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Einleitung

Der Begriff der „Öffentlichkeit“ spielt in der modernen politischen Theorie eine bedeutende
Rolle. Dieses Phänomen soll übermenschliches leisten, es soll legitimieren, die Wahrheit
befördern, regulierend wirken, Handeln ermöglichen, Kommunikation entfalten und als anti-
totalitäres Bollwerk seinen Dienst verrichten. So mannigfaltig die Funktionen der
Öffentlichkeit, so schwammig der Begriff und so umstritten sind die konstitutiven
Bestandteile derselben. Gleiches gilt für die Begriffe Diskurs, Macht und Wahrheit, die, um
die Sache noch komplizierter zu gestalten, auch noch in einem kaum zu überblickenden
Beziehungsverhältnis zueinander und zum Begriff der Öeffentlichkeit stehen, welches die
jeweiligen Begriffe noch ein weiteres Mal in ihrer Bedeutung und ihrem Gehalt verändert.
Um etwas mehr Licht in die Höhle der Erkenntnis zu bringen werden in dieser Arbeit zwei
Theoretiker und ihre Konzepte von Öffentlichkeit, Diskurs, Wahrheit und Macht miteinander
verglichen und es soll versucht werden die Beziehungen der Phänomene zueinander (soweit
diese in den jeweiligen Konzepten ausgearbeitet sind) herauszuarbeiten, unter der Maßgabe
der jeweiligen Schwerpunktsetzungen der Autoren. Bei beiden Theoretikern handelt es sich
um zwei Giganten der modernen sozialwissenschaftlichen Theorie : Jürgen Habermas und
Michel Foucault. Beide stellen den Diskursbegriff in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen,
jedoch in teilweise völlig unterschiedlicher Ausgestaltung. Ähnliches gilt für Macht und
Wahrheit, die jedoch in beiden Theorien in unterschiedlichen kausalen Beziehungen
zueinander angesiedelt sind und jeweils andere Gewichtsetzungen erhalten.
Im ersten Teil der Arbeit wird das Habermas´sche Theoriewerk vorgestellt. Dieser erste Teil
gliedert sich wiederum in zwei grobe Abschnitte. Im ersten werden die normativen und
sprachtheoretischen Grundvoraussetzungen erläutert, die dem zweiten, dem empirischeren
Teil zugrunde liegen, In diesem wird auf die Rolle und Funktion der politischen
Öffentlichkeit und ihrer Beziehungen zu anderen Systemen moderner ausdifferenzierter
Gesellschaften und ihren idealen Voraussetzungen eingegangen.
Der zweite Teil stellt die Foucault´sche Analyse dar. Auch dieser Teil gliedert sich grob in
zwei Abschnitte. Der erste (sozusagen archäologische) beleuchtet das Diskurskonzept in
seiner Breite. Die konstitutiven Bestandteile des Diskurses, seine bewegenden Faktoren, seine
Beziehung zu Macht und Wahrheit. Im zweiten (mehr oder minder genealogischen), auch
wieder empirischeren Abschnitt, werden die Ausführungen des ersten Abschnitts quasi
angewandt gezeigt, am Beispiel der Sexualität und der im 19. Jahrhundert entstehenden
„Scientia Sexualis“, in dem das Wirken der Diskurse und im Zusammenhang damit, ihre
Beziehungen zu den nicht- diskursiven Praktiken und der Macht exemplarisch dargestellt
werden können.
Der letzte Teil wird dann beide Analysen miteinander vergleichen, zueinander in Beziehung
setzen und einer Kritik und Würdigung unterziehen, um am Ende ein Fazit ziehen zu können.

2.) Habermas

2.1.) Sprechhandlungen und Geltungsansprüche

Für die Habermas´sche Öffentlichkeitskonzeption ist die von ihm entwickelte Diskurstheorie
von zentraler Bedeutung. Diese Diskurstheorie wiederum ist eingebettet in eine Theorie der
Sprechakte, die sich im lebensweltlichen Kontext vollziehen. Hierzu entwickelt Habermas
seine Theorie des kommunikativen Handelns, mit welcher er versucht eine Synthese
herzustellen zwischen anderen einseitigen Handlungskonzepten (teleologisches Handeln,
dramaturgisches Handeln usw.). Das kommunikative Handeln ist der sprachliche
Mechanismus der sozialen Handlungskoordinierung bei dem „alle Beteiligten illokutionäre
Ziele vorbehaltlos verfolgen, um ein Einverständnis zu erzielen, das die Grundlage für eine
einvernehmliche Koodinierung der jeweils individuell verfolgten Handlungspläne bietet.“
(Habermas 1995, S.398) Zum kommunikativen Handeln gehören jedoch nur die
Sprechhandlungen, in denen alle Interaktionspartner illokutionäre Ziele verfolgen. Der
illokutionäre Bestandteil einer Sprechandlung ist die Komponente, „die spezifiziert, welchen
Geltungsanspruch ein Sprecher mit seiner Äußerung erhebt, wie er ihn erhebt und für was er
ihn erhebt.“ (Habermas 1995, S.376)
Das illokutionäre Ziel einer Sprechhandlung geht dabei aus der Bedeutung des Gesagten
selbst hervor. Die kommuniktive Absicht des Sprechers erschöpft sich darin, daß der Hörer
den manifesten Gehlt der Sprechhandlung verstehen soll. Ein Verständigunsversuch mir Hilfe
eines Sprechaktes gelingt, wenn der Sprecher sein illokutionäres Ziel erreicht.
Das kommunikative Handeln, das ein soziales und verständigungsorientiertes Handeln
darstellt mit seinen illokutionären Zielen steht im Gegensatz zu dem strategischen Handeln,
das ebenfalls soziales Handeln ist, aber erfolgsorientiert. Hierbei werden keine illokutionären
Ziele verfolgt, sondern perlokutionäre. Dabei ist nicht die Bedeutung des Gesagten, sondern
die Intention konstitutiv. Perlokutionäre Effekte entstehen dadurch, daß illokutionäre Akte als
Mittel zum Zweck in strategisch- teleologischen Handlungszusammenhängen eingesetzt
werden. Um hier das Ziel zu erreichen, d.h einen Effekt beim Hörer zu erzielen, darf der
Sprecher sein eigentliches perlokutionäres Ziel nicht zu erkennen geben, d.h. es geht nicht aus
der Bedeutung des Gesagten hervor. Wenn ich jemandem Angst einjagen will, darf ich ihm
das nicht mitteilen, sonst wird es kaum noch funktionieren.
Für das kommunkative Handeln sind darüberhinaus nur solche Sprechhandlungen konstitutiv,
mit denen der Sprecher kritisierbare Geltungsansprüche verbindet. Dabei dient die Sprache als
Medium der Verständigung, als Koordinationsmechanimus für andere Handlungen, „wobei
sich Sprecher und Hörer aus dem Horizont ihrer vorinterpretierten Lebenswelt gleichzeitig
auf etwas in der objektiven, sozialen und subjektiven Welt beziehen, um gemeinsame
Situationsdefinitionen auszuhandeln.“ (Habermas 1995, S.142)
Es gibt in jedem Sprechakt also einen dreifachen Weltbezug mit entsprechenden
Geltungsansprüchen. Der Bezug auf die objektive Welt, „als der Gesamtheit aller Entitäten,
über die wahre Aussagen möglich sind“ (Habermas 1995, S.149), ist immer verbunden mit
dem Geltungsanspruch auf Wahrheit, also einem Tatsachenbezug. Dieser Geltungsanspruch
setzt (zumindest den Anspruch auf) propositionales Wissen voraus und er äußert sich in
konstativen Sprechhandlungen. Der Geltungsanspruch auf Wahrheit wird in einem
theoretischen Diskurs überprüft. Die Aussage ist im Hinblick auf den Geltungsanspruch der
Wahrheit rational, „wenn der Sprecher die Bedingungen erfüllt, die für die Erreichung des
illokutionären Zieles notwendig sind, sich mit mindestens einem weiteren
Kommunikationsteilnehmer über etwas in der Welt zu verständigen.“ (Habermas 1995, S.29)
Der Bezug auf die soziale Welt, „als der Gesamtheit aller legitim geregelten interpersonalen
Beziehungen.“ (Habermas 1995, S.149), ist immer verbunden mit dem Geltungsanspruch der
(normativen) Richtigkeit, also einem Bezug auf normenreguliertes Handeln. Dieser
Geltungsanspruch äußert sich in regulativen Sprechhandlungen. Der Geltungsanspruch der
normativen Richtigkeit wird in einem praktischen Diskurs überprüft.
Rational im Hinblick auf diesen Weltbezug nennt man eine Person, die ihre Handlungen mit
Bezugnahme auf bestehende normative Kontexte rechtfertigen kann.
Bei dem dritten Weltbezug handelt es sich um den der subjektiven Welt, „als der Gesamtheit
der privilegiert zugänglichen Erlebnisse des Sprechers.“ (Habermas 1995, S.149) Der
Geltungsanspruch, der hier geltend gemacht wird, ist der der Wahrhaftigkeit. Dabei geht es
um die (aufrichtige) Äußerung von Gefühlen, Wünschen, Stimmungen, Geheimnissen usw.,
die in einer expressiven Sprechhandlung ihren Ausdruck finden. Rational verhalten sich die
Personen, die ihr Handeln entsprechend ihren Äußerungen gestalten, also das Gesagte im
Handeln als wahrhaftig erkennen lassen und bereit und in der Lage sind, sich von Illusionen
freizumachen, und zwar von Illusionen, die nicht auf Irrtum (über Tatsachen), sondern auf
Selbsttäuschung (über eigene Erlebnisse) beruhen. Zur Überprüfung dieses
Geltungsanspruches dient jedoch kein Diskurs, sondern die therapeutische Kritik ,„denn
gegenüber jenen beiden auf die objektive und soziale Welt bezogenen Geltungsansprüchen
kann keine universale Zustimmung in Bezug auf die subjektive Welt erwartet werden." (Kim
1995, S.113) Es kann also festgestellt werden, daß jede Aussage die drei Weltbezüge aufweist
und die damit verbundenen Geltungsansprüche für den Sprechakt erhebt. Jede Aussage
beansprucht also wahr , normativ richtig und wahrhaftig zu sein. Einer der
Geltungsanssprüche und Weltbezüge steht dabei immer im Vordergrund, die anderen werden
implizit miterhoben.
Die Geltungsansprüche müssen in der Kommunikation begründet werden und können
entweder anerkannt oder abgelehnt werden, was die zentrale Voraussetzung von Rationalität
ist. Bei der Anerkennung von Geltungsansprüchen kommt es zu einer Verständigung, also
einem Konsens, das Ziel eines jeden Diskurses. In diesem Sinne handelt es sich beim
kommunikativen Handeln um eine Verständigung im Sinne eines kooperativen
Deutungsprozesses“ (Habermas 1995, S.151) einer Situationsdefinition, mit der die
Kommunikationsteilnehmer die verschiedenen Elemente der Handlungssituation jeweils einer
der drei Welten zuordnen. Alle drei Sprechhandlungen (konstative, reulative und expressive)
konstituieren eine kommunikative Praxis, die vor dem Kontext einer Lebenswelt auf die
Erzielung, Erhaltung und Erneuerung von Konsens (Handlungskoordination durch
Verständigung) ausgelegt ist, und zwar eines Konsenses, der auf der intersubjektiven
Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche beruht.
Verständigung, so Habermas, wohnt als Telos der menschlichen Sprache selbst inne. Bei einer
Verständigung akzeptieren die Aktoren wechselseitig die von ihnen jeweils erhobenen
Geltungsansprüche und die damit verbundenen Handlungsverpflichtungen. Ein Konsens kann
nicht von außen erzwungen werden, da er sonst seinen Status als Konsens verlieren würde.
Jeder Sprechakt ist in einen lebensweltlichen Kontext eingebettet, ein implizites nur zum Teil
aktualisierbares Wissen, d.h Verständigung findet immer in einem als gemeinsam
unterstellten System von Weltbezügen und Geltungsansprüchen statt. Die Kommunikative
Rationalität bemißt sich dabei am Gelingen von Verständigungsprozessen, also am
Zustandekommen eines Konsenses und ist an eine Argumentationspraxis gebunden, wobei
eine Argumentation der Typus von Rede ist „in dem die Teilnehmer strittige
Geltungsansprüche thematisieren und versuchen, diese mit Argumenten einzulösen oder zu
kritisieren.“ (Habermas 1995, S.38) Die Argumentationen sind die Gültigkeitskriterien der
Rationaliät oder der Wahrheit eines Konsens. Die Verständigung als Telos der
Kommunikation verweist nicht nur auf eine Argumentationspraxis, sondern auch auf den
„Ort“ einer solchen Praxis, den Diskurs.

