Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
01.04.2015 - 31.03.2016
„Die Menschen bauen zu viele
Mauern und zu wenig Brücken.“
Isaac Newton
Vorwort 4
Allgemeines 5
Schenken und beschenkt werden 7
„Mehr Chancen als Risiken durch Zuwanderung“ 8
Sommerperiode 1. April 2015 - 31. Oktober 2015 9
Klientenbestand, Beratungsangebot 9
Der Wille ist Kraft 12
Erstauftritte in der Sommerperiode 13
Exkurs: Tätigkeitsbereich Niedriglohnsektor 14
Mit großem Herzen geschrieben 15
Streetwork – ganzjährige Aufgabe 16
Exkurs: Fragestellungen 17
Streetwork: Klientenbestand 18
Lichter 19
Informationsreise nach Rumänien 20
Eine Stadt – nah und fern 21
Winterperiode 1. November 2015 - 31. März 2016 22
Klientenbestand 22
Arbeit hat nichts mit dem Alter zu tun 27
Kälteschutzeinweisungen, Bettenbelegung 28
Nikolausabend 30
Kälteschutz: Erstauftritte, Beratungsangebot 32
Danksagung 34
• 3
Vorwort
Gesetzliche Grundlagen gramm ins Leben. Hauptsächlich rich- tungsplätze wurde auf knapp 850
Die Beratung für EU-MigrantInnen, tet sich das Angebot an nichtan- Betten erhöht. Um die Betriebsfüh-
die keinen Anspruch auf Sozialleis- spruchsberechtigte EU-MigrantInnen. rung gewährleisten zu können, wur-
tungen haben, ist eine freiwillige Leis- den unsere Personalstellen auf insge-
tung der Landeshauptstadt München. Seit November 2013 ist Schiller samt neun sozialpädagogische Fach-
Die Beratung von anspruchsberech- 25 die zentrale Einweisungsstelle in kräfte erweitert.
tigten Personen ist in den §§ 67 ff. SGB den Kälteschutz. Zwischen 1. Novem-
XII geregelt. Die gesetzliche Grundla- ber und 31. März ist die Einrichtung Aufsuchende soziale Arbeit
ge für Maßnahmen zum Kälteschutz sieben Tage die Woche geöffnet, um (Streetwork)
ist im § 57 der Gemeindeordnung in Kälteschutzeinweisungen auszustel- Außerhalb der Kälteschutzperiode
Verbindung mit den Artikeln 6 ff. des len und den Hilfesuchenden Bera- lebt ein großer Teil unserer Zielgrup-
Landesstraf- und Verordnungsgeset- tung anzubieten. pe auf der Straße. Um diese Menschen
zes (LStVG) festgelegt. Weitere gesetz- zu erreichen und die jeweiligen Grup-
liche Grundlagen sind die Stadtrats- Alle Menschen, die in den Win- pen in ihrem unmittelbaren Lebens-
beschlüsse vom November 2012, Sep- termonaten in München obdachlos/ umfeld aufzusuchen, führen wir
tember 2013, Oktober 2014 und Okto- wohnungslos sind, können in den Käl- Streetwork im Stadtbereich durch.
ber 2015. teschutzräumen der Bayernkaserne Beim Aufsuchen sogenannter „wilder
während der Nacht untergebracht Camps“, über die wir regelmäßig von
Finanzierung werden. Diese Menschen sollen Zu- der Landeshauptstadt München in-
Der gesamte Kälteschutz sowie die da- gang zu sozialer Beratung haben und formiert werden, achten wir in erster
mit verbundene ganzjährige Bera- über die Hilfsangebote in München Linie auf den gesundheitlichen Zu-
tungsarbeit und aufsuchende Sozial- informiert werden. stand der obdachlosen Menschen.
