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Colleen Hoover

Too Late

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch


von Katarina Ganslandt
Ich widme dieses Buch den Mitgliedern der »Too Late«-Gruppe bei
Facebook.
 
Euch verdanke ich eine meiner bisher schönsten Schreiberfahrungen.
 
Besonders dir, Ella Brusa
Eins
Sloan

Warme Finger sind mit meinen verflochten und drücken meine Hände tief
in die Matratze. Meine Lider sind vor Müdigkeit so schwer, dass ich es
nicht schaffe, sie zu öffnen. Diese Woche habe ich wirklich extrem wenig
geschlafen. Eigentlich schon den ganzen Monat.
Ach was, das ganze verdammte letzte Jahr.
Stöhnend presse ich die Schenkel zusammen, obwohl ich weiß, dass es
keinen Zweck hat. Er legt sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. Auf
meine Brüste, an meine Wange, zwischen meine Beine. Auch wenn es noch
ein paar Sekunden dauern wird, bis ich mein schlaftrunkenes Gehirn
aktiviert habe, bin ich schon jetzt wach genug, um zu begreifen, was er
gerade tut.
»Asa«, murmle ich gereizt. »Geh runter von mir.«
Er atmet schwer an meinem Hals, seine Bartstoppeln kratzen über meine
Haut. »Bin gleich so weit, Babe.«
Ich versuche, meine Hände aus seinen zu ziehen, aber er verstärkt seinen
Griff und erinnert mich wieder einmal daran, dass ich eine Gefangene in
meinem eigenen Schlafzimmer bin – in meinem eigenen Bett. Und Asa ist
mein Wärter. Von Anfang an hat er mich spüren lassen, dass ich ihm
meinen Körper zur Verfügung zu stellen habe, wann immer er Lust darauf
hat. Er wird zwar nie grob, aber Lust hat er oft. Sehr oft. Auch dann, wenn
es mir nicht passt.
Zum Beispiel jetzt.
Um sechs Uhr morgens.
Die Rollos sind unten, aber durch den Schlitz unter der Tür sickert
Sonnenlicht ins Zimmer. Wahrscheinlich ist Asa eben erst ins Bett
gekommen, nachdem er wieder mal die ganze Nacht durchgefeiert hat. Ich
dagegen muss schon bald in der Vorlesung sitzen und kann mir
angenehmere Methoden vorstellen, wie ich nach gerade mal drei Stunden
Schlaf geweckt werden will.
Trotzdem hebe ich das Becken an und schlinge die Schenkel um seine
Hüften. Wenn ich so tue, als hätte ich auch meinen Spaß, wird er schneller
fertig.
Ich weiß, dass er auf mein Stöhnen wartet, und als ich ihm den Gefallen
tue, schließt sich kurz darauf seine Hand um meine rechte Brust und ein
Beben durchläuft seinen Körper. Er vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren
und die Bewegungen in mir verlangsamen sich. Nach ein paar Sekunden
lässt er sich seufzend fallen, gibt mir einen Kuss und rollt sich auf seine
Bettseite. Er steht auf, greift nach der Wasserflasche, die auf dem
Nachttisch steht, trinkt gierig und lässt seinen Blick dabei über meinen
Körper wandern. »Weißt du, wie sehr mich das anmacht, dass ich der
Einzige bin, der jemals in dir war?« Er grinst.
Völlig selbstbewusst in seiner Nacktheit steht er neben dem Bett und
lässt den letzten Rest des Wassers in seine Kehle laufen. Es fällt mir schwer,
mich geschmeichelt zu fühlen, wenn jemand über meinen Körper wie über
ein Gefäß redet.
Asa sieht gut aus, aber ansonsten gibt es eigentlich nicht viel, was für
ihn spricht. Vielleicht ist sein gutes Aussehen ja sogar das Einzige. Er ist
herrisch, flippt schnell aus und macht es mir oft nicht leicht, mit ihm
zusammenzuleben. Aber er liebt mich. Er liebt mich aus tiefstem Herzen.
Und trotz seiner schwierigen Seiten liebe ich ihn irgendwie auch. Klar gibt
es vieles, was ich gern an ihm ändern würde, aber das geht nun mal nicht,
also muss ich ihn so akzeptieren, wie er ist. Er hat mich bei sich
aufgenommen, als ich auf der Straße saß und niemanden hatte, zu dem ich
gehen konnte. Schon allein deshalb fühle ich mich verpflichtet, ihm etwas
zurückzugeben. Mir bleibt sowieso nichts anderes übrig.
Asa wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und wirft die leere
Plastikflasche in den Papierkorb. Er zwinkert mir zu, lässt sich neben mich
aufs Bett fallen, fährt sich durch die dichten braunen Haare und beugt sich
über mich, um mir einen sanften Kuss auf die Lippen zu geben. »Gute
Nacht, Babe«, murmelt er und dreht sich auf den Rücken.
»Wohl eher Guten Morgen«, seufze ich und mache mich widerstrebend
daran, aufzustehen. Ich ziehe mein hochgerutschtes Schlaf-T-Shirt wieder
runter, hole mir frische Sachen aus dem Schrank, greife nach meinem
Handy und schlurfe müde über den Flur ins Bad, das zum Glück frei ist.
Das ist nicht selbstverständlich. Neben den Leuten, die vorübergehend bei
uns wohnen, übernachten auch immer wieder spontan irgendwelche
Freunde und Bekannten von Asa hier. Aber so früh am Morgen schlafen
alle noch. Ich werfe einen Blick aufs Handy und stöhne, als ich sehe, dass
mir nicht mal mehr Zeit bleibt, mir irgendwo noch einen Kaffee zu
besorgen. Obwohl heute der erste Tag nach den Semesterferien ist, habe ich
große Zweifel, ob ich es schaffen werde, nachher wach zu bleiben. Kein
guter Einstieg.
Ich weiß nicht, wie ich mein Studium unter diesen Umständen jemals
erfolgreich zu Ende bringen soll. Asa geht nur sehr unregelmäßig zu den
Vorlesungen und schließt trotzdem fast alle Fächer mit Bestnote ab,
während ich die Prüfungen im letzten Halbjahr bloß gerade mal so
bestanden habe, obwohl ich immer anwesend war … na ja, zumindest
körperlich. Hier ist dauernd so viel los, dass ich kaum einen Moment Ruhe
finde und es mir immer wieder passiert, dass mir mitten im Seminar die
Augen zufallen, weil die Uni der einzige Ort ist, an dem ich ein bisschen
entspannen kann.
Asa feiert rund um die Uhr Dauerparty und lädt ständig irgendwelche
Leute ein, ohne sich darum zu kümmern, dass wir am nächsten Tag
eigentlich beide im College sitzen müssten. Und das geht nicht nur freitags
und samstags so, sondern auch unter der Woche.
Er ist ungern allein. Ständig ziehen irgendwelche Leute ein oder aus,
sodass ich keinen Überblick habe, wer gerade bei uns wohnt. Das Haus
gehört ihm, also kann er machen, was er will. Wenn ich das Geld hätte, mir
ein Zimmer im Studentenheim zu nehmen, wäre ich sofort weg. Aber ich
besitze keinen Cent, weshalb ich noch ein weiteres Höllenjahr hier
durchstehen muss, bis ich meinen Abschluss habe und endlich eigenes Geld
verdienen kann.
Nur noch ein Jahr. Dann bin ich frei.
Ich lasse mein T-Shirt zu Boden fallen und ziehe den Duschvorhang zur
Seite. Als ich mich vorbeuge, um das Wasser aufzudrehen, stockt mir der
Atem. Und dann entfährt mir ein Schrei. In der Wanne liegt – komplett
angezogen – unser neuester Mitbewohner Dalton, der anscheinend so
zugedröhnt ist, dass er es nicht mehr ins Bett geschafft hat.
Von meiner Stimme geweckt, schreckt er hoch, knallt mit dem Kopf
gegen die Armatur und lässt selbst einen lauten Schrei los. Ich bücke mich
nach meinem Shirt, als die Tür auffliegt und Asa hereinstürmt.
»Alles okay, Sloan?« Er fasst mich an den Schultern, um zu sehen, ob
ich verletzt bin.
»Ja, ja, mir ist nichts passiert, aber …« Ich deute auf die Wanne.
»Ich bin nicht okay.« Dalton presst sich die Hand an die blutende Stirn
und steht schwankend auf.
Asa wirft einen Blick auf meinen nackten Körper, den ich notdürftig mit
dem T-Shirt bedecke, dann schaut er zwischen mir und Dalton hin und her.
Ich setze hastig zu einer Erklärung an, damit er nicht auf falsche Gedanken
kommt, aber zu meiner Überraschung bricht er in lautes Lachen aus.
»Warst du das?«, fragt er mich und zeigt auf Daltons Stirn.
Ich schüttle den Kopf. »Er ist erschrocken und hat sich den Kopf am
Wasserhahn gestoßen.«
Asa lacht noch lauter, streckt Dalton die Hand hin und hilft ihm aus der
Wanne. »Na los, Alter, komm mit runter. Du brauchst ein Konterbier, dann
geht’s dir gleich wieder besser.« Er schiebt unseren Mitbewohner aus dem
Bad und schließt die Tür hinter sich.
Das T-Shirt immer noch an den Körper gepresst, stehe ich da und starre
kopfschüttelnd auf die Tür. Das Traurige ist, dass ich das jetzt schon zum
dritten Mal erlebe. Jedes Mal ist es ein anderer Idiot, der besoffen in der
Badewanne schläft. In Zukunft muss ich daran denken, immer erst einen
Blick hineinzuwerfen, bevor ich mich ausziehe.
Zwei
Carter

Ich krame den Seminarplan aus der Tasche und falte ihn auf, um
nachzusehen, in welchem Raum mein Kurs stattfindet. »Das Ganze ist doch
echt ein Witz«, beschwere ich mich. »Ich hab vor drei Jahren meinen
Abschluss gemacht. Wenn ich gewusst hätte, dass ich wieder ans College
muss, hätte ich das nie mitgemacht.«
Ryan lacht so laut, dass ich mir das Handy ein Stück vom Ohr weghalten
muss. »Mir kommen gleich die Tränen«, sagt er. »Glaub mir, ich würde
sofort mit dir tauschen, Alter. Ich musste gestern Nacht in einer
verdammten Badewanne schlafen. Aber das gehört nun mal zur Rolle.
Finde dich damit ab. Job ist Job.«
»Ja, das sagst du so leicht. Du hast ja auch bloß eine Pflichtveranstaltung
pro Woche. Ich muss gleich an drei Tagen rein. Warum hat Young dich
eigentlich so locker davonkommen lassen?«
»Vielleicht besorg ich’s ihm besser«, sagt Ryan trocken.
Ich schaue auf meinen Plan und dann auf die Nummer an der Tür des
Raums, an dem ich gerade vorbeilaufe. Anscheinend bin ich schon da.
»Ich muss Schluss machen. La clase de Español.«
»Moment noch.« Ryans Stimme wird ernst. Er räuspert sich, und ich
ahne, dass jetzt gleich der kleine Motivationsvortrag kommt, den er mir fast
jeden Tag hält, seit wir Partner sind. »Versuch, das Beste draus zu machen,
Mann. Wir sind ganz nah dran. In spätestens zwei Monaten haben wir alles
zusammen, was wir brauchen, dann kannst du wieder machen, was du
willst. Such dir einen heißen Arsch, neben dem du sitzen kannst, dann
vergeht die Zeit schneller.«
Ich werfe durch das Fenster in der Tür einen Blick in den Raum, in dem
schon fast alle Plätze besetzt sind. Ganz hinten in der letzten Reihe
entdecke ich einen leeren Stuhl neben einem Mädchen, das mit auf dem
Tisch gekreuzten Armen dasitzt und den Kopf gesenkt hält. Ihre dunklen
Haare fallen ihr vors Gesicht, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie döst.
Das ist gut. Neben solchen Leuten sitze ich gern. Mein Albtraum sind die,
die mich endlos zutexten.
»Cool. Sieht aus, als hätte ich meinen heißen Arsch schon gefunden. Du
hörst gegen Mittag noch mal von mir.« Ich stelle das Handy stumm, stoße
die Tür auf und gehe entschlossen nach hinten, wo ich mich an meiner
zukünftigen Tischnachbarin vorbei zu dem freien Platz durchschiebe, den
Rucksack neben den Stuhl stelle und mein Handy auf den Tisch werfe.
Erschrocken fährt das Mädchen hoch, sieht sich mit leicht panischem Blick
um, schaut auf den Block, den sie vor sich liegen hat, dann auf mein Handy
und zuletzt zu mir. Ihre Haare sind leicht zerzaust und ein dünner
Speichelfaden rinnt ihr übers Kinn. Ich ziehe den Stuhl neben ihr hervor
und setze mich. Ihr Blick ist genervt. Offensichtlich nimmt sie mir übel,
dass ich sie aus dem Schlaf gerissen habe.
»Lange Nacht gehabt?« Ich bücke mich zu meinem Rucksack und ziehe
das Spanischbuch heraus, obwohl ich es in- und auswendig kenne.
»Ist das jetzt schon der nächste Kurs?«, fragt sie verwirrt, als ich das
Buch auf den Tisch lege.
»Kommt drauf an«, antworte ich.
»Worauf?«
»Darauf, wie lange du geschlafen hast«, sage ich. »Hier findet jedenfalls
gleich der Spanischkurs statt, der um zehn anfängt.«
Sie reibt sich stöhnend übers Gesicht. »Heißt das, ich hab bloß fünf
Minuten geschlafen? Scheiße.« Sie lässt sich in ihrem Stuhl nach unten
rutschen, legt den Kopf auf die Lehne und dreht mir das Gesicht zu. »Weck
mich, wenn alles vorbei ist, okay?«
Ich tippe mir mit dem Zeigefinger ans Kinn. »Du hast da was.«
Sie wischt sich über den Mund und betrachtet ihre Hand. Ich hätte
erwartet, dass sie verlegen ist, aber sie verdreht nur die Augen, zieht sich
den Ärmel ihres Shirts über den Daumen und reibt den kleinen
Speichelfleck weg, den sie auf der Tischplatte hinterlassen hat. Danach
lehnt sie sich wieder zurück und schließt die Augen.
Obwohl mein Collegeabschluss schon ein paar Jahre her ist, weiß ich
noch sehr gut, wie anstrengend es ist, durchgemachte Nächte und ein
straffes Lernpensum unter einen Hut zu bekommen. Allerdings sieht dieses
Mädchen wirklich maximal erledigt aus. Hat sie nur zu viel gefeiert oder
muss sie auch noch nebenher arbeiten und macht womöglich
Nachtschichten?
Ich bücke mich noch mal zu meinem Rucksack und krame nach dem
Energydrink, den ich mir heute Morgen auf dem Weg besorgt habe. Mir
scheint, sie braucht ihn dringender als ich.
»Hier.« Ich stelle die Dose vor sie auf den Tisch. »Trink das.«
Sie öffnet die Augen so langsam, als würden ihre Lider tausend Kilo
wiegen. Ihr Blick fällt auf die Dose, sie beugt sich vor, greift danach, öffnet
sie und stürzt den Inhalt so gierig hinunter, als hätte sie seit Tagen nichts
getrunken.
»Bitte sehr, gern geschehen«, sage ich lachend.
Sie stellt die leere Dose auf den Tisch und fährt sich mit demselben
Ärmel über den Mund, mit dem sie eben die Spucke vom Tisch gewischt
hat. Ich muss zugeben, dass ich sie trotz – oder vielleicht sogar gerade
wegen – ihres zerzausten und schlaftrunkenen Aussehens verdammt sexy
finde.
»Danke!« Sie streicht sich die Haare aus den Augen, lächelt mich an,
streckt sich und gähnt. Die Tür geht auf, und es wird ruhig im Raum,
woraus ich schließe, dass unser Dozent gerade hereingekommen ist – aber
ich schaffe es nicht, meinen Blick lang genug von dem Mädchen
loszureißen, um seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen.
Sie kämmt sich mit den Fingern durch ihre noch leicht feucht wirkenden
Haare, und ich rieche den blumigen Duft ihres Shampoos, als sie sie nach
hinten schleudert. Sie sind lang und dunkel und dicht, genau wie ihre
Wimpern. In diesem Moment räuspert sich der Dozent und wir drehen uns
beide nach vorn und schlagen eine neue Seite in unseren Blöcken auf.
Seine spanische Begrüßung wird von den Studenten mehr oder weniger
flüssig erwidert. Während er sich vorstellt, leuchtet auf dem Display meines
Handys eine Nachricht von Ryan auf.

Ryan: Hat der heiße Arsch, neben dem du sitzt, schon einen Namen?

Ich drehe das Handy blitzschnell um, aber es ist zu spät. Meine
Sitznachbarin unterdrückt ein Lachen.
Scheiße.
»Der heiße Arsch?«, sagt sie mit gespielter Empörung.
»Sorry«, entschuldige ich mich. »Mein Kumpel hält sich für wahnsinnig
witzig. Leider sind seine Witze meistens komplett daneben.«
»Ach so.« Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Dann findest du meinen
Arsch also nicht heiß?«
Zum ersten Mal sehe ich ihr richtig ins Gesicht und … sagen wir mal so:
Der Anblick genügt, um diesen bescheuerten Spanischkurs sofort zu
meinem absoluten Lieblingskurs zu machen. »Nimm’s nicht persönlich,
aber bis jetzt kenne ich dich bloß sitzend. Ich hab dich noch nicht von
hinten gesehen.«
Sie lacht wieder. »Hi. Ich bin Sloan.« Sie streckt mir die Hand hin. Als
ich danach greife, bemerke ich eine kleine halbmondförmige Narbe auf dem
Daumen. Ich streiche darüber und drehe ihre Hand, um sie mir genauer
anzusehen.
»Sloan«, wiederhole ich und lasse ihren Namen langsam über meine
Zunge rollen.
»Normalerweise sagt man an diesem Punkt des Gesprächs dem anderen
seinen eigenen Namen.« Sie entzieht mir ihre Hand und sieht mich
abwartend an.
»Carter«, stelle ich mich so vor, wie ich in den nächsten Wochen heißen
werde. Ich finde es schwierig genug, Ryan seit sechs Wochen als Dalton
ansprechen zu müssen, aber beim eigenen Namen zu lügen ist noch mal
eine Ecke härter. Es passiert viel zu schnell, dass einem der richtige Name
rausrutscht.
»Mucho gusto«, sagt sie mit fast perfektem Akzent und dreht sich wieder
nach vorn.
Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Definitiv.
Unser Dozent kündigt eine Partnerübung an. Wir sollen auf Spanisch
drei Tatsachen über unseren Sitznachbarn formulieren. Ich hatte auf dem
College vier Jahre Spanisch und spreche ganz gut, weshalb ich beschließe,
Sloan den Vortritt zu lassen, um sie nicht gleich zu entmutigen. Wir setzen
uns so, dass wir uns direkt ansehen.
»Las damas primero«, sage ich galant und nicke ihr zu.
»Nichts da. Wir wechseln uns ab«, widerspricht sie. »Und du fängst an.
Los, erzähl mir was über mich.«
»Wie du willst.« Ich muss lachen, weil sie sofort das Kommando
übernommen hat. »Eres mandona.«
»Das ist zwar keine Tatsache, sondern eine Meinung«, sagt sie. »Aber
ich lasse es trotzdem mal gelten.«
Ich grinse. »Hast du überhaupt verstanden, was ich gesagt habe?«
»Falls du sagen wolltest, dass du mich für herrschsüchtig hältst, dann
ja.« Sie verengt die Augen, aber um ihre Mundwinkel spielt ein Lächeln.
»Jetzt ich«, sagt sie. »Tu compañera de clase es bella.«
Ich lache darüber, dass sie sich selbst ein Kompliment gemacht hat. Aber
es ist unbestreitbar eine Tatsache: Sie ist schön. Ich nicke zustimmend. »Mi
compañera de clase es correcta.«
Mir entgeht nicht, dass sich ihre Wangen trotz ihrer Sonnenbräune leicht
rosig färben. »Wie alt bist du?«, fragt sie.
»Das ist eine Frage, keine Tatsache. Und noch dazu nicht mal auf
Spanisch.«
»Ich muss dich das aber fragen, damit ich es zu einer Tatsache
umformulieren kann. Du siehst ein bisschen älter aus als die anderen in
unserem Semester.«
»Was glaubst du denn, wie alt ich bin?«
»Dreiundzwanzig? Vierundzwanzig?«
Das ist ziemlich gut geschätzt. Ich bin fünfundzwanzig, aber das muss
sie nicht wissen. »Zweiundzwanzig«, behaupte ich.
»Tienes veintidós años.«
»Du schummelst«, sage ich vorwurfsvoll.
»Falls das die dritte Tatsache sein soll, musst du es auf Spanisch sagen.«
»Engañas.«
Ihrer überraschten Miene nach zu urteilen, hat sie nicht damit gerechnet,
dass ich das spanische Wort für schummeln kenne.
»Okay, du bist fertig mit der Übung«, stellt sie fest.
»Genau. Und deswegen bist du jetzt wieder dran.«
»Eres un perro.«
Ich lache. »Du hast mich gerade aus Versehen als Hund bezeichnet.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das war kein Versehen.«
Ein dumpfes Summen ertönt. Sloan zieht ihr Handy aus der Jeanstasche,
wirft einen Blick darauf und wendet sich wieder nach vorn. Ich greife
ebenfalls nach meinem Handy, lehne mich im Stuhl zurück und tue so, als
würde ich mir irgendwas ansehen, während wir warten, bis die anderen mit
der Aufgabe fertig sind. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie Sloan
mit fliegenden Daumen eine Nachricht tippt. Sie ist verdammt süß. Ich
freue mich jetzt schon, sie wiederzusehen. Sie wird es mir extrem viel
leichter machen, meine Zeit am College abzusitzen.
Auf einmal kommen mir die drei Wochenstunden Spanisch gar nicht
mehr schlimm vor.
Der Unterricht geht weiter. Bis zum Gong haben wir noch eine
Viertelstunde, aber ich muss mich schwer zusammenreißen, um Sloan nicht
die ganze Zeit anzustarren. Sie hat nicht mehr mit mir geredet, seit sie mich
als Hund bezeichnet hat. Jetzt schreibt sie etwas auf ihren Block. Allerdings
wirkt es nicht so, als hätten ihre Notizen irgendetwas mit dem Kurs zu tun.
Vielmehr scheint sie mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Ich beuge
mich vor, um etwas von dem zu sehen, was sie da so eifrig schreibt. Ein
bisschen schäme ich mich für meine Neugier, andererseits hat sie vorhin
auch Ryans Nachricht gelesen.
Der Energydrink tut offensichtlich seine Wirkung. Ihr Stift bewegt sich
mit rasender Geschwindigkeit über die Seite. Ich lese mit, muss aber
zugeben, dass ich nicht den geringsten Sinn in den Sätzen erkennen kann.

Züge und Busse haben mir die Schuhe geklaut und jetzt muss ich rohen
Tintenfisch essen.

Komplett absurd. Als ich lache, hebt sie den Kopf und grinst.
Sie schaut auf die vollgekritzelte Seite und klopft mit dem Stift darauf.
»Ich langweile mich schnell«, flüstert sie. »Konzentration ist nicht gerade
meine Stärke.«
Im Gegensatz zu ihr kann ich mich normalerweise sehr gut
konzentrieren, aber nicht, wenn sie neben mir sitzt.
»Ich hab da auch manchmal meine Schwierigkeiten«, sage ich und deute
auf ihre Notizen. »Was ist das? Ein Geheimcode?«
Sie zuckt mit den Achseln, lässt den Stift fallen und schiebt mir den
Block hin. »Bloß so ein kindisches Spiel, das ich manchmal mit mir selbst
spiele. Ich schreibe einfach irgendwas hin, ohne nachzudenken. Je weniger
Sinn die Sätze ergeben, desto mehr gewinne ich.«
»Desto mehr gewinnst du?«, frage ich in der Hoffnung, dass sie noch
eine Erklärung nachliefert. Dieses Mädchen ist mir ein Rätsel. »Aber du
kannst doch sowieso nicht verlieren, wenn es keinen Gegenspieler gibt.«
Ihr Lächeln erstirbt. Sie starrt wieder auf die Seite und fährt mit dem
Zeigefinger die Buchstaben nach. Während ich mich noch frage, ob ich was
Falsches gesagt habe, schüttelt sie den Gedanken ab, der ihr offenbar gerade
die Stimmung verdüstert hat, und hält mir den Stift hin.
»Probier’s aus«, sagt sie. »Es macht extrem süchtig.«
Ich nehme den Stift und suche nach einer freien Stelle auf der Seite. »Ich
soll also einfach irgendwas hinschreiben? Das Erste, woran ich denke?«
»Nein«, sagt sie. »Genau das Gegenteil. Du darfst gar nicht denken.
Versuch, deinen Kopf ganz leer zu machen. Schreib einfach.«
Ich drücke die Spitze des Stifts aufs Papier und tue, was sie gesagt hat.
Ich schreibe drauflos.

Ich habe eine Dose Mais in den Korb mit Schmutzwäsche gekippt, jetzt
weint meine Mutter Regenbögen.

Als ich den Stift hinlege, komme ich mir ziemlich bescheuert vor. Sloan
presst die Hand auf den Mund und unterdrückt ein Lachen, während sie das
Ergebnis liest. Sie blättert zur nächsten Seite und schreibt: Du bist ein
Naturtalent. Danach schiebt sie mir Stift und Block wieder hin.

Danke. Einhornsaft hilft mir beim Atmen, wenn ich Disco höre.

Wieder lacht sie und nimmt mir den Stift in dem Moment aus der Hand, in
dem unser Dozent das Ende der Stunde verkündet. Um uns herum packen
alle zusammen und stehen auf.
Alle außer uns. Wir schauen lächelnd auf den Block und bleiben sitzen.
Irgendwann streckt Sloan langsam die Hand aus, klappt den Block zu
und lässt ihn in ihrer Tasche verschwinden. Sie sieht mich an. »Warte noch,
bis ich gegangen bin«, sagt sie und steht auf.
»Warum?«
»Weil du mich von hinten sehen musst, damit du entscheiden kannst, ob
ich wirklich einen heißen Arsch habe.« Sie zwinkert mir zu und dreht sich
um.
Verdammt. Ich presse die Kiefer aufeinander und tue genau das, was sie
von mir verlangt hat – nämlich auf ihren Po zu schauen. Einen Po, der
absolut perfekt geformt ist. Wie übrigens auch sämtliche anderen Teile ihres
Körpers, soweit ich das sehen kann. Ich sitze reglos da und blicke ihr
hinterher, während sie zur Tür geht.
Wie, zur Hölle, kann es sein, dass ich ausgerechnet hier und jetzt diesem
Traum von einem Mädchen begegne? Und wo, zur Hölle, ist sie mein
ganzes Leben lang gewesen? Ich fluche innerlich, wenn ich mir vorstelle,
dass das, was ich heute mit ihr erlebt habe, höchstwahrscheinlich alles ist,
was jemals zwischen uns passieren wird. Beziehungen, die auf einer Lüge
aufbauen, haben keine gute Erfolgsquote.
Als sie an der Tür ist, dreht sie sich halb zu mir um. Ich lasse meinen
Blick an ihrem Körper hinaufwandern, sehe ihr in die Augen und recke den
Daumen in die Höhe. Sie wirft lachend ihre dunkle Mähne nach hinten und
geht aus dem Raum.
Oh Mann. Ich packe meine Sachen ein und versuche, jeden Gedanken an
sie aus meinem Kopf zu verbannen. Ich muss mich heute Abend auf den
Job konzentrieren. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass ich mich von
einem Mädchen mit einem so wunderschönen, perfekten Arsch ablenken
lassen darf.
Drei
Sloan

Nach den Vorlesungen setze ich mich nachmittags oft in die College-
Bibliothek, weil ich zu Hause nicht genug Ruhe habe, um zu lernen oder
meine Kurse nachzubereiten. Trotzdem bin ich Asa wahnsinnig dankbar
dafür, dass ich bei ihm wohnen kann. Als er mich bei sich aufgenommen
hat, obwohl wir uns erst zwei Monate kannten, bedeutete das für mich
sprichwörtlich die Rettung in letzter Minute. Damals habe ich
vorübergehend bei einer Bekannten auf der Couch geschlafen, hätte aber
am folgenden Tag ausziehen müssen und wäre auf der Straße gelandet. Ich
kannte sonst niemanden, zu dem ich hätte gehen können, und hatte nicht
das Geld für ein eigenes Zimmer. Zu meiner Mutter wollte ich auf keinen
Fall zurück. Als Asas Angebot kam, war ich erst mal unendlich erleichtert.
Das ist jetzt zwei Jahre her.
Dass er Geld hat, war von Anfang an offensichtlich. Er fuhr teure Autos
und wohnte im Gegensatz zu den anderen Studenten nicht im
Studentenheim oder in einer WG, sondern in seinem eigenen Haus. Damals
hatte ich noch keine Ahnung, warum er sich dieses Leben leisten konnte –
ob er reiche Eltern hatte oder womöglich in irgendwelche krummen
Geschäfte verwickelt war. Natürlich hoffte ich auf die reichen Eltern, aber
die Hoffnung und ich sind noch nie ein gutes Team gewesen. Irgendwann
erwähnte er beiläufig, er hätte eine größere Erbschaft gemacht, und das
wollte ich ihm glauben.
Als dann aber immer häufiger komische Typen zu den unmöglichsten
Zeiten bei uns aufkreuzten und mit ihm hinter verschlossener Tür
irgendwelche Deals abwickelten, wurde ich misstrauisch. Zuerst versuchte
er noch, Ausflüchte zu machen. Irgendwann aber gab er dann zu, mit
Drogen zu handeln. Er behauptete allerdings, es ginge bloß um Gras, und
versuchte mir einzureden, es wäre nichts dabei. Wenn er den Leuten den
Stoff nicht verkaufen würde, dann würden sie ihn sich eben woanders
besorgen. Ich wollte trotzdem auf gar keinen Fall etwas damit zu tun haben,
und als er sich weigerte, die Dealerei aufzugeben, zog ich aus.
Dummerweise wusste ich nicht, wohin. Ein paar Wochen schlief ich
reihum bei Bekannten, die aber alle nicht den Platz hatten, mich auf Dauer
bei sich aufzunehmen. Wenn es nur um mich gegangen wäre, hätte ich mich
vermutlich eher entschlossen, in ein Obdachlosenasyl zu ziehen, als zu Asa
zurückzugehen, aber das Problem ist, dass es nicht nur um mich geht.
Sondern um meinen jüngeren Bruder.
Stephen ist von Geburt an körperlich und geistig behindert und war
schon immer auf Hilfe angewiesen. Seit ein paar Jahren ist er in einem
wirklich tollen Heim untergebracht, in dem er sehr gut betreut wird, aber
ausgerechnet in der Woche, in der ich mich von Asa getrennt hatte, wurden
die staatlichen Fördermittel gestrichen. Von da an hätte ich den Heimplatz
aus eigener Tasche finanzieren müssen, was vollkommen utopisch war. Ich
konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass Stephen wieder zu unserer
Mutter zurückgeschickt werden würde. Das Leben, das ihn dort erwartete,
wollte ich ihm auf keinen Fall mehr zumuten. Um ihm das zu ersparen, war
ich bereit, fast alles zu tun.
Tja. Und so stand ich zwei Wochen später wieder bei Asa vor der Tür.
Es hat mich unbeschreibliche Überwindung gekostet, ihn um Hilfe bitten zu
müssen, weil ich damit alle moralischen Werte verriet, an die ich mein
Leben lang geglaubt habe. Asa hat mich wieder bei sich aufgenommen,
aber von da an wusste er, wie sehr ich auf ihn angewiesen war, und
bestimmte die Spielregeln. Seine Leute gehen ganz selbstverständlich bei
uns ein und aus, und er sieht keinen Grund mehr, seine Geschäfte vor mir
zu verheimlichen.
Das ist also mein Leben. Das Haus ist ständig von Fremden bevölkert,
jeden Abend ist Party und jede einzelne dieser Partys ist ein Albtraum für
mich. Ich mag die Leute nicht, mit denen Asa sich umgibt; seine illegalen
Geschäfte machen mir Angst, und ich würde lieber heute als morgen
ausziehen. Letztes Jahr habe ich in der Bibliothek gejobbt und konnte ein
bisschen Geld zurücklegen, aber dieses Semester haben sie keine Stelle
mehr für mich. Ich stehe auf der Warteliste und bemühe mich gleichzeitig
um andere Jobs, um mich so bald wie möglich aus meiner Abhängigkeit
von Asa zu befreien. Wenn ich mich nur selbst über Wasser halten müsste,
würde ich das schaffen, aber im Moment sehe ich überhaupt keine
Möglichkeit, dann auch noch Stephens Pflegeplatz zu bezahlen. So viel
Geld kann ich mit meinen Studentenjobs definitiv nicht verdienen. Und bis
ich meinen Abschluss habe und mir eine richtige Stelle suchen kann, wird
leider noch einige Zeit vergehen.
So lange muss ich wohl oder übel mitspielen und mich Asa gegenüber so
dankbar zeigen, als hätte er mir das Leben gerettet, obwohl ich oft eher das
Gefühl habe, dass er es endgültig zerstören wird.
Damit will ich nicht sagen, dass ich nichts mehr für ihn empfinde. Den
Asa, der er am Anfang unserer Beziehung war und der immer mal wieder
zum Vorschein kommt, wenn wir allein sind, liebe ich immer noch. Ich
liebe den Mann, der er wieder sein könnte, wenn er sein Leben ändern
würde. Aber ich bin nicht naiv. Er hat schon oft versprochen, ganz aus dem
Geschäft auszusteigen, trotzdem weiß ich genau, dass dieser Tag niemals
kommen wird. Geld und Macht sind einfach zu verführerisch, als dass er
darauf verzichten will. Er wird niemals aufhören zu dealen. Nein, Asa wird
so weitermachen, bis er eines Tages im Gefängnis landet oder tot ist. Und
beides will ich nicht miterleben müssen.
Als ich in unsere Straße biege, ist die Einfahrt wie immer mit diversen
fremden Autos zugestellt. Ich parke Asas Wagen auf dem Gehweg, nehme
meinen Rucksack vom Beifahrersitz und gehe zur Tür. Als ich in Erwartung
einer weiteren Partynacht ins Haus trete, empfangen mich zu meiner
Überraschung ausnahmsweise keine stampfenden Technoklänge. Ich atme
erleichtert auf, weil das bedeutet, dass heute draußen am Pool gefeiert wird
und ich endlich mal wieder ungestört im Haus Ordnung machen kann.
Nachdem ich mir im Handy meine aktuelle Playlist rausgesucht und mir
die Stöpsel ins Ohr gesteckt habe, mache ich mich an die Arbeit. Ich weiß,
dass Putzen bei den meisten Leuten nicht zu den beliebtesten
Freizeitbeschäftigungen gehört, aber ich genieße es, weil es die einzige
Möglichkeit ist, ganz für mich allein zu sein.
Abgesehen davon ist es auch wirklich notwendig, weil sich das Haus
sonst innerhalb kürzester Zeit in einen totalen Schweinestall verwandeln
würde, was ich erst recht nicht aushalten könnte.
Mit einem riesigen Müllsack in der Hand gehe ich durch die Räume, um
die überall herumstehenden Bierflaschen einzusammeln und Aschenbecher
auszuleeren. Als ich in die Küche komme und den Geschirrberg sehe, der
sich in der Spüle und auf der Ablage türmt, lächle ich zufrieden. Perfekt.
Damit werde ich mindestens eine Stunde lang beschäftigt sein. Ich belade
die Spülmaschine und stelle sie an, dann fülle ich heißes Wasser ins Becken
und nehme mir den Rest vor. Das Abspülen zu meiner Musik entspannt
mich so sehr, dass ich nach einer Weile anfange, mich in den Hüften zu
wiegen. Es ist lange her, dass ich so gut drauf war. Zuletzt wahrscheinlich,
als ich frisch zu Asa gezogen bin und tatsächlich alles noch gut war. Als Asa
noch gut war.
Kaum denke ich an den Asa, in den ich mich verliebt habe, schlingt er
von hinten die Arme um meine Taille und beginnt, sich im Rhythmus der
Musik mit mir zu bewegen. Ich lächle mit geschlossenen Augen, lege meine
Hände auf seine und lehne mich an seine Brust. Er drückt mir einen Kuss
aufs Ohr, verschränkt seine Finger mit meinen und dreht mich schwungvoll
zu sich herum. Als ich die Augen öffne, lächelt er so liebevoll auf mich
herab, dass mir ganz warm wird. Ich habe diesen Ausdruck in seinem Blick
schon so lange nicht mehr gesehen, dass mir gar nicht klar war, wie sehr ich
mich danach gesehnt habe.
Vielleicht hat er es ja doch ernst gemeint. Vielleicht hat er dieses Leben
genauso satt wie ich.
Asa nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich mit so viel
Leidenschaft, dass ich völlig überwältigt bin. Ich hätte nicht geglaubt, dass
er überhaupt noch so viel empfinden kann. In letzter Zeit küsst er mich
höchstens noch, wenn wir Sex haben. Ich verschränke die Hände in seinem
Nacken und erwidere seinen Kuss voll verzweifelter Hoffnung. Ich küsse
den Asa von früher, weil ich nicht weiß, wie lange es ihn noch geben wird.
Irgendwann lehnt er sich zurück und zieht mir die Stöpsel aus den
Ohren.
»Da hat jemand heute Morgen wohl nicht genug bekommen, was?«
Ich nicke lächelnd. Er hat recht. Von diesem Asa habe ich wirklich nicht
genug bekommen.
Als ich mich auf die Zehenspitzen stelle und ihn noch einmal küssen
will, schiebt er mich ein Stück von sich weg. »Doch nicht vor Publikum,
Sloan!« Er lacht.
Publikum?
Gott, ist das peinlich. Ich schließe vor Verlegenheit die Augen.
»Ich möchte dir jemanden vorstellen«, sagt Asa und schiebt mich von
sich. Vorsichtig öffne ich erst ein Auge, dann das zweite und …
Ich kann nur hoffen, dass mir der Schock, der mich wie ein Blitz
durchfährt, nicht anzusehen ist. Am Türrahmen lehnt, sehr groß, mit vor
dem Oberkörper verschränkten Armen und hartem Blick: Carter.
Mir bleibt die Luft weg. Mein Sitznachbar aus dem Spanischkurs ist der
letzte Mensch, den ich hier bei Asa erwartet hätte. Es war so nett und
unbeschwert, heute im Kurs mit ihm zu flirten. Jetzt stehe ich da wie
erstarrt. Er ist größer, als ich gedacht hätte, und überragt sogar Asa, der
dafür breiter und muskulöser ist. Asa stemmt aber auch jeden Tag ein paar
Stunden lang Gewichte, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich
Steroide spritzt. Carter wirkt dagegen so, als wäre er von Natur aus
sportlich gebaut. Seine Haut ist dunkler als die von Asa, genau wie seine
Haare und seine sehr dunklen Augen, die jetzt schmal werden, als er mich
mustert.
»Hey.« Er kommt lächelnd und mit ausgestreckter Hand auf mich zu,
ohne sich anmerken zu lassen, dass wir uns bereits kennen. Vielleicht kann
er sich ja denken, dass es für mich besser ist, wenn Asa nicht erfährt, dass
wir im gleichen Kurs sind – vielleicht ist es aber auch für ihn besser so. Wir
schütteln uns die Hand.
»Hallo. Ich bin Sloan«, stelle ich mich ihm mit zitternder Stimme zum
zweiten Mal an diesem Tag vor und ziehe meine Hand schnell wieder aus
seiner. Hoffentlich hat er nicht gespürt, wie sehr mein Puls rast. »Woher
kennst du Asa?« Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob ich die Antwort
darauf überhaupt hören will, aber jetzt ist es sowieso zu spät.
Asa legt mir einen Arm um die Taille und zieht mich an sich – weg von
Carter. »Er ist neu im Team, und eigentlich sind wir in die Küche
gekommen, weil wir in Ruhe was Geschäftliches besprechen müssen. Na
los, geh woanders aufräumen, Schatz.« Er gibt mir einen Klaps auf den Po,
als wäre ich ein Hund, der im Weg ist. Ich werfe ihm einen finsteren Blick
zu, der aber nicht annähernd so finster ist wie der in Carters Augen.
Normalerweise verkneife ich es mir, Asa die Meinung zu sagen, ganz
besonders vor anderen, aber diesmal kann ich nicht anders. Es kotzt mich
an, dass er schon wieder einen neuen Partner anschleppt, weil das endgültig
der Beweis dafür ist, dass er nicht daran denkt, sich aus dem
Drogengeschäft zurückzuziehen. Noch schlimmer finde ich, dass dieser
Jemand ausgerechnet Carter sein muss. Ich bin aber auch wütend auf mich
selbst, weil ich ihn heute im Kurs ganz anders eingeschätzt hatte.
Anscheinend ist meine Menschenkenntnis doch nicht so gut, wie ich mir
immer einbilde. Dass er mit Asa zusammenarbeitet, zeigt mir, dass ich
keine Ahnung habe. Typisch, dass ich immer wieder auf den gleichen Typ
Mann reinfalle, aber eigentlich sollte mich das nicht wundern. Ganz egal,
wie sehr ich mich abstrample, um aus dem Sumpf zu kriechen, in dem ich
schon meine Kindheit verbracht habe, ich werde doch immer wieder
hineingezogen. Das ganz normale Leben, nach dem ich mich so sehr sehne,
wird für mich immer ein Traum bleiben. Es ist, als wäre ich verflucht.
»Hattest du mir nicht versprochen, dass du aufhörst?«, sage ich scharf.
»Sieht ja nicht danach aus, wenn du jetzt schon wieder einen neuen Partner
hast.«
Natürlich ist es heuchlerisch, ihm vorzuwerfen, dass er dealt. Schließlich
schickt er jeden Monat einen Teil des Drogengelds, das ich angeblich so
sehr verachte, an Stephens Pflegeheim. Vielleicht kann ich das leichter
wegstecken, weil ich nicht direkt davon profitiere und ansonsten kaum Geld
von ihm annehme. Aber ich würde das allerdreckigste Geld akzeptieren, das
es gibt, wenn ich damit die Versorgung meines kleinen Bruders
sicherstellen könnte. Gott, wie ich mein Leben hasse.
Asa verengt die Augen, legt seine Hände um meine Oberarme und lässt
sie sanft auf- und abgleiten, drückt dann aber plötzlich so unerwartet fest
zu, dass ich vor Schmerz aufkeuche. Er beugt sich vor und bringt seinen
Mund dicht an mein Ohr. »Mach das nicht noch mal«, zischt er so leise,
dass nur ich es hören kann. Anschließend streicht er mit beiden Händen bis
zu meinen Ellbogen hinunter, als wäre nichts gewesen, und gibt mir einen
gespielt liebevollen Kuss auf die Wange. »Und jetzt geh brav nach oben
und zieh dein sexy rotes Kleid an, Baby. Wir haben was zu feiern.«
Er lässt mich los und tritt einen Schritt zurück. Aus dem Augenwinkel
riskiere ich einen Blick zu Carter, der Asa ansieht, als würde er ihn am
liebsten erwürgen. Dann schaut er mich an, und ich bilde mir ein, dass seine
Miene für einen Sekundenbruchteil sanfter wird. Aber ich bleibe nicht lang
genug stehen, um sicherzugehen, sondern schiebe mich an ihm vorbei nach
draußen, stürme ins Schlafzimmer hoch, werfe die Tür zu und lasse mich
aufs Bett fallen.
Meine Oberarme brennen. Ich versuche den Schmerz zu lindern, indem
ich mit beiden Händen daran auf- und abreibe. Asa hat mir bis jetzt noch
nie körperlich wehgetan – noch dazu vor anderen –, aber viel schlimmer
schmerzt, dass er meinen Stolz verletzt hat. Schon klar, ich hätte ihn nicht
vor einem seiner Kumpels an sein Versprechen erinnern dürfen. Ich hätte
mir denken können, dass das bei ihm nicht gut ankommt. Trotzdem hätte er
mir nicht wehtun dürfen. Keine Frau, die auch nur einen Funken
Selbstachtung hat, darf sich von ihrem Freund so behandeln lassen. Am
liebsten würde ich ein paar Klamotten packen, zur Tür rausstürmen und nie
mehr wiederkommen.
Ich will weg von hier.
Ich will weg.
Nur weg.
Aber ich kann nicht. Weil es hier nicht nur um mich geht.
Vier
Carter

»Weiber«, sagt Asa achselzuckend und wendet sich mir zu. »Sorry, Mann.«
Ich massiere meine Hände, die ich unwillkürlich zu Fäusten geballt
hatte, und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich ihn
verabscheue. Obwohl ich ihn erst seit drei Stunden kenne, weiß ich jetzt
schon, dass ich noch nie in meinem Leben einen Menschen getroffen habe,
den ich vom allerersten Moment an so abstoßend fand.
»Kein Problem«, murmle ich, gehe zum Essbereich und setze mich,
obwohl ich viel lieber nachsehen würde, ob bei Sloan alles okay ist. Ich
habe immer noch Mühe zu verarbeiten, dass ausgerechnet meine süße
Sitznachbarin aus dem Spanischkurs Asas Freundin ist. Wenn es einen
Menschen gibt, den ich hier ganz sicher nicht erwartet hätte, dann sie. In
dem Moment, in dem ich mitansehen musste, wie er sie geküsst hat – und
vor allem, wie sie seinen Kuss erwiderte –, habe ich offiziell bereut, diesen
Job jemals angenommen zu haben. Dass sie mit ihm zusammen ist, macht
für mich alles viel komplizierter.
»Wohnt deine Freundin auch hier?«, frage ich.
Asa reicht mir ein Bier aus dem Kühlschrank und ich trinke einen
Schluck. »Jep.« Er nickt. »Und wenn du sie nur eine Sekunde zu lang
anschaust, schneide ich dir eigenhändig den Schwanz ab, verstanden?«
Ich sehe ihn an, aber sein Gesicht bleibt völlig reglos. Es ist
offensichtlich, dass das kein Scherz sein sollte. Er kickt die Kühlschranktür
zu, kommt lässig zum Tisch geschlendert und lässt sich mir gegenüber auf
einen Stuhl fallen. Es macht mich fassungslos, wie ruhig er ist, nachdem er
seine Freundin eben so brutal angefasst hat. Als wäre sie ihm scheißegal.
Alles in mir drängt mich, ihm die verdammte Bierflasche über den Schädel
zu ziehen, stattdessen verfestige ich meinen Griff um das kalte Glas und
atme tief durch.
Er öffnet sein Bier und hält es mir hin. »Auf gute Zusammenarbeit«, sagt
er und stößt mit mir an.
»Auf gute Zusammenarbeit«, sage ich. Und darauf, dass Arschlöcher
wie du früher oder später bekommen, was sie verdienen.
»Hey.« Ich bin erleichtert, als Ryan in die Küche kommt. Perfektes
Timing. Er nickt mir zu und wendet sich an Asa. »Jon will wissen, wie es
mit dem Alkohol aussieht. Sollte jeder selbst was mitbringen oder
versorgen wir die Truppe? Wir haben nämlich nichts mehr da.«
»Was? Ich hab dem Wichser doch gestern extra noch gesagt, dass er den
Vorrat auffüllen soll.« Asa knallt seine Bierflasche auf den Tisch, schiebt
den Stuhl zurück, steht auf und geht aus dem Raum. »Um jeden Scheiß
muss man sich selbst kümmern.«
Ryan sieht mich an, nickt in Richtung Haustür und ich folge ihm nach
draußen. In der Einfahrt bleibt er stehen, greift nach meiner Bierflasche und
nimmt einen großen Schluck, aber das ist nur Show, falls uns jemand
beobachtet. Ryan hasst Bier.
»Wie lief es?«, fragt er. »Bist du mit im Boot?«
Ich zucke mit den Achseln. »Sieht ganz so aus. Er scheint dringend
einen Spanischdolmetscher zu brauchen. Ich hab ihn gewarnt, dass ich kein
Muttersprachler bin, aber das ist ihm wohl nicht so wichtig.«
Ryan sieht mich überrascht an. »Wie? Das war alles? Sonst wollte er
nichts von dir wissen? Kein Hintergrundcheck?« Er schüttelt ungläubig den
Kopf. »Warum halten sich diese Jungs eigentlich immer für unverwundbar,
sobald sie ein bisschen im Geschäft sind? Der Typ ist ein noch größerer
Idiot, als ich dachte.«
»Stimmt«, sage ich, weil ich diese Aussage sofort unterschreiben kann.
»Ich hab dich gewarnt, Luke. Du wirst dich in den nächsten Wochen mit
ein paar richtigen Arschlöchern herumschlagen müssen, das kann echt an
die Substanz gehen. Bleibst du trotzdem dabei?«
Nachdem ich weiß, wie viel Zeit, Kraft und Nerven er und die anderen
Kollegen schon investiert haben, um Asa festzunageln, würde ich sie
niemals im Stich lassen. »Du hast mich eben Luke genannt.«
»Scheiße.« Ryan rammt seine Stiefelspitze ins Gras und schüttelt den
Kopf. »Das darf mir auf gar keinen Fall vor ihm passieren. Denkst du an
unser Meeting morgen? Young will einen kompletten Bericht über alles,
was du mit Asa besprochen hast.«
»Es gibt zwar Leute, die morgen früh ins College müssen«, sage ich, um
ihm noch mal unter die Nase zu reiben, was er im Gegensatz zu mir für ein
Glück hat, »aber bis zwölf werde ich es wohl schaffen.«
Ryan nickt und dreht sich wieder zum Haus. »Hast du deinen heißen
Arsch aus dem Spanischkurs auf die Party eingeladen?«
»Nein. Die Leute hier sind nicht ihr Stil.« Ganz zu schweigen davon,
dass sie keine Einladung braucht, weil sie sowieso schon bis zum Hals in
der Scheiße steckt.
Ryan nickt. Er kennt mich und weiß genau, dass ich ein Mädchen, das
ich wirklich mag, niemals auf eine Party ins Drogenmilieu einladen würde.
Er selbst tickt da ganz anders. Ryan identifiziert sich immer zu einhundert
Prozent mit seiner Undercover-Rolle. Er hat unter seiner Tarnidentität schon
richtig feste Beziehungen geführt und einer seiner »Freundinnen« sogar
einen Heiratsantrag gemacht, um nicht aufzufliegen. Er hat auch kein
Problem damit, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, sobald der Job
beendet ist. Mir ist dagegen immer bewusst, dass jeder Mensch, den ich als
»Carter« kennenlerne, in erster Linie genau das ist: ein Mensch. Ich will
niemandem etwas vorspielen, wenn es nicht unbedingt sein muss, und achte
deswegen darauf, keine allzu tiefen Bindungen einzugehen.
Nachdem Ryan wieder reingegangen ist, bleibe ich noch einen Moment
im Vorgarten stehen und betrachte nachdenklich das Haus, in dem ich mich
in den nächsten Monaten notgedrungen sehr oft aufhalten werde. Als ich
vor ein paar Jahren bei der Drogenfahndung angefangen habe, hatte ich
eigentlich nicht vor, als verdeckter Ermittler zu arbeiten, das hat sich eher
zufällig ergeben. Bis jetzt dachte ich immer, der Job würde mir liegen.
Leider habe ich in diesem Fall ein richtig mieses Gefühl … dabei bin ich
gerade erst eingestiegen.
Immer mehr Leute kommen. Die nächsten zwei Stunden nimmt Asa
mich in Beschlag und führt mich von einem Grüppchen zum nächsten, um
mich seinen Leuten vorzustellen. Anfangs versuche ich noch, mir die
Namen der Jungs zu merken und zu erschließen, in welchem Verhältnis sie
zu Asa stehen, aber als ich das fünfte Bier in die Hand gedrückt bekomme,
gebe ich auf. Ich habe schon jetzt mehr Hände geschüttelt, als ich zählen
kann, und werde in den nächsten Wochen sicher genug Zeit haben, die
Truppe näher kennenzulernen. Im Moment geht es erst einmal darum, mich
zu integrieren, ohne jemanden misstrauisch zu machen.
Irgendwann schaffe ich es, mich von Asa loszueisen und mich auf die
Suche nach einer Toilette zu machen, um kurz durchzuatmen. Aber als ich
die Tür des Badezimmers im Erdgeschoss öffne, drücke ich sie gleich
wieder zu. Drinnen ist ein Typ, der mir als Jon vorgestellt wurde, gerade mit
zwei verdächtig jung aussehenden Mädchen zugange. Oben gibt es ja
hoffentlich noch ein Bad, das gerade nicht als Darkroom zweckentfremdet
wird.
Als ich es gefunden habe, schließe ich hinter mir ab, pinkle und kippe
mein Bier hinterher, um die Flasche mit Leitungswasser aufzufüllen. Ich
habe schon mehr getrunken, als mir guttut. Die nächsten Wochen muss ich
besser aufpassen und nüchtern bleiben.
Die Hände aufs Waschbecken gestützt, betrachte ich mich im Spiegel
und schüttle den Kopf. Hoffentlich stehe ich diesen Job durch. Es geht mir
nicht darum, dass ich enttarnt werden könnte, davor habe ich keine Angst.
Ich stamme nicht aus der Gegend, mich kennt hier niemand. Mir macht
Sorgen, dass ich womöglich nicht kaltblütig genug bin. Ich kann meine
Undercover-Persönlichkeit nicht einfach so an- und ausknipsen wie Ryan.
Was ich hier sehe, ist das, was ich nachts sehen werde, sobald ich die
Augen schließe. Und wenn ich an die Szene denke, die ich vorhin zwischen
Asa und Sloan beobachtet habe, weiß ich jetzt schon, dass ich in nächster
Zeit nicht gut schlafen werde. Ich nehme mir ein Gästehandtuch vom Regal,
halte es unters kalte Wasser und drücke es mir aufs Gesicht. Als ich es beim
Rausgehen in den Korb mit Schmutzwäsche neben der Tür werfe, frage ich
mich, ob Sloan die Sachen waschen muss. Ich fürchte es fast.
Als Asa und ich vorhin in die Küche kamen, wo sie mit Abspülen
beschäftigt war, ist er einen Moment in der Tür stehen geblieben, um sie zu
betrachten. Zum Glück stand ich hinter ihm, sodass er nicht mitbekam, wie
geschockt ich war, das Mädchen aus meinem Spanischkurs
wiederzuerkennen … Sie sah so unglaublich schön aus, wie sie sich
verträumt zum Takt der Musik, die nur sie selbst hören konnte, in den
Hüften gewiegt hat. Ich musste sofort an »Jessie’s Girl« von Bruce
Springsteen denken, als ich Asa dabei beobachtete, wie er sie beobachtete.
Wie gern wäre ich in dem Moment derjenige gewesen, der sie so ansehen
durfte.
So, als würde sie mir gehören.
Ich atme tief durch und straffe die Schultern. Okay, höchste Zeit, wieder
runterzugehen.
Als ich mit der Bierflasche voll Wasser in der Hand in den Flur trete,
steht Sloan im Zimmer gegenüber vor dem Spiegel und schminkt sich. Sie
fährt herum, als sie hört, wie ich die Tür hinter mir zuziehe. Mir stockt kurz
der Atem. Unter dem hauchzarten Stoff ihres roten Kleids zeichnet sich ihr
Körper ab und das enge Oberteil mit den dünnen Trägern bringt ihre Brüste
perfekt zur Geltung. Es ist offensichtlich, dass sie nichts darunter trägt.
Verdammt. Es widert mich an, dass ich es Asa zu verdanken habe, sie in
diesem Kleid sehen zu können.
Tief durchatmen, Luke. Tief durchatmen.
Als ich es schaffe, meinen Blick von ihrem Ausschnitt zu lösen, sehe ich
etwas, das in krassem Gegensatz zu ihrem sexy und selbstbewussten Outfit
steht. Ihre Augen sehen aus, als hätte sie geweint.
»Hey. Alles okay?«, frage ich und gehe ein paar Schritte auf sie zu. Sie
wirft einen nervösen Blick in Richtung Treppe, nickt und will an mir vorbei
nach unten. Ich halte sie am Arm fest. »Sloan. Warte.«
Sie sieht mich an. Das Mädchen, dem ich gegenüberstehe, ist nicht
dasselbe wie das, das ich heute im College kennengelernt habe. Dieses
Mädchen ist verletzlich. Verängstigt. Gebrochen.
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sieht zu Boden. »Warum bist
du hier, Carter?«
Wie soll ich diese Frage nur beantworten? Ich will sie nicht belügen,
aber natürlich kann ich ihr auch auf keinen Fall die Wahrheit sagen. Bei
meinen Vorgesetzten würde es wahrscheinlich eher nicht so gut ankommen,
wenn ich der Freundin des Mannes, den ich observieren soll, verraten
würde, aus welchem Grund ich da bin.
»Ich wurde eingeladen«, sage ich.
Sie hebt den Kopf. »Du weißt genau, was ich meine. Warum lässt du
dich auf die Scheiße hier ein?«
»Du bist mit demjenigen zusammen, wegen dem ich mich darauf
einlasse«, sage ich und bin ganz zufrieden mit meiner Antwort, weil sie
wenigstens keine Lüge ist. »Du solltest wissen, dass es nur ein Job ist.«
Sie verdreht die Augen, als hätte sie genau diesen Satz schon viel zu oft
gehört. Wahrscheinlich von Asa. Aber der Unterschied ist, dass ich die
Wahrheit sage. Sie weiß bloß nicht, inwiefern es tatsächlich nur mein Job
ist.
»Kann es sein, dass wir vorhin im Spanischkurs vergessen haben, uns
ein paar wichtige Tatsachen übereinander zu sagen?«, versuche ich einen
kleinen Witz.
Sie lacht gequält auf. »Ja, drei waren definitiv zu wenig. Ich glaube, mit
fünf wären wir halbwegs hingekommen.«
»Stimmt«, sage ich. »Dann hätte ich vielleicht erfahren, dass du einen
Freund hast.«
Sie sieht mich unter gesenkten Lidern an. »Tut mir leid«, sagt sie leise.
»Was denn genau?«
Sie lässt die Schultern hängen. »Dass ich mit dir geflirtet habe. Dass ich
diese ganzen Sachen gesagt habe. Ich schwöre, normalerweise …«
»Sloan.« Ich lege den Zeigefinger unter ihr Kinn, hebe ihr Gesicht an
und bringe sie dazu, mir in die Augen zu sehen, dabei weiß ich genau, dass
ich die Hand schleunigst wegnehmen und mich von ihr fernhalten sollte.
»Mach dir deswegen bitte keine Gedanken, okay? Das war doch
vollkommen harmlos.«
Das Wort hängt wie eine dunkle, bedrohliche Wolke zwischen uns. Wir
wissen beide ganz genau, dass es alles andere als harmlos ist. Dass wir im
Kurs ein albernes Spiel gespielt und ein bisschen geflirtet haben, dass ich
jetzt hier mit ihr im Flur stehe … Genau solche vermeintlich harmlosen
Momente könnten uns in eine verdammt gefährliche Situation bringen. Mir
klingt Asas Warnung von vorhin noch deutlich in den Ohren. Dieses
Mädchen ist tabu. Alles an ihr. Das hat er mir sehr klar zu verstehen
gegeben, und genauso klar sollte mir sein, dass ich meine eigentliche
Zielperson nicht wegen irgendeines Mädchens aus den Augen verlieren
darf. Aber wenn ich das alles weiß – warum verhalte ich mich dann,
verflucht noch mal, nicht auch entsprechend?
Ich lasse die Hand hastig sinken, als ein Räuspern ertönt. Sloan wird
bleich.
»Hey, Leute. Was macht ihr denn da oben? Ihr verpasst die ganze Party.«
Ryan steht unten an der Treppe und funkelt zu mir herauf, als würde er
mir am liebsten eine reinschlagen. Dazu hätte er auch jedes Recht, wenn
man bedenkt, was für ein Risiko ich gerade eingegangen bin.
»Ich hab nur ein freies Bad gesucht«, rufe ich, hole tief Luft und wende
mich wieder Sloan zu. »Wir sprechen in Spanisch noch mal darüber«,
flüstere ich. Sie nickt, und ich sehe ihr an, wie erleichtert sie ist, dass es
nicht Asa war, der uns hier ertappt hat. Da ist sie nicht die Einzige.
Statt mit mir nach unten zu kommen, geht sie wieder in das Zimmer und
macht die Tür hinter sich zu. Jetzt verstehe ich, warum sie heute Morgen so
müde war. Wenn das hier immer so zugeht, kann ich mir nicht vorstellen,
dass sie besonders viel Schlaf bekommt.
Ich starre noch einen Moment auf die geschlossene Tür und drehe mich
dann um. Ryan steht jetzt dicht vor mir, das Gesicht versteinert. Er schiebt
mich gegen die Wand und drückt mir den Unterarm gegen die Kehle.
»Versau uns die Sache bloß nicht, okay?«, zischt er. »Reiß dich
zusammen.«
Fünf
Asa

Ich lehne mich ins Kissen zurück und verschränke die Hände im Nacken.
»Zieh den Slip aus.«
Sie beugt sich nach vorn und streift das winzige Stück Stoff mit
aufreizender Langsamkeit über ihre Schenkel, während sie mir ihre Brüste
entgegenreckt, die aus einem knappen schwarzen BH quellen.
»Komm her.«
Sie kniet sich aufs Bett und kriecht dann wie eine Raubkatze auf allen
vieren auf mich zu. Die Spitzen ihrer langen blonden Haare streichen über
meine nackten Beine. Im nächsten Moment sitzt sie rittlings auf mir. Die
Kleine weiß ganz genau, was sie tut. Das finde ich einerseits gut,
andererseits törnt es mich ab. Ich stehe auf Frauen, die wissen, was Männer
im Bett wollen, muss aber gleichzeitig immer daran denken, wie viel sie
schon rumgevögelt haben, um so viel Erfahrung zu sammeln. Ich strecke
den Arm aus, taste auf dem Nachttisch nach einem Kondom und will es
überstreifen.
Als ich draußen Schritte höre, verziehe ich das Gesicht. Fuck. Der
Türknauf dreht sich, aber ich habe zum Glück abgeschlossen.
»Asa?«, höre ich Sloans verwunderte Stimme. »Was ist los? Mach auf.«
»Scheiße.« Ich schiebe die Kleine von mir runter, springe auf, bücke
mich nach meiner Jeans und ziehe sie hastig an. Das Mädchen kniet immer
noch auf dem Bett und schaut zwischen der Tür und mir hin und her. Ich
hebe ihre Klamotten vom Boden auf, werfe sie in den begehbaren
Wandschrank und gebe ihr wortlos ein Zeichen, sich darin zu verstecken.
Sie rutscht zwar vom Bett und steht auf, schüttelt aber trotzig den Kopf.
Falls sie glaubt, dass sie aus dem Zimmer gehen kann, solange Sloan da
draußen steht, hat sie sich geschnitten. Ich packe sie an den Schultern und
dränge sie in den Wandschrank.
»Bloß ein paar Minuten«, flüstere ich.
Sie will widersprechen, aber ich presse meinen Mund auf ihren, ersticke
ihren Protest und schiebe sie tiefer in den Schrank.
Sloans Klopfen wird ungeduldiger. »Asa? Mach auf!«
»Zwei Minuten, okay?«, flüstere ich. »Ich sorge dafür, dass sie wieder
verschwindet.«
Ich küsse sie noch einmal, dann schlage ich die Schranktür zu, atme tief
durch und lasse Sloan rein.
»Es ist vier Uhr nachmittags. Hast du etwa geschlafen?«, fragt sie, als
sie sich an mir vorbeischiebt.
Sie will zum Schrank, aber ich halte sie zurück und ziehe sie zum Bett.
»Ich war heute im College und bin total erledigt«, lüge ich, um sie milde zu
stimmen.
Es funktioniert.
Sie entspannt sich und schmiegt sich an meine Brust. »Ach komm, echt?
Du warst im College?«
»Mhm-mhm.« Ich streiche ihr eine dunkle Strähne hinters Ohr, als ich
aus dem Augenwinkel das Kondom auf dem Laken liegen sehe. Fuck. Ich
schiebe Sloan rückwärts zum Bett, greife um sie herum und werfe die
Decke darüber. »Lass uns ein bisschen relaxen, Baby.« Ich küsse sie, bis sie
sich kichernd nach hinten fallen lässt, und lege mich mit aufgestützten
Unterarmen auf sie, als ich die blauen Flecken auf ihren Oberarmen
entdecke. Vielleicht sollte ich mich bei ihr entschuldigen.
»Ja, stell dir vor. Ich war im College«, sage ich und umkreise mit dem
Zeigefinger sanft einen der Blutergüsse. »Ich nehme das, was du gesagt
hast, immer sehr ernst, Sloan. Alles. Und ich stehe zu dem, was ich dir
versprochen habe. Ich will, dass du glücklich bist.« Jetzt hauche ich zarte
Küsse auf ihren Oberarm. »Ich liebe dich, Baby«, sage ich leise. »Und du
musst mir bitte glauben, dass ich dir nicht wehtun wollte. Manchmal
vergesse ich, wie empfindlich deine Haut ist.«
Sie presst die Lippen zusammen, und ich sehe, wie sie schluckt, aber ihr
Blick bleibt wachsam. Okay. Anscheinend hat das, was ich gesagt habe,
noch nicht ganz gereicht, und ich muss noch ein bisschen mehr auf die
Tränendrüse drücken. »Gott, Sloan. Ich weiß, dass ich dich nicht verdient
habe. Aber ich schwöre, ich werde mich bessern. Ich sorge dafür, dass alles
gut wird – für uns beide. Okay?« Ich nehme ihr Gesicht in die Hände und
gebe ihr einen tiefen Kuss. Mädchen stehen total darauf, wenn man beim
Küssen ihr Gesicht festhält. Man muss ihnen das Gefühl geben, als wäre
dieser Kuss das Einzige, woran man in dem Moment denkt.
Was natürlich kompletter Bullshit ist. Wenn es nach uns Männern ginge,
würden unsere Hände an einem Frauenkörper nie weiter nach oben wandern
als bis zu den Titten.
»Ich liebe dich«, sage ich noch mal und lasse meine Hand zu ihrer Taille
gleiten. Mein Schwanz wird hart und pocht ungeduldig gegen die Jeans.
Ich bin in meinem Leben schon mit vielen Frauen im Bett gewesen,
aber – ganz ehrlich – keine hat mich so scharf gemacht wie Sloan. Ich kann
nicht mal so genau sagen, was ich an ihr so unwiderstehlich finde. Ihre
Brüste sind eher klein und auch sonst ist sie nicht gerade wie ein Pornostar
gebaut.
Ich glaube, es ist ihre Unschuld. Es macht mich an zu wissen, dass ich
der Erste bin, mit dem sie jemals Sex hatte, und für den Rest ihres Lebens
der Einzige bleiben werde.
Ich schiebe meine Hand unter ihr Shirt und ziehe ihren BH-Träger ein
Stück nach unten. »Ich weiß, dass ich dir wehgetan habe, und möchte das
gerne wiedergutmachen«, raune ich, schließe die Lippen um die
Brustwarze, die sich jetzt deutlich unter dem dünnen T-Shirt-Stoff
abzeichnet, und nehme sie zwischen die Zähne. Sloan keucht auf und biegt
sich mir entgegen, während sie gleichzeitig versucht, mich von sich
wegzuschieben.
»Asa. Ich komme gerade aus dem Fitnessstudio. Ich bin total
verschwitzt. Lass mich erst mal duschen.«
Ich gebe ihren Nippel frei, schiebe meine Hand zwischen ihre Schenkel
und reibe mit leichtem Druck über die Naht ihrer Jeans. »Glaub mir, du
riechst genau richtig so«, sage ich und lecke über die salzig schmeckende
Haut an ihrem Hals. Sie verkrampft sich unter mir, weshalb ich den Druck
meiner Hand in ihrem Schritt noch ein bisschen verstärke. »Mach dich
locker, Baby«, flüstere ich. Noch kämpft sie dagegen an, aber ich spüre, wie
sie unter meiner Hand langsam dahinschmilzt. Ich lasse mich von den
wellenförmigen Bewegungen ihres Beckens leiten und reibe immer stärker
und fester über den Jeansstoff, bis sie kurz davor ist, unter meinen Fingern
zu zerfließen.
Irgendwann hält sie es nicht mehr aus, legt die Arme über den Kopf und
gibt sich mir ganz hin. Ich knöpfe ihre Jeans auf und ziehe sie gerade so
weit herunter, dass ich freien Zugang habe. Dann schiebe ich meine Hand in
ihren Slip und lasse zwei Finger tief in sie hineingleiten. Sie schnappt nach
Luft und verkrallt sich im Laken. Ganz langsam bewege ich meine Finger
hin und her und reize sie gleichzeitig mit dem Daumen. Ich verschlinge sie
mit Blicken, während ich mein Tempo immer weiter steigere. Als ich spüre,
wie sie am ganzen Körper zu zittern beginnt, bedecke ich ihren Mund mit
meinem und ersticke ihren Schrei mit einem Kuss. Gott, ich liebe es, wenn
Sloan mir beim Kommen in den Mund schreit und sich ihr heißer Atem mit
meinem vermischt. Ich reibe immer weiter, bis sie sich unter mir versteift
und von meiner Hand wegbewegt. Erst dann löse ich mich von ihr und
ziehe ihr den Slip und die Jeans mit einem Ruck wieder hoch.
»Jetzt kannst du duschen.« Ich will ihr einen schnellen Kuss auf die
Lippen drücken, aber sie nimmt mein Gesicht in beide Hände, dreht mich
auf den Rücken und setzt sich auf mich.
»Und du? Was ist mit dir?«, fragt sie und will die Knöpfe an meiner
Jeans öffnen.
Ich halte ihr Handgelenk fest. »Nichts da. Das war ich dir schuldig«,
sage ich. »Und jetzt geh duschen. Heute Abend machen wir beide was
Schönes. Nur wir zwei.«
Sie lächelt überrascht. »Du meinst … etwa so eine Art Date?«
»Nicht nur so eine Art. Wir gehen aus, Baby.«
»Cool! Ich freu mich.« Sie rutscht strahlend von mir herunter und geht
zur Tür.
Ich springe vom Bett auf. »Ich schließe hinter dir ab.«
Sie dreht sich um. »Wozu?«
»Deswegen.« Ich umfasse die Beule in meinem Schritt. »Was du
angefangen hast, muss beendet werden.«
Sie rümpft die Nase, lacht aber. »Na, dann viel Spaß.«
Ich verriegle schnell die Tür und drehe mich genau in dem Moment um,
in dem die Kleine, deren Namen ich immer wieder vergesse, aus dem
Wandschrank geschossen kommt.
»Du … du …« Sie deutet mit dem Finger auf mich. »Du krankes
Arschloch!«
Ich packe die Hand, mit der sie auf mich zeigt, und beuge mich dicht zu
ihrem Ohr hinunter. »Hey, hey«, sage ich leise, streiche mit dem
Zeigefinger über ihre Wange und küsse sie auf den Mund. »Reg dich ab.
Das Beste hab ich doch für dich aufgehoben.«
Ich führe sie zum Bett, setze sie hin und lege ihr einen Finger an die
Lippen. »Schsch.«
Nachdem ich mir die Jeans aufgeknöpft habe, hocke ich mich zwischen
ihre gespreizten Schenkel und nehme mir ein frisches Kondom. Ich ziehe es
über, schiebe die Hände unter ihren Hintern, packe sie und lausche einen
Moment regungslos, bis ich höre, wie im Bad die Dusche angeht. Sobald
das Wasser rauscht, fasse ich fester zu und beginne dann in sie
hineinzustoßen.
Es dauert nicht lang und ich bin kurz davor zu kommen. Allein der
Gedanke daran, dass ich vor ein paar Minuten genau auf diesem Bett Sloan
zum Schreien gebracht habe, würde dafür reichen.
Mit geschlossenen Augen stoße ich ein letztes Mal zu und bleibe ein
paar Sekunden bewegungslos. Anschließend stemme ich mich auf die
Ellbogen, nehme einen ihrer Nippel zwischen die Zähne und ziehe und
sauge daran, bis ich ganz fertig bin. Ich lasse mich keuchend auf sie fallen
und wälze mich dann zur Seite. Die Kleine schmiegt sich wimmernd an
mich und scheint noch mehr zu wollen. Die Vorstellung, im Abstand von
wenigen Minuten zwei Mädchen hintereinander mit den Fingern zum
Höhepunkt zu bringen, lässt mich sofort wieder hart werden. Das wäre
selbst für mich eine Premiere. Ich stehe kurz auf, werfe das Kondom in den
Papierkorb und hocke mich neben sie aufs Bett.
»Hast du immer noch nicht genug?«, frage ich. Als sie bereitwillig die
Beine breit macht, schiebe ich Mittel- und Zeigefinger tief in sie hinein.
»Gefällt es dir, wenn ich es dir mit den Fingern mache?«
Ihr Keuchen wird heftiger, und sie stöhnt meinen Namen so laut, dass
ich ihr mit der linken Hand den Mund zuhalten muss. In dem Moment, in
dem sie es sicher am wenigsten erwartet, höre ich abrupt auf.
Sie wimmert, und ich sehe ihr an, wie sehr sie sich wünscht, von mir
erlöst zu werden. Ich dränge mich zwischen ihre Beine. Die Aussicht, mich
bald wieder in sich zu spüren, macht sie anscheinend noch heißer. Sie
drückt den Rücken durch, und es dauert nicht lange, bis sie sich in totaler
Ekstase unter mir windet. Ich löse mich von ihrem Mund und reibe mich an
ihr, während ich zusehe, wie sich ihre Geilheit immer weiter steigert. Als
sie schließlich kurz vor dem Höhepunkt steht und ich ahne, dass sie gleich
losbrüllen wird, mache ich mit ihr dasselbe wie eben mit Sloan. Ich lege
meine Lippen auf ihre, und sie brüllt sich ihr kleines Herz aus dem Leib,
der gleichzeitig unter mir zuckt und zittert. »Oh ja, Baby.« Als ich fertig
bin, rolle ich von ihr herunter.
»Zieh dich an«, sage ich. »Ich hab heute Abend ein Date und vorher
muss ich noch was erledigen.«
Sechs
Sloan

Vor dem Spanischkurs lege ich noch einen kurzen Zwischenstopp im


Waschraum ein, um einen Blick in den Spiegel zu werfen. Eigentlich ist mir
mein Aussehen ziemlich egal und ich komme meistens so in die
Vorlesungen, wie ich kurz davor aus dem Bett gestiegen bin, aber gleich
wird Carter eine ganze Stunde neben mir sitzen und das stresst mich ein
bisschen.
Die im gnadenlos grellen Licht hervortretenden dunklen Schatten unter
meinen Augen zeigen überdeutlich, dass ich wieder mal zu wenig Schlaf
bekommen habe. Im Spiegel sehe ich ein Mädchen, das sich viel zu lange
wach im Bett gewälzt und ihren Freund verflucht hat, der ihr erst ein Date
versprochen und sie dann massiv versetzt hat.
Als ich gestern unter der Dusche stand, um mich für unseren ersten
gemeinsamen Abend seit fünf Monaten fertig zu machen, ist Asa mit Jon
weggefahren und über Stunden verschwunden geblieben. Obwohl die
beiden nicht da waren, füllte sich das Haus im Laufe des Abends mit den
üblichen Feierwütigen, die auch ohne ihn gnadenlos Party gemacht haben.
Ich lag im Bett und habe mich geärgert und mir Sorgen gemacht, bis ich
irgendwann die Augen nicht mehr offen halten konnte. Als Asa schließlich
irgendwann im Morgengrauen unter die Decke gekrochen kam und
natürlich wie immer Sex wollte, hatte sich so viel Wut und Enttäuschung in
mir aufgestaut, dass mir die Tränen kamen.
Er hat davon nichts mitgekriegt. Vielleicht war es ihm auch einfach egal.
Während er sich auf mir bewegt hat, als würde es ihn überhaupt nicht
interessieren, wer da unter ihm liegt, liefen mir die Tränen übers Gesicht.
Als er fertig war, hat er sich grunzend von mir runtergewälzt und ist sofort
eingeschlafen, ohne ein einziges Wort zu sagen. Kein Tut mir leid. Kein
Danke. Und natürlich erst recht kein Ich liebe dich. Er ist einfach
weggepennt. Von schlechtem Gewissen keine Spur.
Und ich habe ihm den Rücken zugedreht und geweint, ohne einen Ton
von mir zu geben.
Ich habe geweint, weil ich mich selbst dafür hasse, dass ich ihm erlaube,
mich so zu behandeln. Ich habe geweint, weil ich in einer Zwickmühle
feststecke, die mir keine andere Wahl lässt, als alles mitzumachen. Ich habe
geweint, weil ich bei ihm bleibe, obwohl er längst nicht mehr der Mann ist,
in den ich mich verliebt habe. Ich habe geweint, weil ich einfach keinen
Ausweg sehe. Ich habe geweint, weil ich mir trotz allem wahnsinnige
Sorgen um ihn gemacht und mir die schlimmsten Szenarien ausgemalt
habe, während er verschwunden war. Ich habe geweint, weil ein Teil von
mir ihn immer noch im Kern für gut hält und ich einfach nicht weiß, wie ich
meine Gefühle für ihn abschalten soll …
Nach ein paar Sekunden drehe ich mich angewidert vom Spiegel weg,
weil ich meinen Anblick nicht ertrage. Ich schäme mich für das, was aus
mir geworden ist.
Als ich in den Raum komme, in dem der Spanischkurs stattfindet, sitzt
Carter schon am selben Platz wie letztes Mal und lächelt mir zu, aber ich
tue so, als hätte ich ihn nicht gesehen.
Ich gebe zu, dass ich mich nach unserer ersten Begegnung ein bisschen
in ihn verknallt hatte. Die Aussicht, ab jetzt dreimal pro Woche neben ihm
zu sitzen, löste ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch aus; etwas, das ich
schon sehr lange nicht mehr erlebt habe. Aber als ich ihn dann überraschend
bei uns zu Hause wiedergesehen habe und Asa ihn mir als neuen Partner
vorgestellt hat, ist dieses Gefühl in sich zusammengefallen wie ein Berg aus
Schaum. Natürlich hatte ich nicht ernsthaft vor, irgendwas mit ihm
anzufangen. Trotz aller Schwierigkeiten, die ich mit Asa habe, bin ich seine
Freundin und würde nicht im Traum daran denken, ihn zu betrügen. So was
mache ich nicht. Trotzdem hatte ich mich darauf gefreut, einfach mal
wieder ein bisschen für jemanden zu schwärmen. Ein bisschen zu flirten.
Das Gefühl zu genießen, begehrt zu werden.
Aber jetzt weiß ich, dass Carter viel mehr Ähnlichkeit mit Asa hat, als
ich es jemals für möglich gehalten hätte, und will nichts mehr mit ihm zu
tun haben. Gar nichts. Erst recht nicht, nachdem er jetzt ja vermutlich öfter
bei uns zu Hause auftauchen wird. Falls Asa einen anderen Mann jemals im
Verdacht hätte, sich mir in irgendeiner Weise zu nähern oder auch nur in
seiner Abwesenheit mit mir zu sprechen, würde er ihn umbringen – und das
meine ich nicht im übertragenen Sinn. Mittlerweile bin ich überzeugt
davon, dass Asa kein Gewissen hat. Ich traue ihm absolut zu, einen Mord
zu begehen.
Was auch der Hauptgrund dafür ist, dass ich Carter ab jetzt ignorieren
werde. Zu seiner und meiner Sicherheit. Ich sage mir, dass er im Grunde
genommen nichts weiter als ein zweiter Asa ist, nur dass er anders aussieht.
Jedenfalls ist er definitiv niemand, der es wert wäre, irgendein Risiko
einzugehen. Dumm, dass ich mit ihm geflirtet habe, aber ich betrachte das
Ganze einfach als das, was es ist: ein weiterer Knüppel, den mir das Leben
auf meinem Weg in die Freiheit zwischen die Beine geworfen hat.
Als ich mich im Raum umsehe, ob woanders vielleicht noch ein Platz
frei ist, wird mir klar, dass ich mit meinem Abstecher zur Toilette wertvolle
Zeit vergeudet habe. Der Kurs ist praktisch vollzählig versammelt. Nur in
der vorletzten Reihe entdecke ich noch zwei freie Stühle – allerdings direkt
vor Carter. Mit gesenktem Kopf steuere ich einen davon an. Keine Ahnung,
ob er mir abnimmt, dass ich ihn nicht bemerkt habe, aber das ist mir
eigentlich auch ziemlich egal.
Ich setze mich, ziehe meine Unterlagen aus der Tasche und lege sie vor
mich auf den Tisch. Als ich höre, wie hinter mir quietschend ein Stuhl
zurückgeschoben wird, drehe ich mich um. Carter steigt mit seinem
Rucksack in der Hand über die Tischreihe, lässt sich auf den leeren Stuhl
neben mir fallen und legt das Spanischbuch vor sich hin.
»Was soll das?«, fragt er und dreht sich so, dass er mir ins Gesicht sehen
kann.
»Was soll was?«, frage ich zurück und schlage das Spanischbuch an der
Stelle auf, an der wir beim letzten Mal stehen geblieben waren.
Ich spüre Carters Blick, tue aber so, als würde ich mich in den Text
vertiefen, während er mich schweigend anstarrt, bis es mir irgendwann
reicht.
»Was?«, frage ich gereizt und sehe kurz zu ihm rüber. »Was willst du
von mir?«
Carter sagt immer noch nichts. Entnervt schlage ich das Buch zu und
drehe mich zu ihm. Unsere Knie berühren sich dabei leicht. Er schaut auf
unsere Beine, und ich sehe, wie sich ein Lächeln in seine Mundwinkel
schleicht.
»Ich fand es am Montag echt nett, neben dir zu sitzen, deswegen dachte
ich, ich komme zu dir nach vorn«, sagte er. »Aber wenn du das nicht willst,
dann …«
Er bückt sich nach seinem Rucksack, und ein Teil von mir muss gegen
das Bedürfnis ankämpfen, ihn ihm aus der Hand zu reißen, wieder
hinzustellen und zu sagen, dass er gefälligst sitzen bleiben soll. Allerdings
ist der weitaus größere Teil von mir erleichtert darüber, dass er meinen
Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hat.
Carter steckt sein Buch in den Rucksack. Ich schweige. Um genau zu
sein, presse ich sogar die Lippen zusammen, weil sonst die Gefahr besteht,
dass ich ihn anflehe, doch zu bleiben.
»Du sitzt auf meinem Platz«, ertönt eine monotone Stimme.
Vor uns steht ein Typ, der mit ausdrucksloser Miene auf Carter deutet.
»Ich wollte mich sowieso gerade umsetzen, okay? Keine Panik.« Carter
stellt seinen Rucksack auf den Tisch.
»Du hättest dich gar nicht hier hinsetzen dürfen«, sagt der andere. »Das
ist mein Platz.« Er wendet sich mir zu und sticht mir mit seinem
Zeigefinger fast ein Auge aus. »Und du sitzt auch falsch. Am Montag saß
auf dem Platz ein ganz anderes Mädchen, deswegen kannst du hier nicht
bleiben.«
Er wirkt gestresst, als würde es ihn total aus dem Konzept bringen, dass
die Sitzordnung heute nicht exakt dieselbe ist wie am Montag. Ich
bekomme sofort Mitleid, weil ich diese Art von Verhalten von meinem
Bruder kenne. Als ich ihn gerade beruhigen und ihm sagen will, dass wir
uns wegsetzen, steht Carter auf.
»Sag mal, hast du sie noch alle? Nimm gefälligst deinen Finger aus
ihrem Gesicht!«, sagt er scharf.
»Gib du mir gefälligst meinen Platz zurück«, wehrt sich der andere.
Carter lacht. »Wo sind wir hier? Im Kindergarten? Such dir einen
anderen Platz.«
Der Typ lässt den Arm sinken und sieht Carter vollkommen schockiert
an. Er will noch etwas sagen, aber dann schließt er den Mund wieder und
schleicht mit hängenden Schultern davon, um sich in die Reihe hinter uns
zu setzen. »Aber das war mein Platz«, murmelt er im Weggehen.
Carter setzt sich, zieht sein Buch wieder aus dem Rucksack und legt es
vor sich auf den Tisch. »Tja, ich schätze, jetzt wirst du mich nicht mehr
los«, sagt er. »Ich setze mich nämlich garantiert nicht neben den Irren.«
Ich schüttle den Kopf und beuge mich zu ihm rüber. »Sei nicht so hart
mit ihm«, flüstere ich. »Ich glaube, er hat Asperger oder so was. Er kann
nichts dafür, dass er so ist.«
Carter sieht mich entgeistert an. »Glaubst du echt?«
Ich nicke. »Mein Bruder hatte Asperger. Er hat sich oft ganz ähnlich
verhalten.«
Carter fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Scheiße«, stöhnt er.
Im nächsten Moment steht er auf, fasst nach meiner Hand und zieht mich
vom Stuhl. »Pack deine Sachen zusammen.« Er dreht sich um, stellt seinen
Rucksack auf den Tisch in der Reihe hinter uns und greift dann nach meiner
Tasche. »Entschuldige bitte«, sagt er zu dem Typen. »Uns war nicht klar,
dass du immer hier sitzt. Wir setzen uns um.«
Der andere nickt erleichtert und beeilt sich, an seinen Platz zu kommen,
als hätte er Angst, Carter könnte seine Meinung doch noch mal ändern. Die
Leute in den Reihen vor uns haben sich halb zu uns umgedreht und rätseln
wahrscheinlich darüber, was unser Problem ist. Ich verbeiße mir ein
Lächeln. Ich finde es schön, dass Carter ihm den Platz überlassen hat.
Wir setzen uns wieder an den Tisch, an dem wir auch schon am Montag
saßen, und breiten – zum zweiten Mal heute – unsere Sachen vor uns aus.
»Danke«, sage ich zu Carter.
Statt zu antworten, lächelt er nur verhalten und liest irgendetwas auf
seinem Handy, bis der Dozent kommt.
Die Stimmung zwischen uns ist ein bisschen verkrampft. Natürlich
versteht er nicht, wieso ich mich ihm gegenüber so ablehnend verhalten
habe. Das ist ganz offensichtlich. Ich kann es sogar schwarz auf weiß auf
dem Zettel lesen, den er mir gerade eben hingeschoben hat.

Warum wolltest du nicht neben mir sitzen?

Die Frage klingt wie von einem Sechsjährigen. Grinsend greife ich nach
meinem Stift.

Wo sind wir hier? Im Kindergarten?

Carter liest meine Antwort und sein Gesicht verdüstert sich. Das sollte bloß
ein kleiner Witz sein, aber anscheinend kann er nicht darüber lachen. Es
dauert eine Weile, bis er mir den Zettel wieder hinschiebt.

Ich meine es ernst, Sloan. Bin ich dir beim letzten Mal irgendwie zu nahe
getreten? Falls ja, möchte ich mich entschuldigen. Ich weiß, dass du mit
Asa zusammen bist, und das respektiere ich. Ganz ehrlich – ich finde dich
einfach nur nett und witzig und wollte deswegen wieder neben dir sitzen.
Der Spanischkurs ist nicht gerade spannend, und deine Gesellschaft
mindert mein Bedürfnis, mir vor lauter Langeweile die Augen auszustechen.

Ich starre länger auf das Blatt, als ich brauche, um die Nachricht zu lesen.
Er hat eine beeindruckend schöne Handschrift für einen Mann und eine
noch beeindruckendere Fähigkeit, mit ein paar Sätzen mein Herz zum
Rasen zu bringen.
Er findet mich nett und witzig.
Das ist ein ganz schlichtes Kompliment und löst trotzdem viel mehr in
mir aus, als mir lieb ist. Ich habe keine Ahnung, was ich darauf antworten
könnte, deswegen schreibe ich, ohne nachzudenken, drauflos.

Die Bevölkerung von Wyoming existiert in Wirklichkeit gar nicht, und ich
weiß nie, was ich anziehen soll, wenn ich Pinguine kaufen gehe.

Ich schiebe ihm den Zettel rüber, und als er ihn liest und laut auflacht, muss
ich ein Lächeln unterdrücken. Es macht mich glücklich, dass er doch den
gleichen Humor hat wie ich, aber gleichzeitig hasse ich ihn dafür. Jede
Sekunde, die ich mit ihm verbringe, weckt in mir den Wunsch, noch zwei
weitere Sekunden mit ihm verbringen zu dürfen.
Ich bekomme den Zettel wieder zurück.

Mücken flüstern süße Liebesschwüre in mein Fass voller Affen, die zu lange
gebraucht haben, um mir meine Pizza zu liefern.
Ich lache, dann presse ich unwillkürlich eine Hand auf meinen Magen. Das
Wort Pizza erinnert mich daran, wie verdammt hungrig ich bin. Gestern
Abend war ich zu wütend, um auch nur einen Bissen runterzubringen, was
bedeutet, dass ich seit vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen habe.

Pizza klingt gut.

Ich lege den Stift hin, schiebe das Blatt aber nicht zu Carter rüber. Keine
Ahnung, warum ich etwas hingeschrieben habe, das ich tatsächlich in dem
Moment gedacht habe.
»Stimmt«, sagt er.
Ich sehe ihn an, und er erwidert meinen Blick mit einem Lächeln, das
mir einen Stich versetzt. Carter verkörpert alles, was ich mir wünsche, und
zugleich auch alles, was ich im Moment gar nicht gebrauchen kann, und das
tut körperlich weh.
»Hast du nach dem Kurs Zeit?«, raunt er. »Ich würde gern mit dir Pizza
essen gehen.«
Er sagt es so schnell, dass ich das Gefühl habe, er weiß ganz genau, dass
er so etwas nicht vorschlagen und erst recht nicht in die Tat umsetzen sollte.
Und trotzdem nicke ich.
Verdammt.
Ich nicke.
Sieben
Carter

Nach dem Kurs gehen wir schweigend über den Parkplatz zu meinem
Wagen. Sloan presst sich ihren Rucksack an die Brust und schaut sich
immer wieder nach allen Seiten um, als hätte sie Angst, beobachtet zu
werden. Ich rechne jeden Moment damit, dass sie mir erklärt, sie würde
doch nicht mitkommen. Als sie stehen bleibt und sich zu mir dreht, gebe ich
ihr deshalb erst gar keine Chance, etwas zu sagen.
»Es ist Mittag, Sloan. Du musst irgendwas essen. Ich hab dich gefragt,
ob wir zusammen eine Pizza essen. Mach nicht mehr daraus, als es ist,
okay?«
Ihre Augen weiten sich, als würde sie sich ertappt fühlen, weil ich ihre
Gedanken erraten habe. Sie presst die Lippen aufeinander und nickt.
»Es ist Mittag.« Sie zuckt mit den Achseln und versucht sich selbst
davon zu überzeugen, dass das, was wir tun, völlig harmlos ist. »Ich muss
essen. Du musst essen. Was ist schon dabei, wenn wir zufälligerweise
zusammen essen? In derselben Pizzeria?«
»Gar nichts«, sage ich.
Wir lächeln uns an, aber die Angst, die ich empfinde und die ich in
ihrem Blick lese, sagt alles.
Wir überschreiten eine Grenze und das wissen wir beide ganz genau.
Als wir bei meinem Wagen sind, will ich im ersten Moment automatisch
die Beifahrertür öffnen, um sie einsteigen zu lassen, aber dann ändere ich
meine Meinung und gehe gleich zur Fahrerseite. Wenn ich sie nicht so
behandle, als wäre das ein Date, fühlt es sich vielleicht auch weniger an wie
eins. Ich will sie wegen der »harmlosen« Pizza, die wir uns gleich teilen,
nicht noch nervöser machen, als sie es sowieso schon ist. Es reicht, dass
meine eigenen Nerven flattern. Keine Ahnung, wie ich auf die
selbstmörderische Idee gekommen bin, uns beide so einem Risiko
auszusetzen. Aber wenn ich mit Sloan zusammen bin, weckt das in mir den
dringenden Wunsch, noch länger mit ihr zusammen zu sein, und das setzt
anscheinend meinen Verstand außer Kraft.
Ich fahre los. Obwohl ich mich äußerlich ruhig gebe, rast mein Puls und
mein Mund ist trocken. Mir ist vollkommen klar, dass ich hier so eine Art
russisches Roulette spiele. Und zwar längst nicht nur in beruflicher
Hinsicht. Ich will mir gar nicht vorstellen, was Asa tun würde, wenn er
dahinterkäme, dass ich mit seiner Freundin im Auto sitze.
Ich werfe ihr einen Blick zu und beschließe, jeden Gedanken an diesen
Typen weit wegzuschieben. Falls das hier mein letzter Tag auf Erden sein
sollte, will ich jede Sekunde nutzen, mich auf Sloan zu konzentrieren und
die Zeit mir ihr zu genießen.
»Ich muss dir was gestehen«, sagt sie verlegen, während sie sich
anschnallt.
»Was denn?«
Sie verschränkt die Hände im Schoß. »Ich hab keinen einzigen Cent in
der Tasche.«
Das klingt so süß, dass ich fast lachen muss, aber gleichzeitig tut sie mir
leid. »Ich lade dich ein«, sage ich, weil ich das sowieso vorgehabt habe.
»Aber … was hättest du gegessen, wenn ich dich nicht gefragt hätte, ob wir
Pizza essen gehen wollen?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Meistens esse ich mittags gar nichts, weil
ich ziemlich knapp bei Kasse bin und so viel wie möglich sparen muss. Es
gibt Dinge, die wichtiger sind als essen.«
Sie schaut aus dem Seitenfenster, was ich als klares Zeichen deute, dass
sie nicht näher darauf eingehen will, wofür sie ihr Geld sparen muss,
deshalb hake ich nicht nach. Allerdings interessiert es mich schon, warum
sie so wenig Geld hat, wenn sie mit einem Typen zusammen ist, der
dermaßen dick im Drogengeschäft ist. »Warum fragst du Asa nicht, ob er
dir was geben kann? Er hat doch genug. Ich wette, er würde dir dein
Mittagessen gern bezahlen.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich will sein Drecksgeld nicht«, stößt sie
verächtlich hervor. »Lieber hungere ich.«
Ich sage darauf nichts und weise sie vor allem nicht darauf hin, dass
ich – theoretisch – für Asa arbeite, was bedeutet, dass ich unsere Pizza mit
demselben Drecksgeld bezahlen werde. Stattdessen lenke ich das Gespräch
auf ein hoffentlich etwas weniger vermintes Terrain.
»Erzähl mir von deinem Bruder«, sage ich, als ich auf den Freeway
abbiege.
»Von welchem der beiden?«, fragt sie.
»Von dem mit dem Asperger-Syndrom«, sage ich. »Der Sohn von
unseren Nachbarn in Sacramento, wo ich aufgewachsen bin, hatte auch
Asperger, aber ich weiß trotzdem nicht viel darüber. Ich hatte vor allem
keine Ahnung, dass es heilbar ist.«
Sloan sieht mich erstaunt an. »Wie kommst du darauf?«
»Als du vorhin von deinem Bruder gesprochen hast, hast du gesagt, er
hatte Asperger.«
Sie senkt den Blick und knetet ihre Finger. »Nein, man kann Asperger
nicht heilen«, sagt sie leise.
Aber warum hat sie dann in der Vergangenheitsform … oh, okay.
Verstehe. Anscheinend bezog sich die Vergangenheitsform nicht auf die
Krankheit, sondern auf ihn. Weil er nicht mehr lebt. Verdammt, was bin ich
nur für ein unsensibler Klotz? Warum habe ich das Thema überhaupt
angeschnitten?
»Das tut mir leid.« Ich beuge mich zu ihr rüber, um kurz ihre Hand zu
drücken. »Das tut mir wirklich wahnsinnig leid.«
Sloan zieht ihre Hand weg und räuspert sich. »Ist schon okay.« Sie ringt
sich ein Lächeln ab. »Es ist lange her. Asperger war leider nicht die einzige
Krankheit, die er hatte.«
Dank meiner grandiosen Gesprächsführung ist die Stimmung ziemlich
gedrückt, als wir bei der Pizzeria ankommen. Ich stelle den Motor ab,
trotzdem bleiben wir sitzen. Ich glaube, Sloan wartet darauf, dass ich als
Erster aussteige, aber ich fühle mich, als hätte ich ihr gerade komplett die
Stimmung verdorben.
»Ich fürchte, ich hab dir mit meiner blöden Frage eben den totalen
Dämpfer versetzt«, sage ich. »Weißt du irgendein Gegenmittel?«
Sie lacht, als wäre alles halb so schlimm, und legt die Hand auf den Griff
der Wagentür. »Wir könnten mein Spiel auf ein neues Level heben«, schlägt
sie vor. »Vielleicht muntert uns das wieder auf. Statt Sätze zu schreiben,
könnten wir Sachen sagen, ohne nachzudenken.«
Ich nicke und zeige auf die Pizzeria. »Bitte sehr, nach dir«, sage ich.
»Walrosszähne vernebeln mein Sichtfeld wie Schokoladenpudding.«
Sie stößt grinsend die Tür auf. »Einbeinige Tigerhaie sind gesünder als
Gemüse.«
Acht
Asa

»Jon!«
Ein Wunder, dass mein Handy nicht zersplittert, so fest umklammere ich
es. Ich atme durch die Nase ein und durch den Mund aus und versuche, mir
erst mal nicht das Übelste vorzustellen, solange ich nicht weiß, was
wirklich läuft.
»Jon!«
Endlich höre ich seine schnellen Schritte auf der Treppe. Die Tür fliegt
auf. »Was denn? War gerade auf dem Klo.«
Ich werfe einen Blick auf die GPS-Tracking-App. »Ricker Road 1262,
sagt dir das was? Was gibt’s da?«
Jon trommelt mit den Fingern gegen den Türrahmen. »Ricker Road«,
sagt er nachdenklich. »Keine Ahnung. In der Gegend gibt es hauptsächlich
Restaurants, oder?« Er zieht sein Handy aus der Tasche und tippt die
Adresse ein. »Warum? Erwarten die eine Lieferung?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Sloan ist in der Ricker Road.«
Jon sieht mich an. »Okay. Hat sie eine Panne? Soll ich sie abholen oder
irgendwo hinfahren?«
Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu. »Sie braucht keinen verfickten
Chauffeur, du Idiot. Sie ist in der Ricker Road, obwohl sie um die Zeit im
College sein müsste. Ich will wissen, was sie in der Ricker Road zu suchen
hat und mit wem sie dort ist.«
Jetzt dämmert ihm endlich, worum es mir geht. »Verstehe. Willst du
hinfahren und selbst nachschauen?« Er scrollt auf seinem Handy herum.
»Scheint ein Italiener zu sein. Pizzeria. Jedenfalls heißt der Laden Mi
Amore.«
Ich werfe mein Handy aufs Bett, stehe auf und tigere im Zimmer auf und
ab. »Nein«, sage ich. »Wir brauchen mindestens eine halbe Stunde, bis wir
da sind. Wenn viel Verkehr ist, sogar noch länger. Bis dahin ist sie schon
wieder weg.« Ich hole tief Luft und reibe mir die Nasenwurzel. Ich darf
jetzt nicht ausrasten.
Falls sie hinter meinem Rücken mit irgendjemandem rummacht, finde
ich das heraus. Und falls sich rausstellt, dass es so ist, ist sie tot. Der
Bastard, mit dem sie rummacht, kann sich auf was noch Schlimmeres
gefasst machen.
»Ich erfahre es auch so«, sage ich zu Jon. »Sobald sie nach Hause
kommt.«
Neun
Sloan

Carter hält mir die Tür auf und lässt mir den Vortritt. Ich war schon seit
Monaten nirgendwo mehr essen und hatte ganz vergessen, wie köstlich es in
einer Pizzeria immer riecht.
Auf dem Weg über den Parkplatz habe ich mich ständig umgesehen,
weil ich die paranoide Angst habe, Asa könnte mich aus irgendeinem Grund
beobachten lassen. Aber ich will mich nicht verrückt machen, deswegen
versuche ich mich darauf zu konzentrieren, dass ich ja wirklich nichts
weiter mache, als mit meinem Sitznachbarn aus dem Spanischkurs eine
Pizza zu essen. Es hilft nichts. Egal, wie sehr ich mir auch einzureden
versuche, dass nichts dabei ist, weiß ich doch genau: Wenn Asa wüsste, wo
ich bin … Nein, ich will nicht darüber nachdenken, was er dann machen
würde.
Die Bedienung nimmt lächelnd zwei Speisekarten vom Büffet. »Tisch
für zwei?«
»Ja, bitte«, sagt Carter und fügt dann mit ausdrucksloser Miene hinzu:
»Bananen mögen gekochtes Wasser in Reno.«
Ich pruste los, als die Kellnerin uns irritiert ansieht und dann den Kopf
schüttelt. »Hier entlang bitte«, sagt sie.
Carter nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her. Er verschränkt
seine Finger mit meinen und wirft mir über die Schulter ein Lächeln zu, das
mein Herz dazu bringt, einen Trommelwirbel gegen meine Rippen zu
schlagen.
Oh Gott, das dürfen wir nicht. Das geht nicht.
Aber es fühlt sich so gut an. Als wir am Tisch sind und er mich loslässt,
um in die gepolsterte Bank zu rutschen, versetzt es mir einen regelrechten
Stich, seine Hand nicht mehr zu spüren. Ich setze mich ihm gegenüber und
schaue auf seine Hände … auf die Hand, die eben noch meine gehalten hat.
Sie sieht ganz normal aus. Wie kann ihre bloße Berührung so viel
Verwirrung in mir auslösen? Es ist nur eine ganz normale Hand, verdammt.
»Was?«, fragt er. Seine Stimme reißt mich aus meiner Trance. Er sieht
mich an, als wollte er tief in mein Inneres schauen und meine Gedanken
lesen.
»Was was?« Ich tue so, als wüsste ich nicht, was er meint.
Er lehnt sich ins Polster zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Ich hab mich nur gefragt, was dir gerade durch den Kopf geht. Du hast
meine Hände angestarrt, als würdest du sie am liebsten abhacken.«
Mir war nicht klar, dass meine Miene so verräterisch gewesen ist. Hitze
steigt mir ins Gesicht, aber ich weigere mich, ihn meine Verlegenheit sehen
zu lassen. Stattdessen strecke ich die Beine aus und lege meine Füße über
Kreuz auf Carters Bank.
»Ich habe nur nachgedacht«, sage ich knapp.
Er legt seine Füße auf meine Bank und überkreuzt sie ebenfalls. Macht
er mich nach?
»Ich weiß, dass du nachgedacht hast. Ich wollte wissen, worüber du
nachgedacht hast.«
»Bist du immer so neugierig?«
Er grinst. »Wenn ich befürchten muss, dass mir jemand irgendwelche
Körperteile abhacken will, schon, ja.«
»Okay, dann kann ich dich beruhigen. Ich habe nicht darüber
nachgedacht, dir die Hände abzuhacken.«
Lässig ins Polster gelehnt, hält er den Blick weiter auf mich gerichtet.
»Worüber dann?«, fragt er noch mal.
»Du bist ganz schön penetrant.« Ich greife nach der Speisekarte und tue
so, als würde ich darin lesen. Seine durchdringenden dunklen Augen
machen es mir schwer, hart zu bleiben, weshalb ich lieber jeglichen
Blickkontakt vermeide.
Im nächsten Moment taucht sein Zeigefinger am oberen Rand der Karte
auf und drückt sie sanft nach unten, bis sich unsere Augen wieder treffen.
Er wartet auf eine Antwort. Irgendwann lege ich die Karte seufzend vor
mich hin.
»Denken ist etwas, das unhörbar im Kopf passiert, Carter. Und das hat
auch einen Grund, weil es nämlich nur einen selbst was angeht.«
Er verengt die Augen und beugt sich vor. »Hätte ich dich nicht an der
Hand nehmen sollen? Bist du deswegen irgendwie sauer?«
Seine Stimme ist so tief und weich, dass sie mir vorkommt wie eine
Feder, die mich im Magen kitzelt. Ich rede mir ein, dass das nur deshalb so
ist, weil ich hungrig bin.
»Ich war nicht sauer, dass du mich an der Hand genommen hast«,
weiche ich der ehrlichen Antwort aus, die lauten würde, dass ich es im
Gegenteil schön fand. Viel zu schön sogar. Aber das werde ich garantiert
nicht aussprechen.
Ich löse meinen Blick von seinem, ohne seine Reaktion abzuwarten,
greife wieder zur Karte und sehe mir das Pizza-Angebot an. Nach einer
Weile wird die Stille zwischen uns so intensiv, dass ich sie nicht mehr
ignorieren kann. Dass Carter nichts sagt, macht mich verrückt. Ich spüre,
wie er mich stumm herausfordert, seinen Blick zu erwidern.
»Kann ich mir jetzt eine Pizza bestellen?«, frage ich, um das Schweigen
zu durchbrechen.
»Na klar. Du kannst dir bestellen, was du willst«, sagt er und greift
endlich auch nach der Karte.
»Dann hätte ich gern eine mit Salami und Zwiebeln.« Ich lege die Karte
weg. »Und ein Wasser. Wenn du mich jetzt entschuldigst. Ich gehe mir
schnell die Hände waschen.«
Ich will aus der Bank rutschen, aber seine Füße sind im Weg, was mich
dazu zwingt, ihn wieder anzuschauen. Carter starrt immer noch in die
Karte. Sehr, sehr langsam nimmt er dann erst den einen und dann den
anderen Fuß herunter, während ein kaum merkliches Lächeln um seine
Mundwinkel spielt. Ich stehe auf, gehe zur Toilette und mache die Tür
hinter mir zu. Den Rücken dagegengepresst, schließe ich die Augen und
stoße den Atem aus, den ich die ganze Zeit angehalten habe.
Verdammt.
Verdammt, warum sitzt er bei mir im Kurs?
Verdammt, warum ist er bei uns zu Hause aufgetaucht?
Verdammt, warum kennt er Asa überhaupt?
Verdammt, warum hat er mich hierher eingeladen?
Verdammt, warum ist er so nett?
Warum verdammt ist er all das, was ich an Asa vermisse und was ich mir
so sehr wünsche?
Obwohl ich mir ungefähr zehnmal die Hände wasche, kann ich seine
Berührung nicht abwaschen. Ich spüre immer noch seine Finger, die er mit
meinen verschränkt hat … seine raue Handfläche in meiner … wie er mich
hinter sich her zum Tisch gezogen hat … Meine ganze Hand prickelt. Und
das Prickeln will einfach nicht aufhören.
Ich drücke noch etwas Seife aus dem Spender, verreibe sie und wasche
mir die Hände ein elftes Mal, dann reiße ich mich endgültig zusammen,
gehe wieder raus und setze mich in unsere Nische.
»Ich dachte, du könntest vielleicht ein bisschen Koffein gebrauchen«,
sagt Carter und zeigt auf die Cola, die an meinem Platz steht.
Verdammt, da hat er natürlich richtig gedacht.
»Danke.« Ich ziehe das Glas zu mir, beuge mich vor und nehme den
Strohhalm zwischen die Lippen.
Carter legt wieder die Füße auf meine Bank. »Sehr gerne«, sagt er und
wirft mir ein Lächeln zu, das ziemlich sexy ist, fast schon herausfordernd.
Ich merke, dass ich ein bisschen zu lange auf seine Lippen starre, und er
merkt es anscheinend auch, denn sein Lächeln wird breiter.
»Hör auf, mich so anzulächeln«, fauche ich, weil ich mich darüber
ärgere, dass er die Situation für uns beide noch schwieriger macht, indem er
mich so anflirtet. Denn genau das tut er, da müssen wir uns nichts
vormachen. Ich lehne mich zurück und lege meine Füße auch wieder auf
seine Bank.
Sein Lächeln erlischt, als sein Blick auf meine Oberarme fällt, wo noch
immer Reste der blauen Flecken von dem Abend zu sehen sind, an dem Asa
mich so grob angepackt hat. Als hätte er mich gebrandmarkt.
So kommt es mir jedenfalls vor.
Ich streiche mit beiden Händen über meine Arme, weil ich mich
plötzlich nackt fühle.
»Du willst nicht von mir angelächelt werden?«, fragt Carter verwundert.
»Falsch«, sage ich scharf. »Ich will nicht so von dir angelächelt werden.
So, als würde ich dir gefallen. Ich will nicht, dass du im Kurs neben mir
sitzt. Ich will nicht, dass du meine Hand hältst. Ich will nicht, dass du mit
mir flirtest. Am liebsten würde ich mich von dir noch nicht mal auf die
Pizza einladen lassen, aber darauf kann ich im Moment keine Rücksicht
nehmen, weil ich zu hungrig bin.« Ich greife nach meiner Cola und trinke
einen großen Schluck, um mich selbst zum Schweigen zu bringen.
Carter schaut auf sein eigenes Glas und reibt mit den Daumen Schneisen
in die Wassertröpfchen, die sich darauf gebildet haben. Er holt tief Luft,
ohne aufzusehen, dann lässt er die Luft entweichen.
»Du willst also, dass ich scheiße zu dir bin?« Jetzt sieht er mich an und
sein Blick ist so kalt, dass ich ihn nicht wiedererkenne. »Du möchtest wie
ein Stück Dreck behandelt werden? So wie Asa es tut?« Er lehnt sich
wieder zurück und verschränkt die Arme vor der breiten Brust. »Komisch,
dass du dich von diesem Typen als Fußabtreter benutzen lässt. Ich hätte
dich eigentlich anders eingeschätzt.«
Obwohl ich innerlich koche, erwidere ich seinen Blick ganz gelassen.
»Komisch, dass du mit Drogen dealst. Ich hätte dich eigentlich anders
eingeschätzt.«
Wir fechten ein stummes Blickduell aus.
»Tja, das ist in deinen Augen ja anscheinend ein Pluspunkt für einen
Typen. Bei Dealer kann ich schon mal ein Häkchen setzen. Bei Arschloch
anscheinend auch. Was fehlt? Was muss ich noch tun, um dich ins Bett zu
bekommen, Sloan? Soll ich dich ein bisschen härter anfassen? Dir ein paar
blaue Flecken verpassen? Bei Asa scheint dich das ja total anzumachen.«
Die Brutalität seiner Worte trifft mich wie ein Schlag in den Magen, mir
bleibt buchstäblich die Luft weg.
»Leck mich«, presse ich zwischen den Zähnen hervor.
»Danke, lieber nicht. Anscheinend muss ich dir dazu vorher erst mal
wehtun und das ist nicht mein Stil.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe und atme mehrmals tief durch, um die
Tränen zurückzukämpfen. Das ist etwas, worin ich es zur Meisterschaft
gebracht habe. Ich übe schon seit zwei Jahren, mich von Arschlöchern nicht
zum Weinen bringen zu lassen.
»Fahr mich zurück.«
Carter schließt die Augen, reibt sich mit beiden Händen übers Gesicht
und stöhnt auf. »Das mache ich, sobald du was gegessen hast.«
Ich rutsche in meiner Bank ein Stück vor. »Ich habe keinen Hunger
mehr. Lass mich raus.«
Er nimmt seine Füße nicht weg, also steige ich einfach darüber hinweg
und laufe zur Tür. Ich hatte es noch nie in meinem Leben eiliger, von
jemandem wegzukommen.
»Sloan«, ruft er mir hinterher. »Warte, Sloan!«
Ich stoße die Tür auf und stürze nach draußen, wo mir ein Windstoß ins
Gesicht fährt, während ich keuchend nach Atem ringe. Ich beuge mich vor,
stütze die Hände auf die Knie und atme durch die Nase ein und den Mund
aus. Einmal, zweimal, immer wieder. Erst als ich mir ganz sicher bin, dass
keine Tränen kommen, richte ich mich wieder auf und gehe zu seinem
Wagen. Als ich ein Piepen höre und die Türen entriegelt werden, wirble ich
herum, aber Carter ist mir nicht gefolgt. Durch die Glasscheibe sehe ich,
dass er immer noch im Restaurant sitzt.
Warum hat er gerade das Auto für mich entriegelt, verdammt?
Ich steige ein, knalle die Tür so laut zu, wie es nur geht, und warte
darauf, dass er rauskommt. Nach ein paar Minuten wird mir klar, dass er
erst mal ganz in Ruhe seine Pizza essen wird. Gott, dieser Typ ist sogar ein
noch größeres Arschloch, als ich dachte.
Ich greife nach der Baseballkappe, die auf der Ablage liegt, setze sie auf
und ziehe mir den Schirm tief in die Stirn. Wenn ich schon warten muss, bis
er mich zum College zurückfährt, kann ich die Zeit auch nutzen, um ein
bisschen Schlaf nachzuholen.
Zehn
Carter

»Können Sie mir die zum Mitnehmen in Becher füllen?«, bitte ich die
Bedienung und schiebe ihr die beiden Colas zu. »Und die Pizza hätte ich
dann auch gern im Karton.«
»Selbstverständlich, kein Problem.« Sie greift nach den Gläsern.
Nachdem sie gegangen ist, stütze ich die Ellbogen auf den Tisch und
vergrabe mein Gesicht in den Händen.
Ich kann mir selbst nicht erklären, was gerade mit mir los war. Noch nie
habe ich erlebt, dass mir ein Mädchen so dermaßen unter die Haut ging.
Erst recht kein Mädchen, mit dem ich noch nicht mal zusammen bin. Aber
Sloan macht es mir verdammt schwer, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Ich kapiere das nicht. Wie kann sie mir gegenüber so stur und selbstbewusst
auftreten, während sie sich von Asa so demütigen lässt?
Und dann muss ich mir von ihr auch noch vorwerfen lassen, dass ich nett
zu ihr bin. Was soll das? Mir ist klar, dass es Frauen gibt, die sich zu genau
solchen Typen wie Asa hingezogen fühlen. Das habe ich in meinem Job oft
genug erlebt. Aber Sloan ist anders. Und genau das macht es so unerträglich
für mich, zusehen zu müssen, wie er mit ihr umspringt. Ich verstehe nicht,
was sie bei diesem Arschloch hält. Auch wenn es mir eigentlich nicht
zusteht, konnte ich es mir einfach nicht verkneifen, ihr zu sagen, dass sie
etwas Besseres verdient hat. Wobei ich natürlich weiß, dass es nicht die
richtige Methode war, sie als Fußabtreter zu bezeichnen. Da hätte es sicher
diplomatischere Wege gegeben.
Ich bin so ein Idiot.
»Ihre Bestellung können Sie an der Theke abholen«, sagt die Bedienung
und legt die Rechnung auf den Tisch.
Ich zahle, hole auf dem Weg nach draußen die Schachtel mit der Pizza
und den Pappträger mit den beiden Bechern ab und gehe zum Wagen.
Bevor ich ihn öffne, werfe ich einen Blick in den Innenraum. Sloan sitzt
mit angezogenen Beinen auf dem Beifahrersitz und stemmt die Füße gegen
die Ablage. Ihre dunkelbraunen Haare fallen über ihre Schulter bis zu den
vor der Brust verschränkten Armen und sie trägt meine Baseballmütze, die
sie tief in die Stirn gezogen hat.
Nachdem ich sie vor ein paar Tagen in ihrem roten Kleid gesehen hatte,
konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Sie jetzt hier mit meiner
Baseballkappe auf dem Kopf in meinem Wagen zu sehen, ist …
Verdammt, ich bezweifle stark, dass ich jemals wieder schlafen kann.
Kaum öffne ich die Tür, nimmt sie die Füße runter und rutscht von mir
weg zur Beifahrertür. Ich verfluche mich dafür, sie so vor den Kopf
gestoßen zu haben. Nein, schlimmer. Ich habe sie verletzt. Sie muss in ihrer
Beziehung mit Asa genug mitmachen und ich setze auch noch einen drauf.
»Hier.« Ich halte ihr die Cola hin. Sloan greift nach dem Becher und
schiebt sich das Basecap aus der Stirn. Ich bin überrascht, dass ihre Augen
nicht gerötet sind. Als ich sie so zusammengekauert gesehen habe, dachte
ich, sie hätte geweint, aber sie macht nicht den Eindruck, als hätte sie auch
nur eine einzige Träne vergossen.
Den Pizzakarton, den ich ihr gebe, stellt sie sich auf den Schoß und
klappt ihn sofort auf. Während ich mich hinters Steuer setze, nimmt sie sich
ein Stück und schiebt es sich hungrig in den Mund. Sie dreht mir den
Karton zu und hebt ihn leicht an. Ich nehme mir auch ein Stück und will sie
gerade anlächeln, als mir einfällt, dass sie mir das ja verboten hat. Also
beiße ich stattdessen in die Pizza und starte den Wagen.
Auf dem Rückweg zum Campus wechseln wir kein einziges Wort. Sloan
verdrückt ihr drittes Stück, als ich auf den Parkplatz einbiege. »Hier kannst
du mich rauslassen. Da vorne hab ich geparkt.« Sie trinkt den letzten
Schluck Cola aus, klappt den Pizzakarton zu und stellt ihn auf die
Rückbank.
Ich halte links neben dem Wagen, auf den sie gezeigt hat, sodass sie
direkt einsteigen kann. »Nimm die Pizza ruhig mit«, sage ich.
Sloan stellt den Becher in den Getränkehalter, nimmt das Basecap vom
Kopf und streicht sich die Haare glatt. »Das geht nicht«, sagt sie leise. »Er
würde wissen wollen, wo ich sie herhabe.«
Sie dreht sich im Sitz nach hinten, um ihren Rucksack von der Rückbank
zu angeln, nimmt ihn auf den Schoß und legt die Arme darum.
»Ich würde mich ja gern bei dir dafür bedanken, dass du mich zum
Essen eingeladen hast«, sagt sie, »aber du hast mir damit ziemlich den Tag
versaut.« Noch bevor ich richtig begriffen habe, was sie gesagt hat, ist sie
auch schon ausgestiegen. Als sie die Tür zuknallt, stelle ich den Motor ab
und steige ebenfalls aus.
»Sloan …« Ich gehe um meinen Wagen herum zu ihrem. Sie wirft den
Rucksack auf die Rückbank und verschanzt sich hinter der geöffneten
Fahrertür.
»Tu es nicht, Carter«, sagt sie, ohne mich anzusehen. »Entschuldige dich
nicht. Du hast mir klar und deutlich zu verstehen gegeben, was du von mir
hältst, aber ich bin jetzt zu sauer, um mir eine Entschuldigung anzuhören.
Also lass es bitte.«
Ich werde sie trotzdem nicht wegfahren lassen, bevor ich mich nicht
erklärt habe.
»Es tut mir leid«, sage ich entschlossen. »Ich hätte es nicht so krass
ausdrücken sollen, aber … verdammt noch mal, du weißt, wie ich es
gemeint habe. Du hast es nicht verdient, dass man so mit dir umgeht, Sloan.
So was musst du dir nicht bieten lassen. Mach dich nicht kleiner, als du
bist.«
Sie weigert sich immer noch, mich anzusehen, also schiebe ich mich
durch die schmale Lücke zwischen meinem und der geöffneten Tür ihres
Wagens und stelle mich direkt vor sie. Ich lege beide Hände um ihr Gesicht
und drehe es zu mir. Sie muss sich einfach anhören, was ich zu sagen habe.
»Sieh mich an«, bitte ich sie und halte ihren Blick fest. »Es tut mir leid.
Das war total daneben, das weiß ich.«
Sloan schaut mir kurz in die Augen und dann löst sich eine Träne aus
ihrem Augenwinkel und läuft ihre Wange hinunter. Bevor ich reagieren
kann, hat sie sie schon mit dem Handrücken weggewischt.
»Du hast keine Ahnung, wie oft ich dieses lahme ›Es tut mir leid‹ schon
gehört habe.«
Meine Hände umfassen immer noch ihr Gesicht, aber ihre Lider sind
gesenkt, und sie weigert sich, mich anzusehen.
»Das ist nicht dasselbe, Sloan. Du kannst mich nicht mit ihm
vergleichen.«
Sie richtet den Blick zum Himmel und lacht, aber ich sehe ihr an, wie
sehr sie gegen die Tränen ankämpfen muss. »Du bist kein bisschen besser
als er. Der einzige Unterschied zwischen euch beiden ist, dass Asa noch nie
etwas zu mir gesagt hat, das auch nur annähernd so verletzend war wie das
von dir vorhin.« Sie zieht meine Hände von ihrem Gesicht und steigt in den
Wagen. Als sie die Hand nach dem Türgriff ausstreckt, sieht sie zu mir
hoch. »Du unterscheidest dich nicht von ihm, Carter. Also wage es nicht,
dir ein Urteil über mich zu erlauben. Geh jemand anderes retten.« Sie zieht
die Tür zu, und dann stehe ich da und sehe ohnmächtig zu, wie ihr die
Tränen übers Gesicht laufen und sie davonfährt, ohne mich auch nur noch
eines Blickes zu würdigen.
»Es tut mir leid«, murmle ich, während ich ihr hinterherschaue.
Elf
Asa

Nach allem, was ich für sie getan habe – nach allem, was ich für sie tue –,
kann ich bloß hoffen, dass sie eine verdammt gute Erklärung dafür hat, dass
ich mich die letzten Stunden so aufregen musste.
Wenn es mich nicht gäbe, wäre sie ein NICHTS. Ich habe sie
aufgenommen, als sie niemanden hatte, zu dem sie gehen konnte. Ohne
mich hätte sie zu der Crackhure zurückkriechen müssen, bei der sie
aufgewachsen ist. Nach allem, was sie mir von ihrer Kindheit erzählt hat,
hat sie es bei mir verdammt viel besser, und das weiß sie auch ganz genau.
Ich meine, eine Mutter, die alle paar Monate einen anderen Kotzbrocken als
Stiefvater anschleppt? In dieses Leben will sie auf gar keinen Fall zurück.
Aber falls ich sie dabei erwischen sollte, dass sie mich bescheißt, werde
ich sie genau dorthin zurückschleppen, da kann sie sich drauf verlassen.
Dann setze ich sie vor dem abgewrackten Trailerhome ab, und sie kann
wieder bei ihrer beschissenen Mutter und ihren wechselnden Stechern
wohnen, die Sloan heimlich dabei zuschauen, wie sie sich umzieht.
Auf die Ellbogen gestützt, richte ich mich auf und schaue auf Jess runter,
die vor dem Bett auf dem Boden kniet und sich über mich beugt. Ich stehe
auf, schiebe sie zur Wand und versuche mir mit geschlossenen Augen
vorzustellen, Sloan würde vor mir knien. In meinem Kopfkino laufen ihr
Tränen übers Gesicht, während sie wimmert, dass ich sie bitte bloß nicht
wegschicken soll. Sie fleht mich an, dass ich noch mal Gnade zeigen soll,
genau wie das letzte Mal, als sie bescheuert genug war zu denken, sie
würde ohne mich besser klarkommen.
Aber wahrscheinlich mache ich mir völlig unnötig Sorgen. Welcher Typ,
der nicht vollkommen durchgeknallt ist, würde es wagen, Sloan in ein
Restaurant einzuladen? Ich meine, alle wissen, dass sie mir gehört. Mir, Asa
Jackson. Alle wissen, was ich mit einem Kerl anstellen würde, der auf die
irre Idee kommen würde, sich an sie ranzumachen. So dämlich ist keiner.
Außer er hat einen ausgeprägten Todeswunsch.
Es nervt mich, dass ich durch das Scheißgummi überhaupt nichts von
Jess’ Zunge mitbekomme. »Warte kurz«, sage ich gereizt und streife das
Kondom ab.
»Oh ja«, stöhne ich, als ich kurz darauf ihre warme Zunge spüre, packe
sie an den Haaren und ziehe ihren Kopf zu mir heran. »Viel besser.«
Tatsächlich ist es so geil, dass ich innerhalb weniger Sekunden explodiere.
Irgendwann lasse ich Jess’ Kopf los und ziehe die Jeans hoch.
»Echt nett von Jon, dass er dich mit mir teilt«, sage ich. »Was das
angeht, ist dein Freund viel großzügiger als ich.«
Sie wischt sich über den Mund und steht auf. »Scheißkerl«, spuckt sie
aus und schmeißt die Tür hinter sich zu, als sie rausstürmt.

