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William Shakespeare

Romeo und Julia


In einer Übersetzung von GESINE DANCKWART

– vorläufige Fassung –

F 1581
Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes

Romeo und Julia (F 1581)

Dieses Bühnenwerk ist als Manuskript gedruckt und nur für den Vertrieb an
Nichtberufsbühnen für deren Aufführungszwecke bestimmt. Nichtberufsbühnen
erwerben das Aufführungsrecht aufgrund eines schriftlichen Aufführungsvertrages mit
dem Deutschen Theaterverlag, Grabengasse 5, 69469 Weinheim, und durch den Kauf
der vom Verlag vorgeschriebenen Rollenbücher sowie die Zahlung einer Gebühr bzw.
einer Tantieme.
Diese Bestimmungen gelten auch für Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen
in geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen.
Unerlaubtes Aufführen, Abschreiben, Vervielfältigen, Fotokopieren oder Verleihen der
Rollen ist verboten. Eine Verletzung dieser Bestimmungen verstößt gegen das
Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich.
Über die Aufführungsrechte für Berufsbühnen sowie über alle sonstigen Urheberrechte
verfügt der S. Fischer Verlag, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt/Main
Personen

Fürst von Verona


Paris
Montague
Lady Montague
Romeo, Montagues Sohn
Mercutio, Verwandter des Fürsten
Benvolio, Montagues Neffe
Balthasar, Romeos Diener
Abram, Montagues Diener
Capulet
Lady Capulet
Julia, Tochter Capulets
Tybalt, Neffe der Lady Capulet
Amme
Samson
Gregor
Peter
Bruder Laurence
Bruder John
Ein Apotheker aus Mantua
Bürger, Wachen, Diener, Musiker
Der Chor

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Prolog

CHOR
Zwei Häuser, beide gleich an hohem Stand.
Verona, Szene ihrer alten Wut.
Aus schwelender Glut zündet neuer Brand,
Der Bürgerhand befleckt mit Bürgerblut.
Der Elternhaß pflanzt sich in Kindern fort,
Vom Sterndurchkreuzt verliebt sich Haßgezweit,
In Eins. Liebt Feindeskind das Kind am Ort,
Des Feinds. Glück heißt sterben, das stillt den Streit.
Ihr Weh und Ach, dem Tod die Richtung gab,
Ist kurz, denn immerlang giert Haß nach Sieg.
Wie endlich, erst gestillt vom Kindergrab,
Befriedigt wird der Elterndurst auf Krieg,
Soll Handlung sein, zwei Stunden hier im Haus,
Seid willig, was uns fehlt, gleicht Wollen aus.

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Akt 1. Szene 1

Auftritt Samson und Gregorio

SAMSON
Gregorio, wir buckeln für keinen Dreck.

GREGORIO
Ums verrecken nicht.

SAMSON
Ich zieh.

GREGORIO
Den Kopf aus der Schlinge. Solang du lebst, bist du nicht tot.

SAMSON
Ich zieh schnell, wenn ich muß.

GREGORIO
Aber schnell bringt man dich nicht zum müssen.

SAMSON
Da reicht ein Montague.

GREGORIO
Müssen heißt machen, aber standhalten ist was anderes als wegmachen.

SAMSON
Einer aus diesem Haus, Frau oder Mann, und ich steh wie eine Festung. Ein Wall. Eine
Mauer.

GREGORIO
Eine Mauer macht den Schwächsten stark. Schön sicher am Rand.

SAMSON
Genau. Die Mädchen ran an die Wand

GREGORIO
Dieser Streit geht nur uns Männer an.

SAMSON
Sind die geschafft, schaffe ich die Jungfrauen auch noch oder die Jungfernschaft oder denk
dir, was du willst.

GREGORIO
Oder was sie wollen.

SAMSON
Die müssen wollen, wies mir steht, und ich bin als Steher bekannt.

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GREGORIO
Du kannst dich bereit machen. Da kommt was aus dem Haus Montague.

Abram und Diener treten auf.

SAMSON
Ich steh. Mach was. Bereit. Hinter dir.

GREGORIO
Her oder weg?

SAMSON
Von mir mußt du nichts befürchten.

GREGORIO
Sicher nicht. Ich dich fürchten!

SAMSON
Wir lassen sie anfangen und das Recht brechen.

GREGORIO
Meinen Blick können sie nehmen, wie sie wollen.

SAMSON
Wie sie sich trauen. Ich mache ihnen ein Zeichen, Schande, wenn sie sich das gefallen lassen.

ABRAM
Geht das gegen uns?

SAMSON
Das geht und geht.

ABRAM
Ob gegen uns?

SAMSON
Bin ich noch im Recht mit einem Ja?

GREGOR
Nein.

SAMSON
Nein.

GREGOR
Suchst du Streit?

ABRAM
Ich nicht.

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SAMSON
Ich steh zu Diensten. Ich habe einen so guten Herrn wie du.

ABRAM
Keinen besseren.

SAMSON
Ja, nun.

Auftritt Benvolio

GREGORIO
Sags ihm. Benvolio kommt.

SAMSON
Besser.

ABRAM
Lügner.

SAMSON
Wenn ihr Männer sein wollt, zieht! Gregorio, zeig, was du kannst.

Sie fechten.

BENVOLIO
Auseinander. Schwerter weg. Ihr wißt nicht, was ihr tut!

Tybalt tritt auf.

TYBALT
Du ziehst gegen dieses Dienerpack? Benvolio, blick deinem Tod entgegen.

BEVNOLIO
Ich will Frieden. Bring diese Männer auseinander oder steck den Degen weg.

TYBALT
In der Hand die Waffe, aber spricht von Frieden? Das Wort hasse ich wie die Hölle, dich und
alle Montagues. Wehr dich, Feigling.

Sie fechten. Auftritt Wachmann und Bürger mit Waffen.

WACHMANN/ BÜRGER
Schlagt zu. Schlagt sie nieder. Nieder mit den Capulets! Nieder mit den Montagues!

Auftritt der alte Capulet ( im Schlafrock) und seine Gattin.

CAPULET
Was für ein Gelärme? Bringt mein Langschwert!

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LADY CAPULET
Eine Krücke! Was rufst du nach einem Schwert?

CAPULET
Mein Schwert her! Der alte Montague verhöhnt mich mit gezogener Waffe.

Auftritt der alte Montague und seine Gattin.

MONTAGUE
Capulet, du Hund! Laßt mich los.

LADY MONTAGUE
Keinen Schritt Richtung Feind.

Auftritt der Fürst mit seinem Gefolge.

FÜRST
Rebellen, Aufrührer, Friedensfeinde. Die Klingen entweiht durch Blut des Nachbarn. Wollen
sie nicht hören? Was, ihr Männer, ihr Bestien. Euern Todesdurst löscht ihr aus den eigenen
Adern. Bei Folterstrafe, die Waffen weg, verseucht in euren blutigen Händen. Hört mein
Urteil. Capulet, Montague. Drei Krawalle aus nichtigem Anlaß. Dreimal Veronas Bürger
würdelos, mit rostzerfressenen Waffen gegeneinander getrieben für euren Haß. Wenn ihr je
wieder den Frieden unserer Straßen stört, büßt ihr mit dem Leben. Für diesmal sollen alle
anderen gehen. Capulet, kommt mit mir, und du Montague, heute Nachmittag zum
Gerichtsplatz. Bei Todesstrafe fort mit allen.

Alle ab, bis auf Montague, seine Gattin und Benvolio.

MONTAGUE
Wer hat angefangen? Warst du dabei?

BENVOLIO
Die Diener beider Häuser kämpften. Ich zog, sie zu trennen. Da kommt Tybalt, den Degen
gezückt. Er schwingt ihn über dem Kopf, bläst mir seine Herausforderungen entgegen,
schneidet die Luft, die zischt zurück. Hieb folgt Stoß, immer mehr kommen für die eine oder
andere Seite dazu, bis der Fürst uns trennt.

