möglichkeiten für Schüler, Assoziationen zwischen
bestimmten Ereignissen und emotionalen Reaktionen entstehen zu lassen:
Prüfungsangst
Prüfungsangst: sich mit Schwierigkeiten zu beschäftigen bevor man diese hat.
Operant: jedes Verhalten, das von einem Organismus gezeigt wird und anhand seiner
beobachtbaren Effekte auf die Umwelt des Organismus beschrieben werden kann.
(wörtlich: Operant = die Umwelt beeinflussend)
Zufälliger Tritt auf die Taste → Tür öffnet sich → Katze gelangt an das Futter
Unmittelbar vorausgehendes (zufälliges) Verhalten wird verstärkt
→ law of effect (Effektgesetz, Thorndike 1898): Die Kraft eines Stimulus, eine
Reaktion hervorzurufen, wird verstärkt, wenn der Reaktion eine Belohnung folgt,
und geschwächt, wenn keine Belohnung folgt
Konsequenzen als entscheidende Determinante des Verhaltens
2.3 Operantes Konditionieren 17
Ergebnis: Lernen ist keine Assoziation zwischen zwei Reizen, sondern zwischen Reizen
(Stimuli) und einer Reaktion (R), gelernt wird durch eine S-R-Verbindung.
Tier lernt somit den Hebel nur zu drücken, wenn das Licht angeschaltet ist
Schema:
Vorausgehender Nachfolgendes Reiz-
→ Verhalten →
Reiz Erlebnis
S R S+
(Hebel
(Licht an) (Futter)
drücken)
Diskriminativer Reiz: Die Reize, die einer Situation vorangehen, erlangen durch
Assoziation mit Verstärkung oder Bestrafung die Funktion, das Verhalten festzulegen.
Organismen lernen, dass ihr Verhalten bei manchen Reizgegebenheiten, nicht
jedoch bei anderen eine bestimmte Wirkung (Verstärkung/Bestrafung) hat.
Beispiele:
Andere Reaktion bei roter als bei grüner Ampel
Kind soll bim Unterricht ruhig sitzen, darf aber in den Pausen laut und rege sein
Ein Reiz, der Verstärkung signalisiert, wird als positiver diskriminativer Reiz (𝑆 𝐷 )
bezeichnet. Der Reiz, der keine Verstärkung signalisiert, wird als negativer
diskriminativer Reiz (𝑆 𝛿 ) bezeichnet
Beispiel: Taube Grünes Licht = 𝑆 𝐷 , rotes Licht = 𝑆 𝛿
2.3.3. Reaktions-Konsequenz-Konstellation
Prinzip der Verstärkung & Bestrafung
Verstärkung Gabe eines Verstärkers in der Folge einer Reaktion
→ Auftretenswahrscheinlichkeit der Reaktion wird erhöht
2.3 Operantes Konditionieren 19
Darbietung/positiv Entzug/negativ
Angenehme Positive Verstärkung Bestrafung Typ 2
Konsequenz Darbietung eines angenehmen Entzug eines angenehmen
z.B. Zuneigung, Reizes Reizes
Fernsehen z.B. Futter, Lob, Geld z.B. Fernsehverbot
Achtung: „positiv“ (hier: hinzugeben) bzw. „negativ“ (hier: wegnehmen) sind in diesem
Zusammenhang nicht wertend! Ein Reiz ist dann aversiv, wenn Organismen auf diesen
mit Flucht bzw. Vermeidung reagieren!
Positive und negative Verstärker haben dieselbe Wirkung, beide erhöhen die
Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer operanten Verhaltensweise!
Schule: Jede Frage/Aufforderung im Unterricht, die eine Antwort nach sich zieht,
besitzt die Funktion eines diskriminativen Reizes. (wenn alle Schüler dieser
Aufforderung nachkommen)
Verstärkungspläne
Kontinuierliche Verstärkungsprogramme:
o Verhalten wird immer (Verhaltensaufbau) oder nie (Extinktion) verstärkt.
o schneller Auf- bzw. Abbau
Intermittierende Verstärkungsprogramme
o Zu lernendes Verhalten wird nicht jedes Mal verstärkt. Hohe
Löschungsresistenz
Quotenplan Intervallplan
Verstärkung nach gewisser Anzahl von Verstärkung nach bestimmtem Zeitintervall
Reaktionen (unabhängig von Reaktion)
Fixierter Variabler Fixierter Variabler
Quotenplan Quotenplan Intervallplan Intervallplan
Verstärker für die Verstärker wird nach
Reaktion wird nach einer variablen Zahl Verstärker wird für Verstärker für die
die erste Reaktion erste Reaktion wird
einer festen Anzahl von Reaktionen
nach einem be- nach einer variablen
von Reaktionen (durchschnittl. Anz.
stimmten Zeit- Zeitspanne (Mittel-
gegeben (z.B. jede festgelegt) gegeben.
intervall gegeben. wert fest) gegeben.
5.).
Direkt nach Mäßige, aber sehr
Hohe Auftretens-
Verstärkung nur stabile Verhaltens-
wahrscheinlichkeit Höchste Reaktions-
wenige Reaktionen, rate. Löschung
von Reaktionen, rate und größter
wenn Zeit der langsamer als unter
wegen unmittelbarer Löschungs-
Belohnung näher fixierten
Korrelation widerstand
rückt, steigt die Intervallplänen.
Reaktion-Verstärker
Reaktionsrate
Beispiele: Beispiele: Beispiel: Beispiel:
Taube kann so viel Glücksspiel Vokabeltest immer am Schüler müssen
Futter erhalten wie sie letzten Tag der Woche jederzeit damit
will, sie muss nur oft rechnen, einen
22 2.3 Operantes Konditionieren
Chaining: Kettenbildung
Operantes Verfahren, bei dem jeder Reaktion innerhalb einer Kette von Einzelreaktionen
ein konditionierter Verstärker folgt, bis auf die letzte Reaktion ein unkonditionierter oder
primärer Verstärker folgt.
Jedes Glied der Kette ist ein diskriminativer Reiz für die nächste Reaktion und ein
konditionierter Verstärker der unmittelbar vorausgehenden.
A) VERHALTENSAUFBAU
durch individuell angepassten Einsatz von negativen und positiven Verstärkern!
Materielle Verstärker
→ Gabe von Süßigkeiten, Geld, Weglassen von Hausaufgaben…
Token-Economy:
o Gutpunkte, Striche etc. werden als systematische, symbolische Verstärker
eingesetzt diese können in reale Verstärker (= Bonbons, Aktivitäten…)
eingetauscht werden
o Bedingungen nach O’Leary & Drabman (1971):
Verständliche Erklärung, strikte Regeleinhaltung, Einsichtigkeit der
Regeln, einfache Möglichkeit der Verteilung, Punktestand leicht
überprüfbar, keine Störung des Unterrichts durch Token-Vergabe
Kontingenzverstärker (Kontingenz-Vertrag):
o Übereinkommen zwischen zwei Vertragsparteien (schriftlich) mit dem
Inhalt „ Wenn A bestimmtes Verhalten zeigt, bekommt er bestimmte Dinge
etc.“
o Bedingungen (Hommeet al., 1971): Kleine Vertragsschritte, belohnende
Kontingenz nach erwünschtem Verhalten, Klarheit des Vertrags,
Fairness, Akzeptanz und Respekt beider Seiten, Änderungen müssen
möglich sein
o Vorteile: zielt auf positive Verhaltensweisen, höhere Verbundenheit (da
selbst ausgehandelt)
o Nachteil: „Bezahlung“ von Verhalten durch Verhalten Tauschcharakter
24 2.3 Operantes Konditionieren
B) VERHALTENSABBAU
Sollten nicht alleine eingesetzt werden (sonst: negative Verhaltensbilanz), sondern mit
gleichzeitigen Aufbau alternativen Verhaltens verbunden werden
Zitat Skinner (1989): „Ein Lehrer, der straft, bringt Schülern bei, dass Bestrafung ein
Weg ist, Probleme zu lösen. Das eigentliche Ziel, eine unerwünschte Verhaltens-
weise auszulöschen, erreicht er dabei nicht. Stattdessen nimmt der Lehrer einige
Nebeneffekte in Kauf, die seine Arbeit auf längere Sicht eher erschweren als
erleichtern.“
Unerwünschte Nebeneffekte:
o Auslösen von Gegenaggression (Förderung von Gewaltbereitschaft),
o Angst, Verärgerung, Verletzung des Selbstbildes, ernsthafte
Körperschäden
Gefahr des klassischen Konditionierens: Negative Erfahrungen werden
mit der Schule assoziiert
o Bestrafung ist mit Aufmerksamkeitszuwendung verbunden (kann zu
Verstärker werden)
o O’Leary (1970): Schüler nur leise bzw. alleine tadeln wirkungsvoller als
vor der ganzen Klasse
o Bestrafung kann auch dann verstärkend wirken, wenn die Strafe nicht
konsequent jedes Mal eintritt (Bandura, 1977, 1986)
Bsp.: Zu schnelles Fahren im Straßenverkehr wird mit einer Geldbuße geahndet!
