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ZGMTH Zeitschrift der

Gesellschaft für Musiktheorie

Bernd Redmann
»Clemens Kühn, Musiktheorie unterrichten – Musik vermitteln:
Erfahrungen – Ideen – Methoden. Ein Handbuch, Kassel: Bärenreiter 2006«
ZGMTH 4/1–2 (2007)
Hildesheim u. a.: Olms
S. 221–225

http://www.gmth.de/zeitschrift/artikel/256.aspx
Clemens Kühn, Musiktheorie unterrichten – Musik vermitteln:
Erfahrungen – Ideen – Methoden. Ein Handbuch, Kassel: Bärenreiter
2006

Trotz der deutlich pädagogischen Prägung der vorzufindenden Lehrsysteme und -traditionen
europäischen Musiktheorie beschäftigen sich zeigt es. Kühns Buch streift zwar auch diesen
nur wenige musiktheoretische Publikationen Bereich (»Unterrichtsformen«, 51  f f.) und be­
mit Fragen der Vermittlung. Auch in den meis­ rücksichtigt ein denkbar weites Spektrum an
ten Lehrbüchern bleiben die Probleme aus­ Unterrichtsgegenständen. Es geht ihm jedoch
geklammert, die sich dem Lehrenden in der weder um die Ausformung fachdidaktischer
konkreten Unterrichtssituation stellen: Wie Modelle noch um unmittelbar umsetzbare
führt man Musik, Theorie bzw. Lehrstoff und Unterrichtsrezepte. Obgleich das Buch Di­
lernende Menschen zusammen? Wie gestaltet daktik im eigentlichen Wortsinne zum Thema
man musiktheoretischen Unterricht motivie­ hat, wird der Begriff – wohl wegen der Im­
rend, lebendig und kunstnah? Wie animiert plikationen, welche ihm im heutigen Wissen­
man Schüler oder Studenten zu eigener ge­ schaftskontext anhaften – auffällig gemieden.
danklicher Auseinandersetzung, zum Weiter­ Kühns Überlegungen zielen vor allem auf das
denken über den Unterricht hinaus? konkrete Handeln und kommunikative Ge­
Genau diesem weiten Feld widmet sich schehen im Unterricht, auf den fachlich und
Clemens Kühns Buch Musiktheorie unterrich­ menschlich souveränen Umgang mit den situ­
ten – Musik vermitteln. Zu sagen, das Buch ativen, oft zufälligen Faktoren des Unterrich­
betrete »Neuland« (7), ist vielleicht eine Über­ tens.
treibung: Nicht zuletzt Clemens Kühn selbst Nun ist bekannt, dass die ›Tugenden‹, die
gab als Autor und Herausgeber vieler Publi­ einen ›guten‹ Lehrer ausmachen, weithin auf
kationen wichtige Impulse zu diesem Thema. persönlicher Begabung und Konstitution,
Neu ist jedoch der umfassende Anspruch, mit Lern- und Entwicklungsfähigkeit und wach­
dem Kühn nicht das ›was‹, sondern das ›wie‹ sender Berufserfahrung beruhen. Mit Rat oder
des Unterrichts durchleuchtet. Kritik einzugreifen, ist heikel und nur aus der
Beides hängt allerdings gerade in der Mu­ konkreten Anschauung heraus möglich. Mu­
siktheorie eng zusammen: Durch die jüngere siktheorie zu unterrichten ist ein ausgespro­
Entwicklung hat sich ihr Themenspektrum chen subjektives Unterfangen: Nicht der durch
enorm erweitert. Die Festlegung auf paradig­ Normen reglementierte (und reglementieren­
matische Unterrichtsgegenstände schwindet, de) Schulmeister, sondern die eigenverant­
neue Bereiche wie etwa die Popular- und wortlich agierende, gestaltungsfreudige Per­
Weltmusik kommen hinzu. Die Einbindung sönlichkeit mit Ecken und Kanten ist gefragt.
Neuer Medien eröffnet den Zugang zu neu­ Um all dies weiß Clemens Kühn natürlich.
en Unterrichtsgegenständen. Angesichts der Daher artikuliert er im Vorwort sehr deutlich
zunehmend divergenten thematischen Ori­ den persönlichen Charakter seines Buches:
entierung des Theorieunterrichts lassen sich Die »Erfahrungen, Ideen, Methoden« (Unter­
grundlegende fachdidaktische Koordinaten titel), die es vermittelt, erwuchsen aus »dem
nicht unmittelbar aus dem Gegenstand selbst Nachdenken über das eigene Unterrichten«
ableiten. Auch zu den strukturellen und or­ (7). Kühn möchte keine Regeln »festschrei­
ganisatorischen Rahmenbedingungen des ben«, wie »Unterrichten funktioniert«  (8),
Unterrichtens gibt es sehr unterschiedliche sondern versteht seine Einlassungen als »Hil­
Positionen – die Vielfalt der an Hochschulen festellung, Anregung, Wegweiser – oder auch

