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Gegen diesen Widersacher der Vernunft erhob sich eines Tages, es war um die neunte Stunde,

eine lebhafte Vorstellung in mir, in welcher mir schien, ich sähe die verklärte Beatrice in dem
blutroten Gewände, in welchem sie meinen Augen zum erstenmal erschienen war; und sie
erschien mir jung, ungefähr in dem Alter, in welchem ich sie zum erstenmal gesehen hatte.

Da begann ich über sie nachzusinnen, und als ich sie mir in der Reihenfolge der vergangenen
Jahre vorstellte, fing mein Herz an, schmerzliche Reue über
das Verlangen zu empfinden, von dem es einige Tage so
schwach gewesen, sich aller Standhaftigkeit der Vernunft
entgegen beherrschen zu lassen. Und nachdem diese arge
Begierde also ausgetrieben war, wandten sich alle meine
Gedanken wieder ihrer holdesten Beatrice zu ; und ich sage,
daß ich von Stund* an mit so ganz beschämtem Herzen an
sie zu denken begann, daß meine Seufzer dies vielfach ver*
rieten, indem sie alle enthauchend gleichsam aussprachen,
an was das Herz dachte, nämlich an den Namen jener Hol*
desten und wie sie von uns geschieden. Und oft kam es
vor, daß ein Gedanke soviel Schmerz in sich barg, daß ich
ihn und alles um mich her vergaß. Mit den neuentfachten
Seufzern brachen auch die zurückgehaltenen Tränen wieder
hervor, dermaßen, daß meine Augen zwei Dinge zu sein

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schienen, die nichts wollten als weinen; und oft geschah es,
daß infolge des unaufhörlichen Weinens um sie herum eine
Rötung entstand, wie sie aufzutreten pflegt, wenn einer
Folterqualen erduldet. Daraus erhellt, daß sie für ihr eitles
Trachten den gebührenden Lohn erhielten und von da an
niemanden mehr anschauen konnten, dessen Anblick sie
zu einem ähnlichen Trachten hätte verleiten können.

Nun wollte ich, daß jener frevle Wunsch oder eitle Ver*
suchung so ausgetilgt erscheinen solle, daß auch die vorher
verfaßten Gedichte darüber keinen Zweifel aufkommen
ließen. Und darum beschloß ich, ein Sonett zu dichten und
darin das hier Erzählte zusammenzufassen, und begann:
»Ach, all den Seufzern, die da ausgegangen.« »Ach,« sagte
ich, weil ich mich schämte, daß meine Augen in solcher
Eitelkeit befangen gewesen.

Ich teile das Sonett nicht ein, weil sein Inhalt es genügend
erklärt.

Ach, all den Seufzern, die da ausgegangen


von den Gedanken, die im Herzen wohnen,
erlagen meine Augen. Unvermögend
sind sie, den wahrzunehmen, der sie anblickt.
Sie sind nun so, daß sie zwei Wünschen gleichen:
zu weinen, und den Schmerz zu offenbaren;
und oftmals weinen sie so arg, daß Amor
mit einem Marterkranze sie umrandet.

All die Gedanken und erpreßten Seufzer,


sie wirken so beklemmend auf mein Herze,
daß drin der Liebesgeist vor Leid verkümmert.

Denn in sich tragen diese Gramerfüllten


Madonnas süßen Namen eingeschrieben
und vieles, was von ihrem Tode sagt.

6 Dante / 81

4o

Nach dieser Kümmernis [es war zu der Zeit, da viel Volk


hinzog, um das geweihte Bild zu schauen, welches uns
Jesus Christus hinterließ als ein Abbild seines herrlichen
Angesichtes, das meine Herrin nun als Verklärte anschaut]
geschah es, daß einige Pilger durch eine Straße gingen, die
fast mitten in der Stadt liegt, in der die holdeste Herringe*
boren war, lebte und starb. Sie schienen ganz in Gedanken
vertieft einherzugehen, und darum folgten ihnen meine Ge*
danken, und ich sprach zu mir selber: »Die Pilger da
scheinen aus einem fernen Lande zu kommen; ich glaube
kaum, daß sie je von dieser Herrin haben reden hören; sie
wissen nichts von ihr und denken wohl auch an ganz andere
Angelegenheiten als die hiesigen; vielleicht weilen ihre Ge<
danken bei Freunden in der Ferne, von denen wir hier
nichts wissen.« Und weiter dachte ich mir: »Wenn sie aus
einem Nachbarlande wären, dann würden sie einigermaßen
erschüttert aussehen, während sie mitten in dieser trauers
vollen Stadt einherwandern.« Dann sagte ich mir: »Könnte
ich sie ein wenig aufhalten, ich würde sie gewiß zum Weinen
bringen, denn ich wüßte ihnen Dinge zu erzählen, die
jeden, der sie hört, zu Tränen rühren müßten.« Als sie meU
nen Blicken entschwunden waren, gedachte ich ein Ge*
dicht zu machen, dessen Inhalt mein Selbstgespräch sein
sollte ; und damit es recht mitleiderregend klänge, wollte
ich es so abfassen, als wenn ich mit ihnen gesprochen hätte.
Und so dichtete ich das Sonett »O Pilger, die ihr in Ge«
danken geht«.

Pilger sage ich in der weiteren Bedeutung des Wortes, denn


man kann es in zweifachem, in engerem und weiterem Sinne
verstehen. In weiterem Sinne ist jeder außerhalb seines
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Vaterlandes ein Pilger ; in engerem Sinne heißt aber nur der


ein Pilger, der zum Hause von Sankt Jakob wallfahrt oder
von dort zurückkehrt. Man muß aber wissen, daß Leute,
die zum Dienste des Allerhöchsten wallfahren, in Wirk*
lichkeit auf dreierlei Art benannt werden. Sie heißen Palm*
träger (palmieri), wenn sie über das Meer ziehen und von
dort Palmen mitbringen. Sie heißen Pilger (peregrini), wenn
sie zum Hause von Galizien wallen, weil das Grab des hei*
ligen Jakob seinem Vaterlande entfernter lag, als das irgend*
eines anderen Apostels. Romfahrer (romei) nennt man sie,
wenn sie nach Rom ziehen; dorthin wanderten auch die,
welche ich Pilger nenne. —

Ich teile das Sonett nicht ein, weil sein Gedankengang es ge»
nügend erklärt.

O Pilger, die ihr in Gedanken geht,


vielleicht an Dinge in der Ferne denkend,
kommt ihr von einem Volk entlegner Heimat,
wie ihr durch eure Miene gebt den Anschein?

Denn trocknen Auges schreitet ihr umher


inmitten dieser Stadt, die voller Trauer,
und gleichet Leuten, die, wie's scheint, kein Wort
von ihrem herben Schicksal noch vernommen.

Wenn ihr verweilen wollt, mich anzuhören,


— gewiß, das Herz der Seufzer sagt es mir —
ihr werdet unter Tränen sie verlassen.

Sie hat verloren ihre Beatrice,


und jedes Wort, das man von ihr auch sage,
vermag dem Hörer Tränen zu entlocken.

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41

Darauf sandten zwei edle Frauen zu mir mit der Bitte, ich
möge ihnen einige meiner Gedichte senden. In Anbetracht
ihres vornehmen Standes war ich gewillt, dies zu tun und,
um ihrer Bitte in möglichst ehrender Weise zu willfahren,
noch etwas Neues zu dichten und mitzusenden. Ich ver*
faßte dann ein Sonett, welches berichtet, wie es um mich
stand, und schickte es ihnen zusammen mit dem vorstehen*
den und noch einem anderen, welches anfängt: »O kommt
und wollet doch, ihr edlen Herzen«. Das Sonett, welches
ich nun dichtete, beginnt mit den Worten: Ȇber die
Sphäre«.

Dieses Sonett enthält fünf Teile. Im ersten sage ich, wohin


mein Gedanke zieht, den ich mit dem Namen einer seiner
Wirkungen benenne; im zweiten sage ich, warum er empor*
zieht, d. h. wer ihn dazu veranlaßt; im dritten sage ich, was er
sieht, nämlich eine Frau, die dort oben geehrt wird; und da
nenne ich ihn einen pilgernden Geist, weil er geistigerweise
dort hinauf wandert und einem Pilger gleicht, der dort außer*
halb seiner Heimat ist; im vierten Teil sage ich, daß er sie so
sieht, d.h. in solcher Bedeutung, daß ich es nicht zu begreifen
vermag; und das will sagen, daß mein Gedanke von dem
Werte dieser Frau dermaßen erhoben wird, daß es
mein Verstand nicht fassen kann, weil nämlich unser
Verstand sich zu jenen benedeiten Seelen verhält, wie unser
schwaches Auge zur Sonne [und das lehrt uns der Philosoph
im zweiten Buch der Methaphysik] . Im fünften Teil sage ich,
daß, wenngleich ich nicht zu erkennen vermag, wo*
hin mich der Gedanke entrückt — nämlich bis zu
ihrer wunderbaren Eigenschaft — ich doch wenig»

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stens soviel verstehe, daß alles dies das Denken


meiner Herrin ist, denn ich fühle oft ihren Namen in
meinem Gedanken. Am Ende dieses fünften Teiles sage ich
»liebe Frauen«, um zu zeigen, daß es Frauen sind, zu denen
ich rede. — Der zweite Teil fangt an: »Ein neues Denken«;
der dritte: »Ist er dort angelangt«; der vierte: »Er schaut sie
so«; der fünfte: »Ich weiß, er spricht«. — Man könnte das
Sonett noch eingehender verständlich machen; aber man kann
mit dieser Einteilung auskommen, und deshalb sehe ich von
weiterem Einteilen ab.

Über die Sphäre, die am weitsten kreiset,


schwingt sich der Seufzer, den mein Herz entsendet:
Ein neues Denken, das ins Herz die Liebe
als Ansporn legte, dränget ihn nach oben.

Ist er dort angelangt, wohin ihn sehnet,


dann sieht er eine Frau, die hoch geehrt wird
und also leuchtet, dass ob ihres Glanzes
der Pilgergeist voll Staunen sie betrachtet.
Er schaut sie so, dass, wenn er mir's berichtet,
ich's nicht erfasse; so tiefsinnig spricht er
zum trüben Herzen, das ihn reden heißt.

Ich weiß, er spricht von jener Hehren dort,


denn er erinnert oft an Beatrice,
so daß ich es wohl fasse, liebe Frauen.

42

Nach diesem Sonett ward mir eine wunderbare Vision, in der


ich Dinge sah, die den Vorsatz in mir erweckten, nichts mehr
von dieser Benedeiten zu sagen, bis ich in würdiger Weise
von ihr zu sprechen vermöchte. Um dies zu erreichen, be*
mühe ich mich, so sehr ich vermag, wie sie wahrlich weiß.
So daß — wenn es dem, durch den alles lebt, gefallen mag,
daß mein Leben noch einige Jahre währe — ich von ihr zu
sagen hoffe, was noch nie von einer Frau gesagt wurde.

Und dann möge es dem, der der Herr aller Huld ist, ge»

fallen, daß meine Seele von hinnen gehe, zu schauen die

Herrlichkeit ihrer Herrin, nämlich jener geweihten

Beatrice, die in Glorie das Antlitz dessen

schaut, qui est per omnia

saecula benedictus.

Amen

ERLÄUTERUNGEN

DIE EINTEILUNG DER VITA NUOVA

In ciascuna cosa, che ha dentro e di fuori,


è impossibile venire al dentro, se prima
non si viene al di fuori. (Convivio II, i)

Vor dreißig Jahren schrieb der verdienstvolle Danteforscher


Dr. G. A. Scartazzini : Das »Neue Leben« ist ein Kunstwerk,
aus Wahrheit und Dichtung so fein gewoben, daß es uns
Späteren nicht mehr möglich ist, mit einigermaßen sicherer
Hand die verschiedenen Fäden voneinander zu trennen und
die Grenzlinien zwischen Wahrheit und Dichtung zu ziehen.
Auf Grund meist innerer Erfahrung und Erlebnisse hat Dante
ein ideales, poetisches und zum Teil allegorisches Gebäude
aufgeführt; der Kern der Erzählung ist geschichtlich, die
Schale freie Schöpfung des dichtenden Geistes z . Ich kann
mich diesem Urteil, mit dem auch heute noch die Ansichten
der meisten Dantologen übereinstimmen, nur teilweise ans
schließen. Wahrheit und Dichtung lassen sich vielfach
scheiden, historisches und imaginatives Element sich tren*
nen, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß vorher
Klarheit über zwei Punkte gewonnen wurde: erstens über
die Anordnung und den Aufbau des kleinen Kunstwerkes,
und zweitens über die historische Persönlichkeit der beiden
geliebten Frauen, von denen es erzählt. Klarheit über den
letzteren Punkt läßt sich aus der Vita Nuova allein nicht
erzielen ; hier handelt es sich um ein streng gehütetes Ge*
heimnis, das sich erst dann erraten läßt, wenn man sich vor*
her mit den zwei späteren Werken des Dichters vertraut
gemacht hat: mit dem Convivio (Gastmahl) und der Com*
media (der Göttlichen Komödie), die beide derart orga*
nisch mit der Vita Nuova zusammenhängen, daß das Grund*
motiv der Commedia nicht ohne die Vita Nuova und diese
nicht ohne die Ergänzungen des Convivio und der Com*

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media richtig verstanden werden kann. Weniger Schwierig*


keiten macht der erste Punkt, den wir zunächst betrachten
wollen, das Äußere des Büchleins, seine Architektur und
Einteilung.

Der Form nach besteht das Werk aus einem Prosatexte, in


welchem einunddreißig Gedichte, die Dante unter seinen vie*
len, im Laufe von etwa zehn Jahren verfaßten Poesien ausge*
wählt hat, eingewoben sind. Es ist nun von dem Amerikaner
Chr. Eliot Norton die Beobachtung gemacht worden, daß
in der Anordnung dieses Stoffes eine eigentümliche Symme*
trie herrscht. Nimmt man nämlich die im Kapitel 23 enthal*
tene zweite Kanzone »Ein Mägdlein, teilnahmslos und jung
an Jahren« als Mittelpunkt des Ganzen an, so findet man
die erste und dritte Kanzone in gleicher Distanz von ihr.
Dazwischen stehen je vier Sonette. Vor der ersten und hin*
ter der dritten Kanzone sind wieder je zehn kürzere Ge*
dichte geordnet, so daß sich folgendes Schema ergibt: Zehn
kürzere Gedichte, eine Kanzone, vier kürzere Gedichte, eine
Kanzone, vier kürzere Gedichte, eine Kanzone, zehn kür*
zere Gedichte 4 . ( 10. 1 . 4. 1 . 4. 1 . 1 0.) — Nun sagt der Dichter
nach den zehn ersten Gedichten (im Kapitel 17), daß er jetzt
einen neuen Stoff für seine Dichtung wählen müsse, der
edler sei als der vorhergehende 5 . Ebenso spricht er aber auch
vor den zehn letzten Gedichten (genauer, vor der letzten
Kanzone, Kap. 30) von einem neuen Stoff, der später folge 6 .
Die Erwähnung von drei Stoffen oder Materien ist für das
Verständnis des Werkes insofern von größter Wichtigkeit,
als sie, die von Norton erkannte Symmetrie bestätigend und
ergänzend, den klaren Beweis liefert, daß der Dichter sein
Opus in drei Teile eingeteilt hat; und dies ist um so not*
wendiger zu wissen, als es unmöglich ist, den Inhalt zu ver*
stehen, wenn man seine Dreiteilung nicht beachtet: Es zeigt

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sich nämlich, daß jeder der drei Teile einabgeschlos*


senes Ganzes bildet, das seinen Stoff unabhängig
von den andern Teilen behandelt. Weiß man dies nicht,
so irrt man in dem architektonischen Bau herum, wie es all*
gemein geschieht 7 ; weiß man es, so kann man das Ganze
überschauen und die Einzelheiten ordnungsgemäß unter*
scheiden. Der erste, die zehn ersten Gedichte einschließende
Teil (Kap. 1—18) handelt von Dantes erster Liebe, die in*
folge einer zweiten Liebe in Vergessenheit zu geraten droht.
— Der zweite Teil, mit den drei Kanzonen und zwischen
ihnen stehenden je vier Sonetten (Kap. 19—31), singt das
Lob der ersten Geliebten, berichtet von ihrem Tode und be*
trauert ihr Hinscheiden. Der dritte Teil, mit den eingefloch*
tenen zehn letzten Gedichten (Kap. 32— 34), erzähltvon einer
zweiten Liebe, die aber schließlich als eine nur vorüber*
gehende Neigung und Verirrung hingestellt wird, und von
der Rückkehr der Gedanken zur ersten Liebe. — Soviel über
den Organismus und formalen Aufbau des Büchleins Vita
Nuova 8 .