2.2.) Diskursprinzip

Habermas unterscheidet zwischen theoretischen und praktischen Diskursen. Im theoretischen


Diskurs geht es um die Beschreibung der Welt, dieser ist also mit einem objektiven
Weltbezug versehen und in ihm wird der Geltungsanspruch der Wahrheit überprüft. Im
praktischen Diskurs geht es um die Begründung oder Rechtfertigung von Normen, er ist also
mit der sozialen Welt verknüpft und in ihm wird der Geltungsanspruch der (normativen)
Richtigkeit auf die Probe gestellt. Ein weiterer Hauptunterschied zwischen beiden
Diskursarten ist die Tatsache, „(...) daß sich die Plausibilitätsargumente im Falle des
theoretischen Diskurses nicht gegen die Realität richten können, während praktische Diskurse
sich gegenüber der gesellschaftlichen Realität kritisch verhalten können.“ (Horster 2001,
S.65) Was vernünftig, also wahr, ist kann erst im Diskurs festgestellt werden, ist Ergebnis des
Diskurses. Damit der Diskurs diese vernunft- oder wahrheitsstiftende Funktion übernehmen
kann, muß er bestimmte Voraussetzungen erfüllen, denn der Diskurs ist eine prozeduralisierte
Vernunft. Die Eingangsvoraussetzung für einen rationalen Diskurs ist die ideale
Sprechsituation. Hierbei müssen grundsätzlich 4 Bedingungen erfüllt sein um das Ergebnis
von Vernünftigkeit zu gewährleisten.
1.) Alle Teilnehmer müssen die gleiche Chance haben kommunikative Sprechakte im Diskurs
zu verwenden
2.) „Alle Diskursteilnehmer müssen die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen,
Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen [das bedeutet konstative
Sprechakte zu verwenden] und deren Geltungsanspruch zu problematisieren, zu
begründen oder zu widerlegen, so daß keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung
und der Kritik entzogen bleibt.“ (Horster 2001, S.57)
3.) „Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde gleiche Chancen haben,
repräsentative Sprechakte zu verwenden, d.h. ihre Einstellungen, Gefühle und Wünsche
zum Ausdruck zu bringen“ (Horster 2001, S.57), sich selbst gegenüber wahrhaftig sind
und ihre innere Natur transparent machen.
4.) „Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde die gleiche Chance haben,
regulative Sprechakte zu verwenden, d.h. zu befehlen und sich zu widersetzen, zu
erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft
abzulegen und zu verlangen usf.“ (Horster 2001, S.57)
Alle diese Ansprüche konvergieren in einem einzigen: dem der Vernünftigkeit.
Hierbei handelt es sich laut Horster um einen klassischen Zirkelschluß. Denn die
Vernünftigkeit, die eigentlich erst im Diskurs selbst ermittelt werden sollte, ist selbst
Eingangsvoraussetzung für diesen Diskurs. Trotz dieser Tautologie ist die Diskurstheorie eine
der tragenden Säulen, auf denen das Habermas´sche Theoriegebäude ruht. Für jeden (idealen)
Diskurs gilt weiterhin, daß nur der Konsens Gültigkeit für sich beanspruchen kann, dem
ALLE möglicherweise Betroffenen, als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen
können. Dies ist die (normative) Basis für alle moralischen und rechtlichen Regeln.
Ideale Diskurssituationen zeichnen sich also aus, durch Gleichheit (wechselseitige Achtung
und gleiche Rechte), Unparteilichkeit, Offenheit (keine Person und keine relevante
Information sind prinzipiell ausgeschlossen), Abwesenheit von (äußerem) Zwang, sowie
Einstimmigkeit. Nur dann ist die Möglichkeit eines vernünftigen Ergebnisses gewährleistet.
Dem Diskursprinzip liegt, im Anspruch der Einstimmigkeit, somit der Universalitätsgrundsatz
zugrunde, der Partikularinteressen als Ergebnis ausschließen soll.
Nur der unter der idealen Sprechsituation erzielte Konsens gilt als ein wahrer Konsens.
Der Haberms´sche Ansatz ist zwar ein normativer und kein empirischer, jedoch verhält es
sich so, „daß wir die Argumentationsvoraussetzungen, obwohl sie einen idealen und nur
annäherungsweise zu realisierenden Gehalt haben, faktisch machen müssen, wenn wir
überhaupt in eine Argumentation eintreten wollen (...).“ (Horster 2001, S.56)
Die ideale Sprech- und Diskurssituation ist nicht nur ein Regulativ, d.h. eine ideal
anzustrebende Situation, sondern sie ist auch konstitutiv für empirische Diskurse, in Form
einer faktischen Annahme von Argumentationsvoraussetzungen. Wenn ich nicht davon
ausgehe, daß mein Gesprächspartner freiwillig mit mir redet und mir gleichgestellt ist, wenn
ich ihn nicht ernstnehme, dann kommt überhaupt kein Diskurs zustande, von dem beide auch
noch sagen können er sei vernünftig. Die Habermas´sche Diskurskonstruktion ist also die
faktisch- normative Voraussetzung für jeden empirischen Diskurs. Dies kann häufig auch auf
einer „als-ob“ Annahme basieren, d.h. ich tue so, als ob mein Gespächspartner gleichwertig
wäre (oder umgekehrt) und der Diskurs machtfrei ist, auch wenn ich weiß, daß dem oft nicht
so ist. Dies läuft nicht auf Heuchelei hinaus, vielmehr auf eine Doppelung der Realität. Im
Alltag z.B. tun wir die ganze Zeit so „als-ob“ wir einen freien Willen hätten, sonst könnten
wir nicht handeln, uns nicht ernstnehmen usw.. Ob das theoretisch und faktisch auch so ist,
wissen wir nicht, aber wir handeln und sprechen so „als ob“ wir einen freien Willen hätten,
das ist die Voraussetzung für unser faktisches Verhalten. Genauso verhält es sich mit dem
idealen Diskurs. Die Ideale der Diskurskonzeption sind nicht nur konstitutiv für die
empirische Realität, sondern auch in demokratischen Verfahren institutionalisiert. „Die
Kommunikationsvorraussetzungen für einen deliberativen Modus des Meinungsstreits sind in
parlamentarischen Körperschaften immerhin so wirksam institutionalisiert, daß das
demokratische Verfahren Argumente filtert und legitimitätserzeugende Gründe privilegiert
zum Zuge kommen läßt.“ (Habermas 1992, S.413) Auch zeigt sich in empirischen Analysen,
„daß der aktuelle Verlauf der Debatten (...) vom idealen Verfahren deliberativer Politik
abweicht, aber zugleich von dessen Präsuppositionen steuerungswirksam affiziert wird“
(Habermas 1992, S.413), d.h. auch die regulativen Funktionen der Ideale kommen empirisch
zum Tragen. Die normative Diskurskonzeption dient als legitimierendes Rahmenideal für
unser demokratisches Verständnis und diese Ideale, wenn auch nicht annähernd realisiert,
dienen als Maßstab allen demokratischen Handelns, sowie als konstitutive Voraussetzung
dieses Handelns. „Die deliberative Politik gewinnt ihre legitimierende Kraft aus der
diskursiven Struktur einer Meinungs- und Willensbildung, die ihre sozialintegrative Funktion
nur dank der Erwartung einer vernünftigen Qualität ihrer Ergebnisse erfüllen kann.“
(Habermas 1992, S.369)

2.3.) Deliberative Politik

Das Diskursprinzip schließt sich an und ist (die theoretische, wie normative) Grundlage des
Konzepts einer deliberativen Politik, wie sie Habermas entwickelt hat. Dabei handelt es sich
um einen Versuch der Integration von republikanischen Ansätzen und ihrer Hervorhebung
von öffentlicher Autonomie und dem Engagement der Staatsbürger (bis hin zu eher Staats-
skeptischen Modellen) und Liberalistischen Ansätzen mit dem Schwergeweicht auf den
subjektiven Handlungsfreiheiten des Privatrechtssubjekt, sowie dem Staat als Hüter dieser
Freiheiten. Der deliberativen Politk liegt der Gedanke einer Legitimation durch Verfahren
zugrunde, d.h. die fallibilistische Vermutung, „daß verfahrensgerecht zustandegekommene
Resultate mehr oder weniger vernünftig sind.“ (Horster 2001, S.108) Die Vernunft steckt
hierbei in der Qualität des demokratischen Prozesses bzw. in der Qualität von dessen
Verfahren. Hat z.B. eine Verfassungsinterpretation ein solches Verfahren überstanden, ist die
Vermutung begründet, daß sie wahr sei. Die Qualität des demokratischen Prozesses wird
daran bemessen, ob und inwieweit die normativen Diskurs-Grundlagen einer deliberativen
Politk erfüllt sind, wofür der Grad der Institutionalisierung der idealen Diskursverfahren in
der demokratischen Praxis rechenschaft ablegt. Die Wahrheit und die Vernunft eines solchen
Ergebnisses, ist dabei jedoch nur vorübergehend und durch einen weiteren Diskurs
korrigierbar. Der demokratische Rechtsstaat garantiert dabei eine Institutionalisierung von
Kommunikationsformen einer demokratischen Meinungs- und Willensbildung, wobei die
solcherlei institutionalisierten Diskursverfahren eine höherstufige Intersubjektivität von
Verständigungsprozessen ermöglichen sollen, nicht nur in den demokratischen Verfahren
selbst, sondern auch im Zusammenspiel eines weiteren wesentlichen Faktors demokratischer
Meinungs- und Willensbildung: dem informellen Kommunikationsnetz politischer
Öffentlichkeiten, als Arenen in denen rationale Willens- und Meinungsbildung über
gesamtgesellschaftlich relevante und regelungsbedürftige Materien stattfindet.

2.4.) System und Lebenswelt

Habermas kritisiert nicht nur die Schwächen anderer Theorien, sondern macht sich auch deren
Stärken zunutze und integriert diese in seine Theorie. Auch bei ihm spielt der Begriff des
Systems eine herausragende Rolle, doch im Gegensatz zur Systemtheorie erweitert er seine
Theorie um einen zweiten Pfeiler: den der Lebenswelt. Auch Habermas konstatiert die
Ausdifferenzierung von Systemen in modernen Gesellschaften. Als Folge der immer weiter
voranschreitenden Autonomisierung der verschiedenen Funktionssysteme, entwickeln diese
Spezialsemantiken, die zueinander inkompatibel sind, die Teilssysteme verstehen sich
untereinander nicht mehr. Dies wirft Probleme auf angesichts der Tatsache, daß die
ausdifferenzierten Teilsysteme auf einem höheren Niveau der Gesellschaft im ganzen wieder
integriert werden müssen um die Einheit der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese
gesamtgesellschaftliche Integration kann von der Systemtheorie nicht erklärt werden. Bei
Habermas setzt sich die Gesellschaft jedoch nicht nur aus Systemen zusammen, sondern
zusätzlich auch noch aus der bereits erwähnten Lebenswelt. „Diese wird durch die Gesamtheit
der Interpretationen begrenzt, die von den Angehörigen als Hintergrundwissen vorausgesetzt
werden.“ (Habermas 1995, S.32) Es handelt sich bei der Lebenswelt also um ein implizites
intersubjektiv geteiltes Hintergrund- und Kontextwissen und um ein Netzwerk von
kommunikativen Handlungen. Aussagen ergeben nur innerhalb dieses Kontextes einen Sinn.
Dieses Wissen steht uns zum größten Teil jedoch nicht zur Disposition, als wir es uns nicht
nach Belieben bewußt machen und in Zweifel ziehen können. Die Umgangssprache, als
Sprache der Lebenswelt, ist das Medium verständigungsorientierten Handelns, über das sich
die Lebenswelt reproduziert. Historisch gesehen fand eine Ausdifferenzierung von Systemen
aus der Lebenswelt statt. „Sinn dieses Prozesses ist es, den bei zunehmender Komplexität
überforderten Mechanismus sprachlicher Verständigung durch entsprachlichte
Kommunikationsmedien zu ersetzen.“ (Horster 2001, S.83) Zum einen sind da die noch
versprachlichten Kommunikationsmedien, wie Schrift- und Druckerzeugnisse und
elektronische Medien, diese ermöglichen die Bildung von Öffentlichkeit und „werden somit
an kulturelle Überlieferung angeschlossen und sind in letzter Instanz vom Handeln
zurechnungsfähiger Aktoren abhängig.“ (Horster 2001, S.84) Zum anderen gibt es die
(entsprachlichten) Steuerungsmedien: Macht und Geld. Bei diesen beiden wird der Rückgriff
auf die Lebenswelt für die Koordinierung von Handlungen nicht mehr benötigt, sie
reguelieren sich und die ihnen zugehörigen Systeme, Administration (Macht) und Wirtschaft
(Geld) von selbst. Die aus der Lebenswelt entkoppelten Systeme wirken mittels der Sprache
des Rechts in die Lebenswelt zurück und „kolonialisieren“ diese damit, so die berühmte
Habermas´sche These
Den Kommunikations- , bzw. Steuerungsmedien sind verschiedene Machttypen zugeordnet,
die als wesentlich für den demokratischen Prozeß gelten können. Die Kommunikationsmedien
erzeugen mit Hilfe einer informellen politischen Öffentlichkeit und einer formellen
parlamantarischen Öffentlichkeit eine kommunikative Macht. Das Steuerungsmedium Macht,
welches die Sprache des administrativen Systems bzw. des Staates ist, erzeugt die
administrative Macht. Dem dritten Steuerungsmedium, dem Geld, welches dem
ökonomischen System bzw. dem Markt dient, kann die soziale Macht zugeordnet werden. Die
Ergebnisse deliberativer Politik lassen sich hierbei „als kommunikativ erzeugte Macht
verstehen, die einerseits zum sozialen Machtpotential glaubwürdig drohender Aktoren und
andererseits zur adminsitrativen Macht von Amstinhabern in Konkurrenz tritt.“ (Habermas
1992, S.415)
2.5.) Politisches System

