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D: St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 857 G: München, Staatsbibl.

, Cgm 19

Wolfram von
Eschenbach:
Parzival

Überlieferung:
mehr als 80 Handschriften
(16 vollständige Hss., knapp
70 Fragmente), ein Straß-
burger Druck von 1477

Haupthandschriften D und G
noch aus der Mitte des 13. Jh.
Wolfram von Eschenbach: Parzival

• entstanden 1200-1210, wichtigstes Indiz: Erwähnung der


verwüsteten Erfurter Weingärten im 7. Buch (Anspielung auf
kriegerische Auseinandersetzungen im Jahr 1203 oder 1204):

Erffurter wîngarte giht


von treten noch der selben nôt:
maneg orses fuoz die slâge bôt

(ed. Karl Lachmann, 379,18-20)

4
Wolfram von Eschenbach

• Autor nur aus literarischen Quellen bekannt (Selbstaussagen und Zitationen)


• Herkunft: fränkisches Ober-Eschenbach, heute Wolframs-Eschenbach, südöstlich
von Ansbach
• Mäzene: „fränkischer Gönnerkreis“? Landgraf Hermann von Thüringen?
• Wolframs Bildung: lateinische Bildung, Französischkenntnisse, gelehrtes Wissen in
Theologie, Astronomie, Geographie, Naturlehre und Medizin
• Stilisierung des Erzählers als Analphabeten: ine kan decheinen buochstap (115,27)
wohl bewusste „Apostrophe gegen Schulweisheit und gelehrtes Dichtertum“
(Kurt Ruh)
• Oeuvre: Epik: ,Parzival‘ (24810 Verse), ,Titurel‘ (zwei Fragmente, 170 Strophen),
,Willehalm‘ (13988 Verse, unvollendet; nach dem ,Parzival‘ entstanden);
Lyrik: 9 Lieder (Minnelieder und speziell Tagelieder)
Wolfram von Eschenbach: Parzival

Kyot-Problem
827,1-11:

Ob von Troys meister Cristjân Wenn der Magister Christian von Troys
disem maere hât unreht getân, diese Geschichte mit Willkür behandelt,
daz mac wol zürnen Kyôt, dann hat Kyôt ganz recht, sich zu empören:
Er hat uns die wahre Geschichte treu überliefert.
der uns diu rehten maere enbôt. Die Sache kommt, in der Fassung des
endehaft giht der Provenzâl, Provenzalen,
wie Herzeloyden kint den grâl dann an ihr rechtes Ende, wenn er berichtet,
erwarp, als im daz gordent was, wie das Kind der Herzeloyde den Grâl gewann,
dô in verworhte Anfortas. der ihm bestimmt war,
von Provenz in tiuschiu lant nachdem Anfortas ihn verwirkt hatte.
diu rehten maere uns sint gesant, Aus der Provence haben wir in den deutschen
Ländern die richtige Geschichte bekommen
und dirre âventiur endes zil . und auch das Ende, auf das diese Abenteuer
zielen.

(ed. Karl Lachmann) (Übersetzung von Peter Knecht)


Wolfram von Eschenbach: Parzival

Romanstruktur

• Buch 1-2: Gahmuret-Geschichte (,Elternvorgeschichte‘;


Gahmuret bei Belakane in Patelamunt und bei Herzeloyde in Kanvoleiz)
• Buch 3-6: Erste Parzival-Partie (Soltane; Weg zum Artushof: Jeschute, Sigune, Ither
[Provokation am Artushof], Gurnemanz; Kampf um Belrapeire [Erwerb der
Schönsten]; Gralsburg Munsalvaesche, Einkehr am Artushof, Kundries Anklage
[Krise])
• Buch 7-8: Erste Gawan-Partie [1. Aventiure-Sequenz des zweiten Helden]
• Buch 9: Parzival bei Trevrizent [Zwischeneinkehr des Helden]
• Buch 10-14: Zweite Gawan-Partie [2. Aventiure-Sequenz des zweiten Helden]
• Buch 15-16: Schluss der Parzival-Handlung (Zweikampf mit dem Bruder Feirefiz,
Berufung zum Gral und Rückkehr nach Munsalvaesche; Ausblick: Geschichte des
Parzival-Sohnes Loherangrin)
Wolfram von Eschenbach: Parzival