Zum Verständnis des Inhaltes bedarf es vor allem einer


eingehenden Darlegung der Bedeutung der Hauptperson,
der hoch gefeierten Beatrice. Ich werde mich bemühen,
diese wichtigste Frage der Danteforschung in den folgen*
den Abschnitten so gemeinverständlich wie möglich und

in so gedrängter Kürze, als es der diffizile Gegenstand


erlaubt, zu beantworten.

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BEATRICE
»Guardaci beni ben sera, ben
sem Beatrice 1«

Wenn man alles überblickt, was Dante zuerst in der Vita


Nuova und später in der Commedia von Beatrice gesagt
hat, so wird man leicht ein mystisches Geheimnis erkennen,
das seine Dichterseele erfüllte; man wird aber auch ver«
stehen, daß das volle Verständnis beider Werke von der
Enthüllung dieses Geheimnisses abhängt. Wer war diese
rätselhafte Geliebte, »die rätselhafteste Frau der Weltlitera*
tur«, wie man sie genannt hat? Was ist die symbolische Be*
deutung dieses Wunderwesens, das in so innigem Kontakt
mit dem Göttlichen steht?

Schon gleich am Anfang der Vita Nuova ist sie von einem
gewissen Halbdunkel umgeben; der neunjährige Dante ver*
liebt sich in eine liebliche kleine Florentinerin von acht
Jahren, »die von vielen, die nicht wußten, wie sie zu nennen
sei, Beatrice genannt wurde.« Neun Jahre später erscheint
ihm diese sogenannte Beatrice und grüßt ihn so bedeutsam,
daß er glaubt, die höchste Glückseligkeit erreicht zu haben.
Bei dieser Gelegenheit hört er sie, die er so oft besucht
hatte, zum erstenmal reden (1). Von dem hörbaren Gruß
wird er in einen Wonnerausch versetzt, der ihn nach Hause
treibt, wo er in stiller Einsamkeit über sein Erlebnis nach«
denkt. In einer Vision sieht er den Herrn Amor, der die
schlafende Beatrice in seinem Arme hält, sie veranlaßt, das
glühende Herz ihres Verehrers zu verzehren, und dann
weinend mit ihr gen Himmel schwebt. Von da, von ihrem
siebzehnten oder achtzehnten Jahre an, geht eine merk*
würdige Veränderung mit Beatrice vor, die ihr Irdisches
gleichsam abstreift. Die Geliebte wird zu einem Engel in
Menschengestalt, zu einer Botschaft Gottes, die die Seele

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des Liebenden durch den Zauber ihrer leiblichen Schönheit


zu Ihm empor weist 9 . Aber nicht nur auf den Liebenden,
auf alle Menschen, die sie sehen, übt sie eine übernatür*
liehe Wirkung aus : wer sie anzuschauen vermag, der muß
sich »veredeln oder sterben«; von Gott hat sie die Gnade,
daß »niemand, mit dem sie sprach, zugrunde gehen« kann.
Sie stirbt im Alter von vierundzwanzig Jahren, nicht infolge
von Frost oder Hitze, sondern infolge ihrer großen Sanft*
mut; ihr selbstloses Wesen drang gleich einem Lichtstrahl
bis hinauf in den Himmel, dem nichts mangelte als ihr Be*
sitz, und der Ewige, der dieses sah, berief dieses »große
Heil« zu sich. Droben im Himmel vergeistigt sich die Schön*
heit, die hinieden die Menschen beglückt hatte, und strahlt
ein Licht der Liebe aus, das die Engel in staunende Wonne
versetzt. Am Schlüsse des Büchleins scheint sich die Ge*
liebte in der Strahlenglorie einer heiligen Frau aufzulösen,
und Dante sieht in einer wunderbaren Vision Dinge, die
ihn veranlassen, von dieser Geweihten nichts mehr zu
sagen, bis er es in würdigerer Weise als jetzt zu tun ver*
möchte; dann, so hofft er, wird er von ihr sagen, was
noch von keiner Frau gesagt wurde. — Hier knüpft sich
an den Schluß der Vita Nuova der Anfang der Comme*
dia, in welcher sich die mysteriösen Eigenschaften immer
mehr steigern.

Dort, im zweiten Kapitel des Inferno, steigt Beatrice von


ihrem Sitze im Himmel hinab in die Vorhölle zu Virgil und
sendet diesen Lieblingsdichter Dantes ihrem getreuen Ver*
ehrer, der, vom rechten Wege abgewichen, sich in dem fin*
steren Walde des weltlichen Lebens 10 verirrt hat, zu Hilfe.
Virgil führt Dante durch die Räume der Hölle und des Feg*
feuers bis in das irdische Paradies. Hier 11 erscheint eine
Frauengestalt, die Braut des Hohen Liedes (Sponsa de

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Libano) in einer, der Morgenröte gleichenden Blumen»


wölke, umtönt von Engelgesang, bekränzt mit Öllaub
auf dem weißen Schleier . . . unter grünem Mantel ge*
kleidet in die Farbe lebendiger Flamme. Von dieser Gestalt
geht eine geheime Kraft aus, die Dante die große Macht
der alten Liebe empfinden läßt, obgleich der Schleier,
der vom Haupt ihr wallte, sie noch nicht kenntlich ließ er*
scheinen. In königlicher, strenger Haltung spricht die Ver*
schieierte zu Dante: »Guardaci ben! ben sem, ben sem Bea*
trice!« (Schau uns wohl an' wohl sind wir, wohl sind wir
Beatrice!) Aus den herben Worten, die sie an Dante richtet,
erfahren wir, wovon die Vita Nuova nichts berichtet, daß
sie bei Lebzeiten dem jungen Dante ein religiöses Vorbild
gewesen und ihn dahin geführt, ein Gut zu lieben, darüber
man nichts Höheres kann erstreben. Er aber hatte nach dem
Hinscheiden der Geliebten den ihm von ihr gezeigten ge*
raden Weg verlassen; darum macht ihm Beatrice nun die
bittersten Vorwürfe :

»Wohl hielt ihn ein'ge Zeit mein Antlitz aufrecht;


ich ließ ihn schauen meine jungen Augen
und führt' ihn so mit mir in grader Richtung.

Doch als die Art des Lebens ich vertauschte,

bevor der zweiten Jugend Schwell' ich überschritten,


entzog sich dieser mir und gab sich andern.

Als ich vom Fleisch zum Geiste war erhoben,


und Schönheit mir und Kraft gewachsen waren,
ward ich ihm minder lieb und minder teuer.

Den falschen Weg betraten seine Schritte;


den Truggebilden folgte er des Glückes,
die niemals halten, was sie erst versprachen . . .«

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»Leg* ab die Träncnlast anjetzt, merk' auf


und höre, wie nach umgekehrter Richtung
dich mein begrabner Leib hart' drängen müssen:

Nie bot Natur dir oder Kunst die Wonne


wie diese schönen Glieder, die mich einstens
umschlossen und im Grabe nun vermodern.

Und wenn so hohe Lust dir ging verloren

durch meinen Tod, — welch sterblich Wesen durfte


dich noch verlocken, seiner zu begehren?

Beim ersten Pfeil der trügerischen Dinge


da hättest du empor dich schwingen müssen,
mir nach, die nicht zu ihnen mehr gehörte . . .«

Nach allem, was diese Beatrice sagt, müßte man sie für den
Geist der verstorbenen Geliebten halten, aber dann enthüllt
sie sich und legt damit alles menschlich Persönliche ab. Zuerst
entschleiert sie Dante die Schönheit ihrer Augen, in denen
sich die gott*menschliche Natur Christi spiegelt; und dann
entschleiert sie ihm ihren Mund und transfiguriert sich da*
mit in den Abglanz des ewigen lebendigen Lichtes, als weis
eher sie Dante durch die neun Sphären des himmlischen
Paradieses emporführt. Diese führende Beatrice ist »reine
Form«, ein immaterielles Wesen, dessen pneumatische Na*
tur der Dichter nur symbolisch mit strahlenden Augen und
lächelndem Munde zu verbildlichen vermag, jedoch immer
noch mit dem poetischen Schein einer geliebten Persönlich*
keit umgeben, ohne weichen die Beat ricegestalt allen Reiz ver*
lieren würde. Dieses geistige Lichtwesen wird zuletzt wie*
der zu einer Persöniclhkeit, zu einer heiligen Frau, die, von
Glorienschein umflossen, in die Anschauung Gottes ver*
senkt ist.

Gegenüber solcher ungreitbarer Um Wandlungsfähigkeit


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und Vielseitigkeit hat die Erklärung einen schweren Stand.


Eine Unmenge von Schriften gibt Zeugnis von dem For*
scherfleiß, der sich alle Mühe gab, das Beatricerätsel zu
lösen, und doch hat alle Anstrengung zu keinem endgül*
tigen, einwandfreien Ergebnis geführt. Zwei extreme Rieh*
tungen, die »Realisten« und die »Idealisten« streiten noch
immer darüber, ob Beatrice ein reales Menschenwesen oder
ein nur in der Seele und der Phantasie des Dichters exi*
stierendes Idealwesen sei. — Die Realisten betonen ein*
seitig die historische Existenz einer Florentinerin, die einst
Dantes Geliebte war und nach ihrem Tode von ihm in den
Himmel erhoben und mit göttlichen Eigenschaften ausge*
stattet wurde. Wäre diese Auffassung so richtig, wie sie
oberflächlich ist, so würde sie beweisen, daß Dante ent*
weder mit einer an Verrücktheit grenzenden Schwärmerei
psychisch belastet gewesen sei oder sich bei klarem Bewußt*
sein einer ungeheuerlichen Blasphemie schuldig gemacht
habe. Der bei all seiner souveränen Gestaltungskraft und
feurigen Dichterphantasie sehr klar denkende und kühl,
ja pedantisch überlegende Dante Alighieri hat seiner Jugend*
geliebten, wie weiter unten gezeigt werden soll, einen be*
scheidenen Platz in der vom höchsten Licht entferntesten
Seligkeitssphäre eingeräumt; er hätte sich aber nie und nim*
mer zu der tollen Überschwenglichkeit hinreißen lassen,
diese Frau, weil sie sich das Verdienst erworben hatte, vor
Jahren einmal von ihm geliebt worden zu sein, auf den
Siegeswagen der Kirche Christi zu stellen, sie als »Geliebte
des ersten Liebenden« (amanza del primo amante) zum
Symbol der göttlichen Weisheit zu machen, sie auf eigene
Faust zu kanonisieren und ihr eine Seligkeitsstufe gleich
nach der der Muttergottes anzuweisen. — Die Idealisten
betrachten Beatrice ausschließlich als Abstraktion, als eine

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aus der Phantasie des Dichters geborene Ideal gestalt, und


glauben durch einfaches Darüberwegsehen die geschieht«
liehe Realität der Geliebten Dantes, die in Florenz ge>
boren wurde, lebte und starb, beseitigen zu können. Veran*
lassung zu ihrer Auffassung konnte wohl die Commedia
geben, in welcher der Symbolismus der Beatrice zu deut*
lieh hervortritt, um angezweifelt zu werden, nicht aber die
Vita Nuova, in welcher Beatrice ein durchaus reales
Menschenkind von Fleisch und Blut ist, eine Florentinerin
und Christin des dreizehnten Jahrhunderts, die einen Vater
und einen mit Dante befreundeten Bruder hat, und die am
neunten Juni des Jahres 1290 stirbt; alles Dinge, die sich
herzlich schlecht mit einem Nursldealwesen vereinbaren
lassen. Mit ihren widersprechenden allegorischen Erklärun*
gen haben die Idealisten nichts Wertvolles geleistet; der eine
erklärte sie für die kaiserliche Monarchie, ein anderer für die
katholische Kirche, ein dritter für die aktive Intelligenz;
wieder andere sahen in ihr das Idealweib, die Theologie, die
sakrale Poesie, das himmlische Jerusalem oder Gemeinde
Christi, die beschauliche Erkenntnis, den Glauben, die Lehre
usw. — An das Nächstliegende, worauf der Bedeutungsname
Beatrice hindeutet, scheint niemand gedacht zu haben. —
Für die Erklärung kann es natürlich nur darauf ankorru
men, was Dante unter Beatrice verstanden hat, und nicht
darauf, wofür sie von anderen gehalten wird. Nun hat uns
aber Dante selber den Schlüssel in die Hand gegeben, der
die Pforte zu dem Beatricemysterium öffnet. Im Kapitel 29
der Vita Nuova spricht er von der Bedeutung, die die
Zahl Neun für Beatrice hatte; sie selber, sagte er, sei eine
Neun, und das sei so zu verstehen: Die Zahl Drei ist die
Wurzel der Neun, weil sie ohne eine andere Zahl, nur mit
sich selbst multipliziert, neun gibt [wie klar ersichtlich, da

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dreimal drei neun ist]. Demnach, wenn Drei durch sich selbst
Schöpfer der Neun ist, und ebenso der durch sich selbst her=
vorbringende Schöpfer der Wunder Drei ist — nämlich Vater,
Sohn und Hl. Geist, die drei und eins sind—, so war diese Frau
von der Zahl Neun begleitet, um verstehen zu geben, daß sie
eine Neun war, d. i. ein Wunder, dessen Wurzel einzig und allein
die wunderbare Dreieinigkeit ist. — An der Nichtbeachtung
dieses wichtigen Hinweises mußten alle Versuche, eine um*
fassende und endgültige Lösung des Problems zu finden,
scheitern. Aber merkwürdigerweise sind noch alle Forscher
(soweit mir bekannt) der Neunheit der Beatrice vorsichtig
ausgewichen; sei es, daß sie damit nichts anzufangen wuß*
ten, oder sei es, daß, wie Scartazzini 12 sagt, es uns Mo=
dernen so ferne liegt, über die Zahlensymbolik nachzudenken
und Schlüsse daraus zu ziehen, die damals als tiefsinnig gaU
ten, uns aber sehr sonderbar vorkommen. —

Ich meine, man müsse, um Dante zu verstehen, sehr ge*


nau über das nachdenken, worüber er nachgedacht hat, und
halte es für unwissenschaftlich, ein Eingehen auf seine
Zahlensymbolik a priori abzulehnen, weil diese einem Mo*
dernen sonderbar vorkommt. Dante hat die kabbalistische
und pseudo*dionysische Zahlensymbolik 13 vielfach in
seinem System verwandt, so in seinen als Analogien für die
Erklärung der Beatrice ungemein wichtigen Theorien von der
Emanation und Ordnung der neuen Lichtsubstanzen, ver*
mittelst deren Gott die Dinge erschafft und regiert.