Ein spezifisches Teilsystem mit entsprechender Aufgabe und der dazugehörigen


Spezialsemantik ist das politische System. Das politische System selbst ist intern noch einmal
differenziert in Bereiche der administrativen und der kommunikativen Macht und es bleibt
(ganz im Gegensatz zur systemtheoretischen Konzeption) zur Lebenswelt hin geöffnet.
Das politische Handlungssystem ist in lebensweltliche Kontexte eingebettet und auf
Informationen aus diesen Kontexten angewiesen. Es ist ein auf kollektiv bindende
Entscheidungen spezialisiertes Teilsystem, das zum einen Aufgaben der funktionalen
Koordinierung und zum anderen sozialintegrative Aufgaben erfüllt (Aufrechterhaltung von
Ordnung, Umverteilung sozialer Sicherung, Schutz kollektiver Identitäten usw.). Diese
funktionale Koordinierung und die sozialintegrativen Aufgaben, erfüllt das politische System,
angesichts der wechselseitg unverständlichen Spezialsemantiken, mit Hilfe des Rechts, das im
demokratischen Verfahren zustande gekommen ist und somit Legitimität besitzt. Das Recht
bringt die „Botschaften dieser Herkunft in eine Form, in der sie für die Spezialkodes der
machtgesteuerten Administration und der geldgesteuerten Öekonomie verständlich bleiben.
Insofern kann die Sprache des Rechts, anders, als die auf die Sphäre der Lebenswelt
beschränkte moralische Kommunikation, als Transformator im gesellschaftsweiten
Kommunikationskreislauf zwischen System und Lebenswelt fungieren.“ (Habermas zit. nach
Horster 2001, S.99) Das Rechtssystem hält die Systeme und die Lebenswelt füreinander
durchlässig. Durch die rechtliche Institutionalisierung der Steuerungsmedien bleiben die
ausdifferenzierten Subsysteme in der Gesellschaftskomponente verankert. Der Transformator
Recht sorgt dafür, daß die Umgangssprache aus Öffentlichkeit und Lebenswelt
gesellschaftsweit zirkulieren kann. Damit wideruft Habermas die These der „Kolonialisierung
der Lebenswelt“ in seinem Buch „Faktizität und Geltung“ wieder. Das politische System
kommuniziert mittels des Mediums des Rechts mit allen anderen Handlungsbereichen und
kommt somit seiner Koordinierungs- und Integrationsfunktion nach, in dem es in
Funktionslücken einspringt, die aus der Überlastung anderer Systeme entstehen und zu einer
gesamtgesellschaftlichen Desintegration führen könnten.
Das politische System ist untergliedert in
1.) einen parlamentarischen Komplex, der gekennzeichnet ist durch eine höhere
Wahrnehmung und Thematisierung gesellschaftlicher Probleme (als das administrative
System) und der die rechtlich und politisch bindenden Entscheidungen trifft. Er ist
vorwiegend strukturiert als Rechtfertigungszusammenhang, die Rechtfertigung der
Problemwahl und der Entscheidung zwischen konkurrierenden Lösungsvorschlägen;
2.) einen administrativen Komplex, der eine geringere Problemwahrnehmungskapazität
besitzt und die Entscheidungen des parlamentarischen Komplexes ausführt. Er ist für die
Zuarbeit und Weiterverarbeitung bezüglich der vom Parlament getroffenen
Entscheidungen zuständig.
Die administrative Macht entspringt aus diesem Teil des politischen Systems, während die
kommunikative Macht aus den Interaktionen zwischen rechtsstaatlich institutionalisierter
Willensbildung und kulturell mobilisierten Öffentlichkeiten resultiert, „die ihrerseits in den
Assoziationen einer von Staat und Ökonomie gleich weit entfernten Zivilgesellschaft eine
Basis finden.“ (Habermas 1992, S.365)
Die politisch bearbeitbaren Fragen der funktionalen Koordination sind mit den moralischen
und ethischen Dimensionen der gesellschaftlichen Integration verschränkt, „weil die Folgen
mangelnder Systemintegration erst vor dem lebensgeschichtlichen Hintergrund verletzter
Interessen und bedrohter Identitäten als lösungsbedürftige Probleme erfahren werden.“
(Habermas 1992, S.426) Deswegen empfiehlt es sich aus normativen und empirischen
Gründen, „ daß die erweiterte Wissensbasis einer steuernden Verwaltung durch deliberative
Politik, nämlich durch den öffentlich organisierten Meinungsstreit zwischen Experten und
Gegenexperten geprägt und von der öffentlichen Meinung kontrolliert wird.“ (Habermas
1992, S.426)

2.6.) Öffentlichkeit

Der zweite Bereich in dem kommunikative Macht entsteht, ist die politische Öffentlichkeit,
ein weiteres zentrales Konzept in der politischen Theorie Habermas´, daß er in Abgrenzung
zu den sogenannten „realistischen“ soziologischen Theorien der Öffentlichkeit mit
empiristischen, also nicht- normativen Machtbegriffen, wie der Rational Choice- oder
Systemtheorie, entwickelt. Beiden Ansätzen unterstellt er eine „normative Abmagerungskur“
(Habermas 1992, S.404) und theorieimmanente Unstimmigkeiten.
Dabei handelt es sich um eine intermediäre Kommunikationsstruktur, „die zwischen dem
politischen System einerseits, den privaten Sektoren der Lebenswelt und funktional
spezifizierten Handlungssystemen andererseits vermittelt“ (Habermas zit. nach Horster 2001,
S.101) und sich aus mehreren Teilöffentlichkeiten zusammensetzt. Den institutionellen Kern
der Zivilgesellschaft bilden die nicht-staatlichen und nicht- ökonomischen Assoziationen auf
freiwilliger Basis, die die Kommunikationsstrukturen der Öffentlichkeit in der Lebenswelt
verankern, in dem sie die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten
Lebensbereichen der Lebenswelt finden, aufnehmen, bündeln und an die politische
Öffentlichkeit weiterleiten, wo diese Kommunikationsflüsse so gefiltert und synthetisiert
werden, „daß sie sich zu themenspezifisch gebündelten öffentlichen Meinungen verdichten.“
(Habermas 1992, S.436) Die politische Öffentlichkeit erfüllt mehrere Funktionen innerhalb
des Gesellschaftsganzen. Zum einen ist sie ein Resonanzboden für gesamtgesellschaftliche
Probleme, die vom politischen System bearbeitet werden müssen, weil sie woanders nicht
gelöst werden. Die Öeffentlichkeit ist eine Arena der Wahrnehmung, Identifizierung und
Behandlung gesamtgesellschaftlicher Probleme, ein Warnsystem „mit unspezialisierten, aber
gesellschaftsweit empfindlichen Sensoren1“ (Habermas 1992, S.435).
Darüberhinaus muß die informelle Öffentlichkeit die Problemlagen nicht nur identifizieren,
sondern den Problemdruck auch verstärken, d.h. die Probleme überzeugend thematisieren und
dramatisieren, so daß sie vom parlamentarischen Komplex auch übernommen und bearbeitet
werden. Dies umso mehr, als die Öffentlichkeit keine kollektiv bindenden Entscheidungen
treffen kann, sondern diese Aufgabe dem parlamentarischen Komplex zufällt. Auch die
Ausführung dieser Entscheidungen obliegt ihr nicht, sondern dem administrativen System.
„Die nach demokratischen Verfahren zu kommunikativer Macht verarbeitete öffentliche
Meinung kann nicht selber >herrschen<, sondern nur den Gebrauch der administrativen
Macht in bestimmte Richtungen lenken“ (Habermas 1992, S.364), sie übt eine
„Belagerungsfunktion“ aus. Auch erfüllt die Öffentlichkeit eine Kontrollfunktion, in dem sie
die weitere Problembehandlung innerhalb des politischen Systems kontrolliert, da sie selbst
nur eingeschränkte Kapazitäten zur Problemverarbeitung besitzt.
Die Funktion eines selektiven Filters ist eine weitere ihrer Aufgaben, indem sie Meinungen
und Interessen bündelt und fokussiert. Auch als normativer Erfüllungsgehilfe verrichtet sie
ihren Dienst, d.h sie besitzt regulative Funktionen. Da ihr das ideale Diskursverfahren
normativ zugrunde liegt, mitsamt der Aechtung perlokutionärer Ziele, nötigt die
Notwendigkeit öffentlicher Legitimation, die entsprechenden Mandatsträger zumindest einen
Teil der von ihnen erhobenen illokutionären Geltungsansprüche, ihrer Glaubwürdigkeit
wegen, auch tatsächlich einzulösen. Empirisch bestehen natürlich vielerlei Probleme und
Gefahren, wie z.B: die Abschottung des politischen Stuerungswissens, sodaß den
Staatsbürgern das für die politische Meinungsbildung erforderliche Expertenwissen
vorenthalten wird. Auch ist die allgemeine pluralistische Öffentlichkeit den Effekten von
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In der Agenda-Setting-Forschung würde diese Konzeption dem eher normativ- idealistischen
„Bottom-up-Modell“ entsprechen (Alemann 1997)
auftretenden sozialen Machtasymmetrien und systematisch verzerrter Komunikation
schutzloser ausgeliefert als die organisierten Öffentlichkeiten des parlamentarischen
Komplexes. Die Aufgabe des Staates ist die Aufrechterhaltung und Institutionalisierung der
Diskursverfahren, die dem Modell der politischen Öffentlichkeit und der des
parlamentarischen Komplexes normativ zugrunde liegen (Vgl. Punkt 2.1.2)
Bei den Diskursen, die der Öffentlichkeit zugeordnet werden, handelt es sich um praktische
Diskurse, zum einen, weil die politischen Diskurse kritisch auf die Realität einwirken und
zum anderen, weil sich die öffentlichen Kontroversen vor allem an normativen Aspekten der
behandelten Probleme entzünden. Die illegitime Verselbständigung von administrativer und
sozialer Macht gegenüber demokratisch erzeugter kommunikativer Macht wird in dem Maße
verhindert, wie die informelle Öffentlichkeit fähig ist „latente (und nur politisch bearbeitbare)
gesellschaftliche Integrationsprobleme aufzuspüren, zu identifizieren, wirksam zu
thematisieren und über die Schleusen des parlamentarischen Komplexes (oder der Gerichte)
in das politische System so einzuführen, daß dessen Routinemodus gestört wird“ (Habermas
1992, S.434) und so einen außerordentlichen Problemverarbeitungsmechanismus in Gang zu
setzen. Solche Resonanzfähigen und autonomen Öffentlichkeiten sind wiederum angewiesen
auf die soziale Verankerung in zivilgesellschaftlichen Assoziationen und die Einbettung in
eine rationalisierte Lebenswelt, mit entprechender politischer Kultur und Sozialisation, denn
„die Probleme, die in der politischen Öffentlichkeit zur Sprache kommen, werden als Reflex
eines gesellschaftlichen Leidensdrucks zuerst in den Spiegelungen persönlicher
Lebenserfahrungen sichtbar.“ (Habermas 1992, S.442)
Die politische Öffentlichkeit kann als ein im kommunikativen Handeln erzeugter sozialer
Raum vestanden werden, der gegenüber den alltäglichen Interaktionen in abstrakter Form für
ein größeres Publikum generalisiert und verstetigt wird, bis hin zu einer abstrakten und medial
virtuellen Öffentlichkeit. Dies hat eine Kontextverallgemeinerung, eine wachsende
Anonymität und durch den Einsatz von Massenmedien und der entsprechenden Diffusion von
Kommunikation auch eine wachsende Inklusion zur Folge.
Das ideale Diskursprinzip, wie auch die Verständigungsorientierung der Alltagspraxis bleiben
somit auch für die Diskurse der politischen Öeffentlichkeit konstitutiv und so hängt auch hier,
das Gelingen öffentlicher Kommunikation von den formalen Kriterien des Zustandekommens
einer qualifizierten öffentlichen Meinung ab. „Die Strukturen einer vermachteten
Öffentlichkeit schließen fruchtbare und klärende Diskussionen aus.“ (Habermas 1992, S.438)
Und die Qualität des Zustandekommens öffentlicher Meinung wiederum begründet das Maß
der Legitimität des Einflusses, den öffentliche Meinungen auf das politsche System ausüben.

3.) Foucault

3.1.) Die Ordnung des Diskurses

Foucaults Analyse basiert zu einem Großteil auf seiner Konzeption des Diskurses, wobei eine
der leitenden Fragen ist, welches die Bedingungen sind, „die endgültig darüber entscheiden,
was – gemessen am unbegrenzten Angebot der Sprache – zu einer Zeit und an bestimmter
Stelle tatsächlich gesagt wird.“ (Konersmann 2001, S.77) Voraussetzung ist dabei die
Annahme, daß in jeder Gesellschaft die Produktion von Diskursen kontrolliert, selektiert,
organisiert und kanalisiert wird, durch Prozeduren, deren Aufgabe es ist die unbändigen
Kräfte und möglichen Gefahren der Diskurse zu bändigen und im Zaum zu halten. Dabei
handelt es sich bei Diskursen um „irgendwie geregelte Verknüpfungen oder Formationen von
>Aussagen<.“ (Fink- Eitel 1996, S.58) Aussagen sind „die völlig individualisierte,
kontingente, anonyme und ebenso knappe wie nackte Materialität des zu einer bestimmten
Zeit und an einem bestimmten Ort wirklich Gesagten (...)."(Fink- Eitel 1996, S.58) Diese
Aussagen formieren sich zu einem „Archiv“, welches das System oder Gesetz diskursiver
Regelmäßigkeiten ist und das „umfassende historische >Apriori<, d.h. die in einer bestimmten
Epoche gegebene Gesamtheit der Bedingungen für die Formation von Aussagen und
Diskursen.“ (Fink- Eitel 1996, S.59) Die in der „Archäologie des Wissens“ (Foucault 1981)
aufgestellte These, die Diskurse oder diskursiven Praktiken würden die nicht- diskursiven
Praktiken (ökonomische, soziale usw. ) bestimmen, wird in der „Ordnung des Diskurses“
(Foucault 2001) auf den Kopf gestellt. Nunmehr heißt es, die (in der Archäologie noch
autonomen) Diskurse bzw. die diskursiven Praktiken unterstehen den nicht- diskursiven
Praktiken, namentlich der Macht und dem Begehren.
Die Ordnung des Diskurses ist geprägt von dreierlei Einschränkungen.
a) Durch die Begrenzungen seiner Macht, d.h. durch sogenannte Ausschließungsysteme,
b) Durch die Bändigung seines zufälligen Auftretens, also durch interne Kontrollprozeduren
c) Und durch die Selektion unter sprechenden Subjekten, was eine Verknappung der
sprechenden Subjekte darstellt
Dies sind zum einen Kontrollen und Prozeduren, die dem Diskurs auferlegt werden, zum
anderen jedoch Verfahrensweisen, die immanente Notwendigkeiten der Produktion von
Diskursen darstellen und ihm gar dienlich sind. „Der Diskurs ist ihnen ausgeliefert, aber (...)
in dieser seiner Spezifizität existiert er auch gar nicht ohne sie.“ (Konersmann 2001, S.79)

