Sie sind auf Seite 1von 3

100 Jahre Groß-Berlin: Jetzt muss

zusammenwachsen, was zusammen-


gehört
Stephan Wiehler

01.10.2020

Berlin kann in der Krise wachsen – und sogar über sich hinaus-
wachsen. Zumindest historisch ist dafür der Beweis erbracht. Heute
vor 100 Jahren, am 1. Oktober 1920, trat das Gesetz zur Bildung
Groß-Berlins in Kraft. Über Nacht verdoppelte die deutsche Reichs-
hauptstadt mit der Eingemeindung von bis dahin sechs kreisfreien
Städten, drei umliegenden Landkreisen, Dutzenden zuvor selbst-
ständigen Gemeinden und Gutsbezirken seine Einwohnerzahl auf 3,8
Millionen und stieg in die Liga der Weltstädte auf.
Der Kraftakt gelang unter denkbar schwierigen Bedingungen. Die
junge Weimarer Republik, durchgeschüttelt von politischen Un-
ruhen, ächzte unter der Milliardenlast von Kriegsschulden. Die
maßgebliche, relativ knappe Mehrheit für das Groß-Berlin-Gesetz
erlangten die in SPD und USPD gespaltenen Sozialdemokraten in
der entscheidenden Abstimmung der verfassungsgebenden
preußischen Nationalversammlung im April 1920 mit Stimmen der
linksliberalen DDP – gegen das konservative Lager, das eine Über-
macht des „roten Berlin“ in Preußens Kernland Brandenburg
befürchtete.
Heute wächst die Hauptstadtregion wieder. Und mehr denn je gilt in
der globalisierten Welt: Die Zukunft liegt in den Metropolregionen.
Die Metropolregion ist längst zu einem gemeinsamen Wirtschafts-
raum verschmolzen. Hunderttausende Berufspendler passieren
täglich die Landesgrenze, in beide Richtungen. Unter dem Druck der
Wohnungsnot und hoher Immobilienpreise suchen immer mehr
Berlinerinnen und Berliner das Weite und finden neue Perspektiven
im Brandenburger Umland, auch über den Speckgürtel hinaus. In-
zwischen beleben junge Familien aus der Hauptstadt wieder Dörfer
und Kleinstädte, die schon als abgeschrieben galten. Berlin und
Brandenburg können nur gemeinsam wachsen.

Serie "75 Visionen für Berlin": Vielfalt


und Freiheit sind der Grundstock einer
lebenswerten Zukunft
 
Michael Müller
 
01.10.2020

Gastautor Michael Müller (SPD) ist Berlins Regierender Bürgermeister,


Wissenschaftssenator und Vorsitzender der Berliner SPD.

Berlin ist für viele Menschen aus aller Welt seit Jahren ein Sehn-
suchtsort. Oder anders gesagt: Berlin ist Vision. Nicht eine, sondern
die vielen Visionen der Menschen, die diese Stadt lieben und hier ihr
Glück finden. Und Berlin ist dabei vor allem die Stadt der Freiheit.
[Im Mittelalter, als Nürnberg die Metropole war, hieß es: Stadtluft
macht frei.]
Als Erstes ist Berlin als Stadt der Freiheit das Versprechen der Viel-
falt. Hier kann jeder Mensch seinen eigenen Lebensentwurf verwirk-
lichen. Egal, woher er kommt, woran er glaubt, wen er liebt und wie
er lebt. Einzige Bedingung ist auf der Grundlage der Regeln unseres
Zusammenlebens: andere genauso zu respektieren, wie man selbst
respektiert werden will. Damit ist Berlin einzigartig.
Die Freiheit der Wissenschaft ist Grund dafür, dass für viele Wissen-
schaftler Berlin die erste Wahl ist, wenn es darum geht, in einem
spannenden und freien Umfeld Neues und Großes zu denken und
immer öfter auch gemeinsam mit kleinen und großen Unternehmen
umzusetzen.
Es sind die kleinen und die großen Labore und Think Tanks, die beim
intellektuellen Stromern durch die Stadt ein Gefühl dafür geben, wie
wir unsere Zukunft gestalten können, was wir brauchen und was
nicht, wie wir leben wollen und dass urbanes Glück mehr ist als ein
Dach über den Kopf, ein gutes Gehalt und eine passgenaue Infra-
struktur. Theater, Clubs, Museen, Galerien, Lesungen, Debattenforen,
Universitäten, Institute, Seen und Gärten, kurze Wege, die Stamm-
kneipe an der Ecke, der Lieblingsitaliener und eine Urban-
Gardening-Ecke– das alles und noch viel mehr gehört zum Berliner
Lebensgefühl.

Das könnte Ihnen auch gefallen