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NICHELLE NICHOLS

Nicht nur
Uhura

Star Trek®
und andere Erinnerungen

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG


MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/5547
Titel der amerikanischen Originalausgabe
BEYOND UHURA
STAR TREK® AND OTHER MEMORIES
Deutsche Übersetzung von Andreas Decker

Redaktion: Rainer Michael Rahn


Copyright © 1994 by Nichelle Nichols
Alle STAR TREK-Elemente™,® & © 1994 by Paramount Pictures
Alle Star TREK-Fotos © 1994 by Paramount Pictures
Verwendung in diesem Buch mit freundlicher Genehmigung
Die Verse aus ›Monologue a. k. a. Pretty and the Wolf‹,
Musik von James Hamilton, Text und Musik von Duke Ellington,
Copyright © 1954 (erneuert) by Tempo Music Sales Corporation (ASCAP)
Abdruck mit freundlicher Genehmigung
Erstveröffentlichung
by G. P. Putnam’s Sons, New York
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
und Paul und Peter Fritz, Literarische Agentur, Zürich
Copyright © 1996 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Printed in Germany 1997
Umschlagfoto: Paramount Pictures
Rückseitenfoto: Jim Meechan, Arway Productions,
Woodland Hills, CA, USA
Mit freundlicher Genehmigung
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München
Technische Betreuung: M. Spinola
Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: RMO-Druck, München
ISBN 3-453-12797-8
Fast drei Jahrzehnte lang war Nichelle Nichols Mitglied der
Enterprise Crew. Als Lieutenant Uhura nahm sie an allen 79 TV-
Abenteuern und den sechs Kinofilmen teil. Doch diese
Autobiographie beschreibt nicht nur Uhuras souveräne Herrschaft
über Subraumkanäle und Grußfrequenzen.
Aufgewachsen als Tochter des Bürgermeisters einer Kleinstadt
bei Chicago, galt seit der Kindheit ihre ganze Begeisterung dem
Showbusiness. Früh beginnt sie eine Ausbildung zur Tänzerin
und Sängerin, und bereits als Achtzehnjährige tritt sie mit Duke
Ellington auf. Ihre Karriere verlief jedoch nicht immer glatt. Sie
hatte von Anfang an mit zwei Handicaps zu kämpfen: als Frau –
und als Schwarze. Nichelle Nichols schildert in diesem Buch die
Diskriminierungen und Demütigungen, denen sie unter diesen
Bedingungen als Künstlerin ausgesetzt war. Doch sie schaffte es
dank ihres Talents – und ihrer Hartnäckigkeit. Sie wurde ein
begehrter Star in Nachtklubs, auf der Bühne und schließlich im
Film.
Der große Durchbruch stellte sich ein, als sie durch das
Engagement für eine TV-Serie Gene Roddenberry kennenlernte,
den Schöpfer von STAR TREK, dem sie eine Zeitlang
leidenschaftlich verbunden war. Das Ende ihrer lange
geheimgehaltenen Liebe war der Beginn einer herzlichen
Freundschaft und höchst produktiven beruflichen
Zusammenarbeit. Nichelle Nichols gehört zu den beliebtesten
Mitgliedern der STAR TREK-Familie. Die Rolle, die sie an Bord
der Enterprise als engagierte Fürsprecherin gegen jede Form von
Rassismus und Intoleranz spielte, in der sie als Symbol die
Zukunftshoffnungen von Millionen Zuschauern verkörperte,
bestimmt auch ihr privates Leben: Immer wieder setzt sie ihre
Popularität und ihren Einfluß für Minderheiten ein und tritt als
Botschafterin der Zukunft auf für die Belange der NASA. Ihre
Autobiographie ist ein bewegendes Dokument der
Unbeugsamkeit des menschlichen Geistes.
Dieses Buch widme ich:

SAMUEL UND LISHIA NICHOLS

KYLE JOHNSON

JIM MEECHAN

PROOFREAD BY
PROLOG

Als ich im Friedhof Forest Lawn auf dem Podium der Hall of
Liberty saß und die hier versammelten Trauergäste betrachtete,
deren Zahl in die Hunderte ging, konnte ich den Gedanken
nicht verdrängen, daß es genauso war, wie Gene es gern gehabt
hätte. Kein Sarg, keine Gebete, keine Kerzen.
Als überzeugter Humanist hatte sich Gene Roddenberry dem
Glauben verschrieben, daß die Zukunft in unseren sterblichen
Händen liegt, daß die Antworten auf unsere Fragen in uns
selbst zu finden sind, hier auf der Erde oder im Weltraum.
Daher war es nur passend, daß die Gedenkreden von Freunden
gehalten wurden, die seine Vision geteilt hatten, und nicht von
Vertretern organisierter Religionen, denen Gene vor langer
Zeit zugunsten einer Philosophie der Vernunft abgeschworen
hatte. Gene war vieles in seinem Leben gewesen, aber niemals
ein Heuchler. Im Gegensatz zu den meisten
Trauergottesdiensten war Genes Gedenkfeier ein richtiges
Fest, das sich durch ergreifende Erinnerungen und fröhliches
Gelächter auszeichnete; sie war eine Huldigung an den Mann,
der so viele Leben verändert und bereichert hatte. Niemand
leugnete, daß man ihn schmerzlich vermissen würde, aber das
Wissen, daß er durch die Macht seiner Träume und das Erbe
seiner Schöpfung für immer bei uns sein würde, spendete uns
Trost.
Gelegentlich warf ich einen Blick auf sein Porträt, das dort
auf einem Ständer ruhte, und wie immer fand ich mich von
seinen Augen angezogen. Falls jemand den Beweis suchte, daß
die Augen tatsächlich das Fenster zur Seele darstellen, mußte
er nur in Genes Augen blicken. Strahlend und blau funkelte in
ihnen sein unersättliches Verlangen nach dem Leben. In seinen
vielen Kämpfen – sowohl den persönlichen als auch den
beruflichen – hat er nicht einmal den Blick gesenkt. Und auch
wenn Genes Blick stets in die Zukunft gerichtet war, so stellte
er doch einen Mann des Augenblicks dar, der daran glaubte,
daß die Zukunft in der Gegenwart ihren Anfang nimmt. Genes
Gegenwart erinnerte einen daran, daß man im wahrsten Sinne
des Wortes lebendig war. Als ich die beiden Lieder sang, die
seine Frau Majel erbeten hatte – Paul McCartneys Yesterday
und Gene, mein Gedenken an ihn, das ich zusammen mit Jim
Meechan komponiert hatte –, mußte ich an seine unermüdliche
Energie, seine Hingabe und seinen Mut denken.
Der Pianist schlug die letzten Töne an, und irgendwie
schaffte ich es, das Lied zu beenden. Als ich zu meinem Platz
zurückging, konnte ich kaum glauben, daß Gene tatsächlich tot
war. Ich hatte ihn erst anderthalb Wochen zuvor noch besucht.
Er hatte in seinem Rollstuhl gesessen und mit einem Lächeln
die wunderschöne Ehrenplakette betrachtet, die ich für ihn
gemacht hatte. Sie trug die Aufschrift To the Great Bird of the
Galaxy sowie eine vergoldete CD des Albums, auf dem ich das
Lied Gene aufgenommen hatte. Er sah sich die Plakette genau
an, dann bat er mich, den Liedtext vorzulesen, der auf ein
Stück Pergament geschrieben stand:

»Gene«

Gene, you future visionary.


Gene, you gave me tears and laughter
Gene, you shined the starlight on my dreams.

Gene, a daring flying hero


Gene, you always soar with eagles
Gene, your universe was meant to be.
Gene, Great Bird of the Galaxy,
you gave me wings
And you set me free…
You dreamed our spatial family.

Gene, your boyish grin’s deceiving


Gene, it isn’t easy being
Gene, I’m sure you know just what I mean.

Gene, Great Bird of the Galaxy


You gave me wings
And you set me free…
You dreamed our Star Trek family.

Gene, you showed us galaxies afar,


You tied our hopes to every star,
We’re lucky you are who you are…

Our loving… Gene.

Gene, du Visionär der Zukunft,


Gene, Du hast mich Weinen und Lachen gemacht.
Gene, Du hast meine Träume
mit dem Licht der Sterne erfüllt.

Gene, ein mutiger heldenhafter Pilot,


Gene, Du bist immer mit den Adlern geflogen.
Gene, Dein Universum sollte Realität werden.

Gene, Großer Vogel der Galaxis,


Du hast mir Flügel verliehen
Und mir die Freiheit gegeben…
Du hast unsere kosmische Familie erträumt.

Gene, dein jungenhaftes Grinsen so täuschend,


Gene, es ist nicht einfach,
Gene, Du weißt, was ich meine.

Gene, Großer Vogel der Galaxis,


Du hast mir Flügel verliehen
Und mir die Freiheit gegeben…
Du hast unsere kosmische Familie erträumt.

Gene, Du hast uns ferne Galaxien gezeigt.


Hast unsere Hoffnungen mit den Sternen verbunden.
Wir haben Glück, daß Du bist, der Du bist…

Gene, wir lieben Dich…

Ich blickte beim Lesen auf und sah, wie Tränen ungehindert
seine Wangen hinabliefen. Da formte sich ein dicker Kloß in
meinem Hals, und ich wußte, daß ich diesen großartigen Mann,
dem ich seit so vielen Jahren meine Liebe und Zuneigung
entgegengebracht hatte, bald verlieren würde.
Gene wollte ein Foto von uns und der Plakette schießen
lassen, aber Ernie Over, sein Sekretär, sprach sich klugerweise
dagegen aus. Gene sah schlecht aus, doch obwohl ich
einerseits die Beweggründe verstand, war ich dennoch zutiefst
enttäuscht.
Ich hatte meinen Termin an dem vorangegangenen Freitag
mit Gene vereinbart. Mir war bekannt, daß er seit mehreren
Jahren an den Auswirkungen verschiedener chronischer
Krankheiten litt, einschließlich eines Schlaganfalls, der 1989
seine rechte Körperhälfte geschwächt hatte. An dem
Wochenende vor meinem Besuch hatte Gene einen Rückschlag
erlitten, aber Majel versicherte mir, daß sich Gene trotz seines
schlechten Gesundheitszustands sehr auf unsere Begegnung
freute. Sie sagte, es täte ihr leid, daß sie dann nicht zu Hause
sein könnte, aber Ernie und Genes Krankenschwester wären
da. Ich hatte in letzter Zeit öfter gehört, daß es Gene nicht gut
ging, und sein Sekretär hatte mich sogar behutsam vorgewarnt,
damit sein Aussehen kein zu großer Schock für mich war.
Ich wappnete mich. Aber als man mich in Genes Zimmer
führte, wo er mich in seinen hellgrauen Hosen und dem
hellblauen Hemd, das die Farbe seiner wunderschönen Augen
so zur Geltung brachte, erwartete, sah er wunderbar aus.
Andererseits kann ich mich nicht daran erinnern, ihn jemals in
einer Situation gesehen zu haben, wo er mir nicht wie der
vertraute alte Gene vorkam. Seine herzliche, couragierte,
manchmal durchaus auch unerbittliche Persönlichkeit war
immer deutlich zu spüren; daran konnten auch seine
nachlassende Gesundheit und die vielen Medikamente, die er
benötigte, nichts ändern.
Es schien ihn besonders berührt zu haben, daß ich ihm ein
Lied gewidmet hatte. Gene hatte meine Liebe zur Musik stets
verstanden und gefördert; es war eine Ironie, daß Lieutenant
Uhura, die Rolle, die wir gemeinsam erschufen, diesen Teil
meiner Karriere eine Zeitlang in den Schatten stellte, als ich an
Bord der Enterprise ging. (Zwar sorgte Gene dafür, daß Uhura
in einigen der Episoden sang, doch die Zuschauer nahmen an,
es würde sich um die Stimme einer Sängerin handeln, die
eingespielt wurde.) Obwohl wir durch seine futuristische
Schöpfung auf ewig miteinander verbunden sein werden, war
das nicht der Punkt, an dem unsere Geschichte ihren Anfang
nahm. Und auch nicht der, wo sie enden sollte.
Nach den ersten paar Sätzen wurde offensichtlich, daß Gene
zwar größtenteils er selbst war, es jedoch seine ganze Kraft
und Konzentration erforderte, diese Illusion für mich
aufrechtzuerhalten. Wir sprachen über persönliche Dinge, über
die wir uns schon so oft unterhalten hatten, doch diesmal
betonte Gene bestimmte Details auf eine eindringliche Weise,
so als wäre es ihm wichtig, daß ich auch begriff, daß jedes
seiner an diesem Tag geäußerten Worte eine neue, ganz
besondere Bedeutung hatte.
Er hielt meine Hand und sagte: »Nichelle, du weißt, daß ich
dich immer geliebt habe. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe:
Eines Tages wirst du unsere Geschichte erzählen.«
Ich umarmte ihn innig und wünschte ihm alles Gute. Und
dann verabschiedeten wir uns voneinander. Gene war zu
diesem Zeitpunkt schon eine ganze Weile krank gewesen, und
obwohl ich wußte, daß er aller Voraussicht nach trotzdem noch
einige Jahre leben würde, brach ich in der Minute, in der ich
wieder in meinem Auto saß, in Tränen aus. So sehr ich mich
dagegen auch sträube, es läßt sich nicht leugnen: Gene hat
gefühlt, daß seine Zeit gekommen war, und er war bereit, sich
dem Tod zu stellen, aber nicht in Resignation, sondern in
Akzeptanz. Später an diesem Tag wohnte er einer privaten
Vorführung von Star Trek VI: The Undiscovered Country bei;
zwei Tage später, am Donnerstag, dem 24. Oktober, starb er in
der Praxis seines Arztes an einem Blutgerinnsel. Majel war an
seiner Seite, wie sie es viele Jahre lang gewesen war.

Ich nahm meinen Platz auf dem Podium an der Seite der fünf
Redner wieder ein: Whoopi Goldberg, Patrick Stewart,
Christopher Knopf, E. Jack Neuman und Ray Bradbury.
Whoopi und Patrick waren Darsteller in Genes zweiter Star
Trek-Serie The Next Generation; Knopf, Neuman und
Bradbury waren wie er Schriftsteller und gute Freunde. Ich war
die einzige Vertreterin der Stammbesetzung der Originalserie,
obwohl einige von ihnen, einschließlich George Takei, Walter
Koenig, Leonard Nimoy und seine Frau Susan sowie Grace
Lee Whitney zur Trauerfeier erschienen waren.
Ich war fest entschlossen, nicht zusammenzubrechen wie an
dem Tag, als ich telefonisch die Nachricht von Genes Tod
erhielt. Das war acht Tage her, und ich hätte wirklich nicht
geglaubt, daß ich noch Tränen übrig hatte. Whoopi saß neben
mir, und sie nahm mich bei der Hand und hielt mich die ganze
Zeit über aufrecht, indem sie mir witzige Bemerkungen
zuflüsterte. Als ich fest davon überzeugt war, nun doch
zusammenzubrechen, beugte sie sich vor, deutete auf den
schwarzen, breitkrempigen Velourhut, den ich trug, und sagte:
»Komm schon, Mädchen, Denk an deinen Hut!« Ich
unterdrückte ein Kichern und lächelte dankbar. Mit ihrer Hilfe
überstand ich die Gedenkfeier.
In ihrer Rede erwähnte Whoopi, sie sei vor fünfundzwanzig
Jahren ein Kind gewesen, für das Lieutenant Uhura »die
einzige Vision verkörpert hat, wie schwarze Menschen in der
Zukunft leben sollten«. Vor fünfundzwanzig Jahren war ich
die junge Schauspielerin gewesen, die Uhura gespielt hatte.
Wie alle von Genes Charakteren verkörperte Uhura die
höchsten Werte der Menschheit und lebte nach Prinzipien, die
seiner Überzeugung nach eines Tages jedes menschliche
Bestreben leiten würden. Mit Star Trek erschuf Gene ein
phantastisches Werk, mit dessen Hilfe er eine zeitgerechte und
zugleich zeitlose Botschaft über die dem Menschen
innewohnende Macht verkündete, seine Zukunft zu gestalten.
Doch viel wichtiger war, daß er der Welt diese Vision gab: den
Autoren, um sie auszuschmücken; den Regisseuren, um sie zu
dramatisieren; den Schauspielern, um sie zu personifizieren
und real zu machen; und den Zuschauern, um sich an ihr zu
erfreuen, sie zu genießen und sie in ihre eigenen Hoffnungen
für die Zukunft und die Menschheit einfließen zu lassen.
Der Mann, den ich 1963 kennenlernte, war noch nicht The
Great Bird of the Galaxy oder der Vater der Enterprise. Er war
ein Drehbuchautor und Produzent auf der Suche nach der
geeigneten Form für seine progressiven – für manche auch
provokativen – Ideale von Gleichheit, Freiheit und
persönlicher Verantwortung. Im Gegensatz zu manch anderem
äußerte Gene diese Gedanken nicht, weil sie gerade in Mode
waren – was zu dieser Zeit nämlich nicht der Fall war. In
einem ein paar Monate vor seinem Tod gedruckten Interview
im The Humanist sagte er: »Sie müssen wissen, daß Star Trek
mehr als nur meine politische Philosophie darstellt. Es ist
meine soziale Philosophie, meine Philosophie, was unsere
verschiedenen Rassen angeht; so sehe ich das Leben und den
Zustand der Menschheit.« Man konnte Gene genausowenig
von seinen Anschauungen und Überzeugungen trennen, wie
man ein Stück aus dem Himmel herausschneiden kann. Sie
waren eins. So war Gene eben.
Viele Menschen fanden Genes beharrliche Intensität einfach
einschüchternd; ich nicht. Vielleicht lag das daran, daß ich in
einer, was das Rassenproblem anging, integrierten Familie
aufwuchs, die über drei Generationen hinweg von den gleichen
sogenannten futuristischen Konzepten wie Rassengleichheit
und Vernunft geformt worden war, die Gene in Star Trek zum
Ausdruck brachte. Einige Male riskierten meine Eltern und
Großeltern ihr Leben für das, was sie für richtig hielten. Sie
lebten ihr Leben – in großen und in kleinen Dingen – im
Dienst von Träumen und Prinzipien, die die meisten ihrer
Zeitgenossen für dumm, unmöglich oder einfach für falsch
hielten. Wie Gene und seine Starfleet-Nachkommen waren sie
Pioniere an einer neuen Grenze, die dorthin gingen, wo noch
nie zuvor ein Mensch gewesen war. Als ich Gene zum
erstenmal meine Familiengeschichte erzählte, hörte er
aufmerksam zu. Und mir war klar, daß er auch meine
Angehörigen als verwandte Seelen betrachtete. Und das waren
sie auch. Obwohl es allein meiner Mutter vergönnt war,
Lieutenant Uhura ›kennenzulernen‹, weiß ich, daß mein weißer
Großvater und meine schwarze Großmutter sie sofort
verstanden und niemals in Frage gestellt hätten, daß sie oder
einer ihrer Nachkommen die ihnen in der Zukunft zustehende
Position auch einnehmen würden.
Angemessenerweise endete die Gedenkfeier mit der Rede
Patrick Stewarts, dem Captain Picard der zweiten Fernsehserie.
Gene hatte vor über zwei Jahrzehnten den draufgängerischen,
wagemutigen Captain Kirk und den allein von der Logik
beherrschten Mr. Spock als seine eigenen Alter egos
erschaffen. Es war bezeichnend, daß sein neuer Captain zwar
Züge beider Charaktere aufwies, es sich bei ihm jedoch um
einen älteren Mann handelte, der im Laufe der Jahre an
Gelassenheit gewonnen, dabei aber keineswegs an
Temperament verloren hatte. Das galt auch für Gene.
Nachdem zwei Dudelsackspieler in Kilts Amazing Grace
gespielt hatten, hallte eine Tonbandaufnahme von Gene durch
die Halle, auf der er uns wieder einmal daran erinnerte, daß
eine wunderbare Zukunft auf die Menschheit wartet,
vorausgesetzt, wir bringen sie zustande. Nach dem Ende der
Gedenkfeier versammelte sich alles draußen, um den letzten
Tribut mitzuerleben, eine Staffel der Air Force, die vorbeiflog.
Dort standen wir mit Hunderten von Fans, die in der
strahlenden Herbstsonne gewartet hatten, um ihr Beileid zu
bekunden. Als in der Ferne Motorengedröhn ertönte, drehten
wir uns alle um und betrachteten den Horizont. Vier Flugzeuge
erschienen an dem großartigen strahlendblauen Himmel und
hielten Formation, bevor sich eins von der Gruppe löste und
gen Himmel strebte, um Gene zu symbolisieren, der von uns
gegangen war.
Bei allem nötigen Respekt für diese wunderschöne Tradition
interpretiere ich es anders. Meiner Meinung nach ist Gene
nicht von uns gegangen; er hat einfach seine Reise an einen
Ort fortgesetzt, den er selbst sich nicht erlaubt hätte mit einem
Namen zu belegen oder sich auszumalen. Ob es zu einem Ort
geht, den noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat, wird jeder
von uns selbst herausfinden müssen. Aber ich bin der festen
Überzeugung, daß – wo auch immer Gene jetzt ist – er eines
Tages erleben wird, wie sich sein Traum der Zukunft erfüllt,
und zwar nicht in einer Filmkulisse, sondern im Weltall, in
einer Zeit, in der die Neigung der Menschheit zu Haß und
Intoleranz nur noch eine Erinnerung ist.
1

Die Schlagzeile der Morgenzeitung verkündete: CAPONES


SCHWARZBRENNEREI ZERSTÖRT: KLEINSTADT
STÜRMT SCHNAPSFABRIK DES GANGSTERS. Mein
Vater wartete, seit er sie gelesen hatte. Von der Veranda
unseres großen viktorianischen Hauses, in dem schon seine
Eltern gelebt hatten, blickte er über den Rasen, die große runde
Auffahrt, die Kirche auf der gegenüberliegenden Straßenseite
und wieder zurück. Er hatte den ganzen Tag gewartet, und als
die lange schwarze Limousine langsam in Sicht kam, wußte er,
daß nun seine Zeit gekommen war. Er betrachtete die hohen,
alten Erlen, die dort anmutig standen und eine unheilvolle
Stille verbreiteten, dann die schwülen roten und lila Farbtöne
der Blumen, die die letzten Strahlen der untergehenden Sonne
in Gold tauchten. Alles war so schön und vertraut und sicher.
Bis zu diesem Augenblick.
»Steht leise auf und geht ins Haus«, befahl Samuel Nichols
seiner Frau Lishia mit sanfter Stimme. »Bring die Kinder ins
Wohnzimmer. Und gebt keinen Laut von euch.«
Sie erhob sich, ohne ein Wort zu sagen, und dieses eine Mal
gehorchten ihre Kinder Sam Jr. und Frank sowie ihre jungen
Stieftöchter Olga, Billie und Ruth ohne Widerworte. Als sich
Lishia behutsam auf das Polstersofa niederließ, legte sie ein
Kissen schützend vor den dicken Bauch und zog Frank, ihren
jüngsten Sohn, eng an sich. Die anderen vier setzten sich mit
weit aufgerissenen Augen still irgendwo hin. Alle hatten große
Angst.
Mein Vater sah von der Veranda zu, wie die lange schwarze
Limousine in die Auffahrt einbog und anhielt. Vier Weiße
stiegen wortlos aus; sie trugen fast identische schwarze
Kamelhaarmäntel und schwarze Filzhüte. Während drei der
Männer meinen Vater anstarrten, öffnete der vierte den
hinteren Wagenschlag. Ein Mann in einem glänzenden
perlgrauen Seidenanzug, einem weißen Seidenhemd und
Krawatte stieg aus. Er hätte ein typischer Chicagoer
Geschäftsmann sein können, aber die blitzende
Diamantkrawattennadel, der Ring am kleinen Finger und die
bedrohliche, zugleich servile Art seiner vier ›Assistenten‹
verrieten ihn.
»Du bist Sam Nichols?« fragte er.
»Ja. Sie sind genau richtig. Ich bin Sam Nichols. Ich bin der
Bürgermeister dieser Stadt.«
»Nun, du hast ein Problem, Sam«, sagte der Fremde ruhig
und beherrscht. »Du weißt, wer ich bin?«
»Ich weiß, warum Sie hier sind. Ich lese Zeitung. Ich weiß
nur nicht, was Sie von mir wollen.«
»Gestatte, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Mr.
Capone, und ich bin hier, weil mein Bruder Al sehr
unzufrieden mit dir ist, Sam.«
Mein Vater ließ sich von Capones ruhiger Art nicht täuschen.
»Können wir unter vier Augen in meinem Arbeitszimmer
sprechen?« fragte er. »Meine Frau ist schwanger, und Sie
haben meine Kinder erschreckt. Es ist doch wohl nicht nötig,
daß sie das hier mitbekommen, oder?«
»Geh vor«, erwiderte Capone und schnippte mit den Fingern.
Die drei Männer folgten Vater ins Haus. Zwei von ihnen
stellten sich an die Tür zum Wohnzimmer, wo meine Mutter
und die Kinder saßen, und der dritte folgte seinem Boß die
Treppe hinauf, während Vater vorging. Die Kinder sahen
nervös zu, wie Vater auf der Treppe außer Sicht geriet, dann
wandten sich ihre Blicke den beiden Gangstern zu.
Mutter drückte das Kissen fester an sich und starrte stur
geradeaus.
»Brandy?« fragte Sam Nichols.
Capone fummelte an seinem perlgrauen Homburg herum und
sah meinen Vater lange Zeit an, bevor er annahm.
»Wie bereits gesagt«, fing mein Vater, der Bürgermeister, an.
»Ich weiß, daß Ihre Schnapsfabrik von einem meiner
Polizisten gestürmt wurde. Er war ein Anfänger und wollte
Eindruck schinden.«
»Er hat ‘ne Menge Eindruck geschunden, Sam«, schnaubte
Capone.
»Ja. Nun gut. Trotzdem verstehe ich nicht, warum Sie hier
sind, um Ihre Wut an mir auszulassen. Ich wußte nicht mal,
daß Sie in meiner Stadt eine Schnapsfabrik unterhalten.«
Capones skeptisches Stirnrunzeln verriet Vater, daß er ihm das
nicht abnahm. »Sehen Sie«, fügte er schnell hinzu, und die
überstürzten Worte zeigten seine Angst. »Ich weiß, daß Sie
gekommen sind, um mich umzubringen. Aber ich bitte um
zwei Dinge. Erstens: Verraten Sie mir, warum Sie mich für die
Sache verantwortlich machen. Und zweitens: Was auch immer
Sie mit mir machen, tun Sie meiner Familie nichts an. Bitte.«
Capones Geduld nahm ab. »Fünf große Scheine die Woche
machen dich verantwortlich, Sam.« Er stellte das leere Glas so
hart ab, daß es einen bedrohlichen Laut gab. »Guter Brandy«,
bemerkte er, als er von seinem Stuhl aufstand und sich
umdrehte. »Mach es schnell und sauber«, befahl er dann leise
dem Leibwächter, als handele es sich um einen nachträglichen
Einfall.
Capone hatte die Hand am Türknauf, als mein Vater leise
aber beharrlich behauptete: »Ich habe nicht einmal einen Dirne
von Ihrem gottverdammten Geld erhalten!«
Der Gangster drehte sich um. Der Leibwächter entspannte die
Hand, die er ins Jackett geschoben hatte.
»Das mußt du erklären, Sam«, befahl Capone.
»Das müssen Sie erklären. Ich sollte wenigstens wissen,
warum ich sterbe! Wem haben Sie das Geld gegeben?«
»Was bist du, pazzo?« explodierte Capone. »Deinem
Polizeichef, Sam! Zwei für ihn und drei für dich, Bargeld, auf
die Hand, jede Woche die letzten achtzehn Monate. Ich habe
genug von diesem Spielchen. Arrivederci!«
Vater sprang vom Stuhl auf. »Ich habe auch genug,
verdammt!« rief er. »Ich habe von diesem Mistkerl nicht einen
Dirne bekommen, und er hat es mir auch nicht gesagt! Er
wußte genau, daß ich ihm in diesem Fall seinen Kopf auf
einem Tablett gebracht hätte. Davon abgesehen würde diese
Begegnung niemals stattfinden, da ich nicht zugelassen hätte,
daß Sie Ihre dreckige Schnapsfabrik in meiner Stadt errichten!
Das ist eine saubere, anständige Stadt! Mein Vater hat
geholfen, diese Stadt zu gründen, und ich würde eher sterben,
bevor ich helfe, sie in den Schmutz zu ziehen, verdammt!«
Capone und sein Schläger wechselten einen schnellen Blick.
»Das wäre dir um ein Haar auch geschehen, Sam«, sagte er
dann. »Ich sag’ dir was. Wir überprüfen deine Geschichte.
Stimmt sie, lassen wir dich in Ruhe.«
Wie betäubt folgte Vater den beiden aus dem Arbeitszimmer
die Treppe hinunter. Die beiden Leibwächter, die die Familie
in Schach hielten, sahen überrascht auf.
Capone durchquerte das Zimmer, klopfte meiner Mutter auf
die Schulter und ließ die Hand dort verweilen. »Du kannst dich
wieder entspannen, Süße. Mit Sam ist alles in Ordnung.
Zumindest für den Augenblick.«
Zum erstenmal begegnete Lishia dem Blick des Besuchers,
und während sie durch ihn hindurchsah, nahm sie langsam das
Kissen vom Leib und enthüllte einen Revolver mit
Perlmuttgriff, so kalt, schwarz und glänzend wie das Auge
einer Schlange und geladen. Die Kinder keuchten auf, und ihr
Mann hielt den Atem an.
»Das ist auch verdammt noch mal besser so!« zischte sie.
Capones Leibwächter rissen überrascht die Waffen heraus,
aber ihr Boß bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sich zu
entspannen. »Den haben Sie die ganze Zeit gehalten?« fragte
er ungläubig und nahm vorsichtig die Hand von ihrer Schulter.
»Warum haben Sie ihn nicht benutzt?«
»Sie haben nichts getan«, antwortete sie eisig. »Sie waren in
meinem Haus zu Gast!«
Capones nervöses Lachen zerriß die Stille. »Ihr seid alle
pazzo!« rief er. Er versuchte, seinen unfähigen Leibwächtern
einen wütenden Blick zuzuwerfen, konnte jedoch nicht
aufhören zu lachen. »Raus hier, ihr Idioten!«
An der Tür drehte sich Capone noch einmal um. »Wir
kommen nicht wieder, Mrs. Nichols.« Er wandte sich an
meinen Vater. »Sie haben da eine wirklich erstaunliche kleine
Lady, Mr. Bürgermeister.«
Capone verschwand in den spätsommerlichen Abend, um
unser Leben nie wieder zu bedrohen. Als sich die Tür schloß,
eilten meine Eltern auf die Kinder zu, um sie zu umarmen.
Und wo war ich die ganze Zeit? Unter dem Kissen, neben
dem Revolver, im Leib meiner Mutter, und wartete darauf,
geboren zu werden.

Im Jahre 1932 gab es in diesem Land Hunderte von Orten, wo


ein Schwarzer ermordet werden konnte, ohne jemals vermißt
zu werden, aber Robbins, Illinois, gehörte nicht dazu. Robbins
ist eine kleine Stadt etwa dreißig Meilen südwestlich von
Chicago und sieht aus wie Tausende ähnlicher Kleinstädte.
Und doch ist Robbins einzigartig, denn es ist eine von nur vier
ausschließlich von Schwarzen regierten Städten in Amerika;
ein seltenes soziales Experiment, das 1892 seinen Anfang
nahm. Damals stießen Landspekulanten, die ein paar Jahre
zuvor darauf gesetzt hatten, daß Chicago sich über seine
Stadtgrenzen hinaus ausbreiten würde, billige Landparzellen
ab, als der vorhergesagte Boom nicht eintraf. Ein Weißer
namens Henry B. Robbins, den die Rassendiskriminierung mit
Wut erfüllte, kaufte viele der Grundstücke auf, um sie dann zu
einem fairen Preis an schwarze und gemischtrassige Ehepaare
zu verkaufen, die sonst keinerlei Hoffnung hatten, jemals zu
Landbesitz zu kommen.
Meine Großeltern väterlicherseits, Samuel Gillespie Nichols
und Lydia Annie Myers Nichols, stammten aus der derselben
Welt – dem amerikanischen Süden in der Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts –, doch ihre Pfade hätten sich
niemals kreuzen sollen. Zumindest nicht auf eine Weise, die zu
verstehen gab, daß sie gleich waren. Samuel Gillespie wurde
1849 in Natchez, Mississippi, geboren, einer blühenden
Bastion des Alten Südens, bis es in der Mitte des
Bürgerkrieges von der Union erobert wurde. Sein Vater, mein
Urgroßvater, besaß vierhundert Sklaven.
Meine Großmutter Lydia Myers wurde 1862 geboren; sie war
das Kind einer Familie befreiter Sklaven. Die Zeit hat die
Geschichte, wie sich meine Großeltern kennenlernten und sich
verliebten, aus den Erinnerungen ausgelöscht. Aber Lydia und
Samuel wurden 1878 einen Tag nach Weihnachten getraut, im
Süden. Die Sklaverei war seit über einem Jahrzehnt
abgeschafft – zumindest juristisch gesehen –, aber die Macht
dieser widerwärtigen Institution hielt sich auf beiden Seiten der
Mason-Dixon-Linie. Die Vorstellung, daß ein weißer Mann
seine Liebe für eine schwarze Frau öffentlich machte, war
undenkbar.
Das ist einer der Gründe, warum ein Kind von Eltern
verschiedener Rassen automatisch als schwarz angesehen
wurde. Hätte man in jenen Tagen solchen Nachwuchs
anerkannt – der für gewöhnlich durch eine Vergewaltigung
entstanden war –, so hätte man ein ›schwarzes‹ Kind auf die
gleiche Stufe wie ein weißes gestellt. Die weiße Mutter eines
schwarzen Kindes verlor ihre soziale Stellung, während eine
Schwarze von vornherein keine besaß. Die gesellschaftliche
Stellung beider Arten von Frauen zu erhöhen, indem man sie
heiratete und damit ihre Kinder als gleichwertig anerkannte,
war eine direkte Bedrohung des Fundaments der
amerikanischen Gesellschaft, und zwar sowohl im Süden wie
auch im Norden.
Ob meine Großeltern vor oder nach ihrer Hochzeit von ihren
Familien fortliefen, wissen wir nicht. Es ist auch unklar, wann
Samuel S. Gillespie den Nachnamen Nichols annahm, obwohl
wir uns den Grund denken können. Seinem Vater, einem
sturen Waliser, der mit seiner Plantage ein Vermögen gemacht
hatte, hatte Samuels Heirat und die damit verbundene
›Entehrung‹ der ganzen Familie das Herz gebrochen. Voller
Wut über die Unabhängigkeit und Rebellion seines
Nachkommen enterbte er ihn nicht nur, sondern sandte einen
Schlägertrupp aus, um seinen Sohn gegen dessen Willen an
den ihm ›zustehenden‹ Platz zurückzubringen.
Mein Großvater war ein Mann von unerschütterlicher
Entschlossenheit und mit einer klaren moralischen Vision.
»Niemand befiehlt mir, wen ich zu lieben und wie ich mein
Leben zu leben habe!« verkündete er. »Niemand wird mir das
vorschreiben – keine Gesellschaft und auch nicht die Familie.«
Soweit bekannt ist, wechselte Samuel nie wieder auch nur ein
Wort mit seinem Vater.
Samuel und Lydia Nichols liebten sich leidenschaftlich. Man
kann sich keine zwei Leute vorstellen, die verschiedener
aussahen als meine Großeltern: Samuel mit seiner rosigen
weißen Haut, dem hellroten Haar und den grünen Augen, und
Lydia, deren schokoladenfarbene Haut und das taillenlange
ebenholzfarbene Haar ihre spanischen, maurischen und
afrikanischen Wurzeln verriet. Indem mein Großvater einen
neuen Namen annahm und die Verbindung zu seiner Familie
abbrach, gründete er eine neue Familie – seine eigene Familie
–, die von der Macht der Liebe und nicht den
gesellschaftlichen Konventionen geformt wurde.
Ihre ersten beiden Kinder, meine Tante Blanche und Onkel
Frank, die ersten einer neuen Generation, kamen in Natchez
zur Welt. Mein Vater Samuel Earl Nichols, Sr. wurde zwölf
Jahre nach Frank geboren; zu dieser Zeit wohnten meine
Großeltern bereits im Norden.
Mein Vater war in jeder Hinsicht das Nesthäkchen der
Familie. Er war ein hübscher kleiner Junge, der sich in der
Aufmerksamkeit und Zuneigung seiner in ihn förmlich
vernarrten Eltern sonnte. Das lag möglicherweise daran, daß er
ein unerwarteter Nachzügler war und ihnen vermutlich noch
einmal das Gefühl gab, jung zu sein. Samuels und Lydias
andere Kinder waren fast schon erwachsen, die Angst vor dem
Zorn meines Urgroßvaters war verflogen, und so konnten sie
etwas aufatmen und sich an ihrem kleinen Sohn erfreuen.
Obwohl im Norden die Vorurteile gegenüber den Schwarzen
angeblich weniger verbreitet waren (worüber man geteilter
Meinung sein kann), stießen Mischehen mit ihren
Nachkommen auf die gleiche hartnäckige Ablehnung. Selbst
für Sam G. Nichols war es so gut wie unmöglich, einen
anständigen Ort zu finden, an dem er und seine Familie
unbehelligt leben konnten. Und so bot ihnen diese neue
Gemeinde – wie Hunderten anderer Leute auch – eine sichere
Zuflucht; hier hatten sie die Chance, ein normales Leben zu
führen und ihre Kinder ohne Angst und ohne die
mißbilligenden Blicke aufziehen zu können, die Angehörigen
von Mischehen so vertraut waren.
In Robbins verlebte Samuel Nichols an der Seite seiner
geliebten Lydia, die er zärtlich ›Lit‹ nannte, den Rest seiner
Tage, zog mit ihr zusammen ihre drei Kinder groß und blickte
nicht einmal zurück.
Irgendwann um die Jahrhundertwende kam ein Anwalt im
Auftrag seines Vaters nach Robbins, mit der Nachricht, daß
James Gillespie im Sterben lag und den Wunsch hegte, ihn
wieder in sein Testament aufzunehmen. Nun waren meine
Großeltern keine armen Leute; trotzdem dachten sie lange
darüber nach, ob sie das Recht hatten, ihren Kindern deren
rechtmäßiges Erbe vorzuenthalten. Als Samuel seine Frau bat,
ihn zurück in den Süden zu begleiten, erwiderte sie: »Nein. Du
bist es, der zu seinem Vater muß.«
»Ja, es wäre nicht ratsam«, mischte sich daraufhin der Anwalt
ein. »Schließlich will Ihr Vater Sie sehen, damit er Ihnen
vergeben kann.«
Samuels Augen funkelten vor Zorn. »Sind das Ihre Worte
oder die seinen?«
»Meine genauen Anweisungen lauten: ›Teilen Sie meinem
Sohn mit, daß ich ihn liebe und bereit bin, ihm seinen Fehler
zu verzeihen, und ihn wieder in mein Testament aufnehmen
werde.‹« Natürlich wählte der Anwalt seine Worte mit
Bedacht. Er sagte nicht geradeheraus: »Lassen Sie Ihre
schwarze Frau und Ihre Mischlingskinder zu Hause.« Das war
auch nicht nötig. Alle verstanden auch so, daß sie unter keinen
Umständen willkommen waren.
»Das hat mein Vater gesagt?« fragte Samuel.
»Nun, ja!« erwiderte der Anwalt strahlend. »Was für ein
wundervoller Mann Ihr Vater doch ist! Er liegt im Sterben und
will Ihnen vergeben!«
»Sagen Sie dem alten weißen Mann, er soll sterben und zur
Hölle fahren«, knurrte mein Großvater. »Es gibt nichts, das er
mir vergeben könnte.« Mit diesen Worten verzichtete Samuel
G. – erneut – auf sein Erbe, um auf der Seite von Lydia und
ihren Kindern zu stehen.
Bis zum heutigen Tag wissen wir nicht, ob James Gillespie
meinen Großvater und dessen Erben wieder in sein Testament
einbezogen hat. Zwar besitzen wir die erforderlichen
Familienunterlagen, die wir brauchten, um als direkte
Nachkommen sein Vermögen für uns zu beanspruchen. Mein
Großvater blieb standhaft in seiner Ablehnung des Geldes,
aber er stellte es seinen Kindern, Enkeln oder Urenkeln frei,
die Angelegenheit in ihrem Sinne zu regeln, falls sie den
Wunsch dazu verspürten. Uns allen war klar, welch ein
Zeichen es gesetzt hätte, selbst nur einen kleinen Teil des
durch Sklaverei erwirtschafteten Vermögens der
Bürgerrechtsbewegung zu spenden. Doch aus Respekt und als
Tribut an meinen Großvater haben wir es niemals getan. Wenn
er es nicht nötig hatte, auf das Geld seines Vaters
zurückzugreifen, dann galt das ebenso für uns.
Nach den Jahren des Kampfes und der Freude war Sams und
Lydias jugendliche Leidenschaft einer tiefen Liebe gewichen.
Vor ihrem Tod waren Lydia und Samuel Nichols fast ein
halbes Jahrhundert miteinander verheiratet gewesen; sie hatten
miterlebt, wie zwei ihrer Kinder geheiratet und ihnen sechs
Enkel geschenkt hatten. Im Alter ähnelten sie einander sogar.
Natürlich abgesehen von der Hautfarbe. Sie hatten sogar einen
schwarzweiß gefleckten Hund gehabt, Patch.
Obwohl sie meine Geburt nicht mehr erlebt haben, hat ihre
gegenseitige Liebe, ihre Hingabe an das, was sie für richtig
erachteten und die Weigerung, von ihren Überzeugungen
Abstriche zu machen, uns allen den Weg gewiesen.
Mein Vater besuchte die Howard University in Washington,
D.C. und wurde Chemiker. 1914 heiratete er im Alter von
zwanzig Jahren seine erste Frau, Catherine Romena Minnie
Cordoza, kurz Minnie genannt. Im Verlauf der nächsten sechs
Jahre zeugten sie drei Töchter, meine Halbschwestern Ruth,
Olga und Thelma (die wir Billie nennen), aber 1924 ließen sie
sich scheiden. Nun mußte mein Vater allein drei Töchter
großziehen. Jeden Morgen machte er die lange Fahrt von
Robbins zur North Side von Chicago, wo er für die Hydrox
Chemical Company arbeitete. Er entwickelte zahlreiche
Hautcremes und Parfums; die Patente behielt natürlich die
Firma. In Robbins wurde er in der Kommunalpolitik aktiv,
zuerst als Stadtrat und dann als Bürgermeister. Er hatte einen
guten Job, eine respektierte Stellung in der Gemeinde und
seine drei wunderschönen Töchter. Und das letzte, wonach er
Ausschau hielt, war eine neue Frau.
Lishia Mae Parks, meine Mutter, kam 1906 in Oklahoma City
zur Welt. Vom Tag ihrer Geburt an sah sie sich Neugier und
Mißtrauen ausgesetzt, da sie mit einer ›Glückshaube‹ oder
einem ›Schleier‹ über dem Gesicht zur Welt kam.
Nachbarinnen flüsterten, dies sei ein Zeichen, daß Lishia Mae
Parks ungewöhnliche, übernatürliche Kräfte wie die Fähigkeit,
in die Zukunft zu schauen, besäße. Und so war es auch.
Zusammen mit ihrer Schönheit (sie war je zur Hälfte
Cherokeeindianerin und Afrikanerin) und einer
außergewöhnlichen Intelligenz hob dies meine Mutter von
ihrer Umgebung ab, und so manches Mal wurde sie deswegen
gemieden.
Lishia war noch ein Baby, als ihr Vater im Alter von
fünfunddreißig Jahren starb und sie mitsamt ihrer trauernden
Mutter allein ließ. Wie die meisten Frauen ihrer Zeit war
meine Großmutter mütterlicherseits kaum dazu in der Lage,
den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter zu verdienen,
und so heiratete sie an Thanksgiving 1907 William Humphries.
Ob sie aus Liebe oder aus ökonomischer Notwendigkeit
heiratete, vermag ich nicht zu sagen. Aber meine Mutter
äußerte sich kritisch über ihren Stiefvater als einen
kaltherzigen, gefühllosen Menschen, der eifersüchtig über ihre
Leistungen hinwegging. Er soll sie öfter mit den Worten
verspottet haben: »Oh, du hältst dich immer für so schlau,
Missy, stimmt’s?« Doch selbst mit seiner Hilfe waren die
finanziellen Schwierigkeiten der Familie lange nicht vorbei.
Eigentlich kann ich mir nur schwer vorstellen, daß meine
Mutter von ihren Eltern ignoriert und auf diese Weise gequält
wurde – Eltern, denen die nötige Bildung fehlte, um sie zu
leiten und zu unterstützen, und die der Meinung waren, daß
man Kinder sehen, aber nicht hören sollte. Im Gegensatz zu
den meisten Kindern, denen man so das Selbstbewußtsein
geraubt hätte, konnte sich Lishia behaupten und im Leben
ihren Weg gehen.
Mit neunzehn Jahren gebar meine Mutter ihr erstes Kind,
einen Sohn namens Eric. Es ist ein Beispiel für ihren
unbezähmbaren Willen, daß sie sich auch dadurch nicht
unterkriegen ließ. Dank ihrer hervorragenden schulischen
Leistungen erhielt sie mehrere Stipendien und besuchte die
besten Schulen des Südens. Selbst nach Erics Geburt war sie
entschlossen, das College zu beenden, um danach Jura zu
studieren.
Leider war ihrer ersten Ehe nur eine kurze Dauer beschieden,
und mit Anfang Zwanzig sah sie sich plötzlich gezwungen, bei
ihrer Tante ›Hun‹ und deren beiden Töchtern in Chicago zu
leben. Sie arbeitete als Dienstmädchen für eine wohlhabende
weiße Familie an Chicagos North Side. Eines Tages kam die
Dame des Hauses in die Küche und traf ihren Mann und meine
Mutter an, wie sie über Literatur und Philosophie diskutierten.
In Lateinisch!
Bis zum Augenblick ihrer Begegnung hatte es für meine
Eltern den Anschein gehabt, als hätten sie sich damit
abgefunden, ihre Kinder allein großzuziehen. Mein Vater, der
noch immer nicht überwunden hatte, daß seine erste Frau ihn
verließ, war geschickt allen Versuchen seiner wohlmeinenden
Freunde und Familienmitglieder entgangen, für ihn eine neue
Frau zu suchen. Er hatte über fünf Jahre lang seine Töchter
großgezogen, den Arbeitsplatz behalten und erfolgreich die
Geschicke Robbins’ mitbestimmt. Soweit es ihn anging, kam
er sehr gut auch so zurecht. Meine Mutter hatte wie viele frisch
geschiedenen Frauen mit einem Kind kein Interesse an solchen
Dingen.
Im Verlauf einer Unterhaltung erwähnte ein Freund meines
Vaters der Tante meiner Mutter gegenüber, er kenne einen
wundervollen geschiedenen Vater dreier Töchter, der wieder
unter die Leute gehen müsse. Worauf Tante ›Hun‹ erwiderte,
sie habe eine Nichte, die sich nur um ihre Arbeit und die
Versorgung ihres Sohnes kümmere.
Nachdem Tante Hun meinen Vater das erste Mal zu Gesicht
bekommen hatte – er war redegewandt, ansehnlich, tadellos
gekleidet –, weckte sie meine Mutter (die mit den Worten zu
Bett gegangen war, sie wolle niemanden kennenlernen).
»Lishia Mae«, sagte sie. »Du hörst mir jetzt genau zu. Ich habe
alles arrangiert, und er will dich bloß in einen Nachtclub
ausführen. Und jetzt willst du nicht herunterkommen, und mir
ist das schrecklich peinlich, und das mindeste, was du tun
kannst, Lishia…«
»Okay, okay!« erwiderte Mutter.
»In mir war eine Stimme, die sagte mir: ›Auch wenn du jetzt
nicht die geringste Lust hast, raff dich auf und tu es‹«, gestand
sie mir, als sie mir die Geschichte Jahre später erzählte.
Als meine Mutter herunterkam, war ihr Haar zur Seite
gekämmt, so daß es in Wellen verführerisch über ein Auge fiel.
Ein wunderschöner Armreif schmückte ihren Oberarm, und in
ihrem Kleid – es war schwarz, bestand aus feinstem
Seidenkrepp, hatte einen schräg geschnittenen Saum und war
in Hüfthöhe mit großen roten Rosen bestickt – erschien sie
ihrem zögerlichen Begleiter wie eine unwirkliche Erscheinung.
»Als sie durch die Tür trat«, erinnerte sich mein Vater,
»verlor ich mein Herz. Für immer.« Ein paar Monate später
waren sie verheiratet.
In der kleinen, geschlossenen Gemeinde, die Robbins
darstellte, war Mutter eine Fremde. Mein Vater war sehr
hellhäutig, und die Haut meiner Mutter hatte die Farbe von
Zartbitterschokolade. Die gleichen Vorurteile, die das weiße
Establishment benutzte, um die Schwarzen zu unterdrücken,
waren auch in der schwarzen Gemeinde üblich. Da Lishia eine
sehr dunkle Hautfarbe hatte, mußte sie sich mit subtilen
Vorurteilen auseinandersetzen, als sie meinen Vater heiratete.
Selbst in einer gemischtrassigen Stadt wie Robbins heirateten
weniger hellhäutige Männer schwarze Frauen als hellhäutige
Frauen schwarze Männer. Die Leute wunderten sich darüber,
daß Bürgermeister Samuel Nichols, der sich die beste Frau
hätte aussuchen können – unter der Definition ›beste Frau‹
verstand man eine hellhäutige Frau, so wie seine Ex-Frau –,
eine Frau mit einer solch dunklen Hautfarbe heiratete. Zu
dieser Zeit übernahmen viele Schwarze die rassistische Parole:
»Als Weißer geht’s dir gut; als Gelber verlierst du schnell den
Mut; als Brauner darfst du bleiben; als Schwarzer mußt du
eilen.« Damals war es nicht ungewöhnlich, daß ein
erfolgreicher Schwarzer eine hellhäutige Schwarze heiratete,
da sie ein Statussymbol darstellte.
Ich bin in meinem Leben viel in der Welt herumgekommen
und habe gelernt, daß jede ethnische Gruppe ihre eigene Liste
wünschenswerter körperlicher Qualitäten hat, und die
Schwarzen sind da keine Ausnahme. Interessanterweise sprach
sich mein Vater vehement gegen diese Einstellung aus. Zu
Anfang dieses Jahrhunderts gab es unter einigen der
gebildeteren ›Neger‹ der Oberklasse sogenannte ›Blaue-
Venen-Clubs‹, schwarze Geheimgesellschaften, deren
Mitglieder sich dadurch qualifizierten, daß man die blauen
Venen durchschimmern sehen konnte. Während seiner Zeit auf
der Howard University bot man meinem Vater die
Mitgliedschaft in einem dieser Clubs an, was er wütend
ablehnte.
Es ist eine der heimtückischsten Aspekte des Rassismus, daß
er nicht nur diejenigen vergiftet, die ihn praktizieren, sondern
auch seine Opfer. Das Problem mit der Hellhäutigkeit scheint
zuerst keinen Sinn zu ergeben, bis man begreift, daß sich viele
Schwarze einfach daran hielten, was sie aus eigener Erfahrung
kannten: Je heller man war, je glattere Haare man hatte, desto
leichter kam man vorwärts in der Welt.
Vaters hohe Position in seiner Gemeinde sorgte dafür, daß
man die Mißbilligung über seine Wahl höchstens versteckt
zum Ausdruck brachte. Natürlich minderte das in keiner Weise
den Schmerz und die Erniedrigung, die meine Mutter mit
Sicherheit verspürte, und doch mußte ich paradoxerweise viele
Jahre später die Erfahrung machen, daß sie gegen diese
Ansichten nicht immun war. Trotz ihrer Intelligenz gab meine
Mutter sie an ihre Kinder weiter, die sie gottlob nicht
annahmen.
Ein Familienfoto, das ein paar Jahre vor meiner Geburt
aufgenommen wurde, zeigt meinen gutgekleideten Vater, der
in jeder Hinsicht das Bild eines wohlhabenden Weißen abgibt,
seine drei Töchter im Teenageralter – Ruth und Billie mit ihrer
weißen, wie Elfenbein schimmernden Haut und dem
flammendroten Haar und Olga mit ihrem rabenschwarzen Haar
und der olivefarbenen Haut –, seine wunderschöne junge Frau,
je zur Hälfte Cherokeeindianerin und Afrikanerin, und die
beiden Kleinkinder, die fast weiß sind. Dieses eine Bild zeigt
genau, was wir Nichols-Kinder darstellen, wo wir herkommen
und aus welchem Holz wir geschnitzt sind.
Aber da sind noch die Qualitäten, die man nicht sehen kann:
Mutters entschlossene Willenskraft und eiserne
Unabhängigkeit, geschmiedet durch Armut und Verachtung,
und Vaters Geduld, Selbstbewußtsein und Liebe. Mutter und
Vater waren in vielerlei Hinsicht völlig gegensätzlich. Sobald
sie ihre Verbindung eingegangen waren, sollte jedoch nichts
von ihrer Weisheit, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen
verschwendet werden oder in Vergessenheit geraten. Das alles
bildete – in Gutem wie im Schlechten – den prächtigen
Hintergrund, auf dem unser Leben aufbauen sollte.
2

Ich glaube, ich habe eine wunderbare Kindheit gehabt, sieht


man einmal von der Tatsache ab, daß ich nie Kind sein wollte
und mich auch nie so gefühlt habe. Soweit ich mich
zurückerinnern kann (und ich kann mich an Ereignisse
erinnern, die geschahen, als ich wenige Monate alt war), war
ich kein typisches Kind. Zum Beispiel konnte ich singen,
bevor ich laufen konnte. Bis zum Tag seines Todes erzählte
mein Vater begeistert die Geschichte, wie er sein Baby Grace
(ich erhielt den Namen seiner Großtante Graciella aus Sevilla
in Spanien) in den Schlaf sang, indem er unseren langen
dunklen Flur auf und ab ging. Daddy schwor, daß jedesmal,
wenn er den Kühlschrank öffnete, um mein Fläschchen zu
holen, und das Licht anging, ich wie aufs Stichwort das Lied
Let Me Entertain You oder There’s No Business Like
Showbusiness anstimmte. (Es dauerte Jahre, bevor mir auffiel,
daß er jedesmal ein anderes Lied nannte und er mir meistens
den gerade aktuellen Hit des Showbusineß in den Mund legte,
Melodien, die es damals noch gar nicht gegeben hatte.)
Ich war fünf Jahre alt, als mein Schicksal bereits feststand –
zumindest, soweit es mich betraf: Ich würde auf der Bühne
stehen. Meine Mutter hat mir erzählt, daß ich Gedichte nur ein
paarmal lesen mußte, um sie auswendig zu können, und ich
rezitierte sie dann nicht nur, sondern trug sie auf dramatische
Weise vor. Natürlich war meine erste Liebe der Gesang, und
meine Konzerte waren alles andere als improvisiert. Wenn
man meine Show sehen wollte, mußte man sich hinsetzen und
ruhig sein. Als ich älter wurde, entwickelte ich ein richtiges
Repertoire (das sich ständig änderte, je nach meiner gerade
aktuellen Schwärmerei) und plante meinen Auftritt, der mit
einem langsamen Liebeslied begann. Es folgte eine schnellere
Nummer, dann ein paar Sketche, die ich selbst geschrieben und
bis zur Perfektion eingeübt hatte. Natürlich sparte ich mir den
besten immer bis zum Schluß auf, und am Ende machte ich
meine Verbeugung, verteilte Kußhändchen und trat von der
Bühne, um auf den Höhepunkt des stürmischen Applauses zu
warten, bevor ich für meine Zugabe zurückkehrte. Aber es gab
keine zweite Zugabe: Schon damals war mir klar, daß es besser
ist, sich rar zu machen.
Ich war noch ein Säugling, als meine Familie nach Chicago
zog. Mit sieben verbrachte ich etwa einen Monat im
Krankenhaus; die Diagnose lautete Unterernährung. Ich war
ein dürres kleines Ding, das sich vor den Mahlzeiten drückte,
um mehr Zeit zum Spielen, Singen und Tanzen zu haben. Ich
hatte Milch und Orangensaft stets verabscheut, und die harten
Winter in Chicago waren wohl daran schuld, daß ich anämisch
wurde. Die Arzte verordneten ein eisenhaltiges
Stärkungsmittel, viel Obst und Gemüse sowie Sport, um die
Muskeln zu stärken. Meine Eltern schrieben mich in einer
Tanzschule ein, und die Liebe zum Tanz nahm ihren Anfang.
Meine wahre Liebe war das Ballett, und meine erste
Ballettlehrerin war Miss Virginia Reilly, eine große, blonde
Afroamerikanerin mit grünen Augen. Sie lehrte an der Sammy
Dyer School of Dancing, die 1931 von Sammy Dyer gegründet
worden war, ein damals berühmter Tänzer. Die Klasse bestand
nur aus farbigen Kindern, was zu dieser Zeit eher
ungewöhnlich war. Schwarze Eltern, die eine vielseitige
Ausbildung für ihre Kinder wünschten, sorgten dafür, daß sie
Steptanz, Kunstturnen und Modernen Tanz lernten, aber einem
schwarzen Kind zu einer Ballettkarriere Mut zu machen,
wurde als törichter Luxus angesehen. Schließlich erinnerte
man uns immer wieder daran, daß es einfach keine farbigen
Ballettänzer gab. Wozu also die Mühe?
In ihrem langen, wallenden Rock, dem Sweater und den
Ballettschuhen war die zierliche Miss Virginia die
personifizierte Anmut, die ihre Klasse voll im Griff hatte. Sie
war eine großartige Lehrerin. Entweder man liebte oder haßte
sie – manchmal beides zugleich. Das Ballett fiel mir so leicht,
daß ich mit neun bereits zur Vortänzerin aufgestiegen war.
Miss Virginia sah etwas Besonders in mir, und so trieb sie
mich zu Höchstleistungen. Der Zauber des Balletts hatte mich
vom ersten Augenblick an fest in seinen Bann geschlagen.
Nach wenigen Monaten Ballettstunden war ich kräftiger
geworden, und es dauerte nicht lange, bis ich ziemlich
sportlich war. Ich hatte keinen Spaß daran, unter Mutters
Fenster zu sitzen und mit den Mädchen der Nachbarschaft
Sandkuchen zu backen, Seilchen zu springen oder mit Puppen
zu spielen. Ich konnte die vorherrschende Meinung niemals
akzeptieren, daß Mädchen zu Hause zu bleiben und Kochen
und Saubermachen zu lernen hatten. Das war so unfair, daß es
mich wütend machte. Ich wußte, ich gehörte nach draußen, um
mit meinen beiden Brüdern Sammy und Frank etwas
anzustellen. Das war in meiner frühen Jugend ein ständiger
Zankapfel zwischen meiner Mutter und mir.
Meine Schwester Marian wurde 1941 geboren; sie war damit
neun Jahre jünger als ich. Obwohl ich auch einen jüngeren
Bruder hatte, Tommy (der 1938 zur Welt kam), blieb ich
Vaters ein und alles. Ich sagte ihm, wie einsam ich mich fühlte,
wenn Sammy und Frank mit ihren Freunden loszogen, und so
befahl er ihnen, mich mitzunehmen.
Das war vermutlich die schlimmste Folter, die ein Vater zwei
Jungen antun konnte, die gerade ins Teenageralter kamen, und
sie machten mir mit Hilfe ihrer Freunde das Leben so schwer
wie nur möglich. Nachdem wir uns irgendwo getroffen hatten,
ließ ich die täglichen ›Initationsriten‹ über mich ergehen, wenn
die Jungs mich nacheinander auf den Oberarm boxten. Der
Abmachung zufolge durfte ich sie nicht begleiten, wenn ich
dabei aufschrie oder weinte. Jeden Tag stand ich also da und
gab um meiner Ehre Willen keinen Laut von mir, weder ein
Jammern noch eine Träne. Keiner sollte es schaffen, mich nach
Hause zu schicken. Oder mich gar zum Weinen zu bringen.
Da ich den Jungs mit aller Macht keinen Grund geben wollte,
mich auszuschließen, tat ich all das, was sie auch taten. Ich
kletterte auf Bäume und schwang mich von den Ästen
herunter. Dank der Ballettstunden war ich gelenkiger als die
meisten von ihnen. Man kann sagen, daß ich ein richtiger
Wildfang war; ich hingegen hielt mich für ein ganz normales
Mädchen. Doch gegen halb fünf an jedem Nachmittag mußte
ich mich fürs Abendessen waschen, ein sauberes Spitzenkleid
anziehen und mich zu den anderen kleinen Mädchen auf die
Haustreppe setzen, um auf den Eiscremewagen zu warten.
Eines Tages entschied unser Anführer, daß wir alle vom
zweiten Treppenabsatz in die Tiefe springen sollten. Ich
willigte ein. Zwar war mir klar, daß das nicht richtig war, aber
ich hatte eigentlich vor nichts Angst außer vor dem
triumphierenden Grinsen, das garantiert auf ihren Gesichtern
erscheinen würde, wenn ich einen Rückzieher machte. Als
erster sprang ein gelenkiger Junge und kam unbeschadet unten
auf, dann war mein Bruder Frank an der Reihe. Direkt unter
dem Treppenabsatz gab es ein einladendes, weiches Stück
Rasen, und als ich hinuntersah, rechnete ich mir aus, daß ich
nur ein Stück nach vorn springen mußte, um es zu erreichen.
Die Jungs versammelten sich unten und sahen zu mir hoch.
Jedoch wußte ich nicht, daß meine Mutter zufällig aus unserem
Fenster im Erdgeschoß sah. Sie spürte, daß etwas nicht
stimmte, und lief auf den Hof. Genau in dem Augenblick, in
dem ich sprang, zerstörte der entsetzte Aufschrei meiner
Mutter meine Konzentration. Ich kam unglücklich auf und
spaltete mir mit dem Knie die Lippe. Ein brennender Schmerz
durchzuckte mich, und Blut lief mir über die nackten Beine.
Aber zeigte ich, daß ich verletzt war? Nein, zum Teufel. Dafür
war ich viel zu wütend.
Meine wütende und erschrockene Mutter verpaßte mir und
meinen Brüdern eine Woche Hausarrest. Als sie uns in unsere
Wohnung trieb, hielt ich mühsam die Tränen zurück und sagte:
»Mutter, du verstehst das nicht!«
Und ehrlich gesagt, meine Mutter verstand mich wirklich
nicht. Erst als ich älter wurde, begriff ich, daß sie mich besser
kannte, als ich mich selbst. Aber während meiner ganzen
Jugend litt ich unter der Überzeugung, daß sie mich nicht
wirklich liebte, oder wenn doch, sie mich zumindest nicht
leiden mochte. Es sollte Jahre dauern, bis ich den Grund dafür
erfuhr. Meine Mutter richtig zu verstehen, sollte für mich zur
Lebensaufgabe werden.
Da ich nun einmal davon überzeugt war, daß sie mich haßte,
ärgerte ich sie ständig. Eines Tages, ich war elf oder zwölf,
schimpfte sie mich weder einmal aus, und ich stieß plötzlich
hervor: »Mom, war es Dr. Winston, der mich in den Arm
gestochen hast?«
Sie wußte nicht, wovon ich sprach, und so erzählte ich ihr
von meiner Pockenschutzimpfung. »Und da war diese
Glühbirne – die gleiche Glühbirne, wie wir sie im Flur haben –
und du hast mich festgehalten, und Frank zog an meiner
Decke, weil er wollte, daß du ihn auf den Arm nimmst. Und da
sah ich diesen braunen Mann. War das Dr. Winston, der mir
weh getan hat?«
»Wovon redest du da eigentlich?« fragte Mutter ungeduldig.
»Er hat mir wehgetan. Er stand da, und er war nicht mein
Daddy, weil er braun war. Und er sprach zu dir und lächelte
dich an, und plötzlich tat er mir weh, und ich schrie wie am
Spieß.«
Mittlerweile hatte Mutter aufgehört, die Suppe umzurühren;
sie starrte mich an, als hätte sie mich noch nie zuvor gesehen.
»Daran kannst du dich doch unmöglich erinnern. Du warst erst
sechs oder sieben Monate alt!« rief sie aus.
»Frank zog an meiner Decke«, fuhr ich fort, »damit du ihn
auf den Arm nimmst.«
»Leg das kleine Mädchen weg und nimm mich auf den Arm.
Das hat er gesagt«, sagte Mutter ganz langsam und erstaunt.
»Und dann habe ich gebrüllt.«
»Ja, und ich wußte, daß er dir nicht weh getan haben konnte.«
»Genau! Ich war wütend. Du warst meine Mutter, meine
Beschützerin. Damals habe ich beschlossen, dir nie wieder zu
vertrauen.«
Mutter lächelte. »Ja, und das hast du auch nicht. Damals hat
es angefangen.«
Zu diesem Zeitpunkt war ich zu jung, um den bittersüßen
Humor zu begreifen, der in den Worten meiner Mutter gelegen
hatte. Aber sie hatte recht.
Es war der Anfang gewesen.
Im März 1944 brachte meine Mutter ihr sechstes und letztes
Kind zur Welt, meine Schwester Diane. Zieht man die
Intelligenz und die Stärke meiner Mutter in Betracht, macht
man es sich zu einfach, wenn man sagt, sie gab sich mit der
Mutterrolle zufrieden. Die Sache verhielt sich viel
komplizierter. Es war ihr unmöglich, ihre Klugheit oder ihre
psychischen Kräfte, die ihr ganzes Leben anhielten, zu
ignorieren. Später erzählte sie mir, wie die Träume und
Visionen ihr zu schaffen gemacht haben, da sie nur selten
Gutes verhießen. Träumte sie von aus dem Wasser
springenden Fischen, war ein Familienmitglied schwanger.
Waren die Fische tot, folgte bald eine Fehlgeburt. Mutter
mußte qualvoll miterleben, wie eine ihrer frisch verheirateten
Stieftöchter sich im frühen Glanz ihrer Schwangerschaft
sonnte, wobei sie die ganze Zeit über wußte, daß die junge
Frau das Kind verlieren würde. Und schlimmerweise traf alles
genauso ein, wie sie es vorausgeahnt hatte.
Eines Tages schrubbte sie den Küchenboden, was sie sonst
nie tat. Mein Vater hatte immer die Meinung vertreten, daß es
genug Männer im Haus gab, damit sie nicht putzen oder
staubsaugen mußte. Doch aus einem unerfindlichen Grund lag
sie auf Händen und Knien auf dem Boden und putzte wie eine
Verrückte den Boden, als sie plötzlich erstarrte. In ihren
Gedanken sah sie eine lange Trauerprozession. »Mein Gott!«
stieß sie hervor. »So ein Begräbnis kann nur das von Reverend
Clarence H. Cobb sein!« Cobb war ein prominenter
Geistlicher, der in Chicago sehr beliebt war. Eine Sekunde
später kam sie wieder zu Sinnen und fragte sich erstaunt, was
sie da auf dem Boden zu suchen hatte.
Als mein Vater an diesem Abend nach Hause kam, erzählte
sie ihm von ihrer Vision. Zwei Tage später starb Reverend
Cobb tatsächlich. Er stellte ein so wichtiges Mitglied der
Gemeinde dar, daß man seine Beerdigung im Fernsehen zeigte,
und als wir zusahen, sagte uns Mutter haargenau voraus, was
wir gleich sehen würden und in welche Straße der
Leichenwagen abbiegen würde.
»Du hast da eine besondere Fähigkeit, und du kannst sie für
etwas Gutes nutzen«, pflegte Vater ihr zu sagen. Sie gab sich
Mühe, es auf diese Weise zu sehen, aber es kostete sie viel
Kraft. Meine Mutter sagte jedes wichtige Ereignis voraus, das
in meinem Leben geschehen sollte. Später einmal beichtete sie
mir, sie habe Gott angefleht, ihre diese ›Gabe‹ zu nehmen.
Doch dann wiederum gab es Augenblicke, in denen sie an die
Vorfälle zurückdachte, wo ihre Fähigkeit eine Kraft des Guten
gewesen war, und sich fragte, ob es richtig gewesen war, diese
seltsame Gabe zu verleugnen.
Diese Eigentümlichkeiten waren jedoch ein unauslöschbarer
Teil von ihr, der sich am Ende nicht unterdrücken ließ. Aber
während unserer Jugend verwandte meine Mutter ungeheure
Energien darauf, ihre psychischen Fähigkeiten, ihre
Ambitionen und ihren Willen zu unterdrücken. Obwohl es
nicht stimmte, behauptete mein Vater oft, er sei meiner Mutter
intellektuell in keiner Weise gewachsen. Er bewunderte,
respektierte und liebte sie. Trotzdem war er seltsamerweise
extrem besitzergreifend und eifersüchtig, ständig von der
Angst getrieben, er könnte sie verlieren. Und darum
unterdrückte er sie. Was hätte mit der Unterstützung ihres
Mannes alles aus ihr werden können?
Die Reserviertheit meiner Mutter – die ich damals für
Gefühlskälte hielt – entstammte zum Teil ihrer eigenen
lieblosen Jugend. Mein Vater dagegen verfügte über das
Selbstvertrauen, das durch eine Atmosphäre der Wärme und
der bedingungslosen Liebe entsteht, und so liebte er uns
Kinder auf die einzige Weise, die er kannte. Er ließ in uns die
Überzeugung wachsen, daß wir etwas Besonderes waren.
Einmal wollte er mir die Bedeutung und den automatischen
Wert von Dingen erklären, die anders sind, und so brachte er
ein Buch mit Bildern von Schneeflocken mit. »Siehst du«,
sagte er und zeigte auf die sternförmigen weißen
Schneegebilde, »jede ist anders, und doch ist jede auf ihre
ureigene Weise perfekt.«
Trotz der vielen Ungerechtigkeiten und Nöte, die meine
Eltern als Schwarze zu erdulden hatten, waren sie nie
verbittert. Es kam ihnen einfach nicht in den Sinn, sich aus
irgendeinem Grund für minderwertig oder zweitklassig zu
halten. »Ihr seid nicht besser als andere«, lehrte Vater uns.
»Aber es gibt auch niemanden, der besser ist, als ihr es seid.«
Meine Eltern – und im Falle meines Vaters galt das auch für
dessen Eltern – hatten alle Widerstände überwunden und das
System besiegt. Sie sahen keinen Grund, warum wir Kinder
nicht das werden sollten, was wir wollten.
Sie hatten eine hohe Meinung von Bildung und verehrten die
Künste, und so gab es in unserem Zuhause alle möglichen
Bücher, von Shakespeare über die Klassiker bis zu
zeitgenössischer Dichtung, Romanen und Kunst. Nicht zu
vergessen die Musik. In unserem Wohnzimmer stand ein
Klavier, und in der geräumigen Wohnung in der South Side
gab es deutliche Spuren für die Vorlieben der Kinder: die
Farben und Leinwände meines Bruders Samuel, Franks
Violine und Notenblätter und meine Ballettschuhe und
Manuskripte. Egal, wie unsere Interessen auch aussahen,
unsere Eltern sorgten dafür, daß wir alles hatten, was wir
brauchten, um vorzügliche Leistungen zu erringen. Wir waren
alles andere als reich, aber sie investierten das, was sie hatten,
in die Zukunft ihrer Kinder. Es stand fest, daß wir das College
besuchen würden.
Dabei waren meine Eltern sehr progressiv; sie waren der
festen Überzeugung, daß man genausoviel lernt, wenn man
seine Zeit damit verbrachte, sein besonderes Talent zu
perfektionieren, sei es Musik, Tanz, Mode, Architektur oder
ein Unternehmen. In unserem Haus hatte man begriffen, daß es
nicht wichtig war, welchen Beruf man auswählte: allein die
Person zählt.
Die progressiven Neigungen meiner Eltern erstreckten sich
auch auf die Religion. Jeden Sonntagmorgen mußten wir
Kinder zur Kirche; manchmal war es eine Kirche der
Baptisten, manchmal eine der Methodisten. Mit Freunden
besuchten wir die katholischen Messen. Für meine gläubigen,
aber unabhängigen Eltern spielte weniger die Konfession eine
Rolle als die Tatsache, daß man ein Haus Gottes besuchte.
»Bei Gott und der Kirche sollte es um die Liebe und ein
Zusammenleben aller Menschen gehen. Man erweist Gott
seinen Respekt, und nicht dem Pastor oder dem Priester. Die
Kirche ist dafür da, daß man sich eine Stunde Zeit nimmt, um
Gott und das Leben zu feiern, dafür zu danken, wer man ist
und wo man ist. Und dabei spielt es keine Rolle, welche
Philosophie diese Kirche vertritt«, pflegte Vater zu sagen.
Man brachte uns bei, daß unser Glaube von innen kommt,
daß unsere Talente kostbare Geschenke sind, die man
respektieren und in Ehren halten muß. Hier wie auch in fast
allem anderen lag es in der Absicht unserer Eltern, uns
beizubringen, daß Gott uns mit der Gabe gesegnet hatte, für
uns selbst zu denken, Fragen zu stellen und den Mut zu haben,
für unseren Glauben einzutreten. Die ›Church of Religious
Science‹ – bzw. ›Science of Mind‹ – sollte die formelle
Religion sein, die meinen spirituellen Überzeugungen am
nächsten kam, und ich bin dort seit einigen Jahren Mitglied.

Als ich zum jungen Mädchen heranwuchs, verfolgte ich meine


Liebe zum Gesang und zur Darstellung weiter. Zusätzlich zu
den Auftritten in Schulaufführungen und Vorträgen führte ich
mit den Nachbarskindern ›Theaterstücke‹ auf, wobei ich Regie
führte. Ab meinem zwölften Lebensjahr war ich fest davon
überzeugt, professionelle Ballerina werden zu können. Als ich
vierzehn war, sagte Miss Virginia meinen Eltern, sie könnte
mir nichts mehr beibringen. Ihrer Meinung nach brauchte mein
Talent mehr als die zweimal wöchentlich stattfindenden
Ballettstunden in Sammy Dyers Schule.
Für meine weitere Ausbildung hätte Sadie Bruce’
Ballettschule eine Alternative geboten. Diese Schule war
bekannt für ihre ausgezeichnete Ballettausbildung. Damals
berichteten die Chicagoer Lokalzeitungen über die öffentlichen
Auftritte beider Schulen, und eine Zeitlang entwickelte sich
eine inoffizielle Rivalität zwischen mir, Sammys Dyers
Musterschülerin, und Frances Taylor, Sadie Bruce’ beste
Tänzerin. Frances tanzte später in ganz Europa und heiratete
Miles Davis. Miss Bruce nahm jeden Sommer ihre besten
Tänzerinnen und verbrachte mit ihnen drei Monate auf dem
Land, wo sie gnadenlos gedrillt wurden. Dieser Kurs war
offensichtlich intensiver, aber beide Schulen genossen ein so
hohes Ansehen, daß führende Choreographen auf der Suche
nach neuen, jungen Tänzern und Tänzerinnen für ihre
Ensembles ihnen regelmäßig Besuche abstatteten. So lernte ich
die große Katherine Dunham kennen.
Wie jeder Tanzbegeisterte weiß, war Miss Dunham damals
die führende schwarze Choreographin und ein großer Star. Sie
war in Chicago zur Welt gekommen und hatte Ballett gelernt,
zusätzlich aber in ganz Amerika, auf den Westindischen Inseln
und in Afrika die Wurzeln des afrikanischen Tanzes erforscht.
Die Vorstellungen ihrer Tanztruppe 1940 in New York City,
wo sie der Öffentlichkeit ihre revolutionäre Mischung
primitiver Tanzformen vorstellte, waren Meilensteine in der
Geschichte des Modernen Tanzes.
Ich brauche nicht extra zu erwähnen, daß Katherine Dunham
für eine ehrgeizige zwölfjährige Tänzerin eine lebende
Legende darstellte, und wir waren alle aufgeregt, als wir
erfuhren, daß wir für sie tanzen sollten. Der Tag, an dem Miss
Dunham unsere Schule besuchte, war damals der größte Tag
meines Lebens. Viele von uns hatten Soloauftritte. Ich tanzte
Ausschnitte aus einem Ballett, dazu kamen ein paar exotische
freie Tanzfiguren. Während ich auf meinen Auftritt wartete,
hatte ich das Gefühl, gleich sterben zu müssen. Man stand da
und fragte sich: Wie werde ich anfangen? Wie werde ich
aufhören? Aber sobald die Musik beginnt, übernimmt der
Tanz das Kommando. Er wird zu deiner Geschichte, zu deinem
Lied. Man wird zu ihm, und er reißt einen mit.
Als ich fertig war, sagte Miss Dunham Mr. Dyer, ich sei ein
außerordentliches Talent, und sie versprach, mit ihm und
meinen Eltern in Verbindung zu bleiben, was sie in den
folgenden Jahren auch tat. Für eine junge Tänzerin gab es kein
größeres Lob.
Dennoch hatte ich noch immer eine Karriere am Ballett vor
Augen, also ging Vater zur Chicago Ballet Academy und
sprach mit dem Ballettmeister, dem er die Situation erklärte.
Der Ballettmeister gab ihm einen Termin, an dem ich
vortanzen sollte und das Versprechen, mich aufzunehmen,
sollte ich die Prüfung bestehen. Als mir Daddy davon erzählte,
war ich außer mir vor Freude, und an dem großen Tag fuhren
wir mit großen Hoffnungen in die Innenstadt.
Die Akademie war schon ziemlich beeindruckend, aber das
war nichts im Vergleich zu dem Ballettmeister, einem alten
herrischen Russen, an dessen Namen ich mich nicht mehr
genau erinnern kann. Ich weiß nur noch, daß er sich so ähnlich
wie ›Karishkov‹ anhörte. Für mich war er einfach nur der
›verrückte Russe‹. Er warf meinem hellhäutigen Vater einen
langen Blick zu, sah daraufhin mich an und brüllte: »Sagten
Sie nicht, der Termin sei für Ihre Tochter? Wir nehmen keine
schwarzen Schüler auf. Schwarze können kein Ballett tanzen.
Kann schon sein, daß es beim Jazz und beim Steptanz keine
besseren gibt.« Er hielt das wohl für nett. »Aber das Ballett?
Niemals!«
»Das ist meine Tochter«, erwiderte Vater angespannt. Ich
spürte in seiner Stimme eine Mischung aus Erniedrigung und
Zorn, der an Gewalt grenzte. »Wir haben einen Termin zum
Vortanzen«, sagte er in kontrolliertem, bedächtigem Tonfall.
»Und da sind wir.«
Mir brach es das Herz, mitansehen zu müssen, wie mein
Vater versuchte, seine Wut, seine Verletztheit und seine
Verlegenheit zu kontrollieren und sich nichts anmerken zu
lassen. ›Professor Karishkov‹ muß diesen Zorn gespürt haben,
denn er lenkte klugerweise ein. »Natürlich werde ich mir den
Tanz Ihrer Tochter ansehen, Mr. Nichols«, erwiderte er und
zeigte mir den Weg zu den Umkleideräumen. Als ich in mein
Trikot schlüpfte und die Ballettschuhe anzog, liefen mir heiße
Tränen die Wangen hinunter. Ich würde tanzen, o ja, aber für
meinen Vater und nicht für den Ballettmeister. Und es würde
der Ballettmeister und nicht Daddy sein, der am Ende der
Erniedrigte sein würde.
Der Ballettmeister brüllte seine Befehle. »Assemblé! Grand
jeté! Plié! Port de bras! Pirouette!« Und ich tanzte und führte
jede Bewegung mit Anmut und Perfektion aus. Das Vortanzen
dauerte etwas länger als nötig, da der Ballettmeister darauf
wartete, daß ich einen Fehler machte. Als wir endlich fertig
waren, zitterten meine Muskeln vor Erschöpfung, aber ich gab
nicht auf. Zu diesem Zeitpunkt war es mir egal, ob ich an der
Akademie aufgenommen würde. Ich tanzte an diesem Tag
allein für meinen Vater und den stolzen Ausdruck in seinen
Augen.
Als ich fertig war, wollte mein Vater ›Karishkov‹ sagen, was
er mit seiner Akademie machen konnte, aber der Ballettmeister
ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Mr. Nichols! Es wäre mir eine Ehre, Ihre Tochter in unserer
Ballettschule aufzunehmen«, sagte er leise. In seinen Augen
glitzerten Tränen. »Wenn sie hart arbeitet, wird sie in zwei,
drei Jahren jedes corp de ballet auf der ganzen Welt
aufnehmen.«
Auf dem Nachhauseweg gingen Daddy und ich in ein
Restaurant, wo wir mit Eisbechern feierten und vor Stolz und
Erleichterung schadenfroh lachten. Die nächsten beiden Jahre
arbeitete ich unermüdlich, um den unerbittlichen Kurs des
›Verrückten Russen‹ zu bestehen. Aber ich bedauerte nicht
einmal, dort zu sein oder die Chance erhalten zu haben, ihm zu
beweisen, daß ich eine – vorzügliche – Ballettänzerin sein
konnte.
Vater machte sich auf die Suche nach einem Tanzstudio, wo
ich zwischen den Ballettstunden üben konnte, und er entdeckte
eines, das nicht weit von unserer Wohnung entfernt lag. Die
Besitzerin war eine Frau namens Carmencita Romero.
Gewöhnlich übte ich dort am Nachmittag, aber eines Tages
probte ich am Abend. Das Geräusch von Trommeln, das aus
dem großen Übungsraum am Ende des Flures kam,
interessierte mich. Carmencita brachte einer Gruppe von
zwanzig oder mehr jungen Männern und Frauen einen afro-
kubanischen Tanz bei. Die Bewegungen ihrer Körper, ihre
Sinnlichkeit, schlugen mich in ihren Bann. Es war sehr
erotisch und ursprünglich. Carmencita bemerkte mich und lud
mich ein, mich als Gast zu ihnen zu gesellen, wobei sie mich
als ›junge Ballerina‹ vorstellte.
Ich nahm zögernd einen Platz ein, wobei ich mich fast
hypnotisch von diesem neuen Tanz angezogen fühlte. Ich war
überwältigt und schwor, diese neue und zugleich uralte Kunst
ebenfalls zu meistern.
In den nächsten beiden Jahren drehte ich nach der Schule bei
dem ›verrückten Russen‹ an der Akademie meine Pirouetten,
um dann am Abend für Carmencita Romero barfuß meine
Sprünge zu machen. Mein verehrter russischer Ballettmeister
wäre entsetzt gewesen, hätte er erfahren, daß seine schwarze
Ballerina Carmencita Romeros beste afrokubanische Tänzerin
geworden war. Die Einführung in den afrokubanischen Tanz
›rettete‹ mich vor dem Leben beim Ballett, das zwar voller
Glanz, zugleich aber eine echte Qual ist. Ich wollte ins
Showbusineß. Ich war fest davon überzeugt, die Gelegenheit
würde an meine Tür klopfen, hätte aber nie gedacht, daß es so
schnell gehen würde.
Eines Tages kam ich von der Schule heim, und Mutter fing
mich bereits an der Tür ab. »Schnell, Liebes, komm rein!
Deine Tanzlehrerin hat gerade angerufen. Du mußt zum
Sherman House Hotel. Du wirst zum Vortanzen erwartet.«
Um Gottes willen! dachte ich. Das Sherman House Hotel. In
einer Stadt voller luxuriöser Hotels, Restaurants und
Nachtclubs war das Sherman House eines der besten; hier
traten regelmäßig berühmte Entertainer vor einem Publikum
aus Leuten auf, die wir damals als ›swells‹ bezeichneten: die
Reichen, die Berühmten und die Berüchtigten.
Meine Tanzlehrerin hatte Mutter nur wenig Einzelheiten
mitgeteilt, ihr aber eine Mahnung mit auf den Weg gegeben.
»Mrs. Nichols, sagen Sie ihr um Gottes willen, sie soll sich so
alt machen, wie sie nur kann. Ich habe ihnen nicht gesagt, daß
sie erst vierzehn ist.«
In weniger als einer Stunde war die Verwandlung komplett.
Eilig zog ich die heißgeliebte High School-Aufmachung aus –
ein enger Kaschmirpullover, langer, glatter Schottenrock,
Ringelsocken und Slipper. Mutter kämmte mein langes
schwarzes Haar nach oben, band es zu einer Schleife und
machte oben große Locken. Dann half sie mir bei dem Make-
up und trug sogar den bis dahin verbotenen Lidschatten auf.
»Ich weiß nicht, was du anziehen sollst«, sagte sie besorgt,
während sie den Kleiderschrank durchwühlte.
»Ich aber, Mom. Das lachsfarbene Kostüm«, erwiderte ich.
Es war ein großartiges, figurbetontes Kostüm, das mir meine
ältere Schwester Ruth überlassen hatte, das Mutter jedoch für
zu ›erwachsen‹ für mein Alter befunden hatte. Ich zog es an,
und es war perfekt. Dann kamen die Schuhe dran. Als ich ein
Paar heraussuchte, das bei uns den Namen ›Hurenschuhe‹ trug
– Joan Crawford hatte sie in ihren Filmen berühmt gemacht;
sie waren schwarz, hochhackig, ließen vorn die Zehen frei und
wurden am Knöchel verschnürt – rief Mutter: »Nein! Damit
wirst du dir den Hals brechen!«
»Mutter«, erwiderte ich. »Ich ziehe sie jeden Abend an,
nachdem ihr zu Bett gegangen seid, und übe mit ihnen laufen.«
»Meine Güte«, sagte sie, schüttelte den Kopf und lächelte.
Als ich das Haus verließ, sah sie mich noch einmal genau an.
Wie sehr wünsche ich mir, ich hätte von diesem Tag ein Foto.
Ich hatte die Wohnung als kleines Mädchen betreten und
verließ sie als Frau.
Es war das erste Mal, daß ich ganz allein in die City fuhr. Ich
war nicht nervös oder ängstlich, sondern einfach nur aufgeregt.
Im Hotel stellte mich Carmencita Romero dem ›Großen
Boniface‹ vor, wie ihn seine Freunde liebevoll nannten, Mr.
Ernest Byfield, einem legendären Hotelier, dem das Sherman
House gehörte und der es viele Jahre leitete. Unter anderem
wurde er berühmt für die Erfindung des Club-Sandwichs. Um
Ihnen, dem Leser, eine Vorstellung davon zu geben, welch
großartige Arbeit meine Mutter und ich mit meiner
Verwandlung geleistet hatten: Carmencita erkannte mich
zuerst gar nicht. Als Mr. Byfield mich nach dem Alter fragte,
antwortete ich: »Achtzehn.« Ohne eine Miene zu verziehen.
Bei der Show handelte es sich um eine prächtig ausgestattete
Revue, in der eine Gruppe von etwa zwanzig talentierten
jungen Künstlern die großen Darbietungen der Leute zeigten,
die im Sherman House auf der Bühne des berühmten
Restaurants College Inn in den Zwanzigern aufgetreten waren:
Fred und Adele Astaire, Duke Ellington, Al Jolson, Vernon
und Irene Castle, Irving Berlin, Helen Morgan, Ben Bernie und
andere. Miss Romero und vier von uns – zwei Mädchen und
zwei dynamische schwarze Tänzer – erweckten den
historischen Auftritt von niemanden geringeren als Katherine
Dunham und ihrer Truppe zu neuem Leben.
Ich tanzte und sang, und am Ende des Vortanzens hatte ich
den Job. An jenem Abend fuhr ich mit der Hochbahn nach
Hause zurück, jetzt nicht nur eine Frau, sondern eine
professionelle Tänzerin. Von diesem Augenblick an wußte ich,
daß ich nicht auf ›den Tag‹ warten mußte. Das Schicksal hatte
mich gefunden, und ich hatte es mit offenen Armen
empfangen. Ich war für alles bereit.
3

Was meine Einführung in die Welt des Showbusineß angeht,


so hätte sie nicht besser verlaufen können. Ich fühlte mich, als
hätte ich ganz oben angefangen. Natürlich kam bald heraus,
daß ich noch minderjährig war, und so mußten mein Vater
oder meine Mutter mich zu jedem Auftritt begleiten. Man
überließ uns eine kleine Suite im Hotel, wo wir übernachten
konnten, wenn es einen Schneesturm gab oder mein Vater zu
müde zur Heimfahrt war.
Ein ganz besonderes Vergnügen war es, am Morgen
aufzuwachen, den Zimmerservice zu rufen und dann im Bett
zu frühstücken. Aber die Arbeit im Sherman House Hotel
brachte noch andere Höhepunkte mit sich. Der Gang durch die
Küche zeigte riesige Schüsseln mit dem besten Kaviar, den
man für Geld kaufen konnte; der Champagner floß in Strömen.
Nach der letzten Vorstellung der Woche durfte ich ein kleines
Glas Champagner trinken und so viel Kaviar essen, wie ich
wollte. Wenn Mutter und ich nach der Show in der Suite saßen
und unsere üppigen ›Snacks‹ genossen, war eines klar: Das
war das richtige Leben für mich. Gern besuchten wir auch ein
kleines Restaurant, das einen Block von unserer Wohnung
entfernt lag und den Namen Welcome Inn trug. Wir traten ein
und verkündeten: »Vom College Inn ins Welcome Inn!« Dort
gab es weder Champagner noch Kaviar, dafür aber die besten
Hamburger sowie das tollste Chili und Barbecue auf der
ganzen Welt.
Das war mein Leben – junge Künstlerin bei Nacht, Schülerin
der zweiten Klasse der Englewood High School am Tag. In der
Show war ich eine von Carmencitas vier ›Katherine Dunham
Dancers‹, und natürlich die jüngste. Nachdem ich länger als
ein Jahr in der Show aufgetreten war, kehrte Katherine
Dunham nach Chicago zurück und fragte meine Eltern, ob ich
Mitglied in ihrer Truppe werden und mit ihr nach New York
ziehen dürfte, um bei ihr zu lernen. Tief in meinem Herzen
fürchtete ich, meine Eltern würden es nicht erlauben, und sie
taten es auch nicht. Natürlich war das ein weiterer Punkt auf
der langen Liste der Ressentiments gegen meine Mutter. Als
ich kurz darauf in der Zeitung las, daß meine Rivalin Frances
Taylor das Engagement bekommen hatte, war ich am Boden
zerstört. Dennoch fragte ich mich, welche anderen
Möglichkeiten dort draußen auf mich warteten.
Unter den vielen Stars, die sich unsere Show ansahen, war
auch das Ensemble des damaligen Broadway-Hits Lend an
Ear, dessen Tournee die Truppe nach Chicago geführt hatte.
Mein erster richtiger Freund war Ray Kyle, ein junger, blonder
Adonis und einer der Stars dieser Show. Jeden Abend nach der
Arbeit traf er mich im Sherman Hotel und begleitete mich zum
Bahnhof, während meine Eltern hinter uns hergingen. Wir
hatten eine süße, kurze Romanze, die nirgendwo hinführen
sollte, aber Jahre später benannte ich meinen Sohn Kyle nach
ihm.
Ray und die anderen Mitglieder der Truppe nahmen mich
unter ihre Fittiche. Und durch sie erhielt ich die Gelegenheit,
die große Ruth St. Denis, eine weitere Pionierin des Modernen
Tanzes, in ihrer eleganten Hotelsuite kennenzulernen. Miss St.
Denis’ erster Erfolg war die bis ins letzte Detail
durchchoreographierte, vom Orient inspirierte Tanznummer,
die sie 1906 auf die Bühne gebracht hatte. Mit ihrem Ehemann,
dem Tänzer Ted Shawn, gründete sie 1920 die Denishawn-
Schulen und inszenierte weiterhin exotische Aufführungen.
Viele wichtige Choreographen studierten und tanzten bei der
Denishawn-Gruppe, unter anderem Martha Graham.
Als ich sie kennenlernte, war sie um die Siebzig, doch sie
hatte sich die anmutige Haltung einer Tänzerin bewahrt. Das
war ein besonderer Tag für mich, und sie war so freundlich, als
sie mich herzlich begrüßte und mir Tee eingoß.
»Ja«, sagte sie. »Ich sehe, daß du Tänzerin bist.« Dann stand
sie auf und nahm mich bei den Händen. »Folge mir«, befahl
sie, als wir anfingen, uns anmutig zu bewegen, und ich folgte
ihrer Führung. Wir ›tanzten‹, und ich spürte ihre unglaubliche
Anmut und Kraft. »O ja«, bemerkte sie, als unsere Arme in
langsamen, rhythmischen Bögen die Luft durchteilten. »Du
hast wunderschöne Hände. Du hast die Hände einer Tänzerin.«
Durch die Arbeit im College Inn hatte ich das Glück und die
Ehre, viele großartige Künstler kennenzulernen, unter anderem
Lena Horne, Sarah Vaughan, Peggy Lee, Stan Kenton, Mel
Tormé, Ella Fitzgerald sowie viele andere. Aber für ein junges
Mädchen, das von der Bühne träumte, gab es kein
großartigeres Idol als Josephine Baker, die grande dame des
grandes dames. Mr. Byfield kannte sie persönlich, und als sie
im Chicago Theatre auftrat (auf einer ihrer zahllosen
›Abschiedstourneen‹), arrangierte er es freundlicherweise, daß
ich sie kennenlernen durfte. Jedesmal wenn Josephine Baker in
die Stadt kam, besuchte ich in Begleitung meiner Eltern ihre
Vorstellung. Im Laufe der Zeit war ihre Legende unaufhörlich
gewachsen, aber schon zu Beginn war alles an ihr größer als
das Leben selbst gewesen – ihre amazonenhafte Größe, ihr
Schoßleopard, ihr Hang zu unverblümten Äußerungen und
zum Skandal und ihre fast perfekte Beherrschung der
französischen Sprache.
An jenem besonderen Abend stürmte sie auf die Bühne; das
lange schwarze Haar war sechzig Zentimeter hochgesteckt, um
dann in einem unglaublichen ›Pferdeschwanz‹ wieder nach
unten zu strömen, während das enge, weiße, mit Juwelen
verzierte Kleid, das sich von den Knien bis zum Boden auf
dramatische Weise aufbauschte, wie auf ihren Körper
aufgemalt wirkte. Beinahe nonchalant zog sie ein gewaltiges
weißes, diamantenbesetztes Hermelincape hinter sich her. Dem
Publikum verschlug es den Atem, dann ertönte frenetischer
Applaus. Als sie dann anfing, mit dieser unverkennbaren,
seltsamen, hohen bebenden Stimme zu singen, war jeder
gefesselt. Ihre Anziehungskraft war so rätselhaft wie sie selbst,
und als sie sich zum letzten Mal verbeugte, ließ mich der
Gedanke, sie gleich kennenzulernen, erbeben.
Man führte meine Mutter und mich in ihre Garderobe, wo sie,
umgeben von einem Blumenmeer, eingehüllt in einen seidenen
Morgenmantel saß. Obwohl sie noch immer von ihrem Auftritt
schwitzte, war sie so charmant, so wunderschön, so
französisch, so Josephine! Mir verschlug es von dem
Augenblick an die Sprache, an dem sie ausrief: »Mein Darling!
Ooh la la, du bist eine solche Schönheit!« Ich glaube, ich habe
kein einziges Wort herausgebracht; die Unterhaltung bestritt
sie allein mit ihrem hohen, kehligen, süßen französischen
Akzent. Als wir gingen, sagte sie wieder: »Wie schön du bist!
Du bist trés magnifique. Sie ist so schön! Und seht euch die
Mama an! Soviel je ne sais quoi, non!« Mutter und ich
flatterten hinaus wie zwei trunkene Schmetterlinge.
Der Höhepunkt meiner Nächte im College Inn war jedoch
ohne Frage die Begegnung mit dem großen Duke Ellington.
Wir hatten gerade nach unserem letzten Auftritt die Bühne
verlassen, als mir jemand sagte, Mr. Ellington hätte gebeten,
ich solle an seinen Tisch kommen. Meine Mutter sorgte diskret
dafür, daß man Carmencita Romero und die drei anderen
Mitglieder unserer Truppe ebenfalls an den Tisch bat.
Er war einfach großartig, hochgewachsen und
außerordentlich attraktiv, mit einem durchdringenden Blick.
Wenn er einem die Hand reichte oder einem beim Sprechen
das Gesicht zuwandte, war seine Haltung königlich und
zugleich völlig normal; es war, als wäre er als Herzog zur Welt
gekommen. Tatsächlich fühlte man sich nach ein paar Minuten
in seiner Gesellschaft, als hätte einem ein König die Ehre
gegeben.
»Sie sind eine ausgezeichnete Tänzerin, Miss Nichols«,
verkündete Duke Ellington, während ich im Bann seines
Blickes atemlos vor ihm stand. »Es ist sehr schön, Ihnen bei
Ihrem Auftritt, Ihrer Arbeit zuzusehen. Aber Sie haben eine
ganz besondere Stimme. Ich konnte sie aus den anderen
heraushören. Ich glaube, Sie werden einmal Sängerin.«
Ich bedankte mich bei ihm. Zumindest glaube ich das. Diese
zufällige Begegnung ließ mich monatelang über den Wolken
schweben. Als der Zauber langsam nachließ, sollte ich ihm
erneut begegnen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Meine Eltern unterstützen mich, eine Karriere im
Showbusineß anzustreben, da sie sahen, an welchen Orten ich
auftrat und welch hochkarätige Leute ich dabei kennenlernte.
Sie wußten, wieviel mir das bedeutete; es war meine
Leidenschaft. Ich war nie gern Kind gewesen, und was noch
viel wichtiger war, ich wollte auch nie so behandelt werden.
Die Arbeit unter Erwachsenen, die Notwendigkeit,
Verantwortung zu übernehmen, und das Geldverdienen wie
eine Erwachsene ließen mich schneller reif werden als meine
Altersgenossinnen. Nach dem College Inn stellte ich einen
Soloakt zusammen und kümmerte mich um jede Einzelheit,
von der Auswahl des Repertoires bis hin zum Design und dem
Nähen meiner Kostüme. Ich unterschrieb bei einem Manager,
der mich unter dem Namen Lynn Mayfair auftreten ließ, ein
Name, den ich nur sechs Monate lang benutzte, da ich ihn
nicht ausstehen konnte. ›Lynn‹ machte die Runde durch die
Chicagoer Clubs und erwarb sich dabei sogar einen guten Ruf.
Aber für mich war es eine Sache des Stolzes, daß ich Nichols
hieß, nicht zuletzt um meiner Eltern willen. Ich hatte den
Vornamen Grace seit jeher verabscheut, also bat ich meine
Mutter, mir bitte einen anderen Namen zu geben. Ich wollte,
daß sie mir ihren Namen überließ und mich Lishia nannte;
damals dachte ich, der Grund dafür sei einfach, daß mir ihr
Name gefiel, aber vielleicht war mir unterbewußt auch klar,
daß Mutter und ich mehr gemeinsam hatten, als ich zugeben
wollte. Sie weigerte sich und wählte statt dessen den Namen
Nichelle, der große Ähnlichkeit mit Michelle hatte – der
Name, den ich ursprünglich hatte erhalten sollen –, und der
dafür sorgte, daß meine Initialen ›NN‹ waren. Trotzdem fühlte
ich mich auch weiterhin von ihr abgelehnt.

