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WÄHRUNGS

KRIEG
Der Kampf um die
monetäre Weltherrschaft

JAmes
RICKARDS
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1. Auflage 2012

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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »CURRENCY WARS« bei Portfolio, einem
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vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein
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Übersetzung: Thomas Pfeiffer, Sigrid Schmid, Heike Schmidt


Lektorat: Moritz Malsch, Buch-Concept
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
Druck: CPI Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN Print 978-3-89879-686-6


ISBN E-Book (PDF): 978-3-86248-262-7

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Für Ann, Scott, Ali, Will und Sally – mit Liebe und Dankbarkeit. Und zum
Gedenken an meinen Vater, Richard H. Rickards, der im Zweiten Weltkrieg
als Soldat im Pazifik eingesetzt wurde.
»Da nun das Geld gebrach im Lande Ägypten und Kanaan, kamen alle
Ägypter zu Joseph und sprachen: Schaffe uns Brot! Warum lässt du uns
sterben, darum daß wir ohne Geld sind?«
1. Buch Mose, 47.15
Inhalt
Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert .. . . . . . . . 9
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Teil 1 K riegsspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

T eil 2 Währungskriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter . . . . . . . . . 63
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) . . . . . . . . . . . 89
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) . . . . . . . . . 118
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) .. . . . . . . . . . . . . . . 143
Kapitel 7 – Die G20-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

T eil 3 Die nächste globale K rise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197


Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus . . . . . . . . . . . . 199
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft . . . . 227
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität . . . . . . . . . . . 261
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? . . . . . . . . . . . . 300

Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Anmerkungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

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Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert
Als ich mich Ende 2009 daran machte, mein Buch »Weltkrieg der Währun-
gen« zu schreiben, war die Vorstellung, dass Dollar, Euro und Yuan von den
Regierungen als Kampfmittel genutzt werden, den meisten Bürgern noch
fremd. US-Militärstrategen waren gedanklich schon einen guten Schritt
weiter als die Öffentlichkeit: Zu der Zeit fragten die Verteidigungsexperten
den Wall-Street-Berater James Rickards, ob er für sie eine geheime Simulati-
on mitgestalten könne. In diesem Kriegsspiel waren die Vereinigten Staaten
und vor allem der Dollar das Ziel eines großangelegten finanziellen Angriffs.
Der alte Gegner Russland und vor allem China hatten es, so wurde dar-
in simuliert, darauf abgesehen, die Leitwährung zu zerstören. Seine Erfah-
rungen in dem Planspiel Währungskrieg haben Rickards zu einem eigenen
Buch inspiriert. Seiner Beschreibung der virtuellen Attacke auf den Dollar –
er nennt es finanzielles Pearl Harbor – liest sich spannend wie ein Krimi und
sei jedem Leser ans Herz gelegt. Der Ausgang des Kriegsspiels soll an dieser
Stelle nicht verraten werden, nur so viel: Jeder von uns ist betroffen, jeder
von uns wird dafür bezahlen – eine Diagnose, zu der auch ich in »Weltkrieg
der Währungen« (FinanzBuch Verlag) komme, das jetzt in überarbeiteter
und erweiterter Neuauflage vorliegt.

Heute ist der Währungskrieg eine anerkannte Realität, so geschickt ihn die
offiziellen Stellen auch zu verbergen suchen. Die Machtzentralen der füh-
renden Wirtschaftsblöcke USA, Europa und China manipulieren ihre Zah-
lungsmittel, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen. Ebenso wie die
wichtigen Nebenakteure Japan, Großbritannien, Russland und die Schweiz
nehmen sie in Kauf, dass der Wert des Geldes zerrüttet wird. In diesem
riskanten Spiel ums Welt-Geld scheinen die USA die Nase vorn zu ha-
ben. Washington ist es gelungen, seine Währung abzuwerten, den anderen
»Wachstum zu stehlen« (wie Rickards es nennt), ohne Verwerfungen an den

9
Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert

heimischen Kapitalmärkten zu provozieren. Europa hingegen hat sich unbe-


darft ins finanzielle Chaos stoßen lassen. Wegen der Schuldenkrise fällt der
Euro als ernstzunehmende Alternative zum Dollar für geraume Zeit aus. Am
geschicktesten nutzt China die Möglichkeiten des Finanzkriegs: Mit konfu-
zianischer Ausdauer baut es seinen Renminbi zur Weltwährung auf, obwohl
der eigentlich keine starke Währung ist.

Konflikte, die mit Zahlungsmitteln ausgetragen werden, sind in der Ge-


schichte keine Seltenheit. Allein das 20. Jahrhundert brachte zwei davon
hervor. Den ersten Weltkrieg der Währungen terminiert Rickards auf die
Jahre 1921 bis 1936, den nächsten auf den Zwanzigjahreszeitraum von
1967 bis 1987. Der zweite brachte eine große Inflation und die Zerstörung
von Millionen privater Vermögen. Der erste war in seiner Wirkung noch
­verheerender: Er zog die Große Depression nach sich und vergiftete das in-
ternationale Klima auf so extreme Weise, dass er dem Zweiten Weltkrieg den
Boden bereitete.

Heute liegt ein dritter Weltkrieg der Währungen in der Luft. Der Wohlstand
der Welt steht auf dem Spiel. Daher kann es gar nicht genug intelligente Bü-
cher über den Währungskrieg geben. Der Schlagabtausch, der sich im Ver-
borgenen abspielt, muss an die Öffentlichkeit. Der US-Bürger Rickards be-
schreibt diesen Konflikt aus amerikanischer Perspektive. Ihn beschäftigt vor
allem die Frage, wie dem Dollar angesichts der Mammutverschuldung der
USA eine Hyperinflation erspart bleiben kann. Uns Europäern bietet die-
ses Buch gleichwohl viel Aufschlussreiches. Denn je mehr der Weltkrieg der
Währungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln ausgeleuchtet wird, je mehr
Menschen die Formationen der monetären Schlachtordnung kennen, desto
besser. Auf diese Weise wird es den kriegstreibenden Parteien auch in Eu-
ropa schwerer fallen, unser Geld für ihre Zwecke zu manipulieren und die
Weltordnung ins Wanken zu bringen.

Daniel Eckert, Autor von »Weltkrieg der Währung«, Berlin im März 2012

10
Vorwort
Am 15. August 1971, einem ruhigen Sonntagabend, trat Präsident Ni-
xon in der beliebtesten Fernsehshow des Landes vor die Kameras, um den
Amerikanern seine New Economic Policy vorzustellen. Die Regierung ver­
hängte nationale Lohn- und Preiskontrollen, setzte einen Aufschlag auf
­Importe fest und hob die Dollarkonvertibilität zum Gold auf. Durch ei-
nen seit l­ängerem schwelenden Währungskrieg, der das Vertrauen in den
US-Dollar erschüttert hatte, war das Land in eine Krise gestürzt und der
­Präsident zu dem Schluss gekommen, dass die Lage extreme Maßnahmen
er­forderte.

Heute sind wir in einen neuen Währungskrieg verstrickt und bahnt sich ei-
ne neuerliche Krise des Vertrauens in den Dollar an. Dieses Mal werden die
Konsequenzen weitaus schlimmer sein als jene, mit denen Nixon sich sei-
nerzeit konfrontiert sah. Die voranschreitende Globalisierung und das ex-
plosive Wachstum der Derivate und der Kreditfinanzierung in den vergan-
genen 40 Jahren haben dafür gesorgt, dass finanzielle Panikreaktionen und
Epidemien praktisch nicht mehr begrenzt werden können.

Die neue Krise wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Devisenmärkten
beginnen und rasch auf die Aktien-, Anleihen- und Rohstoffmärkte über-
greifen. Wenn der Dollar kollabiert, werden auch die in Dollar geführten
Märkte kollabieren und die Panik sich rasch auf die gesamte Welt ausweiten.

Folglich wird wieder einmal ein US-Präsident – vermutlich Barack Obama –


im Fernsehen (und im Cyberspace) vor das amerikanische Volk treten und
radikale Maßnahmen ankündigen, um den Dollar vor dem völligen Kollaps
zu retten, und sich dabei auf eine ihm kraft seines Amtes zustehende Au-
torität berufen, die schon einmal von einem amerikanischen ­Präsidenten

11
Vorwort

in Anspruch genommen worden war. Dieser neue Plan könnte sogar eine
Rückkehr zum Goldstandard beinhalten. Falls Gold als Sicherheit verwen-
det wird, wird sein Preis gegenüber heute um ein Vielfaches höher festge-
setzt werden, um die aufgeblähte Geldmenge mit der verfügbaren Quanti-
tät an Gold absichern zu können. Amerikaner, die in Gold investiert haben,
werden eine »Spekulationssteuer« in Höhe von 90 Prozent auf ihren unver­
hofften Neureichtum entrichten müssen, verhängt im Namen der Gerechtig-
keit. Das Gold, das die Europäer und Japaner derzeit in New York deponiert
haben, wird konfisziert und in den Dienst der New Dollar ­Policy gestellt
werden. Natürlich werden die Europäer und Japaner für ihr abhanden­
gekommenes Gold entsprechende Zertifikate erhalten, die sie dann zu
­neuen, höheren Kursen in »New Dollar« konvertieren können.

Alternativ könnte der Präsident sich gegen eine Rückkehr zum Gold ent-
scheiden und stattdessen mit einer Mischung aus Kapitalverkehrskontrollen
sowie einer globalen Geldschöpfung durch den Internationalen Währungs-
fonds (IWF) für frische Liquidität sorgen und die Situation stabilisieren.
Diese weltweite Rettungsaktion durch den IWF wird nicht mit alten, nicht
konvertierbaren US-Dollar geschehen, sondern in einer neu gedruckten
­globalen Währung namens SZR. Das Leben wird weitergehen, aber das in-
ternationale Währungssystem wird nicht mehr dasselbe sein.

Das sind keine weit hergeholten Spekulationen. Das alles hat es schon ein-
mal gegeben. Immer wieder sind Papierwährungen kollabiert, wurden Ver-
mögenswerte eingefroren, Goldvorräte konfisziert und Kapitalverkehrskon-
trollen verhängt. Auch die Vereinigten Staaten waren davor nicht gefeit, im
Gegenteil, sie haben von den 1770er- bis in die 1970er-Jahre durch Un-
abhängigkeitskrieg, Bürgerkrieg, Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation
in der Carter-Ära hindurch immer wieder aktiv die Abwertung des Dollars
betrieben. Die Tatsache, dass die Währung nun schon seit einer Generati-
on nicht mehr kollabiert ist, ist nur ein Indiz dafür, dass der nächste Crash
überfällig ist. Das hat nichts mit Vermutungen zu tun – die Voraussetzungen
dafür sind bereits erfüllt.

12
Vorwort

Unter ihrem Vorsitzenden Ben Bernanke hat sich die US-Notenbank Fe-
deral Reserve auf die größte Wette in der Finanzgeschichte eingelassen. Ab
2007 kämpfte die Fed mithilfe einer Senkung der kurzfristigen Zinssätze
und großzügiger Kreditvergabe gegen den drohenden ökonomischen Kol-
laps an. Irgendwann war der Zinssatz auf null gefallen, und es sah aus, als
hätte die Fed keine Kugeln mehr im Magazin.

Doch dann, 2008, fand die Fed eine neue Kugel: die quantitative Locke-
rung. Die Fed beschreibt das Programm zwar als eine Lockerung der
finanziellen Rahmenbedingungen durch die Reduzierung der langfris-
­
tigen Zinssätze, tatsächlich aber handelt es sich um nichts anderes als das
­Drucken von frischem Geld mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum anzu-
kurbeln.

Die US-Notenbank versucht, die Preise für Anlage- und Verbrauchsgüter


sowie Rohstoffe aufzublähen, um so die auf einen Kollaps folgende natürli-
che Deflation auszugleichen. Im Prinzip kämpft sie in einem Tauziehen ge-
gen die Deflation, die normalerweise mit einer Depression einhergeht. Wie
üblich beim Tauziehen passiert zunächst nicht viel. Die Teams sind ähnlich
stark besetzt, und eine ganze Weile bewegt sich nichts, nimmt nur die Span-
nung im Seil zu. Irgendwann aber lässt die Kraft auf der einen Seite nach,
und sie wird vom Team auf der anderen Seite über die Mittellinie gezogen.
Das ist das Spiel, das die Fed betreibt. Sie muss die Inflation anheizen, bevor
es zur Deflation kommt. Sie muss das Tauziehen gewinnen.

Beim Tauziehen ist das Seil das Medium, über das die Zugkräfte zwischen
beiden Seiten übertragen werden. Um eben dieses Seil geht es in diesem
Buch. In dem Wettstreit zwischen Inflation und Deflation ist der Dollar das
Seil. Der Dollar trägt die ganze Belastung der einander entgegengesetzt wir-
kenden Kräfte und überträgt diese Belastung auf die gesamte Welt. Am Wert
des Dollar lässt sich ablesen, wer bei diesem Kräftemessen den Sieg davon-
trägt. Bei diesem Tauziehen handelt es sich allerdings keineswegs um einen
sportlichen Wettkampf, sondern um einen ausgewachsenen Währungskrieg

13
Vorwort

und einen Angriff auf den Wert aller Aktien, Anleihen und Wirtschafts­güter
auf der Welt.

In der für die Fed besten allen möglichen Welten steigen die Vermögens-
werte, werden die Banken gesünder, schmilzt die Staatsverschuldung, und
keiner scheint etwas davon zu merken. Doch indem er in einem beispiello-
sen Maß frisches Geld drucken lässt, ist Bernanke zu einem Pangloss des
21. Jahrhunderts geworden, der auf das Beste hofft, ohne jedoch auf das
Schlimmste vorbereitet zu sein.

Es besteht die sehr reale Gefahr, dass die Gelddruckerei der US-Notenbank
unvermittelt in eine Hyperinflation umschlägt. Selbst wenn die Inflation
die Verbraucherpreise unberührt lässt, kann sie sich in den Vermögensprei-
sen niederschlagen und zu Blasen bei Aktien, Rohstoffen, Immobilien und
anderen »harten« Vermögenswerten führen – Blasen, die wie die Internet­
blase 2000 oder die Immobilienblase 2007 früher oder später platzen wer-
den. Die Fed behauptet zwar, über die Instrumente zu verfügen, um eben
das zu verhindern, aber diese Instrumente sind bislang weder unter solchen
­Umständen noch in einem derart großen Maßstab angewendet worden.
Die Heilmittel der Fed – höhere Zinssätze und knappes Geld – können auf
­direktem Wege in genau die Art von Abschwung führen, die zu vermeiden
sich die Fed eigentlich auf die Fahne geschrieben hat. Die US-Wirtschaft
­balanciert auf Messers Schneide zwischen Rezession und Hyperinflation.
Millionen von Investoren, Unternehmen und Arbeitnehmern in den USA
fragen sich, wie lange die Fed die Balance noch halten kann.

Schlimmer noch, nichts davon ereignet sich in einem Vakuum. Würden


sich die geldpolitischen Manipulationen der Fed auf die US-Wirtschaft be-
schränken, wäre das eine Sache, aber das tun sie nicht. Wenn Dollar ge-
druckt werden, hat das globale Auswirkungen; mit ihrer Strategie der quan-
titativen Lockerung hat die amerikanische Notenbank im Prinzip dem Rest
der Welt den Währungskrieg erklärt. Viele der befürchteten Auswirkungen
des von der Fed gefahrenen Kurses auf die Vereinigten Staaten zeigen sich

14
Vorwort

bereits heute im Ausland. Wenn die USA Dollar drucken, führt das zu ei-
nem Anstieg der Inflation in China, zu steigenden Nahrungsmittelpreisen
in Ägypten und zu Aktienblasen in Brasilien. Mit dem Rückgriff auf die
Notenpresse werten die USA ihre Schulden ab und werden ausländische
Schuldner mit billigeren Dollar bedient. Die Abwertung der US-Währung
verschärft in Entwicklungsländern die Arbeitslosigkeit, da ihre Exporte für
Amerikaner teurer werden. Die daraus resultierende Inflation bewirkt zu-
dem ein Anziehen der Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Erdöl, Mais und
Weizen, auf die die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer angewiesen
sind. Kein Wunder, dass die ersten Länder schon dabei sind, sich mit Ins-
trumenten wie Subventionen, Einfuhrzöllen und Kapitalverkehrsbeschrän-
kungen gegen die von den USA exportierte Inflation zur Wehr zu setzen.
Der Währungskrieg breitet sich rasch aus.

Dass die Fed im Billionen-Maßstab Dollar drucken lässt, mag ein neu-
es Phänomen sein, Währungskriege sind es nicht. Währungskriege gab es
schon zuvor – allein im 20. Jahrhundert zwei –, und noch jedes Mal sind sie
schlecht ausgegangen. Im besten Fall zeigen Währungskriege das traurige
Spektakel von Ländern, die von ihren Handelspartnern Wachstum stehlen.
Im schlimmsten Fall arten sie zu einem Wechselspiel aus Inflation, Rezes-
sion, Vergeltung und tatsächlicher Gewalt aus, wenn der Wettlauf um Res-
sourcen mit Invasionen und Kriegen endet. Die historischen Präzedenzfälle
sind schon ernüchternd genug, aber die Risiken heute sind noch größer, ex-
ponentiell gesteigert durch das Ausmaß und die Komplexität der weltweiten
finanziellen Vernetzung und Verflechtung.

Rätselhaft für viele Beobachter ist das krasse Unvermögen der Ökono-
men, die wirtschaftlichen Katastrophen der letzten Jahre vorherzusagen, ge-
schweige denn zu verhindern. Ihre Theorien haben nicht nur das Unglück
nicht abgewendet, sondern sie verschlimmern die Währungskriege sogar
noch. Die neuesten Lösungsvorschläge der Ökonomen, wie die Einführung
einer neuer globalen Währung namens SZR, bergen versteckte neue Gefah-
ren, ohne dabei auch nur ein einziges der aktuellen Dilemmata zu lösen.

15
Vorwort

Zu den neuen Gefahren zählen nicht nur Bedrohungen des wirtschaftlichen


Wohlergehens der Vereinigten Staaten, sondern auch ihrer nationalen Si-
cherheit. Seit die nationalen Sicherheitsexperten traditionell dem Finanz-
ministerium überlassene Währungsfragen unter die Lupe nehmen, rücken
kontinuierlich neue Bedrohungen ins Visier, von heimlichen Goldkäufen
der Chinesen bis hin zu den heimlichen Agenden großer Staatsfonds. Grö-
ßer als irgendeine einzelne Bedrohung aber ist die Gefahr, dass am Ende
ein Zusammenbruch der amerikanischen Währung steht. Wie hochrangige
Militärs und Geheimdienstler inzwischen erkannt haben, können die Verei-
nigten Staaten ihre einzigartige militärische Vorherrschaft nur mithilfe einer
ebenso dominanten Rolle des US-Dollar aufrechterhalten. Das Ende des
Dollar würde auch das Ende der nationalen Sicherheit der USA bedeuten.

Auch wenn der Ausgang des gegenwärtigen Währungskriegs noch offen


ist: Falls die amerikanischen und globalen Wirtschaftsführer es versäumen,
aus den Fehlern ihrer Vorgänger zu lernen, droht uns aller Wahrscheinlich-
keit nach in der einen oder anderen Form das Worst-Case-Szenario. Die-
ses Buch untersucht den aktuellen Währungskrieg aus dem Blickwinkel der
Wirtschaftspolitik, der nationalen Sicherheit und historischer Präzedenzfäl-
le. Es entwirrt das Geflecht aus fehlerhaften Paradigmen, naiven Wunsch-
vorstellungen und schlichter Arroganz, das die derzeitige Politik anleitet,
und weist den Weg hin zu einem besser informierten und effektiveren Han-
deln. Am Ende wird der Leser verstehen, warum der neue Währungskrieg
der heute weltweit wichtigste Konflikt ist – der Konflikt, dessen Ausgang
über den Ausgang aller anderen Konflikte entscheiden wird.

16
Teil 1
K riegsspiele
Kapitel 1 –
Kriegsvorbereitungen
»Das gegenwärtige internationale Währungssystem ist ein Produkt der
Vergangenheit.«1
Hu Jintao,
Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas,
16. Januar 2011

Das Applied Physics Laboratory, auf gut 160 Hektar ehemaligem Acker-
land halbwegs zwischen Baltimore und Washington D.C. gelegen, gehört zu
den Kronjuwelen in dem von den USA unterhaltenen System streng gehei-
mer Hightech-Laboratorien für angewandte Physik und Waffenforschung.
Die Einrichtung arbeitet eng mit dem Verteidigungsministerium zusammen,
und zu ihren Spezialgebieten gehören fortschrittliche Waffensysteme und
Weltraumerkundung. Mitarbeiter des Labors erzählen Besuchern gerne mit
Stolz, dass sich entweder auf der Oberfläche oder doch zumindest in unmit-
telbarer Nähe des Mondes und jedes einzelnen Planeten im Sonnensystem
ein vom APL entwickeltes Gerät befindet.

Das Applied Physics Laboratory wurde 1942 kurz nach dem japanischen
Angriff auf Pearl Harbour in aller Eile aufgebaut, um mithilfe angewandter
Wissenschaft die Entwicklung neuer Waffen voranzutreiben. Ein Großteil
der Waffen, die das US-Militär in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs
benutzte, war entweder veraltet oder wirkungslos. Das Labor war ursprüng-
lich in einer ehemaligen Gebrauchtwagenhandlung an der Georgia Avenue
in Silver Spring, Maryland, untergebracht, die das Kriegsministerium re-
quiriert hatte. Von Anfang an unterlag das Labor der Geheimhaltung, auch
wenn sich die Sicherheitsmaßnahmen im Gegensatz zu den hochempfindli-
chen Sensoren und mehrstufigen Sicherheitsbereichen, die das Labor heute

19
Teil 1 Kriegsspiele

schützen, damals noch auf ein paar bewaffnete Wachposten beschränkten.


Die erste Mission des APL bestand in der Entwicklung eines Annäherungs-
zünders für die Flugabwehr, mit dem sich Kriegsschiffe wirksamer gegen
Luftangriffe verteidigen konnten und der später neben der Atombombe und
dem Radar als eine der drei für den Sieg der USA im Zweiten Weltkrieg
wichtigsten technologischen Neuentwicklungen betrachtet werden sollte.
Nicht zuletzt wegen dieser frühen Erfolge sind die Programme, das Budget
und die Einrichtungen des Labors seitdem kontinuierlich ausgebaut wor-
den. Zu den in den letzten Jahrzehnten am APL für das Verteidigungsminis-
terium und die NASA entwickelten Waffen- und Weltraumsystemen zählen
der Tomahawk-Marschflugkörper, das Aegis-Raketenabwehrsystem und als
Unikate hergestellte Raumflugkörper.

Über die Waffen- und Weltraumforschung hinaus hat die Tätigkeit des
Applied Physics Laboratory für das amerikanische Militär immer schon
auch eine ausgeprägte intellektuelle und strategische Komponente auf-
gewiesen. Eine herausragende Stellung unter diesen abstrakteren Funk-
tionen des APL nimmt das Warfare Analysis Laboratory ein, eine der
US-weit führenden Einrichtungen für Planspiele und strategische Pla-
nung. Dank seiner Nähe zu Washington D.C. wird das Labor gerne für
Kriegführungs­simulationen verwendet. Im Laufe der Jahrzehnte sind dort
zahlreiche Kriegsplan­spiele durchgeführt wurden. Eben aus diesem Grund,
zur ­Durchführung eines vom Pentagon in Auftrag gegebenen Planspiels, ka-
men an e­ inem regnerischen Morgen im März 2009 rund 60 Experten aus
Militär-, Nachrichtendienst- und Wissenschaftskreisen im APL zusam-
men.3 Dieses Planspiel jedoch sollte anders sein als jedes andere vom US-
Militär bis dahin durchgeführte. Laut Einsatzregeln war die Verwendung
von, wie das Militär ­dazu sagt, »kinetischen Mitteln« – sprich Dingen, die
schießen oder explodieren – verboten. Keine amphibischen Invasionen,
keine ­Special Forces, keine Zangenbewegungen von Panzerverbänden. Das
Pentagon wollte einen globalen Finanzkrieg durchspielen, bei dem nicht
Schiffe und Flugzeuge, sondern Währungen und Kapitalkonten zum Ein-
satz kommen.

20
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die militärische Dominanz der Verei-
nigten Staaten bei konventionellen und fortschrittlichen High-Tech-Waf-
fensystemen sowie in dem, was die Militärs als 4CI bezeichnen – command,
control, communications, computers und intelligence, also Kommando, Kon-
trolle, Kommunikation, Computer und Informationsbeschaffung –, so über-
ragend, dass kein feindliches Land es wagen würde, sie offen herauszufor-
dern. Das heißt nicht, dass Kriege damit unmöglich geworden wären. Ein
Schurkenstaat wie Nordkorea könnte einen militärischen Zwischenfall zum
Anlass für einen größeren Angriff nehmen, ohne Rücksicht auf die drohen-
den Konsequenzen. Und die USA könnten in einen Krieg zwischen Län-
dern wie etwa dem Iran und Israel hineingezogen werden, sollten sie ihre
nationalen Interessen bedroht sehen. Abgesehen von solchen Sondersitua-
tionen aber erscheint eine konventionelle militärische Auseinandersetzung
mit den USA wegen ihrer drückenden Überlegenheit höchst unwahrschein-
lich. Infolgedessen haben rivalisierende Nationen und transnationale Akteu-
re wie die Dschihadisten sich in zunehmendem Maße auf den Ausbau ih-
rer Fähigkeiten in der nichtkonventionellen Kriegsführung konzentriert, zu
der Cyberwarfare, biologische und chemische Waffen, andere Massenver-
nichtungswaffen und eben in neuester Zeit auch finanzielle Waffen zählen.
Das Finanzplanspiel war der erste Versuch des Pentagons, eine Vorstellung
davon zu erlangen, wie sich ein tatsächlicher Finanzkrieg abspielen könnte
und welche Lehren daraus zu ziehen sind.

Die Vorbereitungen für das Planspiel zogen sich über mehrere Monate hin,
und ich war an den Strategiesitzungen und dem Spielaufbau beteiligt, die
der eigentlichen Simulation vorausgingen. Auch wenn ein gut gestaltetes
Planspiel darauf angelegt ist, unerwartete Resultate zu liefern und die Un-
wägbarkeiten eines realen Krieges zu simulieren, erfordert es dennoch einen
Ausgangspunkt und Regeln, wenn es nicht ins Chaos abgleiten soll. Die Si-
mulationsplaner vom APL gehören weltweit zu den Besten des Faches, aber
dieses Finanzspiel erforderte zum Teil völlig neue Ansätze und nicht zuletzt
ein Wall-Street-Expertenwissen, das dem typischen Physiker oder Militär-
planer abgeht. Diese Lücke zu füllen, war meine Aufgabe.

21
Teil 1 Kriegsspiele

Meine Verbindung mit dem Labor reicht in den Dezember 2006 zurück,
als ich in Omaha, Nebraska, an einem vom U.S. Strategic Command, kurz
STRATCOM, ausgerichteten Strategieforum teilnahm. Ich hielt dort einen
Vortrag über eine neue Methode namens »Market Intelligence« beziehungs-
weise, wie Informationsexperten dazu sagen, MARKINT, bei der es darum
geht, Kapitalmärkte auf handlungsrelevante Informationen über die Absich-
ten der Marktteilnehmer hin zu analysieren. Hedgefonds und Investment-
banken nutzen derartige Methoden seit vielen Jahren, um sich Informati-
onsvorsprünge im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen und
staatlichen Politikwechseln zu verschaffen. Zusammen mit meinen Partnern,
Chris Ray, einem erfahrenen Optionshändler und Risikomanager, und Ran-
dy Tauss, der kurz zuvor nach 35 Jahren bei der CIA in Pension gegan-
gen war, hatte ich neue Methoden erkundet, diese Verfahren im Bereich der
nationalen Sicherheit einzusetzen, um potenzielle Terrorangriffe im Voraus
identifizieren und Angriffe auf den US-Dollar frühzeitig erkennen zu kön-
nen. An der Veranstaltung in Omaha hatten auch mehrere Mitglieder des
APL Warfare Analysis Lab teilgenommen, die mich später kontaktierten
und wissen wollten, ob wir uns vorstellen könnten, an einer Integration der
MARKINT-Konzepte in ihre Forschungen mitzuarbeiten.

So kam es nicht völlig überraschend, als ich im Sommer 2008 einen An-
ruf erhielt und zu einem vom Büro des Verteidigungsministers finanzierten
und vom APL ausgerichteten Seminar zum globalen Finanzmarkt eingela-
den wurde. Erklärtes Ziel des für September anberaumten Seminars war es,
»die Auswirkungen globaler Finanzaktivitäten auf nationale Sicherheitsfra-
gen zu untersuchen«. Dieses Seminar gehörte zu einer ganzen Seminarreihe,
die das Büro des Verteidigungsministers für den Spätsommer und Herbst
2008 als Vorbereitung auf das eigentliche Finanzplanspiel anberaumt hatte.
Die Leute vom Pentagon wollten wissen, ob ein solches Planspiel überhaupt
möglich und sinnvoll war. Zum Beispiel mussten sie sich Gedanken über
die passenden »Teams« machen. Sollten die Teams Länder sein, Staats-
fonds, Banken oder eine Mischung aus allem? Außerdem mussten sie über
unwahrscheinliche, aber dennoch plausible Szenarien nachdenken, die die

22
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

Spieler umsetzen konnten. Eine Liste mit Experten musste erstellt werden,
die als Teilnehmer infrage kamen, wobei möglicherweise auch Leute rekru-
tiert werden mussten, die bislang noch keine Erfahrungen mit Planspielen
hatten. Und schließlich mussten auch noch die Regeln für die eigentliche
­Simulation festgelegt werden.

Zum Schutz der höchst sensiblen Arbeit, die in dem Labor stattfindet, sind
die Sicherheitsprozeduren für Besucher dort ebenso streng wie in ande-
ren von der US-Regierung betriebenen Militär- oder Geheimdiensteinrich-
tungen. Sie beginnen mit Vorabuntersuchungen und der Überprüfung des
Hintergrunds. Unmittelbar nach der Ankunft werden die Besucher in zwei
Kategorien unterteilt – »Keine Begleitung« oder »Begleitung erforderlich« –
und erhalten je nachdem verschiedenfarbige Anstecker. In der Praxis macht
sich der Unterschied zwar hauptsächlich bei Ausflügen zur Kaffeemaschine
bemerkbar, aber die implizite Übereinkunft ist, dass die Träger der »Keine-
Begleitung«-Buttons eine aktuelle Sicherheitsfreigabe der höchsten Stufe
von ihren jeweiligen Behörden oder Arbeitgebern besitzen müssen. Black-
berrys, iPhones und andere digitale Geräte müssen im Sicherheitsbüro ab-
gegeben werden, wo man sie beim Verlassen der Anlage wieder abholen
kann. Röntgenscanner, Metalldetektoren, abgestufte Sicherheitszonen und
bewaffnete Posten sind Routine. Hat man erst einmal alle Kontrollen durch-
laufen, befindet man sich wahrhaftig im Inneren des militärisch-industriel-
len Komplexes.

An dem Treffen im September nahmen insgesamt rund 40 Personen teil, da-


runter mehrere bekannte Wissenschaftler, Experten aus Denkfabriken, Ge-
heimdienstbeamte und uniformierte Militärs. Ich war einer von fünf Teil-
nehmern, die gebeten worden waren, an diesem Tag eine Präsentation zu
halten, und mein Thema waren Staatsfonds. Staatsfonds sind riesige Invest-
mentfonds, die von Ländern eingerichtet werden, um überschüssige Reser-
ven zu investieren, viele davon mehrere 100 Milliarden US-Dollar schwer.
Bei diesen Reserven handelt es sich im Regelfall um Devisenüberschüsse,
zumeist in US-Dollar, die Länder durch den Export natürlicher Ressour-

23
Teil 1 Kriegsspiele

cen oder von Industrieerzeugnissen erwirtschaftet haben. Die größten De-


visenreserven werden von Erdöl exportierenden Ländern wie Norwegen
oder den arabischen Staaten sowie von industriellen Exportgroßmäch-
ten wie China oder Taiwan gehalten. Traditionell wurden diese Reserven
von den Zentralbanken der jeweiligen Länder auf höchst konservative Wei-
se gemanagt und Investitionen auf sichere, liquide Instrumente wie US-
Schatzwechsel beschränkt. Diese Strategie stellte zwar die Liquidität sicher,
brachte aber keine hohen Renditen und begünstigte die Konzentration der
Portfolios. Mit anderen Worten, die Überschussländer legten ihre Eier alle
in einen Korb und erhielten dafür nicht allzu viel Gegenleistung. Aufgrund
der in den 1990er-Jahren zum Teil infolge der Globalisierung einsetzen-
den rapiden Zunahme der Devisenreserven suchten die Überschussländer
nach Mitteln und Wegen, wie sie höhere Renditen auf ihre Investitionen er-
halten konnten. Eine Aufgabe, für die die Zentralbanken nicht sonderlich
gut aufgestellt waren, da es ihnen an den Investmentexperten und Portfolio­
managern zur Auswahl der Aktien, Rohstoffe, Beteiligungsfonds, Immobili-
en und Hedgefonds mangelte, über die der Weg zu höheren Renditen führ-
te. Deshalb wurden für diese Aufgabe eigene Staatsfonds eingerichtet; die
ersten dieser, wie sie im Finanzjargon heißen, SWFs (für sovereign wealth
funds) entstanden bereits vor einigen Jahrzehnten, die meisten aber sind erst
in den letzten zehn Jahren gegründet und von ihren Regierungen mit ge-
waltigen Mitteln aus den Zentralbankreserven und dem Auftrag ausgestat-
tet worden, rund um die Welt diversifizierte Portfolios und Investments auf-
zubauen.

In ihrer grundlegenden Form sind Staatsfonds ökonomisch sinnvoll. Die


meisten Mittel werden professionell und ohne geheime politische Agenda
im Hintergrund investiert. Doch das ist nicht immer der Fall. Manche Inves-
titionen sind eher von Eitelkeit motiviert, so etwa die Investitionen nahöst-
licher Staatsfonds in Formel-1-Rennteams wie McLaren, Aston Martin und
Ferrari, andere aber politisch und ökonomisch überaus einflussreich. In der
ersten Hälfte der weltweiten Rezession, die 2007 einsetzte, wurden die Ban-
kenrettungspläne hauptsächlich mit Mitteln aus Staatsfonds finanziert. En-

24
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

de 2007 und Anfang 2008 investierten Staatsfonds über 58 Milliarden US-


Dollar in die Stützung der Großbanken Citigroup, Merril Lynch, UBS und
Morgan Stanley. China trug sich Anfang 2008 mit dem Gedanken, noch-
mals eine Milliarde Dollar in die Investmentbank Bear Stearns zu investie-
ren, nahm davon aber wieder Abstand, als sich die Bank Anfang März dem
Kollaps näherte. Nachdem diese Investitionen in der Panik von 2008 stark
reduziert wurden, musste die US-Regierung die Weiterführung der Ret-
tungspläne mit Steuergeld finanzieren. Die Staatsfonds fuhren bei diesen
frühen Investitionen zwar immense Verluste ein, aber die Unternehmensan-
teile und der damit erworbene Einfluss blieben.

In meinem Vortrag konzentrierte ich mich auf die Schattenseiten der Staats-
fondsinvestments, ihre Möglichkeit, mithilfe von Tarngesellschaften wie
Trusts, Treuhandverwaltungen, Schweizer Privatbanken und Hedgefonds
zu agieren. Diese erfüllen die gleiche Funktion wie das, was man im Ge-
heimdienstjargon »Verbindungsoffizier« nennen würde. Im Schutze solcher
Fassadengesellschaften können Staatsfonds dazu benutzt werden, miss-
bräuchlichen Einfluss auf Zielunternehmen zu gewinnen, zum Beispiel, um
Technologien zu stehlen, neue Projekte zu sabotieren, die Konkurrenz zu
ersticken, Angebotsabsprachen zu treffen oder Märkte zu manipulieren. Ich
behauptete nicht, dass derartige Aktivitäten weit verbreitet oder gar die Re-
gel wären, nur dass sie möglich sind und die Vereinigten Staaten geeignete
Maßnahmen zum Schutz ihrer nationalen Interessen ergreifen sollten. Über
diese konkreten Bedrohungen hinaus warnte ich vor einer noch weit grö-
ßeren potenziellen Gefahr: der Gefahr eines umfassenden Angriffs auf die
westlichen Kapitalmärkte, um den Motor der kapitalistischen Gesellschaft
lahmzulegen. Meine Präsentation enthielt Kennziffern und Systemspezifi-
zierungen, anhand derer sich das Verhalten von Staatsfonds überwachen,
hinter den Kulissen vorbereitete böswillige Aktionen erkennen und die An-
griffspunkte des Finanzsystems – sozusagen die Suezkanäle und Straßen
von Hormus des Informationszeitalters – identifizieren lassen, sodass man
sie zur Verhinderung oder Abwehr künftiger Finanzattacken überwachen
konnte.

25
Teil 1 Kriegsspiele

Am Ende des zweitägigen Seminars waren die anwesenden Beamten des


Verteidigungsministeriums überzeugt, dass das Labor einen soliden Stamm
an Experten, Fragestellungen und Bedrohungsanalysen zusammengestellt
hatte, auf dessen Grundlage sich das Planspiel eine Stufe weiter führen ließ.

Einen Monat später, im Oktober, kam die Kerngruppe der Experten noch-
mals im Labor zusammen, um das Finanzplanspiel weiterzuentwickeln. Zu-
sätzlich zu den Gastgebern vom APL und den Projektförderern vom Verteidi-
gungsministerium waren diesmal auch Repräsentanten weiterer Ministerien,
darunter des Handels- und Energieministeriums, mehrerer Universitäten,
des Naval War College, mehrerer Denkfabriken einschließlich des Peterson
Institute und der RAND Corporation sowie weiterer Forschungslabore und
ein paar hochrangige Militärs vom Generalsstab anwesend.

Allerdings fehlten, wie mir auffiel, Experten, die Erfahrungen mit den Ka-
pitalmärkten hatten. Ich war der Einzige im Raum, dessen Lebenslauf eine
längere Karriere an der Wall Street enthielt und der Zeit in Investmentban-
ken, Hedgefonds und an Börsen verbracht hatte. Wenn wir einen Finanz-
krieg durchspielen wollten, brauchten wir Leute, die wussten, wie man Fi-
nanzwaffen einsetzt – wie Front Running, Insiderinformationen, Gerüchte,
die Vortäuschung eines hohen Handelsvolumens durch Ringhandel, Short
Squeezes und die ganzen anderen Tricks und Kniffe, mit denen an der Wall
Street operiert wird. Wir brauchten Leute, die, um es mit den unsterbli-
chen Worten der Bankerlegende John Gutfreund zu formulieren, bereit wa-
ren, »einem Bären in den Hintern zu beißen«, wenn es um den Handel mit
Währungen, Aktien und Derivaten geht. An Testosteron mangelte es den
im Raum versammelten uniformierten Militärs und Geheimdienstlern si-
cherlich nicht, aber darüber, wie man ein Land mit Credit Default Swaps
(CDS) in den Ruin treibt, wussten sie ebenso wenig wie der durchschnitt-
liche Börsenmakler über die Zündfolge von Interkontinentalraketen. Sollte
dieses Projekt Erfolg haben, musste ich dem Verteidigungsministerium die
Erlaubnis abringen, ein paar meiner Kollegen mit an Bord zu holen, um das
Spiel realistischer und damit auch aussagekräftiger für sie zu machen.

26
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

Bei diesem Treffen hielt ich einen Vortrag über Futures und Derivate und
erklärte, wie man mithilfe solcher Hebelinstrumente die ihnen zugrunde lie-
genden realwirtschaftlichen Märkte manipulieren kann, darunter auch sol-
che für strategische Rohstoffe wie Öl, Uran, Kupfer und Gold. Ich legte
auch dar, wie das Verbot der Regulierung von Derivaten im von Senator
Phil Gramm eingebrachten und von Präsident Clinton 2000 unterzeichne-
ten Gesetz zur Modernisierung von Warentermingeschäften, dem Commo-
dity Futures Modernization Act, das Tor weit für ein exponentielles Wachs-
tum des Umfangs und der Vielfalt dieser Instrumente aufstieß, die nun aus
den Bilanzen der Großbanken verschwanden und damit praktisch nicht
mehr zu überwachen waren. Zum Schluss skizzierte ich, wie Tarnfirmen,
Staatsfonds und die Hebelwirkung von Derivaten kombiniert werden könn-
ten, um ein finanzielles Pearl Harbour zu inszenieren, das die Vereinigten
Staaten völlig unvorbereitet treffen würde. Die Vorbereitungsseminare be-
gannen ihren Zweck zu erfüllen; die Militär-, Geheimdienst- und außen-
politischen Experten befanden sich jetzt auf derselben Wellenlänge wie die
Finanzexperten, und die Gefahren, die von der finanziellen Kriegführung
ausgingen, wurden immer deutlicher.

Die dritte Planungssitzung unserer Gruppe fand Mitte November statt, und
auch diesmal saßen ein paar neue Gesichter mit am Tisch, darunter hoch-
rangige Beamte aus der Geheimdienstszene. Die Diskussionen drehten sich
nun nicht mehr um die Machbarkeit eines Finanzplanspiels; zu diesem Zeit-
punkt war der Startschuss schon gefallen, und wir befanden uns bereits in
der Phase der Spielkonzeption. Ich stellte detaillierte finanzielle Kriegfüh-
rungsszenarien vor und plädierte dafür, wegen der komplexen Dynamik der
Kapitalmärkte unvorhersagbare, für Angreifer und Verteidiger gleicherma-
ßen überraschende Ergebnisse in die Spielkonzeption aufzunehmen. Am
Ende der Sitzung hatten das Verteidigungsministerium und das APL-Spiel-
konzeptionsteam ausreichend Input von den Experten erhalten, um den
schlussendlichen Spielaufbau zu vervollständigen. Nun mussten nur noch
die Teilnehmer ausgewählt und ein Termin festgelegt werden, und das Plan-
spiel konnte beginnen.

27
Teil 1 Kriegsspiele

Nach einigen Verzögerungen und der Ungewissheit in der Zeit der Stab-
übergabe im Weißen Haus gab die Regierung Obama schließlich grünes
Licht, und Ende Januar 2009 wurden die offiziellen Einladungen verschickt.
Das Planspiel sollte am 17. und 18. März über zwei Tage hinweg im Warfa-
re Analysis Laboratory des APL stattfinden, und zwar in dem imposanten
Lageraum, in dem schon so viele Simulationen durchgeführt worden waren.

Alle Planspiele weisen bestimmte gemeinsame Elemente auf. Es treten zwei


oder mehr Teams beziehungsweise Zellen gegeneinander an, die für ge-
wöhnlich nach den beteiligten Ländern oder nach Farben benannt sind. Bei
einem typischen Spiel kämpft zum Beispiel eine rote Zelle, üblicherweise
die Bösen, gegen eine blaue Zelle, also die Guten, aber es gibt auch Spiele
mit mehreren Parteien. Eine weitere kritische Zelle ist die sogenannte wei-
ße Zelle, die aus dem Spielleiter und als Schiedsrichtern eingesetzten Teil-
nehmern besteht. Die weiße Zelle entscheidet, ob ein bestimmter Spielzug
erlaubt ist und welche Partei die jeweilige Spielrunde gewonnen hat. Übli-
cherweise weisen die Spielentwickler den Zellen konkrete Ziele oder Auf-
gaben zu; danach wird von den Spielern erwartet, dass sie auf der Grundla-
ge logischer Überlegungen Züge ausführen, die zur Erreichung dieser Ziele
beitragen (und nicht etwa unerklärliche Bewegungen vollziehen). Mithilfe
von Politikwissenschaftlern, Militärstrategen und anderen Analysten wird
das Konzeptteam die alle Spieler betreffenden Ausgangsbedingungen be-
schreiben – mit anderen Worten, die Startlinie definieren. Schließlich wer-
den noch Machtparameter definiert, anhand derer die relative Stärke je-
der Zelle vor Beginn des Spiels festgelegt wird, so wie vor Ausbruch eines
Kriegs manche Armeen größer sind als andere oder eine Volkswirtschaft ein
größeres industrielles Potenzial hat als eine andere.

Sobald das Spiel begonnen hat, führen die Teilnehmer Züge für jede Z ­ elle
durch, während die weiße Zelle je nach ihrer Bewertung des Erfolgs und
Misserfolgs eines Zugs den Zellen Punkte gutschreibt oder abzieht. Weite-
re Spielparameter, die festgelegt werden, sind die Anzahl der Tage, über die
das Spiel läuft, und die Zahl der pro Tag erlaubten Züge. Das ist eine wichti-

28
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

ge praktische Beschränkung, da die wenigsten externen Experten ihre sons-


tigen beruflichen Pflichten länger als zwei oder drei Tage am Stück vernach-
lässigen können.

Ich war zwar kein Kriegsplanspielexperte, aber als der ausgewiesene Fach-
mann in Sachen Wall Street arbeitete ich Seite an Seite mit den Spielkonzi-
pierern zusammen, um die Welt, die ich kannte, in die Kategorien, Zeitpläne,
Regeln und Budgets einzupassen, die sie in ihren Parametern festgelegt hat-
ten. Eines meiner wichtigsten Anliegen dabei war sicherzustellen, dass der
Spielaufbau auch unkonventionelle Szenarien zuließ. Schließlich wusste ich,
dass bei einem realen Finanzangriff auf die Vereinigten Staaten kaum so offen-
kundige Züge wie der massive Verkauf von US-Schatzanleihen auf dem offe-
nen Markt ausgeführt würden, da der amerikanische Präsident nahezu dikta-
torische Vollmachten besitzt, sämtliche Kapitalkonten einzufrieren, über die
derartige Marktmanipulationen ausgeführt werden. Bei einem realen Angriff
würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwer zu identi-
fizierende Deckfirmen und schwer zu überwachende Derivate zum Einsatz
kommen. Vor allem würde ein solcher Finanzangriff aller Wahrscheinlichkeit
nach auf den US-Dollar selbst abzielen. Das Vertrauen in den Dollar zu un-
tergraben, wäre weitaus effektiver, als irgendein auf Dollar lautendes Instru-
ment massenhaft auf den Markt zu werfen. Würde der Dollar kollabieren, so
würden auch alle in Dollar geführten Märkte kollabieren, und die Macht des
Präsidenten, Kapitalkonten einzufrieren, wäre hinfällig. Ich wollte sicherstel-
len, dass der Spielaufbau einen echten Währungskrieg zuließ, nicht nur einen
mit Aktien, Anleihen und Rohstoffen geführten Krieg.

Die letzten Puzzlestücke kamen zusammen. Das Team beschloss, dass wir
auf jeden Fall mit einer US-Zelle, einer Russland-Zelle und einer China-Zel-
le spielen würden. Darüber hinaus sollte es eine Zelle für den Pazifischen
Raum geben, der unter anderem Japan, Südkorea, Taiwan und Vietnam
angehörten. Das war zwar nicht ideal, weil beispielsweise Südkorea und
Taiwan als eigenständige Staaten je nachdem, worum es ging, höchst un-
terschiedliche Positionen einnehmen konnten, aber diese Art von Kompro-

29
Teil 1 Kriegsspiele

missen war unumgänglich, wollten wir das Budget einhalten und das Spiel
zum Laufen bringen. Außerdem sollte es noch eine graue Zelle geben, die
den Rest der Welt repräsentierte. (Ich war mir nicht sicher, wie erfreut rea-
le Europäer gewesen wären, hätten sie erfahren, dass sie keine eigene Zelle
bekamen und sich ihre Plattform mit dem IWF, Hedgefonds und den Cay-
man Islands teilen mussten.) Schließlich gab es natürlich noch die allmäch-
tige weiße Zelle, die den Kurs festlegte und das Spiel die ganze Zeit über un-
ter Kontrolle hatte.

Das Spiel sollte in drei Zügen über zwei Tage gespielt werden. Zwei Züge
sollten am ersten Tag ausgeführt werden, der dritte am zweiten Tag, sodass
noch Zeit für eine Nachbesprechung blieb. Jede Zelle sollte einen separaten
Raum bekommen, der als »Hauptstadt« diente und in dem sie über ihre Zü-
ge beratschlagten, während für den Lageraum Plenarsitzungen vorgesehen
waren, auf denen die Zellen ihre Züge ausführen und ihre Gegner reagieren
würden. Die weiße Zelle sollte die Plenarsitzungen leiten und je nach Spiel-
verlauf dem »nationalen Machtindex« der Zellen Punkte gutschreiben oder
abziehen. Bei jedem Spielzug konnten die Zellen an festgelegten Plätzen bi-
laterale Gipfel abhalten oder Verhandlungen mit anderen Zellen führen.

Faszinierenderweise sollte jede Zelle mehrere Joker erhalten, die Maßnah-


men und Reaktionen ermöglichten, welche in den Eröffnungsszenarien für
die einzelnen Züge nicht enthalten waren. Obwohl das zum ersten Mal und
mit einem knappen Budget durchgeführt wurde und die Resultate bei Spiel-
beginn alles andere als absehbar waren, waren wir dank der Kombination
aus Gipfeltreffen und Jokern zuversichtlich, dem Pentagon zeigen zu kön-
nen, wie ein unkonventioneller Finanzkrieg in Realität ablaufen könnte.

Als wir unser Konzept abschlossen, wies ich nochmals darauf hin, dass wir
sehr einseitig mit Teilnehmern vom Militär, den Geheimdiensten und Denk-
fabriken besetzt waren, aber mit Ausnahme von mir niemanden von der Wall
Street hatten. Ich wusste, wenn wir nur die üblichen Verdächtigen einlu-
den, würden wir sehr vorhersagbare Aktions-/Reaktions-Funktionen erhal-

30
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

ten. Was Makroökonomie und Strategie angeht, sind diese Leute brillant,
aber keiner von ihnen versteht wirklich, wie die Kapitalmärkte vor Ort, an
der Front, funktionieren. Ich wiederholte meinen Wunsch, ein paar Invest-
mentbanker und Hedgefondsmanager mit ins Boot zu holen. Und tatsäch-
lich: Im Budget war noch Luft für zwei weitere Teilnehmer, und so erhielt
ich die Erlaubnis, zwei qualifizierte Leute auszusuchen.

Mein erster Kandidat war Steve Halliwell, ein erfahrener Banker und Kapi-
talinvestor, fit, elegant, lebhaft und mit seiner dickrandigen Brille und einem
stets kahlrasierten Haupt unverwechselbar. Steve, der 1963, in der Zeit von
Kennedy und Chruschtschow, vom Wesley College aus als einer der ersten
amerikanischen Austauschstudenten nach Russland gegangen war, ist so et-
was wie der Fleisch gewordene altgediente Russlandexperte. Später, nach
seinem Abschluss an der Columbia University, arbeitete er lange Zeit bei
der Citibank, unter anderem wirkte er am Aufbau der Moskauer Citibank-
Niederlassung mit, bevor er in den 1990er-Jahren einen der ersten ameri-
kanisch-russischen Investmentfonds an den Start brachte. Sein Vorrat an
russischen Anekdoten ist unerschöpflich, und er versteht jede einzelne da-
von in schillernden Farben und mit einem ausgeprägten Sinn für Humor zu
erzählen. Er spricht Russisch wie ein Einheimischer und verfügt dank sei-
ner Investment- und Bankaktivitäten über ein eng geknüpftes Netzwerk an
Verbindungen im ganzen Land. Steve und ich hatten im Winter 2008 eine
Woche mit Marktforschungen für mehrere meiner Hedgefonds-Kunden in
Moskau verbracht. Neben dem Zauber des nächtlichen Schneefalls auf dem
Roten Platz werde ich von dieser Reise auch die üppigen Mengen an Wodka
und Kaviar wohl nicht so schnell vergessen, die wir mit unseren russischen
Gastgebern konsumierten. Ich wusste, er wäre perfekt dafür geeignet, die
russische Seite in diesem vom Pentagon inszenierten Finanzkriegspiel zu re-
präsentieren, und er sagte auch sofort zu.

Nun musste ich noch einen zweiten Mitspieler anwerben. Da Steve haupt-
sächlich mit Aktienfonds zu tun hatte und ein eher langfristig orientierter
Investor war, brauchte ich jetzt noch jemanden, der mehr mit dem Tages-

31
Teil 1 Kriegsspiele

geschäft der Märkte zu tun hatte, jemand, der die markttechnischen Signale
verstand, sprich die kurzfristigen Ungleichgewichte zwischen Angebot und
Nachfrage, die die Wertpapierkurse von ihren Fundamentaldaten abkop-
peln und vermeintlich rationale Investoren auf dem falschen Fuß erwischen
konnten. Ich brauchte jemand, der die gesamte Trickkiste im Umgang mit
Orders der Größenordung beherrschte, die geeignet waren, einen Markt zu
drehen und die Arglosen im Regen stehen zu lassen. Also griff ich zum Te-
lefon und rief einen Freund an, der seit über dreißig Jahren an vorderster
Front mit dabei war und auf der Street unter dem Kürzel »O.D.« firmierte.

Ich kannte Bill O’Donnell seit Jahrzehnten, seit unserer gemeinsamen Zeit
bei Greenwich Capital, dem wichtigsten Handelshaus für Staatsanleihen.
Bill ist einer der smartesten Börsenhändler und hat immer ein Lächeln im
Gesicht – außer er arbeitet an einer Order für einen Kunden. Er hat nie-
mals schlechte Laune und verliert niemals die Beherrschung, was auf dem
Börsenparkett eher die Ausnahme ist. Bill, silbergraues, gewelltes Haar, e­ dle
Klamotten und attraktiv, hat eine unkomplizierte Art, die ihn zu einer der
beliebtesten Personen im Anleihengeschäft macht, das ansonsten für seinen
hohen Anteil an wenig einnehmenden Alphatieren bekannt ist. Er liebt das
Geschäft und hat schon so gut wie alles miterlebt, vom Beginn der Hausse
1982 bis hin zu der sich ab 2002 aufblähenden Immobilienblase. Als ich ihn
Anfang 2009 anrief, arbeitete er als Leiter der Abteilung für Zinsstrategie für
die Schweizer Großbank UBS in deren nordamerikanischem Geschäftssitz
in Stamford, Connecticut.

Wie die meisten Wall-Street-Leute, die ich zur Unterstützung für die natio-
nale Sicherheit betreffende Projekte angeworben hatte, erfasste er die Situa-
tion sofort und konnte sich gar nicht schnell genug als Freiwilliger anbieten.
Nachdem er die Sache mit seinem Vorgesetzten bei der UBS durchgespro-
chen hatte, rief er mich ein paar Tage später zurück. »Ich bin dabei«, sagte
er. »Sag mir einfach, wo ich hinkommen soll. Das wird großartig, die Gene-
räle und Geheimdienstler aufzumischen. Ich kann es kaum erwarten.« Da-
mit war das auch geklärt.

32
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

Steve wurde natürlich der russischen Zelle zugeteilt. O.D. kam zur grau-
en Zelle, die unter anderem Hedgefonds und Schweizer Banken repräsen­
tierte – also ebenfalls eine passende Besetzung. Ich wurde in die China-Zelle
gesteckt, zusammen mit einem bekannten Harvard-Wissenschaftler, einem
sehr intellektuellen Analysten der RAND Corporation und zwei weiteren
Asienexperten.

Bis zum Finanzkrieg waren es nur noch ein paar Wochen, und es war an der
Zeit, ein paar Fallen aufzustellen – sprich das zu tun, was die Militärs »das
Schlachtfeld vorbereiten« nennen. Ich wusste, dass Russland das Spiel mit
deutlich weniger nationaler Stärke als die Vereinigten Staaten oder selbst
China beginnen würde. Tatsächlich brachte es Russland laut seinem natio-
nalem Machtindex nur auf zwei Drittel der Stärke der Vereinigten Staaten,
während China irgendwo dazwischen lag. Was mich betraf, hieß das nur,
dass Russland klüger und härter spielen und etwas Unerwartetes tun muss-
te, um die Vereinigten Staaten aus dem Konzept zu bringen. Als Amerika-
ner, der sich Sorgen machte über den ökonomischen Kurs, den unser Land
steuerte, und über unsere Verwundbarkeit gegenüber Finanzattacken wollte
ich, dass die Vereinigten Staaten in der Spielumgebung einen Schock oder
zumindest einen herben Rückschlag erlitten. Das schien mir der beste Weg,
unserem Land einen Dienst zu erweisen und ein paar Leuten im Verteidi-
gungsministerium und in der Geheimdienstszene die Augen zu öffnen, be-
vor es in der realen Welt zu einem ernsthaften Angriff kam. Die Tatsache,
dass Steve, O.D. und ich nicht im US-Team spielten, eröffnete uns die Mög-
lichkeit, für eben einen solchen Schock zu sorgen. Dass wir mit weniger na-
tionaler Stärke an den Start gingen, bedeutete nur, dass wir kreativer sein –
und heimlicher agieren – mussten.

Das Ten Twenty Post ist ein beliebtes Bistro in Darien, Connecticut, unweit
meines Zuhauses und auch nicht weit von Westchester County, New York,
wo Steve wohnt. Darüber hinaus wird es gerne von den Investmentbankern
frequentiert, die bei der RBS und UBS im benachbarten Stamford arbeiten.
Mit seiner Mahagoni-Bar, den Messingverzierungen, den Kronleuchtern

33
Teil 1 Kriegsspiele

und den weißen Tischdecken beschwört es von Erscheinen und Anmutung


her den Eindruck eines französischen Originals herauf. Eine Woche vor Be-
ginn des Planspiels schlug ich Steve vor, uns dort zum Essen zu treffen und
gemeinsam eine Strategie auszuarbeiten, wie wir die Vereinigten Staaten in
die Defensive drängen konnten.

Bei Austern, Weißwein und Wodka, zu dem wir mit Na Sdarovje! anstie-
ßen, schwelgten wir zunächst ein bisschen in Erinnerungen an unsere Mos-
kauer Abenteuer, machten uns dann aber zügig an die Arbeit. Ich gab Ste-
ve eine nachgemachte Presseerklärung der russischen Zentralbank, die ich
schon vor einer Weile geschrieben und in ein paar Artikeln und Vorlesungen
verwendet hatte. Darin wurde angekündigt, dass Russland seine gesamten
Goldbestände in der Schweiz deponieren und parallel dazu in London eine
neue Bank gründen werde. Die Bank sollte dann eine neue, goldgebundene
und mit dem Gold in den Schweizer Tresoren besicherte Währung heraus-
geben. Zunächst würde Russland den Gesamtbestand der neuen Währung
halten. Aber jedermann stünde es frei, Gold einzuzahlen und dafür entspre-
chende Noten in der neuen Währung zu erhalten. Nach der Erwähnung ei-
niger technischer Voraussetzungen zur Realisierbarkeit des Plans wie Kre-
ditgewährungs- und Clearingeinrichtungen folgte der eigentliche Clou: Ab
sofort würden sämtliche russischen Erdöl- und Erdgasexporte in der ­neuen
Währung bezahlt werden müssen. US-Dollar würden nicht mehr akzeptiert
werden.

»Jim, ich mache mir Sorgen um dich – du fängst ja an wie ein Russe zu den-
ken«, sagte Steve.

»Von dir ist das ein großes Lob«, erwiderte ich.

»Warum gehst du über die Schweiz und London?«

»Keiner traut den Russen, dass sie sich nicht doch mit dem Gold davonma-
chen«, antwortete ich. »Den Schweizern und den Briten dagegen traut man.

34
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen

Wenn man also die ganze Sache unter ihren Rechtssystemen abwickelt, wer-
den die Leute keine Angst haben, ihr Gold dort zu deponieren.«

»Richtig. Die Russen suchen seit Jahren nach einem Weg aus dem Dollar-
System. Sie versuchen, nach unseren Regeln zu spielen, werden aber jedes
Mal über den Tisch gezogen«, sagte Steve. »Das hier wäre perfekt für sie.«

»Also, der Deal sieht folgendermaßen aus«, sagte ich und lehnte mich zu Ste-
ve vor. »Wenn du diesen Zug für Russland spielst, sorge ich dafür, dass Chi-
na mitgeht. Wenn du es nicht schaffst, Russland zu diesem Zug zu bewegen,
werde ich versuchen, die Idee von China aus zu zünden. So oder so werden
wir sie ins Spiel bringen und versuchen, den Dollar abzuschießen. Das wird
die US-Seite ziemlich schockieren. Das Pentagon gibt viel Geld aus, um aus
dieser Sache etwas zu lernen. Geben wir ihnen etwas für ihr Geld.«

Steve nahm das Blatt mit der getürkten Presseerklärung, faltete es und steck-
te es in seine Jackentasche, um es zu Hause nochmals im Detail durchzuge-
hen. Wir kippten unseren Wodka hinunter und brachen auf, entschlossen,
unseren heimlichen Angriff auf den Dollar in die Tat umzusetzen.

Steve, O.D. und der Rest von uns waren bereit, den Krieg zu beginnen. In
den zwei Tagen, die das Spiel dauerte, sollte es sehr schnell ein Eigenle-
ben entwickeln und einer ganzen Menge Leute die Augen dafür öffnen, wie
Märkte funktionieren und wie finanziell verwundbar Länder tatsächlich
sind.

35
Kapitel 2 –
Der Finanzkrieg
»Das vorrangige kurzfristige Sicherheitsproblem der Vereinigten ­Staaten
sind die globale Wirtschaftskrise und ihre geopolitischen Implikatio-
nen … In der Tat bergen politische Maßnahmen … wie ein Wettlauf der
Währungsabwertung … das Risiko, eine Welle des destruktiven Protekti-
onismus auszulösen.«
Dennis C. Blair,
Direktor der nationalen Nachrichtendienste der USA,
Februar 2009.

Tag eins

Das Erste, was mir auffiel, als wir an diesem regnerischen Märzmorgen zum
Kriegsspiel ins Labor kamen, waren die gleich in mehreren Reihen auf dem
Parkplatz abgestellten schweren Motorräder – Kawasakis, Suzukis und der-
gleichen mehr. Offensichtlich haben Physiker, die in der Waffenentwick-
lung arbeiten, auch eine wilde Seite. Wir waren auf dem Weg zu Gebäude
26, einem für uns neuen Ort. Wir parkten auf einem angrenzenden Park-
platz und begaben uns zum Haupteingang. Nachdem wir die Sicherheits-
kontrollen passiert, unsere Handys abgegeben und unsere Besucherauswei-
se erhalten hatten, gingen wir nach oben. Nach Monaten, in denen wir uns
in Seminarräumen und Büros getroffen hatten, durften wir nun zum ersten
Mal den Lage­raum des Warfare Analysis Lab, den sogenannten War Room,
betreten. Was ich sah, enttäuschte mich nicht. Aufgewachsen in den Zei-
ten des Kalten Kriegs, hatte ich meine Vorstellungen davon, wie die Kom-
mandozentralen aussahen, von denen aus Atomkriege gefochten wurden,
aus Filmklassikern wie Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben
und Angriffsziel M
­ oskau. Nun betraten wir etwas, das ganz ähnlich aussah,

36
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

aber nicht, um mit B-52-Langstreckenbombern zu kämpfen, sondern mit


­Währungen.

