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Ralf Bohrhardt

Familienstruktur und Bildungserfolg


Stimmen die alten Bilder?

Zusammenfassung Summary
Dieser Beitrag befasst sich mit der häufig vorge- This article deals with the frequently made argu-
tragenen These, dass sich die Struktur der Her- ment that family structure – and here especially
kunftsfamilie und hier insbesondere die Abwesen- the absence of one parent – has an impact on the
heit eines Elternteils auf den Bildungserfolg von school success of children. This argument is theo-
Kindern auswirke. Diese These wird aus der Per- retically criticized from the perspective of life
spektive der Lebensverlaufsforschung theoretisch course research and empirically re-analysed on
kritisiert und auf der Grundlage deutscher und the basis of survey data from Germany and the
amerikanischer Umfragedaten empirisch relati- U.S. It becomes obvious, that the change of
viert. Es zeigt sich, dass es nicht die Strukturver- family structure as such has no or only very little
änderungen der Familie als solche sind, die Ein- impact on children’s school success. Instead,
fluss auf den Schulerfolg von Kindern nehmen. selection effects play a major roll as well as the
Statt dessen rücken Selektionseffekte ins Zentrum social and political framwork, under which chan-
der Aufmerksamkeit sowie insbesondere die ges to the family occoure.
sozialen und politischen Rahmenbedingungen,
unter denen sich familiale Veränderungen voll-
ziehen.

1 Einleitung
Immer wieder findet sich in der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Literatur die
empirische Beobachtung, dass Kinder aus ‚normalfamilialen‘ Verhältnissen, also aus sol-
chen Herkunftsfamilien, in denen ein verheiratetes Elternpaar mit seinen gemeinsamen
leiblichen Kindern dauerhaft zusammenlebt, schulisch erfolgreicher sind als solche Kin-
der, die nicht kontinuierlich mit beiden (leiblichen) Elternteilen zusammenleben. So rich-
tig diese Beobachtung ist, so vorschnell erscheint jedoch ihre in der Forschung bis heute
dominante Interpretation: In der Tradition der strukturfunktionalistischen These vom Bro-
ken Home läuft das Fazit vieler Studien darauf hinaus, dass vor allem die Dysfunktionali-
tät nicht-‚normalfamilialer‘ Familienformen für das schulische Versagen von Kindern
verantwortlich sei. Ihr Grundtenor: Schuld am Versagen der Kinder sei oft eine Trennung
der Eltern – oder bisweilen auch ideologisch zugespitzt: die fehlende Nachgiebigkeit der
Mütter in ehelichen Konflikten zum Wohle ihrer Kinder.1
Die bisherigen empirischen Analysen zum Zusammenhang von Familienstruktur und
Bildungserfolg erweisen sich jedoch vor allem insofern als unzureichend, als sie, abgese-

erschienen in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 3. Jg., 2000, S.189-207


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hen von entwicklungspsychologischen Studien, weitestgehend jeden Aspekt von Zeitlich-
keit vernachlässigen. Damit gerät aber die Bedeutung der sozialen Rahmung des Auftre-
tens einschneidender familialer Ereignisse im historischen und lebensgeschichtlichen
Kontext der Kinder ebenso aus dem Blick wie die verschiedenen Optionen ihrer späteren
Bewältigung und Kompensation.
So verblüffend, wie dieser Umstand in der Tat anmuten muss, so einheitlich präsen-
tiert sich jedoch die bisherige Forschung: Die Mehrheit der vorliegenden Studien fragt bis
heute in monokausaler Perspektive allein nach der Erklärungskraft der Variable ‚diskonti-
nuierliche Elternschaft‘ – also der längeren Abwesenheit mindestens eines biologischen
oder Adoptivelternteils in der kindlichen Entwicklungsphase – für den Schulerfolg von
Kindern. Was sich aber möglicherweise hinter dieser zunächst in der Tat erklärungskräfti-
gen Variable verbirgt und wie sehr ihre Erklärungskraft vom historischen und lebensge-
schichtlichen Kontext des Erlebens der elterlichen Trennung abhängt, kommt weder theo-
retisch noch konsequent empririsch in den Blick.
Um diesem Defizit zu begegnen, wird im vorliegenden Beitrag ein mehrdimensionales
Modell für den zur Debatte stehenden Zusammenhang entwickelt und auf der Grundlage
quantitativer Umfragedaten empirisch überprüft. Dabei wird untersucht, inwieweit die zu
erwartende Varianz im Bildungserfolg von Kindern auch durch andere Faktoren als allein
das Kriterium der diskontinuierlichen Elternschaft erklärt werden kann. Zur Variation der
sozialen Bedingungen werden in der Tradition der Lebensverlaufsforschung Geburtsko-
horten miteinander verglichen, also Personenmehrheiten, die zur gleichen Zeit den glei-
chen historischen Gegebenheiten ausgesetzt waren. Um die Variation dieser Rahmenbe-
dingungen auch in makro-soziologischer Perspektive noch weiter zu erhöhen, werden
gleichzeitig auch unterschiedliche Gesellschaften miteinander verglichen, die bundesrepu-
blikanische von 1988 sowie die US-amerikanische von 1987/88. Der Aufsatz schließt mit
einigen Schlussfolgerungen für Wissenschaft, Politik und pädagogische Praxis.

2 Der einheitliche Befund bisheriger Untersuchungen


Die Literatur zum Zusammenhang von Familienstruktur und Bildungserfolg ist so reich-
haltig wie sich ihre Ansätze und die verschiedenen mit ihr beschäftigten Disziplinen –
vornehmlich die Psychologie und Psychiatrie, die Soziologie und die Pädagogik – von-
einander unterscheiden. Einen guten Überblick über die Masse der jüngeren Einzelstudien
bieten HUSS/LEHMKUHL (1997), FTHENAKIS (1995, 1993) sowie OFFE (1992) und
WALLERSTEIN (1991). Als nahezu einheitliches Ergebnis wird in fast allen dieser Studien
ein negativer Effekt diskontinuierlicher Elternschaft auf den Schulerfolg von Kindern
präsentiert. Dieser Befund wird bisweilen schichtspezifisch, bisweilen schichtübergreifend
ausgemacht; die meisten Effekte erweisen sich jedoch nur als vorübergehend relevant.