Mein Weg erstreckte sich vor mir, leuchtend und klar. Es war
allein meine Mutter, die mich zurückhielt. Das glaubte ich
jedenfalls. Mittlerweile stritten wir ständig über alles und
nichts, und ich war fest davon überzeugt, daß sie mich haßte.
In meiner Wut und Verzweiflung wollte ich sie ebenfalls
hassen, aber wie konnte ich? Hier war eine Frau, die mich
ständig kritisierte – zumindest hatte es den Anschein. Doch
gleichzeitig war sie dieselbe Frau, die sich darum kümmerte,
daß ich die besten Kleider trug und jede Einzelheit der
Etiquette beherrschte, die mir beibrachte, Qualität zu erkennen,
ob es sich nur um ein Paar Schuhe handelte oder um Literatur.
Sie ermutigte mich zum selbständigen Denken, zum Schreiben
und zur Unabhängigkeit von anderen Menschen, wobei sie sich
durchaus einschloß. Wenn sie es war, von der ich meine
Unabhängigkeit geerbt hatte, warum wollte sie sie dann
unterdrücken? Warum versuchte sie, mir all das zu nehmen,
was sie mir zu schätzen beigebracht hatte?
Die Antwort war so einfach und offensichtlich, aber so
welterfahren ich mich im Alter von sechzehn Jahren auch
fühlte, einige der Dinge, die das Kindsein mit sich brachte,
folgten mir wie mein eigener Schatten. Das Geheimnis meiner
Mutter und unserer stürmischen Haßliebe war eines von ihnen.
Da ich keine Lösung für unsere Probleme sah, entschied ich
mich, mein Zuhause zu verlassen – auf die eine oder andere
Weise. Zu dieser Zeit und an diesem Ort war es alles andere
als leicht, von den Eltern wegzukommen. Selbst wenn ich
achtzehn, neunzehn oder zwanzig gewesen wäre -eine
unverheiratete junge Dame wohnte nicht allein, zumindest
keine respektable Dame. Und so sehr ich meine Mutter auch
›hassen‹ wollte, respektierte, verehrte, ja, liebte ich meine
Familie.
Meine Erlösung kam eher zufällig an einem heißen
Augusttag. Meine Nichte Barbara, die zwei oder drei Jahre
jünger als ich war, kam aus New York zu Besuch. Wir hatten
beide große Träume: Ich würde eine berühmte Sängerin und
Tänzerin werden, Barbara eine Ärztin.
Ein sintflutartiger Regen ging nieder; es war der erste kühle
Tag in jenem August. Als Barbara und ich endlich das Haus
verlassen konnten, trug ich einen grünen Kaschmirpullover
(ich trug den Spitznamen Cashmere Kid), einen langen
Ballerinarock und große Ohrringe. Mein Haar war zum Pony
geschnitten.
Die Straßen der Stadt funkelten in der kühlen Brise, als wir
uns zum Chicago Art Center begaben, wo ein Theaterfestival
mit Künstlern aus aller Welt abgehalten wurde. Auf der einen
Etage gab es Ballettvorführungen und eine Truppe echter
afrikanischer Tänzer, auf der anderen eine Gruppe mit
komischen Improvisationen und ein Repertoiretheater. Wir
hatten gehört, daß später Sänger aus Broadwayshows und der
Oper auftreten sollten, also entschieden wir uns zu warten.
Um die Zeit totzuschlagen, spazierten wir in die dritte Etage,
angezogen vom deutlich hörbaren Klicketiklack von
Steptanzschuhen. In einer großen Übungshalle, die von einer
viereinhalb Meter hohen Fensterfront erhellt wurde, standen
dreißig bis vierzig Tänzer – es handelte sich um professionelle
Künstler, die Hunderte von Meilen für diesen ganz speziellen
Workshop angereist waren – und sahen andächtig dem
Gasttanzlehrer zu. Er trug einen Anzug aus kupferfarbener
Seide, und mit seinem rotblonden Haar und der honigfarbenen
Haut bot er ein prächtiges Bild. Das hinter ihm einfallende
abnehmende Sonnenlicht tauchte ihn in eine goldene Aura, und
er glitt so mühelos über den Eichenboden, daß es den Anschein
hatte, er würde schweben. Ohne die gleichmäßigen,
verzaubernden Stepschritte hätte man nicht bemerkt, daß er
überhaupt die Füße bewegte.
»Barbara«, flüsterte ich ganz ruhig, »siehst du diesen
goldenen Mann dort?«
»Hm«, erwiderte sie geistesabwesend.
»Diesen Mann werde ich heiraten!« In genau dieser Sekunde
drehte sich der Tänzer zu mir um, seine smaragdgrünen Augen
funkelten, und ihr Blick hielt mich fest. Ich erwiderte den
Blick und geriet noch tiefer in seinen Bann.
»Um Himmels willen!« zischte Barbara. »Den alten Mann?
Der muß doch mindestens dreißig sein, wenn nicht noch älter!«
Ja. Ich nickte. Ja. Endlich.
Sein Name war Foster Johnson, wie ich schnell herausfand.
Er war ein brillanter Künstler und hatte mit seinem Partner
Bobby Johnson (sie waren nicht verwandt) die berühmten
Nicholas Brothers in Kiss me Kate ersetzt. Sie waren mit dieser
Produktion der National Company auf Tournee gegangen.
Foster war eine Legende unter den Tänzern. Er konnte Fred
Astaire aussehen lassen, als würde er stillstehen. Er war
attraktiv, gewandt und so charmant, daß er dem Teufel ein
Versprechen hätte abringen können. Außerdem neigte er zu
Phasen mürrischen Schweigens und launischen Ausbrüchen,
die ich, da ich jung und naiv war, seinem künstlerischen Talent
zuschrieb und für ziemlich romantisch hielt. Und ich verliebte
mich Hals über Kopf in ihn.
Es war klar, daß meine Eltern niemals mit unserer Liebe
einverstanden sein würden, aber vom ersten Kuß an wußte ich
auch, daß es ihnen niemals gelingen würde, uns
auseinanderzubringen. Foster war fünfzehn Jahre älter als ich,
ein Mann von Welt, und zwar in jeder Hinsicht. Ich sei zu
jung, würden sie sagen. Ich solle das College besuchen,
würden sie sagen. Und sie hatten recht. Aber ich war siebzehn,
und Foster liebte mich. Zusammen würden wir das größte
Gesangs- und Tanzpaar werden, das die Welt gesehen hatte.
Und genau wie meinem walisischen Großvater würde mir
niemand vorschreiben, was ich zu tun hatte oder wen ich
lieben sollte.
Da ich genau wußte, daß meine Eltern dagegen sein würden,
nahm ich den einzigen Ausweg, der mir meiner Meinung nach
blieb. Nun könnte sich der Eindruck aufdrängen, daß Foster
ein hinterhältiger älterer Mann war, der meine Unschuld
ausnützte. Falsch. Ich ließ mich mit offenen Augen auf unsere
Beziehung ein. Ich hatte gewartet und mich für einen
intelligenten, angenehmen Mann ›aufgespart‹, für jemanden,
der meine Träume verstand, der meinen Ehrgeiz anstacheln
und meinen Erfolg genießen würde. Und ich hatte ihn
gefunden. Außerdem hatte ich den Weg gefunden, um
sicherzugehen, daß uns meine Eltern nicht
auseinanderbrachten, daß mein Vater Foster nicht aus der Stadt
jagte oder ihn mit einem dieser großen schwarzen Colts
erschoß. Ich wußte, daß er gegenüber dem Vater seines Enkels
seine Wut zügeln würde, und so sorgte ich dafür, daß der fait
accompli da war, als ich Foster meinen Eltern vorstellte.
Mutter und Vater waren entsetzt, und ihre Enttäuschung brach
mir fast das Herz. Doch ich setzte meinen Willen durch.
Wir heirateten Anfang 1951 kurz nach meinem achtzehnten
Geburtstag und fuhren bald los, um Fosters Vater in
Chillicothe, Ohio, zu besuchen. Will Johnson war ein süßer,
robuster alter Ire; er umarmte uns und schloß mich sofort ins
Herz. Wir verbrachten so etwas Ähnliches wie Flitterwochen
in seinem großen alten viktorianischen Haus und schliefen und
liebten uns in einem riesigen Messingbett, das so hoch war, das
ich eine Trittleiter brauchte, um hineinzukommen. Papa, wie
ich Fosters Vater nannte, schob immer eine in ein Handtuch
eingewickelte Flasche mit heißem Wasser unter die Laken.
Jede Nacht lag ich nun neben meinem frisch angetrauten
Ehemann, dem Vater meines ungeborenen Kindes, und sank in
seligen Schlaf, ohne zu ahnen, daß es Jahre dauern würde, bis
ich ein solches Glück wieder erleben durfte.
Foster und ich starteten eine Tournee und traten mit unserem
Tanz- und Gesangsakt in Cleveland, Columbus, Toledo und
Pittsburgh auf. Überall hatten wir überragenden Erfolg; alles
gestaltete sich so, wie ich es mir erträumt hatte. Aber nach ein
paar Wochen verblaßte unsere Liebe. Einige von Fosters
Gewohnheiten flößten mir Unbehagen ein, doch noch war ich
zufrieden. Warum sollte es ihn stören, wenn ich mich weigerte,
mit ihm und seinen Freunden Marihuana zu rauchen? Wenn er
ohne mich trank, nun, dann lag das daran, daß ich eben nicht
trank, davon abgesehen war Alkohol sowieso nicht gut für das
Baby. Ich erkannte Fosters wahre Natur erst an dem Tag, an
dem er verkündete: »Ich streiche deine Ballade aus dem
Auftritt.«
»Aber die ist doch immer gut angekommen«, meinte ich
verblüfft.
»Sie ist draußen!« erwiderte er wütend. »Sie verlangsamt die
Show.«
Als er dann ›vorschlug‹, ich solle in Ohio bei seinem Vater
bleiben, während er in Cincinnati solo auftrat, hatte ich genug.
Ich weigerte mich. Wenn sie den großen Foster Johnson allein
wollten, in Ordnung. Wenn er wollte, daß ich dem Club
fernblieb, auch gut. Zumindest waren wir zusammen, wie ich
mir immer wieder einredete. Nur das zählte. Die beiden
Wochen in Cincinnati regnete es in Strömen. Ich fühlte mich
wie eine Gefangene.
Von allen Leuten kam ausgerechnet meine Mutter als
Retterin. Wir hatten seit meinem Auszug keine Verbindung
gehalten, aber meine einfallsreiche, unbezähmbare Mutter
spürte mich auf, um mir mitzuteilen, daß Duke Ellingtons PR-
Mann zu Hause angerufen hatte. Duke kam nach Chicago und
wollte sich mit mir treffen. Ich freute mich riesig, aber als ich
Foster die gute Nachricht überbrachte, verfinsterte sich sein
Gesicht. »Du weißt, das wir andere Engagements haben«,
sagte er.
»Ja, aber nicht in den nächsten zehn Tagen. Warum nicht
zurückfahren und sehen, was er will?« bettelte ich. Foster
willigte zögernd ein, und wir kehrten nach Chicago zurück, wo
wir bei meinen Eltern wohnten.
Ich ging allein ins Palmer House Hotel, wo Duke residierte.
»Ich habe nie vergessen, wie ich Sie vor zwei Jahren bei der
Show im College Inn gesehen habe«, sagte er herzlich. »Ich
habe eine neue Suite mit dem Titel ›Monologue Duet and
Threesome‹ komponiert. Die Tänzerinnen, die den
Monologteil interpretiert haben, verlassen die Truppe. Wären
Sie daran interessiert, diesen Tanz für mich zu
choreographieren und darzustellen?«
Mein Herz pochte so laut, daß es mich nicht überrascht hätte,
wenn es alle gehört hätten. Ich erinnerte mich daran, gelesen
zu haben, daß die große Tänzerin Ann Henry die Rolle
bekommen hatte. Und jetzt bat mich Duke Ellington, sie zu
ersetzten. In weniger als einer Minute schossen mir so viele
Gedanken durch den Kopf. Ich war im zweiten Monat
schwanger, und noch war nichts zu sehen. Das Engagement
würde sechs Wochen dauern. Wie würde ich dann aussehen?
Wäre ich nicht verheiratet und schwanger gewesen, hätte ich
mir darüber keine Sorgen machen müssen. Aber so lagen die
Dinge nun einmal, und ich war noch immer entschlossen, Ehe,
Karriere und Mutterschaft auf einmal zu meistern.
»Was ist mit Ihren Tänzern?« fragte ich, wobei ich darüber
nachdachte, ob ich mit Ann arbeiten würde, und ob ich Foster
allein lassen konnte, so wie er mich nach Ohio hatte schicken
wollen. Würde er das zulassen?
»Sie wären dafür verantwortlich, zwei neue Tänzer
auszusuchen, mit ihnen das Stück einzustudieren und in zwei
Wochen reisefertig zu sein.«
Ich seufzte. »Ich werde fertig sein!«
Der Duke lächelte sein umwerfendes Lächeln und schnurrte:
»Ich weiß, daß Sie das sein werden. Sie werden großartig
sein.«
Ellington war ein faszinierender Mann, aber er war auch sehr
vielschichtig. Egal, wie herzlich man auch von ihm
aufgenommen wurde, die Annahme, daß man alle seine
Gedanken und Gefühle kannte, wäre sehr dumm gewesen. Und
so blieb selbst bei meinen erfolgreichsten Verhandlungen eine
unauslöschliche Spur Unsicherheit.
Ich eilte nach Hause, um Foster alles zu erzählen, der so
aufgeregt wie ich schien. Er telefonierte sofort mit Bobby
Johnson, und ein paar Tage später traf sein ehemaliger Partner
in Chicago ein. Der Duke schickte mir eine Tonbandaufnahme
seines Monologs mit dem Titel Pretty and the Wolf, zusammen
mit Anmerkungen, wie seine Vorstellungen aussahen. Zu
klassischer Ellington-Musik rezitierte der Duke ein Gedicht,
das die Geschichte eines unschuldigen Mädchens vom Lande
erzählte, das dem teuflischen Einfluß eines Goldketten
schwingenden ›Wolfes‹ erliegt. Er enthüllt ihr, ›was sie alles
tun muß, will sie Erfolg haben‹, und Pretty lernt schnell. Am
Ende des Stücks schwingt Pretty eine mit Diamanten besetzte
Goldkette; das Blatt hat sich gewendet.

Once upon a time, there came to the city


A pretty girl, a little country, but pretty
A little ragged, but a pretty girl.
Then she met a man, a city man -
Smooth, handsome, successful, cool,
A well-mannered-type man.
And since she was pretty,
he thought fit to give her an audience.
So he talked to her for quite a while.
Naturally, she wanted to get somewhere.
He was standing on the corner, twirling his
diamond-studded gold chain
Around his finger.
And he was enumerated the various conditions and ways
For her to get somewhere
You could hear her saying,
»Yes Daddy, yes Daddy, yes Daddy.«
And so agreed, they danced.
They danced, they really danced.
They gave it a mad whirl – the maddest.
Their hearts danced,
they virtually spun each other around.
And as they came out of their spin –
Or, rather, as she came out of her spin,
Because I think he got caught in his.
As a matter of fact, he’s still in his spin.
Obviously, he likes it.
Because there she is, standing on the corner,
Twirling her diamond-studded gold chain
Around her finger.
And as she enumerates the various conditions and ways
For him to get somewhere,
You can hear him saying,
» Yes, baby, yes, baby, yes, baby.«

Es war eine wundervolle Tanznummer, und ich hatte eine ganz


genaue Vorstellung, wie ich es auf die Bühne bringen wollte.
Ich arbeitete zwei Wochen unermüdlich an der Choreographie
und probte mit Foster und Bobby. Wir brauchten Kostüme. Die
Jungs sollten Zoot Suits∗ tragen, aber ich mußte mir ein
kompliziertes Kostüm einfallen lassen: ein einfaches Kleid,
wie es für ein Mädchen vom Lande typisch war, unter dem
dann die provozierende Aufmachung der erfahrenen Sexy-
Mama zum Vorschein kam, die am Ende natürlich obsiegt. Wir
sollten erst am Abend vor der Eröffnung in Omaha eine Probe
mit allen Kostümen durchführen, aber ich war zuversichtlich,
daß alles großartig werden würde.
Am Abend vor unserer Abreise aus Chicago gab der Duke
eine große Party. Ich betrat glücklich und stolz den Raum,
Bobby am einen, Foster am anderen Arm. Als ich Foster
vorstellte, blitzte in Dukes Augen einen kurzen Augenblick
lang so etwas wie Überraschung und Geringschätzung auf. Als
Inbegriff von Klasse und Zurückhaltung lächelte Ellington
höflich und nickte. »Foster«, sagte er freundlich. »Wie schön,
daß du dich zu uns gesellst.« Dann wandte er sich mir zu,
nahm mich fest beim Arm und führte mich zum Piano, wo er
mich den anderen Gästen vorstellte.
»Ladies und Gentlemen, nächste Woche werden sie Poesie in
Bewegung sehen«, verkündete er. »Ich stelle ihnen hier die


Anzug mit langer taillierter Jacke, breiten wattierten Schultern und
Röhrenhosen; Anm. d. Übers.
wunderschöne Miss Nichols vor – unsere neueste, und wie ich
glaube, beste Pretty.«
Alles applaudierte und lächelte, und ich fühlte, wie ich
errötete. »Ach ja«, fügte Ellington hinzu, als wäre es ihm erst
nachträglich in den Sinn gekommen. »Das dort drüben sind
natürlich Prettys Wölfe. Die Johnson-Brüder.« Ellingtons
Verachtung für meinen Mann war unmißverständlich. Wie ich
später erfuhr, hatte Foster ihn bei seinen Bemühungen um eine
schöne Frau ausgestochen, und der Duke hatte ihm nie
verziehen.
Foster war rasend vor Zorn und zerrte mich bald aus der Tür.
Ich war wütend, daß er mich nicht vorgewarnt hatte, und
fürchtete, mein großer Durchbruch würde sich in ein Debakel
verwandeln. Aber der große Ellington war zu anständig, um so
etwas zu tun. Nach der Premiere war anscheinend alles
vergessen. Nun, fast alles. Ellington war mir gegenüber nun
deutlich reservierter und beobachtete mich jeden Abend aus
zusammengekniffenen Augen. Er erwähnte Foster mir
gegenüber nie wieder, aber das brauchte er auch nicht. So war
es eine große Überraschung, als er mich eines Tages nach der
Nachmittagsvorstellung in seine Garderobe bat.
Er grüßte mich mit einem ungewöhnlich herzlichen Lächeln.
»Was ist das für ein Gefühl, Erfolg zu haben?« fragte er. Bevor
ich antworten konnte, fuhr er fort. »Sie sind eine gute
Tänzerin. Singen Sie für mich. Ich weiß, daß Sie singen
können.«
»Nun, sicher kann ich das!« stieß ich völlig überrascht
hervor. Aus irgendeinem verrückten Grund fiel mir ein
abwertender Witz ein, den schwarze Musiker machten, wenn
jemand eine besonders schwierige Passage von Ellington
meisterte, und ohne nachzudenken wiederholte ich ihn in dem
lahmen Versuch, das Eis zu brechen. »Hey, wir haben doch
alle den Rhythmus im Blut, stimmt’s?«
Der Duke lächelte schief. »Gut. Dann singen Sie mir was
vor.«
»Jetzt? Hier ist kein Klavier.«
Ellington lächelte durchtrieben. »Sie brauchen kein Klavier«,
sagte er leise. »Wir haben doch alle den Rhythmus im Blut,
stimmt’s?«
Ich errötete, Tränen drohten aus meinen Augen zu schießen,
doch ich war entschlossen, das nicht zuzulassen. Ich fühlte
mich wie Pretty – naiv und ehrgeizig, nur daran interessiert, in
Erfahrung zu bringen, wie man weiterkam. Ellington und sein
Protege, Co-Komponist und rechte Hand, Billy Strayhorn,
saßen schweigend da und warteten. Während ich in den letzten
Wochen mit Bobby und Foster hinter den Kulissen auf unser
Stichwort gewartet hatte, hatte ich der großen, grazilen
Sängerin, die vor uns auf der Bühne stand, bei ihrem Auftritt
zugesehen und die Art und Weise bewundert, wie sie Dukes
Sophisticated Lady und Satin Doll mit der Stimme liebkost
oder Take the A Train lautstark interpretiert hatte. Ich rief mir
den Rhythmus und das Timing seiner Arrangements ins
Gedächtnis und ahmte das Mienenspiel und die Aussprache der
Sängerin nach. Ellington und Strayhorn saßen reglos wie
Buddha da, bis ich fertig war. Als ich endete, zeigte Strayhorn
ein schmales Lächeln.
»Haben Sie noch das hübsche kleine Samtkleid, das Sie auf
der Party in Chicago getragen haben?« erkundigte sich
Ellington.
»Sicher. Ich habe sogar die passenden Schuhe dabei«, stieß
ich überschwenglich hervor und dachte idiotischerweise: Er
will, daß ich auf der Abschlußparty nach unserer letzten Show
singe.
»Gut«, erwiderte Ellington. »Sie treten heute abend auf.«
Und so beendete ich die Tournee mit dem großen Duke
Ellington als Tänzerin und Sängerin. Wegen der Geschichte
mit Foster gab ich mich keinen Illusionen hin, daß Ellington
unseren Vertrag verlängern würde. Außerdem litt ich zu
diesem Zeitpunkt bereits unter der morgendlichen Übelkeit,
und obwohl noch nichts zu sehen war, war es nur eine Frage
der Zeit, bis ich nicht mehr tanzen konnte.
Das war allerdings ein magerer Trost. Ich hatte die Höhen
erklommen und ein paar kurze Augenblicke lang die dünne
Luft dort geatmet. Es war genauso, wie ich es mir vorgestellt
hatte, und sogar noch mehr, und als ich wieder hinabschritt,
schwor ich mir, es niemals zu vergessen. Es war kaum ein Jahr
her, da hatte eine glänzende Zukunft vor mir gelegen, die helle,
grenzenlose Aussicht auf unbegrenzte Möglichkeiten. Jetzt
würde ich mit Foster nach Hause zurückkehren, aber nicht als
Duke Ellingtons neuentdeckter Star, sondern als die junge
Ehefrau eines Mannes, der, wie ich mittlerweile vermutete,
ganz anders war, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Außerdem
war ein Baby unterwegs. Ich hatte die Zügel der
Verantwortung ergriffen und meine Wahl getroffen.
Nach dem Ende der Tournee sollten wir für unser nächstes
Engagement eigentlich nach Ohio zurückkehren, aber Foster
hatte angeblich noch ein paar nicht näher bestimmte Dinge zu
erledigen, und so statteten wir Chicago und meinem Elternhaus
einen Besuch ab. Am nächsten Tag ging Foster weg, ohne mir
sein Ziel zu nennen, und kehrte erst spät am nächsten Abend
zurück. Ich stand kurz davor, die Polizei zu rufen, als er
strahlend hereinspazierte und mich küßte. Er ignorierte meine
Wut, behandelte mich wie ein Kind und fragte ganz
unschuldig, wieso ich kein Vertrauen zu ihm hätte. Erkannte
ich denn nicht, daß er sich um uns kümmerte?
»Ich habe ein Engagement in Montreal, Kanada. Zwölf
Wochen!« verkündete er stolz, während ich noch stumm vor
Wut kochte.
Ich hätte begeistert sein sollen, aber irgendwie wußte ich, daß
das der letzte Tropfen war, der das Faß zum überlaufen
brachte; ich hatte es seit Wochen kommen gespürt. Dann ließ
er die zweite Bombe platzen: Ich sollte bei meinen Eltern
bleiben, er würde mich später nachkommen lassen.
Ich nickte in dem Wissen, daß es ihm nicht ernst damit war;
ich wußte, es war vorbei.
Die nächsten fünf Monate verbrachte ich bei meinen Eltern
und weinte mich abends in dem, wie ich fand, leeren Bett in
den Schlaf, erschöpft von den ständigen Auseinandersetzungen
mit Mutter und den fragenden Blicken der Verwandten und
Nachbarn, die ich trotzig erwiderte. Außerdem machte ich mir
Sorgen. Foster schickte wie versprochen Geld, aber das half
auch nicht. Mit jedem weiteren Tag, den ich allein verbrachte,
starb ein Stück der Liebe, die ich für Foster empfand. Das
nächste Mal würde ich klüger sein, versprach ich mir.

Kyle, mein einziges Kind, wurde am Morgen des 14. August


1951 geboren. Ich kann mich lebhaft an jede Einzelheit dieses
Tages bis zu seiner Geburt erinnern. Ich glaubte, ich müßte
sterben. Ich verfluchte Foster für jede schmerzhafte Wehe,
dann ging irgend etwas schief, und alles wurde schwarz. Als
ich drei Tage später aus dem Koma erwachte, lag ich auf der
Intensivstation, und Mom saß an meiner Seite. Ich öffnete die
Augen und sah sie dort wie ein Engel sitzen, und in den
Sekunden, bevor sie bemerkte, daß ich aufgewacht war,
erwischte ich sie in einem unbeobachteten Augenblick. Die
Erinnerung daran ist so deutlich. Sie trug ihr braun und blau
kariertes Sommerkleid und eine Jacke, ihr langes schwarzes
Haar glänzte im Nachmittagslicht. So hatte ich ihr Gesicht
noch nie zuvor gesehen – voller Hilflosigkeit, Verwundbarkeit
und Angst. In dem Augenblick, in dem sie bemerkte, daß ich
sie beobachtete, verschwand das alles, und sie lächelte mich
freundlich an. Da wußte ich tief in meinem Herzen, daß mich
meine Mutter liebte, und obwohl unsere Auseinandersetzungen
noch Jahre andauern sollten, zweifelte ich nie wieder an ihrer
Liebe.
Kurz darauf brachten Krankenschwestern meinen Sohn. Ich
schaute am Rand der flauschigen Babydecke vorbei und sah
zum erstenmal sein Gesicht. Es war ganz rot und schön, und
dann lag Kyle mit seinem rotblonden Haar in meinen Armen
und starrte mich wissend mit seinen strahlenden Augen an.
Seine winzige Hand umklammerte einen meiner Finger; er war
so stark. So wunderschön. So perfekt. Ich versenkte mich in
die Tiefen meines Inneren, wie es mir mein Vater beigebracht
hatte, und bat Gott, mir zu verzeihen, daß ich den Vater dieses
wunderschönen Babys verflucht hatte. Um ein Haar hätte ich
das kostbarste Geschenk des Lebens verloren, und ich dankte
für Kyles Existenz und seine Gesundheit.
Als ich langsam wieder zu Kräften kam, bedrängten mich
meine Eltern, Foster Bescheid zu geben, doch ich weigerte
mich, seine Nummer herauszugeben. Sie argumentierten, er
solle wenigstens wissen, daß sein Sohn zur Welt gekommen
war.
Warum? fragte ich. Ich hatte diese fünf einsamen Monate
ohne ihn überstanden; ich hatte ein Kind geboren und war
dabei beinahe gestorben, ohne ihn an meiner Seite. Und so
würde ich auch meinen Sohn ohne ihn großziehen. Ich hatte
mich entschieden. Nichts konnte mich umstimmen. In diesem
Sommer plante ich mein erstes berufliches Comeback; ich war
achtzehn Jahre alt.
4

Mit meinem Sohn im Arm begann ich das Leben als


unabhängige Mutter genau da, wo ich einst angefangen hatte:
Im Haus meiner liebevollen Eltern. Während der
Schwangerschaft hatten Mutter und ich uns viel gestritten.
Auch jetzt waren wir nicht gerade Freundinnen, wie ich es mir
gewünscht hätte, doch wir kamen miteinander aus. Es war mir
ungeheuer wichtig, bei Kyle zu sein, und da ich bei meinen
Eltern wohnen konnte, mußte ich mir nicht sofort einen Job
suchen. Obwohl Foster und ich uns erst Jahre später scheiden
ließen, war unsere Ehe vorbei.
Schon sehr früh wurde uns allen klar, daß Kyle etwas
Besonderes war. Er war klug, neugierig und wunderbar. Mit
acht Monaten fing er an zu sprechen, und statt etwas typisch
Kindhaftes zu sagen wie »Kyle will das«, sagte er klar
verständlich: »Rama, ich will das da.« (Rama war sein Name
für seine Grandma, seine Großmutter.) Wenn man etwas vor
ihn hinstellte, das er nicht wollte, sagte er ruhig: »Ich möchte
nicht. Danke.« Und wir anderen sahen uns an, als wollten wir
sagen: »Wo ist der nur hergekommen?«
Kyle liebte beide Großeltern inniglich, doch während ihn ein
besonderes Band mit seiner Rama verband, war mein Vater
sein absoluter Held. Für ihn war Grampa die Quelle allen
Wissens und aller Wunder, und ich hätte für meinen Sohn
keine bessere Vaterfigur finden können.
Es heißt oft, man wüßte seine Eltern nicht richtig zu schätzen,
bis man selbst Kinder hat, und ich kann dem nur beipflichten.
Ich habe meine Eltern stets respektiert und geliebt, aber ich
weiß nicht, ob ich sie – und insbesondere meine Mutter – je so
zu schätzen gelernt habe wie in jenen Augenblicken, in denen
ich lauschte, wie Rama meinem Kyle eine Geschichte erzählte,
die ich als Kind erzählt bekommen hatte, oder Zeuge wurde,
wie Grampa geduldig die kniffligen Geheimnisse der
Schneeflocken erklärte.
Ich genoß jeden Augenblick, den ich mit meinem Sohn
verbringen konnte. Kyle war ein süßer, liebenswerter Junge
mit einem unstillbaren Wissensdurst. Ich liebte es, stundenlang
mit ihm zusammenzusitzen und ihm alles beizubringen, was
ich wußte, oder ihm jedes Wort auf der Seite zu zeigen,
während ich laut vorlas. Eine seiner ersten
Lieblingsgeschichten war die von Babar dem Elefanten, und er
war noch im Krabbelalter, als er mir sein erstes Wort
buchstabierte: Babar. Als er etwas älter war, war sein ganzer
Stolz das mehrbändige Buch des Wissens, das Rama ihm
geschenkt hatte, als er fünf war. Es befindet sich sogar noch
heute in seinem Besitz.
Im Alter von etwa drei Jahren faszinierten ihn Farben, und er
fragte ständig: »Welche Farbe hat mein Hemd? Welche Farbe
ist dies? Welche Farbe ist das?« Es dauerte nicht lang, und er
kannte die verschiedenen Schattierungen. Dann sagte er:
»Mom, das ist rot, aber nicht so rot wie das da«, und ich
erklärte ihm, daß Farben wie Familien waren, und sich die
Familienmitglieder leicht voneinander unterscheiden, genau
wie in unserer Familie auch. Für gewöhnlich mußte man Kyle
alles nur einmal erklären. Sein Verständnis und seine Liebe zur
Logik waren definitiv vulkanisch.
Ich hielt mich für eine kompetente, verantwortungsbewußte
Mutter, aber aus der Rückschau muß ich zugeben, daß ich in
vielerlei Hinsicht selbst noch ein Kind war. Eines Tages
brachte Kyle mich aus der Fassung. Er war etwa drei Jahre alt
und machte sich fertig, um mit seinem Grampa an die frische
Luft zu gehen, als er mich fragte, welche Schuhe er tragen
sollte. Ich sagte ihm, seine braunen Schuhe wären genau
richtig, und nach ein paar Minuten kam er mit den Schuhen
zurück. »Sind die braun?« fragte er.
»Kyle, natürlich sind sie braun. Du kennst doch die Farben.«
»Oh«, erwiderte er verunsichert.
»Kyle, komm her«, sagte ich. Dann spielten wir ein paar
Minuten lang unser Farbenspiel, und Kyle benannte korrekt die
Farben von einem Dutzend Gegenstände, auf die ich zeigte.
Bis die Schuhe an der Reihe waren.
»Sag es nicht, ich weiß es«, antwortete er. »Orange!«
Kyle machte es richtig Spaß, mich zu ärgern. Jedesmal, wenn
ich ihn nach der Farbe seiner Schuhe fragte, kam er mit allen
möglichen Farben an, nur nicht mit der richtigen. Natürlich
begriff ich nicht, wie klug mein Baby eigentlich war. Ich war
der Meinung, er sei bloß schwierig, und fauchte ungeduldig:
»Welche Farbe haben deine Schuhe?«
»Äh, Purpurrot?«
Das war’s. Bevor ich registrierte, was ich da tat, versetzte ich
ihm einen Schlag auf den Po. »Welche Farbe haben deine
Schuhe?«
»Gelb?« Kyle heulte Rotz und Wasser, aber aus reiner
Frustration schlug ich ihn erneut.
»Verdammt noch mal, welche Farbe haben die Schuhe?«
»Rosa!«
Ich konnte nicht glauben, daß ich so sehr die Kontrolle
verloren hatte. Meine Eltern kamen ins Zimmer gestürzt. »Was
zum Teufel ist mit dir los?« fragte Mutter und nahm mein
schluchzendes und verwirrtes Kind in den Arm.
»Was zum Teufel ist hier los?« fragte Daddy.
»O mein Gott, o mein Gott!« rief ich. »Ich habe meinen Sohn
geschlagen! Es tut mir so leid!« Ich lief aus dem Zimmer, warf
mich aufs Sofa, vergrub das Gesicht in den Händen und
schwor, meinen Sohn nie wieder zu schlagen. Ein paar
Minuten später stand Kyle neben dem Sofa. »Mommy?
Mommy?« fragte er hoffnungsvoll. »Mommy, es tut mir leid.
Ich weiß, welche Farbe meine Schuhe haben.«
»Ja, mein Schatz.«
»Sie sind blau!«
Ich griff nach ihm, aber er lief los und versteckte sich
grinsend hinter seinem Grampa. Da endlich dämmerte es mir:
Kyle hatte mich die ganze Zeit über nur ärgern wollen. Die
braunen Schuhe wurden Teil der Familienlegende. Als Kyle
etwa dreizehn war, entschärfte er meine Wut, indem er
bekleidet unter die Dusche lief, das Wasser andrehte und
kreischte: »Mommy, schlag mich nicht. Ich weiß, welche
Farbe meine Schuhe haben!« (Wie Sie sehen werden, war die
Braune-Schuhe-Saga hier noch lange nicht zu Ende.)
In gewisser Weise kann man sagen, daß Kyle und ich
zusammen erwachsen wurden. Obwohl unsere Beziehung
durchaus etwas Geschwisterhaftes hatte, wurde nie in Frage
gestellt, daß ich seine Mutter war. Kyle war fünf, als ich von
einem Auftritt außerhalb der Stadt nach Hause zurückkehrte
und hörte, wie er meine Mutter ›Mutter‹ nannte – und mich
›Nichelle‹.
Ich packte ihn und fragte scharf: »Wie hast du mich
genannt?«
Überrascht sah mein Kleiner mit seinen großen Augen zu mir
hoch. »Nichelle?« antwortete er mit leiser, unsicherer Stimme.
»Nenn mich nie Nichelle. Du darfst jedem sagen, wie ich
heiße, aber siehst du das hier?« Ich deutete auf meinen Bauch.
»Du weißt, wo die Babys herkommen?«
Er nickte.
»Da drin habe ich dich getragen. Die ganze Zeit hast du zu
mir gehört. Gott hat dich mir als Geschenk gegeben, und ich
war dazu in der Lage, dich zur Welt zu bringen. Ich bin deine
Mutter. Ich bin deine Mutter! Niemand anders. Hast du das
verstanden?«
Kyle stand eine Minute nachdenklich da. »Aber Mom«, sagte
er dann. »Deine Karriere.«
»Meine Karriere? Du kommst in meinem Leben an erster und
wichtigster Stelle. Das Wunderbarste, was mir je passiert ist,
bist du, Kyle, und nicht meine Karriere. Aber meine Karriere
ist meine Arbeit, und sie führt mich weg, damit ich gut für dich
sorgen kann, und nicht, weil ich gern an diesen Orten sein
möchte.«
Kyle umarmte mich mit aller Kraft. Und nannte mich nie
wieder Nichelle. Als junges Mädchen hatte ich immer fünf
Kinder haben wollen. Aber nachdem Kyle zur Welt gekommen
war, kam ich zu der Einsicht, besser mit dem Kinderkriegen
aufzuhören. Er war – und ist – die größte Errungenschaft
meines Lebens.
Als Kyle etwa achtzehn Monate alt war, traf ich die schwere
Entscheidung, aus dem Showbusineß auszusteigen. Ich trug
Verantwortung und hatte keinen Ehemann, wie sollte ich da als
Künstlerin im ganzen Land herumreisen? Mein erster
›richtiger‹ Job war eine Stelle in der Registratur der Goldenrod
Ice Cream Company. Mr. McGregor, der Manager, stellte mich
ein, obwohl ich in der Bewerbung unter ›Frühere Arbeitgeber‹
dummerweise meine Auftritte im College Inn und die Tournee
mit Duke Ellington aufgeführt hatte.
»Sie werden nicht lange bleiben«, bemerkte er.
»Sicher werde ich das. Ich bin verheiratet und habe ein Kind.
Ich will wieder die Schule besuchen…«, rechtfertigte ich mich.
»Nein, das werden Sie nicht«, erwiderte er ruhig. »Aber ich
gebe Ihnen den Job trotzdem.«
»Warum?« fragte ich verblüfft.
»Weil ich aus Blue Island komme« – das war eine kleine
Stadt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Robbins –, »und ich
weiß, daß es Ihr Vater war, der dort für Kanalisation und
fließendes Wasser gesorgt hat, als ich noch ein Kind war. Es
gibt viel, wofür ich Ihrem Vater dankbar sein muß.«
»Ist das der einzige Grund, warum Sie mir diesen Job
geben?«
»Yeah«, antwortete er. »Und denken Sie an meine Worte: Sie
werden nicht lange bleiben.« Er machte eine nachdenkliche
Pause. »Und Sie sollten es auch nicht«, fügte er dann hinzu.
Sechs Monate lang reorganisierte ich das Ablagesystem,
lernte Buchführung und meisterte die Telefonanlage. (Finden
Sie das überraschend?) Eines Tages rief man mich in die
Verwaltung und machte mir ein Angebot, das die meisten
jungen Frauen in meiner Position als die Chance ihres Lebens
angesehen hätten. Die Firma bot mir an, mich auf eine
Handelsschule zu schicken, damit ich danach eine höhere
Position einnehmen konnte. An diesem Abend ging ich unter
Tränen nach Hause, in dem Wissen, daß ich bei einer
Zustimmung verpflichtet gewesen wäre, mindestens mehrere
Jahre bei der Firma zu bleiben. Mr. McGregor hatte recht
behalten: Ich konnte dort einfach nicht bleiben. Also kündigte
ich und nahm ein paar Jurakurse auf der Cosmopolitan Law
School, während ich Pläne schmiedete, um in den einzigen
Beruf zurückzukehren, den ich jemals ausüben wollte: das
Showbusineß.
Ich fing an, bei Jimmy Payne, einem führenden Vertreter und
Lehrer des afrokubanischen Tanzes und des Steptanzes,
Stunden zu nehmen. Viele talentierte Leute probten mit
Jimmy, Carol Lawrence eingeschlossen. Ich werde nie den
jungen Mann vergessen, der extra aus New York kam, um mit
Jimmy zu arbeiten, und der in der Klasse oft neben mir tanzte.
Er war wirklich gut, aber er bewegte sich auf eine sonderbare,
ruckartige Weise, die mich immer an einen zerbrochenen,
tanzenden Stock erinnerte. Unsere Pfade kreuzten sich erst
wieder Mitte der Sechziger, als ich für die Filmversion von
Sweet Charity vortanzte. Ich erkannte den Regisseur und
Choreograph sofort als den Mann aus Jimmy Paynes Klasse
wieder: Es war Bob Fosse. Wir unterhielten uns über Jimmy,
und sowohl er als auch der Produzent Robert Arthur
versicherten mir, daß ich ihre erste Wahl für die Rolle sei. Ich
war am Boden zerstört, als ich ein paar Tage später erfahren
mußte, daß Paula Kelly, die die Rolle für den Broadway
entwickelt und der man sie für die Filmversion versprochen
hatte, unerwarteterweise aus dem Vertrag einer anderen
Produktion entlassen wurde. Bob Fosse rief mich
freundlicherweise persönlich an, um mir zu sagen, wie leid es
ihm tat und wie gut ich getanzt hatte.
Daheim in Chicago kehrte ich dann ins Showbusineß zurück;
ich war die Hauptdarstellerin in Jimmy Paynes erfolgreicher
und langlebiger Revue Calypso Carnival im Blue Angel. Ich
arbeitete abends und hatte so Zeit, mich tagsüber um Kyle zu
kümmern. Bevor ich zur Vorstellung ging, brachte ich ihn
immer zu Bett, und er sah hoch, lächelte und sagte: »Hals und
Beinbruch, Mommy!«
Länger als ein Jahr spielten wir vor ausverkauftem Haus. Im
Publikum waren oft Nachwuchskünstler, die im nahen Mr.
Kelly’s auftraten, unter anderem Bill Cosby, Phyllis Diller und
Joan Rivers. Vor dem Blue Angel hatte ich Rollen in ein paar
Theaterstücken und ein paar Auftritte in Nachtclubs, darunter
auch Mike DeLisa’s Showroom, ein weiterer Chicagoer
Spitzenclub, wo Künstler vom Kaliber Nat King Coles, Joe
Williams und Sarah Vaughans sangen. Einmal war ich
tatsächlich sogar das Vorprogramm von Joe Williams.
Wie sich jedoch recht bald herausstellte, haben selbst die
renommiertesten Clubs ihre unerfreulichen, verrufenen Seiten.
Wegen meiner begrenzten und, wie ich bald erkennen mußte,
behüteten Showbusineß-Erfahrungen war es ein Schock,
feststellen zu müssen, daß die Künstlergarderoben nach Pot
stanken. Dann war da die leicht kriminelle Kundschaft. Als ein
Sänger mir nachstellte, ließ ich ihn abblitzen und suchte die
Sicherheit einer freundlichen Sängerin der Show, nur um zu
erfahren, daß sie lesbisch war. Und nicht nur das, eines der
Chormädchen war scharf auf sie, mißdeutete meine Absichten
und drohte, mich umzubringen. Es war einfach schrecklich.
Während ich mir in den Clubs einen Namen machte, kam ich
Jimmy Payne sehr nahe. Kyle vergötterte ihn, und ich hätte
seinen Heiratsantrag vielleicht angenommen, wäre da nicht
seine wahnsinnige Eifersucht gewesen. Als die Show im Blue
Angel endete, fühlte ich mich wie in einem Gefängnis, und als
ich das zweiwöchige Engagement angeboten bekam, in
Milwaukee zur Eröffnung eines neuen Nobelrestaurants mit
Clubbetrieb aufzutreten, griff ich sofort zu. Jimmy war darüber
nicht gerade begeistert, um es vorsichtig auszudrücken.
Es war in jeder Hinsicht ein Traumjob: Ankündigung als
Star, ein Zwei-Wochen-Vertrag mit der Option, ihn auf sechs
Wochen zu verlängern, eine großartige Gage. Es war nahe
genug, daß Kyle und meine Eltern mich besuchen konnten.
Doch noch viel wichtiger war die Tatsache, daß es sich um
meinen ersten großen Durchbruch als Sängerin handelte
(obwohl ich bei meiner Show noch immer tanzte), und ich
konnte es mir nicht leisten, die Chance vorübergehen zu
lassen.
Das umgebaute Restaurant war großartig, jeder funkelnde
weiße Tisch war mit Kerzen und einer Flasche eines guten
italienischen Weines ausgestattet. An einem Ende des Raumes
befand sich eine lange, elegante Bar mit den erlesensten
Alkoholika und glitzernden Kristallgläsern. Die geräumige
Bühne war der Traum eines jeden Künstlers, genau wie die
erstklassige achtköpfige Band. Während der ersten Probe
lernte ich die Musiker, die Chortänzerinnen und Laura kennen,
eine Sängerin, deren Spezialität ein glänzender Bolero war.
Allem Anschein nach war es eine große, glückliche Truppe.
In der ersten Woche lief alles sehr gut – großartige Kritiken
und ein volles Haus –, aber ich fand es seltsam, wie die
Tänzerinnen zwischen den Auftritten nervös kicherten und
nach jeder Show von der Bühne stürmten, sich blitzartig
umkleideten und wieder nach oben liefen, um sich unter die
Gäste zu mischen. Jeden Abend verließ ich nach dem
Abschlußtanz meiner Nummer die Bühne und brach in meiner
Garderobe im Keller erst einmal völlig erschöpft zusammen,
bevor ich mich auf den nächsten Auftritt vorbereitete. Dort
wurde ich dann Zeuge, wie Louie, der Barkeeper, die Mädchen
antrieb. »Also los, Beeilung. Mr. B. kann es nicht ausstehen,
wenn jemand zu spät dran ist. Los, los.« Minuten später waren
sie weg.
Was ich aber nicht wußte: Diese hübschen jungen Mädchen
gingen auf einen ›B-Drink‹ nach oben. Ein ›B-Drink‹ war eine
alte Praxis, bei der sich Stripperinnen unter das Publikum
mischten, um die männlichen Gäste dazu zu animieren, an der
Bar viel Geld auszugeben. Trank man mit dem Gast, bestellte
man ein Glas Champagner, und der Barkeeper brachte einem
ein Ginger Ale, während dem Gast, der ebenfalls Champagner
bestellt hatte, zwei Gläser Champagner in Rechnung gestellt
wurden.
Das verschaffte dem Club nicht nur einen phantastischen
Zusatzprofit an der Bar, sondern schuf auch eine Atmosphäre,
die dem anderen ›Geschäft‹ dieser fleißigen Mädchen
zuträglich war: Prostitution. Natürlich ging man in den
besseren Läden, den sogenannten B-Joints, nicht öffentlich der
Prostitution nach. Aber es war allgemein bekannt, welche
Nachtclubs B-Joints waren und welche nicht, und viele der
Prostituierten betreuten ihre Kunden zusätzlich zu ihren
offiziellen Tätigkeit. Ich hatte es mir zur Regel gemacht,
niemals in B-Joints aufzutreten. Nicht nur, daß meine Eltern
vor Entsetzen gestorben wären, hätten sie es herausgefunden;
diese Läden waren illegal und konnten gefährlich sein. Wie ich
erfahren mußte, kann der äußere Anschein oft täuschend sein,
und einige der elegantesten Clubs waren nur eine Fassade für
diese lukrative Variante des ältesten Gewerbes der Welt.
Ich saß in meiner Garderobe, als jemand so heftig anklopfte,
daß die Tür aus den Angeln zu springen drohte. »Miss
Nichols! Oben wird nach Ihnen verlangt!«
Es war Louie, der Barkeeper. In der Annahme, ein Gast wolle
mich kennenlernen, sagte ich höflich: »Nein danke. Ich bereite
mich auf meinen nächsten Auftritt vor.«
»Sehen Sie«, erwiderte er stur. »Ich bitte Sie nicht, ich sage
es Ihnen. Sie sollen nach oben kommen. Sofort.«
»Bitte? Was glauben Sie eigentlich, mit wem Sie hier
sprechen?«
Louie fiel die Kinnlade herunter, und die Adern in seinen
Schläfen pulsierten unter der Haut. Er war zwar klein und
drahtig, aber ein harter Bursche. Ein Blick in seine kalten,
schwarzen Augen genügte, um zu wissen, warum die Mädchen
sprangen, wenn er sie anfuhr.
»Nein danke«, sagte ich entschlossen und schloß die Tür.
Während des nächsten Auftritts mied ich seinen stählernen
Blick, aber ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, daß etwas
mit diesem Club nicht stimmte. Als ich die Gelegenheit hatte,
mit Laura, der Bolerotänzerin, zu sprechen, fand ich heraus,
was es war.
»Nun, du weißt ja, daß dies hier ein Stripclub war«, sagte sie
sachlich.
»Ja, aber so wie ich es verstanden habe, gibt es doch jetzt
einen neuen Besitzer.«
»Leoparden verlieren ihre Flecken nicht«, sagte sie und
lachte reumütig. »Sie dekorieren bloß um.«
»Willst du damit sagen, es handelt sich um denselben
Besitzer, dem schon der Stripladen gehörte?«
»Yeah, Nichelle. Was glaubst du, wer wir sind?«
»Wer?« fragte ich naiv.
»Die Mädchen. Wir waren die Stripperinnen. Oder hast du
geglaubt, wir waren alle echt?«
Also das war die Wahrheit: Louie, der Barkeeper/Zuhälter,
ein Haufen Ex-Stripperinnen, und die Gäste waren nichts
anderes als Freier. Es bestand kein Zweifel: Ich arbeitete für
das organisierte Verbrechen, den Mob. Ich mußte hier weg.
Am nächsten Abend kam Frankie Balistrieri, der Besitzer, in
meine Garderobe. Frankie sah nicht aus wie der typische
Mobster. Er war klein, stämmig, stets tadellos gekleidet, hatte
nordische Gesichtszüge, blondes Haar und stählerne blaue
Augen.
»Wie ich von Louie gehört habe, gibt es ein Problem.«
»Nicht, daß ich wüßte«, antwortete ich unschuldig. »Ich gehe
jeden Abend auf die Bühne, mache meine zwei Auftritte und
gehe nach Hause.«
»Das weiß ich«, sagte er geduldig und erklärte mir dann, was
mein richtiger Job sei. »So läuft das hier, verstehen Sie?«
»Es tut mir leid«, erwiderte ich. »Ich mache keine B-Drinks,
und ich trete auch nicht in B-Joints auf. Mein Agent hat mir
gesagt, es würde sich hier um ein ganz normales
Clubrestaurant handeln.«
»Aber ich möchte, daß Sie es tun«, sagte er leise und ließ
dabei ganz ruhig jeden Knöchel der Faust knacken.
Jetzt wußte ich, wo ich da hineingeraten war, aber ich war
nicht klug genug, den Mund zu halten. »Erstens, Mr.
Balistrieri…«
»Nennen Sie mich Frankie. Bitte«, sagte er lächelnd.
»Erstens, Frankie, würde mein Vater vor Entsetzen sterben,
wenn er wüßte, daß ich mich auch nur in der Nähe eines B-
Joints aufhalte. So hat man mich nicht erzogen. Sie haben hier
einen schönen Club, aber ich rauche und trinke nicht, und ich
lasse mich auch nicht auf einen B-Drink einladen.«
»Nun, Sie brauchen ja nicht zu trinken«, sagte er.
»Ich will mit so etwas nichts zu tun haben. Ich habe einen
kleinen Jungen, ich will nicht, daß er irgendwann entdeckt, daß
seine Mutter ein Animiermädchen war. Ich will es in diesem
Leben zu etwas bringen, und das wird keine Animierdame
sein. Es tut mir sehr leid, Frankie, aber wenn das Ihr letztes
Wort ist, werde ich gehen müssen.«
Frankie sah mich schweigend an. »Okay«, sagte er dann. »Sie
ziehen eine Menge Gäste an. Die Leute mögen Sie, also ist das
in Ordnung. Wenn Sie immer an Ihre Eltern denken, werden
Sie nie eine falsche Entscheidung treffen. Wenn Ihnen jemand
etwas anderes sagt, sagen Sie ihm, er soll sich an Frankie
Balistrieri wenden. Ich mag Sie. Sie haben echte Klasse.«
»Vielen Dank.«
Er nickte und ging. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung
aus, sah auf den Kalender und sah, daß ich nur noch ein paar
Tage hatte, bevor meine zwei Wochen um waren und ich
zurück im Zug nach Chicago sitzen würde. Aber kurz vor
meinem letzten Auftritt klopfte Louie wieder an, diesmal ganz
leise. »Ah, Miss Nichols«, sagte er mit seiner kretinhaften
Stimme. Ȇbrigens: Sie bleiben. Frankie will Sie noch zwei
weitere Wochen behalten.«
Frankie übte die erste Zwei-Wochen-Option mitsamt einer
Gagenerhöhung aus, wobei er noch einmal etwas drauflegte.
Zu dieser Zeit konnte ich es kaum erwarten, von hier
wegzukommen. Die Mädchen taten mir leid – obwohl ihnen
das völlig egal war –, und ich wurde selbst etwas depressiv.
Aber wenigstens hatte ich den Trost, daß ich hier rauskommen
würde. Als Frankie mich in sein Büro zu seiner Familie einlud,
dämmerte es mir, daß er mich tatsächlich mochte. Wie ich kurz
darauf erfuhr, hatte man weder seine Frau noch seine Kinder
jemals zuvor im Club gesehen. »Die beiden« – damit meinte er
seine geliebte Familie und sein schmutziges Geschäft –
»sollten nie miteinander in Berührung kommen.« Daß er sie
mitgebracht hatte, damit sie meinen Auftritt miterleben
konnten, und mich dann einlud, sie persönlich kennenzulernen,
war eine ziemliche Ehre, und ich war klug genug, sie nicht
abzulehnen. Als ich seine sanfte, hübsche Frau und ihre drei
pausbäckigen Kinder begrüßte, erkannte ich eine Möglichkeit,
wie ich zu ihm durchdringen und vielleicht, nur vielleicht,
entkommen konnte.
Als ich im Verlauf der Unterhaltung das Thema Aufhören
ansprach, fragte er: »Warum? Bin ich nicht gut zu Ihnen?«
»Aber sicher sind Sie das, doch ich will nach New York und
an den Broadway, vielleicht sogar nach Hollywood, um zum
Film oder zum Fernsehen zu gehen.«
»Für ein kleines Mädchen haben Sie große Pläne«, sagte er
mit einem Lächeln.
»Nun, große Dinge kommen oft in kleiner Verpackung«,
antwortete ich und sah erleichtert, daß er lachte.
Ich wohnte in einem hübschen Hotel, direkt um die Ecke, nur
einen Block vom Club entfernt, und dort hörte ich Geschichten
von Frankie und den lokalen Gangs. Frankie war noch nicht
der Don des Mittelwestens, der er werden sollte, aber er
arbeitete fleißig daran. Seine und eine rivalisierende Gang
waren in einen Kampf um Territorien verstrickt, und gerade,
als ich mich zum Aufhören entschloß, wurde in einem anderen
Club eine Stripperin von Gangstern auf der Bühne erschossen.
Sie hatten keine Skrupel, dafür zu sorgen, daß die Mädchen bei
der Stange blieben. Die stillschweigende Drohung, brutal
zusammengeschlagen zu werden, hielt die Mädchen unter
Kontrolle. Ich hatte Todesangst, war aber nur noch
entschlossener, hier rauszukommen. Ironischerweise wurde
meine Show immer populärer, und zum ersten Mal in Frankies
Karriere wurde eine seiner Shows in den Lokalzeitungen
besprochen. Je besser ich wurde, desto tiefer wurde das Loch,
das ich mir grub.
Als ich schließlich den Mut aufbrachte, ihm zu sagen, daß ich
aufhörte, trat ein gefährliches Glitzern in seine Augen.
»Sie wissen«, sagte er drohend, »keiner verläßt Frankie
Balistrieri.«
»Aber es geht um meinen Dad«, sagte ich und appellierte an
seinen Familiensinn. Das hier war die Vorstellung meines
Lebens. »Er hat einen Herzinfarkt erlitten, meine Familie
braucht mich. Ich muß nach Hause.«
»So, so, Ihr Dad?« sagte Frankie nachdenklich, während er
mich sorgfältig musterte. Ich glaube, er wußte, daß ich nicht
die Wahrheit sagte, aber er schien mitzuspielen. »Sie rauchen
nicht, Sie trinken nicht. Okay, ich sage Ihnen, was wir machen:
Sie fahren nach Hause und kümmern sich um Ihren Vater. Ich
respektiere Sie. Schließlich lieben Sie Ihre Eltern. Das ist
schön. Dann kommen Sie zurück. Und bringen Ihren kleinen
Jungen mit. Wir finden ein hübsches Apartment für Sie. Es
wird Ihnen hier gefallen. Und dann kümmern wir uns darum,
daß Sie nach New York kommen.«
»Ich werde meinen Sohn nicht hierherbringen«, sagte ich, da
ich die Falle witterte. »Und ich ziehe auch nicht nach
Milwaukee. Ich bin jetzt seit zehn Wochen hier, und ich
verkümmere innerlich. Ich muß hier weg.«
»Okay, fahren Sie nach Hause. Aber Sie kommen zurück und
geben mir weitere sechs Wochen. Dann sind Sie frei.«
Ich fuhr für ein paar Wochen nach Hause, erzählte meinen
Eltern aber nur vom dem Animierbetrieb. Das reichte schon
aus, daß mein Vater sagte: »Fahr zurück, pack alles zusammen
und verschwinde, so schnell du kannst.« Mein Vater hatte
genug Erfahrungen mit dem Mob gesammelt, um zu wissen,
daß es zwei Arten gab, auf die man versuchen konnte, aus
einer solchen Sache herauszukommen, eine kluge und eine
dumme. Selbst ohne von der Schießerei und den Drohungen zu
wissen, war ihm klar, daß ich nicht so ohne weiteres aufhören
konnte. In der Zwischenzeit hatte ich meinem Agenten gehörig
die Meinung gesagt, der darauf beharrte, nicht über den Club
Bescheid gewußt zu haben. Das sei schon möglich, sagte ich
ihm, aber wie konnte er im Mittelwesten buchen und nicht
wissen, wer Frankie Balistrieri war?
Ich hatte Frankie während des Aufenthalts in Milwaukee
ganz genau beobachtet. Er hatte seine verwundbaren Punkte,
und einer davon war sein Ego. Ich hatte einen Plan.
Genau wie Frankie. Er war der Meinung, daß er es in den
sechs Wochen meines Aufenthaltes schaffen würde, mich
davon zu überzeugen, nie wieder von dort fortzugehen. Und so
erhöhte er den Druck. Dominic, oder Mr. F. wie ihn jeder im
Club nannte, kam ins Spiel, Frankies Rechtsanwalt. In seinen
Tausend-Dollar-Seidenanzügen war Dominic so geschmeidig,
zuvorkommend und hinterhältig wie eine Schlange. Oft
wartete er am Ende des Abends auf mich. Er bot mir
Champagner an, den ich höflich ablehnte. Das brachte Louie in
Wut, da Dominic Frankies persönlicher Freund war, und eine
Flasche Champagner war eine Flasche Champagner und ein
hübscher Profit für die Bar.
Dominic schien sich Hals über Kopf in mich zu verlieben,
was von Frankie noch unterstützt wurde. »Er hat wirklich
Klasse. Genau wie Sie«, sagte er. Eines Tages gab Dominic
mir eine kleine Schachtel. Ich dachte, es würde sich um
Schmuck handeln, und lehnte mit den Worten ab: »Das kann
ich nicht annehmen.«
»Machen Sie schon auf«, bedrängte er mich.
In der Schachtel lag ein kleiner goldener Schlüssel zu einem
Apartment, das laut Dominics Beschreibung in Weiß und
Pastellfarben gestrichen war und einen wunderschönen
Ausblick hatte.
»Nein, vielen Dank«, sagte ich und gab ihm die Schachtel
zurück. »Ich bin nicht interessiert.«
Dominic lächelte bloß und spann sein Netz weiter.
Ein paar Tage später wollte ich gerade den Club verlassen,
als Tony, Dominics Fahrer, ankam. »Ich soll Sie wegen des
Sturms nach Hause fahren«, verkündete er.
Er brachte mich in dem strömenden Regen zu der schwarzen
Limousine, und ich stieg ein, wo ich eine große Schachtel auf
dem Rücksitz fand.
»Mr. F. sagt, Sie sollen die Schachtel aufmachen«, sagte
Tony.
Sie enthielt den prächtigsten Zobelmantel, den ich je gesehen
hatte. Als wir am Hotel angekommen waren, öffnete ich die
Tür und stieg aus.
»Hey, Sie haben Ihre Schachtel vergessen!«
»Nein, das habe ich nicht. Sagen Sie Mr. F. ich danke ihm,
aber ich kann es nicht annehmen.«
»Was sind Sie – verrückt?« rief mir der Chauffeur durch den
Donner hinterher, bevor er losfuhr. Das fragte ich mich
langsam auch.
Es war Zeit für meinen Plan. Nach vier Wochen setzte ich
mich mit einem Reporter in Verbindung, der eine großartige
Kritik über mich geschrieben hatte. Ich sagte ihm, ich hätte
eine tolle Story für ihn, und enthüllte ihm dann enthusiastisch,
daß ich durch die großartige Presse, die ich durch meine Arbeit
für den wundervollen Frankie Balistrieri erhalten hatte, auf
dem Weg nach New York sei. Ich stünde für immer in Mr. Bs
Schuld, da er so nett gewesen sei, mich in seinem Club
auftreten zu lassen – wo mich ein großer Agent entdeckt habe
–, ein Traum würde sich erfüllen und so weiter und so fort. Der
Reporter hielt es für eine großartige Geschichte, genau wie
Frankie, als er davon in der Zeitung las.
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie nach New York
gehen?« fragte er mich stolz.
»Oh, ich habe es erst vor kurzem erfahren, und nochmals
vielen Dank. Das habe ich alles nur Ihnen zu verdanken.«
Weitere Lügen, allerdings mit einem Körnchen Wahrheit: Ich
hatte einen Agenten gefunden, Dave Sobol, und ich trat
auswärts auf – in Minneapolis. Ob Frankie Balistrieri wirklich
glaubte, ich sei der Meinung, er habe mich entdeckt – wie er
jahrelang prahlte –, oder ob er lediglich den Schein wahrte und
entschieden hatte, mich gehen zu lassen, werde ich nie
erfahren. Ich weiß nur, daß mein Engagement gnädigerweise
verkürzt wurde, und ein paar Wochen später reiste ich ab.
Allerdings mußte ich noch miterleben, daß man eines Morgens
ein Mädchen aus einem anderen Club tot auffand; man hatte
sich ihrer Leiche in einer Mülltonne entledigt.

Wieviel Macht hatte Frankie tatsächlich? Nun, lassen Sie uns


zwanzig Jahre überspringen. Wir waren am Set eines der ersten
Star Trek-Filme, und eines Tages unterhielt uns Bill Shatner
zwischen zwei Szenen mit einer wahren Geschichte, die ihn zu
Tode erschrocken hatte. Anscheinend hatte Bill eingewilligt, in
Milwaukee in einem Theaterstück des Sommerspielplans zu
spielen. Als ein attraktives Filmangebot kam, instruierte Bill
seinen Agenten, ihn aus dem Stück herauszubekommen. Sein
Agent rief aufgeregt zurück und sagte, der Theaterbesitzer
habe vor, an dem Vertrag mit Bill festzuhalten, außerdem ließ
er anfragen, ob er denn unter der Bedingung spielen würde,
daß man die Produktion des Films verschieben würde, bis er
frei sei.
»Also sagte ich meinem Agenten«, erzählte Bill, »›Sag dem
Mann, ich habe nein gesagt.‹« Kurz darauf erhielt er auf
seinem privaten Anschluß einen Anruf von einem Mann mit
einer kehligen Stimme. »Bill, ich wünschte, Sie würden dieses
Stück spielen«, sagte er. »Ich bin ein großer Fan von Star Trek
und Captain Kirk. Sie werden es nicht bereuen.«
Wir hingen an Bills Lippen, als er fortfuhr und uns erzählte,
er habe daraufhin seinen Agenten angerufen und ihn fluchend
angeschrien und sich erst beruhigt, nachdem er die Identität
des Theaterbesitzers erfuhr.
»Und wer zum Teufel war er?« fragte Leonard.
»Nun«, sagte Bill langsam. »Ich kann euch nur soviel
verraten, daß ich, als ich seine Identität erfahren hatte, dieses
Stück spielte, und man wartete mit dem Film auf mich.«
Erstauntes Gemurmel erscholl. Bill fuhr fort. »Er ist ein
berüchtigter Mafia-Don des Mittelwestens, aber ich kann den
Namen nicht verraten, da man ihn mir unter dem Siegel
striktester Verschwiegenheit enthüllt hat.«
Wow! schien jeder zu flüstern. »Komm schon, sag uns den
Namen«, sagte jemand.
»Genau, wir werden es auch nicht weitersagen«, fügte ein
anderer hinzu.
Bill genoß es sichtlich, ein solch faszinierendes Geheimnis
für sich zu behalten.
»Oh, Bill!« meldete ich mich ruhig zu Wort. »Du meinst
Frankie Balistrieri.«
Bill fuhr herum. »Woher zum Teufel willst du das denn
wissen?«
Ich runzelte verschwörerisch die Stirn, küßte meine Faust und
erwiderte: »Ganz einfach. Frankie Balistrieri ist mein Pate.«

Im Verlauf der nächsten Jahre buchte Dave Sobol mich im


ganzen pazifischen Nordwesten und in Kanada. Obwohl ich oft
unterwegs und fern von zu Hause war, besorgte Dave mir sehr
lukrative Auftritte, und nach kurzer Zeit luden mich
Clubbesitzer zu Wiederholungsengagements ein. Ich hatte mir
sehr früh geschworen, nach drei Regeln zu leben: Verabrede
dich nie mit dem Clubbesitzer, verabrede dich nie mit einem
der Bandmitglieder, und verabrede dich nie mit einem der
Zuschauer. Statt dessen lernte ich viele großartige Menschen
kennen; es dauerte nicht lang und ich hatte Freunde in jeder
Stadt, in der ich auftrat. Es machte das Leben unterwegs
weniger einsam und verlieh ihm den Anschein der Normalität.
Abgesehen von der Notwendigkeit, von meinem Sohn und
meiner Familie getrennt zu sein, gefiel mir meine Arbeit. Aber
es war nicht immer einfach.
An einem Tag im Winter traf ich in Salt Lake City, Utah, ein
und begab mich zur Rezeption des Hotels, wo man ein Zimmer
für mich reserviert hatte.
»Guten Morgen. Ich bin Nichelle Nichols.«
Der Mann hinter dem Tresen starrte mich nur ausdruckslos
an. »Bitte?«
»Für mich ist reserviert«, erwiderte ich mit einem Lächeln.
»Wir müssen Sie bitten zu gehen«, sagte er. Die Worte trafen
mich wie ein Blitzschlag, und einen kurzen Augenblick lang
blickte ich mich in der Lobby um, um zu sehen, wen er
eigentlich meinte.
»Haben Sie keine Reservierung für Nichelle Nichols?« fragte
ich in dem Glauben, er hätte mich falsch verstanden. »Ich bin
Nichelle Nichols.«
»Für Sie liegt keine Reservierung vor«, erwiderte er kurz
angebunden. »Wir müssen Sie bitten zu gehen.«
»Sagen Sie das, was ich glaube, daß Sie es sagen?« fragte ich
und sah ihm in die Augen.
»Sie können glauben, was immer Sie wollen«, antwortete er
und sah dann unbeeindruckt auf seine Arbeit nieder, als würde
ich nicht existieren.
»Gibt es wegen meiner Hautfarbe ein Problem mit meiner
Reservierung?«
Überrascht sah er auf, ohne etwas zu sagen, doch in seinem
Gesicht stand die Botschaft geschrieben: Ich war ziemlich
geduldig mit dir. Du bist offensichtlich am falschen Ort. Bitte
hör auf, diese Räumlichkeiten zu beschmutzen.
»Hier ist telefonisch ein Zimmer für mich reserviert worden«,
sagte ich hartnäckig. »Ich will mit dem Manager sprechen.«
Der Mann trat zurück, sah mich von oben bis unten an, als
dürfte ich mein teures Kostüm, die Pelzjacke und die guten
Lederstiefel nicht tragen.
»Wie Sie wünschen, Madam.«
Er ging und ließ mich sprachlos und ganz allein in der Lobby
zurück. Langsam, fast unmerklich, veränderte sich die
Atmosphäre in dem Raum, als Leute, die sonst ihrer Wege
gegangen wären, mich sahen, den Schritt verlangsamten, dann
stehenblieben und starrten. Ich zitterte vor Wut über sie und
mich selbst. Warum hatte ich das nicht kommen sehen?
Warum konnte ich mich nicht einfach umdrehen und gehen?
Die Zeit schien stehenzubleiben, und der Anblick auf ihren
Gesichtern sprach Bände des Hasses. »Ist das zu glauben?«
schienen die Seitenblicke und das mißbilligende Nicken zu
sagen. »Wie kann sie nur? Die müßten es doch eigentlich
besser wissen.«
In meinem Kopf hörte ich eine Stimme sagen: Moment mal.
Das hier sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist
1956, und nicht der tiefe Süden, sondern Salt Lake City, Utah.
Vielleicht bin ich in der falschen Stadt. Vielleicht ist es das
falsche Hotel.
Endlich kam der Manager aus seinem Büro. »Wir haben kein
Zimmer für Sie«, sagte er mit lauter, klarer Stimme. »Es liegt
uns keine Reservierung vor. Sie werden nicht in diesem Hotel
bleiben.«
»Das ist verdammt klar«, antwortete ich durch
zusammengebissene Zähne, als ich meine Tasche nahm und
hinausging. Ich nahm ein Taxi zu dem Club, in dem ich an
diesem Abend zum erstenmal auftreten sollte, wo ich Red, dem
Besitzer, und seiner Frau erzählte, was geschehen war. Sie
waren schockiert und peinlich berührt. Red, ein wunderbarer,
hartgesottener kleiner Mann, der sein Vermögen in den Minen
von Alaska gemacht hatte, versicherte mir: »Niemals. Hier
nicht. Das ist eine mormonische Stadt. Keine Sorge, ich
kümmere mich darum.«
Seine Frau und ich wurden Zeuginnen, wie er ein Hotel nach
dem anderen anrief. Bei jeder erneuten Absage wurde Red
blasser und aufgeregter. »Wenn Sie aus Ihrem Vertrag
aussteigen möchten, ist das kein Problem«, sagte er
schließlich. »Ich zahle Ihnen Ihre Gage und setze Sie ins
Flugzeug.« Ich war versucht, ihn beim Wort zu nehmen. Der
arme Mann war den Tränen nahe, so wütend war er.
Schließlich erreichte er ein italienisches Ehepaar, das, als Red
sie wütend und mißtrauisch vorwarnte, ich sei ›farbig‹ und ob
das einen Unterschied mache, nur erwiderte: »Was für eine
Farbe hat sie denn?«
»Sie hat braune Haut und ist Amerikanerin.«
»Wenn sie nichts gegen Italiener hat, kann sie bei uns
wohnen«, lautete die Antwort. Das machte ich dann auch und
verlebte bei ihnen einen wunderbaren Aufenthalt. Später stieg
ich dann noch einmal bei ihnen ab. Es sollte bis Mitte der
Sechziger dauern, bis die Rassentrennung in Salt Lake City
aufgehoben wurde.
Trotz gelegentlicher Probleme versetzte mich meine Arbeit in
jenen Jahren in die Lage, meinen Eltern viel Geld nach
Chicago zu schicken. Ich war ihnen für das, was sie für Kyle
und mich taten, von ganzem Herzen dankbar, aber ich wußte,
daß es nicht ewig so weitergehen konnte. Sie wurden älter, und
Daddy erlitt eine Reihe schwerer Herzinfarkte. Zwar genas er
zufriedenstellend, aber sein Arzt warnte ihn mehrfach, daß ein
weiterer Winter in Chicago sein Tod sein würde. Ich mußte
ebenfalls einige Veränderungen vornehmen. Bei der Arbeit in
zahllosen Clubs war ich großartigen Sängerinnen begegnet, die
zehn, zwanzig oder dreißig Jahre älter als ich waren und noch
immer auf der gleichen Bühne standen und noch immer die
gleichen Shows für das gleiche Publikum machten, ohne
weiterzukommen. Die allabendliche Arbeit hatte mein Können
perfektioniert, ich hatte mein Lehrgeld bezahlt, doch es war die
Zeit gekommen, um weiterzuziehen. Die Frage war nur,
wohin?
Schon zu meinen Tagen in der Grundschule hatten wir alle
davon geträumt, eines Tages nach Südkalifornien zu ziehen.
Durch einen glücklichen Zufall hatte mir mein Agent ein
Engagement in Hawaii besorgt, und ich brauchte ein paar
Monate nicht zu arbeiten. Ich entschied mich, einer Tante
einen Besuch abzustatten, die in L.A. wohnte. Für jemanden
aus dem Mittleren Westen war Los Angeles damals eine Stadt,
die genauso fabelhaft wie Paris war, und innerhalb weniger
Stunden wußte ich, ich gehörte hierher. An meinem zweiten
Tag in der Stadt gingen wir auf Wohnungssuche. Es war
unmöglich, meine Eltern für alles das zu entschädigen, was sie
für mich und Kyle getan hatten, aber ich wollte es versuchen.
Innerhalb einer Woche hatte ich eine große Wohnung
gefunden, die Platz für uns alle bot, sie gemietet und möbliert.
Ich war so glücklich, daß ich glaubte, der Telefonhörer würde
meiner Hand entgleiten, als ich das Ferngespräch nach
Chicago anmeldete. »Ab ersten November habt ihr eine große
Wohnung mit drei Schlafzimmern und einem Swimmingpool!«
sagte ich meinen Eltern.
Vier Wochen später stiegen meine Eltern, mein Sohn, meine
Schwestern Marian und Diane und mein Bruder in der Union
Station aus dem Super Chief.
Oh, meinen kleinen Jungen wieder im Arm zu halten und den
Gesichtsausdruck meiner Eltern sehen zu können, als sie unser
schönes neues Zuhause mit den palmengesäumten Wegen und
dem in der Sonne schimmernden Swimmingpool sahen. Wir
hießen unsere fabelhafte neue Heimatstadt willkommen, in der
meine Vater noch sechs glückliche, kostbare Jahre verleben
sollte. Alle verbrachten den Weihnachtstag planschend im
Pool, und wir schossen ein Foto, aus dem wir im nächsten Jahr
eine Weihnachtskarte machten, mit der wir dann unsere
Freunde in Chicago ärgerten.
Ich konnte nur wenige Tage mit meiner Familie in unserem
neuen Zuhause verbringen, bevor ich die Stadt für mein
nächstes Engagement in Hawaii verlassen mußte. Ich spielte
oft mit der Idee, in Los Angeles zu bleiben und mich auf Film
und Fernsehen zu konzentrieren, aber ich verdiente mit meinen
Reisen einfach zuviel Geld, um aufhören zu können, ohne
vorher eine wirkliche Alternative in der Nähe meiner neuen
Heimatstadt gefunden zu haben. Ich war so sicher, daß die
Entscheidung bei mir lag. In einer langen, brutalen Nacht kurz
nach dem Umzug wurde ich eines Besseren belehrt.
Es war nie leicht gewesen, eine allein reisende Frau zu sein.
Wie ich sehr früh lernen mußte, machten sich Leute – vor
allem Männer – oft allein durch die Tatsache, daß ich im
Showbusineß arbeitete, ein bestimmtes Bild von mir. Wegen
meiner eigenen Sicherheit und um meines Seelenfriedens
willen hatte ich es mir zur Regel gemacht, niemals bei
Veranstaltungen aufzutreten, die wir ›Smoker‹ nannten: private
Männergesellschaften, bei denen die Luft vom Tabakqualm
vernebelt war. Ich war nicht die einzige Künstlerin, die einem
solchen Engagement aus dem Weg ging, was zur Folge hatte,
daß die Veranstalter solcher Feiern außerordentlich attraktive
Honorare anboten, die weit darüber hinausgingen, was eine
Sängerin bei einem normalen Clubauftritt oder einer
Privatparty verdienen konnte.
Bevor ich nach Hawaii flog, hatte mein Agent angerufen und
mir ein Angebot unterbreitet, das sich großartig anhörte. Es
handelte sich um einen Auftritt bei der Jahresfeier eines
kanadischen Privatclubs.∗
Da ich Kanada immer geliebt und mich dort wohl gefühlt
habe, willigte ich ein. Nachdem ich gelandet war, holte mich
der kanadische Agent am Flugplatz mit einem großen
Blumenstrauß ab, und wir fuhren zum Haus eines Mr. Buckley.
Er war der Veranstalter der Feier, und er hatte mich
freundlicherweise eingeladen, bei ihm, seiner Frau und ihren
fünf Kindern zu übernachten. Die Kinder waren so aufgeregt,
jemanden aus dem Showbusineß kennenzulernen, daß ich
ihnen alle Kostüme und Autogrammkarten zeigen und eine
Million Fragen beantworten mußte. Nach dem netten
Abendessen gingen wir alle früh zu Bett, da uns am nächsten
Tag eine lange Fahrt bevorstand.
Mr. Buckley und ich machten uns auf den Weg. Wir
unterhielten uns nett, und ich merkte gar nicht, wie die Zeit
verging. Als wir endlich an unserem Ziel angelangt waren,
einem großen, schönen, rustikalen Jagdhaus, sah ich auf und
sagte: »Ich wußte gar nicht, daß ich in einem Jagdhaus
auftreten soll.«
»Oh, hat Ihnen Ihr Agent das nicht gesagt?« fragte Mr.
Buckley. »Hier findet unser alljährliches Wohltätigkeitsessen
statt.«


Um die Privatsphäre der Leute zu schützen, die unschuldig in die im Rest
des Kapitels geschilderten Vorfälle verwickelt waren, sind die Namen und
anderen Charakteristiken aller Beteiligten geändert worden.
Ich muß etwas verblüfft ausgesehen haben, da er schnell
hinzufügte: »Aber Sie müssen nicht über Nacht bleiben. Nach
der Vorstellung wird man Sie zurück in mein Haus bringen.«
»Vielen Dank«, erwiderte ich erleichtert.
Drinnen stellte mich Mr. Buckley mehreren der anderen
Organisatoren vor und führte mich dann in meine Garderobe,
eine der größten und bestausgestatteten, die ich je zu Gesicht
bekommen hatte. Die Erkenntnis, daß man mich hereingelegt
hatte und ich bei einer reinen Männergesellschaft auftrat, kam
mir erst, als ich die Bühne betrat. Ich konnte nicht weiter als
bis zu den ersten paar Stuhlreihen sehen, aber die Pfiffe, die
ertönten, als ich einen Teil meines Kostüms auszog, um mich
für die Tanzeinlage vorzubereiten, machten klar, daß ich die
einzige anwesende Frau war.
Ich verließ die Bühne unter donnerndem Applaus und kehrte
in meine Garderobe zurück, um mich zur Abfahrt bereit zu
machen. Ich war nicht unbedingt nervös, aber es ärgerte mich,
daß mein Agent diesen Auftritt angenommen hatte, ohne mir
zu sagen, daß es sich um einen ›Smoker‹ handelte. Ich wollte
einfach nur in die Sicherheit zurück, die Mr. Buckleys Haus
bot. »Ich werde hier übernachten«, sagte er mir, nachdem ich
mich umgezogen hatte. »Darum bringt Sie ein Freund von mir
zu meinem Haus, der morgen sehr früh in der Stadt zu tun hat.
Er heißt Mr. Fedderson.«
Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich, und ich fing
an, mich zu entspannen. Als ich mich zum Vordereingang des
Jagdhauses begab, ertönten Rufe wie »Danke, daß Sie
gekommen sind, Miss Nichols!« oder »Sie waren großartig!«
Mr. Buckley stellte mich Jordie Fedderson vor, und ich stieg
in seinen Wagen, einen Rolls oder Mercedes. Es war zu
dunkel, um es zu erkennen, aber im Wagen war es warm.
Anhand der Art und Weise, wie die anderen Männer mit ihm
sprachen, schloß ich schnell, daß Mr. Fedderson ein
respektiertes, wichtiges Mitglied seiner Gemeinde war; er
schien ein echter Gentleman zu sein. Nach ein paar Minuten
höflichen Geplauders erwähnte er, die Fahrt in die Stadt würde
zwei Stunden in Anspruch nehmen. Ich zog meinen großen
Wollmantel enger um mich und fing an zu dösen.
Ich war gerade dabei einzuschlafen, als ich etwas fühlte.
Seine Hand auf meinem Bein! Ich öffnete die Augen, doch da
war nichts als Dunkelheit, und instinktiv schrie ich: »Nein!«
Fedderson sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
Sein überraschter aber entschlossener Gesichtsausdruck verriet
mir, daß ich in Schwierigkeiten steckte. Er war stämmig, stark
und wütend. »Halt den Mund! Warum schreist du? Du bist nett
zu mir, und ich bin nett zu dir, okay?« knurrte er.
Er griff erneut nach mir, und ich schlug die Hand weg. »Ich
will aber nicht nett sein!« rief ich. »Ich will nur zu den
Buckleys zurückgebracht werden, also hören Sie auf. Bitte?
Okay?«
»Okay, okay!« knurrte er und rückte von mir ab, aber
plötzlich brachte er den Wagen am Straßenrand zum stehen,
schaltete die Scheinwerfer aus und wandte sich mir wieder zu.
Er wollte mich küssen. Ich wich zurück. Dann hörte ich, wie
Spitze von meinem Kleid gerissen wurde.
»Hör zu«, stieß er zwischen den zusammengebissenen
Zähnen hervor. »Niemand kann dich hören, keiner wird es
erfahren.«
Ich dachte: Entweder hat er seine Ansprache geübt oder sie
schon oft gesagt, denn er hat sich völlig unter Kontrolle. Und
das weiß er auch.
»Wir haben die ganze Nacht. Willst du Geld? Okay, ich
verstehe. Wieviel?«
Bevor ich antworten konnte, rutschte er über den Vordersitz
und drückte mich gegen die Tür. Ich trat, schrie und schüttelte
den Kopf, um dem Kuß zu entgehen, aber jetzt war er richtig
wütend.
»Okay! Steig aus und laufe!« brüllte er mit rotem Gesicht.
»Du bist hier mitten im Nichts. Viel Glück!«
Ich sah aus dem Fenster in die tiefe, nahtlose Dunkelheit. Wie
weit draußen waren wir? Wie lange hatte ich geschlafen? Ich
mußte hier raus. Ich schnappte mir meine Handtasche und griff
nach dem Türöffner, als er plötzlich den Motor aufheulen ließ.
Ich wurde zurück in den Sitz geschleudert, und der Wagen bog
scharf auf die Straße ab. Jetzt fuhr er so schnell und
leichtsinnig, daß ich davon überzeugt war, wir würden
verunglücken. Ich drückte mich gegen die Beifahrertür; mein
Herz klopfte und meine Gedanken rasten. Jetzt kann ich nicht
mehr raus!
»Du hast Glück, daß ich ein so netter Kerl bin!« Er lachte.
»Du würdest nicht weit kommen. Das hier ist Bärenland, da
draußen gibt es Wölfe. Willst du Bären und Berglöwen
sehen?«
Es war wie in einem Alptraum. Er bog von der Straße ab, und
bald waren wir in einer dicht bewaldeten, bergigen Gegend.
Nach einer Meile – es können auch drei gewesen sein, woher
sollte ich das wissen – trat er auf die Bremse, schaltete die
Scheinwerfer aus und stieg aus. Ich kann nicht denken, ich
kann nicht denken! Wo war er hingegangen? Ich konnte nichts
sehen. Plötzlich schien mir eine Taschenlampe ins Gesicht und
blendete mich.
»Steig aus!«
»Nein!«
»Steig aus, oder ich zerre dich raus!«
Zitternd rutschte ich aus dem Ledersitz und brachte meine
Füße und Beine dazu, durch das Gras und die Büsche zu
gehen. Zwischen den Bäumen waren eine Hütte sowie der
sanfte Schimmer eines Kaminfeuers zu sehen. Da erkannte ich,
daß das hier kein plötzlicher Einfall gewesen war. Fedderson
hatte alles geplant. Das passiert mir nicht wirklich, wiederholte
ich unablässig in Gedanken. Dann packte er mich am Arm und
stieß mich hinein.
»Fassen Sie mich nicht an!« brüllte ich.
In seinen Augen blitzte Wut auf, dann Unsicherheit.
Vielleicht kam es ihm jetzt doch nicht mehr wie eine so gute
Idee vor. Vielleicht bringt er mich zurück, hoffte ich. Vielleicht
kann ich mit ihm verhandeln.
»Bitte, bitte, ich werde es niemandem sagen. Ich schwöre,
daß ich es niemandem sagen werde. Nur, bitte, bringen Sie
mich zurück.«
Er sah mich kalt an.
Appelliere an seine Vernunft, sagte ich mir. »Man wird
entdecken, daß Sie mich nicht zurückgebracht haben. Falls mir
etwas zustößt, wird man wissen, daß Sie es waren«, sprudelten
die Worte aus mir heraus. »Was wollen Sie ihnen sagen?«
»Halt den Mund! Ich denke nach!« sagte er und ließ meinen
Arm los, aber er dachte nicht nach. Das war nur ein Teil des
Spiels; als ich, von dem scheinbaren momentanen Zögern
getäuscht, zurückwich, kam er heran. »Wehr dich nicht, dann
passiert dir auch nichts!« warnte er mich, dann versetzte er mir
einen harten Schlag. Ich griff nach einer kleinen, schweren
Statuette und hob sie hoch.
Auf gar keinen Fall wird dir das passieren, hörte ich mich in
Gedanken sagen. »Ich habe mich entschieden!« brüllte ich nur
Zentimeter von seinem überraschten Gesicht entfernt. »Sie
werden mich umbringen müssen!«
Fedderson hielt wieder inne.
»Eher sterbe ich, als daß ich mich von Ihnen anfassen lasse!«
»Du bist ja verrückt!« brüllte er, wich aber zurück.
»Yeah, das bin ich. Lassen Sie’s drauf ankommen.« Und ich
sah ihm zu, wie er wie ein gefangenes Tier auf und ab
marschierte, wobei ich darauf wartete, daß er wieder in meine
Nähe kam. Plötzlich stürmte er unerklärlicherweise aus der
Tür. Der Wagen fuhr weg, und ich blieb allein zurück.
Ich muß überleben, sagte ich vor mich hin, als ich mich in
einer Ecke der Hütte auf dem kalten Holzboden
zusammenkauerte. Das Geräusch von Schritten vor der Hütte –
vielleicht ein Bär oder ein Wolf – zerriß die Stille; in der Ferne
ertönte Tiergeheul. Der muffige Geruch der Wolldecke, in die
ich mich eingehüllt hatte. Das war alles, woraus in jener Nacht
meine Welt bestand. Und da war ich nun, mitten im
Nirgendwo, ohne Essen, ohne Wasser, der einzige Ausweg war
der Tod. Wer wird mich finden? Und wann? Und was ist, wenn
er zurückkommt…?
Kurz vor Morgengrauen öffnete sich die Tür langsam und
quietschend, und da stand ein Mann, den ich noch nie zuvor
gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt handelte ich nur noch nach
Instinkt, und ich konnte nur hysterisch schreien, während ich
mich gegen die Wand drückte. Den Fremden schien meine
Reaktion zu alarmieren, aber er ging weiter auf mich zu, redete
leise auf mich ein und versuchte, die Panik und Angst auf
seinem Gesicht zu verbergen. In diesem Augenblick wurde mir
bewußt, daß derjenige, der ihn geschickt hatte, nicht gewußt
hatte, was er vorfinden würde: Ich hatte Schrammen, ein
blaues Auge, zerrissene Kleider und war hysterisch.
»Mein Name ist Lloyd, Mr. Feddersons Partner in der
Kanzlei«, sagte er. »Ich bin gekommen, um Sie zu holen.«
Er bat mich, mich zu beruhigen und fragte mich, was ich
wollte. Dann veränderten sich sein Ton und sein Verhalten. Er
sagte ›sie‹ hätten die Macht, mich zurück in die Vereinigten
Staaten zu schicken. Als ich nicht reagierte, drohte er mir
schließlich. Und als das auch nicht funktionierte, sagte er
arrogant und überzeugt: »Keiner wird einem kleinen farbigen
Showgirl aus den Staaten glauben.«
Ich stieg mit ziemlicher Angst in Lloyds Wagen, doch mir
blieb keine Wahl. Wir fuhren schweigend bis zur Stadt. Es war
etwa sechs Uhr morgens, und als die Sonntagsglocken läuteten,
verlangsamte Lloyd das Tempo und zeigte stolz auf die Schule,
die nach Feddersons Vater benannt war, und ihre
Familienbank, den friedlichen, perfekten Rathausvorplatz und
das große Haus, in dem Fedderson wohnte.
Als wir in die Auffahrt eines großen, schönen mir aber
unbekannten Hauses einbogen, hatte ich die Botschaft
verstanden. »Das ist mein Haus«, verkündete Lloyd, als er in
die Garage fuhr, damit mich die Nachbarn nicht sehen
konnten. Ich flehte ihn an, Mr. Buckley anzurufen, damit er
mich abholen konnte, aber er weigerte sich. Ich fing an zu
weinen und sackte in meinem Sitz zusammen. Ich war so
müde, verängstigt und erschöpft, daß es jeden Funken
Konzentration brauchte, den ich aufbringen konnte, nur um
nicht zusammenzubrechen. Ich hatte keine Kraft zum Kämpfen
mehr übrig. Seine Frau brachte mich in den ersten Stock,
wobei sie mich fast tragen mußte. Sie badete mich wie ein
Baby, dann gab sie mir etwas Heißes zu trinken. Ich fühlte, wie
ich einen langen dunklen Tunnel entlangschwebte. Dann
schlief ich ein.
Kurz nachdem ich aufgewacht war, rief Lloyd endlich Mr.
Buckley an, der mich abholte. Obwohl ich mich völlig allein
fühlte, entschied ich mich an diesem Sonntagabend, vor meiner
Rückreise eine Anzeige bei der Polizei zu machen. Auf gar
keinen Fall würde der Bastard damit einfach so davonkommen.
Vielleicht war ich naiv, aber nichts hätte mich auf das
vorbereiten können, was danach geschah. Die beiden Beamten,
die man meinem Fall zuteilte, Dowdell und McDonald, hörten
sich meine Geschichte an und befragten mich gründlich, aber
ich konnte sehen, daß sie mir trotz meiner Verletzungen und
Angst nicht glaubten. Man brachte mich ins Krankenhaus, wo
man mich untersuchte und meine Verletzungen behandelte.
Die Krankenschwester und der Arzt schienen Mitleid mit mir
zu haben, bis ich Feddersons Namen erwähnte. Danach wurden
sie sehr reserviert.
Auf dem Flug nach Hause ging ich den Vorfall noch einmal
in Gedanken durch und schwor, niemandem davon zu
erzählen, nicht einmal meinen Eltern. Während der Wochen
zwischen dem ›Vorfall‹, wie ich es mittlerweile nannte, und
der Gerichtsverhandlung drohte dieses tiefgreifende Erlebnis
meine Seele zu zermalmen. Eine endlose Nacht lang hatte ich
erfahren, wie es ist, wenn man weiß, daß man sterben muß,
und die Furcht, die dieses Wissen auslöst – die Furcht vor der
Macht, die eine Person über eine andere ausüben kann – ließ
mich nicht los. Wochenlang – egal wo ich war oder was ich tat
– stand ich in Gedanken in einem dunklen, heulenden Strudel
und rang nach Luft, als der Sturmwind meine Schreie
unterdrückte und sie zurück ins Schweigen zwang.
In diesen Wochen erhielt ich viele geheimnisvolle,
bedrohliche Telefonanrufe. Einige kamen eindeutig von Lloyd
selbst, der mir befahl, ich solle nicht nach Kanada
zurückkehren, mir Geld anbot und mir damit drohte, was
passieren würde, wenn ich nicht kooperierte. Einen Tag, bevor
ich nach Kanada zur Verhandlung flog, erzählte ich alles
meinen Eltern. Sie waren wütend, verletzt und entsetzt. Ihnen
war klar, daß der Prozeß schmerzhaft und schwierig sein
würde. Aber sie verstanden auch, daß ich es tun mußte.
Die Stimme der Stewardeß riß mich aus meinen Gedanken.
Ich hatte wie betäubt aus dem Fenster gestarrt, den Himmel um
seine Substanzlosigkeit beneidet und mich daran erinnert,
welche Gefühle ich damals gehabt hatte, als das Flugzeug die
Grenze überquerte; ich war willkommen, geliebt und akzeptiert
gewesen. Doch wenn dieses Flugzeug landete, würde es keine
Freunde mit Blumen und Champagnerflaschen geben. Nur
zwei Detectives der Canadian Mounted Police, der berittenen,
kanadischen Polizei, Dowdell und McDonald.
Ich blieb oben auf der Gangway stehen und sah hinunter,
während die anderen Passagiere ausstiegen. Dowdells und
McDonalds Blicke und die meinen trafen sich, und die beiden
Männer stießen jeder einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie
wußten, daß mich keiner zur Rückkehr gezwungen hatte, daß
mich keiner hatte zwingen können, gegen meinen Willen
zurückzukehren. Sie wußten, daß man mich hätte bezahlen
können, wie Feddersons andere Opfer auch. Oder mit
Morddrohungen einschüchtern können. Wie standen die
Chancen, wenn ›ein kleines farbiges Showgirl‹ aus den
Kolonien freiwillig gegen einen mächtigen Mann antrat,
dessen Familie die höchstrangigen Polizisten, Richter und
Anwälte der Stadt zu ihren Verbündeten zählte? Viele
Kollegen der Detectives hatten Wetten auf eine scheinbar
sichere Sache abgeschlossen: nämlich, daß ich nicht kommen
würde. Und da stand ich.
Dowdell und McDonald eskortierten mich durch den Zoll zu
ihrem Wagen und fuhren mich zu einem kleinen, außerhalb
gelegenen Motel. Der Anklagevertreter kam vorbei, und wir
diskutierten kurz den Fall, bevor mich die Polizisten zum
Essen brachten. Wir unterhielten uns kurz über den Ablauf des
morgigen Tages, wann sie mich zum Gericht bringen würden,
und nach dem Essen brachten sie mich in mein Motelzimmer
zurück.
Ich nahm ein langes, heißes Bad, cremte mein Gesicht ein
und legte die Kleidung für den nächsten Tag heraus: hellgraues
Wollkostüm, weiße Seidenbluse, schwarze
Krokodillederschuhe mitsamt der dazu passenden Tasche,
graue Lederhandschuhe. Dabei dachte ich darüber nach, wie
beeindruckt, nein, überrascht die Polizisten gewesen waren,
eine Sängerin so konservativ gekleidet zu sehen. »Zeigen Sie
sich dem Gericht so geschmackvoll, wie Sie jetzt aussehen«,
hatte der Anklagevertreter gesagt. Ohne daß es jemand
aussprach, wußte ich, was sie dachten. Sie ist nicht das kleine
farbige Showgirl, mit dem wir gerechnet haben. Nein, das war
ich auch nicht.
Ich schlief ein und träumte. Plötzlich fuhr ich hoch und blieb
verwirrt und mit wie verrückt pochendem Herzen sitzen. Wo
bin ich? Ich hatte diesen Traum seit Wochen nicht gehabt,
warum also jetzt? Die Uhr zeigte 3 Uhr 30. Im Zimmer war es
kalt. Ich entdeckte die Heizung unter dem Fenster, griff nach
der Lampe und erstarrte. Keine fünf Meter vom Fenster
entfernt stand ein Mann, und das flackernde Neonlicht des
Motels warf einen unheimlichen bläulichen Schatten. Ohne
nachzudenken, zog ich die Vorhänge zurück, um besser sehen
zu können.
Das war idiotisch. Er sah mich an und kam schnell auf das
Zimmer zu. Ich stürzte zum Telefon. Wo habe ich bloß
McDonalds Nummer hingelegt? Atemlos tastete ich blindlings
auf dem dunklen Tisch herum, das Telefon krachte zu Boden,
dann klopfte es laut an der Tür.
»Alles in Ordnung, Miss? Hier ist Officer Mooney.«
Ich hatte gerade den Hörer zurück aufs Telefon gelegt, als der
Apparat ein schrilles, durchdringendes Klingen von sich gab.
Da hatte ich bereits eine solche Angst, daß ich keinen Ton
herausbrachte.
»Hallo? Sind Sie das, Miss? Hier spricht Officer Mooney.
Bitte sagen Sie, wenn alles in Ordnung ist. Inspector
McDonald macht sich sonst Sorgen.«
Meine Brust schmerzte, als ich aufatmete und antwortete,
wobei ich die leise Kleinmädchenstimme kaum als die meine
erkannte. »Da draußen ist jemand und beobachtet mein
Fenster.«
»Oh, schon gut«, sagte der Officer. »Das wollte ich Ihnen nur
mitteilen. McDonald hat mich geschickt, um auf Sie
aufzupassen, aber bei Ihnen war alles dunkel, und ich wollte
Sie nicht stören. Keine Angst. Ich bin direkt hier draußen,
wenn Sie mich brauchen, Miss. Versuchen Sie, etwas Schlaf zu
bekommen, ja?«
»Sicher, sicher.« Sicher. Zehn Minuten später klingelte das
Telefon erneut. Es war McDonald, der sich dafür
entschuldigte, daß er mir nicht Bescheid gesagt hatte, und mir
eine gute Nacht wünschte, zumindest für das, was davon noch
übrig war. Ich war erleichtert, daß sie die Drohungen, die ich
erhalten hatte, ernst nahmen, wünschte mir jedoch, sie hätten
es mir gesagt. Mit dem Schlaf war es vorbei; ich hüllte mich in
meinen Bademantel, holte mir eine Limonade aus dem kleinen
Kühlschrank und machte es mir in einem großen Sessel
bequem. Noch immer zitternd, fing ich nervös an, die
Lockenwickler aus dem Haar zu nehmen, und fragte mich, ob
ich wegen solcher Augenblicke nicht doch mit dem Rauchen
anfangen sollte. Und wie schaffen wir Frauen es bloß mit
diesen verdammten Dingern zu schlafen?
Ich nickte ein und hatte wieder den gleichen Alptraum – oder
sollte ich es als schlummernde Erinnerung bezeichnen? Als der
Wecker klingelte, saß ich noch immer in dem Sessel. Ein Blick
aus dem Fenster verriet mir, daß Mooney müde in seinem
Wagen saß. Es war eine lange Nacht gewesen. Ich reckte mich,
duschte und zog mich an, und Punkt halb sieben stand
McDonald vor der Tür. »Sie sind die Hauptzeugin der
Anklage, lassen Sie nicht zu, daß sein Anwalt Sie verwirrt«,
instruierten der Detective und sein interessierter, jungenhafter
Partner Dowdell mich beim Frühstück. »Er wird versuchen,
Ihren Ruf in den Dreck zu ziehen. Aber vergessen Sie nicht:
Erzählen Sie die Geschichte so, wie Sie sie uns erzählt haben.
Lassen Sie sich nicht nervös machen.«
Ich sah McD und D an, wie ich sie mittlerweile im Geiste
nannte. »Was hat eigentlich den Ausschlag gegeben, daß ihr
mir glaubt?« fragte ich. »Fedderson ist ein so einflußreicher
Anwalt, aus einer so mächtigen Familie.«
Dowdell erwiderte meinen Blick geradeheraus. »Wir haben
Ihnen auch nicht geglaubt – zuerst«, erwiderte er mit großer
Offenheit. »Wir konnten nicht begreifen, warum Sie nach der
Rückkehr aus der Hütte so lange gewartet haben, bis Sie die
Anzeige machten – am späten Sonntagabend. Das hat zuerst
einfach nicht ins Bild gepaßt.«
Ich nickte, wir tranken unseren Kaffee aus und gingen.