LADY MONTAGUE
Wo ist Romeo? Hast du ihn heute gesehen? Nein- ich freue mich, daß er hier nicht dabei war.

BENVOLIO
Früh trieb es mich ins Freie. Weit vor Sonnenaufgang unterwegs, sehe ich ihn, im
Sycamorehain, westlich der Stadt. Wie ich mich nähere, zieht er sich zurück. Am meisten den
Ort der wenigsten suchend, mir selbst schon einer zuviel, ließ ich ihn verschwinden.

MONTAGUE
Er wurde oft dort gesehen. Im Morgennebel und feuchtem Tau. Bei den ersten Sonnenstrahlen
stiehlt sich mein Sohn nach Hause, verschließt die Fenster und vergräbt sich in künstlicher
Nacht. Dieser Zustand muß sich ungut auswirken.

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BENVOLIO
Kennst du den Grund?

MONTAGUE
Ich kenn ihn nicht und bekomm ihn nicht aus ihm heraus.

BENVOLIO
Du hast alles versucht?

MONTAGUE
Ich und andere auch. Wie gut er als sein eigener Ratgeber sein mag, verschwiegen ist er.
Verschlossen wie eine junge Pflanze, die der Wurm zerfrisst, ehe sie die Sonne sieht. Wenn
wir nur mehr wüßten, um zu helfen.

Auftritt Romeo.

BENVOLIO
Da kommt er. Laßt uns allein und ich finde es heraus.

MONTAGUE
Ich hoffe, es gelingt dir. Komm, Gattin, laß uns gehen.

Sie gehen ab.

BENVOLIO
Guten Morgen.

ROMEO
Ist es noch so früh?

BENVOLIO
Gerade erst neun.

ROMEO
Jede Stunde zieht sich endlos.

BENVOLIO
Du bist ver-

ROMEO
Ent-

BENVOLIO
Entliebt?

ROMEO.
Nicht geliebt, von der, die ich liebe. Hier gab es eine Schlägerei? Nein. Sag nichts. Alles
wegen diesem Haß, wegen der Liebe. Vernichtung durch Liebe, Liebe im Haß. Der Ursprung:
Alles aus Nichts entstanden. Dem großen Nichts. Bedeutendes Nichts, nichtige Bedeutung,
ein Chaos der schönen Formen. Durchsichtiger Rauch, kaltes Feuer, Gesundes krank,

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immerwacher Schlaf, der nicht ist, was er ist. Da ist keine Liebe, die ich doch fühle. Mußt du
nicht lachen?

BENVOLIO
Im Gegenteil.

ROMEO
Benvolio, wieso?

BENVOLIO
Wegen deiner Verzweiflung.

ROMEO
Meiner Verzweiflung um diese Liebe. Um diese Liebe? Willst du mit mir verzweifeln, um
dieses Was? Erst eine Nebelwand der Sehnsucht, einmal, kurz, gereinigt, aufgeklart, ein
Feuer, zwei schauen sich in die Augen, dann Sturm und Trauer, ein Tränenmeer. Die Liebe?
Ein perfekter Wahn. Klug. Ausgeklügelt. Bittersüß, gerade noch so süß, daß man es schluckt.
Ich gehe.

BENVOLIO
Willst du mich so stehen lassen?

ROMEO
Ich hab mich doch selbst schon längst verlassen. Ich bin nicht hier. Das ist nicht Romeo. Der
ist woanders.

BENVOLIO
In wen bist du verliebt?

ROMEO
In die schönste Frau.

BENVOLIO
Die Schönste? Die schönste Frau, um sie schön abzuschießen.

ROMEO
Sie ist nicht zu treffen. Ein Panzer. Eine Festung. Durch nichts zu erreichen. Sie stellt sich
taub. Stellt sich blind. Sie ist blind. Gegen alles. Mit nichts, mit keinem Wort, mit keinem
Blick, nicht zu erweichen. Versuch, eine Heilige zu verführen. Sie ist so schön, und wird
davon nichts haben.

BENVOLIO
Will sie Jungfrau bleiben?

ROMEO
Um sich für sich und alle anderen zu verschwenden. Sie hat der Liebe abgeschworen, sie
abgetötet und mich gleich mit.

BENVOLIO
Du mußt sie vergessen.

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ROMEO
Wie soll das gehen?

BENVOLIO
Mach deine Augen auf.

ROMEO
Um was zu sehen? Mein Abbild hervorgehoben durch schlichten Hintergrund. Vergißt der
Blinde sein Augenlicht? Was soll ich sehen in jeder anderen? Dass sie, immer wieder sie, alle
übertrifft. Sie vergessen?

BENVOLIO
Ich werd es dir zeigen.

Ab.

Akt I. Szene 2

Auftritt Capulet, Paris.

CAPULET
Aber Montague steht genauso in der Pflicht, bei gleicher Strafe. Wir zwei alten Männer, wir
müssten doch Frieden halten können.

PARIS
Eurem Ansehen nach ja. Um so trauriger ist dieser lange Streit. Aber, was sagen Sie zu
meinem Antrag?

CAPULET
Ich sage, was ich schon gesagt habe. Sie ist erst vierzehn, noch fremd in dieser Welt. Lassen
wir ihr noch zwei Jahre, zweimal den Sommer, Pracht und Verwelken, dann erst denken wir
an sie als Braut.

PARIS
Es sind schon jüngere zu glücklichen Müttern gemacht worden.

CAPULET
Und zu früh zu Grunde gegangen. Was bleibt mir auf dieser Erde? Es ist mir alles zunichte.
Zunichte gemacht worden. Bis auf sie. Sie ist mein Erbe, meine Hoffnung. Aber versuchen
Sie es, werben Sie, gewinnen Sie ihr Herz. Ihrem Ja kann erst meine Zustimmung folgen.
Heute Nacht gebe ich aus alter Tradition ein Fest. Kommen Sie. Sie sind mir besonders
willkommen. In meinem bescheidenen Haus sollen Sie heute nacht Mädchen tanzen sehen.
Sterne, die sich vom Himmel gestohlen haben. Sie werden entzückt sein. Der April bricht aus.
Der Frühling bricht an. Schauen Sie. Kommen Sie, um sich alle genau anzuschauen. Finden
Sie die, die es verdient hat. Wird meine ihre Eins, wird Sie einmalig zählen.
Kommen Sie mit mir.

Zum Diener, dem er einen Zettel gibt.

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Lauf durch Verona, zu jedem, dessen Namen hier geschrieben steht. Willkommen sind sie
heute Nacht.

Beide ab.

DIENER
Geschrieben steht, der Schuster soll mit Elle, der Schneider mit seinem Leisten, Fischer mit
Pinsel und Maler es mit Angelrute machen, und ich soll mit hier geschrieben steht machen,
und wie mache ich es denn, daß ich so wie das, was der gemeint hat, auch mache, der dies
geschrieben steht, gemacht hat. Ich brauche Hilfe und da ist schon welche.

Auftritt Benvolio und Romeo.

BENVOLIO
Ein Feuer brennt den Brand des anderen aus. Ein Schmerz wird durch den nächsten
ausgemerzt. Das nächste Gift ist immer das beste.

ROMEO
Wie Hand auf Legen. Hand auf Knochen, eingeschlagenen Körper, verbranntes Fleisch.

BENVOLIO
Wirst du verrückt?

ROMEO
Nicht verrückt. Aber ich bin wie in Fesseln. Eingesperrt, Hungernd nach Nahrung, unter
Folter. Laß gut sein.

DIENER
Guten Tag, können Sie mir helfen?

ROMEO
Nicht mal mir selbst.

DIENER
Weiter ein gutes Leben.

