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Arzneimittelzulassung - der lange Weg zum Medikament

Von Martina Feichter (2014)

Die Suche nach neuen Wirkstoffen gegen bestimmte Krankheiten oder Beschwerden ist
langwierig und endet nicht immer mit einem Erfolg. Von 5.000 bis 10.000 Hoffnungsträgern,
die in den Forschungslabors der Pharmafirmen getestet werden, landet im Durchschnitt nur
einer als fertiges Medikament in der Apotheke. Und dazwischen liegen meist mehr als zehn
Jahre.

Suche nach dem "Target"


Noch bevor Tests mit neuen Substanzen gemacht werden, überlegen sich die Forscher,
welche Eigenschaften der gesuchte Stoff haben beziehungsweise, welche Reaktion er im
kranken Körper auslösen soll, beispielsweise eine Senkung des Blutdrucks, die Blockierung
eines bestimmten Botenstoffes oder die Ausschüttung von Hormonen. Dazu suchen die
Forscher nach einem geeigneten "Target", also einem Angriffspunkt im
Krankheitsgeschehen, an dem ein Wirkstoff ansetzen und so den Krankheitsprozess günstig
beeinflussen kann. In den meisten Fällen dienen Enzyme, Rezeptoren (Andockstellen an
Zellen) und andere Eiweiße als Targets.

Suche nach dem Wirkstoff


Sobald ein Target feststeht, wird nach einem geeigneten Wirkstoff gefahndet (Screening).
Für die Mitarbeiter in den Forschungslabors bedeutet dies in erster Linie: Testen, testen,
testen. Mithilfe von Robotern lassen sich pro Tag bis zu 300.000 unterschiedliche Stoffe auf
ihre Eignung hin untersuchen. Davon zeigt etwa jede 200. bis 1000. Substanz tatsächlich
eine Wirkung am gewählten Target, wenn auch manchmal nur eine sehr kleine.

Optimierung
In den meisten Fällen müssen diese "Hits" oder "Treffer" noch optimiert werden. Manchmal
lässt sich die Wirksamkeit eines Stoffes beispielsweise steigern, wenn seine Struktur
geringfügig verändert wird. Bei diesen Versuchen arbeiten die Wissenschaftler oft mit
Computersimulationen, mit deren Hilfe sich der Effekt einer chemischen Veränderung an der
Substanz im Vorfeld abschätzen lässt. Ist die Prognose gut, wird die Substanz in echt, also
im Labor modifiziert. Anschließend wird erneut ihre Wirkung am Target untersucht. Auf diese
Weise verbessern die Forscher schrittweise ihren Wirkstoffkandidaten bis sie denken, dass
er bereit ist für die präklinischen Studien.

Präklinische Studien
Sie werden an Zellkulturen sowie Tieren durchgeführt und sollen klären, was mit dem
Wirkstoffkandidaten im Körper passiert:

! Wie wird er aufgenommen?


! Wie verteilt er sich im Körper?
! Welche Reaktionen löst er aus?
! Wird er um- oder abgebaut?
! Wird er ausgeschieden?
Außerdem wird genau untersucht, welche Wirkung der Stoff auf das Target ausübt, wie lange
diese anhält und welche Dosis notwendig ist. Auch auf mögliche Nebenwirkungen wird
geachtet.
Die Präklinik dient außerdem dazu, die Sicherheit der Substanz zu überprüfen. Viele
scheitern an dieser Hürde, weil sie sich beispielsweise als giftig, schädlich für einen Embryo
oder Fötus oder als krebserregend erweisen. Nur Substanzen, die alle Sicherheitsprüfungen
bestehen, dürfen Tests an Menschen (klinische Studien) durchlaufen.

Phase I-Studien
Der Wirkstoff wird jetzt erstmals an Menschen getestet. Ziel ist es, die bisher gewonnenen
Erkenntnisse aus den Tests im Reagenzglas und an Tieren zu bestätigen. Als Testpersonen
fungieren meist 60 bis 80 gesunde Erwachsene, die sich freiwillig dafür gemeldet haben.
Ihnen wird zunächst nur eine kleine Wirkstoffmenge verabreicht. In bis zu 30
aufeinanderfolgenden Studien wird untersucht, ob sich der Wirkstoff im Körper tatsächlich so
verhält wie die präklinischen Tests vermuten lassen. Vor jeder einzelnen Studie muss eine
unabhängige Ethik-Kommission (bestehend aus Medizinern, Juristen, Theologen und Laien)
ihre Zustimmung geben.

Tablette, Spritze oder Salbe?