Gelegentlich folgt dieser Verhaltensweise keine Bestrafung Verhaltensweise tritt
häufiger auf
o Oft erfährt der Bestrafte nicht, welches Alternativerhalten erwünscht wäre
(Skinner, 1953)
o Interesse an schulischer Arbeit kann sich nicht dadurch entwickeln, dass
Desinteresse bestraft wird (Skinner)
2.3 Operantes Konditionieren 25
Operante Löschung
o Verminderung der Auftretenswahrscheinlichkeit durch Extinktion/Löschung
( auf zuvor verstärkte operante Verhaltensweise folgt keine Konsequenz
mehr)
o Bei Beginn des Extinktionsprozesses kann eine vorübergehende
Erhöhung des Verhaltens stattfinden (Ausbleiben des Verstärkers
Frustration)
o Tempo der Löschung hängt von der Lernvorgeschichte ab (kontinuierliche
Verstärkung ist weniger löschresistent als partielle Verstärkung)
o Löschung alleine reicht nicht aus um ungewünschtes Verhalten
abzubauen
Stimuluskontrolle
o Verhalten ist durch Hinweisreize steuerbar
o Reduzierung des Verhaltens durch Vermeidung von Reizen, die zu
störendem Verhalten geführt haben (Lehrermonolog etc.)
o Schaffung von Reizen, die zu erwünschtem Verhalten führen
o Vorteil: relativ einfach einsetzbar, keine negativen Nebenwirkungen
Ralph & Tyler (1934): Curriculum und Unterricht (1973): Zur Beschreibung von
Lernzielen solle man eindeutige Begriffe (Operatoren) wie Auswählen, Unterscheiden
oder Aufzählen verwenden. Ziel hierbei ist es, sich verstärkt dem Schülerverhalten
zuzuwenden und benennbare Zielkriterien zu nennen.
→ Individuelle Förderung der einzelnen Schüler bzgl. Zeit und Verwendung kleiner
Schritte, sodass jeder Schüler in der Lage ist, ein Lernziel erreichen zu können.
Problem im Schulalltag:
Woher soll man die Zeit nehmen, die die schwächeren Schüler benötigen?
Ausgangspunkt des Lernens bildet also Ausgangspunkt des Lernens bildet also
eine physiologische Reaktion, die durch eine beliebige Reaktion, die ohne
einen bestimmten, festgelegten Reiz inhaltlich zwingenden Bezug zu
ausgelöst wird. vorangehenden Reizen ausgelöst wird.
Prinzip: Kontiguität plus
Prinzip: Kontingenzen
Signalfunktion
Reiz – Reaktion: UCS – UCR Dreifachkontingenz:
CS - CR Reiz – Reaktion – Konsequenz
Handlung von spezifischem Reiz Handlung nicht von spezifischem Reiz
ausgelöst (z.B. Futtersuche) ausgelöst
Der Lernprozess zielt auf den Reiz Lernprozess zielt auf die Reaktion bzw.
ab das Zielverhalten ab
Reaktion durch US bzw. CS Reaktion vom Organismus selbst
hervorgerufen (elicit) hervorgebracht (emit)
Zentral für das Lernen sind die dem Zentral für das Lernen sind die auf
Verhalten vorausgehenden ein Verhalten folgenden
Bedingungen. Bedingungen.
Gruppe 1: Gruppe 2:
Kann dem Schock (US) weder Kann Schock mit Hilfe einer Platte, die
entgehen, noch ihn beenden neben Kopf angebracht ist, beenden.
→ Lernen, dass Schock (US) → Schock ist zwar auch unvermeidbar,
unvermeidbar & unkontrollierbar ist aber kontrollierbar.
Erlernte Hilflosigkeit: [nach Vortraining] Beide Gruppen befinden sich in einem Käfig, in
dem eine Hälfte unter Strom gesetzt werden kann, die andere nicht. Beide Hälften sind
voneinander durch eine (für die Hunde schulterhohe) Barriere getrennt. Die erste
Käfighälfte wird unter Strom gesetzt, nachdem kurz zuvor der aus dem Vortraining
bekannte Ton erklang. Die Hunde können dem Schock entgehen, indem sie über die
Barriere springen (Fluchtverhalten beim Erklingen des CS (Ton))
Gruppe 1: Gruppe 2:
Findet den Ausweg nicht und verhält sich Zeigt zunächst trial & error, springt
untätig; auch nach mehreren Durchgängen dann über die Barriere (law of effect:
lernen 2/3 dieser Gruppe das Sprung erfolgt in zukünftigen
Fluchtverhalten nicht! Versuchsdurchgängen immer
→ Erlernte Hilflosigkeit schneller).
Operantes Konditionieren
SD (Ton) CR (Sprung) C (Beendigung der Furcht)
3. SOZIAL-KOGNITIVE LERNTHEORIE
Übergang von behavioristischen zu kognitiven Lerntheorien
Kinder werden anschließend in einen Spielraum gebracht, in dem sich auch die
Utensilien aus dem Film befanden. Die Kinder wurden zunächst allein gelassen und das
Verhalten dokumentiert, später wurden Süßigkeiten für jede Nachahmung versprochen.
Ergebnis: Die Reproduktion der Verhaltensweisen hängt zunächst vom Geschlecht und
davon ab, ob das Modell bestraft oder belohnt wurde. Mit dem Anreiz kann jedoch über
alle Gruppen hinweg ein großer Anteil das Verhalten zeigen.
Die Kinder haben durch Beobachtung von aggressivem Verhalten in einem Film also die
Kompetenz erworben, selbst aggressives Verhalten zu zeigen. Direkte externe
Verstärkung und stellvertretende Verstärkung erhöhten die Bereitschaft zur
Performanz.
Bandura schloss daraus, dass die Kinder das Modell-Verhalten gleichermaßen
erlernt, aber je nach Folgen unterschiedliche reproduziert haben.
Dieser Verarbeitungsprozess wird nach Bandura (1969) in zwei Phasen und vier Schritte
unterteilt:
Aufmerk- Gedächtnis-
Reproduktion Motivation
samkeit prozesse
Äußerungs- / Ausführungs-/
Aneignungs-/ Lernphase
Verhaltensphase
(Akquisition)
(Performanz)
3.2 Phasen des Beobachtungslernens 33
Je nachdem, wie diese Prozesse verlaufen, wird nur die Kompetenz zu bestimmtem
Verhalten erworben, die Nachbildungsleistung auf Verhaltensebene ausgeprägt oder es
findet gar kein Lernprozess statt.
1. Aufmerksamkeit
Prozess, der aus dem gesamten Reizangebot der Umwelt eine Auswahl für die
weitere Verarbeitung vornimmt. Diese Selektion wird durch mehrere Faktoren
bestimmt, z.B.:
EIGENSCHAFTEN DES BEOBACHTERS: Motivation, Fähigkeit der Wahrnehmung,
Fähigkeit zum Nachvollzug der Handlungen
MODELLEIGENSCHAFTEN: Respektiert und statushoch, mächtig und attraktiv, eher
erfolgreich als wiederholt bestraft
VERHÄLTNIS ZWISCHEN MODELL UND BEOBACHTER: Ähnlichkeit mit dem Beobachter,
Sympathieempfinden etc.
2. Gedächtnis/Behalten
Vor der Nachahmung des beobachteten Verhaltens muss es ins Gedächtnis
transferiert und dort in bildlicher und/oder sprachlicher Form gespeichert werden.
3. Reproduktion
Theoretisch sollte nun die Reproduktion des Verhaltens möglich sein. Jedoch wird
man häufig durch Selbstbeobachtung oder objektive Rückmeldung (Feedback) auf
Fehler aufmerksam. Daher sollte keine negative Reaktion auf falsche Ausführungen
erfolgen, sondern eine „informative Rückmeldung“.
4. Motivation
Ob ein beobachtbares Verhalten nachgeahmt wird, hängt von der Motivation des
Lernenden in einer gegebenen sozialen Situation ab.
34 3.3 Wirkungen des Beobachtungslernens
Stellvertretende
Direkte Verstärkung Selbstverstärkung
Verstärkung
Beobachter ahmt Beobachtung von Beobachter verstärkt sich
Verhalten nach und Verhalten, das belohnt selbst.
bekommt dafür direkten wurde (Verstärkung) Ziel pädagogischer Ein-
Verstärker wirkung: Selbststeuerung
des Lernenden
ENTHEMMUNGSEFFEKT
Beim Beobachten werden vorher gehemmte Verhaltensweisen häufiger oder
treten wieder auf, nachdem ein Modell beobachtet wurde, das vorher verbotene
oder bedrohliche Handlungen ohne negative Folgen ausführt und/ oder damit
sogar Erfolg hat.
3.4 Modellernen und Mediengewalt 35
AUSLÖSEEFFEKTE
Modelle können Verhalten auslösen, das der Beobachter schon voll und ganz
beherrscht (z.B. Schüler lesen sich in Pause nochmal Hefteintrag durch →
Mitschüler lässt von seiner ursprünglichen Tätigkeit ab und lernt auch)
NULLWIRKUNG
Verhaltensweise bereits bekannt → keine Lernwirkung
6. Medienspezifische
2. Erregungshypothese: realitätsnahe Katharsishypothese:
Gewaltdarstellung emotionale angeborene Aggression verringert,
Erregung aggressives Verhalten wenn beobachtete Gewaltakte an
je nach Umgebungsbedingungen fiktiven Modellen in der Fantasie
nachvollzogen werden Miterleben
von Gewalt Reinigung von
3. Stimulationshypothese: Aggression
Förderung der Bereitschaft zur
Gewaltanwendung bei Frustration 7. Rechtfertigungshypothese:
in kritischen Situationen
nachträglich als Rechtfertigung für
Gewaltdarstellungen als Auslöser
Gewaltanwendung
Kritik an Informations-Verarbeitungs-Theorien
Wissen wird nicht nur „eingefüllt“ in den Schüler
Unangemessener Vergleich des menschlichen Gehirns mit einem Computer
(dieser wird von einer externer Kraft entwickelt, Sylvester 1995)
Wegen der Dekontextualisierung darf man keine allzu großen Erwartungen an die
Transferleistung oder Anwendung auf andere Situationen stellen (Ertmer &
Newby 1993)
Das Gedächtnis ist somit kein passiver Informationsspeicher, sondern ist abhängig von
der Aktivität des Lerners bei der Aneignung. Die höchste Aufnahmeschnelligkeit ist im
Schulalter zu finden.