Der Lageraum des APL verfügt über elektronische Gefechtsstationen und


Beobachtungsposten für etwa 100 Teilnehmer und Beobachter. Der recht­
eckige Raum ist mit vier wandhohen Bildschirmen an der Vorderseite und
einer Phalanx von 50-Zoll-Plasmabildschirmen an beiden Seitenwänden
ausgestattet, auf denen zusätzliche Teilnehmer von entfernten Standorten
eingeblendet oder ergänzende Grafiken und Informationen präsentiert wer-
den können. Auf der untersten Ebene direkt vor den wandhohen Bildschir-
men steht ein zentraler trapezförmiger Tisch für zwölf Personen. Flankiert
wird dieser Tisch von vier Reihen mit langen Tischen, zwei auf jeder S ­ eite,
die auf einem leicht erhöhten Niveau stehen und fächerförmig zur Mitte hin
angeordnet sind. Im rückwärtigen Teil des Raums, auf einem nochmals er-
höhten Mezzanin, befinden sich mehrere Reihen zusätzlicher Beobachtungs-
stationen, die im rechten Winkel zu den Haupttischen auf der unteren Ebe-
ne ausgerichtet sind. Ganz hinten, an der rückwärtigen, den Bildschirmen
gegen­überliegenden Wand fällt der Blick auf mehrere getönte Glasfenster,
hinter denen sich ein separater Raum mit fünf zusätzlichen Gefechts­stationen
und einigen Stehplätzen verbirgt. Wie ich später erfuhr, wurde dieser Raum
von hochrangigen Militärbeobachtern genutzt, die den Spielverlauf mitver-
folgen wollten, ohne dass die anderen Teilnehmer etwas davon merkten.

Rechts von den Bildschirmen an der Stirnseite befand sich ein Podium mit
einem Mikrofon, von wo aus die Sprecher der Zellen ihre Züge und ihre
Antwort auf die Züge der anderen Zellen bekannt geben konnten. Jede Ge-
fechtsstation war mit einem Laptop ausgerüstet, und diese waren über ei-
ne Groupware vernetzt, sodass jeder Spieler innerhalb seiner Gruppe kon-
tinuierlich Kommentare zum Spielverlauf abgeben konnte, noch während
die anderen ihre Züge und Motive beschrieben. An den Lageraum angren-
zend befand sich ein Technikraum, von dem aus die Bildschirmprojektio-
nen kontrolliert und die Groupware überwacht wurde, die den laufenden
Kommentarmodus unterstützte.

37
Teil 1 Kriegsspiele

Von dem zum Lageraum führenden Flur gingen Türen zu mehreren gro-
ßen Besprechungsräumen ab, die als »Hauptstädte« der konkurrierenden
Länder beziehungsweise Parteien dienten. Jeder dieser Räume war mit ei-
nem großen Wandbildschirm und Laptops ausgerüstet, die an die separate
Groupware angeschlossen waren, auf die nur die Mitglieder der Zelle zugrei-
fen konnten. Weitere Räume waren als Austragungsorte für Gipfelkonferen-
zen und bilaterale Verhandlungen reserviert worden, falls die Zellen zu ver-
traulichen Meetings außerhalb des Lageraums zusammenkommen wollten.
Sämtliche Räume – der Lageraum, die Hauptstädte und die für Gipfel- und
bilaterale Konferenzen vorgesehenen Zimmer – waren mit Workstations für
die Mitarbeiter des Labors ausgestattet, die als Vermittler, Analysten und
neutrale Beobachter der Abläufe fungierten. Obwohl wir autonome Akteu-
re waren, konnten wir nur schwer den Eindruck abschütteln, zugleich La-
borratten in einem vom APL durchgeführten größeren Experiment zu sein.

Bei einem vom Labor bereitgestellten Frühstücksbüffet hatten wir Gelegen-


heit, uns mit den anderen Spielern bekannt zu machen. Anschließend be-
gaben wir uns in den Lageraum und nahmen die uns zugewiesenen Plätze
ein. Die Mitglieder der weißen Zelle, die Schiedsrichter, saßen an dem gro-
ßen, trapezförmigen Tisch im Zentrum. Die fünf Teams, die russische, die
amerikanische, die pazifische, die chinesische und die graue Zelle (die »Al-
le-anderen-Gruppe«) sowie einige Beobachter vom Pentagon und den Ge-
heimdiensten saßen an den fächerartig um die weiße Zelle herum angeord-
neten Tischen.

Über die gesicherte Website des Warfare Analysis Lab, Codename WAL-
RUS, waren wir alle vorab mit ausführlichen Briefing-Unterlagen versorgt
worden, die ausgedruckt ein beachtliches Gewicht auf die Waage brachten,
darunter ein Spielüberblick, in dem die relative »nationale Stärke« der ein-
zelnen Teams zusammen mit einer detaillierten Erklärung dafür angegeben
war. Der Überblick enthielt auch die Anweisung, dass die »Spielerzellen
Handlungen aus dem Spielmenü auswählen und / oder eigene Handlungen
›innovieren‹ können«. Innovieren, das war, worauf es mir ankam.

38
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

Außerdem hatten wir ein »Basisszenario« erhalten, in dem die Lage der glo-
balen Wirtschaft im Jahr 2012 beschrieben wurde, das Jahr, in dem das Spiel
stattfinden sollte, und ein »Technikbuch«, bei dem es sich im Prinzip um ein
Regelbuch handelte. Ich erinnerte mich, wie meine Brüder und ich uns als
Kinder immer leidenschaftlich über die Regeln von Risiko stritten und mehr
als einmal das Regelheft aus der Parker-Brothers-Packung graben mussten,
um unsere Differenzen beizulegen. Hier aber hatten wir es mit einem Regel-
buch für ein Kriegsplanspiel zu tun, und da galten andere Vorgaben. Ich war
fest entschlossen, so viele Regeln wie nötig zu brechen, um dem Pentagon zu
einem Verständnis dafür zu verhelfen, wie die Kapitalmärkte im Zeitalter der
Gier, der Deregulierung und böswilliger Absichten tatsächlich funktionier-
ten. Die Wall Street ähnelt dem Wilden Westen zu seinen wildesten Zeiten,
nur dass sie dank der Globalisierung und der staatlichen Unterstützung für
die systemrelevanten Akteure noch weniger beherrschbar ist.

Nach ein paar Stunden, die für Instruktionen, eine allgemeine Orientierung
und eine rasche Einweisung in die Groupware notwendig waren, zogen sich
die Teams in ihre jeweiligen Hauptstädte zurück, um am ersten Zug zu ar-
beiten. Dabei handelte es sich hauptsächlich um ein langfristiges Handels-
abkommen zwischen Russland und Japan, das zu einem Rückgang des An-
gebots von russischem Öl und Erdgas auf dem Weltmarkt führen würde.
Der Hauptgedanke dabei war, dass Russland seine natürlichen Ressourcen
gezielt dazu einsetzen sollte, seine ausländischen Devisenreserven aufzusto-
cken. Natürlich gab es keine Verbindung zwischen dem vom Labor entwi-
ckelten Szenario und dem Joker, den Steve und ich auszuspielen verabredet
hatten, aber es passte uns gut ins Konzept. Russland konnte Japan von sei-
nem Goldwährungsdeal ausnehmen und trotzdem China mit dem Angebot,
an seinem Angriff auf den Dollar mitzuwirken, auf seine Seite ziehen. Ich saß
in unserer simulierten chinesischen Hauptstadt und hörte meinen Harvard-
und RAND-Teamkollegen zu, die darüber diskutierten, wie Japan für den
Verstoß gegen das im Washingtoner Konsens vereinbarte Freihandelspara-
digma zu bestrafen sei, aber mit dem Kopf war ich nicht bei der Sache. Viel-
mehr wartete ich darauf, dass das Telefon klingelte. Ein paar Minuten später

39
Teil 1 Kriegsspiele

informierten unsere Beobachter uns, dass Russland ein ­Kommuniqué ge-


schickt und eine Gipfelkonferenz beantragt hatte. Das war eine gute Nach-
richt, denn es bedeutete, dass Steve seine Teamkollegen davon überzeugt
hatte, ihn den Goldjoker spielen zu lassen.

Bevor mein Team die Nachricht verdauen konnte, meldete ich mich zu
Wort. »Hey, Leute. Mein Freund Stevie Halliwell gehört zur russischen Zel-
le, und ich vermute, dass er dahintersteckt. Ist es in Ordnung, wenn ich für
unsere Seite zu der Gipfelkonferenz gehe?«

Niemand hatte Einwände, und so machte ich mich auf den Weg den Flur hi-
nunter bis zu einem der als Konferenzräume ausgewiesenen Zimmer, in dem
Steve bereits wartete. Weil ein Vermittler vom Labor anwesend war, muss-
te ich mich dumm stellen, obwohl ich wusste, was Steve gleich vorschlagen
würde.

»Jim, wir erwarten eine Vergeltung der USA wegen unseres Geschäfts mit
Japan, und offen gesagt, wir sind es leid, dass die USA ihre dominante Po-
sition im dollarbasierten Welthandelssystem missbrauchen, um ihren Wil-
len durchzusetzen. Deshalb haben wir uns etwas einfallen lassen. Weder Ih-
re noch unsere Währung ist stark genug, den Dollar zu ersetzen – das wissen
Sie so gut wie ich. Aber Gold ist und wird immer eine sichere Anlage sein.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Welt auf die eine oder andere Weise
wieder zu einem Goldstandard zurückkehrt. Und wer dabei den ersten Zug
macht, sichert sich einen gewaltigen Vorteil. Das Land, das als Erstes zum
Gold wechselt, wird die Währung haben, die alle haben wollen. Hier ist un-
ser Vorschlag.«

Steve reichte mir eine überarbeitete Kopie der fiktiven Presseerklärung, die
ich ihm vor einer Woche in dem Bistro in Darien in die Hand gedrückt hat-
te. Alles war da: die neue, mit Gold hinterlegte Währung, die Emissions-
bank in London, die Möglichkeit, die Geldmenge durch die Einzahlung von
Gold auszuweiten, die Absicherung durch das schweizerische und britische

40
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

Rechtssystem, Clearing- und Abrechnungsstellen und ein echter Marktpreis.


Russland würde für seine Rohstoffexporte in Zukunft auf eine Bezahlung in
der neuen Währung bestehen. Der Dollar würde ins Abseits gedrängt.

»Wir können das alleine durchziehen«, fuhr Steve fort, »aber mit China und
vielleicht noch ein paar anderen Ländern an Bord wird es viel einfacher. Je
mehr Nationen sich uns anschließen, desto schwieriger wird es für die USA,
etwas dagegen zu unternehmen. Sie könnten dasselbe, was wir mit unse-
rem Öl und unserem Gas machen, mit Ihren Industrieerzeugnissen machen.
Sind Sie mit dabei?«

»Hören Sie, ich werde nach China zurückgehen und Sie über unsere Ent-
scheidung informieren«, sagte ich. »Ich bin nicht befugt, hier irgendetwas zu
vereinbaren. Ich bin nur gekommen, um die Botschaft abzuholen. Wir wer-
den darüber sprechen und Ihnen dann unsere Antwort zukommen lassen.«

In der Zwischenzeit hatten sich meine Teamkollegen in der chinesischen


Hauptstadt intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir auf das uns
präsentierte Szenario reagieren sollten – und sich darauf geeinigt, erst ein-
mal gar nichts zu tun. Der Rohstoffdeal zwischen Russland und Japan be-
traf nicht nur diese beiden Parteien, sondern auch Europa, da das Abkom-
men zu einem Rückgang der russischen Erdgasexporte nach Europa führen
könnte. Die Vereinigten Staaten würden die Gegenreaktion koordinieren
müssen, da sie am ehesten in der Lage waren, Druck auf Japan auszuüben.
China, so meinten sie, sollte einstweilen den Ball flach halten und die ande-
ren die Arbeit machen lassen.

Doch dann spielte ich die russische Wildcard aus und setzte meinen Team-
kollegen Steves Vorschlag auseinander.

Es fällt mir schwer, ihre Reaktion zu beschreiben. »Perplex« trifft es wohl am


besten. Sie taten sich schwer, irgendein ökonomisches Szenario zu verarbei-
ten, in dem das Wort »Gold« vorkam.

41
Teil 1 Kriegsspiele

»Das ist absurd«, meinte unser Harvard-Mann. »Abgesehen davon, dass es


rein nichts mit dem vorgegebenen Szenario zu tun hat, ergibt es keinerlei
Sinn. Gold ist irrelevant für den Handel und die internationale Geldpolitik.
Ich halte das für eine dumme Idee und bloße Zeitverschwendung.«

Der RAND-Analyst zeigte etwas mehr Interesse und stellte ein paar Fragen,
war aber unverkennbar nicht bereit, sich auf das Spiel der Russen einzulas-
sen. Sosehr ich meine Mitspieler auch bedrängte, auf das Angebot der Rus-
sen einzusteigen und die USA in die Schranken zu verweisen, sie ließen sich
nicht überzeugen und widmeten sich bald wieder der Abfassung ihres un-
verbindlichen Kommuniqués zum ursprünglichen Problem.

»In Ordnung«, sagte ich. »Ich muss den Russen unsere Antwort überbrin-
gen. Kann ich eine Konferenz einberufen?«

»Machen Sie nur«, sagte Harvard. »Wir arbeiten am Szenario weiter.«

Kurz darauf saßen Steve und ich wieder in dem Konferenzraum.

»Steve, hören Sie, meine Jungs weigern sich momentan noch, mit einzustei-
gen. Ich werde in den nächsten paar Runden weiter daran arbeiten, aber im
Moment stehen Sie alleine da. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, wenn Sie
die Sache jetzt abblasen. Ich war fest überzeugt, dass China die Vorteile er-
kennen und wir das gemeinsam durchziehen würden.«

»Kein Problem«, erwiderte Steve. »Das russische Team ist von der Idee
ziemlich angetan. Sie sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, dass jemand
aufsteht und der Welt zeigt, was für ein Betrug das Dollarsystem ist. Scha-
de, dass China nicht dabei ist, aber wir werden trotzdem weitermachen. Wir
werden ja sehen, was passiert.«

Bei meiner Rückkehr hatte unser Team das Kommuniqué ausformuliert, das
unseren Zug für diese Spielrunde repräsentierte. Es war die perfekte akade-

42
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

mische Lösung und würde dem Pentagon exakt gar nichts beibringen. Dann
war es an der Zeit, in den Lageraum zu gehen und zusammen mit den ande-
ren Zellen unseren Zug bekannt zu geben.

Die Meetings im Lageraum waren als Plenarsitzungen organisiert, in Penta-


gonesisch auch »Briefbacks« genannt, zu denen sich alle Teams und Spiel-
beobachter versammelten. Der Reihe nach traten die Vertreter der einzel-
nen Zellen ans Podium, legten die Antwort ihrer Zelle und die Gründe dafür
dar und beantworteten ein paar Fragen von den anderen Zellen. Die Mit-
arbeiter des Labors hatten den Zellen bei der Erstellung der Folien, Listen
und ­anderen Illustrationen, die auf die Wandbildschirme projiziert wurden,
­geholfen. In den Groupware-Chats herrschte derweil Hochbetrieb, wurden
20 oder mehr simultane und sich zum Teil überschneidende Diskussionen
geführt, die über die vor jedem Spieler stehenden Bildschirme liefen und
von denen nur manche für alle offen waren. Es war wie Twitter ohne die
Avatare und Hintergrundbilder. Wollte man eine Frage stellen oder war der
Ansicht, dass jemand einen brillanten – oder hirnrissigen – Zug g­ emacht
hatte, sagte man das einfach. Jeder Spieler konnte so viel oder so wenig bei-
tragen, wie es ihm passte, während der gesamte über den Bildschirm flim-
mernde digitale Bewusstseinsstrom zur späteren Auswertung durch die
Pentagon-Planer aufgezeichnet wurde.

Angesichts der Neigungen meiner Teammitglieder und meiner Unfähigkeit,


sie für eine goldgedeckte Währung zu begeistern, verlief das China-Briefing
vorhersagbar langweilig. Ohne ein Wort des Protests akzeptierten wir den
vorgegebenen russisch-japanischen Energiedeal, wiesen aber darauf hin,
dass China seine Bemühungen zur Energiediversifikation verstärken würde.

Nach uns war Russland an der Reihe. Das Briefing begann mit ein paar net-
ten Worten bezüglich der weiteren Zusammenarbeit mit China an einem ge-
meinsamen Pipelineprojekt, um dann plötzlich in der Ankündigung zu gip-
feln, dass Russland in Zukunft nur goldgedeckte Währungen zur Bezahlung
seiner Energieexporte akzeptieren würde. In einer sehr viel später erstellten

43
Teil 1 Kriegsspiele

offiziellen Zusammenfassung des Kriegsspiels wurde dieser Zug als »aggres-


siv« und »bedrohlich« charakterisiert, die unmittelbare Reaktion aber erin-
nerte mich sehr viel mehr an den absurden Stil von Dr. Seltsam. Der rus-
sische Vertreter hatte seine Präsentation kaum beendet, als die weiße Zelle
auch schon eine kurze Beratungspause beantragte. Ein paar Minuten spä-
ter verkündete der Sprecher der weißen Zelle, der russische Zug sei »ille-
gal« und werde aus dem Spielprotokoll gestrichen. Steve und ich waren
fassungslos, was auch für Steves russische Teamkollegen galt, die den Zug
gebilligt hatten.

»Was soll das heißen, ›illegal‹?«, verlangte Steve zu wissen. »Wir haben hier
Krieg! Wie kann da irgendetwas illegal sein?«

Genau das hatte ich befürchtet. Nachdem schon die Spielerauswahl nicht
gerade einer Aufforderung zum Querdenken gleichkam, wurde nun auch,
kaum dass ein unkonventioneller Zug ins Spiel gebracht wurde, Foul ge-
pfiffen. Obwohl ich einer anderen Zelle angehörte, fühlte ich mich genötigt,
Steve beizuspringen.

»Wissen Sie«, fing ich von meinem Platz am China-Tisch aus an, »es ist ja
nicht so, dass wir hier eine Genfer Konvention hätten. Der russische Zug ist
gar nicht so weit hergeholt. Die Vereinigten Staaten waren bis 1971 auf ei-
nem Goldstandard, und viele Leute hier im Raum werden sich daran noch
erinnern. Die Russen sind vielleicht etwas provokativ, aber das sind sie ja
immer. Warum lassen wir ihnen nicht einfach ihren Willen und sehen uns
an, was daraus wird?«

Die weiße Zelle wirkte ein bisschen unsicher. Steve war wie ein Schlagmann
beim Baseball, der bei einem engen Ball an der First Base »out« gerufen
wird, und ich wie der Coach an der First Base, der nach Kräften versucht,
seinen Spieler vor dem Aus zu bewahren. Im digitalen Chatroom brach ein
wahrer Sturm der Entrüstung gegen die Unparteiischen los, und schließlich
bat die weiße Zelle nochmals um Zeit für eine Beratung. Nach einer Weile

44
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

griff der Leiter der weißen Zelle zum Mikrofon, und an diesem Punkt erwar-
tete ich halb, etwas in der Art von »Nach nochmaliger eingehender Über-
prüfung …« zu hören, doch dann begnügte er sich damit, in angemessen
neutraler Bürokratensprache zu verkünden, dass der russische Zug zugelas-
sen werde. Der Zug sei, stellte er klar, nicht »illegal«, aber »ill-advised«, un-
bedacht. Das war, wie ich wusste, ein höflicher Ausdruck dafür, dass Russ-
land seiner Meinung nach etwas Dummes getan hatte, aber das störte mich
nicht. Die Goldwährung war jetzt im Spiel, und wir würden in den kom-
menden zwei Tagen ja sehen, wie sich die Sache weiterentwickelte.

Die restlichen Züge wurden in bester multilateraler Manier verlautbart. Die


Vereinigten Staaten gaben ihr obligatorisches Bekenntnis zum freien Han-
del ab und betonten die Notwendigkeit, verstärkt über grüne Energiealter-
nativen nachzudenken. Die pazifische Zelle gab bekannt, dass Japan bereit
sei, jedem asiatischen Land unter die Arme zu greifen, das kurzfristig un-
ter steigenden Energiekosten litt, und verpflichtete sich darüber hinaus zur
Suche nach alternativen Energiequellen. Die graue Zelle mit der IWF-Müt-
ze auf dem Kopf kündigte finanzielle Unterstützungen für alle ehemaligen
Länder des Sowjetblocks an, die infolge des russisch-japanischen Abkom-
mens in Not gerieten. Keines der Teams sagte auch nur ein Wort zu der neu
ins Spiel gebrachten Goldwährung. Sie war einfach da, ein neugeborener,
800 Pfund schwerer Gorilla, der mitten im Lageraum saß und darauf warte-
te, dass jemand Notiz von ihm nahm.

Am Ende des Zugs gab die weiße Zelle die Ergebnisse für die Runde be-
kannt. Die Vereinigten Staaten hatten ein wenig an Stärke verloren, weil Ja-
pan sich offenkundig etwas aus dem amerikanischen Orbit abgesetzt hatte
und die USA eine wirksame Antwort darauf schuldig geblieben waren. Chi-
na bekam dafür, dass es im Prinzip nichts getan hatte, einen kleinen Macht-
gewinn zugesprochen. Russland dagegen wurde für seinen nach Auffassung
der weißen Zelle eindeutig feindseligen Zug, der eine mangelnde Koope-
rationsbereitschaft mit dem Rest der Welt offenbarte und dem Land keine
unmittelbaren Vorteile brachte, empfindlich abgestraft. Damit hatten Steve

45
Teil 1 Kriegsspiele

und ich unter dem Strich unseren beiden Teams am Ende der ersten Run-
de einen moderaten Machtverlust beschert. Allerdings spielten wir das, was
russische Schachgroßmeister ein tiefes Spiel nennen. Es würde noch weite-
re Züge geben.

Die zweite Spielrunde wurde eingeläutet. Das neue Basisszenario passte


nicht mehr ganz so gut zu meinen Vorstellungen über Währungskriege wie
das Szenario aus der ersten Runde. Diesmal ging es um den ökonomischen
Zusammenbruch Nordkoreas und die globalen Reaktionen darauf, ein Sze-
nario, das gleichermaßen auf geopolitische wie auf humanitäre Motive ab-
hob. So plausibel dieses Szenario auch sein mochte, für ein Finanzkriegspiel
war es eine eigenartige Wahl. Nordkorea war so wenig mit dem internatio-
nalen Finanzsystem verknüpft, wie das einem Land überhaupt nur möglich
war, und zunächst hatte ich keine Ahnung, wie man das Gold- und Wäh-
rungsthema in das nordkoreanische Szenario einarbeiten konnte.

In unserer chinesischen Hauptstadt hörte ich meinen Teamkollegen zu,


die ernsthaft darüber diskutierten, ob die Vereinigten Staaten sich weigern
könnten, Nordkorea zu helfen, damit die Situation sich weiter zuspitzte
und so der Weg zu einer koreanischen Wiedervereinigung frei wurde. Da
mein Team risikoscheu war, vereinbarten sie ein humanitäres Hilfspaket für
Nordkorea, verbunden mit dem Hinweis, dass China eine Wiedervereini-
gung zu einem späteren Zeitpunkt und unter weniger konfrontativen Bedin-
gungen durchaus unterstützen könnte.

Bei einer Gesprächspause wendete ich mich an Harvard. »Hören Sie, ich
finde, wir sollten diese Sache mit der Goldwährung nochmals angehen. Wir
könnten in einem Kommuniqué eine gewisse Sympathie für die russische
Initiative anklingen lassen und die Absicht verkünden, sie genauer studieren
und ihr möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt beitreten zu wollen.«

So langsam verlor Harvard die Geduld. Er hatte angenommen, die Sache sei
begraben und könnte getrost ignoriert werden. Sollte China sich dem rus-

46
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

sischen System anschließen, würde es seine Dollarreserven in physisches


Gold umtauschen müssen, um die neue Währung zu unterstützen. Neben
anderen Einwänden hielt Harvard den von den Russen angesetzten Preis für
zu hoch. »Es reicht«, schnauzte er. »Diese ganze Sache ergibt doch keinen
Sinn. Gold spielt im globalen Währungssystem keine Rolle mehr und wird
es auch in Zukunft nicht tun, egal was die Russen anstellen. Die sind auf
sich selbst gestellt. Sie wollen mit harten Devisen zu einem überhöhten Kurs
Gold kaufen; ich würde eher die Dollar halten – die sind viel wertvoller.« Er
sah mich an. »Können wir uns jetzt wieder um Nordkorea kümmern?«

Als anerkannter Asienexperte war Harvard viel eher für eine Diskussion
über komplizierte bilaterale ostasiatische Probleme zu begeistern als für ein
seiner Meinung nach sinnloses Gespräch über Währungen und Gold. Doch
ich hatte seit meinem Jurastudium nicht umsonst gelernt, für beide Seiten
einer Sache zu argumentieren, ohne dazwischen auch nur Atem zu holen,
und einfach um die Idee am Leben zu halten, nahm ich sein Argument auf
und wendete es gegen ihn.

»Sie sind also der Meinung, die Russen verlangen zu viel für ihr Gold?«,
fragte ich.

»Genau«, antwortete er. »Viel zu viel sogar.«

»Nun, warum verkaufen wir unser Gold dann nicht an die Russen?«

Das war nicht nur der Instinkt des Anwalts, sondern auch der des Händ-
lers. Jeder Markt hat eine Nachfrageseite, auf der jemand bereit ist zu kau-
fen, und eine Angebotsseite, auf der jemand bereit ist, zu verkaufen. Market
Making ist die Kunst der Preisfindung im Wechselspiel von Nachfrage und
Angebot. Es kommt vor, dass man als Käufer an den Start geht, aber dann
merkt, dass der geforderte Preis viel zu hoch ist, und deshalb postwendend
als Verkäufer auftritt. Diese leidenschaftslose Eiswasser-in-den-Adern-Men-
talität war charakteristisch für alle wirklich guten Händler, die mir je begeg-

47
Teil 1 Kriegsspiele

net sind. Ich zwang Harvard, Farbe bekennen. Wenn der Preis zu hoch zum
Kaufen war, dann sollten wir verkaufen. Ich war gespannt, ob er den Köder
schlucken würde.

»Perfekt«, sagte er. »Stoßen wir alles ab, verkaufen wir unser ganzes Gold
gegen Euro und Dollar an die Russen und diversifizieren unsere Devisen-
position.«

Gut möglich, dass er das nur sagte, um mich zum Schweigen zu bringen,
aber das war mir egal. Wir hatten gerade die Schlinge um den Hals des US-
Dollars enger gezogen. Der Rest des Teams stimmte dem Plan zu, und so be-
rief ich ein weiteres Gipfeltreffen mit Russland ein, um ihnen unser Angebot
zu unterbreiten. Steve und ich trafen uns zum dritten Mal, und wie erwar-
tet stieg Russland auf das Angebot ein, die gesamten chinesischen Goldvor-
räte – rund 1 000 Tonnen – zu kaufen und mit Devisen aus den russischen
Währungsreserven zu bezahlen. Von der Warte der Russen aus gesehen war
dieses Geschäft perfekt, weil es sich trotz seines gewaltigen Umfangs nur
minimal auf die Märkte auswirken würde. Im normalen Goldhandel musste
man schon einen Blockverkauf ab zehn Tonnen unter höchster Geheimhal-
tung arrangieren, um zu verhindern, dass der Marktpreis durch die Decke
schoss. Aber jetzt hatte Russland den größten Goldkauf in der Geschichte
eingefädelt, ohne dass das den Markt unmittelbar negativ beeinflussen wür-
de. Dass China aus dem Goldspiel ausstieg, fand ich bedauerlich, aber um-
so mehr freute mich, dass Russland den Ball aggressiv nach vorne spielte.

Wir kehrten zur dritten Plenarsitzung in den Lageraum zurück. Das übli-
che Prozedere folgte, und jede Zelle gab ihre Antwort auf das Nordkorea-
Szenario bekannt. Wie erwartet sagten die Vereinigten Staaten und die Pa-
zifik-Länder humanitäre Hilfe zu, was auch China tat, das angesichts des
offenkundig desolaten Zustands des nordkoreanischen Regimes in seiner
Erklärung ein paar versöhnliche Töne im Hinblick auf eine mögliche Wie-
dervereinigung einflocht. Russland stimmte zwar in den Chor der Hilfs-
willigen ein, kündigte aber gleichzeitig die Schließung seiner Grenze zu

48
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

Nordkorea an. Dann, fast schon beiläufig, gab Russland bekannt, dass es
die gesamten chinesischen Goldreserven aufgekauft hatte, um die eigenen
Goldvorräte zur Unterstützung seiner neuen, goldgedeckten Währung auf-
zustocken.

Die weiße Zelle war sichtlich beunruhigt. Russland spielte ein eigenes Spiel
nach eigenen Regeln. Wenn man Steve und mich fragte, spielte Russland
seit 1 000 Jahren nach seinen eigenen Regeln, und insofern war das hier
ein typisch russisches Verhalten. Nun konnte der 800 Pfund schwere Go-
rilla nicht länger ignoriert werden, und das wurde auch postwendend an-
erkannt. Für China, die Vereinigten Staaten und die Pazifik-Gruppe brach-
te die zweite Runde kaum Veränderungen in ihrer nationalen Stärke. Das
war auch völlig in Ordnung, denn Nordkorea war zwar höchst instabil und
gefährlich, aber eben auch international isoliert, und deshalb würde auch
niemand groß an relativer Stärke gewinnen oder verlieren, sollte Nordko-
rea vollends vor die Hunde gehen. Dann aber gab die weiße Zelle klein-
laut ihr Votum zu Russland bekannt: »Wie es aussieht, hat Russland konkre-
te Schritte zur Einführung einer glaubwürdigen Alternative zum US-Dollar
im internationalen Handel unternommen. Obwohl die Erfolgsaussichten
höchst ungewiss sind, haben wir beschlossen, Russland zusätzliche Punk-
te für seine währungsbezogenen Züge zu gewähren.« Steve und ich sahen
uns quer durch den Lageraum an. Ein Freispruch war das zwar noch lan-
ge nicht, aber ein kleines Grinsen konnten wir uns dennoch nicht ganz ver-
kneifen.

Damit war der erste Tag zu Ende. Es war ein langer Tag gewesen, aber das
Kriegsspiel hatte sich ganz gut entwickelt. Wir beschlossen, uns in der Ge-
gend nach einem Restaurant umzusehen und nach einem guten Abendes-
sen und ein paar gepflegten Drinks zeitig ins Hotel zurückzukehren, um uns
über die Nachrichten des Tages zu informieren und uns auf Tag zwei vorzu-
bereiten. Es gehört zu den Eigenheiten der Arbeit in einer gesicherten Um-
gebung, dass man keine Ahnung hat, was draußen in der Welt vor sich geht.
Man kann sich in der Schaltzentrale der Geheimdienstanalyse oder Waffen-

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Teil 1 Kriegsspiele

entwicklung befinden und doch wegen des begrenzten Zugangs zu Mobil-


telefonen, Nachrichten-Apps und den sonstigen Segnungen der vernetzten
Welt des 21. Jahrhunderts der Letzte sein, der mitbekommt, dass die Börsen
einbrechen. Als Marktteilnehmer und Nachrichtenjunkies hatten wir eben-
so großen Hunger auf Informationen wie auf ein ordentliches Abendessen.
Wir ließen uns den Weg zu einem nicht allzu schicken Restaurant in der Nä-
he von Fort Meade beschreiben, das ein paar Laborleute empfohlen hat-
ten, und während Steve und O.D. an ihren Blackberrys hingen und chatte-
ten und surften, setzte ich mich ans Steuer. Wir fanden das Restaurant ohne
große Probleme, waren aber ziemlich überrascht, dass an einem Dienstag
um 17.30 Uhr der Parkplatz voll belegt und der Balkon im ersten Stock des
Restaurants dicht mit Leuten besetzt war.

»Ach so, heute ist St. Patrick’s Day «, sagte O.D., der sich auf seine
O’Donnell-Familienwurzeln besann und passend zum Anlass einen irischen
Akzent anschlug. »Der Laden ist unter Garantie schon seit der Mittagszeit
brechend voll.«

Wir hatten uns so sehr auf unsere Mission konzentriert, das globale Finanz-
system bis in seine Grundfesten zu erschüttern, dass wir den guten St. Pa-
trick ganz vergessen hatten. Als ein Thornton mütterlicherseits habe ich
ebenfalls irische Wurzeln. Kraft unserer Ahnenlinien ernannten O.D. und
ich Steve zum Iren ehrenhalber, nahmen die Außentreppe hinauf zum Bal-
kon in Angriff, bahnten uns einen Weg durch die Menschenmassen und
drängten uns durch den nicht weniger überfüllten Speisesaal, bis wir einen
Tisch am Fenster mit einem netten Blick hinaus ins Grüne fanden. Wir setz-
ten uns, bestellten drei Pints Guinness mitsamt diversen Vorspeisen und
machten uns an unser, wie sie beim Pentagon sagen würden, ganz eigenes
»Briefback«.

»Wisst ihr, was das Problem bei diesem Spiel ist?«, fragte O.D.

»Lass hören«, sagte ich.

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Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

»Das Problem ist, dass es keinen Markt gibt. Die weiße Zelle kann uns sagen,
ob wir Boden gut gemacht oder verloren haben, aber es gibt kein Preissys-
tem, anhand dessen wir die Auswirkungen unserer Züge messen könnten.«

O.D. hatte Recht. Ein Trader kann die beste Trading-Idee aller Zeiten ha-
ben, aber ein Geldverlust bei einem Trade ist der Weg, wie die Wirklichkeit
einem mitteilt, dass etwas schiefläuft. Seit jeher sind die besten Händler die-
jenigen, die wissen, wann es an der Zeit ist, aus einem schlechten Trade aus-
zusteigen, die Verluste zu begrenzen und sich auf die Suche nach der nächs-
ten guten Gelegenheit zu machen. Früher oder später kommt die Quittung
so oder so. Schlechte Trader dagegen würden in der Annahme, dass der
Markt einfach nicht kapiert, wie genial sie sind, irgendwelche Gründe für ih-
re Verluste vorschieben und die Einsätze so lange weiter erhöhen und mehr
Geld verlieren, bis irgendein Risikomanager sie zur Aufgabe der Position
zwingt. Egal welche Strategie man verfolgt, die Preissignale sind es, die Tra-
der auf Spur halten und für das Feedback des Marktes sorgen, mit dem sie
ihre Theorien überprüfen können.

Trotzdem durften wir uns nicht allzu sehr über etwas ereifern, was wir nicht
hatten. Immerhin war es das erste Mal, dass das Pentagon ein Finanzplan-
spiel zur Durchführung brachte, und das auch noch gegen interne Wider-
stände. Ich war schon froh, dass sie überhaupt etwas in der Richtung unter-
nahmen. Zumindest gab man sich dort aufgeschlossen, und das war mehr,
als ich von einigen zivilen Behörden behaupten konnte. Wann immer ich an-
dere Regierungsmitarbeiter oder Beamte vor den Gefahren eines von Fein-
den der USA angezettelten Finanzkriegs gewarnt hatte, hatte ich unweiger-
lich etwas in der Art von »Oh, das würden die nie tun – das wäre viel zu
teuer, und außerdem würden sie sich damit nur ins eigene Fleisch schnei-
den« zu hören bekommen. Sie taten so, als ob militärische Rüstungsgüter
kein Geld kosten würden und Flugzeugträger umsonst zu haben seien. Dass
die Kosten für einen Finanzkrieg weitaus geringer sein könnten als die für
einen Rüstungswettlauf und er wahrscheinlich viel wirksamer darin wäre,
die Macht der USA auszuhöhlen als eine offene militärische Konfrontation,

51
Teil 1 Kriegsspiele

wollte diesen Leuten einfach nicht in den Kopf. Das Pentagon verdiente ei-
nen Haufen Anerkennung dafür, die ganze Sache überhaupt so weit voran-
getrieben zu haben. Für ein verbessertes Drumherum würde später, in zu-
künftigen Planspielen, noch genug Zeit sein.

Wir bestellten eine zweite Runde Guinness, ließen uns das Essen schme-
cken und kehrten dann zurück nach Columbia, Maryland, wo wir über-
nachteten. Es war ein langer Tag gewesen, und der Spielbeginn für die zwei-
te Runde war auf 7.30 Uhr angesetzt. Wir verabredeten, uns am nächsten
Morgen in der Lobby zu treffen, und gingen dann auf unsere Zimmer.

Tag zwei

Als ich um 6.30 Uhr aufwachte, fühlte ich mich von dem Guinness zwar
noch etwas angeschlagen, aber das war nichts, was zwei Tassen Kaffee nicht
kurieren konnten. Ich packte rasch meine Sachen zusammen und beschloss,
noch kurz einen Blick auf die Online-Nachrichten zu werfen, bevor ich mei-
nen Laptop verstaute. Für die vielen E-Mails, die jeden Morgen in meinem
Posteingang warteten, blieb mir heute keine Zeit. Ein kurzer Abstecher auf
die Homepage des Drudge Report und ein schneller Blick auf die Schlag-
zeilen des Tages mussten reichen. Nachdem ich am Vortag auf meine tägli-
che Dosis Nachrichten hatte verzichten müssen und das auch an diesem Tag
nicht anders sein würde, war das die schnellste Methode, mich auf den neu-
esten Stand der Dinge in der Welt zu bringen.

Ich klickte auf das Drudge-Lesezeichen in meinem Browser, wartete ein paar
Sekunden, bis sich die Seite aufgebaut hatte – und wollte nicht glauben, was
ich da sah. Typisch für den Drudge Report, prangte in der Seitenmitte die
große Porträtaufnahme einer einzelnen Person. An diesem Morgen war es
Wladimir Putin. Die Schlagzeile unter dem Bild verkündete, dass Russland
dazu aufrief, den Dollar als Leitwährung abzulösen und nach einer alterna-

52
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

tiven Reservewährung suchte, einer Währung, die unter Umständen durch


materielle Vermögenswerte wie Gold gedeckt sein könnte.

Im vergangenen Jahr gehörten solche Schlagzeilen fast schon zur Tages-


ordnung, aber im März 2009 war das noch ein neuer Gedanke und zudem
einer, der vielen Leuten bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal zu Ohren
kam. Natürlich war es leicht, Putin als Chauvinist oder Schlagzeilensu-
cher abzutun, aber ich wusste, dass man sich in Europa, China und beim
IWF in der Tat schon Gedanken über Alternativen zum Dollar gemacht
hatte. P
­ utin hatte lediglich vor allen anderen das Maul aufgerissen und die
Welt von Russlands Unzufriedenheit mit der dollarbasierten Hegemonie in
Kenntnis gesetzt, die die Vereinigten Staaten der Welt aufgezwungen hat-
ten – eben das, worüber Steve und ich vor einer Woche bei Austern und
Weißwein diskutiert hatten. Sogar wenn wir den Drudge-Artikel selbst ver-
fasst hätten, eine bessere Bestätigung für unsere Spielzüge hätten wir nicht
bekommen.

Ich stopfte den Laptop in meine Aktentasche, rannte die Treppe zur Lobby
hinunter und versuchte dabei, auf meinem Blackberry den Drudge Report
aufzurufen. Steve und O.D. warteten bereits auf mich.

»Hey Leute«, rief ich. »Habt ihr heute Morgen schon den Drudge Report
gesehen? Ihr werdet es nicht glauben!«

Ich drückte Steve den Blackberry in die Hand. Steve überflog die Seite,
dann gab er ihn an O.D. weiter.

»Unglaublich«, sagte Steve. »Die Leute im Lab werden glauben, wir hätten
die ganze Sache geplant. Als ob wir Insiderinformationen hätten! Lasst uns
rüberfahren und ihnen zeigen, was in der Welt los ist.«

Im Labor angekommen, hetzten wir durch den Sicherheitscheck, rannten zu


Gebäude 26 und hasteten die Stufen hinauf in den Lageraum.

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Teil 1 Kriegsspiele

Im Raum herrschte eine ruhige Atmosphäre, Leute saßen bei einem Kaf-
fee zusammen und sprachen über die Ereignisse des letzten Tages. Ich war
mir ziemlich sicher, dass die hier versammelten sehr ernsthaften Militärs
und Akademiker morgens wichtigere Dinge zu tun hatten, als den Drudge
Report zu lesen, also dürfte die Sache mit Putin noch nicht die Runde ge-
macht haben. Ich ging in den angrenzenden Technikraum. Dort gab es ei-
nen wandgroßen Monitor, über den die Monitore im Lageraum überwacht
werden konnten und bei Problemen eingegriffen werden konnte. Ich bat
den Videotechniker, das Internet auf den großen Schirm zu holen, und gab
ihm die Webadresse des Drudge Report. Ein paar Sekunden später prangte
ein überlebensgroßes Porträt unseres Freundes Putin auf dem Bildschirm,
und nochmals ein paar Mausklicks auf dem Steuerpaneel später erschien
das Drudge-Banner auch auf dem Hauptbildschirm im Lageraum. Gleich-
zeitig druckten die hilfsbereiten Laborleute die zu der Schlagzeile gehören-
de Story aus und sorgten dafür, dass in jeder Gefechtsstation eine Kopie da-
von neben die Regelbücher und Szenarien gelegt wurde.

Harvard war nicht amüsiert. Er fand, dass Steve und ich uns lächerlich
machten, und so ziemlich das Gleiche sagte er jetzt über Putin. Die meisten
anderen Teilnehmer aber waren höflich genug, uns ein bisschen Ehre dafür
zu gewähren, das Spiel in Richtung der nächsten großen Sache gelenkt zu
haben, noch bevor sie sich ereignet hatte.

Nachdem sich die Aufregung um die Sache mit Putin wieder gelegt hatte,
ging es mit dem Planspiel und Zug drei weiter, dem letzten Zug des Spiels.
Das Szenario sah unter anderem die Wahl eines für die Unabhängigkeit ein-
tretenden Präsidentschaftskandidaten in Taiwan und Bemühungen zur Re-
duzierung der zunehmenden ökonomischen Integration der Insel mit Fest-
landchina vor. An der Goldwährungsfront blieb jetzt nicht mehr allzu viel
zu machen. Russland hatte seinen Zug gemacht und China sich geweigert,
mitzuspielen. Die Vereinigten Staaten verhielten sich indifferent, was aller-
dings seltsam war, da in der realen Welt jeder Schritt der Russen in Rich-
tung einer Goldwährung auf eine weitaus robustere Reaktion der USA sto-

54
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

ßen würde. Andererseits war die US-Zelle ausschließlich mit Akademikern,


Leuten aus Denkfabriken und uniformierten Militärs besetzt, mithin Leu-
ten, die über keinerlei Markterfahrungen verfügten, und so musste ich da-
von ausgehen, dass sie einfach nicht kapierten, dass die Russen mit ihrem
Zug den Dollar attackiert hatten. Wie die meisten Experten, mit denen ich
gesprochen hatte, gingen sie einfach davon aus, dass der Dollar auf ewig die
dominante Währung blieb, und dachten deshalb erst gar nicht groß über al-
ternative Szenarien nach.

Wir machten uns daran, unsere Reaktionen auf das vorgestellte Problem
auszuarbeiten. China unterstrich seine »Ein-China«-Position und warn-
te alle Länder eindringlich davor, die taiwanesische Initiative zu unterstüt-
zen. Japan schlug eine asiatische Freihandelszone vor, der sowohl China
wie auch Taiwan beitreten könnten, um auf diese Weise ihre Differenzen
zu überbrücken. Die Vereinigten Staaten bekräftigten ihre militärische Ko-
operation mit Taiwan, wiesen aber darauf hin, dass sie diese Kooperation in
Zukunft mit von Taiwans Bereitschaft abhängig machen würden, seine kon-
frontative Haltung zu mäßigen. Nur Russland spielte weiter seinen Gold-
währungsjoker. Zum einen versuchte es, die OPEC-Mitglieder in der grau-
en Zelle für seinen Goldwährungsplan zu gewinnen, zum anderen wurde
China signalisiert, dass man sehr viel eher bereit sei, sich in der Taiwan-
Frage auf die Seite Pekings zu schlagen, sollte China die neue Währung un-
terstützen. Eines musste ich Steve und seinen Teamkollegen lassen: Auch
wenn niemand sonst ihnen große Aufmerksamkeit schenkte, sie verstanden
es, ihr Blatt optimal auszureizen.

Gerade als es so aussah, als würde das Spiel so langsam und gemächlich ei-
nem ruhigen Ende entgegensteuern, spielte O.D. seinerseits eine Wildcard
aus. Als Sprecher der grauen Zelle ließ er verlauten, die japanische Küs-
tenwache habe eine große Lieferung nahezu perfekt gefälschter Hundert-
dollarnoten, oder, wie das US-Finanzministerium dazu sagte, Superdollar,
abgefangen. Diese Superdollar werden vom berüchtigten Büro 39 der nord-
koreanischen Regierung produziert, eine geheime Einrichtung, die Kim Il

55
Teil 1 Kriegsspiele

Sung bereits 1974 zum Zweck der Geldwäsche, der Geldfälschung, des
Drogenhandels und anderer gemeinhin von kriminellen Organisationen
begangener Taten aufgebaut hatte. O.D.s Manöver war ein netter histori-
scher Verweis darauf, dass schon früher Länder eine Art finanzielle Krieg-
führung betrieben hatten, indem sie die Währung ihrer Feinde gefälscht und
das Feindterritorium mit den gefälschten Banknoten überschwemmt hat-
ten, um so das Vertrauen in die legitimen Banknoten zu erschüttern und zu
einem ökonomischen Kollaps beizutragen. Dazu zählen übrigens auch die
Vereinigten Staaten: Während des amerikanischen Bürgerkriegs hatte ein
Parteigänger der Union und Schreibwarenhändler aus Philadelphia namens
Samuel Upham über 15 Million Dollar in gefälschten Konföderationsno-
ten gedruckt, was ungefähr 3 Prozent der insgesamt in Umlauf befindlichen
Menge an CSA-Dollar entsprach. Viele dieser Banknoten wurden von Uni-
onssoldaten in den Süden gebracht, was das Vertrauen in die echte Wäh-
rung der Konföderation untergrub.

O.D. gab weiter bekannt, dass die Schweizer Banken Opfer umfangrei-
cher betrügerischer Einzahlungen solcher Superdollar geworden seien, die
aus allen Teilen der Welt ins Land zu strömen schienen. Die Verluste der
Schweizer Banken und die große Menge der von den Japanern abgefange-
nen Superdollar waren genug, um Zweifel am Wert der im Ausland vorwie-
gend in Form von Hundertdollarnoten gehaltenen US-Währung zu schüren.
Auf den Schwarzmärkten wurden, hieß es weiter, Hundertdollarnoten mit
einem Abschlag gegenüber ihrem offiziellen Nennwert gehandelt. Da der
Baranteil gegenüber den in elektronischer Form bei Banken gehaltenen Dol-
laranlagen vergleichsweise gering ist, hielten sich die Auswirkungen der Su-
perdollarschwemme in Grenzen. Dennoch verpasste O.D. der US-Währung
mit seinem boshaften Abschiedsgruß einen weiteren Treffer.

Schlussendlich zeigte sich die weiße Zelle doch noch beeindruckt von Russ-
lands Hartnäckigkeit in Sachen alternativer Währung, insbesondere von
dem Angebot an die OPEC, und sprach dem Land zusätzliche Machtpunk-
te zu – eine völlige Kehrtwende gegenüber dem Spott, mit dem ihr Spre-

56
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

cher noch am Vortag Russlands Zug kommentiert hatte. China bekam eben-
falls Punkte zugesprochen, hauptsächlich dafür, dass es nichts getan hatte,
eine Fallstudie dazu, wie man ein Nullsummenspiel gewinnt, indem man
selbst den Ball flach hält und den anderen dabei zuschaut, wie sie einen
Bock nach dem anderen schießen. Die Vereinigten Staaten verloren nati-
onale Macht, zum Teil wegen des russischen Angriffs auf den Dollar, aber
auch, weil Ostasien zu einem Block mit China und Japan im Zentrum zu-
sammenrückte, dem auf lange Sicht der Großteil der Region angehören und
der seine Schlüsselentscheidungen in Sachen Handel und Kapitalflüsse un-
ter Ausschluss der USA treffen würde. Am Ende gewann China, das am we-
nigsten getan hatte, am meisten, während Russland und Ostasien jeweils
leicht zulegten und die Vereinigten Staaten die größten Verluste hinnehmen
­mussten.

Der Rest der Sitzung verging mit Nachbesprechungen. Nach der ganzen
Arbeit, die in die Vorbereitung des Planspiels geflossen war, waren es zwei
höchst faszinierende Tage gewesen. Die amerikanische nationale Sicher-
heit kann nur profitieren, wenn so viele Experten aus den unterschiedlichs-
ten Disziplinen und mit den unterschiedlichsten Perspektiven unter einem
Dach zusammenkommen, um Ideen auszutauschen und dem Militär neue
Wege zum Verständnis potenzieller Bedrohungen aufzuzeigen. Wenn das Fi-
nanzministerium oder die Fed Szenarien erstellen, denken sie normalerwei-
se an platzende Blasen und kollabierende Märkte, nicht an von Staaten be-
triebene Finanzkriege. Die Fed habe, sagte der ehemalige Fed-Vorsitzende
Alan Greenspan immer gerne, keine Erfahrung darin, die Entstehung von
Blasen zu verhindern, und ihre Ressourcen würden besser dazu verwendet,
hinterher, nachdem eine Blase geplatzt sei, die Sauerei wieder aufzuräumen.
Greenspans Empfehlung taugt allerdings nur für Sauereien bis zu einer be-
stimmten Größenordnung. Auf die wirklich großen Sauereien – solche, die
mit sozialen Unruhen, Hungerrevolten, Plünderungen, Flüchtlingsströmen
und allgemeinem gesellschaftlichen Kollaps einhergehen – hat eine Institu-
tion wie die Fed keine Antwort, sodass sich Gesellschaften auf der Suche
nach Lösungen unweigerlich an das Militär wenden. Mit anderen Worten,

57
Teil 1 Kriegsspiele

das Militär hat ein großes Interesse daran, das Risiko wirtschaftlicher Kata-
strophen einschätzen zu können, und wir hatten dem Pentagon zumindest
eine gewisse Grundlage dafür gegeben, um weiter über ökonomische Über-
raschungsangriffe nachzudenken.

Im Laufe der folgenden Wochen, das Finanzplanspiel noch frisch in Erinne-


rung, wurde ich mehr als sonst daran erinnert, dass in der realen Welt längst
ein Währungskrieg ausgebrochen war und dieser Krieg rund um die Welt
mit harten Bandagen geführt wurde. Im März 2009 sprach zwar noch nie-
mand von einem »Währungskrieg« – das sollte erst später kommen –, aber
die Anzeichen waren unverkennbar. Die Federal Reserve hatte im Novem-
ber 2008 ihr erstes Programm zur quantitativen Lockerung gestartet, mit
dem kaum verhüllten Ziel, den Dollar auf den internationalen Devisenmärk-
ten zu schwächen. Und die von der Fed betriebene Politik des billigen Gel-
des hatte die gewünschten Auswirkungen.

In den zwei auf das Finanzplanspiel folgenden Jahren legten Aktien und
Gold um über 85 Prozent an Wert zu. Anfangs zeigten sich einige Analys-
ten erstaunt über die positive Korrelation in der Wertentwicklung von Akti-
en und Gold, aber nur, bis sie erkannten, dass es exakt dasselbe Phänomen
schon einmal gegeben hatte, und zwar im April 1933, als Präsident Roo-
sevelt im Rahmen der »Beggar-thy-neighbour«-Währungskriege der Welt-
wirtschaftskrise den Dollar gegenüber dem britischen Pfund abwertete. Die
massiven zeitgleichen Kursanstiege bei Aktien und bei Gold 1933 und 2010
waren lediglich eine Folgeerscheinung der Dollarschwächung. Der intrinsi-
sche Wert der Anlagen war nicht gestiegen – man brauchte nur mehr Dollar,
um sie zu kaufen, weil der Dollar weniger wert war.

Den Dollar schwächen, das ist in der realen Welt, außerhalb des Lageraums,
der einfache Teil. Der schwierige Teil ist, sich auszurechnen, was als Nächs-
tes kommt, wenn Exportländer wie China, Russland und Saudi-Arabien
versuchen, ihre Interessen zu schützen, indem sie die Preise erhöhen oder
aus in US-Dollar notierten Wertpapieren flüchten.

58
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg

Dieser Punkt, an dem der Währungskrieg dann so richtig heißlaufen wür-


de, war zum Zeitpunkt des Finanzplanspiels im März 2009 allerdings noch
Zukunftsmusik.

Eine Erkenntnis, die das Pentagon aus dem Planspiel ziehen konnte, war,
dass die Vereinigten Staaten, selbst wenn der Dollar kollabieren würde, im-
mer noch über sehr große Goldreserven verfügten, auf die sie zurückgrei-
fen könnten. Interessanterweise sind nämlich fast die gesamten US-Goldbe-
stände nicht in zivilen Banksafes untergebracht, sondern auf Militärbasen,
genauer gesagt in Fort Knox, Kentucky, sowie in West Point am Ufer des
Hudson River in New York – eine Tatsache, die einiges über die Verbindung
zwischen nationalem Vermögen und nationaler Sicherheit aussagt.

Auf die Währungsabwertungen in den 1930er-Jahren folgten schnell die ja-


panischen Invasionen in Asien und der deutsche Überfall auf Europa. Auf
die Abwertungsrunden in den 1970er-Jahren wiederum folgte rasch die
schlimmste Inflation seit der Weltwirtschaftskrise. Die Vereinigten Staaten
treten heute in eine Periode der finanziellen Bedrohung ein, vergleichbar
­jenen in den 1930er- und 1970er-Jahren. Das Pentagon war mit seinem Fi-
nanzplanspiel der Zeit zwar voraus, aber nicht sehr viel, und im Rückblick
erscheint es Teil der Vorbereitung auf uns bevorstehende düsterere Tage ge-
wesen zu sein – der Beginn und nicht das Ende einer neuen Welt der finan-
ziellen Bedrohungen.

59
T eil 2
Währungskriege
Kapitel 3 –
Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
»Wir befinden uns mitten in einem internationalen Währungskrieg.«4
Guido Mantega,
brasilianischer Finanzminister, 27. September 2010

»Ich mag diesen Ausdruck nicht … Währungskrieg.«5


Dominique Strauss-Kahn,
(inzwischen zurückgetretener) Direktor des IWF, 18. November 2010

Ein Währungskrieg, den ein Land durch die wiederholte Abwertung sei-
ner Währung gegenüber anderen Währungen führt, gehört zu den destruk-
tivsten und am meisten gefürchteten Konflikten in der internationalen Öko-
nomie. Er weckt ungute Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise, als die
großen Wirtschaftsnationen mit einer aggressiven Leistungsbilanzüber-
schusspolitik und Schutzzöllen den Welthandel zum Erliegen brachten. Er
gemahnt an die 1970er-Jahre, als infolge der Bemühungen der USA, den
Dollar durch die Abkehr von der Golddeckung zu schwächen, sich der Dol-
larpreis des Erdöls vervierfachte. Und nicht zuletzt kommen einem neben
anderen Störungen die Krisen des britischen Pfund 1992, des mexikani-
schen Peso 1994 und des russischen Rubel 1998 in den Kopf. Unabhängig
von ihrer Dauer und Schwere gehen solche Währungskrisen mit Stagnati-
on, Inflation, Sparmaßnahmen, finanzieller Panik und anderen schmerzhaf-
ten wirtschaftlichen Folgen einher. Aus einem Währungskrieg entsteht nie
irgendetwas Gutes.

Entsprechend schockiert und verstört waren die globalen Finanzeliten, als


Guido Mantega, seines Zeichens brasilianischer Finanzminister, Ende Sep-
tember 2010 rundheraus verkündete, ein neuer Währungskrieg habe begon-

63
Teil 2 Währungskriege

nen. Natürlich waren die Ereignisse und Zusammenhänge, die Mantega zu


seiner Äußerung veranlasst hatten, für die Finanzeliten weder neu noch un-
bekannt. Schon Ende 2007 hatten sich die internationalen Spannungen we-
gen der Wechselkurspolitik und damit einhergehend der Zins- und Fiskal-
politik mancher Länder verstärkt. Insbesondere China wurde von seinen
wichtigsten Handelspartnern wiederholt beschuldigt, den Kurs seiner Wäh-
rung, des Yuan, mit manipulativen Mitteln künstlich niedrig zu halten und
dadurch gewaltige Bestände an amerikanischen Staatsanleihen anzuhäufen.
Die Panik von 2008 allerdings ließ die Wechselkursstreitereien in einem neu-
en Licht erscheinen. Statt weiter zu wachsen, schrumpfte der ökonomische
Kuchen mit einem Mal, und Länder, die bis dato zufrieden gewesen waren
mit ihrem Stück vom Kuchen, fingen nun an, sich um die Krümel zu streiten.

Ungeachtet des offenkundigen globalen Drucks an den Währungsmärkten,


der sich 2010 aufgebaut hatte, galt es in den Kreisen der Finanzelite nach
wie vor als Tabu, von einem Währungskrieg zu sprechen. Stattdessen griffen
die internationalen Geldexperten zu Ausdrücken wie »Neujustierung« und
»Anpassung« zur Beschreibung der Versuche, die Wechselkurse unter Kon-
trolle zu bringen, um gewisse Ziele zu erreichen, die manchen erstrebens-
wert schienen. Doch natürlich konnte die Verwendung von Euphemismen
die Spannungen im System nicht auflösen.

Im Zentrum von Währungskriegen steht ein Paradox: Sie werden zwar auf
der internationalen Bühne ausgefochten, aber von inländischen Zwängen
angetrieben. Üblicherweise beginnen Währungskriege in Zeiten ungenü-
genden Binnenwachstums. Die betroffenen Länder haben meist mit ho-
her Arbeitslosigkeit, einem schwachen oder negativen Wachstum, einem
schwächelnden Bankensektor und sich verschlechternden öffentlichen Fi-
nanzen zu kämpfen. Unter solchen Umständen ist es schwierig, Wachstum
allein durch Interventionen auf dem Binnenmarkt zu erzeugen, und bleibt
als letztes Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft nur noch die Stimulati-
on des Exports durch eine Abwertung der Währung. Um zu verstehen, wa-
rum dies so ist, ist es hilfreich, sich nochmals die vier Grundelemente des

64
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor Augen zu führen. Das BIP errechnet sich


aus dem privaten Konsum (K), den Bruttoinvestitionen (I), den Konsum-
ausgaben des Staates (S) und der Differenz zwischen Exporten (X) und Im-
porten (M), dem sogenannten Nettoexport beziehungsweise Außenbeitrag.
Ausgedrückt wird diese allgemeine Wachstumsdefinition in der folgenden
­Gleichung:

BIP = K + I + S + (X – M)

In einer in Not geratenen Volkswirtschaft stagniert oder schrumpft der Kon-


sum (K) aufgrund von Arbeitslosigkeit, einer exzessiven Schuldenlast oder
beidem. Die Investitionen (I) der Unternehmen in Anlagen und Ausrüstun-
gen sowie (auch von Privaten) in Bauten werden zwar unabhängig vom Kon-
sum gemessen, sind aber dennoch eng damit verknüpft. Kein Unternehmen
wird in den Ausbau seiner Fertigungskapazitäten investieren, wenn es nicht
erwartet, dass die Verbraucher die höhere Produktionsmenge sofort oder in
naher Zukunft kaufen werden. Wenn also der Konsum einbricht, brechen in
der Regel auch die Investitionen ein. Die Staatsausgaben dagegen können
auch dann erhöht werden, wenn Konsum und Investitionen schwächeln.
Eben das empfehlen die Verfechter einer keynesianischen Wirtschaftspoli-
tik, um einer Volkswirtschaft selbst dann zu Wachstum zu verhelfen, wenn
die Privatkonsumenten und die Unternehmen als Wachstumsmotoren aus-
fallen. Das Problem ist, dass Regierungen die Ausgabenerhöhungen in einer
Rezession gemeinhin durch Steuern oder Neuverschuldung finanzieren,
und beides stößt bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe, zumal in Zeiten, in
denen die Steuerlast sowieso schon hoch ist und sie die Gürtel enger schnal-
len müssen. Insbesondere in Demokratien unterliegt die Fähigkeit von Re-
gierungen, die Staatsausgaben in Zeiten wirtschaftlicher Not zu erhöhen,
erheblichen Einschränkungen, selbst wenn manche Ökonomen eben das
empfehlen.

Eine Volkswirtschaft, in der weder die Konsumausgaben noch die Unter-


nehmen expandieren und der Erhöhung der Staatsausgaben Grenzen ge-

65
Teil 2 Währungskriege

setzt sind, kann die Wirtschaft nur wachsen, wenn die Nettoexporte (X-M)
erhöht werden, und die schnellste und einfachste Methode, dies zu errei-
chen, besteht in der Abwertung der eigenen Währung. Lassen Sie mich das
anhand eines Beispiels erklären: Angenommen, ein in Euro ausgezeichnetes
deutsches Auto kostet 30 000 Euro. Bei einem Wechselkurs von 1,00 ­Euro
= 1,40 Dollar liegt der Dollarpreis des deutschen Wagens bei 42 000 Dollar
(30 000 Euro x 1,40 Dollar / 1,00 Dollar = 42 000 Dollar). Nehmen wir nun
an, der Euro gibt nach auf 1,10 Dollar. Nun kostet derselbe 30 000 Euro t­ eure
Wagen nur noch 33 000 Dollar (30 000 Euro x 1,10 Dollar / 1,00 Dollar =
33 000 Dollar). Aufgrund dieses Rückgangs des Dollarpreises von 42 000
auf 33 000 Dollar ist das Auto nun für amerikanische Käufer erheblich at-
traktiver, und so werden entsprechend mehr davon verkauft. Der deutsche
Autohersteller nimmt in beiden Fällen gleich viel ein, nämlich 30 000 Euro.
Mit anderen Worten, dank der Euroabwertung kann der deutsche Hersteller
mehr Autos in Amerika verkaufen, ohne dass er den Europreis seiner Autos
senken müsste. Das wiederum hat zur Folge, dass das deutsche BIP steigt
und in Deutschland Arbeitsplätze entstehen, um die h­ öhere Nachfrage nach
deutschen Autos in den USA zu befriedigen.