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Widerpart« (7). Zugleich jedoch vertritt er be­ nicht einfach sagen, wie etwas zu verstehen
stimmte »Prinzipien« (7) und Überzeugungen sei, sondern durch Fragen und Dialogführung
bezüglich der »Idee und Art, Musiktheorie die »Schüler selbst Dinge entdecken lassen«
und Musik zu vermitteln« (8). (44), sie auch »freihändig« (26) zu eigenen
Es geht Kühn nicht um die effiziente Ver­ Einsichten finden zu lassen. Dies erfordert
mittlung von Theorie, sondern um die Ver­ nicht nur Geduld, sondern auch die Bereit­
mittlung musikalischer Erfahrungen und schaft zu flexibler und zumindest partiell er­
Einsichten durch Theorie (siehe Titel): Die gebnisoffener Unterrichtsgestaltung. Auf zwei
musiktheoretische Perspektive auf Musik Punkte weist das Buch in diesem Zusammen­
steht in einer Mittlerrolle. Die Unterrichts­ hang nachdrücklich hin:
gestaltung orientiert sich an der Zielsetzung, 1.  Die Bedeutung methodischer Vielfalt
Schülern und Studenten Erfahrungen mit mu­ und Flexibilität: »Wechselnde Zugangswege«
sikalischen Gegenständen zu ermöglichen, (37 ff.) und »Arbeitsweisen« (52 ff.), die Ein­
sie zu aktivem, eigenständigem Nachdenken beziehung von Singen und Instrumentalspiel,
über Musik zu animieren und ihnen vielfältige unterschiedliche Stundenanfänge und Ziel­
Begegnungswege mit Musik zu eröffnen. Die setzungen, der Wechsel zwischen Hören,
Präsentation musiktheoretischer Begriffe oder kreativem Handeln und Reflektieren sowie
Methoden anhand passend ausgewählter Lite­ zwischen Konzentration und »Abschweifung«
raturbeispiele werde diesem Anspruch nicht (40), Übungs- und Wiederholungsphasen
gerecht, die Maßgabe müsse vielmehr sein: werden als methodisches Repertoire ins Spiel
»Der Gegenstand bestimmt die Methode sei­ gebracht.
ner Vermittlung« (27). Kühns Methodenbegriff 2.  Die bewusste Einbeziehung der Emotion
ist weit gefasst und umgreift auch kreative, in­ bei Lernprozessen wie auch der Ausdrucksei­
dividuelle Herangehensweisen: Das Buch bie­ te von Musik: »Denken und Fühlen […] sind
tet hierzu eine Reihe von Anregungen (11–27). einander ergänzende, widerstreitende, sich
Der vorgeschlagene Weg führt somit »von der wechselseitig stimulierende Elementarkräfte
Musik zur Theorie« (42) und hat die »Stati­ jedes Menschen […]. Die Ausblendung jeg­
onen: […] Erleben – Durchdenken – Abstra­ licher Emotionalität macht arm« (»Der ganze
hieren – Anwenden« (43). Mensch«, 63). Dies bedeute für die Unter­
So einleuchtend diese Grundsätze sind: richtspraxis: Zum Sprechen über Musik im
Ihre Verwirklichung in der Praxis ist anspruchs­ Unterricht gehört auch der Ausdrucksgehalt,
voll und zeitaufwendig. Landläufig folgt Theo­ das persönliche Empfinden, welches das
rieunterricht wohl (noch) anderen Pfaden: Hörerlebnis hinterlässt. Zum anderen sollten
Meist wird unmittelbar daran gegangen, die Emotionen wie Neugier, Staunen, Zweifel, Irri­
wilde Schönheit klingender Werke mit rasch tation, Verwirrung, Erlebnisse des Scheiterns,
übergeworfenen terminologischen Netzen zu der Überraschung vom Lehrer als Mittel moti­
zähmen. Die ambitionierte Ausweitung des vierender und spannungsvoller Unterrichtsge­
Begriffsrepertoires und der Methoden, die in staltung bewusst einbezogen werden.
knapper Zeit vermittelt werden sollen, fordern Als Gegenstück zu diesen pädagogischen
›Vermittlungseffizienz‹. Gleichwohl: Kühns Leitideen formuliert Kühn im Schlusskapitel
›Stationen‹ zielen auf eine tiefer gehende, im (220 ff.) eine Gesamtkonzeption für die fach­
persönlichen Horizont verankerte Aneignung liche Seite: Er plädiert für das »Konzept einer
von Erfahrungen und Einsichten; sie zu durch­ integrativen Theorie«, welches die »Isolierung
laufen, dürfte helfen, nicht beim kurzschlüs­ der Disziplinen« aufhebt. »Das Integrative ist
sigen Hantieren mit unverstandenen Begriffs­ bestrebt, Ansätze, Inhalte und Zugangswege
etiketten und Denkfloskeln stehen zu bleiben. – hören, spielen, singen, schreiben, erfinden,
Dem Weg »von der Musik zur Theorie« analysieren – zu vernetzen« (220). Über die
entspricht auf pädagogischer Seite das Sokra­ Verknüpfung der traditionellen Kernfächer
tische »Geburtshelfer«-Prinzip (44): Als Lehrer Satztechnik   / -lehre, Formenlehre und Analyse

