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Uhura
Star Trek®
und andere Erinnerungen
Deutsche Erstausgabe
KYLE JOHNSON
JIM MEECHAN
PROOFREAD BY
PROLOG
Als ich im Friedhof Forest Lawn auf dem Podium der Hall of
Liberty saß und die hier versammelten Trauergäste betrachtete,
deren Zahl in die Hunderte ging, konnte ich den Gedanken
nicht verdrängen, daß es genauso war, wie Gene es gern gehabt
hätte. Kein Sarg, keine Gebete, keine Kerzen.
Als überzeugter Humanist hatte sich Gene Roddenberry dem
Glauben verschrieben, daß die Zukunft in unseren sterblichen
Händen liegt, daß die Antworten auf unsere Fragen in uns
selbst zu finden sind, hier auf der Erde oder im Weltraum.
Daher war es nur passend, daß die Gedenkreden von Freunden
gehalten wurden, die seine Vision geteilt hatten, und nicht von
Vertretern organisierter Religionen, denen Gene vor langer
Zeit zugunsten einer Philosophie der Vernunft abgeschworen
hatte. Gene war vieles in seinem Leben gewesen, aber niemals
ein Heuchler. Im Gegensatz zu den meisten
Trauergottesdiensten war Genes Gedenkfeier ein richtiges
Fest, das sich durch ergreifende Erinnerungen und fröhliches
Gelächter auszeichnete; sie war eine Huldigung an den Mann,
der so viele Leben verändert und bereichert hatte. Niemand
leugnete, daß man ihn schmerzlich vermissen würde, aber das
Wissen, daß er durch die Macht seiner Träume und das Erbe
seiner Schöpfung für immer bei uns sein würde, spendete uns
Trost.
Gelegentlich warf ich einen Blick auf sein Porträt, das dort
auf einem Ständer ruhte, und wie immer fand ich mich von
seinen Augen angezogen. Falls jemand den Beweis suchte, daß
die Augen tatsächlich das Fenster zur Seele darstellen, mußte
er nur in Genes Augen blicken. Strahlend und blau funkelte in
ihnen sein unersättliches Verlangen nach dem Leben. In seinen
vielen Kämpfen – sowohl den persönlichen als auch den
beruflichen – hat er nicht einmal den Blick gesenkt. Und auch
wenn Genes Blick stets in die Zukunft gerichtet war, so stellte
er doch einen Mann des Augenblicks dar, der daran glaubte,
daß die Zukunft in der Gegenwart ihren Anfang nimmt. Genes
Gegenwart erinnerte einen daran, daß man im wahrsten Sinne
des Wortes lebendig war. Als ich die beiden Lieder sang, die
seine Frau Majel erbeten hatte – Paul McCartneys Yesterday
und Gene, mein Gedenken an ihn, das ich zusammen mit Jim
Meechan komponiert hatte –, mußte ich an seine unermüdliche
Energie, seine Hingabe und seinen Mut denken.
Der Pianist schlug die letzten Töne an, und irgendwie
schaffte ich es, das Lied zu beenden. Als ich zu meinem Platz
zurückging, konnte ich kaum glauben, daß Gene tatsächlich tot
war. Ich hatte ihn erst anderthalb Wochen zuvor noch besucht.
Er hatte in seinem Rollstuhl gesessen und mit einem Lächeln
die wunderschöne Ehrenplakette betrachtet, die ich für ihn
gemacht hatte. Sie trug die Aufschrift To the Great Bird of the
Galaxy sowie eine vergoldete CD des Albums, auf dem ich das
Lied Gene aufgenommen hatte. Er sah sich die Plakette genau
an, dann bat er mich, den Liedtext vorzulesen, der auf ein
Stück Pergament geschrieben stand:
»Gene«
Ich blickte beim Lesen auf und sah, wie Tränen ungehindert
seine Wangen hinabliefen. Da formte sich ein dicker Kloß in
meinem Hals, und ich wußte, daß ich diesen großartigen Mann,
dem ich seit so vielen Jahren meine Liebe und Zuneigung
entgegengebracht hatte, bald verlieren würde.
Gene wollte ein Foto von uns und der Plakette schießen
lassen, aber Ernie Over, sein Sekretär, sprach sich klugerweise
dagegen aus. Gene sah schlecht aus, doch obwohl ich
einerseits die Beweggründe verstand, war ich dennoch zutiefst
enttäuscht.
Ich hatte meinen Termin an dem vorangegangenen Freitag
mit Gene vereinbart. Mir war bekannt, daß er seit mehreren
Jahren an den Auswirkungen verschiedener chronischer
Krankheiten litt, einschließlich eines Schlaganfalls, der 1989
seine rechte Körperhälfte geschwächt hatte. An dem
Wochenende vor meinem Besuch hatte Gene einen Rückschlag
erlitten, aber Majel versicherte mir, daß sich Gene trotz seines
schlechten Gesundheitszustands sehr auf unsere Begegnung
freute. Sie sagte, es täte ihr leid, daß sie dann nicht zu Hause
sein könnte, aber Ernie und Genes Krankenschwester wären
da. Ich hatte in letzter Zeit öfter gehört, daß es Gene nicht gut
ging, und sein Sekretär hatte mich sogar behutsam vorgewarnt,
damit sein Aussehen kein zu großer Schock für mich war.
Ich wappnete mich. Aber als man mich in Genes Zimmer
führte, wo er mich in seinen hellgrauen Hosen und dem
hellblauen Hemd, das die Farbe seiner wunderschönen Augen
so zur Geltung brachte, erwartete, sah er wunderbar aus.
Andererseits kann ich mich nicht daran erinnern, ihn jemals in
einer Situation gesehen zu haben, wo er mir nicht wie der
vertraute alte Gene vorkam. Seine herzliche, couragierte,
manchmal durchaus auch unerbittliche Persönlichkeit war
immer deutlich zu spüren; daran konnten auch seine
nachlassende Gesundheit und die vielen Medikamente, die er
benötigte, nichts ändern.
Es schien ihn besonders berührt zu haben, daß ich ihm ein
Lied gewidmet hatte. Gene hatte meine Liebe zur Musik stets
verstanden und gefördert; es war eine Ironie, daß Lieutenant
Uhura, die Rolle, die wir gemeinsam erschufen, diesen Teil
meiner Karriere eine Zeitlang in den Schatten stellte, als ich an
Bord der Enterprise ging. (Zwar sorgte Gene dafür, daß Uhura
in einigen der Episoden sang, doch die Zuschauer nahmen an,
es würde sich um die Stimme einer Sängerin handeln, die
eingespielt wurde.) Obwohl wir durch seine futuristische
Schöpfung auf ewig miteinander verbunden sein werden, war
das nicht der Punkt, an dem unsere Geschichte ihren Anfang
nahm. Und auch nicht der, wo sie enden sollte.
Nach den ersten paar Sätzen wurde offensichtlich, daß Gene
zwar größtenteils er selbst war, es jedoch seine ganze Kraft
und Konzentration erforderte, diese Illusion für mich
aufrechtzuerhalten. Wir sprachen über persönliche Dinge, über
die wir uns schon so oft unterhalten hatten, doch diesmal
betonte Gene bestimmte Details auf eine eindringliche Weise,
so als wäre es ihm wichtig, daß ich auch begriff, daß jedes
seiner an diesem Tag geäußerten Worte eine neue, ganz
besondere Bedeutung hatte.
Er hielt meine Hand und sagte: »Nichelle, du weißt, daß ich
dich immer geliebt habe. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe:
Eines Tages wirst du unsere Geschichte erzählen.«
Ich umarmte ihn innig und wünschte ihm alles Gute. Und
dann verabschiedeten wir uns voneinander. Gene war zu
diesem Zeitpunkt schon eine ganze Weile krank gewesen, und
obwohl ich wußte, daß er aller Voraussicht nach trotzdem noch
einige Jahre leben würde, brach ich in der Minute, in der ich
wieder in meinem Auto saß, in Tränen aus. So sehr ich mich
dagegen auch sträube, es läßt sich nicht leugnen: Gene hat
gefühlt, daß seine Zeit gekommen war, und er war bereit, sich
dem Tod zu stellen, aber nicht in Resignation, sondern in
Akzeptanz. Später an diesem Tag wohnte er einer privaten
Vorführung von Star Trek VI: The Undiscovered Country bei;
zwei Tage später, am Donnerstag, dem 24. Oktober, starb er in
der Praxis seines Arztes an einem Blutgerinnsel. Majel war an
seiner Seite, wie sie es viele Jahre lang gewesen war.
Ich nahm meinen Platz auf dem Podium an der Seite der fünf
Redner wieder ein: Whoopi Goldberg, Patrick Stewart,
Christopher Knopf, E. Jack Neuman und Ray Bradbury.
Whoopi und Patrick waren Darsteller in Genes zweiter Star
Trek-Serie The Next Generation; Knopf, Neuman und
Bradbury waren wie er Schriftsteller und gute Freunde. Ich war
die einzige Vertreterin der Stammbesetzung der Originalserie,
obwohl einige von ihnen, einschließlich George Takei, Walter
Koenig, Leonard Nimoy und seine Frau Susan sowie Grace
Lee Whitney zur Trauerfeier erschienen waren.
Ich war fest entschlossen, nicht zusammenzubrechen wie an
dem Tag, als ich telefonisch die Nachricht von Genes Tod
erhielt. Das war acht Tage her, und ich hätte wirklich nicht
geglaubt, daß ich noch Tränen übrig hatte. Whoopi saß neben
mir, und sie nahm mich bei der Hand und hielt mich die ganze
Zeit über aufrecht, indem sie mir witzige Bemerkungen
zuflüsterte. Als ich fest davon überzeugt war, nun doch
zusammenzubrechen, beugte sie sich vor, deutete auf den
schwarzen, breitkrempigen Velourhut, den ich trug, und sagte:
»Komm schon, Mädchen, Denk an deinen Hut!« Ich
unterdrückte ein Kichern und lächelte dankbar. Mit ihrer Hilfe
überstand ich die Gedenkfeier.
In ihrer Rede erwähnte Whoopi, sie sei vor fünfundzwanzig
Jahren ein Kind gewesen, für das Lieutenant Uhura »die
einzige Vision verkörpert hat, wie schwarze Menschen in der
Zukunft leben sollten«. Vor fünfundzwanzig Jahren war ich
die junge Schauspielerin gewesen, die Uhura gespielt hatte.
Wie alle von Genes Charakteren verkörperte Uhura die
höchsten Werte der Menschheit und lebte nach Prinzipien, die
seiner Überzeugung nach eines Tages jedes menschliche
Bestreben leiten würden. Mit Star Trek erschuf Gene ein
phantastisches Werk, mit dessen Hilfe er eine zeitgerechte und
zugleich zeitlose Botschaft über die dem Menschen
innewohnende Macht verkündete, seine Zukunft zu gestalten.
Doch viel wichtiger war, daß er der Welt diese Vision gab: den
Autoren, um sie auszuschmücken; den Regisseuren, um sie zu
dramatisieren; den Schauspielern, um sie zu personifizieren
und real zu machen; und den Zuschauern, um sich an ihr zu
erfreuen, sie zu genießen und sie in ihre eigenen Hoffnungen
für die Zukunft und die Menschheit einfließen zu lassen.
Der Mann, den ich 1963 kennenlernte, war noch nicht The
Great Bird of the Galaxy oder der Vater der Enterprise. Er war
ein Drehbuchautor und Produzent auf der Suche nach der
geeigneten Form für seine progressiven – für manche auch
provokativen – Ideale von Gleichheit, Freiheit und
persönlicher Verantwortung. Im Gegensatz zu manch anderem
äußerte Gene diese Gedanken nicht, weil sie gerade in Mode
waren – was zu dieser Zeit nämlich nicht der Fall war. In
einem ein paar Monate vor seinem Tod gedruckten Interview
im The Humanist sagte er: »Sie müssen wissen, daß Star Trek
mehr als nur meine politische Philosophie darstellt. Es ist
meine soziale Philosophie, meine Philosophie, was unsere
verschiedenen Rassen angeht; so sehe ich das Leben und den
Zustand der Menschheit.« Man konnte Gene genausowenig
von seinen Anschauungen und Überzeugungen trennen, wie
man ein Stück aus dem Himmel herausschneiden kann. Sie
waren eins. So war Gene eben.
Viele Menschen fanden Genes beharrliche Intensität einfach
einschüchternd; ich nicht. Vielleicht lag das daran, daß ich in
einer, was das Rassenproblem anging, integrierten Familie
aufwuchs, die über drei Generationen hinweg von den gleichen
sogenannten futuristischen Konzepten wie Rassengleichheit
und Vernunft geformt worden war, die Gene in Star Trek zum
Ausdruck brachte. Einige Male riskierten meine Eltern und
Großeltern ihr Leben für das, was sie für richtig hielten. Sie
lebten ihr Leben – in großen und in kleinen Dingen – im
Dienst von Träumen und Prinzipien, die die meisten ihrer
Zeitgenossen für dumm, unmöglich oder einfach für falsch
hielten. Wie Gene und seine Starfleet-Nachkommen waren sie
Pioniere an einer neuen Grenze, die dorthin gingen, wo noch
nie zuvor ein Mensch gewesen war. Als ich Gene zum
erstenmal meine Familiengeschichte erzählte, hörte er
aufmerksam zu. Und mir war klar, daß er auch meine
Angehörigen als verwandte Seelen betrachtete. Und das waren
sie auch. Obwohl es allein meiner Mutter vergönnt war,
Lieutenant Uhura ›kennenzulernen‹, weiß ich, daß mein weißer
Großvater und meine schwarze Großmutter sie sofort
verstanden und niemals in Frage gestellt hätten, daß sie oder
einer ihrer Nachkommen die ihnen in der Zukunft zustehende
Position auch einnehmen würden.
Angemessenerweise endete die Gedenkfeier mit der Rede
Patrick Stewarts, dem Captain Picard der zweiten Fernsehserie.
Gene hatte vor über zwei Jahrzehnten den draufgängerischen,
wagemutigen Captain Kirk und den allein von der Logik
beherrschten Mr. Spock als seine eigenen Alter egos
erschaffen. Es war bezeichnend, daß sein neuer Captain zwar
Züge beider Charaktere aufwies, es sich bei ihm jedoch um
einen älteren Mann handelte, der im Laufe der Jahre an
Gelassenheit gewonnen, dabei aber keineswegs an
Temperament verloren hatte. Das galt auch für Gene.
Nachdem zwei Dudelsackspieler in Kilts Amazing Grace
gespielt hatten, hallte eine Tonbandaufnahme von Gene durch
die Halle, auf der er uns wieder einmal daran erinnerte, daß
eine wunderbare Zukunft auf die Menschheit wartet,
vorausgesetzt, wir bringen sie zustande. Nach dem Ende der
Gedenkfeier versammelte sich alles draußen, um den letzten
Tribut mitzuerleben, eine Staffel der Air Force, die vorbeiflog.
Dort standen wir mit Hunderten von Fans, die in der
strahlenden Herbstsonne gewartet hatten, um ihr Beileid zu
bekunden. Als in der Ferne Motorengedröhn ertönte, drehten
wir uns alle um und betrachteten den Horizont. Vier Flugzeuge
erschienen an dem großartigen strahlendblauen Himmel und
hielten Formation, bevor sich eins von der Gruppe löste und
gen Himmel strebte, um Gene zu symbolisieren, der von uns
gegangen war.
Bei allem nötigen Respekt für diese wunderschöne Tradition
interpretiere ich es anders. Meiner Meinung nach ist Gene
nicht von uns gegangen; er hat einfach seine Reise an einen
Ort fortgesetzt, den er selbst sich nicht erlaubt hätte mit einem
Namen zu belegen oder sich auszumalen. Ob es zu einem Ort
geht, den noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat, wird jeder
von uns selbst herausfinden müssen. Aber ich bin der festen
Überzeugung, daß – wo auch immer Gene jetzt ist – er eines
Tages erleben wird, wie sich sein Traum der Zukunft erfüllt,
und zwar nicht in einer Filmkulisse, sondern im Weltall, in
einer Zeit, in der die Neigung der Menschheit zu Haß und
Intoleranz nur noch eine Erinnerung ist.
1
Mein Weg erstreckte sich vor mir, leuchtend und klar. Es war
allein meine Mutter, die mich zurückhielt. Das glaubte ich
jedenfalls. Mittlerweile stritten wir ständig über alles und
nichts, und ich war fest davon überzeugt, daß sie mich haßte.
In meiner Wut und Verzweiflung wollte ich sie ebenfalls
hassen, aber wie konnte ich? Hier war eine Frau, die mich
ständig kritisierte – zumindest hatte es den Anschein. Doch
gleichzeitig war sie dieselbe Frau, die sich darum kümmerte,
daß ich die besten Kleider trug und jede Einzelheit der
Etiquette beherrschte, die mir beibrachte, Qualität zu erkennen,
ob es sich nur um ein Paar Schuhe handelte oder um Literatur.
Sie ermutigte mich zum selbständigen Denken, zum Schreiben
und zur Unabhängigkeit von anderen Menschen, wobei sie sich
durchaus einschloß. Wenn sie es war, von der ich meine
Unabhängigkeit geerbt hatte, warum wollte sie sie dann
unterdrücken? Warum versuchte sie, mir all das zu nehmen,
was sie mir zu schätzen beigebracht hatte?
Die Antwort war so einfach und offensichtlich, aber so
welterfahren ich mich im Alter von sechzehn Jahren auch
fühlte, einige der Dinge, die das Kindsein mit sich brachte,
folgten mir wie mein eigener Schatten. Das Geheimnis meiner
Mutter und unserer stürmischen Haßliebe war eines von ihnen.
Da ich keine Lösung für unsere Probleme sah, entschied ich
mich, mein Zuhause zu verlassen – auf die eine oder andere
Weise. Zu dieser Zeit und an diesem Ort war es alles andere
als leicht, von den Eltern wegzukommen. Selbst wenn ich
achtzehn, neunzehn oder zwanzig gewesen wäre -eine
unverheiratete junge Dame wohnte nicht allein, zumindest
keine respektable Dame. Und so sehr ich meine Mutter auch
›hassen‹ wollte, respektierte, verehrte, ja, liebte ich meine
Familie.
Meine Erlösung kam eher zufällig an einem heißen
Augusttag. Meine Nichte Barbara, die zwei oder drei Jahre
jünger als ich war, kam aus New York zu Besuch. Wir hatten
beide große Träume: Ich würde eine berühmte Sängerin und
Tänzerin werden, Barbara eine Ärztin.
Ein sintflutartiger Regen ging nieder; es war der erste kühle
Tag in jenem August. Als Barbara und ich endlich das Haus
verlassen konnten, trug ich einen grünen Kaschmirpullover
(ich trug den Spitznamen Cashmere Kid), einen langen
Ballerinarock und große Ohrringe. Mein Haar war zum Pony
geschnitten.
Die Straßen der Stadt funkelten in der kühlen Brise, als wir
uns zum Chicago Art Center begaben, wo ein Theaterfestival
mit Künstlern aus aller Welt abgehalten wurde. Auf der einen
Etage gab es Ballettvorführungen und eine Truppe echter
afrikanischer Tänzer, auf der anderen eine Gruppe mit
komischen Improvisationen und ein Repertoiretheater. Wir
hatten gehört, daß später Sänger aus Broadwayshows und der
Oper auftreten sollten, also entschieden wir uns zu warten.
Um die Zeit totzuschlagen, spazierten wir in die dritte Etage,
angezogen vom deutlich hörbaren Klicketiklack von
Steptanzschuhen. In einer großen Übungshalle, die von einer
viereinhalb Meter hohen Fensterfront erhellt wurde, standen
dreißig bis vierzig Tänzer – es handelte sich um professionelle
Künstler, die Hunderte von Meilen für diesen ganz speziellen
Workshop angereist waren – und sahen andächtig dem
Gasttanzlehrer zu. Er trug einen Anzug aus kupferfarbener
Seide, und mit seinem rotblonden Haar und der honigfarbenen
Haut bot er ein prächtiges Bild. Das hinter ihm einfallende
abnehmende Sonnenlicht tauchte ihn in eine goldene Aura, und
er glitt so mühelos über den Eichenboden, daß es den Anschein
hatte, er würde schweben. Ohne die gleichmäßigen,
verzaubernden Stepschritte hätte man nicht bemerkt, daß er
überhaupt die Füße bewegte.
»Barbara«, flüsterte ich ganz ruhig, »siehst du diesen
goldenen Mann dort?«
»Hm«, erwiderte sie geistesabwesend.
»Diesen Mann werde ich heiraten!« In genau dieser Sekunde
drehte sich der Tänzer zu mir um, seine smaragdgrünen Augen
funkelten, und ihr Blick hielt mich fest. Ich erwiderte den
Blick und geriet noch tiefer in seinen Bann.
»Um Himmels willen!« zischte Barbara. »Den alten Mann?
Der muß doch mindestens dreißig sein, wenn nicht noch älter!«
Ja. Ich nickte. Ja. Endlich.
Sein Name war Foster Johnson, wie ich schnell herausfand.
Er war ein brillanter Künstler und hatte mit seinem Partner
Bobby Johnson (sie waren nicht verwandt) die berühmten
Nicholas Brothers in Kiss me Kate ersetzt. Sie waren mit dieser
Produktion der National Company auf Tournee gegangen.
Foster war eine Legende unter den Tänzern. Er konnte Fred
Astaire aussehen lassen, als würde er stillstehen. Er war
attraktiv, gewandt und so charmant, daß er dem Teufel ein
Versprechen hätte abringen können. Außerdem neigte er zu
Phasen mürrischen Schweigens und launischen Ausbrüchen,
die ich, da ich jung und naiv war, seinem künstlerischen Talent
zuschrieb und für ziemlich romantisch hielt. Und ich verliebte
mich Hals über Kopf in ihn.
Es war klar, daß meine Eltern niemals mit unserer Liebe
einverstanden sein würden, aber vom ersten Kuß an wußte ich
auch, daß es ihnen niemals gelingen würde, uns
auseinanderzubringen. Foster war fünfzehn Jahre älter als ich,
ein Mann von Welt, und zwar in jeder Hinsicht. Ich sei zu
jung, würden sie sagen. Ich solle das College besuchen,
würden sie sagen. Und sie hatten recht. Aber ich war siebzehn,
und Foster liebte mich. Zusammen würden wir das größte
Gesangs- und Tanzpaar werden, das die Welt gesehen hatte.
Und genau wie meinem walisischen Großvater würde mir
niemand vorschreiben, was ich zu tun hatte oder wen ich
lieben sollte.
Da ich genau wußte, daß meine Eltern dagegen sein würden,
nahm ich den einzigen Ausweg, der mir meiner Meinung nach
blieb. Nun könnte sich der Eindruck aufdrängen, daß Foster
ein hinterhältiger älterer Mann war, der meine Unschuld
ausnützte. Falsch. Ich ließ mich mit offenen Augen auf unsere
Beziehung ein. Ich hatte gewartet und mich für einen
intelligenten, angenehmen Mann ›aufgespart‹, für jemanden,
der meine Träume verstand, der meinen Ehrgeiz anstacheln
und meinen Erfolg genießen würde. Und ich hatte ihn
gefunden. Außerdem hatte ich den Weg gefunden, um
sicherzugehen, daß uns meine Eltern nicht
auseinanderbrachten, daß mein Vater Foster nicht aus der Stadt
jagte oder ihn mit einem dieser großen schwarzen Colts
erschoß. Ich wußte, daß er gegenüber dem Vater seines Enkels
seine Wut zügeln würde, und so sorgte ich dafür, daß der fait
accompli da war, als ich Foster meinen Eltern vorstellte.
Mutter und Vater waren entsetzt, und ihre Enttäuschung brach
mir fast das Herz. Doch ich setzte meinen Willen durch.
Wir heirateten Anfang 1951 kurz nach meinem achtzehnten
Geburtstag und fuhren bald los, um Fosters Vater in
Chillicothe, Ohio, zu besuchen. Will Johnson war ein süßer,
robuster alter Ire; er umarmte uns und schloß mich sofort ins
Herz. Wir verbrachten so etwas Ähnliches wie Flitterwochen
in seinem großen alten viktorianischen Haus und schliefen und
liebten uns in einem riesigen Messingbett, das so hoch war, das
ich eine Trittleiter brauchte, um hineinzukommen. Papa, wie
ich Fosters Vater nannte, schob immer eine in ein Handtuch
eingewickelte Flasche mit heißem Wasser unter die Laken.
Jede Nacht lag ich nun neben meinem frisch angetrauten
Ehemann, dem Vater meines ungeborenen Kindes, und sank in
seligen Schlaf, ohne zu ahnen, daß es Jahre dauern würde, bis
ich ein solches Glück wieder erleben durfte.
Foster und ich starteten eine Tournee und traten mit unserem
Tanz- und Gesangsakt in Cleveland, Columbus, Toledo und
Pittsburgh auf. Überall hatten wir überragenden Erfolg; alles
gestaltete sich so, wie ich es mir erträumt hatte. Aber nach ein
paar Wochen verblaßte unsere Liebe. Einige von Fosters
Gewohnheiten flößten mir Unbehagen ein, doch noch war ich
zufrieden. Warum sollte es ihn stören, wenn ich mich weigerte,
mit ihm und seinen Freunden Marihuana zu rauchen? Wenn er
ohne mich trank, nun, dann lag das daran, daß ich eben nicht
trank, davon abgesehen war Alkohol sowieso nicht gut für das
Baby. Ich erkannte Fosters wahre Natur erst an dem Tag, an
dem er verkündete: »Ich streiche deine Ballade aus dem
Auftritt.«
»Aber die ist doch immer gut angekommen«, meinte ich
verblüfft.
»Sie ist draußen!« erwiderte er wütend. »Sie verlangsamt die
Show.«
Als er dann ›vorschlug‹, ich solle in Ohio bei seinem Vater
bleiben, während er in Cincinnati solo auftrat, hatte ich genug.
Ich weigerte mich. Wenn sie den großen Foster Johnson allein
wollten, in Ordnung. Wenn er wollte, daß ich dem Club
fernblieb, auch gut. Zumindest waren wir zusammen, wie ich
mir immer wieder einredete. Nur das zählte. Die beiden
Wochen in Cincinnati regnete es in Strömen. Ich fühlte mich
wie eine Gefangene.
Von allen Leuten kam ausgerechnet meine Mutter als
Retterin. Wir hatten seit meinem Auszug keine Verbindung
gehalten, aber meine einfallsreiche, unbezähmbare Mutter
spürte mich auf, um mir mitzuteilen, daß Duke Ellingtons PR-
Mann zu Hause angerufen hatte. Duke kam nach Chicago und
wollte sich mit mir treffen. Ich freute mich riesig, aber als ich
Foster die gute Nachricht überbrachte, verfinsterte sich sein
Gesicht. »Du weißt, das wir andere Engagements haben«,
sagte er.
»Ja, aber nicht in den nächsten zehn Tagen. Warum nicht
zurückfahren und sehen, was er will?« bettelte ich. Foster
willigte zögernd ein, und wir kehrten nach Chicago zurück, wo
wir bei meinen Eltern wohnten.
Ich ging allein ins Palmer House Hotel, wo Duke residierte.
»Ich habe nie vergessen, wie ich Sie vor zwei Jahren bei der
Show im College Inn gesehen habe«, sagte er herzlich. »Ich
habe eine neue Suite mit dem Titel ›Monologue Duet and
Threesome‹ komponiert. Die Tänzerinnen, die den
Monologteil interpretiert haben, verlassen die Truppe. Wären
Sie daran interessiert, diesen Tanz für mich zu
choreographieren und darzustellen?«
Mein Herz pochte so laut, daß es mich nicht überrascht hätte,
wenn es alle gehört hätten. Ich erinnerte mich daran, gelesen
zu haben, daß die große Tänzerin Ann Henry die Rolle
bekommen hatte. Und jetzt bat mich Duke Ellington, sie zu
ersetzten. In weniger als einer Minute schossen mir so viele
Gedanken durch den Kopf. Ich war im zweiten Monat
schwanger, und noch war nichts zu sehen. Das Engagement
würde sechs Wochen dauern. Wie würde ich dann aussehen?
Wäre ich nicht verheiratet und schwanger gewesen, hätte ich
mir darüber keine Sorgen machen müssen. Aber so lagen die
Dinge nun einmal, und ich war noch immer entschlossen, Ehe,
Karriere und Mutterschaft auf einmal zu meistern.
»Was ist mit Ihren Tänzern?« fragte ich, wobei ich darüber
nachdachte, ob ich mit Ann arbeiten würde, und ob ich Foster
allein lassen konnte, so wie er mich nach Ohio hatte schicken
wollen. Würde er das zulassen?
»Sie wären dafür verantwortlich, zwei neue Tänzer
auszusuchen, mit ihnen das Stück einzustudieren und in zwei
Wochen reisefertig zu sein.«
Ich seufzte. »Ich werde fertig sein!«
Der Duke lächelte sein umwerfendes Lächeln und schnurrte:
»Ich weiß, daß Sie das sein werden. Sie werden großartig
sein.«
Ellington war ein faszinierender Mann, aber er war auch sehr
vielschichtig. Egal, wie herzlich man auch von ihm
aufgenommen wurde, die Annahme, daß man alle seine
Gedanken und Gefühle kannte, wäre sehr dumm gewesen. Und
so blieb selbst bei meinen erfolgreichsten Verhandlungen eine
unauslöschliche Spur Unsicherheit.