ROMEO
Gib schon her. “Signor Martino mit Frau und Töchtern. Graf Anselm und seine Schwestern.
Die Witwe des Vitruvio. Signor Placentio und seine Nichten. Mercutio und sein Bruder
Valentino; mein Onkel Capulet mit Frau und Töchtern. Meine Nichte Rosalinde und Livia.
Signor Valentio und sein Cousin Tybalt. Lucio und Helena.“ Eine schöne Gesellschaft. Wohin
sollen die?

DIENER
Kommen.

ROMEO
Wohin?

DIENER
In unser Haus.

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ROMEO
Wer ist unser?

DIENER
Mein Herr.

ROMEO
Das hätte ich gleich fragen sollen.

DIENER
Der große reiche Capulet. Wenn ihr nicht zu den Montagues gehört, kommt auf ein paar
Gläser Wein.

Diener ab.

BENVOLIO
Nichts laß ich gut sein. Heute Abend beim Fest der Capulets sind die Schönsten der Stadt
versammelt. Mit ihnen deine Rosalinde. Geh hin und versuch zu vergleichen. Versuch mit
klarem Blick zu sehen. Ich werde dir welche zeigen, bis du deinen Schwan für eine Krähe
hältst.

ROMEO
Soll ich diesen Augen nicht glauben? Versuchen sie mich zu täuschen, zu verwirren, sind es
Lügner, Ketzer? Ins Feuer. Nein. Sie ist die Schönste.

BENVOLIO
Sicher, die Schönste von allen, so ganz alleine. Du hast sie angeschaut und nur sie und wieder
sie. Schau andere an. Dann wirst du die Schönste als gut genug erkennen.

ROMEO
Nein. Aber ich komme mit.

Ab.

Akt I. Szene 3

Auftritt Lady Capulet und die Amme

LADY CAPULET
Wo ist meine Tochter? Du solltest sie herrufen!

AMME
Aber ich habe sie schon gerufen, so wahr habe ich sie gerufen, wie ich mit zwölf Jahren
Jungfrau war. Lämmchen, Käferchen! Wo ist dieses Mädchen? Julia?

Auftritt Julia.

JULIA
Wer will etwas von mir?

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AMME
Deine Mutter.

JULIA
Was möchtest du?

LADY CAPULET
Die Sache ist, geh, laß uns für einen Moment allein, einmal unter vier Augen, nein, komm
wieder, ich hab es mir anders überlegt. Du sollst dabei sein. Meine Tochter ist jetzt in einem
hübschen Alter.

AMME
Auf die Stunde genau kann ich ihr Alter sagen. Ganz genau. Noch nicht ganz vierzehn. Einen
Tag vor Jakobi. Noch zwei Wochen bis Jakobi und genau einen Tag davor wird sie vierzehn.
Wie gut ich mich erinnere, ach, als sie noch so klein war. Das Erbeben, da habe ich sie
entwöhnt. So klein war sie, so wütend. Ich sitze in der Sonne an der Mauer, Wermut auf der
Brust, und wie sie in Wut gerät, weil es bitter schmeckt, und wütet, und dann wütet die Mauer
hinter, die Erde unter mir, und ich mit ihr ins Haus. Und wie sie schon laufen kann, und da hat
mein Mann noch gelebt, und sie läuft und fällt hin und schlägt sich die Stirn auf. Sagt er zu
ihr: „Jetzt fällst du auf den Kopf, wenn du erst mal mehr Verstand hast, fällst du auf den
Rücken, machst du das Julchen“ und sie hört auf zu Heulen und sagt einfach „Ja“. Und jetzt
wird es Zeit, daß aus dem Spaß Ernst wird, ich kann es nicht vergessen und wenn ich noch
tausend werde. „Machst du das“ sagt er, da hört sie auf zu heulen und sagt „Ja“.

LADY CAPULET
Genug jetzt.

AMME
Ich muß nur so lachen. Läßt das Heulen sein und sagt „Ja“. Mit einer Beule auf der Stirn so
groß wie ein Ei. Schlimm angeschlagen und heult und heult. Sagt mein Mann „Fällst du auf
dein Gesicht. Im richtigen Alter wirst du auf den Rücken fallen, machst du das?“ Hört sie auf
und sagt „Ja.“

JULIA
Hör du auf.

AMME
Ich bin schon fertig. Du warst nur das hübscheste Kindchen, das ich je aufgezogen habe.
Wenn ich das nur noch erleben könnte, dich verheiratet zu sehen.

LADY CAPULET
Das ist unser Thema. Julia. Was denkst du übers Heiraten?

JULIA
Ich träume nicht einmal davon.

AMME
Wer hat dir die Weisheit beigebracht?

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LADY CAPULET
Dann denk jetzt darüber nach. Es sind schon jüngere als du Mütter geworden. Auch ich war es
in deinem Alter. Jetzt, mit dir, wo du noch Jungfrau bist. Kurz. Der wunderbare Paris wirbt
um dich.

AMME
Was für ein Mann. Ein Mann wie ihn sich die ganze Welt- ein Mann, ein Bild von einem
Mann.

LADY CAPULET
Die Zierde Veronas.

AMME
Die Zierde, die Preisblume, die Prachtblüte der Stadt.

LADY CAPULET
Was sagst du? Kannst du ihn lieben? Heute Abend wirst du ihn treffen. Nimm ihn dir vor wie
ein Buch. Ein Musterbuch ist er. Ein Bilderbuch der Schönheit. Jeder Zug eine Komposition.
Linie um Linie vereint sich zu einem Kunstwerk. Der verborgene Sinn: Schau ihm in die
Augen. Alles was ihm fehlt ist der passende Einband. Der Fisch lebt im Wasser. Jeder Kern
hat eine Hülle, Geschichte Anfang und Ende, sonst ist sie nicht vollendet. Ihn zu haben, bringt
dir nichts als Gewinn. Sag, gefällt dir die Vorstellung?

JULIA
Ich versuch es mir vorzustellen. Ich schau ihn mir an.

LADY CAPULET
Komm, Julia, Paris wartet.

AMME
Geh Mädchen. und sorg dafür, daß zu den Tagen auch die Nächte kommen.

Ab.

Akt I. Szene 4

Auftritt Romeo, Mercutio, Benvolio.

ROMEO
Sollen wir unser Auftreten erklären?

BENVOLIO
In Verkleidung? Vorsprechen? Vorreden? Sie können denken, was sie wollen. Einmal
Auftanzen und wir sind wieder weg.

ROMEO
Mein Fest ist schon vorbei.

MERCUTIO
Romeo, wir wollen dich tanzen sehen.

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ROMEO
Ich bin schwer wie Blei. Am Boden festgenagelt. Tanzt ihr, ich nicht.

MERCUTIO
Du bist doch verliebt.

ROMEO
Zu tief getroffen. Ein krepierter Höhenflug, tief abgestürzt.

MERCUTIO
Immer tief hinein. Was die zarte Liebe für Druck aushält.

ROMEO
Zart? Hart, schmerzhaft. Ein Stachel.

MERCUTIO
Dann sei hart zu ihr. Stich die Liebe für ihr Stechen flach. Ich brauch eine Verpackung für
mein Gesicht. Eine Visage für die Visage. Welches pingelige Auge auch immer, sich an
Häßlichkeiten stören will, was geht das mich an. Das hier tuts erstmal.

BENVOLIO
Kommt jetzt und drinnen macht jeder, was er will.

ROMEO
Zuschauen. Ich bin ausgespielt.

MERCUTIO
Ende aus. Raus aus deinem Sumpf. Kommt, wir verbrennen Licht.

ROMEO
Nein.

MERCUTIO
Ich meine, hier draußen leuchten wir umsonst.

ROMEO
Es wäre besser, nicht auf dieses Fest zu gehen.

MERCUTIO
Warum?

ROMEO
Ich habe heute Nacht was geträumt.

MERCUTIO
Ich auch.