Komplikationen des Artusroman-Schemas

• Anschouwe-Zyklus: Elternvorgeschichte und Ankunft des (Halb-)Bruders Feirefiz


am Roman-Schluss (Genealogie, Orient-Thema)
• Religiöse Überhöhung mit Effekten auf die Raumstruktur: spirituelles Zentrum
Munsalvaesche (Gralsburg) neben bzw. über dem profanen Zentrum des Artushofs
• Zwei Helden: Parzival und Gawan, der Parzival-Weg rückt ab Buch 7 in den Hinter-
grund, tritt erst in Buch 9 (Einkehr bei Trevrizent) und dann wieder ab Buch 15
hervor
Wolfram von Eschenbach: Parzival

Rolle des Erzählers

• Wolframs Erzähler tritt „in der Dichtung auf ungewöhnliche Weise als Persönlich-
keit“ hervor, „bewertet und kommentiert“ seine Geschichte und schafft durch eine
sehr spezifische Form von Komik Reflexionsmomente und Distanzierungseffekte.
• Sein eigenes Erzählen charakterisiert dieser Erzähler als „ein haken- und bogen-
schlagendes“, „das nicht dem Ideal der Klarheit und Ebenmäßigkeit verpflichtet ist,
sondern mit überraschenden Wendungen, Brüchen, gegensätzlichen Bewertungen
und Widersprüchen arbeitet“. Der hier propagierte „,krumme‘ Stil […] verwirklicht
sich in einem unruhigen, sprunghaften Erzählen, das den Erzählfluß immer wieder
aufbricht, sprachliche Bilder häuft und verschränkt, witzige Bemerkungen
einstreut, Fernes und Nahes miteinander verbindet und die Zuhörer durch
ausgefallene Wörter und Wendungen überrascht“.

Bumke: (Art.) Wolfram von Eschenbach, Sp. 1392f.


Wolfram von Eschenbach: Parzival
Reaktionen der Zeitgenossen

Gottfried von Straßburg: Tristan

Swer nu des hasen geselle sî Wenn einer es hingegen mit dem Hasen hält,
und ûf der wortheide und auf dem Tummelfeld der Worte
hôchsprünge und wîtweide hochspringt und ausschweift
mit bickelworten welle sîn und fahrlässig Worte hinwirft
und ûf daz lôrschapelekîn und damit ohne unser Einverständnis
wân âne volge welle hân, Anspruch auf den Lorbeerkranz erheben will,
der gestatte uns, an unserem Anspruch
der lâze uns bî dem wâne stân; festzuhalten, bei der Wahl auch ein Wörtchen
wir wellen an der kür ouch wesen: mitzureden.

(ed. Haug/Scholz, V. 4638-4645) (Übersetzung von Haug)


Wolfram von Eschenbach: Parzival
Reaktionen der Zeitgenossen

Wirnt von Grafenberg: Wigalois

daz lop gît ir [= Jeschute] her Wolfram, Dieses Lob legt ihr Herr Wolfram zu,
ein wîse man von Eschenbach; ein weiser Mann aus Eschenbach;
sîn herze ist ganzes sinnes dach; sein Herz fasst vollkommenen Verstand ein;
eines Laien Mund hat nie besser
leien munt nie baz gesprach.
gesprochen.

(ed. Kapteyn, V. 6343-6346)


Literatur
Chrétien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder
Die Erzählung vom Gral. Altfranzösisch/Deutsch. Übers. u. hg. v. Felicitas Olef-Krafft, Stuttgart
2003 (RUB 8649).
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold. Hg. v. Walter Haug u. Manfred Günter Scholz. Mit
dem Text des Thomas, hg., übers. u. komm. v. Walter Haug, 2 Bde., Berlin 2011.
Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. Kapteyn, übers., erl. u. mit
einem Nachwort versehen v. Sabine Seelbach u. Ulrich Seelbach, Berlin/New York 2005.
Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert u. komm. v.
Eberhard Nellmann. Übertragen v. Dieter Kühn, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1994.
Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mhd. Text nach der sechsten Ausgabe
von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Einführung zum Text von Bernd Schirok,
Berlin/New York 1998.
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Bumke, Joachim: (Art.) Wolfram von Eschenbach, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters.
Verfasserlexikon. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage, hg. v. Kurt Ruh, Bd.10, Berlin/New
York 1999, Sp. 1376-1418.
Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. 8., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart/Weimar
2004.
Mertens, Volker: Der deutsche Artusroman, Stuttgart 1998 (RUB 17609).
Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Zweiter Teil: ,Reinhart Fuchs‘, ,Lanzelet‘,
Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980.
Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Studienausgabe, 2., durch-
gesehene Aufl., hg. v. Manuel Braun, Alexandra Dunkel u. Jan-Dirk Müller, Berlin [usw.] 2015.
© Christian Seebald

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