arbeit werden vom Sozialreferat der Des Weiteren finden die Begehungen
Landeshauptstadt München bezu- Betrieb der Kälteschutzräume statt, um die Zielgruppe an die Bera-
schusst.2 Bereits vor vier Jahren, in der Kälte- tungsstelle anzubinden. Im Winter
schutzperiode 2012/2013, wurde das liegt der Fokus unserer aufsuchenden
Kälteschutz Evangelische Hilfswerk mit der Be- Sozialarbeit darin, wohnungslose Per-
Ausgangspunkt des Kälteschutzes ist triebsführung des Kälteschutzes be- sonen in die Schutzräume zu bringen,
die Verpflichtung der Landeshaupt- auftragt. Da sich die Verknüpfung von um eine eventuelle Selbstgefährdung
stadt München, den Menschen, die Betriebsführung und sozialer Bera- aufgrund von Nächtigung im Freien
sich im Stadtgebiet aufhalten, Schutz tung als erfolgreich erwies, erhielt zu vermeiden.
vor lebensbedrohlichen Umständen Schiller 25 vom Stadtrat im Oktober
zu gewähren. Unter dem Stichwort 2015 erneut den Auftrag, das Kälte- Schwerpunkte der Arbeit in
„Niemand darf in München auf der schutzprogramm (im Haus 12 der ehe- Schiller 25 – ganzjährig:
Straße erfrieren“ rief das Sozialreferat maligen Bayernkaserne) zu überneh- - aufsuchende Kontaktanbahnung
bereits 2012 das Kälteschutzpro- men. Die Kapazität der Übernach- und Clearing >
• 5
Allgemeines
- Streetwork für „wilde“ Camper - konzeptionelle Weiterentwicklung Vorjahr verdreifacht. Das aktuelle
- Information und Beratung über und Evaluation des Dienstes in Zu- Team deckt zehn Fremdsprachen ab
Perspektiven/Perspektivlosigkeit in sammenarbeit mit der Landes- (Rumänisch, Bulgarisch, Türkisch,
München in Bezug auf Arbeit, Woh- hauptstadt München Ungarisch, Serbisch, Kroatisch, Bos-
nen und Ansprüche auf Sozialleis- - Zusammenarbeit mit der Landes- nisch, Italienisch, Spanisch, Franzö-
tungen hauptstadt München und enge sisch, Polnisch Englisch). In der Win-
- umfassende Beratung über das so- Kommunikation und Vernetzung terperiode wird das hauptamtliche
ziale Hilfesystem in München mit der Münchner Wohnungslosen- Schiller-Team von ehrenamtlichen
- umfassende Beratung in allen ar- hilfe und den Migrationsdiensten, MitarbeiterInnen unterstützt. Im
beits- und sozialrechtlichen sowie u. a. mit Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Zeitraum November 2015 – März 2016
gesundheitlichen Belangen Deutschem Gewerkschaftsbund, waren in Schiller 25 knapp 30 ehren-
- Informationen über alternative open.med und Malteser Migranten amtliche Kolleginnen und Kollegen
Unterkünfte, wie z. B. Arbeiter- Medizin tätig, die bei den Einweisungen in die
wohnheime und ggf. die Vermitt- - Öffentlichkeitsarbeit bzgl. der The- Kälteschutzräume unterstützten, so
lung in diese matik „Zuwanderung/Kälteschutz“ dass wir mit unseren Hilfesuchenden
- Vermittlung zu geeigneten und - Mitarbeit in allen fachlich relevan- in insgesamt 15 Fremdsprachen kom-
fachspezifischen Beratungsstellen, ten Gremien. munizieren konnten.
die den aktuellen Beratungsprozess
ergänzen Entwicklung der Einrichtung und Gliederung des Tätigkeitsberichts
- Entwicklung positiver und realisti- aktuelles Team Der aktuelle Bericht ist unterteilt in
scher Lebensperspektiven Entgegen allen Befürchtungen ist die einen Teil bezüglich unserer Tätigkeit
- Rückkehrberatung und Rückkehr- Anzahl der Personen, die in der Be- in der Winterperiode (Kälteschutz)
hilfen in die Heimatländer richtsperiode den Kälteschutz in An- und unserer Arbeit in der Sommerpe-
- Entwickeln von Unterstützungs- spruch genommen haben, im Ver- riode (außerhalb des Kälteschutzes).
möglichkeiten in den Herkunftslän- gleich zum Vorjahr konstant geblie- Die gesamten Zahlen (Klientenbe-
dern der Zielgruppe; wenn möglich ben. Im Gegensatz dazu hat sich die stand, Beratungsangebot etc.) sind ge-
Aufbau eines Hilfenetzwerkes im Gesamtzahl der Personen, die unser sondert für die zwei sogenannten
Ausland (gemeinsam mit der Lan- Beratungsangebot nutzten, verdop- „Jahreszeiten“ ausgewertet. Die Aus-
deshauptstadt München und ande- pelt. Die Anzahl der Streetworkbege- wertung der aufsuchenden sozialen
ren Kommunen) hungen hat sich im Vergleich zum Arbeit erfolgt für das komplette Jahr.