Stellen Sie sich jetzt diese Dynamik nicht nur auf Deutschland angewen-
det vor, sondern auch auf Frankreich, Italien, Belgien und die ganzen an-
deren Länder, die den Euro eingeführt haben. Denken Sie an den Einfluss
nicht nur auf Autos, sondern auch auf französischen Wein, italienische Mo-
de und belgische Pralinen. Übertragen Sie das weiter nicht nur auf materi-
elle G
­ üter, sondern auch auf immaterielle Dinge wie Computersoftware und
Beratungsleistungen. Und bedenken Sie zu guter Letzt, dass davon nicht
nur ins Ausland verkaufte Güter und Dienstleistungen betroffen sind, son-
dern gleichermaßen auch der Tourismus und Reiseverkehr. Gibt der Eu-
ro gegenüber dem Dollar von 1,40 auf 1,10 Dollar nach, verbilligt sich da-
durch der Preis, sagen wir, eines 100 Euro teuren Dinners in Paris von 140
auf 110 Dollar, sodass US-Touristen es sich entsprechend eher leisten kön-
nen. Wenn man nun die Auswirkungen eines Rückgangs des Dollarwertes
des Euro in dieser Größenordnung auf alle materiellen und immateriellen

66
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

Handels­güter und Dienstleistungen sowie auf den Tourismus über die ge-
samte Eurozone hinweg berücksichtigt, beginnt man das Ausmaß zu begrei-
fen, in dem eine Abwertung das Wirtschaftswachstum fördern, den Arbeits­
markt beleben und die Gewinne steigen lassen kann. Die Verlockung, in
einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld einfach die eigene Währung
abzu­werten, kann in der Tat unwiderstehlich erscheinen.

Allerdings stellen sich die Probleme und ungewollten Folgen eines derarti-
gen Vorgehens fast ebenso schnell ein wie die erwünschten Effekte. Es fängt
damit an, dass heutzutage nur sehr wenige Produkte von Anfang bis Ende
in einem einzigen Land hergestellt werden. In unserer modernen, globali-
sierten Welt können in einem einzigen Produkt zum Beispiel amerikanische
Technologie, italienisches Design, australische Rohstoffe, chinesische Ferti-
gung, taiwanesische Komponenten und eine von der Schweiz aus gesteuerte
globale Distribution stecken, bevor es die Verbraucher in Brasilien erreicht.
Jeder Teil dieser Versorgungs-, Produktions- und Innovationskette erhält
entsprechend seinem Beitrag zum Ganzen einen Teil des erwirtschafteten
Gesamtgewinns. Der springende Punkt dabei ist, dass sich die Wechsel­
kursaspekte in einer globalisierten Wirtschaft nicht nur auf den abschlie-
ßenden Verkauf beziehen, sondern auch auf die gesamten Währungen der
Zwischenprodukte und Transaktionen entlang der Lieferkette. Ein Land,
das seine Währung abwertet, verbilligt dadurch zwar seine ins Ausland ge-
lieferten Produkte, kann sich damit aber auch ins eigene Fleisch schneiden,
da es von seiner billigeren Währung mehr für den Import der verschiede-
nen, zu ihrer Herstellung benötigten Ausgangsprodukte benötigt. Im Falle
eines Herstellungslands, das neben hohen Exportverkäufen auch in großem
Maße auf Importe aus dem Ausland angewiesen ist, um sich Rohstoffe und
Teile für den Bau der exportierten Güter zu beschaffen, kann die Währung
im Vergleich zu anderen Faktoren wie Arbeitkosten, Steuerlast und Qualität
der Infrastruktur nahezu irrelevant für die Nettoexporte sein.

Höhere Einsatzkosten sind nicht der einzige Nachteil einer Abwertung. Ei-
ne größere und unmittelbarere Sorge könnte das Risiko sein, damit einen

67
Teil 2 Währungskriege

Abwertungswettlauf nach dem Wie-du-mir-so-ich-dir-Prinzip auszulösen.


Nehmen wir nochmals das Beispiel des 30 000 Euro teuren deutschen Au-
tos, dessen Dollarpreis von 42 000 auf 33 000 Dollar zurückgeht, wenn der
Euro von 1,40 auf 1,10 Dollar fällt. Kann der deutsche Hersteller darauf
vertrauen, dass der Euro auf 1,10 Dollar bleibt? Die Vereinigten Staaten
könnten versucht sein, ihre einheimische Autoindustrie zu schützen, indem
sie den Dollar gegenüber dem Euro billiger machen und den Euro von 1,10
Dollar auf einen höheren Wechselkurs zwingen, womöglich sogar zurück
bis auf 1,40 Dollar. Dazu müssen die Vereinigten Staaten nur ihre Zinssätze
senken – wodurch der Dollar für internationale Investoren weniger attrak-
tiv wird – oder die Druckerpresse anwerfen und damit den Dollar entwer-
ten. Sie könnten aber auch direkt an den Devisenmärkten intervenieren und
so lange Dollar verkaufen und Euro kaufen, bis der Euro wieder auf dem ge-
wünschten Kurs steht. Kurz gesagt, die Abwertung des Euro könnte zwar
einige unmittelbare und kurzfristige Vorteile erbringen, andererseits aber
könnte dieser Nutzen schnell wieder verpuffen, wenn ein mächtiger Kontra-
hent wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten beschließt, darauf seinerseits
mit Abwertungsmaßnahmen zu reagieren.

Wenn beide Seiten zwar abwechselnd kurzfristige Vorsprünge erringen kön-


nen, aber keine der jeweils anderen einen dauerhaften Vorteil zugesteht,
können solche Abwertungswettläufe unentschieden ausgehen. In solchen
Fällen könnte zum Schutz der heimischen Hersteller der Griff zu einem of-
feneren Instrument notwendig sein. Dieses Instrument ist der Protektionis-
mus, der zumeist die Form von Zöllen, Einfuhrembargos und anderen Be-
schränkungen des freien Handels annimmt. Um nochmals das Autobeispiel
zu bemühen: Die USA könnten einfach einen Zoll in Höhe von 9 000 Dollar
auf jeden importierten Wagen aus Deutschland erheben und damit den US-
Preis des Autos von 33 000 zurück auf 42 000 Dollar zwingen. Im Prinzip
würden die USA den Vorteil der Euroabwertung für die Deutschen durch
eine Einfuhrsteuer ungefähr in Höhe des Dollarwertes dieses Vorteils aufhe-
ben und damit den Konkurrenzvorteil des Euro auf dem US-Markt eliminie-
ren. Von der Warte eines amerikanischen Automobilarbeiters aus betrachtet

68
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

dürfte das die beste Gegenmaßnahme sein, da sie die einheimische Indus-
trie schützt und dem Automobilarbeiter gleichzeitig erlaubt, einen kosten-
günstigen Urlaub in Europa zu verbringen.

Das Instrumentarium des Protektionismus beschränkt sich aber beileibe


nicht auf die Erhebung von Zöllen und kann auch radikalere Handelssank-
tionen bis hin zu Embargos umfassen. Ein bemerkenswerter Fall aus jün-
gerer Zeit, an dem China und Japan beteiligt waren, lieferte schon so etwas
wie einen Vorgeschmack auf einen Währungskrieg. Als bei Weitem größte
Fördernation kontrolliert China fast den gesamten Markt der sogenannten
Seltenen Erden – exotische, nur mit großem Aufwand abbaubare Metalle,
die von entscheidender Bedeutung für elektronische Produkte, Hybrid-
Automo­bile, Hightech-Anwendungen und viele grüne Technologien sind.
Gleichzeitig ist Japan als Hersteller von Hightech-Elektronik und Automo-
bilen in hohem Maße vom Import Seltener Erden abhängig. Als nun China
im Juli 2010 eine Einschränkung der Ausfuhren Seltener Erden um 72 Pro-
zent ankündigte, verlangsamte sich die industrielle Produktion in Japan und
anderen Ländern, die für die Versorgung mit Seltenen Erden auf China an-
gewiesen sind.

Am 7. September 2010 dann stieß ein chinesischer Fischkutter bei einer ab-
gelegenen Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, die China wie Japan für
sich beanspruchen, mit einem japanischen Patrouillenboot zusammen. Die
Japaner nahmen den Kapitän des Fischkutters fest, woraufhin ein wütend
protestierendes China von den Japanern die sofortige Freilassung des Man-
nes und eine umfassende Entschuldigung forderte. Als Japan nicht sofort
auf die Forderungen einging, verhängte China über die Ausfuhrbeschrän-
kungen vom Juli hinaus ein komplettes Exportverbot Seltener Erden nach
Japan, was die japanischen Hersteller schwer traf. Am 24. September 2010
ging Japan mit einer überraschenden Abwertung des Yen an den internati-
onalen Währungsmärkten zum Gegenangriff über. Binnen drei Tagen verlor
der Yen ungefähr 3 Prozent gegenüber dem chinesischen Yuan. Eine Fort-
setzung des japanischen Abwertungskurses hätte China beim Export nach

69
Teil 2 Währungskriege

Japan im Vergleich zu kostengünstigeren Produzenten wie Indonesien und


Vietnam Marktanteile kosten können.

Wegen ein paar abgelegener und unbewohnter Felseninseln und eines in-
haftierten Fischkutterkapitäns hatte China Japan mit einem Lieferembargo
angegriffen und Japan mit einer Abwertung seiner Währung zurückgeschla-
gen. Im Laufe der folgenden Wochen glätteten sich die Wogen wieder, der
Kapitän wurde freigelassen, Japan gab eine Pro-forma-Entschuldigung ab,
der Kurs des Yen stieg und China nahm die Ausfuhr von Seltenen Erden
nach Japan wieder auf. Damit war zwar ein weitaus schlimmeres Ende ver-
hindert worden, aber beide Seiten hatten ihre Lektionen gelernt und die
Messer für die nächste Auseinandersetzung geschärft.

Ein potenzieller Währungskrieger bekommt es unweigerlich mit dem Ge-


setz der unbeabsichtigten Folgen zu tun. Angenommen, eine Währungs-
abwertung, beispielsweise durch die Europäer, erfüllt ihren a­ ngestrebten
Zweck, sprich europäische Waren werden auf dem Weltmarkt billiger, und
der Exportboom stimuliert das Wachstum in der Eurozone signifikant.
Das mag zwar erfreulich für Europa sein, aber im Laufe der Zeit könnten
die Produktionssektoren in anderen Ländern unter den wegbrechenden
Marktanteilen leiden und es könnte dort zu Entlassungen, Fabrikschließun-
gen, Bankrotten und einer Rezession kommen. Diese umfassendere Rezes-
sion wiederum könnte zu einem Rückgang der europäischen Exporte füh-
ren, aber nicht wegen des Wechselkurses, sondern weil die Verbraucher
im Ausland sich die europäischen Produkte ungeachtet ihres niedrigeren
Preises nicht mehr leisten können. Dieser weltweit die Konjunktur lähmen-
de Effekt von Währungskriegen mag etwas länger benötigen, bis er spür-
bar wird, doch könnte er von allen negativen Folgen solcher Konflikte der
schädlichste überhaupt sein.

Abwertungen zur Stimulation der Exporte sind mithin eine schwieri-


ge Angelegenheit. Sie können, und zwar eher früher als später, in steigen-
de Einkaufskosten, Abwertungswettläufe, höhere Zölle, Embargos und eine

70
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

weltweite Rezession münden. In Anbetracht dieser unbeabsichtigten Kon-


sequenzen und ungünstigen Resultate stellt sich die Frage, warum es über-
haupt zu Währungskriegen kommt. Nicht nur sind sie, solange sie andau-
ern, destruktiv für alle kriegführenden Parteien, sie können am Ende auch
gar nicht gewonnen werden.

Wie immer ist auch in dieser Frage der Blick in die Geschichte lehrreich. Im
20. Jahrhundert gab es zwei große Währungskriege. Der, wie ich ihn nenne,
Erste Währungskrieg, dauerte von 1921 bis 1936, umfasste also fast die ge-
samte Periode zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und damit auch
die Große Depression, mit der er eng zusammenhängt. Der Zweite Wäh-
rungskrieg dauerte von 1967 bis 1987 und wurde schließlich mit zwei in-
ternationalen Vereinbarungen, dem Plaza-Abkommen von 1985 und dem
Louvre-Abkommen von 1987, beigelegt, ohne in einen militärischen Kon-
flikt zu eskalieren.

Währungskriege ähneln normalen Kriegen in dem Sinne, dass sie erkennba-


re Vorbedingungen haben. Die drei wichtigsten Vorbedingungen des Ersten
Währungskriegs waren der klassische Goldstandard von 1870 bis 1914, der
Aufbau des Federal Reserve Systems in den USA zwischen 1907 und 1913
und der Erste Weltkrieg mit dem Versailler Vertrag von 1914 bis 1919. Ein
kurzer Abriss dieser drei Perioden hilft beim Verständnis der wirtschaftli-
chen Konflikte, die darauf folgten.

Der klassische Goldstandard – 1870 bis 1914

Mindestens seit der Herrschaft des lydischen Königs Krösus im sechs-


ten Jahrhundert vor Christus in der heutigen Westtürkei hat Gold immer
wieder als internationale Währung gedient. In neuerer Zeit schuf England
1717 eine zu einem fixen Wechselkurs goldbasierte Papierwährung, die in
unterschiedlichen Formen und mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen

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Teil 2 Währungskriege

in Kriegszeiten bis 1931 fortbestand. Auch wenn man diese und andere
Währungsregime unter der Bezeichnung »Goldstandard« zusammenfas-
sen kann, gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs. Mit Goldstan-
dard kann alles von tatsächlichen Goldmünzen bis hin zu in unterschied-
lichen Mengen mit Gold hinterlegtem Papiergeld gemeint sein. Historisch
betrachtet hat der Grad der Golddeckung für Papiergeld zwischen 20 und
100 Prozent variiert (in den wenigen Fällen, in denen der Wert der Gold-
reserven den Nennwert der ausgegebenen Geldmenge überstieg, waren es
sogar mehr).

Der klassische Goldstandard von 1870 bis 1914 nimmt in der Geschich-
te von Gold als Geld eine einzigartige Stellung ein. Es war eine Periode fast
gänzlich ohne Inflation, und in der Tat herrschte in den fortschrittlicheren
Volkswirtschaften sogar eine günstige Deflation infolge der technologischen
Innovation, die die Produktivität steigerte und den Lebensstandard verbes-
serte, ohne dabei die Arbeitslosigkeit zu verschärfen. Man begreift dieses
knappe halbe Jahrhundert vielleicht am besten als das erste Zeitalter der
Globalisierung, und es weist viele Parallelen zu unserem neueren, zweiten
Zeitalter der Globalisierung auf, das 1989 mit dem Ende des Kalten Kriegs
anbrach.

Das erste Zeitalter der Globalisierung war geprägt von technologischen


Fortschritten im Kommunikations- und Transportwesen, sodass nun ein
Bankier in New York per Telefon mit seinen Partnern in London sprechen
konnte und sich die Reisezeiten zwischen den beiden Finanzzentren auf nur
noch sieben Tage verkürzten. Diese Verbesserungen mögen eng begrenzt
gewesen sein, aber sie erleichterten den globalen Handel und das globale
Bankwesen. In Argentinien aufgelegte Anleihen etwa, die in London emit-
tiert und in New York gekauft wurden, erzeugten ein dichtes Netz mitein-
ander verwobener Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten einer Art, die auch
heutigen Bankern sehr vertraut ist. Hinter diesem internationalen Wachs-
tum und Handel stand Gold.

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Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

Anders als seine Nachfolger im 20. Jahrhundert wurde der klassische Gold-
standard nicht auf einer internationalen Konferenz ausgehandelt oder von
einer multilateralen Organisation per Dekret auferlegt.6 Vielmehr handelte
es sich dabei um eine Art Club, dem die Nationen freiwillig beitreten konn-
ten. Einmal dem Club beigetreten, richteten die Mitglieder ihr Verhalten
an allseits bekannten Spielregeln aus, obwohl diese nirgendwo schriftlich
festgehalten waren. Nicht alle großen Länder traten dem Club bei, aber die
meisten taten es, und zwischen denen, die ihm angehörten, waren die Ka-
pitalmärkte offen, herrschte ein freies Spiel der Marktkräfte, beschränkten
sich die staatlichen Interventionen auf ein Minimum und waren die Wech-
selkurse stabil.

Einige Länder hatten ihre Währungen schon lange vor 1870 ans Gold ge-
koppelt, so zum Beispiel England im Jahr 1717 und die Niederlande 1818,
aber erst in der Zeit nach 1870 schloss sich eine Vielzahl anderer Länder
ihrem Vorbild an, sodass der Goldclub seine charakteristische Gestalt an-
nahm. Zu diesen neuen Mitgliedern gehörten Deutschland und Japan, die
1871 zum Goldstandard wechselten, gefolgt von Frankreich und Spani-
en 1876, Österreich 1879, Argentinien 1881, Russland 1893 und Indien
1898. Die Vereinigten Staaten befanden sich de facto zwar schon seit 1832
auf dem Goldstandard, als sie anfingen, Goldmünzen mit einem Gewicht
von einer Feinunze zu prägen, die zu der Zeit rund 20 Dollar wert waren.
Aber bis zum Gold Standard Act von 1900 verzichteten sie darauf, einen ge-
setzlichen Goldstandard für den Umtausch von Papiergeld festzulegen, und
waren damit eine der letzten großen Nationen, die dem klassischen Gold-
system beitraten.

Die Ökonomen verweisen nahezu einstimmig auf die günstigen wirtschaftli-


chen Resultate dieser Periode. Giulio M. Gallarotti, der führende Theoreti-
ker und Wirtschaftshistoriker der Ära des klassischen Goldstandards, fasst
das in seinem Standardwerk The Anatomy of an International M ­ onetary
­Regime gut zusammen:

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Teil 2 Währungskriege

Innerhalb dieser Gruppe von Nationen, die sich im letzten Drittel des
19. Jahrhundert schließlich auf Goldstandards zubewegten (also des
Goldclubs), kam es kaum zu abnormalen Kapitalbewegungen (d.h. speku-
lativen internationalen Geldflüssen), waren Währungsmanipulationen aus
Wettbewerbsgründen die Ausnahme, wuchs der internationale Handel
mit Rekordraten, gab es kaum Zahlungsbilanzprobleme, war die Kapital-
mobilität hoch (wie auch die Mobilität von Produktionsfaktoren und Per-
sonen), setzten nur wenige Mitgliedsländer jemals die Goldkonvertibilität
ihrer Währung aus (und von denen, die das taten, kehrten die wichtigs-
ten wieder zurück), blieben die Wechselkurse innerhalb ihrer jeweiligen
Goldpunkte (d.h. sie waren extrem stabil), gab es kaum wirtschaftspoli-
tische Konflikte zwischen Nationen, wirkte die Spekulation stabilisierend
(d.h. das Verhalten der Investoren neigte dazu, die Währungen zurück
ins Gleichgewicht zu bringen, wenn sie davon abgerückt waren), erfolg-
ten Anpassungen rasch, war Liquidität im Überfluss vorhanden und das
öffentliche und private Vertrauen in das internationale Währungssystem
groß, genossen die Nationen langfristige Preisstabilität (Vorhersagbarkeit)
bei geringen Inflationsraten, waren die langfristigen Trends der industri-
ellen Produktion und des Einkommenswachstums günstig und blieb die
Arbeitslosigkeit vergleichsweise gering.7

Diese in hohem Maße positive Bewertung Gallarottis klingt auch in einer


von der Federal Reserve Bank of St. Louis veröffentlichten Studie an, de-
ren Fazit lautet: »In der Zeit des klassischen Goldstandards war die Wirt-
schaftsentwicklung in den Vereinigten Staaten und Großbritannien besser
als in der Zeit des nachfolgenden Teilreservesystems.«8 Die Periode von
1870 bis 1914 war ein wahrhaft »Goldenes« Zeitalter, in dem nichtinfla­
tionäres Wachstum mit zunehmendem Reichtum und steigender Produk-
tivität in der industrialisierten und der Rohstoff erzeugenden Welt einher-
ging.

Ein Großteil der Attraktivität des klassischen Goldstandards rührte von


seiner Einfachheit her. Zentralbanken konnten zwar bestimmte Funktio-
nen ausüben, aber das System an sich funktionierte auch ohne Zentralban-
ken; die Vereinigten Staaten zum Beispiel hatten in der gesamten Zeit des
klas­sischen Goldstandards keine Zentralbank. Um dem Club beizu­treten,
musste ein Land lediglich bekannt geben, dass seine Papierwährung ­eine be­

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Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

stimmte Menge Gold wert war und es bereit stand, die Währung von den an-
deren Mitgliedern jederzeit und in jedem Umfang zu dem festgesetzten Kurs
gegen Gold zurückzukaufen. Der Vorgang des Kaufs und Verkaufs von Gold
im Bereich eines Zielpreises mit dem Zweck, diesen Preis aufrechtzuerhal-
ten, wird heute als Offenmarktgeschäft bezeichnet. Solche Geschäfte kön-
nen von einer Zentralbank ausgeführt werden, aber das ist nicht zwingend
notwendig; genauso gut können sie von einem Staat durchgeführt werden,
der direkt oder indirekt durch Anleihetreuhänder wie Banken oder Händ-
ler aktiv wird. Dabei benötigt jeder autorisierte Händler Zugang zu einer
angemessenen Menge Gold, verbunden mit der stillschweigenden Annah-
me, dass im Falle einer Panik problemlos mehr Gold beschafft werden kann.
Zwar liegt hier eine staatliche Intervention vor, aber diese erfolgt transparent
und kann eher als Stabilisierung denn als Manipulation betrachtet werden.

Der Vorzug dieses Prinzips im internationalen Finanzsystem liegt darin,


dass zwei Währungen, deren Wert im Verhältnis zu einer bestimmten Men-
ge Gold fixiert wird, damit auch im Verhältnis zueinander fixiert sind. Diese
Art der Verankerung bedarf keiner Vermittlung durch Institutionen wie den
IWF oder die G20. In der Ära des klassischen Goldstandards kam die Welt
in den Genuss der gesamten Vorzüge der Währungs- und Preisstabilität, oh-
ne dafür die Kosten für multilaterale Aufsichtsorgane und Steuerungsmaß-
nahmen der Zentralbanken tragen zu müssen.

Ein weiterer Vorteil des klassischen Goldstandards war seine selbstregulie-


rende Natur nicht nur im Hinblick auf die alltäglichen Offenmarktgeschäf-
te, sondern auch in Bezug auf größere Ereignisse wie Umschwünge in der
Goldproduktion. In Zeiten, in denen die Goldmenge schneller stieg als die
Produktivität, wie es beispielsweise nach den spektakulären Funden in Süd-
afrika, Australien und am Yukon zwischen 1886 und 1896 geschah, führte
das zu einem allgemeinen Anstieg der Preise. Dieser Preisanstieg wieder-
um bedingte höhere Kosten für die Golderzeuger, was mit der Zeit zu ei-
nem Rückgang der Produktion und damit einer Rückkehr zum langfristigen
Trend der Preisstabilität führte. Im umgekehrten Fall, wenn die ökonomi-

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Teil 2 Währungskriege

sche Produktivität infolge technologischer Fortschritte schneller wuchs als


die Goldmenge, führte das zu einem Rückgang des Preisniveaus, was wiede-
rum die Kaufkraft des Geldes steigen ließ. Das bewog mehr Leute zum Ver-
kauf ihres Goldschmucks und führte zu höheren Investitionen in den Gold-
bergbau, was mit der Zeit zu einer Ausweitung des Goldangebots und einer
Wiederherstellung der Preisstabilität führte. In beiden Fällen bedingten die
temporären Angebots- beziehungsweise Nachfrageschocks bei Gold Ver-
haltensänderungen der Akteure, die zu einer Wiederherstellung der lang-
fristigen Preisstabilität führten.

Im internationalen Handel glichen sich derartige Angebots- und Nach­


fragefaktoren auf dieselbe Weise aus. Ein Land, dessen Austauschverhältnis-
se (Verhältnis des Preisniveaus der Exporte im Verhältnis zum Preisniveau
der Importe) sich verbesserten, erwirtschaftete einen Außenhandelsüber-
schuss. Diesem Überschuss stand ein Defizit in einem anderen Land gegen-
über, dessen Austauschverhältnisse weniger vorteilhaft waren. Das Defizit-
land beglich die Differenz durch Zahlungen in Gold. Dadurch schrumpfte
die Geldmenge in der Defizitnation, während die Geldmenge in der Über-
schussnation zunahm. Dort kam es aufgrund der sich ausweitenden Geld-
menge zur Inflation, während das Defizitland wegen der schrumpfenden
Geldmenge eine Deflation erlebte. Inflation hier und Deflation da bewirk-
ten alsbald eine Umkehrung der ursprünglichen Austauschverhältnisse
zwischen den Handelspartnern. Ausfuhren aus der ursprünglichen Über-
schussnation verteuerten sich, während sich diejenigen der anfänglichen
Defizitnation verbilligten. Da dies dazu führte, dass das bisherige Defizit-
land nun Überschüsse erwirtschaftete, während beim Überschussland Defi-
zite aufliefen, kehrten sich die Verhältnisse um, und es floss Gold zurück in
das Land, das es ursprünglich verloren hatte. Ökonomen sprachen in die-
sem Zusammenhang vom Goldautomatismus beziehungsweise Price-Spe-
cie-Flow-Mechanismus.

Dieser Ausgleichsmechanismus funktionierte automatisch, auch ohne In-


terventionen seitens der Zentralbanken. Angetrieben wurde er durch Ar-

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Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

bitragehändler, die »billiges« Gold in einem Land kauften und als »teures«
Gold in einem anderen Land verkauften, natürlich unter Berücksichtigung
der Wechselkurse, des Zeitwerts des Geldes, der Transportkosten und der
Scheidekosten des Goldes. Das geschah in Übereinstimmung mit den Spiel-
regeln, bei denen es sich um allgemein anerkannte Gebräuche und Prak-
tiken handelte, die auf dem wechselseitigen Vorteil, dem gesunden Men-
schenverstand und den Arbitragegewinnen basierten.

Nicht jede Forderung musste unmittelbar in Gold beglichen werden. Der


internationale Handel wurde in großen Teilen durch kurzfristige Handels-
wechsel und Akkreditive finanziert, die sich automatisch liquidierten, wenn
die eingeführten Waren vom Käufer in Empfang genommen und ohne Gold-
transfers gegen Bargeld weiterverkauft wurden. Gold war der Anker bezie-
hungsweise das Fundament für das gesamte System und nicht etwa aus-
schließliches Tauschmittel. Und es war ein höchst effektiver Anker, weil
sich dadurch Währungssicherungsmaßnahmen erübrigten und die Händ-
ler mehr Gewissheit bezüglich des schlussendlichen Werts ihrer Transak-
tionen hatten.

Der klassische Goldstandard steht für die Periode des Wachstums und
Wohlstands bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Der darauf fol-
gende und viel geschmähte Gold-Devisen-Standard der 1920er-Jahre war
in den Augen vieler Zeitgenossen ein Versuch, die Vorkriegszustände wie-
derherzustellen. Die in den 1920er-Jahren unternommenen Versuche, zur
Goldparität der Vorkriegszeit zurückkehren, waren wegen der wachsenden
Schuldenberge und der schwerwiegenden politischen Fehler, die den Gold-
Devisen-Standard in einen deflationären Moloch verwandelten, zum Schei-
tern verurteilt. Seit 1914 hat die Welt keinen reinen Goldstandard mehr
­gesehen.

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Teil 2 Währungskriege

Der Aufbau der Federal Reserve – 1907 bis 1913

Die zweite Vorbedingung des Währungskriegs war die Gründung des US-
amerikanischen Federal Reserve System 1913, ein Ereignis, das seinerseits
eine Vorgeschichte hat, für die man den Blick noch weiter zurück wenden
muss, bis zur Panik von 1907 an der Wall Street. Ausgelöst wurde die Pa-
nik durch den gescheiterten Versuch mehrerer New Yorker Banken, darun-
ter die Knickerbocker Trust Company, eine der damals größten Banken der
Stadt, den Kupfermarkt unter ihre Kontrolle zu bekommen.9 Als die Betei-
ligung von Knickerbocker an dem Übernahmeversuch ruchbar wurde, kam
es zu einem klassischen Ansturm auf die Bank. Wären die Enthüllungen in
einem ruhigeren Marktumfeld geschehen, hätten sie wohl kaum eine derar-
tige Panikreaktion ausgelöst, aber nach den durch das Erdbeben von San
Fransisco 1906 verursachten massiven Verlusten war der Markt sowieso
schon nervös und sehr volatil.

Die Schließung der Knickerbocker Trust Company war der Auftakt zu ei-
nem massiven Vertrauensverlust, der in einem weiteren Börsenkrach, noch
mehr Bankenanstürmen und schließlich einer ausgewachsenen Liquiditäts-
krise mündete, die die Stabilität des Finanzsystems insgesamt zu untergra-
ben drohte. Abgewendet werden konnte diese Gefahr nur durch eine ge-
meinsame Aktion der führenden Bankiers der damaligen Zeit, die sich zu
einer von J. P. Morgan organisierten privaten finanziellen Rettungsaktion zu-
sammenfanden. In einer der denkwürdigsten Episoden der amerikanischen
Finanzgeschichte trommelte Morgan die Finanziers in seinem Stadthaus im
Viertel Murray Hill in Manhattan zusammen und eröffnete ihnen, dass er
sie nicht gehen lassen würde, bis sie einen Rettungsplan ausgearbeitet hät-
ten, der konkrete finanzielle Zusagen der Anwesenden zur Beruhigung der
Märkte umfasste. Der Plan funktionierte, aber nur um den Preis erheblicher
finanzieller Verluste und Verwerfungen.

Als ein unmittelbares Resultat der Panik von 1907 gelangten die an der Ret-
tungsaktion beteiligten Bankiers zu der Überzeugung, dass die Vereinigten

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Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

Staaten eine Zentralbank benötigten – eine von der Regierung eingesetzte


Bank mit der Fähigkeit, durch die Ausgabe von neuem Kapital das priva-
te Bankensystem zu retten, sollte sich die Notwendigkeit dazu ergeben. Mit
anderen Worten wollten die Bankiers eine vom Staat getragene Bank, die ih-
nen im Notfall gegen unterschiedliche Sicherheiten unbegrenzte Summen
an Bargeld leihen konnte. J.P. Morgan, so viel war den Bankiers klar, wür-
de nicht auf ewig unter ihnen weilen und die Führung übernehmen kön-
nen, und abgesehen davon war denkbar, dass irgendeine zukünftige Panik
nach Lösungen rief, die selbst die Ressourcen und das Geschick eines J.P.
Morgan überstiegen. Was sie brauchten, war eine Zentralbank, die als un-
beschränkter »lender of last resort«, als Bank der Banken agierte, bevor die
nächste Panik ausbrach.

Die Abneigung gegen Zentralbanken hatte in Amerika eine lange Geschich-


te. Vor 1913 gab es in der US-Geschichte zwei Versuche, so etwas wie eine
Zentralbank einzurichten. Der erste davon, die Bank of the United States,
wurde 1791 auf Drängen von Alexander Hamilton vom Kongress konzes-
sioniert. 1811 aber lief die Konzession unter der Präsidentschaft von James
Madison fristgemäß aus, und ein Gesetz zur Verlängerung der Bankkonzes-
sion scheiterte im Kongress um eine Stimme. Fünf Jahre später manövrier-
te Madison die Konzessionierung der Second Bank of the United States
durch den Kongress. Doch auch diese zweite Konzession war auf 20 Jahre
beschränkt und musste 1836 vom Kongress verlängert werden.

Als sich der Zeitpunkt für die Verlängerung näherte, stieß die Second Bank
nicht nur im Kongress, sondern auch im Weißen Haus auf Widerstand. Prä-
sident Andrew Jackson hatte sich 1832 im Wahlkampf um den Wiederein-
zug ins Weiße Haus explizit für die Auflösung der Bank ausgesprochen.
Nach einer hitzigen landesweiten Debatte, in deren Verlauf Jackson sämtli-
che Einlagen der Bundesregierung aus der Second Bank abzog und in ein-
zelstaatlich konzessionierten Banken deponierte, stimmte der Kongress für
die Verlängerung der Konzession. Aber Jackson legte sein Veto ein, und die
Konzession wurde nicht erneuert.

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Teil 2 Währungskriege

Der politische Widerstand gegen beide Nationalbanken beruhte auf einem


generellen Misstrauen gegen jede Konzentration finanzieller Macht und auf
der Überzeugung, dass die Ausgabe von nationalen Banknoten zu den Ver-
mögensblasen beigetragen hatte, die durch die leicht verfügbaren Bankkre-
dite aufgebläht wurden. Von 1836 bis 1913, in einer fast 80 Jahre währen-
den Periode der beispiellosen Prosperität und Innovation und des starken
wirtschaftlichen Wachstums, hatten die Vereinigten Staaten keine Zentral-
bank.

Nun, sprichwörtlich inmitten der Trümmer des Erdbebens von 1906 in


San Fransisco und denen der Börsenpanik von 1907, wurde ein weiterer
konzertierter Versuch zur Schaffung einer neuen Zentralbank in Angriff ge-
nommen.10 In Anbetracht der weit verbreiteten Abneigung gegen das Zent-
ralbankkonzept war den von Repräsentanten von J. P. Morgan, John D. Ro-
ckefeller Jr. und Jacob H. Schiff von der Investmentbank Kuhn, Loeb &
Company angeführten Fürsprechern der Bank klar, dass es einer Aufklä-
rungskampagne bedurfte, um öffentliche Unterstützung für die Idee zu ge-
winnen. Ihr politischer Patron Nelson W. Aldrich, republikanischer Sena-
tor aus Rhode Island und Vorsitzender des Senate Finance Committee, des
Finanzausschusses im Senat, brachte 1908 ein Gesetz ein, mit dem die Nati-
onal Monetary Commission gegründet wurde. Im Laufe der folgenden Jah-
re bildete diese National Monetary Commission die Plattform für zahllose
Studien, Veranstaltungen, Reden und Kooperationen mit prestigeträchti-
gen Berufsverbänden von Ökonomen und Politikwissenschaftlern, Aktivi-
täten, die allesamt der Werbung für das Konzept einer starken Zentralbank
­dienten.

Im September 1909 forderte Präsident William H. Taft die Amerikaner öf-


fentlich dazu auf, die Gründung einer Zentralbank zu unterstützen. Im sel-
ben Monat startete das Wall Street Journal unter der Überschrift » A Cen-
tral Bank of Issue« eine Serie von Meinungsbeiträgen, in denen für eine
Zentralbank geworben wurde. Bis zum Sommer des folgenden Jahres waren
die öffentlichen und politischen Grundlagen geschaffen und die Zeit reif,

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Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

sich an die Ausarbeitung eines konkreten Plans für die neue Bank zu ma-
chen. Was folgte, war eine der bizarrsten Episoden in der Finanzgeschichte.
Senator Aldrich sollte die Gesetzesvorlage zur Gründung der Bank feder-
führend einbringen, aber natürlich musste sichergestellt werden, dass das
Gesetz den Vorstellungen der New Yorker Banken entsprach, denen immer
noch die Panik von 1907 in den Knochen steckte und die nach wie vor nach
einem Kreditgeber in letzter Instanz suchten, der ihnen bei der nächsten
­Panik an den Finanzmärkten aus der Bredouille helfen würde. Also w ­ urde
beschlossen, dass eine mit hochkarätigen Bankiers besetzte Kommission
den Plan für die neue Zentralbank entwerfen sollte.

Im November 1910 berief Aldrich eine Zusammenkunft ein, an der neben


ihm selbst mehrere Wall-Street-Bankiers teilnahmen sowie Abram Piatt
Andrew, der erst kurz zuvor zum stellvertretenden Finanzminister berufen
worden war. Zu den Bankiers gehörten Paul Warburg von Kuhn, Loeb and
Company, Frank A. Vanderlip von der von Rockefeller kontrollierten Nati-
onal City Bank of New York, Charles D. Norton von der von Morgan kon-
trollierten First National Bank of New York sowie Henry P. Davison, der
nach Morgan selbst mächtigste Partner bei J. P. Morgan & Company. An-
drew war ein Harvard-Ökonom, der als technischer Berater für diese sorg-
fältig mit Vertretern des Morgan- und des Rockefeller-Lagers ausbalancierte
Gruppe fungieren sollte.

Aldrich wies die Männer an, sich im Schutze der Dunkelheit an einem ab-
gelegenen Anschlussgleis in Hoboken, New York, einzufinden, wo ein pri-
vater Eisenbahnwaggon auf sie warten würde. Sie sollten, wurde ihnen ein-
geschärft, einzeln kommen und unbedingt dafür Sorge tragen, dass ihnen
keine Reporter folgten. Nach Betreten des Zugs sollten sie sich nur mit Vor-
namen ansprechen, damit das Personal sie nicht später gegenüber Freun-
den oder der Presse identifizieren konnte. Einige der Männer legten sich
aus Gründen der Sicherheit eigens Decknamen zu. Nach zweitägiger Fahrt
trafen sie in Brunswick, Georgia, ein, auf halbem Wege zwischen Savan-
nah und Jacksonville, Florida, an der Atlantikküste gelegen. Von Brunswick

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Teil 2 Währungskriege

aus fuhren sie mit der Fähre nach Jekyll Island, wo sie im exklusiven Jekyll
­Island Club abstiegen, zu dessen Mitbesitzern J.P. Morgan gehörte. Über
­eine ­Woche lang saß die Gruppe zusammen, bis sie Aldrichs Gesetzesvor­
lage ausgearbeitet hatten, die zur Blaupause für das Federal Reserve System
werden sollte.

Bis zur Verabschiedung des Federal Reserve Act, so die offizielle Bezeich-
nung des auf Jekyll Island ausgetüftelten und von Aldrich eingebrachten Ge-
setzes, vergingen aber nochmals drei Jahre. Am 23. Dezember 1913 schließ-
lich wurde das Zentralbankgesetz von beiden Kammern des Kongresses mit
großer Mehrheit angenommen, und im November 1914 schließlich trat es
in Kraft.

Der Federal Reserve Act von 1913 griff viele der von Aldrich und Warburg
vorgeschlagenen Maßnahmen auf, die dazu gedacht waren, die tief verwur-
zelte Abneigung der Amerikaner gegen eine Zentralbank zu überwinden.
Zunächst sollte die zu gründende Einrichtung nicht den Namen Zentral-
bank tragen, sondern als Federal Reserve System bezeichnet werden. Darü-
ber hinaus sollte sie keine Einzelinstitution sein, sondern vielmehr ein Zu-
sammenschluss regionaler Notenbanken, der sogenannten Reserve Banks,
angeleitet von einem Direktorium, dem Federal Reserve Board, dessen Mit-
glieder nicht von den Banken ausgewählt, sondern vom Präsidenten ernannt
und zudem vom Senat bestätigt werden sollten.

Nach außen hin erweckte das alles den Anschein, als sei das System de-
zentral organisiert und unterstünde der Kontrolle demokratisch gewählter
Amtsträger. Bei genauerer Betrachtung aber zeigte sich, dass der Plan einen
Mechanismus enthielt, der sehr viel mehr den Interessen der illustren Grup-
pe entsprach, die Aldrich auf Jekyell Island um sich geschart hatte. Die ei-
gentliche, durch Offenmarktgeschäfte getätigte Geldpolitik würde nämlich
von der Federal Reserve Bank of New York dominiert werden, da New York
City der Sitz der großen Banken und Handelshäuser war, mit denen die Fed
Geschäfte machen würde. Der Federal Reserve Bank of New York allerdings

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Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

standen ein Verwaltungsrat sowie ein Gouverneur vor, die nicht von der Po-
litik, sondern von ihren Anteilseignern bestimmt wurden – sprich den gro-
ßen New Yorker Banken. Die Folge war eine »Fed innerhalb der Fed«, die
von den New Yorker Banken dominiert wurde und entsprechend willfäh-
rig ihren Wünschen gegenüber war, darunter der unkomplizierte Zugang zu
Krediten für notwendige Rettungsaktionen.

Einige dieser Regelungen wurden durch den Banking Act von 1935 geän-
dert, mit dem dem Direktorium der Federal Reserve in Washington D.C.
umfangreichere Kontrollrechte zugewiesen wurden, die er bis heute inne-
hat. Seit einiger Zeit wird das Fed-Direktorium nicht mehr von Bankiers,
sondern von Wirtschaftswissenschaftlern und Anwälten dominiert, die Ban-
kensanierungen und einer Politik des billigen Geldes ironischerweise aber
noch wohlgesonnener zu sein scheinen als die Bankiers selbst. Doch zu-
mindest in den 1920er-Jahren wurde das Federal Reserve System von der
New Yorker Fed dominiert, regiert mit fester Hand von ihrem ersten Gou-
verneur Benjamin Strong von 1914 bis zu seinem Tod 1928. Mit Strong,
einem Protegé des Morgan-Partners Henry Davidson sowie J.P. Morgans
selbst, war Morgans Einfluss auf die neue Zentralbank der Vereinigten Staa-
ten um­fassend.

Die Geschichte wiederholt sich vielleicht nicht, aber sie hallt nach. Jahr-
zehnte nach dem Geheimtreffen auf Jekyll Island schlossen sich Frank Van-
derlips National City Bank und Charles Nortons First National Bank zur
First National City Bank of New York zusammen, die sich später kurz und
bündig in Cititbank umtaufte. 2008 kam die Citibank in den Genuss des
größten Bankrettungsplans in der Geschichte, durchgeführt von der Fe-
deral Reserve. Die Grundlagen, die Vanderlip und Norton und ihre Mit-
streiter 1910 auf Jekyll Island gelegt hatten, hatten sich als dauerhaft genug
­erwiesen, um ihre Banken noch fast ein Jahrhundert später wie vorgesehen
zu retten.

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Teil 2 Währungskriege

Der Erste Weltkrieg und der Vertrag von Versailles 1914 bis 1919

Die letzte Vorbedingung des Ersten Währungskriegs war der Erste Welt-
krieg mit der anschließenden Pariser Friedenskonferenz und dem Versail-
ler Vertrag.

Der Erste Weltkrieg ging nicht mit einer Kapitulation, sondern mit einem
Waffenstillstand zu Ende, einer Vereinbarung, sämtliche Kampfhandlungen
einzustellen. Ein Waffenstillstand wird in der Erwartung geschlossen, dass
die Einstellung der Feindseligkeiten den Kriegsparteien die Möglichkeit
gibt, einen Friedensvertrag auszuhandeln, in manchen Fällen aber scheitern
die Verhandlungen auch und werden die Kampfhandlungen wieder aufge-
nommen. Ziel der Pariser Friedenskonferenz von 1919 war die Aushand-
lung eines dauerhaften Friedens. Großbritannien und Frankreich waren
sich deutlich bewusst, dass ihnen in naher Zukunft die finanzielle Rechnung
für den Krieg präsentiert werden würde, und sahen in der Pariser Konferenz
eine Gelegenheit, diese Kosten den besiegten Deutschen und Österreichern
aufzuerlegen.

Allerdings war ein erfolgreicher Ausgang der Verhandlungen in Paris kei-


neswegs garantiert.11 Obwohl die deutsche Armee und Marine im Novem-
ber 1918 eindeutig besiegt worden waren, war bis zum Frühjahr 1919 kein
Friedensvertrag geschlossen und erschien es zusehends unwahrscheinlich,
dass die Alliierten in der Lage oder auch nur willens gewesen wären, den
Krieg fortzusetzen. Mit anderen Worten waren die Verhandlungen über
eventuelle Reparationszahlungen genau dies: Verhandlungen. Die Fähigkeit
der Alliierten, die Friedensbedingungen zu diktieren, war in dem knappen
halben Jahr von November 1918 bis März 1919 drastisch geschwunden.
Nun würde man die Deutschen irgendwie dazu bringen müssen, den von
den Alliierten noch auszuarbeitenden Friedensbedingungen zuzustimmen.

Umfang und Art der von den Deutschen zu leistenden Reparationen gehör-
ten mit zu den schwierigsten Fragen, die auf der Pariser Friedenskonferenz

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Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

zu klären waren. Einerseits würde man Deutschland auffordern, bestimm-


te Territorien und in gewissem Umfang industrielle Kapazitäten herauszu-
geben. Andererseits, je mehr man den Deutschen wegnahm, umso weni-
ger wären sie in der Lage, die finanziellen Reparationen zu leisten, die man
gleichfalls von ihnen forderte. Frankreich hatte ein Auge auf die deutschen
Goldreserven geworfen, die sich 1915 auf 876 Tonnen belaufen hatten,
womit das Deutsche Reich vor dem Krieg über die weltweit viertgrößten
Goldvorräte nach den Vereinigten Staaten, Russland und Frankreich ver-
fügt ­hatte.

Auch wenn die Frage der Reparationen häufig allein unter dem Gesichts-
punkt betrachtet wurde, wie viel Deutschland den Alliierten zu zahlen in
der Lage war, verhielt sich die Sache in Wahrheit deutlich komplizierter,
da nicht nur die Verlierer, sondern auch die Sieger verschuldet waren. Wie
Margaret MacMillan in ihrem Buch Paris, 1919 schreibt, hatten sowohl
Großbritannien als auch Frankreich gewaltige Summen an Russland ver-
liehen, das seit der Oktoberrevolution säumig war. Andere Schuldner wie
zum Beispiel Italien waren zahlungsunfähig. Gleichzeitig stand Großbritan-
nien mit 4,7 Milliarden Dollar bei den Vereinigten Staaten in der Kreide,
während Frankreich den Vereinigten Staaten 4 Milliarden Dollar und Groß-
britannien weitere 3 Milliarden Dollar schuldete. Praktisch kein Schuldner-
land sah sich in der Lage, seine Schulden zu bedienen. Der gesamte Kredit-
und Handelsmechanismus war eingefroren.12

Zur Debatte standen also nicht nur die deutschen Wiedergutmachungsleis-


tungen an die Alliierten, sondern auch das komplexe Geflecht der Kredite,
die sich die Alliierten untereinander gewährt hatten. Irgendwie musste die
Pumpe wieder angeworfen und mussten Finanzen, Industrie und Handel
wieder zum Laufen gebracht werden. Idealerweise hätte die stärkste Finanz-
macht, die Vereinigten Staaten, mit frischen Darlehen und über die bereits
geleisteten Kredite hinausgehenden Garantien die Initialzündung für den
Prozess geliefert. Im Verein mit einer Freihandelszone hätte diese neue Li-
quidität möglicherweise für das Wachstum gesorgt, das erforderlich gewe-

85
Teil 2 Währungskriege

sen wäre, um sich an das Abtragen der Schuldenberge machen zu können.


Ein zweiter Ansatz, für den ebenfalls sehr viel sprach, wäre gewesen, die
gesamten Schulden zu streichen und das Spiel von vorne zu beginnen. So
schwer es Frankreich auch gefallen wäre, auf deutsche Reparationszahlun-
gen zu verzichten, so sehr hätte es von einem Erlass seiner Schulden durch
die Vereinigten Staaten profitiert. Für Paris wäre der Nettoeffekt wohl posi-
tiv gewesen, denn die USA waren als Kreditgeber beharrlicher, als Deutsch-
land als Schuldner verlässlich war. Doch es sollte anders kommen. Die Stär-
keren, angeführt von Großbritannien und Frankreich, setzten sich gegen die
Schwächeren, vor allem Deutschland, mit der Forderung durch, dass diese
zur Wiedergutmachung Reparationen in Bargeld, Sachleistungen und Gold
zu leisten hätten.

Die Berechnung der Höhe der Reparationen und die Einigung auf einen
Mechanismus, mittels dessen die Reparationen zu leisten waren, erwiesen
sich als nahezu unlösbare Aufgaben. Frankreich, Belgien und Großbritanni-
en forderten, die Reparationen nach den tatsächlichen Kriegsschäden zu er-
mitteln, die Vereinigten Staaten dagegen waren eher geneigt, die Zahlungs­
fähigkeit der Deutschen mit zu berücksichtigen. Allerdings befanden sich
die deutschen Statistiken in einem so erbärmlichen Zustand, dass eine zu-
verlässige Kalkulation der Zahlungsfähigkeit nicht möglich war. Aber auch
an eine Berechnung der Kriegsschäden war in der gegebenen Zeit unmög-
lich zu denken. Viele Gebiete waren kaum zugänglich und schon gar nicht
in einem Zustand, in dem man halbwegs zuverlässige Schätzungen über die
erforderlichen Wiederaufbauleistungen hätte anstellen können.

Die Alliierten stritten untereinander ebenso viel wie mit den deutschen Ge-
sandten darüber, ob die Reparationen auf die tatsächlichen Kriegsschäden
begrenzt werden sollten, was Frankreich und Belgien bevorzugt hätte, oder
ob sie auch rein finanzielle Kosten wie die Pensionen und den Sold der Sol-
daten umfassen sollten, was für England besser gewesen wäre. Am Ende ver-
zichtete man im Versailler Vertrag darauf, die Höhe der Reparationen ex-
akt festzulegen, was ebenso sehr der technischen Unmöglichkeit geschuldet

86
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter

war, eine konkrete Summe zu ermitteln, wie der politischen Unmöglichkeit,


sich auf eine solche zu einigen. Jeder Betrag, der hoch genug gewesen wäre,
um zu Hause in Großbritannien und Frankreich akzeptiert zu werden, wäre
den Deutschen zu hoch gewesen und umgekehrt. Das amerikanische Drän-
gen auf Mäßigung und Praktikabilität blieb weitgehend fruchtlos, innenpoli-
tische Interessen triumphierten über weltwirtschaftliche Belange. Statt sich
also auf eine Summe festzulegen, wurden Expertenausschüsse mit dem Auf-
trag eingesetzt, die Frage weiter zu untersuchen und in den kommenden
Jahren konkrete Ergebnisse vorzulegen, die dann die Grundlage für die tat-
sächlich zu leistenden Reparationen bilden sollten. Damit hatte man zwar
Zeit gewonnen, aber zugleich die eigentliche Frage nach der Höhe der Re-
parationen aufgeschoben – mit der Folge, dass sie in den 1920er-Jahren mit
in die Diskussionen um den Gold-Devisen-Standard und die Bemühungen
um die Wiederbelebung des internationalen Währungssystems hineingezo-
gen wurde. Und so waren die Reparationen während der folgenden 15 Jah-
re ein Klotz am Bein des internationalen Finanzsystems.

Fazit

1921 war die Bühne bereit für den ersten modernen Währungskrieg. Der
klassische Goldstandard wirkte wie ein intellektueller Magnet, ein monetä-
rer Polarstern, der in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Debatte da-
rüber anleitete, welches System am besten geeignet sei, die internationalen
Kapitalströme und den Welthandel wieder in Gang zu bringen. Der Erste
Weltkrieg und der Friedensvertrag von Versailles führten ein neues Element
in die Gleichung ein, ein Element, das zu Zeiten des alten Goldstandards
kein auch nur annähernd so großes Gewicht gehabt hatte, nämlich die ge-
waltigen, miteinander verzahnten und praktisch nicht bedienbaren Staats-
schulden, die sich als ein unüberwindliches Hindernis auf dem Weg zur
Normalisierung der Kapitalströme erweisen sollten. Der Aufbau des Zen-
tralbankensystems in den USA und insbesondere die dominante Rolle der

87
Teil 2 Währungskriege

New Yorker Fed bereiteten den Eintritt der Vereinigten Staaten in den inter-
nationalen Währungsmarkt vor, und zwar nicht als ein Teilnehmer von vie-
len, sondern als der dominante Akteur. Die Möglichkeit der Fed, dem Sys-
tem durch das Anwerfen der Notenpresse zu neuer Liquidität zu verhelfen,
kam den Leuten gerade erst richtig zu Bewusstsein. Anfang der 1920er-Jah-
re bedingten die nostalgische Sehnsucht nach dem klassischen Goldstan-
dard der Vorkriegszeit, die internationalen Spannungen über unbezahlba-
re Reparationen und die Unsicherheit über die geldpolitische Macht des
amerikanischen Federal Reserve Systems zusammengenommen die Ausge-
staltung des neuen internationalen Währungssystems und den Verlauf des
­Ersten Währungskriegs.

88
Kapitel 4 –
Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
»Es gibt in den Vereinigten Staaten kaum einen Landesteil, der nicht
­wüßte, daß Sonderinteressen und Sonderabsichten die Regierung füh-
ren.«13
Woodrow Wilson,
US-Präsident, 1914

Der Erste Währungskrieg nahm 1921 im Schatten des Ersten Weltkriegs


auf spektakuläre Weise seinen Anfang und lief 1936 zu einem unentschiede-
nen Ende aus. Er wurde in zahlreichen Runden und auf fünf Kontinenten
ausgefochten und sollte weitreichende Auswirkungen auf das 21. Jahrhun-
dert haben. Den ersten Zug machte Deutschland 1921 mit einer Inflation,
die anfangs nur dazu gedacht war, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu
verbessern, dann aber absurd weit getrieben wurde, in eine Hyperinflation
umschlug und der unter der Last der Kriegsreparationen ächzenden deut-
schen Volkswirtschaft den Todesstoß versetzte. Frankreich machte 1925
den nächsten Zug, indem es vor seiner Rückkehr zum Goldstandard den
Franc abwertete und sich dadurch einen Außenhandelsvorteil gegenüber
Großbritannien und den Vereinigten Staaten sicherte, die die Vorkriegspa-
rität zum Goldstandard wiederhergestellt hatten. Großbritannien löste sich
1931 vom Goldstandard und machte damit den gegenüber Frankreich ver-
lorenen Boden gut. 1931 wurde Deutschland nachhaltig gestärkt, als der
amerikanische Präsident Herbert Hoover ein Moratorium für die deut-
schen Reparationszahlungen verkündete, bevor auf der Konferenz von Lau-
sanne 1932 das Ende der Reparationszahlungen vereinbart wurde. Nach
1933 und dem Aufstieg Hitlers beschritt Deutschland zunehmend eigene
Wege, zog sich aus dem Welthandel zurück und schickte sich an, eine au-
tarkere Volkswirtschaft zu werden, wenn auch mit Verbindungen nach Ös-

89
Teil 2 Währungskriege

terreich und Osteuropa. Als die Vereinigten Staaten schließlich 1933 den
Dollar gegenüber dem Gold abwerteten und damit zumindest teilweise den
1931 gegenüber Großbritannien erlittenen Verlust an internationaler Kon-
kurrenzfähigkeit wieder wettmachten, war es an Frankreich und Großbri-
tannien, die nächste Abwertungsrunde einzuläuten. 1936 löste sich Frank-
reich vom Goldstandard, womit es das letzte der großen Länder war, das
sich aus den Fängen der Weltwirtschaftskrise befreite, während Großbritan-
nien das Pfund erneut abwertete, um den nach Roosevelts Dollarabwertung
1933 verlorenen Boden wiedergutzumachen.

Abwertungsrunde um Abwertungsrunde lieferten sich die großen Volks-


wirtschaften einen ruinösen Wettlauf, der mit massiven Unterbrechungen
des internationalen Handels, einem Rückgang der Industrieproduktion und
der Vernichtung von Vermögen einherging. Die volatile und kontraproduk-
tive Natur des internationalen Währungssystems in dieser Periode macht
den Ersten Währungskrieg zum ultimativen Menetekel für unsere heutige
Zeit, in der die Welt einmal mehr vor der Herausforderung gewaltiger und
nicht rückzahlbarer Schulden steht.

Der Erste Währungskrieg nahm seinen Anfang 1921 im Deutschland der


Weimarer Republik, als sich die deutsche Reichsbank daran machte, den
Wert der Mark durch das Anwerfen der Notenpresse und die daraus resul-
tierende Inflation zu zerstören. Unter der Präsidentschaft von Rudolf Ha-
venstein, einem preußischen Anwalt, der ins Bankfach gewechselt hatte,
wurde die Inflation vor allem durch den Ankauf kurzfristiger Staatsanlei-
hen angeheizt, mit denen sich die Reichsregierung das zur Finanzierung
der Haushaltsdefizite und Staatsausgaben benötigte Geld beschaffte. Dabei
handelte es sich um eine der umfassendsten und zerstörerischsten Geldent-
wertungen, zu denen es je in einer großen entwickelten Volkswirtschaft ge-
kommen ist. Einem sich seitdem hartnäckig haltenden Mythos zufolge soll
Deutschland seine Währung gezielt vernichtet haben, um sich der drücken-
den Last der von Frankreich und Großbritannien im Versailler Vertrag ge-
forderten Reparationen zu entledigen. Tatsächlich aber lauteten die Repa-

90
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

rationen in Goldmark, definiert als eine bestimmte Goldmenge oder ihren


Gegenwert in einer nichtdeutschen Währung, und die nachfolgenden Zu-
satzprotokolle zu dem Vertrag basierten auf einem bestimmten Prozentsatz
der deutschen Exporterlöse, unabhängig vom Wert der Papierwährung.
Diese auf Gold und Exporte bezogenen Forderungen konnten nicht weg-
inflationiert werden. Allerdings sah die Reichsbank durchaus eine Chance,
durch die Abwertung der Währung und die daraus folgende Verbilligung
deutscher Produkte im Ausland nicht nur die deutschen Exporte zu stimu-
lieren, was ein typischer Grund für derartige Abwertungen ist, sondern da-
rüber hinaus auch noch den Tourismus und die Auslandsinvestitionen in
Deutschland zu beleben. Diese Maßnahmen reduzierten zwar nicht unmit-
telbar den Umfang der Reparationen, aber sie halfen Deutschland, die zu ih-
rer Begleichung erforderlichen Devisen zu erwirtschaften.

Als die Inflation Ende 1921 an Fahrt gewann, sahen die Menschen darin zu-
nächst keine Bedrohung.14 Die Deutschen erkannten, dass die Preise stie-
gen, zogen daraus aber nicht automatisch die Schlussfolgerung, dass ihre
Währung am Kollabieren war. Die Verbindlichkeiten der deutschen Ban-
ken entsprachen in etwa ihren Vermögenswerten und waren somit weitge-
hend abgesichert. Viele Unternehmen besaßen Sachwerte wie Immobilien,
Anlagen, Ausrüstungen und Lagerbestände, die nominal in dem Maße an
Wert gewannen, wie die Inflation voranschritt, und somit ebenfalls abgesi-
chert waren. Manche dieser Unternehmen hatten Schulden, die sich quasi
verflüchtigten, da die geschuldeten Summen rapide an Wert verloren, und
wurden durch die Inflation sogar noch reicher. Viele deutsche Großunter-
nehmen, die Vorläufer der heutigen Industriegiganten, hatten ausländische
Töchter und Beteiligungen, die Devisen erwirtschafteten und ihre Mutter-
gesellschaften so noch zusätzlich vor den schlimmsten Folgen des Zusam-
menbruchs der Mark schützten.

Eine der traditionellen Reaktionen auf den Kollaps einer Währung ist die
Kapitalflucht. Diejenigen, die Papiermark in Schweizer Franken, Gold oder
andere sichere Werte umtauschen konnten, taten das und brachten ihre Er-

91
Teil 2 Währungskriege

sparnisse ins Ausland. Aber selbst die deutsche Bourgeoisie zeigte sich zu-
nächst nicht sonderlich beunruhigt, weil der Wertverlust der Mark durch
Börsengewinne ausgeglichen wurde. Der Umstand, dass diese Gewinne
auf eine beständig an Wert verlierende Währung lauteten, war vielen noch
nicht aufgegangen. Schließlich waren auch diejenigen, die beim Staat oder
in gewerkschaftlich organisierten Betrieben arbeiteten, zunächst geschützt,
weil die Regierung einfach an die Inflation angepasste Lohnerhöhungen ge­
währte.

Natürlich hatte nicht jeder einen Job beim Staat, war gewerkschaftlich orga-
nisiert oder besaß ein Aktienportfolio, reale Vermögenswerte oder ausländi-
sche Tochtergesellschaften, die ihn vor den Folgen der Inflation geschützt
hätten. Am stärksten betroffen waren die Rentner aus der Mittelschicht, de-
ren Renten nicht mehr erhöht wurden, und Sparer, die ihre Ersparnisse bei
Banken eingezahlt und nicht in Aktien angelegt hatten. Diese Gruppen wur-
den finanziell komplett ruiniert. Viele sahen sich gezwungen, ihre Möbel zu
verkaufen, um ein paar Mark für Lebensmittel, Brennstoff und Strom zu ver-
dienen. Klaviere waren besonders gefragt und entwickelten sich sogar zu ei-
ner Art eigener Währung. Nicht selten gingen ältere Paare, die ihre gesamten
Ersparnisse verloren hatten, in ihrer Verzweiflung in die Küche, legten die
Köpfe in den Backofen und drehten das Gas auf, bis sie erstickt waren. Die
Zahl der Eigentumsdelikte nahm explosionsartig zu, und gegen Ende waren
auch Krawalle und Plünderungen an der Tagesordnung.

Als die Reichsbank 1922 den Versuch aufgab, die Situation irgendwie noch
unter Kontrolle zu halten, und die Notenpressen auf Hochdruck laufen
ließ, um die Lohnforderungen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter
und Staatsbediensteten erfüllen zu können, schlug die Inflation um in ei-
ne Hyperinflation. Ein US-Dollar war bald so viel wert, dass amerikanische
Besucher ihn nicht ausgeben konnten, weil die Händler gar nicht so viele
Millionen Mark auftreiben konnten, um ihnen darauf herauszugeben. Res-
taurantbesucher bezahlten im Voraus, weil der Preis für die Mahlzeit erheb-
lich höher sein würde, wenn sie mit dem Essen fertig waren. Der Bedarf an

92
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

Banknoten war so groß, dass die Reichsbank reihenweise private Drucke-


reien beauftragte und spezielle Logistikeinheiten einrichtete, die für die Be-
schaffung von Papier und Tinte zuständig waren, damit die Notenpressen
weiterlaufen konnten. Um Farbe zu sparen, wurden die Noten ab 1923 nur
noch auf einer Seite bedruckt.

Das wirtschaftliche Chaos in Deutschland veranlasste Frankreich und Bel-


gien aus Sorge um die ihnen zustehenden Reparationen 1923 dazu, im
Ruhrgebiet einzumarschieren. Die Besetzung der Industrieregion erlaubte
ihnen, sich durch Lieferungen von Sachleistungen wie Industriegütern und
Kohle schadlos zu halten. Die deutschen Arbeiter im Ruhrgebiet antworte-
ten darauf mit Bummelstreiks, Ausständen und Sabotage. Die Reichsbank
unterstützte die Arbeiter in ihrem Widerstand und half ihnen, indem sie zu-
sätzlich Geld für höhere Löhne und Arbeitslosenleistungen drucken ließ.