So läßt Dante in der Commedia (Paradiso XIII, 52—63)


den hl. Thomas von Aquin von der schöpferischen
Liebe Gottes sagen:

Das, was nicht stirbt, und das, was sterblich ist,


ist alles nur ein Abglanz der Idee,

7 Dante 97

die liebend unser Herr aus sich erzeugt;


denn das lebend'ge Licht, das so von seinem Lichtquell

hervorgeht, daß es nie von ihm sich trennt

noch von der Liebe, die ihr Drittes ist,


vereinigt seine Ausstrahlung aus Güte

— gespiegelt gleichsam — in neun Lichtsubstanzen

und bleibt doch ewig in sich selber eins . . .

Die Vorbilder (Ideen) aller vergänglichen und unvergäng*


liehen Dinge ruhen von Ewigkeit her im »Sohn«, dem Lo*
gos, den der »Vater« durch den »Hl. Geist« (die Liebe) aus
sich erzeugt. Das von dem Lichtquell (dem Vater) ausstrah*
lende lebendige Licht des Sohnes ruft nicht alle Dinge un*
mittelbar in das kreatürliche Dasein, sondern strahlt deren
Ideen in neun Lichtsubstanzen ein, und erst das von diesen
aufgenommene Licht ist es, das, von Stufe zu Stufe schwä*
eher werdend, schärfend hinabsteigt »bis zu den äußersten
Möglichkeiten«, wo die in den Substanzen tätige Logos*
kraft im unvollkommenen Stoffe schließlich nur noch un*
vollkommene »Zufallsdinge« hervorzubringen vermag. —
Die Neunheit dieser schaffend wirksamen Sub*
stanzen ist demnach, — wie die Neunheit der Bea»
trice — »ein Wunder, dessen Wurzel die wunder*
bare Dreieinheit ist.«

An einer anderen Stelle der Commedia (Par. XXIX,


13—36) lehrt Dantes himmlische Führerin, wie die regie*
rende Liebe Gottes diesen neun Substanzen ihren geord*
neten Wirkungskreis anweist:

Nicht um damit ein Gut sich zu erwerben,


— was niemals sein kann —, nur damit ihr Lichtstrahl
zurückestrahlend sagen kann: »Ich bin«:

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erschloß sich, frei in ihrer Ewigkeit,

die Zeit nicht kennt noch räumliche Begrenzung,


die ew'ge Liebe in neun Lieben . . .

Ordnung und Zweck ward anerschaffen allen


Substanzen, und erhoben wurden jene
zur Welt, in welcher reine Form erzeugt ward;

Der reine Stoff nahm ein den untren Teil;


im Mittel bindet Form und Stoff zusammen
ein solches Band, das nimmermehr sich löset.

Die neun Lieben (oder Substanzen) sind zu verstehen als


die Intelligenzen (Ideen) von neun erschaffenen Engel*
chören, die nach dem göttlichen Weltplan, in drei Welten
verteilt, wirken und regieren : in einer oberen (himmlischen)
Welt der reinen Form, einer unteren (irdischen) Welt des
reinen Stoffes und in einer mittleren Welt, die die obere
mit der unteren unlösbar verbindet 14 .

Die ewige gesetzmäßige Ordnung, nach der sich die gött*


liehe Liebe in neun Liebessubstanzen betätigt, gilt wie für die
erschaffende und regierende, so auch für die beseli*
gen de Liebe; darum nennt Dante Beatrice eine Neun. Bea«
trice ist die poetische Personifikation der sich von Gott zu
den Menschen berabsenkenden Liebe. Als ein Abglanz des
von Gott unmittelbar in sie eingesenkten Lichtes kommt
sie vom Himmel hernieder und strahlt den Widerschein des
ewigen Lichtes als Liebe in die Herzen. Wen dieser Liebes*
strahl veredelt, dem ist sie eine Begleiterin, deren Macht
ihn auf dem rechten Wege aus der täuschenden Vielheit der
irdischen Dinge zu der nie trügenden Einheit der höchsten
Liebe emporführt. Als ein Wunder der Dreieinheit ist die
beseligende Liebe dreipersönlich, und jede ihrer drei Per*

7 . 99

sonen wirkt in ihrer »Welt«. Die Beatrice der Vita Nuova


ist verschieden von der Beatrice des irdischen Paradieses,
wie diese von der Beatrice des himmlischen Paradieses, und
diese drei Hypostasen der Liebe dürfen so wenig mitein*
ander verwechselt werden, wie die drei göttlichen Hypo*
stasen Vater, Sohn und Hl. Geist, die drei und eins sind. —
Dreipersönlich, und jede Person aus sich wiederum eine
Dreiheit schaffend, so tritt Beatrice, die beseligende Liebe,
klar und deutlich aus Dantes Dichtungen hervor, — eine
Neunheit von »Lieben«, wie sie dem Denker Dante vors
schwebte, und nicht mißzu verstehen für jeden, der die
Augen aufmacht.

Die Vita Nuova handelt vornehmlich von der in der Ge*


liebten inkarnierten irdisch*menschlichen Liebe. Diese irdi*
sehe Beatrice erweckt zwei Arten der Liebe, die der »un*
teren« Welt angehören. Zuerst erscheint sie Dantes Augen
in blutrotem Kleide, beseligend mit der natürlichen Liebe
des Herzens (cuore cioè l'appetito). Neun Jahre später er*
scheint sie in schneeweißem Gewände, veredelt in die be*
seligende Liebe der Seele (anima cioè ragione) 15 . Somit
bildet die irdische Liebe aus sich eine Dreiheit von Lieben:

DIE LIEBE ERWECKENDE PERSON, eine Beseligerin


menschlicher Natur;

DIE LIEBE DES HERZENS (symbolische Farbe Rot);

DIE LIEBE DER SEELE (symbolische Farbe Weiß).

Im irdischen Paradiese der Commedia kommt die


menschliche und göttliche Natur in sich vereinigende »Braut«
des Hohen Liedes (in der Theologie ein Symbol der mysti*
sehen Liebe der Seele zu ihrem himmlischen Bräutigam)

100

von oben herab, löst zuerst mit strafender Strenge Dante


von der Liebe zu irdischen und kreatürlichen Dingen los
und beglückt ihn dann, ihre Gottnatur enthüllend, mit der
allein wahren, ewigen Liebe. In dieser erlösenden Liebe der
mittleren (die obere mit der unteren verbindenden) Welt
bildet Beatrice die Dreiheit von Lieben :

DIE MYSTISCHE BRAUT, eine Beseligerin gott*


menschlicher Natur;

DIE LOSLÖSENDE, STRAFENDE LIEBE (symbo*


lisch: verscheiert) 16 ;

DIE ERHEBENDE, BEGNADENDE LIEBE (symbo*


lisch: entschleiert).
Im himmlischen Paradiese der Commedia ist Beatrice
eine Emanation aus dem Geiste Gottes, ein Abglanz des
göttlichen Lichtes, der den übermenschlichen (trasuma*
nato) Dante durch alle Sphären der himmlischen Welt bis
an die Schwelle des letzten Mysteriums geleitet. In dieser
Diva Beatrice ist nichts Menschliches, sie ist ein pneuma*
tisches Wesen göttlicher Art; die Lehre ihres »Mundes« ist
das Wallen des heiligen Flusses, der dem Quell der Weis*
heit entspringt, und ihre »Augen« überzeugen durch die
aus ihnen strahlende, erwärmende und belebende Liebe des
ersten Liebenden 17 . In der ob eren himmlischen Welt bildet
diese vergottende Beatrice die höchste Dreiheit von Lieben:

DIE PARADIESISCHE FÜHRERIN, eine Beseligerin


göttlicher Natur;

DIE CHERUBINISCHE WEISHEIT (Symbol der


Mund);

DIE SERAPHISCHE LIEBE (Symbol die Augen).

101

Diese Lösung des BeatricesRätsels ist weder das Produkt


subjektiver Phantasie, noch eine auf schulwissenschaftlichen
Maximen aufgebaute Hypothese. Da sie auf der einfachen
Wiederholung und ungekünstelten Anwendung dessen
beruht, was Dante in seinen Werken angedeutet und aus*
geführt hat, darf sie wohl mit Recht behaupten, Beatrice so
erklärt zu haben, wie Dante sie verstanden hat.

Der Dichter Dante hält sich nicht durchweg streng an


das System des Philosophen Dante. Um die hohe Beseli*
gerin nicht als trockenes gestaltloses Abstraktum und rein
begriffliche Intelligenz behandeln zu müssen, beläßt er ihr
auch noch im Paradiso den Reiz einer liebenden weiblichen
Persönlichkeit und Erinnerungsbildes der Geliebten 18 .
Diese poetische Verbindung des geliebten Weibes mit der
emporführenden ewigen Liebe, die Goethe in der Bea*
trice der Commedia vorgebildet fand, mag wohl die Anre*
gung zu den Schlußworten des »Faust« gegeben haben:

Das Ewig * Weibliche


zieht uns hinan.

Wenn im Vorstehenden Beatrice als die beseligende Liebe erklärt


wurde, so wird damit Amors Anteil an der Bedeutung Liebe nicht
geschmälert; aber Amor ist, im Unterschiede von Beatrice nicht
Beseliger, sondern Beseligung (beatitudo). In einem nicht in die
Vita Nuova aufgenommenen Sonett (Molti volendo dir, che fosse
Amore) nennt Dante Amor »ein sehnsuchtsvolles Leiden, eine ans
geborene Lust an der Schönheit«. Amor ist, wo er in der Vita
Nuova auftritt, eine allegorische Verkörperung des subjektiven
Liebesgefühles und damit ein dramatischer Interpret dessen, was
in Dantes Herzen vorgeht. Er spricht, lacht, weint, ist übermütig
oder niedergeschlagen und mutlos, zu unbesonnenen Liebeleien
geneigt oder verständig und überlegend. Die Liebe der höheren
Regionen ist nicht seine Sache, seine Herrschaft erstreckt sich nicht
über die diesseitige Welt hinaus. Sein Feld ist die irdische Liebe,

102

und darum trägt er auch deren Farben, gleich der irdischen Bea*
trice. Einmal (in der ersten Vision, Kap. 3) erscheint er feuerrot, als
Gefühl der Herzensminne, frohgemut, dann bitterlich weinend.
Ein andermal (in der zweiten Vision, Kap. 12) erscheint er in weis
ßem Gewand als Gefühl der Seelenminne, mitleidig, nachdenklich,
und guten Rat erteilend. — (Liebe als theologische Tugend ist
weder Beatrice noch Amor.)

DANTES ERSTE GELIEBTE

»Io fui nel mondo vergine sorella.«


Dante, der mit so eingehender Selbstbeobachtung seine
eigenen Liebesgefühle belauscht und mit so rückhaltloser
Offenheit alle Stimmungen und Erfahrungen seines Innen*
lebens in der Vita Nuova schildert, wird zurückhaltend und
schweigsam, wenn er von der Geliebten spricht. Wir er*
fahren kein einziges Wort, das die Jugendgeliebte zu ihm
gesprochen hätte, nichts von ihrem Gefühlsleben, nichts
von ihren Lebensverhältnissen, keine Silbe, ob sie ihm
Gegenliebe schenkte. Sie, die seinem Herzen am nächsten
stand, wird wie in weite Ferne entrückt, wenn er von ihr
spricht; es ist als ob er in ihrer irdischen Erscheinung nur
das Wesen der überirdischen Liebe gesehen hätte. — Er hat
ihr den Namen Beatrice gegeben, und niemand scheint bis
in die neuere Zeit hinein daran gezweifelt zu haben, daß
dies ihr wirklicher Name gewesen sei. Der Novellist Gio*
vanni Boccaccio, der eifrige Verehrer und Biograph Dan*
tes, dem die Signoria von Florenz, 52 Jahre nach dem Tode
des großen Dichters, das Amt übertrug, die Commedia zu
erklären, hatte es bestätigt, und so haben die späteren Com*
mentatoren einfach wiederholt, was er berichtet hatte. Zwei*
mal, in seiner Vita di Dante und in seinem Kommentar zur
Commedia, erzählt Boccaccio auf das Zeugnis einer glaub*
103

würdigen Person (fede degna persona) hin, daß ein ange*


sehener Florentiner, Folco Portinari, seine Nachbarn am
ersten Mai zu einem Frühlingsfeste in seinem Hause ver*
sammelt habe. Dahin sei auch Dantes Vater, und mit ihm
sein neunjähriger Sohn gekommen. »Unter den Kindern
aber war auch ein Töchterlein jenes Folco, Bice mit Namen
— denn so ward sie, statt mit dem eigentlichen Namen: Bea=
trice, genannt —, von etwa acht Jahren, gar zierlich nach Mäd=
chenweise, in ihrem Wesen voll Adels und von großer An*
mut, in Betragen und Worten ernst und bescheiden, mehr,
denn ihre wenigen Jahre erwarten ließen. Über dieses waren
die Züge ihres Angesichtes sehr zart und auf das beste ge°
staltet, und, außer der Schönheit, so ehrbarlich und voll Lieb*
lichkeit, daß sie von vielen fast als ein Englein erachtet ward.
Diese nun, wie ich sie hier schildere, oder vielleicht weit
schöner noch, erschien bei jenem Feste nicht, wie ich glaube,
zum erstenmal, wohl aber zuerst mit jener Gewalt, die Liebe
weckt, den Augen unseres Dante, der, obwohl nur noch ein
Knäblein, mit solcher Innigkeit ihr Bild in sein Herz auf
nahm, daß es seit diesem Tage, so lange er lebte, nie wieder
daraus schied.« — Woher mag wohl diese so verdächtig ge*
nau unterrichtete »glaubwürdige Person« das alles erfahren
haben? Von Dante gewiß nicht. Die ganze Erzählung macht
den Eindruck, als sei Boccaccios Novellistenphantasie die
glaubwürdige Person gewesen 19 . — Die Identität dieser
Bice Portinari mit der Beatrice der Vita Nuova wurde zu*
erst von Scartazzini mit gewichtigen Gründen angegriffen;
er sagt unter anderem : Der Dichter erzählt ausführlich genug,
welche peinliche Mühe er sich gegeben, daß das Geheimnis
seiner Liebe nicht verraten würde. Wie in aller Welt wäre er
dann dazu gekommen, handumkehr, und zwar noch zu Leb»
zeiten der Geliebten, sowie auch sofort nach ihrem Tode, selbst