• 7
Einführung
„Ohne Zuwanderung würde das Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2050 rund um ein Drittel sinken.
Das Bruttoinlandsprodukt und die Einkommen der einheimischen Bevölkerung sind durch die
Zuwanderung gestiegen.“
„Die gegenwärtig in Deutschland lebende ausländische Bevölkerung zahlt mehr Steuern und Abgaben als
sie personenbezogene Leistungen des Staates und der Sozialversicherungen bezieht.“
„Langfristig ergeben sich durch Zuwanderung erhebliche Nettogewinne für die öffentlichen Haushalte und
Sozialversicherungssysteme, weil die gegenwärtigen Zuwanderer sehr viel besser qualifiziert und in den
Arbeitsmarkt integriert sind als der Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung im Jahr 2012.“
„Ausländer tragen genauso wie Deutsche durch ihre Steuern und Abgaben zum Aufbau staatlichen
Vermögens bei, etwa durch staatliche Investitionen. Auch finanzieren sie durch ihre Steuern und Abgaben
die Defizite staatlicher Unternehmen.“
„Langfristige Effekte der Zuwanderung: Da Zuwanderer durchschnittlich jünger sind als die bereits in
Deutschland lebende Bevölkerung, steigt durch Zuwanderung das Verhältnis von Erwerbspersonen zu den
nicht mehr Erwerbstätigen. Die künftigen Zuwanderer tragen deshalb einen größeren Anteil des Transfers
der Erwerbstätigen an die ältere Generation als in der Gegenwart. Das verbessert die fiskalische Bilanz der
Zuwanderung. Durch die positiven Auswirkungen der Zuwanderer auf die Altersstruktur der Bevölkerung
müssen die Migranten allerdings nicht genauso gut wie die einheimische Bevölkerung qualifiziert und in
den Arbeitsmarkt integriert sein, damit ein positiver Nettobeitrag entsteht.“
• 9
net. Dies führte bei 215 Personen u. a.
zur Unterzeichnung eines Arbeitsver-
trages. Des Weiteren wurden – bei den
Hilfesuchenden, die sich in Notsitua-
tionen befanden - 368 mildtätige
Maßnahmen durchgeführt. In Einzel-
fällen wurde z. B. für Medikamente
eine geringfügige Geldsumme zur
Verfügung gestellt oder Schlafsäcke
wurden verteilt. In 270 weiteren Bera-
tungsmaßnahmen wurde allein das
Nationalität der Gesamtklienten (Sommerperiode) Thema Unterkunft besprochen sowie
die Erfolge der Hilfesuchenden, die ei-
ne Unterkunft finden konnten (Miet-
vertrag, Rechte, Pflichten etc.). Zu den
Themen Krankenversicherung, Über-
tragung der ausländischen Kranken-
versicherung, Beantragung einer neu-
en Krankenversicherung, Kranken-
hauskosten, Krankentransport-Ab-
rechnung, gesundheitliche Notver-
sorgung, Vermittlung zu Open.med,
Malteser Migranten Medizin und St.
Bonifaz, fanden insgesamt 233 Ge-
spräche statt. 123 Gespräche hatten
das Thema Rückkehr in die Heimat.
Davon wurden knapp 80 Fälle an die
Bahnhofsmission zwecks Rückfahr-
karte weitervermittelt. Ein weiteres
vorrangiges Beratungsthema bei un-
seren Hilfesuchenden sind Schulden.