3.1.1.) Ausschließungsysteme

Die erste Prozedur der Ausschließung ist das Verbot. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen
dem „Tabu des Gegenstandes“, dem „Ritual der Umstände“ und dem Bevorzugten oder
ausschließenden Recht des sprechenden Subjektes. Diese Verbotsraster sind besonders eng
gesrickt im Bereich der Sexualität und dem der Politik.
Bei der zweiten Prozedur der Ausschließung handelt es sich um die Grenzziehung zwischen
Vernunft und Wahnsinn, wobei der Wahnsinn das ausgegrenzte Andere ist. „Seit dem
Mittelalter ist der Wahnsinn derjenige, dessen Diskurs nicht ebenso zirkulieren kann wie der
der anderen.“ (Foucault 2001, S.12) Worten von Wahnsinnigen werden, wenn sie überhaupt
ernstgenommen werden, nur symbolische Bedeutungen zugestanden.
Das dritte Ausschließungsystem ist das des Gegensatzes zwischen dem Wahren und dem
Falschen. Hierbei handelt es sich um Grenzziehungen, „die von vornherein willkürlich sind
oder sich zumindest um geschichtliche Zufälligkeiten herum organisieren, mit
Grenzziehungen, die nicht nur verändert werden können, sondern sich tatsächlich ständig
verschieben, die von einem ganzen Netz von Institutionen getragen sind, welche sie
aufzwingen und absichern, und die sich zwangsweise, ja zum Teil gewaltsam durchsetzen.“
(Foucault 2001, S.13) Die Diskurse sind dabei druchdrungen von einem Willen zur Wahrheit,
der ein Wille zum Wissen ist und sich zum ersten mal in der Geschichte bei Platon
konstituiert, der die Unterscheidung zwischen einem wahren und einem falschen Diskurs
vornimmt, die es bis dato so nicht gab.Von außerhalb betrachtet mag die Grenzziehung
zwischen wahr und falsch zwar historisch kontingent sein, von der Ebene innerhalb des
Diskurses ist der Unterschied zwischen dem Wahren und dem Falschen jedoch nicht
willkürlich veränderbar, sondern zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt festgelegt. Der
Wille zum Wissen verändert sich im Laufe der Geschichte, nimmt neue und andere Formen
an. So gibt es eine Geschichte der Ebene der Erkenntnisgegenstände, eine Geschichte der
Funktionen und Positionen des erkennenden Subjekts und eine Geschichte der materiellen,
technischen und instrumentellen Investitionen der Erkenntnis. Laut Foucault sind jeweils drei
historische Einschnitte festzustellen. Angefangen mit Platon auf den die Unterscheidung
zwischen einem wahren und falschen Diskurs zurückgeht. Der nächste Schritt setzte im 16.
Und 17. Jahrhundert ein mit der Entstehung der Wissenschaften, der Beobachtung und der
Feststellung. Der dritte Einschnitt vollzog sich anfang des 19. Jahrhunderts mit dem
Aufkommen der modernen Wissenschaft, der Industriegesellschaft und der explizit
positivistischen Ideologie.
„Dieser Wille zur Wahrheit stützt sich, ebenso wie die übrigen Ausschließungssysteme, auf
eine institutionelle Basis“ (Foucault 2001, S.15), d.h. ein Geflecht von (sozialen,
ökonomischen usw.) Praktiken. Der Diskurs um das Ausschließungssystem des Willens zur
Wahrheit übt im Laufe der Geschichte immer mehr Druck auf die anderen beiden aus. Das
Verbot und die Ausgrenzung des Wahnsinns bewegen sich immer mehr auf den
Wahrheitsdiskurs zu, werden ein Teil von ihm, so daß es auch in ihnen nur noch um Wahrheit
oder Unwahrheit geht, wie es sich z.B. in der Verwissenschaftlichung der Strafjusitz zeigt.

3.1.2.) Interne Prozeduren

Bei den internen Prozeduren des Diskurses handelt es sich um Prozeduren der Kontrolle und
Einschränkung des Diskurses, Prozeduren, die als Klassifikations-, Anordnungs-,
Verteilungsprinzipien wirken. Damit werden seine Ereignishaftigkeit und der Zufall in ihm
gebändigt und kontrolliert. Der erste Kontrollmechanismus ist der Kommentar, „der den
Zufall des Diskurses dem Spiel unendlicher Wiederholung ein und desselben unterwirft.“
(Fink- Eitel 1996, S.65) Er begründet eine Abstufung von Primärtext und Sekundärtext, eine
Abstufung in grundlegenden bzw. schöpferischen Diskurs und eine Masse der
wiederholenden und kommentierenden Diskurse. Dadurch ist es möglich immmer wieder
neue Diskurse zu starten, mit immer wieder neuen Kommentaren, die das bisher Gesagte in
immer wieder anderem Lichte erscheinen lassen. Der Kommentar bannt damit den Zufall des
Diskurses, gibt ihm eine innere Form, durch die Interpretation, es handelt sich hierbei um ein
Prinzip der Verknappung des Diskurses. Das zweite Prinzip der Verknappung des Diskurs ist
das des Autors. Dabei wird der Diskurs der Identität eines Schöpfersubjekts unterworfen. Der
Autor dient als Prinzip der Gruppierung von Diskursen. Nicht alle Diskurse haben einen
Autor, dieser ist vor allem üblich in der Literatur, der Philosophie und der Wissenschaft.
Bei der dritten Prozedur handelt es sich um die Organisation der Disziplinen. Diese
Organisation der Disziplinen zwängt den Diskurs in eine Vielfalt von Regelsystemen.
Die Disziplin definiert sich „durch einen Bereich von Gegenständen, ein Bündel von
Methoden, ein Korpus von als wahr angesehenen Sätzen, ein Spiel von Regeln und
Definitionen, von Techniken und Instrumenten.“ (Foucault 2001, S.22) Es ist ein anonymes
System, das jedem zur Verfügung steht, der sich seiner bedienen will oder kann ohne, daß es
an den der es geschaffen hat gebunden bleibt. Hier gemachte Aussagen gewinnen dabei an
Autonomie, indem sie eine art institutionellen Test durchlaufen, wie etwa die Erfüllung
bestimmter methodischer Prämissen. „In jedem derartigen Sprechakt stellt ein autorisiertes
Subjekt fest (schreibt, malt, sagt), was – auf der Basis einer akzeptierten Methode – ein
seriöser Wahrheitsanspruch ist.“ (Dreyfus/Rabinow 1994, S.72) Wobei jede Aussage als wahr
gilt, die eben jene Validierungsprozeduren erfolgreich durchlaufen hat. Jede Disziplin besteht
nicht nur aus Wahrheiten, sondern auch aus Irrtümern, die konstitutiv sind für die Disziplinen.
Ein Satz der einer Disziplin angehört, muß sich auf eine vorher definierte Gegenstandsebene
beziehen und dieser Satz muß begriffliche und technische Instrumente verwenden, die
ebenfalls einem genau definierten Typ angehören. Als letztes muß sich diese Aussage in einen
ganz bestimmten theoretischen Horizont einfügen, um als wahr gelten zu können.„Innerhalb
ihrer Grenzen kennt jede Disziplin wahre und falsche Sätze, aber jenseits ihrer Grenzen läßt
sie eine ganze Teratologie des Wissens wuchern.“ (Foucault 2001, S.24) Außerhalb der
Disziplinen gibt es, genau besehen, keine Irrtümer oder Wahrheiten im engen Sinnen, denn
der Irrtum kann nur innerhalb einer bestimmten definierten Praxis entschieden werden. Alle
diese Voraussetzungen sind jedoch historisch wandelbar, wie die Diskurse in denen sie sich
situieren. Es besteht also ein konstitutiver Zusammenhang zwischen der Wahrheit (bzw. der
Wirklichkeit, die bei Foucault nicht trennscharf unterschieden sind) und dem Diskurs und
damit im Zusammenhang den nicht- diskursiven Praktiken

3.1.3.) Verknappung der sprechenden Subjekte

Bei der Verknappung der sprechenden Subjekte geht es darum die Bedingungen des Einsatzes
von Diskursen zu bestimmen, den sprechenden Subjekten Regeln aufzuerlegen, die
verhindern, daß jedermann Zugang zu den Diskursen hat. Es handelt sich hier also auch um
Kontroll- und Ausschließungsprozeduren. Nicht alle Regionen sind in gleicher Weise offen
und zugänglich für jeden und nicht jeder hat zu allen Regionen Zutritt.
Es gibt mehrere Einschränkungssysteme. Das erste ist das Ritual: „Das Ritual definiert die
Qualifikation, welche die sprechenden Individuen besitzen müssen (...); es definiert die
Gesten, die Verhaltensweisen, die Umstände und alle Zeichen, welche den Diskurs begleiten
müssen; es fixiert schließlich die vorausgesetzte oder erzwungene Wirksamkeit der Worte,
ihre Wirkung auf ihre Adressaten und die Grenzen ihrer zwingenden Kräfte.“ (Foucault 2001,
S.27). Besonders politische Diskurse sind vom Einsatz dieser Rituale kaum zu trennen, aber
auch wissenschaftliche Diskurse bedienen sich ihrer.
Das zweite Einschränkungssystem ist das der Diskursgesellschaften, „welche die Aufgabe
haben, Diskurse aufzubewahren oder zu produzieren, um sie in einem geschlossenen Raum
zirkulieren zu lassen und sie nur nach bestimmten Regeln zu verteilen, so daß die Inhaber bei
dieser Verteilung nicht enteignet werden.“ (Foucault 2001, S.27) Hierbei werden nur von
Eingeweihten Geheimnisse angeeignet und die Verteilung dieser Aneignung bestimmt. Ein
Beispiel ist das wissenschaftliche Geheimnis, z.B. in der Medizin (komplexe Fachausdrücke,
Studium notwendig usw.) Die Zahl der sprechenden Individuen wird hierbei begrenzt und nur
unter diesen kann der Diskurs zirkulieren. Diskursgesllschaften und das Ritual sind nicht
voneinander zu trennen.
Ein weiteres ist die Doktrin. Diese tendiert dazu sich auszubreiten. „Anscheinend ist die
einzige erforderliche Bedingung die Anerkennung derselben Wahrheiten und die
Akzeptierung einer – mehr oder weniger strengen Regel der Übereinstimmung mit den für
gültig erklärten Diskursen.“ (Foucault 2001, S.29) Die Kontrolle hierbei betrifft nicht nur die
Form und den Inhalt der Aussage (wie im Fall der Wissenschaft), sondern auch das
sprechende Subjekt, wobei Verwerfungsmechanismen einsetzen, wenn das Subjekt falsche
Aussagen macht, die der Doktrin widersprechen. Die Doktrin ist immer ein Zeichen und ein
Instrument von Zugehörigkeit. „Die Doktrin bindet die Individuen an bestimmte
Aussagetypen und verbietet ihnen folglich alle anderen; aber sie bedient sich auch gewisser
Aussagetypen, um die Individuen miteinander zu verbinden und sie dadurch von allen
anderen abzugrenzen.“ (Foucault 2001, S.29)
Das letzte Einschränkungssystem ist das der gesellschafltichen Aneignung von Diskursen, wie
es z.B, im Erziehungssystem zum tragen kommt. Hierbei kommt es zu Spaltungen und
Ungleichheiten hinsichtlich der Aneignung und des Zugangs zu Diskursen. Auch dieses
System steht in engem Zusammenhang mit den beiden erstgenannten.

3.1.4.) Die Wahrheit des Diskurses

Foucault´s Diskursprinzip stellt eine Kritik gängiger philosophischer Konzepte dar. Der
Diskurs ist demnach nicht lediglich die Spiegelung einer Wahrheit, die vor unseren Augen
liegt und die es nur zu artikulieren gilt. Der Diskursbegriff beschreibt zum einen die Form,
d.h. die Organisation des Wissens. Damit sind in besonderer Weise die institutionellen
Rahmenbedingungen des Wissen gemeint, d.h. die Praktiken in die sie eingebettet sind. Zum
anderen soll damit die Praxis, d.h. die Produktion des Wissens erfasst werden. Foucault nennt
dies die „Politik des Wissens“, die von den Regeln gestiftete Ordnung, „also die zugerichtete
Welt.“ (Konersmann 2001, S.80) Damit zeigt sich die affirmative und schöpferische Kraft der
Diskurse, denn was wir von der Wirklichkeit wissen und über sie sagen, wird von den
Diskursen selbst erst geprägt. Foucaults Analyse enthüllt, „daß die Grundlage dessen, was
einst und heute für wirklich gehalten wurde und wird, in Wahrheit nur historisch kontingente
Konstruktion oder Interpretation ist.“ (Fink- Eitel 1996, S.87) Diskurse schaffen nicht nur
Wahrheit, sondern auch Wirklichkeit, was beides unauflöslich miteinander zusammenhängt.
Es gibt keine Realität oder Wahrheit jenseits der faktisch existierenden Diskurse: “Die Welt
ist kein Komplize unserer Erkenntnis.” (Foucault 2001, S.34) Jedoch werden die Diskurse
nicht von einem evolutionären Gesetz geleitet, im Sinne eines Wissens- oder
Erkenntnisfortschrittes. Vielmehr waltet im Diskurs das Prinzip der Diskontinuität: „die
historischen Ereignisse vernetzen sich zu in sich vielfältigen, kontingenten und
diskontinuierlichen >Serien<.“ (Fink-Eitel 1996, S.65) Was jedoch nicht bedeutet der Diskurs
besitze keine Regelhaftigkeit. Diskurse sind zu verstehen als ein Ensemble geregelter und
diskursiver Serien von Ereignissen. „Als >Ereignis< gelten nun nicht mehr die allbekannten
Kulminationspunkte und unerhörten Augenblicke, (...) [sondern] jene unscheinbaren
Geschehnisse, die, zur Serie verbunden, >massive Phänomene von jahrhunderte langer
Tragweite< erkennen lassen.“ (Konersmann 2001, S.84) Die Ereignisse die diskursiviert
werden sind zumeist unspektakulär und weitreichend zugleich. „Die großen Veränderungen
kommen auf Taubenfüßen.“ (Konersmann 2001, S.84) Hinzu muß der Zufall als Kategorie in
die Produktion von Ereignissen mit eingehen. Zwar gibt es eine Regelhaftigkeit in den
diskursiven Serien, aber keine Beziehungen zwischen den Elementen in Form einer
mechanischen Kausalität oder einer idealen Notwendigkeit, dem Diskurs wohnt kein, wie
auch immer gearteter, Telos inne.2

3.1.5.) Diskurs und Subjekt

„Mit Nietzsche entziffert die Moderne das emphatische Ego des Descartes als Effekt, und
zwar als Effekt jenes nicht Mitbedachten, jenes >non-pensé<, das statt von ihm kontrolliert zu
werden, seinerseits jenen vakanten Platz erst bereitstellte, auf dem das Subjekt sich dann
niederließ, um sich für eine Weile an seinen Phanstasien zu erbauen.“ (Konersmann 2001,
S.66) Bei der von Foucault sogenannten „zone du non-pensé“, dem Bereich des Nicht-
gedachten, der undenkbar und nicht artikulierbar ist, handelt es sich um die Voraussetzungen
des Denkens und Handelns, um die Vorbedingungen der Wahrheit. Foucault betreibt damit,
wie schon einige vor ihm, die Dekonstruktion des Voraussetzungslosen >Ich< als
Ausgangspunkt und Quelle von Erkenntnis und Wahrheit. Es muß nicht heißen „Ich denke“,
sondern „es denkt“.3 „Das cartesianische Ego, das soeben noch in der Literatur ein sicheres
Asyl gefunden zu haben glaubte, gewinnt Pluralität und verwandelt sich in einen Chor
flüsternder Stimmen“ (Konersmann 2001, S.67f.), in einen Chor der Diskurse. Die bewußten
Erkenntnisakte der Subjekte unterstehen ganz den unbewußten Strukturen der Sprache, also
den Diskursstrukturen, die wiederum verbunden sind mit den nicht- diskursiven Praktiken, es
ist eine „Stimme ohne Namen.“ Der Diskurs ist immer ein „sowohl – als- auch“, einerseits
regelförmig und Handeln, Denken und Sprechen determinierend, andererseits beinhaltet er
auch jene Kraft, die sich dieser Regelhaftigkeit und Determination widersetzt, die

2
Wie dies bei Habermas der Fall ist, wo der Telos jeder Kommunikation die Verständigung,
also der Konsens ist.
3
Rimbaud prägte in einem seiner Seher- Briefe den Satz : „Es ist falsch zu sagen: Ich denke.
Man müßte sagen: Ich werde gedacht. (...)ICH ist ein anderer.“ (Rimbaud 1997, S.367 ff.)
Spontaneität und die Unkontrolliertheit des Ereignisses und des Zufalls. Der Diskurs ist
zugleich Einschränkung und Ereignis, Grenze und Überschreitung, Verbot und Übertretung.