104

sein Geheimnis auszuposaunen? Will man nicht solchen Ün=


sinn zugeben, so wird man nicht umhin können, zuzugeben, daß
»Beatrice« doch eben nur der fingierte, der angenommene
Name der Geliebten ist, daß sie aber im wirklichen Leben
jeden anderen Namen eher als grade diesen getragen haben
muß 20 . Heutzutage dürfte wohl jeder klarsehende Dantologe
in Boccaccios Bericht nichts weiter als eine novellistische Aus*
schmückung der ersten Szene der Vita Nuova erkennen 21 .
Wer war nun aber Dantes Jugendgeliebte, wie hieß sie
mit ihrem wirklichen Namen? — Da uns kein zu verlas*
sigerer Berichterstatter darüber Auskunft gibt, so müßte
die Frage für immer unbeantwortet bleiben, wenn uns nicht
das, was in Dantes Dichtungen zwischen den Zeilen ge*
schrieben steht, einen Fingerzeig gäbe. Seltsam wäre es auf
jeden Fall, wenn Dante dem reinen edlen Wesen, das er in
der Vita Nuova so zart und verehrungsvoll besungen hat,
nicht auch ein Plätzchen in der Commedia gegönnt hätte.
Man sollte meinen, daß in dem Paradiese, wo die ideale
Beatrice als ein göttliches Licht Dantes Führerin ist, auch die
reale Beatrice, und zwar mit ihrem wirklichen Namen, unter
welchem ja kaum jemand die Jugendgeliebte der Vita Nuova
erkennen konnte, anzutreffen sein müsse. —

Werfen wir einmal einen Blick in den dritten Gesang des


Paradiso. Dort ist der Jenseitswanderer Dante, von Beatrice
geführt, in der Mondsphäre angelangt, wo die Geister jener,
die auf Erden ein Gelübde nicht ganz erfüllt haben, im nie*
dersten Grad der Seligkeit sich glücklich fühlen. Mensch*
liehe Gesichtszüge tauchen dort wie Spiegelbilder in einem
Lichtnebel auf, schwach und kaum kennbar, wie eine Perle
auf weißer Stirn. Eine dieser Seligen — es ist die erste, an
die Dante im Paradiese das Wort rieht et — scheint mit ihm
sprechen zu wollen :

105

Und zu dem Schatten, den, wie's schien, am meisten


zu sprechen drängte, wandt' ich mich, beginnend
wie einer, der von heißem Wunsch verzehrt wird:

»O holderschaffner Geist, der an den Strahlen


des ew'gen Lebens du die Wonne fühlest,
die keiner kennt, der sie nicht selbst empfunden,

dankbar würd' ich vernehmen, wie dein Name,


auch was von eurem Zustand du mir kündest.«
Und froh bereit, mit heitrem Blick sprach jene:

»Dem Wunsche, der berechtigt ist, schließt unsre Liebe


die Pforte niemals, denn auch Jene tut's nie,
die ihren ganzen Hof sich ähnlich sehen will. —

Auf Erden war ich eine Klosterjungfrau,

und denkst im Geiste du zurück, so werd' ich,


obgleich ich schöner wurde, dir nicht fremd sein;
Du wirst in mir Ficcarda wiederkennen,
die mit den andern Seligen sich selig
hier in der langsamsten der Sphären fühlt.«

»Vollkommenheit und hoch Verdienst erhoben


weit höher jene Frau, nach deren Regel
in eurer Welt sie Kleid und Weihel tragen,

um bis zum Tod zu wachen und zu ruhen


mit jenem Bräut'gam, der ein jed' Gelübde
annimmt, das Lieb', ihm zu gefallen, darbringt.

Ihr nachzueifern, floh in jungen Jahren

ich aus der Welt und hüllt' in ihr Gewand mich,


verpflichtend mich zum Leben ihres Ordens.

Drauf Männer, die an Böses mehr als Gutes


gewöhnt, dem lieben Kloster mich entrissen. —
Gott weiß es, wie mein Leben dann gewesen 1« —

106

Nachdem Piccarda lange mit Dante gesprochen, stimmt sie


das Ave Maria an, und singend entschwindet sie lang»
sam seinen Blicken. So lange als möglich 22 schaut ihr Dante
sinnend nach, bis er nichts mehr von ihr zu erkennen
vermag.

Diese Piccarda war die Tochter des Simeone Donati, die


Schwester von Corso und Forese Donati, und eine nahe
Verwandte und Freundin von Dantes Gattin Gemma Do*
nati. Der Ottimo Commento berichtet von ihr, sie sei aus
freien Stücken in das Kloster der hl. Clara getreten, ob*
gleich sie von ihren Brüdern (?) einem Florentiner Edel*
manne Roselino della Tosa verlobt gewesen sei. Ihr Bru*
der, Messer Corso, der sich damals zur Verwaltung des
dortigen Gemeinwesens in Bologna aufhielt, sei, als er die
Nachricht von seiner Schwester Eintritt in das Kloster er*
halten habe, sofort nach Florenz zurückgekehrt, habe sie
wider ihren, der Klosterfrauen und der Äbtissin Willen aus
dem Kloster geholt und sie dem genannten Edelmanne zur
Frau gegeben. Sie habe zu Gott um Erlösung gefleht, wor*
auf er ihr eine Krankheit geschickt habe, an der sie nach
kurzer Zeit gestorben sei. — Es spricht so vieles dafür, daß
Piccarda Donati die Jugendgeliebte Dantes war, daß man
sicher schon längst darauf gekommen wäre, wenn man er*
kannt hätte, daß die reale Beatrice der Vita Nuova nicht
die ideale Beatrice des himmlischen Paradieses ist. Für den
Jenseitswanderer Dante im Paradiese ist die einstige Ge*
liebte keine Be»:ligerin, keine Beatrice mehr; sie ist ein
Schatten, der ihm die Erinnerung an sechzehn Jahre treuer
Liebe zurückruft, mehr nicht. Er schaut ihrem entschwin*
denden Bilde lange nach, dann aber kehrt sein Blick

Zum Ziele sich des größeren Verlangens


und wandte ganz sich hin zu Beatrice.

107

Mit der Erkenntnis, wer die kleine Beseligerin des neun*


jährigen Dante war, fällt mit einem Male ein überraschen*
des Licht auf die Geschichte von Dantes erster Liebe. Das
liebliche achtjährige Mädchen war ein Nachbarskind; das
Haus der Alighieri 23 lag in einer und derselben Häuserinsel
mit dem der Donati (von der Rückseite des einen schaute
man hinüber nach der Rückseite des andern), und der junge
Dante brauchte nicht weit zu gehen, um das kleine Englein,
wie es häufig geschah, zu besuchen. Jene Begegnungsszene,
wo ihn die weißgekleidete Geliebte so wunderbar grüßt, ist,
dem schlichten Wortsinne nach, kaum zu erklären; aber wie
verständlich wird sie mit all ihren Einzelheiten, wenn man
weiß, daß die junge Piccarda in das Kloster floh, um der Ehe
mit dem ungeliebten Manne zu entgehen. Sie trägt die weiße
Farbe der Seelenminne, denn für die Herzensminne war
mit jenem Schritte das Ende gekommen. Und was sagte ihr
geheimnisvoller Gruß dem achtzehnjährigen Dante?
Brachte er ihn nicht auf den Gedanken, dem Beispiele der
Geliebten zu folgen und sich, wie sie, dem kontemplativen
Leben zu widmen, um mit der aussichtslos angebeteten
Freundin in gemeinsamem, auf Gott gerichtetem Streben
geistigerweise vereint zu bleiben? Einer der ältesten Er*
klärer der Commedia, Francesco Buti, berichtet als eine all*
gemein bekannte, von niemanden bezweifelte Tatsache,
Dante sei in seiner Jugend in den Franziskanerorden einge*
treten, aber vor Vollendung des Noviziates wieder ausge*
treten. Wenn spätere Forscher annehmen, er sei Mitglied
des dritten Ordens dieses Heiligen gewesen, so schließt das
ja nicht aus, daß er vorher Novize gewesen sein könne.
Soviel steht fest, daß ihn die Franziskaner immer als einen
der ihrigen betrachtet haben, und bei ihnen wurde er auch
beerdigt.

108
Wie aus der Vita Nuova zu ersehen, ist Beatrice im Jahre
,1290 im Alter von 24 Jahren gestorben; — und wann starb
Piccarda? Sie erzählt, sie sei jung (giovinetta) aus der Welt
in das Kloster geflohen (nach der Vita Nuova muß sie 17
oder 18 Jahre alt gewesen sein); der Ottimo Commento und
andere alte Commentatoren berichten, sie sei nach kurzer
Ehe gestorben, aber nicht, wie lange ihr Klosterleben ge*
dauert habe. Nun kann der Gewaltakt ihres Bruders Corso,
der, wie der Bericht lautet, von Bologna kam, um sie aus
dem Kloster zu reißen und mit Roselino della Tosa zu ver*
heiraten, sich nur im Jahre 1283 oder im Jahre 1288 zuge*
tragen haben, denn in diesen Jahren war Corso Podestà in
Bologna 24 . Nehmen wir 1288 als das verhängnisvolle Jahr
an und rechnen für die Dauer des kurzen Ehestandes hoch*
stens l 1 ^ bis 2 Jahre, so kommen wir auf 1290 als Todes*
jähr der Piccarda, — dasselbe Jahr, in dem Beatrice gestor*
ben ist. Wenn Beatrice und Piccarda verschiedene Personen
wären, so müßten beide j ung und, wie wahrscheinlichen dem
gleichen Jahre gestorben sein. Die historischen Daten spre*
chen also viel mehr für als gegen die Identität der ]beiden.
Dafür spricht auch eine ganze Reihe von Gedanken aus
der Vita Nuova, die in der Commedia wiederkehren 25 ;
ganz bespnders spricht aber dafür folgende Stelle aus der
Vita Nuova (Kap. 32) : Nachdem . . . kam jemand zu mir, der,
nach der Stufenfolge der Freundschaft gerechnet, unmittelbar
auf meinen ersten Freund folgte. Dieser war jener Verklärten
(Beatrice) durch Blutsverwandtschaft so enge verbunden, daß
niemand ihr näher stand. (Das darauffolgende Kapitel nennt
ihn kürzer den Bruder der Beatrice.) — Wer war dieser
zweite Freund Dantes? Von den uns bekannten Freunden 26
Dantes könnte Cino von Pistoja in Betracht kommen, aber
dessen Familie (Sinibaldi) war nicht in Florenz, sondern in

109

Pistoja ansässig, und darum dürfte er kaum eine Schwester


gehabt haben, die »in Florenz geboren war, lebte und starb«,
wie Beatrice. Dantes Freundschaft mit Casella (Purg. II, 76)
scheint sich mehr im Bereiche gemeinsamer künstlerischer
Ideale bewegt zu haben, seine Freundschaft mit Dino Com*
pagni in amtlichem Verkehr. Viel eher, als an diese, läßt sich
an Forese Donati denken, ja, eigentlich kann nur er der
zweitbeste Freund gewesen sein. Mit dem Nachweis, daß er
es war, würde natürlich auch der Beweis erbracht, daß seine
Schwester Piccarda die berühmte, von Dante geliebte histo*
rische Beatrice gewesen ist. Nun besitzen wir zum Glück
eine Urkunde, die deutlich zeigt, wer der gesuchte Freund
gewesen ist, wenn sie ihn auch nicht (um das Geheimnis
der Liebe zu Piccarda nicht zu verraten) so wörtlich und
ausdrücklich als zweiten Freund bezeichnet, wie es die Vita
Nuova tut.

Wir lesen in der Commedia (Purgatorio XXIII), wie


Dante auf seiner Wanderung durch das Fegfeuer mit Virgil
an den Ort kommt, wo die Schlemmer ihre Sünde büßen.
Dort trifft er seinen vor noch nicht fünf Jahren verstor*
benen Freund Forese Donati, so abgemagert, daß er ihn nur
an der Stimme wiedererkennt:

Und aus des Kopfes Höhle richtete ein Schatten


auf mich die Augen ; starr blickt' er mich an,
dann rief er laut: »O welche Gnade wird mir!«

Nun findet eine lange Unterredung zwischen den beiden


Freunden statt, deren intimer Ton ein Austausch von Erin*
nerungen, in Worten gegenseitiger Anteilnahme, im Aus*
sprechen der Hoffnung auf Wiedersehen, in der Erwäh*
nung von Familienangehörigen, in der Frage nach Verwand*
ten erkennen läßt, wie stark das Band der Freundschaft und

110

wie eng die Beziehungen zwischen Dante und Forese ge*


wesen sind 27 ; nirgends und mit keinem anderen Schatten
spricht Dante so eingehend und liebevoll freundschaftlich.
Auch nach Piccarda fragt Dante ihren Bruder :

»Doch sage mir, wenn du es weißt, wo ist Piccarda?«


worauf ihm dieser antwortet:

»Die Schwester mein, so schön und gut — ich weiß nicht,


was sie von beidem mehr war — freut im hohen
Olymp sich schon der Krone des Triumphes.« ,

Forese sagt noch das schreckliche Ende seines Bruders Corso


voraus, der zumeist verschuldet (quei che più n'ha colpa),
was an Leid über Piccarda und über Florenz gekommen ;
dann trennt er sich von Dante, der ihm so lange nach«
schaut,

Bis er so weit von uns entfernt war,

daß ihm mein Auge nicht mehr folgen konnte.

Es ist das gleiche lange und wehmütige Nachschauen, das


in der Commedia nur noch einmal vorkommt, und grade
dort, wo Piccardas Bild den Blicken Dantes langsam ent*
schwindet. Es ist ein Zeichen, wie lieb Piccarda und ihr
Bruder Forese Donati unserem Dichter gewesen sind, und
man darf wohl sagen, ein zarter Hinweis darauf, daß sie
unter allen Geistern im Jenseits seinem Herzen am nach«
sten standen : Seine Jugendgeliebte und sein verstorbener
bester Freund 28 .

Ich weiß nicht, ob man nach allem dennoch berechtigt ist,


mehr und stärkere Beweise dafür zu verlangen, daß Pie*
carda Donati die Beatrice der Vita Nuova gewesen ist.

Ili

BEATRICE DIE HEILIGE

Perfetta vita ed alto merto inciela


Donna più su . . .

Der XXXI. Gesang des Paradiso erzählt, daß Dante an


seine Führerin Beatrice eine Frage richten wollte; er wendet
sich nach ihr um, sieht aber statt ihrer einen Greis, den hl.
Bernhard, vor sich, den er nach ihr fragt:

Wo ist sie? fragt' ich eilig, und zur Antwort


gab er: »Ans Ziel zu führen deine Sehnsucht,
berief von meinem Sitz mich Beatrice.