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hinaus geht es ihm vor allem um die sinnvolle Relativ ausführlich werden »zentrale Dis­
»Einbindung von Gehörbildung und Klavier­ ziplinen« (Elementarlehre, Harmonielehre,
praxis«. Vor allem Letztere könne »in ihrer Be­ Kontrapunkt, Formenlehre, Gehörbildung)
deutung gar nicht überschätzt werden« (17). behandelt, wiederum verbunden mit dem Ap­
Sicherlich haben Kühns Überlegungen in pell, sich um »Musiknähe« (78), »praktische
Hinblick auf ihre Umsetzung in Unterricht­ Erfahrungen« (82) und »Erleben« (92) zu be­
spraxis Haken und Ösen: So kann sich der mühen. Im »Kontrapunkt«-Kapitel, das ein­
Austausch über Hörerleben und Empfinden drucksvoll eine Vielzahl methodischer Ansät­
von Musik leicht in der Disparatheit subjektiver ze aufzeigt, wird ein weiterer, im Grunde für
Wahrnehmungen verfangen. Es ist wohl auch alle Bereiche geltender Aspekt angesprochen:
nicht daran zu denken, bei jedem Werk die die inhaltliche Differenzierung hinsichtlich
Palette möglicher Zugangswege durchzuspie­ der verschiedenen Studiengänge wie auch der
len: ›Zugangswege‹ müssen erst einmal ›für »Leistungsfähigkeit« und speziellen Interessen
sich‹ erschlossen und geübt werden können. in der jeweiligen Unterrichtsgruppe (97).
Nicht allein der Wechsel der Betrachtungs­ Für die Gehörbildung bietet Kühn einen
perspektiven, sondern auch die konzentrierte methodischen Aufriss nach Leistungsstufen an
Versenkung in eine Betrachtungsform kann und stellt »Spielregeln« auf (121). Die ›Spiel­
Sinn machen. Die Gratwanderung zwischen regel‹, ausschließlich Literaturbeispiele zu
einem geschickten, erhellenden Changieren verwenden, erscheint mir in dieser Absolut­
zwischen verschiedenen Blickwinkeln und heit überzogen: Was spricht gegen die gele­
einem verwirrenden, oberflächlichen Allerlei gentliche Verwendung vom Lehrer erfundener
ist vertrackt. Beispiele, die bestimmte, in Literatur verfloch­
Für die konkrete unterrichtspraktische Um­ tene Aspekte herauslösen und konzentrieren?
setzung dieses Leitbilds in den verschiedenen Akzentuiert wird für die Höranalyse abermals
fachlichen Bereichen wartet das Buch mit der Aspekt der »Offenheit« (131) und des Hö­
ideenreichen Vorschlägen und Überlegungen rens »ohne Aufgabe« (134).
auf: So werden Themen wie »Technik und Äs­ Das »Analyse«-Kapitel (mit den Unter­
thetik« oder »Geschichtliche Differenzierung punkten »Grundsätze«, »Ideen«, »Blickrich­
und Systematische Lehre« ebenso beleuchtet tungen«) hebt den Deutungscharakter von
wie das »Sprechen über Musik« – und zwar Analyse hervor: Diese sei »nicht Statistik,
anhand der »Beobachtung, wer oder was sondern deutendes Verstehen« (137) und in­
in einem Satz als tätiges Subjekt eingesetzt sofern immer subjektiv. Ferner wird betont,
wird« (58). eine Analyse könne »niemals das Gesamt von
Kursorisch werden wichtige »musiktheo­ Musik erfassen« (150): Eine Fokussierung des
retische Richtungen« gestreift. Kühn benennt Erkenntnisinteresses sei meist produktiver als
abschließend auch Defizite der einzelnen der Versuch einer »Totalanalyse«. Auch hier
Methoden und plädiert vor diesem Hinter­ hält Kühn Methodenvielfalt und das Bemü­
grund »für methodische Vielfalt« und gegen hen um vielseitige »Annäherungen« (150) für
»jeden Ausschließlichkeitsanspruch« (73). Voraussetzungen einer perspektivenreichen,
Ein theoretisches System, das »alles begreifen vernetzenden Deutung.
will, greift nichts mehr, weil es unspezifisch, Das Kapitel »Standardthemen« (Choral­
nichtssagend oder sogar verfälschend wird« satz, Generalbass, Modulation) ist gespickt
(86). Anzumerken wäre hier freilich, dass ein mit Anregungen, die zum Verlassen ausgetre­
flexibles »Anwenden verschiedener Ansätze« tener Unterrichtspfade einladen. Problema­
(73) die Verinnerlichung der Denkformen und tisiert wird u. a. die konventionelle Modula­
Erkenntnispotentiale dieser Ansätze erfordert. tionslehre: Kühn wendet sich hier gegen die
Die nähere Beschäftigung mit den einzelnen immer noch weitverbreiteten Schematisie­
Richtungen ist somit unabdingbare Voraus​ rungen (diatonisch, chromatisch, enharmo­
setzung. nisch etc.) und plädiert für eine Erarbeitung