ROMEO
Wovon?

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MERCUTIO
Das Traum Lüge ist.

ROMEO
Man träumt wahr im Schlaf.

MERCUTIO
Oh ich sehe, du hattest heut Nacht Besuch von Königin Mab. Sie hilft den Elfen auf die Welt
so klitzeklein wie sie ist. In ihrem klitzekleinen Wagen, gezogen von winzigen Wesen flirrt
sie durch den Schlaf. Eine Nußschale ist ihr Kampfwagen. Aus allem möglichen Kleingetier,
dieses Wagendach aus Heuschreckenflügel, das Zaumzeug aus zartesten Spinnweben. Der
Kutscher eine Mücke in Uniform. So galoppiert sie Nacht um Nacht, an der Nase vorbei dir
ins Hirn. Zwei Verliebte sollen von Liebe träumen, ein Anwalt darf zählen, einem Intriganten
auf die Nase zum Schnüffeln, über einen Mund, ein Kußtraum, dem Soldaten am Hals lang,
Kehle durchschneiden, Siegerschnaps trinken, nachts sieht man sie Unheil stiften,
Pferdemähnen verfilzen, Elfen brandmarken, Verwirrung, Verwirrte, Alp und Unheil,
Mädchen überfallen und ihnen das Frausein beibringen, sie

ROMEO
Genug, Mercutio. Von was redest du? Nichts.

MERCUTIO
Ich spreche von Träumen, Ausgeburten kranker Hirne. Entstehen nur auf dieser faulen
Fantasie. Wie der Wind, vom Eisnorden, tief in den Süden.

BENVOLIO
Das Essen ist vorbei, wir kommen ganz zu spät.

ROMEO
Zu früh. Dieses Fest ist ein Anfang von etwas, was noch in den Sternen steht. Es setzt sich
fort. Nimmt seine Bahn und wird sich einlösen mit einem elenden Pfand. Der ist mein Leben.
Mein früher Tod. Wer das Steuer führt, soll meine Fahrt lenken. Gehen wir. Gehen wir da
rein.

BENVOLIO
Endlich, Aufbruch.

Ab.

Akt I. Szene 5

Diener treten auf.

1.DIENER
Was ist mit dem Abräumen, wo ist dieser Potpan, diese Panne? Der und einen Teller
wechseln. Und dann Tellerwäscher!

2. DIENER
Da tun sie auf edles Fest, was sie dann in so wenig Hände von noch weniger Leuten und die
auch noch ungewaschen legen.

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1.DIENER
Weg mit den Stühlen, schafft die Anrichte weg, kümmer dich ums Silberzeug. Heb mir ein
Stück von dem Marzipan auf und du, wenn du mich liebst, bring den Pförtner dazu, daß er die
Mädchen reinläßt. Anton und Potpan!

Zwei weitere Diener treten auf.

3.DIENER
Hier, Kollege.

1.DIENER
Man schaut und ruft nach euch im großen Saal.

4.DIENER
Wir können nicht hier und da auf einmal sein. Weiter so, der letzte, der noch stehen kann,
kriegt alles.

Sie gehen ab. Auftritt Capulet und seine Frau, Julia, Tybalt, Amme und Gäste.

CAPULET
Willkommen, meine Herren! Die Damen wollen jetzt tanzen! Meine Damen! Sie wollen sich
doch nicht zieren! Die, die sich ziert, es tut mir leid, ich schwörs, hat Hühneraugen. Hab ich
Sie, sind Sie dabei? Tanzt! Prost, Herrschaften! Auch ich hab andere Tage gesehen, getanzt
und schönen Damen Geschichten ins Ohr geflüstert. Vorbei. Vorbei. Und kommt nicht
wieder. Willkommen und Prost! Spielt doch Musik!

Musik spielt, und sie tanzen.

Schafft doch Platz! Und platziert euch, Mädchen. Mehr Licht, die Tische weg, löscht das
Feuer. Komm, alter Freund, nein, setz dich lieber Kousin Capulet. Unsere Tanzjahre liegen
hinter uns. Wie lang ist es her, daß wir Masken getragen haben?

2.CAPULET
Weiß Gott, dreißig Jahre?

CAPULET
Die Zeit mag rasen wie sie will, aber Lucentios Hochzeit ist keine 25 Jahre her und da haben
wir sie getragen.

2.CAPULET
Länger, länger. Sein Sohn ist dreißig.

CAPULET
Was redest du? Eben war er nicht mündig.

ROMEO zu einem Diener.


Wer ist das Mädchen?

DIENER
Ich kenn sie nicht.

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ROMEO
Wo sie ist, wird es heller. Sie strahlt. Sie strahlt wie ein Diamant auf schwarzer Haut, wie ein
Stern im nachtschwarzen Himmel. Nicht für diese Welt gemacht. Schön, um schön zu sein.
Schneeweiß und alle anderen Krähen. Ich geh zu ihr. Nach diesem Tanz. Ich geh direkt zu ihr.
Ich war noch nie verliebt. Ich habe noch nie etwas Schönes gesehen. Nichts vor dieser Nacht.

TYBALT
Das ist die Stimme eines Montague. Meinen Degen. Was wagt der sich hier her? Beschmutzt
unser Fest? Für die Reinheit und Ehre meiner Familie, ich schlag ihn tot.

CAPULET
Warum bist du so in Wut?

TYBALT
Das ist ein Montague. Ein Montague hat sich hier reingestohlen. Reingeschmiert. Uns zu
verspotten. Zu beschmutzen.

CAPULET
Das ist der junge Romeo?

TYBALT
Das ist er. Romeo.

CAPULET
Laß ihn in Ruh. Er benimmt sich doch. Kann man ihm was nachsagen? In meinem Haus wird
niemand beleidigt. Nicht für die ganze Stadt. Beherrsche dich, ich sag dir, Beherrschung. Hier
gilt immer noch mein Wille. In meinem Haus machst du ein anderes Gesicht. Stell deine
Blicke ab. Verdirb du nicht das Fest.

TYBALT
Verdorben mit solchem Gast. Ich will ihn hier nicht.

CAPULET
Er wird geduldet. Was ist? Ich sage, er soll. Du willst ihn hier nicht haben, du willst Ärger
machen, eine Schlägerei lostreten, du den großen Mann markieren?

TYBALT
Es ist eine Schande!

CAPULET
Schluß jetzt. Das kommt dir teuer zu stehen, das sag ich, das ahnst du nicht, was dich das
kosten wird. Du willst mir wiedersprechen? Geh, halt dich ruhig, ich stell dich ruhig.

TYBALT
Ruhig, will ihn zusammenschlagen, aber ruhig, alles zittert, ganz ruhig, zwangsruhig,
Zwangsgeduld, Gedärme rausschlagen aus der Milchfresse, ganz ruhig. Ich geh. Diesen
kleinen Triumph wird er auskotzen

Geht ab.

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ROMEO
Deine Hand in meiner Hand. Kann ich dich nicht besser küssen? Das ist doch ungeschickt,
das reicht nicht, das muß ich doch besser machen können.

JULIA
Die Pilger machen das auch so. Nach dem Pilgern berühren sie mit ihrer Hand die
Heiligenstatuen. Eben. Hand an Hand, das ist ihr Kuss.

ROMEO
Und sie haben auch Lippen.

JULIA
Zum Beten.

ROMEO
Wie die Hände. So die Lippen. Du mußt dich küssen lassen, sonst verliere ich meinen
Glauben. Sei ein gnädiges Heiligtum.

JULIA
Ich kann mich nicht bewegen. Ich soll doch angebetet werden.

ROMEO
Dann bleib schön still stehen. Für meine Andacht.

JULIA
Nun hab ich dich erlöst, und bin es selbst nicht mehr.

ROMEO
Das nehm ich zurück.

JULIA
Als hättest du es gelernt.