Wenn du hinaufschaust nach dem dritten Kreise


der höchsten Stufe, wirst du auf dem Throne,
den ihr Verdienst erworben hat, sie sehen.«

Den Blick erhob ich schweigend, und ich sah sie


mit einem Glorienscheine sich umkränzen,
durch Rückspieglung der ew'gen Strahlen. ,

Am Ende ihrer Führerschaft wird hier Beatrice zu einer


Heiligen, zu derselben Heiligen, die am Anfang der Com*
media in die Vorhölle hinabstieg, um Dante Hilfe zu sen*
den. — Damit erhebt sich ein schweres Bedenken gegen
meine obige Erklärung, die himmlische Beatrice sei ein Licht
Gottes und eine Hypostase der in der oberen Welt wirken*
den Liebe. Die Heiligen im Himmel sind ja keine Abstrakt
tionen, keine Engel, keine Ideale, keine Hypostasen der
dreieinigen Liebe, sondern sie sind reale Seelen, die im
Erdenleben, mit einem Menschenleibe vereint, Menschen
waren. Folglich muß auch jene Heilige im Glorienscheine
wie alle anderen seligen Geister früherauf Erden als Mensch
unter den Menschen gelebt haben ; sie kann sich aber nicht
aus einem Licht Gottes in eine menschliche Individualität
verwandeln, wenn man auch dem Dichter die weitgehendste

112

poetische Freiheit einräumt. — Die Verwandlung ist aber


nur eine scheinbare; in Wirklichkeit klafft zwischen der
himmlischen Führerin und der Heiligen eine Lücke, die
durch den gemeinsamen Namen nur zum Schein überbrückt
wird. Dante hat die Führerin Beatrice einfach ausgeschaltet
und, ohne zu erklären warum, den hl. Bernhard eingescho*
ben. Es ist nicht einzusehen, warum die himmlische Bea*
trice, ein Abglanz des ewigen lebendigen Lichtes, Dante
auf seiner Himmelswanderung nicht bis an das Ziel seiner
Sehnsucht habe führen können, und warum das Amt dem
hl. Bernhard übertragen werden mußte. Wohl aber ist es
begreiflich, daß der Dichter die Führerin verschwinden ließ,
um die Heilige in sein Gedicht einzuführen, von der er
sagen wollte, »was noch nie von einer Frau gesagt wurde«.
Wer ist nun aber diese heilige Beatrice, für die in der
Neunheit der Beatrice kein Raum ist? Man wäre geneigt,
in ihr eine Apotheose der Jugendgeliebten zu sehen ; dem
widerspricht aber, daß Ficcarda sich im Mondhimmel eines
Grades der Seligkeit erfreut, der weit unter dem dieser Hei*
ligen steht, die in der Himmelsrose ganz oben »im dritten
Kreise der höchsten Seligkeitsstufe« thront. Wir begegneten
der leuchtenden Frau, die hier am Ende der Commedia auf*
taucht, schon einmal am Ende der Vita Nuova; aber auch
dort ist sie nicht identisch mit Piccarda, sondern steht nur
in einem geheimnisvoll verschleierten Zusammenhang mit
ihr. Schauen wir uns das letzte Sonett der Vita Nuova noch
einmal genau an. Es lautet:

Über die Sphäre, die am weitsten kreiset,

schwingt sich der Seufzer, den mein Herz entsendet.


Ein neues Denken, das ins Herz die Liebe
als Ansporn legte, dränget ihn nach oben.

8 Dante 113

Ist er dort angelangt, wohin ihn sehnet,

dann sieht er eine Frau, die hoch geehrt wird


und also leuchtet, daß ob ihres Glanzes
der Pilgergeist voll Staunen sie betrachtet.
Er schaut sie so, daß, wenn er mir's berichtet,
ich's nicht kann fassen ; so tiefsinnig spricht er
zum trüben Herzen, das ihn reden heißt.

Ich weiß, er spricht von jener Hehren dort,


denn er erinnert oft an Beatrice,
so daß ich es wohl fasse, liebe Frauen.

Mit Hilfe der erläuternden Einteilung läßt sich in diesem


absichtlich dunkel redenden Sonett folgender Sinn erken*
nen: Eine neue Eingebung der Liebe regt Dante an, sich
geistig in die Gedankenwelt seiner verstorbenen Geliebten
zu versetzen, und so läßt er seinen Gedanken zu ihr über
die höchste Sphäre hinaus, also in den empyreischen Him*
mei pilgern. Sein impulsiv dorthin versetzter Gedanke
schaut eine im Himmel hochgeehrte Frau von so strahlen«
dem Wert, daß sein irdisch?menschlicher Verstand ihn nicht
zu erfassen vermag. Aber das weiß Dante, daß alles, was
sein Geist dort schaut, Gedanken seiner Jlerrin (der seli*
gen Piccarda) sind 29 ; und darum vermag er zu fassen, war*
um ihm ihre Gedanken den Wert dieser leuchtenden Hei*
ligen suggerieren.

Direkt an dieses Sonett schließen sich die Schlußworte


der Vita Nuova. Eine Eingebung seines Genius zeigt dem
Dichterauge Dantes (in einer »wunderbaren Vision«) Dinge,
die ihn veranlassen, von dieser Benedeiten nichts mehr zu
sagen, bis er es in würdigerer Weise als jetzt zu tun im*
stände sei. Was er sich da vorgenommen, das hat er später
in der Commedia ausgeführt, aber seine immense Gestal«

114

tungskraft hat sich nicht mit der Verherrlichung der bene«


deiten Beatrice begnügt. Er hat aus der Beatrice das große
Wunder der Neunheit geschaffen, das ihm als der Orga*
nismus der beseligenden Liebe schon in der, Vita Nuova
vorschwebte. Unabhängig von diesem Wunder ist die bene*
deite Heilige, die er, in einer dichterisch freien Gedanken*
Verbindung mit der Jugendgeliebten scheinbar verschmolz
zen, seinem heiligen Gedicht einfügte.

Wer die leuchtende Heilige ist, auf die in jenem Sonett


die Gedanken der seligen Geliebten gerichtet sind, wird
bei eingehender Betrachtung immer deutlicher. Bei dem
Gespräch im Mondhimmel wird von Piccarda ihrer gedacht,
als der Frau, in deren Ordenskleid sie sich in ihrer Jugend
gehüllt habe, und die wegen ihres vollkommenen Lebens
und hohen Verdienstes weit höher (d. h. in einen weit
höheren Grad der Seligkeit als Piccarda) erhoben worden
sei 30 . Diese Frau, auf deren Verdienste auch der hl.
Bernhardt ausdrücklich hinweist 31 , thront im Empyreum,
umstrahlt von einem lichten Glorienschein, der sowohl in
der Vita Nuova wie in der Commedia mit so starker Be*
tonung erwähnt wird, weil er auf den Namen dieser Bea*
trix hinweisen soll, auf Clara, d. i. die Lichte, Leuchtende,
Helle 32 .

Die heilige Clara war die Stifterin des Ordens, dem Pie*
carda angehört hatte, und sie war die schwesterlich geliebte
Freundin des hl. Franz, des Stifters des Ordens, dem Dante
angehörte. So bestand zwischen den beiden Heiligen ein
geistiges und seelisches Verhältnis, wie es zwischen dem
Franziskaner Dante und seiner schwesterlich geliebten
Freundin, der Clarissin Piccarda, in ähnlicher Weise bestand.
Erwägt man diese doppelte Beziehung, so wird einerseits
die Verehrung des Dichters erklärlich, die ihn der heiligen

* 115

Clara eine so bedeutsame Stellung am Schlüsse der Com*


media einräumen ließ, und andererseits sein Gedanke an
die menschliche Schwäche seiner Freundin Piccarda, die der
Vollkommenheit der Heiligen wohl nachzustreben ver*
mochte, sie aber zu erreichen nicht imstande war. — Macht
der Bedeutungsname Beatrice, den die heilige Ordensstif*
terin und auch das einstige Mitglied ihres Ordens trägt, nicht
den Eindruck eines Bandes, mit welchem der Dichter das
von Piccarda Erstrebte an das von ihrem heiligen Vorbilde
Erreichte anknüpft, — leitet er nicht das unvollkommene
Verdienst der Beatrice*Piccarda über und läßt es poetisch
aufgehen in dem vollkommenen Verdienst der Beatrice*
Clara? Und hat Dante nicht auf diese Weise — ohne die
Geliebte seiner Jugendjahre ungebührlich zu erheben —
auch von ihr gesagt, was noch nie von einer Frau gesagt
wurde?

DANTES ZWEITE GELIEBTE

Mira quant'ella è pietosa ed umile,


Saggia e cortese nella sua grandezza.

Wie Dante-in seinem Convivio (II, 6, 9) sagt, fließt aus


der Bewegung des Venushimmels eine gewaltige Liebesglut,
an der sich die Herzen hier unten entzünden ; die Intelli*
genzen dieses Himmels übertragen ihren Einfluß von der
aus dem Leben geschiedenen Seele, die nicht mehr ihrer
Macht untersteht, auf eine noch im Leben stehende Seele. —
Dante spricht aus Erfahrung. Eine neue Liebe erwachte
bald nach dem Hinscheiden der ersten Geliebten in seinem
Herzen. Wie das Sonett mit dem doppelten Anfang »In
die Erinnerung war mir gekommen« (Kap. 34) durchblicken
läßt, bestand die neue Liebe schon àm ersten Jahrestag nach

116

dem Tode der Beatrice*Piccarda, aber erst im Jahre 1293,


wie aus dem Convivio (II, 2) zu ersehen ist 33 , erschien
die edle Dame von Amor begleitet vor Dantes Augen; mit
anderen Worten, erst in diesem Jahre erwachte auch in ihr
die Liebe. Zwei Jahre lang hat also Dante schmachten müs*
sen, bis seine Liebe Gegenliebe fand; eine lange, aber für
sein poetisches Schaffen äußerst fruchtbare Zeit; davon
gibt eine Menge von Gedichten Zeugnis, in denen er sich
bald bitter über die Kälte und Unnahbarkeit dieses »harten
Edelsteins« beklagt, bald in glühender Leidenschaft nach
ihr verlangt, bald sich der neuen Liebe zu erwehren und
an die Erinnerung der ersten Liebe (vergeblich!) anzuklam*
mern versucht.

Diese Geliebte tritt in der Vita Nuova in drei verschie*


denen Rollen auf: im ersten Teil als eine ungenannte »edle
Dame von gar lieblicher Erscheinung«, die Dante angebe
lieh zur »Schutzdame« für seine wahre Liebe macht; im
zweiten Teil, als Allegorie der irdischen Liebe, unter dem
Namen Giovanna, mit dem Beinamen Primavera; im dritten
Teil als eine ungenannte »edle Dame, jung und sehr schön«,
in die Dante angeblich »einige Tage lang« verliebt war. —
In der Commedia finden wir die nämliche Geliebte im ewi*
gen Frühling des Gartens Eden wieder als Frau Matelda 3 *.

Im ersten Teil der Vita Nuova (Kap. 5) erzählt der Dich*


ter, wie er »an einem Orte, wo Gesänge zum Lobe der Kö*
nigin der Glorie zu hören waren«, von seinem Platze aus
die holdeste Beatrice sehen konnte, und zwischen ihr und
ihm in grader Linie (per la retta linea) eine sehr schöne
Dame ihren Platz hatte. Weil er nun öfter nach Beatrice
schaute, so habe diese Dame, in der Meinung, seine Blicke
gälten ihr, öfter zu ihm hergeschaut. Dies sei den Leuten
so sehr aufgefallen, daß sie darüber redeten ; und das habe

117
ihn auf den Gedanken gebracht, die öffentliche Aufmerk*
samkeit von seiner wahren Liebe abzulenken, indem ersieh
stellte, als liebte er diese Dame. So habe er sie zum Schirm
der Wahrheit (schermo de la veritate) gemacht und auch
ein paar Gedichte für sie verfaßt. — Dieser Erzählung brau«
chen wir keinen Tatsachenwert beizulegen; dergleichen
Scheinhuldigungen, um der Gefahr, das Geheimnis des
Herzens könne entdeckt werden, vorzubeugen, sind in der
Minnepoesie der Provenzalen ein häufig vorkommendes
erzählerisches Motiv. Was es aber mit dem Blickwechsel
auf sich hat, das hat Dante später im Convivio (II, 10)
verraten: Es ist zu beachten, daß, wenn auch mehrere Dinge
zu gleicher Zeit in das Auge fallen, doch nur das wirklich ge*
sehen wird, was in grader Richtung (per la retta linea) in die
Pupille gelangt . . . Darum kann auch ein Auge das andere
nicht sehen, ohne zugleich von ihm gesehen zu werden; denn
so wie das hinschauende Auge die Form des Auges in grader
Linie empfängt, so geht auch seine Form in grader Linie in
das herschauende Auge. Gar häufig, wenn diese Linie
hergestellt ist, schließt derjenige den Bogen ab,
dem jede Waffe leichtist. Mit dem Blick in grader Linie
hat sich Dante in die schöne Florentinerin verliebt, die er
zu seiner Donna de lo schermo gemacht haben will; ihr
gelten die drei Sonette (Kap. 14, 15, 16), deren leidenschaft*
licher Ton himmelweit verschieden ist von der zarten Seelen*
minne, die aus den, der BeatricesPiccarda gewidmeten
Poesien klingt. —

Im dritten Teil (Kap. 35) kehrt der Blickwechsel in gra*


der Linie wieder, nur spielt die Szene nicht in einer Kirche,
und der Erfolg ist der, daß nicht nur der Hinschauende,
sondern auch die Herschauende von Amors Pfeil getroffen
wird. — Eine edle Dame schaut voller Mitgefühl von einem

118

Fenster zu dem von schmerzlichen Gedanken bewegten


Dante herüber; der Blick aus ihren schönen Augen macht
einen so tröstenden Eindruck auf sein Herz, daß er von da
an trachtet, dieses Trostes möglichst oft teilhaftig zu wer*
den. Eines Tages macht er aber die Entdeckung, daß seine
Augen anfingen, allzuviel Wohlgefallen an dem Anblick der
holden Dame zu finden. — Der Dichter läßt diese Liebe ein
unwahrscheinlich jähes Ende finden. Eines Tages — so er*
zählt er — erschien ihm in einer lebhaften Imagination die
verklärte Beatrice, in jugendlicher Gestalt und in blutrotem
Kleide, so wie er sie zum erstenmal gesehen hatte; da er*
griff ihn bittere Reue wegen dem abscheulichen Verlangen,
das ihn einige Tage lang beherrscht hatte, und er wandte
von da an all seine Gedanken wieder ausschließlich der hol*
desten Beatrice zu. — Mit der »bitteren Reue« scheint es
nicht weit her gewesen zu sein, und das »abscheuliche Ver*
langen« hat jedenfalls länger als einige Tage gewährt, wie
schon aus der Schilderung seines Entstehens und mächtigen
Anwachsens (Kap. 35—38) erhellt. Der ganze gewaltsame
Abschluß der Liebesaffäre ist ein bißchen poetisches Ge*
flunker, das dazu dienen soll, der Vita Nuova zu einem
würdigen Abschluß zu verhelfen. Wie es sich in Wirklich*
keit mit der neuen Liebe verhielt, erfahren wir aus dem
Convivio; da ist weder von ihrer kurzen Dauer, noch von
einem Sieg der Erinnerung an die verklärte Beatrice die
Rede. Im Gegenteil! Dort lesen wir: Es war nach dem Heim"
gang jener seligen Beatrice, die im Himmel bei den Engeln
und auf Erden in meiner Seele weiterlebt, daß die edle Dame,
deren ich am Ende der Vita Nuova Erwähnung tat, zum
erstenmal, von Amor begleitet, vor meinen Augen erschien
und in meinem Denken einigen Platz einnahm. Und wie ich in
dem genannten Büchlein erzählte, war es mehr ihr holdseliges

119

Wesen, als meine freie Wahl, was mich dahin brachte, daß ich
mich entschloß, der ihrige zu sein. Denn sie zeigte sich so er'
griffen von Mitleid mit meinem verwaisten Leben, daß sich
die Geister meiner Augen gar sehr zu ihr hingezogen fühlten
und in dieser Stimmung mich dahin brachten, daß auch mein
inneres Wohlgefallen einstimmte, sich ihrem Bilde zu widmen.
Da aber Liebe nicht plötzlich entsteht, wächst und vollkom»
men wird, vielmehr einiger Zeit und Gedankennahrung be*
darf— insbesondere, wenn entgegengesetze Gedanken sie be»
hindern — so kam es, daß, ehe diese neue Liebe vollkommen
wurde, sich mancher Kampf abspielte zwischen dem Gedan*
ken, der sie groß zog, und dem, der ihr entgegen stand und
noch die Veste meines Geistes für jene glorreiche Beatrice
verteidigte. Nun erhielt der eine Gedanke fortwährend Unter»
Stützung durch das, was er vor sich sah, der andere durch
die rückschauende Erinnerung. Die Unterstützung durch das
Vorwärtsschauen nahm aber bei dem einen Gedanken täglich
zu, während dies bei dem anderen nicht der Fall war, weil
ihn jener am Zurückschauen hinderte. Das schien mir so
wunderbar und doch auch so hart zu ertragen, daß ich es
nicht aushalten konnte . . .

