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Mittelhochdeutsche Lyrik: Minnesang (Liebeskanzone)

Der Kürenberger
Der Falke
[Text nach 1150]

Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr. (I) Ich zog mir einen Falken länger als ein Jahr.
dô ich in gezamete als ich in wolte hân Als er von mir gezähmt und mir zu Wunsche war
und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant, und ich um sein Gefieder goldene Bänder wand,
er huop sich ûf vil hôhe und fluog in ándèriu lant. steil stieg er in die Lüfte und flog in andere Land.

Sît sach ich den valken schône fliegen. (II) Fortan sah ich den Falken herrlich schwingen;
er fuorte an sînem fuoze sîdîne riemen, er trug an seinem Fuße seidene Schlingen,
und was in sînem gevidere alrôt guldîn. es glänzte sein Gefieder um und um von Gold.
got sende si zesamene die gerne gelíep wéllen sîn! Gott sende sie zusammen, die sich sehnsüchtig hold.

Heinrich von Veldeke


Rechte Minne
[Text ca. 1170-1190]

In den tîden van den jâre (I) In des Jahres frühen Zeiten,
dat dî dage werden lanc wenn die Tage lang werden,
énde dat wéder weder clâre, und der Himmel wieder hell ist,
sô ernouwen openbâre da erneuern öffentlich, für alle hörbar
mérelâre heren sanc, die Amseln ihren herrlichen Gesang,
dî uns brengen lîve mâre. der uns grosse Lust bereitet.
gode mach hers weten danc Dann mag auch Gott danken,
dê hévet rehte minne wer rechte Minne trägt,
sunder rouwe ende âne wanc. die ohne Betrübnis und ohne Zweifel ist.

Ich wil vrô sîn dore here êre (II) Froh will ich sein um ihrer Ehre willen,
dî mich hevet dat gedán die mich veranlasst hat,
dat ich van den rouwen kêre mein Leiden zu missachten,
dê mich wîlen irde sêre. das mich lange so tief verwundet hat.
dat is mich nû sô ergân: Nun aber ergeht es mir so:
ich bin rîke ende grôte hêre Ich bin beglückt und erhoben,
sint ich muste al umbevân seit ich bei ihr sein darf,
dî mich gaf rehte minne die mir rechte Minne gab,
sunder wîc ende âne wân. die ohne Anfechtung und Vermutungen ist.

Dî mich drumbe willen nîden (III) Mag den Neidern nicht behagen,
dat mich lîves ît geschît, dass mir Liebes nun geschieht,
dat mach ich vele sáchte lîden, das will ich sehr gerne ertragen,
mîne blîtscap nît vermîden mich von der Freude nicht fernhalten,
ende enwille drumbe nît und ich will deshalb nicht
nâ gevolgen den unblîden, in Trübsinn verfallen,
sint dat sî mich gerne sît da ja sie mich gerne sieht,
dî mích dore rehte minne um deren rechte Minne
lange pîne dolen lît. ich lange mich bemühte und litt.

3.1 · ©2016-04 J. Schmid 1


Minnesang

Heinrich von Morungen


[Text ca. 1190-1222]

Vil süeziu senftiu tœterinne, Gütige sanftmütige – Mörderin,


war umbe welt ir tœten mir den lîp, warum wollt Ihr mich töten,
und ich iuch sô herzeclîchen minne, wo ich Euch doch so von Herzen verehre,
zwâre vrouwe, vür elliu wîp? wahrhaftig, Herrin, mehr als alle Frauen.
Wænet ir ob ir mich tœtet, Glaubt Ihr, dass ich, wenn Ihr mich tötet,
daz ich iuch iemer mêr beschouwe? Euch niemals mehr anschauend bewundere?
nein, iuwer minne hât mich des ernœtet, Nein; die Liebe zu Euch hat mich dazu genötigt,
daz iuwer sêle ist mîner sêle vrouwe. dass Eure Seele meiner Seele Herrin ist.
sol mir hie niht guot geschehen Wird mir hier in diesem Leben keine Gnade
von iuwerm werden lîbe, von Eurer edlen Person zuteil,
sô muoz mîn sêle iu des verjehen, so muss meine Seele Euch bekennen,
dazs iuwerre sêle dienet dort als einem reinen dass sie Eurer Seele dort dienen wird als einer Frau
wîbe. ohne jeden Makel.