AMME
Deine Mutter will dich sprechen.

ROMEO
Wer ist ihre Mutter?

AMME
Wirklich. Die Mutter ist die Dame des Hauses. Das Mädchen hab ich selbst aufgezogen. Wer
die einmal kriegt, der muß sich keine Sorgen mehr machen.

ROMEO
Was für ein Preis. Mein Leben verschrieben an die Capulets.

BENVOLIO
Weg von hier. Schöner wirds nicht.

ROMEO
Sonst zerreißt es mich.

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CAPULET
Meine Herren, noch kein Aufbruch. Ein paar kleine Leckereien sind noch vorbereitet.
Nun, denn. Gute Nacht. Auf ins Bett. Bin auch nicht mehr der Jüngste, es ist schon spät, ich
will meine Ruhe.

JULIA
Komm her zu mir. Wer ist jener Mann?

AMME
Der Sohn des alten Tiberio.

JULIA
Und der, der jetzt zur Tür rausgeht?

AMME
Wirklich, das wird der junge Petruchio sein.

JULIA
Und der ihm dort folgt?

AMME
Ich weiß es nicht.

JULIA
Geh, frag nach seinem Namen. - Ist er verheiratet, soll mein Grab mein Brautbett sein.

AMME
Das ist Romeo, ein Montague.

JULIA
Zu früh gesehen und zu spät erkannt. Ich lieb zum ersten, einzigen Mal, und den soll ich
hassen? Eine unselige Mißgeburt. Eine Liebe geboren aus Haß.

AMME
Was sagst du?

JULIA
Einen Spruch. Ich hab ihn eben von einem gehört, mit dem ich getanzt hab.

AMME
Laß uns gehen, die Gäste sind schon alle fort.

Ab.

Akt II. Prolog

xxx

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Akt II. Szene 1

Auftritt Romeo allein.

ROMEO
Ich kann doch nicht weg von hier, wenn mein Herz hier ist. Was soll dieser leere Körper
woanders? Zurück.

BENVOLIO
Romeo! Romeo! Romeo!

MERCUTIO
Der ist zu Hause.

BENVOLIO
Er ist hierher gelaufen und über diese Mauer gesprungen. Ruf ihn Mercutio

MERCUTIO
Romeo! Wahnsinniger! Nicht von dieser Welt! Erscheine uns, nur einmal, ein Seufzen und
Stöhnen, ein Liebe auf Triebe, ein Wort an Venus, einen Kosenamen für ihren blinden Sohn,
den Kindsgreis mit den Pfeilen. Ein Zeichen! Hört er mich nicht? Einen einzigen Laut! Er
stellt sich tot. Ich beschwör dich! Bei Rosalindes Strahleaugen, ihrem roten Kußmund, ihren
langen Beinen und allem was dazwischen liegt, kehr zurück zu uns.

BENVOLIO
Du willst Ärger mit ihm.

MERCUTIO
Da müßte ich einen anderen Geist in ihrem Zirkel hoch beschwören. Den zum Stehen bringen,
bis sie ihn wieder kleingeschworen hat. Ich habe die ehrbarsten Absichten. In ihrem Namen,
ich bring ihn hoch.

BENVOLIO
Er muß sich unter diesen Bäumen versteckt haben, im feuchten Dunkel. Da fühlt er sich am
wohlsten. Blinde Liebe.

MERCUTIO
Trifft nie ins Ziel. Jetzt sitzt er unterm Mispelbaum und denkt ans Mispeln. Seine Liebste als
gefallene, pralle, Fallfrucht, mit Kitzelkernen, oder wie auch immer Mädchen das nennen.
Das sie dich endlich ran läßt. Das du endlich abpflanzen kannst. Romeo, gute Nacht. Hier ist
es zu kalt, mich in den Schlaf zu bringen.

BENVOLIO
Gehen wir. Er will nicht gefunden werden.

Beide ab.

22
Akt II. Szene 2

ROMEO
Der macht Witze über Narben, der keine Wunde kennt. Was für ein Licht ist da am Fenster.
Ist es bei ihr? Mit Julia tritt die Sonne auf. Mond, du kannst nach Hause gehen, du bist schon
grün und bleich vor Neid. Julia, seine weißen Jungfrauenkleider sind krankhaft, leg sie ab.

Julia tritt oben auf.

Sie ist es, die ich liebe. Wenn sie es nur wüßte. Sie sagt was, nur was? Ihre Augen sagen
genug. Ich werde etwas sagen. Nicht so schnell. Sie redet nicht direkt zu mir. Die zwei
schönsten Sterne am Himmel baten ihr Augenpaar für sie zu strahlen. Sind ihre Augen jetzt da
oben und dafür Sterne in ihrem Gesicht? Sie würden schwach aussehen. Gegen sie
anstrahlen? Wie eine Lampe gegen das Tageslicht. Sind ihre Augen am Himmel? Dann
würden jetzt die Vögel singen, weil sie dächten, es wäre Tag. Wie sie ihre Wange in die
Hand legt, wäre ich ein Handschuh an ihrer Hand, um diese Wange zu berühren.

JULIA
Ach.

ROMEO
Sie sagt was, sprich weiter. Du verschönerst den Himmel. Und wir Sterbliche verdrehen uns
beim Hinaufstarren die Augen ins Weiße.

JULIA
Romeo! Warum bist du Romeo? Verleugne deinen Vater und deinen Namen. Oder, wenn du
das nicht willst, schwör, daß du mich liebst, und ich will keine Capulet mehr sein.

ROMEO
Noch mehr hören oder soll ich etwas sagen?

JULIA
Es ist nur dein Name, der mein Feind ist. Du bist du selbst, auch wenn du kein Montague
wärst. Was ist das schon: Montague? Nicht Hand, nicht Fuß, nicht Arm, Gesicht oder
irgendein anderer Teil, der zum Menschen gehört. Sei doch ein anderer Name. Was ist das
schon: ein Name. Duftet die Rose anders, wenn wir sie anders nennen? Würde Romeo anders
genannt, etwas fehlen? Romeo, leg deinen Namen ab, und für deinen Namen, nimm mich.

ROMEO
Nenn mich mit deiner Liebe und ich bin neu getauft. Von da an will ich nie mehr Romeo sein.

JULIA
Wer ist da im Dunkeln, wer stört mich hier?

ROMEO
Mit einem Namen kann ich dir nicht sagen, wer ich bin. Den hasse ich, weil er dein Feind ist.
Hätte ich ihn hier aufgeschrieben, ich würde ihn zerreißen.

23
JULIA
Nicht hundert Worte habe ich von dir gehört und erkenn die Stimme. Bist du nicht Romeo
und ein Montague?

ROMEO
Keins von beiden, wenn eins dir nicht gefällt.

JULIA
Wieso bist du hier? Wie bist du über die Mauern gekommen? Dieser Ort ist dein Tod, wenn
meine Leute dich finden.

ROMEO
Diese Mauern sollten mich aussperren können, diese Steine mich abhalten? Ich bin verliebt.
Ich kann nicht nur, ich muß doch alles versuchen. Deine Leute mich abschrecken?

JULIA
Wenn sie dich hier sehen, bringen sie dich um.

ROMEO
Deine Augen sind viel gefährlicher als ihre Schwerter. Wenn du mich anschaust, wer soll mir
was antun können?

JULIA
Nicht um alles auf der Welt will ich, daß sie dich sehen.

ROMEO
Ich bin im Dunkeln vor ihren Blicken geschützt. Es sei denn, du liebst mich nicht, dann sollen
sie mich finden. Lieber gleich tot durch sie, als tot zu leben ohne deine Liebe.

JULIA
Kanntest du den Ort?

ROMEO
Wenn du an einer fremden Küste wärst, hinter fernsten Meeren, ich weder Steuermann noch
Kapitän noch Lotse, ich würde es versuchen.