Ich eilte nach Hause, um Foster alles zu erzählen, der so
aufgeregt wie ich schien. Er telefonierte sofort mit Bobby
Johnson, und ein paar Tage später traf sein ehemaliger Partner
in Chicago ein. Der Duke schickte mir eine Tonbandaufnahme
seines Monologs mit dem Titel Pretty and the Wolf, zusammen
mit Anmerkungen, wie seine Vorstellungen aussahen. Zu
klassischer Ellington-Musik rezitierte der Duke ein Gedicht,
das die Geschichte eines unschuldigen Mädchens vom Lande
erzählte, das dem teuflischen Einfluß eines Goldketten
schwingenden ›Wolfes‹ erliegt. Er enthüllt ihr, ›was sie alles
tun muß, will sie Erfolg haben‹, und Pretty lernt schnell. Am
Ende des Stücks schwingt Pretty eine mit Diamanten besetzte
Goldkette; das Blatt hat sich gewendet.
∗
Anzug mit langer taillierter Jacke, breiten wattierten Schultern und
Röhrenhosen; Anm. d. Übers.
wunderschöne Miss Nichols vor – unsere neueste, und wie ich
glaube, beste Pretty.«
Alles applaudierte und lächelte, und ich fühlte, wie ich
errötete. »Ach ja«, fügte Ellington hinzu, als wäre es ihm erst
nachträglich in den Sinn gekommen. »Das dort drüben sind
natürlich Prettys Wölfe. Die Johnson-Brüder.« Ellingtons
Verachtung für meinen Mann war unmißverständlich. Wie ich
später erfuhr, hatte Foster ihn bei seinen Bemühungen um eine
schöne Frau ausgestochen, und der Duke hatte ihm nie
verziehen.
Foster war rasend vor Zorn und zerrte mich bald aus der Tür.
Ich war wütend, daß er mich nicht vorgewarnt hatte, und
fürchtete, mein großer Durchbruch würde sich in ein Debakel
verwandeln. Aber der große Ellington war zu anständig, um so
etwas zu tun. Nach der Premiere war anscheinend alles
vergessen. Nun, fast alles. Ellington war mir gegenüber nun
deutlich reservierter und beobachtete mich jeden Abend aus
zusammengekniffenen Augen. Er erwähnte Foster mir
gegenüber nie wieder, aber das brauchte er auch nicht. So war
es eine große Überraschung, als er mich eines Tages nach der
Nachmittagsvorstellung in seine Garderobe bat.
Er grüßte mich mit einem ungewöhnlich herzlichen Lächeln.
»Was ist das für ein Gefühl, Erfolg zu haben?« fragte er. Bevor
ich antworten konnte, fuhr er fort. »Sie sind eine gute
Tänzerin. Singen Sie für mich. Ich weiß, daß Sie singen
können.«
»Nun, sicher kann ich das!« stieß ich völlig überrascht
hervor. Aus irgendeinem verrückten Grund fiel mir ein
abwertender Witz ein, den schwarze Musiker machten, wenn
jemand eine besonders schwierige Passage von Ellington
meisterte, und ohne nachzudenken wiederholte ich ihn in dem
lahmen Versuch, das Eis zu brechen. »Hey, wir haben doch
alle den Rhythmus im Blut, stimmt’s?«
Der Duke lächelte schief. »Gut. Dann singen Sie mir was
vor.«
»Jetzt? Hier ist kein Klavier.«
Ellington lächelte durchtrieben. »Sie brauchen kein Klavier«,
sagte er leise. »Wir haben doch alle den Rhythmus im Blut,
stimmt’s?«
Ich errötete, Tränen drohten aus meinen Augen zu schießen,
doch ich war entschlossen, das nicht zuzulassen. Ich fühlte
mich wie Pretty – naiv und ehrgeizig, nur daran interessiert, in
Erfahrung zu bringen, wie man weiterkam. Ellington und sein
Protege, Co-Komponist und rechte Hand, Billy Strayhorn,
saßen schweigend da und warteten. Während ich in den letzten
Wochen mit Bobby und Foster hinter den Kulissen auf unser
Stichwort gewartet hatte, hatte ich der großen, grazilen
Sängerin, die vor uns auf der Bühne stand, bei ihrem Auftritt
zugesehen und die Art und Weise bewundert, wie sie Dukes
Sophisticated Lady und Satin Doll mit der Stimme liebkost
oder Take the A Train lautstark interpretiert hatte. Ich rief mir
den Rhythmus und das Timing seiner Arrangements ins
Gedächtnis und ahmte das Mienenspiel und die Aussprache der
Sängerin nach. Ellington und Strayhorn saßen reglos wie
Buddha da, bis ich fertig war. Als ich endete, zeigte Strayhorn
ein schmales Lächeln.
»Haben Sie noch das hübsche kleine Samtkleid, das Sie auf
der Party in Chicago getragen haben?« erkundigte sich
Ellington.
»Sicher. Ich habe sogar die passenden Schuhe dabei«, stieß
ich überschwenglich hervor und dachte idiotischerweise: Er
will, daß ich auf der Abschlußparty nach unserer letzten Show
singe.
»Gut«, erwiderte Ellington. »Sie treten heute abend auf.«
Und so beendete ich die Tournee mit dem großen Duke
Ellington als Tänzerin und Sängerin. Wegen der Geschichte
mit Foster gab ich mich keinen Illusionen hin, daß Ellington
unseren Vertrag verlängern würde. Außerdem litt ich zu
diesem Zeitpunkt bereits unter der morgendlichen Übelkeit,
und obwohl noch nichts zu sehen war, war es nur eine Frage
der Zeit, bis ich nicht mehr tanzen konnte.
Das war allerdings ein magerer Trost. Ich hatte die Höhen
erklommen und ein paar kurze Augenblicke lang die dünne
Luft dort geatmet. Es war genauso, wie ich es mir vorgestellt
hatte, und sogar noch mehr, und als ich wieder hinabschritt,
schwor ich mir, es niemals zu vergessen. Es war kaum ein Jahr
her, da hatte eine glänzende Zukunft vor mir gelegen, die helle,
grenzenlose Aussicht auf unbegrenzte Möglichkeiten. Jetzt
würde ich mit Foster nach Hause zurückkehren, aber nicht als
Duke Ellingtons neuentdeckter Star, sondern als die junge
Ehefrau eines Mannes, der, wie ich mittlerweile vermutete,
ganz anders war, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Außerdem
war ein Baby unterwegs. Ich hatte die Zügel der
Verantwortung ergriffen und meine Wahl getroffen.
Nach dem Ende der Tournee sollten wir für unser nächstes
Engagement eigentlich nach Ohio zurückkehren, aber Foster
hatte angeblich noch ein paar nicht näher bestimmte Dinge zu
erledigen, und so statteten wir Chicago und meinem Elternhaus
einen Besuch ab. Am nächsten Tag ging Foster weg, ohne mir
sein Ziel zu nennen, und kehrte erst spät am nächsten Abend
zurück. Ich stand kurz davor, die Polizei zu rufen, als er
strahlend hereinspazierte und mich küßte. Er ignorierte meine
Wut, behandelte mich wie ein Kind und fragte ganz
unschuldig, wieso ich kein Vertrauen zu ihm hätte. Erkannte
ich denn nicht, daß er sich um uns kümmerte?
»Ich habe ein Engagement in Montreal, Kanada. Zwölf
Wochen!« verkündete er stolz, während ich noch stumm vor
Wut kochte.
Ich hätte begeistert sein sollen, aber irgendwie wußte ich, daß
das der letzte Tropfen war, der das Faß zum überlaufen
brachte; ich hatte es seit Wochen kommen gespürt. Dann ließ
er die zweite Bombe platzen: Ich sollte bei meinen Eltern
bleiben, er würde mich später nachkommen lassen.
Ich nickte in dem Wissen, daß es ihm nicht ernst damit war;
ich wußte, es war vorbei.
Die nächsten fünf Monate verbrachte ich bei meinen Eltern
und weinte mich abends in dem, wie ich fand, leeren Bett in
den Schlaf, erschöpft von den ständigen Auseinandersetzungen
mit Mutter und den fragenden Blicken der Verwandten und
Nachbarn, die ich trotzig erwiderte. Außerdem machte ich mir
Sorgen. Foster schickte wie versprochen Geld, aber das half
auch nicht. Mit jedem weiteren Tag, den ich allein verbrachte,
starb ein Stück der Liebe, die ich für Foster empfand. Das
nächste Mal würde ich klüger sein, versprach ich mir.
∗
Um die Privatsphäre der Leute zu schützen, die unschuldig in die im Rest
des Kapitels geschilderten Vorfälle verwickelt waren, sind die Namen und
anderen Charakteristiken aller Beteiligten geändert worden.
Ich muß etwas verblüfft ausgesehen haben, da er schnell
hinzufügte: »Aber Sie müssen nicht über Nacht bleiben. Nach
der Vorstellung wird man Sie zurück in mein Haus bringen.«
»Vielen Dank«, erwiderte ich erleichtert.
Drinnen stellte mich Mr. Buckley mehreren der anderen
Organisatoren vor und führte mich dann in meine Garderobe,
eine der größten und bestausgestatteten, die ich je zu Gesicht
bekommen hatte. Die Erkenntnis, daß man mich hereingelegt
hatte und ich bei einer reinen Männergesellschaft auftrat, kam
mir erst, als ich die Bühne betrat. Ich konnte nicht weiter als
bis zu den ersten paar Stuhlreihen sehen, aber die Pfiffe, die
ertönten, als ich einen Teil meines Kostüms auszog, um mich
für die Tanzeinlage vorzubereiten, machten klar, daß ich die
einzige anwesende Frau war.
Ich verließ die Bühne unter donnerndem Applaus und kehrte
in meine Garderobe zurück, um mich zur Abfahrt bereit zu
machen. Ich war nicht unbedingt nervös, aber es ärgerte mich,
daß mein Agent diesen Auftritt angenommen hatte, ohne mir
zu sagen, daß es sich um einen ›Smoker‹ handelte. Ich wollte
einfach nur in die Sicherheit zurück, die Mr. Buckleys Haus
bot. »Ich werde hier übernachten«, sagte er mir, nachdem ich
mich umgezogen hatte. »Darum bringt Sie ein Freund von mir
zu meinem Haus, der morgen sehr früh in der Stadt zu tun hat.
Er heißt Mr. Fedderson.«
Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich, und ich fing
an, mich zu entspannen. Als ich mich zum Vordereingang des
Jagdhauses begab, ertönten Rufe wie »Danke, daß Sie
gekommen sind, Miss Nichols!« oder »Sie waren großartig!«
Mr. Buckley stellte mich Jordie Fedderson vor, und ich stieg
in seinen Wagen, einen Rolls oder Mercedes. Es war zu
dunkel, um es zu erkennen, aber im Wagen war es warm.
Anhand der Art und Weise, wie die anderen Männer mit ihm
sprachen, schloß ich schnell, daß Mr. Fedderson ein
respektiertes, wichtiges Mitglied seiner Gemeinde war; er
schien ein echter Gentleman zu sein. Nach ein paar Minuten
höflichen Geplauders erwähnte er, die Fahrt in die Stadt würde
zwei Stunden in Anspruch nehmen. Ich zog meinen großen
Wollmantel enger um mich und fing an zu dösen.
Ich war gerade dabei einzuschlafen, als ich etwas fühlte.
Seine Hand auf meinem Bein! Ich öffnete die Augen, doch da
war nichts als Dunkelheit, und instinktiv schrie ich: »Nein!«
Fedderson sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
Sein überraschter aber entschlossener Gesichtsausdruck verriet
mir, daß ich in Schwierigkeiten steckte. Er war stämmig, stark
und wütend. »Halt den Mund! Warum schreist du? Du bist nett
zu mir, und ich bin nett zu dir, okay?« knurrte er.
Er griff erneut nach mir, und ich schlug die Hand weg. »Ich
will aber nicht nett sein!« rief ich. »Ich will nur zu den
Buckleys zurückgebracht werden, also hören Sie auf. Bitte?
Okay?«
»Okay, okay!« knurrte er und rückte von mir ab, aber
plötzlich brachte er den Wagen am Straßenrand zum stehen,
schaltete die Scheinwerfer aus und wandte sich mir wieder zu.
Er wollte mich küssen. Ich wich zurück. Dann hörte ich, wie
Spitze von meinem Kleid gerissen wurde.
»Hör zu«, stieß er zwischen den zusammengebissenen
Zähnen hervor. »Niemand kann dich hören, keiner wird es
erfahren.«
Ich dachte: Entweder hat er seine Ansprache geübt oder sie
schon oft gesagt, denn er hat sich völlig unter Kontrolle. Und
das weiß er auch.
»Wir haben die ganze Nacht. Willst du Geld? Okay, ich
verstehe. Wieviel?«
Bevor ich antworten konnte, rutschte er über den Vordersitz
und drückte mich gegen die Tür. Ich trat, schrie und schüttelte
den Kopf, um dem Kuß zu entgehen, aber jetzt war er richtig
wütend.
»Okay! Steig aus und laufe!« brüllte er mit rotem Gesicht.
»Du bist hier mitten im Nichts. Viel Glück!«
Ich sah aus dem Fenster in die tiefe, nahtlose Dunkelheit. Wie
weit draußen waren wir? Wie lange hatte ich geschlafen? Ich
mußte hier raus. Ich schnappte mir meine Handtasche und griff
nach dem Türöffner, als er plötzlich den Motor aufheulen ließ.
Ich wurde zurück in den Sitz geschleudert, und der Wagen bog
scharf auf die Straße ab. Jetzt fuhr er so schnell und
leichtsinnig, daß ich davon überzeugt war, wir würden
verunglücken. Ich drückte mich gegen die Beifahrertür; mein
Herz klopfte und meine Gedanken rasten. Jetzt kann ich nicht
mehr raus!
»Du hast Glück, daß ich ein so netter Kerl bin!« Er lachte.
»Du würdest nicht weit kommen. Das hier ist Bärenland, da
draußen gibt es Wölfe. Willst du Bären und Berglöwen
sehen?«
Es war wie in einem Alptraum. Er bog von der Straße ab, und
bald waren wir in einer dicht bewaldeten, bergigen Gegend.
Nach einer Meile – es können auch drei gewesen sein, woher
sollte ich das wissen – trat er auf die Bremse, schaltete die
Scheinwerfer aus und stieg aus. Ich kann nicht denken, ich
kann nicht denken! Wo war er hingegangen? Ich konnte nichts
sehen. Plötzlich schien mir eine Taschenlampe ins Gesicht und
blendete mich.
»Steig aus!«
»Nein!«
»Steig aus, oder ich zerre dich raus!«
Zitternd rutschte ich aus dem Ledersitz und brachte meine
Füße und Beine dazu, durch das Gras und die Büsche zu
gehen. Zwischen den Bäumen waren eine Hütte sowie der
sanfte Schimmer eines Kaminfeuers zu sehen. Da erkannte ich,
daß das hier kein plötzlicher Einfall gewesen war. Fedderson
hatte alles geplant. Das passiert mir nicht wirklich, wiederholte
ich unablässig in Gedanken. Dann packte er mich am Arm und
stieß mich hinein.
»Fassen Sie mich nicht an!« brüllte ich.
In seinen Augen blitzte Wut auf, dann Unsicherheit.
Vielleicht kam es ihm jetzt doch nicht mehr wie eine so gute
Idee vor. Vielleicht bringt er mich zurück, hoffte ich. Vielleicht
kann ich mit ihm verhandeln.
»Bitte, bitte, ich werde es niemandem sagen. Ich schwöre,
daß ich es niemandem sagen werde. Nur, bitte, bringen Sie
mich zurück.«
Er sah mich kalt an.
Appelliere an seine Vernunft, sagte ich mir. »Man wird
entdecken, daß Sie mich nicht zurückgebracht haben. Falls mir
etwas zustößt, wird man wissen, daß Sie es waren«, sprudelten
die Worte aus mir heraus. »Was wollen Sie ihnen sagen?«
»Halt den Mund! Ich denke nach!« sagte er und ließ meinen
Arm los, aber er dachte nicht nach. Das war nur ein Teil des
Spiels; als ich, von dem scheinbaren momentanen Zögern
getäuscht, zurückwich, kam er heran. »Wehr dich nicht, dann
passiert dir auch nichts!« warnte er mich, dann versetzte er mir
einen harten Schlag. Ich griff nach einer kleinen, schweren
Statuette und hob sie hoch.
Auf gar keinen Fall wird dir das passieren, hörte ich mich in
Gedanken sagen. »Ich habe mich entschieden!« brüllte ich nur
Zentimeter von seinem überraschten Gesicht entfernt. »Sie
werden mich umbringen müssen!«
Fedderson hielt wieder inne.
»Eher sterbe ich, als daß ich mich von Ihnen anfassen lasse!«
»Du bist ja verrückt!« brüllte er, wich aber zurück.
»Yeah, das bin ich. Lassen Sie’s drauf ankommen.« Und ich
sah ihm zu, wie er wie ein gefangenes Tier auf und ab
marschierte, wobei ich darauf wartete, daß er wieder in meine
Nähe kam. Plötzlich stürmte er unerklärlicherweise aus der
Tür. Der Wagen fuhr weg, und ich blieb allein zurück.
Ich muß überleben, sagte ich vor mich hin, als ich mich in
einer Ecke der Hütte auf dem kalten Holzboden
zusammenkauerte. Das Geräusch von Schritten vor der Hütte –
vielleicht ein Bär oder ein Wolf – zerriß die Stille; in der Ferne
ertönte Tiergeheul. Der muffige Geruch der Wolldecke, in die
ich mich eingehüllt hatte. Das war alles, woraus in jener Nacht
meine Welt bestand. Und da war ich nun, mitten im
Nirgendwo, ohne Essen, ohne Wasser, der einzige Ausweg war
der Tod. Wer wird mich finden? Und wann? Und was ist, wenn
er zurückkommt…?
Kurz vor Morgengrauen öffnete sich die Tür langsam und
quietschend, und da stand ein Mann, den ich noch nie zuvor
gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt handelte ich nur noch nach
Instinkt, und ich konnte nur hysterisch schreien, während ich
mich gegen die Wand drückte. Den Fremden schien meine
Reaktion zu alarmieren, aber er ging weiter auf mich zu, redete
leise auf mich ein und versuchte, die Panik und Angst auf
seinem Gesicht zu verbergen. In diesem Augenblick wurde mir
bewußt, daß derjenige, der ihn geschickt hatte, nicht gewußt
hatte, was er vorfinden würde: Ich hatte Schrammen, ein
blaues Auge, zerrissene Kleider und war hysterisch.
»Mein Name ist Lloyd, Mr. Feddersons Partner in der
Kanzlei«, sagte er. »Ich bin gekommen, um Sie zu holen.«
Er bat mich, mich zu beruhigen und fragte mich, was ich
wollte. Dann veränderten sich sein Ton und sein Verhalten. Er
sagte ›sie‹ hätten die Macht, mich zurück in die Vereinigten
Staaten zu schicken. Als ich nicht reagierte, drohte er mir
schließlich. Und als das auch nicht funktionierte, sagte er
arrogant und überzeugt: »Keiner wird einem kleinen farbigen
Showgirl aus den Staaten glauben.«
Ich stieg mit ziemlicher Angst in Lloyds Wagen, doch mir
blieb keine Wahl. Wir fuhren schweigend bis zur Stadt. Es war
etwa sechs Uhr morgens, und als die Sonntagsglocken läuteten,
verlangsamte Lloyd das Tempo und zeigte stolz auf die Schule,
die nach Feddersons Vater benannt war, und ihre
Familienbank, den friedlichen, perfekten Rathausvorplatz und
das große Haus, in dem Fedderson wohnte.
Als wir in die Auffahrt eines großen, schönen mir aber
unbekannten Hauses einbogen, hatte ich die Botschaft
verstanden. »Das ist mein Haus«, verkündete Lloyd, als er in
die Garage fuhr, damit mich die Nachbarn nicht sehen
konnten. Ich flehte ihn an, Mr. Buckley anzurufen, damit er
mich abholen konnte, aber er weigerte sich. Ich fing an zu
weinen und sackte in meinem Sitz zusammen. Ich war so
müde, verängstigt und erschöpft, daß es jeden Funken
Konzentration brauchte, den ich aufbringen konnte, nur um
nicht zusammenzubrechen. Ich hatte keine Kraft zum Kämpfen
mehr übrig. Seine Frau brachte mich in den ersten Stock,
wobei sie mich fast tragen mußte. Sie badete mich wie ein
Baby, dann gab sie mir etwas Heißes zu trinken. Ich fühlte, wie
ich einen langen dunklen Tunnel entlangschwebte. Dann
schlief ich ein.
Kurz nachdem ich aufgewacht war, rief Lloyd endlich Mr.
Buckley an, der mich abholte. Obwohl ich mich völlig allein
fühlte, entschied ich mich an diesem Sonntagabend, vor meiner
Rückreise eine Anzeige bei der Polizei zu machen. Auf gar
keinen Fall würde der Bastard damit einfach so davonkommen.
Vielleicht war ich naiv, aber nichts hätte mich auf das
vorbereiten können, was danach geschah. Die beiden Beamten,
die man meinem Fall zuteilte, Dowdell und McDonald, hörten
sich meine Geschichte an und befragten mich gründlich, aber
ich konnte sehen, daß sie mir trotz meiner Verletzungen und
Angst nicht glaubten. Man brachte mich ins Krankenhaus, wo
man mich untersuchte und meine Verletzungen behandelte.
Die Krankenschwester und der Arzt schienen Mitleid mit mir
zu haben, bis ich Feddersons Namen erwähnte. Danach wurden
sie sehr reserviert.
Auf dem Flug nach Hause ging ich den Vorfall noch einmal
in Gedanken durch und schwor, niemandem davon zu
erzählen, nicht einmal meinen Eltern. Während der Wochen
zwischen dem ›Vorfall‹, wie ich es mittlerweile nannte, und
der Gerichtsverhandlung drohte dieses tiefgreifende Erlebnis
meine Seele zu zermalmen. Eine endlose Nacht lang hatte ich
erfahren, wie es ist, wenn man weiß, daß man sterben muß,
und die Furcht, die dieses Wissen auslöst – die Furcht vor der
Macht, die eine Person über eine andere ausüben kann – ließ
mich nicht los. Wochenlang – egal wo ich war oder was ich tat
– stand ich in Gedanken in einem dunklen, heulenden Strudel
und rang nach Luft, als der Sturmwind meine Schreie
unterdrückte und sie zurück ins Schweigen zwang.
In diesen Wochen erhielt ich viele geheimnisvolle,
bedrohliche Telefonanrufe. Einige kamen eindeutig von Lloyd
selbst, der mir befahl, ich solle nicht nach Kanada
zurückkehren, mir Geld anbot und mir damit drohte, was
passieren würde, wenn ich nicht kooperierte. Einen Tag, bevor
ich nach Kanada zur Verhandlung flog, erzählte ich alles
meinen Eltern. Sie waren wütend, verletzt und entsetzt. Ihnen
war klar, daß der Prozeß schmerzhaft und schwierig sein
würde. Aber sie verstanden auch, daß ich es tun mußte.
Die Stimme der Stewardeß riß mich aus meinen Gedanken.
Ich hatte wie betäubt aus dem Fenster gestarrt, den Himmel um
seine Substanzlosigkeit beneidet und mich daran erinnert,
welche Gefühle ich damals gehabt hatte, als das Flugzeug die
Grenze überquerte; ich war willkommen, geliebt und akzeptiert
gewesen. Doch wenn dieses Flugzeug landete, würde es keine
Freunde mit Blumen und Champagnerflaschen geben. Nur
zwei Detectives der Canadian Mounted Police, der berittenen,
kanadischen Polizei, Dowdell und McDonald.
Ich blieb oben auf der Gangway stehen und sah hinunter,
während die anderen Passagiere ausstiegen. Dowdells und
McDonalds Blicke und die meinen trafen sich, und die beiden
Männer stießen jeder einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie
wußten, daß mich keiner zur Rückkehr gezwungen hatte, daß
mich keiner hatte zwingen können, gegen meinen Willen
zurückzukehren. Sie wußten, daß man mich hätte bezahlen
können, wie Feddersons andere Opfer auch. Oder mit
Morddrohungen einschüchtern können. Wie standen die
Chancen, wenn ›ein kleines farbiges Showgirl‹ aus den
Kolonien freiwillig gegen einen mächtigen Mann antrat,
dessen Familie die höchstrangigen Polizisten, Richter und
Anwälte der Stadt zu ihren Verbündeten zählte? Viele
Kollegen der Detectives hatten Wetten auf eine scheinbar
sichere Sache abgeschlossen: nämlich, daß ich nicht kommen
würde. Und da stand ich.
Dowdell und McDonald eskortierten mich durch den Zoll zu
ihrem Wagen und fuhren mich zu einem kleinen, außerhalb
gelegenen Motel. Der Anklagevertreter kam vorbei, und wir
diskutierten kurz den Fall, bevor mich die Polizisten zum
Essen brachten. Wir unterhielten uns kurz über den Ablauf des
morgigen Tages, wann sie mich zum Gericht bringen würden,
und nach dem Essen brachten sie mich in mein Motelzimmer
zurück.
Ich nahm ein langes, heißes Bad, cremte mein Gesicht ein
und legte die Kleidung für den nächsten Tag heraus: hellgraues
Wollkostüm, weiße Seidenbluse, schwarze
Krokodillederschuhe mitsamt der dazu passenden Tasche,
graue Lederhandschuhe. Dabei dachte ich darüber nach, wie
beeindruckt, nein, überrascht die Polizisten gewesen waren,
eine Sängerin so konservativ gekleidet zu sehen. »Zeigen Sie
sich dem Gericht so geschmackvoll, wie Sie jetzt aussehen«,
hatte der Anklagevertreter gesagt. Ohne daß es jemand
aussprach, wußte ich, was sie dachten. Sie ist nicht das kleine
farbige Showgirl, mit dem wir gerechnet haben. Nein, das war
ich auch nicht.
Ich schlief ein und träumte. Plötzlich fuhr ich hoch und blieb
verwirrt und mit wie verrückt pochendem Herzen sitzen. Wo
bin ich? Ich hatte diesen Traum seit Wochen nicht gehabt,
warum also jetzt? Die Uhr zeigte 3 Uhr 30. Im Zimmer war es
kalt. Ich entdeckte die Heizung unter dem Fenster, griff nach
der Lampe und erstarrte. Keine fünf Meter vom Fenster
entfernt stand ein Mann, und das flackernde Neonlicht des
Motels warf einen unheimlichen bläulichen Schatten. Ohne
nachzudenken, zog ich die Vorhänge zurück, um besser sehen
zu können.
Das war idiotisch. Er sah mich an und kam schnell auf das
Zimmer zu. Ich stürzte zum Telefon. Wo habe ich bloß
McDonalds Nummer hingelegt? Atemlos tastete ich blindlings
auf dem dunklen Tisch herum, das Telefon krachte zu Boden,
dann klopfte es laut an der Tür.
»Alles in Ordnung, Miss? Hier ist Officer Mooney.«
Ich hatte gerade den Hörer zurück aufs Telefon gelegt, als der
Apparat ein schrilles, durchdringendes Klingen von sich gab.
Da hatte ich bereits eine solche Angst, daß ich keinen Ton
herausbrachte.
»Hallo? Sind Sie das, Miss? Hier spricht Officer Mooney.
Bitte sagen Sie, wenn alles in Ordnung ist. Inspector
McDonald macht sich sonst Sorgen.«
Meine Brust schmerzte, als ich aufatmete und antwortete,
wobei ich die leise Kleinmädchenstimme kaum als die meine
erkannte. »Da draußen ist jemand und beobachtet mein
Fenster.«
»Oh, schon gut«, sagte der Officer. »Das wollte ich Ihnen nur
mitteilen. McDonald hat mich geschickt, um auf Sie
aufzupassen, aber bei Ihnen war alles dunkel, und ich wollte
Sie nicht stören. Keine Angst. Ich bin direkt hier draußen,
wenn Sie mich brauchen, Miss. Versuchen Sie, etwas Schlaf zu
bekommen, ja?«
»Sicher, sicher.« Sicher. Zehn Minuten später klingelte das
Telefon erneut. Es war McDonald, der sich dafür
entschuldigte, daß er mir nicht Bescheid gesagt hatte, und mir
eine gute Nacht wünschte, zumindest für das, was davon noch
übrig war. Ich war erleichtert, daß sie die Drohungen, die ich
erhalten hatte, ernst nahmen, wünschte mir jedoch, sie hätten
es mir gesagt. Mit dem Schlaf war es vorbei; ich hüllte mich in
meinen Bademantel, holte mir eine Limonade aus dem kleinen
Kühlschrank und machte es mir in einem großen Sessel
bequem. Noch immer zitternd, fing ich nervös an, die
Lockenwickler aus dem Haar zu nehmen, und fragte mich, ob
ich wegen solcher Augenblicke nicht doch mit dem Rauchen
anfangen sollte. Und wie schaffen wir Frauen es bloß mit
diesen verdammten Dingern zu schlafen?
Ich nickte ein und hatte wieder den gleichen Alptraum – oder
sollte ich es als schlummernde Erinnerung bezeichnen? Als der
Wecker klingelte, saß ich noch immer in dem Sessel. Ein Blick
aus dem Fenster verriet mir, daß Mooney müde in seinem
Wagen saß. Es war eine lange Nacht gewesen. Ich reckte mich,
duschte und zog mich an, und Punkt halb sieben stand
McDonald vor der Tür. »Sie sind die Hauptzeugin der
Anklage, lassen Sie nicht zu, daß sein Anwalt Sie verwirrt«,
instruierten der Detective und sein interessierter, jungenhafter
Partner Dowdell mich beim Frühstück. »Er wird versuchen,
Ihren Ruf in den Dreck zu ziehen. Aber vergessen Sie nicht:
Erzählen Sie die Geschichte so, wie Sie sie uns erzählt haben.