Im November 1923 schließlich versuchte Deutschland, der Hyperinflation


mit der Einführung einer neuen Währung, der sogenannten Rentenmark,
zu begegnen, die parallel zur Papiermark zirkulierte. Abgesichert wurde die
Rentenmark durch Hypotheken und die Möglichkeit, die zugrunde liegen-
den Immobilien zu besteuern. Ausgabe und Umlauf der neuen Währung
wurden vom neu ernannten Reichswährungskommissar Hjalmar Schacht,
einem erfahrenen Privatbanker, der wenig später Havenstein als Präsident
der Reichsbank ablösen sollte, akribisch vorbereitet und gesteuert. Als kurz
nach Einführung der Rentenmark die Mark endgültig zusammenbrach, war
eine Rentenmark rund eine Billion Mark wert. Allerdings war die Renten-
mark (die bis 1948 gültig blieb) kein gesetzliches Zahlungsmittel und wur-
de kurz darauf durch die neu eingeführte Reichsmark ergänzt, die wieder di-
rekt durch Gold besichert war. Die alten Papiermarknoten mit ihren abstrus
hohen Nennwerten wurden im wahrsten Sinne des Wortes weggefegt und
landeten in Mülleimern, Straßenrinnen und Abwasserkanälen.

Wirtschaftshistoriker betrachten die Hyperinflation in der Weimarer Repu-


blik von 1921 bis 1924 gemeinhin getrennt von dem mit Währungsabwer-

93
Teil 2 Währungskriege

tungen geführten weltweiten und eskalierenden Wettlauf um Außenhandels-


vorteile in der Zeit von 1931 bis 1936, doch diese Sichtweise ignoriert die
Kontinuität der wechselseitigen Abwertungen in der Zwischenkriegszeit.
Durch die Weimarer Hyperinflation wurden zudem mehrere wichtige po-
litische Ziele erreicht, ein Umstand, der die gesamten 1920er- und 1930er-
Jahre hindurch nachhallen sollte. Die Hyperinflation vereinte das deutsche
Volk im Widerstand gegen »ausländische Spekulanten« und zwang Frank-
reich zur offenen Intervention im Ruhrgebiet, was einen Vorwand für die
deutsche Wiederaufrüstung lieferte. Gleichzeitig weckte die Hyperinflation
in Großbritannien und den USA ein gewisses Mitleid für die notleidenden
Deutschen und stärkte die Neigung, die Reparationsforderungen aus dem
Versailler Vertrag zumindest etwas abzuschwächen. Der Zusammenbruch
der Mark stand zwar in keiner direkten Verbindung zum Wert der Reparati-
onszahlungen, aber Deutschland konnte zumindest argumentieren, dass sei-
ne Wirtschaft wegen der Hyperinflation zusammengebrochen sei und dies
eine gewisse Reduzierung der Reparationsbelastungen rechtfertige. Darü-
ber hinaus stärkte der Währungskollaps die Position der deutschen Indus-
triellen mit ihrem Sachvermögen gegenüber denjenigen, die hauptsächlich
finanzielle Vermögenswerte kontrollierten. Weil sie harte Währungen im
Ausland horten und im Inland bankrott gegangene Unternehmen billig auf-
kaufen konnten, gingen diese Industriellen aus der Hyperinflation stärker
denn je hervor.

Schließlich lieferte die Hyperinflation den Beweis, dass Länder, was Papier-
währungen anging, durchaus mit dem Feuer spielen konnten, da sich durch
eine einfache Rückkehr zum Goldstandard oder zu anderen materiellen Ver-
mögenswerten wie zum Beispiel Grundbesitz die Ordnung rasch wieder-
herstellen ließ, wenn die Bedingungen dafür opportun schienen – wie das
Deutschland ab Herbst 1923 mit der Einführung zunächst der Renten- und
dann der Reichsmark vorexerziert hatte. Damit soll nicht gesagt werden, die
deutsche Hyperinflation ab 1922 sei ein sorgfältig durchdachter Plan ge-
wesen, nur, dass sich eine Hyperinflation als Instrument zur Durchsetzung
politischer Ziele gebrauchen lässt. Da die Gewinner und Verlierer von Hy-

94
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

perinflationen recht zuverlässig vorhergesagt werden können und Hyperin-


flationen zudem bestimmte Verhaltensweisen auslösen, können sie von der
Politik benutzt werden, um die sozialen und ökonomischen Beziehungen
zwischen Schuldnern und Gläubigern, Arbeit und Kapital neu zu arrangie-
ren, während man Gold in der Hinterhand hält, um das Chaos hinterher
wieder aufzuräumen.

Natürlich waren die Kosten der Hyperinflation enorm. Das Vertrauen in die
staatlichen deutschen Behörden löste sich in nichts auf, und zahllose Exis-
tenzen wurden vernichtet. Dennoch bewies die Episode, dass ein Land, das
über ausreichend natürliche Ressourcen, eine ausgebildete Arbeiterschaft,
Sachvermögen und Gold als Reservoir an Reichtum verfügte, relativ intakt
aus einer Hyperinflation hervorgehen konnte. In den fünf Jahren, die unmit-
telbar auf die Hyperinflation folgten, von 1924 bis 1929, wuchs die deut-
sche Industrieproduktion schneller als die jeder anderen großen Volks-
wirtschaft, einschließlich der der Vereinigten Staaten. Zuvor hatten sich
Nationen in Kriegszeiten vom Goldstandard gelöst, so zum Beispiel Eng-
land, das während und unmittelbar nach den Napoleonischen Kriegen die
Goldkonvertibilität des Pfund ausgesetzt hatte. Nun hatte Deutschland die
Verbindung zum Gold in einer Zeit des Friedens gebrochen, wenn auch ei-
nes von den harten Bedingungen des Versailler Vertrags diktierten Friedens.
Die Reichsbank hatte gezeigt, dass in einer modernen Volkswirtschaft eine
Papierwährung ohne Bindung an Gold allein im Interesse bestimmter poli-
tischer Ziele abgewertet und diese Ziele damit auch erreicht werden konn-
ten, was natürlich von den anderen großen Industrienationen sehr aufmerk-
sam registriert wurde.

Im Frühjahr 1922, eben zu der Zeit, als die Inflation in Weimar außer Kon-
trolle geriet, kamen die großen Industrienationen zu der Konferenz von
Genua zusammen, um erstmals seit Ende des Ersten Weltkriegs über ei-
ne Rückkehr zum Goldstandard zu verhandeln.15 Vor 1914 hatte es in den
meisten wichtigen Volkswirtschaften einen echten Goldstandard gegeben,
bei dem der Wert der Papiernoten im Verhältnis zum Gold festgeschrie-

95
Teil 2 Währungskriege

ben war, was bedeutete, dass Papiergeld und Goldmünzen parallel in Um-
lauf waren, weil sie jederzeit frei ineinander konvertierbar waren. Nach dem
Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch, als die Notwendigkeit übermächtig
wurde, zur Finanzierung des Kriegs frisches Geld zu drucken, hatten sich
praktisch alle Länder vom alten Goldstandard losgesagt. Nun, 1922, nach-
dem der Vertrag von Versailles unterzeichnet war und man sich – wenn auch
auf einem brüchigen Fundament – über die Kriegsreparationen verständigt
hatte, rückte der Goldstandard als Anker des internationalen Währungssys-
tems wieder in den Fokus.

Doch seit der Blütezeit des klassischen Goldstandards hatten sich weit rei-
chende Veränderungen vollzogen. Die Vereinigten Staaten hatten 1913 mit
dem Federal Reserve System eine neue Zentralbank gegründet, die über bei-
spiellose Kompetenzen bei der Regulierung der Zinssätze und der Geld-
menge gebot. Die Wechselwirkungen zwischen Goldvorräten und Fed-Geld
waren in den 1920er-Jahren noch Gegenstand von Experimenten. So, wie
sich die Länder in den Kriegsjahren von 1914 bis 1918 an die Bequemlich-
keit gewöhnt hatten, ganz nach Bedarf frisches Papiergeld drucken zu kön-
nen, hatten sich auch die Menschen daran gewöhnt, das Papiergeld zu ak-
zeptieren, nachdem die Goldmünzen aus dem Umlauf genommen worden
waren. Die Großmächte kamen mit der Absicht nach Genua, auf einer flexi-
bleren Basis zum Goldstandard zurückzukehren und diesen der direkteren
Kontrolle der Zentralbanken zu unterstellen.

Aus der Konferenz von Genua ging der neue Gold-Devisen-Standard her-
vor, der erhebliche Unterschiede zum klassischen Goldstandard aufwies.
Die teilnehmenden Länder kamen überein, dass Zentralbankreserven nicht
nur in Gold, sondern auch in den (gegen Gold einlösbaren) Währungen an-
derer teilnehmender Länder gehalten werden konnten; der Ausdruck »De-
visen« in »Gold-Devisen-Standard« bedeutete schlicht, dass bestimmte De-
visenbestände für Reservezwecke wie Gold behandelt wurden. Damit wurde
die Aufgabe, einen echten Goldstandard aufrechtzuerhalten, auf diejenigen
Länder ausgelagert, die wie beispielsweise die Vereinigten Staaten über gro-

96
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

ße Goldbestände verfügten. Den Vereinigten Staaten wurde die Verantwor-


tung übertragen, den Goldwert des US-Dollar bei 20,67 Dollar pro Feinun-
ze zu halten, während andere Länder Dollar anstelle von Gold als Sicherheit
für ihre Währungen halten konnten. Nach diesem neuen Standard wurden
die internationalen Zahlungsbilanzdifferenzen zwar immer noch in Gold
ausgeglichen, aber nun konnte ein Land große Devisenüberschüsse erwirt-
schaften, bevor es diese Überschüsse in Goldbarren umtauschte.

Zudem wurde die freie Zirkulation von Goldmünzen und -barren im Ver-
gleich zur Vorkriegszeit stark eingeschränkt. Die Länder boten zwar nach
wie vor den Umtausch von Papiernoten in Gold an, üblicherweise aber nur
noch zu großen Mindestmengen wie beispielsweise 400-Unzen-Barren, die
zu der Zeit 8 226 Dollar wert waren (oder über 110 000 Dollar in heutigem
Geld). Das bedeutete, dass Barrengold nur noch von Zentralbanken, Ge-
schäftsbanken und den Reichen genutzt wurde, während die anderen auf
Papiernoten angewiesen waren, abgesichert mit dem Versprechen des aus-
gebenden Landes, ihren Gegenwert in Gold zu aufrechtzuerhalten. Papier-
geld war damit immer noch »so gut wie Gold«, aber das Gold selbst nun
dazu bestimmt, in den Tresoren der Zentralbanken zu verschwinden. Zur
Unterstützung des neuen Gold-Devisen-Standards brachte Großbritannien
diese Vorschriften im Gold Standard Act von 1925 in Gesetzesform.

Ungeachtet der 1922 in Genua vereinbarten Rückkehr zu einem modifi-


zierten Goldstandard setzte sich der Währungskrieg fort und gewann so-
gar noch an Dynamik. 1923 brach der französische Franc ein, wenn auch
nicht annähernd so katastrophal wie zuvor die Mark. Nebenbei bemerkt war
es dieser Absturz des Franc, der das Goldene Zeitalter der amerikanischen
Künstler und Möchtegernkünstler im Paris der 1920er-Jahre einläutete, zu
denen auch Scott und Zelda Fitzgerald sowie Ernest Hemingway gehörten,
der für den Toronto Star über die Auswirkungen des Kursverfalls des Franc
auf den Alltag der Franzosen berichtete. Weil sie für ihre Dollars deutlich
mehr Francs bekamen, konnten sich die Amerikaner im Paris der 1920er-
Jahre einen gehobenen Lebensstandard leisten.

97
Teil 2 Währungskriege

Praktisch sofort nach seiner Einführung kamen die im Gold-Devisen-Stan-


dard angelegten schwerwiegenden Fehler zum Vorschein. Seine offenkun-
digste Schwäche war die Instabilität, die daraus resultierte, dass die Über-
schussländer große Mengen an Devisen anhäufen und diese dann bei den
Defizitländern auf einen Schlag gegen Gold eintauschen konnten. Darüber
hinaus fehlte es Deutschland, der potenziell größten Volkswirtschaft Eu-
ropas, an ausreichenden Goldreserven, um eine Geldmenge zu unterstüt-
zen, die groß genug gewesen wäre, um den Außenhandel des Landes zu sti-
mulieren und die deutsche Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zu
führen. Eben um diesen Fehler zu beheben, wurde 1924 der Dawes-Plan
aufgelegt, benannt nach dem US-Bankier und späteren amerikanischen Vi-
zepräsidenten Charles Dawes, der den Plan federführend entworfen hat-
te. Unterstützt wurde der Dawes-Plan von einem internationalen Wäh-
rungsausschuss, der einberufen worden war, um das anhaltende Problem
der im Versailler V
­ ertrag festgesetzten Reparationen zu lösen. Unter dem
Dawes-Plan wurden die deutschen Reparationszahlungen reduziert und
Deutschland neue Darlehen gewährt, damit es die zur Unterstützung sei-
ner Wirtschaft be­nötigten Gold- und Devisenreserven anlegen konnte. Die
Konferenz von Genua 1922, die Einführung der neuen und stabilen Ren-
tenmark 1924 und der Dawes-Plan von 1924 bewirkten zusammen schluss-
endlich eine Stabilisierung der deutschen Finanzen und ermöglichten dem
Land eine Ausweitung seiner industriellen und landwirtschaftlichen Basis
ohne Inflation.

Das System der festen Wechselkurse, das von 1925 bis 1931 bestand, hatte
zur Folge, dass der Währungskrieg vorläufig nicht über Wechselkurse, son-
dern über Goldkonten und Zinssätze ausgefochten wurde. Das reibungs-
lose Funktionieren des Gold-Devisen-Standards in dieser Periode hing
entscheidend von der Einhaltung der sogenannten »Spielregeln« ab. Die-
se sahen vor, dass Länder mit einem starken Goldzustrom die Geldmen-
ge erhöhten, unter anderem durch eine Senkung der Zinssätze, damit ih-
re Volkswirtschaft expandieren konnte. Umgekehrt sollten die Länder,
die Goldabflüsse verzeichneten, ihr Geld durch die Anhebung der Zins-

98
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

sätze verteuern und damit eine Kontraktion der Wirtschaft auslösen. Mit
der Zeit würden in dem Land mit der schrumpfenden Wirtschaft dann die
Preise und Löhne so weit fallen, dass seine Produkte billiger und damit in-
ternational konkurrenzfähiger wären, während im Land mit der expandie-
renden Wirtschaft das Gegenteil eintreten würde. An diesem Punkt wür-
den sich die Austauschbeziehungen anfangen umzukehren, und das Land,
aus dem bisher Gold abgeflossen war, würde einen Goldzufluss erleben,
da es dank s­ einer billigeren Produkte nun einen Handelsbilanzüberschuss
erwirtschaftet. Umgekehrt würde das Land mit der expandierenden Wirt-
schaft in ein Handelsbilanzdefizit hineinrutschen, und es würde zu Gold-
abflüssen ­kommen.

Der Gold-Devisen-Standard war ein sich selbst ausgleichendes System mit


einem entscheidenden Schwachpunkt. Beim klassischen, also reinen Gold-
standard, stellte der Goldbestand die Geldbasis dar und bewirkte die öko-
nomische Expansion beziehungsweise Kontraktion. Beim Gold-Devisen-
Standard dagegen spielten auch die Devisenreserven eine Rolle – mit der
Folge, dass die Zentralbanken durch Zins- und andere geldpolitische Ent-
scheidungen, die die Währungsreserven betrafen, auf die Anpassungspro-
zesse einwirken konnten. Eben durch diese durch Geldpolitik bewirkten
Anpassungen und weniger durch die Goldbindung an sich fing das System
mit der Zeit an auseinanderzubrechen.

Eine der Eigenarten von Papiergeld besteht darin, dass es zugleich ein Ver-
mögenswert (nämlich des Wirtschaftssubjekts, in dessen Besitz es sich be-
findet) wie auch eine Verbindlichkeit (nämlich der es ausgebenden Bank)
ist. Gold dagegen ist im Regelfall nur ein Vermögenswert, außer wenn es –
was in den 1920er-Jahren höchst selten vorkam – von einer Bank an eine an-
dere verliehen wird. Anpassungstransaktionen in Gold sind deshalb norma-
lerweise Nullsummenspiele. Angenommen, Gold fließt von Großbritannien
nach Frankreich ab, so reduziert sich die Geldmenge in Großbritannien ent-
sprechend der abfließenden Menge an Gold und weitet sich die Geldmenge
in Frankreich analog dazu aus.

99
Teil 2 Währungskriege

Das System konnte zur allgemeinen Zufriedenheit funktionieren, solan-


ge Frankreich bereit war, für seine Exporte nach Großbritannien Pfund
­Sterling zu akzeptieren und diese Pfund wieder in britischen Banken zu
­deponieren, sodass die Geldmenge in Großbritannien nicht vermindert
wurde. Sollte die Banque du France diese Einlagen aber plötzlich abzie-
hen und von der Bank of England im Austausch dafür Gold verlangen,
würde die Geldmenge in Großbritannien schlagartig schrumpfen. Statt rei-
bungsloser, schrittweiser Anpassungen, wie sie für den klassischen Gold-
standard ­charakteristisch waren, war das neue System anfällig für schar-
fe, desta­bilisierende Ausschläge, die sich rasch in eine Panik auswachsen
konnten.

Einem Land, das unter dem Gold-Devisen-Standard Defizite anhäufte,


konnte es ergehen wie einem Mieter, dessen Vermieter ein Jahr lang ­keine
Miete kassiert und dann auf einen Schlag die gesamte Miete für das zu-
rückliegende eine Jahr einfordert. Der eine oder andere Mieter wird Rück­
lagen für den unausweichlichen Zahltag angespart haben, aber die we-
nigsten dürften den Verlockungen des unverhofften Kredits widerstanden
haben, und nun, da es ihnen an ausreichend Mitteln zur Begleichung der
Forderung fehlt, vor einer Zwangsräumung stehen. In eine gleicherma-
ßen unangenehme Lage konnte ein Land geraten, dessen Handelspartner
nach l­ängerer Zeit anklopfte, um seine Devisenüberschüsse in Gold um-
zutauschen. Eigentlich sollte der Gold-Devisen-Standard in sich die bes-
ten Eigenschaften des Gold- und des Papiergeldsystems vereinen. Tatsäch-
lich aber erwies er sich als eine Kombination einiger ihrer unerfreulichsten
Charakteristika, wozu insbesondere die dem System immanente potenziel-
le Instabilität zählte, die aus der unerwarteten Einlösung von Devisen ge-
gen Gold r­ esultierte.

Nachdem bis 1927 in großem Stil Gold und Devisen von Großbritanni-
en nach Frankreich abgeflossen waren, war es gemäß den Spielregeln nun
an Großbritannien, die Zinssätze heraufzusetzen und so eine ökonomische
Kontraktion zu erzwingen, die im Laufe der Zeit die Konkurrenzfähigkeit

100
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

der britischen Wirtschaft verbessert hätte. Aber Montagu Norman, Vorsit-


zender der Bank of England, weigerte sich, die Zinsen anzuheben, zum Teil,
weil er eine heftige politische Opposition dagegen voraussah, vor allem aber,
weil er den Zustrom französischer Waren nach Großbritannien auf einen ab-
sichtlich unterbewerteten Franc zurückführte. Die Franzosen ihrerseits ver-
sperrten sich im Moment zwar einer Aufwertung des Franc, schlossen eine
solche Maßnahme für später jedoch nicht aus, womit sie die Unsicherheit
nur noch vergrößerten und die Spekulationen auf das Pfund wie auch auf
den Franc anheizten.

Unabhängig davon hatten die Vereinigten Staaten, nachdem sie 1927 noch
die Zinsen gesenkt hatten, 1928 eine Reihe von Zinsanhebungen vorgenom-
men, die sich stark kontrahierend auf die US-Wirtschaft auswirkten und das
genaue Gegenteil dessen waren, was das Land den Spielregeln zufolge in
Anbetracht seiner dominanten Goldposition und des anhaltenden Goldzu-
stroms hätte tun müssen.16 Doch ebenso wie innenpolitische Erwägungen
Großbritannien 1927 von einer Zinserhöhung abgehalten hatten, beruhte
ein Jahr später die Entscheidung der Fed, die Zinsen zu erhöhen, als sie sie
hätte senken sollen, auf dem Hintergrund innenpolitischer Sorgen, insbe-
sondere der Angst vor einer Blase am amerikanischen Aktienmarkt. Kurz ge-
sagt, indem die Teilnehmer des Gold-Devisen-Standards innenpolitischen
Interessen Vorrang vor den Spielregeln einräumten, setzten sie das Funktio-
nieren des Systems insgesamt aufs Spiel.

Der Gold-Devisen-Standard wies aber noch einen weiteren Konstrukti-


onsfehler auf, einen, der tiefer reichte als die mangelnde Kooperation der
Zentralbanken Großbritanniens, der USA, Frankreichs und Deutschlands.
Dieser Fehler betraf den Preis, zu dem Gold gegenüber dem Dollar fixiert
worden war, um so den neuen Standard zu verankern. Den Ersten Welt-
krieg hindurch hatten die kriegführenden Länder zur Deckung der Kriegs-
kosten enorme Mengen an Papiergeld gedruckt, die Goldbestände dagegen
waren kaum gewachsen. Dazu kam, dass das vorhandene Gold nicht an Ort
und Stelle verblieb, sondern in steigendem Maße in die Vereinigten Staa-

101
Teil 2 Währungskriege

ten abfloss und im Gegenzug die Goldreserven in Europa schwanden. Eines


der größten Probleme nach 1919 bestand darin, das Verhältnis von Gold
zu Papiergeld der Nachkriegszeit und dem Goldpreis der Vorkriegszeit in
Einklang zu bringen. Eine Möglichkeit bestand darin, die Papiergeld­menge
so weit zu reduzieren, bis der Goldpreis der Vorkriegszeit wiederhergestellt
war. Dieses Vorgehen aber würde höchst deflationär wirken und einen star-
ken Verfall des Preisniveaus insgesamt auslösen. Die andere Option lautete,
Gold aufzuwerten, bis der Kurs dem durch das Geldmengenwachstum be-
dingten neuen Preisniveau entsprach, was auf eine dauerhafte Abwertung
der Papierwährungen hinauslief. Kurz gesagt, zur Wahl standen die Alterna-
tiven Deflation oder Abwertung.

Es ist eine Sache, wenn das Preisniveau im Laufe der Zeit aufgrund von
Innovation, Skaleneffekten und anderen Effizienzvorteilen nachgibt. Diese,
man könnte sagen, »gute« Deflation dürfte jedem zeitgenössischen Verbrau-
cher vertraut sein, der den Preisverfall von Computern oder Flachbildfern-
sehern mitverfolgt hat. Eine ganz andere Sache ist es, wenn die Preise infol-
ge von Geldmengenschrumpfung, Kreditbeschränkungen, Schuldenabbau,
Unternehmenszusammenbrüchen, Konkursen und Massenarbeitslosigkeit
nach unten gedrückt werden. Und eben diese »schlechte« Deflation war er-
forderlich, um die wichtigsten Währungen auf ihre Vorkriegsparität zum
Gold zurückzuführen.

Im Vergleich zu den europäischen Mächten standen die Vereinigten Staa-


ten deutlich besser da. Zwar hatten auch sie während des Ersten Welt-
kriegs die Geldmenge stark ausgeweitet, gleichzeitig aber hatte Amerika ho-
he Handelsbilanzüberschüsse erzielt und infolge davon seine Goldreserven
stark ausgeweitet. Im Vergleich zum Vorkriegsniveau hatte sich der Gold-
deckungsgrad des Dollar nicht so dramatisch verschlechtert, wie das beim
Pfund oder dem Franc der Fall war.

Bis 1923 hatten sich sowohl Frankreich als auch Deutschland dem Prob-
lem der Kriegsinflation stellen müssen und ihre Währungen abgewertet. Von

102
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

den drei großen europäischen Mächten entschloss sich nur Großbritanni-


en dazu, die Geldmenge einzuschränken und auf diese Weise die Vorkriegs-
parität des Pfundes zum Gold wiederherzustellen. Treibende Kraft hinter
dieser Entscheidung war der frisch ins Amt berufene britische Schatzkanz-
ler Winston Churchill, für den die Rückkehr des Pfunds zum Goldstandard
zur alten Parität gleichermaßen eine Frage der Ehre wie eine willkomme-
ne Gelegenheit darstellte, die britischen Finanzen auf Herz und Nieren zu
prüfen. Die Auswirkungen auf die britische Wirtschaft allerdings waren ver-
heerend; das Preisniveau stürzte um über 50 Prozent ab, die Zahl der Un-
ternehmensinsolvenzen explodierte, und Millionen Menschen verloren ihre
Arbeit. Churchill sollte später selbst sagen, die Entscheidung, zur Goldpari-
tät der Vorkriegszeit zurückzukehren, sei einer der größten Fehler seiner po-
litischen Laufbahn gewesen. Als die USA 1930 von massiver Deflation und
Arbeitslosigkeit heimgesucht wurden, hatten die Briten bereits den Großteil
des Jahrzehnts unter eben diesen Bedingungen gelitten.

Die 1920er-Jahre waren für die Vereinigten Staaten eine Zeit der Prosperi-
tät, und von 1924 bis 1929 wuchs auch in Frankreich und Deutschland die
Wirtschaft stark. Nur Großbritannien hinkte hinterher. Hätte sich das Land
bis 1928 aus dem Zangengriff der Deflation und Arbeitslosigkeit befreien
können, wer weiß, vielleicht wäre die gesamte Welt in eine Phase des nach-
haltigen globalen Wachstums eingetreten, wie es sie seit dem Ersten Welt-
krieg nicht mehr erlebt hatte. Stattdessen aber wurden die globalen Finanz-
märkte kurz darauf in einen verheerenden Abwärtsstrudel gerissen.

Der Beginn der Großen Depression wird von Ökonomen gemeinhin auf den
28. Oktober 1929 datiert, den »schwarzen Montag«, an dem der Dow Jones
Industrial Average um 12,8 Prozent abstürzte. Allerdings war Deutschland
bereits im Vorjahr in die Rezession gerutscht, und Großbritannien hatte
sich niemals ganz von der Wirtschaftskrise 1920/1921 erholt. Der schwarze
Montag markierte das Platzen einer besonders großen amerikanischen Spe-
kulationsblase in einer Welt, die sowieso schon mit den Folgen der Deflati-
on zu kämpfen hatte.

103
Teil 2 Währungskriege

Die unmittelbar auf den US-Börsencrash von 1929 folgenden Jahre wa-
ren verheerend, was Arbeitslosigkeit, Rückgang der Produktion, Unter-
nehmenspleiten und menschliches Leid anging. Aus der Perspektive des
globalen Finanzsystems allerdings waren Frühjahr und Sommer 1931 die
gefährlichste Phase. Die Finanzpanik von 1931, die auf einen weltweiten
Bankenansturm hinauslief, begann im Mai, als die Österreichische Cre-
ditanstalt in Wien horrende Verluste bekannt gab und ihre Zahlungsunfä-
higkeit erklärte. In den darauffolgenden Wochen wurde Europa von einer
Bankenpanik erfasst, und in Österreich, Deutschland, Polen, der Tschecho-
slowakei sowie Jugoslawien wurden Bankfeiertage verhängt. Deutschland
setzte die Bedienung seiner Auslandsschulden aus und verhängte Kapi-
talverkehrskontrollen, was von seiner Wirkung her der Abkehr vom Gold-
Devisen-Standard gleichkam, da ausländische Gläubiger ihre Forderungen
gegen deutsche Banken nicht länger in Gold konvertieren konnten, die deut-
sche Regierung aber offiziell weiterhin behauptete, den Wert der Reichs-
mark gegenüber dem Gold unverändert zu halten.

Die Panik breitete sich rasch nach Großbritannien aus, wo es ab Juli 1931 zu
massiven Goldabflüssen kam. Führende britische Banken hatten in großem
Stil gehebelte Investitionen in illiquide Vermögenswerte vorgenommen und
diese mit kurzfristigen Darlehen finanziert, eben die Sorte Investitionen, die
2008 die Investmentbank Lehman Brothers in den Abgrund riss. Als die-
se Darlehen fällig wurden, konvertierten die ausländischen Gläubiger ihre
Pfund-Forderungen in Gold, das postwendend in die Vereinigten Staaten,
nach Frankreich oder in eine andere Goldmacht transferiert wurde, die von
der Krise noch nicht mit voller Wucht erfasst worden war. Als der Goldab-
fluss kritische Ausmaße annahm und der Druck des Bankenansturms selbst
große Banken in der Londoner City in den Abgrund zu reißen drohte, ver-
kündete Großbritannien am 21. September 1931 den Abschied vom Gold-
standard. Fast sofort stürzte das Pfund gegenüber dem Dollar ab und verlor
binnen weniger Monate über 30 Prozent seines Wertes. In der Folgezeit lös-
ten viele andere Länder, darunter Japan, die skandinavischen Nationen und
zahlreiche Mitglieder des British Commonwealth, ebenfalls ihre Bindung an

104
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

den Gold-Devisen-Standard und ernteten kurzfristige Abwertungsvorteile.


Die Leidtragenden waren der französische Franc und die Währungen der
anderen Goldblockländer, darunter Belgien, Luxemburg, die Niederlande
und Italien, die am Gold-Devisen-Standard festhielten.

In Europa entspannte sich die Lage am Bankenmarkt zwar wieder, nachdem


sich Großbritannien vom Goldstandard verabschiedet hatte, nun aber ge-
rieten die Vereinigten Staaten unter Druck. Die US-Wirtschaft schrumpf-
te zwar schon seit 1929, doch nach der Abwertung des Pfund und anderer
Währungen gegenüber dem Dollar 1931 bekamen die Vereinigten Staaten
die Wucht der weltweiten Deflation und Wirtschaftskrise unmittelbarer zu
spüren. 1932 war in den USA denn auch das schlimmste Jahr der Welt-
wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent, und Investitions-,
Produktions- und Preisniveau rangierten um zweistellige Prozentsätze unter
ihrem Vorkrisenniveau.

Im November 1932 wurde Franklin D. Roosevelt zum Präsident der Verei-


nigten Staaten gewählt und folgte damit auf Herbert Hoover, dessen Amts-
zeit von der Blase am Aktienmarkt, dem Börsenkrach und schließlich der
Großen Depression dominiert worden war. Allerdings wurde Roosevelt erst
im März 1933 als Präsident vereidigt, und in den vier Monaten, die dazwi-
schenlagen, spitzte sich die Situation, begleitet von verbreiteten Banken­
anstürmen und Bankpleiten, immer mehr zu.17 Millionen von Amerika-
nern hoben ihr Geld von den Banken ab und stopften es in Matratzen oder
Schubladen, unzählige andere, die zu lange gewartet hatten, verloren ihre
gesamten Ersparnisse. Bis zu Roosevelts Amtseinführung hatten die Ame-
rikaner den Glauben an so viele Institutionen verloren, dass ihnen Roose-
velt selbst das Wenige, was ihnen noch an Hoffnung geblieben war, zu ver-
körpern schien.

Am 6. März 1933, zwei Tage nach seiner Amtseinführung, verfügte Roose-


velt kraft seiner Notstandsbefugnisse die vorübergehende Schließung aller
Banken in den Vereinigten Staaten. Laut ursprünglicher Anweisung sollte

105
Teil 2 Währungskriege

der Bankfeiertag bis zum 9. März dauern, wurde dann aber auf unbestimm-
te Zeit verlängert. Roosevelt erklärte, die Ruhepause werde zur Überprü-
fung aller Banken genutzt, und nur Banken, die auf gesunden Füßen stün-
den, würden ihre Geschäfte wiederaufnehmen dürfen. Als die Bankferien
am 13. März endeten, öffneten einige Banken wieder die Schalter, wäh-
rend andere geschlossen blieben. Tatsächlich handelte es sich bei der gan-
zen S
­ ache aber mehr um eine vertrauensbildende Maßnahme als um gute
Banken­praxis, und in den acht Tagen, die die Schalter geschlossen blieben,
hatte die Regierung keineswegs die Bücher aller Banken geprüft.

Was die Wiederherstellung des Vertrauens in die Banken anging, war die
Verabschiedung des Emergency Banking Act am 9. März 1933 von weit-
aus größerer Bedeutung als die Bankeninspektionen. Mit dem Gesetz konn-
te die Fed den Banken Darlehen über 100 Prozent des Nennwerts der von
ihnen gehaltenen Staatsanleihen sowie über 90 Prozent des Nominalwerts
aller Schecks und sonstigen liquiden kurzfristigen Papiere gewähren. Dar-
über hinaus erhielt die Fed das Recht, jeder Bank, die dem Federal Reser-
ve System angehörte, unbesicherte Darlehen zu geben. In der Praxis bedeu-
tete dies, dass die Banken sich im Falle eines Bankenansturms unbegrenzt
Bargeld bei der Fed beschaffen konnten. Das war zwar noch nicht ganz die
Einlagenversicherung, die später im selben Jahr folgen sollte, aber es war ein
funktionales Äquivalent, da die Sparer nun keine Angst mehr haben muss-
ten, den Banken könnte das Geld ausgehen.

Interessanterweise hatte Roosevelt sich bei der vorübergehenden Schlie-


ßung der Banken Anfang März zunächst auf die ihm unter dem Trading
with the Enemy Act von 1917 gewährte gesetzliche Vollmacht berufen. Das
während des Ersten Weltkriegs verabschiedete Gesetz gegen den Handel
mit dem Feind räumte dem Präsidenten umfassende Notstandsbefugnisse
zum Schutz der nationalen Sicherheit ein. Für den Fall, dass die Gerichte
später Zweifel an der Kompetenz des Präsidenten bekunden sollten, nach
diesem Gesetz von 1917 landesweite Bankferien zu verhängen, wurde die
befristete Bankenschließung im Emergency Banking Act nachträglich rati-

106
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

fiziert, der darüber hinaus dem Präsidenten die explizite statt nur implizite
Befugnis zur Schließung der Banken übertrug.

Als die Banken am 13. März 1933 wieder öffneten, standen die Menschen
vielerorts in langen Schlangen an, aber nicht, um ihre Ersparnisse abzuhe-
ben, sondern um das Geld einzuzahlen, das sie in der Panik der vorange-
gangenen Monate in Kaffeekannen und Matratzen gehortet hatten. Obwohl
sich in den Bilanzen der Banken kaum etwas verändert hatte, hatte der bloße
Anschein einer gründlichen Säuberungsaktion während der Bankenschlie-
ßung im Verein mit der neuen Autorität der Fed zur unbegrenzten Vergabe
von Notkrediten das Vertrauen in die Banken wiederhergestellt. Nachdem
das getan war, musste Roosevelt ein Problem angehen, das noch weitaus ge-
fährlicher war als ein Bankenansturm – die Deflation, die die Vereinigten
Staaten nun über die Wechselkurse aus aller Welt importierten. Der Erste
Währungskrieg war auf den Stufen des Weißen Hauses angekommen.

Als sich Großbritannien und zahlreiche andere Länder 1931 vom Gold-
standard trennten, sanken die Kosten ihrer Exporte im Vergleich zu denen
konkurrierender Nationen. Das bedeutete, dass die Wettbewerber, wollten
sie auf den Weltmärkten mithalten, Mittel und Wege finden mussten, ihre
Kosten ebenfalls zu senken. Mitunter wurde die Kostenreduzierung durch
Lohnkürzungen oder Entlassungen erreicht, was jedoch das Problem der
Arbeitslosigkeit verschlimmerte. Tatsächlich exportierten die Länder, die
durch die Abkehr vom Gold abgewertet hatten, die Deflation ins Ausland
und verstärkten damit den globalen deflationären Trend.

Als Gegengift für Deflation bot sich Inflation an, aber die Frage war, wie
man, nachdem ein Teufelskreis aus sinkenden Ausgaben, höheren Schul-
denlasten, steigender Arbeitslosigkeit, Geldhortung und weiteren Ausga-
bensenkungen eingesetzt hatte, Inflation hervorrufen konnte. Inflation und
Abwertung sind im Hinblick auf ihre ökonomischen Auswirkungen im Prin-
zip ein und dieselbe Sache: Beide reduzieren das inländische Kosten­gefüge,
verteuern Importe und verbilligen die eigenen Exporte in andere Länder

107
Teil 2 Währungskriege

und tragen somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Inland bei. Großbri-
tannien, die Länder des Commonwealth und Japan hatten sich 1931 mit ei-
nigem Erfolg für diesen Weg entschieden. Die Vereinigten Staaten hätten
nun ihrerseits einfach gegen das Pfund und andere Währungen abwerten
können. Allerdings barg das die Gefahr weiterer Abwertungen gegen Dol-
lar, ohne dass dann etwas gewonnen wäre. Die Fortsetzung des Papierwäh-
rungskriegs nach dem Prinzip »wie du mir, so ich dir« war als langfristige
Lösung also nicht geeignet. Statt gegen andere Papierwährungen abzuwer-
ten, beschloss Roosevelt deshalb, den Dollar gegen die ultimative Währung
abzuwerten – Gold.

Doch damit ging in den Vereinigten Staaten ein besonderes Problem ein-
her. Neben den offiziellen Goldvorräten in den Banken des Federal Reser-
ve Systems befand sich Gold nämlich auch in privatem Umlauf, und zwar in
Form von Goldmünzen, die als gesetzliches Zahlungsmittel genutzt wurden,
sowie in Form von Münzen oder Barren, die in Bankschließfächern oder
an anderen sicheren Orten aufbewahrt wurden. Bei diesem Gold handelte
es sich eigentlich um nichts anderes als Geld, aber eben Geld, das gehortet
und nicht ausgegeben oder auf sonstige Weise in Umlauf gebracht wurde.
Der einfachste Weg, den Dollar gegenüber dem Gold abzuwerten, bestand
darin, den Dollarpreis des Goldes zu erhöhen, was Roosevelt mit seinen
Notstandsbefugnissen auch tun konnte. Er hätte einfach verkünden müs-
sen, dass Gold ab sofort zu einem Kurs von 25 oder 30 Dollar pro Feinunze
konvertiert wird anstatt zum Goldstandardpreis von 20,67 Dollar pro Fein­
unze. Das Problem dabei war, dass die Erhöhung des Goldpreises zu großen
Teilen den privaten Goldbesitzern zugutegekommen wäre, aber wenig da-
zu beigetragen hätte, die privaten Goldbestände zu entfesseln und wieder in
Umlauf zu bringen. Im Gegenteil, in der Hoffnung auf ein weiteres Anziehen
des Goldpreises könnten sogar noch mehr Leute Papierdollar in physisches
Gold umtauschen, und diejenigen, die bereits Gold besaßen, könnten sich
bestätigt fühlen und weiter Gold horten. Roosevelt musste a­ lso dafür sorgen,
dass die Gewinne aus der Aufwertung des Goldes an den Staat und nicht an
die privaten Goldbesitzer gingen. Wenn man den Privaten das Gold aus den

108
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

Händen nahm, was bedeutete, dass die Bürger keine Alternative mehr zum
Papiergeld hatten, und ihnen zugleich die Erwartung weiterer Abwertun-
gen ihres Papiergelds einimpfte, konnten sie anfangen, ihr Geld auszugeben,
statt an einem so schwindsüchtigen Vermögenswert festzu­halten.

Ein Verbot des Hortens oder Besitzes von Gold war damit eine Grundvor-
aussetzung für den Plan, den Dollar gegenüber dem Gold abzuwerten und
die Leute wieder zum Geldausgeben zu animieren. Und genau das tat Roo-
sevelt auch. Am 5. April 1933 erließ der amerikanische Präsident die Exe-
kutivanordnung 6102, einer der außergewöhnlichsten Präsidentenerlasse in
der Geschichte der USA. Die unverblümte Wortwahl des Textes, unter dem
Franklin D. Roosevelts Signatur prangt, spricht für sich selbst:

[Hiermit] erkläre ich, Franklin D. Roosevelt, als Präsident der Vereinigten


Staaten von Amerika, dass nach wie vor ein nationaler Notstand existiert,
und … verbiete das Horten von Goldmünzen, Goldbarren und Goldzerti-
fikaten durch Personen, Gesellschaften, Vereinigungen und Firmen inner-
halb der Vereinigten Staaten. … Alle Personen unterliegen der Verpflich-
tung, am oder vor dem 1.Mai 1933 der Federal Reserve Bank … oder
einem Mitglied des Federal Reserve Systems alle Goldmünzen, Goldbar-
ren und Goldzertifikate auszuhändigen, welche in ihrem Besitz sind. …
Wer vorsätzlich gegen diese Durchführungsverordnung oder gegen eine
der in dieser Verordnung aufgeführten Regeln verstößt, kann mit einer
Geldstrafe von bis zu 10 000 Dollar oder … bis zu zehn Jahren Gefäng-
nis bestraft werden.18

Den Bürgern der Vereinigten Staaten wurde befohlen, ihr Gold an den Staat
auszuhändigen und dafür Papiergeld zu einem Wechselkurs von 20,67 Dol-
lar pro Feinunze zu akzeptieren. Für Zahnärzte, Goldschmiede und ande-
re Personen, die für industrielle, künstlerische, handwerkliche oder andere
»legitime und übliche« Zwecke Gold benötigen, wurden ein paar geringfü-
gige Ausnahmen erlaubt. Ansonsten durfte jeder Amerikaner Gold bis zu
einem Wert von 100 Dollar behalten, umgerechnet also knapp fünf Fein-
unzen, sowie Goldmünzen, die als historische Sammlerstücke anerkannt
waren. Die 10 000 Dollar Geldstrafe (beziehungsweise 165 000 Dollar in

109
Teil 2 Währungskriege

heutigem Geld), die denjenigen drohten, die entgegen der Verordnung des
Präsidenten weiter Gold horteten, stellten einen ganz außerordentlich ho-
hen Strafbetrag dar.

Das begonnene Werk setzte Roosevelt mit einer Reihe ergänzender Anord-
nungen fort, darunter die Exekutivanordnung 6111 vom 20. April 1933,
mit der die Ausfuhr von Gold aus den Vereinigten Staaten ohne Genehmi-
gung des Finanzministers verboten wurde, sowie die Exekutivanordnung
6261 vom 29. August desselben Jahres, mit der alle Goldminen in den Ver-
einigten Staaten angewiesen wurden, ihre Produktion zu einem vom Finanz­
ministerium festzusetzenden Preis an den Staat zu verkaufen, was praktisch
einer Verstaatlichung der Goldminen gleichkam.

In einer raschen Abfolge von Schritten hatte der US-Präsident die priva-
ten Goldvorräte der Amerikaner konfisziert, die Ausfuhr von Gold verboten
und die inländische Goldförderung verstaatlicht – mit dem Resultat, dass
die offiziellen Goldreserven der USA sprunghaft anwuchsen. Zeitgenössi-
schen Schätzungen zufolge übergaben die Amerikaner dem Finanzministe-
rium 1933 insgesamt über 500 Tonnen Gold. Das Goldlager in Fort Knox
wurde 1937 eigens zur sicheren Verwahrung des von den US-Bürgern kon-
fiszierten Goldes errichtet. Das Kellergeschoss des Finanzministeriums bot
nicht mehr ausreichend Platz für das viele Gold.

So schwer es einem fällt, sich eine Neuauflage dieses Szenarios in heuti-


gen Zeiten vorzustellen – die gesetzliche Vollmacht des US-Präsidenten,
das private Gold der Amerikaner einzuziehen, besteht noch heute. Dass wir
uns mit dieser Vorstellung so schwertun, rührt nicht etwa daher, dass eine
vergleichbare Krise heute nicht möglich wäre, sondern vielmehr von dem
politischen Rückschlag, den eine solche Anordnung im Zeitalter des all-
gegenwärtigen Talkradios, der boomenden sozialen Medien, der forschen
Nachrichtenmoderatoren und des dramatisch geschwundenen Vertrau-
ens der US-Bürger in ihre Regierung provozieren würde. Dabei dürfte der
Vertrauensverlust von all diesen Faktoren der bei Weitem wichtigste sein.

110
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

Schließlich hatte auch Roosevelt seine Widersacher an den Radiomikro-


fonen, namentlich Father Charles Caughlin, dessen Zuhörerschaft in den
1930er-Jahren Schätzungen zufolge größer als war die von Rush Limbaugh
heute. Und auch wenn so etwas wie Facebook oder Twitter damals nicht
existierte, gab es genügend andere soziale Medien einschließlich Zeitungen
und insbesondere die Mundpropaganda, die in dem dichten Gewebe von
Familien, Kirchen, sozialen Vereinen und ethnischen Bindungen prächtig
funktionierte. Mit anderen Worten, eine starke öffentliche Opposition gegen
Roosevelts Goldkonfiskationen hätte damals leicht entstehen können, aber
sie tat es nicht. Die Menschen waren verzweifelt und vertrauten Roosevelt,
dass er das Richtige tat, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, und
wenn dazu das Ende des privaten Goldhortens notwendig erschien, nun,
dann waren die Leute bereit, auf die Aufforderung hin ihre Goldmünzen,
-barren und zertifikate abzuliefern.

Die heutigen elektronischen sozialen Medien haben zweifelsohne einen be-


achtlichen verstärkenden Effekt auf die öffentliche Meinung, aber es ist im-
mer noch die Meinung, die zählt. Vom Vertrauen in die politische Führung
und die offizielle Wirtschaftspolitik ist Anfang des 21. Jahrhunderts nicht
mehr viel übrig geblieben. Dass früher oder später ein Kollaps des Dollar
eine Beschlagnahme der Goldvorräte der US-Bürger ratsam erscheinen las-
sen könnte, ist gut vorstellbar. Dass die Amerikaner der Anordnung heute
ebenso folgsam nachkommen würden wie 1933, dagegen kaum.

Unbeantwortet war aber immer noch die Frage danach, welchen Wert der
Dollar relativ zum Gold für die Zwecke des internationalen Handels und
Zahlungsausgleichs haben würde. Nachdem Roosevelt das Gold der Ameri-
kaner zum offiziellen Preis von 20,67 Dollar pro Feinunze konfisziert hatte,
ließ er ab Oktober 1933 zusätzlich Gold auf dem offenen Markt aufkaufen.
Da das den Goldpreis langsam in die Höhe trieb, kam es einer Abwertung
des Dollar gegenüber dem Gold gleich. Der Wirtschaftswissenschaftler und
Historiker Alan Meltzer beschreibt anschaulich, wie Roosevelt gelegentlich
im Schlafanzug im Bett liegend einen neuen Goldpreis festsetzte, wobei er

111
Teil 2 Währungskriege

dem Finanzministerium einmal die Anweisung gab, den Preis um 21 US-


Cent nach oben zu drücken, weil das seine Glückszahl Sieben mal drei war.
Die Geschichte wäre zum Lachen, würde sie nicht einen Diebstahl am ame-
rikanischen Volk beschreiben; die Gewinne aus dem steigenden Goldwert
fielen nun allein dem Staat zu und nicht den Bürgern, denen das Gold zu-
vor gehört hatte. Im Laufe der folgenden Monate trieb Roosevelt den Gold-
preis nach und nach bis auf 35 Dollar die Feinunze hoch. Damit war der
Dollar alles in allem gegenüber dem Gold um rund 70 Prozent abgewer-
tet worden.

Zur Krönung des Ganzen verabschiedete der Kongress 1934 den Gold Re-
serve Act, mit dem der neue Kurs von 35 Dollar pro Feinunze Gold ratifi-
ziert und alle sogenannten Goldklauseln in Verträgen annulliert wurden. Bei
diesen Goldklauseln handelte es sich um vertragliche Wertsicherungsver-
einbarungen, die beide Vertragsparteien gegen die Unwägbarkeiten von In-
flation oder Deflation absicherten. Eine klassische Variante war etwa die Ver-
einbarung, dass im Falle einer Veränderung des Dollarpreises von Gold die
vertraglich vereinbarten Dollarzahlungen so anzupassen sind, dass gemes-
sen an einem konstanten Goldgewicht der Wert der neuen Dollarforderung
dem der ursprünglichen Dollarforderung entspricht. Roosevelts Frontal-
angriff auf die Goldklauseln war höchst umstritten und wurde schlussend-
lich 1935 vom Obersten Gerichtshof der USA im Fall Norman gegen Balti-
more & Ohio Railroad Co mit einer knappen 5-zu-4-Entscheidung bestätigt,
wobei der Vorsitzende Richter Charles Evans Hughes das Gutachten der
Mehrheitsmeinung verfasste. Erst 1977 erlaubte der Kongress wieder die
Verwendung von Goldklauseln in Verträgen.

Schließlich wurde mit dem Gold Reserve Act von 1934 auch der Währungs-
stabilisierungsfonds des Finanzministeriums aus der Taufe gehoben, über
den das Ministerium nach eigenem Belieben für Devisenmarktinterventio-
nen und andere Offenmarktgeschäfte verfügen konnte. Der Währungsstabi-
lisierungsfonds wird gelegentlich auch als der Reptilienfonds des Finanz-
ministeriums bezeichnet, weil die Mittel nicht im Rahmen des üblichen

112
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

Budgetierungsprozesses vom Kongress genehmigt werden müssen. Einer


breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der Fonds, als nach dem Kollaps
des mexikanischen Peso im Dezember 1994 der damalige US-Finanzminis-
ter Robert Rubin mit Mitteln aus dem Fonds den mexikanischen Geldmarkt
stabilisierte. Bis dahin war der Fonds kaum eingesetzt worden, und man hat-
te selbst in Washingtoner Politikkreisen kaum von seiner Existenz gewusst.
Die Kongressmitglieder, die 1934 für den Gold Reserve Act stimmten, hät-
ten sich wohl kaum träumen lassen, dass mithilfe dieses Gesetzes 60 Jahre
später Mexiko vor dem Bankrott gerettet werden würde.

Beide Maßnahmen, die Abkehr der Briten vom Goldstandard 1931 und die
Abwertung des Dollar gegen Gold 1933, hatten den gewünschten Effekt.
Sowohl die britische wie auch die amerikanische Volkswirtschaft reagierten
unmittelbar positiv auf die Abwertungen. Hier wie dort hörten die Preise auf
zu fallen, die Geldmenge wuchs, eine Kreditexpansion setzte ein, die Indus-
trieproduktion nahm zu, und die Arbeitslosigkeit ging zurück. Die »Gro-
ße Depression« war zwar noch lange nicht vorüber, und diese Anzeichen
einer Verbesserung spielten sich vor einem derart niedrigen Grundniveau
ab, dass Unternehmen und Menschen weiterhin große Entbehrungen ertra-
gen mussten. Aber die Talsohle war durchschritten, zumindest in denjeni-
gen Ländern, die ihre Währung gegen Gold und gegen andere Währungen
abgewertet hatten.

Nun gerieten die Länder des Goldblocks, die in den 1920er-Jahren noch
von der ersten Abwertungsrunde profitiert hatten, ihrerseits in den Sog
der von den Vereinigten Staaten und Großbritannien exportierten Defla-
tion. Das führte schließlich zum Dreimächteabkommen von 1936, einem
weiteren Schritt in dieser scheinbar endlosen Abfolge von internationalen
Währungskonferenzen und -vereinbarungen, die mit dem Versailler Vertrag
1919 begonnen hatte. Bei der Dreiervereinbarung handelte es sich um ein
informelles Abkommen zwischen Großbritannien, den Vereinigten Staa-
ten und Frankreich, das bei den Verhandlungen für sich selbst und für den
Goldblock insgesamt sprach. Laut der offiziellen, am 25. September 1936

113
Teil 2 Währungskriege

von Finanzminister Henry Morgenthau veröffentlichten Erklärung der USA


bestand das Ziel des Abkommens »in der Förderung solcher Bedingungen,
die den Frieden sichern und zur Wiederherstellung der Ordnung in den
internationalen Wirtschaftsbeziehungen beitragen«. Kern des Abkommens
war die Erlaubnis an Frankreich, den Franc etwas abzuwerten. »Die Verei-
nigten Staaten«, hieß es darin im Hinblick auf die französische Abwertung,
»erklären ihre Absicht, weiterhin alle angemessenen verfügbaren Ressour-
cen einzusetzen, um … jegliche Störung der Grundlagen der internationa-
len Beziehungen zu vermeiden, die aus der vorgeschlagenen Neuanpassung
resultieren sollten.« Dies stellte ein Versprechen der Vereinigten Staaten
dar, Vergeltungsaktionen zu vermeiden – ein weiteres Indiz, dass der Wäh-
rungskrieg für dieses Mal zu Ende gegangen war.

Alle drei Seiten verpflichteten sich, den Wert ihrer Währungen auf der neu
vereinbarten Parität zum Gold und somit auch untereinander stabil zu hal-
ten – ausgenommen zum Zwecke der Förderung des Binnenwachstums.
Die Ausnahme, die für das binnenwirtschaftliche Wachstum gemacht wur-
de, war politisch höchst bedeutend und ein weiterer Beleg dafür, dass Wäh-
rungskriege vielleicht auf der internationalen Bühne ausgetragen, aber von
innenpolitischen Erwägungen angetrieben werden. Konkret hieß es dazu
in Morgenthaus Erklärung: »Natürlich muss die Regierung der Vereinig-
ten Staaten in ihrer Politik in Bezug auf die internationalen Währungsbezie-
hungen umfassend Rücksicht auf die Erfordernisse der inneren Prosperität
nehmen.« Die Erklärungen der Briten und Franzosen über das Abkommen,
das in Form von drei separaten Kommuniqués und nicht in einem gemein-
samen Vertragsdokument veröffentlicht wurde, ließen in dieser Sache eben-
so wenig an Deutlichkeit vermissen. Dieser Verweis auf die »innere Prospe-
rität« war durchaus ernst gemeint, schließlich litten alle drei Länder nach
wie vor unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Man durfte getrost da-
von ausgehen, dass sie das Abkommen kündigen würden, sollte die Defla-
tion zurückkehren oder die Arbeitslosigkeit wieder in einem Maße in die
Höhe schnellen, sodass zusätzliche inflationäre Stimuli durch den Wech-
selkursmechanismus oder eine Abwertung gegen Gold unerlässlich erschie-

114
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

nen. Auch wenn das Dreimächteabkommen genau betrachtet ein zahnloser


Tiger war, da für alle Beteiligten das Binnenwachstum stets Vorrang vor in-
ternationalen Erwägungen haben würde, markierte es doch eine Art Waffen-
stillstand im Währungskrieg.

Im Gefolge von Frankreich traten auch die Schweiz, die Niederlande und
Belgien dem Abkommen bei. Damit hatten die konkurrierenden Währungs-
abwertungen, die in den 1920er-Jahren mit Deutschland, Frankreich und
dem Rest des Goldblocks begonnen, sich 1931 in Großbritannien fortge-
setzt und 1933 mit den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt gefunden
hatten, 1936 sozusagen einen vollen Kreis durchlaufen und waren in die
Goldblock-Länder zurückgekehrt. Das nur kurzfristig heilsame Mittel der
Währungsabwertung war wie eine Feldflasche, die sich dürstende Soldaten
teilen, von Land zu Land weitergereicht worden. Aber auch das längerfristig
wirksame Mittel der Abwertung ihrer Währung gegen Gold, um so eine In-
flation der Warenpreise anzuheizen und der Deflation zu entkommen, war
nun von allen Ländern probiert worden.

Eine positive Folge der Abwertung des Franc und der Verpflichtung auf
stabile Wechselkurse im Dreimächteabkommen war die Wiederaufnahme
der Goldlieferungen zwischen den Handelsnationen. Nach der Eiszeit der
Gold­export­verbote und der Gold hortenden Zentralbanken setzte nun Tau-
wetter ein. In einer gesonderten Erklärung nicht einmal drei Wochen nach
Verkündigung des Dreierabkommens erklärte das US-Finanzministerium:
»Der Finanzminister gibt bekannt, dass … die Vereinigten Staaten denjeni-
gen Ländern Gold für die unmittelbare Ausfuhr verkaufen oder zur Verrech-
nung mit ihren Wechselkursausgleichs- oder Währungsstabilisierungsfonds
bereitstellen werden, die gleichermaßen bereit sind, Gold an die Vereinigten
Staaten zu verkaufen.« Mit anderen Worten, die USA waren bereit, das Ex-
portverbot von Gold in diejenigen Länder aufzuheben, die umgekehrt das-
selbe zu tun bereit waren. Der neue Goldpreis für internationale Transakti-
onen wurde auf 35 Dollar pro Feinunze festgesetzt, ein Kurs, der bis 1971
Bestand haben sollte.

115
Teil 2 Währungskriege

Diese Kombination aus einer letzten Abwertungsrunde, den wechselseitigen


Zusicherungen, die neuen Paritäten zu bewahren, und der W ­ iederaufnahme
des Goldhandels hätte zusammengenommen den Beginn einer neuen Ära
der monetären Stabilität auf der Grundlage von Gold m ­ arkieren können –
aber die Maßnahmen waren zu wenig und kamen zu spät. In Deutschland
hatten die durch die Versailler Reparationen und die Hyperinflation beding-
ten wirtschaftlichen Verheerungen den Boden für den Aufstieg der korpora-
tistischen und rassistischen Nationalsozialistischen Partei bereitet, die 1933
schließlich an die Macht kam. In Japan hatte eine Clique von Militärs, die
eine moderne Version des feudalistischen Bushido-Kodex propagierten, die
Kontrolle über die Regierung übernommen und in Ost­asien eine ganze Ket-
te von militärischen Invasionen und Eroberungsfeldzügen gestartet. 1939
brach der Zweite Weltkrieg aus, und 1942 tobte in großen Teilen der Welt
ein existenzieller Kampf zwischen den Alliierten und den Achsenmäch-
ten um die Vorherrschaft. Abwertungen und Auseinandersetzungen über
Kriegsschulden und Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg waren verges-
sen. 1944, als zum nächsten Mal ernsthaft über internationale Währungs­
fragen diskutiert werden sollte, hatte die Welt sich von Grund auf geändert.

Schlussendlich erwiesen sich die konstruktionsbedingten Mängel des Gold-


Devisen-Standards von 1925 und die Versäumnisse in der amerikanischen
Geldpolitik in den Jahren 1928 bis 1931 als eine zu große Belastung für
das internationale Währungssystem. Abwertende Länder wie Frankreich
und Deutschland verschafften sich Außenhandelsvorteile gegenüber den
Ländern, die nicht abwerteten. Länder wie Großbritannien, die versuch-
ten, zum Goldstandard der Vorkriegszeit zurückzukehren, wurden von
grassierender Arbeitslosigkeit und Deflation heimgesucht; Länder wie die
Vereinigten Staaten, die massive Goldzuflüsse verzeichneten, wurden ihrer
internationalen Verantwortung nicht gerecht und verschärften die Kreditbe-
dingungen noch, statt sie, wie eigentlich erforderlich, zu lockern.

Darüber, wie weit diese Ungleichgewichte und fehlgeleiteten Maßnah-


men zur Großen Depression und zur Weltwirtschaftskrise beigetragen ha-

116
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)

ben, wird seitdem heftig debattiert. Auf jeden Fall aber hat das Versagen des
Gold-Devisen-Standards dazu geführt, dass viele moderne Ökonomen der
Verwendung von Gold im internationalen Finanz- und Währungssystem ge-
nerell mit großem Misstrauen begegnen. Fairerweise aber müsste man we-
nigstens fragen, ob Gold selbst das Problem war oder ob es in Wahrheit
nicht vielmehr der Goldpreis, der auf einer nostalgischen Sehnsucht nach
der Vorkriegsparität basierte, die unterbewerteten Währungen und die fehl-
geleitete Zinspolitik waren, die das System zum Untergang verurteilten.
Womöglich hätten 1925 eine reinere Form des Goldstandards anstelle des
­hybriden Gold-Devisen-Standards und ein realistischerer Goldpreis im Be-
reich von 50 Dollar weniger deflationär gewirkt und sich als stabiler erwie-
sen. Wir werden es nie erfahren. Was nach 1936 tatsächlich passierte, wis-
sen wir dagegen nur zu gut: Statt eines Währungskriegs stürzte die Welt in
den blutigsten realen Krieg ihrer Geschichte.

117
Kapitel 5 –
Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
»Der Dollar ist unsere Währung, aber Ihr Problem.«
US-Finanzminister John Connally
gegenüber ausländischen Finanzministern, 1971

»Die italienische Lira interessiert mich einen Scheißdreck.«


US-Präsident Richard M. Nixon, 1972

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs machten sich die großen alliierten
Wirtschaftsmächte, angeführt von den USA und Großbritannien, an die
Planung einer neuen monetären Weltordnung, mit der die Fehler von Ver-
sailles und der Zwischenkriegszeit vermieden werden sollten. Ihre endgülti-
ge Gestalt erhielten diese Pläne im Juli 1944 auf der Konferenz von Bretton
Woods im US-Bundesstaat New Hampshire. Das Ergebnis war eine Reihe
von Regeln, Normen und Institutionen, die das internationale Währungs-
system für die nächsten drei Jahrzehnte prägen sollten.

Die Bretton-Woods-Ära von 1944 bis 1973 war, wenn auch unterbrochen
von mehreren Rezessionen, insgesamt eine Periode stabiler Wechselkurse,
niedriger Arbeitslosigkeit, starken wirtschaftlichen Wachstums und stei-
gender Realeinkommen. Die Periode war in nahezu jeder Hinsicht das Ge-
genteil der Zeit des Ersten Währungskriegs von 1921 bis 1936. Mit dem
Bretton-Woods-System wurde das internationale Währungssystem wie-
der im Gold verankert, und zwar durch den US-Dollar, der zu einem fixen
Kurs von 35 Dollar pro Feinunze gegen Gold eingetauscht werden konn-
te, während die anderen Währungen über einen festen Wechselkurs zum
US-Dollar indirekt ans Gold gebunden waren. Für die Vergabe kurzfristi-
ger Darlehen an einzelne Länder im Falle von Handelsdefiziten war der neu

118
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

gegrün­dete Internationale Währungsfonds (IWF) zuständig. Länder konn-


ten ihre Währung ausschließlich mit Zustimmung des IWF abwerten und
auch nur, wenn sie unter dauerhaften Handelsdefiziten in Kombination mit
einer hohen Inflation litten. Obwohl das System von Bretton Woods formal
ein breit angelegtes internationales Abkommen war, wurde seine Struktur
fast im Alleingang von den Vereinigten Staaten diktiert, die zu der Zeit auf
der internationalen Bühne militärisch und wirtschaftlich so dominant wa-
ren wie später erst wieder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im
Jahr 1991.