Klientenbestand nach Alter(Sommerperiode) Da wir keine Schuldnerberatungsstel-
le sind, vermitteln wir in komplexen
Fällen zu der Schuldnerberatungsstel-
le des Evangelischen Hilfswerks. Ein-
fache Fragestellungen können wir al-
lerdings in einer Schuldnererstbera-
tung klären, da unsere Zielgruppe oft
über mangelnde Deutschkenntnisse
verfügt und die Schuldnerberatungs-
stellen Beratung nur in deutscher
Sprache anbieten können. Vor allem
die Fragen „Wie stelle ich einen Antrag
auf Ratenzahlung und was muss ich
dabei beachten?“ wurden in 123 Bera-
tungsmaßnahmen beantwortet.
• 11
W er will, der kann. Alles
ist möglich - Wege gibt es
Beratungstermin und einen
Flyer mit der Wegbeschreibung
überall. Der Wille ist die
Kraft, die mit ihrer Stärke
Der Wille zu unserer Einrichtung. Am
nächsten Tag erschien er wie
alles überwindet. Er ist nicht
angeboren, sondern wird mit
ist Kraft versprochen. Er erzählte,
dass das Haus am Abend davor
der Zeit erworben. Die aus- von der Polizei geräumt wor-
sichtslosen Situationen des den war und er plötzlich ob-
Lebens wirken wie ein Aktiva- dachlos war. Er bekam von uns
tor für unsere Willensstärke. einen Übernachtungsschein im
Dies gilt auch für unseren Kälteschutz. Iliya wollte
Klienten Iliya. wissen, was er alles für die
Arbeitssuche brauche. Im Lau-
Iliya ist 49 Jahre alt und fe der Beratung wurde ihm eine
kommt aus Bulgarien. Er ge- Postadresse eröffnet, damit
hört zu einer türkisch spre- er seine Briefe empfangen und
chenden Minderheit, ist ver- Arbeit suchen kann. Nach ei-
heiratet und hat zwei Söhne. ner Woche betrat er das Büro
Die Schule absolvierte er mit mit einem Lächeln. Er infor-
gutem Abschluss. Nach dem mierte uns, dass er eine Stel-
Wehrdienst arbeitete er in le als LKW-Fahrer hat. Der
einer Fabrik als Speditions- erste Schritt war gemacht.
leiter. Eines Tages wurde die
Fabrik privatisiert und Iliya Iliya hat nach einigen Mo-
wurde arbeitslos. Er fand un- naten auch eine Unterkunft
terschiedliche Aushilfsjobs gefunden. Später besuchte er
und verdiente ca. 200 Euro mo- einen Deutschkurs. Sein Ziel
natlich, was aber nicht genug ist nach wie vor, so schnell
war, um seine Familie über wie möglich seine Familie zu
Wasser zu halten. Er sah in sich zu holen. Dazu gehört
Bulgarien keine Perspektive auch seine Nichte, deren El-
mehr und entschied, 2013 nach tern bei einem Autounfall ums
Deutschland zu gehen. Als er Streetwork-Tätigkeit hin. In Leben gekommen sind. Er spart
in München ankam, erfuhr er, dem verfallenen Haus gab es Geld, um den Traum seines Le-
dass es eine Migrationsbera- keinen Strom und kein Wasser. bens mit der ganzen Familie in
tungsstelle für wohnungslose Die Menschen übernachteten München zu verwirklichen.
und obdachlose Menschen gibt. auf Matratzen und bezahlten „Ich hätte es allein nicht ge-
dafür Miete. Die Bewohner wa- schafft“, sagt Iliya. „Bei
Wir von Schiller 25 erhiel- ren sowohl Familien mit Kin- euch habe ich die Kraft bekom-
ten eines Tages eine Meldung: dern als auch alleinstehende men, um weiter zu kämpfen. Am
In einem Haus in Moosfeld wür- Männer und Frauen. Das war un- Anfang wart ihr es und danach
den viele Bulgaren in prekä- sere erste Begegnung mit der Wille. Danke!“
ren Wohnverhältnissen leben. Iliya. Er bekam sofort einen Mariana Doncheva und
Wir fuhren im Rahmen unserer Cem Inangil
• 13
Exkurs:
Tätigkeitsbereich
Niedriglohnsektor
1 Quelle: IAB, Aktuelle Berichte 14/2015: Flüchtlinge und andere Migranten am deutschen Arbeitsmarkt: Der Stand im September 2015, S. 6
2 Diakonie Deutschland, Unionsbürgerinnen und Unionsbürger in Deutschland 2014, S. 7
3 IAB, Aktuelle Berichte: Zuwanderungsmonitor Mai 2016, S. 5
• 15
Streetwork – eine ganzjährige Aufgabe
1 Zahlreiche Plätze mussten mehrmals begangen werden, da die Personen oft nicht angetroffen wurden.
2 In der gesamten Berichtsperiode war die Personalbesetzung deutlich besser als im Vorjahr, obwohl das Team nicht kontinuierlich voll
besetzt war.