Lassen Sie sich nicht nervös machen.«
Ich sah McD und D an, wie ich sie mittlerweile im Geiste
nannte. »Was hat eigentlich den Ausschlag gegeben, daß ihr
mir glaubt?« fragte ich. »Fedderson ist ein so einflußreicher
Anwalt, aus einer so mächtigen Familie.«
Dowdell erwiderte meinen Blick geradeheraus. »Wir haben
Ihnen auch nicht geglaubt – zuerst«, erwiderte er mit großer
Offenheit. »Wir konnten nicht begreifen, warum Sie nach der
Rückkehr aus der Hütte so lange gewartet haben, bis Sie die
Anzeige machten – am späten Sonntagabend. Das hat zuerst
einfach nicht ins Bild gepaßt.«
Ich nickte, wir tranken unseren Kaffee aus und gingen.
Ich lernte Gene Roddenberry 1963 kennen, als ich eine Rolle
in einer Episode seiner Fernsehserie The Lieutenant mit dem
Titel ›To Set It Right‹ erhielt. In der Serie geht es um die
charakterliche Weiterentwicklung des jungen
Marinelieutenants William Rice (gespielt von Gary
Lockwood), während er mit den Problemen konfrontiert wird,
die durch die Männer unter seinem Kommando entstehen. Wie
ich zu meiner Freude kürzlich erfuhr, wurde ›To Set It Right‹
als eine von zwei der neunundzwanzig Episoden in den
Bestand des Museum of Television and Radio in New York
aufgenommen. Mit ihrem Realismus, den eindringlichen
Dialogen und den provokanten Themen ist diese Serie ein
würdiges Beispiel für das goldene Zeitalter des Fernsehens.
Ich spielte Norma Bartlett, die Verlobte von Ernest Cameron
(der von Don Marshall verkörpert wurde, der später eine der
Hauptrollen in Land of the Giants übernahm), einem sehr
jungen schwarzen Marinesoldaten, der kürzlich nach Camp
Pendieton versetzt worden war. Nach wenigen Minuten
erkennt Ernie in einem der anderen Offiziere Peter Devlin
(Dennis Hopper) wieder, einen weißen Rassisten, der einst
Anführer der Bande war, die ihn in ihrer Heimatstadt
zusammenschlugen und halbtot zurückließen. Cameron greift
Devlin ohne Warnung an. Als der Lieutenant den Grund dafür
wissen will, erklärt Ernie: »Ich war nur ein weiterer Nigger,
der seinen Platz nicht kennt.«
Das Drehbuch beschäftigte sich auf behutsame und zugleich
offene Weise mit den vielen Aspekten des Faschismus, von der
Entscheidung des Lieutenants, die beiden zusammenarbeiten
zu lassen bis hin zu den Warnungen seines Vorgesetzten und
eines älteren schwarzen Sergeants (gespielt von Woody
Strode), daß sich manche Dinge wohl niemals ändern werden.
Norma bestürmt Ernie, sein Temperament zu zügeln, während
er sich weigert, die Rolle eines ›Onkel Toms‹ zu übernehmen.
Als Ernie wissen will, warum er sich nicht verteidigen und ›ein
Mann‹ sein soll, erwidert Norma: »Wenn man sich dazu nur
auf jemanden stürzen muß, warum tauschst du dann nicht
einfach deine hübsche Uniform mit einem komischen weißen
Laken mit spitzer Kapuze und einem brennenden Kreuz?«
Cameron und Devlin werden von ihrem Haß innerlich
zerfressen, sind jedoch durch den Ehrenkodex der Marine
miteinander verbunden. Die Episode zeigt nicht nur, wie sie
lernen, ihre Einstellungen zu überwinden, sondern auch wie
die Leute in ihrem Umfeld – Norma, Lieutenant Rice, sein
Vorgesetzter und andere Offiziere – ihre eigenen, vorher
festgelegten Meinungen überwinden, wie man die beiden
Männer zusammenbringen könnte. Es war unübersehbar, daß
Gene die Marine als Beispiel für die ganze Gesellschaft
benutzte. The Lieutenant war in seiner Thematik, seiner
Botschaft und seiner Leidenschaft purer Roddenberry, zugleich
aber auch großartige Unterhaltung. Das war seine Gabe.
Es handelte sich um meine erste Arbeit im Fernsehen, und ich
hätte mir keine bessere Rolle, keine netteren Kollegen, keine
bessere Produktionscrew und keinen verständnisvolleren
Regisseur als Vince McEveety wünschen können. Die ersten
drei Tage schien die Arbeit glatt voranzugehen, das einzige
Problem war Vince’ gelegentlicher Ruf »Schnitt!«, dem die
Aufforderung folgte, das Licht meines Scheinwerfers bitte
nicht zu verlassen. Ich wußte gar nicht, wovon er da eigentlich
genau sprach, aber da ich meistens anscheinend das Richtige
getan hatte – und da ich, wenn ich ehrlich bin, von dem
Ganzen etwas eingeschüchtert war –, gab ich das nicht zu
erkennen. Ich ging davon aus, es schon noch auf eigene Faust
herauszukriegen.
Gegen Ende des vierten Tages nahmen wir eine
entscheidende Szene mit zwei Einstellungen auf, als Vince’
Geduld endgültig zu Ende war. »Schnitt!« Alles verharrte an
Ort und Stelle. Ich drehte mich zu ihm um. Er schäumte.
»Nichelle, Sie ruinieren schon wieder eine hervorragend
gelungene Aufnahme«, fing Vince offensichtlich verzweifelt
an. »Sie haben Ihr Licht verlassen und stehen in seinem.« Ich
war sprachlos vor Verlegenheit. Ich sollte schnell lernen, daß
beim Film oder Fernsehen jeder der in einer Szene anwesenden
Schauspieler von einem speziell auf ihn ausgerichteten
Scheinwerfer beleuchtet wird; je nach den Erfordernissen der
Einstellung kann es vorkommen, daß man sich das Licht mit
einem der anderen Schauspieler teilt. Aber es ist ständig ein
Scheinwerfer auf einen gerichtet, um die Schatten
auszuschalten, die die anderen Schauspieler und die
Gegenstände werfen. Agieren in einer Einstellung nur zwei
Schauspieler, muß jeder sorgfältig darauf achten, nicht in das
Licht des anderen zu treten. Beim Theater, wo ich den größten
Teil meiner Schauspielerfahrung erworben hatte, wird die
ganze Bühne beleuchtet, und die Schauspielerin sucht sich ihr
bestes Licht aus. Außer unter bestimmten Umständen – etwa
bei einem Monolog – verschwendet man an das Licht keinen
Gedanken; es ist einfach da.
»Meine Liebe, Sie sind eine gute Schauspielerin«, fuhr Vince
fort, »aber um Gottes willen, denken Sie bitte an Ihre
Kollegen!«
Ich unterdrückte meine Verlegenheit. »Das werde ich gern
tun, aber sagen Sie mir doch bitte, wo mein Licht ist.«
Eisiges Schweigen, jeder drehte sich zu mir um. »Um
Himmels willen! Sie tun so, als hätten Sie noch nie fürs
Fernsehen gearbeitet!«
»Das habe ich auch nicht«, mußte ich mit einem dummen
Lächeln zugeben.
Ich bin davon überzeugt, daß Vince seine Bemerkung
rhetorisch gemeint hatte, und so kam meine Antwort völlig
überraschend. Die Stammbesetzung der Serie und die Crew
kicherten leise, obwohl da noch nicht ersichtlich wurde, über
wen sie lachten.
»Das ist Ihre erste…«, stieß Vince hervor.
Ich fühlte mich auf ganzer Linie wie eine Amateurin. »Nun,
ich habe in Porgy and Bess gesungen und getanzt«, sagte ich.
»Ich habe auch viel Theater gespielt, aber das hier ist meine
erste Sprechrolle – im Film, meine ich.« Unfähig, die Tränen
länger zurückzuhalten, wandte ich mich ab, aber dann merkte
ich, daß Vince ebenfalls Tränen in den Augen hatte. Er stieß
einen Jubelschrei aus und lachte herzlich. »Fünfzehn Minuten
Pause, Leute«, rief er dann. Er legte den Arm um mich und
sagte sanft: »Kommen Sie her, kleine Lady.«
Wir gingen an die frische Luft und setzten uns auf einen
kleinen, grasbewachsenen Hügel, während die Crew die Szene
wieder herrichtete. »Wir arbeiten jetzt fast schon eine ganze
Woche«, sagte Vince lachend. »Kleine, Sie sind so gut, keiner
von uns hätte gedacht, daß Sie sich mit dem Licht nicht
auskennen. Wir dachten, Sie würden die anderen Schauspieler
absichtlich in den Hintergrund drängen wollen.« Ich fing an,
mich zu entspannen. In wenigen Tagen brachte mir Vince viel
über die Arbeit vor und hinter der Kamera bei. Ich habe
jedenfalls nie weder mein Licht vergessen.
Da die letzten Szenen in der Nacht gedreht wurden und ich
mich mittlerweile für einen erfahrenen Profi hielt, fühlte ich
mich zuversichtlich und war fest davon überzeugt, keine
weiteren peinlichen Momente mehr zu erleben. Da hatte ich
mich geirrt. In der nächsten Szene sollte ich meinem Verlobten
ein Ultimatum stellen: Entweder er bekommt seinen Zorn unter
Kontrolle, oder ich verlasse ihn. Die Szene endete mit einer
dramatischen Einstellung: Ich stieg ins Auto und fuhr los. Kein
Problem, bis auf eine Kleinigkeit. Der Wagen, ein uralter Ford
aus den Vierzigern, hatte eine Gangschaltung. Mein Vater
hatte mir einmal die Feinheiten der Gangschaltung erklärt, aber
ich hatte sie nie ausprobiert. Ich fing an zu verzweifeln und
glaubte das einsetzende Gekicher schon zu hören. Um die
Sache noch schlimmer zu machen, lenkte mich ein unheimlich
aussehender Kerl mit einer großen Hakennase ab, der schon
vorher am Set herumgelungert war.
Mittlerweile war es früher Abend, und bis auf das Licht am
Set war es bereits ziemlich dunkel. Ich versuchte mich auf das
Fahren mit der verdammten Kupplung zu konzentrieren, da die
Einstellung mit meiner Fahrt dran war, doch der seltsame
Fremde lenkte mich ständig ab. Er trieb sich in meiner Nähe
herum, versuchte Konversation zu betreiben und kam mir so
nahe, daß sein formloser Tweedmantel und seine stinkenden
Zigaretten mir den Atem zu rauben drohten. Höflich erklärte
ich, ich hätte Text zu lernen und er möchte mich doch bitte in
Ruhe lassen, aber er ließ sich nicht erweichen. Als ich es nicht
länger ertragen konnte, beschwerte ich mich bei
Regieassistenten.
»Ach, der ist harmlos«, erwidert er. »Ein Verwandter des
Produzenten. Der hängt immer am Set herum, wenn ein
hübsches Mädchen da ist. Ignorieren Sie ihn einfach.«
Es war nicht leicht, aber es wäre mir beinahe gelungen, ihn
zu vergessen, bis er mir wieder zu nahe kam. Es reichte! Es
war mir verdammt noch mal egal, mit wem der lästige Kerl
verwandt war. Ich fuhr mit erhobener Faust herum und hätte
ihm beinahe mitten eins auf die Nase gegeben, als mir an ihm
eine andere Seltsamkeit auffiel. Nur bei einer einzigen anderen
Gelegenheit hatte ich jemanden gesehen, der seine Zigarette
zwischen Mittel- und Ringfinger hielt, und das war Anfang der
Woche während der kurzen Begegnung mit dem Erfinder der
Serie gewesen.
»Mr. Roddenberry!« kreischte ich.
»Schnitt!« brüllte Vince.
O mein Gott! Ich habe schon wieder eine Einstellung
ruiniert, dachte ich. Ich werde in dieser Stadt nie wieder Arbeit
finden! Während ich darauf wartete, daß Vince mich zur
Schnecke machte, brachen Stammbesetzung und Crew in
Gelächter aus, als der vermeintliche Fremde sich die große,
falsche Nase und die Perücke abriß und sich in Gene
Roddenberry verwandelte. Das war meine erste Erfahrung –
und bei weitem nicht die letzte – mit Genes sorgfältig
geplanten und minutiös ausgeführten Scherzen. Da ich keine
Spielverderberin und außerdem so erleichtert war, daß ich
hätte weinen können, stimmte ich in das Lachen ein, obwohl
ich tief in meinem Inneren jeden hätte erwürgen können. Und
Gene an erster Stelle.
So begann die lange und faszinierende Beziehung mit dem
Mann, der als Great Bird of the Galaxy bekannt werden würde
und der mein Leben verändern sollte. Er war hochgewachsen,
über ein Meter achtzig groß, auf herbe Weise gutaussehend,
mit blauen Augen, die direkt durch einen hindurch zu sehen
schienen. Er war unberechenbar, phantasievoll, entschlossen,
besitzergreifend und konnte einen mühelos zur Weißglut
bringen. Er war auch nett, charmant, sanft, großzügig und
immens sinnlich. Er war ein typischer Löwe (o Gott, ein
weiterer Löwe!) und verfügte über die zu seinem Sternbild
gehörende Leidenschaft und den Mut, zu seinen
Überzeugungen zu stehen. Seine Lebenslust war unersättlich.
Er gehörte zu den interessantesten Menschen, die ich je
kennengelernt habe, und während der ganzen Jahre bin ich
immer stolz darauf gewesen, ihn einen Freund nennen zu
können.
»Ich möchte mich wirklich bei Ihnen entschuldigen«, sagte
Gene am nächsten Tag. »Darf ich Sie zum Essen einladen?«
Und das war der wahre Anfang für uns. Dieser Mann ist
wirklich unglaublich, dachte ich im stillen. Dabei wußte ich
nicht einmal die Hälfte…
Das war also der Traum, von dem Gene in der Vergangenheit
so oft in Andeutungen gesprochen hatte. Doch obwohl er
mehrmals gesagt hatte, da wäre auch eine Rolle für mich drin,
mußte sie tatsächlich nach meinem Engagement erst noch
geschaffen werden. Erst nachdem ich an Bord war, wurde
Uhura geboren, wurde sie von Gene und mir erschaffen. Im
Laufe der Jahre habe ich Uhura vielfach als meine Ur-ur-ur-ur-
ur-ur-ur-urgroßenkelin im dreiundzwanzigsten Jahrhundert
bezeichnet. Gene und ich stimmten darin überein, daß sie eine
Bürgerin der Vereinigten Staaten von Afrika sein sollte. Und
ihr Name Uhura kommt von Uhuru, das bedeutet in Suaheli
›Freiheit‹. Der Biographie zufolge, die Gene und ich für
meinen Charakter entwickelten, war Uhura weit mehr als eine
intergalaktische Telefonistin. Als Kommunikationsoffizer
befehligte sie ein zumeist unsichtbares Korps aus
Kommunikationstechnikern, Linguisten und anderen
Spezialisten, die in den Eingeweiden der Enterprise in der
›Kommunikationszentrale‹ arbeiteten. Sie ist
Diplomlinguistikerin, hat die Starfleet-Akademie mit
Auszeichnung abgeschlossen und war ein Protege Mr. Spocks,
den sie für seinen Mut, seine Intelligenz, seinen Stoizismus
und vor allem seine Logik bewundert. Wir hatten sogar
ausgearbeitet, wo Uhura aufwuchs, wer ihre Eltern waren und
warum sie aus allen Kandidaten für die Fünf-Jahre-Mission der
Enterprise ausgewählt wurde.
Mit meinem Engagement hatte der stets einfallsreiche Gene
mit dem Prozeß der zusätzlichen Besetzung begonnen; er
erklärte dem Sender, daß er die Brücke etwas ›farbiger‹
machen wollte. Alle gingen davon aus, daß er lediglich die
Kulissen umgestaltete, und er war durchtrieben genug, den
Irrtum nicht aufzuklären.
Da ich meinen Teil an Erfolgen und Mißerfolgen im
Showbusineß erlebt hatte, hieß ich die Sicherheit willkommen,
die eine Serie bot. Das bedeutete nicht nur einen regelmäßigen
Gehaltsscheck; viel wichtiger war die Tatsache, daß ich mehr
Zeit zu Hause mit meinem Sohn verbringen und mich um
Mutter und die Familie kümmern konnte. Ich konnte endlich
meinen schäbigen kleinen Wagen durch einen prächtigen roten
Jaguar ersetzen und meiner Mutter ihr Haus kaufen. Ich
wünschte mir nur, Daddy hätte noch erleben können, wie seine
›Kleine‹ mit ihren Anschaffungen prahlte.
Sobald ich offiziell engagiert war, machten sich meine
Agenten an die Arbeit, die Einzelheiten des Vertrages zu
regeln. Dank der Unbeständigkeit des Showbusineß und den
Bemühungen der Schauspielergewerkschaft ist für Agenten
und Produktionsgesellschaften ein mündlicher Vertrag genauso
bindend wie ein schriftlicher. Mit anderen Worten: Sagt der
Produzent dem Agenten, daß er einen engagiert, und die
beiden einigen sich auf eine Gage, ist er verpflichtet, sich an
die Vereinbarung zu halten. Die Verträge selbst werden meist
erst später unterschrieben, oftmals lange nachdem man bereits
mit der Arbeit begonnen hat.
Ich sonnte mich noch immer in meinem Glück, als einer
meiner Agenten anrief. »Nichelle, es gibt ein Problem mit dem
Vertrag.«
»Wieso denn das?« fragte ich verblüfft. »Es war doch alles
klar.«
Das war es auch gewesen, wie mir mein Agent erklärte – bis
die Herren der Chefetage im ersten Drehbuch gelesen hatten,
was genau Gene gemeint hatte, als er eine Rolle neu besetzte
und etwas mehr ›Farbe‹ auf die Brücke bringen wollte.
Nachdem die Leute vom Sender mit der Verbannung von
Nummer Eins einen triumphalen Sieg errungen hatten, traf sie
der Schlag, als sie erkennen mußten, daß eine Frau auf der
Brücke eine wichtige Rolle spielte, und daß diese Frau
obendrein schwarz war! Als sie begriffen, daß Uhura einen
beträchtlichen Anteil am Geschehen haben sollte und ihr Text
weit über ein »Zu Befehl, Captain« hinausgehen würde,
stellten sie Gene wütend ein Ultimatum: Weg mit ihr! Gene
weigerte sich.
Man muß es Gene hoch anrechnen, daß weder er noch
andere, die von den Problemen wußten, mich jemals darüber
informierten. Tatsächlich sollte diese selige Unkenntnis die
ganze Produktionszeit von Star Trek über andauern. Ich erfuhr
die Wahrheit erst sieben Jahre nach Einstellung der Serie, und
dann auch nur zufällig. Ohne mein Wissen taten sich Gene und
meine Agenten zusammen und knobelten eine brillante
Strategie aus, um Uhura zu retten.
Von Rechts wegen hätte ich die Erfüllung des Vertrages ohne
weiteres erzwingen können. Aber meine Agenten wiesen mich
klugerweise darauf hin, daß man die Produzenten zwar
zwingen konnte, den über dreizehn Wochen laufenden Vertrag
mit mir einzuhalten, sie jedoch nicht zwingen konnte, mich
auch einzusetzen. Der Sender versuchte Gene unter Druck zu
setzen, genau diesen Weg einzuschlagen, doch er weigerte sich
standhaft. Während er und meine Agenten um meine Rolle
kämpften, wollten sie aber vermeiden, daß ich davon erfuhr.
»Ich will nicht, daß Nichelle etwas davon erfährt«, äußerte sich
Gene damals über die Bigotterie des Senders und seine
heimliche Zusammenarbeit mit meinen Agenten. »Denn dann
wird bei ihr der Eindruck entstehen, daß sie die Rolle auf eine
Weise bekommen hat, wie sie für viele Schwarze üblich ist –
nämlich durch die Hintertür. Das werde ich Nichelle nicht
antun.« Gott segne ihn.
Meine Agenten erklärten mir die Situation wie folgt:
»Siehst du, der Sender hat die Serie gekauft, und er will
keinen weiteren Vertrag anerkennen. Die Verantwortlichen
sind wütend, daß Gene zusätzliche Verträge abschließen will.
Es hat nichts mit dir zu tun.« Natürlich hätte ich, nachdem sie
zum zwanzigsten Mal betont hatten, daß es ›keine
Rassensache‹ war, erkennen müssen, daß hier etwas nicht
stimmte.
»Aber es handelt sich doch gar nicht um einen neuen
Vertrag«, argumentierte ich logisch. »Ich ersetze doch bloß
Lloyd Haynes, und der ist auch ein Schwarzer. Wo also liegt
das Problem?«
Darauf gaben mir meine Agenten keine Antwort. Statt dessen
erklärten sie mir schnell den Plan. »Wir werden es
folgendermaßen machen. Du bist dabei, aber ohne Vertrag.«
»Und wie zum Teufel soll das gehen?«
»Du erhältst eine Tagesgage«, sagten sie. »Wenn du
gebraucht wirst, dann…«
»Hört zu! Ich habe nicht die ganzen Jahre gearbeitet, um jetzt
auf der Basis einer Tagesgage zu spielen«, rief ich verbittert.
»Das mache ich nicht mit!«
Natürlich wußten meine Agenten, daß Gene mich genauso
einsetzen würde wie geplant, eher noch öfter. Für meine
Agenten war das eine Gewinnstrategie. Doch für mich war es
eine schwere Enttäuschung, eine Erniedrigung, und irgendwo
in meinem Unterbewußtsein war mir klar, daß das
Rassenproblem eine Rolle spielte. Aber ich biß mir auf die
Zunge und schluckte meinen Stolz herunter, als meine
Agenten, die meinetwegen so hart gearbeitet und genauso
verletzt wie ich waren, mich zu überreden versuchten.
»Du wirst einfach großartig sein. Wir haben das Drehbuch
vorliegen, und du hast eine tolle Rolle. Geh einfach hin und sei
großartig.
Außerdem kannst du, sollte sich ein besseres Angebot bieten,
einfach gehen, Nichelle. Nimm das Geld einfach mit, etabliere
deinen Namen im Fernsehgeschäft und warte ab, was passiert.
Du hast Arbeit, und wir haben etwas zum Vorführen, wenn du
dich für andere Rollen bewirbst.«
Mir war klar, daß sie recht hatten, und so sehr es mich auch
schmerzte, mich auf einen, wie ich dachte, ›Sekundenauftritt‹
einzulassen, wußte ich dennoch, daß es sich hier um eine
seltene Gelegenheit handelte. Heute, wo ich die ganze
Geschichte kenne, frage ich mich oft, was wohl passiert wäre,
hätte ich aus prinzipiellen Erwägungen heraus um den Vertrag
gekämpft, oder wäre nicht Gene der Produzent gewesen. Einer
meiner Agenten beschwichtigte einige meiner Ängste, indem
er sagte: »Du weißt, daß Gene dich mag, und er hat
versprochen, auf dich aufzupassen.«
Gene ging weit über sein Versprechen hinaus, mich
einzusetzen. Dank der Gagenstruktur verdiente ich mit den
Tagesgagen mehr, als ich mit einem festen Vertrag bekommen
hätte. Zusätzlich arrangierte es Gene, daß ich bei anderen
Serien mitarbeiten konnte, wenn ich bei Star Trek nicht
gebraucht wurde. Nur wenige Leute wissen, daß ich
(beziehungsweise mein Rücken) ein Jahr lang in Peyton Place
eine Krankenschwester spielte. Ohne Genes oder die
Verdienste der anderen schmälern zu wollen, muß ich jedoch
ehrlich sagen, daß ich die ganze Situation erniedrigend fand.
Kein Mitglied der Stammbesetzung wußte, daß ich nicht auf
der gleichen Basis wie sie engagiert worden war. Jedesmal
wenn ich einen öffentlichen Auftritt zu absolvieren und zu
sagen hatte, wie wunderbar der Sender uns alle behandelte,
blieben mir die Worte beinahe im Hals stecken.
Ehrlich gesagt störte mich auch, daß ich jeden Tag als einer
der ersten im Filmstudio erscheinen mußte und zu den letzten
gehörte, die Feierabend machten. Jedesmal wenn einer der
Regieassistenten zu fortgeschrittener Tageszeit verkündete:
»Bleiben Sie noch, Nichelle. Wir brauchen Sie vermutlich
noch für Bills Nahaufnahme«, fühlte ich mich wie die
Küchenmagd. Erst nach den ersten Gehaltsschecks erkannte
ich langsam die Methode, die hinter Genes Wahnsinn steckte.
Auf diese Weise rächte er sich an den hohen Herren der
Chefetage. Gene bekam nicht nur das, was er wollte, er sorgte
auch dafür, daß sie dafür bezahlten – und zwar im wahrsten
Sinne des Wortes teuer.
7
Star Trek hatte im Herbst Premiere bei NBC und rief nur
mäßige Begeisterung hervor. Die erste Episode ›The Man
Trap‹ drehte sich um ein gestaltwandlerisches, nach Salz
hungerndes Monster mit der Fähigkeit, eine Form
anzunehmen, die attraktiv genug war, um jeden zu verführen,
der ihm über den Weg lief. Pille McCoy erschien es
beispielsweise als jugendliche Version einer seit langem
verlorenen Liebe. Uhura wird beinahe von dem Monster in
Gestalt eines attraktiven, Suaheli sprechenden Schwarzen
angegriffen. Fans zählen diese Episode nicht gerade zu den
besten, aber sie hatte ihre Höhepunkte. Wie andere Folgen
nach ihr zeigt sie deutlich, wie man Uhura und die anderen
Charaktere hätte weiterentwickeln können. »Manchmal glaube
ich, ich werde in Tränen ausbrechen, wenn ich das Wort
Frequenz noch ein einziges Mal hören muß«, bemerkt Uhura
an einer Stelle zu Mr. Spock. Diesen Satz hatte ich Gene
gegenüber so oft wiederholt, daß er es verdient hatte, in dieser
Szene in die Geschichte einzugehen. In Episoden wie ›The
Naked Time‹ und ›The Squire of Gothos‹ macht Uhura
deutlich, daß sie keine zarte Dame in Not ist, die gerettet
werden muß. Und in ›Mirror, Mirror‹ beweist sie, daß sie auch
kämpfen kann. Uhura war in vielerlei Hinsicht eine neue
Fernsehfrau. Doch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der
Serie fiel unangenehm deutlich auf, daß ihre Rolle trotz der
ambitionierten, wenn auch nebulösen Pläne, die Gene für
Uhura hatte, ständig kleiner wurde.
Hätte ich nur die endgültigen Drehbücher zu Gesicht
bekommen, wäre es vielleicht nicht so demoralisierend
gewesen. Aber jeden Tag zusehen zu müssen, wie Aktionen
und Text gestrichen wurden, bis nichts mehr übrigblieb, tat
weh, professionell und persönlich. Eines Tages konfrontierte
ich D. C. (Dorothy) Fontana, Drehbuchkonsultantin und Genes
rechte Hand – und das schon lange vor dem Beginn von Star
Trek –, mit der Frage, warum meine Szenen immer beschnitten
wurden. Sie hatte mehrere großartige Drehbücher geschrieben,
die sich auf Uhura konzentrierten, und sie alle waren
umgeschrieben worden. Als einzige Frau der Autorenriege
verstand Dorothy Uhuras Bedeutung für die Serie.
»Warum geschieht das, Dorothy?« fragte ich.
»Sprechen Sie mich nicht darauf an«, antwortete sie und
brach beinahe in Tränen aus. »Lassen Sie mich einfach nur in
Ruhe, Nichelle.«
Hier kamen mehrere Mächte ins Spiel – sowohl am als auch
jenseits des Drehorts –, und es ist unmöglich, die Geschehnisse
eindeutig zu rekonstruieren. Aber selbst in dem von Gene
erfundenen dreiundzwanzigsten Jahrhundert war eine starke,
unabhängige schwarze Frau nicht als gleichberechtigt
willkommen. Schließlich war das hier noch immer Hollywood,
und auch wenn Gene im Prinzip die Serie kontrollierte,
unterlagen die Drehbücher der Genehmigung durch den
Sender.
Die vorderste Front des Widerstandes bildete die Chefetage
des Senders, und das sollte auch so bleiben. Eingeschnappt,
daß Gene sie ausgetrickst hatte, was mich anging, beharrten sie
diesmal auf ihrem Standpunkt. Zuerst hieß es, die im tiefen
Süden gelegenen Tochtergesellschaften des Senders würden
die Serie sicher nicht ausstrahlen, was sich als Irrtum
herausstellte. Eine große Anzahl von Zuschauern, die die
Episoden noch im Schwarzweiß-Fernsehen sahen, schrieben
und beglückwünschten den Sender und Star Trek, daß sie eine
Asiatin in einer so wichtigen Rolle zeigten! An dem
Mißverständnis waren mein exotisches Make up – das meine
mandelförmigen Augen und die hohen Wangenknochen noch
unterstrich – und die Art der Ausleuchtung schuld. Tatsächlich
beglückwünschten sich einige der Verantwortlichen dafür, um
sich dann zu erkundigen, wer die beiden asiatischen
Charaktere eigentlich waren. Anhand des Klanges unserer
schrecklich unauthentischen ›asiatischen‹ Nachnamen kamen
sie zu dem Schluß, es müsse sich um Sulu und Uhura handeln.
Als mehr Zuschauer die Serie dann in Farbe sahen – und
erkannten, daß ich keine Asiatin, sondern eine Schwarze war –,
war ihre Reaktion überwältigend positiv.