***

Als ich kurz darauf nach unten in die Küche komme, hockt Jon mit Dalton
und Carter an der Theke. Ich nehme mir ein Bier aus dem Kühlschrank und
setze mich zu ihnen.
»Du hast mir gar nicht erzählt, dass Jess deepthroaten kann«, sage ich zu
Jon und öffne die Flasche.
Jon atmet tief durch. »Bis gerade eben wusste ich auch nicht, dass sie es
kann.«
Ich lache. »Vielleicht war ihr das bis vor fünf Minuten selbst nicht klar.«
Jan schüttelt den Kopf. »Verdammt, Asa. Ich hab dir gesagt, dass du sie
nicht so hart rannehmen sollst.«
Ich trinke einen Schluck und stelle das Bier auf die Theke. »Die Einzige,
die ich nicht hart rannehme, ist Sloan.«
Carter setzt die Bierflasche an den Mund und lässt mich nicht aus den
Augen, während er den Kopf in den Nacken legt und trinkt. Das ist nicht
das erste Mal, dass mir auffällt, dass der Kerl ein massives Anstarrproblem
hat.
»Ach so, ja, Sloan …«, sagt Jon. »Wann darf ich eigentlich bei ihr mal
ran?« Er lacht und trinkt von seinem Bier.
Der Wichser lacht? Hält er das etwa für witzig? Ich hole mit dem Bein
aus und versetze seinem Hocker einen solchen Tritt, dass Jon mitsamt
seiner Bierflasche rückwärts gegen die gekachelte Wand knallt und zu
Boden geht. Über ihm stehend, sehe ich mit geballten Fäusten auf ihn
runter.
»Sloan ist keine beschissene Nutte.«
Jon rappelt sich stöhnend auf. »Nicht? Heißt das, du weißt inzwischen,
was sie heute Mittag auf der Ricker Street gemacht hat? Dann treibt sie es
also doch nicht mit irgendeinem anderen, wie du gedacht hast?«
Ohne eine Sekunde zu zögern, ramme ich ihm meine Faust mit solcher
Wucht in sein Drecksmaul, dass er wieder hinfällt, worauf ich ihm noch
einen Tritt in die Rippen verpasse. Ich hole gerade zum zweiten Mal aus,
aber Dalton und Carter ziehen mich nach hinten, bevor ich ihm noch eine
verpassen kann. Jon rutscht von mir weg zur Wand. Er wischt sich über die
blutende Lippe, schaut auf seine Hand und dann zu mir.
»Scheißkerl«, sagt er.
»Witzig.« Ich lache. »Dasselbe hat deine Freundin gerade auch zu mir
gesagt, als ich meinen Schwanz aus ihrer Kehle gezogen habe.«
Jon stemmt sich brüllend hoch und trifft mich mit einem rechten Haken
am Kinn. Leider kann ich mich nicht mehr revanchieren, weil Carter sich
zwischen uns wirft und ihn gegen den Kühlschrank schiebt, während Dalton
mich an den Amen festhält.
»Geh rauf«, sagt Carter zu Jon. »Schau nach, wie es Jess geht, und krieg
dich wieder ein.«
Jon nickt erschöpft, worauf Carter ihn loslässt. Dalton lockert seinen
Griff um meine Arme erst, als Jon sich nach oben verzogen hat.
Ich reibe mir das Kinn und lasse den Kopf im Nacken kreisen, bis es
knackt. »Ich geh raus auf die Terrasse. Gebt mir Bescheid, wenn Sloan
zurück ist.«
Zwölf
Carter

Nachdem Asa nach draußen verschwunden ist, atme ich tief aus und reibe
mir den Nacken. »Scheiße.«
»Das kannst du laut sagen«, stimmt Ryan mir zu, obwohl er natürlich
nicht wissen kann, was mir gerade durch den Kopf geht.
»Hör zu, ich muss dringend mal telefonieren«, sage ich zu ihm. »Bleibst
du hier und passt auf, dass die beiden sich nicht noch mal an die Gurgel
gehen?« Auf dem Weg zu meinem Wagen ziehe ich das Handy aus der
Tasche und scrolle im Verzeichnis nach Sloans Nummer. Als ich den Job
angetreten habe, hat Ryan mir ein Handy gegeben, in dem die Nummern
sämtlicher Leute eingespeichert sind, die zum harten Kern der Truppe um
Asa gehören. Dummerweise scheint ausgerechnet Sloans Nummer zu
fehlen, jedenfalls kann ich unter ihrem Namen nichts finden. Ich will gerade
frustriert aufgeben, da kommt mir eine andere Idee und ich sehe unter A
nach. Tatsächlich gibt es einen Eintrag »Asas Freundin«. Ich rufe an und
warte ungeduldig, während es klingelt. Geh schon ran, geh ran. Nach dem
vierten Klingeln meldet sie sich endlich.
»Hallo?«
»Sloan!«
»Wer ist da?«
»Ich bin’s, Lu… Carter. Hier ist Carter.«
Sie seufzt schwer ins Telefon.
»Nein, leg nicht auf«, sage ich schnell, um zu verhindern, dass sie mich
wegdrückt, weil sie denkt, ich wollte mich noch mal entschuldigen. »Er
weiß es. Asa weiß, dass du heute in der Ricker Street warst.«
Ein paar Sekunden herrscht Stille am anderen Ende.
»Du hast es ihm gesagt?«, fragt sie dann fassungslos.
»Was? Nein! Nein, das würde ich nie … Ich hab mitbekommen, dass Jon
ihn gefragt hat, ob er inzwischen rausgefunden hat, mit wem du vorhin auf
der Ricker Street warst und was du da gemacht hast. Er weiß nicht, dass ich
es war.«
Ich werfe einen Blick über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass
mich niemand hören kann. Nur Ryan steht am Küchenfenster und schaut zu
mir raus.
»Aber wie … wie kann er das wissen?«, fragt sie und ich höre die Angst
in ihrer Stimme.
»Wahrscheinlich hat er eine App, mit der er dein Handy orten kann«,
sage ich. »Wo bist du?«
»Ich komme gerade aus dem Fitnessstudio. In fünf Minuten bin ich zu
Hause. Carter, was soll ich machen? Asa bringt mich um.«
Scheiße, warum bin ich nur mit ihr zu dieser Pizzeria gefahren? Jetzt
bereue ich jede Sekunde dieses verfluchten Tages. Ich hätte sie niemals in
diese Situation bringen dürfen.
»Hör zu. Ich hab den Pizzakarton immer noch in meinem Wagen liegen,
den ich jetzt gleich entriegeln werde, okay? Danach gehe ich raus zu Asa in
den Garten und verwickle ihn in ein Gespräch. Sobald du hier bist, holst du
die Pizza und kommst damit auf die Terrasse. Tu so, als wäre alles in bester
Ordnung. Sag ihm, du hättest Hunger gehabt und dir mittags eine Pizza
geholt, von der noch was übrig ist. Biete uns davon an. Wenn du ihm von
dir aus eine glaubhafte Erklärung lieferst, wird er sich damit wahrscheinlich
zufriedengeben.«
»Okay«, sagt sie schwer atmend. »Okay, das mach ich.«
»Gut.«
Mehrere Sekunden vergehen und mein Herzschlag beginnt sich zu
normalisieren.
»Sloan?«
»Ja?«, flüstert sie.
»Ich lasse nicht zu, dass er dir wehtut.«
Sie ist einen Moment still, dann höre ich sie seufzen und sie legt auf. Ich
sehe auf mein Handy, atme tief durch und gehe wieder rein, nachdem ich
meinen Wagen geöffnet habe.
»Mit wem hast du gesprochen?«, fragt Ryan, als ich in die Küche
komme. »Mit deiner Flamme aus Spanisch?«
Ich nicke. »Jep. Ich geh raus. Kommst du mit? Vielleicht schaffen wir es
ja, Asa wieder ein bisschen zu beruhigen.«
Ryan folgt mir. »Sieht eher aus, als müsstest du beruhigt werden«, sagt
er.
Als ich die Terrassentür aufstoße, sehe ich, dass Asa sich auf einen der
Liegestühle am Pool gelegt hat und ungeduldig mit den Fingern auf sein
Knie trommelt.
»Hey.« Ich lasse mich in den Stuhl daneben fallen und versuche, so
lässig zu wirken, wie mir das in meinem momentanen Zustand möglich ist.
Es ist mir scheißegal, was aus mir wird, falls Asa herausfinden sollte, dass
ich mit Sloan in der Pizzeria war. Aber ich werde auf keinen Fall zulassen,
dass er ihr etwas antut.
Ryan und ich fragen ihn zu den logistischen Einzelheiten eines
bevorstehenden Deals aus. Als ich nach ein paar Minuten einen Wagen in
der Einfahrt höre, bricht Asa mitten im Satz ab und stemmt sich im
Liegestuhl hoch. Wahrscheinlich will er Sloan gleich an der Haustür
abfangen. Ich muss ihn irgendwie ablenken.
»Sag mal, diese Jess …«
Er setzt sich wieder. »Was ist mit ihr?«
»Sie macht es wirklich so gut, ja?« Auch wenn ich nur so tue, als würde
mich das interessieren, komme ich mir vor wie ein Arschloch.
Asa grinst und will gerade antworten, als die Terrassentür aufschwingt
und Sloan mit dem Pizzakarton in der Hand nach draußen kommt. Ich bilde
mir ein, die Wutwellen, die von Asa ausgehen, förmlich spüren zu können.
Die Hände zu Fäusten geballt, sieht er ihr entgegen.
»Hey«, sagt sie, als sie auf uns zukommt. »Hat jemand Lust auf kalte
Pizza? Ich hab noch ein paar Stücke übrig.« Sie hält uns mit breitem
Lächeln den Karton hin.
Ryan springt auf und nimmt ihn ihr ab. »Cool. Genau das, was ich jetzt
brauche.« Er gibt den Karton an mich weiter, also nehme ich mir auch ein
Stück. In dem Moment, in dem sich Sloan in den Liegestuhl neben Asa
setzt, halte ich ihm den geöffneten Pizzakarton hin. Sie beugt sich zu ihm,
um ihm einen Kuss zu geben, aber er dreht den Kopf weg.
»Wo hast du die her?«, fragt er und klappt den Karton zu, um zu lesen,
was auf dem Deckel steht.
Sloan zuckt mit den Achseln. Ich merke, dass sie mich ganz bewusst
nicht ansieht. »Von so einem Italiener in der Nähe vom Campus. Bei mir ist
ein Kurs ausgefallen, und ich hatte Hunger, deswegen bin ich ein bisschen
rumgefahren, bis ich diesen Laden gefunden habe.«
»Warst du allein unterwegs?« Asa bückt sich und stellt die
Pizzaschachtel neben sich auf den Boden.
»Ja.« Sie lächelt. »Der Cafeteriafraß hängt mir total zum Hals raus.« Sie
beugt sich zum Karton und nimmt ein Stück heraus. »Probier mal.« Sie hält
ihm das Stück hin. »Die ist wirklich gut. Ich hab dir extra was übrig
gelassen, damit du sie testen kannst.«
Asa nimmt ihr das Stück Pizza aus der Hand und lässt es wieder in den
Karton zurückfallen. Er greift nach ihrer Hand und zieht sie zu sich auf die
Liege.
»Komm her, Süße.« Er packt sie um die Hüften, setzt sie sich auf den
Schoß und umfasst ihr Gesicht, um sie zu küssen.
Ich muss wegschauen. Der Anblick ist zu viel für mich.
Ein paar Minuten später steht Asa mit Sloan auf. Sie hat die Hände um
seinen Hals gelegt und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er ihren Po mit
beiden Händen greift und sie auf den Hals küsst, während sie die Beine um
seine Hüften schlingt. Er trägt sie zum Haus, und als ich den beiden
hinterherschaue, fange ich über seine Schulter hinweg Sloans Blick auf. Sie
sieht mich mit großen Augen an, bis die Terrassentür hinter ihnen zufällt.
Höchstwahrscheinlich bringt er sie auf direktem Weg ins Schlafzimmer.
Ich lehne mich in meinem Liegestuhl zurück, stoße die Luft aus, die ich
angehalten habe, und fahre mir durch die Haare. Wie soll ich es schaffen,
ruhig hier sitzen zu bleiben, während ich weiß, was da oben gerade vor sich
geht?
»Am liebsten würde ich ihn heute noch hochnehmen«, sage ich zu Ryan.
»Es gefällt mir nicht, wie sie dich anschaut«, antwortet Ryan mit vollem
Mund. Das halb aufgegessene Pizzastück in der Hand, starrt er
nachdenklich auf die Terrassentür. »Die Kleine riecht nach Problemen.«
Ich nehme mir ein Stück. »Eifersüchtig?«, frage ich grinsend und tue so,
als würde ich seine Bemerkung nicht im Mindesten ernst nehmen. »Warum
probierst du es nicht mal bei Jess? Sieht aus, als wäre Jon eher bereit, seine
Freundin zu teilen, als Asa.«
Ryan schüttelt lachend den Kopf. »Gott, diese Leute sind alle so was von
abgefuckt.«
Nicht alle.
»Aber vielleicht könnten wir das Ganze zu unserem Vorteil nutzen«, sagt
Ryan plötzlich. Ich werfe ihm einen Blick zu und sehe förmlich die
Zahnrädchen in seinem Kopf rotieren.
»Inwiefern?«
»Sie steht auf dich.« Er setzt sich auf. »Das eröffnet uns eine Chance,
die wir uns nicht entgehen lassen sollten. Versuch ihr näherzukommen. Sorg
dafür, dass sie dir vertraut. Wahrscheinlich weiß sie mehr über Asa, als wir
mit unseren Mitteln jemals rausfinden könnten.«
Scheiße. Ich möchte Sloan auf gar keinen Fall da mit reinziehen. »Das
halte ich für keine gute Idee.«
Ryan steht auf. »Und ob die Idee gut ist. Sie ist sogar perfekt. Das
Mädchen könnte uns den Durchbruch liefern, auf den wir die ganze Zeit
warten.« Er zieht sein Handy aus der Tasche, hält es sich ans Ohr und
schlendert aufs Haus zu.
Ryan hat noch nie Skrupel gehabt, Frauen zu benutzen, um sich
Informationen über Zielpersonen zu beschaffen. Das hat er bei fast jedem
Fall so gemacht, an dem wir gemeinsam gearbeitet haben.
Aber ich bin dazu nicht bereit.
Dumm nur, dass mir womöglich gar nichts anderes übrigbleibt …
Dreizehn
Sloan

»Dein Herz klopft total schnell«, sagt Asa und lässt mich rückwärts auf die
Matratze gleiten.
Kein Wunder. Ich habe in den letzten fünf Minuten Todesängste
ausgestanden, weil ich mir nicht sicher war, ob ich es schaffen würde, ihm
etwas vorzuspielen. Dank Carters Idee mit der Pizza hat es funktioniert.
»Du hast mich ja auch die ganze Zeit geküsst, während du mich nach
oben getragen hast«, sage ich lächelnd. »Ist doch klar, dass mein Herz da
rast.«
Asa beugt sich über mich. Er streicht durch meine Haare und küsst sich
an meinem Hals abwärts.
»Liebst du mich, Sloan?«, fragt er vollkommen unerwartet.
Ich schlucke, dann nicke ich.
Er stützt sich auf die Unterarme. »Warum sagst du es mir dann nicht?«
Ich ringe mir ein Lächeln ab und sehe ihm in die Augen. »Ich liebe dich,
Asa.«
Er schaut mich einen Moment lang forschend an, als hätte er sich einen
Lügendetektor implantieren lassen und würde warten, ob ich den Test
bestehe. Dann lässt er sich langsam auf mich herabsinken und legt sein
Gesicht an meinen Hals. »Ich liebe dich auch.« Er rollt sich auf die Seite,
zieht mich an sich und malt mit den Fingern Kreise auf meinen Rücken. Ich
kann mich nicht daran erinnern, wann er mich im Bett das letzte Mal so
zärtlich berührt hat. Jetzt küsst er mich auf die Schläfe und seufzt.
»Bleib bei mir, Sloan«, sagt er mit fester Stimme. »Okay? Das meine ich
verflucht ernst. Du darfst mich nie verlassen.«
Der harte und zugleich verzweifelte Blick in seinen Augen lähmt mich,
trotzdem schaffe ich es, den Kopf zu schütteln. »Das werde ich nicht, Asa.«
Sein Blick wandert suchend über mein Gesicht. Während ich erstarrt in
seinen Armen liege, sieht er mich mit solcher Intensität an, dass ich nicht
weiß, ob ich mich geliebt fühlen oder Angst bekommen sollte. Vielleicht
ein bisschen von beidem.
Und dann küsst er mich auf einmal so voller Wildheit, als wollte er jeden
Quadratzentimeter von mir in Besitz nehmen. In seinem Kuss liegt keine
Zärtlichkeit und er holt keuchend Luft, als er seinen Mund endlich von
meinem losreißt, sich vor mich hinkniet und mir das Shirt über den Kopf
zieht. »Sag es noch mal«, verlangt er, während er meinen BH öffnet. »Sag
mir, dass du mich liebst, Sloan. Und dass du mich nie verlassen wirst.«
»Ich liebe dich und ich werde dich niemals verlassen«, flüstere ich und
bete, dass Letzteres bald zur Lüge geworden sein wird.
Wieder presst er seinen Mund auf meinen und lässt gleichzeitig seine
Hand über meine Brüste und meinen Bauch nach unten zum Bund meiner
Jeans gleiten. Während er mich so grob küsst, dass ich kaum Luft
bekomme, versucht er mich auszuziehen, ohne den Mund von meinem zu
lösen. Ich hebe das Becken an und ziehe mir die Jeans selbst aus, um für ihn
bereit zu sein, und fühle mich dabei wie eine Hure. Die Hure, zu der ich
mich für ihn gemacht habe.
Ist es nicht so, dass ich genau das verkörpere, was eine Hure ausmacht?
Einen Menschen, der bereit ist, auch noch den letzten Funken von
Selbstrespekt zu verkaufen, um sich persönlich zu bereichern? Auch wenn
das, was Asa mir gibt, nicht mir selbst, sondern meinem Bruder zugute
kommt, ändert das nichts daran, dass ich nur deswegen mit Asa Sex habe,
weil ich etwas dafür bekomme. Das macht mich zur Hure.
Zu seiner Hure.
Und genau so behandelt er mich auch.
Vierzehn
Carter

Wahrscheinlich gibt es nur wenige Talente, die bei mir noch schwächer
ausgeprägt sind als mein Gespür für Timing. In dem Moment, in dem ich
die Terrassentür öffne, um ins Haus zu gehen, hallt lautes Stöhnen zu mir
herunter, das unmissverständlich anzeigt, dass Asa gerade fertig geworden
ist. Ich weiß selbst nicht, warum ich stehen bleibe und mir das anhöre. Bei
dem Gedanken an das, was dort oben passiert, dreht sich mir der Magen
um. Vor allem, wenn ich daran denke, was Asa vor kaum zwei Stunden mit
Jess gemacht hat.
Als ich Schritte im Flur höre und kurz darauf die Badezimmertür
zuklappt, schüttle ich meine Erstarrung ab und gehe in die Küche. An der
Kühlschranktür ist ein Whiteboard angebracht, auf dem verschiedene
Telefonnummern stehen. Ich greife nach dem Marker, der auf der Theke
liegt, und schreibe drauflos. Kurz darauf höre ich Schritte auf der Treppe
und lege den Stift gerade noch rechtzeitig weg, bevor Asa um die Ecke
biegt.
»Na? Was geht ab?«, fragt er träge. Er ist barfuß und hat nur seine Jeans
an, deren Knöpfe offen stehen. Seine Haare sind zerwühlt und sein
selbstzufriedenes Grinsen ist zum Kotzen.
»Alles bestens.« An die Theke gelehnt, sehe ich zu, wie er zum
Vorratsschrank schlendert und eine Tüte Chips rausholt. Er reißt sie auf und
fängt an zu essen.
»Wie lief es gestern Abend eigentlich bei dir?«, fragt er kauend. »Ich
hab vorhin total vergessen, dich darauf anzusprechen.«
»Gut«, sage ich. »Aber was ich mir überlegt habe … Warum besorgen
wir uns das Zeug nicht direkt bei seinem Lieferanten? Ich meine, du hast
jetzt doch mich und brauchst keinen Mittelsmann mehr, der für dich die
Verhandlungen auf Spanisch führt.«
Asa wirft sich noch eine Handvoll Chips in den Mund und leckt sich die
Finger ab. »Was glaubst du, warum ich dich ins Team geholt habe?« Er
wirft die Tüte auf die Theke und dreht sich zum Spülbecken. »Meine Hände
schmecken nach Pussy«, sagt er und schrubbt sie sich mit Seife.
Seit ich bei der Polizei bin, gab es noch nicht viele Momente, in denen
ich mir gewünscht habe, ich hätte mir einen anderen Beruf gesucht. Einen,
der mir etwas weniger emotionale Selbstbeherrschung abverlangt. Zum
Beispiel Englischlehrer an einer Highschool, dann würde ich jetzt mit
meinen Schülern Gedichte interpretieren.
»Seit wann bist du mit deiner Freundin eigentlich schon zusammen?«,
frage ich gespielt beiläufig. Natürlich bin ich hier, um Informationen über
Asa zu sammeln, aber die einzigen Antworten, die mich wirklich
interessieren, haben mit Sloan zu tun.
Er trocknet sich die Hände an einem Küchentuch ab, greift wieder nach
der Chipstüte und setzt sich auf einen der Hocker an der Theke. Ich bleibe
stehen, wo ich bin.
»Schon eine ganze Weile. Sind jetzt vielleicht zwei Jahre.« Er stopft sich
Chips in den Mund und wischt sich die Finger an der Jeans ab.
»Sie scheint es ja nicht so toll zu finden, dass du dein Geld mit Drogen
verdienst«, mache ich einen ersten schwachen Vorstoß. »Meinst du, sie hält
dicht?«
»Garantiert«, sagt er sofort. »Sie hat niemanden außer mir. Ihr bleibt gar
nichts anderes übrig, als meinen Job zu akzeptieren.«
Ich nicke und stemme die Handflächen auf die Arbeitsfläche hinter mir.
Ich glaube kein Wort, das aus seinem Mund kommt, deswegen hoffe ich,
dass die Behauptung, Sloan hätte niemanden außer ihm, eine weitere Lüge
ist.
»Ich wollte bloß mal nachfragen«, sage ich. »Ich bin nicht der Typ, der
anderen so ohne Weiteres vertraut, falls du verstehst, was ich meine.«
»Und ob.« Asa verengt die Augen und beugt sich vor. »Man darf
niemandem vertrauen, Carter. Ganz besonders nicht den Nutten.«
»Hast du nicht gesagt, Sloan wäre keine Nutte?«, provoziere ich ihn
bewusst.
Asas Blick wird starr und ich sehe Wut in seinen Augen aufflackern.
Eine Sekunde lang befürchte ich, dass er mir gleich genauso eine
reinschlägt wie Jon vorhin, aber dann lässt er den Kopf im Nacken kreisen,
bis es knackt, und lehnt sich wieder zurück. Die Aggression in seinem Blick
erlischt, als Sloans Schritte auf der Treppe zu hören sind. Sie biegt um die
Ecke, sieht uns beide und bleibt stehen.
Asa steht lachend auf und zieht sie an sich. »Mein Vertrauen muss man
sich verdienen«, sagt er und sieht mich über ihre Schulter hinweg scharf an.
»Sloan hat es sich verdient.«
Sloan legt ihre Hand auf seine Brust und will ihn von sich schieben, aber
Asa lässt sie nicht los. Er setzt sich wieder, zieht sie an sich und dreht sie
so, dass sie mit dem Rücken zu ihm zwischen seinen Schenkeln steht. Er
schlingt seine Arme um ihre Taille, legt sein Kinn auf ihre Schulter und
sieht mich an.
»Du gefällst mir, Carter«, sagt er. »Bei dir dreht sich alles immer nur
ums Business.«
Ich ringe mir ein Lächeln ab und umklammere die Kante der
Arbeitsfläche hinter mir, während ich meine ganze Selbstbeherrschung
aufbieten muss, um Sloan nicht in die Augen zu sehen. Die Angst, die in
ihrem Blick liegt, wenn er sie anfasst, ist schwer zu ertragen.
»Gutes Stichwort«, sage ich. »Ich muss los, ein paar Dinge erledigen.
Kann ein, zwei Stunden dauern.« Ich schlendere an den beiden vorbei in
Richtung Haustür. Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, wie Sloan mir
einen dankbaren Blick zuwirft.
Asa beugt sich vor, küsst sie auf den Hals und legt dann eine Hand um
ihre Brust. Sie kneift die Augen zu, verzieht das Gesicht und wendet sich
von mir ab. Ich gehe weiter und fühle mich komplett handlungsunfähig.
Aber es hat keinen Zweck. Ich habe hier einen Job zu erledigen – und der
hat erst mal nichts mit ihr zu tun.

***

Vom Auto aus schicke ich Ryan eine Nachricht, dass ich schnell im Revier
vorbeischaue, um einen Bericht zu schreiben. In Wirklichkeit fahre ich los,
ohne zu wissen, wohin. Ich stelle das Radio laut und versuche den
Gedanken daran, dass ich Asa am liebsten umbringen würde, aus meinem
Kopf zu verbannen, aber alle meine anderen Gedanken drehen sich um
Sloan … was mich zwangsläufig wieder zurück zu dem Gedanken führt,
dass ich Asa umbringen will.
Mir ist bewusst, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe. Diese Aufgabe
besteht darin, den größten Drogenring in der Geschichte des hiesigen
College zu sprengen. Die Anzahl von Studenten, die mit harten Drogen
erwischt werden, hat sich allein in den vergangenen drei Jahren
verzehnfacht. Es besteht der dringende Verdacht, dass dieser enorme
Anstieg maßgeblich auf Asa und seine Jungs zurückzuführen ist. Um ihn
als Schlüsselfigur zu identifizieren und Beweise gegen ihn und seine
wichtigsten Kontakte zu sammeln, sind Ryan und ich eingeschleust worden.
Wir sind nur kleine Rädchen im Getriebe, aber es sind viele kleine
Rädchen, die ein großes Uhrwerk antreiben, und jedes einzelne davon ist
unverzichtbar.
Asa zerstört die Leben von zahllosen Menschen, Sloan ist bloß eine von
vielen. Entweder konzentriere ich mich darauf, das zu tun, weshalb ich hier
bin, und trage dazu bei, jeden, der an diesem Kartell beteiligt ist, vor
Gericht zu bringen … oder ich rette ein einzelnes Mädchen vor ihrem
gewalttätigen Freund.
Dass ich zwischen Pflichtgefühl und meinen eigenen Wünschen trennen
muss, lässt mich an den berühmten Spruch denken, dass es manchmal
notwendig sein kann, das Leben von ein paar wenigen Menschen zu opfern,
um viele zu retten.
Muss ich Sloans Leben aufs Spiel setzen, um andere vor Asa zu
bewahren? Dieser Gedanke bringt mich um.
Mir fällt gerade auf, dass ich schon zum dritten Mal in dieser Woche
darüber nachdenke, ob ich für diesen Beruf überhaupt geeignet bin.
Nachdem ich eine Stunde sinnlos in der Gegend rumgekurvt bin,
beschließe ich, wieder zurückzufahren, obwohl das eigentlich nicht nötig
wäre. Als Ryan mich vor einiger Zeit bei Asa als möglichen neuen Partner
ins Gespräch gebracht hat, hat er ihm erzählt, ich sei Student und würde auf
dem Campus wohnen, weshalb ich mich im Studentenheim eingemietet
habe, falls Asa auf die Idee kommen sollte, mich zu überprüfen. Trotzdem
rede ich mir ein, dass es wichtig ist, so viel Zeit wie möglich im Haus zu
verbringen, weil ich Asa und seine Truppe im Auge behalten muss … und
Sloan.
Natürlich weiß ich, dass Ryan recht hat. Es wäre dumm, mir die Chance
entgehen zu lassen, Sloan für unsere Ermittlungen zu nutzen, aber das
bedeutet zwangsläufig, dass sie bei Asa wohnen bleiben muss. Viel lieber
würde ich ihr Geld geben und sie bitten, so viel Abstand zwischen sich und
ihn zu bringen, wie sie nur kann.
Als ich fast am Haus bin, bemerke ich in dem kleinen Park an der Ecke
ein Mädchen, das an einem der Picknickplätze sitzt. Es ist Sloan, die ihre
Unterlagen vor sich ausgebreitet hat. Sieht aus, als würde sie fürs College
lernen.
Ich fahre langsamer, halte am Straßenrand und beobachte sie eine Weile.
Anscheinend ist sie allein.
Ich überlege. Wenn ich vernünftig wäre, würde ich weiterfahren und
mich um die Dinge kümmern, wegen denen ich eigentlich hier bin. Wenn
ich vernünftig wäre, würde ich jetzt nicht die Wagentür öffnen und
aussteigen, um die Straße zum Park zu überqueren.
Wenn ich vernünftig wäre …
Fünfzehn
Sloan

Ich habe Asa noch nie auch nur einen Strich für sein Studium machen
sehen. Im Gegensatz dazu versuche ich jeden Tag, ein paar Stunden zu
lernen – egal, was für ein Chaos um mich herum herrscht. Notfalls gehe ich
raus und setze mich so wie jetzt in den Park, um meine Ruhe zu haben.
Ich habe mich schon oft gefragt, wie er es schafft, seinen guten
Notendurchschnitt zu halten. Wahrscheinlich besticht er die Dozenten oder
erpresst sie. Zuzutrauen ist es ihm.
»Hey.«
Ich erstarre. Die Hand auf der Dose mit dem Pfefferspray an meinem
Schlüsselanhänger, drehe ich mich langsam um und atme erleichtert aus, als
ich Carter erkenne. Seine dunklen Haare hängen ihm in die Stirn, er hat die
Hände hinten in die Hosentaschen geschoben.
Ein paar Meter vor dem Tisch bleibt er stehen, als würde er auf meine
Erlaubnis warten, näher zu kommen. Diesmal lächelt er mich nicht an. Er
hat dazugelernt.
»Hey«, sage ich ausdruckslos und lasse das Spray los. »Hat Asa dich
geschickt, um mich zu holen?«
Jetzt kommt er zu mir, schwingt ein Bein über die Bank und setzt sich
rittlings darauf. Die Hände immer noch in den Taschen, sieht er mich an.
Ich starre krampfhaft auf meine Unterlagen. Die kleine Schwärmerei für
ihn, die ich am ersten Tag im Spanischkurs entwickelt hatte, hat sich in
etwas verwandelt, das uns verdammt gefährlich werden könnte. Ich muss
mich von ihm fernhalten und weiß genau, wenn ich ihn ansehe, werde ich
alles andere wollen, als mich fernzuhalten.
»Ich bin gerade vorbeigefahren und hab dich hier sitzen sehen. Da
dachte ich, ich frag mal, ob alles okay ist.«
»Mir geht’s gut, danke.« Ich lächle flüchtig und wende mich wieder
meinem Lernstoff zu. Soll ich mich bei ihm bedanken, weil er mich vor Asa
gewarnt hat? Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn er
nicht angerufen hätte. Andererseits kann es natürlich sein, dass er das vor
allem getan hat, um seine eigene Haut zu retten.
Nein, ich weiß, dass es ihm nicht darum ging. Ich habe seiner Stimme
angehört, wie besorgt er war. Er hat sich um mich genauso viele Sorgen
gemacht wie ich mir um ihn.
»Ist das so?«, fragt er skeptisch. »Geht es dir wirklich gut?«
Kann er vielleicht endlich mal aufhören, immer wieder den Finger in die
Wunde zu legen? Ständig will er wissen, was in mir vor sich geht. Dauernd
möchte er irgendeine Wahrheit aus mir herauspressen.
Okay, die kann er kriegen, dann haben wir es endlich hinter uns. Ich
lasse meinen Stift fallen, wende mich ihm zu und bereite mich darauf vor,
ihm alles zu sagen, was er jemals über mich wissen wollte, sogar das,
wonach er noch gar nicht gefragt hat.
»Ja, Carter. Stell dir vor, es geht mir gut. Okay, nicht supergut, aber es
geht mir auch nicht superschlecht. Ich kann mich nicht beklagen. Immerhin
habe ich ein Dach über dem Kopf und einen Freund, der mich liebt, auch
wenn er Sachen macht, die ich nicht okay finde. Willst du wissen, ob ich
mir wünsche, er wäre ein besserer Mensch? Ja, tue ich. Würde ich ihn
verlassen, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte? Ja, definitiv. Wünsche ich
mir, bei uns zu Hause wäre nicht ständig so viel los, damit ich vielleicht
auch mal einen ruhigen Platz zum Lernen finden oder mal wieder eine
Nacht ungestört durchschlafen könnte? Verdammt noch mal, ja! Wünsche
ich mir, ich könnte meinen Abschluss früher machen, um endlich aus dieser
Scheißsituation rauszukommen? Ja! Schäme ich mich dafür, dass ich mich
von Asa wie ein Fußabtreter behandeln lasse? Ja. Fände ich es besser, wenn
du nichts mit ihm zu tun hättest? Oh ja. Würde ich mir wünschen, du wärst
die Art von Mensch, für die ich dich gehalten habe, als ich dich
kennengelernt habe? Ja! Wünsche ich mir, du könntest mich retten …?«
Ich seufze resigniert und betrachte meine Hände. »So sehr, Carter«,
flüstere ich. »Ich wünsche mir so sehr, du könntest mich aus dieser Scheiße
rausholen. Aber das kannst du nicht. Es gibt Gründe, warum ich nicht
einfach abhaue, und an denen kannst du nichts ändern. Wenn es hier nur um
mich ginge, wäre ich längst weg.«
Ich hole tief Luft. Wie könnte Carter mich denn auch aus diesem Leben
retten? Er ist ja selbst ein Teil davon. Wenn ich mich vor Asa in seine Arme
flüchten würde, wären das nur andere Arme … das Leben bliebe das
gleiche. Carter hat keine Ahnung, dass der Grund, warum ich bei Asa
bleibe, nichts mit mir oder meinen Gefühlen zu tun hat.
Als ich spüre, wie mir die Tränen kommen, schüttle ich den Kopf und
blinzle sie zurück. »Ich habe mich sogar schon mal von ihm getrennt und
bin ausgezogen«, erzähle ich mit belegter Stimme. »Damals waren wir erst
ein paar Monate zusammen. Ich hatte herausgefunden, womit er Geschäfte
macht, und wollte nur noch weg, obwohl ich niemanden hatte, zu dem ich
gehen konnte, und kein Geld für etwas Eigenes, aber dann …« Ich überlege,
wie ich es ihm erklären soll. Als ich Carter ansehe, bemerke ich aufrichtige
Anteilnahme in seinen Augen. Es ist verrückt. Wie kann es sein, dass ich
diesem Typen, den ich kaum kenne, jetzt schon mehr vertraue als dem
Mann, mit dem ich das Bett teile?
»Ich hatte zwei Brüder. Zwillinge. Knapp drei Jahre jünger als ich. Drew
und Stephen. Meine Mutter ist drogenabhängig und hat auch während der
Schwangerschaft konsumiert, weshalb die beiden mit Behinderungen zur
Welt gekommen sind. Drew ist …« Ich hole tief Luft. »Er ist gestorben, als
er zehn war. Stephen braucht ständige Betreuung. Bis vor zwei Jahren habe
ich mich praktisch allein um ihn gekümmert. Als er sechzehn wurde,
bekamen wir endlich einen Platz in einem Pflegeheim, in dem er rund um
die Uhr betreut wird. Nur deswegen konnte ich aufs College, um später
hoffentlich mal einen guten Job zu finden, der es mir ermöglicht, für uns
beide zu sorgen. Ein paar Wochen, nachdem ich mich von Asa getrennt
hatte, bekam ich die Information, dass Stephens Platz im Heim nicht länger
staatlich finanziert werden würde. Ich konnte ihn nicht zu mir holen, weil
ich damals keine eigene Wohnung hatte, sondern reihum bei Bekannten
geschlafen habe. Natürlich konnte ich es mir auch nicht leisten, die
Heimkosten aus eigener Tasche zu bezahlen – das sind mehrere Tausend
Dollar monatlich. Aber ich wollte um jeden Preis verhindern, dass Stephen
zu unserer Mutter zurückmusste. Die Frau ist absolut nicht in der Lage, sich
um ihn zu kümmern. Ich war total verzweifelt, weil ich mich so ohnmächtig
gefühlt habe und einfach keine Lösung wusste. Und als Asa sich dann
gemeldet und mich angefleht hat, wieder zu ihm zurückzukommen … und
mir versprochen hat, die Kosten für das Pflegeheim zu übernehmen, da …
Ich konnte das Angebot nicht ablehnen, Carter. Also bin ich wieder bei ihm
eingezogen. Und jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als die Zähne
zusammenzubeißen und zu versuchen, nicht darüber nachzudenken, wo das
Geld herkommt, mit dem er Stephens Heimplatz bezahlt. Deswegen bin ich
immer noch bei ihm, Carter. Weil ich, verdammt noch mal, keine andere
Wahl habe.«
Carter starrt mich schweigend an, und plötzlich bereue ich es, so offen
gewesen zu sein. Ich habe das noch nie irgendjemandem erzählt. Und ich
schäme mich unendlich dafür, dass ich nur deshalb mit Asa zusammen bin,
weil er mein und Stephens Leben finanziert. Es laut auszusprechen, macht
es noch schlimmer.
Obwohl es erst einen halben Tag her ist, dass wir uns in der Pizzeria
gegenübersaßen, kommt es mir vor, als wäre das in einem anderen Leben
gewesen. Seitdem ist schon wieder so viel passiert. Carter sieht sogar
anders aus. Er ist nicht mehr der süße, lustige Typ, mit dem ich im
Spanischkurs geflirtet habe und der sich vor ein paar Stunden zerknirscht
bei mir entschuldigt hat.
Jetzt gerade sieht er … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll … Er
sieht wie ein vollkommen anderer Mensch aus. Als hätte er bisher eine
Rolle gespielt und würde sich mir jetzt zum ersten Mal so zeigen, wie er
wirklich ist.
Er dreht den Kopf weg, und ich sehe, wie sich sein Kehlkopf bewegt, als
er schluckt, bevor er sich mir wieder zuwendet. »Ich habe großen Respekt
vor dem, was du für deinen Bruder tust, Sloan«, sagt er. »Aber ist das
Risiko nicht ein bisschen groß? Du könntest zwischen die Fronten geraten
und dabei draufgehen und was würde das deinem Bruder nützen? In diesem
Haus bist du nicht sicher. Bei Asa bist du nicht sicher.«
Seufzend reibe ich mir eine Träne von der Wange, die sich aus meinem
Augenwinkel gestohlen hat. »Ich versuche, auf mich aufzupassen, Carter.
Aber ich kann es mir nicht leisten, darüber nachzudenken, was alles noch
Schreckliches passieren könnte.«
Sein Blick folgt der nächsten Träne, die mir über die Wange rollt, und
diesmal ist er derjenige, der sie wegwischt.
Asa hat mir nie auch nur eine einzige der vielen Tränen weggewischt,
die ich seinetwegen schon vergossen habe.
»Komm her«, sagt Carter plötzlich und greift nach meiner Hand. Er
zieht mich zu sich und rutscht gleichzeitig näher an mich heran. Ich schaue
zögernd auf seine Hand, da fasst er mich mit der anderen schon am
Ellbogen. »Komm zu mir.« Er zieht mich ganz an sich, umarmt mich
tröstend, und ich lege den Kopf an seine Schulter und lasse zu, dass er mich
hält.
Mehr tut er nicht.
Er versucht nichts schönzureden, er sagt mir nicht, dass alles wieder gut
werden wird, weil wir beide wissen, dass das gelogen wäre. Er macht mir
keine Versprechungen, die er nicht halten kann, wie Asa es immer tut. Er
hält mich einfach nur in den Armen – und ich bin überwältigt, weil ich zum
ersten Mal in meinem Leben Mitgefühl erlebe.
Ich rutsche noch ein Stückchen näher an ihn heran und spüre, wie ich
mich entspanne, während er die Wange an meinen Kopf legt und mir über
die Haare streichelt. Mit geschlossenen Augen lausche ich seinem
Herzschlag und versuche mich zu erinnern, ob es in meinem erbärmlichen
Leben jemals einen Moment gegeben hat, in dem ein anderer Mensch mich
getröstet hat. Aber da ist keine Erinnerung, weil es das nie gegeben hat. Ich
lebe jetzt schon seit zwanzig Jahren auf dieser Erde und erfahre zum ersten
Mal, wie es sich anfühlt, wenn da jemand ist, dem ich nicht gleichgültig
bin.
Die Finger in Carters T-Shirt verkrallt, presse ich mich noch enger an
ihn, als könnte ich mit ihm verschmelzen und dieses schöne Gefühl für
immer genießen.
Eng aneinandergeschmiegt sitzen wir da und halten uns, als würde das
Schicksal der Welt von dieser Umarmung abhängen.
Sein T-Shirt ist feucht von den Tränen, die mir übers Gesicht laufen,
dabei kann ich nicht einmal sagen, warum ich eigentlich weine. Vielleicht
deshalb, weil ich bis zu diesem Augenblick keine Ahnung hatte, wie es sich
anfühlt, wertgeschätzt und wirklich respektiert zu werden. Bis zu diesem
Augenblick hatte ich keine Ahnung, wie es sich anfühlt, einem anderen
etwas zu bedeuten.
Kein Mensch sollte ein Leben führen müssen, in dem es niemanden gibt,
der Anteil nimmt – noch nicht einmal die Eltern, die einen gezeugt haben –,
und doch habe ich zwanzig Jahre lang genau so gelebt.
Bis gerade eben.
Sechzehn
Carter

Ich schließe die Augen und halte sie, während sie leise in mein T-Shirt
weint. Ich halte sie, bis sich die Dämmerung um uns herum in Dunkelheit
verwandelt hat und das letzte Licht von Schwärze verschluckt wird, in der
nach und nach immer mehr Sterne funkeln.
Ich halte sie, bis ich einen Wagen höre, der sich dem Park nähert, zum
Glück aber wendet und in entgegengesetzter Richtung davonfährt. Sloan
schmiegt sich weiter an mich, aber jetzt überlagert der Gedanke, dass Asa
oder Ryan mich hier mit ihr sitzen sehen könnten, die trügerische Ruhe.
Sosehr ich mir wünsche, sie trösten zu können – ich darf es nicht. Sollte
Asa davon erfahren, würde das alles nur noch viel schlimmer machen.
Sie hat recht. Ich kann sie nicht retten.
Wir stecken beide in einer Zwickmühle. Ich genauso wie sie. Es gibt
etwas, das wichtiger ist als wir beide und das ich nicht aufs Spiel setzen
darf. Ich kann unsere Mission nicht scheitern lassen, um Sloan zu helfen,
von Asa wegzukommen. Diesen Schritt muss sie allein gehen … wenn die
Zeit reif ist und sie finanziell auf eigenen Beinen steht.
In jeder vermeintlich harmlosen Sekunde, in der ich sie tröste, ihre Hand
halte, in der Uni neben ihr sitze und mit ihr lache, stoße ich sie zugleich
immer näher an einen Abgrund heran. Wenn ich es nicht schaffe, mich um
unser aller Sicherheit willen von ihr fernzuhalten, muss ich womöglich
eines Tages mitansehen, wie sie in diesen Abgrund stürzt.
Ich lasse die Arme sinken und will von ihr wegrücken, aber sie
klammert sich weiter an mir fest. Irgendwann greife ich nach ihren Händen
und löse sie sanft von mir. Sloan hebt den Kopf und sieht mich an. Ihre
Augen sind gerötet und ihre Lippen leicht geschwollen.
Hör auf, sie so anzustarren, Luke.
Als ich aufstehe, streckt sie die Arme nach mir aus und hält mich fest.
Ihr Blick ist verwirrt.
»Du musst loslassen«, flüstere ich.
Ihre Hände fallen in den Schoß. Dann zieht sie die Füße auf die Bank,
legt den Kopf auf die Knie und schlingt die Arme darum.
Mich von ihr abzuwenden, fordert mir größere Selbstüberwindung ab,
als ich sie je in meinem Leben aufbringen musste. »Du hast recht, Sloan«,
sage ich. »Ich kann dich nicht retten.«
Jeder Schritt in Richtung meines Wagens kostet mich mehr Kraft als der
vorherige. Ich drehe mich nicht noch einmal nach ihr um. Wie betäubt öffne
ich die Tür, setze mich hinters Steuer und fahre zum Haus.

***

Schon auf dem Weg zur Tür höre ich laute Musik und ein Durcheinander
aus Stimmen und Gelächter aus dem Garten und weiß, dass es wieder eine
lange Nacht werden wird.
Ich gehe durchs Wohnzimmer, in dem benutzte Gläser, Teller und leere
Bierflaschen herumstehen, auf die Terrasse hinaus. Der Garten ist voll mit
irgendwelchen Leuten, von denen aber keiner auf mich achtet, als ich
rauskomme. Im Pool toben kreischend vier Mädchen und ziehen eine kleine
Show ab. Zwei sitzen auf den Schultern der beiden anderen und versuchen
sich gegenseitig herunterzustoßen. Jon und Ryan stehen mit Bechern voller
Bier an der Seite und feuern sie grölend an. Anscheinend haben sie Wetten
abgeschlossen, welches Mädchen als Erstes baden geht.
Asa hockt am Beckenrand und lässt die Füße ins Wasser baumeln.
Allerdings schaut er nicht die Mädchen an, sondern mich. Sein Blick ist
hart und misstrauisch. Ich nicke ihm zu und tue so, als würde ich seine
Miene nicht bemerken.
»Carter, alte Schweinebacke! Da bist du ja endlich«, ruft Ryan, als er
mich sieht.
Er geht schwankend um den Pool herum auf mich zu und verschüttet
dabei fast sein Bier. Bei mir angekommen, umarmt er mich und beugt sich
zu meinem Ohr. »Keine Sorge. Ich bin nicht ganz so dicht, wie es aussieht«,
raunt er. »Hast du was aus Sloan rausbekommen?«
»Woher weißt du, dass ich sie getroffen habe?«
Er lacht. »Ich hatte keine Ahnung. Trotzdem cool, dass du es so schnell
hingekriegt hast.« Er klopft mir auf die Schulter. »Gut gemacht, Partner.
Die Kleine weiß bestimmt mehr, als wir uns vorstellen können.«
Ich schüttle den Kopf. »Irrtum. Ich glaube, sie weiß gar nichts«, sage
ich. »Mit ihr vergeuden wir bloß unsere Zeit.«
Über Ryans Schulter hinweg sehe ich, dass Asa weiterhin mit verengten
Augen zu uns rüberschaut. Er zieht die Füße aus dem Wasser und steht auf.
»Er kommt her«, raune ich.
Ryan hebt sein Bier. »Hundert Dollar darauf, dass ich länger unter
Wasser bleiben kann als irgendein anderer von euch Luschen.«
Jon nimmt die Herausforderung sofort an. Die beiden schleudern ihre
Becher ins Gras und springen kopfüber in den Pool.
Asa kommt auf mich zu, geht dann aber dicht an mir vorbei ins Haus,
ohne mich anzusehen.
Ich weiß nicht, was mich nervöser macht: dass ich ihm keinen
Zentimeter über den Weg traue oder dass es ihm mit mir umgekehrt
offenbar genauso geht.
Siebzehn
Sloan

Nachdem Carter gegangen ist, saß ich noch etwa eine halbe Stunde im Park,
bis ich mich so weit beruhigt hatte, dass ich meine Sachen
zusammenpacken und nach Hause gehen konnte. Jetzt stehe ich schon seit
zehn Minuten vor dem Plattenweg, der zur Tür führt. Ich sehe zwischen
dem Weg und der schwarz asphaltierten Straße hin und her. Es wäre so
leicht, geradeaus weiterzugehen. In diesem Haus lebt niemand, an dem mir
etwas liegt. Es gibt dort nichts, was ich wirklich brauche. Ich könnte
einfach einen Schritt vor den anderen setzen, bis ich zu weit weg wäre, um
wieder umzudrehen.
Ich seufze. Wenn es doch nur so einfach wäre. Aber zum tausendsten
Mal: Es geht nicht nur um mich und deswegen darf ich nicht wegrennen.
Carter kann mich nicht retten. Asa ist auf Dauer mein Untergang. Mir
bleibt nichts anderes übrig, als weiter Geld zu sparen, bis ich irgendwann
genug für mich und Stephen zusammenhabe.
Nachdem ich tief Luft geholt habe, gehe ich einen Schritt aufs Haus zu,
bleibe dann aber doch wieder stehen. Verdammt – ich wäre jetzt überall
anders lieber als hier. Ich möchte wieder in den Park zurück, auf die Bank,
in Carters Arme. Ich will wieder dieses tröstliche Gefühl spüren … und
muss mir eingestehen, dass ich noch mehr will, auch wenn ich mich dafür
schäme. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, von einem Mann geküsst zu
werden, der mich respektiert.
Der Gedanke allein weckt schon Schuldgefühle in mir. Asa ist mir treu.
Er sorgt für mich. Und er hat die Verantwortung für Stephen übernommen
und unterstützt ihn finanziell, obwohl er das nicht müsste.
Er tut es, weil er mich liebt und weiß, dass mir das Glück meines
Bruders wichtiger ist als mein eigenes. Das ist verdammt großherzig von
ihm und sehr viel mehr, als irgendjemand sonst in meinem Leben je für
mich getan hat.
Nachdem ich meinen Rucksack mit den Unisachen für morgen in den
Wagen gelegt habe, trete ich ins Haus und gehe in die Küche, um mir wie
immer noch etwas zu essen und zu trinken mit nach oben ins Schlafzimmer
zu nehmen. Dort werde ich dann den Rest des Abends bleiben und
irgendwann versuchen, trotz der lauten Musik, des Gelächters und der
gelegentlichen unterdrückten Schreie wenigstens ein paar Stunden Schlaf
zu bekommen, bevor Asa mich weckt.
Ich stelle einen Teller Nudeln in die Mikrowelle und fülle ein Glas mit
Eiswürfeln. Als ich den Gefrierschrank schließe, fällt mein Blick auf etwas,
das jemand auf das Whiteboard an der Kühlschranktür geschrieben hat. Die
Handschrift kenne ich. Mir stockt der Atem.

Die Traurigkeit strömt ihr so unaufhaltsam über die Lippen, wie wahllos
Wörter aus ihrem Stift aufs Papier fließen. Ich würde sie so gern mit meinen
Händen auffangen, um sie ihr abzunehmen. Nichts würde ich lieber tun.

Fassungslos starre ich auf die Worte, die für jeden offen zu lesen, aber wie
ich weiß, nur für mich bestimmt sind. Carter hat sich nicht an meine
Spielregeln gehalten. Er hat sich genau überlegt, was er ausdrücken will,
bevor er es hingeschrieben hat. Das gilt nicht.
Ich wische die Sätze weg, nachdem ich sie mir unauslöschlich
eingeprägt habe, dann greife ich nach dem Marker.
Achtzehn
Asa

Ich schwitze. Alles an mir klebt. Sogar meine Hände sind nass. Unsere
Klimaanlage ist mal wieder kaputt, aber nach draußen will ich auch nicht,
da ist es sogar noch heißer als hier drinnen. Mit der Hand fahre ich über
die Armlehne vom Sofa und male eine feuchte Spur auf das fleckige Leder.
Wo kommt Schweiß eigentlich her?
Woraus wird Leder gemacht?
Mom hat mir erzählt, dass Leder die Haut von Kühen ist, aber ich weiß,
dass sie eine Lügnerin ist, deswegen glaube ich ihr nicht. Außerdem hab ich
schon mal echte Kühe gesehen und sogar angefasst. Die haben raues Fell
und Leder ist glatt. Leder sieht mehr so aus, als wäre es aus Dinosauriern
gemacht als aus Kühen.
Wetten, Leder wird in Wirklichkeit aus Dinosauriern gemacht? Ich
verstehe nicht, warum Mom mich immer anlügt. Sie lügt auch Daddy an.
Das weiß ich, weil sie deswegen oft Ärger mit ihm bekommt.
Daddy sagt immer, dass man den Nutten nicht trauen darf. Ich weiß
nicht, was Nutten sind, aber ich weiß, dass Daddy sie nicht leiden kann.
Wenn er wütend auf Mom ist, nennt er sie manchmal so. Nutte. Vielleicht
ist das ja ein anderes Wort für Lügnerin.
Ich fände es gut, wenn meine Mutter keine Nutte wäre. Und wenn sie
aufhören würde, so viel zu lügen, damit Daddy nicht immer so wütend auf
sie sein muss. Wenn er sie anschreit und schlägt, würde ich am liebsten
weggehen und mich irgendwo verkriechen.
Aber das erlaubt Daddy mir nicht. Er sagt, dass es wichtig für mich ist,
dabei zuzuschauen. Er sagt, wenn ich irgendwann ein richtiger Mann
werden will, muss ich es aushalten können, wenn eine Frau weint. Die
Tränen von Frauen machen Männer nämlich schwach, und deswegen ist es
gut, wenn ich mich daran gewöhne, solange ich noch klein bin. Weil ich
dann abgehärtet werde und lerne, ihnen ihre Lügen nicht zu glauben. Wenn
er meine Mutter dafür bestraft, dass sie eine Nutte ist, soll ich zusehen, wie
sie weint, damit ich später mal weiß, dass Nutten immer weinen, und es mir
nichts mehr ausmacht.
»Du darfst niemandem vertrauen, Asa«, sagt er immer. »Ganz besonders
nicht den Nutten.«

***

Ich ziehe den Lederriemen straffer, den ich mir um den Oberarm gebunden
habe, und klopfe mir mit der flachen Hand ein paarmal auf die Ellenbeuge,
damit die Vene hervortritt. Mittlerweile weiß ich, dass Leder nicht aus
Dinosaurierhaut gemacht wird.
Wenigstens was das anging, hat meine Mutter nicht gelogen.
An den Streit damals kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern. Die
beiden haben sich jeden Tag angebrüllt, daran war ich gewöhnt. Was an
diesem Abend anders war, war die Stille. So still war es bei uns vorher noch
nie gewesen. Ich weiß noch, dass ich in meinem Kinderbett lag und meinen
eigenen Atemzügen gelauscht habe, weil sie das einzige Geräusch im
ganzen Haus waren. Diese totale Stille hat mir Angst gemacht. Ich ertrage
es auch jetzt nicht, wenn es zu still ist.
Es hat ein paar Tage gedauert, bis sie rausgefunden haben, was er mit ihr
gemacht hat. Sie haben ihre in ein blutiges Laken gewickelte Leiche im
Kriechkeller gefunden, wo er sie im Dreck verscharrt hatte. Das weiß ich,
weil ich mich rausgeschlichen und gesehen habe, wie sie meine tote Mutter
unter unserem Haus rauszogen.
Mein Vater ist verhaftet worden. Mich haben sie zu einer Tante gebracht,
bei der ich gewohnt habe, bis ich dann mit vierzehn abgehauen bin.
Seit damals habe ich ihn nie mehr gesehen und auch nie mehr was von
ihm gehört. Bestimmt sitzt er immer noch irgendwo seine Strafe ab, aber
ich habe mir nie die Mühe gemacht, nach ihm zu suchen. Es sind eben nicht
nur die Nutten, denen man nicht trauen sollte. Männer, die Nutten heiraten,
sind genauso schlimm.
Ich drücke die Nadelspitze ganz langsam immer fester in meinen Arm,
bis sie die Haut durchstößt. Sobald sie in der Vene ist, versuche ich den
Prozess möglichst in die Länge zu ziehen, weil das für mich immer der
geilste Teil ist.
Als ich den Kolben der Spritze mit dem Daumen runterdrücke, spüre
ich, wie die Hitze von der Einstichstelle aus wie die Flamme an einer
brennenden Lunte in meinen Körper schießt.
Aaah. Ich ziehe die Nadel raus, lasse die Spritze zu Boden fallen und
löse den Ledergurt. Den gebeugten Arm an die Brust gedrückt, halte ich ihn
mit der anderen Hand fest und lehne den Kopf an die Wand. Ich schließe
die Augen, lächle in mich hinein und bin unendlich froh, dass ich nicht mit
so einer Nutte zusammen bin, wie meine Mutter eine war.
Als ich heute Nachmittag kurz dachte, Sloan könnte sich mit einem
anderen Typen getroffen haben, habe ich plötzlich ganz genau gespürt,
warum mein Vater Nutten so gehasst hat. Ich glaube, bis zu dem Moment
habe ich ihn nie so richtig verstanden. Aber vorhin, da habe ich Sloan genau
so gehasst, wie er meine Mutter gehasst hat.
Mann, bin ich froh, dass Sloan keine Nutte ist.
Ich lasse mich auf die Matratze sinken.
Scheiße, fühlt sich das gut an. So verdammt, verdammt gut.
Da kommt jemand die Treppe rauf. Das ist Sloan.
Wenn sie mich so sieht, wird sie bestimmt sauer. Sloan denkt, dass ich
das Zeug nur verkaufe – nicht, dass ich es auch teste.
Aber nach dem beschissenen Tag, den ich wegen ihr heute hatte, würde
ich ihr raten, lieber nichts zu sagen.
Scheiße … so gut.
Neunzehn
Carter

Vor zehn Minuten ist in der Küche das Licht angegangen, was vermutlich
bedeutet, dass Sloan aus dem Park zurück ist.
Mittlerweile sitze ich mit Ryan, Jon und einem Typen namens Kevin am
Pool. Kevin hat auf einem der niedrigen Tische einen Laptop aufgeklappt.
Wir schauen ein Online-Pokerturnier. Um uns herum stehen noch ein paar
andere Leute und fachsimpeln. Einige haben anscheinend Geld auf einen
der Spieler gesetzt. Kevin und Jon kommentieren das Spiel, aber ich höre
nur mit halbem Ohr hin. Ich vertraue einfach mal darauf, dass Ryan es
schon mitbekommen wird, falls die beiden etwas für unseren Fall
Relevantes sagen.
Nach allem, was heute passiert ist, bin ich viel zu erledigt, um noch
irgendwas aufzunehmen.
Als ich zum Haus schaue, sehe ich, wie Sloan hin und her geht und dann
nach oben verschwindet. Wahrscheinlich hat sie sich noch was zu essen
gemacht. Ich beschließe, dem Lärm und der Hektik der Party ein paar
Minuten zu entfliehen und reinzugehen. Ich brauche einfach ein paar
Minuten für mich allein, damit ich mich wieder auf meinen Job
konzentrieren kann. Es gibt Menschen, die holen sich ihre Energie von den
Leuten um sich herum. Ich bin anders.
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man introvertierte oder
extrovertierte Menschen nicht daran erkennt, ob sie gesprächig oder
zurückhaltend sind, sondern daran, ob sie Gruppensituationen als belebend
oder eher als ermüdend empfinden. Wenn es danach geht, gehöre ich ganz
klar zu den Introvertierten, weil es mich erschöpft, wenn ich längere Zeit
mit vielen Leuten zusammen bin. Jetzt brauche ich jedenfalls dringend ein
bisschen Ruhe, um neue Kraft zu tanken.
»Wie sieht’s bei dir aus, Dalton?« Ich deute auf Ryans leere Flasche.
»Soll ich dir auch ein Bier mitbringen?« Er schüttelt den Kopf, die anderen
haben auch alle noch. Auf dem Weg zum Haus denke ich, dass ich kein Bier
will, sondern Stille. Es ist mir unbegreiflich, wie Sloan den täglichen
Partytrubel hier aushält. Ich wäre schon längst ausgeflippt.
Als ich in die Küche komme, fällt mir sofort auf, dass jemand meinen
Text auf dem Whiteboard gelöscht und etwas Neues hingeschrieben hat.

Ihre Traurigkeit floss zwischen seinen Fingern hindurch zu Boden, weil sie
etwas ist, das niemandem abgenommen werden kann. Sie bückte sich
danach, klopfte sie ab und beschloss, sie von nun an für sich zu behalten.

Ich lese den Satz mehrmals, bis mich das Schlagen einer Tür im oberen
Stock aus meiner Versunkenheit reißt. Hastig trete ich vom Kühlschrank
weg und drehe mich zum Spülbecken, als ich Schritte auf der Treppe höre.
Sloan kommt um die Ecke in die Küche gelaufen, bleibt stehen, als sie mich
sieht, und wischt sich über die Augen. Sie schaut kurz zur Tafel und dann
zu mir.
Wir stehen uns gegenüber und sehen uns schweigend an. Ihre Augen
sind geweitet, und ich bemerke, wie sich ihre Brust mit jedem Atemzug
hebt und senkt.
Drei Sekunden vergehen.
Fünf Sekunden.
Zehn.
Wir stehen da, sehen uns an, und es kommt mir vor, als wüsste sie
genauso wenig wie ich, wie sie sich gegen das unsichtbare Band stemmen
soll, das uns mit einer Gewalt zueinanderzieht, die stärker ist als unsere
Willenskraft.
Sloan holt tief Luft und blickt zu Boden.
»Ich hasse ihn, Carter«, flüstert sie.
Ich sehe zur Treppe, weil ich ihrer Stimme anhöre, dass oben
irgendetwas zwischen ihr und Asa passiert sein muss.
»Er liegt im Bett. Komplett weggetreten«, sagt sie leise. »Er hat wieder
angefangen, sich das Zeug zu spritzen.«
Ich atme auf, obwohl das nichts ist, worüber ich erleichtert sein sollte.
»Wieder?«
Sloan macht zwei Schritte auf mich zu, dann bleibt sie stehen, lehnt sich
gegen die Theke und verschränkt die Arme. In ihrem Augenwinkel glänzt
eine Träne. »Ja, wieder. Er ist …« Sie holt tief Luft, als würde es ihr
schwerfallen, es auszusprechen.
Ich gehe zu ihr.
»Er ist paranoid«, sagt sie. »Der Druck, unter dem er lebt, ist einfach zu
viel für ihn, und irgendwann bekommt er dann immer den totalen
Verfolgungswahn und hält jeden für einen Feind. Er glaubt, ich kriege das
nicht mit, aber natürlich merke ich es. Und wenn ihm alles über den Kopf
wächst, fängt er an zu spritzen, um runterzukommen, und dann … dann
wird es für alle in seiner Umgebung verdammt gefährlich.«
Der Cop in mir horcht auf. Ich würde sie gern beruhigen, aber das ist
eine Gelegenheit, mehr über Asa zu erfahren. »Für alle?«
Sie nickt. »Für mich, für Jon, für die Jungs, die für ihn arbeiten.« Sie
nickt in meine Richtung. »Für dich.«
In ihrer Stimme liegt ein Anflug von Verbitterung. Sie beißt sich auf die
Unterlippe und weicht meinem Blick aus. Ich sehe sie weiter an. Sloan
presst die Arme fester gegen den Oberkörper und krallt die Nägel in den
Stoff ihres T-Shirts.
Jetzt weint sie nicht mehr. Sie ist wütend, und ich habe das Gefühl, ihre
Wut gilt nicht nur Asa.
Ich lese noch mal, was auf der Tafel steht.
Ihre Traurigkeit floss zwischen seinen Fingern hindurch zu Boden, weil sie
etwas ist, das niemandem abgenommen werden kann. Sie bückte sich
danach, klopfte sie ab und beschloss, sie von nun an für sich zu behalten.

Jetzt verstehe ich. Ich hatte die Befürchtung, Asa hätte Sloan komplett unter
Kontrolle und sie würde nicht einmal ansatzweise ahnen, was für ein
Mensch er tatsächlich ist.
»Ich habe mich in dir getäuscht«, sage ich.
Sie sieht mich an.
»Ich dachte, du bräuchtest Schutz«, erkläre ich. »Ich dachte, jemand
müsste dir die rosa Brille von der Nase reißen, damit du siehst, wie Asa
wirklich ist. Aber das weißt du längst. Du kennst ihn besser als jeder
andere. Ich dachte, er würde dich benutzen, aber gerade ist mir klar
geworden, dass du diejenige bist, die ihn benutzt.«
Sie presst die Lippen aufeinander. »Ich benutze ihn?«
»Ganz genau.« Ich nicke.
Jetzt verengt sie die Augen. »Ich habe mich in dir auch getäuscht«, sagt
sie. »Ich dachte, du wärst anders. Aber du bist genauso ein Schwein wie
alle.«
Sloan stößt sich von der Theke ab und will an mir vorbei, aber ich fasse
sie am Ellbogen und halte sie zurück. Sie schnappt nach Luft, als ich sie mit
einem Ruck zu mir umdrehe. »Moment. Ich war noch nicht fertig.«
Als ich die Angst in ihren Augen sehe, lasse ich sie los.
»Liebst du ihn?«, frage ich.
Sie holt tief Luft, sagt aber nichts.
»Nein, tust du nicht«, antworte ich für sie. »Wahrscheinlich hast du ihn
mal geliebt, aber Liebe braucht Respekt, um zu überleben. Und genau den
bekommst du nicht von ihm.«
Sie wartet stumm ab, was ich zu sagen habe.
»Du liebst ihn nicht. Aber der Grund, warum du immer noch hier bist, ist
nicht der, dass du zu schwach bist, um zu gehen, sondern im Gegenteil –
weil du stark bist. Du hast dich mit dieser beschissenen Situation arrangiert,
weil es nicht um dich geht. Deine eigene Sicherheit ist dir ziemlich egal. Du
tust es für deinen Bruder. Mir sind noch nicht viele Menschen begegnet, die
so selbstlos sind, Sloan. Dafür bewundere ich dich.«
Sie öffnet den Mund und schnappt nach Luft, als wäre sie nicht daran
gewöhnt, etwas Positives über sich zu hören. Und das ist verdammt traurig.
»Es tut mir leid, dass ich heute Mittag in der Pizzeria so hart mit dir
war«, sage ich. »Du bist kein Opfer. Du bist nicht Asas Fußabtreter. Du
bist …«
Die Träne fällt aus ihrem Augenwinkel und rinnt ihre Wange hinab. Ich
lege den Daumen an ihr Gesicht und fange sie auf, wische sie aber nicht
weg. Am liebsten würde ich sie in ein Fläschchen füllen und für immer
aufheben. Vielleicht ist das die erste Träne, die sie jemals geweint hat, weil
ihr jemand etwas Gutes gesagt hat, statt ihr wehzutun.
»Was bin ich?«, fragt sie leise, und ihre Stimme ist voller Erwartung,
voller … Hoffnung.
Mein Blick fällt auf ihre Lippen, und ich kann gar nicht anders, als mir
vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, sie zu küssen. Ich schlucke
trocken und beende den Satz, von dem ich weiß, dass sie ihn hören muss.
»Du bist einer der stärksten Menschen, die mir je begegnet sind«,
flüstere ich. »Du bist alles, was Asa nicht verdient, und …«, ich beuge mich
vor, »… alles, was ich mir wünsche.«
Sloan seufzt leise, und wir sind uns so nah, dass ich ihren Atem auf
meinen Lippen spüre – so nah, dass ich mir fast einbilde, sie schmecken zu
können. Wie in Trance streiche ich durch ihre Haare und ziehe sie an mich.
In dem Moment, in dem unsere Lippen sich fast treffen, geht die
Terrassentür auf. Wir fahren auseinander, und ich strecke die Hand nach der
Kühlschranktür aus, als Jon in die Küche geschlendert kommt. Obwohl ich
ihn nicht ansehe, spüre ich seinen Blick.
Fuck.
Ich höre, wie Sloan hinter mir einen Küchenschrank öffnet. »Willst du
ein Bier?«, frage ich Jon und halte ihm eine Flasche hin.
Jon nimmt mir das Bier aus der Hand und schaut grinsend zwischen
Sloan und mir hin und her. »Kann es sein, dass ich euch gerade bei
irgendwas unterbrochen habe?«
Sloan schweigt. Die Stille im Raum dehnt sich aus. Ich nehme mir mit
gespielter Gelassenheit ein Bier aus dem Fach, schließe den Kühlschrank
und sehe in ihre Richtung. Sie steht mit dem Rücken zu uns an der Theke
und gießt sich ein Glas Wasser ein.
Ich könnte jetzt abwiegeln oder überrascht tun, aber es ist klar, dass Jon
genug gesehen hat. Ich weiß, wonach es aussah, als er reinkam.
Aber Jon kennt mich nicht. Für ihn bin ich ein Typ wie alle anderen.
Vielleicht kann ich die Situation sogar zu meinem Vorteil nutzen und ihn
beeindrucken. Wenn er annimmt, dass Sloan für mich nichts weiter als Asas
»Nutte« ist, fände er das garantiert cooler, als wenn er vermuten würde, ich
hätte irgendwelche Gefühle für sie.
»Tja.« Ich grinse. »Das wüsstest du wohl gern, was?« Als ich an ihm
vorbei nach draußen gehe, zwinkere ich ihm zu und lasse ihn denken, was
er denken will.
Sobald die Tür hinter mir zugefallen ist, halte ich mich mit einer Hand
an der Wand fest und hole erst mal tief Luft. Ich ringe nach dem Atem, den
Sloan mir eben in der Küche geraubt hat. Den sie Luke geraubt hat. Denn
das war ich, der sie an sich gezogen hat und küssen wollte. Das hatte nichts
mit dem Job zu tun, wegen dem ich hier bin.
Ich habe mich einen Moment lang vergessen und bekomme dafür genau
die Strafe, die ich verdiene. Jon weiß jetzt, dass ich Interesse an Sloan habe,
und ich muss mir irgendetwas ausdenken, um zu verhindern, dass Asa es
auch erfährt.
Mein schlimmster Albtraum ist gerade wahr geworden.
Zwanzig
Sloan

Mit zitternder Hand hebe ich das Glas an die Lippen und trinke einen
Schluck Wasser. Jon steht immer noch hinter mir, aber ich will mich nicht
zu ihm umdrehen. Ich konnte diesen Kerl noch nie ausstehen, und jetzt
bildet er sich natürlich ein, er hätte mich in der Hand, weil er mich und
Carter überrascht hat. Ich weiß, wie solche Typen ticken.
Erst als ich das Glas wieder auf die Theke gestellt und tief durchgeatmet
habe, drehe ich mich zu ihm. Jon steht vor dem Kühlschrank und schaut auf
das Whiteboard. Mit dem Zeigefinger fährt er die Worte nach, die ich
geschrieben habe, und verschmiert sie dabei.
»Hat der blöde Scheiß hier irgendwas zu bedeuten?«, fragt er und
wendet sich mir zu.
Ich verschränke die Arme vor der Brust und sehe ihm ins Gesicht. Wie
sehr ich den Blick hasse, mit dem er mich von oben bis unten abtastet.
Gierig. So, als wäre ich etwas Unerreichbares, das er gern besitzen würde.
Und das er jetzt, nachdem er Carter und mich ertappt hat, vielleicht sogar
besitzen könnte.
»Wo ist eigentlich Asa?«, fragt er, schaut mir dabei aber nicht ins
Gesicht, sondern ganz ungeniert auf die Brüste.
Mir schlägt das Herz bis zur Kehle. »Oben«, antworte ich knapp. Er soll
wissen, dass Asa im Haus ist, aber natürlich sage ich nicht, dass er
bewusstlos im Bett liegt und nichts von dem mitbekommt, was um ihn
herum vorgeht.
Merkwürdig, dass ich Asa fürchte und er gleichzeitig mein einziger
Beschützer ist.
»Oben, ja?« Jon sieht zur Treppe. »Schläft er schon?«
»Nein. Ich bin runtergekommen, um ihm was zu trinken zu holen.«
Ich sehe Jon an, dass er weiß, dass ich lüge. Er weiß ganz genau, dass
ich das sage, um mich zu schützen. Und mit einem Mal ändert sich sein
Gesichtsausdruck. Blanker Hass flackert in seinen Augen auf, als er mit ein
paar schnellen Schritten auf mich zukommt. In dem Moment, in dem ich
den Mund öffne, um zu schreien, hat er mir eine Hand schon so fest um die
Kehle gelegt, dass ich keinen Ton herausbringe.
»Soll ich dir mal sagen, was mich echt ankotzt?«, stößt er wütend
hervor. Ich sehe ihn mit aufgerissenen Augen an, kann aber weder nicken
noch den Kopf schütteln, weil er mich so fest gepackt hält. »Es kotzt mich
an, dass Asa sich immer das Allerbeste nimmt«, sagt er. »Und ich bekomme
einen Scheißdreck.«
Ich schließe die Augen. Bitte, bete ich. Carter, Dalton, irgendjemand
muss kommen und mich retten.
Als ich höre, wie tatsächlich die Tür aufgestoßen wird, mache ich
erleichtert die Augen auf. Jon fährt herum, ohne die Hand von meiner
Kehle zu nehmen.
In der Tür steht Kevin, der uns überrascht ansieht. Er ist nicht oft hier
bei uns und ich kenne ihn kaum, aber das ist mir in diesem Moment egal. Er
sieht ja, was passiert. Er wird gleich einschreiten.
»Verpiss dich«, knurrt Jon.
Kevin steht einen Moment da und nimmt die Szene in sich auf: Jon, der
sich an mich presst, eine Hand an meiner Hüfte, die andere an meiner
Kehle. Er muss die Angst in meinem Blick sehen. Ich versuche, den Kopf
zu schütteln und Kevin stumm um Hilfe zu bitten. Aber entweder
missversteht er die Situation oder … vielleicht ist es ihm auch egal.
Vielleicht ist er ja genauso krank wie Jon. Jedenfalls lacht er und hebt
entschuldigend die Hände. »Sorry, Leute.« Er dreht sich um und geht.
Nein!
Sobald Kevin verschwunden ist, schiebt Jon mich aus der Küche
Richtung Wohnzimmer. Sein stählerner Griff um meine Kehle ist
unerbittlich, ich habe keine Chance zu schreien. Von draußen dringt Musik
und Gelächter zu uns herein, aber das Wohnzimmer liegt dunkel und
verwaist da. Mir wird schwindelig, weil ich kaum Sauerstoff bekomme,
aber ich schiebe die aufsteigende Panik weg und versuche ruhig zu bleiben.
Ich darf jetzt auf gar keinen Fall ohnmächtig werden.
Jon stößt mich auf die Couch. Ich ringe keuchend nach Luft, aber bevor
ich um Hilfe schreien kann, spüre ich etwas Kaltes, Scharfes an meiner
Kehle.
Oh mein Gott.
Das ist ein Messer! Ich schließe die Augen, als Jon sich vorbeugt und
mit der freien Hand meine Knie auseinanderzwängt. Obwohl ich mit Asa
teilweise schon schlimme Situationen erlebt habe, hatte ich bei ihm noch
nie Angst um mein Leben.
Jon ist anders. Jon hätte keine Hemmung, mir etwas anzutun.
Er streicht meine Schenkel hinauf und schiebt mir die Hand zwischen
die Beine. Meine Knie zittern und die Angst nimmt von meinem ganzen
Körper Besitz.
»Asa bildet sich ein, er könnte sich jede nehmen, aber er wäre der
Einzige, der ein Stück von dem hier bekommt?« Er bringt seinen Mund
dicht an mein Ohr. »Dein Freund ist mir noch was schuldig, Sloan. Und ich
finde, die Schuld könntest du jetzt einlösen.«
»Nicht, Jon«, keuche ich. »Bitte lass mich. Bitte.«
Er beugt sich über mich. »Sag noch mal bitte«, flüstert er.
»Bitte!«, flehe ich.
»Es macht mich an, dich betteln zu hören.« Er presst seinen Mund auf
meinen und sofort schießt mir bittere Galle die Speiseröhre hinauf. Seine
Lippen sind hart und kalt und er versucht mir seine Zunge zwischen die
Zähne zu schieben. Ich halte stockstill und lasse alles über mich ergehen,
weil er mir weiterhin das Messer an die Kehle presst.
Und dann höre ich etwas, das mir das Blut in den Adern stocken lässt.
Das Klicken einer Waffe, die entsichert wird.
Jon erstarrt auf mir. Als ich vorsichtig die Augen öffne, sehe ich den
Lauf einer Pistole, die jemand an Jons Schläfe drückt.
»Du lässt sie sofort los«, höre ich Carters ruhige Stimme.
Oh Gott! Danke, Carter. Danke, danke, danke.
Jon nimmt das Messer von meiner Kehle. »Das wirst du noch bereuen«,
zischt er.
Ich schaue zu Carter, der auf Jon herabsieht. In seinen Augen liegt ein
Ausdruck, den ich an ihm bisher noch nicht kannte.
»Da irrst du dich«, sagt er gelassen. »Das Einzige, was ich vielleicht
bereuen werde, ist, dass ich dich nicht gleich erschossen habe.«
Jon schluckt. Er richtet sich langsam auf und hebt die Hände, während
Carter ihm weiter die Pistole an den Kopf drückt. Sobald Jon steht, richtet
er sie auf seine Stirn.
»Entschuldige dich.«
Jon zögert keine Sekunde. »Tut mir leid«, presst er mit bebender Stimme
hervor.
Ich rutsche von der Couch und suche schnell hinter Carter Schutz, der
einen Schritt zurücktritt, die Waffe aber weiter auf Jon gerichtet hält. Ich
massiere mir meine schmerzende Kehle.
»Sieht aus, als hätten wir beide etwas getan, von dem Asa lieber nicht
erfahren sollte. Ich schlage dir einen Deal vor«, sagt Carter. »Du hast mich
in der Küche nicht mit Sloan gesehen, und ich habe nicht gesehen, wie du
versucht hast, sie zu vergewaltigen. Einverstanden?«
Dass ich hier zur bloßen Verhandlungsmasse degradiert werde, gefällt
mir zwar nicht, aber ich weiß, dass es die einzige Möglichkeit ist, unsere
Haut zu retten. Sollte Jon Asa gegenüber auch nur ein Wort über das
verlieren, was er beobachtet hat, ist Carter vor Asa nicht mehr sicher. Und
das muss ich um jeden Preis verhindern.
Jon nickt. »Ich weiß von nichts.«
»Gut«, sagt Carter. »Dann sind wir uns ja einig.« Er drückt die Pistole
jetzt so fest an Jons Stirn, dass der den Kopf in den Nacken legen muss.
»Solltest du Sloan noch ein einziges Mal zu nahe kommen, werde ich mir
nicht mal die Mühe machen, Asa zu informieren, weil ich dich nämlich
gleich selbst kaltmachen werde. Verstanden?« Jon hat gar keine
Möglichkeit zu reagieren, denn Carter hat schon ausgeholt und ihm die
Waffe mit solcher Wucht über den Schädel gezogen, dass er schlaff wie ein
nasser Sack zu Boden geht.
Starr vor Entsetzen stehe ich da, als Carter mir beide Hände auf die
Schultern legt. »Sloan?« Er sieht mich besorgt an. »Alles okay?«
Ich nicke. Aber im nächsten Moment laufen mir die Tränen übers
Gesicht. Carter zieht mich an sich, während mein ganzer Körper von
Schluchzern geschüttelt wird.
Er drückt meinen Kopf an seine Schulter und bringt seine Lippen an
mein Ohr. »Hör zu, Sloan. Ich sage dir das nur sehr ungern, weil es mir
lieber wäre, du wärst jetzt ganz weit weg von Asa, aber bei ihm bist du
gerade am sichersten. Geh zu ihm nach oben und bleib bis morgen früh
dort, okay?«
Ich nicke, weil ich weiß, dass er recht hat.
Carter führt mich zur Treppe. »Hast du dein Handy bei dir?«
»Ja.«
»Schick mir eine Nachricht, falls irgendwas sein sollte. Ansonsten sehen
wir uns morgen.« Er streicht mir über die Wange.
Morgen. Morgen habe ich wieder Spanisch. Zusammen mit Carter. Der
Gedanke, in ein paar Stunden weit weg von hier zu sein, ist das Einzige,
was mich jetzt noch aufrecht hält.
»Okay«, sage ich mit zitternder Stimme.
Carter beugt sich vor und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, dann dreht
er den Kopf, weil Jon sich bewegt und leise stöhnt. Ich gehe schnell die
Treppe hinauf. Auf dem Weg nach oben denke ich darüber nach, wie
verrückt es ist, dass hier in Asas Haus ganz andere Regeln gelten als in der
Welt draußen.
Bei einem Vergewaltigungsversuch würde jede normale Frau sofort zur
Polizei gehen, aber hier regelt man Probleme unter sich. Und wenn es sich
anbietet, kann ein Verbrechen auch dazu genutzt werden, sich das
Stillschweigen eines anderen zu erkaufen. Statt Anzeige zu erstatten, gehe
ich nach oben zu einem Mann, der noch zehnmal gefährlicher ist als der, der
mich gerade beinahe vergewaltigt hätte.
Ich lebe hier in einer Parallelwelt. Dieses Haus ist ein Gefängnis mit
eigenen Gesetzen.
Und Asa ist der uneingeschränkte Herrscher dieses Gefängnisses. Noch.
Ich glaube nicht, dass er ahnt, wie groß die Gefahr ist, dass Carter ihn
von seinem Thron stürzen könnte.
Hoffentlich bleibt das auch so. Denn wenn er es wüsste, wäre das nicht
gut. Für keinen von uns.
Einundzwanzig
Asa

Scheiße. Mein Mund fühlt sich an wie Wellpappe. Komplett ausgetrocknet,


so als hätte ich die ganze Nacht an einem Frotteehandtuch gesaugt.
Ich wälze mich auf die Seite und taste blind nach einer der
Wasserflaschen, die Sloan immer neben dem Bett stehen hat. Meine Augen
sind zugeschwollen und mein Kopf dröhnt, als würde er jeden Moment
platzen. Meine Hände zittern. Am liebsten würde ich mir jetzt gleich den
nächsten Schuss setzen. Den letzten habe ich bescheuerterweise total
vergeudet, weil ich schon so mit Whiskey abgefüllt war, dass ich sofort
weggekippt bin und nichts von meinem geilen High mitgekriegt habe.
Ich setze die Flasche an die Lippen, trinke sie ganz aus, lasse sie auf den
Boden fallen und lege mich wieder zurück.
Gott, hab ich einen Durst.
Als ich mich umdrehe, treffe ich aus Versehen Sloan mit der Hand an der
Schulter. Sie murmelt etwas, wird aber nicht wach. Ich zwänge meine Lider
auf und spähe zu ihrem Wecker rüber. 4:30 Uhr. Bestens, dann hat sie noch
zwei Stunden, bevor sie aufstehen muss.
Auf den Ellbogen gestemmt, warte ich, bis sich meine Augen an die
Dunkelheit gewöhnt haben, dann betrachte ich meine friedlich
schlummernde Freundin.
In letzter Zeit schläft sie immer auf dem Rücken, nie auf der Seite oder
auf dem Bauch. Das kenne ich von meinem Vater. Der hat auch immer nur
auf dem Rücken geschlafen, selbst wenn er sich so zugeballert hatte, dass er
auf der Couch weggepennt ist. Ich habe ihn mal gefragt, warum er sich nie
zusammenrollt wie ich. »Damit ich sofort reagieren kann, falls was sein
sollte«, hat er geantwortet. »Wenn man es sich beim Schlafen zu gemütlich
macht, ist man für jeden leichte Beute.«
Schläft Sloan auf dem Rücken, damit sie sich schneller verteidigen
kann? Gegen wen? Etwa gegen mich?
Nein, vor mir hat sie keine Angst. Sie liebt mich und vertraut mir blind.
Trotzdem. Früher hat sie auf dem Bauch geschlafen. Vielleicht müsste
ich mal eine neue Matratze besorgen. Könnte sein, dass es daran liegt.
Im ersten Jahr hat sie noch nackt geschlafen, das macht sie auch schon
lang nicht mehr. Angeblich sind ihr zu viele fremde Leute im Haus, das ist
ihr peinlich. Als ob jemand in unser Zimmer kommen würde. Irgendwann
hat sie sogar angefangen, Pyjamas anzuziehen, aber das hat mich total
genervt. Es ist mir zu mühsam, ihr immer erst die Hose runterschieben zu
müssen, wenn ich Sex will.
Nachdem ich deswegen lang genug rumgemotzt habe, hat sie das mit
den Pyjamas wieder gelassen und schläft jetzt im T-Shirt. Schon viel besser,
weil ich wieder ungehindert an sie rankomme, aber eigentlich wäre es mir
am liebsten, wenn sie wieder ganz nackt schlafen würde.
Damit sie nicht aufwacht, ziehe ich die Decke ganz langsam von ihr
weg. Manchmal schaue ich sie einfach nur an, wenn sie schläft. Ich stelle
mir gern vor, dass sie von mir träumt. Dann streichle ich sie zwischen den
Beinen und bin dabei ganz vorsichtig, sodass sie nicht aufwacht, aber im
Schlaf leise stöhnt.
Das T-Shirt ist ihr über die Taille hochgerutscht. Ich schiebe es langsam,
Zentimeter für Zentimeter höher, bis ihre Titten frei liegen. Dann richte ich
mich im Bett ein Stück auf und greife in meine Boxershorts. Ich lege die
Hand um meinen Schwanz und streiche mit superlangsamen Bewegungen
auf und ab, während ich zusehe, wie sich ihre Brüste mit jedem Atemzug
bewegen.
Sloan ist so verflucht schön. Diese langen dunklen Haare. So dicht und
glänzend. Diese Wimpern. Diese Lippen. Ich bin – ganz ehrlich – noch nie
einem anderen Mädchen begegnet, das es mit ihr aufnehmen könnte. Als sie
das erste Mal im College aufgetaucht ist, wusste ich sofort: Die muss ich
haben. Die Vorstellung, dass irgendein anderer dieses perfekte Geschöpf
berühren könnte, hat mich ganz krank gemacht.
Trotzdem habe ich mir Zeit gelassen. Ich fand es gut, wie sie mich in der
Vorlesung angeschaut hat, wenn sie dachte, ich würde es nicht mitkriegen.
Diese Augen. Wahnsinn. So komplett unschuldig. Sie war neugierig, was
ich für ein Typ bin. Ich habe erst mal so getan, als würde ich sie gar nicht
bemerken, obwohl feststand, dass ich sie unbedingt kennenlernen musste.
Ich habe gleich gewusst, dass sie nicht wie die anderen Schlampen ist.
Normalerweise gibt es nichts, wovor ich Angst habe – das habe ich mir
schon als kleiner Junge abgewöhnt. Aber die Art, wie ich von Sloan
besessen war, fühlte sich so krass an, dass es mir schon ein bisschen Sorgen
gemacht hat. Der Gedanke, etwas so verdammt Süßes, etwas so
Unschuldiges in die Finger zu bekommen, hat mich einfach nicht mehr
losgelassen.
Liebe hat mir nie irgendwas bedeutet, bis Sloan mir über den Weg
gelaufen ist. Die meisten Frauen taugen sowieso nur für eine Sache und nur
dafür habe ich sie benutzt. Ein schneller Fick vor dem Einschlafen, gern
auch vor dem Frühstück, aber zwischen acht Uhr morgens und acht Uhr
abends habe ich mich von den Miststücken ferngehalten. Männer, die
zulassen, dass Frauen zwischen acht Uhr morgens und acht Uhr abends in
ihrem Leben eine Rolle spielen, haben nichts als Scheiße im Hirn.
Originalzitat von meinem Vater.
Daran habe ich mich immer erinnert, bevor sie mir gehört hat. Jedes
Mal, wenn ich sie in der Vorlesung dabei erwischt habe, wie sie mich
heimlich angestarrt hat. Jedes Mal, wenn ich an sie gedacht habe und mein
Schwanz in der Hose zuckte.
Scheiße im Hirn.
Aber irgendwann habe ich angefangen, mich zu fragen, ob mein Vater
überhaupt gewusst hat, wovon er redet. Wahrscheinlich ist er in seinem
Leben nie einem Mädchen wie Sloan begegnet. Einem Mädchen, das noch
von keinem anderen Mann verdorben worden ist. Viel zu schüchtern, um zu
flirten. Ein Mädchen, das noch gar keine Gelegenheit gehabt hat, zur Nutte
zu werden.
Ich hatte die Idee, sie zu testen, um rauszufinden, ob sie wirklich so eine
Ausnahme ist. Deswegen bin ich ihr eines Tages nach der Vorlesung
hinterhergegangen und habe sie gefragt, ob ich sie zum Essen einladen darf.
Das Verrückte ist, dass es das erste Mal in meinem Leben war, dass ich ein
Mädchen so richtig förmlich um ein Date gebeten habe. Ich habe damit
gerechnet, dass sie verlegen lächeln und geschmeichelt nicken würde, aber
was war? Sie hat mich angeschaut und ist dann ohne ein Wort
weitergegangen. Wow.
In dem Moment habe ich kapiert, dass ich sie falsch eingeschätzt hatte.
Sie war überhaupt nicht schüchtern. Sie wusste ganz genau, wie Menschen
sein können und wie knallhart die Welt ist, und hat sich deswegen von
allem und jedem ferngehalten.
Aber sie konnte nicht wissen, dass mich das nur noch heißer gemacht
hat. Dass sie so störrisch war, hat mich erst recht dazu angestachelt, sie so
weit zu kriegen, dass sie mich mit Haut und Haaren wollte … sogar meine
grausame Seite. Ich wollte sie dazu bringen, darum zu betteln, mir gehören
zu dürfen.
Im Endeffekt war es dann längst nicht so schwer, wie ich es mir
vorgestellt hatte. Es ist schon der Hammer, wie viel man erreichen kann,
wenn man einigermaßen gut aussieht und nicht ganz auf den Mund gefallen
ist.
Höflichkeit schadet übrigens auch nichts.
Du hältst ihnen eine beschissene Tür auf, und sie sind sofort davon
überzeugt, dass du ein echter Gentleman bist. Die Art von Mann, der seine
eigene Mutter wie eine Königin auf Händen trägt. Sobald ein Typ Manieren
zeigt, denken die Mädels, er kann ihnen nicht gefährlich werden.
Ich habe jede verfickte Tür für Sloan aufgehalten, die ich finden konnte.
Einmal habe ich sogar einen Regenschirm über sie gehalten.
Das ist aber lange her. Damals hat sie noch auf dem Bauch geschlafen.
Nackt.
Kann es sein, dass sie vielleicht nicht mehr so glücklich mit mir ist wie
am Anfang? Als sie rausbekommen hat, dass ich deale, hat sie sofort
Schluss gemacht und ist ausgezogen, das war echt eine Scheißzeit. Ich habe
gelitten wie ein Tier und mich gefühlt, als hätte ich mich genau in einen von
den Verlierern verwandelt, die mein Vater so verachtet hat. Werd bloß nicht
einer von denen, hat er immer gesagt. Ein verweichlichter Frauenversteher.
Einer mit Scheiße im Hirn.
Aber verdammt, ich liebe sie nun mal. Und ich scheiße auf meinen Vater
und seine idiotischen Theorien über Männer und Frauen. Sloan ist verflucht
noch mal das Beste, was mir je passiert ist, und so richtig begriffen habe ich
das erst, als sie weg war.
Ich hatte Panik, weil ich genau wusste, dass früher oder später ein
anderer kommen und sie sich schnappen würde. Ich habe den Gedanken
nicht ertragen, dass irgendein Wichser diesen Mund küssen, diesen Körper
berühren, seinen widerlichen Schwanz dahinstecken könnte, wo vor mir
noch nie ein anderer gewesen ist. Sloan gehört mir und niemandem sonst.
Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich sie zurückbekommen
könnte. Sie hat keine Ahnung, wie perfekt ich die Aktion damals organisiert
habe, aber ich musste sie belügen, das ging nicht anders. Ich habe ihr damit
einen Gefallen getan, weil ich sie liebe. Und weil sie mich auch liebt, das
weiß ich genau. Als sie damals wie geplant wieder vor meiner Tür stand
und mich um Hilfe gebeten hat, war ich so stolz auf mich wie noch nie in
meinem Leben. Und verdammt glücklich. Weil ich in dem Moment wusste,
dass sie für immer bei mir bleiben würde. Dass sie für immer mir gehört.
Da ist nur diese eine Sache, die immer noch ein Problem ist. Sie kommt
einfach nicht mit meinem Job klar und will ständig, dass ich ihr verspreche,
eines Tages mit dem Dealen aufzuhören. Natürlich weiß sie genauso gut
wie ich, dass dieser Tag niemals kommen wird. Ich verdiene viel zu viel
Kohle und habe viel zu viel Arbeit und Energie investiert, als dass ich
meinen Job jemals aufgeben würde. Irgendwie muss ich ihr beweisen, dass
ich trotzdem der Mann sein kann, den sie sich wünscht.
Vor allem muss ich sicherstellen, dass sie nicht noch mal so ausflippt
und einfach abhaut.
Hey. Ich könnte sie heiraten. Wir könnten umziehen, in ein Haus, in dem
nur wir zwei wohnen, wie ein richtiges Ehepaar. Das Haus hier würde ich
dann zur Firmenzentrale umfunktionieren, wo ich mich von acht Uhr
morgens bis acht Uhr abends ums Business kümmern würde. Die Spasten
brauchen jemanden, der sie im Auge behält.
Aber Sloan könnte in unserem neuen Haus wohnen, es gemütlich
einrichten und Kinder kriegen. Wenn ich abends von der Arbeit komme,
würde das Essen schon auf dem Tisch stehen, danach würden wir ins Bett
gehen und uns lieben. Und sie würde wieder nackt schlafen. Auf dem
Bauch.
Bis jetzt habe ich noch nie übers Heiraten nachgedacht, dabei ist das die
Lösung. Warum kommt mir diese geniale Idee erst jetzt?
Komisch, dass Sloan noch nie mit mir darüber gesprochen hat.
Normalerweise sind die Weiber doch alle total scharf drauf. Würde sie
meinen Antrag überhaupt annehmen? Wenn sie schwanger werden würde,
müsste sie mich heiraten. Dummerweise nimmt sie die Pille. Okay, da ließe
sich vielleicht noch irgendwas drehen. Ich könnte ihr Zuckerpillen
unterschieben oder so was. Aber sie zwingt mich auch jedes Mal, ein
Kondom zu benutzen.
Wobei Kondome natürlich mal reißen können …
Wie es sich wohl ohne Gummi anfühlen würde? Manchmal erlaubt sie
mir, ihn ihr ein paar Sekunden ohne reinzustecken, aber ich durfte noch nie
in ihr kommen.
Oh Mann, ich stelle mir gerade vor, wie sich ihre warme Muschi eng um
meinen Schwanz zusammenzieht, während ich in sie reinspritze und alles
spüre. Haut an Haut.
Fuck. Ich stöhne leise auf und bewege die Hand automatisch schneller.
Es macht mich total geil, Sloan so anzusehen und mir vorzustellen, in ihr zu
sein. Ich muss sie aber auch anfassen. Ich beuge mich zu ihrer Brust vor
und nehme einen ihrer Nippel zwischen die Lippen. Normalerweise
versuche ich, sie nicht zu wecken, aber es wäre auch nicht das erste Mal,
dass sie aufwacht, während ich es mir selbst mache.
Als ich mit der Zunge ihre Brustwarze umkreise, hebt sie einen Arm
über den Kopf und wimmert leise. Ich mag es, sie geil zu machen, wenn sie
schläft. Ich probiere gern aus, wie nah ich sie an einen Orgasmus
ranbringen kann, bevor sie aufwacht.
Als ich die Lippen fester um den Nippel schließe und daran sauge, wird
er sofort steinhart.
»Mhmmm«, stöhnt sie mit schläfriger Stimme. »Mhmmm … Carter.«
Was … was hat sie da gerade gesagt?
Ich erstarre und mir wird eiskalt, während ich ihren verfickten Nippel
noch im Mund habe.
Ich richte mich auf und starre fassungslos in ihr Gesicht, auf ihren
Mund, der gerade diesen Namen gesagt hat.
Was war das?
Was zum Teufel war das?!
Ich kriege keine Luft mehr. Es fühlt sich an, als hätte mir jemand mit
voller Wucht eins über den Schädel gezogen. Mit einem Ziegelstein. Mit
einem verfickten Felsbrocken. Einem Gebirge.
Irgendwann im Laufe der Sekunden, die vergehen, nachdem sie seinen
Namen gestöhnt hat und wach wird, zieht Sloan sich das T-Shirt über die
Brüste.
Irgendwann im Laufe der Sekunden, die vergehen, nachdem sie seinen
Namen gestöhnt hat und wach wird, lege ich beide Hände um ihre Kehle.
Jetzt sieht sie zu mir auf. Ihre Augen sind vor Angst weit aufgerissen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass man Schiss bekommt, wenn man aufwacht
und feststellt, dass einem der Mann, mit dem man Tisch und Bett teilt, die
Hände um die Kehle gelegt hat, aber das ist trotzdem nichts gegen das, was
ich gerade spüre.
»Lässt du dich von ihm vögeln?«
Ich muss mich total zusammenreißen, um es ihr nicht ins Gesicht zu
brüllen. Stattdessen ist meine Stimme ganz ruhig und entspannt, im
Gegensatz zu jedem anderen Teil von mir. Trotzdem drücke ich nicht
besonders fest zu.
Noch nicht.
Ich habe einfach nur beide Hände um ihre Kehle gelegt und warte
darauf, dass sie mir gefälligst meine verdammte Frage beantwortet. Sie
kann reden, so fest drücke ich nicht zu. Aber sie antwortet nicht. Die
verfluchte Nutte starrt mich bloß an und sagt nichts.
»Sloan? Lässt du dich von Carter vögeln? War er in dir?«
Sie schüttelt panisch den Kopf und versucht von mir wegzurutschen,
aber ich lasse sie nicht. Meine Hände bleiben an ihrer Kehle und pressen sie
in die Matratze.
»Wovon redest du?«, keucht sie. »Wer? Carter? Nein! Natürlich nicht.
Oh Gott, nein.«
Sie schaut mich an, als wäre ich verrückt.
Schauspielerisch sehr überzeugend.
Meine Mutter konnte auch gut lügen. Man sieht ja, wo sie das
hingebracht hat.
Ich verfestige meinen Griff und beobachte, wie Sloans Gesicht langsam
rot anläuft. Sie krallt die Finger in die Decke. Ihre Augen füllen sich mit
Tränen.
Jetzt zahlt es sich aus, dass mein Vater mir beigebracht hat, mich von
den Tränen einer Frau nicht verarschen zu lassen.
Ich beuge mich dicht zu ihr vor, bis mein Gesicht nur noch ein paar
Zentimeter von ihrem entfernt ist, und sehe sie mir ganz genau an. Ihre
Augen, ihre Lippen, jeden verdammten Quadratzentimeter ihres verlogenen
Gesichts. »Du hast gerade seinen Namen gestöhnt, Sloan. Ich hatte deinen
gottverdammten Nippel im Mund und wollte dir was Gutes tun und du hast
seinen verdammten Scheißnamen gestöhnt. Ich hab’s genau gehört. Du hast
Carter gesagt.«
Sloan schüttelt den Kopf. Ihr Blick ist auf einmal so fest und
entschlossen, dass ich meinen Griff lockere, damit sie sprechen kann. Sie
holt tief Luft.
»Ich habe nicht Carter gesagt, verdammt«, platzt es aus ihr heraus. »Ich
habe härter gesagt. Ich war wach und fand es total schön, was du mit mir
gemacht hast, du Idiot. Ich wollte, dass du noch härter saugst.«
Ich starre sie an.
Ich lasse das, was sie gerade gesagt hat, sacken.
Ich spüre, wie meine Anspannung nachlässt und ich wieder Luft
bekomme.
Dann lasse ich langsam los und meine Hände gleiten an ihrem Körper
abwärts.
Scheiße.
Ich bin paranoid.
Warum sollte sie denn auch von einem anderen Kerl träumen, wenn ich
neben ihr liege? Sloan würde mich nie betrügen. Kann sie gar nicht. Sie hat
ja niemanden außer mir. Das wäre der schlimmste Fehler, den sie machen
könnte, und das weiß sie genau.
Ich muss sie schleunigst aus diesem Haus fortschaffen. Weg von den
ganzen Scheißkerlen. Jetzt bin ich mir noch sicherer als vor zehn Minuten,
dass ich sie zu meiner Frau machen muss. Zur Mutter meiner Kinder. Dass
ich ihr einen Ort geben muss, an dem sie zu Hause ist und wo keine anderen
Typen sind, die mich auf paranoide Gedanken bringen.
Sloan sieht mich an und schüttelt lächelnd den Kopf. Dann beugt sie sich
vor, greift nach dem Saum ihres T-Shirts, zieht es sich über den Kopf und
wirft es auf den Boden. Sie fasst mich an den Schultern, schiebt mich zum
Kopfende des Betts und setzt sich auf meinen Schoß.
Von einer Sekunde zur anderen ist mein Schwanz wieder steinhart.
»Mach weiter, wo du eben aufgehört hast«, raunt sie, hält mir ihre Brust
vor den Mund und bietet sich mir an. Ich nehme ihren Nippel wieder
zwischen die Lippen und sorge dafür, dass sie bekommt, was sie will.
Diesmal sauge ich noch viel härter als vorher, so fest, dass es ihr wehtut.
Genau wie sie es wollte, oder? Sie soll mich für den Rest des verdammten
Tages an ihrem Körper spüren.
Sloan fährt mir mit beiden Händen durch die Haare, zieht mich näher an
sich heran und sagt meinen Namen. Sie sagt: »Asa.«
Ich packe sie um die Hüften, hebe sie ein Stück hoch, bis sie direkt über
meinem Schwanz hockt, und lasse sie dann langsam auf mich sinken. So
tief war ich noch nie in ihr. Gott, sie fühlt sich so verdammt gut an. Es fühlt
sich so verdammt gut an, sie nicht zu hassen.
Ich hasse es, sie hassen zu müssen. »Du gehörst mir, Sloan«, sage ich
und küsse mich an ihrem Hals entlang nach oben bis zu ihrem Mund.
Sie flüstert: »Ich gehöre dir, Asa.«
Ich lasse meine Zunge zwischen ihre Lippen gleiten und bewege sie in
ihrem Mund, bis sie aufstöhnt, dann schiebe ich sie von mir weg. Die rechte
Hand schließe ich um ihren Hals, mit der linken packe ich sie um die Hüfte
und schaukle sie auf und ab. Sie verzieht das Gesicht, als ich den Griff um
ihre Kehle verstärke, und ich frage mich, ob ich vorhin vielleicht zu fest
zugedrückt habe. Als ich die Hand wegnehme, sehe ich eine leichte Rötung.
Sieht aus wie ein Bluterguss.
Scheiße. Das wollte ich nicht. Nicht schon wieder.
Ich beuge mich vor, küsse sie liebevoll auf die Kehle und entschuldige
mich stumm. Während sie mich reitet und auf mich herabsieht, schaue ich
ihr tief in die Augen. »Ich will dich heiraten, Sloan. Ich will, dass du
wirklich für immer mir gehörst.«
Sie sagt nichts, hört aber sofort auf, sich zu bewegen. »Was hast du
gerade gesagt?«, fragt sie dann und ihre Stimme zittert.
Ich gleite mit beiden Händen über ihren Rücken und schließe sie um ihre
Arschbacken. »Ich habe gesagt: Heirate mich«, wiederhole ich und muss
plötzlich lachen. »Ich will, dass du meine Frau wirst, Baby.«
Ich hebe sie von mir runter, lege sie sanft auf den Rücken und gleite
wieder in sie hinein. Es fühlt sich unglaublich gut an, so ohne Kondom. Ich
bewege mich in ihr und genieße es, dass sie – sprachlos vor Glück – mit
Tränen in den Augen zu mir aufschaut.
»Wenn du nachher im College bist, besorg ich dir einen Ring. Den
größten, den ich finden kann. Du musst nur ›Ja‹ sagen.«
Eine Träne rollt ihr übers Gesicht, und ich spüre, wie sehr sie mich liebt.
Der Gedanke, dass sie ein ganzes Leben mit mir zusammen sein wird,
bringt sie sogar zum Weinen.
Ich bin so überwältigt, dass ich fester in sie hineinstoße. Sie zuckt
zusammen, aber ich will so tief in ihr sein, wie es nur geht. Ich will, dass sie
mich ganz tief in sich spürt. Ich will, dass sie am ganzen Leib spürt, wie
sehr ich sie liebe. Ihre Fingernägel graben sich in meine Arme, als sie
versucht, sich von mir wegzustemmen. Ich weiß, dass ihr der Sex mit mir
teilweise immer noch wehtut, obwohl ich schon so oft in ihr war. Aber sie
ist so verdammt eng, dass ich manchmal kaum in sie reinpasse, und dann
verzieht sie kurz das Gesicht.
So wie jetzt.
Wahrscheinlich sollte es mir leidtun, dass ich ihr wehtue, aber ganz
ehrlich? Es macht mich geil. Selbst wenn der Sex schon lange vorbei ist,
wird sie mich noch stundenlang in sich spüren.
Gott, ich liebe dieses Mädchen.
»Ich liebe dich, Sloan«, keuche ich, während ich in ihre
tränenglänzenden Augen sehe. »Scheiße, ich liebe dich so sehr. Bitte sag
mir, dass du meine Frau werden willst. Ich muss es hören. Bitte.«
Ich spüre, dass ich kurz davor bin zu kommen. In ihr zu kommen und
etwas mit ihr zu erleben, was wir vorher noch nie so erlebt haben. »Oh,
Baby.« Ich küsse sie auf die Schläfe und beuge mich dicht an ihr Ohr. »Sag
es mir. Sag ›Ja‹, Baby.«
Und endlich flüstert sie ein leises »Ja«.
Dieses eine kleine Wort macht mich so verflucht glücklich, dass ich nur
noch einen Stoß brauche, um zu kommen. Tief in ihr. In meiner Verlobten.
Mein Körper zuckt auf ihr, wie ich es noch nie erlebt habe. Ein lautes
Stöhnen bricht aus mir heraus, als ich komme, ich bebe förmlich, aber
Sloan liegt ganz still unter mir und gibt keinen Laut von sich. Ich weiß, dass
es für sie genauso schön war wie für mich. So was spürt man. Sie steht
einfach immer noch komplett unter Schock, weil sie nicht erwartet hat, dass
ich ihr einen Heiratsantrag mache. Erst recht nicht mitten in der Nacht. Na
ja, oder so früh am Morgen. Kommt ganz darauf an, wie man es betrachtet.
Erschöpft gleite ich aus ihr heraus und rolle mich zur Seite, schiebe dann
aber doch noch mal die Hand zwischen ihre Beine. Ich will sie dazu
bringen, laut stöhnend zu kommen, und danach will ich neben ihr
einschlafen. Neben meiner Verlobten. Meiner nackten Verlobten, die bald
wieder auf ihrem verdammten Bauch schlafen wird.
Sloan schließt die Lider, als ich anfange, sie zu streicheln. Ich beobachte
ihr Gesicht ganz genau, während ich sie bearbeite, und warte, bis ein
Stöhnen über die Lippen kommt, die gerade »Ja« gesagt haben.
Und ich musste sie noch nicht mal dazu überreden. Es war viel
einfacher, als ich gedacht hätte.
Asa und Sloan – untrennbar vereint bis in alle verfickte Ewigkeit.
Scheiß auf meinen Erzeuger und seine behinderten Ansichten über die
Liebe.
Zweiundzwanzig
Luke