3 Sicherheitsrechtliche Allgemeinverfügung über die Untersagung bestimmter Formen des Bettelns in Teilen des Stadtgebietes München
(KVR München vom 01.08.2014)
4 Hier findet permanent eine enge Zusammenarbeit mit den Streetworkern der Teestube „komm“ statt.
• 17
Streetwork: Klientenbestand
1 Es ist nicht immer möglich, die Obdachlosen beim Streetwork anzusprechen oder einen Kontakt herzustellen. Dies kommt insbesondere
vor, wenn die Personen schlafen, wenn sie sich in einem alkoholisierten Zustand befinden oder wenn diese jegliches Gespräch ablehnen.
„Ich war wieder im Kranken- letzt festhielt – trüben: Alexandru Nan möchte ich mich
haus. Kannst du entziffern, „Ach, und wenn sie mich fest- bedanken – er hat sich sehr
was ich wieder habe? Die Ärzte halten würden, was dann? Was eingesetzt, um den letzten Weg
haben wie immer auf Medizi- können sie mir wegnehmen? Die von Sila so wertschätzend wie
nisch geschrieben…“ Pferde vom Fahrrad? (Rumäni- möglich zu gestalten. Beim
sches Sprichwort; wird ver- Gottesdienst herrschte in der
Ich musste mich zusammen- wendet, wenn man nichts zu Kirche eine nahezu greifbare
reißen, vor allem weil die ge- verlieren hat.) In meinem Al- Stille. Sila war wieder die
sundheitliche Situation von ter muss ich ja kein Fahrrad einzige Frau unter den dutzen-
Sila ernst war. mehr fahren… Außerdem stehen den Obdachlosen – und alle ge-
wir auch diese schwierigen meinsam waren ein Teil dieser
„Auf Medizinisch?“ Zeiten zusammen durch“. Stille. In Erinnerung blieben
mir die von Trauer geprägten
„Ja, das ist doch die Spra- Sila wollte im Winter nicht Gesichter, der spürbare Zu-
che der Ärzte, weißt du nicht?“ in den Kälteschutz. „Ohne mei- sammenhalt zwischen den Men-
Und ihre Augen lachten, als nen Mann kann ich nicht schla- schen in diesen Stunden. Es
sie sprach, so dass ich nicht fen. In der Bayernkaserne muss waren die Männer, die ich aus
wusste, ob sie gerade einen ich ja alleine in den Frauen- der Beratung kannte: groß,
Witz machen wollte. bereich…“ stark, etwas grob, nicht be-
sonders sensibel – zumindest
In dem Beratungsprofil von Sie übernachteten gemeinsam nicht nach außen. Nun hielt
Sila gab es nichts Witziges. draußen, sowohl im Winter als jeder eine Kerze in der Hand,
Unabhängig davon, ob sie sich auch im Sommer. Dann, auf ein- schluchzend, zitternd, zer-
gerade wegen ihren Hepati- mal, erreichte mich die Nach- brechlich. Mir ging ein Satz
tis-Medikamenten oder wegen richt, dass Sila nicht mehr durch den Kopf, den ich in Ru-
der drohenden Abschiebung in unter uns sei. Es geschah im mänien oft gehört hatte „Män-
der Beratung befand, ob sie Krankenhaus. Sie wurde von ei- ner weinen nicht“. Obdachlose
über die Vergangenheit redete nem Rettungswagen von ihrem schon. Der Mann von Sila stand
– über Kommunismus, Revoluti- Schlafplatz abgeholt, ihr Mann ganz vorne, in der ersten Rei-
on, Kapitalismus oder Armut, durfte nicht mitfahren. Sie he. Er stand da und versuchte,
über ihren damaligen Beruf als ist alleine verstorben; die nicht zusammenzubrechen. Sei-
Straßenkehrerin oder über ihr Krankenschwester erzählte ne Kerze schien mit ihm zusam-
einziges, nicht geborenes Kind später, dass sie ihr eine Ker- men zu weinen – riesige Wach-
– alles kam mir sehr ernst ze angezündet hatte. stränen auf seinen Fingern,
vor. Diese aussichtslosen Er- auf der braun polierten Bank,
eignisse konnten aber weder Danach folgte die schönste auf dem Boden.