Die zweite Geliebte, deren Holdseligkeit Dante zu dem


Entschluß brachte, der ihrige zu sein, hieß Gemma Donati
und wurde Dantes inniggeliebte Gattin. Harte innere
Kämpfe hatte Dante durchzumachen, bis er die Geliebte
heimführen konnte; früher war er ganz erfüllt von dem Ge*
danken an Piccarda, die mit seiner Seele eins geworden war,
ein Gedanke, der ein Stück von seinem Leben zu sein schien 35 ;
sie hatte ihm den Weg zum contemplativen Leben gezeigt,
der da lehrt, ein Gut zu lieben, darüber man nichts Höhres
kann erstreben, und es muß, bei der mystisch religiösen Be*
anlagung Dantes, sein Gewissen schwer bedrückt haben,

120

daß das neue heiße Begehren nach der schönen Gemma die
Erinnerung an Beatrice, d. h. an seine guten Vorsätze reli*
giöser Art, zu verdrängen begann. Es scheint aber, daß der
Gedankenzwiespalt mit einer besonderen Verpflichtung in
Zusammenhang stand, an die Dante sich gebunden wußte.
Hat etwa Dante früher einmal, etwa zur Zeit, als seine Ge*
liebte in das Kloster floh, ein Gelübde getan, dessen Gegen*
stand ein Ehehindernis in sich schloß? — Die Annahme,
daß ein solches Gelübde bestand, hat allerdings nur innere
Gründe für sich und kann sich nicht auf Dokumente oder
Berichte stützen. Daß die Tradition nichts davon weiß, ist
übrigens erklärlich ; von einem Gott gegebenen Verspre*
chen schweigt man und läßt nichts davon in die öffentlich*
keit dringen, so daß es kaum zu verstehen wäre, wie etwas
davon hätte bekannt werden können. Immerhin kann sich
meine Annahme, wenn auch eine direkte äußere Bezeugung
fehlt, auf eine Eröterung in der Commedia stützen : Im vier*
ten Gesang des Paradiso fragt Dante seine Führerin, ob
man für den Gegenstand eines verfehlten Gelübdes durch
einen anderen Gegenstand genügenden Ersatz leisten könne.
Beatrice beantwortet diese Frage ausführlich dahin, daß das
Gelübde selber, als ein Gott aus freiem Willen gegebenes
Versprechen, nicht aufgehoben werden könne. Zwar könne
der Gegenstand des Gelübdes unter Umständen durch
einen anderen ersetzt oder vertauscht werden, es dürfe aber
niemand die auf seinen Schultern liegende Last nach eigener
Willkür verwandeln ; das Recht'dazu habe allein die geist*
liehe Obrigkeit, ohne deren Dispens die übernommene Ver*
pflichtung nicht erlassen werden könne; auch müsse ein Er*
satz für den Gegenstand des Gelübdes geleistet werden,
dessen Wert sich zu jenem wie sechs zu vier verhalte 36 . ~
Wenn für Dante infolge eines Gelübdes ein Ehehindernis

121
vorlag, und er wollte seine Gemma heiraten, so mußte er also
die kirchliche Dispens einholen, und es mußte ihm als Er*
satz eine andere noch schwerere Verpflichtung auferlegt
werden. Wenn wir annehmen dürften, die kirchliche Ent*
Scheidung habe dahin gelautet, er möge heiraten, müsse aber
nach einer bestimmten Zeit (nach 25 Jahren?) die eheliche
Gemeinschaft aufgeben und sich einem mehr contemplativen
Leben widmen, — so würde damit aufgeklärt, warum Dante,
als er sich in den letzten Jahren seines Lebens (von 1316
oder 1317 an) bleibend in Ravenna niedergelassen, und
seine Kinder Pietro, Jacopo und Beatrice bei sich hatte, ge*
trennt von seiner, in Florenz mit der Tochter Antonia zu*
rückgebliebenen, Gattin lebte. — Die Richtigkeit der An*
nähme wird durch ein Kapitel der Vita Nuova bestätigt,
welches leicht verständlich ist, wenn man das Gelübde und
die kirchliche Dispens als feststehende Tatsache voraus*
setzt, dessen Sinn aber ohne diese Voraussetzung meines
Erachtens nicht erklärt werden kann.

Im zweiten Teil der Vita Nuova erzählt das 23. Kapitel


von schrecklichen Vorstellungen, die eine fiebernde Phan*
tasie dem erkrankten Dichter vorgaukelt. Von fast uner*
träglichen Schmerzen gepeinigt, denkt Dante über die Hin*
fälligkeit seines Lebens nach und kommt auf den Gedanken:
-»es ist unvermeidlich, daß auch die holdeste Beatrice einmal
stirbt.« Das bringt ihn so außer Fassung, daß er alle Über*
legung verliert, und sich wirren Einbildungen über den
Tod der Geliebten überläßf, Äie ihn so weit führen, daß er
sie tot daliegen sieht. — Der ganze weitausgesponnene
Traumwahn scheint eine Allegorie des krankhaften Gemüts*
zustandes zu sein, in welchem sich Dante befand, als er noch
nicht wußte, wie das Dilemma zwischen Herzenswunsch
und religiöser Verpflichtung enden werde; er befürchtet,

122 /

mit dem Tod der Beatrice, d. i. mit dem Verlust seiner re*
ligiösen Liebe, seinen eigenen geistigen Tod. Aber er er*
wacht, oder vielmehr er wird geweckt aus seinem Irrtum
und sieht mit dankbarem Gefühl, daß seine Befürchtung
nur ein Wahn war. — Unmittelbar daran schließt sich das
seltsame 24. Kapitel, welches die Lösung bringt; eine fein*
sinnige Allegorie gibt Bericht, wie sich der Zwiespalt zwi*
sehen Wunsch und Gewissen ordnete:

Eines Tages, als Dante in Gedanken vertieft dasitzt,


spürt er plötzlich, wie sein Herz erzittert, grade so wie
immer, wenn diese Dame in der Nähe ist. Da drängt sich
ihm die Vorstellung auf, das Gefühl der irdischen Liebe
(Amor) käme von dort, wo seine Herrin war, und spräche
freudig in seinem Herzen: »Gedenke den Tag zu segnen,
an dem du mir untertänig wurdest.« Die Liebe macht sein
Herz so froh, daß es ihm gar nicht sein eigenes Herz zu sein
scheint, so neu und ungewohnt ist ihm seine heitere Stirn*
mung; und er sieht nun im Geiste eine edle Dame von be*
rühmter Schönheit auf sich zukommen, die früher die An*
gebetete seines besten Freundes war 37 . Ihr Name war Gio*
vanna, sie wurde »aber ihrer Schönheit wegen, wie manche
glauben«, Primavera (Frühling) genannt. Ihr nachfolgend
kam die wunderbare Beatrice. Beide Frauen kamen -—ein
Wunder nach dem andern — auf Dante zu, und die Liebe in
seinem Herzen sagte ihm : Die erste wird nur des heutigen
Kommens wegen Primavera genannt, denn prima verrà (sie
wird zuerst kommen) dann, wenn Beatrice sich zeigt, nach'
dem die falsche Vorstellung ihres Getreuen vorüber ist. Ihr
Name Giovanna aber bedeutet dasselbe wie prima verrà, denn
er kommt her von jenem Giovanni (Johannes dem Täufer),
der dem wahren Lichte vorausging und sagte: »Ich bin die
Stimme des Rufenden in der Wüste; bereitet den Weg des

123

Herrn.« — Was sagen diese bedeutsamen Gefühlsworte in


Dantes Herzen, woher diese freudige Erkenntnis? Ich meine,
sie seien verursacht durch die Entscheidung der kirchlichen
Obrigkeit: Zuerst komme die eheliche Liebe; ihr aber folge
das wahre Licht der himmlischen Liebe! Die Frauenliebe
soll der Gottliebe, das eheliche Leben dem contemplativen
Leben den Weg bereiten. Hatte die Kirche so entschieden,
so konnte Dante als Getreuer der Beatrice, frei von Gewiss
sensskrupeln und fröhlichen Herzens den Ehebund mit der
»Zuerstkommenden«, Primavera, schließen, — aber einge*
denk dessen, daß er später zu dem wahren Licht der Bea*
triceliebe zurückkehren müsse. — Nach meinem Dafür*
halten ist dies die einzig mögliche Erklärung dieses alle*
gorischen Kapitels. ■—

Daß Dantes Ehe mit der schönen »verständigen und bei


all ihrer Grandezza bescheidenen und liebenswürdigen«
Gemma die Aufgabe erfüllt hat, dem wahren Licht den Weg
zu bereiten, zeigt das herrliche Denkmal, das Dante seiner
geliebten Gemma in der Commedia errichtet hat. Dort
(Purg. XXVIII) wandelt, als einzige Bewohnerin des irdi*
sehen Paradieses, singend und blumenpflückend, eine ein*
same lieberfüllte Frau; kein Schatten, sondern einlebendes
Wesen. Diese frühlingsgleiche »Matelda« ist das Sinnbild
der vollkommenen irdischen Liebe, verkörpert in Dantes
Gattin. Sie, deren Liebreiz einst Dante von der mentalen
Beatriceliebe abgezogen hatte, ist ihm hier eine liebreich
sich betätigende Helferin, die ihn der mystischen
Beatrice wieder zuführt.

124

Ohne die Idealfigur der Mateida wäre die dreipersönliche Liebe in


dem Hauptwerke des Dichters nicht vollständig vertreten, weil neben
der Beatrice des himmlischen Paradieses und der Beatrice des irdi*
sehen Paradieses die dritte (irdische) Beatrice fehlt und aus der Vita
Nuova herübergeholt werden muß. Dieser Mangel, in dem man
einen künstlerischen Formfehler erblicken müßte, ist dadurch be*
hoben, daß Dante die hypostatische Bedeutung seiner ersten ver«
storbenen Geliebten auf seine zweite lebende Geliebte und Gattin
übertragen hat, die nun in der Commedia die Stelle der dritten
Person übernimmt und die Dreiheit vervollständigt. Die Matelda im
irdischen Eden ist »Liebe erweckende Person und Beseligerin ir*
discher Natur« ebensogut wie die Beatrice der Vita Nuova, ist aber
in einem anderen gedanklichen Zusammenhang wie diese aufgefaßt.
Ohne Beziehung auf die Neunheit, liegt ihre Bedeutung in der Gegen*
überstellung zu Beatrice, zu der sie sich, als gleichberechtigte Schwe*
ster, verhält, wie die werktätige zur beschaulichen Liebe und wie
die irdische zur himmlischen Vollkommenheit.

Es ist ungemein charakteristisch für Dantes spekulative Gedanken*


gänge, daß er später in seinem Convivio den beiden Geliebten neben
der wörtlichen eine allegorische Bedeutung beigelegt hat. Er deutet
dort (im zweiten Traktat) die von ihrem Fenster zu ihm herüberschau*
ende Donna pietosa der Vita Nuova als Philosophie, und (im dritten
Traktat) die ungenannte, aber bei näherem Hinschauen leicht kenn*
bare Beatrice als Theologie. Die der geistigen Elastizität Dantes nahe*
liegende (aber manchen Danteforschern, wie es scheint, um so unver*
ständlichere) Ideenverbindung, die diese Allegorisierungveranlaßte,
ist offenbar folgende: Da Dante in seiner Beatrice*Liebe eine Ver*
wandtschaft mit der religiösen, geistigen Liebe sah, so mußte er
folgerichtig in seiner Gemma*Liebe eine Verwandtschaft mit der
weltlichen, natürlichen Liebe erblicken. Diese beiden Arten von
Liebe stehen aber in dem gleichen Verhältnisse zueinander wie kon*
templatives und bürgerliches Leben — wie Sapienza und Scienza —
wie Gottesweisheit und Weltweisheit — wie Kirche und Staat —
wie Papsttum und Kaisertum. Das Gleichgewicht der päpstlichen
und kaiserlichen Macht, auf dem Dantes politisches System beruht,
hat er auch auf sein Innenleben bezogen, in welchem die göttliche
Liebe als Papst, die menschliche als Kaiser herrschte ; und da nach
Dantes Anschauung der Kaiser für alles Irdische und mit der Ver*

125
nunf t Erreichbare die Oberleitung hat, so lagen für ihn Weltweisheit
und irdische Liebe so nahe beisammen, daß sich eine allegorische
Umdeutung der irdischen Geliebten in die Philosophie wie von
selbst ergab.

Ich erwähne hier die allegorische Deutung der Donna pietosa


nur deshalb, weil so viele Wissenschaftler aus ihr folgerten, Dantes
mitleidige Fensternachbarin habe gar keine reale Existenz, son*
dem sei nur als die Philosophie aufzufassen. Solcher hölzerner
Verständnislosigkeit gegenüber genügt es, darauf hinzuweisen, daß
Dante im Convivio (1, 1) ausdrücklich sagt, daß er keineswegs im
Sinne habe, irgend etwas von der Vita Nuova zurückzunehmen
(non intendo però a quella in parte alcuna derogare). Wir können
also getrost daran festhalten, daß nicht die Philosophie aus dem
Fenster des palazzo Donati herübergeschaut hat, sondern ein leben«
diges Frauenwesen namens Gemma.

126

ERKLÄRUNGEN ZU EINZELNEN
KAPITELN DER VITA NUOVA

KAPITEL 1
Neunmal schon war seit meiner Geburt der Lichthimmel . . .
zu dem nämlichen Punkte zurückgekehrt, als meinen Augen
zum erstenmal die glorreiche Herrin meines Geistes erschien,
die von vielen, die nicht wußten, wie sie zu nennen sei, Bea=
trice genannt wurde.