JULIA
Ich bin durchs Dunkel geschützt, sonst könntest du sehen, daß ich rot geworden bin, wegen
dem, was ich gesagt hat. Du hast es gehört? Ich würde leugnen oder noch einmal von vorne
anfangen wollen, aber da ist sie hin, die Förmlichkeit. Liebst du mich denn? Vielleicht sagst
du ja und ich glaub dir. Und wenn du es auch schwörst? Über solche Schwüre lachen doch die
Götter, so falsch sind sie. Romeo, wenn du mich liebst, dann sag es ehrlich. Oder denkst du,
daß ich zu schnell gewonnen bin? Ich mach die Kehrtwendung und du hörst nur noch Nein
von mir. Aber ich will das nicht, ich bin verliebt. Ich bin nicht so leicht, so schnell sonst,
denk das nicht. Du kannst mir mehr glauben, als wenn ich geschickter gewesen, wenn ich eine
Geschickte wäre, die sich erst zurückhält. Natürlich, ich wäre auch abweisender, aber was soll
ich auf kalt machen, du hast doch schon alles gehört. Die Nacht hat mich so offen gezeigt.

ROMEO
Beim Mond da oben, mit seinem silbernen Licht, schwöre ich-

24
JULIA
Nicht beim Mond, der so unbeständig ist, daß er seine Kreisbahn jeden Monat wechselt.

ROMEO
Bei was soll ich schwören?

JULIA
Schwör überhaupt nicht. Wenn du es unbedingt willst, schwör bei dem, der mir am
wichtigsten ist. Dann will ich es glauben.

ROMEO
Bei meinem Herzen und

JULIA
Nein, schwör gar nicht. Ich brauche keinen Vertrag. Das kommt zu plötzlich, wie ein Blitz
und will man „Blitz“ sagen, ist er schon verloschen. Gute Nacht. Jede Blume braucht Zeit
zum Blühen. Nicht lange, nur bis wir uns Wiedersehen. Gute Nacht! Das du auch so froh bist
wie ich. Gute Nacht.

ROMEO
Willst du mich so verlassen?

JULIA
Was kannst du mehr wollen, heute Nacht?

ROMEO
Einen Schwur.

JULIA
Den gab ich dir schon, bevor du gefragt hast. Jetzt wünschte ich, er wäre noch zu vergeben.

ROMEO
Willst du ihn zurücknehmen? Wieso?

JULIA
Dass ich mehr habe und ihn dir noch mal geben kann. Dabei wünsche ich nur, was ich schon
habe. So grenzenlos viel, wie Wasser im Meer. Je mehr ich gebe, um so mehr habe ich. Es hat
kein Ende.

Amme ruft von drinnen.

Ich hör etwas von drinnen. Adieu! Auf bald. Gleich. Mein Montague, bleib treu. Warte noch
kurz, ich komm wieder zurück.

Julia tritt oben ab.

ROMEO
Was für eine Nacht oder täuscht sie mich? Ist das wirklich?

Julia tritt oben auf.

25
JULIA
Auf ein paar Worte nur, Romeo, und dann wirklich gute Nacht. Wenn du ehrlich liebst, mit
einer Ehe als Ziel, dann schreib mir morgen. Ich schick dir jemanden und antworte du, wo
und wann die Trauung sein kann. Mein Schicksal leg ich in deine Hände, ich geh, wohin du
gehst.

AMME von drinnen.


Fräulein!

JULIA
Ich komme, gleich. Wenn du etwas anderes willst, dann bitte ich dich-

ANME
Fräulein!

JULIA
Ich komme ja, ich komme ja schon. Dann laß mich allein mit meinen Schmerzen. Morgen
schicke ich dir jemanden.

ROMEO
Bei allem.

JULIA
Tausendmal Gute Nacht!

Sie geht ab.

ROMEO
Und es wird tausendmal dunkler. Soll ich freiwillig den Gang aufs Schafott machen? Weg
von hier? Weg von der, die ich liebe?

Julia tritt wieder auf.

JULIA
Romeo. Ich kann nur leise sprechen. Vielleicht besser so, das arme Echo würde sich
überschlagen bei meinen „Romeos“.

ROMEO
Sie ruft mich zurück.

JULIA
Romeo!

ROMEO
Hier.

JULIA
Wann soll ich morgen nach dir schicken?

ROMEO
Um neun.

26
JULIA
Ich werde es nicht verpassen, auch wenn es noch Jahre dauert. Ich weiß nicht mehr, was ich
noch von dir wollte.

ROMEO
Ich bleib hier stehen, bis du es wieder weißt.

JULIA
Dann werde ich es vergessen, und du mußt stehen bleiben. Daß du da bist, das ist das einzige,
woran ich denken will.
.
ROMEO
Ich stehe ganz still, daß du alles andere vergißt und ich war nie woanders.

JULIA
Es ist schon fast Morgen. Du mußt gehen. Und dann will ich doch, das du nicht weg bist. Wie
ein Kind, das seinen Vogel hüpfen läßt. Etwas aus der Hand und dann am Seidenfaden wieder
zurück. Eifersüchtig auf die Freiheit.

ROMEO
Ich wäre dein Vogel.

JULIA
Ich nehm dich. Doch könnte ich dich mit meinen Zärtlichkeiten zu Tode lieben. Gute Nacht,
gute Nacht! Bis zum Morgen will ich Abschiednehmen.

ROMEO
Schlaf gut. Dass ich wie Schlaf wäre und könnte bei dir liegen. Es wird schon Morgen. Helle
Streifen im Osten. Die Dunkelheit taumelt aus der Bahn. Die Nacht, die letzten Säufer alle ins
Bett. Ich will direkt von hier zu Lorenzo. Er muß uns helfen.

Ab.

Akt II. Szene 3

Auftritt Bruder Lorenzo allein.

LORENZO
Bevor die Sonne sich erhebt und den Tau wegbrennt, muß ich diesen Korb füllen. Voll
Kräuter mit ihren Giften, nektarreichen Blumen. Diese Erde ist Grab und Mutter der Natur.
Alles landet in ihr, aber sie gebärt es auch immer wieder neu. Wie viele Kinder sie auch hat,
sie ernährt sie alle. Jedes in seiner Art. Jedes verschieden. Viele mit ganz besonderen
Vorzügen, keines, das nicht wenigstens einen hat. Welch eine Schöpfung zeigt sich hier, in
jeder Pflanze, jedem Kraut, jedem Stein. Vollkommen jedes, in seiner Art. Nichts so schlecht,
das es nicht zu etwas nütze wäre. Und umgekehrt. Umgekehrt leider auch. Nichts kann so gut
sein, das es nicht missbraucht werden kann. Tugend zu Laster, aber gut, auch das Laster kann
sich erheben. Diese unscheinbare Blume hier verbirgt beides gleichzeitig: Gift und Medizin.
An ihr zu riechen, belebt die Sinne, ißt man sie, steht alles still. Die zwei Gegner haben ihr

27
Lager überall aufgeschlagen, in jedem Kraut, in jedem Mensch. Segen oder Untergang.
Gewinnt das schlechte, wird die Pflanze zerfressen.

Romeo tritt auf.

ROMEO
Guten Morgen, Lorenzo.

LORENZO
Noch ein Frühaufsteher unterwegs. Bist du beieinander, daß du schon aus dem Bett bist? Alte
Männer werden von Sorgen wachgehalten. Aber bei einem jungen Mann fühlt sich der Schlaf
doch wohl. Du bist so früh auf? Etwas stimmt nicht. Nein. Du warst heute nacht gar nicht im
Bett?

ROMEO
Richtig und besser.

LORENZO
Du warst bei Rosalinde?

ROMEO
Ich kenne diesen Namen nicht und alles andere ist auch vergessen.

LORENZO
Das ist immerhin gut. Aber wo warst du?