Die schmerzlichste Erfahrung mußte ich jedoch bei Desilu
(die ursprüngliche Produktionsgesellschaft, die später von
Paramount übernommen wurde) machen, wo Rassismus
durchaus an der Tagesordnung war. Obwohl die Vertreter des
Senders immer wieder ankündigten, zur Hauptsendezeit mehr
schwarze Schauspieler einzusetzen, bot sich dem Zuschauer
das Bild einer überwiegend weißen Welt. Mit Ausnahme von
Bill Cosby – als zweiter Hauptdarsteller neben Robert Culp in
I Spy – und Greg Morris in Mission: Impossible bestand die
Mehrzahl schwarzer Gesichter auf dem Bildschirm aus
Sängern und Komikern. Julia, die Serie, die den Weg für
schwarze Hauptdarstellerinnen frei machte, kam erst 1968 auf
den Bildschirm.
Meiner Erziehung zufolge war es mir unmöglich, rassistische
Bemerkungen und Handlungen zu tolerieren. Ich hatte genug
erlebt, um zu wissen, was Menschen in Wirklichkeit meinten,
und es spielte keine Rolle, welche Anstrengungen sie
unternahmen, es zu verbergen. Und wie immer sprechen Taten
lauter als Worte. Unverhohlener Rassismus ist offensichtlich
und dumm, doch die schlimmste und häufigste Form
rassistischer Handlungen und Bemerkungen kommt in
versteckter und hinterhältiger Gestalt daher. Eines Tages
erschien ich zur Arbeit und wurde von dem Sicherheitsmann
am Eingang, der mir bereits auf subtile Weise gezeigt hatte,
daß er mich nicht mochte und den ich beim Namen kannte,
nicht eingelassen.
»Was soll das?« fragte ich. »Ich arbeite hier!«
»Tut mir leid, Süße, Ihr Name steht nicht auf der Liste.
Anscheinend arbeiten Sie nicht länger hier!«
Als ich ihn daran erinnerte, wer ich war und daß ich seit
Wochen diesen Eingang benutzte, schnaubte er: »Mir ist
scheißegal, wer Sie sind!«
Wütend fuhr ich zum nächsten Eingang und mußte deshalb
ein Stück zu Fuß zurück zum Set gehen.
Die Produktion der zweiten Season hatte gerade begonnen,
als ich überraschenderweise erfuhr, daß Grace Lee Whitney
aus der Serie ausgestiegen war. Wir hatten uns angefreundet,
und es tat mir sehr leid, sie gehen zu sehen. Eines Tages sagte
mir der Assistent eines der Bosse der Desilu-Hierarchie offen
ins Gesicht: »Wenn man schon jemanden hätte feuern sollen,
dann Sie, und nicht Grace Lee. Zehn Ihrer Sorte könnten keiner
blauäugigen Blondine das Wasser reichen.« Er knurrte es im
Vorbeigehen beinahe hervor. Einen Augenblick lang zitterte
ich vor Wut. Plötzlich verstand ich die Reaktion des
Wachmannes. War das bloß die Reaktion eines Mannes, oder
hatte man etwas Derartiges im Studio geäußert? Der nächste
Zwischenfall machte die Meinung einiger der Angestellten auf
schmerzhafte Weise deutlich.
Von der ersten Woche der Star Trek-Ausstrahlung an
erhielten wir alle Fanpost. Natürlich bekamen Leonard und
Bill den Löwenanteil. Für gewöhnlich brachte ein Mitarbeiter
der Poststelle die Briefe – zwischen einem Dutzend und
zwanzig Stück die Woche – zum Set. Ich fand es schrecklich
aufregend, Fanpost zu bekommen; es macht mir noch immer
Spaß. Seltsamerweise bekam ich manchmal einen viel
größeren Stapel. »Die sind liegengeblieben. Wir konnten sie
Ihnen noch nicht zustellen«, lautete der Kommentar des Boten.
Und ich war so dankbar, daß es beinahe schon peinlich war.
Gegen Ende der ersten Season war ich es so leid, mitansehen
zu müssen, wie meine guten Szenen und Textpassagen immer
mehr gekürzt wurden, von den rassistischen Beleidigungen
außerhalb des Sets ganz zu schweigen. Ich dachte ernsthaft
daran aufzuhören. Am Set waren alle großartig, warum also
die Feindschaft draußen? Ich verstand es nicht, aber ich hielt
mich zurück. Ich glaubte, schon damit zurechtzukommen.
Eines Tages spazierte ich über das Studiogelände, als mir
zwei Angestellte aus der Poststelle begegneten.
»Hi« rief ich. Sie lächelten und gingen weiter, doch plötzlich
blieben sie stehen und drehten um. Die wollen bestimmt ein
Autogramm, dachte ich.
»Sie sind Nichelle Nichols«, sagte der eine.
Ich nickte.
Er blickte seinen Kollegen an, sah dann wieder mich an, als
wüßte er nicht genau, wie er es sagen sollte. »Wissen Sie«,
fing er an, »wir arbeiten in der Poststelle, und wir bekommen
Ihre Fanpost…«
»Wir finden, es ist eine Schweinerei, was da mit Ihnen
gemacht wird«, stieß der zweite Mann hervor. »Das ist so
niederträchtig.«
»Wovon sprechen Sie?«
»Wir sind angewiesen worden, Ihnen Ihre Fanpost nicht
auszuhändigen«, erklärte er.
»Ich verstehe nicht. Ich bekomme doch Fanpost.«
»Nein«, beharrte er. »Sie bekommen Ihre Fanpost nicht! Wir
haben Stapel – Säcke – Fanpost für Sie. Sie sind die einzige,
deren Fanpost an die Shatners oder Nimoys heranreicht.«
Ich stand wie erstarrt da, sprachlos. Ich hatte es nicht gewußt.
Den beiden Männern gefiel offensichtlich die Wirkung ihrer
Enthüllung, weil der eine sich beeilte hinzuzufügen: »Aber
wenn Sie jemand erzählen, daß wir es Ihnen gesagt haben,
werden wir gefeuert.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich war dankbar, daß
sie es mir gesagt hatten, hatte jedoch eine Stinkwut auf
denjenigen, der sie zum Schweigen verdonnert hatte. Mir war
durchaus bewußt, daß Karrieren oft in der Poststelle ihren
Anfang nehmen, also gab ich den beiden mit einem Nicken zu
verstehen, daß ich den Mund halten würde.
»Wissen Sie«, schlug der eine gewitzt vor, »keiner kann Sie
daran hindern, zur Poststelle zu kommen und die Post selbst
abzuholen.«
Tage später sah ich mit eigenen Augen die Kästen und Säcke
mit Post aus allen Teilen des Landes, von Erwachsenen und
Kindern aller Hautfarben und Rassen. Zu sagen, ich wäre
erstaunt gewesen, trifft meine Gefühle nicht einmal annähernd.
Es war ›nur‹ Fanpost, aber für diejenigen, die dafür gesorgt
hatten, daß ich ohne festen Vertrag arbeitete, die mich
anscheinend bei jeder Gelegenheit daran erinnern wollten, daß
ich ersetzbar war, war das die größte Demütigung von allen.
Ich verließ die Poststelle, ging zurück und schloß mich in
meiner Garderobe ein.
Es gab so viele gute Dinge bei der Arbeit an Star Trek – das
Geld, die Aufmerksamkeit, die man erregte, meine Kollegen –,
daß mir der Entschluß, nach der ersten Season aufzuhören,
sehr schwerfiel. Nachdem die letzte Folge abgedreht worden
war, ging ich in Genes Büro und kündigte.
»Hier gibt es so viel, das ich einfach nicht mehr ertragen
kann«, erklärte ich. »Bis jetzt habe ich die Drehbuchkürzungen
und den Rassismus weggesteckt, aber ich kann einfach nicht
mehr.«
Gene hörte aufmerksam zu. »Nichelle, bitte denk noch mal
darüber nach«, sagte er dann.
»Gene, du warst großartig, aber hier läuft zuviel falsch, und
ich bin nicht diejenige, die es in Ordnung bringen kann.« Wir
unterhielten uns noch eine Zeitlang, und bevor ich ging,
umarmten wir uns noch einmal. »Ich will nicht, daß du das
tust«, sagte er. »Ich kann dafür sorgen, daß es besser wird. Ich
habe hier ein Problem, und es ist ein harter, immerwährender
Kampf.«
Ich spürte, worauf Gene anspielte, wußte aber nicht genau,
was er mir eigentlich damit sagen wollte. Wie bereits erwähnt,
hatte ich zu diesem Zeitpunkt ja keine Ahnung, was er auf sich
genommen hatte, um mich zu schützen.
»Gehst du, haben sie gewonnen«, sagte er eindringlich. »Und
wenn sie dich fortjagen, haben sie zweifach gewonnen.«
Ich verabschiedete mich von Gene mit dem Gedanken, daß,
falls ich blieb und zuließ, mit weniger Respekt als meine
Kollegen behandelt zu werden, jene allgegenwärtigen ›Sie‹
ebenfalls gewonnen hatten. Es war mir einfach nicht länger die
Mühe wert.
Am folgenden Abend besuchte ich eine wichtige
Spendenveranstaltung der NAACP. Ich plauderte gerade mit
jemanden, als ein Mann auf mich zutrat. »Nichelle, hier ist
jemand, der Sie gern kennenlernen möchte. Er ist ein großer
Fan von Star Trek und Uhura.«
Ich drehte mich um, um diesen ›Fan‹ zu begrüßen und fand
mich Dr. Martin Luther King gegenüber. Ich war sprachlos,
und ich erinnere mich, daß ich dachte: Wer auch immer dieser
Fan ist, er muß warten.
Der Mann stellte uns vor. »Ja, ich bin dieser Fan«, waren die
ersten Worte, die Dr. King zu meiner großen Überraschung
sagte. »Ich wollte Ihnen nur sagen, wie wichtig diese Rolle
ist.«
Dann sprach er davon, daß er und seine Kinder jede Episode
von Star Trek sahen, und wie sehr sie Uhura verehrten. In
diesem Augenblick spürte ich zum ersten Mal richtig, welche
Auswirkungen meine Entscheidung hatte. Trotzdem erwiderte
ich: »Vielen Dank, Dr. King, aber ich will mit Star Trek
aufhören.«
»Das können Sie nicht«, erwiderte er entschlossen. »Und Sie
dürfen es auch nicht. Begreifen Sie nicht, wie wichtig Ihre
Gegenwart, Ihr Charakter ist? Erkennen Sie nicht, welch ein
Geschenk dieser Mann der Welt gegeben hat? Männer und
Frauen aller Rassen widmen sich gemeinsam der friedlichen
Erforschung der Galaxis, leben als Gleichgestellte. Hören Sie
mir zu: Begreifen Sie das nicht? Das ist keine schwarze Rolle,
es ist auch keine weibliche Rolle. Sie haben die erste Rolle im
Fernsehen, die nicht stereotyp ist, und dabei geht es nicht um
das Geschlecht. Sie haben Neuland betreten…«
»Es hat andere schwarze Stars gegeben«, hielt ich dagegen.
»Im Fernsehen?« erwiderte er. »Ja, Beulah. Arnos und Andy.
Muß ich noch mehr sagen?«
»Nein«, antwortete ich leise.
»Sie dürfen nicht aufhören. Sie haben eine Tür geöffnet, die
sich nicht wieder schließen darf. Ich bin davon überzeugt, daß
Ihnen Ihre Arbeit viel Kummer eingebracht hat und vermutlich
noch einbringen wird. Aber Sie haben das Antlitz des
Fernsehens für alle Zeiten verändert. Sie haben einen
Charakter voller Würde, Anmut, Schönheit und Intelligenz
erschaffen. Verstehen Sie nicht, daß Sie mehr sind als ein
Rollenmodell für kleine schwarze Kinder? Sie sind noch viel
wichtiger für Leute, die nicht wie wir aussehen. Zum erstenmal
sieht uns die Welt, wie es sein sollte, als Gleiche, als
intelligente Menschen – so, wie wir sein sollten. Für schwarze
Kinder wird es immer Rollenmodelle geben; Sie sind ein
Rollenmodell für alle Menschen.
Vergessen Sie nie, Sie sind nicht trotz, sondern wegen Ihrer
Hautfarbe im Fernsehen. Das hat uns Gene Roddenberry
gegeben.«
Das ganze Wochenende gingen mir Dr. Kings Worte durch
den Kopf, während ich alle Faktoren bedachte. Vielleicht hatte
er recht: Vielleicht war Uhura ein Symbol der Hoffnung, ein
Rollenmodell. Und wenn dies zutraf, schuldete ich ihr dann
keine zweite Chance? Zugegeben, Uhuras volles Potential war
nicht erfüllt worden, das würde leider auch niemals geschehen.
Aber immerhin gab es sie, nicht wahr? Und sie mußte für
etwas gut sein.
Als ich am Montag zur Arbeit ging, stattete ich zuerst Gene
einen Besuch ab und erzählte ihm von meiner Unterhaltung
mit Dr. King und meiner Entscheidung zu bleiben.
Eine Träne trat in Genes Augenwinkel. »Gott segne diesen
Mann«, sagte er. »Wenigstens einer hat erkannt, was ich
erreichen will.«
∗
Coon ist eine abwertende, beleidigende Bezeichnung für Negerin; Anm. d.
Übers.
Nagel zu hängen, war persönlicherer Natur. Nach seiner
unglücklichen Ehe war er durch einen Zufall seiner ersten
wahren Liebe Jackie wiederbegegnet. Glücklich mit Jackie
verheiratet, steuerte er weiterhin Geschichten für Star Trek bei
und war unglaublich glücklich, bis er nur fünf Jahre später
verstarb. Er wird vermißt, aber ich bin sicher, daß er, wo auch
immer er ist, genau weiß, welch langlebiges Vermächtnis er
hinterlassen hat.
Einer von Gene Coons großen Beiträgen bestand darin,
unsere Charaktere lockerer zu machen und menschlichere,
universellere Erfahrungen an Bord der Enterprise zu bringen.
Zum Beispiel war das dreiseitige Wechselspiel zwischen Kirk,
Spock und Pille Coons Idee. Genau wie Roddenberry hielt er
es für eine gute Vorgehensweise, Episoden auch um andere
Charaktere herum aufzubauen. Der Sender, der jede Serie mit
einer Ensemble-Besetzung verabscheute, hieß die Popularität
von Kirk und Spock willkommen. Denn so hatte man – wie bei
jeder anderen populären Fernsehserie jener Zeit – einen oder
zwei Helden; sie waren der Mittelpunkt, um den sich alles
drehte, und alle anderen waren nur Beiwerk. Gene
Roddenberry kämpfte noch immer hart darum, den Rest von
uns in den Vordergrund zu rücken, aber das wurde ständig
verhindert. Am Anfang war unser Set wie ein kleines, privates
Fort, das vom Feind umzingelt war. Doch zu Beginn der
zweiten Season begann sich Bill Shatner zu verändern, und
Gene mußte feststellen, daß es in seinem Lager ein Problem
gab: Captain Kirk.
Genes Beziehung zu Bill war ziemlich kompliziert, was im
gleichen Maße auch für Leonard galt. Manche sagen, der
Anlaß für die Spannungen lag hauptsächlich in der Tatsache
begründet, daß Gene Charaktere schuf, mit denen die
Schauspieler für alle Zeiten identifiziert wurden (was auch für
den Rest der Stammbesetzung gilt). Da ich ebenfalls darunter
gelitten habe, kann ich nachvollziehen, daß sie über diese
Festlegung wenig erfreut waren. Sowohl Bill als auch Leonard
haben in verschiedenen Stadien ihrer Karrieren eindeutig klar
gemacht, daß sie sich von ihren Charakteren distanzierten.
Leonard gab seiner Autobiographie sogar den Titel I Am Not
Spock, während Bill sich oft verächtlich über Fans geäußert
hat, die ihn als Captain Kirk liebten. Aber die Fans ließen nicht
zu, daß sie ihre Charaktere vergaßen, und im Laufe der Zeit
mußten sie akzeptieren, daß sie trotz anderer Erfolge immer
Captain Kirk und Mr. Spock sein werden, genau wie wir
immer Uhura, Pille, Scotty, Sulu und Chekov sein werden.
Andererseits legt jeder Schauspieler, der etwas auf sich hält,
einen Teil seines Selbst in jede Rolle, so daß es unmöglich ist,
sich nicht mit ihr zu identifizieren. Sicher, die Figur hat immer
jemand anderes erfunden und sie auf dem Papier skizziert, aber
es ist der Schauspieler, der ihr Leben verleiht, und indem man
das tut, schmiedet man einen Bund mit seinem imaginären
Alter ego.
Ich glaube nicht, daß die Leute damals in vollem Ausmaß
erkannt haben, wieviel Gene von sich in Star Trek investiert
hat, und ich spreche hier nicht von den zahllosen
Arbeitsstunden oder den Auseinandersetzungen mit dem
Sender oder der Produktionsgesellschaft. In seiner Vorstellung
schrieb Gene von sich selbst, als er Captain Kirk erschuf:
lebhaft, emotional, engagiert. Aber er war auch Mr. Spock, ein
Mann, der von der Vernunft beherrscht wird. So sehr ich Gene
auch geliebt habe, bin ich doch die erste, die zugibt, daß er
schwierig und unmöglich sein konnte. Gene, Bill und Leonard
hatten die drei ausgeprägtesten Egos auf diesem Planeten, und
im Laufe der Zeit entfremdeten sie sich einander, aus welchen
Gründen auch immer. Leonard zum Beispiel erwähnte, er hätte
sich nicht ausreichend geschätzt gefühlt. Bill hat klar zum
Ausdruck gebracht, daß Gene seiner Meinung nach mit Ende
der zweiten Season ›von Bord ging‹. Ich weiß, daß Gene sich
nach Coons Einstellung auf seine Rolle als Produzent
konzentrierte und nicht mehr täglich am Set anwesend war.
Unabsichtlich hinterließ er ein Vakuum, das gefüllt werden
wollte. Und Bill Shatner übernahm diese Rolle im Alleingang;
er spielte den Boß, schüchterte Regisseure und Gaststars ein,
beschnitt den Text und die Auftritte der anderen Schauspieler
und riß genug Kontrolle an sich, um das familiäre Gefühl zu
zerstören, das wir während der ersten Season aufgebaut hatten.
Im ersten Band seiner Memoiren gesteht Bill, daß ihm nicht
bewußt war, welche Gefühle ihm seine Kollegen tatsächlich
entgegenbrachten. Mich hat es nicht überrascht, daß Bill dies
nicht auffiel, da er jedem im Studio klar machte, daß er der
Star und der Rest von uns nicht wichtiger als die Kulissen
waren. Alles, was sich nicht auf ihn konzentrierte, bedrohte
sein Revier, und er vergaß niemals, seinen Unmut zum
Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel war ich sehr verletzt und
beleidigt, als ich Jahre später las, daß er uns als ›gestörte
Familie‹ bezeichnete. Tatsächlich war und ist der Rest von uns
eine Familie, eine Familie, von der er sich sehr früh
distanzierte. Damals schrieb ich dieses Verhalten Unsicherheit
zu. Mit den weiblichen Gaststars kam er immer sehr gut
zurecht, zumindest mit denen, die seinem Charme erlagen. Die
anderen taten mir leid, und ich hatte großen Respekt für Frauen
wie Lee Merriwether und Mariette Hartley, die stark genug
waren, ihm zu sagen, wo er sich hinscheren sollte. Aber die
männlichen Gaststars schienen ein echtes Problem für ihn
darzustellen. Als Ricardo Montalban in ›Space Seed‹ seinen
ersten Auftritt als Khan hatte, war er völlig überrascht von der
Feindseligkeit, die Bill ihm entgegenbrachte. Gut, laut
Drehbuch waren sie Gegner, aber Ricardo, einer der nettesten
Männer dieses Planeten, konnte nicht begreifen, warum Bill
sich auch noch so verhielt, nachdem der Regisseur »Schnitt«
gerufen hatte. Zugleich ist Bill ein unglaublich charmanter
Mann. Ich habe nie vergessen können, welchen Eindruck ich
mir in den ersten Wochen der Serie von ihm gemacht hatte.
Und wenn Bill etwas tat, das mich störte, ignorierte ich es und
tat es als Ausrutscher ab, der durch Gedankenlosigkeit
entstand. Das sollte sich jedoch ändern.
Wie bereits erwähnt, wurden die Drehbücher ständig
überarbeitet. Eines Tages bereiteten wir uns gerade auf eine
Szene vor, in der Uhura eine wichtige Rolle spielte, als Bill
Einspruch erhob. »Irgendwas stimmt hier nicht!« bemängelte
er ständig, und als er sich mit dem Regisseur und einigen
anderen Leuten des Produktionsstabes zurückzog, um darüber
zu diskutieren, wuchs meine Verwirrung. Es war nicht das
erste Mal, daß so etwas passierte, aber da es bei dem Text in
diesem Fall um Uhuras Funktion als Kommunikationsoffizier
ging, sah ich keine Möglichkeit, ihn zu kürzen. Wir drehten
eine andere Szene, während sie den ›störenden‹ Textteil zu
Bills Zufriedenheit umschrieben. Als ich später die
überarbeiteten Seiten las, war mein Text auf den Satz »Ich
habe Verbindung zur Kommandozentrale von Starfleet, Sir«
zusammengestrichen worden, bevor der Captain und Spock
wieder übernahmen.
»Moment mal«, sagte ich. »Was soll das hier?«
»Äh, Nichelle«, stotterte Bill völlig überrascht. »Das ist
nichts Persönliches, Baby. Aber die Szene ist so besser. Es gibt
keinen Grund, warum du so viel Text haben solltest. Wenn es
schon jemand sagen muß, dann Leonard!«
»Seit wann ist Spock der Kommunikationsexperte?« wollte
ich wissen.
Ich war wütend, und ich war damit nicht allein. Die ganze
Stammbesatzung wußte, wie ich mich fühlte, da Bill so etwas
immer häufiger tat. Auch bei ihnen. Selbst Leonard war es
peinlich, und er weigerte sich, da mitzumachen. Das Resultat
war, daß die gesamte Szene völlig umgeschrieben wurde.
Wieder einmal hatte Bill seinen Willen durchgesetzt.
Manchmal half ein bißchen Humor, um alles durchzustehen.
»Bill wird nicht zufrieden sein, bis wir alle weg sind und er
auch unsere Rollen übernommen hat«, meinte George Takei
oft und imitierte dann Captain Kirk, wie er unsere
bekanntesten Sprüche vortrug: »Grußfrequenzen geöffnet,
Captain! Faszinierend! Er ist tot, Jim!« Wir alle kreischten vor
schmerzlichem Lachen, bis uns die Tränen die Wangen
hinunterliefen.
Wir hielten alle zusammen und lernten, mit Bill zu leben.
Wie wir entdeckt hatten, verging der Tag viel leichter, wenn
wir die Köpfe schüttelten und den Mund hielten.
Ich weiß nicht, wie oder wann Gene Wind davon bekam.
Aber bald fiel mir auf, daß die Regisseure die Kameras so
aufstellten, daß, wann immer George, Walter, Jimmy oder ich
›unwichtigen‹ Text hatten, wir im Bild waren. Verlangte das
Drehbuch nach einer Nahaufnahme von Bill, sah man mich im
Hintergrund. Oder es wurde der Vorschlag gemacht:
»Bill, wenn wir das drehen, warum wenden Sie sich nicht
Nichelle zu, wenn Sie das sagen?« Wir sollten erst später
erfahren, daß Gene dies verlangt hatte.
Soweit es Bills Verhalten betraf, ließ man ihn gewähren. Da
es keine lautstarken Auseinandersetzungen gab, kam er meiner
Meinung nach zu dem Schluß, daß wir mit allem, was er tat,
einverstanden waren. Er sollte erst fünfundzwanzig Jahre
später die Wahrheit erfahren. Und ich bin mir selbst jetzt noch
nicht sicher, daß er wirklich begriffen hat, wie wir uns fühlten
oder wie sehr wir unter ihm gelitten haben.
Das Ende der Serie war der Anfang dessen, was später als das
Star Trek -Phänomen bekannt wurde. Trotz unserer niedrigen
Einschaltquoten war den Fernsehbossen bekannt, daß die Serie
eine treue Gefolgschaft hatte – die Trekkies, ein Begriff, den
die Fans nicht mögen und der wesentlich unfreundlicher als
Trekker ist –, und innerhalb eines Jahres nach der
Ausstrahlung der letzten Episode erschien Star Trek in der
Syndication erneut auf dem Bildschirm. Bis heute ist kein Tag
vergangen, ohne daß die Enterprise auf Millionen von
Fernsehbildschirmen durchs All fliegt. Wenn ich auf Reisen
bin, schaltet der Hotelpage oft das Fernsehen ein, nachdem er
die Koffer abgestellt hat, und ich höre: »Captain, ich habe die
Kommandozentrale von Starfleet erreicht.« Je nach Ausmaß
des Jetlag dauert es manchmal eine Minute, bis ich begreife,
daß ich keine imaginären Stimmen höre. Genes Vision und
Star Treks Botschaft haben bewiesen, daß sie über einen
buchstäblich universellen Reiz verfügen. Bei meiner letzten
Zählung lief die Serie in Sechsundsechzig Ländern; am
populärsten ist sie in England, Japan und Deutschland.
Tatsächlich bekomme ich noch immer täglich Fanpost aus
England und Deutschland.
Am auffälligsten demonstrierten die Trekker ihre Macht auf
den Conventions. Die ersten Veranstaltungen waren durchaus
schlicht, wiesen jedoch ein tribbleähnliches Phänomen auf:
Egal, wie viele Besucher erwartet wurden, die Zahl der
tatsächlich eintreffenden Trekker war stets zwei-, drei- oder
viermal so hoch. Ein frühes Star Trek-Seminar am Brooklyn
College lockte siebenhundert Fans an. Die erste große
Convention, die in New York stattfand und die für ein paar
hundert Leute ausgerichtet war, hatte über dreitausend
Besucher. Von diesem Punkt an wuchs die Zahl der Gäste
ständig, bis der New York Con 1975 nach achttausend
Anmeldungen aufhörte, noch weitere anzunehmen.
Ich besuchte meine erste Convention 1970, und ich werde nie
damit aufhören. Die Trek-Cons unterscheiden sich von anderen
Fanzusammenkünften, vielleicht weil sich der Trekker von
jedem anderen Fan auf der Welt unterscheidet. Man müßte
lange suchen, um eine solche Menge intelligenter,
aufmerksamer und aufgeweckter Leute zusammenzubringen.
Sicherlich ist es ihre Liebe zu Star Trek, die sie
zusammenführt, aber es ist ihre nie endende Treue den Ideen
und Prinzipien gegenüber, für die die Serie eintritt, die sie
letztlich zusammenhält.
Die Conventions dienten auch dazu, die meisten von uns
zusammenzuhalten. Ich glaube nicht, daß George, Jimmy,
Walter und, in geringerem Ausmaß, Leonard und Bill, ohne sie
so engen Kontakt gehalten hätten. Natürlich war Gene, ›The
Great Bird of the Galaxy‹, der Star der Conventions; Majel
begleitete ihn oft, und ich verbrachte viele glückliche Stunden
mit den beiden.
Als Gastsprecher hielten ich und die anderen Crewmitglieder
für gewöhnlich eine Rede und beantworteten dann Fragen zur
Serie. Im Laufe der Zeit sind wir dazu übergegangen, weniger
über die Episoden zu sprechen als von unserem persönlichen
Leben zu erzählen. Die Geschichte von Kyle und den braunen
Schuhen ist so beliebt geworden, daß bei einer Convention
einige Fans sich die Mühe machten, Kyle einzuschmuggeln
und ihn in einer Gruppe Fans zu verstecken, die als die grünen
Tanzsklavinnen von Orion verkleidet waren. Nachdem sie
ihren Tanz aufgeführt hatten, trat Kyle aus der Gruppe hervor
– er trug tatsächlich einen Schleier – und verlieh mir den
›Braunen-Schuh-Preis‹. Er bestand aus zwei kleinen braunen
Schuhen, die an einer Plakette befestigt waren. Natürlich
konnte Kyle nicht widerstehen, zu sagen: »Mommy! Ich weiß,
welche Farbe meine Schuhe haben: Sie sind orange!« Als ich
ihn in gespielter Verzweiflung anschrie, war das Publikum
nicht länger zu halten und raste vor Begeisterung.
Conventions machen viel Spaß, aber sie dienen auch als
Forum für ernsthafte Diskussionen über die Probleme des
Lebens auf der Erde des zwanzigsten Jahrhunderts. Bei den
ersten Auftritten auf Conventions stellte ich mich auf meine
Seifenkiste und sprach über Selbstrespekt, die Liebe zur
Menschheit, die Verantwortlichkeit des Individuums und
Toleranz. Seit 1975 beschäftigen sich meine Vorträge auch mit
der Zukunft des Raumfahrtprogramms. Am Ende der Reden
brachen die Fans oft in Tränen aus, und ich weinte mit. Danach
mußten wir alle lachen.
Bei den Conventions habe ich viele wunderbare Fans
kennengelernt und großartige Freundschaften geschlossen,
darunter auch mit Allen Crowe, einem der treuesten und
bestunterrichteten Star Trek-Fans des Universums. Ich lernte
ihn Anfang der Achtziger auf einer Convention kennen und
habe seither viele Briefe von ihm bekommen. Er war der
Begründer des ersten Star Trek-Fanclubs in Georgia und vom
ersten Tag an ein ergebener Uhura-Fan.
Als wir uns kennenlernten, war Allen Englischlehrer in Stone
Mountain, Georgia, und träumte davon, Schriftsteller zu
werden. Mein Geschäftspartner und ich überzeugten ihn
davon, nach Los Angeles zu ziehen und halbtags für uns zu
arbeiten. Schließlich schubsten wir ihn sozusagen aus dem
Nest und ermutigten ihn, den Traum weiterzuverfolgen,
deswegen er ursprünglich nach Kalifornien gekommen war. In
kurzer Zeit wurde Allen ein sehr erfolgreicher Autor von
Sitcoms, zuerst für die lang laufende Serie Designing Woman
und später für das von der Kritik gelobte Evening Shade.