»Alles erhebt sich.«


In dem Gerichtssaal zu stehen, hatte zuerst etwas
Unwirkliches an sich. Und dann sah ich ihn dort sitzen, mit
seiner Frau, seinen Kindern, seinem Vater und vielen anderen
gutgekleideten, privilegierten Leuten. Wer ist wohl seine
Mutter? fragte ich mich. Was wird sie denken? Dann sah ich
Lloyd, Feddersons Anwalt. Er starrte mich an und versuchte,
mich einzuschätzen, mich einzuschüchtern, und ich erwiderte
den Blick. Nein, ich bin nicht das ›kleine farbige Showgirl‹ aus
den Staaten! hätte ich ihm am liebsten ins Gesicht geschrien.
Ich dachte an den Morgen zurück, an dem er mich in der
Hütte gefunden hatte, die Drohungen, die Tour durch seine
nette saubere kleine Stadt, die Bestechungsversuche, die
Anrufe. Das waren Sie, Mr. Anwalt! hätte ich am liebsten in
den Gerichtssaal hineingerufen.
»Nennen Sie Ihren Namen, legen Sie die Hand auf die Bibel,
bitte!«
Ich schwor, die Wahrheit zu sagen, und das tat ich auch
stundenlang, während die Uhr des Gerichtssaals wie ein
Metronom tickte. Als ich die Geschichte erzählte, fühlte ich
mich allem beinahe entrückt, aber das war ein Schutz, den ich
brauchte, als ich jeden im Saal mit mir nahm und Schritt für
Schritt dieses schreckliche Wochenende schilderte, bis ich
mich sagen hörte: »Dann holten Mr. und Mrs. Buckley mich ab
und fuhren mich in ihr Haus.«
»Um wieviel Uhr war das?« fragte der Ankläger.
»Etwa gegen sieben Uhr abends.«
»Sie sagen, man hat Sie gegen sieben Uhr morgens in Mr.
Lloyds Haus gebracht. Nachdem er sie in der Stadt
herumgefahren hat.«
»Ja.«
»Warum so spät? Warum haben Sie so lange gewartet, um
dort herauszukommen?«
Darauf hatte ich gewartet, denn, wie der Ankläger mich
vorher gewarnt hatte, das war das schwache Glied meiner
Geschichte. Ich entdeckte Mrs. Lloyd unter den Zuschauern
und konzentrierte mich auf ihr Gesicht. »Ich hatte seit sechs
Uhr dreißig am Samstagmorgen nicht mehr geschlafen«, sagte
ich ruhig und beherrscht. »Ich war zu Schaden gekommen,
sowohl physisch als auch emotional, und wußte nicht genau,
wo ich mich befand. Ich kannte auch Mr. Buckleys
Telefonnummer nicht. Nachdem Mrs. Lloyd mich gebadet
hatte, bin ich vor Erschöpfung ohnmächtig geworden. Als Mr.
Buckley endlich kam, sagte er, er sei eben erst vom Jagdhaus
zurückgekehrt und habe bei seinem Eintreffen die Nachricht
erhalten, ich sei bei den Lloyds. Er hatte keine Ahnung, was
mir zugestoßen war.«
»Und was haben Sie dann getan?«
Ich fühlte, wie ich errötete, und meine Augen brannten. Ich
hatte mich so gut gehalten, doch der Schrecken jener Stunden
kam wieder in mir hoch. Erzähl ihnen einfach deine
Geschichte, sagte ich mir.
»Ich wußte nicht, ob Mr. Buckley zu ihnen gehörte, bis wir
sein Haus erreichten«, sagte ich. »Seine Frau war außer sich.
Sie hatte mich am Abend zuvor oder spätestens zwei, drei Uhr
nachts erwartet. Mr. Buckley hatte sie angerufen, und sie hatte
auf mich gewartet. Doch sie hörte erst Sonntagnachmittag von
mir. Ihr Mann kam erst gegen halb sieben zurück. Dann hat er
mich sofort abgeholt.«
»Und dann?« fragte der Ankläger, in dem genauen Wissen,
was jetzt kam.
»Nun, dann wußten sie, daß etwas nicht stimmte. Ich wollte
bloß ins nächste Flugzeug und nach Hause, aber ich konnte
nicht. Und dann kam alles heraus, und ich mußte mich
übergeben und brach schließlich in Tränen aus. Mein ganzer
Schmerz kam heraus, und sie hielten mich und weinten und
baten mich um Vergebung. Dann riefen sie die Polizei, und ich
mußte alles noch einmal durchleben.«
Ich hielt inne, da mich die schrecklichen Erinnerungen zu
überwältigen drohten. Aber ich mußte weitermachen. »Sie
brachten mich ins Krankenhaus, und eine Polizeibeamtin
sprach mit mir; ein Arzt untersuchte meine Schrammen und
vergewisserte sich, daß ich keinen Verkehr gehabt hatte oder
vergewaltigt worden war. Und ich konnte ihren Gesichtern,
ihren Fragen und dem Ton ihrer Stimmen entnehmen, daß sie
mir nicht glaubten. Von dem Augenblick an, an dem sie seinen
Namen hörten, veränderten sie sich. Sie glaubten mir einfach
nicht.«
»Möchten Sie eine Pause machen, Miss Nichols?« fragte der
Ankläger freundlich.
Ich schüttelte den Kopf.
»Nun«, fuhr er leise fort, »wir sind heute alle hier. Jemand
muß Ihnen geglaubt haben.«
»Ja«, flüsterte ich.
»Was denken Sie, warum man Ihnen schließlich geglaubt
hat?« fragte der Ankläger. Es war natürlich eine rhetorische
Frage, und Lloyd, der Verteidiger, sprang auf, um Einspruch
zu erheben, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ich
glaube, weil man andere Mädchen entdeckt hat, die er
vergewaltigt und danach mit Geld abgefunden oder
eingeschüchtert hat!«
Ein Aufruhr brach los, und Lloyd schrie: »Einspruch!
Einspruch! Dafür gibt es nicht den geringsten Beweis, Euer
Ehren! Einspruch!«
»Aber er hat es mir selbst gesagt«, sagte ich und starrte Lloyd
an. »Und Sie auch, Mr. Lloyd.«
»Ruhe im Gericht!« rief der Richter über den Lärm hinweg.
»Fünfzehn Minuten Pause!« Dann befahl er Lloyd und den
Ankläger ins Richterzimmer. Sekunden später führten mich die
Assistenten des Anklägers in ein Vorzimmer, und kurz darauf
kamen McD und D angerannt. Der Ankläger war wütend und
stürzte sich sofort auf die beiden Detectives. »Wo zum Teufel
hat sie diese Information her?« verlangte er zu wissen und
starrte die beiden finster an. »Sie wissen, daß man es als
Beweis nicht anerkannt hat.«
Die Polizisten beteuerten überzeugend ihre Unschuld,
konnten aber kaum ihre Zufriedenheit über diese Wendung der
Ereignisse verbergen.
»Ich verstehe nicht«, sagte ich. »Ich habe doch nur
wiederholt, was mir die beiden gesagt haben.«
»Die beiden haben Ihnen gesagt, daß es vor Ihnen andere
Mädchen gegeben hat?« fragte der Ankläger und warf den
Polizisten erneut einen wütenden Blick zu.
»Verdammt, ich spreche von Fedderson und Lloyd«,
erwiderte ich. »Fedderson in der Nacht und Lloyd später in der
Hütte und im Wagen auf dem Weg zur Stadt. Als er mich
bestechen wollte. ›Nehmen Sie das Geld‹, hat er gesagt. ›Das
tun sie alle, früher oder später.‹ Das habe ich Ihnen doch zuvor
gesagt, oder nicht?«
»Bleiben Sie hier«, sagte der Ankläger müde. »Ich muß zum
Richter.«
Das Gericht trat wieder zusammen, und die Aussage wurde
als nicht verwertbar eingestuft, aber den Ankläger schien dies
nicht weiter zu stören. »Ihr Zeuge, Herr Anwalt«, sagte er zu
Lloyd.
Lloyd trat an den Zeugenstand, und mir blieb nicht
verborgen, daß er unter seiner professionellen Fassade vor Wut
kochte. Jetzt wußte jeder, daß er mehr als ein Verteidiger war;
er saß praktisch mit auf der Anklagebank. Er wiederholte
meine Aussage und gab meinen Worten einen anzüglichen und
zweifelhaften Anstrich. Je mehr er versuchte, mich zu Fall zu
bringen, desto ruhiger und entrückter wurde ich.
»Ja, Ihre Frau war sehr freundlich… Ja, ich habe mit Ihren
Kindern gesprochen, als ich aufwachte… Nein, ich brachte das
schöne Abendessen nicht herunter, das Sie mir anboten… Ja,
ich habe Sie gebeten, die Buckleys anzurufen… Nein, ich
wußte nicht, ob Sie es tatsächlich getan haben, bis Mr. Buckley
eintraf… Nein, ich habe Sie nicht gebeten, die Polizei zu rufen.
Nein, kein einziges Mal.«
Lloyd machte um des Effekts willen eine Pause, dann wandte
er sich mir zu und sagte langsam: »Erinnern Sie sich daran,
wie Sie nach den acht Stunden Schlaf aufwachten? Oh, Sie
haben doch acht Stunden geschlafen, nicht wahr? Richtig?
Nun, dann müssen Sie sich in unserem Haus sicher genug
gefühlt haben, um an diesem Tag so friedlich und tief zu
schlafen, nicht wahr?«
»Einspruch!« rief der Ankläger.
»Ich ziehe die Frage zurück, Euer Ehren«, erwiderte Lloyd
und ging einmal im Kreis herum, bevor er wieder zum Angriff
überging. »Nun, als Sie aufwachten, war es… vier Uhr? Halb
fünf? Und wir aßen zu Abend, und ein Nachbar kam vorbei.
Erinnern Sie sich?«
»Ja.«
»Schön. Habe ich Sie vorgestellt?«
»Ja.«
»Gut. Erinnern Sie sich, daß ich seinen Beruf erwähnte?
Lassen Sie sich bitte Zeit«, leierte er im selben Atemzug.
»Sie haben gesagt, er sei Polizist«, gab ich zurück. »Es war
der Mann, der in der zweiten Reihe sitzt«, fügte ich ruhig
hinzu und zeigte auf ihn. »John Carver.«
Alles drehte sich mit überraschtem Gemurmel zu John Carver
um, aber Lloyd wußte genau, was er erreichen wollte.
»Nun«, begann er selbstgefällig, »wenn man Sie doch so
brutal gegen Ihren Willen bedrängt und gegen Ihren Willen
eingesperrt hat, wenn Sie uns nicht vertrauten – wo Sie sechs
bis acht Stunden bei uns schliefen und aßen und mit den
Kindern spielten, wie Sie zugegeben haben –, warum haben
Sie dann nicht geschrien: ›Officer! Officer! Helfen Sie mir! Ich
wurde belästigt! Helfen Sie mir!‹ Warum, verehrte Lady,
haben Sie es nicht getan, wo sich Ihnen doch die perfekte
Gelegenheit bot?«
Ich erstarrte, als ich das selbstzufriedene Grinsen auf
Feddersons und Lloyds Gesichtern sah. Sie glaubten, sie hätten
mich in die Enge getrieben. Und in gewisser Weise stimmte es.
Aber ich entschied, daß es niemand schaffen sollte, mich derart
zu erniedrigen, daß ich mir nicht mehr als Mensch vorkam.
Niemand.
Ich holte tief Luft und fixierte Lloyd mit meinem Blick.
»Weil ich Ihnen nicht vertraut habe«, erwiderte ich mit fester
Stimme. »Selbst wenn er Polizist war, war er ihr Golfpartner.
Ihre Kinder spielten mit seinen Kindern. Er wohnte gegenüber.
Nach dem, was mir zwei der ›anständigen‹ Bürger dieser Stadt
angetan haben, konnte ich Ihrem Polizistenfreund nicht
vertrauen. Oder Ihnen.«
Lloyd wandte sich peinlich berührt und sichtlich betroffen an
den Richter. »Euer Ehren, die Zeugin beantwortet meine Frage
nicht. Bitte weisen Sie sie an…«
»Herr Anwalt, Sie haben mit Ihrer Salve von Fragen das
Scheunentor weit aufgestoßen. Nun ist die Zeugin dran. Bitte
fahren Sie fort, Miss Nichols.«
Wenn die Dinge nicht so liefen, wie er wollte, machte Lloyd
einen unglaublich linkischen Eindruck. Da ich den Eindruck
hatte, daß sich die Sympathien des Gerichts auf meiner Seite
befanden, fuhr ich fort.
»Mr. Lloyd, als Sie versuchten, mich zu bestechen, nannten
Sie mich eine ›heiße Kartoffel‹. Sie haben versucht, mir Angst
einzujagen. Mr. Lloyd, ich bin in Chicago geboren und
aufgewachsen, wo Al Capones Bruder beinahe meinen Vater
wegen einer Razzia in einer seiner Schnapsfabriken
umgebracht hätte. Cops waren damals im Dutzend billiger, und
Sie kamen mir auch nicht viel besser vor.
Ich wollte nur weg. Lebendig. Also hielt ich den Mund, bis
Mr. Buckley kam und mich holte.«
Lloyd starrte mich lange Zeit an, als wüßte er nicht, was er
tun sollte. »Keine weiteren Fragen, Euer Ehren«, murmelte er
dann.
Der Ankläger ergriff die Gelegenheit und bat den Richter, die
Zeugin nach dem Kreuzverhör erneut befragen zu dürfen.
»Sagen Sie doch bitte dem Gericht, warum Sie Anzeige
gegen Jordie Fedderson erhoben haben?«
»Sicher. Ich wollte, daß er weiß, daß ihm sein Geld und seine
Position nicht das Recht geben, anderen Menschen – aus
welchem Grund auch immer – zu schaden. Eine Frau hat das
Recht, nein zu sagen. Und das muß auch respektiert werden!«
Ich verließ den Zeugenstand und nahm neben dem Ankläger
Platz, während Mr. Lloyd eine Parade von Leumundszeugen
aufmarschieren ließ, die alle Mr. Feddersons untadeligen
Charakter bestätigten. Am Ende lag es bei den Geschworenen,
und vier Stunden später kamen sie mit dem Urteil zurück.
»Schuldig der versuchten Vergewaltigung. Schuldig der
Körperverletzung. Schuldig der unrechtmäßigen
Freiheitsberaubung.«
Jordie Fedderson verlor die Anwaltslizenz, bekam eine
enorme Geldstrafe auferlegt und erhielt eine Gefängnisstrafe
von fünf bis zehn Jahren, die man später zur Bewährung
aussetzte. Der Richter war ein alter Freund seines Vaters.
Jene Nacht veränderte mein Leben auf zahllose und zugleich
unwägbare Weise. Trotz der Jahre, die vergangen sind, und der
veränderten Sichtweise, was Gewalt gegenüber Frauen angeht,
fällt es mir noch immer schwer, über dieses Erlebnis zu
sprechen. Diese Erinnerungen ragen aus allen anderen heraus,
sie nehmen eine bizarre, fast filmhafte Qualität an. Erinnere
ich mich an die anderen Dinge meines Lebens, bin ich einfach
da. Doch zwinge ich mich, an dieses Erlebnis zu denken, kann
ich mich nicht einfach ›erinnern‹. Statt dessen verwandle ich
mich in einen entsetzten Zuschauer, der alles sieht, als wäre es
das erste Mal, und der doch machtlos ist, es zu verhindern oder
abzuwenden. Nach jener Nacht waren die Tage der
Solotourneen vorbei.
5

Mir blieb keine andere Wahl, als meine Karriere in Los


Angeles aufzubauen. Die Vorstellung, in einer Stadt von vorn
anfangen zu müssen, die vor Talenten nur so wimmelte, war
sicherlich entmutigend. Und dann mußte ich an das Geld
denken, denn ich hatte nicht nur Kyle zu versorgen, sondern
mußte auch meine Eltern unterstützen. Die Entscheidung, mich
auf Film oder Fernsehen zu konzentrieren, fiel mir nicht leicht.
Es war klar, daß Monate, vielleicht sogar Jahre voller Opfer
und Disziplin vor mir lagen, aber eine Stimme in meinem
Inneren sagte mir, daß ich es schaffen konnte.
Natürlich konnte ich weiterhin singen, und obwohl ich in
meiner neuen Heimatstadt buchstäblich eine Unbekannte war,
gelang es mir, ein paar Engagements zu bekommen. Bei einem
der ersten Auftritte trat ich im Vorprogramm des Komikers
Redd Foxx in einem kleinen Jazzlokal an der Western Avenue
auf. Zu dieser Zeit war Redd für seine witzigen ›Party‹-
Schallplatten und seine schmutzigen Witze bekannt, und Sie
können mir glauben, er hatte eine Schandschnauze. Aber er
war so unglaublich witzig und charmant, daß ich ihm nicht
einmal böse sein konnte, als er versuchte, mich anzumachen.
Er spürte meine Nervosität vor meinem Eröffnungsauftritt und
stellte mich als ›talentiert, braun und toll‹ vor.
»Kommt ihr nicht zu nahe«, warnte er spielerisch die Männer
im Publikum. »Das ist meine kleine Schwester, und da
verstehe ich keinen Spaß!« Alle lachten und bereiteten mir
einen herzlichen Empfang, als ich die Bühne betrat, was ich
Redd nie vergaß. Langsam kamen die Angebote, und bald
konnten Kyle und ich in eine eigene Wohnung ziehen, die ein
paar Blocks von meinen Eltern entfernt war.
Es verging nicht viel Zeit, und ich bekam ein Angebot, das
mir damals wie der Durchbruch erschien: eine kleine Rolle in
Samuel Goldwyns Produktion von Porgy and Bess, George
und Ira Gershwins ›schwarzer, amerikanischer Volksoper‹.
Das war die Chance, auf die ich gewartet hatte, allerdings
nicht, weil ich mir plötzlichen Ruhm erhoffte. Nachdem der
Film geschnitten war, konnte man mich leicht übersehen, wenn
man in der Szene gerade blinzeln mußte. Nein, Porgy and Bess
brachte mich mit den größten schwarzen Stars dieser Zeit
zusammen – Sammy Davis, Jr. Pearl Bailey, Dorothy
Dandridge, Sidney Poitier – und öffnete mir Türen, die mir
sonst noch jahrelang verschlossen geblieben wären.
Ich hatte für den Musik-Regisseur vorgesungen und einen
Platz im ersten Chor errungen, dessen Mitglieder auch die
Charaktere der Catfish Row spielen sollten. Ich war begeistert,
da alle anderen ausgewählten Sänger und Sängerinnen mit dem
Musical auf Rußlandtournee gewesen waren. Doch zu meiner
Verblüffung rief mich ein anderer Agent an und fragte mich,
ob ich mich nicht als Tänzerin vorstellen wollte. Ich war so
neu in Hollywood, daß ich die Gelegenheit mit beiden Händen
ergriff, ohne zu wissen, daß ich nach einem Engagement in
dieser zweiten Kategorie zu einer singenden und tanzenden
Schauspielerin wurde. Das ›verpflichtete‹ einen zur
Mitgliedschaft in der Screen Actors Guild (SAG), der
Schauspielergewerkschaft. Ohne es zu wissen, tat ich das
Richtige und wurde eine eingetragene Filmschauspielern, statt
nur Statistin.
Fünfzig Tänzerinnen waren zum Termin beim legendären
Hermes Pan erschienen, Fred Astaires einstigem persönlichen
Choreographen und Architekten einiger von Hollywoods
denkwürdigsten, verschwenderischsten Musikproduktionen.
Während wir auf den Beginn des Vortanzens warteten, fiel mir
besonders eine Tänzerin auf, die eine auffallende Größe hatte,
sehr afrikanisch aussah und alles andere als eine glamouröse
Erscheinung bot. Wir kamen ins Gespräch, und während wir
länger als eine Stunde auf Pans Eintreffen warteten, erfuhr ich,
daß diese ein Meter achtzig große Frau die Solotänzerin des
Tournee-Ensembles gewesen war. Ich fand sie recht freundlich
und einnehmend, konnte es jedoch nicht vermeiden, ihre etwas
ungeschickten Bewegungen mit meinem jahrelangen
Tanztraining zu vergleichen, und hatte den Verdacht, sie würde
sich nur wichtig machen. Als sie erzählte, wie sie mit dem
Musical ganz Rußland bereist hatte, dachte ich: Klar, und ich
bin die Primaballerina des Bolshoi. Doch sie verfügte über
eine so ungewöhnliche Statur und Beredsamkeit sowie eine
eigentümliche Anmut, daß es mir, als Hermes Pan und seine
Gefolgschaft endlich auftauchten, egal war, ob es die Wahrheit
war oder nicht. Ihr Name war Maya Angelou, und wir
schlossen eine enge Freundschaft, die bis zum heutigen Tag
andauert.
Pan war sanft und freundlich und bewegte sich mit einer
schlichten Anmut, die den Eindruck vermittelte, er sei viel
größer, als er tatsächlich war. Ich hatte den Eindruck, daß er
schwarze Tänzer als exotisch und als Herausforderung ansah,
und wir boten ihm die Möglichkeit, seine Choreographie in
neue Richtungen zu führen. Pan führte uns durch unsere
Tanzschritte, und ich beobachtete, wie Maya eine seltsame
Fußarbeit einsetzte, die sie in eine Königin des afrikanischen
Dahome verwandelte. Pan, den meine ungewöhnliche
Kombination klassischer Ballettelemente und afrokubanischer
Hüftbewegungen sowie Mayas einzigartiger Stil
beeindruckten, machte uns zu den ersten beiden Tänzerinnen
der auserwählten zehn oder zwölf Leute, die das Tanzensemble
bildeten.
Regisseur war der berühmte und berüchtigte Otto Preminger,
ein sehr großer, furchteinflößender Mann mit einem
gewaltigen Kahlkopf und durchdringenden, eisigen blauen
Augen, der gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen. Er
brüllte wie ein Löwe, und es bereitete ihm offensichtlich
Vergnügen, wenn er sah, wie Darsteller und Filmcrew
auseinanderspritzten. Preminger war berüchtigt dafür, einige
der größten Egos der Stadt zerbrochen zu haben, aber er
erkannte bald, daß es sich hier nicht um eine beliebige
Besetzung handelte. Mit Ausnahme der armen, wunderschönen
Dorothy Dandridge (mit der er eine Affäre hatte und die er mit
Begeisterung jeden Tag aufs neue so lange schikanierte, bis sie
in Tränen aufgelöst war), ließen sich die Stars des Films nicht
einschüchtern. Unweigerlich löste jemand Premingers
berüchtigte Wutanfälle aus, und egal ob es sie betraf oder
nicht, hörten Sidney, Pearl, Sammy, Diahann Carroll und
Brock Peters einfach auf und sahen ruhig zu, wie er alle und
jeden anbrüllte und fertig machte. Hatte sich Preminger dann
endlich wieder beruhigt, verließen sie einer nach dem anderen
wortlos das Set, zogen sich in ihre Garderoben zurück und
weigerten sich, wieder zurückzukommen, bis er sich
entschuldigte oder mit einer Szene weitermachte, an der der
beleidigte Star nicht beteiligt war.
Sidney Poitier hatte endgültig genug von Premingers
herablassender Art der allein aus Schwarzen bestehenden
Besetzung gegenüber, und er veranstaltete eine
Zusammenkunft. Er suchte sich dafür eine Zeit aus, in der sich
Dorothy Dandrige nicht am Set aufhielt. Sie war eine zarte,
wunderschöne Frau, die eine bessere Behandlung verdient
hätte als die, die Preminger ihr zukommen ließ, und Sidney
wollte ihr weitere Schwierigkeiten mit unserem Regisseur
ersparen.
Als Preminger verblüfft dastand, drückte Sidney seine
Verärgerung in klaren, unmißverständlichen Worten aus.
»Otto! Wir sind keine Laufburschen. Wir sind Künstler!« rief
er. »Und wir werden Ihre einschüchternden weißen
Sklavenhaltertaktiken nicht länger tolerieren!«
»Hört, hört!« brummte Brock Peters.
»Sie hören nicht zu, Otto«, fügte Sammy etwas freundlicher
hinzu. »Otto, Baby, du mußt zuhören, Mann.«
Überraschenderweise hörte Preminger kommentarlos zu.
Aber um sicherzugehen, daß er das Problem auch wirklich
verstand, löste es Pearlie Mae ein für allemal.
»Hör zu, Otto, Süßer«, fing sie an. »Es hat keinen Sinn, das
hier zu wiederholen. Sie haben hier Profis, von den Stars bis zu
den Sängern und Tänzern, sogar bis hin zu den Statisten. Wir
verstehen unser Geschäft und arbeiten alle hart, aber Sie
verweigern uns den Respekt, der uns zusteht. Und die Art und
Weise, wie Sie die arme kleine Dandridge behandeln, ist
widerlich; sie bricht jeden Tag in Tränen aus und hält die
Produktion auf. Eines sollten Sie sich merken, Süßer: Wir sind
menschliche Wesen, keine Sklaven! Geht das nicht in Ihren
Kopf rein, werden Sie keinen Film haben.«
»Miss Bailey, was wollen Sie von mir?« fragte Preminger
schließlich.
Pearlie Mae runzelte die Stirn. »Darling, ich weiß, Sie sind
nicht dumm, und ich weiß auch, daß Sie wissen, was Respekt
ist. Trotzdem erkläre ich es Ihnen mal für alle Fälle. Sie
können mit dem verdammten Drehbuch anfangen. Es ist von
irgendeinem dummen weißen Jungen geschrieben, der
versucht hat, wie ein Schwarzer zu schreiben. Dieses Pidgin-
Englisch ist beleidigend. Nun, wir haben alle versucht, diesen
Blödsinn zu spielen, aber es ist einfach nur lächerlich. Davon
abgesehen«, fügte sie kichernd hinzu, »sind alle
Slangausdrücke einfach falsch.«
»Was schlagen Sie vor, Pearl?« fragte Preminger ernsthaft
verwirrt.
»Süßer, lassen Sie sie das Drehbuch in klarem Englisch
schreiben«, erwiderte sie. »Wir wissen selbst, wo der Slang
hingehört, Mr. Charlie. Dazu brauchen wir keine weißen
Jungs.« Das sagte sie in einem breiten, kaum verständlichen,
stereotypen Südstaatenakzent.
Sie fixierte Preminger mit ihrem Blick, und er stand
sprachlos da, während der Rest von uns sie ehrfürchtig
anstarrten. Bis zu diesem Augenblick hatte Sidney das
eindrucksvolle Bild rechtschaffener Empörung und Wut
aufrechterhalten, aber Pearls bitterernste und zugleich
urkomische Vorstellung war einfach zuviel. Plötzlich zerriß
sein tiefes, ungezähmtes Gelächter die Stille. Bald lachten wir
alle, bis uns die Tränen die Wangen hinunterströmten, während
Preminger, der nicht wußte, ob er beleidigt oder amüsiert sein
sollte, völlig verblüfft dort stand. Am nächsten Tag erhielten
wir überarbeitete Drehbücher ohne den beleidigenden Dialog,
und von da an fügten die Schauspieler selbst die passenden
Vorkriegsausdrücke und Akzente dort ein, wo sie es für
angebracht hielten. Und Otto Preminger behandelte
Schauspieler wie menschliche Wesen, möglicherweise das
erste Mal in seiner Karriere.
Außenaufnahmen verändern immer eine Produktion, und das
meine ich nicht nur im geographischen Sinn. Eine
Außenaufnahme ist für Schauspieler und Filmcrew das, was
für Teenager das Sommerlager darstellt – eine Möglichkeit,
schnelle, oft kurzlebige Freundschaften und Romanzen
einzugehen. Maya war meine Zimmergenossin, und zusammen
mit einem großen, schlaksigen Bariton namens Joe James (ein
weiteres Mitglied der Rußlandtournee) machten wir fast jede
Nacht durch; wir unterhielten uns, lachten und tranken Wein.
Maya war in der einen Minute eine Trinkgefährtin, in der
nächsten eine Philosophin und in der übernächsten Pagliacci,
dabei aber immer eine Provokateurin. Schon damals
bewunderte ich sie. Als ich später den ersten Band ihrer
Autobiographie I Know Why the Caged Bird Sings las, fiel mir
wieder ein, daß sie mir dieselben Geschichten schon vor Jahren
erzählt hatte, und zwar mit der gleichen Tiefgründigkeit und
dem Temperament, das die Welt bald darauf erkennen sollte.
Dann war da Sammy Davis, Jr. Ich hielt ihn für einen der
erotischsten, sinnlichsten Männer, die mir je begegnet sind. Er
war so unglaublich talentiert und charmant, und gleichzeitig so
verletzlich. Sammy ließ durchblicken, daß er mich äußerst
anziehend fand und konnte mein Interesse an Joe nicht
verstehen, den er als ›Ichabod Crane‹ bezeichnete. Er war
einfach nur eifersüchtig. Im Flugzeug nach Arizona hatte
Sammy mich für diesen Abend zum Essen eingeladen, aber als
er sich nicht meldete, trösteten Maya und Joe mich. Daraufhin
konnte Sammy mir gestohlen bleiben. Am nächsten Morgen
kam er mit einer ausgesprochen üppigen Statistin im Arm in
die Hotellobby. »Und wie war deine Nacht?« fragte er, und es
überraschte mich, wie wütend ich war.
Eine der wichtigsten Szenen, die wir in Arizona drehten, war
Kittiwah Island. Darin präsentiert Sammy als Sportin’ Life
eine große Tanzeinlage, nachdem er Bess verführt und sie
überzeugt hat, mit ihm nach New York zu kommen. Sammy
sollte mich auf einen Kahn ziehen, auf dem wir zusammen
tanzen sollten, bevor ich dann eine Solonummer hatte. Es war
ein wunderschöner Tanz, und obwohl die Szene später
größtenteils herausgeschnitten wurde, blieb genug übrig, um
einem Newcomer eine Starthilfe zu geben.
Als wir nach Los Angeles zurückkehrten, um die letzten
Szenen zu drehen, machte jeder Pläne für den nächsten Job.
Von den Darstellern der Hauptrollen waren nur Sidney und
Dorothy richtige Filmstars und Kassenschlager; die anderen
waren Stars auf der Bühne, in Konzertsälen und in der
Plattenindustrie. Pearl und Sammy reisten direkt weiter nach
Las Vegas, und jeden Abend nach Drehschluß probten sie ihre
Shows.
Sammy gefiel mein Tanz, und er besuchte oft die Proben und
machte mit. Hermes Pan war das sehr willkommen, da er
wußte, daß Sammys Anwesenheit uns Tänzer zu
Höchstleistungen anstachelte, weil wir ihn beeindrucken
wollten. Da Sammy immer mit mir probte und nichts tat, um
seine Gefühle für mich zu verbergen, zogen Maya und Joe
mich damit gnadenlos auf. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt
keineswegs eine romantische Beziehung, aber als Pearlie Mae
mich bat, bei ihrer Show mitzumachen, hatte ich bereits
Sammys Angebot angenommen, in seiner Vegas-Show mit
ihm zusammen einen großen Auftritt zu absolvieren und
danach mit ihm auf Tournee zu gehen.
Leider warnten ihn seine Ärzte vor den Strapazen einer
großen Show, und mit großem Bedauern informierte er mich
und andere Mitglieder der Filmbesetzung, daß er die Tournee
absagen mußte. Wir waren alle sehr enttäuscht, aber Pearlie
Mae hätte nicht glücklicher sein können: Am Ende konnte sie
sich aus dem Talentpool bedienen, den Sammy zuvor
leergefegt hatte. Da sich meine große Chance auf einen
Durchbruch in Luft aufgelöst hatte, akzeptierte ich dankbar ihr
zweites Angebot.
Pearlie Mae hielt ihre Proben in Hollywood ab, um genau
sieben Uhr abends. Wir Künstler eilten zu ihrem Haus, bloß
um dann zwanzig, vierzig, manchmal sogar neunzig Minuten
draußen zu warten, bis sie ohne Entschuldigung endlich
eintraf. Ich merkte bald, daß ich nicht nur eine der Solistinnen
sein würde, sondern auch die ›Ehre‹ hatte, Miss Baileys
Schleppe tragen und sich vor Ihrer Majestät verneigen zu
dürfen. Es heißt, die Kunst imitiert das Leben, und Pearlie
Maes königliche Art hörte nicht vor dem Bühneneingang auf.
Ich war entsetzt, daß sie einige der anderen Sängerinnen – von
denen die meisten eine klassische Ausbildung hatten – anfuhr,
als kämen sie vom Varieté.
Sie marschierte über die Bühne, verteilte Verträge und
ermahnte uns: »Seid neunzig Minuten vor Probenbeginn da.
Seid gebadet, angezogen und tragt keines von diesen billigen
Balalaika-Parfüms.«
Plötzlich blieb sie stehen und fügte hinzu: »Und keine
Verbrüderung in meiner Show! Für jeden Regelverstoß
bekommt ihr etwas von der Gage abgezogen.«
Ich fing an zu lachen, erkannte aber, daß das ihr voller Ernst
war. Einen Augenblick lang dachte ich an ihre eindrucksvolle
Rede vor Preminger über den nötigen Respekt, dann sah ich
mich um. Jedes Gesicht zeigte müde Resignation. Vielleicht
würden die anderen diese respektlose Behandlung mitmachen,
aber ich nicht. Also holte ich tief Luft, gab ihr den nicht
unterschriebenen Vertrag zurück und sagte: »Pearl, ich bin
wirklich stolz, daß Sie mich in Ihrer Show dabeihaben wollten,
aber ich habe mich entschieden, in L.A. zu bleiben und an
meiner Solokarriere als Sängerin zu arbeiten. Eines Tages will
ich ein Star wie Sie sein.«
Meine Knie zitterten, als ich mich auf ihre heftige
Erwiderung vorbereitete. Statt dessen sah sie mich nur an.
»Das ist schön, dahlin«, sagte sie dann leise. »So ist es
richtig.« Mit einem Lächeln legte sie mir den Arm um die
Schultern. »Du hast Klasse, Honey. Du wirst es schaffen, und
du hast in Pearlie Mae eine Freundin. Vergiß das nie!«
Und das habe ich auch nicht.
Nach dem Ende der Dreharbeiten zu Porgy and Bess rief
mich Sammy mehrere Male zu Hause an, dann schickte er
Blumen. Und noch mehr Blumen, bis meine Wohnung wie ein
Blumenladen aussah. Eines Tages nahm ich den Hörer ab.
»Abendessen am Sonntag«, schnurrte er. »Ich schicke dir
meinen Fahrer. Du sollst meine Familie kennenlernen.
Sonntag, so gegen fünf?«
»Gut«, erwiderte ich und schluckte.
»Gut«, schnurrte er und legte auf.
An dem Sonntag zog ich mich mehrere Male um, bevor ich
mich für das weiße Seidenkleid entschied, das ich zuerst
angezogen hatte. Limousinen sah man nicht jeden Tag in
meiner Gegend, und als Sammys Fahrer mich den Bürgersteig
bis zum Wagen eskortierte, konnte ich hören, wie Jalousien
hoch- und Vorhänge zurückgezogen wurden.
Kurze Zeit später erreichten wir Sammys Haus in den
Hollywood Hills, wo ich von seiner Mutter Elvera Davis,
einem ehemaligen Chormädchen des Cotton Clubs, die jeder
nur Baby nannte, empfangen wurde. Zwar merkte ich bald, daß
sie mich nicht erwartet hatte, trotzdem war sie außerordentlich
freundlich. Ich blickte mich nach Sammy um, während sie
mich der Familie und ein paar Freunden vorstellte und dafür
sorgte, daß ich mich wie zu Hause fühlte.
»Nun, Sammy dürfte jede Minute zurück sein«, sagte sie
voller Hoffnung, aber ohne große Überzeugung.
»Zurück? Komme ich zu früh? Er sagte…« Es war
offensichtlich, daß keiner von uns wußte, was eigentlich hier
los war, und statt jedermanns Unbehagen in die Länge zu
ziehen, bedankte ich mich bei Mrs. Davis und den anderen und
schlug vor, der Fahrer solle mich nach Hause bringen.
»Davon will ich nichts hören!« erwiderte Baby, entließ den
Fahrer und wies den Koch an, das Essen zu servieren. »Sie
sind Gast in meinem Haus. Ich bestehe darauf, daß Sie als
Ehrengast zum Essen bleiben. Wir Mädchen haben viel zu
bereden. Denn wir müssen den Jungs noch viel beibringen,
hmm?«
Da hatte sie recht, und ich verlebte einen wunderschönen
Abend. Um acht Uhr dankte ich Mrs. Davis für ihre
Gastfreundschaft und verabschiedete mich. Der Fahrer war so
professionell und höflich wie zuvor, aber er schien es eilig zu
haben, mich zu Hause absetzen zu können, was mir nur recht
war. Ich saß in dem weichen Rücksitz, unterdrückte bittere
Tränen und dachte: Zum Teufel mit Sammy – und allen
Männern!
Der Fahrer fuhr die Limousine an den Bordstein, sprang
heraus und öffnete meine Tür. »Gute Nacht!« stieß ich kurz
angebunden hervor und ging die Auffahrt hinauf. Gerade als
ich nach den Schlüssel tastete, spürte ich, daß jemand in der
Nähe war. Ich sah zur Veranda hin, und da saß Sammy, einen
Strauß verblühter Rosen in der Hand.
»Wo hast du so lange gesteckt?« fragte er ungerührt.
»Ich habe mit Freunden zu Abend gegessen.«
Wir sahen einander lange Zeit in die Augen und wußten
beide, was geschehen war. Sammy hatte mich mal wieder
einem seiner verschrobenen Tests unterzogen. Er grinste sein
bekanntes schiefes Grinsen, und ich mußte lachen. So begann
eine kurze, stürmische, aufregende Beziehung, in der weder
genug Platz für meine Karriereambitionen noch für Sammys
wachsende Bedürfnisse war. Seine Loyalität zu Frank Sinatras
Rat Pack und dessen lockerem Lebensstil war nichts für mich.
Wir blieben jedoch Freunde. Jahre später, in den Siebzigern,
wohnte er mit seiner Frau Altovise nur einen Hügel von
meinem Haus entfernt, und zwar so nahe, daß wir uns
zuwinken konnten.

Ich trat im Ebony Showcase Theatre auf, einem kleinen, nur


für Schwarze gedachten Theater, das Nicodemus Stewart
gehörte, der den meisten Leuten durch seine Rolle als
ungeschickter Handlanger Lightnin’ in der Fernsehserie
Amos’n’Andy aus den frühen fünfziger Jahren bekannt sein
dürfte. Anfang der sechziger Jahre waren diese Serien und die
negativen schwarzen Stereotypen, die sie gezeigt hatten, den
meisten Schwarzen verhaßt. Daher kommt es für viele
überraschend, daß Nick Stewart ein außerordentlich ernsthafter
Mann war, der in seiner Unterstützung der schwarzen Kultur
und des schwarzen Theaters beinahe schon militant war. Er
hatte das Ebony Showcase Theatre mit Weitsicht und
Hartnäckigkeit zu einem wichtigen Theater aufgebaut.
Ich entstieg gerade der Asche meiner kurzen Beziehung zu
Sammy und arbeitete fleißig an meiner Sologesangsnummer.
Nick und seine Frau Edna wählten mich für die Hauptrolle
ihres neuen Stücks Carnival Island aus. Wir waren mitten in
der Probe einer langen Musiknummer, als plötzlich die Musik
verstummte, jeder zur Tür sah und anfing zu flüstern. Ich
drehte mich um und sah einen äußerst attraktiven Mann, der
sich mit Nick und Edna unterhielt. Er hatte eine
bernsteinfarbene Haut, seidiges, glattes, mit Grau durchsetztes
schwarzes Haar und ein Gesicht, das zugleich grob geschnitten
und sinnlich sanft erschien. Unsere Blicke trafen sich, und ich
war wie verzaubert.
»Das ist Frank Silvera, Nichelle«, hörte ich Nick sagen.
»Sie haben eine wunderschöne Stimme«, sagte Frank
großzügig.
Nick brach die Probe ab und erklärte dann, Frank habe
zugestimmt, bei Carnival Island die Regie zu übernehmen.
Dann fragte er mich, ob ich noch dableiben und mit ihm
arbeiten würde. Im Verlauf der nächsten Stunden hörte ich zu,
während Frank sein Verständnis der Charaktere und des
Buches erläuterte. Er war ein Actor’s Actor und sprach mit
großer Überzeugung und Autorität, wenn auch immer auf eine
zurückhaltende, beinahe schüchterne Weise. Seine Worte und
das Geheimnis seiner Stimme – sie war warm und wie Samt,
dabei jedoch von einer gewissen Härte durchdrungen –, sein
scheinbar widersprüchliches Verhalten und sein großartiges
Gesicht schlugen mich in ihren Bann.
An dem Abend lud er mich zum Essen ein, und wir blieben
für die nächsten sechs Jahre zusammen. Er war die Liebe
meines Lebens.
Frank war 1914 in Jamaika zur Welt gekommen. Sein Vater
war ein Sephardim, ein orientalischer Jude, und seine Mutter
Afrikanerin gewesen. Obwohl er im Verlauf seiner langen,
bemerkenswerten Karriere alles vom italienischen Mafiosi,
mexikanischen Banditen und jüdischen Rabbi bis hin zum
weißen Gentleman aus dem Süden und sogar König Lear
gespielt hatte, sah er sich immer als Schwarzer. Seine ersten
Erfolge hatte er in New York errungen, wo er sowohl am
Broadway als auch an Off-Broadway-Bühnen aufgetreten war;
dann kamen der Film und das Fernsehen. In der
Schauspielergemeinde verehrte man Frank als großen Lehrer
und Regisseur, und einige der größten Schauspieler ihrer Zeit
suchten seinen Rat. Sie nannten ihn liebevoll ›Papa‹.
In Frank fand ich nicht nur einen wunderbaren Mann,
sondern auch eine Inspiration. Er erwies sich jedesmal, wenn
ich vor ihm sang, tanzte oder spielte, als enthusiastisches,
hilfreiches Publikum und scharfsinniger, ehrlicher Kritiker. Er
versuchte nie, mein Talent zu unterminieren oder
herabzusetzen. Wurde ich durch Ablehnungen verletzt, lobte er
mich von ganzem Herzen und feierte meine Erfolge. Ich
erinnere mich an einen Abend nach dem ersten Auftritt im Ye
Little Club in Beverly Hills. »Manchmal erinnert sie einen an
Lena oder Eartha, bis man erkennt, daß sie als Nichelle
einzigartig ist«, hatte der Kritiker Rex Reed geschrieben, und
wir lagen im Bett und lasen es immer wieder und genossen
jedes Wort. Unter seinen Fittichen stieg ich zu Höhenflügen
auf.
Frank war unvorstellbar großherzig und großzügig, und Kyle,
der damals neun Jahre alt war, liebte ihn. Die beiden Löwen
mochten sich vom ersten Augenblick an, und es dauerte nicht
lange, und sie waren wie Vater und Sohn. Ob wir uns über den
Ausflug nach Disneyland unterhielten, über Astronomie,
Politik oder Kyles neueste Leidenschaft für prähistorische
Tiere, die beiden waren stets einer Meinung. Frank respektierte
Kyles unermüdliches Streben nach Wissen. Meine Eltern
beteten Frank an, und bald waren wir eine Familie.
1960 bekam Frank die Rolle des tahitianischen Kriegsherrn
in dem Remake von Mutinity on the Bounty. Er wußte, daß die
Außenaufnahmen auf Tahiti mehrere Monate dauern würden,
und wollte mich nur ungern zurücklassen. Aber sein Freund
Marlon Brando hatte speziell um ihn gebeten, und Frank hatte
das Gefühl, nicht ablehnen zu können.
Brando bat Frank, ins Studio zu kommen, wo bereits vorab
ein paar Einstellungen gedreht wurden, und als Frank mich
einlud, ihn zu begleiten, war ich begeistert. Brando war selbst
auf dem Stuhl des Maskenbildners, wo man ihn in Fletcher
Christian verwandelte, beeindruckend, charismatisch und
einschüchternd. Nachdem alle einander vorgestellt waren,
richtete Brando langsam den Blick auf mich. »Was macht ein
so schönes junges Ding wie Sie bei dem Alten?«
Mir blieb der Mund offen stehen. Erst später erfuhr ich, daß
›der Alte‹ ein weiterer respektvoller Titel war, den Brando und
einige andere der ›Strasberg Kids‹ vom Actors Studio in New
York Frank verliehen hatten.
›Der Alte‹. Von wegen. »Ich liebe jeden Zentimeter seines
großartigen Wesens«, erwiderte ich, wie ich fürchte, ziemlich
überheblich.
Frank zuckte vor Verlegenheit zusammen, wie ich später
erfuhr, aber Brando brüllte vor Lachen. »Nichelle…
Nichelle…«, sagte er nachdenklich. »Hmm. Wie ist Ihr
richtiger Name?«
»Nichelle«, erwiderte ich.
»Ich verstehe. Ich gehe jede Wette ein, daß das nicht
stimmt.«
»Wieviel wollen Sie verlieren?«
Brando grinste, fest davon überzeugt, daß er recht hatte.
»Eine halbe Kochplatte.«
»Welche Farbe?« gab ich zurück.
Brando lachte. »Hey, Pops! Da hast du dir ein kluges
Mädchen ausgesucht.« Er wandte sich wieder abrupt mir zu.
»Pink!«
Ein paar Tage später lud uns Brando zum Essen ein, in die
Japanese Gardens am Sunset Strip. Man führte Frank und mich
in den Privatraum, wo Brando und ein paar andere Gäste
bereits auf Kissen saßen. Brando hatte das ihm
gegenüberliegende Kissen für mich reserviert, und als wir
eintraten, zeigte er wortlos lächelnd darauf. »Wie gut ist Ihr
Gedächtnis?« fragte er irgendwann.
Ich lächelte, winkte die Kellnerin heran, und ein paar
Minuten später stellte sie ein großes, aufwendig verpacktes
Geschenk auf dem Tisch ab, verbeugte sich und ging. Brando
schenkte dem Karton einen Blick, schien ihn danach aber zu
ignorieren, bis zum Nachtisch Ingwereis serviert wurde. Dann
zog er langsam die Satinschleife auf und zog das Papier weg,
bis der ›Karton‹ – der sich nach dem Entfernen des Papiers
selbst öffnete – die Hälfte einer kleinen, pinkfarbenen
Kochplatte enthüllte, die genau in der Mitte durchgesägt war.
Brandos Freundin las die beigefügte Karte. »Ich zahle immer
meine Schulden. Nichelle alias Grace Nichols.«
Brando starrte mich lange mit einem nicht zu deutenden
Blick an, murmelte »Touché« und brach in schallendes
Gelächter aus.
In den Wochen vor Franks Abreise nach Tahiti klammerten
wir uns aneinander, als wäre es das letzte Mal. In der
Rückschau erkenne ich, daß unsere Liebe für Frank nicht ganz
so idyllisch war. Er war zwanzig Jahre älter als ich, und es
störte ihn mehr, als mir bewußt gewesen war. Ich hatte mich
schon immer von älteren Männern angezogen gefühlt – von
meinen ersten Verabredungen in der High School bis zu Foster
Johnson. Sowohl meine Mutter als auch meine Großmutter
hatten Männer geheiratet, die beträchtlich älter als sie selbst
waren, darum stellte das für mich kein Problem dar. Wäre ich
erfahrener gewesen, hätte ich erkannt, daß Frank jedesmal,
wenn er fragte, ob ich nicht noch ein Kind haben wollte, die
Angst trieb, er könnte mich verlieren.
Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne Frank in L.A. zu
bleiben, also war ich erleichtert, als mein Agent anrief und mir
ein vierwöchiges Engagement in Hawaii anbot. Ich war erst
gerade ein paar Tage wieder in der Stadt, als zwei Freunde, die
Schauspieler Major Conak und James Edwards, ihr hellblaues
Cadillac-Kabriolett unter meinem Schlafzimmerfenster parkten
und auf die Hupe drückten. Ich steckte den Kopf aus dem
Fenster, um denjenigen, die diesen Lärm veranstalteten, zu
sagen, wo sie sich hinscheren sollten, als ich die beiden
erkannte. Sie sangen lauthals: »Nichelle geht nach New York!
Nichelle wird Star in Kicks and Company! Und wir hören nicht
auf zu hupen, bis sie herauskommt!«
Schon seit mehren Wochen hatten mich die beiden gedrängt,
zum Vorsprechen zu gehen, aber ich hatte nicht eingesehen,
warum sich eine Schauspielerin aus Hollywood für ein
Broadway-Stück bewerben sollte, für das sich Cicely Tyson,
Diana Sands und andere gute New Yorker Schauspielerinnen
bereits beworben hatten. Aber meine Freunde glaubten an
mich, und es dauerte nicht lange, und meine Nachbarn riefen
genervt: »Geh zu dem verdammten Vorsprechen!«
»Verschwinde!«
»Geh nach New York!!«
Wie konnte ich da nein sagen? An diesem Nachmittag stellte
ich mich dem Regisseur Vinnette Carroll und dem
Choreographen Donald McKayle vor, und man gab mir das
Buch, damit ich es am Abend lesen konnte. Würde ich es
schaffen, um neun Uhr am nächsten Morgen ein paar Passagen
vorzuspielen? Würde ich nach New York reisen, um Oscar
Brown, Jr. dem Verfasser der Show, vorzuspielen? Und für
den Fall, daß alles gut lief, wäre ich bereit, am Broadway zu
spielen? Ja, ja und nochmals ja!
Eine Woche später war ich in New York und stellte mich
Oscar Brown, Jr. vor, einem brillanten Sänger, Songschreiber
und Dramatiker, der sich in und um Chicago und bei den
Kennern des Musiktheaters einen Namen gemacht hatte. Viele
sagten vorher, daß ihm seine neue Produktion Kicks and
Company den ganz großen Erfolg bringen würde. Es war keine
Frage, daß diese Show am Broadway herauskommen würde.
Es war in einem kleinen Theater gelaufen, mit Oscar in der
Rolle des Mr. Kicks, und er spielte diesen Teufel unserer Zeit
einfach großartig. Oscar war jedoch der Ansicht, er brauchte
einen bekannteren Namen für die Titelrolle, und so bot er sie
Burgess Meredith an, einem hoch angesehenen, dramatischen
Schauspieler. Eine ungewöhnliche Entscheidung, da der Rest
der Besetzung dieses Stücks hauptsächlich aus Schwarzen
bestand.
Burgess, ein wunderbarer Mann, der mir ein guter Freund
wurde, erzählte mir später im Vertrauen: »Die sind verrückt,
Oscar sollte die Rolle spielen. Das Stück wird ein paar
schlechte Kritiken bekommen; ich werde das überleben, aber
das Stück nicht. Die einzige, die gute Kritiken bekommen
wird, sind Sie, Nichelle.« Es war, als hätte Burgess in eine
Kristallkugel gesehen.
Doch als wir anfingen, hatten wir alle hohe Erwartungen. Ich
spielte Hazel Sharpe, eine hübsche, naive Collegeschülerin, die
die Schule abbricht und nach Chicago geht, um dort als
Sängerin reich und berühmt zu werden. Sie läßt sich mit dem
satanischen Mr. Kicks ein. Doch bevor sie zur Prostituierten
wird, gibt sie alles auf und kehrt in ihre kleine Heimatstadt
zurück. Dort arbeitet sie in einem Restaurant als Kellnerin, das
viel von Collegeschülern frequentiert wird. In dieser Szene
hatte ich einen meiner größten Bühnenauftritte: ›Hazel Hips‹,
Hazels Hüften. In den Worten von Silky Satin, einem
modernen Sportin’ Life, sind es »ihre Hüften, die fürs
Trinkgeld sorgen«. Seine zurückgewiesenen Avancen und
Hazels Weigerung zu kapitulieren bildeten die Voraussetzung
für einen sehr heißen, erotischen Tanz, in dem ich hundertmal
die Beine in die Höhe warf und von einer Truppe aus sechzehn
Tänzern frisch aus der West Side Story in die Luft geworfen
wurde.
Kicks and Company wurde von tausend verschiedenen
Problemen heimgesucht, aber der fatalste Fehler war das
Konzept. Beziehungsweise die Unfähigkeit der Produzenten,
sich darauf zu einigen. Oscar Brown schrieb eine provokative,
erotische moderne Allegorie über den Lohn der Sünde und das
personifizierte Böse (in Gestalt des Mr. Kicks und einem Hugh
Hefner nachempfundenen Charakter). Die Dramatikerin
Lorraine Hansberry, die ebenfalls aus Chicago kam, hatte eine
gewaltige Summe ihres eigenen Geldes investiert, um das
Stück zu produzieren. Zufälligerweise kannte ich Lorraine aus
Kindertagen. Wir waren Nachbarn gewesen, ihr Vater Carl war
einer der besten Freunde meines Vaters, und da sie ein paar
Jahre älter war als ich, hatte sie mich oft zur Schule gebracht.
Ihr A Raisin in the Sun hatte zwei Jahre zuvor Premiere
gehabt, das Stück hatte sie zur unbestritten wichtigsten
schwarzen Dramatikerin der Gegenwart gemacht. Ich freute
mich so sehr darauf, sie wiederzusehen. Das heißt, bis sie dann
eintraf. Als erstes feuerte sie unverzüglich Vinnette Carroll,
der wunderbare Arbeit geleistet hatte, und stellte Burgess
Merediths Freund William Saroyan ein, damit er das Drehbuch
überarbeitete. Er machte mehrere ausgezeichnete Vorschläge –
unter anderem sollte Oscar Brown, Jr. wieder die Rolle des Mr.
Kicks übernehmen –, die sie ignorierte. Statt dessen entschied
Lorraine, das Stück habe das Problem, »zu gewöhnlich, zu
schwarz« zu sein, ein interessanter Kommentar, wenn man
bedachte, von wem er kam. Statt auf den Stärken des Stücks
aufzubauen – der Blues, der in der Partitur durchschimmerte,
die heißen Tanznummern –, machte sie sich daran, das Stück
›zu verbessern‹. Das hieß, die Bluespassagen wurden durch
beliebige Streicherarrangements ersetzt; aus meinen Tänzen
wurden alle hohen Ausfallschritte, Sprünge und Hüftgewackel
gestrichen, da es schwarze Frauen ›erniedrigte‹. In der letzten
Minute verlangte sie eine neue Choreographie, neue
Arrangements und eine neue Inszenierung. Nachdem sie dann
alle in den Irrsinn getrieben hatte, fuhr sie damit fort, uns über
Würde zu belehren.
Bei den Proben gehorchten wir ihren Anweisungen, aber
während der Generalprobe kehrten wir zu der alten, spritzigen
Choreographie zurück, die dem Publikum gefiel. Lorraine war
außer sich vor Wut über meine Insubordination und nähte den
Schlitz in meinem Kostüm zu. Als ich an diesem Abend mit
dem Tanz dran war, zog ich den Rock einfach ein Stück höher
und machte weiter. Als ich das Kostüm am darauffolgenden
Abend anzog, konnte man noch immer die Einstiche sehen, wo
ich die Fäden wieder gezogen hatte; Lorraines Drohung, mich
zu feuern, schwebte noch immer über meinem Kopf. Wie sich
herausstellen sollte, blieb ihr das verwehrt. Wir eröffneten in
Chicagos damals neuem Arie Crown und wurden ein paar
Tage später abgesetzt; allerdings waren meine Kritiken, wie
von Burgess vorhergesagt, ausgezeichnet. »Ihr Körper ist ein
Kunstwerk«, schrieb Dorothy Kilgallen, »und sie setzt ihn mit
Takt und Anmut ein.«
Obwohl die Show einen schnellen, schmerzlosen Tod starb,
blieb sie genausowenig unbemerkt wie ich. Nach einem
erfolgreichen Gastspiel im Playboy Club von Chicago kehrte
ich nach Los Angeles zurück und reiste kurz darauf abermals
nach New York. New York City mit seinen großartigen
Musicalbühnen und seinem Übermaß an erstklassigen Clubs
war der Traum eines jeden Sängers, und es dauerte nicht lang,
bis ich ernsthaft daran dachte, dorthin zu ziehen und meiner
ersten Liebe nachzugehen. Jeden Tag ging ich zu einem
Lehrer, der in einem großen alten Gebäude mit einem jener
altmodischen käfigähnlichen Aufzügen wohnte, und bildete
meine Stimme weiter aus. Nach der Stunde fuhr ich in die
Lobby hinab und winkte seiner nächsten Schülerin zu, einer
jungen Frau, die in dem zweiten Aufzug hinauffuhr. Ihr Name
war Barbra Streisand. Es war nicht das erste und auch nicht das
letzte Mal, daß sich unsere Wege kreuzten.
Während des Aufenthalts in New York hatte ich das
Vergnügen, in dem berühmten Blue Angel auftreten zu dürfen,
einer der bekanntesten Showbühnen der Welt. Das vornehme,
formelle, beinahe schon mürrische Benehmen Herbert Jacobys,
des Clubbesitzers, spiegelte sich in der schwarzen Cocktail-
Lounge, den unbequem kleinen Tischen und der winzigen
Bühne wider. Doch dieser seltsame kleine Raum an der
Fiftyfifth Street und Third Avenue war der Ort, um gesehen zu
werden, und dazu einer der wenigen New Yorker Topclubs,
die seit jeher ein schwarzes Publikum willkommen geheißen
hatten. Jacoby förderte die Karriere zahlloser Stars – darunter
Pearl Bailey, Eartha Kitt, Harry Belafonte und Barbara
McNair. Später kamen Woody Allen, Lenny Bruce und Barbra
hinzu. Tatsächlich war während meines Engagements dort der
Pianist in der Lounge kein Geringerer als Bobby Short. Mein
Auftritt war um Mitternacht, und im Publikum saßen William
Saroyan, der Herzog und die Herzogin von Windsor, Frederick
Loewe, Burgess Meredith und Pearl Bailey. Wenn ich am
nächsten Morgen dann die Morgenzeitungen las, wußte ich,
daß ich keine besseren Kritiken hätte bekommen können, wenn
ich sie selbst geschrieben hätte. »Wenn einem nur ein Wort
erlaubt wäre, um Nichelle Nichols zu beschreiben«, schrieb der
Kritiker des New York Journal American, »dann müßte das
Wort faszinierend lauten.« Ich verließ das Blue Angel und trat
im Bon Soir auf; die Sängerin, deren Stelle ich im Bon Soir
einnahm, ersetzte mich im Blue Angel: es war niemand
anderes als Barbra. Später sollte sie Like a Newborn Child,
eine meiner Nummern aus Kicks and Company auf Schallplatte
aufnehmen.
Während dieser Periode reiste ich zwischen Los Angeles und
New York hin und her, während Frank mit Mutinity on the
Bounty beschäftigt war. Ich hatte gerade die Koffer
ausgepackt, als der Komponist Richard Rogers mich bat, als
Zweitbesetzung der Hauptrolle seines Musicals No Strings zu
fungieren, das erste Stück, das er nach dem Tod seines
langjährigen Partners Oscar Hammerstein geschrieben hatte,
und das erste, bei dem er sowohl für die Musik als auch für die
Texte verantwortlich war. Diahann Carroll hatte die Rolle
mehrere Monate lang erfolgreich gespielt, aber er war sich
nicht sicher, ob sie dabeibleiben würde, und wollte die Rolle
besetzt wissen, falls sie plötzlich aufhörte. In vier Tagen lernte
ich die ganze Rolle. Für seine Zeit war die Geschichte von der
Liebesaffäre zwischen einem erfolgreichen schwarzen Model
(gespielt von Diahann) und einem weißen Fotografen (gespielt
von Richard Kiley), ziemlich provokativ. Und die Musik war
herrlich, besonders das oft gespielte Loads of Love. Auch wenn
das Musical, das im März 1962 Premiere gefeiert hatte, bei den
Kritikern kein überwältigender Erfolg war, lief es doch über
ein Jahr.
Als Richard Rodgers herausfand, daß ich auch tanzte – was
Diahann nicht tat – ließ er für Loads of Love extra einen Tanz
choreographieren, nur für alle Fälle. Ich kannte Diahann seit
Porgy and Bess und konnte es kaum erwarten, ihren Platz
einzunehmen. Wer hätte das nicht? Eines Tages wandte sie
sich hinter der Bühne an mich. »Nichelle, ich habe gehört, sie
machen einen Tanz für dich?«
»Ja, ich finde das sehr aufregend.«
»Nun, freu dich nicht zu sehr«, warnte sie mich. »Ich habe
nicht vor, krank zu werden, solange du hier bist, meine Liebe.«
»Nun, Diahann, das geht schon in Ordnung«, erwiderte ich
etwas hinterhältig. »Ich habe in meiner Garderobe eine Tüte
mit Bananenschalen. Nur für alle Fälle.«
»Was?« fragte sie. Dann verstand sie.
»Hals und Beinbruch, Baby«, sagte ich.
Es kam in No Strings zu keinem Auftritt, dafür trat ich unter
Beifallsstürmen im New Yorker Playboy Club auf. Jeden
Abend mußte ich in No Strings eine halbe Stunde hinter der
Bühne warten, bis gewährleistet war, daß mit Diahann alles in
Ordnung war, dann hastete ich rüber in den Playboy Club. Das
hört sich wie ein logistischer Alptraum an, erwies sich aber als
der Traum eines jeden PR-Managers. 1961 und 1962 reiste
Frank ständig von Los Angeles nach Tahiti und wieder zurück,
während die vom Pech verfolgten Dreharbeiten zu Mutinity
sich mühsam vorwärtsschleppten. Es gab jedes auch nur
erdenkliche Desaster, angefangen von Monsunstürmen bis hin
zu abspringenden Regisseuren. Durch den Erfolg in New York
und die enge Freundschaft mit Burgess Meredith fürchtete
Frank, mich zu verlieren. Er traf mit Kyle im Schlepptau in
New York ein, entschlossen, mich zurückzugewinnen. Was er
dann auch tat.
Wir planten, uns eine Zeitlang in New York niederzulassen;
Joseph Papp gab Frank die Titelrolle des König Lear in seiner
Shakespeare-in-the-Park-Serie. Frank übernahm das
Apartment eines Schauspielerfreundes, das dieser
untervermietete, und nach einem Treffen mit Papp kauften
Frank, Kyle und ich ein und nahmen ein Taxi zu unserem
neuen Heim. Überraschenderweise mußten wir entdecken, daß
der Schlüssel, den Frank bekommen hatte, nicht ins Türschloß
zu passen schien. Eine schwergewichtige Polin kam aus dem
Büro des Managers, faltete die Arme unter der gewichtigen
Brust und sagte streng: »Keine Untermieter!«
Frank war verblüfft, da er vorher mit ihr gesprochen hatte
und der Meinung gewesen war, alles sei in Ordnung.
»Sie okay, Sie können bleiben«, sagte die Frau. »Aber hier
kommen keine Nigger rein!«
»Wovon sprechen Sie?« rief Frank. »Glauben Sie etwa, ich
sei weiß? Sie glauben, ich bin weiß? Sie sind weiß! Wissen Sie
überhaupt, was weiß ist? Wie können Sie es wagen, auf diese
Weise zu dieser kostbaren Prinzessin und diesem jungen
Prinzen zu sprechen?«
Mittlerweile zitterte die Frau am ganzen Leib, und gleich
darauf kam ein Puertorikaner an, der für sie arbeitete. »Ihr
müßt gehen!« brüllte er. »Ihr müßt gehen! Hier keine Neger!«
Unsere Sachen befanden sich bereits in dem Apartment, und
Franks Freund kam erst in drei Monaten aus Europa zurück.
Die Frau wollte nicht einmal zulassen, daß wir sie holten. Als
Frank drohte, die Tür aufzubrechen, gestikulierte der
Puertorikaner, als würde er einen Revolver ziehen. Wegen der
Anwesenheit meines jungen Sohnes reichte das aus, um uns zu
Tode zu erschrecken. Ich zugehe meine Wut, griff auf meine
dürftigen Spanischkenntnisse zurück und versicherte ihm, wir
würden gehen. Später kehrten wir dann zurück und stiegen
durch ein offenes Fenster ein, um unsere Sachen
herauszuholen. Der Puertorikaner kam heraus und half uns,
den Wagen zu beladen. Als Frank versuchte, ihm die Ironie
begreiflich zu machen, daß er und seine Chefin Amerikaner
diskriminierten, während die beiden kaum vernünftiges
Englisch sprachen, senkte er den Kopf und zuckte mit den
Schultern. »Ich weiß, Mann, aber ich arbeite hier bloß.«
Es war für uns alle eine schreckliche, demütigende Erfahrung
gewesen; doch Frank und ich hatten so etwas bereits schon
vorher erlebt und gelernt, damit zu leben – soweit das
überhaupt möglich ist. Für Kyle war es jedoch eine harte,
schnelle Lektion über die reale Welt, vor der ihn seine
Großeltern und ich beschützt hatten. Beim Essen diskutierten
Frank und ich offen mit ihm darüber, und er untersuchte und
analysierte den Vorfall mit der entrückten Objektivität eines
Soziologen. Trotzdem fragte ich mich manchmal, ob ich ihn
nicht zu sehr behütet hatte.
In New York stellte mich Frank seinen Freunden vor – Jane
Fonda, Geraldine Page und ihrem Ehemann Rip Torn, Shelley
Winters und dem großen Schauspiellehrer Lee Strasberg.
Strasberg lud mich ein, an seinem Actors Studio teilzunehmen,
aber seltsamerweise ermutigte Frank mich nicht dazu, und zum
allerersten Mal fühlte ich mich als das fünfte Rad am Wagen in
seinem Leben. Vielleicht erging es ihm unter den Prominenten
und dem Nachtleben meiner neuen Welt ebenso. Unsere
Beziehung erlebte eine Krise und hätte leicht ihr Ende finden
können. Statt dessen bat Frank mich, ihn zu heiraten und mit
ihm nach Los Angeles zurückzukehren. Wir lagen am Abend
im Bett und unterhielten uns darüber, was wir in Los Angeles
gemeinsam tun konnten, und so kam unser ›Kind‹ zur Welt,
das Theatre of Being, das Theater des Seins.
Wir fanden in der Nähe der Olympic Avenue und Robertson
Avenue ein kleines Theater mit neunzig Sitzplätzen und einem
Apartment darüber. Zuerst eröffneten wir einen Actors
Workshop, dann fingen Frank und ich an, Stücke zu
produzieren, in denen einer von uns oder wir beide auftraten
und er die Regie führte. Es war außerordentlich harte Arbeit,
aber es war die glücklichste Zeit meines Lebens, in kreativer
und romantischer Hinsicht. Kyle, der mit Franks Unterstützung
zu schauspielern angefangen hatte, war begeistert und wollte
unbedingt, daß wir heirateten. Alle Puzzlestücke paßten
zusammen: Ich mußte nicht zwischen Liebe und Karriere
wählen. Ich konnte alles haben. Und eine Zeitlang hatte ich es
auch.
Im Spätsommer 1963 diagnostizierte man bei meinem Vater
fortgeschrittenen Prostatakrebs. Die Anfälle von Angina
pectoris hatten seit seinem ersten Herzinfarkt nicht aufgehört,
und er erlitt einen zweiten Herzinfarkt. Es war für keinen von
uns eine leichte Zeit, besonders nicht für meine Mutter. Sie
hatte den schwergewichtigen kleinen Jungen einer Nachbarin
versorgt und sich dabei einen Brustmuskel gezerrt. Nun redete
sie sich ein, an Brustkrebs zu leiden. So lag also mein Vater in
einem Krankenhaus in der Innenstadt von L.A. während sich
Frank dreißig Meilen entfernt in Santa Monica von einem
Unfall mit beinahe tödlichem Ausgang erholte. Jene Wochen
verschwimmen im Rückblick zu einer immerwährenden Fahrt
von einer Stadt zur anderen, dem unablässigen Entlanggehen
von Krankenhausfluren und Warten.
An einem Tag im Oktober sagte mein Vater den Schwestern,
er würde sterben. Dann fing er – wie man uns später erzählte –
an zu toben und warf Bettpfannen und Brechschalen durch das
Zimmer. »Geh weg!« brüllte er. »Ich bin noch nicht soweit!
Sie muß erst hier sein!« Er kämpfte drei volle Stunden lang,
dabei war niemand in seinem Zimmer.
Als meine Mutter eintraf, berichteten ihr die
Krankenschwestern von dem Problem, und sie betrat ziemlich
ärgerlich das Zimmer. Sie war davon überzeugt, daß er nur
deshalb einen Wutanfall gehabt hatte, weil sie an diesem Tag
noch nicht dagewesen war; ich hatte sie zum Arzt gebracht, der
ihr versicherte, sie habe keinen Brustkrebs. Wegen der
Warnungen der Schwestern war Mutter überrascht, ihn
lächelnd auf der Bettkante sitzen zu sehen.
»Oh, Darling, ich habe gewartet«, rief er erleichtert. »Ich
habe auf dich gewartet. Der Tod wollte mich den ganzen
Nachmittag holen. Aber ich habe ihm gesagt, ich könnte nicht
mit ihm gehen, bis du dagewesen bist.« Als Mutter ihn
umarmte und ihm einen zärtlichen Kuß gab, fragte er: »Du hast
mich all diese Jahre geliebt, oder?«
»Nun, Sam Nichols, falls nicht, würde ich ganz schön dumm
aussehen.«
Daddy sah ihr ein letztes Mal in die Augen. »Ich habe dir nie
oft genug gesagt, wie sehr ich dich liebe, und das war auch gar
nicht möglich. Ich verlasse dich jetzt. Aber ich werde dich
holen, wenn die Zeit gekommen ist. Ich werde immer bei dir
sein.«
Dann schloß er die Augen.
Wie immer nach einem Todesfall in der Familie kommen
einige Hinterbliebene besser damit zurecht als andere, und auf
uns traf das in jeder Hinsicht zu. In einem Sturm der Hysterie
trug meine Mutter, immer eine Säule der Stärke – wir hatten
ihr den Spitznamen Rock, Felsen, verliehen –, ihre Trauer mit
Würde. An dem Tag, an dem wir Vater beerdigten, kam einer
meiner Brüder plötzlich auf die Idee, Mutter, meine Schwester
und ihren kleinen Sohn, sowie die Ausstattung ihres
Apartments mit den drei Schlafzimmern in mein Haus mit den
zwei Schlafzimmern zu verfrachten, bevor er wieder ins
Flugzeug stieg und nach Chicago zurückreiste. Mein Sohn
schlief, und Diane, Marian, Mom und ich saßen schweigend
eng beieinander in meinem Wohnzimmer, umgeben von
Kistenstapeln und Möbelstücken, während wir versuchten, die
schreckliche Tragödie von Daddys Tod mit der Reihe fast
komischer Geschehnisse in Einklang zu bringen, die sich in
den letzten Tagen zugetragen hatten. Ich fand eine Flasche
Brandy und goß uns allen einen Drink ein, während Diane ihr
quengeliges Baby Brett in den Schlaf wiegte.
Schließlich gab Mutter einen tiefen Seufzer von sich. »Nun,
Nick…« Wir alle hielten die Luft an, in der Erwartung, daß sie
jetzt zusammenbrechen und schreien würde: »Darling, ich
habe ich dich so geliebt! Ich kann ohne dich nicht leben!«
Statt dessen sagte sie: »Da hast du mir ja wieder mal etwas
Schönes eingebrockt.«
Meine Schwestern und ich sahen uns ungläubig an, dann
brach der Damm, und wir lachten, bis wir weinten. Dann
hörten wir auf zu lachen, und das Baby schrie. Das reizte uns
erneut zum Lachen. »Daddy wird das verstehen«, sagte Mutter,
nachdem sie sich die Tränen aus den Augen gewischt hatte und
zu Luft gekommen war.
Wir nickten und waren beinahe wieder ernst geworden, als
sie hinzufügte: »Er sollte es auch verstehen! Schließlich ist er
an dem Schlamassel schuld!«
Wir bekamen vor Lachen fast schon keine Luft mehr, als
mein jüngster Bruder eintrat und uns sah. »Was zum Teufel ist
so lustig?« wollte er mit vor Empörung bebender Stimme
wissen. »Ich habe gerade meinen Vater beerdigt! Und ihr
Frauen sitzt herum und lacht?« Wir verstummten einen
Augenblick lang, dann platzte es wieder aus uns heraus, als er
aus dem Haus stürmte. Es war dieser Moment, der uns alle
durch die schrecklichen Monate brachte, die folgen sollten.
Natürlich hat Daddys Tod eine Leere in unseren Leben
hinterlassen, die niemals gefüllt werden wird. Das galt vor
allem für Kyle, für den mein Vater ein so gutes Vorbild in
Sachen Liebe, Fürsorge und Verantwortung gewesen war.
Kaum einen Monat nach dem Tod meines Vaters war Kyle
untröstlich, als sein anderer Held, Präsident Kennedy, einem
Attentat zum Opfer fiel. Als Kyle neun Jahre alt gewesen war,
hatte er mir eine Frage gestellt. »Findest du nicht, es ist Zeit,
daß ich meinen Vater kennenlerne, Mom?«
Sein ganzes Leben lang hatte ich ihm erzählt, sein Vater sei
ein großer Künstler, jedoch bewußt keine Bemühungen
unternommen, Foster Johnson zu finden. Doch wie immer war
Kyles Logik unstrittig, und so spürte ich Foster in Montreal auf
und lud ihn gegen mein besseres Wissen ein, in unserem Haus
mit Kyle zu wohnen, während ich das erste Mal zu einem
Engagement nach Europa reiste. Bei meiner Rückkehr erlebte
ich zwei Überraschungen. Die erste war, daß Foster aufgrund
meiner Einladung glaubte, ich wolle unsere Beziehung wieder
aufleben lassen. Diesen Eindruck korrigierte ich sofort, und er
heiratete später die Sängerin Jean King. Wir hatten bei Porgy
and Bess zusammengearbeitet, und ihre Gruppe Blossoms ging
mit großen Sängern wie Tom Jones und Ray Charles auf
Tournee. Sie und Foster hatten zwei wunderschöne Töchter,
Kyles Halbschwestern; sie und ich blieben bis zu ihrem Tod
Freunde.
Die zweite – wundervolle – Überraschung kam, als Frank
mich zu einer Aufführung von A Raisin in the Sun einlud. Auf
der Bühne stand mein Sohn Kyle. Er erhielt großartige
Kritiken, und von diesem Tag an bekam er beim Film,
Fernsehen oder beim Theater jede Rolle, für die er sich
bewarb, einschließlich der Hauptrolle des Newt in seinem
ersten großen Film, der Verfilmung von Gordon Parks’
klassischer autobiographischer Geschichte über das
Erwachsenwerden The Learning Tree. Bei mehreren
Gelegenheiten bewarben sich Kyle und ich bei derselben
Produktion um Rollen, obwohl wir nie verrieten, daß wir
verwandt waren. Einmal war ich sogar zugleich geschmeichelt
und wütend, als man mir sagte, ich könne unmöglich Kyles
Mutter spielen, da ich zu jung aussähe. Kyle war ein guter
Schauspieler und hätte das weiterverfolgen können, wären da
nicht andere Interessen wie zum Beispiel die Musik gewesen.
Ich bin immer stolz auf die Erfolge meines Sohns gewesen,
aber noch stolzer bin ich auf ihn als Person. Er hat nicht nur
Wissen erworben, sondern auch das dazugehörige Verständnis.
»Ich habe ein fotografisches Gedächtnis und einen Verstand
wie ein Röntgenapparat«, hat er einmal gesagt, als er noch sehr
jung war. Bei einem Aufenthalt in Chicago war er sehr
beeindruckt, als er Zeuge eines Vortrages für Erwachsene über
das Schicksal der Dinosaurier beim Einbruch der Eiszeit
wurde. Selbst ich war erstaunt. »Seht ihr diesen Jungen da
drüben? Wagt euch bloß nicht in seine Nähe. Er ist seltsam. Er
ist entweder ein Genie oder ein Fabelwesen«, sagte Tony
Bennett, der sich gerade mit Mühe aus der Unterhaltung mit
ihm herausgewunden hatte.
»Das ist mein Sohn.«
»O mein Gott, Nichelle! Von wem hast du ihn?«

Nachdem Frank sich von seinem Unfall erholt hatte,


entschieden wir uns, James Baldwins The Amen Corner zu
produzieren. Jimmy schrieb dieses erste, sehr
autobiographische Stück in den frühen Fünfzigern, bevor Go
Tell it on the Mountain 1953 veröffentlicht wurde. The Amen
Corner spielt in Harlem und handelt von einer älteren
religiösen Frau namens Sister Margaret, die versucht, ihren
geliebten Sohn, der gerade im Teenageralter und auf der Suche
nach seiner sexuellen Identität ist, vor den Versuchungen und
Demütigungen des Ghettos und dem Beispiel seines unfähigen
Vaters zu retten. Es war Jimmys erstes Stück, jedoch bis jetzt
noch niemals professionell produziert worden, was bei seinem
Bekanntheitsgrad seltsam war. Ich hatte seine sämtlichen
Werke gelesen, gerade seine kontroverse Essaysammlung The
Fire Next Time beendet und betrachtete mich als einen seiner
innigsten Verehrer. Frank und ich hatten uns darüber
unterhalten, daß sein Blues for Mr. Charlie von Strasbergs
Actor Studio auf dem Broadway produziert wurde. Ȇbrigens
hat er davor ein anderes Stück geschrieben, ich glaube, ich
habe es sogar noch«, sagte Frank plötzlich.
Er grub eine alte Kopie von The Amen Corner aus, und wir
blieben lange auf; ich las alle Frauenrollen, und er die der
Männer. »Das wäre ein wundervolles Stück für dich«, sagte er.
Ich wies darauf hin, daß Sister Margaret einen erwachsenen
Sohn hatte, und obwohl ich versuchen konnte, eine
achtundfünfzigjährige Frau zu spielen, würde es meiner
Meinung nach dem Stück schaden.
»Ich vertraue deinem Urteil, Frank, aber jetzt bin ich
Produzentin, und ich würde mir die Rolle nicht geben. Das ist
unsere erste große Produktion, und man wird Kritiken darüber
schreiben. Ich bin Anfang Dreißig, und ich will nicht, daß die
Rollen falsch besetzt werden.«
»Du kannst nicht dein Leben lang ein Glamourgirl sein«,
fauchte Frank. Ein Glamourgirl, dachte ich. Ich kümmerte
mich um die Schauspieler und Agenten, sah zu, daß die
Kulissen gebaut, die Eintrittskarten verkauft und die
Rechnungen bezahlt wurden. Ich kochte sogar für das
Ensemble (einschließlich der Mahlzeit, die zwei heimtückische
Schauspieler mit Marihuana würzten, was zu einer unserer
interessanteren Vorstellungen führte). Das konnte man kaum
als glamouröses Leben bezeichnen. Meiner Meinung nach
hatte ich nur eine Rolle abgelehnt, die nichts für mich war.
Aber für Frank war meine Weigerung, eine ältere Frau zu
spielen, die Ablehnung des Alters, seiner Autorität, unserer
Beziehung.
Frank kannte Jimmy recht gut, und eines Abends rief er ihn
in New York an, um ihn über die Aufführung zu informieren.
Wir erwischten Jimmy mitten bei der Party vor der Premiere
von Blues for Mr. Charlie, die er für die Schauspieler gab. Als
Jimmy hörte, wer am Apparat war, rief er quer durch den
lauten Raum: »Es ist Frank Silvera aus L.A.!« Über den
zweiten Hörer hörte ich, wie alle lautstark »Hi, Frank!« riefen,
bevor Diana Sands den Hörer eroberte, um mit Frank zu flirten
und mich kennenzulernen, wobei sie sich betont flapsig gab.
»Sind Sie nicht die Kleine, die jeder New Yorker
Schauspielerin die tolle Rolle der Hazel Sharpe weggeschnappt
hat?« fragte sie. »Lassen Sie Ihr kleines schmales Hinterteil
lieber in L.A. Süße.«
Jimmy brachte sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, daß
jemand The Amen Corner produzieren wollte. »Blues for Mr.
Charlie ist das wichtige Stück«, sagte er. »Warum wartet ihr
nicht, und ich überlasse es euch nach New York für L.A.?«
Bevor Frank antworten konnte, ergriff ich das Wort. »Oh,
aber so läuft zur gleichen Zeit an jeder Küste ein Baldwin-
Stück. Das ist doch toll!«
Jimmy lachte, doch ich sah, daß Frank mich von der anderen
Seite des Zimmers stirnrunzelnd ansah. »Okay! Was soll ich
sagen, Frank? Ihr habt es! Macht, was ihr wollt. In deinen
Händen kann es nur besser werden, Papa.«
»Jimmy, würden Sie uns bitte ein Telegramm schicken, in
dem Sie uns die Erlaubnis geben, daß wir ihr Stück
produzieren? Dann können wir gleich anfangen«, fügte ich
hastig hinzu, da die beiden auflegen wollten.
Bevor Jimmy antworten konnte, mischte sich Frank ein.
»Hey, vergiß das, Jimmy. Shelley weiß nicht, wie lange wir
uns kennen.« Er sah mich ärgerlich an. »Dein Wort reicht
mir.«
»Ich halte das bloß für gutes Geschäftsgebaren«, sagte ich
und verteidigte meinen Standpunkt. »Sollte Ihnen etwas
zustoßen, Jimmy, wissen Ihre Erben sonst nicht, daß Sie uns
die mündliche Einwilligung gegeben haben.«
Mittlerweile war Frank außer sich vor Zorn, aber Jimmy
kreischte vor Lachen. »Da hast du dir eine geangelt, Frank,
alter Junge! Ich kann es nicht erwarten, Sie kennenzulernen.
Ich schicke Ihnen das Telegramm sofort, meine Liebe. Ich
glaube, ich habe mich verliebt, Frank! Oh, Nichelle, ma
belle…« Jimmy kehrte kichernd zu seiner Party zurück.
»Das hättest du nicht tun sollen, Shelley«, belehrte mich
Frank. »Das war eine Beleidigung des gegenseitigen Respekts
und der Integrität, die ich mit Jimmy teile. Das war mir sehr
peinlich.« Am nächsten Tag traf das Telegramm ein. »Es ist
nur ein verdammtes Stück Papier!« stieß Frank wütend hervor,
knüllte es zusammen und warf es fort. Ich holte das gelbe Blatt
Papier aus dem Papierkorb, glättete es sorgfältig und heftete es
stolz im Ordner ab: Unser erstes offizielles Dokument für The
Amen Corner.
Da uns ausreichende Geldmittel fehlten, stellte die Besetzung
unsere größte Herausforderung dar. Mit etwas Glück gelang es
uns, für die Rollen der drei Kirchenschwestern Juanita Moore,
die für den Oscar nominiert worden war, Maidie Norman und
Isabel Sanford – die später einem Millionenpublikum als
Louise Jefferson in den Fernsehserien All in the Family und
The Jeffersons bekannt werden sollte – zu gewinnen. Doch uns
fehlte noch immer die Sister Margaret. Mir fiel eine
wunderbare Schauspielerin ein, die ich in New York in Purlie
Victorious gesehen hatte: Beah Richards. Als ich sie zur
Sprache brachte, explodierte Frank. »Warum sollte eine
Schauspielerin, die in New York am Broadway arbeitet, nach
L.A. kommen, um ein Stück an einem kleinen Theater zu
spielen?«
Die zwischen uns herrschende Spannung wurde unerträglich.
»Wegen der Chance, mit Frank Silvera zu arbeiten!« rief ich
durch einen Tränenschleier hindurch. Er nahm mich in den
Arm, küßte die Tränen weg und löschte allen Schmerz und alle
Zweifel aus. Dann griff er zum Telefon und rief Beah Richards
an, der die Rolle gefiel und die es großartig fand, mit Frank
arbeiten zu können.
Die Premiere von The Amen Corner erhielt phantastische
Kritiken. Wir waren ein Erfolg; es dauerte nicht lang, und wir
mußten in ein doppelt so großes Theater umziehen, um den
Zuschauerandrang bewältigen zu können. Frank und ich waren
unsagbar glücklich. Und dann stattete uns Jimmy Baldwin
einen Besuch ab.
Sein geliebter Blues for Mr. Charlie war in New York
durchgefallen. Selbst die tapferen Bemühungen von Jimmys
Gönnern – einschließlich einer Spendensammlungsaktion, um
das Stück auf der Bühne halten zu können – konnten es nicht
vor den bösartigen und, wie Jimmy glaubte, rassistisch
motivierten Kritiken retten. Frank und ich glaubten ernsthaft,
daß die Aufführung seines von der Kritik gelobten Amen
Corner in unserem neuen Theater mit den vierhundert Sitzen
ihn aufmuntern würde. Aber das war ein Irrtum.
Jimmy war schlagfertig, charmant und alles, was ich erwartet
hatte. Wir fanden einander sofort sympathisch und saßen
während des ersten Aktes neben ihm und erwarteten sein Lob.
In der Pause stand er auf. »Ich hasse diese Aufführung!«
verkündete er mit blitzenden Augen. »Ich hasse den Vater, ich
hasse den Sohn, ich hasse Sister Margaret! Es ist alles falsch –
alle Rollen sind falsch besetzt, Frank. Wie konntest du mir das
antun? Ich verbiete diese Aufführung!« Wir waren sprachlos.
Die Glocke zum zweiten Akt läutete, aber Jimmy weigerte
sich, seinen Platz wieder einzunehmen und marschierte statt
dessen in ein sehr feines Restaurant auf der
gegenüberliegenden Straßenseite. Frank war am Boden
zerstört, aber ich überredete ihn, im Theater zu bleiben. Ich
würde mit Jimmy sprechen.
Ich fand ihn an der Bar. Ich saß noch nicht richtig, als er auch
schon über die Aufführung herfiel. Ich unterwarf mich seiner
Gnade, bettelte, schmeichelte und weinte – ohne jeden Erfolg.
»Nichelle, das Stück wird abgesetzt, und damit hat es sich.
Dafür werden meine Rechtsanwälte schon sorgen!«
»Nun, Jimmy, Sie können die Aufführung nicht verbieten«,
erwiderte ich. »Und damit hat es sich!«
»Was?«
»Sie haben uns das Telegramm geschickt, in dem Sie uns alle
Rechte garantiert haben, was Produktion, Besetzung,
Änderungen, Regie betrifft; wir konnten alles tun, wie wir es
für richtig hielten. Und das haben wir auch getan, und wir
haben einen Erfolg produziert. Könnte es sein, Mr. James
Baldwin, daß Sie auf diesen Erfolg eifersüchtig sind, da Ihr
anderes Stück am Broadway durchgefallen ist? Sie geben einen
schrecklichen Vater ab, was Ihren Schützling angeht, finden
Sie nicht auch?«
Jimmy sah aus, als würde er gleich explodieren. Ich hielt den
Atem an, während seine Augen jede Sekunde größer zu
werden schienen und die Adern in seinem Hals hervortraten.
Er war so wütend, es hätte mich nicht überrascht, hätte er
zugeschlagen. Frank trat gerade durch die Tür, als er plötzlich
anfing zu lachen.
»Das ist eine unglaubliche Frau, Frank. Ich werde sie
heiraten. Sie macht einen verdammten Mann aus mir.« Es war
eine Ironie, daß Baldwin 1965 The Amen Corner dann doch
auf dem Broadway sehen sollte, inszeniert von Frank, mit
Beah Richards und Isabel Sanford in den Hauptrollen. Und
ironischerweise ohne mich.
Und so blieb The Amen Corner auf dem Spielplan. Doch
unsere Liebe hatte weniger Glück. Obwohl Frank einen Ring
und in Pasadena ein Haus als Hochzeitsgeschenk gekauft hatte,
zogen am Himmel unserer gemeinsamen Zukunft immer
dunklere Wolken auf. Ich hatte angefangen, mir ein Leben
ohne Frank vorzustellen. The Amen Corner hielt uns noch eine
Zeitlang zusammen, aber wir stritten ununterbrochen. In dieser
Zeit bekam ich meine erste Fernsehrolle, eine Rolle, die mich
aus Frank Silveras Welt holen und in die von Gene
Roddenberry verpflanzen sollte. Es war ebenfalls eine Ironie,
daß es Frank war, der die Ereignisse in Gang setzte, die damit
endeten, daß ich eine Rolle in der Fernsehserie The Lieutenant
bekam.
1963 gab er Schauspielunterricht, und ein Schüler, Don
Marshall, schien große Probleme zu haben, sich zu öffnen.
Frank bat mich, mit ihm eine Szene aus A View from the
Bridge zu proben, und ich willigte ein. Unter Franks Schülern
befand sich auch Joe D’Agosta, der bei einer Produktionsfirma
für MGM arbeitete. Joe war von unserer Szene so beeindruckt,
daß er seinen Bossen Bescheid gab, die gerade eine schwarze
Schauspielerin und einen schwarzen Schauspieler suchten. Joe
– Gott segne ihn – überzeugte sie, daß sie uns nicht einfach zu
einem Termin zum Vorsprechen einladen sollten; sie sollten
sich diese Szene ansehen. Sie kamen, und nachdem Don und
ich zu Ende gespielt hatten, saßen sechs alte MGM-
Geschäftsführer schweigend mit Tränen in den Augen da. Da
wußte ich, daß wir die Rollen bekommen hatten.
6

Ich lernte Gene Roddenberry 1963 kennen, als ich eine Rolle
in einer Episode seiner Fernsehserie The Lieutenant mit dem
Titel ›To Set It Right‹ erhielt. In der Serie geht es um die
charakterliche Weiterentwicklung des jungen
Marinelieutenants William Rice (gespielt von Gary
Lockwood), während er mit den Problemen konfrontiert wird,
die durch die Männer unter seinem Kommando entstehen. Wie
ich zu meiner Freude kürzlich erfuhr, wurde ›To Set It Right‹
als eine von zwei der neunundzwanzig Episoden in den
Bestand des Museum of Television and Radio in New York
aufgenommen. Mit ihrem Realismus, den eindringlichen
Dialogen und den provokanten Themen ist diese Serie ein
würdiges Beispiel für das goldene Zeitalter des Fernsehens.
Ich spielte Norma Bartlett, die Verlobte von Ernest Cameron
(der von Don Marshall verkörpert wurde, der später eine der
Hauptrollen in Land of the Giants übernahm), einem sehr
jungen schwarzen Marinesoldaten, der kürzlich nach Camp
Pendieton versetzt worden war. Nach wenigen Minuten
erkennt Ernie in einem der anderen Offiziere Peter Devlin
(Dennis Hopper) wieder, einen weißen Rassisten, der einst
Anführer der Bande war, die ihn in ihrer Heimatstadt
zusammenschlugen und halbtot zurückließen. Cameron greift
Devlin ohne Warnung an. Als der Lieutenant den Grund dafür
wissen will, erklärt Ernie: »Ich war nur ein weiterer Nigger,
der seinen Platz nicht kennt.«
Das Drehbuch beschäftigte sich auf behutsame und zugleich
offene Weise mit den vielen Aspekten des Faschismus, von der
Entscheidung des Lieutenants, die beiden zusammenarbeiten
zu lassen bis hin zu den Warnungen seines Vorgesetzten und
eines älteren schwarzen Sergeants (gespielt von Woody
Strode), daß sich manche Dinge wohl niemals ändern werden.
Norma bestürmt Ernie, sein Temperament zu zügeln, während
er sich weigert, die Rolle eines ›Onkel Toms‹ zu übernehmen.
Als Ernie wissen will, warum er sich nicht verteidigen und ›ein
Mann‹ sein soll, erwidert Norma: »Wenn man sich dazu nur
auf jemanden stürzen muß, warum tauschst du dann nicht
einfach deine hübsche Uniform mit einem komischen weißen
Laken mit spitzer Kapuze und einem brennenden Kreuz?«
Cameron und Devlin werden von ihrem Haß innerlich
zerfressen, sind jedoch durch den Ehrenkodex der Marine
miteinander verbunden. Die Episode zeigt nicht nur, wie sie
lernen, ihre Einstellungen zu überwinden, sondern auch wie
die Leute in ihrem Umfeld – Norma, Lieutenant Rice, sein
Vorgesetzter und andere Offiziere – ihre eigenen, vorher
festgelegten Meinungen überwinden, wie man die beiden
Männer zusammenbringen könnte. Es war unübersehbar, daß
Gene die Marine als Beispiel für die ganze Gesellschaft
benutzte. The Lieutenant war in seiner Thematik, seiner
Botschaft und seiner Leidenschaft purer Roddenberry, zugleich
aber auch großartige Unterhaltung. Das war seine Gabe.
Es handelte sich um meine erste Arbeit im Fernsehen, und ich
hätte mir keine bessere Rolle, keine netteren Kollegen, keine
bessere Produktionscrew und keinen verständnisvolleren
Regisseur als Vince McEveety wünschen können. Die ersten
drei Tage schien die Arbeit glatt voranzugehen, das einzige
Problem war Vince’ gelegentlicher Ruf »Schnitt!«, dem die
Aufforderung folgte, das Licht meines Scheinwerfers bitte
nicht zu verlassen. Ich wußte gar nicht, wovon er da eigentlich
genau sprach, aber da ich meistens anscheinend das Richtige
getan hatte – und da ich, wenn ich ehrlich bin, von dem
Ganzen etwas eingeschüchtert war –, gab ich das nicht zu
erkennen. Ich ging davon aus, es schon noch auf eigene Faust
herauszukriegen.
Gegen Ende des vierten Tages nahmen wir eine
entscheidende Szene mit zwei Einstellungen auf, als Vince’
Geduld endgültig zu Ende war. »Schnitt!« Alles verharrte an
Ort und Stelle. Ich drehte mich zu ihm um. Er schäumte.
»Nichelle, Sie ruinieren schon wieder eine hervorragend
gelungene Aufnahme«, fing Vince offensichtlich verzweifelt
an. »Sie haben Ihr Licht verlassen und stehen in seinem.« Ich
war sprachlos vor Verlegenheit. Ich sollte schnell lernen, daß
beim Film oder Fernsehen jeder der in einer Szene anwesenden
Schauspieler von einem speziell auf ihn ausgerichteten
Scheinwerfer beleuchtet wird; je nach den Erfordernissen der
Einstellung kann es vorkommen, daß man sich das Licht mit
einem der anderen Schauspieler teilt. Aber es ist ständig ein
Scheinwerfer auf einen gerichtet, um die Schatten
auszuschalten, die die anderen Schauspieler und die
Gegenstände werfen. Agieren in einer Einstellung nur zwei
Schauspieler, muß jeder sorgfältig darauf achten, nicht in das
Licht des anderen zu treten. Beim Theater, wo ich den größten
Teil meiner Schauspielerfahrung erworben hatte, wird die
ganze Bühne beleuchtet, und die Schauspielerin sucht sich ihr
bestes Licht aus. Außer unter bestimmten Umständen – etwa
bei einem Monolog – verschwendet man an das Licht keinen
Gedanken; es ist einfach da.
»Meine Liebe, Sie sind eine gute Schauspielerin«, fuhr Vince
fort, »aber um Gottes willen, denken Sie bitte an Ihre
Kollegen!«
Ich unterdrückte meine Verlegenheit. »Das werde ich gern
tun, aber sagen Sie mir doch bitte, wo mein Licht ist.«
Eisiges Schweigen, jeder drehte sich zu mir um. »Um
Himmels willen! Sie tun so, als hätten Sie noch nie fürs
Fernsehen gearbeitet!«
»Das habe ich auch nicht«, mußte ich mit einem dummen
Lächeln zugeben.
Ich bin davon überzeugt, daß Vince seine Bemerkung
rhetorisch gemeint hatte, und so kam meine Antwort völlig
überraschend. Die Stammbesetzung der Serie und die Crew
kicherten leise, obwohl da noch nicht ersichtlich wurde, über
wen sie lachten.
»Das ist Ihre erste…«, stieß Vince hervor.
Ich fühlte mich auf ganzer Linie wie eine Amateurin. »Nun,
ich habe in Porgy and Bess gesungen und getanzt«, sagte ich.
»Ich habe auch viel Theater gespielt, aber das hier ist meine
erste Sprechrolle – im Film, meine ich.« Unfähig, die Tränen
länger zurückzuhalten, wandte ich mich ab, aber dann merkte
ich, daß Vince ebenfalls Tränen in den Augen hatte. Er stieß
einen Jubelschrei aus und lachte herzlich. »Fünfzehn Minuten
Pause, Leute«, rief er dann. Er legte den Arm um mich und
sagte sanft: »Kommen Sie her, kleine Lady.«
Wir gingen an die frische Luft und setzten uns auf einen
kleinen, grasbewachsenen Hügel, während die Crew die Szene
wieder herrichtete. »Wir arbeiten jetzt fast schon eine ganze
Woche«, sagte Vince lachend. »Kleine, Sie sind so gut, keiner
von uns hätte gedacht, daß Sie sich mit dem Licht nicht
auskennen. Wir dachten, Sie würden die anderen Schauspieler
absichtlich in den Hintergrund drängen wollen.« Ich fing an,
mich zu entspannen. In wenigen Tagen brachte mir Vince viel
über die Arbeit vor und hinter der Kamera bei. Ich habe
jedenfalls nie weder mein Licht vergessen.
Da die letzten Szenen in der Nacht gedreht wurden und ich
mich mittlerweile für einen erfahrenen Profi hielt, fühlte ich
mich zuversichtlich und war fest davon überzeugt, keine
weiteren peinlichen Momente mehr zu erleben. Da hatte ich
mich geirrt. In der nächsten Szene sollte ich meinem Verlobten
ein Ultimatum stellen: Entweder er bekommt seinen Zorn unter
Kontrolle, oder ich verlasse ihn. Die Szene endete mit einer
dramatischen Einstellung: Ich stieg ins Auto und fuhr los. Kein
Problem, bis auf eine Kleinigkeit. Der Wagen, ein uralter Ford
aus den Vierzigern, hatte eine Gangschaltung. Mein Vater
hatte mir einmal die Feinheiten der Gangschaltung erklärt, aber
ich hatte sie nie ausprobiert. Ich fing an zu verzweifeln und
glaubte das einsetzende Gekicher schon zu hören. Um die
Sache noch schlimmer zu machen, lenkte mich ein unheimlich
aussehender Kerl mit einer großen Hakennase ab, der schon
vorher am Set herumgelungert war.
Mittlerweile war es früher Abend, und bis auf das Licht am
Set war es bereits ziemlich dunkel. Ich versuchte mich auf das
Fahren mit der verdammten Kupplung zu konzentrieren, da die
Einstellung mit meiner Fahrt dran war, doch der seltsame
Fremde lenkte mich ständig ab. Er trieb sich in meiner Nähe
herum, versuchte Konversation zu betreiben und kam mir so
nahe, daß sein formloser Tweedmantel und seine stinkenden
Zigaretten mir den Atem zu rauben drohten. Höflich erklärte
ich, ich hätte Text zu lernen und er möchte mich doch bitte in
Ruhe lassen, aber er ließ sich nicht erweichen. Als ich es nicht
länger ertragen konnte, beschwerte ich mich bei
Regieassistenten.
»Ach, der ist harmlos«, erwidert er. »Ein Verwandter des
Produzenten. Der hängt immer am Set herum, wenn ein
hübsches Mädchen da ist. Ignorieren Sie ihn einfach.«
Es war nicht leicht, aber es wäre mir beinahe gelungen, ihn
zu vergessen, bis er mir wieder zu nahe kam. Es reichte! Es
war mir verdammt noch mal egal, mit wem der lästige Kerl
verwandt war. Ich fuhr mit erhobener Faust herum und hätte
ihm beinahe mitten eins auf die Nase gegeben, als mir an ihm
eine andere Seltsamkeit auffiel. Nur bei einer einzigen anderen
Gelegenheit hatte ich jemanden gesehen, der seine Zigarette
zwischen Mittel- und Ringfinger hielt, und das war Anfang der
Woche während der kurzen Begegnung mit dem Erfinder der
Serie gewesen.
»Mr. Roddenberry!« kreischte ich.
»Schnitt!« brüllte Vince.
O mein Gott! Ich habe schon wieder eine Einstellung
ruiniert, dachte ich. Ich werde in dieser Stadt nie wieder Arbeit
finden! Während ich darauf wartete, daß Vince mich zur
Schnecke machte, brachen Stammbesetzung und Crew in
Gelächter aus, als der vermeintliche Fremde sich die große,
falsche Nase und die Perücke abriß und sich in Gene
Roddenberry verwandelte. Das war meine erste Erfahrung –
und bei weitem nicht die letzte – mit Genes sorgfältig
geplanten und minutiös ausgeführten Scherzen. Da ich keine
Spielverderberin und außerdem so erleichtert war, daß ich
hätte weinen können, stimmte ich in das Lachen ein, obwohl
ich tief in meinem Inneren jeden hätte erwürgen können. Und
Gene an erster Stelle.
So begann die lange und faszinierende Beziehung mit dem
Mann, der als Great Bird of the Galaxy bekannt werden würde
und der mein Leben verändern sollte. Er war hochgewachsen,
über ein Meter achtzig groß, auf herbe Weise gutaussehend,
mit blauen Augen, die direkt durch einen hindurch zu sehen
schienen. Er war unberechenbar, phantasievoll, entschlossen,
besitzergreifend und konnte einen mühelos zur Weißglut
bringen. Er war auch nett, charmant, sanft, großzügig und
immens sinnlich. Er war ein typischer Löwe (o Gott, ein
weiterer Löwe!) und verfügte über die zu seinem Sternbild
gehörende Leidenschaft und den Mut, zu seinen
Überzeugungen zu stehen. Seine Lebenslust war unersättlich.
Er gehörte zu den interessantesten Menschen, die ich je
kennengelernt habe, und während der ganzen Jahre bin ich
immer stolz darauf gewesen, ihn einen Freund nennen zu
können.
»Ich möchte mich wirklich bei Ihnen entschuldigen«, sagte
Gene am nächsten Tag. »Darf ich Sie zum Essen einladen?«
Und das war der wahre Anfang für uns. Dieser Mann ist
wirklich unglaublich, dachte ich im stillen. Dabei wußte ich
nicht einmal die Hälfte…