»Jetzt lass mich endlich in Ruhe damit. Wie oft soll ich es dir noch sagen?
Ich will nicht, dass sie da mit reingezogen wird.«
Ryan lehnt sich frustriert zurück. »Sie steckt doch schon längst ganz tief
drin, Luke. Du bringst sie nicht zusätzlich in Gefahr. Sie hat sich freiwillig
in Gefahr gebracht und damit gelebt – und zwar lange bevor du überhaupt
auf der Bildfläche erschienen bist.« Er beugt sich wieder zu mir. »Ich
versteh dich nicht. Das war doch bei unseren anderen Jobs auch nie ein
Problem. Erinnerst du dich an Carrie?«
Ich erinnere mich sogar sehr gut an Carrie. »Carrie war dein Projekt.
Nicht meins. Ich hab noch nie für einen Job etwas mit einem Mädchen
angefangen, Ryan.«
Er zieht eine Augenbraue hoch. »Ach? Wir dürfen nicht von der
Beziehung profitieren, die du während deines Jobs eingehst, aber du hast
kein Problem, uns alle ihretwegen in Gefahr zu bringen?«
Ich schiebe meinen Stuhl zurück und stehe auf. »Ich bringe niemanden
in Gefahr. Da läuft nichts. Ich weiß nicht, wie oft ich das noch wiederholen
muss.«
Ich bin vor allem deswegen so wütend, weil er natürlich recht hat, aber
das werde ich ihm gegenüber niemals zugeben. Seufzend drehe ich mich
zum Einwegspiegel, der in eine Wand des Verhörraums eingelassen ist, und
stelle fest, dass ich ganz schön fertig aussehe. Ich streiche mir durch die
Haare und schließe einen Moment die Augen.
»Willst du mir wirklich einreden, dass das, was ihr beide da laufen habt,
harmlos ist?«, fragt Ryan. »Ich meine, was war das für eine Aktion gestern?
Du hast Jon mit der Waffe bedroht und ihn bewusstlos geschlagen, weil er
sich an Sloan rangemacht hat.«
Ich suche seinen Blick im Spiegel. »Er hat sich nicht an sie
rangemacht«, widerspreche ich. »Er war kurz davor, sie zu vergewaltigen,
Ryan! Was hätte ich denn deiner Meinung nach stattdessen tun sollen? Mich
umdrehen, nach draußen gehen und Geld auf irgendwelche Idioten setzen,
die im Netz Poker spielen?«
Ich beobachte ihn im Spiegel. Er hätte sich genauso verhalten wie ich,
wenn er in dem Moment ins Zimmer gekommen wäre – das weiß er selbst.
Ziemlich passend, dass wir uns heute ausgerechnet in den Verhörraum
gesetzt haben, um über den Stand der Ermittlungen zu sprechen – ich fühle
mich gerade tatsächlich fast, als wäre ich ein Beschuldigter.
Ryan sagt nichts. Ich fahre mir mit beiden Händen übers Gesicht. »Okay.
Inwiefern würde es uns weiterhelfen, wenn ich ihr gegenüber so tue, als
würde ich etwas für sie empfinden?«
Ryan zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht gar nicht.
Aber einen Versuch ist es wert. Ihr beide scheint euch gut zu verstehen und
sie vertraut dir. Möglicherweise erfährst du von ihr Dinge über Asa, die wir
noch nicht wissen.«
Er steht auf, geht um den Tisch herum und lehnt sich mit verschränktem
Armen dagegen.
Dadurch, dass wir undercover meistens als gute Freunde auftreten – in
diesem Fall als Dalton und Carter –, vergesse ich leicht, dass Ryan offiziell
mein Vorgesetzter ist. Er macht den Job schon fünf Jahre länger als ich und
ist ein absoluter Profi, der genau weiß, wovon er redet. Auch wenn ich das
nicht gern zugebe.
»Ich verlange ja nicht von dir, dass du mit dem Mädchen eine Beziehung
anfängst. Du sollst auch nicht so tun, als wärst du in sie verliebt. Ich bitte
dich lediglich darum, dass du die Sympathie, die sie ja offenbar für dich
empfindet, zugunsten unserer Ermittlungen einsetzt und dich öfter mal mit
ihr unterhältst.«
»Und wie soll ich das machen?«, frage ich. »Asa ist ständig um sie
herum. Wenn er eifersüchtig wird, wäre das für uns garantiert nicht von
Vorteil.«
»Es gibt immer Mittel und Wege«, sagt Ryan. »Ihr seht euch dreimal die
Woche im Spanischkurs, und ich weiß, dass sie sonntags immer ihren
Bruder im Heim besucht. Du könntest sie begleiten.«
»Ja, klar.« Ich lache. »Sie wäre bestimmt begeistert und Asa hätte
garantiert auch nichts dagegen.«
»Er muss es ja nicht erfahren. Gestern hat er Jon gegenüber erwähnt,
dass er mit uns allen am Sonntag ins Casino fahren will. Wir sind den
ganzen Tag weg. Behaupte einfach, du hättest was anderes zu erledigen,
und frag Sloan, ob du mit ihr mitkommen kannst. Dann hast du einen
ganzen Tag mit ihr, an dem ihr völlig ungestört seid.«
Ich sollte ihm sagen, dass diese Idee verrückt ist. Viel zu riskant. Aber
die Wahrheit ist, dass ich die Vorstellung, einen ganzen Tag mit Sloan
verbringen zu können, viel zu verlockend finde – ganz egal, ob es unsere
Ermittlungen weiterbringt oder nicht. Gott, was ist nur aus mir geworden?
Ich war immer der festen Meinung, dass man Job und Privatleben trennen
muss.
»Okay.« Ich greife nach meiner Jacke, ziehe sie an und gehe zur Tür. Die
Hand auf dem Knauf, bleibe ich stehen und drehe mich langsam zu Ryan
um. »Woher weißt du eigentlich, dass sie in meinem Kurs ist?«
Ryan grinst. »Sie ist der heiße Arsch aus Spanisch, Luke. Ich bin kein
Idiot.« Er greift nach seiner eigenen Jacke. »Warum, glaubst du, haben wir
dich in diesem Kurs angemeldet?«
Dreiundzwanzig
Sloan

Ich zittere noch immer, als ich aus dem Wagen steige und auf das
Hauptgebäude zugehe. Der Zwischenfall mit Asa ist jetzt Stunden her, aber
mir ist immer noch kotzübel. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche
Angst. Nicht einmal gestern Abend, als Jon sich auf mich gestürzt und mir
das Messer an die Kehle gehalten hat.
Wie konnte mir das nur passieren? Ich bin nach wie vor fassungslos über
mich selbst. Wie komme ich dazu, im Schlaf Carters Namen zu sagen und
nicht nur mich selbst, sondern auch ihn so in Gefahr zu bringen?
Ich bin wahnsinnig froh, dass mir sofort die Idee kam zu behaupten, ich
hätte »härter« gesagt – und dass Asa mir das tatsächlich geglaubt hat.
Aber damit war der Albtraum ja nicht vorbei. Erst die Erleichterung und
dann gleich darauf der nächste Schock, als Asa mir auf einmal einen
Heiratsantrag gemacht hat. Und ich in dieser Situation nicht den Mut hatte,
ihn zu bitten, ein Kondom zu benutzen.
Ich habe keine Ahnung, ob er mir treu ist. Bisher bin ich immer davon
ausgegangen und habe ihn auch noch nie bei irgendetwas erwischt. Jon ist
der Erste, der je angedeutet hat, dass er nebenher etwas mit anderen Frauen
haben könnte. Wobei ich ihm durchaus zutraue, das nur gesagt zu haben,
um mich zu verunsichern. Allerdings kann ich auch nicht behaupten, dass
ich Asa so vertraue, dass ich meine Gesundheit und schlimmstenfalls mein
Leben aufs Spiel setzen würde.
Ich kann den Gedanken einfach nicht abschütteln, dass Jon womöglich
die Wahrheit gesagt hat, deswegen habe ich gleich heute Morgen meine
Frauenärztin angerufen und einen Termin ausgemacht, um mich testen zu
lassen. Dass ich schwanger sein könnte, macht mir weniger Sorgen. Ich
nehme die Pille und bin ziemlich gewissenhaft, aber vor
Geschlechtskrankheiten oder HIV schützt sie mich natürlich nicht.
Trotzdem habe ich beschlossen, jeden Gedanken daran erst einmal aus
meinem Kopf zu verbannen. Ich kann mir jetzt nur vornehmen, alles zu tun,
damit mir so etwas nicht noch einmal passiert. Meine Angst vor Asa war
einfach zu groß, als dass ich es gewagt hätte zu protestieren. Ich habe noch
nie so viel blanken Hass in seinem Blick gesehen wie in dem Moment, in
dem er geglaubt hat, er hätte mich im Schlaf Carters Namen stöhnen gehört.
Nein, in dem er gehört hat, wie ich Carters Namen stöhne.
Vor Spanisch gehe ich auf die Toilette, um mir kaltes Wasser ins Gesicht
zu spritzen und zu versuchen, mich zu beruhigen. Asa ist weit weg –
solange ich hier bin, kann mir nichts passieren. Aber ich weiß nicht, wie ich
verhindern soll, dass mir im Schlaf nicht noch einmal irgendetwas
herausrutscht, was er nicht wissen darf. Notfalls muss ich wach bleiben,
wenn er neben mir liegt. Das schaffe ich schon irgendwie.
Als ich wieder in den Flur komme, sehe ich Carter, der neben der Tür
zum Kursraum an der Wand lehnt.
Wartet er auf mich?
Sobald er mich sieht, richtet er sich lächelnd auf.
»Hey. Wie geht’s dir?«, fragt er. Sein Blick fällt auf die Male an meinem
Hals. Ein paar stammen von Jon. Was er mit mir gemacht hat, war schlimm
genug, aber durch Asa sind noch mehr dazugekommen.
Gott, was ist das für ein Leben, in dem ich im Abstand von wenigen
Stunden von zwei verschiedenen Männern bedroht und gewürgt werde?
»Ganz okay«, sage ich, obwohl ich selbst weiß, dass ich mich nicht
besonders überzeugend anhöre.
Carter deutet auf meinen Hals. »Du hast da ziemlich üble Blutergüsse«,
sagt er. »Hat Asa die gesehen?«
Er streicht mit der Rückseite seines Zeigefingers zart über meine Haut.
Ich weiß, dass er das nur tut, weil er sich Sorgen um mich macht, kann aber
nicht verhindern, dass es mich heiß durchschauert. Jedes Mal, wenn er mich
berührt – selbst wenn es nur ganz beiläufig ist –, erinnert mich das daran,
dass mein Körper doch noch in der Lage ist, etwas zu fühlen. In der Zeit mit
Asa habe ich versucht zu lernen, mich taub zu stellen, aber Carter macht all
meine Bemühungen zunichte.
»Er hat sie gesehen, aber … er dachte, sie wären von ihm.«
Carters Gesicht erstarrt. »Sloan …«, flüstert er und schüttelt den Kopf.
Ich sehe, wie sich sein Kehlkopf bewegt, als müsste er den Hass
herunterschlucken, der in ihm aufsteigt, wenn er an Asas Hände an meiner
Kehle denkt. Er macht sich offensichtlich Sorgen um mich, aber er weiß
auch, warum ich trotz allem bei Asa bleibe, und scheint Verständnis für
meine Entscheidung zu haben. Das ist etwas, das ich an ihm mag: seine
Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.
Mitgefühl. Eine Regung, die Asa vollkommen fremd ist.
Jetzt legt Carter sanft eine Hand an meinen Ellbogen. »Wollen wir
reingehen?« Er wendet sich zur Tür, aber ich halte ihn zurück.
»Carter, warte.«
Er dreht sich zu mir und tritt zur Seite, um zwei Leute aus unserem Kurs
vorbeizulassen. Ich sehe den Flur hinauf und hinunter, dann sage ich
schnell: »Ich muss dir was erzählen.«
Sein Blick wird sofort wieder besorgt. Er nickt und führt mich den Flur
entlang, um einen Ort zu suchen, an dem wir uns ungestört unterhalten
können. Als wir an einer geschlossenen Tür vorbeikommen, wirft er einen
Blick durch die Glasscheibe und gibt mir ein Zeichen. Wir schlüpfen in den
Raum und schließen die Tür hinter uns.
An den Wänden sind Musikinstrumente aufgereiht, in der Mitte stehen
mehrere zu einem Kreis arrangierte Tische. Ich drehe mich zu Carter um,
aber statt mich zu fragen, was ich ihm erzählen wollte, schlingt er die Arme
um mich und zieht mich an sich.
Er hält mich.
Mehr nicht. Er hält mich einfach wortlos in den Armen, und trotzdem
fühle ich genau, was er damit ausdrücken will. Dass er sich nach der Sache
mit Jon gestern Abend wahnsinnige Sorgen um mich gemacht hat. Dass er
mich am liebsten gleich danach in die Arme genommen und getröstet hätte,
genau wie vorhin, als ich im Flur auf ihn zugekommen bin. Aber mich darf
man nicht einfach so umarmen.
Die Arme um seinen Körper geschlungen, das Gesicht in sein T-Shirt
gepresst, atme ich den schwachen Duft seines Rasierwassers ein. Er riecht
nach Strand. Ich schließe die Augen und wünschte, wir wären am Meer.
Weg von dem ganzen Grauen hier.
Ein paar Minuten stehen wir so da, ohne dass einer von uns etwas sagt
oder sich rührt. Nach einer Weile weiß ich nicht mehr, wer eigentlich wen
umarmt, wer wem Halt gibt. Es kommt mir vor, als hingen wir beide
irgendwo im Leeren und würden uns aneinander festklammern, weil wir ins
Bodenlose fallen würden, wenn einer losließe.
»Ich hab im Schlaf deinen Namen gesagt«, durchbricht meine flüsternde
Stimme die Stille.
Carter löst sich ruckartig von mir und sieht mich an. »Und er hat es
gehört?«
Ich nicke. »Ja. Aber ich glaube, ich hab es geschafft, mich rauszureden.
Ich habe behauptet, er hätte mich falsch verstanden, ich hätte … was
anderes gesagt. Aber er war wahnsinnig wütend, Carter. So wütend habe ich
ihn noch nie erlebt. Jedenfalls fand ich, dass … dass ich dir das erzählen
muss. Wir müssen vorsichtiger sein. Ich meine, ich weiß schon, dass
zwischen uns nichts ist, aber …«
»Ist da wirklich nichts?«, unterbricht Carter mich. »Es ist nichts passiert,
das stimmt, aber was wir füreinander empfinden, ist nicht unschuldig,
Sloan. Und wenn Asa wüsste, dass ich in deinem Spanischkurs bin …«
»Ganz genau«, sage ich.
Carter nickt, weil er weiß, was das bedeutet. Er darf im Haus nicht mehr
mit mir reden. Eigentlich sollte er noch nicht mal mehr in meine Richtung
schauen. Asa hat mir vielleicht geglaubt, aber er wird trotzdem misstrauisch
sein. Ich möchte auf keinen Fall, dass Carter meinetwegen Schwierigkeiten
bekommt, auch wenn ich fürchte, dass ich das schon nicht mehr verhindern
kann.
»Es tut mir so leid.«
»Was tut dir leid? Dass du anscheinend von mir geträumt hast?«
Ich nicke.
Carter legt seine Hand an meine Wange. »Wenn wir uns dafür
entschuldigen, voneinander zu träumen, schulde ich dir ungefähr ein
Dutzend Entschuldigungen.«
Ich beiße mir auf die Innenseite der Wange, weil ich sonst viel zu breit
lächeln würde. Er lässt die Hand sinken. »Aber jetzt müssen wir uns
beeilen, sonst kommen wir zu spät zu Spanisch.«
Ich muss lachen, weil die Vorstellung irgendwie absurd ist. Wie schlimm
wäre so ein Zuspätkommen im Vergleich zu den ganzen anderen
Katastrophen, die in unseren Leben momentan passieren? Aber trotzdem
hat er recht.
Wir gehen nebeneinanderher zum Klassenzimmer, aber ein paar Meter
vor der Tür hält er mich noch einmal zurück und beugt sich zu meinem Ohr
hinunter. »Ich muss dir auch noch was sagen«, flüstert er. »Du siehst
wunderschön aus, Sloan. Du raubst mir den Atem.«
Und dann geht er einfach weiter, während ich stehen bleibe wie vom
Schlag getroffen.
Es waren bloß ein paar harmlose Wörter. Einfach nur ein paar
aneinandergereihte Wörter, und doch hatten sie so viel Sprengkraft, dass sie
mir förmlich den Boden unter den Füßen weggerissen haben.
Ich schnappe lautlos nach Luft und presse die Lippen zusammen, um das
Lächeln zurückzudrängen, das an meinen Mundwinkeln zerrt. Carter geht
ganz bis nach hinten zu unseren beiden Plätzen durch. Ich gehe ihm
hinterher.
Meine Knie sind so weich, als würden sie jeden Moment unter mir
wegsacken. So sollte sich das anfühlen. Genau das sollte ein Mann eine
Frau fühlen lassen.
Warum habe ich mich je auf Asa eingelassen?
Als ich meinen Platz erreiche, steht Carter immer noch und wartet
darauf, dass ich mich zuerst setze. Ich bedanke mich mit einem Lächeln,
setze mich und wir holen unsere Bücher heraus. Der Dozent betritt den
Raum und schreibt mit dem Rücken zu uns etwas an die Tafel.

Habe gestern beim Football zu laut geschrien, jetzt ist die Stimme weg.
Arbeiten Sie bitte Kap. 8–10 durch, nächste Woche wiederholen wir den
Stoff.

Die eine Hälfte des Kurses lacht, die andere stöhnt. Carter schlägt sein
Buch auf. Ich öffne meins und beginne den Text zu lesen, komme aber nicht
weit, weil ich aus dem Augenwinkel sehe, wie Carter seinen Stift nimmt
und etwas auf seinen Block schreibt. Mein Herz klopft, und ich hoffe, dass
er sich nicht bloß irgendwelche Notizen macht, sondern etwas für mich
schreibt.
Ein schlechtes Gewissen habe ich deswegen nicht, obwohl ich es
vielleicht haben sollte. Immerhin hat mir Asa heute einen Antrag gemacht
und ich habe aus Angst um mein Leben »Ja« gesagt.
Gott, ist das alles abgefuckt. Ich komme garantiert in die Hölle.
Wobei … bin ich da nicht längst? Mein Leben fühlt sich die meiste Zeit
so an, als würde ich für irgendetwas unaussprechlich Schreckliches bestraft
werden, das ich in irgendeinem früheren Leben getan habe. Jedenfalls hat es
sich so angefühlt, bis Carter aufgetaucht ist. Vor ihm habe ich nicht viele
Erfahrungen gemacht, die mich hungrig auf das Leben gemacht hätten.
Carter schiebt mir einen zusammengefalteten Zettel zu. Ich klappe ihn
auf und erwarte, dass wir unser Spiel von letztem Mal fortsetzen, aber der
Satz, den ich lese, ergibt durchaus Sinn. Es handelt sich um eine Bitte …
oder vielmehr eine Aufforderung.

Leg deine linke Hand auf dein Bein.

Nachdem ich den Satz zweimal gelesen habe, betrachte ich unschlüssig
meine Hände. Nein, das hat ganz bestimmt nichts mit dem Spiel zu tun. Der
Satz klingt zwar merkwürdig, aber das liegt nur daran, dass ich nicht
verstehe, worauf Carter hinauswill. Na gut. Ich falte den Zettel zusammen
und lege die linke Hand auf meinen Schenkel. Will er mir vielleicht
irgendetwas geben, was sonst niemand sehen darf?
Nein. Er legt nur, ohne mich anzusehen, seine rechte Hand auf meine
und verschränkt unsere Finger ineinander. Und dann konzentriert er sich
wieder auf den Text im Spanischbuch, als hätte er mich gerade eben nicht in
Flammen gesetzt.
Genau so fühlt es sich nämlich an, seine Hand in meiner zu spüren, seine
Finger auf meinem Schenkel: Ich brenne. Mein Herz rast und mein Gesicht
glüht.
Er hält meine Hand.
Ohmeingott.
Ich habe nicht gewusst, dass sich das besser anfühlen kann als ein Kuss.
Besser als Sex. Jedenfalls als der Sex mit Asa.
Ich schließe die Augen und konzentriere mich ganz auf dieses
ungekannte Gefühl. Das Gewicht seiner Hand auf meiner. Die Stärke seiner
Finger zwischen meinen. Das zarte Streicheln seines Daumens.
Wir sitzen bestimmt fünfzehn Minuten so da, ohne dass ich ein Wort des
Textes verstehe, den ich zu lesen versuche. Irgendwann löst Carter seine
Hand aus meiner, zieht sie aber nicht weg, sondern beginnt mit dem
Zeigfinger Kreise auf meine Haut zu malen und dann jeden
Quadratmillimeter meiner Hand zu erforschen. Erst die Außenseite, dann
innen, dann meine Finger und die Stellen zwischen den Fingern. Und mit
jeder Minute, die vergeht, wächst mein Verlangen zu erfahren, wie sich
seine Finger auf meinem Schenkel anfühlen würden … an meinem Hals …
auf meinem Bauch.
Mein Atem geht schwerer, je mehr sich die Stunde ihrem Ende nähert.
Ich will nicht, dass sie endet. Ich will nicht, dass das hier jemals endet.
Jetzt gleiten Carters Finger mein Bein entlang zu meinem Knie, wandern
dann zur Innenseite meines Schenkels und wieder zurück zum Knie. Ich
sitze mit geschlossenen Augen da und umklammere mein Spanischbuch.
Carter streichelt mich immer weiter, und ich bin kurz davor, aufzuspringen
und auf die Toilette zu rennen, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu
spritzen … tue es aber nicht, weil auf einmal der Gong verkündet, dass der
Kurs zu Ende ist, und um mich herum alle ihre Sachen zusammenpacken.
Ich finde die Kraft, die Augen zu öffnen und Carter den Kopf
zuzuwenden. Er schaut mich an, der Blick so intensiv und voller Sehnsucht,
dass ich nicht wegsehen kann. Wieder greift er nach meiner Hand und
drückt sie. »Ich hätte das nicht …«
Ich nicke, weil wir dasselbe denken. »Hättest du nicht …«
»Ich weiß«, sagt er. »Es ist nur … ich schaffe es nicht, dir so lang so nah
zu sein, ohne dich zu berühren.«
»Und ich schaffe es nicht, dich davon abzuhalten.«
Carter holt tief Luft, atmet aus und lässt meine Hand los. Dann packt er
seine Sachen ein, steht auf und hängt sich den Rucksack über die Schulter.
Ich warte darauf, dass er sich verabschiedet oder geht, aber das tut er nicht.
Wir sehen uns ein paar Sekunden an, bevor er seinen Rucksack plötzlich
fallen lässt und sich wieder setzt. Er umfasst mein Gesicht und drückt seine
Stirn gegen meine Schläfe. Seine Verzweiflung ist so deutlich spürbar, dass
es mir einen Stich versetzt.
»Sloan«, flüstert er, den Mund direkt an meinem Ohr. »Ich will alles von
dir. Alles, was du geben kannst, so viel, dass es mich blendet.«
Ich schnappe nach Luft.
»Bitte sei vorsichtig«, sagt er. »Pass auf dich auf, bis ich dir helfen kann,
da rauszukommen. Ich weiß nicht, wann es so weit sein kann, aber bitte geh
bis dahin nicht das kleinste Risiko ein.«
Ich schließe die Augen, als er mir einen Kuss auf die Schläfe drückt.
Was würde ich dafür geben, wenn seine Lippen meinen Mund berühren
würden.
Wie kann es sein, dass ich so viel für einen Menschen empfinde, den ich
gerade erst kennengelernt habe? Für einen Menschen, den ich noch nicht
einmal geküsst habe? Für einen Menschen, der fast alles zu sein scheint,
was ich mir immer gewünscht habe, und doch auch die Dinge tut, die ich
aus tiefstem Herzen verachte?
»Wenn ich nachher zu euch komme, werde ich dich keines Blickes
würdigen«, sagt er. »Ich werde nicht mal in deine Richtung sehen. Aber du
sollst wissen, dass du trotzdem das Einzige bist, das ich sehen werde. Das
absolut Einzige, Sloan.«
So schnell, wie er sich eben neben mich gesetzt hat, lässt er mich los,
nimmt seinen Rucksack und steht auf. Ich höre seine Schritte, die sich
entfernen, während sich mein Herz wild gegen meine Rippen wirft und ich
mit geschlossenen Augen sitzen bleibe.
Ich will unbedingt mehr von dem, was er mich fühlen lässt. Aber nicht
hier, nicht in dieser Stadt, nicht in Asas Nähe. Am liebsten würde ich sofort
weg, aber ich muss meine Flucht gut vorbereiten. Und wenn ich gehe, muss
Carter auch gehen. Er muss nicht nur alle Verbindungen zu Asa kappen,
sondern auch zu der Art von krankem Leben, das Asa lebt.
Wir müssen beide weg.
Bevor es zu spät ist …
Vierundzwanzig
Asa

Ich habe noch nie Geduld gehabt, wenn es um Dinge geht, die stressen.
Alles, was dir selbst nicht wirklich was bringt – scheiß drauf und weg
damit.
Das ist auch so eine Weisheit von meinem Vater und wahrscheinlich die
beste, die er mir mitgegeben hat. Ich halte mich in sämtlichen
Lebensbereichen daran. Was Freundschaften und Geschäftsbeziehungen
angeht, genauso wie beim Aufbau meines Imperiums.
Ja, genau: Imperium. Ich bin vielleicht noch nicht ganz an dem Punkt, an
den ich mal kommen will, aber mein Motto ist definitiv »Think big!«.
Positives Denken und so. Ganz wichtig.
Als ich mit dem Dealen angefangen habe, war ich ein kleiner Fisch. Ich
hab vertickt, was ich in die Finger gekriegt habe. Ecstasy und Pillen an
Studenten, Gras an die Hänger. Mir ist aber ziemlich schnell klar geworden,
dass ich so nicht reich werde, also habe ich mich im College eingeschrieben
und angefangen zu lernen. Allerdings nicht das Zeug, das man sich
reinzieht, um irgendwann in einem Büro zu landen und vielleicht genug zu
verdienen, dass es für ein Haus, ein Auto und eine Frau reicht. Ich rede von
dem wirklich wichtigen Know-how: wie man Kontakte knüpft, wie man am
eigenen Image und Bekanntheitsgrad arbeitet, dass man den Stoff selbst
testen muss, auch Koks und Heroin, um ein Gefühl dafür zu entwickeln,
welche Droge zu wem passt. Und immer gut aufpasst, dass man nicht selbst
abhängig wird von dem Scheiß. Die Konkurrenz im Auge behalten, sich mit
dem eigenen Dealer anfreunden und irgendwann der beste Kumpel des
Dealers deines Dealers werden. Immer schön bescheiden auftreten, damit
die Topdogs im Business nicht misstrauisch werden, sondern erst merken,
was du vorhast, wenn du sie plötzlich überflügelt hast.
Ich hab viel Dreck fressen müssen. Aber nur so funktioniert es. Nur so
konnte ich mich von ganz unten Stufe für Stufe hocharbeiten.
Mit dem Kleinscheiß habe ich heute nichts mehr zu tun. Gras, Pillen,
Ecstasy – damit gebe ich mich nicht mehr ab. Das bringt nichts. Du willst
einen durchziehen? Dann fahr, verdammt noch mal, nach Colorado, da
gibt’s haufenweise Läden, in denen du dich eindecken kannst, aber stiehl
mir nicht meine kostbare Zeit.
Komm zu mir, wenn du das wirklich gute Zeug willst, den Stoff, der dir
das Gefühl gibt, als würde Mutter Natur höchstpersönlich dich an ihren
Busen drücken. Ich verkauf dir keinen Ford, bei mir bekommst du den
Bugatti.
Ich arbeite immer noch an meinem Imperium. Daran wird sich auch nie
etwas ändern. Der Moment, in dem sich jemand in meiner Position
einbildet, es gäbe nichts mehr zu lernen, ist der Moment, in dem ein anderer
seine Stelle einnimmt. Aber in dieser Stadt gibt es niemanden, der über Asa
Jackson stehen kann. Ich hab ein verdammt gutes Team hinter mir. Jungs,
die wissen, wo ihr Platz ist. Die wissen, dass sie sich auf mich verlassen
können, solange ich mich auf sie verlassen kann.
Bei meinem Neuzugang bin ich mir noch nicht so sicher. Die meisten
Menschen durchschaut man schnell, aber dieser Carter ist ein kniffliger
Fall. Normalerweise kriechen mir alle in den Arsch, weil sie genau wissen,
dass ihnen das Vorteile bringt.
Carter ist anders. Der Typ scheint seine ganz eigene Sicht auf die Dinge
zu haben und das macht mich unruhig. Er erinnert mich an mich selbst, und
ich weiß nicht, ob ich das gut finde. Es kann nur einen wie mich geben.
Da ist noch was anderes, was mir Sorgen macht. Jon, mit dem ich jetzt
am längsten zusammenarbeite, läuft in der letzten Zeit ein bisschen aus dem
Ruder. Ich hab das Gefühl, er ist nicht mehr mit ganzem Einsatz dabei. Er
war mal mein bester Mann, jetzt denke ich, dass er zu meiner Achillesferse
werden könnte.
Was mich wieder zum Thema zurückführt:
Alles, was dir selbst nicht wirklich was bringt – scheiß drauf und weg
damit.
Leider kann ich im Moment nicht erkennen, was Jon mir noch bringt. Er
macht mir gerade echt eine Menge Ärger. Letzte Woche habe ich
seinetwegen einen meiner besten Kunden verloren, weil er seine Alte
gevögelt hat. So was verkneife sogar ich mir. Hier geht es um eine Menge
Kohle, da kann einem der Schwanz jucken, so viel er will.
Im Gegensatz dazu ist Carter gerade eine echte Bereicherung für die
Mannschaft. Es ist cool, endlich jemanden zu haben, der sich mit den
Latinos verständigen kann. Er ist zur Stelle, wenn ich ihn brauche, tut, was
er tun soll, und redet ansonsten nicht viel. Da ist nur die Sache, dass ich ihm
nicht so richtig über den Weg traue. Wenn ich nicht so zufrieden mit seiner
Performance wäre, würde ich mich wieder von ihm trennen.
Aber Jon wird langsam wirklich zu einer Belastung. Dummerweise weiß
er zu viel, das macht die Sache schwierig.
Für Jon. Nicht für mich.
Alles, was ich nicht brauchen kann, wird radikal aus meinem Leben
gestrichen. Für mich zählt nur das Geschäft. Und Sloan natürlich. Wenn ich
sie mit einer Droge vergleichen müsste, würde ich sagen, Sloan ist Heroin.
Heroin fühlt sich verdammt gut an. Heroin entspannt. Wenn man genug
davon hat und sich um den Nachschub keine Sorgen machen muss, kann
man sich jeden Tag bis zum Rest seines Lebens Heroin spritzen und alles ist
super.
Es ist so eine Angewohnheit von mir, Menschen mit Drogen zu
vergleichen. Ist vielleicht komisch, aber wenn man sich mit Drogen
auskennt, sieht man die Parallelen.
Jon wäre zum Beispiel Crystal Meth, ganz klar. Er ist dreist, redet zu viel
und kann so nerven, dass es echt an die Schmerzgrenze geht.
Dalton wäre Kokain. Er ist kommunikativ, gut drauf, netter Typ, einer,
von dem man mehr will. Ich mag Koks.
Und Carter wäre …
Tja, was wäre Carter …?
Ich glaube, ich kenne ihn noch nicht gut genug, um ihn einzuordnen. In
den zwei Minuten gestern Nacht, als ich dachte, Sloan hätte seinen
verdammten Namen gestöhnt, war er eine beschissene Überdosis.
Aber das habe ich mir ja anscheinend nur eingebildet. Wäre ja auch
seltsam gewesen. Soweit ich es mitgekriegt habe, hat sie mit dem Typen
noch kein einziges Wort gewechselt. Und wenn ihm sein Leben was wert
ist, macht er auch gar nicht erst den Versuch, mit ihr zu sprechen. Ich hab
ihm schließlich gleich am ersten Tag ziemlich deutlich klargemacht, dass er
sich von Sloan fernzuhalten hat.
Gut, dass ich mir wegen so was bald keine Sorgen mehr machen muss,
weil Sloan hier nicht mehr lange wohnt. Sondern umzieht. In unser eigenes
Haus.
Fuck!
Der Ring. Ich wusste, dass ich irgendwas Wichtiges vergessen habe.
Was ziehe ich an? Vielleicht den Armani, weil es ein besonderer Tag ist?
Nein, lieber das dunkelblaue Hemd. Sloan hat mir schon ein paarmal
gesagt, wie gut mir das steht. Und dazu die dunkelblauen Chinos. Ist ja
eigentlich auch egal, was ich von den Sachen anziehe, die im Schrank
hängen. Alles Eins-a-Qualität. Ich achte immer darauf, nur
Designerklamotten zu kaufen, damit die Leute mir den Respekt
entgegenbringen, den ich verdiene.
Das gehört nicht zu den Dingen, die ich von meinem Arschloch-
Erzeuger gelernt hätte. Wenn der Idiot nicht immer wie der letzte Penner
rumgelaufen wäre, wäre er vielleicht nicht im Knast gelandet.
Als ich die Treppe runtergehe, sehe ich Jon, der mit dem Rücken zu mir
an der Spüle steht und sich einen Eisbeutel an die Schläfe presst. »Was ist
passiert?«
Er dreht sich zu mir, und ich sehe, dass seine ganze rechte Gesichtshälfte
blau ist.
»Scheiße, Mann. Mit wem hast du dich angelegt?«
Jon lässt den Eisbeutel ins Becken fallen. »Ach, mit so einem
Vollpfosten. Niemand von Bedeutung.«
Aus der Nähe sieht sein Gesicht noch schlimmer aus. Falls er sich
einbildet, dass er mir nicht erzählen muss, wer ihn so zugerichtet hat, hat er
sich geschnitten. Wenn sich herausstellt, dass wir seinetwegen schon wieder
einen Kunden verloren haben, kann er sich schon mal darauf einstellen,
dass seine linke Seite gleich noch übler aussehen wird als die rechte. Ich
greife nach meinem Autoschlüssel, der auf der Theke liegt, und frage noch
mal: »Wer war das, Jon?«
Er reibt sich das Kinn und weicht meinem Blick aus. »Nur so ein
Wichser, dem es nicht gepasst hat, dass ich mit seiner Schlampe
rumgemacht hab. Hat mich eiskalt erwischt. Sieht schlimmer aus, als es
ist.«
Was für ein Honk. Ich lache. »Ich bin mir sicher, es war so schlimm, wie
es aussieht.« Als ich zum Kühlschrank gehe, um zu überprüfen, wie es um
die Alkoholvorräte steht, stelle ich fest, dass wie üblich nichts da ist. Ich
knalle die Tür zu. »Sorg dafür, dass wir heute Abend genug zu trinken
haben. Es gibt was zu feiern. Ich muss noch mal weg.«
Jon nickt. »Besonderer Anlass?«
»Jep. Ich hab mich verlobt. Also kauf was Ordentliches, keine billige
Nuttenbrause.« Auf dem Weg zur Haustür höre ich Jon lachen und drehe
mich um. Er grinst. »Was ist so lustig?«, frage ich und gehe zur Küche
zurück.
»Na ja, was ist nicht lustig dran, dass du heiraten willst, Asa?«
Ich lache. Und dann kriegt er eins auf die Fresse. Auf die linke Seite
diesmal.
Der Typ muss dringend verschwinden.
Fünfundzwanzig
Carter

Mit weichen Knien gehe ich zum Parkplatz, setze mich in meinen Wagen,
lehne den Kopf zurück und atme aus.
Ich weiß nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Die Grenzen sind total
verschwommen. Ich versuche, meine Aufgabe hier zu erledigen, aber seit
ich Sloan kenne, frage ich mich, ob das wirklich das Leben ist, das ich
führen will. Keine Ahnung, ob ich gerade eben Carter war oder Luke.
Carter verwandelt sich langsam in Luke.
Es ist ganz klar, dass ich viel zu viel von mir selbst in den Job mit
einbringe. Ich schaffe es einfach nicht, innerlich den nötigen
professionellen Abstand zu wahren. Es fällt mir verdammt schwer, nicht
alles mit Sloan zu tun, was ich gern tun würde. Ihr nicht alles zu erzählen.
Die ganze Wahrheit.
Aber wenn ich ihr sagen würde, wer ich bin und warum ich für Asa
arbeite, würde ich zu viel riskieren. Mein eigenes Leben und das von Ryan.
Vielleicht sogar ihres. Je weniger sie weiß, desto besser für uns alle.
Ich beuge mich vor und drücke die Stirn gegen das Lenkrad. Mir graut
vor dem, was unausweichlich auf uns zukommt.
Ich wünsche mir so sehr, Sloan noch besser kennenzulernen und ihr noch
näherkommen zu können. Und zwar als Luke. Aber das geht erst, wenn wir
gegen Asa ausreichend Beweise in der Hand haben, um ihn für immer
hinter Gitter zu bringen. Dazu müsste er aber erst mal einen Fehler machen
und im Moment sieht es nicht danach aus. Er ist verdammt vorsichtig und
viel gerissener, als ich anfangs gedacht hätte.
Je länger unsere Ermittlungen dauern, desto größer wird die Gefahr für
Sloan. Aber nach allem, was ich mittlerweile über Asa weiß, wäre es
definitiv das Gefährlichste, wenn sie ihn verlassen würde. Er würde sie
niemals einfach so gehen lassen. Das würde ihn im Kern seiner
narzisstischen Persönlichkeit treffen, und er würde alles tun, um sich zu
rächen. Ich traue ihm durchaus zu, dass er sogar ihrem Bruder etwas antun
würde.
Sloan sitzt in der Falle, bis Asa endgültig eliminiert ist, und das kann
noch Monate dauern.
Mein Handy summt. Ich lehne mich wieder zurück und ziehe es aus der
Jacke. Es läuft mir kalt über den Rücken, als ich sehe, dass es Nachrichten
von Asa sind. Kann es sein, dass er mich beobachten lässt?

Asa: Wo steckst du?


Asa: Komm um 12:00 ins »Peralta« und sei pünktlich. Ich bin verdammt
hungrig.

Ich starre nachdenklich auf das Display. Das ist absolut untypisch für ihn.
Asa hat mir bisher noch nie eine Nachricht auf mein Handy geschickt. Will
er wirklich nur mit mir essen?

Ich: Bin in zehn Minuten da.

***

Zwölf Minuten später gehe ich durch das Lokal auf den Tisch ganz hinten
zu, an dem Asa sitzt. Er tippt etwas in sein Handy, als ich mich setze.
»Hey«, sagt er, ohne aufzusehen, schreibt den Satz zu Ende und legt das
Telefon dann zur Seite. »Hast du heute Abend schon was vor?«
Ich schüttle den Kopf, greife nach der Speisekarte und klappe sie auf.
»Nein. Warum?«
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er grinsend etwas aus der Tasche
holt und auf den Tisch stellt. Ich lasse die Karte sinken. Es ist ein kleines
samtbezogenes Kästchen.
Was, zum Teufel …?
Asa klappt das Kästchen auf und hält es mir hin. Als mein Blick auf den
brillantbesetzen Ring fällt, erstarre ich innerlich. Will er ihr etwa einen
Antrag machen?
Ich muss mich sehr zusammenreißen, um nicht ungläubig zu lachen. Asa
muss verrückt sein, wenn er glaubt, dass sie ihn annimmt. Außerdem wage
ich zu behaupten, dass dieser protzige Ring überhaupt nicht ihr Geschmack
ist. Sloan wird ihn grauenhaft finden.
»Du willst ihr einen Antrag machen?« Ich schaue wieder in die
Speisekarte, als fände ich das Thema nicht sonderlich spannend.
»Schon erledigt. Heute wird Verlobung gefeiert.«
Ich sehe ihn über den Rand der Karte hinweg an. »Sie hat ›Ja‹ gesagt?«
Bis zu diesem Moment habe ich nicht geahnt, dass es so etwas wie ein
großspuriges Nicken gibt, jetzt weiß ich es. Ich ringe mir ein Lächeln ab.
»Gratuliere. Sloan scheint zu den Mädchen zu gehören, die man festhalten
muss.«
Meine Gedanken rotieren. Warum hat sie mir das vorhin nicht erzählt?
Wieso ist sie jetzt auf einmal bereit, diesen Typen zu heiraten?
Wahrscheinlich weil sie in der Falle sitzt. Weil ihr gar nichts anderes übrig
geblieben ist, als einzuwilligen. Es war die einzig richtige Entscheidung,
auch wenn mir bei dem Gedanken daran schlecht wird.
Ich verstehe nur nicht, warum sie mich nicht vorgewarnt hat.
Asa steckt die Schachtel wieder in die Jacke zurück. »Ja, Mann. Da hast
du verflucht recht. Sloan ist Heroin.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Heroin?«
Statt zu antworten, winkt er nach dem Kellner. »Für mich ein Bier. Egal,
welches, aber vom Fass. Und einen Cheeseburger mit allem Drum und
Dran.«
»Für mich dasselbe«, sage ich.
Als ich dem Kellner die Speisekarte reiche, spüre ich, wie in meiner
Tasche mein Handy vibriert. Das ist wahrscheinlich Ryan. Sicherheitshalber
habe ich ihn wissen lassen, wo ich bin. Und mit wem. Keine Ahnung, was
Asa mit mir besprechen will, womöglich geht es hier um meine eigene
Hinrichtung – immerhin hat Sloan im Schlaf meinen Namen gemurmelt.
»Und wann soll die Hochzeit sein?«, frage ich und trinke von dem
Wasser, das der Kellner uns eben gebracht hat.
Asa zuckt mit den Schultern. »Weiß ich noch nicht. Bald. Ich will sie aus
dem verdammten Haus raushaben, bevor sich einer an ihr vergreift. Was
Sloan angeht, traue ich niemandem.«
Wie fürsorglich von ihm. Das kommt zwar einen Tag zu spät, aber ich
gehe nicht davon aus, dass Jon ihm erzählt hat, was passiert ist.
»Aber sie fühlt sich doch wohl im Haus, oder?«, stelle ich mich
ahnungslos. »Ich dachte, ihr habt so eine Art offene Beziehung. Oder wie
läuft das bei euch?«
Asas Augen verengen sich. »Nein, wir haben keine offene Beziehung.
Wie kommst du auf so eine Scheißidee?«
Ich grinse. »Na ja, was war das mit Jess neulich? Und dann die Kleine
bei der Poolparty, die du flachgelegt hast?«
Asa lacht laut auf. »Ich sehe schon, was Beziehungen angeht, musst du
noch eine Menge lernen, Carter.«
»Kann sein.« Ich lehne mich zurück, weil ich nicht den Eindruck
vermitteln möchte, als würde es mich besonders interessieren, was Sloan
mit diesem Widerling alles mitmachen muss. »Ich bin immer davon
ausgegangen, dass sich Beziehungen hauptsächlich zwischen zwei
Menschen abspielen, aber da gibt es ja alles Mögliche dazwischen. Für
welche Spielart habt ihr euch entschieden?«
»Für welche Spielart habt ihr euch entschieden?«, äfft er mich nach.
»Wer redet denn so?«
Eine Antwort geben zu müssen, bleibt mir erspart, weil der Kellner in
diesem Moment mit unserem Bier kommt. Wir nehmen beide einen tiefen
Schluck, dann schiebt Asa sein Glas zur Seite, beugt sich vor und tippt mit
dem Zeigefinger auf die Tischplatte. »Zum Thema Mann–Frau kann ich dir
einiges beibringen, Carter. Könnte nützlich sein, falls du irgendwann mal in
einer Beziehung landest.«
»Okay.« Das verspricht, interessant zu werden.
»Lebt dein Vater noch?«, fragt Asa.
»Nein. Der ist gestorben, als ich zwei war.« Das ist gelogen. Er ist erst
vor drei Jahren gestorben.
»Tja, dann versteh ich, warum du ein Problem hast. Du bist von einer
Frau großgezogen worden.«
»Das ist ein Problem?«
Er nickte. »Na klar. Alles, was du übers Leben weißt, hat dir eine Frau
beigebracht. Das ist okay, das passiert vielen Männern, aber das ist auch
genau der Grund, warum so viele Männer von den Weibern untergebuttert
werden. Männer müssen von Männern lernen. Wir ticken anders als Frauen,
auch wenn in letzter Zeit das Gegenteil behauptet wird.«
Ich sage darauf nichts, sondern warte ab, ob er mich noch mit weiteren
Weisheiten bedenkt.
»Das fängt schon mal damit an, dass Männer von Natur aus nicht
monogam sind. Wir sind darauf programmiert, unseren Samen möglichst
breit zu streuen und dafür zu sorgen, unsere Gene weiterzugeben. Wir
haben die Aufgabe, uns fortzupflanzen, okay? Lass dir da von
irgendwelchen Tussen nichts anderes einreden. Kann sein, dass sich die
Menschheit eines Tages selbst umbringt, aber bis dahin werden wir uns
weiter fortpflanzen. Und genau das ist auch der Grund, warum Männer
ständig geil sind.«
Ich wende den Kopf unauffällig nach links, wo zwei ältere Frauen sitzen
und mit offenem Mund zu uns rüberstarren, während Asa seine Theorien
über das männliche Geschlecht zum Besten gibt.
»Aber Frauen sind diejenigen, die Kinder bekommen«, wende ich ein.
»Also hat die Natur ihnen doch auch die Aufgabe gegeben, sich
fortzupflanzen?«
»Ganz falsch.« Asa schüttelt entschieden den Kopf. »Frauen sind von
der Natur dazu bestimmt, die Brut zu pflegen. Ihre Aufgabe besteht darin,
unsere Spezies am Leben zu erhalten, nicht darin, so viel neues Leben zu
erschaffen wie nur möglich. Deswegen sind Frauen nicht so auf Sex
fixiert.«
Verdammt, ich würde den Blödsinn, den er da von sich gibt, am liebsten
mit dem Handy aufnehmen. »Nicht?«
»Oh Mann, du musst echt noch viel lernen, Alter. Nein, sind sie nicht.
Frauen sehnen sich danach, sich mit ihrem Partner auszutauschen. Was
meinst du, warum die so viel reden? Für Frauen sind Gefühle das
Allerwichtigste. Sie träumen von einer lebenslangen Verbindung zu einem
Mann, deswegen sind sie alle so heiß darauf, zu heiraten. Es liegt ihnen in
den Genen, sich einen Beschützer zu suchen, einen Ernährer, verstehst du?
Frauen brauchen Sicherheit, ein Heim, in dem sie ihre Kinder aufziehen
können. Frauen haben ganz andere körperliche Bedürfnisse als wir. Klar ist
es unsere Aufgabe, eine Familie zu gründen, aber wir brauchen auch ein
Ventil für unsere Bedürfnisse, sonst können wir nicht richtig funktionieren.
Wenn Männer rumvögeln, ist das was ganz anderes, als wenn Frauen das
machen.«
Ich nicke, als würde mir das einleuchten, obwohl mir speiübel wird,
wenn ich an Sloan denke. »Verstehe. Du bist also der Meinung, dass Frauen
keine biologische Ausrede haben, wenn sie mit mehr als einem Mann
schlafen? Im Gegensatz zu Männern, die gar nicht anders können.«
»Ganz genau.« Er nickt. »Wenn ein Mann fremdgeht, ist das was rein
Körperliches. Wir sehen Ärsche, Beine, Titten und reagieren darauf wie
Tiere. Rein, raus, fertig. Aber wenn eine Frau mit einem Typen Sex hat, ist
das was Geistiges. Was sie heiß macht, sind Gefühle. Wenn eine Frau mit
einem Mann vögelt, tut sie das nicht, weil sie geil ist, sondern weil sie
geliebt werden will. Deswegen läuft das bei Sloan und mir so, dass es okay
ist, wenn ich fremdgehe, bei ihr aber nicht. Das hat die Natur so
eingerichtet.«
Heilige Scheiße. Ich hätte nicht gedacht, dass es Menschen gibt, die so
was allen Ernstes glauben.
»Und Sloan hat nichts dagegen?«
Asa lacht. »Genau darum geht’s, Carter. Frauen verstehen das natürlich
nicht, weil sie nicht so sind wie wir. Und damit sie nicht misstrauisch
werden, hat die Natur es so eingerichtet, dass Männer sich gut verstellen
können.«
Ich lächle, obwohl ich am liebsten unter den Tisch greifen und ihm sein
Fortpflanzungswerkzeug rausreißen würde, um zu verhindern, dass er seine
widerlichen Gene jemals weitergeben kann.
»Und was ist mit den Frauen, die du zum Fremdgehen benutzt?«,
erkundige ich mich.
Sein Grinsen ist so dreckig, dass ich kotzen könnte. »Dafür hat Gott die
Nutten erschaffen, Carter.«
Ich zwinge mich wieder dazu, zu lächeln. Zumindest in einem Punkt hat
er recht – ich kann mich definitiv gut verstellen. »Die Nutten sind also für
die Schwanzpflege zuständig und die Frauen für die Babypflege?«, sage
ich.
Asa lächelt, als wäre er stolz darauf, mir etwas beigebracht zu haben. Er
hebt sein Bier. »Du hast es kapiert«, sagt er. »Darauf sollten wir anstoßen.«
Er trinkt einen Schluck. »Mein Vater hatte da immer einen guten Spruch.«
»Lebt er noch?«
Ich sehe, wie Asa die Kiefermuskeln anspannt, bevor er nickt. »Ja.
Irgendwo.«
Unsere Burger kommen, aber ich weiß nicht, ob ich noch einen Bissen
runterbringe, nachdem ich mir Asas kranke Evolutionstheorie anhören
musste. Als hätte mir die Aussicht, heute Abend seine und Sloans
Verlobungsfeier mitfeiern zu müssen, nicht schon genug den Appetit
verdorben.
»Hey, weißt du was?« Seine Augen leuchten auf. »Ich will, dass du eine
Rede hältst.«
Ich wollte gerade in den Cheeseburger beißen, erstarre aber mitten in der
Bewegung. »Was?«
Asa trinkt noch einen Schluck Bier. »Heute Abend«, sagt er und setzt
das Glas ab. »Auf der Party. Wenn ich unsere Verlobung bekannt gegeben
habe. Ich hab doch mitgekriegt, wie du reden kannst, besser als die ganzen
anderen Idioten im Haus. Sag irgendwas Gutes über mich. Sorg dafür, dass
Sloan stolz auf mich ist.«
Ich beiße in den Burger und würge den Bissen runter. »Klar. Kann ich
machen. Ist mir eine Ehre.«
Arschloch.
Sechsundzwanzig
Sloan

Ich habe mir angewöhnt, unter der Woche so viel Zeit außerhalb des Hauses
zu verbringen, wie ich nur kann. Nach den Seminaren war ich heute erst
mal im Fitnessstudio und danach zum Lernen in der Bibliothek. Als ich
eben die Haustür aufgeschlossen habe, war es schon nach sieben. Jon saß
vor dem Fernseher auf der Couch und ignorierte mich.
Ich bin so schnell wie möglich nach oben verschwunden, aber natürlich
habe ich mitgekriegt, wie er aussieht. Was gestern Abend genau passiert ist,
nachdem ich ins Schlafzimmer geflüchtet bin, weiß ich nicht, aber
offensichtlich war Carter noch nicht fertig mit ihm. Sein ganzes Gesicht ist
blau geschlagen und verquollen.
Sicherheitshalber schließe ich die Tür hinter mir ab. Ich weiß nicht, ob
Asa schon zu Hause ist, und will auf keinen Fall riskieren, dass Jon hier
reinkommt.
Mein Blick fällt auf ein kleines Samtkästchen, das auf der Kommode
steht. Der Rucksack rutscht mir aus den Händen und fällt zu Boden. Asa hat
einen Verlobungsring gekauft.
Verdammt. Jeden Tag macht er mir irgendwelche Versprechungen und
hält sie dann nicht – aber das eine Mal, wo ich mir wünsche, er würde etwas
vergessen, denkt er dran.
Mit angehaltenem Atem klappe ich das Kästchen auf, ohne es von der
Kommode zu nehmen. Eigentlich möchte ich den Ring gar nicht sehen.
Es ist, wie ich befürchtet hatte. Natürlich hat Asa mir den protzigsten
Ring gekauft, den er finden konnte. Drei fette Brillanten, die zwischen
mehreren kleineren sitzen. Das ist wirklich der mit Abstand hässlichste
Ring, den ich jemals gesehen habe. Es schüttelt mich bei der Vorstellung,
ihn tragen zu müssen.
Das Ding ist so riesig, dass es jedem sofort auffallen wird. Ich hätte
Carter vorhin davon erzählen sollen, aber ich habe es nicht über mich
gebracht, weil ich ihm dann auch hätte sagen müssen, dass ich Asas Antrag
angenommen habe. Auch wenn diese Verlobung natürlich nichts bedeutet.
Als von draußen Stimmen und Gelächter hereindringen, gehe ich zum
Fenster. Dalton hat sich am Grill postiert und wendet Burger. Es sind
bestimmt an die zwanzig Leute im Garten. Ein paar schwimmen sogar.
Eigentlich ist es heute zu kühl, aber Asa hat anscheinend den Pool geheizt.
Das wird wohl unsere Verlobungsparty.
Scheiße.
Als es an der Tür klopft, zucke ich zusammen. »Sloan!«
Ich lasse Asa rein, der über das ganze Gesicht strahlt. »Hey, zukünftige
Ehefrau.«
Er meint es liebevoll, aber für mich hört es sich an wie eine Drohung.
»Hey … zukünftiger Ehemann.«
Er legt einen Arm um mich und küsst mich auf den Nacken.
»Hoffentlich hast du gestern genug Schlaf abbekommen, denn heute Nacht
kriegst du garantiert keinen.« Seine Lippen gleiten meinen Hals hinauf. Er
küsst mich auf den Mundwinkel. »Möchtest du deinen Ring jetzt oder
später haben?«
Ich sage ihm nicht, dass ich ihn mir schon angeschaut habe und er ein
weiterer Beweis dafür ist, wie wenig er mich kennt. Aber ich sage ihm, dass
ich ihn lieber jetzt gleich haben möchte. Ich will um jeden Preis vermeiden,
dass er ihn mir nachher auf der Party überreicht und eine Riesenshow
daraus macht.
Asa nimmt das Kästchen und will es mir in die Hand drücken, zieht es
aber wieder weg, bevor ich danach greifen kann. »Nein, nein, warte. Ich
muss das schon richtig machen.«
Er kniet sich mit dem aufgeklappten Kästchen vor mich hin. »So, jetzt.
Würdest du mir die Ehre erweisen, Mrs Asa Jackson zu werden?«
Wie? Das ist alles? Ich bin mir ziemlich sicher, dass das der mieseste
Heiratsantrag der Weltgeschichte gewesen ist. Okay, wenn man den nicht
mitzählt, den er mir gemacht hat, nachdem er mir die Kehle zugedrückt hat.
»Ich hab doch schon längst Ja gesagt.« Ich kichere verkrampft.
Asa schiebt mir grinsend den Ring über den Finger, und ich fühle mich
genötigt, ihn ins Licht zu halten und zu bewundern. Wer hätte gedacht, dass
die Hölle so glitzern kann?
Asa steht wieder auf, zieht sich das Hemd über den Kopf, wirft es aufs
Bett und geht zum Schrank. »Wir sollten heute Abend im Partnerlook
gehen«, sagt er. »Du im schwarzen Kleid, ich mit schwarzem Hemd.« Er
zieht sich eins vom Bügel und wirft mir ein Kleid zu. »In unserem neuen
Haus kriegt dann jeder von uns ein eigenes Ankleidezimmer.«
Ich verkralle die Finger in den Stoff des Kleides. »In unserem neuen
Haus?«
Er lacht. »Du hast doch wohl nicht gedacht, dass ich dich heirate und
weiter hier in diesem Haus behalte?«
Behalte …? Als wäre ich ein Gegenstand.
Asa zieht sich das Hemd über den Kopf, knöpft es zu und lacht leise in
sich hinein. »Heute Mittag war ich übrigens mit Carter essen«, sagt er lässig
und setzt sich aufs Bett.
Aber … der Spanischkurs ging bis zwölf. Heißt das, Carter ist direkt
danach losgefahren, um sich mit Asa zu treffen, nachdem er diesen Sturm
von Gefühlen in mir geweckt hatte? Was hat das alles zu bedeuten?
Ich setze mich auf die andere Seite des Betts. »Aha«, sage ich gespielt
gleichgültig.
Asa zieht sich frische Socken an. »Irgendwie mag ich den Typ.
Vielleicht könnte er ja unser Trauzeuge werden, was meinst du?«
Er plant schon die Hochzeit?
Ich sage nichts. Asa bindet sich die Schuhe, steht auf und betrachtet sich
zufrieden im Spiegel. »Hast du schon überlegt, wer deine Brautjungfern
sein könnten?«, fragt er, während er sich mit beiden Händen durch die
Haare fährt. »So richtig gute Freundinnen hast du ja eigentlich gar nicht,
oder?«
Du machst es mir auch ziemlich schwer, welche zu finden, Asa …
»Wir sind erst seit heute Morgen verlobt, Asa«, sage ich. »Heute war ich
den ganzen Tag im College. Ich hatte noch keine Zeit, über unsere Hochzeit
nachzudenken.«
»Du könntest Jess fragen«, schlägt Asa vor.
Ich nicke, obwohl ich am liebsten laut lachen würde. Jess hasst mich bis
aufs Blut, auch wenn ich keine Ahnung habe, warum. Sie ignoriert mich
seit Monaten, obwohl ich ihr nie etwas getan habe und immer nett zu ihr
war. »Stimmt«, sage ich. »Könnte ich.«
Asa geht zur Tür und zeigt auf das Kleid, das ich immer noch in der
Hand halte. »Okay. Jetzt dusch dich und mach dich fertig. Ich will, dass du
heute Abend heißer als heiß aussiehst, wenn ich unsere Verlobung
verkünde.«
Ich blicke auf das Kleid und den Ring an meiner Hand.
Verdammt. Wie soll ich jemals wieder aus der Grube herauskommen, die
ich mir selbst gegraben habe? Wenn ich nicht bald einen Weg finde, wird
Asa sie mit Zement ausgießen, und dann ist es zu spät.

***

Asa mag meine Haare am liebsten ganz glatt. Das hat er mir bei zwei
Gelegenheiten mehr als deutlich gesagt. Das erste Mal war noch in unserer
Anfangszeit, an dem Abend, an dem er mich Jon und Jess als seine neue
Freundin vorgestellt hat. Das andere Mal war am Tag unseres Einjährigen.
Er hätte von sich aus bestimmt nicht daran gedacht, aber nachdem ich ihn
dreimal daran erinnert habe, hat er uns einen Tisch im Restaurant reserviert.
Als ich mit gelockten Haaren aus dem Bad kam, ist er richtig ausgeflippt
und hat verlangt, dass ich sie mir sofort ausbürste. Später hat er mir dann
erzählt, seine Mutter hätte Locken gehabt, weshalb es ihm lieber wäre,
wenn ich meine Haare glatt trage.
Das war das einzige Mal in all den Jahren, dass er mir etwas von seiner
Mutter erzählt hat. Ansonsten weiß ich über seine Eltern nur, dass er keine
mehr hat.
Obwohl Asa Locken hasst, stehe ich mit meinem Lockenstab vor dem
Spiegel. Warum? Weil ich glaube, dass Carter sie schön findet. Mir ist
schon ein paarmal aufgefallen, dass er meine Haare sehnsüchtig angeschaut
hat, als würde er gerne hineingreifen und mein Gesicht an seines ziehen.
Auch wenn er sich heute Abend von mir fernhalten und mich
wahrscheinlich kaum anschauen wird, möchte ich alles geben, um gut
auszusehen. Für ihn.
Nicht für meinen Verlobten.
Aus dem Garten dröhnt laute Musik nach oben, das Haus ist voller
Leute, und ich stehe jetzt schon seit eineinhalb Stunden im Bad. Eine ganze
Stunde habe ich damit verbracht, in den Spiegel zu starren und mich zum
millionsten Mal zu fragen, wie ich es geschafft habe, mich in diese
ausweglose Situation zu bringen. Aber ich muss endlich aufhören, darüber
nachzugrübeln, warum ich so viele Fehler gemacht habe, und anfangen,
mein Leben wieder auf Kurs zu bringen.
Ich freue mich schon auf Sonntag. Die Besuche bei Stephen sind das
einzige Highlight in meinem Leben. Ich habe mir vorgenommen, einen
Termin mit der Mitarbeiterin auszumachen, die für die Finanzierung
zuständig ist. Vielleicht gibt es ja doch irgendeine Möglichkeit zur
Kostenübernahme durch den Staat.
»Sloan?« Als Asa ungeduldig an der Tür klopft, lege ich den Lockenstab
schnell zur Seite und mache ihm auf.
»Wow! Du siehst sensationell aus«, sagt er und kommt ins Bad.
»Wahnsinn, wirklich.« Er schlingt einen Arm um meine Taille und schiebt
eine Hand unter mein Kleid. »Eigentlich wollte ich warten, bis wir nachher
im Bett sind, aber ich weiß nicht, ob ich das so lange aushalte.«
Meine Locken scheinen ihn heute ausnahmsweise nicht zu stören. Sein
Atem riecht penetrant nach Whiskey. Es ist gerade mal neun, und er ist jetzt
schon so betrunken, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann.
Ich schiebe ihn weg. »Du wirst wohl noch ein bisschen leiden müssen.
Ich bin gerade fertig geworden und möchte, dass sich die Mühe wenigstens
für ein paar Stunden gelohnt hat.«
Er hebt mich mit einem Ruck auf den Waschtisch und schiebt sich
zwischen meine Beine. »Womit hab ich dich nur verdient, Baby?«, stöhnt
er.
Ich schließe die Augen, während er sich an meinem Hals aufwärtsküsst,
und frage mich, womit ich ihn verdient habe.
Im nächsten Moment nimmt er mich wieder herunter, hält mich aber
weiter fest, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als meine Arme um
seinen Hals zu schlingen. Nachdem er mich die Treppe hinuntergetragen
hat, setzt er mich ab. »Warte kurz«, sagt er und verschwindet in der Küche.
Im Wohnzimmer drängen sich die Gäste. Wie hat er es geschafft, so
kurzfristig so viele Leute einzuladen? Als ich merke, dass Jess mich
anstarrt, lächle ich, aber sie schaut verächtlich weg.
Ich seufze, aber eigentlich ist es mir ziemlich egal, dass sie anscheinend
ein Problem mit mir hat. Ich bin schon in der Grundschule immer die
Außenseiterin gewesen und habe mich daran gewöhnt.
Während ich darauf warte, dass Asa zurückkommt, drehe ich nervös an
dem Ring an meiner linken Hand. Vielleicht hat er ja doch etwas Gutes. Er
ist so riesig, dass ich ihn wenigstens als Schlagring benutzen kann, falls Jon
noch mal versuchen sollte, sich an mich ranzumachen.
Mein Magen zieht sich kurz zusammen, als ich Carter entdecke. Er lehnt
mit verschränkten Armen neben Dalton an der Wand und sieht mich nicht
an. Zumindest schaut er mir nicht ins Gesicht, sondern starrt auf meine
Hand.
Ich lasse den Ring los und Carters Blick wandert sofort zu meinen
Augen. Er presst die Kiefer aufeinander, während Dalton neben ihm
lachend irgendwas erzählt und offenbar gar nicht mitbekommt, dass Carter
nicht zuhört. Es ist genau so, wie er vorhin gesagt hat: Ich bin das Einzige,
was er sieht. Seine Miene verrät keine Regung. Auch als Asa mit zwei
Champagnergläsern ankommt und mir eins davon in die Hand drückt,
schaut Carter weiter unverwandt zu mir rüber. Es kommt mir fast so vor, als
würde er sich mit Absicht selbst quälen.
Um es uns beiden leichter zu machen, wende ich den Blick ab. Aber als
ich Asa ansehe, spüre ich Carters Blick immer noch auf mir.
»Hey Leute!«, brüllt Asa. »Macht mal die Musik aus!«
Jemand stürzt zur Anlage und es wird sofort still im Raum. Alle Blicke
sind auf uns gerichtet und ich würde am liebsten die Treppe hinaufrennen
und mich im Schlafzimmer einschließen. Zumindest würde ich gern zu
Carter rüberschauen, um Kraft zu sammeln, aber ich zwinge mich, zu
Boden zu sehen.
»Ich würde euch jetzt ja gern mit großem Tamtam meine Verlobung
verkünden«, ruft Asa. »Aber weil ich mein verdammtes Maul nicht halten
konnte, wissen die meisten von euch es ja sowieso schon.« Er greift nach
meinem Arm und hält meine Hand in die Höhe. »Sie hat Ja gesagt!«
Um uns herum wird geklatscht und gejubelt, aber es kehrt sofort wieder
Stille ein, als Asa mit einer Handbewegung klarmacht, dass er noch nicht
fertig ist.
»Ich liebe dieses Mädchen jetzt schon seit ein paar Jahren«, sagt er. »Sie
ist mein Ein und Alles, und es ist verflucht noch mal höchste Zeit, unsere
Beziehung endlich offiziell zu machen.« Er lächelt mich an. Es wäre
gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nichts mehr für ihn
empfinde – auch wenn das, was ich spüre, mittlerweile überwiegend
Mitleid ist. Irgendwo tief in meinem Inneren ahne ich, dass in seiner
Kindheit irgendetwas Schreckliches passiert sein muss, das ihn zu dem
Menschen gemacht hat, der er ist. Aber dass ich Verständnis für ihn habe,
bedeutet nicht, dass ich mich verpflichtet fühle, ihm mein Leben zu
schenken und selbst unglücklich zu sein, bloß weil er mich liebt.
Denn das tut er. Vielleicht tut er es auf eine extrem besitzergreifende und
kranke Weise, aber er liebt mich. Das ist offensichtlich.
»Carter! Alter!« Asa deutet auf die gegenüberliegende Seite des Raums.
»Jetzt ist deine Stunde gekommen. Hilf mir, diesen besonderen Moment mit
einer kleinen Rede zu feiern.«
Ich schließe die Augen. Warum muss er Carter da mit reinziehen? Ich
kann nicht hinsehen, das schaffe ich nicht.
»Würde ihm vielleicht einer von euch armseligen Losern mal was zu
trinken bringen, damit er auf uns anstoßen kann?«, ruft Asa.
Ich öffne die Augen und lasse den Blick langsam durch den Raum zu
Carter wandern, der immer noch völlig ungerührt schaut. Irgendjemand
drückt ihm ein Glas Champagner in die Hand und schiebt ihm einen Stuhl
hin, auf den er sich stellen kann.
Um eine Rede auf Asa und mich zu halten.
Ich hasse mein Leben.
Asa zieht mich grinsend an sich und haucht mir einen Kuss ins Haar,
während wir beide zusehen, wie Carter auf den Stuhl steigt. Es ist
unglaublich still im Raum, dabei hat er noch kein einziges Wort
gesprochen. Er hat ein natürliches Charisma, das Asa so nie besessen hat.
Die Leute kleben förmlich an seinen Lippen. Ich kann nur hoffen, dass Asa
das nicht mitkriegt.
Ohne mich anzusehen, hebt Carter das Glas, trinkt es in einem Schluck
aus und hält es Dalton hin, der ihm sofort nachschenkt. Carter drückt sich
das Glas an die Brust und sieht Asa an. Mir entgeht nicht, dass er tief
durchatmet, bevor er zu sprechen beginnt.
»Kaum zu glauben, dass wir jetzt anscheinend in dem Alter sind, in dem
wir anfangen, uns zu verloben, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Aber es
fällt mir noch viel schwerer zu glauben, dass ausgerechnet Asa der Erste
von uns sein soll, der ernst macht.«
Einige Leute lachen.
»Ich habe bis jetzt nie daran gedacht, dass es auch für mich Zeit sein
könnte, mir eine Frau zu suchen und eine Familie zu gründen, aber seit ich
Asa und Sloan kennengelernt habe, habe ich meine Meinung geändert.
Wenn er es geschafft hat, sich eine so schöne, kluge und großartige Frau
unter den Nagel zu reißen, haben wir anderen vielleicht auch eine Chance.«
Die Leute um uns herum heben ihre Gläser, aber Carter ist noch nicht
fertig. »Moment, Moment.« Ich spüre, wie sich Asa neben mir versteift.
»Ein bisschen mehr Geduld, Leute.« Carter lässt seinen Blick durch den
Raum schweifen. »Asa Jackson hat eine längere Rede verdient.«
Gelächter.
Carter leert sein zweites Glas und wartet, bis Dalton es zum dritten Mal
gefüllt hat. Mir ist schwindelig, mein Puls schlägt wie verrückt. Ich kann
nur hoffen, dass Asa jetzt nicht nach meiner Hand greift. Er würde es
garantiert merken.
»Sloan ist zwar wunderschön, aber Liebe hat nichts mit Aussehen zu
tun«, redet Carter weiter, ohne mich anzusehen. »Man findet die Liebe nicht
in körperlicher Anziehung oder im Humor. Man findet sie nicht in den
Gemeinsamkeiten und auch nicht im gemeinsamen Glück.«
Er trinkt sein Glas leer und Dalton füllt es routiniert ein viertes Mal.
Meine Kehle ist so trocken, dass ich auch einen Schluck trinke.
»Nein«, sagt Carter mit lauter, klarer Stimme. »Man findet die Liebe
nicht. Es ist umgekehrt. Die Liebe findet dich.«
Jetzt lässt er seinen Blick sehr langsam durch den Raum schweifen, bis
er bei mir landet. »Die Liebe findet dich im Moment des Verzeihens nach
einem Streit. Sie findet dich in dem Mitgefühl, das du für den anderen
empfindest. Die Liebe findet dich in der Umarmung, die einer Tragödie
folgt. Sie findet dich in der Erleichterung nach einer überstandenen
Krankheit. Aber auch …« Er macht eine Kunstpause. »… im Moment der
Erkenntnis, dass die Krankheit gesiegt hat.« Er hebt sein Glas. »Auf Asa
und Sloan. Möge die Liebe euch in jeder Tragödie finden, die das Schicksal
euch auferlegt.«
Um uns herum brandet Jubel auf.
Und mir explodiert das Herz in der Brust.
Asa presst den Mund auf meinen und ist dann von einem Moment auf
den nächsten verschwunden. Abgetaucht in der Menge, die sich um ihn
drängt, um ihm zu gratulieren.
Ich lege eine Hand auf die Brust und lasse den Atem entweichen, den ich
angehalten habe, seit Carter auf den Stuhl gestiegen ist.
Die Liebe findet dich in der Tragödie.
Das war der Moment, in dem Carter mich gefunden hat. Inmitten einer
Serie von Tragödien.
Ich hole tief Luft und sehe mich um, bis mein Blick auf Asa fällt, der
jetzt am anderen Ende des Raums an der improvisierten Bar steht und in
meine Richtung schaut. Die Fröhlichkeit von vorhin ist kaltem Misstrauen
gewichen. Er sieht mich so durchdringend an wie Carter eben, und ich bin
zu schwach, um ein Lächeln zu heucheln.
Asa greift nach dem Whiskey-Shot, der vor ihm steht, trinkt und knallt
das leere Glas auf die Theke. Kevin füllt es zum zweiten Mal, Asa trinkt
und verlangt wortlos Nachschub. Sein Blick ist dabei die ganze Zeit auf
mich gerichtet.
Siebenundzwanzig
Asa

»Noch einen.«
»Das ist jetzt schon der fünfte, Asa«, sagt Kevin leise. »Es ist gerade mal
halb zehn. Wenn du so weitermachst, liegst du um zehn bewusstlos in der
Ecke.«
Ich reiße meinen Blick von Sloan los und sehe ihn drohend an. Er gibt
achselzuckend nach und gießt mir ein. Als ich kurz darauf wieder zur
Treppe schaue, steht Sloan nicht mehr dort.
Sie ist auch sonst nirgendwo zu entdecken. Verdammte Scheiße, was soll
das schon wieder? Gereizt schiebe ich mich durch das Partyvolk und gehe
nach oben.
Als ich die Tür öffne, hockt Sloan auf dem Bett und betrachtet den Ring
an ihrer Hand. Sie hebt den Kopf und lächelt mich an, aber es wirkt
irgendwie gezwungen.
Wie so vieles, was sie in letzter Zeit tut.
»Was machst du hier oben?«, frage ich.
Sie zuckt mit den Schultern. »Du weißt doch, dass ich nicht so viel für
Partys übrighabe.«
Früher schon. Früher hat sie auch nackt geschlafen. Auf dem Bauch.
Ich gehe auf sie zu und sehe auf sie herunter. »Wie fandest du Carters
Rede?«
Sie zuckt wieder mit den Schultern. »Ich hab nicht ganz verstanden,
worauf er hinauswollte. Ziemlich verworren, oder?«
»Ja? Hast du ihn deswegen so angestarrt?«
Sie neigt den Kopf, wie Leute es machen, wenn sie verwirrt sind. Aber
auch, wenn sie so tun, als wären sie verwirrt.
Es gibt nur eine Sache, die ich an Sloan nicht so mag – sie ist ziemlich
clever. Sloan hat definitiv mehr drauf als andere Mädchen. Sogar mehr als
die meisten Männer, die ich kenne. Könnte durchaus sein, dass sie auch eine
gute Lügnerin ist. Jedenfalls hab ich sie noch nie bei einer Lüge erwischt.
»Sloan?« Ich lege eine Hand unter ihr Kinn und hebe ihr Gesicht an,
damit sie mich ansieht. »Das ist jetzt das letzte Mal, dass ich dich das
frage.«
Zittert sie etwa? Vielleicht ist es auch nur meine Hand, die zittert.
Immerhin hatte ich schon jede Menge Shots. Ich streiche mit dem Daumen
über ihre Wange und lege ihn an ihre Lippen. »Willst du mit ihm ins Bett?«
»Wie bitte?« Sie zieht den Kopf weg. »Sei nicht albern«, sagt sie
wegwerfend.
»Ich bin nicht blöd, Sloan, also behandle mich nicht so, als wäre ich es.
Ich hab gesehen, wie du ihn eben angeschaut hast. Und ich bin immer noch
nicht überzeugt davon, dass du nicht doch seinen Namen gestöhnt hast.
Also noch mal … willst du mit ihm ins Bett? Stellst du dir vor, wie es wäre,
ihn zu küssen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Fang nicht schon wieder damit an, Asa. Du bist
betrunken. Und wenn du getrunken hast, wirst du paranoid.« Sie steht auf.
Ihr Gesicht ist meinem ganz nahe. Sie sieht mir in die Augen und streicht
über meine Hüfte. »Carter ist mir scheißegal. Ich weiß nicht, wie du darauf
kommst, ich könnte irgendwas von ihm wollen. Ich kenne ihn doch gar
nicht. Aber wenn er dich nervt, schmeiß ihn raus. Es gibt tausend Leute, die
für dich arbeiten wollen, du brauchst ihn nicht. Der Typ ist mir völlig egal,
Asa. Wenn ich Sehnsucht nach einem anderen hätte, würde ich diesen Ring
nicht tragen.« Sie hebt die linke Hand. »Er ist wirklich wunderschön«, sagt
sie lächelnd und bewundert ihn. »Vorhin war ich so überwältigt, dass ich
sprachlos war und dir noch gar nicht gesagt habe, wie perfekt ich ihn
finde.«
Ich glaube ihr. Entweder bin ich ein verblendeter Idiot oder sie ist die
überzeugendste Lügnerin, die mir je begegnet ist. Wenn ich mir davon was
aussuchen müsste, wäre mir Ersteres lieber.
Ich lege ihr die Arme um die Taille. »Du hast nur das Allerschönste
verdient, Baby«, sage ich. »Und jetzt komm wieder mit nach unten zu den
anderen. Ich will feiern und dabei will ich meine wunderschöne Verlobte
anschauen.«
Sloan küsst mich. »Ich komme gleich, okay? Lass mich einfach noch ein
bisschen hier sitzen und meinen Ring bewundern, bevor die ganzen
neidischen Zicken sich auf mich stürzen und ihn auch mal anprobieren
wollen.« Sie lässt die Steine im Licht funkeln und lächelt selig.
Frauen sind so leicht glücklich zu machen. Ich sollte ihr viel öfter
Schmuck schenken.
»Na gut.« Ich lasse sie los und gehe zur Tür. »Aber warte nicht zu lang,
ich hatte schon ein paar Shots, du hast ganz schön was aufzuholen.«
»Asa?«
Ich bleibe in der Tür stehen und drehe mich um. Sloan hat sich wieder
aufs Bett gesetzt.
»Ich liebe dich«, sagt sie und sieht dabei so süß aus, dass ich plötzlich
ein solches Verlangen spüre, in ihr zu sein, dass es wehtut.
Und das werde ich. Später.
»Das weiß ich, Baby. Du wärst schön blöd, wenn du es nicht tun
würdest.«
Ich schließe die Tür und gehe wieder nach unten. Wahrscheinlich hätte
ich das nicht sagen sollen, aber ich bin immer noch ein bisschen angepisst,
weil sie Carter so angeschaut hat. Als ich durch den Raum gehe, steht
Kevin nach wie vor an der Bar. Ich greife nach einem Shotglas, das er
gerade eingegossen hat, und leere es in einem Zug. »Noch einen«, sage ich
und deute auf die Flasche. Ich muss ungefähr noch mal doppelt so viel
trinken wie das, was ich jetzt intus habe, um mein Blut zu beruhigen, das
beim Gedanken an Carter und Sloan zu brodeln beginnt.
Wenn man vom Teufel spricht …
Aus dem Augenwinkel sehe ich Carter, der in einer Ecke steht, sich zu
einer kleinen Brünetten beugt und ihr etwas ins Ohr flüstert. Sie lacht und
schlägt ihn spielerisch auf die Brust. Meine Augen wandern zu seinen
Händen, mit denen er die Kleine am Arsch packt und gegen die Wand
schiebt.
Sloan hat recht. Ich bin paranoid. Wenn irgendwas zwischen den beiden
laufen würde, würde er mich beobachten oder nach Sloan suchen – und
nicht einer anderen Schnalle die Zunge in den Rachen schieben, wie er es
gerade tut.
Umso besser für ihn. Ich finde es gut, dass er sich auch mal ein bisschen
lockerer macht. Das muss die halbe Flasche Schampus sein, die er während
seiner Rede getrunken hat.
Ich exe noch einen Shot und gehe zur Terrasse. Als ich an Carter
vorbeikomme, klopfe ich ihm auf die Schulter, was er aber gar nicht
mitbekommt. Er knabbert am Hals der Brünetten, die jetzt beide Beine um
seine Hüften geschlungen hat, während er sie gegen die Wand presst. Sie
hat echt hübsche Beine.
Glückspilz.
Im Vorbeigehen lasse ich meine Fingerspitzen leicht über ihren Schenkel
gleiten. Carter hat seinen Mund an ihrer Kehle, aber das Mädchen schaut
mich über seine Schulter an. Ich zwinkere ihr zu und gehe in den Garten.
Ich gebe ihr fünf Minuten, um sich eine Ausrede auszudenken und mir
nach draußen zu folgen.
Nicht gerade die feine Art, ihm die Kleine direkt unter der Nase
wegzuschnappen, aber der Wichser hat mich in den letzten vierundzwanzig
Stunden genug geärgert, und ich sehe keinen Grund, Rücksicht auf ihn zu
nehmen. Wenn überhaupt, hat er es verdient.
Achtundzwanzig
Carter

»Ist er weg?«, flüstere ich ihr ins Ohr.


Als Tillie nickt, lasse ich sie behutsam wieder auf den Boden gleiten.
»Bäh.« Sie wischt sich über den Hals. »Ich verstehe ja, dass es glaubwürdig
rüberkommen musste, aber bitte leck mich nie wieder so ab. Das ist echt
eklig.«
»Ich gebe eben alles für den Job«, sage ich grinsend.
Sie kämmt sich mit den Fingern durch die Haare. »Das ist genau mein
Stichwort. Ich muss jetzt nämlich arbeiten. Und es könnte durchaus sein,
dass das einfacher wird, als ich gedacht hätte …« Sie schiebt mich zur Seite
und geht Richtung Garten, wohin ihr nächstes Projekt gerade verschwunden
ist. Asa.
Tillie hat uns schon öfter bei unseren Undercover-Aktionen aus der
Patsche geholfen, wobei sie meistens mit Ryan zusammenarbeitet. Heute
habe ich sie gebeten, mich zur Party zu begleiten, weil ich glaube, dass sie
unseren Ermittlungen nützlich sein kann. Ich gebe zu, dass das nicht der
einzige Grund war. Wenn es jemanden gibt, der es schaffen kann, Asa von
Sloan abzulenken, dann Tillie. Nicht nur, weil sie verdammt scharf aussieht,
sondern weil sie ein menschliches Chamäleon ist. Sie schafft es, sich in
genau die Person zu verwandeln, die alles verkörpert, was ihr Gegenüber
unwiderstehlich findet, um herauszubekommen, was sie über jemanden
wissen möchte. Heute steht Asa Jackson auf ihrer Liste.
Sobald sie im Garten verschwunden ist, vergewissere ich mich, dass
niemand auf mich achtet, und gehe dann unauffällig zur Treppe.
Ryan ist zum Glück auch draußen und sieht nicht, dass ich mich seinen
Anweisungen widersetze. Er hat mir noch mal ausdrücklich gesagt, dass ich
mich von Sloan fernhalten muss, solange Asa in der Nähe ist. Ich soll bis
Sonntag warten.
Aber so lange halte ich es nicht mehr aus. Warum ist sie so plötzlich
nach oben verschwunden? Hat meine Rede sie verstört? Ich verstehe ja
selbst nicht, warum Asa ausgerechnet mich darum gebeten hat, ihn und
Sloan hochleben zu lassen. Vielleicht ist es ein Zeichen dafür, dass er mir zu
vertrauen beginnt. Vielleicht bedeutet es aber auch genau das Gegenteil.
Wie heißt es so schön in »Der Pate«? Halte deine Freunde nahe bei dir,
aber deine Feinde noch näher.
Um keine wertvolle Zeit zu verlieren, klopfe ich nicht an, sondern
betrete das Schlafzimmer schnell und schließe sicherheitshalber hinter mir
ab. Sloan springt überrascht vom Bett auf, als sie mich sieht.
»Carter!« Ihre Augen sind gerötet und sie wischt sich hastig über das
Gesicht. »Aber … was machst du hier? Das ist viel zu riskant!«
Gott, sie ist so schön. Als Asa sie vor einer halben Stunde die Treppe
runtergetragen hat, musste ich wegschauen, weil mir der Anblick so wehtat.
Ihre dunklen glänzenden Haare fallen in weichen Locken auf ihre
Schultern, und das Kleid schmiegt sich so eng an ihren Körper, wie ich es
gerne tun würde. Verdammt. Ich habe eine halbe Flasche Champagner
getrunken, um diese Scheißrede halten zu können, aber jetzt merke ich, dass
das vielleicht ein bisschen zu viel war.
»Schsch.« Ich gehe an ihr vorbei zum Fenster und spähe vorsichtig in
den Garten. Asa liegt auf einem Liegestuhl am Pool, Tillie sitzt neben ihm
und redet lebhaft auf ihn ein. Er hat die Hände lässig im Nacken
verschränkt, und ich kann selbst von hier oben aus erkennen, dass er ihr auf
die Brüste starrt.
Ryan unterhält sich auf der anderen Seite des Pools mit Jon.
Ich drehe mich zu Sloan, die kopfschüttelnd hinter mir steht. »Warum
bist du hier, Carter? Er ist total misstrauisch und denkt, dass zwischen uns
was läuft. Bist du wahnsinnig?«
Ich nicke lächelnd. »Sieht ganz so aus.«
Sie schlingt die Arme um den Oberkörper und sieht mich mit vor Angst
geweiteten Augen so verzweifelt an, dass es mir das Herz zerreißt. Was ich
tue, ist selbstmörderisch und unfassbar dumm, das weiß ich selbst. »Soll ich
wieder gehen?«, frage ich.
Sloan gräbt die Schneidezähne in die Unterlippe, dann schüttelt sie den
Kopf. »Nein, bleib kurz«, flüstert sie.
Ich greife nach ihrer linken Hand und streife ihr den Ring ab. »Okay.
Aber der hier muss weg, sonst schaffe ich das nicht.«
»Sonst schaffst du was nicht?«, fragt sie leise.
Nachdem ich den Ring aufs Bett geworfen habe, trete ich noch einen
Schritt näher. »Dich zu küssen.« Ich streiche ihr mit beiden Händen durch
die Haare und ziehe ihr Gesicht näher an meines. »Ich werde dich küssen,
bis ich wieder nüchtern bin oder von Asa erwischt werde. Je nachdem, was
zuerst passiert.«
Sloan holt zitternd Luft. »Beeil dich.«
Das ist mit Sicherheit das Letzte, was ich tun werde, wenn es um sie
geht.
Als ich den Kopf zu ihr neige, schließt sie die Augen und verkrallt ihre
Finger in meinen Schultern. Ich lege meinen Mund so sanft auf ihren, dass
die Berührung kaum spürbar ist, aber in der Sekunde, in der unsere Lippen
Kontakt aufnehmen, holen wir beide bebend Luft. Es kommt mir so vor, als
hätten wir von dem Moment an den Atem angehalten, an dem wir uns im
College zum ersten Mal gesehen haben.
Sloan stellt sich auf die Zehenspitzen, und ich kann spüren, wie sehr sie
sich wünscht, dass wir beide endlich das erleben, wonach wir uns von
Anfang an gesehnt haben. Aber statt meinem Verlangen nachzugeben, ziehe
ich mich zurück und sehe sie an. Als sie begreift, dass ich das Gegenteil
von dem tue, was sie erwartet, macht sie die Augen auf.
Ich betrachte ihre geschwungenen, leicht geöffneten Lippen, um ihre
Schönheit noch einen Moment zu genießen, bevor ich sie endlich koste. Mit
der rechten Hand streichle ich ihre Wange und fahre sanft mit dem Daumen
über ihre Unterlippe.
»Worauf wartest du?«
Ich sehe sie an. »Ich habe ein bisschen Angst, dass wir nicht mehr
aufhören können, wenn wir erst mal angefangen haben.«
»Tja, Carter.« Sie lässt ihre Hand in meinen Nacken gleiten und
sämtliche Härchen an meinem Körper stellen sich auf. »Darüber hättest du
vielleicht nachdenken sollen, bevor du einfach so reingekommen bist. Jetzt
ist es ein bisschen spät, um deine Meinung noch zu ändern.«
»Du hast recht.« Ich ziehe sie wieder an mich. »Dafür ist es definitiv zu
spät.« Als ich meinen Mund zart auf ihren lege, beginnt mein Puls zu rasen.
Ihre Lippen teilen sich bereitwillig, und als ich sie endlich schmecke, ist sie
so gottverdammt süß, dass ich stöhne. Ihr Mund ist warm, ihre Lippen sind
weich, und die Leidenschaft ihres Kusses lässt meine Körpertemperatur in
Sekunden so ansteigen, dass es sich anfühlt, als würden wir mitten im
Fegefeuer stehen. Ich ziehe sie noch näher an mich heran und vertiefe
unseren Kuss, aber wir sind uns bei Weitem nicht nah genug. Verzweifelt
halten wir uns aneinander fest, obwohl wir beide wissen, dass wir uns
voneinander lösen müssten. Aber ihre Lippen, ihr Stöhnen, ihr lustvolles
Wimmern … ich kann nicht aufhören.
Das schaffe ich nicht.
Irgendwann steht Sloan mit dem Rücken an die Wand gepresst, ich mit
den Handflächen zu beiden Seiten ihres Kopfes aufgestützt. Unser Kuss
verlangsamt sich, nimmt wieder Fahrt auf, wird zärtlicher …
Atemlos keuchend reißen wir uns voneinander los und sehen uns an. In
Sloans Blick liegt eine unermessliche Traurigkeit. Ich küsse sie zart erst auf
den Mund, dann auf die Wange und lege meine Stirn auf ihre, während wir
allmählich wieder zu Atem kommen.
»Ich sollte gehen«, sage ich leise. »Ich muss gehen, bevor meine
Dummheit dich umbringt.«
Sie nickt, hält sich aber gleichzeitig verzweifelt an meinen Schultern
fest. »Nimm mich mit.«
Ich stehe mit hängenden Armen da.
»Bitte.« Ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Lass uns gehen. Jetzt
gleich, bevor ich meine Meinung ändere. Ich will hier weg und nie wieder
zurückkommen.«
Verdammt.
»Bitte, Carter.« Ihre Stimme ist flehend. »Wir können meinen Bruder
aus dem Heim holen, damit Asa ihm nichts antun kann, um sich an mir zu
rächen. Lass uns irgendwo hinfahren, weit weg. Ich finde schon eine
Möglichkeit, ihn wieder in einem Pflegeheim unterzubringen. Lass uns
einfach von hier fortgehen.«
Mein Herz fällt so in sich zusammen, wie die Hoffnung, die aus ihrer
Stimme spricht, gleich in sich zusammenfallen wird. Wenn sie nur wüsste,
wie gern ich mit ihr zusammen von hier weggehen würde. Und trotzdem
bleibt mir nichts anderes übrig, als stumm den Kopf zu schütteln. Sloan legt
eine Hand an meine Wange und greift dann nach meiner Hand. Eine Träne
fällt aus ihrem Auge.
»Bitte, Carter. Lass es uns tun. Du bist ihm doch zu nichts verpflichtet.
Du kannst gehen. Wir können beide gehen. Jetzt gleich.«
Ich schließe die Augen und bringe meine Lippen an ihr Ohr. »So einfach
ist das nicht, Sloan«, flüstere ich.
Wenn es nur um Luke ginge, wenn Carter nicht existieren würde, säße
ich jetzt schon längst mit ihr im Wagen und würde quer durch den Staat
rasen, um sie von hier wegzubringen. Aber wenn ich das tun würde – wenn
wir einfach zusammen abhauen und ich Ryan hier allein lassen würde –,
würde ich damit unsere ganze Ermittlung gefährden. Schlimmer noch. Asa
wäre nach diesem Schlag vermutlich noch unberechenbarer. Aber
abgesehen davon, dass ich meine Kollegen im Stich lassen würde, wäre ich
auch meinen Job los und damit nicht in der Lage, Sloan und mich finanziell
über Wasser zu halten.
»Ich will dich hier rausholen, Sloan«, sage ich leise und hoffe, dass sie
mir glaubt. »Aber im Moment kann ich noch nicht weg. Ich kann dir nicht
erklären, warum das so ist. Und genauso wenig kann ich dir sagen, wann es
so weit ist. Aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, hole ich dich raus. Das
verspreche ich. Ich schwöre es.«
Als ich ihr einen Kuss auf die Schläfe drücke, schluchzt sie leise auf.
Und so gern ich sie jetzt in die Arme nehmen und trösten würde – ich darf
es nicht. Jede Sekunde, die ich weiter hier bei ihr verbringe, ist eine
Sekunde, die für sie lebensgefährlich werden könnte.
Ich küsse sie ein letztes Mal, dann löse ich mich von ihr. Sloan lässt den
Kopf gegen die Wand sinken, und ich verfluche mich dafür, dass die
Traurigkeit in ihrem Blick so viel größer ist als in dem Moment, in dem ich
vorhin ins Zimmer kam.
Sie hält immer noch meine Hand, als ich mich zur Tür umdrehe. Sanft
löse ich ihre Finger aus meinen und ihr Arm fällt schlaff zur Seite. Sie so
zurücklassen zu müssen ist mehr, als ich ertragen kann.
Es ist tragisch.
Und das ist der Moment, in dem die Liebe dich findet … in der Tragödie.
Neunundzwanzig
Sloan

Ich besuche meinen Bruder jeden Sonntag, wirklich jeden, ohne Ausnahme.
Und obwohl ich im Bett geblieben bin, seit Carter am Freitagabend aus dem
Zimmer gegangen ist, weil ich einfach keine Kraft mehr für irgendetwas
hatte, habe ich es heute irgendwie geschafft, mich aufzuraffen.
Asa hat sich eben verabschiedet, um mit den Jungs ins Casino zu fahren,
das etwa drei Stunden von hier in nördlicher Richtung liegt. Zu Stephens
Heim fahre ich etwa eine Stunde Richtung Süden. Seit Asa aufgebrochen
ist, kann ich wieder etwas befreiter atmen. Je mehr Abstand zwischen uns
liegt, desto besser geht es mir.
Bevor ich das Schlafzimmer verlasse, ziehe ich den Ring von meinem
Finger und lege ihn auf die Kommode. Sofort fühlt sich meine Hand
ungefähr tausend Kilo leichter an. Ich werde vor Asa wieder zu Hause sein,
ihm wird gar nicht auffallen, dass ich ihn nicht anhatte.
In der Küche will ich mir noch schnell etwas zu trinken aus dem
Kühlschrank nehmen, als mein Blick auf das Whiteboard an der Tür fällt,
wo ein neuer Satz steht.

Saure Gurken haben keine Schuldgefühle, wenn Leute jodeln, deswegen


verstehe ich nicht, warum die Laken dienstags nie gefaltet werden.

Ich habe keine Ahnung, wann Carter geschafft hat, das zu schreiben, aber
ich weiß, dass er es getan hat, um mich zu trösten. Und es funktioniert.
Tatsächlich lächle ich zum ersten Mal seit zwei Tagen wieder.
Ich fülle meinen Thermobecher mit Eiswürfeln und Cola und nehme
auch noch eine Dose für Stephen mit. Im Heim werden aus
gesundheitlichen Gründen keine koffeinhaltigen Getränke verkauft,
weshalb ich ihm sonntags immer eine Dose mitbringe. Natürlich ist das mit
seinen Ärzten abgesprochen, aber das sage ich Stephen nicht. Er glaubt, ich
würde sie heimlich reinschmuggeln.
Als ich nach dem Autoschlüssel greife, vibriert mein Handy. Ich warte,
bis ich am Wagen bin und hinter dem Steuer sitze, bevor ich die Nachricht
lese.

Carter: Kannst du mich an der Ecke Standard und Wyatt abholen? Ich
würde gerne mitkommen.

Mein Gesicht wird heiß. Er will mitkommen? Ich dachte, er wäre mit Asa
und den anderen ins Casino gefahren. Ich tippe gerade eine Antwort, da
kommt schon die nächste Nachricht von ihm.

Carter: Noch was. Antworte niemals auf eine Nachricht von mir. Und lösch
alle, die von mir kommen.