Zwar hatte das System von Bretton Woods bis in die 1970er-Jahre hinein
Bestand, aber die Saat für den Zweiten Währungskrieg wurde bereits Mitte
bis Ende der 1960-Jahre ausgebracht. Man könnte den Beginn des Zweiten
Währungskriegs auf das Jahr 1967 datieren, und der triumphale Sieg Lyn-
don B. Johnsons mit seiner »Kanonen-und-Butter«-Plattform bei den ame-
rikanischen Präsidentschaftswahlen 1964 war die Grundlage hierfür. Mit
Kanonen war der Krieg in Vietnam gemeint, mit Butter die sozialen Leis-
tungen von Johnsons Great-Society-Programm, zu denen auch der Krieg
gegen die Armut gehörte.

Die Vereinigten Staaten unterhielten zwar seit 1950 eine militärische Prä-
senz in Vietnam, Kampftruppen in großem Umfang entsandten sie aber erst
1965, was die Kosten des Krieges in die Höhe trieb. Nach dem erdrutsch-
artigen Sieg der Demokraten 1964 trat im Januar 1965 ein neuer, von den
Demokraten dominierter Kongress zusammen, und mit seiner Rede zur La-
ge der Nation, die Johnson im selben Monat hielt, läutete er die Umsetzung
seiner Great-Society-Agenda ein.

Das Zusammenfallen der ausufernden Ausgaben in Vietnam mit den Kosten


für die Finanzierung des Traums von der Great Society Anfang 1965 mar-
kierte die eigentliche Abkehr von der bis dato so erfolgreichen amerikani-
schen Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit. Allerdings sollte es noch meh-
rere Jahre dauern, bis diese Kosten wirklich offenkundig wurden. Die USA

119
Teil 2 Währungskriege

hatten einen Vorrat an ökonomischer Stärke im Inland und politischem


Wohlwollen im Ausland aufgebaut, ein Reservoir, das nun langsam anfing
sich zu leeren.

Zunächst sah es so aus, als könnten die Vereinigten Staaten sich beides leis-
ten, Kanonen und Butter. Kennedys Steuersenkungen, von Johnson kurz
nach John F. Kennedys Ermordung 1963 unterzeichnet, hatten der Wirt-
schaft einen kräftigen Wachstumsschub versetzt. Im ersten Jahr nach den
Steuersenkungen wuchs das Bruttoinlandsprodukt um über 5 Prozent, und
insgesamt erreichte es im Durchschnitt der Regierungszeiten von Kennedy
und Johnson ein Wachstum von 4,8 Prozent pro Jahr.19 Doch fast von Be-
ginn an beschleunigte sich durch das von Johnsons Politik verursachte Dop-
peldefizit in Haushalt und Handelsbilanz die Inflation.

Aufs Jahr gemessen stieg die Inflation in den USA nach noch akzeptablen
1,9 Prozent 1965 auf deutlich bedrohlichere 3,6 Prozent 1966, um dann in
den Folgejahren außer Kontrolle zu geraten.20 Erst 1986 kehrte die Preis-
steigerungsrate in den USA auf ein Niveau von knapp über einem Prozent
zurück. Allein in den fünf schlimmsten Jahren, von 1977 bis 1981, betrug
die Inflation in den USA zusammengerechnet über 50 Prozent: Ende 1981
war der US-Dollar nur noch halb so viel wert wie Anfang 1977.

Die Amerikaner fielen in dieser Periode auf denselben analytischen Fehler


herein wie schon die Deutschen 1921 in der Weimarer Republik. Ihr ers-
ter Eindruck war zwar, dass die Preise stiegen; tatsächlich aber brach ih-
re Währung gerade ein. Steigende Preise sind ein Symptom, nicht die Ur-
sache eines Währungskollapses. Der Verlauf des Zweiten Währungskriegs
folgte genau dem Verlauf der Inflation in den USA und dem Niedergang
des Dollar.

Ungeachtet der zentralen Bedeutung der amerikanischen Politik und der


US-Inflation für den Fortgang des Zweiten Währungskriegs fielen die ers-
ten Schüsse des Kriegs nicht in den USA, sondern in Großbritannien, wo

120
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

seit 1964 eine Pfundkrise schwelte, die 1967 mit der ersten größeren Ab-
wertung einer Währung aufflammte. Im Bretton-Woods-System war das
britische Pfund zwar weniger bedeutend als der Dollar, dennoch war es ei-
ne wichtige Reserve- und Handelswährung. 1945 hatte das britische Pfund
noch einen größeren Anteil an den globalen Währungsreserven – sprich
den von den Zentralbanken weltweit gehaltenen Devisenbeständen – aus-
gemacht als der US-Dollar. In der Folgezeit aber war die Position der bri-
tischen Währung stetig schwächer geworden, und 1965 lauteten nur noch
26 Prozent der globalen Währungsreserven auf Pfund Sterling. Und die bri-
tische Zahlungsbilanz, die sich seit Anfang der 1960er-Jahre verschlechtert
hatte, drehte Ende 1964 scharf ins Minus.21

Für die Instabilität des britischen Pfund waren nicht nur kurzfristige Han-
delsbilanzungleichgewichte verantwortlich, sondern auch das globale Un-
gleichgewicht zwischen den gesamten außerhalb Großbritanniens in Pfund
gehaltenen Reserven und den in Großbritannien zur Begleichung der Au-
ßenhandelsdefizite verfügbaren Gold- und Dollarreserven. Mitte der
1960er-Jahre übertrafen die ausländischen Forderungen in Pfund Sterling
die britischen Binnenreserven um rund das Vierfache. Diese Situation war
höchst instabil und machte Großbritannien anfällig für einen Bankenan-
sturm, sollten die ausländischen Besitzer von Pfundbeständen versuchen,
diese im großen Stil gegen Gold oder Dollar einzutauschen. Um das Pfund
zu stützen und die Sterling-Bären außen vor zu halten, wurde eine Reihe
von koordinierten Maßnahmen ergriffen – von internationalen Kreditlinien
über Swap-Linien bei der New Yorker Fed bis hin zu einem von der briti-
schen Regierung verkündeten Sparpaket und überraschenden Interventio-
nen am Devisenmarkt. Doch das Problem blieb bestehen.

Im Zeitraum von 1964 bis 1966 kam es zu drei kleineren Pfundkrisen,


die aber abgewendet werden konnten. Erst die vierte Pfundkrise, die Mit-
te 1967 ausbrach, sollte sich als tödlich für die alte Pfund-Parität erwei-
sen. Für den Zeitpunkt der Krise waren zahlreiche Faktoren verantwort-
lich, darunter die Schließung des Suezkanals während des Sechstagekriegs

121
Teil 2 Währungskriege

zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn und die Erwartung, Lon-
don werde im Interesse einer Aufnahme in die Europäische Wirtschafts-
gemeinschaft das Pfund abwerten müssen. Die Inflationsrate nahm nun
in Großbritannien ebenso zu, wie sie das in den Vereinigten Staaten tat.
Die Briten redeten sich ein, die Inflation sei zur Bekämpfung der wach-
senden Arbeitslosigkeit notwendig, doch die Auswirkungen auf die briti-
sche ­Währung w ­ aren verheerend. Nach einem erfolglosen Versuch, den an-
haltenden Verkaufsdruck abzuwehren, wurde das Pfund am 18. November
1967 offiziell von 2,80 Dollar auf 2,40 Dollar abgewertet, eine Abwertung
um 14,3 Prozent.

Nachdem das Bretton-Woods-Abkommen über 20 Jahre hinweg feste


Wechselkurse und stabile Preise garantiert hatte, taten sich nun erste ernst-
hafte Risse in der Fassade auf. Wenn die Briten abwerten konnten, dann
konnten das auch andere Länder. Aus Furcht, als nächste Währung nach
dem Pfund könnte der Dollar unter Druck geraten, hatten die USA sich mit
Kräften gegen eine Abwertung der britischen Währung gestemmt. Die Be-
fürchtung sollte sich alsbald bewahrheiten. Die Vereinigten Staaten hatten
mit derselben Kombination von Handelsdefiziten und Inflation zu kämpfen,
die das Pfund aus den Angeln gehoben hatte, doch mit einem entscheiden-
den Unterschied. Im Bretton-Woods-System war der Wert des Dollar nicht
an andere Währungen gebunden, sondern ans Gold. Eine Abwertung des
Dollar war damit gleichbedeutend mit einer entsprechenden Erhöhung des
Dollarpreises von Gold. Für jemanden, der von einer Dollarabwertung aus-
ging, lag es demnach auf der Hand, Gold zu kaufen, und so richtete sich das
Augenmerk der Spekulanten auf den Londoner Goldmarkt.

Seit 1961 betrieben die Zentralbanken der Vereinigten Staaten und anderer
führender Wirtschaftsmächte den Londoner Goldpool. Bei diesem Gold-
pool handelte es sich im Prinzip um eine Offenmarktoperation zur Fixierung
des Goldpreises. Die Teilnehmer setzten ihre Gold- und Dollarreserven da-
für ein, den Goldpreis auf seiner Bretton-Woods-Parität von 35 Dollar die
Feinunze zu halten. Dem Goldpool gehörten die Vereinigten Staaten, Groß-

122
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

britannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und


die Schweiz an. Die USA stellten 50 Prozent der Ressourcen, den Rest teil-
ten sich die anderen sieben Mitgliedsstaaten. Der Pool war zum Teil in Re-
aktion auf einen panikartigen Run auf Gold gegründet worden, der 1960
den Marktpreis des gelben Metalls zeitweise auf 40 Dollar pro Feinunze in
die Höhe gejagt hatte. Der Goldpool trat als Käufer und als Verkäufer auf;
gab der Preis nach, kaufte er Gold, zog er an, verkaufte er Gold, bis jeweils
die Parität von 35 Dollar pro Feinunze wiederhergestellt war. Ab 1965 aller-
dings trat der Goldpool fast ausschließlich als Verkäufer auf.

Das Ende von Bretton Woods

Der erste öffentliche Angriff auf das Bretton-Woods-System, das auf einem
dominanten und ans Gold gebundenen Dollar basierte, erfolgte aber bereits
vor der Pfundabwertung von 1967. Im Februar 1965 hielt der französische
Präsident Charles de Gaulle eine aufwieglerische Rede, in der er behaup-
tete, der Dollar habe als Leitwährung im internationalen Währungssystem
ausgedient, und zur Rückkehr zum klassischen Goldstandard aufrief.22 Die-
sen hielt der französische Präsident für eine »unanfechtbare Grundlage, wel-
che nicht den Stempel irgendeiner speziellen Nation trägt. Im Grunde ist
kein anderer Standard außer Gold denkbar.« Und de Gaulle beließ es nicht
bei bloßen Worten. Nachdem Frankreich bereits im Januar des Jahres bei
den USA Devisenreserven in Höhe von 150 Millionen Dollar gegen Gold
eingelöst hatte, gab de Gaulle bekannt, in Kürze nochmals denselben Be-
trag in Gold zu konvertieren. Spanien folgte Frankreichs Beispiel und wech-
selte aus seinen Reserven 60 Millionen Dollar in Gold. Legt man diesen
Transfers den Goldpreis vom Juni 2011 zugrunde und nicht den damaligen
Kurs von 35 Dollar pro Feinunze, so summierten sich die Goldeinlösungen
durch Frankreich auf rund 12,8 Milliarden Dollar und die durch Spanien
auf 2,6 Milliarden Dollar, was damals einer signifikanten Reduzierung der
amerikanischen Goldreserven gleichkam. De Gaulle bot den USA freund-

123
Teil 2 Währungskriege

licherweise die Hilfe der französischen Marine für den Rücktransport des
Goldes nach Frankreich an.

Diese Einlösungen von Dollarreserven in Gold erfolgten zu einer Zeit, in


der amerikanische Unternehmen mit stark überbewerteten Dollars in Eu-
ropa auf Einkaufstour gingen und ihre Geschäfte auf dem Kontinent massiv
ausbauten, was de Gaulle von »Enteignung« sprechen ließ. Würden die Ver-
einigten Staaten, so de Gaulles Kalkül, mit Gold statt mit Papiergeld arbei-
ten müssen, so würde das diesen Raubzügen ein Ende bereiten. Allerdings
stießen de Gaulles Träume von einem Goldstandard Ende der 1960er-Jah-
re auf heftigen Widerstand, da ein solcher Schritt wie bereits in den 1930er-
Jahren eine Abwertung des Dollar und anderer Währungen gegenüber dem
Gold erforderlich gemacht hätte. Die hauptsächlichen Nutznießer eines An-
stiegs des Dollarpreises von Gold wären die großen Goldförderländer ge-
wesen, darunter das unmenschliche Apartheidregime in Südafrika und das
feindselige kommunistische Regime in der UdSSR – geopolitische Fakto-
ren, die die Begeisterung für eine Neuauflage des klassischen Goldstandards
kräftig dämpften.

Ungeachtet der scharfen Kritik aus Frankreich konnten die Vereinigten


Staaten auf einen absolut verlässlichen Verbündeten im Goldpool zäh-
len – Deutschland. Das war entscheidend, da Deutschland permanent gro-
ße ­Handelsbilanzüberschüsse erzielte und durch Goldkäufe sowohl vom
IWF im Rahmen der Stützungsoperationen für das britische Pfund wie
auch innerhalb des Goldpools selbst immer größere Goldreserven anhäuf-
te. Hätte nun auch Deutschland mit einem Mal von den USA Gold im Aus-
tausch für seine Dollarreserven verlangt, so hätte die daraus resultierende
Dollarkrise die Pfundkrise weit in den Schatten gestellt. Doch die Deut-
schen versicherten den USA insgeheim, dass sie nicht daran dächten, Dol-
lar in Gold umzutauschen, wie einem Brief des Präsidenten der Deutschen
Bundesbank, Karl Blessing, an William McChesney, den Vorsitzenden des
Fed-Direktoriums, zu entnehmen ist. Datiert auf den 30. März 1967, steht in
dem sogenannten »Blessing-Brief«:

124
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

Sehr geehrter Mr. Martin,


In den USA wurden gelegentlich Bedenken geäußert, dass die … ­Kosten
für die Präsenz amerikanischer Truppen [in Deutschland] zu einem
­Abfluss amerikanischen Staatsgolds führen [könnten] …
Sie wissen natürlich, dass die Bundesbank in den vergangenen Jahren
­keine Dollar in Gold des US-Schatzamts umgetauscht hat …
Sie können versichert sein, dass die Bundesbank auch weiterhin beabsich-
tigt, diese Politik fortzusetzen und ihren vollen Beitrag zur internationalen
monetären Kooperation zu leisten.23

Diese geheime Zusicherung der Deutschen war für Washington überaus be-
ruhigend. Im Gegenzug würden die USA auch weiterhin die Kosten für die
Verteidigung Deutschlands gegen die sowjetischen Truppen und Panzer
übernehmen, die in den Wäldern rund um West-Berlin und in ganz Osteu-
ropa stationiert waren.

Doch Deutschland war nicht das einzige Land mit potenziellen Goldforde-
rungen gegen den Dollar, und im Kielwasser der Pfundabwertung von 1967
mussten die Vereinigten Staaten zur Stützung der Dollar-Gold-Parität über
800 Tonnen Gold verkaufen. Nachdem es nur ein Jahr zuvor aus der NATO
ausgetreten war, verabschiedete sich Frankreich im Juni 1967 auch aus dem
Goldpool. Die anderen Mitglieder führten den Pool fort, doch es war eine
vergebliche Mühe: Die Goldrückforderungen ausländischer Dollarinhaber
hatten längst epidemische Ausmaße angenommen. Im März 1968 erreich-
te der Goldabfluss aus dem Pool eine Rate von 30 Tonnen – pro Stunde.

Um den Abfluss zu stoppen, wurde der Londoner Goldmarkt am 15. März


1968 geschlossen und blieb das auch die folgenden zwei Wochen hindurch,
was nicht wenige an die Bankferien in den USA von 1933 erinnerte. Ein
paar Tage nach der Schließung des Goldmarkts hob der US-Kongress die
Verpflichtung zur Absicherung der US-Währung durch Goldreserven auf,
womit die USA nun ihre gesamten Goldbestände zum Preis von 35 Dol-
lar die Feinunze verkaufen konnten, sollte sich das als notwendig erweisen.
Doch auch das erwies sich als nutzlos. Noch vor Ende des Monats stellte

125
Teil 2 Währungskriege

der Londoner Goldpool seine Interventionen auf dem freien Markt ein. Ab
diesem Zeitpunkt sollte Gold einem zweigleisigen System unterliegen, ein-
mal dem Marktpreis, der am Goldmarkt in London bestimmt wurde, zum
anderen dem alten Kurs von 35 Dollar die Feinunze für den internationalen
Zahlungsverkehr nach dem Bretton-Woods-System. Das sich daraus erge-
bende »Goldfenster« bezeichnete die Möglichkeit einzelner Länder, Gold
zum Preis von 35 Dollar einzulösen und auf dem offenen Markt für 40 Dol-
lar oder mehr zu verkaufen.

Das zweigleisige System lenkte den spekulativen Druck auf den offenen
Markt, während der Bretton-Woods-Preis von 35 Dollar den Zentralbanken
vorbehalten blieb. In einer neuen, informellen Vereinbarung kamen die Ver-
bündeten der USA überein, das Goldfenster nicht auszunutzen, indem sie
Gold zum günstigeren offiziellen Preis erwarben. Auch wenn das Ende des
Goldpools, die Einrichtung des neuen, zweigleisigen Systems und eine Rei-
he kurzfristiger Sparmaßnahmen in den Vereinigten Staaten und Großbri-
tannien Ende 1968 und 1969 einstweilen zur Stabilisierung des internatio-
nalen Währungssystems beitrugen, war unverkennbar, dass das System von
Bretton Woods seinem Ende entgegenstrebte.

Am 29. November 1968, nicht lange nach dem Zusammenbruch des Lon-
doner Goldpools, erschien in der Zeitschrift Time ein Bericht, demzufolge
zu den Problemen des internationalen Währungssystems der Umstand ge-
hörte, dass »das Volumen des Welthandels weitaus schneller wächst als das
globale Goldangebot«.24 Aussagen wie diese sind ein gutes Beispiel für ei-
nen der großen Irrtümer bezüglich der Rolle des Goldes. Die Behauptung,
es gäbe nicht ausreichend Gold, um den Welthandel zu unterstützen, ist ir-
reführend, weil es niemals nur eine Frage der Quantität ist, sondern immer
auch eine des Preises. War die Goldmenge bei einem Preis von 35 Dollar
pro Feinunze zu gering, so würde dieselbe Menge an Gold zu einem Kurs
von 100 Dollar oder mehr leicht ausreichen, um den Welthandel zu stützen.
Das Problem, auf das der Artikel in der Time tatsächlich verwies, war, dass
der Goldpreis mit 35 Dollar pro Feinunze künstlich niedrig gehalten ­wurde,

126
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

ein Punkt, in dem die Zeitschrift völlig richtiglag. Wenn der Goldpreis zu
niedrig war, war das Problem nicht eine Knappheit an Gold, sondern ein
Überschuss an Papiergeld im Verhältnis zu den vorhandenen Goldreserven,
ein Überschuss, der sich auch in der steigenden Inflation in den Vereinigten
Staaten, Großbritannien und Frankreich niederschlug.

1969 nahm sich der IWF des Problems der »Goldknappheit« an und schuf
ein neuartiges internationales Reservemittel, die sogenannten Sonderzie-
hungsrechte, kurz SZR. Diese Sonderziehungsrechte wurden vom IWF oh-
ne materielle Hinterlegung quasi aus dem Nichts erschaffen und in Abhän-
gigkeit der jeweiligen IWF-Quoten unter den Mitgliedern verteilt. Die SZR
erhielten prompt den Spitznamen »Papiergold«, weil sie einen Vermögens-
wert darstellten, den die Länder wie Gold oder reguläre Reservewährungen
zum Ausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten verwenden konnten.

Die Sonderziehungsrechte stellten eine zur damaligen Zeit wenig verstan-


dene Innovation dar. Im Zeitraum von 1970 bis 1972 gab es mehrere klei-
ne Emissionen und dann 1981 in Reaktion auf den Ölpreisschock und die
weltweite Inflation eine weitere. Danach gab der IWF fast drei Jahrzehn-
te lang keine neuen Sonderziehungsrechte mehr heraus. Erst 2009, inmit-
ten der Rezession, die 2007 begonnen hatte, wurde eine neue und sehr viel
größere Emission von SZR vorgenommen und an die IWF-Mitglieder ver-
teilt. Die erste Ausgabe von SZR 1970 war auf jeden Fall ein Zeichen für das
massive Ungleichgewicht im Verhältnis von Papiergeld zu Gold und für das
Ausmaß der Verzweiflung, mit der die Vereinigten Staaten und andere Län-
der an der alten Goldparität von 35 Dollar pro Feinunze festhielten, obwohl
dieser Preis längst nicht mehr der Realität entsprach.

Die gesamte Periode von 1967 bis 1971 lässt sich am besten als eine Zeit der
Verwirrung und Unsicherheit im internationalen Währungssystem beschrei-
ben. Die Abwertung des britischen Pfund 1967 war ein gewisser Schock ge-
wesen, obwohl die Instabilität des Pfund von den Zentralbanken schon Jah-
re zuvor diagnostiziert worden war. Die Folgejahre jedoch wurden geprägt

127
Teil 2 Währungskriege

durch wiederholte Abwertungen und Aufwertungen, eine steigende Inflation,


den Kollaps des Londoner Goldpools, die Einführung der SZR, Währungs­
swaps, IWF-Kredite, einen zweigleisigen Goldpreis und andere Ad-hoc-Lö-
sungen. In derselben Periode durchlebten die führenden Volkswirtschaften
der Welt eine Phase der inneren Erschütterung durch Studentenunruhen,
Arbeiterproteste, Antikriegsdemonstrationen, sexuelle Revolution und ei-
ne sich weiter ausbreitende Gegenkultur, nicht zu vergessen Ereignisse wie
der Prager Frühling und die Kulturrevolution in China. Das alles spielte sich
ab vor dem Hintergrund eines rapiden technologischen Wandels, verkörpert
und zusammengefasst in der rasanten Verbreitung der Computer, der Angst
vor einem thermonuklearen Weltkrieg und der schieren Ehrfurcht angesichts
der Landung eines Menschen auf dem Mond. Die Fundamente der Welt ins-
gesamt schienen plötzlich auf eine Art und Weise ins Schwanken geraten zu
sein, wie man das vielleicht seit 1938 nicht mehr erlebt hatte.

Doch durch all das hindurch gab es eine Sache, die unumstößlich schien:
Der Wert des US-Dollar war bei 35 Dollar pro Feinunze fixiert, und die Ver-
einigten Staaten waren bereit, diese Parität zu verteidigen, ungeachtet der
massiven Zunahme der Dollarmenge und der Tatsache, dass die Konvertibi-
lität auf eine kleine Zahl von Zentralbanken begrenzt war, die sich in einem
Gentleman’s Agreement darauf verpflichtet hatten, es mit dem Umtausch
von Dollar in Gold nicht zu übertreiben. Aber dann verschwand auch die-
ser letzte Fixstern vom Firmament.

Am 15. August 1971 verhinderte der amerikanische Präsident Richard Ni-


xon die Ausstrahlung der damals beliebtesten US-Fernsehserie Bonanza, in-
dem er live vor die Kameras trat, um der Nation seine, wie er es nannte,
New Economic Policy zu verkünden, zu der neben sofortigen Lohn- und
Preiskontrollen und einem zehnprozentigen Steuerzuschlag auf Importe die
Schließung des Goldfensters gehörte. Von nun an würde der Dollar auch
für ausländische Zentralbanken nicht mehr in Gold umtauschbar sein, ein
Privileg, das für alle anderen Dollarinhaber schon Jahre zuvor abgeschafft
­worden war. »Ich bin fest entschlossen«, verlieh Nixon dem Schritt einen

128
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

zutiefst patriotischen Anstrich, »den Dollar niemals wieder zur Geisel in


den Händen internationaler Spekulanten werden zu lassen.«25 Natürlich
waren es das US-Defizit und die lockere Geldpolitik und nicht irgendwel-
che internationalen Spekulanten gewesen, die den Dollar so weit gebracht
hatten, aber wie vor ihm schon Franklin D. Roosevelt ließ sich auch Nixon
von den Fakten nicht beirren. Damit war auch das letzte Vermächtnis des
1944 in Bretton Woods beschlossenen Goldstandards und des Gold-Devi-
sen-Standards von Genua 1922 Geschichte.

Nixons New Economic Policy war immens populär. Die überwältigende


Mehrheit der Berichte in der amerikanischen Presse war positiv, und am
ersten Handelstag nach der Rede verbuchte der Dow Jones Industrial Ave-
rage seinen bis dato größten Tagesgewinn. Dass sich im Zusammenhang mit
dieser Ankündigung der Ausdruck »Nixon-Schock« eingebürgert hat, liegt
daran, dass der Schritt heimlich vorbereitet sowie unilateral und ohne jede
Konsultation mit dem Internationalen Währungsfonds oder anderen wich-
tigen Teilnehmern des Bretton-Woods-Systems verkündet wurde. Von ihrer
Substanz her jedenfalls konnte die neue Politik kaum ein sonderlich großer
Schock für die Handelspartner der USA gewesen sein – die De-facto-Ab-
wertung des Dollar zum Gold, auf die Nixons New Economic Policy hin-
auslief, hatte sich schon lange abgezeichnet, und in den Wochen vor der Re-
de war der Druck auf den Dollar nochmals drastisch gestiegen. So hatte die
Schweiz noch im Juli 1971 Papierdollar gegen über 40 Tonnen Gold einge-
tauscht. Und Frankreich war durch die Dollarkonvertierung in Gold gar zur
weltweit drittgrößten Goldmacht hinter den USA und Deutschland aufge-
stiegen – und ist das bis heute geblieben.

Was die Europäer und Japaner an Nixons neuer Wirtschaftspolitik denn


auch vor allem schockierte, war nicht die Abwertung des Dollar, sondern
der zehnprozentige Einfuhrzoll auf alle in die Vereinigten Staaten impor-
tierten Waren. Die Abkehr vom Goldstandard für sich genommen hatte kei-
ne unmittelbaren Auswirkungen auf den relativen Wert der Währungen –
das Pfund, der Franc und der Yen standen in festen Paritäten zum Dollar,

129
Teil 2 Währungskriege

während die D-Mark und der kanadische Dollar zum Zeitpunkt von Nixons
­Rede gegenüber der US-Währung bereits frei flottierten. Worauf es N ­ ixon
aber vor allem ankam, war, den Dollar sofort gegenüber allen wichtigen Wäh-
rungen abzuwerten und ihn dann – noch besser – nach unten schwanken
zu lassen, sodass der Dollar auf den internationalen Devisenmärkten konti-
nuierlich an Wert verlieren konnte. Das zu formalisieren, würde aller­dings
Zeit und Verhandlungen in Anspruch nehmen, und Nixon wollte nicht war-
ten. Die 10 Prozent Einfuhrzoll, die er verhängte, wirkten sich ökonomisch
ebenso unmittelbar aus wie eine Abwertung des Dollar um 10 Prozent. Mit
dem Einfuhrzoll setzte er den Handelspartnern der USA praktisch die Pis-
tole auf die Brust. Sobald Nixon die gewünschten Abwertungen bekommen
hatte, würde er den Einfuhrzoll wieder aufheben, und die Auf­gabe, diese
Abwertungen auszuhandeln, delegierte er an John Connally, seinen extra­
vaganten Finanzminister aus Texas.

Die Antworten auf Nixons Schachzug ließen nicht lange auf sich warten.
Ende August 1971 gab Japan den Wechselkurs des Yen gegenüber dem Dol-
lar frei. Dass der Yen daraufhin sofort um 7 Prozent gegenüber dem Dollar
zulegte, überraschte niemanden. In Kombination mit dem zehnprozentigen
Einfuhrzoll summierte sich das zu einem Anstieg des Dollarpreises der japa-
nischen Importe in die Vereinigten Staaten von 17 Prozent, sehr zur Freude
insbesondere der amerikanischen Automobilbauer und Stahlproduzenten.
Die Schweiz erfand »negative Zinsen« in Form von Gebühren auf Bankein-
lagen in Schweizer Franken, um die Kapitalzuflüsse in die Schweiz zu be-
grenzen und den Dollar zu stützen.

Ende September 1971 trat der Rat des Allgemeinen Zoll- und Handelsab-
kommens (GATT) zusammen, um darüber zu befinden, ob Nixons Ein-
fuhrzoll einen Verstoß gegen die Freihandelsregeln darstellte. Sachlich ge-
sehen gab es keinerlei Rechtfertigung für den Zoll, und Nathaniel Samuels,
Unterstaatssekretär im Außenministerium, gab sich auch so gut wie keine
Mühe, die Maßnahme zu rechtfertigen, abgesehen von dem Hinweis darauf,
dass man den Einfuhrzoll wieder aufheben werde, sobald sich die US-Zah-

130
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

lungsbilanz verbessert habe. Unter den GATT-Regeln wären Vergeltungs-


maßnahmen gegen die USA aller Wahrscheinlichkeit nach gerechtfertigt
gewesen, aber einen Handelskrieg riskieren wollte keiner der Handelspart-
ner der Amerikaner. Die Erinnerungen an die 1930er-Jahre waren noch zu
frisch, und die Rolle der Vereinigten Staaten als ausgleichende Supermacht
gegenüber der Sowjetunion und militärische Schutzmacht für Japan und
Westeuropa war zu wichtig, als dass man es auf eine ernsthafte Konfronta-
tion wegen Handelsfragen ankommen lassen wollte. Japan und Westeuropa
würden schlicht einen schwächeren Dollar ertragen müssen; die Frage war
nur, in welchem Ausmaß und zu wessen Bedingungen.

Ende September wurde in London eine internationale Konferenz unter der


Schirmherrschaft der sogenannten G10, der Gruppe der zehn, einberufen.
Dabei handelte es sich um einen Zusammenschluss der damals zehn reichs-
ten Länder der Welt, dem auch die Schweiz angehörte, obwohl die Eidge-
nossenschaft zu der Zeit kein IWF-Mitglied war. Auf der Konferenz legte
Connally einen Auftritt hin, mit dem er dem raubeinigen Ruf der Texaner
­alle Ehre machte. Die Vereinigten Staaten, ließ er die Delegierten wissen, ver-
langten einen sofortigen Umschwung ihrer Handelsbilanz im Umfang von
13 Milliarden Dollar, von einem Defizit von 5 Milliarden zu einem Über-
schuss von 8 Milliarden Dollar, und diese Bedingung sei nicht verhandelbar.
Anschließend verweigerte er die Teilnahme an den Gesprächen darüber, wie
das erreicht werden könnte; es sei, beschied er den Delegierten der anderen
Länder, ihre Sache, sich auf einen entsprechenden Plan zu einigen; er wür-
de ihnen nach eingehender Prüfung des Plans dann mitteilen, ob sie ihre Ar-
beit gut gemacht hätten. Damit ließ er die neun anderen G10-Mitglieder zu-
rück, damit sie sich über Connallys Arroganz echauffieren und anschließend
darüber nachdenken konnten, ob und wenn ja wie sie einen entsprechenden
­Umschwung in der US-Handelsbilanz bewerkstelligen könnten.

Zwei Wochen später trafen die wichtigsten Akteure auf der Jahrestagung des
IWF Anfang Oktober in Washington ein weiteres Mal zusammen. Seit der
Londoner Konferenz waren in der Sache zwar kaum Fortschritte erzielt wor-

131
Teil 2 Währungskriege

den, aber die Handelspartner der USA hatten genug Zeit gehabt, sich die
potenziellen Folgen von Nixons zehnprozentigem Importzoll auszumalen,
so zum Beispiel der kanadische Handelsminister Jean-Luc Pépin, der aus-
rechnete, dass in Kanada wegen des Einfuhrzolls binnen Jahresfrist 90 000
Arbeitsplätze verloren gehen würden. Zwar war es, nachdem weitere Län-
der den Wechselkurs ihrer Währungen zum Dollar freigegeben und post-
wendend Kursgewinne von drei bis neun Prozent verzeichnet hatten, an den
Devisenmärkten bereits zu Dollarabwertungen gekommen. Aber Nixon und
Connally strebten eine Abwertung im Bereich von 12 bis 15 Prozent an. Au-
ßerdem bestanden sie auf Zusicherungen, dass die neuen Wechselkurse bei-
behalten und nicht bei nächster Gelegenheit von den Märkten wieder rück-
gängig gemacht würden. Der IWF schlug eine Reihe von – in Anbetracht
seines stark akademisch geprägten Mitarbeiterstabs – recht technischen Lö-
sungen vor, darunter die Festlegung größerer »Bandbreiten«, innerhalb de-
rer die Kurse der einzelnen Währungen schwanken konnten, bevor eine for-
melle Abwertung notwendig würde, die stärkere Nutzung von SZR und
die Schaffung einer Weltzentralbank. Connally jedoch interessierte das al-
les herzlich wenig. Er wollte eine unmittelbare Antwort auf ein unmittelba-
res Problem und würde den Einfuhrzollknüppel so lange schwingen, bis er
seinen Willen bekam. Immerhin ließ er sich bei der IWF-Tagung dazu be-
wegen, Andeutungen der Art zu machen, dass der Einfuhrzoll auch vor Er-
reichen seiner eigentlichen Ziele aufgehoben werden könnte, sollte sich die
US-Handelsbilanz in die richtige Richtung entwickeln.

Auch in einem weiteren Punkt schienen die USA eine gewisse Bereitschaft
zur Flexibilität erkennen zu lassen, und dazu in einem, der den Europäern
sehr am Herzen lag. Die Vereinigten Staaten hatten zwar verkündet, keine
Dollars gegen Gold mehr einzulösen, die Gold-Dollar-Parität aber offiziell
nicht verändert; nach wie vor galt, dass ein Dollar 1/35 einer Feinunze Gold
wert war, selbst in seinem nichtkonvertierbaren Zustand. Würde der Gold-
preis erhöht, liefe das ebenso auf eine Abwertung des Dollar hinaus wie auf
eine Aufwertung der anderen Währungen. Eine Heraufsetzung des Gold-
preises war für die Europäer von symbolischer Bedeutung und würde von

132
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

ihnen ungeachtet der amerikanischen Indifferenz in dieser Sache als eine


Niederlage der USA im Währungskrieg ausgelegt werden können. Außer-
dem würden die Deutschen und Franzosen davon profitieren, da sie große
Goldvorräte hielten und ein Anstieg des Dollarpreises von Gold automa-
tisch den Dollarwert ihrer Goldreserven erhöhen würde.

Nixon und Connally schien das nicht sonderlich zu interessieren; nun, da


das Goldfenster geschlossen war, kam ihnen der Goldpreis eher irrelevant
vor, und die Abwertung des Dollar war unabhängig von der verwendeten
Methode schließlich nur Mittel zum Zweck. Zum Ende der IWF-Tagung
hin sah es ganz so aus, als könnte die Mischung aus einer fortgesetzten Auf-
wertung der meisten Währungen gegenüber dem Dollar an den internati-
onalen Devisenmärkten, einer gewissen zeitlichen Flexibilität Washingtons
bei der Reduzierung des amerikanischen Handelsdefizits und der Bereit-
schaft der USA, den Dollarpreis des Goldes zu erhöhen, die Grundlage für
eine dauerhafte Neufestsetzung der Währungen bilden, die mit Nixons Zie-
len vereinbar war.

Mit einem weiteren G10-Treffen Anfang Dezember im prachtvollen Palazzo


Corsini in Rom wurde das Endspiel eingeläutet. Dieses Mal war Connally
zum Verhandeln gekommen. Er schlug eine durchschnittliche Aufwertung
der anderen Währungen um 11 Prozent und eine Abwertung des Dollar ge-
genüber dem Gold um 10 Prozent vor. Beides zusammengenommen bedeu-
tete eine effektive Zunahme des Dollarpreises ausländischer Exporte in die
Vereinigten Staaten von über 20 Prozent. Im Austausch dafür würden die
USA den zehnprozentigen Einfuhrzoll streichen.

Die Europäer und Japaner waren geschockt. Eine Gesamtabwertung in Hö-


he von 12 bis möglicherweise 15 Prozent wäre vielleicht noch akzeptabel
gewesen, aber 20 Prozent auf einen Schlag, das war zu viel. Mehr noch, in-
nerhalb der G10 taten sich Risse auf. Eine effektive Aufwertung gegen den
Dollar um 20 Prozent wäre eine Sache, solange das alle Länder betraf, aber
wenn Großbritannien nur um 15 Prozent, Deutschland dagegen um die vol-

133
Teil 2 Währungskriege

len 20 Prozent aufwerten würde, sähe sich Deutschland gegenüber den Ver-
einigten Staaten und Großbritannien benachteiligt. Frankreich wollte die
Höhe der Dollarabwertung gegen Gold begrenzen, was die Anpassung stär-
ker auf eine Aufwertung der D-Mark verschieben würde, an der Frankreich
nicht voll teilhaben würde. Und so kam es.

Inzwischen wurde praktisch rund um die Uhr verhandelt. Ein paar Tage
nach dem Treffen in Rom kamen auf den Azoren Nixon und der franzö-
sische Präsident Georges Pompidou zu einem Gespräch unter vier Augen
zusammen, bei dem sich Pompidou nachdrücklich für eine Erhöhung des
Dollarpreises von Gold als Bestandteil des Gesamtpakets stark machte. Ni-
xon, der den Großteil der Nacht wach geblieben war, um die Liveübertra-
gung eines Footballspiels der Washington Redskins zu verfolgen, führte die
Verhandlungen im Zustand des akuten Schlafmangels. Am Ende gab er dem
Drängen der Franzosen nach, und Pompidou wurde bei seiner Rückkehr
nach Frankreich als Held gefeiert, weil er die Amerikaner in der delikaten
Frage von Dollar und Gold gedemütigt hatte. Aber Nixon kehrte keines-
wegs mit leeren Händen nach Hause zurück, hatte er Pompidou doch die
Zusicherung abgerungen, auf deutliche Verringerungen der hohen Zölle zu
drängen, die auf US-Importe in den europäischen Binnenmarkt aufgeschla-
gen wurden.

Die vorläufigen Vereinbarungen, auf die man sich im Palazzo Corsini und
kurz darauf auf den Azoren verständigt hatte, wurden zwei Wochen spä-
ter bei einem weiteren G10-Treffen im historischen roten Sandsteinschloss
des Smithsonian Institute an der Washingtoner National Mall ratifiziert. In
dem – nach dem Ort der Veranstaltung benannten – Smithsonian-Abkom-
men wurde vereinbart, den Dollar gegenüber dem Gold um 9 Prozent ab-
und die anderen Währungen gegenüber dem Dollar um 3 bis 8 Prozent auf-
zuwerten – unter dem Strich eine Anpassung von je nach Währung zwischen
11 und 17 Prozent. Noch vor den Deutschen traf es die Japaner mit einer ef-
fektiven Aufwertung des Yen zum Dollar von 17 Prozent am härtesten, aber
angesichts eines japanischen Wirtschaftswachstums von über 5 Prozent pro

134
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

Jahr hatte Connally für sie am wenigsten Sympathie übrig. Die G10-Länder
einigten sich darauf, diese neuen Paritäten innerhalb einer Bandbreite von
2,25 Prozent nach oben oder unten – also 4,5 Prozent insgesamt – aufrecht-
zuerhalten, während die USA im Gegenzug die Aufhebung des verhassten
zehnprozentigen Einfuhrzolls zusagten. Eine Rückkehr zur Goldkonverti-
bilität des Dollars wurde nicht vereinbart, obgleich rein technisch betrach-
tet die Dollar-Einlösbarkeit in Gold weiterhin bestand. Mit anderen Worten
würde das US-Finanzministerium, wie ein Finanzexperte damals spottete,
»statt kein Gold für 35 Dollar die Feinunze zu verkaufen, […] in Zukunft
eben kein Gold für 38 Dollar die Feinunze verkaufen«.

Wie der Nixon-Schock vier Monate zuvor stieß auch das Smithsonian-Ab-
kommen in den USA auf begeisterte Zustimmung und ließ die Börsenkurse
steil steigen, weil die Investoren höhere Dollargewinne in der Stahl-, Auto-
mobil-, Flugzeug- und Filmindustrie sowie in anderen Sektoren erwarteten,
die von den stärkeren Exporten beziehungsweise den sinkenden Importen
oder von beidem profitieren würden. Der Berater des Präsidenten Peter G.
Peterson schätzte, dass die Dollarabwertung in den folgenden zwei Jahren
mindestens eine halbe Million neue Jobs schaffen würde.

Unglücklicherweise sollten diese euphorischen Hoffnungen nur allzu bald


platzen. Nicht einmal zwei Jahre später steckten die Vereinigten Staaten in
der schlimmsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, geprägt von einem
einbrechenden BIP, in die Höhe schnellenden Arbeitslosenzahlen, einer Öl-
krise, einem kollabierenden Aktienmarkt und einer galoppierenden Inflati-
on. Dass sich eine Nation nicht in den Wohlstand abwerten kann, verstan-
den Nixon, Connally, Peterson und die Aktienmärkte Ende 1971 ebenso
wenig wie ihre Vorgänger zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Offenkundig
handelt es sich hierbei um eine besonders schwer zu verstehende Lektion.

Wie im Falle der großen internationalen Währungskonferenzen in den


1920er- und 1930er-Jahren erwiesen sich die Vorzüge des Smithsonian-Ab-
kommens, soweit es diese gab, als sehr kurzlebig. Das britische Pfund wer-

135
Teil 2 Währungskriege

tete am 23. Juni 1972 ein weiteres Mal ab, dieses Mal in Form einer Emis-
sion anstelle der Einhaltung der Smithsonian-Paritäten. Das Pfund verlor
sofort 6 Prozent und bis Ende des Jahres insgesamt 10 Prozent. Die Furcht
vor einer ansteckenden Wirkung der Pfundabwertung war groß, insbeson-
dere was die italienische Lira anging. Nixon, von seinem Stabsleiter über
die neue europäische Währungskrise informiert, quittierte das mit dem un-
sterblich gewordenen (und auf Band aufgenommenen) Kommentar: »Das
ist mir egal. Es gibt nichts, was wir deswegen tun könnten … Die italieni-
sche Lira interessiert mich einen Scheißdreck.«

In der Absicht, D-Mark-Panikkäufe zu unterbinden, verhängte Deutsch-


land am 29. Juni 1972 Kapitalverkehrskontrollen, und bis zum 3. Juli hat-
ten auch der Schweizer Franken und der kanadische Dollar abgewertet.
Was als Pfundabwertung begonnen hatte, hatte sich, da die Anleger die re-
lative Sicherheit der D-Mark und des Schweizer Franken suchten, in ei-
ne wilde Flucht aus dem Dollar ausgewachsen. George P. Shultz, der nach
Connallys Rücktritt im Juni 1972 diesem als Finanzminister nachfolgte,
musste praktisch vom ersten Moment im Amt an gegen diese sich entfal-
tende Dollarkrise ankämpfen. Mithilfe von Paul Volcker, der ebenfalls im
Finanzministerium tätig war, und dem Fed-Vorsitzenden Arthur Burns
konnte Shultz Swap-Linien – im Prinzip kurzfristige Devisenkreditfazili-
täten – zwischen der Fed und den europäischen Notenbanken aktivieren,
während er gleichzeitig mit Interventionen an den Märkten die Dollarpa-
nik in den Griff zu bekommen versuchte. Nachdem all die »Bandbreiten«,
»unsauberen ­Emissionen«, »kontrollierten Abwertungen« und anderen Me-
chanismen versagt hatten, die ausgetüftelt worden waren, um wenigstens
einen Anschein des Bretton-Woods-Systems aufrechtzuerhalten, blieb kei-
ne andere Lösung mehr, als die großen Währungen in ein System der frei-
en Wechselkurse zu überführen. Schließlich, 1973, erklärte der IWF das
Bretton-Woods-System für tot, beendete offiziell die Rolle des Goldes als
internationale Reservewährung und ließ den Wert der Währungen frei ge-
geneinander zu jedem Kurs schwanken, den die Regierungen oder Märkte
für angemessen hielten. Damit war zwar eine Währungsära zu Ende gegan-

136
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

gen und eine neue eingeläutet worden, doch der Zweite Währungskrieg war
noch längst nicht vorbei.

Die Ära der frei schwankenden Wechselkurse, die 1973 begann, bewirkte
zusammen mit der Abkoppelung des Dollar vom Gold ein zeitweiliges En-
de der Abwertungsdramen, die seit den 1920er-Jahren die internationalen
Währungsbeziehungen geprägt hatten. Von nun an musste sich kein Zent-
ralbankier oder Finanzminister mehr wegen des Verstoßes gegen festgelegte
Paritäten oder der Abkehr vom Gold graue Haare wachsen lassen. Nun wa-
ren es die Märkte, die alltäglich die Wechselkurse nach oben oder unten be-
wegten. Natürlich intervenierten die Staaten nach wie vor von Zeit zu Zeit,
um exzessive Marktbewegungen oder ihrer Meinung nach marktverzerren-
de Bedingungen auszugleichen, doch hatten diese üblicherweise nur einen
begrenzten und temporären Einfluss.

Die Rückkehr von König Dollar

In Reaktion auf den schrittweisen Niedergang des Systems von Bretton


Woods brachen die großen westeuropäischen Nationen zu einer 30 Jah-
re währenden Odyssee der Währungskonvergenz auf, die sie zur Europäi-
schen Union und schlussendlich 1999 zum Euro führte. Während Europa
mal langsamer, mal schneller in Richtung Währungsstabilität voranschritt,
war den beiden vormaligen Ankern des globalen Währungssystems so et-
was wie Stabilität nicht beschieden. Ungeachtet der Hoffnungen auf wirt-
schaftliches Wachstum und steigende Beschäftigungsquoten im Zuge der
Dollarabwertungen durchlitten die Vereinigten Staaten in der Zeit von 1973
bis 1981 drei Rezessionen. Allein von 1977 bis 1981 ging die Kaufkraft des
US-Dollar um volle 50 Prozent zurück. In der Rezession von 1973 bis 1975
vervierfachte sich der Ölpreis, um sich dann 1979 von diesem neuen, höhe-
ren Niveau aus nochmals zu verdoppeln. Der Goldpreis stieg von 1971 bis
1980 im Jahresdurchschnitt von 40,80 Dollar auf 612,56 Dollar pro Fein-

137
Teil 2 Währungskriege

unze, wobei er im Januar 1980 kurzzeitig sogar den absoluten Rekordwert


von 850 Dollar erreichte.

Es war in den Augen vieler eine Welt, die dem Wahnsinn anheimgefallen
war. Ein neuer Begriff, »Stagflation«, wurde zur Beschreibung der bis dato
beispiellosen Kombination einer hohen Inflation und eines stagnierenden
Wirtschaftswachstums, die die Vereinigten Staaten erfasst hatte, geprägt.
Der ökonomische Alptraum, der von 1973 bis 1981 währte, war das exakte
Gegenteil des exportgetriebenen Wachstums, das mit der Dollarabwertung
eigentlich hatte erreicht werden sollen. Die Verfechter der Abwertungs­
strategie hätten sich nicht schlimmer irren können.

Angesichts eines Vertrauens in den Dollar, das sich dem Nullpunkt näherte,
waren eine neue Führung und neue Maßnahmen dringend geboten. Mit der
Ernennung von Paul Volcker zum Vorsitzenden des Direktoriums der Fe-
deral Reserve durch Präsident Jimmy Carter im August 1979 und der Wahl
Ronald Reagans zum neuen Präsidenten im November 1980 bekamen die
Vereinigten Staaten beides.

Als Staatssekretär im Finanzministerium war Volcker von 1969 bis 1974


eng in die Entscheidungen eingebunden gewesen, zuerst die Goldbindung
zu kappen und schließlich den Dollar freizugeben. Nun musste er sich mit
den Folgen dieser Entscheidungen herumschlagen, aber dank seiner Erfah-
rungen war er bestens darauf vorbereitet, die Dollarkrise mithilfe von Leit-
zinsen, Offenmarktinterventionen und Swap-Linien in den Griff zu bekom-
men, genau wie er es zusammen mit Arthur Burns bereits 1972 im Falle der
Pfundkrise getan hatte.

Was die Inflation betraf, legte Volcker eine Aderpresse an und zog sie gna-
denlos zusammen. Bis Juni 1981 jagte er den Leitzins auf 20 Prozent hin-
auf, eine Schocktherapie, die den gewünschten Effekt hatte. Zum Teil dank
Volcker sank die Inflationsrate von 12,5 Prozent 1980 auf nur noch 1,1 Pro-
zent 1986. Der Goldpreis nahm sich daran ein Beispiel und fiel von 1980

138
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

bis 1985 von 612,56 Dollar auf 317,26 Dollar pro Feinunze. Die Inflation
war besiegt und das Gold in die Schranken gewiesen worden. Der König
Dollar war zurück.

So heldenhaft Volckers Maßnahmen auch gewesen sein mochten, sie w ­ aren


nicht der einzige Grund für den Rückgang der Inflation und das Wieder-
erstarken des Dollar. Ebenso wichtig war die von Ronald Reagan betrie-
bene Politik der niedrigen Steuern und der Deregulierung der Wirtschaft.
Als Reagan im Januar 1981 ins Weiße Haus einzog, war das ökonomische
Selbstvertrauen der Amerikaner durch die Rezessionen, die Inflation und
die Ölkrisen der Jahre unter Nixon, Ford und Carter am Boden. Obwohl
die Fed unabhängig vom Weißen Haus war, führten Volcker und Reagan zu-
sammen den Dollar zu alter Stärke zurück, setzten eine Steuersenkungspoli-
tik um, die sich als Lebenselixier für die US-Wirtschaft erwies, und läuteten
eine der wachstumsstärksten Phasen in der US-Geschichte ein. Im Verein
mit Reagans Steuersenkungen ließ Volckers Politik des knappen Geldes das
Bruttoinlandsprodukt in dem Dreijahreszeitraum von 1983 bis 1985 kumu-
liert um 16,6 Prozent wachsen. Nie wieder hat die US-Wirtschaft seither ei-
ne ähnlich wachstumsstarke Dreijahresperiode erlebt.

Der starke Dollar schadete dem Wachstum überhaupt nicht, und in Kombi-
nation mit anderen wachstumsstimulierenden Maßnahmen förderte er das
Wirtschaftswachstum sogar. Allerdings verharrte die Arbeitslosigkeit noch
Jahre, nachdem 1982 die letzte der drei Rezessionen überwunden war, auf
einem hohen Niveau. Die Handelsbilanzdefizite mit Deutschland und Japan
vergrößerten sich in dem Maße, in dem der starke Dollar die Amerikaner in
Massen zum Kauf von deutschen Automobilen, japanischen Elektronikge-
räten und anderen Dingen verlockte.

Doch schon Anfang 1985 ließen der Druck der vielen US-Unternehmen,
die Schutz vor der ausländischen Konkurrenz suchten, und der vielen US-
Bürger, die nach Jobs suchten, wieder die üblichen Forderungen von Ge-
werkschaften und von Politikern aus industrielastigen Bundesstaaten nach

139
Teil 2 Währungskriege

einer Dollarabwertung laut werden, um einerseits die Exporte zu stimulie-


ren und andererseits Importe zu verteuern. Der Umstand, dass eben diese
Strategie 1973 so spektakulär gescheitert war, konnte die Fans eines schwa-
chen Dollar nicht schrecken. Die Aussicht auf eine Patentlösung für Indus-
trien, die im Sterben begriffen sind oder unter strukturellen Schwächen lei-
den, war politisch allzu verlockend. So kam es, dass die Vereinigten Staaten
unter Anleitung eines weiteren Finanzministers aus Texas und würdigen
Nachfolgers John Connallys namens James A. Baker die Welt einmal mehr
mit der Forderung nach einem billigen Dollar konfrontierten.

Diesmal war die Methode der Abwertung eine andere. Feste Wechselkurse
oder Umtauschkurse in Gold, die man brechen konnte, gab es nicht mehr.
Die Währungen wurden frei gegeneinander gehandelt und die Wechselkurse
an den Devisenmärkten festgelegt, an denen vor allem große internationale
Banken und ihre Kunden agierten. Die Dollarstärke in den frühen 1980er-
Jahren war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die USA wegen des
starken Wirtschaftswachstums attraktiv für ausländische Investoren waren.
Der starke Dollar war ein Vertrauensbeweis in die Vereinigten Staaten und
kein Problem, das behoben werden musste. Doch die Innenpolitik diktier-
te ein anderes Schicksal für den Dollar – ein in allen Währungskriegen wie-
derkehrendes Motiv. Da der Dollar am Markt nach oben tendierte, brauchte
es schon sehr massive staatliche Interventionen an den Devisenmärkten, um
den Dollar abzuwerten – so massiv, dass die Zustimmung und Kooperation
aller betroffenen großen Länder vonnöten war.

Westeuropa und Japan hatten kein Interesse an einer Dollarabwertung – da-


zu waren die Erinnerungen an den Nixon-Schock noch zu lebendig. Fer-
ner konnte sich niemand sicher sein, dass Baker nicht als letztes Mittel
Einfuhrzölle erheben würde, so wie es Connally im Jahr 1971 getan hat-
te. Außerdem waren Westeuropa und Japan, was ihre nationale Sicherheit
und den Schutz vor dem kommunistischen Block anging, Mitte der 1980er-
Jahre noch ebenso sehr von den USA abhängig wie ein Jahrzehnt zuvor.
Unter dem Strich erschien es ihnen klüger, mit den USA über eine Dollar­

140
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)

abwertung zu verhandeln, als nochmals Opfer einer bösen Überraschung


zu werden.

Die internationalen Bemühungen zur Abwertung des Dollar kulminierten


schließlich im Plaza-Abkommen vom 22. September 1985. Die Finanzmi-
nister von Westdeutschland, Japan, Frankreich und Großbritannien tra-
fen sich mit dem amerikanischen Finanzminister im Plaza Hotel in New
York, um gemeinsam einen Plan zur Abwertung des Dollar insbesondere
gegenüber dem japanischen Yen und der D-Mark auszuarbeiten. Zu die-
sem Zweck stellten die Zentralbanken über 10 Milliarden Dollar zur Ver­
fügung, die wie vereinbart über mehrere Jahre eingesetzt wurden – mit dem
Ergebnis, dass der Dollar von 1985 bis 1988 um über 40 Prozent gegenüber
dem französischen Franc, 50 Prozent gegenüber dem japanischen Yen und
20 Prozent gegenüber der deutschen Mark nachgab.

Rein im Hinblick auf seine abwertende Wirkung war das Plaza-Abkommen


ein Erfolg, die ökonomischen Resultate hingegen waren enttäuschend. Die
Arbeitslosigkeit in den USA verharrte mit 7,0 Prozent 1986 weiter auf ei-
nem hohen Niveau, während das Wirtschaftswachstum 1987 sogar zurück-
ging, und zwar beträchtlich auf nur noch 3,2 Prozent. Einmal mehr hatte
sich die vermeintliche Patentlösung als Chimäre erwiesen, und einmal mehr
musste dafür ein hoher Preis in Gestalt von Inflation bezahlt werden, die mit
einer gewissen Verzögerung nach dem Plaza-Abkommen wieder ansprang
und bis 1990 wieder auf 6,1 Prozent schnellte. Abwertungen und Wäh-
rungskriege erzeugen niemals das Wirtschaftswachstum oder die Arbeits-
plätze, die man sich von ihnen verspricht. Nur eines erzeugen sie mit großer
Zuverlässigkeit: Inflation.

Selbst für den Geschmack der Vertragsparteien war das Plaza-Abkommen


zu erfolgreich, was sie ein letztes Mal zum Eingreifen veranlasste, um den ra-
piden Abstieg des Dollar gegenüber seinem Niveau von 1985 etwas abzu-
bremsen. Anfang 1987 kam im Pariser Louvre die G7-Gruppe zusammen,
die aus den fünf Vertragsparteien des Plaza-Abkommens sowie Kanada und

141
Teil 2 Währungskriege

Italien bestand, und unterzeichnete das Louvre-Abkommen, mit dem der


Dollar auf seinem neuen, niedrigeren Niveau stabilisiert werden sollte. Zu-
gleich endete mit dem Louvre-Abkommen der Zweite Währungskrieg; nach
20 Jahren des Aufruhrs hatten die G7-Finanzminister beschlossen, dass ge-
nug genug war.

1987 spielte Gold im globalen Finanzwesen keine Rolle mehr, der Dollar
war abgewertet worden, der Yen und die D-Mark befanden sich im Auf-
stieg, das britische Pfund war in Bedeutungslosigkeit versunken, am Hori­
zont zeichnete sich der Euro ab, und China hatte noch nicht seinen Platz
auf der internationalen Bühne eingenommen. Für den Augenblick herrschte
­relativer Friede in der internationalen Finanzwelt, aber dieser Friede beruh-
te auf nicht viel mehr als dem Glauben an den Dollar als verlässlichen Wert-
speicher, und dafür wiederum waren eine wachsende US-Wirtschaft und
eine stabile Geldpolitik der Fed unerlässlich – Bedingungen, wie sie unge-
achtet zweier milder Rezessionen denn auch die 1990er-Jahre hindurch und
bis ins frühe 21. Jahrhundert hinein vorherrschten. Die Währungskrisen, zu
denen es in dieser Zeit kam, waren Nichtdollarkrisen, etwa die Pfund­krise
von 1992, die Pesokrise in Mexiko 1994 und die asiatisch-russische Finanz-
krise von 1997 bis 1998. Keine dieser Krisen bedrohte den Dollar – im Ge-
genteil, in jeder dieser Krisen galt der Dollar als sicherer Hafen. Um die
Vorherrschaft des Dollar herauszufordern, brauchte es, wie es schien, schon
einen massiven Einbruch des amerikanischen Wirtschaftswachstums oder
den Aufstieg einer konkurrierenden Wirtschaftssupermacht – oder beides.
Als diese beiden Faktoren schließlich im Jahr 2010 gegeben waren, brach
über den Weltwährungsmarkt ein veritabler Finanz-Tsunami herein.

142
Kapitel 6 –
Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
»Es ist nicht unser Ziel, den Dollarkurs zu drücken. Wir führen keinen
Währungskrieg.«26
Janet Yellen,
Vizepräsidentin der Federal Reserve, über die quantitative Lockerung,
16. November 2010

»Quantitative Lockerung funktioniert auch über Wechselkurse … Die Fed


könnte eine deutlich aggressivere quantitative Lockerung betreiben …,
um … den Dollarwert weiter zu senken.«27
Christina D. Romer,
ehemalige Vorsitzende des Council of Economic Advisers, 27. Februar 2011

Drei Superwährungen – der Dollar, der Euro und der Yuan –, ausgegeben
von den drei größten Wirtschaftsmächten der Welt: den Vereinigten Staa-
ten, der Europäischen Union und der Volksrepublik China –, sind die Su-
permächte eines neuen, des Dritten Währungskrieges, der 2010 als Folge
der Wirtschaftskrise von 2007 ausbrach und dessen Ausmaß und Auswir-
kungen erst jetzt deutlich werden.

Zweifellos spielen auch andere Währungen eine wichtige Rolle im g­ lobalen


Finanzsystem, wie zum Beispiel der japanische Yen, das britische Pfund,
der Schweizer Franken und die Währungen der übrigen BRICS-Staaten:
der brasilianische Real, der russische Rubel, die indische Rupie, der chi-
nesische Renmimbi und der südafrikanische Rand. Die Bedeutung dieser
Währungen beruht auf der Größe der Volkswirtschaften, die sie ausgeben,
sowie dem Handelsvolumen und dem Umfang an finanziellen Transaktio-
nen in diesen Ländern. Nach diesen Maßgaben belegen auch die landes­
eigenen Dollars von Australien, Neuseeland, Kanada, Singapur, Hongkong

143
Teil 2 Währungskriege

und ­Taiwan sowie die norwegische K ­ rone, der südkoreanische Won und
der Dirham der Vereinigten Arabischen Emirate vordere Ränge. Aber das
kombinierte BIP der USA, der EU und Chinas – zusammen fast 60 Prozent
des globalen BIP – stellt ein wirtschaftliches Schwergewicht dar, gegen das
alle anderen Volkswirtschaften und Währungen verblassen.

Jeder Krieg hat seine Hauptfrontlinien sowie exotische, und oftmals blu-
tige Nebenschauplätze. Der Zweite Weltkrieg war der größte und teuers-
te militärische Konflikt der Geschichte. Die US-Amerikaner unterscheiden
im Zweiten Weltkrieg zwischen einem europäischen und einem pazifischen
Kriegsschauplatz, während es für die Japaner um ein Kaiserreich ging, das
sich von Burma bis Pearl Harbor erstreckte. Die Engländer kämpften, wie es
scheint, überall gleichzeitig.

Ähnlich ist es auch bei den Währungskriegen. Die Hauptfronten verlaufen


quer durch den Pazifik, Atlantik und durch Eurasien: Dollar gegen Yuan,
Dollar gegen Euro und Euro gegen Yuan. Diese Schlachten sind real, auch
wenn die geografischen Zuordnungen metaphorisch sind. Tatsächlich wer-
den Währungskriege überall auf der Welt, in allen wichtigen Finanz­zentren
gleichzeitig und rund um die Uhr von Bankern, Händlern, Politikern und
automatisierten Systemen ausgetragen – und auf dem Spiel steht das Schick-
sal der Volkswirtschaften und der dort lebenden Bürger.

Die Teilnahme an einem Währungskrieg ist heute nicht mehr nur den Emit-
tenten der Währungen in den einzelnen Ländern und ihren Zentralbanken
vorbehalten. Inzwischen sind auch multilaterale und globale Institutionen,
wie der IWF, die Weltbank, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich
und die UN, sowie private Einrichtungen, wie beispielsweise Hedgefonds,
Weltkonzerne und Family Offices der Superreichen, beteiligt. Über Speku-
lationen, Absicherungsgeschäfte und Manipulationen haben diese privaten
Institutionen ebenso viel Einfluss auf das Schicksal einer Währung wie das
Ausgeberland. Der beste Beweis dafür, dass sich die Gefechtslinien über
den ganzen Globus ziehen und nicht auf Nationalstaaten begrenzt sind, ist

144
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

die bekannte Geschichte von George Soros, der mit seinem Hedgefonds bei
einer gewaltigen Währungswette die Bank of England in die Knie zwang.
Heute gibt es sehr viel mehr Hedgefonds mit sehr viel mehr Billionen Dol-
lar an Fremdfinanzierung, mehr als Soros es sich vor 20 Jahren hätte vor-
stellen können.

Die Kämpfe auf den pazifischen, atlantischen und eurasischen Schlacht-


feldern des Dritten Währungskriegs haben begonnen, und es gibt wichtige
Nebenschauplätze in Brasilien, Russland, dem Nahen Osten und in weiten
­Teilen Asiens. Im Dritten Währungskrieg wird jedoch nicht um den Real
oder den Rubel gekämpft. Es geht dabei um die Relativwerte von Euro, Dol-
lar und Yuan, die über das Schicksal der Ausgeberländer und das von deren
Handelspartnern entscheiden.