Es erfüllt mich mit großer persönlicher Zufriedenheit, die
Fans kennenzulernen. »Ich bin nur zu dieser Convention
gekommen, um Ihnen zu sagen, daß Uhura den Anstoß gab,
daß ich Ärztin wurde.« Oder: »Dank Uhura habe ich es
geschafft, beim Militär zurechtzukommen.« Diese und
ähnliche Sätze habe ich oft von Frauen zu hören bekommen.
Ich habe Tausende von ihnen kennengelernt und mit ihnen
gesprochen, und ich kann Ihnen versichern, daß jeder von
ihnen mit beiden Beinen im Leben steht. Künstler behaupten
so oft, sie würden alles ihren Fans verdanken, daß dies zum
hohlen Klischee geworden ist. Aber für uns von Star Trek ist
das die Wahrheit. Da es in den Siebzigern keine neuen Star
Trek-Abenteuer gab, beschäftigten sich die Fans mit der
Herausgabe von Fanzines und ihren eigenen Romanen,
gründeten Clubs (von denen sich einige dem ganzen Star Trek-
Universum widmen, während sich andere einem bestimmten
Charakter oder einer Gruppe zuwenden), und setzten sich für
die Rückkehr von Star Trek ein. Sie glaubten, vielleicht
naiverweise, wenn sie zusammenhielten und genug Lärm
machten, würde irgendwann jemand zuhören. Aber was sind
schon ein paar Jahre für Menschen, deren Glaube an die
Zukunft sich bis ins dreiundzwanzigste Jahrhundert erstreckt?
Jeder, der die Serie liebte, wollte sie in irgendeiner Form
wiederbelebt sehen. Abgesehen von den Wiederholungen im
Fernsehen, waren die einzigen offiziellen Star Trek-Produkte
Romanfassungen der Fernsehfolgen oder neue Romane, die auf
unseren Charakteren basierten. Diese fanden ein großes
Publikum, und so überrascht es nicht, daß sich die Gerüchte
über eine neue Fernsehserie schnell verbreiteten.
Man trat an Gene heran, Star Trek als Zeichentrickserie am
Samstagmorgen zurück auf den Bildschirm zu bringen. Weit
von einer der üblichen Kindersendungen entfernt, war die
Zeichentrickserie recht gelungen; viele der Episoden wurden
von denselben Autoren geschrieben, die für die ursprüngliche
Serie tätig gewesen waren, und sie arbeiteten alle unter der
Oberaufsicht von Gene und D. C. Fontana. Die Produzenten
nahmen sofort Bill und Leonard unter Vertrag, um den
Charakteren ihre Stimmen zu leihen, planten aber, die
restlichen Figuren von anderen Schauspielern sprechen zu
lassen. Das war keine böse Absicht den anderen von uns
gegenüber; es war einfach billiger und machte deshalb in
geschäftlicher Hinsicht Sinn.
Bill fand daran nichts auszusetzen und stimmte zu. Leonard
jedoch fragte: »Wo sind George, Nichelle und die anderen?«
Als man ihm sagte, wir wären nicht dabei, erwiderte er: »Nun,
dann haben Sie mich auch nicht!« Es ist allein Leonards
tiefverwurzeltem Sinn für Fairneß zu verdanken, daß die alte
Crew für die Zeichentrickserie zusammenkam. Im Juni 1973
war es soweit, und es war schön, wieder als Team zu arbeiten.
Ich fand einige der Drehbücher ziemlich gut, und in einem
übernahm Uhura sogar endlich das Kommando über das
Schiff.
Als die Serie in jenem Herbst Premiere hatte – zum
siebenjährigen Jubiläum von Star Trek –, waren die Fans nicht
mehr zu halten. Die Serie lief zwei Jahre lang und gewann
1975 einen Emmy als beste Kinderserie. Mittlerweile
hungerten die Fans nach mehr, und Gene hatte ernsthafte
Gespräche mit Paramount über eine zweite Star Trek-
Fernsehserie begonnen. Man konnte den Trekker-Boom nicht
ignorieren, und trotz Genes vielen Streitigkeiten mit dem
Studio wußte man bei Paramount, daß man ohne ihn kein Star
Trek-Projekt in Angriff nehmen konnte – obwohl man,
rechtlich gesehen, auch ohne ihn hätte produzieren können.
Wie Gene oft erwähnt hat, waren die Beziehung zwischen ihm
und dem Studio nie sehr gut, aber da Paramount die Rechte an
den Charakteren besaß und die Fans Gene als Schöpfer
kannten und respektierten, mußten sie zusammenarbeiten.
Jeder wußte, daß die Fans eine Macht darstellten, mit der zu
rechnen war, und daß ihre Loyalität Gene gehörte. Bald bezog
Gene wieder sein altes Büro auf dem Studiogelände und fing
mit der Arbeit an. Betrachtet man den mühsamen,
komplizierten Prozeß, den ein Konzept auf dem Weg von der
ersten Idee bis zum fertigen Film durchläuft, ist es erstaunlich,
daß es überhaupt Fernsehserien und Filme gibt.
Was auch immer seine Fehler waren, Star Trek: The Motion
Picture bewies den Geschäftsleuten bei Paramount, was Gene
und diejenigen von uns, die die Trekker-Conventions
besuchten, aus erster Hand wußten: Star Trek lebte! Gene
machte sich an die Arbeit und schrieb ein neues Drehbuch, bei
dem es um eine Zeitreise ging, aber man lehnte es als nicht
akzeptabel ab. Obwohl zwischen dem ersten Film und der
nächsten Starfleet-Mission der Enterprise fast zwei Jahre
vergingen, stand nie zur Debatte, daß Star Trek zumindest
noch eine Chance verdiente und auch bekommen würde. Die
Frage war nur wann – und wer das Ruder übernehmen würde.
Paramount bot Harve Bennett den Sessel des Produzenten an;
er hatte mehrere erfolgreiche Fernsehfilme und Miniserien, die
Serie The Mod Squad und die beiden Science Fiction-Serien
The Six Million Dollar Man und deren Ableger The Bionic
Woman produziert. Das Studio machte klar, daß sie einen
wesentlich erfolgreicheren Film mit einem wesentlich
kleineren Budget erwarteten. Zuerst hatte Harve seine
Bedenken. Er kannte Star Trek und war schon dabei, das
Angebot abzulehnen, als ihn seine Kinder überzeugten, es sich
noch einmal zu überlegen. Bei der Sichtung der alten Episoden
stieß Harve auf Ricardo Montalbans schurkischen Khan
Noonien Singh, den eugenisch modifizierten Diktator des
zwanzigsten Jahrhunderts, der mit dem Schläferschiff Botany
Bay von der Erde geflohen war. In der Folge ›Space Seed‹
schickte Captain Kirk Khan und seine Anhänger auf den
vermeintlich bewohnbaren Planeten Ceti Alpha V ins Exil,
statt ihn für die versuchte Übernahme der Enterprise zu
bestrafen. Eine sicherlich humane Entscheidung, die uns alle in
Star Trek II: The Wrath of Khan heimsuchen sollte.
Von Ricardo Montalban verkörpert, war Khan eine
faszinierende Charakterstudie von tierhafter Verschlagenheit,
persönlichem Charisma und anmaßender Selbstgerechtigkeit,
und er stellte zweifellos einen der beeindruckendsten Schurken
der Serie dar. Es war ein großer Coup, Montalban fünfzehn
Jahre später erneut für diese Rolle gewinnen zu können, und
die Tatsache, daß man ihn als den geheimnisvollen,
liebenswürdigen Mr. Roarke aus der Serie Fantasy Island
kannte, gab dem ganzen einen hübschen Dreh. Als Ricardo am
Drehort erschien, wurde allen klar, daß die Zeit Bills
Antipathie ihm gegenüber in keiner Weise gedämpft hatte. Ich
für meinen Teil fand Ricardo so reizend und unterhaltsam wie
eh und je. Welche Konkurrenzgefühle Bill ihm gegenüber auch
immer verspüren mochte, für den Film war das nur von
Vorteil, da sie bis zum Tode kämpfen.
Mitte 1981 stand die grundsätzliche Richtung der Story fest,
und Montalban wurde verpflichtet. Nicholas Meyer, der
sowohl den Roman The Seven Percent Solution als auch das
Drehbuch zum Film geschrieben und bei dem Film Time after
Time Regie geführt hatte, wurde als Regisseur verpflichtet.
Während das Drehbuch Gestalt annahm, ging man die nächste
Aufgabe an: Leonard zurückzulocken. Wie wir alle war er von
dem ersten Film enttäuscht gewesen und hatte öffentlich
angedeutet, er wolle Spock ein für allemal hinter sich lassen.
Als man ihm vorschlug, Spocks Tod zu spielen, willigte er ein.
Inwieweit Leonard tatsächlich glaubte, er würde Spock mit
dieser Szene töten, weiß nur er allein. Aber ich hielt es von
dem Augenblick an, an dem ich davon hörte, für eine schlechte
Idee und einen Verrat an den Idealen von Star Trek. Viele
waren der Meinung, daß Star Trek ohne Spock zu Ende sein
würde, sowohl theoretisch als auch in der Realität. Es gab noch
andere Elemente des Drehbuchs, gegen die einige Mitglieder
der Stammbesetzung Einwände hatten, und es gab
Augenblicke, in denen Georges und Dees Mitwirkung in Frage
stand. Als wir im November 1981 mit den Dreharbeiten
anfingen, standen zwei Dinge fest: Mr. Spock würde sterben,
und dies war vermutlich unser letzter gemeinsamer Film.
Alle Beteiligten des ersten Films wußten, was dort falsch
gelaufen war, und gaben sich Mühe, diese Fehler nicht zu
wiederholen. Von der ersten Szene an, in der Saavik, die je zur
Hälfte Vulkanierin und Romulanerin ist, während des
Kobayashi Maru-Tests eingeführt wird, verläuft die Handlung
schnell und actionreich. Klugerweise verwies man die
Spezialeffekte auf den zweiten Platz, während sich die
Geschichte entwickelte und enthüllte, was in den vergangenen
fünfzehn Jahren im Leben der Mannschaft passiert war: Spock
lehrt an der Starfleet-Akademie; Kirk ist Admiral, der laut Pille
hinter dem Schreibtisch versauert. Mit seinen vielen
Anspielungen auf alte Literatur und Geschehnisse, die dem
Zuschauer vertraut sind, befaßte sich das Drehbuch mit
universellen Erfahrungen wie dem Älterwerden, den
Veränderungen, dem Tod und den zwischenmenschlichen
Beziehungen, insbesondere der Freundschaft. Die Kontinuität
dieser Erfahrungen wird zusätzlich dadurch unterstützt, daß die
alte Mannschaft zu den Mentoren der Kadetten wird, als ein
Notruf den routinemäßigen Ausbildungsflug der Enterprise in
eine gefährliche Mission verwandelt.
Gene hatte nur wenig mit dem Film zu tun, doch seine
Position als Star Treks Erfinder, Förderer und Beschützer war
nicht zu ignorieren. Ein Streitpunkt war der neue Look und die
neue Einstellung der Mannschaft. Unsere Uniformen, eine
burgunderrote, maßgeschneiderte Jacke mit einer Epaulette auf
der rechten Schulter vermittelte das Bild einer militärischen
Institution. Die Uniformen kleideten alle vorzüglich (die
Männer bekamen wieder die alten Hochwasserhosen), doch
meine war besonders unbequem. Die Kostüme waren aus
schwerer, dicker Wolle gefertigt, die innen gefüttert war. Und
zu allem Überfluß waren sie auch noch zweireihig.
»Hey, die sind ja schön und gut für Männer und flachbrüstige
Frauen«, beschwerte ich mich vehement, »aber ich bin
großzügig ausgestattet. Ich fühle mich wie die Titanic!«
Doch viel wichtiger war die Tatsache, daß die Darstellung
von Starfleet als militärische Organisation im Gegensatz zu
allem stand, wofür Star Trek eintrat. Darüber war Gene
besonders erbost, genau wie über die Absicht, daß Nicholas
Meyer zufolge die Frauen in der Besatzung als ›Sir‹
angesprochen werden sollten. (Interessanterweise wurde im
Pilotfilm der Serie die weibliche Nummer Eins auch als ›Sir‹
angesprochen.) Bei einer der Besprechungen erinnerte ich
Meyer und Harve taktvoll aber energisch daran, daß Starfleet
in philosophischer Hinsicht die Nachfolgeorganisation der
NASA und nicht der Air Force war, und es gelang mir, sie
davon zu überzeugen, zumindest einige der ›Sirs‹ zu streichen.
Beim nächsten Film waren sie vergessen, doch die Uniformen
blieben mit Genes Segen. Das einzige, was mich bis zum
heutigen Tage sonst noch an Star Trek II stört, ist der
blutsaugende Ceti-Aal. Ich kann noch immer nicht hinsehen,
wenn er aus Chekovs Ohr kriecht. Igitt!
Eines der erfreulichen Dinge bei der Arbeit an Star Trek II
war die Bekanntschaft mit Kirstie Alley, die die Rolle der
Saavik spielte. Es war ihr erster Film und ihre erste Hauptrolle.
Sie erzählte uns, wir seien ihre Idole. Wenn ich daran denke,
wie ich mich bei meinem ersten Film fühlte, fand ich Kirstie in
vielerlei Hinsicht sehr beeindruckend. Sie ist klug,
wunderschön, sagt offen ihre Meinung und ist sehr witzig. Wir
lernten uns recht gut kennen, da sie sich als Vulkanierin genau
wie Leonard und ich schon vor Sonnenaufgang in der Maske
einfinden mußte. Sie saß direkt neben mir, und fauchte mich
jeden Morgen spielerisch an. »Wo sind deine Falten? Es sind
fünfzehn Jahre. Verdammt, du müßtest Falten haben!«
Es dauerte jedoch nicht lange, und ich lernte eine andere
Seite von ihr kennen, wegen der ich sie noch mehr bewunderte.
Trotz der Tatsache, daß ihre Eltern gegen Anfang der
Dreharbeiten in einen schrecklichen Autounfall verwickelt
waren und ihr Vater im Sterben lag, ließ sie kein einziges Mal
ihre Arbeit von ihrem Leid beeinflussen. Im Laufe der Jahre ist
sie zu einem großen Star geworden, doch sie hat sich nicht
verändert. Jedesmal, wenn wir uns begegnen, gibt es herzliche
Umarmungen und Küsse – gefolgt von in gedämpftem Ton
ausgetauschtem Klatsch. Die Bemerkung »Wo sind deine
Falten?« darf natürlich auch nicht fehlen. Kirstie bringt mich
zum Lachen, und ich liebe sie.
Eines Tages saßen Leonard und ich auf unseren Make-up-
Stühlen, als Harve hereinkam. Er war offensichtlich sehr
verärgert, weil einige Fans mitbekommen hatten, daß Spock in
dem Film sterben sollte. Die Reaktion war einstimmige
Mißbilligung, und einige Fans lenkten ihre Wut auf Leonard.
Für sie war seine Zustimmung, Spock ›umzubringen‹,
schlichtweg Verrat. Die Vehemenz der Fanreaktion traf
Leonard völlig unvorbereitet, und er war erstaunt, verletzt und
auch ärgerlich, obwohl er sich bemühte, ihre Gefühle zu
verstehen. Und meiner Meinung nach kamen Leonard zu
diesem Zeitpunkt die ersten Bedenken. Er sah den Unterschied,
den ein hervorragendes Drehbuch und der richtige Regisseur
machten, denn dies eröffnete die Möglichkeit, daß eventuell
doch noch eine weitere Fortsetzung möglich war. Vielleicht
war es doch keine so gute Idee, Spock sterben zu lassen. Aber
mittlerweile war der Film so gut wie fertig, und obwohl man
mehrere verschiedene Szenarien in Betracht zog, konnte keines
zur allgemeinen Zufriedenheit integriert werden. Es gab
einfach keine Alternative: Spock mußte sterben.
Wie viele der Leute, in deren Händen nun das Schicksal von
Star Trek ruhte, weigerte sich auch Harve, die Fans zu
akzeptieren oder zu respektieren. Für ihn gab es nur eine
Möglichkeit, wie sie von Spocks Tod erfahren haben konnten –
durch Gene. Harves verbindliche, freundliche Art verbarg eine
Neigung zu Arroganz und Gemeinheit, die während der
nächsten vier Filme mehr als nur einen verletzten. Ich zitterte
vor Wut in meinem Sessel, als ich zuhören mußte, wie er
Leonard mitteilte, allein Gene komme als Leck in Frage.
Ich habe bei den Conventions Teile meiner Originalkostüme
und alle möglichen Drehbuchversionen gesehen, die man mir
für ein Autogramm vorlegte, darum hatte ich Verständnis, daß
man auf dem Studiogelände großen Wert auf Sicherheit legte.
Jedoch haben das Studio und Harve niemals begriffen, daß die
Trekker überall sind, und alles, was mit Star Trek zu tun hat –
sei es eine Drehbuchseite, ein Memo, ein ›Artefakt‹ oder
irgendeine Information –, ist eine große Verlockung und
kostbarer als Dilithiumkristalle. Wie jedes andere große und
wichtige Filmstudio der Stadt war auch Paramount voller
Leute, die bei der Fernsehserie und/oder dem ersten Film in
irgendeiner Form mitgearbeitet hatten, und Klatsch ist nun
einmal Klatsch. Als man jedoch jeden Schauspieler und jedes
Mitglied der Filmcrew bedrängte, sich schriftlich zum
Stillschweigen zu verpflichten, war das eine Beleidigung.
Walter weigerte sich standhaft, seine Unterschrift zu geben,
und ich schrieb auf meiner Vereinbarung meine Gedanken
über Vertrauen und an McCarthy erinnernde Loyalitätsschwüre
nieder. »Ich habe weder jetzt noch früher Interna über Star
Trek ausgeplaudert!« kritzelte ich wütend quer über die Seite.
Noch weitaus ärgerlicher als Harves Annahme, wir seien
nicht vertrauenswürdig, war seine Weigerung, eine der vielen
tausend Möglichkeiten, wie die Story an die Öffentlichkeit
gedrungen war, auch nur in Betracht zu ziehen. Obwohl sich
das Studio ein kompliziertes System hatte einfallen lassen, mit
dem man Drehbuchseiten identifizieren konnte (damit man
spätere Kopien zu ihrer Quelle zurückverfolgen konnte), ließ
man die Drehbücher noch immer in einem Kopiercenter
außerhalb des Studiogeländes vervielfältigen! Von dort gingen
die Drehbücher durch die Hände von Boten, Sekretärinnen und
Assistenten, ganz zu schweigen von den Angestellten der
Spezialeffektefirmen und aller anderen, die an dem Film
arbeiteten. Welcher Trekker, der etwas auf sich hielt, könnte
sich im selben Zimmer wie das Drehbuch aufhalten und keinen
schnellen Blick hineinwerfen?
»Hören Sie zu«, sagte ich schließlich zu Harve. »Wenn Sie
abends nach Hause gehen, unterhalten Sie sich mit Ihren
Kindern. Es ist nicht nur eines jeden Fans Traum, solche Dinge
herauszufinden, es ist seine Mission. Sie haben ein
ausgedehntes Telefonnetzwerk, sie haben Newsletter und sie
haben immer wieder bewiesen, über welche Macht sie
verfügen. Wenn sie alles daran setzen, diese Information zu
bekommen, dann wird es ihnen gelingen. Dazu brauchen sie
weder uns noch Gene.«
Aber Harve wollte nichts über Gene oder die Fans hören.
Als der Aufruhr schließlich nachließ und Leonards/Spocks
Todesszene näherrückte, konnte man die Anspannung, die in
der Luft lag, förmlich spüren. Jeder ahnte, daß diese Szene
ungewöhnlich schwierig sein würde, und es schien, als würden
wir immer gute Gründe finden, sie erneut zu verschieben.
Doch schließlich holte die Zeit uns ein. Gegen Ende des Films
hat der tödlich verwundete Khan an Bord der schwer
getroffenen USS Reliant den Countdown zum Start der
Genesis-Maschine ausgelöst, die bei dem Auftreffen auf einem
unbewohnbaren Planeten die Materie so umformt, daß eine
funktionsfähige, besiedelbare Welt entsteht. Das Paradox der
Genesis-Maschine liegt darin, daß sie, um zu erschaffen, erst
zerstören muß. Da die Triebwerke der Enterprise beim Kampf
mit Khan einen beträchtlichen Schaden davongetragen haben,
kann das Schiff nicht die Warpgeschwindigkeit erreichen, die
nötig wäre, um vor der Detonation der Genesis-Maschine zu
fliehen. Spock verläßt unbemerkt seinen Posten auf der Brücke
und betritt den Reaktorraum, um die Maschinen per Hand zu
reparieren. Dabei setzt er sich bewußt einer tödlichen
Strahlendosis aus. Spock gelingt die Reparatur in letzter
Sekunde, und die Enterprise entkommt.
Alle hatten sich am Set versammelt und sahen gebannt zu, als
Bill und Leonard Spocks letzte Szene spielten. Der sichtlich
am Ende seiner Kräfte befindliche Spock hält sich im
transparenten Reaktorraum auf, seine Stimme ist durch die
erlittenen Strahlungsverbrennungen heiser. »Ich war und
werde immer ihr Freund sein«, gelobt er sterbend Kirk.
Ich konnte nicht dagegen ankämpfen; ich mußte weinen. Für
die beiden war es eine unglaublich belastende Szene, und ich
weiß noch, daß man sie mit einer minimalen Zahl von
Einstellungen drehte. Ich glaube, es war die beste
schauspielerische Leistung, die sie jemals gezeigt haben. Als
Nicholas Meyer »Schnitt!« rief, konnte man Leute weinen
hören.
Bezeichnenderweise war Leonard nicht am Drehort, als wir
die Beerdigungsszene drehten, in der Spock sozusagen ein
ehrenvolles Starfleet-Begräbnis im All erhält, und zwar in der
funkelnden, sargähnlichen schwarzen Hülle eines
Photonentorpedos. Bevor man ihn ins All schießt, hält Kirk
eine kurze, gefühlsbetonte Abschiedsrede, und Scotty spielt
›Amazing Grace‹ auf dem Dudelsack, was Jimmy Doohans
wunderbare Idee war. Als die Kamera über die Trauernden
gleitet, sieht man Saavik weinen – was im Gegensatz zu ihrem
stoischen vulkanischen Wesen steht. Das war Kirsties Idee,
eine wunderbare Geste, die diese ergreifende, anrührende
Szene noch eindringlicher machte. Als der Torpedo auf den
Genesis-Planeten zuhält, betrachten Kirk, sein neuentdeckter
Sohn David Marcus und Carol, die Mutter des Jungen, den
neugeborenen Planeten, auf dem Spock ›begraben‹ wird. Der
Film endet mit der Titelmusik der Fernsehserie und Leonards
Worten: »Der Weltraum… Unendliche Weiten…«
War Spock tatsächlich gestorben? Und wenn, wie tot war er?
Nicholas Meyer bestand darauf, daß Spock stirbt. Für immer.
Aber anderen kamen Bedenken, und das ist auch der Grund,
warum seine Leiche bequemerweise auf dem Genesis-Planeten
landet. Darum verpaßt Spock, kurz bevor er den Reaktorraum
betritt, seinem alten Widersacher Dr. McCoy auch den
betäubenden vulkanischen Nervengriff, flüstert drängend:
»Vergessen Sie nicht!« und führt eine
Bewußtseinsverschmelzung durch, mit der er die Essenz seines
Wesens auf Pille transferiert. Da Spocks Katra – oder Seele –
nun praktischerweise in Pilles Unterbewußtsein gespeichert
war, blieben, wie Spock uns so oft erinnerte, stets
Möglichkeiten offen.
Eine weitere Mission? Die Enterprise, die sich, in ihre
Einzelteile zerlegt, in einem Lagerhaus in Los Angeles im
Raumdock befand, würde auf ihre Befehle warten, für die nicht
das Hauptquartier von Starfleet, sondern die Kinokasse
zuständig sein würde.
Nach der Premiere von Star Trek II: The Wrath of Khan
versammelten sich die Stammbesetzung, ausgesuchte Gäste
und Tausende Fans in Houstons Astrodome zur ›Ultimate
Fantasy‹, wie es die Organisatoren nannten: Wir alle
zusammen auf derselben Bühne. Für die Fans war das von
besonderer Bedeutung, denn sie hatten den Eindruck
gewonnen, daß sich Bill und zu einem geringeren Grad auch
Leonard von Star Trek distanziert hatten, indem sie sich von
den Conventions fernhielten. Da es nun galt, für den neuen
Film zu werben – und alle noch immer unter der Enttäuschung
wegen des ersten Teils litten –, kooperierte Paramount in
vollem Umfang mit den Organisatoren, um ein Spektakel zu
inszenieren, das niemand je vergessen sollte.
Nun, niemand hat Houston je vergessen, nur daß man sich
jetzt daran als das ›Ultimate Desaster‹ erinnert. Es ging alles
schief, was nur schiefgehen konnte. Der Höhepunkt der
Veranstaltung war ein herrlicher Sketch, den Walter Koenig
geschrieben hatte. Darin sollte die ganze Stammbesetzung
auftreten, mit Ausnahme von Leonard, der bereits anderweitig
verpflichtet war. Er sollte jedoch auf riesigen
Fernsehbildschirmen erscheinen, die überall im Astrodome
verteilt waren. Ich hatte mich bereiterklärt, zwei Lieder meines
neuesten Albums zu singen.
Als wir uns morgens ins Astrodome begaben, um meinen
Auftritt zu proben, mußten wir herausfinden, daß es absolut
kein Soundsystem gab. Statt der zwanzigköpfigen Band, die
man mir versprochen hatte, waren nur sechs unglückliche
Rockmusiker anwesend. Und die waren gerade dabei zu gehen,
da sie, ihrer Aussage nach, nicht bezahlt worden waren,
genausowenig wie die Soundtechniker und die Ausrüstung.
Gott sei Dank war Jim Meechan mitgekommen. Er machte sich
mit der Situation vertraut, schloß mit dem Chef der
Soundtechniker schnell einen Handel ab und heuerte einen der
Techniker an. In aller Eile bauten wir ein rudimentäres System
auf. Glücklicherweise hatten wir Bänder mit der Musik
mitgebracht, und so konnte ich dazu singen, da sich die
Musiker weigerten zu spielen. Wie sich herausstellte, mußten
wir das System auch für den Sketch benutzen. Das war der
einzige vertraglich vereinbarte Auftritt, bei dem ich
fünfhundert Dollar berappen mußte, bevor ich einen Fuß auf
die Bühne setzten konnte, und am Ende nicht bezahlt wurde!
Bald erfuhren wir, daß die Probleme der Convention sich
nicht auf die Bühne beschränkten. Tausende von Fans hatten
im voraus den Eintritt bezahlt und waren aus dem ganzen Land
angereist, um bei der Ankunft feststellen zu müssen, daß das
Geld unterschlagen worden war. Das Personal des Astrodomes
ließ nur die Fans herein, die Eintrittskarten an den Tageskassen
gekauft hatten. Als wir zu unserem Sketch die Bühne betraten,
bei dem Kirstie Alley, Walter, George und Jimmy mitwirkten,
saßen lediglich ein paar hundert Leute da, wo über
zwanzigtausend erwartet worden waren. Obwohl die
Umstände, unter denen wir arbeiten mußten, nicht die besten
waren, waren wir alle der Meinung, daß wir es den Fans
schuldeten weiterzumachen.
Ein Vorfall ganz zu Anfang der Convention gibt die
Stimmung perfekt wieder. Wir Schauspieler hatten auf der
Bühne eines großen Ballsaals für eine Pressekonferenz Platz
genommen. Das es sich hier um die ›Ultimate Fantasy‹
handelte, waren die Medien in voller Stärke angerückt; Fans
mit besonderen Eintrittskarten hatten ebenfalls Zutritt. Da sie
uns Fragen stellen durften, standen viele stundenlang vor dem
Ballsaal, um die besten Plätze zu bekommen. Wir saßen noch
keine Minute, als ein Mann mit einem Mikrofon in der Hand
durch den Saal ging. »Ladies und Gentleman, bitte geraten Sie
nicht in Panik, aber im zehnten Stock des Hotels ist ein Feuer
ausgebrochen. Wir müssen das Hotel evakuieren. Bitte
behalten Sie die Ruhe und begeben sich auf die Straße!«
Die Zuschauer stießen ein enttäuschtes Stöhnen aus. Sie taten
mir so leid; das mindeste, was ich tun konnte, war der Versuch,
die Pressekonferenz zu retten.
»Entschuldigung, Sir«, sagte ich.
Der Hotelmanager drehte sich zu mir um. »Ja, Miss
Nichols?«
»Würden Sie uns bitte noch einmal informieren, wenn das
Feuer den dritten Stock erreicht hat?«
Alles lachte und applaudierte, das Feuer wurde gelöscht, und
wir konnten ungestört weitermachen.