Eugene Wesley Roddenberry wurde 1921 in Texas geboren. Er


war noch ein Baby, als seine Eltern nach Los Angeles zogen,
wo sein Vater – den er später als bigott beschrieb – beim Los
Angeles Police Department arbeitete. Gene und zwei jüngere
Geschwister, ein Bruder und eine Schwester, wuchsen in
einem Elternhaus auf, wo man sich streng an die Regeln der
Baptisten hielt. Aber kurz nachdem Gene zum Teenager
herangereift war, fing er an, den Glauben seiner Eltern in Frage
zu stellen, und bald darauf den anderer Menschen auch. Er war
ein kränkliches Kind gewesen, das sich die Zeit oft mit Lesen
vertrieb; da vor allem mit Science Fiktion.
Bevor Gene schließlich professioneller Autor wurde, diente
er im Zweiten Weltkrieg als Bomberpilot und flog eine B-17,
arbeitete als Pilot für Pan Am (er überlebte 1947 einen
Absturz, der vierzehn Tote forderte) und als Motorradpolizist
des LAPD. Jedoch war es sein Traum, fürs Fernsehen zu
schreiben. Eines Tages in den Fünfzigern hatte Gene endgültig
genug von den Agenten, die seine Arbeiten entweder
ignorierten oder ablehnten, und er brauste auf seinem Motorrad
zum Cock and Bull, einem Restaurant in Hollywood, das für
seine Gäste aus dem Showbiz berühmt war. In der vollen
Montur eines Motorradpolizisten, komplett mit verspiegelter
Sonnenbrille und schwarzen Lederstiefeln, brachte er seine
Maschine vor dem Eingang zum Stehen und ließ den Motor so
laut aufheulen, daß alle Gäste aufschauten, was da los war.
Gene stieg ab und ging zur Bar, die Sonne im Rücken. »Sind
Sie Irving Lazar?« fragte er laut.
Hollywoods mächtigster Agent, besser bekannt unter dem
Namen Swifty Lazar – der flinke Lazar – nickte, und Gene
warf ihm eines seiner Drehbücher auf den Tisch und befahl
ihm, es zu lesen. Der verblüffte Lazar, der Gene zumindest für
seinen Mut bewunderte, las es tatsächlich. Als Gene mir die
Geschichte Jahre später erzählte, fügte er hinzu, es sei der
schrecklichste Augenblick seines Lebens gewesen, da er
wußte, daß alles, was er sich je erhoffte, von ihm abhing. Doch
innerhalb kürzester Zeit hatte Gene einen Top-Agenten und
schrieb Drehbücher für eine Vielzahl von Fernsehserien wie
Naked City, Have Gun Will Travel, Highway Patrol und Dr.
Kildare. Schließlich verdiente Gene genug Geld, um die
Polizei verlassen und sich auf seine Leidenschaft konzentrieren
zu können.
So um 1962 versuchte Gene seine erste eigene Serie zu
verkaufen, 333 Montgomery, mit DeForest Kelley in der
Hauptrolle als berühmter Strafverteidiger. Doch der Pilotfilm
setzte sich nicht durch, genausowenig wie die folgenden
Pilotfilme Defiance County und APO-923, eine Geschichte
über den Zweiten Weltkrieg. Deshalb entschloß sich Gene,
nicht nur als Autor zu arbeiten, sondern auch als Produzent,
damit er die Kontrolle über seine Arbeit behielt. Etwa ein Jahr
später verkaufte Gene seine erste Serie The Lieutenant, die
einzige, die er produzieren sollte, bis man 1966 grünes Licht
für Star Trek gab.
Bei den Dreharbeiten für The Lieutenant erlebte ich, wie
kompromißlos er seiner Arbeit ergeben war und welchen
Tribut die absolute Hingabe an seine Überzeugungen von ihm
forderte. Im Laufe der Zeit ist so viel über Gene geschrieben
und gesagt worden. Daß er in anderen solch starke Gefühle
hervorrief, lag vielleicht an seinem vielschichtigen Wesen und
der Sturheit, mit der er an seinen Überzeugungen festhielt.
Wenn man ihn mochte, dann liebte man ihn, und zwar mit
allem Drum und Dran. Diejenigen, die eine andere Meinung
von ihm hatten, versuchten, ihn zu vernichten, zu seinen
Lebzeiten wie nach seinem Tod.
Gene Roddenberry gehörte – was man ihm hoch anrechnen
muß – zu den wenigen Menschen, die ich kenne und die ohne
Einschränkungen an ihren Prinzipien festhielten. Mehr als alles
andere war Gene ein Philosoph, ein Mann, der sich genötigt
sah, seine einzigartige moralische Vision der Zukunft der
Menschheit mit der Welt zu teilen. Zu einer anderen Zeit oder
an einem anderem Ort wäre er vielleicht ein großer Lehrer der
Geschichte oder Philosophie geworden. Aber in der Mitte des
zwanzigsten Jahrhunderts suchte er instinktiv Zugang zu dem
mächtigsten Kommunikationsmittel in der Geschichte: dem
Fernsehen.
Als wir uns kennenlernten, war Gene verheiratet, doch die
Ehe war unglücklich, eine Situation, die er nur wegen der
Kinder ertrug. Unsere anfängliche Beziehung, eine enge
Freundschaft, begann zwanglos. Seine Büros befanden sich auf
dem Studiogelände von MGM, und nach dem Auftritt in The
Lieutenant hielt ich mich oft dort auf, entweder um mich um
Rollen zu bewerben oder um zu arbeiten. Ich stattete ihm einen
Besuch ab, einfach nur um hallo zu sagen. Gelegentlich aßen
wir zu Mittag, und es dauerte nicht lange, und ich traf ihn
immer häufiger. Ich habe viele schöne Erinnerungen an lange
Spaziergänge am Strand; an wundervolle, völlig verrückte
spontane Flüge nur zum Mittagessen nach Palm Springs oder
Santa Barbara mit Gene am Steuerknüppel, an haarsträubende
wilde Motorradfahrten durch den Benedict Canyon, wobei ich
mich an seiner Taille festklammerte. Gene genoß das Leben,
und er sorgte dafür, daß man ebenso empfand. Ich liebte jede
Minute davon.
The Lieutenant hielt sich nur eine Season lang, aber schon
bevor die Serie endete, entwickelte Gene bereits neue Ideen,
die er produzieren wollte. Die Sender lehnten zwei Konzepte
mit der Begründung ab, sie seien ›zu intellektuell‹. Wie jeder
andere auch erkannte und verstand Gene die Grenzen des
kommerziellen Fernsehens und der Bosse aus den Chefetagen
der Sender, die entschlossen schienen, den Status quo zu
bewahren. Selbst während des sogenannten ›Goldenen
Zeitalter‹ des Fernsehens, wie wir es heute nostalgisch nennen,
orientierten sich die Sender und anderen Mächte im
Hintergrund an einem allgemeingültigen, möglichst niedrigen
Standard. Es war der Widerstand der Industrie gegenüber
Veränderungen und Herausforderungen, der Gene dazu
antrieb, sich dem System zu widersetzen, Serien zu schreiben
und zu produzieren, die seine Ideen und Vorstellungen
ausdrückten.
Als ich Gene kennenlernte, keimten in ihm bereits die ersten
Ideen zu Star Trek. Und obwohl wir uns nicht besonders
ausführlich über seine Vorstellungen zu seinem Projekt
unterhielten, das er ›als eine Art Wagon Train zu den Sternen
beschrieb‹, so bemerkte er bei mehreren Gelegenheiten, er
habe eine Idee im Kopf, die bestimmt Wirklichkeit werden
würde. »Und wenn das geschieht, wird da eine wichtige Rolle
auf dich warten.«
»Es ist ein Film, richtig?« fragte ich.
»Nein«, erwiderte er geheimnisvoll. »Aber du wirst es schon
herausfinden.«
Da Hollywood in gewisser Weise noch immer neu für mich
und ich recht naiv war, was den hiesigen Gang der Dinge
betraf, saß ich wochenlang neben dem Telefon, bevor ich
begriff, daß sich Genes Bemerkungen auf etwas bezogen
hatten, das zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als ein Traum war.
Aber was für ein Traum.
Eine dauerhafte Konstante unserer Beziehung war das Teilen
und die Erforschung neuer Ideen. Wir verbrachten zahllose
Stunden damit, über alles mögliche zu sprechen, von der
Bürgerrechtsbewegung und dem Feminismus bis hin zur
Realisierbarkeit der bemannten Raumfahrt. Gene nahm nichts
als gegeben hin, und wenn man seine Meinung zum Ausdruck
brachte, mußte man bereit sein, sie auch zu verteidigen. Er
konnte unerträglich provokant sein, wenn es um gewisse
Themen ging, war aber stets bereit, gut begründete Meinungen
anzuerkennen. Ein Thema, über das wir uns oft unterhielten,
war die Existenz Gottes.
»Gott ist wissenschaftlich nicht zu definieren«, pflegte Gene
zu sagen.
»Aber der Beweis für Gottes Existenz begegnet dir jeden
Tag«, beharrte ich auf meiner Meinung. »Ein Kind wird
geboren; das ist ein Wunder. Oder ein Düsenflugzeug erhebt
sich in die Luft; das ist ein Wunder.«
»Nein, das sind Biologie und Aerodynamik.«
»Nein!« hielt ich dagegen. »Stahl, der durch die Luft fliegt?
Das ist ein Wunder. Und das ist Gott.«
Gene lachte. »Ich muß dir sagen, deine Gedanken gehen
seltsame Wege, und ich mag dich sogar, wenn ich dir nicht
zustimme.«
Mit seiner leisen, sanften Stimme und seiner Intensität konnte
Gene einen mit seinem Blick gefangennehmen und an seinen
Träumen teilhaben lassen. Ich kam nicht dagegen an, und es
dauerte nicht lange, und wir verliebten uns ineinander – trotz
unserer Lebensumstände. Egal, was einige Leute heute auch
behaupten, unsere Romanze blieb Jahrzehntelang ein
Geheimnis. Erst wenige Jahre vor Genes Tod wurde es
allgemein in Trek-Kreisen bekannt. Bis zu diesem Zeitpunkt
waren sowohl er als auch ich aus gegenseitigem Respekt und
wegen der wichtigen Leute in unser beider Leben
außerordentlich diskret gewesen. Unsere Beziehung war lange
vor Star Trek vorbei, und mit Ausnahme von Majel Barrett
(was eine Geschichte für sich ist) kam keiner der Beteiligten
auch nur auf die Idee, wir könnten uns von früher her kennen.
Trotz meiner Liebe und Bewunderung für Gene fühlte ich,
daß es für uns keine gemeinsame Zukunft gab. Ich weiß nicht,
warum ich so fühlte – nennen wir es einfach Intuition. Seine
Scheidung war noch nicht rechtskräftig, und obwohl er jede
Form von Rassismus vehement öffentlich brandmarkte, lebten
wir in einer Zeit, in der die Filmindustrie gemischtrassige
Paare milde ausgedrückt nicht gerade mit offenen Armen
willkommen hieß. Wir hatten mehrmals über diesen Aspekt
unserer Beziehung gesprochen. Er ähnelte stark meinem
Großvater Samuel G. Nichols, als er verkündete, es würde
verdammt noch mal niemanden etwas angehen, was er tat und
wen er liebte. Ich wußte, daß Gene im Falle einer Heirat
niemals zurückgeblickt hätte. Für mich hätte es auch kein
großes Problem dargestellt, doch ich war nicht so idealistisch,
um mir einreden zu können, man würde uns auf Rosen betten.
Glücklicherweise – oder unglücklicherweise – verschworen
sich die Umstände derart, daß uns diese Entscheidung aus den
Händen genommen wurde. Nachdem unsere Beziehung einige
Monate lief – sie war in dieser Zeit auf eine unbehagliche Art
und Weise intensiv geworden –, holte mich Gene eines Tages
zum Essen ab. »Es gibt da eine sehr wichtige Person, die ich
dir vorstellen möchte«, verkündete er mit einer für ihn
uncharakteristischen Nervosität.
»Okay«, sagte ich, fand seine Stimmung aber irgendwie
seltsam.
»Wo fahren wir hin?« fragte ich, als wir in eine der Straßen
einbogen, die sich durch die Hollywood Hills schlängelten. Er
wich der Frage aus, und als wir uns Laurel Canyon näherten,
drängte sich mir der entschiedene Eindruck auf, daß unser
Besuch keinem Regisseur, Produzenten oder einem von Genes
Freunden galt. Es handelte sich um eine Frau.
»Da gibt es etwas, das du mir verschwiegen hast. Stimmt’s?«
fragte ich geradeheraus.
»Ja«, erwiderte er angespannt, als wir in eine Auffahrt
einbogen.
Gene betätigte die Klingel; die Zeit, die wir warteten, fühlte
sich wie ein Ewigkeit an, und ich wußte nicht, was ich fühlen
sollte. Die Tür öffnete sich, und tatsächlich stand eine Frau vor
uns. Eine schöne Frau, mit großen grauen Augen und dichtem,
schwarzem Haar. Wir starrten einander ungläubig an.
»Majel?« fragte ich.
»Nichelle?«
Wir starrten uns noch ein paar Sekunden lang an, dann
mußten wir lachen und umarmten uns. Man kann sich sicher
vorstellen, was dem armen Gene in diesem Augenblick durch
den Kopf ging.
»Ihr kennt euch?« fragte er fassungslos.
»Was tun Sie hier, Nichelle?« fragte sie und ignorierte Gene.
»Was tun Sie hier?«
»Ich wohne hier! Kommen Sie rein.«
Wir verbrachten den Nachmittag zusammen, unterhielten uns
bei ein paar Drinks, lachten, schätzten einander ein. Die Frage,
was das alles zu bedeuten hatte, machte Majel offensichtlich zu
schaffen, aber wir überspielten unser jeweiliges Unbehagen.
Ich erzählte Gene, daß wir uns bei dem Vorsprechen für The
Singing Nun kennengelernt hatten, und danach sprachen wir
über alles, was uns in den Sinn kam – nur nicht über unsere
Ängste. Als wir uns verabschiedeten, sagte ich Majel, es sei
schön gewesen, sie mal wiederzusehen. Das meinte ich sogar
ernst, obwohl ich ernsthaft verstört war, da ich erkannt hatte,
welche tiefen Gefühle diese Frau Gene entgegenbrachte.
Und ich war schrecklich wütend auf ihn, daß er eine Situation
provoziert hatte, die für alle Beteiligten ohne weiteres peinlich
und schmerzhaft hätte werden können. Im Auto schrie ich ihn
an. »Gene, warum hast du das getan?«
»Ich wußte mir nicht anders zu helfen«, antwortete er leise.
»Ich konnte nicht länger hinter euren Rücken weitermachen.
Dazu liebe ich euch beide viel zu sehr. Mir fiel keine andere
Möglichkeit ein, um den beiden Frauen, die ich liebe, vor
Augen zu führen, daß ich in zwei Frauen gleichzeitig verliebt
bin.«
Genes Verwirrung und Schmerz schafften es tatsächlich,
mich zu rühren; bei solchen Gelegenheiten war er immer wie
ein kleiner Junge. Doch er hatte es noch nicht hinter sich
gebracht. »Du mußt etwas unternehmen«, sagte ich. »Erstens
hast du drei Frauen…«
»Nein«, warf er ein. »Zwei Frauen. Die Scheidung ist nur
noch eine Frage der Zeit. Ich habe kein Familienleben.«
»Du mußt dich entscheiden, Gene. Ich kann so nicht
weitermachen.«
»Ich kann diese Wahl aber nicht treffen«, protestierte er.
Mir war klar: Das letzte, was Gene wollte, war, eine von uns
beiden zu verletzen. Aber mir war auch klar, daß er sich seine
Wünsche erfüllen wollte, und es war vorstellbar, daß diese
Dreiecksgeschichte auf unbestimmte Zeit weiterlief. Ich liebte
Gene, aber die Situation war einfach unhaltbar. Vielleicht war
es mein Ego, vielleicht mein Engagement für meine Karriere –
ich weiß es nicht. Ich wußte nur, daß Gene die Entscheidung
mir überließ, und ich hatte keine andere Wahl, als die
Beziehung zu beenden. Aus Achtung Majel gegenüber, die,
wie ich bald feststellte, Gene über alle Maßen ergeben war,
und um meiner eigenen Rettung willen, denn ich konnte nicht
›die andere Frau‹ sein. Und so ergriff ich die Flucht.
Typischerweise konnte Gene nicht akzeptieren, daß ich ihn
abwies.
»Wie kannst du so etwas tun? Wie kannst du dich einfach
abwenden und gehen?« fragte er mich mehrmals. Sicher, es
war nicht einfach. Es brach mir das Herz. Aber es war auch
nicht das Ende der Welt. Gene hat nie so richtig verstehen
können, daß ich ihn einfach verlassen und ohne ihn
weiterleben konnte.

Egal, welche Form unsere persönliche Beziehung auch hatte,


Gene glaubte an mich. Kurz nach meiner Rolle in The
Lieutenant machte er einige MGM-Geschäftsführer auf mich
aufmerksam. Die großen Studios hatten kaum schwarze
Schauspielerinnen unter Vertrag; die wenigen Ausnahmen
waren Lena Horne, Ruby Dee und später dann vielleicht noch
Dorothy Dandridge. Darum war ich überrascht, als MGM mir
ein Angebot machte. Für eine junge, unerfahrene
Schauspielerin, wie ich es war, war der Vertrag, den mir das
Studio nach Begutachtung meiner Leinwandtests anbot, wie
etwas aus meinen wildesten Träumen: für eine Dauer von
sieben Jahren 750 Dollar die Woche mit einer Option für eine
Verlängerung; täglich Stimm-, Tanz- und Schauspielunterricht;
von der großen Edith Head angefertigte Garderobe;
persönliche Betreuung durch den legendären Friseur Sydney
Guilaroff.
Ein Studiovertreter setzte sich besonders für den Vertrag ein.
Sein Name tut hier nichts zur Sache, da er noch immer in
diesem Geschäft arbeitet und seine Frau und seine Kinder
ebenfalls berühmt sind. Nennen wir ihn Mr. X. Von unserer
ersten Begegnung an und während der ›Werbung‹ verstanden
wir einander sehr gut. Er war sehr attraktiv und charmant, und
ich fühlte mich durchaus von ihm angezogen. Da ich aber in
Gene verliebt war, ließ ich es dabei bewenden. Ich wäre auch
nie auf die Idee gekommen, daß hinter seiner Flirterei mehr als
die übliche, bedeutungslose Hollywoodmanier steckte. Darum
dachte ich mir auch nichts dabei, als er eines Morgens anrief,
um mir mitzuteilen, daß der Termin, bei dem meine Agenten
und ich in seinem Büro den Vertrag unterzeichnen sollten, ein
paar Stunden vorgezogen worden sei.
Ich kämmte die hübsche neue Guliaroff-Frisur aus, zog ein
schickes neues schwarzes Kostüm an, suchte eine passende
Krokodilledertasche und Schuhe heraus – alles von MGM zur
Verfügung gestellt – und ging aus der Wohnungstür. Dabei
schwebte ich auf Wolken. Heute war der Tag, an dem sich
mein Leben für immer verändern würde.
Ich war schon öfter wegen Geschäftsterminen in seinem Büro
gewesen, und so fand ich es seltsam, daß seine Sekretärinnen,
die mich gewöhnlich freundlich begrüßten, so formell waren
und meinen Blick mieden. Als ich sein aufwendiges Büro
betreten hatte, fand ich sehr schnell den Grund dafür heraus.
Meine Agenten waren noch nicht anwesend, aber da ich
annahm, sie würden jede Minute eintreffen, fingen wir schon
einmal an. Mr. X. ging die Vertragsbedingungen mit mir
durch. Als er fertig war, sagte er in deutlichen Worten, worin
die letzte, schriftlich nicht festgehaltene Bedingung bestünde:
Ich sollte mit ihm schlafen.
»Ich war der Meinung, dieser Vertrag gründet sich auf mein
Talent als Künstlerin«, sagte ich ungläubig.
»Oh, das ist auch richtig«, versicherte er mir. »Ich will bloß
sichergehen, daß wir beide die Bedingungen auch genau
verstehen.«
»Dann stellen Sie die Besetzungscouch zwischen mich und
diesen Vertrag?« fragte ich, den Tränen nahe. »Geht es
darum?«
»Sie müssen das verstehen, ich bete Sie an«, erwiderte er und
zuckte dann kaum merklich mit den Schultern, als wollte er
sagen: Hey, ist doch ein gutes Geschäft.
Die Zeit schien stehenzubleiben, und mir wurde kalt. Es war,
als sei ich plötzlich wieder in Kanada. Ich blickte mich in
seinem luxuriös ausgestatteten Büro um, das ich so bewundert
hatte, und dachte an all die Träume, in denen ich geschwelgt
hatte. Ich könnte mir eine Privatschule für meinen
außergewöhnlich begabten Sohn leisten. Ich könnte meinen
klapprigen Renault ersetzen, die Miete pünktlich zahlen,
möglicherweise meiner Mutter sogar ein eigenes Haus kaufen.
Dann dachte ich daran, was der Vertrag für mich bedeutete:
Starruhm, Sicherheit, die Gelegenheit, mich der Welt von
meiner besten Seite zu zeigen. Ich fühlte meine Karriere wie
Quecksilber durch meine Hände rinnen. Der ganze Glamour
verblaßte vor meinen Augen. Leider wußte ich, was ich zu tun
hatte.
»Okay«, sagte ich mit einer Stimme, die jemand anders zu
gehören schien. »Ich schlage Ihnen einen Handel vor.«
Er lehnte sich mit einem erwartungsvollen Grinsen vor.
»Mit diesem Vertrag können Sie mein Talent kaufen. Oder
meinen Körper. Aber ich will verdammt sein, wenn Sie beides
kriegen, Sie Bastard!«
Ich stand auf, setzte einen Fuß vor den anderen, ohne
eigentlich zu wissen, wie ich das schaffte, verließ das Büro und
knallte hinter mir die schwere Tür zu. Ein Blick durch das
Vorzimmer verriet mir, daß die Sekretärinnen uns entweder
gehört oder so etwas schon viele Male erlebt hatten;
vermutlich traf beides zu. »Gott segne Sie, Miss Nichols«,
sagte eine der Frauen leise, als ich wütend vorbeimarschierte
und nicht wagte, jemanden anzusehen.
Ich durchquerte die Lobby und starrte stur geradeaus; es
kostete meine ganze Kraft, nicht in Tränen auszubrechen.
Wage es ja nicht, befahl ich mir. Als ich den Ausgang
erreichte, kamen mir meine Agenten Hy Sieger und Harry
Lipton auf der Treppe entgegen.
»Hi, Babe«, sagte Hy fröhlich.
Natürlich hatten sie nichts von der Vorverlegung des Termins
gewußt, und als ich ihnen erzählte, was passiert war, stürmte
Hy wütend an uns vorbei, um Mr. X eine Abreibung zu
verpassen. Es kostete Harry und mich einige Mühe, ihn davon
abzuhalten. Nachdem die beiden mich getröstet und wieder
etwas aufgebaut hatten – was in diesem Augenblick wirklich
gut tat –, luden sie mich zum Mittagessen ein, damit wir uns in
Ruhe über unsere Möglichkeiten unterhalten konnten.
»Wo möchtest du hin?« fragten sie.
»Zur MGM-Kantine«, erwiderte ich.
Hy und Harry nahmen meine Wahl überrascht und mit einem
gewissen Unbehagen zur Kenntnis, aber ihnen gefiel meine
Chuzpe, wie Harry es nannte. Anscheinend hatte sich die
Neuigkeit über Mr. X’ Zurückweisung wie ein Lauffeuer auf
dem ganzen Gelände verbreitet, denn als wir in der Kantine zu
unserem Tisch gingen, spürte ich, daß alle Blicke auf mir
ruhten. Ich ging mit hocherhobenem Kopf. Egal, was ich
verloren hatte – und Sie können mir glauben, ich habe damals
viel verloren –, es sollte seine Schande sein, nicht meine.
Als wir uns gesetzt hatten, kamen mehrere Produzenten,
Regisseure und Agenten an den Tisch, um Hy, Harry und
mich, ihre so tapfere Klientin, zu beglückwünschen. Bald hatte
es sich in der ganzen Stadt herumgesprochen; es dauerte nicht
lange, und unabhängige Produzenten, von denen einige Mr. X
einfach nur nicht ausstehen konnten, engagierten mich für ihre
Filme. Die Filmindustrie hat ihre eigenen Methoden, um für
Gerechtigkeit zu sorgen. Ich spielte mit Ann Margret in Made
in Paris und an der Seite von James Garner in Mister
Buddwing; bald darauf kam ich für Nebenrollen in Betracht,
von denen ich vorher höchstens geträumt hatte.
Ja, ich war zu stolz, um mich zu erniedrigen, aber ich muß
zugeben, daß ich diesem Vertrag noch Monate nachweinte.
Jedesmal, wenn Kyle etwas brauchte, was ich mir nicht leisten
konnte, wenn mein kleiner Wagen nicht anspringen wollte
oder mein Konto am Monatsende nicht ausgeglichen war,
hörte ich den kleinen Teufel in meinem Kopf, der mich
ausschimpfte. Du dummes Huhn! Er gefiel dir doch. Und wenn
du mit ihm geschlafen hättest? Was wäre daran so schlimm
gewesen?
Aber ich wußte, was daran so schlimm gewesen wäre: Ich
war es, der morgens aufstehen und sich im Spiegel betrachten,
der meinem Sohn und meiner Familie in die Augen sehen
mußte. Ich mußte darauf stolz sein, wer und was ich war. Bis
zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich für keinen verdammten Job
verkauft, und ich hatte auch nicht vor, damit jetzt anzufangen.

Dennoch mußte ich die Miete bezahlen. Nun, da war ja noch


immer meinen Gesang, auf den ich zurückgreifen konnte; also
packte ich zögernd die Koffer und ging auf Tournee. Nur, daß
es diesmal nach England und Europa ging. Ich hatte gerade ein
wunderbares Engagement in London beendet und war in Paris,
wo ein charmanter italienischer Textilhändler mir das Angebot
machte, mir die Sehenswürdigkeiten zu zeigen, während ich
auf ein paar Freunde wartete. Ich hatte in der Stadt der Lichter
noch nicht einmal ausgepackt, als man mir aus London ein
paar Telegramme nachschickte. »Komm sofort nach Hause«,
schrieb mein Agent. »Komme sofort heim. Ruf mich sofort an.
Sie machen Star Trek«, lautete das nächste.
Star was? dachte ich. Als ich Hy endlich am Apparat hatte,
beschwor er mich, sofort nach Hause zu kommen.
»Aber warum denn?« fragte ich. »Hör zu, Hy, ich habe sehr
hart gearbeitet und verlebe in Paris einen wunderschönen
Urlaub. Und ein Mann, dem in Kitzbühel ein Schloß gehört,
hat mich dorthin zum Skifahren eingeladen. Wir wollen alle
fahren, doch davon abgesehen sehe ich nicht ein, warum ich zu
einem Vorstellungstermin für eine Rolle kommen soll, die ich
vermutlich sowieso nicht bekomme.« Hy wußte, daß ich etwas
entmutigt war, da ich mehrere Rollen, für die ich mich
beworben hatte, nicht bekommen hatte. Er hatte es mir
geduldig erklärt: Auch wenn es großartig war, daß man mich
neben etablierten, erfolgreichen Schauspielerinnen einsetzen
wollte, würde der große Durchbruch einige Zeit auf sich
warten lassen. Das hatte ich auch begriffen, aber als ich die
berühmten Nächte von Paris gegen die nächste Enttäuschung
abwog, verspürte ich keine große Lust, nach Hause
zurückzukehren.
»Nichelle«, sagte Hy, »setz dich ins Flugzeug! Oder ich
komme dich holen!«
»Aber, Hy…« Hy Sieger war kein Mann, der ein Nein als
Antwort gelten ließ.
»Okay, ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen
kannst.«
»Nur zu«, forderte ich ihn heraus.
»Beim Schalter der Air France wird ein Rückflugtickett
Erster Klasse für dich bereitliegen. Du steigst morgen in das
Flugzeug. Dann schaffst du deinen kleinen braunen Hintern
hierher, und wenn du die Rolle nicht bekommst, fliegst du auf
meine Kosten wieder zurück.
Das hier ist wichtig«, fügte er hinzu. »Ich weiß, daß du die
Rolle kriegen wirst.«
Das Angebot konnte ich tatsächlich nicht ablehnen. Natürlich
konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, daß es das
Raumschiff Enterprise kaum aus dem Raumdock geschafft
hatte, bevor es in die erste Subraum-Turbulenz geriet. Oder,
um es in irdischen Begriffen auszudrücken: bevor es Probleme
mit den Verantwortlichen des Senders bekam. Kurz nachdem
ich Gene verlassen hatte, hatte er begonnen, die Idee einer
futuristischen wöchentlichen Fernsehserie anzubieten, in der
eine Mannschaft auf einer Mission den Weltraum bereiste, um
nun in Galaxien vorzudringen, die noch nie ein Mensch zuvor
gesehen hat. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Science Fiction-
Filme und zukunftsorientierten Fernsehserien vor Star Trek
(vielleicht mit Ausnahme von The Twilight Zone) war diese
Serie zu hundert Prozent Roddenberry. Es ging weniger um
Wissenschaft und Spezialeffekte als um den Menschen, mehr
um die Gegenwart als um die Zukunft.
Gene war zwar ein Fan gutgeschriebener Science Fiction,
aber er sah sich nicht als SF-Autor. Doch die Erfahrung hatte
ihn gelehrt, daß die Darstellung universeller philosophischer
und moralischer Dilemmas in einem vertrauten
zeitgenössischem Rahmen – wie beispielsweise in der Serie
The Lieutenant – zu nahe an der täglichen Realität angesiedelt
war. Die Zukunft hingegen war als Handlungsort wie
geschaffen für eine nachdenkliche und idealistische Serie, wie
sie Gene im Kopf hatte. Sie war unbekannt und
unvorhersehbar und bot deshalb unendliche Möglichkeiten für
die Entwicklung von Charakteren und Plotideen. So boten sich
bei Mr. Spock Themen wie seine gemischtrassige Herkunft
(zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Vulkanier), die Probleme der
Mischehe seiner Eltern (die der Sender verabscheute) oder die
Ablehnung durch Spocks Vater wegen seiner ›menschlichen‹
Eigenschaften an. Rassenunterschiede, Rassismus – egal, wie
man es auch nennt, Gene erschuf mit Star Trek eine
multidimensionale, multikulturelle Metapher, die ein breites
Spektrum bot und mit deren Hilfe er seine persönlichen,
progressiven Ideale ausdrücken konnte. Es wären die gleichen
Geschichten mit den gleichen Aussagen gewesen, wäre Spock
das Mischlingskind eines schwarzen und eines weißen
Elternteils in den Sechzigern gewesen. Nur daß die Serie dann
niemals produziert worden wäre.
Jeder hätte eine Gruppe von Charakteren erfinden, sie jede
Woche mit einer neuen Herausforderung konfrontieren und sie
diesseits und jenseits der Föderation der Vereinigten Planeten
schicken können. Tatsächlich geschah dies auch in einigen
Serien, unter anderem in dem von CBS produzierten Lost in
Space, eine Art havariertes Father Knows Best, wo Mom dem
technischen Fortschritt zum Trotz noch immer das Abendessen
kochte. Übrigens war Gene, bevor er Star Trek an NBC
verkaufte, von ein paar CBS-Geschäftsführern eingeladen
worden, sein Konzept vorzustellen. In der Annahme, es würde
sich um eine Konferenz handeln, wo es um die Präsentation
von Ideen ging, sprach Gene in aller Ausführlichkeit darüber,
wie man eine derartige Serie angehen sollte. Die Leute von
CBS hörten genau zu, um am Ende zu enthüllen, daß sie
bereits eine Space Opera in Arbeit hatten. Gene war natürlich
wütend. Sein einziger Trost war vermutlich die Erkenntnis, daß
die Serie, die CBS für besser hielt – eben das vorhin erwähnte
Lost in Space – nur wenige seiner Ideen verwandte.
Es dauerte kein Jahr, und Gene hatte Star Trek an die Desilu
Studios verkauft, mit der Besetzung der Rollen begonnen und
die ersten Drehbücher geschrieben. Der Pilotfilm ›The Cage‹
wurde aus mehreren Gründen abgelehnt. Sieht man ihn sich
jedoch heute an, dann verkörpert er in jeder Hinsicht genau
das, was Gene mit Star Trek zu erreichen hoffte. Angesichts
der Entwicklung des Star Trek-Universums erinnert der
Pilotfilm an den Skizzenblock eines Malers oder das Tagebuch
eines Schriftstellers. Der Schauspieler Jeffrey Hunter, der kurz
zuvor in King of Kings die Rolle des Jesus Christus verkörpert
hatte, war Captain Christopher Pike; Leonard Nimoy, Gaststar
einer Episode von The Lieutenant, war Spock; Majel Barrett
spielte die Frau mit dem seltsamen Namen Nummer Eins.
Dann war da der ältere, väterliche Schiffsarzt Dr. Boyce,
gespielt von John Hoyt.
›The Cage‹ stellte die Yorktown, ihre Mission und die
wichtigsten Besatzungsmitglieder vor, und die Story war voller
aufregender Ideen und Konzepte. Das Raumschiff wird zum
Planeten Talos IV gelockt, wo eine Rasse von Telepathen vom
Aussterben bedroht ist. Ihre einzige Hoffnung zu überleben
besteht darin, einen passenden Gefährten für eine
wunderschöne menschliche Frau namens Vina – die einzige
Überlebende eines abgestürzten Raumschiffs – zu finden, mit
dem sie sich fortpflanzen kann. Indem die Talosianer Captain
Pikes Bewußtsein kontrollieren, erschaffen sie eine Reihe von
Illusionen in der Hoffnung, daß er den Widerstand einstellt,
sich von Vina verführen läßt und die Nachkommen zeugt, die
die talosianische Kultur fortführen und weiterentwickeln.
Dazu nehme man den Halbvulkanier Mr. Spock sowie eine
Frau – Nummer Eins – als Stellvertreterin des Kommandanten
(die in Genes völlig gleichberechtigter Welt als ›Sir‹
angesprochen wird) und bringe die Geschichte zu einer
intelligenten, friedlichen Lösung. So hatte man nicht nur das
Grundmuster für zahllose spätere Episoden, sondern auch die
Vorlage für die Zukunft der Zivilisation. Die NBC-Bosse
sahen sich den angeblich teuersten und originellsten Pilotfilm
aller Zeiten an und begannen mit ihrer Kritik. ›The Cage‹ war
zu originell und zu intelligent, außerdem mangelte es
entschieden an ›Action‹ (in diesem Fall ein anderes Wort für
Gewalt). Doch vor allem für zwei Charaktere konnten sie sich
überhaupt nicht erwärmen. Die Entscheidung, was sie mehr
störte, muß ihnen schwergefallen sein: den fiktiven
spitzohrigen Außerirdischen, der zu allem Überfluß auch noch
ein Mischling war (und der dem Publikum ihrer Meinung nach
Angst einflößen könnte) oder die hochbegabte Frau, die das
Schiff befehligte (die das Publikum möglicherweise als
bedrohlich empfand). Sie waren entschlossen, beide Figuren zu
eliminieren. Und so kam es zu der ersten von zahllosen
folgenden Auseinandersetzungen zwischen Gene und den
›Schlips- und Kragen-Typen‹, die für die Produktions-
überwachung von Star Trek zuständig waren.
Es war Gene völlig klar, daß er nicht an allen Fronten
gewinnen konnte, und so ließ er Nummer Eins fallen, um Mr.
Spock zu retten. »Ich mußte Kompromisse eingehen und habe
trotzdem gewonnen«, pflegte er zu scherzen. »Ich behielt den
Außerirdischen und heiratete die Frau.« Als Blondine bekam
Majel dann die Rolle der Krankenschwester Christine Chapel.
Seltsamerweise ist es dem Sender nie weiter aufgefallen, daß
dies dieselbe Schauspielerin war, die sie vorher gehaßt und
abgelehnt hatten. Captain Pike ›starb‹, nachdem Jeffrey Hunter
die Mitarbeit an einem zweiten Pilotfilm verweigerte, und
William Shatner übernahm als Captain James Kirk das
Kommando. An Bord kamen noch George Takei als Sulu,
James Doohan als Scotty, Grace Lee Whitney als Fähnrich
Janice Rand (Captain Kirks potentielle Freundin) und den
selten gesehenen und gehörten Lloyd Haynes – später
bekannter als der Star der Serie Room 222 –, der als
Kommunikationsoffizier Alden nur in dem Pilotfilm zu sehen
war.
Gene und sein Stab schrieben drei Drehbücher, aus denen
›Where No Man Has Gone Before‹ ausgewählt wurde. Und
wieder stellte das Drehbuch ein faszinierendes Problem in den
Mittelpunkt: Was geschieht, wenn ein Mann plötzlich die
Macht eines Gottes verliehen bekommt? Die Gaststars waren
Gary Lockwood (der die Hauptrolle in The Lieutenant gehabt
hatte) und Sally Kellerman. Die Episode blieb Star Treks
erhabeneren Zielen treu, machte aber ein paar Konzessionen
bei Faustkämpfen und Phaserschüssen. Und obwohl Spock
noch immer auf der Brücke war, war NBC zuversichtlich, was
Star Treks Erfolg betraf, und reservierte einen Sendeplatz im
Herbstprogramm 1966: Donnerstag, zwanzig Uhr dreißig, in
Konkurrenz zu My Three Sons und The Tammy Grimes Show.
Mein Vorsprechtermin sollte Anfang der folgenden Woche
stattfinden, und es war bereits Wochenende. Wenn Hy Sieger –
der mein Vertrauter, Svengali und ein geschätzter Freund war
– soviel Vertrauen in mich setzte, hatte ich wohl nichts zu
verlieren. Was war das Schlimmste, was passieren konnte? Ein
Freiflug nach Frankreich. Ich willigte ein, ihn in Los Angeles
zu treffen, und packte für den, wie ich annahm, kurzen
Abstecher nach Hause.
Während des Aufenthalts in Europa hatte ich viel von dem
schicken kontinentalen Stil übernommen: Kostüme von
Chanel, dramatisches Augen-Make-up, und die Frisur im
Afrostil, der in den Staaten noch nicht Fuß gefaßt hatte. Dieser
›Euro-Afro‹ war ein ganz normaler Afro, lediglich die
Koteletten waren lang und gerade, außerdem lief vorn alles auf
einen Punkt zu. Es waren die Sechziger, und da man in
Kalifornien alles etwas gelassener nahm, durfte um Gottes
willen nicht der Eindruck entstehen, man würde sich
›herausputzen‹, wenn man sich um eine Rolle bewarb. Das
hatte ich vergessen, und in dem Augenblick, in dem ich mit
meinem Pariser Chic das Vorzimmer betrat und etwa ein
Dutzend leger gekleidete Schauspielerinnen erblickte, kam mir
nur ein Gedanke. Oh-oh. Ich erntete eine Reihe kühler Blicke
und hier und da ein hämisches Grinsen.
Ein Vorsprechen war nichts Neues für mich, darum hatte ich
mir ein Buch mitgebracht, das ich in Europa entdeckt hatte,
eine zum Bestseller gewordene Abhandlung über Afrika mit
dem Titel Uhuru, die mich faszinierte. Ich machte es mir
bequem, nahm das Buch und wartete darauf, daß man mich
aufrief. Die kühlen Blicke und das hämische Lächeln
verwandelten sich in böse Blicke, als ich vor einigen anderen
an die Reihe kam.
Man führte mich in ein Zimmer, wo ich von fünf oder sechs
Männern begrüßt wurde, darunter auch der Produzent der
Serie, Gene, der hinter einem riesigen Schreibtisch saß.
»Nanu, Mr. R.«, sagte ich wirklich überrascht und leicht
erschüttert, »was tun Sie denn hier?« Mein Agent hatte im
Zusammenhang mit der Rolle Genes Namen nicht erwähnt.
»Oh, ich habe ein bißchen mit der Sache zu tun«, antwortete
er grinsend.
Ich riß mich zusammen, so gut es ging, und richtete die
Aufmerksamkeit auf die anderen Anwesenden. Es waren Joe
Sargent, der bei der ersten Episode Regie geführt hatte und es
auch noch öfter tun sollte, Bob Justman, der Co-Produzent der
Serie, Eddie Milkis und Jeff Peters. Wir plauderten eine Weile,
und jemand fragte mich nach dem Buch, das ich dabei hatte.
Als Gene und ich später über das Buch diskutierten, kam uns
die Idee, daß die Figur, die er für mich erfinden wollte, aus
Afrika stammte. Aber zur Zeit des Vorsprechens gab es Uhura
noch nicht. »Wir haben uns noch nicht entschieden, wie der
Charakter eigentlich aussehen soll«, bekam ich zu hören, als
die Zeit zum Vorsprechen gekommen war.
Sie gaben mir ein Drehbuch. Zwei von ihnen übernahmen die
Rollen von Captain Kirk und Pille, und ich las den Dialog
einer Figur namens Spock. Ich überflog das Drehbuch und war
beeindruckt; es sah nach einer guten Rolle aus, aber vieles von
der Sprache erschien mir als sehr technisch und gestelzt.
»Erzählen Sie mir doch bitte vorher etwas über diese Figur
Spock. Wie ist sie?«
»Oh, für diese Rolle sprechen Sie nicht vor. Spock ist bereits
besetzt.«
»Schade«, erwiderte ich und beneidete die Frau, die diese
großartige Rolle bekommen hatte. »Nun, egal, erzählen sie mir
trotzdem etwas über sie, damit ich ihr entspreche.«
»Wissen Sie denn gar nichts über die Serie?« fragte jemand
ungläubig.
»Nein. Ich bin gerade erst aus Europa zurückgekommen.«
»Ach so. Nun, erst einmal ist sie gar keine Sie, sondern ein
Er, und er stammt nicht von der Erde. Er ist ein Außerirdischer
mit grünem Blut und spitzen Ohren.«
»Moment mal. Wie soll ich grünes Blut und spitze Ohren
spielen?« Alles lachte. »Könnte diese Figur denn weiblich
sein?« fragte ich.
»Nun, das schon«, scherzte jemand. »Aber Leonard Nimoy
würde es nicht gefallen.«
Der Name sagte mir nichts. »Okay, wir haben einen zur
Hälfte irdischen, zur Hälfte außerirdischen Mann mit spitzen
Ohren und grünem Blut. Was soll ich damit anfangen? Wäre es
doch eine Frau, wie wäre sie dann? Abgesehen von den
Ohren? Lassen Sie mich doch so lesen, als würde die Rolle
tatsächlich von einer Frau gespielt.«
Wie ich später erfuhr, hatten sich bereits über fünfzig
Schauspielerinnen für die Rolle beworben, doch ich war die
erste gewesen, die diese Fragen gestellt hatte, und da die sich
so eröffnenden Möglichkeiten sie neugierig gemacht hatten,
drängten sie mich, doch bitte fortzufahren. »Nun, wenn Sie
nicht genau wissen, was den Charakter ausmacht, wie soll ich
es dann wissen?« fragte ich freimütig aber höflich. »Ich kann
diese Rolle auf alle möglichen Arten spielen, von Marilyn
Monroe bis Sojourner Truth. Wenn ich weiß, was den
Charakter ausmacht, können Sie sehen, ob ich schauspielern
kann und Anweisungen befolge.«
Joe Sargent gefiel meine Einstellung, also erklärten sie mehr
über Spocks Hintergrund – daß er nie lächelt, keinen Sinn für
Humor hat, philosophisch der Logik ergeben ist und so weiter.
Nachdem ich eine lange Szene gespielt hatte, sahen mich alle
schweigend an.
»Ich glaube, wir sollten Penny die Personalabteilung anrufen
lassen um nachzufragen, ob Leonard Nimoy schon seinen
Vertrag unterschrieben hat«, sagte Bob Justman schließlich.
Ohne Leonard zu kennen, wußte ich, daß das ein großes
Kompliment war. Sie fragten mich, ob ich etwas dagegen hätte
zu warten, dann brachte mich Penny in ein anderes, ruhiges
Vorzimmer. Ich wußte nicht, was hier eigentlich vorging, aber
ich war lange genug im Geschäft, um den komplizierten
Vorgang der Rollenbesetzung einschätzen zu können und mir
keine übersteigerten Hoffnungen zu machen. Kurz darauf war
ich wieder völlig in der Welt Uhurus versunken und verlor
jedes Zeitgefühl. Etwa eine Stunde später schaute Joe Sargent
vorbei. »Was tun Sie denn noch hier?« fragte er, überrascht
mich zu sehen.
»Sie haben mir doch gesagt, ich solle warten.«
»O mein Gott, es tut mir so leid. Hat Ihnen niemand Bescheid
gesagt?«
»Nein«, erwiderte ich und wappnete mich gegen die
unausweichliche Ablehnung, tröstete mich aber gleichzeitig
mit dem Gedanken an den Erster-Klasse-Flug zurück in mein
geliebtes Paris.
Joe lächelte breit. »Kommen Sie, Sie großes Talent. Sie
hatten die Rolle, als Sie hereinkamen. Gehen wir
Mittagessen.«
Und so fing es an.

Das war also der Traum, von dem Gene in der Vergangenheit
so oft in Andeutungen gesprochen hatte. Doch obwohl er
mehrmals gesagt hatte, da wäre auch eine Rolle für mich drin,
mußte sie tatsächlich nach meinem Engagement erst noch
geschaffen werden. Erst nachdem ich an Bord war, wurde
Uhura geboren, wurde sie von Gene und mir erschaffen. Im
Laufe der Jahre habe ich Uhura vielfach als meine Ur-ur-ur-ur-
ur-ur-ur-urgroßenkelin im dreiundzwanzigsten Jahrhundert
bezeichnet. Gene und ich stimmten darin überein, daß sie eine
Bürgerin der Vereinigten Staaten von Afrika sein sollte. Und
ihr Name Uhura kommt von Uhuru, das bedeutet in Suaheli
›Freiheit‹. Der Biographie zufolge, die Gene und ich für
meinen Charakter entwickelten, war Uhura weit mehr als eine
intergalaktische Telefonistin. Als Kommunikationsoffizer
befehligte sie ein zumeist unsichtbares Korps aus
Kommunikationstechnikern, Linguisten und anderen
Spezialisten, die in den Eingeweiden der Enterprise in der
›Kommunikationszentrale‹ arbeiteten. Sie ist
Diplomlinguistikerin, hat die Starfleet-Akademie mit
Auszeichnung abgeschlossen und war ein Protege Mr. Spocks,
den sie für seinen Mut, seine Intelligenz, seinen Stoizismus
und vor allem seine Logik bewundert. Wir hatten sogar
ausgearbeitet, wo Uhura aufwuchs, wer ihre Eltern waren und
warum sie aus allen Kandidaten für die Fünf-Jahre-Mission der
Enterprise ausgewählt wurde.
Mit meinem Engagement hatte der stets einfallsreiche Gene
mit dem Prozeß der zusätzlichen Besetzung begonnen; er
erklärte dem Sender, daß er die Brücke etwas ›farbiger‹
machen wollte. Alle gingen davon aus, daß er lediglich die
Kulissen umgestaltete, und er war durchtrieben genug, den
Irrtum nicht aufzuklären.
Da ich meinen Teil an Erfolgen und Mißerfolgen im
Showbusineß erlebt hatte, hieß ich die Sicherheit willkommen,
die eine Serie bot. Das bedeutete nicht nur einen regelmäßigen
Gehaltsscheck; viel wichtiger war die Tatsache, daß ich mehr
Zeit zu Hause mit meinem Sohn verbringen und mich um
Mutter und die Familie kümmern konnte. Ich konnte endlich
meinen schäbigen kleinen Wagen durch einen prächtigen roten
Jaguar ersetzen und meiner Mutter ihr Haus kaufen. Ich
wünschte mir nur, Daddy hätte noch erleben können, wie seine
›Kleine‹ mit ihren Anschaffungen prahlte.
Sobald ich offiziell engagiert war, machten sich meine
Agenten an die Arbeit, die Einzelheiten des Vertrages zu
regeln. Dank der Unbeständigkeit des Showbusineß und den
Bemühungen der Schauspielergewerkschaft ist für Agenten
und Produktionsgesellschaften ein mündlicher Vertrag genauso
bindend wie ein schriftlicher. Mit anderen Worten: Sagt der
Produzent dem Agenten, daß er einen engagiert, und die
beiden einigen sich auf eine Gage, ist er verpflichtet, sich an
die Vereinbarung zu halten. Die Verträge selbst werden meist
erst später unterschrieben, oftmals lange nachdem man bereits
mit der Arbeit begonnen hat.
Ich sonnte mich noch immer in meinem Glück, als einer
meiner Agenten anrief. »Nichelle, es gibt ein Problem mit dem
Vertrag.«
»Wieso denn das?« fragte ich verblüfft. »Es war doch alles
klar.«
Das war es auch gewesen, wie mir mein Agent erklärte – bis
die Herren der Chefetage im ersten Drehbuch gelesen hatten,
was genau Gene gemeint hatte, als er eine Rolle neu besetzte
und etwas mehr ›Farbe‹ auf die Brücke bringen wollte.
Nachdem die Leute vom Sender mit der Verbannung von
Nummer Eins einen triumphalen Sieg errungen hatten, traf sie
der Schlag, als sie erkennen mußten, daß eine Frau auf der
Brücke eine wichtige Rolle spielte, und daß diese Frau
obendrein schwarz war! Als sie begriffen, daß Uhura einen
beträchtlichen Anteil am Geschehen haben sollte und ihr Text
weit über ein »Zu Befehl, Captain« hinausgehen würde,
stellten sie Gene wütend ein Ultimatum: Weg mit ihr! Gene
weigerte sich.
Man muß es Gene hoch anrechnen, daß weder er noch
andere, die von den Problemen wußten, mich jemals darüber
informierten. Tatsächlich sollte diese selige Unkenntnis die
ganze Produktionszeit von Star Trek über andauern. Ich erfuhr
die Wahrheit erst sieben Jahre nach Einstellung der Serie, und
dann auch nur zufällig. Ohne mein Wissen taten sich Gene und
meine Agenten zusammen und knobelten eine brillante
Strategie aus, um Uhura zu retten.
Von Rechts wegen hätte ich die Erfüllung des Vertrages ohne
weiteres erzwingen können. Aber meine Agenten wiesen mich
klugerweise darauf hin, daß man die Produzenten zwar
zwingen konnte, den über dreizehn Wochen laufenden Vertrag
mit mir einzuhalten, sie jedoch nicht zwingen konnte, mich
auch einzusetzen. Der Sender versuchte Gene unter Druck zu
setzen, genau diesen Weg einzuschlagen, doch er weigerte sich
standhaft. Während er und meine Agenten um meine Rolle
kämpften, wollten sie aber vermeiden, daß ich davon erfuhr.
»Ich will nicht, daß Nichelle etwas davon erfährt«, äußerte sich
Gene damals über die Bigotterie des Senders und seine
heimliche Zusammenarbeit mit meinen Agenten. »Denn dann
wird bei ihr der Eindruck entstehen, daß sie die Rolle auf eine
Weise bekommen hat, wie sie für viele Schwarze üblich ist –
nämlich durch die Hintertür. Das werde ich Nichelle nicht
antun.« Gott segne ihn.
Meine Agenten erklärten mir die Situation wie folgt:
»Siehst du, der Sender hat die Serie gekauft, und er will
keinen weiteren Vertrag anerkennen. Die Verantwortlichen
sind wütend, daß Gene zusätzliche Verträge abschließen will.
Es hat nichts mit dir zu tun.« Natürlich hätte ich, nachdem sie
zum zwanzigsten Mal betont hatten, daß es ›keine
Rassensache‹ war, erkennen müssen, daß hier etwas nicht
stimmte.
»Aber es handelt sich doch gar nicht um einen neuen
Vertrag«, argumentierte ich logisch. »Ich ersetze doch bloß
Lloyd Haynes, und der ist auch ein Schwarzer. Wo also liegt
das Problem?«
Darauf gaben mir meine Agenten keine Antwort. Statt dessen
erklärten sie mir schnell den Plan. »Wir werden es
folgendermaßen machen. Du bist dabei, aber ohne Vertrag.«
»Und wie zum Teufel soll das gehen?«
»Du erhältst eine Tagesgage«, sagten sie. »Wenn du
gebraucht wirst, dann…«
»Hört zu! Ich habe nicht die ganzen Jahre gearbeitet, um jetzt
auf der Basis einer Tagesgage zu spielen«, rief ich verbittert.
»Das mache ich nicht mit!«
Natürlich wußten meine Agenten, daß Gene mich genauso
einsetzen würde wie geplant, eher noch öfter. Für meine
Agenten war das eine Gewinnstrategie. Doch für mich war es
eine schwere Enttäuschung, eine Erniedrigung, und irgendwo
in meinem Unterbewußtsein war mir klar, daß das
Rassenproblem eine Rolle spielte. Aber ich biß mir auf die
Zunge und schluckte meinen Stolz herunter, als meine
Agenten, die meinetwegen so hart gearbeitet und genauso
verletzt wie ich waren, mich zu überreden versuchten.
»Du wirst einfach großartig sein. Wir haben das Drehbuch
vorliegen, und du hast eine tolle Rolle. Geh einfach hin und sei
großartig.
Außerdem kannst du, sollte sich ein besseres Angebot bieten,
einfach gehen, Nichelle. Nimm das Geld einfach mit, etabliere
deinen Namen im Fernsehgeschäft und warte ab, was passiert.
Du hast Arbeit, und wir haben etwas zum Vorführen, wenn du
dich für andere Rollen bewirbst.«
Mir war klar, daß sie recht hatten, und so sehr es mich auch
schmerzte, mich auf einen, wie ich dachte, ›Sekundenauftritt‹
einzulassen, wußte ich dennoch, daß es sich hier um eine
seltene Gelegenheit handelte. Heute, wo ich die ganze
Geschichte kenne, frage ich mich oft, was wohl passiert wäre,
hätte ich aus prinzipiellen Erwägungen heraus um den Vertrag
gekämpft, oder wäre nicht Gene der Produzent gewesen. Einer
meiner Agenten beschwichtigte einige meiner Ängste, indem
er sagte: »Du weißt, daß Gene dich mag, und er hat
versprochen, auf dich aufzupassen.«
Gene ging weit über sein Versprechen hinaus, mich
einzusetzen. Dank der Gagenstruktur verdiente ich mit den
Tagesgagen mehr, als ich mit einem festen Vertrag bekommen
hätte. Zusätzlich arrangierte es Gene, daß ich bei anderen
Serien mitarbeiten konnte, wenn ich bei Star Trek nicht
gebraucht wurde. Nur wenige Leute wissen, daß ich
(beziehungsweise mein Rücken) ein Jahr lang in Peyton Place
eine Krankenschwester spielte. Ohne Genes oder die
Verdienste der anderen schmälern zu wollen, muß ich jedoch
ehrlich sagen, daß ich die ganze Situation erniedrigend fand.
Kein Mitglied der Stammbesetzung wußte, daß ich nicht auf
der gleichen Basis wie sie engagiert worden war. Jedesmal
wenn ich einen öffentlichen Auftritt zu absolvieren und zu
sagen hatte, wie wunderbar der Sender uns alle behandelte,
blieben mir die Worte beinahe im Hals stecken.
Ehrlich gesagt störte mich auch, daß ich jeden Tag als einer
der ersten im Filmstudio erscheinen mußte und zu den letzten
gehörte, die Feierabend machten. Jedesmal wenn einer der
Regieassistenten zu fortgeschrittener Tageszeit verkündete:
»Bleiben Sie noch, Nichelle. Wir brauchen Sie vermutlich
noch für Bills Nahaufnahme«, fühlte ich mich wie die
Küchenmagd. Erst nach den ersten Gehaltsschecks erkannte
ich langsam die Methode, die hinter Genes Wahnsinn steckte.
Auf diese Weise rächte er sich an den hohen Herren der
Chefetage. Gene bekam nicht nur das, was er wollte, er sorgte
auch dafür, daß sie dafür bezahlten – und zwar im wahrsten
Sinne des Wortes teuer.
7

Obwohl ich begeistert war, bei Star Trek mitspielen zu können,


graute mir bei dem Gedanken, vor Einbruch der
Morgendämmerung aufstehen zu müssen, damit ich pünktlich
um sechs Uhr bei der Arbeit sein konnte. Da ich von Natur aus
ein Nachtmensch war, hatten mir die nach den Theater- und
Nachtclubauftritten um zwei Uhr morgens stattfinden
Abendessen und das ›Frühstück‹ am Nachmittag wunderbar
ins Konzept gepaßt. Die früheste Zeit, zu der ich jemals an
einem Drehort erscheinen mußte, war acht Uhr morgens
gewesen, und zwar bei Porgy and Bess. Es würde dauern, bis
ich mich daran gewöhnt hatte.
Ich wohnte in einem kleinen Haus am Orange Drive, nur eine
halbe Stunde von den Desilu Studios entfernt, und so verließ
ich das Haus gegen halb fünf oder fünf Uhr morgens. Jener
Morgen war einfach scheußlich. Es war noch immer dunkel
draußen, neblig, und es regnete in Strömen. Warum in
Südkalifornien bei Regen niemand vernünftig autofahren kann,
bleibt ein Geheimnis. Ich bog auf die Melrose Avenue ab und
war nur noch ein paar Blocks vom Studio entfernt, als der
Fahrer hinter mir anfing, unablässig auf die Hupe zu drücken.
Er überholte und schnitt mich. Ich trat auf die Bremse und riß
instinktiv das Steuer nach links, nur um mich auf der
Gegenspur wiederzufinden, wo ein Grand Prix frontal auf mich
zukam.
An die nächsten Sekunden kann ich mich nur noch
verschwommen erinnern; der größere Wagen katapultierte
meinen kleinen Renault in die Höhe und ließ ihn auf dem Dach
landen. Alles hörte auf zu existieren. Ich öffnete die Augen
und sah nach unten. Überall war Blut. Dann eilten Leute auf
mich zu, den Fahrer des Grand Prix eingeschlossen. »Sind Sie
noch am Leben?« brüllte er förmlich.
»Es tut mir leid um Ihren Wagen«, antwortete ich.
»Mein Wagen? Es ist erstaunlich, daß Sie noch leben!«
Nachdem man mir herausgeholfen und ich einen Blick auf
das Wrack geworfen hatte, zitterten mir die Knie. Viele
Menschen waren aus den Häusern geeilt, nachdem sie den
Zusammenstoß gehört hatten, darunter auch ein älteres
Pärchen, das mich in sein Haus einlud. Mir des Ausmaßes
meiner Verletzungen nicht bewußt, bat ich sie, das Studio
anzurufen und darum zu bitten, daß mich jemand abholte.
Dann bat ich sie, ihr Badezimmer benutzen zu dürfen. Ich hatte
Eis gegen meine Lippe gedrückt, und obwohl jeder Schritt
schmerzte, glaubte ich, daß die Schnitte und Prellungen
keinesfalls lebensbedrohend waren. Dann sah ich mich im
Spiegel.
O mein Gott! Da geht meine Karriere dahin!
Einen Augenblick lang stand ich durch den schrecklichen
Anblick wie gelähmt da und betrauerte Uhura. Mit den
angeschwollenen Augen, dem nassen Haar und der
eingerissenen Lippe sah ich furchtbar aus. Ich mußte mich
wohl damit abfinden, daß man Uhura umbesetzen würde,
sobald der Regieassistent mich gesehen hatte; Geschäft war
schließlich Geschäft. Aber ich wollte verdammt sein, wenn ich
nicht wenigstens einen Rettungsversuch machte. Das Pärchen
reichte mir meine Jacke und die große Handtasche, in die ich
ein paar Dinge für den Abend gepackt hatte. Ich zog eine große
orangefarbene Samtmütze über mein nasses Haar, legte ein
paar elegante Goldohrringe an und benutzte etwas Make-up.
»Alles in Ordnung?« fragte die Frau durch die
Badezimmertür.
»Alles bestens«, erwiderte ich. Als ich dann die
Trainingshose herunterzog, ließen mich der Anblick meiner
böse geprellten Ferse und des Knies beinahe aufstöhnen. Kein
Wunder, daß ich kaum laufen konnte. Vorsichtig zog ich eine
saubere schwarze Hose an, einen Kaschmirpullover und
schwarze Lederstiefel.
»Hier ist jemand, der sie abholen will«, rief die Frau ein paar
Augenblicke später.
»Ich bin in einer Minute da!« In meinem Kopf drehte sich
alles und mein ganzer Körper tat weh, aber ich hatte es
geschafft, daß ich zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit
einem menschlichen Wesen aufwies, auch wenn ich mich nicht
so fühlte. Durch die Tür konnte ich hören, wie das Pärchen mit
dem Regieassistenten sprach, der gerade eingetroffen war.
»…es ist erstaunlich, daß sie noch lebt! Sie hat schrecklich
geblutet und konnte kaum laufen.« Als ich ins Wohnzimmer
trat, wobei ich jeden Funken Konzentration brauchte, um nicht
zu humpeln, glaubten die älteren Herrschaften, sie würden
einen Geist sehen. Sie blickten tatsächlich an mir vorbei, als
wollten sie nach der schrecklichen Hexe Ausschau halten, die
zwanzig Minuten zuvor in ihrem Badezimmer verschwunden
war.
»Hatten Sie den Unfall?« fragte der Regieassistent verblüfft.
Sie waren an dem Wrack vorbeigefahren und hatten gedacht:
Das kann sie nicht überlebt haben!
»Ja.« Ich sah durchaus präsentabel aus. Und für die beiden
alten Leute, die mich in meinem vorherigen Zustand gesehen
hatten, sah ich einfach großartig aus. Doch es blieb die
Tatsache bestehen, daß ich ärztliche Behandlung brauchte. Der
Regieassistent telefonierte mit Gene. Sie vereinbarten, daß
man Szenen drehen würde, in denen ich nicht gebraucht
wurde, und der Regieassistent sollte mich ins Krankenhaus
begleiten.
In der Notaufnahme untersuchte mich ein wunderbarer Arzt,
der vermutlich Mitte Sechzig war, sorgfältig auf innere
Verletzungen. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit meiner
Lippe zu. »Oh, häßlich«, bemerkte er. »Das werden wir nähen
müssen. Fünf oder sechs Stiche.«
Tja, das war’s also, dachte ich und starrte zur Decke.
»Aber keine Sorge«, fügte er hinzu, als würde er meine
Gedanken lesen. Mittlerweile hatte er erfahren, daß ich in einer
Fernsehserie spielte, und als er anfing, mich
zusammenzuflicken, stellte er mir Fragen über die Arbeit. »Ich
habe eine Neuigkeit für Sie«, fügte er dann hinzu. »Sie sind die
glücklichste kleine Lady auf dem ganzen Planeten, denn Sie
sind bei mir gelandet. Sie werden Ihren Job nicht verlieren,
nicht einmal den einen Arbeitstag! Wenn Sie sich genau an
meine Anweisungen halten.«
Ich nickte.
»Ich komme gerade aus Mexiko, wo ich die letzten beiden
Jahre verbracht habe, und ich habe eine wundervolle Magie
mitgebracht, die Sie im Handumdrehen wieder auf die Beine
bringt. Hier ist sie zwar noch illegal, aber ich verabreiche sie
Ihnen trotzdem, weil sie die Schwellung so weit reduzieren
wird, daß man sie nicht länger sehen wird.
Und jetzt hören Sie genau zu. Ich werde Ihnen eine Spritze
geben, mit der Sie etwa acht Stunden funktionieren werden,
aber keine Minute länger. Ich werde etwas mehr als die
Standarddosis nehmen, darum wird Ihnen etwas schwindelig
sein. Aber ich gebe Ihnen noch etwas anderes, das dagegen
hilft. Sie werden wach genug sein, um Ihre Arbeit machen zu
können. Nehmen Sie diese Pillen zu den angegebenen Zeiten,
sorgen Sie aber unbedingt dafür, daß Sie um achtzehn Uhr zu
Hause und im Bett sind. Dieses Zeug ist reine Magie, aber die
Wirkung wird nachlassen, und wenn das geschieht, können Sie
nicht noch mehr davon nehmen. Es ist so ähnlich wie bei
Aschenputtel um Schlag Mitternacht – nur daß Sie es sind, die
sich in den Kürbis verwandelt. Okay?«
»Okay«, murmelte ich dankbar, während das Medikament
bereits erste Wirkung zeigte.
Als ich den Set betrat, fühlte ich mich überraschend gut. Alle
rechneten mit einem Krüppel, und so waren sie genauso
erstaunt wie ich selbst, daß im Prinzip mit mir alles in Ordnung
war. Ich überstand den Rest des Morgens, ruhte mich während
der Mittagspause in der Garderobe aus, und arbeitete dann
weiter. Wegen der Medikamente verlor ich jedes Zeitgefühl,
und da ich so gut aussah und auch funktionierte, nahm jeder
an, alles sei in bester Ordnung. Es war siebzehn Uhr dreißig,
und ›Schlag Mitternacht‹ rückte näher. Ich stand vor dem
Geländer in der Nähe von Uhuras Platz auf der Brücke und
lauschte aufmerksam, als der Regisseur den Drehplan für den
nächsten Tag erklärte. Plötzlich wurde mir schwindelig, und
ich fühlte, wie ich langsam nach vorn fiel. Was sicher nur den
Bruchteil einer Sekunde dauerte, schien eine Ewigkeit zu sein.
Ich erinnere mich daran, daß es den Anschein hatte, als würden
alle Anwesenden auf der Brücke sich in Zeitlupe zu mir
umdrehen, dann blickte Bill Shatner zum Regisseur und sofort
zurück zu mir; einen Augenblick später stürmte Captain Kirk
quer über die Brücke auf mich zu und rief »Uhura!« Er fing
mich in dem Moment auf, in dem mein Kopf nur noch
Zentimeter davon entfernt war, auf dem Boden aufzuschlagen.
»Ist Sie in Ordnung?« fragte der Regisseur aufgeregt.
»Mein Gott, sie hätte sich den Hals brechen können!« rief
Bill aus. Er hielt mich weiter im Arm und sah zu mir herunter.
»Alles in Ordnung, Nichelle?« fragte er sanft.
»Jaaa!« erwiderte ich mühsam, wobei ich noch immer das
blöde Drehbuch in der Hand hielt. Ich konnte nicht einmal den
Kopf heben, geschweige denn allein aufstehen. Mein Arzt, der
Hexenmeister, hatte recht behalten: Sobald sein Zauber
gebrochen war, war alles wie vorher. Und ich war am Ende.
Alle wollten helfen, als Bill mich galant aufhob und sich
umdrehte, um mich in meine Garderobe zu bringen. »Jemand
anders soll Nichelle helfen!« rief da der Regisseur. »Wir
müssen vor Feierabend noch diese Szene im Kasten haben!«
»Es ist Feierabend«, erwiderte Bill entschieden.
»Ich habe noch nicht Schluß gemacht«, fauchte der
Regisseur.
»Doch, das haben Sie! Feierabend!« Jemand schlug vor,
einen Fahrer anzufordern, der mich nach Hause brachte. »Das
mache ich«, sagte Bill.
Ich war so schlaff wie eine Stoffpuppe, und man mußte mir
aus dem Kostüm helfen. Glücklicherweise bekam Bill meine
Adresse vom Personalbüro, denn ich konnte mittlerweile nur
noch lallen. Er setzte mich auf den Beifahrersitz seines
schwarzen Stingray, und es ging los. Als wir vor meinem Haus
vorfuhren, konnte ich nicht mal mehr laufen.
»Hast du deine Schlüssel?« fragte er.
»Jaaah…« Da stand der arme Bill; er hielt mich mit dem
einen Arm – und ich bot einen schrecklichen Anblick –,
während er mit der anderen Hand versuchte, die
Wohnungsschlüssel aus der Tasche zu holen. Plötzlich riß
mein Sohn Kyle die Tür auf und erblickte einen fremden
Mann, der seine betrunken aussehende Mutter stützte.
»Was haben Sie mit meiner Mutter gemacht«, wollte er
wissen. Ich werde den Ausdruck auf Bills Gesicht nie
vergessen, während er meinem zornigen Sohn zu versichern
versuchte, daß er der gute Samariter und seine Mutter in guten
Händen war.
Die nächsten paar Tage hatte ich sowieso drehfrei, und so
ruhte ich mich aus und kam wieder zu Kräften. Von diesem
Augenblick an war Bill Shatner mein Held, und das sollte viele
Jahre so bleiben. Sein Verhalten an diesem Tag entsprach
genau dem Bill, den ich im ersten Produktionsjahr der Serie
kennen- und schätzenlernen sollte: Er war warmherzig, für
alles offen, und es machte Spaß, mit ihm zu arbeiten. Das galt
für die ganze Stammbesetzung und die Filmcrew. Ich glaube,
jeder hatte das Gefühl, daß Star Trek etwas Besonderes war,
daß die Geschichten, die wir zum Leben erweckten, von Wert
waren.
Ein anderer Faktor, der Star Trek auszeichnete, war die
Tatsache, daß buchstäblich jeder Mitwirkende von Gene
persönlich ausgesucht worden war. Er hatte mit Leonard
Nimoy, Walter Koenig, Majel Barrett und mir bei The
Lieutenant gearbeitet. DeForest Kelley kannte Gene aus dem
gescheiterten Pilotfilm für 333 Montgomery, wo er die
Hauptrolle gespielt hatte. Von der Stammbesetzung hatten
meines Wissens nur Bill, Jimmy Doohan und George Takei
noch nie zuvor mit Gene zusammengearbeitet.
Da wir jeden Tag zu einer derart unchristlichen Zeit am Set
zu erscheinen hatten, lernten wir uns ganz gut kennen. Leonard
Nimoy und ich waren stets die ersten im Maskenbildnerstuhl,
da unsere Charaktere ein komplizierteres Make-up als die
anderen benötigten. Leonard war und ist ein durchweg
charmanter, von ethischen Grundzügen geprägter und
nachdenklicher Mann. Grace Lee Whitney, die in der ersten
Season Fähnrich Janice Rand spielte, war warmherzig,
lebenslustig und unglaublich witzig, während DeForest Kelley
(den wir Dee nannten) den leise sprechenden
Südstaatengentleman verkörperte. Jimmy Doohan war jovial
und freundlich, wenn auch manchmal etwas polternd, und Bill,
der einen seltsamen Sinn für Humor hatte, unterhielt uns oft
mit schrägen Geschichten. Wir lachten alle, da die Geschichten
völlig idiotisch waren, aber Bill, der sie für umwerfend
komisch hielt, lachte die ganze Zeit, manchmal so sehr, daß er
sie nicht zu Ende erzählen konnte. Der gesellige George Takei,
stets der Bonvivant, stolzierte um sieben Uhr morgens mit
einem unentschuldbar fröhlichen »Guten Morgen!« herein,
dem wir nur mit einem drohenden »Halt die Klappe, George!«
begegnen konnten.
Mit Ausnahme weniger Wochen im Frühling, wenn die Serie
nicht gesendet wurde, arbeiteten wir fünf Tage die Woche, und
eine Episode mußte laut Drehplan in sechs Tagen abgedreht
sein. An einem normalen Tag war um acht Uhr Drehbeginn,
gegen Mittag machten wir dann eine Stunde Pause, dann ging
es zurück ans Set, wo wir um achtzehn Uhr Schluß machten;
allerdings waren wir oft bis neunzehn oder zwanzig Uhr da.
Wegen den strengen Arbeitsregeln und den hohen Kosten, die
Überstunden verursachten, konnten wir es uns nicht leisten,
länger als sechs Tage zu arbeiten. Dann mußte jede Episode
fertig sein, oder Köpfe rollten.
Wie bei den meisten Fernsehserien waren auch bei Star Trek
die Drehbücher nie ganz fertig. Manchmal erhielten wir die
Kopie des Drehbuchs einen Tag vor Drehbeginn. Mindestens
einmal täglich – manchmal auch öfter – erhielt man
überarbeitete Drehbuchseiten, jede Überarbeitung war auf
andersfarbigem Papier geschrieben, damit man es von dem
Vorgänger unterscheiden konnte. Wir probten die Szenen nur
selten, und wir lasen die Drehbücher auch nicht gemeinsam
ganz durch. Ein paar Minuten, bevor wir die Szene filmten,
legten wir mit dem Regisseur die Positionen und Schritte fest.
Die fertigen Änderungen wurden gewöhnlich im Laufe des
Tages verteilt.
Die ersten Versionen der frühen Drehbücher spiegelten
Genes Absicht wider, Geschichten um ein Ensemble im
Grunde gleichberechtigter Charaktere aufzubauen. Die Troika
aus Captain Kirk, Mr. Spock und Dr. McCoy nahm langsam
Gestalt an, aber Gene wollte die Rollen und die Mitwirkung
von Sulu, Uhura, Fähnrich Rand, Scotty, Schwester Chapel
und später Chekov weiter ausbauen. Das war Jahre, bevor
Serien wie The Mary Tyler Moore Show und M*A*S*H das
starre ›ein Star, ein Co-Star/Sidekick, diverse Nebendarsteller‹-
Format sprengten. Doch der Sender sah keinen Grund, von der
vertrauten Formel abzuweichen, zumal es genug Storyideen
gab, die allein für Kirk, Spock und McCoy ausreichten. Gene
vertraute mir an, er entwickle Uhura zu einer Hauptfigur, was
in den ersten Versionen der frühen Drehbücher auch deutlich
zu erkennen war. Es war schlichtweg demoralisierend,
mitansehen zu müssen, wie meine wunderbare Rolle bei jeder
Überarbeitung ein Stück kleiner wurde. Ich erinnere mich,
gedacht zu haben: Warum zeigen sie mir dann überhaupt die
Originalfassung des Drehbuchs? Es war die reinste Folter.
Abgesehen von der harten Arbeit, sind meine Erinnerungen
an die Serie größtenteils erfreulich, besonders was die
Anfangszeit betrifft, als wir ein echtes Team waren und jeder
von uns versuchte, seinen oder ihren Platz zu finden.
Ich trat wie ein erfahrener Fernsehprofi auf, mußte jedoch
immer wieder Augenblicke erleben, in denen ich mir wie eine
Anfängerin vorkam. Einer davon trug sich zwischen zwei
Einstellungen zu, nur wenige Wochen nach Drehbeginn. Mir
fiel auf, daß Bill, Leonard und Dee auf der anderen Seite der
Kulisse standen und scheinbar verschwörerisch miteinander
tuschelten, wenn sie in meine Richtung blickten. Ich lächelte,
sie lächelten, und so ging ich auf sie zu, in der Hoffnung, den
neuesten Klatsch – was sollte es anders sein – auch zu
erfahren. Also sagte ich: »Hallo!« Dann überkam mich das
seltsame Gefühl, das sich einstellt, wenn man spürt, daß über
einen geredet wird, ohne sich dessen jedoch hundertprozentig
sicher zu sein. Plötzlich wurde ihre Unterhaltung nichtssagend.
Ich ging weiter, sah aber zurück. Sie sprachen erneut über
mich und warfen mir Blicke zu. Jetzt wußte ich überhaupt
nicht mehr, wie ich mich verhalten oder was ich sagen sollte.
Da kam Dee herüber. »Nichelle, wir haben uns gerade über
etwas unterhalten, und wir haben uns gefragt… Nun, sie haben
mich praktisch beauftragt… ach was, sie sind einfach zu feige,
es selbst zu tun, also hat man mich mit der Aufklärung betraut.
Wer hat sie gerichtet?«
»Wovon sprichst du? Wer hat was gerichtet?«
»Du weißt schon. Es ist nämlich eine ausgezeichnete Arbeit!«
»Oh, vielen Dank«, erwiderte ich, ohne auch nur die
geringste Idee zu haben, wovon eigentlich die Rede war.
Meine Verwirrung muß deutlich sichtbar gewesen sein, denn
seine Stimme nahm einen ungeduldigen Unterton an.
»Komm schon, wir sind hier in Hollywood. Jeder läßt es
früher oder später machen. Bei dir ist es ausgezeichnet
gemacht worden, also teile dein Geheimnis.«
»Dee«, sagte ich völlig frustriert. »Ich weiß nicht, wovon du
sprichst.«
»Sei doch nicht so schüchtern. Unter uns Schauspielern:
Deine Zähne. Deine Kronen. Wer hat die gemacht?«
Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Wenige
Jahre zuvor hatte ich einen lukrativen Werbevertrag für
Colgate-Zahnpasta nicht bekommen, weil sich einige der
Bosse darüber beschwert hatten, daß meine Zähne zu perfekt
aussahen, um glaubwürdig sein zu können. »Wir wollen
durchschnittlich aussehende Zähne«, hatten die Werbemanager
gesagt. »Keine Schauspielerin mit Kronen.« Selbst als meine
Agenten Beweise anboten, daß es noch die echten Zähne
waren, wollten sie es nicht glauben und vergaben den Auftrag
an jemand anderen. Seitdem habe ich nie wieder Colgate
gekauft.
»Was wird mich das kosten?« fragte ich Dee.
»Ich verstehe nicht.«
»Ein privater Scherz«, antwortete ich mit einem
Schulterzucken. »Ich habe meine Zähnen nicht richten lassen.
Ich habe noch nicht einmal einen Zahnarzt.«
Ich war recht heftig geworden, und ich bemerkte, daß
Leonard und Bill vom Rand des Sets genau zusahen.
»Ich wollte dich nicht beleidigen«, erwiderte Dee, »aber jeder
hat sich die Zähne richten lassen. Ich glaube dir nicht. Sie
sehen einfach nicht echt aus.«
»Vergewissere dich doch selbst«, antwortete ich und hätte
mir nicht im Traum einfallen lassen, daß Leonard, Bill und
Dee sich nacheinander meine Zähne ansehen würden, als wäre
ich ein Pferd. »Zufrieden?« fragte ich. In diesem Augenblick
kam mein Maskenbildner vorbei. »Was habt ihr mit ihr
angestellt«, brüllte er, als er sah, daß sie mein Make-up ruiniert
hatten.
Wir teilten viele schöne, glückliche Augenblicke
miteinander, und die ständige gemeinsame Arbeit bildete die
Grundlage für viele enge, andauernde Freundschaften. Am
Anfang zählte ich Bill zu jenen Freunden. Ich erinnere mich da
zum Beispiel an einen Tag, an dem er und ich unsere Szenen
zu fortgeschrittener Zeit drehten. Wir waren fast die letzten am
Set, und ich hatte mich gerade fertig umgezogen, als er an der
Garderobentür klopfte. »Hast du einen Moment Zeit?« fragte
er.
»Sicher. Komm rein.«
Wir plauderten ein paar Minuten, dann wurde er ernst. »Darf
ich dich etwas Persönliches fragen?«
»Nicht schon wieder meine Zähne«, scherzte ich.
»Nein. Du hast doch einen Sohn.«
»Ja.«
»Ein prima Junge«, sagte er ernst.
»Danke.«
»Ich habe dich beobachtet, Nichelle, und ich respektierte
dich. Du hast doch eine Scheidung durchgemacht. Wie bist du
damit zurechtgekommen?«
Ich mußte zugeben, daß – obwohl ich der Meinung war, Bill
gut zu kennen – seine plötzliche Offenheit und Verletzlichkeit
eine Überraschung war.
»Meine Frau will die Scheidung, und es macht mich fertig«,
gestand er. »Ich habe drei wunderschöne kleine Töchter, und
ich weiß nicht, wie ich ohne sie leben soll.«
»Aber Bill, du mußt doch nicht ohne sie leben.«
»Aber ich weiß nicht, wie ich leben soll, ohne sie jeden Tag
zu sehen.«
»Besteht keine Aussicht auf Versöhnung?«
Bill erklärte, dies sei unmöglich, zumindest in diesem
Stadium. »Ich will keine Scheidung.« Dann spielte er auf
seinen Ruf als Frauenliebling an. »Ich weiß, es ist mein Fehler,
aber ich hätte nie gedacht, daß es soweit kommen würde, und
ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich weiß nicht, wie
ich es ertragen soll, meine Töchter nicht zu sehen.«
»Sollte es dazu kommen, mußt du in der Zeit, die du mit den
Mädchen verbringst, mehr unternehmen, als wenn du jeden
Tag zu Hause wärst.«
»Aber auf gewisse Weise hast du Glück gehabt. Du hast dein
Kind behalten können«, erwiderte er.
»Nein«, korrigierte ich ihn. »Ich hatte Glück, meine Eltern zu
haben. Ich war eine alleinerziehende Mutter, die arbeiten
mußte, und meine Arbeit hat mich oft aus der Stadt geführt.
Ich bin dankbar, daß ich während dieser wichtigen Jahre
daheim bei meinem Sohn sein konnte, aber danach hatte ich
keine Wahl. Darum verstehe ich auch deinen Schmerz, Bill.«
Wir saßen einander gegenüber, Knie an Knie, hielten
einander bei den Händen und weinten leise. In seltenen
Augenblicken wie diesen war Bill wie ein kleiner Junge, der
sich die Probleme und Gefühle eines Mannes aufbürdete. An
diesem Abend sah ich Liebe und Güte in ihm, und ich empfand
gewaltiges Mitleid für ihn. Und Liebe.