Die Qualität des Gedächtnisses und die Fähigkeit sich zu erinnern, ist abhängig von
Anzahl der Wiederholungen
Zeitabstand zwischen Lernen und Abruf
38 4.1 Das Gedächtnis & Wissen: Überblick
In den meisten Fällen erfordert das Einspeichern oder Abrufen von Informationen eine
Mischung aus implizitem und explizitem Gedächtnis.
4.1.2. Gedächtnisprozesse
Modellvorstellung: Das menschliche Gedächtnis kann mit einer Bibliothek verglichen
werden. Ziel der Literaturbeschaffung ist das Bereitstellen (Speicherung) in Bibliotheks-
regalen, welche dann bei Bedarf ausgeliehen werden können (Abruf).
Drei mentale Prozesse sind also nötig, um Wissen zu einem späteren Zeitpunkt nutzen
zu können, unabhängig von der Form des Gedächtnisses:
Enkodierung
Prozess , der die mentale Repräsentation im Gedächtnis aufbaut.
ENKODIERUNGSSPEZIFITÄT: Abruf verbessert, wenn Hinweisreize bei Enkodierung
mit denen bei Abruf übereinstimmen
SERIELLER POSITIONSEFFEKT:
o Primacy-Effekt: verbesserte Erinnerungsleistung für Items am Anfang einer Liste
o Recency-Effekt: verbesserte Erinnerungsleistung für Items am Ende einer Liste
KONTEXTUELLE UNTERSCHEIDBARKEIT: Serieller Positionseffekt kann durch Kontext
und Unterscheidbarkeit der abzurufenden Erfahrung verändert werden.
Speicherung
Behalten enkodierter Informationen über eine Zeitspanne hinweg.
Abruf
Wiedergewinnung gespeicherter Information zu einem späteren Zeitpunkt.
Möglichkeiten beim Abruf:
ABRUF (RECALL): Suche, bei der die Informationen reproduziert werden sollen
WIEDERERKENNEN: Suche, bei der die Reize als zuvor gesehen beurteilt werden
sollen
4.1 Das Gedächtnis & Wissen: Überblick 39
HINWEISREIZE beim Abruf: Intern oder extern generierte Reize, die den Abruf
erleichtern
Hinweisreize sind sowohl beim recall wie auch beim Wiedererkennen erforderlich. Die
Leistung beim Wiedererkennen ist hingegen in der Regel höher als beim Abruf (Beispiel:
Multiple-Choice Test).
Allgemein:
Das Gedächtnis funktioniert am besten, wenn Enkodierungs- und Abrufprozesse gut
zusammenpassen.
Theorie der Verarbeitungstiefe (levels of processing, Craick & Lockhart, 1972):
Bei größerer Tiefe ist eine Einprägung im Gedächtnis wahrscheinlicher.
Oft muss man implizite Gedächtnisinhalte abrufen, die man explizit enkodiert hat.
Implizite Inhalte sind stabil, wenn Enkodieren und Abruf sehr gut übereinstimmen
(= transferadäquate Verarbeitung).
Wissensformen
im LZG
Prozedurales Wissen
„Wissen, wie“ etwas auszuführen ist (z.B. einen Bruch dividieren)
Kann nur durch Handlungen überprüft werden (sonst: deklaratives Wissen)
Speicherungsformen: Wenn-Dann-Regeln
Konditionales Wissen
„Wissen, wann und warum“: Wissen über die korrekte Anwendung von
Prozeduren und Regeln
40 4.2 Gedächtnismodelle
4.2. Gedächtnismodelle
4.2.1. „Drei-Komponenten-Modell“ von Atkinson & Shiffrin (1965)
Das Sensorische Register ist im Vergleich zum Kurzzeitgedächtnis sehr groß → Prozess
der Datenverringerung im sensorischen Register durch Kontrollprozesse:
4.2 Gedächtnismodelle 41
Aufmerksamkeit1:
Verschiedene Sinnesorgane werden von sehr vielen Informationen „bombardiert“
→ diese geht aber verloren, wenn ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird
Probleme:
o Schüler haben anfangs Schwierigkeiten, aus zwei verschiedenen Quellen
gleichzeitig Informationen zu verarbeiten
o Bei der Diagnostik aktueller Aufmerksamkeitszuwendungen; Schüler
haben stets ihre Augen auf den Lehrer gerichtet, ohne ihm die volle
Aufmerksamkeit zu schenken
Bedeutungszuschreibung:
Mit Hilfe der im LZG gespeicherten Information wird dem Inhalt im sensorischen
Register Bedeutung zugeschrieben
z.B.: Die Reizgegebenheit 7 gewinnt für Hannes an Bedeutung, da er über das
Wissen verfügt, dass die Zahl 7 zu den Primzahlen gehört
Schulbezug
Im Unterricht: Abwechslungsreicher Unterricht zur Förderung aufmerksamer
Zuwendung
Lernende auffordern, genau zuzuhören oder besonders acht zu geben
Angemessener Einsatz von Medien wie Overheadfolien, Wandbilder,
mitgebrachten Gegenständen,…
In gewissen Abständen im Klassenzimmer umher bewegen
Stimme gezielt variieren (lauter, leiser, schneller, langsamer)
Schüler müssen lernen, ablenkende Reize zu ignorieren
Erhöhung der Kapazität durch Automatisierung grundlegender Dinge
Das Arbeitsgedächtnis
Arbeitsgedächtnis ist die neuere Bezeichnung für Kurzzeitgedächtnis nach A. Baddeley
(2000, 2007)
Neue Bezeichnung:
Arbeitsgedächtnis Gedächtnissystem, welches die übertragene Information aus dem
sensorischen Register so lange zwischenspeichert, bis diese mit
Hilfe des bereits vorhandenen Wissens aufgearbeitet worden ist
(Baddeley; 2000, 2007)
Kurzzeitgedächtnis Komponente des Arbeitsgedächtnisses, welche Informationen in
diesem System nur passiv zwischenlagert
1
Siehe auch: Anhang (A1 Exkurs: Umgang mit ADHS)
42 4.2 Gedächtnismodelle
o Aufmerksamkeitszuwendung
Wenn man nicht darauf achtet, dass Inhalte des Arbeitsgedächtnisses „in
Bewegung bleiben“, gehen sie verloren
z.B.: Wenn ich mir eine Telefonnummer für einen Rückruf merken will, darf
ich nicht gestört werden, sonst ist diese Information weg
o Erhaltende Wiederholung
Die Information wird so lange „geistig“ oder leise wiederholt, bis sie
benötigt wird [vgl. phonologische Schleife bei Baddeley]
z.B. Ich sage die Telefonnummer so lange vor mich hin, bis ich endlich
jemanden erreiche.
o Aufarbeitende Wiederholung
Dabei wird die Bedeutung neuer Informationen erschlossen, indem ich
versuche, die Inhalte mit dem Wissen aus dem Langzeitgedächtnis
aufzuarbeiten und zu verbinden
→ spontane Aufarbeitung wächst bei Kindern mit dem Alter (Pressley &
Levin, 1977)
Die zentrale Exekutive: Diese Komponente überwacht und koordiniert die anderen
Sub-Systeme; besitzt selbst keine Speicherkapazität
Räumlich-visueller Notizblock: Dieses Sub-System speichert visuelle Informationen,
die sprachliche Zusammenhänge veranschaulichen
Phonologische Schleife: Dieses Sub-System speichert akustische und sprachbasierte
Informationen für ca. 2 sec, falls diese nicht aufgrund von Wiederholungen (z.B. zu sich
selbst sprechen) erhalten bleiben
z.B.: Einem Schüler gelingt es häufig im Unterricht, Mitteilungen des Lehrers zu
wiederholen, obwohl er gerade nicht aufgepasst hatte
4.2 Gedächtnismodelle 43
2
Tatsächlich stammt dieses Beispiel von Baddeley selbst.
44
Explizites Gedächtnis Implizites Gedächtnis
(deklarativ, bewusst) (nicht-deklarativ, unbewusst)
Langzeiterinnerungen, die bewusst und Wissen, das wir nicht bewusst abrufen, das aber unser
absichtlich abgerufen werden können Verhalten und unsere Gedanken beeinflusst
Episodisches Semantisches Klassisches Prozedurales Priming
Gedächtnis Gedächtnis Konditionieren Gedächtnis
4.2 Gedächtnismodelle
zu Verfügung stehen
Das Langzeitgedächtnis
z.B.: Was habe ich z.B.: Pflanzen- z.B.: das Geräusch z.B.: Schalten beim z.B.: Ge… wird
zum Frühstück namen des Rasenmähers Autofahren häufiger mit
gegessen wird mit Sommer Gedächtnis
verbunden beendet wenn man
gerade das Skript
gelesen hat
Empirische Befunde
Hyde & Jenkins, 1973
3 Gruppen von Probanden sollten das gleiche Wortmaterial auf unterschiedliche
Weise lernen
Gruppe 1: Wörter nach Angenehmheit einstufen
Gruppe 2: Beurteilung, ob in den Wörtern bestimmte Buchstaben enthalten sind
Gruppe 3: Entscheidung, ob das Wort in syntaktische Satzgruppen passt
Ergebnis: Erinnerungstest: Gruppe 1 erinnert deutlich mehr als die anderen Gruppen
Erklärung: Für das Fällen eines Angenehmheitsurteils muss der Anwendungskontext
eines Wortes überdacht werden → führt zur Aktivierung semantischer
Wissensstrukturen und zu einem reichhaltigem Aufbau von Assoziationen zwischen
dem Wort und der vorhandenen Wissensstruktur
Probleme
Die Theorie macht keine Aussage darüber, wann eine Verarbeitung als „tief“ zu
bezeichnen ist.