Harve Bennett befand sich ebenfalls auf der vom Pech
verfolgten Convention, und er meinte zu meinem Freund Jim,
sie seien sich noch nicht darüber im klaren, was sie mit dem
nächsten Film machen sollten, da Spock tot war. Anscheinend
dachte jeder bei Paramount über dieselbe Frage nach: Wie zum
Teufel bekommt man einen toten Vulkanier zurück? Jim, ein
Physiker, der lange Jahre die Auswirkungen radioaktiver
Strahlung untersucht hatte, sagte Harve, es läge innerhalb der
Grenzen wissenschaftlicher Möglichkeiten, daß Spock die
Strahlung überlebte, die ihn (scheinbar) getötet hatte, und zwar
durch die Regeneration des Genesis-Planeten. Von Anfang an
hatte Gene stets Wissenschaftler und andere Experten
konsultiert, um sicherzugehen, daß sich unser
dreiundzwanzigstes Jahrhundert zumindest theoretisch auf eine
wissenschaftliche Basis gründete. Dr. Jesco von Puttkamer von
der NASA hatte den ersten Film als technischer Berater
begleitet. Dutzende anderer hoch angesehener Spezialisten
stellten für die Fernsehserie und die Filme ihr Wissen zur
Verfügung.
Spock mußte wiederbelebt werden, da bestand kein Zweifel,
aber auf eine Weise, die wissenschaftlich und logisch Sinn
machte. Harve lud Jim in sein Büro bei Paramount ein und bat
ihn, ein paar frühere Drehbuchfassungen von Star Trek III zu
lesen und seine Meinung zu sagen. Als Harve erfuhr, daß Jim
Vizepräsident bei Rockwell war, fragte er ihn, ob es möglich
sei, für ihn einen Besuch bei der Missionskontrolle der NASA
in Houston zu arrangieren. Ein Anruf bei seinem Freund und
Golfpartner Dr. Christopher Kraft, dem Direkter der
Missionskontrolle, und Jim hatte alles arrangiert. Wir
begleiteten Harve und dessen Familie bei dem Besuch, wo man
uns wie Könige behandelte und eine spezielle VIP-Tour
veranstaltete, die das eigentliche Raumfahrt-Kontrollzentrum
einschloß, das für die Öffentlichkeit normalerweise Tabu ist.
Chris Kraft empfing uns in seinem geräumigen Büro, und nach
dem Treffen überschlug sich Harve beinahe vor Dankbarkeit,
daß Jim alles möglich gemacht hatte.
In Los Angeles las Jim dann ein paar der frühen
Drehbuchentwürfe und schrieb auf Harves Bitte hin eine kurze
Abhandlung über die Auswirkungen radioaktiver Strahlung
und andere technische Details. Jim postulierte, daß durch
radioaktive Strahlung ausgelöste Mutationen zumindest in der
Theorie sowohl gut wie auch schlecht sein können, und daß in
der wunderbaren, unerforschten Umwelt des Genesis-Planeten
die ›Regeln‹ der Wissenschaft aufgehoben sein könnten. Auf
Genesis könnte die Strahlung, die Spock auf der Enterprise
getötet hatte, ihn heilen und regenerieren. Jim schlug vor, Dr.
McCoy zum Helden der Geschichte zu machen, und daß
Spocks geflüsterter Befehl, er solle sich erinnern, ihn dazu
bewegen würde, die Mission zum Genesis-Planeten
anzuführen, um seinen Freund zurückzuholen.
Harve gefiel die Idee ausgezeichnet. »Das ist fantastisch«,
sagte er. »Wie kann ich Ihnen danken?«
Jim erzählte, er würde in die Unterhaltungsbranche wechseln
und könne eine Nennung im Film als technischer Berater
gebrauchen; das reiche als Bezahlung.
»Kein Problem«, erwiderte Harve und versprach, sich darum
zu kümmern. Später rief er mich an, um sich dafür zu
bedanken, daß ich »dieses Genie an Bord gebracht hatte«.
Weitere Besprechungen und Anrufe folgten, in denen Jim
Harve zahllose Fragen beantwortete. Dann hörten wir nichts
mehr von ihm. Als der Film herauskam, kam Jims Name in
den Credits nicht vor, sein wichtiger Input wurde mit keiner
Silbe erwähnt. Natürlich war ich sehr enttäuscht. Ich kann
nicht glauben, daß Harve nicht wußte, wieviel mir das bedeutet
hätte, aber vielleicht wußte er es ja tatsächlich nicht.
Da Star Trek II: The Wrath of Khan sowohl von den
Kritikern als auch den Fans geliebt wurde, beauftragte
Paramount wieder Harve Bennett, der trotz seiner Fehler ein
ausgezeichneter Produzent ist. Obwohl Nicholas Meyer gute
Arbeit geleistet hatte, willigte Paramount ein, Leonard Regie
führen zu lassen. Zwar beschränkten sich seine Erfahrungen
hinter der Kamera auf die Regie bei Fernsehserien,
einschließlich Bills damals aktueller Polizeiserie T. J. Hooker,
trotzdem war das Studio bereit, ihm eine Chance zu geben.
Was konnte von ihrem Standpunkt aus faszinierender für die
Fans sein, als daß Leonard bei The Search for Spock Regie
führte? Wie alle anderen Mitglieder der Stammbesetzung auch
hatte Leonard seinen Charakter stets beschützt und
weiterentwickelt. Die Qualitäten, die die Zusammenarbeit mit
ihm als Schauspieler so wunderbar machten, kamen ihm auch
im Stuhl des Regisseurs zugute. Im Gegensatz zu den
vorangegangenen Regisseuren wie auch unserem Produzenten
Harve Bennett brachte Leonard Respekt und Loyalität für
Genes Vision von Star Trek mit. Er und Gene hatten die
gleichen philosophischen Ansichten. Das soll nicht heißen, daß
die Probleme, unter denen ihre persönliche Beziehung litt,
gelöst wurden; das wurden sie nämlich nicht. Doch Leonard
ignorierte seine persönliche Meinung über Gene, um dafür zu
sorgen, daß Star Trek auf dem richtigen Kurs blieb.
Die Vorstellung, daß Leonard Regie führte, schien jedermann
zu gefallen – mit Ausnahme von Bill. Leonard war zwar viele
Jahre unser Freund und Kollege gewesen, aber die Position des
Regisseurs machte ihn zu unserem Boß. Bill, der seine Position
im Sessel des Captains sowohl auf dem Bildschirm als auch
dahinter eifersüchtig hütete, gab zu, daß dies keine einfache
Zeit für ihn gewesen war. Doch im Zuge des großen Erfolges
von Star Trek II setzten sich Bill, Leonard, ihre Anwälte und
das Studio zusammen, um Verträge aufzusetzen, die den
beiden einen ›Bevorzugtenstatus‹ gaben. Das bedeutete, daß
Bill und Leonard in allem gleichberechtigt waren; was der eine
bekam, bekam auch der andere. In gewisser Weise nutzte
dieses Arrangement uns allen, da die hohen Gagen der beiden
so gut wie eine Garantie waren, daß sie in zukünftigen Filmen
mitspielten. Allen Beteiligten ersparte das Monate der
Unsicherheit, in denen man sich fragte, ob sie nun mitmachten
oder nicht. Diese Vereinbarung hatte auch noch ein paar
weitreichende Auswirkungen, die niemand vorhersehen
konnte.
Wenn ich gefragt werde, welche der Star Trek-Filme mir am
besten gefallen haben, lautet die Antwort immer: »Die mit den
geraden Nummern.« The Search for Spock war ein sehr guter
Film, aber es war von Beginn an klar, daß wir Spock in
irgendeiner Form finden und er wieder Mitglied der
Mannschaft werden würde. Zugegeben, die Frage nach dem
Wie bot zahllose Möglichkeiten, aber das Endresultat stand
fest. Im wesentlichen war es ein Expositionsfilm. Von den drei
bis dahin gedrehten Filmen war Star Trek III der bei weitem
düsterste und gewalttätigste. Nach der Rekapitulation von
Spocks Tod und seiner Bestattung beginnt die Geschichte mit
Saavik (diesmal statt von Kirstie Alley von Robin Curtis
gespielt) und Kirks Sohn David, die auf dem Genesis-Planeten
der Anzeige einer unerwarteten Lebensform nachgehen. So
wie Kirk gemogelt hat, um als Kadett den Kobayashi Maru-
Test zu bestehen, hat sein Sohn David bei dem Genesis-Projekt
›gemogelt‹, indem er der lebensspendenden Matrix ein
gefährliches, unberechenbares Material namens Protomaterie
hinzugefügt hat. Das führt zu mehreren unerwarteten
Resultaten; einmal holt die Protomaterie den toten Spock
zurück ins Leben, den David und Saavik als ein kleines,
scheinbar ›verstandloses‹ Kind entdecken. Davon abgesehen
entwickelt sich der Planet (die Bilder seiner frühen Pracht
würden übrigens im Golden Gate Park von San Francisco
gedreht) in beschleunigtem Tempo, so daß er sich bei der
Ankunft der Klingonen, die das Genesis-Geheimnis stehlen
wollen, in eine von Erdbeben erschütterte, instabile Masse
verwandelt hat.
Auf der Erde hat die Anwesenheit von Spocks Katra in Pilles
Unterbewußtsein dazu geführt, daß er ins Krankenhaus
eingewiesen werden mußte. Als Sarek, Spocks Vater, entdeckt,
daß sich das Katra seines Sohnes nicht wie angenommen bei
Kirk befindet, bedrängt er Kirk und seine Freunde, mit Pille
zum Genesis-Planeten zu fliegen, damit Spocks sich schnell
entwickelnder Körper und sein Katra auf Vulkan mit Hilfe des
fal-tor-pan vereinigt werden können. Um das zu
bewerkstelligen, muß die Mannschaft die Enterprise entführen,
da der Genesis-Planet zur verbotenen Zone erklärt worden ist.
Bevor wir Spock finden, wird David jedoch brutal von den
Klingonen ermordet, und Kirk beschließt, die Enterprise zum
Schein aufzugeben, nur um sich und seine Leute auf den
Planeten zu beamen und den Selbstzerstörungsmechanismus
des Schiffes zu aktivieren. Das Schiff explodiert, nachdem die
Klingonen es geentert haben.
Ich fand es interessant, daß nur wenige Leute David
vermißten – am wenigsten Bill, der Merritt Butrick, den
Schauspieler, der David spielte, nicht besonders mochte.
(Traurigerweise starb Merritt ein paar Jahre später an AIDS.)
Vor dem zweiten Film wußten wir nicht einmal, daß Kirk
einen Sohn hatte, und dem wenigen, was wir von David sehen,
ist zu entnehmen, daß er ein Symbol dafür ist, was Kirk für
seine Karriere geopfert hat. Wir nehmen an Kirks Verlust teil,
aber nicht, weil wir das Gefühl haben, David verloren zu
haben, sondern weil uns Kirk etwas bedeutet. Die flammende
Zerstörung der Enterprise war da jedoch etwas ganz anderes.
Das Schiff, die einzige immerwährende Konstante im Trek-
Universum, unser Reisegefährt und unser Heim, belegte in den
meisten Herzen einen ganz besonderen Platz. Die
Entscheidung, es zu sprengen, war ein dramatischer und
kontroverser Schritt, gegen den sich Gene vehement aussprach.
»Ich vertrat die Meinung, daß es nicht nötig war«, sagte er.
Schließlich war die Enterprise so konstruiert, daß man die
Untertassensektion vom Rest des Schiffes trennen konnte.
Gene argumentierte, daß man das Diskussegment hätte
zerstören und ersetzten, den Rest des Schiffes aber intakt
lassen können. Sobald die Fans von der geplanten Zerstörung
der Enterprise Wind bekamen, starteten sie eine Kampagne,
um sie zu retten, aber Leonard, Harve und einige andere ließen
sich nicht erweichen. Sie waren der Meinung – und das
vielleicht sogar zu Recht –, daß es den Eindruck, ein Opfer
gebracht zu haben, schmälern würde, wenn man das Schiff
nicht unwiderruflich zerstörte. Das mag schon sein, da die
Szene, in der Kirk und die Mannschaft hilflos zusehen müssen,
wie die brennende Enterprise über den Horizont des Genesis-
Planeten rast, in jeder Hinsicht genauso dramatisch wie Kirks
Reaktion ist, als er erfährt, daß die Klingonen seinen Sohn
völlig grundlos ermordet haben. Selbst heute noch tut es mir
weh, mitansehen zu müssen, wie das Schiff von Explosionen
zerrissen wird, darum verstehe ich, warum die Fans so
aufgebracht waren und warum sie Star Trek oft als ihren
Privatbesitz betrachten.
»Das Hauptthema ist… Freundschaft«, sagte Leonard
damals. Er war nicht nur ein wunderbarer, fähiger Regisseur;
er brachte auch die der Mannschaft innewohnende Dynamik
und den Humor wieder zum Vorschein, der die Fernsehserie
ausgezeichnet hatte und der ein wichtiger Bestandteil des
nächsten Films Star Trek IV: The Voyage Home werden sollte.
Die Szenen am Anfang – unser Treffen in Kirks Wohnung, wo
wir den Verlust von Spock betrauern, McCoys sich ständig
verschlechternder geistiger Zustand, unsere unsichere Zukunft
bei Starfleet, und wie dann jeder von uns seinen Beitrag leistet,
um die Entführung des Schiffes zu bewerkstelligen – waren
alle wunderbar gedreht.
Ganz besonders gefiel mir die Szene, in der ein junger, von
sich selbst überzeugter Kadett – der nicht weiß, daß Uhuras
unerwartete Anwesenheit während seiner Schicht zu Kirks
Plan gehört – geringschätzig bemerkt: »Sie erstaunen mich
wirklich. Nach zwanzig Jahren im aktiven Einsatz, als
Veteranin der Raumfahrt, tun sie freiwillig Dienst in der
langweiligsten Station, die es gibt. Das hier ist doch das
allerletzte im Weltraum.« Während der Kadett über die großen
Abenteuer nachdenkt, die ihn seiner unerschütterlichen
Überzeugung nach erwarten, marschieren Kirk, Pille und Sulu
herein und begeben sich zum Transporter. Zu seinem
Erstaunen beamt Uhura sie illegalerweise an Bord der
Enterprise und scheucht ihn mit vorgehaltenem Phaser in einen
Wandschrank. Es ist eine großartige, witzige Szene, und
Leonard gab jedem von uns Gelegenheit zu strahlen.
Die Szene, in der Sulu Kirk hilft, McCoy aus der Psychiatrie
zu entführen, ist ebenfalls sehr beliebt. »Werd bloß nicht frech,
du Zwerg«, sagt da ein mißtrauischer Sicherheitsbeamter.
George schaltet ihn und seine Konsole aus. Als Sulu dann mit
Kirk und McCoy flieht, bleibt er stehen und warnt ihn:
»Bezeichne mich nie wieder als Zwerg!«
Wie immer, wenn wir zusammen waren, wurde viel gelacht
und gescherzt. Trotz der harten Arbeit und der langen Stunden
bringt die Anwesenheit am Set in jedem wieder das Kind zum
Vorschein. Nun, in fast jedem. Die ganzen Dreharbeiten zu
Star Trek III hatten etwas Surreales. Da Leonard auch bei
Spocks Szenen Regie führte, mußte er ständig zwischen
Kulisse und Kamera hin- und herpendeln, oft in vollem
Kostüm. Mit allem nötigen Respekt Leonard gegenüber, wie
ernst kann man einen Regisseur mit spitzen Ohren nehmen?
Eines Tages standen einige von uns einschließlich Jimmy und
Mark Lenard (der Spocks Vater spielte) beisammen und
unterhielten sich. Wir wußten, daß sich Leonard auf einem in
der Nähe befindlichen Set aufhielt und versuchte, eine
besonders schwierige Einstellung zu drehen. Normalerweise ist
Leonard nicht zu erschüttern, aber die Doppelbelastung von
Schauspielen und Regieführen hinterließ erste Spuren;
außerdem war er entschlossen, den Zeitrahmen und das Budget
nicht zu überschreiten.
Wir bemühten uns, leise zu sprechen, aber dann stieß Dee
dazu und erzählte einen dummen, aber unglaublich komischen
Witz voller Doppeldeutigkeiten über zu kurz geratene Männer.
Ich weiß, daß die meisten Menschen glauben, jeder, den sie auf
der Kinoleinwand sehen, sei sehr groß, und so ist es oft ein
Schock, wenn sie sehen, daß Schauspieler kleiner als erwartet
sind. »Ich habe Sie immer für ein Meter achtzig groß
gehalten«, bekomme ich oft zu hören, wenn ich Leute
kennenlerne. »Nun, Uhura ist das auch!« lautet dann immer
meine Antwort. Wenn wir eine Einstellung mit George und
Walter drehten, erwischte ich die beiden oft dabei, wie sie auf
Zehenspitzen herumalberten und spielerisch versuchten, größer
als der andere auszusehen. Manchmal spielte ich mit, und wir
alle lachten.
Wie dem auch sei, George kam dazu und wollte wissen, was
denn so lustig sei. Dee wiederholte den Witz. Als George die
Pointe nicht begriff, erklärte Dee sie ihm, und er brach in sein
bellendes Gelächter aus. Wir lachten noch mehr – über den
Witz, über George, der ihn nicht kapiert hatte, über Georges
Gelächter –, als, wie könnte es auch anders sein, Walter
vorbeikam. George erzählte ihm den Witz, beleidigte ihn aber
unabsichtlich, indem er ihm die Pointe erklärte. »Ich habe ihn
schon beim erstenmal verstanden«, sagte Walter ärgerlich und
fing dann mit einer scheinbar ernst gemeinten Tirade an, daß
alle über die ›vertikal Benachteiligte‹ herziehen und wie falsch
das ist. Am Ende hatten wir alle die Kontrolle verloren und
kreischten vor Lachen; George lachte laut genug, um die
Dachbalken erzittern zu lassen. Daran, daß um die Ecke
gearbeitet wurde, dachte er nicht.
»SCHNITT!« erscholl es plötzlich.
Wir hörten auf, sahen uns an und wußten, wir steckten in
Schwierigkeiten. Leonard kam in vollem Make-up, mit Ohren
und allem, fluchend um die Ecke gestürmt und schrie uns an.
Anscheinend hatte er die entscheidende Szene endlich im
Kasten gehabt, aber unser Gelächter hatte die Tonaufnahme
ruiniert, und sie mußten noch einmal von vorn anfangen. Wie
ein Haufen ertappter Schulkinder warfen wir unserem
wütenden vulkanischen Regisseur einen schüchternen Blick zu
und gingen auseinander. Natürlich mit Ausnahme von Walter,
den wir dort stehenließen. »Ich weiß nicht, was an kleinen
Männern so witzig sein soll«, murmelte er vor sich hin,
während George keine Luft mehr bekam, weil er verzweifelt
versuchte, zu lachen aufzuhören.
Obwohl die meisten Fans Star Trek II: The Wrath of Khan
vorziehen, war die allgemeine Reaktion auf Star Trek III sehr
positiv. Mich freute das aus mehreren Gründen, nicht zuletzt
deshalb, weil es dem Studio bewies, daß man die ›Regeln‹ von
Star Trek nicht brechen oder seine Charaktere verändern
durfte. Der Film endete damit, daß wir uns auf Vulkan
befanden und die einzige Möglichkeit zum Heimflug ein
Klingonenkreuzer darstellte, wodurch sich für das nächste
Abenteuer unzählige Möglichkeiten boten. Leonard, Harve und
die Leute von Paramount sollten fast die ganzen nächsten zwei
Jahre damit verbringen, die intergalaktische Reise für den
nächsten Film zu planen. Uns allen war dabei bewußt, daß
seine Premiere mit dem zwanzigjährigen Jubiläum der
Fernsehserie zusammenfallen würde. Star Trek hatte in der
Syndication noch immer die höchsten Einschaltquoten in der
Geschichte des Fernsehens (laut unserem alten Feind, der A. C.
Nielson Company), und die Conventions lockten mehr
Besucher als je zuvor an. Die drei populären Kinofilme hatten
uns nicht nur einem jüngeren Publikum nahegebracht, sondern
auch jenen, die die Serie zuvor nicht weiter beachtet oder auch
gar nicht gesehen hatten. Wie uns die älteren Fans oft
versicherten, gefiel es ihnen, dabei zuzusehen, wie wir älter
wurden. In der Welt der Unterhaltung, in der nichts ewig
währt, wurde Star Trek mit jedem vergehenden Jahr
erfolgreicher. Bei den Interviews scherzte jeder von uns über
die Möglichkeit, noch in unseren Rollstühlen auf der Brücke
zu sitzen, während Uhura mit Hilfe eines Hörgerätes durch das
Universum funkt, und alle (selbstverständlich mit Ausnahme
von mir) alt und grau geworden sind. Das galt natürlich nicht
für Mr. Spock; schließlich werden Vulkanier mehrere hundert
Jahre alt.
Die Musik blieb eine der Konstanten meines Lebens. Ende der
siebziger Jahre hatte mir mein Freund Wade Crookham von
einem erstaunlichen Gesangslehrer erzählt, der die Stimmen
mehrerer bekannter Sänger gerettet hatte. Ich fing an, bei ihm
Stunden zu nehmen, und obwohl ich den Maestro, wie er von
seinen Schülern genannt wurde, von ganzem Herzen verehrte,
stand ich keine Stunde mit ihm durch, ohne zumindest einmal
den Wunsch zu verspüren, ihn umzubringen. Ich starrte ihn
einfach nur wütend mit funkelnden Augen an, und er lächelte
bloß. »Du sagst mir nicht, was du nicht kannst«, pflegte er zu
sagen. »Du tust einfach das, wozu dir Gott das Talent verliehen
hat, und ich kümmere mich um den Rest.« Als ich seine
Schülerin wurde, hatte er die Achtzig schon lange
überschritten. Er war ein kleiner, kräftiger und liebenswerter
Mann. Seine Name ist Giuseppe Balestrieri. Kommt Ihnen das
bekannt vor?
Seit ich seinen Namen das erste Mal gehört hatte, fragte ich
mich, ob er nun mit Frankie Balistrieri verwandt war oder
nicht, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihn zu
fragen. Frankie war damals mehr als nur berüchtigt und wurde
nur wenige Jahre später wegen Verschwörung zu dreizehn
Jahren Haft in einem Bundesgefängnis verurteilt. Ich hatte
über zwei Monate mit dem Maestro gearbeitet, als ich ihn
schließlich fragte.
»Sie haben gesagt, Sie kämen aus dem Mittelwesten«, sagte
ich.
»Ja«, erwiderte er. »Milwaukee. Und eines Tages will ich
auch wieder dorthin zurück.«
»Ich muß Sie etwas fragen. Kennen Sie Frankie Balistrieri?«
Der Maestro erstarrte ein paar Sekunden. »Woher kennen Sie
Frankie Balistrieri?« fragte er dann.
»Das ist eine lange Geschichte«, fing ich an.
»Nun, ja, wir sind miteinander verwandt«, sagte er
schließlich, nachdem ich meine Geschichte zu Ende erzählt
hatte. »Aber wir haben nichts mit ihm zu tun. Wir haben sogar
die Schreibweise unseres Namens geändert, damit die Leute
uns nicht mit ihm in Verbindung bringen. Aber ich bin ein
Blutsverwandter, wenn auch nur ein entfernter.«
Ich wußte die Ehrlichkeit des Maestros zu schätzen,
respektierte seine Privatsphäre aber genug, um das Thema nie
wieder anzusprechen; es war ihm offensichtlich unangenehm,
da er und seine Brüder in der Gegend von Milwaukee
hochangesehene Leute waren, die im Musikgeschäft, als Ärzte
und Anwälte arbeiteten. Aber bei dem Gedanken an diese
beiden Männer und die Rollen, die sie in meiner Karriere
gespielt hatten, fragte ich mich unwillkürlich, wer an dem
Webstuhl gesessen hatte, als mein Schicksal gewoben wurde.
Die Musik ist nicht die einzige Liebe meines Lebens, aber sie
ist eine Tür, durch die viele wundervolle Menschen in mein
Leben getreten sind. Einer davon war ein junger Musiker
namens Andy Chapin.
Wegen meiner Karriere war es mir nicht länger möglich,
weiter wie bisher am Raumfahrtprogramm mitzuarbeiten, wie
ich es während des Astronautenrekrutierungsprogramm getan
hatte. Doch ich war und bleibe eine überzeugte Verfechterin
unseres nationalen Raumfahrtprogramms und nutzte jeden
Auftritt und jedes Interview, um die Leute an die Wichtigkeit
der Erforschung des Weltraums zu erinnern.
Bezeichnenderweise war es mein Interesse am Weltraum, das
mich zu Jim Meechan geführt hat, dessen Interesse an der
Musik ihn zu mir geführt hat. So spielt das Leben.
Ich war begeistert, eine Einladung von der NASA zu
erhalten, bei der Landung des Space Shuttles Columbia nach
seiner ersten erfolgreichen Erdumrundung dabeisein zu dürfen.
Natürlich war auch Jim mit seinem Rockwell-Team da. Die
zweitägige Mission war ein großer Erfolg gewesen, und der
Anblick der gewaltigen Raumfähre, wie sie auf dem Salzsee
der Edwards Air Force Base landet, war einfach
atemberaubend. Dort lernten wir Andy kennen, der damals
Ende Zwanzig war, und erfuhren, daß er speziell wegen seines
Interesses am Raumfahrtprogramm eingeladen worden war.
Wir verstanden uns auf Anhieb, und nach kurzer Zeit verriet
Andy, daß er zu Ehren dieses Anlasses ein Musikstück
komponiert hatte. Interessanterweise hatte Jim das Gedicht
›Ode an das Space Shuttle‹ verfaßt, und als wir uns
zusammensetzten, paßten Worte und Musik so perfekt
zusammen, daß man den Eindruck gewinnen konnte, die
beiden hätten sich zusammen ans Klavier gesetzt und dort
gearbeitet. Wir produzierten das Stück und nahmen es auf
Uhura Sings auf; Jim schuf ein sehr bewegendes Video dazu,
in dem er Aufnahmen vom Start, dem Flug und der Landung
des Shuttles verarbeitete. Wenn ich daran dachte, daß sich die
beiden Männer nicht kannten, als sie ihre Stücke geschrieben
beziehungsweise komponiert hatten, war es wirklich
unheimlich.
Andy wurde einer unserer engsten Freunde, und er und Jim
gingen eine Vater-Sohn-Beziehung ein, die ihrer beider Leben
bereicherte. Andy war ein hoch angesehener Keybordspieler,
der bei bekannten Rockgruppen wie Steppenwolf und
Association gespielt hatte, bevor er Solokünstler wurde. Er
komponierte phantastische Melodien und war einer der
dynamischsten Musiker, die ich je gehört hatte. Wir arbeiteten
mit Andy viel im Studio und bei Bühnenauftritten zusammen
und hatten eine Anzahl von Projekten geplant, jedoch nichts,
was unmittelbar bevorstand. Als Andy das Angebot bekam,
Anfang 1984 bei Rick Nelsons Band mitzuspielen, nahm er es
an. Da Nelson über zweihundert Auftritte im Jahr absolvierte,
war Andy ständig unterwegs. Er vermißte seine Frau und
seinen kleinen Sohn Ian. Eines Tages Ende Dezember 1985
rief er an und ließ uns wissen, daß er nach der nächsten kurzen
Tour – nur Orlando, Guntersville, Alabama und schließlich zu
Neujahr Dallas – die Band verlassen würde, dann wünschte er
uns noch schöne Feiertage.
Ich feierte gerade mit Freunden und Champagner Sylvester,
als Jim mit einer schlimmen Nachricht kam. Andy war bei
einem Flugzeugabsturz gestorben, der auch Rick, den Rest der
Band und seine Verlobte das Leben gekostet hatte. Dieser
Verlust machte mich sehr traurig, aber Jim war am Boden
zerstört. Am Neujahrstag schrieb er für seinen Freund den
Song ›Andy‹. Dann riefen wir etwa fünfundzwanzig von
Andys Freunden zusammen, darunter viele Topmusiker aus der
Gegend von Los Angeles, und nahmen das Lied in einer
Session auf; wir setzten über ein Dutzend Sängerinnen, vier
Keybordspieler, mehrere Gitarren, Flöten, Schlagzeug und
Hörner ein. Andys Bruder spielte den Dudelsack. Er war ein
liebenswerter Mensch, und wir vermissen ihn bis zum heutigen
Tage. Gott sei mit dir, mein Schatz, wo immer du auch bist.
Andy liebte das Raumfahrtprogramm und das Shuttle, und so
hatte der nächste Start eine ganz besondere Bedeutung, da er
weniger als vier Wochen nach Andys Tod stattfand. Meine
Trauer wurde etwas von der Tatsache gemildert, daß das
Shuttle drei der Astronauten transportierte, die während meines
Werbefeldzugs rekrutiert worden waren: Judith Resnik, Ellison
Onizuka und Ronald McNair. Im Laufe der Jahre hatte ich mit
vielen der Astronauten sprechen können, und ein paar von
ihnen wie Ron und Judy hatte ich ganz gut kennengelernt. Es
war Judy gewesen, die mir 1984 den Public Service Award der
NASA überreicht hatte.
Nach mehreren Verzögerungen sollte das Space Shuttle
Challenger am 28. Januar starten. Ich war gerade draußen bei
meiner allmorgendlichen Joggingrunde, als ich bemerkte, wie
spät es war. Ich lief meine Einfahrt hinauf und wollte gerade
die Tür öffnen, als Jim mir zuvorkam.
»Es ist etwas Schreckliches geschehen«, sagte er. Als ich den
Ausdruck auf seinem Gesicht sah, wußte ich Bescheid.
Niemand wird je diesen Tag vergessen. Millionen von uns –
die Familien und Freunde der sieben an Bord befindlichen
Astronauten eingeschlossen – sahen mit Schrecken zu, wie
eine Minute nach einem offensichtlich völlig normal
verlaufenden Routinestart das Shuttle neun Meilen über dem
Erdboden explodierte. Ich saß ungläubig vor dem Fernseher
und sah mir die Wiederholung an, als das Raumschiff
zwischen weißen Rauchwolken zu verschwinden schien.