Star Trek hatte im Herbst Premiere bei NBC und rief nur
mäßige Begeisterung hervor. Die erste Episode ›The Man
Trap‹ drehte sich um ein gestaltwandlerisches, nach Salz
hungerndes Monster mit der Fähigkeit, eine Form
anzunehmen, die attraktiv genug war, um jeden zu verführen,
der ihm über den Weg lief. Pille McCoy erschien es
beispielsweise als jugendliche Version einer seit langem
verlorenen Liebe. Uhura wird beinahe von dem Monster in
Gestalt eines attraktiven, Suaheli sprechenden Schwarzen
angegriffen. Fans zählen diese Episode nicht gerade zu den
besten, aber sie hatte ihre Höhepunkte. Wie andere Folgen
nach ihr zeigt sie deutlich, wie man Uhura und die anderen
Charaktere hätte weiterentwickeln können. »Manchmal glaube
ich, ich werde in Tränen ausbrechen, wenn ich das Wort
Frequenz noch ein einziges Mal hören muß«, bemerkt Uhura
an einer Stelle zu Mr. Spock. Diesen Satz hatte ich Gene
gegenüber so oft wiederholt, daß er es verdient hatte, in dieser
Szene in die Geschichte einzugehen. In Episoden wie ›The
Naked Time‹ und ›The Squire of Gothos‹ macht Uhura
deutlich, daß sie keine zarte Dame in Not ist, die gerettet
werden muß. Und in ›Mirror, Mirror‹ beweist sie, daß sie auch
kämpfen kann. Uhura war in vielerlei Hinsicht eine neue
Fernsehfrau. Doch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der
Serie fiel unangenehm deutlich auf, daß ihre Rolle trotz der
ambitionierten, wenn auch nebulösen Pläne, die Gene für
Uhura hatte, ständig kleiner wurde.
Hätte ich nur die endgültigen Drehbücher zu Gesicht
bekommen, wäre es vielleicht nicht so demoralisierend
gewesen. Aber jeden Tag zusehen zu müssen, wie Aktionen
und Text gestrichen wurden, bis nichts mehr übrigblieb, tat
weh, professionell und persönlich. Eines Tages konfrontierte
ich D. C. (Dorothy) Fontana, Drehbuchkonsultantin und Genes
rechte Hand – und das schon lange vor dem Beginn von Star
Trek –, mit der Frage, warum meine Szenen immer beschnitten
wurden. Sie hatte mehrere großartige Drehbücher geschrieben,
die sich auf Uhura konzentrierten, und sie alle waren
umgeschrieben worden. Als einzige Frau der Autorenriege
verstand Dorothy Uhuras Bedeutung für die Serie.
»Warum geschieht das, Dorothy?« fragte ich.
»Sprechen Sie mich nicht darauf an«, antwortete sie und
brach beinahe in Tränen aus. »Lassen Sie mich einfach nur in
Ruhe, Nichelle.«
Hier kamen mehrere Mächte ins Spiel – sowohl am als auch
jenseits des Drehorts –, und es ist unmöglich, die Geschehnisse
eindeutig zu rekonstruieren. Aber selbst in dem von Gene
erfundenen dreiundzwanzigsten Jahrhundert war eine starke,
unabhängige schwarze Frau nicht als gleichberechtigt
willkommen. Schließlich war das hier noch immer Hollywood,
und auch wenn Gene im Prinzip die Serie kontrollierte,
unterlagen die Drehbücher der Genehmigung durch den
Sender.
Die vorderste Front des Widerstandes bildete die Chefetage
des Senders, und das sollte auch so bleiben. Eingeschnappt,
daß Gene sie ausgetrickst hatte, was mich anging, beharrten sie
diesmal auf ihrem Standpunkt. Zuerst hieß es, die im tiefen
Süden gelegenen Tochtergesellschaften des Senders würden
die Serie sicher nicht ausstrahlen, was sich als Irrtum
herausstellte. Eine große Anzahl von Zuschauern, die die
Episoden noch im Schwarzweiß-Fernsehen sahen, schrieben
und beglückwünschten den Sender und Star Trek, daß sie eine
Asiatin in einer so wichtigen Rolle zeigten! An dem
Mißverständnis waren mein exotisches Make up – das meine
mandelförmigen Augen und die hohen Wangenknochen noch
unterstrich – und die Art der Ausleuchtung schuld. Tatsächlich
beglückwünschten sich einige der Verantwortlichen dafür, um
sich dann zu erkundigen, wer die beiden asiatischen
Charaktere eigentlich waren. Anhand des Klanges unserer
schrecklich unauthentischen ›asiatischen‹ Nachnamen kamen
sie zu dem Schluß, es müsse sich um Sulu und Uhura handeln.
Als mehr Zuschauer die Serie dann in Farbe sahen – und
erkannten, daß ich keine Asiatin, sondern eine Schwarze war –,
war ihre Reaktion überwältigend positiv.
Die schmerzlichste Erfahrung mußte ich jedoch bei Desilu
(die ursprüngliche Produktionsgesellschaft, die später von
Paramount übernommen wurde) machen, wo Rassismus
durchaus an der Tagesordnung war. Obwohl die Vertreter des
Senders immer wieder ankündigten, zur Hauptsendezeit mehr
schwarze Schauspieler einzusetzen, bot sich dem Zuschauer
das Bild einer überwiegend weißen Welt. Mit Ausnahme von
Bill Cosby – als zweiter Hauptdarsteller neben Robert Culp in
I Spy – und Greg Morris in Mission: Impossible bestand die
Mehrzahl schwarzer Gesichter auf dem Bildschirm aus
Sängern und Komikern. Julia, die Serie, die den Weg für
schwarze Hauptdarstellerinnen frei machte, kam erst 1968 auf
den Bildschirm.
Meiner Erziehung zufolge war es mir unmöglich, rassistische
Bemerkungen und Handlungen zu tolerieren. Ich hatte genug
erlebt, um zu wissen, was Menschen in Wirklichkeit meinten,
und es spielte keine Rolle, welche Anstrengungen sie
unternahmen, es zu verbergen. Und wie immer sprechen Taten
lauter als Worte. Unverhohlener Rassismus ist offensichtlich
und dumm, doch die schlimmste und häufigste Form
rassistischer Handlungen und Bemerkungen kommt in
versteckter und hinterhältiger Gestalt daher. Eines Tages
erschien ich zur Arbeit und wurde von dem Sicherheitsmann
am Eingang, der mir bereits auf subtile Weise gezeigt hatte,
daß er mich nicht mochte und den ich beim Namen kannte,
nicht eingelassen.
»Was soll das?« fragte ich. »Ich arbeite hier!«
»Tut mir leid, Süße, Ihr Name steht nicht auf der Liste.
Anscheinend arbeiten Sie nicht länger hier!«
Als ich ihn daran erinnerte, wer ich war und daß ich seit
Wochen diesen Eingang benutzte, schnaubte er: »Mir ist
scheißegal, wer Sie sind!«
Wütend fuhr ich zum nächsten Eingang und mußte deshalb
ein Stück zu Fuß zurück zum Set gehen.
Die Produktion der zweiten Season hatte gerade begonnen,
als ich überraschenderweise erfuhr, daß Grace Lee Whitney
aus der Serie ausgestiegen war. Wir hatten uns angefreundet,
und es tat mir sehr leid, sie gehen zu sehen. Eines Tages sagte
mir der Assistent eines der Bosse der Desilu-Hierarchie offen
ins Gesicht: »Wenn man schon jemanden hätte feuern sollen,
dann Sie, und nicht Grace Lee. Zehn Ihrer Sorte könnten keiner
blauäugigen Blondine das Wasser reichen.« Er knurrte es im
Vorbeigehen beinahe hervor. Einen Augenblick lang zitterte
ich vor Wut. Plötzlich verstand ich die Reaktion des
Wachmannes. War das bloß die Reaktion eines Mannes, oder
hatte man etwas Derartiges im Studio geäußert? Der nächste
Zwischenfall machte die Meinung einiger der Angestellten auf
schmerzhafte Weise deutlich.
Von der ersten Woche der Star Trek-Ausstrahlung an
erhielten wir alle Fanpost. Natürlich bekamen Leonard und
Bill den Löwenanteil. Für gewöhnlich brachte ein Mitarbeiter
der Poststelle die Briefe – zwischen einem Dutzend und
zwanzig Stück die Woche – zum Set. Ich fand es schrecklich
aufregend, Fanpost zu bekommen; es macht mir noch immer
Spaß. Seltsamerweise bekam ich manchmal einen viel
größeren Stapel. »Die sind liegengeblieben. Wir konnten sie
Ihnen noch nicht zustellen«, lautete der Kommentar des Boten.
Und ich war so dankbar, daß es beinahe schon peinlich war.
Gegen Ende der ersten Season war ich es so leid, mitansehen
zu müssen, wie meine guten Szenen und Textpassagen immer
mehr gekürzt wurden, von den rassistischen Beleidigungen
außerhalb des Sets ganz zu schweigen. Ich dachte ernsthaft
daran aufzuhören. Am Set waren alle großartig, warum also
die Feindschaft draußen? Ich verstand es nicht, aber ich hielt
mich zurück. Ich glaubte, schon damit zurechtzukommen.
Eines Tages spazierte ich über das Studiogelände, als mir
zwei Angestellte aus der Poststelle begegneten.
»Hi« rief ich. Sie lächelten und gingen weiter, doch plötzlich
blieben sie stehen und drehten um. Die wollen bestimmt ein
Autogramm, dachte ich.
»Sie sind Nichelle Nichols«, sagte der eine.
Ich nickte.
Er blickte seinen Kollegen an, sah dann wieder mich an, als
wüßte er nicht genau, wie er es sagen sollte. »Wissen Sie«,
fing er an, »wir arbeiten in der Poststelle, und wir bekommen
Ihre Fanpost…«
»Wir finden, es ist eine Schweinerei, was da mit Ihnen
gemacht wird«, stieß der zweite Mann hervor. »Das ist so
niederträchtig.«
»Wovon sprechen Sie?«
»Wir sind angewiesen worden, Ihnen Ihre Fanpost nicht
auszuhändigen«, erklärte er.
»Ich verstehe nicht. Ich bekomme doch Fanpost.«
»Nein«, beharrte er. »Sie bekommen Ihre Fanpost nicht! Wir
haben Stapel – Säcke – Fanpost für Sie. Sie sind die einzige,
deren Fanpost an die Shatners oder Nimoys heranreicht.«
Ich stand wie erstarrt da, sprachlos. Ich hatte es nicht gewußt.
Den beiden Männern gefiel offensichtlich die Wirkung ihrer
Enthüllung, weil der eine sich beeilte hinzuzufügen: »Aber
wenn Sie jemand erzählen, daß wir es Ihnen gesagt haben,
werden wir gefeuert.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich war dankbar, daß
sie es mir gesagt hatten, hatte jedoch eine Stinkwut auf
denjenigen, der sie zum Schweigen verdonnert hatte. Mir war
durchaus bewußt, daß Karrieren oft in der Poststelle ihren
Anfang nehmen, also gab ich den beiden mit einem Nicken zu
verstehen, daß ich den Mund halten würde.
»Wissen Sie«, schlug der eine gewitzt vor, »keiner kann Sie
daran hindern, zur Poststelle zu kommen und die Post selbst
abzuholen.«
Tage später sah ich mit eigenen Augen die Kästen und Säcke
mit Post aus allen Teilen des Landes, von Erwachsenen und
Kindern aller Hautfarben und Rassen. Zu sagen, ich wäre
erstaunt gewesen, trifft meine Gefühle nicht einmal annähernd.
Es war ›nur‹ Fanpost, aber für diejenigen, die dafür gesorgt
hatten, daß ich ohne festen Vertrag arbeitete, die mich
anscheinend bei jeder Gelegenheit daran erinnern wollten, daß
ich ersetzbar war, war das die größte Demütigung von allen.
Ich verließ die Poststelle, ging zurück und schloß mich in
meiner Garderobe ein.
Es gab so viele gute Dinge bei der Arbeit an Star Trek – das
Geld, die Aufmerksamkeit, die man erregte, meine Kollegen –,
daß mir der Entschluß, nach der ersten Season aufzuhören,
sehr schwerfiel. Nachdem die letzte Folge abgedreht worden
war, ging ich in Genes Büro und kündigte.
»Hier gibt es so viel, das ich einfach nicht mehr ertragen
kann«, erklärte ich. »Bis jetzt habe ich die Drehbuchkürzungen
und den Rassismus weggesteckt, aber ich kann einfach nicht
mehr.«
Gene hörte aufmerksam zu. »Nichelle, bitte denk noch mal
darüber nach«, sagte er dann.
»Gene, du warst großartig, aber hier läuft zuviel falsch, und
ich bin nicht diejenige, die es in Ordnung bringen kann.« Wir
unterhielten uns noch eine Zeitlang, und bevor ich ging,
umarmten wir uns noch einmal. »Ich will nicht, daß du das
tust«, sagte er. »Ich kann dafür sorgen, daß es besser wird. Ich
habe hier ein Problem, und es ist ein harter, immerwährender
Kampf.«
Ich spürte, worauf Gene anspielte, wußte aber nicht genau,
was er mir eigentlich damit sagen wollte. Wie bereits erwähnt,
hatte ich zu diesem Zeitpunkt ja keine Ahnung, was er auf sich
genommen hatte, um mich zu schützen.
»Gehst du, haben sie gewonnen«, sagte er eindringlich. »Und
wenn sie dich fortjagen, haben sie zweifach gewonnen.«
Ich verabschiedete mich von Gene mit dem Gedanken, daß,
falls ich blieb und zuließ, mit weniger Respekt als meine
Kollegen behandelt zu werden, jene allgegenwärtigen ›Sie‹
ebenfalls gewonnen hatten. Es war mir einfach nicht länger die
Mühe wert.
Am folgenden Abend besuchte ich eine wichtige
Spendenveranstaltung der NAACP. Ich plauderte gerade mit
jemanden, als ein Mann auf mich zutrat. »Nichelle, hier ist
jemand, der Sie gern kennenlernen möchte. Er ist ein großer
Fan von Star Trek und Uhura.«
Ich drehte mich um, um diesen ›Fan‹ zu begrüßen und fand
mich Dr. Martin Luther King gegenüber. Ich war sprachlos,
und ich erinnere mich, daß ich dachte: Wer auch immer dieser
Fan ist, er muß warten.
Der Mann stellte uns vor. »Ja, ich bin dieser Fan«, waren die
ersten Worte, die Dr. King zu meiner großen Überraschung
sagte. »Ich wollte Ihnen nur sagen, wie wichtig diese Rolle
ist.«
Dann sprach er davon, daß er und seine Kinder jede Episode
von Star Trek sahen, und wie sehr sie Uhura verehrten. In
diesem Augenblick spürte ich zum ersten Mal richtig, welche
Auswirkungen meine Entscheidung hatte. Trotzdem erwiderte
ich: »Vielen Dank, Dr. King, aber ich will mit Star Trek
aufhören.«
»Das können Sie nicht«, erwiderte er entschlossen. »Und Sie
dürfen es auch nicht. Begreifen Sie nicht, wie wichtig Ihre
Gegenwart, Ihr Charakter ist? Erkennen Sie nicht, welch ein
Geschenk dieser Mann der Welt gegeben hat? Männer und
Frauen aller Rassen widmen sich gemeinsam der friedlichen
Erforschung der Galaxis, leben als Gleichgestellte. Hören Sie
mir zu: Begreifen Sie das nicht? Das ist keine schwarze Rolle,
es ist auch keine weibliche Rolle. Sie haben die erste Rolle im
Fernsehen, die nicht stereotyp ist, und dabei geht es nicht um
das Geschlecht. Sie haben Neuland betreten…«
»Es hat andere schwarze Stars gegeben«, hielt ich dagegen.
»Im Fernsehen?« erwiderte er. »Ja, Beulah. Arnos und Andy.
Muß ich noch mehr sagen?«
»Nein«, antwortete ich leise.
»Sie dürfen nicht aufhören. Sie haben eine Tür geöffnet, die
sich nicht wieder schließen darf. Ich bin davon überzeugt, daß
Ihnen Ihre Arbeit viel Kummer eingebracht hat und vermutlich
noch einbringen wird. Aber Sie haben das Antlitz des
Fernsehens für alle Zeiten verändert. Sie haben einen
Charakter voller Würde, Anmut, Schönheit und Intelligenz
erschaffen. Verstehen Sie nicht, daß Sie mehr sind als ein
Rollenmodell für kleine schwarze Kinder? Sie sind noch viel
wichtiger für Leute, die nicht wie wir aussehen. Zum erstenmal
sieht uns die Welt, wie es sein sollte, als Gleiche, als
intelligente Menschen – so, wie wir sein sollten. Für schwarze
Kinder wird es immer Rollenmodelle geben; Sie sind ein
Rollenmodell für alle Menschen.
Vergessen Sie nie, Sie sind nicht trotz, sondern wegen Ihrer
Hautfarbe im Fernsehen. Das hat uns Gene Roddenberry
gegeben.«
Das ganze Wochenende gingen mir Dr. Kings Worte durch
den Kopf, während ich alle Faktoren bedachte. Vielleicht hatte
er recht: Vielleicht war Uhura ein Symbol der Hoffnung, ein
Rollenmodell. Und wenn dies zutraf, schuldete ich ihr dann
keine zweite Chance? Zugegeben, Uhuras volles Potential war
nicht erfüllt worden, das würde leider auch niemals geschehen.
Aber immerhin gab es sie, nicht wahr? Und sie mußte für
etwas gut sein.
Als ich am Montag zur Arbeit ging, stattete ich zuerst Gene
einen Besuch ab und erzählte ihm von meiner Unterhaltung
mit Dr. King und meiner Entscheidung zu bleiben.
Eine Träne trat in Genes Augenwinkel. »Gott segne diesen
Mann«, sagte er. »Wenigstens einer hat erkannt, was ich
erreichen will.«

Es ist interessant, daß die Person, die die Hauptverantwortung


dafür trägt, daß ich an Bord der Enterprise blieb, neben
anderen Dingen auch ein Fan der Serie war. Im ganzen Star
Trek -Universum gab es keine Kultur oder Reich, auf die wir
während unseres Vorstoßes dorthin, wo nie ein Mensch zuvor
et cetera, et cetera… die je so loyal, mutig und einsam eine
Schlacht schlugen, wie es die Fans unseretwegen taten. Auf
der ›realen‹ Seite des Paralleluniversums – wo die Menschen,
die für die allmächtigen Nielson-Einschaltquoten gezählt
werden, so gesichtslos wie Vaal und die Bosse so heimtückisch
wie Klingonen sind – glänzte vulkanische Logik durch
Abwesenheit.
Ein Beispiel: die Einschaltquoten. Die Kritiker nahmen Star
Trek von Anfang an nicht ernst. Aber die Geschäftsführer der
Sender hören nur selten auf die Kritiker, also spielten sie kaum
eine Rolle. Die Einschaltquoten übten jedoch die Herrschaft
aus, und unsere Einschaltquoten waren nicht gut. Bei ihrer
gewaltigen Bedeutung und Macht sollte man annehmen, daß
sie einen wissenschaftlichen Überblick über Hunderttausende
amerikanischer Zuschauer bieten. Aber das ist ein Irrtum,
damals waren es etwa 1200 Familien. Ich habe nie verstehen
können, warum sich eine Multimilliarden-Dollar-Industrie
freiwillig von einer aus 1200 Familien des Mittelwestens
bestehenden Minderheit – was in etwa den Kommilitonen einer
kleinen Universität oder der Belegschaft eines einzigen, großen
Bürogebäudes entspricht – beherrschen läßt. Falls die Sender
eine ungefähre Vorstellung haben wollten, wer was warum
sieht, hätten sie mindestens 100000 Familien befragen müssen.
Oder wie wäre es mit 2 Millionen Menschen, was immer noch
weniger als ein Prozent der Bevölkerung gewesen wäre? Was
nun die Behauptung angeht, die von der Nielson Company
erhobenen Einschaltquoten würden eine wissenschaftliche,
statistische Analyse repräsentieren: Nicht ein Wissenschaftler,
Statistiker oder Mathematiker, der etwas auf seinen Ruf gibt,
würde dem zustimmen. Es ist bemerkenswert, wie viele Serien,
die heutzutage als überdurchschnittliche, nachdenklich
stimmende Fernsehklassiker gelten – wie Star Trek oder The
Prisoner, ebenfalls eine Serie dieser Periode – in der
Syndication∗, auf Kabel oder (wie kürzlich I’ll Fly Away) unter
den schützenden Fittichen des Public Broadcasting System
gewaltige Zuschauerzahlen und/oder das Lob der Kritik

Fernsehserien werden in den USA nach der Erstausstrahlung an das
Syndikat der vielen lokalen Fernsehsender verkauft, um dort als
Wiederholung zu laufen. Diese Zweitverwertung bringt hohe Einnahmen.
Mittlerweile produziert man Serien auch direkt für die Syndication. So
wurde Star Trek: The Next Generation schon vor dem Start 1987 an 170
lokale Sender verkauft, die fast 94% aller amerikanischen Fernsehhaushalte
erreichten; Anm. d. Übers.
gefunden haben. Unglücklicherweise gab es für Star Trek
keine derartige Heimat.
Der mitten in der Season ertönende Ruf nach Einstellung
resultierte aus der Tatsache, daß die Mehrzahl jener 1200
Testfamilien es vorzog, sich die beiden halbstündigen, seit
langem bestehenden und sehr beliebten Serien anzusehen, die
gegen uns antraten: My Three Sons und Bewitched (das in
dieser Season an achter Stelle der Zuschauergunst stand).
Unsere zweite Season trat gegen die erste halbe Stunde der
dritterfolgreichsten Sendung dieses Jahres an, Gomer Pyle
U.S.M.C, der das The CBS Friday Night Movie folgte.
Wie jedes andere vergleichbare Quotensytem auch sind die
Nielson-Einschaltquoten mit einem Pferderennen vergleichbar.
Nur weil dein Pferd nicht als erstes durchs Ziel geht, heißt das
noch lange nicht, daß es nicht läuft. Und so verhielt es sich mit
Star Trek. Tatsächlich sahen Millionen Menschen zu. Als die
ersten Gerüchte der drohenden Einstellung zirkulierten,
starteten führende Science Fiction-Autoren und Zuschauer die
erste Briefkampagne. Man kann sich NBCs Überraschung
vorstellen, als Zehntausende Briefe eintrafen und Fans einen
Schlagzeilen machenden Kerzenmarsch abhielten, um eine
angeblich ›unbeliebte‹ Serie zu unterstützen. Nicht nur, daß die
Fans die Serie retteten, sie retteten auch die Integrität der Serie,
denn einer der Vorschläge, die sich der Sender zur Rettung von
Star Trek ausdachte, war die Idee gewesen, die Storys einfach
›dümmer‹ zu machen. Es sollte nicht das letzte Mal sein, daß
die Fans auf unseren Hilferuf reagierten.
Mittlerweile wissen Sie, daß Gene Roddenberry auf seine
Weise ein Rebell war, ein Stachel im Fleisch des
Fernsehestablishments. In der Rückschau ging es bei den
Schlachten, die er ausfocht, um noble Dinge: Die
Einbeziehung des Raumschiffs, das von Starfleet erhobene
Mandat der Nichteinmischung, die Priorität gewaltfreier
Lösungen sowie das UMUK-Prinzip – Unendliche
Mannigfaltigkeit in Unendlicher Kombination –, das alles
brachte das Beste der menschlichen Natur zum Vorschein. Ja,
Gene und diejenigen, mit denen er sich umgab, scheuten dafür
keine Auseinandersetzungen, die sicher ihren Preis forderten.
Aber was die Produktion von Star Trek so mühsam machte,
waren die nebensächlichen, lächerlichen Dinge, die Gene
ständig verteidigen mußte. Wie Mr. Spock vielleicht sagen
würde: Es liegt darin begründet, daß die ›Schlips-und-Kragen-
Typen‹ Menschen sind. Doch manches Mal war ich mir da
nicht so sicher.
Kurz nachdem ich Gene kennengelernt hatte, kam er, um
mich im Ye Little Club in Beverly Hills singen zu hören; er
war so beeindruckt, daß er half, den MGM-Filmtest zu
arrangieren, der zu dem Besetzungscouch-Debakel führte. Die
Episode der ersten Season ›Charlie X‹ handelte von einer
Waise im Teenageralter namens Charlie, dessen telekinetische
Fähigkeiten seine Kontrollmöglichkeiten weit überstiegen, was
seine Existenz unter Menschen potentiell gefährlich machte. Es
ist eine mitreißende, provokante Geschichte, und Gene war der
Meinung, die Folge könnte ein paar auflockernde Momente
vertragen, also schlug er vor, mich in der Messe des
Raumschiffs singen zu lassen. Jemand in der Chefetage sagte
ihm, dies sei unmöglich.
»Natürlich ist das möglich«, argumentierte Gene. »Wir
können produzieren, was wir wollen, und die Zuschauer
werden beurteilen, wie gut oder schlecht es ist und es
dementsprechend akzeptieren oder ablehnen.« Im
Fernsehgeschäft war das Häresie.
»Das ist doch kein Weltraum-Musical«, erinnerten die Leute
vom Sender Gene, als wüßte er das nicht. »Sehen Sie, es sind
doch ganz normale Menschen«, hielt Gene dagegen. »Uhura
würde sicher nicht im Dienst an ihrer Konsole plötzlich singen
und tanzen, aber das ist der Erholungsraum, wo sich die
Mannschaft entspannt. Zum Teufel, als ich in der Air Force
war, hatten wir Leute dabei, die Musiker und Entertainer
waren. Wenn jemand singen oder Gitarre spielen konnte, dann
tat er es auch, und wir freuten uns darüber.«
Schließlich gaben sie nach und gestatteten den Versuch.
Aber nur einmal. Und es durfte nicht zu dramatisch sein.
»Und der Gesang darf nicht zu gut sein«, wurde ich informiert.
»Das müssen Sie meiner Stimme sagen«, antwortete ich
amüsiert. Das Lied, das ich sang, war die Parodie eines alten
englischen Madrigals, und indem ich es sang, nahm ich in
gewisser Weise Mr. Spock auf den Arm. Es hörte sich sehr
schön an, aber zuerst verweigerte der Sender seine offizielle
Erlaubnis, es in die Folge aufzunehmen, und schien bereit zu
sein, es herauszuschneiden, aber glücklicherweise taten sie es
dann doch nicht. Zu NBCs großer Überraschung war die
Reaktion der Fans so positiv, daß ich in zwei weiteren
Episoden ›Beyond Antares‹ sang, in ›The Conscience of the
King‹ und ›The Changeling‹. Plötzlich waren die
Verantwortlichen des Senders der Meinung, mein Gesang sei
eine gute Idee gewesen. »Wiederholen wir es doch, es zeigt die
menschliche Seite der Mannschaft«, verkündeten sie
enthusiastisch und teilten es Gene nachdrücklich mit, als hätten
sie vergessen, wessen Idee es ursprünglich gewesen war.
Viele dieser Geplänkel waren eher amüsant. Eine Plage der
Stammbesetzung – und das Thema zahlloser Komiker, die sich
seit jeher darüber lustig machten – waren unsere Uniformen,
insbesondere die der Jungs. Sie schaffen es, einen Mann nach
Cestus III (oder Janus VI oder Gamma Hydra IV) zu bringen;
warum ist es ihnen dann unmöglich, einen Velourstoff zu
erfinden, der nicht festklebt, einläuft, sich aufrollt oder
häßliche Falten wirft? Das war die Frage, die sich nicht nur
aufmerksame Zuschauer stellten. Die in ständiger Bewegung
befindliche Bauchgegend einiger der Jungs erschwerte den
niemals endenden Kampf des Kostümbildners Bill Theiss,
jeden vernünftig auszustatten. Nicht einmal Leonards
schlanker, drahtiger Körper konnte den Fluch dieser
schrecklichen Kostüme brechen, deren abwechselnd lose
herunterhängender oder zu enger Stoff fast jeden aussehen
ließ, als müßte er dringend etwas für seine Figur tun. Die
einteiligen Kleider der weiblichen Besatzung saßen da schon
wesentlich besser.
Theiss bekam einen Anfall, wenn das Drehbuch nach einer
kurvenreichen Schauspielerin verlangte, besonders wenn das
bedeutete, sie dementsprechend sexy einzukleiden. Betrachtet
man einige dieser enthüllenden Kostüme, könnte man
annehmen, daß Bill Theiss gern am weiblichen Körper
arbeitete. Eher das Gegenteil traf zu. Man konnte ihn sehen,
wie er durch die Kulissen eilte und murmelte: »All diese
Kurven! Diese Ausbuchtungen! Mein Gott!« Tatsächlich
bevorzugte Bill Theiss knabenhaft aussehende Mädchen. In
regelmäßigen Abständen bat er mich abzunehmen, obwohl ich
perfekt in Größe 8 hineinpaßte und in ausgezeichneter
Verfassung war. »Es ist unmöglich. Egal, wieviel Gewicht Sie
auch verlieren, die werden Sie nie los!« Mich beschlich der
Verdacht, daß Bill Theiss Hintern und Brüste als ein Zeichen
genetischer Minderwertigkeit sah.
Nun, offensichtlich war ich mit beidem ausgestattet, und ich
ärgerte ihn damit ohne Unterlaß. Ich lachte dabei, obwohl so
manches Mal meine Gefühle verletzt waren. Doch selbst wenn
ich es bin, die das sagt: Ich war der Meinung, daß ich meine
Uniform sehr schön ausfüllte. Einmal beschwerte sich Theiss
bei Gene darüber, ich sei einfach zu üppig und meine Kurven
ließen den Stoff zerknittern. »Bill, mir gefällt es«, erwiderte
Gene, ein anerkannter Bewunderer der weiblichen Form. »Sie
sieht wie eine Frau aus!«
In späteren Jahren, vor allem in den Siebzigern, als sich die
Frauenbewegung etablierte, stellte man mich wegen des
Kostüms zur Rede. Einige fanden es ›entwürdigend‹, daß eine
Frau der Kommandocrew so sexy gekleidet war. Das fand ich
immer überraschend, weil ich es nie so gesehen habe.
Schließlich war die Serie im Zeitalter des Minirocks
entstanden, und die Frauenuniformen waren sehr bequem. Im
Gegenteil zu dem, was heute vielleicht viele denken, sah man
es damals absolut nicht als entwürdigend an. Tatsächlich war
der Minirock das Symbol der sexuellen Befreiung. Wesentlich
bedeutsamer war jedoch, daß man im dreiundzwanzigsten
Jahrhundert wegen seiner Fähigkeiten und nicht wegen seiner
Kleidung respektiert wird. Ich will Ihnen was sagen: Ich hätte
diese lächerlichen Hochwasserhosen mit den Stulpen in
Wadenhöhe, die die Männer immer tragen mußten, freiwillig
nicht angezogen. »Warum schneidern Sie diese
gottverdammten Dinger nicht länger und lassen sie vor dem
Tragen einlaufen?« fragte ich Bill Theiss mehrmals.
Am Set hatten wir immer viel Spaß; es herrschte
Kameradschaft und gab viel Gelächter. Und dann waren da
natürlich Genes berüchtigte Scherze. Bill Theiss hatte gerade
in Genes Auftrag die neue Uniform in Rot angefertigt, die sich
von der erbsengrünen unterschied, die ich in der ersten Episode
getragen hatte. Wir machten einen Abstecher zu Genes Büro,
um sie genehmigen zu lassen. Wir saßen also da und
unterhielten uns, als das Telefon klingelte. Es war Eddie
Milkis, einer von Genes wichtigsten Produktionsassistenten.
Eddie war der Problemlöser, und Gene wußte, wenn er anruft,
gibt es irgendwo ein Problem. Er war aber gerade nicht in der
richtigen Stimmung dafür, doch Eddie ließ sich nicht
abwimmeln. Nachdem Gene nachgegeben und ihm gesagt
hatte, er solle vorbeikommen, befahl er seiner Sekretärin, ihn
von Eddies Ankunft zu unterrichten. Dann plante er mit
teuflischer Freude seinen Streich.
Genes ›Büro‹ war eigentlich eine richtige Suite und bestand
aus einem Vorraum, in dem die Sekretärin arbeitete, seinem
eigenen luftigen Büro sowie einer kleinen Küche, wo er einen
Kühlschrank voller Champagner, eine Bar, eine
Kaffeemaschine und andere Annehmlichkeiten stehen hatte.
»Die machen mich noch verrückt«, sagte Gene. »Nichelle, du
tust mir doch den Gefallen und spielst mit, ja? Eddie leistet
großartige Arbeit, aber er ist ein solcher Schwarzseher, daß ich
ihm eine Lektion erteilen möchte.«
Gene war ein hochgewachsener Mann und trug oft übergroße
Strickjacken. Er zog sie aus und gab sie mir. »Du und Bill, ihr
geht in die Küche, und du ziehst die Jacke an, so daß es
aussieht, als trügst du nichts darunter. Wenn ich dann sage:
›Eddie, Eddie, du machst dir viel zuviel Sorgen‹ kommst du
einfach rein, als wüßtest du nicht, daß noch jemand da ist.«
»Verstanden«, erwiderte ich. Bill und ich gingen in die
Küche, kichernd wie zwei Schüler, und er half mir, mich
fertigzumachen. Ich drückte das Ohr gegen die geschlossene
Tür und lauschte. Eddie beschwerte sich über irgend eine
Sache, und Gene versuchte, ihn zu beruhigen. Er wartete ein
paar Minuten, bevor er mir das Stichwort gab. Ich schlenderte
lässig ins Zimmer. Da stand ich nun, das Haar etwas zerzaust,
mit Genes Strickjacke bekleidet, die gerade eben das rote
Höschen bedeckte, das ich immer unter dem Kostüm trug, eine
Flasche Champagner in der Hand.
»Oh, Gene«, rief ich mit dem gehörigen Maß an
Verlegenheit. »Oh, es tut mir ja sooo leid.« Schluck. »Oh, hi,
Eddie!«
»Eddie, du kennst doch Nichelle, nicht wahr?« sagte Gene
unbekümmert, ohne auch nur einen Augenblick lang ins
Stocken zu geraten. »Komm rein, Nichelle.«
Eddie war entsetzt. »Äh… äh…«, war alles, was er
hervorbringen konnte.
Ich ging zum Sofa, vermied absichtlich jeden Blickkontakt
mit Eddie, und machte ein kokettes Schauspiel daraus, mich
mit untergeschlagenen Beinen zu setzen, ohne meinen (wie
Eddie dachte) nackten Hintern zu zeigen. Die ganze Zeit über
warf ich Gene verführerische, wissende Blicke zu und lächelte
ununterbrochen wie eine Katze, die vor dem Sahnetopf steht.
»Ich komme gleich, Nichelle«, sagte Gene lässig. »Entspann
dich.«
»Okay, Gene«, schnurrte ich und nippte am Champagner.
»O mein…«, war das höchste, was Eddie herausbrachte,
während er tapfer versuchte, mit seinen Angelegenheiten
fortzufahren. Ich muß sagen, Gene hätte für seine Darstellung
einen Oscar verdient. Als er sich schließlich nicht länger
beherrschen konnte, prustete er los, und wir alle fielen mit ein.
»Ihr seid schrecklich!« stotterte Eddie.
Er war über den Scherz fast so aufgebracht wie zuvor über
die ›delikate Situation‹, in die er allem Anschein nach
hineingestolpert war. Er war fuchsteufelswild. Mittlerweile
war Bill Theiss aus dem Versteck gekommen, und wir drei
lachten, bis wir keine Luft mehr bekamen.
Gene konnte aus fast jeder Situation einen Scherz machen,
wie ich bald erfahren hatte. Einer der problematischeren
Aspekte bei der Arbeit an Star Trek lag darin begründet, daß
zwar die Filmcrew nie wechselte, wir aber jede Woche mit
einem anderen Regisseur arbeiteten. Obwohl eine große
Anzahl von Regisseuren in den drei Produktionsjahren
mehrere Episoden drehten (zu den besten gehörten Vince
McEveety, der mich während der Dreharbeiten zu The
Lieutenant gerettet hatte, Marc Daniels, Joe Sargent und
Joseph Pevney, die die meisten Folgen der zweiten Season
drehten), führten andere nur bei einer, zwei oder höchstens drei
Folgen Regie. Zieht man in Betracht, daß wir neunundsiebzig
Episoden drehten, kann man sich vorstellen, wie viele
verschiedene Regisseure wir hatten.
Um nun eine Folge effektiv zu gestalten, mußte der Regisseur
nicht nur das Drehbuch und die Charaktere verstehen, sondern
auch über die Jahrhunderte fiktiver Geschichte, die
Möglichkeiten und Einschränkungen der Technologie und die
außerirdischen Kulturen Bescheid wissen.
Das heißt nicht, daß sich im Verlauf der Jahre gelegentlich
nicht ein paar Ungereimtheiten einschlichen. Aber im großen
und ganzen blieben die Drehbücher der ›Bibel‹ der Serie treu,
also dem Buch, das für Autoren und Regisseure die Regeln der
Serie festlegt. Diese Beständigkeit festigte den Eindruck, daß
jede Episode ein Mosaiksteinchen der ganzen Mission
darstellte. Sie verlieh auch unseren Charakteren eine größere
Glaubwürdigkeit. Und so lächelte oder lachte Mr. Spock
niemals (außer unter dem Einfluß bösartiger Mächte); Pille
befleißigte sich eines altmodischen Zynismus über den Wert
des ›Fortschritts‹, (wie sich beispielsweise in seinem
unausrottbaren Mißtrauen gegenüber dem Transporter zeigte);
und Chekov behielt seinen sowjetischen Chauvinismus. (Aber
ist es nicht bemerkenswert, daß wir das zwanzigste
Jahrhundert noch nicht ganz hinter uns gelassen haben und
sein geliebtes Leningrad bereits einen anderen Namen trägt?)
Und den Regeln zufolge war Uhura unter anderem ein
ernstzunehmender Profi. Nicht süß, nicht kokett, keine
weibliche Dekoration. Sie meinte, was sie sagte.
Jeder Schauspieler der Stammbesetzung nahm seine oder ihre
Rolle ernst. Die Integrität unserer Charaktere kam stets an
erster Stelle, und es war nicht ungewöhnlich, daß wir einen
Satz oder eine Handlung in Frage stellten, die uns völlig falsch
vorkamen. Die meisten Regisseure respektierten unsere
Ansichten und verließen sich auf unseren Input.
Eines Tages drehten wir mit einem neuen Regisseur, und
alles klappte wie am Schnürchen, bis er mir befahl, etwas
Niedliches zu tun, das Uhura niemals getan hätte. Auf dem Set
kehrte Schweigen ein. Alle Blicke richteten sich auf mich. »Es
tut mir leid«, sagte ich entschieden. »Aber Uhura kann das
nicht tun.«
»Wovon sprechen Sie?« wollte er wissen.
»Der Charakter Uhura würde sich niemals so verhalten.«
»Das ist lächerlich!« spottete er. »Also los, noch mal von
vorn! Action!«
Dann: »Schnitt!«
»Nichelle, wo liegt das Problem?« fragte er hitzig.
»Ich habe kein Problem.«
»Aber Sie haben nicht getan, was ich Ihnen gesagt habe.«
»Das ist richtig. Und ich habe Ihnen gesagt, Uhura kann das
nicht tun.«
»Sehen Sie, Miss Nichols, wenn der Regisseur Sie bittet,
etwas zu tun, dann sollte das auch geschehen. Also noch mal
von vorn.«
Und natürlich wiederholte sich die Szene. Als mehrere
Schauspieler der Stammbesetzung mir zu Hilfe eilten und dem
Regisseur zu erklären versuchten, warum ich recht hätte, verlor
er die Beherrschung. »Ich will keine Entschuldigungen für sie
hören!« rief er. »Keine Schauspielerin sagt mir, daß sie sich
weigert, meine Anordnungen zu befolgen.«
»Ich brauche keine Lektion vor versammelter Mannschaft
über die richtigen Verhaltensmaßregeln«, informierte ich ihn.
»Ich weiß, was eine Schauspielerin zu tun hat und welchen Job
der Regisseur hat. Soweit es mich betrifft, ist der Regisseur der
liebe Gott. Wenn Sie eine bestimmte Darstellung verlangen,
dann werde ich, die Schauspielerin, es auch tun.«
»Großartig«, erwiderte er, offensichtlich erleichtert und
überzeugt, gewonnen zu haben.
»Aber Uhura kann das nicht machen. Soll ich Ihnen erklären,
warum…«
»Ich will es nicht hören!« brüllte er, als er sein Drehbuch zu
Boden warf. »Ich lasse mir das nicht bieten! Ich lasse Sie vom
Set werfen!«
»Die Mühe können Sie sich sparen«, antwortete ich und ging
in Richtung meiner Garderobe. Hinter mir erscholl Gemurmel,
dann schrie er: »Fünf Minuten Pause!« Von meiner Garderobe
aus konnte ich sehen, wie er telefonierte. Zwar konnte ich nicht
jedes Wort seiner Tirade verstehen, aber die Worte
»unkooperative Schauspielerin« und »Das habe ich Ihr gesagt«
waren deutlich zu hören. Irgendwann steckte Bill den Kopf
durch die Tür und sagte: »Bleib hier, Nichelle, das ist keine so
große Sache.« Ich war jedoch ziemlich davon überzeugt, daß
ein Kopf rollen würde, und zwar meiner.
Der Regisseur knallte den Hörer auf die Gabel und brüllte:
»Macht Mittagspause! Macht alle eure verdammte
Mittagspause!« Und so blieb mir eine ganze Stunde, in der ich
mir Sorgen machen und mich fragen konnte, wie es wohl
weitergehen würde. Wir kamen zurück, doch man brauchte
mich nicht, da der Regisseur entschieden hatte, erst ein paar
andere Szenen zu drehen. Ich saß mit Bill, Leonard, Dee und
dem Rest der Bande zusammen und unterhielt mich voller
Unbehagen mit ihnen, als der Regieassistent sagte: »Nichelle,
Gene will Sie sofort in seinem Büro sehen.«
Ich erhob mich von meinem Stuhl, und als ich zur Tür ging,
hörte ich Bemerkungen der Jungs wie »Oh oh« oder »Jetzt ist
sie fällig«; ihr Gekicher erinnerte an ein Schulzimmer voller
Drittkläßler.
Ich blieb stehen und sah sie finster an: Bill, Leonard, Dee,
Jimmy und George; der ganze Haufen benahm sich wie böse
kleine Jungs. »Ach, haltet doch die Klappe«, sagte ich und
marschierte aus der Tür. Ich ging quer übers Studiogelände zu
Genes Büro, ohne mir dabei etwas zu denken. Doch als Genes
Sekretärin auf meine freundliche Begrüßung mit einem
tieftraurigen »Oh, hallo Miss Nichols. Sie dürfen gleich durch.
Mr. Roddenberry erwartet Sie« reagierte, kamen mir dann
doch Bedenken.
»Hi, Gene.«
Er sah mich mit diesen großen Falkenaugen an. »Oh, hallo,
Nichelle«, sagte er distanziert. »Setz dich doch, bitte.« Er
schrieb weiter. »Einen Augenblick noch.«
Ich konnte sehen, daß er in Wirklichkeit gar nichts schrieb,
sondern nur so tat. Und so setzte ich mich. Und saß. Und saß.
Während Gene ein paar Anrufe erledigte und Notizen machte,
wuchs meine Entschlossenheit nur noch. Ich rief mir ins
Gedächtnis zurück, wie ich recht hatte und nicht zulassen
würde, daß jemand den Charakter bloßstellte, den ich
verkörperte, selbst wenn es mich den Job kostete. Nun,
vielleicht auch nicht. Dann fing ich an, meine
Verteidigungsstrategie aufzubauen. Sicher, ich würde die
Szene wie befohlen spielen, aber Gene würde die
Verantwortung tragen, wenn es den Fans auffiel. Und so weiter
und so fort, bis ich mich richtig in Rage gebracht hatte.
Schließlich sah Gene auf. »Ich habe einen Anruf vom
Regisseur bekommen.«
»Ja, das ist mir bekannt.«
»Nichelle, er hat sich über eine störrische Schauspielerin am
Set beschwert, und wie du weißt, dulde ich in meiner
Produktion keine störrische Schauspielerin.«
So hatte Gene noch nie mit mir gesprochen, und ich saß
schockiert da. »Ich habe ihm erklärt, daß ich entsetzt war, als
ich hören mußte, daß du diese störrische Schauspielerin bist.
Ich habe ihm gesagt, daß Nichelle Nichols die kooperativste
Schauspielerin im ganzen Geschäft ist.«
»Vielen Dank, Gene.«
Gene wiederholte dann das ganze Gespräch und bat mich um
die Bestätigung, daß er alles korrekt wiedergegeben hatte.
»Ich habe mir nur Sorgen um die Serie gemacht«, fügte ich
defensiv hinzu.
»Ich habe dich gefragt: ›Ist das korrekt?‹« fauchte Gene.
»Ja, das ist korrekt«, antwortete ich mit zusammengepreßten
Lippen.
»Nun, darum habe ich ihm auch gesagt, daß Nichelle Nichols
eine kooperative Schauspielerin ist und daß du, diese
Schauspielerin, den Regieanweisungen des Regisseurs in
jedem Punkt Folge leisten wirst.« Gene machte eine kleine
Pause, dann sah er mir direkt in die Augen. »Aber ich habe
ihm auch erklärt: Uhura kann das nicht tun.«
Zuerst glaubte ich, ein unterdrücktes Kichern gehört zu
haben, dem ein zweites folgte, und plötzlich ertönte
schallendes Gelächter, als nacheinander der Produzent, der Co-
Produzent und andere Mitarbeiter hinter dem Sofa
hervorkamen und aus dem Vorzimmer hereinströmten.
»Du läßt dich nicht von deiner Meinung abbringen, was?«
wurde ich gefragt, während Gene vor Lachen brüllte. In
diesem Augenblick war ich stinksauer. »Gene, verdammt, du
hast mich schon wieder reingelegt. Ich schwöre bei Gott, das
zahle ich dir heim!«
»Oh, das hoffe ich doch«, erwiderte er mit einem stolzen
Grinsen. »Ist das ein Versprechen?«
Ich kehrte ins Studio zurück, das Make-up verschmiert vor
Lachen. Natürlich waren alle in den Scherz eingeweiht
gewesen, und als ich zum Maskenbilder ging, fing einer nach
dem anderen an zu applaudieren. Die fragliche Szene wurde
umgeschrieben, und alles war in Ordnung. Ich glaube jedoch
nicht, daß sich der Regisseur je wieder völlig davon erholt hat.
Unter den Schauspielern trieben wir unsere eigenen Scherze.
Selbst wenn man bedenkt, wie ernst jeder seine Arbeit nahm,
gab es doch eine Menge zu lachen. Die Star Trek-Aufnahmen
sind voll von Pannen, wie wir gegen Türen laufen, die sich
nicht aufs Stichwort öffnen oder ähnliches. Manchmal
steigerten wir uns so hinein, das allein mein Satz
»Grußfrequenzen geöffnet, Captain« uns in schallendes
Gelächter ausbrechen ließ, einfach so, völlig grundlos. Oder
Jimmy, der Meister vieler Stimmen, sagte sein Markenzeichen
»Ich brauche diese Dilithiumkristalle, Capt’n, oder ich kann
Ihnen nicht versprechen, daß sie durchhält« in der Stimme von
Jose Jimenez oder Marilyn Monroe.
Der Schlimmste von uns war jedoch George Takei, der seiner
Intelligenz und seinem ausgeprägtem sozialen Bewußtsein zum
Trotz die Angewohnheit besaß, aus dem Stegreif lächerliche
kleine Singsangverse zu komponieren. Sie brachten uns
ständig zum Lachen, aber George hörte wie ein ausgelassener
kleiner Junge einfach nicht auf, wenn er einmal angefangen
hatte. »Okay, George. Genug! Es reicht!« flehten und bettelten
wir ihn an.
»Okay, okay, schon gut«, lautete dann seine Antwort, und er
versuchte, sich zu beherrschen. Aber schon in der nächsten
Sekunde platzte er wieder heraus. Ich konnte ihn ziemlich
perfekt imitieren, und wenn er über die Stränge schlug, wartete
ich, bis er sich beruhigt hatte, und fing dann an zu lachen,
genau wie er es tat: ein tiefes, lautes »Angh-angh-angh«, das
sich bestenfalls mit dem Schrei einer sehr kranken Ente
vergleichen läßt. Bei jedem Angh stieg meine Stimme eine
Oktave, bis George dann rief: »Okay, Nichelle, aufhören!
Bitte!« Aber er krümmte sich vor Lachen zusammen, während
wir im Duett ›Die Ballade der verstopften Gans‹ vorführten.
Wenn er nicht aufhören konnte zu lachen, entfernten wir uns
einfach aus seiner Nähe und ließen den armen George dort
stehen, bis der Regisseur »Schnitt!« brüllte.
Die Rache der Stammbesetzung kam in der zweiten Season in
Gestalt von Walter Koenig (Chekov). Wie George ist Walter
ein äußerst begabter, intelligenter, sensibler Mann und ein
großartiger und ernsthafter Schriftsteller. Er ist auch ein
ziemlicher Witzbold. Walters Vorstellung von einem
gelungenen Scherz bestand darin, beiläufig zu erwähnen, daß
am Set oder im Studio etwas Schreckliches passiert war.
Georges Achillesferse ist seine Gutgläubigkeit, und nach
wenigen Sätzen hing George an Walters Lippen und verfolgte
atemlos jedes Wort, sprachlos bis auf das gelegentliche
ungläubige »Tatsächlich? Im Ernst, Walter?«
Walter pflegte in diesen Fällen ernst zu nicken, und sobald er
sich sicher war, daß George den Köder geschluckt hatte, setzte
er noch eins obendrauf. »Moment! Das ist noch nicht alles…«
George hörte sich die Geschichte ein paar Minuten lang an –
die wie Pinocchios Nase immer länger zu werden schien – und
rief dann aus: »Das kann nicht dein Ernst sein! Du lügst!«
Wenn Walter dann genug hatte, sagte er ganz ruhig und
unschuldig: »Natürlich, George. Natürlich lüge ich. Du hast
das doch wohl nicht geglaubt, oder?« Man sollte denken,
George wäre irgendwann nicht mehr auf Walter hereingefallen,
aber wie Sie später lesen werden, kann davon keine Rede sein.
Am liebsten nahmen wir uns jedoch Leonard vor, da er im
Gegensatz zu Bill über einen Gleichmut verfügte, der
manchmal an Unergründlichkeit grenzte. Hinter der Kamera
konnte er unglaublich witzig sein mit seinem trockenen Humor
und seinem ansteckenden Gelächter. Ich erinnere mich an viele
fröhliche Augenblicke mit ihm. Wir engagierten uns beide für
viele politische und gesellschaftliche Angelegenheiten, so daß
wir uns oft begegneten. Obwohl ich zugeben muß, daß selbst
in meiner Vorstellung Leonard und Mr. Spock so miteinander
verwoben sind, daß es mich immer kurz schockiert, wenn ich
ihn lachen sehe.
Es ist nicht einfach, Leonard aus der Ruhe zu bringen, und
vermutlich macht es genau darum auch soviel Spaß. Das
Studiogelände, auf dem wir filmten, war ziemlich groß, und
Leonard nahm sich die Mitarbeiter und die Sicherheitsleute
zum Vorbild und kaufte sich ein Fahrrad, das er vor unserem
Gebäude parkte. Jeden Tag schwang er sich in der
Mittagspause aufs Rad und raste in wenigen Minuten zur
Kantine, während Grace Lee, George, Jimmy, Dee und der
Rest von uns über das Gelände gingen und uns über Leonard
aufregten. Wir waren alle neidisch auf sein Fahrrad, dennoch
ging keiner von uns her und kaufte sich ebenfalls eins. Wir
wollten ihn nicht nachäffen. Außerdem machte es mehr Spaß,
über Leonard herzuziehen, weil er so klug war, sich ein Rad zu
besorgen, als es ihm gleichzutun.
Eines Tages steckten Bill und die Crew mit uns die Köpfe
zusammen, und wir beschlossen, Leonards Rad an den Balken
der Hallendecke aufzuhängen. Wer würde dort oben schon
danach suchen?
Einige Tage strich Leonard mit rechtschaffener Empörung
über das Gelände. »Ist das zu glauben?« fragte er jeden, der
zuhörte. »Mein Rad! Jemand hat mir mein Fahrrad gestohlen!«
Was Leonard jedoch dabei nicht auffiel, war die Tatsache, daß
wir jedesmal, wenn er wieder davon anfing, zur Decke blickten
und uns an den Köpfen kratzten, während wir sein Leid teilten.
»Wow, wie schrecklich«, sagte ich und sah in die Höhe.
»Leonard, ich kann es kaum glauben.« George, Walter und
Jimmy, die immer für einen schönen Streich zu haben waren,
legten sich richtig ins Zeug. Bill machte es sich zur täglichen
Aufgabe, sich nach dem neusten Stand der Dinge zu
erkundigen. »Hey, Kumpel, gibt’s was Neues über dein Rad?«
Als wir dann wieder einmal mit Leonard zusammenstanden
und in die Höhe blickten, dämmerte es ihm. Warum sahen wir
alle nach oben? Langsam folgte sein Blick dem unseren.
»Das kann ich nicht glauben«, stotterte er, als er sein
geliebtes Rad an den Kabeln hängen sah. »Das glaube ich
einfach nicht!« Wir konnten uns kaum halten vor Lachen. Ich
bin mir nicht sicher, ob Leonard uns jemals hundertprozentig
vergeben hat. Als wir Jahre später den ersten Star Trek-Film
drehten, besaß Leonard ein neues Fahrrad. Daran befestigt war
eine Metallplatte mit seinem Namen und der Aufschrift »Bitte
stehlen Sie mein Rad nicht!«. Die Versuchung war fast
unwiderstehlich. Aber wir hatten Angst, Leonard würde seine
angedeutete Drohung wahrmachen und private Schutzleute
anheuern und Überwachungskameras installieren, um sein
kostbares Rad zu beschützen.
Doch gewöhnlich blieb Leonard so kühl und beherrscht wie
ein Vulkanier. Der vielleicht komplizierteste Scherz schloß
seinen Sohn Adam ein, der bei Produktion der Serie etwa acht
Jahre alt war. Dieser Streich erforderte viel Planung, denn es
war unumgänglich, Adam mit einer kindgroßen Starfleet-
Uniform auszustaffieren und ihn so herzurichten – mit Ohren
und allem –, daß er wie sein Daddy aussah.
Das Drehbuch verlangte nach einer Szene auf der Brücke, in
der Spock im Sessel des Captains saß, mit dem Rücken zu den
Aufzugstüren. Ein Fähnrich sollte eintreten und ein paar Sätze
sagen, und in diesem Augenblick sollte Spock sich mit seinem
Sessel drehen, so daß er dem Fähnrich ins Gesicht sah, und den
kurzen Wortwechsel zu Ende führen. Wir ließen Leonards
Sohn in seiner Verkleidung als Vulkanier im Aufzug warten.
Die Türen öffneten sich. Adam sagte den Text des Fähnrichs,
dann drehte sich Leonard zu ihm um. Und antwortete, ohne
lächeln zu müssen oder aus dem Konzept zu kommen. Wir
entlockten Leonard nicht einmal eine Spocksche hochgezogene
Augenbraue. Aber der wahre Höhepunkt kam in dem
Augenblick, in dem Adam seine Rolle ›abstreifte‹ und sagte:
»Aber Daddy, ich liebe dich.«
»Das ist schön, Adam«, erwiderte Leonard ganz ruhig. Und
während alle, Stammbesetzung und Crew, in atemloser
Spannung darauf warteten, daß Leonard sich nicht länger
beherrschen konnte und zu lachen anfing – was übrigens nicht
geschah –, waren in Wirklichkeit wir die Angeschmierten.
8

Im großen und ganzen verlief die Reise auf der Enterprise


glatt. Die Turbulenzen, die wir zu bestehen hatten, kamen
gewöhnlich von außerhalb. Während wir glücklich daran
arbeiteten, Genes Vision in die Realität umzusetzen, legte er
die Rüstung an und kämpfte gegen die diversen ›realen‹
Ungeheuer, die unsere Mission verwässern, kontrollieren oder
beenden wollten. Im Laufe der Jahre hatte Gene es sich
angewöhnt, das Star Trek-Drama, das sich hinter der Kamera
abspielte, als eine Schlacht zwischen Gut und Böse
darzustellen, und auf vielerlei Weise stimmt dieses Bild. Mit
der Entwicklung und der Produktion von Star Trek wollte
Gene das amerikanische Fernsehen verändern. Dieses Ziel
verschlang unglaublich viel Zeit, Energie und Hingabe. Gene
wußte, daß er Hilfe brauchte. Es fiel den wenigsten auf, aber
seine Gesundheit war bedroht.
Kurz nach Produktionsbeginn der ersten Season brachte er
seinen Freund Gene Coon an Bord; er sollte die
Produktionsleitung übernehmen, damit sich Gene mehr auf die
Dinge konzentrieren konnte, die der Produzent außerhalb des
Drehortes zu erledigen hat. Coon, der unter anderem an der
Entstehung von McHale’s Navy und The Munsters beteiligt
gewesen war, hatte Drehbücher für viele populäre Serien
verfaßt, einschließlich des SF-Westerns The Wild Wild West.
Jetzt gab er Genes ursprünglichen Ideen den letzten Schliff. Er
gestaltete und/oder schrieb viele der wichtigsten Episoden:
unter anderem ›Arena‹, ›Space Seed‹, (was die ›Vorge-
schichte‹ für Star Trek II: The Wrath of Khan wurde). ›Meta-
morphosis‹, ›A Taste of Armageddon‹ und ›Errand of Mercy‹.
In einigen Fällen, in denen andere Autoren die Story
geschrieben hatten (was im Fernsehgeschäft häufig vorkommt,
wo Drehbücher oftmals die Arbeit mehrerer Autoren
widerspiegeln), gab Gene Coon dem Drehbuch die endgültige
Fassung.
Gene Roddenberrys Ziele für Star Trek waren
außerordentlich ambitioniert; er bezeichnete seine Storys sogar
als ›Moralstücke‹. Er hatte begriffen, daß es großartiger
Geschichten, fesselnder Charakterisierungen und
glaubwürdiger Dialoge bedurfte, um komplizierte
philosophische Themen darzustellen, und er wußte, daß Gene
Coon dies schaffen konnte. Coons einzigartiges Talent bestand
darin, Charaktere so darzustellen, daß sie glaubwürdig waren –
die bösen Außerirdischen eingeschlossen. Er fand mühelos das
Gleichgewicht zwischen der nötigen Action der Geschichte
und ihrer ›Botschaft‹. Ohne ihn wäre das Star Trek -Universum
ein ganz anderer Ort; zum Beispiel gäbe es keine Klingonen,
die er zusammen mit Gene Roddenberry erschaffen hat.
Doch als Gene Coons Freund bin ich der Meinung, daß er
noch etwas anderes beisteuerte, etwas Immaterielles, aber
ungeheuer Kostbares. Er löste Gene Roddenberry bei der
täglichen Produktion der Serie ab, so daß dieser andere,
wichtigere Schlachten schlagen und seine angegriffene
Gesundheit – was sein Geheimnis blieb – wieder in Ordnung
bringen konnte. Aber Gene Coon verstand Star Trek auch.
Nicht nur, daß er Roddenberrys Vision respektierte, er
verbesserte sie noch. Coon und Roddenberry verband eine
enge Freundschaft, deren Wert man nicht unterschätzen darf.
Aus ihren Büros, die durch einen Korridor getrennt waren,
riefen sie einander Ideen zu und besuchten sich ständig,
spielten mit Konzepten und trafen Entscheidungen. Gegen
Feierabend trafen sie sich in einem der Büros, wo ich sie dann
gewöhnlich dabei antraf, wie sie die Geschehnisse des Tages
besprachen. Ich verbrachte ein paar Abende mit ihnen, hielt
einen Drink in der Hand und lachte, während sie zukünftige
Episoden schrieben, auseinandernahmen oder umschrieben.
Ihre Zusammenarbeit war nahtlos. Manchmal war es mir
unmöglich zu sagen, wer nun eigentlich die Idee gehabt und
wer sie ausgearbeitet hatte.
Die beiden Genes liebten und respektierten einander wie
Brüder. Sie waren auf einer Mission und strebten dem Ruhm
entgegen. In Gene Coon fand Gene Roddenberry eine
verwandte Seele, die ihre Gefühle in einem Drehbuch
genausogut, wenn nicht noch besser als er ausdrücken konnte.
Und dafür liebte Gene Roddenberry ihn.
Gene Coon hatte einen unglaublichen Sinn für Humor.
»Komm schon, Nichelle, wann endlich gibst du nach und wirst
meine Freundin? Du weißt, daß ich dich liebe!« pflegte er
beinahe jedesmal zu sagen, wenn wir uns über den Weg liefen.
Eines Tages in seinem Büro sagte ich, ich fände das Gemälde
über seinem Schreibtisch zwar ausdrucksvoll, aber morbide.
»Darum hängt es dort, wo ich es nicht sehen kann«, antwortete
er. »Es ist ein Geschenk meiner Frau.«
»Oh, sie hat es dir gekauft?«
»Nein, sie hat es gemalt. Es gefällt mir, wenn die Leute vor
mir sitzen und es ansehen müssen. Sie fühlen sich dann
unbehaglich, aber was noch besser ist, ich muß es nicht
ansehen!«
Seine Chefsekretärin war eine wunderschöne Schwarze
namens Andrea Richardson, die meines Wissens nach die erste
schwarze Chefsekretärin auf dem ganzen Studiogelände war
und deren Miniröcke lange, schöne Beine enthüllten, die sogar
Tina Turner mit Neid erfüllt hätten. Sie teilte Gene Coons
unberechenbaren, sardonischen Sinn für Humor. Lange bevor
schwarze Komiker es populär machten, rassistische Begriffe zu
entschärfen, indem sie sie selbst benutzten, konnte ›Andi‹
einem den Wind aus den Segeln nehmen. So nahm sie Anrufe
mit tiefer, erotischer Stimme und den Worten »Coon’s Coon«∗
entgegen. Wenn man es beim erstenmal nicht verstand,
wiederholte sie es jedoch nicht. Während sich der Anrufer also
noch fragte: Hat sie gerade das gesagt, was ich glaube, daß sie
gesagt hat, sagte Andi höflich: »Ja, hier ist Mr. Coons Büro.
Was kann ich für Sie tun?«
Zu den vielen Dingen, die Gene Coon und Gene Roddenberry
gemeinsam hatten, gehörte leider auch eine unglückliche Ehe.
Bei einer Preisverleihung saß ich zufällig am selben Tisch wie
die beiden Genes und ihre Frauen. Männer beschweren sich
oft, daß ihre Frauen sie nicht verstehen oder respektieren, aber
bei ihnen schien das tatsächlich zuzutreffen. Ich hatte das
Pech, Zeugin zu werden, wie die beiden Ehefrauen (die bald
darauf die Ex-Frauen sein sollten) ihre Männer vor aller Welt
beleidigten. Allen am Tisch Anwesenden war es sichtlich
peinlich, zuhören zu müssen, wie die Damen ihre Männer
heruntermachten, während Gene und Gene schweigend dort
saßen, ihre Zigaretten rauchten und in die Ferne starrten.
Schließlich standen sie auf, entschuldigten sich höflich und
kehrten erst am Ende des Abends zum Tisch zurück. Eine
Woche später verließ Gene Coon seine Frau, und kurz drauf
machte es Gene Roddenberry ihm nach.
Sie waren Gene und Gene, die beiden Genes, die Genies. Da
ich sie so gut kannte, kamen sie mir schließlich wie eine
Person vor, wie die zwei Seiten einer Münze.
Leider hörte Gene Coon nach der zweiten Season auf, zum
Teil deshalb, weil er anfing, unter der gleichen Erschöpfung zu
leiden und sich genauso ausgebrannt zu fühlen wie
Roddenberry, als dieser ihn eingestellt hatte, um genau dem zu
entkommen. Ein weiterer Grund, den Produzenten-Job an den


Coon ist eine abwertende, beleidigende Bezeichnung für Negerin; Anm. d.
Übers.
Nagel zu hängen, war persönlicherer Natur. Nach seiner
unglücklichen Ehe war er durch einen Zufall seiner ersten
wahren Liebe Jackie wiederbegegnet. Glücklich mit Jackie
verheiratet, steuerte er weiterhin Geschichten für Star Trek bei
und war unglaublich glücklich, bis er nur fünf Jahre später
verstarb. Er wird vermißt, aber ich bin sicher, daß er, wo auch
immer er ist, genau weiß, welch langlebiges Vermächtnis er
hinterlassen hat.
Einer von Gene Coons großen Beiträgen bestand darin,
unsere Charaktere lockerer zu machen und menschlichere,
universellere Erfahrungen an Bord der Enterprise zu bringen.
Zum Beispiel war das dreiseitige Wechselspiel zwischen Kirk,
Spock und Pille Coons Idee. Genau wie Roddenberry hielt er
es für eine gute Vorgehensweise, Episoden auch um andere
Charaktere herum aufzubauen. Der Sender, der jede Serie mit
einer Ensemble-Besetzung verabscheute, hieß die Popularität
von Kirk und Spock willkommen. Denn so hatte man – wie bei
jeder anderen populären Fernsehserie jener Zeit – einen oder
zwei Helden; sie waren der Mittelpunkt, um den sich alles
drehte, und alle anderen waren nur Beiwerk. Gene
Roddenberry kämpfte noch immer hart darum, den Rest von
uns in den Vordergrund zu rücken, aber das wurde ständig
verhindert. Am Anfang war unser Set wie ein kleines, privates
Fort, das vom Feind umzingelt war. Doch zu Beginn der
zweiten Season begann sich Bill Shatner zu verändern, und
Gene mußte feststellen, daß es in seinem Lager ein Problem
gab: Captain Kirk.
Genes Beziehung zu Bill war ziemlich kompliziert, was im
gleichen Maße auch für Leonard galt. Manche sagen, der
Anlaß für die Spannungen lag hauptsächlich in der Tatsache
begründet, daß Gene Charaktere schuf, mit denen die
Schauspieler für alle Zeiten identifiziert wurden (was auch für
den Rest der Stammbesetzung gilt). Da ich ebenfalls darunter
gelitten habe, kann ich nachvollziehen, daß sie über diese
Festlegung wenig erfreut waren. Sowohl Bill als auch Leonard
haben in verschiedenen Stadien ihrer Karrieren eindeutig klar
gemacht, daß sie sich von ihren Charakteren distanzierten.
Leonard gab seiner Autobiographie sogar den Titel I Am Not
Spock, während Bill sich oft verächtlich über Fans geäußert
hat, die ihn als Captain Kirk liebten. Aber die Fans ließen nicht
zu, daß sie ihre Charaktere vergaßen, und im Laufe der Zeit
mußten sie akzeptieren, daß sie trotz anderer Erfolge immer
Captain Kirk und Mr. Spock sein werden, genau wie wir
immer Uhura, Pille, Scotty, Sulu und Chekov sein werden.
Andererseits legt jeder Schauspieler, der etwas auf sich hält,
einen Teil seines Selbst in jede Rolle, so daß es unmöglich ist,
sich nicht mit ihr zu identifizieren. Sicher, die Figur hat immer
jemand anderes erfunden und sie auf dem Papier skizziert, aber
es ist der Schauspieler, der ihr Leben verleiht, und indem man
das tut, schmiedet man einen Bund mit seinem imaginären
Alter ego.
Ich glaube nicht, daß die Leute damals in vollem Ausmaß
erkannt haben, wieviel Gene von sich in Star Trek investiert
hat, und ich spreche hier nicht von den zahllosen
Arbeitsstunden oder den Auseinandersetzungen mit dem
Sender oder der Produktionsgesellschaft. In seiner Vorstellung
schrieb Gene von sich selbst, als er Captain Kirk erschuf:
lebhaft, emotional, engagiert. Aber er war auch Mr. Spock, ein
Mann, der von der Vernunft beherrscht wird. So sehr ich Gene
auch geliebt habe, bin ich doch die erste, die zugibt, daß er
schwierig und unmöglich sein konnte. Gene, Bill und Leonard
hatten die drei ausgeprägtesten Egos auf diesem Planeten, und
im Laufe der Zeit entfremdeten sie sich einander, aus welchen
Gründen auch immer. Leonard zum Beispiel erwähnte, er hätte
sich nicht ausreichend geschätzt gefühlt. Bill hat klar zum
Ausdruck gebracht, daß Gene seiner Meinung nach mit Ende
der zweiten Season ›von Bord ging‹. Ich weiß, daß Gene sich
nach Coons Einstellung auf seine Rolle als Produzent
konzentrierte und nicht mehr täglich am Set anwesend war.
Unabsichtlich hinterließ er ein Vakuum, das gefüllt werden
wollte. Und Bill Shatner übernahm diese Rolle im Alleingang;
er spielte den Boß, schüchterte Regisseure und Gaststars ein,
beschnitt den Text und die Auftritte der anderen Schauspieler
und riß genug Kontrolle an sich, um das familiäre Gefühl zu
zerstören, das wir während der ersten Season aufgebaut hatten.
Im ersten Band seiner Memoiren gesteht Bill, daß ihm nicht
bewußt war, welche Gefühle ihm seine Kollegen tatsächlich
entgegenbrachten. Mich hat es nicht überrascht, daß Bill dies
nicht auffiel, da er jedem im Studio klar machte, daß er der
Star und der Rest von uns nicht wichtiger als die Kulissen
waren. Alles, was sich nicht auf ihn konzentrierte, bedrohte
sein Revier, und er vergaß niemals, seinen Unmut zum
Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel war ich sehr verletzt und
beleidigt, als ich Jahre später las, daß er uns als ›gestörte
Familie‹ bezeichnete. Tatsächlich war und ist der Rest von uns
eine Familie, eine Familie, von der er sich sehr früh
distanzierte. Damals schrieb ich dieses Verhalten Unsicherheit
zu. Mit den weiblichen Gaststars kam er immer sehr gut
zurecht, zumindest mit denen, die seinem Charme erlagen. Die
anderen taten mir leid, und ich hatte großen Respekt für Frauen
wie Lee Merriwether und Mariette Hartley, die stark genug
waren, ihm zu sagen, wo er sich hinscheren sollte. Aber die
männlichen Gaststars schienen ein echtes Problem für ihn
darzustellen. Als Ricardo Montalban in ›Space Seed‹ seinen
ersten Auftritt als Khan hatte, war er völlig überrascht von der
Feindseligkeit, die Bill ihm entgegenbrachte. Gut, laut
Drehbuch waren sie Gegner, aber Ricardo, einer der nettesten
Männer dieses Planeten, konnte nicht begreifen, warum Bill
sich auch noch so verhielt, nachdem der Regisseur »Schnitt«
gerufen hatte. Zugleich ist Bill ein unglaublich charmanter
Mann. Ich habe nie vergessen können, welchen Eindruck ich
mir in den ersten Wochen der Serie von ihm gemacht hatte.
Und wenn Bill etwas tat, das mich störte, ignorierte ich es und
tat es als Ausrutscher ab, der durch Gedankenlosigkeit
entstand. Das sollte sich jedoch ändern.
Wie bereits erwähnt, wurden die Drehbücher ständig
überarbeitet. Eines Tages bereiteten wir uns gerade auf eine
Szene vor, in der Uhura eine wichtige Rolle spielte, als Bill
Einspruch erhob. »Irgendwas stimmt hier nicht!« bemängelte
er ständig, und als er sich mit dem Regisseur und einigen
anderen Leuten des Produktionsstabes zurückzog, um darüber
zu diskutieren, wuchs meine Verwirrung. Es war nicht das
erste Mal, daß so etwas passierte, aber da es bei dem Text in
diesem Fall um Uhuras Funktion als Kommunikationsoffizier
ging, sah ich keine Möglichkeit, ihn zu kürzen. Wir drehten
eine andere Szene, während sie den ›störenden‹ Textteil zu
Bills Zufriedenheit umschrieben. Als ich später die
überarbeiteten Seiten las, war mein Text auf den Satz »Ich
habe Verbindung zur Kommandozentrale von Starfleet, Sir«
zusammengestrichen worden, bevor der Captain und Spock
wieder übernahmen.
»Moment mal«, sagte ich. »Was soll das hier?«
»Äh, Nichelle«, stotterte Bill völlig überrascht. »Das ist
nichts Persönliches, Baby. Aber die Szene ist so besser. Es gibt
keinen Grund, warum du so viel Text haben solltest. Wenn es
schon jemand sagen muß, dann Leonard!«
»Seit wann ist Spock der Kommunikationsexperte?« wollte
ich wissen.
Ich war wütend, und ich war damit nicht allein. Die ganze
Stammbesatzung wußte, wie ich mich fühlte, da Bill so etwas
immer häufiger tat. Auch bei ihnen. Selbst Leonard war es
peinlich, und er weigerte sich, da mitzumachen. Das Resultat
war, daß die gesamte Szene völlig umgeschrieben wurde.
Wieder einmal hatte Bill seinen Willen durchgesetzt.
Manchmal half ein bißchen Humor, um alles durchzustehen.
»Bill wird nicht zufrieden sein, bis wir alle weg sind und er
auch unsere Rollen übernommen hat«, meinte George Takei
oft und imitierte dann Captain Kirk, wie er unsere
bekanntesten Sprüche vortrug: »Grußfrequenzen geöffnet,
Captain! Faszinierend! Er ist tot, Jim!« Wir alle kreischten vor
schmerzlichem Lachen, bis uns die Tränen die Wangen
hinunterliefen.
Wir hielten alle zusammen und lernten, mit Bill zu leben.
Wie wir entdeckt hatten, verging der Tag viel leichter, wenn
wir die Köpfe schüttelten und den Mund hielten.
Ich weiß nicht, wie oder wann Gene Wind davon bekam.
Aber bald fiel mir auf, daß die Regisseure die Kameras so
aufstellten, daß, wann immer George, Walter, Jimmy oder ich
›unwichtigen‹ Text hatten, wir im Bild waren. Verlangte das
Drehbuch nach einer Nahaufnahme von Bill, sah man mich im
Hintergrund. Oder es wurde der Vorschlag gemacht:
»Bill, wenn wir das drehen, warum wenden Sie sich nicht
Nichelle zu, wenn Sie das sagen?« Wir sollten erst später
erfahren, daß Gene dies verlangt hatte.
Soweit es Bills Verhalten betraf, ließ man ihn gewähren. Da
es keine lautstarken Auseinandersetzungen gab, kam er meiner
Meinung nach zu dem Schluß, daß wir mit allem, was er tat,
einverstanden waren. Er sollte erst fünfundzwanzig Jahre
später die Wahrheit erfahren. Und ich bin mir selbst jetzt noch
nicht sicher, daß er wirklich begriffen hat, wie wir uns fühlten
oder wie sehr wir unter ihm gelitten haben.

Selbst der ergebenste Star Trek-Fan wird zugeben müssen, daß


unsere dritte Season die schwächste war. Obwohl der letzte
Teil unserer Reise seine Höhepunkte hatte – ›Let That Be Your
Last Battlefield‹, ›The Tholian Web‹, ›The Day of the Dove‹ –
kann man die Auswirkungen von ›Spock’s Brain‹ (geschrieben
von Gene Coon unter dem Pseudonym Lee Cronin) nicht
ignorieren. Es überrascht kaum, daß Leonard, der sehr
empfindlich war, was Mr. Spock anging, sich lautstark über die
– wie er fand – Angriffe auf die Würde seines Charakters
äußerte. Leider wählten die Autoren ohne die Anleitung der
beiden Genes oftmals die erstbeste, offensichtlichste Lösung.
Wie sonst ließe sich die scheinbare Besessenheit erklären,
Spock ›aus der Rolle fallen‹ und sich zum Narren machen zu
lassen? Meistens waren diese Possen unbegründet, und obwohl
die Fans das verziehen, war Leonard verletzt und aufgebracht,
daß sich niemand in der Chefetage um die Integrität seiner
Figur zu scheren schien. Er war da nicht allein. Die
angespannte Beziehung zwischen ihm und Bill, und auch die
zwischen den beiden und Gene, schien in eine Sackgasse
geraten zu sein. Ich bin ziemlich sicher, daß diese Dinge bis
zum Tage von Genes Tod nie restlich geklärt wurden.
Die unzähligen Fanbriefe, die der Serie eine letzte Chance
verschafft hatten, hoben kurzzeitig die Moral, kamen aber
nicht gegen den Niedergang an. Star Trek wurde von innen
ausgehöhlt. NBC versprach Gene, die Serie auf einen besseren
Sendeplatz zu verlegen, auf den frühen Montagabend. Er
stimmte im Gegenzug zu, sich wieder mehr in die Produktion
einzubringen. Als NBC sein Versprechen brach und uns am
Freitagabend um zehn Uhr ausstrahlte – wenn, wie alle
wußten, unsere Zuschauer nicht zu Hause waren, da sie
Verabredungen hatten –, spielte Gene die einzige Karte aus,
die er hatte. In der Annahme, seine Weigerung, die Serie zu
produzieren, würde NBC veranlassen, sich an ihr Versprechen
zu halten, ließ er es darauf ankommen. Und verlor. Wäre die
Serie an einem anderen Abend ausgestrahlt worden, hätten wir
eine Chance gehabt.
Die Popularität von Star Trek und die Ergebenheit seiner
Fans war kein Geheimnis, zumindest soweit es NBC betraf. In
der ersten Season hatte Star Trek über sechstausend Fanbriefe
pro Woche erhalten; mehr bekam nur The Monkees. In den
Werbebroschüren, die NBC vor der zweiten Season an
mögliche Sponsoren verteilte, bezog sich der Sender auf
Untersuchungen, daß Star Trek unter den jüngeren Zuschauern
mit guter Bildung und mittlerem bis gutem Einkommen ein Hit
war. Sie zitierten auch Isaac Asimov, der unsere Serie als »die
erste gut gemachte Fernseh-SF-Serie« bezeichnete. Studenten
von der Cal Tech hatten vor der NBC-Niederlassung in
Burbank demonstriert.
Während sich NBC laut eigenen Aussagen darauf
konzentrierte, noch mehr Zuschauer zu erreichen, strich der
Sender unser Produktionsbudget zusammen, bis es zehn
Prozent geringer als in der ersten Season war. Zehn Prozent –
das hört sich vielleicht nicht so dramatisch an, aber die
steigenden Kosten und Löhne fraßen genug vom Budget auf,
daß uns im Prinzip bedeutend weniger Geld zur Verfügung
stand. Ein Grund, warum man in der dritten Season weniger
Außenaufnahmen sah. Erstklassige Autoren, erstklassige
Gaststars, alles, was man brauchte, war schwieriger zu
besorgen. So wurde Star Treks Hinscheiden zu einer sich selbst
erfüllenden Prophezeiung. Und ich kann Ihnen versichern,
genauso sollte es auch sein.
In der dritten Season tat der neue Produzent Fred Freiberger
alles, was in seiner Macht stand, um die Serie zu unterstützen.
Ich weiß, daß einige Fans ihm die Schuld für die nachlassende
Qualität geben, aber das ist unfair. Star Trek war schon ins
Trudeln geraten, lange bevor Fred an Bord kam. Daß wir
überhaupt soviel erreichten, war ein Wunder, das auf seine
Rechnung geht. Eines Tages hatten Fred und ich eine
Meinungsverschiedenheit, und er schrie mich an. Doch selbst
in diesem Augenblick wußte ich, daß er nicht auf mich wütend
war, sondern auf seine wenig beneidenswerte Situation. Er war
ein Produzent ohne Mittel zum Produzieren.
Doch im Laufe der Zeit wurde diese Erfahrung unerträglich,
und viele von uns, Gene eingeschlossen, fingen an,
Zukunftspläne zu schmieden. Ich hatte gegen Ende der zweiten
Season das Zeichen an der Wand gesehen. Vielleicht lag es an
der engen Zusammenarbeit mit Gene bei der Erschaffung von
Uhura, daß ich das ständige Zusammenstreichen des
Charakters als schmerzlich empfand. Die Autoren hatten mir
ein paar wunderschöne Szenen geschrieben – in ›I, Mudd‹,
›The Man Trap‹, ›The Squire of Gothos‹, ›Mirror, Mirror‹ und
natürlich ›The Trouble with Tribbles‹ – aber es war ein
ständiger Kampf, der jedesmal damit endete, daß Uhuras Rolle
beträchtlich zusammengestrichen wurde.
Laut der Weisheit des Fernsehgeschäfts zu jener Zeit
brauchte man mindestens fünf Seasons, bevor man auch nur
davon träumen konnte, daß die Serie in Syndication ging.
Obwohl Gene wußte, daß es vermutlich sinnlos war, hielt er es
für möglich, das Interesse an der Serie wieder zu steigern,
indem er Geschichten einbrachte, die sich wieder mehr auf die
anderen Charaktere konzentrierten. Und tatsächlich stand in
einer NBC-Pressenotiz zu Anfang der dritten Season ein
ganzer Absatz, in dem versprochen wurde, daß vier von uns –
Sulu, Pille, Scotty und Uhura – zumindest eine Gelegenheit
bekommen würden, in den Mittelpunkt einer Episode gerückt
zu werden. Das geschah nie, statt dessen übernahmen die
Gaststars die Rolle im Geschehen, die genausogut einer von
uns hätte übernehmen können. Ich beschwerte mich besonders
darüber, wer auf den Planeten ›herunterbeamen‹ durfte. In
Anbetracht der Tatsache, daß der Kommunikationsoffizier das
einzige Crewmitglied darstellte, das über ein weiträumiges
Wissen über fremde Sprachen und Kommunikations-
technologie verfügte, sollte man annehmen, daß Uhura
nützlich war. Davon abgesehen, wer kommandierte eigentlich
das Schiff, wenn der Captain, sein erster Offizier und der Arzt
auf dem Planeten herumspazierten? Als Vierte in der
Kommandostruktur hätte es Uhura sein müssen. Andererseits
handelte es sich hierbei ja nicht um die Realität.
Wenn ich mir die Bemerkungen durchlese, die meine
Kollegen und andere Leute, die mit der Produktion der Serie
zu tun hatten, im Laufe der Jahre gemacht haben, entdecke ich
manchmal einen unterschwelligen Groll auf Gene, das Gefühl,
von ihm verraten worden zu sein. Schließlich könnte man ja
sagen, er hätte sich mehr um die Produktion kümmern sollen.
Aber zu Genes Verteidigung muß ich sagen, daß, selbst wenn
er zu der Serie gehalten hätte, das Ende nicht anders
ausgesehen hätte. Ich kann ihm das nicht zum Vorwurf
machen. Doch gegen Ende der zweiten Season tat Gene etwas,
das ich ihm vermutlich niemals so richtig verzeihen werde.
Gene hatte viele wunderbare Qualitäten, aber er gehörte nicht
zu den Leuten, die man sich zum Feind wünschte. In seinen
dunkleren Augenblicken neigte er dazu, ausgesprochen
besitzergreifend zu sein und sich einer übertriebenen
Eifersucht hinzugeben, die Vernunftgründen nicht zugänglich
war. Ich weiß, daß Gene im Verlauf unserer Freundschaft
immer nur das Beste für mich wollte. Als wir einmal über mein
mögliches Ausscheiden aus der Serie sprachen, sagte er: »Ich
will, daß du bleibst, denn ich glaube, das hier wird sich in
etwas verwandeln, aus dem du noch viele Jahre Nutzen ziehen
wirst.« Und er hatte recht. Aber während keinerlei Zweifel
bestanden, daß unsere romantische Beziehung lange vor Star
Trek vorbei war – und sie nie wieder aufgenommen wurde –,
konnte sich Gene noch immer wie ein abgewiesener Liebhaber
verhalten, wenn er den Eindruck hatte, daß ich mich von ihm
entfernte.
Während des ersten Produktionsjahres von Star Trek
begannen ganz in der Nähe unseres Sets die Dreharbeiten zu
der Serie Mission: Impossible. Gene kannte Bruce Geller, den
Produzenten der Serie, und Bruce respektierte Gene. Bruce’
Büros befanden sich eine Etage über denen von Gene, und die
beiden wurden gute Freunde. Im darauffolgenden Jahr startete
Bruce einen weiteren Hit, die sehr erfolgreiche und langlebige
Detektivserie Mannix. In der ersten Season arbeitete Joe
Mannix (gespielt von Mike Connors) für eine
Privatdetektivagentur. In der zweiten Season entschied Bruce,
Mannix solle in Zukunft auf eigene Rechnung arbeiten, und so
entwickelte er die Figur der Peggy Blair, eine schwarze Frau,
deren Ehemann – ein Polizist und ein Freund von Mannix – im
Dienst getötet worden war. Peggy sollte Mannix’ unersetzbare
Sekretärin und mehr sein.
Bruce sagte mir, er habe die Rolle für mich geschrieben. Da
er wie alle anderen auch wußte, daß Star Trek in seiner dritten
und letzten Season war, bot er sie mir durch meinen Agenten
an, und natürlich willigte ich ein, begeistert von der
Vorstellung, von einer Serie in die nächste zu wechseln und
dann auch noch eine Hauptrolle zu bekommen. Da ich jedoch
bei Gene unter Vertrag stand, mußte er mich aus dem Vertrag
entlassen. Bruce hatte das Gefühl – vielleicht
ungerechtfertigterweise –, sein Verhältnis zu Gene sei so gut,
daß er sich direkt an ihn wenden konnte. Aber zu diesem
Zeitpunkt kam Bruce gut mit den Bossen des Senders zurecht,
was bei Gene nicht der Fall war, und ich vermute, daß Gene
das ärgerte.
Als Bruce ihn bat, meinen Vertrag vorzeitig aufzulösen,
erwiderte Gene lediglich sarkastisch: »Nur über meine
Leiche.« Verblüfft zog sich Bruce sofort zurück, denn er
wollte nicht das Risiko eingehen, Genes Zorn auf sich zu
lenken. Als ich davon hörte, konnte ich es zuerst nicht glauben
und rief Bruce an. Er beschrieb mir Genes Reaktion, als er das
Thema zur Sprache gebracht hatte. »Ich konnte ihm vom
Gesicht ablesen, wie verletzt er war. Sein Ausdruck besagte
soviel wie: ›Du willst sie mir stehlen.‹« Mein erster Impuls
war, Gene zur Rede zu stellen, aber Bruce machte klar, daß er
kein böses Blut zwischen sich und Gene wollte und es keinen
Sinn hatte, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Ich war am
Boden zerstört.
Genes Entscheidung schadete mir auch in beruflicher
Hinsicht. Selbst heute gehört man als schwarze Schauspielerin
zur Minderheit einer Minderheit. Es gibt einfach nicht genug
Rollen, und die wenigen, die es gibt, sind verständlicherweise
hart umkämpft und schwer zu kriegen. Damals hatte ich
genügend ›Beinahe-Erfolge‹ gehabt, hatte unter anderem
Rollen in dem Debbie-Reynolds-Film The Singing Nun und in
der Filmversion von Sweet Charity nicht bekommen. Aber eine
Rolle zu verlieren, die speziell für mich geschrieben worden
war, und dann auch noch aus einem nichtigen Grund, war
mehr, als ich ertragen konnte. Ich hatte selbst während der
Produktion von Star Trek meine Gesangskarriere
vorangetrieben, aber die Realität einer Schauspielerin
unterliegt der Maxime: Du mußt arbeiten. Ich war eine
alleinerziehende Mutter mit einem Sohn im Teenageralter.
Gene wußte, daß ich nicht in der Position war, wieder auf
Tournee zu gehen, und daß eine Rolle in einer anderen Serie
für Kyle und mich ein Gottesgeschenk gewesen wäre.
Ich war verzweifelt. Jeder wußte, daß Star Trek am Ende war.
Gene hatte mir das schon in der zweiten Season gesagt. »Sieh
mal«, hatte er gesagt, »es ist sinnlos, wenn du jetzt aufhörst, es
sei denn, du hättest ein wirklich gutes Angebot. Denn sie
haben deutlich gemacht – und das ist jetzt vertraulich –, daß
die Serie nicht länger als drei Seasons produziert werden wird.
Also kannst du genausogut bleiben. Warum solltest du deinen
Platz für jemand anders räumen, an den man sich später
erinnern wird?« Hier war ein ›gutes Angebot‹. Warum hielt
Gene mich zurück?
Mannix lief weitere sieben Seasons. Gail Fisher bekam die
Rolle der Peggy Fair, nachdem Geller seine für die Besetzung
zuständigen Leute angewiesen hatte, ihm ›eine Nichelle
Nichols zu bringen‹. Sie leistete großartige Arbeit und erhielt
einen Emmy in der Kategorie Beste Nebendarstellerin. Gene
und ich haben uns öfter darüber unterhalten, und obwohl er
meine Enttäuschung und die verletzten Gefühle zur Kenntnis
nahm, hat er sich doch niemals dafür entschuldigt. Es war nicht
das letzte Mal, daß Gene mich wissen ließ, daß ich ihn niemals
loswerden würde.

›Plato’s Stepchildren‹ war für mich die bemerkenswerteste


Episode der letzten Season. Die Story drehte sich um die
Routineerkundung eines unbekannten Planeten. Dort entdeckt
die Crew achtunddreißig Mitglieder einer eugenisch fast
perfekten Rasse, die zu Platos Zeiten auf der Erde gelebt hat
und sich nach dem Zusammenbruch der alten griechischen
Zivilisation auf den Planeten zurückzog. Wie Kirk, Spock und
Pille später herausfinden sollten, entdeckten die Platonier, wie
sie sich nannten, daß die Nahrung des neuen Planeten ihnen
unglaubliche psychokinetische Kräfte verlieh. Aber wie es so
oft geschieht, wenn Menschen über die Macht von Göttern
verfügen oder zu lange leben (in diesem Fall über 2500 Jahre),
werden sie verwöhnt und gieren nach Unterhaltung.
Natürlich hatten die Platonier eine Achillesferse: Sie besaßen
kein Immunsystem. Da sie die Kunst der Medizin verlernt
haben, befiehlt König Parmen Pille, bei ihnen zu bleiben. Als
er sich weigert, läßt sich Parmen für Kirk und Spock eine
Reihe von physischen und emotionalen Foltermethoden
einfallen. Pille ändert seine Meinung trotzdem nicht, also
erhöht Parmen den Einsatz, indem er Uhura und Schwester
Chapel auf den Planeten bringt, in der Hoffnung, daß Pille
nachgibt, sobald er sieht, wie sie schrecklichen Demütigungen
ausgesetzt werden.
Der dick aufgetragene antirassistische Inhalt der Episode
wurde durch Unterhaltungen zwischen den Crewmitgliedern
und einem zwergenhaften Hofnarr und Diener namens
Alexander – der einzige, den es von seiner Art auf dem
Planeten gab – illustriert, der von Michael Dünn gespielt
wurde. Zuerst ohne Selbstvertrauen wegen seiner geringen
Größe, öffnet sich Alexander und hilft der Crew, nachdem
Kirk ihm sagt: »Wo ich herkomme, spielen Gestalt, Größe
oder Farbe keine Rolle.« Später dann erkennt Alexander, daß
trotz des ganzen Mißbrauchs, den er durch die Platonier
erdulden mußte (weil sie ihn für einen Rückschritt in ihrer
Entwicklung halten), mit ihm alles in Ordnung ist. »Sie sind
diejenigen, mit denen etwas nicht stimmt, nicht ich«,
verkündet er im Augenblick der Erkenntnis. Der Rest der
Episode dreht sich darum, wie wir die Platonier überlisten und
zurück zur Enterprise fliehen.
Der Höhepunkt der Episode ist die Szene, in der Parmen
Spock und Schwester Chapel sowie Uhura und Kirk dazu
zwingt, sich in einer griechischen Arena paarweise auf Liegen
zurückzuziehen, um sich gegen ihren Willen vor Pille und den
Platoniern zu lieben. Vermutlich handelt es sich bei der
Kombination aus Sex und Erniedrigung in der Szene, in der
Kirk neben der zitternden Uhura die Peitsche knallen läßt und
die Platonier sich von den Vorgängen erregen lassen, um eine
der ersten Darstellungen von S/M im Fernsehen. Aber ›Plato’s
Stepchildren‹ wird für alle Zeiten wegen des ersten Kusses
zwischen einer schwarzen Frau und einem weißen Mann in
Erinnerung bleiben, der jemals im Fernsehen gezeigt wurde.
Im ursprünglichen Drehbuch sollte Uhura von Mr. Spock
geküßt werden. Aber als Bill Shatner klar wurde, daß dieser
Kuß historisch war und unter Umständen eine Menge Publicity
einbringen würde, verlangte er, daß das Drehbuch geändert
wurde. »Wenn jemand Uhura küßt«, sagte er halb im Scherz,
»dann ich – ich meine natürlich Captain Kirk.«
Ich war so an die täglichen Drehbuchänderungen gewöhnt,
daß ich nicht einmal weiter darüber nachdachte.
Interessanterweise machte die Tatsache, daß es diesen Kuß
überhaupt geben sollte, zu dieser Zeit keinen besonderen
Eindruck auf mich. Es war nicht so, daß Gene verkündete, wir
würden eine provokative Szene drehen, obwohl er sicherlich
wußte, daß wir Neuland betraten. Da wir uns nun einmal im
dreiundzwanzigsten Jahrhundert befanden und aus der Story
klar ersichtlich wurde, daß sich Kirk und Uhura gegen ihren
Willen küssen, sah ich darin kein Problem.
Es war der letzte Drehtag, und wir wußten, daß die Szene auf
dem Drehplan stand. »Endlich!« rief Bill begierig und mit
einem Lachen aus. Trotz allem hatte ich Bills spielerischen
Charme immer gemocht. Ich hatte in diesem Jahr zum zweiten
Mal geheiratet, und jeden Tag steckte ich mir meinen Ehering
und einen Platinring mit Diamanten, der meiner Mutter
gehörte, in den BH. Da das Kleid, das ich in der
›Verführungsszene‹ trug, jedoch tief ausgeschnitten war, ließ
ich die Ringe leichtsinnigerweise in einer Schublade in meiner
Garderobe zurück. Während einer frühen Pause kehrte ich
dorthin zurück und entdeckte, daß sie fort waren. Die Tür war
immer verschlossen, und nur zwei andere Leute besaßen einen
Schlüssel. Ich war ziemlich sicher, den Dieb zu kennen, aber
ich konnte es nicht beweisen. Dieser Vertrauensbruch regte
mich fast noch mehr auf als der Verlust der Ringe. Man rief
die Polizei, und für den Rest des Tages war ich zu wütend über
den Diebstahl, um mir über die Szene Gedanken zu machen.
Schließlich standen wir wieder in den Kulissen, bereit, die
Szene zu drehen, als dem Regisseur plötzlich bewußt wurde,
was das für ein Kuß sein würde. Er geriet in Panik und sagte,
er sei sich nicht sicher, was er tun sollte. Bill war außer sich.
»Was zum Teufel macht das für einen Unterschied«, wollte er
vom Regisseur wissen. »Was spielt das für eine Rolle?«
Der Regisseur eilte zum Produktionsbüro, um die Sache mit
den Bossen zu klären. Die hätten es vermutlich nicht einmal
bemerkt, bekamen aber jetzt kalte Füße, da der Regisseur
besorgt war. Ja, dachten sie, was würden die Zuschauer sagen?
Was war mit den Tochtergesellschaften im Süden? »Wenn Sie
die Szene sehen«, sagte Gene ihnen, »wird Ihnen auffallen, daß
sie eigentlich ganz harmlos ist. Es handelt sich um keine
›Liebesszene‹ zwischen Kirk und Uhura. Sie werden dazu
gezwungen. Offensichtlich bestand zwischen den beiden
immer eine gewisse Anziehung, aber sie haben beide viel
zuviel Stolz, um dem nachzugeben. Und ich kann mir nicht
vorstellen, daß der Süden zu den Waffen greift oder untergeht.
Aber in Ordnung, ich sage Ihnen etwas. Wir drehen es in zwei
Versionen. In der einen Einstellung fangen wir nach dem Kuß
an und zeigen, wie sie dagegen ankämpfen. In der anderen
Einstellung drehen wir den Kuß, und dann sehen wir, welche
wir benutzen.« Natürlich wußte Gene genau, welche
Einstellung er benutzen wollte, und Bill wußte es auch.
Da es sich um den letzten Drehtag handelte, hätte alles, was
Überstunden erforderte, das Budget gesprengt und mußte um
jeden Preis verhindert werden. Klugerweise wurde der Kuß bis
zuletzt hinausgeschoben. Wir drehten die Szene mehrere Male
aus verschiedenen Perspektiven. Ich muß bei Star Trek-
Conventions immer lachen, wenn ich nach dem Kuß gefragt
werde, weil ich immer behaupte, daß Bill und ich so
professionell waren, daß sich keiner von uns über die
sechsunddreißig Aufnahmen beschwerte. Nach den ersten paar
Aufnahmen reizten mich Bills Grimassen immer wieder zum
Lachen, also mußten wir es wiederholen. Das Ergebnis dieser
›Fehler‹ war dann, daß uns die Zeit davonlief.
»Okay«, sagte der Regisseur. »Und jetzt die Einstellung ohne
den Kuß.«
Der Regieassistent, der für Gene arbeitete, unterbrach ihn.
»Aber wir machen bald schon Überstunden«, warnte er. »Wir
haben keine Zeit.«
»Okay, drehen wir die Szene.«
Bill wußte, daß Gene entschlossen war, den richtigen Kuß zu
senden, und so schüttelte er mich und zischte in seinem
Kirkschen Stakkato: »ICH! WERDE! SIE! NICHT! KÜSSEN!
ICH! WERDE! SIE! NICHT! KÜSSEN!«
Es war entsetzlich schlecht, und wir mußten schrecklich
lachen. Der Regisseur war außer sich, aber noch immer fest
entschlossen, die kußlose Aufnahme zu bekommen. Also
wiederholten wir die Einstellung, und diesmal schien alles in
Ordnung zu sein. »Schnitt! Kopieren! Das war’s!«
Am nächsten Tag zeigten sie die Dailies, die Aufnahmen
vom Vortag, und obwohl ich nur selten zusah, konnte ich mir
diese unmöglich entgehen lassen. Alle sahen schweigend zu,
wie sich Kirk und Uhura küßten und küßten und küßten. Und
ich möchte hier mit Legenden aufräumen: Obwohl Kirk und
Uhura dagegen ankämpften, küßten sie sich in jeder
Einstellung. Als die Szene ohne Kuß kam, fingen alle
Anwesenden an zu lachen. In der letzten Aufnahme, die am Set
ganz gut ausgesehen hatte, schielte Bill mit aller Macht. Es war
so schmalzig gespielt und schlecht, daß die Aufnahme nicht zu
benutzen war. Die einzige Alternative bestand darin, die Szene
ganz herauszuschneiden, aber das war unmöglich, ohne die
ganze Episode zu ruinieren. Schließlich gaben die Bosse nach.
»Zum Teufel damit. Lassen wir den Kuß drin.« Vermutlich
gingen sie davon aus, daß man uns in ein paar Monaten
sowieso absetzen würde. Und so blieb der Kuß drin.
›Plato’s Stepchildren‹ wurde zum ersten Mal im November
1968 gesendet und rief eine großes Echo hervor. Wir erhielten
die meiste Fanpost aller Zeiten; alle Briefe waren sehr positiv,
und viele Mädchen schrieben mir und fragten mich, wie es sei,
Captain Kirk zu küssen. Er bekam viele Briefe von Männern,
die ihn wiederum fragten, wie es sei, Uhura zu küssen.
Interessanterweise fand kaum einer den Kuß anstößig. Kurz
danach erhielt ich eine Notiz von Gene. »Vermutlich
interessiert dich das. Das ist der einzige ›negative‹ Brief, den
wir bekommen haben.« Dabei lag die Fotokopie des folgenden
Briefes.
»Ich bin ein weißer Gentleman aus dem Süden, und ich mag
Star Trek. Ich bin absolut dagegen, die Rassen zu vermischen.
Doch kein temperamentvoller amerikanischer Junge wie
Captain Kirk, der eine wunderschöne Dame in den Arm
nimmt, die wie Uhura aussieht, wird dagegen ankämpfen.« Es
dauerte nur wenige Tage, bevor einige der Leute vom Sender –
die darauf bestanden hatten, bei der Kußszene im Studio zu
sein, um dafür zu sorgen daß wir es nicht noch ›schlimmer‹
machten, als es ohnehin schon war – damit herumprahlten, wie
sehr sie diesen tapferen Schritt in der Fernsehgeschichte
unterstützt hatten.
Unser letzter Drehtag war von starken Gefühlen belastet. Wir
hatten unsere Seelen in Genes futuristische Vision gelegt, aber
wie Bill meinte: »Es hat nicht sollen sein.« Nun, betrachten wir
das mal näher. In den über fünfundzwanzig Jahren, seit Star
Trek das erste Mal abgesetzt wurde, wimmelt es in der
Geschichte des Fernsehens von guten Serien, die wegen zu
niedriger Einschaltquoten eingestellt wurden. Doch Star Trek
hat in vielerlei Hinsicht sein Zeichen hinterlassen, genau wie
unsere Fans. Die Liebe und Entschlossenheit der Fans haben
dafür gesorgt, daß Star Trek lebt! Sie haben als erste
Briefkampagnen gestartet, und in den folgenden Jahren wurden
einige Serien, die eingestellt werden sollten – darunter Cagney
& Lacey und Designing Woman – verschont, weil sich die
Fans zu Wort meldeten. Trotz des Drucks und der kleinen
Streitereien war Star Trek eine wunderbare, lohnende, wenn
auch manchmal etwas enttäuschende Erfahrung. Ich habe in
George, Walter, Jimmy, Dee, Leonard, Grace Lee, Gene,
Majel und (wie ich bis vor kurzem dachte) auch Bill Freunde
fürs Leben gefunden. Ich habe dabei geholfen, eine Figur zu
erschaffen und darzustellen, die geliebt und respektiert wurde.
Jeder hat eine eigene Vorstellung, warum Star Trek die
Zeiten überstanden hat. Ich glaube fest an die Macht einer
Vision, und Gene Roddenberrys Star Trek stellte die
Möglichkeit in Aussicht, daß der Weltraum dem Menschen die
Möglichkeit bietet, noch einmal von vorn anzufangen. Die
ethische Prämisse der Serie bildete ein neues Fundament, auf
dem man die klassischen Elemente des dramatischen
Fernsehfilms neu definieren konnte. Aber Gene bedeutete es
viel mehr. Er glaubte – genau wie ich und viele andere auch –,
daß es nicht einfach eine beliebige Version der Zukunft war,
sondern die einzig funktionierende.
Die Trekker wissen, daß die Sichtweise der Besatzung der
Enterprise, die das Universum nach dem Prinzip völliger
Gleichheit betrachtet, keineswegs das Resultat plötzlicher
Erleuchtung ist, sondern das Ergebnis von jahrhundertelangen
bitteren Lektionen. Dem Eugenischen Krieg Ende des
zwanzigsten Jahrhundert, wo eine kleine Rasse von
Übermenschen als Diktatoren über etwa vierzig irdische
Nationen herrschten und Millionen töteten, folgte weniger als
ein Jahrhundert später ein globaler Atomkrieg. In der Mitte des
zweiundzwanzigsten Jahrhunderts brach zwischen den
Menschen der Erde und den Romulanern ein intergalaktischer
nuklearer Krieg aus. Dies führte zur Gründung der Vereinten
Föderation der Planeten, unter dessen Banner die USS
Enterprise flog.
In zahllosen Episoden machten Gene und die Autoren den
Krieg, die Aggression, die Unantastbarkeit des freien Willens
und die Rechte des Individuums zum Thema. Wie die Serie so
oft zeigte, sind wir eine widersprüchliche Spezies. Was Star
Trek so besonders machte, war die Tatsache, daß wir selbst im
dreiundzwanzigsten Jahrhundert menschlich waren – Mr.
Spock eingeschlossen. Obwohl wir durch die Vergangenheit
gelernt hatten, unsere Emotionen mit Hilfe von Logik und
Vernunft zu zügeln, konnte Captain Kirk selbst noch zur Zeit
des letzten Films mit der Originalmannschaft den Haß und das
Mißtrauen den Klingonen gegenüber nicht begraben; und als er
sich auf eine entscheidende Friedensmission begibt, tut er es
mit der Überzeugung, daß sie zum Scheitern verurteilt ist. Eine
von Star Treks die Zeit überdauernden Qualitäten liegt darin,
daß der Mannschaft trotz ein paar großartiger technologischer
Tricks nichts in den Schoß fällt. In einer Welt voller Phaser,
Transporter, Dilithiumkristalle und trotz Dr. McCoys
erstaunlichem Arsenal blitzartig wirkender Medikamente ist
alles davon anhängig, daß der Mensch das Richtige tut.
Manche Leute halten Gene für einen Mann, der eine wilde
futuristische Utopie vertrat, aber das wäre zu einfach. Star
Trek versprach keineswegs, daß die Menschen auf magische
Weise von Grund auf ›besser‹ werden, sondern daß sie sich
entwickeln und stets nach ihrem höchsten Potential und den
edelsten Zielen streben – selbst wenn es Jahrhunderte dauert,
zwei Schritte vorwärts und einen zurück zu machen.
Idealerweise sollte die Menschheit bei ihrer Suche von
Vernunft und Gerechtigkeit geleitet werden. Immer wieder
wurde demonstriert, daß bewaffnete Konflikte, Terrorismus,
Diktatoren, Vorurteile, die Mißachtung der Umwelt und die
Ausübung von Macht um der Macht willen letztlich sinnlos
sind. Selbst unsere humorvollste Episode ›The Trouble with
Tribbles‹ zeigte die Risiken auf, eine Spezies ihrem
natürlichen Lebensraum zu entreißen.
Ein Grund, warum Star Trek so viele junge Leute
interessierte, vor allem High-School-Absolventen und College-
Studenten, war sicherlich der, daß es die Probleme ansprach,
mit denen sie sich konfrontiert sahen: der Vietnamkrieg, der
Kampf um die Bürgerrechte und der scheinbar endlose Kalte
Krieg. Der Kampf für gleiche Rechte und Schutz der
Minderheiten ist noch lange nicht ausgestanden, aber es ist
verblüffend, betrachtet man einige der wichtigsten historischen
Geschehnisse der letzten Zeit: der Zerfall des
kommunistischen Blocks, der Fall der Berliner Mauer, die
freien Wahlen in Südafrika. 1968 hätte sich niemand vorstellen
können, daß solche Dinge möglich sind, und doch geschahen
sie, und zwar nicht durch Gewalt oder Krieg, sondern aufgrund
der kollektiven Erkenntnis, daß einige Ideen und
Verhaltensweisen uns nicht länger dienlich waren.
Jedesmal wenn ich mich auf der Brücke der Enterprise an
meine Konsole setzte, hatte ich das Gefühl, im
dreiundzwanzigsten Jahrhundert zu sein, daß ich Uhura war.
Das Versprechen dieses imaginären Universums war real für
mich. Ich bin noch immer sehr stolz auf Uhura, stolz darauf,
wer sie war (oder vielmehr sein wird) und wofür sie stand, und
das nicht nur in ihrer Zeit, sondern auch in unserer und in der
Zeit der Menschen, die Star Trek erst in Jahrzehnten entdecken
werden. Während wir uns stückchenweise dem Star Trek-
Universum nähern, das wir von weitem bewundern, habe ich
oft darüber nachgedacht, was meine Großeltern väterlicherseits
wohl dazu gesagt hätten, hätten sie mich dort erblickt, und ich
weiß, daß sie trotz des technischen Jargons und den Kulissen
des Raumzeitalters verstanden hätten. Schließlich gingen auch
sie tapfer dorthin, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen war,
und formten ihre kleine Welt dergestalt, daß sie ihrer Vision
von dem, was rechtens ist, entsprach. Und indem sie dies taten,
machten sie die Welt, in der wir heute leben, zu einem
besseren Ort als die, in die sie hineingeboren worden waren.
Ich glaube, wir alle haben die Macht, unsere Welt zu
verändern. Und ich glaube, daß Star Trek seinen Zuschauern
eine verdienstvolle Aufgabe gezeigt hat. Der Mensch kann sich
verändern, wenn er will; davon war Gene überzeugt. Aus
meiner eigenen Erfahrung weiß ich, daß das stimmt: Jahre
später entschuldigten sich der Studiowächter und der
Produktionsassistent, die mich ständig beleidigt hatten, für ihr
rassistisches Benehmen. Alles in allem würde ich unsere Drei-
Jahres-Mission als Erfolg bezeichnen.
Auf der Erde packte ich an einem Januartag 1969 in meiner
Garderobe ein letztes Mal alles zusammen; es war ein gutes,
wenn auch etwas trauriges Gefühl, Uhuras rote Uniform auf
den Bügel zu hängen. Star Treks Hoffnungen auf ein
verlängertes Leben in der Syndication waren ziemlich dürftig,
und obwohl das Fernsehen Kinofilme für Serienideen
ausschlachtete, hatte es kein Filmstudio damit eilig, eine tote
TV-Serie zu einem Film zu recyclen. Ohne die Syndication
schien Star Trek in dem dunklen Zeitalter vor Einführung des
Kabelfernsehens und des Videorecorders dazu bestimmt, eine
nette Erinnerung zu bleiben.
Im Showbusineß kommt früher oder später alles zu seinem
Ende. Man lernt, mit hoch erhobenem Kinn goodbye zu sagen
und in die Zukunft zu sehen. Schließlich weiß man nie, was an
der nächsten Ecke auf einen wartet, und ich liebe
Herausforderungen. Auch in meinem persönlichen Leben hatte
sich viel verändert. Gegen Ende von Star Trek hatte ich Duke
Mondy geheiratet, ein Komponisten und Arrangeur.
Wir hatten uns zu einem Zeitpunkt kennengelernt, an dem ich
einen Freund brauchte. Ich war noch immer enttäuscht darüber
gewesen, daß ich die Rolle in Mannix nicht bekommen hatte,
und er schien sich ehrlich etwas aus mir und meinem Sohn zu
machen. Doch tief in meinem Inneren spürte ich, daß nicht
alles so war, wie es hätte sein sollen, daß unser gemeinsames
Interesse an der Musik nicht ausreichen würde, unsere
persönlichen Unterschiede zu überbrücken. Heute kann ich
zugeben, daß einer der Gründe für meine Heirat mit Duke
darin lag, daß ich mich entfremdet fühlte. Vielleicht war ich
unterbewußt der Ansicht gewesen, daß mich eine Heirat
festigen würde, und die Tatsache, daß ich ihn nicht sehr liebte,
es irgendwie besser machen würde. Was auch immer meine
Gründe waren, ich hatte einen Fehler gemacht. Und obwohl
wir ein paar schöne Augenblicke miteinander verlebten, war
ich doch erleichtert, als alles ein paar Jahre später mit einer
Scheidung endete.
Nach dem Ende von Star Trek heirateten Gene und Majel im
August 1969 in Japan im Rahmen einer formellen
Shintozeremonie. Gene hatte erfolglos versucht, eine zweite
Science Fiction-Serie zu starten, und sein erster Versuch, einen
Kinofilm zu schreiben, Pretty Maids All in a Row (in dem
mein Sohn Kyle eine kleine Rolle hatte), erwies sich ebenfalls
als nicht sonderlich erfolgreich. Wir blieben zwar in Kontakt,
aber wie alle anderen auch gingen wir unsere getrennten Wege,
davon überzeugt, daß Star Trek hinter uns lag.
9

Das Ende der Serie war der Anfang dessen, was später als das
Star Trek -Phänomen bekannt wurde. Trotz unserer niedrigen
Einschaltquoten war den Fernsehbossen bekannt, daß die Serie
eine treue Gefolgschaft hatte – die Trekkies, ein Begriff, den
die Fans nicht mögen und der wesentlich unfreundlicher als
Trekker ist –, und innerhalb eines Jahres nach der
Ausstrahlung der letzten Episode erschien Star Trek in der
Syndication erneut auf dem Bildschirm. Bis heute ist kein Tag
vergangen, ohne daß die Enterprise auf Millionen von
Fernsehbildschirmen durchs All fliegt. Wenn ich auf Reisen
bin, schaltet der Hotelpage oft das Fernsehen ein, nachdem er
die Koffer abgestellt hat, und ich höre: »Captain, ich habe die
Kommandozentrale von Starfleet erreicht.« Je nach Ausmaß
des Jetlag dauert es manchmal eine Minute, bis ich begreife,
daß ich keine imaginären Stimmen höre. Genes Vision und
Star Treks Botschaft haben bewiesen, daß sie über einen
buchstäblich universellen Reiz verfügen. Bei meiner letzten
Zählung lief die Serie in Sechsundsechzig Ländern; am
populärsten ist sie in England, Japan und Deutschland.
Tatsächlich bekomme ich noch immer täglich Fanpost aus
England und Deutschland.
Am auffälligsten demonstrierten die Trekker ihre Macht auf
den Conventions. Die ersten Veranstaltungen waren durchaus
schlicht, wiesen jedoch ein tribbleähnliches Phänomen auf:
Egal, wie viele Besucher erwartet wurden, die Zahl der
tatsächlich eintreffenden Trekker war stets zwei-, drei- oder
viermal so hoch. Ein frühes Star Trek-Seminar am Brooklyn
College lockte siebenhundert Fans an. Die erste große
Convention, die in New York stattfand und die für ein paar
hundert Leute ausgerichtet war, hatte über dreitausend
Besucher. Von diesem Punkt an wuchs die Zahl der Gäste
ständig, bis der New York Con 1975 nach achttausend
Anmeldungen aufhörte, noch weitere anzunehmen.
Ich besuchte meine erste Convention 1970, und ich werde nie
damit aufhören. Die Trek-Cons unterscheiden sich von anderen
Fanzusammenkünften, vielleicht weil sich der Trekker von
jedem anderen Fan auf der Welt unterscheidet. Man müßte
lange suchen, um eine solche Menge intelligenter,
aufmerksamer und aufgeweckter Leute zusammenzubringen.
Sicherlich ist es ihre Liebe zu Star Trek, die sie
zusammenführt, aber es ist ihre nie endende Treue den Ideen
und Prinzipien gegenüber, für die die Serie eintritt, die sie
letztlich zusammenhält.
Die Conventions dienten auch dazu, die meisten von uns
zusammenzuhalten. Ich glaube nicht, daß George, Jimmy,
Walter und, in geringerem Ausmaß, Leonard und Bill, ohne sie
so engen Kontakt gehalten hätten. Natürlich war Gene, ›The
Great Bird of the Galaxy‹, der Star der Conventions; Majel
begleitete ihn oft, und ich verbrachte viele glückliche Stunden
mit den beiden.
Als Gastsprecher hielten ich und die anderen Crewmitglieder
für gewöhnlich eine Rede und beantworteten dann Fragen zur
Serie. Im Laufe der Zeit sind wir dazu übergegangen, weniger
über die Episoden zu sprechen als von unserem persönlichen
Leben zu erzählen. Die Geschichte von Kyle und den braunen
Schuhen ist so beliebt geworden, daß bei einer Convention
einige Fans sich die Mühe machten, Kyle einzuschmuggeln
und ihn in einer Gruppe Fans zu verstecken, die als die grünen
Tanzsklavinnen von Orion verkleidet waren. Nachdem sie
ihren Tanz aufgeführt hatten, trat Kyle aus der Gruppe hervor
– er trug tatsächlich einen Schleier – und verlieh mir den
›Braunen-Schuh-Preis‹. Er bestand aus zwei kleinen braunen
Schuhen, die an einer Plakette befestigt waren. Natürlich
konnte Kyle nicht widerstehen, zu sagen: »Mommy! Ich weiß,
welche Farbe meine Schuhe haben: Sie sind orange!« Als ich
ihn in gespielter Verzweiflung anschrie, war das Publikum
nicht länger zu halten und raste vor Begeisterung.
Conventions machen viel Spaß, aber sie dienen auch als
Forum für ernsthafte Diskussionen über die Probleme des
Lebens auf der Erde des zwanzigsten Jahrhunderts. Bei den
ersten Auftritten auf Conventions stellte ich mich auf meine
Seifenkiste und sprach über Selbstrespekt, die Liebe zur
Menschheit, die Verantwortlichkeit des Individuums und
Toleranz. Seit 1975 beschäftigen sich meine Vorträge auch mit
der Zukunft des Raumfahrtprogramms. Am Ende der Reden
brachen die Fans oft in Tränen aus, und ich weinte mit. Danach
mußten wir alle lachen.
Bei den Conventions habe ich viele wunderbare Fans
kennengelernt und großartige Freundschaften geschlossen,
darunter auch mit Allen Crowe, einem der treuesten und
bestunterrichteten Star Trek-Fans des Universums. Ich lernte
ihn Anfang der Achtziger auf einer Convention kennen und
habe seither viele Briefe von ihm bekommen. Er war der
Begründer des ersten Star Trek-Fanclubs in Georgia und vom
ersten Tag an ein ergebener Uhura-Fan.
Als wir uns kennenlernten, war Allen Englischlehrer in Stone
Mountain, Georgia, und träumte davon, Schriftsteller zu
werden. Mein Geschäftspartner und ich überzeugten ihn
davon, nach Los Angeles zu ziehen und halbtags für uns zu
arbeiten. Schließlich schubsten wir ihn sozusagen aus dem
Nest und ermutigten ihn, den Traum weiterzuverfolgen,
deswegen er ursprünglich nach Kalifornien gekommen war. In
kurzer Zeit wurde Allen ein sehr erfolgreicher Autor von
Sitcoms, zuerst für die lang laufende Serie Designing Woman
und später für das von der Kritik gelobte Evening Shade.
Es erfüllt mich mit großer persönlicher Zufriedenheit, die
Fans kennenzulernen. »Ich bin nur zu dieser Convention
gekommen, um Ihnen zu sagen, daß Uhura den Anstoß gab,
daß ich Ärztin wurde.« Oder: »Dank Uhura habe ich es
geschafft, beim Militär zurechtzukommen.« Diese und
ähnliche Sätze habe ich oft von Frauen zu hören bekommen.
Ich habe Tausende von ihnen kennengelernt und mit ihnen
gesprochen, und ich kann Ihnen versichern, daß jeder von
ihnen mit beiden Beinen im Leben steht. Künstler behaupten
so oft, sie würden alles ihren Fans verdanken, daß dies zum
hohlen Klischee geworden ist. Aber für uns von Star Trek ist
das die Wahrheit. Da es in den Siebzigern keine neuen Star
Trek-Abenteuer gab, beschäftigten sich die Fans mit der
Herausgabe von Fanzines und ihren eigenen Romanen,
gründeten Clubs (von denen sich einige dem ganzen Star Trek-
Universum widmen, während sich andere einem bestimmten
Charakter oder einer Gruppe zuwenden), und setzten sich für
die Rückkehr von Star Trek ein. Sie glaubten, vielleicht
naiverweise, wenn sie zusammenhielten und genug Lärm
machten, würde irgendwann jemand zuhören. Aber was sind
schon ein paar Jahre für Menschen, deren Glaube an die
Zukunft sich bis ins dreiundzwanzigste Jahrhundert erstreckt?
Jeder, der die Serie liebte, wollte sie in irgendeiner Form
wiederbelebt sehen. Abgesehen von den Wiederholungen im
Fernsehen, waren die einzigen offiziellen Star Trek-Produkte
Romanfassungen der Fernsehfolgen oder neue Romane, die auf
unseren Charakteren basierten. Diese fanden ein großes
Publikum, und so überrascht es nicht, daß sich die Gerüchte
über eine neue Fernsehserie schnell verbreiteten.
Man trat an Gene heran, Star Trek als Zeichentrickserie am
Samstagmorgen zurück auf den Bildschirm zu bringen. Weit
von einer der üblichen Kindersendungen entfernt, war die
Zeichentrickserie recht gelungen; viele der Episoden wurden
von denselben Autoren geschrieben, die für die ursprüngliche
Serie tätig gewesen waren, und sie arbeiteten alle unter der
Oberaufsicht von Gene und D. C. Fontana. Die Produzenten
nahmen sofort Bill und Leonard unter Vertrag, um den
Charakteren ihre Stimmen zu leihen, planten aber, die
restlichen Figuren von anderen Schauspielern sprechen zu
lassen. Das war keine böse Absicht den anderen von uns
gegenüber; es war einfach billiger und machte deshalb in
geschäftlicher Hinsicht Sinn.
Bill fand daran nichts auszusetzen und stimmte zu. Leonard
jedoch fragte: »Wo sind George, Nichelle und die anderen?«
Als man ihm sagte, wir wären nicht dabei, erwiderte er: »Nun,
dann haben Sie mich auch nicht!« Es ist allein Leonards
tiefverwurzeltem Sinn für Fairneß zu verdanken, daß die alte
Crew für die Zeichentrickserie zusammenkam. Im Juni 1973
war es soweit, und es war schön, wieder als Team zu arbeiten.
Ich fand einige der Drehbücher ziemlich gut, und in einem
übernahm Uhura sogar endlich das Kommando über das
Schiff.
Als die Serie in jenem Herbst Premiere hatte – zum
siebenjährigen Jubiläum von Star Trek –, waren die Fans nicht
mehr zu halten. Die Serie lief zwei Jahre lang und gewann
1975 einen Emmy als beste Kinderserie. Mittlerweile
hungerten die Fans nach mehr, und Gene hatte ernsthafte
Gespräche mit Paramount über eine zweite Star Trek-
Fernsehserie begonnen. Man konnte den Trekker-Boom nicht
ignorieren, und trotz Genes vielen Streitigkeiten mit dem
Studio wußte man bei Paramount, daß man ohne ihn kein Star
Trek-Projekt in Angriff nehmen konnte – obwohl man,
rechtlich gesehen, auch ohne ihn hätte produzieren können.
Wie Gene oft erwähnt hat, waren die Beziehung zwischen ihm
und dem Studio nie sehr gut, aber da Paramount die Rechte an
den Charakteren besaß und die Fans Gene als Schöpfer
kannten und respektierten, mußten sie zusammenarbeiten.
Jeder wußte, daß die Fans eine Macht darstellten, mit der zu
rechnen war, und daß ihre Loyalität Gene gehörte. Bald bezog
Gene wieder sein altes Büro auf dem Studiogelände und fing
mit der Arbeit an. Betrachtet man den mühsamen,
komplizierten Prozeß, den ein Konzept auf dem Weg von der
ersten Idee bis zum fertigen Film durchläuft, ist es erstaunlich,
daß es überhaupt Fernsehserien und Filme gibt.