Es gibt Personen mit Gehirnschäden, die zwar noch Aufgaben mit dem KZG
ausführen können, jedoch keinen Zugriff mehr auf ihr LZG haben (Baddeley,
1974)
→ spricht für Dreispeichermodell
Definition (Ferrari & Elik, 2003): Begriffe sind Kategorien, in der sich Gegenstände,
Vorstellungen und Ereignisse anordnen lassen, die gewisse Gemeinsamkeiten
aufweisen. Das Kategorisieren ermöglicht dem Menschen eine schnellere Verarbeitung.
Man spricht von Begriffen als der „kleinsten Einheit des Denkens.“
Bsp.: Die Farbe Rot zeigt sich in den verschiedensten Farbtönen! Aber meist spricht man nur
von Rot!
Dewey (1933): Ein Begriff lässt sich am besten als eine Kategorie verstehen, die
als ein kognitives Werkzeug in jeweils bestimmten alltäglichen Situationen
verwendet werden kann. → Man muss auch wissen, wie man es verwendet!
Begriffe repräsentieren Klassen von Objekten („Autos“), Aktivitäten („lesen“),
Eigenschaften („groß“), Abstraktionen („Liebe“), Beziehungen („klüger als“)
Hohe Ähnlichkeit zu Schemata: Begriffe beinhalten definitorische Merkmale,
positive und negative Beispiele, Vorgehensweisen zur Klassifizierung,
Beziehungen zu anderen Begriffen, affektive Assoziationen und
Anwendungsregeln (Tessmer et al. 1990)
4.3 Netzwerktheorien der Speicherung deklarativen Wissens 47
Pflanze
Blume Baum
Laub- Nadel-
Rose Tulpe
baum baum
Herz
Liebe Herzchirurgie
Methode im Unterricht: Bildung und Prüfung von Hypothesen (nach Bruner, 1956)
1. Jede Kategorisierung durch das Vorhandensein einer kleinen Anzahl von
relevanten Merkmalen definiert Bsp.: relevantes Merkmal = Dreieckig
2. Ein Objekt/ Ereignis ist nur dann Beispiel für eine Kategorie, wenn es Träger des
relevanten Merkmals ist
3. Innerhalb einer bestimmten Abstraktionsebene sind einzelne Kategorien klar
voneinander trennbar (→ nie zwei Kategorien gleichzeitig) und können nur auf
einer höheren Ebene zusammengefasst werden
4. Relevante Merkmale nicht nach ihrer Bedeutung unterscheidbar, sondern alle sind
gleich wichtig! Bsp.: Rechtwinklig und Dreieck sind als Merkmal gleich wichtig!
Anwendbarkeit auf den Unterricht ist begrenzt: effektivere Lernleistung von Begriffen
durch exakte Definitionen von Lehrern
48 4.3 Netzwerktheorien der Speicherung deklarativen Wissens
Bsp: alltägliche Gebrauchsgegenstände sind nicht immer über eine bestimmte Anzahl
von Merkmalen definierbar, z.B. kann eine Tasse verschiedenste Formen haben und
nur schwer von „Becher“ zu unterscheiden sein
Definition Ein Prototyp ist eine Art Mittelwert aller bisher gesehenen Beispiele und
damit ein Muster-Beispiel, das den Begriff am besten darstellt. Dieser entsteht aus
Erfahrungen und ändert sich ständig.
Vogel
Amsel Penguin
Typisch ist ein Beispiel, wenn es möglichst nahe am Prototypen ist und wenig
Abweichungen hat. Daher konzentriert man sich auf charakteristische (d.h. typische)
Merkmale, nicht auf die relevanten. Z.B würde man Vögel durch die Fähigkeit zum
Fliegen charakterisieren (!), obwohl es Vögel gibt, die nicht fliegen können (Pinguine)
und auch flugfähige Tiere gibt, die keine Vögel sind (Fledermaus).
Kritik an Prototypentheorie: Lässt situative Bedingungen unberücksichtigt (was ist in
best. Umfeld typisch und was nicht?), bei abstrakten Begriffen (Gerechtigkeit) nicht
anwendbar
→ Pinguin ist damit kein typischer Vogel, wird aber als solcher erkannt
Dies ist kognitiv einfacher handzuhaben und flexibler als eine Definition von
Begriffen über feste Merkmale (z.B. auch wenn ein Hund nicht bellt, gehört er
eindeutig in diese Kategorie, Bsp. von Lindsay & Norman 1977)
Es ist nicht sinnvoll, wenn eine Klassifikation nur nach relevanten Merkmalen oder
nur nach Prototypen vorgenommen wird. Lehrer sollten somit stets mit klassischen
Beispielen beginnen und dann Merkmale herausarbeiten.
4.3.2. Propositionen
Auf Grundlage von Lernerfahrungen entstehen zwischen den verschiedenen Begriffen
Assoziationen, sogenannte Propositionen.
Definition (Schunk, 2004): Eine Proposition ist die kleinste Bedeutungseinheit, die ein
Urteil darüber zulässt, ob sie wahr oder falsch ist.
Besteht aus mind. 1 Argument (Begriff) und 1 Relation (Verb oder Adjektiv)
Bello gibt Susi den Knochen.
= Argument = Relation = Argument = Argument
Beispiel: Das Schema Buch umfasst alle Erfahrungen, Merkmale die man im Laufe
seines Lebens gesammelt mit Büchern und Lesen von Büchern gesammelt hat.
Empirie zur Bedeutung von Schemata: Liam Brewer, James Treyens (1981)
Studenten wurden gebeten, in einem Arbeitszimmer eines Professors Platz zu
nehmen. Nach 35 sec wurden sie in einen zweiten Raum gebracht und sollten völlig
unerwartet aufzählen, was sich in dem Arbeitszimmer befand.
Ergebnis:
Studenten erinnerten sich an alles, was typischerweise in einem Arbeitszimmer zu
finden ist. Aber es waren auch untypische Objekte im Arbeitszimmer, die nur von
wenigen erinnert wurden (z.B. ein Totenschädel). Viele reproduzierten außerdem
typische Objekte, die sich gar nicht in dem Zimmer befanden (z.B. Bücher).
Erklärung:
Während der Erinnerungsphase erfolgt eine Aufarbeitung der gespeicherten
Informationen; dabei wurden…
… Einzelheiten, die sinnlos vorkommen (nicht in das Schema passen), vergessen
… Einzelheiten, die logisch sind (in das Schema passen), einfach hinzugefügt
Nachteile
Beobachtungen/ Nacherzählungen können aufgrund von Schemata verfälscht
werden (meist werden nur schema-konforme Reize wahrgenommen)
Vorstellungsbilder (images)
Theorie, dass Informationen oder Gegenstände bildartig im Gedächtnis abgespeichert
werden (nach Anderson, 1995)
der Wohnung etc. Dies ist allerdings tatsächlich nicht der Fall (d.h. je mehr Fenster,
desto länger zählt man)
Umstrittenes Konzept
Manche Psychologen verneinen diese Speicherung und gehen davon aus, dass nur
das Arbeitsgedächtnis die Propositionen in solche Bilder „umrechnet“.
Ergebnis: Bilder wurden zu 100%, Sätze zu 89% und Wörter zu 88% wiedererkannt.
visuelle Repräsen-
verbale
Vorstellun tation im
Einheiten
gsbilder LZG
Die Wahrscheinlichkeit, sich an eine der beiden Codierungen zu erinnern, ist damit
höher.
Ergebnis:
Sätze am Ende können getreu wiedergegeben werden
Bei Sätzen aus der Mitte konnte nur deren Bedeutung wiedergegeben werden
Bedeutung
Ein Satz ist unmittelbar nach seiner Darbietung im Gedächtnis gespeichert; nach
etwas Zeit, kann aber nur noch die Bedeutung der Aussage wiederholt werden
Propositionale Netzwerke speichern nur die Bedeutung und nicht die
wörtliche Formulierung
54 4.4 Speicherung Prozeduralen Wissens & die ACT-Theorie
Prozedurales Wissen:
wird in der Regel aus deklarativem Wissen gewonnen
wird durch Übung verbessert und automatisiert! (z.B. Sprechen, Fahrradfahren…)
ist ohne große Anstrengung abrufbar
ist oft schwieriger zu beschreiben als anzuwenden (z.B. Schuhebinden…)
kann auch nach Jahren (wenn gut geübt) wieder schnell erworben werden
wird unterschieden nach psychomotorischen Fertigkeiten (Autofahren) und
kognitiven Fertigkeiten (Bruchrechnen)
Bedingungsteil: Handlungsregel:
WENN DANN
eine oder mehrere eine oder mehrere
Voraussetzungen Handlungen
Bsp.: WENN Auto im 1. Gang und schneller als 20 km/h und es hat Schalthebel, Kupplung etc.