2.1 Gängige Erklärungen


Verschiedene Gründe lassen es durchaus wahrscheinlich erscheinen, dass die Erfahrung
einer elterlichen Trennung Auswirkungen auf den Bildungserfolg von Kindern nehmen
wird.
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Bedingt durch die elterliche Trennung kann einem Kind die emotionale und kognitive
Unterstützung eines Elternteils gänzlich verlorengehen, also etwa der Beitrag des nunmehr
abwesenden Elternteils zur kindlichen Persönlichkeitsstabilisierung, zur Vermittlung von
Selbstwertgefühl, Motivation und Ansporn sowie sein Potential für Lernhilfe und Erfah-
rungstransfer. Die zumindest zeitweise alleinige Verantwortlichkeit nur eines Elternteils
sowohl für die ökonomische Versorgung der Familie als auch für die Kinderbetreuung und
-beaufsichtigung kann darüber hinaus auch zum Rückgang einer derartigen Unterstützung
durch den verbliebenen Elternteil führen. Dieser mögliche, wenn auch nicht zwingende
Rückgang an elterlichen Unterstützungsleistungen kann zu einem familialen Sozialisati-
onsdefizit führen. Ferner können die mit einer Trennung verbundenen elterlichen Kon-
flikte bei den Kindern zu einem erhöhten Stress führen, der sich oft aufgrund von Loyali-
tätskonflikten sowie infolge subjektiv empfundener Schuld für den Streit der Eltern auf-
baut. Zudem kann das abnehmende Autoriätsverhältnis zwischen verbleibendem Elternteil
und Kindern zu Disziplinierungsproblemen führen. Und schließlich wird Kindern durch
den Fortgang eines Elternteils ‚soziales Kapital‘ entzogen, also etwa die Chance auf Vor-
teilsgewährung durch private Beziehungen, Statusübergabe etc.
Entsprechend wird in der Forschung der beobachtete Zusammenhang durchweg über
vier theoretische Konzepte erklärt. Sozialisationstheoretisch werden die Lernerfahrungen
beziehungsweise auch die nach einer elterlichen Trennung aubleibenden Lernchancen als
Ausgangspunkt der Erklärung genommen. Stresstheoretisch sind es die Belastungen der
Trennungs- und unmittelbaren Nachtrennungsphase, die sich negativ auf den Schulerfolg
der Kinder auswirken. Kontrolltheoretisch wird argumentiert, die Abwesenheit eines El-
ternteils reduziere das elterliche Potential zur notwendigen Beaufsichtigung ihrer Kinder
und könne damit negative Verhaltensentwicklungen nicht verhindern. Schließlich macht
der Ressourcenansatz den Verlust sozialer Unterstützungsleistungen für die Kinder (so-
ziales Kapital, social investment) bei einer elterlichen Trennung für ihre schwächeren
Entwicklungsmöglichkeiten verantwortlich. Je nach Anlage der Studien erweisen sich
diese Konzepte als unterschiedlich erklärungskräftig. Bisweilen widersprechen sich auch
die Aussagen zum Gewicht der jeweiligen Erklärungshypothesen zwischen den einzelnen
Studien. Einheitlich bleibt jedoch der Befund, die Strukturveränderungen in der Familie
führten zu einem negativen Lernerfolg bei den davon betroffenen Kindern. Die Einheit-
lichkeit der bisherigen Forschungsergebnisse verdankt sich aber wohl weniger der Fülle
der empirischen Daten als der theoretischen Folgsamkeit ihrer Interpretation.

2.2 Theoretische Mängel: Die überholte These vom Broken Home


Über Jahrzehnte hielt sich ein Erklärungsmodell für den Zusammenhang von Familien-
struktur und dem sozialen Erfolg von Kindern, dessen Persistenz wohl nur durch die un-
erwartete Allianz etablierter Sozialwissenschaft mit vornehmlich psychoanalytisch orien-
tierten Entwicklungstheorien zu erkären ist. Unter dem Etikett Broken Home vereinigten
sich Annahmen unterschiedlichster Couleur über die negativen Auswirkungen einer ‚un-
vollständigen‘ Elternkonstellation auf die davon betroffenen Kinder, wobei in den aller-
meisten Fällen das Fehlen des biologischen Vaters gemeint war.2 Diese Annahmen spei-
sten sich zum einen aus dem strukturfunktionalistischen Familienverständnis, welches vor
allem auf die unterschiedlichen Rollen von Mann und Frau in der Ehe abhob und gerade
in ihrer Differenz die Leistungsfähigkeit und Stabilität der Familie garantiert sah.
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Mit dieser Form der Arbeitsteilung sei ein Austausch emotionaler und materieller Güter in
einer funktional optimierten und institutionalisierten Weise möglich (vgl. BELL/VOGEL
1968; COSER 1964; PARSONS/BALES 1955; zur familien-ökonomischen Wendung auch
BECKER 1991). Eine Störung dieser funktionalen Organisationsstruktur, etwa durch das
Fehlen eines Elternteils, musste demnach zu suboptimalen bis zu in ihren Auswirkungen
problematischen Sozialisationsbedingungen führen, zur Abnahme der elterlichen Kon-
trolle ihrer Kinder durch die Abwesenheit des einen und die notwendige Erwerbstätigkeit
des anderen Elternteils, zu einer erhöhten Stressbelastung der Kinder infolge der entstan-
denen Rollenkonflikte und funktionalen Überlastung des verbliebenen Elternteils sowie zu
einer notwendig schlechteren sozialen Plazierung der Kinder infolge der verlorengegan-
genen Prestigeübernahmemöglichkeiten vom Vater etc. (vgl. WELLS/RANKIN 1986).
Eine unerwartete, aber nicht weniger massive Unterstützung fand diese These in den
tiefenpsychologischen Annahmen über die Entstehung von Psychopathologien (vgl.
FREUD 1916/17; ADLER 1920). Danach gelten zum Beispiel Suchtverhalten, Manien und
Neurosen als psychotisch-regressive Fixierungen auf bestimmte Entwicklungsphasen (die
orale, anale oder ödipale) infolge traumatischer Verlust- oder Versagungserfahrungen in
der frühen Kindheit.
Obschon sich sowohl der Strukturfunktionalismus als auch die Psychoanalyse auf-
grund ihrer Erklärungsmängel und nur begrenzten empirischen Operationalisierbarkeit aus
der sozialwissenschaftlichen Diskussion verabschieden mussten, bleibt die These vom
Broken Home lebendig. Zwar wird ein expliziter Bezug auf sie vermieden, doch ist sie
wohl noch immer die verborgene Grundlage der meisten Untersuchungen zu diesem
Thema. Die bleibende Wirkmächtigkeit dieses Interpretationsschemas verstellt dabei al-
lerdings den Blick auf andere mögliche Erklärungen und Interpretationsmodelle.