In der Zwischenzeit besuchten wir die Conventions. Die größte


aller Conventions fand 1975 in meiner Heimatstadt Chicago
statt und hatte über dreißigtausend Besucher. Es war das erste
Mal, daß Gene und die ganze Stammbesetzung
zusammenkamen. Ein paar von uns, wie George, Walter,
Jimmy, Dee, Grace Lee, einige der Drehbuchautoren,
Regisseure sowie mehrere der Gaststars, waren von Anfang an
auf den Conventions aufgetreten. Andere wie Bill und Leonard
distanzierten sich lieber von ihnen und damit auch von den
Fans. Wenn sie dann kamen, waren die Fans natürlich
begeistert.
Bei der Chicago-Convention erlaubte die NASA zum ersten
Mal, daß ein offizieller Repräsentant dort auftrat. Ich wußte
aus Fanbriefen und Unterhaltungen mit Besuchern, daß neben
Ärzten, Rechtsanwälten, Lehrern, Wissenschaftlern,
Geschäftsleuten und den vielen anderen, die einen großen Teil
des Fandoms bildeten, auch viele Beschäftigte der Luftfahrt-
und Computerindustrie vertreten waren.
Am Tag vor der offiziellen Eröffnung des Cons hielten wir
eine Pressekonferenz ab, auf der wir Fragen der Fans und der
Medienvertreter beantworteten. Ein Reporter machte eine
etwas verächtliche Bemerkung über die ›Trekkies‹, und ich
erwiderte: »Moment mal, Leute. Gäbe es diese Menschen
nicht, würdet ihr hier nicht sitzen und uns interviewen. Wenn
ihr wissen wollt, warum diese Serie so populär ist, fragt die
Fans. Und übrigens, sie heißen Trekker!«
Das rief einen herzlichen Applaus hervor. Am anderen Ende
der Bühne bemerkte ich einen großen, ansehnlichen Gentleman
in den Vierzigern mit weißen Haaren, der ebenfalls am Tisch
saß, und ich fragte mich, wer er wohl war. Ich erinnere mich,
daß ich im stillen dachte: Junge, der sieht aber gut aus. Als
mehrere Reporter ihm Fragen zu Star Trek stellten, erfuhr ich,
daß es sich um Dr. Jesco von Puttkamer handelte, den
Wissenschaftsdirektor der NASA.
»Dr. von Puttkamer, Sie sind ein berühmter Wissenschaftler.
Was veranlaßt einen Mann von Ihrer Stellung, bei dieser
Veranstaltung anwesend zu sein? Wegen einer Fernsehserie?«
Stille senkte sich über den Raum; der Fehdehandschuh war
geworfen worden. Mehrere Reporter, die Trekker waren und
von Puttkamers ausgezeichneten Ruf kannten, murmelten, daß
die Frage keiner Antwort würdig sei, aber Dr. von Puttkamer
beantwortete sie ganz ruhig, als handele es sich um die
wichtigste Frage des Tages.
»Nun, ich bin hier, weil Star Trek die Zukunft so darstellt,
daß für die menschliche Spezies Hoffnung besteht«, begann er
mit seinem warmen preußischen Akzent, der an den jüngeren
Henry Kissinger erinnerte. »Ich bin hier, weil Star Trek dem
Betrachter aufregende, abenteuerliche Geschichten präsentiert.
Weil die Serie jungen Menschen über die Möglichkeit, diesen
Planeten zu verlassen, die Augen öffnet. Weil sie die
Raumfahrt glorifiziert und es Menschen bei friedlicher
Erforschung zeigt; weil Gene Roddenberry uns Grund für die
Hoffnung gegeben hat, daß es uns gelingen wird, in diesem
Universum als intelligente Lebensform zu bestehen, indem wir
uns der friedlichen Forschung verschreiben und uns nicht in
andere Kulturen einmischen. Daß wir eines Tages mit
Außerirdischen Kontakt aufnehmen und mit ihnen in Frieden
leben werden, denn vielleicht gibt es da draußen ja intelligente
Wesen, die nicht wie die Klingonen sein wollen. Und vielleicht
werden wir den Dingen, die uns unverständlich sein werden,
nicht mit Militanz, sondern mit einem Sinn für das
Außergewöhnliche im Herzen gegenübertreten.
Aber das sind nicht die einzigen Gründe, warum ich ein Fan
dieser wunderbaren Serie bin, die uns das Prinzip des UMUK
gab – Unendliche Mannigfaltigkeit in Unendlicher
Kombination. Das zeichnet diese Serie so sehr aus: daß es sich
lohnt, in diesem Universum zu leben, und daß Männer und
Frauen gleichberechtigt friedlicher Forschung nachgehen; das
Wissen, daß wir besser sind, als wir denken. Aber nicht einmal
das ist für mich der ausschlaggebende Grund.
Ich bin heute hier erschienen, um mich persönlich zu
vergewissern, ob Miss Uhuras Beine in Wirklichkeit genauso
schön sind wie auf dem Bildschirm.«
Alles lachte, und der Reporter, der die Frage gestellt hatte,
wurde knallrot im Gesicht. Ich wandte mich an einen neben
mir sitzenden Bekannten, den Schriftsteller Harlan Ellison, und
fragte: »Was hat er nun eigentlich gesagt?«
»Er sagt, Ihre Beine machen ihn an«, erwiderte Harlan.
Als ich erfuhr, daß Dr. von Puttkamer an diesem Abend einen
Vortrag hielt, konnte ich mir das nicht entgehen lassen. Die
Hotelmanager rauften sich die Haare wegen des Andrangs: Die
Leute standen buchstäblich von Wand zu Wand. Dieselben
Manager hatten die Warnungen der Con-Organisatoren, daß
mit einer Menge Besucher zu rechnen war, in den Wind
geschlagen, und jetzt waren sie nicht vorbereitet und, wie es
den Anschein hatte, zu Tode erschrocken. Obwohl Star Trek-
Fans zu den höflichsten und rücksichtsvollsten Fans gehören,
die ich kenne, war jedesmal die Hölle los, wenn einer von uns
durch das Hotel ging, da sie Autogramme haben oder einfach
Hallo sagen wollten. Aus diesem Grund hatte man jedem von
uns vier bis sechs als ›Klingonen‹ gekleidete Sicherheitsleute
mitgegeben. Als ich meinen Klingonen sagte, ich wolle mir Dr.
von Puttkamers Rede in einem Ballsaal des Hotels anhören,
baten sie mich, darauf zu verzichten. »Sie haben keine
Vorstellung, wie es da draußen aussieht«, hieß es.
Von der Sekunde an, in der wir den Aufzug verließen, waren
wir umzingelt. Die Klingonen vor mir und die beiden zu
meinen Seiten, die alle keine Trekker waren, wurden unruhig.
»Da ist Nichelle!«
»Da ist Uhura!«
»Hi, Uhura!«
Ein Meer von Fans strömte uns entgegen.
»Nichts wie weg!« rief einer der Klingonen nervös aus.
»Halt!« befahl ich ganz ruhig. Und die Menschenwelle
stoppte. Die Klingonen, die nichts von Star Trek-Fans wußten,
sahen verblüfft zu.
»Hört zu, meine Freunde«, sagte ich. »Ich weiß, daß ihr mich
liebt, und ich liebe euch auch. Aber ich fange eigentlich erst
morgen mit der ›Arbeit‹ an. Heute abend bin ich ein Fan, wie
ihr auch. Ich kann in meiner Suite bleiben, und ihr könnt
diesen Leuten hier das Leben schwermachen. Aber wie ich
gehört habe, ist ein Wissenschaftler von der NASA hier, der
gleich einen Vortrag hält. Ich möchte mir anhören, was die
NASA zu sagen hat. Morgen gehöre ich euch, aber heute
abend bin ich nicht Uhura, ich bin nicht einmal Nichelle
Nichols. Ich bin nur eine von euch.«
Die Menge teilte sich, ich marschierte ungestört voran, und
meine erstaunten Klingonen kamen hinter mir her.
Dr. von Puttkamers Vortrag erzeugte in mir ein Gefühl der
Ehrfurcht. Ich muß zugeben, daß ich bis dahin nicht genau
darüber informiert gewesen war, worum genau es bei unserem
nationalen Raumfahrtprogramm eigentlich ging. Wie die
meisten Amerikaner hatte ich die historischen Erfolge des
Programms bestaunt: Alan Shepards ersten bemannten
suborbitalen Flug 1961, John Glenns erste Erdumkreisung
1962 und Edward Whites Weltraumspaziergang 1965. Die
ersten Schritte auf dem Mond am 20. Juli 1969 hatte ich
fasziniert am Fernseher beobachtet und mit Champagner
gefeiert. Ich hatte die amerikanischen Helden dieser neuen und
letzten Grenze bewundert: Shepard, Glenn, White, Bean,
Borman, Schirra, Armstrong, Aldrin und Collins. Aber wie bei
den meisten Amerikanern ließ mein Interesse nach, als aus
dem Raumfahrtprogramm ein in die Länge gezogenes, teures
kompliziertes Hightech-Experiment zu werden schien. Die
NASA erfüllte Präsident Kennedys 1961 verkündetes Edikt,
bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und
zurück zu bringen. Seit ihrer 1958 erfolgten Gründung
verfolgte die NASA ihre mit verschwenderischen Mitteln
ausgestattete, politisch populäre Mission. Aber dies wurde
nicht allein durch das wissenschaftliche Interesse an der
Erforschung des Weltraums ermöglicht, sondern durch die
politische, vom Kalten Krieg begründete Notwendigkeit, den
Weltraum zu erobern und zu kontrollieren. Für eine Nation, die
noch immer an die Dominotheorie einer möglichen
kommunistischen Weltherrschaft glaubte, stellte der Himmel
über ihrem Kopf die größte Bedrohung des Friedens dar.
Als die Hoffnungen und die Wirren der sechziger Jahre an
Bedeutung verloren, war es paradoxerweise der Erfolg, der
dem Raumfahrtprogramm schadete. Es fiel uns leicht, uns
hinter die NASA zu stellen, als wir uns mit den Sowjets ein
Kopf-an-Kopf-Rennen um den Weltraum lieferten. Aber
sobald wir das Zielband beim Sieg zerrissen hatten, war das
Rennen vorbei. Ohne ein symbolisches Ziel, das so klar
umrissen war wie die amerikanische Flagge auf dem Mond,
mußte die NASA mitsamt ihren Förderern entdecken, daß sich
die Romanze des Landes mit dem Weltraum abkühlte. Die
Programme, die sich allein mit der unbemannten Erforschung
beschäftigten, waren zwar irgendwie bekannt, aber das
öffentliche Interesse hatte sich wieder der Erde zugewandt, wo
Probleme wie Vietnam, der Kampf gegen die Armut und die
Bürgerrechtsfrage ungeklärt blieben. Kurz nachdem der
Mensch den Mond betreten hatte, wurde dieser historische,
ehrfurchteinflößende Augenblick bereits in zynischen
Redewendungen verbraten. »Sie können einen Menschen zum
Mond schicken, warum schaffen sie es dann nicht…« Setzen
Sie Ihre Lieblingsbeschwerde selbst ein.
Dr. von Puttkamers Rede war eine Offenbarung für mich. Er
rückte das Weltraumprogramm in die richtige Perspektive und
öffnete mir die Augen über seinen Zweck und seine
Möglichkeiten. Das ist unsere Zukunft, dachte ich. Das bin ich.
Und dann traf es mich wie ein Blitzschlag: Wo zum Teufel war
›ich‹? Im ganzen Astronautenkorps gab es niemanden, der mir
ähnelte. Es gab keine Frauen, keine Schwarzen, keine Asiaten,
keine Latinos. Ich konnte den Begriff ›Weltraumprogramm der
Vereinigten Staaten‹ nicht mit einem Unternehmen in Einklang
bringen, das niemanden außer männlichen Weißen
beschäftigte. Damit will ich diese tapferen Männer nicht
beleidigen, aber wenn wir Amerikaner unseren Kindern
erzählen, daß sie alles das werden können, was sie sich
erträumen, warum gab es dann keine Astronautinnen oder
Angehörige von Minderheiten? Tausende Fans schrieben mir,
um sich für Uhuras Inspiration zu bedanken. Kleine schwarze
Mädchen und Jungen, Latinos und Asiaten hatten ein legitimes
Recht, an diesem Traum teilzuhaben. Die Dinge mußten sich
ändern.

Ohne die zeitliche Beanspruchung einer wöchentlichen


Fernsehserie konnte ich anderen Interessen nachgehen; mein
Lieblingsprojekt war Kwanza, eine Wohltätigkeitsorganisation,
die zehn schwarze Künstlerinnen Weihnachten 1973 gegründet
hatten. Jetzt hat sie zwanzig Mitglieder, dazu zählen Judy
Pace, Isabel Sanford, Esther Rolle, Vonetta McGee, Denise
Nicholas, Marilyn McCoo, Lillian Lehman, Beverly Todd,
Sheryl Lee Ralph, Debbie Allen, Margaret Avery, Telma
Hopkins und meine Schwester Marian Smothers. ›Kwanza‹ ist
das Suaheli-Wort für ›der Erste‹ und steht für die traditionellen
afrikanische Feiertage, in denen im Geiste des Gebens gefeiert
und gedankt wird; es handelt sich um die Zeit vom 26.
Dezember bis Anfang Januar. Jedes Jahr sammeln wir Geld für
Lebensmittel, Spielzeug, Kleidung und andere
Notwendigkeiten für sozial schwache Familien. Dank unseren
Stellungen im Showbusineß sind wir in der Lage, auch auf
andere Weise zu helfen, zum Beispiel durch die spezielle
Premiere von Truck Turner, wo ich die zweite Hauptrolle
hatte. Wir sammelten Geld, um ein dringend benötigtes
Diagnosegerät für Schwangere zu kaufen, das 10 000 $
kostete. Wir haben den United Negro College Fund ebenso
unterstützt wie Genesee, ein Frauenhaus für mißhandelte
Frauen. Zu den vielen Prominenten, die Kwanza uneigennützig
ihre Zeit und Geld zur Verfügung gestellt haben, gehören
Richard Pryor, Oprah Winfrey, der ehemalige Baseballspieler
Curt Flood, Sidney Poitier und Paul Mooney.
Natürlich würde ich die Erfahrung, bei Star Trek mitgespielt
zu haben, für nichts in der Welt eintauschen. Aber es gab
Zeiten, da erwies sich die anhaltende Popularität der Serie für
jedes Mitglied der Stammbesetzung als zweischneidiges
Schwert. Vielleicht lag es an der Unverwechselbarkeit der
Charaktere oder an der ständigen Ausstrahlung der
neunundsiebzig Episoden, daß unsere persönliche Identität und
die Charaktere in der Starfleet-Uniform untrennbar
miteinander verschmolzen. Nicht, daß wir die einzigen
Schauspieler Hollywoods waren, die unter dem
Bekanntheitsgrad ihrer Rolle litten; das ist eines der Risiken
des Handwerks. Jeder kennt zumindest einen Schauspieler, der
eine großartige, im Gedächtnis haftende Rolle besser
verkörperte, als gut für ihn war, und von dem man seit jeher
kaum noch etwas gehört hat. Castingagenturen, Regisseure und
Produzenten zögern oft, jemanden zu engagieren, der ihrer
Ansicht nach zu sehr mit einer Rolle identifiziert wird; sie
glauben auch – meiner Meinung nach zu Unrecht –, daß die
Zuschauer mich in keiner anderen Rolle akzeptieren können,
da sie in mir nur Uhura sehen.
Nach der Einstellung von Star Trek folgte eine Periode von
etwa acht Jahren, die frustrierend und qualvoll sein sollte, sich
letztlich aber auf eine Art und Weise auszahlte, mit der ich nie
gerechnet hätte. Ich hatte erkannt, daß ich mein Image als
gebildete, effiziente Uhura erweitern mußte, und so akzeptierte
ich die interessante Rolle der hartgesottenen, sinnlichen
Madame Dorinda in dem Abenteuerfilm Truck Turner mit
Isaac Hayes. Ursprünglich hatte man mir die Rolle von Turners
Freundin angeboten, aber als ich das Drehbuch las, entdeckte
ich eine viel bessere Rolle, es bestand kein Zweifel, ich mußte
Dorinda spielen. »Aber Nichelle, Dorinda ist doch keine
Hauptrolle«, sagte Hayes, der den Film auch produzierte.
»O doch, das ist sie wohl«, erwiderte ich. »Du mußt es nur
sagen.«
Sie willigten ein, und ich bekam die Rolle. Und ich arbeitete
daran, damit sie sich ins Gedächtnis einprägte, nahm sogar
fünfundzwanzig Pfund zu, eine Erinnerung an die
Dreharbeiten, die sich länger als ursprünglich geplant hielt.
Ich liebte Dorinda. Sie war all das, was Uhura nicht war:
gemein, hinterhältig, bösartig. Als ich mich das erste Mal für
die Rolle bewarb, sagte einer der drei Männer, vor denen ich
meine Textprobe vortrug: »Sie haben mich zu Tode
erschreckt!« Obwohl der Film zwanzig Jahre alt ist, halten
mich noch immer Frauen auf der Straße an und rufen:
»Dorinda!« Es ist eine ganz andere Begrüßung als »Glück und
langes Leben!«, und das ist auch gut so.
Trotz dieser großartigen Rolle waren die siebziger Jahre die
Zeit der Filme, in denen Schwarze grundsätzlich als Zuhälter,
Nutten, Süchtige oder bestenfalls hoffnungslose
Slumbewohner dargestellt wurden. Und Nacktszenen von
Frauen waren obligatorisch. Ich lehnte so viele Angebote ab,
daß ab 1974 keine mehr eintrafen. Ich hatte einen Vertrag mit
Epic Records, aber meine Langspielplatten verkauften sich
nicht, und die Rückkehr zum Theater half nicht, meine
stagnierende Karriere wiederzubeleben.
In diesen Jahren ließ ich mich das zweite Mal scheiden. Als
mein Sohn in Gordon Parks The Learning Tree die Hauptrolle
spielte, sonnte ich mich als stolze Mutter in seinem Erfolg. Ich
zog in ein kleines Haus am Benedict Canyon in Beverly Hills
und versuchte mich zu sammeln. Ich kann mich nicht erinnern,
daß ich bewußt die Entscheidung traf, nicht länger aufzutreten,
aber fünf Jahre lang tat ich genau das. Ich vermißte es, und das
Leben in der Glitzerwelt von Los Angeles war eine ständige
Erinnerung an die Tatsache, daß ich meinen geliebten Beruf
nicht länger ausübte.
Trotz der Besuche bei Star Trek-Conventions hatte ich den
Eindruck, daß alles stagnierte, und ich fühlte mich kreativ
entmutigt. Jedoch gehörte ich noch nie zu denjenigen, die sich
mit der trägen Existenz des Nichtstuns zufrieden gaben. 1975
fing ich an, mich für unser Raumfahrtprogramm zu
interessieren, und gründete die Firma Women in Motion, Inc.
mit der ich eine Reihe von Regierungsaufträgen übernahm. Als
das Jahr 1976 anbrach, hatte ich vom Entertainment zum
Schreiben übergewechselt und produzierte Lehrfilme sowie
Programme und Projekte für junge Leute, wobei ich Musik als
Lernmittel einsetzte. Zu den Regierungsbehörden, für die ich
arbeitete, gehörten unter anderem das U.S. Department of
Health, Education and Weifare (Bundesministerium für
Gesundheit, Ausbildung und Wohlfahrt), das U.S. Department
of Housing and Urban Development (Bundesministerium für
Wohnungsbau und Städteentwicklung), das U.S. Department
of Energy (das Bundesministerium für Energie), das U.S.
Department of Transportation (das Bundesministerium für das
Transportwesen), die University of California in Irvine und das
Smithsonian Air and Space Museum. Zusätzlich zu dem
Astronautenrekrutierungsprogramm, über das Sie später noch
lesen werden, erhielt ich diverse Aufträge von der NASA. Ich
war beschäftigter, als ich mir je hätte träumen lassen, und die
Arbeit füllte mich aus. Trotzdem fehlte etwas.
Ich besuchte auch weiterhin die Conventions, wo der Ruf
nach der Rückkehr von Star Trek immer lauter wurde. Als sich
1976 näherte – Star Treks zehnjähriges Jubiläum – fragten wir
uns alle, ob Genes Projekt jemals realisiert werden würde. Was
sich in den fast sechs Jahren zwischen dem Beginn der Arbeit
an einem neuen Star Trek 1973 und der Premiere von Star
Trek: The Motion Picture im Dezember 1979 zutrug, ist ein
herzzerreißendes und zugleich brüllend komisches Beispiel
dafür, wie Hollywood funktioniert, ein langes stümperhaftes
Spiel, in dem der Star Trek-Ball die Hände und dann sogar das
Spielfeld wechselte, bevor er dann endlich das Touchdown
erreichte.
Genes erstes Drehbuch für einen Star Trek-Kinofilm wurde
abgelehnt. 1976 kündigte das Studio an, Star Trek würde als
fürs Fernsehen produzierter Film auf die Bildschirme
zurückkehren; später im selben Jahr sollte es dann doch ein
Kinofilm werden. Während sich die Studiobosse nicht
entscheiden konnten, unterschrieb jedes Mitglied der
Stammbesetzung mit Ausnahme von Leonard, der rechtliche
Streitigkeiten mit Paramount austrug, einen Vertrag, seine
Rolle wieder zu spielen. Es ist unnötig zu erwähnen, daß die
Fans nicht euphorischer hätten reagieren können, wenn sie
romulanisches Ale getrunken hätten.
Das Studio hätte vielleicht ewig weiter herumgetrödelt, hätte
es nicht eine Reihe scheinbar zusammenhangloser, glücklicher
Ereignisse gegeben. Das erste trug sich im Sommer zu, als
über 400000 Trekker Briefe an Präsident Ford schrieben, in
dem sie ihn drängten, das erste Space Shuttle von Constitution
in Enterprise umzutaufen. Am 17. September 1976 wurde das
Space Shuttle Enterprise der Öffentlichkeit vorgestellt; es
rollte aus der Halle, während eine Band die Titelmusik der Star
Trek-Serie spielte und fünftausend Gäste, darunter Gene und
die Stammbesetzung des Raumschiffs Enterprise, in wilden
Jubel ausbrachen. Was für eine tolle Sache war das doch. Nur
ein paar Tage später schaltete Paramount die folgende
Zeitungsanzeige. »In Kürze wird sich das Raumschiff
Enterprise zum Space Shuttle Enterprise gesellen. Paramount
Pictures beginnt bald mit der Produktion eines
außerordentlichen Kinoabenteuers – Star Trek!«
Doch im Gegensatz zu dem in der Öffentlichkeit erweckten
Eindruck ging die Rückkehr von Star Trek alles andere als mit
Warpgeschwindigkeit voran. Im Sommer 1977 erlebte ein Film
seine Premiere, der an den Kinokassen Geschichte schrieb:
Star Wars. Und Paramount machte die nächste Ankündigung.
Jetzt würde es eine Star Trek-Fernsehserie geben,
voraussichtlich unter dem Titel Star Trek: Phase II. Einen
neuen, vierten landesweiten Fernsehsender im Visier, sah
Paramount eine neue Trek-Serie als attraktiven Köder für
potentielle Tochtergesellschaften. In der Zwischenzeit war
Leonard zurück zur Herde gebracht worden, unter der
Bedingung, Spock nicht jede Woche spielen zu müssen. Man
erschuf einen neuen Vulkanier, Xon, und besetzte die Rolle.
Kulissen wurden gebaut, Drehbücher entwickelt, Schauspieler
unter Vertrag genommen.
Das Lustige bei dieser ganzen Angelegenheit war, daß wir
wegen der Verträge, die sie mit uns für die geplante, jedoch nie
realisierte Fernsehserie beziehungsweise den Kinofilm
abgeschlossen hatten, bereits bezahlt worden waren; also
trieben uns die Verzögerungen und Konzeptänderungen nicht
gerade in den Ruin. Aber von Gene, der zehn Jahre älter und
besessener denn je war, seine Vision erfüllt zu sehen, forderten
sie einen hohen Preis. Im Verlauf des Sommers machte er sich
an die Arbeit, Drehbücher für die zweite Fünf-Jahres-Mission
der Enterprise in Auftrag zu geben, und instruierte die
Autoren, mehrere neue Charaktere einzubauen, inklusive
Commander Will Decker, Sohn von Matt Decker, der in der
Fernsehepisode ›The Doomsday Machine‹ gestorben war,
sowie Ilia, die sinnliche Deltanerin.
Traditionellerweise beginnen neue Fernsehserien mit einem
zweistündigen Pilotfilm. Zwölf Drehbücher waren fertig, und
alle waren bereit. Dann entschied Michael Eisner, der Boß von
Paramount, etwa eine Woche vor Beginn der Dreharbeiten, daß
doch ein Kinofilm produziert werden sollte. Ein neuer Vertrag,
ein neuer Scheck. Mittlerweile neigte sich 1977 seinem Ende
zu. Als mich mein Agent anrief, um mir die Neuigkeit
mitzuteilen, konnte er nicht aufhören zu kichern, wieviel Geld
wir fürs Nichtstun bekommen hatten. Ich war begeistert über
die Entscheidung, nun doch einen Kinofilm zu drehen, aber da
ich Trek nun einmal kannte, machte ich mir nicht zu viele
Hoffnungen. Im März willigte Leonard endlich ein, doch
mitzuwirken; ein paar Wochen später kündigte Eisner die
Produktion von Star Trek: The Motion Picture an; Regie führte
Oscargewinner Robert Wise. Endlich, dachte ich, Erlaubnis,
an Bord zu kommen, erteilt.
10

Aber nicht so schnell. Während Paramount, Gene und eine


Horde von Autoren und Agenten sich bemühten, die
Enterprise auf der Kinoleinwand ins All starten zu lassen,
machte ich mich auf, eigene Abenteuer zu erleben.
Kurz nach Dr. von Puttkamers Rede bei der Chicagoer Star
Trek-Convention lud man Jimmy Doohan, George Takei und
mich ein, dem Hauptquartier der National Aeronautics and
Space Administration, kurz NASA, in Washington einen
Besuch abzustatten. Mittlerweile war Dr. von Puttkamer, der
dem Wissenschaftsstab des Advance Programs Office des
NASA’s Office of Space Flight angehört und auch als
Programmanager für die Industrialisierung und Besiedlung des
Weltraums gearbeitet hatte, auf den Conventions ein bekannter
Gastredner geworden. Er stellte uns Dr. James Fletcher vor,
den damaligen Leiter der NASA.
»Ich muß Ihnen gestehen, ich bin ein fanatischer Fan«, sagte
er. »Ich bin mit Ehrfurcht erfüllt. Sie kennenzulernen, macht
mich ganz nervös.« Wie wir bald erfahren sollten, war die
NASA voller Trekker. Durch Dr. von Puttkamer und viele
andere wunderbare Leute, die ich dort kennenlernte, erfuhr ich
viel über das Raumfahrtprogramm, und insbesondere über das
neueste bemannte Projekt, das Space Shuttle.
Unzweifelhaft besaß der erfolgreiche Start des ersten Space
Shuttle bei der NASA oberste Priorität. Als ein
wiederverwendbares Raumfahrzeug, das wie eine Rakete
gestartet wurde, aber dann wie ein Flugzeug landete, statt mit
dem Fallschirm im Meer niederzugehen, war das Shuttle
sowohl in ökonomischer als auch in wissenschaftlicher
Hinsicht entscheidend für das Raumfahrtprogramm. Die Idee,
daß das Shuttle mehrere Male gestartet und die Raketenstufe
aus dem Ozean – in den sie nach dem Start stürzte – geborgen
werden konnte, gefiel sowohl den Steuerzahlern als auch den
Kritikern der NASA. Viel wichtiger jedoch war, daß das Space
Shuttle mit seiner größeren Mannschaftskapazität, dem großen
Laderaum für den Transport von Satelliten und anderer
Nutzlasten, sowie der Fähigkeit, eine Woche oder länger im
Orbit zu bleiben, unendliche Möglichkeiten für
wissenschaftliche Experimente und dem Studium des
Weltraums und der Erde eröffnete. Zum Beispiel wäre die
entscheidende Reparatur des beschädigten Hubble-
Weltraumteleskops ohne das Space Shuttle nicht möglich
gewesen. In dem perfekten gravitationsfreien Vakuum des Alls
können wir Materialien und Chemikalien – einschließlich
lebensrettender Medikamente – erzeugen, die auf der Erde
unmöglich herzustellen wären.
Zu viele Leute wissen einfach nicht, welchen Nutzen wir aus
dem Raumfahrtprogramm ziehen, ohne den Planeten überhaupt
zu verlassen. Das Raumfahrtprogramm gibt uns viel mehr als
eßbaren Tang und eine Sammlung Mondgestein. Jeden Tag
bedienen wir uns Entwicklungen aus der Raumfahrttechnik,
von Mikrowellenherden und dem allgegenwärtigen Velcro zu
Herzschrittmachern und Apparaturen, die den Fötus im
Mutterleib überwachen. Die Miniaturisierung elektronischer
Bauteile versetzt gleichzeitig Wettersatelliten in die Lage,
potentiell zerstörerische Naturphänomene vorherzusagen.
Windmaschinen, die Elektrizität erzeugen, Solarzellen für das
Heizen und Kühlen von Häusern, kostbare Öl- und
Mineralvorkommen, die von Satelliten wie dem LandSat
entdeckt werden, medizinische Instrumente aller Arten, Mylar
und andere Plastikarten, die wir für selbstverständlich halten –
ich könnte ewig so weitermachen. Worauf ich hinauswill, ist
die Tatsache, daß sämtliche dieser Entwicklungen den Ertrag
aus der Investition in die Raumfahrt darstellen. In Dollars,
neugeschaffenen Arbeitsplätzen und technologischen
Entwicklungen gerechnet, erwirtschaftet jeder ausgegebene
Dollar sieben Dollar. Wie schön wäre es, würden all unsere
Regierungsstellen diesen Standard vorweisen können.
Bei meinen Besuchen wurden mir einige erstaunliche
Erfahrungen zuteil, die mir die Augen öffneten, wie die
achtstündige Flugmission an Bord des Kuiper C-141
Astronomy Oberservatory (mit einer aus Trekkern bestehenden
Crew aus ernstzunehmenden Wissenschaftlern und
Astronomen, die begeistert waren, Uhura an Bord zu haben),
der Besuch des Marshall Space Flight Center und des Alabama
Space Rocket Center. 1976 hatte ich die Ehre, in das Jet
Propulsion Laboratory eingeladen zu werden, um Zeugin der
Viking-Landung auf dem Mars zu werden; es erfüllte mich mit
Stolz, eine Kopie des ersten Photos zu bekommen, das von der
Planetenoberfläche gesendet wurde.
Anfang 1977 wurde ich wegen meines Interesses am
Raumfahrtprogramm und der Werbung, die wir ihm durch
Woman in Motion, Inc. hatten zukommen lassen, in den
Aufsichtsrat des National Space Institute berufen, einer zivilen
Organisation, die Wernher von Braun gegründet hat, der
Pionier auf dem Gebiet der Raketentechnik, der unter anderem
die Entwicklung der bei den Apollo-Missionen verwandten
Saturnrakete leitete und stellvertretener Direktor der NASA
wurde. In jenem Januar hielt ich eine Rede vor der jährlichen
Versammlung der Direktoren und Aufsichtsratsvorsitzenden
des NSI in Washington, D.C. mit dem Titel ›Neue
Gelegenheiten für die Humanisierung des Weltalls‹. Darin
forderte ich die NASA und alle Beteiligten des
Raumfahrtprogramms auf, die Frage zu beantworten, die ich
tausende Male auf meinen Reisen gehört hatte: »Der
Weltraum? Was habe ich davon?« Ich gab die Kritik an dem
Programm wider, die ich von Frauen, Minderheiten und der
allgemeinen Öffentlichkeit gehört hatte, und unterbreitete dann
mehrere Vorschläge, das Vertrauen, das Verständnis und die
Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung
zurückzugewinnen.
Offensichtlich machte meine Rede Eindruck, denn kurz
darauf erhielt ich eine Einladung von John Yardley, dem Leiter
des Büros für bemannten Raumflug, über einige der von mir
aufgeführten Punkte zu sprechen. Die NASA hatte ihr sechstes
Astronautenrekrutierungsprogramm bereits zur Hälfte
durchgeführt, und die Verantwortlichen versicherten mir, daß
sie sich nach allen Kräften bemüht hatten, mehr Frauen und
Vertreter von Minderheiten anzusprechen. Leider gab es ein
großes Problem: Es gab kaum Anmeldungen. Das war
besonders enttäuschend, da die Mission des Space Shuttles die
erste war, an der auch Astronauten teilnehmen sollten, die
keine Piloten waren, was theoretisch Leuten die Tür öffnete,
die für frühere Missionen weder gebraucht noch in Betracht
gezogen worden wären.
Sie waren völlig davon überrascht. »Ich verstehe nicht,
warum Sie das nicht verstehen«, erwiderte ich. »In den Jahren
seit Apollo haben Sie fünf Rekrutierungsprogramme
durchgeführt, und Sie haben nie in Betracht gezogen, die
Qualifikation von Frauen und Minderheiten anzuerkennen,
indem Sie sie in das Astronautenkorps aufnahmen. Kein
Farbiger? Keine Frau auf dem ganzen Planeten, die qualifiziert
genug ist? Wir wissen doch alle, daß das nicht stimmt. Aber
Sie haben damit eine Botschaft ausgesendet: Macht euch nicht
die Mühe, euch zu bewerben.«
»Was sollen wir tun?« fragte John Yardley. »Uns bleiben nur
noch vier oder fünf Monate für diese Rekrutierung, und,
Nichelle, diesmal meinen wir es ernst.«
»Wo liegt diesmal der Unterschied?«
»Früher bestand das Astronautenkorps nur aus Männern, weil
wir Testpiloten brauchten, Leute mit Düsenjägererfahrung. Für
das Shuttle brauchen wir jedoch eine neue Art von
Astronauten, einen Astronauten, der gleichzeitig
Wissenschaftler ist. Die Qualifikationen sind heute völlig
anders.
Größe spielt keine Rolle, und das Sehvermögen spielt keine
Rolle, solange es durch eine Brille korrigiert werden kann.«
»Nichelle, wir müssen eine Möglichkeit finden, die Leute
davon in Kenntnis zu setzen, und irgendwie stößt unsere
Botschaft auf taube Ohren«, sagte Dr. Harriett Jenkins, die
Direktorin der Abteilung für Chancengleichheit. »Wie können
wir das ändern?«
Da ich von der Ehrlichkeit John Yardleys, mit dem ich ein
paar Jahre zuvor bei einem anderen Projekt
zusammengearbeitet hatte, und Dr. Jenkins’, einer der ersten
weiblichen und schwarzen Direktorinnen der NASA,
überzeugt war, hatte ich das Gefühl, ihnen gegenüber offen
sein zu können.
»Nun, hier ist Schnelligkeit gefragt. Sie sollten jemanden mit
großem Bekanntheitsgrad und Glaubwürdigkeit verpflichten,
eine Blitzaktion in allen Medien durchzuführen, mit Reden,
Artikeln, Vorträgen im öffentlichen Dienst und Werbespots, in
Talk-Shows und bei allen anderen Gelegenheiten, die Sie
kriegen können. Außerdem brauchen Sie jemanden, der sich
vor Ort begibt und qualifizierte Leute erkennt. Er sollte die
Hand ausstrecken und die Öffentlichkeit davon überzeugen,
daß die NASA es ernst meint, egal welche Ungerechtigkeiten
es früher auch gab. Sagen Sie ihnen, daß es sich um eine neue
Ära handelt, einen Schritt nach vorn. Sie müssen die
Meinungen der Leute verändern, ihnen begreiflich machen,
daß Sie es ernst meinen und es sich nicht nur um irgendeine
PR-Aktion handelt.«
»Wen würden Sie vorschlagen?«
»John Denver! Er ist seit jeher ein Anhänger des
Raumfahrtprogramms. Er genießt hohes Ansehen für seine
humanitäre Arbeit. Er ist ein wunderbarer Mensch; jeder liebt
ihn. Bill Cosby! Er ist die Vaterfigur der ganzen Nation, die
Leute vertrauen ihm. Coretta Scott King! Niemand eignet sich
besser als sie, um zu sagen: ›Das ist eine neue Gelegenheit, die
sich hier bietet.‹«
Gedankenverloren versuchte ich, mir noch andere Namen
einfallen zu lassen, als John Yardley fragte: »Und was ist mit
Lieutenant Uhura?«
Ich lachte. »Ich dachte, wir würden hier ein ernsthaftes
Gespräch führen. Außerdem bin ich dafür nicht geeignet. Das
erste, was jeder sagen wird, ist, daß sich die NASA eine
Hollywood-Astronautin geholt hat, daß es eine PR-Aktion ist.
Keiner wird zuhören. Sie werden mich auslachen.«
»Nicht, nachdem sie Ihnen fünf Minuten zugehört haben,
Nichelle.«
Ich bin selber schuld, nicht wahr? Es ist nicht schwer, sich
auf eine Seifenkiste zu stellen und darüber zu sprechen, wer
was tun sollte, sich zu beschweren und zu kritisieren. Nun bot
mir die NASA die Gelegenheit, die Veränderungen, an die ich
glaubte, in Gang zu setzen, auf einem silbernen Tablett.
»Okay, aber ich stelle ein paar Bedingungen«, sagte ich. »Es
muß mehr als eine schnelle Tour durch die Medien sein; ich
will qualifizierte Leute aufspüren. Und sie müssen wirklich
qualifiziert sein, denn ich will nicht, daß jemand auch nur eine
Sekunde glaubt, daß nur durch einen ›Befehl von oben‹ ein
Unqualifizierter aufgenommen wurde. Wenn Sie das in den
wenigen Monaten erledigt haben wollen, die Ihnen noch
bleiben, dann müssen Sie mich als Subunternehmer für die
NASA arbeiten lassen und alles meiner Firma überlassen. Ich
habe nichts dagegen, Sie ständig auf dem laufenden zu halten,
aber um diesen Auftrag zu erledigen, muß ich die Freiheit
haben, alles zu formulieren, zu planen und auszuführen.
Und schließlich noch folgendes: Wenn ich meinen Namen
und meinen Ruf für die NASA einsetze, und qualifizierte
Frauen und Angehörige von Minderheiten finde, die sich
bewerben, und ich dann nächstes Jahr noch immer ein
lilienweißes, nur aus Männern bestehendes Astronautenkorps
vorfinde, werde ich persönlich eine Klage gegen die NASA
einreichen. Ich werde mich nicht dazu benutzen lassen, für
Publicity zu sorgen, nur um mir dann später anhören zu
müssen: ›Tut uns ja leid, wir haben es wirklich versucht, aber
es hat einfach keine qualifizierten Frauen oder
Minderheitenangehörige da draußen gegeben.‹«
Sie willigten ein. Als sich das Gespräch dann den finanziellen
Dingen zuwandte, verwiesen die anwesenden Direktoren
natürlich auf ihre leere Kassen. Schließlich sagte John: »Dieses
Projekt wird durchgeführt!« Er wies seine Mitarbeiter, General
McNichol und von Puttkamer an, daß das Projekt über seine
Abteilung finanziert wurde. Beim Mittagessen am nächsten
Tag machte er mir ein großes Kompliment: »Das war das
schnellste Nachdenken, das ich je gesehen habe.«
Im Februar unterzeichnete Woman in Motion, Inc. einen
Vertrag mit der NASA, und meine Partnerin Shirley Bryant
Keith, meine gute Freundin und rechte Hand Shannon O’Brien
und unsere Assistentin Janet Holbrook legten los und ließen
alle anderen Geschäfte ruhen, um unser Hauptquartier zu
besetzen, während ich durchs Land reiste. Ich hatte nur bis
Ende Juni Zeit – also weniger als sechs Monate – um die
Astronauten von morgen zu finden. Noch im Januar flog ich
nach Houston, um mich einer modifizierten Version der
Astronautenausbildung zu unterziehen und mich unterweisen
zu lassen. Im Februar hatte mein Büro die Reiseroute
ausgearbeitet, und es konnte losgehen.
Mittlerweile hatte ich mich richtig in meine Mission verliebt,
und vermutlich hatte die Tatsache, daß ich meine Reise am
Valentinstag begann, etwas zu bedeuten. Im Verlauf der
nächsten Monate machte ich in jeder wichtigen Stadt des
Landes Halt, besuchte Colleges und High Schools, sprach vor
Körperschaften, professionellen Organisationen, in
technologie- und luftfahrtorientierten Firmen und an jedem
anderen Ort, wo vielleicht ein potentieller Astronaut zu finden
war. Ich hielt eine Reihe von Vorträgen in. Einrichtungen des
öffentlichen Dienstes und produzierte einen Film mit dem
Apollo XII-Astronauten Alan Bean, in dem wir verkündeten:
»Das All ist für alle da.« Ich unterzog mich der richtigen
Astronautenausbildung und bekam sogar meine eigene,
authentische NASA-Astronautenuniform, die mir bis zum
heutigen Tag viel bedeutet. Die Nachricht von meiner
Beteiligung an dem Rekrutierungsprogramm verbreitete sich
durch alle Medien: in überregionalen Publikationen wie
Newsweek und People, den wichtigsten Tageszeitungen der
Städte, die ich besuchte, und im Fernsehen, einschließlich
Good Morning America.
Meine Befürchtungen bezüglich des öffentlichen Mißtrauens
der NASA gegenüber wurden bald bestätigt. »Sie haben das
alles schon früher von der NASA zu hören bekommen, und sie
werden es auch jetzt nicht glauben«, bekam ich von meinen
Kontaktpersonen an den Universitäten oder in den
Organisationen als Warnung zu hören. Ich stellte mich den
zynischen Blicken und beantwortete aggressive Fragen, und
obwohl die meisten meiner Auftritte mit Interesse und
Enthusiasmus aufgenommen wurden, galt das doch bei weitem
nicht für alle.
In der Mitte des Werbefeldzuges trat ich mit Gene
Roddenberry beim vierzehnten Weltraumkongreß auf. Dr. von
Puttkamer leitete die Podiumsdiskussion, an der Gene und ich
teilnahmen, und der Respekt und die Bewunderung, die Gene
und Star Trek unter den Topleuten des Raumfahrtprogramms
genossen, erfüllten mich mit Stolz. Im August waren Jimmy
Doohan und ich Gäste der NASA, um die erste Testlandung
des Space Shuttles Enterprise in der Wüste miterleben zu
dürfen. Und als die meisten Mitglieder der Stammbesetzung
sich im September bei der Convention im Statler-Hilton in
New York trafen, berichteten die Medien über meine
Rekrutierungsreise.
1978 widmete sich die von PBS produzierte, mit Preisen
ausgezeichnete Wissenschaftsserie Nova dem Space Shuttle in
einer Sendung mit dem Titel ›Die letzte Grenze‹. Die Sendung
zeigte nicht nur Lieutenant Uhura an ihrer Konsole und
Nichelle Nichols im Gespräch mit Studenten und bei der
Produktion des Werbefilms mit Alan Bean, sondern begann
mit der Enterprise des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts, die
über den Bildschirm jagte, und den Worten von Captain Kirk
»Der Weltraum… Unendliche Weiten«. In den Herzen jener,
denen das Raumfahrtprogramm etwas bedeutete, bestand ein
Band zwischen der NASA und Starfleet. Und es ging noch
weiter: Dr. Mae Jemison, die erste Afroamerikanerin im All,
die mittlerweile eine liebe Freundin ist, spielte sogar eine
Gastrolle in Genes zweiter Star Trek-Fernsehserie Star Trek:
The Next Generation. Dr. Jemison, die als Kind von Uhura
inspiriert worden war, begann jede ihrer Schichten im Shuttle
mit einem »Grußfrequenzen geöffnet«, was man auf der
ganzen Welt hören konnte – und vielleicht sogar jenseits
davon. In Star Trek III: The Search for Spock begegnet die
Enterprise einem Raumschiff der Föderation namens USS
Grissom. Der Name wurde zu Ehren von Astronaut Virgil
›Gus‹ Grissom gewählt, der 1967 bei dem tragischen Brand
beim Start von Apollo I ums Leben kam. Kürzlich wurde
enthüllt, daß sich Gene Roddenberrys Asche im Oktober 1992
beim Flug des Space Shuttle Columbia unter den persönlichen
Besitztümern des Kommandanten James Wetherbee befand.
Man sagt, dies sei Genes letzter Wunsch gewesen. Das Star
Trek -Universum ist durchsetzt mit Anspielungen – vielleicht
sollte ich sie Tribute nennen – auf die Erfolge unserer
Vorfahren im Weltall. Dabei spielt es keine Rolle, daß die
NASA real und Starfleet nur ›erfunden‹ ist. Wie Uhura in
einem von mir für das Smithsonian Air and Space Museum
produzierten Film sagt: »Der Unterschied zwischen Phantasie
und Realität liegt darin, daß die Phantasie bis jetzt einfach
noch keine Realität geworden ist.«
Diese hektischen Monate gehörten zu den aufregendsten und
persönlich befriedigendsten meines ganzen Lebens; sie waren
so reich an Erfahrungen, daß ich darüber mühelos ein eigenes
Buch hätte schreiben können. Der Abschlußbericht von
Woman in Motion, Inc. an die NASA wog über vier Pfund und
war dicker als die Gelben Seiten von Manhattan. Der
Werbefeldzug war in jeder Hinsicht ein Erfolg. In den sieben
Monaten, bevor Woman in Motion, Inc. mit der Arbeit begann,
hatte die NASA nur 1600 Bewerbungen erhalten, darunter
weniger als 100 von Frauen und 35 von Angehörigen von
Minderheiten. Von diesen hatte sich laut NASA keiner
qualifiziert. Ende Juni 1977, nur vier Monate nachdem wir mit
unserer Arbeit begonnen hatten, waren 8400 Bewerbungen
eingegangen, davon 1649 von Frauen (eine fünfzehnfache
Steigerung), sowie die erstaunliche Zahl von 1000
Bewerbungen von Angehörigen von Minderheiten. Ohne die
aktive Werbeaktion hätten sich weniger als fünf Prozent von
diesen Menschen beworben. Unter diesen Bewerbungen
befanden sich viele Namen, die in die Geschichte eingehen
sollten: Sally Ride, die erste amerikanische Frau im All; Fred
Gregory und Guy Bluford, zwei der ersten afroamerikanischen
Astronauten; die drei Astronauten, die ihr Leben bei der
Challenger-Katastrophe ließen: Judith Resnik, Ronald McNair
und Ellison Onizuka.
Insgesamt erhielt die NASA über 24000 Anfragen für die
dreißig oder vierzig offenen Positionen.
Obwohl ich unseren Abschlußbericht mit den Worten
»Grußfrequenzen geschlossen, gezeichnet, Projektmanager«
beendete, bin ich jederzeit bereit, die ›Frequenzen‹ für die
NASA, unser Raumfahrtprogramm und unsere Zukunft wieder
zu öffnen.
Meine Arbeit zugunsten des Raumfahrtprogramms ging
weiter, und ich lernte dabei viele wunderbare Menschen
kennen. Eine ganz besondere Person war Jim Meechan. Ich
war in Dearborn, Michigan, um vor der jährlichen
Aktionärsversammlung von Rockwell International über das
Astronautenrekrutierungsprogramm für das Space Shuttle zu
sprechen. Rockwell war der Hauptzulieferer für die NASA im
Shuttle-Programm, hier wurde der Orbiter des Shuttles
entwickelt und getestet, einschließlich des Triebwerks. Darum
war ich hier. Aber Rockwells Beteiligung an
Verteidigungsaufträgen, insbesondere am Bau des B-l-
Bombers, hatte einen Orden katholischer Nonnen veranlaßt,
vor dem Hotel eine laute Demonstration zu veranstalten.
Rockwells Präsident hatte angeordnet, daß Jim Meechan, der
Vizepräsident der Abteilung Forschung und Konstruktion, aus
Kalifornien herübergeflogen kam, um mit den Schwestern zu
sprechen, da er Katholik war. Das tat er dann auch, aber zu
diesem Zeitpunkt hatte der Protest der Schwestern einige
lautere, aggressivere Demonstranten angelockt, und ein paar
der Chefs von Rockwell entschieden, ich sollte lieber auf
meinen Auftritt verzichten, da sie der Meinung waren, dadurch
würde nur noch mehr Presse angelockt.
Earl Blount, der Direktor der Public Relations-Abteilung von
Rockwell, versicherte mir, Mr. Meechan würde sich freuen,
mich in seiner Limousine zum Flugplatz zu bringen, und er
schickte seinen Assistenten los, um ›Big Jim‹ Bescheid zu
geben. Aber als wir die Lobby betraten, sah ich, daß Meechan
den Kopf schüttelte. In diesem Augenblick fuhr die Limousine
vor. Charles, sein Chauffeur, sprang heraus, begrüßte mich als
»Miss Star Trek« und sagte zu seinem Boß: »Wie ich sehe, Mr.
Meechan, sind Sie wieder ein Stück in der Welt
herumgekommen.« Meechan nahm mich beim Ellbogen und
befahl höflich: »Steigen Sie ein.« Mittlerweile kochte ich vor
Wut und beschloß, diesem hinterwäldlerischen Konzern-
Schreibtischhengst eine Lektion zu erteilen. Und so hielt ich in
den nächsten vierzig Minuten die ›Der Wert des Weltalls‹-
Rede, die ich ursprünglich bei der Aktionärsversammlung hatte
vortragen wollen. Mr. Meechan beschränkte sich größtenteils
auf ein höfliches »Ah ja« und »Ich verstehe«. Ich kam zum
Ende und setzte mich zurück, von selbstgerechter
Zufriedenheit erfüllt.
Wir hatten bereits den Flughafen von Detroit erreicht, als Mr.
Meechan seinen ersten ganzen Satz äußerte. »Verstehen Sie
etwas von Musik?«
»Musik ist mein Leben«, stammelte ich überrascht. »Ich bin
mit Musik aufgewachsen. Damit habe ich Karriere gemacht,
sie ist…«
Er zog ungerührt eine Visitenkarte aus der Brusttasche und
sagte bloß: »Rufen Sie mich an, wenn Sie wieder in L.A. sind,
dann unterhalten wir uns über Musik.«
Der Chauffeur blieb am Eingang zur Abflughalle stehen und
öffnete mir die Tür. Nach einem kurz angebundenen »Vielen
Dank und Goodbye« warf ich mir die Pelzjacke über die
Schulter, marschierte in den Flughafen und dachte: Du
arroganter Bastard! Ich zerriß die Visitenkarte in zwei Teile
und wollte sie gerade in einen Abfallkorb werfen, als ich aus
unerfindlichen Gründen innehielt und sie in die Tasche steckte,
nachdem ich sie gelesen hatte. C. J. Meechan, Vizepräsident
Rockwell International Inc. – Abteilung Forschung und
Konstruktion. Als ich im Flugzeug saß und meinen Drink
schlürfte, versuchte ich meine verletzten Gefühle zu
besänftigen, aber es war unmöglich. Irgendwo hoch oben in
der Luft saß Mr. Meechan in der Ersten Klasse eines anderen
Flugzeugs und lachte sich halb tot über mich.
Nun gut. Ich war auf dem Weg nach Portland, Oregon, um
mit der Theaterabteilung der Oregon State University zu
arbeiten. Ich hatte einen anderen Vertrag mit der NASA
abgeschlossen, in dem ich mich verpflichtet hatte, ein
Weltraum-Musical zu schreiben, zu produzieren und die Regie
zu führen, und die Universität hatte sich bereit erklärt, es
aufzuführen. Als wäre meine Reise nicht bereits schon
schwierig genug gewesen, erfuhr ich bei meiner Ankunft in
Oregon, daß es Terminprobleme gab. Wegen der
Abschlußexamen hatten die Studenten der Schauspielgruppe
weder Zeit für Proben noch für eine Vorstellung. Großartig,
dachte ich. Nun mußte ich Schauspieler in L.A. finden, das
Stück mit ihnen einstudieren und dann das ganze Ensemble
nach Oregon schaffen, um den Vertrag zu erfüllen. Der
Großteil meines Budgets war bereits verplant, und es war
nichts mehr übrig, um diese hohen, unerwarteten Kosten zu
decken.
Dann traf es mich wie ein Blitz! Wenn Mr. Big Jim Meechan,
Vizepräsident der Forschungsabteilung und so weiter, sich
verdammt noch mal so sehr für Musik interessiert, dann wollen
wir doch mal sehen, ob er diese sich lohnende Sache, mein
Weltraum-Musical, als Sponsor unterstützt. Meine
Angestellten und ich stellten in Windeseile eine
unwiderstehliche Präsentation zusammen, und ich ließ mir bei
Mr. Meechan einen Termin geben. Diesmal war unsere
Begegnung viel freundlicher, aber nach der Präsentation bat er
mich, einen Entwurf einzureichen. Da ich gerade das ›New
Yorker Telefonbuch für die NASA‹ fertiggestellt hatte, lief es
mir bei dem Gedanken kalt über den Rücken. »Aber machen
Sie es nicht länger als eine Seite«, sagte Jim dann zum Schluß.
Ich seufzte erleichtert auf, und zwei Tage später erhielt ich
einen Scheck über 10000 Dollar. Moment mal, dachte ich. Das
war viel zu einfach. Aber ich hatte nicht vor, mein Glück aufs
Spiel zu setzen. Ich konnte meine Jungs nach Oregon schaffen
und den Vertrag mit der NASA erfüllen. Erst viel später erfuhr
ich, daß die Oregon State University Jims Alma Mater war.
Etwa ein Monat war vergangen, als Jim mich anrief und bat,
mir ein Lied anzusehen, das er geschrieben hatte. Natürlich
fühlte ich mich verpflichtet, dachte aber: Ein Vizepräsident?
Wie gut kann das schon sein? Ich bereitete mich seelisch
darauf vor, ein paar höfliche Komplimente zu machen, aber als
meine Partnerin Shirley und ich das erste Notenblatt sahen,
waren wir erstaunt. Das Lied ›Ancestry‹ war einfach
wunderschön. Und unheimlicherweise paßte es perfekt in eine
Operette, die ich über das Leben in einer Weltraumkolonie
komponierte. Es war, als würde Jim genau über mich Bescheid
wissen. Ich benannte die Operette in Ancestry um (Die Ahnen),
Jim komponierte noch ein paar Lieder, und von diesem Tag an
sind Jim und ich ein Komponisten-Duo, Geschäftspartner und
Freunde.
Zu diesem Zeitpunkt hatten meine anderen Geschäftspartner
aus den verschiedensten ›persönlichen Gründen‹ angefangen,
sich von mir zu trennen. Ich wußte, daß das Problem in
Wirklichkeit darin bestand, daß unsere Auftraggeber meinen
(oder Uhuras) persönlichen Auftritt zur Vertragsbedingung
machten. Da ich immer unterwegs war, gab es keine
gemeinsame Planung oder Kreativität mehr; sie fühlten sich
dazu degradiert, das Büro zu führen oder meine Termine zu
koordinieren. Plötzlich war ich die alleinige Besitzerin einer
Firma, die den Rest des NASA-Werbefeldzugs zu erfüllen
hatte. Shannon O’Brien arbeitete gottlob weiter als
Büromanagerin, Chefsekretärin, Köchin und Flaschenspülerin.
Sie half mir dabei, den Vertrag bis zum Ende zu erfüllen. Als
es soweit war, wußte ich tief in meinem Herzen, daß die
Geschäftswelt eigentlich nicht das richtige für mich war, und
kurz darauf stellte Woman in Motion, Inc. den Betrieb ein.
Trotz unserer mühelosen Zusammenarbeit hätte ich damals
nicht gedacht, daß Jim Meechan mein Leben für immer
verändern würde, indem er mich wieder mit meiner ersten
Liebe zusammenbrachte, der Welt der Musik und Entertainer.
Als er mich die Lieder von Ancestry singen hörte, sagte er mir,
er sei entschlossen, mich zurück auf die Bühne zu bringen, wo
ich hingehörte. Mir wurde bald klar: Wenn Big Jim Meechan
eine Entscheidung für eine Sache trifft, die er für wichtig hält,
braucht man ein Team von Clydesdales und eine Meute
Pitbull-Terrier – ganz zu schweigen von einer verdammt
soliden Logik –, um ihn davon abzubringen. Jim ging bei
Rockwell in den vorgezogenen Ruhestand, und wir machten
uns an die Arbeit. In den vergangenen Jahren haben wir mit
unserer Firma Airway Productions mehrere Platten sowie von
uns komponierte Musicals produziert; es gab zahlreiche
Theater- und Gesangsauftritte, beispielsweise meinen
kürzlichen Auftritt als Solokünstlerin bei der Achtzig-Jahr-
Feier der Philharmonie von Erie, Pennsylvania. Ich schreibe
diesen Teil von Beyond Uhura in Denver, wo ich die
Hauptrolle der Mutter Oberin in dem wunderbaren Musical
Nunsense II habe; die Vorstellungen finden immerhin im
Arvada Arts Center statt. Und es macht unglaublichen Spaß.
Ohne Jim wäre nichts davon möglich gewesen. Ich habe es
allein seiner Führung und seinem Management zu verdanken,
daß ich eine Karriere wiederbeleben konnte, die ich fast schon
aufgegeben hatte. Mit der fähigen Unterstützung von Florence
Butler und Vicki Johnson-Campbell leitete er die Kampagne,
in der sich Tausende von Fans dafür einsetzten, daß ich einen
Stern im Hollywood Walk of Fame erhielt. Er wurde am 9.
Januar 1992 installiert, einen Monat nachdem ich als erste
schwarze Künstlerin vor dem weltberühmten Grauman’s (jetzt
heißt es Mann’s) Chinese Theater in Hollywood meinen
Händeabdruck in Zement verewigen durfte. Davon abgesehen
habe ich seit fünfzehn Jahren in Big Jim, seiner Frau – meiner
Freundin Bunny – und ihren sechs Kindern eine neue Familie
gefunden. Es ist ein beeindruckender Anblick, wenn der
Nichols-Clan und die Meechans auf einer unserer ›Plantagen‹
zusammenkommen. Wegen all dieser Segnungen betrachte ich
mich als eine sehr glückliche Lady.

Etwa 1978 schlug mein Freund Dr. Kerry Joels, seines


Zeichens Direktor für Bildung am National Air and Space
Museum, während eines Abendessens vor, ich solle einen
zwanzigminütigen Einführungsfilm produzieren, der junge
Menschen – insbesondere benachteiligte Jugendliche – auf das
Museum neugierig macht. Ich machte den Vorschlag, ganz
normale Kinder ohne Schauspielerfahrung aus den örtlichen
Schulen zu nehmen, die eine Englischklasse auf
Museumsbesuch darstellten. Der Star würde ein kleines
Mädchen sein, dem Uhura erschien. Der Titel: Das All: Was
habe ich davon? Der Film wurde ein Jahr lang im Smithsonian
Air and Space Museum gezeigt und erhielt ausgezeichnete
Kritiken.
Die Story hatte für mich eine ganz besondere Bedeutung. In
der Klasse, die das Museum besuchte, sollte ein kleines
schwarzes Mädchen sein, dem ich den Namen Lishia verlieh.
Die Lehrerin (die von ihrer echten Lehrerin gespielt wurde, die
einfach großartig war) hat jedem Kind eine andere Aufgabe
gegeben, und Lishia muß den Unterschied zwischen Realität
und Fiktion im All erklären. Als sie zu dem Originalmodell des
Raumschiffs Enterprise kommt, das an einem Ehrenplatz
hängt, materialisiert Uhura vor ihr; für die anderen ist sie
unsichtbar. Während Lishia Uhura (und den Zuschauer) durch
das Museum führt, unterhalten sie sich über den Weltraum und
Träume. Uhura singt ›Reach for Your Star‹ (Greife nach
Deinem Stern), eines der zwei Lieder, die Jim und ich für den
Film geschrieben haben. Lishia gesellt sich wieder zu ihrer
Klasse und will unbedingt ihrer Lehrerin erzählen, daß Uhura
da ist. Aber als Uhura sieht, daß Lishia und die Klasse gleich
eintrifft, sagt sie: »Scotty, ich glaube, für mich ist die Zeit
gekommen, in meine eigene Zeit zurückzukehren!« Lishia
findet nur noch Uhuras Ohrring auf dem Fußboden, und als sie
ihn in Händen hält, hört sie Uhura sagen: »Vergiß nicht, Lishia
[der Gesang setzt wieder ein], greife immer nach deinem
Stern…«
1980 gründeten Jim und ich eine Jugendorganisation mit dem
Namen Space Cadets of America, eine Art Pfadfindergruppe
für den Weltraum. Wir produzierten, präsentierten und
verteilten Lernbroschüren über den Weltraum und besuchten
weltraumorientierte Stätten wie das Orgeon Museum of
Science and Industry oder das Space Camp. Wir stellten
Stipendien zur Verfügung. Erfreulicherweise – und zugleich
leider – wuchs die Gruppe so schnell, daß ich bald bis über
beide Ohren in die Arbeit dafür verstrickt war. Zwischen den
neuen Star Trek-Filmen und meinen anderen beruflichen
Verpflichtungen blieb nicht mehr genug Zeit für die Gruppe,
und wir lösten sie mit großem Bedauern auf. Glücklicherweise
wurde die Idee von dem Reporter Hugh Downs und dem
Kolumnisten Jack Anderson, beides Weltraumenthusiasten,
aufgegriffen.
Im Herbst 1984 hielt ich mich in Washington auf, um den
Public Service Award der NASA entgegenzunehmen, als der
Präsident die Gründung der Young Astronauts verkündete.
Jack Anderson lud mich ein, einen Posten im Aufsichtsrat zu
übernehmen, und gab zu, daß die aufgelösten Space Cadets als
Inspiration für diese Organisation gedient hatten, was mich
sehr freute. Wegen meiner politischen Überzeugungen, die
denen Präsident Reagans völlig entgegengesetzt waren, konnte
ich es einfach nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, neben
ihm auf einem Podium zu erscheinen. Und darum ging ich,
bevor die Zeremonie begann.
Trotzdem unterstützte ich Hugh, Jack und die neue
Organisation. Man kann nie früh genug anfangen, die
natürliche Neugier eines Kindes zu unterstützen. 1979 wählte
mich die American Society for Aerospace Education
(Amerikanische Gesellschaft für die Ausbildung in der
Luftfahrt) für die Produktion von Lernprogrammen, die von
Weltraum-Musicals bis zu Kinderreimen rangierte, zum
›Freund des Jahres‹. Wenn Kinder zu einem albernen
Nonsenslied, das sich für immer in ihre Erinnerung einprägt,
hüpfen können, warum dann nicht auch zu Texten wie diesen:

»Zweihundertfünfzig Millionen Meilen zum Mars,


Zweihundertfünfzig Millionen Meilen: Das ist weit!
Zweihundertfünfzig Millionen Meilen der Weg –
und dann
Zweihundertfünfzig Millionen Meilen zurück
nach Hause!«

Ob ich nun vor Schulkindern sprach oder bei der


Abschlußklasse einer Universität die feierliche Abschlußrede
hielt – eine Ehre, die ich bei der Cal Tech von Northridge hatte
–, ich hob die drei wesentlichen Voraussetzungen eines jeden
Erfolgs hervor, die mein Vater mir, meinen Geschwistern und
später meinem Sohn Kyle beigebracht hatte: Schulbildung,
Hingabe und praktische Anwendung. Ich ermutige junge
Leute, an ihre Träume zu glauben und sie von ganzem Herzen
zu verfolgen. Wir schulden es ihnen und uns, ihren
Wissenshunger zu stillen und ihren Sinn fürs Abenteuer
anzuspornen, hinter ihnen zu stehen, wenn sie an Orte
vorstoßen, zu denen wir selbst vermutlich nie gelangen
werden. Und wenn das bedeutet, dorthin zu gehen, wo noch
kein Mensch zuvor gewesen ist, um so besser.
Es ist keine unlösbare Aufgabe, die Vorstellungskraft junger
Menschen anzuregen, die Keime für ihre Träume zu säen.
Schwierig ist nur, dafür zu sorgen, daß unser
Raumfahrtprogramm kontinuierlich und ausreichend mit den
nötigen Mitteln versorgt wird, damit diese Träume wahr
werden können. Das nationale Raumfahrtprogramm sollte in
ein Programm umgewandelt werden, auf das jedermann einen
Anspruch hat; und sein Schicksal – die Zukunft unserer Kinder
im Weltall – sollte den Händen der Politiker entrungen werden,
deren kurzsichtige, von politischem Eigennutz motivierte
Budgetkürzungen seine Existenz bedrohen. Das ist eine
Verpflichtung, die wir erfüllen müssen, wenn unsere Kinder
die Reise fortsetzen sollen, die die Menschheit mit ihrem
ersten Schritt begonnen hat.

Es war Sommer 1978, und in wenigen Stunden würden sich


Uhura, Sulu, Chekov, Scotty und Mr. Spock im Jahre 2271 zu
Captain James Tiberius Kirk auf die Brücke des Raumschiffs
Enterprise gesellen. Eigentlich waren nur zwei oder drei Jahre
vergangen, seit die Enterprise nach Kirks gefährlichem
Bewußtseinstransfer in der Episode ›Turnabout Intruder‹ ins
Raumdock zurückgekehrt war. Auf dieser Seite des
Zeitportals, in realer Erdenzeit, waren es neun Jahre gewesen.
Und obwohl uns unsere Pfade in verschiedene Richtungen
geführt hatten, hatten alle Straßen zurück zu Star Trek geführt
– und zwar wegen der Conventions und der Unterstützung der
Fans.
Da ich meine Freunde so oft bei den Conventions sah –
insbesondere George, Walter, Jimmy, Gene und Majel, Dee
und manchmal auch Leonard – und wir uns alle über unsere
Aktivitäten auf dem laufenden gehalten hatten, war Star Trek
für uns eigentlich nie richtig vorbei gewesen. In den sechs
langen Jahren zwischen der angekündigten zweiten
Fernsehserie und dem Sommertag, an dem wir das erste Mal
auf der Brücke der neuen Enterprise standen, hatte die
schwindelig machende Folge von Versprechungen,
Verzögerungen und Enttäuschungen uns jedes Gefühl von
Erwartung geraubt. Schließlich war es kaum ein Jahr her, daß
Paramount uns eine Woche vor dem Start zurückgepfiffen
hatte. Wie Mr. Spock vielleicht gesagt hätte: Es erschien nicht
logisch, sich zu große Hoffnungen zu machen.
»Wer hätte je gedacht, daß wir eines Tages wieder hier sein
würden«, scherzten wir, als wir an diesem ersten Tag in der
Maske saßen.
»Das ist nicht unbedingt das Gesicht, das ich beim letzten
Mal hatte«, witzelte Walter.
Aber wir waren wieder da, und wir waren glücklich. Ich war
so aufgeregt bei der Vorstellung, mit dem Oscarpreisträger
Bob Wise zusammenzuarbeiten, daß ich mir kaum Gedanken
über das Drehbuch machte. Ich hielt seine faszinierende
Prämisse – die Verschmelzung menschlichen Lebens mit
Technologie zu einer neuen Lebensform – für eine
phantastische Idee. Doch nachdem ich das Drehbuch gelesen
hatte und der Film langsam Gestalt annahm, wurde mir klar,
daß Star Trek: The Motion Picture dieses Potential leider nicht
erfüllte. Und so war es dann auch. Doch wie bei allen Reisen
begaben wir uns mit den höchsten Erwartungen an den Start.
Da hatten wir schon mehrere Wochen zusammengearbeitet,
geprobt, Kostüme anprobiert, für Werbefotos posiert, und
plötzlich schien alles genau wie früher zu sein. Die Erkenntnis,
daß wir alle wieder zusammen waren, an unseren alten
Stationen auf der Brücke, wurde uns erst am ersten Drehtag so
richtig bewußt. Wir waren alle in voller Uniform angetreten,
mit Ausnahme von Leonard, der das schwarze
Vulkaniergewand trug, mit dem Spock das Schiff später im
Film betritt. Als der Regisseur Bob Wise die Brücke betrat,
wandten wir ihm unsere Aufmerksamkeit zu und warteten
darauf, daß er mit uns die erste Szene besprach.
Statt dessen erstarrte er und wurde leichenblaß. »O mein
Gott!« sagte er atemlos.
»Bob? Sind Sie okay?« schien jeder zur selben Zeit zu
fragen.
Er antwortete nicht, starrte uns aber weiterhin an, als hätte er
uns nie zuvor gesehen. »Jetzt, wo ich hier das erste Mal stehe,
begreife ich es erst: Das ist ein historischer Augenblick!« stieß
er hervor. »Das ist mir erst in diesem Augenblick eingefallen,
jetzt, wo ich euch alle auf der Brücke sehe, im Kostüm und an
euren Stationen. Das ist die Kommandocrew des Raumschiffs
Enterprise! Ihr seid alle Legenden!«
Es war ein unheimlicher Augenblick. Niemand sagte etwas,
aber ich bin davon überzeugt, daß ich nicht die einzige war, die
bei sich dachte: Das ist der legendäre Regisseur Bob Wise, der
mich als Legende bezeichnet.
»Bob, Sie sind die Legende, vor der wir stehen«, sagte
George Takei schließlich.
Nun, das war’s. Ich war die einzige Frau auf der Brücke und
wie in meiner wilden Jugend fest entschlossen, daß sich das
Mädchen niemals dabei erwischen lassen würde, wie sie
schwach und sentimental wurde. Als mir eine kleine Träne die
Wange hinunterzulaufen drohte, hob ich die Hand und tat so,
als würde ich mich an der Nase kratzen, damit es niemanden
auffiel. Als ich aufschaute, sah ich, daß all die starken Männer
– Bill, George, Walter, Jimmy, Dee, sogar Leonard – Tränen in
den Augen hatten und keinen Versuch unternahmen, sie
zurückzuhalten.
Es war ein magischer Augenblick, der erst von dem
Aufstöhnen des Chefs der Maskenbilder zerstört wurde, als er
sah, wie seine schöne Arbeit unsere Wangen hinunterlief. Bob
schien das in die Realität zurückzuholen. »Machen wir fünf
Minuten Pause und fangen dann noch mal an!« befahl er.
»Wir machen fünfundzwanzig Minuten Pause, verdammt
noch mal!« rief die verzweifelte Maskenbildnercrew und
führte uns in unsere Nischen.
Die Produktion jedes großen Kinofilms bringt Pannen,
Verzögerungen und Spannungen mit sich. Bis zu einem
gewissen Grad traf das für alle Star Trek-Filme zu. Natürlich
schmälerten die Schwierigkeiten niemals unsere glücklicheren
Augenblicke, und alles in allem halte ich diese Möglichkeiten,
ins dreiundzwanzigste Jahrhundert zurückzukehren und weder
mit meinen Freunden Zusammensein zu können, in Ehren.
Es trifft oft zu, daß die Geschichte, die hinter der Produktion
eines Filmes steckt, von dem erzählt, was hätte sein können
und warum es nicht dazu gekommen ist. Das gilt besonders für
unseren ersten Film, für den bei Drehbeginn noch kein fertiges
und endgültiges Drehbuch vorlag. Wie allen Beteiligten bald
klar wurde, erfordert ein Kinofilm viel mehr als eine lange
Fernsehepisode. Es ist nicht überraschend, daß Gene einige
Jahre zuvor den ersten Film mit vielen Ideen und Charakteren
angegangen war, die er bereits entwickelt hatte, als Star Trek
noch als neue Fernsehserie geplant war. Sowohl die attraktive
deltanische Navigatorin Ilia (die im Film von der
atemberaubend schönen Persis Khambatta gespielt wurde) als
auch Commander Will Decker (gespielt von Stephen Collins),
der Sohn von Commodore Matt Decker, der sich opferte, um
den Planetenkiller der Episode ›The Doomsday Machine‹
aufzuhalten, entstammten seinem ursprünglichen
Serienkonzept.
In der eben genannten Episode wie auch in In Thy Image
(dem Drehbuch für den geplanten, nie realisierten
Fernsehfilm), in ›Robot’s Return‹ (einer Fernsehfolge, die
Gene 1973 für eine geplante Serie namens Genesis II schrieb,
die aber nie produziert wurde) und in der Star Trek-Episode
›The Changeling‹ geht es um Maschinen, die in gewisser
Weise ›menschlich‹ werden, weil sie das Bedürfnis
entwickeln, ihren Schöpfer kennenzulernen oder den Sinn ihres
Daseins zu entdecken, und die sich aus diesem Grund der
Kontrolle der Menschheit entziehen. In ›The Changeling‹ ging
es um einen Informationen sammelnden Satelliten mit der
Bezeichnung NOMAD, der zu dem Schluß gekommen war,
daß die Menschen, die ›Kohlenstoffeinheiten‹, minderwertig
sind. (Unter anderem löscht Nomad Uhuras Bewußtsein,
nachdem er ihre ›weibliche‹ Art zu denken für unlogisch hält
und den Sinn ihres Gesangs nicht begreift). Der Planetenkiller
aus der Episode ›The Doomsday Machine‹ war eine Waffe von
unglaublicher Zerstörungskraft, die wie unsere heutigen
Nuklearwaffen zur Erhaltung des Friedens gebaut worden war.
In Genesis II war es eine Rasse von menschlich aussehenden
Robotern, die auf der Suche nach ihrem Schöpfer zur Erde
zurückkehrte. Das Filmdrehbuch kombinierte diese Konzepte;
im Herzen der gigantischen zerstörerischen Wolke befindet
sich ›V’Ger‹, die im Jahrhundert der Handlung uralte NASA-
Sonde Voyager VI. Die ursprüngliche Mission der Sonde –
jede nur erdenkliche Information zu sammeln und zu ihren
Schöpfern zurückzukehren – wurde ins Negative umgekehrt,
als die Sonde auf einen Maschinenplaneten stieß, dessen
›Bewohner‹ ihr die Macht verliehen, alles zu vernichten, was
sie nicht als ›den Schöpfer‹ wiedererkannte, die lästigen
›Kohlenstoffeinheiten‹ eingeschlossen.
Im Einklang mit der von Star Trek bekannten und von Gene
vertretenen optimistischen, humanistischen Philosophie besaß
der Film ein hoffnungsvolles Ende, als die Enterprise die Erde
rettet und V’Ger aufhält. Will Decker tritt in die Fußstapfen
seines Vaters und opfert sich. Noch immer in das von V’Ger
geschaffene Duplikat der toten Ilia verliebt (was meiner
Meinung nach unlogisch war), läßt er V’Ger in dem Glauben,
er sei der Schöpfer, und bietet sich als Empfänger aller
Informationen des Universums an. In einem Aufblitzen aus
Licht und Energie verschmelzen Decker, Ilia und V’Ger, um
eine, wie Kirk und die anderen glauben, neue Lebensform zu
erschaffen, die vielleicht sogar den nächsten Schritt in der
menschlichen Evolution darstellt. Mit seinen blauen Augen
und seiner zurückhaltenden Darstellung war Stephen Collins
die perfekte Besetzung für das erste menschliche Wesen, das
freiwillig mit einer Maschine verschmilzt. Diese Idee hatte
Gene schon lange fasziniert. Der Optimismus zeigt sich, als
Uhura die Bitte von Starfleet um einen Statusbericht weitergibt
und Kirk sich entscheidet, Decker und Ilia als vermißt statt als
tot aufzulisten. Unendliche Mannigfaltigkeit in Unendlicher
Kombination, in der Tat. In vielerlei Hinsicht schien dies eine
perfekte Star Trek-Geschichte zu sein, und obwohl mir der
Film zugegebenermaßen nicht sonderlich ans Herz gewachsen
ist, halte ich ihn trotz seiner Fehler für eine brillante
kinematographische Arbeit. Es gibt allerdings eine wichtige
Kleinigkeit, die meine Objektivität hinsichtlich Star Trek: The
Motion Picture vielleicht beeinflußt hat. Der einzige
Gegenstand, der den Sprung von der Serie zum Film gemacht
hat, ist Uhuras Ohrstöpsel. Ein richtiges piece de resistance.
Im Zuge von Star Wars und Close Encounters of the Third
Kind, nicht zu vergessen Stanley Kubricks 2001: A Space
Odyssey, stellte das Kinopublikum einen wesentlich höheren
Anspruch an Science Fiction (was nicht zuletzt Star Trek zu
verdanken war) und hatte außerdem einen unersättlichen
Appetit auf atemberaubende Spezialeffekte entwickelt.
Komplizierte Spezialeffekte hatten in Star Trek nie viel Platz
gehabt, und zwar aus zwei Gründen. Erstens konzentrierte sich
Gene eher auf die menschlichen Probleme als auf die
Maschinen, technischen Spielereien und Weltraumphänomene,
die anderen – meiner Meinung nach schlechteren – Science
Fiction-Produktionen als Motor dienten. Und zweitens hätten
wir sie uns nicht leisten können, selbst wenn sie zu dieser Zeit
möglich gewesen wären und Gene sie hätte haben wollen.
Selbst die eindrucksvollsten Spezialeffekte der späten
sechziger Jahre verblaßten im Vergleich mit dem, was die
neuen, mit Computern, Lasern und allen Arten filmischer
Tricks gerüsteten Zauberer nun zustandebringen konnten. Die
Arbeit von Regisseur George Lucas’ Spezialeffektfirma
Industrial Light and Magic, die in Star Wars zu sehen gewesen
war, legte fest, wie ein SF-Film auszusehen und sich
anzuhören hatte; dieser Film hatte Standards gesetzt, nach
denen die Zuschauer alle nachfolgenden Filme beurteilen
sollten.
Star Wars hatte bewiesen, daß es ein zahlenmäßig großes
Kinopublikum für Weltraumabenteuer gab, und ohne diesen
Film hätte Star Trek den Sprung auf die Kinoleinwand niemals
geschafft. Es ist eine Ironie – und ich bin nicht die erste, die
diese Meinung vertritt –, daß Star Wars möglicherweise
niemals ein solcher Erfolg beschert worden wäre, hätte Star
Trek nicht eine solch treue Gefolgschaft entwickelt, deren
Verlangen nach immer mehr neuer, intelligenter Science
Fiction eine nicht zu überbietende Steigerung erreichte. Und so
ist es eine zweifache Ironie, daß die komplizierten, teuren –
aber letztlich enttäuschenden – Spezialeffekte von Star Trek:
The Motion Picture schuld daran waren, daß der Film
zumindest bei der Kritik ein Mißerfolg wurde. Man könnte
sagen, daß Paramount und die Autoren, die das Drehbuch so
gestalteten, daß die Spezialeffekte in den Vordergrund traten,
ihren eigenen V’Ger entfesselten, der die wichtigen
Interaktionen der ›Kohlenstoffeinheiten‹, die immer Star Treks
Seele dargestellt hatten, überschattete. Man zerstörte uns zwar
nicht völlig, reduzierte uns aber. Und so vermißte man
während der überlangen Einstellungen von der neuen
Enterprise, Spocks endloser Reise in die V’Ger-Wolke und
dem langgezogenen Höhepunkt die vertrauten Charaktere.
Trotz der vergangenen Zeit hatten sich einige Dinge nicht
verändert. Gene und Paramount tolerierten einander so gerade
eben, und Genes Beziehung zu Bill und Leonard blieb
gespannt, um es vorsichtig auszudrücken. Die größte
Veränderung bestand jedoch darin, daß Leonard und Bill ein
Mitspracherecht am Drehbuch gefordert und auch bekommen
hatten. Als wir mit den Dreharbeiten begannen, war das
Drehbuch durch viele Hände gegangen, und während der
ganzen Produktion hatten wir mit einer endlosen Flut von
Korrekturen zu kämpfen.
Es gab auch eine Vielzahl kleinerer Probleme. Wie jeder gute
Regisseur brachte Bob Wise eine neue, umfassende
Vorstellung mit, wie unser ›Universum‹ auszusehen und sich
anzuhören hatte, und für die Schauspieler bedeutete das
Eingeschlechtlichkeit. Im Gegensatz zu den dramatischen
Farben der Fernsehserie entschied er sich dafür, die
neugestaltete Enterprise in ein sanfteres, gelbliches Hellgrau
und Grauweiß zu tauchen. Die Farbänderung erstreckte sich
auch auf unsere neuen Uniformen, die alle in neutralem Beige,
Braun und Hellblau gehalten waren. Ursprünglich war der
›Lätzchenteil‹ unserer Uniformen weiß, was einen scharfen
Kontrast zum Rest des Anzugs bildete; es gefiel mir sehr. Wise
wollte aber ein homogeneres Bild haben, also wurden die
meisten Uniformen in einer Farbe hergestellt. (Kirks Uniform
in den ersten Szenen des Films hat noch das ursprüngliche
Design und bildet die Ausnahme.) Als ich die ›blasse‹ Version
des feschen Originals das erste Mal sah, wäre ich beinahe in
Tränen ausgebrochen.
Eine weitere Kostümänderung verlangte, daß die
Hosensäume mit den Stiefeln verbunden waren; der Übergang
wurde dann mit passendem Stoff bedeckt, um eine
ungebrochene Linie darzustellen. Man beauftragte einen
berühmten italienischen Schuhmacher, um die Stars
auszustatten, aber statt seine Arbeit zu tun, lieferte er billige,
unbequeme Schuhe und machte sie an den Hosen fest. Als ich
in meine Schuhe hineinblickte, mußte ich zu meinem
Entsetzen entdecken, daß es sich um ein Paar jener einfachen
Schuhe handelte, die sich färben lassen, damit sie auch zum
Ballkleid passen. Nicht nur, daß unsere Füße uns umbrachten,
er hatte sich auch bei der Größe der Kostüme verrechnet und
bei etwa dreihundert Uniformen die Hosen falsch geschnitten.
Es war sehr schwer, nicht vor Verlegenheit oder vor Gelächter
zu sterben, da der Zwickel nun ungefähr auf Kniehöhe
baumelte. (Aus irgendeinem Grund waren die Kostüme
während der ganzen Serie Zielscheibe des Spottes gewesen.
Ich möchte an dieser Stelle ein für allemal klarstellen: Von den
›Stulpen‹ an den Hosenbeinen der Jungs abgesehen, haben mir
die Kostüme der Fernsehserie ausgezeichnet gefallen. Das gilt
auch für die sogenannten Go-Go-Stiefel.)
Mir gefiel die langweilige, gleichgeschlechtliche Ausstattung
überhaupt nicht, nicht nur, weil sie unattraktiv war, sondern
weil sie einfach nicht zu Uhura paßte. Bob Wise hatte allen
klargemacht, daß er keine lackierten Fingernägel, Ringe oder
sonstigen persönlichen Schmuckstücke sehen wollte. Als ich
mit Uhuras langen silbernen Fingernägeln, Jadeohrringen und
hochhackigen Stiefeln angekommen war, war er nicht erfreut
gewesen, aber ich hatte argumentiert, daß Uhura eben so war.
Als sie schließlich die Sache vor der obersten Instanz klären
ließen – Gene –, stimmte er zu. »Sicher«, sagte er. »Das ist
nicht das Militär, Uhura drückt auf diese Weise ihre
Individualität aus. Außerdem ist sie eine besondere Frau.«
Denkt man an das Gesamtbild, mag das als Kleinigkeit
erscheinen, aber es war eben dieser Blick für Kleinigkeiten und
die Konsistenz der Charaktere, die Gene auszeichnete. Vom
ersten Film an mußten Gene und diejenigen von uns, denen
etwas an Star Trek lag, gegen Leute ankämpfen, die zwar offen
zugaben, keine der Fernsehfolgen gesehen zu haben, bevor
man sie für den Film verpflichtet hatte, die aber trotzdem
darauf beharrten, mehr über Star Trek zu wissen als Gene. Die
grundsätzliche Einstellung zu Gene bestand aus einer
seltsamen Mischung aus unfreiwilligem Respekt davor, daß er
den Erfolgszug geschaffen hatte, auf den sie nun
aufgesprungen waren, und Herablassung. Im Grunde
genommen sagten sie: »Okay, fürs Fernsehen ist das ja alles
schön und gut, aber wir drehen hier einen Kinofilm!« Und als
dann die Kritiken veröffentlicht wurden und es dem Film – der
einer der teuersten Produktionen seiner Zeit war – nicht
gelang, die hochgestochenen Erwartungen des Studios zu
erfüllen, gab man allein Gene die Schuld.
Was mich betrifft, lassen sich die Erfahrungen bei den
Dreharbeiten für den ersten Film in einem Wort
zusammenfassen: Wurmloch. Am mühsamsten waren die
vielen langen Tage, die wir der Szene mit dem Wurmloch-
Effekt widmeten. Da wir eine noch nicht völlig fertiggestellte
Enterprise auf ihre Jungfernfahrt schickten, waren nicht alle
technischen Probleme gemeistert. Trotz Scottys Warnung läßt
Captain Kirk das Schiff mit Warp 1 fliegen, und der noch nicht
richtig eingestellte Warpantrieb hat der trügerischen
Begegnung mit einem Wurmloch nichts entgegenzusetzen.
Wie Sie vielleicht wissen, ist ein Wurmloch ein instabiler
Tunnel durch das All, in dem Raum und Zeit auf gefährliche
Weise verzerrt sind. In unserem Fall schüttelte das Wurmloch
die Enterprise durch, und die Zeit schien sich zu
verlangsamen, während wir durch den ›Tunnel‹ geschleudert
wurden. Alarmstufe Rot, Captain!
In der Fernsehserie verlangte eine solche Szene nach dem
primitivsten aller Spezialeffekte: Eine Horde kräftiger,
außerhalb des Kamerablickwinkels postierter Männer bringt
die Brückenkulisse zum Schwanken, während sich die
Schauspieler auf dramatische Weise gegen Konsolen und Sitze
werfen, um so die Illusion zu erschaffen, umhergewirbelt zu
werden. Da es sich hier aber um eine große Filmproduktion
handelte, ersetzte man die verläßliche, altmodische
menschliche Muskelkraft durch eine komplizierte Hydraulik,
auf die man die Brücke montierte. Und jetzt schwankte die
Brücke tatsächlich. Aus irgendeinem Grund ging jedesmal,
wenn wir die Szene in Angriff nahmen, etwas schief. Einmal
brannte eine Sicherung durch, ein anderes Mal zersplitterte
eine große Lampe auf dem Boden, und wie immer vergaß
jemand seinen Text. Ständig stürzten Leute, ständig floß
falsches Blut, und ich rief »Subraumfrequenzen gestört, Sir!
Wurmloch-Effekt!«, bis ich heiser war. Jeden Tag sahen wir
uns die Dailies an und zuckten zusammen; sie sahen
schrecklich aus. Die Spezialeffekte-Macher waren davon
überzeugt, daß sie es schaffen würden, also nahmen wir wieder
unsere Plätze ein und erneut hieß es: »Wurmloch-Effekt!«
Acht Tage später betrachtete ich meine blauen Flecke und die
abgerissenen Fingernägel und hatte endgültig genug. Ich war
völlig erledigt, denn ich war die letzten beiden Wochen jede
Nacht aufgewacht und hatte gerufen: »Wurmloch-Effekt,
Captain!« Trotzdem mußten wir die Szene noch ein paarmal
drehen. Eines Tages behielt ich die Uhr im Auge, weil ich um
Punkt sechs Uhr gehen mußte, um ein Flugzeug zu erwischen.
Bob Wise machte immer genau um sechs Uhr Feierabend, also
machte ich mir keine Sorgen. Der Nachmittag nahm seinen
Verlauf, und ich wurde immer nervöser. Walter kannte meine
Pläne, und als er um Viertel vor sechs hörte, daß Bob in zehn
Minuten Schluß machen wollte – was mir genügend Zeit
verschafft hätte –, kam er auf uns zugeeilt. »Verdammt«,
grunzte er. »Sie haben gerade gesagt, daß wir heute bis
mindestens acht Uhr drehen. Vielleicht sogar bis um neun!«
Das war’s. Ich rastete aus, und bevor mir überhaupt klar
wurde, was ich da tat, brüllte ich herum. Ich war gerade im
Begriff, Mr. Oscarpreisträger die Meinung zu sagen, als ein
Regieassistent rief: »Feierabend!«
Ich warf Walter einen Blick zu, der definitiv auf Betäubung
eingestellt war. Er zuckte die Achseln und grinste. »Ich habe
nur meine schauspielerischen Talente bei dir ausprobiert,
Nichelle«, sagte er.
Ich fiel in das Gelächter der anderen ein. So war unser lieber
Walter nun einmal. Man konnte sich immer darauf verlassen,
daß er alles Lächerliche in die richtige Perspektive rückte.
Dennoch wollte ich ihm den Hals umdrehen.
»Dich erwische ich noch«, versprach ich.
Ein paar Tage später kam meine große Chance. Wir mußten
alle neben dem Studioeingang parken und zu Fuß zu unseren in
einem Trailer befindlichen Garderoben in der Nähe des Sets
gehen. Ich wollte an diesem Abend nach der Arbeit noch
ausgehen, darum hatte ich Kleidung zum Wechseln
mitgebracht. Ich sagte dem Torwächter, ich würde zu meiner
Garderobe fahren, meine Sachen dort eben ausladen und
meinen Wagen dann zum Parkplatz bringen. Er sagte, das
ginge in Ordnung, also fuhr ich auf das Gelände. Als ich vor
dem Drehort anhielt, boten mir die Sicherheitsleute an, meinen
Wagen zu parken und mir die Schlüssel zu bringen. Wie nett,
dachte ich. Aber es wurde noch besser. Da ich vor
Sonnenaufgang eintraf und nach Sonnenuntergang abfuhr,
boten sie mir an, den Wagen jeden Tag zu parken und zu
holen. An einigen Tagen, an denen der Parkplatz besonders
stark frequentiert wurde, blieb der Wagen von morgens bis
abends neben dem Set stehen.
So, wie wir Schauspieler nun einmal sind, passen wir immer
auf, ob jemand eine Sonderbehandlung bekommt, und es
dauerte nicht lange, bis Walter auffiel, daß mein Wagen
bequemerweise nicht weit von meiner Garderobe parkte. Ich
erwischte ihn dabei, wie er sich das mißtrauisch ansah, aber er
sagte nichts, bis er es ein paar Tage später einfach nicht mehr
aushielt.
»Nichelle, hast du einen neuen Parkplatz zugeteilt
bekommen?«
»Natürlich«, erwiderte ich affektiert. »Hat das nicht jeder?«
Ich hatte Jimmy und George bereits in die Sache eingeweiht,
und George bereitete es besonderes Vergnügen, Walter darüber
zu ›informieren‹, daß ich zusätzlich zu meinem neuen
Parkplatz auch noch eine höhere Gage als die anderen bezog.
Die Sicherheitsleute spielten ebenfalls mit und sorgten dafür,
daß jedesmal, wenn Walter nach draußen ging, er Zeuge
wurde, wie sie fleißig meine Wagenfenster putzen und meine
Stoßstangen polierten. Ich sagte Walter erst die Wahrheit und
beendete seinen Frust, als ich sah, daß er kurz davor stand, zur
Studioleitung zu gehen. Dann erinnerte ich ihn an seinen
kleinen Streich. Er grinste dumm und wandte sich wieder
seinem Lieblingsopfer zu, dem armen George Takei.
Eines Tages warteten wir darauf, daß eine Szene vorbereitet
wurde, als George, nachdem er den vorangegangenen Tag
drehfrei gehabt hatte, gegen elf Uhr eintraf. »Guten Morgen!«
rief er fröhlich.
Würde er es je lernen? »Sieh dir diesen Hurensohn an«,
murmelte Walter mir zu und präsentierte einen
niedergeschlagenen Gesichtsausdruck. »George wird wieder
darauf reinfallen.«
Ich stellte mich selbst bedrückt, ›schaffte‹ es aber, eine
Antwort zu geben. »George, wie geht’s?«
George sah sofort Walters Gesichtsausdruck. »Walter, was ist
los?«
»Oh, Mann, es war schrecklich, als du nicht da warst.«
»Was ist denn los?« fragte George flüsternd.
»Bill und Leonard«, erwiderte Walter rätselhaft. In diesem
Augenblick kam zufällig Leonard vorbei, der offensichtlich
tief in Gedanken versunken war. Als er Georges Gruß mit
einem abwesenden »Yeah, hallo George« erwiderte, nahm
George das Schlimmste an. Und wie der Zufall es wollte, war
die Filmcrew gerade dabei, eine schwierige Zwei-Seiten-
Einstellung mit Bill und Leonard neu vorzubereiten. Als
George dann Bill begrüßte und die gleiche nichtssagende
Erwiderung erhielt, kam er blitzschnell zu dem erwünschten
falschen Schluß. Bevor er überhaupt fragen konnte, nickte
Walter unheilvoll. »Die beiden«, sagte er nur.
»Was?«
»Die beiden haben sich gestritten, so etwas hast du noch nicht
gesehen«, sagte Walter. Natürlich stritten sich Bill und
Leonard niemals am Drehort. Wenn sich Leonard über Bill
ärgerte, verließ er einfach den Set und wartete in seinem
Wohnmobil, bis die Sache geregelt war, was für gewöhnlich so
schnell wie nur möglich geschah. Tatsächlich habe ich nie
erlebt, daß sich Leonard mit jemandem gestritten hätte, und die
Vorstellung, daß es eine Konfrontation gegeben hatte, bereitete
George große Kopfschmerzen.
»Was ist passiert?« wollte er wissen.
Bevor Walter antworten konnte, kam zufällig Dee vorbei.
Scharfsinnig erkannte er, daß Takei gerade nach Strich und
Faden hereingelegt wurde. »Nun, George, es war schlimm.«
»Walter hat George gerade erzählt, was los ist«, sagte ich
absichtlich vage.
»Gut«, erwiderte Dee mit einem Nicken. »Gott, George, du
hättest dabeisein sollen.«
»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll«, machte Walter
weiter, »aber es stellt sich die Frage, wie wir diesen Film
jemals beenden sollen. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
Mittlerweile war Dee genauso von Walters Geschichte
fasziniert wie George, allerdings aus einem anderen Grund. Er
konnte einfach nicht glauben, daß George schon wieder darauf
reinfiel. Tatsächlich waren Bill und Leonard sauer über ein
Drehbuchproblem, das allerdings nichts mit ihnen selbst zu tun
hatte, also ›spielten‹ die beiden ihre Rollen in Walters kleinem
Drama perfekt. Sie drehten sich soeben der Kulisse zu, in eine
hitzige Konversation verstrickt. Walters Augen funkelten. »Die
hätten sich fast geprügelt«, flüsterte er.
»Ja, ich habe Leonard noch nie so aufgebracht gesehen«,
fügte ich hinzu. »So wütend! Und so zu explodieren. Ich
meine, Bill kann jeden in den Wahnsinn treiben…«
»Hört, hört!« warf Dee ein.
»Aber das.« Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
»Haben sie sich wirklich geprügelt?« fragte George atemlos.
»Nein, aber sie haben sich herumgeschubst. Bill hat ihn
gestoßen, und er fiel gegen Nichelle und stieß sie von dem
Ding runter.«
Einmal in Fahrt, ließ sich Walter nicht aufhalten.
»Und dann fiel er gegen den Jungen, der den
Mikrophongalgen hält, und der Galgen knallte in einen der
Scheinwerfer…«
»O Mann!« stöhnte George.
»Und der Scheinwerfer stürzte runter, und der Regisseur fing
an zu brüllen. Bill war so erschrocken, daß er von der Kulisse
floh«, sagte Walter.
»Ich will nicht darüber sprechen«, sagte Jimmy entschieden.
»Es war einfach peinlich. Sie haben sich aufgeführt wie die
Kinder. Ich sage, man sollte es der Gewerkschaft melden. Und
Nichelle hat sich das Knie gestoßen und fing an zu weinen.«
»Ich habe nicht geweint!« erwiderte ich empört, erinnerte
mich wieder an meine ›Rolle‹ und beugte mich vor, um mir
das Knie zu reiben.
»Um Gottes willen!« rief George aus. In diesem Augenblick
gingen Bill und Leonard vorbei, die begriffen hatten, was hier
vor sich ging. Bill fing an zu lachen, und Leonard lächelte
George an. »Ihr steckt doch alle unter einer Decke!« schrie
George.
Das wird ihn lehren, uns um elf Uhr morgens mit einem
fröhlichen »Guten Morgen!« zu begrüßen.
Der Film hatte am 6. Dezember 1979 in Washington, D.C.
Premiere. Ich hatte den Preis der American Society of
Aerospace Education für den Film erhalten, den ich für das
Smithsonian Air and Space Museum produzierte, und zufällig
fand dort der Empfang statt. Die Premiere, deren Einnahmen
dem Bildungsprogramm des National Space Clubs zugute
kamen, lockte Filmstars, Politiker, NASA-Direktoren und
natürlich die Fans an. Die Trekker haben nicht nur die
Rückkehr von Star Trek ermöglicht; über einhundert von ihnen
erschienen im Film in der Aufenthaltsraum-Szene, in der Kirk
die Mannschaft über die unbekannte Macht informiert, die die
Erde bedroht.
Der Film erhielt gemischte Kritiken, und einige haben seinen
Erfolg an den Kinokassen dem aufgestauten Verlangen der
Fans nach einem beliebigen Star Trek-Produkt zugeschrieben.
Mit dem Einspielergebnis von 100 Millionen Dollar allein an
der Kinokasse kann man Star Trek: The Motion Picture
schwerlich einen kommerziellen Mißerfolg nennen, trotzdem
hätte der Film viel mehr einbringen müssen, um Gene und das
Studio wieder zusammenzubringen. Es war keine Frage, daß
Paramount eine Fortsetzung wollte. Tatsächlich hatte Gene
bereits ein Drehbuch für unsere nächste Reise fertiggestellt, als
man ihn informierte, er habe kein Büro mehr auf dem
Studiogelände.
11