DANN drücke Kupplung, ziehe Schalhebel in 2. Gang, etc.
DEKLARATIVES PROZEDURALES
GEDÄCHTNIS GEDÄCHTNIS
Direkt und abrupt (kognitive Indirekt und über allmähliche Schwächung
Lernvorgang
Elaboration
Verknüpfung neuer Wissensinhalte (Begriffe, Propositionen, Schemata etc.) mit
bereits bestehendem, d.h. im Gedächtnis repräsentiertem, Wissen!
Elaborative Prozesse:
Notwendige Elaboration: Vorwissen muss notwendigerweise aktiviert werden
(ohne Vorwissen Verständnisschwierigkeiten).
Bsp.: „Vitamin C fördert die Bildung weißer Blutkörperchen“
Lerner muss Infomationen, die darin enthalten sind, aktivieren (Was ist Vitamin C?)
4.5 Wissenserwerb/ Aufbau von Wissen 57
Elaboration ist auch wichtig für das Behalten von Wissen über Sachverhalte.
Enkodieren eines Sachverhaltes durch Zufügen vieler Propositionen zum Netzwerk
bessere Erinnerung Rekonstruktion kann auf mehr Anhaltspunkte zurückgreifen
(Anderson & Reder, 1979).
Organisation:
Eine gute Organisation ist vor allem beim Lernen komplexer und weit ausholender
Informationen sehr wichtig.
Organisationsprozesse:
Ordnen der Lerninhalte nach thematischen Kategorien (Clustering)
Bsp.: Wortliste lernen einordnen in Kategorien
Reduktion der Lerninhalte auf das Wesentliche
Überführen des Wissens in übliche Darstellungsformen
Lernen mit Vergleichen ist sinnvoll, da neue Informationen besser vorstellbar sind und
eine strukturierende Funktion aufweisen. Durch Vorstellungen werden neue
Informationen aktiv assimiliert neue Information in der „Bibliothek“ des Lerners
Kontext
Aspekte wie die Umwelt oder Emotionen bei Lernprozessen werden mit den
Informationen gespeichert. Abrufen wird erleichtert, wenn der Kontext beim Abruf der
gleiche ist wie beim Speichern (sog. Enkodierungsspezifität).
Bsp.: Werden Vokabeln unter Wasser gelernt, so werden diese dort auch besser erinnert als an
Land.
Empirische Befunde:
Klassische Studie von Bartlett zur Konstruktionshypothese (1932)
Probanden wurde eine Geschichte aus fremdem Kulturkreis erzählt
Diese sollten sie erneut wiedergeben
Eintreten von drei Effekten
o Nivellierung: Vereinfachung von Zusammenhängen
58 4.6 Konzeptuelle Veränderungen
Beispiel aus NatWi-Unterricht der 5. Klasse (nach Anderson & Smith, 1984)
Falsches Vorwissen: „Damit ich einen Baum sehen kann, muss die Sonne ihn
anleuchten.“
Richtige Aussage: „Einen Baum sehe ich, wenn Lichtstahlen auf ihn treffen und von ihm
reflektiert werden.
→ Ende der Unterrichtssequenz waren dennoch nur 20% von der ursprünglichen
Aussage abgewichen
Roth (1990): Wenn man Schülern erklärt, ihre Vorstellungen seien falsch, und ihnen
sagt, sie müssten durch bessere ersetzt werden, führt dies nicht zur aktiven
Wissenskonstruktion
4.7. Vergessenstheorien
Sowohl im Arbeits- als auch im Langzeitgedächtnis findet Vergessen statt. Folgende
Theorien zur Erklärung sind vorherrschend. Teilweise wird auch die Meinung vertreten,
dass Informationen im Langzeitgedächtnis nie vergessen werden und durch geeignete
Hinweisreize stets abgerufen werden können.
100%
Vergessenskurve
100%
90%
80%
70% 58%
60%
50% 44%
36% 33%
40% 28% 25%
30% 21%
20%
10%
0%
1 Stunde
2 Tage
6 Tage
31 Tage
20min
sofort
9 Stunden
1 Tag
Interferenztheorie
Interferenz tritt auf, wenn sich neuere und frühere Lerninhalte hochgradig ähneln.
Gedächtnisverlust bei
Erlernen von Liste 1 Erlernen von Liste 2
Wiedergabe der Liste 2
2. „retroaktive Hemmung“
Gedächtnisverlust bei
Erlernen von Liste 1 Erlernen von Liste 2
Wiedergabe der Liste 1
Interferenzen sind besonders bei hohem Umfang des Lernstoffs sowie fehlender
Verarbeitungstiefe (Verarbeitung führt zu besserer Ordnung und besserem
Behalten) bedeutsam.
Ashcraft (2002): Aus dem Langzeitgedächtnis geht nichts verloren, was diesem
einmal übergeben worden ist
→ Vergessen ist Misslingen des Abrufs von Inhalten aus diesem Speicher.
Vergleich mit Bibliothek: man findet das Buch nicht, obwohl es da ist (steht thematisch falsch).
Anknüpfen an Vorwissen
Diagnostik: Inwiefern verfügen Schüler bereits über Wissen, an das angeknüpft
werden kann?
Wiederholung nötiger Informationen (Reaktivieren von Wissen)
→ Einstieg als besonders wichtiges Unterrichtselement
Aufmerksamkeit
Der Lehrende muss dafür sorgen, dass der Lernende seine Aufmerksamkeit auf
die Inhalte richtet (z.B.: Entwicklung von Fragen bei den Schülern)
Motivierender Einstieg
5. KONSTRUKTIVISTISCHE LERNTHEORIEN
Definition (Woolfolk, 2008): Der Konstruktivismus ist ein Lernauffassung, nach der
Lernen nicht nur als das Empfangen und Verarbeiten von Informationen gesehen wird.
Lernen ist vielmehr die aktive und individuelle Konstruktion von Wissen.
Aufgrund der Entwicklungen und Fortschritte der Menschheit und der damit verbundenen
Probleme (Umweltverschmutzung, Epidemien, globale Erwärmung) scheint die
Erziehung von „passiven“ Lernern nicht mehr auszureichen, was zur Entstehung dieser
neuartigen Theorien führte.
Kernannahmen
Wissen wird individuell aufgebaut, nicht mechanisch abgebildet
Lerner: sucht aktiv und zielgerichtet nach Informationen, interpretiert diese und
leitet neue Konzepte ab
Betonung von selbstgesteuertem Lernen und Selbstkontrolle
Konkrete Hinweise
Lernen sollte in komplexe und realistische Umgebungen eingebettet sein
Keine Behandlung von einfachen Schritt-für-Schritt-Aufgaben, sondern komplexer
Probleme
6. SELBSTGESTEUERTES LERNEN
6.1. Steuerung des eigenen Lernens
Aus sozial-kognitiver und vor allem konstruktivistischer Perspektive ist nötig, den Lerner
in sein eigenes Lernen einzubinden und ihm Verantwortung zu übertragen.
„Selbststeuerung ist eine notwendige, sinnvolle und zielführende Form der individuellen
Anpassung, die Lerner selbst vornehmen können (und sollen).“ (Hasselhorn & Gold,
2013) – Begründungen:
Solche Lerner nehmen sich auch außerhalb des Unterrichts die benötigte Zeit,
um zusätzlich zu üben
Nach den klassischen Bildungsinstitutionen sind wir darauf angewiesen,
selbstständig zu lernen
6.1.1. Definitionen
Definition (Zeidner, Boekarts & Pintrich, 2000): Selbststeuerung des Lernens ist ein
aktiver, konstruktiver Prozess, bei dem sich Lernende eigenständig Ziele setzen sowie
ihre Kognitionen, ihre Motivation und ihr Verhalten während des Lernens stetig
überwachen, regulieren und kontrollieren.
Ebenen, auf die sich selbstreguliertes Lernen stets bezieht (Hasselhorn & Gold, 2013)
Kognitionen Metakognition Motivation Emotion
Selbstreguliertes Lernen ist nicht eine allgemeine geistige Fähigkeit oder eine
akademische Fertigkeit, sondern ein transaktionaler, selbstdirektiver Prozess, bei dem
Lernende ihre geistigen Fähigkeiten nutzen, um aufgabenbezogene akademische
Fertigkeiten zu entwickeln und elaboriertes/ anschlussfähiges Wissen aufzubauen.
Lehrer müssen bereit sein, sich von der strikten Kontrolle des Schülerverhaltens zu
lösen und allenfalls beratend, in zurückhaltender Weise auch lenkend auf Lernende
einwirken, sich selbständig und selbstverantwortlich mit Aufgaben
auseinanderzusetzen
Vorausschauphase
[prä-aktional]
Selbstreflexions-
Phase Performanzphase
[aktional]
[postaktional]
Vorausschauphase
o MOTIVATIONALE ÜBERZEUGUNGEN (Wirksamkeitserwartungen, aktuelle
Wissensbestände, Interesse, Emotionen etc.)
o AUFGABENANALYSE: Zielsetzung und strategische Planungen
Performanzphase: Ausführung der geplanten Strategien
o SELBSTKONTROLLE: Selbstinstruktion [Strategien vorsagen], Fokussierung
der Aufmerksamkeit, Strategieanwendung
o SELBSTBEOBACHTUNG: metakognitives Monitoring, Self-recording
[Registrierung und Protokollierung eigener Leistungen]
Selbstreflexionsphase
o SELBSTBEURTEILUNG: Evaluation und Kausalattributionen
o SELBSTREAKTION: Zufriedenheit mit Leistung, Beibehaltung des Vorgehens
(defensiv) oder Motifikation der Arbeitsweise (adaptiv)
1. Stadium der äußerlichen Regulation: Tätigkeiten werden nur ausgeführt, weil nach
einem erfolgreichen Abschluss lobende Anerkennung erwartet wird (v.a. jüngere
Schüler).