Wie die meisten Amerikaner konnte ich die Challenger-
Katastrophe nicht begreifen. Mit Ausnahme einiger Beinahe-
Katastrophen und dem verheerenden Startrampenfeuer 1967,
bei dem die Astronauten Gus Grissom, Edward White (der
erste Amerikaner, der einen Weltraumspaziergang absolvierte)
und Roger Chaffee ums Leben kamen, war die NASA für uns
ein Synonym für Erfolg und Sicherheit. Natürlich gab sich kein
Mitglied des Raumfahrtprogramms Selbsttäuschungen über die
Risiken hin. Raumfahrt und -forschung sind ihrer Natur nach
gefährliche Unternehmungen. Man darf nicht vergessen, daß
die Astronauten des Space Shuttles auf zwei fünfundvierzig
Meter langen Feststoffraketen und dem gewaltigen Haupttank
sitzen, dessen Inhalt aus flüssigem Wasser- und Sauerstoff die
Haupttriebwerke antreibt. Diese riesigen ›Feuerwerkskörper‹
geben ihre Tonnen von Schubkraft in wenigen Minuten ab, und
so ist jeder Shuttle-Start alles andere als eine Routineoperation.
Nach der Challenger-Katastrophe fragten sich die meisten
Leute, warum es für den Notfall eigentlich kein
Rettungssystem gab. Einige der engagierten Profis, die das
Space Shuttle entwickelten, testeten und bauten, haben mir
gesagt, daß man alle möglichen Rettungssysteme getestet,
jedoch keine Möglichkeit gefunden hat, ein System zu
integrieren, daß unter den durch die Shuttle-Konstruktion
vorgegebenen Voraussetzungen funktioniert. Was die
Sicherheitsvorkehrungen angeht, ist das Space Shuttle
vergleichbar mit einem Passagierflugzeug; man muß sich
darauf verlassen, daß die Vielzahl von Systemen und
Untersystemen wie geplant funktioniert. Wäre das Shuttle mit
einer raketengetriebenen oder mit Fallschirmen versehenen
Kabine ausgestattet gewesen (was laut der Sachkenntnis
durchaus möglich gewesen wäre), hätte das zusätzliche
Gewicht und die komplizierten Systeme den primären Zweck
der Raumfähre – nämlich den Transport von Nutzlasten –
ernsthaft behindert. Die Tatsache, daß fünfundzwanzig
Missionen ohne ernsthafte Probleme absolviert worden waren,
war schon beinahe ein Wunder und zeigte deutlich, mit
welcher Sorgfalt und Expertise die NASA und die erfahrenen
Konstruktionsfirmen, die das Space Shuttle-Team bildeten,
vorgegangen waren.
Etwa zwei Jahre vor der Challenger-Katastrophe hatte es ein
paar gravierende Fehler im Management unseres zivilen
Raumfahrtprogramms gegeben. Einige Luftfahrtfirmen, die
nicht zu den ursprünglichen Mitgliedern des bemannten
Raumfahrtprogramms der NASA gehört hatten, fingen an, sich
um ihr Stück des Kuchens zu bemühen. Sie erhielten
Unterstützung von einer großen Gruppe von
Kongreßabgeordneten, die wie immer nach Möglichkeiten
Ausschau hielten, Steuergelder neu zu verteilen und in ihren
Distrikten neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ironischerweise trug
die Tatsache, daß das Shuttle-Programm so erfolgreich war, zu
der Katastrophe bei. Kritiker, die das Programm unbedingt
auch anderen Unternehmen zugänglich machen wollten,
fehlinterpretierten den tadellosen Sicherheitsrekord der NASA
als Bestätigung, mit welcher Mühelosigkeit das Programm zu
bewältigen war, statt zu erkennen, daß er ein Beweis für den
Wert der Erfahrung war. Die Medien, die im großen und
ganzen das Interesse am Raumfahrtprogramm verloren hatten,
stürzten sich auf die Sparkampagne und bliesen ins selbe Horn.
In der daraus resultierenden Sparwut wurde das von der NASA
beauftragte Team von Firmen, das für die sicheren,
erfolgreichen ersten fünfundzwanzig Starts verantwortlich war,
einfach ersetzt. Die wenigen warnenden Expertenstimmen
ignorierte man; der Würfel war gefallen.
Es machte mich krank, als ich sah, wie Professor Feynmans
vor dem Untersuchungsausschuß des Kongresses mit einer
einfachen aber überzeugenden Demonstration anschaulich
darstellte, wie der O-Ring – der entscheidende Dichtungsring,
der das von den Raketen ausgelöste Inferno bändigte – starr
und porös wurde, nachdem man ihn Temperaturen unterhalb
des Nullpunktes aussetzte. Es war allgemein bekannt, daß
Florida Tage vor dem Start von einer massiven Kältewelle
heimgesucht worden war, die natürlich auch die Challenger
nicht verschont hatte. Ein erfahrenes Team hätte unter diesen
Umständen niemals einem Start zugestimmt. Leider erkannte
das neue Team die unmittelbare Gefahr nicht, die die kalte
Witterung darstellte. Es ist schon bemerkenswert: Seitdem man
nach der Katastrophe zu den ursprünglichen
Sicherheitsstandards zurückgekehrt ist, hat es keine weiteren
Probleme gegeben. Sicher, in Anbetracht der Natur der
Weltraumerforschung ist es möglich, daß eines Tages wieder
eine Katastrophe geschieht. Aber ich bete zu Gott, daß, sollte
es passieren, es das Resultat unvorhergesehener, nicht
berechenbarer Ereignisse ist – und nicht das Produkt
bürokratischer Unfähigkeit und fehlgeleiteter
Kostenreduzierung. Die mutigen und talentierten Menschen,
die als Astronauten dienen, verdienen Besseres als das.
Noch Wochen nach der Challenger-Katastrophe befand ich
mich in so tiefer Trauer, daß ich mich nicht einmal überwinden
konnte, darüber zu sprechen. Jim, der ebenfalls ein
persönlicher Freund von einigen der Astronauten gewesen war,
verstand mich vielleicht besser als jeder andere. Da Reporter
über meine Arbeit für die NASA Bescheid wissen, werde ich
oft nach meiner Reaktion auf das Challenger-Unglück gefragt,
und ich gebe mir jedes Mal größte Mühe hervorzuheben, daß
die Tragödie zwar Fragen über Management,
Qualitätskontrolle und Sicherheit aufgeworfen hat, aber es
jedoch ein schrecklicher Verrat an jenen sieben Astronauten
wäre, den Traum aufzugeben, für den sie gestorben sind.
Gerechterweise wurde Star Trek IV: The Voyage Home, unser
nächster Film, den mutigen Frauen und Männern der
Challenger-Crew gewidmet.
Star Trek IV kam im November 1986 in die Kinos, zwanzig
Jahre nachdem die Fernsehserie zum ersten Mal ausgestrahlt
worden war, und sollte bald zu dem bis dahin erfolgreichsten
Film werden. Für diesen Erfolg waren mehrere Faktoren
verantwortlich, aber es war sicher auch hilfreich, daß Leonard
bei einer Geschichte Regie führte, an deren Entwicklung er
mitgearbeitet hatte. Es war schön, wieder mit ihm arbeiten zu
können, und es war einfach großartig, mit so vielen
Schauspielern aus der Fernsehserie zusammenzukommen, die
nun das erste Mal in einem Star Trek-Film auftraten. Majel
Barett (die einstige Schwester Christine Chapel, nun im Rang
eines Commanders) und Grace Lee Whitney (die einstige
Fähnrich Janice Rand, nun ebenfalls im Rang eines
Commanders) kehrten zurück. Und natürlich war wieder Mark
Lenard als Sarek zu sehen.
Das erste Problem, mit dem Leonard und die Autoren sich
konfrontiert gesehen hatten, war die Frage gewesen, was bei
der Rückkehr der Enterprise-Mannschaft, die sich nun an Bord
eines Klingonenkreuzers befand, ins Hauptquartier von
Starfleet geschehen sollte. Jeder echte Trekker weiß, daß Kirk
und seine Leute bei ihrer Rettungsaktion für Spock so viele
Regeln verletzt hatten, daß eigentlich nur die Rettung der Erde
ausreichen würde, um nicht vor dem Kriegsgericht zu landen.
Es ist leicht zu entscheiden, daß die Helden die Welt retten –
aber wie und wovor? Leonard löste das Problem auf brillante
Weise, indem er die Mannschaft die Erde des
dreiundzwanzigsten Jahrhunderts vor der Vernichtung durch
eine außerirdische Sonde retten ließ, die eine Kommunikation
mit Buckelwalen anstrebte. Zu dieser Zeit sind die Wale schon
lange ausgestorben, darum muß die Crew zurück ins Jahr 1986
reisen, wo wir zwei Wale finden und sie zurück in die Zukunft
transportieren. Damit wird die Sonde zufriedengestellt und die
Welt gerettet. Der Zeitreiseaspekt bot vielversprechende
Möglichkeiten, eine Geschichte, in der es darum ging, vor den
Auswirkungen der Umweltzerstörung zu warnen, mit etwas
Humor aufzulockern.
Einige Monate vor Drehbeginn gab es eine Reihe von
Verzögerungen. Eine davon, die die ganze Zukunft der Star
Trek-Filme bedrohte, ging von Bill aus, dessen Verhandlungen
über eine beträchtlich höhere Gage sich etwa acht Monate
hinzogen. Mit der Möglichkeit konfrontiert, daß Bill seine
Rolle möglicherweise nie wieder übernehmen würde, gab
Harve Bennett seinen Segen zu einem Projekt mit dem Titel
Starfleet Academy. Dieser geplante Film, der uns die nächsten
Jahre verfolgen sollte und Gene in Rage versetzte, nahm sich
dem Leben von Kirk, Spock und Pille während ihrer Tage auf
der Akademie an. Das Konzept an sich war durchaus nicht
schlecht. Es gibt schon seit langem viele Romane und
Kurzgeschichten, teils von professionellen Autoren, teils von
Fans verfaßt, die einen Blick in die Vergangenheit der
Charaktere werfen. Im Verlauf der Filme – besonders in Star
Trek V – wurden viele persönliche Details hinzugefügt, die die
Charaktere meiner Meinung nach bereicherten und Genes
ursprüngliche Pläne für die Serie im nachhinein doch noch
erfüllten.
Seit Star Trek III hatte Harve Bennett der Welt bewiesen, daß
die Filme keineswegs eine so schlechte Investition sein mußte,
wie es beim ersten der Fall gewesen war. Aber die Geschichte
wiederholte sich. Obwohl Harve bei den Filmen technisch
gesehen der Boß war, hatte er Leonard und Bill nichts
entgegenzusetzen. Ob sie nun allein oder zusammen arbeiteten,
sie waren ein Machtfaktor geworden, den man nicht ignorieren
konnte, erst recht, nachdem die Sache mit der
Gleichberechtigung zwischen ihnen geregelt worden war. Vom
Standpunkt des Studios aus war das Schöne an Starfleet
Academy nicht die Möglichkeit, den Star Trek-Mythos weiter
auszubauen, sondern daß man damit auf die ursprüngliche
Stammbesetzung und, was noch viel wichtiger war, die dicken
Schecks verzichten konnte, die Leonard und Bill verlangten.
Es war zweifelhaft, daß die Enterprise ohne Kirk im
Kommandosessel jemals wieder ihr Raumdock verlassen
würde. Und falls doch, würden unter Umständen ein jüngerer
(das heißt billigerer, kooperativerer) Captain und Erster
Offizier das Ruder übernehmen. Als das Studio und Bill
endlich eine Einigung fanden, war Star Trek IV gerettet.
The Wrath of Khan, The Search for Spock und The Voyage
Home waren nicht als Teile einer Trilogie geplant gewesen,
doch es wurde zu einer, da sich die in ihnen geschilderten
Ereignisse in weniger als einem Erdenjahr abspielten. Wir
hatten zwar Spock gefunden und geholfen, seinen Körper mit
seinem Katra zu vereinigen, aber er war noch nicht wieder er
selbst, vielleicht sogar ein bißchen menschlicher als zuvor.
Zusammen mit dem Humor der Zeitreisegeschichte sorgte das
für einige der witzigsten Szenen des Films. Jeder liebte die
Szene im Bus, in der Kirk versucht, Spock den korrekten und
effektiven Gebrauch von Flüchen zu erklären, was diesem
dann während des ganzen Films nie richtig gelingt.
Wie immer war Leonard der festen Überzeugung, daß die
familiären Beziehungen der Crewmitglieder untereinander in
den Mittelpunkt gerückt werden sollten. Nachdem der getarnte
(und daher unsichtbare) Klingonenkreuzer im Golden Gate
Park gelandet ist, bilden wir einzelne Teams. Kirk und Spock
suchen nach den Walen, Scotty und Pille versuchen, ›uraltes‹
Material für den Bau eines Walbeckens aufzutreiben, Sulu
besorgt einen Helikopter für den Transport, und Chekov und
Uhura holen die Kernverschmelzungsnebenprodukte, die nötig
sind, um die Dilithiumkristalle für den Rückflug um die Sonne
betriebsbereit zu machen.
Die Dreharbeiten in San Francisco waren ein Vergnügen.
Natürlich brauchten wir für die Außenaufnahmen auf den
Straßen spezielle Drehgenehmigungen, in denen streng
festgelegt wurde, wann und wo wir drehen durften. Die
Gegend, in der wir drehten, wurde abgesperrt, und es
versammelten sich Hunderte glücklicher, klatschender Star
Trek-Fans. Laut Drehbuch sollten Uhura und Chekov an einer
Straßenecke stehen und Passanten nach dem Weg nach
Alameda fragen. Die Einwohner von San Francisco, denen
vermutlich nichts mehr fremd ist, nahmen kaum von uns Notiz,
und Leonard drehte die Szene á la Versteckte Kamera, so daß
einige der Leute, die wir im Film nach den, wie sich Chekov
ausdrückt, atomgetriebenen Kriegsschiffen fragen, keine
Schauspieler sondern zufällig vorbeikommende Passanten
sind. Nun muß laut den Gewerkschaftsbestimmungen jeder,
der in einem Film spricht, ein Gewerkschaftsmitglied sein.
Die meisten Zuschauer nahmen die Einladung, ein Mitglied
der Menge zu werden, begeistert an. Eine Frau fiel jedermann
auf. Sie war atemberaubend, mit langem braunem Haar,
wunderschöner Haut und einem schicken weißbeigen Kostüm.
Um allem die Krone aufzusetzen, hatte sie ihren kleinen
Yorkshire dabei, dessen braunweißes Fell perfekt zu ihrer
Ausstattung paßte. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. In
dem Augenblick, in dem Leonard sie entdeckte, wußte er, daß
er sie im Film haben mußte.
Sie fragte, worum es bei dem ganzen Aufruhr denn eigentlich
gehe. »Um Star Trek«, sagte jemand.
»Oh, ist das nicht die Fernsehserie?« fragte sie unschuldig.
Als der Regieassistent sie dann fragte, ob sie Lust habe, durch
eine Szene zu gehen, schien sie überrascht und geschmeichelt,
so wie jede normale Person, die zufällig in Dreharbeiten
hereinplatzt.
Das Problem war nur, daß sie gar keine ›normale‹ Person
war, sondern eine Schauspielerin. Wir wurden mißtrauisch,
nachdem sie die Szene wiederholt geschmissen hatte, indem
sie ständig ›vergaß‹, daß sie nicht mit Walter und mir sprechen
durfte. »Sagen Sie nichts zu den beiden«, erklärte ihr Leonard
geduldig nach dem erstenmal. »Sehen Sie sie einfach nur an
und gehen weiter. Die beiden stellen diese dummen Fragen,
aber Sie ignorieren sie, als hätten Sie Angst, sie würden Sie
gleich beißen.«
»Okay«, erwiderte sie.
Wir hatten nur fünfzehn Minuten, um die Szene vor der
Mittagspause zu beenden. Leonard rief »Action!«, und Walter
und ich sprachen jeden an. »Wie kommen wir nach Alameda?«
Leonards Entdeckung kam an. »Es tut mir ja so leid, aber ich
kann es Ihnen nicht sagen.«
»Schnitt!« Leonard nahm sie beiseite, blieb dabei aber in
Hörweite, und wiederholte seine Anweisungen. »Es ist sehr
wichtig – es ist unumgänglich –, daß Sie kein Wort sagen.«
»Okay. Aber ich verstehe den Grund nicht.«
»Verzichten Sie einfach darauf.«
Also versuchten wir es erneut, und sie tat es wieder, diesmal
mit der lahmen Ausrede, ihr sei es unhöflich vorgekommen,
nicht mit uns zu sprechen. Es war Zeit für die Mittagspause,
und die Filmcrew mußte alles abbrechen, da wir nachher an
einer anderen Straßenecke drehen wollten. Walter war außer
sich, Leonard war wütend, und alle schimpften hinter
vorgehaltener Hand über diese Frau.
»Wir machen die Aufnahme ohne sie«, sagte Leonard
hoffnungsfroh.
»Es tut mir leid, Leonard, aber das geht nicht«, sagte der
Regieassistent. »Und nicht nur das, laut Genehmigung müssen
wir um vier von den Straßen von San Francisco runter sein.
Hier geht es um hohe Kosten!«
Wir trafen uns alle in dem im Keller einer Kirche
befindlichen Aufenthaltsraum, wo das Mittagessen ausgegeben
wurde, und grübelten darüber nach, was für ein schlechter Tag
das bis jetzt gewesen war. Das Drehbuch enthielt eine
wunderbare Szene, in der Sulu einem kleinen Jungen begegnet,
der sich als sein Urururahn entpuppt. Der junge japanische
Schauspieler, der beim Vorsprechen eine brillante Darstellung
gegeben hatte, weigerte sich einfach zu spielen, als er vor die
Kameras getreten war. Sein Bruder, der die Chance ergriffen
hatte, war nicht sehr gut gewesen, und die Szene war verloren.
Und nun war wegen der Frau mit ihrem Yorkshire eine weitere
wichtige Szene dazu verdammt, auf dem Boden des
Schneideraums zu landen.
Je länger ich darüber nachdachte, desto komischer fand ich
die ganze Angelegenheit. Hätte Leonard sie nicht so attraktiv
gefunden, wäre nichts passiert. In gewisser Weise war er selber
schuld. Ich mußte lachen. »Mir ist egal, was du denkst,
Nichelle, aber das ist überhaupt nicht komisch!« fauchte
Walter plötzlich. »Wir müssen die gottverdammte Szene
rausschneiden, und was zum Teufel sollen wir jetzt machen?
Das war eine tolle Szene!«
Genau in diesem Augenblick kam die Frau mit ihrem Hund
herein. Leonard saß bei seinen Leuten auf der anderen Seite
des Raums, und er zitterte fast vor Wut, was ihm gar nicht
ähnlich war. Ich ging zu ihm an den Tisch. »Nichelle, es tut
mir leid, aber wir werden diese Szene herausschneiden
müssen, und ich weiß nicht, wodurch wir sie ersetzen sollen.«
Ich war noch immer am lachen. »Das ist nicht witzig,
Nichelle«, sagte Leonard.
»O doch, das ist es«, erwiderte ich. »Du bist gerade
reingelegt worden, und du weißt nicht, wie du wieder
herauskommen sollst.«
»Wovon sprichst du?« wollte er wissen.
»Sie ist eine Schauspielerin, die in die Gewerkschaft
reinwill«, erwiderte ich.
»Ja, und? Wir haben genug Schauspielerinnen. Was hilft
das?«
»Das stimmt, aber du hast keine Schauspielerin mit Haaren
bis zur Taille und einem Yorkshire. Sie ist einzigartig, also
fällt das unter Taft-Hartley«, antwortete ich und zitierte eine
obskure Ausnahmeregelung der Schauspielergewerkschaft.
»Du hast eine große, schlanke Frau mit einem Yorkshire
verlangt. In diesem Augenblick, an diesem Ort, waren keine
anderen Schauspieler da, die diese Kriterien erfüllten. Sie -
wird Gewerkschaftsmitglied, und für vierhundert Dollar hast
du die Szene gerettet.«
»Das könnte funktionieren!« rief er aus. »Das könnte
funktionieren! Einzigartig, genau! Der Regisseur hat nach
einer großen, schlanken Frau mit einem Yorkshire verlangt.«
Leonard lächelte. »Nichelle, ich könnte dich küssen!«
Die Dreharbeiten in San Francisco waren wunderbar und
gingen viel zu schnell vorbei. George, ich und ein paar der
anderen bestiegen ein Flugzeug nach Los Angeles. Wir flogen
von einem kleinen Flugplatz in Monterey aus; als die
Flugbegleiterin verkündete, der Start würde sich um
mindestens eine halbe Stunde verzögern, weil Techniker die
Klimaanlage reparieren müßten, verließen George und ich das
Flugzeug. Man versicherte uns, daß man das Ende der
Arbeiten im Terminal ankündigen würde.
Wir stiegen aus, ließen bis auf mein Notizbuch alles im
Flugzeug und fanden keine fünfzig Schritte vom Flugsteig
entfernt eine Bar, wo wir ein Bier tranken. Wir waren so nahe,
daß wir durchs Fenster das Flugzeug sehen konnten. George
und ich plauderten, als wir zufällig aufsahen und bemerkten,
wie die Flugzeugtür geschlossen wurde.
Wir liefen zurück zum Schalter, und George erklärte auf
seine freundlichste Art und Weise, daß das Flugzeug nicht
ohne uns fliegen dürfe. Als sich der Angestellte der Fluglinie
sehr unkooperativ verhielt, wurde George deutlicher. »Sie
müssen die Maschine aufhalten! Sie verstehen nicht. Unsere
Sachen sind da drin. Weisen Sie die Maschine an zu warten,
bis wir an Bord sind!« verlangte er.
»Sir«, versuchte ich es auf die sanfte Tour. »Wir sind die
Schauspieler von Star Trek, und wir müssen diese Maschine
erreichen.«
Ein zweiter Angestellter, der uns erkannte, versuchte zu
helfen. »Ich glaube, das läßt sich machen«, sagte er. Aber der
Mann am Schalter ließ sich nicht erweichen, und George und
ich sahen ungläubig zu, als das Flugzeug anrollte.
»Ich verlange, daß Sie die Maschine sofort zurückholen!« rief
George mit gerötetem Gesicht. »Das kostet Sie Ihren Kopf!«
Als das Flugzeug auf die Startbahn rollte, ergab ich mich in
unser Schicksal. Wir saßen fest, waren hier gestrandet, und es
gab nichts, was wir dagegen tun konnten.
»George, bitte beruhige dich«, sagte ich beschwichtigend.
»Aber Nichelle!« Mittlerweile bekam George keinen Ton
mehr heraus; er konnte nur noch auf das Flugzeug starren und
zusehen, wie es in den Wolken verschwand.
Natürlich bekamen wir schließlich einen Flug, aber als ich
Dee das nächste Mal sah, stellte ich ihn zur Rede. »Ihr habt
doch gewußt, daß wir im Terminal waren, und ihr habt gewußt,
daß wir zurück ins Flugzeug kommen sollten. Warum zum
Teufel habt ihr nicht Bescheid gesagt, damit sie auf uns
warten?«
Dee lächelte. »Aber Nichelle«, sagte er, »wie hätten wir das
tun können? Der Gedanke, daß du und George dort gestrandet
sind und zusehen müssen, wie das Flugzeug ohne euch startet
– das war einfach zu witzig! Wir konnten nicht widerstehen.
Wir haben bis Los Angeles gelacht.«
Man sagt, jede Geschichte hat zwei Seiten, und so
überraschte es mich nicht, daß George dieselbe Geschichte
erzählte, nur mit ein paar kleinen Unterschieden.
Beispielsweise ist in seiner Version er derjenige, der
beherrscht blieb. Dafür erzählte er: »Nichelle warf ihren Pelz
zu Boden.« Vielleicht werde ich George eines Tages daran
erinnern, daß wir Sommer hatten.
Aber das ist nicht die einzige von Georges ›Geschichten‹, die
ich zurechtrücken mußte. Bei einer der frühen Conventions
kamen die Organisatoren zu uns und fragten, ob wir uns eine
Minute Zeit nehmen könnten, bevor wir die Bühne betraten,
um einen ganz besonderen Fan kennenzulernen. Anscheinend
waren Sulu und Uhura seine Lieblingscharaktere, und er war
erst elf oder zwölf, also taten wir es natürlich. Er war ein
wunderbarer chinesischer Junge, und es machte soviel Spaß,
miterleben zu dürfen, wie glücklich er war. Vor allem,
nachdem George ihn gefragt hatte, ob er nicht mit uns auf die
Bühne gehen wolle.
Dieser Junge war so aufgeregt, daß ich schon befürchtete, er
würde explodieren. Sie kündigten uns an, und George und ich
nahmen – mit dem Jungen im Schlepptau – unsere Plätze ein.
Nachdem sich der Applaus gelegt hatte, -wandte sich George
ans Publikum. »Es ist großartig, euch alle wiederzusehen.
Danke, daß ihr heute gekommen seid. Wie ihr wißt, haben
Nichelle und ich viele von euch einige Jahre nicht mehr
gesehen, und seitdem ist viel geschehen. Nichelle und ich sind
sehr stolz, euch unseren Sohn vorzustellen, das Kind unserer
Liebe.«
Ich glaubte mich verhört zu haben! Und nach dem erstaunten
Aufstöhnen zu urteilen, das durchs Publikum ging, war ich
nicht die einzige. Der Junge schien glücklich, wenn auch etwas
verwirrt, und hinterher lachten alle, da es sich offensichtlich
um einen Witz handelte, nicht wahr? Sie würden überrascht
sein, wie viele Leute mich bis zum heutigen Tage nach meiner
›Affäre‹ mit George fragen und sich nach unserem ›Sohn‹
erkundigen.
Als die Kinopremiere von Star Trek IV: The Voyage Home
näherrückte, befand sich die Fernsehserie seit siebzehn Jahren
in der Syndication. Obwohl die Serie mehr Zuschauer als
jemals zuvor hatte, kam man nicht um die Tatsache herum, daß
die neunundsiebzig Episoden von Star Trek Classic nicht ewig
laufen würden. Die Fans liebten sie noch immer, aber nach
dem spektakulären Erfolg des Films muß sich jemand in der
Buchhaltung des Senders gefragt haben, wie Paramount noch
mehr von Star Trek profitieren konnte.
Im Oktober 1986, etwa sechs Wochen vor der Premiere von
Star Trek IV, erhielt ich mehrere Anrufe von Journalisten aus
aller Welt. »Was halten Sie von der neuen Star Trek-
Fernsehserie«, lautete die Frage.
Ich war völlig überrascht, nicht nur, weil sie mich auf
meinem Privatanschluß anriefen – dessen Nummer meiner
Meinung nach geheim war –, sondern auch wegen der Frage.
Eine Fernsehserie? Was für eine Fernsehserie? Es hatten in den
vergangenen zwei Jahren Gespräche stattgefunden, mit der
Stammbesetzung eine neue Fernsehserie oder Miniserie zu
drehen, aber soweit ich wußte, hatte es da nichts Endgültiges
gegeben. »Ich finde, das sollten Sie lieber direkt Paramount
fragen«, sagte ich schließlich, nachdem ich eine Zeitlang den
Fragen ausgewichen war.
»Ja, gut, aber was fühlen Sie? Wie ist Ihre Reaktion?«
Ich war mir einfach nicht über meine Gefühle im klaren, als
ein Bekannter von Paramount anrief. »Du weißt das nicht von
mir, aber heute nachmittag gibt das Studio eine
Presseerklärung über eine neue Star Trek-Serie mit einer völlig
neuen Stammbesetzung heraus. Sie wird The Next Generation
heißen. Ich fand, du solltest es wissen, bevor du es aus anderer
Quelle erfährst.«
»Ach darum geht es«, erwiderte ich.
»Wovon sprichst du?«
»Ich habe den ganzen Morgen Anrufe aus aller Welt
bekommen – aus England, Deutschland, Japan.«
»Oh, es tut mir leid. Ich hatte gehofft, dich vor ihnen zu
erwischen, aber wir haben es selbst eben erst erfahren.«
Ich dankte meinem Freund, der hier namenlos bleiben soll,
und legte – stinkwütend auf Gene – den Hörer auf. Was fiel
ihm ein, mich – und vermutlich jeden anderen der alten
Stammbesetzung auch – in eine derartige Situation zu bringen?
Was er anderen über seine Geschäfte erzählte, war seine
Sache, und ich konnte verstehen, warum er manchen Leuten
gegenüber nicht sonderlich offen war, aber wir waren auch
außerhalb des Geschäfts befreundet gewesen.
»Verdammt, Gene, ich kann nicht glauben, daß du mich
derart im unklaren gelassen hast«, sagte ich kurz darauf zu
ihm. »Es war peinlich und demütigend, über etwas gefragt zu
werden, von dem jeder annahm, ich wüßte darüber Bescheid.«
»Ja, ich verstehe deinen Standpunkt«, erwiderte er ruhig.
»Aber das war ein Bestandteil des Deals. Wir mußten es
geheimhalten und durften es nicht jedem X-beliebigen sagen.«
»Gene, ich bin nicht jeder X-beliebige, und das weißt du!«
fauchte ich.
»Nein, Nichelle, das bist du nicht. Aber wärst du öfter
vorbeigekommen und hättest dich mehr auf dem laufenden
gehalten, was mich betrifft, hättest du es auch gewußt.«
Genes Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Was sollte
das denn heißen? Wir sahen einander bei gesellschaftlichen
Anlässen, manchmal trafen wir uns zum Mittagessen. Als ein
Freund wußte er, daß er sich immer auf mich verlassen konnte.