2.3 Methodische Mängel: Eindimensionalität und fehlender Zeitbezug


Auch aus methodologischen Gründen ist gegenüber den bisher meist einhelligen Befunden
zum Zusammenhang von Familienstruktur und Bildungserfolg Vorsicht geboten.
Zunächst wird in den meisten Studien als unabhängige oder erklärende Variable für
den schulischen Misserfolg von Kindern nur das Ereignis der elterlichen Trennung be-
trachtet. In den seltensten Fällen werden gleichzeitig auch andere Erklärungsvariablen
untersucht, die mit dieser möglicherweise korrelieren, also in einem bestimmten statisti-
schen Zusammenhang stehen. In kaum einer der vorliegenden Studien ist damit ausrei-
chend berücksichtigt, ob es sich bei den Unterschieden im Leistungsniveau der Kinder
tatsächlich um Folgen des eigentlichen Scheidungsgeschehens handelt, oder aber, ob die
Unterschiede nicht zum größeren Teil in jenen Umständen begründet liegen, die sich
schon lange vor einer elterlichen Trennung abgezeichnet und diese mitunter sogar erst
verursacht haben (vgl. FURSTENBERG/TEITLER 1994; ACOCK/DEMO 1994). Vermeintliche
Scheidungseffekte könnten in diesem Sinne bisweilen auch reine Selektionseffekte dar-
stellen (vgl. GLASS u. a. 1985), denn die Paare, die sich scheiden lassen, unterscheiden
sich in vielerlei Hinsicht von jenen, deren Ehen sich als stabil erweisen. Allein auf sozial-
struktureller Ebene lassen sich schon folgende, bereits der Amtsstatistik zu entnehmende
Unterschiede ausmachen: Scheidungen erfolgen häufiger in Großstädten als in ländlichen
Gebieten, eher bei Personen mit niedrigerem Einkommen als bei solchen mit höherem,
eher bei Paaren, die schon jung geheiratet haben, als bei solchen, die dies erst zu einem
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späteren Zeitpunkt taten, und eher bei religionsfernen Paaren als bei solchen mit klarer
religiöser Orientierung. Ebenso unterscheidet sich die Situation ihrer Kinder schon lange
vor einem möglichen Scheidungsgeschehen (vgl. CHERLIN u. a. 1991; BLOCK u. a. 1988).
Unbeantwortet bleibt in der Mehrheit der bisherigen Studien also die Frage, ob ein ge-
ringeres Leistungsniveau von Kindern tatsächlich unmittelbar auf die Veränderungen des
familialen Kontextes zurückzuführen ist, oder aber, ob dieses nicht vielmehr aus densel-
ben kulturellen, ökonomischen und sozialen Faktoren resultiert, die auch die Formen des
familialen Zusammenlebens verändert haben (vgl. WEISSBOURD 1994). Damit würde es
sich aber bei dem konstatierten kausalen Zusammenhang von Familienstruktur und Bil-
dungserfolg um eine Scheinkorrelation handeln, also um eine eigentlich gemeinsame Ab-
hängigkeit beider Variablen von einer verborgenen Drittvariablen. Ein mögliches Beispiel
wären hier etwa Familienkonflikte in der Folge von Arbeitslosigkeit oder ökonomischer
Unterversorgung.
Auch nach der elterlichen Trennung sind primäre Effekte wie die Abwesenheit eines
Elternteils von nur assoziierten und veränderlichen Faktoren zu trennen. So weisen zahl-
reiche Studien zum Beispiel auf die hohe Wahrscheinlichkeit ökonomischer Deprivation
von Alleinerziehendenfamilien im Gefolge elterlicher Trennung hin (vgl. DUNCAN u. a.
1998; DOWNEY 1994) – wobei Armut nicht nur Folge ehelicher Konflikte sein muss, son-
dern auch deren Ursache sein kann (vgl. BANE 1986). Hauptbetroffene der ökonomischen
Deprivation von Familienhaushalten sind die Kinder. Ihnen kommt in aller Regel der
kleinste Teil der monetären Familienausgaben zu, und von Einkommenseinbußen sind sie
oft zuerst betroffen (vgl. RINGEN/HALPIN 1997; JENKINS 1991). Je nach Zeitpunkt und
Dauer der Armutslage im Lebensverlauf von Kindern wirkt sich diese signifikant auf So-
zialisationserfolge und die Ausbildung von Persönlichkeitsmerkmalen aus (z.B. Selbst-
wertgefühl, soziale Integrationsfähigkeit etc.).3 Der finanzielle Einbruch führt bei vielen
Jugendlichen ferner dazu, dass sie sich neben der Schule zusätzliches Taschengeld verdie-
nen, wodurch hauptsächlich ein statusfördernder Konsum (etwa von Markenartikeln; Un-
terhalt eines Kraftrades bzw. in den USA meist eines eigenen Autos) ermöglicht werden
soll. Besonders in Alleinerziehenden-Familien mit mehreren Kindern brechen die älteren
Geschwister oft vorzeitig ihre Schullaufbahn ab, um durch eigene Erwerbstätigkeit das
Haushaltsbuget zu entlasten oder gar zu unterstützen (vgl. WALLERSTEIN/KELLY 1980).
Diesem Befund zur Folge könnten es also weniger die Umstände des primären Tren-
nungsereignisses sein als vielmehr die abnehmenden ökonomischen Ressourcen des Kin-
des in der Folge der elterlichen Trennung, die für die Abnahme seiner Entwicklungschan-
cen verantwortlich zu machen sind. So zeigen für den Schulerfolg von Kindern zum Bei-
spiel MCLANAHAN und SANDEFUR (1994), dass niedriges Einkommen oder plötzliche
Einkommenseinbußen in der Folge elterlicher Trennung statistisch ungefähr die Hälfte der
Unterschiede erklären können, die hier zwischen Kindern aus Alleinerziehenden- und
solchen aus kontinuierlichen Zweielterfamilien zu beobachten sind. An anderer Stelle
zeigen ASTONE und MCLANAHAN (1994), dass ein knappes Drittel der Unterschiede im
Erreichen eines Schulabschlusses zwischen Kindern in Stieffamilien und anderen Kindern
auf die höhere Umzugswahrscheinlichkeit von Kindern in Stieffamilien zurückgeführt
werden kann.
Neben der mangelnden Kontrolle von möglichen Drittvariablen lassen die meisten der
vorliegenden Studien zum Thema Familienstruktur und Bildungserfolg einen weiteren
wichtigen Faktor außer acht, nämlich die Zeitverbundenheit des beobachteten Zusammen-
hangs. Kein sozialer Sachverhalt ist nur statisch zu erfassen, sondern ist vielmehr
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immer bestimmt durch eine für ihn je charakteristische Dynamik. Gleichzeitig unterliegt
er in seiner eigenen Zeitverbundenheit der Prozesshaftigkeit sozialen Wandels. Für den
Einfluss der Familienstruktur auf den Bildungserfolg von Kindern spielt es also etwa auch
ein Rolle, zu welcher Zeit im historischen wie in ihrem lebensgeschichtlichen Kontext
Kinder die Trennung ihrer Eltern erlebt haben oder mit schulischen Leistungserwartungen
konfrontiert gewesen sind (vgl. ELDER 1988; ELDER u.a. 1993). Auch dieser
Zusammenhang fand in der Mehrheit der bisherigen Studien keine Berücksichtigung.

3 Versuch einer theoretischen Differenzierung


3.1 Ein mehrdimensionales Kontextmodell
Entgegen der bisherigen, weithin undifferenzierten Untersuchungen des Zusammenhangs
von Familienstruktur und Bildungserfolg wird den eigenen Analysen ein mehrdimensio-
nales Kontextmodell für diesen Zusammenhang zugrunde gelegt (vgl. Abbildung 1). Es
berücksichtigt neben der Familienstruktur auch soziale, ökonomische und kulturelle Res-
sourcen, die während der Kindheit zur Verfügung stehen und die sich aufgrund bestimm-
ter historischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in einem spezifischen, wech-
selseitigen Abhängigkeitsverhältnis voneinander befinden. In diesem Modell wirken so-
ziale Ressourcen wie die Bildung der Eltern oder eine bestimmte Anzahl an Geschwistern
sowohl auf die Verfügbarkeit bestimmter ökonomischer und kultureller Ressourcen für die
Kinder ein wie auch auf die Stabilität bzw. Instabilität der Familienstruktur. Diese steht
ihrerseits in einem engen Spannungsverhältnis sowohl zu ökonomischen wie kulturellen
Ressourcen. Auf der einen Seite können zum einen ökonomische Krisen zur Verschärfung
familialer Konflikte und zur Ursache elterlicher Trennung werden, zum anderen kann die
elterliche Trennung aber auch zu einem ökonomischen Einbruch besonders auf Seiten der
Mutter und der mit ihr lebenden Kinder führen. Die Trennung kann durch bestimmte kul-
turell-normative Werthaltungen, etwa konservativ-kirchliche, verhindert oder hinausgezö-
gert, durch andere, etwa emanzipatorische, eher forciert und beschleunigt werden. Wurde
eine Trennung vollzogen, werden gegebenenfalls gegenteilige normative Setzungen im
bisherigen Lebensvollzug zurückgenommen (Biographisierung; Reduktion kognitiver
Dissonanz) bzw. der Trennung gemäße Werthaltungen gefestigt. Dieses interdependente
Variablengefüge wird dann in seiner ganzen Komplexität als Einflussfaktor für den Bil-
dungserfolg der Kinder verstanden.
Vor dem Hintergrund der neueren Lebensverlaufsforschung richtet sich in diesem
Modell eine besondere Aufmerksamkeit auch auf den historischen und gesellschaftlichen
Kontext dieses Bedingungsgefüges.
Die Wirkmächtigkeit historischer Veränderungen zeigt sich etwa am Beispiel des Be-
deutungswandels von Ehe und Elternschaft. Wurde aufgrund des dominanten Familien-
leitbildes und einer noch stärkeren religiös-bürgerlichen Wertbindung in den 50er und
frühen 60er Jahren des 20sten Jahrhunderts die Ehescheidung stark stigmatisiert, hat sich
das diesbezügliche Wertgefüge bis zur Jahrtausendwende deutlich liberalisiert. Schei-
dungskinder waren in früheren Zeiten also mit größeren sozialen Erschwernissen kon-
frontiert, als dies heute der Fall ist. Aber nicht nur historische, sondern auch gesamtgesell-
schaftliche Unterschiede sind von Bedeutung. So sind die mit einer elterlichen Trennung
195
verbundenen ökonomischen Einbrüche für alleinerziehende Mütter zum Beispiel in
Deutschland weitaus weniger gravierend als in den Vereinigten Staaten, wo das Verar-
mungsrisiko dieser Gruppe viermal über dem in der Bundesrepublik liegt (vgl.
DUNCAN/VOGES 1993).