4. Integrierte Regulation: Schüler setzt sich selbst Leistungsziele, die er um ihrer selbst
willen anstrebt; viele Menschen erreichen dieses letzte Stadium nie; diejenigen, die sich
integriert zu steuern vermögen, fühlen sich ferner liegenden Zielen verpflichtet und
haben gute Aussichten, erfolgreich im Leben zu sein (Pintrich & Schunk 2002)
6.3 Förderung von Selbstreguliertem Lernen 69
Ob sich ein Mensch als wirksam erlebt, wird dadurch bestimmt, ob er meint, dass
sich sein Potenzial nach erfolgreicher Lösung der Aufgabe verändert hat.
Bsp.: Erst wenn sich beim Schüler der Eindruck einstellt, dass sich sein zurückliegendes Wissen
durch die Bearbeitung von Matheaufgaben erweitert und sich das mathematische Können
verbessert hat, ist mit dem Urteil zu rechnen, die eigene Wirksamkeit gesteigert zu haben.
Einflussfaktoren:
1. Bisherige Erfolgsgeschichte
2. Stellvertretende Erfahrungen (Erfolg von Bezugspersonen)
3. Ermunterndes Zureden(erhöht die Bereitschaft härter zu arbeiten)
4. Physiologischer Ergebniszustand (Erregung bei Prüfungen soll kein Anlass zu
Sorge sein und nicht auf mangelnde Vorbereitung zurückführen )
Merkregel: Ziele müssen SMART sein, also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch
und terminiert (Doran, 1981).
Ziele sollten dabei nicht zu weit in der Zukunft liegen und vom Schwierigkeitsgrad her
anspruchsvoll, aber dennoch erreichbar sein.
Schüler erhält wichtige Informationen über das eigene Verhalten, Stärken und
Schwächen. Lernende, die ihr Verhalten in hohem Maße selbst steuern, achten
ständig darauf, welche Fortschritte ihnen auf dem Weg zum Ziel gelingen und sie
70 6.3 Förderung von Selbstreguliertem Lernen
wissen, wann sie ihre Lernstrategie verändern sollten (Zimmermann & Risemberg,
1997)
Bsp.: Rauchen kann durch Anlegen einer Strichliste abgewöhnt werden Wirkung der
Selbstbeobachtung nicht unterschätzen; Studierende, die die Zeiten des Selbststudiums
vermerkten, hatten bessere Zensuren nachzuweisen
→ Experiment von Bandura & Kupers 1964: Eltern oder Lehrer, die bei der
Beurteilung von Leistungen sowohl im Handeln als auch in Worten Nachsicht
zeigen, müssen damit rechnen, dass sich auch ihre Kinder bzw. Schüler mit
mittelmäßigen Leistungen zufrieden geben (Jones & Evans 1980)
Menschen, die sich für ihr eigenes Verhalten belohnen, erreichen höhere
Leistungsniveaus als jene, die dieselben Aktivitäten nach Anweisung ohne
Verstärkung ausführen, die nicht kontingent (=unregelmäßig) belohnt werden oder die
ihr eigenes Verhalten zwar überwachen und sich Ziele setzen, sich aber für das
Erreichte nicht belohnen (Bandura, 1978)
Etwas Empirie
Förderung von SRL im Unterricht (Studie von Perry et al. 2002)
Ergebnis
Breiteres Spektrum an Lernstrategien bei Schülern
Besseres Verständnis von Lernstrategien: können sie anderen erklären
Bessere Selbstwirksamkeitseinschätzung (prä: 50% bevorzugen leichte
Aufgaben, post: 26%)
Verbesserte Fehlerkultur: 22% glauben post, Lehrer habe negative Emotionen bei
Fehlern (prä: 47%)
7.1 Problemlösen 73
7.1. Problemlösen
Ein Individuum steht dann einem Problem gegenüber, wenn es sich in einem inneren
und äußeren Zustand befindet, den es aus irgendwelchen Gründen nicht erstrebenswert
empfindet, aber im Moment nicht weiß, wie er die unerwünschte Ausgangslage in den
wünschenswerten Endzustande überführt.(Lukesch).
Zur Erreichung des erwünschten Endzustands sind Teilziele nötig, die eine Annäherung
an das Hauptziel ermöglichen. Dieses Verhalten ist kognitiv bestimmt und erfordert die
Anwendung von Regeln und Strategien.
Dies ist auch der Unterschied zur Aufgabenbewältigung: Die Maßnahmen müssen
selbst gefunden werden.
Problem:
Schüler werden nicht ausreichend auf das Leben vorbereitet, da sie im Unterricht nur mit
klar definierten Problemen, nicht aber mit den im Alltag überwiegenden unklar definierten
Problemen konfrontiert werden.
74 7.1 Problemlösen
EINSICHT (KÖHLER, 1917): Schimpansen sitzen in einem Käfig und erhalten zwei
Stöckchen, um zum außen liegenden Futter zu gelangen. Nach einiger Zeit
erkennen die Schimpansen, dass sie die beiden Stöckchen zusammenstecken (=
verlängern) müssen.3
→ Innerliche Lösung, da über die Situation nachgedacht wird
Kritik: Es muss davon ausgegangen werden, dass auch die Schimpansen zuvor eine
Fehler-Irrtum-Phase durchliefen. Die beiden Arten scheinen also eher aufeinander
aufzubauen.
Bransford und Stein versuchten, eine allgemeine Strategie zur Lösung von Problemen
zu finden. Sie entwickelten das IDEAL-Modell, wobei der Name auf die
Anfangsbuchstaben der fünf Phasen zurückzuführen ist.
3
Köhler wird für dieses Experiment auch kritisiert. Die Affen hatten wohl zuvor genügend Zeit, im Urwald auch
durch Trial und Error auf diese Lösung zu kommen.
7.1 Problemlösen 75
Probleme:
o Diese Strategie wird schnell zu aufwändig (z.B. gibt es bei der Aufgabe,
EDRISHCLAM in die richtige Reihenfolge zu bringen, über drei Millionen
Möglichkeiten).
o Schüler wenden Algorithmen oft unsystematisch an und können oft den
Lösungsweg nicht rekonstruieren
einem See und sein Benzin wird knapp. Die Schüler sollen nun den kürzesten
Weg zum Ufer finden.
Das Jasper-Lernprogramm zeigte positive Auswirkungen auf die Leistungen der
Schüler, auch in anderen Schulfächern und bei Alltagsproblemen.
Umfangreiches Grundlagenwissen
Hochgradig vernetztes Wissen in einem Fachgebiet, das schnell aus dem LZG
abgerufen werden kann
Sämtliche Formen: deklaratives, prozedurales und konditionelles Wissen
Schnelle Problemerkennung
Relevante Informationen werden aufgrund vorhandener Schemata schnell
erkannt
Aktivierung der Schemata, die tatsächlich zur Lösung führen
Novizen: eher oberflächliche Einordnung von Aufgaben, die oft wenig nützlich ist
4
Ein analoges Experiment zur Entwicklung von Kindern stammt von Chi, 1978. Vgl. Skript zur EntPsy.
78 7.3 Transfer
7.3. Transfer
Definition (Greeno et al., 1996 oder Gentile, 2000) Transfer ist die Übertragung von
Gelerntem auf neue Lernsituationen.
z. B. Ingenieurstudent wendet eine mathematische Formel an, um ein praktisches Problem zu lösen
Schüler sind nicht ohne weiteres in der Lage, Gelerntes auf praktische Situationen
anzuwenden (Cox, 1997) → der Unterricht muss darauf gestaltet sein
Bewusster Transfer
explizit bewusste Formulierung einer Abstraktion (Analyse: welche Strategie,
welche Vorgehensweise etc.)
Rückgriff auf konditionales Wissen
Vorwärts gerichteter Transfer: Strategie beinhaltet die Absicht, sie in der Zukunft
anzuwenden. Voraussetzung: Kenntnis von zukünftiger Situation z. B.
Lehramtsstudent lernt Unterrichtseinstiege in der Uni
Rückwärts gerichteter Transfer: Erinnerungen an frühere Situation, um
gegenwärtige Situation zu lösen
Lernstrategien
Ressourcenbezogene Lernstrategien
Interne Ressourcen Externe Ressourcen
- Anstrengung - Lernumgebung
- Aufmerksamkeit - Lernen mit Kollegen
- Zeitmanagement - Literatur
8.1 Unterscheidung von Lernstrategien 81
Kognitive Strategien
Organisation
o Informationsreduzierende Vorgehensweisen
o Auswahl/ Zusammenfassen von Information sinnstiftende Gliederung
o Gliederung anfertigen, Diagramm/MindMaps erstellen
o
o Beispiel: Giraffe, Otto, Kamel, Rettich, Oswald, Melone Merke einfacher: Giraffe,
Kamel, Otto, Oswald, Rettich, Melone)
Kritisches Prüfen
Regulation
o Anpassung des eigenen Lernens an Anforderungen
o Beispiel: langsameres Lesen bei schwierigen Texten
(Bewertung) nicht bei Wild & Schiefele, aber bei vielen anderen Modellen
o nach Beendigung einer Aufgabe
o gesetzte Ziele vs. Erreichte Ziele
o Lernprozess wie geplant abgelaufen?
o Strategien sinnvollgewählt?