ihren Sinn für Humor noch ihre Beisetzung, die ich je gesehen Adriana Mihaita,
Hoffnung – an der sie bis zu- habe. Vor allem beim Priester Ema Grigore, Andreea Untaru
• 19
Informationsreise nach Rumänien
• 21
Kälteschutz 1. November 2015 – 31. März 2016
Erstkontakte im Kälteschutz
>
1 Es wurden hier nicht alle Länder erfasst, sondern nur die ersten Positionen aus der Statistik
• 23
Aufenthalt vor der Anreise nach Die Auswertung der Frage nach Italien, 14 aus anderen deutschen Städ-
München dem Aufenthalt vor München führte ten und 8 aus anderen EU-Ländern. Die
Ähnlich wie in der Sommerzeit ist wie- bei den Personen aus Marokko und Ni- nigerianischen Staatsbürger kamen
der der Hintergrund der EU-Zuwande- geria zu folgendem Ergebnis: Aus der ebenso hauptsächlich aus Italien (17
rung erkennbar.1 Mehrere KlientInnen Gesamtzahl der 88 Marokkaner kamen Personen) oder Deutschland bzw. aus
rumänischer und bulgarischer Her- 13 Personen direkt aus Marokko, 53 aus anderen EU-Ländern (13 Personen).
kunft hielten sich vor München in an-
deren deutschen Städten oder in Itali-
en auf. 243 KlientInnen gaben an, sich Aufenthalte vor der Anreise nach München (Kälteschutz)
vor dem ersten Kontakt zu unserer Be-
ratungsstelle in München aufgehalten
zu haben, was darauf schließen lässt,
dass die Obdachlosigkeit in München
entstanden ist. Jedoch ist diese Angabe
nur eingeschränkt gültig. Zum einen
wurden nicht alle KlientInnen, die den
Kälteschutz in Anspruch nahmen, be-
raten, sondern es gab nur einen kurzen
Erstkontakt zur Einweisung für den
Übernachtungsplatz. Zum anderen ist
davon auszugehen, dass nicht alle be-
fragten KlietInnen die Fragestellung
„Aufenthalt vor München“ richtig ver-
standen haben.
Flüchtlinge im Kälteschutz aus diesen Ländern zwischen einer aufgelisteten Ländern (Höchstzahl:
Auch die Flüchtlingssituation spie- und drei Einweisungen erhalten. Die 53 Personen aus Syrien; niedrigste
gelt sich in der Kälteschutzauswer- 222 Personen kamen aus den hier Zahl: 2 Personen aus Eritrea).
tung wider. Bereits Mitte November
erhielten wir von der Leitung des
Amtes für Wohnen und Migration
den Auftrag, Flüchtlinge auf
Durchreise für ein paar Nächte im
Kälteschutz aufzunehmen. Bei ihrer
Ankunft wurden die Flüchtlinge auf
die Möglichkeit der Registrierung
hingewiesen. Waren sie auf der
Durchreise und wollten ohnehin nur
einen oder zwei Tage in München
bleiben, dann wurden sie zur Über-
nachtung im Kälteschutz aufgenom-
men. Des Weiteren fanden hierzu Ab-
sprachen mit dem Roten Kreuz und
mit den Ehrenamtlichen, die am zen-
tralen Omnibusbahnhof die Flücht-
lingssituation koordinierten, statt.