Abbildung 1: Familienstruktur im sozio-historischen Kontext sozialer,


ökonomischer und kultureller Ressourcen

gesellschaftlicher Kontext t1
t2
t3

historischer Kontext
ökonomische Ressourcen

soziale
Ressourcen Familien- Bildungs-
(Bildung der Eltern, struktur erfolg
Geschwister)

kulturelle Ressourcen

Dieser Einsicht entsprechend sollen in der eigenen Untersuchung die Auswirkungen der
Familienstruktur auf den Bildungserfolg von Kindern über bestimmte Geburtskohorten
sowie in verschiedenen Gesellschaften miteinander verglichen werden. Die Betrachtung
wird also nach Personen differenziert, die zu einer anderen Zeit und unter anderen
sozialen Rahmenbedingungen eine elterliche Trennung erlebt haben. Erst auf diesem
Wege kann sich zeigen, ob es sich bei den problematischen Auswirkungen elterlicher
Trennung auf den Bildungserfolg von Kindern tatsächlich um einen universellen Zusam-
menhang handelt, wie es zumindest die Psychoanalyse und der Strukturfunktionalismus –
und in ihrer Folge bis heute ein Großteil der Forschung – unterstellen, oder aber um einen
Zusammenhang, der in erheblichem Maße von den ihm gesetzten historisch-gesellschaftli-
chen Kontextbedingungen abhängig ist.

3.2 Konkretisierung und Operationalsierung


Der mangelnde Bildungserfolg eines Kindes wird sicherlich dort am deutlichsten, wo das
Bildungssystem gänzlich ohne Schulabschluss verlassen wird – mit allen Folgeproblemen
für den weiteren Lebenslauf des Kindes, die damit institutionell vorgegeben sind. Entspre-
chend wird mangelnder Bildungserfolg für die eigenen Analysen durch dieses härteste
Kriterium, also die Variable „Kein Schulabschluss“ operationalisiert. Aus dieser Vorge-
hensweise ergibt sich insofern ein Problem, als die betrachteten Personen in den USA
aufgrund des dortigen, zwölfjährigen high school Systems mindestens zwei Jahre länger
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die Möglichkeit haben, ihre Schullaufbahn vorzeitig, d.h. ohne den ersten erreichbaren
Abschluss, zu beenden. Dies kann bedeuten, dass allein aus diesem Grunde der Anteil von
Personen ohne Schulabschluss in den USA über dem in der Bundesrepublik liegt. Nichts-
destoweniger bedeutet die Entscheidung zum vorzeitigen Verlassen der Schule bzw. der
Misserfolg, keinen Schulabschluss zu erlangen, in bezug auf die folgende berufliche Kar-
riere innerhalb beider Systeme das Gleiche.
Als zentrale erklärende Variable für das Nichterlangen eines Schulabschlusses gilt
auch in dieser Untersuchung die Struktur der Herkunftsfamilie. Unterschiede werden über
das Faktum der häuslichen „Anwesenheit beider Elternteile“ bis zur Vollendung des 14.
Lebensjahres einer Befragungsperson gemessen.4
Soziale Ressourcen, die ebenfalls auf das Auftreten und die Auswirkungen diskonti-
nuierlicher Elternschaft Einfluss nehmen können, werden in der „Bildung des Vaters“, der
„Bildung der Mutter“ sowie in der „Anzahl der Geschwister“ gesehen.
Das Bildungsniveau der Eltern dürfte für den schulischen Erfolg eines Jugendlichen
aus verschiedenen Gründen ein Rolle spielen. Zum einen bestimmt es das Potential der
Eltern, ihre Kinder kognitiv zu fördern, also vor allem in frühen Kindheitsphasen zu ihrer
Lernstimulation beizutragen (vgl. PIAGET 1923), zu distinguierter familialer Interaktion
(OEVERMANN u. a. 1976) sowie zur Unterstützung der Kinder bei schulischen Aufgaben
und eventuell auftretenden Problemen. Zum anderen nimmt das Bildungsniveau der Eltern
Einfluss auf den Charakter und die Dynamik der Familienentwicklung, die Gestaltung des
familialen Alltags sowie die Chancen zur Einkommenserzielung (vgl.
BLOSSFELD/HUININK 1989): Eltern mit höheren Bildungsabschlüssen bekommen ihre
Kinder – schon allein aufgrund ihrer längeren Ausbildungsdauer – später im Lebensver-
lauf als solche mit niederen Abschlüssen und nach einer konsequenteren Abwägung der
Opportunitätskosten im Verhältnis zu anderen Lebensoptionen, etwa einer forcierten be-
ruflichen Karriere. Dies lässt ein anderes Verhältnis der Eltern gegenüber dem Eigenwert
der Kinder und den ihnen zugestandenen Ansprüchen etwa in bezug auf Aufmerksamkeit
und kognitive Unterstützung erwarten. Eltern mit niederen Bildungsabschlüssen werden
auch über weniger Einkommen verfügen, was die Bildungschancen der Kinder verkleinert
etwa durch die Nichtfinanzierbarkeit von Nachhilfestunden, privatem Musikunterricht,
Sprachreisen etc. Zum anderen werden Berufe, die mit Schicht- oder Wochenendarbeit
verbunden sind, in ihrer Mehrheit eher von Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen
ausgeübt. Dies kann sich auf die Betreuungssituation der Kinder auswirken.
Die Bildung der Eltern wird in einer fünfstelligen, kategorialen Klassifikation erfaßt.5
Im Sinne einer auf funktionaler Äquivalenz beruhenden Vergleichbarkeit von Bildungs-
graden soll dabei sowohl die Verwertbarkeit von Bildungsniveaus auf dem jeweiligen
Arbeitsmarkt Berücksichtigung finden (Selektionsfunktion von Bildung), womit die Bil-
dungsvariable auch einen indirekten Schluss auf die ökonomischen Ressourcen der Eltern
zulässt, wie auch das mit Art und Dauer der Bildung verbundene Vermittlungspotential
kognitiver, praktischer und sozialer Fähigkeiten (Sozialisationsfunktion von Bildung) und
schließlich das sich mit einer bestimmten Bildung verbindende Maß sozialer Anerkennung
(Statusfunktion von Bildung).
Die Anzahl der Geschwister lässt sich in verschiedender Weise als soziale Ressource
interpretieren. Positiv verstanden stellen Geschwister ein gewisses Unterstützungspoten-
tial dar und wären in diesem Sinne als eine Form sozialen Kapitals zu begreifen, auf das
in verschiedenen Krisensituationen für materielle und immaterielle Unterstützungslei-
stungen zurückgegriffen werden kann (vgl. COLEMAN 1990, S. 595f.). So stellen vor al-
197
lem ältere Geschwister ein Potential zusätzlich mobilisierbarer kognitiver Unterstützungs
dar: Was in der Schule nicht verstanden wurde, kann gegebenenfalls auch ein Geschwi-
sterkind erklären. Von den sozialen Erfahrungen in der Gleichaltrigenkultur der Geschwi-
ster werden sie gegenseitig profitieren. Fehler im Gruppenverhalten des einen werden
weniger wahrscheinlich auch Fehler eines anderen Geschwisterkindes werden. Auf der
anderen Seite stellen Geschwister in der Familie aber auch einen zusätzlichen Bedarfs-
faktor dar, der die ökonomischen wie die elterlichen Betreuungsressourcen bei zunehmen-
der Geschwisterzahl für jedes einzelne Kind verkleinert.
Darüberhinaus verbinden sich mit der Anzahl der Kinder in einer Familie bestimmte
sozial-strukturelle Unterschiede, Unterschiede in der Betreuungssituation der Kinder so-
wie wahrscheinliche Unterschiede in der Werthaltung der Eltern gegenüber dem Kind
bzw. den Kindern (vgl. NAUCK 1995). So finden sich drei und mehr Kinder in Deutsch-
land vornehmlich in Familien mittlerer Angestellter und Beamter, was mit einer be-
stimmten ökonomischen Sicherheit einhergeht, sowie in Stieffamilien, wodurch hier eine
zumindest teilweise Kovariation mit der Variablen „Anwesenheit beider Eltern“ zu er-
warten ist. Je mehr Kinder in einer Familie aufwachsen, je wahrscheinlicher ist es, dass
die Mutter keiner selbständigen Erwerbsarbeit nachgeht und die Kinder nicht in außer-
häuslichen Betreuungseinrichtungen untergebracht werden. Werden in Familien mit zwei
und mehr Kindern die Kinder oft in traditioneller Selbstverständlichkeit eher um ihrer
selbst willen gezeugt und aufgezogen, finden sich elterliche ‚Selbstverwirklichungskinder‘
eher in Familien mit nur einem Kind.
Auch kulturelle Ressourcen werden Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern
nehmen. Sie werden operationalisiert durch die Variablen „Konfessionszugehörigkeit“
und „Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs“.
Konservative Werthaltungen messen Bildung und Erfolg einen höheren Stellenwert
bei als liberalere. Die jüdische, muslimische und römisch-katholische Betonung einer Idee
der Werkgerechtigkeit fordert das Individuum eher als die lutherische Betonung des Erlö-
sungsgedankens.6 Konservativ-katholische Werthaltungen sollten also das Erreichen eines
Schulabschlusses positiv beeinflussen bzw. einen negativen Effekt auf das Auftreten sei-
nes Nicht-Erreichens haben.
Die Häufigkeit des Kirchgangs gibt Auskunft entweder über den Grad der Internalisie-
rung religiöser und kirchlicher Wertvorstellungen oder über die Bereitschaft, sich be-
stimmten Konventionen zu unterwerfen. Beides signalisiert die Toleranz einer weitgehen-
den Außensteuerung bzw. Fremdbestimmung. Ähnlich wie konservativ-religiöse Wert-
haltungen repräsentiert ein häufiger Kirchgang also die verstärkte Orientierung an sozialen
Normen, was auch dem Erreichen eines Schulabschlusses eine höhere Wichtigkeit zukom-
men lässt. Die einem häufigen Kirchgang zugrundeliegenden Wertvorstellungen und Au-
ßenorientierungen sollten also ebenfalls einen negativen Effekt auf das Nichterreichen
eines Schulabschlusses haben. Da vor allem in Deutschland aufgrund der historischen
Entwicklung eine formale Zugehörigkeit zu einer der zwei großen Volkskirchen noch
wenig über die Intensität der Internalisierung der mit ihr verbundenen Wertvorstellungen
aussagt, kann die Häufigkeit des Kirchgangs auch als ein Indikator für die Relevanz der
Konfessionszugehörigkeit für den eigenen Lebensvollzug verstanden werden.7
Als Indikator für die umfassenden sozialen, kulturellen und politischen Rahmenset-
zungen in bezug auf die Auswirkungen diskontinuierlicher Elternschaft auf den Bil-
dungserfolg von Kindern in einer Zeit wird die Variable „Land“ operationalisiert, die
„Geburtskohorte“ als Indikator für die historische Variation gesetzter Handlungsspielräu-
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me über die Zeit sowie das „Geschlecht“ der Befragungsperson als eine weitere zu
berücksichtigende Kontrollvariable.
Die Geburtskohorten werden in Dekaden zusammengefasst, wobei die älteste auf-
grund der Beschränkung der Grundgesamtheit im deutschen Survey nur von 1933 bis
1939 reicht. Diese Einteilung ist keinesfalls willkürlich gewählt, sondern entspricht einem
historisch verschiedenen Schicksal, dem die Angehörigen dieser Kohorten gemeinsam
ausgesetzt waren. Die älteste Geburtskohorte umfaßt jene Kinder, die zu ihrem Großteil
noch vor dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden und ihre Kindheit unter den besonderen
Bedingungen des Krieges erlebten. Die Kohorte der zwischen 1940 und 1949 Geborenen
besteht zu ihrer Mehrheit aus Kindern, die im Krieg oder kurz nach ihm geboren wurden.
Die zwischen 1950 und 1959 geborenen Kinder haben ihre Kindheit in Deutschland in der
Phase von Währungsreform und Wirtschaftswunder erlebt, die zwischen 1960 und 1969
Geborenen in einer erneuten Zeit des Umbruchs, in der konservative Wertvorstellungen
und kapitalistische Wirtschaftsmaximen plötzlich radikal in Frage standen, mehr Demo-
kratie gewagt und freie Liebe praktiziert werden sollte. Für die jüngste Kohorte der Verei-
nigten Staaten gilt ähnliches infolge der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, dem außenpo-
litischen Desaster in Vietnam und der ‚außerparlamentarisch‘ proklamierten Botschaft von
peace, love and happiness.