Ressourcenbezogene Strategien:
Interne Ressourcen (unterstützen das Lernen; schirmen störende Einflüsse ab)
o Motivationale Maßnahmen Selbstmotivation
o Kontrolle von Aufmerksamkeit und Anstrengung
o Sinnvolle Zeitplanung
Externe Ressourcen
o Optimale Nutzung institutioneller Ressourcen (z.B. Bibliothek)
o Soziale Ressourcen (z.B. Arbeitsgruppe, Lerngruppe, Tutorien)
o Gestaltung einer geeigneten Lernumgebung
Nach Untersuchungen von Atkinson (1975) ist die Anwendung von Mnemotechniken in
der Schule und in der Uni sinnvoll.
BILDORIENTIERTE STRATEGIEN
Erst Kinder ab 8 Jahren sind in der Lage, Sachverhalte in bildhafte Vorstellungen
umzuwandeln
verwendbar zum Lernen von Listen (z.B. Einkaufsliste), nicht aber zum tieferen
Verständnis von Texten und Sachverhalten
SPRACHORIENTIERTE STRATEGIEN
SCHLÜSSELWORT-METHODE (Levin et al., 2000): sinnvoll beim Vokabellernen!
Drei-Schritte nach Levin et al.
Rekodieren: neues Wort wird mit einem bekannten, konkreten Wort
(„Schlüsselwort) verbunden [window = Wind]
Verbinden: des Schlüsselwortes mit der Vokabel durch einen Satz [„Durch das
Window pfeift der Wind.“]
Abrufen: der Bedeutung duch Erinnern des Satzes
8.3. Metakognition
Definition (nach Flavell, 1979) Metakognition ist Kognition über Kognition. Sie bildet
einen speziellen Teil des Weltwissens eines Menschen, der sich auf seine Kognitionen
und Anwendung des Wissens bezieht.
Lernstrategien im Unterricht
Vermittlung von Gedächtnisstrategien durch den Lehrer
Selten Vermittlung von Lernstrategien → Eigenerarbeitung nur sehr langsam und
unzureichend
Aber: nicht jeder Strategie ist jedem Schüler (in jedem Alter) vermittelbar!
Schlechte Strategienutzer
Inaktive Lerner Produktions- und Anwendungsdefizit
Überwachen ihr Lernen seltener, Bemerken deshalb Fehler seltener
Vermeiden Anstrengung, auf Strategien zurückzugreifen
Kennen weniger Strategien, die ihnen in Problemfällen weiterhelfen könnten
Dansereau (1998)
Studenten nahmen an Training zum kognitiven Strukturieren von Texten teil
Danach Aufgabe: Fachtext ohne Notizen lesen
Ergebnis: Studenten mit Training erinnerten doppelt so viel wie Kontrollgruppe
9. UNTERRICHTSQUALITÄT
9.1. Unterrichtsmodelle und Forschungsrichtungen
„Guter Unterricht ist Unterricht, in dem mehr gelernt als gelehrt wird.“ (Weinert, 1998)
Das Modell betont einerseits die professionellen Kompetenzen des Lehrers für die
Qualität des Angebots. Dieses entstehende Angebot muss die Schüler zugleich zur
seiner Nutzung anregen. Je stärker diese Anregung ist, desto besser der Unterricht.
Weitere Kontextfaktoren werden ebenso berücksichtigt.
9.2.1. Klassenführung
Definition (Kunter & Voss, 2011) Unter Klassenführung (oder Classroom
Management) versteht man die Koordination des sozialen Geschehens im
Klassenzimmer mit dem Ziel, Lernzeit optimal zu nutzen und Zeitverluste durch nicht
lernbezogene Aktivitäten zu vermeiden.
Klassenführung wird in der Schule als zentrale Grundlage für Unterricht und Erziehung
angesehen, weil sie einen nötigen Rahmen für Unterricht schafft und ein hohes Maß an
aktiver Lernzeit ermöglicht.
Reaktion auf Störungen und auffälliges Verhalten, sowie die Überlappung, d.h. die
Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun [also erklären und zugleich die ganze
Klasse im Blick haben]
2. REIBUNGSLOSER UNTERRICHTSABLAUF. Der Unterrichtsfluss bleibt auch beim Wechsel
zwischen verschiedenen Methoden erhalten und Verzögerungen werden
vermieden. Aspekte sind Schwung, also keine Abschweifungen, sowie die
Geschmeidigkeit, also logische Zusammenhänge und Übergänge.
3. AUFRECHTERHALTUNG DES GRUPPENFOKUS. Ziel des Unterrichts ist es, möglichst
viele Schüler zu aktivieren: dies geschieht durch Aufmerksamkeit der ganzen
Klasse (z.B. jederzeit die Chance, aufgerufen zu werden) sowie stete
Leistungsverantwortlichkeit (z.B. durch Kontrolle von Hausaufgaben)
4. ÜBERDRUSSVERMEIDUNG. Vermeidung von Langeweile durch Abwechslung in
Methoden und Inhalten.
Weinstein (2003) betont zudem die Notwendigkeit von Routinen, z.B. für Anfang und
Ende der Stunde sowie für Verwaltungsaufgaben.
Empirie
Seidel & Sharvelson, 2007: positive Effekte der Klassenführung auf kognitive
sowie affektiv-motivationale Kriterien
Aber: Auf die Leistungen wirkt sich die Unterstützungen von Lernen stärker aus
Wang et al., 1993: stärkstes Merkmal für Leistungsfortschritt einer Schulklasse
Effiziente Klassenführung und guter Unterricht beeinflussen sich nach Helmke (2007)
gegenseitig: Motivierender Unterricht hat aktive Schüler zur Folge, die sich im
Unterrichtsgesehen mehr engagieren und somit die aktive Lernzeit gesteigert wird.
Klarheit ist bezogen auf auf Akustik, Sprache (Prägnanz), Inhalt (Kohärenz) und
Fachlichkeit (Korrektheit)
Die Lernleistung der Schüler kann durch mangelnde Klarheit (z.B. falsche Grammatik,
Unsicherheitsausdrücke, Sprechverzögerungen, langatmige Darstellungen) verringert
werden. Dies ist von enormer Wichtigkeit, denn Lehrpersonen dienen häufig als Modelle.
Die Strukturierung dient dem Ziel, Unterrichtsstoff so zu vermitteln, sodass eine gut
organisierte Wissensbasis entsteht. Um dieses Ziel zu erreichen, werden häufig
funktional unterschiedliche Phasen miteinander verknüpft.
9.2 Die Qualitätsmerkmale nach Helmke 91
9.2.4. Aktivierung
Das Konzept der Aktivierung umfasst 4 Aspekte:
KOGNITIVE AKTIVIERUNG: Aktivierung im Sinne des SRL
→ Tiefe Verarbeitung durch anspruchsvolle Lernstrategien
SOZIALE AKTIVIERUNG: Formen kooperativen Lernens
AKTIVE TEILHABE: Schüler sollen an Planung/ Gestaltung des Unterrichts
teilnehmen
KÖRPERLICHE AKTIVIERUNG: Kontrast zu passiv-sitzender Lernhaltung
9.2.5. Motivierung
Motive sind die Motoren des Handelns. Während es sich bei „Motiven“ um gewachsene,
dispositionelle Verhaltenstendenzen (traits) handelt, handelt es sich bei „Motivation“ um
einen bestimmten Zustand in einer konkreten Situation (state).
Für Lernprozesse ist ein gewisser Grad an Motivierung über den kompletten Zeitraum
unabdingbar. Ziel hierbei ist es, dass der Lehrer in der Lage ist die motivationale
Fremdsteuerung (durch den Lehrer selbst) durch die motivationale Selbststeuerung (SuS
sollen in der Lage sein ihre eigenen Lernsituationen selber motivierend zu gestalten)
ersetzt werden.
Motive sind hierbei unterschiedlich stark ausgeprägt und beziehen sich auf
unterschiedliche Gegenstandsbereiche:
Leistungsmotiv: sich selber zu übertreffen
Machtmotiv: an Einfluss zu gewinnen
Anschlussmotiv: neue Kontakte zu finden
92 9.2 Die Qualitätsmerkmale nach Helmke
Bei Fehlern der Schüler ist es stets sinnvoll, den Schülern alternative Strategien zur
Bewältigung der missglückten Aufgabe zu geben. Vor allem, wenn die Schüler in der
Lage sind, ihre eigenen Fehler zu berichtigen, hat dies positive Auswirkungen auf das
Lernklima.
Eine angenehme Atmosphäre im Klassenraum (z.B. auch Lachen im Unterricht), d.h. ein
Mittelweg aus Ernsthaftigkeit und entspannter Atmosphäre, wirkt sich positiv auf das
Klassenklima und somit auf die Unterrichtsqualität aus.
9.2.7. Schülerorientierung
Die Wertschätzung des Schülers als Person hat enormen Einfluss auf den affektiven
Aspekt des Wohlbefindens.
Ein schülerorientierter Unterricht ist dadurch gekennzeichnet, dass die SuS die
Lehrperson auch als Ansprechpartner in nicht-fachlichen Fragen erleben und sie als
Schülerperson respektiert, interessiert und fair/ gerecht wahrnimmt.