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unterschiedlicher Modulationsverfahren und Modells beziehen: Das chromatisch fallende


ihrer kompositorischen Funktionen mit analy­ Basstetrachord in der Musik des 19. Jahrhun­
tischen Mitteln sowie für »situationsbezogene derts oder gar in einem Popsong umstandslos
Satzaufgaben« (178). als »Lamentobass« zu bezeichnen, ist besten­
Hingewiesen wird ferner auf »vernachläs­ falls naiv und in vielen Fällen schlicht unange­
sigte Bereiche« (Stil-, Partitur- und Repertoire­ messen. Angesichts der gegenwärtigen Infla­
kunde, Lektüre, Einrichten von Musik). An vie­ tion historisierender Nomenklaturen bleibt es
len Hochschulen dürfte das Bewusstsein für rätselhaft, warum sich ausgerechnet für 5-10-
deren Bedeutung im Wachsen begriffen sein, bzw. 8-10-Außenstimmenketten der gänzlich
nicht zuletzt, weil sie wichtige Anknüpfungs­ unhistorische (von Dahlhaus aus der Perspek­
punkte zur Praxis bieten. tive der Funktionstheorie geprägte) Terminus
Auch John Leighs Kapitel über »Musika­ ›Dur-Moll-Parallelismus‹ etabliert hat. Mir
lische Topoi« (184 ff.) ist lesenswert. Es rekur­ persönlich erschiene es pädagogisch plausib­
riert vor allem auf die historische Kontinuität ler, für Modelle Bezeichnungen zu wählen, die
im Gebrauch bestimmter satztechnischer Mo­ historisch langzeitlich in Gebrauch waren und
delle. Zweifellos ist es sinnvoll, das Erkennen sich möglichst ›unmittelbar‹ (d. h. ohne konno­
des gleichbleibenden Kerns in historisch wan­ tative Überlagerungen oder Implikationen) auf
delbaren Erscheinungsformen dieser Topoi zu das zu bezeichnende Phänomen beziehen. In
schulen und als Analyseperspektive nutzbar zweiter Instanz wären diese allgemeinen Be­
zu machen. Aber ist es wirklich erkenntnis­ zeichnungen dann historisch zu differenzieren.
trächtig, Schumanns Im wunderschönen Mo­ Aus der analytischen Betrachtung einzelner
nat Mai mit Begriffen barocker Klangrhetorik Werke heraus könnten epochenspezifische
zu überziehen (184 ff.) oder Terz- / Sextparal­ Erscheinungsformen, Weiterentwicklungen,
lelen bei Brahms als »Gymel« (193) zu klassi­ Überformungen der Grundmodelle und deren
fizieren? Ein terminologisches Grundproblem kompositorische Funktion und Semantik im
wird hier angerührt: Es hat sich eingebürgert, jeweiligen kompositionsgeschichtlichen Um­
›Topoi‹ nach ihrem historischen Ursprungs­ feld thematisiert werden: Erkenntnisreicher als