Durchschnittlich haben die Personen
• 25
Kälteschutz 1. November 2015 – 31. März 2016
• 27
Einweisungen und Bettenbelegung schutz. Der Tag mit der höchsten Bele- prinzipiell für drei Nächte erstellt, es
Im ausgewerteten Zeitraum gab es gung war der 09.03.2016 mit 474 Al- sei denn, die Hilfesuchenden verlan-
insgesamt 152 Kälteschutz-Nächte leinstehenden und Paaren ohne Kin- gen eine Einweisung für einen kürze-
(Vorjahr: 156 Nächte). Im Haus 12 der der. Wenn man die letzten drei Jahre ren Zeitraum. Menschen, die nach der
Bayernkaserne standen insgesamt vergleicht, schaut die durchschnittli- ersten Nacht in der Bayernkaserne
822 Betten zur Verfügung. Ab dem che Bettenbelegung bei den Alleinste- feststellen, dass sie dieses Angebot
12.02.2016 musste der südwestliche henden und Familien ohne Kinder nicht wahrnehmen können/möchten
Teil des Hauses den Flüchtlingen zur wie folgt aus: (z. B. aufgrund von physischen oder
Verfügung gestellt werden. Ab diesem psychischen Krankheiten, aufgrund
Zeitpunkt wurden die Elternteile mit Durchschnittliche Personen der räumlichen Entfernung der Kälte-
Kindern in einer Pension unterge- pro Nacht im Kälteschutz schutzräume zur Innenstadt oder feh-
bracht, so dass in der Bayernkaserne 2013 / 2014 2014 / 2015 2015 / 2016 lender finanzieller Mittel für die Fahrt
nur noch 582 Plätze zur Verfügung in die Bayernkaserne) verzichten
203 310 332
standen. Zusätzlich wurden von der gleich nach der ersten Nacht auf die
Heilsarmee 13 Schlafplätze für Män- Einweisung. Diese Tatsache führt zu
ner mit gesundheitlichen Problemen Für Alleinstehende und Paare der hohen Zahl der nicht genutzten
bereitgestellt. ohne Kinder wurden im Berichtszeit- Betten.
raum insgesamt 50.489 Schlafplätze
Ähnlich wie im Vorjahr wurden genutzt; dies weist eine
die Einweisungen für Alleinstehende Steigerung von 4 % im Ver-
und Paare ohne Kinder für maximal gleich zum Vorjahr nach.
drei Nächte in der zentralen Einwei- In der Kälteschutzperiode
sungsstelle Schiller 25 erstellt. Für Fa- 2014/ 2015 wurden 48.454
milien mit Kindern waren unsere Kol- Schlafplätze genutzt.
leginnen von FamAra, ebenso eine
Einrichtung des Evangelischen Hilfs- Die Zahl der ausge-
werks, zuständig. Nach Ende der Öff- stellten Einweisungsschei-
nungszeit von FamAra (ab 16:00 Uhr), ne lag im Berichtszeitraum
am Wochenende und an Feiertagen gesamt bei 63.168, was
erhielten die Familien mit Kindern Auskunft darüber gibt,
die Kälteschutz-Einweisungen in der dass 20 % der Betten, für
Schillerstraße 25. die eine Einweisung er-
stellt wurde, nicht genutzt
Durchschnittlich zählten wir wurden. Die Kälteschutz
332 Personen pro Nacht im Kälte- einweisungen werden
Anzahl der Einweisungen pro Nacht wurden für 1–2 Monate im Kälteschutz
2014/2015 2015/2016
pro Person eingewiesen und 290 Personen erhiel-
Im Berichtszeitraum erhielten 159 Per- ten Einweisungen für mehr als 2 Mona- 1 Nacht 3% 6%
sonen Einweisungen für eine Nacht. te. Ähnlich wie im vergangenen Winter
1.442 Personen übernachteten insge- sah die Mehrheit unserer Klientel das 2-9 Nächte 57 % 49 %
samt zwischen 2 und 9 Nächten im Käl- Kälteschutzangebot als vorübergehen-
teschutz. 390 Personen nahmen zwi- de Übernachtungsmöglichkeit. 10-19 Nächte 12 % 13 %
schen 10–19 Nächte das Kälteschutz-
20-30 Nächte 6% 9%
programm in Anspruch. 249 Personen Die Anzahl der Einweisungen
erhielten Einweisungen für 20–30 pro Person und Nacht ist ähnlich wie
Über 1 Monat 22 % 23 %
Nächte im Kälteschutz. 388 Personen im Vorjahr:
• 29
D er bordeauxrote Dienstwa-
gen mit dem Logo des Evan-
gelischen Hilfswerks biegt
Als sich die Türen des in-
zwischen vor der Herberge
geparkten Fahrzeuges öffnen,
Stille wandelt sich im Hand-
umdrehen in eine Ausgelas-
senheit. Es scheint als wür-
um die Kurve zum Ostflügel des scheint das bunte Treiben den die Kinder ebenfalls die
Hauses 12 auf dem Gelände der für einen Moment still zu Geheimsprache der Künstler
Bayernkaserne. Es ist ein stehen. Die Sozialarbeiter sprechen. Das Lachen und
gewöhnliches Bild an einem sind an diesem Tag in Beglei- Kreischen der Kinder ziehen
dunklen Dezemberabend. Trotz tung. Es sind zwei Clowns mit wie ein Magnet immer mehr
der frischen Temperaturen Pippi-Langstrumpf-Frisuren Mütter und Kinder nach drau-
herrscht reger Betrieb: Kin- und gelben Staubwendeln in ßen.