9.2.8. Kompetenzorientierung
Definition (Weinberg, 2004) Kompetenz umfasst, was ein Mensch wirklich kann und
weiß, das heißt alle Fähigkeiten, Wissensbestände und Denkmethoden, die ein Mensch
in seinem Leben erwirbt und zur Verfügung hat. Damit impliziert der Begriff auch ein
individuelles Vermögen, Befähigung und Potenzial
Ein wesentliches Ziel von Unterricht ist der Erwerb von Kompetenzen, wie sie in
Bildungsstandards beschrieben sind. Hierbei wird das Hauptaugenmerk nicht auf die
Inhalte gelegt – nicht nur Durchnehmen, sondern etwas können.
Schüleraktivität
9.3 Lehrermerkmale 93
2. Migrationshintergrund:
Kinder, deren Eltern ursprünglich im Ausland geboren wurden, haben meist
Leistungsrückstände im Vergleich zu ihren Altersgenossen. Die kulturelle Diversität
kann somit in Bezug auf die sprachlichen Fähigkeiten einen negativen Einfluss haben.
3. Entwicklungsstand:
Unterricht muss altersgerecht sein, d.h. der Lehrer muss an die kindlichen bzw.
jugendlichen Vorstellungen anknüpfen.
4. Lernstile:
Eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Lerntypen ist unerlässlich (z.B.
auditiv, haptisch, visueller und intellektueller Lerntyp)
9.2.10. Angebotsvariation
Hiermit ist eine große Varianz an allen verfügbaren Inszenierungstechniken gemeint, wie
beispielsweise bezogen auf Sozialformen, Medien, Aufgabentypen etc. Dadurch wird
Interesse, Neugier, Spannung und Aufmerksamkeit gefördert und der Unterrichtsstoff
dadurch besser enkodiert und im LZG vernetzt.
9.3. Lehrermerkmale
9.3.1. Lehrerpersönlichkeit
Nach Weinert (1998) gibt es bestimmte Eigenschaften, die ein Lehrer „mehr oder minder
mitbringen muss“. Dazu zählt er:
Sensibilität gegenüber Schülern
Freude an der Arbeit mit Jugendlichen
Frustrations- und Misserfolgstoleranz
94 9.3 Lehrermerkmale
Schlüssel-
kompetenzen
Professionswissen
Definition (ebd.) Als Professionswissen oder Lehrerexpertise bezeichnet man
berufsbezogenes Wissen und Können von Lehrern.
Baumert & Kunter: didaktisches Wissen sagt Unterrichtserfolg besser voraus als
Fachliches Wissen
Zugleich: Fachliche Mängel schränken Anwendung didaktischer Methoden ein
Baumert (2011): bei der Berufswahl ist für die Unterrichtsqualität das Interesse für
die pädagogische Tätigkeit wichtiger als Interesse am Fach
Problematisch für die Selbstregulation sind vor allem die Tendenz zur
Überarbeitung sowie eine schnelle Resignation (Schaarschmidt, 2005)
Für den optimalen Lerneffekt sollten die Lehrmethoden auf die Voraussetzungen der
Lernenden abgestimmt sein. Beispielsweise lernen Schüler bei ungünstigen
Lernvoraussetzungen (z.B. hohes Angstpotential, niedriges Intelligenzniveau) besser bei
lehrerzentriertem, hochstrukturiertem Unterricht.
Funktionen
didaktisch-methodische Funktion (Vorbereitung und Unterstützung Lernprozess)
erzieherische Funktion (selbstgesteuertes Lernen)
Empirische Befunde
10. LEHRSTRATEGIEN
Bei Lehrstrategien (auch Lehrmethoden oder Unterrichtsmethoden genannt) handelt es
sich um verschiedene, theoretisch fundierte Formen der Wissensvermittlung. Generell
kann zwischen kognitiven und konstruktiven Methoden unterschieden werden. Wir folgen
der Unterscheidung der Lehrmethoden nach Hasselhorn & Gold, 2013. Diese
bezeichnen die dem Kognitivismus entsprechenden Lehrformen als darstellende
Methoden, die konstruktiven als problemorientierte Methoden und behandeln zusätzlich
das Kooperative Lernen als wichtige Unterrichtsform.
Lehrstrategien
Darstellende problemorientierte
Kooperatives Lernen
Methoden Methoden
Wesentliche Leitideen
Ziel des Unterrichts: Aufbau einer neuen, hierarchisch gegliederten
Wissensstruktur
10.2 Problemorientiert-entdeckendes Lernen 99
Advance Organizer
Die vorhandenen Ideen im Vorwissen müssen anfangs aktiviert werden
Methode: eine vorangestellte Strukturierungshilfe, sog. Advance Organizers
Ziel: Rückgriff auf bereits sicher gefestigte Konzepte
Richtlinien für den effektiven Einsatz nach Derry (1984)
o Herstellung einer Beziehung zwischen Neuem und Bekannten
o Erzeugen von Aufmerksamkeit
o Konkrete Formulierung
Kritik an den traditionellen Formen: Lernen wird stets in einem bestimmten Kontext
erworben, ist also situiert. Das bedeutet allerdings auch schlechte Übertragbarkeit.
Sinnvolles Lernen stellt die Inhalte also stets in bestimmte, und auch verschiedene
Anwendungskontexte, um die Entstehung trägen Wissens zu vermeiden (Collins, 1989).
Üblicher Ablauf
1. KONFRONTATIONSPHASE: Präsentation eines neuartigen Problems
2. ENTDECKUNGSPHASE: aktive und eigenständige Erarbeitung einer Problemlösung
3. AUFLÖSUNGSPHASE: Darstellung, Erprobung und Diskussion der Lösungen
(1) Positive und negative Beispiele (6) Hypothesen testen lassen: statt
auswählen: zunächst völlig typische unmittelbarer Rückmeldung über
oder atypische, dann auch Grenzfälle deren Richtigkeit
Ansatz: Schüler werden als Novizen, Lehrer als Experten gesehen. Die klassische
„Handwerkerausbildung“ oder „Meisterlehre“ (≈ apprenticeship) soll auf kognitives,
schulisches Lernen anhand praxisorientierter Probleme übertragen werden.
Merkmale
Gelenkte Beobachtung, minimale Anleitung und konstruktive Unterstützung
Experte zieht sich zunehmend aus Lernprozess zurück
Idee: individualisierte Meisterlehre als natürlichste Form des Lernens
Empirie
Entsprechende Programme sind oft sehr wirksam (Brown, 1997)
Erklärung: vereinen erwiesene Vorteile der direkten Instruktion mit aktivierendem
und sozialem Lernen
Empirische Prüfung
Hickey et al. 2001: Vergleich von 19 fünften Klassen an verschiedenen Schulen
(auch verschiedene Sozialschichten etc.)
o Unterschiede in der Problemlösekompetenz, nicht aber unbedingt beim
fachlichen Wissen
o V.a. wirksam in Verbindung mit einer insgesamt eher reformorientierten
Ausrichtung der Schule
o Insgesamt eher geringe Effektstärken
o Problem: Filme wurden von Lehrern oft als Unterhaltung eingesetzt,
Schüler mussten keine Fragen etc. selbst stellen
→ mangelhafte praktische Umsetzung!
Empirische Studien
Allgemein: Wirksamkeit konnte nicht wirklich bestätigt werden (Mayer, 2004)
Loyens und Rikers (2011): größere Effekte bei stärkerer Strukturierung
→ Bedarf einiger Lenkung seitens der Lehrkraft (Guided Discovery)
104 10.3 Kooperatives Lernen
Etwas Empirie
Hattie (2009): Effektstärke von 𝑑 = 0.54 (= mittlere Stärke)
Rohrbeck et al. (2003): v.a. schwächere Schüler profitieren
Rohrbeck et al. (2006): positive Auswirkungen auf soziale Kompetenzen,
kooperativem Verhalten und Fähigkeitsselbstkonzept
106 A1 Exkurs: Umgang mit ADHS
ANHANG
A1 Exkurs: Umgang mit ADHS
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) = Kinder mit einer ungewöhnlich hoher Aktivität
und einer gleichzeitig sehr geringen Aufmerksamkeitsspanne
Schwierigkeiten, kognitive Funktionen zu kontrollieren und Verhalten zu steuern
Kennzeichen: Hyperaktivität, Impulsivität, mangelnde Affektkontrolle,
Unaufmerksamkeit, störendes Sozialverhalten
Empirische Befunde:
o Zu sehr hohem Prozentsatz erblich (Astrid Neuy-Bartmann, 2005)
o Erstmals mit 2-3 Jahren; ohne Behandlung noch im Erwachsenenalter
(Schäfer & Ruther, 2005)
Empfehlungen für den Umgang mit ADHS-Kindern:
o Regelmäßige körperliche Aktivität
o Anweisungshilfen durch den Lehrer (klare und kurze Anweisungen)
o Regelmäßige & häufige Aufgabenkontrolle
o Wesentliches stets aufschreiben
o Vermittlung und Einüben von Strategien zur Kontrolle der eigenen
Aufmerksamkeit
o Individueller Stundenplan & Arbeitsbedingungen anpassen (z.B.:
Sitzordnung, die wichtigsten Fächer zuerst,…)
Quelle: http://www.studienseminar-
koblenz.de//medien/seiteneinsteiger/seiteneinsteiger2011_2/12%20Expertiseforschung
%20-%20Hattie-Studie/Handout%20Hattie-Studie.pdf