Die Welt steht nun vor dem dritten Währungskrieg innerhalb eines Jahr-
hunderts. Ob er ähnlich tragisch endet wie der erste oder so glimpflich wie
der zweite, muss sich erst noch erweisen. Nur eines ist angesichts des Wirt-
schaftswachstums in den einzelnen Ländern seit den 1980er-Jahren, des
vermehrten Gelddruckens und der größeren Hebelung durch Derivate klar:
Dieser Währungskrieg wird wirklich weltweit ausgefochten werden, und er
wird deutlich größere Ausmaße annehmen als alle vorherigen. Im Dritten
Währungskrieg wird es öffentliche und private Kriegsparteien geben. Diese
Zunahme an Größe, geografischer Ausdehnung und Teilnehmerzahl erhöht
das Risiko eines Zusammenbruchs exponentiell. Heute besteht das Risiko
nicht nur in der Abwertung einer Währung gegenüber einer anderen oder
einem Anstieg des Goldpreises. Heute besteht das Risiko im Zusammen-
bruch des Währungssystems an sich – dem Vertrauensverlust der Papier-
währungen und einer Massenflucht in harte Vermögenswerte. Angesichts
des drohenden totalen Zusammenbruchs des Systems könnte der Dritten
Währungskrieg auch der letzte sein – oder frei nach Woodrow ­Wilson, der
Währungskrieg, der allen Währungskriegen ein Ende setzt.

145
Teil 2 Währungskriege

Der Kriegsschauplatz im Pazifik

Der Kampf zwischen China und den USA, zwischen dem Yuan und dem
Dollar, steht heute im Zentrum der Weltfinanzwirtschaft und stellt die
Hauptfront im Dritten Währungskrieg dar. Der Konflikt begann damit, dass
China ein Vierteljahrhundert, das von wirtschaftlicher Isolation, sozialem
Chaos und der doktrinären Unterdrückung des freien Marktes durch das
kommunistische Regime geprägt war, hinter sich lassen wollte.

Das heutige chinesische Wirtschaftswunder begann im Januar 1975 mit der


Verkündigung des Programms der »Vier Modernisierungen« durch Pre-
mier Zhou Enlai, das Landwirtschaft, Industrie, Verteidigung sowie Wis-
senschaft und Technik umfasste. Die Umsetzung verzögerte sich allerdings
durch Zhous Tod im Januar 1976, den Tod des Vorsitzenden der Kommu-
nistischen Partei Mao Zedong im September desselben Jahres sowie die
Verhaftung der radikalen Viererbande um Maos Ehefrau nach nur einem
Monat an der Macht.

Maos designierter Nachfolger Hua Guofeng griff Zhous Vision wieder auf
und brach beim Parteitag der Kommunistischen Partei im Dezember 1978
endgültig mit der maoistischen Vergangenheit. Unterstützt wurde er dabei
von dem kurz zuvor rehabilitierten und bald dominierenden Deng Xiao-
ping. Die wirklichen Veränderungen begannen im darauffolgenden Jahr
mit einer Reihe von Experimenten und Pilotprogrammen, die eine Aus­
weitung der Entscheidungsspielräume in landwirtschaftlichen Betrieben
und Fabriken zum Ziel hatten. Im Jahr 1979 traf China die weitreichen-
de Entscheidung, vier Sonderwirtschaftszonen mit günstigen Arbeitsricht­
linien, weniger ­Reglementierungen und Steuervorteilen einzurichten,
durch die ausländische Investoren, insbesondere in den Bereichen Pro-
duktion und Montage sowie der Textilindustrie, angelockt werden soll-
ten. Die Sonder­wirtschaftszonen waren Vorboten eines deutlich umfangrei-
cheren Programms von Wirtschaftsentwicklungszonen, das 1984 gestartet
wurde und einen Großteil der großen Küstenstädte im Osten Chinas ein-

146
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

schloss. Chinas Wachstumsrate war Mitte der 1980er-Jahre prozentual sehr


hoch, allerdings bei sehr niedrigen Ausgangswerten. Weder die chinesische
Währung noch die bilateralen Handelsbeziehungen des Landes zu wich-
tigen Partnerländern wie den USA oder Deutschland gaben Anlass zur
­Besorgnis.

Im aktuellen Währungskrieg wird oft die Unterbewertung der chinesischen


Währung beklagt, aber noch 1983 war der Yuan mit 2,80 Yuan pro Dol-
lar massiv überbewertet.28 Damals machten Exporte einen relativ kleinen
Teil des chinesischen BIP aus, und der Führung des Landes waren billi-
ge Importe für den Aufbau der Infrastruktur wichtiger. Als der Exportan-
teil wuchs, führte China sechs Abwertungen in zehn Jahren durch, sodass
der Wert des Yuan im Jahr 1993 auf 5,32 Yuan für einen Dollar gesunken
war. Am 1. Januar 1994 kündigte China schließlich eine Reform des Devi-
senhandels an und wertete den Yuan mit einem Schlag auf 8,70 Yuan pro
Dollar ab. Das US-Finanzministerium war schockiert und stufte China
als »Währungsmanipulator« gemäß dem US-Handelsgesetz von 1988 ein,
demzufolge das Finanzministerium Länder anprangern muss, die sich über
Wechselkurse einen unlauteren Vorteil im internationalen Handel verschaf-
fen wollen. Es war das letzte Mal, dass das US-Finanzministerium den Ma-
nipulationsvorwurf gegen China vorbrachte, auch wenn es indirekt immer
wieder damit drohte. Die Folge war eine Reihe gemäßigter Aufwertungen,
sodass der Yuan 1997 die Marke von 8,28 Yuan pro Dollar erreichte und da-
nach bis 2004 praktisch unverändert blieb.

In den späten 1980er-Jahren erlebte China einen deutlichen Inflations-


schub, der allgemeine Unzufriedenheit und eine konservative Gegenreakti-
on unter Führung der alten Kommunistengarde gegen die wirtschaftlichen
Reformen und die Öffnungsprogramme Dengs zur Folge hatte. Unabhän-
gig davon verstärkte eine liberale Protestbewegung, die von Studenten und
Intellektuellen mit dem Wunsch nach demokratischen Reformen angeführt
wurde, die politischen Unruhen noch. Die konservative und die liberale Be-
wegung prallten auf gewalttätige und tragische Weise bei dem Massaker auf

147
Teil 2 Währungskriege

dem Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 aufeinander. Damals vertrieb die


Volksbefreiungsarmee auf Befehl der Führung der kommunistischen Par-
tei mit scharfer Munition und Panzern Demonstranten für Menschenrech-
te und Demokratie von dem Platz im Zentrum Beijings, der ganz in der Nä-
he der Verbotenen Stadt der alten Kaiser liegt. Hunderte wurden getötet.
Nach 1989 erlebte die chinesische Wirtschaft eine Flaute, die teilweise auf
die Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation und teilweise auf die Reak-
tionen des Auslands auf das Massaker am Tiananmen-Platz zurückzuführen
war. Diese Wachstumspause währte jedoch nur kurz.

In den 1990ern zerbrach schließlich die »eiserne Reisschüssel«, die Sozi-


alpolitik, die dem chinesischen Volk bisher Nahrung und einige Sozialleis-
tungen auf Kosten des Wirtschaftswachstums und der Effizienz garantiert
hatte. Es bildete sich eine Art Marktwirtschaft heraus, in der chinesische
Arbeiter zwar die Chance hatten, ihre Lebenssituation zu verbessern, aber
kein Auffangnetz, falls sie es nicht schafften. Die Erinnerung an den Tianan-
men-Platz war noch frisch, und durch die Erfahrungen des vergangenen,
chaotischen Jahrhunderts war der Führung klar, dass der Fortbestand der
Kommunistischen Partei und die Fortdauer politischer Stabilität von der
Schaffung neuer Arbeitsplätze abhingen. Diesem einen Ziel sollte die ge-
samte chinesische Politik untergeordnet werden. Der beste Weg zur schnel-
len und umfangreichen Schaffung neuer Arbeitsplätze war, zu einer Export-
macht zu werden. Die Währungsbindung sollte zu diesem Ziel führen. Für
die Kommunistische Partei Chinas war die Anbindung des Yuan an den
Dollar eine ökonomische Schutzmaßnahme gegen einen weiteren Vorfall
wie am Tiananmen-Platz.

1992 drängten reaktionäre Gegner der Reformen erneut auf den Abbau von
Dengs Sonderwirtschaftszonen und anderer Programme. Als Reaktion da-
rauf brach ein angeschlagener Deng Xiaoping, der sich offiziell von der po-
litischen Bühne zurückgezogen hatte, zu seiner berühmten Neujahrsreise
durch Südchina auf. Sein persönlicher Besuch großer Industriestädte wie
Shanghai brachte ihm die Unterstützung zur Fortsetzung der wirtschaftli-

148
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

chen Entwicklung ein und schwächte die reaktionären politischen Kräfte


entscheidend. Die Reise durch den Süden 1992 markierte den Beginn des
zweiten Wachstumsschubs der chinesischen Wirtschaft, durch den sich das
reale BIP zwischen 1992 und 2000 mehr als verdoppelte. Die Auswirkun-
gen dieses atemberaubenden Wachstums der 1990er auf die amerikanisch-
chinesischen Wirtschaftsbeziehungen wurden jedoch durch die anhalten-
den Reaktionen der USA auf das Massaker vom Tiananmen-Platz gedämpft,
zu denen Wirtschaftssanktionen und Zurückhaltung von US-Firmen bei di-
rekten Investitionen in China gehörten. Eine Reihe von Fauxpas und Fehl-
einschätzungen, darunter der Abschuss eines NATO-Marschflugkörpers
auf die chinesische Botschaft in Belgrad im Jahr 1999, verstärkten die Span-
nungen weiter. Der Zusammenstoß eines chinesischen Kampfjets mit einem
Aufklärungsflugzeug der USA im April 2001, bei dem der chinesische Pi-
lot getötet und die Besatzung des US-Flugzeugs nach einer Notlandung auf
chinesischem Gebiet vorübergehend verhaftet wurde, sorgte dafür, dass die
Wirtschaftsbeziehungen schlecht blieben.

Paradoxerweise führten ausgerechnet die Anschläge der Al Kaida vom


11. September 2001 und Chinas darauffolgende entschiedene Unter-
stützung der USA im globalen Krieg gegen den Terror dazu, dass das Eis
schließlich gebrochen wurde und sich die amerikanisch-chinesischen Be-
ziehungen normalisierten. Chinas Wirtschaft hatte in den 25 Jahren seit
1976 bereits erhebliche Fortschritte zu verzeichnen, aber erst 2002 gewann
die Koabhängigkeit der USA und Chinas von bilateralem Handel und In-
vestitionen richtig an Fahrt.

In eben jenem Jahr 2002 startete der US-Notenbankchef Alan Greenspan


sein Experiment mit dauerhaft extrem niedrigen Zinsen. Greenspan hat-
te im Sommer 2000, nach dem Platzen der Hightech-Blase, erste Zinssen-
kungen vorgenommen. Die Senkung des Leitzinses der US-Notenbank um
mehr als 4,75 Prozent zwischen Juli 2000 und Juli 2002 kann noch als kon-
junkturbedingte Maßnahme angesehen werden, um die Wirtschaft wie-
der in Gang zu bringen.29 Darauf folgten jedoch zwei weitere, ungewöhn-

149
Teil 2 Währungskriege

liche Jahre, in denen der Leitzins der Fed 1,8 Prozent nie überschritt. Im
­Dezember 2003 fiel er gar auf 1,0 Prozent. Erst im Oktober 2004 stand der
Leitzins wieder bei 1,75 Prozent und war damit fast genauso hoch wie im
­Juli 2002.

Diese Niedrigzinspolitik wurde zunächst als Reaktion auf das Platzen der
Hightech-Blase im Jahr 2000, die Rezession von 2001, die Anschläge vom
11. September und Greenspans Angst vor einer Deflation gerechtfertigt.
Doch Greenspan hielt hauptsächlich wegen dieser Angst deutlich länger an
den niedrigen Zinsen fest, als bei einer leichten Rezession angemessen ge-
wesen wäre. Der konstante Nachschub an billigen Arbeitskräften war mit
dafür verantwortlich, dass China seine Deflation inzwischen in alle Welt ex-
portierte. Greenspans Niedrigzinspolitik, mit der die Auswirkungen der
chinesischen Deflation in den USA kompensiert werden sollten, bereite-
te den Boden für den ausgewachsenen Währungskrieg, der noch im selben
Jahrzehnt ausbrach.

Greenspans niedrige Zinssätze waren nicht nur eine konjunkturpolitische


Reaktion auf eine mögliche Deflation, sondern sie wirkten auch wie eine
intravenöse Droge auf die Wall Street. Der Offenmarktausschuss, das für
die Festsetzung des US-Leitzinses zuständige Gremium, übernahm nun die
Rolle eines Drogenlabors für hyperaktive Handelsjunkies an der US-Bör-
se. Durch die niedrigen Zinssätze wirkten alle Arten von zweifelhaften oder
riskanten Geschäften lohnend, weil sich jetzt scheinbar auch Grenzkredit-
nehmer eine Finanzierung leisten konnten. Bei niedrigen Zinsen mussten
sich außerdem institutionelle Investoren auf die Suche nach höheren Ren-
diten machen, als mit risikofreien Staatsanleihen oder Anleihen mit höchs-
ter Bonitätsbewertung erzielt werden konnten. An den Märkten für Sub-
prime-Wohnhypotheken und Gewerbeimmobilien explodierte aufgrund
von Greenspans Niedrigzinspolitik die Anzahl der Kreditvergaben, der Zu-
strom an Neugeschäften, die Verbriefungen und die Preise für die hinter-
legten Vermögenswerte. Die große Immobilienblase von 2002 bis 2007 war
geboren.

150
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

Als im September 2002 die Niedrigzins-Politik gerade auf den Weg gebracht
war, fand Greenspan in Ben Bernanke, einem neu ernannten Mitglied des
Fed-Direktoriums, einen Verbündeten. Bernankes tief sitzende Angst vor
Deflation war sogar noch größer als die Greenspans. Bernanke begründe-
te seinen Ruf als Kämpfer gegen Deflation durch eine Rede vor dem Natio-
nal Economists Club in Washington, D.C., nur zwei Monate nach seiner Be-
rufung ins Direktorium. Die Rede mit dem Titel »Deflation: Making Sure
›It‹ Doesn’t Happen Here« (»Deflation: Wie wir sicherstellen, dass ›es‹ hier
nicht passiert«)30 erregte besondere Aufmerksamkeit durch den Verweis auf
Milton Friedmans Vorschlag, man solle notfalls frisch gedruckte Banknoten
aus Helikoptern abwerfen, um eine Deflation zu verhindern. Dies brachte
Bernanke den Spitznamen »Helikopter-Ben« ein.

Bernankes Rede von 2002 lieferte die Blaupause für die Rettungsaktionen
von 2008 und die Strategie der quantitativen Lockerung von 2009. Bern-
anke sprach mit klaren Worten darüber, wie die Fed mit neu gedrucktem
Geld Haushaltsdefizite finanzieren könnte, egal ob diese von Steuerkürzun-
gen oder einer Erhöhung der Ausgaben herrührten. Er sagte:

Breit angelegte Steuerkürzungen …, finanziert durch Offenmarktgeschäf-


te …, würden den Konsum … mit hoher Wahrscheinlichkeit wirksam an-
kurbeln. … Geldfinanzierte Steuerkürzungen entsprechen im Wesentli-
chen Milton Friedmans berühmtem »Geldabwurf per Helikopter«.
Natürlich könnte die Regierung … auch Immobilien oder Finanzanlagen
erwerben. Wenn … die Fed dann mit frisch geschöpftem Geld Staatsan-
leihen im selben Wert erwirbt, entspräche der Vorgang aus ökonomischer
Sicht einem Offenmarkthandel mit privaten Vermögenswerten.31

Bernanke erklärte also, wie der Fiskus Schulden aufnehmen konnte, um


damit Beteiligungen an Privatunternehmen zu kaufen. Die Fed finanzierte
dann die Schulden, indem sie Geld druckte. Nichts anderes geschah, als der
US-Fiskus AIG, GM und die Citibank übernahm und unter anderem Gold-
man Sachs rettete. Mehrere Jahre vorher hatte Bernanke das alles bereits
­detailliert dargelegt.

151
Teil 2 Währungskriege

Mit Bernanke hatte Greenspan einen Seelenverwandten und, wenn die Zeit
gekommen war, den perfekten Nachfolger für seinen Kreuzzug gegen die
Deflation im Direktorium sitzen. Die Angst von Greenspan und Bernanke
vor einer Deflation zieht sich als einziger roter Faden durch die gesamte Zeit
von 2002 bis 2011. Für sie war die Deflation der Feind, und China war, auf-
grund der niedrigen Löhne und Produktionskosten – ermöglicht durch feh-
lende Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften – einer der Hauptverur-
sacher.

Trotz seines Wirtschaftswunders wies China noch bis 2004 insgesamt ein
Außenhandelsdefizit aus. Das ist für die frühen Stadien einer sich entwi-
ckelnden Volkswirtschaft nicht ungewöhnlich, da zunächst die notwendigen
Importe von Infrastrukturkomponenten, Industrieanlagen, Rohstoffen und
Technologie zwangsläufig die Erfolge im Außenhandel schmälern. Im Han-
del mit den USA verzeichnete China jedoch einen Überschuss, der zunächst
keinen Grund zur Sorge darstellte. Für das Jahr 1997 betrug das Handels-
defizit der USA gegenüber China weniger als 50 Milliarden Dollar. Danach
wuchs das Defizit stetig an und explodierte innerhalb von drei Jahren, zwi-
schen 2003 und 2006, von 124 auf 234 Milliarden Dollar. Von 2003 an gab
es erstmals Bedenken wegen der Handelsbeziehung zwischen den USA und
China und der Rolle, die der Wechselkurs von Dollar und Yuan in dieser Be-
ziehung spielte. Im Jahr 2006 bezeichnete der New Yorker Senator Charles
E. Schumer das US-Handelsdefizit als »einen schleichenden Aderlass der
US-Wirtschaft« und verwies auf China als Hauptverursacher.32

Chinas interne Deflation wird über den Wechselkurs in die USA exportiert
und erhöht dort die Gefahr einer Deflation. Am Anfang steht die strategi-
sche Entscheidung Chinas für eine Dollarbindung des Yuan. Der Yuan wird
nicht wie Dollar, Euro, Sterling, Yen oder andere konvertierbare Währun-
gen auf dem internationalen Währungsmarkt frei gehandelt. Die Verwen-
dung des Yuan und seine Verfügbarkeit für die Abwicklung von Geschäften
werden von der Chinesischen Volksbank (People’s Bank of China, PBOC),
der Zentralbank des Landes, streng kontrolliert.

152
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

Wenn ein chinesischer Exporteur durch eine Warenlieferung ins Ausland


Dollar oder Euro verdient, muss er diese Devisen bei der PBOC abliefern
und bekommt dafür Yuan nach einem von der Bank festgesetzten Wechsel-
kurs. Braucht ein Exporteur Dollar oder Euro, um Rohstoffe oder andere
Waren im Ausland zu kaufen, dann bekommt er sie, aber die PBOC stellt
nur den Betrag an Dollar oder Euro zur Verfügung, um die Importe zu be-
zahlen, nicht mehr. Der Rest verbleibt bei der Bank.

Die Absorption des Dollarüberschusses, den China erwirtschaftete, sorgte,


besonders nach 2002, für unbeabsichtigte Folgen. Zum einen zog die PBOC
die überschüssigen Dollar nicht einfach ein, sondern kaufte sie mit frisch ge-
druckten Yuan. Das hatte zur Folge, dass für jeden Dollar, den die Fed druck-
te und der durch einen Warenverkauf in China landete, die PBOC Yuan dru-
cken musste, um den Überschuss aufzunehmen. Damit hatte China seine
Geldpolitik faktisch an die Fed ausgelagert, und wenn die Fed mehr Geld
druckte, druckte auch die PBOC mehr Geld, um den Währungskurs zu halten.

Zum anderen stellte sich die Frage, was man mit den neu erworbenen Dollar
anfangen sollte. Die PBOC musste ihre Reserven irgendwo investieren, und
zwar mit einer ordentlichen Rendite. Zentralbanken sind in ihrer Anlagepo-
litik traditionell extrem konservativ, und die PBOC bildet dabei keine Aus-
nahme. Ihre bevorzugte Anlageform sind US-Staatsanleihen. Infolgedessen
erwarben die Chinesen riesige Mengen an US-Schatzbriefen während ihr
Handelsüberschuss mit den USA anhaltend wuchs. Anfang 2011 schätz-
te Reuters die chinesischen Devisenreserven in allen Währungen auf einen
Wert von insgesamt 2,85 Billionen Dollar, von denen 950 Milliarden Dol-
lar in US-Schuldverschreibungen angelegt waren. Die USA und China wa-
ren gemeinsam an ein Billionen Dollar schweres finanzielles Pulverfass ge-
kettet, das von beiden Seiten zur Explosion gebracht werden konnte, wenn
der Währungskrieg außer Kontrolle geriet.

Die USA drängten China verzweifelt, den Yuan aufzuwerten, um das weiter
wachsende US-Handelsdefizit gegenüber China und die gewaltige Anhäu-

153
Teil 2 Währungskriege

fung von US-Dollarbeständen der PBOC zu verlangsamen. Die Bitten stie-


ßen auf weitgehend taube Ohren. Von 2004 bis Mitte 2005 hielt sich der
Yuan bei 8,28 pro Dollar, also etwa auf dem Stand von 1997. Innerhalb von
zwei Tagen Ende Juli 2005 stieg der Wechselkurs des Yuan um fast 3 Pro-
zent von 8,28 auf 8,11 pro Dollar. Nach dieser unerwarteten Aufwertung
stieg der Yuan in den folgenden drei Jahren stetig, bis er Mitte Juli 2008
schließlich einen Wert von 6,82 Yuan pro Dollar erreichte.

Dann trat die PBOC auf die Bremse und hielt den Yuan in den folgenden
beiden Jahren konstant bei einem Wert von 6,83. Im Juni 2010 begann eine
zweite Aufwertungsrunde, durch die der Yuan bis August 2011 nach einem
kontinuierlichen Anstieg 6,40 Yuan pro Dollar erreichte. Der Wertzuwachs
des Dollar gegenüber dem Yuan verlief nicht reibungslos und wurde immer
von scharfen Auseinandersetzungen begleitet. Die rhetorischen und politi-
schen Kämpfe zwischen China und den USA von 2004 bis 2011 wegen des
Wechselkurses dominierten die amerikanisch-chinesischen Wirtschaftsbe-
ziehungen, obwohl es eine Vielzahl anderer wichtiger bilateraler Themen
gab, etwa Iran und Nordkorea.

Interessant ist die Überlegung, wie sich ein Ungleichgewicht wie das US-
Handelsdefizit gegenüber China und Chinas gewaltige Anhäufung von US-
Staatstiteln im Bretton-Woods-System entwickelt hätte. Am Anfang wäre die
Anhäufung von US-Schuldtiteln durch China genau gleich verlaufen, und
China wäre immer bestrebt gewesen, aus Gründen der Diversifizierung und
des Liquiditätsmanagements im Besitz einiger US-Staatsanleihen zu sein.
Aber irgendwann hätte China sich einen Teil seiner US-Staatsanleihen in
Gold aus der Reserve auszahlen lassen, wie es das Bretton-Woods-System
vorsah. Eine relativ kleine Auszahlung, zum Beispiel über 100 Milliarden
Dollar, zu Anfang des Jahres 2008, als der Goldpreis bei 1 000 Dollar pro
Feinunze stand, hätte einer Menge von 100 Millionen Feinunzen oder rund
2 840 Tonnen Gold entsprochen. Das entspricht 35 Prozent des gesamten
offiziellen Goldvorrats der USA. Die vollständige Einlösung aller Staatsan-
leihen durch China hätte den US-amerikanischen Goldvorrat komplett aus-

154
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

gelöscht. Die USA hätten kein Gold mehr gehabt, und China wäre der stolze
Besitzer von über 9 000 Tonnen Gold gewesen. Die chinesische Marine wä-
re im Hafen von New York eingelaufen. Ein schwer bewaffneter Konvoi der
US-Army hätte sich von West Point über den Palisades Interstate Parkway
südwärts den Schiffen genähert, auf die das Gold dann für den Transport in
die neu errichteten Schatzkammern in Shanghai verladen worden wäre. Ein
solches Schauspiel wäre ein Schock für die amerikanische Bevölkerung ge-
wesen, aber dieses schockierende Bild illustriert etwas sehr viel Wichtigeres:
Nach den alten Spielregeln haben die USA aufgrund ihres Handelsdefizits
genügend Schulden angehäuft, um ihren gesamten Goldvorrat auszulöschen.
Doch der Zweck des Goldstandards war nicht, dass Länder ihren Goldvorrat
erschöpfen, sondern sie dazu zu zwingen, ihre Finanzen lange vorher in Ord-
nung zu bringen. Ohne einen Goldstandard und die damit verbundenen zeit-
nahen Anpassungen ist den Amerikanern anscheinend nicht bewusst, wie
schlecht es um die US-Finanzen inzwischen steht.

Dieses Beispiel mag extrem wirken, aber bis vor 40 Jahren funktionierte das
Weltfinanzsystem so. Im Jahr 1950 besaßen die USA einen Goldvorrat von
über 20 000 Tonnen.33 Durch anhaltend große Handelsdefizite, zu der Zeit
noch gegenüber Europa und Japan statt China, hatten sich die US-Goldre-
serven auf knapp 9 000 Tonnen verringert, als Nixon das Goldfenster 1971
schloss. Die USA verloren die 11 000 Tonnen in den 21 Jahren zwischen
1950 und 1971 überwiegend an eine kleine Zahl von Exportmächten. In
derselben Zeit erhöhten sich die deutschen Goldreserven von null auf über
3 600 Tonnen. Italiens Goldbesitz stieg von 227 Tonnen auf über 2 500
Tonnen. Frankreichs Vorrat erhöhte sich von 588 Tonnen auf über 3 100
Tonnen. Die Niederlande, eine weitere aufstrebende Goldmacht, erhöhte
ihren Anteil von 280 Tonnen auf knapp 1 700 Tonnen. Nur ein Teil dieser
Goldzuwächse kam aus den USA. Die Reserven einer weiteren Goldnation,
Großbritannien, verringerten sich von 2 500 Tonnen im Jahr 1950 auf nur
noch 690 Tonnen im Jahr 1971. Der hauptsächliche Goldfluss verlief je-
doch im Rahmen der vom Bretton-Woods-System vorgesehenen automati-
schen Umschichtung von den USA zu ihren Handelspartnern.

155
Teil 2 Währungskriege

Chinas Aufstieg zur Exportmacht war im Goldenen Zeitalter der 1950er


und 1960er noch Zukunftsmusik. Er begann erst im 21. Jahrhundert r­ ichtig,
als Forderungen durch Schuldscheine aus Papier oder ihre elektronische
Entsprechung beglichen wurden. Daher zahlten sich Chinas Handelserfol-
ge nicht in echtem Gold aus. Durch die Umstellung hatten die USA prin-
zipiell die Möglichkeit, unbegrenzt Geld zu drucken und damit über ihre
finanziellen Möglichkeiten hinaus Geld leihen und weiterhin ausgeben zu
können. Dieser Kredit- und Kaufrausch wurde durch die Politik der ultra-
niedrigen Zinssätze von Greenspan und Bernanke noch zusätzlich befeuert.
Durch das Fehlen eines Goldstandards oder irgendeiner anderen finanz-
wirtschaftlichen Beschränkung rasten China und die USA ohne Kompass
oder Navigationshilfe für den Umgang mit Forderungen auf Papierbasis in
unvorhergesehener Höhe auf den Dritten Währungskrieg zu.

Der Hauptvorwurf der USA gegenüber China, der in der Presse mehr-
fach diskutiert, aber seit 1994 vom Weißen Haus nicht mehr formal erho-
ben worden war, bestand darin, China manipuliere seine Währung, um die
Preise chinesischer Exporte für Käufer aus dem Ausland niedrig zu halten.
Aber Chinas Exportmaschine war kein reiner Selbstzweck. Das eigentliche
Ziel der chinesischen Politik ist Politikern überall vertraut – Arbeitsplätze.
In Chinas Fabriken, Montagewerke und Verkehrsknoten an der Küste strö-
men Menschen aus den ländlichen Provinzen im Zentrum und im Süden
des Landes, Millionen überwiegend junger Arbeiter auf der Suche nach fes-
ter Arbeit für ein Zehntel dessen, was ein Arbeiter für dieselbe Arbeit in den
USA verdienen würde.

Die Neuankömmlinge leben in überfüllten Wohnheimen, arbeiten 70 Stun-


den die Woche, benutzen öffentliche Verkehrsmittel, essen Nudeln und Reis
und haben kaum Vergnügen oder Hobbys. Das Wenige, das sie übrig haben,
schicken sie in ihr Heimatdorf oder zum elterlichen Bauernhof, um Eltern
oder andere Familienangehörige, die nicht sozial abgesichert sind, zu unter-
stützen. Doch aus der Sicht eines Chinesen vom Land ist das der chinesi-
sche Traum, das Äquivalent des 21. Jahrhunderts zum aufwändigeren Ame-

156
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

rican Dream des 20. Jahrhunderts, zu dem ein Haus, ein Auto und eine gute
Ausbildung sowie ein fester Job gehörte. Natürlich müssen sich die ländli-
chen Einwanderer nur einmal umsehen, um die Mercedes, Cadillacs und
die Hochhäuser mit den Luxusapartments von Chinas Neureichen zu sehen
und zu erkennen, dass es etwas Besseres gibt als das Wohnheim und den öf-
fentlichen Nahverkehr.

Die Kommunistische Partei Chinas weiß genau, was passieren würde, wenn
diese Arbeitsplätze nicht zur Verfügung stünden. Die chinesische Geschich-
te besteht aus einer Folge von Zusammenbrüchen. Insbesondere in den 140
Jahren zwischen 1839 und 1979 befand sich das Land konstant in Auf-
ruhr. Es begann mit den Opiumkriegen (1839–1860), setzte sich mit der
Taiping-Revolution (1850–1864) fort, gefolgt vom Boxeraufstand (1899–
1901), dem Sturz der Qing-Dynastie im Jahr 1912, der Zeit der Warlords
und Gangster in den 1920ern, dem Bürgerkrieg zwischen Nationalisten
und Kommunisten in den frühen 1930ern, der japanischen Invasion und
dem Zweiten Weltkrieg (1931–1945), der Machtergreifung der Kommu-
nisten 1949, dem »Großen Sprung nach vorn« (1958–1961), der Kulturre-
volution (1966–1976) und schließlich dem Tod Maos und dem Sturz der
Viererbande im Jahr 1976. Diese Ereignisse stehen nicht nur für Eckda-
ten der Landesgeschichte, sondern zogen immer auch Kriege, Bürgerkrie-
ge, flächendeckende Hungersnöte, Massenvergewaltigungen, Terror, riesi-
ge Flüchtlingsströme, Korruption, Ermordungen, Enteignungen, politisch
motivierte Säuberungsaktionen und das Fehlen einer durchsetzungsfähigen
Regierung oder eines Rechtsstaates nach sich. In den späten 1970er-Jahren
war die chinesische Kultur und Zivilisation politisch, moralisch und phy-
sisch am Ende, und die Menschen sehnten sich, wie auch die Kommunisti-
sche Partei, nach Stabilität und wirtschaftlichem Wachstum. Eine freiheitli-
che Demokratie und Bürgerrechte konnten warten.

Aus diesem Grund empfanden die chinesischen Führer die Demonstrati-


onen am Tiananmen-Platz 1989 als ebenso beunruhigend, wie deren ge-
waltsame Unterdrückung für den Westen schockierend war. Aus Sicht der

157
Teil 2 Währungskriege

chinesischen Führung führten die Demonstrationen China nach nur zehn


Jahren Wachstum und Stabilität wieder an den Rand des Chaos. Der Füh-
rung der Kommunistischen Partei Chinas war bewusst, dass die Taiping-
Revolution im 19. Jahrhundert mit einem einzigen enttäuschten Studenten
begonnen hatte und kurze Zeit später die südliche Hälfte des Kaiserreichs
in einen Bürgerkrieg verwickelt hatte, der 20 Millionen Todesopfer forder-
te. Die chinesische Geschichte ist der Beweis dafür, dass man für ein soziales
Netzwerk kein Internet braucht, sondern dass Mundpropaganda und dazi-
bao (chinesische Wandzeitungen) genauso gut funktionieren. Der chinesi-
schen Führung war außerdem bewusst, dass die Proteste am Tiananmen-
Platz nicht nur vom Wunsch nach Demokratie getragen wurden, sondern
auch vom Unmut der Studenten und Arbeiter über steigende Lebensmit-
telpreise und das verlangsamte Wachstum des Arbeitsmarkts. Diese wurden
durch die Bemühungen der politischen Führung des Landes verursacht, das
Wirtschaftswachstum zu bremsen und damit die Inflation zu bekämpfen,
die seit den späten 1980er-Jahren immer mehr zunahm.

Natürlich war auch den USA die Schaffung neuer Arbeitsplätze wichtig.
Die Rezession von 2001 hatte statistisch nur geringe Auswirkungen auf das
BIP und die Industrieproduktion, aber die Arbeitslosenzahl stieg von En-
de 2000 bis Ende 2001 sprunghaft an von 5,6 Millionen auf 8,2 Millionen.
Trotz einer Erholung auf dem Papier im Jahr 2002 stieg die Zahl der Ar-
beitslosen weiter und lag Ende des Jahres bei über 8,6 Millionen. Danach
sank die Zahl sehr langsam, sodass Ende 2005 noch immer über 7,2 Millio-
nen Menschen arbeitslos waren. Zu Beginn der Rezession von 2007 war die
Zahl der Arbeitslosen immer noch hoch und explodierte bis Oktober 2009
weiter bis auf über 15,6 Millionen. Berücksichtigt man alle Teilzeitbeschäf-
tigten, die eine Vollbeschäftigung anstrebten, und diejenigen, die nicht ar-
beitslos gemeldet waren, aber eine Arbeit suchten, gab es Ende 2009 mehr
als 25 Millionen Männer und Frauen in den USA, die arbeitslos oder un-
terbeschäftigt waren. Jeder einzelne dieser 25 Millionen Amerikaner hat ein
Gesicht, einen Namen und eine Familie. Im Zeitalter der Statistik benut-
zen Volkswirte in diesem Zusammenhang gerne Prozentwerte und reden

158
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

von 6,0 Prozent Arbeitslosigkeit zum Jahresende 2002 und 9,9 Prozent im
Jahr 2009. Aber erst die tatsächliche Zahl betroffener Menschen – über 25
Millionen – verdeutlicht die Tragweite des Arbeitslosenproblems. Amerika
musste unbedingt neue Jobs schaffen.

Eine Zeit lang wurde diese menschliche Tragödie durch die Politik des bil-
ligen Geldes von Greenspan und Bernanke noch kaschiert, die einen Kauf-
rausch per Kreditkarte, steigende Immobilienpreise, steigende Aktienkurse
und die großzügige Vergabe großer Kredite ohne Anzahlung zur Folge hat-
te. Es gab in den Jahren 2004 und 2005 zwar einige Klagen über chinesische
Währungsmanipulationen und den Verlust von amerikanischen Arbeitsplät-
zen, aber sie waren eher verhalten angesichts des deutlich sichtbaren, wenn
auch letztendlich nicht nachhaltigen Wohlstands dieser Jahre infolge der
Niedrigzinspolitik. Als 2007 das Ende der Fahnenstange erreicht war und
die USA in die Panik von 2008 schlitterten, konnten sich die politischen
Entscheidungsträger in China nicht länger verstecken.

Jetzt schimpften US-Politiker, allen voran Senator Charles Schumer, öf-


fentlich über die Dollarbindung des Yuan und machten die Chinesen für
den Verlust von Arbeitsplätzen in den USA verantwortlich. Senatoren bei-
der Parteien, unter ihnen Schumer, schrieben 2008 einen Brief an Präsident
Bush: »Der ungerechtfertigte Preisvorteil für chinesische Firmen durch die
Unterbewertung [der chinesischen Währung] zwingt viele amerikanische
Firmen ins Insolvenzverfahren oder sogar zur Geschäftsaufgabe, was unse-
ren Arbeitern, Familien und der Mittelschicht Schaden zufügt.«34 Senator
Schumer und Konsorten ließen sich nicht dadurch beeindrucken, dass es
keine ausreichenden Beweise für einen Zusammenhang zwischen Arbeits-
plätzen und Wechselkursen gab. Der typische Arbeiter in einer Möbelfab-
rik in North Carolina würde wohl kaum für 118 Dollar im Monat arbeiten
wie sein chinesischer Kollege. Selbst wenn sich der Wert des Yuan verdop-
pelte, verdiente der chinesische Arbeiter nur den Gegenwert von 236 Dollar
im Monat – ein Lohn, mit dem der US-Kollege immer noch nicht konkur-
rieren könnte. Aber das kümmerte die Dollar-Demagogen nicht. Für sie war

159
Teil 2 Währungskriege

die chinesische Währungspolitik eindeutig verantwortlich, und sie erwarte-


ten, dass die Chinesen ihrer Forderung nach einer Aufwertung nachkamen.

Die Regierung von George W. Bush nahm die Beschwerdeflut durchaus zur
Kenntnis, aber sie legte bei einer Reihe von Fragen großen Wert auf gute Be-
ziehungen zu China. China war der Hauptabnehmer für iranische Ölexpor-
te und hatte dadurch die Möglichkeit, den Iran im Konflikt mit den USA
wegen der Entwicklung nuklearer Waffen zu beeinflussen. China war eine
unverzichtbare ökonomische Lebensader für seinen direkten Nachbarn, das
hermetisch abgeriegelte Nordkorea, und konnte den USA daher auch bei
ihren strategischen Zielen auf der koreanischen Halbinsel behilflich sein.
Große US-Unternehmen beäugten den chinesischen Markt neidisch und
versuchten durch Expansion, Übernahmen oder Joint Ventures mit chine-
sischen Partnern, die alle von der chinesischen Regierung genehmigt wer-
den mussten, einen direkten Zugang zu diesem Markt zu bekommen. 2005
hatte China einen Gesichtsverlust erlitten. Damals hatte die China National
Offshore Oil Corporation ein Übernahmeangebot für die US-Firma Uno-
cal Oil zurückgezogen, nachdem das US-Repräsentantenhaus mit 398 zu
15 Stimmen Präsident Bush dazu aufgefordert hatte, eine Annahme des An-
gebots aus Gründen der nationalen Sicherheit noch einmal zu überprüfen.
Eine solche Zurückweisung konnte schnell dazu führen, dass China im Ge-
genzug Firmenübernahmen durch US-Firmen in China verhinderte. Unter
dem Strich brachte eine Konfrontation mit China für Amerika keine signifi-
kanten Vorteile, und ein fortgesetzter Dialog auf Expertenebene schien die
vielversprechendere Vorgehensweise.

Präsident Bush trug der Notwendigkeit, die amerikanisch-chinesischen


Währungsspannungen unter Kontrolle zu halten, Rechnung, indem er 2006
den »China-US Strategic Economic Dialogue« ins Leben rief. Die Gesprä-
che wurden unter der Obama-Regierung ausgebaut und in »Strategic and
Economic Dialogue« (S&ED) umbenannt, als Zeichen für die Einbezie-
hung der US-Außenministerin und eines für Außenpolitik zuständigen Mit-
glieds des chinesischen Staatsrats. Dass jetzt neben Wirtschaftsexperten

160
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

auch Außenpolitiker an den Gesprächen teilnahmen, war eine eindeutige


Anerkennung der Vernetzung geopolitischer und finanzwirtschaftlicher As-
pekte der nationalen Politik im 21. Jahrhundert.

Der S&ED war eines von mehreren bi- und multilateralen Foren, mit denen
einem drohenden neuen Währungskrieg begegnet werden sollte. Die Ge-
spräche trugen dazu bei, eine Eskalation der Spannungen über die Vorwür-
fe der Währungsmanipulation zu vermeiden, aber nicht zur Beseitigung des
Problems an sich. Eine Reihe bilateraler Gipfeltreffen zwischen Chinas Prä-
sident Hu und Obama fand auch statt, aber weder der S&ED noch die bila-
teralen Gipfeltreffen erbrachten signifikante Fortschritte.

Die USA haben die G20 als neuen Hauptschauplatz für ihre Versuche ge-
wählt, China zu einer Aufwertung zu drängen, weil sie so die Unterstützung
anderer Nationen für ihr Anliegen bekommen können und weil die Chi-
nesen einem globalen Anliegen eher Gehör schenken als einem rein US-
amerikanischen. Die aktuellen Aufwertungen des Yuan wurden nicht im
Zusammenhang mit einem Treffen im Rahmen des S&ED oder eines Gip-
feltreffens erreicht, sondern gingen G20-Treffen voraus. So ging beispiels-
weise eine kleine, aber bemerkenswerte Aufwertung des Yuan von 6,83 am
15. Juni 2010 auf 6,79 am 25. Juni 2010 unmittelbar dem G20-Gipfel in
­Toronto voraus. Eine weitere Aufwertung des Yuan von 6,69 am 1. Novem-
ber 2010 auf 6,62 am 11. November 2010 fiel zeitlich mit dem G20-Gip-
fel in Seoul zusammen. Offensichtlich haben die G20 einen Einfluss auf die
Chinesen, den andere Foren nicht haben.

Im Frühjahr 2011 schwiegen auf dem pazifischen Schlachtfeld des Wäh-


rungskrieges die Waffen. Doch auf die zentralen Fragen gibt es weiterhin
keine Antworten. Probleme auf dem Arbeitsmarkt in China oder den USA
könnten jederzeit wieder zu neuen Spannungen führen. Ein Wechsel in der
chinesischen Führung im Jahr 2012 und die Präsidentschaftswahlen in den
USA im selben Jahr könnten ein weiteres Mal dazu führen, dass innenpoliti-
sche Kräfte internationale Konfrontationen auslösen.

161
Teil 2 Währungskriege

Der Kriegsschauplatz im Atlantik

Die Situation auf dem atlantischen Kriegsschauplatz von Dollar und Euro
ist eher die einer Koabhängigkeit denn einer Konfrontation. Das liegt an der
umfangreicheren und stärkeren Vernetzung der Finanzmärkte und des Ban-
kensystems in den USA und Europa im Vergleich zu jedem anderen Paar
von Wirtschaftsräumen weltweit. Diese Koabhängigkeit zeigte sich beson-
ders deutlich an den unmittelbaren Auswirkungen der Insolvenz der Invest-
mentbank Lehman Brothers im September 2008. Auch wenn die Insolvenz
nach einem fehlgeschlagenen Rettungsversuch bei einem US-Bundesge-
richt beantragt wurde, waren unter den am schlimmsten betroffenen Opfern
einige europäische Hedgefonds, die mit Over-the-Counter-Swaps gehan-
delt oder ein Clearing-Konto bei der Lehman-Filiale in London besessen
hatten. Dieses transatlantische Fiasko, über das damals ausgiebig berichtet
wurde, verstärkte sich im Dezember 2010 noch, als die Fed, als Reaktion auf
die neuen Veröffentlichungsvorschriften durch den Dodd-Frank Act, um-
fangreiche Details über ihre Notkredite und Rettungsversuche für Europa
während der Finanzkrise von 2008 veröffentlichte.

Der Wechselkurs von Euro und Dollar war Anfang 2011 auf fast genau dem-
selben Stand wie 2007. Ein Euro kostete Anfang Januar 2007 1,30 Dollar
und wurde vier Jahre später für etwa 1,30 Dollar gehandelt. Trotz dieser
Zahlen konnte von Stabilität keine Rede sein. Tatsächlich war das Verhält-
nis zwischen Euro und Dollar höchst volatil. So wurde der Euro auf seinem
Höchststand im Juli 2008 mit 1,59 Dollar gehandelt und bei seinem Tiefst-
stand im Juni 2010 mit 1,10 Dollar.

Euro und Dollar sind wie zwei Passagiere auf demselben Schiff. Manchmal
befindet sich der eine Passagier auf einem höheren Deck als der andere. Sie
können die Plätze wechseln und sich im Verhältnis zueinander höher oder
tiefer bewegen, aber letztendlich sitzen sie im selben Boot und bewegen sich
mit derselben Geschwindigkeit auf dasselbe Ziel zu. Die täglichen Schwan-
kungen spiegeln technische Einflüsse wider, das kurzfristige Verhältnis von

162
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

Angebot und Nachfrage, Ängste vor dem Ende oder Zerfall des Euro, und
dann wieder die Erleichterung über die neueste Erfolgsmeldung oder das
neueste Rettungspaket. Doch die ganze Zeit über reist das Euro-Dollar-Paar
gemeinsam, nie weiter voneinander getrennt, als es die Abmessungen ihres
Segelschiffes zulassen.

Für die USA gibt es an der atlantischen Front des Währungskrieges den-
noch allerhand zu tun. Sie versuchen nicht, den Euro übermäßig zu stärken,
sondern sie sind damit beschäftigt zu verhindern, dass er vollends ausein-
anderfällt. Der Euro ist an sich schon ein kleines Wunder moderner Wäh-
rungsschöpfung. Er entstand nach dreißigjährigen Verhandlungen der EU-
Staaten und nach zehn Jahren intensiver Fachstudien und Planung. Er war
der krönende Abschluss eines europäischen Projekts, das nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs begann und der Friedenssicherung dienen sollte.

Seit dem Ende der Renaissance Mitte des 16. Jahrhunderts war Europa 400
Jahre lang von Kriegen erschüttert worden: der Reformation und der Ge-
genreformation, dem Dreißigjährigen Krieg, dem englischen Bürgerkrieg,
den Kriegszügen Ludwig XIV., dem Siebenjährigen Krieg, der Französi-
schen Revolution, den Napoleonischen Kriegen, dem Deutsch-Französi-
schen Krieg, dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holo-
caust, dem Kalten Krieg mit eisernem Vorhang und nuklearer Bedrohung.
Im späten 20. Jahrhundert standen die Europäer nationalistischen Forde-
rungen und den Möglichkeiten militärischer Überlegenheit höchst skep-
tisch gegenüber. Die alten ethnischen, nationalen und religiösen Differenzen
bestanden nach wie vor. Eine vereinigende Kraft wurde gebraucht – etwas,
das die Volkswirtschaften so dicht miteinander verband, dass ein Krieg un-
denkbar, wenn nicht sogar unmöglich wurde.

Alles begann 1951 mit dem Zusammenschluss sechs europäischer Länder


zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Danach durchlief Eu-
ropa verschiedene Stadien von Freihandelszonen, gemeinsamen Märkten
und Finanzsystemen. Der Vertrag von Maastricht, benannt nach der nie-

163
Teil 2 Währungskriege

derländischen Stadt, in der er ausgehandelt und unterzeichnet wurde, bil-


dete 1992 den Rahmen für die Bildung einer politischen Einheit, der Euro-
päischen Union, und führte schließlich zur Einführung des Euro 1999. Er
wurde von der Europäischen Zentralbank emittiert und wurde 2011 von
17 Mitgliedsstaaten verwendet.

Von Anfang an jedoch warnten Analysten, eine von einer einzigen Zentral-
bank gestützte gemeinsame Währung sei inkompatibel mit der uneinheitli-
chen Fiskalpolitik der verschiedenen Euro-Länder. Länder, die traditionell
eher verschwenderisch sind und in deren Geschichte es zu Schuldenaus-
fällen und Währungsabwertungen kam wie Griechenland und Spanien, sei-
en keine idealen Bündnispartner für finanzpolitisch umsichtige Länder wie
Deutschland.

Es dauerte zehn Jahre, bis alle Schwächen dieses Großvorhabens voll zum
Tragen kamen, aber sie waren von Anfang an da. Eine fatale Kombination
aus korrupten Regierungsbeamten, verantwortungslosen Börsenhändlern,
die durch Betrug mit Derivaten schnell viel Geld verdienen wollten, und
Brüsseler EU-Beamten, die absichtlich wegschauten, erlaubte es Ländern
wie Griechenland, Schulden aufzuhäufen, sich Geld weit über die im Maas-
tricht-Vertrag vorgesehene Grenze hinaus zu leihen und die Kosten dafür
in zukünftigen Haushaltsjahren und Schattenhaushalten zu verstecken. In-
zwischen finanzierten Investoren fröhlich in Staatschulden von Ländern
wie Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und anderen Euro-Mitglie-
dern zu Zinsen, die nur geringfügig höher waren als die solider Schuldner
wie Deutschland. Das geschah aufgrund hoher Ratings durch inkompetente
Ratingagenturen, aufgrund irreführender Angaben von Regierungsbehör-
den und aufgrund des Wunschdenkens von Investoren, dass es bei einem
Euro-Mitgliedsstaat nicht zu Schuldenausfällen kommen konnte.

Die europäische Staatsschuldenkrise von 2010 war zum Teil ein Ergeb-
nis einer neuen Übereinkunft zwischen Banken, Kreditnehmern und Bü-
rokraten. Die Banken kauften europäische Staatsanleihen und verbuchten

164
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

die erwarteten Gewinne als sicher in der Annahme, dass der Bankrott eines
Einzelstaates verhindert werden würde. Die Staaten gaben fröhlich Staats-
anleihen aus, um ihre überzogenen Ausgaben zu finanzieren, die überwie-
gend dem öffentlichen Dienst zugutekamen. Die Agenda der Bürokraten in
Brüssel war wohl die perfideste. Wenn sich die europäische Staatsschulden-
krise von selbst erledigte, würden alle ein Loblied auf den Erfolg des Eu-
ro-Projekts singen. Wurden einzelne europäische Staaten zahlungsunfähig,
läge die Lösung der Bürokraten in noch mehr Integration und noch mehr
Aufsicht durch Brüssel, nicht weniger. Indem man das gedankenlose Ver-
halten geflissentlich übersah, entstand für Brüssel eine Win-win-Situation.
Hatte der Euro Erfolg, gewann Brüssel an Prestige, und wenn der Euro in
Schwierigkeiten geriet, gewann Brüssel an Macht. Die Schwierigkeiten lie-
ßen nicht lange auf sich warten.

Die europäischen Banken verschlangen nicht nur die Staatsschulden der


Euroländer gierig, sondern auch von Fannie Mae ausgegebene Schuldtitel
und die volle Bandbreite zweifelhafter Finanzprodukte der Wall Street wie
zum Beispiel Kreditverbriefungen (collateralized debt obligations, CDOs).
Diese Schuldtitel wurden von unerfahrenen Lokalbankiers in den gesam-
ten USA verbrieft und dann von Firmen wie Lehman Brothers, vor ihrem
Zusammenbruch, in Bündel von mehreren Milliarden Dollar verpackt. Die
europäischen Banken waren die eigentlichen Schwachstellen im globalen
Finanzsystem, noch anfälliger als Citigroup, Goldman Sachs und die an-
deren Ikonen der US-amerikanischen Finanzwelt, die staatliche Unterstüt-
zung brauchten.

Im Jahr 2010 bildeten die europäischen Staatsfinanzen ein komplexes Ge-


flecht gegenseitiger Schuldverschreibungen. Griechenlands Schulden von
236 Milliarden Dollar verteilten sich mit 15 Milliarden Dollar auf britische
Gläubiger, mit 75 Milliarden Dollar auf französische und 45 Milliarden Dol-
lar auf deutsche Geldgeber. Irlands Schulden von 867 Milliarden Dollar
stammten zu 75 Millionen von französischen Einrichtungen, 188 Milliar-
den Dollar von britischen und 184 Milliarden Dollar von deutschen Gläu-

165
Teil 2 Währungskriege

bigern. Die 1,1 Billionen Dollar spanischer Schulden verteilten sich mit 114
Milliarden Dollar auf britische, mit 220 Milliarden Dollar auf französische
und mit 238 Milliarden Dollar auf deutsche Geldgeber. In Italien, Portugal
und anderen hochverschuldeten Mitgliedern des Euro-Raums sah es nicht
anders aus. Die Mutter aller innereuropäischen Schulden war allerdings der
Berg von 511 Milliarden Dollar, die Italien Frankreich schuldete.35

Die Gläubiger setzten sich aus verschiedenen Institutionen zusammen, dar-


unter Pensionskassen und Stiftungen, doch der Großteil des Geldes stamm-
te von den Banken der anderen Länder. Aus diesem Grund startete die Fed
2008 ihre geheime Rettungsaktion in Europa und versuchte mit allen Mit-
teln, die Einzelheiten unter Verschluss zu halten, bis Teile davon durch den
Dodd-Frank Act 2010 herauskamen. Aus diesem Grund machten die An-
leiheninhaber von Fannie Mae und Freddie Mac auch keine Verluste, als die
beiden Firmen 2008 mit US-Steuergeldern gerettet wurden. Deswegen wa-
ren auch die führenden Staaten, Deutschland und Frankreich, so schnell be-
reit, Schuldnerländer an der Peripherie wie Griechenland, Irland und Por-
tugal zu stützen, als die Krise der Eurostaaten 2010 einen kritischen Punkt
erreichte. Als Impetus hinter allen drei Rettungsaktionen stand die Abwen-
dung der Insolvenz des europäischen Bankensystems. Die Subventionie-
rung griechischer Rentner und irischer Banken war ein geringer Preis dafür,
das morsche Gebilde vor dem kompletten Zusammenbruch zu bewahren.

Doch Europa stand in der europäischen Staatsschuldenkrise nicht allein da.


Sowohl die USA als auch China unterstützten die europäischen Rettungs-
maßnahmen aus unterschiedlichen, aber letztendlich eigennützigen Mo-
tiven. Europa ist ein riesiger Exportmarkt für die USA. Ein starker Euro
erhält den Appetit der Europäer für Maschinen, Flugzeuge, Medikamen-
te, Software, Agrarprodukte, Bildung und einige andere Waren und Dienst-
leistungen aus den USA aufrecht. Ein Zusammenbruch des Euro hätte den
Zusammenbruch des Handels zwischen den beiden Giganten der welt-
weiten Wirtschaftsleistung zur Folge. Der Zusammenbruch eines europä-
ischen Staates konnte die europäischen Banken und den Euro mitreißen,

166
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

wenn Investoren eine plötzliche Abneigung gegen alle in Euro ausgestellten


Schuldverschreibungen entwickelten und sich von den europäischen Ban-
ken zurückzogen. Die Folgen eines europäischen Staatsbankrotts für US-
Exporteure nach Europa wären immens gewesen. Der ganze Kontinent war
einfach zu groß zum Scheitern. Die US-Rettungsversuche, Swap-Linien
und die Unterstützung für Emittenten wie Fannie Mae waren Teil einer viel-
schichtigen, mehrjährigen Anstrengung, den Euro zu stützen.

Auch China war an einer Stabilisierung des Euro interessiert, aber die Be-
mühungen der Chinesen waren politisch motiviert. Wie für die USA stellt
Europa auch für China einen riesigen Exportmarkt dar, und in dieser Hin-
sicht haben China und die USA dieselben Interessen. Aber Chinas Ban-
ken sind nicht einmal annähernd so stark mit den europäischen Banken
verwoben wie die amerikanischen. Dadurch hat China mehr Entschei-
dungsfreiheit dabei, wann und wo es hilft. Die europäische Staatsschulden-
krise lieferte China die Gelegenheit, seine Reserven und Wertpapierdepots
zu diversifizieren, weg vom Dollar und hin zum Euro, Spitzentechnologien
einzukaufen, die ihnen die USA vorenthielten, und Brückenköpfe für den
Technologietransfer ins Mutterland aufzubauen.

Deutschland begrüßte die Unterstützung des Euro durch die USA und Chi-
na. Als Exportland hätte Deutschland eigentlich aus demselben Grund ei-
nen schwachen Euro bevorzugen können, aus dem die USA einen schwa-
chen Dollar bevorzugen und China einen schwachen Yuan: um durch eine
schwache Währung die Exporte zu fördern und sich so einen Vorteil in den
Währungskriegen zu verschaffen. Deutschland exportierte jedoch nicht nur
in Länder außerhalb der EU, sondern auch an Mitglieder der EU. Bei die-
sen Exporten in den EU-Binnenmarkt spielten Währungsüberlegungen kei-
ne Rolle, da sowohl der Ex- als auch der Importeur, zum Beispiel Deutsch-
land und Spanien, dieselbe Währung hatten, den Euro. Wenn der Euro
zusammenbrach oder Mitglieder die Eurozone verließen und zu ihrer alten,
abgewerteten Währung zurückkehrten, gingen diese Märkte voraussichtlich
­verloren.

167
Teil 2 Währungskriege

Der Eindruck entstand, dass sich Deutschland nur schwer zu einer Un-
terstützung Griechenlands, Irlands und anderer gefährdeter Eurostaaten
durchrang. In Wirklichkeit gab es für Deutschland keine sinnvolle Alterna-
tive. Die Kosten eines Zusammenbruchs des Euro überstiegen die Kosten
gezielter Rettungspakete bei Weitem. Deutschland profitierte sogar von der
europäischen Staatsschuldenkrise. Durch das Fortbestehen des Euro nahm
Deutschland eine beherrschende Stellung innerhalb Europas ein, während
ein geschwächter Euro für einen Zugewinn an Marktanteilen im Rest der
Welt sorgte. Ideal für Deutschland war ein Euro, der schwach genug war, um
Exporte in die USA und nach China zu fördern, aber nicht so schwach, dass
er zusammenbrach. Deutschland erreichte diesen idealen Punkt im Lauf des
Jahres 2010, während der Euro selbst stürmische Zeiten erlebte.

Da es den Eigeninteressen der USA, Chinas und Deutschlands entsprach,


stand das Überleben des Euro zunächst einmal außer Frage. Dass die Ban-
ken vor faulen Anlagen überquollen, dass die Peripheriestaaten eine un­
finanzierbare Fiskalpolitik betrieben und dass die Menschen in Griechen-
land, Irland, Portugal und Spanien Einsparungen hinnehmen mussten, um
die Fließbänder in Seattle und Shanghai am Laufen zu halten, darum konn-
te man sich auch im nächsten Jahr noch kümmern. Der Kern war erst ein-
mal stabil.

Der Kriegsschauplatz in Eurasien

Wenn man die Beziehung zwischen Euro und Dollar am ehesten als Ko-
abhängigkeit beschreiben kann, so besteht zwischen Euro und Yuan eine
einfache Abhängigkeit. China tritt durch seine Bereitschaft, mitten in der
europäischen Staatsschuldenkrise Staatsanleihen bestimmter europäischer
Peripheriestaaten wie Griechenland, Portugal und Spanien zu kaufen, zu-
nehmend als Retter dieser Staaten auf. Doch Chinas Absichten gegenüber
Europa sind von Eigeninteresse und kalter Berechnung bestimmt.

168
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

China hat ein vitales Interesse an einem starken Euro. Die EU ist der wich-
tigste Handelspartner Chinas, noch vor den USA. Sollten die europäischen
Turbulenzen dazu führen, dass Staaten wie Griechenland oder Irland den
Euro verlassen, so würden diese Länder zu ihren vorherigen Währungen zu-
rückkehren, die gegenüber dem Yuan jedoch deutlich abgewertet würden.
Das würde Chinas Exporten nach Europa sehr schaden. China ist an einer
Stützung des Euro mindestens ebenso stark interessiert wie an der stabilen
Dollarbindung des Yuan.

Durch sein Engagement in Europa will China seine Reserveposition im


Eurobereich weiter ausbauen, sich den Respekt und die Freundschaft der
europäischen Länder verdienen, denen es durch direkte Anleihenkäu-
fe hilft, und sich in Verbindung mit diesen Käufen eine Gegenleistung si-
chern. ­Diese Gegenleistung kann unterschiedlich aussehen, beispielsweise
in Form direkter ausländischer Investitionen in wichtige Infrastrukturpro-
jekte wie Häfen und Kraftwerke. Oder durch den Zugang zu europäischen
Schlüsseltechnologien die es China ermöglichen, hoch entwickelte Waffen-
systeme zu erwerben, die sonst nur den NATO-Verbündeten und befreun-
deten Staaten wie Israel vorbehalten sind. Chinas Interesse an einer Stüt-
zung des Euro unterscheidet sich nicht sehr von dem Deutschlands, auch
wenn die beiden Länder scharfe Konkurrenten auf dem globalen Export-
markt sind.

Durch den Ankauf von Staatsanleihen periphererer europäischer Staaten


hilft China Deutschland dabei, die Kosten für die europäischen Rettungs-
versuche zu stemmen. Indem es den Euro stützt, verhindert China die Ver-
luste für Deutschland, die bei einem Zusammenbruch des Euro entstün-
den und die deutschen Banken katastrophale Schäden zufügen würden. Für
China ist dies eine Win-win-Situation, die gleichzeitig Chinas eurasische
Flanke sichert, während es sich in den Kampf mit den USA stürzt. Chinas
Hauptgegner im Währungskrieg sind die USA, und bisher konnte es ein
Aufflammen der Kämpfe an der eurasischen Front vermeiden. Der Grund
dafür sind sowohl die Schwäche Europas als auch die Schläue Chinas.

169
Teil 2 Währungskriege

Die USA unterstützen den Euro ebenfalls und aus demselben Grund wie
China: Ein totaler Zusammenbruch des Euro würde zu einer Abwertung
gegenüber dem Dollar führen und den US-Exporten schaden, die mit eu-
ropäischen Exporten auf den Märkten des Nahen Ostens, Lateinamerikas
und Südasiens konkurrieren. China und die USA sind nicht nur an einem
Überleben des Euro interessiert. Sie wollen, dass er gegenüber dem Dollar
und dem Yuan an Wert gewinnt, um ihre eigene Exportwirtschaft zu stär-
ken. Es liegt im gemeinsamen Interesse Europas, Chinas und der USA, ei-
nen Zusammenbruch des Euro zu vermeiden, trotz ihrer unterschiedlichen
Motive und obwohl sie sich auf anderen Gebieten als Gegner gegenüber-
stehen.

Diese Einmütigkeit wird wahrscheinlich dazu führen, dass der Euro die
gegenwärtige Krise noch einmal mit Ach und Krach übersteht und in ab­
sehbarer Zukunft stabil bleibt, trotz möglicher Neustrukturierungen des
Anleihenmarkts und trotz Sparplänen. Ob dieser Balanceakt Zukunft hat
und ob Chinas Charmeoffensive in Europa von Dauer ist, wird sich erwei-
sen müssen. Falls der Euro doch noch kollabiert, könnte das für China zu
massiven Verlusten durch seine Anleihen, eine Aufwertung des Yuan und
Einbußen im Exportbereich gleichzeitig führen. In verschiedenen Streit-
punkten könnte es zwar doch noch zu einer Konfrontation zwischen Chi-
na und Europa kommen, aber derzeit gibt es für China im Westen nichts
Neues.