Nach erfolgreich abgeschlossener Phase I kommt die Galenik ins Spiel, das heißt die
Wissenschaftler tüfteln nun an der optimalen "Verpackung" für den Wirkstoff: Sollte er besser
als Tablette, Kapsel, Zäpfchen oder Spritze verabreicht werden? Eine wichtige Frage, von
der vieles abhängt - die Darreichungsform bestimmt, wie zuverlässig, wie schnell und wie
lange der Wirkstoff seine Aufgabe erfüllen kann. Außerdem beeinflusst sie die Art und Stärke
möglicher Nebenwirkungen. So sind manche Wirkstoffe als Spritze wesentlich besser
verträglich als wenn sie in Tablettenform über den Magen-Darm-Trakt in den Körper
gelangen.

Phase II- und Phase III-Studien


Nach den gesunden Probanden in Phase I sind jetzt erstmals Kranke an der Reihe. In Phase
II wird der neue Medikamentenanwärter an meist 100 bis 500 Patienten getestet. Im Fokus
steht die Wirksamkeit, optimale Dosierung und Verträglichkeit des Präparates. Das Gleiche
wird in Phase III überprüft - nur diesmal an noch wesentlich mehr Patienten (mehrere
Tausend). Zusätzlich wird hier auf eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
geachtet.

In beiden Phasen werden jeweils unterschiedliche Behandlungen miteinander verglichen:


Nur ein Teil der Patienten erhält das neue Präparat, die restlichen nehmen entweder ihr
gewohntes Standardmedikament oder ein Placebo - ein Präparat, das genauso aussieht, wie
das neue, aber keinen Wirkstoff enthält. In der Regel wissen dabei weder Patient noch
behandelnder Arzt, wer was bekommt. Solche "Doppel-Blind-Studien" sollen verhindern,
dass Hoffnungen oder Ängste bei den Patienten das Ergebnis der Behandlung beeinflussen.

Seit 2007 muss in Europa jedes neue Medikament in Phase II und III-Studien auch an
Minderjährigen getestet werden, wenn es gegen eine Krankheit gerichtet ist, die auch in
dieser Altersgruppe vorkommt. Davor wurden neue Wirkstoffe fast ausschließlich nur an
Erwachsenen erprobt. Mit den Tests an Kindern beziehungsweise Jugendlichen wird meist
erst begonnen, wenn die Phase III-Studien an Erwachsenen erfolgreich abgeschlossen sind.

Zulassung
Auch wenn ein neues Medikament alle Tests bestanden hat, darf es nicht einfach so verkauft
werden. Der Hersteller muss zunächst einen kostenpflichtigen Antrag bei den
Zulassungsbehörden stellen, die ihm dann nach Prüfung aller Studienergebnisse im besten
Fall die Genehmigung zum Verkauf erteilen.
Viele Pharmafirmen reichen den Zulassungsantrag für ein neues Präparat direkt bei der
Europäischen Arzneimittelagentur EMEA ein. Geht der Antrag hier durch, darf das neue
Präparat überall in der EU auf den Markt kommen. Das dauert aber seine Zeit - im Schnitt
dauert das Zulassungsverfahren in Europa eineinhalb Jahre.

Es gibt auch die Möglichkeit, die Zulassung für ein neues Medikament bei nationalen
Behörden und damit auch nur in dem betreffenden Land zu beantragen. In Deutschland sind
das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Paul-Ehrlich-
Institut (PEI) dafür zuständig: Anträge für Humanarzneimittel werden beim BfArM eingereicht;
das PEI kümmert sich um Sera, Impfstoffe, Testallergene, Testsera und Testantigene, Blut
und Blutprodukte, Gewebe sowie Arzneimittel für Gentherapie und Zelltherapie.

Phase IV
Auch nach der Zulassung behalten Behörden und Pharmafirma das neue Medikament im
Auge, etwa im Hinblick auf seltene Nebenwirkungen. Das sind unerwünschte Effekte, die bei
weniger als 1 von 10.000 behandelten Patienten auftreten und daher kaum in den
vorhergehenden Studienphasen (mit kleineren Patientengruppen) erfassbar sind.

In Protokollen halten Ärzte außerdem fest, wie sich das neue Medikament im Alltag bei ihren
Patienten bewährt. Die Ergebnisse solcher Anwendungsbeobachtungen nutzt der Hersteller
beispielsweise, um die Dosierung oder Darreichungsform des Präparates weiter zu
verbessern. Manchmal zeigt sich im Praxisalltag auch, dass der Wirkstoff noch gegen
weitere Krankheiten hilft. Der Hersteller kann dann in dieser Richtung weiterforschen und bei
Erfolg auch für diese neue Indikation eine Zulassung beantragen.

Es gibt aber auch Fälle, in denen mit der Zeit herausstellt, dass die Anwendung eines
Arzneimittels mit unvorhergesehenen, nicht vertretbaren Risiken verbunden ist. Die
Behörden können dem Präparat dann die Zulassung entziehen, oder der Hersteller nimmt es
freiwillig vom Markt.