Nachdem ich das getan habe, setze ich aus der Einfahrt. Bis zur Ecke
Standard und Wyatt sind es nur ein paar Straßen, aber es ist auf jeden Fall
sicherer, wenn er dort einsteigt, damit niemand seinen Wagen vor unserem
Haus parken sieht. Mein Herz klopft. Was hat er vor? Weiß er überhaupt,
wo ich hinfahre?
Als ich um die Ecke biege, wartet er am Straßenrand, die Hände hinten
in den Taschen seiner Jeans. Er lächelt, als er mich sieht, und das tut
verdammt weh. Und fühlt sich gleichzeitig unglaublich schön an. Als ich
anhalte, öffnet er sofort die Tür und steigt ein.
»Was wird das?«, frage ich.
»Ich komme mit, deinen Bruder besuchen.«
»Aber … ich verstehe das nicht. Warum bist du nicht mit den anderen
ins Casino gefahren? Und woher weißt du überhaupt, wo ich hinwill?«
Carter beugt sich grinsend zu mir und streicht mir eine Haarsträhne
hinters Ohr. »Ich habe Mittel und Wege, Dinge zu erfahren, die mich
interessieren.« Er gibt mir einen Kuss, dann lehnt er sich zurück und
schließt seinen Sicherheitsgurt. »Ich hatte das totale Bedürfnis, ungestört
Zeit mit dir zu verbringen. Falls du denkst, es ist zu riskant, weil Asa oder
sonst jemand uns zusammen sehen könnte, bleibe ich gern im Wagen,
solange du bei Stephen bist.«
Ich fühle mich zwar etwas überrumpelt, freue mich aber gleichzeitig,
dass er die Initiative ergriffen hat. Und ein bisschen schäme ich mich auch,
wenn ich daran denke, wie ich ihn am Freitag angebettelt habe, mit mir
zusammen wegzugehen.
Ich war in dem Moment einfach verzweifelt und habe nicht nachgedacht.
Abhauen ist keine Option. Ich stecke mitten im Studium und muss
unbedingt meinen Abschluss machen. Es wäre egoistisch von mir, Stephen
aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen und ihn zu zwingen, mit mir
quer durchs Land zu fahren. Er fühlt sich sehr wohl im Heim und jede
Veränderung macht ihm Angst.
Carters Kuss hat mich noch einmal so deutlich spüren lassen, wie
unglücklich ich bin, dass ich die Kontrolle über mich verloren hatte. Ich
hätte mir so sehr gewünscht, dass er sich geirrt hat, als er sagte, er könnte
mich nicht retten.
»Sloan?« Carter greift über den Sitz nach meiner Hand. »Kannst du mir
einen Gefallen tun?«
Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. »Kommt darauf an, was du willst.«
»Ich sehe dir an, dass du dir wegen Freitag Gedanken machst. Lass uns
heute nicht an Asa denken und nicht über ihn sprechen. Auch nicht darüber,
dass wir beide uns wünschen, wir hätten uns unter anderen Umständen
kennengelernt, oder wie absolut dumm und fahrlässig es von mir ist, immer
wieder deine Nähe zu suchen. Lass uns einfach für ein paar Stunden Sloan
und Luke sein, okay?«
»Luke?« Ich sehe ihn erstaunt an. »Wer ist Luke? Ist das hier ein
Rollenspiel?«
»Habe ich Luke gesagt?« Er schluckt. »Ich meinte natürlich Sloan und
Carter. In meiner Familie haben sie mich früher immer bei meinem zweiten
Namen gerufen – Luke. Irgendwann habe ich ihn abgelegt, weil ich Carter
besser finde. Manchmal passiert es mir noch, dass ich
durcheinanderkomme.«
Ich schüttle den Kopf und lache leise. »Mache ich dich so nervös, dass
du sogar deinen eigenen Namen vergisst?«
Carter verstärkt den Griff um meine Hand und grinst. »Mach dich nicht
über mich lustig. Und nenn mich bloß nicht Luke. Das tut nur noch mein
Großvater.«
»Na gut. Aber ich kann deinen Großvater verstehen. Luke klingt schön.
Ich mag den Namen.«
»Trotzdem. Lass uns heute nur Sloan und Carter sein.«
»Und wer von den beiden bin ich?«, frage ich grinsend. »Sloan oder
Carter?«
Er beugt sich lachend ganz nah zu mir rüber, und ich halte den Atem an,
als er mir ins Ohr flüstert: »Du bist Sloan und ich bin Carter, und auf dem
Rückweg können wir irgendwo Pause machen und den Kuss von Freitag in
entspannterer Atmosphäre vertiefen. Was hältst du davon?«
Ich nicke und atme gleichzeitig aus. »Sehr viel …«
Dreißig
Carter

»Wann war Asa das letzte Mal mit dir hier?«


Sloan zieht den Zündschlüssel und beugt sich nach hinten, um ihre
Tasche von der Rückbank zu nehmen. »Er ist nur einmal mitgekommen und
das ist jetzt auch schon fast zwei Jahre her. Er hat gesagt, dass er sich unter
den ganzen kranken Menschen unwohl fühlt.«
Klar hat er das gesagt.
»Also wird sich wahrscheinlich keiner wundern, wenn ich dich heute
begleite?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass sie
überrascht sind, dass ich überhaupt jemanden mitbringe, weil ich sonst
immer allein komme. Aber hier weiß niemand, dass ich mit Asa zusammen
bin.« Die Hände ums Lenkrad gelegt, starrt sie über den Parkplatz. »Ganz
schön traurig, oder? Stephen ist die einzige Familie, die ich habe. Ich und er
gegen den Rest der Welt.«
Ich beuge mich zu ihr und streiche ihr eine Strähne hinters Ohr. Wie
gerne würde ich ihr sagen, dass sie jetzt auch noch mich hat. Aber sie ist so
offen und ich will ihr nichts vormachen. Sie weiß nicht, wer ich wirklich
bin, und je mehr ich mich in Lügen verstricke, desto schwieriger wird es
später, sie um Verzeihung zu bitten, wenn sie irgendwann die Wahrheit
erfährt.
Der Wahrheit, der sie vorhin schon ein ganzes Stück näherkam, als mir
mein echter Name rausgerutscht ist. Wieder einmal frage ich mich, ob ich
für diesen Job wirklich geeignet bin. Wie konnte mir das nur passieren?
Mir ist schon ein paarmal der Gedanke gekommen, dass sie vielleicht
damit umgehen könnte, wenn sie es wüsste. Unter Umständen könnte sie
uns sogar bei unseren Ermittlungen unterstützen. Aber dadurch würde ich
sie nur noch mehr in Gefahr bringen.
Wenn Ryan sie ein bisschen besser kennengelernt hat, frage ich ihn, was
er davon hält, sie einzuweihen. Aber für den Augenblick ist es definitiv
besser, sie weiß so wenig wie möglich.
Sloan blickt immer noch in die Ferne. »Hey«, sage ich leise und ziehe
sie an mich. Als sie sich in meine Arme schmiegt und den Kopf
vertrauensvoll an meine Schulter legt, wünsche ich mir einen Moment lang,
Asa würde auf dem Weg zum Casino einen tödlichen Unfall haben.
Okay, das wäre vielleicht ein bisschen krass. Aber es ist doch wahr.
Sieht dieser Typ nicht, wie viel schöner und leichter das Leben der
Menschen um ihn herum wäre, wenn es ihn nicht gäbe?
Nein, natürlich sieht er das nicht. Wenn man ein sadistischer Narzisst ist,
sieht man nichts außer sich selbst.
»Weißt du, dass du ein fabelhafter Umarmer bist?«, murmelt Sloan an
meinem Hals.
Ich ziehe sie noch fester an mich. »Ich glaube, du bist in deinem Leben
einfach nur noch nicht oft genug umarmt worden.«
»Das auch«, seufzt sie.
Und so sitzen wir im Wagen und ich halte sie, bis sie mir leise ins Ohr
flüstert: »Sechsundfünfzig Königskrabben haben zu Ostern Schnürsenkel
gegessen und danach einen Regenbogen durch ihre Nasenlöcher gekotzt.«
Ich drücke ihr lachend einen Kuss in die Haare. »Du kannst mit einem
Fahrradschlauch und Luftschlangenspray keine illegale Butter kaufen.«
Ich spüre, wie sie lächelt, als ihr Mund meinen berührt.
Das ist alles, was ich wollte, bevor wir aussteigen – dass sie ihr Lächeln
wiederfindet.
***

»Du hast mir erzählt, dass dein Bruder Asa nicht mag«, sage ich auf dem
Weg zu Stephens Zimmer. »Aber du hast mir auch gesagt, dass er nicht
wirklich mit anderen kommunizieren kann. Woher weißt du dann, wen er
mag und wen nicht?«
Während der Fahrt hat Sloan mir beschrieben, was ihrem Bruder fehlt,
und dabei ein paar Diagnosen genannt, deren komplizierte Namen ich mir
aber nicht merken konnte.
»Wir haben unsere ganz eigene Art zu kommunizieren«, sagt sie. »Ich
habe ihn praktisch von Anfang an allein großgezogen.« Sie biegt um eine
Ecke und zeigt auf eine Glastür. »Da hinten am Ende des Flurs ist sein
Zimmer.«
Ich bleibe stehen. »Aber du bist doch nur ein paar Jahre älter als er,
oder? Wie kannst du ihn großgezogen haben?«
Sie sieht mich an und zuckt mit den Achseln. »Es ging nicht anders,
Carter. Meine Mutter war ein Totalausfall und außer mir gab es sonst
niemanden.«
Ich sehe sie kopfschüttelnd an und denke nicht zum ersten Mal, dass ich
noch nie in meinem Leben jemanden wie sie kennengelernt habe. Sloan ist
so unglaublich stark. »Oh Mann, Sloan.« Ich breite die Arme aus und ziehe
sie wieder an mich. Nicht, weil ich sie unwiderstehlich finde – was definitiv
der Fall ist –, sondern vor allem deshalb, weil sie in ihrem Leben ein
bisschen mehr Zärtlichkeit verdient hat. Selbstlose Zärtlichkeit. Eigentlich
wollte ich ihr nur einen kleinen Kuss geben, aber kaum haben sich unsere
Lippen berührt, vergessen wir alles um uns herum … bis sich hinter uns
jemand räuspert.
Wir fahren auseinander und machen der Schwester Platz, die vor uns
steht und durch die Tür möchte, die wir blockieren. Sloan entschuldigt sich
und muss ihr Lachen unterdrücken, als wir den Flur entlang zu Stephens
Zimmer gehen.
Dort klopft sie an die Tür, drückt sie aber auf, ohne auf eine Reaktion zu
warten. Ich gehe ihr hinterher, schließe die Tür und sehe mich beeindruckt
um. Ich hatte eine Art Krankenhauszimmer erwartet, aber das hier sieht
eher nach einer kleinen Einzimmerwohnung aus. Neben einem Wohn- und
Schlafbereich gibt es eine winzige Küchenecke und ein separates
Badezimmer. Allerdings fällt mir sofort auf, dass in der Küche weder ein
Herd noch eine Mikrowelle stehen, was vermutlich bedeutet, dass Stephen
die Mahlzeiten fertig zubereitet bekommt oder in der Cafeteria isst.
Sloan geht in den Wohnbereich, um ihren Bruder zu begrüßen, während
ich an der Tür warte.
Stephen sitzt auf der Couch und schaut Fernsehen. Als er aufblickt,
erkenne ich sofort die Familienähnlichkeit. Er hat die gleichen dunklen
Haare und Augen wie seine Schwester. Allerdings bleibt sein Gesicht
vollkommen ausdruckslos und er wendet sich sofort wieder dem Fernseher
zu. Mir tut Sloan in diesem Moment unglaublich leid. Der einzige Mensch
auf der Welt, den sie liebt, hat nicht die Fähigkeit, seine Liebe für sie
auszudrücken. Kein Wunder, dass sie so einsam wirkt. Wahrscheinlich ist
sie tatsächlich der einsamste Mensch, dem ich je begegnet bin.
»Stephen – ich habe einen Freund mitgebracht, den ich dir gern
vorstellen würde.« Sie setzt sich neben ihn auf die Couch und zeigt lächelnd
in meine Richtung. »Das ist Carter. Wir studieren zusammen.«
Stephen sieht kurz zu mir rüber, schaut dann aber schnell wieder zum
Fernseher.
Sloan winkt mich zu sich. Ich setze mich neben sie, beschließe aber, erst
mal nichts zu sagen und zu beobachten, wie die beiden miteinander
umgehen. Sie stellt ihre Tasche auf den Schoß und holt ein paar Dinge
heraus. Einen Nagelknipser, einen Schreibblock, einen Stift und eine Dose
Cola. Währenddessen redet sie die ganze Zeit mit ihm, erzählt von der Fahrt
und fragt, ob er schon seinen neuen Nachbarn kennengelernt hat, der
kürzlich nebenan eingezogen ist. »Möchtest du Eiswürfel in deine Cola?«,
erkundigt sie sich.
Obwohl Stephen keine Reaktion zeigt, wendet sich Sloan an mich.
»Kannst du ihm bitte ein Glas mit Eiswürfeln holen, Carter?« Sie zeigt auf
die Küchenecke. »Gläser stehen im Schrank. Ach so, und in der linken
Küchenschublade liegt eine Tüte mit Strohhalmen. Stephen mag am
liebsten die blauen.«
Als ich aufstehe, sehe ich, wie sie etwas auf den Block schreibt und ihn
ihrem Bruder hinschiebt. Er wirft einen Blick darauf, greift nach dem Stift
und beugt sich vor, um ebenfalls etwas zu schreiben.
Er kann lesen und schreiben? Nach allem, was sie über ihn erzählt hat,
hätte ich das nicht gedacht.
Ich komme mit dem Glas und dem Strohhalm zurück, worauf Sloan den
Block wieder zu Stephen schiebt, die Dose öffnet und ihm die Cola
eingießt. Sobald sie den Halm hineingesteckt hat, nimmt ihr Bruder ihr das
Glas aus der Hand und trinkt. Danach gibt er Sloan den Block, die ihn an
mich weiterreicht. Ganz oben steht der erste Satz, den sie geschrieben hat.

Bücher, die aus Jellybeans gemacht sind, werden schrecklich klebrig, wenn
man Pelzhandschuhe anhat.

Stephens Handschrift ist nicht ganz so einfach zu entziffern.

Körbe mit Echsen auf meinem Kopf brechen die Baumwolle für dich in der
Mitte durch.

Sloan beobachtet mich lächelnd, und ich muss an den ersten Tag am
College denken, als sie dieses Spiel mit sich selbst gespielt hat. Da habe ich
noch nicht ahnen können, dass sie jeden Sonntag einen Spielpartner hat.
»Stephen kann also lesen und schreiben?«, sage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Nicht richtig. Ich habe versucht, es ihm
beizubringen, als er jünger war, aber es fällt ihm schwer, einen
zusammenhängenden Text zu schreiben oder zu begreifen. Aber kurze Sätze
kriegt er toll hin. Das ist sein Lieblingsspiel.«
»Darf ich auch mitmachen?«, frage ich Stephen. Er sieht mich nicht an,
scheint aber auch nichts dagegen zu haben, also greife ich nach dem Block
und dem Stift.

Sloan ist ein unglaublich toller Mensch. Du hast großes Glück, so eine
Schwester zu haben.

Ich gebe den Zettel Sloan, die errötet, als sie den Satz liest und mich leicht
mit der Schulter anstößt, bevor sie den Block an Stephen weitergibt.
Und das machen wir dann eine ganze Weile. Stephen und Sloan
schreiben Quatsch. Ich schreibe Komplimente.

Deine Schwester hat wahnsinnig schöne Haare. Vor allem, wenn sie sich
Locken macht.
Wusstest du, dass deine Schwester zu Hause als Einzige aufräumt und
sauber macht, obwohl sie mehrere Mitbewohner hat? Aber die rühren
keinen Finger, und ich bezweifle, dass sich jemals einer von denen bei ihr
bedankt hat. Danke, Sloan.
 
Der Ringfinger von deiner Schwester sieht heute noch schöner aus als
sonst, weil kein Ring dransteckt.
 
Ich mag deine Schwester. Sehr.

Nachdem wir zehn Seiten vollgeschrieben haben, müssen wir unser Spiel
unterbrechen, weil eine Pflegerin kommt, um Stephen zur Physiotherapie
abzuholen.
»Meinen Sie, ich könnte nachher kurz mit der Mitarbeiterin sprechen,
die für Stephens Finanzierung zuständig ist?«, fragt Sloan.
Die Pflegerin schüttelt den Kopf. »Sonntags ist die Kollegin leider nicht
da. Aber ich kann ihr gerne eine Nachricht in ihr Fach legen. Dann meldet
sie sich morgen bei Ihnen.«
»Das wäre toll, vielen Dank«, sagt Sloan und verabschiedet sich mit
einer Umarmung von Stephen. Ich bin unsicher und weiß nicht, wie ich
mich verhalten soll. Ich will nichts tun, was ihm unangenehm wäre.
»Soll ich ihm die Hand schütteln?«, frage ich Sloan leise.
»Lieber nicht«, sagt sie. »Er lässt sich nicht so gern von anderen
anfassen.«
»Es hat mich sehr gefreut, dass ich dich kennenlernen durfte, Stephen«,
sage ich deshalb nur, wobei ich nicht weiß, ob er das überhaupt zur
Kenntnis nimmt. Seine Miene bleibt unbewegt.
»Bis nächsten Sonntag.« Sloan hängt sich ihre Tasche um, nimmt mich
an der Hand, und wir gehen zur Tür, damit die Pflegerin ihn für die
Physiotherapie umziehen kann. Als wir fast bei der Tür sind, spüre ich eine
Berührung an der Schulter. Ich drehe mich um und Stephen steht vor mir. Er
hat den Blick zu Boden gerichtet und wippt auf den Füßen, während er mir
ein leeres Blatt und den Stift hinhält. Ich zögere. Soll ich ihm sagen, dass
wir jetzt gehen müssen und deswegen leider nicht weiterspielen können?
Aber da hat sich Stephen schon umgedreht und ist in den Wohnbereich
des Zimmers zurückgegangen. Ich betrachte ratlos das leere Blatt und den
Stift in meiner Hand. Was genau soll ich tun?
»Er will, dass du wiederkommst.« Sloan schüttelt lächelnd den Kopf.
»Das habe ich bei ihm noch nie erlebt, Carter.« Sie legt die Hand auf den
Mund und macht ein Geräusch, das eine Mischung aus Lachen und
Schluchzen sein könnte. »Er mag dich.«
Ich sehe zu Stephen, der mit dem Rücken zu uns steht. Als ich mich
wieder Sloan zuwende, stellt sie sich auf die Zehenspitzen, drückt mir einen
Kuss auf die Lippen und zieht mich aus dem Zimmer. Ich falte das leere
Papier zusammen und schiebe es zusammen mit dem Stift in meine
Jeanstasche.
Bevor ich heute hergekommen bin, habe ich nicht gewusst, was mich
erwarten würde, und hätte mit allem gerechnet, aber sicher nicht damit.
Jetzt bin ich noch froher, mitgekommen zu sein. Und das nicht nur
wegen Sloan.
Einunddreißig
Asa

Vor ein paar Wochen waren wir schon mal hier, da hatte ich aber bedeutend
mehr Spaß. Außerdem knurrt mir langsam der Magen.
Ich verdopple meinen Einsatz und massiere mir den verspannten
Nacken. Verdammt, wo stecken eigentlich die anderen? Ich sehe mich um.
Kevin und Dalton baggern die Bedienung hinter der Theke an, die so billig
aussieht wie die Schlampen, auf die sonst Jon steht. Normalerweise ist er
derjenige, der unsere Ausflüge nutzt, um solche wie sie mal schnell in
irgendeiner dunklen Ecke zu knallen.
Aber Jon ist schon versorgt. Er hat auf dem Parkplatz vom Truck Stop
nebenan zwei Nutten angesprochen, die dort abhingen, und ist mit ihnen
irgendwohin gegangen. Wahrscheinlich aufs Männerklo. Wundert mich,
dass die beiden überhaupt mit sind bei seiner zerschlagenen Visage, die
aussieht wie eine zerquetschte Heidelbeere.
Langsam müsste er aber mal wieder auftauchen. Wie ich Jon einschätze,
hält er keine zwei Minuten durch. Bei zwei Weibern wären das dann
zusammen vier Minuten, aber er ist jetzt bestimmt schon eine Stunde weg.
Wo zum Teufel steckt der Kerl?
Als ich ihn nirgends entdecken kann, nehme ich meine Chips und brülle
Dalton und Kevin über das superlaute und supernervige Gedudel der
Spielautomaten hinweg zu, dass ich Jon suchen gehe. Kevin achtet gar nicht
auf mich, Dalton nickt.
Ich gehe den ganzen Laden ab, ohne den Idioten irgendwo zu entdecken.
Als ich an einem Blackjack-Tisch vorbeikomme, höre ich einen
betrunkenen Typ zu dem Dealer sagen: »Ist doch immer dasselbe in diesem
Scheißladen. Jedes Mal hocken hier lauter erbärmliche Loser an den
Tischen und verspielen ihr sauer verdientes Geld. Und ihr Blutsauger nehmt
ihnen auch noch den letzten verfickten Cent ab. Ihr kriegt den Rachen
einfach nicht voll.«
Der Kasinoangestellte sammelt gelassen die Chips ein, die der Typ ihm
hinschiebt, während der Spieler, der ihm gegenübersitzt, trocken
kommentiert: »Und neun von zehn Malen, die ich hier bin, bist der
erbärmliche Loser du selbst.«
Als ich lache, dreht er sich zu mir um und …
… mir bleibt das Lachen im Hals stecken.
Er wendet sich ohne einen Schimmer des Erkennens wieder ab.
Der Betrunkene schiebt seinen Stuhl zurück und steht auf. »Du hast
gerade eine Glückssträhne, Paul«, sagt er. »Mehr nicht. Die wird auch
irgendwann reißen, wart’s ab.«
Ich balle die Fäuste so fest zusammen, dass sich meine Nägel tief ins
Fleisch bohren.
Er hätte den anderen nicht mit seinem Namen ansprechen müssen, ich
weiß auch so, wer er ist. Ein Sohn vergisst seinen Vater nicht.
Egal, wie leicht es dem Vater gefallen ist, seinen Sohn zu vergessen.
Ich ziehe mein Handy raus und öffne den Browser. Es dauert nicht lang,
bis ich gefunden habe, wonach ich suche.
Der alte Schweinehund ist letztes Jahr auf Bewährung rausgekommen.
Nachdem ich das Handy in die Tasche zurückgeschoben habe, setze ich
mich auf den freien Platz ihm gegenüber. Ich war noch nie so angespannt
wie in diesem Moment, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich Angst
davor hätte, was er mir antun könnte. Ich bin angespannt, weil mir Angst
macht, was ich ihm antun könnte. Während ich meine Chips vor mir staple,
vermeide ich es, zu offensichtlich zu ihm rüberzuschauen, aber er achtet
sowieso nicht auf mich.
Seine Haare sind so ausgedünnt, dass man ihn eigentlich kahl nennen
müsste, wenn er sich nicht ein paar lächerliche Strähnen quer über den
Schädel geklebt hätte. Ich fahre mir automatisch durch meine eigenen
Haare, die sich so dicht und kräftig anfühlen wie immer.
Vielleicht hat er seine Haare aus Stress im Knast verloren und es ist
nichts Genetisches. Ich kann nur hoffen, dass ich nichts von diesem Typen
geerbt habe. Er sieht aus wie menschlicher Abfall, der entsorgt gehört, weil
er uns anderen nur kostbaren Sauerstoff wegatmet.
Ich hatte ihn immer groß in Erinnerung. Breit. Einschüchternd. Fast bin
ich enttäuscht.
Nein, nicht fast – ich bin enttäuscht. Extrem enttäuscht sogar. Ich habe
dieses verdammte Arschloch immer gehasst, aber in meiner Erinnerung war
er absolut unbesiegbar. Und ich habe immer geglaubt, von dieser
Unbesiegbarkeit würde auch etwas in mir stecken. Zu sehen, was für ein
elender Wurm aus ihm geworden ist, lässt mein eigenes Selbstbewusstsein
plötzlich bröckeln.
»Hey, Junge.« Er schnippt mit seinen knochigen Fingern, um meine
Aufmerksamkeit zu erregen. »Hast du mal ’ne Kippe?«
Er sieht mich mit trübem Blick an. Schnorrt eine Zigarette von seinem
einzigen Kind und erkennt es nicht mal.
»Nein, Arschloch. Ich rauche nicht.«
Er hebt grinsend beide Hände. »Hey, hey. Nicht gleich so grimmig.
Schlechten Tag gehabt?«
Mein Vater denkt, ich würde ihn Arschloch nennen, weil ich schlecht
gelaunt bin? Ich drehe einen Chip zwischen Daumen und Zeigefinger und
beuge mich zu ihm vor. »Schlechter Tag? Könnte man so ausdrücken, ja.«
Darauf sagt er nichts, und wir sehen stumm zu, wie der Dealer die
Karten austeilt. Plötzlich kommt eine total verrunzelte Schabracke
angetrippelt, setzt sich neben ihn und legt einen Arm um seine Schulter.
»Von mir aus können wir langsam mal«, sagt sie.
Er schiebt sie mit dem Ellbogen weg. »Von mir aus aber nicht. Ich hab
dir gesagt, dass ich dich hole, wenn wir gehen.«
Sie quengelt ein bisschen rum, bis er einen Zwanziger aus der Tasche
zieht und sie zu den Automaten schickt. Als sie weg ist, nicke ich in ihre
Richtung. »Deine Frau?«
Er kichert. »Die? Nein. Verdammt, nein.«
Ich drehe meine erste Karte um. Herz Zehn. »Bist du denn verheiratet?«
Er reibt sich den Nacken, ohne mich anzusehen. »Ich war’s mal, ja. Ging
nicht lang.«
Ich weiß. Ich war dabei.
»Weil sie eine Nutte war?«, frage ich ihn. »Bist du deswegen nicht mehr
mit ihr verheiratet?«
Er lacht. Jetzt sieht er mich wieder an. »Ja. Ja, genau. Sie war ’ne
verdammte Nutte.«
Ich atme langsam aus und drehe meine zweite Karte um. Kreuz Ass.
Blackjack.
»Ich heirate bald«, sage ich. »Aber meine Verlobte ist keine Nutte.«
Er neigt leicht den Kopf und sieht mich mit schmalen Augen an.
Wahrscheinlich versteht er nicht, worauf ich hinauswill. »Ich geb dir mal
einen Rat, Sohn.«
»Nenn mich nicht Sohn, Arschloch.«
Er zieht die Brauen zusammen und sieht mich mit dem verächtlichen
Blick an, den ich noch sehr gut von früher kenne, dann zuckt er mit den
Schultern. »Alle Frauen sind Nutten. Du bist noch jung, kein Grund, dich
jetzt schon an die Kette legen zu lassen. Genieß dein Leben.«
»Keine Angst, alter Mann. Ich genieße mein Leben, da mach dir mal
keine Sorgen. Ich hab verdammt viel Spaß, glaub mir.«
Er schüttelt den Kopf. »Verdammt. Du bist der wütendste Hurensohn,
den ich je getroffen habe.«
Korrekt, Arschloch. Das bin ich.
Und ich war noch nie wütender als in diesem Moment.
So wütend, dass ich am liebsten auf den Tisch springen und ihm meine
verfickten Karten ins Maul rammen würde, bis er erstickt – obwohl ich
einen Blackjack habe.
Der Dealer schiebt mir meinen Gewinn hin, aber ich stehe auf und gehe
davon, bevor ich mich vor allen Leuten, Überwachungskameras und
Sicherheitstypen dazu hinreißen lasse, eine Dummheit zu begehen.
»Sir!«, ruft mir der Dealer hinterher. »Sir, Ihre Chips. Die können Sie
hier nicht liegen lassen.«
»Behalt die Scheißchips!«
Ich gehe, so schnell ich kann, auf den Ausgang zu. An einem der
Automaten steht Jon mit den beiden Schlampen. Er spielt »Glücksrad«. Was
für eine elende Lusche.
»Geh Dalton und Kevin holen. Wir fahren.«
Ich haste weiter, drücke die Tür auf und ringe nach Luft, sobald ich
draußen bin.
Ich bin nicht wie er.
Ich bin kein Stück wie er.
Er ist erbärmlich. Ein Schwächling. Der Typ hat nicht mal mehr Haare
auf dem Kopf!
Meine Hände zittern.
»Hey«, rufe ich jemandem zu, der gerade rauskommt und eine
brennende Zigarette in der Hand hält. »Haben Sie vielleicht auch eine für
mich?«
Der Typ steckt sich seine Kippe in den Mundwinkel, während er in der
Jackentasche nach der Schachtel kramt, eine Zigarette rausholt und mir
auch noch Feuer gibt.
»Danke.« Ich nehme einen tiefen Zug und tigere draußen auf und ab, bis
ich die Jungs endlich Richtung Ausgang kommen sehe.
Und ein paar Meter hinter ihnen – die widerwärtige Alte am Arm – er.
»Hauen wir ab?«, fragt Jon, als sie bei mir sind.
Ich schüttle den Kopf und behalte meinen Vater im Auge. »Ich muss
noch schnell was erledigen.«
Als mein Vater mich sieht, bleibt er stehen. »Ich dachte, du rauchst
nicht?«
»Tu ich auch nicht«, sage ich und blase ihm den Rauch ins Gesicht.
»Das ist meine erste.«
Wieder der Blick. Derselbe Blick, mit dem er mich angesehen hat, als
ich ein kleiner Junge war. Und danach gab es immer Prügel.
Diesmal gibt es keine Prügel. Jedenfalls nicht für mich.
Seine Alte zieht ihn weiter. Ich lasse sie zwei Meter weit kommen, dann
rufe ich: »Schönen Tag noch, Paul Jackson.«
Er bleibt stehen, wartet aber ein paar Sekunden ab, bevor er sich
umdreht. Und in dem Moment sehe ich es. Das Erkennen in seinen Augen.
Er räuspert sich. »Kann mich nicht dran erinnern, dass ich dir meinen
Namen gesagt habe.«
Ich zucke mit den Schultern, lasse die Kippe fallen und zerreibe sie mit
dem Absatz. »Sorry, mein Fehler. Wahrscheinlich hätte ich Dad sagen
sollen.«
Jetzt ist der Ausdruck auf seinem Gesicht eindeutig. Er erkennt mich.
»Asa?« Er macht einen Schritt auf mich zu. Das ist ein Fehler. Und zwar
schon seit zweiter.
Der erste war, dass er mich nicht sofort wiedererkannt hat.
Ich stürze mich auf ihn und versetze ihm einen Faustschlag. Der
erbärmliche Schwächling geht zu Boden, bevor ich ein zweites Mal
ausholen kann. Jemand schlingt die Arme um mich und versucht mich
wegzuziehen, während die hysterische Alte mir die Ohren vollkreischt und
an mir rumzerrt.
Ich reiße mich los und schenke ihm noch eine ein. Und noch eine. Ein
Schlag für jedes verdammte Jahr, das er mich alleingelassen hat. Ein Schlag
für jedes einzelne Mal, das er meine Mutter Nutte genannt hat. Ein Schlag
für jede verfickte Lebensweisheit, die er mir mitgegeben hat. Ich schlage
auf ihn ein, bis meine Fäuste voller Blut sind. Irgendwann ist da so viel
Blut, dass ich nichts mehr erkennen kann und beim letzten Schlag mit
ziemlicher Sicherheit den Asphalt getroffen habe, sonst hätte es nicht so
verflucht wehgetan.
Als die Jungs es schließlich schaffen, mich hochzuhieven und zum
Wagen zu schleifen, läuft mir warme Soße übers Gesicht. Aber ich weiß,
dass das kein Blut ist, sondern Pisse. Die Pisse, von der mein Vater immer
gesagt hat, dass sie den Unterschied zwischen einer Memme und einem
Mann ausmacht.
Ja, genau. Tränen. Ich spüre, wie sie mir aus den Augen quellen, und ich
kann nichts dagegen tun. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie
gleichzeitig so stark und so beschissen schwach gefühlt.
Irgendwann sitze ich auf dem Beifahrersitz und schlage auf die Ablage
ein, bis das verdammte Plastik zersplittert. Kevin drückt aufs Gas und rast
vom Parkplatz. Er will weg sein, bevor die Leute von der Security den
blutigen Haufen Matsch finden, den ich vor dem Eingang zurückgelassen
habe.
»Hey, Asa. Entspann dich!« Jon, der auf der Rückbank sitzt, greift um
den Sitz herum und versucht, meine Arme zu fixieren, aber falls er ernsthaft
glaubt, dass er mich zurückhalten kann, ist er noch dämlicher, als ich
gedacht hätte. Ich reiße mich los und schlage weiter auf die Ablage ein.
Ich höre nicht auf. Ich werde weitermachen, bis ich meine Hände nicht
mehr spüre oder bis die flüssige Scheiße endlich aufhört, aus meinen Augen
zu quellen.
Ich werde nicht wie er. Ich werde niemals zu einem so armseligen Wrack
werden wie dieser jämmerliche Bastard.
Ich will das nicht fühlen. Ich will den Schmerz nicht fühlen. Ich will
aufhören, irgendetwas zu fühlen.
»Scheiße. Gebt mir was von dem verfickten Zeug!«, brülle ich.
Es fühlt sich an, als würden sich meine Knochen durch meine Haut
bohren. Ich zerre an meinen Haaren, damit es aufhört, ich trommle gegen
die verdammte Scheibe. »Na los, macht schon! Ich krieg keine verdammte
Luft!«
Kevin lässt das Fenster runter, aber es hilft nichts.
»Ich brauch was von dem Zeug!« Ich drehe mich nach hinten und will
Jon am Jackenkragen packen, aber er drückt sich an die Rückenlehne und
hebt sein verdammtes Bein, als könnte er sich so vor mir schützen.
»Sofort!«
»Das Zeug ist im Kofferraum«, sagt Jon. »Verdammt, Kevin. Halt
endlich an, damit wir diesen Wahnsinnigen beruhigen können.«
Ich drehe mich um und schlage weiter mit aller Kraft auf die Ablage ein,
um nichts mehr hören und fühlen zu müssen. Der Wagen bleibt stehen. Jon
steigt aus und reißt meine Tür auf. »Gib mir zwei Sekunden.«
Er ist ein beschissener Lügner, weil es mindestens zehn Sekunden
dauert, bis er mir endlich die verdammte Spritze hinhält. Ich ramme mir die
Nadel in die Armvene.
Nach Luft schnappend lehne ich mich ins Polster zurück.
»Fahr weiter«, sage ich zu Kevin.
Als ich die Augen schließe, merke ich, wie sich der Wagen wieder
bewegt.
Ich bin nicht wie er. Kein bisschen.
Und nicht alle Frauen sind Nutten. Sloan ist keine Nutte.
»Sie ist Heroin«, flüstere ich. »Heroin tut so gut.«
Zweiunddreißig
Carter

»Worauf hast du Lust?«, frage ich Sloan, als wir uns der nächsten Ausfahrt
nähern. Sie hat mir das Steuer überlassen, weil sie sich ein bisschen
ausruhen wollte, und wir haben gerade beschlossen, noch etwas essen zu
gehen.
»Ich bin für alles offen«, sagt sie. »Hauptsache, du willst nicht zum
Griechen.«
»Magst du griechisches Essen nicht?«
Sie grinst. »Doch. Sogar sehr. Aber der nächste Grieche ist zu weit weg
und so lange halte ich es nicht mehr aus.«
Sie ist so gottverdammt süß. Ich will gerade über die Konsole nach ihrer
Hand greifen, da vibriert mein Handy. Normalerweise würde ich beim
Fahren keine Nachricht lesen, erst recht nicht, wenn Sloan neben mir sitzt,
aber Ryan hat versprochen, mich vorzuwarnen, falls die Jungs früher nach
Hause kommen.
Die Nachricht ist tatsächlich von ihm.

Ryan: Zeit zurückzufahren. Asa ist in keiner guten Verfassung.

Ach, du Scheiße. Hat mein Todesfluch vorhin etwa funktioniert?

Ich: Hattet ihr einen Unfall?


Ryan: Nein. Er hat bloß seinen Vater zusammengeschlagen und hatte
danach so was wie einen Nervenzusammenbruch.
Ryan: Er redet die ganze Zeit wirres Zeug von Sloan. Und dass er für sie
nur hoffen kann, dass sie zu Hause ist, wenn wir zurückkommen. Ich hab
ihn so noch nie erlebt. Ziemlich krass.

Ich lösche die Nachrichten und stelle mein Handy wieder in den
Getränkehalter. »Tut mir leid.« Ich umklammere das Lenkrad. »Wie es
aussieht, müssen wir so schnell wie möglich zurück. Dalton hat gerade
geschrieben, dass Asa einen Nervenzusammenbruch hatte. Sie sind schon
wieder auf dem Rückweg.«
»Einen Nervenzusammenbruch?«
»Ja, anscheinend ist er seinem Vater begegnet und hat ihn verprügelt.«
Sloan sieht aus dem Fenster. »Sein Vater lebt?«
Ich werfe ihr einen erstaunten Blick zu. Weiß sie nicht, dass sein Vater
wegen Mordes im Gefängnis saß? Wobei ich es verstehen könnte, wenn Asa
ihr das nicht erzählt hätte. Das ist nicht unbedingt etwas, von dem man will,
dass es die Freundin weiß.
»Asa weiß doch gar nicht, dass du bei mir bist. Wir müssen nicht vor
ihnen zurück sein. Ich hab wirklich richtig Hunger.«
Es widert mich an, dass ich sie zwingen muss, zu ihm zurückzukehren,
obwohl ich weiß, dass das Gegenteil besser für sie wäre. »Dalton hat
geschrieben, dass Asa die ganze Zeit von dir redet und will, dass du da bist,
wenn er nach Hause kommt. Ich hab keine Ahnung, was los ist, Sloan. Aber
er scheint ziemlich schräg drauf zu sein.«
Sie seufzt. »Das ist nicht mein Problem. Woher wusste Dalton
überhaupt, dass du mit mir unterwegs bist? Ich traue ihm nicht. Genauso
wenig wie Jon. Oder Kevin.«
»Keine Sorge. Ich würde Dalton mein Leben anvertrauen.« Ich greife
nach ihrer Hand und ziehe sie auf meinen Schenkel. »Hör zu, ich fahre uns
jetzt zu meinem Wagen. Du fährst nach Hause, und ich komme in einer
halben Stunde nach, damit Asa keinen Verdacht schöpft.«
Sloan nickt stumm. Ich weiß genau, was sie fühlt. Wir haben beide
Angst vor dem, was passieren könnte, wenn sie einem emotional instabilen
Asa Jackson gegenübersteht. Er ist schon unberechenbar genug, wenn er in
guter Verfassung ist. Ich will nicht mal darüber nachdenken, was er heute
Nacht mit Sloan machen wird.
Als ich neben meinem Wagen halte, stelle ich erst mal sicher, dass
niemand in der Nähe ist, der uns sehen könnte. Ich habe heute Morgen ein
paar Straßen vom Haus entfernt geparkt und bin dann zu Fuß zu der Ecke
gegangen, an der ich mich mit Sloan verabredet hatte.
Bevor ich aussteige, ziehe ich sie noch einmal an mich und küsse sie. Sie
seufzt und das macht mich traurig. Ich spüre, dass sie es genauso satthat wie
ich, dass wir uns immer wieder voneinander trennen müssen.
»Wieso müssen wir eigentlich immer zehn Schritte rückwärts gehen,
wenn wir mal einen Schritt vorwärts gemacht haben?«, fragt sie.
Ich streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht. »Vielleicht müssen wir in
Zukunft größere Schritte vorwärts machen.«
Sie ringt sich ein Lächeln ab. »Ich finde es total schrecklich, dass ich
nicht mit dir sprechen darf, wenn du bei uns bist. Dass ich dich nicht
berühren darf.«
Ich küsse sie auf die Stirn. »Ich auch«, sage ich. »Wir sollten irgendein
Zeichen haben, um auszudrücken, was wir nicht sagen können. Irgendwas
Unauffälliges, das niemand merkwürdig findet.«
»Was denn zum Beispiel?«
Ich reibe mir mit dem Daumen über die Unterlippe. »Mein Zeichen geht
so.«
»Und meins?« Sie denkt mit gerunzelter Stirn nach.
»Du könntest dir eine Haarsträhne um den Zeigefinger wickeln«, schlage
ich vor. »Das machst du öfter und ich mag es total.«
»Okay.« Sie wickelt sich lächelnd eine Strähne um den Zeigefinger.
»Wenn du mich das machen siehst, dann bedeutet das, ich wäre gern mit dir
allein.«
Ich beuge mich vor und gebe ihr noch einen Kuss, dann zwinge ich mich
auszusteigen. Nachdem sie weggefahren ist, antworte ich Ryan.

Ich: Lass ihn auf keinen Fall mit ihr allein, bevor ich komme. Nicht dass er
ihr irgendwas antut.
Ryan: Geht klar. Keine Ahnung, was mit ihm los ist. Sobald er im Auto saß,
hat er sich einen Schuss gesetzt und war zehn Minuten weggetreten. Seit er
wieder aufgewacht ist, redet er ununterbrochen. Er sagt die ganze Zeit, dass
er Spaghetti essen möchte und dass er sehr dichtes, kräftiges Haar hat.
Völlig abgedreht. Er hat Kevin sogar gezwungen, durch seine Haare zu
fahren und zu bestätigen, wie kräftig sie sind.

Verdammt. Das klingt noch irrer, als ich dachte.

Ich: Schick mir eine Nachricht, sobald ihr zu Hause seid. Ich warte eine
halbe Stunde, dann komme ich nach.
Ryan: Gute Idee. Übrigens hat er gerade eben gesagt, dass du LSD bist.
Was glaubst du, was das bedeutet?
Ich: Nicht den blassesten Schimmer.
Ryan: O-Ton: »Carter macht einem die übelsten Halluzinationen und ist
schwer einzuschätzen. Er ist LSD.«
Ich: Er ist komplett durchgeknallt.
Dreiunddreißig
Sloan

In dem Moment, in dem ich die Haustür aufschließe, klingelt mein Handy.
Ich ziehe es aus der Tasche und seufze, als ich Asas Namen sehe.
Na toll.
»Hey«, melde ich mich.
»Hey, Baby.« Seine Stimme klingt belegt, als wäre er gerade
aufgewacht, aber ich höre im Hintergrund die anderen. Also sind sie
anscheinend noch unterwegs. »Bist du schon zu Hause?«
»Ja. Bin gerade zur Tür rein. Seid ihr noch im Casino?«
»Nein«, sagt er. »Auf dem Rückweg.«
Ja, das hab ich auch schon gehört.
»Wir haben totalen Hunger. Spaghetti wären sehr geil. Kannst du uns
welche kochen?«
»Ich muss dringend was fürs College tun«, sage ich zögernd. »Eigentlich
hatte ich nicht vor, heute noch zu kochen.«
»Manchmal läuft es eben anders als geplant. Ich hatte auch nicht vor,
Heißhunger auf Spaghetti zu haben.«
»Klingt nach einem Interessenkonflikt«, sage ich ungerührt.
»Sehe ich nicht so. Mach mir die verdammten Spaghetti, Sloan. Ist ja
auch keine so große Mühe, oder? Bitte, ja? Ich hab heute einen ziemlichen
Scheißtag.«
Ich schließe die Augen und lasse mich auf die Couch fallen. Sieht aus,
als würde es mal wieder ein langer Abend werden. Vielleicht sollte ich es
mir leichter machen und einfach tun, worum er mich bittet.
»Okay«, seufze ich. »Du kriegst deine Spaghetti. Möchtest du
Hackfleischbällchen dazu?«
»Ja, das wäre toll. Wir wollen doch Hackfleischbällchen, oder, Jungs?«
»Unbedingt, ja«, höre ich die anderen gedämpft.
Ich drehe mich auf den Rücken, lege die Beine auf die Armlehne und
stelle das Handy auf Lautsprecher. »Warum hast du einen Scheißtag?«
Einen Moment lang ist es still, dann sagt Asa: »Hab ich dir schon jemals
irgendwas über meinen Vater erzählt, Sloan?«
»Nein.«
Er seufzt. »Eben. Über den Mann gibt es nämlich nichts zu erzählen.«
Mir läuft es kalt über den Rücken. »Wann kommt ihr zurück?«
Asa antwortet mit einer Gegenfrage. »Ist Carter bei dir?«
Ich setze mich sofort aufrecht hin und atme erst mal tief durch, weil ich
Angst habe, dass meine Stimme sonst zittert. »Carter? Wieso? Ist der nicht
bei euch?«
Kurze Pause. »Nein, Sloan. Ist er nicht.«
Als ich nichts mehr höre, schaue ich aufs Display und sehe, dass Asa
aufgelegt hat. Scheiße. Ich drücke mir das Handy an die Stirn. Wie viel weiß
er?

***

Eine Stunde später kommen die vier zur Tür reinmarschiert. Die Spaghetti
sind noch nicht fertig, weil ich vorher noch zum Supermarkt fahren musste,
um das verdammte Hackfleisch zu besorgen. Als ich mich umdrehe und
Asa sehe, bleibt mir die Luft weg. Sein Hemd ist mit Blut durchtränkt, und
seine rechte Faust sieht aus, als hätte er damit gegen eine Betonwand
geschlagen.
»Um Gottes willen«, rufe ich und stürze ins Bad, um den Erste-Hilfe-
Kasten zu holen. Als ich wiederkomme, schiebe ich Asa zum Spülbecken,
um erst mal Wasser über seine Hand laufen zu lassen und zu sehen, wie
schwer die Verletzung ist.
Die Knöchel sind so aufgerissen, dass das rohe Fleisch zu sehen ist.
Obwohl sich mir bei diesem Anblick fast der Magen umdreht, versuche ich,
ruhig zu bleiben und die Wunden zu reinigen.
»Was hast du getan, Asa?«
Er verzieht das Gesicht, betrachtet seine Hand und zuckt mit den
Achseln. »Nicht genug.«
Ich desinfiziere die Wunden und wickle einen Verband darum, obwohl
ich der Meinung bin, dass er zu einem Arzt sollte.
Plötzlich packt er mich am Handgelenk und ich erstarre. »Wo ist der
verfickte Ring?«
Der Ring.
»Oben. Er liegt auf der Kommode. Ich habe ihn ausgezogen, weil ich ihn
beim Kochen nicht dreckig machen wollte.«
»Komm mit!« Asa presst die Lippen zusammen und zerrt mich Richtung
Treppe.
»Asa, du tust mir weh!«
Dalton springt auf und stellt sich uns in den Weg. »Hey, hey. Sei ein
bisschen sanfter zu deiner Lady«, sagt er.
Asa schiebt sich wortlos an ihm vorbei. Ich muss rennen, um mit ihm
Schritt zu halten und nicht hinzufallen, als er zwei Stufen auf einmal
nehmend nach oben stürmt. Er reißt die Tür zum Schlafzimmer auf, zieht
mich zur Kommode, greift nach dem Ring und hält ihn mir dicht vor die
Augen. »Du hast den verdammten Ring nicht auszuziehen, kapiert? Ich hab
ihn dir gekauft, damit jeder sofort weiß, dass du mir gehörst, und gar nicht
erst auf dumme Gedanken kommt.«
Er greift nach meiner linken Hand, knallt sie auf die Kommode, schiebt
mir den Ring über den Finger und hält die Hand fest, während er die oberste
Schublade aufzieht, in der wir diversen Kleinkram aufbewahren.
»Was hast du vor?«, frage ich, obwohl ich mich vor der Antwort fürchte.
Asa wühlt wie besessen in der Schublade.
»Ich helfe dir, daran zu denken, ihn nicht mehr auszuziehen«, sagt er und
stößt die Schublade zu, weil er anscheinend gefunden hat, was er sucht. Als
ich erkenne, was es ist, bleibt mir einen Moment das Herz stehen.
Ist er wahnsinnig geworden?
Ich versuche, meine Hand wegzuziehen, aber er drückt sie mit aller
Kraft auf die Kommode, schraubt die Kappe von der Tube und drückt den
Sekundenkleber in die Innenseite des Rings.
Tränen brennen in meinen Augen und ich ringe nach Luft. So habe ich
ihn noch nie erlebt. Aus Angst, ihn zu provozieren, halte ich ganz still,
obwohl mein Herz sich panisch gegen meine Rippen wirft. Ich wage es
nicht, zu schreien oder mich zu wehren, weil ich nicht weiß, ob die Jungs
unten mir zu Hilfe kommen würden. Wäre Carter doch nur schon hier.
»So.« Asa wirft die Tube auf die Kommode, hebt meine Hand und bläst
auf den Kleber, damit er schneller trocknet. Währenddessen schaut er mir
die ganze Zeit in die Augen. Seine Pupillen sehen aus wie winzige
schwarze Stecknadelköpfe, der Anblick jagt mir Todesangst ein.
»Bist du fertig?«, flüstere ich. »Ich will nicht, dass die Fleischbällchen
anbrennen.«
Er bläst noch ein paar Sekunden auf meinen Ringfinger, dann beugt er
sich vor und drückt einen Kuss auf die Innenfläche meiner Hand. »So. Jetzt
trägst du ihn für immer.«
Er ist verrückt. Er ist eindeutig total verrückt. Ich habe immer gewusst,
dass Asa schlimme Abgründe in sich hat, aber bis zu diesem Moment war
mir nicht klar, wie wahnsinnig er wirklich ist.
Asa geht mir hinterher durch den Flur und die Treppe hinunter. Dalton
steht unten am Absatz und mustert mich besorgt.
Ich traue ihm trotzdem nicht.
Wie betäubt gehe ich in die Küche, wo das Wasser im Topf bereits kocht,
und gebe die Spaghetti hinein, als ich höre, wie ein Wagen in die Einfahrt
fährt.
Carter.
Ich sehe auf den Ring an meinem Finger. Er sitzt nicht mal gerade. Ich
muss nachher irgendwie versuchen, ob sich der Kleber mit
Nagellackentferner lösen lässt. Es wird sicher Tage dauern, bis ich ihn
wieder abbekomme.
Asa hätte wenigstens darauf achten können, ihn mir nicht so schief
anzukleben, verdammt. Das wird mich in den Wahnsinn treiben.
Als die Haustür aufgeht, sehe ich bewusst nicht hin, sondern gehe zum
Herd, um die Tomatensoße umzurühren und nach den Hackfleischbällchen
zu schauen, die im Ofen brutzeln. Asa wäscht sich an der Spüle die
Blutspritzer von den Armen, als Carter in die Küche kommt.
»Hey.« Er geht zum Kühlschrank, nimmt sich ein Bier raus und dreht
sich zu Asa um.
»Alter! Was ist denn mit dir passiert?«
Ich bekomme Asas Antwort nicht mit, weil mein Puls mir so laut in den
Ohren dröhnt. Ich sehe nur, wie Carter lacht. »Habt ihr wenigstens
irgendeinen Jackpot geknackt?«
Ich werfe ihm aus dem Augenwinkel einen Blick zu und sehe danach zu
Asa rüber, der den Kopf schüttelt und dreckig grinst. »Keinen einzigen. Im
Gegensatz zu dem Jackpot, den du am Freitagabend klargemacht hast. Die
Lady war echt scharf.«
Mir ist, als würde alles Blut aus meinem Herzen sickern. Wie meint er
das? Aber ich kann Carter jetzt nicht ansehen. Auf gar keinen Fall.
Vielleicht hat Asa das nur gesagt, um meine Reaktion zu prüfen … oder
aber Carter ist absolut nicht der, für den ich ihn gehalten habe.
»Eine echte Granate«, sagt Asa. »Gratuliere, Carter. Ich bin
beeindruckt.«
Ich gehe zum Ofen und sehe noch mal nach den Hackfleischbällchen,
um Carter verstohlen einen Blick zuzuwerfen. Er trinkt seelenruhig von
seinem Bier, ohne in meine Richtung zu schauen. »Danke«, sagt er. »Aber
sie ist nur eine gute Freundin.«
Ich muss mich an der Ofentür festhalten, weil ich Angst habe, gleich in
mich zusammenzusacken.
Von welchem Mädchen reden sie? Wann soll das gewesen sein? Am
Freitag ist Carter zu mir ins Zimmer gekommen und hat mich geküsst.
Warum habe ich nicht mitbekommen, dass er an dem Abend mit jemandem
da war?
Ich fühle mich wie die größte Idiotin der Welt. Schlimmer, als ich mich
bei Asa je gefühlt habe. Bei ihm wusste ich wenigstens, dass er ein
Arschloch ist.
Bei Carter habe ich ehrlich geglaubt, er wäre anders.
»Ja klar, bloß eine gute Freundin«, sagt Asa spöttisch. »Ist es bei euch so
üblich, dass ihr gute Freunde am Arsch packt und gegen die Wand drückt?
Machst du das mit Dalton auch so? Oder mit Jon? Da, wo ich herkomme,
machen Leute, die bloß gute Freunde sind, so was nicht.«
Ich ziehe die Auflaufform mit den Hackfleischbällchen aus dem Ofen,
richte mich auf und drehe mich zur Theke, damit niemand meine Tränen
sieht. Ich höre Schritte hinter mir. Im nächsten Moment legt Asa mir einen
Arm um die Taille und drückt mir einen Kuss auf den Hals. Jetzt ist mir
alles egal. Ich drehe mich zu ihm und küsse ihn auf den Mund. Ich hasse
ihn aus tiefstem Herzen für das, was er mir oben angetan hat, und würde
ihm am liebsten die Eier dafür abschneiden, aber dieser Kuss ist auch nicht
für ihn bestimmt.
Carter soll spüren, was ich gerade gespürt habe. Er soll sich fühlen, als
hätte ihm jemand ein Messer mitten ins Herz gerammt.
Dieses verdammte Arschloch. Alles gottverdammte Arschlöcher.
»Lenk mich nicht ab, Asa.« Ich schiebe ihn lachend von mir. »Am
besten geht ihr jetzt alle aus der Küche und lasst mich in Ruhe eure
Spaghetti fertig kochen, okay?«
Mir ist es selbst ein Rätsel, wie ich es schaffe, diesen Satz
rauszubringen, ohne zu schluchzen. Ich habe gerade die
Hackfleischbällchen in die Tomatensoße gegeben und gieße die Nudeln ab,
als Dalton in die Küche geschlendert kommt.
»Oh Mann, Asa. Wie wär’s, wenn du duschen gehst und dich umziehst?
Du verdirbst uns allen den Appetit, wenn wir beim Essen auf dein blutiges
Hemd starren müssen.«
Ich nutze die Gelegenheit, um Carter einen schnellen Blick zuzuwerfen,
während Asa abgelenkt ist. Er sieht mich an und wirkt extrem angespannt,
als würde er mir gerne eine Million Sachen sagen. Aber dann hebt er nur
die Hand und fährt sich mit dem Daumen langsam über die Unterlippe.
Falls er denkt, ich würde mir jetzt eine Strähne um den Finger wickeln,
hat er sich geschnitten. Ich gebe ihm ein anderes Zeichen, indem ich mir
mit dem Mittelfinger über den Mund wische und mich wieder Asa
zuwende.
»Baby.« Er nimmt meine Haare zusammen und legt sie mir über eine
Schulter, damit er mich auf den Hals küssen kann. »Wie wäre es, wenn du
mit mir nach oben kommst?« Er hebt seine bandagierte Hand. »Wird
schwierig, einhändig zu duschen und mich umzuziehen.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich muss euer Essen fertig machen.«
Asa lässt seine Hand an meinem Arm bis zu meinen Fingern und dem
festgeklebten Ring gleiten, dann dreht er sich um und geht aus der Küche.
Dalton folgt ihm. Sobald ich mit Carter allein bin, stellt er sich neben mich
an die Spüle und tut so, als würde er zum Fenster hinaussehen. Ich
umklammere den Rand der Arbeitsplatte und halte die Luft an, während ich
darauf warte, dass er etwas sagt.
»Es war nicht so, wie du denkst, Sloan. Ich schwöre«, flüstert er. »Du
musst mir vertrauen.«
»Du hast also am Freitag auch noch mit einem anderen Mädchen
rumgemacht?«, frage ich mit gesenktem Blick. Ich warte einen Moment,
dann schaue ich ihn direkt an. Er sieht aus, als wäre er kurz davor, alle
Vorsicht in den Wind zu schießen und mich in seine Arme zu reißen.
Stattdessen schüttelt er nur den Kopf. »Das würde ich dir nicht antun. So
war das nicht.«
Seine Stimme ist ruhig und klingt vollkommen aufrichtig. Ich würde ihm
so gern glauben, aber die Erfahrung hat mich leider gelehrt, dass Männer in
den seltensten Fällen vertrauenswürdig sind.
Carter sieht sich hastig um, als wollte er sich vergewissern, dass uns
keiner beobachtet. Die anderen hocken mit dem Rücken zu uns im
Wohnzimmer und schauen irgendeinen Blödsinn im Fernsehen. Carter
beugt sich vor und drückt mein Handgelenk. »Ich würde nie etwas tun, das
dich verletzt, Sloan. Niemals. Das schwöre ich auf das Leben deines
Bruders.«
Okay, jetzt reicht’s. Niemand schwört auf das Leben meines Bruders.
Niemand! Noch bevor ich selbst begriffen habe, was ich tue, ist es schon
passiert. Ich habe ihm eine runtergehauen, und der Knall war so laut, dass
die Jungs im Wohnzimmer sich zu uns umdrehen.
Ich kann nicht glauben, dass ich ihm wirklich eine Ohrfeige gegeben
habe. Keine Ahnung, wer schockierter ist: ich, Carter oder die anderen, die
uns entgeistert anstarren. Ich glaube nicht, dass ich mich in meinem ganzen
Leben schon jemals auf so fiese Art betrogen gefühlt habe, aber ich schaffe
es trotzdem, blitzschnell umzuschalten, damit niemand auf die Idee
kommen kann, ich hätte ihn aus persönlichen Gründen geschlagen.
»Wehe, du steckst noch ein einziges Mal deinen dreckigen Finger in
meine Spaghettisoße, Arschloch. Das ist total widerlich!«
Carter begreift sofort und reibt sich lachend die Wange. Trotzdem sehe
ich ihm an, dass er tief getroffen ist, als er sich umdreht und zu den anderen
rübergeht. Mir egal. Er hat es nicht anders verdient. Mein Bruder und ich
haben es im Leben mit genug Lügnern und Egoisten zu tun gehabt, uns
wirft so schnell nichts aus der Bahn. Auf Carters leere Versprechungen
kann ich verzichten, erst recht wenn er die Unverschämtheit besitzt, auf
Stephens Leben zu schwören.
Ich rühre sinnlos in der Tomatensoße herum, bis ich eine kurze Pause
einlegen muss, um mir mit dem Ärmel die Tränen wegzuwischen.
Plötzlich steht Dalton neben mir. Er greift nach dem Löffel, leckt ihn ab,
nickt anerkennend und wirft ihn ins Spülbecken. Im Weggehen raunt er mir
zu: »Er sagt die Wahrheit, Sloan.«
Als Dalton weg ist, kann ich meine Tränen endgültig nicht mehr
zurückhalten. Ich weiß nicht, wem oder was ich noch glauben soll, wen ich
hassen muss und wen ich lieben darf. Scheiße, ich will weg von alldem, ich
will wieder frei atmen können.
Ich muss raus aus diesem Haus.
Leise weinend gehe ich zum Spülbecken und wasche mir die Hände,
dann gehe ich zur Terrassentür und rufe über die Schulter: »Eure
beschissenen Spaghetti sind fertig. Ihr könnt sie euch in der Küche abholen,
Arschlöcher!«
Vierunddreißig
Carter

Ich lasse Wasser über die letzten Teller laufen und stelle sie in die
Spülmaschine.
Asa ist nicht mehr zum Essen runtergekommen. Sloan ist immer noch im
Garten. Vor ein paar Minuten habe ich Ryan eine Nachricht geschickt, dass
er nachsehen soll, in welchem Zustand Asa ist, bevor ich es riskiere, nach
draußen zu gehen, um mit Sloan zu reden.
Ich wische die Arbeitsfläche ab und habe eben die Spülmaschine
angeschaltet, als Ryan die Treppe runterkommt. Gleichzeitig trifft eine
Nachricht von ihm auf meinem Handy ein.

Ryan: Er liegt nackt auf dem Bett und ist komplett weggetreten. Sieht nicht
so aus, als würde er bald wieder aufwachen. Falls doch, schick ich dir eine
Nachricht. Sorg dafür, dass du es dann auch mitkriegst.

Ich vergewissere mich, dass der Vibrationsalarm an ist, schiebe das Handy
hinten in die Jeans und gehe raus, um die Sache mit Sloan zu klären.
Sie treibt auf dem Rücken liegend mit ausgebreiteten Armen im Pool
und starrt zu den Sternen hoch. Obwohl sie sicher hört, wie ich die
Terrassentür hinter mir schließe, schaut sie nicht zu mir rüber.
Als ich zum Pool gehe, bemerke ich ihr T-Shirt und ihre Jeans auf einem
der Liegestühle.
Scheiße.
Sie schwimmt in ihrer Unterwäsche.
Kann sein, dass das für sie normal ist, aber für mich fühlt sich der Gang
zum Becken dadurch so an, als würde ich ein Minenfeld betreten.
Ich stelle mich an den Rand. Sie ignoriert mich, aber im Licht, das aus
dem Haus fällt, sehe ich ihr verweintes Gesicht.
Irgendwie ist das alles ganz schön krank, wenn man darüber nachdenkt.
Sloan ist sauer, weil sie denkt, ich hätte mit einer anderen Frau
rumgemacht, obwohl sie jede Nacht bei einem Mann liegt, der nicht ich bin.
Einem Mann, den sie vorhin sogar geküsst hat, nur um mich zu
verletzen.
Aber ich mache ihr keinen Vorwurf. Ich weiß, wie weh ihr das eben
getan hat. Ich weiß, wie sehr sie unter dieser ganzen beschissenen Situation
leidet.
Genau das macht es so hart. Es geht nicht darum, dass ich sie von der
Aufrichtigkeit meiner Gefühle überzeugen muss, sondern darum, dass ich
genau weiß, wie schmerzhaft es für sie ist, daran zu zweifeln.
Es wäre so viel leichter, wenn ich ihr einfach die Wahrheit sagen könnte,
aber das geht nicht. Ich bin im Job. Damit würde ich einer direkten
Anordnung meines Vorgesetzten – Ryan – zuwiderhandeln. Abgesehen
davon ist Asa gerade so unberechenbar, dass es besser für Sloan ist, wenn
sie so wenig wie möglich weiß.
Als Asa vorhin in der Küche Tillie erwähnt hat, ist sie kalkweiß
geworden. Ich hätte ihn in dem Moment verdammt gern umgebracht.
Sloan bewegt Füße und Arme und lässt sich zur Mitte des Beckens
treiben. »Er hat vergessen, die Poolheizung auszuschalten«, sagt sie leise.
»Es ist so schön warm. Ich glaube, ich bleibe für immer hier.«
Ihre Stimme ist unbeschreiblich traurig. Am liebsten würde ich die
Schuhe ausziehen, ins Wasser springen und ihr nie mehr von der Seite
weichen. Okay, nicht in diesem Pool und auch nicht in diesem Haus.
»Wie heißt sie?«, fragt sie leise, ohne den Blick vom Nachthimmel
abzuwenden.
Ich massiere meinen Nacken und überlege, wie viel ich erzählen kann.
»Tillie.«
Sloan lacht, aber nicht, weil sie das lustig findet. »Und? Ist sie deine
Freundin.«
Ich seufze. »Sie ist eine Freundin, Sloan. Manchmal bitte ich sie um die
eine oder andere Gefälligkeit.«
Sloans Körper sinkt langsam abwärts bis zum Boden des Beckens. Als
sie wieder hochkommt, wirft sie mir einen Blick zu, der sich anfühlt wie ein
Dolchstoß. Erst in diesem Moment begreife ich, dass ich mich zweideutig
ausgedrückt habe.
Ich sehe sie an. »Um Gottes willen, doch nicht die Art von Gefälligkeit,
Sloan.«
Im Becken stehend, streicht sie sich mit beiden Händen die nassen Haare
aus dem Gesicht. Ich gebe mir größte Mühe, ihren Körper nicht anzusehen,
aber das ist schwierig, weil der Stoff ihrer Unterwäsche so durchsichtig ist
und sie praktisch nackt vor mir steht.
»Was für eine Gefälligkeit hat sie dir denn am Freitag erwiesen, indem
sie dir erlaubt hat, sie am Arsch zu packen?«
Es macht mich fertig, dass ihre Stimme so ruhig und gelassen klingt,
weil ich weiß, dass sie innerlich brodelt wie ein Vulkan kurz vor dem
Ausbruch.
»Antworte mir, Carter. Welche Gefälligkeit hat sie dir am Freitag
erwiesen?«, wiederholt sie.
Ich antworte ehrlich. »Sie hat mir geholfen, Asa davon zu überzeugen,
dass ich kein Interesse daran habe, dich zu vögeln.«
Ich höre, wie Sloan tief Luft holt. Einen Moment lang starrt sie mich an,
dann dreht sie sich um, schwimmt zum flachen Ende und steigt aus dem
Pool. Ihr BH und ihr Slip sind hautfarben, wodurch es wirklich aussieht, als
wäre sie nackt, was mich sofort in Panik versetzt. Wenn Asa jetzt
aufwachen und uns sehen würde, wären wir beide tot.
Sloan geht langsam um den Pool herum, bis sie direkt vor mir steht. Sie
macht noch einen Schritt auf mich zu. Jetzt ist sie mir so nah, dass ich die
Nässe ihres BHs durch mein T-Shirt hindurch fühle.
»Hast du denn Interesse, Carter? Würdest du mich gern vögeln?«
Verdammt. Was soll das?
Obwohl ich weiß, dass es ein Fehler ist, lege ich beide Hände an ihre
Hüften. »Offen gestanden, nein«, sage ich. »Aber ich hätte Interesse daran,
dich zu lieben.«
Ihr Atem beschleunigt sich, aber meiner geht noch schneller. Ich würde
sie so gern küssen, allerdings würde dieser Kuss dann definitiv unseren Tod
bedeuten, weil ich es niemals schaffen würde, mich jemals wieder von ihr
zu lösen.
Vielleicht würde sie mich aber auch umbringen, falls ich es versuchen
würde. Ich kann nicht einschätzen, ob sie mir glaubt oder immer noch sauer
ist. Sie sieht mich an, als würde sie sich diesen Kuss genauso wünschen wie
ich, aber gleichzeitig spüre ich auch, wie gern sie mich in den Pool stoßen,
mir hinterherspringen und meinen Kopf unter Wasser drücken würde.
Aber dann legt sie plötzlich ihre Hand über meine, verschränkt unsere
Finger ineinander und zieht sie sanft auf ihren Bauch und hinauf zu ihren
Brüsten.
»Was …« Ich schlucke und werfe einen nervösen Blick zum
Schlafzimmerfenster. »Was tust du da, Sloan?«
Sie beugt sich vor und stellt sich auf die Zehenspitzen, bis sich ihre
Brüste gegen meinen Oberkörper pressen. Ich schließe die Augen und lasse
meine andere Hand zu ihrem Rücken gleiten. Meine Fingerspitzen tauchen
hinten in ihren Slip und ich ziehe sie an mich.
Ihre Lippen berühren mein Ohr: »Wirst du befördert, wenn du die
Verlobte deines Zielobjekts ins Bett bekommst?«
Ich öffne die Augen.
Dann atme ich tief durch, streiche mit beiden Händen durch ihre Haare
und biege ihren Kopf ein Stück nach hinten, damit ich ihr in die Augen
sehen kann. »Ich verstehe nicht, was du meinst, Sloan«, sage ich ruhig.
Sie lächelt, aber ich sehe ihrem Blick an, wie verletzt sie ist. »Ich weiß,
was du bist«, sagt sie. »Ich weiß, warum du hier bist. Und jetzt verstehe ich
auch, warum du solches Interesse an mir hast.«
Sie reißt sich von mir los und jetzt ist ihr Blick voller Hass. »Du sprichst
nie wieder ein Wort mit mir, sonst erzähle ich allen, dass du ein
Undercover-Cop bist … Luke.«
Sie will sich an mir vorbeidrängen, aber ich versperre ihr den Weg und
lege ihr eine Hand auf den Mund, als sie ihn öffnet, um zu schreien. Ich
werfe einen Blick zur Terrassentür. Zum Glück hat uns niemand bemerkt,
aber ich muss Sloan unbedingt irgendwohin bringen, wo ich in Ruhe mit ihr
reden kann, bevor sie etwas tut, das für uns beide das Todesurteil wäre.
Sie wehrt sich und kratzt mich mit ihren Nägeln, als ich die Arme um sie
schlinge und versuche, sie hochzuheben, um sie außer Sichtweite zu tragen.
Sobald sie merkt, was ich vorhabe, wird ihr Widerstand noch heftiger. Es
bricht mir das Herz, ihr solche Angst machen zu müssen, aber es geht nicht
anders. Ich muss sie vor sich selbst schützen. Sobald ich sie seitlich ums
Haus herum in den Schutz einiger Sträucher getragen habe, schiebe ich sie
gegen die Wand, ohne die Hand von ihrem Mund zu nehmen.
»Hör mir bitte zu, Sloan«, sage ich und sehe ihr eindringlich in die
Augen. »Tu mir einen Gefallen und hör mir einen Moment lang ruhig zu.
Bitte.«
Sie ringt panisch nach Luft und versucht mit beiden Händen, meine
Hand herunterzureißen. Als sie endlich aufhört, sich zu wehren, stemme ich
mich an der Hauswand ab und nehme die Hand von ihrem Mund.
Sie atmet schwer und voller Angst, als ich mich neben ihrem Kopf an
der Hausmauer abstütze. Ich drücke meine Stirn gegen ihre. »Alles, was ich
je zu dir gesagt habe, jeder einzelne Blick, den ich dir zugeworfen habe,
und jedes Mal, wenn ich dich berührt oder dich geküsst habe … kam immer
aus tiefstem Herzen und hatte nie etwas mit meinem Job zu tun, Sloan. Das
musst du mir glauben, okay?«
Sie antwortet nicht.
Ich hasse mich dafür, sie in eine Situation gebracht zu haben, in der sie –
völlig zu Recht – an meiner Aufrichtigkeit zweifeln muss. Und ich hasse
mich dafür, dass ich nicht weiß, was ich sagen könnte, um sie von der
Echtheit meiner Gefühle zu überzeugen.
Seufzend drücke ich ihr einen Kuss auf die Schläfe. Es hat keinen Sinn,
es mit Worten zu versuchen.
Es ist viel zu spät, mich irgendwie herauszureden, und das will ich auch
gar nicht.
Stattdessen nehme ich sie einfach nur in die Arme, weil ich es nicht
ertrage zu wissen, wie sie sich fühlt.
Erst steht sie einige Sekunden lang stocksteif da, dann beginnt sie sich
zu entspannen. Irgendwann spüre ich, wie sie die Finger in mein T-Shirt
krallt, das Gesicht an meine Brust schmiegt und fast unhörbar zu
schluchzen beginnt.
Und ich halte sie noch fester.
»Du bist das Einzige, was ich sehe, Sloan«, flüstere ich mit
geschlossenen Augen in ihre Haare. »Gegen dich verblasst alles. Der Job
genauso wie die Frage, ob das, was ich fühle, richtig oder falsch ist. Du bist
das Einzige, was ich sehe.«
Wieder presse ich die Lippen an ihre Schläfe. Als ich ihren Mund an
meinem Hals spüre, ziehe ich sie noch näher an mich. Sie atmet schwer,
und ich ahne, dass Angst, Wut und Verlangen in ihr miteinander kämpfen.
In der Dunkelheit finden sich unsere Lippen, und sobald sie sich treffen,
kommt es mir vor, als würde sie mich stumm bitten, ihre Zweifel
wegzuküssen.
Und das tue ich. Unser Kuss ist pure Verzweiflung. Ich schiebe sie
wieder gegen die Hauswand und weiß genau: Jede Sekunde, die wir uns so
küssen, ist eine Sekunde, die nicht stattfinden dürfte, aber ich kann nicht
anders. Ich weiß nur, dass ich von ihr nicht genug bekommen kann.
Als ich mich mit dem ganzen Körper an sie presse, stöhnt sie leise auf,
und dieser eine Laut lässt mich alles andere vergessen. Meine Nervosität
genauso wie meinen gesunden Menschenverstand. Mein Bedürfnis, sie ganz
zu besitzen, ist übermächtig, und sie schiebt ihre Hände so fiebrig unter
mein Shirt, dass ich weiß, ihr geht es genauso.
Ich küsse sie wie in Trance und weiß nicht, wie ich jemals wieder
aufhören soll.
Verdammt.
Ich küsse mich an ihrem Hals hinunter, schließe eine Hand um ihre Brust
und lasse sie in den nassen BH gleiten. Ihre Haut ist unfassbar glatt, sanft
wie Seide. »Oh Gott, Sloan«, stöhne ich und lecke mich an ihrer Kehle
entlang wieder nach oben. Als ich ihren Mund erreiche, spüre ich ihre
Zunge zwischen meinen Lippen und ihre Finger machen sich zitternd an
den Knöpfen meiner Jeans zu schaffen.
Ich schlinge die Arme um ihren Po und hebe sie hoch. »Lass uns zu
meinem Wagen gehen«, keuche ich.
Die Nacht ist stockdunkel und das Grundstück zum Glück von Bäumen
umgeben, sodass wir uns keine Sorgen machen müssen, von irgendwelchen
Nachbarn gesehen zu werden, als wir hinten in den Wagen steigen. Das
Einzige, was mir Sorgen macht, ist Asa. Falls er uns erwischen sollte, wäre
das …
Nein, darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Ryan wird mich warnen,
wenn Asa aufwacht. Wir haben Zeit.
Ich ziehe die Wagentür zu und beuge mich zwischen den Sitzen hindurch
nach vorn, um ein Kondom aus dem Handschuhfach zu nehmen. Sobald ich
wieder sitze, hockt Sloan sich auf mich, presst ihren Mund auf meinen und
legt ihre Hände an meine Brust.
Ich streife ihren BH nach oben und küsse jeden Zentimeter ihres
Oberkörpers, während sie mich aus der Jeans befreit.
Sobald ich das Kondom übergezogen habe, fasse ich sie um die Hüften
und hebe sie leicht an, während sie ihren Slip zur Seite zieht. Ich lehne den
Kopf nach hinten, weil ich sie anschauen möchte, während ich in sie
eindringe.
Ihr tief in die Augen sehend, senke ich sie langsam auf mich herab. Wir
halten beide den Atem an. Es kommt mir vor, als würde die Welt um uns
herum stillstehen. Ohne den Blick von mir abzuwenden, nimmt sie mich in
sich auf, und erst als ich tief in ihr bin, atmen wir beide gleichzeitig aus.
»Oh. Mein. Gott«, flüstere ich.
Es ist das schönste Gefühl der Welt, endlich in ihr zu sein.
Und zugleich das mieseste Gefühl der Welt, zu wissen, in welche Gefahr
ich sie damit bringe.
Sloan beugt sich vor und schlingt die Arme um meinen Hals. »Luke«,
haucht sie an meinen Lippen.
Ich sterbe.
Sie hat mich Luke genannt.
Mein Mund findet wieder ihren, und ich küsse sie so, wie sie es verdient
hat. Voller Überzeugung. Voller Respekt. Voller Gefühl.
Sie beginnt sich auf mir zu bewegen, und bald ist sie das Einzige, was
ich sehe.
Ich schließe die Augen und … verdammt … sie ist das Einzige, was ich
sehe.
Fünfunddreißig
Sloan

Ich habe nicht gewusst, dass ich überhaupt imstande bin, so etwas zu
fühlen.
Mir ist klar, dass sich das total nach Klischee anhört, aber … seine
Hände, sein Mund, seine Berührungen … es kommt mir vor, als wäre es
sein einziges Lebensziel, die Gefühle in mir hervorzurufen, die ich gerade
fühle.
Und das Einzige, worauf ich mich konzentriere, sind seine Hände und
wie sie über meinen Körper gleiten und mich an genau den richtigen Stellen
mit genau dem richtigen Druck berühren, sodass ich Angst habe, meine
Seufzer könnten sich in Schreie verwandeln, die nicht nur Asa wecken
würden, sondern die gesamte Nachbarschaft. Als wüsste Luke, was in mir
vorgeht, verschließt er meinen Mund mit seinen Lippen, während ich mich
seinem Rhythmus hingebe. Bis irgendwann meine Beine und Arme zu
zittern beginnen und mein gesamter Körper von der mächtigsten
Gefühlswelle erfasst wird, die ich je erlebt habe.
»Luke«, wimmere ich an seinen Lippen, und obwohl ich kurz davor bin,
erschauernd auf ihm zusammenzubrechen, gelingt es mir, mich noch so
lange auf ihm zu bewegen, bis ich diejenige bin, die seinen Schrei ersticken
muss. Es ist unglaublich. Seine Küsse schmecken nach Früchten … sie
schmecken so süß …
Da ist nichts von der Bitterkeit, die ich schlucke, wenn ich Asa küsse.
Als wir beide nicht mehr zittern und unser Atem wieder gleichmäßiger
geht, beugt er sich vor und lässt seine Lippen federzart über meine Schulter
gleiten.
Mir ist unbegreiflich, wie sich der Hass, der noch vor zwei Stunden in
der Küche in mir loderte, in etwas verwandelt haben kann, das noch viel
tiefer und liebevoller ist als alles, was ich in den Tagen zuvor für ihn
empfunden habe.
Dass er so sehr nicht wie Asa ist … dass er das komplette Gegenteil von
ihm ist, das ist … ist so unfassbar … anziehend.
Luke ist gut. Er ist einer von den Guten. Es gibt sie anscheinend
wirklich.
Als ich mich vorhin im Pool treiben ließ und zu den Sternen schaute,
hatte ich plötzlich eine Offenbarung, und alles setzte sich zu einem klaren
Bild zusammen: dass Carter über sich als Luke gesprochen hat. Dass er
einen Spanischkurs belegt hat, der weit unter seinem Niveau ist, in dem
aber zufälligerweise ich sitze. Dass er mir immer wieder versichert, ich
könnte ihm trauen, mir aber nie sagt, warum. Dass er am Freitag ein
anderes Mädchen benutzt hat, um Asa abzulenken.
Dieser Gedanke hat den Ausschlag gegeben. Ja, ich habe es geahnt,
bevor er es vorhin selbst zugegeben hat. Als Dalton in die Küche kam und
mir zugeflüstert hat, dass Carter – oder vielmehr Luke – die Wahrheit sagt,
kam mir der Verdacht, dass irgendetwas anderes dahinterstecken muss.
Dass er irgendeinen Grund gehabt haben muss, so offen mit einem
Mädchen rumzumachen, während ich im Haus war. Und dann bin ich in den
Garten gegangen, in den Pool gesprungen und habe abgewartet. Entweder
würde er zu mir rauskommen und schwören, mit der anderen wäre nie
etwas gewesen – das wäre dann der Beweis dafür, dass er eben doch ein
Lügner ist. Dass er genau wie Asa ist.
Oder aber er würde mir die Wahrheit sagen: dass er die andere benutzt
hat, um Asas Misstrauen zu zerstreuen. Und dann wüsste ich, dass ich mit
meinem Verdacht richtigliege. Dann hätte ich ihn enttarnt.
Ich habe nur nicht gewusst, was mir lieber wäre. Dass er wie Asa ein
Schwein ist oder dass er mich … die ganze Zeit über nur benutzt hat.
Als er dann zugegeben hat, dass ich recht habe, war ich mir sicher, dass
das mit uns vorbei sein würde. Ich war mir sicher, dass er versuchen würde,
mich zu irgendeinem Deal zu überreden, damit ich ihn nicht an Asa verrate.
Ich war mir sicher, dass ein Mann wie er – ein guter Mann mit einem
respektablen Beruf – sich niemals ernsthaft mit einem Mädchen wie mir
einlassen würde.
Zumindest hat meine Mutter mich immer glauben lassen, dass es so
wäre.
Aber da habe ich ihn falsch eingeschätzt, denn sein Job ist ihm
anscheinend tatsächlich egal. Ich glaube ihm, wenn er sagt, ich wäre das
Einzige, was er sieht. Denn das Einzige, was ich sehe, ist er. Und jetzt
gerade will ich jede einzelne Sekunde mit ihm wie ein Schwamm in mich
aufsaugen.
Ich liege an seine Brust geschmiegt da, während er mich hält und wir
beide atemlos darauf warten, dass unser Herzschlag etwas zur Ruhe kommt.
Was wir getan haben, war tödlich leichtsinnig. Wir wissen es beide, aber ich
weiß, dass es das absolut wert war.
»Sosehr ich mir wünsche, für immer hier mit dir liegen zu bleiben,
glaube ich trotzdem, dass wir wieder reingehen sollten«, sagt er
irgendwann.
Natürlich hat er recht, obwohl Asas Haus der letzte Ort ist, an den ich
nach diesem innigen Moment zurückkehren möchte. Als ich Luke durch die
Haare streiche, duftet es nach Shampoo. Ich beuge mich vor und
schnuppere an ihm. »Sag mal … hast du etwa geduscht? Bevor du
hergekommen bist, meine ich?«
Trotz der Dunkelheit sehe ich, dass er grinst.
»Du hast geduscht und du hattest Kondome im Auto? Heißt das … Hast
du damit gerechnet, dass du heute noch von jemandem flachgelegt wirst?«
Er lässt den Kopf gegen das Polster sinken und lächelt. »Ich habe
geduscht, weil ich für dich gut riechen und aussehen wollte. Und das
Kondom liegt im Handschuhfach, weil ich gern auf alle Eventualitäten
vorbereitet bin. Falls du es genau wissen willst, liegt es da schon seit über
sechs Monaten.«
Ich wollte es tatsächlich genau wissen, aber natürlich habe ich eigentlich
kein Recht, ihn so auszufragen. Er kann sich denken, was nachts zwischen
Asa und mir passiert. Wenn ich es verhindern könnte, würde ich es tun.
Aber das ist einfach nicht möglich. Nicht, solange ich mit ihm in seinem
Haus lebe.
Aber wir sprechen nicht darüber, dass ich weiterhin mit Asa zusammen
bin. Darüber, dass das, was gerade zwischen Luke und mir passiert ist, nicht
richtig war, ganz egal wie richtig es sich angefühlt hat.
Luke streicht mir über den Arm und schiebt seinen Daumen unter
meinen BH-Träger. »Sloan?«
Ich lege den Handrücken an sein Gesicht und gleite über seine Wange.
Er sieht so unglaublich gut aus. Männlich an den richtigen Stellen, aber
zugleich hat sein Mund auch etwas sehr Weiches. »Ja?«
»Wie bist du mir auf die Schliche gekommen?«
Ich grinse. »Du bist das Einzige, was ich sehe, Luke. Und ich bin nicht
dumm.«
Er zieht mich kopfschüttelnd an sich. »Du bist alles andere als dumm.«
In dem Moment, in dem ich die Augen in Erwartung seines Kusses
schließe, drückt er mich plötzlich auf die Sitzbank runter und legt mir eine
Hand über den Mund. »Nicht bewegen«, zischt er und späht über die
Schulter nach draußen.
Mir springt das Herz in die Kehle.
Jetzt ist es passiert. Wir sind tot.
Wir. Sind. Tot.
Irgendjemand schlägt laut gegen die Scheibe. »Mach die verdammte Tür
auf!«
Ich halte die Luft an.
»Das ist bloß Dalton«, flüstert Luke an meinem Ohr. »Bleib liegen.«
Ich nicke. Als er sich aufsetzt und die Tür öffnet, ziehe ich schnell
meinen BH herunter und kreuze die Arme vor der Brust. Ein Bündel
Kleidungsstücke fliegt ins Wageninnere. »Hey, was soll das?«, ruft Luke
und fängt es auf.
»Wenn ihr das nächste Mal beschließt, euch davonzuschleichen, um eine
Nummer zu schieben, denkt gefälligst dran, eure Klamotten mitzunehmen«,
schimpft Dalton und beugt sich zu uns in den Wagen.
Luke gibt mir meine Jeans und mein Top, das ich mir hastig überstreife.
Gott. Am liebsten würde ich mich in Luft auflösen.
»Ist er aufgewacht?«, fragt Luke.
Dalton wirft ihm einen scharfen Blick zu, der so viele Dinge ausdrückt,
von denen ich noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung habe. »Nein.
Aber du musst hier abhauen, bevor wir deinetwegen beide umgebracht
werden.« Er will sich aufrichten, deutet dann aber auf mich. »Und wenn du
nicht auch umgebracht werden willst, solltest du schleunigst reingehen.«
Bevor er die Tür zuschlägt, knurrt er noch: »Wir müssen dringend reden,
Carter.«
Nachdem ich mich liegend in meine Jeans gezwängt habe, beugt Luke
sich über mich, um sie zuzuknöpfen. Gott, hoffentlich rutscht mir in Asas
Gegenwart nicht irgendwann sein echter Name heraus. Es ist besser, wenn
ich ihn auch in Gedanken weiterhin Carter nennen.
»Kriegst du jetzt Ärger?«, frage ich, während ich in den Rückspiegel
schaue und meine Haare glatt streiche.
»Ich fürchte, ich bin kein besonders guter Undercover-Cop«, seufzt er.
»Was wir gerade gemacht haben, beweist, dass ich meine Prioritäten falsch
setze.«
Ich lache. »Wenn du mich fragst, hast du deine Prioritäten in der letzten
halben Stunde genau richtig gesetzt.«
Er drückt mir einen Kuss auf die Lippen. »Geh schnell rein. Und sei
vorsichtig.«
Ich küsse ihn noch einmal richtig, und als ich diesmal von ihm weggehe,
tut es nicht ganz so weh wie bei den anderen Malen. Weil ich jetzt
Hoffnung habe. Die Hoffnung, dass er doch einen Plan hat, um mich
irgendwie aus dieser Hölle rauszuholen.

***

Ein paar Minuten später stehe ich unter der Dusche und kann nicht anders,
als in mich hineinzulächeln, weil ich auf dem Weg nach oben an der Küche
vorbeigekommen bin und gesehen habe, dass jemand aufgeräumt hat. Ich
weiß genau, dass das Carter gewesen ist.
Seit ich in diesem Haus wohne, ist es noch nie vorgekommen, dass
irgendjemand auch nur einen Finger krumm gemacht hätte, um mir zu
helfen. Ich weiß nicht, ob man mit Aufräumen das Herz jeder Frau erobern
kann, aber bei mir klappt es definitiv. Ich musste vor Rührung fast weinen,
als ich die Spülmaschine laufen gehört habe.
Ganz schön traurig, dass mir eine eingeräumte Spülmaschine mehr
bedeutet als ein Verlobungsring. Man könnte meinen, ich würde meine
Prioritäten auch nicht wirklich richtig setzen.
Aber ich bin froh darüber, dass ich so bin, wie ich bin.
Als ich ins Schlafzimmer komme, liegt Asa nackt und komplett
weggetreten quer über der Decke auf dem Bett und schnarcht wie ein
Sägewerk.
Na toll. Entweder muss ich versuchen, ihn zu wecken, damit er sich
umdreht, oder es schaffen, ihn irgendwie auf seine Bettseite zu befördern.
Ich gehe ums Bett herum, packe ihn an den Armen und bemühe mich,
ihn rüberzuziehen. Er stöhnt laut, wälzt sich auf den Bauch und dann …
kotzt er.
Mitten auf die Decke.
Ich schließe die Augen und versuche mich nicht aufzuregen. War ja klar,
dass es ihm noch gelingen würde, diesen wunderschönen Abend kaputt zu
machen.
Während Asa würgt, füllt sich der Raum mit dem säuerlichen Geruch
von Erbrochenem. Ich hole den Papierkorb, hebe seinen Kopf und halte ihn
ihm hin, damit nicht alles auf die Decke geht.
Jedes Mal, wenn ich denke, jetzt ist es vorbei, erbricht er noch einen
Schwall, bis er sich schließlich erschöpft zur Seite dreht und die Augen
öffnet. Jetzt ist nichts Furchterregendes mehr darin zu sehen, es ist der
unschuldige Blick eines kleinen Kindes.
»Danke, Baby«, murmelt er.
Ich stelle den Papierkorb neben das Bett und streichle Asa über den
Kopf. »Meinst du, du schaffst es, kurz aufzustehen, damit ich die Decke
abziehen kann?«
Er wälzt sich ein Stück zur Seite, zieht sich ein Kissen an die Brust und
schläft augenblicklich wieder ein.
»Asa!« Ich rüttle ihn an der Schulter, aber es hat keinen Zweck. Er ist
wieder weg.
Was mache ich denn jetzt? Ich will nicht nach unten gehen und einen
von den Jungs um Hilfe bitten, aber allein schaffe ich es nicht, Asa zu
bewegen. Und ich werde ganz bestimmt nicht im Wohnzimmer auf der
Couch schlafen, solange Jon im Haus ist. Vielleicht habe ich ja Glück und
Carter oder Dalton sind noch da. Ich will mir lieber nicht vorstellen, auf
welche kranken Ideen Jon oder Kevin kommen könnten, wenn sie
mitkriegen, dass Asa praktisch bewusstlos ist und nichts mitbekommt.
Zu meiner Erleichterung steht Carter mit Dalton an der Haustür und ist
gerade dabei, sich zu verabschieden, als ich nach unten gehe.
»Ich bräuchte jemanden, der mir hilft, Asa vom Bett zu hieven, damit
ich die Decke beziehen kann. Er hat überall hingekotzt.«
»Viel Spaß«, ruft Jon, der nebenan auf der Couch fläzt.
Carter wirft ihm einen gereizten Blick zu und geht sofort mit mir die
Treppe rauf. Ich sehe Dalton an, dass er das für keine gute Idee hält,
trotzdem folgt er uns.
Der Geruch nach Erbrochenem ist so stark, dass ich mir die Nase
zuhalten muss, um nicht selbst zu würgen.
»Heilige Scheiße«, murmelt Dalton kopfschüttelnd und reißt ein Fenster
auf. Die Situation ist mir für Asa ein bisschen peinlich, aber so wie ich ihn
kenne, wäre es ihm wahrscheinlich egal. Abgesehen davon kann ich es ihm
nicht ersparen. Es ist weiß Gott nicht meine Schuld, sondern ganz allein
seine eigene, dass die beiden ihn in diesem erbärmlichen Zustand sehen.
»Asa?« Carter beugt sich über ihn und schüttelt ihn. »Asa. Wach auf.«
Asa stöhnt nur.
»Was hat er genommen?«, fragt er Dalton.
»Auf dem Weg zum Casino hat er sich ein paar Pillen eingeworfen und
sich auf dem Rückweg dann einen Schuss gesetzt.«
Carter dreht sich wieder zum Bett, schiebt die Hände unter Asas Achseln
und wuchtet ihn hoch.
Ich ziehe mit einem Ruck die Decke weg und lege sie als Bündel in den
Flur, weil ich nicht vorhabe, sie noch zu waschen. Ich werde sie nachher in
der Mülltonne entsorgen.
»Wohin mit ihm?«, fragt Carter. Stumm deute ich auf die rechte
Bettseite, worauf er ihn mit Daltons Hilfe wieder hinlegt, während ich eine
frische Decke aus dem Wandschrank hole, sie beziehe und über ihn breite.
Als ich mich dabei zu ihm herunterbeuge, macht er die Augen auf und
verzieht das Gesicht. »Scheiße, was stinkt hier so eklig?«, stöhnt er.
»Du hast aufs Bett gekotzt.«
Er zieht eine Grimasse. »Hast du’s weggemacht?«
Ich nicke. »Ja. Jetzt ist alles gut. Schlaf wieder ein.«
Statt die Augen zu schließen, hebt er die Hand und zupft an einer meiner
Haarsträhnen. »Du sorgst so gut für mich, Sloan.«
Einen Moment lang sehe ich seine verletzliche Seite so deutlich, dass es
mir das Herz zusammenzieht.
Mittlerweile kenne ich ihn schon so lange und so gut, dass es mir – trotz
allem, was passiert ist – unmöglich ist, nichts für ihn zu empfinden.
Asa ist nicht so, wie er ist, weil er sich dafür entschieden hat, so zu sein.
Ich glaube, er wurde so, weil er nie erlebt hat, dass man auch anders sein
kann.
Und deswegen wird er immer mein Mitgefühl haben – ich kann gar
nichts anders. Auch dann, wenn mein Herz einem anderen gehört und ich
mir nicht vorstellen kann, ihm jemals zu verzeihen, wie er mich in den
letzten Tagen behandelt hat.
Als ich mich aufrichte, packt er mein Handgelenk und zieht mich wieder
zu sich herunter. Ich gehe neben dem Bett in die Hocke und er schiebt seine
Hand in meine.
»Als ich ungefähr fünf war«, flüstert er, »hab ich auch mal ins Bett
gekotzt. Mein Vater hat mich gezwungen, in meiner eigenen Kotze zu
schlafen. Er hat gesagt, dass ich dadurch lernen würde, so was nie mehr zu
machen.« Er lacht leise, dann kneift er die Augen zusammen, als hätte er
Schmerzen. »Tja, scheint nichts gebracht zu haben.«
Ich spüre ein Stechen hinter den Lidern und presse mir eine Hand auf
den Mund, weil mir der kleine hilflose Junge, der er einmal war, so
unfassbar leidtut.
Als ich mich kurz zu Carter und Dalton umdrehe, schauen sie Asa
genauso mitleidig an wie ich. Dann wende ich mich ihm wieder zu und er
dreht sich auf den Bauch und vergräbt das Gesicht im Kissen.
»Asa …«, flüstere ich und streiche ihm tröstend über die Haare.
Ein trockenes Schluchzen bricht aus seiner Kehle und seine Schultern
zucken. Es ist die Art von Weinen, die so tief aus dem Inneren eines
Menschen kommt, dass es nicht einmal von Lauten begleitet wird.
Ich habe Asa noch nie weinen sehen. Bis jetzt wusste ich nicht einmal,
dass er überhaupt dazu fähig ist, echte Tränen zu vergießen.
Morgen wird er sich an nichts mehr erinnern. Er wird nicht wissen, ob
ich ihn allein gelassen oder mich zu ihm ins Bett gelegt und ihn in den Arm
genommen habe. Die Hand auf seiner Stirn, sehe ich zu Carter auf. Wir sind
jetzt nur noch zu dritt im Raum, Dalton ist leise rausgegangen.
Carter macht einen Schritt auf mich zu und streicht mir kurz über die
Wange. Dann beugt er sich vor und drückt mir einen Kuss in die Haare.
Er verharrt ein paar Sekunden so, bevor er sich aufrichtet und
davongeht. In der Tür dreht er sich um, hebt die Hand und fährt sich ganz
langsam mit dem Daumen über die Unterlippe. Ich bleibe neben Asa sitzen,
obwohl mein Herz sich so sehr danach sehnt, mich in Carters Arme zu
werfen.
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, wickle ich mir eine Haarsträhne um
den Zeigefinger. Um Carters Lippen spielt ein trauriges Lächeln. Er sieht
mich noch einen Augenblick an, als könnte er sich nicht losreißen, dann
geht er hinaus und zieht die Tür hinter sich zu.
Ich klettere ins Bett und lege den Arm um Asa, bis ich sicher bin, dass er
wieder eingeschlafen ist.
Als ich mich gerade umdrehen will, höre ich ihn mit rauer Stimme
flüstern: »Ich warne dich, Sloan. Komm bloß nicht auf die Idee, mich
jemals zu verlassen.«
Sechsunddreißig
Asa

Als ich den Kühlschrank öffne, sehe ich die Schüssel mit den übrig
gebliebenen Spaghetti. Gepriesen sei Gott in der Höhe.
»Siehst du, Dad«, flüstere ich ins Leere. »Diese Frau ist ein Geschenk
des Himmels.«
Nachdem ich die Spaghetti in die Mikrowelle gestellt habe, gehe ich
zum Spülbecken, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Ich fühle
mich, als hätte ich mit dem Kopf in der Kloschüssel geschlafen. Scheiße,
vielleicht hab ich das ja sogar. So, wie ich stinke, könnte das echt sein.
An die Theke gelehnt, starre ich auf die Spaghetti, die sich in der
Mikrowelle drehen, und warte, bis sie heiß sind.
Habe ich ihn umgebracht?
Vermutlich nicht. Es ist jetzt fast einen Tag her, seit wir vom Casino
weggefahren sind, und dort sind überall Kameras installiert. Wenn er tot
wäre, würden die Bullen längst vor der Tür stehen. Wenn er Anzeige
erstattet hätte, genauso. Aber das hat er garantiert nicht. Er weiß genau,
dass er das, was ich getan habe, verdient hat.
Die Mikrowelle piepst.
Ich nehme die Schüssel raus, hole mir eine Gabel aus der Schublade und
schaufle mir hungrig Spaghetti in den Mund. Kaum habe ich sie
runtergeschluckt, stürze ich zum Mülleimer und kotze alles wieder raus.
Danach spüle ich mir den Mund aus und zwinge mich trotzdem, noch eine
Gabel voll zu essen.
Ich darf mich nicht gehen lassen. Ich muss dafür sorgen, dass ich wieder
fit werde. Das Schlimmste wäre, so zu enden wie er.
Ich schiebe mir noch eine Gabel voll Spaghetti in den Mund und würge
sie zusammen mit der hochschießenden Galle runter.
Du schaffst das, Asa, nimm dich zusammen.
Jemand reißt die Haustür auf. Sloan. Ich werfe einen Blick auf die Uhr
am Herd. Erst kurz nach zwei. Normalerweise kommt sie nie so früh aus
der Uni nach Hause. Entweder sieht sie nicht, dass ich in der Küche stehe,
oder sie kriegt mal wieder ihre Tage und hat schlechte Laune. Jedenfalls
stampft sie sofort die Treppe rauf.
Im nächsten Moment höre ich, wie sie oben Schubladen aufzieht, Sachen
rausreißt und durchs Zimmer wirft, von einer Ecke zur anderen marschiert.
Ich starre an die Küchendecke. Scheiße, was veranstaltet sie da oben? Mein
Kopf dröhnt wie eine Großbaustelle. Ich schaffe es nicht, hochzugehen und
nachzusehen, was los ist, aber das muss ich auch nicht, weil sie ein paar
Sekunden später die Treppe runtergestürmt kommt.
Sie ist scheißwütend, das sehe ich auf den ersten Blick. Und wenn sie so
wütend ist, finde ich sie immer verdammt sexy. Ich grinse, als sie im
Stechschritt auf mich zukommt und mit dem Finger auf mich zeigt.
Bevor ich irgendwas sagen kann, rammt sie mir den Finger in die Brust.
»Wo sind die Unterlagen, Asa?«
Unterlagen?
Wovon zum Teufel redet sie?
»Wovon zum Teufel redest du?«
Ihre Brüste heben und senken sich, weil sie so heftig atmet, und wenn
sie nur noch einen Zentimeter näher kommen würde, würde ich sie an
meiner Brust fühlen.
»Die Rechnungen von Stephens Heim«, sagt sie knapp. »Wo hast du sie
hin?«
Ach so, die Unterlagen.
Ich stelle die Schüssel mit den Spaghetti vorsichtig auf die Theke und
verschränke die Arme. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Sloan.«
Sie holt Luft, stößt sie langsam aus, dreht mir den Rücken zu und
stemmt die Hände in die Hüfte. Ich sehe ihr an, wie sehr sie sich
zusammenreißt, um nicht komplett auszuflippen.
Mir war schon klar, dass sie stinksauer sein würde, falls sie es je
herausfindet. Trotzdem habe ich nie darüber nachgedacht, wie ich reagieren
soll, wenn es so weit ist.
»Zwei Jahre«, presst sie hervor. Sie dreht sich wieder um und ihre
Augen schwimmen in Tränen.
Scheiße, sie weint. Das wollte ich nicht.
»Seit zwei Jahren lässt du mich glauben, du würdest Stephens
Pflegeplatz bezahlen. Du hast mir die Unterlagen damals gezeigt, Asa. Die
Briefe von der Behörde. Die Rechnungen. Die Schecks, die du ausgestellt
und angeblich an das Heim geschickt hast.« Sie holt wieder tief Luft und
geht hin und her. »Die Sachbearbeiterin hat gedacht, ich spinne, als ich
heute gefragt habe, ob sie sich Stephens Fall noch mal ansehen und die
Kosten vielleicht doch wieder übernommen werden könnten. Weißt du, was
sie zu mir gesagt hat, Asa?« Sie wirbelt zu mir herum.
Ich zucke mit den Achseln.
Sloan bleibt vor mir stehen. »Sie hat gesagt: Aber der Staat hat doch die
ganze Zeit über für Stephen gezahlt. Sein Platz wurde nie privat finanziert.«
Jetzt laufen ihr die Tränen über die Wangen. Und ich muss zugeben, dass
ich mich tatsächlich ein bisschen mies fühle. Vielleicht bin ich mit der
Aktion doch ein Stück zu weit gegangen. So wütend habe ich sie noch nie
erlebt.
»Sloan.« Ich lege ihr beide Hände auf die Schultern. »Baby. Bitte hör
mir zu. Ich musste das tun, damit du bei mir bleibst. Du hattest mich
verlassen. Mir blieb gar nichts anderes übrig. Es tut mir leid, dass dich das
so sauer macht.« Ich nehme ihr Gesicht in beide Hände. »Aber das darfst du
mir nicht übel nehmen, okay? Ich hab mir verdammt viel Mühe gegeben,
um das Ganze realistisch aussehen zu lassen. Und die gefälschten Briefe
haben eine Stange Geld gekostet. Eigentlich solltest du geschmeichelt sein,
dass du mir so wichtig bist.«
Sie stößt mich von sich. »Du verdammtes Arschloch!«, brüllt sie. »Du
hast Dokumente fälschen lassen, damit ich deine Scheißgeschichte glaube?
Ständig kamen Briefe vom Amt, und ich hab mich stundenlang hingesetzt
und an meinen Antworten gefeilt. Jetzt ist mir klar, warum ich nichts
erreicht habe. Wer kommt denn auf so eine kranke Idee?«
Sie hat keine Ahnung, wie viel Kohle ich diesem Idioten gezahlt habe,
der die Briefe für mich geschrieben hat, sonst wüsste sie, wie viel sie mir
wert ist.
»Du hast mich in eine Falle gelockt!« Sie zeigt mit einem zitternden
Finger auf mich. »Du hast dafür gesorgt, dass ich dachte, es gäbe keinen
Weg hier raus.«
Was, was, was? In mir steigt Wut auf, aber ich schlucke sie runter und
gehe einen Schritt auf sie zu.
»Ich habe dich in eine Falle gelockt?«
Sie ist so von der Rolle, dass sie nach Luft schnappen muss, aber dann
wischt sie sich die Tränen aus den Augen und nickt entschlossen. »Ja,
genau, Asa. Du hast mich in eine Falle gelockt. Ich war die letzten zwei
Jahre quasi deine Gefangene, weil du mir mit einem miesen Trick
vorgegaukelt hast, dass mein Bruder wieder zu meiner kaputten Mutter
ziehen muss, wenn ich nicht bei dir bleibe. Du wusstest genau, dass ich
sonst nicht wieder zu dir zurückgekommen wäre.«
Das sagt sie nur, um mich zu verletzen, weil sie wütend ist. Sie würde
mich niemals verlassen. Ja, es stimmt, dass ich sie angelogen habe. Ja, ich
habe eine Menge Kohle bezahlt, um es so aussehen zu lassen, als wäre die
staatliche Beihilfe für das Heim eingestellt worden. Aber mir ging es doch
nur darum, dass unsere Beziehung möglichst schnell wieder in Ordnung
kommt. Wenn ich das nicht getan hätte, hätte es wahrscheinlich ein
bisschen länger gedauert, bis sie auf Knien zu mir zurückgekrochen
gekommen wäre. Ich habe es ihr nur einfacher gemacht.
»Du glaubst also, du wärst meine Gefangene?«, sage ich. »Das sehe ich
aber ganz anders, Sloan. Stelle ich dir nicht ein Haus zur Verfügung, in dem
du wohnen kannst? Sorge ich nicht dafür, dass du zu essen hast? Schenke
ich dir nicht schöne Dinge und erlaube dir, aufs College zu gehen und mein
Auto zu fahren? Behandelt man so eine Gefangene?« Mit jedem Satz gehe
ich einen Schritt auf sie zu, und sie weicht zurück, bis es nicht mehr
weitergeht und ich rechts und links von ihr die Handflächen an die Wand
pressen kann, sodass sie tatsächlich gefangen ist. »Wage es nicht zu
behaupten, du hättest nicht jederzeit aus diesem Haus, zu dieser Tür
rausgehen können.«
Ich stoße mich von der Wand ab, drehe mich um und gehe ins
Wohnzimmer. »Na los, hau ab. Wenn du mich nicht mehr liebst, will ich
dich nicht hierhaben.«
Sie würde niemals gehen, das weiß ich genau. Denn dann wäre sie die
letzten zwei Jahre ja aus reiner Geldgier bei mir geblieben, weil sie allein
niemals in der Lage gewesen wäre, ihren Scheißbruder durchzufüttern. Und
das würde bedeuten, dass sie genau das wäre, was man normalerweise als
Nutte bezeichnet.
Und eine beschissene Nutte würde ich niemals heiraten.
Sloan wirft einen Blick zur Haustür und dann wieder zu mir. Sie
schüttelt den Kopf, und es sieht fast so aus, als würde sie lächeln. »Gut.
Dann gehe ich jetzt, Asa. Genieß dein Leben.« Sie wendet sich zur Tür.
»Keine Sorge, das tue ich. Ich genieße es sogar sehr.«
Ich erlaube ihr, durch die Tür zu gehen, bevor ich ihr hinterherhechte.
Sie ist noch nicht mal bis zur Einfahrt gekommen, da schlinge ich von
hinten einen Arm um ihre Taille, presse die andere Hand auf ihren Mund
und bringe sie in das gottverdammte Haus zurück, in dem sie seit zwei
Jahren leben darf. Ich zerre sie die Treppe ins Schlafzimmer hoch, stoße mit
dem Fuß die Tür auf und werfe sie aufs Bett. Sie versucht sich unter mir
hindurchzuducken, um vom Bett zu rutschen und abzuhauen.
Süß.
Ich packe sie an den Haaren und reiße sie zum Bett zurück. Sie schreit,
aber ich halte ihr wieder den Mund zu, drücke sie auf die Matratze und
setze mich auf sie. Ihre Handgelenke halte ich mit der anderen Hand fest,
also schlägt sie mit den Füßen aus und versucht sich freizustrampeln, aber
ich habe selbst in meinem kleinen Finger mehr Kraft als sie im ganzen
Körper. Ich weiß genau, dass sie mir wehzutun versucht, aber es ist, als
würde sie mich kitzeln.
»Hör zu, Baby«, flüstere ich und starre schwer atmend auf sie herab.
»Wenn du mir damit sagen willst, dass du mich nicht liebst, werde ich echt
sauer. So wirklich richtig sauer. Denn das würde bedeuten, dass du mir seit
dem Tag was vorgemacht hast, an dem du wieder hier vor meiner Tür
aufgetaucht bist. Das würde bedeuten, dass du jeden beschissenen
Orgasmus bloß gespielt hast, jeden Kuss, jedes Wort, das du je mit mir
gesprochen hast, nur damit ich jeden Monat brav den Scheck ans Heim
schicke. Und wenn das so wäre, wärst du eine Nutte. Weißt du, was Männer
wie ich mit Nutten machen, Sloan?«
Ihre Augen sind riesengroß vor Angst, was hoffentlich bedeutet, dass sie
kapiert, wie ernst ich es meine. Jedenfalls versucht sie jetzt nicht mehr,
mich wegzustoßen, und das werte ich als gutes Zeichen.
»Das war eine Frage, Baby. Weißt du, was Männer wie ich mit Nutten
machen?«
Eine Träne rollt über ihre Wange, als sie den Kopf schüttelt. Der Atem
aus ihren Nasenlöchern streift meine Hand. Sie ringt nach Luft.
Ich bringe meinen Mund dicht an ihr Ohr. »Bitte zwing mich nicht, es
dir zu zeigen.«
Nachdem ich ein paar Sekunden auf ihr liegen geblieben bin und
abgewartet habe, bis ich mir sicher bin, dass zu ihr durchgedrungen ist, was
ich damit sagen will, richte ich mich auf und sehe sie an. Mittlerweile weint
sie so heftig, dass ihr der Rotz aus der Nase läuft. Meine ganze Hand ist
schon voll davon. Ich ziehe sie von ihrem Mund weg und wische sie am
Bett ab. Dann reibe ich ihr mit meinem Ärmel das Gesicht trocken.
Ihre Lippen zittern. Komisch, dass mir vorher nie aufgefallen ist, wie
sehr mich das anmacht. Ich küsse sie sanft, schließe die Augen und spüre
ihre bebenden Lippen an meinen. »Liebst du mich?«, raune ich an ihrem
Mund. »Oder bist du eine Nutte?«
Sie ringt nach Luft. »Ich liebe dich«, flüstert sie mit brechender Stimme.
»Es tut mir leid. Ich war nur so wahnsinnig sauer, Asa. Ich finde es
schrecklich, wenn du mich anlügst.«
Ich drücke meine Stirn an ihre Schläfe und atme aus. Irgendwie hat sie ja
recht. Es war scheiße, dass ich ihre Schwäche ausgenutzt und mir die
Nummer mit ihrem Bruder ausgedacht habe. Aber was hätte ich denn tun
sollen? Wenn sie in meiner Situation gewesen wäre, hätte sie bestimmt was
Ähnliches gemacht.
»Sei nie wieder so sauer auf mich, Sloan.« Ich richte mich auf und
streiche ihr die verschwitzten Haare aus dem Gesicht. »Dann werde ich
nämlich auch sauer auf dich und das gefällt mir nicht«, sage ich leise. »Weil
ich dann Sachen mit dir machen will, die ich selbst nicht gut finde.«
Sloan nickt. »Ich bin auch nicht gern sauer auf dich.«
Ihrem Blick ist anzusehen, wie sehr es ihr leidtut, aber das finde ich
okay. Es ist ihre eigene Schuld, wenn sie mir so eine beschissene Szene
hinlegt und ich die Nerven verliere. Wenigstens ist das jetzt geklärt. Ich
fand es langsam auch ganz schön anstrengend, die Lüge weiter
aufrechtzuerhalten.
Nach einer Weile lasse ich ihre Handgelenke los und streiche mit den
Fingerknöcheln über ihre Wange. »Krieg ich jetzt einen Versöhnungskuss?«
Sie nickt, und als ich meine Lippen auf ihre presse, atme ich erleichtert
aus. Als sie zur Tür raus ist, habe ich einen Moment lang echt gedacht, sie
zieht es durch. Ich habe gedacht, dass ich sie vielleicht nie mehr schmecken
würde.
Jetzt bin ich froh, dass es wirklich nur eine leere Drohung war. Keine
Ahnung, was ich tun würde, falls sich jemals rausstellen sollte, dass sie
mich nicht mehr liebt. Sloan ist der einzige Mensch, der mich jemals geliebt
hat.
Sie dreht den Kopf zur Seite und offenbart mir ihren Hals. Als ich mich
an ihrem Körper entlang nach unten küsse, entspannt sie sich.
Ein paar Sekunden später liegen ihre Klamotten auf dem Boden, und sie
spreizt die Beine, damit ich mich dazwischenlegen kann. Ich presse mich
fest an sie.
»Liebst du mich, Sloan?«
Sie nickt. »Ja, Asa«, sagt sie. »Ich liebe dich.«
Meine Zunge taucht in dem Moment in ihren Mund ein, in dem ich in sie
hineingleite.
In den Teil von ihr, in den bis jetzt nur ein einziger Mann eingedrungen
ist. Ich. In den Teil von ihr, der für den Rest ihres Lebens nur einem
einzigen Mann offen stehen wird. Mir.
»Du gehörst mir, Sloan«, flüstere ich, während ich sie so ficke, wie sie
es gernhat. Sie umklammert meine Oberarme und kneift die Augen
zusammen.
Sie fühlt mich so schön tief in sich, dass ihr die Tränen übers Gesicht
laufe.
Siebenunddreißig
Sloan

Ich schließe die Augen und lasse das heiße Wasser über mein Gesicht
prasseln.
Was habe ich mir nur dabei gedacht?
Es war total idiotisch von mir, ihn damit zu konfrontieren, ohne Carter
vorher Bescheid zu geben. So irre, wie Asa sich in der letzten Zeit
benimmt, hätte er mir Gott weiß was antun können.
Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass es verdammt schwer
ist, klar zu denken, wenn man vor Wut beinahe explodiert.
Ich war gerade auf dem Weg ins College, als ein Anruf der Mitarbeiterin
aus dem Heim kam, die mir mitgeteilt hat, dass Stephens Heimkosten auch
in den letzten beiden Jahren komplett vom Staat getragen worden waren.
Einen Moment lang ist mir schlecht geworden, dann bin ich ausgeflippt.
Aber so richtig. Ich habe sofort mit quietschenden Reifen umgedreht und
bin zum Heim gefahren, um mir noch mal persönlich bestätigen zu lassen,
dass Asa keinen einzigen Cent überweist und auch noch nie überwiesen hat.
Als ich eine halbe Stunde später nach Hause gefahren bin, war ich so
wütend wie noch nie in meinem ganzen Leben.
Ich hatte nur noch einen einzigen Gedanken, der alles andere verdrängte:
Asa umzubringen. Wut macht wirklich blind. Als ich dann in der Küche
damit rausgeplatzt bin, habe ich nicht darüber nachgedacht, was das für
Konsequenzen haben könnte. Ich wollte einfach nur wissen, ob es stimmt –
ob er tatsächlich amtliche Briefe gefälscht und dieses miese Schauspiel
inszeniert hat. Gleichzeitig hat sich in mir alles dagegen gesträubt, es für
möglich zu halten, weil das bedeuten würde, dass er eindeutig geisteskrank
ist. Denn um so eine Lüge gegenüber seiner Freundin zwei Jahre lang
aufrechtzuhalten, muss man krank sein.
Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, an dem er mir meine
Post zu der Bekannten gebracht hat, bei der ich gewohnt habe, nachdem ich
bei ihm ausgezogen war. Der Brief vom Amt lag ganz oben auf dem Stapel.
Ich habe ihn als Erstes gelesen und bin heulend zusammengebrochen. Und
dieses Schwein – dieses miese Schwein – hat mich doch tatsächlich
getröstet und mir gesagt, dass er jederzeit für mich da wäre, falls ich Geld
bräuchte oder seine Unterstützung. »Wenn man jemanden wirklich liebt,
Sloan«, hat er gesagt, »dann möchte man für denjenigen da sein und helfen,
wo man kann.«
Ich war so gerührt von seiner Großherzigkeit. Dass er mir seine Hilfe
angeboten hat, obwohl ich ihn verlassen hatte. In diesem Moment dachte
ich, er würde mich wirklich lieben und die Geste käme von Herzen. Jetzt
weiß ich, dass er ein Psychopath ist, der so auf mich fixiert ist, dass er alles
tun würde, um mich an sich zu ketten.
Damals habe ich lange hin und her überlegt und bin dann tatsächlich zu
Asa gefahren, um ihn um Hilfe zu bitten. Er war mein letzter Strohhalm.
Gott, wenn ich daran denke, dass ich sogar unter der Nummer angerufen
habe, die auf dem Schreiben stand, um zu fragen, ob es nicht doch noch
eine Möglichkeit gäbe, dass der Staat die Kosten übernimmt … unfassbar!
Aber jetzt ist mir klar, dass am anderen Ende der Leitung irgendeiner seiner
Kumpels saß, der sich hinterher totgelacht hat.
Das heiße Wasser vermischt sich mit den Tränen, die mir übers Gesicht
fließen.
Wie konnte ich nur so dumm sein und darauf hereinfallen? Wie konnte
ich mich so lange täuschen lassen? All die kleinen Mosaiksteinchen ergeben
auf einmal ein komplettes Bild. Jetzt ist mir auch klar, warum er mir
vorgeschlagen hat, Stephen immer sonntags zu besuchen.
An den Sonntagen hat die Mitarbeiterin aus der Verwaltung frei, die
weiß, wer die Kosten trägt. Dadurch hat er sichergestellt, dass ich ihr nie
über den Weg laufe und die Wahrheit erfahre. Die echten Briefe vom Heim
hat er vermutlich abgefangen und verschwinden lassen, wenn es darin um
die Finanzierung ging.
Es fällt mir immer noch schwer, das alles zu glauben, obwohl es
mittlerweile Stunden her ist, seit ich es herausgefunden habe. Ich versuche
mir einzureden, dass ich so lange gebraucht habe, um dahinterzukommen,
weil ich keinen Anlass hatte, ihm etwas so Niederträchtiges zu unterstellen.
Aber da mache ich mir etwas vor. Ich hätte jeden Grund gehabt,
misstrauisch zu sein. Jeden.
Denn das ist genau das, was Asa tut.
Er lügt und betrügt. Er nutzt Menschen aus und lässt sie ins offene
Messer laufen.
Ich bin aber nicht nur auf ihn wütend, sondern auch auf mich selbst. Wie
konnte ich nur so unglaublich dumm und naiv sein? Verzweifelt schrubbe
ich mit einer Bürste meinen Körper ab, weil ich auch noch die letzten
winzigen Geruchspartikel von ihm wegwaschen will. Ich reibe wie wild an
meinem Hals herum, als unvermittelt der Duschvorhang aufgerissen wird.
Erschrocken drücke ich mich gegen die Wand, um Halt zu haben und mich
wehren zu können, falls er mir etwas antun will.
Asa steht vor mir. Er hat sich angezogen und trägt Jeans und ein enges
weißes T-Shirt, das die Tribals auf seinen übermuskulösen Armen noch
deutlicher hervortreten lässt. Er steht vor mir, sieht mich an – sieht mir ins
Gesicht, nicht auf die Brüste – und wirkt … verwirrt.
»Findest du es auch komisch, dass keiner mehr herkommt?«, fragt er.
Es fällt mir zunehmend schwerer, nachzuvollziehen, was in seinem Kopf
vorgeht. Ich atme aus, drehe ihm den Rücken zu und spüle mir mit
gespielter Seelenruhe das Shampoo aus den Haaren. »Was meinst du damit,
Asa? Wer kommt nicht mehr?«
Als er nicht antwortet, werfe ich einen Blick über die Schulter. Er starrt
auf den Abfluss, in dem strudelnd das Schaumwasser verschwindet.
»Es waren doch immer so viele Leute hier. Ständig war was los. Jetzt
sind immer nur noch vier oder fünf Leute da, wenn wir nicht gerade eine
Party schmeißen.«
Das liegt daran, dass du total unberechenbar geworden bist und dass die
Leute Angst vor dir haben, Asa.
»Vielleicht haben sie alle gerade viel zu tun?«
Seine Augen wandern zu meinen. Sein Blick ist immer noch voller
Verwirrung und auch ein bisschen Traurigkeit. Ich kenne mich mit Drogen
nicht aus und weiß nicht, wie es ist, wenn man runterkommt. Vielleicht sind
das ja die Nachwirkungen. Ich kann es nur hoffen, denn ansonsten müsste
ich anfangen, mir noch ernsthaftere Sorgen um seinen Geisteszustand zu
machen.
»Ja«, sagt er leise. »Vielleicht haben sie bloß viel um die Ohren. Oder
auch nicht. Kann auch sein, dass sie nur so tun, als hätten sie keine Zeit.
Wär ja nichts Neues, dass die Leute um mich herum mir was vorspielen.«
Seine Worte sind hart, aber seine Stimme klingt gelassen, und es liegt
immer noch ein Hauch von Verwirrtheit darin. Ich bete, dass sich das mit
dem Vorspielen nicht auf Carter bezieht. Oder auf mich. Auf jeden Fall ist
klar, dass ich Carter warnen muss. Irgendetwas stimmt nicht mit Asa. Als er
mich vorhin brutal ins Haus zurückgezerrt hat, wäre ich vor Angst fast
gestorben, weil ich gespürt habe, dass er zu allem fähig war. Wobei ich
Carter ja am liebsten verschweigen würde, was heute passiert ist. Er würde
sich wahnsinnige Sorgen machen und mich für verrückt erklären, dass ich
Asa allein zur Rede gestellt habe.
»Wir sollten heute Abend ein paar Leute zum Essen einladen«, sagt Asa.
»Kannst du uns was kochen?«
Ich nicke. »Wie viele Leute?«
Die Antwort kommt ohne Zögern. »Ich, du, Jon, Dalton, Kevin und
Carter. Ich will, dass das Essen um sieben Uhr fertig ist, okay? Dann
schicke ich ihnen gleich mal eine Nachricht.«
Er zieht den Duschvorhang wieder zu.
Verdammt, was ist los mit ihm?
Ich atme ein paarmal tief durch, um mich zu beruhigen, und greife nach
dem Waschlappen, als er den Vorhang plötzlich wieder aufzieht und mich
ansieht. Er öffnet den Mund, schließt ihn wieder und schweigt einen
Moment, bevor er fragt: »Bist du noch sauer auf mich, Sloan?«
Was bezweckt er mit der Frage?
Ich hasse dich, Asa.
Trotz meiner Angst beschließe ich, halbwegs ehrlich zu sein. »Ich bin
gerade nicht sehr glücklich mit dir, Asa.«
Er seufzt und nickt, als würde er mir das nicht übel nehmen. Okay, jetzt
weiß ich, dass wirklich irgendetwas mit ihm nicht stimmt.
»Ich hätte dich nicht belügen sollen. Manchmal denke ich, dass ich dich
nicht so gut behandle, wie du es verdient hast.«
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. »Warum tust du es dann
nicht?«
Seine Augen verengen sich und er neigt den Kopf, als würde er
tatsächlich über meine Frage nachdenken. »Ich weiß nicht, wie.«
Er zieht den Duschvorhang zu.
Ich höre, wie die Badezimmertür zugeschlagen wird.
Ich schlinge die Arme um den Bauch. Mir ist speiübel. Sein
merkwürdiges Benehmen macht mir Angst. Was sollte das alles gerade?
Ich bin froh, dass er die anderen zum Essen einladen will, weil ich heute
auf keinen Fall mit ihm allein sein möchte. Ich brauche Carter in meiner
Nähe.
Ich habe mich gerade zur Armatur gedreht und will das Wasser
abstellen, als die Badezimmertür wieder geöffnet wird. Der Vorhang wird
aufgezogen, und ich höre, dass Asa zu mir in die Wanne steigt. Wie erstarrt
stehe ich da und halte den Atem an.
Nein! Bitte zwing mich nicht noch einmal zum Sex. Ich hole tief Luft und
bemühe mich, ruhig zu bleiben. Vielleicht will er ja auch einfach nur
duschen und wartet, bis ich fertig bin.
Ein paar Sekunden vergehen, ohne dass Asa irgendetwas sagt oder tut.
Mein Herz klopft so heftig gegen meine Rippen, dass mir schwindelig wird.
Ganz langsam drehe ich mich um. Asa steht – vollständig angezogen –
am anderen Ende der Wanne und starrt auf seine Füße.
Ich warte einen Moment. Als er weiterhin nur ins Leere blickt und nichts
sagt, frage ich mit vor Nervosität brüchiger Stimme: »Was … machst du da,
Asa?«
Meine Frage reißt ihn aus seiner Trance. Er hebt den Kopf und sieht
mich mit aufgerissenen Augen an, während meine Angst wächst. Er zuckt
die Achseln, als wüsste er selbst nicht, was das alles soll, und streicht sich
verwundert über sein mittlerweile durchnässtes T-Shirt. »Keine verfickte
Ahnung«, murmelt er.
»O…kay. Also ich bin hier fertig.« Meine Knie zittern. Ohne das Wasser
abzustellen, steige ich aus der Wanne, greife nach einem Handtuch, wickle
mich darin ein und hechte zur Tür. Ich muss weg von ihm und dafür sorgen,
dass Carter so schnell wie möglich herkommt.
Als ich durch den Flur husche, sehe ich Jon, der gerade in das Zimmer
am Ende des Gangs geht. Die Hand am Türknauf, bleibt er stehen und sieht
mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ein widerwärtiges Grinsen
breitet sich auf seinem Gesicht aus.
Ich ziehe das Handtuch fester um meinen nackten Körper. »Wage es
noch nicht mal, daran zu denken, du mieser Dreckskerl«, zische ich, flüchte
mich ins Schlafzimmer und knalle die Tür hinter mir zu. Bloß weg von
diesen ganzen kranken Arschlöchern. Ich schnappe mir das Handy, das auf
dem Nachttisch liegt, und tippe mit zitternden Fingern eine Nachricht an
Carter.