3.2.) Wahrheit und Macht

Um den Zusammenhang zwischen Diskurs und Macht genauer zu untersuchen entfaltet


Foucault nicht nur eine Diskursanalyse, sondern auch eine Analytik der Macht. Macht ist
hierbei „die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren;
das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse
verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden,
indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie
gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen
und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in
der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern.“ (Foucault 1983,
S.114) Die Machtbeziehungen sind hierbei anderen Verhältnissen immanent und nicht etwas
von außen zugeführtes oder gar unterdrückendes.
Foucault konstatiert eine Omnipräsenz der Macht. Macht ist allgegenwärtig, „weil sie sich in
jedem Augenblick und an jedem Punkt – oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt
und Punkt – erzeugt.“ (Foucault 1983, S.114) Ein Monismus der Macht, der kein ihr
äußerliches „Gegen“ mehr kennt. Die Macht ist in ihrem Wesen gestaltlos und diffus, überall
zugegen und doch hat sie keinen spezifischen und konkreten Ort, sie ist lediglich ein
dezentriertes, omnipräsentes Netz einzelner Kräfteverhältnisse. Machtbeziehungen sind
intentional, d.h. auf lokaler Ebene werden von Gruppen, Subjekten, Familien oder Institutioen
bestimmte Kalküle verfolgt und sie sind zugleich nicht- subjektiv, d.h. die Macht entzieht
sich auf einer höheren Ebene (als Resultat der antagonistischen Kräfteverhältnisse) den
bewußten Entscheidungen der Subjekte, sie wird zu einem Phänomen sui generis. Von der
lokalen Entstehungsebene aus ergeben sich größere Kraftlinien, „die die lokalen
Konfrontationen durchkreuzt und verbindet – aber umgekehrt bei diesen auch
Neuverteilungen, Angleichungen, Homogenisierungen, Serialisierungen und Konvergenzen
herbeiführen kann.“ (Foucault 1983, S.115)
Es handelt sich hierbei um die Regel eines wechselseitigen Bedingungsverhältnisses, wobei
lokale Kraftherde über eine Reihe von sukzessiven Verkettungen in eine Gesamtstrategie
eingeordnet werden „und umgekehrt könnte keine Strategie zu globalen Wirkungen führen,
wenn sie sich nicht auf ganz bestimmte und sehr bechränkte Beziehungen stützte, in denen sie
nicht ihre Anwendung und Durchführung findet, sondern ihren Träger und ihren
Ankerpunkt.“ (Foucault 1983, S.121). Die Gesamtstrategie oder das Gesamtdispositiv wird
durch besondere Taktiken ebenso ermöglicht, wie die Taktiken durch die Gesamtstrategien in
Gang gesetzt werden. Innerhalb des Machtnetzes gibt es auch eine Vielzahl von
Widerstandspunkten. Die Machtverhältnisse weisen einen relationalen Charakter auf, denn
diese können nur dank jener Vielfalt von Widerstandspunkten existieren, die innerhalb des
Machtnetzes die Rolle von Gegnern, Zielen und Begründungen der Macht spielen. Bei den
Widerstandspunkten handelt es sich um das konstitutive Gegenüber innerhalb der
Machtbeziehungen. Auch die Widerstandspunkte sind, wie die Machtpunkte, vielfältig
gestreut und an keinen bestimmten Ort und keine bestimmte Person gebunden.

3.2.1. Diskurs und Macht

Macht ist das Entwicklungs- und Integrationsprinzip unserer Gesellschaften. Hierbei lehnt
sich Foucault an Nietzsche an. „Geschichte erscheint in dieser Perspektive als ständige
Konfrontation von Kräften, als Aufeinanderfolge von Machtkämpfen, Überwältigungen,
Siegen, Widerständen und Niederlagen.“ (Fink-Eitel 1996, S.67) Die vitale Äußerungskraft
des Organismus ist der Wille zur Macht und wenn alle Fähigkeiten und Leistungen des
Menschen Äußerungen seines Machtwillens sind, so auch seine intellektuellen und
diskursiven Leistungen. Der Diskurs ist gleichzeitg Machtinstrument und Machteffekt, aber
auch Widerstandspunkt und Hindernis, er befördert die Macht und behindert sie gleichzeitig,
was wiederum eine Bedingung ihres Wirkens ist. Der Wille zum Wissen ist ein Wille zur
Macht, es findet eine Gleichsetzung von Macht und diskursivem Wissen statt. In den
Beziehungen des Macht- Wissens gibt es jedoch beständige Verschiebungen und
Modifikationen in den historischen Konstellationen. Die Macht ist es auch, die jenes große
unaufhörliche und ordnungslose „Rauschen des Diskurses“ (Foucault 2001, S.33) versucht zu
kontrollieren und zu bändigen, aus Angst vor seiner unberechenbaren Ereignishaftigkeit.
Wenn der Wille zum Wissen ein Wille zur Macht ist, dann wird die Wissenschaft nicht um
ihrer selbst oder um der Erkenntnis willen betrieben, sondern die Erkenntnis und die
Wissenschaft „dienen der Herrschaft, der Orientierung in einer schwierigen Welt, der
Durchsetzung eigener Interessen, der Täuschung, der Bosheit.“ (Fink- Eitel 1996, S.68) Der
Hintergrund dieses Strebens nach Wissen, die eigentliche Ursache, ist den Strebenden
unbekannt und nicht bewußt. Es handelt sich hierbei um eine Selbsttäuschung des
menschlichen Geistes, indem er einen interesselosen Willen zu „reiner“ Wahrheit behauptet
und es ist eine Grundbedingung des Willens zur Wahrheit bzw. der Macht selbst, daß sie ihr
wahres Wesen verschleiern muß um wirken zu können. „Die Macht funktioniert ungestört nur
dort, wo sie ihre nicht- diskursiven Praktiken im Verborgenen und ihre diskursiven Praktiken
im Unbegriffenen ausüben kann.“ (Fink- Eitel 1996, S.119)
Die Macht bildet sogenannte Dispositive aus. „Verknüpfen die Diskurse einzelne Aussagen
nach bestimmten Formationsregeln, so sind Dispositive machtstrategische Verknüpfungen
von Diskursen und Praktiken, Wissen und Macht.“ (Fink-Eitel 1996, S.80)
Die Machtdispositive sind jedoch keineswegs nur negativer, unterdrückender und
verbietender Art. Macht ist im Gegenteil etwas positives, produktives, daß die soziale
Wirklichkeit überhaupt erst schafft. Die Macht erscheint nur negativ und verbietend, eine
Verschleierung, die Bedingung ihres allgegenwärtigen Wirkens ist: „nur unter der Bedingung,
daß sie einen wichtigen Teil ihrer selbst verschleiert, ist die Macht erträglich. Ihr
Durchsetzungserfolg entspricht ihrem Vermögen, ihre Mechanismen zu verbergen.“ (Foucault
1983, S.107) Bei den produktiven Machttypen tut sich in modernen Epochen unter anderem
der Machttypus der produktiven Disziplin hervor. Ziel dieses Machttyps ist die Einschließung,
Isolierung, Überwachung und die Transformation der Körper und ihrer Merkmale. Es handelt
sich hier um einen Machttyp der Normalisierung. Dieser Machttyp und die daran
anschließenden Praktiken erzeugen Wissen über die Individuen und dessen Verwaltung und
„so verbinden sich z.B. im Verfahren der Prüfung Erzeugung und Kontrolle des Wissens,
Überwachung und Anpassung der Geprüften an die gegebenen Wissensstandards.“ (Fink-Eitel
1996, S.78) Dies geschieht auch im Falle der Sexualität.

3.3.) Sexualität

Die Sexualität dient bei Foucault als ein exemplarisches Beispiel für Vorgänge, die sich
überall abspielen, aber hier besonders prägnant zu beobachten sind. Er geht dabei von der
Repressionsthese aus, d.h. von der Ansicht, daß es in den letzten zwei bis drei Jahrhunderten
immer verschwiegener um die Sexualität wurde, man sie immer weiter unterdrückte. „Alles in
allem geht es darum, den Fall einer Gesellschaft zu prüfen, die seit mehr als einem
Jahrhundert lautstark ihre Heuchelei geißelt, redselig von ihrem eigenen Schweigen spricht
und leidenschaftlich und detailliert beschreibt, was sie nicht sagt, die genau die Mächte
denunziert, die sie ausübt, und sich von den Gesetzen zu befreien verspricht, denen sie ihr
Funktionieren verdankt.“ (Foucault 1983, S.18) Foucault ist nicht der Ansicht die
Repressionsthese sei falsch, sie ist nur viel zu einfach und faßt nicht das wesentliche, was die
Sexualität und die an sie angeschlossenen Diskurse und Praktiken ausmacht. Darüberhinaus
ist diese These selbst Bestandteil des Diskurses über den Sex. Gerade die Verheimlichung der
Sexualität ist Bedingung um die Diskurse wie Kraut ins Land schiessen zu lassen. Hierbei
handelt es sich um eine Machtstrategie, in dem die Inhalte eines Diskurses zum Geheimnis
erklärt werden, „um sie sodann an das Licht bringen, >diskursivieren< zu können.“ (Fink-
Eitel 1996, S.8) Nur wenn der Sex ein Geheimnis ist, muß man ihn erkennen und darüber
reden, um das von dem man nichts weiß zu kontrollieren, d.h. man zwang die Sexualität erst
sich zu verstecken, damit man sie anschließend entdecken konnte.
Mit dem 17. Jahrhundert beginnt die diskursive Explosion um die Sexualität herum.
Seitdem haben Diskurse über den Sex, entgegen der Repressionsthese, beständig
zugenommen, auch wenn es eine Säuberung des Vokabulars, neue Regeln des Anstands und
eine verstärkte Kontrolle der Äußerungen gab4, oder gerade deswegen.
Die Diskurse über Sexualität entwickelten sich hierbei aus einem moralischen Rahmen
heraus, deren Praktik die Beichte oder das Geständnis waren. Man sollte alles sagen, was mit
dem Sex zu tun hat, ohne ihn indes beim Namen zu nennen. Das Ziel des Diskurses war es
Wirkungen auf das Begehren selbst auszuüben, eben durch jene Diskurse.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelten sich dann zusätzlich politische, ökonomische
und technische Anreize über den Sex zu sprechen. Der Diskurs war nun nicht mehr ein rein
moralischer, sondern auch ein rationaler Diskurs: der Sex war nicht mehr allein eine Sache
der Verurteilung, sondern auch eine der Verwaltung und der Strafjustiz. Es wurde versucht
den Sex durch nützliche und öffentliche Diskurse zu regeln, um die kollektiven und
individuellen Kräfte zu steigern. Hierzu diente der Terminus der Bevölkerung (im Gegensatz
zu „Volk“), der eigene Variablen, wie Geburtenrate, Fruchtbarkeit, Lebensdauer usw. besaß.
Man fing an die Bevölkerungsvariablen statistisch festzuhalten und zu verwalten, auf diese
Weise versuchte der Staat den Sex seiner Bürger zu kontrollieren und zu regeln, damit die
kollektiven Kräfte gestärkt wurden.
Auch die Diskurse um die Sexualität von Kindern begannen ihre Wirkungen zu entfalten.
Auch hier heißt es, man schwiege über die Sexualität der Kinder5, doch handelte es sich
hierbei nicht um ein reines Schweigegebot. Man sagt nicht weniger, man sagt es nur anders.
Als Beispiel dienen die Bildungsanstalten und pädagogischen Institutionen. Unaufhörlich
dreht sich hier alles um den Sex, wenn auch meist nicht in offen artikulierter Form. Alle
Regeln, die getrennten Schlafräume nach Jungen und Mädchen usw. verweisen auf eine
Sexualität der Kinder. „Um den Zögling und seinen Sex herum schießt eine ganze Literatur
von Vorschriften, Ratschlägen, Beobachtungen, medizinischen Anweisungen, klinischen
Fällen, Reformvorhaben und Plänen für ideale Anstalten aus dem Boden.“ (Foucault 1983,
S.41) Hierbei wurden die Inhalte des internen Diskurses dieser Institutionen jedoch codiert,
d.h. der Gebrauch der Wörter war festgelegt und die Sprecher eigens qualifiziert.
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts bekam der Sex-Diskurs eine neue Wendung, der Wille zum
Wissen transformierte sich. Verschiedene Disziplinen, wie die Medizin, die Psychiatrie und
die Strafjustiz nahmen sich jetzt des Themas an: „sie machen den Sex zum
Ausstrahlungspunkt von Diskursen und steigern das Bewußtsein einer ständigen Gefahr, die
ihrerseits wieder den Anreiz zum Sprechen verschärft.“ (Foucault 1983, S.44) Es ensteht eine
Vielheit von Diskursen, eine Vervielfachung und Streuung des Redens über den Sex.

