Sie sind auf Seite 1von 11

Literaturexkurs des Tristan

von Veldeken Heinrîch dâ von sît este ersprungen,


der sprach ûz vollen sinnen; von den die bluomen kâmen,
wie wol sanc er von minnen! dâ sie die spaehe ûz nâmen
wie schône er sînen sin besneit! der meisterlîchen vünde;
ich waene, er sîne wîsheit und ist diu selbe künde
ûz Pêgases urspringe nam, sô wîten gebreitet,
von dem diu wîsheit elliu kam. sô manege wîs zeleitet,
ine hân sîn selbe niht gesehen; daz alle, die nu sprechent,
nu hoere ich aber die besten jehen, daz die den wunsch dâ brechent
die, die bî sînen jâren von bluomen und von rîsen
und sît her meister wâren, an worten unde an wîsen.
die selben gebent im einen prîs:
er inpfete daz êrste rîs
in tiutischer zungen: V. 4726-4750 (ed. Haug/Scholz)

3
Heinrich von Veldeke: Biographische Splitter

• Name aus eigenen Werken und Erwähnungen Späterer (Autoren)


bekannt
• stammt wohl aus der Region westlich der Maas, aus einer Ortschaft
westlich von Hasselt (Provinz Limburg in Belgien)
• Beziehungen nach Maastricht (Servatiuslegende, entstanden im
Auftrag der Gräfin Agnes von Loon)
• Mitglieder einer Familie de Veldeke sind im 13. Jh. als Ministeriale
der Grafen von Loon und Lehnsleute der Abtei St. Trond bezeugt
• klerikale Bildung
• Latein- und Französischkenntnisse

4
Heinrich von Veldeke: Werke

• Servatiuslegende
• Minnelieder und Einzelstrophen
• Eneasroman (Eneide): Verdeutschung des anglonormannischen
Roman d’Eneas (um 1160), wodurch Veldeke „zu einem der
wichtigsten Mittler der literarischen Hofkultur des fortgeschrittenen
Westens an die deutschsprachigen Höfe des Reichs“ wird (Dieter
Kartschoke, S. 851)

5
Heinrich von Veldeke: Eneasroman

• Entstehung: Hinweise im Epilog des Textes


• neunjährige Schaffenspause aufgrund eines Diebstahls des
Manuskripts (?) oder der Vorlage (?), mehr als drei Viertel des
Textes zu diesem Zeitpunkt fertiggestellt
• Vollendung nach 1184 im Auftrag des Landgrafen Hermann I. von
Thüringen

6
Heinrich von Veldeke: Eneasroman - Sprachgestalt
„Meistens hat man angenommen, daß es eine ,Ur-Eneit‘ in dem niederländischen
(maasländischen, limburgischen) Heimatdialekt Veldekes gegeben habe, die
später ins Thüringische umgeschrieben worden sei. […] Die ,Eneit‘-Handschriften
bieten jedoch durchweg einen hochdeutschen, sogar überwiegend
oberdeutschen Text, während der ,Servatius‘ nur in niederländischer Gestalt
überliefert ist. Reimuntersuchungen haben ergeben, daß Veldeke in beiden
Werken – in der ,Eneit‘ noch mehr als im ,Servatius‘ – Reime gemieden hat, die in
seiner Heimatmundart oder im Mitteldeutschen unrein gewesen wären, wobei er
sich überraschenderweise nicht an dem benachbarten Mittelfränkischen, sondern
am Rheinfränkischen beziehungsweise am Hessisch-Thüringischen orientiert hat.
Das bedeutet (nach den überzeugenden Darlegungen von Thomas Klein), daß es –
zumindest für die Reime – überhaupt keinen Gegensatz zwischen einer
maasländischen und einer thüringischen ,Eneit‘ gegeben hat, sondern daß der
Dichter auf die Sprachgewohnheiten des höfischen Publikums in beiden Bereichen
Rücksicht genommen hat.“

Joachim Bumke: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, S.140

7
Hermann Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik,
25. Auflage, neu bearb. von Thomas Klein,
Hans-Joachim Solms und Klaus-Peter Wegera,
Tübingen 2007, S.3.