Nebenschauplätze

Abgesehen von den drei großen Kriegsschauplätzen im Währungskrieg –


dem pazifischen (Dollar-Yuan), dem atlantischen (Euro-Dollar) und dem
eurasischen (Euro-Yuan) – gibt es zahlreiche weitere Fronten, Nebenschau-
plätze und Scharmützel auf der ganzen Welt. Der bedeutendste Neben-
schauplatz im Währungskrieg ist Brasilien.

170
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

Noch bis 1994 hielt Brasilien an einer Dollarbildung seiner Währung, des
Real, fest.36 Die globalen Auswirkungen der mexikanischen »Tequila-Kri-
se« setzten den Real unter Druck und zwangen Brasilien, seine Währung zu
verteidigen. Das Ergebnis war der Real-Plan, nach dem Brasilien eine Reihe
kontrollierter Abwertungen des Real gegenüber dem Dollar vornahm. Der
Real wurde zwischen 1995 und 1997 um etwa 30 Prozent abgewertet.

Kaum war der Dollarwert des Real auf ein stabiles Niveau gebracht wor-
den, bekam Brasilien die Auswirkungen einer weiteren Krise zu spüren, die
diesmal nicht von Lateinamerika ausging, sondern von Ostasien. Die neue
Finanzkrise brach 1997 aus und griff auf die ganze Welt über, von Thai-
land nach Indonesien, Südkorea und Russland, und kam schließlich in Bra-
silien zum Stillstand, wo der IWF mit Rettungsgeldern einen finanziellen
Schutzwall errichtet hatte, während die Fed panisch den US-Leitzins senk-
te, um die globale Liquidität sicherzustellen. Als das finanzielle Unwetter
abflaute, gab Brasilien nach einer Aufforderung des IWF den Wechselkurs
seiner Währung frei und liberalisierte den Kapitalverkehr. Dennoch erlebte
das Land immer wieder Zahlungsbilanzkrisen und musste 2002 ein weite-
res Mal die Unterstützung des IWF in Anspruch nehmen.

Brasiliens Lage besserte sich durch die Wahl von Luiz Inácio Lula da Sil-
va, bekannt als Lula, zum Präsidenten. Während seiner Amtszeit von 2003
bis 2010 steigerte Brasilien seine Rohstoffexporte erheblich und baute sei-
ne Technologie- und Produktionsstandorte deutlich aus. Der brasilianische
Flugzeugbauer Embraer stieg in die Weltklasse auf und machte Brasilien zum
drittgrößten Produzenten von Flugzeugen weltweit. Der riesige Binnenmarkt
des Landes wurde zum Magneten für internationale Kapitalströme auf der Su-
che nach höheren Renditen, insbesondere als die Gewinne in den USA und
an den europäischen Märkten nach der Finanzkrise von 2008 wegbrachen.

2009 und 2010 erholte sich der Real und stieg von 2,40 auf 1,69 Real pro
Dollar. Diese 40-prozentige Aufwertung des Real gegenüber dem Dollar in
knapp zwei Jahren schadete der brasilianischen Exportwirtschaft enorm.

171
Teil 2 Währungskriege

Brasiliens Handelsbilanz mit den USA schlug im selben Zeitraum von ei-
nem 15-Milliarden-Dollar-Überschuss in ein 6-Millarden-Dollar-Defizit
um. Dieser Zusammenbruch der Handelsbilanz mit den USA veranlasste
den brasilianischen Finanzminister Guido Mantega Ende September 2010
zu der Erklärung, ein weltweiter Währungskrieg habe begonnen.

Da China an der Dollarbindung des Yuan festhielt, bedeutete eine 40-pro-


zentige Aufwertung des Real gegenüber dem Dollar auch eine 40-prozenti-
ge Aufwertung gegenüber dem Yuan. Brasiliens Exporte bekamen das nicht
nur am oberen Ende der Preisskala gegenüber der US-Technologie zu spü-
ren, sondern auch am unteren Ende im Bereich Montage und Textilien ge-
genüber China. Brasilien wehrte sich mit einer Währungsintervention sei-
ner Zentralbank, durch eine Erhöhung der Mindestreserveanforderungen
für lokale Banken, die auf einen Wertverlust des Dollar setzten, und weitere
Kontrollen des Kapitalverkehrs.

Gegen Ende 2010 versprach Lulas Nachfolgerin im Präsidentenamt, Dilma


Rousseff, bei den G20 und dem IWF auf Regelungen zu drängen, durch die
Währungsmanipulatoren identifiziert werden konnten – was wohl sowohl
auf China als auch auf die USA gemünzt war –, um den Aufwärtsdruck auf
den Real zu verringern. Brasiliens Bemühungen, die Aufwertung des Real
zu begrenzen, zeitigten Ende 2010 einige kurzfristige Erfolge, verstärkten
aber ein anderes Problem – die Inflation. Durch die Versuche, den Real ge-
genüber dem Dollar stabil zu halten, während die Fed in riesigen Mengen
Geld druckte, importierte Brasilien jetzt die Inflation aus den USA.

Brasilien steckte nun im selben Dilemma wie China und stand vor der Wahl
zwischen Inflation und Aufwertung. Wenn die USA Dollar drucken und
ein anderes Land seine Währung an den Dollar bindet, muss dieses Land
schließlich eigenes Geld drucken, um den Wechselkurs zu halten, wodurch
dann eine örtliche Inflation entsteht. Als Folge strömte das sogenannte »Hot
Money«, Geld von Investoren, die hohen Renditen rund um die Welt nach-
jagten, aus den USA nach Brasilien. Die Situation verschlechterte sich so

172
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )

sehr, dass Brasilien in einem Untersuchungsbericht von Nomura Global


Economics zum größten Verlierer des Währungskriegs erklärt wurde. Das
war in Bezug auf die Aufwertung des Reals zutreffend. Im April 2011, so
stand in einer Analyse im Wall Street Journal zu lesen, »hisste [Brasilien]
im Währungskrieg die weiße Flagge«. Brasilien schien sich mit dem höheren
Wert des Real abgefunden zu haben, nachdem Währungskontrollen, Steu-
ern auf ausländische Investitionen und andere Maßnahmen die Aufwertung
nicht hatten verhindern können.

Da es nicht über dieselben Reserven und Überschüsse verfügte wie China,


konnte Brasilien die Dollarbindung nicht dadurch halten, dass es einfach
alle ankommenden Dollar aufkaufte. Brasilien hatte nur die Wahl zwischen
Pest, in Form einer Währungsaufwertung, und Cholera, also Inflation. Wie
auch die USA und die Europäer hoffte Brasilien zunehmend auf die Hilfe
der G20 im Währungskrieg, wenn auch aus anderen Gründen.

Der Fall Brasiliens ist wegen der geografischen, demografischen und ökono-
mischen Ausmaße des Landes wichtig, aber es ist bei Weitem nicht das ein-
zige Land, das ins Kreuzfeuer eines Währungskriegs zwischen Dollar, Euro
und Yuan geriet. Zu den anderen Ländern, die Kontrollen des Kapitalver-
kehrs eingeführt haben oder solche Kontrollen in Erwägung ziehen, um den
Zufluss von Hot Money, besonders Dollars, aufzuhalten, zählen Indien, In-
donesien, Südkorea, Malaysia, Singapur, Südafrika, Taiwan und Thailand.
Jedes Mal steht dahinter die Angst, dass durch die Politik des billigen Gel-
des der Fed und die daraus resultierende Dollarflut, die auf der Suche nach
hohen Renditen und höheren Wachstumsraten die Welt überschwemmt, die
eigene Währung überbewertet wird und die Exporte darunter leiden.

Die Kontrollen des Kapitalverkehrs unterschieden sich je nach den Präfe-


renzen der Zentralbanken und Finanzminister, die sie einführten. Indone-
sien und Taiwan schränkten 2010 die Emission kurzfristiger Anleihen ein,
wodurch Hot-Money-Anleger gezwungen waren, längerfristig zu investie-
ren. Südkorea und Thailand führten für ausländische Investoren eine Ab-

173
Teil 2 Währungskriege

schlagsteuer auf die Zinserträge von Staatsanleihen ein, um diese Investiti-


onen unattraktiver zu machen und den Aufwärtsdruck auf ihre Währungen
zu verringern. Ironischerweise hatte die Finanzkrise von 1997 bis 1998 in
Thailand ihren Anfang genommen. Damals hatten Investoren panisch ver-
sucht, ihr Geld aus Thailand herauszuschaffen, und das Land hatte ver-
sucht, seine Währung zu stützen. Im Jahr 2011 versuchten Investoren, ihr
Geld ins Land hineinzubringen, und das Land versuchte, seine Währung
niedrig zu halten. Es könnte kein besseres Beispiel für die Verschiebung
der Finanzkraft von Industrieländern wie den USA in Schwellenländer wie
Thailand in den letzten zehn Jahren geben.

Keiner dieser überwiegend asiatischen Peripheriestaaten, die darum kämpf-


ten, ihre Währung niedrig zu halten, ist Ausgeberland einer allgemein an-
erkannten Reservewährung; keiner davon ist ein wirtschaftliches Schwer-
gewicht wie die USA, China oder die Eurozone, und dadurch hat keiner
von ihnen die Möglichkeit, durch direkte Marktintervention in einen Wäh-
rungskrieg einzugreifen. Auch diese Länder bräuchten ein multilaterales Fo-
rum, in dem Lösungen für die Belastungen durch den Dritten Währungs-
krieg gefunden werden könnten. Der IWF stellte traditionell eine solche
Gesprächsplattform dar, aber die großen Handelsnationen gestehen, unab-
hängig davon, ob sie in den G20 vertreten waren, zunehmend den G20 die
Führungsrolle zu. Sie erwarten von den G20 die Aufstellung neuer Spielre-
geln, um eine Eskalation der Währungskriege und irreparable Schäden für
sich und die Welt zu verhindern.

174
Kapitel 7 –
Die G20-Lösung
»Ich muss ganz einfach sagen: Diesbezüglich mag es einen Widerspruch
zwischen den Interessen der Finanzwelt und den Interessen der Politik
geben. Wir können … unseren Bürgerinnen und Bürgern aber auf Dau-
er nicht erklären, warum der Steuerzahler für bestimmte Risiken eintre-
ten muss und nicht diejenigen, die durch das Eingehen von Risiken viel
Geld verdienen.«37
Bundeskanzlerin Angela Merkel
beim G20-Gipfel in Seoul, 11. November 2010

Die Gruppe der zwanzig, bekannt als G20, ist eine informelle, sehr mäch­
tige Organisation, die mangels einer echten Weltregierung aus der Notwen-
digkeit heraus entstand, Lösungen für globale Probleme zu finden. Der
Name G20 steht für die 20 Mitglieder. Sie setzen sich aus den ehemals sie-
ben größten Industrienationen zusammen, den USA, Kanada, Frankreich,
Deutschland, Großbritannien, Italien und Japan, die sich zur G7 zusam-
mengeschlossen hatten, sowie einigen aufstrebenden Schwellenländern
wie Brasilien, China, Südkorea, Mexiko, Indien und Indonesien. Andere
Länder wurden eher wegen ihrer Rohstoffvorkommen oder aus geopoliti-
schen Gründen aufgenommen und nicht wegen der Dynamik ihrer Volks-
wirtschaften. Beispiele hierfür sind Russland und Saudi-Arabien. Wieder
andere kamen aus Gründen des geografischen Gleichgewichts dazu, dar-
unter Australien, Südafrika, die Türkei und Argentinien. Zusätzlich nahm
man noch die EU auf, die zwar kein Land ist, deren Zentralbank aber eine
der weltweit wichtigsten Reservewährungen ausgibt. Ein paar ökonomische
Schwergewichte wie Spanien, die Niederlande und Norwegen, wurden offi-
ziell außen vor gelassen, werden aber manchmal wegen ihrer ökonomischen
Bedeutung trotzdem zur Teilnahme an den G20-Treffen eingeladen. Daher
wäre »G20 und Freunde« wohl die treffendere Bezeichnung.

175
Teil 2 Währungskriege

Die G20 arbeiten auf mehreren Ebenen. Die Finanzminister und Noten-
bankchefs treffen sich mehrmals pro Jahr, um Fachfragen zu diskutieren
und sich auf spezifische Ziele und deren Umsetzung zu einigen. Von zen-
traler Bedeutung sind jedoch die in größeren Abständen stattfindenden
Gipfeltreffen, bei denen Präsidenten, Premierminister und Könige globa-
le Finanzfragen besprechen. Bei diesen Gesprächen geht es überwiegend
um die Struktur des internationalen Währungssystems und die Notwendig-
keit, Währungskriege einzudämmen. Bei diesen Gipfeltreffen, sowohl den
formellen Sitzungen als auch den informellen Gesprächen am Rande, wer-
den die eigentlichen Vereinbarungen getroffen, die das globale Finanzsys-
tem prägen. Unter die Präsidenten und Premierminister mischt sich bei
diesen Treffen eine einzigartige Spezies internationaler Bürokraten, die als
»Sherpas« bekannt sind. Sherpas sind Experten der internationalen Finanz-
wirtschaft, die die Staats- und Regierungschefs bei der Terminplanung, Re-
cherche und dem Abfassen der unverständlichen Kommuniqués nach je-
der Besprechung unterstützen. Alles deutet darauf hin, dass für eine Lösung
der bevorstehenden Währungskriege die G20 die am besten geeignete Platt-
form darstellen.

Die G20 sind eine gute Möglichkeit zur Einbeziehung der Chinesen. Chi-
na verweigert sich bei bilateralen Gesprächen oft Kompromissen, betrachtet
eine Aufforderung zu Zugeständnissen als Schikane und eine Zustimmung
als Gesichtsverlust. Bei G20-Treffen ist das weniger ein Problem, da dort
mehrere Agenden gleichzeitig umgesetzt werden. Kleinere Teilnehmerstaa-
ten, die selbst nicht die Finanzkraft haben, um die Märkte zu beeinflussen,
haben durch die G20 die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Die USA
haben Verbündete im Saal sitzen und vermeiden dadurch den Vorwurf, im
Alleingang zu handeln. Offensichtlich profitieren alle Parteien von den G20.

US-Präsident George W. Bush und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy


waren maßgeblich für den Umbau der G20-Treffen von einem reinen Tref-
fen der Finanzminister, das sie seit ihrer Einführung 1999 gewesen waren,
zu einem Treffen der Staats- und Regierungschefs, das sie seit 2008 sind,

176
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

verantwortlich. Direkt nach den Zusammenbrüchen von Lehman Brothers


und AIG im September 2008 richteten sich die Erwartungen auf ein lang-
fristig geplantes G20-Treffen der Finanzminister im November. Die Finanz-
krise von 2008 war eine der größten Finanzkatastrophen der Geschichte,
und die Bedeutung Chinas als einer der größten Investoren der Welt und
potenzielle Quelle von Rettungsgeldern war nicht zu leugnen. Damals wa-
ren noch die G7 die wichtigste Plattform für wirtschaftliche Zusammenar-
beit, aber China war nicht Teil der G7. Letztendlich spielten Sarkozy und
Bush die Szene aus »Der weiße Hai« nach, in der Roy Scheider, nachdem er
den Hai zum ersten Mal gesehen hatte, zu Robert Shaw sagt: »Wir werden
ein größeres Boot brauchen.« In politischer und finanzieller Hinsicht sind
die G20 ein sehr viel größeres Boot als die G7.

Im November 2008 berief US-Präsident Bush den Weltfinanzgipfel ein, an


dem jeder Präsident, Premierminister, Kanzler oder König der Mitglieds-
länder teilnahm. In kürzester Zeit entwickelten sich die G20-Treffen von ei-
ner Fachsitzung der Finanzminister zu einer Versammlung der mächtigsten
Staats- und Regierungschefs der Welt. Im Gegensatz zu verschiedenen re-
gionalen Gipfeltreffen war jeder Teil der Erde dabei vertreten, und im Ge-
gensatz zur UN-Generalversammlung befanden sie sich alle zur selben Zeit
im selben Raum.

Wegen der Dringlichkeit der Finanzkrise und der ehrgeizigen Agenda, die
beim G20-Gipfel im November 2008 vorgelegt wurde, gab es in den Jahren
2009 und 2010 vier weitere Gipfeltreffen. Für 2011 beschlossen die Füh-
rer der G20 ein einziges Treffen im November im französischen Cannes.
Mit dieser Reihe von Gipfeltreffen kam die Welt einem globalen Aufsichts-
rat so nah wie nie zuvor, und dieser schien zu einer dauerhaften Einrichtung
zu werden.

Die G20 passen perfekt zum Modus Operandi von US-Finanzminister


Timothy Geithner, den er als »Versammlungsmacht« bezeichnet, also die
Macht, alle maßgeblichen Leute an einem Tisch zusammenzubringen.

177
Teil 2 Währungskriege

­ avid Rothkopf brachte dieses Konzept in einem äußerst aufschlussreichen


D
Interview ans Licht, das er mit Geithner für sein Buch Die Super-Klasse über
die Gepflogenheiten der globalen Machtelite geführt hatte.38 Als Chef der
New Yorker Notenbank erzählte Geithner Rothkopf:

Unabhängig von unserer formellen Autorität als Institution haben wir die
Versammlungsmacht, Leute an einen Tisch zu holen … Ich glaube, die
Grundvoraussetzung ist die vorbehaltlose Zusammenarbeit. Das muss
gar nicht allumfassend sein, man braucht … nur eine kritische Masse der
Hauptakteure. Es ist eine recht überschaubare Welt. Wenn man sich auf
die 10, 20 großen Institutionen konzentriert, die über eine gewisse globale
Reichweite verfügen, kann man eine Menge erreichen.39

Geithners Versammlungsmacht sieht vor, dass sich bei einer Krise die
Hauptakteure kurzfristig versammeln können, um das Problem zu bespre-
chen. Sie geben die Richtung vor, verteilen Aufgaben, teilen Mitarbeiter ein
und treffen sich nach angemessener Zeit, die je nach Dringlichkeit einen Tag
oder einen Monat lang sein kann, erneut. Nach einem Zwischenbericht wer-
den neue Ziele festgelegt ohne das übliche Beiwerk eingefahrener Bürokra-
tien oder rigider Staatsführung.

Geithner lernte diesen Prozess am Tiefpunkt der asiatischen Finanzkri-


se 1997 kennen. Er war 1998 Zeuge eines weiteren erfolgreichen Einsat-
zes bei der Rettung des Hedgefonds Long-Term Capital Management (LT-
CM). In dieser Krise setzten sich die Chefs der »14 Familien«, die damals
wichtigsten Banken, gemeinsam an einen Tisch, wofür es allenfalls in der Fi-
nanzpanik von 1907 ein Vorbild gab, stellten innerhalb von 72 Stunden ein
Rettungspaket von 3,6 Milliarden Dollar in bar auf die Beine und bewahr-
ten die Kapitalmärkte so vor dem Zusammenbruch. 2008 griff Geithner als
Präsident der New Yorker Fed selbst auf den Einsatz der Versammlungs-
macht zurück, als die Regierung mit Ad-hoc-Lösungen die Pleiten von Bear
Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac abfing. Als die Finanzkrise im Sep-
tember 2008 richtig zuschlug, waren die Hauptakteure in der Ausübung der
Versammlungsmacht bereits gut geübt. Das erste G20-Gipfeltreffen im No-

178
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

vember 2008 könnte man als nächste Stufe von Geithners Versammlungs-
macht bezeichnen.

Unter den G20 warben die USA für ihren Plan eines großen globalen
Tauschhandels, den Geithner als »Neustrukturierung« anpries. Um zu ver-
stehen, was es mit dieser Neustrukturierung auf sich hatte und warum sie so
wichtig für das Wirtschaftswachstum in den USA war, muss man sich nur
die Komponenten in Erinnerung rufen, aus denen das Bruttoinlandspro-
dukt besteht. Das BIP der USA erreichte Anfang 2011 rund 14,9 Billionen
Dollar, die sich folgendermaßen zusammensetzten: 71 Prozent Konsum,
12 Prozent Investitionen, 20 Prozent Staatsausgaben und minus 3 Prozent
Netto­exporte. Der Wert lag nur knapp über dem, den die US-Wirtschaft vor
der Rezession von 2007 erreicht hatte. Die Wirtschaft wuchs nicht einmal
annähernd schnell genug, um die Rekordzahl an Arbeitslosen von Anfang
2009 merklich zu reduzieren.

Traditionell war das Heilmittel für eine schwache US-Konjunktur im-


mer schon der Verbraucher gewesen. Staatsausgaben und gewerbliche In-
vestitionen spielten durchaus eine Rolle, aber der amerikanische Konsu-
ment war mit 70 Prozent Anteil am BIP schon immer entscheidend für eine
­wirtschaftliche Erholung. Eine Kombination aus niedrigen Zinsen, güns-
tigen Hypotheken, Vermögenseffekten durch steigende Aktienkurse und
Kreditkarten hatte bisher immer ausgereicht, um die Konsumenten die
Spen­dierhosen anziehen zu lassen und die Wirtschaft wieder in Gang zu
­bringen.

Doch diesmal versagten die Tricks aus dem Wirtschaftslehrbuch. Die Ver-
braucher waren überschuldet und die Kreditrahmen ausgereizt. Von Ver-
mögensbildung durch Eigenheime konnte keine Rede mehr sein. Bei vie-
len Amerikanern überstiegen die Hypotheken den Wert ihrer Häuser. Der
Verbraucher war überbeansprucht durch die hohe Arbeitslosigkeit, priva-
te Alters­vorsorge und hohe Ausbildungskosten der Kinder. Und das würde
sich in den nächsten Jahren kaum ändern.

179
Teil 2 Währungskriege

Theoretisch konnte der Bereich der gewerblichen Investitionen selbst-


ständig wachsen, aber es war nur begrenzt sinnvoll, in Produktionsstätten
und -einrichtungen zu investieren, wenn es für die angebotenen Produk-
te und Dienstleistungen keine Abnehmer gab. Außerdem zogen es vie-
le Unter­nehmen wegen der hohen Körperschaftssteuern in den USA vor,
ihre Er­träge im Ausland zu erwirtschaften, sodass viele Neuinvestitionen
außerhalb der USA getätigt wurden und nicht zum BIP der USA beitru-
gen. Die Investitionen blieben auf niedrigem Niveau, und daran würde sich
auch nichts ändern, solange die Verbraucher ihre Winterstarre nicht über­
wanden.

Weil der Verbraucher außer Gefecht gesetzt war und die Investitionen
schwächelten, versuchten die Keynesianer in den Regierungen von Bush
und Obama nun, die Wirtschaft durch Staatsausgaben anzukurbeln. Aber
nachdem durch vier Konjunkturprogramme zwischen 2008 und 2010 un-
ter dem Strich keine neuen Jobs entstanden waren, zeichnete sich eine Ab-
lehnung weiterer Ausgaben ab. Unterstützt wurde diese Ablehnung durch
die Tea-Party-Bewegung, Drohungen von Ratingagenturen, die Kreditwür-
digkeit der USA herabzustufen, und den Siegeszug der Republikaner bei
den Zwischenwahlen von 2010. Offensichtlich wollten die Amerikaner die
Staatsausgaben gedeckelt sehen. Es blieb abzuwarten, wie viele Ausgaben-
kürzungen umgesetzt werden konnten, aber eine Erhöhung der Staatsausga-
ben war eindeutig vom Tisch.

Konsum, Investitionen und Staatsausgaben schieden als Optionen also aus,


und nach dem Ausschlussverfahren gab es für die Obama-Regierung nur
noch eine Möglichkeit, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen: mithil-
fe der Nettoexporte. In seiner Ansprache zur Lage der Nation am 27. Janu-
ar 2010 verkündete US-Präsident Obama eine »Nationale Exportinitiative«,
durch die sich die US-Exporte innerhalb von fünf Jahren verdoppeln soll-
ten. Gelang dies, so hätte es tiefgreifende Auswirkungen. Eine Verdopplung
der Exporte konnte einen Zuwachs zum BIP von 1,3 Prozent bedeuten. Da-
durch würde sich das Wirtschaftswachstum von verhaltenen 2,6 Prozent auf

180
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

stabile 3,9 Prozent erhöhen, möglicherweise genug, um die Senkung der Ar-
beitslosenzahlen voranzutreiben. Eine Verdopplung der Exporte war sehr
erstrebenswert, aber war sie auch möglich? Falls ja, welche Auswirkungen
hätte das auf die Handelspartner der USA und das empfindliche wirtschaft-
liche Gleichgewicht der Welt?

Die US-Wirtschaftspolitik stürzte sich hier kopfüber in den Währungskrieg.


Der übliche und schnellste Weg, um die Exporte zu steigern, war eine Ab-
wertung der Währung, wie sie Montagu Norman 1931 in England und Ri-
chard Nixon 1971 in den USA vorgenommen hatte. Amerika und die Welt
waren diesen Weg schon einmal gegangen, mit katastrophalen Auswirkun-
gen weltweit. Wieder einmal hatte man sich für die Taktik des billigen Dol-
lars entschieden, und wieder einmal war die Welt Zeuge, wie sich eine Ka-
tastrophe anbahnte.

Die Zusammensetzung von Chinas BIP war in gewisser Hinsicht das Spie-
gelbild der USA. Statt der alles beherrschenden 70 Prozent in den USA hat-
te der Konsum nur einen Anteil von 38 Prozent an der chinesischen Wirt-
schaft. Bei den Nettoexporten war es umgekehrt: Wo die US-Wirtschaft
negative 3 Prozent mit sich herumschleppte, trugen die Exporte in China
sogar noch 3,6 Prozent zur Gesamtsumme bei. Chinas Wachstum stammte
zum Großteil aus Investitionen, die 48 Prozent des BIP ausmachten, im Ver-
gleich zu 12 Prozent in den USA. Angesichts dieser spiegelbildlichen Wirt-
schaftsdaten schien eine simple Umverteilung angebracht. Wenn China den
Binnenkonsum steigerte, indem es beispielsweise Waren und Dienstleistun-
gen aus den USA wie Software, Videospiele und Hollywoodfilme einkauf-
te, wäre ein Wachstum in beiden Ländern die Folge. Es musste sich nur
das jeweilige Verhältnis von Konsum und Export ändern. China musste den
Konsum hoch- und die Nettoexporte herunterfahren, während die USA das
Umgekehrte taten. Durch die zusätzlichen Exporterlöse in China entstün-
den in den USA neue Jobs. Über Wechselkurse allein war das nicht zu errei-
chen. Aber Geithner betonte wiederholt, dass eine Aufwertung des Yuan ein
wichtiger Teil dieses Ansatzes sei.

181
Teil 2 Währungskriege

Ein Grund für den niedrigen Konsum der Chinesen war die Schwäche ihres
sozialen Netzes, das den Einzelnen zu extremen Sparmaßnahmen für die ei-
gene Alters- und Gesundheitsversorgung zwang. Auch die jahrtausendeal-
te konfuzianische Kultur, nach der eine prahlerische Zurschaustellung von
Wohlstand unangebracht ist, dämpfte den chinesischen Konsum. Doch die
politischen Entscheidungsträger in den USA wollten keine Kulturrevoluti-
on zugunsten einer höheren Konsumfreude anzetteln, sie würden sich mit
etwas Bescheidenerem zufriedengeben. Schon wenige Prozentpunkte mehr
Konsum in China zugunsten von US-Exporten konnten in den USA eine
selbsttragende wirtschaftliche Erholung anstoßen.

Dies sollte eine Neujustierung ganz eigener Art werden, denn die Erhö-
hung von chinesischem Konsum und US-Nettoexporten gingen vollstän-
dig zu Lasten Chinas. China musste alle Anpassungen vornehmen in Bezug
auf Währung, soziales Netz und 25 Jahrhunderte konfuzianischer Kultur,
während die USA nichts tun mussten, außer die Vorteile erhöhter Netto­
exporte an einen schnell wachsenden chinesischen Binnenmarkt einzu­
streichen. Für die USA war dies eine äußerst bequeme Lösung. Von ih-
rer Seite w
­ aren keine konkreten Maßnahmen nötig, weder eine Senkung
der Körperschaftssteuer und Deregulierung, um das Wirtschaftsklima zu
verbessern, noch mussten sie für Währungsstabilität sorgen oder Sparmaß-
nahmen und Investitionen durchsetzen. Ein solches Vorgehen brachte auch
Vorteile für China, aber insgesamt mussten die Chinesen den Eindruck be-
kommen, man dränge sie zu Maßnahmen, die vor allem den USA nutzten.
Im Sprachgebrauch der G20 bedeutete »Neujustierung« zu tun, was die
USA wollten.

Den internationalen Finanzexperten war schon vor der Rede zur Lage der
Nation im Januar 2010 klar, worauf der US-Vorschlag zur Neujustierung
hinauslief. Die Vorstellung erhöhter US-Exporte und einer damit verbun-
denen Aufwertung des Yuan war bereits beim G20-Gipfel in Pittsburgh im
September 2009 ins Gespräch gebracht worden. Die ersten beiden G20-
Gipfel, in Washington und London, hatten sich mit der unmittelbaren Re-

182
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

aktion auf die Finanzkrise von 2008 beschäftigt und der Aufforderung an
den IWF, neue Möglichkeiten für die Sicherstellung der Liquidität aufzu-
zeigen. Diese ersten G20-Gipfel beschäftigten sich auch mit der Frage, wie
man die Banken und ihre auf Geldgier basierenden Vergütungsstrukturen
in die Schranken weisen konnte, die für kurzfristige Gewinne absurde Pro-
visionen vorsahen und gleichzeitig auf lange Sicht Billionen Dollar welt-
weit vernichteten. Beim G20-Gipfel in Pittsburgh Ende 2009 befanden die
Staats- und Regierungschefs, es gebe zwar noch letzte Schwachstellen, doch
die Lage sei stabil genug, um an die Zeit nach der aktuellen Krise denken
und nach Wegen suchen zu können, wie die Weltwirtschaft wieder in Gang
gebracht werden konnte. Pittsburgh war der letzte G20-Gipfel vor Obamas
Rede zur Lage der Nation 2010. Wenn die USA Unterstützung bei der Um-
setzung ihres Plans zur Neujustierung wollten, dann mussten sie sich jetzt
darum bemühen.

Am Ende des G20-Gipfels in Pittsburgh stand ein erstes Konzept für eine
Neujustierung des Wirtschaftswachstums in Geithners Sinn. Der Plan wur-
de in die Erklärung der Staats- und Regierungschefs als »Rahmen für robus-
tes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum« aufgenommen.40 Wie ge-
nau diese Neujustierung erreicht werden sollte, wurde nicht ganz klar. Wie
alle Fachberichte großer multilateraler Institutionen wurde auch diese Er-
klärung in der Sprache der politischen Weltelite verfasst, die sich vor allem
durch Unverständlichkeit für alle anderen auszeichnet. In Abschnitt 20 des
Rahmens versteckt findet man folgende Passage:

Unsere gemeinsame Reaktion auf die Krise hat … die Notwendigkeit eines
besser legitimierten und effektiveren IWF unterstrichen. Der Fonds muss
eine entscheidende Rolle bei der Förderung der weltweiten Finanzmarkt-
stabilität und der Neujustierung des Wachstums spielen.41

Den Teilnehmern war klar, dass Neujustierung eine Steigerung des Kon-
sums durch China und eine Steigerung der Exporte durch die USA bedeu-
tete. Der IWF wurde jetzt dazu abgestellt, den Streifenpolizisten zu geben

183
Teil 2 Währungskriege

und aufzupassen, dass die G20-Mitglieder ihren Verpflichtungen in diesem


Zusammenhang auch nachkamen. Damit wurde in Pittsburgh der Weg für
Obamas Nationale Export-Initiative bereitet, die er zwei Monate später ver-
kündete.

Die Nutzung des IWF durch die G20 als externes Sekretariat, Forschungs-
abteilung, Statistikbehörde und politisches Schiedsgericht hatte für bei-
de Organisationen große Vorteile. Die G20 bekamen so Zugang zu einem
enormen Fachwissen, ohne selbst einen Mitarbeiterstab aus Experten auf-
bauen und erhalten zu müssen. Für den IWF bedeutete die Zusammenar-
beit eine Gnadenfrist. Noch 2006 hatten viele Finanzexperten weltweit die
Existenzberechtigung des IWF infrage gestellt. In den 1950er- und 1960er-
Jahren hatte der IWF Länder bei kurzfristigen Zahlungs­schwierigkeiten
mit Brückenkrediten versorgt, damit sie ihre Währungsbindung zum Dol-
lar halten konnten. In den 1980er und 1990er-Jahren hatte der IWF Ent­
wicklungsländer in Währungskrisen unterstützt, indem er unter Spar­
auf­lagen, die ausländische Banken und Investoren schützen sollten, eine
Finanzierung bereitstellte. Nach der Abkehr vom Gold hin zu frei schwan-
kenden Wechselkursen und der Anhäufung riesiger Überschüsse in Ent-
wicklungsländern stand der IWF zu Beginn des 21. Jahrhunderts ohne er-
kennbare Aufgabe da. Mit einem Schlag erweckten die G20 den IWF zu
neuem Leben, indem sie ihn als Bank der G20 und Vorläufer einer Welt-
zentralbank in Stellung brachten. Der damalige ehrgeizige IWF-Chef,
­Dominique Strauss-Kahn, war mit diesem Arrangement sehr glücklich und
stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit als Schiedsrichter für alle Richt­
linien der G20.

Trotz dieser vielversprechenden ersten Schritte hin zu einer globalen Neu-


strukturierung und trotz des persönlichen Engagements von US-Präsident
Obama gab es bei den beiden folgenden G20-Gipfeln im Jahr 2010 im Zu-
sammenhang mit den Zielen keine nennenswerten Fortschritte, was ver-
pflichtende Erklärungen der Mitgliedsländer betraf. Der IWF überprüfte
die Praktiken der einzelnen Länder im Rahmen einer »gegenseitigen Bewer-

184
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

tung«, in den Kommuniqués der G20 wurde weiter an der Rahmenverein-


barung festgehalten, aber die ehrgeizigen Zielsetzungen der Neujustierung
wurden weitgehend ignoriert, vor allem von China.

Geithner kritisierte die Chinesen offen für ihre Weigerung, eine weite-
re Aufwertung des Yuan zuzulassen. Auf die Frage des Wall Street Jour-
nal im September 2010, ob die Chinesen genug getan hätten, antworte-
te er: »Selbstverständlich nicht … sie haben sehr, sehr wenig getan.« Die
US-Exporte erholten sich 2010, aber hauptsächlich wegen relativ hoher
Wachstumsraten in den Schwellenländern und einer höheren Nachfrage
nach Hightech-Produkten aus den USA, nicht so sehr aufgrund der Wech-
selkurse. Die Chinesen ließen zu, dass der Yuan leicht an Wert gewann,
hauptsächlich um dem Vorwurf des US-Finanzministeriums zu entgehen,
sie manipulierten ihre Währung, was zu einer Verhängung von Handels-
sanktionen durch das US-Repräsentantenhaus führen konnte. Aber kei-
ne dieser Entwicklungen entsprach Geithners Forderungen auch nur an-
nähernd. Auch ein bilaterales Gipfeltreffen im Januar 2011 von Präsident
Hu und Präsident Obama, den sogenannten G2, führte nur zu gegenseiti-
gen Freundschaftsbekundungen und Fotos zweier lächelnder Präsidenten.
Es sah aus, als müssten die USA auf eigene Faust aktiv werden, wenn sie ei-
nen billigeren Dollar haben wollten. Die Erwartungen der Welt an die G20
­waren bisher enttäuscht worden.

Im Juni 2011 jedoch traten die USA als Sieger aus dem Währungskrieg her-
vor. Wie in vielen Kriegen hatte auch hier eine Geheimwaffe den Ausschlag
für den Sieg gegeben. Diese Finanzwaffe trug den sperrigen Namen »quan-
titative Lockerung« (»quantitative easing«, QE) und stand im Wesentlichen
für eine Erhöhung der Geldmenge, um eine Preisinflation herbeizuführen.
Wie schon 1971 ergriffen die USA einseitig Maßnahmen, um den Dollar
durch Inflation zu schwächen. QE schlug als geldpolitische Bombe in die
Weltwirtschaft des Jahres 2009 ein, und ihr Nachfolger, als QE2 bezeichnet,
wurde Ende 2010 abgeworfen. Die Auswirkungen auf das globale Finanz-
system waren unmittelbar und durchschlagend. Durch die quantitative Lo-

185
Teil 2 Währungskriege

ckerung generierten die USA eine Inflation im Ausland und erhöhten so die
Kosten nahezu jedes großen Exportlandes und jedes schnell wachsenden
Schwellenlandes der Welt auf einmal.

Quantitative Lockerung in ihrer einfachsten Form bedeutet nichts anderes,


als Geld zu drucken. Um aus dem Nichts Geld zu schöpfen, kauft die Fed
Staatsanleihen von einigen ausgewählten Banken, den sogenannten Primär-
händlern. Zum weltweiten Kundenstamm der Primärhändler zählen staatli-
che Investmentfonds, andere Notenbanken, Pensionskassen und institutio-
nelle Anleger sowie vermögende Privatpersonen. Die Händler fungieren als
Vermittler zwischen der Fed und dem Finanzmarkt, indem sie Auktionen
neu emittierter Staatsanleihen durchführen und mit vorhandenen ­Anleihen
handeln.

Will die Fed die Geldmenge reduzieren, verkauft sie den Primärhändlern
Staatsanleihen. Die Händler erhalten die Anleihen, und das Geld, das die
Fed dafür bekommt, verschwindet einfach. Wenn die Fed jedoch die Geld-
menge erhöhen will, kaufen sie Staatsanleihen von den Händlern. Die Fed
erhält die Anleihen und bezahlt die Händler mit frisch gedrucktem Geld.
Das Geld landet auf den Konten der Händler und kann dann für weitere
Geldschöpfung durch das Bankensystem eingesetzt werden. Dieser Han-
del mit Staatsanleihen zwischen Fed und Primärhändlern macht den Lö-
wenanteil der Offenmarktgeschäfte aus. Üblicherweise werden Offenmarkt-
geschäfte für die Kontrolle kurzfristiger Zinssätze eingesetzt. Die Fed kauft
oder verkauft dazu in der Regel Staatsanleihen mit sehr kurzen Laufzeiten,
meist nur 30 Tage. Aber was geschieht, wenn die Zinssätze bei den ganz
kurzen Laufzeiten bereits bei null liegen und die Fed ihre Geldmarktpolitik
noch weiter lockern will? In diesem Fall kann die Fed anstelle von Anlei-
hen mit sehr kurzen Laufzeiten Staatsanleihen mit mittleren Laufzeiten von
fünf, sieben oder zehn Jahren aufkaufen. Besonders zehnjährige Staatsanlei-
hen stellen einen Referenzwert für die Zinsfestlegung bei Hypotheken und
Firmenkrediten dar. Der Einkauf mittelfristiger Anleihen durch die Fed hät-
te niedrigere Zinssätze für Käufer von Eigenheimen und bei der Kreditver-

186
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

gabe an Firmen zur Folge, was wiederum der Konjunktur zugutekommen


würde. Zumindest der gängigen Theorie zufolge.

In einer globalisierten Welt jedoch sorgen die Wechselkurse dafür, dass sich
die Folgen veränderter Zinssätze so schnell fortpflanzen wie Schall in Was-
ser. Durch quantitative Lockerung konnte die Fed die finanzielle Lage in
den USA verbessern, aber auch die in China. Sie war die perfekte Waffe
für einen Währungskrieg, und die Fed wusste es. Die quantitative Locke-
rung funktionierte, weil die Chinesische Volksbank an der Dollarbindung
des Yuan festhielt. Ein Großteil des Geldes, das die Fed im Rahmen ihres
QE-Programms druckte, landete in China, entweder durch Handelsüber-
schüsse oder in Form von Hot Money auf der Suche nach höheren Profiten
als den in den USA möglichen. In China angekommen, wurden die Dollar
von der Zentralbank im Austausch gegen frisch gedruckte Yuan einkassiert.
Je mehr Geld die Fed druckte, umso mehr Geld musste China drucken, um
den Währungskurs zu halten. China hatte den Yuan an den Dollar gebunden
in der fälschlichen Annahme und der vergeblichen Hoffnung, dass die Fed
ihr Vorrecht des Gelddrucks nicht missbräuchlich einsetzen würde. Jetzt
druckte die Fed, was die Maschinen hergaben.

Aber es gab einen entscheidenden Unterschied zwischen den USA und


China. Die USA steckten gerade in einer Konjunkturflaute, sodass die Ge-
fahr einer Inflation in absehbarer Zeit gering war. Chinas Wirtschaft befand
sich im Aufschwung und hatte sich von der Finanzkrise 2008 wieder gut er-
holt. Daher gab es in China weniger überschüssige Kapazitäten, die das zu-
sätzliche Geld ohne inflationären Effekt aufnehmen konnten. Das zusätzlich
gedruckte Geld führte in China schnell zu Preissteigerungen. China impor-
tierte nun die Inflation über die Währungsbindung aus den USA genauso,
wie es zuvor seine Deflation in die USA exportiert hatte.

Der Yuan gewann Ende 2010 und Anfang 2011 nur langsam an Wert, wäh-
rend die Jahresinflation in China bald 5 Prozent überstieg. China hatte sich
geweigert, den Yuan aufzuwerten, und bekam dafür Inflation. Die USA wa-

187
Teil 2 Währungskriege

ren auf jeden Fall zufrieden, denn sowohl eine Währungsaufwertung als
auch eine Inflation erhöhten die Kosten für chinesische Exporte und er-
höhten die Wettbewerbsfähigkeit der USA. Zwischen Juni 2010 und Janu-
ar 2011 hatte der Yuan aufs Jahr umgerechnet 4 Prozent zugelegt, und die
Jahresrate der Inflation in China lag bei 5 Prozent, sodass die relativen Kos-
ten für die Chinesen um insgesamt 9 Prozent gestiegen waren. Auf mehrere
Jahre hochgerechnet bedeutete dies, dass der Dollar bei den Exportpreisen
relativ zum Yuan mehr als 20 Prozent an Wert verlieren würde. Genau das
hatten Senator Chuck Schumer und andere Kritiker in den USA gefordert.
China hatte nur noch die Wahl zwischen gleich schlechten Alternativen.
Wenn es an der Währungsbindung festhielt, würde die Fed einfach weiter
Geld drucken, und die Inflation in China geriete außer Kontrolle. Wenn
China aufwertete, konnte es die Inflation vielleicht kontrollieren, aber die
relativen Kosten im Vergleich zu anderen Währungen würden steigen. So
oder so hatten die Fed und die USA gewonnen.

Auch wenn eine Währungsaufwertung und Inflation aus wirtschaftli-


cher Sicht dieselbe preissteigernde Wirkung hatten, gab es doch ei-
nen wichtigen Unterschied zwischen ihnen: Eine Währungsaufwertung
konnte bis zu einem gewissen Grad kontrolliert werden, denn die Chi-
nesen konnten b­estimmen, wann sie den Wechselkurs jeweils anpass-
ten, auch wenn die Fed die generelle Richtung vorgab. Inflation hingegen
war im Wesentlichen nicht k­ ontrollierbar. Sie konnte erst in einem Wa-
renbereich wie Lebens­mittel oder Energie auftreten und sich dann über
die Wertschöpfungs­kette rasant und unvorhersehbar ausbreiten. Inflation
konnte das Verhalten der Menschen enorm beeinflussen und sich so selbst
immer weiter ver­stärken, wenn zum Beispiel Groß- und Einzelhändler in
Erwartung von Preiserhöhungen der anderen ihre Preise selbst vorsorglich
hochsetzten.

Inflation war einer der Katalysatoren für die Proteste am Tiananmen-Platz


1989 gewesen, die in einem Massaker endeten. Konservative Chinesen hat-
ten sich auf einen festen Wechselkurs ihrer eigenen Währung gegenüber

188
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

dem Dollar und damit auf den stabilen Wert ihrer riesigen Bestände an
US-Staatsanleihen verlassen, wie es auch in Europa zu Zeiten des Bretton-
Woods-Systems der Fall gewesen war. Ihr Vertrauen war enttäuscht wor-
den – die Fed zwang sie zum Handeln. Angesichts der möglichen Alterna-
tiven – unkontrollierte Inflation mit unvorhersehbaren Konsequenzen oder
kontrollierte Aufwertung des Yuan – entschied China sich für eine gleich-
mäßige Aufwertung, die im Juni 2010 begann und sich bis Mitte 2011 dras-
tisch verstärkt hatte.

Die USA hatten die erste Runde im Währungskrieg für sich entschieden.
Wenn es um einen Schwergewichtsboxkampf zwischen den USA und Chi-
na gegangen wäre, dann wäre es die erste Runde in einem Kampf gewesen,
der aussah, als könne er gut über 15 Runden gehen. Beide Boxer waren
noch auf den Beinen. Die USA hatten die Runde nach Punkten gewonnen,
nicht durch K.O. Die Fed stand als Ringarzt in der Ecke der USA bereit, um
alle Verletzungen zu versorgen. Auch China hatte Unterstützung in seiner
Ecke – die anderen Opfer der QE weltweit. Die zweite Runde konnte jeden
Moment eingeläutet werden.

Wenn die Hauptgegner eines Krieges ihre Waffen gegeneinander einsetzen,


gibt es schnell Kollateralschäden bei Unbeteiligten. Das ist bei einem Wäh-
rungskrieg nicht anders. Die Inflation, die die USA in ihrer Verzweiflung
ausgelöst hatten, erreichte nicht nur China, sondern alle Schwellenländer.
Durch eine Kombination von Handelsüberschüssen und einströmendem
Hot Money auf der Suche nach höheren Renditen trat die von den USA
per Gelddruckmaschine ausgelöste Inflation bald in Südkorea, Brasilien,
­Indonesien, Thailand, Vietnam und anderen Ländern auf. Fed-Chef Bern-
anke machte kurzerhand die Opfer selbst dafür verantwortlich, weil sie sich
geweigert hatten, ihre Währungen gegenüber dem Dollar aufzuwerten, so
ihre Überschüsse abzubauen und den Zufluss von Hot Money zu verlang­
samen. In der einschläfernden Ausdrucksweise der Notenbanker verkün-
dete ­Bernanke:

189
Teil 2 Währungskriege

Den politischen Entscheidungsträgern in den Schwellenländern steht


eine Palette schlagkräftiger Werkzeuge zur Verfügung, durch die sie ih-
re Wirtschaft lenken und eine Überhitzung verhindern können, wie zum
Beispiel eine Anpassung der Wechselkurse … [D]ie wieder aufleben-
de Nachfrage in den Schwellenländern [hat] entschieden zu der aktuel-
len sprunghaften Preissteigerung im globalen Warenhandel beigetragen.
Überhaupt hat das Festhalten einiger Länder an unterbewerteten Währun-
gen zu einer globalen Ausgabenstruktur beigetragen, die unausgeglichen
und nicht haltbar ist.42

Völlig unberücksichtigt bleibt dabei die Tatsache, dass die Preise für vie-
le Waren, die von Einwohnern dieser Länder nachgefragt werden, wie Wei-
zen, Mais, Öl, Sojabohnen, Bauholz, Kaffee und Zucker auf dem Weltmarkt
festgelegt werden, nicht vor Ort. Als Verbraucher in einzelnen Märkten die
Preise in Reaktion auf den Gelddruck der Fed in die Höhe trieben, stiegen
die Preise nicht nur auf diesen lokalen Märkten, sondern auch weltweit.

Die Auswirkungen des Gelddruckens durch die Fed waren nicht nur in den
relativ erfolgreichen Schwellenländern Ostasiens und Lateinamerikas spür-
bar, sondern auch in den ärmeren Teilen Afrikas und des Nahen Ostens.
Für einen Fabrikarbeiter mit 12 000 Dollar im Jahr sind Preiserhöhungen
für Lebensmittel unangenehm. Für einen Bauern mit 3 000 Dollar im Jahr
können teurere Lebensmittel den Unterschied zwischen Essen und Hun-
gern bedeuten, zwischen Leben und Tod. Die Unruhen, Ausschreitungen
und Aufstände, die Anfang 2011 in Tunesien ausbrachen und schnell auf
Ägypten, Jordanien, Jemen, Marokko und Libyen übergriffen, richteten sich
nicht nur gegen Diktaturen und das Fehlen demokratischer Strukturen, son-
dern auch gegen steigende Lebensmittel- und Energiekosten sowie sinken-
de Lebens­standards. Verschiedene Länder im Nahen Osten gingen an die
Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten, indem sie Grundnahrungsmittel
wie Brot subventionierten und so die schwersten Auswirkungen der Infla-
tion dämpften. Dadurch wurde aus dem Problem der Inflation ein Problem
der Staatsfinanzen, insbesondere in Ägypten, wo die Steuereintreibung im-
mer chaotischer wurde und die Tourismuseinnahmen als Folge des arabi-

190
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

schen Frühlings versiegten. Die Situation verschlechterte sich so weit, dass


die G8 bei ihrem Treffen in Deauville, Frankreich, im Mai 2011 hastig ein
finanzielles Hilfspaket in Höhe von 20 Milliarden Dollar für Ägypten und
Tunesien arrangierten. Bernanke hatte bereits den Kontakt zu den Durch-
schnittsamerikanern und ihren Alltagssorgen verloren, jetzt verlor er auch
noch zunehmend den Kontakt zum Rest der Welt.

Es musste sich aber erst noch herausstellen, ob die G20 die USA von ihrer
außer Kontrolle geratenen Finanz- und Währungspolitik abbringen konn-
ten, die die Welt mit Dollar überschwemmte und eine weltweite Inflation
bei Lebensmittel- und Energiepreisen auslöste. Die USA suchten unter den
G20 ihrerseits Verbündete wie Frankreich und Brasilien, um die Chinesen
unter Druck zu setzen und zu einer Währungsaufwertung zu drängen. Nach
Meinung der USA wäre es für Exporte und Wirtschaftswachstum aller – Eu-
ropa, Nordamerika und Lateinamerika – vorteilhaft, wenn die Chinesen den
Yuan aufwerteten und ihren Binnenkonsum steigerten. Theoretisch mag
das zutreffen, aber inzwischen richtete die Strategie der USA, die Welt mit
Dollar zu überschwemmen, großen Schaden an. China und die USA stan-
den sich in einem globalen Feiglingsspiel gegenüber: China rückte nicht von
seinem Exportmodell ab, und die USA versuchten, Chinas Kostenvorteil
bei den Exporten wegzuinflationieren. Aber die Inflation war nicht auf Chi-
na allein begrenzt, und die ganze Welt begann, sich ernsthaft Sorgen wegen
der Folgen zu machen. Die G20 waren als Koordinationsplattform für die
Weltfinanzpolitik konzipiert, aber inzwischen machten sie mehr den Ein-
druck eines Kinderspielplatzes, auf dem zwei Rabauken von allen verlang-
ten, sich für eine Seite zu entscheiden.

Im Vorfeld des G20-Gipfels in Seoul im November 2010 versuchte Geith-


ner, China in die Enge zu treiben, indem er die Festsetzung einer prozen-
tualen Obergrenze für aus globaler Sicht vertretbare Handelsüberschüsse
vorschlug. Grundsätzlich sollte die Währung eines Landes mit einem jährli-
chen Handelsüberschuss von mehr als 4 Prozent des BIP aufgewertet wer-
den, um die Handelsbedingungen zugunsten der Länder mit Handelsdefi-

191
Teil 2 Währungskriege

ziten wie den USA anzupassen. Unter dem klassischen Goldstandard war
dies automatisch geschehen, heute setzte es eine Währungsmanipulation
durch die Notenbanken voraus.

Geithners Vorschlag verlief im Sand. Er hatte damit China treffen wollen,


aber leider geriet bei seinem Vorschlag auch Deutschland ins Visier, denn
der deutsche Handelsüberschuss entsprach in Prozent des BIP ausgedrückt
dem chinesischen. Nach Geithners System musste auch die Währung der
Deutschen, der Euro, aufgewertet werden. Das war jedoch das letzte, was
Deutschland und der Rest Europas angesichts der prekären wirtschaftli-
chen Lage, der strukturellen Schwächen ihres Bankensystems und der Be-
deutung deutscher Exporte für den europäischen Arbeitsmarkt wollten.
Nachdem er weder aus Europa noch aus Asien Unterstützung bekam, ließ
Geithner die Idee kurzerhand fallen.

Statt konkrete Ziele festzulegen, erbrachte der G20-Gipfel in Seoul den Vor-
schlag, anhand »indikativer Leitlinien« festzustellen, wann Handelsüber-
schüsse ein untragbares Niveau erreichten.43 Die Details dieser Leitlinien
sollten bei einem nachfolgenden Treffen der Finanzminister und Zentral-
bankgouverneure ausgearbeitet werden. Im Februar 2011 trafen sich die
Minister und Gouverneure in Paris und einigten sich grundsätzlich darauf,
welche Faktoren als »Indikatoren« anerkannt werden sollten, doch konnten
keine Grenzwerte für die einzelnen Faktoren festgelegt werden. Die Bestim-
mung dieser Grenzwerte wurde auf ein nachfolgendes Treffen im April ver-
schoben, und das Gesamtergebnis sollte den Staats- und Regierungschefs
der G20 bei ihrem Jahrestreffen in Cannes im November 2011 zur Abseg-
nung vorgelegt werden.

Inzwischen machte die Einsetzung des IWF als Wachhund der G20 rasche
Fortschritte. Bei einer Konferenz in Nanjing in China im März 2011, an der
Experten und Wirtschaftswissenschaftler teilnahmen, sagte der Präsident
der G20, Nicolas Sarkozy, in Bezug auf die Zahlungsbilanzen: »Eine stärke-
re Überwachung durch den IWF ist unverzichtbar.«

192
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

Zu sagen, der G20-Prozess schreite im Schneckentempo voran, wäre noch


milde ausgedrückt. Aber für eine globale Lösung gab es bei 20 Staats- und
Regierungschefs und ebenso vielen unterschiedlichen Agenden keine of-
fenkundige Alternative. Das ist der Nachteil von Geithners Versammlungs-
macht. Verhandlungen auf Augenhöhe können effizient sein, wenn es sich
um ein Treffen von Gleichgesinnten handelt oder wenn eine Partei die ande-
ren in der Hand hat, wie es der Fall gewesen war, als die Fed mit den 14 Fa-
milien über die Rettung des LTCM verhandelt hatte. Wenn die Beteiligten
stark unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedliche Ansichten dar-
über haben, wie sie diese Ziele erreichen wollen, dann können bei einer Ver-
handlung auf Augenhöhe bestenfalls winzige Veränderungen erreicht wer-
den. 2011 waren die Veränderungen so winzig und so langsam, dass man sie
für Stillstand halten konnte.

Die G20 waren bei Weitem keine perfekte Institution, aber die Welt hatte
nur sie. Das G7-Modell war gestorben, und die Vereinten Nationen hatten
nichts Vergleichbares anzubieten. Der IWF war in der Lage, eine gute fach-
liche Analyse zu liefern, und war als Schiedsrichter für die von den G20 auf-
gestellten Richtlinien gut geeignet. Er stand jedoch unter dem starken Ein-
fluss der alten Troika aus Nordamerika, Japan und Westeuropa, und seinem
Einfluss begegnete man in den führenden Schwellenländern – China, Indi-
en, Brasilien und Indonesien – mit Misstrauen. Der IWF war nützlich, aber
auch dort musste es Veränderungen, musste es Anpassungen an die neuen
globalen Verhältnisse geben.

Ende 2008 und Anfang 2009 waren die G20 entscheidungsfähig gewesen,
weil die Mitglieder von derselben Angst umgetrieben wurden. Der katastro-
phale Zusammenbruch der Finanzmärkte, des Welthandels, der Industrie-
produktion und des Arbeitsmarktes hatte Kompromisse bei Rettungspake-
ten, Konjunkturanreizen und neuen Regulierungen der Banken ermöglicht.

2011 schien das Schlimmste überstanden, und die Mitglieder der G20
kehrten zu ihren alten Agenden zurück – ungebrochen große Handelsüber-

193
Teil 2 Währungskriege

schüsse für China und Deutschland und ein ungebrochenes Streben der
USA nach einem schwachen Dollar, um die US-Exporte zu fördern und
selbst Handelsüberschüsse zu erwirtschaften. Was den USA jedoch fehlte,
war ein Richard Nixon mit einem präventiven Aktionsplan oder jemand mit
der Kaltschnäuzigkeit eines John Connally. Die USA hatten an Einfluss ver-
loren. Es brauchte erst eine weitere Krise, um die G20 zu einem gemeinsa-
men Handeln zu bringen. Dank des taktischen Gelddruckens der USA und
dessen inflationären Nebenwirkungen weltweit ließ die nächste Krise nicht
lange auf sich warten.

Diese Krise traf die Welt am Nachmittag des 11. März 2011 wie ein Blitz
aus heiterem Himmel unweit der Stadt Sendai in Japan. Ein Erdbeben der
Stärke 9,0, dicht gefolgt von einem zehn Meter hohen Tsunami zerstörte
die nordöstliche Küstenregion Japans, tötete Tausende, überflutete ganze
Städte und Dörfer und zerstörte jede Infrastruktur – Häfen, Fischereiflot-
ten, Bauernhöfe, Brücken, Straßen und Kommunikationsverbindungen. In-
nerhalb weniger Tage nahm die größte nukleare Katastrophe seit Tscherno-
byl in einem Kernkraftwerk bei Sendai ihren Lauf. Durch die Kernschmelze
der nuklearen Brennstäbe gingen riesige Mengen an Radioaktivität auf die
lokale Bevölkerung nieder. Während die Welt noch mit den Folgen kämpf-
te, entwickelte sich eine neue Front im Währungskrieg. Der japanische Yen
erreichte innerhalb kürzester Zeit einen Rekordwert gegenüber dem Dollar,
gestützt von der Erwartung einer massiven Währungsrückführung des Yen
durch japanische Investoren, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Japan
hatte 2 Billionen Dollar im Ausland angelegt, vor allem in den USA, und war
im Besitz von Rücklagen in der US-Währung im Wert von über 850 Milliar-
den Dollar. Einige davon würden gegen Dollar verkauft, die Erträge in Yen
umgetauscht und nach Japan geschafft werden müssen, um den Wiederauf-
bau zu bezahlen. Dieser massive Handel von Dollar gegen Yen führte zum
Höhenflug des Yen.

Der Kursanstieg des Yen gegenüber dem Dollar passte perfekt ins Programm
der USA, doch Japan bevorzugte das Gegenteil. Die japanische Wirtschaft

194
Kapitel 7 – Die G20-Lösung

war mit einer Katastrophe konfrontiert, und ein billiger Yen half japanischen
Exporten und konnte der japanischen Wirtschaft wieder auf die Beine hel-
fen. Das Ausmaß der Katastrophe in Japan war einfach zu groß – das Inte-
resse der USA an einem billigen Dollar musste erst einmal hinter der Not-
wendigkeit eines billigen Yen zurückstehen.

Japan musste auf jeden Fall seine Dollaranlagen verkaufen, um den Wie-
deraufbau zu finanzieren, und diese Aussicht trieb den Kurs des Yen in die
Höhe. Nur durch eine koordinierte Intervention der Zentralbanken konnte
der Flut an Yen, die nach Japan zurückströmten, entgegengewirkt werden.
Das Verhältnis von Yen und Dollar war zu spezifisch für eine G20-Aktion,
und ohnehin war in naher Zukunft kein G20-Treffen angesetzt. Die großen
drei – die USA, Japan und die Europäische Zentralbank – mussten das Pro-
blem allein lösen.

Im Namen der G7 rief die französische Finanzministerin Christine Lagarde


am 17. März 2011 US-Finanzminister Geithner an und schlug einen koor-
dinierten Angriff auf den Yen vor. Nachdem die für die eigentliche Interven-
tion verantwortlichen Chefs der Zentralbanken darüber beraten hatten und
US-Präsident Obama informiert worden war, wurde der Angriff auf den Yen
am Morgen des 18. März 2011 bei Handelsbeginn in Japan eröffnet. Der
Angriff bestand aus massiven Yen-Verkäufen durch die Zentralbanken und
dem Kauf von Dollar, Euro, Schweizer Franken und anderen Währungen in
entsprechender Höhe. Der Angriff wurde über die ganze Welt und alle Zeit-
zonen hinweg fortgesetzt, als die Handelsplätze in Europa und New York
ihre Tore öffneten. Die Intervention der Zentralbanken war erfolgreich. Bis
zum Abend des 18. März war der Yen von den Rekordwerten gegenüber
dem Dollar gefallen und wurde wieder zu einem normaleren Kurs gehan-
delt. Lagardes geschicktes Vorgehen bei der Yen-Intervention zementierte
ihren guten Ruf als Krisenmanagerin, den sie sich während der Finanzkri-
se 2008 und der ersten Phase der Euro-Staatsschuldenkrise 2010 erworben
hatte. Im Juni 2011 kam fast nur sie als Nachfolgerin des in Ungnade gefal-
lenen IWF-Chefs Dominque Strauss-Kahn infrage.

195
Teil 2 Währungskriege

Konnte man die G20 am ehesten mit einer riesigen Armee vergleichen, so
hatten die G7 bewiesen, dass sie immer noch die Rolle einer Sonderein-
satztruppe übernehmen konnten, die schnell und ohne viel Aufsehen ein
eng gestecktes Ziel erreicht. Die G7 hatten zumindest vorübergehend das
Blatt gewendet. Doch die unaufhaltsame Rückführung von Yen nach Ja-
pan fand unverändert statt, und auch die Spekulanten, die davon profitieren
wollten, waren immer noch am Werk. Eine Zeit lang schien es, als seien die
schlechten alten Zeiten der 1970er- und 1980er-Jahre zurückgekehrt, als
­eine k­ leine Gruppe von Banken gegen Spekulanten und die Naturgewalt der
Währungsaufwertung ankämpfte. Insgesamt bedeutete Japans dringender
Bedarf an billigen Yen einen Rückschlag für die Bemühungen der USA um
einen billigen Dollar. Der klassische Frontverlauf im Kampf um die billigste
Währung hatte sich plötzlich verändert. Jetzt wollten nicht mehr wie bisher
nur China, die USA und Europa ihre Währung schwächen. Japan, das den
Forderungen der USA nach einem starken Yen bisher bereitwillig nachge-
kommen war, fand sich plötzlich im Lager der Kämpfer um eine schwache
Währung wieder. Aber es konnten nicht alle gleichzeitig eine billige Wäh-
rung haben, das Problem der Quadratur des Kreises war nach wie vor unge-
löst. Schließlich wurde der Kampf von Dollar gegen Yen zum Kampf Dollar
gegen Yuan auf der Agenda der G20 hinzugefügt, während die Welt weiter
nach einer umfassenden Lösung für ihre Währungsprobleme suchte.