Was auch immer seine Fehler waren, Star Trek: The Motion
Picture bewies den Geschäftsleuten bei Paramount, was Gene
und diejenigen von uns, die die Trekker-Conventions
besuchten, aus erster Hand wußten: Star Trek lebte! Gene
machte sich an die Arbeit und schrieb ein neues Drehbuch, bei
dem es um eine Zeitreise ging, aber man lehnte es als nicht
akzeptabel ab. Obwohl zwischen dem ersten Film und der
nächsten Starfleet-Mission der Enterprise fast zwei Jahre
vergingen, stand nie zur Debatte, daß Star Trek zumindest
noch eine Chance verdiente und auch bekommen würde. Die
Frage war nur wann – und wer das Ruder übernehmen würde.
Paramount bot Harve Bennett den Sessel des Produzenten an;
er hatte mehrere erfolgreiche Fernsehfilme und Miniserien, die
Serie The Mod Squad und die beiden Science Fiction-Serien
The Six Million Dollar Man und deren Ableger The Bionic
Woman produziert. Das Studio machte klar, daß sie einen
wesentlich erfolgreicheren Film mit einem wesentlich
kleineren Budget erwarteten. Zuerst hatte Harve seine
Bedenken. Er kannte Star Trek und war schon dabei, das
Angebot abzulehnen, als ihn seine Kinder überzeugten, es sich
noch einmal zu überlegen. Bei der Sichtung der alten Episoden
stieß Harve auf Ricardo Montalbans schurkischen Khan
Noonien Singh, den eugenisch modifizierten Diktator des
zwanzigsten Jahrhunderts, der mit dem Schläferschiff Botany
Bay von der Erde geflohen war. In der Folge ›Space Seed‹
schickte Captain Kirk Khan und seine Anhänger auf den
vermeintlich bewohnbaren Planeten Ceti Alpha V ins Exil,
statt ihn für die versuchte Übernahme der Enterprise zu
bestrafen. Eine sicherlich humane Entscheidung, die uns alle in
Star Trek II: The Wrath of Khan heimsuchen sollte.
Von Ricardo Montalban verkörpert, war Khan eine
faszinierende Charakterstudie von tierhafter Verschlagenheit,
persönlichem Charisma und anmaßender Selbstgerechtigkeit,
und er stellte zweifellos einen der beeindruckendsten Schurken
der Serie dar. Es war ein großer Coup, Montalban fünfzehn
Jahre später erneut für diese Rolle gewinnen zu können, und
die Tatsache, daß man ihn als den geheimnisvollen,
liebenswürdigen Mr. Roarke aus der Serie Fantasy Island
kannte, gab dem ganzen einen hübschen Dreh. Als Ricardo am
Drehort erschien, wurde allen klar, daß die Zeit Bills
Antipathie ihm gegenüber in keiner Weise gedämpft hatte. Ich
für meinen Teil fand Ricardo so reizend und unterhaltsam wie
eh und je. Welche Konkurrenzgefühle Bill ihm gegenüber auch
immer verspüren mochte, für den Film war das nur von
Vorteil, da sie bis zum Tode kämpfen.
Mitte 1981 stand die grundsätzliche Richtung der Story fest,
und Montalban wurde verpflichtet. Nicholas Meyer, der
sowohl den Roman The Seven Percent Solution als auch das
Drehbuch zum Film geschrieben und bei dem Film Time after
Time Regie geführt hatte, wurde als Regisseur verpflichtet.
Während das Drehbuch Gestalt annahm, ging man die nächste
Aufgabe an: Leonard zurückzulocken. Wie wir alle war er von
dem ersten Film enttäuscht gewesen und hatte öffentlich
angedeutet, er wolle Spock ein für allemal hinter sich lassen.
Als man ihm vorschlug, Spocks Tod zu spielen, willigte er ein.
Inwieweit Leonard tatsächlich glaubte, er würde Spock mit
dieser Szene töten, weiß nur er allein. Aber ich hielt es von
dem Augenblick an, an dem ich davon hörte, für eine schlechte
Idee und einen Verrat an den Idealen von Star Trek. Viele
waren der Meinung, daß Star Trek ohne Spock zu Ende sein
würde, sowohl theoretisch als auch in der Realität. Es gab noch
andere Elemente des Drehbuchs, gegen die einige Mitglieder
der Stammbesetzung Einwände hatten, und es gab
Augenblicke, in denen Georges und Dees Mitwirkung in Frage
stand. Als wir im November 1981 mit den Dreharbeiten
anfingen, standen zwei Dinge fest: Mr. Spock würde sterben,
und dies war vermutlich unser letzter gemeinsamer Film.
Alle Beteiligten des ersten Films wußten, was dort falsch
gelaufen war, und gaben sich Mühe, diese Fehler nicht zu
wiederholen. Von der ersten Szene an, in der Saavik, die je zur
Hälfte Vulkanierin und Romulanerin ist, während des
Kobayashi Maru-Tests eingeführt wird, verläuft die Handlung
schnell und actionreich. Klugerweise verwies man die
Spezialeffekte auf den zweiten Platz, während sich die
Geschichte entwickelte und enthüllte, was in den vergangenen
fünfzehn Jahren im Leben der Mannschaft passiert war: Spock
lehrt an der Starfleet-Akademie; Kirk ist Admiral, der laut Pille
hinter dem Schreibtisch versauert. Mit seinen vielen
Anspielungen auf alte Literatur und Geschehnisse, die dem
Zuschauer vertraut sind, befaßte sich das Drehbuch mit
universellen Erfahrungen wie dem Älterwerden, den
Veränderungen, dem Tod und den zwischenmenschlichen
Beziehungen, insbesondere der Freundschaft. Die Kontinuität
dieser Erfahrungen wird zusätzlich dadurch unterstützt, daß die
alte Mannschaft zu den Mentoren der Kadetten wird, als ein
Notruf den routinemäßigen Ausbildungsflug der Enterprise in
eine gefährliche Mission verwandelt.
Gene hatte nur wenig mit dem Film zu tun, doch seine
Position als Star Treks Erfinder, Förderer und Beschützer war
nicht zu ignorieren. Ein Streitpunkt war der neue Look und die
neue Einstellung der Mannschaft. Unsere Uniformen, eine
burgunderrote, maßgeschneiderte Jacke mit einer Epaulette auf
der rechten Schulter vermittelte das Bild einer militärischen
Institution. Die Uniformen kleideten alle vorzüglich (die
Männer bekamen wieder die alten Hochwasserhosen), doch
meine war besonders unbequem. Die Kostüme waren aus
schwerer, dicker Wolle gefertigt, die innen gefüttert war. Und
zu allem Überfluß waren sie auch noch zweireihig.
»Hey, die sind ja schön und gut für Männer und flachbrüstige
Frauen«, beschwerte ich mich vehement, »aber ich bin
großzügig ausgestattet. Ich fühle mich wie die Titanic!«
Doch viel wichtiger war die Tatsache, daß die Darstellung
von Starfleet als militärische Organisation im Gegensatz zu
allem stand, wofür Star Trek eintrat. Darüber war Gene
besonders erbost, genau wie über die Absicht, daß Nicholas
Meyer zufolge die Frauen in der Besatzung als ›Sir‹
angesprochen werden sollten. (Interessanterweise wurde im
Pilotfilm der Serie die weibliche Nummer Eins auch als ›Sir‹
angesprochen.) Bei einer der Besprechungen erinnerte ich
Meyer und Harve taktvoll aber energisch daran, daß Starfleet
in philosophischer Hinsicht die Nachfolgeorganisation der
NASA und nicht der Air Force war, und es gelang mir, sie
davon zu überzeugen, zumindest einige der ›Sirs‹ zu streichen.
Beim nächsten Film waren sie vergessen, doch die Uniformen
blieben mit Genes Segen. Das einzige, was mich bis zum
heutigen Tage sonst noch an Star Trek II stört, ist der
blutsaugende Ceti-Aal. Ich kann noch immer nicht hinsehen,
wenn er aus Chekovs Ohr kriecht. Igitt!
Eines der erfreulichen Dinge bei der Arbeit an Star Trek II
war die Bekanntschaft mit Kirstie Alley, die die Rolle der
Saavik spielte. Es war ihr erster Film und ihre erste Hauptrolle.
Sie erzählte uns, wir seien ihre Idole. Wenn ich daran denke,
wie ich mich bei meinem ersten Film fühlte, fand ich Kirstie in
vielerlei Hinsicht sehr beeindruckend. Sie ist klug,
wunderschön, sagt offen ihre Meinung und ist sehr witzig. Wir
lernten uns recht gut kennen, da sie sich als Vulkanierin genau
wie Leonard und ich schon vor Sonnenaufgang in der Maske
einfinden mußte. Sie saß direkt neben mir, und fauchte mich
jeden Morgen spielerisch an. »Wo sind deine Falten? Es sind
fünfzehn Jahre. Verdammt, du müßtest Falten haben!«
Es dauerte jedoch nicht lange, und ich lernte eine andere
Seite von ihr kennen, wegen der ich sie noch mehr bewunderte.
Trotz der Tatsache, daß ihre Eltern gegen Anfang der
Dreharbeiten in einen schrecklichen Autounfall verwickelt
waren und ihr Vater im Sterben lag, ließ sie kein einziges Mal
ihre Arbeit von ihrem Leid beeinflussen. Im Laufe der Jahre ist
sie zu einem großen Star geworden, doch sie hat sich nicht
verändert. Jedesmal, wenn wir uns begegnen, gibt es herzliche
Umarmungen und Küsse – gefolgt von in gedämpftem Ton
ausgetauschtem Klatsch. Die Bemerkung »Wo sind deine
Falten?« darf natürlich auch nicht fehlen. Kirstie bringt mich
zum Lachen, und ich liebe sie.
Eines Tages saßen Leonard und ich auf unseren Make-up-
Stühlen, als Harve hereinkam. Er war offensichtlich sehr
verärgert, weil einige Fans mitbekommen hatten, daß Spock in
dem Film sterben sollte. Die Reaktion war einstimmige
Mißbilligung, und einige Fans lenkten ihre Wut auf Leonard.
Für sie war seine Zustimmung, Spock ›umzubringen‹,
schlichtweg Verrat. Die Vehemenz der Fanreaktion traf
Leonard völlig unvorbereitet, und er war erstaunt, verletzt und
auch ärgerlich, obwohl er sich bemühte, ihre Gefühle zu
verstehen. Und meiner Meinung nach kamen Leonard zu
diesem Zeitpunkt die ersten Bedenken. Er sah den Unterschied,
den ein hervorragendes Drehbuch und der richtige Regisseur
machten, denn dies eröffnete die Möglichkeit, daß eventuell
doch noch eine weitere Fortsetzung möglich war. Vielleicht
war es doch keine so gute Idee, Spock sterben zu lassen. Aber
mittlerweile war der Film so gut wie fertig, und obwohl man
mehrere verschiedene Szenarien in Betracht zog, konnte keines
zur allgemeinen Zufriedenheit integriert werden. Es gab
einfach keine Alternative: Spock mußte sterben.
Wie viele der Leute, in deren Händen nun das Schicksal von
Star Trek ruhte, weigerte sich auch Harve, die Fans zu
akzeptieren oder zu respektieren. Für ihn gab es nur eine
Möglichkeit, wie sie von Spocks Tod erfahren haben konnten –
durch Gene. Harves verbindliche, freundliche Art verbarg eine
Neigung zu Arroganz und Gemeinheit, die während der
nächsten vier Filme mehr als nur einen verletzten. Ich zitterte
vor Wut in meinem Sessel, als ich zuhören mußte, wie er
Leonard mitteilte, allein Gene komme als Leck in Frage.
Ich habe bei den Conventions Teile meiner Originalkostüme
und alle möglichen Drehbuchversionen gesehen, die man mir
für ein Autogramm vorlegte, darum hatte ich Verständnis, daß
man auf dem Studiogelände großen Wert auf Sicherheit legte.
Jedoch haben das Studio und Harve niemals begriffen, daß die
Trekker überall sind, und alles, was mit Star Trek zu tun hat –
sei es eine Drehbuchseite, ein Memo, ein ›Artefakt‹ oder
irgendeine Information –, ist eine große Verlockung und
kostbarer als Dilithiumkristalle. Wie jedes andere große und
wichtige Filmstudio der Stadt war auch Paramount voller
Leute, die bei der Fernsehserie und/oder dem ersten Film in
irgendeiner Form mitgearbeitet hatten, und Klatsch ist nun
einmal Klatsch. Als man jedoch jeden Schauspieler und jedes
Mitglied der Filmcrew bedrängte, sich schriftlich zum
Stillschweigen zu verpflichten, war das eine Beleidigung.
Walter weigerte sich standhaft, seine Unterschrift zu geben,
und ich schrieb auf meiner Vereinbarung meine Gedanken
über Vertrauen und an McCarthy erinnernde Loyalitätsschwüre
nieder. »Ich habe weder jetzt noch früher Interna über Star
Trek ausgeplaudert!« kritzelte ich wütend quer über die Seite.
Noch weitaus ärgerlicher als Harves Annahme, wir seien
nicht vertrauenswürdig, war seine Weigerung, eine der vielen
tausend Möglichkeiten, wie die Story an die Öffentlichkeit
gedrungen war, auch nur in Betracht zu ziehen. Obwohl sich
das Studio ein kompliziertes System hatte einfallen lassen, mit
dem man Drehbuchseiten identifizieren konnte (damit man
spätere Kopien zu ihrer Quelle zurückverfolgen konnte), ließ
man die Drehbücher noch immer in einem Kopiercenter
außerhalb des Studiogeländes vervielfältigen! Von dort gingen
die Drehbücher durch die Hände von Boten, Sekretärinnen und
Assistenten, ganz zu schweigen von den Angestellten der
Spezialeffektefirmen und aller anderen, die an dem Film
arbeiteten. Welcher Trekker, der etwas auf sich hielt, könnte
sich im selben Zimmer wie das Drehbuch aufhalten und keinen
schnellen Blick hineinwerfen?
»Hören Sie zu«, sagte ich schließlich zu Harve. »Wenn Sie
abends nach Hause gehen, unterhalten Sie sich mit Ihren
Kindern. Es ist nicht nur eines jeden Fans Traum, solche Dinge
herauszufinden, es ist seine Mission. Sie haben ein
ausgedehntes Telefonnetzwerk, sie haben Newsletter und sie
haben immer wieder bewiesen, über welche Macht sie
verfügen. Wenn sie alles daran setzen, diese Information zu
bekommen, dann wird es ihnen gelingen. Dazu brauchen sie
weder uns noch Gene.«
Aber Harve wollte nichts über Gene oder die Fans hören.
Als der Aufruhr schließlich nachließ und Leonards/Spocks
Todesszene näherrückte, konnte man die Anspannung, die in
der Luft lag, förmlich spüren. Jeder ahnte, daß diese Szene
ungewöhnlich schwierig sein würde, und es schien, als würden
wir immer gute Gründe finden, sie erneut zu verschieben.
Doch schließlich holte die Zeit uns ein. Gegen Ende des Films
hat der tödlich verwundete Khan an Bord der schwer
getroffenen USS Reliant den Countdown zum Start der
Genesis-Maschine ausgelöst, die bei dem Auftreffen auf einem
unbewohnbaren Planeten die Materie so umformt, daß eine
funktionsfähige, besiedelbare Welt entsteht. Das Paradox der
Genesis-Maschine liegt darin, daß sie, um zu erschaffen, erst
zerstören muß. Da die Triebwerke der Enterprise beim Kampf
mit Khan einen beträchtlichen Schaden davongetragen haben,
kann das Schiff nicht die Warpgeschwindigkeit erreichen, die
nötig wäre, um vor der Detonation der Genesis-Maschine zu
fliehen. Spock verläßt unbemerkt seinen Posten auf der Brücke
und betritt den Reaktorraum, um die Maschinen per Hand zu
reparieren. Dabei setzt er sich bewußt einer tödlichen
Strahlendosis aus. Spock gelingt die Reparatur in letzter
Sekunde, und die Enterprise entkommt.
Alle hatten sich am Set versammelt und sahen gebannt zu, als
Bill und Leonard Spocks letzte Szene spielten. Der sichtlich
am Ende seiner Kräfte befindliche Spock hält sich im
transparenten Reaktorraum auf, seine Stimme ist durch die
erlittenen Strahlungsverbrennungen heiser. »Ich war und
werde immer ihr Freund sein«, gelobt er sterbend Kirk.
Ich konnte nicht dagegen ankämpfen; ich mußte weinen. Für
die beiden war es eine unglaublich belastende Szene, und ich
weiß noch, daß man sie mit einer minimalen Zahl von
Einstellungen drehte. Ich glaube, es war die beste
schauspielerische Leistung, die sie jemals gezeigt haben. Als
Nicholas Meyer »Schnitt!« rief, konnte man Leute weinen
hören.
Bezeichnenderweise war Leonard nicht am Drehort, als wir
die Beerdigungsszene drehten, in der Spock sozusagen ein
ehrenvolles Starfleet-Begräbnis im All erhält, und zwar in der
funkelnden, sargähnlichen schwarzen Hülle eines
Photonentorpedos. Bevor man ihn ins All schießt, hält Kirk
eine kurze, gefühlsbetonte Abschiedsrede, und Scotty spielt
›Amazing Grace‹ auf dem Dudelsack, was Jimmy Doohans
wunderbare Idee war. Als die Kamera über die Trauernden
gleitet, sieht man Saavik weinen – was im Gegensatz zu ihrem
stoischen vulkanischen Wesen steht. Das war Kirsties Idee,
eine wunderbare Geste, die diese ergreifende, anrührende
Szene noch eindringlicher machte. Als der Torpedo auf den
Genesis-Planeten zuhält, betrachten Kirk, sein neuentdeckter
Sohn David Marcus und Carol, die Mutter des Jungen, den
neugeborenen Planeten, auf dem Spock ›begraben‹ wird. Der
Film endet mit der Titelmusik der Fernsehserie und Leonards
Worten: »Der Weltraum… Unendliche Weiten…«
War Spock tatsächlich gestorben? Und wenn, wie tot war er?
Nicholas Meyer bestand darauf, daß Spock stirbt. Für immer.
Aber anderen kamen Bedenken, und das ist auch der Grund,
warum seine Leiche bequemerweise auf dem Genesis-Planeten
landet. Darum verpaßt Spock, kurz bevor er den Reaktorraum
betritt, seinem alten Widersacher Dr. McCoy auch den
betäubenden vulkanischen Nervengriff, flüstert drängend:
»Vergessen Sie nicht!« und führt eine
Bewußtseinsverschmelzung durch, mit der er die Essenz seines
Wesens auf Pille transferiert. Da Spocks Katra – oder Seele –
nun praktischerweise in Pilles Unterbewußtsein gespeichert
war, blieben, wie Spock uns so oft erinnerte, stets
Möglichkeiten offen.
Eine weitere Mission? Die Enterprise, die sich, in ihre
Einzelteile zerlegt, in einem Lagerhaus in Los Angeles im
Raumdock befand, würde auf ihre Befehle warten, für die nicht
das Hauptquartier von Starfleet, sondern die Kinokasse
zuständig sein würde.

Nach der Premiere von Star Trek II: The Wrath of Khan
versammelten sich die Stammbesetzung, ausgesuchte Gäste
und Tausende Fans in Houstons Astrodome zur ›Ultimate
Fantasy‹, wie es die Organisatoren nannten: Wir alle
zusammen auf derselben Bühne. Für die Fans war das von
besonderer Bedeutung, denn sie hatten den Eindruck
gewonnen, daß sich Bill und zu einem geringeren Grad auch
Leonard von Star Trek distanziert hatten, indem sie sich von
den Conventions fernhielten. Da es nun galt, für den neuen
Film zu werben – und alle noch immer unter der Enttäuschung
wegen des ersten Teils litten –, kooperierte Paramount in
vollem Umfang mit den Organisatoren, um ein Spektakel zu
inszenieren, das niemand je vergessen sollte.
Nun, niemand hat Houston je vergessen, nur daß man sich
jetzt daran als das ›Ultimate Desaster‹ erinnert. Es ging alles
schief, was nur schiefgehen konnte. Der Höhepunkt der
Veranstaltung war ein herrlicher Sketch, den Walter Koenig
geschrieben hatte. Darin sollte die ganze Stammbesetzung
auftreten, mit Ausnahme von Leonard, der bereits anderweitig
verpflichtet war. Er sollte jedoch auf riesigen
Fernsehbildschirmen erscheinen, die überall im Astrodome
verteilt waren. Ich hatte mich bereiterklärt, zwei Lieder meines
neuesten Albums zu singen.
Als wir uns morgens ins Astrodome begaben, um meinen
Auftritt zu proben, mußten wir herausfinden, daß es absolut
kein Soundsystem gab. Statt der zwanzigköpfigen Band, die
man mir versprochen hatte, waren nur sechs unglückliche
Rockmusiker anwesend. Und die waren gerade dabei zu gehen,
da sie, ihrer Aussage nach, nicht bezahlt worden waren,
genausowenig wie die Soundtechniker und die Ausrüstung.
Gott sei Dank war Jim Meechan mitgekommen. Er machte sich
mit der Situation vertraut, schloß mit dem Chef der
Soundtechniker schnell einen Handel ab und heuerte einen der
Techniker an. In aller Eile bauten wir ein rudimentäres System
auf. Glücklicherweise hatten wir Bänder mit der Musik
mitgebracht, und so konnte ich dazu singen, da sich die
Musiker weigerten zu spielen. Wie sich herausstellte, mußten
wir das System auch für den Sketch benutzen. Das war der
einzige vertraglich vereinbarte Auftritt, bei dem ich
fünfhundert Dollar berappen mußte, bevor ich einen Fuß auf
die Bühne setzten konnte, und am Ende nicht bezahlt wurde!
Bald erfuhren wir, daß die Probleme der Convention sich
nicht auf die Bühne beschränkten. Tausende von Fans hatten
im voraus den Eintritt bezahlt und waren aus dem ganzen Land
angereist, um bei der Ankunft feststellen zu müssen, daß das
Geld unterschlagen worden war. Das Personal des Astrodomes
ließ nur die Fans herein, die Eintrittskarten an den Tageskassen
gekauft hatten. Als wir zu unserem Sketch die Bühne betraten,
bei dem Kirstie Alley, Walter, George und Jimmy mitwirkten,
saßen lediglich ein paar hundert Leute da, wo über
zwanzigtausend erwartet worden waren. Obwohl die
Umstände, unter denen wir arbeiten mußten, nicht die besten
waren, waren wir alle der Meinung, daß wir es den Fans
schuldeten weiterzumachen.
Ein Vorfall ganz zu Anfang der Convention gibt die
Stimmung perfekt wieder. Wir Schauspieler hatten auf der
Bühne eines großen Ballsaals für eine Pressekonferenz Platz
genommen. Das es sich hier um die ›Ultimate Fantasy‹
handelte, waren die Medien in voller Stärke angerückt; Fans
mit besonderen Eintrittskarten hatten ebenfalls Zutritt. Da sie
uns Fragen stellen durften, standen viele stundenlang vor dem
Ballsaal, um die besten Plätze zu bekommen. Wir saßen noch
keine Minute, als ein Mann mit einem Mikrofon in der Hand
durch den Saal ging. »Ladies und Gentleman, bitte geraten Sie
nicht in Panik, aber im zehnten Stock des Hotels ist ein Feuer
ausgebrochen. Wir müssen das Hotel evakuieren. Bitte
behalten Sie die Ruhe und begeben sich auf die Straße!«
Die Zuschauer stießen ein enttäuschtes Stöhnen aus. Sie taten
mir so leid; das mindeste, was ich tun konnte, war der Versuch,
die Pressekonferenz zu retten.
»Entschuldigung, Sir«, sagte ich.
Der Hotelmanager drehte sich zu mir um. »Ja, Miss
Nichols?«
»Würden Sie uns bitte noch einmal informieren, wenn das
Feuer den dritten Stock erreicht hat?«
Alles lachte und applaudierte, das Feuer wurde gelöscht, und
wir konnten ungestört weitermachen.
Harve Bennett befand sich ebenfalls auf der vom Pech
verfolgten Convention, und er meinte zu meinem Freund Jim,
sie seien sich noch nicht darüber im klaren, was sie mit dem
nächsten Film machen sollten, da Spock tot war. Anscheinend
dachte jeder bei Paramount über dieselbe Frage nach: Wie zum
Teufel bekommt man einen toten Vulkanier zurück? Jim, ein
Physiker, der lange Jahre die Auswirkungen radioaktiver
Strahlung untersucht hatte, sagte Harve, es läge innerhalb der
Grenzen wissenschaftlicher Möglichkeiten, daß Spock die
Strahlung überlebte, die ihn (scheinbar) getötet hatte, und zwar
durch die Regeneration des Genesis-Planeten. Von Anfang an
hatte Gene stets Wissenschaftler und andere Experten
konsultiert, um sicherzugehen, daß sich unser
dreiundzwanzigstes Jahrhundert zumindest theoretisch auf eine
wissenschaftliche Basis gründete. Dr. Jesco von Puttkamer von
der NASA hatte den ersten Film als technischer Berater
begleitet. Dutzende anderer hoch angesehener Spezialisten
stellten für die Fernsehserie und die Filme ihr Wissen zur
Verfügung.
Spock mußte wiederbelebt werden, da bestand kein Zweifel,
aber auf eine Weise, die wissenschaftlich und logisch Sinn
machte. Harve lud Jim in sein Büro bei Paramount ein und bat
ihn, ein paar frühere Drehbuchfassungen von Star Trek III zu
lesen und seine Meinung zu sagen. Als Harve erfuhr, daß Jim
Vizepräsident bei Rockwell war, fragte er ihn, ob es möglich
sei, für ihn einen Besuch bei der Missionskontrolle der NASA
in Houston zu arrangieren. Ein Anruf bei seinem Freund und
Golfpartner Dr. Christopher Kraft, dem Direkter der
Missionskontrolle, und Jim hatte alles arrangiert. Wir
begleiteten Harve und dessen Familie bei dem Besuch, wo man
uns wie Könige behandelte und eine spezielle VIP-Tour
veranstaltete, die das eigentliche Raumfahrt-Kontrollzentrum
einschloß, das für die Öffentlichkeit normalerweise Tabu ist.
Chris Kraft empfing uns in seinem geräumigen Büro, und nach
dem Treffen überschlug sich Harve beinahe vor Dankbarkeit,
daß Jim alles möglich gemacht hatte.
In Los Angeles las Jim dann ein paar der frühen
Drehbuchentwürfe und schrieb auf Harves Bitte hin eine kurze
Abhandlung über die Auswirkungen radioaktiver Strahlung
und andere technische Details. Jim postulierte, daß durch
radioaktive Strahlung ausgelöste Mutationen zumindest in der
Theorie sowohl gut wie auch schlecht sein können, und daß in
der wunderbaren, unerforschten Umwelt des Genesis-Planeten
die ›Regeln‹ der Wissenschaft aufgehoben sein könnten. Auf
Genesis könnte die Strahlung, die Spock auf der Enterprise
getötet hatte, ihn heilen und regenerieren. Jim schlug vor, Dr.
McCoy zum Helden der Geschichte zu machen, und daß
Spocks geflüsterter Befehl, er solle sich erinnern, ihn dazu
bewegen würde, die Mission zum Genesis-Planeten
anzuführen, um seinen Freund zurückzuholen.
Harve gefiel die Idee ausgezeichnet. »Das ist fantastisch«,
sagte er. »Wie kann ich Ihnen danken?«
Jim erzählte, er würde in die Unterhaltungsbranche wechseln
und könne eine Nennung im Film als technischer Berater
gebrauchen; das reiche als Bezahlung.
»Kein Problem«, erwiderte Harve und versprach, sich darum
zu kümmern. Später rief er mich an, um sich dafür zu
bedanken, daß ich »dieses Genie an Bord gebracht hatte«.
Weitere Besprechungen und Anrufe folgten, in denen Jim
Harve zahllose Fragen beantwortete. Dann hörten wir nichts
mehr von ihm. Als der Film herauskam, kam Jims Name in
den Credits nicht vor, sein wichtiger Input wurde mit keiner
Silbe erwähnt. Natürlich war ich sehr enttäuscht. Ich kann
nicht glauben, daß Harve nicht wußte, wieviel mir das bedeutet
hätte, aber vielleicht wußte er es ja tatsächlich nicht.
Da Star Trek II: The Wrath of Khan sowohl von den
Kritikern als auch den Fans geliebt wurde, beauftragte
Paramount wieder Harve Bennett, der trotz seiner Fehler ein
ausgezeichneter Produzent ist. Obwohl Nicholas Meyer gute
Arbeit geleistet hatte, willigte Paramount ein, Leonard Regie
führen zu lassen. Zwar beschränkten sich seine Erfahrungen
hinter der Kamera auf die Regie bei Fernsehserien,
einschließlich Bills damals aktueller Polizeiserie T. J. Hooker,
trotzdem war das Studio bereit, ihm eine Chance zu geben.
Was konnte von ihrem Standpunkt aus faszinierender für die
Fans sein, als daß Leonard bei The Search for Spock Regie
führte? Wie alle anderen Mitglieder der Stammbesetzung auch
hatte Leonard seinen Charakter stets beschützt und
weiterentwickelt. Die Qualitäten, die die Zusammenarbeit mit
ihm als Schauspieler so wunderbar machten, kamen ihm auch
im Stuhl des Regisseurs zugute. Im Gegensatz zu den
vorangegangenen Regisseuren wie auch unserem Produzenten
Harve Bennett brachte Leonard Respekt und Loyalität für
Genes Vision von Star Trek mit. Er und Gene hatten die
gleichen philosophischen Ansichten. Das soll nicht heißen, daß
die Probleme, unter denen ihre persönliche Beziehung litt,
gelöst wurden; das wurden sie nämlich nicht. Doch Leonard
ignorierte seine persönliche Meinung über Gene, um dafür zu
sorgen, daß Star Trek auf dem richtigen Kurs blieb.
Die Vorstellung, daß Leonard Regie führte, schien jedermann
zu gefallen – mit Ausnahme von Bill. Leonard war zwar viele
Jahre unser Freund und Kollege gewesen, aber die Position des
Regisseurs machte ihn zu unserem Boß. Bill, der seine Position
im Sessel des Captains sowohl auf dem Bildschirm als auch
dahinter eifersüchtig hütete, gab zu, daß dies keine einfache
Zeit für ihn gewesen war. Doch im Zuge des großen Erfolges
von Star Trek II setzten sich Bill, Leonard, ihre Anwälte und
das Studio zusammen, um Verträge aufzusetzen, die den
beiden einen ›Bevorzugtenstatus‹ gaben. Das bedeutete, daß
Bill und Leonard in allem gleichberechtigt waren; was der eine
bekam, bekam auch der andere. In gewisser Weise nutzte
dieses Arrangement uns allen, da die hohen Gagen der beiden
so gut wie eine Garantie waren, daß sie in zukünftigen Filmen
mitspielten. Allen Beteiligten ersparte das Monate der
Unsicherheit, in denen man sich fragte, ob sie nun mitmachten
oder nicht. Diese Vereinbarung hatte auch noch ein paar
weitreichende Auswirkungen, die niemand vorhersehen
konnte.
Wenn ich gefragt werde, welche der Star Trek-Filme mir am
besten gefallen haben, lautet die Antwort immer: »Die mit den
geraden Nummern.« The Search for Spock war ein sehr guter
Film, aber es war von Beginn an klar, daß wir Spock in
irgendeiner Form finden und er wieder Mitglied der
Mannschaft werden würde. Zugegeben, die Frage nach dem
Wie bot zahllose Möglichkeiten, aber das Endresultat stand
fest. Im wesentlichen war es ein Expositionsfilm. Von den drei
bis dahin gedrehten Filmen war Star Trek III der bei weitem
düsterste und gewalttätigste. Nach der Rekapitulation von
Spocks Tod und seiner Bestattung beginnt die Geschichte mit
Saavik (diesmal statt von Kirstie Alley von Robin Curtis
gespielt) und Kirks Sohn David, die auf dem Genesis-Planeten
der Anzeige einer unerwarteten Lebensform nachgehen. So
wie Kirk gemogelt hat, um als Kadett den Kobayashi Maru-
Test zu bestehen, hat sein Sohn David bei dem Genesis-Projekt
›gemogelt‹, indem er der lebensspendenden Matrix ein
gefährliches, unberechenbares Material namens Protomaterie
hinzugefügt hat. Das führt zu mehreren unerwarteten
Resultaten; einmal holt die Protomaterie den toten Spock
zurück ins Leben, den David und Saavik als ein kleines,
scheinbar ›verstandloses‹ Kind entdecken. Davon abgesehen
entwickelt sich der Planet (die Bilder seiner frühen Pracht
würden übrigens im Golden Gate Park von San Francisco
gedreht) in beschleunigtem Tempo, so daß er sich bei der
Ankunft der Klingonen, die das Genesis-Geheimnis stehlen
wollen, in eine von Erdbeben erschütterte, instabile Masse
verwandelt hat.
Auf der Erde hat die Anwesenheit von Spocks Katra in Pilles
Unterbewußtsein dazu geführt, daß er ins Krankenhaus
eingewiesen werden mußte. Als Sarek, Spocks Vater, entdeckt,
daß sich das Katra seines Sohnes nicht wie angenommen bei
Kirk befindet, bedrängt er Kirk und seine Freunde, mit Pille
zum Genesis-Planeten zu fliegen, damit Spocks sich schnell
entwickelnder Körper und sein Katra auf Vulkan mit Hilfe des
fal-tor-pan vereinigt werden können. Um das zu
bewerkstelligen, muß die Mannschaft die Enterprise entführen,
da der Genesis-Planet zur verbotenen Zone erklärt worden ist.
Bevor wir Spock finden, wird David jedoch brutal von den
Klingonen ermordet, und Kirk beschließt, die Enterprise zum
Schein aufzugeben, nur um sich und seine Leute auf den
Planeten zu beamen und den Selbstzerstörungsmechanismus
des Schiffes zu aktivieren. Das Schiff explodiert, nachdem die
Klingonen es geentert haben.
Ich fand es interessant, daß nur wenige Leute David
vermißten – am wenigsten Bill, der Merritt Butrick, den
Schauspieler, der David spielte, nicht besonders mochte.
(Traurigerweise starb Merritt ein paar Jahre später an AIDS.)
Vor dem zweiten Film wußten wir nicht einmal, daß Kirk
einen Sohn hatte, und dem wenigen, was wir von David sehen,
ist zu entnehmen, daß er ein Symbol dafür ist, was Kirk für
seine Karriere geopfert hat. Wir nehmen an Kirks Verlust teil,
aber nicht, weil wir das Gefühl haben, David verloren zu
haben, sondern weil uns Kirk etwas bedeutet. Die flammende
Zerstörung der Enterprise war da jedoch etwas ganz anderes.
Das Schiff, die einzige immerwährende Konstante im Trek-
Universum, unser Reisegefährt und unser Heim, belegte in den
meisten Herzen einen ganz besonderen Platz. Die
Entscheidung, es zu sprengen, war ein dramatischer und
kontroverser Schritt, gegen den sich Gene vehement aussprach.
»Ich vertrat die Meinung, daß es nicht nötig war«, sagte er.
Schließlich war die Enterprise so konstruiert, daß man die
Untertassensektion vom Rest des Schiffes trennen konnte.
Gene argumentierte, daß man das Diskussegment hätte
zerstören und ersetzten, den Rest des Schiffes aber intakt
lassen können. Sobald die Fans von der geplanten Zerstörung
der Enterprise Wind bekamen, starteten sie eine Kampagne,
um sie zu retten, aber Leonard, Harve und einige andere ließen
sich nicht erweichen. Sie waren der Meinung – und das
vielleicht sogar zu Recht –, daß es den Eindruck, ein Opfer
gebracht zu haben, schmälern würde, wenn man das Schiff
nicht unwiderruflich zerstörte. Das mag schon sein, da die
Szene, in der Kirk und die Mannschaft hilflos zusehen müssen,
wie die brennende Enterprise über den Horizont des Genesis-
Planeten rast, in jeder Hinsicht genauso dramatisch wie Kirks
Reaktion ist, als er erfährt, daß die Klingonen seinen Sohn
völlig grundlos ermordet haben. Selbst heute noch tut es mir
weh, mitansehen zu müssen, wie das Schiff von Explosionen
zerrissen wird, darum verstehe ich, warum die Fans so
aufgebracht waren und warum sie Star Trek oft als ihren
Privatbesitz betrachten.
»Das Hauptthema ist… Freundschaft«, sagte Leonard
damals. Er war nicht nur ein wunderbarer, fähiger Regisseur;
er brachte auch die der Mannschaft innewohnende Dynamik
und den Humor wieder zum Vorschein, der die Fernsehserie
ausgezeichnet hatte und der ein wichtiger Bestandteil des
nächsten Films Star Trek IV: The Voyage Home werden sollte.
Die Szenen am Anfang – unser Treffen in Kirks Wohnung, wo
wir den Verlust von Spock betrauern, McCoys sich ständig
verschlechternder geistiger Zustand, unsere unsichere Zukunft
bei Starfleet, und wie dann jeder von uns seinen Beitrag leistet,
um die Entführung des Schiffes zu bewerkstelligen – waren
alle wunderbar gedreht.
Ganz besonders gefiel mir die Szene, in der ein junger, von
sich selbst überzeugter Kadett – der nicht weiß, daß Uhuras
unerwartete Anwesenheit während seiner Schicht zu Kirks
Plan gehört – geringschätzig bemerkt: »Sie erstaunen mich
wirklich. Nach zwanzig Jahren im aktiven Einsatz, als
Veteranin der Raumfahrt, tun sie freiwillig Dienst in der
langweiligsten Station, die es gibt. Das hier ist doch das
allerletzte im Weltraum.« Während der Kadett über die großen
Abenteuer nachdenkt, die ihn seiner unerschütterlichen
Überzeugung nach erwarten, marschieren Kirk, Pille und Sulu
herein und begeben sich zum Transporter. Zu seinem
Erstaunen beamt Uhura sie illegalerweise an Bord der
Enterprise und scheucht ihn mit vorgehaltenem Phaser in einen
Wandschrank. Es ist eine großartige, witzige Szene, und
Leonard gab jedem von uns Gelegenheit zu strahlen.
Die Szene, in der Sulu Kirk hilft, McCoy aus der Psychiatrie
zu entführen, ist ebenfalls sehr beliebt. »Werd bloß nicht frech,
du Zwerg«, sagt da ein mißtrauischer Sicherheitsbeamter.
George schaltet ihn und seine Konsole aus. Als Sulu dann mit
Kirk und McCoy flieht, bleibt er stehen und warnt ihn:
»Bezeichne mich nie wieder als Zwerg!«
Wie immer, wenn wir zusammen waren, wurde viel gelacht
und gescherzt. Trotz der harten Arbeit und der langen Stunden
bringt die Anwesenheit am Set in jedem wieder das Kind zum
Vorschein. Nun, in fast jedem. Die ganzen Dreharbeiten zu
Star Trek III hatten etwas Surreales. Da Leonard auch bei
Spocks Szenen Regie führte, mußte er ständig zwischen
Kulisse und Kamera hin- und herpendeln, oft in vollem
Kostüm. Mit allem nötigen Respekt Leonard gegenüber, wie
ernst kann man einen Regisseur mit spitzen Ohren nehmen?
Eines Tages standen einige von uns einschließlich Jimmy und
Mark Lenard (der Spocks Vater spielte) beisammen und
unterhielten sich. Wir wußten, daß sich Leonard auf einem in
der Nähe befindlichen Set aufhielt und versuchte, eine
besonders schwierige Einstellung zu drehen. Normalerweise ist
Leonard nicht zu erschüttern, aber die Doppelbelastung von
Schauspielen und Regieführen hinterließ erste Spuren;
außerdem war er entschlossen, den Zeitrahmen und das Budget
nicht zu überschreiten.
Wir bemühten uns, leise zu sprechen, aber dann stieß Dee
dazu und erzählte einen dummen, aber unglaublich komischen
Witz voller Doppeldeutigkeiten über zu kurz geratene Männer.
Ich weiß, daß die meisten Menschen glauben, jeder, den sie auf
der Kinoleinwand sehen, sei sehr groß, und so ist es oft ein
Schock, wenn sie sehen, daß Schauspieler kleiner als erwartet
sind. »Ich habe Sie immer für ein Meter achtzig groß
gehalten«, bekomme ich oft zu hören, wenn ich Leute
kennenlerne. »Nun, Uhura ist das auch!« lautet dann immer
meine Antwort. Wenn wir eine Einstellung mit George und
Walter drehten, erwischte ich die beiden oft dabei, wie sie auf
Zehenspitzen herumalberten und spielerisch versuchten, größer
als der andere auszusehen. Manchmal spielte ich mit, und wir
alle lachten.
Wie dem auch sei, George kam dazu und wollte wissen, was
denn so lustig sei. Dee wiederholte den Witz. Als George die
Pointe nicht begriff, erklärte Dee sie ihm, und er brach in sein
bellendes Gelächter aus. Wir lachten noch mehr – über den
Witz, über George, der ihn nicht kapiert hatte, über Georges
Gelächter –, als, wie könnte es auch anders sein, Walter
vorbeikam. George erzählte ihm den Witz, beleidigte ihn aber
unabsichtlich, indem er ihm die Pointe erklärte. »Ich habe ihn
schon beim erstenmal verstanden«, sagte Walter ärgerlich und
fing dann mit einer scheinbar ernst gemeinten Tirade an, daß
alle über die ›vertikal Benachteiligte‹ herziehen und wie falsch
das ist. Am Ende hatten wir alle die Kontrolle verloren und
kreischten vor Lachen; George lachte laut genug, um die
Dachbalken erzittern zu lassen. Daran, daß um die Ecke
gearbeitet wurde, dachte er nicht.
»SCHNITT!« erscholl es plötzlich.
Wir hörten auf, sahen uns an und wußten, wir steckten in
Schwierigkeiten. Leonard kam in vollem Make-up, mit Ohren
und allem, fluchend um die Ecke gestürmt und schrie uns an.
Anscheinend hatte er die entscheidende Szene endlich im
Kasten gehabt, aber unser Gelächter hatte die Tonaufnahme
ruiniert, und sie mußten noch einmal von vorn anfangen. Wie
ein Haufen ertappter Schulkinder warfen wir unserem
wütenden vulkanischen Regisseur einen schüchternen Blick zu
und gingen auseinander. Natürlich mit Ausnahme von Walter,
den wir dort stehenließen. »Ich weiß nicht, was an kleinen
Männern so witzig sein soll«, murmelte er vor sich hin,
während George keine Luft mehr bekam, weil er verzweifelt
versuchte, zu lachen aufzuhören.
Obwohl die meisten Fans Star Trek II: The Wrath of Khan
vorziehen, war die allgemeine Reaktion auf Star Trek III sehr
positiv. Mich freute das aus mehreren Gründen, nicht zuletzt
deshalb, weil es dem Studio bewies, daß man die ›Regeln‹ von
Star Trek nicht brechen oder seine Charaktere verändern
durfte. Der Film endete damit, daß wir uns auf Vulkan
befanden und die einzige Möglichkeit zum Heimflug ein
Klingonenkreuzer darstellte, wodurch sich für das nächste
Abenteuer unzählige Möglichkeiten boten. Leonard, Harve und
die Leute von Paramount sollten fast die ganzen nächsten zwei
Jahre damit verbringen, die intergalaktische Reise für den
nächsten Film zu planen. Uns allen war dabei bewußt, daß
seine Premiere mit dem zwanzigjährigen Jubiläum der
Fernsehserie zusammenfallen würde. Star Trek hatte in der
Syndication noch immer die höchsten Einschaltquoten in der
Geschichte des Fernsehens (laut unserem alten Feind, der A. C.
Nielson Company), und die Conventions lockten mehr
Besucher als je zuvor an. Die drei populären Kinofilme hatten
uns nicht nur einem jüngeren Publikum nahegebracht, sondern
auch jenen, die die Serie zuvor nicht weiter beachtet oder auch
gar nicht gesehen hatten. Wie uns die älteren Fans oft
versicherten, gefiel es ihnen, dabei zuzusehen, wie wir älter
wurden. In der Welt der Unterhaltung, in der nichts ewig
währt, wurde Star Trek mit jedem vergehenden Jahr
erfolgreicher. Bei den Interviews scherzte jeder von uns über
die Möglichkeit, noch in unseren Rollstühlen auf der Brücke
zu sitzen, während Uhura mit Hilfe eines Hörgerätes durch das
Universum funkt, und alle (selbstverständlich mit Ausnahme
von mir) alt und grau geworden sind. Das galt natürlich nicht
für Mr. Spock; schließlich werden Vulkanier mehrere hundert
Jahre alt.

Die Musik blieb eine der Konstanten meines Lebens. Ende der
siebziger Jahre hatte mir mein Freund Wade Crookham von
einem erstaunlichen Gesangslehrer erzählt, der die Stimmen
mehrerer bekannter Sänger gerettet hatte. Ich fing an, bei ihm
Stunden zu nehmen, und obwohl ich den Maestro, wie er von
seinen Schülern genannt wurde, von ganzem Herzen verehrte,
stand ich keine Stunde mit ihm durch, ohne zumindest einmal
den Wunsch zu verspüren, ihn umzubringen. Ich starrte ihn
einfach nur wütend mit funkelnden Augen an, und er lächelte
bloß. »Du sagst mir nicht, was du nicht kannst«, pflegte er zu
sagen. »Du tust einfach das, wozu dir Gott das Talent verliehen
hat, und ich kümmere mich um den Rest.« Als ich seine
Schülerin wurde, hatte er die Achtzig schon lange
überschritten. Er war ein kleiner, kräftiger und liebenswerter
Mann. Seine Name ist Giuseppe Balestrieri. Kommt Ihnen das
bekannt vor?
Seit ich seinen Namen das erste Mal gehört hatte, fragte ich
mich, ob er nun mit Frankie Balistrieri verwandt war oder
nicht, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihn zu
fragen. Frankie war damals mehr als nur berüchtigt und wurde
nur wenige Jahre später wegen Verschwörung zu dreizehn
Jahren Haft in einem Bundesgefängnis verurteilt. Ich hatte
über zwei Monate mit dem Maestro gearbeitet, als ich ihn
schließlich fragte.
»Sie haben gesagt, Sie kämen aus dem Mittelwesten«, sagte
ich.
»Ja«, erwiderte er. »Milwaukee. Und eines Tages will ich
auch wieder dorthin zurück.«
»Ich muß Sie etwas fragen. Kennen Sie Frankie Balistrieri?«
Der Maestro erstarrte ein paar Sekunden. »Woher kennen Sie
Frankie Balistrieri?« fragte er dann.
»Das ist eine lange Geschichte«, fing ich an.
»Nun, ja, wir sind miteinander verwandt«, sagte er
schließlich, nachdem ich meine Geschichte zu Ende erzählt
hatte. »Aber wir haben nichts mit ihm zu tun. Wir haben sogar
die Schreibweise unseres Namens geändert, damit die Leute
uns nicht mit ihm in Verbindung bringen. Aber ich bin ein
Blutsverwandter, wenn auch nur ein entfernter.«
Ich wußte die Ehrlichkeit des Maestros zu schätzen,
respektierte seine Privatsphäre aber genug, um das Thema nie
wieder anzusprechen; es war ihm offensichtlich unangenehm,
da er und seine Brüder in der Gegend von Milwaukee
hochangesehene Leute waren, die im Musikgeschäft, als Ärzte
und Anwälte arbeiteten. Aber bei dem Gedanken an diese
beiden Männer und die Rollen, die sie in meiner Karriere
gespielt hatten, fragte ich mich unwillkürlich, wer an dem
Webstuhl gesessen hatte, als mein Schicksal gewoben wurde.
Die Musik ist nicht die einzige Liebe meines Lebens, aber sie
ist eine Tür, durch die viele wundervolle Menschen in mein
Leben getreten sind. Einer davon war ein junger Musiker
namens Andy Chapin.
Wegen meiner Karriere war es mir nicht länger möglich,
weiter wie bisher am Raumfahrtprogramm mitzuarbeiten, wie
ich es während des Astronautenrekrutierungsprogramm getan
hatte. Doch ich war und bleibe eine überzeugte Verfechterin
unseres nationalen Raumfahrtprogramms und nutzte jeden
Auftritt und jedes Interview, um die Leute an die Wichtigkeit
der Erforschung des Weltraums zu erinnern.
Bezeichnenderweise war es mein Interesse am Weltraum, das
mich zu Jim Meechan geführt hat, dessen Interesse an der
Musik ihn zu mir geführt hat. So spielt das Leben.
Ich war begeistert, eine Einladung von der NASA zu
erhalten, bei der Landung des Space Shuttles Columbia nach
seiner ersten erfolgreichen Erdumrundung dabeisein zu dürfen.
Natürlich war auch Jim mit seinem Rockwell-Team da. Die
zweitägige Mission war ein großer Erfolg gewesen, und der
Anblick der gewaltigen Raumfähre, wie sie auf dem Salzsee
der Edwards Air Force Base landet, war einfach
atemberaubend. Dort lernten wir Andy kennen, der damals
Ende Zwanzig war, und erfuhren, daß er speziell wegen seines
Interesses am Raumfahrtprogramm eingeladen worden war.
Wir verstanden uns auf Anhieb, und nach kurzer Zeit verriet
Andy, daß er zu Ehren dieses Anlasses ein Musikstück
komponiert hatte. Interessanterweise hatte Jim das Gedicht
›Ode an das Space Shuttle‹ verfaßt, und als wir uns
zusammensetzten, paßten Worte und Musik so perfekt
zusammen, daß man den Eindruck gewinnen konnte, die
beiden hätten sich zusammen ans Klavier gesetzt und dort
gearbeitet. Wir produzierten das Stück und nahmen es auf
Uhura Sings auf; Jim schuf ein sehr bewegendes Video dazu,
in dem er Aufnahmen vom Start, dem Flug und der Landung
des Shuttles verarbeitete. Wenn ich daran dachte, daß sich die
beiden Männer nicht kannten, als sie ihre Stücke geschrieben
beziehungsweise komponiert hatten, war es wirklich
unheimlich.
Andy wurde einer unserer engsten Freunde, und er und Jim
gingen eine Vater-Sohn-Beziehung ein, die ihrer beider Leben
bereicherte. Andy war ein hoch angesehener Keybordspieler,
der bei bekannten Rockgruppen wie Steppenwolf und
Association gespielt hatte, bevor er Solokünstler wurde. Er
komponierte phantastische Melodien und war einer der
dynamischsten Musiker, die ich je gehört hatte. Wir arbeiteten
mit Andy viel im Studio und bei Bühnenauftritten zusammen
und hatten eine Anzahl von Projekten geplant, jedoch nichts,
was unmittelbar bevorstand. Als Andy das Angebot bekam,
Anfang 1984 bei Rick Nelsons Band mitzuspielen, nahm er es
an. Da Nelson über zweihundert Auftritte im Jahr absolvierte,
war Andy ständig unterwegs. Er vermißte seine Frau und
seinen kleinen Sohn Ian. Eines Tages Ende Dezember 1985
rief er an und ließ uns wissen, daß er nach der nächsten kurzen
Tour – nur Orlando, Guntersville, Alabama und schließlich zu
Neujahr Dallas – die Band verlassen würde, dann wünschte er
uns noch schöne Feiertage.
Ich feierte gerade mit Freunden und Champagner Sylvester,
als Jim mit einer schlimmen Nachricht kam. Andy war bei
einem Flugzeugabsturz gestorben, der auch Rick, den Rest der
Band und seine Verlobte das Leben gekostet hatte. Dieser
Verlust machte mich sehr traurig, aber Jim war am Boden
zerstört. Am Neujahrstag schrieb er für seinen Freund den
Song ›Andy‹. Dann riefen wir etwa fünfundzwanzig von
Andys Freunden zusammen, darunter viele Topmusiker aus der
Gegend von Los Angeles, und nahmen das Lied in einer
Session auf; wir setzten über ein Dutzend Sängerinnen, vier
Keybordspieler, mehrere Gitarren, Flöten, Schlagzeug und
Hörner ein. Andys Bruder spielte den Dudelsack. Er war ein
liebenswerter Mensch, und wir vermissen ihn bis zum heutigen
Tage. Gott sei mit dir, mein Schatz, wo immer du auch bist.
Andy liebte das Raumfahrtprogramm und das Shuttle, und so
hatte der nächste Start eine ganz besondere Bedeutung, da er
weniger als vier Wochen nach Andys Tod stattfand. Meine
Trauer wurde etwas von der Tatsache gemildert, daß das
Shuttle drei der Astronauten transportierte, die während meines
Werbefeldzugs rekrutiert worden waren: Judith Resnik, Ellison
Onizuka und Ronald McNair. Im Laufe der Jahre hatte ich mit
vielen der Astronauten sprechen können, und ein paar von
ihnen wie Ron und Judy hatte ich ganz gut kennengelernt. Es
war Judy gewesen, die mir 1984 den Public Service Award der
NASA überreicht hatte.
Nach mehreren Verzögerungen sollte das Space Shuttle
Challenger am 28. Januar starten. Ich war gerade draußen bei
meiner allmorgendlichen Joggingrunde, als ich bemerkte, wie
spät es war. Ich lief meine Einfahrt hinauf und wollte gerade
die Tür öffnen, als Jim mir zuvorkam.
»Es ist etwas Schreckliches geschehen«, sagte er. Als ich den
Ausdruck auf seinem Gesicht sah, wußte ich Bescheid.
Niemand wird je diesen Tag vergessen. Millionen von uns –
die Familien und Freunde der sieben an Bord befindlichen
Astronauten eingeschlossen – sahen mit Schrecken zu, wie
eine Minute nach einem offensichtlich völlig normal
verlaufenden Routinestart das Shuttle neun Meilen über dem
Erdboden explodierte. Ich saß ungläubig vor dem Fernseher
und sah mir die Wiederholung an, als das Raumschiff
zwischen weißen Rauchwolken zu verschwinden schien.
Wie die meisten Amerikaner konnte ich die Challenger-
Katastrophe nicht begreifen. Mit Ausnahme einiger Beinahe-
Katastrophen und dem verheerenden Startrampenfeuer 1967,
bei dem die Astronauten Gus Grissom, Edward White (der
erste Amerikaner, der einen Weltraumspaziergang absolvierte)
und Roger Chaffee ums Leben kamen, war die NASA für uns
ein Synonym für Erfolg und Sicherheit. Natürlich gab sich kein
Mitglied des Raumfahrtprogramms Selbsttäuschungen über die
Risiken hin. Raumfahrt und -forschung sind ihrer Natur nach
gefährliche Unternehmungen. Man darf nicht vergessen, daß
die Astronauten des Space Shuttles auf zwei fünfundvierzig
Meter langen Feststoffraketen und dem gewaltigen Haupttank
sitzen, dessen Inhalt aus flüssigem Wasser- und Sauerstoff die
Haupttriebwerke antreibt. Diese riesigen ›Feuerwerkskörper‹
geben ihre Tonnen von Schubkraft in wenigen Minuten ab, und
so ist jeder Shuttle-Start alles andere als eine Routineoperation.
Nach der Challenger-Katastrophe fragten sich die meisten
Leute, warum es für den Notfall eigentlich kein
Rettungssystem gab. Einige der engagierten Profis, die das
Space Shuttle entwickelten, testeten und bauten, haben mir
gesagt, daß man alle möglichen Rettungssysteme getestet,
jedoch keine Möglichkeit gefunden hat, ein System zu
integrieren, daß unter den durch die Shuttle-Konstruktion
vorgegebenen Voraussetzungen funktioniert. Was die
Sicherheitsvorkehrungen angeht, ist das Space Shuttle
vergleichbar mit einem Passagierflugzeug; man muß sich
darauf verlassen, daß die Vielzahl von Systemen und
Untersystemen wie geplant funktioniert. Wäre das Shuttle mit
einer raketengetriebenen oder mit Fallschirmen versehenen
Kabine ausgestattet gewesen (was laut der Sachkenntnis
durchaus möglich gewesen wäre), hätte das zusätzliche
Gewicht und die komplizierten Systeme den primären Zweck
der Raumfähre – nämlich den Transport von Nutzlasten –
ernsthaft behindert. Die Tatsache, daß fünfundzwanzig
Missionen ohne ernsthafte Probleme absolviert worden waren,
war schon beinahe ein Wunder und zeigte deutlich, mit
welcher Sorgfalt und Expertise die NASA und die erfahrenen
Konstruktionsfirmen, die das Space Shuttle-Team bildeten,
vorgegangen waren.
Etwa zwei Jahre vor der Challenger-Katastrophe hatte es ein
paar gravierende Fehler im Management unseres zivilen
Raumfahrtprogramms gegeben. Einige Luftfahrtfirmen, die
nicht zu den ursprünglichen Mitgliedern des bemannten
Raumfahrtprogramms der NASA gehört hatten, fingen an, sich
um ihr Stück des Kuchens zu bemühen. Sie erhielten
Unterstützung von einer großen Gruppe von
Kongreßabgeordneten, die wie immer nach Möglichkeiten
Ausschau hielten, Steuergelder neu zu verteilen und in ihren
Distrikten neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ironischerweise trug
die Tatsache, daß das Shuttle-Programm so erfolgreich war, zu
der Katastrophe bei. Kritiker, die das Programm unbedingt
auch anderen Unternehmen zugänglich machen wollten,
fehlinterpretierten den tadellosen Sicherheitsrekord der NASA
als Bestätigung, mit welcher Mühelosigkeit das Programm zu
bewältigen war, statt zu erkennen, daß er ein Beweis für den
Wert der Erfahrung war. Die Medien, die im großen und
ganzen das Interesse am Raumfahrtprogramm verloren hatten,
stürzten sich auf die Sparkampagne und bliesen ins selbe Horn.
In der daraus resultierenden Sparwut wurde das von der NASA
beauftragte Team von Firmen, das für die sicheren,
erfolgreichen ersten fünfundzwanzig Starts verantwortlich war,
einfach ersetzt. Die wenigen warnenden Expertenstimmen
ignorierte man; der Würfel war gefallen.
Es machte mich krank, als ich sah, wie Professor Feynmans
vor dem Untersuchungsausschuß des Kongresses mit einer
einfachen aber überzeugenden Demonstration anschaulich
darstellte, wie der O-Ring – der entscheidende Dichtungsring,
der das von den Raketen ausgelöste Inferno bändigte – starr
und porös wurde, nachdem man ihn Temperaturen unterhalb
des Nullpunktes aussetzte. Es war allgemein bekannt, daß
Florida Tage vor dem Start von einer massiven Kältewelle
heimgesucht worden war, die natürlich auch die Challenger
nicht verschont hatte. Ein erfahrenes Team hätte unter diesen
Umständen niemals einem Start zugestimmt. Leider erkannte
das neue Team die unmittelbare Gefahr nicht, die die kalte
Witterung darstellte. Es ist schon bemerkenswert: Seitdem man
nach der Katastrophe zu den ursprünglichen
Sicherheitsstandards zurückgekehrt ist, hat es keine weiteren
Probleme gegeben. Sicher, in Anbetracht der Natur der
Weltraumerforschung ist es möglich, daß eines Tages wieder
eine Katastrophe geschieht. Aber ich bete zu Gott, daß, sollte
es passieren, es das Resultat unvorhergesehener, nicht
berechenbarer Ereignisse ist – und nicht das Produkt
bürokratischer Unfähigkeit und fehlgeleiteter
Kostenreduzierung. Die mutigen und talentierten Menschen,
die als Astronauten dienen, verdienen Besseres als das.
Noch Wochen nach der Challenger-Katastrophe befand ich
mich in so tiefer Trauer, daß ich mich nicht einmal überwinden
konnte, darüber zu sprechen. Jim, der ebenfalls ein
persönlicher Freund von einigen der Astronauten gewesen war,
verstand mich vielleicht besser als jeder andere. Da Reporter
über meine Arbeit für die NASA Bescheid wissen, werde ich
oft nach meiner Reaktion auf das Challenger-Unglück gefragt,
und ich gebe mir jedes Mal größte Mühe hervorzuheben, daß
die Tragödie zwar Fragen über Management,
Qualitätskontrolle und Sicherheit aufgeworfen hat, aber es
jedoch ein schrecklicher Verrat an jenen sieben Astronauten
wäre, den Traum aufzugeben, für den sie gestorben sind.
Gerechterweise wurde Star Trek IV: The Voyage Home, unser
nächster Film, den mutigen Frauen und Männern der
Challenger-Crew gewidmet.
Star Trek IV kam im November 1986 in die Kinos, zwanzig
Jahre nachdem die Fernsehserie zum ersten Mal ausgestrahlt
worden war, und sollte bald zu dem bis dahin erfolgreichsten
Film werden. Für diesen Erfolg waren mehrere Faktoren
verantwortlich, aber es war sicher auch hilfreich, daß Leonard
bei einer Geschichte Regie führte, an deren Entwicklung er
mitgearbeitet hatte. Es war schön, wieder mit ihm arbeiten zu
können, und es war einfach großartig, mit so vielen
Schauspielern aus der Fernsehserie zusammenzukommen, die
nun das erste Mal in einem Star Trek-Film auftraten. Majel
Barett (die einstige Schwester Christine Chapel, nun im Rang
eines Commanders) und Grace Lee Whitney (die einstige
Fähnrich Janice Rand, nun ebenfalls im Rang eines
Commanders) kehrten zurück. Und natürlich war wieder Mark
Lenard als Sarek zu sehen.
Das erste Problem, mit dem Leonard und die Autoren sich
konfrontiert gesehen hatten, war die Frage gewesen, was bei
der Rückkehr der Enterprise-Mannschaft, die sich nun an Bord
eines Klingonenkreuzers befand, ins Hauptquartier von
Starfleet geschehen sollte. Jeder echte Trekker weiß, daß Kirk
und seine Leute bei ihrer Rettungsaktion für Spock so viele
Regeln verletzt hatten, daß eigentlich nur die Rettung der Erde
ausreichen würde, um nicht vor dem Kriegsgericht zu landen.
Es ist leicht zu entscheiden, daß die Helden die Welt retten –
aber wie und wovor? Leonard löste das Problem auf brillante
Weise, indem er die Mannschaft die Erde des
dreiundzwanzigsten Jahrhunderts vor der Vernichtung durch
eine außerirdische Sonde retten ließ, die eine Kommunikation
mit Buckelwalen anstrebte. Zu dieser Zeit sind die Wale schon
lange ausgestorben, darum muß die Crew zurück ins Jahr 1986
reisen, wo wir zwei Wale finden und sie zurück in die Zukunft
transportieren. Damit wird die Sonde zufriedengestellt und die
Welt gerettet. Der Zeitreiseaspekt bot vielversprechende
Möglichkeiten, eine Geschichte, in der es darum ging, vor den
Auswirkungen der Umweltzerstörung zu warnen, mit etwas
Humor aufzulockern.
Einige Monate vor Drehbeginn gab es eine Reihe von
Verzögerungen. Eine davon, die die ganze Zukunft der Star
Trek-Filme bedrohte, ging von Bill aus, dessen Verhandlungen
über eine beträchtlich höhere Gage sich etwa acht Monate
hinzogen. Mit der Möglichkeit konfrontiert, daß Bill seine
Rolle möglicherweise nie wieder übernehmen würde, gab
Harve Bennett seinen Segen zu einem Projekt mit dem Titel
Starfleet Academy. Dieser geplante Film, der uns die nächsten
Jahre verfolgen sollte und Gene in Rage versetzte, nahm sich
dem Leben von Kirk, Spock und Pille während ihrer Tage auf
der Akademie an. Das Konzept an sich war durchaus nicht
schlecht. Es gibt schon seit langem viele Romane und
Kurzgeschichten, teils von professionellen Autoren, teils von
Fans verfaßt, die einen Blick in die Vergangenheit der
Charaktere werfen. Im Verlauf der Filme – besonders in Star
Trek V – wurden viele persönliche Details hinzugefügt, die die
Charaktere meiner Meinung nach bereicherten und Genes
ursprüngliche Pläne für die Serie im nachhinein doch noch
erfüllten.
Seit Star Trek III hatte Harve Bennett der Welt bewiesen, daß
die Filme keineswegs eine so schlechte Investition sein mußte,
wie es beim ersten der Fall gewesen war. Aber die Geschichte
wiederholte sich. Obwohl Harve bei den Filmen technisch
gesehen der Boß war, hatte er Leonard und Bill nichts
entgegenzusetzen. Ob sie nun allein oder zusammen arbeiteten,
sie waren ein Machtfaktor geworden, den man nicht ignorieren
konnte, erst recht, nachdem die Sache mit der
Gleichberechtigung zwischen ihnen geregelt worden war. Vom
Standpunkt des Studios aus war das Schöne an Starfleet
Academy nicht die Möglichkeit, den Star Trek-Mythos weiter
auszubauen, sondern daß man damit auf die ursprüngliche
Stammbesetzung und, was noch viel wichtiger war, die dicken
Schecks verzichten konnte, die Leonard und Bill verlangten.
Es war zweifelhaft, daß die Enterprise ohne Kirk im
Kommandosessel jemals wieder ihr Raumdock verlassen
würde. Und falls doch, würden unter Umständen ein jüngerer
(das heißt billigerer, kooperativerer) Captain und Erster
Offizier das Ruder übernehmen. Als das Studio und Bill
endlich eine Einigung fanden, war Star Trek IV gerettet.
The Wrath of Khan, The Search for Spock und The Voyage
Home waren nicht als Teile einer Trilogie geplant gewesen,
doch es wurde zu einer, da sich die in ihnen geschilderten
Ereignisse in weniger als einem Erdenjahr abspielten. Wir
hatten zwar Spock gefunden und geholfen, seinen Körper mit
seinem Katra zu vereinigen, aber er war noch nicht wieder er
selbst, vielleicht sogar ein bißchen menschlicher als zuvor.
Zusammen mit dem Humor der Zeitreisegeschichte sorgte das
für einige der witzigsten Szenen des Films. Jeder liebte die
Szene im Bus, in der Kirk versucht, Spock den korrekten und
effektiven Gebrauch von Flüchen zu erklären, was diesem
dann während des ganzen Films nie richtig gelingt.
Wie immer war Leonard der festen Überzeugung, daß die
familiären Beziehungen der Crewmitglieder untereinander in
den Mittelpunkt gerückt werden sollten. Nachdem der getarnte
(und daher unsichtbare) Klingonenkreuzer im Golden Gate
Park gelandet ist, bilden wir einzelne Teams. Kirk und Spock
suchen nach den Walen, Scotty und Pille versuchen, ›uraltes‹
Material für den Bau eines Walbeckens aufzutreiben, Sulu
besorgt einen Helikopter für den Transport, und Chekov und
Uhura holen die Kernverschmelzungsnebenprodukte, die nötig
sind, um die Dilithiumkristalle für den Rückflug um die Sonne
betriebsbereit zu machen.
Die Dreharbeiten in San Francisco waren ein Vergnügen.
Natürlich brauchten wir für die Außenaufnahmen auf den
Straßen spezielle Drehgenehmigungen, in denen streng
festgelegt wurde, wann und wo wir drehen durften. Die
Gegend, in der wir drehten, wurde abgesperrt, und es
versammelten sich Hunderte glücklicher, klatschender Star
Trek-Fans. Laut Drehbuch sollten Uhura und Chekov an einer
Straßenecke stehen und Passanten nach dem Weg nach
Alameda fragen. Die Einwohner von San Francisco, denen
vermutlich nichts mehr fremd ist, nahmen kaum von uns Notiz,
und Leonard drehte die Szene á la Versteckte Kamera, so daß
einige der Leute, die wir im Film nach den, wie sich Chekov
ausdrückt, atomgetriebenen Kriegsschiffen fragen, keine
Schauspieler sondern zufällig vorbeikommende Passanten
sind. Nun muß laut den Gewerkschaftsbestimmungen jeder,
der in einem Film spricht, ein Gewerkschaftsmitglied sein.
Die meisten Zuschauer nahmen die Einladung, ein Mitglied
der Menge zu werden, begeistert an. Eine Frau fiel jedermann
auf. Sie war atemberaubend, mit langem braunem Haar,
wunderschöner Haut und einem schicken weißbeigen Kostüm.
Um allem die Krone aufzusetzen, hatte sie ihren kleinen
Yorkshire dabei, dessen braunweißes Fell perfekt zu ihrer
Ausstattung paßte. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. In
dem Augenblick, in dem Leonard sie entdeckte, wußte er, daß
er sie im Film haben mußte.
Sie fragte, worum es bei dem ganzen Aufruhr denn eigentlich
gehe. »Um Star Trek«, sagte jemand.
»Oh, ist das nicht die Fernsehserie?« fragte sie unschuldig.
Als der Regieassistent sie dann fragte, ob sie Lust habe, durch
eine Szene zu gehen, schien sie überrascht und geschmeichelt,
so wie jede normale Person, die zufällig in Dreharbeiten
hereinplatzt.
Das Problem war nur, daß sie gar keine ›normale‹ Person
war, sondern eine Schauspielerin. Wir wurden mißtrauisch,
nachdem sie die Szene wiederholt geschmissen hatte, indem
sie ständig ›vergaß‹, daß sie nicht mit Walter und mir sprechen
durfte. »Sagen Sie nichts zu den beiden«, erklärte ihr Leonard
geduldig nach dem erstenmal. »Sehen Sie sie einfach nur an
und gehen weiter. Die beiden stellen diese dummen Fragen,
aber Sie ignorieren sie, als hätten Sie Angst, sie würden Sie
gleich beißen.«
»Okay«, erwiderte sie.
Wir hatten nur fünfzehn Minuten, um die Szene vor der
Mittagspause zu beenden. Leonard rief »Action!«, und Walter
und ich sprachen jeden an. »Wie kommen wir nach Alameda?«
Leonards Entdeckung kam an. »Es tut mir ja so leid, aber ich
kann es Ihnen nicht sagen.«
»Schnitt!« Leonard nahm sie beiseite, blieb dabei aber in
Hörweite, und wiederholte seine Anweisungen. »Es ist sehr
wichtig – es ist unumgänglich –, daß Sie kein Wort sagen.«
»Okay. Aber ich verstehe den Grund nicht.«
»Verzichten Sie einfach darauf.«
Also versuchten wir es erneut, und sie tat es wieder, diesmal
mit der lahmen Ausrede, ihr sei es unhöflich vorgekommen,
nicht mit uns zu sprechen. Es war Zeit für die Mittagspause,
und die Filmcrew mußte alles abbrechen, da wir nachher an
einer anderen Straßenecke drehen wollten. Walter war außer
sich, Leonard war wütend, und alle schimpften hinter
vorgehaltener Hand über diese Frau.
»Wir machen die Aufnahme ohne sie«, sagte Leonard
hoffnungsfroh.
»Es tut mir leid, Leonard, aber das geht nicht«, sagte der
Regieassistent. »Und nicht nur das, laut Genehmigung müssen
wir um vier von den Straßen von San Francisco runter sein.
Hier geht es um hohe Kosten!«
Wir trafen uns alle in dem im Keller einer Kirche
befindlichen Aufenthaltsraum, wo das Mittagessen ausgegeben
wurde, und grübelten darüber nach, was für ein schlechter Tag
das bis jetzt gewesen war. Das Drehbuch enthielt eine
wunderbare Szene, in der Sulu einem kleinen Jungen begegnet,
der sich als sein Urururahn entpuppt. Der junge japanische
Schauspieler, der beim Vorsprechen eine brillante Darstellung
gegeben hatte, weigerte sich einfach zu spielen, als er vor die
Kameras getreten war. Sein Bruder, der die Chance ergriffen
hatte, war nicht sehr gut gewesen, und die Szene war verloren.
Und nun war wegen der Frau mit ihrem Yorkshire eine weitere
wichtige Szene dazu verdammt, auf dem Boden des
Schneideraums zu landen.
Je länger ich darüber nachdachte, desto komischer fand ich
die ganze Angelegenheit. Hätte Leonard sie nicht so attraktiv
gefunden, wäre nichts passiert. In gewisser Weise war er selber
schuld. Ich mußte lachen. »Mir ist egal, was du denkst,
Nichelle, aber das ist überhaupt nicht komisch!« fauchte
Walter plötzlich. »Wir müssen die gottverdammte Szene
rausschneiden, und was zum Teufel sollen wir jetzt machen?
Das war eine tolle Szene!«
Genau in diesem Augenblick kam die Frau mit ihrem Hund
herein. Leonard saß bei seinen Leuten auf der anderen Seite
des Raums, und er zitterte fast vor Wut, was ihm gar nicht
ähnlich war. Ich ging zu ihm an den Tisch. »Nichelle, es tut
mir leid, aber wir werden diese Szene herausschneiden
müssen, und ich weiß nicht, wodurch wir sie ersetzen sollen.«
Ich war noch immer am lachen. »Das ist nicht witzig,
Nichelle«, sagte Leonard.
»O doch, das ist es«, erwiderte ich. »Du bist gerade
reingelegt worden, und du weißt nicht, wie du wieder
herauskommen sollst.«
»Wovon sprichst du?« wollte er wissen.
»Sie ist eine Schauspielerin, die in die Gewerkschaft
reinwill«, erwiderte ich.
»Ja, und? Wir haben genug Schauspielerinnen. Was hilft
das?«
»Das stimmt, aber du hast keine Schauspielerin mit Haaren
bis zur Taille und einem Yorkshire. Sie ist einzigartig, also
fällt das unter Taft-Hartley«, antwortete ich und zitierte eine
obskure Ausnahmeregelung der Schauspielergewerkschaft.
»Du hast eine große, schlanke Frau mit einem Yorkshire
verlangt. In diesem Augenblick, an diesem Ort, waren keine
anderen Schauspieler da, die diese Kriterien erfüllten. Sie -
wird Gewerkschaftsmitglied, und für vierhundert Dollar hast
du die Szene gerettet.«
»Das könnte funktionieren!« rief er aus. »Das könnte
funktionieren! Einzigartig, genau! Der Regisseur hat nach
einer großen, schlanken Frau mit einem Yorkshire verlangt.«
Leonard lächelte. »Nichelle, ich könnte dich küssen!«
Die Dreharbeiten in San Francisco waren wunderbar und
gingen viel zu schnell vorbei. George, ich und ein paar der
anderen bestiegen ein Flugzeug nach Los Angeles. Wir flogen
von einem kleinen Flugplatz in Monterey aus; als die
Flugbegleiterin verkündete, der Start würde sich um
mindestens eine halbe Stunde verzögern, weil Techniker die
Klimaanlage reparieren müßten, verließen George und ich das
Flugzeug. Man versicherte uns, daß man das Ende der
Arbeiten im Terminal ankündigen würde.
Wir stiegen aus, ließen bis auf mein Notizbuch alles im
Flugzeug und fanden keine fünfzig Schritte vom Flugsteig
entfernt eine Bar, wo wir ein Bier tranken. Wir waren so nahe,
daß wir durchs Fenster das Flugzeug sehen konnten. George
und ich plauderten, als wir zufällig aufsahen und bemerkten,
wie die Flugzeugtür geschlossen wurde.
Wir liefen zurück zum Schalter, und George erklärte auf
seine freundlichste Art und Weise, daß das Flugzeug nicht
ohne uns fliegen dürfe. Als sich der Angestellte der Fluglinie
sehr unkooperativ verhielt, wurde George deutlicher. »Sie
müssen die Maschine aufhalten! Sie verstehen nicht. Unsere
Sachen sind da drin. Weisen Sie die Maschine an zu warten,
bis wir an Bord sind!« verlangte er.
»Sir«, versuchte ich es auf die sanfte Tour. »Wir sind die
Schauspieler von Star Trek, und wir müssen diese Maschine
erreichen.«
Ein zweiter Angestellter, der uns erkannte, versuchte zu
helfen. »Ich glaube, das läßt sich machen«, sagte er. Aber der
Mann am Schalter ließ sich nicht erweichen, und George und
ich sahen ungläubig zu, als das Flugzeug anrollte.
»Ich verlange, daß Sie die Maschine sofort zurückholen!« rief
George mit gerötetem Gesicht. »Das kostet Sie Ihren Kopf!«
Als das Flugzeug auf die Startbahn rollte, ergab ich mich in
unser Schicksal. Wir saßen fest, waren hier gestrandet, und es
gab nichts, was wir dagegen tun konnten.
»George, bitte beruhige dich«, sagte ich beschwichtigend.
»Aber Nichelle!« Mittlerweile bekam George keinen Ton
mehr heraus; er konnte nur noch auf das Flugzeug starren und
zusehen, wie es in den Wolken verschwand.
Natürlich bekamen wir schließlich einen Flug, aber als ich
Dee das nächste Mal sah, stellte ich ihn zur Rede. »Ihr habt
doch gewußt, daß wir im Terminal waren, und ihr habt gewußt,
daß wir zurück ins Flugzeug kommen sollten. Warum zum
Teufel habt ihr nicht Bescheid gesagt, damit sie auf uns
warten?«
Dee lächelte. »Aber Nichelle«, sagte er, »wie hätten wir das
tun können? Der Gedanke, daß du und George dort gestrandet
sind und zusehen müssen, wie das Flugzeug ohne euch startet
– das war einfach zu witzig! Wir konnten nicht widerstehen.
Wir haben bis Los Angeles gelacht.«
Man sagt, jede Geschichte hat zwei Seiten, und so
überraschte es mich nicht, daß George dieselbe Geschichte
erzählte, nur mit ein paar kleinen Unterschieden.
Beispielsweise ist in seiner Version er derjenige, der
beherrscht blieb. Dafür erzählte er: »Nichelle warf ihren Pelz
zu Boden.« Vielleicht werde ich George eines Tages daran
erinnern, daß wir Sommer hatten.
Aber das ist nicht die einzige von Georges ›Geschichten‹, die
ich zurechtrücken mußte. Bei einer der frühen Conventions
kamen die Organisatoren zu uns und fragten, ob wir uns eine
Minute Zeit nehmen könnten, bevor wir die Bühne betraten,
um einen ganz besonderen Fan kennenzulernen. Anscheinend
waren Sulu und Uhura seine Lieblingscharaktere, und er war
erst elf oder zwölf, also taten wir es natürlich. Er war ein
wunderbarer chinesischer Junge, und es machte soviel Spaß,
miterleben zu dürfen, wie glücklich er war. Vor allem,
nachdem George ihn gefragt hatte, ob er nicht mit uns auf die
Bühne gehen wolle.
Dieser Junge war so aufgeregt, daß ich schon befürchtete, er
würde explodieren. Sie kündigten uns an, und George und ich
nahmen – mit dem Jungen im Schlepptau – unsere Plätze ein.
Nachdem sich der Applaus gelegt hatte, -wandte sich George
ans Publikum. »Es ist großartig, euch alle wiederzusehen.
Danke, daß ihr heute gekommen seid. Wie ihr wißt, haben
Nichelle und ich viele von euch einige Jahre nicht mehr
gesehen, und seitdem ist viel geschehen. Nichelle und ich sind
sehr stolz, euch unseren Sohn vorzustellen, das Kind unserer
Liebe.«
Ich glaubte mich verhört zu haben! Und nach dem erstaunten
Aufstöhnen zu urteilen, das durchs Publikum ging, war ich
nicht die einzige. Der Junge schien glücklich, wenn auch etwas
verwirrt, und hinterher lachten alle, da es sich offensichtlich
um einen Witz handelte, nicht wahr? Sie würden überrascht
sein, wie viele Leute mich bis zum heutigen Tage nach meiner
›Affäre‹ mit George fragen und sich nach unserem ›Sohn‹
erkundigen.