Arzneimittelzulassung für Kinder


Neue Medikamente durchlaufen zwar in der Regel mehrere Studien, bevor sie auf den Markt
kommen dürfen. Eine Patientengruppe blieb in der Forschung jedoch lange Zeit häufig
unbeachtet: Kinder und Jugendliche. Für die Behandlung von Minderjährigen wurde oft
einfach die bei Erwachsenen erprobte Dosierung eines Medikaments verringert. Seit dem
Jahr 2007 schreibt die EU aber vor, dass ein Arzneimittelhersteller gezielte Untersuchungen
mit Kindern durchführen muss, wenn ein Medikament (auch) für junge Patienten zugelassen
werden soll.

Standardzulassung
Einige Medikamente sind aufgrund einer sogenannten "Standardzulassung" auf dem Markt.
Der Hersteller bezieht sich beim Zulassungsantrag auf bestimmte vom Gesetzgeber
festgelegte Rezepturen, bei denen unter anderem Zusammensetzung, Dosierung und
Anwendungsgebiete bereits genau vorgegeben sind. Wenn sich der Hersteller bei der
Produktion genau an diese Richtlinien hält, muss er keine eigene, individuelle Zulassung
beantragen. Er kann also recht preiswert Arzneimittel auf den Markt bringen.
Standardzulassungen gibt es beispielsweise für Baldriantinktur, Hustentee, Zinksalbe und
Paracetamol-Zäpfchen in der Dosierung 1 g (Schmerzmittel).
Registrierte Arzneimittel
Erst seit 1978 muss eine Pharmafirma die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität eines
neuen Wirkstoffs anhand aufwändiger und teurer klinischer Studien nachweisen. Präparate,
die vor 1978 auf den Markt kamen, wurden vom Bundesgesundheitsamt lediglich registriert.
Dazu zählen viele pflanzliche Medikamente sowie alternative Arzneimittel wie Homöopathika
und Anthroposophika. Sie erhielten eine Registriernummer (Reg.-Nr.), die auf der
Arzneimittelpackung steht.

Die Hersteller von registrierten pflanzlichen Medikamenten erhielten die Möglichkeit, bis zum
Jahr 2005 die nötigen Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweise zu erbringen und
damit eine nachträgliche Zulassung ihrer Präparate zu erlangen. Für einzelne, besonders
kleinere Pharma-Unternehmen stellte sich diese Forderung als recht schwierig und nicht
finanzierbar dar. Viele der Präparate wurden daher vom Markt genommen.

Pflanzliche Arzneimittel
Bei pflanzlichen Präparaten (Phytotherapeutika) gestaltet sich der Wirksamkeitsnachweis
aus folgendem Grunde schwierig: Während chemische Arzneimittel meist nicht mehr als ein
bis zwei Reinsubstanzen enthalten, produziert jede Pflanze ein Wirkstoffgemisch. Meistens
variiert dieser Mix auch in den verschiedenen Teilen der Pflanze. So spült zum Beispiel das
Brennnesselkraut die Nieren durch, während die Brennnesselwurzel auf den
Hormonstoffwechsel der Prostata wirkt. Außerdem fallen diese Wirkstoffgemische je nach
Herkunft und Zubereitung der Pflanze sehr unterschiedlich aus, was auch die Wirksamkeit
beeinflusst.

Um solche Fragen zu klären, wurde 1978 eine Gruppe von Fachleuten eingesetzt, die
sogenannte Kommission E. Bis 1994 hat diese Expertengruppe mehr als 300 Heilpflanzen
und verschiedene Zubereitungsarten begutachtet und ihre Ergebnisse in Form von
sogenannten Monographien (gewissermaßen Steckbriefe) veröffentlicht. Diese enthalten die
zum betreffenden Zeitpunkt bekannten Informationen über die Zusammensetzung, Wirkung
und mögliche Nebenwirkung der verschiedenen Heilpflanzen. Heute ist die Kommission E
beratend an der Zulassung von pflanzlichen Arzneimitteln beteiligt.

Kein Wirksamkeitsnachweis erforderlich ist bei sogenannten traditionellen Arzneimitteln.


Das sind pflanzliche Arzneimittel, deren Wirksamkeit durch langjährige (mindestens 30
Jahre) Anwendung in der EU plausibel ist und die unter den Anwendungsbedingungen
unschädlich sind. Beispiele dafür sind Stärkungsmittel mit Lecithin oder Ginseng.

Homöopathische und anthroposophische Arzneimittel


Ebenfalls "befreit" vom Wirksamkeitsnachweis sind die homöopathischen und
anthroposophischen Arzneimittel. Diese Mittel gelten als Teil eines naturwissenschaftlich
nicht nachweisbaren Konzepts und lassen sich daher auch nicht nach den sonst üblichen
Kriterien bewerten. Sie werden weiterhin nur registriert.

Quelle: http://medikamente.netdoktor.de/wissen/arzneimittelzulassung-der-lange-weg-zum-medikament/

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