Sloan: Ich glaube, er wird verrückt. Bitte komm, so früh du kannst.

Nachdem ich die Nachricht gesendet habe, lösche ich sie sofort und lausche
mit angehaltenem Atem darauf, dass das Prasseln im Bad verstummt.
Das tut es nicht.
Ich ziehe mich an, um in den Supermarkt zu fahren und die Zutaten fürs
Abendessen zu besorgen. Auf dem Weg nach unten schaue ich noch einmal
ins Bad. Asa steht nicht mehr in der Wanne. Jetzt sitzt er darin, immer noch
komplett angezogen. Er hat die Augen weit geöffnet und das Wasser rinnt
ihm übers Gesicht.
»Asa?« Ich umklammere den Türknauf. »Ich fahre jetzt einkaufen. Hast
du irgendeinen speziellen Wunsch, was es zu essen geben soll?«
Er rührt sich nicht, nur sein Blick wandert langsam in meine Richtung.
»Hackbraten.«
Ich nicke. »Okay. Willst du noch was dazu?«
Er starrt mich ein paar Sekunden lang an, dann lächelt er. »Ja, Nachtisch.
Zur Feier des Tages.«
Feier? Der Kloß, der mir in der Kehle sitzt, ist so groß, dass ich kaum
schlucken kann. »Alles klar«, sage ich mit schwacher Stimme. »Und …
was feiern wir?«
Sein Blick wandert wieder in die Ferne. »Das wirst du dann schon
sehen.«
Achtunddreißig
Carter

Keine Ahnung, warum Asa uns zum Abendessen eingeladen hat. In letzter
Zeit sind wir sowieso fast jeden Abend bei ihm, eigentlich braucht es da
keine Extraeinladung. Sloans Nachricht hat mich nervös gemacht. Ich
würde mir gern sagen, dass sie sich unnötig Sorgen macht, fürchte aber
leider, dass sie recht haben könnte.
Als ich aufs Haus zugehe, weht mir aus dem geöffneten Küchenfenster
köstlicher Bratenduft entgegen. Ich öffne die Tür und stelle fest, dass außer
Ryan alle schon da sind. Jon und Asa lümmeln im Wohnzimmer auf den
Sesseln, Kevin sitzt auf der Couch. Der Fernseher läuft.
Asa zappt durch die Nachrichtensender. Als er hört, wie ich die Tür
hinter mir schließe, dreht er sich um.
»Hey.« Ich nicke ihm zu, worauf er sich wieder dem Fernseher
zuwendet.
»Schaust du manchmal Nachrichten, Carter?«
Ich werfe einen Blick in die Küche, wo Sloan gerade mit einem Lappen
die Arbeitsfläche abwischt. Asa kann sie von seinem Platz aus nicht sehen.
»Ja, ab und zu«, sage ich.
Sloan richtet sich auf, schaut mich stumm an und dreht eine Strähne
ihrer Haare auf den Zeigefinger. Ich fahre mir mit dem Daumen über die
Unterlippe. Im nächsten Moment hebt sie auch die andere Hand, greift sich
an den Kopf und dreht Strähnen um drei Finger, dann um fünf, dann um alle
zehn. Zuletzt rauft sie sich wie wild die Haare und öffnet den Mund zu
einem unhörbaren Schrei, um mir zu demonstrieren, dass sie wahnsinnig
wird.
Ich würde ihr gern aufmunternd zulächeln, zwinge mich aber dazu, ins
Wohnzimmer zu gehen und mich neben Kevin auf die Couch fallen zu
lassen.
»Warum willst du das wissen?«, frage ich Asa.
Er schaltet auf einen anderen Sender. »Ich hab noch nichts über meinen
Vater gehört. Mich würde interessieren, ob sie irgendwo was über ihn
gebracht haben. Nicht dass ich noch wegen Mord in den Knast wandere.«
Er sagt das so lässig, als wäre es etwas ganz Normales, möglicherweise
wegen Mordes festgenommen zu werden. »Okay, kann ich verstehen«, sage
ich nur, obwohl ich weiß, dass sein Vater die Prügel überstanden hat. Er war
nicht lebensgefährlich verletzt. Die Casinobetreiber haben einen
Krankenwagen alarmiert, aber er ist mit einer gebrochenen Nase und einer
Kieferfraktur davongekommen und wollte keine Anzeige erstatten. Ryan
hat sich erkundigt und mir vorhin in der Besprechung alles erzählt.
Von ihm weiß ich auch, dass Asas Vater neben einem Haufen anderer
Probleme seit Jahren schwer drogenabhängig ist und unter einer in Schüben
auftretenden paranoiden Schizophrenie leidet. Als ich das erfahren habe, ist
fast so etwas wie Mitgefühl mit Asa in mir aufgestiegen. Ich will mir gar
nicht vorstellen, was ein Kind durchmachen muss, das mit so einem Vater
aufwächst.
Aber man kann mit jemandem Mitleid haben und sich trotzdem
wünschen, er wäre tot.
Die Informationen über den Zustand seines Vaters behalte ich für mich.
Es kann nichts schaden, wenn Asa sich mal ein paar Gedanken über die
Folgen seines Verhaltens macht. Das kommt bei ihm sicherlich nicht allzu
oft vor.
Nachdem er sich zweimal durch sämtliche Sender gezappt hat, ohne
etwas zu seinem Vater zu finden, steht er auf und wirft Jon die
Fernbedienung in den Schoß. »Denkt gefälligst dran, euch vor dem Essen
die Hände zu waschen. Meine Verlobte hat sich verdammt viel Mühe
gegeben, und ich will nicht, dass ihr Schweine mit Drecksgriffeln am Tisch
hockt.« Er wendet sich zur Treppe und geht nach oben. Als ich höre, wie
die Schlafzimmertür zufällt, sehe ich Kevin an, der ratlos zur Treppe starrt.
»Irgendwie ist er echt komisch drauf«, sagt er.
Jon schaltet durch die Kanäle. »Ist das was Neues?«
Keiner von den beiden macht sich die Mühe aufzustehen, um sich die
Hände zu waschen, also nutze ich meine Chance und gehe in die Küche.
Sloan zieht gerade einen Hackbraten aus dem Ofen, als ich an ihr vorbei
zum Spülbecken gehe.
»Hey, Sloan«, begrüße ich sie gespielt beiläufig.
Ihr Blick sagt deutlich, dass sie mit mir sprechen muss. Leider sind die
Umstände denkbar ungünstig. Als ich den Wasserhahn aufdrehe, stellt sie
sich neben mich und löst den Hackbraten mit einem Messer aus der Form.
»Ich habe heute eine Riesendummheit gemacht«, flüstert sie.
Ich beuge mich näher zu ihr.
»Er hat mich angelogen. In Wirklichkeit zahlt er meinem Bruder das
Heim gar nicht. Das war alles ein Trick, damit ich bei ihm bleibe. Ich habe
ihn zur Rede gestellt und ihm gesagt, dass ich mich von ihm trenne. Er ist
total ausgerastet. So habe ich ihn noch nie erlebt.«
»Oh Mann, Sloan.« Verdammt, warum hat sie das nur getan? »Wie
geht’s dir jetzt?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Geht schon. Aber er verhält sich total
merkwürdig. Ich habe Angst. Vorhin saß er eine halbe Stunde mit
Klamotten unter der Dusche und hat ins Leere gestarrt. Als ich dann vom
Einkaufen nach Hause kam, lag er am Pool auf einer Liege und hat sich
plötzlich mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen. Sechsunddreißig
Mal. Ich hab mitgezählt.«
Scheiße, das klingt nicht gut.
Sloans Blick ist voller Angst, das ist schwer für mich zu ertragen. Am
liebsten würde ich sie an der Hand nehmen und aus diesem Haus schaffen,
solange er oben ist.
»Er hat gesagt, dass er eine Überraschung für mich hat. Das Essen heute
soll irgendeine Art von Feier sein«, flüstert sie. »Keine Ahnung, was er
feiern will. Aber bestimmt nichts Gutes.«
Über uns höre ich Schritte im Flur. Sloan richtet sich hastig auf und
bringt den Hackbraten zum Tisch.
Die anderen haben Asa wohl auch gehört, denn jetzt schlendern sie in
die Küche, um sich wie befohlen die Hände zu waschen.
Wir helfen Sloan gerade, den Tisch zu decken, als Ryan zur Haustür
reinkommt. Es ist zwar erst fünf vor sieben, aber er entschuldigt sich
trotzdem bei Asa, der in diesem Moment die Treppe herunterkommt.
»Ach was, du bist nicht zu spät, Dalton«, sagt Asa milde. »Du kommst
genau richtig.«
Ich setze mich Asa gegenüber an die schmale Seite des Tischs. Während
wir die Schüsseln herumreichen und jeder sich nimmt, ist es merkwürdig
still in der Runde. Sobald alle vor gefüllten Tellern sitzen, greift Asa nach
seiner Gabel.
»Sollen wir vorher noch ein Dankgebet sprechen?«
Niemand sagt etwas. Ich sehe den anderen an, dass sie auch nicht
wissen, ob das ein Witz sein soll oder ob es vielleicht besser wäre, jemand
würde anfangen zu beten, bevor er ausflippt.
Im nächsten Moment lacht Asa laut auf. »Gott, was seid ihr für
Schwachköpfe.« Er sticht die Gabel in den Kartoffelbrei und schiebt sie
sich in den Mund.
»Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass wir von euch zum Abendessen
eingeladen werden«, bemerkt Jon. »Hat Sloan dich gezähmt, oder was?«
Asa sieht ihn mit verengten Augen an und spült den Kartoffelbrei mit
einem Schluck Bier herunter. »Wo ist Jess eigentlich?«
Jon zuckt mit den Schultern. »Hab sie schon seit ein paar Tagen nicht
mehr gesehen. Könnte sein, dass wir nicht mehr zusammen sind.«
Asa grinst, dann sieht er mich an. »Und Tillie? Wo steckt die?«
Ich streiche mir mit dem Daumen über die Unterlippe. »Sie arbeitet.
Vielleicht bringe ich sie morgen mal wieder her.«
Asa trinkt noch einen Schluck von seinem Bier. »Das wäre doch nett«,
sagt er. »Weiber bringen immer Stimmung in die Bude.« Er wendet sich an
Ryan. »Hey, Dalton. Wie kommt es eigentlich, dass du dein Mädchen noch
nie mitgebracht hast?«
»Sie wohnt in Nashville«, antwortet Ryan mit vollem Mund.
Asa nickt. »Und wie heißt sie?«
»Steph. Sie ist Sängerin. Ihretwegen wäre ich auch fast zu spät
gekommen. Als ich gerade loswollte, hat sie angerufen, um mir zu erzählen,
dass sie heute einen Plattenvertrag unterschrieben hat.« Er blickt stolz in die
Runde.
Ich muss aufpassen, dass ich nicht laut lospruste. Es gibt keine Steph. Er
hat sie sich eben ausgedacht.
»Hey, cool«, sagt Asa beeindruckt.
Asa mag Ryan. Das erkenne ich an dem Blick, mit dem er ihn ansieht.
Es liegt nicht der kleinste Funke Misstrauen darin. Mich sieht er ganz
anders an.
»Hast du irgendein Problem mit deinen Lippen, Carter?«
»Hm?« Ich sehe ihn an und ziehe fragend eine Augenbraue hoch.
»Na, weil du dir die ganze Zeit über deine verdammte Unterlippe
reibst.«
»Echt? Nein, alles gut.« Ich lasse die Hand sinken und probiere von dem
Hackbraten. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich mir die Unterlippe reibe,
und das Letzte, was ich heute will, ist Asa provozieren.
Asa schiebt sich eine Gabel voll Hackbraten in den Mund. »Ich habe ja
noch eine kleine Überraschung vorbereitet.« Er lächelt Sloan an, und ich
sehe, wie sie trocken schluckt.
»Was denn?«, fragt sie vorsichtig.
In dem Moment, in dem Asa den Mund öffnet, ertönt ein lautes Klopfen.
Er dreht sich erstaunt um und schaut zur Haustür. Es klopft ein zweites Mal.
»Was soll die Scheiße?« Er lässt das Besteck klirrend auf den Teller
fallen. »Kann man jetzt noch nicht mal in Ruhe essen, oder was? Hat einer
von euch etwa noch jemanden eingeladen?«
Alle sehen sich ratlos an.
Im nächsten Moment rutscht Asa mit seinem Stuhl zurück, klatscht seine
Serviette neben den Teller, steht auf und geht zur Tür. Sloan wirft mir einen
Blick zu, in dem Angst liegt, aber auch Erleichterung darüber, dass die
»Überraschung« wohl noch warten muss. Als ich Ryan ansehe, zuckt er
kaum merklich mit den Schultern.
Asa steht mittlerweile an der Tür und beugt sich vor, um durch den
Spion zu spähen. Mehrere Sekunden vergehen, dann presst er die Stirn kurz
gegen die Tür. »Fuck!« Er kommt zum Tisch zurück, packt Sloan am Arm,
zieht sie hoch und fasst sie an den Schultern. »Geh nach oben und schließ
ab«, zischt er. »Mach auf keinen Fall auf, egal, was passiert.« Sloan steht
wie gelähmt da und sieht ihn mit aufgerissenen Augen an.
Ich und Ryan springen im selben Moment auf.
»Wer ist da an der Tür?«, fragt Jon und schiebt seinen Stuhl zurück.
Asa lässt Sloan los, wirft einen Blick zur Treppe und sieht sich dann
hektisch um, als würde er einen Fluchtweg suchen. »Bullen, Jon. Das
verdammte FBI steht vor der Tür.«
Was?
Ich sehe Ryan an, der leicht den Kopf schüttelt, um mir zu signalisieren,
dass er genauso wenig weiß, was los ist, wie ich.
»Scheiße!«, knurrt er und ballt die Fäuste. Asa wundert sich bestimmt
nicht über diese Reaktion, aber ich weiß, dass Ryan aus einem ganz anderen
Grund sauer ist. Es kotzt ihn an, dass das FBI kurz davor ist, das Haus zu
stürmen und unsere Ermittlungen zunichtezumachen.
Wieder klopft es laut an der Tür.
Asa fährt sich mit beiden Händen durch die Haare. »Fuck! Fuck! Fuck!«
Er schaut zur Terrasse. Offensichtlich überlegt er, durch den Garten zu
flüchten.
»Vergiss es«, sage ich ruhig. »Wenn sie hier sind, um jemanden zu
verhaften, haben sie das Haus umstellt, Asa. Vielleicht wollen sie dir ja nur
ein paar Fragen wegen deinem Vater stellen. An deiner Stelle würde ich
aufmachen und dich ganz normal verhalten. Wir bleiben am Tisch sitzen,
als wäre alles in bester Ordnung.«
»Er hat recht, Asa«, stimmt Ryan mir zu. »Wenn wir jetzt in Panik
geraten, denken sie, wir hätten was zu verbergen.«
Asa nickt nachdenklich, aber Jon tippt sich an die Stirn. »Seid ihr
wahnsinnig? Das ganze Haus ist voller Stoff. Wenn wir denen die Tür
aufmachen, ist es vorbei. Und zwar für uns alle.«
Asa denkt fieberhaft nach, während es wieder an die Tür klopft.
Die Venen in Ryans Hals pulsieren. Ich weiß, dass er fürchtet, unsere
ganze Arbeit könnte umsonst gewesen sein, wenn das FBI den Fall an sich
reißt. Wir haben schon ein paarmal erleben müssen, dass unsere
Ermittlungen von einer höher gestellten Bundesbehörde übernommen
wurden. Aber diesmal wäre das für Ryan besonders bitter, weil er schon ein
paar Monate investiert hat und sich kurz vor dem Ziel wähnte.
»Geh hoch ins Schlafzimmer«, befiehlt Asa Sloan noch mal. »Du solltest
nicht hier sein, wenn ich die Tür aufmache.«
Angst flackert in ihren Augen auf, und sie sieht mich unsicher an, als
wüsste sie nicht, was sie tun soll.
Das Klopfen wird immer ungeduldiger.
Ich nicke unmerklich, um Sloan wissen zu lassen, dass sie tun soll, was
Asa gesagt hat. Wenigstens ist sie dann aus der Schusslinie. Keiner weiß,
was hier gleich passiert.
»Was soll das?« Asa reißt sie am Arm zu sich. »Was zum Teufel siehst
du ihn so an?«, fragt er und zeigt auf mich. »Was siehst du den Typen so
an?«
Ich will um den Tisch herum zu den beiden, aber Ryan hält mich zurück.
Asa greift Sloan im Nacken und schiebt sie zur Treppe. »Geh, verdammt
noch mal. Verschwinde endlich!«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, stürzt sie nach oben.
Asa mustert mich mit zusammengekniffenen Augen. Obwohl ich Ryans
Ärger verstehen kann, bin ich ziemlich erleichtert, dass das FBI da ist.
Wenn Asa heute verhaftet wird, habe ich eine Chance, diesen Abend lebend
zu überstehen – der Blick, den er mir zuwirft, sagt nämlich deutlich, dass er
mich tot sehen will.
Er weiß es. Daran, wie Sloan mich eben angeschaut hat, hat er erkannt,
dass irgendwas zwischen uns läuft. Aber zu meinem Glück scheint das
Klopfen an der Tür für ihn erst mal Priorität zu haben.
Er zeigt mit dem Finger auf uns. »Hinsetzen. Ihr esst weiter. Ich mache
die verdammte Tür auf.«
Wir setzen uns. Bevor Asa zur Tür geht, öffnet er einen Küchenschrank
und nimmt eine Waffe heraus, die er sich hinten in den Bund seiner Jeans
schiebt. Als er wieder am Tisch vorbeikommt, knurrt er: »Falls ich
rausfinde, dass einer von euch Wichsern dafür verantwortlich ist, seid ihr
alle tot.« An der Tür bleibt er einen kurzen Moment lang stehen und drückt
die Stirn ans Holz, als würde er beten. Dann öffnet er sie mit breitem
Lächeln. »Wie kann ich den Herren behilflich sein?«
»Asa Jackson?«, höre ich eine Männerstimme.
Sobald Asa nickt, wird die Tür aufgestoßen. Zwei Agenten stürzen sich
auf ihn und drücken ihn zu Boden.
Jon springt auf und rennt zur Hintertür, durch die im selben Moment drei
weitere Männer kommen, die ihn sofort packen und festhalten.
Scheiße. Mir wird plötzlich klar, dass die FBI-Agenten natürlich keine
Ahnung haben, dass Ryan und ich undercover hier sind. Sie müssen davon
ausgehen, dass wir zu Asa gehören.
Bevor ich überlegen kann, wie ich mich verhalten soll, stürmen weitere
Männer das Haus, wir werden zu Boden geworfen und unsere Hände im
Rücken gefesselt. Die Kollegen richten ihre Waffen auf uns.
»Ganz ruhig«, flüstert Ryan, der neben mir liegt. »Sag erst was, wenn du
mit ihnen allein bist.«
Ich nicke, aber der Agent, der mich festhält, hat mitbekommen, dass wir
uns unterhalten. »Keine Gespräche!« Ryan wird an den Armen nach oben
gerissen.
Während Asa seine Rechte vorgelesen werden, ziehen mich zwei der
FBI-Typen auf die Füße. Befehle werden gebellt, Männer rennen hin und
her, es herrscht Chaos. Irgendwann werde ich in das Gästezimmer neben
der Küche geschoben. Vermutlich verteilen sie uns auf unterschiedliche
Zimmer, um uns einzeln zu verhören.
Ich denke an Sloan, die jetzt vor Angst gerade bestimmt fast durchdreht.
Die Tür wird hinter mir zugeschmettert und ich werde grob auf den
Schreibtischstuhl gedrückt. Mit mir sind zwei FBI-Männer im Raum. Ein
dunkelblonder mit Vollbart und ein kleinerer, der kräftiger gebaut ist, mit
roten Haaren und einem noch röterem Schnauzbart. Beide ziehen ihre
Erkennungsmarken aus der Tasche und halten sie mir vors Gesicht.
»Ich bin Agent Bowers«, stellt sich der Rothaarige vor. »Das ist Agent
Thompson. Wir werden Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen und wären für
Ihre Mitarbeit dankbar.«
Ich nicke.
»Wohnen Sie hier im Haus?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, ich …« Ich würde den beiden gern sagen,
weshalb ich wirklich hier bin und dass sie einen großen Fehler machen,
aber der Blonde unterbricht mich.
»Wie heißen Sie?«
»Carter.« Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich mich noch nicht gleich
mit meinem richtigen Namen zu erkennen gebe, solange ich nicht weiß,
warum sie hier sind und ob sie wirklich vorhaben, Asa zu verhaften.
»Carter? Aha«, sagt Agent Bowers höhnisch. »Bist du so berühmt wie
Madonna oder Cher, dass du keinen Nachnamen brauchst?« Er beugt sich
dicht zu mir herunter und beäugt mich. »Also sag schon, wie heißt du,
Wichtigtuer?«
Die engen Handschellen schnüren mir das Blut ab, und in meinen
Schläfen hämmert mein Puls, weil mein ganzer Körper mit Adrenalin
geflutet ist. Einerseits bin ich erleichtert, dass jetzt alles bald vorbei ist, Asa
hinter Gittern landet und Sloan nichts mehr passieren kann, andererseits
kotzt es mich an, dass das FBI die Lorbeeren kassiert, während meine
eigene Arbeit nichts weiter bewirkt hat, als Sloan erst recht in Gefahr zu
bringen.
Ich höre, wie Asa in einem anderen Raum des Hauses laut »Fuck!«
brüllt.
»Was ist jetzt, Carter?« Thompson kickt mit dem Fuß gegen meinen
Stuhl, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. »Kriegen wir
Ihren Nachnamen heute noch zu hören?«
Ich weiß natürlich genau, wie solche Verhöre abzulaufen haben, und
könnte den beiden schon jetzt mindestens drei grobe Verstöße nachweisen,
andererseits halten wir uns bei der Polizei auch nicht immer ans Protokoll.
Das weiß ich zufälligerweise aus erster Hand.
In dem Moment, in dem ich den Mund öffne, um zu antworten, gellen
Schreie durchs Haus. Sloan! Ich springe auf, werde aber sofort wieder in
den Stuhl zurückgedrückt. »Entweder Sie verhaften mich endlich oder Sie
lassen mich gehen!«, brülle ich.
Verdammt, ich muss dafür sorgen, dass Sloan so schnell wie möglich aus
diesem Haus kommt. Aber die FBIler werden mich definitiv nicht zu ihr
lassen. Es hat keinen Zweck – ich werde meine Deckung aufgeben. »Okay,
jetzt mal Klartext. Ich bin einer von euch, Jungs«, sage ich so ruhig wie
möglich. »Wenn ihr mir die Handschellen abnehmt, werde ich es euch
beweisen, und dann lasst ihr mich vielleicht auch wieder meinen
verfluchten Job machen.«
Agent Thompson sieht mich einen Moment ungläubig an, dann stößt er
Bowers lachend in die Seite. »Hast du gehört?«, er zeigt auf mich. »Er ist
ein Cop.«
Bowers grinst. »Huch, da haben wir wohl einen Fehler gemacht«, sagt er
sarkastisch. »Wenn das so ist, können Sie natürlich gehen.« Er zeigt zur
Tür.
Auf seinen Sarkasmus kann ich verzichten. Ich weiß auch so, dass es
ziemlich unprofessionell ist, meine Tarnung so schnell aufzugeben, aber ich
halte es keine weitere Sekunde hier mit den beiden aus, solange ich nicht
weiß, was mit Sloan ist. Ryan kann ich das alles später noch erklären.
»Meine Marke klebt in einem Umschlag unter dem Beifahrersitz meines
Wagens, der vor dem Haus steht. Es ist der schwarze Dodge Charger.«
Thompson verengt zweifelnd die Augen und sieht aus, als würde er
überlegen, ob er mir glauben soll. Dann wirft er seinem Kollegen einen
Blick zu und nickt Richtung Tür.
Ich höre Asa in dem anderen Raum wüten und lautstark nach einem
Anwalt verlangen. Allerdings glaube ich kaum, dass der ihm groß helfen
könnte.
Agent Thompson sitzt mir stumm gegenüber, während wir auf Bowers
warten.
»In einem der Schlafzimmer oben ist ein Mädchen«, sage ich. »Sie hat
nichts mit der ganzen Sache zu tun. Können Sie bitte nachsehen, ob bei ihr
alles in Ordnung ist, sobald Ihr Partner wiederkommt?«
Agent Thompson nickt. »Können wir. Sonst noch jemand im Haus, von
dem wir wissen sollten?«
Ich schüttle den Kopf. Es war definitiv voreilig, dass ich mich als Cop
geoutet habe. Ich werde Ryan jetzt auf keinen Fall auffliegen lassen. Er soll
selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Wahrscheinlich will er warten, bis Asa festgenommen ist.
Als sich die Tür öffnet, blicke ich auf. Das Erste, was ich sehe, ist der
Umschlag mit meiner Marke, aber als ich erkenne, wer ihn in den Fingern
hält, verstehe ich plötzlich gar nichts mehr. Und dann gefriert mir das Blut
in den Adern.
Was zum Teufel ist hier los?
Asas Blick trifft meinen.
Scheiße, was …?
Er schlägt mit dem Umschlag zweimal gegen die Innenfläche seiner
Hand. »Ich würde mich gern unter vier Augen mit meinem Freund hier
unterhalten«, sagt er zu Thompson.
Der Agent nickt und steht auf. Als er rausgeht, deutet Asa auf die blaue
Jacke mit den gelben Buchstaben auf dem Rücken. »Sieht verdammt echt
aus, oder?« Er sieht mich an. »Die habe ich im Kostümverleih besorgt.« Er
lacht laut und zieht die Tür zu. »Die miesen Schauspieler haben ein
bisschen mehr gekostet als die Jacken.«
Nein.
Fuck.
Fuck.
Nein.
Ich bin mitten in die Falle getappt.
Galle schießt mir in die Kehle, und warmes Blut läuft mir an den
Gelenken hinab, als ich versuche, mich irgendwie aus den Handschellen zu
winden.
Asa wirft den Umschlag mit meiner Erkennungsmarke aufs Bett, greift
hinter sich und zieht die Waffe aus der Hose. Dann setzt er sich auf die
Bettkante und mustert mich einen Moment lang mit zusammengepressten
Lippen.
»Wie gefällt dir meine Überraschung, Luke?«
Ich sehe ihm ins Gesicht, und mir wird klar, dass ich gerade den größten
Fehler meiner Karriere gemacht habe. Den größten Fehler meines Lebens.
Und das Einzige, woran ich denken kann, ist Sloan.
Ich schließe die Augen, und das Einzige, was ich sehe, ist Sloan.
Neununddreißig
Asa

»Hast du mal Point Break gesehen?«, frage ich.


Luke sieht mir direkt in die Augen – seine Brust hebt und senkt sich,
seine Nasenflügel sind geweitet. Er ist mir total ausgeliefert. Scheiße, ist
das geil.
Aber er antwortet mir nicht. Lustig. Eben noch hatte er es total eilig, das
Maul aufzureißen und sich damit wichtigzumachen, dass er ein verfickter
Cop ist, und jetzt hat es ihm anscheinend die Sprache verschlagen.
»Ich rede nicht von dem beschissenen Remake, Luke. Ich meine das
Original mit Keanu Reeves und Patrick Swayze und … wie heißt der Typ
von den Red Hot Chili Peppers noch mal? Der Sänger?«
Der Affe starrt mich nur weiter stumm an. Ist mir egal. Ich rutsche auf
dem Bett ein Stück nach hinten und lehne den Kopf an die Wand. »Es gibt
da diese eine Szene, in der Keanu Reeves mit seinem Team ein paar Dealer
hochnehmen will, die in einer Bruchbude hausen. Allerdings wissen sie
nicht, dass einer der Typen, die dort wohnen, Undercover-Cop ist. Wegen
ihrer Ungeduld und Planlosigkeit ruinieren sie dem armen Kerl die ganzen
Ermittlungen. Monatelange harte Arbeit … alles für den Arsch. Erinnerst
du dich an den Teil?«
Natürlich antwortet er nicht. Er macht nur weiter hinter seinem Rücken
mit den Handschellen rum und versucht sich zu befreien.
»Ich schätze, ich war zehn, als ich den Film zum ersten Mal gesehen
hab. Die Szene ging mir wochenlang nicht mehr aus dem Kopf. Ich war
richtig besessen davon. Ich hab mich die ganze Zeit gefragt, was gewesen
wäre, wenn Keanu und seine Leute nur so getan hätten, als wären sie vom
FBI, um den Typen dazu zu bringen, sich selbst zu entlarven. So eine Art
doppelter Plot-Twist, verstehst du?«
Carter sieht verstohlen zur Tür, als würde er hoffen, dass jemand
reinkommt und ihn rettet. Es tut mir im Herzen weh, ihn enttäuschen zu
müssen, denn das wird ganz sicher nicht passieren.
»Jedenfalls dachte ich, es wäre einen Versuch wert, so was selbst mal
auszuprobieren.« Ich stehe vom Bett auf. »Einfach um mal zu sehen, ob
einer von euch Wichsern so bescheuert ist, mich verarschen zu wollen. Ich
dachte mir, falls sich bei mir eine Ratte eingeschlichen hat, ist sie vielleicht
auch dumm genug, mir in die Falle zu gehen.« Ich sehe ihn mit schräg
gelegtem Kopf an und lächle. »Du kommst dir jetzt gerade wahrscheinlich
ziemlich dumm vor, was?«
Er presst die Lippen aufeinander und mahlt mit den Kiefern. Ich spüre,
wie leichter Ärger in mir aufsteigt, weil ich nicht weiß, wie ich ihn nennen
soll. Carter? Luke? Todgeweihter?
Haha. Todgeweihter. Gute Idee.
»Du bist aber auch wirklich zu bescheuert«, sage ich lachend. »Warum
hast du dich so schnell geoutet? Ich meine, ich bin kein Cop, aber ich kann
mir nicht vorstellen, dass es bei deinen Kollegen so gut ankommt, dass du
deine Tarnung hast auffliegen lassen. Ohne jeden Grund.«
Während ich im Zimmer auf und ab gehe, denke ich über das nach, was
ich gerade gesagt habe. Es ist wirklich oberdämlich von ihm gewesen, so
schnell die Maske fallen zu lassen. Er konnte es ja gar nicht erwarten,
meinen Jungs zu sagen, wer er wirklich ist. Aber warum, frage ich mich?
Die Situation war für ihn doch halbwegs entspannt. Ist nicht so, als wäre es
um Leben und Tod gegangen.
»Es sei denn …« Ich setze mich wieder aufs Bett und sehe ihn an.
»Kann es sein, dass du auch einer dieser Typen bist, die sich mehr von ihren
Gefühlen leiten lassen als von ihrem Verstand? Wie nennt man solche noch
mal? Hatten wir das Thema nicht vor Kurzem noch, als wir zusammen
essen waren?« Ich richte den Blick an die Zimmerdecke und tue so, als
würde ich angestrengt nachdenken. »Ach ja«, sage ich. »Weicheier.«
Er lacht nicht über meinen Witz.
Was wahrscheinlich ganz gut ist, weil ich sonst vielleicht sauer werden
würde.
Habe ich eigentlich die Tür abgeschlossen? Ich stehe auf und rüttle am
Knauf. Alles okay. Sie ist zu. »Das ist doch wirklich merkwürdig, oder? Du
warst ja richtig hysterisch. Dabei bist du doch eigentlich ein abgebrühter
Profi und euer kleines Undercoverspiel lief bestens. Was hat da wohl für ein
Gedanke dazwischengefunkt und dich alles vergessen lassen, was du auf
der Polizeischule gelernt hast?«
Ich stehe wieder auf und gehe auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stehe. Er
hält die ganze Zeit Augenkontakt. »Ach, jetzt weiß ich. Wahrscheinlich hast
du dir Sorgen um meine verdammte Verlobte gemacht und konntest dich
deswegen nicht auf deinen Job konzentrieren. Stimmt’s?« Ohne
Vorwarnung schlage ich ihm mit dem Griff der Pistole mit solcher Wucht
gegen den Kiefer, dass es seinen Kopf zur Seite schleudert. Eigentlich hatte
ich damit gerechnet, dass ich ihm ein, zwei Zähne ausgeschlagen habe, aber
er tut, als wäre nichts, richtet seinen Blick wieder auf mich und sieht noch
ungerührter aus als vorher.
Scheißkerl.
Falls er Angst hat, lässt er sie sich jedenfalls nicht anmerken. Ziemlich
beeindruckend. Es passt mir gar nicht, dass mir seine Gelassenheit Respekt
abnötigt.
Fast schade, dass das Einzige, das ihm so wichtig ist, dass er bereit ist,
alles dafür zu geben, ausgerechnet Sloan ist.
Es ist ganz eindeutig, dass er ein Gehirnwäscheprogramm mit ihr
durchgezogen hat, um Informationen für seine Ermittlungen aus ihr
rauszuholen. Wahrscheinlich hat er schon am ersten Tag damit angefangen,
an dem er hier ins Haus kam. Ich habe schon seit einiger Zeit gemerkt, dass
sie sich von mir zurückzieht.
Ich dachte, das Zusammentreffen mit meinem beschissenen Vater im
Kasino hätte mir zugesetzt. Als ich wie ein Irrer auf ihn eingeprügelt habe,
dachte ich, mehr Hass kann ein Mensch gar nicht empfinden. Aber da habe
ich mich geirrt. Oh Mann, und wie ich mich da geirrt habe.
Als ich vorhin mitbekommen habe, wie Sloan diesen Wurm fragend
angeschaut hat, ist ein Hass in mir hochgekocht, wie ich ihn vorher noch nie
erlebt habe. Nie. Ich habe mir noch nie so sehr gewünscht, jemanden
umzubringen, wie diesen Carter, aber das hätte mir meine Überraschung
ruiniert. Deswegen habe ich mich zusammengerissen.
Langsam hebe ich die Waffe, richte den Lauf auf seine Schläfe und stelle
mir vor, wie es sein wird, wenn ich endlich abdrücke und sein beschissenes
Hirn über die Wände spritzt. Keine Ahnung, wie viel von seinem Schädel
danach noch übrig ist. Ob Sloan ihn überhaupt erkennt, wenn ich sie hier
reinzerre, damit sie ihn ein letztes Mal sehen kann? Vielleicht explodiert
sein Kopf auch wie eine Wassermelone.
Ich zwinge mich, die Hand wieder zu senken. Obwohl ich es kaum
erwarten kann, den Scheißkerl zu eliminieren, gibt es vorher noch ein paar
Fragen, die er mir beantworten muss.
Ich hocke mich vor ihn hin, stütze die Ellbogen auf seine Knie und sehe
ihm ins Gesicht. »Hast du sie gefickt?«
Das ist natürlich eine rhetorische Frage. Er wäre noch bescheuerter, als
ich gedacht hätte, wenn er sie beantworten würde – andererseits hat er ja
schon bewiesen, dass er nicht gerade das hellste Licht am Himmel ist. »Wo
habt ihr es zum ersten Mal miteinander getrieben, hm? In meinem Haus, ja?
In meinem Bett? Ist sie gekommen?«
Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen, gibt aber keinen Ton von
sich. Langsam geht mir dieser Wichser mit seiner Tour echt auf den Sack.
Ich stehe auf, schlendere zur Tür und prüfe noch mal, ob sie auch wirklich
abgeschlossen ist. Keine Ahnung, warum mir das so wichtig ist. Ist ja nicht
so, als könnte was passieren. Meine Jungs haben alles unter Kontrolle.
Einen hab ich gleich nach oben zu Sloan abkommandiert, vier andere halten
Jon und Kevin in Schach, wobei ich mir wegen denen keine Sorgen mache.
Von den zweien hat keiner genug Grips, um für die Bullen zu arbeiten, aber
mir gefällt der Gedanke, dass sie sich vor Angst noch ein bisschen
einscheißen, bevor ich die Sache aufkläre.
Bei Dalton bin ich mir nicht ganz so sicher, ob er nicht auch ein
Maulwurf ist. Aber der sitzt gefesselt im Wohnzimmer und schaut in zwei
Pistolenläufe. Um ihn kümmere ich mich, sobald ich mit Carter fertig bin.
»Interessiert’s dich, wie es war, als ich sie zum ersten Mal gefickt
habe?«, frage ich.
Ha! Endlich zeigt er mal eine Reaktion. Er schüttelt ganz leicht den
Kopf. Zweimal. Ich weiß nicht mal, ob er es bewusst macht oder ob das nur
so eine Art Reflex ist. Er will jedenfalls auf gar keinen Fall hören, wie es
war, als ich Sloan zum ersten Mal gefickt habe.
Tja, Pech, Carter. Ich werde es dir nämlich trotzdem erzählen.
Ich setze mich wieder aufs Bett, stopfe mir ein Kissen in den Rücken,
kreuze die Füße und lege mir die Knarre in den Schoß. »Sie war achtzehn«,
sage ich. »Komplett unschuldig. Unberührt. Das arme Ding musste sich ja
immer um ihren schwachsinnigen Bruder kümmern und hat nie eine Chance
gehabt, rauszugehen und sich richtig auszutoben, Spaß zu haben, mit Jungs
rumzumachen. Du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber ich war
der erste Typ, den sie geküsst hat.«
Jetzt starrt er ins Leere und weigert sich, mich anzuschauen. Ich sehe,
wie die Adern in seinem Hals anschwellen, und beschließe, ihm noch mehr
Einzelheiten zu erzählen, weil ich es genieße, ihn leiden zu sehen.
»Dass sie so unerfahren war, hatte nichts mit Schüchternheit zu tun,
nicht dass du dir falsche Vorstellungen machst. Es lag daran, dass sie
niemandem über den Weg getraut hat. Sie ist mit einer erbärmlichen
Schlampe von Mutter aufgewachsen, die sich mit einem Dreckskerl nach
dem anderen eingelassen hat. Wer ihr Vater ist, weiß sie nicht. Als sie mir
über den Weg gelaufen ist, hatte sie niemanden, mit dem sie mich
vergleichen konnte. Da gab es für mich keine Konkurrenten, die sie hätten
prägen können. Eins war klar: Wenn es ihr bei mir besser ginge als bei ihrer
Scheißmutter, würde sie mich für ein Geschenk des Himmels halten. Und
ich habe dafür gesorgt, dass es ihr gut ging, Carter. Ich habe sie auf Händen
getragen.«
Ich sehe ihn an, aber der Wichser schaut an mir vorbei.
»Zum Glück war sie keine von diesen verklemmten Tussen, die immer
gleich auf die Bremse treten«, mache ich weiter. »Sloan ist ein Vulkan. Als
ich mich das erste Mal mit ihr getroffen habe, haben wir uns geküsst, bevor
wir überhaupt im Restaurant angekommen sind. Ich hab sie in einer
dunklen Gasse gegen eine Hausmauer gedrückt und sie hat die Beine um
mich geschlungen und konnte gar nicht genug von mir und meiner Zunge
bekommen. Es war, als würde die Kleine in meiner Spucke ertrinken
wollen, Mann.«
Scheiße. Mein Schwanz wird hart, wenn ich daran zurückdenke.
»Ich habe das Restaurant extra ausgesucht, weil ich wusste, dass es dort
nicht voll ist und wir unsere Ruhe haben. Außerdem wusste ich, welcher
Platz der beste ist, wenn man etwas Intimsphäre braucht. Als wir am Tisch
saßen, war sie von unserem kleinen Vorspiel schon so heiß, dass sie die
Finger nicht von mir lassen konnte. Es kam mir vor, als hätte ich einen
Schalter bei ihr umgelegt, von dem ich gar nicht wusste, dass Mädchen ihn
haben. Am liebsten hätte ich sie über den Tisch gelegt, ihr das Kleid
hochgeschoben und sie gleich auf der Vorspeisenplatte genommen.«
Ach ja, das Kleid. Das werde ich nie vergessen. »Es war so ein süßes
weißes Kleid mit dünnen Trägern und mit gelben Blümchen bedruckt. Der
Stoff war unheimlich zart, wie Seide. Dazu hatte sie weiße Sandalen an, aus
denen ihre kleinen rosa Zehen rausschauten. Irgendwann beim Essen hat sie
die Schuhe ausgezogen. Mann, ich bin fast geschmolzen. Stehst du auch so
auf Füße, Luke?«
Jetzt sieht er mich zum ersten Mal wieder an. Keine Ahnung, was für
einen Knopf ich bei ihm gedrückt habe, aber auf einmal ist er gar nicht
mehr so gelassen wie vorhin, als ich ihm eine reingeschlagen habe.
Also hatte ich recht. Sloan ist sein wunder Punkt.
»Die ganze Zeit, während wir gegessen haben, hab ich ihr Honig ums
Maul geschmiert. Ich habe ihr gesagt, wie wunderschön sie ist und wie
besonders. Dass es Wahnsinn ist, wie sie sich um ihren kranken Bruder
kümmert und dass ich noch nie einen so selbstlosen, tollen Menschen wie
sie kennengelernt habe. Ich wusste genau, was ich sagen muss, um sie
weichzukochen, und währenddessen habe ich meine Hand langsam ihren
Schenkel hochwandern lassen. Als der Kellner gekommen ist, um zu
fragen, was wir zum Nachtisch wollen, hatte ich die Hand schon in ihrem
Slip, und sobald er weg war, steckten meine Finger in ihr.«
Ich atme langsam ein und aus, um mich wieder ein bisschen zu
beruhigen. Allein die Erinnerung daran macht mich wieder total scharf.
»Tja, keine Ahnung, ob ich es schaffe, dir zu beschreiben, wie sich das
angefühlt hat. Das muss man schon selbst erlebt haben, aber ich werde es
mal versuchen.«
Ich setze mich im Bett auf und streiche mir mit dem Lauf der Waffe über
die Wange. »Heilige Scheiße … das war das nasseste, heißeste, engste
Ding, in dem ich je meine Finger hatte. Ich war kurz davor, unter den Tisch
zu kriechen und meinen Mund darin zu begraben. Und Sloan war so
verflucht dankbar und hat auf jede kleine Berührung von mir reagiert. Sie
ist dahingeschmolzen, verstehst du? Okay, das ist vielleicht normal, wenn
man da unten noch nie von jemandem angefasst worden ist, aber für mich
war das ein magischer Moment … das war was Spirituelles, Mann. Ich
kann dir nicht beschreiben, wie es war, als ich ihr Jungfernhäutchen gespürt
habe. Alles intakt, komplett unberührtes Terrain.« Ich schüttle den Kopf
und seufze, als mich daran erinnere. Fast hätte ich vergessen, dass Carter
mir gegenübersitzt.
»Im Hinterzimmer von dieser indischen Klitsche hab ich ihr ihren ersten
Orgasmus verschafft. Sie hatte den Geschmack von Curry auf der Zunge,
meine Hand unter ihrem Kleid, meine Finger tief in ihrer jungfräulichen
Muschi. Es war wunderschön. So verfickt wunderschön.«
Ich seufze wieder, und dann muss ich lachen, als mir klar wird, dass das
Beste ja noch kommt.
»In dem Moment hatte ich nur noch einen Gedanken. Ich muss dieses
Mädchen ganz besitzen, ich muss dieses Jungfernhäutchen durchstoßen und
mich in ihrem Blut baden. Also habe ich sie direkt mit zu mir nach Hause
genommen. Wir haben eine halbe Stunde lang rumgemacht, und natürlich
hat sie mich dann doch gebeten zu warten und behauptet, dass ihr das alles
zu schnell geht. Aber ich musste sie haben, Luke. Ich war so geil auf sie,
dass ich keine Luft mehr bekommen habe. Also habe ich zwei
gottverdammte Stunden mit ihr gekuschelt und gewartet, bis sie
eingeschlafen ist, bevor ich sie ganz vorsichtig geküsst habe. Ich habe
meine Zunge um ihre Klit kreisen lassen und sie im Schlaf so heißgemacht,
dass ich wusste, sie würde mich anflehen, sie endlich zu vögeln, wenn sie
wach werden würde. Und genau so war es dann auch. Ich hatte den Kopf
zwischen ihren Schenkeln, als sie aufgewacht ist, und es hat keine zehn
Sekunden gedauert, da hat sie mich angebettelt, es ihr endlich zu besorgen.
Am allerersten Abend, Luke. An dem sie das allererste Date ihres Lebens
hatte. Ein paar Stunden vorher zum ersten Mal geküsst worden war. Ihren
ersten Orgasmus erlebt hat. Und dann … es war wie ein Wunder, Mann. Ich
bin in sie rein, und sie ist zusammengezuckt, weil sie so verdammt eng war.
Ich habe ihr eine Hand auf den Bauch gelegt, weil ich es spüren wollte, wie
ich sie entjungfere. Sie hat geschrien, als es passiert ist. Kann sein, dass sie
erst in dem Augenblick so richtig aufgewacht ist. Und dann habe ich
angefangen, sie zu ficken. Ich hab sie so hart gefickt, wie ich konnte, Luke.
So was habe ich noch nie gespürt, dass ich mit jemandem verschmelzen
wollte, dass ich nicht nur mit meinem Schwanz, sondern mit meinem
ganzen Körper in ihr sein wollte. Kannst du das verstehen, Luke? Ich hab
immer weiter in sie reingestoßen, weil es sich angefühlt hat, als wäre ich
immer noch nicht tief genug drin. An der Wand hinter dem Kopfende des
Betts kann man immer noch die Macken im Putz sehen. Vielleicht zeige ich
sie dir noch, bevor ich dich töte.«
Ich stehe auf und reibe mir mit beiden Händen übers Gesicht. »Obwohl
es zwei Jahre her ist, denke ich immer noch an diese Nacht. Ich weiß noch
ganz genau, wie es sich angefühlt hat, der erste Mann zu sein, der in ihr ist.
Der erste Mann, bei dem sie gekommen ist. Der erste Mann, dessen Namen
sie dabei geschrien hat. Und jedes Mal, wenn ich sie ansehe, liebe ich sie
ein bisschen mehr, weil ich weiß, dass das, was in dieser Nacht zwischen
uns passiert ist, heilig ist. Dass sie mir in der Nacht nicht nur ihr erstes,
sondern auch ihr letztes Mal geschenkt hat. Dass sie keinem anderen Mann
jemals erlauben wird, sie zu küssen, sie anzufassen, seinen Schwanz in sie
zu lassen … weil das nämlich alles kaputt machen würde.«
Ich gehe zu Luke rüber und hocke mich wieder vor ihn hin. »Wenn ich
herausfinden sollte, dass du mir das weggenommen hast, Luke oder Carter
oder wie auch immer ich dich armseliges Arschloch nennen soll, dann wird
sie für mich wertlos sein. Okay? Und jetzt entschuldige mich kurz, während
ich nach oben gehe, um sie zu holen. Ich glaube, wir drei müssen uns
dringend ein bisschen unterhalten.«
Ich verlasse das Zimmer, schicke zwei der Typen zu ihm rein, um ein
Auge auf ihn zu haben, und gehe nach oben, um Sloan zu holen. Meine
Sloan.
Vierzig
Sloan

Als ich vorhin ins Schlafzimmer kam, bin ich sofort zum Nachttisch, um
mein Handy zu holen. Da lag es aber nicht. Ich habe panisch überall danach
gesucht, auf dem Boden, unter dem Bett, unter der Decke …
Und dann ist mir eingefallen, dass Asa vor dem Essen noch mal kurz
oben war.
Der Bastard hat mein Handy versteckt.
Im nächsten Moment muss Asa dann die Haustür aufgemacht haben,
denn unten brach plötzlich die Hölle los. Ich habe Schreie und
Kampfgeräusche gehört. Das hat mir solche Angst gemacht, dass ich mich
in den Wandschrank gekauert habe. Kurz darauf hat jemand an die Tür
geklopft. »FBI … aufmachen!« Ich war so erleichtert, dass mir die Tränen
kamen.
Aber als ich die Tür geöffnet habe, habe ich gleich gespürt, dass
irgendwas nicht stimmte. Der Typ, der vor mir stand, hatte zwar eine blaue
Jacke mit FBI-Logo an, aber er hat mich sofort ins Zimmer gestoßen, die
Tür hinter sich zugeknallt und seine Waffe auf mich gerichtet. Ich habe
geschrien, aber er hat mich aufs Bett gedrückt und mir verboten, mich zu
rühren oder auch nur einen Ton von mir zu geben.
Ich liege jetzt schon eine ganze Weile hier. Viel zu lang. Der Lärm unten
war ziemlich schnell vorbei und jetzt höre ich nur noch vereinzelt Stimmen.
Hauptsächlich die der fremden Männer, aber ich erkenne auch die Stimmen
von Dalton und Kevin und Jon.
Nur Asa höre ich nicht.
Und auch nicht Luke.
Ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Der Gedanke ist verrückt, aber …
könnte es sein, dass Asa irgendwie hinter alldem steckt? Er hat ja bewiesen,
dass er dazu fähig ist, sich die absurdesten Szenarien auszudenken.
»Bin ich verhaftet?«, frage ich den FBI-Agenten.
Er antwortet nicht, rührt sich aber auch nicht von der Tür weg.
»Falls nicht, würde ich jetzt gern nach unten gehen.«
Er schüttelt den Kopf.
Scheißkerl.
Ich springe auf und versuche, um ihn herum nach dem Türknauf zu
greifen, aber er packt mich am Arm und schleudert mich zurück aufs Bett.
Okay. Jetzt weiß ich, dass definitiv irgendwas faul ist. Dieser Typ ist
garantiert kein FBI-Agent. Ich wage einen weiteren Versuch, stürze mich
auf ihn und schreie laut um Hilfe.
Er presst mir die Hand auf den Mund und nimmt mich in den
Klammergriff. »Du legst dich sofort wieder schön brav aufs Bett.«
Ich trete ihm, so fest ich kann, auf den Fuß, obwohl mir klar ist, dass ich
es damit nur noch schlimmer mache, aber ich bin es leid, alles ohne
Gegenwehr über mich ergehen zu lassen.
»Hey!« Er packt mich an den Schultern und stößt mich so brutal gegen
die Wand, dass ich mir den Kopf anschlage. Als ich die Stelle abtasten will,
umfasst er meine Handgelenke und zieht sie runter.
»Du kleine Raubkatze.« Er grinst dreckig.
Aus welchem Loch ist dieser ekelhafte Kerl gekrochen? Aus demselben
wie Jon?
»Hilfeeee!«, brülle ich.
Er schüttelt den Kopf. »Dich muss man wohl anders ruhigstellen.« Und
dann presst er seine Lippen so fest auf meine, dass ich kaum Luft
bekomme. Ich spüre seine schleimige Zunge an meinen Zähnen und nehme
meine ganze Kraft zusammen, um mich aus seinem Griff zu winden, als
plötzlich die Tür aufgeht.
Ich bin erschrocken und gleichzeitig unendlich erleichtert, als ich Asa
sehe. Aber das bedeutet auch, dass er nicht verhaftet wurde.
Was wird hier gespielt?
Der angebliche FBI-Typ hat nichts mitbekommen. Er versucht immer
noch, mir seine Zunge in den Mund zu zwängen, und schiebt jetzt auch
noch eine Hand unter mein Shirt. Ich bete, dass Asa mich rettet, obwohl ich
gleichzeitig Angst vor dem habe, was er mir antun könnte, sobald er mich
von diesem Monster befreit hat.
Asa richtet seine Waffe auf den Kerl. »Ich hab dir genau einen
verdammten Auftrag gegeben, Arschloch!«, brüllt er. Der andere lässt mich
los und wirbelt herum, worauf Asa ihm die Pistole an die Stirn drückt.
»Einen einzigen verfickten Auftrag.«
Lautes Schrillen.
Ich höre nichts anderes mehr, weil das Schrillgeräusch so in meinen
Ohren widerhallt. Irgendeine Flüssigkeit brennt in meinen Augen und läuft
mir warm übers Gesicht. Ich halte mir mit beiden Händen die Ohren zu und
presse die Lider zusammen. Ich weiß, was passiert ist, will es aber nicht
wahrhaben.
Das kann er nicht getan haben.
Nein.
Bitte mach, dass es nicht wahr ist.
Der Typ rutscht an meinem Körper entlang langsam zu Boden, und ich
muss zur Seite treten, um meinen linken Fuß unter ihm wegzuziehen.
»Nein, Asa. Nein, nein, nein!«, wimmere ich, die Hände immer noch auf
den Ohren, die Augen immer noch geschlossen.
»Wahrscheinlich hat er dich für eine Nutte gehalten, Sloan«, sagt Asa
kalt. Er packt mich am Arm. »Damit liegt er ja auch nicht falsch, oder?«
Er zieht mich mit einem solchen Ruck zu sich, dass ich fast über den am
Boden liegenden Typen stolpere, und zerrt mich in den Flur raus.
Ich habe die Augen immer noch geschlossen. Vielleicht schreie ich auch
noch, jedenfalls tut meine Kehle weh, aber ich höre nichts, weil es immer
noch so laut in meinen Ohren schrillt. Plötzlich verliere ich den Boden unter
den Füßen, Asa hat mich über seine Schulter geworfen und poltert die
Treppe hinunter. In meinem Kopf spielen sich die letzten zehn Sekunden in
Dauerschleife ab.
Das kann gerade nicht wirklich passiert sein …
Im nächsten Moment lande ich auf etwas Weichem. Was ist das, eine
Matratze? Ich wage es nicht, die Augen zu öffnen, liege starr da, schluchze
und ringe nach Luft. Und dann höre ich Asas Stimme ganz dicht an meinem
Ohr.
»Schau mich an, Sloan.«
Ich öffne die Augen einen Spaltbreit und sehe zu ihm auf. Er kniet über
mir, streichelt mir über die Wange, über die Haare. Sein Gesicht ist mit
Blutspritzern übersät. Er schaut mich an, die Pupillen so geweitet, dass
kaum etwas von der Iris zu sehen ist. Zwei riesige schwarze Löcher starren
auf mich herab und Eiseskälte durchschauert meinen ohnehin schon
zitternden Körper.
»Ach, Sloan …«, sagt er leise und streichelt mir weiter über die Haare.
Ich will den Kopf drehen und sehen, wo ich bin, aber er packt mich am
Kinn und zwingt mich, ihn anzuschauen. »Leider habe ich schlechte
Neuigkeiten für dich, Baby.«
Mir wird vor Angst kotzübel. Obwohl ich nicht weiß, was er mir sagen
will, fürchte ich, dass mein Herz es nicht überleben wird.
»Ich weiß, was zwischen dir und Luke läuft.«
Mein Herz erstarrt, und ich kämpfe gegen die Tränen an, die aus meinen
Augen schießen wollen. Er hat ihn Luke genannt.
Irgendwie schaffe ich es, mich zusammenzureißen, meine ganze Kraft zu
bündeln, um mich dumm zu stellen. »Wer ist … Luke?«, frage ich.
Asas Blick wandert über mein Gesicht. Seine Pupillen ziehen sich
zusammen und weiten sich wieder. Ein träges Lächeln umspielt seine
Mundwinkel und dann drückt er sanft die Lippen auf meine Stirn.
»Das hab ich mir schon gedacht«, wispert er und löst sich von mir. »Du
kannst nichts dafür, Sloan. Er hat dir das Gehirn gewaschen. Er hat
versucht, dich gegen mich aufzuwiegeln. Aber er hat dich angelogen. Er hat
dir noch nicht mal seinen richtigen Namen genannt. Er heißt nicht Carter,
Baby. Er heißt Luke. Frag ihn selbst.« Er schiebt die Arme unter meine
Achseln und hievt mich in eine sitzende Position.
Und dann bin ich von einer Sekunde zur anderen in meinem
schlimmsten Albtraum.
Luke sitzt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, auf dem
Schreibtischstuhl. Der Ausdruck auf seinem Gesicht sagt mir alles, was ich
wissen muss.
Nein!
Asa beobachtet mich mit zusammengekniffenen Augen und lauert auf
meine Reaktion. Ich versuche, Haltung zu bewahren – meine Angst
herunterzuschlucken, meinen Herzschmerz, meine Verzweiflung –, aber der
Gedanke, dass dieser Irre, der eben kaltblütig einen Menschen ermordet hat,
uns in der Hand hat, raubt mir die Kraft, mich zu verstellen.
Nicht reagieren, Sloan. Bloß nicht reagieren.
Ich wiederhole diese Worte als Mantra in meinem Kopf und ahne, dass
Luke mir mit seinem eindringlichen Blick stumm das Gleiche sagt.
Denn das ist es, worauf Asa spekuliert. Eine Reaktion. Ich tue, was ich
kann, um sie ihm nicht zu geben. Jetzt steht er vor mir, und ich sehe ihn mit
dem unschuldigsten Ausdruck an, den ich hinbekomme.
»Ich verstehe nicht, Asa …? Warum ist Carter gefesselt?«
Asa sieht mich an, als wäre er enttäuscht. Als hätte er erwartet, dass ich
zugebe, dass ich mit Luke schlafe und weiß, dass er als Undercover-Cop bei
uns eingeschleust wurde.
Er grinst. »Hältst du mich wirklich für so dumm, Sloan?« Er dreht sich
um, richtet seine Waffe auf Luke und geht langsam auf ihn zu. »Aber gut.
Dann hast du wahrscheinlich auch nichts dagegen, wenn ich …«
»Nicht!« Ich springe auf und falle ihm in den Arm. »Nicht!«, schreie
ich. »Tu es nicht, Asa!«
Er tut es nicht.
Stattdessen fährt er zu mir herum und schlägt mich so brutal mit der
Pistole, dass ich aufs Bett zurückgeschleudert werde. Gestehen muss ich
ihm jetzt nichts mehr. Ich habe mich selbst verraten.
Asa hockt auf mir, hält meine Handgelenke über dem Kopf fest und
drückt seine Stirn auf meine. »Sag, dass das nicht wahr ist, Baby.« Seine
Stimme ist gepresst. »War er in dir? Hast du ihn in dich gelassen?«
Ich schluchze zu heftig, als dass ich irgendetwas zugeben oder leugnen
könnte.
Asas Gesicht verzieht sich, als würde es ihm das Herz zerreißen. Er hat
da oben gerade einen Menschen erschossen, aber der Gedanke, dass ich ihn
womöglich betrogen habe, trifft ihn tausendmal härter.
Ich drehe den Kopf zur Seite und schließe die Augen.
Es ist vorbei.
Ich werde sterben.
Asa begräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge und murmelt etwas, das
ich im ersten Moment nicht verstehe.
»Hab ich abgeschlossen?«
Als er sich von mir herunterwälzt, versuche ich zu verstehen, was er
damit sagen will, aber es ergibt keinen Sinn. In meinem Kopf überschlagen
sich die Gedanken so, dass ich keinen verarbeiten kann. Asa geht zur Tür.
Ich spähe verstohlen zu Luke, der im gleichen Moment aufsteht und die
Arme über die Rückenlehne des Stuhls hebt. Als er sich wieder setzt, hat er
die Hände direkt hinter dem Rücken. Es ist so rasend schnell passiert, dass
ich einen Moment brauche, um zu begreifen, was er getan hat.
Asa hat nichts mitbekommen. Er dreht am Türknauf, um zu überprüfen,
ob er abgeschlossen hat.
Mein Blick wandert wieder zu Luke, der unmerklich den Kopf schüttelt
und mir signalisiert, dass ich ruhig bleiben soll. Er kann mir nicht unser
geheimes Zeichen geben, aber ich verstehe, was es bedeutet, als er die
Schneidezähne in die Unterlippe gräbt.
Ich zwirble eine Haarsträhne um meinen Zeigefinger, als Asa sich
umdreht und sich gegen die Tür lehnt. Er nickt in Lukes Richtung. »Ich hab
dir gerade erzählt, wie es war, als ich sie das erste Mal gefickt habe«, sagt
er. »Jetzt bist du an der Reihe.«
Einundvierzig
Asa
Viele Jahre vorher

Mein Dad steht am Fenster und schaut, ob die Männer kommen. Er hält die
ganze Zeit nach ihnen Ausschau. Wenn sie rausfinden, wo wir wohnen, sagt
er, dann kommen sie und erschießen ihn. Und danach erschießen sie Mom
und zuletzt mich. Die Polizei wird nichts mitbekommen. Und wenn die
Männer uns erschossen haben, dann lassen sie uns einfach hier im Haus
liegen und unsere Leichen verrotten und werden von Ratten und
Kakerlaken aufgefressen.
»Asa!« Ich zucke zusammen, als er meinen Namen brüllt und auf die
Haustür zeigt. »Schau noch mal nach, ob ich auch wirklich abgeschlossen
habe.«
Ich hab schon zweimal nachgeschaut, aber er glaubt mir nie, dass die
Tür wirklich abgeschlossen ist. Immer, wenn er aus dem Fenster schaut,
sagt er: »Schau noch mal nach, ob ich wirklich abgeschlossen habe.«
Es gibt auch Tage, an denen es ihm egal ist, ob die Männer kommen,
aber heute ist es ihm nicht egal. Ich rutsche vom Sofa und krabble auf
Händen und Füßen zur Tür. Ich könnte auch ganz normal laufen, meine
Beine sind in Ordnung, aber ich muss am großen Fenster vorbei und habe
Angst, dass die Männer schon da sind und mich sehen könnten. Deswegen
gehe ich lieber in Deckung.
An der Tür richte ich mich auf, rüttle am Knauf und versuche ihn zu
drehen. »Ist abgeschlossen.«
Daddy lächelt mich an. »Danke, Sohn.«
Ich kann es nicht leiden, wenn er mich Sohn nennt. Er nennt mich immer
nur dann Sohn, wenn er Angst vor den Männern hat, die erst ihn erschießen
werden und dann Mom und ganz zuletzt mich. Dann ist er immer nett zu
mir, und ich darf ihm helfen, das Haus zu verrammeln. Manchmal rücken
wir die Couch vor die Tür, damit keiner reinkann, und stöpseln alle
Elektrogeräte aus. Heute hat er mich oft Sohn genannt. Mir ist es lieber,
wenn ihm alles egal ist, wenn er mich in Ruhe lässt und den ganzen Tag in
seinem Sessel sitzt.
Ich will wieder zurück zur Couch, aber als ich an Dad vorbeikrabble,
bückt er sich und packt mich am Arm. »Sie sind da, Asa!«, zischt er und
zieht mich hoch. »Du musst dich verstecken. Los, los!«
Mein Herz hämmert ganz schnell gegen meine Rippen. Ich nicke.
Mein Dad hat große Angst vor den Männern, aber bis jetzt sind sie noch
nie hier gewesen. Er zerrt mich durchs Wohnzimmer zur Hintertür. Als wir
am Fenster vorbeikommen, schaue ich schnell raus, aber da ist niemand. Ich
sehe nirgends irgendwelche Männer.
Dad macht die Tür auf und stößt mich die Treppe runter. Er kniet sich
hin und packt mich an den Schultern. »Geh unters Haus, Asa, und bleib da,
bis ich dich holen komme.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich will aber nicht.« Der Kriechkeller unter dem
Haus, in dem Rohre und Leitungen verlegt sind, ist dunkel und feucht und
einmal hab ich einen Skorpion gesehen.
»Es geht nicht anders«, flüstert er. »Und komm bloß nicht raus, bevor
ich dich hole, sonst bringen sie uns alle um.«
Er schubst mich auf die Öffnung zu. Ich falle auf alle viere und meine
Hände versinken im Matsch. Ich schaue nicht hinter mich und krieche so
tief unters Haus, dass die Männer mich nicht finden können.
Die Knie an die Brust gezogen, kauere ich in der Dunkelheit und
versuche, beim Weinen nicht zu schluchzen, damit die Männer mich nicht
hören.

***

Ich habe lange geweint und mir ist kalt geworden und ich hatte Hunger.
Irgendwann ist die Sonne wieder aufgegangen, aber mein Daddy hat gesagt,
dass ich mich nicht von der Stelle rühren soll, bis er mich holt, also bleibe
ich sitzen. Ich wage es nicht, mich zu bewegen. Hoffentlich wird er nicht
wütend, weil ich mir in die Hose gemacht habe. Ich hab seit meinem letzten
Geburtstag nicht mehr in die Hose gemacht. Falls die Männer ihn nicht
erschossen haben, wird er bestimmt wütend, wenn er meine nasse Hose
sieht.
Ich höre, wie sie im Haus hin- und hergehen. Ich weiß nicht, ob sie Dad
schon erschossen haben. Meine Mom war im Bett. Sie liegt meistens im
Bett. Wenn die Männer sie gefunden haben, dann ist sie jetzt
wahrscheinlich auch tot.
Aber mich haben sie nicht erschossen, weil ich nämlich genau das
gemacht habe, was mein Dad mir gesagt hat. Ich bin hier unten sitzen
geblieben und rühre mich nicht, bis er mich holen kommt.
Oder bis die Männer weg sind.

***

Es ist immer kälter geworden und ich immer hungriger, und ich hab
geweint, bis die Sonne wieder untergegangen ist. Aber ich habe mich nicht
vom Fleck gerührt, weil mein Daddy gesagt hat, dass ich ruhig sitzen
bleiben soll. Also bin ich sitzen geblieben. Aber jetzt fühle ich meine Beine
nicht mehr und es ist, als würden sie gar nicht mehr zu meinem Körper
gehören. Mir fallen immer wieder die Augen zu. Zum Glück gibt es Wasser.
Aus dem Rohr neben mir tropft es und ich hab den Mund darunter gehalten
und deswegen hab ich wenigstens keinen Durst.
Ich glaube, die Männer haben Dad und Mom wirklich umgebracht. Über
mir ist es ganz still. Ich hab schon lange keine Schritte mehr gehört. Also
sind sie vielleicht weg.
Ich weiß, dass mein Dad gesagt hat, ich soll mich nicht rühren, aber
wenn er noch leben würde, dann hätte er mich bestimmt schon längst hier
rausgeholt.
Und er hat mich nicht geholt.
Irgendwann krieche ich nach draußen. Es ist wieder dunkel, und das
bedeutet, dass ich echt lange unten im Keller war. Ich glaub nicht, dass die
Männer meinen Dad und meine Mom erschießen würden und dann noch so
lang im Haus bleiben würden, also sind sie jetzt bestimmt weg und ich kann
rein.
Als ich aufstehen will, knicken meine Beine unter mir weg und ich falle
in den Matsch. Meine Beine kribbeln, als würden tausend Ameisen darin
herumlaufen, und meine Finger sind ganz blau vor Kälte. Ich krieche auf
allen vieren die Treppe rauf und schäme mich, weil meine Hose und mein
T-Shirt ganz dreckig sind und nass. Wenn ich den Boden schmutzig mache,
werde ich geschimpft. Ich versuche, den Matsch am Abstreifer
abzuwischen, aber das hilft nichts.
Ich ziehe mich am Türknauf hoch und schwanke ins Haus und dann sehe
ich die Leiche von meinem Vater im Sessel.
Ich halte die Luft an. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich
einen toten Menschen sehe. Am liebsten würde ich ihn gar nicht anschauen,
aber ich weiß, dass ich nachgucken muss, ob es wirklich mein Vater ist und
nicht einer von den Männern. Ich schleiche mich auf Zehenspitzen durchs
Zimmer und hab solche Angst, dass es sich anfühlt, als würde mein Herz in
meiner Kehle schlagen.
Als ich am Sessel bin, hole ich tief Luft und gehe um ihn herum, um
Dad anzusehen. Tote Menschen sehen gar nicht so viel anders aus als Leute,
die noch leben.
Ich hätte gedacht, dass er überall voller Blut wäre oder vielleicht eine
andere Farbe hätte, so wie ein Geist. Aber er sieht immer noch ganz
genauso aus wie vorher.
Ich drücke vorsichtig mit dem Zeigefinger in seine Backe, weil ich
gehört habe, dass tote Menschen sich kalt anfühlen.
Seine Finger packen mich um mein Handgelenk, seine Augen klappen
auf, und ich kriege so einen Schreck, dass ich laut schreie.
An seinen Augen sehe ich, dass er wütend ist. »Wo zum Teufel hast du
die ganze Zeit gesteckt, Junge? Du bist komplett verdreckt!«
Ich habe gedacht, dass er tot wäre.
Aber er ist nicht tot.
»Unter dem Haus. Du hast doch gesagt, dass ich mich da verstecken soll.
Du hast gesagt, dass du mich holen kommst.«
Er drückt mein Handgelenk so fest, dass es richtig wehtut, und beugt
sich vor.
»Wag es bloß nie mehr, mich aufzuwecken, du kleiner Pisser. Und jetzt
stell dich unter die Dusche, du stinkst wie eine verdammte Jauchegrube.«
Er stößt mich weg, und ich verstehe nicht, was los ist.
Ich dachte, die Männer wären da gewesen und hätten ihn erschossen.
Mein Dad greift mich im Nacken und schiebt mich mit so viel Kraft von
sich, dass ich stolpere. Er hat gesagt, er holt mich, aber ich glaube, er hat
vergessen, dass ich unter dem Haus gewartet habe.
Meine Augen brennen. Schnell renne ich aus dem Wohnzimmer, weil
Dad immer böse wird, wenn ich weine.
Auf dem Weg zum Bad merke ich wieder, wie hungrig ich bin. Mein
Magen war noch nie so leer. Die Schlafzimmertür steht offen. Ich gehe rein,
um Mom zu fragen, ob ich mir was zu essen nehmen darf. Ich schüttle sie
und versuche sie zu wecken, aber sie stöhnt nur und dreht sich um.
»Lass mich schlafen, Asa«, sagt sie.
Ich mag das nicht, dass sie immer so viel schläft. Sie sagt immer, sie
kann nicht gut von alleine einschlafen, und deswegen muss sie Pillen
nehmen, die ihr helfen. Die weißen sind für nachts, aber manchmal nimmt
sie auch tagsüber welche davon. Das hab ich gesehen.
Sie hat auch gelbe, aber das sind ihre Spezialpillen. Sie hat mal gesagt,
dass sie die dann nimmt, wenn sie in ihrem Kopf an einen anderen Ort
gehen will.
Die Fläschchen mit den Pillen stehen auf ihrem Nachttisch. Ob sie es
wohl merken würde, wenn ich mir eine von den gelben nehme? Ich möchte
nämlich auch gern in meinem Kopf an einen anderen Ort gehen und nicht in
diesem Haus sein.
Ich greife nach dem Fläschchen mit den gelben Pillen und versuche es
aufzumachen, aber es geht nicht. Ich kann noch nicht so gut lesen, weil ich
erst in der ersten Klasse bin, aber da ist ein Bild auf dem Deckel. Ich sehe
es mir genau an, bis ich irgendwann verstehe, dass man den Deckel
runterdrücken muss und gleichzeitig drehen.
Jetzt geht der Deckel ab. Ich gucke zu Mom rüber, aber sie liegt mit dem
Gesicht zur Wand und sieht nichts. Ich beeile mich und stecke mir schnell
eine von den gelben Pillen in den Mund und kaue sie. Sie schmeckt ganz
eklig bitter und macht meinen Mund trocken. Aber Mom hat eine
Wasserflasche neben dem Bett stehen, damit spüle ich sie runter.
Hoffentlich hat sie recht und die Pille bringt mich in meinem Kopf an
einen anderen Ort. Ich will nämlich wirklich nicht mehr hier sein.
Ich drücke den Deckel wieder auf das Glasfläschchen und schleiche
mich raus. Auf dem Weg zum Badezimmer fühlen sich meine Beine wieder
so an, als wären sie aus Watte.
Meine Arme auch. Meine Arme fühlen sich ganz leicht an, so als würden
sie in der Luft schweben.
Ich drehe das Wasser in der Dusche an. Dann schaue ich in den Spiegel,
weil es sich so anfühlt, als würden meine Haare wachsen. Sie sehen nicht
länger aus als sonst, aber ich kann spüren, wie sie wachsen.
Meine Zehen prickeln, und ich habe Angst, dass ich hinfalle, deswegen
setze ich mich schnell in die Wanne. Oh, ich hab vergessen, mich
auszuziehen, aber das ist nicht schlimm, weil die Sachen so dreckig sind.
Dann kann ich sie gleich mitwaschen.
Wie lange ich wohl unter dem Haus gewartet habe? Die Schule hab ich
jedenfalls verpasst. Eigentlich gehe ich nicht so gerne hin, deswegen ist es
nicht so schlimm, aber ich wollte sehen, was Bradys Mutter ihm zu essen
mitgegeben hat.
Brady sitzt in der Cafeteria neben mir und hat jeden Tag eine Lunchbox
dabei. Einmal hat seine Mom ihm ein Stück Kokostorte eingepackt. Er mag
aber kein Kokos, deswegen hat er gesagt, dass ich es haben kann. Ich hab
noch nie so was Leckeres gegessen. Später hab ich Mom erzählt, wie gut
die Torte geschmeckt hat, aber ich glaube, das hat sie wieder vergessen.
Jedenfalls hat sie nie eine für uns gekauft.
Manchmal schreibt Bradys Mom ihm kleine Briefe, die sie in die
Lunchbox legt. Er liest sie uns vor und lacht, weil er sie doof findet. Aber
ich lache nie darüber. Ich finde ihre Briefe nicht doof.
Einmal habe ich einen zerknüllt im Papierkorb gefunden und rausgeholt.
»Lieber Brady, ich wünsche dir einen schönen Schultag. Ich liebe dich!«
Ich habe den oberen Teil abgerissen, auf dem Bradys Name stand, und
den Rest behalten. Und dann hab ich mir vorgestellt, dass Mom ihn mir
geschrieben hätte. Ich hab den Brief immer wieder gelesen, aber
irgendwann hab ich ihn verloren. Deswegen wollte ich heute in die Schule.
Wenn Brady wieder einen Brief von seiner Mutter bekommen hätte, hätte
ich ihn ihm klauen können und so tun, als wäre er für mich.
Ich würde gern wissen, was für ein Gefühl das ist, wenn das jemand zu
einem sagt.
Ich liebe dich!
Zu mir hat das noch nie jemand gesagt.
Mir ist ein bisschen schwindelig. Es fühlt sich an, als würde mein Kopf
an der Decke schweben und ich würde auf mich in der Wanne
runterschauen. Mag meine Mom die gelben Pillen deswegen so gern? Weil
sie dann das Gefühl hat, dass der wichtigste Teil von ihr ganz hoch oben in
der Luft herumfliegt, wo niemand ihr etwas tun kann?
Ich schließe die Augen und flüstere: »Ich liebe dich!«, obwohl niemand
da ist, der mich hören kann. Wenn ich groß bin, suche ich mir ein Mädchen,
und dann bin ich so nett zu ihr, dass sie mir sagt, dass sie mich liebt. Ein
total hübsches Mädchen. Keins, über das mein Dad sagen würde, dass sie
eine Nutte ist.
Das wäre schön. Vielleicht würde sie mich ja sogar so sehr lieben, dass
sie mir eine Kokostorte backen würde. Das ist nämlich mein
Lieblingskuchen.
Wenn ich mal ein Mädchen gefunden habe, das mir sagt, dass sie mich
liebt und mir Kokostorte backt, dann behalte ich sie für immer. Ich würde
sie niemals wegwerfen, so wie Brady die Briefe von seiner Mutter
wegwirft.
Ich würde sie für immer behalten und sie dürfte mich nie verlassen. Und
sie müsste mir jeden Tag sagen, dass sie mich liebt.
»Ich liebe dich, Asa«, würde sie sagen. »Ich bleibe für immer bei dir.«
Zweiundvierzig
Asa

Ich habe noch nie jemanden umgebracht. Bis ich vor ein paar Minuten in
mein Schlafzimmer kam und diesen Scheißkerl umnieten musste, weil er
sich an etwas vergriffen hat, das ihm nicht gehört.
Aber irgendwie fühle ich nichts.
Wahrscheinlich sollte ich mir Sorgen machen, weil man für Mord
verdammt lang in den Knast wandert. Ich müsste auch sauer sein, weil die
Typen, die ich für viel Geld angeheuert habe, um diese Nummer mit mir
durchzuziehen, alle abgehauen sind, als ich den Arsch abgeknallt und Sloan
die Treppe runtergezerrt habe.
Wahrscheinlich hatten sie Schiss, ich würde sie auch noch erschießen.
Ich muss zugeben, dass ich mir schon Gedanken darüber mache, wie es
jetzt weitergeht. Wenn irgendwo geschossen wird, gibt es eigentlich
meistens jemanden, der die Bullen anruft. Irgendeinen Nachbarn, der seine
Nase in Angelegenheiten steckt, die ihn einen Scheißdreck angehen.
Wahrscheinlich sind die Cops schon auf dem Weg hierher. Richtige Cops,
nicht solche wie dieses erbärmliche Würstchen, das hier vor mir sitzt.
Es kotzt mich ziemlich an, dass nicht alles so gelaufen ist, wie ich es
geplant hatte. Ich meine, was soll die Scheiße? Da erschießt man einen
Typen aus Notwehr und sofort machen die anderen sich in die Hose und
hauen ab? Wetten, dass Jon, Kevin oder Dalton gleich an die Tür klopfen
und fragen, was das alles soll? Die Jungs sind zwar bescheuert, aber nicht
so bescheuert, dass sie sich nicht denken können, dass ich sie in die Falle
gelockt habe.
Und das bedeutet, dass ich ganz schön in der Scheiße hocke. Mir gehen
langsam die Optionen aus. Ich glaube fast, mir bleibt gar nichts anderes
übrig, als Luke eine Kugel in seine selbstzufrieden grinsende Fresse zu
jagen und Sloan hier rauszuschaffen, solange es noch geht. Sie steht
natürlich gerade ziemlich neben sich, aber sobald ich ein Apartment
gefunden habe, wo wir unterkommen können, schick ich sie zum
Therapeuten. Den wird sie brauchen, nachdem der Typ ihr so das Gehirn
gewaschen hat.
Irgendwie traurig, dass das jetzt die einzige Möglichkeit ist, die mir noch
bleibt, aber mir läuft die verdammte Zeit davon. Dabei hätte ich mir so gern
angehört, wie es war, als Luke Sloan gefickt hat.
Nicht, weil mich das irgendwie geil machen würde. Ich bin ja nicht
pervers.
Nein, ich hätte es mir gern angehört, weil ich ein Bild brauche. Ich muss
mir genau vorstellen können, was er zu ihr gesagt hat, dass sie so auf ihn
reingefallen ist. Ich muss wissen, ob sie bei ihm auch so gewimmert hat,
wie sie es bei mir macht. Ich will hören, in welcher Stellung sie es getrieben
haben. War er oben oder hat er sich reiten lassen? Hat er sie von hinten
genommen?
Das muss ich alles ganz genau wissen, damit ich sicherstellen kann, dass
ich niemals irgendwas von dem tue oder sage, was er getan oder gesagt hat.
Ich muss dafür sorgen, dass ich sie auf gar keinen Fall jemals in derselben
Stellung nehme, in der er sie genommen hat.
Aber jetzt rennt mir die Zeit davon. Es klopft an der Tür und dieses
Arschloch hat noch kein Wort von sich gegeben.
»Asa!«
Das ist Dalton.
Ich weiß ja immer noch nicht, was ich von dem Typen halten soll.
Einerseits mag ich ihn. Klar. Dalton ist Kokain, und zeig mir jemanden, der
kein Koks mag. Andererseits weiß man auch, dass das die am meisten
gefälschte Droge überhaupt ist. An jeder Straßenecke gibt es Typen, die
irgendwelche zu Pulver gemahlenen Kopfschmerztabletten an irgendwelche
halb toten Cracksüchtigen verchecken, die so fertig sind, dass sie keinen
Unterschied merken.
Vielleicht ist Dalton gar kein echtes Kokain. Vielleicht ist er eine
Packung Kopfschmerztabletten, die jemand zerstoßen und in ein Tütchen
gefüllt hat.
»Asa? Bist du da drin? Mach die Tür auf«, ruft Dalton.
Ich greife hinter mich an den Knauf und stelle sicher, dass abgeschlossen
ist. »Wo sind alle hin?«, brülle ich zurück. »Es ist so ruhig da draußen.«
»Mach auf und lass mich rein, dann können wir reden.« Er steht direkt
hinter der Tür.
Ich lache. »Wo sind die anderen? Wo stecken Jon und Kevin?«
»Die sind weg. Haben Schiss bekommen und sind abgehauen.«
War ja klar. Wie heißt es so schön – einer für alle, alle für einen?
Kackbratzen.
Ich sehe Sloan an, die am Kopfende des Betts kauert. Sie hat die Knie an
die Brust gezogen und beobachtet mich mit aufgerissenen Augen.
Luke beobachtet mich auch. Es ist scheißegal, wo ich stehe oder was ich
mache, seine Augen sind die ganze Zeit auf mich gerichtet. Das war schon
vom allerersten Tag an so. Seit dem Tag, an dem Dalton mich ihm
vorgestellt hat.
Ich neige den Kopf zur Tür. »Warum bist du eigentlich noch da, Dalton?
Wartest du darauf, dass deine Verstärkung kommt, oder was?«
Diesmal hat er es nicht so eilig mit dem Antworten. Es dauert einen
Moment, dann sagt er: »Ich bin noch hier, weil mein Freund da drin ist.
Lass uns gehen, und du kannst machen, was du willst.«
Scheiße, ich kann nicht glauben, dass ich ihm auf den Leim gegangen
bin. Ich hab monatelang Tag und Nacht mit dem Typen verbracht, dabei
wollte er nur eins: mich zerstören.
Irgendwie kenne ich das Gefühl von früher, als ich noch ein Kind war.
Wenigstens liebt Sloan mich.
Das ist das Wichtigste.
»Weißt du noch, als ich vorhin geduscht habe und du mich gefragt hast,
ob du vom Supermarkt noch was mitbringen sollst?«
Sie nickt schwach.
»Ich hab dir gesagt, dass du zur Feier des Tages Nachtisch mitbringen
sollst. Hast du einen besorgt?«
Sie nickt wieder. »Deinen Lieblingsnachtisch«, flüstert sie.
»Kokostorte.«
Ha! Sie liebt mich wirklich.
»Dalton?«, rufe ich durch die Tür.
Vielleicht sollte ich mich lieber an die Wand stellen. Er steht direkt auf
der anderen Seite der Tür, und ich würde es ihm glatt zutrauen, dass er
durchs Holz schießt.
Ich lehne mich an die Wand, lege noch mal die Hand auf den Knauf und
rüttle leicht, um sicherzugehen, dass auch wirklich abgeschlossen ist. »Tu
mir einen Gefallen, ja? Bring mir die Kokostorte, die in der Küche steht.«
Diesmal dauert es wieder länger, bis er antwortet. »Du willst Torte
haben?«, fragt er verwirrt. »Verflucht, was … Du willst wirklich, dass ich
dir die Torte bringe?«
Was findet er daran so lachhaft?
»Ja, stell dir vor, ich will die Torte haben, du Arschloch! Also mach
schon und bring mir meine verdammte Kokostorte.«
Ich höre Schritte, die sich entfernen. Luke starrt mich an, als wäre ich
verrückt geworden.
»Hast du ein Problem?«
Er schüttelt den Kopf und dann öffnet er den Mund. Endlich.
»Es gibt Medikamente, die dir helfen können, Asa.«
Medikamente?
»Was redest du da?«
Luke sieht kurz zu Sloan rüber und dann wieder zu mir. Ich hasse es,
wenn er sie anschaut. Am liebsten würde ich ihm die Augen ausreißen und
sie schlucken wie die gelben Pillen von meiner Mutter.
»Du hast in den letzten fünf Minuten bestimmt fünfzehn Mal
nachgeprüft, ob die Tür abgeschlossen ist«, sagt er. »Das ist ein Zeichen für
eine Zwangsstörung, aber so was kann behandelt werden. Dein Vater hatte
dasselbe Problem und man hätte es in den Griff be…«
»Wage es nicht, von meinem Vater zu reden, Arschloch!«, unterbreche
ich ihn. »Ich warne dich.«
Sein Blick fällt zwar auf die Pistole, die ich jetzt wieder auf ihn richte,
aber aus irgendeinem Grund bringt ihn das trotzdem nicht dazu, den Mund
zu halten.
»Wusstest du, dass bei deinem Vater eine paranoide Schizophrenie
diagnostiziert wurde, als er siebenundzwanzig war? Das hab ich in seiner
Akte gelesen. Aber er hat sich geweigert, Medikamente zu nehmen, Asa.
Die Gedanken, die sich in deinem Kopf im Kreis drehen, können gestoppt
werden. Das kann alles aufhören. Du musst nicht so werden wie er.«
Ich bin in zwei Schritten bei ihm und drücke ihm die Pistole an die Stirn.
»Ich bin nicht wie mein Vater! Ich bin kein Stück wie er!«
Bevor ich abdrücken kann, klopft es an der Tür. »Ich hab die verdammte
Torte«, ruft Dalton. »Aber wenn du sie haben willst, musst du aufmachen.«
Fuck. Er hat recht.
Bei dem Gedanken an die Torte läuft mir das Wasser im Mund
zusammen. Ich gehe zur Tür, aber dann höre ich die Sirenen. Vielleicht vier,
fünf Straßen von hier entfernt.
Noch habe ich Zeit. Wenn das beschissene Zimmer ein Fenster hätte,
könnte ich Luke erschießen und Sloan packen und mit ihr rausklettern, zum
Wagen rennen und mit ihr über alle Berge sein, bevor die Cops hier sind.
So gibt es nur eine Möglichkeit, hier rauszukommen. Aber der
verdammte Dalton steht im Weg.
Wenn er mit der Torte vor der Tür wartet, müsste er ungefähr … hier
stehen. Ich ziele, aber bevor ich abdrücken kann, trifft mich etwas Schweres
am Rücken. Ich verliere das Gleichgewicht, pralle mit den Knien auf den
Boden, und die Waffe rutscht mir aus der Hand. Als ich hinter mich sehe,
steht Luke über mir und holt mit dem Fuß aus, um mir ins Gesicht zu treten.
Seine Hände sind immer noch im Rücken gefesselt. Ich werfe mich zur
Seite und ramme ihm meine Beine in die Knie, sodass er das Gleichgewicht
verliert und stürzt.
Sobald er am Boden liegt, rollt er sich zu einer Kugel zusammen und
versucht, die Beine durch die gefesselten Arme zu ziehen, um die Hände
vor dem Körper zu haben. Ich greife nach der Pistole, die weggeflogen ist,
aber im selben Moment springt Sloan auf und hechtet quer durchs Zimmer.
Wir prallen fast zusammen, aber ich bin schneller und hab die Waffe, bevor
sie danach greifen kann. Ich versetze ihr einen Stoß, der sie in die andere
Ecke des Zimmers katapultiert.
Sloan rutscht noch weiter von mir weg und schaut mich mit riesigen
verängstigten Augen an. Als ich die Waffe auf Luke richte, sehe ich, dass
der Arsch es tatsächlich geschafft hat, die Hände vor seinen Körper zu
bringen. Er steht schwankend auf, aber genau in dem Moment drücke ich ab
und sehe, wie das Fleisch seines Schenkels in kleinen Fetzen nach allen
Richtungen fliegt.
Wow, das sieht aus, als würde es wehtun.
Er ist wieder auf den Knien, fällt gegen die Wand, presst beide Hände
auf die Wunde, verzieht das Gesicht. Dalton hämmert gegen die Tür.
»Asa, verdammt noch mal, lass mich endlich rein oder ich schieße das
verfluchte Schloss auf. Drei, zwei …«
»Wenn du hier reinkommst, sind die beiden tot!«, brülle ich.
Dalton hört auf zu zählen.
Sloan kauert in der Ecke, die Hände auf die Ohren gepresst, Tränen
fließen ihr übers Gesicht. Sie starrt Luke an und sieht aus, als würde sie
gleich einen hysterischen Anfall bekommen. Ich muss sie irgendwie vorher
rausschaffen, aber die Sirenen sind jetzt ziemlich laut. Wahrscheinlich
biegen die Bullen gerade in die Straße.
Fuck.
Denk nach, Asa. Denk nach.
Ich schlage mir dreimal mit der Pistole gegen die Stirn, um einen klaren
Kopf zu bekommen. Ich darf Sloan nicht verlieren. Das darf nicht
passieren. Wenn ich verhaftet werde, kann ich sie nicht mehr beschützen.
Kann sie nicht mehr berühren. Dann wird sie auf die Lügen eines anderen
Typen reinfallen. Vielleicht sogar wieder auf Luke.
Sie ist der einzige Mensch, der mich je geliebt hat. Ich darf sie nicht
verlieren. Das geht nicht.
Ich krieche zu ihr und versuche, sie an den Händen zu packen, aber sie
wehrt sich und will von mir wegrutschen. Ich muss ihr die verdammte
Knarre an den Kopf drücken, damit sie ruhig hält. Ich hocke mich vor sie
und presse meine Stirn an ihre Schläfe.
»Sag mir, dass du mich liebst, Sloan.« Sie zittert so sehr, dass sie nicht
mal sprechen kann. »Bitte, Baby. Ich muss hören, wie du es mir sagst.«
Sie setzt dreimal an, aber ihre Stimme versagt. Endlich bekommt sie
einen Satz heraus. »Lass Luke gehen, dann sage ich es dir.«
Was soll die Scheiße? Ich greife in ihre Haare und wickle mir eine dicke
Strähne fest ums Handgelenk, bis sie wimmert. Versucht sie etwa, um sein
verdammtes Leben zu feilschen?
Weil ich meine Kiefer zu fest zusammenpresse, als dass ich die Luft
durch meinen Mund rauslassen könnte, atme ich durch die Nase. Als ich
mich wieder halbwegs im Griff habe, zische ich: »Du liebst doch mich,
oder? Nicht ihn. Du liebst mich.«
Ich lehne mich zurück und blicke in ihre angststarren Augen. Sie hebt
das Kinn. »Das sage ich dir, wenn du ihn gehen lässt. Er braucht einen Arzt,
Asa.«
Einen Arzt? Nein, er braucht keinen Arzt. Er braucht ein verdammtes
Wunder.
»Spar dir deine Antwort«, sage ich. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass
ich schon sehen werde, ob du dieses Arschloch liebst. Nämlich wenn ich
gleich seinen Kopf wegpuste.«
Ihre Augen weiten sich noch mehr und sie schüttelt panisch den Kopf.
»Ich liebe ihn nicht«, schluchzt sie. »Bitte erschieß ihn nicht, nur weil du
dir irgendwelche Sachen einredest, Asa. Dadurch machst du für dich doch
alles nur noch schlimmer. Ich liebe dich, Asa. Bitte bring nicht noch einen
Menschen um.«
Ich sehe sie forschend an und versuche, die Wahrheit in ihrem Blick zu
erkennen, aber alles, was ich darin sehe, ist Sorge um Luke. »Keine Angst,
Sloan. Er wird schon nicht sterben. Wahrscheinlich trägt er eine
kugelsichere Weste.«
Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung drehe ich mich zu Luke
um, richte den Lauf auf seinen Oberkörper und feure. Er wird gegen die
Wand geschleudert und presst die Hände auf die Brust. Blut quillt zwischen
seinen Fingern hervor. Dann fällt er schlaff zur Seite.
»Ups. Da hab ich mich wohl getäuscht.«
Jetzt schreit Sloan. Schreit Nein, schreit Was hast du getan, schreit
seinen Namen, schreit, schreit, schreit.
Sie schreit.
Und weint.
Um ihn.
Ich packe sie an ihren gottverdammten Armen, ziehe sie hoch und
schleudere sie aufs Bett. Sie presst die Hände vors Gesicht und schreit
immer weiter.
Ich setze mich auf sie. »Warum schreist du so, Sloan? WARUM
SCHREIST DU SO?«
Ich höre die Stimme meines Vaters in meinem Kopf. Nutte, Nutte, Nutte.
Mit der flachen Hand knalle ich mir dreimal auf die Stirn, um ihn zum
Schweigen zu bringen.
Maul halten! Verdammt!
Sie liebt nicht ihn. Sie liebt mich. Für immer.
»Du liebst ihn nicht, Sloan«, sage ich und spüre einen Kloß im Hals.
»Das bildest du dir nur ein. Er hat dir das Gehirn gewaschen.« Ich lege
beide Hände an ihr Gesicht und drücke meine Lippen auf ihre. Sie versucht,
den Kopf zu drehen, mich wegzuschieben.
»Doch, es ist wahr!«, schreit sie. »Ich liebe ihn. Und dich hasse ich. Hast
du gehört? Ich hasse dich!«
Das wird sie noch bereuen. Sie wird es mehr bereuen, als sie in ihrem
wertlosen Leben je irgendetwas bereut hat. Falls sie sich einbildet, es wäre
traurig, den Bastard sterben zu sehen, soll sie erst mal abwarten, wie sie
sich fühlt, wenn sie mich sterben sieht.
Sie kennt diesen Schlappschwanz doch kaum. Mich liebt sie seit zwei
verfickten Jahren! Wenn ich tot wäre, würde sie das komplett fertigmachen.
Sie würde so laut heulen, dass sie nicht mehr genug Luft hätte, um zu
schreien, dass sie irgendjemanden hasst.
Nutte, Nutte, Nutte.
Wieder schlage ich mir gegen die Stirn und beuge mich dann vor und
presse meinen Kopf an ihren. Jetzt schreit sie nicht mehr. Sie schluchzt nur
noch.
»Du wirst das bereuen, Sloan. Du denkst, dass du traurig bist? Wenn ich
sterbe, wird dich das umbringen. Das. Wird. Dich. Verfickt. Noch. Mal.
Umbringen.«
Sie schüttelt heftig den Kopf und stößt schluchzend hervor: »Dazu ist es
zu spät, Asa. Du hast alle Gefühle, die ich jemals für dich hatte, schon vor
langer Zeit umgebracht.«
Sie ist wahnsinnig.
Sie ist, verflucht noch mal, wahnsinnig geworden.
Ich lache, weil ich genau weiß, dass ihr Leben ohne mich nicht mehr
lebenswert sein wird. Ich lache, weil ich weiß, wie sehr sie es bereuen wird,
so etwas zu mir gesagt zu haben. Ich wollte, ich könnte dabei sein und den
Moment miterleben, wenn sie begreift, wie viel ich ihr bedeutet habe. Wie
viel ich für sie getan habe. Wie leer und sinnlos ihr Leben ohne mich ist.
Ich presse meinen Mund ein letztes Mal auf ihre zitternden Lippen und
dann richte ich die Knarre an meine Schläfe und drücke den verfickten …
Dreiundvierzig
Luke

Wisst ihr, was einem immer übers Sterben erzählt wird?


Nein. Könnt ihr auch gar nicht, weil einem niemand davon erzählt. Die
Leute, die gestorben sind, können nichts mehr erzählen. Und die anderen
sind nie gestorben, weshalb sie nichts zu erzählen haben.
Aber ich bin gerade dabei zu sterben. Also hört mir zu, solange ich noch
etwas sagen kann.
Es gibt da diesen einen Moment – den Bruchteil einer Sekunde, bevor
man seine Augen zum allerletzten Mal schließt –, in dem man spürt, wie
sich der Körper dem Tod hingibt.
Man spürt, wie das Herz immer langsamer schlägt und sich darauf
vorbereitet, zum Stillstand zu kommen.
Man spürt, wie das Gehirn allmählich seine Aktivität einstellt und die
Synapsen deaktiviert wie Türen, die zugeschlagen werden.
Man spürt, wie die Lider schwerer werden. Es macht unschaffbare
Mühe, sie offen zu halten, und man begreift, dass das, was man jetzt sieht,
das Letzte ist, was man jemals sehen wird.
Ich sehe Sloan. Sie ist das Einzige, was ich sehe.
Ich sehe sie schreien.
Ich sehe, wie Asa sie hochzieht und aufs Bett wirft.
Ich sehe, wie sie sich gegen ihn wehrt.
Ich sehe, wie sie aufgibt.
Und deswegen weigere ich mich, meine Augen zu schließen.
Ich sehe das Blut, das aus meiner Brust fließt, sehe das Leben aus mir
heraussickern und sich am Boden in einer Lache ausbreiten. Ich weiß, dass
meine Fehler dazu geführt haben, dass Sloan jetzt in dieser Situation ist.
Aber ich weigere mich zu sterben, ohne nicht wenigstens versucht zu
haben, ihr zu helfen.
Meine Kraft reicht kaum aus, aber ich gebe alles. Strecke den Arm, bis
ich die Waffe erreiche, die im Holster an meiner Wade steckt. Meine Hände
sind blutverschmiert und glitschig, aber ich schaffe es, die Pistole
rauszuziehen. Ich mag in vieler Hinsicht ungeeignet sein für meinen Job,
aber ich habe verdammt noch mal ein Ziel.
In dem Moment, in dem ich die Pistole in der Hand halte, richtet Asa
seine Waffe gegen sich selbst.
So leicht kommt er nicht davon.
Ich weigere mich, die Augen zu schließen, als ich den Finger um den
Abzug krümme und abdrücke.
Die Kugel streift Asas Handgelenk und seine Pistole fliegt durchs
Zimmer.
Ich weigere mich, die Augen zu schließen, als in schneller Abfolge drei
Schüsse zu hören sind, die meine Ohren klingeln lassen – diesmal aus
Richtung der Tür.
Ich weigere mich, die Augen zu schließen, als ich sehe, wie Ryan in den
Raum stürmt, gefolgt von Kollegen.
Ich weigere mich, die Augen zu schließen, bis ich sehe, dass Asa
mehrere Meter von Sloan entfernt auf dem Bauch am Boden liegt.
Handschellen klicken.
Ich weigere mich, die Augen zu schließen, bis sie in Sloans Augen
sehen.
Sie ist vom Bett aufgesprungen und kauert jetzt neben mir, presst ihre
Hände auf meine Brust, um zu verhindern, dass auch noch der letzte Rest
meines Lebens aus mir herausströmt.
Ich habe nicht mehr genug Kraft übrig, um ihr zu sagen, dass es zu spät
ist.
Und dann endlich schließe ich die Augen.
Aber das ist gut so, weil sie das Einzige ist, was ich sehe.
Sie ist das Letzte, was ich jemals sehen werde.
Vierundvierzig
Sloan

Dieses Gefühl ist mir nicht neu. Ich musste schon einmal den Tod von
einem geliebten Menschen miterleben und weiß, wie das ist. Entsetzlich.
Herzzerreißend. Seelenzertrümmernd.
Es war einen Monat vor meinem dreizehnten Geburtstag.
Meine zwei Brüder – die Zwillinge Stephen und Drew – waren mit
diversen Behinderungen zur Welt gekommen. Meine Mutter war komplett
überfordert. Zwischendurch gab es zwar immer mal Phasen, in denen sie
sich zusammenriss. Sie brachte sie zum Arzt, besorgte Medikamente und
überzeugte das Jugendamt davon, dass sie bei ihr gut versorgt waren. Aber
irgendwann ging sie dann wieder aus, machte bis in den frühen Morgen
Party und überließ uns drei uns selbst.
In der Nacht, in der Drew starb, war ich mit den beiden wieder mal
allein. Ich kann nicht mehr alle Einzelheiten abrufen, weil ich versuche,
möglichst nicht daran zurückzudenken, aber ich erinnere mich an das laute
Poltern, das mich geweckt hat. Drew war aus dem Bett gefallen. Er hatte oft
Krampfanfälle und verlor dann völlig die Kontrolle über sich.
Ich rannte in das Zimmer der Jungs, um nach ihm zu sehen. Als ich die
Tür öffnete, lag er auf dem Boden und wand sich in Krämpfen, Schaum vor
dem Mund, die Augen verdreht. Ich kniete mich neben ihn und hielt ihn,
aber das war nicht so einfach, weil er zwar drei Jahre jünger, aber schon
größer und schwerer war als ich.
Erst als der Anfall irgendwann vorbei war und Drew ruhig in meinen
Armen lag, bemerkte ich das Blut an meinen Händen und an meinem
Schlafanzug. Ich bekam Panik, als ich die klaffende Wunde an Drews
Hinterkopf sah. Alles war voller Blut.
Er war so unglücklich aus dem Bett gestürzt, dass er sich den Kopf
gestoßen hatte. Unser Telefon war abgestellt, weil meine Mutter die
Rechnung nicht bezahlt hatte, also musste ich so zu den Nachbarn rennen,
um einen Krankenwagen zu rufen. Stephen schlief und bekam von alldem
nichts mit.
Als ich zurückkam, atmete Drew nicht mehr. Ich kann nicht sagen, ob er
noch gelebt hat, bevor ich Hilfe geholt habe. Mittlerweile denke ich, dass
der Sturz so heftig war, dass er wahrscheinlich in dem Moment gestorben
ist, in dem ich geglaubt habe, der Anfall wäre vorbei.
Nach diesem Erlebnis war ich nicht mehr dieselbe. Vorher hatte ich mir
immer vorgestellt, dass das Leben jedes Menschen aus einer relativ
ausgewogenen Mischung aus Gut und Schlecht besteht, nur dass das Gute
und das Schlechte zu unterschiedlichen Zeiten passieren. Ich hatte die
Hoffnung, dass das Schlechte bei mir eben am Anfang passierte und es
danach umso schöner weitergehen würde.
Aber in dieser Nacht begriff ich, dass es so etwas wie ausgleichende
Gerechtigkeit nicht gibt.
Drew war mit dem Hinterkopf auf die scharfe Kante einer Kiste geknallt
und hatte sich den Schädel gebrochen. Es wäre nichts Schlimmes passiert,
wenn er nicht ausgerechnet auf diese Kante gefallen wäre. Ein paar
Zentimeter weiter rechts oder links … für Drew haben sie den Unterschied
zwischen Leben und Tod ausgemacht.
Dieser Gedanke hat mich lange Zeit nicht losgelassen. Ich war wie
besessen davon. Ein paar Zentimeter und das Wunder wäre geschehen. Er
hätte überlebt.
Aber was Drew erlebte, war das Gegenteil von einem Wunder. Es war
ein tragischer Unfall.
Ein tragischer Unfall, der mir den Glauben an die Existenz von Wundern
genommen hat. Seitdem macht es mich wütend, wenn andere irgendetwas
als Wunder bezeichnen.
Es gibt immer wieder Menschen, die behaupten, ihr Krebs wäre geheilt
worden, weil ihre Freunde und Bekannten für sie gebetet haben. »Der
Tumor ist weg! Halleluja! Gott ist gut zu mir!«
Ich will solche Leute am liebsten an den Schultern packen und schütteln.
»Hallo? Wofür haltet ihr euch? Ihr seid nicht so etwas Besonderes!«
Es gibt nämlich viele andere, die an ihrem Krebs sterben, was ist mit
denen? Haben sie nicht genug Freunde und Bekannte, die für sie beten, oder
wurde vielleicht nicht genug für sie gebetet? Warum hat die Chemotherapie
bei ihnen nichts bewirkt? Warum haben sie ihr Wunder nicht bekommen?
Ist Gott etwa der Meinung, ihr Leben wäre weniger wert als das von denen,
die er gerettet hat?
Nein.
Manchmal kann der Krebs geheilt werden … manchmal eben nicht.
Manche Leute fallen vom Bett, stoßen sich den Kopf und sterben, andere
holen sich bloß eine Beule. Und jedes Mal, wenn man von jemandem hört,
der entgegen aller Wahrscheinlichkeit überlebt hat … dann gehört dieser
Jemand zufälligerweise zu denen, die Glück gehabt haben, mehr nicht.
Und was die meisten nicht bedenken: Um einer von denen zu sein, die
ein »Wunder« erleben dürfen, gibt es so viele andere, die sterben müssen.
Vielleicht bin ich durch die Sache mit Drew zu hart und bitter geworden,
aber ich bin davon überzeugt, dass alles im Leben nichts anderes als Zufall
ist. Entweder man überlebt oder man stirbt. Vom ersten Atemzug bis zum
letzten wird unsere Reise durch das Leben von Zufall und nicht von
Wundern oder göttlichem Eingreifen bestimmt, und es ist scheißegal, wie
oft man betet.
Es gibt keinen Masterplan. Manchmal liegen zwischen Leben und Tod
nur ein paar Zentimeter.
Deswegen musste ich mich hinsetzen, als der Arzt ins Wartezimmer
kam, um mir zu sagen, wie es um Luke steht. »Hätte die Kugel ihn nur ein
paar Zentimeter weiter links oder rechts getroffen, wäre er sofort tot
gewesen, aber noch lebt er. Jetzt bleibt uns nichts weiter, als um ein Wunder
zu beten.«
Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich nicht an Wunder glaube.
Luke wird entweder überleben … oder nicht.