Hartmann von Aue


Überhöhte Minne
[Text nach 1180]

Maniger grüezet mich alsô (I) Mancher begrüßt mich so


(der gruoz tuot mich ze mâze frô): – und über diesen Gruß freue ich mich nur mäßig:
»Hartman, gên wir schouwen »Hartmann, auf, hofieren wir
ritterlîche frouwen!« die vornehmen Damen!«
mac ér mich mit gemache lân Er soll mich in Ruhe lassen
und île er zuo den frouwen gân! und (allein) zu den Damen eilen!
bî frouwen triuwe ich niht vervân, Bei Damen traue ich mir nichts zuwege zu bringen,
wan daz ich müede vor in stân. als voller Verdruss vor ihnen zu stehen.

In mîner tôrheit mir geschach (II) In meiner Unerfahrenheit passierte es mir,


daz ich zuo zeiner frouwen sprach: dass ich zu einer Dame sagte
»frouw, ích hân mîne sinne »Herrin, ich habe mein ganzes Sinnen
gewant an iuwer minne.« auf eure Liebe gerichtet.«
do wart ich twerhes an gesehen. Da wurde ich aber schief angesehen!
des wil ich, des sî iu bejehen, Darum will ich, das sei auch frei gestanden,
mir wîp in solher mâze spehen nach Frauen suchen, deren Sitte gebietet,
diu mir des niht enlânt geschehen. mich nicht so zu behandeln.

Ze frouwen habe ich einen sin: (III) Über die Damen denke ich so:
als sî mir sint, als bin ich in. So wie sie zu mir sind, so bin ich zu ihnen.
wand ich mac baz vertrîben Denn ich kann besser meine Zeit
die zît mit armen wîben. mit Frauen verbringen, die nicht von Stand sind.
swar ich kum, da ist ir vil: Wo ich auch hinkomme, gibt es viele von ihnen,
dâ vinde ich die diu mich dâ wil. und da finde ich jene, die auch mich will:
diu ist ouch mînes herzen spil. Die ist dann die Freude meines Herzens.
waz touc mir ein ze hôhez zil? Was nützt mir ein zu hohes Ziel?

2
Minnesang

Walther von der Vogelweide


Traumliebe
[Text ca. 1190-1230]

Nemt, frouwe, disen kranz! (I) »Nehmt, Herrin, diesen Kranz!«


álsô sprach ich zeiner wol getânen maget, so sprach ich zu einem schönen Mädchen,
sô zieret ir den tanz; »dann zieret ihr den Tanz,
mit den schœnen bluomen, áls ir si ûffe traget. mit den schönen Blumen, wenn ihr sie auf dem
Kopf tragt.
het ích vil edele gesteine, Hätte ich kostbare Edelsteine,
daz müesste ûf iuwer haobet die müssten auf euer Haupt,
óbe ir mirs geloubet. wenn ihr mir das glauben wollt.
sêt mîne triuwe, daz ichs meine. Seht meine Redlichkeit, dass ich’s so meine.«

Si nam daz ich ir bôt (II) Sie nahm an, was ich ihr bot,
einem kinde vil gelîch daz êre hât. wie ein Kind von Anstand, das Verehrung verdient.
ir wangen wurden rôt Ihre Wangen wurden rot,
same die rôse, dâ si bî der liljen stât. gleich einer Rose, wenn sie unter Lilien blüht.
do erscâmpten sich ir liehten ougen: Scham verdunkelte ihre hellen Augen,
dóch neic si mir schône. doch sie neigte sich mir anmutig zu.
daz wart mir zu lône: Das wurde mir zum Lohn,
wirt mirs iht mêr, daz trage ich tougen. und wird mir mehr zuteil, bewahre ich Schweigen.