ROMEO
Ich war auf einem Fest der Feinde. Es hat mich getroffen und auch sie. Du mußt uns helfen.
Verbinden. Mit all deinen Mitteln.

LORENZO
Auf Rätsel gibt es nur Rätsel als Antwort.

ROMEO
Ich habe mich in die Tochter der Capulets verliebt und sie sich in mich. Wir sind untrennbar
vereint, bis auf das, was nur du vereinen kannst. Wann und wie wir uns gesehen und verliebt
haben, erzähle ich dir alles, aber laß uns gehen. Du mußt uns noch heute trauen.

LORENZO
Was hat sich hier getan, was für eine Wendung. Rosalinde, die du so geliebt hast, ist so
schnell vergessen. Mit einem Wimpernschlag. Da sitzt deine Liebe, im Auge. Nicht im
Herzen. Was hast du gelitten und geklagt. Um sie geweint. Dich verschwendet für eine Liebe,
die keine gewesen sein soll. Mir klingt es noch in den Ohren, und hier bricht schon die neue
Liebe aus. Ist da nicht noch eine Spur in deinem Gesicht? Warst du du selbst? Bist du jetzt ein
anderer? Dann sprich dieses Urteil. Frauen können fallen, wenn die Männer so schwach sind.

ROMEO
Hast du mir nicht so oft meine Liebe zu Rosalinde vorgehalten.

LORENZO
Die Übertreibung.

28
ROMEO
Und dass ich meine Liebe begraben sollte.

LORENZO
Aber nicht, daß du eine ins Grab zu legst, um eine andere rausholen.

ROMEO
Die, die ich jetzt liebe, liebt mich auch zurück.

LORENZO
Die erste hatte den Text durchschaut. Aus einem Grund will ich dir helfen. Vielleicht erweist
sich die Verbindung als Glücksgriff, den Haß eurer Familien zu beenden.

ROMEO
Wir müssen uns beeilen. Schnell.

LORENZO
Wer schnell rennt, der kommt auch schnell zu Fall.

Beide ab.

Akt II. Szene 4

Auftritt Benvolio und Mercutio.

MERCUTIO
Wo ist Romeo nur? Und er war nicht zu Hause heut nacht?

BENVOLIO
Nein. Ich war dort und hab gefragt.

MERCUTIO
Er wird verrückt an dieser Frau.

BENVOLIO
Tybalt, der Neffe des alten Capulet, hat einen Brief zu ihm nach Haus geschickt.

MERCUTIO
Eine Forderung.

BENVOLIO
Die Antwort wird Romeo nicht schuldig bleiben..

MERCUTIO
Romeo ist doch schon tot. Diesem Wunderweibsbild erlegen. Ins Mark getroffen. Sein Gehirn
erweicht. Das Herz gepfählt. Und das ist der Mann, der es mit Tybalt aufnehmen soll?

BENVOLIO
Wer ist das, Tybalt!

29
MERCUTIO
Ein Fechter der ersten Stunde, aus erstem Hause, erstklassiges Material. Passado, Punto.

BENVOLIO
Was?

MERCUTIO
Zum Abschießen, Abkotzen, Tottreten, Wegschmieren diese affektierten, auf edel gemachten
Edelschwestern. Diese aufgebrezelten, arschglatten Fressen. Wenn ich diese Fressen nur sehe.
Aus der Fresse fallende Scheiße höre. Immer auf dem neuesten Fressenstand. Modefressen.
Mit Akzent. Auf Französisch. Oder was auch immer dran ist. Modefressenakzent. Oh, I am a
Cosmopolitangefasel. What a blade, what a body, eine exquisite Nutte. Das wir von diesen
Schmeißfliegen heimgesucht werden. Diese Modeaffen, nein, sorry, pardon: Fashionmongers.
Die so auf alles neue stehen, daß sie auf ihrem Arsch nicht mehr sitzen können.

BENVOLIO
Da kommt Romeo!

MERCUTIO
Ein Fisch. Saftlos. Trocken. Abgelaicht. Ergossen. Weggeweicht. Du hast uns verkauft.

ROMEO
Guten Morgen, was soll ich?

MERCUTIO
Verkauft. Für was. Für nichts, was.

ROMEO
Ich hatte was wichtiges vor. In dem Fall.

MERCUTIO
Was hattest du vor was oder hinter was, unser wichtiger Vorfall, hoffentlich nicht zu tief
gebückt.

ROMEO
Richtig getroffen.

MERCUTIO
Wie höflich. Wie artig. Immerhin wieder hochgekommen oder weich gefallen

ROMEO
besser als zu flach

MERCUTIO
und tief gekommen

ROMEO
abgeschossen

30
ROMEO
ausgemustert

MERCUTIO
Den Arsch offen, so scharf wie sauer, wo nichts läuft

ROMEO
läuft woanders gar nichts.

MERCUTIO
Das klingt schon besser. Jetzt kannst du wieder unter Menschen gehen. Sie sehen Romeo als
Romeo, das Original spielt sich selbst. Dieses Geliebe. Wie ein Irrer, der versucht seinen Stab
in jedes Loch zu stecken.

BENVOLIO
Es reicht.

MERCUTIO
Du willst das ich die Dinge kurz halte, ganz gegen meine Art.

BENVOLIO
Sonst treibst du es endlos.

MERCUTIO
Falsch. Einmal tief vorgestoßen, abgeschossen, fertig.

Auftritt Amme.

AMME
Guten Morgen, die Herren.

MERCUTIO
Guten Mittag.

AMME
Ist es schon Mittag?

MERCUTIO
Ganz kurz vor, verstehen Sie? Ganz kurz bevor der Zeiger, also ganz kurz bevor er da in die
gespreizte Zwölf reintickfickelt.

AMME
Was sind Sie für ein Mensch?

MERCUTIO
Gemacht, um wieder abgeschafft zu werden.

AMME
“Um wieder abgeschafft zu werden“, ja, das ist gut gesagt. Kann mir einer sagen, wo ich den
jungen Romeo finde?

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ROMEO
Das kann ich. Aber der junge Romeo wird älter sein, wenn Sie ihn finden, als er war, als Sie
ihn suchten. Ich bin der jüngste dieses Namens, einen Schlechteren gibt es nicht.

AMME
Gut, gut.

MERCUTIO
Schlecht kommt gut. Das schlechteste am Besten.

AMME
Wenn du es bist, will ich mit dir einen Vertrauensaustausch abhalten.

BENVOLIO
Eine Dinnerkonferenz.

MERCUTIO
Und dann zum Diktat.

ROMEO
Gehts noch?

MERCUTIO
Nichts geht hier, hier geht überhaupt nichts.

Dem Hund machts Spaß,


er pimpert ins Aas.
Doch der Braten ist weich,
die Kruste ist ab,
alt ist das Fleisch,
das letzte Glück ist das Grab.

Romeo, kommst du mit zu deinem Vater, Wir wollen dort Mittagessen.

ROMEO
Ich komme gleich nach.

MERCUTIO
Adieu, Adieu.

Beide ab.

AMME
Was war das für einer?

ROMEO
Der hört sich gerne selbst und verliert in einer Minute mehr Worte als er in einem Monat
verantworten kann.

AMME
Wenn er über mich redet, mach ich ihn klein. Und wenn er doppelt so kräftig wäre. Oder ich

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such mir wen, der es für mich macht. Was denkt er, was ich bin? Wie mich das aufgeregt hat,
ich zittere. Wie gesagt, ich sollte dich suchen, hat meine Herrin gesagt, aber was genau, das
sage ich dir nicht. Dafür eins und das ist eine Warnung. Wenn du hier ein falsches Spiel
treiben willst, ihr das Blaue vom Himmel versprichst, einen Rosengarten, den du nicht
einhalten willst, dann ist das eine schlechte Idee. Sie ist jung und eine Dame. Das ist eine
doppelt schlechte Idee, ein ganz schlechtes Spiel.