***

»Du solltest dir einen Kaffee holen«, sagt Ryan. »Dir mal ein bisschen die
Beine vertreten.«
Vor über acht Stunden ist Luke aus dem OP gekommen. Er hat viel Blut
verloren und musste eine Transfusion bekommen, seitdem bin ich ihm nicht
von der Seite gewichen.
Ich schüttle den Kopf. »Nicht, bevor er nicht aufgewacht ist.«
Ryan seufzt, weiß aber, dass es keinen Sinn hat, weiter auf mich
einzureden. Er geht zur Tür. »Gut. Dann hole ich dir einen Kaffee.«
Ich sehe ihm hinterher, als er den Raum verlässt. Er ist die ganze Zeit
mit mir im Krankenhaus gewesen, obwohl er sicher genug anderes zu
erledigen hatte – Fragen zu gestern Abend beantworten,
Ermittlungsergebnisse bearbeiten, Asa verhören, die Aussagen der anderen
Beteiligten aufnehmen. Immerhin geht es hier um einen Mord und einen
Fall von versuchtem Mord.
Ich habe nicht mitbekommen, wie sie Asa gestern aus dem Zimmer
gebracht haben, weil ich in dem Moment nur Augen für Luke hatte. Aber
ich konnte ihn hören. Die ganze Zeit, während ich beide Hände auf die
Schusswunde in Lukes Brust gepresst und auf die Sanitäter gewartet habe,
brüllte Asa: »Lass ihn sterben, Sloan. Er liebt dich nicht. Ich liebe dich.
Ich!«
Ich habe mich nicht zu ihm umgedreht, sondern mich ganz auf Luke
konzentriert, als sie Asa aus dem Zimmer getragen haben. Das Letzte, was
ich von ihm gehört habe, war: »Hey. Das ist meine verdammte Torte! Ich
will meine Kokostorte mitnehmen.«
Ich habe keine Ahnung, wie es jetzt mit ihm weitergeht. Natürlich wird
er vor Gericht kommen, aber ich weiß schon jetzt, dass ich auf gar keinen
Fall als Zeugin aussagen möchte. Ich habe Angst, dass er dann womöglich
mit einer milderen Strafe davonkommt, als er es verdient hat. Denn
natürlich müsste ich die Wahrheit sagen. Ich müsste dem Gericht ehrlich
erzählen, welche drastischen Veränderungen in seinem Verhalten ich in den
letzten Wochen beobachtet habe. Für jeden, der Asa kennt, ist es
offensichtlich, dass er Symptome einer paranoiden Schizophrenie
entwickelt hat. Der Krankheit, unter der ja offenbar auch schon sein Vater
gelitten hat. Sollte sich das bestätigen, wird er wahrscheinlich nicht ins
Gefängnis kommen, sondern in eine psychiatrische Anstalt.
Und obwohl ich will, dass er therapeutisch behandelt wird, möchte ich
gleichzeitig auch, dass er für seine Taten büßt. In einem Gefängnis.
Zusammen mit anderen Männern, die doppelt so krank und bösartig sind,
wie er es sich in seinen schlimmsten Träumen ausmalt.
Manche Leute würden wohl sagen, dass ich hart bin und verbittert. Ich
nenne es Karma.
»Ich bin endgültig fertig mit dir, Asa Jackson«, flüstere ich.
Und das bin ich. Dieser Mensch hat mich viel zu viel Lebenszeit
gekostet und jetzt will ich mich nur noch auf die Zukunft konzentrieren.
Auf Stephen. Und auf Luke.
An Lukes Körper kleben Elektroden, die ihn mit Maschinen verbinden,
überall sind Schläuche und er hängt am Tropf, aber ich schaffe es trotzdem,
mich neben ihn ins Bett zu legen, den Kopf an seine Schulter zu schmiegen
und die Augen zu schließen.
Ich schrecke hoch, als mich jemand sanft rüttelt. »Kaffee?«
Ryan sitzt auf dem Stuhl neben dem Bett und hält mir einen dampfenden
Becher hin. Das ist wahrscheinlich mein fünfter Kaffee, seit Luke aus dem
OP gekommen ist, aber wenn es sein muss, trinke ich auch fünf Millionen.
Ryan lehnt sich zurück und nimmt einen Schluck, dann beugt er sich
wieder vor. Er hält den Becher mit beiden Händen zwischen seinen Knien.
»Hat er dir mal erzählt, wie wir uns kennengelernt haben?«, fragt er.
Ich schüttle den Kopf.
Er grinst fast ein bisschen wehmütig. »Wir waren zusammen für einen
Undercover-Job eingeteilt und er hat seine Tarnung schon am zweiten Tag
auffliegen lassen. Gott, ich war so wütend auf ihn … Andererseits hatte er
verdammt gute Gründe dafür. Ich kann jetzt nicht ins Detail gehen, aber
wenn er sich nicht geoutet hätte, wäre ein kleiner Junge gestorben, und mit
dieser Schuld hätte Luke nicht leben können. Von dem Moment an war mir
klar, dass er ein viel zu großes Herz für unseren Beruf hat.« Er schüttelt
lächelnd den Kopf. »Aber auch wenn ich als sein Vorgesetzter ziemlich viel
Ärger deswegen bekommen habe, habe ich ihn für seine Entscheidung
respektiert. Ihm war das Leben dieses Kindes, das er nicht mal persönlich
kannte, wichtiger als seine Karriere. Und das ist keine Schwäche, das ist ein
Charakterzug. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man es Mitgefühl nennt.« Er
zwinkert mir zu.
»Das ist genau das, was ich so unwiderstehlich an ihm finde«, flüstere
ich und kann das erste Mal seit ewigen Zeiten wieder lächeln. »Sein
Mitgefühl.«
Ryan zuckt mit den Schultern. »Schon, aber … er hat auch einen
ziemlich knackigen Arsch.«
Ich lache. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie Luke gebaut ist. Bei der
einzigen Gelegenheit, bei der ich ihn nackt gesehen habe, saß er in der
Dunkelheit in seinem Wagen.
Ich stelle den Kaffeebecher auf den Nachttisch, beuge mich vor und
küsse Luke sanft auf den Mund. Es ist mir wichtig, ihn so oft zu küssen,
wie es nur geht – nur für den Fall, dass ich nicht mehr so viele Chancen
bekomme.
Als ich die Lippen von seinen löse und mich wieder an ihn schmiege,
höre ich so etwas wie ein leises Räuspern. Ryan springt auf. Ich hebe den
Kopf.
»War er das gerade?«, fragt Ryan ungläubig.
»Ich glaub schon«, flüstere ich.
»Küss ihn noch mal«, sagt Ryan. »Ich glaube, damit hast du ihn
geweckt.«
Ich küsse ihn zart und Luke stöhnt leise. Seine Lider flattern.
Wir sehen ihn mit angehaltenem Atem an, als er die Augen kurz
aufmacht und dann wieder schließt.
»Luke? Kannst du mich hören?«, fragt Ryan.
Luke öffnet wieder die Augen, sieht aber nicht Ryan an, sondern dreht
langsam den Kopf, bis sein Blick auf mich fällt. Er schaut mich einen
Moment an, dann sagt er heiser: »Durch Kaleidoskopgürtelschnallen sieht
man Kobolde, wenn der Nebel sie fallen lässt wie heiße Kartoffeln.«
Mir schießen Tränen in die Augen und ich muss einen Schluchzen
unterdrücken.
»Scheiße«, ruft Ryan. »Er redet wirres Zeug, das ist ein ganz schlechtes
Zeichen. Ich hole einen Arzt.« Er ist schon aus dem Zimmer, bevor ich ihm
sagen kann, dass alles in bester Ordnung ist.
Ich streichle Luke über die stoppelige Wange und flüstere: »Depressive
Baguettes hängen am Spielplatz ab und essen Cornflakes, bis die Schnecken
welken.« Meine Stimme bricht … vor Erleichterung, vor Glück und vor
Dankbarkeit. Und obwohl ich weiß, dass ihm sicher alles wehtut, kann ich
nicht anders, als ihn fest zu umarmen und jeden Zentimeter seiner Haut, den
ich erreichen kann, mit Küssen zu bedecken. Und dann liege ich einfach nur
still neben ihm, während mir die Tränen übers Gesicht laufen.
»Sloan?«, sagt er rau. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, was passiert
ist, nachdem ich alles vermasselt habe. Hast du mir das Leben gerettet?«
Ich lache und stütze mich auf die Ellbogen. »Nicht wirklich«, sage ich
leise. »Du hast Asa die Waffe aus der Hand geschossen, bevor er sich selbst
erschießen konnte, und dann bin ich zu dir gerannt und habe die Hand auf
deine Wunde gepresst, bis endlich die Sanitäter gekommen sind. Ich würde
sagen, es war eine gemeinschaftliche Rettungsaktion.«
Er lächelt traurig. »Ich hab dich ja gewarnt, dass ich nicht gerade der
beste Cop der Welt bin.«
Ich nicke. »Bist du vielleicht wirklich nicht. Aber du könntest ja noch
mal studieren und Spanischlehrer werden.«
Luke muss laut lachen und verzieht das Gesicht, weil er wahrscheinlich
Schmerzen hat. »Das ist gar keine so schlechte Idee, Sloan.«
Und dann versucht er, sich auf die Ellbogen zu stützen, um sich
vorzubeugen und mich zu küssen, aber die Anstrengung ist zu viel für ihn.
Ein paar Zentimeter vor meinem Gesicht hält er inne und ringt nach Luft.
Nur ein paar Zentimeter.
Als ich mich zu ihm beuge, die wenigen Zentimeter überwinde und ihn
küsse, spüre ich, dass ich gerade dabei bin, ein sehr düsteres Kapitel meines
Lebens zu schließen, das schon seit zwei Jahren darauf wartet, beendet zu
werden.
Und unser Kuss markiert den Beginn eines ganz neuen Buchs. Eines
Buchs, in dem vielleicht sogar Wunder passieren können.
Fünfundvierzig
Asa

Ich setze mich mit einem Ruck auf und öffne die Augen, obwohl ich nicht
geschlafen habe. An diesem gottverdammten Ort könnte kein Mensch
schlafen. Dann atme ich ein paarmal tief ein und aus. Und auf einmal bin
ich mir ganz sicher. Sie hat damals nicht härter gesagt, sie hat Carter
gesagt. »Verfluchte Nutte!«
Ende
Epilog
Sloan

Ich klopfe leise an die Tür seines Krankenzimmers, aber es kommt keine
Antwort. Als ich sie öffne und hineinspähe, sehe ich, dass Luke schläft. Der
Fernseher läuft leise im Hintergrund. Ich blicke zur Couch, auf der Ryan
liegt. Er hat sich sein Basecap über die Augen gezogen und schläft auch.
Ich drücke die Tür geräuschlos hinter mir zu, weil ich die beiden nicht
wecken will, aber Ryan hört mich trotzdem und setzt sich auf.
»Hey.« Er streckt die Arme über den Kopf und gähnt. »Bleibst du eine
Weile da?«
Ich nicke. »Wahrscheinlich übernachte ich hier«, flüstere ich. »Fahr nach
Hause und ruh dich aus.«
Er steht von der Couch auf und wirft einen Blick zum Bett. »Der Arzt
war vorhin hier und hat gemeint, dass er morgen nach Hause darf.
Allerdings soll jemand bei ihm bleiben und sich ein bisschen um ihn
kümmern. Ich würde das ja sofort übernehmen, aber ich bin mir ziemlich
sicher, dass du das machen willst …«
Ich stelle meine Tasche auf die Couch. »Sehr gern, wenn er nichts
dagegen hat.«
»Ich bin mehr als einverstanden«, höre ich Luke sagen und drehe mich
zu ihm um. Er lächelt mich matt an.
Ryan lacht. »Bestens. Dann schaue ich morgen nach meinem Treffen mit
Young mal vorbei.«
Luke nickt und winkt mich zu sich. »Komm her.«
Als Ryan den Raum verlässt, gehe ich zum Bett. Luke rutscht zur Seite,
um mir Platz zu machen, damit ich mich zu ihm legen kann.
Ich schlinge einen Arm um seinen Oberkörper und schmiege mich an
ihn.
»Wie geht es deinem Bruder?«, fragt er.
»Gut«, sage ich. »Wenn du möchtest, können wir ihn besuchen, sobald
du fit bist. Er hat die ganze Zeit zur Tür geschaut, als würde er erwarten,
dass du kommst. Ich hatte das Gefühl, er war richtig enttäuscht, dass ich
allein da war.«
Luke lacht leise. »Ich hätte mich rausgeschlichen und wäre mitgefahren,
aber das hast du mir ja verboten.«
Ich schüttle den Kopf. »Du hast zwei Schusswunden, Luke. Du wärst
fast gestorben. Ich will, dass du gut auf dich aufpasst und dich auf gar
keinen Fall überanstrengst.« Ich richte mich ein Stück auf. »Was hat der
Arzt denn gesagt? Lassen sie dich morgen wirklich schon nach Hause?
Aber du musst wahrscheinlich im Bett bleiben und sollst dich schonen,
oder?«
Luke streicht mir über die Haare. »Was würdest du sagen, wenn ich
behaupte, dass er mir strenge Bettruhe bei gleichzeitig regelmäßiger
körperlicher Betätigung verordnet hat?«
»Dann würde ich sagen, dass du lügst.«
Er verzieht das Gesicht. »Vier bis sechs Wochen absolutes Sexverbot,
falls du es genau wissen willst«, sagt er. »Ich darf mein Herz nicht
übermäßig belasten. Weißt du, wie schwierig das wird, wenn du meine
Pflegerin bist?«
Ich fahre mit den Fingerkuppen über seine Brust und spüre unter dem
Krankenhausnachthemd den Verband. »Vier bis sechs Wochen sind ein
Klacks angesichts der Ewigkeit, die vor uns liegt.«
Luke lacht gequält. »Das sagst du so einfach. Hast du noch nie gehört,
dass Männer alle sieben Sekunden an Sex denken?«
»Das ist ein Mythos«, kläre ich ihn auf. »Ich habe in Bio gelernt, dass es
in Wirklichkeit bloß vierunddreißigmal pro Tag sind.«
Luke denkt kurz nach. »Das sind dann aber immer noch ungefähr
tausendmal in den nächsten vier Wochen, die ich mich zusammenreißen
muss. Ich fürchte, das schaffe ich nicht.«
Ich schüttle lächelnd den Kopf. »Ich versuche es dir leicht zu machen.
Ich werde mich nicht duschen, meine Haare nicht waschen und mich die
nächsten vier Wochen nicht schminken.«
»Das wird nichts nützen«, sagt Luke. »Höchstwahrscheinlich macht es
das sogar noch schlimmer.«
Ich rutsche ein Stück an ihm herunter und drücke ihm einen Kuss auf
den Hals. »Wenn es zu hart wird, können wir auch einen Krankenpfleger
anheuern, der sich stattdessen um dich kümmert.«
»Auf keinen Fall!« Luke umfasst mein Handgelenk. »Niemand kümmert
sich um mich außer dir«, flüstert er.
Die Schmerzmittel machen ihn müde, deswegen antworte ich nicht,
sondern bleibe schweigend neben ihm liegen, bis ich mir fast sicher bin,
dass er wieder eingeschlafen ist. »Sloan?«, sagt er plötzlich. »Wo wohnst du
eigentlich im Moment?«
Luke ist jetzt schon seit zwei Wochen im Krankenhaus und hat mich das
schon ein paarmal gefragt, aber ich habe jedes Mal schnell das Thema
gewechselt und gesagt: »Lass uns ein andermal darüber reden.«
Diesmal werde ich mich wohl nicht aus der Affäre ziehen können.
»Im Motel.«
Er sieht mich ungläubig an. »Machst du Witze?«
Ich zucke mit den Schultern. »Das ist okay, Luke. Ich suche mir bald ein
Apartment.«
»In welchem Motel?«
»In dem auf der Stratton Avenue.«
Er presst die Lippen aufeinander. »Bitte zieh da heute noch aus, Sloan.
Ich hab kein gutes Gefühl dabei. Das ist eine echt miese Gegend.« Er
versucht sich in eine sitzende Position hochzuhieven, und ich sehe ihm an,
dass er sich wirklich Sorgen macht. »Warum hast du mir das nicht gesagt?
Ich dachte, du würdest vielleicht bei einer Freundin wohnen.«
»Du wärst beinahe gestorben«, sage ich. »Ich wollte nicht, dass du dir
meinetwegen Gedanken machst, okay? Du hast schon genug mit dir selbst
zu tun.«
Er lässt sich wieder aufs Kissen fallen und fährt sich mit beiden Händen
übers Gesicht. »Von jetzt an wohnst du bei mir. Ich brauche ja sowieso
deine Hilfe. Es ist Quatsch, wenn du Geld, das du nicht hast, für ein Motel
ausgibst.«
»Ich ziehe garantiert nicht bei dir ein. Ich komme tagsüber und kümmere
mich um dich, aber abends gehe ich. Wir kennen uns kaum.«
Luke sieht mich mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldet.
»Du wirst bei mir wohnen, Sloan. Ich sage ja nicht, dass es für immer sein
muss. Aber bis ich mich erholt habe und du ein eigenes Apartment hast,
machen wir es so. Du gehst nicht zurück in dieses Motel.«
Es ist wirklich eine gruselige Absteige, aber etwas Besseres konnte ich
mir nicht leisten. Nachdem Asa verhaftet wurde, habe ich meine Klamotten
zusammengepackt, mein gespartes Geld aus dem Versteck geholt, die Tür
hinter mir ins Schloss geworfen und seitdem keinen Fuß mehr in das Haus
gesetzt.
»Na gut.« Ich gebe mich geschlagen. »Zwei Wochen. Dann suche ich
mir was Eigenes.«
Er atmet auf, und ich sehe ihm an, wie erleichtert er ist. Leider habe ich
keine Ahnung, wie ich es schaffen soll, mir in zwei Wochen eine eigene
Wohnung zu leisten. Ich müsste mir ein Auto besorgen und einen Job
finden. Heute bin ich mit Lukes Wagen zu Stephen gefahren, aber bald
braucht er ihn selbst wieder.
Ich drehe ihm den Kopf zu, als ich seine warme Hand in meinem
Nacken spüre. Unsere Blicke treffen sich, und ich sehe eine Weichheit in
seinem Blick, die vor ein paar Sekunden noch nicht da gewesen ist.
»Zerbrich dir nicht so viel den Kopf«, sagt er leise. »Du bist jetzt nicht
mehr allein, okay?«
»Okay«, flüstere ich.
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Gefühl habe, die Last
würde nicht mehr nur auf meinen Schultern liegen. Ich habe nicht gewusst,
dass es Menschen gibt, die einem das Leben erleichtern, statt es noch
schwieriger zu machen. Bis ich Luke kennengelernt habe.
Liebe sollte sich nicht wie eine zusätzliche Last anfühlen. Im Gegenteil,
sie sollte dafür sorgen, dass man sich leichter fühlt.
Asa hat alles in meinem Leben schwerer gemacht.
Mit Luke schwebe ich.
Daran erkennt man vermutlich, ob man auf die richtige oder die falsche
Art geliebt wird. Die falsche Liebe zieht einen runter wie ein schwerer
Anker. Die richtige schenkt einem Flügel.

***

»Brauchst du sonst noch irgendwas?«, frage ich.


Heute war ich zum ersten Mal bei Luke. Es hat mich überrascht, dass er
in einem ganz normalen Vorort lebt, der etwa eine Stunde von der Gegend
entfernt ist, in der ich mit Asa gewohnt habe. Von hier aus habe ich es sogar
näher zu Stephens Heim.
Das Haus ist nur gemietet. In seinem Job kann es immer sein, dass man
seinen Wohnort verlagern muss, deshalb wollte Luke bisher keinen Kredit
aufnehmen.
»Danke. Ich habe alles«, sagt er lächelnd.
Ich nicke und sehe mich unschlüssig in seinem Schlafzimmer um,
während ich überlege, was ich jetzt machen soll. Er will wahrscheinlich
schlafen.
»Möchtest du dich vielleicht zu mir legen und ein bisschen fernsehen?«,
fragt er und hebt die Decke an.
»Das klingt paradiesisch.«
Ich krieche zu ihm ins Bett und kuschle mich an ihn, wie ich es im
Krankenhaus jeden Tag gemacht habe. Luke schaltet den Fernseher an und
zappt durch die Kanäle, bis er ein Programm gefunden hat, das uns beide
interessiert. Wir liegen eine Weile so da, als er plötzlich sagt: »Danke,
Sloan.«
Ich sehe zu ihm auf. »Wofür?«
Sein Blick wandert über mein Gesicht. »Für alles«, flüstert er. »Dass du
für mich sorgst. Dass du trotz allem, was du durchgemacht hast, so stark
bist.«
Ich weiß, dass der Arzt ihm jede Art von körperlicher Anstrengung
verboten hat, aber er hat sich wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass
Luke Sachen sagt, die mich wünschen lassen, ich könnte mit ihm
verschmelzen. Ich bin es nicht gewöhnt, dass sich jemand bei mir bedankt.
Es fühlt sich so unbeschreiblich gut an, dass ich gar nicht anders kann, als
mich vorzubeugen und ihn zu küssen.
Luke stöhnt leise auf, legt mir eine Hand in den Nacken und küsst mich
leidenschaftlicher.
Oh, oh. Das ist nicht gut. Er hat völlig recht gehabt mit seinen
Bedenken – ich weiß auch nicht, wie wir das vier oder sogar sechs Wochen
durchhalten sollen. Das wird die Hölle!
Zum Glück klingelt es in dem Moment an der Tür.
»Ich gehe.« Luke schlägt die Decke zurück.
»Auf gar keinen Fall!«, protestiere ich und decke ihn wieder zu. »Du
ruhst dich aus. Ich gehe.«
Er greift nach meiner Hand und hält mich fest. »Aber schau erst durch
den Spion«, sagt er ernst. »Selbst wenn es Ryan ist, machst du ihm erst auf,
wenn er sich am Kinn kratzt. Das ist unser Zeichen, dass alles okay ist.
Falls er sich nicht kratzt, lässt du ihn nicht rein.«
Ich frage mich, ob diese Vorsichtsmaßnahme wirklich nötig ist. Ehrlich
gesagt ist mir Lukes Job nicht ganz geheuer. Ich fände es richtig gut, wenn
er sich beruflich umorientieren würde.
Als ich an der Tür bin und durch den Spion sehe, steht Ryan vor der Tür
und er kratzt sich tatsächlich am Kinn. Allerdings ist er nicht allein.
Ich gehe auf Zehenspitzen zum Schlafzimmer zurück. »Er hat ein
Mädchen dabei.«
»Lange blonde Haare?«, fragt Luke.
Ich nicke.
»Alles okay, das ist bloß Tillie.«
Tillie. Na toll.
Ich gehe wieder zur Tür, gebe den Code ein, um die Alarmanlage zu
deaktivieren, und lasse die beiden rein.
»Hey.« Ryan umarmt mich zur Begrüßung. Tillie lächelt mich freundlich
an, aber ich fühle mich sofort eingeschüchtert. Sie ist ein paar Zentimeter
größer als ich und trägt eine enge schwarze Hose, eine weiße Bluse und
eine Kette aus Silberperlen. Sie ist auf natürliche Weise schön und ihr Stil
von lässiger Eleganz.
»Tillie, das ist Sloan. Sloan, Tillie.«
Ich schüttle die Hand, die sie mir hinstreckt, und bin erstaunt, wie kräftig
ihr Griff ist. Es fällt mir schwer, nicht daran zu denken, dass sie Luke
geküsst hat. Auch wenn es nur für den Job war, spüre ich doch einen Anflug
von Eifersucht.
Anscheinend kann Tillie Gedanken lesen. »Ich hoffe, du bist nicht sauer,
dass ich mit deinem Freund knutschen musste. Das wird nie wieder
vorkommen, versprochen. Den da musste ich während einer Ermittlung
auch mal küssen.« Sie zeigt auf Ryan und verdreht die Augen.
Ryan grinst. »Das ist jetzt über ein Jahr her und scheint dich immer noch
zu beschäftigen. Ich hab offenbar richtig Eindruck bei dir hinterlassen.«
Sie nickt. »Albträume sind schwer zu verarbeiten.«
Ich lache und stelle fest, dass ich sie mag. »Luke ist im Bett«, sage ich
und zeige in Richtung Schlafzimmer, während ich die Haustür hinter den
beiden zuziehe.
Ryan zögert. Er sieht zum Schlafzimmer und dann zu mir, und obwohl er
lächelt, spüre ich, dass ihm etwas auf dem Herzen liegt. »Würde es dir was
ausmachen, wenn wir erst mal allein mit ihm reden?«, fragt er.
Mir läuft es sofort kalt über den Rücken, aber ich versuche, mir nichts
anmerken zu lassen. »Geht es um Asa?«
Tillie wirft Ryan einen kurzen Seitenblick zu, an dem ich erkenne, dass
ich mit meiner Vermutung richtigliege.
»Ihr könnt gern allein mit ihm reden«, sage ich. »Aber ich sage euch
gleich, dass ich an der Tür lauschen werde.«
Ryan lacht nicht, sondern nickt nur ernst. »Alles klar.«
Als die beiden zu Luke ins Zimmer gehen, schließe ich die Augen und
atme tief durch.
Das fühlt sich nicht gut an.
Luke

Tillie und Ryan kommen ins Zimmer, aber mein Blick liegt auf Sloan, die
mit geschlossenen Augen im Wohnzimmer steht und aussieht, als müsste
sie sich gleich übergeben.
»Was hast du ihr gesagt?«, frage ich Ryan.
Im gleichen Moment atmet Sloan tief durch, öffnet die Augen, strafft die
Schultern und kommt ebenfalls ins Schlafzimmer.
»Noch nichts.« Ryan schüttelt den Kopf. »Sie möchte gern dabei sein,
wenn ich mit dir rede.«
Sloan lehnt sich an den Türrahmen und sieht stumm zu, wie Ryan und
Tillie zur Couch gehen und sich setzen. Am liebsten würde ich sie ganz aus
der Geschichte raushalten. Wenn es nach mir ginge, würde ich es ihr
ersparen, jemals wieder Asas Namen hören zu müssen. Andererseits weiß
ich, dass die Sache noch längst nicht ausgestanden ist. Uns steht noch ein
langer Prozess bevor, in dessen Verlauf wir natürlich auch als Zeugen vor
Gericht aussagen müssen. Bis Asa rechtskräftig verurteilt ist und für lange
Zeit hinter Gitter wandert, werde ich Sloan also nicht davor schützen
können, immer wieder Details mitzukriegen. Ich klopfe neben mich auf die
Matratze. »Komm her.«
Als sie neben mir sitzt, sehe ich Ryan an. »Okay. Was gibt es?«
Er beugt sich kopfschüttelnd vor und verschränkt die Hände zwischen
den Knien. »Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen soll«, sagt er und sieht
mir in die Augen. »Ich hab mich heute mit Young getroffen.«
»Und?«
»Keine guten Neuigkeiten«, sagt Ryan. »Ich rede am besten gar nicht
lange um den heißen Brei herum, sondern sage euch, wie es steht.«
Sloan schiebt ihre Hand in meine. Ich spüre, dass sie zittert, und drücke
sie beruhigend. Ryan neigt dazu, die Dinge etwas überzudramatisieren. Ich
wünschte, Sloan wüsste das auch, damit sie sich nicht solche Sorgen
machen muss.
»Okay. Also Asa behauptet, dass er den Typen im Schlafzimmer oben in
Notwehr erschossen hat.«
Sloan schnaubt. »Das war keine Notwehr!«, sagt sie empört. »Ich war
doch dabei.«
Ryan nickt. »Nicht, um sich zu verteidigen«, sagt er. »Er sagt, er hätte
dich verteidigt. Du hättest um Hilfe gerufen, daraufhin wäre er nach oben
gelaufen, und in dem Moment, in dem er ins Zimmer kam, hätte sich der
Kerl auf dich gestürzt. Er sagt, er hätte eine Waffe gehabt. Ihm wäre keine
Wahl geblieben, als auf ihn zu schießen, bevor er dich umbringt.«
Sloan schüttelt den Kopf. »Aber so war das nicht …« Sie sieht mich an.
»Er hätte ihn nicht töten müssen, Luke.«
Ich lege Sloan einen Arm um die Schulter und ziehe sie an mich. Was
Ryan sagt, überrascht mich nicht. Ich habe schon damit gerechnet, dass Asa
versuchen wird, sich auf Notwehr zu berufen.
»Aber das wird ihm nicht helfen, oder?«, sage ich zu Ryan. »Vor Gericht
steht seine Aussage gegen die von Sloan und er hat keine Chance.«
Ryan nickt. »Das ist unsere Hoffnung«, sagt er. »Falls die Sache vor
Gericht kommt.«
»Falls?«, fragt Sloan, bevor ich es tun kann.
»Es ist leider so«, übernimmt Tillie, »dass die Fakten tatsächlich für
Notwehr sprechen. Der andere hatte eine nicht registrierte Waffe in der
Hand. Sloan hat um Hilfe gerufen, dafür gibt es Zeugen. Selbst wenn sie
vor Gericht aussagt, dass ihr Leben nicht in Gefahr war, ist das nur ihre
subjektive Einschätzung. Asas Waffe war unter seinem Namen registriert.
Außerdem behauptet er, dass er keine Ahnung hat, wer die Männer waren,
die sein Haus gestürmt haben. Sie sind geflohen und unauffindbar. Das
Einzige, was wir haben, ist ein Toter, dem wir keinerlei Verbindung zu Asa
nachweisen können.«
Sloans Atem beschleunigt sich, während sie langsam begreift, was das
zu bedeuten hat. Ich reibe mir übers Gesicht. »Aber was ist mit uns
dreien?«, frage ich. »Asas Wort steht gegen unseres. Wir wissen, dass er
sich die Nummer ausgedacht und die Typen angeheuert hat. Das hat er
selbst zugegeben.«
»Stimmt.« Ryan nickt. »Aber nur dir gegenüber, Luke. Ich habe ihn das
zu keinem Zeitpunkt sagen hören, deswegen kann ich es auch nicht
bezeugen. Ich war nicht bei euch im Zimmer. Und außerdem …« Er hält
inne.
Tillie beugt sich vor. »Asa behauptet, ihr beide hättet ihm eine Falle
gestellt.«
Ich setze mich auf. »Machst du Witze? Welches Gericht soll ihm den
Scheiß glauben?«
Das ist absolut lächerlich. Ich ziehe Sloan noch enger an mich, drücke
ihr einen Kuss in die Haare und bereue es, sie alldem ausgesetzt zu haben.
»Das ist absurd, klar«, sagt Ryan. »Wir wissen alle, dass das Ganze von
ihm ausging. Aber was glaubt ihr, wie es für die Geschworenen aussieht,
wenn Sloan unter Eid zugeben muss, dass sie mit einem Mann geschlafen
hat, von dem sie ganz genau wusste, dass er als Undercover-Cop
eingeschleust wurde, um ihren Verlobten hinter Gitter zu bringen? Wie
werden sie wohl entscheiden, wenn das Wort der Verlobten und des
Undercover-Cops, was die Frage der Notwehr angeht, gegen das von Asa
steht?«
Sloan lässt mich los und schlägt die Hände vors Gesicht. Ich schüttle
fassungslos den Kopf.
»Dir war klar, dass ich mich in sie verliebt hatte, Ryan. Wenn ich
gewusst hätte, welche Konsequenzen das alles haben würde, hätte ich …«
Ich wollte eigentlich sagen, dass ich mich dann von ihr ferngehalten hätte,
aber ich beende den Satz nicht. Denn ich habe es gewusst und ich habe
mich nicht von ihr ferngehalten. Ich hatte mich in Sloan verliebt und wollte
nicht über irgendwelche möglichen Folgen nachdenken. Und jetzt muss sie
dafür bezahlen.
»Alles hängt vom Richter ab«, sagt Tillie. »Vielleicht lässt er es gar
nicht zu einem Verfahren kommen. Im Fall von Notwehr wird oft auf
gerechtfertigte Tötung plädiert, falls es einen Zeugen gibt, der die Aussage
des Angeklagten untermauert.«
»Aber in diesem Fall gibt es niemanden, der seine Aussage betätigen
kann«, wende ich ein.
»Doch.« Ryan und Tillie sehen Sloan an.
»Wie bitte?«, fragt Sloan entgeistert.
Ryan steht auf, geht ein paar Schritte und lehnt sich gegen die Wand.
»Hat das Opfer dich tätlich angegriffen und festgehalten?«, fragt er.
Sloan nickt stumm.
»Hatte er eine Waffe in der Hand?«
Wieder nickt Sloan.
»Hat er ausgesehen wie ein FBI-Agent?«
Sie nickt.
»Hast du um Hilfe gerufen?«
Diesmal nickt sie nicht. Eine Träne läuft ihr über die Wange.
»Zweimal«, flüstert sie.
»Und was hast du empfunden, als Asa in den Raum kam?«, fragt Ryan.
»Die Geschworenen werden dir diese Frage unter Eid stellen.«
Ein Schluchzen bricht aus ihrer Kehle. »Erleichterung«, flüstert sie unter
Tränen. »Ich hatte solche Angst. Ich war erleichtert.«
Ryan nickt. »Das reicht, um seine Aussage zu untermauern, Sloan. Er
hat dich vor dem Kerl beschützt. Das wird ein Richter oder eine
Geschworenenjury kaum als Mord werten – und es spielt dabei keine Rolle,
dass wir drei wissen, wie kaltblütig und gewissenlos er sein kann. In einem
Prozess steht nicht sein Charakter im Allgemeinen auf dem Prüfstand,
sondern nur diese eine Tat.«
»Aber …« Sloan wischt sich über die Augen. »Er hätte ihn nicht gleich
erschießen müssen, er hätte ihn auch von mir wegreißen können.«
Ryan nickt. »Hätte er, das stimmt. Wir wissen das. Aber die
Geschworenen kennen Asa nicht so, wie wir ihn kennen. Und seine
Verteidiger werden dich in den Zeugenstand holen und in der Luft
zerreißen, Sloan. Sie werden Asa als Opfer darstellen, der doch nichts
weiter getan hat, als seine geliebte Verlobte zu schützen. Seine Verlobte, die
eine Affäre mit einem Undercover-Cop hatte, dessen Aufgabe es war,
Beweise gegen ihn zu sammeln. Das macht deine Aussage leider nicht
unbedingt glaubwürdiger.«
Sloan springt auf. »Aber was ist mit dem Material, das ihr gegen Asa
zusammengetragen habt?«, fragt sie verzweifelt. »Würde das meine
Behauptungen nicht stützen? Hat das alles denn gar kein Gewicht in einem
Mordprozess?«
Ryan sieht mich an, dann seufzt er schwer und setzt sich wieder. »Es gibt
da noch was, das ich euch sagen muss.« Er reibt die Handflächen
aneinander. »Young hat entschieden, dass er die Ergebnisse unserer
Ermittlungen nicht für eine Anklage nutzen wird. Die Beweisführung hat
noch erhebliche Lücken, weil wir mitten aus der Arbeit gerissen wurden.
Young hat außerdem Sorge, dass wir von den Medien nach Strich und
Faden fertiggemacht werden, falls wir Anklage erheben, weil sie natürlich
spitzkriegen werden, dass einer unserer Leute sich auf eine Affäre mit der
Verlobten des Zielobjekts eingelassen hat. Dass wir überhaupt auf falsche
FBI-Agenten reingefallen sind und du sogar deine Tarnung aufgegeben
hast, ist für die natürlich auch ein gefundenes Fressen. Young schätzt die
Chancen, dass es zu einer Verurteilung von Asa kommt, deutlich geringer
ein als die Gefahr, den Ruf unserer gesamten Abteilung zu ruinieren. Er
schlägt deshalb vor, die Akte Asa Jackson zu schließen.«
»Oh mein Gott.« Sloan sinkt aufs Bett. »Das ist alles meine Schuld«,
flüstert sie.
Ich greife nach ihrer Hand. »Nein, Sloan. Es ist meine Schuld. Ich war
schließlich im Dienst.« Ich sehe Ryan an. »Bleibt aber immer noch der
versuchte Mord, oder? Asa hat mich in die Brust geschossen und das war
ganz bestimmt keine Notwehr. Dafür wird er doch hoffentlich vor Gericht
gestellt.«
Ich sehe, wie Ryan trocken schluckt.
»Du verarschst mich, oder?«, flüstere ich. Als er darauf nicht antwortet,
lasse ich mich gegen das Kopfende des Betts sinken.
»Er plädiert auch in deinem Fall auf Notwehr«, sagt Ryan leise. »Ihr
habt beide geschossen. Sloan war die einzige Augenzeugin. Ich kann nur
das aussagen, was ich von außen durch die Tür mitbekommen habe.«
»Er hätte mich beinahe umgebracht, Ryan!«
Ryan und Tillie sehen sich an, dann räuspert sich Tillie. »Es tut mir leid,
Luke. Falls er deswegen vor Gericht muss, stehen die Chancen gut, dass du
ebenfalls angeklagt wirst. Und dann steht Aussage gegen Aussage.«
»Ich soll angeklagt werden? Wegen was denn bitte?«
»Das hängt vom Richter ab. Gefährliche Körperverletzung … vielleicht
auch versuchter Mord. Dadurch, dass das Department entschieden hat, die
Drogenanklage gegen Asa nicht weiterzuverfolgen, wird es aussehen wie
eine Eifersuchtstat. Zwei Männer lieben dieselbe Frau, es kommt zum
Showdown …«
Ich höre Sloan neben mir leise schluchzen.
Meine Gedanken überschlagen sich. »Ihr wollt mir also allen Ernstes
sagen, dass dieser kranke Wichser nicht nur beste Chancen hat, mit allem
davonzukommen … sondern auch, dass ich womöglich wegen versuchten
Mordes angeklagt werde?«
Ryan nickt widerstrebend. »Es sei denn … wir schaffen es, einen Deal
auszuhandeln. Seine Anwälte drängen darauf. Sie wollen, dass wir die
Anklage im Austausch gegen Informationen über Jon und Kevin und ein
paar andere Leute fallen lassen. Wie gesagt, Luke, letzten Endes hängt alles
vom Richter ab, dem der Fall zugeteilt wird. Und vom Staatsanwalt
natürlich. Das könnte wiederum ein Vorteil für dich sein, weil er dich
persönlich kennt und schätzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine
Anklage gegen dich akzeptieren würde, aber wenn wir unsere Ermittlungen
gegen Asa durchsetzen, werden seine Anwälte zurückschlagen. Du musst
dir also gut überlegen, wie du dich verhalten willst.«
Ich kann nicht glauben, was ich höre.
»Was ist mit all dem anderen, das er getan hat?«, fragt Sloan. »Zum
Beispiel, wie er mich behandelt hat. Kann man ihn dafür nicht zur
Rechenschaft ziehen?«
Tillie nickt. »Könnte man schon, aber was wirfst du ihm vor? Hat er dich
vergewaltigt?«
Sloan sieht mich an, dann Tillie. Sie zuckt mit den Schultern. »Ich weiß
nicht, ob man es als Vergewaltigung bezeichnen kann«, sagt sie leise. »Es
gab mehrere Situationen, in denen … Ich … Ich hatte Angst, dass er mir
wehtun würde, deswegen … habe ich es zugelassen.«
Tillie steht auf, geht zum Bett und setzt sich neben Sloan. »Hast du Nein
gesagt? Hast du ihn gebeten aufzuhören, und er hat trotzdem
weitergemacht?«
Sloan denkt nach und schüttelt dann kaum merklich den Kopf. »Nein,
ich hatte zu viel Angst vor ihm. Ich habe jedes Mal so getan, als wäre es
von mir aus okay.«
Tillie drückt Sloans Hand. »Ich fürchte, damit wirst du vor Gericht nicht
durchkommen«, sagt sie sanft. »Er muss nur behaupten, dass ihm nicht
bewusst war, dass du nicht einverstanden warst. Wenn du nicht laut und
deutlich Nein gesagt hast und er also davon ausgehen konnte, dass der Sex
einvernehmlich stattfindet, dann …«
Sloan schlägt wieder die Hände vors Gesicht, dann lehnt sie sich an
mich und bricht schluchzend an meiner Brust zusammen. Ich lege den Arm
um sie und presse die Lippen an ihre Schläfe.
»Es tut mir leid«, sagt Tillie. »Es gibt mehrere Faktoren, die es uns
unmöglich machen, einen wasserdichten Fall zu konstruieren und Asa
strafrechtlich so zu verfolgen, wie wir es gern tun würden …«
»Mit mehreren Faktoren meinst du Dinge, die ich verbockt habe?«
Ryan steht auf. »Sei nicht so hart mit dir selbst, Luke. Ich habe dich
nicht davon abgehalten zu tun, was du getan hast. Manchmal laufen
Ermittlungen wie geschmiert und wir bekommen das, was wir brauchen,
auf dem Silbertablett präsentiert. Leider war das keiner dieser Fälle, im
Gegenteil, und wir können im Moment nichts mehr machen. Im Haus
wurden keine Drogen gefunden. Ich nehme an, Jon und Kevin haben alles
mitgenommen. Es wurde lediglich eine kleinere Summe Bargeld entdeckt,
deren Herkunft noch ungeklärt ist, und ein paar rezeptpflichtige Tabletten.
Das reicht nicht für eine Anklage – nicht angesichts der Geschütze, die Asa
und seine Anwälte gegen uns auffahren werden. Manchmal ist es den
Kampf einfach nicht wert.«
Ich spüre, wie Sloan sich versteift. Sie hebt den Kopf und sieht Ryan an.
»Den Kampf nicht wert?«, wiederholt sie ungläubig. »Er hat einen
Menschen umgebracht! Und er hätte Luke umgebracht, wenn er sein Herz
nicht um ein paar verdammte Zentimeter verfehlt hätte! Und jetzt sagst du,
dass er als freier Mann aus der Geschichte rausgehen wird? Dass er mich
aufspüren kann, genau wie Luke? Denn das ist es, was er tun wird, Ryan.
Asa wird nicht aufgeben. Nicht bevor Luke tot ist, und das weißt du
genau!«
»Sloan …«, versuche ich sie zu beruhigen. »Noch wissen wir nicht, ob
wir ihn nicht doch wegen irgendwas drankriegen können. Gib die Hoffnung
nicht gleich auf.«
Sie weint still an meiner Brust, und ich sehe Ryan an, wie schwer es ihm
fällt, der Überbringer solcher Nachrichten sein zu müssen.
»Es tut mir leid, Sloan. Es tut mir wirklich leid.« Er wendet sich mir zu,
und ich lese in seinem Blick, dass es ihm auch für mich leidtut. Ich nicke.
Das alles ist nicht Ryans Schuld. Es gibt nur einen einzigen Menschen, der
Schuld trägt, und das bin ich.
Ryan und Tillie verabschieden sich und gehen mit gesenkten Schultern
zur Tür. Sloan zittert am ganzen Körper. Ich ziehe sie noch enger an mich
und wiege sie leicht hin und her, um sie zu beruhigen. Aber ich kann ihre
Todesangst vor Asa förmlich spüren.
»Alles wird gut, Sloan.« Ich drücke ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Du
bist nicht mehr allein. Ich bin hier, und ich werde nicht zulassen, dass er dir
jemals wieder etwas antut. Das schwöre ich.«
Ich halte sie, bis sie vor lauter Erschöpfung in meinen Armen einschläft.
Asa

»Haben Sie noch irgendwelche Fragen, bevor es losgeht?«, sagt mein


Anwalt.
Er heißt Paul. Genau wie mein Vater. Ich war drauf und dran, mir einen
anderen Verteidiger zu suchen, als ich das mitbekommen habe, aber er gilt
als absoluter Spitzenmann. Im ganzen Bundesstaat gibt es angeblich keine
besseren. Deswegen hab ich beschlossen, ihm durchgehen zu lassen, dass er
den Namen desjenigen trägt, der auf der Liste der von mir meistgehassten
Menschen auf Platz zwei steht.
Auf Platz eins steht Luke.
»Nein«, sage ich. »Wir gehen in den Gerichtssaal, ich plädiere auf
Notwehr, und der Richter entscheidet, ob es zu einem Prozess kommt oder
nicht, stimmt’s?«
Paul nickt. »Ganz genau.«
Ich stehe auf. Die Handschellen schneiden in meine Handgelenke ein. Es
widert mich an, dass Sloan mich gleich so sehen wird, wie sie mich nie
erlebt hat: wie ein Opfer. Ein Schwächling. Wenigstens haben sie mir
erlaubt, einen richtigen Anzug zu tragen, und ich muss nicht in einem dieser
lächerlichen orangen Overalls in den Saal. Orange tragen nur Clowns, und
Sloan hat mir immer gesagt, dass ich in dem Anzug, den ich mir für heute
rausgesucht habe, besonders gut aussehe.
»Also dann los«, sage ich zu Paul. »Kinderspiel.«
Paul nickt und steht auf. Ich weiß, dass er meine selbstbewusste Art
nicht mag. Darauf hat er vom ersten Moment an leicht gereizt reagiert, so
was merkt man. Ich weiß auch nicht, ob er mich mag. Aber mir ist es
komplett egal, was er von mir hält. Wenn er es schafft, mich aus der
Scheiße hier rauszuholen, steht er auf der Liste der Menschen, die ich liebe,
ganz oben.
Na ja, auf Platz zwei.
An erster Stelle steht immer noch Sloan.
Natürlich habe ich allen Grund, sauer auf sie zu sein, aber ich weiß ja,
dass sie nur verwirrt war, weil Luke ihr diese ganzen Lügen über mich
erzählt hat. Mittlerweile hat sie so viel Zeit mit ihm verbracht, dass sie seine
Masche garantiert durchschaut hat und wieder zur Vernunft gekommen ist.
Ich folge Paul aus dem Raum, und sofort werden wir von vier
Uniformierten umringt, die draußen gewartet haben, um uns zum
Gerichtssaal zu begleiten. Zwei vor uns und zwei hinter uns. Ein Wärter
öffnet die Tür zum Saal. Als wir drin sind, lasse ich den Blick über die
Menschen im Zuschauerraum wandern.
Ihn sehe ich als Erstes. Der Bastard sitzt gleich in der zweiten Reihe
neben seinem Verräterfreund Dalton – oder Ryan oder wie auch immer er in
Wirklichkeit heißt.
Sloan ist nicht bei ihnen. Ich entdecke sie hinten in der letzten Reihe, wo
sie ganz alleine sitzt. Ich lächle sie an, aber sie schaut sofort weg.
Dass sie nicht neben Luke sitzt, kann zwei Gründe haben. Entweder hat
sie inzwischen mitgekriegt, was für ein mieser Scheißkerl er ist, und will
nichts mehr mit ihm zu tun haben. Oder es wurde ihr geraten, bei der
Anhörung nicht neben ihm zu sitzen, weil die beiden hinter meinem Rücken
diese beschissene Nummer laufen hatten, was beim Richter sicher nicht gut
ankommen würde.
Ich glaube, sie hat ihn durchschaut.
Ich setze mich leicht schräg hin, sodass ich Sloan die ganze Zeit im
Blick behalten kann. Das bedeutet zwar, dass ich den Richter nachher nicht
ansehen kann, aber der ist mir auch nicht so wichtig. Ich werde sie nicht aus
den Augen lassen, bis sie mich endlich anschaut.
»Bitte erheben Sie sich für Richter Isaac«, sagt jetzt ein Typ in Uniform.
Ich stehe auf, schaue aber immer noch über meine Schulter zu Sloan.
Schritte nähern sich, aber ich werde diesen Scheißrichter nicht anschauen,
bevor sie mich nicht angeschaut hat. Das Kleid, das sie trägt, kenne ich
nicht. Es ist schwarz, als wäre sie hier bei einer beschissenen Beerdigung.
Die Haare hat sie sich zu einem Knoten hochgesteckt. Sie sieht elegant aus.
Verdammt sexy. Ich wollte, ich könnte fragen, ob ich mal kurz aufs Klo
darf. Dann würde ich sie in den Gang rauszerren, ihr das Kleid
hochschieben und mein Gesicht zwischen ihren Schenkeln vergraben.
Sofort hab ich wieder ihren Geruch in der Nase. Scheiße, ich sehne mich
so danach, ihn wieder zu riechen. Ich sehne mich nach der Weichheit ihrer
Schenkel an meinem Gesicht. Ich sehne mich danach, wie ihr ganzer
Körper sich unter mir anspannt, wenn ich in sie eindringe.
»Sie dürfen sich setzen.«
Ich setze mich. Verdammt heiß hier drin.
Als der Richter anfängt zu reden, schiebt Paul mir einen Zettel hin, auf
den ich einen schnellen Blick werfe.

Sie müssen sich so hinsetzen, dass Sie den Richter ansehen, Asa. Alles
andere wird er als Respektlosigkeit auffassen.

Ich unterdrücke ein Lachen und greife nach seinem Stift.

Scheiß auf den Richter und scheiß auf Sie, Paul.

Ich sehe wieder zu Sloan rüber. Ah. Jetzt schaut sie mich endlich an. Ihr
Blick verschmilzt mit meinem, und sie presst die Lippen aufeinander, als
wäre sie nervös. Das gefällt mir. Das gefällt mir sogar sehr. Das heißt
nämlich, dass sie etwas spürt, wenn sie mich ansieht, und dass sie in diesem
Moment nicht an Luke denkt.
»Ich liebe dich«, sage ich lautlos.
Sloans Blick fällt auf meinen Mund und ich lächle. Genau in dem
Moment springt das Arschloch – dieses beschissene Superarschloch – auf
und geht mit großen Schritten zu ihrem Platz nach hinten. Er setzt sich
neben sie. Er legt seinen Arm um meine Verlobte, und sie schließt die
Augen und vergräbt ihr Gesicht an seiner Schulter, als wäre sie erleichtert,
dass er jetzt bei ihr sitzt. Er sieht mich an – dieses lächerliche beschissene
Superarschloch sieht mich an –, und dann setzt er sich absichtlich so hin,
dass er Sloan verdeckt und ich sie nicht mehr sehen kann.
Am liebsten würde ich den Typen umbringen.
Ich könnte mit einem Satz den Cop zu Boden schmeißen, der neben mir
steht, mir seine Knarre schnappen und diesen Scheißkerl erschießen.
Ich könnte aufspringen, wie ein Hürdenläufer über die Bankreihen nach
hinten springen, mich auf ihn stürzen und ihm das Genick brechen.
Ich könnte mir den Kuli klauen, der immer noch auf Pauls dämlichem
Zettel liegt, und ihn ihm in die Halsschlagader rammen.
Aber ich tue nichts davon. Ich reiße mich zusammen, weil ich mir
ziemlich sicher bin, dass der Richter zu meinen Gunsten entscheiden wird
und ich bis zur nächsten Anhörung auf Kaution freigelassen werde.
Bis dahin lasse ich ihn noch am Leben.
Der Mord muss präzise geplant werden – ohne dass ein Richter und ein
ganzer verdammter Gerichtssaal dabei zuschauen.
Ich beschließe, mich jetzt doch nach vorn zu drehen. Nicht weil Luke
mich mit seinem Blick eingeschüchtert hätte, sondern weil ich diesen
Richter davon überzeugen muss, dass er die richtige Entscheidung trifft,
wenn er die Anklage wegen Notwehr fallen lässt.
Als mein Anwalt und der Staatsanwalt nacheinander aufstehen und
irgendwelche Paragrafen runterleiern, versuche ich aufzupassen und zu
verstehen, was sie sagen. Ich versuche, der Antwort des Richters zu folgen.
Ich lächle, als er mich ansieht. Aber innerlich brodelt mein Blut. Zu wissen,
dass Luke da hinten sitzt, dass er neben Sloan sitzt, dass er sie im Arm
hält … Wahrscheinlich liegt sie nachts auch bei ihm, während mir nichts
anderes übrig bleibt, als es mir selbst zu machen. Ganz allein in meiner
Gefängniszelle. Wenn er nicht vorher schon in ihr gewesen ist, war er es
mittlerweile ganz bestimmt. Seine Finger, sein Schwanz, seine ekelhafte
Zunge. Er hat das geschmeckt und sich das genommen, was mir gehört.
Was von Rechts wegen für immer nur mir allein gehören sollte.
Mein Puls rast, als der Richter mit seinem lächerlichen Hämmerchen auf
den Tisch klopft. »Die Sitzung ist geschlossen.«
Ich sehe Paul an und atme langsam durch die Nase ein und durch den
Mund aus. »Und? Wie ist die Scheiße jetzt ausgegangen?«
Paul verzieht das Gesicht, als wäre es ihm lieber, wenn ich leiser reden
würde. Ich werfe über die Schulter einen Blick nach hinten, weil ich Sloans
Stimme höre. Luke hilft ihr aufzustehen. Sie hat die Arme um ihn
geschlungen und weint. Schluchzt unkontrolliert.
Sie ist am Boden zerstört. Fuck. Das bedeutet, dass es nicht gut für mich
steht. Sie leidet mit mir.
»Kommt es jetzt doch zu einem Prozess?«, frage ich Paul. »Sie haben
mir gesagt, dass es nicht zu einem beschissenen Prozess kommt.«
Paul schüttelt seinen kleinen Kopf, der auf seinem mageren Hals sitzt.
»Der Richter hat entschieden, dass keine Anklage erhoben wird«, sagt er.
»Und das bedeutet, dass Ihrem Plädieren auf Notwehr stattgegeben wurde.
Sie müssen jetzt wieder in Ihre Zelle zurück, aber nur vorübergehend. Ich
kümmere mich gleich darum, dass Sie wegen der anderen Anklagepunkte
auf Kaution freigelassen werden. Das könnte vier oder fünf Stunden dauern,
aber ich komme Sie holen, sobald der Betrag bei der Gerichtskasse
eingegangen ist.«
Ich sehe noch mal zu Sloan, die gerade von Luke aus dem Saal geführt
wird, und verstehe gar nichts mehr. Warum weint sie denn? Warum weint
sie, wenn die Anklage gegen mich fallen gelassen wurde?
»Was würden Sie sagen, wie lange es dauert, bis jemand, der
gehirngewaschen wurde, wieder klar im Kopf ist?«
Paul sieht mich an. »Wovon reden Sie, Asa?«
»Na ja, wie lange muss jemand in Therapie, um wieder in Ordnung zu
kommen? Ein paar Wochen? Monate? Länger als ein Jahr?«
Paul sieht mich noch einen Moment lang an und schüttelt dann den
Kopf. »Wir sehen uns in ein paar Stunden, Asa.«
Er steht auf, also stehe ich auch auf. Dieselben vier Luschen in Uniform,
die mich reingeführt haben, bringen mich auch wieder raus.
Wahrscheinlich sollte ich jetzt darüber jubeln, dass ich es geschafft habe,
meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Paul hat mir gesagt, dass Lukes
Department wegen der Drogengeschäfte keine Anklage erhebt, wenn ich
mich auf einen Deal mit ihnen einlasse. Ich soll mich freiwillig
verpflichten, mich wegen der Psychoscheiße behandeln zu lassen, und
ihnen außerdem ein paar Sachen über Jon und Kevin erzählen. Das heißt,
dass ich wegen den Schüssen, die ich auf Luke abgefeuert habe,
höchstwahrscheinlich nicht vor Gericht komme.
Da jagt man jemandem eine Kugel in die Brust, der nur deswegen nicht
stirbt, weil der Schuss ein paar Zentimeter danebengeht, und darf trotzdem
als freier Mann aus dem Gerichtssaal gehen, weil man ziemlich
überzeugend eine Geisteskrankheit vorspielen kann. Gibt es was Geileres?
Oh Mann, ich liebe dieses Land.
Wobei ich sagen muss, dass ich trotzdem irgendwie auch ein bisschen
enttäuscht bin. Ich habe mir so viel Mühe gegeben, mir diese geniale Falle
auszudenken, seit ich das Gefühl hatte, dass Sloan von irgendjemandem
fremdgesteuert wird. Alles hat genau so geklappt, wie ich es mir vorgestellt
hatte, aber keiner weiß, dass das alles auf den Punkt geplant war. Ich musste
so tun, als hätte ich nichts mit den falschen FBI-Agenten zu tun, was echt
hart für mein Ego war. Ich bin zu Recht verdammt stolz darauf, dass alles
so reibungslos abgelaufen ist, und würde dafür gern den Respekt
bekommen, den ich verdient habe.
Und dann die Sache mit meiner Schizo-Geistesstörung. Die Duscherei in
Klamotten, das ständige Kontrollieren, ob die Tür abgeschlossen ist, damit
alle um mich herum denken, ich würde langsam abdrehen. Mir blieb keine
andere Möglichkeit. Ich kenne mich zu gut. Ich wusste genau – wenn sich
mein Verdacht bestätigt und Sloan wirklich mit einem anderen rumvögelt,
würde ich höchstwahrscheinlich die Nerven verlieren und ihn umbringen.
Aber als erwachsener Mensch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte wäre
ich dafür natürlich in den Knast gewandert. Deswegen musste ich mir was
ausdenken, um nicht im Gefängnis zu verrotten wie mein erbärmlicher
Vater, der die besten Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht hat.
Vielleicht habe ich doch einen Grund, ihm dankbar zu sein. Wenigstens
kann ich mich auf die vererbte »Schizophrenie« berufen, wenn ich sie
brauche. Was höchstwahrscheinlich irgendwann der Fall sein wird, weil der
Scheißkerl Luke immer noch atmet.
Als ich wieder in der Zelle bin und die Tür hinter mir zugeworfen wird,
lasse ich mich auf die Pritsche fallen und grinse übers ganze Gesicht. Ich
kann gar nicht anders.
Die Geschichte entwickelt sich echt bestens. Okay, Sloan wird noch ein
bisschen Zeit brauchen, bis sie wieder zu sich kommt, aber ich weiß genau,
dass sie früher oder später einsieht, dass sie zu mir gehört. Es wird leichter
für sie sein, wenn Luke endgültig aus dem Weg geräumt ist. Und dann muss
ich es noch schaffen, irgendwie zu verdrängen, dass er in ihr gewesen ist.
Ich weiß auch schon, wie: Ich werde ihn aus ihr rausficken. Ich muss sie
bloß oft genug in jeder nur denkbaren Position ficken, bis ich nicht mehr
seine Fresse vor mir sehe, wenn ich sie anschaue.
»Was bist du so gut drauf?«, fragt eine Stimme.
Ich drehe den Kopf und sehe meinen Zellenkollegen an. An seinen
Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. Er hat mir, seit ich in dieses
Loch geworfen worden bin, ungefähr eine Million Fragen gestellt, aber das
ist jetzt das erste Mal, dass ich ihm antworte.
»Ich bin bald wieder ein freier Mann«, sage ich und starre mit breitem
Lächeln an die Decke. »Und das bedeutet, dass ich endlich meine Verlobte
heiraten kann. Wir werden eine richtige Hochzeit feiern. Mit einer
dreistufigen Kokostorte.«
Ich muss laut lachen.
Ich komme dich holen, Sloan. Auch wenn du jetzt noch gar nicht weißt,
dass du es willst.
Du hast mir versprochen, mich zu lieben.
Für immer.
Und das wirst du verdammt noch mal auch tun.
Sloan

Ich hebe die Tasse an den Mund und trinke einen Schluck. Meine Hände
zittern so schlimm, dass kleine schwarze Kaffeewellen gegen den
Tassenrand schwappen.
An der Wand über dem Herd tickt die große Küchenuhr. Drei Uhr
morgens.
Es ist jetzt zwei Tage her, dass die erste Anklage gegen Asa fallen
gelassen wurde. Er ist noch am selben Nachmittag gegen Kaution
freigekommen. Zu unserer Sicherheit wurden Luke und ich im Rahmen des
Zeugenschutzprogramms bis zur nächsten Anhörung in diesem Apartment
in der Innenstadt untergebracht.
Die Wohnung ist schön, aber weil ich es nicht wage, rauszugehen oder
auch nur zum Fenster hinauszusehen, fühlt sie sich an wie ein Gefängnis.
Luke versichert mir die ganze Zeit, dass Asa auf keinen Fall herausfinden
kann, wo wir sind. Er weiß nicht, dass ich sogar dann ständig ängstlich über
meine Schulter sehen würde, wenn Asa für den Rest seines Lebens im
Gefängnis weggesperrt wäre. Ich kenne ihn zu gut. Er würde einfach
jemanden anheuern, um sich an uns zu rächen.
Hinter mir geht die Schlafzimmertür auf. Ich drehe mich zu Luke um,
der sich den Schlaf aus den Augen reibt. Er trägt eine schwarze
Jogginghose, die ihm tief auf der Hüfte sitzt, und kein Shirt. Sein Brustkorb
ist immer noch bandagiert. Müde kommt er über den Holzboden auf mich
zu.
Ich lehne den Kopf zurück und sehe ihm entgegen. Er beugt sich über
die Rückenlehne der Couch, um mich auf die Stirn zu küssen.
»Alles okay?«
Ich zucke mit den Schultern und versuche zu lächeln. »Ich kann nur
wieder mal nicht schlafen.«
Sein Blick ist mitfühlend, als er mir eine Haarsträhne aus der Stirn
streicht. »Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, Sloan«, sagt er leise.
»Bis zum nächsten Gerichtstermin sind wir hier sicher, das verspreche ich
dir.«
Ich nicke, obwohl ich ihm nicht glaube. Ich weiß, dass man vor Asa
niemals sicher sein kann.
Luke geht um die Couch herum, setzt sich neben mich und zieht mich
auf seinen Schoß. »Was kann ich tun, damit du einschlafen kannst?«, fragt
er und umfasst meine Taille.
Ich lächle. »Du bist erst vor zwei Wochen aus dem Krankenhaus
entlassen worden und musst mindestens noch zwei Wochen durchhalten.«
Seine Hände wandern unter dem Oversized-T-Shirt, das ich trage, ein
Stück weiter runter und umfassen meinen Po. Mir wird schlagartig heiß,
und ich schaffe es tatsächlich, Asa für ein paar Sekunden aus meinen
Gedanken zu verdrängen. »Ich habe nicht an mich gedacht«, sagt er.
»Sondern daran, was ich für dich tun kann.«
Seine Hand gleitet über meinen Bauch und zu meinen Brüsten hinauf. Er
beugt sich zu mir und streicht im gleichen Moment mit dem Daumen sanft
über eine Brustwarze, in dem seine Zunge meine Lippen berührt. Wir
küssen uns, und ich spüre, wie mir schwindelig wird, als er sich von mir
löst und sich zurücklehnt.
»Mach dir keine Gedanken«, sagt er. »Meine Hände und mein Mund
werden die ganze Arbeit tun und der Rest von mir ruht sich währenddessen
aus, okay?«
Ich sollte nicht egoistisch sein, weil er immer noch sehr geschwächt ist,
andererseits weiß ich, wie sehr mich seine Berührung entspannt und meine
Angst vertreibt.
Und das brauche ich jetzt.
»Na gut«, flüstere ich.
Lächelnd streift er mir das T-Shirt über den Kopf, dann legt er mich auf
die Couch und kniet sich über mich. Seine Lippen wandern über meinen
Mund, meine Kehle, meine Brüste. Sein Atem wärmt jeden
Quadratmillimeter meiner Haut, während er beide Hände unter den Saum
meines Slips schiebt. Als seine Finger in mich gleiten, stöhne ich auf und
kämpfe mit mir selbst, um die Augen offen zu halten, weil ich weiß, wie
sehr er es liebt, wenn ich ihn dabei ansehe.
Ich finde das auch sehr erregend, weil es eine ganz neue Erfahrung für
mich ist. Bei Asa habe ich immer die Augen zugemacht, dadurch war es
leichter für mich, in Gedanken irgendwo ganz weit wegzugehen.
Mit Luke ist es umgekehrt. Ich will ganz bei ihm sein und habe Angst,
etwas zu verpassen, wenn ich die Augen schließe. Seinen liebevollen Blick
und wie er auf jede Bewegung und jeden Laut von mir reagiert. Die Nähe
zwischen uns.
Nachdem wir uns zwei Minuten in die Augen gesehen habe, spüre ich,
dass es nicht mehr lange dauern wird. Sobald ich anfange, unter ihm am
ganzen Körper zu beben, küsst er mich leidenschaftlich und nimmt seinen
Namen, den ich lustvoll stöhne, in sich auf. Er küsst mich, bis sich mein
Herzschlag wieder einigermaßen normalisiert hat, und legt sich dann mit
seinem ganzen Gewicht auf mich. Ich spüre durch die Jogginghose seine
Härte zwischen meinen Schenkeln und mein Verlangen flammt von Neuem
auf.
»Übrigens fühle ich mich schon sehr viel besser«, raunt er an meinen
Lippen und bewegt sein Becken leicht auf und ab. »Ich bin mir ziemlich
sicher, dass es mir nichts schaden würde, wenn ich ein bisschen in dir
wäre.«
Seine Stimme ist rau, ich höre seine Sehnsucht. Es wäre so einfach,
seine Jogginghose ein Stück runterzuziehen und mich von ihm ausfüllen zu
lassen. Aber ich hätte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen, wenn er seine
Gesundheit aufs Spiel setzen würde, nur weil wir zu ungeduldig waren.
Vielleicht ist sein Herz noch nicht stark genug.
»Wie wäre es mit einem Kompromiss? Wir halten noch eine Woche
durch und dann gehen wir es ganz langsam an?«
Luke stöhnt an meinem Hals, dann hebt er den Kopf und nickt. »Noch
eine Woche«, willigt er ein. »Aber du kannst dich darauf gefasst machen,
dass ich dann einiges nachzuholen habe.« Ich lache, als er sich an meine
Seite kuschelt und mich an sich zieht.
»Ich frage mich, wie die Narbe aussehen wird«, flüstere ich und fahre
mit den Fingerspitzen vorsichtig über den Verband, der die Wunde bedeckt.
Luke streicht mir die Haare über die Schulter. »Tja, wir kriegen sie bald
zu sehen. Ich hoffe nur, du wirst sie oft küssen.«
»Keine Sorge«, sage ich. »Wenn wir erst mal das Okay vom Doc haben,
küsse ich dich öfter, als dir lieb sein wird. Und zwar jedes kleinste
Stückchen Haut von dir. Ich liebe deinen Körper viel zu sehr, als dass ich
die Hände oder Lippen von ihm lassen könnte.« Ich drehe den Kopf und
sehe zu ihm auf. »Findest du das sexistisch?«
Er schüttelt grinsend den Kopf. »Wie könnte ich. Schließlich war das
Erste, was mir an dir aufgefallen ist, dein wundervoller Arsch.«
»Ich dachte, es wäre der Spuckefaden gewesen, der mir übers Kinn
gelaufen ist, als du mich geweckt hast.«
Luke nickt. »Ach ja, stimmt. Du hast recht. Es war eindeutig der
Spuckefaden. So sexy.«
Ich muss lachen. Was für ein Glück, dass wir es sogar in Zeiten wie
diesen schaffen, uns gegenseitig zum Lachen zu bringen. Unsere Lippen
treffen sich wieder, und wir küssen uns selbstvergessen, bis Luke anfängt,
sich sanft an mir zu bewegen, was mich wieder zur Vernunft bringt. Es tut
mir für ihn und mich selbst leid, dass ich so streng sein muss, aber ich will
wirklich kein Risiko eingehen. Die nächsten Wochen werden in jeder
Hinsicht extrem anstrengend. Luke muss ganz gesund sein, um sie zu
überstehen.
Schweren Herzens rücke ich also ein Stück von ihm ab und versuche ihn
abzulenken. »Hast du mit deiner Mutter telefoniert? Wie geht es ihr?«
Er hat mir viel von seiner Mutter erzählt. Dass wir uns hier verstecken
müssen, bedeutet, dass er sie erst wiedersehen kann, wenn die nächste
Anhörung stattgefunden hat und Asa – hoffentlich – hinter Gitter gebracht
worden ist. Natürlich ist uns beiden bewusst, dass er womöglich auch
diesmal wieder davonkommt, aber darüber sprechen wir nicht.
»Wir besuchen sie, wenn das alles vorbei ist. Sie wird sich genauso in
dich verlieben, wie ich es getan habe, das weiß ich jetzt schon.«
Ich frage mich, wie es ist, eine Mutter zu haben, die einen liebt, aber das
führt unweigerlich dazu, dass ich an meine eigene Familie denke … oder
besser gesagt, an den einzigen Menschen, der für mich Familie ist.
Luke merkt, dass ich ernst geworden bin, und streicht mir über die
Wange. »Hey. Was ist los?«
Ich ringe mir ein Lächeln ab und schüttle den Kopf. »Ach nichts … ich
musste gerade nur an Stephen denken. Hoffentlich geht es ihm gut. Es ist so
schrecklich, dass ich ihn nicht besuchen kann.«
Lukes tastet nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger
ineinander. »Es kann ihm nichts passieren, Sloan. Er wird rund um die Uhr
bewacht, dafür habe ich gesorgt. Du musst dir um seine Sicherheit keine
Sorgen machen.«
Ich hasse Asa dafür, dass wir uns seinetwegen von den Menschen
fernhalten müssen, die uns am nächsten stehen. Dass Polizisten zu ihrem
Schutz abgestellt werden müssen. Dass wir gezwungen sind, uns in diesem
Apartment zu verkriechen.
So sollte das nicht sein.
Ich hasse Asa Jackson aus tiefstem Herzen. Ich verfluche den Tag, an
dem ich ihm begegnet bin.
»Ich will, dass er dafür bezahlen muss«, stoße ich wütend hervor, ohne
Luke in die Augen zu schauen, weil ich so voller Hass bin. »Weißt du, was
ich mir wünsche? Ich will ihn leiden sehen. Gleichzeitig schäme ich mich,
so etwas zu denken, weil das der Beweis dafür ist, dass ich kein Stück
besser bin als er.«
Der Kuss, den Luke mir auf die Stirn drückt, ist voller Zärtlichkeit. »Asa
hat es absolut verdient, für den Rest seines Lebens im Gefängnis zu sitzen,
Sloan. Du solltest dich deswegen nicht schuldig fühlen.«
Ich rücke von ihm ab und sehe ihn an. »Das meine ich nicht. Das
Gefängnis würde ihm wahrscheinlich gar nicht so viel ausmachen. Ich will,
dass er leidet, Luke, wirklich leidet. Er ist besessen von dem Gedanken,
dass ich ihm gehöre, und geht buchstäblich über Leichen, um mich zu
besitzen. Er soll ein für alle Mal wissen, dass ich seine kranken Gefühle
nicht erwidere. Ich möchte, dass er begreift, wie sehr ich dich liebe, und
dass ich nach allem, was er getan hat, nur noch Hass für ihn empfinde. Das
würde ihn bis ins Mark treffen.«
Luke sieht mich nachdenklich an. »Wenn dich dieser Gedanke zu einem
schlechten Menschen macht, sind wir beide schlechte Menschen. Mir geht
es nämlich ganz genauso. Ich möchte auch, dass er leidet.«
Es tut mir gut, ihn das sagen zu hören. Vielleicht gibt es Erfahrungen,
die so traumatisch sind, dass Rache tatsächlich das Einzige ist, das einem
hilft, darüber hinwegzukommen. Das ist zwar moralisch zweifelhaft, und
ich bin mir sicher, dass Luke das genauso sieht, aber das ändert nichts an
meinen Gefühlen.
Ich schmiege mich an ihn und lege die Wange an seine Brust.
»Manchmal habe ich ganz schlimme Gedanken«, wispere ich.
Ich rede nicht weiter, weil ich unsicher bin, ob ich sie überhaupt
aussprechen sollte.
Luke drückt mir einen Kuss in die Haare. »Erzähl mir davon.«
»Du wirst mich ekelhaft finden.«
»Das geht gar nicht.«
Ich schließe die Augen, weil ich trotzdem Angst vor Lukes Reaktion
habe, aber manchmal bringt es ja schon Erleichterung, wenn man seine
Gedanken einfach nur vor einem anderen Menschen laut ausspricht.
»Manchmal … manchmal stelle ich mir vor, ich würde … Asa zwingen, uns
dabei zuzuschauen, wie wir uns lieben. Das wäre das Einzige, was ihn aus
seinem narzisstischen Wahn reißen könnte. Ich würde ihn zwingen,
mitanzusehen, wie ich dir gebe, was er für seins hält.«
Luke schweigt, und ich schäme mich dafür, es laut gesagt zu haben. Ich
möchte nicht, dass er denkt, ich hätte irgendwelche perversen sexuellen
Fantasien. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht nur darum, Asa so zu
verletzen, wie er mich verletzt hat. Es geht um die ultimative Rache.
»Sloan«, sagt Luke schließlich. »Asa hat dich praktisch wie eine Sklavin
in seinem Haus gehalten. Kein Mensch darf einem anderen so etwas antun.
Es ist vollkommen normal, dass du dich nach Vergeltung sehnst. Du darfst
dich deswegen nicht schuldig fühlen. Niemals.«
Ich seufze erleichtert. »Was wäre deine ultimative Rache?«
Luke lacht leise. »Meine Rache wäre, dabei zuzusehen, wie du dich an
ihm rächst. Ich möchte, dass du Genugtuung bekommst, und das bedeutet,
dass ich will, was du willst.«
Oh Gott, ich liebe ihn. Ich liebe ihn wirklich. Ich habe noch nie einen
Menschen getroffen, von dem ich mich so verstanden gefühlt habe. Und
dann spreche ich es laut aus. Ich hebe den Kopf von seiner Brust und sage:
»Ich liebe dich, Luke.«
Er nimmt mein Gesicht in beide Hände. »Ich liebe dich auch, Sloan.«
Wir küssen uns, wie wir uns noch nie geküsst haben … und fahren im
nächsten Moment auseinander.
Es hat laut an der Tür geklopft.
Eiseskälte durchschauert mich und alles zieht sich in mir zusammen. Die
Angst ist sofort wieder da.
Luke steht vor mir und schaut auf mich herunter. Ich habe gar nicht
mitbekommen, dass er aufgestanden ist. Er wirft mir mein T-Shirt zu, dann
geht er langsam Richtung Tür und greift unterwegs nach der Pistole, die auf
der Küchentheke liegt.
Wieder klopft es. Fordernder diesmal.
Luke winkt mich zu sich. Ich stehe auf und schleiche mich auf
Zehenspitzen und mit angehaltenem Atem zu ihm.
»Wer weiß alles, dass wir hier sind?«, flüstere ich.
»Nur Ryan«, raunt Luke und ist mit einer schnellen Bewegung an der
Wohnungstür. Ich folge ihm. Er beugt sich zum Spion, sieht hindurch, dreht
sich um und presst sich flach mit dem Rücken an die Wand neben der Tür.
»Es ist Ryan.«
Ich lächle erleichtert. »Dann ist ja alles okay!«
Luke lächelt nicht. Er hält die Waffe mit beiden Händen. Sein Blick
bohrt sich in meinen.
»Was ist los?«
Luke atmet tief durch. »Er kratzt sich nicht am Kinn.«
Luke

Alles Blut sackt aus Sloans Gesicht, als sie begreift, dass überhaupt nichts
okay ist.
In der Hoffnung, dass ich Ryans und mein Zeichen vielleicht nur nicht
gesehen habe, schaue ich noch einmal durch den Spion. Aber Ryan steht
mit hängenden Armen vor der Tür und kratzt sich nicht. Verdammt, es ist
vier Uhr morgens! Was könnte er um diese Zeit hier wollen?
»Luke?«, sagt er mit ruhiger Stimme. »Ich weiß, dass du da bist. Mach
auf.«
Er sieht direkt auf den Spion, aber ich kenne ihn gut genug, um zu
wissen, dass er trotz allem hofft, dass ich die Tür nicht öffne.
Steckt Asa dahinter? Aber warum hätte Ryan ihn zu uns führen sollen?
Ich werfe noch einen Blick durch den Spion und sehe, wie Ryan nach
links schaut, als würde dort jemand stehen, auf dessen Anweisungen er
wartet. Er holt tief Luft und sieht wieder zur Tür.
»Er hat Tillie. Wenn du nicht aufmachst, gibt er seinen Leuten den
Befehl, sie zu töten. Er ist der Einzige, der weiß, wo sie ist.«
»Fuck.« Ich drehe mich zur Seite und presse die Stirn gegen die Wand.
Ich kann nicht glauben, dass Ryan Sloan diesem kranken Irren ausliefern
würde. Warum hat er Asa hergeführt? Da muss noch etwas anderes
dahinterstecken. Ich kenne Ryan und ich kenne Tillie. Beide wären eher
bereit, ihr eigenes Leben zu opfern, bevor sie das eines anderen Menschen
aufs Spiel setzen würden.
Sloan steht wie erstarrt neben mir, die Augen weit aufgerissen. Sie
zittert, Tränen laufen ihr übers Gesicht. Als ich das nächste Mal durch den
Spion sehe, tritt Asa ins Blickfeld. Er drückt Ryan den Lauf seiner Pistole
gegen die Schläfe. »Erzähl ihm, wen ich noch habe«, sagt er so laut, dass
ich es auch höre.
Ryan schließt die Augen. »Luke«, presst er hervor. »Er hat einen seiner
Jungs vor dem Haus meiner Schwester postiert. Es tut mir leid, Luke … es
tut mir so wahnsinnig leid.«
Ich schließe die Augen. Ryan liebt seine kleine Schwester mehr als alles
auf der Welt. Jetzt begreife ich, wie Asa ihn dazu zwingen konnte. Dass Asa
in seiner Situation das Risiko eingeht, so eine Nummer abzuziehen, macht
mir verdammt Angst. Ich bin mit einem Sprung bei der Küchentheke und
greife nach meinem Handy, das darauf liegt.
Es ist, als könnte Asa Gedanken lesen. »Wenn du die Polizei rufst, sind
alle tot«, ertönt es gelassen durch die Tür. »Tillie, Ryans Schwester und
Ryan. Meine Leute haben strikte Anweisungen. Ich gebe dir drei Sekunden,
um mich reinzulassen. Eins …«
Sloan schluchzt auf. Sie schüttelt den Kopf und fleht mich stumm an, ihn
nicht hereinzulassen.
»Zwei …«
Ich gehe auf sie zu, streiche mir mit dem Daumen über die Unterlippe
und flüstere: »Es tut mir so leid, Sloan.« Dann packe ich sie, schiebe sie vor
mich, drücke ihr die Pistole an die Schläfe und öffne die Tür.
Asa sieht Sloan, dann sieht er die Pistole. »Verdammtes Arschloch«,
zischt er.
Ich gehe rückwärts ins Wohnzimmer, ohne Sloan loszulassen.
Asa folgt mit Ryan, dem er ebenfalls die Pistole an den Kopf hält. »Tja,
sieht nach einem Dilemma aus.«
Ich zucke mit den Schultern. »Sehe ich nicht so. Auf das, was du hast,
kann ich verzichten. Du auf das, was ich von dir habe, nicht.«
Sloan zittert am ganzen Körper. Es bringt mich fast um, ihr das antun zu
müssen, aber mir bleibt keine andere Wahl. Asa würde niemals wollen, dass
ihr etwas passiert. Ich hoffe, sie versteht, dass das, was ich tue, unsere
einzige Möglichkeit ist, lebend aus dieser Situation rauszukommen.
Es ist verflucht riskant, aber wir haben keine andere Option.
Asas Blick ist auf mich gerichtet. »Lass sie gehen, Luke. Dann lasse ich
Ryan auch gehen. Sloan und ich verschwinden von hier, ich ziehe meine
Männer ab, und alles ist wieder so, wie es sein soll.«
Das würde ich niemals tun. Da müsste er mich vorher schon umbringen.
»Erinnerst du dich an das letzte Mal, als wir zusammen in einem Raum
waren?«, frage ich, während ich langsam weiter rückwärts in Richtung
Wohnzimmer gehe. »Damals warst du sehr daran interessiert, Einzelheiten
über mein erstes Mal mit Sloan zu erfahren.«
Sein Kehlkopf ruckt.
»Immer noch interessiert?«
Asa schiebt die Pistole unter Ryans Kinn und drückt dessen Kopf hoch.
Ich tue das Gleiche mit Sloan, deren Schluchzen lauter wird.
»Das erste Mal habe ich sie in eurem Schlafzimmer geküsst«, sage ich.
»Direkt neben deinem Bett.«
»Halt dein dreckiges Maul«, knurrt Asa. »Oder ich schieße deinem
Kumpel das verdammte Gehirn aus dem Kopf, dass es nur so spritzt.«
Ich nicke. »Tu das. Danach kannst du dir dann ganz genau anschauen,
wie Sloan von innen aussieht.«
Sein Gesicht verzieht sich gequält. Anscheinend habe ich den richtigen
Nerv getroffen.
»Glaubst du, es kümmert mich, ob sie tot ist oder lebt?«, sage ich. »Da
draußen laufen eine Million Mädchen wie sie rum, Asa. Die Kleine
bedeutet mir einen Scheißdreck. Durch sie habe ich Informationen über
dich bekommen, das war alles. Sie ist nichts weiter als eine Trailerpark-
Nutte, die an dein Geld wollte. Denkst du, so eine würde ich meiner Mutter
vorstellen?«
Asa neigt den Kopf und verengt die Augen. »Erwartest du, dass ich dir
das abnehme? Netter Versuch, Luke. Aber ich weiß, dass du sie für dich
behalten willst, sonst wäre sie nicht mit dir hier. Und jetzt sag mir, was ich
tun muss, damit du sie mir zurückgibst. Lebendig.«
»Na gut, du hast recht, Asa. Ich will sie noch nicht hergeben. Bis jetzt
hatte ich erst einmal die Gelegenheit, sie zu vögeln. Sie schuldet mir noch
ein, zwei Nummern.«
Asa dreht den Kopf in den Nacken, bis es knackt. Sein flackernder Blick
zeigt mir, dass ich ihn genau da habe, wo ich ihn haben wollte. Ich bohre
die Klinge noch ein bisschen tiefer in sein Herz.
»Willst du wissen, wie es war, als ich sie das erste Mal gevögelt habe?
Letzte Chance?«
Asa schüttelt den Kopf. »Muss nicht sein. Hör zu, ich bin auch nicht
scharf darauf, dich oder deinen Partner zu killen. Ich will einfach nur Sloan
zurück, damit wir unser Leben weiterleben können.«
»Du lagst total mit Drogen vollgepumpt oben im Bett und hast nichts um
dich herum mitgekriegt.« Ich drücke meine Wange an die von Sloan. Es ist
grausam, sie das durchmachen lassen zu müssen, aber anders geht es nicht.
»Sloan war gerade aus dem Pool gestiegen. Ihr BH und ihr Höschen waren
klitschnass, ich konnte alles sehen. Alles. Ihre Nippel waren hart wie
Kieselsteine. Und weißt du, was sie gemacht hat, Asa?«
Er antwortet nicht, also rede ich weiter.
»Sie ist auf mich zugekommen, immer näher und näher, und hat mir
diese steinharten Nippel gegen die Brust gedrückt. Und dann hat sie gesagt,
dass sie mich durchschaut hat und weiß, dass ich undercover unterwegs bin.
Sie hat damit gedroht, dir alles zu erzählen, also hab ich getan, was jeder
Mann in meiner Situation getan hätte. Ich hab sie in eine dunkle Ecke
gezogen und meinen Mund auf ihren gepresst, damit sie erst mal still ist.«
Ich grinse. »Sie ist abgegangen wie eine Granate, Asa. Deine Kleine hat so
dermaßen laut gestöhnt, dass ich Angst hatte, sie weckt dich aus deinem
Delirium. Und dann hat sie die Beine um mich geschlungen und mir
gezeigt, wie dringend sie es nötig hat, von einem richtigen Kerl genommen
zu werden. Auf der Rückbank von meinem Wagen hat sie sich auf meinen
Schoß gesetzt und mich gevögelt, was das Zeug hält, während du oben im
Koma lagst. Mich hat sie gefickt, Asa. Nicht Carter. Sie hat Luke gefickt.
Sie hat mich gefickt, obwohl sie wusste, dass ich den Auftrag hatte, dich zu
zerstören.«
Ich schiebe Sloan näher an Asa heran und bohre ihm die Klinge noch ein
bisschen tiefer in die Wunde. »Na? Was ist das für ein Gefühl zu erfahren,
wie heiß es sie gemacht hat, dass ich ein Cop bin, der dich hinter Gitter
bringen wird? Solange sie dachte, ich wäre ein primitiver Dealer wie du,
hatte sie null Interesse an mir.«
Asa starrt Sloan hasserfüllt an. »Ist das wahr, Baby?«, fragt er mit
zitternder Stimme. Sloan hat recht gehabt: Sie ist das Einzige, was ihm
wirklich etwas bedeutet. »Wusstest du, dass er ein Cop ist, als du ihn
gefickt hast?«
Sloans Brust hebt und senkt sich, aber sie strafft die Schultern und sieht
ihm fest in die Augen. »Ja, das stimmt, Asa«, flüstert sie. »Und ich hatte
den besten Orgasmus meines Lebens.«
Für den Bruchteil einer Sekunde kann ich sehen, wie es alles in ihm
zerreißt, wie ihm das Herz bricht. Er stößt hart den Atem aus, während er
sie ungläubig anschaut, und dieser Sekundenbruchteil, in dem er nur auf sie
konzentriert ist, ist der Moment, auf den ich gewartet habe. Ich richte die
Waffe auf ihn, drücke ab und treffe ihn in den Arm, in dessen Hand er seine
Pistole hält. In dem Augenblick, in dem die Kugel in sein Fleisch dringt,
reißt Ryan sich los, windet Asa die Pistole aus der Hand und schießt ihm
erst ins rechte und dann ins linke Bein, um sicherzustellen, dass er
bewegungsunfähig ist.
Sloan klammert sich an mich, und ich halte sie mit einem Arm fest,
während ich die Waffe – den Finger am Abzug – auf Asas Kopf richte. Am
liebsten würde ich ihn sofort erschießen und sein wertloses Leben ein für
alle Mal beenden.
Ryan kann es in meinem Gesicht lesen. »Tu’s nicht, Luke.«
Asa liegt am Boden und Ryan kniet auf ihm und fesselt seine Arme
hinter dem Rücken. »Wo ist Tillie?«, fragt er ihn.
Asa dreht den Kopf, um ihn anzusehen. Er hat drei Schusswunden im
Körper, und wenn sie auch nicht lebensbedrohlich sind, muss er doch
höllische Schmerzen haben, trotzdem ist sein Blick kalt wie Eis, als würde
er nichts fühlen.
»Woher soll ich das wissen?«
Ryan holt aus und schlägt ihm mit der Waffe so brutal ins Gesicht, dass
Blut an die Wand spritzt. Er zieht Asas Handy aus der Hosentasche. »Du
rufst jetzt sofort deine Jungs an und ziehst sie ab. Sie sollen Tillie und
meine Schwester freilassen, du verdammtes Stück Scheiße!«
Asa lacht. »Du Loser willst ein Cop sein?«, sagt er höhnisch. »Das mit
deiner Schwester war nur ein Fake. Ich hab ihre Adresse online gefunden
und bin gestern hin, um das Foto von ihr zu machen, das ich dir vorhin
gezeigt habe. Deiner kleinen Schwester geht’s bestens. Du bist auf den
ältesten Trick der Welt reingefallen.«
Ryan sieht ihn lange an, dann zieht er sein eigenes Handy aus der Jacke
und wählt eine Nummer.
»Hey, Tillie. Alles okay bei dir? – Das ist kein Witz, Tilly, sag mir, ob du
okay bist!«
Er lauscht ins Handy, dann schließt er die Augen und rammt seine Waffe
noch einmal gegen Asas Kopf. »Du erbärmliches Stück Dreck!«
Anschließend steht er auf und ruft seine Schwester an. »Hallo,
Schwesterherz«, sagt er. »Ich schicke einen Kollegen zu dir, der kurz nach
dem Rechten sieht. Flipp nicht aus. Ich will nur sichergehen, dass bei dir
alles in Ordnung ist.«
Als er das Handy wegsteckt, sieht er mich an und schüttelt den Kopf.
»Scheiße … Ich wusste nicht, ob er lügt oder nicht, aber ich … Verdammt,
ich konnte kein Risiko eingehen.« Er zuckt hilflos mit den Schultern.
»Ich hätte es genauso gemacht«, versichere ich ihm.
Ryan hievt Asa unter den Achseln hoch, zieht ihn zur Heizung und
fesselt ihn an eins der Rohre, die entlang der Wand verlaufen. »Behalte ihn
gut im Auge. Ich melde mich beim Department und sorge dafür, dass dieser
jämmerliche Sack schnellstmöglich abgeholt wird.«
Er geht hinaus. Sobald die Wohnungstür hinter ihm zugefallen ist,
nehme ich Sloan in die Arme. »Bitte verzeih mir, dass ich dir das antun
musste … dass ich dir die Waffe an den Kopf gehalten und diese
grauenhaften Sachen gesagt habe.«
Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, hebt mir ihr tränenüberströmtes
Gesicht entgegen und küsst mich. »Du hast mir das Leben gerettet, Luke.
Entschuldige dich nicht. Ich wusste, was du tust.«
»Nimm deine dreckigen Hände weg von ihr.«
Wir sehen Asa an, der mit blutdurchtränkter Jeans an der Heizung kauert
und vor Hass lodernde Blicke auf mich abfeuert. Ich bin unendlich
erleichtert, dass dieser kranke Typ bald im Gefängnis sitzt.
Dann wird Sloan sich endlich sicher fühlen.
Aber ihre Rache hat sie noch nicht bekommen.
Asa

Dieses widerwärtige Stück Scheiße befummelt sie und drückt seine Lippen
in ihre Haare. Diese Fucker haben auf mich geschossen, aber das hier, das
ist tausendmal schlimmer. Es fühlt sich an, als würden sie mein Inneres mit
einer Machete aufschlitzen. Jedes Mal, wenn er sie berührt, schießt mir
brennende Gallenflüssigkeit die Kehle hoch.
»Hör auf, sie anzufassen, Arschloch!«
Sloan sieht mich an, aber da ist kein Mitleid in ihrem Blick. Sie geht
seelenruhig zur Tür und schließt ab, dann schlendert sie mit wiegenden
Hüften auf diesen Mistkerl zu, dreht sich um und presst ihren Rücken an
ihn. Sie zieht seine Arme um ihre Taille und geht ein paar Schritte, bis die
beiden direkt vor mir stehen. »Ich will, dass er mich anfasst«, sagt sie zu
mir. »Luke lässt mich etwas fühlen, Asa. Du hast das nie geschafft.«
Sie zieht ihr T-Shirt hoch und seine Hände gleiten über ihren Körper.
Was soll die Scheiße?
Ich merke, dass ich fast keine Luft kriege, weil ich es kaum ertrage
hinzusehen. Wieso tut sie mir das an? Was hat dieser Typ aus ihr gemacht?
Wenn ich in die Kirche gehen müsste, um an die Hölle glauben zu können,
in der ich diesen Luke schmoren sehen möchte, würde ich ab jetzt keinen
einzigen Gottesdienst mehr auslassen.
Lukes Blick ist fest auf mich gerichtet, während er seinen Mund auf
ihren Nacken presst. Ich sehe, wie sich seine Hände unter dem Shirt zu
ihren Brüsten bewegen. Ich muss würgen.
»Sloan«, presse ich verzweifelt hervor. »Baby, hör auf. Lass dich nicht
so von ihm angrapschen. Wehr dich. Du musst das nicht mitmachen.« Ich
beuge mich mit einem Ruck vor, weil ich hoffe, dass ich das beschissene
Heizungsrohr aus der Wand reißen kann, aber die Handschellen schneiden
so fest in meine Gelenke, dass es blutet.
Sloan legt den Kopf auf Lukes Schulter, sieht mich aber weiter an.
»Erinnerst du dich an das erste Mal, als du mit mir Sex hattest, Asa? An die
Nacht, in der du mich entjungfert hast?«
Ich schüttle den Kopf, weil ich will, dass sie aufhört zu reden. Diese
Nacht war etwas ganz Besonderes. Diese erste Nacht gehört nur mir und
nur ich darf darüber reden. Anständige Mädchen machen so was nicht. So
reden nur Nutten.
Luke legt eine Hand auf ihren Bauch und lässt sie langsam abwärts
wandern. Sloan stöhnt.
Verfickte Scheiße!
»Ich habe dir damals gesagt, dass ich warten will, weil ich mich noch
nicht bereit fühle, es zu tun«, sagt sie. »Aber als ich aufgewacht bin, lagst
du auf mir.«
Ich schüttle den Kopf. »Aufhören, Sloan. Sprich nicht so mit mir, Baby.«
»Jedes Mal, wenn ich an diese Nacht denke, wird mir kotzübel. Es
macht mich krank, wenn ich daran zurückdenke, dass du dir etwas so
Wertvolles einfach genommen hast, als würde es dir gehören und du
könntest damit machen, was du willst.«
Ich möchte nicht hinsehen, aber ich starre wie hypnotisiert auf die Hand
von diesem Kerl, die jetzt in ihrem Slip verschwunden ist.
Irgendwas läuft an meinem Gesicht runter. Irgendetwas Nasses. Scheiße.
Das sind Tränen. Ich schwöre, ich werde dieses Schwein so langsam zu
Tode quälen, dass er mich anflehen wird, ihm endlich das Leben zu
nehmen.
Seine Finger bewegen sich in ihrem Slip, und ich sehe, wie Sloan zittert,
als er ihr einen Arm um die Taille legt.
»Ich hasse dich, Asa. Ich hasse dich mit jeder Faser. Jeden Abend habe
ich gebetet, dass du deine Hände von mir lässt. Wenn du mich geküsst hast,
habe ich mich gefragt, ob der Tod nicht vielleicht besser schmecken würde
als du. Wenn du dich in mich gezwängt hast, habe ich geweint. Jedes Mal.«
Sloan dreht sich zur Couch und zieht Luke mit sich. Sie lässt sich von
ihm küssen, während seine Finger in ihrem Slip sind.
Ich kann das nicht weiter mit ansehen.
Ich wende den Kopf ab und schließe die Augen.
»Mach die Augen auf, Asa«, sagt Luke.
»Fick dich.«
Ich höre, wie er auf mich zukommt, im nächsten Moment packt er mich
an den Haaren und schlägt meinen Kopf gegen die Wand. Er hält ihn so
fest, dass ich zu ihm aufsehen muss.
»Du schaust uns jetzt zu oder ich tackere dir deine verdammten Lider
fest, sodass du sie nicht mehr zumachen kannst.«
Er geht wieder zu Sloan zurück und zieht ihr den Slip mit einem Ruck
bis zu den Knöcheln runter. Sie schleudert ihn mit einer Fußbewegung weg.
Ich würde mich wieder wegdrehen, aber ich kann nicht glauben, dass sie
das wirklich tun wird. Dazu ist sie nicht fähig.
Oh Gott.
Das wird sie niemals zulassen.
Sie wird ihm nicht erlauben, in ihr zu sein.
Das würde sie mir niemals antun.
Sloan schiebt beide Hände in seine Haare. »Nimm mich, Luke«, flüstert
sie heiser. »Nimm, was jetzt dir gehört.«
Ich bekomme keine Luft.
Sie zieht seine Jogginghose runter.
Schiebt sich ihm entgegen.
Bis er in ihr ist.
Gott. Nein.
»Luke«, stöhnt sie.
Nein.
Baby, nein.
Mein Scheißherz explodiert.
Fuck.
Fuck.
Nein.
NEIN!
Ich ringe nach Luft und versuche, so viel Sauerstoff in meine Lungen zu
pumpen, dass ich es schaffe, die beiden anzuflehen, mit dieser Scheißshow
aufzuhören … aber ich bringe kein Wort heraus.
Ich schlage mit dem Hinterkopf gegen die Wand.
Einmal.
Sie soll aufhören.
Zweimal.
Er soll aufhören.
»Oh … Luke!«, stöhnt sie. »Bevor ich dich kennengelernt habe, wusste
ich nicht, dass es sich so gut anfühlen kann.«
Dreimal.
Viermal.
Der körperliche Schmerz kommt nicht mal annähernd an den Schmerz
heran, mit dem sie mir gerade die Seele versengt. Sie schlingt die Arme um
seinen Nacken. »Ich liebe dich.«
Sie lügt.
Er sagt: »Ich liebe dich auch«, und sie beißt ihm in die Schulter.
Ich schlage ein fünftes Mal mit dem Kopf gegen die Wand.
Und ein sechstes Mal.
»Ich werde dich bis in alle Ewigkeit lieben, Luke. Nur dich.«
Und dann reißt sie mir mein verficktes Herz aus der Brust, als sie den
Kopf in den Nacken legt und aufschreit.
Ich will nur noch sterben.
Der widerliche Kerl stöhnt. Er vergräbt das Gesicht an ihrem Hals,
während er in ihr ist, und hat noch nicht mal ein Kondom benutzt. Er
beschmutzt sie.
Er zerstört sie.
Ich will nur noch sterben!
Ich schließe die Augen, um nicht sehen zu müssen, was als Nächstes
kommt. »Bringt mich um«, flüstere ich. »Verdammt, bringt mich endlich
um.«
Ich höre Sirenen.
Scheiße, gottverdammte. Ich will nicht mit diesem Bild vor Augen in
irgendeinem dreckigen Knast verrecken.
Als ich die Augen öffne, zieht Sloan ihren Slip wieder an. »Verfickte
Nutte«, knurre ich. Dann schreie ich. »Verfickte Nutte! Bring mich um!«
Sloan küsst Luke, dann steht sie auf, kommt auf mich zu und bückt sich
zu mir runter. Ich würde die Arme ausstrecken und sie erwürgen, wenn sie
nicht gefesselt wären, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich zu viel Blut
verloren habe, um meine Arme überhaupt noch heben zu können.
»Niemand wird dich umbringen, Asa. Du wirst das hier überleben. Und
weißt du, warum? Weil ich möchte, dass du für den Rest deines
erbärmlichen Lebens jedes Mal, wenn du in deiner Gefängniszelle die
Augen schließt, mich siehst – mich zusammen mit Luke. Mich und Luke,
wie wir uns lieben. Mich, wie ich Luke heirate. Mich, wie ich Lukes Kinder
bekomme.«
Mir steigt der Geruch nach Sex in die Nase, als sie sich noch tiefer zu
mir vorbeugt und mir ungerührt in die Augen sieht. »Und soll ich dir noch
was sagen? Jedes Jahr am 20. April werden wir zusammen mit unseren
Kindern deinen Geburtstag feiern und dazu werden wir eine riesige selbst
gebackene Kokostorte essen, du kranker Bastard.«
Luke ist an der Tür und reißt sie auf.
Die Bullen stürmen rein.
Zücken ihre Waffen.
Richten sie auf mich.
Aber ich sehe nur Sloan. Ihr Grinsen.
Das ist das Einzige, was ich sehe.
Prolog
Sloan
Zwei Jahre und ein paar Monate vor alldem …

Stephen wohnt jetzt seit zwei Wochen in dem Heim, das er vom Staat
finanziert bekommt. Ich kann mein Glück kaum fassen und das Timing
könnte gar nicht perfekter sein. Im selben Monat, in dem ich mit dem
Studium anfange, ist mir meine allergrößte Sorge genommen worden.
Natürlich mache ich mir Gedanken, ob er dort klarkommt, und hoffe,
dass er sich nicht einsam fühlt ohne mich, aber ich bin wahnsinnig
erleichtert, dass er nicht mehr bei unserer Mutter leben muss. Neben
meinem Studium hätte ich mich nicht mehr so intensiv um ihn kümmern
können wie bisher und im Heim kann er viel besser gefördert werden. Mein
absoluter Wunschtraum wäre, dass die staatliche Förderung noch lange
anhält und er die Betreuung und Fürsorge bekommt, die er braucht.
Natürlich arbeite ich darauf hin, dass er irgendwann bei mir wohnen kann,
aber im Moment liegt dieses Ziel noch in weiter Ferne. Ich habe ja nicht
mal genug Geld, um mir selbst ein Zimmer leisten zu können.
Aber hey, ich bin jetzt am College! Das war immer mein großer Traum,
von dem ich nie gedacht hätte, dass er in Erfüllung gehen könnte. Ich habe
mich fast mein ganzes Leben um Stephen gekümmert und dachte immer,
dass ich es niemals schaffen würde, nebenher auch noch zu studieren. Erst
einen Monat vor dem Highschool-Abschluss hat mich meine
Beratungslehrerin darauf aufmerksam gemacht, dass ich für Stephens
Unterbringung in einem Heim staatliche Unterstützung beantragen kann.
Meine Mutter hätte sich schon längst darum kümmern können, aber dafür
hätte sie einige Formulare ausfüllen müssen, und das war es ihr wohl nicht
wert. Warum auch, sie hatte ja immer mich, die für Stephen gesorgt hat.
Stephen ist erst sechzehn. Ich dachte immer, dass er bis zu seiner
Volljährigkeit auf jeden Fall zu Hause wohnen muss. Aber das ist jetzt
geklärt. Ich habe dieses wirklich tolle Heim für ihn gefunden und bin
offiziell im ersten Semester eingeschrieben. Das einzige Problem ist, dass
ich nicht das Geld habe, mir ein Zimmer im Wohnheim zu nehmen, weshalb
ich immer noch zu Hause wohne. So oft ich kann, übernachte ich bei
Bekannten, weil wir so weit vom College weg wohnen, dass ich den Bus
nehmen muss, für den ich nicht immer Geld habe. Außerdem geraten meine
Mutter und ich ständig aneinander, wenn wir auf engstem Raum zusammen
sind. Seit Stephen weg ist, ist unser Verhältnis noch schwieriger geworden.
Dass ich studiere, sieht sie natürlich nicht ein – ich soll lieber Geld
verdienen.
Einerseits finde ich, dass ich Glück habe, andererseits ist mein Leben
gerade auch ziemlich hart. Ich kann und will mich nicht auf Dauer bei
anderen Leuten einquartieren und ihnen auf die Nerven fallen, weiß aber
auch nicht, wie ich neben dem Studium so viel Geld verdienen soll, dass ich
mir etwas Eigenes leisten kann.
Aber irgendwann wird sich das Schicksal auch mal zu meinen Gunsten
wenden und vielleicht ist das jetzt ja der Anfang. Immerhin ist Stephen gut
untergebracht und ich habe eine Sorge weniger. Vielleicht habe ich jetzt
endlich mal Zeit, auch ein bisschen zu leben. Seit ich mich erinnern kann,
sehen meine Tage alle mehr oder weniger gleich aus: aufwachen, mich
anziehen, Stephen anziehen, ihn mit dem Bus ins Sonderpädagogische
Förderzentrum bringen, in die Highschool fahren, ihn nach der Schule
abholen, Essen machen, ihm beim Essen helfen, ihm seine Medikamente
geben, ihn bettfertig machen, meine Hausaufgaben erledigen, schlafen …
und am nächsten Morgen geht alles wieder von vorn los.
Irgendwie fühle ich mich befreit. Nicht, dass ich Stephen jemals als
Belastung empfunden hätte. Ich liebe ihn mehr als mich selbst und würde
alles für ihn tun. Aber es ist schön, endlich auch mal Zeit für mich zu
haben. Ich wünschte nur, ich wüsste, was ich damit anfangen sollte. Nach
der Uni fühle ich mich oft verloren und sitze deswegen meistens
stundenlang in der Bibliothek herum. Ich habe mich auf zwei Wartelisten
eingetragen, um einen Job am College zu bekommen, aber im Moment
haben sie anscheinend genug Leute. Nicht mal bei McDonald’s um die
Ecke können sie mich gebrauchen. Es gibt einfach zu viele Studenten, die
arbeiten müssen.
Mein Leben ist im Moment vielleicht nicht ideal, aber es geht definitiv
aufwärts. Und es passieren auch aufregende Sachen. Zum Beispiel ist in
meinem Geschichtskurs ein Typ, den ich interessant finde. Er ist nicht oft
da, aber wenn er kommt, freue ich mich.
Chancen rechne ich mir allerdings keine bei ihm aus, weil ich
mitbekomme, wie die anderen Mädchen mit ihm flirten, und die sehen alle
tausendmal besser aus als ich. Ich habe nicht das Geld für coole Klamotten
oder um zum Friseur zu gehen oder mir die Nägel machen zu lassen. Meine
Haare lasse ich einfach wachsen und die Spitzen schneide ich mir selbst.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich hier am College total auffalle –
aber nicht im positiven Sinn. Lieber würde ich in der Masse untergehen und
damit das komplette Gegenteil von diesem Typen sein.
Asa. Ich habe seinen Namen auf der Anwesenheitsliste gelesen. Er sieht
unglaublich gut aus. Besser als jeder andere Mann, den ich in meinem
Leben je gesehen habe. Das hat nicht nur etwas mit seinem Äußeren zu tun,
sondern vor allem mit seiner selbstbewussten Ausstrahlung. Wenn er mit
seinen breiten Schultern und diesem undurchdringlichen Blick in den Raum
kommt, traut sich keiner, etwas darüber zu sagen, dass er so selten da ist.
Selbst die Dozenten lassen ihn in Ruhe.
Die meisten Studenten kommen mit gesenktem Blick rein und gehen
schnell an ihren Platz, um nicht aufzufallen. Bei Asa hat man eher das
Gefühl, dass er einen Auftritt zelebriert. Ich glaube, er wäre beleidigt, wenn
er nicht die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.
Aber da muss er sich keine Sorgen machen. Er bekommt mehr als genug
Aufmerksamkeit.
Während der Dozent vorne über den Bürgerkrieg redet, sitze ich da und
starre Asa an. Er hat tolle Haare, sehr dicht und glänzend. Ich muss die
ganze Zeit daran denken, wie sie wohl aussehen, wenn er gerade aus der
Dusche kommt. Wie es sich anfühlen würde, mit beiden Hände
hindurchzufahren. Wie es wäre, wenn er mich so ansehen würde, als wollte
er meine Haare berühren.
Ich glaube nicht, dass er mich schon jemals angesehen oder überhaupt
wahrgenommen hat, aber in meinen Tagträumen stelle ich es mir oft vor.
Ich weiß nicht, was für ein Gefühl das ist, begehrt zu werden. Weil ich
Stephen nicht allein lassen konnte, hatte ich nie Gelegenheit, Erfahrungen
zu sammeln. Selbst an den Wochenenden war ich mit ihm unterwegs. Es
gab schon immer mal wieder irgendwelche Jungs in der Highschool, die
mich gefragt haben, ob ich was mit ihnen unternehmen möchte, aber wer
hätte dann auf Stephen aufgepasst? Dabei habe ich immer davon geträumt,
auch mal ein richtiges Date zu haben, so wie die anderen Mädchen aus
meinem Jahrgang. Der erste Kuss, der erste Freund … eben alles, was
dazugehört.
Als mich einmal ein Junge, in den ich ziemlich verknallt war, gefragt
hat, ob ich mit ihm ins Kino gehe, habe ich ihm vorgeschlagen, dass er
stattdessen zu mir kommen könnte. Ich dachte, sonst würde ich nie meinen
ersten Kuss kriegen. Meine Mutter war an dem Abend nicht zu Hause, und
ich hatte aufgeräumt, mir die Haare gewaschen und mich geschminkt. Und
dann bekam Stephen beim Abendessen einen seiner Anfälle und hat sein
ganzes Essen durch die Gegend geworfen. Ich habe es zwar geschafft, ihn
zu beruhigen, aber danach waren wir beide total fertig. Überall klebte
Süßkartoffelbrei, mein Top war am Ärmel eingerissen und ich war nass
geschwitzt.
Und in dem Zustand habe ich dann die Tür aufgemacht, als es
schließlich geklingelt hat. Der Typ hat mich angesehen, dann Stephen, dann
das Chaos in der Küche – und sofort den Rückzug angetreten. »Sieht aus,
als wäre es heute nicht so günstig, oder? Vielleicht verschieben wir das
Ganze lieber auf ein anderes Mal.«
Aber es gab kein anderes Mal. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er in der
Schule erzählt hat, was bei mir los war. Jedenfalls hat mich danach kein
Junge jemals mehr gefragt, ob ich was mit ihm unternehme.
Typen können manchmal so scheiße sein.
Ich reiße den Blick von Asa los, schaue zur Tafel und greife nach
meinem Stift, um schnell aufzuschreiben, was ich verpasst habe, während
ich vor mich hin geträumt habe. Aber der blöde Stift scheint leer zu sein.
Ich schüttle ihn und setze noch einmal an. Zwecklos.
Dummerweise habe ich nur diesen einen Stift mit. Ich versuche es noch
mal, aber die Spitze hinterlässt nur Kratzspuren auf dem Papier.
Und dann spüre ich, dass Asa mich ansieht. Ich muss nicht mal
aufschauen, ich fühle seinen Blick und will mir lieber nicht vorstellen, was
er denkt, während er meine unspektakulären Klamotten, meine ungestylten
Haare, mein ungeschminktes Gesicht und meine ungemachten Nägel
mustert. Am liebsten würde ich unter den Tisch kriechen und mich
unsichtbar machen, aber das geht natürlich nicht.
»Hier, nimm den.«
Hilfe!
Er hält mir einen Stift hin. Mein Gesicht glüht, und ich wage es nicht,
aufzublicken. Ich will nicht mit ihm reden. Als ich schließlich doch den
Kopf hebe und ihn zum ersten Mal direkt anschaue, bleibt mir kurz die Luft
weg. Er sieht wirklich aus wie ein junger Gott. Strahlende Augen, ein
markantes Kinn und ein Mund, der Entschlossenheit ausstrahlt, dabei sind
seine Lippen so voll und weich, dass ich mich bei dem Wunsch ertappe, sie
küssen zu wollen. Als er mich anlächelt, bilden sich zwei Grübchen in
seinen Wangen, die seinem männlichen Gesicht etwas Jungenhaftes
verleihen. Ich könnte jetzt ewig so weiterschwärmen, aber so oberflächlich
bin ich nicht.
Oder?
Nein, bin ich nicht. Es ist mir egal, dass seine Haare so dicht und gewellt
sind, dass man sofort den Wunsch hat, die Hände darin zu vergraben. Es
lässt mich kalt, dass seine Schultern so breit und seine Arme so muskulös
sind, dass ich unwillkürlich daran denke, wie mühelos er mich hochheben
könnte. Oder dass sein blaues T-Shirt so eng sitzt, dass ich die Kontur
seines Sixpacks erkennen kann.
Ja, er ist sehr attraktiv, definitiv, aber Äußerlichkeiten interessieren mich
nicht.
Warum habe ich dann das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen?
Asa hält mir immer noch seinen Stift hin. Als ich nicht reagiere, lacht er
und beugt sich vor, um ihn mir auf den Tisch zu legen. Er zwinkert mir zu
und schaut dann wieder nach vorne.
Ich sehe auf den Stift und dann zu ihm und bemerke, dass er sich keine
Notizen mehr macht.
Heißt das, er … Hat er mir etwa seinen einzigen Stift gegeben?
Ich schreibe mit, was der Dozent sagt, obwohl ich mich kaum
konzentrieren kann, weil ich jetzt an nichts anderes mehr denke, als dass ich
Asa seinen Stift nachher zurückgeben und mich bedanken muss. Was
bedeutet, dass ich etwas zu ihm sagen muss. Aber was?
Als die Stunde vorbei ist, schlägt mir das Herz bis zur Kehle. Es ist
komplett lächerlich. Ich packe meine Sachen zusammen, und bevor Asa
aufsteht, habe ich ihm den Stift schon auf den Tisch gelegt, »Danke«
gemurmelt und bin zur Tür raus.
Meine Knie zittern, als ich den Flur entlanggehe. Ich bin erst ein paar
Meter weit gekommen, als mich jemand am Ellbogen festhält.
»Hey.«
Ich muss die Augen schließen, weil seine tiefe, gelassene Stimme alles
in mir vibrieren lässt. Als ich mich umdrehe und ihn ansehe, vertiefen sich
die Grübchen in seinen Wangen, weil er so breit lächelt. Der Blick, mit dem
er jeden Quadratzentimeter meines Gesichts in sich aufzunehmen scheint,
ist so intensiv, dass er mir durch und durch geht. Was denkt er über mich?
»Wie heißt du eigentlich?«
Er lehnt sich gegen die Wand und sieht mich grinsend an.
Oh Gott.
Gleich fragt er mich, ob ich mal was mit ihm trinken gehen möchte.
Der gut aussehende Typ, von dem ich niemals gedacht hätte, dass er
mich überhaupt wahrnimmt, hat mich offenbar doch wahrgenommen. Aus
irgendeinem Grund scheint er sogar an mir interessiert zu sein. Und obwohl
ich ihn wirklich umwerfend finde, wird mir zu meiner eigenen
Überraschung plötzlich klar, dass ich nichts mit ihm zu tun haben will.
Nicht, nachdem ich ihn aus der Nähe erlebt habe. Nicht, nachdem ich
gespürt habe, was allein schon seine Stimme in meinem Inneren anrichten
kann. Und sein Blick – er sieht mich an, als wollte er mich bei lebendigem
Leib auffressen. Er ist so viel erfahrener als ich, und ich spüre ganz genau,
dass ich ihm nicht gewachsen bin.
An jemanden aus seiner Liga muss ich mich langsam herantasten. Ich
kann meinen ersten Versuch in der Dating-Welt nicht mit einem wie ihm
machen. Ich weiß ja noch nicht mal, wie man küsst!
Also drehe ich mich wortlos um und gehe mit entschlossenen Schritten
in die entgegengesetzte Richtung davon. Aber nach ein paar Metern hält er
mich noch mal am Ellbogen fest.
»Hey, wohin so eilig?«, fragt er lachend.
Ich bleibe stehen. »Was willst du von mir? Ich hab mich doch schon
dafür bedankt, dass du mir deinen Stift geliehen hast.«
Seit wann bin ich so eine Kratzbürste?
Er strahlt mich weiter mit diesem unglaublichen Lächeln an. Selbst seine
Zähne sind sexy. Bis jetzt wusste ich nicht, dass es so etwas wie sexy Zähne
überhaupt gibt!
»Stimmt. Das hab ich mitbekommen«, sagt er. »Und ich freue mich, dass
ich dir behilflich sein konnte. Aber jetzt würde ich dich gern darum bitten,
mir auch einen kleinen Gefallen zu tun.«
Ich bin zwar komplett unerfahren, aber ich weiß sehr genau, was es
bedeutet, wenn ein Mann einen um einen Gefallen bittet. »Du hast mir nur
einen Stift geliehen. Ich glaube nicht, dass ich dir dafür etwas schuldig
bin.«
Asa zieht eine Augenbraue hoch. »Ich habe dir meinen einzigen Stift
geliehen, deswegen wäre es supernett, wenn du mir dafür deine
Aufzeichnungen leihen könntest.«
Wie peinlich! Dann wollte er mich also gar nicht fragen, ob ich mit ihm
ausgehe … »Du kommst nur ab und zu mal zum Seminar, und jetzt kriegst
du Panik, weil du zehn Minuten lang nicht mitgeschrieben hast?«, frage ich.
»Ist das dein Ernst?«
In seinen Augenwinkeln bilden sich kleine Lachfältchen. »Also, wenn
ich ganz ehrlich sein soll …«, sagt er grinsend, »… versuche ich gerade,
mit dir zu flirten. Aber du machst es mir nicht gerade einfach.«
Oh.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche mir nicht anmerken zu
lassen, was diese Bemerkung in mir auslöst. Aber wahrscheinlich ist er
daran gewöhnt, dass alle Mädchen sofort dahinschmelzen, wenn er solche
Sachen sagt. »Ich heiße Sloan. Und ich habe kein Interesse daran,
angeflirtet zu werden.«
»Sloan«, wiederholt er mit einem kleinen Lächeln. »Schön.«
Wie kann es sein, dass mir dieses schlichte Wort einen
Entzückungsschauer über die Haut jagt?
Asa beugt sich zu mir vor, und ich stelle fest, dass er nach Pfefferminz
duftet. »Weißt du was? Du solltest heute Abend mit mir essen gehen, Sloan.
Ich verspreche dir, dass ich mich zusammenreißen und ganz Gentleman sein
werde, bis du mich ausdrücklich um etwas anderes bittest.«
Das ist ganz schön dreist, aber verrückterweise macht seine
Unverfrorenheit mich an. Wie ist das möglich? Ich spüre, wie mein
körperliches Begehren und mein gesunder Menschenverstand miteinander
kämpfen, während ich auf seinen Mund starre und mich frage, ob er
womöglich der erste Mann sein wird, den ich küsse. Ich stelle mir vor, dass
Küssen so ähnlich ist wie Ananas essen. Tröstlich süß und ein bisschen
klebrig und Stunden später hat man den Geschmack immer noch auf der
Zunge.
Er leiht mir seinen Stift, und das führt dazu, dass ich davon träume, ihn
zu küssen? Achtung, Sloan. Dieser Typ ist gefährlich.
Ich verdrehe wortlos die Augen und wende mich zum Gehen.
Aber ich verstehe mich selbst nicht. Warum habe ich ihm eine Abfuhr
erteilt? Es ist weiß Gott nicht so, als hätte ich heute Abend etwas Besseres
vor. Andererseits sollte ich mein Bauchgefühl nicht ignorieren, das mich
eindeutig vor ihm warnt. Er ist kein Mann, bei dem man sich geborgen
fühlt. Er ist nicht wie warmes, flaches Wasser, in dem man gefahrlos
planschen kann. Asa ist wie ein tiefer Ozean, in dem hungrige Haie lauern,
und wenn ich mit ihm essen gehe, ist das, als würde ich mich über die
Planke in seine dunklen Tiefen stürzen.
Dabei kann ich noch nicht mal schwimmen.
Asa ist mir hinterhergegangen und stellt sich so vor mich, dass ich
stehen bleiben muss. Er macht einen Schritt vor und ich einen zurück.
»Wir müssen es ja nicht Date nennen«, sagt er. »Es ist nur … irgendwas
an dir finde ich ziemlich unwiderstehlich. Ich würde einfach gern was
Gutes essen und dich dabei ein bisschen anschauen. Komm schon, tu mir
den Gefallen, Sloan.« Er grinst so breit, dass ich gar nicht anders kann, als
zu lachen. Verdammt. Der Typ ist mehr als frech, er ist eigentlich fast schon
übergriffig. Warum finde ich das so sexy?
»Bitte … Sloan«, sagt er lautlos. Wieso finde ich das nur so süß?
Ich hole tief Luft und rufe mir noch mal ins Gedächtnis, worüber ich mir
im Kurs eben Gedanken gemacht habe. Ich bin jung. Zum allerersten Mal in
meinem Leben habe ich Zeit, auch mal an mich zu denken und etwas von
dem nachzuholen, was ich verpasst habe. Und wenn ich nicht bald damit
anfange, hinke ich den anderen in meinem Alter irgendwann so
hoffnungslos hinterher, dass der Vorsprung nie mehr aufzuholen ist.
»Na gut, du komischer Typ«, sage ich und stoße die angehaltene Luft
wieder aus. »Ich erlaube dir, mich anzuschauen, während du isst. Du kannst
mich um sieben vor dem Büro der Studienverwaltung abholen.«
Asa schüttelt den Kopf. »Ich kann dich erst um halb neun abholen. Ab
da bin ich frei.«
»Das ist aber ganz schön spät für ein Date.«
»Ach?« Er grinst. »Heißt das etwa, es ist doch ein Date?« Er beugt sich
zu meinem Ohr. »Zieh bitte das Kleid an, das du letzten Dienstag anhattest.
Das mit den gelben Blümchen.«
Und dann schiebt er sich an mir vorbei und schlendert lässig davon,
ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen. Mir wird kurz schwindelig.
Ihm ist das Kleid aufgefallen, das ich letzte Woche anhatte?
Ich verstecke mein Lächeln hinter vorgehaltener Hand und mache mich
auf den Weg zu meinem nächsten Kurs.