Ir sît sô wol getân, (III) »Ihr seid so schön,


daz ich iu mîn schapel gerne geben vil: dass ich euch mein Kränzlein gerne geben will:
sô ichz áller beste hân. das beste, was ich habe.
wîzer unde rôter bluomen weiz ich vil: Ich weiss, wo viele weisse und rote Blumen wachsen:
die stênt niht verre in jener heide. Sie stehen nicht fern auf jener Heide,
dâ si schône entspringent wo sie herrlich aufspriessen,
und die vogele singent, und da, unter dem Gesang der Vögel
dâ suln wir si brechen beide. wollen wir sie gemeinsam pflücken.«

Mich dûhte daz mir nie (IV) Mir schien, dass mir niemals
lieber wurde, danne mir zu muote was. seliger zumute war als damals.
die bluomen vielen ie Blüten fielen immerfort
von dem boume bî uns nider an daz gras. von dem Baum um uns nieder in das Gras.
seht, dô muost ich von fröuden lachen. Ja, ich lachte vor Glück.
do ich sô wünneclîche Und als ich so den Traum
was in troume rîche, von der Fülle des Glücks träumte,
dô tagete ez und muose ich wachen. da wurde es Tag, und ich musste erwachen

Mir ist von ir geschehen, (V) Sie hat mich dazu gebracht,
daz ich disen sumer allen meiden muoz dass ich diesen Sommer allen Mädchen
vaste únder d’ougen sehen: tief in die Augen sehen muss.
lîhte wirt mir einiu: so ist mir sorgen buoz. Finde ich die eine, dann schwände mein Kummer.
waz óbe si gêt an disem tanze? Wie, wenn sie in diesem Tanz mittanzt?
frouwe, durch iuwer güete Frauen, habt die Güte,
rucket ûf die hüete. rückt empor die Hüte!
ôwê gesæhe ich si under kranze! Ach sähe ich sie doch unter dem Kranz!

3
Minnesang

Heinrich von Morungen


Taglied
[Text ca. 1190-1222]

Owê, – (I) O weh,


Sol aber mir iemer mê soll mir denn länger nicht
geliuhten dur die naht erstrahlen durch die Nacht,
noch wîzer danne ein snê noch weisser als der Schnee,
ir lîp vil wol geslaht? ihr Leib in seiner Pracht?
Der trouc diu ougen mîn. Er täuscht’ die Augen mein
ich wânde, ez solde sîn ich meint’, es müsste sein
des liehten mânen schîn. Des hellen Mondes Schein
Dô tagte ez. Da tagte es.

»Owê, – (II) »O weh,


Sol aber er iemer mê kann er denn nicht einmal
den morgen hie betagen? den Morgen hier erleben?
als uns diu naht engê, Kann keine Nacht vergehn
daz wir niht durfen klagen: dass wir nicht Klag’ erheben:
›Owê, nu ist ez tac,‹ ›O weh, jetzt ist es Tag‹
als er mit klage pflac, wie er voll Jammer tat
dô er júngest bî mir lac. als jüngst er bei mir lag.
Dô tagte ez.« Da tagte es.«

Owê, – (III) O weh,


Si kuste âne zal sie küsste ohne End
in dem slâfe mich. in dem Schlafe mich,
dô vielen hin ze tal wobei die Tränen ihr
ir trehene nider sich. als Fluss zu Tale rannen.
Iedoch getrôste ich sie, Da tröstete ich sie,
daz sî ir weinen lie dass sie ihr Weinen liess
und mich al umbvie. und mich fest umfing.
Dô tagte ez. Da tagte es.