begriff zu benennen. Doch fehlt es aus mei­ das Bewusstsein des Gleichbleibenden von
ner Sicht an einleuchtenden Argumenten, ›Modellen‹ erscheint mir die Einsicht in ihre
warum eine Sextakkordfolge bei Beethoven verschiedenartige Kontextualisierung.
als ›Fauxbourdon‹ bezeichnet werden sollte: Resümee: Mit den Positionen, die er in die­
Worauf sich dieser Begriff und insbesonde­ sem Buch vertritt, wird Clemens Kühn keine
re sein Wortbestandteil ›falsch‹ bezog, fand ungeteilte Zustimmung ernten. Leise Kritik
bereits bei den Theoretikern des späten 15. an einer Verwissenschaftlichung und Verfes­
Jahrhunderts sehr inkonsistente Erklärungen. tigung methodischer Standards ist zwischen
Auch später bleibt er – trotz seines vereinzel­ den Zeilen zu lesen. Und diejenigen, die an
ten Wiederauftauchens als ›antike‹ Figur im einer Wissenschaftsorientierung auch in der
17. Jahrhundert (Joachim Burmeister, Musica hochschulischen Unterrichtsvermittlung In­
poetica, 1606) – eine begriffsgeschichtliche teresse haben, werden Kühns offenem und
Chimäre, die sich nach 1700 in Luft auflöst. betont subjektivem Zugang möglicherweise
Was rechtfertigt also, einen geschichtlich al­ mit ebenso argwöhnischem Blick begegnen.
lenfalls punktuell bedeutsamen Begriff histo­ In jedem Fall lohnt die Auseinandersetzung
risch flächendeckend zu verwenden, wenn mit Kühns Konzepten: Die pädagogischen wie
man im ›modernen‹ Sprachgebrauch nichts fachlichen Leitlinien sind konsequent durch­
weiter darunter versteht als Terz-Sext-Folgen dacht und profiliert dargestellt. Er entwickelt
oder Sextakkordketten? sie aus dem Fundus langjähriger Lehrerfahrung
Zu einem echten Problem werden ana­ und mit einem wachen, erfindungsreichen
chronistische Terminologien, sobald sie sich Blick auf pädagogische Fragestellungen. Dies
auf die semantischen Konnotationen eines ist in jedem Satz des Buches spürbar. Was fer­

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ner einnimmt, ist die Präzision und Knappheit Gedankengang folgen erhellende Werkbei­
der Sprache: Jeder Gedanke ist nachvollzieh­ spiele und konkrete Umsetzungsvorschläge.
bar formuliert, der persönliche Ton spricht So wird das Buch auch zu einem Fundus, der
unmittelbar an. Zusätzlichen Wert gewinnt zum Ausprobieren, Weiterdenken und Wei­
das Buch durch die sorgsam gewählten, anre­ tersuchen einlädt.
genden Beispiele: Fast jedem ›theoretischen‹
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