Als die Kinopremiere von Star Trek IV: The Voyage Home
näherrückte, befand sich die Fernsehserie seit siebzehn Jahren
in der Syndication. Obwohl die Serie mehr Zuschauer als
jemals zuvor hatte, kam man nicht um die Tatsache herum, daß
die neunundsiebzig Episoden von Star Trek Classic nicht ewig
laufen würden. Die Fans liebten sie noch immer, aber nach
dem spektakulären Erfolg des Films muß sich jemand in der
Buchhaltung des Senders gefragt haben, wie Paramount noch
mehr von Star Trek profitieren konnte.
Im Oktober 1986, etwa sechs Wochen vor der Premiere von
Star Trek IV, erhielt ich mehrere Anrufe von Journalisten aus
aller Welt. »Was halten Sie von der neuen Star Trek-
Fernsehserie«, lautete die Frage.
Ich war völlig überrascht, nicht nur, weil sie mich auf
meinem Privatanschluß anriefen – dessen Nummer meiner
Meinung nach geheim war –, sondern auch wegen der Frage.
Eine Fernsehserie? Was für eine Fernsehserie? Es hatten in den
vergangenen zwei Jahren Gespräche stattgefunden, mit der
Stammbesetzung eine neue Fernsehserie oder Miniserie zu
drehen, aber soweit ich wußte, hatte es da nichts Endgültiges
gegeben. »Ich finde, das sollten Sie lieber direkt Paramount
fragen«, sagte ich schließlich, nachdem ich eine Zeitlang den
Fragen ausgewichen war.
»Ja, gut, aber was fühlen Sie? Wie ist Ihre Reaktion?«
Ich war mir einfach nicht über meine Gefühle im klaren, als
ein Bekannter von Paramount anrief. »Du weißt das nicht von
mir, aber heute nachmittag gibt das Studio eine
Presseerklärung über eine neue Star Trek-Serie mit einer völlig
neuen Stammbesetzung heraus. Sie wird The Next Generation
heißen. Ich fand, du solltest es wissen, bevor du es aus anderer
Quelle erfährst.«
»Ach darum geht es«, erwiderte ich.
»Wovon sprichst du?«
»Ich habe den ganzen Morgen Anrufe aus aller Welt
bekommen – aus England, Deutschland, Japan.«
»Oh, es tut mir leid. Ich hatte gehofft, dich vor ihnen zu
erwischen, aber wir haben es selbst eben erst erfahren.«
Ich dankte meinem Freund, der hier namenlos bleiben soll,
und legte – stinkwütend auf Gene – den Hörer auf. Was fiel
ihm ein, mich – und vermutlich jeden anderen der alten
Stammbesetzung auch – in eine derartige Situation zu bringen?
Was er anderen über seine Geschäfte erzählte, war seine
Sache, und ich konnte verstehen, warum er manchen Leuten
gegenüber nicht sonderlich offen war, aber wir waren auch
außerhalb des Geschäfts befreundet gewesen.
»Verdammt, Gene, ich kann nicht glauben, daß du mich
derart im unklaren gelassen hast«, sagte ich kurz darauf zu
ihm. »Es war peinlich und demütigend, über etwas gefragt zu
werden, von dem jeder annahm, ich wüßte darüber Bescheid.«
»Ja, ich verstehe deinen Standpunkt«, erwiderte er ruhig.
»Aber das war ein Bestandteil des Deals. Wir mußten es
geheimhalten und durften es nicht jedem X-beliebigen sagen.«
»Gene, ich bin nicht jeder X-beliebige, und das weißt du!«
fauchte ich.
»Nein, Nichelle, das bist du nicht. Aber wärst du öfter
vorbeigekommen und hättest dich mehr auf dem laufenden
gehalten, was mich betrifft, hättest du es auch gewußt.«
Genes Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Was sollte
das denn heißen? Wir sahen einander bei gesellschaftlichen
Anlässen, manchmal trafen wir uns zum Mittagessen. Als ein
Freund wußte er, daß er sich immer auf mich verlassen konnte.
Das hätte ich ihm sagen können, aber in der Hitze des
Augenblicks konnte ich ihm nur zwei Worte
entgegenschleudern. »Du Bastard!«
Gene verzog keine Miene. Er zuckte nur die Achseln und
schenkte mir ein jungenhaftes Grinsen, als wollte er sagen:
»Tja, als hättest du nicht gewußt, daß ich mich so verhalten
kann«, doch ich konnte auch sehen, daß er verletzt war.
Schließlich dämmerte mir nach all diesen Jahren, daß ich
immer noch etwas Besonderes für ihn war. Das soll nicht
heißen, daß er verliebt in mich war oder die Möglichkeit
bestand, unsere romantische Beziehung wiederaufzunehmen.
Es war etwas Tieferes und viel Komplizierteres als das. Er
hatte in Majel eine große, wunderbare Liebe gefunden, doch er
hatte nie die Tatsache überwinden können, daß ich ihn aus
freien Stücken verließ, ohne darum gebeten oder gar
gezwungen zu werden. »Wie konntest du das nur tun?« fragte
er mich im Laufe der Jahre immer wieder.
Ich glaube nicht, daß ich jemals mit Sicherheit sagen kann,
worum genau es hierbei eigentlich ging. Etwas an mir und der
Art, wie sich unsere Beziehung entwickelt hatte, störte ihn.
Ging es darum, daß ich, seiner Meinung nach, nicht für ihn da
war? Nahm er es mir übel, daß ich die Kraft gehabt hatte, all
diese Jahre die Distanz zu wahren? Hatte er mir jemals
verziehen, daß ich ihn verließ? Hatte er aus diesem Grund
verhindert, daß ich von Star Trek zu Mannix wechselte? Für
jemanden, der die meiste Zeit so warmherzig, großzügig und
aufrichtig wie er war, konnte er auf geradezu peinliche Weise
kleinlich sein.
Trotzdem freute ich mich für Gene. Es gibt nicht viele Leute,
die eine solche zweite Chance erhalten. Zum erstenmal hatte
Gene die volle kreative Kontrolle, ein ordentliches Budget und
die Freiheit, die sich einstellt, wenn man eine Serie direkt an
die Syndication verkauft. Am Ende konnte er eine Serie
produzieren, deren Stammbesetzung wirklich international
war. Obwohl sich die Fans nicht sofort mit der Serie
anfreunden konnten, wurde sie schließlich doch recht populär.
»Das ist doch eine recht schizophrene Situation für dich«,
bemerkte ich etwa ein Jahr später zu Gene. »Du hast zwei
Kinder. Das ältere hat man dir entführt, aber es ist
zurückgekehrt und liebt dich noch immer. In der Zwischenzeit
hast du ein neues Kind bekommen, das du viel mehr liebst als
den armen Kleinen, den man dir weggenommen hat.«
»Du konntest schon immer mit Worten umgehen«, sagte er
mit einem Lächeln. Und er wußte, daß ich recht hatte. Ich kann
es Gene nicht verübeln, daß er der ersten Serie manchmal
ambivalente Gefühle entgegenbrachte. Sie war für ihn zugleich
Fluch und Segen; man würde sich ihretwegen für alle Zeiten an
ihn erinnern, jedoch würde er ihr niemals entkommen und sie
nie voll kontrollieren können.
Einen Monat nach Ankündigung der neuen Serie hatte Star
Trek IV: The Voyage Home Premiere, wurde von der Kritik
gelobt und hatte großen Erfolg an der Kinokasse. Jeder der
Mitwirkenden war der Meinung, daß es ein fast perfekter Film
war. In der letzten Szene wird die Crew mit Ausnahme von
Kirk von der Anklage freigesprochen, und seine ›Bestrafung‹
ist das Kommando über ein neues Schiff, das den Namen
Enterprise trägt. Als Resultat seiner Degradierung würde er im
nächsten Film nicht als Admiral, sondern als Captain
zurückkehren. Hinter den Kulissen wartete jedoch eine
Beförderung auf Bill, vom Star zum Regisseur.
12

Bei der Arbeit an Star Trek V: The Final Frontier entdeckte


ich eine ganz neue Seite an Bill Shatner: Er war ein großartiger
Regisseur. Hilfreich, ermutigend, inspirierend – Bill entpuppte
sich als einer der besten, respektvollsten Regisseure, für die ich
je gearbeitet habe. Selbst Jimmy Doohan, dessen Abneigung
Bill gegenüber allgemein bekannt ist, gab zu, daß er ein
ausgezeichneter Regisseur ist. Es war schon eine Ironie, daß
Bill in dieser Funktion wesentlich menschlicher daherkam, als
er es als Schauspieler jemals gewesen war. Was uns alle bei
der Arbeit mit ihm die Wände hochgetrieben hatte, war nichts
anderes als der Versuch gewesen, Regie zu führen. Dies wurde
mir nun klar. Was auch immer der Grund dafür war, Bill
mußte alles um sich herum kontrollieren; er mußte der
Mittelpunkt sein. Es waren nicht so sehr diese Bedürfnisse, die
ihn als Schauspieler so unmöglich machten, sondern die Dinge,
die er tat, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Da seine
Autorität im Regiestuhl nicht in Frage gestellt war, wurde Bill
ein Mitglied des Teams, wenn auch nur für kurze Zeit.
Es wäre glatt untertrieben, hätte man behauptet, daß es den
meisten von uns davor graute, vor einer Kamera zu stehen,
hinter der Bill die Befehle gab. Nachdem wir sein anmaßendes
Benehmen am Set zwanzig Jahre ertragen mußten, war unser
Unbehagen vor dem Drehbeginn zu Star Trek V nicht
unbegründet. Im Verlauf der ersten vier Filme war Bills
Verhalten seinen Kollegen gegenüber so destruktiv geworden,
daß in dem Augenblick, in dem er eine Szene unterbrach und
Änderungen an der Szene, dem Drehbuch, den
Bewegungsabläufen – was auch immer – verlangte, alle in
gewisser Weise erstarrten. Da die Regisseure nicht fähig oder
willens waren, ihn mit einem klaren Nein in die Schranken zu
weisen, zogen sich die Diskussionen oftmals hin, brachten
dadurch den Fluß einer Szene zum Erliegen und zerstörten
unsere Konzentration als Schauspieler.
Obwohl Bill gelegentlich bei Fernsehproduktionen Regie
geführt hatte, ist es zweifelhaft, daß man ihn für diesen ganz
besonderen Captainsessel ausgesucht hätte, wäre da nicht diese
Gleichberechtigungsabmachung mit Leonard gewesen. Zu
diesem Zeitpunkt hatte Leonard nicht nur bei beiden
vorherigen Filmen Regie geführt; er hatte auch die Story von
Star Trek IV geschrieben. Lange vor Fertigstellung dieses
Films hatte Bill die grundsätzliche Prämisse für sein Debüt als
Filmregisseur entwickelt. Wir von der Enterprise hatten die
Erde zahllose Male gerettet und die erstaunliche Fähigkeit
bewiesen, im Universum Dinge aufzuspüren, von einem
regenerierten Vulkanier bis hin zu zwei Walen. Gewiß gab es
noch zahllose Geheimnisse, die ihrer Entdeckung harrten, doch
Bill beschloß, sich auf das größte aller Abenteuer zu begeben:
der Suche nach Gott.
So interessant sich das Konzept auf dem Papier auch anhörte,
brachte es doch eine Menge Schwierigkeiten mit sich, nicht
zuletzt das Problem, daß nur wenige Leute glauben, man
könnte Gott einfach so wie eine Kiste Dilithiumkristalle
aufspüren – nicht einmal in der Zukunft, nicht einmal in der
Science Fiction. Man kann Gott nicht einfach ›finden‹, und
selbst wenn, wie soll man Gott darstellen, damit die Zuschauer
es auch verstehen und nachvollziehen können? Das würde
jeden Regisseur vor große Herausforderungen stellen, aber
gerade bei Star Trek war diese Idee erst recht undurchführbar.
Gene Roddenberry hatte sich bereits bei der Planung der
Fernsehserie geweigert, die Enterprise mit einem Geistlichen
zu versehen, und während der Dreharbeiten zum zweiten Film
hatte er sich gegen eine Totenmesse für Spock ausgesprochen,
da sie ihm zu christlich orientiert erschien; er hatte stets dafür
gesorgt, daß sich Star Trek von allen direkten religiösen
Folgerungen oder Botschaften fernhielt. Bills Pointe bei der
Geschichte war die Idee, daß sich das, was ursprünglich für
Gott gehalten wurde, später als der Teufel oder eine andere
böse Macht herausstellte, aber Gene und etliche andere, zu
denen auch unser Produzent Harve Bennett gehörte, hielten
dies für ein abgenutztes Konzept, das schmerzlich die
aufregenden Wendungen vermissen ließ, die die Fans
erwarteten.
Nachdem Gene sich kritisch über die Idee geäußert hatte,
nahmen sich Harve, Leonard und andere noch einmal das
Drehbuch vor und veränderten die Schlüsseldetails, so daß es
bei der Story hinterher weniger um die Suche nach Gott als die
Suche nach der Wahrheit ging. Der Plot dreht sich um einen
spirituellen vulkanischen Fanatiker namens Sybok, der sich als
Spocks Halbbruder aus Sareks erster Ehe entpuppt. Sybok hat
der Philosophie der Logik entsagt und will seine Anhänger zu
Gott führen, der seiner Überzeugung nach in irgendeiner
physischen Form im Mittelpunkt der Galaxis an einem Ort
namens Sha Ka Ree existiert. Sybok bringt mit Hilfe einer
Abart der vulkanischen Bewußtseinsverschmelzung die
Enterprise unter seine Kontrolle, indem er jede Person von den
schmerzlichen Gefühlen befreit, die sie sonst ihr Leben lang
mit sich tragen muß.
Das war ein weiterer wenig gelungener Aspekt des
Drehbuchs, aber diesmal kam die Kritik von einigen der
Darsteller. Sowohl Leonard als auch Dee waren der Meinung,
daß sich ihre Charaktere niemals mit Sybok gegen Kirk
verbünden würden, egal, was auch passierte. Am Ende stehen
sie dann auch treu zu Kirk, obwohl sie beide ihre
schmerzlichsten Erlebnisse noch einmal erleben müssen –
Spock wird mit der Ablehnung seines Vaters konfrontiert,
während Pille Euthanasie praktiziert, um seinem sterbenden
Vater weitere Qualen zu ersparen.
Als das fertige Drehbuch vorlag, gab es die nächsten
Verzögerungen, da Leonard erst den Film The Good Mother
fertigstellen mußte und ein Autorenstreik Hollywood
lahmlegte. Aus verschiedenen Gründen überschritt der Film
bald sein Budget, also mußte bei den Spezialeffekten der
Rotstift angesetzt werden. Das war besonders ungünstig, da
seit dem Debakel beim ersten Film alle Star Trek-Filme visuell
atemberaubend gewesen waren und glaubwürdige,
atemberaubende Spezialeffekte präsentierten. Leider machten
wir mit Star Trek V einen großen Schritt zurück, was für Bill
ein großes Pech war. Bestimmte Szenen wie jene, in der Scotty
und Uhura sich allem Anschein nach lieben, fügten sich nie
richtig ins Gesamtbild ein. Und einige unvergeßliche
Augenblicke – wie die Szene, in der Kirk wissen will, warum
›Gott‹ ein Raumschiff braucht – bleiben aus den falschen
Gründen unvergeßlich.
Der Film beginnt damit, daß man die Mannschaft der
Enterprise plötzlich in den Einsatz ruft und nach Nimbus III
schickt, den sogenannten Planeten des Galaktischen Friedens,
wo der messianische Sybok Botschafter der Klingonen,
Romulaner und der Vereinten Föderation der Planeten als
Geiseln hält. Kirk, Spock, McCoy und die anderen versuchen
die Geiseln in einem nächtlichen Kommandounternehmen zu
befreien, aber als sich Kirk einer Gruppe von Syboks
Anhängern gegenübersieht, befiehlt er Uhura, ein
Ablenkungsmanöver zu starten. Unser Produzent Harve
Bennett erklärte, Uhura würde die Aufmerksamkeit von
Syboks Männern mit einem sinnlichen, nächtlichen Tanz auf
einer Bergspitze auf sich lenken.
»Es soll aussehen, als wären Sie tatsächlich nackt«, sagte er,
»darum stört es uns nicht, wenn Sie für den Tanz ein
Körperdouble wünschen.«
»Nur über meine Leiche!« erwiderte ich. »Harve, ich bin in
großartiger körperlicher Verfassung. Doch ich möchte nicht
völlig nackt auftreten, also lassen Sie uns einen G-String
benutzen.«
»Okay. Noch etwas anderes, Uhura soll singen, eine Art
Sirenengesang. Wir haben uns noch nicht genau entschieden,
was es sein soll, aber endlich wird die Welt Ihre wunderschöne
Stimme hören.«
»Ich habe da das perfekte Lied, und wenn es Ihnen gefällt,
können Sie es haben«, erwiderte ich aufgeregt. Das letzte Jahr
war ich mit meiner Soloshow Reflections aufgetreten, in der
ich eine Reihe berühmter schwarzer Entertainerinnen
darstellte, darunter auch die Tänzerin Katherine Dunham
(wissen Sie noch?). Für diese afrokubanische Tanznummer
hatte Jim ein Lied mit dem passenden Titel ›Hauntingly‹
komponiert, ein wunderschönes Liebeslied, das Sätze auf
Suaheli und eine beinahe unheimliche, urtümliche Melodie
miteinander verschmolz. Harve sagte, er würde sich das Lied
anhören. »Aber ich kann Ihnen nichts versprechen«, warnte er
mich dann. Natürlich war mir klar, daß die Entscheidung nicht
allein bei ihm lag, und obwohl ich hoffte, er würde
›Hauntingly‹ nehmen, hätte ich verstanden, wenn er darauf
verzichtete.
Nimbus III war in Wirklichkeit Death Valley, wo die
Temperaturen am Tag auf sengende 40 Grad kletterten, um
nachts fast bis auf den Gefrierpunkt zu sinken. Zwischen den
Einstellungen für den Tanz kuschelte ich mich in eine dicke
Armeejacke, aber sobald Bill »Action!« rief, stand ich fast
nackt da und tanzte wieder und wieder ›Hauntingly‹. Mir
klapperten die Zähne, der Sand unter meinen nackten Füßen
war trügerisch und gab ständig nach, und die ganze Szene
schien zum Scheitern verurteilt. Die Crew brachte mich zum
Lachen, sie machten schmeichelnde und anzügliche
Bemerkungen über meine Beine, und Bill hätte nicht netter
sein können, während wir erst die eine Einstellung aus diesem
Kamerawinkel und dann die nächste aus einem anderen
Winkel und so weiter drehten. Wir saßen alle in demselben
kalten, sandigen Boot, und obwohl sich das meiste Material,
das wir in dieser Nacht verfilmten, hinterher als unbrauchbar
herausstellte, war es doch lustig gewesen.
Zurück in L.A. drehten wir dieselbe Szene noch einmal,
diesmal aber in einem Studio, wo ich auf einer mit Sand
bedeckten Bühne stand. Warum alle der Meinung waren, der
neue, importierte Sand würde im Gegensatz zum Sand in der
Wüste nicht ständig rutschen, werde ich wohl nie begreifen;
auf jeden Fall hatten wir so ziemlich die gleichen Probleme
wie bei den Außenaufnahmen, nur daß es nicht annähernd so
kalt war und Bill die beiden Monde von Nimbus III ins Bild
bekam. Die Musik und mein Gesang sollten später
nachsynchronisiert werden.
Die Dailies wurden eilig entwickelt, und Bill, Harve und
andere, Gene eingeschlossen, sahen sie sich jeden Tag an.
Nachdem Gene sich einige Einstellungen angesehen hatte, rief
er mich an. »Nichelle, wir müssen uns zum Essen treffen«,
sagte er drängend.
»Wir haben uns zwar schrecklich lange nicht mehr zum
Essen getroffen, aber von mir aus.«
»Ich weiß, ich weiß, aber du mußt mich zum Essen treffen, in
der Kantine von Paramount.«
Ein paar Tage später trafen wir uns, und es war wunderbar.
Ich mußte daran denken, wie oft wir einander sahen, aber wie
selten sich die Gelegenheit bot, einmal ganz privat unter uns zu
sein, und wie sehr ich seinen scharfen Verstand und sein
Lächeln vermißte.
»Ich muß dich etwas fragen«, sagte er, und seine Augen
funkelten durchtrieben. »Ich habe die Dailies von deinem Tanz
gesehen.«
»Und?« fragte ich, davon überzeugt, er würde sagen, daß er
die Szene haßte.
»Sind das wirklich deine Beine?«
»Gene! Natürlich sind das meine Beine!«
»Ich weiß, daß das vor fünfundzwanzig Jahren deine Beine
waren, aber heute? Hast du noch immer diese Beine?«
»Aber sicher!« Es war, als würde ein Vierteljahrhundert von
mir abfallen. »Ist das der wahre Grund für dieses Essen?«
fragte ich mit vorgetäuschtem Mißtrauen.
»O ja«, erwiderte er. »Nichelle, du sorgst dafür, daß sich ein
alter Mann sehr gut fühlt.«
Wir lachten beide, und ich dachte, welch ein Glück, daß ich
einen Freund wie Gene hatte. Wir unterhielten uns eine
Zeitlang über die alten Zeiten, dann fixierte Gene mich mit
einem sehr ernsten Blick. »Weißt du, eines Tages wirst du
unsere Geschichte erzählen.« Es war das erste Mal, daß er mir
dies sagte, aber es sollte nicht das letzte Mal sein.
Während der monatelangen Dreharbeiten, dem Schnitt und
der Nachproduktion ließ mich Harve Bennett in dem Glauben,
daß sie ›Hauntingly‹ in der Wüstenszene benutzen würden,
und wenn doch nicht, ich zumindest dieses Lied singen würde.
Schließlich nahm mich Harve beiseite und sagte mir, so sehr
ihm und Bill ›Hauntingly‹ auch gefiele, hätten sie alle
Entscheidungen über die Musikauswahl an Jerry Goldsmith
abtreten müssen. Ich war enttäuscht, aber nicht überrascht; so
funktioniert das Showbusineß nun einmal. Ich trug ihm nichts
nach.
Mehrere Wochen später mußte ich zum ›Looping‹; dabei
synchronisiert der Schauspieler den Text einer bereits
gedrehten Szene nach, da er beispielsweise von
Hintergrundgeräuschen unkenntlich gemacht wurde oder der
Regisseur sich einen anderen Effekt wünscht. Normalerweise
braucht man drei, vier Tage, um jede Rolle nachzubessern, und
da ich meine Gesangsnummer bis jetzt noch nicht
aufgenommen hatte, nahm ich an, nach dem ›Looping‹ sei es
soweit. Seit dem Ende der Dreharbeiten war ich etwa bei
einem Dutzend Conventions aufgetreten. Alle Fans wußten,
daß ich sang, also würden sie die Nachricht, daß Uhura im
neuen Film eine Gesangsnummer hatte, mit Begeisterung
aufnehmen. Ich hatte darauf geachtet, nichts darüber verlauten
zu lassen, bis ich von Harve die Bestätigung hatte, daß ich
auch tatsächlich singen sollte. Ich hatte ihn mehrmals gefragt,
und er hatte es jedesmal bestätigt.
Der erste, dem ich im Studio über den Weg lief, war Bill.
»Hi, Baby!« sagte er lächelnd. »Es ist wirklich zu schade
wegen der Musik, denn du hättest es bestimmt genausogut
gemacht.«
Die Überraschung in meinem Gesicht verriet ihm sofort, daß
mir das neu war. Es dauerte nur Sekunden, bis ich begriff, daß
Bill gerade die Katze aus dem Sack gelassen hatte. Als Harve
hereinkam, war er sehr aufgebracht, aber nur weil man ihn mit
heruntergelassenen Hosen erwischt hatte, um es einmal so
auszudrücken. Star Trek V war der vierte Film, den wir mit
ihm machten. Er war unbestritten ein guter Produzent, der die
Filme zum vorgegeben Termin und ohne Überziehung des
Budgets ablieferte. Aber persönlich tat er wenig, um sich bei
der Stammbesetzung beliebt zu machen.
»Tja, Nichelle, ich hätte Sie anrufen sollen«, sagte er lahm.
»Aber ich habe Ihnen gesagt…«
Ich war am Boden zerstört und der Meinung, er wäre nicht
ehrlich zu mir gewesen. Mühsam hielt ich die Tränen zurück.
»Nein! Sie haben mich vor allen Fans in Verlegenheit
gebracht. Ich habe Ihnen vertraut, und das werde ich Ihnen
niemals verzeihen, Harve. Niemals.«
Weder Bill noch Harve wußten, was sie sagen sollten, was
vielleicht auch ganz gut für sie war. Als ich den fertigen Film
das erste Mal sah, in dem die Sängerin einer Rockgruppe
namens Hiroshima mein Lied vorträgt, dachte ich, ich würde
sterben. Bis zum heutigen Tage glauben viele Leute, sie
würden meine Stimme hören.
Trotz der Probleme, die sich bei der Herstellung eines Films
ergeben, hat man immer die Hoffnung, daß ein bißchen
Zauberei beim Schnitt oder ein unerwarteter Wechsel im
Publikumsgeschmack ihn doch noch zum Gewinner machen.
Bei Star Trek V: The Final Frontier war das nicht der Fall, und
wir waren alle enttäuscht, als der Film sich an der Kinokasse
gegen ein paar Hits – unter anderem Batman – nicht behaupten
konnte. Harve war – wie andere auch – davon überzeugt, daß
Star Trek: The Next Generation uns die Zuschauer wegnahm,
aber das war absurd, wie der nächste Film beweisen sollte. Zu
Bills Ehre muß man sagen, er war in der Presse sehr offen, was
die gemachten Fehler anging, und nahm seinen Teil der Schuld
auf sich.
In dem Jahr zwischen der Premiere von Star Trek V und der
Ankündigung, daß es vermutlich einen sechsten Film geben
würde, versuchte Harve erneut, das Starfleet Academy-Konzept
aus der Schublade zu holen und ohne die Stammbesetzung zu
verwirklichen. Wieder setzte sich Gene vehement dagegen zur
Wehr. »Starfleet Academy wird nur über meine Leiche
produziert«, teilte er Harve mit. »Nun, das geht in Ordnung«,
soll Harve erwidert haben. Ich bin mir nicht sicher, was Harve
damit zu erreichen glaubte, indem er Gene, Leonard, mich, den
Rest der Stammbesetzung und die Fans gegen sich aufbrachte.
Die Letztgenannten erwiesen sich dann auch als Harves
Verhängnis, als sie Paramount mit Briefen bombardierten, die
sich gegen die geplante ›Vorgeschichte‹ aussprachen. Es war
eine Ironie, daß Harve Starfleet Academy – und die aller
Voraussicht nach neue Stammbesetzung, die dafür gebraucht
wurde – als Möglichkeit verteidigte, das ›Produkt‹ Star Trek
weiter auszubauen, während er The Next Generation die
Schuld für das schlechte Abschneiden des fünften Films an der
Kinokasse gab. Wenn er Genes zweite Fernsehserie als
Konkurrenz für die alte Stammbesetzung sah, was war dann
die dritte, neue Stammbesetzung, die er vorschlug?
Offensichtlich hätte es ihm gefallen, Star Trek ohne uns
weiterzuproduzieren.
Harve war nicht der einzige, der die Meinung vertrat, Gene
und wir Schauspieler hätten zuviel zu sagen. Jeder von uns
brachte seine Meinung über das Drehbuch zum Ausdruck;
wenn uns etwas an unseren Charakteren oder unserem Text
verkehrt oder im Widerspruch zu den etablierten Star Trek-
Parametern vorkam, sagten wir es. »Ich hatte ein Leben, es ist
ja nicht so, daß ich vor Star Trek nichts gemacht hätte«, hat
Harve bei einer Gelegenheit über seine Erfahrungen mit uns
gesagt. »Der Star Trek-Fluch ist etwas, mit dem die
bedauernswerten Schauspieler leben müssen, aber ich nicht.«
Ich glaube, man kann verstehen, warum Harve ausstieg, und
als Star Trek VI: The Undiscovered Country – gedreht nach
einem Konzept von Leonard und auch von ihm produziert –
1991 ein unglaublicher Erfolg wurde, freuten wir uns
besonders.
Als wir uns dem fünfundzwanzigjährigen Jubiläum der
Fernsehserie näherten, wurde wohl jedem plötzlich bewußt,
wieviel Zeit vergangen war. In den Achtzigern hatten sowohl
Jimmy als auch Gene beinahe tödliche Herzinfarkte erlitten.
Nichts schien die Begeisterung der Fans schmälern zu können.
Die Conventions wurden immer größer, und wir entdeckten
Trekker an den unerwartetsten Orten.
Wie dem Buckingham Palast. Als George anrief, um die
Einladung von Prinz Andrew und der Herzogin von York
weiterzugeben, nahm ich voller Begeisterung an. Andrew und
Fergie veranstalteten ein großes Wohltätigkeitsfest für ein
Kinderhospital, das ihnen ganz besonders am Herzen lag, und
man bat um unsere Anwesenheit bei einem Polospiel, dem Tee
und beim Tontaubenschießen. Als George und ich eintrafen,
entdeckten wir, daß wir die einzigen anwesenden Amerikaner
waren; alle andere Gäste waren britische Film- und
Theaterstars. Andrew, der Inbegriff des Charmes, und Fergie,
so freundlich, dabei aber mit beiden Beinen fest im Leben
stehend, schlugen uns in ihren Bann.
Ich werde diesen Tag bis an mein Lebensende nicht
vergessen, und George wird mir deshalb auch niemals richtig
verzeihen. Zu unseren Ehren veranstalteten Andrew und Fergie
ein Tontaubenschießen, das dem Weltraumzeitalter entsprach.
Es war schon etwas Besonderes, die Tontauben mit
Laserstrahlen zu ›treffen‹ statt mit Schrot. Es war ein sonniger
Junitag, doch es wehte ein so starker Wind, daß mein
breitkrempiger Strohhut jeden Augenblick fortzufliegen
drohte. Ich glaube, ich habe ihn keine zwei Sekunden
losgelassen.
Andrew und Fergie entschieden, daß das Laser-
Tontaubenschießen ein Wettbewerb sein sollte, mit den
Männern auf der einen und den Frauen auf der anderen Seite.
Das Gewehr unter dem rechten Arm geklemmt hielt ich den
Hut mit der linken Hand fest, mein schönes Seidenkleid
flatterte im Wind – ich bot einen prächtigen Anblick. Doch aus
Respekt meinen königlichen Gastgebern gegenüber war ich
fest entschlossen, mich so schicklich wie nur möglich zu
benehmen. Natürlich wäre mir nie im Traum eingefallen, den
Hut abzunehmen, um wie jeder andere auch das Gewehr mit
beiden Händen zu halten. Und ich wollte auf jeden Fall am
Wettbewerb teilnehmen. Als ich an die Reihe kam, schwang
ich das Gewehr gen Himmel, drückte es gegen die Hüfte und
landete einen Treffer. George führte die Gruppe an, die über
meinen blinden Glückstreffer lachte, aber sie lachten nicht
lange. Bei jedem Schuß leuchtete die elektronische
Trefferanzeige auf wie ein Flipper.
Ob es nun Zufall oder Anfängerglück war, kann ich wirklich
nicht sagen. Tatsache ist, ich zog jedem die Hosen aus, George
eingeschlossen, der schwor, mir niemals zu vergeben, daß ich
ihm die, wie wir sie heute nennen, ›Königliche Tontauben-
Szene‹ gestohlen hatte. Beim Tee konnte der anglophile
George richtig glänzen. Sein britischer Akzent war perfekt,
sein kleiner Finger war im richtigen Winkel abgespreizt, und
so gab er sich als großzügiger Verlierer. Es war ein
wunderbarer, unvergeßlicher Tag.
In der Zwischenzeit hielten Fans auf der ganzen Welt das
Star Trek-Vermächtnis am Leben. Mir hat der Kontakt mit den
Fans immer gefallen, und sie stellen ein unbezahlbares
Informationsnetzwerk dar. Ich glaube, es war in den
Achtzigern, als ein paar Leute behutsam anfragten, ob wahr
sei, was Gene über mich gesagt hatte. Und was sollte das sein?
fragte ich im Gegenzug. Daß er und Sie… Nachdem ich dieses
Geheimnis so viele Jahre eifersüchtig gehütet hatte, lachte ich
bloß. »Oh, daß Gene und ich…«, erwiderte ich und beließ es
dabei.
Der erste Hinweis, daß er die Sache mittlerweile anders sah,
ergab sich bei einer Veranstaltung, die Lockheed in San
Francisco ausrichtete und bei der ich ihm einen Preis übergab.
Mein Auftritt sollte eine Überraschung sein. Gene und ich
hatten zwar im selben Flugzeug gesessen, aber ich hatte ihn
davon überzeugt, auf dem Weg zu einem neuen reichen Freund
zu sein.
Nachdem ich ihm die Auszeichnung übergeben hatte und der
Applaus abebbte, verblüffte er alle Anwesenden. »Nichelle
schafft es immer wieder, mich zu überraschen. Dafür habe ich
sie schon immer geliebt.«
Wie gewöhnlich kommentierte ich den Witz mit einem
Lächeln, davon überzeugt, er würde mit seiner Dankesrede
weitermachen. Statt dessen sagte er: »All diese Jahre ist diese
Frau nicht nur eine großartige Schauspielerin gewesen,
sondern auch eine großartige Lady. Und was die meisten nicht
wissen: Hätte sie ihre Karten richtig ausgespielt, wäre sie
vielleicht Mrs. Roddenberry geworden.«
Ich schrieb diese Indiskretion einem Augenblick der
Unachtsamkeit zu, aber während der ganzen achtziger Jahre
kam das Thema immer wieder zur Sprache. »Gene, hast du
anderen von uns erzählt?« fragte ich ihn eines Tages beim
Mittagessen.
Als er aufsah, konnte ich einen Hauch verletzter Gefühle in
seinem Blick erkennen. »Ich schäme mich deswegen nicht«,
erwiderte er. »Und du?«
»Ich schäme mich deswegen auch nicht, aber…«
»Es war eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens«,
fuhr er fort. »Ich habe damit kein Problem.«
»Nun, das ist alles schön und gut, Gene. Aber ich finde,
Diskretion ist der bessere Teil der Tapferkeit. Du bist mit
Majel verheiratet, und du hast einen jungen Sohn.«
»Er weiß davon.«
Ich war fassungslos und erkannte, daß Gene meine Bedenken
nicht teilte. In seinen Augen stimmte alles, was er sagte, wieso
also konnte es falsch sein? Wenn es andere Leute störte, dann
war das ihr Problem. Vielleicht war ich altmodisch, aber ich
war nicht seiner Meinung.
Ein paar Jahre später machten wir alle kurz vor Genes Tod
eine Star Trek-Kreuzfahrt zu den Bermudas; Gene und
natürlich Majel sowie einige der Darsteller der Originalserie
und von The Next Generation. Etwa zwanzig Mann hatten sich
in Genes Kabine getroffen, um sich zu unterhalten und etwas
zu trinken. Gene saß da schon im Rollstuhl, und einigen der
Leute, die eng mit ihm zusammenarbeiteten, war bekannt, daß
er wegen der Medikamente und seiner angegriffenen
Gesundheit gelegentlich unter Phasen kurzzeitiger Verwirrung
litt. Vermutlich hielten ein paar von ihnen einen solchen
Augenblick für gekommen, als er mich bat, mich auf die Lehne
des Rollstuhls zu setzen und seine Hand zu nehmen.
Als Majel ihn sagen hörte: »Hätte sie ihre Karten richtig
ausgespielt…«, lachte sie und ging zur Tür. »Ich verschwinde.
Die Geschichte kenne ich zur Genüge. Nichelle, wir treffen
uns an der Bar auf ein Glas Champagner.«
»Sie war so schön«, sagte Gene, als ich neben ihm saß, »und
dann hat sie mich verlassen.« Er sprach ein paar Minuten über
unsere Affäre, während ich dort saß und nicht wußte, ob ich
lachen oder flüchten sollte. Mein Anwalt Doug Conway, ein
guter Freund, Allen Crowe, Marina Sirtis (die bei The Next
Generation die Rolle der Deanna Troi spielt), ihr Verlobter
und ein paar andere standen praktisch mit offenstehenden
Mündern da, während ich mir wünschte, jemand könnte mich
nach oben beamen. Dann griff Gene nach mir und küßte mich.
Bei der ersten Gelegenheit stand ich lächelnd auf. »Ich
glaube, ich kenne die Geschichte auch schon!« scherzte ich.
Als meine Freunde Doug und Allen mich zurück zu meiner
Kabine begleiteten, sagten sie ungläubig: »Stimmt das, was
Gene da gesagt hat? In all den Jahren hast du nie auch nur ein
Wort darüber verloren!« Nein, das hatte ich nicht, aber nun
mußte Gene es aller Welt erzählen. Ich entschuldigte mich und
ging zur Bar, wo ich Majel fand.
»Ist er fertig?« fragte sie halb im Scherz.
»Er liebt dich, Majel. Er liebt dich von ganzem Herzen«,
sagte ich, während wir eine Flasche Champagner öffneten.
»Ich weiß«, erwiderte sie.
»Ich auch«, antwortete ich.

»Alle Dinge enden«, sagt Spock gegen Anfang von Star Trek
VI: The Undiscovered County zu seinem Protege Valeris. Wir
begann die Dreharbeiten zu Star Trek VI in dem vollen
Bewußtsein, daß es vermutlich unsere letzte gemeinsame
Bildschirmreise war. So hatte es Paramount verkündet, so
stand es im Drehbuch, und vielleicht war auch die Zeit dafür
gekommen. Noch immer aufgebracht über das Star Trek V-
Debakel waren wir erleichtert, daß Leonard wieder das
Kommando hatte. Er holte Nicholas Meyer, der The Wrath of
Khan so brillant in Szene gesetzt hatte, für das Drehbuch und
die Regie, und zum erstenmal seit Star Trek: The Motion
Picture war Gene fast täglich an dem Projekt beteiligt. Der
fertige Film bewies erneut – für jeden, der es bis dahin nicht
begriffen hatte –, daß Star Trek kein magisches Produkt war,
dem man einfach irgendein beliebiges Science Fiction-Konzept
verpassen kann und das dann funktioniert.
So wie die Fernsehserie Themen aus den Schlagzeilen in
einer ›sicheren‹ futuristischen Kulisse aufgriff, untersuchte
Star Trek VI die Frage, wie wir uns angesichts von
Veränderungen verhalten und sie verarbeiten. Von politischen
Geschehnissen wie dem Fall der Berliner Mauer und einem
schwankenden Sowjetregime (das kurz nach der Premiere des
Films zusammenbrach) inspiriert, erforschte Leonard die
Auswirkungen einer von Klingonen veranlaßten
Friedensinitiative. Er bürdete Captain Kirk, der seine Karriere
damit verbracht hatte, die Klingonen in Schach zu halten, und
dessen Sohn von ihnen ermordet worden war, die Last auf,
Kanzler Gorkon und dessen Leute sicher zur Erde zu geleiten.
Da der Plot so viele phantastische Wendungen aufweist, will
ich hier nur feststellen, daß der Film ein passendes und
zufriedenstellendes Ende für die Reisen des Raumschiffs
Enterprise bot. Da bald ersichtlich wurde, daß die Dinge so gut
liefen, fügte man in letzter Minute natürlich noch ein paar
Änderungen hinzu, um die Tür für einen möglichen siebten
Film offenzuhalten.
Trotz der vielen bewundernswerten Stärken von Star Trek VI
und der Gewissenhaftigkeit, mit der er sich an die
ursprüngliche Prämisse der Serie hält, waren das Drehbuch
und die Produktion nicht ohne Probleme. Das fing mit der
Erklärung an, was aus der Enterprise-Crew wurde, nachdem
wir Sha Ka Ree entkommen waren. Ursprünglich sollten wir
alle aus dem aktiven Dienst ausscheiden, obwohl wir uns bereit
erklärten, unter bestimmten Bedingungen zurückzukehren. Bei
dem hohen Status, den wir in Starfleet genossen, konnte das
nur ein Notfall von galaktischen Ausmaßen sein. Jeder von uns
sollte von Kirk persönlich benachrichtigt werden, der dabei ein
bestimmtes Symbol oder ein geheimes Kennwort verwandte.
Nicholas Meyer versuchte das Problem, was mit uns in den
sechs Jahren geschehen war, die seit dem letzten Film ins Land
gegangen waren, mit Hilfe eines Eröffnungsprologs zu lösen.
Es war nur logisch, daß die Männer und Frauen der
Enterprise – die erwiesenermaßen das Beste waren, was das
Universum zu bieten hatte – auch weiterhin ein produktives
Leben führten. Nachdem ich so viele Jahre mit diesen
Charakteren gelebt hatte, stellte ich mir oft vor, wie einige von
ihnen ihre eigenen Schiffen befehligten; Pille würde Medizin
lehren, und Uhura wäre die Leiterin der
Kommunikationszentrale von Starfleet auf der Erde. Und so
war ich entsetzt, als ich Meyers erste Fassung las, in der wir
alle als Haufen von Verlierern dargestellt wurden. Pille
vegetierte irgendwo auf dem Land vor sich hin, Chekov spielte
den ganzen Tag Schach, und eine gelangweilte Uhura
moderierte eine schundige Radiotalkshow der Zukunft, die sich
anscheinend Howard Stern zum Vorbild genommen hatte.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage!« sagte ich. »Die Idee
auf die Leinwand zu bringen, daß solche Helden auf diese
Weise verfallen, sendet eine fatale Botschaft aus. Sie sollten
Führer, Lehrer, Berater, Mentoren sein. Macht mich
wenigstens zu einer intergalaktischen Oprah Winfrey!« Gene
und der Rest der Stammbesetzung stimmten mir zu, und so
wird bei unserem ersten Auftritt – einer geheimen Notfall-
Einsatzbesprechung bei Starfleet – von selbst klar, daß wir von
anderen wichtigen Pflichten abberufen wurden.
Eines der schwierigen Themen des Films war die Frage, wie
wir mit Vorurteilen umgehen. Zwar hoffte jeder in der
Föderation seit langem auf das Ende der klingonischen
Aggression, aber als dies Realität zu werden droht, werden sie
gezwungen, ihre Überzeugungen zu überdenken und sich mit
der Tatsache auseinanderzusetzen, daß ohne den Feind die
Ziele, die sie Zeit ihres Lebens verfolgt haben, überholt sind.
Unter diesen Voraussetzungen mußte man zeigen, daß nicht
einmal Mitglieder von Starfleet gegen eine gewisse Bigotterie
gefeit sind. Wie jeder Trekker weiß, haben die Klingonen viele
abstoßende Eigenschaften; in der Hauptsache ihre aggressive
Natur und ihre auf Krieg basierende Kultur. Während zwei
Jahrhunderten der Feindschaft zwischen dem klingonischen
Imperium und der Föderation haben sie sich als verschlagen,
verräterisch und furchteinflößend erwiesen. Dennoch glaube
ich, daß die Art und Weise falsch war, wie in dem Film die
Vorurteile der Mannschaft gegen die Klingonen dargestellt
wurden.
Das ungeheuerlichste Beispiel dafür ist die Unterhaltung
zweier junger Besatzungsmitglieder, die direkt stattfindet,
nachdem die klingonische Delegation den Raum verlassen hat.
»Die sehen alle gleich aus«, meint der eine, und sein Freund
erwähnt, wie schlecht sie riechen. »Nur ihre Topmodelle
können überhaupt sprechen«, fügt er noch hinzu. Ich gebe zu,
daß ich auf diese Sätze vielleicht empfindlicher reagiere, weil
sie den häßlichen Bemerkungen so nahekommen, die man im
Verlauf der Weltgeschichte über Schwarze und andere
ethnische Gruppen gemacht hat. Diese Verbindung wurde in
der vorangegangenen Szene auf unbehagliche Weise deutlich
gemacht. Dort erfährt die Mannschaft, daß Gorkon und seine
Leute Kirks Einladung zu einem Essen an Bord der Enterprise
akzeptiert haben, und Uhura sollte sagen: »Rat mal, wer zum
Essen kommt.« Dieser Satz, der Titel eines kontroversen Films
aus dem Jahre 1967, in dem eine weiße Frau ihren schwarzen
Verlobten zu sich nach Hause mitbringt, um ihn ihren Eltern
vorzustellen, regte mich schrecklich auf. Ich weigerte mich,
ihn zu sagen, und bestand darauf, ihn ganz aus dem Drehbuch
zu streichen. Statt dessen mußte ihn Chekov sagen.
Diese Szenen waren nicht nur wegen ihrer unterschwelligen
rassistischen Bedeutung anstößig, sondern vor allem, weil sich
die ganze Prämisse von Star Trek darauf gründet, daß die
Menschheit zur Toleranz gefunden hat. Wenn Starfleet nur die
Besten und Klügsten aufnimmt, ergibt es dann einen Sinn, daß
die Offiziere, die ›auf der Suche nach neuen Zivilisationen
sind‹, sich so kleingeistig und voreingenommen benehmen?
Ich schrieb sofort einen Brief, in dem ich meine
Befürchtungen ausführte, und als Gene seine Kopie bekam,
rief er mich sofort an. »Ich habe gerade deinen Brief gelesen,
Nichelle«, sagte er, »und ich hätte es nicht besser sagen
können.« Trotz unserer Einwände, zu meiner persönlichen
Enttäuschung und zum Nachteil der Integrität des Films
blieben einige der Textpassagen. Aber der entwürdigende
Prolog wurde gestrichen, und unsere Charaktere traten als noch
immer wichtige Mitglieder von Starfleet auf. Ich war
erleichtert und erfreut, zumindest das erreicht zu haben.
Vor Beginn der Dreharbeiten steckte man eine Menge Arbeit
in eine Rede, die Uhura auf Klingonisch halten sollte. Da sie
eine erstklassige Linguistin war, hätte dies für sie eine
Kleinigkeit sein müssen, insbesondere, da der echte Linguist,
der die Klingonensprache entwickelt hatte, sie schrieb und für
mich auf Tonband aufnahm, damit ich sie phonetisch lernen
konnte. Seit Star Trek IV hatte es einen gewaltigen Druck
gegeben, wo auch immer möglich Humor in die Handlung
einzubringen, und so wurde Uhuras perfekte, dramatische
Rede einfach gestrichen. An ihrer Stelle wurde die Szene
eingefügt, in der die Enterprise von einem Klingonenkreuzer
angefunkt wird und Uhura sie davon überzeugen muß, daß die
Mannschaft aus Klingonen besteht und sich auf einer
Rettungsaktion befindet. Meyer malte sich aus, wie Uhura, von
Stapeln staubiger alter Bücher umgeben, an ihrer Konsole sitzt
und verzweifelt auf der Suche nach den richtigen Worten
herumblättert. Zuerst protestierte ich. Bücher im
dreiundzwanzigsten Jahrhundert? Auf dem Raumschiff
Enterprise? Vielleicht auf einer CD-ROM. Von mir aus auch
Microfilm! Aber Meyer, der mich mittlerweile gut genug
kannte, erwiderte müde: »Nichelle, tun Sie es einfach und
vertrauen Sie mir, ja?«
Ich hielte inne und unterdrückte ein Kichern. Schließlich war
es der letzte Film. Ignorierten wir also die Tatsache – natürlich
würden die Trekker uns nicht damit durchkommen lassen –,
daß Kirk im dritten Film genügend Klingonisch sprach, um
sich an Bord eines Klingonenkreuzers beamen zu lassen. Oder
daß die Klingonen die englische Sprache so sehr gemeistert
hatten, daß General Chang (gespielt von Christopher Plummer)
während des Essens Shakespeare zitiert (den man Kanzler
Gorkon – David Warner – zufolge am besten im klingonischen
Original genießt). Ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mich
freute, daß es Uhura war – und nicht der Chefingenieur oder
der Wissenschaftsoffizier –, die auf die richtige Idee kam, wie
man den getarnten Klingonenkreuzer aufspüren und zerstören
konnte. »Das Ding muß doch ein Auspuffrohr haben, oder
nicht?« schloß Uhura. So war es dann auch tatsächlich, und so
rettete Uhura nicht nur die Enterprise, sondern auch die
Hoffnung auf intergalaktischen Frieden.
Falls dies, wie Kirk in der letzten Szene sagt, »die letzte
Reise unter meinem Kommando« war, so war es mit Sicherheit
ein Ende mit Stil. Vielleicht hatten wir auch das ›letzte Mal‹
schon so oft erlebt, daß sich das Gefühl, dies sei nun
tatsächlich das Ende, sich nicht einstellen wollte. Wir fuhren
direkt vom Set zu einem Interview für Good Morning America
und danach zu einer wunderschönen Party, wo es eine Menge
Umarmungen und Küsse gab. Man konnte sich unmöglich
vorstellen, daß Star Trek, wie wir es kannten, gehegt und
geliebt hatten, aus irgendeinem Grund enden sollte. Und dann
kam der Tag in jenem Oktober, an dem Gene starb.
Star Trek VI trug die Widmung ›Für Gene Roddenberry‹,
aber tatsächlich hatten wir alles, was wir je getan hatten, für
Gene getan. Und obwohl einige unter uns sind, die dies
bestreiten würden, gab es in Genes Universum niemanden und
nichts, was je so wichtig sein würde oder war wie er.

Obwohl mich die meisten Leute hauptsächlich als Uhura


kennen, habe ich die Schauspielerei stets als die ›andere Sache‹
betrachtet. Manchmal vergingen Monate, sogar Jahre, ohne
daß ich vor der Kamera stand, doch Musik erfüllte jeden Tag
meines Lebens. Nachdem die University of California in San
Bernardino mich eingeladen hatte, eine Show zu Ehren der
großen Sängerin Ethel Waters zu machen, entwickelten Jim
und ich eine Soloshow für mich. Da sie Teil der Festlichkeiten
des ›Monats der Geschichte der Schwarzen‹ war, entschied ich
mich, Waters’ Beitrag zur Musik zu feiern, indem ich mehrere
legendäre schwarze Sängerinnen verkörperte – einschließlich
Pearl Bailey, Lena Hörne, Mahalia Jackson, Eartha Kitt und
natürlich Waters. Ich hatte in dem Soloakt, mit dem ich nach
Porgy and Bess auf Tournee gegangen war, eine ähnliche
Präsentation benutzt, um meine dreieinhalb Oktaven
umfassende Stimme hervorzuheben. Mir gefiel die
Herausforderung, meinen Gesang, meinen Tanz und meine
Darstellungskunst zu kombinieren.
Der Erfolg der Show inspirierte mich dazu, sie zu einem zwei
Akte umfassenden Stück für das Musiktheater auszubauen,
daraus quasi eine Musikgeschichte schwarzer Künstlerinnen
von den wilden Zwanzigern bis zur Gegenwart zu machen. Ich
wählte dazu nicht nur solch offensichtliche und bekannte Stars
wie Ma Rainey, Bessie Smith und Josephine Baker aus,
sondern auch die wenig bekannte Florence Mills, die als erste
Schwarze am Broadway aufgetreten war und hauptsächlich
deswegen in Vergessenheit geraten ist, weil es von ihr weder
Filmdokumente noch Schallplattenaufnahmen gibt. Die Mitte
des Jahrhunderts wurde repräsentiert von Sarah Vaughan,
Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Lena, Pearl, Mahalia, der
Tänzerin Katherine Dunham und Leontyne Price, der ersten
schwarzen Sängerin, die an der Metropolitan Opera sang.
Blues, Jazz, Balladen, Gospel und Oper. Aber war das genug?
Auf keinen Fall!
Ich plante dies alles auf der Rückfahrt von San Bernadino,
den donnernden Applaus des Publikums noch in den Ohren.
Als ich Jim davon erzählte, glaubte ich, er würde gleich die
Kontrolle über den Wagen verlieren. »Du bist verrückt!« rief
er aus.
»Ich weiß. Außerdem würde ich die Klassiker gerne mit
vielen neuen Stücken ergänzen, die du schreiben sollst. Und
dann noch einen Titelsong für die Show, um alles zu
verknüpfen.«
Ein paar Tage später dachten wir über einen guten Titel nach
und einigten uns auf ›Reflections‹. »Das ist unmöglich«,
erwiderte Jim, nachdem ich aufgezählt hatte, was alles in dem
Lied vorkommen sollte. »Du willst ein Liebeslied, das jeder
singen kann, das mit all diesen Legenden zu tun hat, und das
Wort Reflections soll auch vorkommen. Nenn mir ein
verdammtes Wort, das zu deinen Vorstellungen paßt und sich
mit Reflections reimt. Nur eins!«
»Nun«, stammelte ich. »Wie wär’s mit Connections. Oder
Erections?«
Wir mußten beide lachen, und Jim versprach, es zu
versuchen. Ich war nicht im mindesten überrascht, als er eine
Woche später mit dem schönsten Lied ankam, das ich mir je
hätte vorstellen können.
Anfang 1991 trat ich vor dem Beginn zu den Dreharbeiten zu
dem Star Trek-Film mit dieser Show sechs Wochen im
berühmten Westwood Playhouse auf. Da wir die Zusage erst
weniger als einen Monat vor der Premiere bekommen hatten,
probten wir unermüdlich. Kyle war gekommen, um bei Ton,
Licht und Bühnenbild zu helfen, während Jim zugleich
Produzent, Regisseur, Autor, Psychiater und Roadie war. Es
war anstrengend und anregend zugleich, aber bei der Premiere
wurde ich mit fünf stehenden Ovationen und sich
überschlagenden Kritiken sowohl von alten Freunden wie auch
von jenen belohnt, die in der Erwartung gekommen waren,
»Grußfrequenzen geöffnet, Captain« zu hören. Wir waren
besonders begeistert, als viele Kritiker die neuen Lieder, die
Jim für jede der Sängerinnen komponiert hatte, für
ursprünglich von ihnen gesungene hielten. Ein Journalist aus
Chicago brüstete sich in seiner Kolumne damit, Zeuge
gewesen zu sein, wie Mahalia Jackson kurz vor ihrem Tode ›I
Wanna Be Rich – In the Eyes of God‹ gesungen hatte. Er
wußte nicht, daß das unmöglich war, da Jim das Lied erst fast
ein Jahrzehnt nach ihrem Tod komponiert hatte. Ich kann mir
kein schöneres Lob für Jims tadelloses Talent als
Songschreiber vorstellen. Die großartigen Kritiken bestätigten
mich in meinem Gefühl, wieder da zu sein, wo ich hingehörte.
Doch trotz allem ließ ich den Weltraum nie richtig hinter mir.
Im Herbst 1992 willigte ich ein, für den startenden SciFi
Channel des Senders USA Network dreizehn Episoden von
Inside Space zu moderieren. Mehrere Monate lang reiste ich
zwischen meinem Zuhause und New York hin und her; es war
eine hektische, aber letztlich lohnende Zeit.
Meine Lieblingsepisode präsentierte Dr. Mae Jemison, die
ich nach ihrem historischen Flug an Bord der Discovery
interviewen durfte. Sie kommt wie ich aus Chicago, also
entschieden wir uns dazu, das Interview dort zu drehen. Einen
Tag lang fuhr man uns in einer langen weißen Limousine
herum, und wir besuchten die Plätze, an denen die
›Willkommen-Zuhause-Feiern‹ zu Maes Ehren abgehalten
wurden. Mae und ich hatten viel Spaß, und das Publikum raste
fast vor Begeisterung, als es Uhura neben der lokalen
Astronauten-Heldin auf der Bühne sah.
Einer der Höhepunkte fand in einem Auditorium mit 18000
Sitzen statt, das bis zum Rand mit Abschlußschülern aus allen
Schuldistrikten von Chicago und Presse aus aller Welt gefüllt
war. Natürlich waren die Schüler von Maes High School
vollzählig angetreten. Da sie Cheerleaderin gewesen war,
wurde sie von dem derzeitigen Cheerleader-Team begrüßt, und
als sie von ihnen aufgefordert wurde, bei dem Kampflied der
Schule mitzumachen, ließ sie es sich nicht nehmen – und das
in ihrem Astronauten-Overall. Mit den Pom-Poms in den
Händen zeigte sie den Mädchen, wie’s gemacht wird. Es war
wirklich ein Bild, das man gesehen haben mußte.
Im Verlauf des Interviews vertraute mir Mae an, daß sie als
Jugendliche Uhura bei Star Trek gesehen und dies zu ihrer
Entscheidung, Astronautin zu werden, beigetragen hatte. Sie
können sich nicht vorstellen, wie stolz ich war (und bin), das
Privileg zu haben, diese wundervolle, talentierte Frau zu
kennen. Besonders glücklich macht es mich, sie als liebe
Freundin bezeichnen zu dürfen. In meinem Geschäft gibt es
viele Freuden, die sich nicht in Einnahmen oder Schlagzeilen
aufrechnen lassen. Meine bleibende Freundschaft mit Mae
Jemison ist eine davon.
All den Dingen zum Trotz, die wir tun, um das Gegenteil
herbeizuführen, ist das Leben niemals eine einfache Reise. Wir
glauben, wir würden eine Route planen, die uns von Punkt A
nach Punkt B bringt, während in Wahrheit jeder unserer
Schritte ein Umweg, eine Ablenkung oder ein Abstecher ist.
Ich habe ein gewisses Alter erreicht, war Zeugin, wie mein
wunderbarer Sohn zum Erwachsenen wurde, habe gesehen,
wie meine Schwestern und Brüder und deren Kinder ihre
eigenen Leben gestalteten, und dabei lasse ich mich bis zum
heutigen Tag davon überraschen, wie oft und wie deutlich der
Einfluß unserer Eltern zum Vorschein tritt. Ohne ihr Beispiel
und ihre Führung wäre mein Leben vermutlich ganz anders
verlaufen.
Mein Vater war immer mein Held und wird es auch immer
bleiben, aber meine Mutter und ich beschritten einen harten,
steinigen Weg, bevor wir wirklich gute Freundinnen wurden.
Als Daddy starb, waren wir einen stillschweigenden
Waffenstillstand eingegangen, aber ich sehnte mich noch
immer nach der Mutter, die sie mir nie gewesen war. Die
ganzen Jahre, vermutlich seit dieser verdammten Impfung,
wußten wir, daß wir einander liebten, doch in meinen jungen
Jahren waren wir nie richtige Freundinnen gewesen.
Aber selbst damals verließ ich mich auf ihre Weisheit und
ihre Stärke. Sie war der Felsen, die Herzogin, der Kopf der
Familie. Ihre starken Arme waren immer da, um mich
aufzufangen.
Anfang der achtziger Jahre wohnte sie bei mir, und ehrlich
gesagt, sie trieb mich manchmal in den Wahnsinn, da sie an
allem, was ich tat, etwas auszusetzen fand. Nachdem eines
Tages ein ganz normaler Streit eine häßliche Wendung
genommen und wir uns hinterher wieder versöhnt hatten,
begann sie sich endlich zu öffnen.
Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, warum es in diesem
Augenblick geschah und nicht dreißig, vierzig Jahre früher,
aber es geschah nun einmal, und das ist alles, was zählt. Bis zu
diesem Zeitpunkt wußte ich nur wenig von ihrem Leben oder
den schweren Zeiten, die sie durchmachen mußte.
Buchstäblich alles, was ich über die Jugend meiner Mutter
schrieb, erfuhr ich im letzten Jahrzehnt ihres Lebens. Meine
Mutter hatte viele Freunde in allen Altersstufen. »Ich
wünschte, du und ich wären Freundinnen«, bemerkte ich an
diesem besagten Tag. »Du liebst deine Freunde mehr, als du
mich liebst.«
»Nun, sie brauchen das auch mehr als du«, erwiderte sie.
»Hast du darum niemals Zuneigung für mich gezeigt?«
»Warum hätte ich das auch tun sollen? Dein Vater hat dir alle
nötige Zuneigung gegeben. Du hast mich nicht gebraucht.«
Ich saß wie erstarrt da. Natürlich habe ich dich gebraucht!
wollte ich ausrufen. Mutter erzählte mir von ihrer Jugend, und
wie sehr es sie geschmerzt hatte, daß Daddy jeden ihrer
Träume zunichte machte, während er mir so viel
Aufmerksamkeit und Unterstützung entgegenbrachte. Sie
gestand mir, daß sie in gewisser Weise auf mich eifersüchtig
gewesen war. »Mein Problem mit dir bestand darin, daß du
verdammt noch mal viel zu klug warst, als gut für dich war.
Hättest du nur eine etwas hellere Haut gehabt…Weißt du, du
hast mir einfach so sehr geähnelt, und ich wußte nicht, wie ich
damit umgehen sollte«, sagte sie zum Abschluß. Da ich selbst
Mutter war, erstaunten mich ihr Mut und ihre Offenheit. Und
von diesem Tag an fingen wir von vorne an. Wir fingen an,
miteinander zu sprechen. Wir unterhielten uns stundenlang,
tagelang, monatelang, bis wir einander gefunden hatten. Am
Ende hatte ich eine richtige Mutter; am Ende wurden wir
Freundinnen.
Ich hüte alle meine Erinnerungen an sie wie einen kostbaren
Schatz, aber die aus diesen letzten paar Jahren sind etwas
Besonderes. Lishia Nichols war eine dame magnifique, ob sie
nun zusammen mit George Takeis Mutter auf einer Kreuzfahrt
nach Alaska Karten spielte, Partygästen Häppchen servierte
oder ihren vielen Freunden und Freundinnen – ob jung oder alt
– Ratschläge erteilte. Leute fühlten sich von ihr angezogen,
und sie war, wie wir im Familienkreis oft scherzten, wie E. F.
Hutton: Wenn sie sprach, hörte jeder zu. Ich war so unendlich
stolz auf sie.
Ende der achtziger Jahre bekam meine Mutter Probleme mit
der Gesundheit. Meistenteils waren sie altersbedingt; sie war
fast Mitte Achtzig. Aber als es auf ihr letztes Jahr zuging,
schien eine Sache der anderen zu folgen, und nach einigen
Krankenhausaufenthalten zog sie in ein Heim, wo sie rund um
die Uhr betreut wurde. Sie litt an Herzschwäche,
Lungenödemen und Diabetis; sie vergaß ständig, ihre Medizin
zu nehmen, und so blieb uns keine andere Wahl.
Glücklicherweise konnten wir sie in einem der besten
Pflegeheime unterbringen, das in der Nähe lag, so daß wir sie
alle – einschließlich einiger der Ur-Urenkel – jeden Tag
besuchen konnten. Dianes Sohn Brett war täglich bei seiner
Gramma; sie hatten eine erstaunlich enge Beziehung. Diane,
Marian und ich wechselten uns mit den Besuchen ab, badeten
sie, kämmten ihr Haar und sorgten dafür, daß sie etwas
Hübsches anzuziehen hatten.
In den ersten Monaten im Pflegeheim ging es Mutter recht
gut, aber als sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechterte
und sie erkannte, daß sie niemals wieder zu Hause leben
würde, machte ihr das sehr zu schaffen. Man lebt sein ganzes
Leben mit dem Bewußtsein im Hinterkopf, daß egal, was auch
passiert, die Mutter nur einen Anruf weit weg ist. Und ob man
zweiundzwanzig oder zweiundfünfzig ist, egal welches
Problem einen beschäftigt, sie weiß die richtige Antwort oder
hat zumindest ein liebevolles Wort. »Weißt du, ich glaube
nicht, daß ich jemals wieder fähig sein werde, ohne Hilfe leben
zu können«, sagte sie eines Tages zu mir, und es brach mir das
Herz. Die Erkenntnis, daß meine Mutter nicht für ewig auf
dieser Welt sein würde, erschütterte mich auf eine Weise, wie
ich es nie vermutet hätte.
Zu Thanksgiving 1992 war Mutter ziemlich krank, aber wir
trafen die nötigen Vorbereitungen, daß sie die Feiertage im
schönen Haus meiner Schwester Marian in San Dimas,
Kalifornien, verbrachte. Es war ein wunderschöner Tag, und
obwohl Mutter sehr schwach war, sonnte sie sich in der Liebe
ihrer Kinder und insbesondere ihrer Enkel und deren Kindern.
Als wir sahen, wie sehr dieser eine Besuch sie aufmunterte,
kamen wir überein, den Heiligen Abend in meinem Haus in
Woodland Hills zu einer ganz besonderen Feier zu machen. Es
gab ihr etwas, worauf sie sich freuen konnte, und ihre
Depressionen schienen zu sich legen, als die Feiertage
herannahten.
Wir holten sie am Heiligabend gegen Mittag ab, und sie sah
so schön aus. Später am Abend überraschte sie uns damit, daß
sie einen Schluck Champagner trank, bevor wir sie zurück ins
Pflegeheim nach Pasadena fuhren. Am nächsten Tag war
Weihnachten, und die Ur-Urenkel und Enkel und deren Eltern
kamen, um sie zu besuchen. Als Kyle und ich später am
Nachmittag kamen, zeigte sie uns stolz all die Geschenke, die
sie bekommen hatte. Alle Ärzte und Schwestern kamen, um ihr
schöne Feiertage zu wünschen.
Nachdem man das Abendessen serviert hatte, so etwa gegen
sieben Uhr, blieben Kyle und ich noch etwas da. Kyle und
seine Rama hatten noch immer ihre ganz besondere
Beziehung, was so schön mitanzusehen war. Wir machten uns
zum Aufbruch bereit, und zum erstenmal bat Mutter uns nicht,
noch etwas zu bleiben. Sie lag im Bett und gab ein leises, fast
kindhaftes »Oh« von sich.
»Ihr beiden geht jetzt nach Hause, denn ich hatte zwei
wunderschöne Weihnachtstage«, sagte sie dann mit einem
Lächeln. »Schöner kann es nicht mehr werden. Geht jetzt, denn
ich bin müde.« Wir unterhielten uns noch einen Augenblick
lang, und sie erwähnte den schönen Hosenanzug, den ich ihr
geschenkt hatte, dann fing sie an zu dösen.
»Ich liebe dich, Nichelle«, sagte sie leise.
»Ich liebe dich, Mommy«, erwiderte ich und streichelte ihr
sanft übers Haar.
»Ich weiß. Und ich liebe dich auch, Kyle.«
»Grandma, dir gefällt es, ständig unterwegs zu sein und alle
zu besuchen, nicht wahr?« sagte Kyle.
»O ja«, erwiderte sie. »Du kennst die Herzogin. Sie liebt die
Aufmerksamkeit.«
»Nun, Grandma, wenn das so ist, machen wir das in Zukunft
öfter. Darf ich dich nächste Woche abholen und ausführen?«
Sie lächelte meinen Sohn an. »Das würde mir gefallen«, sagte
sie. Dann gingen wir.
Meine Schwester Ruth hatte einen Autounfall gehabt, darum
wollten Diane, Marian und ich am siebenundzwanzigsten
Dezember nach Las Vegas fliegen, um ihr bei der nötigen
Operation beizustehen. Meine andere Schwester Billie, die in
Chicago wohnte, wollte ebenfalls kommen. Unsere Schwester
Olga war ein paar Jahre zuvor gestorben. Ich rief Mutter am
Nachmittag nach Weihnachten an. »Ich weiß nicht«, sagte sie
auf meine Frage nach ihrem Befinden, »aber ich fühle mich
schrecklich. Doch mach dir keine Sorgen, das wird schon
wieder.« Sie bat mich, Ruth wissen zu lassen, daß sie sie lieb
habe und für sie beten würde. Dann sagte sie: »Ich liebe dich.«
Gegen Mitternacht starb sie friedlich im Schlaf.
Meine Mutter war in dem Pflegeheim sehr beliebt gewesen.
Vielleicht war das der Grund, daß sie für uns die Regeln
umgingen und sie nicht sofort in die Leichenhalle brachten,
sondern sie auf ihrem Zimmer ließen, wo sich die ganze
Familie versammelte. Als wir eintrafen, war sie gebadet
worden, und man hatte ihr ein Kleid angezogen; als ich eintrat,
hätte ich schwören können, sie würde nur schlafen. Ihr
wunderschönes langes Haar fiel über das Kissen, und ich
staunte, wie der Tod die Last des Lebens hatte verblassen
lassen; ihr Gesicht, dessen Haut noch immer so zart wie die
eines Babys war, sah so friedlich aus. Ich berührte ihre Hand;
sie war noch warm. Einen Augenblick lang war ich davon
überzeugt, daß sie die Augen öffnen und »Hallo, da bist du ja«
sagen würde. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keine
Tote gesehen, und so weiß ich nicht, was ich eigentlich
erwartet hatte. Aber ein Blick in ihr Gesicht verriet mir, daß
mein Vater sein Versprechen gehalten hatte: Am Ende war er
gekommen und hatte sie geholt.
Nach dem Tod meiner Mutter veränderte sich vieles. Die
Gedenkreden ihrer Kinder und Enkel bei der Beerdigung, die
vielen Freunde aller Altersgruppen, die herbeiströmten, die
Karten und Briefe, die Blumen, die aufmunternden Worte, erst
in diesem Augenblick erkannte ich in vollem Ausmaß, was für
eine unglaubliche Frau sie gewesen war. Sogar heute noch
ertappte ich mich dabei, daß ich zum Telefon greife, um sie
nach einem Rezept zu fragen oder über die Spätnachrichten
vom Vorabend zu sprechen. Ich entdeckte, daß meine
Schwestern Diane und Marian ähnliche Erfahrungen machten.
Ich fühle, daß sie und mein Vater immer in meiner Nähe sind,
und das gibt mir selbst heute noch großen Trost.

Kurz nachdem meine Mutter gestorben war, erhielt ich


überraschenderweise einen Anruf von Bill Shatner. Nach den
üblichen Nettigkeiten kam er zur Sache. Er schrieb seine
Memoiren über die Anfangsjahre von Star Trek und brauchte
jemanden, der seine Erinnerungen auffrischte. Ich sagte ihm,
ich würde darüber nachdenken und ihn zurückrufen. Die
Vorstellung, daß ausgerechnet Bill über Star Trek schreiben
wollte, kam mir merkwürdig vor. Bis vor kurzem hatte sich
Bill jede nur erdenkliche Mühe gegeben, sich von Captain Kirk
und den Fans zu distanzieren, natürlich mit Ausnahme der
Dreharbeiten oder der Werbung für die Filme. Er schien die
Auffassung zu vertreten, wenn die Enterprise nicht seine
Karriere mit Beschlag belegt hätte, wäre er vielleicht ein
Megastar geworden oder hätte etwas ›Ernsthafteres‹ gemacht.
Bill ist nicht der einzige Schauspieler der Stammbesetzung, der
seinen oder ihren Dienst bei Starfleet gelegentlich mit sehr
gemischten Gefühlen betrachtet, das kann ich Ihnen
versichern. Wir haben alle darunter gelitten, daß man uns in
keinen anderen Rollen sehen wollte. Doch zugleich
respektieren wir alle Star Trek und sind dankbar für die Fans,
die die Serie und Genes Traum am Leben erhalten haben.
Bill, der Gene nie sonderlich gemocht hat, hat sich immer
über die Tatsache geärgert, daß er für alle Zeiten Captain Kirk
sein wird. Aus diesem Grund hat er die Fans jahrelang
verachtet, und das wissen sie. Darum haben sie auch, als er vor
ein paar Jahren bei Saturday Night Live auftrat und sich selbst
in dem mittlerweile berüchtigten Star Trek-Conventionsketch
spielte, ihrer Empörung Luft gemacht. Der Sketch sollte
offensichtlich nur die ganz extremen, besitzergreifenden Fans
auf den Arm nehmen, aber als Bill die mit Spockohren
versehenen Fans ermahnte, sich der Realität zu stellen, ins
Leben hinauszugehen und aus ihren Zimmern im Keller ihrer
Eltern auszuziehen, traf das einen Nerv bei den Trekkern. Sie
wußten, daß Bill das völlig ernst meinte, denn so war lange
Zeit seine Meinung über sie.
Zwischen dem Anruf und dem Treffen sprach ich mit einigen
der anderen; sie alle hatten ähnliche Anrufe bekommen, und
keiner von ihnen war sonderlich darüber begeistert, sich mit
Bill zusammenzusetzen. Obwohl wir alle uns dafür einsetzten,
Star Trek zu bewahren, glaube ich, ich kann mit aller Fairneß
behaupten, daß wir zögerten, uns ihm zu öffnen. Ich hielt Bill
ein paar Monate lang hin. »Hör zu«, sagte er schließlich. »Ich
würde nichts schreiben, was dich verletzen könnte. Es geht
auch nicht um dich. Doch es gibt Dinge während der
Dreharbeiten zur Fernsehserie, an die ich mich nicht mehr
erinnern kann.«
Am Ende willigte außer Jimmy jeder ein, mit ihm zu
sprechen. Ohne mir Illusionen zu machen, daß Bill an mehr
interessiert war, als Material für sein Buch zu bekommen,
nehme ich dennoch an, daß ich nach Genes Tod und dem Ende
von Star Trek eine Art Abschluß suchte, daß ich verstehen
wollte, was diese ganzen Jahre da eigentlich passiert war.
Um etwas richtigzustellen, was Bill hinterher in seinem
ersten Buch schrieb: Ich ›verschwor‹ mich nicht mit meinen
Kollegen, um diese Interviews zum Anlaß zu nehmen, ihn mit
unseren wahren Gefühlen zu ›konfrontieren‹. Das ist nur eine
seiner vielen Verdrehungen und Ungenauigkeiten, zu denen
ich später noch komme. Tatsache ist, als er dann am frühen
Abend kam (nicht am Morgen, wie sein Buch behauptet),
empfing ich ihn herzlich. Er war nie zuvor in meinem Haus in
Woodland Hills gewesen, und er bewunderte den Besitz und
den wunderschönen Garten, den man von meinem
Wohnzimmer aus sehen kann. Wir plauderten zuerst bei
Kräutertee und Hors d’oeuvres, dann widmeten wir uns Star
Trek. In den Tagen vor Bills Besuch hatte ich über diese Jahre
nachgedacht, und mir waren wieder ein paar Dinge eingefallen
– wie er mich nach meinem Ohnmachtsanfall am Set ›gerettet‹
hatte, wie er sich wegen seiner Scheidung bei mir das Herz
ausgeschüttet hatte –, die ihm meiner Meinung nach sicher
gefallen würden.
Ich habe in meinem Leben ständig irgend etwas geschrieben
– Liedtexte, Gedichte, Essays, Reden, Berichte. Nachdem
Gene und dann meine Mutter gestorben waren, hatte ich oft
das Verlangen gespürt, meine Erinnerungen und Gefühle zu
Papier zu bringen. Mit Unterstützung der Familie und einiger
Freunde fing ich an, meine Autobiographie zu schreiben, und
als mich Bill besuchte, prüfte ein großes Verlagshaus gerade
mein Konzept. Ich hatte mir einen Agenten genommen und
mich an die Arbeit gemacht. »Bill, du mußt vorher eins
wissen«, sagte ich, als er den Recorder aufstellte und das
Notizbuch öffnete. »Ich schreibe selbst ein Buch. Ich helfe dir
gern bei deinen Erinnerungen auf die Sprünge, aber ich muß
auf zwei Sachen bestehen. Erstens darfst du mich nicht direkt
zitieren; und zweitens, falls du einige meiner Geschichten
benutzt, muß ich dein Manuskript bekommen, um mich zu
vergewissern, daß sie auch richtig wiedergegeben sind.«
Bill, der buchstäblich nichts mehr aus seinen Serientagen
wußte, willigte ein. Wir fingen an, und es störte mich sofort,
daß sich Bill nachdrücklich für meine Beziehung zu Gene
interessierte. Dieses Thema war meiner Meinung nach sehr
persönlich, und da ich von Bills und Genes schwierigem
Verhältnis zueinander wußte, wehrte ich seine Versuche ab,
die Unterhaltung in diese Richtung zu lenken. Es dauerte nicht
lange, und ich erkannte, daß Bill keinesfalls untertrieb, wenn er
seine Erinnerung als ›dunkel‹ bezeichnete. »Ja, richtig, stimmt
ja«, rief er immer wieder aus, während ich von damals
berichtete, und er lachte gelegentlich, zum Beispiel wenn ich
die Leute vom Studio und vom Sender als ›Schlips-und-
Kragen-Typen‹ bezeichnete. Aber im großen und ganzen war
für ihn alles, was sich in dieser Zeit zugetragen hatte und nicht
direkt mit Bill – und zwar mit Bill allein – zu tun gehabt hatte,
im Nebel der Zeit verschwunden. Nun, typisch Bill, dachte ich.
Etwa nach zwei Stunden schlief die Unterhaltung ein, und
Bill packte zusammen. Ich hatte es ganz nett gefunden; sein
Charme sprühte wie eh und je, und die vergangene Zeit hatte
einigen der Enttäuschungen und Verletzungen ihren Schmerz
genommen. Und dann sagte er auf seine selbstzufriedene Art:
»Wir waren wirklich eine große, glückliche Familie, nicht
wahr?«
Darauf fiel mir keine Antwort ein, so überrascht war ich. Bill
spürte mein Zögern. »Stimmt’s?« hakte er nach.
»Nun, Bill, nein«, antwortete ich. »Das kann man so nicht
sagen.«
»Ich weiß, daß aus irgendwelchen Gründen Jimmy und
Walter gewisse Vorbehalte gegen mich hegen, aber was ist mit
dir?«
Im Verlauf von achtundzwanzig Jahren hatte ich zusehen
müssen, wie sich Bill von meinem Helden in einen unsensiblen
Egoisten verwandelte, dem es egal war, wen er vor den Kopf
stieß, und ich hatte erlebt, wie seine Gefühllosigkeit jeden in
seiner Nähe beeinflußte, mich eingeschlossen. Dennoch hatte
ich niemals eine negative Bemerkung über ihn fallenlassen.
Tatsächlich hatte ich das gute Image von Captain Kirk und
unserer Star Trek-Familie so fanatisch beschützt, daß einige
der anderen Mitglieder der Stammbesetzung mich ›Pollyanna‹
nannten.∗ Doch jetzt, wo Bill die von uns nach außen hin
aufrechterhaltene Fassade der Welt als Evangelium verkaufen
wollte, konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Eines muß
ich allerdings vorher ausdrücklich klarstellen: Ich habe Bill
diese Dinge alle im Vertrauen darauf gesagt, daß er sich an
sein Versprechen halten und sie nicht drucken würde.
»Bill, ich habe dich immer gemocht«, sagte ich. »Aber du
weißt, daß die Zusammenarbeit mit dir ausgesprochen
schwierig sein kann.«
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. »Bitte, erzähl’s
mir… Ich will es wirklich wissen«, sagte er dann. Er stellte
den Recorder wieder an, und heute weiß ich, daß ich ihn in
diesem Augenblick hätte bitten müssen, ihn wieder
abzustellen.
»Nun, manchmal hast du mich stinksauer gemacht!«
antwortete ich lachend.
»Tatsächlich? Das ist mir nie aufgefallen.«
»Genau das ist es, Bill. Du warst dir nicht einmal bewußt,
daß du die Gefühle der anderen verletzt. Wir waren eine
Familie, aber wir hatten nie das Gefühl, daß du auch
dazugehört hast.«
»Aber wir haben doch alle unsere Witze gemacht und viel
gelacht.«
»Nein, Bill, du hast Witze gemacht und gelacht, die anderen
haben bloß mitgemacht.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Bill, du schneidest anderen das Wort ab, du hast sie in die
Ecke gedrängt. Weißt du wirklich nicht, warum Jimmy
Doohan nicht mit dir sprechen will? Warum ich eigentlich


Mit Pollyanna bezeichnet man eine übertrieben optimistische Person, nach
einer Romangestalt des amerikanischen Autors E. H. Porter; Anm. d. Übers.
auch nicht mit dir sprechen wollte? Und warum Walter nicht
mit dir sprechen will? Spricht George mit dir?«
»Ja, natürlich. Tatsächlich hatten er und ich eine nette
Unterhaltung…«
»Ja, Bill, weil George der geborene Diplomat ist. Wußtest du,
daß er Politiker war?«
»Ich habe erstaunliche Dinge über ihn erfahren!« sagte Bill,
und ich dachte: Wie konnte dir nach all diesen Jahren
entgehen, daß George Delegierter bei der Versammlung der
Demokraten oder überhaupt politisch aktiv war?
»Ganz genau! Ich weiß das seit der Serie damals – das ist
fünfundzwanzig Jahre her. Walter, Jimmy, Dee, sogar Leonard
wußten das. Wir kannten uns, aber du hast nichts von uns
gewußt. Und wir haben nichts von dir gewußt.«
Ich glaube, ich hätte an diesem Punkt aufgehört, aber dann
erwiderte Bill: »Ach ja?« Er lachte abschätzig. »Und womit
genau habe ich dich auf die Palme gebracht?«
Mann, dachte ich. Wo soll ich da anfangen? Die
zusammengestrichenen Dialoge? Die gestrichenen Szenen?
Die Textänderungen in der letzten Minute? Die Wutanfälle?
»Bill, du hast dich immer sehr unsensibel benommen. Du
hast dich um deine Karriere bemüht, aber das haben wir auch.
Wenn du Dialoge gekürzt und uns unsere Szenen gestohlen
hast, hast du uns als Menschen und als Schauspieler verletzt.
Daß du dich nicht mehr daran erinnerst oder es als unwichtig
abtust, macht es nur noch schlimmer.«
Bill nickte, anscheinend hatte er verstanden. In gewisser
Hinsicht hatte ich den Eindruck, zu ihm durchgedrungen zu
sein. Wir gaben uns einen Abschiedskuß auf die Wange, er
dankte mir und ging. Als Monate vergingen, ohne daß ich von
ihm hörte, ging ich davon aus, daß er mein Material nicht
benutzt hatte, und als ich die Einladung erhielt, Thanksgiving
in seinem Strandhaus in Malibu zu verbringen, glaubte ich, daß
einiges von dem, was ich ihm an diesem Tag gesagt hatte,
einen Eindruck hinterlassen hatte. Vielleicht wollte er sich ja
doch noch der Familie anschließen.
In der Woche vor Thanksgiving erhielt ich Anrufe von
Freunden, die wissen wollten, ob ich die Einladung annehmen
würde. Ja, sagte ich, aber woher wißt ihr das? Sie hatten Bill in
einer Late-Night-Show gesehen, und er hatte es dort erzählt.
Ich verstand nicht, warum ihm das wichtig genug war, um es
landesweit im Fernsehen zu verkünden, bis mir mein guter
Freund Allen Crowe erzählte, daß Arsenio Hall sein Interview
mit der Frage begonnen hatte: »So, so, Nichelle Nichols haßt
Sie also?« Worauf Bill erwiderte, er würde es nicht hoffen, da
ich am Donnerstag zu ihm zum Essen käme.
Bills Sekretärin hatte jeden Tag angerufen, um sich zu
vergewissern, ob ich auch tatsächlich kommen würde, was mir
komisch vorgekommen war, da es sich nicht um eine
Dinnerparty sondern nur um ein Büfett handelte. Dann fing
mein Telefon an zu klingen. »Was halten Sie von Bill Shatners
Buch?« fragten die Reporter. Ich hatte die mit Autogramm
versehene Ausgabe, die Bill mir geschickt hatte, noch nicht
gelesen, aber aus den Fragen schloß ich, daß dort etwas stand,
das mir nicht gefallen würde. Doch ich verließ mich noch
immer auf Bills Wort, und da allgemein bekannt ist, wie gern
die Medien alles aufbauschen, bestätigte ich, daß Bill mich
wütend gemacht hatte, und ja, der Kuß hatte tatsächlich
stattgefunden, und nein, nicht ganz genauso, wie Bill es im TV
Guide erzählt. Also hat er sich bei zwei Dingen vertan, dachte
ich. Was soll’s.
Als ich mit einem Freund bei Bills Haus ankam, war keiner
der anderen aus der Stammbesetzung da, was mich dann doch
überraschte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, in Bills
Haus eingeladen worden zu sein, ohne daß zumindest einer der
anderen auch dagewesen war. Er begrüßte mich. »Wie läuft
das Buch?« fragte ich.
»Es verkauft sich wie warme Semmeln«, erwiderte er. »Aber
wo ich auch hinkomme, jeder fragt mich nach dir.«
Da ich das Buch, wie gesagt, noch nicht gelesen hatte,
mißverstand ich ihn gründlich. »Ja, wie ich gehört habe, weiß
die ganze Welt, daß ich heute zum Essen eingeladen bin.«
»Tja, ich dachte, es sei an der Zeit, die ganze leidige
Angelegenheit endlich zu begraben.«
Die was? Wenn ich nun zurückblicke, erkenne ich, daß Bill
so ichbezogen und dickfellig war wie eh und je. Die
öffentliche Reaktion auf seine Version unserer Unterhaltung –
die er, wie Sie sich erinnern werden, versprochen hatte, nicht
zu veröffentlichen – überraschte ihn. Als ich sein Buch dann
endlich las, dämmerte es mir, daß er mich nur aus einem
Grund eingeladen hatte. Er konnte dann nämlich allen
Reportern in Zukunft sagen: »Hey, wie schlimm soll das alles
gewesen sein? Nichelle war Thanksgiving bei mir!«
Ich war mehr als nur aufgebracht über Bills Buch. Kein
Wunder, daß ich seine Kommentare nicht wie versprochen
lesen durfte. Ich vermute, ich sollte vorher nicht erfahren, daß
in seinem Buch seitenweise angebliche Zitate von mir stehen,
die buchstäblich alle aus dem Zusammenhang gerissen sind.
Seine Haltung Gene und dem Rest der Stammbesetzung
gegenüber – mit Ausnahme von Leonard – war herablassend,
und seine Darstellung mehrerer Ereignisse war einfach falsch,
ganz besonders was unsere Kußszene betraf. Ich habe keinen
Wutanfall bekommen, wie Bill es behauptet. Und wir haben
uns richtig geküßt und nicht simuliert. Ich könnte hier endlos
weitermachen, aber es reicht, wenn ich sage, dies ist meine
Widerlegung seiner Verzerrungen und direkten Lügen.
Eine Passage, die mich ganz besonders geärgert hat, war die,
in der Bill meine Beziehung zu Gene beschreibt – ein Thema,
über das ich niemals mit ihm gesprochen habe! Es schmerzte
mich, lesen zu müssen, ich hätte Genes ›Appetit‹ als
›unersättlich‹ beschrieben, was dann so hingebogen wurde, als
würde ich damit auf Genes Sexualität anspielen. Als ich mein
Buch verkauft hatte, war dieses ›Zitat‹ bereits durch die ganze
Presse gegangen. Ein paar ausgesuchte Toplektoren hatten
mein Konzept unter dem Siegel der Verschwiegenheit erhalten.
Irgend jemand hatte sich diesem Wunsch dann absichtlich
widersetzt. Ein Satz aus dem Konzept, in dem ich schrieb,
Gene hätte einen »unersättlichen Appetit auf das Leben«
gehabt – nicht auf Sex –, tauchte plötzlich überall auf, wurde
aber irreführenderweise als eine sexuelle Anspielung
interpretiert.
Es ist zwar traurig, daß Klatschkolumnisten und
Boulevardzeitungen so etwas mit Begeisterung aufnehmen und
veröffentlichen, aber auch keine Überraschung. Doch als
Prominenter weiß Bill, wie die Medien funktionieren.
Angesichts der jahrzehntelangen Diskretion, meiner
Zurückhaltung ihm gegenüber, über Gene zu sprechen, und
dem anzüglichen Ton des ›Zitats‹ war ich der Meinung, daß
Bill mich anstandshalber wenigstens hätte fragen können, ob
dies nun der Wahrheit entsprach. Natürlich war das nicht
passiert, und es schmerzte mich tief, solch einen Unsinn in
seinem Buch lesen zu müssen.
Etwa zur selben Zeit hörte man im Studio eine Menge Gerede
über einen siebten Star Trek-Film. Ursprünglich sollte die
klassische Stammbesetzung mit den Darstellern von The Next
Generation zusammentreffen, deren Serie Anfang 1994
eingestellt wurde. Es zirkulierten mehrere Drehbuchentwürfe,
und obwohl ich nie eins davon in die Hände bekam,
versicherten mir mehrere Freunde, unsere Rollen seien sehr
klein. Dann entschied sich Paramount, nur Bill, Leonard und
Dee zu nehmen. Als die Produktion endlich begann, stellte
man Bill schließlich Walter und Jimmy zur Seite, nachdem
Dee und Leonard sich kategorisch weigerten. George und ich
wurden gar nicht erst gefragt.
Ich saß gerade an diesem Kapitel, als mich Walter Koenig
anrief. »Ich weiß, du arbeitest an deinem Buch, Nichelle, und
ich dachte, du würdest es gern wissen wollen.« Dann
berichtete er mir von einem Zwischenfall, der sich bei den zu
dieser Zeit gerade stattfindenden Dreharbeiten zum siebten
Star Trek-Film zugetragen hatte. Anscheinend hatte Whoopi
Goldberg erst am Drehort erfahren, daß Uhura nicht in dem
Film vorkam. Whoopi, die sich stets freimütig zu der
Inspiration bekannt hat, die Uhura, Gene, Star Trek und ich als
schwarze Schauspielerin für sie darstellten, war außer sich vor
Wut gewesen. »Wo zum Teufel ist Nichelle?« hat sie laut
Walter gesagt. »Die Fans haben Jahre darauf gewartet,
Nichelle und mich – Uhura und Guinan – zusammen auf dem
Bildschirm zu sehen.«
Gott segne diese wunderschöne Frau. Es erfüllt mich mit
Stolz, sie Freundin nennen zu dürfen.
Natürlich ist alles möglich, und ich kann nicht mit Sicherheit
sagen, daß ich eine weitere Chance ausschlagen würde, an
Bord der Enterprise gebeamt zu werden, selbst wenn Captain
Kirk am Ruder steht. Doch was Bill persönlich angeht, muß
ich mit einigem Bedauern und mittlerweile tief verletzten
Gefühlen sagen: »Dieser Kommunikationskanal ist
geschlossen. Uhura Ende.«

Ich schlief und träumte auf meiner Couch im Wohnzimmer, als


mich ein lautes Krachen und das widerwärtige Gefühl, auf
einer Achterbahn zum Mittelpunkt der Erde zu rasen,
hochschrecken ließen. Es gab einen Lichtblitz, dann wurde
alles dunkel; der Boden, die Wände und die Couch gerieten in
ruckartige Bewegungen, der Erdboden selbst schien in seiner
Wut aufzuschreien.
Es ist soweit, dachte ich. Das große Beben. Ich werde
sterben.
In den ersten gesegneten Augenblicken der
wiedereingekehrten Stille schloß ich meinen Frieden mit Gott,
da ich fürchtete, die Bestie würde sich erneut erheben und ich
nie wieder diese Chance bekommen. Sie enttäuschte mich
nicht. »Der Herr ist mein Hirte…« Der Durchlauferhitzer
krachte gegen die Wasserrohre, der Kessel grollte, als würde er
jeden Moment explodieren. »Nichts wird mir fehlen…« Glas,
Porzellan und Kristall regneten zu Boden, während das Beben
langsam nachließ. »Die Huld und die Gnade folgen mir, durch
all meines Lebens Tage«, flüsterte ich demjenigen zu, der
zuhörte, während ich versuchte, in der Dunkelheit und den
Zerstörungen etwas zu sehen. »Und wohnen darf ich im Hause
des Herrn…« Der Boden schien zu vibrieren, einige Bohlen
krachten. Aber es war vorbei. »Durch lange und lange Zeit.
Amen.«
Ich war allein. Ich griff nach meiner Brille und fand sie
wunderbarerweise auch. Aus den Augenwinkeln sah ich einen
schwachen Lichtschimmer, und als ich mich darauf zubewegte,
erkannte ich, daß es sich um das Seniorentelefon meiner
Mutter handelte. Das Erdbeben hatte den Hörer von der Gabel
gestoßen, und ich nahm ihn auf, drückte auf eine Taste und
wäre beinahe vor Erleichterung in Tränen ausgebrochen, als
ich das Freizeichen hörte. Wie ich bald herausfinden sollte,
hatte das Beben jede andere Telefonleitung im Haus
unterbrochen. Nur der Anschluß meiner Mutter funktionierte
noch; ich hatte es nach ihrem Tod nicht übers Herz gebracht,
ihn abzumelden. Im ganzen Telefonnetz herrschte ein solches
Chaos, daß ich zwar wählen, aber niemanden erreichen konnte.
Es gab ein Nachbeben, das mich davon überzeugte, lieber dort
sitzen zu bleiben und abzuwarten. Das kleine Licht gab mir ein
Gefühl der Sicherheit. Ich wußte, daß Mom bei mir war.
Als später Jim kam, um zu sehen, ob ich überlebt hatte,
begutachteten wir mit einer Taschenlampe den Schaden. Er
war unglaublich. Der große Fernseher im Wohnzimmer war
umgestürzt und hatte meinen Kopf nur um Haaresbreite
verfehlt. Erbsen, Oliven, Reis, Zucker, Öl, Honig und Milch
aus dem Kühlschrank und den Vorratsschränken bedeckten
den Küchenboden, zu einem Teufelsmenü vermengt und mit
zerbrochenen Tellern und Glassplittern gewürzt. Im
Musikzimmer war das Klavier quer durch den Raum
gewandert, und jedes Gerät, jedes Band und jedes Notenblatt
lagen auf dem Boden. Vor der Wand, die einst mit Star Trek-
Erinnerungen gefüllt gewesen war, lagen zerschmetterte kleine
Spocks, Sulus, Uhuras und Raumschiffe und bildeten ein
eindrucksvolles Modell des schlimmsten Transporterunfalls,
den sich Dr. McCoy je in seinen Alpträumen ausgemalt hat.
Wo waren nur diese verdammten Schutzschilde, wenn man sie
brauchte?
Erleichtert, daß ich unversehrt war, eilte Jim zu seiner
Familie zurück. Bewaffnet mit einer Taschenlampe, einem
Radio und einer großen Flasche Wasser fing ich an zu wählen.
Im Erdbebengebiet kam keine Verbindung zustande, aber um
sechs Uhr morgens erreichte ich meinen Sohn Kyle in Santa
Fe, New Mexico. Da er ein paar kleine Erdbeben überstanden
hatte, konnte er den Ernst der Situation nicht ganz verstehen.
Da ich jedoch nun einmal seine Mutter war, brach ich nicht
zusammen, als ich ihm erzählte, es gäbe weder Gas, Wasser,
noch Strom, dafür viele Schäden. Er verstand und versprach,
den Rest der Familie zu informieren, daß mir nichts passiert
war.
Ich ging den Korridor entlang, um etwas fürs Frühstück
zusammenzusuchen. Auf dem Boden lag eine Dose Pate, unter
dem Tisch ein schönes Stück Käse, und irgendwo anders ein
Stück frisches Brot und ein paar Cracker. Mir fiel die
›Erdbebennotausrüstung‹ wieder ein, die mein zweiter Mann
und ich zwanzig Jahre zuvor zusammengestellt hatten, und
wußte, daß noch eine eminent wichtige Sache fehlte: eine
Flasche Piper-Heidsieck-Champagner. Und tatsächlich, da war
eine. Nicht weit davon entfernt lag eine unversehrte
Kristallflöte aus dem Satz, den Mutter mir zu meiner zweiten
Hochzeit geschenkt hatte. Ich packte alles zusammen und
bahnte mir den Weg zurück ins Wohnzimmer.
Die Sonne ging auf, und ich ertappte mich dabei, wie ich die
Champagnerbläschen betrachtete, die der Oberfläche
entgegenperlten. Erschöpft, durcheinander und überwältigt von
dem, was die nächsten Minuten, von den nächsten Tagen ganz
zu schweigen, bringen würden, saß ich ganz still da. Es war
nicht das erste Mal, daß ich mich auf den Tod vorbereitet hatte,
und es würde bestimmt auch nicht das letzte Mal sein. Ich hatte
keinen Ort, an den ich gehen konnte, und im Augenblick auch
nichts anderes zu tun, als meinen Champagner zu trinken und
die Pate zu genießen. Als ich mir die schlimmsten Nachbeben
vorstellte – mit denen wir noch wochenlang zu tun hatten, als
die Erde uns wenig sanft daran erinnerte, welchen Platz wir im
großen Plan der Dinge tatsächlich einnehmen –, kollidierten
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, im buchstäblichen
wie auch im bildlichen Sinne.
Da saß ich und fühlte, was ich schon so oft zuvor gefühlt
hatte: Dies ist erst der Anfang, wieder einmal; ich bin weit
gekommen – und habe Uhura weit hinter mir gelassen.
EPILOG

Ich glaube fest an das alte Sprichwort, daß sich am Ende des
Lebens der Kreis schließt; es ist eine meiner
Lieblingsweisheiten, die auf der ganzen Welt zu finden ist,
vom alten China bis nach Chicago. Allerdings sehe ich das
persönlich etwas anders. Ich glaube, daß wir uns statt in einem
Kreis zu bewegen und immer weder zu demselben
Ausgangspunkt zurückzukehren, eine unendliche Spirale
entlangbewegen, die unserer grundlegenden physischen
Struktur gleicht – der Spirale des DNA-Moleküls. Erreichen
wir den Ausgangspunkt, befinden wir uns auf einer anderen
Ebene, die hoffentlich eine Etage höher liegt.
In diesem Buch habe ich einige der interessanteren Ereignisse
meines Lebens in Gedanken wieder lebendig werden lassen
und niedergeschrieben. Jedoch hoffe ich, daß Uhura mehr als
das bietet. Ich hoffe, daß das Buch etwas bewirkt, das mit
meinem Glauben an die kontinuierlich nach oben führende
Lebensspirale in Einklang steht. Nun habe ich, da ich die
Tradition weiterführen möchte, eine Figur der Zukunft
erschaffen: ein sehr eigenständiges, abenteuerliches und
positives intergalaktisches Rollenmodell. Ich habe sie Saturna
genannt, nach dem Planeten, unter dessen Einfluß ich stehe.
Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts zur Welt
gekommen, ist Saturna das Kind von Tetrock, einem
Fazisianer, und Nyota Domonique, einer irdischen Frau. Die
beiden sind die jeweiligen Leiter interplanetarischer
Expeditionen, die sich auf Titan, dem größten Saturnmond,
begegnen und verlieben. Ihre wissenschaftlichen Experimente
und Saturnas Zeugung verstoßen gegen die Gesetze ihrer
beider Welten, und so wird Saturnas Existenz das gefährliche
Geheimnis eines alten Faszisianers namens Krecis, der sie
aufzieht.
Saturnas Abenteuer beginnen in Saturn’s Child, meinem
ersten Roman, der in naher Zukunft bei Putnam erscheinen
wird und in Zusammenarbeit mit der bekannten Science
Fiction-Autorin Margaret Bonanno entstanden ist. Auch wenn
ich es bin, die dies (schamlos!) sagt: Saturna verspricht die
aufregendste weibliche Romanfigur zu werden, die die Welt
der Science Fiction seit Robert Heinleins Friday (da wir von
Kreisen und Spiralen gesprochen haben; wie mir Heinlein
erzählt hat, wurde ihre Erschaffung von Uhura inspiriert)
gesehen hat.
Sie wird Ihren Quadranten besuchen, bevor Sie
Desoxyribonukleinsäure sagen können! Halten Sie nach Ihr
Ausschau, während sie im einundzwanzigsten Jahrhundert das
kontinuierlich fortsetzt, was in Uhura seinen Anfang
genommen hat.
Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen – es ist Zeit, nach
oben gebeamt zu werden! Vielen Dank, daß Sie an dieser
Reise teilgenommen haben.
DANKSAGUNG

Die Niederschrift meiner Erlebnisse war eine kathartsche und


zugleich traumatische Erfahrung. Ich muß so vielen Menschen
für so vieles danken, daß es unmöglich ist, sie alle einzeln zu
nennen. Dennoch möchte ich mich bei den folgenden Personen
ausdrücklich für ihre liebevolle Inspiration bedanken:
Dieses Buch wäre nicht ohne Patty Romanowskis
bedingungslose Hilfe entstanden, und ich danke ihr für ihre
Bemühungen, ihr Verständnis, ihre unfehlbare Anleitung, ihre
Zuneigung und ihr außerordentliches Talent.
Ich danke meinem Lektor George Coleman, der mich an der
Hand nahm und mich auf der ersten Reise durch das
literarische Labyrinth führte; des weiteren danke ich meinem
lieben Freund und juristischen Ratgeber Doug Conway, dessen
Initiative und Enthusiasmus erst den Antrieb für dieses Projekt
gaben und der mit seinem Wissen und seinem ständigen
Bemühen dafür gesorgt hat, daß die Verleger auf mich
aufmerksam geworden sind. Dank auch an meine
Literaturagenten Russell Galen und Shawna McCarthy, daß sie
an mich glaubten.
Ich danke Samuel und Lishia Nichols, die mich zur Welt
brachten, mir Stärke gaben und Wertmaßstäbe vermittelten;
Kyle Johnson, das Juwel meiner Existenz, der mir in jeder
Lebenslage Kraft gegeben hat und ohne den nichts einen Sinn
gehabt hätte; meinen beiden Schwestern Marian und Diane, die
die jeweiligen Manuskriptfassungen gelesen haben,
entscheidende historische und familiäre Details beisteuerten
und mich bei der Wiedergabe unserer Familiengeschichte
leiteten, damit unser Stammbaum nicht verzerrt wiedergegeben
wurde; meinen geliebten Verwandten Ruth, Billie, Frank,
Sammy und Tommy, die für Fotos und Erinnerungen sorgten
und mir Mut machten.
Ich danke meinen lieben Freunden Barnaby Davidson, Lillian
Lehman, Faith Lee, Shannon O’Brien, Allen Crowe, Judy Pace
Flood, Bruce Weber, Hy Sieger, Richard Arnold und Florence
Butler, die mich bei meinen unzähligen Vorhaben stets
großzügig mit Rat und Tat unterstützt haben. Tief
empfundener Dank gebührt auch Bunny Meechan, die das
oftmals überzogene Benehmen von aR-Way Productions
geduldig und tolerant hinnahm und deren Martini-Weisheiten
ich schätzen gelernt und mir bewahrt habe. Nicht zu vergessen
Vicki Johnson-Campbell, auf deren Freundschaft und
Sachverständnis man sich stets verlassen kann.
Erwähnen möchte ich auch meine Schwestern von Kwanza;
ihnen gehört meine tiefe Zuneigung, denn sie machen diese
Welt zu einem besseren Ort.
Ich danke Whoopi Goldberg und Dr. Mae Jemison; sie haben
mich so sehr inspiriert, wie ich sie inspiriert habe.
Ich danke Gene Roddenberry, der dafür gesorgt hat, daß ich
einen Platz in der Geschichte der Unterhaltungsindustrie
einnehme; der Mannschaft der Enterprise, die den Mythos zum
Leben erweckte, und meinen Fans auf der ganzen Welt, deren
Liebe und Treue eine Hauptstütze meines Lebens ist.
Zu guter Letzt danke ich meinem Freund und Partner Jim
Meechan, der mich vor einem Leben ohne Musik und Tanz
bewahrte, der Melodien komponiert, die in mir das Bedürfnis
weckten, wieder zu singen, der in sechzehn Jahren nichts von
dem vergessen hat, was ich je gesagt habe – und der dieses
Buch erst ermöglicht hat.

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