»Owê, – (IV) »O weh,


Daz er sô dicke sich Dass doch so oft sein Blick
bî mir ersehen hât! auf mir nur ist verharrt!
als er endahte mich, Wenn er die Decke hob
sô wolt er sunder wât und er dann ohne Kleid
Mîn arme schouwen blôz. die Glieder wollte sehn.
ez was ein wunder grôz, Und seltsam, dass er nie
daz in des nie verdrôz. den Anblick müde ward.
Dô tagte ez.« Da tagte es.«

4
Minnesang

Anonym
[Aus dem Lochamer Liederbuch (1452-60); Text bedeutend älter, mündlich überliefert]

Ich spring an diesem ringe (I) Ich spring’ bei diesem Reigen
des pesten so ichs kan so gut ich’s eben kann
von hübschen frewlein singen und sing’ von hübschen Fräulein,
als ichs geleret han wie ich’s gelernt habe.
Ich raidt durch fremde lande Ich ritt durch fremde Lande.
Do sach ich mancher hande Da sah ich mancherlei,
do ich dy frewlein vand. wo ich die Fräulein fand.

Die frewelein vom Reyne (II) Die Fräulein vom Rhein,


dy lob ich offt und dick, die lob’ ich oft und sehr.
sy sind so hübsch und veyne sie sind so hübsch und fein
und geben frewntlich plick und geben freundliche Blicke.
Sy künnen seyden spinnen Sie können Seide spinnen,
Dy newen liechtlein singen, die neuen Liedlein singen,
sy seind der lieb ein strick sie sind ein Fallstrick der Liebe.

Die frewelein von francken (III) Die Fräulein von Franken,


Dy sich ich alzeit gerne die seh’ ich allzeit gern,
Nach jn stien mein gedancken nach ihnen steh’n meine Gedanken,
sy geben süssen kerne sie geben süße Kerne.
Sy seind dy veinsten dirnen, Sie sind die feinsten Mädchen,
wolt got solt ich jn zwirnen, wollt’ Gott, ich sollt’ ihnen zwirnen,
spynnen wolt ich lernen so wollt’ ich spinnen lernen.

Die frewelein von swaben (IV) Die Fräulein von Schwaben,


dy haben gulden har, die haben goldenes Haar,
so dürens frischlich wagen so dürfen sie es frischlich wagen,
sy spynnen über jar sie spinnen das ganze Jahr über.
der jn den flachs will swingen Der ihnen den Flachs schwingen will,
der muß sein nit geringe, der muss behende sein.
Das sag ich euch fürwahr Das sag’ ich euch fürwahr.

Die frewelein von Sachsen (V) Die Fräulein von Sachsen,


dy haben sewren weyt, die haben weite Scheunen,
dar jnn do poßt man flachsße, darin, da drischt man Flachs,
der jn der schewren leyt der in der Scheune liegt.
Der jn den flachs will possen Der ihnen den Flachs dreschen will,
muß haben ein slegell grosse, muss einen großen Schlegel haben,
dreschend zu aller zeyt der jederzeit drischt.

Die frewelein von Bayren (VI) Die Fräulein von Bayern,


dy künnen kochen wol die können gut kochen
mit kesen und mit ayren mit Käse und mit Eiern,
ir kuchen die sind vol ihre Küchen sind voll.
Sy haben schöne pfannen Sie haben schöne Pfannen,
weyter dasnn dy wannen, weiter als Wannen,
haysser dann ein kol heißer als Kohle.

5
Schmid · Deutsch

Den frewelein soll man hofieren, 0 (VII) Die Fräulein soll man hofieren
alzeyt und weil man mag, jederzeit und solange man kann.
die zeit dy kommet schire, Die Zeit, die kommt schnell,
es wirt sich alle tag wenn es jeden Tag schlechter wird.
Nun pin ich worden alde, Nun bin ich alt geworden,
zum weinen muß ich mich hgalden 5 ich muss mich an den Wein halten,
all dy weyl ich mag solange ich kann.

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