4 Anlage der Untersuchung


4.1 Datenbasis und Stichprobe
Empirische Grundlage für den Vergleich stellen zwei nationale und unabhängig voneinan-
der durchgeführte, repräsentative Familiensurveys dar: für Deutschland der Familiensur-
vey des Deutschen Jugendinstitutes von 1988 (im folgenden: DJI-FS; vgl. BERTRAM
1994, 1991) und für die Vereinigten Staaten der National Survey of Families and House-
holds des Center for Demography and Ecology der University of Wisconsin–Madison von
1987/88 (im folgenden: NSFH; vgl. SWEET u. a. 1988).8 Für die amerikanische Untersu-
chungspopulation wurden nur jene Personen ausgewählt, die sich selbst bei der Frage nach
ihrer ethnischen Zugehörigkeit der Antwortvorgabe „White, of no Hispanic origin“ zuge-
ordnet haben.

4.2 Methoden der Datenanalyse


Für die empirische Untersuchung wird neben einfachen bivariaten Betrachtungen das Ver-
fahren der multiplen binominalen logistischen Regression zu Anwendung kommen. Hier-
bei wird der Einfluss mehrerer unabhängiger Variablen auf die Wahrscheinlichkeit der
Ausprägung einer dichotomen abhängigen Variable P (Yi) geschätzt. Da die abhängige
Variable nur zwei Ausprägungen annehmen kann (‚Schulabschluss‘ oder ‚kein Schulab-
schluss‘), ist es ausreichend, nur eine Kategorie zu betrachten. Die Wahrscheinlichkeit des
Auftretens eines Ereignisses (z.B. keinen Schulabschluss zu erreichen; im folgenden ko-
diert als Y = 1) unter der Bedingung eines bestimmten Wertes der unabhängigen Variable
Xi (z.B. ‚männlich‘) lässt sich damit darstellen als eine Funktion in Abhängigkeit von
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einem Parametervektor ß und den entsprechenden Kovariaten Xi. Für jede kategoriale
unabhängige Variable Xi wird eine Kontrastmatrix aus N – 1 Zeilen gebildet, wobei N für
die Anzahl der möglichen Ausprägungen von Xi steht. Jede Ausprägung einer unabhängi-
gen Variable wird damit gleichsam als eine eigene dichotome Variable behandelt, aber
immer nur gemeinsam mit den anderen Ausprägungen der jeweiligen Variable in die Be-
rechnung des Modells eingebracht. Da jede dieser neuen dichotomen Variablen immer nur
den Wert 1 (tritt auf) oder den Wert 0 (tritt nicht auf) annehmen, aber nie mehr als nur
eine aller möglichen Ausprägungen einer Variablen überhaupt auftreten kann, ergibt sich
aus der Kenntnis der Kontrastmatrix notwendig die Ausprägung der letzten Kategorie, die
nicht mit in die Matrix eingebracht wurde. Diese Kategorie wird als Referenzkategorie
bezeichnet, da sich die ß-Koeffizienten der anderen Variablenausprägungen im Schätzmo-
dell auf diese beziehen.
Unter Zugrundelegung einer logistischen Verteilungsfunktion, die eine s-förmige
Kurve zwischen den Extremen 0 und 1 beschreibt, lässt sich die Wahrscheinlichkeit für
das Nichterlangen eines Schulabschlusses entsprechend schreiben als:

(
P Yi = 1 Xi ) =
1
( ß + ß x + ... + ß x )

1+ e 0 1 1 n n

Entsprechend dieser Formel lassen sich neben der Konstante für alle unabhängigen Varia-
blen die zugehörigen Koeffizienten schätzen, wobei die Wahrscheinlichkeit P (Yi = 1 | Xi)
mit je steigendem Koeffizienten ß zunimmt. Aus dem Verhältnis der Standardabweichung
zu den Koeffizienten berechnet sich die Signifikanz, welche die Aussagekraft der Diffe-
renz zur Referenzkategorie bestimmt. Mögliche Interaktionseffekte von Variablen werden
dadurch kontrolliert, dass die Produkte der Variablen auf Signifikanz überprüft und gege-
benenfalls mit in das Schätzmodell aufgenommen werden.

5 Der empirische Befund in sozialer und historischer


Differenzierung

5.1 Selektive Betoffenheit von diskontinuierlicher Elternschaft


Werden die bekannten Hintergrundsvariblen der Kindheit in einer multivariaten Betrach-
tung kontrolliert, zeigen sich wie erwartet Selektionseffekte in der Betroffenheit von dis-
kontinuierlicher Elternschaft. Es zeigt sich: Insgesamt ist die Betroffenheit von einer el-
terlichen Trennung in den USA größer als in Deutschland. Darüberhinaus haben die Kin-
der aus diskontinuierlichen Elternhäusern in Deutschland eher Mütter mit niedrigerem
Bildungsabschluss. In den USA lässt sich keine Kollinearität von Familienstruktur und
dem höchsten Bildungsabschluss der Mutter nachweisen. Gleiches gilt in beiden Ländern
für den Zusammenhang von Familienstruktur und dem höchsten erreichten Bildungsab-
schluss des Vaters. Auf die Koeffizienten der multivariaten Analyse (s.u.) zeigt dieser
Unterschied in der Kollinearität von Familienstruktur und sozialer Herkunft in Deutsch-
land und den USA keine substantiellen Auswirkungen. In beiden Ländern stammen Kin-
der aus diskontinuierlichen Elternhäusern eher aus konfessionslosen und religiös wenig
aktiven Familien.
200
5.2 Bestätigung des bivariaten Zusammenhangs
Betrachten wir den Anteil von Personen ohne Schulabschluss ohne weitere Differenzie-
rungen lediglich in Abhängigkeit vom Erleben diskontinuierlicher Elternschaft (Abbildung
2), zeigt sich sowohl für Deutschland wie für die USA ein hoch signifikanter Zusammen-
hang, wobei seine Stärke in den USA höher ist als in der Bundesrepublik. Während in
Deutschland 3,5% aller Kinder, die mit beiden Eltern aufgewachsen sind, keinen Schulab-
schluss erreichten, liegt dieser Anteil bei Kindern mit der Erfahrung diskontinuierlicher
Elternschaft bei 5,3%. In den USA gibt es grundsätzlich mehr Personen, die keinen
Schulabschluss erreichten (10% aller Befragten im Vergleich zu 3,8% in Deutschland; zur
Vergleichsproblematik s.o.), wobei der Anteil der Kinder aus diskontinuierlichen Eltern-
häusern mit 16,3% fast doppelt so hoch ist wie der in der Vergleichskategorie jener Kin-
der, die kontinuierlich mit beiden Eltern aufwuchsen.
Für Amerika belegen neuere Studien, dass sich der Effekt diskontinuierlicher Eltern-
schaft auf das Erreichen eines high school Abschlusses als unabhängig vom Grund dieses
Ereignisses bzw. der folgenden Veränderungen in der Familienstruktur erweist. Kinder
aus Alleinerziehenden-Familien sind ebenso betroffen wie Kinder aus Stieffamilien
(soweit der sozio-ökonomische Status dieser Familienformen kontrolliert wird). Der
Effekt ist ebenfalls unabhängig davon, wann im Lebenslauf des Kindes das Ereignis
auftritt und welcher Elternteil den Haushalt verlässt (vgl. DOWNEY 1994; WOJTKIEWICZ
1993; SANDEFUR u. a. 1992).

Abbildung 2: Personen ohne Schulabschluss in


Deutschland (West) und den USA
1987/88
201
4.3 Der Einfluss sozialer, ökonomischer und kultureller Ressourcen im
sozio-historischen Kontext
Wie die multivariate Analyse (vgl. Tabelle 1) zeigt, bleibt der länderspezifische Unter-
schied für die Wahrscheinlichkeit, keinen Schulabschluss zu erlangen, hoch signifikant.
Es wird also deutlich, dass sich die unterschiedlichen sozialen Bedingungen, wie sie sich
etwa im Schulsystem oder in der sozialstaatlichen Unterstützung für Trennungsfamilien
ausdrücken können, auf das Nichterlangen eines schulischen Abschlusszertifikates deutli-
chen Einfluss nehmen. Aber nicht nur die sozialen Rahmenbedinungen erweisen sich als
erklärungskräftig sondern auch die historischen. So ist es vor allem für die jüngste Ko-
horte in den USA deutlich schwieriger, überhaupt einen Schulabschluss zu erwerben, als
es für die vorangegangenen Kohorten war, ein deutlicher Hinweis auf Veränderungen
bildungspolitischer Ziel- und sozialstaatlicher Rahmensetzungen im Zeitverlauf (vgl.
BLOSSFELD 1989). Die Geschlechtszugehörigkeit erweist sich für keines der Länder als
erklärungskräftig.
Betrachten wir nun den Effekt diskontinuierlicher Elternschaft auf das Nichterlangen
eines Schulabschlusses unter Kontrolle aller anderen operationalisierten Einflussgrößen,
so zeigt sich vor dem Hintergrund bisheriger Untersuchungen ein durchaus überraschen-
des Ergebnis: in Deutschland lässt sich ein Einfluss diskontinuierlicher Elternschaft auf
den Bildungserfolg von Kindern nicht länger bestätigen; in den USA ist er zwar weiterhin
vorhanden, aber im Vergleich zu den anderen Einflussgrößen eher schwach ausgeprägt.
Hier hat z.B. das Bildungsniveau der Eltern einen stärkeren Effekt als das Auftreten dis-
kontinuierlicher Elternschaft als solche.
Wie erwartet verringert ein höheres Niveau in der Bildung der Eltern die Wahrschein-
lichkeit, keinen Schulabschluss zu erlangen. Interessant sind dabei jedoch die Unter-
schiede zwischen den Vergleichsländern. Zunächst spielt im Gegensatz zu den Vereinig-
ten Staaten in Deutschland die Bildung des Vaters so gut wie keine Rolle, wenn gleich-
zeitig die Bildung der Mutter kontrolliert wird. Zum anderen verlaufen, und dies wieder
im Gegensatz zu den USA, die Effekte bei der Bildung der Mutter in Deutschland nicht in
die erwartete Richtung. Eine höhere Bildung hat zwar immer einen stark negativen Effekt,
dieser nimmt aber nicht mit höher werdender Bildung zu, sondern ab. Erklären lässt sich
dieser Umstand dadurch, dass es für Frauen mit höherer Ausbildung in Deutschland
schwieriger ist als in den USA, Beruf und Familie zu ver einen, was vor allem mit den
unflexiblen Arbeitszeitregelungen für hochqualifizierte Berufe in Deutschland
zusammenhängen dürfte. Die halbtags-beschäftigte Staatssekretärin etwa scheint ebenso
ein spezifisches Phänomen der USA zu sein wie die Möglichkeit zur stundenweisen
Arbeitszeitgestaltung bei höheren Verwaltungs- und Managementtätigkeiten.
Bei der Anzahl der Geschwister erwies sich in allen Analysen nur die Kategorie „drei
und mehr Geschwister“ als erklärungskräftig. In bezug auf die Wahrscheinlichkeit des
Nichterreichens eines Schulabschlusses haben mehrere Geschwister nur in den USA einen
deutlichen Einfluss, und zwar einen positiven. Erklärt werden kann dieser Umstand durch
einen fehlenden, sozialstaatlich abgesicherten Geschwisterbonus in den USA. Während in
Deutschland die Ausgaben für zusätzliche Kinder durch bestimmte Vergünstigungen teil-
weise kompensiert werden, so zum Beispiel bei Eintrittsgeldern, Zugfahrkarten etc.
(„Würmling-Pass“), gibt es dieses Prinzip bzw. dessen staatliche Absicherung in den USA
nicht. Drei und mehr Geschwister werden sich hier also vornehmlich in ihrer Eigenschaft
als zusätzliche Beschränkung ökonomischer Ressourcen und weniger in ihrer sozialen
202