***

Ich habe mich auf der Toilette eines Waschsalons für das erste Date meines
Lebens fertig gemacht.
Ganz schön traurig.
Das Kleid, von dem Asa sich gewünscht hat, dass ich es anziehe, hatte
einen Fleck, und da weder meine Mutter noch die Bekannte, bei der ich seit
ein paar Tagen übernachte, eine Waschmaschine oder einen Trockner
haben, musste ich in den Münzsalon. Die Zeit, die es in der Maschine war,
habe ich genutzt, um mich zu schminken und mir die Haare zu machen.
Ob Asa mich immer noch ziemlich unwiderstehlich finden würde, wenn
er wüsste, was für ein erbärmliches Leben ich führe?
Auch wenn er nicht oft zu den Vorlesungen kommt, ist mir nicht
entgangen, dass er grundsätzlich Designerklamotten und teure Schuhe trägt.
Wahrscheinlich hat der Stift, den er mir heute geliehen hat, mehr gekostet
als das Blümchenkleid.
Warum bin ich ihm überhaupt aufgefallen? Es ist nicht so, als hätte ich
Minderwertigkeitskomplexe oder fände mich hässlich. Aber in unserem
Semester gibt es einen Haufen Mädchen, die sich jeden Tag total stylen und
zurechtmachen. Ich sehe doch, wie sie Asa mit Blicken verschlingen. Von
denen könnte er jede haben – warum will er ausgerechnet mit mir essen
gehen? Verglichen mit den anderen bin ich eine graue Maus und halte mich
ja auch ganz bewusst lieber im Hintergrund. Von Typen wie Asa träume ich
vielleicht, aber im wahren Leben sehne ich mich nach Sicherheit und nach
Verlässlichkeit.
Manchmal komme ich mir unter den anderen vor wie eine
Außerirdische. Zum Beispiel jetzt, wo ich allein vor dem Büro der
Studienverwaltung stehe und warte. Auch wenn die meisten der
Vorübergehenden mich gar nicht bemerken, gibt es doch ein paar, die mich
neugierig mustern, als würden sie sich fragen, was ich hier will. Von zwei
verschiedenen Typen bin ich sogar angesprochen worden, ob ich Hilfe
brauche. Waren das Flirtversuche oder haben sie mich das gefragt, weil ich
schon seit einer halben Stunde hier stehe wie bestellt und nicht abgeholt?
Ich hasse Leute, die unpünktlich sind. Mit jeder Minute, die vergeht,
sinkt Asa in meiner Achtung, und dabei hat unser Date noch nicht mal
angefangen. Ich gebe ihm noch zehn Minuten; wenn er bis dahin nicht
aufgetaucht ist, bin ich weg.
Eine Minute tickt vorbei.
Drei.
Sieben.
Neun.
Okay, Vollidiot. Deine Zeit ist abgelaufen.
Ich rücke den Schulterriemen meiner Tasche zurecht und gehe Richtung
Bushaltestelle. Als ich um die Ecke biege, hält ein Auto mit quietschenden
Reifen neben mir. Ich höre, wie die Tür aufgerissen wird, drehe mich aber
nicht um, sondern gehe unbeirrt weiter.
»Sloan!«
Asa läuft hinter mir her. Ich bin erleichtert, dass er doch noch gekommen
ist und mich nicht ganz versetzt hat, aber das ändert nichts daran, dass er
fast eine Dreiviertelstunde zu spät ist.
Erst als er bei mir ist, drehe ich mich um.
»Hey«, sagt er fröhlich. »Bist du so weit? Können wir los?«
Ich lache ungläubig. Meint er das ernst? Er hat noch nicht mal vor, sich
zu entschuldigen?
»Ich habe eine Dreiviertelstunde auf dich gewartet«, sage ich gereizt.
»Ich war so hungrig, dass ich jetzt schon keinen Hunger mehr habe, und bin
so müde, dass ich nur noch ins Bett will. Gute Nacht, Asa.«
Seine Miene wird sofort kleinlaut. »Nicht, Sloan.« Er legt mir beide
Hände auf die Schultern. »Bitte sag das nicht. Es tut mir leid. Ich bin
aufgehalten worden. Ich hätte angerufen, aber ich hatte deine
Handynummer nicht.«
»Ich habe kein Handy.«
Er sieht mich erstaunt an. »Im Ernst? Wer läuft denn heutzutage noch
ohne Handy rum?«
»Arme Menschen, Asa. Menschen, die sich so was wie ein Handy nicht
leisten können. Menschen, die ihre letzten drei Dollar im Waschsalon
ausgeben, um ein Kleid zu waschen, weil der Typ, der zu spät zu seinem
Date kommt, sie gebeten hat, es anzuziehen. Menschen, die keine Lust
haben, so spätabends versetzt zu werden, weil der Bus ihr einziges
Transportmittel ist. Und mein letzter Bus fährt in zehn Minuten. Wenn du
mich also entschuldigst – ich muss zur Haltestelle.«
Ich will mich an Asa vorbeidrängen, aber seine Hände gleiten von
meinen Schultern zu meinen Wangen. »Bitte tu mir das nicht an. Ich hab
mich den ganzen Tag auf unser Date gefreut. Ich hab alles getan, um
pünktlich hier zu sein, und ich weiß, dass ich verdammt spät dran bin, aber
jetzt bin ich hier. Können wir bitte noch mal einen Neustart machen?
Können wir nicht vielleicht so tun, als hätte ich gesagt, dass ich dich um
zehn nach neun abhole, und jetzt bin ich total pünktlich gekommen und du
lächelst mich an und bist gespannt, was für ein Restaurant ich für uns
ausgesucht habe?«
Sein Blick ist aufrichtig verzweifelt. Asa ist zwar unglaublich dreist,
aber gleichzeitig auch gnadenlos charmant. Eine mörderische Mischung.
Verdammt.
Gegen meinen Willen muss ich lächeln. »Was hast du uns denn für ein
Restaurant ausgesucht?«
»Danke!« Er strahlt über das ganze Gesicht. »Das Restaurant ist eine
Überraschung. Wir gehen zu Fuß, ist das okay für dich?«
Ich nicke und versuche zu vergessen, dass er mich so lang hat warten
lassen. Er ist aufgehalten worden, das kann passieren. Und jetzt ist er hier,
also bin ich ihm nicht gleichgültig. Wahrscheinlich sollte ich wirklich nicht
so hart zu ihm sein.
Asa greift nach meiner Hand und verschränkt seine Finger mit meinen.
Für ihn ist das wahrscheinlich eine ganz beiläufige Geste, etwas, das er
immer macht, wenn er mit einem Mädchen verabredet ist. Aber für mich ist
es alles andere als normal. Es ist monumental. Das ist nämlich erst das
zweite Mal in meinem Leben, dass ein männliches Wesen meine Hand hält.
Beim ersten Mal war ich zwölf, deshalb weiß ich nicht mal, ob das
überhaupt zählt.
»Weißt du, dass du sensationell aussiehst?« Er wechselt die Hand, dreht
sich um und läuft ein paar Schritte rückwärts vor mir her. Sein Blick
wandert über meinen ganzen Körper, bleibt an meinen Beinen hängen und
wandert dann wieder hoch, bis er meine Augen erreicht. Lächelnd greift er
wieder mit der linken Hand nach meiner und zieht mich mit sich.
»Als ich dich letzte Woche in diesem Kleid gesehen habe, konnte ich
mich überhaupt nicht mehr auf das konzentrieren, was der Typ vorne erzählt
hat. Ich wollte dich eigentlich nach dem Kurs abfangen, aber du warst so
schnell weg, dass ich keine Chance hatte.«
Ich lächle ungläubig. »Wirklich? Das hab ich gar nicht mitbekommen.«
Asa lacht leise. »Glaub mir, Sloan, es gibt eine Menge Dinge, die du
nicht mitbekommst.«
»Was denn zum Beispiel?«
Er wirft mir einen langen Seitenblick zu. »Zum Beispiel, dass jeder
verdammte Typ, der mit uns in diesem Geschichtskurs sitzt, dich die ganze
Zeit anstarrt – genau wie ich.«
Ich hätte es ganz sicher bemerkt, wenn Asa mich angestarrt hätte. »So
ein Quatsch. Du bist doch verrückt.«
Er zuckt mit den Achseln. »Ich bin lieber verrückt und gehe mit dir
essen, als normal zu sein und mit einem anderen Mädchen den Abend
verbringen zu müssen.«
Dazu fällt mir nichts mehr ein. Soll ich das ernst nehmen? Das sind doch
nur Schmeicheleien, um mich einzuwickeln. Asa ist aalglatt. Ich bin mir
sicher, dass er genau dasselbe zu allen Mädchen sagt, mit denen er sich
trifft. Ich bin nichts Besonderes.
Aber wenn ich das alles weiß … warum falle ich dann trotzdem darauf
rein? In meinem Bauch flattern Schmetterlinge und mir ist heiß, obwohl der
Abend eher kühl ist und mein Kleid ziemlich dünn.
Asas gutes Aussehen, gepaart mit seiner Fähigkeit, die richtigen Worte
zu finden, machen ihn genau zu dem Typ Mann, der Mädchen in
Schwierigkeiten bringt. Seine Komplimente sind so echt wie eine
Dollarnote mit dem Gesicht von Kanye West darauf, und trotzdem kann ich
nicht verhindern, dass ich mich geschmeichelt fühle. Aber eigentlich ist das
ja auch nicht schlimm. Ich durchschaue ihn und weiß, dass ich mich
garantiert nicht auf ihn einlassen werde. Es spricht also nichts dagegen, den
Abend trotzdem zu genießen und für einen Übungsflirt zu nutzen.
»Das Restaurant ist gleich dahinten«, sagt er, nachdem wir ein paar
Minuten gegangen sind und um eine Ecke biegen.
Obwohl ich jetzt schon ein paar Monate auf dem College bin, war ich
noch nie in dieser Gegend. Die Straße, die wir entlangschlendern, ist
absolut romantisch. Niedrige Backsteingebäude mit Bäumen davor, in
denen bunte Lichterketten hängen. Überall Bars, aus denen leise Musik
dringt, und am Ende der Straße ein Restaurant. Fast bin ich enttäuscht, dass
wir gleich da sind. Es ist lange her, dass ich einfach so zum Spaß durch die
Stadt gelaufen bin.
Aber jetzt werde ich langsam wieder nervös. Worüber soll ich mich beim
Essen mit ihm unterhalten? Und wie geht es nach dem Essen weiter? Bringt
er mich gleich nach Hause oder gehen wir dann noch was trinken? Herrgott,
ich bin so verdammt unerfahren.
»Was ist für dich der schönste Teil an einem Date?«, frage ich, um ein
paar Informationen aus ihm herauszukitzeln und nicht ganz so ahnungslos
rüberzukommen.
Asa sieht mich lächelnd an. »Der Kuss, Sloan. Definitiv der Kuss.«
Küsst man sich gleich am ersten Abend?
Auf einmal habe ich keinen Hunger mehr, weil ich zu aufgeregt bin. Ich
habe noch nie wirklich geküsst, und das wird Asa hundertprozentig merken,
weil ich gar nicht weiß, wie es geht. Er wird total enttäuscht sein.
»Am Ende des Abends vor der Haustür wie im Film?«
»Kommt drauf an. Man kann sich natürlich auch irgendwann
zwischendurch küssen, wenn es passt. Oder gleich am Anfang.«
Wäre das nicht die perfekte Lösung? Dann hätte ich den Kuss schon
hinter mir und müsste mich nicht die ganze Zeit verrückt machen.
»Und was glaubst du, wann wir beide uns küssen werden?«, frage ich
lächelnd. Flirte ich etwa?
Asa sieht mich an. Und dann zieht er mich kurz entschlossen in eine
schmale Gasse, obwohl wir praktisch schon am Restaurant angekommen
waren.
Er dreht sich mir zu, und ich schnappe nach Luft, als ich den hungrigen
Blick in seinen Augen sehe. Seine Hände umfassen meine Taille und er
schiebt mich an eine Hausmauer. »Ich glaube, jetzt wäre der perfekte
Zeitpunkt«, sagt er heiser. Im nächsten Moment spüre ich auch schon seine
Lippen auf meinen. Ich sehe ihn mit weit aufgerissenen Augen an und
verkralle beide Hände im Kragen seines Hemds, während seine Zunge
zwischen meine zusammengepressten Lippen gleitet und ich …
dahinschmelze. Mein Mund öffnet sich ganz von selbst, und ich seufze leise
auf, als seine Zungenspitze meine berührt.
Und von einer Sekunde zur anderen ist alle Nervosität verschwunden.
Ein Instinkt setzt ein, von dem ich nicht einmal wusste, dass er existiert,
und ich gebe mich dem Rhythmus hin, den Asa vorgibt. Berührung um
Berührung, Atemzug um Atemzug tue ich alles, was er tut. Nach etwa
dreißig Sekunden bin ich mir ziemlich sicher, dass ich weiß, wie man küsst,
aber genau in diesem Moment löst Asa sich von mir.
Heftig atmend stemmt er die Hände gegen die Mauer und legt seine
Schläfe an meine. Ich bin froh, dass er mich gerade nicht ansieht, weil ich
sicher total schwachsinnig lächle.
Unser Kuss war schön. Richtig schön. Und ich war kein bisschen
verkrampft und unsicher, wie ich befürchtet hatte. Im Gegenteil, auf einmal
platze ich vor Selbstbewusstsein. »Das war mein erster Kuss«, rutscht es
mir heraus, was ich sofort bereue, weil ich mich anhöre wie ein stolzes
kleines Mädchen.
Asa lehnt sich zurück, um mich anzusehen. Der Blick in seinen dunklen
Augen ist jetzt noch durchdringender.
»Das ist ein Witz, oder?«
Ich sollte lachen und »Haha, klar war das ein Witz« sagen, stattdessen
schüttle ich bloß den Kopf.
»Heißt das, du … du hast noch nie einen Freund gehabt?«
Ich nicke. »Genau.«
Er neigt den Kopf und sieht mich zweifelnd an. »Ist das so ein
komisches religiöses Ding?«
Ich lache. »Nein. Gar nicht. Ich bin nicht religiös und habe auch nicht
vor, mich bis zur Ehe aufzuheben oder so was. Ich hatte nur … zu viele
andere Sachen zu tun. Mein ganzes Leben lang war ich von morgens bis
abends eingespannt. Da war einfach keine Zeit, mich mit Jungs zu treffen.«
Asas Blick ist ungläubig. »Dann … hat dich noch nie ein Mann
angefasst? Oder geküsst? Wirklich noch nie? Keiner?«
Wieder schüttle ich den Kopf. »Nie. Das eben war wirklich eine
Premiere für mich. Du bist mein Erster. Also sei gnädig mit mir, wenn ich
mich ein bisschen blöd angestellt habe.«
Asa stößt einen leisen Pfiff aus. »Heilige Scheiße.« Im nächsten Moment
liegt sein Mund wieder auf meinem, aber diesmal ist der Kuss drängender.
Im ersten Moment bin ich von der Heftigkeit überrumpelt, fange mich aber
schnell und mache mit.
Es kommt mir vor, als würde Asa mich verschlingen wollen. Sein Kuss
hat etwas Verzweifeltes, und er drückt sich so fest an mich, dass ich kaum
Luft bekomme. Ich muss die Arme um seinen Nacken legen, weil dieser
Kuss so intensiv ist, dass meine Knie weich werden.
Ich kann nicht mit ihm mithalten. Während er sich an meinem Kinn und
meiner Kehle entlang abwärtsküsst, ringe ich nach Luft. Er greift mit beiden
Händen in meine Haare, und ich wühle gleichzeitig in seinen, die sich
genauso dicht und kräftig anfühlen, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Irgendwann gleiten seine Hände aus meinen Haaren, und er hebt mich mit
einem Ruck hoch und drückt mich gegen die Wand.
Es ist unglaublich, wie sehr sich dieser Kuss von unserem ersten
unterscheidet.
Und ich frage mich jetzt schon, wie wohl der dritte wird.
Asa schlingt sich meine Beine um die Hüfte und umfasst unter dem
Kleid meinen Po, damit ich nicht abrutsche. Als seine Lippen wieder meine
Kehle hinabwandern, lasse ich den Kopf gegen die Mauer sinken.
»Asa«, keuche ich irgendwann. »Wir sollten vielleicht mal was essen?«
Ich spüre, wie er an meinem Hals lacht. »Du hast ja recht«, murmelt er.
»Aber ich kann einfach nicht anders. Zu wissen, dass du … Scheiße, Sloan.
Ich kann einfach nicht aufhören, dich zu küssen. Ich versuche es ja.«
Wieder ist sein Mund an meiner Kehle. Im nächsten Moment denke ich
nicht mehr ans Essen, sondern spüre nur noch, wie perfekt wir uns
miteinander bewegen und wie ich mich an seinem Körper reibe und Dinge
spüre, die ich nie zuvor gespürt habe.
»Oh mein Gott«, flüstere ich und presse mich noch fester an ihn.
»Ich dachte, du wärst nicht religiös?«
Ich muss lachen und Asa setzt mich sanft wieder am Boden ab. Er gibt
mir einen Kuss auf die Haare, dann legt er seine Stirn an meine und sieht
mich einfach nur lange an, ohne etwas zu sagen. Er verschränkt seine
Finger mit meinen und zieht mich stumm mit sich aus der Gasse hinaus und
auf das Restaurant zu.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es schon so spät ist, oder ob das
Restaurant vielleicht nicht besonders beliebt ist, aber als wir reinkommen,
sind wir die einzigen Gäste. Der Kellner nähert sich uns mit zwei Karten.
»Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr.«
Asa zuckt mit den Schultern. »Wir sind aufgehalten worden.«
Der Kellner nickt und deutet auf ein Hinterzimmer. »Hier entlang, bitte.«
Wir werden in einen kleinen separaten Raum geführt. In einer Nische in
der Ecke ist schon gedeckt. Auf dem Tisch steht ein Eiskübel mit einer
Flasche Wein darin, davor zwei Gläser. Ich überlege kurz, ob ich Asa sagen
soll, dass ich noch nicht einundzwanzig bin und keinen Alkohol trinken
darf, lasse es dann aber, weil ich das Gefühl habe, dass ihn das nicht
interessieren würde.
Asa lässt mir den Vortritt. Nachdem ich in die Bank gerutscht bin, setzt
er sich neben mich und legt mir seine Hand aufs Knie. Der Kellner reicht
uns die Speisekarten, dann zieht er den bereits geöffneten Wein aus dem
Kübel und schenkt uns ein.
Eigentlich trinke ich nie, aber ich finde, heute kann ich eine Ausnahme
machen und ausnutzen, dass ich nicht nach dem Ausweis gefragt worden
bin. Asa hebt sein Glas und wir stoßen an. »Auf deinen ersten Kuss, auf
unser erstes Date und auf … alles andere, was ich heute noch bekomme.«
»Mindestens Essen und Nachtisch«, sage ich lachend und nippe am
Wein, der saurer ist, als ich erwartet hätte. Als ich das Glas absetze, beugt
Asa sich vor und küsst mich auf die Wange.
»Vielleicht hätte ich doch bis zum Ende unseres Dates warten sollen,
bevor ich dich küsse.«
»Warum?«
»Weil ich jetzt an nichts anderes mehr denken kann. Dabei weiß ich ja
praktisch nichts über dich und sollte dir schon allein aus Höflichkeit eine
Million Fragen über dich und dein Leben stellen.«
Ich finde nicht, dass in meinem Leben besonders viel Erzählenswertes
passiert ist. Eigentlich gar nichts.
»Ich bin achtzehn«, sage ich. »Nächsten Monat werde ich neunzehn. Ich
wohne bei meiner Mutter, die erst mal auf ihre Tauglichkeit hätte getestet
werden müssen, bevor man ihr hätte erlauben dürfen, Kinder zu bekommen.
Außerdem habe ich einen Bruder, den ich über alles liebe. So. Jetzt weißt
du schon mehr über mich als jeder andere Mann auf der Welt. Und, was
sagst du?«
Er sieht mich an. »Ich mag dich.« Und dann küssen wir uns wieder.
Diesmal lässt er sich Zeit und ist ganz behutsam, während seine Finger
meinen Schenkel hinaufgleiten. Wir rutschen immer näher aufeinander zu,
bis das diskrete Hüsteln des Kellners uns zusammenschrecken lässt.
»Wissen Sie schon, was Sie möchten?«, fragt er.
Asa lacht. »Oh ja, das weiß ich ganz genau«, sagt er und zwinkert mir
zu. »Aber vorher bringen Sie uns bitte das Menü für zwei Personen.«
Der Kellner nickt und geht davon.
Wir trinken wieder von unserem Wein. »Hast du etwa gerade für mich
bestellt?«, frage ich mit gespielter Strenge. »Was ist, wenn ich das Essen
gar nicht mag?«
Asa lächelt. »Dann bestelle ich dir was anderes.« Er legt seine Lippen
wieder auf meine und wir küssen uns weiter. Seine Berührungen werden
immer forscher, aber vielleicht liegt es auch daran, dass der Wein meinen
Widerstand schmelzen lässt.
Ich bin so in unseren leidenschaftlichen Kuss versunken, dass ich im
ersten Moment nicht mal merke, dass seine Hand inzwischen an der
Innenseite meines Schenkels angelangt ist. Er streicht in sanften Kreisen
über meine Haut und wird immer übermütiger. Ich glaube, es gefällt ihm,
wie ich jedes Mal aufkeuche, sobald seine Finger sich dem Saum meines
Slips nähern.
»Asa!«, flüstere ich.
Er nickt. »Ich weiß, was du sagen willst. Keine Angst. Ich halte mich
zurück.«
Und das tut er auch, aber vielleicht nur deswegen, weil in dem Moment
unser Essen kommt.
Asa hat Glück gehabt. Dem Restaurant sieht man es zwar nicht an, aber
das Essen ist indisch und ich bin begeistert. Während ich aus den
verschiedenen Schüsseln und Schälchen probiere, beugt er sich immer
wieder zu mir und streicht zart mit den Lippen über meine Wange oder
mein Ohr. Und jedes Mal, wenn er das tut, muss ich mehr Wein trinken.
Ich bin bei meinem dritten Glas, als wir mit dem Essen fertig sind und
Asa den Nachtisch bestellt, der allerdings erst in einer Viertelstunde
gebracht werden soll. Vielleicht halte ich mittlerweile auch schon mein
viertes Glas Wein in der Hand, ich habe den Überblick verloren.
Ich weiß nur, dass sich dieser Abend und vor allem das Küssen gut
anfühlt. Sehr gut sogar. Großartig. Unendlich viel besser, als ich es mir
vorgestellt hatte, besonders wenn man bedenkt, dass das mein allererstes
Date ist.
Der Gedanke lässt mich erstarren. Erlaube ich Asa womöglich zu viel?
Ich habe keine Ahnung, wie sich Achtzehnjährige normalerweise verhalten,
wenn sie mit einem gut aussehenden Mann im Restaurant sitzen, der genau
die richtigen Sachen sagt und tut, um die schönsten Gefühle in einem
Mädchen hervorzurufen.
»Was ist?«, fragt Asa. Ich versuche mich auf seine Augen zu
konzentrieren, kann aber die Hand nicht vergessen, die wieder auf meinem
Schenkel liegt und sich immer weiter vorwärtsschiebt.
»Wir …« Ich hole tief Luft. »Ich weiß auch nicht. Sollten wir es nicht
vielleicht ein bisschen langsamer angehen lassen?«
Seine Finger streichen meinen Schenkel auf und ab. Das Gefühl ist so
unglaublich, dass ich selbst nicht weiß, wie ich es schaffen sollte, es
langsamer anzugehen. Trotzdem ahne ich, dass es besser wäre, jetzt erst mal
einen Schlussstrich zu ziehen. Wir kennen uns kaum. Ich sollte ihm so früh
nicht erlauben, mich auf diese Weise zu berühren.
Oder?
»Aber wieso denn, Sloan?« Asa streichelt mir mit dem Handrücken über
die Wange. »Gefällt es dir nicht, was ich mache? Fühlt sich das nicht gut
an?«
Erst schüttle ich den Kopf, dann nicke ich verwirrt. »Doch, schon,
aber … ich meine, wir haben uns vor einer Stunde zum ersten Mal geküsst.
Ich hab das Gefühl, dass das alles ein bisschen zu schnell geht.«
Er streicht mit der Nasenspitze über meine und lehnt sich dann zurück.
»Komisch. Mir geht es genau umgekehrt. Ich habe das Gefühl, dass das
alles nicht schnell genug geht.«
»Aber …« Ich schließe die Augen und fühle mich unendlich dumm, so
etwas überhaupt fragen zu müssen. »Ist das denn normal? Ich meine …
nicht dass jemand denkt, ich wäre eine … Schlampe?«
Asa lacht leise. Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn und lächelt mich
dann belustigt an. »Du bist eine erwachsene Frau, Sloan. Wenn es sich für
dich gut anfühlt, dann ist das alles, worauf es ankommt. Das hier ist unser
Date, über das kein anderer urteilen darf außer uns.« Er gibt mir einen Kuss
auf die Lippen. »Willst du, dass ich aufhöre, dich zu küssen?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Eigentlich nicht.«
Jetzt ist sein Mund an meinem Ohr. »Das finde ich gut«, raunt er. »Ich
will nämlich auch nicht aufhören. Und dass du weitermachen willst, macht
dich nicht zu einer Schlampe, Sloan. Es ist aber auch ziemlich schwierig,
eine Schlampe zu sein, wenn man bis vor Kurzem noch ungeküsst gewesen
ist, oder?«
Das ist ein absolut überzeugendes Argument. Glaube ich jedenfalls. Mir
ist ein bisschen schwindelig.
Asas Finger liegen wieder auf meinem Schenkel. Er sieht mich
eindringlich an. »Du solltest nur über eins nachdenken. Nämlich ob du es
genießt, wie ich dich berühre, okay?«
Ich atme aus und nicke, als seine Finger sich der Stelle nähern, an der
meine Schenkel sich treffen, während er sich gleichzeitig meinen Hals
entlangküsst.
»Fühlt sich das gut an?«, murmelt er.
Ich lasse den Kopf gegen das Polster fallen. »Ja«, flüstere ich und atme
schwer. Mein ganzer Körper zuckt, als seine Fingerspitzen meinen Slip
erreichen. Jetzt küsst er mich nicht mehr. Stattdessen beobachtet er mich
und hat den Blick auf meinen Mund gerichtet, während er mich über dem
Stoff meines Slips streichelt. Ein heißer Schauer durchläuft mich.
»Und das?«, fragt er heiser. »Fühlt sich das gut an?«
Ich will Ja sagen, kann aber nur noch stöhnen.
Ich denke daran, dass wir in einem Restaurant sitzen und dass uns der
Kellner in ein paar Minuten den Nachtisch bringt. Ich denke daran, dass
man so was nicht machen sollte. Nicht in der Öffentlichkeit.
Aber dann denke ich: Warum eigentlich nicht?
Asas Lippen liegen wieder auf meinen. »Ich muss dich das noch mal
fragen«, sagt er. »Bist du wirklich noch nie von einem Mann so angefasst
worden?« Er fährt mit dem Finger unter dem Saum meines Slips entlang
und ich keuche auf. »Stimmt es wirklich, dass niemand weiß, wie du dich
hier anfühlst?«
Mein Herz schlägt jetzt überall in meinem Körper, aber am heftigsten
zwischen meinen Beinen. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass Asa der
erste Mann ist, der mich dort berührt. Aber gleichzeitig muss ich gegen die
Stimme in mir ankämpfen, die mir sagt, dass es nicht hier in diesem
Restaurant passieren sollte. Andererseits bin ich unglaublich erleichtert,
dass ihn meine Unsicherheit nicht abschreckt. Im Gegenteil scheint ihm
meine Unerfahrenheit eher zu gefallen. Das ist etwas, womit ich nicht
gerechnet hätte.
»Nein, Asa«, flüstere ich. »Niemand hat mich jemals da angefasst. Du
bist der Erste.«
Er atmet schwer aus, und ich merke, dass ich mit meinem Gefühl richtig
liege. Er findet es gut, dass er der Erste ist. Mehr als gut.
Seine Zunge taucht im selben Moment in meinen Mund ein, in dem
seine Hand unter den Stoff gleitet, und dann dringt er mit einem Mal
vollkommen unerwartet mit dem Finger tief in mich ein. Und ich lasse es
zu. Sein Mund verschluckt mein Wimmern, während ich versuche, mich
trotz des ungewohnten Gefühls in mir zu entspannen und die Bewegungen
seiner Hand zu genießen.
»Ja, genau«, flüstert er an meinen Lippen. »Mach dich ganz locker. Ich
verspreche dir, dass du es schön finden wirst.«
Er presst den Daumen an meinen empfindlichsten Punkt. Im ersten
Moment bin ich so überwältigt von dem, was ich fühle, dass ich
unwillkürlich wegrutsche. Aber Asa lässt sich nicht beirren, beugt sich vor
und küsst mich intensiver, während er mich streichelt.
Ich bin geschockt von meinem eigenen Körper, der sich ganz von selbst
seiner Hand entgegenbewegt. Asa stöhnt leise, also mache ich weiter.
Ich zucke kurz zusammen, als er einen zweiten Finger in mich schiebt.
»Du bist so verdammt eng, Sloan«, stöhnt er.
Seine Stimme erregt mich, weil sie so tief ist und voller Lust. »Ich kann
es nicht erwarten, endlich in dir zu sein.« Seine Lippen gleiten an meinem
Hals hinab. »Am liebsten würde ich dich jetzt gleich hier auf dieser Bank
ficken.«
Oh mein Gott. Ich glaube … kann es sein, dass ich auf dirty talk stehe?
Ich hätte das nie gedacht, aber es macht mich an, gesagt zu bekommen, wie
sehr er mich will. So sehr, dass ich ihm alles geben möchte. Aber noch nicht
jetzt. Definitiv nicht heute Nacht. Das geht alles sowieso viel zu schnell,
aber er schafft es, mich glauben zu lassen, es wäre völlig okay.
»Ich möchte dich schmecken«, flüstert er. »Ich will unter den Tisch
kriechen und dich zum Nachtisch vernaschen.«
»Asa …«, flüstere ich.
Das ist alles, was ich herausbringen kann. Ich schaffe es nicht, so offen
über Sex zu reden wie er …
»Würde dir das gefallen?«
»Ja …«
Aber das ist anscheinend genau das, was er hören will, denn die nächsten
dreißig Sekunden vergehen wie in einem Strudel, der mich mit sich reißt.
Seine Zunge verschlingt meine, seine Finger berühren mich an genau den
richtigen Stellen mit genau dem richtigen Druck, bis in meiner Mitte ein
Zittern entsteht, das nach und nach meinen ganzen Körper erfasst. Das
Gefühl wird so intensiv, dass ich von ihm abrücke, aber er zieht mich
wieder an sich und trinkt mein Wimmern, als wäre es Wein.
Seine Finger sind immer noch in mir, aber jetzt bewegt er sie nicht mehr,
sondern beobachtet, wie ich mich von dem Beben erhole, das er in mir
ausgelöst hat. Sein Oberkörper hebt und senkt sich an meiner Brust, und er
presst sich so fest gegen meinen Schenkel, dass ich unter dem Jeansstoff
spüre, wie hart er ist.
Ich warte, bis ich wieder einigermaßen zu Atem gekommen bin, dann
höre ich mich zu meiner eigenen Überraschung fragen: »Und wie geht es
jetzt weiter?«
Ich glaube, ich sage das vor allem, weil ich nicht weiß, ob ich jetzt nicht
etwas für ihn tun müsste. Die Gefälligkeit erwidern oder so. Ich komme mir
vor wie die letzte Versagerin. Wie ein ahnungsloses kleines Kind.
Asa grinst. »Jetzt essen wir erst mal unseren Nachtisch.«
Er zieht seine Hand in dem Moment weg, in dem auch schon der Kellner
mit dem Dessert um die Ecke kommt. Hastig setze ich mich auf, streiche
mein Kleid glatt und hoffe, dass man mir nicht ansieht, was ich gerade
erlebt habe.
Der Kellner tut jedenfalls so, als wäre alles völlig normal, wofür ich ihm
unendlich dankbar bin. Er stellt einen Teller mit einem riesigen Stück
Kokostorte und zwei Gabeln zwischen uns.
»Lassen Sie es sich schmecken.«
Asa taucht seinen Finger – den Finger, der eben noch in mir gewesen
ist – in die cremige Torte, schiebt ihn sich zwischen die Lippen und leckt
ihn genüsslich ab. »Mhmmm, mein Lieblingsgeschmack«, sagt er.
»Kokostorte und du.«
Ich spüre, wie ich rot werde.
Wir greifen gleichzeitig nach unseren Gabeln, fangen an zu essen und
lächeln uns an.
Ich mag Asa. Mit ihm zusammen zu sein, fühlt sich … keine Ahnung,
wie ich das ausdrücken soll … es fühlt sich gut und gleichzeitig gefährlich
an. Wahrscheinlich ist das keine gesunde Mischung, aber ich will mir
darüber jetzt keine Gedanken machen, sondern einfach nur Spaß haben.
Hier und jetzt. Es ist ja nicht so, als würde ich mich verpflichten, den Rest
meines Lebens mit ihm zu verbringen.
»Ich möchte, dass du heute Nacht bei mir bleibst«, sagt er zwischen zwei
Bissen.
Ich reagiere nicht sofort.
Ich denke nach. Das mit dem Übernachten wäre sowieso noch ein
Problem geworden. Zu meiner Mutter fährt um diese Uhrzeit kein Bus
mehr, und ich hätte ein schlechtes Gewissen, mitten in der Nacht bei der
Bekannten aufzukreuzen, bei der ich die letzten Nächte geschlafen habe.
Eigentlich hatte ich ja gehofft, Asa würde mich nach Hause fahren.
»Unter einer Bedingung«, sage ich schließlich.
Er nickt sofort. »Ich verspreche dir, dass ich dich um nichts bitten werde,
wozu du nicht bereit bist.«
Ich bin erleichtert, dass ich meine Bedingung noch nicht mal
aussprechen muss. »Okay«, sage ich.
Asa legt die Gabel auf den Tisch. »Zahlen bitte!«, ruft er.

***

Wir sind eng umschlungen die Auffahrt hinaufgegangen und haben uns die
ganze Zeit geküsst, sogar während Asa die Tür aufgeschlossen hat. Ich hatte
zwar keine Gelegenheit, mich groß umzusehen, aber die Gegend hier und
das Haus passen definitiv zu seinem Kleidungsstil und seinem teuren
Wagen. Schon auf der Fahrt hierher hat er mir erzählt, dass er es vor
Kurzem gekauft hat und allein darin wohnt. Ziemlich ungewöhnlich, in
seinem Alter schon ein Haus kaufen zu können.
Jetzt hebt er mich hoch, trägt mich die Treppe hinauf und küsst mich die
ganze Zeit über, bis wir in seinem Schlafzimmer sind. Während der Fahrt
habe ich ihm sicherheitshalber ganz deutlich gesagt, dass ich heute Abend
schon mehr erlebt habe, als ich verarbeiten kann, und deswegen auf keinen
Fall mit ihm schlafen werde.
Er hat mir noch mal versprochen, dass er mich nicht drängen wird und
wir uns einfach nur küssen, bis ich eingeschlafen bin. Trotzdem kann ich
das Gefühl nicht abschütteln, dass er mehr möchte, als bloß mit mir zu
knutschen und zu kuscheln.
Aber was? Natürlich weiß ich theoretisch, was ein Blowjob ist, aber
damit würde ich mich heute definitiv überfordert fühlen. Gleichzeitig habe
ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mehr genommen als gegeben habe.
Asa setzt mich ab, drückt die Tür zu und schiebt mich mit dem Rücken
dagegen. Er greift nach dem Saum meines Kleids und zieht es mir in einer
einzigen Bewegung über den Kopf.
Was …?
Ich hatte nicht damit gerechnet, schon so bald quasi nackt vor ihm zu
stehen, und überkreuze schnell die Arme vor der Brust. Ich komme mir
dabei zwar ein bisschen albern vor, aber … Asa hat mich vollkommen
überrumpelt.
»Versteck dich nicht vor mir.« Er greift nach meinen Handgelenken und
zieht sie nach unten. »Ich will dich doch nur anschauen, Sloan.« Er macht
einen Schritt nach hinten und mustert mich von oben bis unten. Ich bin froh,
dass ich für unser Date einen BH angezogen habe, der zum Slip passt.
»Fuck«, flüstert er, während sein Blick langsam über meinen Körper
wandert. »Bist du sicher, dass du mich heute Nacht nicht ganz tief in dir
spüren willst?« Er geht auf mich zu, legt seine Hände auf meine Hüfte und
zieht mir den Slip bis zu den Knöcheln hinunter.
Das geht alles zu schnell.
»Asa«, flüstere ich. »Bitte nicht.«
Mir ist schwindelig, und ich habe definitiv zu viel getrunken, aber
trotzdem weiß ich, dass das normalerweise nicht so ablaufen sollte. Ich
sollte meinen Slip anbehalten, bis ich mir ganz sicher bin, dass ich ihn
ausziehen möchte.
Was höchstwahrscheinlich heute Nacht noch nicht passiert wäre.
Asa lässt seine Hände über meinen Körper gleiten und küsst mich an den
unterschiedlichsten Stellen. Als er meinen Mund erreicht, hält er inne. »Was
ist denn?«, fragt er.
Ich atme nervös aus.
»Das geht mir zu schnell«, flüstere ich und schiebe mich an ihm vorbei.
»Der ganze Abend … Ich … ich war darauf nicht vorbereitet. Ich fühle
mich irgendwie …« Der Satz bleibt unbeendet in der Luft hängen, weil ich
erst die richtigen Worte finden muss.
Asa steht immer noch mit dem Gesicht zur Tür und seufzt frustriert auf.
»Ich habe das Gefühl, dass du mich irgendwie falsch einschätzt«, sage
ich mit etwas festerer Stimme. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich
überhaupt keine Erfahrung habe, Asa. Für mich ist das alles komplett neu
und … ich fühle mich gerade nicht wohl mit dem, was du von mir
erwartest. Du machst mich ein bisschen nervös. Das ist kein Vorwurf, okay?
Es ist nur … Ich glaube, du hast einfach eine andere Vorstellung von mir
gehabt. Vielleicht … vielleicht fährst du mich jetzt doch besser nach
Hause.«
Als er sich umdreht und ich sein Gesicht sehe, denke ich, dass ich alles
falsch gemacht habe. Verdammt, ich weiß aber auch nicht, wie ich es besser
hätte formulieren oder ob ich mich anders hätte verhalten sollen. Dieser
Abend führt mir einfach wieder schmerzhaft vor Augen, dass ich von einem
anderen Planeten stamme als andere in meinem Alter. Asa hat so viel mehr
Erfahrung als ich, dass wir uns nicht auf Augenhöhe begegnen können.
Aber dass ich ihm erlaubt habe, Dinge mit mir zu tun, die ich bis jetzt noch
nie getan habe, verpflichtet mich nicht dazu, ihn alles mit mir machen zu
lassen.
Ich muss ihm meine Grenze klarmachen, ohne mich davon beeinflussen
zu lassen, ob er womöglich enttäuscht ist oder sauer. Vielleicht ist es
egoistisch, ihn mit seiner Lust allein zu lassen, aber ich kann nicht anders.
Es war ein Fehler, mit ihm nach Hause zu gehen, obwohl ich ihn überhaupt
nicht kenne.
Ich atme tief durch und warte darauf, dass er mir sagt, ich soll mich
anziehen, damit er mich nach Hause fahren kann.
Asa sieht mich stumm an. Er fährt sich durch die Haare und massiert
seinen Nacken, dann geht plötzlich ein Ruck durch ihn, er kommt auf mich
zu und nimmt mein Gesicht in beide Hände.
»Du glaubst, ich wüsste nicht, was für ein Mädchen du bist?« Seine
Stimme ist leise, aber fest, und sein Blick aufrichtig. »Du bist mir vom
ersten Tag an aufgefallen, Sloan. Glaub mir, ich weiß ganz genau, was für
ein Mädchen du bist. Ich habe dich beobachtet und mir viele Gedanken über
dich gemacht. Du bist toll, und ich habe so eine Ahnung, dass du vielleicht
genau das sein könntest, was mir in meinem Leben fehlt. Du bist das
Mädchen, von dem ich immer geträumt habe, okay? Du bist das Mädchen,
von dem ich nie gedacht hätte, dass es überhaupt existiert. Aber du bist real
und du … du bist so besonders und so kostbar. Ich hätte nicht gedacht, dass
ich in meinem Leben noch mal die Chance bekommen würde, etwas so
Besonderes vielleicht ganz allein für mich haben zu können.
Wahrscheinlich ist das der Grund, warum du denkst, ich würde zu viel auf
einmal wollen oder dich zu sehr drängen. Das hat nichts mit deiner
Unerfahrenheit zu tun, sondern mit meiner Angst, dass es … wenn ich mir
zu viel Zeit lasse und nicht schnell genug bin … dass es dann zu spät sein
könnte.«
Ich höre ihm gebannt und mit angehaltenem Atem zu, aber noch bevor
ich begriffen habe, was er überhaupt gesagt hat, oder reagieren kann, redet
er auch schon weiter.
»Bleib heute Nacht bei mir, Sloan. Bitte. Du kannst dich wieder
anziehen oder ganz ausziehen und komplett nackt neben mir schlafen,
darum geht es mir nicht. Ich will einfach nur, dass du neben mir im Bett
liegst und da bist. Ich schwöre es, Sloan. Ich will nur neben dir
einschlafen.«
Seine Worte, sein Gesicht, alles wirkt ehrlich, deswegen nicke ich. Aus
irgendeinem Grund glaube ich ihm. Dabei vertraue ich anderen Menschen
sonst niemals so schnell.
»Okay.«
Statt mich nach meinem Kleid zu bücken, greife ich nach hinten, öffne
den BH und lasse ihn zu Boden fallen. Asas Augen ruhen auf mir, als ich
vollkommen nackt vor ihm stehe.
»Lass uns schlafen gehen«, flüstert er mit heiserer Stimme.
Ich gehe zum Bett und krieche unter die Decke. Als ich ihn ansehe, hat
er sein Hemd schon aufgeknöpft und auf einen Stuhl geworfen und zieht
gerade seine Jeans aus. Die Boxershorts behält er an, als er zu mir ins Bett
steigt. »Dreh dich um, damit ich dich von hinten umarmen kann.«
Ich gehorche lachend. Verrückt. Ich hätte niemals erwartet, dass dieser
Abend damit enden würde, dass ich mit Asa in Löffelchenstellung
einschlafen würde, aber ich kann mir gerade nichts Schöneres vorstellen.
Er schlingt die Arme eng um mich und drückt mir einen Kuss in die
Haare. »Träum was Schönes«, flüstert er.
»Du auch«, wispere ich zurück.

***

Ich merke, dass ich wirklich ziemlich betrunken bin, und kann nicht
behaupten, dass ich diesen Zustand so angenehm finde. Bisher hatte ich
noch nie mehr als ein Glas Wein getrunken, heute waren es mindestens
fünf. Der Alkohol hat mich beruhigt und mir die Unsicherheit genommen,
aber jetzt bin ich dafür todmüde und gleichzeitig zu aufgekratzt von dem,
was ich erlebt habe, um zu schlafen.
Wenn man betrunken ist, fühlt man sich total schwer, stelle ich fest.
Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ihn jemand mit Blei ausgegossen, und
mein Körper ist schwer wie ein Sandsack. Selbst meine Gedanken
erscheinen mir schwer. Und jetzt kommt es mir so vor, als würde sogar die
Luft um mich herum schwer auf mir lasten, während ich versuche, meine
verquollenen Augen zu öffnen.
Andererseits hat dieses Gefühl etwas Angenehmes. Inmitten all der
Schwere spüre ich in meinem Inneren zugleich auch eine ungekannte
Leichtigkeit. Als würde mich jemand mit einer Daunenfeder von innen am
Bauch kitzeln, an den Lippen. Diese leichte Berührung weckt in mir die
Sehnsucht nach den Gefühlen, die ich vor ein paar Stunden zum ersten Mal
gespürt habe. Es war so schön, wie Asa mich gestreichelt hat. Vielleicht
noch schöner, weil ich betrunken war, auch wenn meine Vernunft die ganze
Zeit verhindern wollte, dass ich mich zu sehr fallen lasse.
Selbst jetzt, wo der Schlaf seine Finger nach mir ausstreckt, spüre ich
Asas Wärme, die Berührung seiner kräftigen Hände, und habe seine
verführerische Stimme im Ohr.
Ich schwebe irgendwo in einer Zwischenwelt, pendle zwischen Wach-
und Traumzustand. Falls ich schlafe, möchte ich gar nicht aufwachen, aber
vielleicht ist das ja gar kein Traum, sondern real. Es fühlt sich jedenfalls so
an, seine Hände auf meinen Brüsten, sein Mund zwischen meinen Beinen.
Es fühlt sich so unglaublich echt an, dass ich zusammenzucke, als ich seine
Bartstoppeln an der Innenseite meiner Schenkel spüre.
Ich keuche auf.
Mein Herz wirft sich gegen meine Rippen. Meine Finger verkrallen sich
im Laken.
Ich träume nicht.
Das fühlt sich zu echt an.
Zu früh.
Zu schnell.
»Asa«, flüstere ich.
Ich bin verwirrt und verstehe im ersten Moment nicht, wo er überhaupt
ist. Es ist so dunkel. Aber ich spüre seine Hände auf meiner Haut, sie
gleiten von meinen Brüsten hinunter zur Taille.
Er … Oh mein Gott.
»Asa«, flüstere ich noch einmal und erstarre. Wie konnte es dazu
kommen?
Obwohl sich das, was er mit der Zunge macht, gut anfühlt, will ich es
nicht. Wie kann es sein, dass ich aufwache und er so etwas tut? Das ist
falsch. Richtig und trotzdem absolut falsch. Habe ich ihn etwa darum
gebeten? Im Schlaf?
Oder hat er es sich einfach genommen?
Ich drücke die Beine zusammen und versuche seinen Kopf
wegzuschieben, aber er packt mich nur fester um die Taille und schiebt
seine Zunge tief in mich hinein.
Ich stöhne.
Ich will schreien, aber stattdessen dringt ein Stöhnen aus meiner Kehle.
Meine Stimme tut das Gegenteil von dem, was sie tun soll. Sie fällt mir in
den Rücken.
»Bitte …«, flüstere ich zwischen schweren Atemzügen.
Ich spüre, wie er seine Zunge zurückzieht und seine Lippen über meine
Schenkel gleiten. Jetzt nehme ich alles, was passiert, in jedem kleinsten
Detail wahr und verstehe nicht, wie es möglich ist, dass ich ihn wegstoßen
möchte und mir gleichzeitig wünsche, dass er seinen Mund wieder auf mich
presst.
»Entspann dich«, flüstert er, sein Atem heiß an der Innenseite meines
Schenkels. »Du hast dir das verdient, Sloan. Du hast verdient, dass ich es
dir schön mache.«
Der Raum dreht sich um mich. Asas Hände gleiten über meinen Bauch,
streicheln mich und lassen mich denken, es wäre falsch zu denken, es wäre
falsch.
Er streicht über meine Hüfte und Beine bis hinunter zu den Knien,
drängt sich zwischen meine Schenkel und schiebt sie weiter auseinander.
»Schließ einfach die Augen und entspann dich. Bitte … lass mich das für
dich tun.«
Bevor ich zustimmen oder protestieren kann, ist sein Mund wieder auf
mir, seine Zunge taucht in mich ein und streicht auf und ab. Mein Rücken
krümmt sich wie von selbst und ich verkralle die Finger im Laken.
Asas Zunge zeichnet immer engere Kreise, bis sie nur noch meine
Klitoris umrundet.
Es ist so unglaublich … so etwas habe ich noch nie gefühlt.
Ich kneife die Augen zusammen und spüre, wie ich beginne, es zu
akzeptieren. Ich lasse mich von der Schwere und der Leichtigkeit des
Alkohols an einen Ort bringen, an dem ich noch nie war, und erlaube
meiner Stimme, nur noch für meinen Körper zu sprechen und nicht mehr
für meinen Kopf.
»Asa …«, wimmere ich.
Ich keuche.
Ich lasse das Laken los, fasse in seine Haare und ziehe daran, damit ich
ihn noch viel näher an mir spüren kann.
»Nicht aufhören«, flehe ich, obwohl eine andere Stimme in mir ruft, er
soll aufhören.
Hör nicht auf.
Hör auf!
Nicht!
Doch.
Nein.
»Ja!« Mein Kopf fällt ins Kissen zurück.
Mein Körper hat sich ihm schon komplett hingegeben, bevor mein Kopf
richtig wach werden konnte, und diesmal ist es eine andere Erstarrung, die
von mir Besitz ergreift. Ich wühle mit beiden Händen in seinen Haaren,
während mein Körper Gefühle entwickelt, von denen ich nicht wusste, dass
ich sie spüren kann. Asa hat recht. Das ist gut. Es fühlt sich so unglaublich
gut an. So gut, dass ich mir verbiete, darüber nachzudenken, was es mich
kosten wird, wenn es vorbei ist.
Ich bekomme in meinem Leben so wenig Gutes. Ich brauche das jetzt.
Ich muss etwas Gutes fühlen.
Und dann beginnt das Zittern. Zaghaft erst, dann immer stärker, bis es
meinen ganzen Körper erfasst. Asas Zunge kreist und streicht fieberhaft an
mir auf und ab, so als hätte sie kein anderes Interesse auf der Welt, als mir
Lust zu bereiten. Die Lust wird intensiver, mein Atem keuchender, mein
Stöhnen verzweifelter.
Und dann passiert es.
Ich fühle es so tief in mir, dass ich mich frage, ob ich überhaupt wach
bin. Ich muss träumen. So ein Gefühl kann es gar nicht geben. Es ist so
stark, so süß. Alles in mir zieht sich zusammen, während mich meine Lust
in Wellen durchschauert. Ich höre auf zu stöhnen, höre auf zu zittern, höre
auf zu atmen. Sekunden vergehen, in denen das Gefühl mich festhält.
Weitere Sekunden vergehen, in denen es allmählich abebbt, sich löst und
mich in die Tiefe stürzen lässt.
Ich bebe, ringe nach Luft. Asa hebt den Kopf, kriecht an meinem Körper
aufwärts, bis sein Mund auf meinem ist. Ich schmecke mich selbst … seine
Zunge in meinem Mund, seine feuchten Lippen an meinen.
»Ich hab mich getäuscht«, stöhnt er. »Scheiß auf die Kokostorte. Das ist
mein neuer Lieblingsgeschmack. Du, nur du.«
Seine Zunge taucht tief in meinen Mund, und ich nehme sein Stöhnen in
mich auf, als er sich zwischen meine Beine drängt.
Ich winde mich unter ihm, kämpfe um Luft. Er küsst mich jetzt so gierig,
dass ich nicht zum Atemholen komme. Mein Kopf ist schwer, aber meine
Gedanken sind ganz leicht, und ich will ihm sagen, dass er langsamer
machen soll. Ich will ihm sagen, dass er mir einen Moment Zeit lassen soll,
um zu Atem zu kommen. Ich will so viele Dinge sagen, aber der Raum
dreht sich um mich, und ich fühle mich schlecht, weil ich ihm erlaubt habe,
das zu machen, was er gerade mit mir gemacht hat, und nicht einmal weiß,
ob ich es gewollt habe.
Irgendwann reißt er seinen Mund von meinem los und ich ringe nach
Atem.
»Jetzt halt die Luft an, Sloan. Das könnte kurz wehtun.«
Ich spüre, wie er seine Handfläche auf meinen Bauch presst, und habe
keine Ahnung, was er vorhat oder warum es wehtun wird.
»Was könnte wehtun?«
Die Antwort höre ich in meinem eigenen Schrei.
Der Schmerz zerreißt mich, als er mit einer schnellen, harten Bewegung
in mich hineinstößt.
Und dann gleich noch einmal.
»Asa!«, schreie ich.
Sein Mund findet meinen im gleichen Moment, in dem die Tränen aus
meinen Augen strömen.
»Sloan«, murmelt er, presst die Lippen auf meine und stößt ein drittes
Mal in mich hinein. Und ein viertes Mal. Ich versuche, die Beine
zusammenzupressen, versuche ihn aus mir hinauszudrängen und stemme
mich mit den Händen gegen seine Schultern. Aber er packt mich an den
Handgelenken, zieht mir die Arme über den Kopf und drückt sie mit aller
Kraft in die Matratze.
Es fühlt sich nicht gut an. Ihn in mir zu haben, fühlt sich ganz anders an
als eben noch seine Lippen und seine Zunge an der gleichen Stelle.
»Du fühlst dich verdammt unglaublich an, Sloan«, flüstert er. »Danke.
Ich bin dir so dankbar, dass du mir das geschenkt hast.«
Dass ich ihm das geschenkt habe?
Habe ich es ihm geschenkt? Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich
gefragt hat, ob ich bereit dafür bin. Ob ich es will. Er hat es sich einfach
genommen.
Warum tut er das? Vorhin hat er gesagt, dass er mich versteht, dass er
bereit ist zu warten. Und ich habe ihm geglaubt.
Ich kneife die Augen zusammen und versuche, meine Gedanken und
Empfindungen zu ordnen. Alles, was ich fühle, ist dieser unglaubliche
Druck in mir. Meine Schenkel tun weh, weil er sie auseinandergezwängt
hat, während ich versucht habe, sie zusammenzudrücken.
Als ich aufgewacht bin, war er schon mittendrin. Hat mich berührt …
geküsst. Und ich habe ihn nicht aufgehalten. Im Gegenteil.
Ich habe »Ja« gesagt.
Ich habe es laut ausgesprochen.
Er hat mich missverstanden. Hat geglaubt, ich würde ihn bitten
weiterzumachen. Hat geglaubt, das »Ja« würde bedeuten, dass ich bereit
bin.
Ich habe etwas gesagt, was ich so nicht gemeint habe. Dass er es falsch
verstanden hat, ist nicht sein Fehler. Es ist mein Fehler.
Ich bin keine Jungfrau mehr, und dass es so passiert ist, wie es passiert
ist, kann ich niemand anderem vorwerfen als mir selbst.
Asas Lippen gleiten über meine Wange, seine Zunge folgt der Spur
meiner Tränen. »Gleich wird es dir nicht mehr wehtun«, flüstert er und
bedeckt mein Gesicht mit Küssen. »Beim zweiten Mal ist es nicht mehr
schlimm. Das verspreche ich dir.«
Er verhält sich nicht so, als würde er auch nur im Entferntesten glauben,
dass er das gerade gegen meinen Willen getan hat. Er dankt mir dafür, dass
ich mich ihm geschenkt habe. Er ist sich völlig darüber im Klaren, was
passiert ist – dass er mich entjungfert hat –, und ich bin immer noch
verwirrt, weil ich aus dem Schlaf gerissen wurde und nicht verstehe, wie es
dazu kommen konnte. Ob ich mein Einverständnis gegeben habe oder nicht.
Aber ich muss es ihm gegeben haben … oder?
Er hätte das doch niemals getan, wenn er nicht geglaubt hätte, dass ich
es auch will. Und wenn ich es nicht gewollt habe, warum habe ich dann
neben ihm geschlafen? Nackt. Ich kenne ihn kaum.
Ich hätte mich besser auf diesen Abend vorbereiten sollen.
Ich hätte …
Ich schnappe nach Luft. Wir waren beide nicht darauf vorbereitet. Er hat
nicht einmal ein Kondom benutzt! Ich versuche meine Hände aus seinem
Griff zu befreien, aber er hält sie immer noch über meinem Kopf fest.
»Asa«, flehe ich. »Kondom?«
Er stöhnt an meinem Hals. »Ich hab dran gedacht, Baby. Keine Sorge.«
Er drückt meine Handgelenke und sieht auf mein Gesicht herab. »Du bist so
verdammt eng«, sagt er. »Das ist … ein Traum.«
Oder ein Albtraum.
Jetzt lässt er meine Handgelenke endlich los. Ich weiß, ich habe kein
einziges Mal »Nein« gesagt, während er in mir war.
Nicht ein einziges Mal.
Und ich weiß nicht einmal, ob ich es jetzt sagen will. Was passiert ist, ist
passiert. Ich bin keine Jungfrau mehr, und ich würde mich mies fühlen,
wenn ich ihn jetzt bitten würde aufzuhören. Er hat schließlich geglaubt, ich
würde es auch wollen. Ich möchte nicht, dass er mich für noch unreifer und
unerfahrener hält als sowieso schon. Was wäre das auch für eine Art? Mich
egoistisch von ihm befriedigen lassen, zweimal sogar, und mich dann
sträuben, wenn er an der Reihe ist, sein Vergnügen zu haben.
Er schiebt eine Hand unter mein Knie, hebt es an und legt sich mein
Bein um die Hüfte.
Ich zucke zusammen, weil er dadurch noch tiefer in mich eindringt.
»Tut es noch weh?«, flüstert er.
Ich verziehe das Gesicht. »Ja.«
Er lächelt. Warum lächelt er? Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen
schießen.
»Wenn ich jetzt aufhöre, würde es noch schlimmer wehtun«, sagt er.
»Gleich wird es besser, das verspreche ich dir. Versuch den Schmerz
einfach wegzuatmen, okay?«
Es wird schlimmer wehtun, wenn er jetzt aufhört? Oh mein Gott. Ich
hatte keine Ahnung, dass das erste Mal so sein würde. Warum habe ich
geglaubt, ich wäre eine Versagerin, weil ich bis jetzt noch Jungfrau war?
Wenn ich gewusst hätte, wie schmerzhaft es ist, hätte ich gerne darauf
verzichtet, jemals entjungfert zu werden.
»Schling beide Beine um meine Hüfte«, sagt Asa. »Es wird leichter,
wenn du dich ganz locker machst.«
Ich tue, was er sagt, und versuche mich zu entspannen. Hauptsache, es
tut nicht so weh wie eben gerade.
Er beugt sich vor, küsst mich und knabbert sanft an meiner Unterlippe.
Ich schließe die Augen und gebe, was ich kann, um meinen Körper dazu zu
bringen, sich nicht zu verkrampfen, sondern alles hinzunehmen. Wie kann
es sein, dass ich mich vorhin so sehr danach gesehnt habe, mit ihm eins zu
werden, und jetzt nur noch will, dass es aufhört?
»Du bist so süß, Sloan. So verflucht süß.« Er stößt noch einmal fest zu,
und ich hoffe, dass das bedeutet, dass es gleich überstanden ist.
Aber er richtet sich auf, stützt sich mit einer Hand am Kopfteil des
Bettes ab und stößt wieder zu. Diesmal so fest, dass das Bett jedes Mal
krachend gegen die Wand donnert, wenn er wieder in mich hineinstößt. Es
kommt mir fast so vor, als würde ihm genau das Spaß machen, denn er stößt
immer härter zu. In der Wand werden bestimmt Schrammen zurückbleiben.
»Scheiße, ist das gut!«, stöhnt er.
Diesmal lasse ich die Augen geöffnet. Sein Gesicht zu sehen und
mitzubekommen, dass er sich nur darauf konzentriert, in mir zu sein, lässt
den Schmerz fast in den Hintergrund treten.
Aber nur fast.
Ich gebe mir Mühe, es zu genießen, und beinahe schaffe ich es auch. Es
gefällt mir, wie er mir in die Augen schaut, vor Lust stöhnt und mich mit
der freien Hand streichelt. »Und?« Er umfasst eine meiner Brüste. »Findest
du langsam Geschmack daran?«
Ich stöhne, weil es mir ja wirklich irgendwie auch gefällt. Asa streicht
mit dem Daumen über meine Brustwarze, dann lässt er das Kopfteil los,
rutscht ein Stück an mir herunter, schließt die Lippen um meine Brust und
saugt sanft daran. Jetzt stößt er nicht mehr mit aller Kraft zu, er bewegt sich
ganz behutsam in mir.
Das ist besser.
Es tut nicht so weh.
Sein Mund wandert zu meiner anderen Brust, und er hebt den Blick, um
mich anzusehen, während er mit der Zungenspitze langsam um meine
Brustwarze kreist. »Ist das gut für dich, Sloan?«
Ich nicke, worauf er lächelnd die Lippen schließt, härter saugt und in die
Brustwarze beißt. Nach einer Weile lässt er meine Brust los, stemmt sich
auf die Ellbogen und streicht mit dem Mund zart über meine Lippen.
»Danke, Sloan«, sagt er und stößt wieder sanft in mich. »Danke, dass du
mir vertraut hast. Danke, dass ich bekommen durfte, was du vor mir keinem
gegeben hast.« Er leckt über meine Unterlippe, streichelt meine Brust und
dann … schließt er unvermittelt beide Hände um meine Kehle, als wollte er
mich würgen.
Mein Herz macht einen Satz, beruhigt sich aber wieder, weil sein Griff
ganz locker ist. Trotzdem hat er anscheinend die Panik in meinem Blick
gesehen, denn er flüstert: »Keine Angst. Ich brauche das, dass ich die
Hände um deinen Hals lege, aber ich werde dir nicht wehtun. Ist das okay
für dich?«
Ich habe keine Ahnung, was beim Sex normal ist und was nicht. Meine
Erfahrung beschränkt sich auf die zehn Minuten, die ich eben erlebt habe.
Ich schlucke, aber dann nicke ich.
Asa schließt die Augen und drückt seine Stirn auf meine. Seine Lippen
berühren meine, doch er küsst mich nicht, sondern beginnt wieder, sich
konzentriert in mir zu bewegen. Seine Bewegungen werden unmerklich
schneller, zielgerichteter. Er atmet schwer an meinem Mund, die Hände
immer noch an meiner Kehle. Und obwohl sich das, was er macht, nicht
annähernd so anfühlt, wie sich sein Mund zwischen meinen Beinen
angefühlt hat, steigt ein anderes Gefühl in mir auf, das ich nur schwer in
Worte fassen kann. Vielleicht ist es der Wunsch, dass er es genießen soll, in
mir zu sein. Dass ihm gefallen soll, was er spürt.
Ich behalte die Augen weiter offen und beobachte ihn. Er drückt die
Stirn auf meine, seine Lippen liegen auf meinen, und dann verfestigt er den
Griff um meine Kehle.
»Fuck«, flüstert er an meinem Mund. »Fuck«, sagt er noch einmal, dann
beginnt er zu zittern, und als er kommt, sind meine Atemzüge so schwer
wie seine. Er verharrt ganz still, die Lippen immer noch auf meinen, und
unser Atem vermischt sich.
Nach ein paar Sekunden lässt er sich auf mich fallen und vergräbt sein
Gesicht an meinem Hals, bis ich irgendwann spüre, dass er mich küsst.
»Danke«, flüstert er.
Statt zu sagen, dass ich es gern getan habe, schweige ich. Ich starre an
die Decke und frage mich, warum ich innerlich so zerrissen bin. Ich freue
mich, dass es ihm gut gefallen hat. Und was er mit dem Mund und den
Fingern gemacht hat, mochte ich auch.
Aber alles andere nicht.
Wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum alle immer sagen, dass
Sex in Wirklichkeit ganz anders ist als in Filmen oder in Büchern. In
Wirklichkeit fühlt es sich merkwürdig an, unbeholfen, teilweise sogar falsch
und so schmerzhaft, dass man es lieber sein lassen würde. Hoffentlich bleibt
das nicht für immer so und die nächsten Male werden besser.
Asa nimmt mein Gesicht in die Hände und drückt mir einen Kuss auf
den Mund. »Du wirst es sehr schwer haben, mich loszuwerden.«
Ich lächle. Wenigstens schafft er es, mich davon zu überzeugen, dass es
für ihn wirklich schön war und ihm etwas bedeutet hat. Dass er mich nicht
nur als Mädchen für eine Nacht sieht. Das ist doch gut, oder? Es fällt mir
nach wie vor schwer, ihn einzuschätzen. Er verwirrt mich total. Aber ich
habe ja auch keine Vergleichsmöglichkeiten für das, was ich erlebt habe.
Niemanden, mit dem ich ihn vergleichen könnte.
»Bleib liegen, ich komme gleich wieder«, sagt er und steht vom Bett auf.
Jetzt sehe ich ihn zum ersten Mal nackt. Er ist wirklich unglaublich
durchtrainiert, man kann jeden einzelnen Muskel erkennen. Er zieht das
Kondom ab, wirft es in den Abfalleimer bei der Kommode und geht dann
aus dem Zimmer.
Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass er es sich übergestreift hat.
Wahrscheinlich hat er es ganz am Anfang gemacht, als ich ihm gesagt habe,
dass ich mit ihm schlafen will. So läuft das doch normalerweise ab, oder?
Man spricht darüber, dass man Sex miteinander haben will, und dann
kümmert man sich um das Kondom. Ich war wohl noch im Halbschlaf, als
es passiert ist.
Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich an ihm gezweifelt habe.
Asa war die ganze Zeit wahnsinnig nett und bemüht. Und er hat mich nicht
angelogen. Es ist ungerecht, ihn dafür zu bestrafen, dass ich nicht wirklich
weiß, was ich will. Aus seiner Sicht gab es keinen Grund aufzuhören, weil
ich zu keinem Zeitpunkt gesagt habe, dass ich es nicht möchte.
Kurz darauf kommt Asa wieder, schließt die Tür hinter sich und setzt
sich neben mich. Er hat etwas in der Hand, das ich nicht erkennen kann,
und dann beugt er sich über mich, schiebt meine Knie etwas auseinander
und drückt mir etwas Warmes, Feuchtes zwischen die Beine. Einen
Waschlappen.
»Das hilft gegen das Brennen«, sagt er und sieht mich mitfühlend an.
»Ich halte ihn einfach eine Weile so, okay?«
Ich nicke und versuche mich zu entspannen und die Wärme zu genießen.
Keiner spricht. Die Szene ist irgendwie surreal, und ich will es nicht noch
schlimmer machen, indem ich etwas sage. Ich wüsste sowieso nicht, was
das sein könnte.
Asa drückt mir einen Kuss aufs Knie und reibt dann sanft mit dem
Lappen über meine Schenkel. »Du hast ein bisschen geblutet«, sagt er.
»Aber das ist schon vorbei.«
Nachdem er den Waschlappen in den Wäschekorb in der Ecke geworfen
hat, legt er sich wieder neben mich und zieht die Decke über uns. Wir sehen
einander an.
»War es für dich auch schön?«, fragt er leise und streicht mir eine
Strähne aus dem Gesicht.
Ich will seine Gefühle nicht verletzen, deswegen lüge ich. »Ja«, flüstere
ich. »Es hat zwar schon wehgetan, aber es war auch schön.«
Asa küsst mich auf die Wange. »Für mich war es wunderschön.« Er
schlingt einen Arm um mich, fasst mich um den Po und zieht mich an sich.
»Morgen fahre ich dich nach Hause, wann immer du willst«, sagt er und
schmiegt sich an mich. »Aber ich hoffe, du bleibst noch so lang hier, dass
ich dir zeigen kann, dass es auch wunderschön sein kann. Ich verspreche
dir, dass es immer besser wird. Das erste Mal ist immer am schlimmsten.«
Die nächsten Minuten widmet er sich ganz mir und berührt mit seinen
Lippen – aber nie mit der Zunge – ganz weich und zart jeden Zentimeter
meines Halses und meiner Schultern. Ich habe mich noch nie in meinem
Leben so kostbar und zerbrechlich gefühlt. Jedes Mal, wenn ich denke, er
ist eingeschlafen, und selbst auch fast wegschlummere, spüre ich seine
Lippen wieder auf meiner Haut. Es ist, als wollte er um jeden Preis
verhindern einzuschlafen, aus Angst, er könnte aufwachen und alles wäre
nur ein Traum gewesen.
Ich bin fast weggedämmert, als er wieder seinen Mund auf meinen Hals
presst und ich hochschrecke.
»Asa«, flüstere ich. »Schlaf jetzt ein. Ich gehe nicht weg.«
Ich spüre, wie er sich bewegt, und öffne die Augen. Er hat sich auf die
Ellbogen gestützt und sieht mit brennendem Blick auf mich herab. Ich weiß
nicht, warum ihn das, was ich gerade gesagt habe, wütend gemacht hat –
oder vielleicht auch glücklich. Ich kann den Ausdruck in seinen Augen
nicht einordnen.
»Schwörst du es?«, fragt er. »Schwörst du, dass du mich nicht verlassen
wirst?«
Ich nicke, weil ich das Gefühl habe, dass ihm das wahnsinnig wichtig
ist. »Ich schwöre es.«
Er atmet erleichtert aus, legt seine Schläfe an meine und küsst mich.
»Ich will nicht, dass du wieder gehst«, sagt er zwischen Küssen. »Verlass
mich nicht, Sloan.«
Irgendetwas daran gefällt mir nicht. Die Dringlichkeit in seiner Stimme.
Die Bedürftigkeit. Ich weiß nicht, warum er das sagt und ob er heute Nacht
meint oder immer.
Sicher nicht immer.
Was hat er erlebt, dass er eine so panische Angst hat, verlassen zu
werden? Entweder ist er schon einmal sehr geliebt worden oder zutiefst
gehasst. Hoffentlich Ersteres.
»Versprich es mir«, sagt er und küsst mich wieder. »Sag mir, dass du
nicht weggehen wirst.«
Ich nehme sein Gesicht in beide Hände und flüstere: »Ich werde nicht
weggehen, Asa. Ich verspreche es. Ich werde immer noch hier sein, wenn
du aufwachst.«
Er zieht mich an sich und hält mich ganz fest und lässt mich erst los, als
er schließlich eingeschlafen ist.
Ich betrachte ihn im Schlaf. Jetzt sieht er weniger wie ein Mann aus,
sondern wie ein kleiner, verletzlicher Junge. Seine Züge sind sanfter, sein
Mund weich. Im Schlaf ist er entspannt. Entspannt mit mir in seinen
Armen.
Ich drehe mich langsam auf den Bauch, sodass sein Arm immer noch um
meine Taille geschlungen ist, ich aber zur Wand sehe und meinen Arm aus
dem Bett baumeln lassen kann. Mit geschlossenen Augen denke ich darüber
nach, was heute alles passiert ist.
Ich hatte mein erstes offizielles Date.
Ich bin zum ersten Mal geküsst worden.
Ich hatte zum ersten Mal Sex.
Und auch wenn es kein bisschen so war, wie ich mir mein erstes Mal
vorgestellt hatte, ist Asa netter und liebevoller als jeder andere Mensch in
meinem ganzen Leben. Ich kenne ihn erst seit einem Tag und habe trotzdem
das Gefühl, ich bedeute ihm jetzt schon mehr, als ich meiner eigenen Mutter
je bedeutet habe.
Ich mag es, wie er mich hält. Es ist ein schönes Gefühl, so begehrt zu
werden. Es fühlt sich noch besser an, gebraucht zu werden. Als ich schon
beinahe eingeschlafen bin, spüre ich, wie er sich neben mir wieder regt und
mit warmen Lippen einen Kuss auf meinen Rücken drückt.
»Du schläfst auf dem Bauch?«, flüstert er. »Ich weiß nicht, warum, aber
ich finde das verdammt schön.«
Er legt den Kopf auf meinen Rücken, die Wange an meiner Haut.
Und so schlafen wir ein,
Ich auf dem Bauch und er halb auf mir, als wollte er sicherstellen, dass
ich auch ganz bestimmt nicht aufstehen und weggehen kann, während er
schläft.
Epilog zum Epilog
Asa

Vor Kurzem ist der Fall von so einem Typen durch die Medien gegangen,
der ein Mädchen vergewaltigt hat und dafür bloß ein paar Monate in den
Knast gewandert ist.
Wochenlang wurde auf sämtlichen Kanälen darüber berichtet, und alle
haben sich darüber aufgeregt, wie locker er davongekommen ist, weil er ein
weißes Oberschichtskid war oder erfolgreicher Sportler oder wahrscheinlich
sogar beides. Ich habe mich nicht so dafür interessiert und kenne die Details
nicht. Mir ist das auch ziemlich egal, der Typ war ja schließlich kein
Serienvergewaltiger. Das war das erste Mal, dass er so was gemacht hat.
Trotzdem haben alle so getan, als wäre er ein verdammtes Monster.
Von mir aus hätte der Wichser im Gefängnis verfaulen können, mir geht
es nicht darum, ihn zu verteidigen. Ich bin bloß irritiert, dass über mich bis
jetzt mit keinem Wort irgendwas berichtet worden ist. Ich meine – ich hab
immerhin einen Menschen umgebracht und bin straffrei davongekommen!
Ich habe den größten College-Drogenring seit der Erfindung des Colleges
aufgebaut und kriege dafür nicht mal eine Anzeige. Ich habe Ryan eine
Pistole an den Kopf gehalten, und trotzdem hat der Richter entschieden,
dass ich nicht ins Gefängnis muss, sondern bis zum Prozess bloß Hausarrest
bekomme.
Hausarrest. Sechs herrliche Monate lang!
Das ist doch ein Witz, oder? Die gesamte Nation und diese rassistischen
Heuchler, die sie regieren, sind ein einziger schlechter Witz, und Leute wie
ich profitieren davon. Ich würde mich ja für mein Land schämen, wenn ich
es nicht so sehr dafür lieben würde, dass man bei uns mit dem übelsten
Scheiß straffrei davonkommt.
Und zum Thema weiße Typen, die »nicht einvernehmlichen« Sex mit
irgendwelchen Mädchen haben, ohne dafür bestraft zu werden. Ich hatte
meinen Schwanz schon öfter in irgendwelchen Tussis, als ich Finger an
beiden Händen habe. Allein bei Jess kann ich gar nicht mehr zählen, wie oft
ich sie gevögelt habe, obwohl sie mich nicht wirklich dazu eingeladen hatte.
Das ist vielleicht sogar der einzige Grund, warum ich es überhaupt mit ihr
getrieben habe. Es hat mich angemacht, dass ich genau wusste, dass sie
nicht will.
Wie gesagt – ich kapiere nicht, warum ich mit der ganzen Scheiße, die
ich mir geleistet habe, davonkomme, ohne dass es irgendein Schwein
interessiert. Ich meine, ich sehe tausendmal besser aus als alle Typen, die
wegen ähnlichen Sachen berühmt geworden sind. Im Gegensatz zu denen
bin ich auch kein Weichei. Was läuft denn hier bitte falsch? Wieso kriegen
diese erbärmlichen weißen Warmduscher die ganze Sendezeit und nicht
ich?
Hat das was damit zu tun, dass ich nicht aus einer Bonzenfamilie
komme?
Wahrscheinlich ist genau das der springende Punkt. Meine Eltern waren
zu nichts zu gebrauchen, weswegen ich praktisch als Waise aufgewachsen
bin. Für solche Geschichten aus der Gosse interessieren sich die Leute
nicht, das wissen die Medienleute auch.
Typisch. Da hätte ich mal die Chance, mir mit irgendwas einen Namen
zu machen, und wer versaut mir alles? Immer noch meine Eltern!
Paul, mein Lahmarsch von Anwalt, meint ja, dass es gut ist, wenn die
Medien nicht über mich berichten. Er sagt, wenn so ein Fall erst mal Thema
ist und alle darüber reden, entscheiden sich die Richter oft für härtere
Strafen, um die Öffentlichkeit zufriedenzustellen. Um ein »Exempel zu
statuieren«. Kann ja alles sein, aber ich glaube, Paul hat keine Ahnung, wie
ich auf Menschen wirke. Ich habe das totale Charisma. Die Medien würden
mich lieben. Und das Gute wäre, dass Sloan mir dann gar nicht entkommen
könnte, weil mein Gesicht ständig über jeden Kanal und im Internet und in
allen Zeitungen verbreitet werden würde.
Scheiße, jetzt ist es mir schon wieder passiert. Ich habe mir eigentlich
fest vorgenommen, sie aus meinen Gedanken zu verdrängen, so wie es mir
der Psychoklempner geraten hat, zu dem ich gehen muss, weil es das
Gericht so angeordnet hat. Sobald ich an sie denke, fühle ich mich wie ein
übergewichtiger Opa mit explodierenden Cholesterinwerten, der gleich an
einem Herzinfarkt verreckt. Schraubzwingen, die sich um mein Herz
krallen und mich zu Boden drücken. Ich ersticke an meinen eigenen
Nerven, wenn ich nur daran denke, was sie mir angetan hat.
Meine Sloan.
Es ist meine eigene Schuld. Jeder weiß, dass es gefährlich ist, zu sehr zu
lieben. Aber ich konnte nicht anders. Es war, als wäre sie für mich gemacht
worden. Als wäre sie auf die Erde geschickt worden, um all die Scheiße
wieder auszugleichen, die ich als Kind erleben musste. Als hätte Gott sie
mir direkt vom Himmel runtergereicht. »Hier, Asa. Ich habe diesen
Lichtstrahl erschaffen, um dich für die Dunkelheit zu entschädigen, durch
die deine Eltern dich haben wandern lassen. Sie ist mein Geschenk an dich.
An ihrer Seite wirst du keinen Schmerz mehr spüren.«
Und so war es auch. Über zwei Jahre lang hatte ich mein ganz
persönliches Stück Himmel auf Erden, in dem ich Frieden und Ruhe finden
konnte, wann immer ich es wollte. Sloan war so was wie Eva, bevor die
beschissene Schlange angezüngelt kam. Sie war süß und unschuldig.
Unberührt. Mein kleiner Engel im Menschenkörper.
Bis Luke auf der Bildfläche erschienen ist.
Luke ist der Teufel. Er ist die Schlange, die Eva mit dem Apfel in
Versuchung geführt und sie mit der Sünde bekannt gemacht hat. Der sie
verdorben hat.
Wenn ich an Sloan denke – also so ungefähr jede einzelne beschissene
Sekunde jedes einzelnen beschissenen Tages –, dann denke ich an die Sloan
aus Vor-Luke-Zeiten. Die Sloan, die ich über alles geliebt habe. Die Sloan,
die jedes Mal wie eine verdammte Christbaumbeleuchtung gestrahlt hat,
wenn sie auch nur das kleinste bisschen Aufmerksamkeit von mir
bekommen hat. Die Sloan, die mir eigenhändig Kokostorte gebacken und
Spaghetti mit Hackbällchen gekocht hat, weil sie wusste, dass sie mich
damit verdammt glücklich macht. Die Sloan, die jede Nacht in meinem Bett
geschlafen und darauf gewartet hat, dass ich nach Hause komme und sie
wecke, damit ich sie lieben konnte. Die Sloan, die mein Haus in Ordnung
gehalten hat, wie es alle guten Frauen tun – Frauen, die keine Nutten sind.
Ich hab ihr immer so gern beim Aufräumen zugeschaut, weil man ihr
ansehen konnte, dass es sie glücklich macht. Nie hat sie sich über die
Schweine beschwert, die mein Haus in einen Dreckstall verwandelt haben,
sondern einfach dafür gesorgt, dass alles wieder glänzte, weil sie wusste,
wie wichtig es mir ist, ein Haus zu haben, auf das ich stolz sein kann.
Ich vermisse sie. Ich vermisse es zu sehen, wie glücklich es sie gemacht
hat, mich zu lieben. Ich vermisse sie, wie sie mal war … mein Engel …
mein Wiedergutmachungsgeschenk des Himmels. Aber jetzt, wo sie der
verfickten Schlange zum Opfer gefallen ist, wünschte ich, sie wäre tot. Ich
will, dass beide tot sind. Wenn Sloan tot wäre, müsste ich nicht die ganze
Zeit darüber nachdenken, dass mich der Mensch, in den ich mich mal
verliebt habe, hinterrücks verraten hat. Wenn sie tot wäre, müsste ich mir
nicht ständig vorstellen, wie sie stöhnt und wimmert, wenn Luke sie fickt.
Wenn sie tot wäre, könnte ich über den Hass hinwegkommen, den ich für
die Version der von Luke geschändeten Sloan empfinde, die jedes Atom
von dem Menschen übernommen hat, den ich mal geliebt habe.
Oder würde sie sich womöglich in die alte Sloan zurückverwandeln,
wenn Luke weg wäre? Wenn er tot wäre? Manchmal denke ich, ich sollte
ihr diese eine letzte Chance noch geben. Wenn ich Luke umbringe und ihr
Zeit lasse, wieder normal zu werden und zu erkennen, wie viel schöner und
besser das Leben mit mir ist, könnte ich vielleicht lernen, sie wieder so zu
lieben, wie ich sie mal geliebt habe.
Aber das ist natürlich Wunschdenken. Er war in ihr. Nicht nur in ihrem
Körper, sondern auch in ihrem Kopf. Er hat sie glauben lassen, er wäre
besser als ich, könnte ihr mehr bieten und sie glücklicher machen. Ich
glaube nicht, dass ich ihr vergeben könnte, dass sie so dumm gewesen ist,
auf einen wie ihn reinzufallen.
Ihr Glanz ist stumpf geworden. Jetzt ist sie wie ein verkratztes,
verdrecktes Spielzeug, mit dem zu viele andere Kinder gespielt haben.
Verflucht schade.
Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis ich der ganzen
Scheißgeschichte endlich ein Ende setzen kann. Ich habe rausgefunden, wo
die beiden sich verkrochen haben. Jetzt bleibt nur noch die Frage zu klären,
wie ich an sie rankomme.
Ich lege mich auf die Couch zurück, schließe die Augen und lasse meine
Hand in die Boxershorts gleiten. Wird es irgendwann eine Zeit geben, in der
ich nicht mehr an Sloan denken muss, um mir einen runterzuholen? Obwohl
ich sie aus tiefster Seele hasse, ist sie die Einzige, bei der ich hart werde.
Ich denke an die Sloan vor Luke. Ich denke an unsere erste Nacht, daran,
wie ich sie in der kleinen Gasse vor dem Restaurant geküsst habe. Ich
denke daran, dass meine Lippen die ersten waren, die diesen Mund in
Besitz genommen haben. Gott, sie war so frisch und unschuldig. Ich war
völlig hin und weg von ihr. Und wie sie mich angesehen hat – als könnte sie
nicht genug von mir bekommen. Als wäre ich so eine Art Gott für sie.
Ich vermisse die Sloan, in die ich mich verliebt habe.
Als ich gerade schön dabei bin, klopft es an der Tür.
»Fuck«, stöhne ich und ziehe widerwillig die Hand aus der Hose. Dieser
Scheißkerl hat echt ein beschissenes Timing. Ich stehe auf, gehe ein paar
Schritte und frage mich, ob ich mich jemals an das Gewicht dieser
beschissenen Fußfessel gewöhnen werde. Ich trage sie jetzt drei Monate
und habe allmählich das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Das halte ich
niemals noch mal drei Monate aus. Vielleicht sollte ich mir einen Vorrat an
Schlaftabletten zulegen und die nächsten zwölf Wochen einfach
durchpennen.
Ich blinzle durch den Spion und mache Anthony die Tür auf. Er weiß
mittlerweile, dass er besser ist, möglichst den Mund zu halten. Ich bin nicht
blöd. Klar, dass die mein Haus verwanzt haben.
»Hey.« Ich nehme ihm den Rucksack ab, den er mir stumm hinhält.
»Hey«, sagt er und sieht sich wie ein paranoider Irrer um, bevor er raunt:
»Ich hab die Kokostorte besorgt, die du wolltest.«
Kokostorte ist unser Codewort für Computer. Bäckerei ist das Codewort
für Sloan.
Die beiden Rechner, die hier im Haus sind, benutze ich nur zum Schein.
Die Staatsanwaltschaft würde niemals einfach die Computer im Haus
stehen lassen, sondern sie konfiszieren. Dass beide Kisten noch hier sind,
beweist, dass sie nachverfolgen wollen, mit wem ich Kontakt habe und
nach welchen Begriffen ich im Netz suche.
Um sie zu ärgern, verbringe ich jeden Tag mindestens eine Stunde damit,
so was wie »Wie kann ich Erlösung durch Jesus Christus finden?« zu
googeln. Ich höre mir sogar religiöse Podcasts an, damit sie denken, ich
wäre auf den rechten Weg zurückgekehrt. Gestern Abend bin ich so weit
gegangen, mir einen Pinterest-Account anzulegen. Richtig gehört. Asa
Jackson ist jetzt bei Pinterest. Ich habe drei Stunden lang Kochrezepte und
erbauliche Sprüche an meine Wand gepinnt, nur um die Idioten zu
verwirren.
Was für eine lachhafte Scheißwelt das doch ist.
Jetzt setze ich mich an den Esstisch und packe den Rucksack aus. Es hat
mich ziemlich viel Zeit und Mühe gekostet, einen Typen zu finden, bei dem
ich mir sicher war, dass er mich nicht verpfeift. Aber bei Anthony muss ich
mir da keine Sorgen machen. Ich weiß zu viel über ihn. Wenn er irgendwem
stecken würde, was ich hier treibe, würde ich dafür sorgen, dass er
lebenslang in den Bunker einfährt. Außerdem braucht er so dringend Kohle,
dass er wahrscheinlich sogar bereit wäre, für weniger als das, was er für den
Laptop bekommt, Sloan und Luke für immer kaltzumachen. In der Hinsicht
mache ich mir bei ihm also keine Gedanken. Das einzige Problem war, dass
er eine Ewigkeit gebraucht hat, bis er rausgekriegt hat, wo die beiden sich
versteckt haben. Vor Kurzem kam er dann endlich mit einer Adresse an.
Halleluja. Ich hab ihn nicht gefragt, wer sie ihm gegeben hat. Je weniger ich
weiß, desto besser für mich. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es
irgendein Kollege von Luke war, der sie ihm für ein paar Kröten verraten
hat.
Tja, so sind wir Menschen nun mal. Für den schnöden Mammon sind
wir doch alle bereit, unsere Seele zu verkaufen.
»Hast du nachgeprüft, ob die Adresse von der Bäckerei stimmt?«, frage
ich. Er nickt.
Scheiße, ich kann mein Glück nicht fassen. Er hat sie tatsächlich
gefunden!
»Ich hab sie mir sogar vor Ort angeschaut«, erklärt er grinsend. »Du
hattest recht. Das ist wirklich eine verdammt heiße Bäckerei.«
Ich lasse mir nicht anmerken, dass es mir fast die Eingeweide zerreißt zu
hören, dass er Sloan gesehen hat. Stattdessen konzentriere ich mich darauf,
dass er gerade mit ziemlicher Sicherheit gesagt hat, dass er Sloan heiß
findet. Was bildet dieses Arschloch sich ein?
»Trotzdem würde mich interessieren, was an der Bäckerei so besonders
ist.« Er setzt sich mir gegenüber und lehnt sich zurück. Natürlich will er
wissen, warum ich bereit war, ihm zehntausend Dollar cash für einen
läppischen Computer und eine Adresse zu geben. Und ihm noch mal
fünftausend versprochen habe, falls er mir Bilder von einer
Überwachungskamera liefert, die beweisen, dass die beiden wirklich dort
wohnen.
»Diese Bäckerei ist einmalig, glaub mir«, sage ich nur und klappe den
Laptop auf. Anthony hat mir auf einem Zettel die Zugangsdaten zu einem
Mail-Account aufgeschrieben, an den er das Passwort für die Cloud
geschickt hat, in die er die Bilder der Überwachungskamera für mich
hochgeladen hat. Außerdem lag im Rucksack ein WLAN-Stick, den er auf
einen anderen Namen angemeldet hat.
»Du hast die Cupcakes von der Bäckerei also bekommen?«, frage ich.
Cupcakes ist unser Code für die Aufnahmen. Mit diesem Geschwätz über
Backwaren hören wir uns wie zwei alte Rentner an. War vielleicht doch
keine so gute Idee. Letzte Woche haben wir die Titel von TV-Serien
benutzt, das hat sich nicht ganz so behindert angehört.
Anthony grinst wieder. »Ja, sind eingetütet.« Er deutet auf den Zettel mit
den Zugangsdaten auf dem Tisch.
Mein Puls rast und ich atme ein paarmal tief durch, aber mein Herz führt
sich auf wie ein Metalfan im Moshpit.
Von mir aus kann Anthony jetzt wieder verschwinden, damit ich mir in
Ruhe die Aufnahmen anschauen kann. Es ist jetzt drei Monate her. Ich muss
sie sehen.
Ich gehe ins Nebenzimmer, um seine Kohle zu holen, werfe den
Umschlag auf den Tisch und zeige zur Haustür, um ihm klarzumachen, dass
ich ihn heute nicht mehr brauche.
Anthony steckt das Geld ein. »Sonst noch irgendwas, was ich für dich
tun kann? Soll ich morgen noch mal kommen?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Ich melde mich, wenn ich
Kuchennachschub brauche.«
Er grinst und dann haut er ab. Endlich.
Ich schiebe den Stick in den Slot, logge mich ein und rufe die Mail ab.
 
Hab gestern etwa acht Stunden aufgenommen und zusammengeschnitten.
Irgendein Typ geht und kommt wieder. Ab der Hälfte siehst du irgendwann
das Mädchen, das einen Müllsack vor die Tür stellt. Am Ende sieht man die
beiden noch mal kurz zusammen. Ich fahre im Laufe der Woche noch mal
hin, um den Rest des Materials auszuwerten. Wenn du willst, können wir
auch eine Webcam installieren, dann kriegst du Live-Feed. Musst mir nur
Bescheid geben.
Die Daten, die du brauchst, hab ich angehängt.
 
Ich schicke ihm eine Antwort, bevor ich mir die Aufnahmen ansehe.
 
Hallo? Natürlich will ich, dass du die Webcam installierst. Hättest du das
nicht gleich sagen können?
 