8
Vergils Aeneis und die mittelalterlichen Eneasromane: Inhaltsentsprechungen

I. Buch: Aeneas wird auf seiner Fahrt von Sizilien nach Italien durch einen von Iuno verursachten See-
sturm an die Küste Libyens verschlagen und von der karthagischen Königin [Dido] gastfreundlich auf-
genommen.
II. Buch: Aeneas erzählt Dido von der Eroberung und dem Untergang Trojas.
III. Buch: Fortsetzung des Berichts über die Irrfahren bis zur Ankunft in Karthago [im RdE mit 4 Versen
nur angedeutet, fehlt in Veldekes Eneasroman]
IV. Buch: Die Liebe zwischen Dido und Aeneas. Aeneas bricht auf Iupiters Geheiß wieder auf, Dido
verflucht ihn und gibt sich selbst den Tod.
V. Buch: Aeneas landet in Sizilien und begeht Leichenspiele zum Gedächtnis seines Vaters Anchises, der
dort gestorben und begraben ist. Aufbruch nach Italien.
VI. Buch: Landung in Italien. Unterweltfahrt des Aeneas mit der cumäischen Sibylle. Weissagung des
Anchises.
VII. Buch Neueinsatz durch ein Zwischenproömium, Anrufung der Muse der Liebesdichtung (!). Aeneas
in Latium. König Latinus verspricht ihm sein Reich und seine Tochter Lavinia, Turnus stellt sich gegen ihn.
VIII. Buch: Aeneas sucht Unterstützung bei Euander, dessen Sohn Pallas die etruskischen Hilfstruppen
anführt. Volcanus als Waffenschmied.
IX. Buch: Während der Abwesenheit des Aeneas überfällt Turnus das Lager der Trojaner. Tod der
Waffenbrüder Nisus und Euryalus. Waffentaten des Ascanius und der Brüder Pandarus und Bitias.
X. Buch: Rückkehr des Aeneas mit den Hilfstruppen. Kampf und Tod von Pallas, Mezzentius und Lausus.
XI. Buch: Waffenstillstand. Leichenfeier für Pallas. Bestattung der übrigen Gefallenen. Streit zwischen
Drances und Turnus.
XII. Buch: Zweikampfvertrag zwischen Aeneas und Turnus. Bruch des Waffenstillstands. Allgemeiner
Kampf. Verwundung des Aeneas. Tod des Turnus.

Heinrich von Veldeke: Eneasroman (ed. Kartschoke), Nachwort, S. 868f.


9
Veldekes Eneasroman und Vergils Aeneis
• Ordo naturalis vs. Ordo artificialis
• Reduktion des „mythologischen Apparats“ (Kartschoke) der Aeneis
• Christliche Heilsgeschichte vs. römischer Götterhimmel:
• „Anknüpfungsmöglichkeiten bot das Konzept der
Herrschaftslegitimation durch die Weltreichlehre und den
Gedanken der translatio imperii. Auf diese Möglichkeit greift
insbesondere Veldeke zurück, indem er das zweite
Geschlechtsregister (V. 350,2ff.) bis zur Geburt Christi ausdehnt,
zugleich durch die Eckdaten Adam/Weltentstehung/Entstehung der
Sünde in der Welt einerseits, Erlösungshoffnung/Weltende
andererseits die heilsgeschichtliche Perspektive betont und
schließlich mit den Stauferpartien das missing link zwischen dem
römischen Reich und der Endzeit der Erlösung einfügt.“
Annette Gerok-Reiter: Die Figur denkt – der Erzähler lenkt?, S. 134f.