4
Vgl. hierzu Norbert Elias und den „Prozeß der Zivilisation“ (Elias 1997)
5
Ein Grund für den Beginn des Diskurses (oder des Schweigens) über Sexualität von
Kindern dürfte die Herausbildung einer spezifischen biographischen
Phase der Kindheit in genau jener Zeit sein. Vgl. hierzu auch den Zusammenhang von
innerer Affektregulation und dem Entstehen der Kindheit als eigener biographischer Phase
bei Elias (1997)
Im 19. und im 20. Jahrhundert findet anhand dieser Diskurse und der dazu eigens
eingerichteten Praktiken und Institutionen eine Streuung von Formen der Sexualität und eine
Einpflanzung vielfältiger „Perversionen“ in die Körper statt.
Der eheliche Sex war von Regeln und Empfehlungen umlagert und befand sich unter erhöhter
Überwachung sei es moralisch oder juristisch gesehen. Es fand nun eine diskursive
Verschiebung statt, in der immer weniger über den „normalen“ ehelichen Sex gesprochen
wurde, da er komplett ver-regelt war, sondern stattdessen immer mehr und häufiger über die
Sexualität von Kindern, Irren, Kriminellen und Homosexuellen. Es entsteht auf dem Feld der
Sexualität eine eigene Dimension der >Widernatur<. Und es kommt zu einer Zweiteilung der
Verstöße, Verstöße gegen die Regeln der Ehe und Verstöße wider die Natur: die Perversion.
„Die neue Jagd auf die peripheren Sexualitäten führt zu einer Einkörperung der Perversionen
und einer neuen Spezifizierung der Individuen.“ (Foucault 1983, S.58) Der Homosexuelle
wird zu einer Persönlichkeit, zu einem Typus, mit spezifischer Vergangenheit, Lebensform
und Charakter. „Die Mechanik der Macht, die diese Disparate verfolgt, behauptet, es allein
dadurch zu unterdrücken, daß sie ihm eine analytische, sichtbare und stetige Realität verleiht;
tatsächlich hämmert sie sie den Körpern ein, läßt sie in die Verhaltensweisen gleiten, macht
sie zu einem Klassierungs- und Erkennungsprinzip und konstituiert sie als
Daseinsberechtigung und natürliche Ordnung der Unordnung.“ (Foucault 1983, S.59) Durch
die klassifikatorische Isolierung und Fixierung werden die so diskursiv entdeckten
„Abnormitäten“ erst als solche Festgeschrieben, den Subjekten, die betroffen sind, erst
eingeschrieben. Der Diskurs schafft, unter Zuhilfenahme der an ihn gebundenen Praktiken
erst die Realitäten von denen er spricht. Mit seiner Entüllung, zieht er an die Öffentlichkeit,
was er selbst erst im und durch den Akt des öffentlich machens erschaffen hat. Es wird ein
Regime des Normalen und des Pathologischen installiert, man definiert eine dem sexuellen
eigene Krankhaftigkeit. Es findet eine Medizinierung und Verwissenschaftlichung der
sexuellen Abweichung statt, die zugleich Wirkung und Instrument ist. „Eingelassen in den
Körper und zum festen Charakter der Individuen geworden, verweisen die Absonderlichkeiten
des Sexes auf eine Technologie der Gesundheit und des Pathologischen.“ (Foucault 1983,
S.60) Gleichzeitig muß der Sex als medizinisches Phänomen gelten, wenn er als Dysfunktion
bzw. als Symptom behandelt wird.
Die Macht vollzieht sich hier nicht durch Verbote, im Gegenteil, sie vollzieht sich durch die
Vermehrung spezifischer Sexualitäten und durch deren Verwaltung und Kontrolle. Die Macht
ist produktiv. Sie setzt der Sexualität keine Grenzen, sondern dehnt sie aus, sie produziert und
fixiert, mit Hilfe von diskursiven und nicht- diskursiven Praktiken die sexuelle Disparität.
Seit dem 19. Jahrhundert wird diese Verkettung der Macht noch durch ökonomische Profite
gesichtert. „Man muß sich das Sexualitätsdispositiv als ein Netz denken, das den gesamten
>Gesellschaftskörper< umfaßt und aus vielfältigen, heterogenen Punkten und sich
überkreuzenden Linien gewebt ist, die für die diskursiven und nicht- diskursiven,
institutionellen Praktiken stehen: Eltern, Erzieher, Ärzte, Psychologen, Psychiater und die
>Gesundheitspolizei< definieren und bearbeiten >Sexualität<.“ (Fink-Eitel 1996, S.84)

3.3.1) Scientia Sexualis

Spätestens im 19. Jahrhundert hat sich etwas herausgebildet, was Foucault die Scientia
Sexualis nennt, „in der an die Stelle von Lust und Liebe das unendliche reden über sie
getreten ist.“ (Fink-Eitel 1996, S.83) Das Reden erfolgt vor allem mittels des Geständnisses,
welches das Hauptritual ist, von dem man sich die Wahrheit versprach.
Zum einen entstand eine Biologie der Fortpflanzung, die sich durchgehend gemäß den
allgemeinen wissenschaftlichen Ansprüchen entwickelte und zum anderen bemächtigte sich
eine Medizin des Sexes eben jenem Thema, die jedoch ganz anderen Formationsregeln
gehorchte und nur die Terminologie der ersteren zum Teil entlieh. Sex ist eine Frage von
wahr und falsch geworden. Dabei hat sich das Geständnis, das als christliche Beichte begann
verstreut und den engen rituellen und lokalen Rahmen in dem es seinen Anfang nahm
verlassen. Es kam innerhalb der Medizin zu einer klinischen Kodifizierung des Geständnisses
und darüber hinaus, was die Bedingung der Diskurse und ihrer Ausbreitung ist, kam es zu
einem Postulat allgemeiner und diffuser Kausalität hinsichtlich der Sexualität. Die Sexualität
wird mit einer unerschöpflichen und polymorphen Kausalmacht ausgestattet, die sie für alles
ursächlich verantwortlich macht. „Die unbegrenzten Gefahren, die vom Sex her drohen,
rechtfertigen die erschöpfende Inquisition, der man ihn unterwirft.“(Foucault 1983, S.85)
Auch schrieb man der Sexualität ein Prinzip der ihr innewohnenden Latenz zu. Die
Kausalmacht der Sexualität arbeitet im Geheimen, im Unbewußten, wie die Psychoanalyse
sagt. Das ritualisierte Geständnis sollte nun also nicht mehr, wie im Mittelalter, das zutage
fördern, was das Subjekt verbergen möchte, sondern was ihm selbst verborgen ist. „Das
Prinzip einer wesenhaften Latenz der Sexualität gestattet es, den Zwang zu einem schwierigen
Geständnis an eine wissenschaftliche Praktik anzuschließen.“ (Foucault 1983, S.85) Dem Arzt
oder dem Psychiater kam die Aufgabe zu die Wahrheit aus dem Gesagten zu entschlüsseln
und aus diesem Entschlüsselten den Wahrheitsdiskurs zu konstituieren.
Das früher vorherrschende Allianzdispositiv, also das System des Heiratens und der
Verwandtschaft, das eng mit Recht und Reproduktion gekoppelt war, wird nun von einem
Sexualitätsdispositiv überlagert, dessen Strategie die Vermehrung, Durchdringung und
Erfindung der Körper, also die Produktion von Sexualität ist. Darüberhinaus kontrolliert es,
über das zutage geförderte und anschließend verwaltete Wissen, die Bevölkerung.
Der bürgerlichen und aristokratischen Familie wurde die Sexualität als eine wichtige
Angelegenheit und eine große Gefahr eingeschärft, sie überreizte sich sexuell und versah sich
gleichzeitig mit entsprechenden Ängsten, um dann nach den dazugehörigen Rezepten,
Techniken und Ratschlägen, also Diskursen zu rufen. „Was die Medizin damit wieder in die
Hand nahm und den Regeln eines spezifischen Wissens unterwarf, war eine Sexualität, die sie
selber den Familien als eine wesentliche Aufgabe und eine große Gefahr eingeschärft hatte.“
(Foucault 1983, S.135) Über die Sexualität versuchte das Bürgertum sich seiner Stärke, seines
Fortbestandes und der Fortpflanzung der Körper und ihrer Gesellschaften zu versichern
(Geburtenkontrolle, Eugenik usw.). Dazu bedurfte es einer gesunden, d.h. normalisierten
Sexualität. Mittels politischer und ökonomischer Kontrolle wurde das Sexualitätsdispositiv
dann auf alle Schichten ausgeweitet. Damit das Bürgertum sich weiterhin von den unteren
Schichten abgrenzen konnte, gab es hinsichtlich der Sexualität Differenzierungen. Diese
Differenzierungen wurden vom Verbot getragen bzw. von der Art und Weise seines Wirkens
und der Strenge mit der es durchgesetzt wurde. Hier hat die Repressionsthese ihren Ursprung,
der Repressionsdiskurs beginnt und ist, Foucault zufolge, eingebettet in eine lange Reihe von
Diskursentwicklungen und –praktiken. Die Kritik der Repression ist somit auch Teil des
Sexualitätsdispositivs und liegt nicht außerhalb seiner Reichweite oder ist gar der Gegner
desselben. „Das Gebot der Wahrheit ist nun an die Infragestellung des Verbotes gebunden.“
(Foucault 1983, S.157) Der Machttyp, der mit dem Sexualitätsdispositiv in Zusammenhang
steht ist die sogenannte Bio- Macht, die das Leben erhält, verwaltet, vermehrt und es steigert,
mit all seinen Kräften und Fähigkeiten. Es ist eine Macht zum Leben, eine Verwaltung der
Körper, dessen Macht- und Diskurstechniken auf allen Ebenen eingesetzt werden und deren
Ordnungsprinzip die Normalisierung ist. Die Sexualität ist der Hauptankerpunkt der Bio-
Macht.