Anschließend gehe ich in die Cloud und lade die komprimierten
Aufnahmen runter. Das Ganze dauert fünf Minuten, die mir vorkommen
wie Stunden. Als alles da ist, stehe ich auf und schließe die Haustür ab. Ich
will auf keinen Fall unterbrochen werden.
Bevor ich mich wieder an den Laptop setze, hole ich mir was zu trinken,
weil mein Mund sich so trocken anfühlt wie die Wüste Gobi. Bei dem
Gedanken daran, dass ich sie gleich zum ersten Mal seit drei Monaten
wiedersehe, muss ich fast kotzen.
Ich setze mich und drücke auf Play. Das Video ist dreizehn Minuten
lang. Drei Minuten vergehen damit, dass man sieht, wie Anthony die
Kamera vom etwas höher gelegenen Fenster eines gegenüberliegenden
Hauses aus auf ein Apartmentgebäude richtet und scharf stellt.
Natürlich ist mir klar, dass Luke nach dem, was passiert ist, komplett
paranoid sein wird und Sloan irgendwo untergebracht hat, wo sie unter
ständiger Beobachtung stehen kann. Deswegen habe ich Anthony gesagt, er
soll eine Wohnung auf der anderen Straßenseite mieten, von der aus er das
Apartment ungesehen filmen kann. Wenn er in einem Wagen sitzen würde,
wäre das zu auffällig.
Bei Minute 3:31 geht die Tür auf. Luke kommt raus und schaut nach
links und nach rechts. Ich finde es gut, dass er Angst hat. Es gefällt mir,
dass er jedes Mal an mich denken muss, wenn er die Tür seines Apartments
öffnet. Dass er sich fragt, ob ich irgendwo lauere, um mich zu rächen.
Danach gibt es einen Schnitt und dann geht die Tür wieder auf.
Alles geht viel zu schnell. Ich sehe kurz ihren Körper aufblitzen und wie
sie sich vorbeugt, um eine Mülltüte neben die Tür zu stellen, dann klappt
die Tür auch schon wieder zu. So als hätte sie Angst, sich zu zeigen. Als
hätte sie Angst, beobachtet zu werden, weil sie weiß, dass sie da drin ganz
allein ist.
Dieses Arschloch lässt sie einfach alleine. Wahrscheinlich sogar mehrere
Stunden am Tag. Es ist mir scheißegal, ob er arbeiten muss, um die
Wohnung und alles andere zu finanzieren. Wenn ich an seiner Stelle wäre,
würde ich einen Weg finden, die Kohle ranzuschaffen und trotzdem
vierundzwanzig Stunden an ihrer Seite zu bleiben. Wenn ich glauben
würde, dass da draußen irgendwo ein Typ ist, der eine Gefahr für sie
darstellt, würde ich sie keine einzige verfickte Sekunde aus den Augen
lassen.
Damit ist schon mal klar, dass er sie nicht so liebt, wie ich sie liebe.
Wie ich sie mal geliebt habe.
Denn ich liebe sie nicht mehr.
Oder doch?
Fuck.
Ich scrolle noch mal zum Anfang zurück und schaue mir die Stelle
bestimmt an die zwanzigmal an. Immer wieder. Wie sie sich vorbeugt und
den Müllsack abstellt. Wie ihr die Haare über die Schulter fallen, als sie die
Tür zuzieht. Mein Herz klopft jedes Mal schneller, wenn sie rauskommt,
und bleibt einen Moment stehen, wenn die Tür zugeht.
Verdammt. Ich liebe sie immer noch.
Ich liebe sie, und es macht mich wahnsinnig, dass sie halb tot vor Angst
allein in diesem Apartment ist, während ich hier festsitze und sie nicht
retten kann.
»Ich kann dich sehen, Baby«, flüstere ich. »Du musst keine Angst mehr
haben.«
Nachdem ich mir die Szene ein paarmal angeschaut habe, lasse ich das
Video weiterlaufen. Schnitt. Mittlerweile ist es früher Abend. Luke fährt
vor dem Gebäude vor. Er steigt aus, öffnet den Kofferraum und lädt
Einkäufe aus.
Wie süß. Der Wichser hat für sein kleines Frauchen eingekauft.
Er geht zum Eingang und schließt auf. Er versucht, die Tür zu öffnen,
aber sie ist anscheinend von innen verriegelt.
Kluges Mädchen. Ein Schloss reicht nicht. Immer auf Nummer sicher
gehen.
Jetzt öffnet Sloan die Tür, um ihn reinzulassen. Luke verschwindet mit
den Tüten im Apartment, während Sloan zum Wagen geht – nein, sie hüpft
geradezu. Und sie strahlt. Als sie sich in den Kofferraum beugt, um weitere
Einkäufe rauszuholen, kommt Luke wieder nach draußen und hebt
abwehrend die Hände. Sieht aus, als würde er nicht wollen, dass sie etwas
trägt. Er zeigt auf sie, zeigt auf ihren Bauch und sagt etwas, das sie zum
Lachen bringt. Sie legt beide Hände auf ihren Bauch und in dem Moment
sehe ich es.
Fuck. Ich sehe es.
Ich drücke auf Pause.
Ich starre auf ihre auf den Bauch gepressten Hände. Sie schaut an sich
herunter und … lächelt.
Der Bauch ist unter dem T-Shirt kaum sichtbar. Aber doch sichtbar
genug.
»Verfluchte Scheiße!«
Ich bin nicht gerade ein Experte in solchen Sachen, obwohl ich schon
mal ein Mädchen geschwängert habe. Aber das war nicht Sloan, deswegen
habe ich sie gezwungen, abzutreiben. Eine Sache weiß ich allerdings
genau … es dauert ein paar Monate, bis man etwas sieht.
Und vor ein paar Monaten war ich praktisch der Einzige, der in ihr
gewesen ist. Luke hatte sie in der Zeit nur ein Mal.
Ich hatte sie jede verdammte Nacht.
»Verfluchte Scheiße«, sage ich noch mal und grinse. Ich kann nicht
anders. Mein ganzes Gesicht verzieht sich zu einem breiten Grinsen. Ich
stehe auf und laufe ein paar Schritte hin und her, weil ich Luft brauche.
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, gleich in Ohnmacht
zu fallen.
»Verdammt.« Ich starre auf den Monitor, auf dem Sloan als Standbild zu
sehen ist. »Ich werde Vater.«
Ich setze mich wieder und fahre mir durch die Haare. Und dann starre
ich so lange auf den Monitor, bis mir alles vor den Augen verschwimmt.
Was ist das denn?
Heule ich etwa?
Ich wische mir über die Augen und ja, meine Hand ist feucht von
Tränen.
Ich kann einfach nicht aufhören zu grinsen, zoome auf ihren Bauch und
lege meine Hand über ihre Hände. »Daddy liebt dich«, flüstere ich unserem
Baby zu. »Daddy kommt dich bald holen.«
Zwei Monate davor
Luke

Ich schließe die Tür zu unserem Apartment auf und warte ungeduldig, bis
Sloan die Panzerriegel zurückgeschoben hat, um mich reinzulassen.
Jeden einzelnen von insgesamt fünf.
Es kotzt mich an, dass wir in dieser ständigen Paranoia leben müssen. Es
kotzt mich an, dass sie mich jede Stunde anrufen muss, damit ich weiß, dass
alles okay ist, obwohl sich draußen von mir bezahlte Security-Typen
abwechseln und das Apartmentgebäude von einem Wagen aus
vierundzwanzig Stunden lang im Blick haben. Es kotzt mich an, dass wir
diejenigen sind, die sich verstecken müssen, weil Asa nicht im Gefängnis
sitzt, sondern nur unter Hausarrest gestellt wurde, bis der Prozess beginnt,
der ihn hundertprozentig für eine ganze Weile hinter Gitter bringen wird.
Sloan hält sich tapfer, obwohl ich mir sicher bin, dass die Ereignisse der
letzten Monate tiefe Spuren hinterlassen haben. Ich habe versucht sie zu
überreden, mit einem Therapeuten zu sprechen, aber sie behauptet, dass es
ihr gut geht. Oder zumindest gut gehen wird, sobald klar ist, dass Asa
endgültig weggesperrt wird.
Immerhin trägt er eine elektronische Fußfessel, die sofort Alarm gibt,
sobald er Anstalten macht, das Haus zu verlassen. Das ist zumindest eine
kleine Beruhigung. Falls er tatsächlich so dumm sein sollte, sich aus dem
Überwachungsradius zu entfernen, werden wir innerhalb von neunzig
Sekunden darüber informiert. Aber es ist auch nicht so sehr Asa selbst, der
mich beunruhigt – sondern das Wissen, dass er genug Leute hat, die für ihn
die Drecksarbeit erledigen.
Das Justizsystem in diesem Land kann man in die Tonne treten und das
ist noch milde ausgedrückt. Letzten Endes ist Sloan diejenige, die bestraft
wird, indem sie sich verstecken muss, weil jemand wie Asa als unschuldig
zu gelten hat, bis seine Schuld vor Gericht zweifelsfrei erwiesen ist. Ich
sage mir die ganze Zeit, dass wir noch Glück haben, dass er wenigstens
Hausarrest bekommen hat. Der Richter hätte ihn bis zum Prozess auch
gegen Kaution auf freien Fuß setzen können.
Das ist wenigstens ein kleiner Trost.
Bis vor ein paar Tagen war er noch relativ handlungsunfähig, weil er im
Krankenhaus lag, aber seit er wieder fit und gesund zu Hause ist, wo er
ungehindert Besuch bekommen kann, steigt unsere Nervosität. Deswegen
habe ich gestern zu unserem zusätzlichen Schutz vier weitere Riegel an der
Tür anbringen lassen.
Der Apartmentblock, in dem wir untergekommen sind, liegt zwei
Stunden Fahrtzeit von Asas Haus entfernt. Abgesehen von meinen engsten
Kollegen kennt niemand die Adresse. Ich brauche jeweils eine Stunde, um
zur Arbeit und abends wieder nach Hause zu kommen, weil ich meine
Route ständig ändere, um eventuelle Verfolger abzuhängen. Das ist
verdammt ermüdend, aber notwendig. Ich bin bereit, alles zu tun, um
Sloans Sicherheit zu gewährleisten – auch wenn ich leider nicht zu Asa
fahren und ihm höchstpersönlich eine Kugel in den Kopf jagen kann, was
ich am allerliebsten tun würde.
Sobald die Tür einen Spaltbreit aufgeht, schlüpfe ich hinein und drücke
sie gleich wieder hinter mir zu. Als ich mich umdrehe, strahlt Sloan mich an
und stellt sich auf die Zehenspitzen, um mir einen Kuss zu geben. Ich fasse
sie um die Taille, erwidere den Kuss und schiebe gleichzeitig die Riegel
wieder zu. Weil ich nicht will, dass sie Angst bekommt, versuche ich mir
möglichst nicht anmerken zu lassen, wie viele Sorgen ich mir mache.
Sie lehnt sich zurück und sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Ich kann
förmlich sehen, wie die Angst in ihr Gestalt annimmt.
»Mann, riecht das gut«, sage ich, um sie abzulenken. »Hast du uns etwa
wieder was Leckeres gekocht?« Sloan ist eine verdammt gute Köchin – bei
ihr schmeckt es mir sogar noch besser als bei meiner Mutter, auch wenn ich
das Mom niemals sagen würde.
Sie greift nach meiner Hand und zieht mich Richtung Küche. »Ehrlich
gesagt bin ich mir selbst nicht so sicher, ob es lecker ist«, sagt sie. »Es
sollte eine Art Eintopf werden. Ich hab einfach alles reingeworfen, was wir
so dahatten.« Sie nimmt den Deckel vom Topf, taucht einen Löffel ein und
hält ihn mir hin. »Hier. Probier mal.«
Ich koste. »Das ist nicht nur lecker, das ist der Hammer!«
Sie legt den Deckel lächelnd wieder auf den Topf. »Du musst aber noch
Geduld haben. Er muss noch ein bisschen ziehen.«
Ich nehme meinen Schlüsselbund und das Handy aus der Jacke und lege
beides auf die Arbeitsfläche, bevor ich Sloan in die Arme nehme und sie
mit einem Ruck hochhebe. »Ich kann aber leider nicht mehr warten«, sage
ich auf dem Weg ins Schlafzimmer. Dort lege ich sie sanft aufs Bett und
hocke mich über sie. »Hattest du einen guten Tag?« Ich küsse sie auf den
Hals.
Sie nickt. »Ich hab mir was überlegt, was ich gern machen würde,
obwohl ich nicht weiß, ob die Idee nicht vielleicht total idiotisch ist. Keine
Ahnung.«
»Worum geht es denn?« Ich rolle mich auf meine Seite des Betts, lege
eine Hand auf ihren Bauch und schiebe ihr T-Shirt etwas höher, damit ich
ihre Haut spüren kann. Ich kriege einfach nicht genug von ihr. So was gab
es bei mir noch nie. Ich kann mich nicht erinnern, je mit einem Mädchen
zusammen gewesen zu sein, das ich am liebsten die ganze Zeit angefasst
hätte. Selbst wenn wir wie jetzt einfach nur nebeneinanderliegen und uns
ganz normal unterhalten, zeichne ich mit dem Zeigefinger Muster auf ihren
Bauch oder streichle ihren Arm oder fahre mit den Fingerkuppen ihre
Lippen nach. Sie scheint das zu mögen, denn sie macht es bei mir ganz
genauso. Und ich habe ganz und gar nichts dagegen.
»Du hast ja inzwischen mitbekommen, wie gern ich koche. Und obwohl
ich es nie richtig gelernt habe, koche ich, glaube ich, ganz gut.«
»Wahnsinnig gut!«
»Deswegen ist mir der Gedanke gekommen, ein Kochbuch mit meinen
besten Rezepten rauszubringen.«
»Das ist eine tolle Idee.«
»Das ist noch nicht alles.« Sie stützt sich auf einen Ellbogen und sieht
mich an. »Es gibt schon massenhaft Kochbücher auf dem Markt, deswegen
muss ich mir irgendwas ausdenken, um herauszustechen. Irgendwas, das es
so noch nicht gibt. Mir ist klar geworden, dass ich auch deswegen so gut
kochen kann, weil Asa von mir erwartet hat, dass jeden Abend etwas
Leckeres auf dem Tisch steht. Man könnte daraus etwas Besonderes
machen, indem man dem Buch einen ironischen Titel verpasst. So was wie
›Rezepte, mit denen ich den gewalttätigen, narzisstischen Kontrollfreak
ruhiggestellt habe, dessen Freundin ich mal war‹. Die Hälfte der Einnahmen
könnte ich dann an eine Hilfsorganisation spenden, die Opfer von
häuslicher Gewalt unterstützt.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Der Titel würde mit Sicherheit
Aufmerksamkeit erregen, da hat sie recht. Andererseits finde ich es
wahnsinnig traurig, dass sie so gut kochen kann, weil Asa sie wie eine
persönliche Sklavin gehalten hat. Er hatte sie vollkommen in der Hand, und
ihr blieb nichts anderes übrig, als seine Wünsche zu erfüllen. Ich muss
daran denken, wie ich sie bei unserer zweiten Begegnung auf eine Pizza
eingeladen habe, weil sie so hungrig war und kein Geld hatte, sich selbst
etwas zu kaufen.
Als ich nichts sage, lässt sie sich ins Kissen zurückfallen. »Du findest
die Idee blöd, oder?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, Sloan. Kein bisschen.« Und dann lege ich
meine Hand an ihre Wange, damit sie mich ansieht. »Der Titel ist echt was
Besonderes. Ein Kochbuch, das so heißt, würden sich die Leute garantiert
näher anschauen. Ich finde es nur so verdammt traurig, dass es die Wahrheit
ist. Dafür, dass du seinetwegen so unfassbar gut kochen kannst, hasse ich
diesen Dreckskerl noch mehr.«
»Aber dir habe ich es zu verdanken, dass ich nicht mehr für ihn kochen
muss.«
»Das hast du ganz allein dir selbst zu verdanken, Sloan«, erinnere ich
sie.
Sie lächelt wieder, aber diesmal hat es etwas Angestrengtes. Liegt es an
ihrer Angst, Asa könnte uns hier finden? Ich habe das dumpfe Gefühl, dass
es da noch etwas anderes gibt, was ihr Sorgen macht. Vielleicht hat es ja
damit zu tun, dass sie hier praktisch den ganzen Tag eingesperrt ist. »Alles
okay, Sloan?«
Sie zögert einen Moment, bevor sie nickt, woran ich merke, dass da
tatsächlich noch irgendetwas anderes ist.
»Was hast du?«
Sie setzt sich auf. »Mir geht es gut, Luke. Ich muss nach dem Eintopf
sehen.«
Bevor sie aufstehen kann, halte ich sie am Arm fest. Sie bleibt sitzen,
dreht sich aber nicht zu mir um. »Sloan?«
Sie seufzt mit dem ganzen Körper. Ich lasse ihren Arm los und rutsche
zu ihr nach vorn ans Fußende des Betts. »Er kann das Haus nicht verlassen,
falls es das ist, was dir Sorgen macht. Wir würden sofort Bescheid
bekommen. Das Grundstück ist durch den Zaun und das Tor gesichert. Hier
kommt niemand rein, der nicht dazu autorisiert ist. Außerdem würde
unserem Mann, der draußen postiert ist, jeder Fremde sofort auffallen, der
sich verdächtig benimmt. Du bist hier in Sicherheit.«
Sloan schüttelt den Kopf, um mir zu signalisieren, dass es nicht das ist,
was sie so beschäftigt. Sie weint nicht, aber ihre Unterlippe zittert leicht, als
wäre sie kurz davor.
»Geht es um deinen Bruder? Wir können nächstes Wochenende zu ihm
fahren, wenn du willst. Ich sorge dafür, dass uns ein Kollege begleitet,
damit unterwegs garantiert nichts passiert. Und du weißt, dass im Heim
einer unserer Leute sein Zimmer sichert.« Ich streiche ihr eine Haarsträhne
hinters Ohr und hoffe, sie glaubt mir, dass ich auf sie aufpasse. Ihr kann
nichts passieren. Und auch Stephen ist sicher.
Sloan senkt den Kopf, verschränkt die Arme vor der Brust und sinkt in
sich zusammen.
»Ich glaube, ich … bin schwanger.«

***

Sie wollte nicht im Bad bleiben, bis das Testergebnis zu sehen ist. Ich stehe
vor dem Waschbecken, starre auf das Plastikstäbchen, das auf der Ablage
liegt, und warte. Zwei Minuten.
Als sie mir gesagt hat, dass sie vielleicht schwanger ist, habe ich mich
sofort schuldig gefühlt. Weil dann alle meine Bemühungen, sie zu schützen,
umsonst gewesen wären. Sie saß mit gesenktem Kopf auf dem Bett, Tränen
strömten ihr übers Gesicht, und es gab nichts, was ich sagen oder tun
konnte, um ihr die Angst zu nehmen. Ich konnte ihr nicht sagen, dass sie
sich keine Sorgen machen soll, weil es definitiv ein Grund zur Sorge wäre,
sollte sie tatsächlich schwanger sein. Wir können beide rechnen. Die
Chance, dass das Kind von mir ist, ist wesentlich geringer als die, dass es
von Asa ist, deshalb wäre es gelogen, wenn ich sagen würde, sie soll sich
keine Gedanken machen.
Das Letzte, was sie jetzt noch braucht, ist die seelische Belastung des
Gedankens, womöglich einen Teil von Asa in sich zu tragen. Einen Teil von
ihm, der sie für den Rest ihres Lebens unauflösbar an ihn binden würde.
Das Letzte, was sie jetzt in ihrem Leben braucht, ist die Belastung, sich
auch noch um ein Baby kümmern zu müssen – ganz egal, von wem es wäre.
Die nächsten paar Monate wird sie hier in diesem Apartment eingesperrt
verbringen müssen, bis der Prozess beginnt. Das würde bedeuten, dass sie
unter Umständen hochschwanger eine Aussage machen und ihm
gegenübertreten müsste.
Ich versuche, ruhig zu atmen, während ich auf das Stäbchen starre. Der
Test zeigt eine mögliche Schwangerschaft nicht durch einen farbigen
Streifen an, sondern durch ein Sichtfenster, in dem entweder »nicht
schwanger« oder »schwanger« steht. Als Sloan mir von ihrer Angst erzählt
hat, bin ich sofort zur Drogerie gefahren. Sie braucht jetzt so schnell wie
möglich Klarheit. Je früher sie Bescheid weiß, desto eher kann sie
entscheiden, wie es weitergehen soll.
Ich warte, streiche mir nervös durch die Haare und gehe in dem kleinen
Badezimmer auf und ab. Als mein Handy piepst und mir anzeigt, dass die
zwei Minuten abgelaufen sind, stehe ich mit dem Rücken zum
Waschbecken.
Ich hole noch einmal tief Luft, dann drehe ich mich um.
Schwanger.
Ich balle unwillkürlich die Faust und bin kurz davor, gegen die Wand zu
schlagen. Oder die Tür. Egal wogegen. Stattdessen schlage ich nur die Luft
und fluche unhörbar, weil ich jetzt nach draußen gehen und meinem
Mädchen das Herz brechen muss.
Ich weiß nicht, ob ich das über mich bringe.
Kurz überlege ich, ob ich noch ein paar Minuten hierbleiben soll, bis ich
meine Wut heruntergeschluckt habe. Aber ich weiß, sie wartet da draußen
und hat Angst und ist mit Sicherheit noch nervöser, als ich es war. Als ich
die Tür öffne, ist sie nicht im Schlafzimmer. Ich gehe ins Wohnzimmer und
sehe sie in der offenen Küche stehen, wo sie den Eintopf umrührt, der jetzt
schon seit einer Stunde vor sich hin köchelt und garantiert längst fertig ist.
Sloan hört meine Schritte, dreht sich aber nicht um. Auch als ich neben ihr
stehe, sieht sie nicht auf, sondern rührt weiter im Topf.
Ich schaffe es nicht. Dreimal öffne ich den Mund und schließe ihn
wieder, weil ich einfach nicht die richtigen Worte finde. Ich massiere mir
den Nacken und warte darauf, dass sie sich zu mir umdreht. Als das nicht
passiert, schlinge ich von hinten die Arme um sie und ziehe sie an meine
Brust. Sie hört auf zu rühren und legt die Hände auf meine Unterarme. Ich
spüre, wie ihr ganzer Körper zu zittern beginnt. Sie nimmt mein Schweigen
mit Recht als Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtung. Ich kann nichts
weiter tun, als sie zu halten.
»Ich liebe dich, Sloan«, flüstere ich.
Sie dreht sich mir zu, schmiegt ihr Gesicht an meine Brust und weint.
Ich schließe die Augen und halte sie.
So sollte das nicht sein. Keine Frau sollte sich so fühlen müssen, wenn
sie erfährt, dass sie Mutter wird. Und das Schlimmste für mich ist, dass ich
das Gefühl habe, eine Mitverantwortung zu tragen.
Aber wir haben noch genug Zeit, über alles zu reden. Genug Zeit, alle
Optionen durchzusprechen. Für den Moment versuche ich einfach nur, ihr
Kraft zu geben, um den Schock zu verdauen. Ich weiß, dass ich nur eine
schwache Ahnung davon habe, wie unglaublich schwer das für sie sein
muss.
»Es tut mir so leid, Luke«, sagt sie dumpf an meiner Brust und sieht
dann zu mir auf. »Du tust, was du kannst, um für unsere Sicherheit zu
sorgen, und jetzt mache ich alles noch schlimmer.« Sie löst sich von mir,
nimmt den Kochlöffel und beginnt wieder zu rühren. »Ich werde dir das
nicht antun«, sagt sie. »Ich lasse dich ganz bestimmt nicht zusehen, wie ich
ein Kind austrage, von dem wir nicht wissen können, ob es deins ist.« Sie
schluckt und sagt mit gepresster Stimme: »Morgen erkundige ich mich, was
ich tun muss, um … um eine Abtreibung zu bekommen. Es tut mir so leid,
dass das passiert ist.«
Ich sehe sie an und versuche zu begreifen.
Sloan entschuldigt sich bei mir?
Sie denkt allen Ernstes, ich wäre derjenige, für den das, was wir eben
erfahren haben, eine Belastung ist?
»Hey …« Ich streiche ihr durch die Haare und drehe ihren Kopf sanft so,
dass sie mich ansehen muss. Über ihre Wange rollt eine Träne, die ich mit
dem Daumen wegwische. »Wenn wir irgendwie herausfinden könnten,
wessen Kind es ist, und es wäre von mir … würdest du es dann behalten
wollen?«
Sie schließt kurz die Augen, dann nickt sie. »Natürlich, Luke. Absolut.
Unser Timing wäre zwar echt mies, aber dafür könnte das Baby schließlich
nichts.«
Obwohl ich sie am liebsten umarmen würde, halte ich weiter ihr Gesicht
mit beiden Händen fest. »Und wenn du mit Sicherheit wüsstest, dass es
Asas Kind ist, würdest du es nicht behalten wollen?«
Sie bleibt einen Moment lang still, dann schüttelt sie entschlossen den
Kopf. »Das würde ich dir nicht antun, Luke. Das wäre dir gegenüber nicht
fair.«
»Ich frage dich nicht, was mir gegenüber fair wäre«, sage ich. »Ich frage
dich, ob du das Kind behalten wollen würdest, auch wenn du wüsstest, dass
Asa der Vater ist?«
Weder fällt eine Träne aus ihrem Augenwinkel. »Es ist ein Kind, Luke«,
sagt sie leise. »Ein unschuldiges Baby. Aber wie gesagt … ich könnte dir
das niemals zumuten.«
Ich ziehe sie an mich, küsse sie auf die Schläfe und suche nach Worten
für das, was ich ihr sagen möchte. Dann lehne ich mich zurück und sehe ihr
in die Augen. »Ich liebe dich, Sloan. Obwohl wir uns erst so kurz kennen,
liebe ich dich jetzt schon mehr, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.
Und dieses Kind, das in dir wächst, ist zu einer Hälfte von dir. Weißt du,
wie unbeschreiblich glücklich es mich machen würde, wenn du mir
erlauben würdest, etwas zu lieben, das ein Teil von dir ist?« Ich lege meine
Hand auf ihren Bauch. »Das da drin ist mein Baby, Sloan. Es ist dein Baby.
Unser Baby. Und wenn du die Entscheidung triffst, dieses Baby zu
bekommen und großzuziehen, dann werde ich ihm verdammt noch mal der
beste Vater sein, den diese Welt jemals gesehen hat. Das verspreche ich
dir.«
Sloan schlägt die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern zucken, und sie
weint so heftig, wie ich sie noch nie habe weinen sehen. Wortlos hebe ich
sie hoch, trage sie wieder ins Schlafzimmer, lege mich mit ihr zusammen
aufs Bett und halte sie umarmt, bis ihre Tränen allmählich abebben. Es
dauert mehrere Minuten, bis sich auch ihr Atem wieder beruhigt hat.
Schließlich liegt sie ganz still, den Kopf an meiner Brust, einen Arm um
mich geschlungen. »Luke?« Sie hebt den Kopf und sieht mich an. »Du bist
der beste Mensch, den es gibt. Und ich liebe dich so.«
Ich küsse sie einmal und dann gleich noch einmal. Danach beuge ich
mich hinunter, ziehe ihr T-Shirt ein Stück hoch und drücke meine Lippen
auf ihren Bauch. Ich lächle vor Glück, weil sie mir etwas schenkt, von dem
ich nicht gewusst habe, dass ich mich danach sehne. Obwohl ich natürlich
hoffe, dass das Baby von mir ist und nicht von Asa, macht das für mich
keinen Unterschied. Weil es vor allem das Baby des Menschen ist, den ich
mehr liebe als alles andere. Wie sollte mich das nicht glücklich machen?
»Sloan?« Ich streiche ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, küsse sie auf
die Wange und schmiege mich an sie. Jetzt weint sie nicht mehr. »Hast du
gewusst, dass Betonpfeiler sich in Donuts auflösen, wenn eine Uhr vom
Kopf einer Schildkröte fällt?«
Sie lacht laut auf. »Und wenn sich ein leerer Raum mit dreckigen
Socken füllt, sobald der Früchtestollen trocken geworden ist, ist ein Sieg
kein Sieg mehr.«
Unser Baby wird die durchgeknalltesten Eltern der Welt bekommen.
Heute
Asa

Ich habe keine Ahnung, von wem ich meine Intelligenz geerbt habe, von
meinem Vater oder meiner Mutter. Wenn ihr mich fragt, waren beide
unterbelichtete Loser, die in ihrer gemeinsamen Zeit auf Erden nur eine
einzige Leistung vollbracht haben: mich zu zeugen.
Meine Großeltern habe ich nie kennengelernt, aber ich stelle mir gern
vor, dass mein Großvater väterlicherseits (Gott sei seiner Seele gnädig) wie
ich gewesen ist. Es heißt ja, dass Eigenschaften oft eine Generation
überspringen, deswegen könnte ich mir vorstellen, dass ich mein Aussehen
von ihm habe. Gut möglich, dass ich auch sonst nach ihm gekommen bin.
Genau wie ich war er wahrscheinlich auch total enttäuscht, dass sein Sohn –
mein Vater – sich als ein so grenzenloser Versager entpuppt hat.
Dafür bin ich mir ziemlich sicher, dass er auf mich stolz wäre und zu den
wenigen Menschen gehören würde, die in der Lage sind, zu erkennen und
zu würdigen, was für ein verdammtes Genie ich bin.
Lasst es mich erklären.
Elektronische Fußfesseln. Keine Chance, das System auszutricksen,
stimmt’s? Wenn man versucht, sie durchzuschneiden, und damit den Sender
beschädigt, der alle paar Sekunden zur Basisstation funkt, schickt die noch
im selben Moment ein Signal, und ein paar Minuten später stehen die
Bullen vor der Tür.
Man kann auch nicht darauf hoffen, dass dem Ding irgendwann der Saft
ausgeht, weil der Ladestand vom Akku ebenfalls an die Polizei gesendet
wird, die jemanden vorbeischicken, der ihn rechtzeitig ersetzt. Abstreifen
kann man sie natürlich sowieso nicht, weil Füße blöderweise nicht so
biegsam sind wie Handgelenke und Gott – der egoistische Bastard – leider
nicht an elektronische Fußfesseln gedacht hat, als er unser Skelett
erschaffen hat. Wenn man den voreingestellten Radius verlässt, werden
natürlich auch sofort die Cops benachrichtigt. Nicht mal betrinken kann
man sich! Die Fußfessel, die sie mir verpasst haben, hat einen Sensor, der
den Alkoholspiegel über die Haut messen und die Daten weiterleiten kann.
Nicht, dass ich damit ein Problem hätte. Ich hab noch nie Alkohol
gebraucht. Ich trinke gern, kann aber auch gut ohne leben.
Wenn man also nicht ein absoluter Technikfreak ist und noch schlauer
als die Obernerds, die diese Dinger erfunden haben, hat man keine Chance,
sich auch nur ein paar Meter von zu Hause wegzubewegen.
Was echt scheiße für mich ist. Wie ich Luke einschätze, hat er dafür
gesorgt, dass er sofort benachrichtigt wird, sobald das verfickte Signal
meldet, dass ich meinen Radius verlasse oder irgendwie an der Fessel
rumgebastelt habe. Ich würde es niemals schaffen, rechtzeitig zu den beiden
zu kommen, weil sie gewarnt wären. Klar, ich könnte auch einen
Auftragskiller zu ihnen schicken, um die Arbeit für mich erledigen zu
lassen. Aber wo bleibt da der Spaß? Ich freue mich jetzt schon darauf, Luke
höchstpersönlich die Kugel ins Herz zu jagen und den Duft des verbrannten
Schießpulvers zu riechen. Und wie geil wird es erst, mitanzusehen, wenn
Sloan endlich dämmert, was für eine jämmerliche Fehlentscheidung sie
getroffen hat. Ich will die Tränen schmecken, die sie vergießt, wenn sie vor
mir kauert und um Gnade bettelt.
Zum Glück bin ich ein absolutes Organisationstalent. Ich plane
grundsätzlich alles bis ins letzte Detail, überlege mir jedes mögliche
Szenario und baue für alle Eventualitäten vor. Weil ich nämlich ein
verdammtes Genie bin. Genau wie mein guter alter Grandpa.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Kind mal gedacht habe, ich
würde sterben. Ich hatte mich ins Zimmer von meiner Mutter geschlichen
und ein paar von ihren Pillen geklaut. Fuck, ich war damals noch so klein –
ich konnte nicht mal lesen! Ich hatte keine Ahnung, was ich da für ein Zeug
nehme. Ich wusste nur, dass ich fühlen wollte, was sie fühlt, wenn sie sich
die Dinger einwirft. Ich wollte das Gefühl erleben, das sie mehr liebte als
ihr eigenes Kind.
Ein paar Stunden, nachdem ich die Pillen geschluckt hatte, bin ich
aufgewacht und hab einen Riesenschreck bekommen. Meine Fußknöchel
sahen aus wie verdammte Tennisbälle, so angeschwollen waren sie. Damals
habe ich gedacht, mir wäre das Blut in die Füße gelaufen und ich müsste
sterben. Heute weiß ich, dass das eine klassische Nebenwirkung von den
Tabletten war. Antidepressiva, Schmerzmittel und das Zeug, das den
Blutdruck senkt, verursachen massive Wassereinlagerungen, aber das war
mir als Kind natürlich nicht klar.
Vor ein paar Monaten hat mein Anwalt – Paul – mich vorgewarnt, dass
ich mit Hausarrest und dieser verdammten Fußfessel rechnen muss,
während wir auf den Prozess warten. Normalerweise hätten die mich ja
gegen Kaution auf freien Fuß setzen müssen, aber mit meinem
Vorstrafenregister war das nicht drin. Ich muss zugeben, dass Paul da
ausnahmsweise einen echt guten Job gemacht hat. Ich bin ihm verdammt
dankbar dafür, dass er mich gewarnt hat. Dadurch hatte ich eine ganze
Woche lang Zeit, so viele Pillen zu schlucken, dass der Umfang meiner
Fußgelenke um ein paar Zentimeter angewachsen ist. An die Medikamente
bin ich problemlos rangekommen, weil ich zu der Zeit ja noch im
Krankenhaus war. So gesehen war es ein Glück, dass die Wichser es für
eine gute Idee gehalten haben, mich kampfunfähig zu schießen. Was für
Idioten.
Ich werde regelmäßig von meinem Bewährungshelfer besucht, der auch
die Fußfessel kontrolliert, was bedeutet, dass ich weiter Pillen schlucken
muss, damit ihm nichts auffällt. Der Typ ist komplett minderbemittelt und
hat sich keine Sekunde gewundert, warum ich so wahnsinnig dicke Gelenke
habe. Stewart (wer nennt seinen Sohn denn bitte Stewart?) denkt
wahrscheinlich, ich hätte »schwere Knochen«. Der Typ ist so blöd, dass es
schon wieder lustig ist. Ich freue mich fast schon auf seine Besuche, weil er
immer so Mitleid mit mir hat. Er hält mich für einen anständigen Kerl, weil
ich über seine grenzdebilen Witze lache und mit ihm über Jesus rede.
Stewart steht voll auf Jesus. Und um die Nummer noch ein bisschen
glaubwürdiger zu machen, hab ich Anthony beauftragt, mir ein Kruzifix zu
besorgen. Eins aus massivem Holz, richtig schwer. Vor Stewarts Besuch
heute Morgen hab ich es an die Wand gehängt – direkt über den Fernseher,
auf dem ich jeden Tag stundenlang Pornos gucke. Kleiner Privatscherz
meinerseits. Als Stewart meinen »Jesus am Stiel« gesehen hat, war er hin
und weg. Ich habe ihm erzählt, das Ding hätte ich von meinem Grandpa
geerbt, der Prediger in einer Baptistengemeinde gewesen wäre, und dass es
mich trösten würde, das Kreuz anzusehen und mir vorzustellen, dass
Grandpa vom Himmel auf mich runterschaut.
Das ist natürlich gelogen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein
Großvater in seinem Leben jemals auch nur einen Fuß in eine Kirche
gesetzt hat. Und falls er wirklich ein Kruzifix gehabt hat, dann hat er es
wahrscheinlich benutzt, um Leute damit zu verprügeln.
Aber Stewart fand es toll. Er hat mir erzählt, dass er ein ganz ähnliches
hat, aber nicht ganz so groß wie meins. Danach hat er meine Fessel
gecheckt, war zufrieden mit dem Ergebnis und meinte, er würde dann in
einer Woche wiederkommen. Ich hab ihm zum Abschied ein Stück
Kokostorte mitgegeben.
Jetzt habe ich gerade die Packung mit den Entwässerungstabletten
geholt, die ich mir zusammen mit dem ganzen anderen Zeug besorgt hatte.
Mit den Dingern muss man vorsichtig sein. Schluckt man zu viele, riskiert
man, dass der Blutdruck in den Keller fällt. Andererseits muss ich genug
davon nehmen, damit die Wassereinlagerungen verschwinden und ich die
Fessel über meinen dann wieder normalen Fuß bekomme und sie Anthony
übers Handgelenk schieben kann.
Brillanter Plan, oder? Solange Anthony hier im Haus bleibt, kriegt
niemand irgendwas von dem mit, was ich in der Zwischenzeit treibe. Die
Erfinder dieser Fesseln bilden sich ein, sie hätten das absolut sichere
Überwachungssystem erschaffen, weil sich das Ding nicht über die Knöchel
ihrer durchschnittlich intelligenten Normal-Straftäter schieben lässt.
Tja – die hätten lieber mal daran denken sollen, dass es auch solche
Genies wie mich gibt. Der einzige Haken an der Sache ist Anthony. Mir
bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass er das Haus nicht
verlässt und keinen Schluck Alkohol trinkt. Wenn alles klappt wie geplant,
komme ich nach meinem Ausflug wieder zurück, streife die Fessel über,
schlucke ein paar Pillen, und niemand wird auf die Idee kommen, ich
könnte jemals weg gewesen sein.
Aber bevor es so weit ist, muss ich noch ein bisschen
Organisationsarbeit leisten. Ich nehme vier von den Tabletten, klappe den
Laptop auf und stelle eine Liste sämtlicher örtlicher Gynäkologen
zusammen, die ich anschließend abtelefoniere. Als ich zwei Stunden später
endlich rausgefunden habe, bei welchem Arzt Sloan ist, bin ich schon
viermal pinkeln gewesen. Die Fessel sitzt schon wesentlich lockerer.
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass es ein paar Tage dauern würde,
aber es sieht ganz so aus, als könnte es schon morgen so weit sein.
Die Sprechstundenhilfe hat mich in die Warteschleife gepackt.
»Sir?«, fragt sie jetzt.
»Ja, ich bin noch dran«, antworte ich freundlich.
»Wie, sagten Sie noch mal, ist Ihr Name?«
»Luke«, sage ich. »Ich bin der Vater.«
Ich verbeiße mir das Lachen, weil mir plötzlich der Gedanke kommt,
dass der Typ sich wahrscheinlich ständig blöde Star-Wars-Witze anhören
muss.
»Können Sie mir bitte die Adresse und das Geburtsdatum Ihrer Partnerin
nennen?«
Aber sicher doch. Gar kein Problem. Sobald meine »Identität« bestätigt
ist, fragt sie: »Und wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Es geht um den Geburtstermin. Ich bin gerade dabei, ein Video für
unsere Angehörigen und Freunde zu machen, in dem ich den
Familienzuwachs ankündige, und hab den voraussichtlichen Termin
vergessen. Sloan will ich nicht fragen, weil sie vielleicht sauer wäre, dass
ich mir so was Wichtiges nicht gemerkt habe. Deswegen hatte ich gehofft,
Sie könnten mir vielleicht aus der Patsche helfen, damit ich nicht ganz so
dumm dastehe.«
Die Frau lacht. Ich höre ihr an, wie rührend sie es findet, dass ich so ein
fürsorglicher Mann bin, der sich so offensichtlich auf die Geburt seines
Kindes freut. »Die Zeugung hat im März stattgefunden, was bedeutet, dass
Sie Ihr Kind um den 25.12. erwarten können. Es wird ein Christkind. Ich
kann gar nicht verstehen, wie Sie das vergessen konnten«, sagt sie lachend.
Ich lache auch. »Ach ja, stimmt. An Weihnachten. Wir bekommen unser
ganz persönliches kleines Weihnachtswunder. Danke, dass Sie noch mal
nachgesehen haben.«
»Hab ich gern gemacht. Auf Wiederhören.«
Ich lege auf und werfe zur Sicherheit noch mal einen Blick in den
Kalender. Im März hat Sloan noch bei mir gelebt.
Allerdings war Luke damals auch schon im Haus, und zwar ziemlich oft.
Ich habe keine Ahnung, wann er angefangen hat, ihr die Gehirnwäsche zu
verpassen, oder wann er sie so weichgekocht hatte, dass sie nachgegeben
hat.
Bei dem Gedanken spannen sich sämtliche Muskeln in meinem Körper
an. Ich kann immer noch nicht fassen, dass er sie gefickt hat. Meine Sloan.
Noch weniger kann ich glauben, dass sie es zugelassen hat. Ob sie
wenigstens ein Kondom benutzt haben? Ich weiß mit Sicherheit, dass der
elende Wichser keins benutzt hat, als er sie direkt vor meinen Augen …
Nicht darüber nachdenken!
Ich lasse auf gar keinen Fall zu, dass mein Kopfkino diese Bilder noch
mal abspielt. Das war der absolut schlimmste Moment meines ganzen
verfluchten und an schlimmen Momenten weiß Gott nicht armen Lebens.
Ich versuche mir die ganze Zeit einzureden, dass es ein Albtraum war, dass
alles, was ich gesehen und gehört habe – die Worte und Laute, die aus
ihrem Mund kamen –, nur ein beschissener Albtraum war. Ich war schwer
verletzt, verdammt noch mal. Die hatten mich mit drei Kugeln getroffen.
Ich hatte eine Riesenmenge Blut verloren. Das alles kann nicht wirklich
passiert sein. Unvorstellbar, dass Sloan sich allen Ernstes vor mich
hingestellt und diesem erbärmlichen Arschloch gesagt haben könnte, er soll
seinen …
Nicht. Darüber. Nachdenken.
Scheiße, der Gedanke macht mich echt wahnsinnig. Ich springe auf,
packe den Stuhl, auf dem ich gesessen habe, schleudere ihn quer durchs
Zimmer und sehe zu, wie er an der Haustür zerschellt. Ich stürze zum
Fernseher, reiße das verdammte Kruzifix von der Wand und ramme es
gegen den Scheißfernseher, dass das Display splittert.
Danach fühle ich mich ein bisschen besser. Sloan war dabei, als ich den
Fernseher gekauft habe, deswegen verschafft es mir noch mehr
Befriedigung, ihn zu Schrott gehauen zu haben. Der Spiegel! Ich renne mit
erhobenem Arm darauf zu und schlage mit dem Kruzifix darauf ein, bis das
Glas zersplittert am Boden liegt.
Diese verdammte Nutte. Wie konnte sie es wagen, mir das anzutun?
Mit dem Kreuz in der Hand gehe ich raus in den Flur zur Toilette. Ich
starre in den Spiegel und frage mich, ob das Baby von mir ist. Bei der
Vorstellung, sein kleines Scheißgesicht würde aussehen wie das von Luke,
kommt mir das Kotzen und ich spüre unendlichen Hass auf dieses Balg.
Und selbst wenn es von mir wäre, müsste ich bei seinem Anblick immer
daran denken, dass es schon in ihr war, als er sie direkt vor meinen Augen
gefickt hat.
Ich schwinge das Kreuz und schlage es mit Wucht gegen den Spiegel,
bis er klirrend zerspringt.
Danach gehe ich nach oben und zerschlage sämtliche Spiegel, die noch
übrig sind.
Ich will dieses verdammte Baby nicht. Es ist seit März in ihrem Bauch,
und ich möchte nicht wissen, wie oft Luke seitdem in ihr gewesen ist.
Selbst wenn es mein Baby sein sollte, ist es für alle Zeit beschmutzt. Ich bin
mir ziemlich sicher, dass so ein Embryo schon funktionierende Ohren hat,
und das bedeutet, dass es jedes Wort mitbekommt, das Luke in Sloans Nähe
sagt. Wahrscheinlich denkt es, dass Lukes widerliche Stimme die Stimme
seines Vaters ist.
Ich muss so schnell wie möglich dafür sorgen, dass Luke nicht mehr da
ist, während mein Baby in Sloan heranwächst, damit er es nicht noch weiter
verderben kann.
Ich stürme durch die Zimmer des Hauses und finde überall Dinge, die
mein Jesus am Stiel zerschlagen kann. Lampen? Erledigt. Vasen?
Zerschmettert. Jesus am Stiel ist auf Zerstörungskurs.
Verfluchte Nutte.
Verfluchtes Baby.
Verfluchter Luke.
Alles Schöne und Gute, das ich in meinem Leben je gehabt habe, hat
dieser Mensch zerstört. Mein Imperium. Die Frau meines Lebens. Mein
Kind (ich gehe jetzt mal davon aus, dass es von mir ist). Seinetwegen ist
alles, was mir jemals etwas bedeutet hat, nur noch einen Scheißdreck wert.
Als ich oben fertig bin, gehe ich wieder runter ins Wohnzimmer und
werfe noch eine von den Pillen ein. Je eher ich diese verdammte Fußfessel
loswerde, desto früher kann ich zerstören, was dieser Wichser zerstört hat.
Asa Jackson wird erst dann Vater, wenn er verdammt noch mal
beschließt, dass er Vater werden will. Und wenn es so weit ist, wird es ein
Kind sein, dass komplett unberührt und rein ist, nichts, was mit diesem
jämmerlichen Stück Scheiße in Berührung gekommen ist.
Das Monster, das jetzt in Sloan heranwächst, ist kein Kind der Liebe.
Selbst wenn es von mir ist, wurde es nicht in Unschuld gezeugt, weil seine
Mutter mich in der Nacht, in der es passiert ist, schon verraten hatte. Sie
hatte zugelassen, dass sich ein anderer Mann in ihr Leben schleicht, der den
Plan hatte, mich kaputtzumachen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich
meinen Schwanz niemals mehr in sie gesteckt. Ich hätte ihrer verlogenen
Existenz ein Ende gesetzt, bevor sie die Möglichkeit hatte, uns alle ins
Unglück zu reißen. Wenn ich geahnt hätte, was sie hinter meinem Rücken
treibt, hätte sie keinen Unterleib mehr gehabt, in dem Leben hätte entstehen
können.
Es ist höchste Zeit, dem Ganzen endlich ein Ende zu machen. Mein
Blick fällt auf den Laptop mit dem Bildschirmschoner – ein Screenshot von
dem Moment, in dem sie mit einem Lächeln die Hand auf ihren widerwärtig
angeschwollenen Bauch legt. Ich setze mich und suche auf meinem Handy
nach einem anderen Foto, das ich verwenden kann. Eins, das älter ist, aus
der Zeit, in der Sloan noch süß und unschuldig war. Nachdem ich es
hochgeladen habe, starre ich auf den Monitor und frage mich zum
millionsten Mal, wie sie das zulassen kann. Wie kann sie die Frechheit
haben, zu lächeln, obwohl sie noch nicht mal weiß, von dem das Baby in
ihrem Bauch ist?
Mein Blick fällt auf das Kruzifix, das neben mir auf dem Tisch liegt.
»Hey, Jesus am Stiel, hättest du Bock, morgen mit mir einen kleinen
Ausflug zu machen? Ich kenne da ein Mädchen, das ganz dringend für ein
paar Sünden büßen muss.«
Sloan

In den vergangenen zwei Wochen habe ich insgesamt siebenundzwanzig


Gerichte gekocht und fotografiert. Seit mir der Gedanke gekommen ist, ein
Kochbuch herauszubringen, denke ich an nichts anderes mehr – was
hundertprozentig auch damit zu tun hat, dass ich das Apartment nicht
verlassen kann, solange Asa nicht hinter Gittern ist.
Wobei es nicht ganz stimmt, dass ich an nichts anderes denke, weil ich
natürlich die ganze Zeit auch an das Kind denke, das in mir heranwächst.
Ich weiß nicht, wie ich das alles überstehen würde, wenn Luke nicht an
meiner Seite wäre. Er ist fast zu gut, um wahr zu sein. Dass Männer wie er
tatsächlich existieren, habe ich mir nie vorstellen können, weshalb es mir
extrem schwerfällt, mein Glück zu glauben. Ich habe ständig diesen
schrecklichen Gedanken, dass er womöglich nur deshalb in mein Leben
geschickt wurde, um mir wieder weggenommen zu werden. Diese
Vorstellung ist grauenhaft, weshalb ich versuche, sie zu verdrängen, aber
ich kann nichts dagegen tun, dass sie sich immer wieder in meinen Kopf
schleicht. Ich fürchte mich mehr davor, ihn zu verlieren, als vor meinem
eigenen Tod.
Es ist sein Baby. Das lässt er mich jeden Abend spüren, wenn er nach
Hause kommt, mich in die Arme nimmt und fragt, wie es »uns« geht. Ganz
egal, wer der biologische Vater ist – Luke liebt dieses Kind schon jetzt aus
tiefstem Herzen. Einfach nur, weil es in mir heranwächst. Das genügt ihm.
Und er strahlt dabei eine solche Gewissheit aus, dass mir das vielleicht auch
genügt. Wenn ich mit Luke zusammen bin, habe ich das Gefühl, ein
Mensch zu sein, der es wert ist, geliebt zu werden. Ich habe das Gefühl, all
das zu sein, was Asa mir genommen hat.
Luke hat mir nicht eine einzige Sekunde lang das Gefühl gegeben, dass
ich mich für irgendetwas schämen müsste. Und er sagt mir immer wieder,
wie glücklich er sich schätzt, mich kennengelernt zu haben, obwohl ich
genau weiß, dass es umgekehrt ist. Sobald er spürt, dass ich mir wegen dem
Baby oder dem bevorstehenden Prozess Sorgen mache, erinnert er mich an
all das Gute, das wir haben. Aber wenn er wie jetzt arbeiten muss und nicht
bei mir sein kann, ist die Beschäftigung mit meinem Kochbuch das Einzige,
was mich ablenkt.
Heute mache ich eine Lasagne. Die Gerichte, die ich koche, sind nicht
ausschließlich italienisch oder asiatisch inspiriert, sondern ein wildes
Durcheinander aus allem, was mir schmeckt. Auch Asas verdammte
Kokostorte bekommt ihren Platz. Mir gefällt der Gedanke, dass seine
Lieblingsgerichte in einem Buch vorgestellt werden, dessen Erlös zur Hälfte
an Frauen geht, die unter genau solchen Männern wie ihm gelitten haben.
Dadurch habe ich eine Möglichkeit gefunden, mich auf eine Art an ihm zu
rächen, die letztendlich etwas Positives bewirkt.
Neben der Kokostorte sind deswegen auch die Spaghetti mit
Hackbällchen in Tomatensoße und dieser bescheuerte Proteinshake drin,
den ich ihm manchmal mitten in der Nacht machen musste. Ich habe ihn so
oft gehasst, wenn ich am Herd stand und für ihn kochen musste, aber jetzt
kann ich das, was ich in der Zeit mit ihm gelernt habe, in etwas Gutes
verwandeln. Dieses Kochbuch ist für mich so etwas wie ein riesiger
ausgestreckter Mittelfinger. Fuck you, Asa Jackson.
Hey, gerade kommt mir eine Idee. Ich könnte am Rand der Seiten ein
kleines Daumenkino mit einem Hand-Emoji einbauen, das den Stinkefinger
zeigt, wenn man das Buch schnell durchblättert.
Nachdem ich die Bolognese und die Béchamelsoße gekocht und mit den
Nudelplatten in die Form geschichtet habe, mache ich ein paar Fotos und
stelle die Form anschließend in den vorgeheizten Ofen.
»Mhmm, das riecht aber verdammt lecker.«
Mir bleibt das Herz stehen.
Die Stimme klang, als wäre er direkt hinter mir.
Nein. Nein, nein, nein. Nein.
Das kann nicht sein. Die Tür ist verriegelt. Sämtliche Fenster sind von
innen verschlossen. Das ist ein Albtraum. Nur ein Albtraum. Ich träume.
Meine Knie geben unter mir nach und ich sinke langsam auf den
Küchenboden. Mir wird schwarz vor Augen, in meinen Ohren rauscht das
Blut. Nein. Bitte nicht, nein.
Ich kauere am Boden, zittere am ganzen Körper und presse die Hände
auf die Ohren. Wenn ich seine Stimme nicht höre, ist er nicht hier. Er ist
nicht hier, er ist nicht …
»Enttäusch mich nicht, Sloan.« Jetzt kommt er näher. »Ich hatte
eigentlich gehofft, dass du dich ein bisschen mehr freuen würdest, mich zu
sehen.«
Ich kneife die Augen zusammen und presse weiter die Hände auf die
Ohren, bekomme aber trotzdem mit, wie er sich neben mir auf die
Arbeitsplatte setzt. Als ich die Augen einen Spaltbreit öffne, sehe ich seine
Füße neben mir baumeln. Wo ist die Fußfessel? Genau darum geht es ihm.
Er will mir zeigen, dass er sie nicht trägt. Ich weiß leider zu genau, wie sein
irrer Geist arbeitet.
Aber wie kann das sein?
Wo liegt mein Handy?
Mir ist schlecht, und ich zwinge mich dazu, tief durchzuatmen, um nicht
vor Angst ohnmächtig zu werden.
»Heute gibt es also Lasagne, ja?« Asa legt etwas neben sich auf die
Theke. »Die hab ich ja nie so gemocht. Du hast die Soße immer mit viel zu
viel Tomate und zu wenig Hackfleisch gemacht.«
Tränen laufen mir übers Gesicht und aus meiner Kehle bricht ein
Schluchzen. Ich drehe mich um und krieche Richtung Tür, weil ich nicht
die Kraft habe, aufzustehen. Und so rutsche ich immer weiter von ihm weg,
obwohl ich weiß, dass es keinen Sinn hat. Wohin sollte ich fliehen?
»Wo willst du denn hin, Baby?«, fragt er ganz ruhig.
Ich versuche mich aufzurichten, aber im selben Moment springt er von
der Arbeitsplatte, macht einen Satz auf mich zu und schlingt von hinten die
Arme um mich. »Wir haben uns so lange nicht gesehen«, sagt er und hebt
mich mühelos hoch. »Lass uns ein bisschen plaudern.«
Ich will schreien, aber er presst sofort eine Hand auf meinen Mund. »Du
musst leise sein«, sagt er und trägt mich durchs Wohnzimmer ins
Schlafzimmer. Ich habe ihn noch kein einziges Mal angesehen.
Und das werde ich auch nicht. Ich weigere mich, ihn anzusehen.
Luke, bitte komm nach Hause. Luke. Komm nach Hause.
Asa wirft mich aufs Bett, worauf ich sofort zur anderen Seite krieche,
aber er packt mich an den Fußgelenken und zieht mich zu sich. Ich liege auf
dem Bauch, versuche ihn wegzutreten, greife nach der Decke, dem Kissen,
irgendetwas, woran ich mich festhalten kann, aber ich bin zu schwach, um
mich gegen ihn zu wehren. Wie in grausamer Zeitlupe erlebe ich, wie er
mich auf den Rücken wirft, sich auf mich setzt und meine Hände mit den
Knien in die Matratze drückt.
Das ist der Moment, in dem es mir klar wird.
Er weiß es.
Deswegen ist er hier.
Er dreht meinen Kopf so, dass ich nicht mehr anders kann, als ihn
anzusehen, und grinst auf mich herab.
»Hey, Süße«, sagt er. »Es ist unhöflich, jemanden nicht anzuschauen, der
versucht, ernsthaft mit einem zu reden.«
Er ist wahnsinnig. Und ich kann nichts tun, um mich zu schützen … um
mein Kind zu schützen.
Tränen schießen mir in die Augen und meine Kehle füllt sich mit
bitterem Gallegeschmack. Obwohl ich vor Panik außer mir bin, während
Asa mich mit seinem ganzen Gewicht aufs Bett drückt, bin ich gleichzeitig
erstaunlich klar. Ich frage mich, warum mir mein Leben plötzlich so
wertvoll erscheint. Warum mich der Gedanke zu sterben mit so viel Angst
erfüllt, obwohl es mir vor ein paar Monaten noch völlig egal gewesen wäre,
ob ich lebe oder nicht. Es gab Momente, in denen ich gebetet habe, Asa
würde mich endlich töten und von meinem erbärmlichen Leben erlösen.
Aber damals hatte ich nichts, wofür sich das Weiterleben gelohnt hätte.
Jetzt habe ich alles.
Alles.
Asa beugt sich dicht zu mir herunter, bringt seinen Mund an meine
Schläfe und leckt mir die Tränen von der Haut. Als er sich aufrichtet, ist
sein Lächeln erloschen.
»Ich hätte gedacht, sie würden anders schmecken«, sagt er leise.
Mein Puls geht so schnell, dass ich keine Intervalle spüre. Vielleicht hat
mein Herz aber auch ganz aufgehört zu schlagen. Ich schließe die Augen.
»Bringen wir es hinter uns, Asa«, schluchze ich. »Bitte.«
Der Druck auf mir lässt nach, als er ein Stück hinunterrutscht. Im
nächsten Moment zieht er mein Shirt hoch und legt eine Hand auf meinen
Bauch.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagt er. »Ist es meins?«
Ich behalte die Augen geschlossen und weigere mich zu antworten. Asa
reibt über meinen Bauch, dann beugt er sich zu meinem Ohr herunter. »Du
fragst dich bestimmt, wie zum Teufel ich es geschafft habe, hier
reinzukommen.«
Das habe ich mich vorhin gefragt, jetzt frage ich mich, wie ich es
schaffe, ihn wieder rauszubekommen.
»Du kannst dich doch sicher noch erinnern, wie dein lieber Freund Luke
heute Morgen den Mann vom Wartungsservice reingelassen hat, um den
Filter in der Klimaanlage zu wechseln?«
Der nette junge Typ, der …? Aber nein, das kann nicht sein. Luke hat
sich seinen Ausweis zeigen lassen und noch mal bei der Hausverwaltung
angerufen, um sich den Termin bestätigen zu lassen. Der Mann arbeitet
schon seit zwei Jahren für die Firma und ist angeblich absolut
vertrauenswürdig.
»Er hat mir einen kleinen Gefallen getan und den Riegel am
Wohnzimmerfenster umgelegt, als Luke ihm den Rücken zugedreht hat.
Willst du wissen, wie viel er dafür bekommen hat? Zweitausend. Fragen hat
er keine gestellt. Er wusste, dass du tagsüber alleine im Apartment bist, er
konnte sehen, dass du schwanger bist, und hat sich sicher denken können,
dass ich nichts Gutes vorhabe. Warum sollte ich ihm sonst so eine Menge
Geld dafür geben, ein Fenster aufzumachen? Aber das war ihm egal, Sloan.
Das war ihm vollkommen egal. Er wollte nur die Kohle.«
Mir ist schlecht.
So schlecht.
Die Menschheit ist schlecht.
Wenn der Mann gewusst hätte, wozu Asa in der Lage ist, hätte er sich
nie dazu bereit erklärt. Er hat ihn wahrscheinlich für einen einfachen
Einbrecher gehalten.
»Der kleine Aufpasser, den ihr vor dem Haus im Wagen Wache schieben
lasst, hat mich nicht gesehen, weil ich hintenrum reingekommen bin.
Schade, dass Luke anscheinend nicht der Meinung ist, dass du es wert bist,
mehrere Wachleute zu bezahlen. Denkt er wirklich, ich wäre dumm genug,
zum Haupteingang reinzuspazieren?«
Er redet immer weiter, und ich sehe, wie sich sein Mund öffnet und
schließt, aber ich höre nichts mehr – die Angst hat mich taub gemacht.
Sogar mein Körper ist taub. Ich spüre nicht mehr, dass Asa auf mir sitzt. Ich
spüre gar nichts mehr. Aber leider ist mein Bewusstsein hellwach, weshalb
ich trotzdem alles mitbekomme.
Ich bekomme mit, dass Asa mich auszieht. Ganz langsam, ein
Kleidungsstück nach dem anderen.
Ich bekomme mit, wie er sich über mich beugt, seinen Mund auf meinen
presst und mir die Zunge zwischen die Lippen schiebt.
Ich bekomme mit, dass er das alles auf dem Bett tut, das ich mit Luke
teile. In dem Apartment, in dem ich mich in Sicherheit gewähnt habe.
Ich bekomme alles mit.
Jetzt ist er in mir.
Ich fühle ihn nicht.
Ich sehe ihn nicht.
Aber ich weiß es.
Mir ist völlig bewusst, was gerade passiert.
Mir ist bewusst, dass das jetzt mein Tod ist. Dass das jetzt der Moment
ist, in dem mein lächerlicher Witz von Leben sein Ende findet. Es ist der
Moment, in dem das Leben meines Babys endet, weil ich es nicht
beschützen konnte.
Mein Gefühl hat mich nicht getrogen. Ich hatte Luke nicht verdient,
denn sonst würde das hier nicht passieren. Luke ist nur aus dem einen
Grund in mein Leben gekommen, damit dieser Moment jetzt noch
schmerzhafter wird, weil ich nicht nur mein Leben und mein Kind verlieren
werde, sondern auch ihn.
Ich weiß nicht, warum ich so gestraft werde … aber ich muss etwas ganz
Schreckliches getan haben in diesem Leben oder in einem vorherigen.
Das hier würde nicht passieren, wenn ich es nicht verdient hätte. Ganz
bestimmt nicht.
Ich ersticke an meinen Tränen. Ich ersticke an seiner Zunge.
Ich bin bei Bewusstsein, und das ist das Allerletzte, was ich jetzt sein
will.
Ich wünschte, ich wäre tot.
Asa

»Du fühlst dich anders an.«


Ich lasse mich keuchend auf sie fallen, um mich von dem zu erholen,
was zwischen uns passiert ist. Ich hatte das so nicht geplant, aber sie hat
nicht gesagt, dass sie es nicht will. Sie hat nicht den kleinsten Versuch
gemacht, sich zu wehren. Sie hat mich einfach machen lassen.
Aber früher hat es sich besser angefühlt. Als ich noch wusste, dass ich
der Einzige war, der jemals in ihr gewesen ist, war es schöner. Diesmal
habe ich bei jedem Stoß daran denken müssen, dass ich sie mit ihm teile.
Bei der Vorstellung, dass Luke genau weiß, wie es sich anfühlt, in ihr zu
sein, hatte ich gute Lust, meine Hände noch fester um ihren Hals zu legen
und alles Leben aus ihr herauszudrücken. Vielleicht hätte ich das ja sogar
gemacht, wenn sie sich gewehrt hätte, aber sie lag ganz still da und hat alles
geschehen lassen.
Ich hab ihr gefehlt, ganz klar. Jede andere Frau hätte mich weggestoßen
und mit Zähnen und Klauen gekämpft, aber Sloan weiß, zu wem sie gehört.
Zu mir. Sie weiß, dass sie immer dahin gehört, wo ich sie brauche.
Jetzt lege ich mich neben sie, stütze mich auf den Ellbogen und sehe sie
an. Sie hat die Augen immer noch zu und zittert. Schwer zu sagen, ob das
daran liegt, dass ich sie zum Orgasmus gebracht habe, oder ob sie Angst
hat. Wahrscheinlich beides.
Es kotzt mich an, dass sie immer noch genauso schön ist wie zu der Zeit,
als sie noch unschuldig war. Dieselben glänzenden dunklen Haare, die so
lang sind, dass sie ihre Brüste bedecken. Dieselben süßen weichen Lippen,
die früher nur mir gehört haben. Ich streiche über ihren sanft gewölbten
Bauch und lege meine Hand zwischen ihre Schenkel. Ich muss seufzen,
wenn ich sie ansehe. Ich vermisse sie so. Es kotzt mich an, aber ich
vermisse sie.
»Schau mich an, Sloan.«
Sie schluchzt auf.
»Du sollst mich anschauen, Sloan.«
Sie tut es widerstrebend. Sie öffnet ihre Augen, die voller Tränen sind,
und dreht den Kopf, sodass wir Blickkontakt haben.
»Du fehlst mir, Baby«, sage ich und reibe währenddessen meine Hand
zwischen ihren Beinen, um sie daran zu erinnern, wie gut sie es bei mir
immer gehabt hat. Wenn sie sich daran erinnert, was für ein tolles Paar wir
waren, können wir vielleicht eines Tages wieder den Urzustand erreichen.
»Ich vermisse es, mich nachts an dich anzuschmiegen. Weißt du, wie
verdammt einsam es zu Hause ist, seit du nicht mehr da bist? Es ist
schrecklich, Sloan. Das halte ich nicht aus.«
Sie schließt die Augen. Ich muss lächeln, weil ich weiß, wie schwer es
für sie ist, sie offen zu halten, wenn ich sie so verwöhne. Ich liebe es,
zuzusehen, wie ihre Erregung wächst, bis sie den Kopf ins Kissen presst
und meinen Namen schreit. Jetzt lasse ich den Zeigefinger in sie
hineingleiten, und genau wie ich gehofft hatte, kneift sie die Augen noch
mehr zusammen.
Ich beuge mich vor und küsse sie sanft auf die Lippen. »Ich dachte, ich
wäre über dich hinweg«, sage ich und denke an meine Zerstörungstour mit
Jesus am Stiel gestern. »Ich habe dich gehasst, Sloan. Aber mir ist klar
geworden, dass ich dich nicht hassen will, Baby.«
Sie schnappt nach Luft. Ihr Mund ist so nah an meinem, dass sie etwas
von meinem Atem stiehlt. Ich gebe ihr mehr von mir, presse meine Lippen
auf ihre und fülle ihre Mundhöhle mit meiner Zunge. Genau wie vorhin, als
ich in ihr war, bleibt sie ganz ruhig und erwidert meinen Kuss nicht.
»Bitte, Sloan«, flüstere ich und lasse meine Lippen über ihre gleiten.
»Bitte, Baby. Ich muss deinen Kuss spüren. Ich muss wissen, dass ich dir
noch was bedeute.«
Ich bleibe geduldig und streichle und beobachte sie. Endlich öffnet sie
die Augen. Eine große Träne, größer als die anderen vorher, rollt aus ihrem
Auge. Und dann erinnert sie sich, hebt den Kopf und öffnet die Lippen für
mich.
Oh ja. Sie erinnert sich, wie viel ich für sie getan habe. Sie erinnert sich,
wie sehr ich sie geliebt habe. Wie heftig ich sie geliebt habe. Und in dem
Moment, in dem ihre Zunge meine berührt, würde ich am liebsten weinen.
Meine Brust füllt sich mit Feuer, und ich habe Angst zu explodieren, wenn
ich nicht sofort wieder in ihr sein kann.
»Ich hab dich so vermisst, Baby«, sage ich. Aber mehr kann ich nicht
sagen, weil sie mich so küsst, wie sie mich früher immer geküsst hat, bevor
sie verdorben wurde. Sie küsst mich so, wie sie mich an unserem allerersten
Abend in der Gasse geküsst hat, als mein Mund der erste war, der ihre
Lippen je berührt hat.
Und jetzt endlich bewegt sie sich auch. Sie hebt die Arme, schlingt sie
um meinen Nacken, ihre Finger gleiten durch meine Haare und … Scheiße,
tut das gut. Ich merke erst jetzt, wie sehr ich mich wirklich nach ihr gesehnt
habe. Natürlich war es ein Risiko, die Fußfessel abzumachen und
hierherzukommen, aber das war es wert. Absolut. Ja, es stimmt, dass ich
eigentlich was anderes vorhatte, aber das war, bevor ich sie wiedergesehen
habe. Als ich noch zu wütend war, um klar zu denken. Der Hass auf Luke
nimmt so viel Raum in mir ein, dass ich ihn mit dem verwechselt habe, was
ich für Sloan empfinde. Mein Hass auf Luke hat mich glauben lassen, sie
wäre böse, aber das ist sie nicht.
Sie ist ein Opfer.
Sie ist schlicht und einfach Lukes Opfer, und das Einzige, was sie
gebraucht hat, um wieder klar sehen zu können, war eine Erinnerung daran,
wie es sich in meinen Armen anfühlt. Sie musste mich in sich spüren, um
zu begreifen, dass man ihr das Gehirn gewaschen hat, damit sie mich
vergisst.
Aber sie hat mich nicht vergessen.
Sie erinnert sich.
»Asa«, flüstert sie, und ihre Stimme ist voller Sehnsucht. »Asa, es tut
mir so leid.«
Ich bin so gerührt, dass mir der Atem stockt. Es tut so unendlich gut, das
zu hören.
»Baby.« Ich streiche ihr eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht. »Du
musst dich nicht entschuldigen. Es ist okay. Wir werden darüber
hinwegkommen. Er hat dich dazu gebracht, mich zu hassen, und einen
Moment lang hat er es sogar geschafft, dass ich dich gehasst habe. Aber wir
hassen uns nicht, Sloan. Du hasst mich nicht, Sloan.«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, Asa. Ich hasse dich nicht.«
Ich höre das Bedauern in ihren Worten und sehe die Reue in ihren Augen
und in den Tränen, die ihr immer noch über das Gesicht laufen.
»Ich liebe dich«, sagt sie, und jedes dieser drei kleinen Wörter zerreißt
mir das Herz. »Alles, was passiert ist, tut mir so unfassbar leid. Du hast mir
so gefehlt.«
Ich küsse sie, und dann gleite ich wieder auf sie, weil sie mich mit
diesen drei Wörtern so scharf gemacht hat, dass ich nicht mehr denken
kann. Sie keucht auf, als ich in sie eindringe, aber diesmal mache ich
langsam. Nicht so, wie ich es vor ein paar Minuten getan habe, als ich
dachte, ich würde sie hassen.
Diesmal küsse ich sie und ich bin zärtlich mit ihr, weil sie so viel
durchgemacht hat. Ich drücke mit meinem Körper all die Liebe aus, die ich
für sie empfinde. Sie ist das einzig Gute, was mir je passiert ist, und das
hatte ich fast vergessen. »Ich habe mich geirrt, Baby«, sage ich. »Es fühlt
sich gar nicht anders an. Es fühlt sich ganz genau so an, wie es sich immer
angefühlt hat. Perfekt.«
Sloan lächelt, auch wenn es etwas verzerrt aussieht, weil das, was ich sie
spüren lassen, so verdammt intensiv ist. Es ist unglaublich schön, wieder
mit ihr vereinigt zu sein, zu spüren, wie ihre Hände über meinen Rücken
streichen, wie ihre Beine meine Hüften umschlingen und mich an sich
ziehen, weil sie mich noch tiefer in sich spüren will. Das ist das intensivste
Gefühl, das ich je erlebt habe. Ich würde fast sagen, dafür hat sich das
Leiden der letzten Monate gelohnt.
Das ist das Paradies auf Erden. Das ist Gottes Geschenk an mich, um
alles wiedergutzumachen.
»Ich vergebe dir«, flüstere ich und bin mir nicht sicher, ob ich damit
Sloan meine oder Gott. Vielleicht beide. Ich bin sogar fast so weit, mir zu
überlegen, ob ich Luke nicht auch gleich vergeben soll.
Okay, das tue ich nicht natürlich nicht. Diesem Riesenarschloch werde
ich niemals vergeben. Aber um ihn kümmere ich mich später. Im Moment
bin ich zu sehr damit beschäftigt, die Liebe meines Lebens zu spüren und
mich an jeden Zentimeter ihres Körpers zu erinnern und an jeden
Zentimeter in ihrem Körper.
Ich gebe mir Mühe, es hinauszuzögern und sie so zu lieben, wie sie es
verdient hat, aber ich habe den Sex mit ihr so sehr vermisst, dass ich mich
beim zweiten Mal nicht zurückhalten kann. Ich drücke mein Gesicht an
ihren Hals und warte auf ihr leises Wimmern. Sie wimmert immer, wenn
ich in ihr komme.
Sobald ich den Laut höre, nach dem ich mich so gesehnt habe, kann ich
es nicht mehr zurückhalten.
»Fuck!«, bricht es aus mir heraus, während ich tief in sie hineinstoße.
Einmal und dann gleich noch einmal. »Verdammt, ich liebe dich so, Sloan!
Scheiße, ich liebe dich wirklich.«
Es sind die besten dreißig Sekunden meines Lebens.
Sie hält mich immer noch umarmt, als ich fertig bin, und liegt zitternd
unter mir. Ich liebe es, wie ich ihren ganzen Körper mit meinen Stößen zum
Beben bringen kann. Ich liebe es einfach. Ich liebe sie.
»Verlass mich nie mehr, Sloan«, sage ich leise, bevor ich mich von ihr
herunterrolle und sie an mich ziehe. Ich kann das Gefühl in mir nicht
beschreiben. Auch wenn ich vorher immer geglaubt habe, ich würde sie
lieben, war das nichts verglichen mit der grenzenlosen Zärtlichkeit, die jetzt
für sie durch meine Adern pulsiert. Mein Herz schlägt für sie. Sie ist der
einzige Grund, warum mein Herz überhaupt schlägt, und ich bin mir nicht
sicher, ob mir das jemals so bewusst war wie jetzt in diesem Moment. »Du
darfst mich, verdammt noch mal, nie mehr verlassen, Sloan. Wenn du dein
Versprechen noch mal brichst, weiß ich nicht, ob ich dir das verzeihen
kann.«
Vielleicht fühlt es sich deswegen so anders an, weil ich mehr liebe als
nur Sloan. Ich liebe das, was in ihr wächst. Das Gefühl, das ich eben
gespürt habe, als ich in ihr war, war mehr, als ich jemals für möglich
gehalten hätte, und gerade wird mir klar, dass das daran liegt, dass es mehr
zu lieben gibt als früher. Da ist die Frau meines Lebens, und dann ist da
noch dieses winzig kleine Stück Himmel, das wir gemeinsam erschaffen
haben und das jetzt in ihr wächst. Scheiß auf Luke, der hat mit diesem
Glück nichts zu tun. Dieser Bastard wäre niemals fähig, ein Wesen zu
erschaffen, das am verdammten Weihnachtstag zur Welt kommt.
Ich weiß, dass ich das Baby zusammen mit Sloan gezeugt habe, weil ich
nicht fühlen würde, was ich fühle, wenn es Lukes Balg wäre. Dieses Gefühl
ist eine direkte Botschaft von Gott, der mich wissen lässt, dass ein Teil von
mir in Sloan ist und ich alles tun muss, um die beiden vor Luke zu
beschützen.
Ich rutsche an Sloan herunter und schmiege meine Wange an ihren
Bauch. Ich lege die Hand flach darauf, und obwohl ich die Augen schließe,
quellen Tränen unter meinen Lidern hervor. Scheiße, was soll das? Ich kann
nicht glauben, dass ich heulen muss. Macht die Erkenntnis, dass man Vater
wird, Männer automatisch zu Memmen?
Ich schlinge die Arme um Sloans Bauch und küsse mein Baby. Ich kann
gar nicht mehr damit aufhören. Ihr Bauch ist so wunderschön, und ich weiß,
dass das Leben, das wir gemeinsam erschaffen haben, genauso
wunderschön wird. So schön wie meine Sloan. Sie streichelt mir durch die
Haare, und dann flüstert sie etwas, das mir direkt in die Seele fährt und sich
dort eingräbt. Für immer.
»Du wirst Vater, Asa.«
Ich lache und weine gleichzeitig und im nächsten Moment rutsche ich
wieder höher und küsse sie. Ich kann gar nicht genug von ihr bekommen.
»Du bist so schön, Baby. Du bist so unglaublich schön. Wenn ich gewusst
hätte, dass du so verdammt schön bist, wenn du schwanger bist, hätte ich
die Nummer mit der Placebo-Pille schon viel früher gebracht.«
Sie zuckt kurz unter mir zusammen und das bringt mich zum Lachen.
Ich stütze mich auf die Ellbogen und sehe auf sie herunter, aber sie lacht
nicht.
»Was hast du gerade gesagt?«, fragt sie und ihre Stimme zittert. Sie ist
so verdammt süß.
Ich lache und küsse sie. »Sag jetzt nicht, dass du deswegen sauer auf
mich bist, Sloan.« Ich lege meine Hand wieder auf ihren Bauch. »Ich hab
das für uns getan. Damit du ganz bestimmt bei mir bleibst.« Sie ist so
gerührt, dass ihr die Tränen übers Gesicht laufen. Aber ich muss auch
weinen. »Schau uns an, Sloan. Wir sind durch die verdammte Hölle
gegangen, aber jetzt ist alles wieder gut.« Ich lasse mich auf sie sinken und
küsse sie zärtlich und verheißungsvoll. »Jetzt wirst du mich bestimmt nie
mehr verlassen, Baby. Nicht solange du mein Kind in dir trägst, stimmt’s?«
Sie schüttelt den Kopf. »Niemals. Ich verspreche es dir, Asa. Ich liebe
dich und werde dich nicht verlassen.«
Ich bin selbst überrascht über mich, aber als sie das sagt, werde ich
wieder hart. Weil ich schon zwischen ihren Beinen liege, muss ich mich
kaum bewegen, um wieder in sie zu gleiten. Ich schließe die Augen, küsse
die Tränen von ihren Wangen und bewege mich ganz langsam in ihr und
versuche, all die Nächte aufzuholen, die wir getrennt waren. Ich spüre, wie
mir der Schweiß von der Stirn tropft. Ich spüre, wie mein Herz gegen die
Rippen hämmert. Bei unserem dritten Mal treibe ich meinen Körper bis zur
völligen Erschöpfung, aber ich weiß, ich habe die Kraft in mir, sie für alle
Zeit zu lieben. Und das werde ich auch.
Bis in die verfickte Ewigkeit.
Sloan

Es gab da diesen einen Moment.


Nur einen Sekundenbruchteil, fast zu schnell wieder vorbei, um ihn
überhaupt zu bemerken und zu reagieren. Es war, als Asa sich das erste Mal
aus mir zurückgezogen und mich angesehen und gefleht hat, dass ich ihn
küssen soll. Der Moment meiner allergrößten Verzweiflung. Den ich in
einen Vorteil verwandelt habe.
Ich weiß genau, wenn ich mich jetzt gegen ihn wehre, werde ich auf
jeden Fall verlieren. »Kämpfe!«, brüllt meine innere Stimme mir zu. Sie
brüllt es schon die ganze Zeit, seit Asa ins Apartment gekommen ist. Ich
weiß nicht, wie lang das her ist. Eine Stunde? Es fühlt sich an, als wäre er
schon eine Ewigkeit hier. Ich spüre, wie sich meine Seele quält, wie sie
mich anfleht, sie aus dieser verdammten Hülle zu befreien, in der sie seit
dem Tag meiner Geburt eingesperrt ist.
Aber das ist der Augenblick, in dem meine Seele und der Rest von mir
endlich eins werden müssen. Das ist der Augenblick, in dem mein Körper
sich mit mir zusammentun muss, um meine Angst zurückzudrängen und das
Kind zu schützen, das in mir wächst. Damit wir beide überleben können.
Und mir fällt nur ein Weg ein, wie ich das erreichen kann: indem ich
meinen Körper Asa opfere.
Mehr tue ich nicht. Es ist schließlich nur ein Körper. Meine Seele ergibt
sich nicht. Sie ist stark und kämpft auf die einzig mögliche Art. Mein
Körper ist das Einzige, was für kurze Zeit nachgeben muss … nur lang
genug, um mich und das Kind zu retten.
Ich sage ihm, was er hören will. Ich berühre ihn so, wie er berührt
werden will. Ich gebe die Laute von mir, die ich mir für ihn angewöhnt
habe. Ich spreche die Lügen aus, die ich mir selbst zu sagen anerzogen
habe.
Ich habe so lange Zeit so getan, als würde ich ihn noch lieben. Was
kostet mich da ein weiterer Tag?
Und dann endlich … nachdem er fertig ist … spüre ich sie. Diese ganz
besondere innere Ruhe, die mich wissen lässt, dass meine Seele, mein
Körper, mein Verstand und meine Willenskraft sich zusammengetan haben.
Wir werden Asa mit der einzigen Waffe bekämpfen, die stärker ist als er.
Wir werden ihn mit Liebe bekämpfen.
Er wälzt sich keuchend von mir und zieht mich so an sich, dass ich ihn
ansehen muss. Lächelnd lege ich eine Hand an seine Wange.
»Und was jetzt?«, frage ich und streiche ihm mit Fingern, die ich
irgendwie davon überzeugt habe, nicht zu zittern, übers Gesicht. »Wie
kommen wir jetzt aus der Sache wieder raus, Asa? Ich würde es nicht
aushalten, dich noch mal zu verlieren.«
Er greift nach meiner Hand und küsst sie. »Wir ziehen uns an und
spazieren zur Haustür hinaus, Sloan. Ganz einfach. Und dann fahren wir
irgendwohin … egal, wohin. Hauptsache weit weg von hier.«
Ich nicke und nehme alles in mich auf.
Asa ist emotional unglaublich beschränkt, aber gleichzeitig ist er auch
einer der intelligentesten Menschen, die ich kenne. Seit ich verstanden
habe, wie er funktioniert, musste ich immer versuchen, ihm einen Schritt
voraus zu sein. Das ist jetzt nicht anders. Er testet mich. Ich analysiere seine
Worte und drehe und wende sie in meinem Kopf.
Er weiß, dass er nicht zur Haustür hinausspazieren kann. Er weiß genau,
dass wir beobachtet werden. Deswegen ist er durchs Fenster gekommen.
Ich schüttle den Kopf. »Du kannst nicht zur Tür raus, Asa«, sage ich und
hoffe, dass meine Stimme sich anhört, als würde ich mir ehrlich Sorgen um
ihn machen. »Wenn der Typ, den Luke zur Beobachtung angeheuert hat,
uns sieht, ruft er ihn sofort an.«
Asa grinst.
Ich wusste es. Es war ein Test.
Er beugt sich vor und küsst mich. »Dann verschwinden wir durchs
Fenster.«
»Ich muss erst packen.« Ich will aufstehen, aber er zieht mich mit festem
Griff wieder aufs Bett.
»Ich packe für dich«, sagt er. »Du bleibst hier liegen und rührst dich
nicht.«
Er steht auf und schaut sich im Zimmer um. Mir entgeht nicht, wie die
Adern in seinem Hals anschwellen, als er Lukes Sachen sieht. Ich versuche
ihn abzulenken, weil ich weiß, dass seine Wut meinen Plan zunichtemachen
kann.
»Oben im Fach liegt eine Reisetasche«, sage ich und zeige auf den
Wandschrank. Asa blickt zwischen mir und dem Wohnzimmer hin und her,
dann geht er zum Schrank, schlägt auf dem Weg dorthin aber die
Schlafzimmertür zu. Das ist seine Art, mir zu verstehen zu geben, dass ich
an Flucht gar nicht erst denken soll.
Spiele ich nicht überzeugend genug? Ich lege mich ins Kissen zurück,
um nicht so zu wirken, als wollte ich gleich aufspringen.
Asa kommt mit der Reisetasche zurück und lächelt, als er mich
entspannt auf dem Bett liegen sieht. Jetzt lässt er den Schutzschild runter.
»Du bist so verflucht schön, Sloan«, sagt er und stellt die Tasche aufs
Bett. »Also. Was soll ich einpacken?« Er dreht sich um, und sein Blick fällt
auf die Kommode, wo ein Selfie von Luke und mir steht. Ich habe es vor
einer Woche ausgedruckt und online einen Rahmen dafür bestellt. Ich sehe,
wie Asa schluckt. »Bin gleich wieder da.« Er geht zur Tür.
»Wo willst du hin?«, frage ich und setze mich auf. Er öffnet die Tür und
geht ins Wohnzimmer.
»Ich hab meinen Jesus am Stiel in der Küche vergessen.«
Was zum …?
Bevor ich anfangen kann zu begreifen, was er gesagt hat, ist er auch
schon wieder zurück und hält etwas in der Hand.
»Ist das … ein Kruzifix?«
Er nickt lächelnd, hebt das Holzkreuz mit beiden Händen über den Kopf
und schlägt mit voller Wucht auf das gerahmte Bild ein. Ich zucke
zusammen, während er darauf einschlägt, bis nur noch Scherben und
Papierfetzen übrig sind.
Obwohl ich vor Angst wie erstarrt bin, zwinge ich mich zu lachen. Ich
weiß nicht, wie ich das schaffe. Alles in mir möchte schreien und nach
Hilfe rufen, aber ich weiß, dass ich das auf keinen Fall tun darf. Ich spiele
eine Rolle und muss lachen, um Asa glauben zu lassen, dass mir das Bild
nichts bedeutet.
Asa sieht mich an und grinst von einem Ohr zum anderen, als wären wir
Komplizen. Ich zeige auf den Nachttisch. »Da steht noch eins.«
Das Kruzifix wie einen Baseballschläger schwingend, läuft Asa durch
den Raum und schlägt den Rahmen mit einem Hieb gegen die Wand, wo er
klirrend zerbricht. Sein Gesicht ist hassverzerrt.
Die ganze Zeit habe ich für ein Wunder gebetet, das Luke früher nach
Hause schicken würde, aber jetzt bete ich darum, dass er es nicht tut. Weil
ich nicht glaube, dass irgendjemand im Moment eine Chance gegen Asas
entfesselten Zorn hätte. Er macht auf mich den Eindruck, als wäre er
komplett wahnsinnig geworden. Völlig ohne Gespür für irgendetwas
außerhalb seiner Wahrnehmung. Er ist krank. Er ist gefährlich. Und ich
habe im Moment nur den einen Wunsch: zusammen mit ihm aus diesem
Apartment verschwunden zu sein, bevor Luke zurückkommt.
Asa sieht sich im Raum um. Als er nichts anderes entdeckt, das er
zerstören könnte, wirft er das Kruzifix aufs Bett. »Wann kommt er nach
Hause?«
Das ist ein weiterer Test.
Ich könnte lügen und behaupten, ich würde ihn jede Minute
zurückerwarten, aber wenn Asa unsere Adresse herausbekommen hat, dann
weiß er auch alles andere über uns. Er weiß, dass Luke jeden Abend um
sechs kommt.
»Um sechs«, sage ich.
Er nickt, zieht sein Handy aus der Tasche und wirft einen Blick darauf.
»Dann müssen wir noch ganz schön lange warten«, sagt er. »Wie sollen wir
uns in den nächsten Stunden die Zeit vertreiben, worauf hast du Lust?«
Moment mal … was?
»Wir warten auf ihn?«
Er lässt sich neben mich aufs Bett fallen. »Natürlich warten wir auf ihn,
Sloan. Denkst du, ich würde den ganzen weiten Weg hierherkommen, um
mein Mädchen zurückzuholen, ohne mich an dem Bastard zu rächen, der sie
mir weggenommen hat?«
Das sagt er ganz ruhig und lächelt dabei.
Wieder schlucke ich meine Angst herunter. »Wir könnten die Lasagne
essen. Wenn ich sie nicht bald aus dem Ofen hole, ist sie sowieso nicht
mehr zu gebrauchen.«
Asa beugt sich über mich und drückt mir einen schmatzenden Kuss auf
die Lippen. »Geniale Idee, Baby!« Er rutscht vom Bett und zieht mich auf
die Füße. »Mein Magen hängt mir bis zu den Kniekehlen. Zieh dir ruhig
wieder was an.«
Er lässt meine Hand los und geht ins Badezimmer. Die Tür lässt er offen,
um mich im Auge zu behalten, während er pinkelt. Ich ziehe mich wieder
an und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr meine Hände
zittern. Asa drückt auf die Spülung, geht durchs Zimmer und öffnet die Tür.
»Das vorhin war übrigens nicht mein Ernst«, sagt er. »Ich mag deine
Lasagne sehr. Das hab ich nur gesagt, weil ich so wütend auf dich war.«
Ich gehe zu ihm und stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihn auf die
Wange zu küssen. »Das weiß ich doch, Baby. Wir alle sagen Dinge, die wir
nicht so meinen, wenn wir wütend sind.«
Die Lasagne war zwar viel länger im Ofen als vorgesehen, aber zum
Glück riecht es nicht so, als wäre sie angebrannt. Trotzdem ist sie jetzt
bestimmt zu dunkel, um ein schönes Foto davon zu machen.
Ich muss fast über mich selbst lachen.
Mein Leben ist in Gefahr und ich denke an mein Kochbuch?
Asa bleibt die ganze Zeit über dicht hinter mir, als ich zur Küchenzeile
gehe. Womöglich traut er mir doch nicht ganz über den Weg. Das ist auch
durchaus berechtigt, denn wenn ich könnte, würde ich sofort nach einem
Messer greifen und es ihm ins Herz rammen. Stattdessen greife ich nach der
leeren Nudelpackung und bücke mich, um sie in den Müll zu werfen. Als
ich den Deckel hebe, halte ich einen Moment inne. Es ist keine Mülltüte im
Eimer.
Das liegt daran, dass er vorhin voll war und ich die Tüte
herausgenommen und zugebunden danebengestellt habe.
Mein Puls beginnt zu rasen. Ich atme tief durch und richte mich langsam
wieder auf.
Ich habe den Müll vergessen!
Beruhige dich, rede ich mir selbst gut zu. Ich nehme den Topflappen von
der Arbeitsfläche, gehe zum Ofen und hole die Lasagne heraus. Asa greift
über meine Schulter in den Schrank nach zwei Tellern. Er küsst mich auf
den Nacken, dann nimmt er einen Spatel und zerteilt die Lasagne.
Wahrscheinlich ist es ihm zu gefährlich, dafür ein Messer zu benutzen.
Während er beschäftigt ist, werfe ich noch einmal einen Blick auf die volle
Tüte neben dem Eimer.
Ich habe den Müll nicht rausgebracht.
Luke

Ich schaue noch mal auf mein Handy.


»Du hörst mir nicht zu«, stellt Ryan fest.
»Doch, doch.« Ich lege das Handy vor mich auf den Tisch und sehe ihn
an, als hätte ich zugehört, dabei war ich mit meinen Gedanken tatsächlich
ganz weit weg.
»Was zum Teufel ist los, Luke?« Er schnippt mit den Fingern vor
meinem Gesicht herum. »Was hast du?«
Ich schüttle den Kopf. »Nichts, es ist nur …« Ich zögere, es laut
auszusprechen, weil es sich total idiotisch anhört. Die kleinen Codes, die
Sloan und ich uns ausgedacht haben, um uns gegenseitig zu versichern, dass
alles okay ist, sind – selbst für meine Verhältnisse – lachhaft.
»Es ist fünf nach.«
Ryan lehnt sich zurück und trinkt einen Schluck von seiner Cola. Wir
sitzen ein paar Straßen von meinem Apartment entfernt in einer Pizzeria
und sprechen über das, worüber wir jedes Mal sprechen, wenn wir uns
treffen: Asa Jackson. Bis zum Prozess müssen wir noch sechs Wochen
überstehen, und ich will verdammt sein, wenn wir nicht alles tun, um
sicherzustellen, dass er ein für alle Mal weggesperrt wird. Je länger die
Haftstrafe ist, desto besser für Sloan.
»Fünf nach was?«, fragt Ryan.
»Zwölf. Jetzt sind es schon sechs Minuten.« Ich greife wieder nach
meinem Handy. Das Display zeigt 12:06 an, aber Sloan hat den Müll noch
nicht rausgebracht.
Ryan beugt sich vor. »Weißt du was? Langsam nervt es. Kannst du dich
vielleicht mal etwas deutlicher ausdrücken?«
»Der Typ, der das Haus tagsüber beobachtet – Thomas –, schickt mir
immer um zwölf eine Nachricht und meldet, dass Sloan den Müll
rausgebracht hat. Sie stellt den Sack jeden Tag um Punkt zwölf vor die Tür,
damit ich weiß, dass alles in Ordnung ist.«
Statt mich weiter verrückt zu machen, greife ich nach dem Telefon und
schreibe Thomas selbst.
»Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht, oder?« Ryan schüttelt
den Kopf. »Schon mal daran gedacht, sie einfach anzurufen?«
»Das ist eine Extrasicherung. Falls Asa irgendjemanden geschickt hat,
der es in die Wohnung geschafft hat, könnte derjenige sie zwingen, ans
Telefon zu gehen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung.«
Ryan sieht mich einen Moment stumm an, während ich meine Nachricht
an Thomas wegschicke. Wahrscheinlich hält er mich für paranoid, und das
kann ich ihm nicht einmal verdenken, aber Asa ist nun mal ein verdammter
Psychopath und völlig unberechenbar. Ich traue ihm alles zu.
Ryan lacht. »Das ist zwar schräg, aber auch ziemlich genial.«
»Ich weiß«, sage ich und beschließe, Sloan doch anzurufen. »Es war ja
auch ihre Idee. Bis jetzt war sie immer auf die Sekunde pünktlich. Jeden
Tag um zwölf, wie ein Uhrwerk.« Ich drücke mir das Handy ans Ohr,
während es klingelt.
Ich warte.
Und warte.
Sie geht nicht ans Telefon. In der Sekunde, in der die Mailbox anspringt,
kommt eine Nachricht meines Beobachtungspostens rein.

Thomas: Kein Müll bis jetzt.

Mir bleibt einen Moment lang das Herz stehen. Ryan sieht die Nachricht
und springt im selben Moment auf wie ich. »Ich rufe Verstärkung«, sagt er
und wirft ein paar Dollarscheine für unser Essen auf den Tisch. Ich
antworte nicht mehr, weil ich bereits zur Tür raus bin. Eine halbe Minute
später sitze ich auch schon im Auto und versuche mich fluchend durch den
Verkehr zu schlängeln, wo immer ich eine Lücke entdecke.
Vier Minuten.
Vier quälende Minuten.
So lange brauche ich normalerweise, um von dieser Kreuzung zu
unserem Apartmentblock zu kommen.
Ich greife nach dem Handy und wähle eine Nummer.
»Ja?«, meldet sich Thomas.
»Hat sie den Müll mittlerweile rausgestellt?« Ich versuche, ruhig zu
bleiben, schaffe es aber nicht.
»Nein.«
Ich schlage mit der Faust aufs Lenkrad. »Ist irgendjemand an der Tür
gewesen?«, brülle ich.
»Nein. Seit Sie heute Morgen rausgekommen sind, war niemand da.«
»Gehen Sie ums Haus herum zur Rückseite.« Meine Stimme überschlägt
sich. »Überprüfen Sie die Fenster.«
Am anderen Ende bleibt es still.
»Worauf warten Sie. Los. Ich bleibe solange dran.«
Er räuspert sich. »Sie haben mich nur zur Beobachtung des Hauses
eingestellt. Ich habe nicht mal eine Waffe. Wenn Sie solche Panik
verbreiten, gehe ich garantiert nicht unbewaffnet ums Haus rum.«
»Wollen Sie mich VERARSCHEN?«, brülle ich.
Jetzt ist die Leitung tot.
»Verdammter Loser!«
Ich trete aufs Gas und fahre über eine rote Ampel. Nur noch zwei
Blocks. Ich habe die Kreuzung fast überquert, da passiert es.
Der Aufprall ist so heftig, dass es meinen ganzen Körper durchschüttelt.
Ich habe den Achtzehntonner aus dem Augenwinkel gesehen, in meiner
Hektik aber nicht reagiert. Mein Airbag explodiert, der Wagen dreht sich.
Mir ist bewusst, dass das alles schneller passiert, als es ein Augenzeuge
überhaupt wahrnehmen kann, mir kommt es trotzdem vor wie in Zeitlupe.
Der Wagen dreht sich und dreht sich.
Ich spüre Blut, das mir aus einer Stirnwunde ins Auge sickert. Ich höre
lautes Hupen und Leute, die schreien. Als ich meinen Sicherheitsgurt öffnen
will, stelle ich fest, dass ich meinen rechten Arm nicht bewegen kann.
Es gelingt mir, den Gurt mit der linken Hand zu lösen. Ich werfe mich
mit der Schulter gegen die Fahrertür und steige aus, wische mir das Blut
von der Stirn und sehe mich um.
»Sir!«, ruft ein Mann hinter mir. »Sir! Sie sollten im Wagen sitzen
bleiben.«
Jemand packt mich an den Schultern und will mich festhalten.
»Loslassen!«, brülle ich und versuche mich darauf zu konzentrieren, in
welche Richtung ich laufen muss. Als ich den Supermarkt rechts neben mir
erkenne, drehe ich mich nach links und dränge mich durch die Menge der
Schaulustigen, die sich um meinen Wagen gebildet hat. Die Leute
versuchen mich aufzuhalten, aber ich bin viel zu schnell.
Nur zwei verdammte Blocks.
Das kann ich in einer Minute schaffen.
Während ich auf den Apartmentkomplex zulaufe, überlege ich mir,
welche Gründe es geben könnte, warum sie auf meinen Anruf nicht reagiert
hat. Ich bete, dass ich mich mit meiner schlimmsten Befürchtung irre, dass
ich überreagiere – aber ich kenne Sloan. Irgendetwas muss passiert sein,
sonst wäre sie ans Telefon gegangen.
Sie hätte den Müllsack rausgestellt.
Irgendetwas ist passiert.
Als ich die Wohnanlage endlich erreiche, sehe ich, wie Thomas aus dem
Wagen springt und die Hände hebt. »Ich wollte gerade versuchen,
reinzukommen und nach hinten zu gehen.« Er weicht zurück, als ich auf ihn
zulaufe. Obwohl ich größte Lust hätte, ihm eine reinzuschlagen, zeige ich
ihm dann doch nur den Finger. »Arschloch!«, rufe ich über die Schulter,
während ich auf das Gebäude zusprinte.
In dem Moment realisiere ich, dass ich vor dem verschlossenen Tor
stehe, weil meine Fernbedienung im Wagen liegt. »Fuck!« Ich gehe
mehrere Schritte rückwärts, dann hechte ich auf das Tor zu, springe, ziehe
mich mit dem unverletzten Arm an der Kante hoch und klettere darüber. Als
ich mich auf der anderen Seite fallen lasse, lande ich nicht auf den Füßen,
sondern auf der rechten Schulter. Der Schmerz, der mich durchzuckt, lässt
mich fast ohnmächtig werden. Einen Moment lang bleibt mir die Luft weg,
und ich muss liegen bleiben, bis ich Luft bekomme. In der nächsten
Sekunde bin ich wieder auf den Beinen, renne auf unser Apartment zu und
biege dann um die Ecke nach hinten, wo sich die Fenster zum Schlaf- und
zum Wohnzimmer befinden. Als ich sehe, dass das Wohnzimmerfenster
nicht verriegelt ist, muss ich meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen,
um nicht laut nach Sloan zu rufen.
Ich weiß sofort, was passiert ist. Der Typ vom Wartungsdienst. Es ist
mein verdammter Fehler. Auch wenn ich den Typen zweimal habe checken
lassen, hätte ich wissen müssen, dass Asa sich so seinen Weg sucht. Ich
zwinge mich, den Gedanken erst einmal wegzudrängen, presse mich mit
dem Rücken gegen die Hauswand und lausche angestrengt. Im nächsten
Moment lege ich die Hand an die Waffe und atme tief ein.
Ich höre Stimmen.
Sloans Stimme. Mir kommen fast die Tränen vor Erleichterung, weil das
heißt, dass ich nicht zu spät gekommen bin, aber weinen kann ich später
noch. Jetzt bewege ich mich Zentimeter für Zentmeter auf das Fenster zu
und versuche, einen Blick ins Zimmer zu werfen. Die Vorhänge sind
zugezogen.
Scheiße.
Mein Puls hämmert. In der Ferne sind Polizeisirenen zu hören. Ich habe
keine Ahnung, ob es die Kollegen sind, die Ryan gerufen hat, oder andere,
die zur Unfallstelle unterwegs sind, aber wenn ich in den nächsten fünf
Sekunden nichts unternehme, hört derjenige, der in der Wohnung ist, sie
auch.
Und dann ist er gezwungen, aktiv zu werden.
Ich halte die Waffe in der linken Hand, während ich mit der rechten
geräuschlos das Fenster ein Stück hochschiebe. Ich werfe einen Blick
hinein und sehe durch einen Spalt im Vorhang Sloan, die in der Küche an
der Theke sitzt und einen Teller vor sich hat. Ihr gegenüber, mit dem
Rücken zum Wohnzimmerfenster, sitzt ein Mann. Als er lacht, weiß ich
sofort, wer er ist.
Asa.
Er ist hier, mit Sloan.
Die beiden wirken vollkommen entspannt. Aber sobald Asa die Sirenen
hört, wird er in Panik geraten und ihr womöglich etwas antun. Es ist mir ein
Rätsel, wie sie es geschafft hat, ihn so ruhig zu halten, dass sie sogar
zusammen essen, aber es überrascht mich nicht. Sloan ist verdammt clever.
Ich drücke das Fenster noch einen Zentimeter weiter auf. Sloans Augen
huschen in meine Richtung. Sie sieht mich eine Zehntelsekunde lang an.
Es ist nur ein Sekundenbruchteil. Ein Blick.
Im nächsten Moment fällt ihr die Gabel auf den Boden, aber ich weiß,
dass das Absicht ist. »Ups«, sagt sie und beugt sich runter, um sie
aufzuheben. Asa schiebt seinen Hocker zurück, in derselben Sekunde
drücke ich das Fenster noch weiter auf. Aus irgendeinem Grund geht er um
die Theke herum zu ihr. Vielleicht, um sicherzustellen, dass sie nicht
versucht abzuhauen. Ich hebe die Hand mit der Waffe.
Asa nimmt Sloan die Gabel ab, wirft sie in die Spüle und hält ihr eine
frische hin. Sie greift danach, lässt sich im selben Augenblick zu Boden
fallen und ruft: »Jetzt!«
Bevor Asa auch nur die geringste Chance hat zu begreifen, was passiert,
habe ich schon abgedrückt. Ich warte nicht ab, bis ich erkennen kann, ob
ich ihn getroffen habe, sondern springe mit einem Satz durchs Fenster und
laufe durchs Wohnzimmer zur Küche. Sloan kommt auf allen vieren zu mir
gekrochen.
»Schieß noch mal!«, ruft sie. »Du musst noch mal schießen, Luke!«
Asa liegt am Boden und presst sich eine Hand auf den Hals. Blut
sprudelt zwischen seinen Fingern hindurch und läuft auf seinen Arm. Seine
Brust hebt und senkt sich, während er nach Atem ringt. Ich richte die Waffe
auf ihn. Seine Augen sind weit geöffnet, und er verdreht den Kopf nach
Sloan, die jetzt hinter mir steht.
»Du verfickte Hure«, presst er mit letzter Kraft hervor. »Ich hab dich
angelogen. Ich hasse deine beschissene Lasagne.«
Ich drücke ein zweites Mal ab.
Sloan schreit auf und presst ihr Gesicht an meinen Rücken.
Ich drehe mich um, ziehe sie an mich und schlinge die Arme um sie.
Schluchzend hält sie sich an mir fest.
Ich kann nicht mehr stehen.
Aneinander festgeklammert, sinken wir zu Boden. Ich ziehe sie in
meinen Schoß, drücke mein Gesicht in ihre Haare und atme ihren Duft tief
ein. »Alles okay?«
Sie nickt schluchzend.
»Bist du verletzt?« Ich halte sie ein Stück von mir weg und betrachte sie
prüfend, kann aber nichts entdecken. Erleichtert lege ich eine Hand auf
ihren Bauch, schließe die Augen und atme zum ersten Mal seit einer halben
Stunde tief durch. »Es tut mir so leid, Sloan. Es tut mir so leid, dass ich dich
allein gelassen habe.« Ich dachte, ich hätte alles getan, um sie zu schützen,
und trotzdem hat Asa es geschafft, hier einzudringen.
Sie legt die Arme um meinen Hals, schmiegt sich an mich und schüttelt
den Kopf. »Danke, dass du uns gerettet hast, Luke.« Sie drückt mich fest an
sich.
Jetzt höre ich die Sirenen direkt vor dem Haus.
Jemand hämmert gegen die Tür.
Ryan kommt durchs Fenster geklettert und sieht sich kurz um, dann geht
er zur Tür und entriegelt sie. Mehrere uniformierte Kollegen stürzen ins
Apartment und rufen sich Anweisungen zu. Einer versucht, mich und Sloan
anzusprechen, aber Ryan schiebt ihn zur Seite.
»Geben Sie den beiden doch eine Minute, um durchzuatmen.
Gottverdammt.«
Sie geben uns sogar mehrere Minuten. Ich halte Sloan in den Armen, als
kurz darauf Sanitäter hereinkommen. Ich halte sie, während sie Asas Puls
fühlen. Ich halte sie immer noch, als einer von ihnen ihn für tot erklärt.
Ich halte sie, als Ryan sich neben uns hinkniet.
»Ich hab deinen Wagen gesehen«, sagt er. »Bist du okay?«
Ich nicke. »Ist bei dem Unfall jemand verletzt worden?«
Ryan schüttelt den Kopf. »Anscheinend nur du.«
Sloan löst sich von mir und sieht mich erschrocken an. »Oh mein Gott,
Luke.« Sie streicht mir die Haare aus der blutigen Stirn. »Du bist verletzt!
Hallo?« Sie dreht sich um. »Jemand muss ihm helfen.«
Einer der Sanitäter kommt zu mir und untersucht die Wunde und meinen
Arm. »Sie müssen sofort ins Krankenhaus. Kommen Sie mit.«
Ryan hilft mir aufzustehen. Sloan greift nach meinen Händen und geht
rückwärts vor mir her zur Tür. »Was ist denn passiert, um Gottes willen?«,
fragt sie panisch. »Du hattest einen Unfall?«
Ich grinse schief. »Bloß ein kleiner Blechschaden. Man kann nicht in
Fred Water ertrinken, solange das Kreuzschiff mit Lachs-Tacos beladen
ist.«
Sloan lächelt und drückt meine Hand.
Ryan stöhnt und sieht den Sanitäter an. »Sie müssen unbedingt auch
überprüfen, ob er eine Gehirnerschütterung hat. Er hat sich vor Kurzem
schon mal schwer verletzt und da hat er auch so wirres Zeug von sich
gegeben.«
Als wir am Krankenwagen ankommen, hält Sloan immer noch meine
Hand. Sie setzt sich neben mich auf die Liege, beugt sich zu mir und drückt
ihre Lippen auf meine. Als sie sich zurücklehnt, ist ihr Blick voller Sorge.
»Ist dieser Albtraum jetzt endlich vorbei, Luke?«
Ich nicke und lege meine Hand an ihre Wange. »Ja, Sloan. Diesmal ist er
wirklich und endgültig vorbei.«
Luke

Ich lag wegen der Kopfverletzung und dem geprellten Arm drei Tage im
Krankenhaus. Zum Glück durfte Sloan während dieser Zeit bei mir bleiben.
Nach allem, was sie durchgemacht hat, wollte ich nicht, dass sie auch nur
eine Sekunde allein sein muss.
Bis jetzt hat sie noch nicht im Detail über das gesprochen, was zwischen
ihr und Asa passiert ist, bevor ich an dem Mittag aufgetaucht bin. Natürlich
hoffe ich, dass sie irgendwann mit mir darüber reden kann, aber ich will sie
nicht drängen. Ich weiß nur zu gut, wozu Asa fähig war, und ahne, dass die
Stunden mit ihm zutiefst traumatisch für sie gewesen sein müssen. Sie geht
jetzt aber schon seit ein paar Wochen zu einer Therapeutin, und ich habe
den Eindruck, dass ihr die Gespräche helfen. Zumindest macht sie das alles
nicht mit sich allein aus, das ist schon mal gut. Ich hoffe, dass es ihr gelingt,
das alles eines Tages ganz hinter sich zu lassen, und unterstütze sie dabei,
so gut es geht.
An dem Tag, an dem ich aus der Klinik gekommen bin, wurde Asa
beigesetzt. Sloan und ich waren im Apartment gerade dabei, unsere Sachen
zusammenzupacken, als Ryan anrief und es mir sagte. Ich habe es Sloan
erzählt, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass sie kein Bedürfnis haben
würde, bei seiner Beerdigung dabei zu sein.
Auf der Fahrt zu meinen Eltern hat sie mich dann aber zu meiner
Überraschung doch darum gebeten, am Friedhof vorbeizufahren. Ich habe
versucht, ihr die Idee auszureden, weil ich befürchtet habe, dass sie das
alles zu sehr aufwühlen würde. Gleichzeitig aber war mir klar, dass sie Asa
besser gekannt hat als jeder andere. Auch wenn sie seinetwegen
Todesängste ausgestanden hatte, war sie einer der wenigen Menschen, die
ihm etwas bedeutet haben – er hatte allerdings eine extrem kranke Art,
seine Liebe auszudrücken.
Als wir sein Grab gefunden hatten, stellten wir fest, dass außer uns
niemand gekommen war.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie es für ihn gewesen sein muss, keine
wirkliche Familie gehabt zu haben und auch keine wirklichen Freunde.
Außer mir und Sloan waren nur ein Geistlicher und ein Angestellter des
Beerdigungsinstituts da. Vielleicht wäre nicht einmal ein Gebet gesprochen
worden, wenn wir nicht gekommen wären.
Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass mir dieses traurige Begräbnis
geholfen hat, Asa besser zu verstehen. Schließlich war er selbst dafür
verantwortlich, dass offensichtlich niemand das Bedürfnis hatte, von ihm
Abschied zu nehmen. Aber ich hatte Mitleid mit ihm.
Sloan weinte nicht. Wir standen am offenen Grab, der Geistliche sprach
ein kurzes Gebet und fragte uns dann, ob wir noch etwas sagen wollten. Ich
schüttelte den Kopf, weil ich nur wegen Sloan da war, aber sie nickte und
griff nach meiner Hand. Bevor sie ansetzte, holte sie erst mal tief Luft.
»Du hattest so viel Potenzial, Asa«, sagte sie. »Aber statt etwas daraus
zu machen, hast du jeden Tag deines Lebens darauf gewartet, dass das
Schicksal dich für ein paar zugegebenermaßen wirklich beschissene Jahre
entschädigt, die du als Kind erleben musstest. Das war ein Fehler. Denn die
Welt schuldet uns nichts. Wir müssen mit dem umgehen, was wir
bekommen, und versuchen, das Beste daraus zu machen. Du hast es
genommen, darauf geschissen und mehr erwartet.«
Sie ließ meine Hand los und ging einen Schritt näher ans Grab heran.
Niemand hatte an Blumen gedacht, also pflückte sie einen blühenden
Löwenzahn aus der Wiese und warf ihn auf seinen Sarg. »Jedes Kind hat
Liebe verdient, Asa«, sagte sie leise. »Es tut mir leid, dass du nie welche
bekommen hast. Deshalb vergebe ich dir. Wir beide vergeben dir.«
Danach blieb sie noch eine Weile stumm stehen. Ich weiß nicht, ob sie
für ihn gebetet oder sich einfach nur noch einmal still verabschiedet hat.
Irgendwann trat sie zurück, griff wieder nach meiner Hand, und wir drehten
uns um und gingen davon. In diesem Moment wusste ich, dass es für Sloan
richtig und wichtig gewesen war herzukommen, und war froh, sie nicht
davon abgehalten zu haben. Sie hatte diesen Abschied von Asa mehr
gebraucht, als ich geahnt hatte.
Seitdem habe ich oft an diesen Tag gedacht, der jetzt sieben Monate her
ist. Damals habe ich gedacht, ich hätte verstanden, was sie mit ihrem letzten
Satz ausdrücken wollte. Aber als ich jetzt vor dem Babybettchen stehe und
auf meinen friedlich schlummernden Sohn hinabsehe, kommt mir plötzlich
der Gedanke, dass sie das »Ich vergebe dir. Wir beide vergeben dir«
wahrscheinlich ganz anders gemeint hat.
Damals dachte ich, sie meint uns beide. Sich selbst und mich. Ich dachte,
sie meint, dass wir beide Asa vergeben, was wir seinetwegen durchmachen
mussten. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich glaube, mit dem
»wir« meinte sie sich selbst und unseren Sohn, dessen Erzeuger Asa
höchstwahrscheinlich war. Dieser Besuch an seinem Grab war etwas, das
sie vor allem unserem Sohn zuliebe gemacht hat, der Asa nie kennenlernen
wird.
Wir haben nur ein einziges Mal darüber gesprochen, dass Dalton
vermutlich nicht mein biologischer Sohn ist, das war ein paar Wochen nach
seiner Geburt. Sloan hatte einen Vaterschaftstest besorgt, weil sie glaubte,
ich würde darunter leiden, nicht zu wissen, ob ich Daltons »echter« Vater
bin oder Asa. Sie wollte mir die Möglichkeit geben, Gewissheit zu
bekommen, weil sie befürchtete, diese ungelöste Frage würde sonst für
immer an mir nagen.
Die Schachtel liegt seitdem ungeöffnet in unserem Badezimmerschrank.
Ich habe den Test nie gemacht und Sloan hat mich nie darauf angesprochen.
Aber wenn ich meinen kleinen Jungen anschaue, denke ich, dass ich die
Antwort auch ohne Test kenne.
Wer der biologische Vater dieses Kindes ist, spielt keine Rolle, weil
Sloan seine Mutter ist.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich zum ersten Mal
bei Asa war und er mich Sloan vorgestellt hat. Sie hat in der Küche
Geschirr abgespült, über Kopfhörer Musik gehört und sich dazu in den
Hüften gewiegt. Der Anblick war absolut hypnotisierend. Sie hat so
zufrieden und in sich selbst ruhend gewirkt. Ein Zustand, den sie – wie ich
bald erfahren sollte – nicht sehr häufig erlebt hat.
Diese Fähigkeit, inneren Frieden zu empfinden, erkenne ich in Dalton
wieder, wenn er schläft. Er hat Sloans dunkle Haare geerbt, ihre Augen und
ihr Wesen – das ist alles, was für mich zählt. Ich wünschte, sie könnte mir
das glauben. Ich wünschte, sie wüsste, dass das Testergebnis – ganz egal,
was dabei herauskäme – nichts ändern würde. Meine Liebe zu dem Kind,
das ich mit ihr zusammen großziehen werde, hat nichts mit Genen zu tun.
Ich liebe diesen Jungen, weil ich ein Mensch bin und gar nicht anders kann,
als ihn zu lieben. Ich liebe ihn, weil ich mich als sein Vater fühle.
Ich beuge mich vor und streichle ihm zärtlich über den Kopf.
»Hey …«
Als ich mich umdrehe, steht Sloan im Türrahmen und beobachtet mich
lächelnd.
Ich stecke Daltons Decke noch ein bisschen fester, dann drehe ich mich
zu Sloan um, greife nach ihrer Hand, gehe mit ihr hinaus in den Flur und
ziehe die Tür des Kinderzimmers halb zu.
Ihre Finger mit meinen verschränkt, führe ich sie durchs Schlafzimmer
ins Bad. Wir halten uns immer noch an den Händen, als ich den Schrank
öffne, den Vaterschaftstest herausnehme und mich zu ihr umdrehe. Die
Sorge in ihrem Blick versuche ich mit einem Kuss zu zerstreuen, bevor ich
Hand in Hand mit ihr in die Küche gehe, wo ich den Mülleimer öffne und
die ungeöffnete Schachtel hineinwerfe.
In Sloans Augen glitzern Tränen, und es zuckt um ihre Mundwinkel, als
würde sie versuchen, ein Lächeln zu unterdrücken. Wir sehen uns mehrere
Sekunden lang einfach nur an, aber das genügt, um alles zu sagen, was wir
wissen müssen.
Wie wir zu einer Familie wurden, ist mir vollkommen egal. Für mich
zählt nur mein Gefühl, dass wir es sind. Sloan, ich und unser Sohn.
Meine Familie.
Ende
Anmerkung zu diesem Buch

Liebe deutsche Leserinnen und Leser,


 
ich freue mich sehr, dass »Too Late« nun bei bold als Roman vorliegt.
Ursprünglich war »Too Late« als reines Privatprojekt gedacht, mit dem
ich mich ablenken konnte, wenn ich mal eine Schreibblockade hatte. Weil
dieser Text in vieler Hinsicht anders ist als das, was ich sonst schreibe, habe
ich nie vorgehabt, ihn zu veröffentlichen. Die Geschichte von Sloan, Asa
und Carter ist düsterer und krasser als meine sonstigen Romane und enthält
ungeschminkte Sex- und Gewaltszenen, die definitiv erst ab achtzehn
gelesen werden sollten. Es hat mir Spaß gemacht, einfach
draufloszuschreiben, wenn die Arbeit an meinen eigentlichen Büchern ins
Stocken geriet oder ich mit der Entwicklung eines Plots nicht weiterkam.
Erst als ich irgendwann davon erzählte und gefragt wurde, ob man den Text
irgendwo lesen kann, habe ich die ersten Kapitel auf einer kostenlosen E-
Book-Plattform hochgeladen und dann auch Fortsetzungen gepostet.
Was als persönliche Schreibübung begann, die nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt war, entwickelte sich zu einem Buch, an dem ich
bald fast täglich weiterarbeitete. Wie im Rausch stellte ich in schneller
Folge immer neue Abschnitte ins Netz, wodurch »Too Late« im Gegensatz
zu meinen anderen Romanen beinahe in Echtzeit gelesen werden konnte.
Mir gab es einen Kick, jedes Mal so schnell Feedback zu bekommen, und
die Fans der Geschichte freuten sich über Nachschub.
Selbst nachdem ich irgendwann »ENDE« unter das – wie ich damals
glaubte – letzte Kapitel getippt hatte, sprudelten die Ideen weiter. Also habe
ich gleich mehrere Epiloge hinterhergeschrieben und zuletzt sogar gegen
alle Regeln des Romanaufbaus verstoßen, indem ich auch noch einen
Prolog verfasst und an den Schluss gesetzt habe.
Nachdem der Text einige Zeit im Netz stand, erreichten mich immer
mehr Mail von Leserinnen, die »Too Late« auch als reguläres E-Book bzw.
Paperback lesen wollten, weshalb ich mich schließlich dazu entschloss, den
Roman auch offiziell zu veröffentlichen.
Die einzelnen Kapitel sind hier exakt in der Reihenfolge und mit den
Überschriften wiedergegeben, wie ich sie damals im Netz veröffentlicht
habe, damit der Text ganz genau so gelesen werden kann, wie er entstanden
ist.
 
Ich danke allen, die mich unterstützt haben, und wünsche viel Spaß beim
Lesen.
 
Colleen Hoover
Colleen Hoover ist nichts so wichtig wie ihre Leser. Ihr Debüt ›Weil ich
Layken liebe‹, das sie zunächst als eBook im Selfpublishing veröffentlichte,
sprang sofort auf die Bestsellerliste der ›New York Times‹. Mittlerweile hat
sie auch in Deutschland die Bestsellerlisten erobert. Mit ›Nur noch ein
einziges Mal‹ stand sie mehrere Wochen auf Platz 1. Weltweit verfügt sie
über eine riesige Fangemeinde. Colleen Hoover lebt mit ihrem Mann und
ihren drei Söhnen in Texas.
 
Katarina Ganslandt spaziert mit dem Hund Elmo durch Berlin, surft im
Netz durch die Welt und sammelt nützliches und unnützes Wissen, wenn sie
nicht gerade Bücher aus dem Englischen übersetzt (mittlerweile sind es
über 125).
Für weitere Informationen zu Colleen Hoover: www.colleen-hoover.de
Die Hölle – nichts anderes ist die Beziehung von Sloan zu dem Drogenboss
Asa Jackson. Gäbe es nicht ihren kranken Bruder, den Asa finanziell
unterstützt, wäre sie von heute auf morgen auf und davon.
 
Für Asa hingegen ist Sloan das Beste, was ihm je passiert ist: Sloan ist seine
einzige Liebe, eine wahre Obsession, seine allergrößte Leidenschaft, und er
ist davon überzeugt, dass es sich umgekehrt genauso verhält.
 
Doch dann taucht Carter auf – ein Undercover-Cop, der mithelfen soll, Asa
auffliegen zu lassen. Carter verliebt sich Hals über Kopf in Sloan und sie
sich in ihn – Hochverrat für den cholerischen Asa. Ein gefährliches
Dreieckspiel beginnt, bei dem es für Carter und Sloan um alles geht.
Deutsche Erstausgabe
2019 bold, ein Imprint der
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2016 by Colleen Hoover
Titel der amerikanischen Originalausgabe: ›Too Late‹
All rights reserved.
© der deutschsprachigen Ausgabe:
2019 bold, ein Imprint der
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: Focus + Echo / Dina Fluck
 
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags
zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Systemen.
 
Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige
Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte
waren zum Zeitpunkt der Verlinkungen nicht erkennbar.
 
 
eBook-Herstellung im Verlag (01)
 
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ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-79044-4
 
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website
www.readbold.de
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9783423435758
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Waffen geschmuggelt, mehr Meth gekocht, mehr Männer getötet, als
irgendwer anders in der Gegend. Nun, da sie erwachsen ist, arbeitet Harley
für ihn, stützt sein System und wird als seine Nachfolgerin gehandelt,
obwohl sie den ewigen Kreislauf aus Mord, Leid und Rache hasst und
durchbrechen möchte.Gleichzeitig tritt die mächtige Springfield-Familie auf
den Plan, Dukes größte Konkurrenz im Drogengeschäft, und inmitten dieses
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