10
Veldekes Eneasroman: Minne-Handlung (Dido)
• „Nicht nur die Dido-Handlung wird erweitert, auch Aeneas wird im Sinne
zeitgenössischer Anschauungen von Liebe verändert und zum
Minnehelden stilisiert. Seine Verbindung mit der latinischen Königstochter,
von Vergil nur mit knappen Hinweisen bedacht, erfährt außerdem eine
breite Ausgestaltung, so daß von einer regelrechten ,Doppelung‘ der
Minnehandlung gesprochen werden kann.“
Ingrid Kasten: Heinrich von Veldeke: Eneasroman, S. 80.
• „Gegenüber der menschlichen Substanz, welche Dido im Eneasroman
erlangt – ihrer Fähigkeit zum Mitleiden, ihren selbstkritischen Zweifeln,
der Unbedingtheit ihrer Liebe und schließlich der Geste des Verzeihens –,
erscheinen die hergebrachten aristokratischen Handlungsnormen, an
denen der Held sich orientiert, sein Streben nach êre und nach Bewahrung
der dynastischen Kontinuität, durchaus fragwürdig. Nur mit Mühe, so
scheint es, kann sich das alte Adelsethos gegenüber den konkurrierenden
Wertsetzungen der Minne behaupten.“
Kasten, S. 89f.

11
Veldekes Eneasroman: Minne-Handlung (Lavine)
• „Erst in der Beziehung zu Lavine erhält Eneas die Möglichkeit, seine
kämpferischen Qualitäten im Dienst der Minne zu entfalten und die tugent
seines angeborenen Adels vor aller Augen unter Beweis zu stellen. In den
Kämpfen um Laurente und Lavine, um wîp unde lant, räumt Eneas alle
Zweifel an seinem Mann-Sein, seinem Adel, seinen kämpferischen Fähig-
keiten aus, er stellt seine êre wieder her und legitimiert mit dem Sieg über
Turnus den Anspruch auf Lavine und die Herrschaft in Laurente. Damit
erweist er sich als Träger jener saelde, jenes charismatischen ,Heils‘, das
nach mittelalterlichen Vorstellungen dem Adel des Geblüts anhaftet. So
wird am Ende die Geltung des traditionellen Adelsethos und des dynas-
tischen Denkens auch in der Verbindung von amor und militia und durch
den Versuch, die Liebe in die Ehe zu integrieren, bestätigt. Die Spannung,
die in der Dido-Episode zwischen ,heldischer‘ Selbstbehauptung und
,sentimentalem‘ Selbstverlust aus Passion aufbricht, wird dadurch
indessen nicht gelöst.“
Kasten, S. 93f.

12
Literatur
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold. Hg. von Walter Haug und Manfred Günter Scholz. Mit
dem Text des Thomas, hg., übersetzt und kommentiert von Walter Haug, 2 Bde, Berlin 2012.
Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mhd./Nhd. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins
Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter
Kartschoke, Stuttgart 1986.
---
Bumke, Joachim: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, 4., aktualisierte Aufl.,
München 2000.
Gerok-Reiter, Annette: Die Figur denkt - der Erzähler lenkt? Sedimente von Kontingenz in Veldekes
Eneasroman, in: Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur, hg. von
Cornelia Herberichs und Susanne Reichlin, Göttingen 2010, S.131-153.
Johnson, L. Peter: Die höfische Literatur der Blütezeit (1160/70-1220/30), Tübingen 1999
(Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit II/1), S.231-240.
Kasten, Ingrid: Heinrich von Veldeke: Eneasroman, in: Mittelhochdeutsche Romane und
Heldenepen, hg. von Horst Brunner, bibliogr. erg. Ausgabe, Stuttgart 2004, S. 75-96.
Kellner, Beate: Zur Konstruktion von Kontinuität durch Genealogie. Herleitungen aus Troja am
Beispiel von Heinrichs von Veldeke Eneasroman, in: Gründungsmythen, Genealogien,
Memorialzeichen. Beiträge zur institutionellen Konstruktion von Kontinuität. Im Auftrag des
Sonderforschungsbereichs 537 hg. von Gert Melville und Karl-Siegbert Rehberg, Köln [usw.] 2004, S.
37-59.
Wehrli, Max: Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende
des 16. Jahrhunderts, 3., bibliogr. erneuerte Aufl., Stuttgart 1997, S. 243-248.

© Christian Seebald

Das könnte Ihnen auch gefallen