4.) Vergleich und Kritik

Es scheint erst einmal schwierig die Konzeptionen von Habermas und Foucault einem
Vergleich zu unterziehen, da sich beide im Grunde auf anderen Ebenen befinden.
Dem Anspruch nach verficht Habermas eine dezidiert normative Theorie des Diskurses und
der Öeffentlichkeit, während Foucault, dem eigenen Anspruch nach ein „glücklicher
Positivist“, seine Analyse eher auf die tatsächlichen diskursiven Praktiken in ihrer Historizität
und Faktizität lenkt. Den Diskursbegriff, auf den beide ihre Analysen stützen, könnte man bei
Habermas als „argumentative Rede“ und bei Foucault als „institutionalisierte Rede“
bezeichnen. (Yoo zit. nach Kim 1995) Die Habermas´sche „Argumentationspraxis“ wäre
demnach interpretiert als Teil der Foucault´schen diskursiven Praxis. Dies macht insofern
Sinn, als das Habermas´sche Diskursmodell, auch in ihrer institutionalisierten Form, im
parlamentarischen Rechtsstaat tatsächlich sehr stark auf der Argumentationspraxis basiert,
während der Antriebsmotor der Foucault´schen Diskurse im Willen zum Wissen liegt. Dieser
ist ein Wille zur Macht und rechtfertig sich über die Installation von Machtdispositiven, den
ihnen entsprechenden Praktiken und der dadurch geschaffenen Wirklichkeiten bzw.
Wahrheiten einfach selbst, ohne sich jedoch als ein solcher Wille zur Macht kenntlich zu
machen. So stellt die normative Basis, der machtfreie Diskurs mit all seinen Bedingungen,
tatsächlich auch für die Foucault´sche diskursive Praxis die Eingangsbedingung dar, müßte
innerhalb dieses Systems aber als Verschleierung des eigentlich wirkenden Willens zur Macht
betrachtet werden. Diese Integration des normativen Modells des machtfreien Diskurses in
das der diskursiven Praktiken würde jedoch eine Herabwürdigung des Habermas´schen
Denkens als Erfüllungsgehilfe einer omnipräsenten Macht bedeuten und darüberhinaus die
Divergenzen in den Ansätzen wegreduzieren.
Denn Habermas geht es in seinem Diskursmodell vor allem um die Herausarbeitung und
Rekonstruktion universaler diskursiver Geltungsbedingungen am Modell des idealen
Diskurses. Die Argumentationsregeln bzw. das prozedurale Verfahren in Form der
Diskursbedingungen bürgen dabei für die Rationalität und (revidierbare) Wahrheit des
Diskurses. Die Betonung liegt also auf der Rationalität und der Universalität von Diskursen
und Diskursbedingungen. Foucault jedoch geht es gerade nicht um Universalität oder
Rationalität des Diskurses an sich. Für ihn gelten die Historizität und Faktizität der Diskurse,
Gegenstandsbereich sind die historisch praktizierten Diskurse, vor allem
humanwissenschaftliche, keine im engen Sinne politischen, wie bei Habermas.
Die Diskurse haben sicherlich eine Struktur, d.h. Formations- und Transformationsregeln.
Diese basieren aber nicht eigentlich auf (rationalen) Argumentationen (sind also nicht
Akteurszentriert) sondern auf Ausschließungsmechanismen und diskursinternen Kontroll- und
Verknappungsmechanismen. Weitere konstitutive Bestandteile des Diskurses sind, Foucault
zufolge, der Zufall und das unkontrollierbare Ereignis. Der Diskurs ist ein sowohl-als-auch,
Einschränkung und Unkontrollierbarkeit, Verbot und Übertretung usw. Der Diskurs ist alles,
nur kein an sich rationaler. Wahrheit gibt es nur im Diskurs, der jedoch historisch kontingent
ist. Diskurse rechtfertigen sich selbst und so kann Foucault „auf die Ernsthaftigkeit derer
bauen, die an dem jeweils auszuwählenden Diskurs beteiligt sind, und somit eingrenzen, was
zur jeweiligen Zeit ernst genommen wurde, und ihn verteidigen, kritisieren und
kommentieren.“ (Dreyfus/Rabinow 1994, S.76) Es geht darum wie, wann und von wem
bestimmte Dinge und Themen „problematisiert“ werden. (Vgl. Foucault 1996) Die Frage
Foucault´s wäre also nicht, ob ein Diskurs unter Bedingungen zustandegekommen ist, der
Rationalität und damit Wahrheit garantiert, sondern was ist zu einer bestimmten Zeit als wahr
betrachtet worden, wer hat bestimmt was wahr und rational ist und wie sahen die (historisch-
kontingenten) Bedingungen aus, die dies zu dieser Zeit gewährleisten sollten ?
Dies hätte die Archäologie zu leisten, die Genealogie müßte darüberhinaus nach dem
Zusammenhang der Diskursformationen mit den entsprechenden nicht- diskursiven Praktiken
und den dazugehörigen Machtdispositiven fragen. Wir sind also weit entfernt von jedwelchen
Universalitätsansprüchen Habermas´scher Denkart.
Ein ausgearbeitetes Konzept von Öffentlichkeit fehlt bei Foucault gänzlich, insbesondere das
einer politischen Öffentlichkeit im engeren Sinne. Was diskursiviert wird, ist öffentlich und
damit wahr und wirklich, zumindest in dem Moment, in dem es sich in verschiedenen
Machtdispositiven und den entsprechenden Praktiken ausprägt. Der Diskurs ver- öffentlicht
und ver- wirklicht, er bewahrheitet sich selbst und das ist seine Rechtfertigung, dies umso
mehr, als sich die diskursiven in die nicht- diskursiven Praktiken gießen und eine feste,
kristallene Form annehmen.
Üeber die Universalitätsansprüche Habermas´ bezüglich seiner Diskurskonzeption muß
eigentlich nicht mehr viel gesagt werden. Hauptkritikpunkt ist, das sowohl dieser Anspruch,
als auch die Diskurskonzeption von Habermas mit der Argumentationspraxis als Kern, selbst
schon Ergebnis von partikularen Werten, nämlich den westlich- europäischen, sind. Diese
Konzeption kann also, wie jede anderer auch, nicht Universalität für sich in Anspruch
nehmen. (Horster 2001, Taylor 1999)
Im Hinblick auf die Hintergrundsausfüllung ihrer Theorie nehmen sich beide insofern nichts,
als ein Erkenntnis- und Lebenshintergrund vorhanden ist, der nicht vollständig bewußt
gemacht werden kann. Bei Habermas ist dies die Lebenswelt, ein Hintergrundwissen vor
dessen Folie alles erst Sinn ergibt. Foucault nennt seinen Hintergrund die „zone du non-
pensé“, der Bereich des Nicht- Gedachten (und Nicht- denkbaren): die Mechanismen des
Diskurses, die nicht- diskursiven Praktiken, die wiederum in soziale Strukturen eingebettet
sind, sowie auch das Unbewußte, das z.B. im Willen zur Macht zum Ausdruck kommt.
Diese Hintergründe bewegen und motivieren das Subjekt ohne dessen Wissen, denn wenn die
ungedachten Gründe komplett erkennbar wären, so wären es keine Gründe mehr, sie würden
niemanden mehr bewegen. „Sartre hat erkannt, daß, wer immer völlige Klarheit über sich und
die Gesellschaft erlangte, in der Tat ein souverän wählender wäre, ein Souverän allerdings,
der nicht länger Gründe für seine Wahl hat.“ (Dreyfus/Rabinow 1994, S.61) So kann es auch
keinen letzten Hintergrund geben, denn jeder Hintergrund der als solcher aufgedeckt wird,
ergibt nur vor einem weiteren unaufgedeckten Hintergrund einen Sinn, der wiederum nicht
aufgedeckt werden kann oder nur unter der Maßgabe, daß es einen weiteren unaufgedeckten
Hintergrund gibt.
Auch die Habermas´sche Lebenswelt ist nur zum Teil aktualisierbar, nie vollständig. Und
doch unterscheidet sich das Hintergrund-konzept von Habermas von dem Foucault´s.
Jürgen Habermas gilt als Philosoph der Moderne. Die Moderne steht in der Tradition der
Aufklärung und deren Annahme des autonomen Subjekts, im Erkennen, wie in moralischen
Fragen. „Das Zentrum des Programms der Moderne ist die Entwicklungsmöglichkeit des
Subjekts zu einem autonomen und zugleich sozialisierten Individuum, das seine Bedürfnisse
und Neigungen im Rahmen des gesellschaftlichen Normgefüges artikulieren kann, Gehör
findet und selbstbestimmt handelt bzw. verändert.“ (Horster 1993, S. 256 f.) Intendiert ist,
was man eine „Entkontingentisierung des Daseins“ nennen kann. (Rohrmoser zit. nach
Horster 1993, S.256) In der Moderne ist die Vernunft „oberster Gerichtshof, vor dem sich
rechtfertigen muß, was überhaupt auf Gültigkeit Anspruch erhebt.“ (Habermas zit. nach
Horster 1993, S.257) So geht Habermas von einer rationalisierten Lebenswelt aus, mit einer
entsprechenden politischen Kultur der Selbstbestimmung, die nur möglich ist (wie sein ganzes
Modell überhaupt) in rationalisierten und funktionsteilig ausdifferenzierten Gesellschaften,
die in der Lage sind sich zu einem Gutteil selbst zu reflektieren. Diese Lebenswelt kann sich
der Einzelne zwar nie vollständig bewußt machen, jedoch steckt im Hintergrund dieses
Hintergrundes doch ein gehöriges Maß an Selbstreflexion, an Vernunft und auch an
Selbstbestimmung als Voraussetzung des ganzen Modells, daß ohne diese Komponenten
überhaupt nicht denkbar wäre. Die Kontingenz bleibt nur ein nicht- bestreitbares Moment,
aber kein integraler Bestandteil der (normativen) Theorie, die man durchaus als stark
rationalistisch bezeichnen könnte, insbesondere, da sie auf einem Diskursmodell beruht, das
durch seine Teilnahmebedingungen Argumentationen entfalten will, die Rationalität und
Wahrheit hervorbringen und in denen selbst der Diskurs diskursiviert werden kann und muß,
wenn dies notwendig wird6. Foucault zufolge stellt sich das ganze naturgemäß etwas anders
dar. Er wird als Neo-Nietzscheaner (Taylor 1999) gehandelt und wird der Postmoderne
zugerechnet oder gilt zumindest als ihr Wegbereiter. Die Postmoderne unternimmt eine Kritik
der Moderne, also auch eine Kritik des autonomen Subjekts und der damit verbundenen
Vorstellungen von Autonomie, Selbstbestimmung und Fortschritt durch Emanzipation der
Vernunft. „So täuscht sich der menschliche Geist ferner, wenn er sich als souveränes Subjekt
seiner Sprech- und Erkenntnisakte begreift. Dies ist nichts weiter als eine von der Grammatik
nahegelegte Täuschung. In Wahrheit unterstehen seine bewußten Erkenntnisakte ganz den
unbewußten Strukturen der Sprache: Auflösung des Subjekts – so (tendenziell) bereits
Nietzsche.“ (Fink-Eitel 1996, S.68) Ähnlich dem Programm der Postmoderne, die den Begriff
der Kontingenz dem der Autonomie des Subjekt entgegenstellt, spielen bei Foucault der
Zufall und das ungebändigte Ereignis eine konstitutive Rolle in den Diskursen. Zwar hat der
Diskurs auch Formations- und Transformationsregeln, er wird verknappt und kontrolliert,
doch dies geschieht nicht durch irgendein autorisiertes oder befähigtes Subjekt, sondern eine
ent- personalisierte und omnipräsente Macht kontrolliert den Diskurs. Das Subjekt wird bei
Foucault ausgelöscht, von einer Vielheit von Kraftverhältnissen „zerschnitten“ (Fink-Eitel
1996, S.100)7: das voraussetzungslose Ego des Descart´schen Cogito ist entthront und sein
„ergo sum“ verschwindet ungehört in der Vielzahl der Diskurse. Die „zone du non- pensé“
mit all ihren Elementen ist das, was sie dem Namen nach ist: nicht- denkbar und dies in
höherem Maße, als die rationalisierte und von individuellen und kollektiven Akteuren
getragene Lebenswelt Habermas´scher Denkungsart, in deren Hintergrund immer die
potentielle Denkbarkeit allen Geschehens und Handelns mitschwingt. Üeberhaupt scheint
Habermas, ganz in aufklärerischer Tradition einem Rationalismus anzuhängen, der selbst
Grund und Ergebnis seiner idealen Diskurstheorie sein dürfte. Jegliche psychologischen
Momente, im weitesten Sinne, fallen bei ihm unter den Tisch. Es findet eine
Vernachlässigung des Psychologisch- Unbewußten bei ihm statt, welches bei Foucault wenn
auch ent-psychologisiert im Willen zur Macht und im Begehren wieder auftaucht. Dies mag
nicht der Anspruch von Habermas sein, insofern ist er dort auch nicht wirklich
(theorieimmanent) anzugreifen, doch muß dieser Einwand erlaubt sein im Hinblick auf den
praktischen Nutzen seiner Theorie, die ja auch dem Anspruch nach einen emanzipatorischen
Gehalt aufweisen will. Wenn jedoch eine tragende Säule der „condition humaine“ in der Art
und Weise analytisch vernachlässigt wird, scheint die Empirisierbarkeit dieser Theorie an
enge Grenzen zu stoßen und die Kritiker behalten recht.
Bei Foucault wird so nicht nur der Gedanke des Subjekts hinweggefegt, sondern im gleichen
Zug auch jedwelches Konzept von Universalität, wie es Habermas anstrebt, ins Reich der
Fabeln verwiesen Die kritische Genealogie „ersetzt die strukturalistische Prämisse zeitlos-
invarianter, geschlossener Regelzusammenhänge durch die Annahme eines veränderlichen
und offenen >Spiels< vielfältiger und kontingenter Ereignisse.“ (Fink-Eitel 1996, S.66) Somit
erklärt sich auch die auf die reine Faktizität ausgerichtete Theorie Foucaults, die eine
Trennung zwischen (normativem) Ideal und faktischer Realität nicht denkt. Dieses
Spannungsverhältnis von Realität und Ideal, Faktizität und Geltung, ist der Antriebsmotor der
6
„Die Habermas´sche kommunikative Rationalität gründet also auf der kontrafaktischen
Voraussetzung, daß der im Kommunikationsprozeß auftretende Dissens durch eine
Metakommunikation – d.h. Kommunikation über Kommunikation – in Konsens münden
kann.“ (Kim 1995, S.113)
7
Fink- Eitel unterscheidet bei Foucault 4 Phasen. In der ersten (50 er Jahre), wie auch in der
letzten (80er) gibt es sehr wohl ein Subjekt in der Theorie Foucaults, daß in der letzten
Phase sogar Elemente von Freiheit und Selbstbestimmung besitzt. Die vorliegende
Darstellung bezieht sich auf die zweite und dritte Phase, die Phase der Archäologie und der
Genealogie in den 60 er und 70 er Jahren, in denen das Subjekt bei Foucault theoretisch
ausgelöscht wird.
Habermas´schen Theorie. Mit der Einbettung der idealen Diskurstheorie in einen Kontext der
Lebenswelt und der politischen Realität als konstitutivem Bestandteil jeder dieser Realitäten
versucht er das Ideale bzw. Normative als unabdingbaren Bestandteil der Realität zu fassen.
Habermas´ Theorie ist eine Theorie der Synthese auf einer höheren Ebene.
Es wäre jedoch voreilig sich für eine der beiden Theorien zu entscheiden, denn „Habermas
´Diskurstehorie weist Schwierigkeiten auf, die empirischen sozio- kulturellen
Diskursbedingungen aufzuzeigen und sie mit den universalen Geltungsbedingungen in
Zusammenhang zu bringen. Foucault unterschätzt hingegen die kritischen Potentiale der
diskursiven Praxis, indem Foucault das Wissen allein zur Funktion und Wirkung der Macht
erklärt und die Bedingungen der möglichen diskursiven Rationalität auf die faktischen
institutionellen Rahmenbedingungen positivistisch reduziert.“ (Kim 1995, S.127) Sicherlich
kann man die Theorie Foucault´s leichter einer Kritk unterziehen, als dies bei Habermas
möglich ist. Dies hat mehrere Ursachen und diese machen die Gedanken Foucault´s auch
nicht uninteressanter oder weniger fruchtbar, im Gegenteil, sie sind vielleicht eine der Gründe
für das Interesse an diesem „Philosophen mit der Maske.“ (Konersmann 2001) Foucault
scheint seine Probleme, wie ein Raubtier begrifflich und konzeptuell zu umkreisen ohne sie
letztendlich zu erledigen, sie zu fangen. Stattdessen wechselt er plötzlich seine Position,
Kausalitäten werden auf den Kopf gestellt (wie im Falle der „Archäologie“, wo der Diskurs
die nicht- diskursiven Praktiken bestimmt, während sich dieser Sachverhalt in der „Ordnung
des Diskurses“ einfach umdreht). Es scheint ein ausprobieren, wie weit man sich auf
unerschlossenem Land vorwagen kann, ein vorsichtiges Vortasten, in der Hoffnung, daß die
fragilen (und oft schwammigen) Begrifflichkeiten nicht am Gegenstand zerbrechen, der noch
gar nicht vollständig ausgemacht ist. Zu der Vielheit der Positionen Foucault´s (Vgl. die 4
Phasen, die Fink- Eitel ausmacht) gesellt sich eine Vieldeutigkeit seiner Analyse. Der Diskurs
ist ein „sowohl- als- auch“, er ist Einschränkung und Ereignis, Grenze und Überschreitung
usw., die Macht ist alles und nichts (konkretes) und systematische Definitionen sucht man
vergebens. Man findet eher vorläufige Begriffsbestimmungen, die oft den Charakter von z.T.
lyrischen Umschreibungen haben. Foucault scheint die Konsequenz der Inkonsequenz zu sein,
die Diskontinuität als Methode. „Gerade dadurch, und das ist sein Vorteil, gewinnt er freie
Hand. Die Beweglichkeit seines Denkens, das notorische Schwanken seiner Schriften
zwischen >livre de plage< und gelehrter Abhandlung, der jähe Wechsel von schwebender
Eleganz zu äußerster Sprödheit, vom marmornen Begriff zum filigranen Lyrismus, all diese
Maskeraden und Travestien sind nichts weniger als Beiwerk und Attitüde. Es sind Versuche,
den Verlockungen des Hegelianimus zu entkommen, den Aufforderungen zum Bekenntnis,
der Unterstellung von Sinn.“ (Konersmann 2001, S.90)8 Foucault scheint etwas sichtbar
machen zu wollen, was er selbst noch nicht wirklich sieht, was es vielleicht gar nicht zu sehen
gibt, nicht weil es nicht da wäre, sondern weil man es nicht denken kann. Er ähnelt dabei
Camus. Wenn dieser „beweisen will, daß in unserem desillusionierten Zeitalter die Welt von
Sinn entleert sei, so führt er diesen Beweis in streng gebauten Stücken im elegant rationalen
und diskursiven Stil eines Moralisten aus dem achtzehnten Jahrhundert.“ (Esslin 1965, S.14)
Die sprachlich- logische Beweisführung von Camus (der auch zu eine sehr lyrischen Sprache
neigt) verrät „noch in der Unbarmherzigkeit ihrer Analyse die stillschweigende Überzeugung,
daß logische Abhandlungen gültige Lösungen erbringen können, daß die Analyse der Sprache
zur Entdeckung von Grundbegriffen führt – platonische Ideen“ (Esslin 1965, S.15), die sich
angesichts der zu zeigenden Absurdität selbst ins Absurde führt. Foucault ist in dieser
8
Foucault (Interview):„ Ich träume von dem Intellektuellen als dem Zerstörer der Evidenzen
und Universalien, der in den Trägheitsmomenten und Zwängen der Gegenwart die
Schwachstellen, Öffnungen und Kraftlinien kenntlich macht; der fortwährend seinen Ort
wechselt, nicht sicher weiß, wo er morgen sein noch was er denken wird, weil seine
Aufmerksamkeit allein der Gegenwart gilt.“ (zit. nach Konersmann 2001, S.91)
Hinsicht, wie sein Vorbild Nietzsche, methodisch konsequenter in seiner Inkonsequenz.9 Das
Problem des Sagen- wollens, aber nicht- sagen- könnens verweist auf die Kunst als
Erkenntnis- und Darstellungsform, wie bei Nietzsches Zarathustra oder dem Absurden
Theater. Es bleiben andere Schwachpunkte in der Foucault´schen Konzeption.