ROMEO
Nein, sag ihr..

AMME
Das hört sich gut an, das sag ich ihr, wie ich hier stehe. Das wird sie glücklich machen.

ROMEO
Was willst du ihr sagen?

AMME
Das du entschieden protestierst, das muß ja für einen ernstgemeinten Antrag reichen.

ROMEO
Sag ihr, sie soll heute Nachmittag zur Beichte kommen, in Bruder Lorenzos Zelle werden wir
getraut. Hier, für deine Hilfe.

AMME
Wirklich, keinen Cent.

ROMEO
Nimm, keine Widerrede.

AMME
Diesen Nachmittag? Sie wird da sein.

ROMEO
Warte hinter der Klostermauer. Ich schicke noch in dieser Stunde jemanden vorbei, der dir
eine Strickleiter übergibt. Als Hilfe für heute nacht, zu meinem Glück. Machs genau so, und
ich werd dich dafür belohnen. Sag ihr Grüsse.

AMME
Noch eins.

ROMEO
Sag, was?

AMME
Kann man sich auf deinen Mann verlassen? Zwei können was geheim halten, wenn man nur
einen weg läßt.

ROMEO
Der schweigt wie Gold.

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AMME
Nun, sie ist so ein süßes Mädchen -und erst wie sie noch klein war- und es gibt noch
jemanden, Paris, der auch gerne was von ihr hätte. Lieber würde sie eine Kröte anschauen,
ganz sicher. Wenn ich sie ärgern will, sag ich nur Paris. Ich sag ihr, Paris ist die hübschere
Wahl, und sie wird bleich wie ein Bettlaken. Das fängt beides mit einem R an, Rosmarin und
Romeo?

ROMEO
Sicher. Mit R.

AMME
RRRR, das klingt ja wie ein Hundknurren. R ist doch fürn. Wenns auch so ist, sie hat richtig
was draus gedichtet, Rosmarin und Romeo und wie auch immer, solltest du mal hören.

ROMEO
Sag ihr was ich gesagt habe.

AMME
Und wie ich das machen werde.

Ab.

Akt II. Szene 5

Julia tritt auf.

JULIA
Um neun habe ich sie losgeschickt, für eine halbe Stunde. Sie hat ihn nicht gefunden? Nein,
das kann nicht sein. Wie lahm sie ist. Wenn ich meine Gedanken nur senden könnte! So
schnell wie Licht, nein, schneller, schneller als die Sonne Schatten vertreibt, so müssen
Liebesbriefe fliegen. Warum hat die Liebe denn Flügel? Weil sie fliegen muß. Jetzt ist es
schon Mittag und von neun bis zwölf sind es drei Stunden und sie ist immer noch nicht da.
Wenn sie irgendwelche Gefühle hätte, Blut in den Adern, dann müßte sie doch eintreffen, ins
Ziel geschossen kommen, einmal hin zu ihm und dann zurück zu mir. Aber sie ist lieber schon
scheintod, schwer und träge hin zum Ende.

Amme tritt auf.

Sie kommt, sie kommt. Liebste Amme, was gibt es Neues? Hast du ihn getroffen? Aber was
für ein Gesicht machst du? Hast du schlechte Nachrichten, dann sag sie. Aber gute- nicht mit
so einem Ausdruck.

AMME
Ich bin erledigt, einen Moment Ruhe brauch ich auch mal. Und das mit meinen alten
Knochen.

JULIA
Meine Knochen für deine Nachricht. Ich bitte dich, sprich, komm, sprich doch endlich.

AMME

34
Was für eine Ungeduld. Einen Moment, ich bin ganz außer Atem.

JULIA
Aber du hast genug davon, um länger drum herum zu reden, als wenn du es endlich sagen
würdest. Gib mir ein Zeichen, der Rest kann warten.

AMME
Da hast du eine gute Wahl getroffen, weißt du nicht, wie man das macht? Romeo? Doch nicht
den. Zugegeben sein Gesicht. Aber seine Beine, nicht schlecht. Hände, auch nicht zu
verachten. Und der Körper. Muß man nicht drüber reden, aber im Vergleich, nicht zu
vergleichen. Nicht die besten Umgangsformen, aber könnte umgänglich werden. Mach was
du für richtig hältst, aber machs mit Gott. Was, hast du schon gegessen?

JULIA
Nein, nein. Sag mir endlich was neues. Was ist mit der Trauung?

AMME
Mein Gott, was hab ich für Kopfschmerzen, mein Kopf platzt gleich. Und mein Rücken, nein
andere Seite, mein Rücken! Mich so rumzuhetzen, bringt mich ins Grab. Das hast du dann
davon.

JULIA
Es tut mir leid, daß es dir schlecht geht. Aber Liebste, Beste, sag es, was hat er gesagt?

AMME
Dein Liebster sagt, wie es sich gehört und auch mit Charme und charmant und doch wieder
zurückhaltend, und dann aber auch- Wo ist deine Mutter?

JULIA
Wo meine Mutter ist? Drinnen, wo soll sie sein? Was ist das für eine Antwort. Hat er nach
meiner Mutter gefragt?

AMME
Mädchen, Mädchen. Hast du es so nötig? Jetzt reichts mir aber. Nennst du das Fürsorge für
meine armen Knochen? Ab jetzt kannst du deine Botengänge alleine machen.

JULIA
Ist das ein Gemache. Komm, was sagt Romeo?

AMME
Kannst du heute zur Beichte gehen?

JULIA
Ja.

AMME
Dann sieh zu, daß du zu Bruder Lorenzo kommst. Dort wartet ein Mann, dich zur Frau zu
machen. Da steigt die Temperatur wieder! Bei der Aussicht, da wird sie gleich so was von rot.
Eil du zur Kirche, ich muß noch eine Leiter abholen, damit dein Liebster heut nacht ins
Nestchen findet. Für deinen Spaß schlepp ich mich ab, heute nacht hilft dir keiner.
Nun los, ich will zum Essen, und du, zu Lorenzo.

35
JULIA
Ich renne. Leb wohl.

Beide ab.

Akt II. Szene 6

Bruder Lorenzo und Romeo treten auf.

LORENZO
Dass der Himmel diesem Akt gut gesinnt ist, und wir nicht später dafür bezahlen müssen.

ROMEO
Amen, Amen! Was auch kommt, eine Minute mit ihr, ist es wert. Führ uns zusammen, was
soll selbst der Tod noch wollen, wenn sie meins ist.

LORENZO
Wie der Anfang so das Ende. Feuer und Pulver kommen nur einmal zum Höhepunkt, zu viel
Süßes, verdirbt die Lust drauf, lieb in Maßen, dann liebst du länger, zu schnell kommt auch
zur falschen Zeit.

Julia tritt auf.

Da kommt sie, läuft sie, fliegt fast mit dem Sommerwind, so leicht macht die Liebe, so leicht,
so vergänglich.

JULIA
Grüß dich, mein Beichtvater.

LORENZO
Romeo soll dir für uns beide danken.

JULIA
Das gleich zurück, daß nichts offen bleibt.

ROMEO
Julia. Kannst du es beschreiben. Hast du noch Worte? Sag mir, ob du dich auch so freust. Das
ich es mir vorstellen kann, mit deiner Stimme, wie es sein wird, wenn wir zusammen sind.

JULIA
Vergiß die Worte, die Verpackung, wenn nur der Inhalt stimmt. Wenn ich arm wäre, wäre es
ja einfach alles aufzuzählen. Aber meine Liebe hat inzwischen solche Ausmaße, da kenn ich
noch nicht mal die Hälfte von.

LORENZO
Kommt, wir gehen, bringen wir es hinter uns. Ihr beiden bleibt mir nicht allein, bis wir auch
mit kirchlichem Segen, aus zweien eins gemacht haben.

Sie gehen ab.

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