Unterstützungseigenschaft auswirken. Zusätzliche Geschwister kompensieren überdies


offensichtlich auch nicht die abnehmende individuelle Betreuungsmöglichkeit der einzel-
nen Kinder durch die Eltern.

Tabelle 1:Bestimmungsfaktoren für das Nichterlangen eines Schulabschlusses in Deutsch-


land (West) und den USA für Personen der Geburtskohorten 1933–1969
Gesamt Deutschland USA
Geburtskohorte
1933–1939
1940–1949 -.38*** (.13) -.36* (.20) -.41** (.18)
1950–1959 -.39*** (.13) -.38** (.19) -.44** (.18)
1960–1969 .35*** (.12) -.01 (.18) .47*** (.18)
Geschlecht
weiblich
männlich -.09 (.08) .04 (.13) -.16 (.11)
Anwesenheit beider Eltern
kontinuierlich
diskontinuierlich .56*** (.10) .02 (.21) .74*** (.12)
Bildung des Vaters
nicht qualifiziert
wenig qualifiziert -.47*** (.14) .28 (.38) -.46***(.16)
einfach qualifiziert -.96*** (.12) -.27 (.35) -.96***(.15)
höher qualifiziert -1.52*** (.23) -.81** (.41) -1.70***(.34)
hoch qualifiziert -1.44*** (.21) -.47 (.44) -1.71***(.27)
Bildung der Mutter
nicht qualifiziert
wenig qualifiziert -.67*** (.13) -1.62*** (.35) -.42***(.15)
einfach qualifiziert -1.13*** (.13) -1.54*** (.35) -1.22***(.15)
höher qualifiziert -1.24*** (.21) -1.51*** (.41) -1.46***(.28)
hoch qualifiziert -1.52*** (.28) -1.15** (.57) -1.66***(.33)
Geschwister
weniger als drei
drei oder mehr .43*** (.08) .24* (.13) .55*** (.11)
Konfession
keine
römisch-katholische -.61*** (.17) 4.03 (7.35) -.86*** (.19)
andere christliche -.46*** (.15) 3.81 (7.35) -.35** (.16)
nicht-christliche -1.95*** (.61) † -1.77***(.61)
Kirchgang
weniger als 1x pro Monat
mind. 1x pro Monat -.55*** (.10) -.32* (.17) -.66***(.12)
Land
USA
Deutschland -.87*** (.10) – –
Konstante -.49*** -5.65 -.56***
Anzahl der Fälle 13 001 7 567 5 434
davon diskontinuierlich 705 259 446

Erläuterung: Logistische Regressionskoeffizienten; Standardfehler in Klammern. * signifikant auf .10 Ni-


veau; ** signifikant auf .05 Niveau; *** signifikant auf .01 Niveau; † zu kleine Fallzahl
Quelle: DJI-Familiensurvey 1988, NSFH 1987/88; eigene Berechnungen
203

Konfessionszugehörigkeit und Kirchgang spielen in Deutschland keine Rolle. Anders in


den USA: hier sind die erwarteten Effekte in bezug auf den Bildungserfolg nachzuweisen.

6 Die Bedeutung der Untersuchungsergebnisse


für Wissenschaft, Politik und pädagogische Praxis
Als Ergebnis dieser Studie lässt sich festhalten, dass ein einfacher Zusammenhang von
familialen Strukturveränderungen und dem Bildungserfolg von Kindern weder theoretisch
naheliegt noch empirisch bestätigt werden kann. Vielmehr wurde deutlich, dass Selekti-
onseffekte hinter dem feststellbaren bivariaten Zusammenhang stehen und sich damit vor
allem Faktoren auf den Bildungserfolg von Kindern auswirken, die der elterlichen Tren-
nung zeitlich vorgelagert sind. Die multivariaten Analysen bestätigen den Einfluss sozia-
ler, kultureller und ökonomischer Ressourcen der Herkunftsfamilie, die den Einfluss der
elterlichen Trennung z.T. deutlich überlagern. Darüberhinaus zeigte sich ein deutlicher
Effekt der historischen und sozialen Kontextbedingungen des beobachteten Geschehens.
Die weithin verbreitete These eines universellen, gleichsam anthropologischen Zusam-
menhangs von Familienstruktur und Bildungserfolg muss damit verworfen werden. Dieser
Befund hat Konsequenzen sowohl für die Wissenschaft als auch für Politik und pädagogi-
sche Praxis.
Erziehungs- und Familienwissenschaft sollten deutlicher als bisher ihre mitunter zu
einfachen Erklärungen erkennen und sich der Komplexität ihres Beobachtungsgegenstan-
des bewusst bleiben. Das heißt zum einen, Zusammenhänge nicht isoliert und in mono-
kausaler Perspektive zu betrachten, sondern den Blick auch auf die sozialen und histori-
schen Kontextfaktoren des untersuchten Zusammenhangs zu richten. Zum anderen be-
deutet dies, sich der verschiedenen Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeit und ihres Zu-
sammenwirkens im Zeitverlauf bewusst zu bleiben. Um dieses deutlicher in den Blick zu
bekommen, bedarf es künftig vor allem Längsschnittuntersuchungen, die Daten für eine
konsequent dynamische Betrachtung zur Verfügung stellen und naheliegende Kurz-
schlüsse statischer Analysen zu überwinden helfen.
Gesellschaftspolitisch zwingen die Ergebnisse die Verantwortlichen dazu, sich nicht
länger von eigener Verantwortung zu suspendieren und allein der Familie die Schuld für
die potentiellen Probleme ihrer Kinder zuzuschreiben. Vielmehr muss sich der Blick auf
eine politische Praxis richten, die in wesentlichen Bereichen die Rahmenbedingungen
setzt, unter denen sich familiale Lebensformen entwickeln und entsprechend ihre Lei-
stungspotentiale für Kinder mehr oder weniger entfalten können. Mit Blick auf die aus-
gemachten Einflussfaktoren auf die Bildungschancen von Kindern ergibt sich folgender
politischer Handlungsbedarf:
• Ökonomisch deprivierte Familien, vor allem solche mit mehreren Kindern, sind finan-
ziell weiter zu entlasten. Dieses könnte schon im Vorfeld möglicher Trennungen in-
nerfamiliale Verteilungskonflikte entschärfen und damit eine deutliche Entlastung für
das Familienklima bringen.
• Trennungsfamilien sind ökonomisch zu stabilisieren. Damit könnten negative Effekte
auf den Bildungserwerb von Kindern vermieden werden, die allein auf ökonomische
Einbrüche bei der elterlichen Trennung zurückzuführen sind.
204
• Um Betreuungsdefizite vor allem in Alleinerziehenden-Familien ausgleichen zu hel-
fen, müssen vermehrt finanzierbare und personell angemessen ausgestattete Kinder-
betreuungseinrichtungen zur Verfügung gestellt bzw. private Betreuungsarrangements
angemessen unterstützt werden. Diese können überdies sozialstrukturell bedingte So-
zialisationsdefizite der Herkunftsfamilie kompensieren.
• Schließlich gilt es, politisch eine konsequente Trennung von Partnerschaft und Eltern-
schaft anzustreben und rechtlich abzusichern. Auf diesem Wege könnten eheliche von
elterlichen Konflikten getrennt und damit stressende Loyalitätskonflikte der Kinder
vermieden werden. Geteilte Elternschaft bei getrennter Partnerschaft bedeutet zudem
eine Entlastung des sonst alleinerziehenden Elternteils, was wiederum zur Konflik-
tentschärfung in der Nachtrennungsfamilie beitragen kann. Das soziale Unterstüt-
zungspotential durch den sonst ganz fehlenden Elternteil bliebe erhalten.
Für die pädagogische Praxis ergibt sich aus den gefundenen Ergebnissen, dass das Kli-
schee benachteiligter Trennungskinder aufgegeben werden sollte. Vielmehr sollte unab-
hängig von der Zusammensetzung der Herkunftsfamilien nach den individuellen Stärken
und Schwächen der Kinder gefragt werden, um diesen als eigenständigen Personen ge-
recht zu werden und sie möglichst optimal fördern zu können. Kinder sind so unterschied-
lich wie ihre Familien – unabhängig von ihrer strukturellen Zusammensetzung.