Fink- Eitel stellt Foucault in Abwesenheit die Frage, wenn sich die Macht als Diskursivierung
vollzieht, was denn das Prä-diskursive sei, was diskursiviert wird, das Andere des Diskurses
und der Macht, das Foucault leugnet. Fink-Eitel stüzt sich auf einen Satz Foucault´s in dem er
darauf eingeht: „Stützpunkt des Gegenangriffs (ist) nicht das Sex-Begehren...., sondern die
Körper und die Lüste.“ (Fink-Eitel 1996, S.93) Die Körper und die Lüste liegen, Fink-Eitel
zufolge, also außerhalb des Sexualitätsdispositivs und werden schließlich diskursiviert. Es
scheint sich dabei um die verschwiegende Voraussetzung vom Monismus der Macht zu
handeln, die jedoch von Foucault selbst nicht diskursiviert wird. Es bleibt auch unklar, was
Körper und Lüste eigentlich vom Sex und dem Begehren unterscheidet. Als Fazit stellt Fink-
Eitel fest, daß letztendlich „der Wille zum Wissen< (...) entgegen seiner bewußten
Zielsetzung im Grunde die Repressionstheorie geblieben [ist], die es zu bekämpfen galt.“
(Fink-Eitel 1996, S.94) Die diskursive Ordnung der Macht unterdrückt die prädiskursiv-
anarchische Welt der Körper und der Lüste. Hier zeigt sich das ganze Problem des eigentlich
Unsagbaren oder vielmehr Undenkbaren bei Foucault: Seine Machttheorie führt in eine
Sackgasse in mehrerer Hinsicht.
1.) Politisch- Handlungstheoretisch: „Die Machttheorie sitzt in dem Käfig fest, den sie sich
selbst gebaut hat, scheint doch selbst noch der mögliche Widerstand der Subjekte gegen
die Macht nichts weiter als deren Produkt oder Korrelat zu sein.“ (Fink-Eitel 1996, S.102)
Die Macht ist eine Schlange, die sich selbst vom Schwanz her auffrisst. Politik und
Handeln sind angesichts dieses „Alles- und Nichts“ eigentlich nicht möglich oder
zumindest sinnvoll nicht möglich. Die Macht ist in doppelter Hinsicht also Un-Sinn.
2.) Erkenntnistheoretisch. Die Macht ist omnipräsent. Ein Begriff aber der alles, selbst den
Widerstand gegen sich selbst, umfaßt und alles erklärt, ist heuristisch sinnlos. Wenn ein
solcher Begriff sich gegen nichts abgrenzt, nichts differenziert, kein Anderes kennt, sagt
er gar nichts aus. Unser Denken ist relational, wenn es etwas gibt, das rot ist, muß es
zumindest etwas geben oder denkbar sein, daß nicht- rot ist, sonst macht der Begriff des
Roten keinen Sinn, sondern er ist Un-sinn. Genauso verhält es sich mit einem Monismus
der Macht, indem selbst die Ohnmacht noch ein Ausfluß der Macht sein muß. Er ist etwas
Undenkbares, im Grunde Unsagbares, das Foucault offensichtlich versucht hat zu denken
und zu sagen, mit den Mitteln einer dem relationalen Denken verhafteten Sprache.
3.) Theorieimmanent. Die Kritik des dritten Problems bezüglich des Machtbegriffs ist nicht
sehr originell, aber es zeigt sehr gut die Schwierigkeiten, die sich mit allzu umgreifenden
Begrifflichkeiten ergeben. Foucault steckt in einem ähnlichen Dilemma, in dem sich
bereits Marx mit seiner Ideologie-Konzeption befand. Wenn es einen Monismus der
Macht gibt und jedweder Diskurs von einem Willen zum Wissen, der ein Wille zur Macht
ist, angetrieben wird, der sich jedoch, um seine Wirkung zu sichern, verschleiern muß,
dann müßte auch Foucault´s Theorie ein Ausfluß dieser Macht sein, ja sogar ein
verschleierter Ausfluß dieses Willens zur Macht. Dies ist um so merkwürdiger, als sich
dieser Wille durch Foucault offensichtlich als solcher zu erkennen gibt, also die
Bedingung seines Wirkens mißachtet, was er laut Foucault nicht tut. Die Situation ist ein
klassisches Paradox und ein hervorragendes Beispiel für die logischen Dilemmata in die
man gerät bei allzu umgreifenden Begriffen, also bei dem Versuch Phänomene zu denken,
die eigentlich nicht- denkbar sind.

9
„Ich bin der Versteckteste aller Versteckten.“ (Nietzsche zit. nach Braatz 1988, S.16)
Es ließen sich noch einige Widersprüche und vielleicht noch einige Paradoxa im Werk von
Foucault ausmachen, denn das, so scheint es, ist Ergebnis der Methode Foucaults, der
Diskontinuität und der Sprunghaftigkeit seines Denkens. Und genau diese Konstanz des
Wechsels „verhindert wirkungsvoll die Verselbständigung der Analyse zu einer allgemeinen
Theorie“ (Konersmann 2001, S.77), was ein Anliegen Foucault´s war, dessen Denken sich
bewegen sollte.
Habermas, der in der Tradition Kants und der Aufklärung steht, ist hingegen
(konsequenterweise) ein Vorbild an Systematizität. Er ist aber auch ein Musterbeispiel für das
von Foucault verwendete (und bei Bataille entlehnte) Bild des Augapfels, „der sich selbst mit
einem schmerzhaften Ruck aus der Verankerung in der Schädelhöhle und um die eigene
Achse dreht, um dem Betrachter das blutverschmierte Weiß seiner blinden Rückseite
entgegenzukehren.(...). Er bricht den operativen Blickkontakt mit der Außenwelt ab.“
(Kerber/Schmieder 1991, S.320) Habermas ist ein Theoretiker der Theorien. Sein
beeindruckendes Werk scheint entstanden auf dem Boden und in Abgrenzung gegen andere
Theorien, die vermutlich, vielleicht auch nicht, auch wieder auf dem Boden und in
Abgrenzung anderer Theorien entstanden sind usw. „Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose, ist
eine Rose ....“ Habermasens Theorie ist sicherlich aus dem Spannungsfeld von Idealem (oder
Normativem) und dem Realen enstanden und dieses Spannungsfeld wird dort auch
problematisiert. Nur scheint es zum einen, als wäre das Empirische oft analytisch
unterbewertet, weil Habermas sich gerade der Vernachlässigung des Normativen seitens
sogenannter „realistischer“ Theorien entgegenstemmt und das Normative als realen und
konstitutiven Bestandteil des Faktischen aufzeigen will. Dies läßt den Eindruck entstehen,
sein Gedankengebäude sei ideale Träumerei und entbehre jeglichen Sinns für die harte
Realität. Sicher muß aber gesagt werden, daß die theoretischen und begrifflichen Höhen in die
Habermas sich schwingt häufig den Blickkontakt mit der „Welt da unten“ schwinden läßt.
Auch entkräften seine Versuche universale Geltungsbedingungen für Diskurse jenseits aller
partikularen kulturellen Interessen auszumachen und der oft gleitende Übergang vom
Normativen ins Faktische die Ansicht vieler Kritiker eines Theoretizismus auf Seiten von
Habermas nicht. Auch könnte man mit Foucault sagen die normativen Voraussetzungen des
Diskurses und der Demokratie sind nur Verschleierungstaktiken eines Willens zur Macht,
gerade weil Diskurse in ihrer faktischen Funktionsweise (genau, wie die Demokratie)
keineswegs jeden prinzipiell inkludieren, sondern viele Diskurse schließen, als
Konstitutionsbedingung, aus (Wissenschaft, Medizin, im Grunde auch politische Diskurse).
Was bringt uns also die Herausarbeitung der normativen Bedingungen von Diskursen ?
Theoretisch- wissenschaftlich vielleicht einiges, aber praktisch läßt sich daran zweifeln,
insbesondere, wenn konstitutive Teile der „condition humaine“ (das Psychologisch-
Unbewußte) vernachlässigt werden. Nichtsdestoweniger sticht die wissenschaftliche
Genauigkeit und Redlichkeit der Habermas´schen Arbeiten ins Auge, die sich gegenüber der
von Foucault verwendeten diskontinuitiven Methode besonders scharf abhebt. Dies zeigt sich
in den Konzeptionen von (politischer) Öeffentlichkeit, Wahrheit und Macht in Habermasens
Theorie. Alles sind, im Vergleich zu Foucault, eng umrissene und genau definierte Konzepte,
die sich vor einem von ihm eigens explizierten Theoriehintergrund abheben. Die politische
Öffentlichkeit ist eingebettet in einen gesellschaftlichen Hintergrund aus Lebenswelt,
politischem System und anderen Systemen, die in spezifischen Bedingungsverhältnissen
zueinander stehen. Kritisch vorzuwerfen wäre Habermas aus „realistischer“ Perspektive der
Optimismus, den er bezüglich des kritischen und emanzipatorischen Entfaltungspotentials von
politischer Öffentlichkeit hat und die in seinem idealen Diskursmodell und seinen normativen
Voraussetzungen gründet. Auch der Begriff der Wahrheit (bzw. der der Rationalität) sind
definitorisch eingegrenzt auf den Bereich des Diskurses und den politischer bzw.
parlamentarischer Öffentlichkeit. Auch die Bedingungen von wahren Ergebnissen sind mit
dem Ort der Wahrheit, dem Diskurs, bereits genau benannt: die idealen Diskursbedingungen.
Zu fragen wäre hier nur nach dem Verhältnis von Normativem und Realem, denn der
Geltungsanspruch der Wahrheit bzw. der normativen Richtigkeit muß bewiesen werden.
Wenn er aber nur unter idealen Bedingungen zustande kommt, die nur normative
Voraussetzungen, aber keine realen Verwirklichungen sind, so stellt sich die Frage, wie der
Geltungsanspruch bewiesen werden kann, wenn die Bedingungen für diesen Beweis nur
ideale Voraussetzung, aber keine Realität sind. Zum Teil wird diese Frage durch die politische
und rechtliche Institutionalisierung der idealen Diskurssituationen beantwortet. Auch der
Machtbegriff ist definitorisch eingegrenzter, differenzierter und darüberhinaus auf
entsprechende Träger begrenzt. Habermas unterscheidet zwischen kommunikativer, sozialer
und administrativer Macht und diese ist den jeweiligen Trägern zugeordnet: Politische
Öffentlichkeit, Ökonomisches System und Administratives System, die in einem
Spannungsverhältnis zueinander stehen, für das Habermas die Bedingungen herauszuarbeiten
sucht, mit denen ein Gleichgewicht erhalten bleibt.

5.) Fazit

Wir sind am Ende der Reise angelangt und nun gilt es ein wenig zu schauen, wo wir genau
angekommen sind und was sich uns in der theoretischen Landschaft alles darbietet. Beide
Theoretiker sind in ihren Konzeptionen, ihren Schwerpunktsetzungen, in den Ebenen auf
denen sie analytisch agieren bis hin zum Stil, trotz einiger thematischer, wie analytischer
Gemeinsamkeiten, doch recht verschieden und ungleich. Es sind zwei „verschiedene Augen“,
die sich ähnlichen Gegenständen zuwenden und man muß sich mit Nietzsche nun fragen, ob
es gelungen ist durch die Vielheit von Augen einen vollständigeren Begriff der Sache, eine
größere „Objektivität“ zu erlangen. Diese Frage muß man wohl mit einem viel- und
nichtssagenden „Vielleicht“ beantworten. Sicher scheint jedoch, daß beide „Augen“ den Blick
für verschiedene Aspekte der „Realitäten“ von Öffentlichkeit, Diskurs, Wahrheit und Macht
geschärft haben. Was der eine vernachlässigt (Habermas: die Unbewußten Strukturen, die
Macht-sättigung von Diskursen, die empirische Ebene; Foucault: das Normative im
Empirischen, der emanzipatorische Gehalt von Diskursen, das autonome und rationale
Handlungspotential von sozialen Akteuren usw.) nimmt der andere in den Blick.
Eine Aufgabe für die Zukunft könnte es sein in beiden Ansätzen nach mehr und tragbaren
Gemeinsamkeiten und Integrationspunkten zu suchen, um eben jener Nietzsche´schen
„Objektivität“ einen weiteren und vielleicht entschiedeneren Schritt entgegenzugehen. Dies
ist aber nicht das Ziel dieser Arbeit und kann es nicht sein. Vielmehr wurde hier versucht die
Unterschiede und Widersprüche zu thematisieren, um die Vielfältigkeit der behandelten
Gegenstände aufscheinen zu lassen.

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