der eilen mit Fahrrädern und der Hand, die kaum aus dem
Rollern kreuz und quer, Müt- Wagen gestiegen, wilde und Die angesammelte Gruppe
ter unterhalten sich vor der dennoch liebevolle Gesten geht nun geschlossen in ei-
Herberge sitzend miteinan- und Pantomime zum Ausdruck nen großen Raum im Erdge-
der, während sie jede Bewe- bringen und dadurch die Auf- schoss des Hauses. Kinder,
gung ihrer Zöglinge beäugen. merksamkeit aller Anwesenden Väter, Mütter mit Babys auf
erwecken. Die anfängliche dem Arm nehmen auf Betten,
Stühlen und Tischen Platz. Sobald sich die zwei Clowns Eine weitere Viertelstunde
Nun kann die Show beginnen. zu den anderen Gästen ins Pu- zaubert der Magier allen ein
Die Clowns ziehen aus ihren blikum gesellen, setzt laute Lächeln ins Gesicht. Zum
mitgebrachten Körben Musik- Musik ein und erzeugt die nö- Schluss bekommt jedes Kind
instrumente, Ratschen und tige Spannung, um die Zau- eine große Tasche überreicht:
einen überdimensionierten bertricks des Magiers zu be- Mandarinen, Nüsse, Süßes so-
Staubwedel, mit dem sie ihre gleiten. Mit großen Augen wie warme Strickmützen und
improvisierte Show unterma- verfolgen nun alle die flin- Schals sind darin verpackt.
len. ken Hände des ehrenamtlichen Ein besonders schöner Abend
Künstlers. Wie von Zauber- in der täglichen Routine des
Nach einer knappen halben hand bewegt er seinen Stab Kälteschutzprogrammes geht
Stunde stürmt plötzlich eine durch die Luft, zaubert den zu Ende.
schwarz gekleidete Person kleinen Gästen rote Clown-Na- Arnold Tolnai
aus dem Publikum zu den bei- sen ins Gesicht, um sie einen
den Clowns. Es kommt zu einem Moment später bei den Älte-
weiteren Höhepunkt des ren, hinter dem Ohr, wieder
Abends: eine Magier-Show. auftauchen zu lassen.
• 31
Kälteschutz 1. November 2015 – 31. März 2016
• 33
Von links:
Cemil Inangil, Emil Ivanov, Sorina Grigore,
Tsvetomira Petrova, Mariana Doncheva,
Andreea Untaru, Adriana Mihaita, Milka
Musovic, Florentina Ion, Arnold Tolnai,
George Tapciuc.
Klausurtag 2016
Danksagung
Bei folgenden Einrichtungen, Ämtern, Kooperationspartnern, Kolleginnen und Kollegen, Spenderinnen
und Spendern möchten wir uns für die sehr gute Zusammenarbeit recht herzlich bedanken:
• 35
Finanzielle Unterstützung, die steuerlich abzugsfähig ist, erbitten wir auf das Spendenkonto:
HypoVereinsbank / Kto.-Nr.: 275 44 44 / BLZ: 700 202 70
BIC: HYVEDEMMXXX / IBAN: DE33 7002 0270 0002 7544 44.
Bitte geben Sie bei allen Zahlungen den Betreff „Schiller 25“ an.