In diesem Leben war sie schon so lange gewesen, daß . . .


sie mir ungefähr am Beginne ihres neunten Jahres er*
schien, und ich erblickte sie ungefähr am Ende meines neunten
Jahres.

Der erste Satz spricht von der Liebe, der zweite Satz
von der Geliebten. Die »glorreiche Herrin« ist die an
sich unsichtbare Liebe, die hienieden dem Auge in der die
Liebe entzündenden Person sichtbar wird. Beide verschmel*
zen zwar bei Dante, der in der Geliebten wie Guido Guini*
celli 38 eine Inkarnation der Liebe sieht, in dem gemein*
samen Namen Beatrice; damit wird aber der begriffliche
Unterschied von Liebe und Geliebte nicht aufgehoben.
Eine Bestätigung dafür finden wir in einer Kanzone 3 ° unseres
Dichters, in welcher er von dem Eindruck spricht, den die
in der Vita Nuova geschilderte erste Begegnung mit Bea*
trice auf seine Lebensgeister gemacht hatte:

Am Tag, da Jene in die Welt gekommen,

— wie man's beschrieben findet


im Buche von der Seelenkraft, die schwindet —
da ward mein jugendliches Ich ergriffen

von einer neuen Regung,


so daß ich dastand voller Bangigkeit. . .

127

Da man nicht gut annehmen kann, daß an jenem Tage die


kleine BeatricesPiccarda zur Welt gekommen sei und Dante
sich also in ein neugeborenes Kind von acht Jahren verliebt
habe, so ist es klar, daß »Jene« nur die glorreiche Herrin
Liebe sein kann 40 , die durch ihre Inkarnation in dem lieb*
liehen achtjährigen Kinde das überraschte Herz des kleinen
Dante in selige Bangigkeit versetzte.

Der seltsame Nachsatz : die von vielen, die nicht wußten,


wie sie zu nennen sei, Beatrice genannt wurde, kann sich nur
auf die Liebe, nicht aber auf die jugendliche Geliebte be*
ziehen; es lag aber offenbar nicht in der Absicht des Dich*
ters, sich klar darüber auszusprechen und die Liebestheo*
rien der Trovatori auseinanderzusetzen. Unmöglich kann
die kleine Geliebte Beatrice geheißen haben, denn wäre
dies der Fall gewesen, dann wäre sie nicht von vielen so
genannt worden, die ihren Namen nicht wußten. Bezieht
man aber den Nachsatz auf die Herrin Liebe, so ist der
Sinn klar und einleuchtend, denn es ist eine allgemein be*
kannte Tatsache, daß ,wer zum erstenmal von Liebe ergriffen
wird, nicht weiß, wie das bisher unbekannte Gefühl ge*
nannt wird. Es ist für ihn ein geheimnisvolles Glück, ein
neues Leben, dasselbe Beseligende, das auch den kleinen
Dante erfaßte, und das dieser — später — mit einem Worte
benannte, das zugleich Bedeutungsname »Beseligerin« und
Frauenname »Beatrice« ist.

KAPITEL 3
Als Piccarda Donati in den Ciarissenorden eintrat, war das
Ende für die heiße Herzensminne gekommen, die, sollte die
Liebe nicht ganz aufhören, sich in eine wunschlose Seelen*
minne verwandeln mußte. Dies hat der Dichter in einer
Allegorie ausgedrückt. Piccarda erscheint ihm im symbo*

128
lischen weißen Gewand der Seelenminne, als Braut Christi,
begleitet von zwei Frauen vorgerückteren Alters 41 , und sie
grüßt Dante. Der Gruß spricht deutlich zu Dantes Seele
und weckt einen Gedanken, von dem, berauscht, ersieh zu*
rückzieht, um nachzudenken. Ein sanfter Schlummer bringt
ihm eine Vision, die ihm die veränderte Situation vor Augen
führt. Er sieht den roten Amor, der in fröhlicher Stimmung
ist, die sich nachher in bitterliches Weinen verwandelt:
Allegorie seines eigenen Liebesgefühles. Das blutrote Tuch,
das die Schlafende leicht bedeckt, deutet an, daß Piccarda
den Erdenrest ihrer Liebe zu Dante noch nicht ganz über*
wunden hat; das Verzehren des Herzens 42 mit dem darauf*
folgenden Entschwinden gen Himmel will besagen, daß
sie das Herz des Geliebten mit sich emporziehen will in ein
der Gottesminne geweihtes Leben, — also dasselbe, was
auch ihr Gruß, für Dante hörbar, ausgesprochen hatte.

KAPITEL 8
Der Herr der Engel beruft eine junge Dame von gar hol*
der Erscheinung, die in Florenz hochgeschätzt wurde, zu
seiner Glorie. — Es ist auffallend, daß der Dichter den Tod
einer Dame, die scheinbar gar nichts mit seinem Liebes*
leben zu tun hat, in seinem Büchlein erwähnt, und zwar
nur deshalb, weil er sie öfter der Holdesten hatte Gesell*
schaft leisten sehen. Seltsam ist es auch, daß er der Verbli*
chenen zwei Sonette widmet, die manchen, auf den Tod der
Beatrice verfaßten Gedichten zum Verwechseln ähnlich
sehen. Davon, daß er sie öfter mit seiner Herrin gesehen,
will der Dichter einiges andeuten in dem letzten Teil der
Worte, welche ich darüber dichtete, wie es sich offenkundig
dem zeigt, der es versteht. — Der letzte Teil dieser Worte
lautet:

9 Dante

129

Wer diese Frau war, deut' ich einzig an

durch Eigenschaften, die von ihr bekannt sind:

wer nicht des Grußes würdig,


der hoffe nie, daß ihr Geleit ihm werde.

Das nämliche sagt aber der Dichter auch von Beatrice, in


der ersten Kanzone (Kap. 19):

Und trifft sie jemand, ihres Anblicks würdig,


der fühlet ihre Macht: ihm wird zuteil,
daß sie mit ihrem Gruße ihn beschenkt. . .

Desgleichen in einem seiner Sonette (»Di donne vedi una


gentile schiera«) :

Dem, der des würdig war, gab sie den Gruß


mit ihren Augen, diese Güt'ge, Sanfte,
sein Herz mit aller Kraft erfüllend . . .

Für den, »der es versteht«, wird es sich demnach »offen*


kundig zeigen«, daß der »letzte Teil der Worte« auf die
Herrin des Heilsgrußes, die Donna della»salute, hindeutet^
ohne ihren Namen — Beatrice — zu nennen. Der Einwand,
daß, wenn hier vom Tode der Beatrice die Rede wäre, sie
in der Vita Nuova zweimal gestorben sein müsse (hier und
im Kap. 28), ist richtig, beweist aber nichts gegen die Tat*
sache. Ihr Tod ist hier, im ersten Teil des Büchleins, so ver*
hüllt, daß kaum jemand zu erkennen vermochte, wer die
Verstorbene war; und so konnte Dante im zweiten Teil
nochmals von ihrem Tode, diesmal klar und deutlich be*
richten. — Daß Beatrice die verstorbene Person ist, zeigt
sich auch darin, daß von da an der erste Teil der Vita
Nuova von der zweiten Liebe Dantes handelt; die leiden*
schaftliche Herzensminne tritt nun auf und gewinnt an

130 /

Macht, während die Seelenminne dahinstirbt — vien meno —


was, wie wir wissen, erst nach dem Tode der Beatrice* Pie*
carda der Fall war.

KAPITEL 11
Die mystische Theologie weiß von Vorgängen des höhe*
ren religiösen Innenlebens, bei welchen die Seele spontan
wie von einem Liebesrausch (raptus) ergriffen wird, der
sich bis zur Ekstase steigern kann, und wobei manchmal
durch das innere Gehör eine geistige Einsprache vernom*
men wird. Solche mystische Wirkungen schreibt Dante (wie
auch aus dem zweiten Kapitel zu ersehen ist) dem »Gruß«
der Beatrice zu. Das Wort »salute« hat eine doppelte Be*
deutung: »Gruß« und »Heil«. Wie aus den Worten: wenn
dieses holdeste Heil grüßte (quando questa gentilissima sa*
Iute salutava) hervorgeht, ist unter der grüßenden Beatrice
die heilspendende Liebe zu verstehen.

KAPITEL 12
Tiefbetrübt, weil ihm Beatrice den Gruß verweigerte, ist
Dante eingeschlafen und erhält von dem Gefühl seiner
überlegenden seelischen Liebe (dem weißgekleideten Amor)
in einer Vision die Belehrung, daß die falschen Vorspiege*
lungen von Liebe (ein Spiel mit dem Feuer, bei dem man
sich leicht verliebt) von nun an aufhören müssen; er er*
kennt, daß ihm selber die Harmonie der Liebe fehlt, bei der
alle Teile der Peripherie sich in gleicher Weise zu ihrem Zen*
trum verhalten ; d. h. sinnlich* weltliche und übersinnlich*reli*
giöse Liebe sind (wie Staat und Kirche) zwei Machtbereiche,
die nebeneinander bestehen, sich aber nicht gegenseitig be*
einträchtigen dürfen, wie es bei ihm bisher der Fall war.
Darum muß er sich über sein Liebesleben klar werden

9* 131

(seine Gedanken in einem an Beatrice gerichteten Gedicht


aussprechen) und erkennen, daß, wenngleich ihn die Liebe
zur Frauenminne zwinge, er doch der Gottesminne treu
bleiben könne und müsse.

KAPITEL 13
Dantes Liebe zu der armen Piccarda war, fern allem Be*
gehren, eine schwärmerische, platonische Verehrung, deren
reines, ruhiges Licht sein Leben erleuchtet hatte. Erst als
die schönen Augen der Gemma Donati einen Feuerbrand
in sein Herz geworfen, erlebte er die ganze Skala von er*
hebenden und niederdrückenden, süßen und bitteren Ge*
fühlen, über die er sich viele und verschiedenartige Gedanken
machte. Die blonde Gemma war nicht wie andere Frauen,
die leicht ihr Herz verschenken ; ihre jungfräuliche Herbheit
war so »erbarmungslos«, gar nicht zu bemerken, wie heiß
sie im Stillen geliebt wurde. Dante mußte, wie schon er*
wähnt, lange warten, bis er Gegenliebe fand; und da jedes*
mal, wenn er seine Angebetete sah, in seinem Herzen ein
»Erdbeben« anhob, das ihn der Fassung beraubte, so scheint
er während der zwei Jahre (1291—1293) in ihrer Gegen*
wart eine recht unglückliche Rolle gespielt zu haben.

KAPITEL 14
Dante wird von einem Freunde zu einem Hochzeitsmahle
geführt und erblickt dort unter den geladenen Frauen die
holdeste Beatrice (la gentilissima beatrice). Bevor noch
seine Augen sie gesehen, zittert er schon am ganzen Leibe,
und nun verlor er, einer Ohnmacht nahe, so sehr die Herr*
schaft über seine Sinne, daß seine Augen nicht imstande
waren, das Wunder dieser Frau (la maraviglia di questa
donna) zu sehen und nur seine Liebe an Stelle seiner Augen

132

die wunderbare Herrin (la mirabile donna) betrachtete. Es


wurde ihm also, wie wir zu sagen pflegen : schwarz vor den
Augen. Viele der anwesenden Damen bemerkten, wie ent*
stellt er in seiner jammervollen Fassungslosigkeit aussah,
und spöttelten im Gespräch mit der Holdesten (con questa
gentilissima) darüber. —

Diese Erzählung birgt wieder einmal eine Fülle von Uns


Wahrscheinlichkeiten oder richtiger von absichtlichen Irre*
führungen. Wie kommt die (verstorbene) Beatrice*Piccarda
in die Gesellschaft der Frauen? Warum gerät Dante bei
ihrem Anblick in die bemitleidenswerte Verfassung, in die
ihn doch sonst nur die Nähe seiner zweiten Geliebten ver*
setzt? Bei Begegnungen mit Beatrice ist (siehe den ganzen
zweitenTeil der Vita Nuova) nie die Rede von Erregungszu*
ständen, in denen er der Lächerlichkeit verfällt; im Gegen?
teil, diese Beatrice übt einen solchen Zauber auf ihn aus,
daß ihn ein Feuer, der Nächstenliebe ergreift, das ihn allen
Stolz vergessen und jedem Feinde verzeihen läßt; ein Gefühl,
in dem er die ganze Welt umarmen möchte. In der unvoll*
endeten Kanzone (Kap. 27) schildert er, wie ihre Macht auf
ihn einwirkte : Mild und süß wohnt die Minne in seinem
Herzen ; wenn sie ihn aber überwältigt und aller Kraft be*
raubt, dann fühlt seine Seele so große Wonne, daß er er*
bleichend unter Seufzern seiner Herrin ruft, daß sie ihn
heile; das widerfährt ihm, wo immer sie ihn sieht, und wirkt
so sanft, daß man es kaum glauben kann; — von heißblü*
tig*leidenschaftlicher Aufregung, die ihn den Kopf ver*
lieren läßt, keine Spur! — Ferner: Daß die liebevolle, gü*
tige, sanfte und demütige Piccarda mit den anderen Frauen
über das verstörte Aussehen ihres Verehrers gespottet habe,
das steht mit allem, was die Vita Nuova an einwandfreien
Stellen über sie berichtet, in grellem Widerspruch; eine

133

spottende Beatrice, die sich mit anderen über jemand lustig


macht, ist unmöglich! Wohl aber mag die stolze Gemma,
in deren jungem Herzchen die Liebe noch nicht erwacht
war, über das sonderbare Gebahren des Messer Dante gen
spottet haben ; niemand wird sie darüber der Herzlosigkeit
beschuldigen, sagt doch Dante selber 43 :

Laß, Liebe, sie durch deine Huld erkennen


mein mächtiges Verlangen, sie zu sehen,

und gib nicht zu, daß sie


bei ihrer Jugend mich zum Tode führe :
denn noch gewahrt sie nicht, wie sie gefällt,

nicht, wie so heiß ich liebe


und daß in ihrem Blicke ruht mein Friede.

Dies alles erwogen, kann es nicht schwer fallen, die hier in


der Erzählung liegende Mystifikation zu durchschauen.
Der Dichter spricht von der »wunderbaren Herrin« und
von dem »Wunder dieser Dame«; ein Wunder ist aber die
Liebe in jeder Beseligerin, in jeder Geliebten; dies beweist
das Sonett im Kapitel 24 :

Und Monna Vanna dann und Monna Bice


sah zu dem Ort ich kommen, wo ich weilte,
das eine (Liebes*) Wunder nach dem andern.

(l'una appresso l'altra maraviglia). Und so verhält es sich


auch mit »gentilissima beatrice« ; denn beatrice als Bedeu«
tungsname (klein zu schreiben) kommt jeder Frau zu, die
durch die Liebe beseligt, heiße sie Piccarda oder Gemma
oder sonstwie. Allerdings ist die Bezeichnung hier irres
führend, da gentilissima und beatrice in der Vita Nuova
fast ausschließlich von der ersten Geliebten gesagt wird.
Aber irrezuführen lag ja grade in der Absicht des Dichters,

134

der das Geheimnis einer zweiten Liebe nicht verraten


wollte, — so hier wie überall in dem Büchlein. Unter dem
Deckmantel »gentilissima beatrice« verbirgt sich also hier
Gemma Donati, so befremdend dies auch auf den ersten
Blick erscheinen mag.