Anmerkungen
1 Zur Ideologiesierung des öffentlichen sowie wissenschaftlichen Diskurses über Familie vgl. BOHRHARDT
1999, Kap. 1.
2 Broken Home bezieht sich also nicht auf ein eigentliches Zerbrechen einer Familie, weder auf ein äußer-
liches, da sie, zum Beispiel im Falle der sozial nicht geteilten (unehelichen) Elternschaft, überhaupt nie
vollständig gewesen sein muss, noch auf ein innerliches, da innerfamiliale Variablen wie Interaktionshäu-
figkeit und -dichte, das Maß gegenseitigen Vertrauens und emotional stabilisierender Unterstützungspo-
tentiale etc. nicht berücksichtigt werden. Auch bezieht sich der entsprechend für den Terminus Broken
Home alternativ vorgeschlagene, aber weiterhin dieser Konzeption verpflichtete Begriff der „Unvollstän-
digkeit“ (KÖNIG 1976, S. 132) weder auf die Anwesenheit nicht-biologischer Elternteile (z.B. Stiefeltern),
noch auf nicht-elterliche Familienmitglieder (z.B. Geschwister), noch, in den meisten empirischen Stu-
dien, auf das Fehlen der Mutter. Damit geht es also weder um „Unvollständigkeit“ im funktionalen Sinne
(Stiefelternhaushalte sind per Definition und unabhängig von ihrer familialen Qualität Broken Homes)
noch um intakte Familienverhältnisse (die Familie des schlagenden Ehemanns mit seinen ausschließlich
peer-group orientierten Kindern zählt nicht als Broken Home).
3 Zu den Auswirkungen von Armut auf Kinder im allgemeinen vgl. NEUBERGER 1997, BIELIGK 1996 sowie
WALPER 1995, 1988. Dynamische Analysen liegen in Deutschland nur für die Armutsbetroffenheit von
Kindern (BUHR 1998), nicht aber für deren Auswirkungen vor. Amerikanische Untersuchungen legen
nahe, dass es weniger der Zeitpunkt des Auftretens von Armut in der kindlichen Entwicklungsphase ist
als deren Dauer, die Auswirkungen auf das Verhalten der betroffenen Kinder zeigt (DUNCAN u. a. 1994;
MCLEOD/SHANAHAN 1993).
4 Als Eltern werden dabei entweder die biologischen oder Adoptiveltern verstanden, je nachdem, mit wem
die Befragungsperson ihr erstes Lebensjahr verbracht hat (USA), bzw. diejenigen Personen, die die Be-
fragungspersonen selbst spontan mit dem Elternbegriff in Verbindung bringen (Deutschland). Dabei kann
aufgrund der beschränkten Informationen im amerikanischen Survey in den gemeinsamen Analysen nicht
nach der Ursache für eine gegebenenfalls diskontinuierliche Elternschaft unterschieden werden.
5 Die institutionellen Differenzen zwischen den Vergleichsländern lassen sich weder mit der bloßen Erfas-
sung von Bildungsjahren, noch mit regressionsanalytisch hergestellten Bildungsscores angemessen erfas-
205
sen. Zu den besonderen Schwierigkeiten metrischer Operationalisierungen von Bildung vgl. ausführlich
LÜTTINGER/KÖNIG 1988.
6 Auf die Besonderheiten der calvinistischen Betonung des Prädestinationsgedankens (vgl. WEBER 1905)
wird hier nicht näher eingegangen, da dieser in Deutschland nur kaum konfessionell vertreten und in den
USA nicht einheitlich, sondern nur in sehr verschiedenen Varianten anzutreffen ist.
7 Sowohl die Konfessionszugehörigkeit als auch die Häufigkeit des Kirchgangs werden für den Zeitpunkt
der Befragung erhoben. Sie lassen sich damit für den Zeitpunkt der elterlichen Trennung sowie für die
möglicherweise ebenfalls lange vor der Befragung liegende Schulzeit nur mit einer gewissen Wahr-
scheinlichkeit unterstellen. Eine ungläubige Person kann natürlich infolge größerer Lebenskrisen ebenso
den Weg zu eigener Frömmigkeit finden, wie eine religiöse Person in ihrer Folge den letzten Glauben an
das Gute in der Welt verlieren mag. Dennoch ist es als wahrscheinlich anzunehmen, dass sich die Mehr-
heit der befragten Personen in ihrer Religionszugehörigkeit relativ konstant verhalten wird und die Inten-
sität der Frömmigkeit im Lebensverlauf bis ins mittlere Lebensalter der ältesten Befragten eher abnehmen
als zunehmen wird (vgl. HOUT/GREELEY 1988; MEULEMANN 1987). Zumindest für die USA dürfte die
Häufigkeit des berichteten Kirchgangs sein tatsächliches Ausmaß überschätzen; vgl. das „Symposium on
Church Attendance in the United States“ in der American Sociological Review, 63, 1998, S. 111–145.
8 Für Deutschland wurde auf die erste, ältere Welle des DJI-FS zurückgegriffen und nicht auf die zweite
von 1994, da für letztere erhebliche Probleme bezüglich ihrer Repräsentativität bestehen. Diese sind dar-
auf zurückzuführen, dass es sich bei der zweiten Welle um eine nicht zufällig verteilte 50%-Stichprobe
der ersten Welle handelt, die systematische Verzerrungen in familiensoziologisch relevanten Bereichen
aufweist (vgl. BENDER u. a. 1996). Entsprechend wurde auch für die USA auf die zeitgleiche, ältere
Welle des NSFH zurückgegriffen.

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Anschrift des Verfassers: Dr. Ralf Bohrhardt, Sonderforschungsbereich 186 der Universi-
tät Bremen, Postfach 330440, 28334 Bremen

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