Das hätte ich ihm sagen können, aber in der Hitze des
Augenblicks konnte ich ihm nur zwei Worte
entgegenschleudern. »Du Bastard!«
Gene verzog keine Miene. Er zuckte nur die Achseln und
schenkte mir ein jungenhaftes Grinsen, als wollte er sagen:
»Tja, als hättest du nicht gewußt, daß ich mich so verhalten
kann«, doch ich konnte auch sehen, daß er verletzt war.
Schließlich dämmerte mir nach all diesen Jahren, daß ich
immer noch etwas Besonderes für ihn war. Das soll nicht
heißen, daß er verliebt in mich war oder die Möglichkeit
bestand, unsere romantische Beziehung wiederaufzunehmen.
Es war etwas Tieferes und viel Komplizierteres als das. Er
hatte in Majel eine große, wunderbare Liebe gefunden, doch er
hatte nie die Tatsache überwinden können, daß ich ihn aus
freien Stücken verließ, ohne darum gebeten oder gar
gezwungen zu werden. »Wie konntest du das nur tun?« fragte
er mich im Laufe der Jahre immer wieder.
Ich glaube nicht, daß ich jemals mit Sicherheit sagen kann,
worum genau es hierbei eigentlich ging. Etwas an mir und der
Art, wie sich unsere Beziehung entwickelt hatte, störte ihn.
Ging es darum, daß ich, seiner Meinung nach, nicht für ihn da
war? Nahm er es mir übel, daß ich die Kraft gehabt hatte, all
diese Jahre die Distanz zu wahren? Hatte er mir jemals
verziehen, daß ich ihn verließ? Hatte er aus diesem Grund
verhindert, daß ich von Star Trek zu Mannix wechselte? Für
jemanden, der die meiste Zeit so warmherzig, großzügig und
aufrichtig wie er war, konnte er auf geradezu peinliche Weise
kleinlich sein.
Trotzdem freute ich mich für Gene. Es gibt nicht viele Leute,
die eine solche zweite Chance erhalten. Zum erstenmal hatte
Gene die volle kreative Kontrolle, ein ordentliches Budget und
die Freiheit, die sich einstellt, wenn man eine Serie direkt an
die Syndication verkauft. Am Ende konnte er eine Serie
produzieren, deren Stammbesetzung wirklich international
war. Obwohl sich die Fans nicht sofort mit der Serie
anfreunden konnten, wurde sie schließlich doch recht populär.
»Das ist doch eine recht schizophrene Situation für dich«,
bemerkte ich etwa ein Jahr später zu Gene. »Du hast zwei
Kinder. Das ältere hat man dir entführt, aber es ist
zurückgekehrt und liebt dich noch immer. In der Zwischenzeit
hast du ein neues Kind bekommen, das du viel mehr liebst als
den armen Kleinen, den man dir weggenommen hat.«
»Du konntest schon immer mit Worten umgehen«, sagte er
mit einem Lächeln. Und er wußte, daß ich recht hatte. Ich kann
es Gene nicht verübeln, daß er der ersten Serie manchmal
ambivalente Gefühle entgegenbrachte. Sie war für ihn zugleich
Fluch und Segen; man würde sich ihretwegen für alle Zeiten an
ihn erinnern, jedoch würde er ihr niemals entkommen und sie
nie voll kontrollieren können.
Einen Monat nach Ankündigung der neuen Serie hatte Star
Trek IV: The Voyage Home Premiere, wurde von der Kritik
gelobt und hatte großen Erfolg an der Kinokasse. Jeder der
Mitwirkenden war der Meinung, daß es ein fast perfekter Film
war. In der letzten Szene wird die Crew mit Ausnahme von
Kirk von der Anklage freigesprochen, und seine ›Bestrafung‹
ist das Kommando über ein neues Schiff, das den Namen
Enterprise trägt. Als Resultat seiner Degradierung würde er im
nächsten Film nicht als Admiral, sondern als Captain
zurückkehren. Hinter den Kulissen wartete jedoch eine
Beförderung auf Bill, vom Star zum Regisseur.
12
»Alle Dinge enden«, sagt Spock gegen Anfang von Star Trek
VI: The Undiscovered County zu seinem Protege Valeris. Wir
begann die Dreharbeiten zu Star Trek VI in dem vollen
Bewußtsein, daß es vermutlich unsere letzte gemeinsame
Bildschirmreise war. So hatte es Paramount verkündet, so
stand es im Drehbuch, und vielleicht war auch die Zeit dafür
gekommen. Noch immer aufgebracht über das Star Trek V-
Debakel waren wir erleichtert, daß Leonard wieder das
Kommando hatte. Er holte Nicholas Meyer, der The Wrath of
Khan so brillant in Szene gesetzt hatte, für das Drehbuch und
die Regie, und zum erstenmal seit Star Trek: The Motion
Picture war Gene fast täglich an dem Projekt beteiligt. Der
fertige Film bewies erneut – für jeden, der es bis dahin nicht
begriffen hatte –, daß Star Trek kein magisches Produkt war,
dem man einfach irgendein beliebiges Science Fiction-Konzept
verpassen kann und das dann funktioniert.
So wie die Fernsehserie Themen aus den Schlagzeilen in
einer ›sicheren‹ futuristischen Kulisse aufgriff, untersuchte
Star Trek VI die Frage, wie wir uns angesichts von
Veränderungen verhalten und sie verarbeiten. Von politischen
Geschehnissen wie dem Fall der Berliner Mauer und einem
schwankenden Sowjetregime (das kurz nach der Premiere des
Films zusammenbrach) inspiriert, erforschte Leonard die
Auswirkungen einer von Klingonen veranlaßten
Friedensinitiative. Er bürdete Captain Kirk, der seine Karriere
damit verbracht hatte, die Klingonen in Schach zu halten, und
dessen Sohn von ihnen ermordet worden war, die Last auf,
Kanzler Gorkon und dessen Leute sicher zur Erde zu geleiten.
Da der Plot so viele phantastische Wendungen aufweist, will
ich hier nur feststellen, daß der Film ein passendes und
zufriedenstellendes Ende für die Reisen des Raumschiffs
Enterprise bot. Da bald ersichtlich wurde, daß die Dinge so gut
liefen, fügte man in letzter Minute natürlich noch ein paar
Änderungen hinzu, um die Tür für einen möglichen siebten
Film offenzuhalten.
Trotz der vielen bewundernswerten Stärken von Star Trek VI
und der Gewissenhaftigkeit, mit der er sich an die
ursprüngliche Prämisse der Serie hält, waren das Drehbuch
und die Produktion nicht ohne Probleme. Das fing mit der
Erklärung an, was aus der Enterprise-Crew wurde, nachdem
wir Sha Ka Ree entkommen waren. Ursprünglich sollten wir
alle aus dem aktiven Dienst ausscheiden, obwohl wir uns bereit
erklärten, unter bestimmten Bedingungen zurückzukehren. Bei
dem hohen Status, den wir in Starfleet genossen, konnte das
nur ein Notfall von galaktischen Ausmaßen sein. Jeder von uns
sollte von Kirk persönlich benachrichtigt werden, der dabei ein
bestimmtes Symbol oder ein geheimes Kennwort verwandte.
Nicholas Meyer versuchte das Problem, was mit uns in den
sechs Jahren geschehen war, die seit dem letzten Film ins Land
gegangen waren, mit Hilfe eines Eröffnungsprologs zu lösen.
Es war nur logisch, daß die Männer und Frauen der
Enterprise – die erwiesenermaßen das Beste waren, was das
Universum zu bieten hatte – auch weiterhin ein produktives
Leben führten. Nachdem ich so viele Jahre mit diesen
Charakteren gelebt hatte, stellte ich mir oft vor, wie einige von
ihnen ihre eigenen Schiffen befehligten; Pille würde Medizin
lehren, und Uhura wäre die Leiterin der
Kommunikationszentrale von Starfleet auf der Erde. Und so
war ich entsetzt, als ich Meyers erste Fassung las, in der wir
alle als Haufen von Verlierern dargestellt wurden. Pille
vegetierte irgendwo auf dem Land vor sich hin, Chekov spielte
den ganzen Tag Schach, und eine gelangweilte Uhura
moderierte eine schundige Radiotalkshow der Zukunft, die sich
anscheinend Howard Stern zum Vorbild genommen hatte.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage!« sagte ich. »Die Idee
auf die Leinwand zu bringen, daß solche Helden auf diese
Weise verfallen, sendet eine fatale Botschaft aus. Sie sollten
Führer, Lehrer, Berater, Mentoren sein. Macht mich
wenigstens zu einer intergalaktischen Oprah Winfrey!« Gene
und der Rest der Stammbesetzung stimmten mir zu, und so
wird bei unserem ersten Auftritt – einer geheimen Notfall-
Einsatzbesprechung bei Starfleet – von selbst klar, daß wir von
anderen wichtigen Pflichten abberufen wurden.
Eines der schwierigen Themen des Films war die Frage, wie
wir mit Vorurteilen umgehen. Zwar hoffte jeder in der
Föderation seit langem auf das Ende der klingonischen
Aggression, aber als dies Realität zu werden droht, werden sie
gezwungen, ihre Überzeugungen zu überdenken und sich mit
der Tatsache auseinanderzusetzen, daß ohne den Feind die
Ziele, die sie Zeit ihres Lebens verfolgt haben, überholt sind.
Unter diesen Voraussetzungen mußte man zeigen, daß nicht
einmal Mitglieder von Starfleet gegen eine gewisse Bigotterie
gefeit sind. Wie jeder Trekker weiß, haben die Klingonen viele
abstoßende Eigenschaften; in der Hauptsache ihre aggressive
Natur und ihre auf Krieg basierende Kultur. Während zwei
Jahrhunderten der Feindschaft zwischen dem klingonischen
Imperium und der Föderation haben sie sich als verschlagen,
verräterisch und furchteinflößend erwiesen. Dennoch glaube
ich, daß die Art und Weise falsch war, wie in dem Film die
Vorurteile der Mannschaft gegen die Klingonen dargestellt
wurden.
Das ungeheuerlichste Beispiel dafür ist die Unterhaltung
zweier junger Besatzungsmitglieder, die direkt stattfindet,
nachdem die klingonische Delegation den Raum verlassen hat.
»Die sehen alle gleich aus«, meint der eine, und sein Freund
erwähnt, wie schlecht sie riechen. »Nur ihre Topmodelle
können überhaupt sprechen«, fügt er noch hinzu. Ich gebe zu,
daß ich auf diese Sätze vielleicht empfindlicher reagiere, weil
sie den häßlichen Bemerkungen so nahekommen, die man im
Verlauf der Weltgeschichte über Schwarze und andere
ethnische Gruppen gemacht hat. Diese Verbindung wurde in
der vorangegangenen Szene auf unbehagliche Weise deutlich
gemacht. Dort erfährt die Mannschaft, daß Gorkon und seine
Leute Kirks Einladung zu einem Essen an Bord der Enterprise
akzeptiert haben, und Uhura sollte sagen: »Rat mal, wer zum
Essen kommt.« Dieser Satz, der Titel eines kontroversen Films
aus dem Jahre 1967, in dem eine weiße Frau ihren schwarzen
Verlobten zu sich nach Hause mitbringt, um ihn ihren Eltern
vorzustellen, regte mich schrecklich auf. Ich weigerte mich,
ihn zu sagen, und bestand darauf, ihn ganz aus dem Drehbuch
zu streichen. Statt dessen mußte ihn Chekov sagen.
Diese Szenen waren nicht nur wegen ihrer unterschwelligen
rassistischen Bedeutung anstößig, sondern vor allem, weil sich
die ganze Prämisse von Star Trek darauf gründet, daß die
Menschheit zur Toleranz gefunden hat. Wenn Starfleet nur die
Besten und Klügsten aufnimmt, ergibt es dann einen Sinn, daß
die Offiziere, die ›auf der Suche nach neuen Zivilisationen
sind‹, sich so kleingeistig und voreingenommen benehmen?
Ich schrieb sofort einen Brief, in dem ich meine
Befürchtungen ausführte, und als Gene seine Kopie bekam,
rief er mich sofort an. »Ich habe gerade deinen Brief gelesen,
Nichelle«, sagte er, »und ich hätte es nicht besser sagen
können.« Trotz unserer Einwände, zu meiner persönlichen
Enttäuschung und zum Nachteil der Integrität des Films
blieben einige der Textpassagen. Aber der entwürdigende
Prolog wurde gestrichen, und unsere Charaktere traten als noch
immer wichtige Mitglieder von Starfleet auf. Ich war
erleichtert und erfreut, zumindest das erreicht zu haben.
Vor Beginn der Dreharbeiten steckte man eine Menge Arbeit
in eine Rede, die Uhura auf Klingonisch halten sollte. Da sie
eine erstklassige Linguistin war, hätte dies für sie eine
Kleinigkeit sein müssen, insbesondere, da der echte Linguist,
der die Klingonensprache entwickelt hatte, sie schrieb und für
mich auf Tonband aufnahm, damit ich sie phonetisch lernen
konnte. Seit Star Trek IV hatte es einen gewaltigen Druck
gegeben, wo auch immer möglich Humor in die Handlung
einzubringen, und so wurde Uhuras perfekte, dramatische
Rede einfach gestrichen. An ihrer Stelle wurde die Szene
eingefügt, in der die Enterprise von einem Klingonenkreuzer
angefunkt wird und Uhura sie davon überzeugen muß, daß die
Mannschaft aus Klingonen besteht und sich auf einer
Rettungsaktion befindet. Meyer malte sich aus, wie Uhura, von
Stapeln staubiger alter Bücher umgeben, an ihrer Konsole sitzt
und verzweifelt auf der Suche nach den richtigen Worten
herumblättert. Zuerst protestierte ich. Bücher im
dreiundzwanzigsten Jahrhundert? Auf dem Raumschiff
Enterprise? Vielleicht auf einer CD-ROM. Von mir aus auch
Microfilm! Aber Meyer, der mich mittlerweile gut genug
kannte, erwiderte müde: »Nichelle, tun Sie es einfach und
vertrauen Sie mir, ja?«
Ich hielte inne und unterdrückte ein Kichern. Schließlich war
es der letzte Film. Ignorierten wir also die Tatsache – natürlich
würden die Trekker uns nicht damit durchkommen lassen –,
daß Kirk im dritten Film genügend Klingonisch sprach, um
sich an Bord eines Klingonenkreuzers beamen zu lassen. Oder
daß die Klingonen die englische Sprache so sehr gemeistert
hatten, daß General Chang (gespielt von Christopher Plummer)
während des Essens Shakespeare zitiert (den man Kanzler
Gorkon – David Warner – zufolge am besten im klingonischen
Original genießt). Ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mich
freute, daß es Uhura war – und nicht der Chefingenieur oder
der Wissenschaftsoffizier –, die auf die richtige Idee kam, wie
man den getarnten Klingonenkreuzer aufspüren und zerstören
konnte. »Das Ding muß doch ein Auspuffrohr haben, oder
nicht?« schloß Uhura. So war es dann auch tatsächlich, und so
rettete Uhura nicht nur die Enterprise, sondern auch die
Hoffnung auf intergalaktischen Frieden.
Falls dies, wie Kirk in der letzten Szene sagt, »die letzte
Reise unter meinem Kommando« war, so war es mit Sicherheit
ein Ende mit Stil. Vielleicht hatten wir auch das ›letzte Mal‹
schon so oft erlebt, daß sich das Gefühl, dies sei nun
tatsächlich das Ende, sich nicht einstellen wollte. Wir fuhren
direkt vom Set zu einem Interview für Good Morning America
und danach zu einer wunderschönen Party, wo es eine Menge
Umarmungen und Küsse gab. Man konnte sich unmöglich
vorstellen, daß Star Trek, wie wir es kannten, gehegt und
geliebt hatten, aus irgendeinem Grund enden sollte. Und dann
kam der Tag in jenem Oktober, an dem Gene starb.
Star Trek VI trug die Widmung ›Für Gene Roddenberry‹,
aber tatsächlich hatten wir alles, was wir je getan hatten, für
Gene getan. Und obwohl einige unter uns sind, die dies
bestreiten würden, gab es in Genes Universum niemanden und
nichts, was je so wichtig sein würde oder war wie er.
∗
Mit Pollyanna bezeichnet man eine übertrieben optimistische Person, nach
einer Romangestalt des amerikanischen Autors E. H. Porter; Anm. d. Übers.
auch nicht mit dir sprechen wollte? Und warum Walter nicht
mit dir sprechen will? Spricht George mit dir?«
»Ja, natürlich. Tatsächlich hatten er und ich eine nette
Unterhaltung…«
»Ja, Bill, weil George der geborene Diplomat ist. Wußtest du,
daß er Politiker war?«
»Ich habe erstaunliche Dinge über ihn erfahren!« sagte Bill,
und ich dachte: Wie konnte dir nach all diesen Jahren
entgehen, daß George Delegierter bei der Versammlung der
Demokraten oder überhaupt politisch aktiv war?
»Ganz genau! Ich weiß das seit der Serie damals – das ist
fünfundzwanzig Jahre her. Walter, Jimmy, Dee, sogar Leonard
wußten das. Wir kannten uns, aber du hast nichts von uns
gewußt. Und wir haben nichts von dir gewußt.«
Ich glaube, ich hätte an diesem Punkt aufgehört, aber dann
erwiderte Bill: »Ach ja?« Er lachte abschätzig. »Und womit
genau habe ich dich auf die Palme gebracht?«
Mann, dachte ich. Wo soll ich da anfangen? Die
zusammengestrichenen Dialoge? Die gestrichenen Szenen?
Die Textänderungen in der letzten Minute? Die Wutanfälle?
»Bill, du hast dich immer sehr unsensibel benommen. Du
hast dich um deine Karriere bemüht, aber das haben wir auch.
Wenn du Dialoge gekürzt und uns unsere Szenen gestohlen
hast, hast du uns als Menschen und als Schauspieler verletzt.
Daß du dich nicht mehr daran erinnerst oder es als unwichtig
abtust, macht es nur noch schlimmer.«
Bill nickte, anscheinend hatte er verstanden. In gewisser
Hinsicht hatte ich den Eindruck, zu ihm durchgedrungen zu
sein. Wir gaben uns einen Abschiedskuß auf die Wange, er
dankte mir und ging. Als Monate vergingen, ohne daß ich von
ihm hörte, ging ich davon aus, daß er mein Material nicht
benutzt hatte, und als ich die Einladung erhielt, Thanksgiving
in seinem Strandhaus in Malibu zu verbringen, glaubte ich, daß
einiges von dem, was ich ihm an diesem Tag gesagt hatte,
einen Eindruck hinterlassen hatte. Vielleicht wollte er sich ja
doch noch der Familie anschließen.
In der Woche vor Thanksgiving erhielt ich Anrufe von
Freunden, die wissen wollten, ob ich die Einladung annehmen
würde. Ja, sagte ich, aber woher wißt ihr das? Sie hatten Bill in
einer Late-Night-Show gesehen, und er hatte es dort erzählt.
Ich verstand nicht, warum ihm das wichtig genug war, um es
landesweit im Fernsehen zu verkünden, bis mir mein guter
Freund Allen Crowe erzählte, daß Arsenio Hall sein Interview
mit der Frage begonnen hatte: »So, so, Nichelle Nichols haßt
Sie also?« Worauf Bill erwiderte, er würde es nicht hoffen, da
ich am Donnerstag zu ihm zum Essen käme.
Bills Sekretärin hatte jeden Tag angerufen, um sich zu
vergewissern, ob ich auch tatsächlich kommen würde, was mir
komisch vorgekommen war, da es sich nicht um eine
Dinnerparty sondern nur um ein Büfett handelte. Dann fing
mein Telefon an zu klingen. »Was halten Sie von Bill Shatners
Buch?« fragten die Reporter. Ich hatte die mit Autogramm
versehene Ausgabe, die Bill mir geschickt hatte, noch nicht
gelesen, aber aus den Fragen schloß ich, daß dort etwas stand,
das mir nicht gefallen würde. Doch ich verließ mich noch
immer auf Bills Wort, und da allgemein bekannt ist, wie gern
die Medien alles aufbauschen, bestätigte ich, daß Bill mich
wütend gemacht hatte, und ja, der Kuß hatte tatsächlich
stattgefunden, und nein, nicht ganz genauso, wie Bill es im TV
Guide erzählt. Also hat er sich bei zwei Dingen vertan, dachte
ich. Was soll’s.
Als ich mit einem Freund bei Bills Haus ankam, war keiner
der anderen aus der Stammbesetzung da, was mich dann doch
überraschte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, in Bills
Haus eingeladen worden zu sein, ohne daß zumindest einer der
anderen auch dagewesen war. Er begrüßte mich. »Wie läuft
das Buch?« fragte ich.
»Es verkauft sich wie warme Semmeln«, erwiderte er. »Aber
wo ich auch hinkomme, jeder fragt mich nach dir.«
Da ich das Buch, wie gesagt, noch nicht gelesen hatte,
mißverstand ich ihn gründlich. »Ja, wie ich gehört habe, weiß
die ganze Welt, daß ich heute zum Essen eingeladen bin.«
»Tja, ich dachte, es sei an der Zeit, die ganze leidige
Angelegenheit endlich zu begraben.«
Die was? Wenn ich nun zurückblicke, erkenne ich, daß Bill
so ichbezogen und dickfellig war wie eh und je. Die
öffentliche Reaktion auf seine Version unserer Unterhaltung –
die er, wie Sie sich erinnern werden, versprochen hatte, nicht
zu veröffentlichen – überraschte ihn. Als ich sein Buch dann
endlich las, dämmerte es mir, daß er mich nur aus einem
Grund eingeladen hatte. Er konnte dann nämlich allen
Reportern in Zukunft sagen: »Hey, wie schlimm soll das alles
gewesen sein? Nichelle war Thanksgiving bei mir!«
Ich war mehr als nur aufgebracht über Bills Buch. Kein
Wunder, daß ich seine Kommentare nicht wie versprochen
lesen durfte. Ich vermute, ich sollte vorher nicht erfahren, daß
in seinem Buch seitenweise angebliche Zitate von mir stehen,
die buchstäblich alle aus dem Zusammenhang gerissen sind.
Seine Haltung Gene und dem Rest der Stammbesetzung
gegenüber – mit Ausnahme von Leonard – war herablassend,
und seine Darstellung mehrerer Ereignisse war einfach falsch,
ganz besonders was unsere Kußszene betraf. Ich habe keinen
Wutanfall bekommen, wie Bill es behauptet. Und wir haben
uns richtig geküßt und nicht simuliert. Ich könnte hier endlos
weitermachen, aber es reicht, wenn ich sage, dies ist meine
Widerlegung seiner Verzerrungen und direkten Lügen.
Eine Passage, die mich ganz besonders geärgert hat, war die,
in der Bill meine Beziehung zu Gene beschreibt – ein Thema,
über das ich niemals mit ihm gesprochen habe! Es schmerzte
mich, lesen zu müssen, ich hätte Genes ›Appetit‹ als
›unersättlich‹ beschrieben, was dann so hingebogen wurde, als
würde ich damit auf Genes Sexualität anspielen. Als ich mein
Buch verkauft hatte, war dieses ›Zitat‹ bereits durch die ganze
Presse gegangen. Ein paar ausgesuchte Toplektoren hatten
mein Konzept unter dem Siegel der Verschwiegenheit erhalten.
Irgend jemand hatte sich diesem Wunsch dann absichtlich
widersetzt. Ein Satz aus dem Konzept, in dem ich schrieb,
Gene hätte einen »unersättlichen Appetit auf das Leben«
gehabt – nicht auf Sex –, tauchte plötzlich überall auf, wurde
aber irreführenderweise als eine sexuelle Anspielung
interpretiert.
Es ist zwar traurig, daß Klatschkolumnisten und
Boulevardzeitungen so etwas mit Begeisterung aufnehmen und
veröffentlichen, aber auch keine Überraschung. Doch als
Prominenter weiß Bill, wie die Medien funktionieren.
Angesichts der jahrzehntelangen Diskretion, meiner
Zurückhaltung ihm gegenüber, über Gene zu sprechen, und
dem anzüglichen Ton des ›Zitats‹ war ich der Meinung, daß
Bill mich anstandshalber wenigstens hätte fragen können, ob
dies nun der Wahrheit entsprach. Natürlich war das nicht
passiert, und es schmerzte mich tief, solch einen Unsinn in
seinem Buch lesen zu müssen.
Etwa zur selben Zeit hörte man im Studio eine Menge Gerede
über einen siebten Star Trek-Film. Ursprünglich sollte die
klassische Stammbesetzung mit den Darstellern von The Next
Generation zusammentreffen, deren Serie Anfang 1994
eingestellt wurde. Es zirkulierten mehrere Drehbuchentwürfe,
und obwohl ich nie eins davon in die Hände bekam,
versicherten mir mehrere Freunde, unsere Rollen seien sehr
klein. Dann entschied sich Paramount, nur Bill, Leonard und
Dee zu nehmen. Als die Produktion endlich begann, stellte
man Bill schließlich Walter und Jimmy zur Seite, nachdem
Dee und Leonard sich kategorisch weigerten. George und ich
wurden gar nicht erst gefragt.
Ich saß gerade an diesem Kapitel, als mich Walter Koenig
anrief. »Ich weiß, du arbeitest an deinem Buch, Nichelle, und
ich dachte, du würdest es gern wissen wollen.« Dann
berichtete er mir von einem Zwischenfall, der sich bei den zu
dieser Zeit gerade stattfindenden Dreharbeiten zum siebten
Star Trek-Film zugetragen hatte. Anscheinend hatte Whoopi
Goldberg erst am Drehort erfahren, daß Uhura nicht in dem
Film vorkam. Whoopi, die sich stets freimütig zu der
Inspiration bekannt hat, die Uhura, Gene, Star Trek und ich als
schwarze Schauspielerin für sie darstellten, war außer sich vor
Wut gewesen. »Wo zum Teufel ist Nichelle?« hat sie laut
Walter gesagt. »Die Fans haben Jahre darauf gewartet,
Nichelle und mich – Uhura und Guinan – zusammen auf dem
Bildschirm zu sehen.«
Gott segne diese wunderschöne Frau. Es erfüllt mich mit
Stolz, sie Freundin nennen zu dürfen.
Natürlich ist alles möglich, und ich kann nicht mit Sicherheit
sagen, daß ich eine weitere Chance ausschlagen würde, an
Bord der Enterprise gebeamt zu werden, selbst wenn Captain
Kirk am Ruder steht. Doch was Bill persönlich angeht, muß
ich mit einigem Bedauern und mittlerweile tief verletzten
Gefühlen sagen: »Dieser Kommunikationskanal ist
geschlossen. Uhura Ende.«
Ich glaube fest an das alte Sprichwort, daß sich am Ende des
Lebens der Kreis schließt; es ist eine meiner
Lieblingsweisheiten, die auf der ganzen Welt zu finden ist,
vom alten China bis nach Chicago. Allerdings sehe ich das
persönlich etwas anders. Ich glaube, daß wir uns statt in einem
Kreis zu bewegen und immer weder zu demselben
Ausgangspunkt zurückzukehren, eine unendliche Spirale
entlangbewegen, die unserer grundlegenden physischen
Struktur gleicht – der Spirale des DNA-Moleküls. Erreichen
wir den Ausgangspunkt, befinden wir uns auf einer anderen
Ebene, die hoffentlich eine Etage höher liegt.
In diesem Buch habe ich einige der interessanteren Ereignisse
meines Lebens in Gedanken wieder lebendig werden lassen
und niedergeschrieben. Jedoch hoffe ich, daß Uhura mehr als
das bietet. Ich hoffe, daß das Buch etwas bewirkt, das mit
meinem Glauben an die kontinuierlich nach oben führende
Lebensspirale in Einklang steht. Nun habe ich, da ich die
Tradition weiterführen möchte, eine Figur der Zukunft
erschaffen: ein sehr eigenständiges, abenteuerliches und
positives intergalaktisches Rollenmodell. Ich habe sie Saturna
genannt, nach dem Planeten, unter dessen Einfluß ich stehe.
Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts zur Welt
gekommen, ist Saturna das Kind von Tetrock, einem
Fazisianer, und Nyota Domonique, einer irdischen Frau. Die
beiden sind die jeweiligen Leiter interplanetarischer
Expeditionen, die sich auf Titan, dem größten Saturnmond,
begegnen und verlieben. Ihre wissenschaftlichen Experimente
und Saturnas Zeugung verstoßen gegen die Gesetze ihrer
beider Welten, und so wird Saturnas Existenz das gefährliche
Geheimnis eines alten Faszisianers namens Krecis, der sie
aufzieht.
Saturnas Abenteuer beginnen in Saturn’s Child, meinem
ersten Roman, der in naher Zukunft bei Putnam erscheinen
wird und in Zusammenarbeit mit der bekannten Science
Fiction-Autorin Margaret Bonanno entstanden ist. Auch wenn
ich es bin, die dies (schamlos!) sagt: Saturna verspricht die
aufregendste weibliche Romanfigur zu werden, die die Welt
der Science Fiction seit Robert Heinleins Friday (da wir von
Kreisen und Spiralen gesprochen haben; wie mir Heinlein
erzählt hat, wurde ihre Erschaffung von Uhura inspiriert)
gesehen hat.
Sie wird Ihren Quadranten besuchen, bevor Sie
Desoxyribonukleinsäure sagen können! Halten Sie nach Ihr
Ausschau, während sie im einundzwanzigsten Jahrhundert das
kontinuierlich fortsetzt, was in Uhura seinen Anfang
genommen hat.
Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen – es ist Zeit, nach
oben gebeamt zu werden! Vielen Dank, daß Sie an dieser
Reise teilgenommen haben.
DANKSAGUNG