KAPITEL 15

Was mir geschehen, entschwindet dem Gedächtnis,


wenn ich euch sehe, holder Edelstein ...

(Ciò che m'incontra nella mente more

quand' i'vegno a veder voi bella gioia . . .)


Gioia ist gleichbedeutend mit gemma, beides heißt Edel*
stein oder Kleinod. Daß »bella gioia« hier ein Substitut
für »bella Gemma« ist, wird wohl kaum jemand in Zweifel
ziehen, der weiß, daß das Sonett an Gemma Donati ge*
richtet ist 44 .

KAPITEL 18
Dante glaubt, in den drei Sonetten (Kap. 14, 15, 16) ge*
nug von dem Zustand seines Herzens verraten zu haben
und von nun an entweder schweigen oder einen neuen und
edleren Stoff für seine Dichtungen suchen zu sollen. Wie
er zu seinem neuen Stoff kam, berichtet uns eine reizende
Erzählung : Der einsam wandernde Dante gerät zufällig in
eine heitere Gesellschaft schöner Florentinerinnen, die ihn
wegen seiner sonderbaren Liebe, die »die Gegenwart der
Geliebten nicht ertragen kann«, ins Verhör nehmen. Als
ich bei ihnen angelangt war und sah, daß meine holdeste
Herrin nicht in ihrer Gesellschaft weilte, war ich beruhigt,
und fragte sie, was sie wünschten. Die Worte »meine hol*
deste Herrin« sollen bei dem Leser die Meinung erwecken,

135

es handle sich um Beatrice, während in Wirklichkeit Dante


sich beruhigt fühlte, weil Gemma sich nicht in der Gesell*
schaft befand. Es ist die nämliche absichtliche Irreführung
wie vorher im Kapitel 14.

Die versammelten Damen, von denen jede schon vielen


»Niederlagen« Dantes beigewohnt hatte, wußten, wie es
um sein Herz stand, und auch die drei Sonette waren ihnen
bekannt, in denen er geschildert hatte, wie es ihm beim
Anblick seiner Geliebten zu ergehen pflegte. Auf die Frage,
worin seine Seligkeit bestehe, antwortete Dante: »In den
Worten, die meine Herrin preisen« ; darauf konnte ihm die
Wortführerin mit Recht erwidern, daß seine Antwort nicht
dem Inhalt jener Sonette entspreche; denn diese enthalten
weder von Glückseligkeit noch von dem Preis der Herrin
eine Silbe. Das Gespräch mit den Damen veranlaßt dann
den Dichter, als nächsten und edleren Stoff das Lob der
Beatrice zu wählen.

KAPITEL 30
Nachdem diese Frau aus der Welt geschieden war, blieb
die ganze oben erwähnte Stadt (Florenz) wie verwitwet und
aller Würde beraubt zurück. Und darum schrieb ich, noch
weinend, in dieser schwer geschädigten Stadt an die Ersten
des Landes über ihren Zustand . . . Hat Dante in seinem
Briefe an die Ersten der Stadt den Zustand der geschädig*
ten Stadt dem Tode seiner Geliebten zugeschrieben? Sicher*
lieh nicht. Wir wissen zwar nicht, wie Dantes Schreiben
lautete, dürfen aber als gewiß annehmen, daß darin nicht
von Beatrice, sondern nur von den traurigen Zuständen
der Stadt die Rede war. Wie der Florentiner Chronist Vii*
lani berichtet, war die Zeit von 1283 bis 12S9 die denkbar
glücklichste für die Stadt Florenz und ihre Einwohner. Dann

136

begannen die unseligen Spaltungen zwischen Volk und


Adel, und später der Parteihader zwischen den Weißen
und Schwarzen, die allen erdenklichen Schaden für Fio*
renz mit sich brachten. Als um diese Zeit, im Juni 1290,
Beatrice*Piccarda starb, da sah Dantes Dichterphantasie in
dem Hinscheiden der Geliebten und dem gleichzeitigen Ruin
seiner Vaterstadt einen Zusammenhang, den die Vita Nuova
dadurch zu Worte kommen läßt, daß sie jenes Schreiben afi
die Herren der Stadt erwähnt. Dieser mehr gefühlte als ge*
dachte Zusammenhang 45 liegt auch im

KAPITEL 40
dem Sonett »O Pilger, die ihr in Gedanken gehet« zu*
gründe. Pilger, die nach Rom wallen, ziehen durch die
leiderfüllte Stadt Florenz, ohne von deren herbem Schick*
sai gerührt zu sein ; sie scheinen nichts von ihrem politi*
sehen Ruin zu wissen ; aber wenn sie Dante anhören woll*
ten, so würde er sie durch seine Worte über das Unglück
der Stadt zu Tränen rühren, denn: »Sie hat verloren
ihre Beatrice« (d. h. ihr Glück).

137

ANMERKUNGEN

1 (Seite 9) Es erschienen vollständige Übertragungen von C. von


Oeynhausen, Leipzig 1824; K. Förster, Leipzig 1841 ; B.Jacobson,
Halle 1877; J.Weege, Leipzig 1878; K. Federn, Halle 1897; Friedr.
Beck, München 1903; O. Hauser, Berlin 1906; R. Zoozmann, Frei*
bürg i. B. 1908.

2 (Seite 58) D. i. in der provenzalischen und italienischen Sprache.


8 (Seite 82) Dr. G. A. Scartazzini, Dante*Handbuch. Leipzig 1892.
Seite 285.
* (Seite 90) Franz Xaver Kraus, Dante. Berlin 1897. Seite 210.

5 (Seite 90) a me convenne ripigliare materia nuova e più nobile

che la passata.

' (Seite 90) nuova materia che appresso viene.

7 (Seite 91) »Betrachtet man die in der Vita Nuova erzählten äußeren
Umstände, so stellen sie sich als eine sinnlose und planlos verzet*
telte Reihe der verschiedenartigsten Zufälligkeiten dar« — so sagt
Karl Vossler (Die göttliche Komödie, Heidelberg 1907. Seite 514).

8 (Seite 91) Kapiteleinteilung haben weder die Handschriften noch


die älteren Drucke ; sie ist Zutat eines späteren Herausgebers, findet
sich aber in fast allen neueren Ausgaben und Übersetzungen.

• (Seite 93) Vgl. Divina Commedia, Purgatorio XXI, 47 ff.

10 (Seite 93) la selva erronea di questa vita. Convivio IV, 24. Vgl.
Inferno I, 2.

11 (Seite 93) Purgatorio XXX.

" (Seite 91) Dante*Handbuch, Seite 180.

18 (Seite 98) Der Pseudo?DionysiusAreopagita teilt die himmlischen


Heerscharen in drei Hierarchien zu je drei Chören ein:
I. Seraphim — Cherubim — Throne.

II. Herrschaften — Kräfte — Mächte.

III. Fürstentümer — Erzengel — Engel.

14 (Seite 100) Zu dieser Erklärung bietet Paradiso 1, 104—117 die Er*


gänzung.

15 (Seite 101) Siehe Kapitel 38 der Vita Nuova.

16 (Seite 102) Die menschliche Natur der verschleierten Braut gibt


sich ganz folgerichtig für die einstige Geliebte, die Beatrice der Vita
Nuova, aus.

17 (Seite 102) Paradiso IV, 115-120.

138

12 (Seite 103) Er nennt sie (Paradiso III, 1): »Die Sonne, die mein
Herz mit Liebe nicht erwärmte« und spricht (XXVIII, 12) von den
»schönen Augen, die Amor zur Schlinge machte, mich zu fangen«.

19 (Seite 105) In seiner Vorrede zum Dekameron erzählt Boccaccio,


er habe von einer glaubwürdigen Person erfahren (si come io poi
da persona degna di fede sentii), daß an einem Dienstagmorgen
sieben junge Damen, die einander als Freundinnen oder als Nach*
barinnen oder als Verwandte nahestanden, in der ehrwürdigen
Kirche von Santa Maria Novella zusammentrafen, wo sie dem
Gottesdienst in Trauerkleidern beigewohnt hatten ; keine von ihnen
sei älter als achtundzwanzig, keine jünger als achtzehn gewesen
usw., usw. — Auch hier wird man einen gelinden Zweifel an der
»glaubwürdigen Person« nicht unterdrücken können.

20 (Seite 106) Dante*Handbuch, Seite 187. Sieh auch G.Qietmann,


S. J. Beatrice. Freiburg i.B. 1889. Seite 141 ff.

21 (Seite 106) »Die Geschichte der Beatrice Portinari als der Ge*
liebten Dantes ist eine hübsche Idylle, die es wert war, von einer
geschickten Hand zu einem ganzen Roman ausgearbeitet zu werden :
mehr als das ist sie in unseren Augen nicht.« F. X. Kraus, a. a. O.
Seite 221.

22 (Seite 108) La vista mia, che tanto la seguio, Quanto possibil fu...
" (Seite 109) Siehe Frullani und Gargani, La Casa di Dante. Fi*
renze 1865.

24 (Seite 1 10) »If the Ottimo Commento is correct in the assertation


that Piccarda was forced into marriage with Roselino della Tosa by
Corso, while the latter was Podestà of Bologna, the incident must
have taken place in 1283 or 1288, which were the years in which
Corso held the office in Bologna.« Paget Toynbee, Dantc*Dictionary
(Oxford'1898) Seite 249.

28 (Seite 110) In der Vita Nuova heißt es, daß der Herr die Holdeste
abberief, »daß sie lobsinge unter dem Banner der benedeiten Königin,
Jungfrau Maria, deren Namen die selige Beatrice stets mit der tiefsten
Ehrfurcht ausgesprochen« habe ; und in der Commedia singt Piccarda
das Ave Maria.— DieVita Nuova sagt, daß die irdische Schönheit der
Beatrice im Himmel zu einer hehren geistigen Schönheit ward ; und
in der Commedia spricht Piccarda davon, daß sie schöner gewor*
den sei, als sie bei Lebzeiten gewesen. — Die Vita Nuova erwähnt
unter Beatriees Schönheiten die Perlenfarbe ihres Gesichtes ; und in

139

der Commedia erscheinen die Gesichtszüge der Picearda als ein


schwaches Bild, kaum kenntlich, »wie eine Perle auf weißer Stirn«.
[Non era forse la bianca fronte di monna Bice che gli si riaffacac«
ciava alla mente? Certo in quel riflesso perlaceo sembrava all'ina»
morato che trasparisse un lume di cielo . . .«Michele Scherillo, La
Vita Nuova. Milano 1911. Seite XXXVII.] - Es ließen sich solcher
Parallelen noch viele anführen. —
28 (Seite 110) Kraus, a. a.O. Seite 140.

27 (Seite 112) »Bensì si accompagna a Forese per lungo tratto di via


sul monte del purgatorio : gli parla più amorevolmente che agli altri
spiriti; gli ricerca da quanto tempo era morto, e com'esso lo avea pianto
sovra la barra . . . Tutto il dramma fra Dante e Forese, le loro acco*
glienze, e le loro esclamazioni: »O dolce frate, che vuoi ch'io di*
ca?« e il loro congedo spirano affetti domestici e le memorie e il
desiderio della consuetudine antica « Ferdinando Arrivabene, Il
secolo di Dante. Udine. 1827. tom. II.

28 (Seite 112) Dantes erster Freund Guido Cavalcanti war zur Zeit
der Jenseitsreise (Ostern 1300) noch am Leben.

19 (Seite 115) cioè che tutto è lo cotal pensare de la mia donna. —


(Von den vielen deutschen Übersetzern der Vita Nuova hat nur
Jacobson diese Worte sinngetreu wiedergegeben : »Daß all solches
Denken mir durch meine holde Frau zuteil wird.«)

80 (Seite 116) Perfetta vita ed alto merto inciela Donna più su . . .

81 (Seite 116) Tu la vedrai Nel trono che i suoi merti le sortirò . . .

82 (Seite 116) Die hi. Clara, geb. 1193 in Assisi, floh 18 Jahre alt,
gegen den Willen ihrer Eltern, die sie verheiraten wollten, in das
Kirchlein Portiuncula zu dem hl. Franz von Assisi und erhielt von
ihm das Ordenskleid. Sie starb 1253 und wurde 1255 heilig gespro*
chen. Den von ihr gegründeten Orden der Clarissinnen bestätigte
1220 der Papst Honorius IL und gab ihm die strenge Regel der
Benediktiner.

88 (Seite 118) Siehe Dr. Constatin Sauter, Dantes Gastmahl, Frei*

bürg i.B. 1911. Seite 146, Anm. 2.

81 (Seite 118) Über die Identität dieser vier Frauengestalten siehe:

Franz A.Lambert, »Matelda und Beatrice«, München 1913. S. 154 ff.

88 (Seite 121) Convivio 11,7. III, 2.

88 (Seite 122) Paradiso IV, 19-63.

87 (Seite 124) Gemmas einstiger Verehrer Guido Cavalcanti war

140
schon als Knabe gleich anderen jungen Adeligen behufs Herstel*

lung des Friedens zwischen Güelfen und Ghibellinen zur Ehe mit

Beatrice, der Tocher des großen Ghibellinenführers Farniata degli

Uberti bestimmt worden. Sie wurde seine Gattin. Kraus, a. a. O.

Seite 144.

88 (Seite 128) Donna ... si presso è il mio core Di vo, incarnato

amore, che more di pietate . . . singt Guinicelli.

88 (Seite 128) In der fünften Strophe der Kanzone »E'm'incresce di

me.«

40 (Seite 129) Auch Purgatorio XXXI, 108, wo es heißt: »Eh' Beatrice


niederstieg zur Erde«, ist von der Liebe und nicht von der Geliebten
die Rede.

41 (Seite 130) »Wenn eine gottgeweihte Jungfrau Profeß ablegt oder,


wie man sich ausdrückt, eingekleidet wird, so soll sie von einer im
Alter bereits vorgerückteren verwandten Matrone, der Paranymphe,
wie der kirchliche Ausdruck lautet, zu dem heiligen Akte hinzu«
geführt werden.« Wetzer und Welte, Kirchenlexikon. 1848, Artikel
»Braut«.

42 (Seite 130) Ein von Dante der provenzalischen Minneliteratur


entlehntes Motiv.

48 (Seite 1 35) In der Kanzone »Amor che muovi tua virtù dal cielo«.

44 (Seite 136) Über kabbalistische Kunstgriffe, die Dante anwendet,


um Namen zu verbergen, siehe meine »Matelda und Beatrice«.
Seite 5, 16, 59, 76 u. ö.

45 (Seite 138) »Così Dante, questo »povero grande pazzo di poesia


e d'amore,« come lo chiama Carducci, confondeva insieme, nella sua
anima immensa l'amore per la donna e quello per la patria. L'an*
goscia ineffabile ch'ei provava per la morte dell'una, si completeva
col profondo accoramento pel fatale scadimento dell'altra ; e in
quella pienezza di dolore ei trovava un cotale appagamento di*
sperato. La duplice e contemporanea sciagura attutiva il dissidio
che gli avrebbe straziato il cuore . . .« Scherillo, a.a.O. Seite 340.
141

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