196
T eil 3
Die nächste
globale K rise
Kapitel 8 –
Globalisierung und Staatskapitalismus
»Es ist im Kriege eine Regel, daß man nie annehmen soll, ein Feind würde
nie kommen, sondern man muß jederzeit bereit sein, ihn zu treffen. Man
darf nie annehmen, daß er nicht angreifen wird, sondern man sollte sich
immer in eine Position bringen, in der man unschlagbar ist.«44
Sun Tsu,
Über die Kriegs-Kunst, spätes 5. Jahrhundert v. Chr.

Traditionell bedeutet ein Währungskrieg, dass zwei Länder darin wettei-


fern, ihre Währungen abzuwerten, um ihre relativen Kosten zu senken, ihre
Exporte zu steigern, Jobs zu schaffen und ihre Wirtschaft auf Kosten ihrer
Handelspartner anzukurbeln. Doch ein Währungskrieg kann auch anders
aussehen. In einem deutlich perfideren Szenario werden Währungen als
Waffen eingesetzt, nicht im übertragenen Sinn, sondern auf sehr reale Wei-
se, um Konkurrenten wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Schon die An-
drohung einer solchen Aktion kann ausreichen, um Konkurrenten zu Zuge-
ständnissen zu zwingen auf dem geopolitischen Schlachtfeld.

Derartige Angriffe können nicht nur von Staaten ausgehen, sondern auch
von Terroristen, Verbrecherbanden und anderen Bösewichten, die mit­
hilfe von Staatsfonds, Spezialkräften, Spionage, Cyberattacken, Sabotage
oder Geheimoperationen tätig werden. Derartige Finanzmanöver gehören
nicht zu den Themen, über die bei G20-Treffen normalerweise gesprochen
wird.

Der Wert seiner Währung ist die Achillesferse eines Landes. Wenn die Wäh-
rung kollabiert, reißt sie alles andere mit sich in den Abgrund. Die heuti-
gen Märkte sind durch komplexe Handelsstrategien miteinander verbun-

199
Teil 3 Die nächste globale Krise

den, doch die meisten sind zumindest bis zu einem gewissen Grad noch
eigenständig. Der Aktienmarkt kann einbrechen, während sich der Anlei-
henmarkt gleichzeitig erholt. Der Anleihenmarkt kann einbrechen, während
andere Warenmärkte, für Gold und Öl zum Beispiel, zu neuen Höhenflügen
ansetzen. Es besteht immer die Möglichkeit, an einem Markt Geld zu verdie-
nen, während ein anderer Markt ins Bodenlose stürzt. Aber alle Anlagefor-
men, Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Derivate und andere Kapitalanlagen, sind
in der Landeswährung ausgezeichnet. Ruiniert man eine Währung, dann ru-
iniert man alle Märkte und das Land selbst. Aus diesem Grund ist die Wäh-
rung das ultimative Ziel in jedem Finanzkrieg.

Leider wird dieser Bedrohung durch die nationalen Sicherheitsbehörden


der USA nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet. Bill Gertz schrieb in
der Washington Times: »US-Beamte und externe Analysten äußerten die
Ansicht, das Pentagon, das Finanzministerium und die US-Nachrichten-
dienste beschäftigten sich nicht intensiv genug mit der Bedrohung der USA
durch ökonomische Kriegsführung und Finanzterrorismus. ›An das Thema
will keiner ran‹, sagte ein Beamter.«45

Ein Überblick über die Kräfte der Globalisierung sowie des Staatskapita-
lismus, der eine Neuauflage des frühneuzeitlichen Merkantilismus darstellt
und bei dem Unternehmen die verlängerten Arme der Staatsmacht sind,
kann zum Verständnis der ernsten Gefahren für die heutige Weltwirtschaft
beitragen. Die Bedrohungen durch finanzwirtschaftliche Kriegsführung
sind nur vor dem Hintergrund der heutigen finanzwirtschaftlichen Reali-
täten zu erfassen. Die Welt ist geprägt durch den Siegeszug der Globalisie-
rung, den aufkommenden Staatskapitalismus und die anhaltende Terrorge-
fahr. In der finanzwirtschaftlichen Kriegsführung gibt es keine Regeln und
keine Grenzen. Sie ist die bevorzugte Art der Kriegsführung für alle, die an
Waffengewalt unterlegen, aber raffinierter sind als ihre Gegner.

200
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

Globalisierung

Die Globalisierung begann in den 1960er-Jahren, bekam aber ihren Namen


und die breite Aufmerksamkeit erst in den 1990ern, kurz nach dem Fall der
Berliner Mauer. Multinationale Unternehmen hatte es schon seit Jahrzehn-
ten gegeben, aber die neuen globalen Unternehmen waren anders. Ein mul-
tinationales Unternehmen hat seine Wurzeln und führt den Großteil seiner
Geschäfte in einem Land, agiert aber über Dependancen und Tochterfir-
men auch sehr viel im Ausland. Es kann in vielen Ländern vertreten sein,
aber tendenziell ist das Herkunftsland eines multinationalen Unternehmens
immer noch erkennbar, egal wo es vertreten ist.

Die neuen globalen Unternehmen sind eben – global. Sie unterdrücken ih-
re nationale Identität so weit wie möglich und stilisieren sich als Weltmarke
ohne erkennbare nationale Charakteristiken. Entscheidungen über neue Fa-
brikationsstandorte und Verteilungszentren oder die Emission von Aktien
oder Anleihen in unterschiedlichen Währungen werden aus Kosten-, Profit-
oder logistischen Gründen getroffen, ohne dass ein formelles Herkunftsland
besonders berücksichtigt würde.

Die Globalisierung ist nicht das Produkt neuer Rahmenbedingungen, son-


dern entwickelte sich durch die Abschaffung vieler alter Rahmenbedingun-
gen. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ende des Kalten Krieges
wurde die Welt durch den Eisernen Vorhang nicht nur in zwei Hälften, eine
kommunistische und eine kapitalistische Wirtschaftszone, geteilt, sondern
durch Beschränkungen, die sich kapitalistische Staaten selbst auferlegten,
weiter zersplittert. Zu diesen Beschränkungen zählten Kontrollen des Ka-
pitalverkehrs, die ausländische Investitionen erschwerten, und die Erhe-
bung von Steuern auf grenzüberschreitende Gewinnausschüttungen. Akti-
enbörsen beschränkten die Notierungen auf lokale Firmen, und die meisten
­Banken durften nicht in ausländischem Besitz sein. Richter und Politiker
bevorzugten einheimische Unternehmen, und das Recht auf geistiges Ei-
gentum wurde bestenfalls sporadisch durchgesetzt. Die hohe Fragmentie-

201
Teil 3 Die nächste globale Krise

rung der Welt bedeutete Nachteile und hohe Kosten für Firmen mit inter-
nationalen Ambitionen.

In den späten 1990er-Jahren waren diese Kostenpunkte und Hindernisse


weitgehend beseitigt. Steuern waren aufgrund von Verträgen reduziert oder
abgeschafft worden. Die Kapitalverkehrskontrollen waren gelockert worden,
und inzwischen konnten Gelder einfach in einzelne Märkte hineingebracht
oder aus ihnen abgezogen werden. Die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt ver-
besserte sich, und die Durchsetzung von Rechtsansprüchen wurde besser
geregelt. Aktienbörsen lockerten ihre Vorschriften und fusionierten über
Grenzen hinweg zu weltweit agierenden Superbörsen. Durch die politische
und wirtschaftliche Expansion der EU entstand die größte Freihandelszo-
ne der Welt, und mit dem Start des Euro entfielen zahlreiche Währungs-
umrechnungen und die damit verbundenen Kosten. Russland und China
stiegen zu protokapitalistischen Staaten auf und übernahmen bereitwillig
viele neue Normen, die sich in westlichen Staaten herausgebildet hatten.
Wirtschaftliche und politische Mauern fielen, während neue Technologien
gleichzeitig die Kommunikationsmöglichkeiten und die Produktivität ver-
besserten. Aus Sicht der Finanzwirtschaft gab es auf der Welt keine Grenzen
mehr, und die Welt stand vor dem, was der legendäre Bankier Walter Wris-
ton als Staatendämmerung (twilight of sovereignty) bezeichnet hatte.

Als Folge der neuen Welt ohne Grenzen entstanden für die Finanzwirtschaft
aber auch grenzenlose Risiken. Durch die Globalisierung erreichte die Fi-
nanzwirtschaft eine Reichweite und eine Vernetzung ungekannten Ausma-
ßes. Die Emission von Anleihen war bisher durch den Zweck begrenzt, auf
den die Emittenten die Erlöse verwenden wollten. Bei Derivaten gibt es eine
solche natürliche Grenze nicht. Sie konnten in unendlicher Anzahl geschaf-
fen werden, allein durch die Referenz auf den zugrunde gelegten Basiswert.
Die Möglichkeit, Subprime-Hypotheken aus Nevada an deutsche Regio-
nalbanken zu verkaufen, nachdem diese Hypotheken gebündelt, ­gestückelt,
neu verpackt und mit einem wertlosen AAA-Rating versehen worden w ­ aren,
war eine der wundersamen Errungenschaften dieser Zeit.

202
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

In der globalisierten Welt wurde aus Alt wieder Neu. Das erste Zeitalter der
Globalisierung dauerte von 1880 bis 1914 und fiel damit zeitlich etwa mit
dem klassischen Goldstandard zusammen. Die Periode von 1989 bis 2007
war eigentlich das zweite Zeitalter der Globalisierung. Während der ersten
Periode waren nicht das Internet und Düsenjets die entscheidenden Errun-
genschaften, sondern das Radio, Telefone und Dampfschiffe. Das britische
Weltreich umfasste einen Binnenmarkt und einen einheitlichen Währungs-
raum von der Größe der Europäischen Union. Im Jahr 1900 öffnete sich
China, wenn auch widerstrebend, für Handel und Investitionen, Russland
hatte endlich begonnen, sich von seinem Feudalsystem zu trennen und sei-
ne Industrie und Landwirtschaft zu modernisieren, während das Deutsche
Reich zu einer industriellen Großmacht aufstieg.

Die Auswirkungen derartiger Entwicklungen unterschieden sich zu Beginn


des 20. Jahrhunderts nicht sehr von denen am Beginn des 21. Jahrhunderts.
Anleihen konnten von Argentinien emittiert, in London gezeichnet und in
New York gekauft werden. Öl konnte in Kalifornien raffiniert und dann mit-
hilfe von Krediten von Banken in Shanghai per Schiff nach Japan transpor-
tiert werden. Der frisch erfundene Börsenticker übertrug nahezu in Echtzeit
Informationen an angeschlossene Maklerbüros in Kansas City oder Denver.
Es kam immer wieder zu Finanzkrisen mit globalen Auswirkungen. Eine der
bedeutendsten war die Finanzkrise von 1890, bei der es in Südamerika zu
Kreditausfällen kam und die führende Bank in London, Baring Brothers, ge-
rettet werden musste. Das erste Zeitalter der Globalisierung war eine Phase
des Wohlstands, der Innovationen, des expandierenden Handels und der fi-
nanzwirtschaftlichen Integration.

Im August 1914 brach das alles in sich zusammen. Ein Londoner Banki-
er, der im Frühsommer aus dem Fenster seines Gentlemen’s Club sah und
über die Geschwindigkeit des Fortschritts zu jener Zeit nachdachte, hätte
sich wohl kaum vorstellen können, welche Tragödien sich in den folgenden
75 Jahren abspielen würden. Die Welt würde zwei Weltkriege, zwei Wäh-
rungskriege, den Untergang von Weltreichen, die Große Depression, den

203
Teil 3 Die nächste globale Krise

Holocaust und den Kalten Krieg erleben, bevor ein neues Zeitalter der Glo-
balisierung anbrach. Im Jahr 2011 ist die globalisierte Finanzwirtschaft all-
gegenwärtig. Ob sie die Zeiten überdauern wird, muss sich erst noch er-
weisen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Zivilisation und die mit ihr
verbundene Globalisierung nur ein dünner Deckmantel über den scharfen
Klippen des Chaos sind.

Staatskapitalismus

Die Globalisierung war nicht das einzige geopolitische Phänomen, das sich
am Ende des 20. Jahrhunderts entwickelte; ein weiteres war der Staatska-
pitalismus. Staatskapitalismus ist die aktuelle Bezeichnung für eine Neu-
auflage des Merkantilismus, der vorherrschenden Wirtschaftsform des 17.
bis 19. Jahrhunderts. Merkantilismus ist das genaue Gegenteil von Globa-
lisierung. Seine Anhänger stützen sich auf geschlossene Märkte und ein
­abgeschottetes Währungssystem, um ihren Wohlstand auf Kosten anderer
zu mehren.

Der klassische Merkantilismus beruht auf Gesetzen, die heute befremd-


lich wirken. Die größte Bedeutung haben konkrete Vermögenswerte wie
Grundbesitz, Handelswaren und Gold. Der Erwerb von Vermögen ist ein
Nullsummenspiel, bei dem ein Land Vermögen auf Kosten eines anderen
erwirbt. Zum internationalen Wirtschaftsgebaren gehört es, die nationale
Industrie zu bevorzugen und Waren aus dem Ausland mit Einfuhrzöllen
zu belegen. Handel findet mit befreundeten Partnern und unter Ausschluss
der Konkurrenten statt. Staatliche Zuschüsse und ungleiche Behandlung
sind legitime Hilfsmittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Ziele. Die glü-
hendsten Verfechter des Merkantilismus betrachten den Handel als Krieg.
Erfolg wurde im Merkantilismus daran gemessen, wie viel Gold angehäuft
wurde.

204
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

Die Wurzeln des Merkantilismus reichen bis zum Hundertjährigen Krieg


des 14. und 15. Jahrhunderts zurück, doch mit der Gründung der Briti-
schen Ostindienkompanie im Jahr 1600 und der Niederländischen Ost-
indienkompanie 1602 erlebte er eine neue Blüte. Offiziell handelte es sich
bei den Ostindienkompanien um private Aktiengesellschaften, denen je-
doch eine weitgehend monopolistische Stellung eingeräumt wurde. Darü-
ber hinaus waren sie ermächtigt, Armeen aufzustellen, Verträge auszuhan-
deln, Münzen zu prägen, Kolonien zu gründen und in Asien, Afrika sowie
Nord-, Süd- und Mittelamerika im Namen der Regierung zu handeln.46 Der
Schwerpunkt der Forschung lag bisher auf den privaten Merkmalen dieser
Unternehmen wie Aktienbesitz, Dividenden und Direktorien. Doch ange-
sichts ihrer gleichsam hoheitsrechtlichen Befugnisse glichen sie mehr einem
verlängerten Arm des Herrschers mit privaten Eigentümern und Geschäfts-
führern. Damit sind sie den Federal-Reserve-Banken in den USA nicht un-
ähnlich, die sich in Privatbesitz befinden und als finanzwirtschaftliches
­Organ der Regierung auftreten.

Erst im späten 18. Jahrhundert kam durch die industrielle Revolution


und die Veröffentlichung von Adam Smiths Der Wohlstand der Nationen
der moderne Laissez-faire-Kapitalismus mit Privatbesitz und Banken auf.
Doch trotz des Erfolges der Privatwirtschaft herrschten im 20. Jahrhun-
dert in Ländern, die von Kommunisten, Faschisten, Oligarchen und ande-
ren ­antidemokratischen Kräften regiert wurden, noch immer staatlich kon-
trollierte Firmen vor.

Das für uns heute ganz selbstverständliche finanzwirtschaftliche Paradigma,


die freie kapitalistische Marktwirtschaft und privates Unternehmertum, war
zu den meisten Zeiten und in den meisten Ländern die Ausnahme. Privates
Unternehmertum mag in Hinblick auf Effizienz und Vermögensbildung füh-
rend sein, aber dies sind keine universellen Werte. Der Anspruch des Kapita-
lismus auf zukünftige Dominanz im Welthandel, im Finanzwesen und in der
Technologie ist aus historischer Sicht nicht größer als der Anspruch der Mo-
narchie, des Imperialismus oder des Kommunismus zu ihrer jeweiligen Zeit.

205
Teil 3 Die nächste globale Krise

Scheinbare Privatfirmen, hinter denen jedoch fast unerschöpfliche staatli-


che Ressourcen stehen, wie die China Petroleum & Chemical Corporati-
on (besser bekannt als Sinopec) können ohne Rücksicht auf kurzfristige fi-
nanzielle Auswirkungen auf Rohstoffe bieten, Konkurrenzfirmen aufkaufen
und in Anlagen investieren. Sie können Marktanteile hinzugewinnen, in-
dem sie Waren unter dem Selbstkostenpreis verkaufen. Sie kommen auch
bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer an frisches Kapital heran. Der-
artige Einrichtungen müssen auch keine Kontrollen durch die eigene Regie-
rung befürchten, wenn sie mit Bestechungsgeldern dafür sorgen, dass ihre
Interessen von Diktatoren oder deren Truppen geschützt werden. Bei die-
sem Neomerkantilismus handelt es sich um Staatsmacht, die als modernes
Unternehmen daherkommt: alter Wein in neuen Schläuchen.

Musterbeispiele dieser neuen Unternehmensart sind staatliche Investment-


fonds und Ölfirmen sowie andere Unternehmen im Staatsbesitz. Es gibt
zahlreiche derartige Einrichtungen in Russland, China, Brasilien, Mexiko
und anderen Schwellenländern. Auch in Westeuropa gibt es Großkonzerne
im Staatsbesitz. Aktien von EADS, dem europäischen Großunternehmen
für Verteidigung, Luft- und Raumfahrt, werden öffentlich gehandelt, aber
die Mehrheit der Aktien wird von einem Konsortium gehalten, zu dem Hol-
dinggesellschaften der französischen und der spanischen Regierung gehö-
ren sowie eine staatlich kontrollierte russische Bank und die Dubai Holding.
Die italienische Ölfirma Eni, die zu 30 Prozent in Staatsbesitz ist, ist ein wei-
teres Beispiel – eines von vielen. Amerikaner zeigen gern mit dem Finger
auf diese staatseigenen Einrichtungen und beklagen die Wettbewerbsverzer-
rung, bis man sie daran erinnert, dass die US-Regierung 2008 die Citibank,
GE und Goldman Sachs mit Staatsgeldern gerettet hat. Die USA haben i­ hre
eigenen halbstaatlichen Unternehmen und unterscheiden sich darin nicht
grundsätzlich von anderen Ländern.

Aus Sicht der USA sind Globalisierung und Staatskapitalismus nur schwer
zu verstehen. US-Geheimdienstanalysten sind darauf trainiert, das soge-
nannte »Mirror-Imaging« zu vermeiden, also die Tendenz zu glauben, dass

206
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

andere die Welt genauso sehen wie man selbst. Bei der Einschätzung ei-
nes Gegners kann Mirror-Imaging zu fatalen Fehlern führen. Für eine Be-
drohungsanalyse müssen sich die Analysten in Russen, Chinesen, Araber
und andere hineinversetzen, um nicht nur die Unterschiede in Sprache,
Kultur und Geschichte zu begreifen, sondern auch die unterschiedlichen
Beweggründe und Absichten. Im Erdgas sehen russische Führungs­kräfte
nicht nur Exporterlöse, sondern auch Macht über die europäische Indus-
trie. Chinesischen Strategen ist klar, dass der chinesische Bestand an US-
Staatsanleihen eine Waffe darstellt, die entweder die US-Wirtschaft zer­
stören oder aber auch nach hinten losgehen kann. Arabische Herrscher, die
erste Modernisierungsschritte unternehmen, wissen genau, dass sie sich
­damit in ein reaktionäres und religiöses Minenfeld begeben. Mit der fol-
genden Rundreise durch Dubai, Moskau und Peking möchte ich aufzei-
gen, wie Milliarden von Arabern, Asiaten und Russen die USA sehen, und
deutlich machen, dass das Schicksal des Dollar nicht allein in amerikani-
scher Hand liegt.

Dubai

Würde der Film Casablanca heute gedreht, hieße er Dubai. Zentraler


Schauplatz des Filmklassikers ist Rick’s Café Américain, dessen Besitzer,
gespielt von Humphrey Bogart, Getränke, Musik und Glücksspiel mit ein
paar Intrigen als Beilage anbietet. Die Handlung findet vor dem exotischen
Hintergrund Marokkos während des Zweiten Weltkriegs statt. ­Casablanca
war geprägt durch seine Neutralität, ein Ort, an dem Feinde ganz entspannt
miteinander in Kontakt treten konnten. Nazis, Flüchtlinge und Waffen-
schmuggler saßen an benachbarten Tischen, tranken Champagner und san-
gen »As Time Goes By«.

Ähnlich ist es heute in Dubai, einer Insel relativer Ruhe umgeben von Krie-
gen in Afghanistan und Libyen, krisenanfälligen Ländern wie Irak und

207
Teil 3 Die nächste globale Krise

­ ibanon, Ländern in einer Übergangsphase wie Tunesien und Ägypten


L
und erbitterten Feinden wie Israel und Iran. Eine ausgesprochen schlech-
te Nachbarschaft. Die Stelle von Rick’s Café nimmt hier das Atlantis ein,
eine protzige Hotelanlage auf einer künstlichen, aus dem Meeresboden ge-
stampften Insel in Form einer riesigen Palme, die man sogar vom Weltraum
aus sehen kann. Im Atlantis befinden sich die besten Restaurants der Stadt,
wo israelische Agenten und iranische Provokateure, russische Auftragskil-
ler, saudische Waffenhändler und einheimische Schmuggler in Begleitung
langbeiniger Blondinen, die in der Wüste eindeutig deplatziert wirken, ein-
trächtig nebeneinander sitzen.

In Dubai finden sie vor, was Ricks Gäste in Casablanca vorfanden: neutra-
len Boden, wo sie einander treffen, rekrutieren und verraten können, oh-
ne Gefahr zu laufen, direkt verhaftet zu werden. Dubai ist ein gutes Pflas-
ter für internationale Machenschaften. Das Wetter ist von Oktober bis März
fantastisch. Dubai befindet sich mitten in einer Gefahrenzone, umgeben
von Mumbai, Lahore, Teheran, Istanbul, Kairo, Khartum und den Piraten­
nestern in Somalia. Es gibt hervorragende Luftverkehrs- und Telekommu-
nikationsverbindungen zum Rest der Welt. Dubai ist berühmt für seine
­Gebäude – dort steht das höchste Gebäude der Welt und viel postmoderner
Prunk, um Besucher aus traditionelleren und repressiveren Gesellschaften
zu beeindrucken.

Zu all dem Glamour und den Intrigen kommt auch noch Gewalt à la Hol-
lywood. Im März 2009 wurde im Nobelviertel Marina, ganz in der Nähe
der besten Strände und Hotels der Stadt, ein russischer Warlord erschos-
sen. Zwei Verdächtige, ein Tadschike und ein Iraner, wurden verhaftet,
und in ihren Geständnissen beschuldigten sie ein Mitglied der russischen
­Duma, auf Befehl des starken Manns in Tschetschenien, Ramsan Kady-
row, zu ­handeln. In einer Szene, die direkt Ian Flemings Der Mann mit
dem g­ oldenen Colt entlehnt sein könnte, wurde das Opfer mit einer ver­
goldeten Pistole erschossen, die ein russischer Diplomat eingeschmuggelt
hatte.

208
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

Ein noch spektakulärerer Mord ereignete sich im Januar 2010, als israe-
lische Kundschafter und Auftragskiller – die in Teams arbeiteten, mit ge-
fälschten Pässen reisten, in Verkleidung auftraten und hoch verschlüsselte
Handys benutzten – Mahmud al-Mabhuh, einen hochrangigen Agenten der
Hamas, in seinem Hotelzimmer in Dubai ermordeten, wo er vorhatte, einen
Waffendeal mit seinen iranischen Lieferanten abzuschließen. Die Kriminali-
tätsrate in Dubai ist niedrig, doch für Terroristen mit Feinden ist nicht ein-
mal die Wüste ein sicherer Ort.

Früher war Dubai vorwiegend in zwei Wirtschaftszweigen erfolgreich: Per-


lentauchen und Schmuggel. Heute spielt Perlentauchen nur noch eine un-
tergeordnete Rolle und wird hauptsächlich als Touristenattraktion betrie-
ben. Schmuggel hingegen spielt eine größere Rolle als jemals zuvor. An der
Hafenkante des Dubai Creek in der Altstadt von Dubai stapeln sich Elekt-
rogeräte, Ersatzteile und andere Waren mit dem Bestimmungsort Iran. Wie
viel Gold oder Zahlungsmittel in den Kisten mit den aufgedruckten Logos
von Sony oder HP versteckt sind, kann man nur vermuten. Jenseits der Ba-
niyas Road, die sich am Ufer entlangzieht, befinden sich die Niederlassun-
gen iranischer Banken, wo man sofort ein Akkreditiv eröffnen kann, um eine
Warenlieferung zu finanzieren – ohne sich Gedanken um US-Handelssank-
tionen machen zu müssen. Auf dem Creek sieht man die Daus – breite höl-
zerne Segelschiffe mit hohem Vordersteven und großen Lateinersegeln –,
die für die Reise über den Persischen Golf nach Bandar Abbas und zu ande-
ren Häfen an der iranischen Küste bereit sind. In Dubai gilt Schmuggel kei-
neswegs als unehrbar; Schmuggeln gilt als eine Lebensweise.

Dubai ist ein internationales Finanzzentrum und Steuerparadies, und an


den Pracht- und Seitenstraßen reiht sich eine internationale Bank an die
nächste. Dubai ist das wichtigste Bankenzentrum des Iran im Ausland. Die
großen Banken von Dubai wirken als Vermittler für iranische Banken bei
der Anbahnung von Zahlungen und Devisengeschäften mit dem Rest der
Welt. Dazu gehören auch der Umtausch iranischer Reserven in Euro und
Gold sowie der Verkauf von Dollar. Dubai fungiert außerdem als Banken-

209
Teil 3 Die nächste globale Krise

zentrum für die somalischen Piraten. Während sich im Arabischen Meer Pi-
raten, Besatzungen in Geiselhaft und patrouillierende Marineschiffe in ei-
nem Patt gegenüberstehen, drehen Verbindungsleute der Piraten in Dubai
ihre Runden, verhandeln über Lösegeld und geben Anweisungen für die
schließlichen Zahlungen weiter.

Für die handfesten Reichtümer gibt es den Gold-Souk, einen der größ-
ten Märkte der Welt, wo es Gold in jeder Form – Schmuck, Münzen und
­Barren – zu kaufen gibt, das dann in Aktenkoffern in private Schatzkam-
mern auf der ganzen Welt transportiert wird, ohne dass jemand Fragen
stellt. In Dubai gibt es ein Rohstoffhandelszentrum in gläsernen Wolken-
kratzern, die jeweils nach den arabischen Wörtern für Gold, Silber und Di-
amanten benannt sind. Unter diesen Türmen befindet sich einer der größ-
ten und bestgesichertsten Tresorräume der Welt, der von Brink’s gemanagt
wird. Das Schweizer Bankgeheimnis ist unter Beschuss, und die Oligar-
chen sind in Russland massiver Kritik ausgesetzt. Da ist es eine gute Idee,
sein Geld in anonymes Gold umzutauschen und dieses in der Wüste zu
­lagern.

Das Gold, das im Souk den Besitzer wechselt, stellt nur einen Bruchteil der
Reichtümer dar, die Dubai passieren. Papierwährungen werden von der
Prägeanstalt beziehungsweise Druckerei an die Zentralbanken weiterge-
reicht und von dort an die Kunden. Ein erheblicher Teil davon kursiert au-
ßerhalb des Heimatlandes. Dubai ist der größte Umschlagsplatz für die Pa-
pierwährungen der Welt. In gesicherten Lagerstätten, nahe dem Flughafen
von Dubai, sind riesige Mengen an Banknoten deponiert und warten auf die
Rückkehr zu den Emissionsbanken.

Spionage, Mordanschläge, Gold, Geld und eine internationale Mischung von


Akteuren am Knotenpunkt der Welt machen Dubai zum neuen Casablanca.
Dubai ist, wie Casablanca, ein Spiegel seiner Zeit und seiner geografischen
Lage. Ohne die Korruption und Dysfunktionen im Rest der Welt gäbe es kei-
ne Kundschaft für Dubai. In jedem Krieg braucht es einen neutralen Ort, und

210
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

für die Währungskriege erfüllt Dubai diese Rolle. Es gibt keine Währung, die
in Dubai nicht ihr Geld wert wäre – es ist nur eine Frage des Preises.

Moskau

Für die Besucher Moskaus sind die sogenannten Sieben Schwestern


schnell ein vertrauter Anblick. Dabei handelt es sich um eine Gruppe grau-
er Hochhäuser aus der Sowjetzeit, jedes etwa 150 Meter hoch, die von Sta-
lin in Auftrag gegeben und in den späten 1940er-Jahren in einem neogoti-
schen, totalitären Stil gebaut wurden, mit der Symmetrie, der Wuchtigkeit
und den nach dem Himmel greifenden Turmspitzen, die Bürokraten welt-
weit lieben. Die Hochhäuser sind in einem riesigen Ring über das Stadtge-
biet Moskaus verteilt, sodass in jeder Richtung eines von ihnen das Stadt-
bild dominiert. Sie unterscheiden sich im Detail, doch ihre Form ist ähnlich
genug, um ein Déjà-vu-Gefühl hervorzurufen. Ein Besucher kann eine der
Schwestern verlassen, zum Beispiel die Staatliche Universität Moskau, die
ganze Stadt durchqueren und dort ein Ebenbild antreffen, etwa das frühe-
re Leningradskaya-Hotel.

Seit Kurzem existiert auf einer offenen Fläche ein Stück von der Nametki-
na-Straße zurückgesetzt, außerhalb des inneren Straßenrings, der das Zent-
rum von Moskau umgibt, eine achte Schwester. Sie ist ähnlich wuchtig und
etwa genauso hoch wie die ursprünglichen sieben, mit einem pyramidenför-
migen Dach, das an die Turmspitzen der Schwestern erinnert. Aber hier en-
det die Ähnlichkeit. Die neue, 1995 fertiggestellte Schwester hat eine glän-
zende, postmoderne Fassade aus blauem Glas, Stahl und Beton. Passend zu
diesem zeitgemäßen Look hat das Gebäude auch eine zeitgemäße Funktion:
Es ist die Firmenzentrale von Gazprom, dem größten Unternehmen Russ-
lands, dem weltgrößten Erdgasproduzenten und der Hauptstütze der auf
Rohstoffen basierenden russischen Wirtschaft. Gazprom und der russische
Staat ziehen bei der Ausbeutung der Erdgasvorkommen an einem Strang.

211
Teil 3 Die nächste globale Krise

Sie nennen den Rohstoff wegen seiner sauberen Verbrennungseigenschaf-


ten, die an der blauen Flamme erkennbar sind, den »blauen Brennstoff«.

Selbst in einer Zeit, in der Regierungen Rettungspakete für ganze Indust-


rien schnüren, fällt es jemandem aus dem Westen schwer, den Umfang der
Transaktionen von Gazprom und seiner Verbindungen zur russischen Re-
gierung zu erfassen. Man stelle sich vor, Exxon Mobil, J. P. Morgan und
Time Warner wären ein Unternehmen mit Bill Clinton als Geschäftsfüh-
rer. Der Jahresumsatz von Gazprom macht etwa 10 Prozent des russischen
Bruttoinlandsprodukts aus. Gazprom produziert etwa 85 Prozent des rus-
sischen Erdgases und ist für über 20 Prozent der weltweiten Versorgung
­verantwortlich. Die Firma kontrolliert fast 20 Prozent der globalen und
60 Prozent der russischen Gasreserven. Sie ist vollständig vertikal integriert
und umfasst Exploration, Produktion, Transport, Aufbereitung, Vermark-
tung und Lieferung. Zusätzlich zur Energiesparte ist Gazprom auch noch in
den Bereichen Medien, Banken und Versicherungen stark engagiert und be-
treibt eine interne Investmentfirma.

Dmitri Medwedew, seit 2008 russischer Präsident, war zweimal Aufsichts-


ratsvorsitzender bei Gazprom. Der aktuelle Vorsitzende Wiktor Subkow ist
Vizepremierminister von Russland und damit die rechte Hand von Premi-
erminister Wladimir Putin. Der Geschäftsführer, Alexej Miller, ist ein alter
Freund Putins aus seiner Zeit in St. Petersburg in den 1990ern. Die Aktien
des Unternehmens werden an verschiedenen Börsen gehandelt, doch kont-
rolliert wird es vom russischen Staat.

Gazproms langfristige Planungen gleichen mehr einer taktischen Kriegspla-


nung denn einer Unternehmensstrategie. Es ist darin die Rede vom chine-
sischen Vektor, der Erschließung der Jamal-Halbinsel und der Errichtung
von Basen in der Arktis. Die Parallelen zum Militär beschränken sich nicht
auf das rein Metaphorische. Im Jahr 2007 erteilte die russische Duma Gaz-
prom die Genehmigung, eigene Sicherheitskräfte zu unterhalten, die deut-
lich mehr Befugnisse haben als normale Sicherheitsfirmen. Faktisch handelt

212
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

es sich um eine firmeneigene Armee, vergleichbar denen der Handelskom-


panien des merkantilistischen Zeitalters. Gazprom hat außerdem einen stra-
tegischen Feind, den die Firma unbedingt zur Strecke bringen will. Der Na-
me dieses Feindes lautet Nabucco.

Nabucco ist ein Konsortium aus Mitgliedern der EU und der USA für den
Bau einer Erdgas-Pipeline, über die Europa Zugang zu Erdgas bekommen
soll, das nicht von Russland kontrolliert wird. Dieses Vorhaben stellt eine
direkte Bedrohung von Gazproms nahezu monopolistischer Stellung auf
dem europäischen Erdgasmarkt über die Pipelines durch die Ukraine und
Weißrussland dar. Nabucco ist der Versuch, diese Pipelines auf eine Weise
zu umgehen, die weder russisches Gas involviert noch über russisches Ter-
ritorium führt. Nabucco soll zunächst Erdgasquellen in Aserbaidschan er-
schließen und später in Kasachstan und im Irak. Auf dem Weg nach Europa
wird die Pipeline die Türkei durchqueren.

Ein kritischer Abschnitt in der Nabucco-Streckenführung ist die Südkauka-


sus-Pipeline, die durch Georgien führt. Mit der Invasion Georgiens im Au-
gust 2008 bedrohten bewaffnete russische Einheiten Nabucco und stärkten
Gazproms dominante Stellung. Die Invasion fand statt, als die Rettungs-
aktion der USA für Fannie Mae gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte,
und Russland war zu der Zeit einer der Haupteigentümer von Fannie-Mae-
Schuldtiteln. Durch die Rettung von Fannie Mae schützte die Bush-Admi-
nistration Russlands finanzielle Interessen mit US-Steuergeldern, während
Russland gleichzeitig US-Interessen im Energiebereich bedrohte. Ein Pa-
radebeispiel für das Netz geopolitischer Verflechtungen, in dem die Wäh-
rungskriege ausgetragen werden.

Russland versucht nicht nur, Nabucco lahmzulegen, sondern es fördert da-


rüber hinaus auch zwei alternative Pipelines, die Gas aus Zentralasien nach
Europa liefern sollen, aber von Gazprom kontrolliert werden und über rus-
sisches Gebiet verlaufen. Europas Gasversorgung ist ein Hauptdruckmittel
Russlands, und Russland will die Kontrolle darüber nicht aufzugeben.

213
Teil 3 Die nächste globale Krise

Russland droht nicht nur mit dem Einsatz des Erdgases als geopolitische
Waffe. Es hat diese Waffe auch schon verschiedentlich eingesetzt. Am 1. Ja-
nuar 2006 stellte Gazprom die Lieferung von Erdgas an die Ukraine ein.
Die Auswirkungen waren nicht auf die Ukraine beschränkt, sondern in ganz
Europa spürbar. Als offizielle Begründung wurden Abrechnungsstreitig-
keiten angegeben. Die Ukraine bezahlte Russland für ihren Gasverbrauch,
und umgekehrt bezahlte Russland die Ukraine für das Recht, ihr Gebiet zu
durchqueren, um den Rest Europas mit Gas zu beliefern. Russland konn-
te die Transitgebühren in Naturalien begleichen, indem es der Ukraine ein-
fach einen Teil des ukrainischen Gasverbrauchs nicht in Rechnung stell-
te. Keine dieser Zahlungen wurde nach üblichen Marktpreisen berechnet,
sondern sie wurden über Mittelsmänner ausgehandelt, die vermutlich die
Gelder auf Konten von russischen und ukrainischen Beamten im Ausland
umleiteten. Diese Mischung aus nichtöffentlichen Verhandlungen, Mittels-
männern, Bezahlung in Naturalien und Geschäften außerhalb des Marktes
führte zwangsläufig dazu, dass sich die beteiligten Parteien konstant darüber
stritten, wer wem wie viel schuldete.

Die Ukraine nutzte diese Verwirrung, um ihren chronischen Mangel an har-


ter Währung und ihre Zahlungsverzüge zu verschleiern. Mit der Zeit mach-
te Russland die Erfahrung, dass es dieselben Unklarheiten für eigene Zwe-
cke nutzen konnte – indem es seine Streitigkeiten mit der Ukraine vorschob,
um die Lieferungen nach Europa zu unterbrechen, und die Ukraine für den
Ausfall verantwortlich machte. Russland konnte sich als geschädigter Gläu-
biger in Szene setzen und gleichzeitig Europa die Konsequenzen seiner
Energieabhängigkeit aufzeigen.

Ab dem 1. Januar 2009 stoppte Russland seine Lieferungen an die Ukrai-


ne ein weiteres Mal, und diesmal mit schwerwiegenderen Folgen: umfassen-
de Fabrikschließungen in Osteuropa und ungeheizte Wohnungen mitten im
Winter. Am 7. Januar eskalierte der Gaskrieg, und die direkten Lieferun-
gen an die Ukraine wurden vollständig eingestellt. Doch die Ukraine zweig-
te Teile der Transitmengen für den eigenen Gebrauch ab, was zu Engpässen

214
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

in ganz Osteuropa und ernsten Folgen in Ungarn, Polen und anderen Staa-
ten führte. Russland benutzte die Ukraine als Geisel, aber die Ukraine ihrer-
seits benutzte den Rest Europas als Geisel, um sich zu schützen – eine Re-
aktion, die für Russland durchaus absehbar hätte sein können. Schließlich
erbrachten Verhandlungen auf oberster Ebene zwischen Putin und der da-
maligen ukrainischen Premierministerin Julija Tymoschenko, die eine gan-
ze Nacht dauerten, neue Preisvereinbarungen, und Russland nahm die Lie-
ferungen wieder auf.

Damit sind die Gaskriege aber mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht be-
endet. Dafür spricht Putins Vorschlag, der Rest Europas solle der Ukraine
bei ihren Zahlungsschwierigkeiten unter die Arme greifen, um sich selbst
vor den Folgen künftiger Lieferstopps zu schützen. Dieser Vorschlag regi-
onalisiert das Problem und zeigt, dass Russland bereit ist, Gas- und Wäh-
rungswaffen in Kombination und aggressiv einzusetzen.

Im Mai 2009 veröffentlichte Russland die offizielle »Strategie der nationa-


len Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020«.47 Dabei han-
delt es sich um einen Überblick über die globalen und strategischen Chan-
cen und Herausforderungen, vor denen Russland steht. Neben der üblichen
Analyse der Waffensysteme und Bündnisse wird in dem Strategiepapier ei-
ne Verbindung zwischen Energie und Landesverteidigung hergestellt und
es bezieht die Weltfinanzkrise, Währungskriege, Störungen in den Versor-
gungsketten und Streitigkeiten um andere natürliche Ressourcen wie Was-
ser in die Überlegungen ein. Die Strategie schließt den Einsatz militärischer
Mittel zur Lösung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Finanzen oder
Rohstoffen nicht aus.

Russland perfektioniert den Einsatz von Erdgas als Waffe mitten in einer
globalen Finanzkrise. Dadurch erzielt es einen Multiplikatoreffekt – eine
Verstärkung der Offensivkraft über das normale Maß hinaus. Russlands
Lieferstopps für Erdgas sind zu jeder Zeit verheerend. Aber mitten in einer
europäischen Staatsschuldenkrise und einem Zusammenbruch des Immo-

215
Teil 3 Die nächste globale Krise

bilienmarktes könnte der nächste Erdgaslieferstopp katastrophale Auswir-


kungen haben.

Natürlich gibt es für die Opfer des Krieges um den blauen Brennstoff Abhil-
fe. Sie können sich im Austausch für sichere und verlässliche Energie zu ver-
nünftigen Preisen von der NATO, dem Euro, dem Dollar und dem Westen
abwenden und sich wieder in die russische Einflusssphäre begeben. Dabei
ist es aus russischer Sicht gar nicht notwendig, dass die neuen Vasallen wie-
der das totalitäre politische System der sowjetischen Vergangenheit anneh-
men. Sie müssen sich nur in geopolitischen Fragen als verlässliche Verbün-
dete erweisen und einer Rubel-Währungszone beitreten, während sie wie
Russland selbst eine demokratische Fassade aufrechterhalten.

Russland spricht auch offen davon, den Dollar als dominante Reservewäh-
rung vom Thron stürzen zu wollen. Der Rubel kann den Dollar bei interna-
tionalen Reserven nicht ersetzen, aber er könnte zu einer regionalen Reser-
ve- und Handelswährung für russische und zentralasiatische Gaslieferanten
und osteuropäische Gaskunden werden und somit den Dollar zumindest
in diesem Bereich verdrängen. Einen deutlicheren Hinweis auf kommende
Kämpfe um den blauen Rohstoff hätte Russland nicht geben können, als es
mit Worten und Taten bereits geschehen ist. Energie ist der Bolzen, mit dem
ein regionaler Wirtschaftsblock mit dem Rubel als regionaler Reservewäh-
rung zusammengeschweißt wird. Der Dollar bleibt dabei außen vor.

Peking

Besonders auffallend an der chinesischen Geschichte ist der häufige und


abrupte Wechsel zwischen Ordnung und Chaos im Lauf der Jahrtausende.
Trotz der augenscheinlichen wirtschaftlichen Dynamik des heutigen China
ist ein plötzlicher Zusammenbruch jederzeit möglich und könnte durch In-
flation, Zunahme der Arbeitslosigkeit, ethnische Spannungen oder eine ge-

216
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

platzte Immobilienblase verursacht werden. Anhaltende und verbreitete Ar-


beitslosigkeit ist in China eine größere Gefahr für die Stabilität als in stärker
industrialisierten Ländern, insbesondere wenn mit steigender Arbeitslosig-
keit die sozialen Aufstiegschancen für dutzende Millionen Einwohner ver-
loren gehen.

Zusätzlich zum normalen Bevölkerungsdruck sitzt China auf einem demo-


grafischen Pulverfass in Form eines »Männerüberschusses« in der Größen-
ordnung von 24 Millionen – ein Ergebnis der Tötung neugeborener Mäd-
chen durch Säuglingsmord und geschlechtsselektive Abtreibungen als
Folge der chinesischen Ein-Kind-Politik. Viele dieser Männer sind jetzt
­etwa A
­ nfang 20. Es ist eine traurige Tatsache, dass alleinstehende, arbeits­
lose Männer Anfang 20 häufig mit antisozialen Verhaltensweisen wie Ban-
denkriminalität, Mord, Drogen und Alkohol zu tun haben.

Interne soziale Instabilität, ausgelöst durch einen Überschuss an alleinste-


henden Männern in Verbindung mit einer Inflation der Lebensmittelprei-
se und Massenarbeitslosigkeit stellt in den Augen der chinesischen Regie-
rung eine weitaus größere Bedrohung dar als das US-Militär. Das Problem
der Instabilität kann teilweise durch Investitionen in Infrastruktur, durch
die Arbeitsplätze entstehen, entschärft werden. Doch um diese Investitio-
nen zu finanzieren, ist China auf seine Währungsreserven angewiesen. Was
geschieht, wenn die USA diese Reserven durch Inflation entwerten? Infla-
tion mag für die politische Führung in den USA sinnvoll erscheinen, aber
der daraus resultierende Vermögenstransfer von China an die USA stellt für
die Chinesen eine existenzielle Bedrohung dar. Die Kaufkraft seiner Reser-
ven zu erhalten, ist für China von entscheidender Bedeutung, um die sozia-
le Kontrolle im Land zu gewährleisten. Die Chinesen warnen die USA, dass
sie eine Inflation des Dollars nicht hinnehmen und Gegenmaßnahmen er-
greifen werden, um einen Vermögensverlust zu verhindern. Der Währungs-
krieg zwischen den USA und China steht erst am Anfang, und die quanti-
tative Lockerung der Fed kann man durchaus als ersten Schuss deuten, der
von den USA abgefeuert wurde.

217
Teil 3 Die nächste globale Krise

Die anschaulichste Darstellung der chinesischen Denkweise zum Thema fi-


nanzwirtschaftliche Kriegsführung findet sich in einem Essay, der in engli-
scher Übersetzung unter dem Titel »The War God’s Face Has Become In-
distinct« in einem Buch über uneingeschränkte Kriegsführung erschienen
ist, das 1999 von den Obersten der Volksbefreiungsarmee Qiao Liang und
Wang Xiangsui geschrieben wurde. Eine Passage verdient es, ausführlich
­zitiert zu werden:

Finanzwirtschaftliche Kriegsführung ist nun offiziell in den Mittelpunkt


der Kriegskunst gerückt – eine Position, die über Tausende von Jahren
durch Soldaten und Waffen eingenommen wurde … Wir sind der An-
sicht, dass »finanzwirtschaftliche Kriegsführung« bald Eingang in die …
Wörterbücher für den offiziellen Militärjargon finden wird. Wenn die Ge-
schichtsbücher über die Kriegsführung im 20. Jahrhundert … überarbei-
tet werden, wird der Abschnitt über finanzwirtschaftliche Kriegsführung
die besondere Aufmerksamkeit der Leser auf sich ziehen … Heute sind
nukleare Waffen bereits zu schauerlichen Staubfängern auf dem Kamin-
sims verkommen, die … an operativem Nutzen verlieren, und der Finanz-
krieg wurde zu einer »hyperstrategischen« Waffe. Diese Waffe erregt die
Aufmerksamkeit der Welt, weil sie leicht manipulierbar ist, verdeckte Ak-
tionen erlaubt und eine hohe Zerstörungskraft besitzt.48

Eine nähere Betrachtung dieser Militärdoktrin führt zu dem Schluss, dass


die zukünftige Geopolitik weniger dem wohlwollenden multilateralen Ethos
eines »Davos Man« folgen wird, sondern eher einer düsteren Schreckensvi-
sion gleichkommen wird, geprägt von Rohstoffknappheit, dem Zusammen-
bruch der Infrastruktur, Merkantilismus und Bankrott. Chinas Ruf nach ei-
ner Ablösung des US-Dollar als Weltreservewährung, der von bornierten
Welteliten regelmäßig zurückgewiesen wird, würde vielleicht ernster ge-
nommen, wenn diese Eliten mit der chinesischen Strategie der finanzwirt-
schaftlichen Kriegsführung genauso vertraut wären wie mit keynesianischer
Theorie.

Der Markt für US-Staatsanleihen ist die Hauptverbindung Chinas mit dem
Weltfinanzsystem. China ist zwar die älteste Zivilisation der Geschichte und
eine aufstrebende Supermacht, aber an der Wall Street ist es vor allem der

218
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

beste Kunde der Welt. Chinas Käufe und Verkäufe an US-Staatsanleihen für
seine Reserven werden über das Netzwerk der Primärhändler abgewickelt.
Großkunden wie China ziehen den Handel mit den Primärhändlern vor,
weil diese durch ihre privilegierte Beziehung zur Fed über die besten Infor-
mationen verfügen, was die Marktbedingungen betrifft. Beziehungen sind
unverzichtbar für einen guten Überblick über die Märkte, und China be-
dient sich dieser Beziehungen.

Wenn China bei einer Bank anruft, meldet sich niemals der Anrufbeantwor-
ter. Es wurden Direktleitungen von Chinas Zentralbank und Staatsfonds
zu den gigantischen Handelsabteilungen von UBS, J. P. Morgan, Goldman
Sachs und anderen großen Banken eingerichtet. Ein Händler weiß, dass
China in der Leitung ist, bevor er den Hörer abnimmt. Es werden Codena-
men verwendet, damit Verkäufer und Händler beim Market Making nicht
belauscht werden können. Wenn China mit US-Anleihen handeln will, ruft
es im Normalfall mehrere Händler gleichzeitig an und macht sich die Kon-
kurrenz unter den Händlern zunutze. China erwartet – und bekommt – auf-
grund des riesigen Umfangs der Geschäfte, die es tätigt, die höchsten Gebo-
te für die Anleihen, die es abstoßen will.

Verlässliche Zahlen über Chinas Erwerbungen von US-Staatsanleihen gibt


es kaum, da China sich, was seine Bestände betrifft, bedeckt hält. Nicht alle
Anleihen in Dollar werden von der US-Regierung ausgegeben, und nicht je-
de Staatsanleihe vom Finanzministerium. Viele US-Staatsanleihen werden
von Fannie Mae, Freddie Mac und anderen Agenturen emittiert. China ist
im Besitz einiger Anleihen in Dollar, die von Banken und anderen Einrich-
tungen ausgegeben wurden, die nicht der US-Regierung unterstehen. Zwei-
fellos besteht der überwiegende Teil von Chinas Dollarbesitz aus Anleihen
des US-Finanzministeriums in jeder Form. Offizielle Schätzungen der USA
beziffern den chinesischen Bestand an US-Staatsanleihen des Finanzminis-
teriums auf über eine Billion Dollar. Berücksichtigt man zusätzlich die An-
leihen von Regierungsagenturen wie Fannie Mae und Freddie Mac, dann
liegt der Gesamtwert an US-Staatsanleihen deutlich höher.

219
Teil 3 Die nächste globale Krise

Chinas größte Angst ist, dass die USA ihre Währung durch Inflation abwer-
ten und den Wert der chinesischen Anlagen in Schuldtitel der USA zerstö-
ren. Es wurde viel spekuliert, China könne als Vergeltung für eine US-In-
flation die eine Billion Dollar an Staatsanleihen in seinem Besitz bei einem
Panikverkauf auf einmal abstoßen, wodurch der US-Zinssatz in die Höhe
schießen und der Dollar auf den Devisenmärkten einbrechen würde. Die
Folgen wären höhere Kosten für Hypotheken und niedrigere Immobilien-
preise in den USA sowie weitere finanzwirtschaftliche Verwerfungen. Es
gibt außerdem Befürchtungen, China könne dieses finanzielle Druckmittel
benutzen, um die US-Politik bei Themen wie Taiwan, Nordkorea oder der
quantitativen Lockerung zu beeinflussen.

Die meisten Beobachter halten diese Befürchtungen für unbegründet. Sie


sind der Meinung, China würde schon allein deswegen seine US-Staatsan-
leihen niemals auf einen Schlag abstoßen, weil es ganz einfach zu viele da-
von besitzt. Der Anleihenmarkt ist zwar tief, aber doch nicht so tief, und der
Preis für US-Staatsanleihen würde bereits kollabieren, wenn China erst ei-
nen kleinen Teil seiner Anleihen verkauft hätte. Den Löwenanteil der daraus
entstehenden Verluste hätten die Chinesen selbst zu tragen. Ein massenwei-
ser Verkauf von US-Staatsanleihen käme für die Chinesen einem ökonomi-
schen Selbstmord gleich.

Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Chinesen den USA auch
noch auf andere, weit weniger kostspielige Art ebenso großen Schaden zu-
fügen können. Staatsanleihen werden mit unterschiedlichen Laufzeiten ge-
handelt, die von 30 Tagen bis 30 Jahren reichen können. Die Chinesen
könnten in ihrem Anlagenmix den Anteil der Anleihen mit langen Laufzei-
ten zugunsten von Anleihen mit kurzen Laufzeiten verringern, ohne dass
sich die Gesamtsumme ihrer Investitionen verändert. Die Anleihen mit kür-
zeren Laufzeiten sind weniger volatil, wodurch die Chinesen besser vor ei-
nem Marktschock geschützt wären. Nach einer solchen Umschichtung wäre
das chinesische Portfolio auch disponibler, wodurch ein vollständiger Aus-
stieg der Chinesen aus Finanzanlagen in US-Staatsanleihen sehr viel ein-

220
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

facher würde. Es wären keine Massenverkäufe notwendig. Die Chinesen


müssten nur das Ende der Laufzeiten der neuen Anleihen abwarten, die un-
ter Umständen nur sechs Monate betragen. Das hätte den Effekt eines kür-
zer eingestellten Zeitzünders.

Außerdem diversifizieren die Chinesen ihre Barreserven auf breiter Front


weg von allen Anlageformen in Dollar. Auch das führt nicht zu massenhaften
Verkäufen und Re-Investitionen, sondern bedeutet nur, dass neue Reserven
in anderen Bereichen angelegt werden. Die Chinesen erzielen jedes Jahr Er-
löse aus ihrem Handelsüberschuss in Höhe von mehreren hundert Milliar-
den Dollar. Das sind riesige Geldbeträge, die zusätzlich zu den bereits beste-
henden Reserven angelegt werden müssen. Existierende Reserven können
weiter in US-Staatsanleihen bestehen bleiben, während die neuen Reser-
ven auf jede andere Art verwendet werden können, die den Chinesen sinn-
voll erscheint.

Die Investitionsmöglichkeiten in anderen Währungen sind jedoch begrenzt.


Die Chinesen können Anleihen in Yen, Euro und Sterling erwerben, die
von Regierungen und Banken außerhalb der USA emittiert werden, aber
die Auswahlmöglichkeiten sind gering – es gibt ganz einfach nicht genü-
gend davon. Kein anderer Markt hat die Tiefe oder die Qualität des Mark-
tes für US-Staatsanleihen. Aber Chinas Wahlmöglichkeiten sind nicht auf
den Anleihenmarkt begrenzt. Die andere führende – und von den Chinesen
inzwischen bevorzugte – Anlagemöglichkeit sind börsengehandelte Roh-
stoffe.

Zu den börsengehandelten Rohstoffen zählen nicht nur Gold, Öl, Kupfer


und dergleichen, sondern auch Aktien von Bergbauunternehmen, die Roh-
stoffe besitzen – über die man indirekt Besitzer der eigentlichen Rohstof-
fe wird –, und Agrarflächen, auf denen Rohstoffe wie Weizen, Mais, Zucker
und Kaffee angebaut werden können. Außerdem gehört noch der wertvolls-
te aller Rohstoffe dazu: Wasser. Es gibt inzwischen Spezialfonds für den
Einkauf von Rechten an Süßwasser aus tiefen Seen und Gletschern in Pa-

221
Teil 3 Die nächste globale Krise

tagonien. Die Chinesen können in diese Fonds investieren oder direkt Süß-
wasserquellen aufkaufen.

Diese Investitionsprogramme für Rohstoffe sind bereits in vollem Gang. So


verdoppelte China zwischen 2004 und 2009 insgeheim seine Goldreser-
ven. China führte über einen seiner Staatsfonds, die Staatliche Chinesische
Devisenbehörde (SAFE), verdeckte Goldkäufe bei Händlern auf der gan-
zen Welt durch. Da SAFE nicht zur chinesischen Zentralbank gehört, hatte
die Zentralbank offiziell nichts mit diesen Geschäften zu tun. In einer einzi-
gen Transaktion transferierte SAFE 2009 seine gesamte Position über 500
Tonnen Gold durch einen einfachen Buchhaltungsvorgang an die Zentral-
bank. Die Welt erfuhr davon erst im Nachhinein.49 China argumentiert, die
Geheimhaltung sei notwendig gewesen, um einen Anstieg des Goldpreises
zu vermeiden, der als Reaktion des Marktes auf die Aktivitäten eines einzel-
nen Großeinkäufers entsteht. Das ist ein weit verbreitetes Problem, das von
Ländern normalerweise vermieden wird, indem sie Erwerbspläne langfristig
ankündigen und sich bei der zeitlichen Planung nicht genau festlegen, da-
mit der Markt das Auftreten eines Käufers nicht ausnutzen kann. In diesem
Fall ging China über eine flexible zeitliche Planung hinaus und führte seine
Transaktionen heimlich durch.

Welche finanziellen Transaktionen finden wohl derzeit im Verborgenen


statt? Während die Chinesen an mehreren Fronten vorrücken, halten die
USA die Vormachtstellung des Dollar weiterhin für unangreifbar. ­Chinas
Haltung gegenüber dem US-Dollar wird vermutlich aggressiver werden,
je mehr die Diversifizierung seiner Reserven voranschreitet. Chinas ak-
tuelle Umorientierung hin zu Sachwerten verkürzt die voraussichtliche
Überlebens­zeit des Dollar weiter.

222
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

Der Zusammenbruch

Nach dieser Städtetour durch die Hotspots der Finanzwirtschaft bleibt


noch die Frage nach der wahrscheinlich größten aller Gefahren: Korrela-
tion. Im Zusammenhang mit globaler finanzwirtschaftlicher Kriegsfüh-
rung steht Korrelation für mindestens zwei Bedrohungen aus dem Ausland,
die gleichzeitig ihre schädliche Wirkung entfalten, entweder durch Koor-
dination oder weil die eine Gefahr die andere auslöst. Wenn Russland ei-
nen Angriff auf den Westen durch einen Lieferstopp für Erdgas durchführ-
te, könnte es für China durchaus sinnvoll sein, seine Anstrengungen bei der
Diversifizierung weg von Finanzvermögen hin zu Sachwerten zu verstärken,
da durch Russlands Aktionen Preisspitzen zu erwarten wären. Wenn Chi-
na seinerseits eine neue Reservewährung auf Basis von Rohstoffen ausriefe,
könnte es für Russland Sinn ergeben, Zahlungen für Öl- und Erdgasexpor-
te nicht mehr oder erst wieder nach einer empfindlichen Abwertung gegen-
über der neuen Währung in Dollar zu akzeptieren.

China und Russland könnten auch auf die Idee kommen, ihre Rohstoff-
und Währungsattacken insgeheim zeitlich zu koordinieren, damit sie sich
gegenseitig verstärken. Sie könnten im Vorfeld ihrer Aktionen mithilfe von
Hebeleffekten und Derivaten große Positionen aufbauen. Neben dem ei-
gentlichen Angriff könnten die beiden Länder durch im Vorfeld durchge-
führte Insidergeschäfte zusätzliche Profite aus ihrem Vorgehen ziehen. Ira-
ner mit Zugang zu Banken in Dubai, die diese Entwicklungen beobachten,
könnten sich zu einem Krieg gegen Saudi-Arabien oder zu einem Terror­
anschlag entschließen, nicht notwendigerweise in Absprache mit den Rus-
sen oder Chinesen, sondern weil der finanzielle Multiplikator-Effekt eines
Angriffs so viel stärker wäre.

Bei einer nahezu synchronen Kombination aus einer russischen Rohstoffat-


tacke, einer chinesischen Währungsattacke und einer militärischen Attacke
des Iran gegen die USA und ihre Interessen wären die Auswirkungen auf die
angespannten Kapitalmärkte vorhersehbar. Die Folge für die ­Märkte ­wäre

223
Teil 3 Die nächste globale Krise

das finanzwirtschaftliche Äquivalent eines Schlaganfalls. Die Märkte wür-


den nicht einfach zusammenbrechen. Sie würden vielleicht ihre Funktions-
fähigkeit vollständig einbüßen.

Die ersten Vorläufer einer solchen Bedrohung machen sich bereits be­
merkbar. Diese Bedrohung ist keine abstrakte Annahme des ungünstigs-
ten Falls, sondern die Fortschreibung von aktuellen Ereignissen wie den
­folgenden:

– 28. Oktober 2008: Interfax berichtet, der russische Premierminister


Wladimir Putin habe dem chinesischen Premier Wen Jiabao geraten,
den Dollar als Handels- und Reservewährung aufzugeben.

– 15. November 2008: Associated Press berichtet, der Iran habe seine
­Finanzreserven auf Gold umgestellt.

– 19. November 2008: Dow Jones berichtet, China erwäge eine Zielvor­
gabe für seine offiziellen Goldreserven von 4 000 Tonnen, um durch
­eine Diversifizierung das Risiko durch Dollaranlagen zu verringern.

– 9. Februar 2009: Die Financial Times berichtet, der Handel mit Gold-
barren habe einen neuen Höchststand erreicht.

– 18. März 2009: Reuters berichtet, die Vereinten Nationen unterstützten


Rufe nach einer Abkehr vom US-Dollar als Weltreservewährung.

– 30. März 2009: Agence France Press berichtet, Russland und China
­kooperierten bei der Schaffung einer neuen Weltreservewährung.

– 31. März 2009: Die Financial Times berichtet, China und Argentinien
hätten einen Währungsswap vereinbart, der Argentinien erlaube, chine-
sische Yuan anstelle von US-Dollar zu verwenden.

224
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus

– 26. April 2009: Agence France Press berichtet, China verlange eine Re-
form des Weltwährungssystems und die Ablösung des US-Dollar als
führende Reservewährung.

– 18. Mai 2009: Die Financial Times berichtet, Brasilien und China hät-
ten sich auf die Untersuchung der Möglichkeit eines bilateralen Handels
ohne Dollar geeinigt.

– 16. Juni 2009: Reuters berichtet, Brasilien, Russland, Indien und China
hätten bei einem Treffen der BRIC-Staaten ein »breiter aufgestelltes, sta-
bileres und berechenbareres Währungssystem« gefordert.

– 3. November 2009: Bloomberg berichtet, Indien habe IWF-Gold im


Wert von 6,7 Milliarden Dollar erworben und sich aufgrund der Schwä-
che des Dollars von Vermögensanlagen in Dollar getrennt.

– 7. November 2010: Der Präsident der Weltbank Robert Zoellick schlägt


vor, die G20 sollten »darüber nachdenken, Gold als internationalen Re-
ferenzpunkt für die Markterwartungen in Bezug auf Inflation, Deflation
und zukünftige Währungskurse zu verwenden«.

– 13. Dezember 2010: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy ruft da-
zu auf, eine größere Rolle der SZR im Weltwährungssystem zu erwägen.

– 15. Dezember 2010: Businessweek berichtet, China und Russland hätten


gemeinsam gefordert, die Rolle des Dollar im Welthandel einzuschrän-
ken, und verkündet, sie hätten einen Mechanismus zur Währungsver-
rechnung im Handel zwischen Yuan und Rubel eingeführt.

Dies ist nur eine Auswahl vieler Berichte, die darauf hindeuten, dass China,
Russland, Brasilien und andere Länder nach einer Alternative für den Dol-
lar als Weltreservewährung suchen. Häufig werden auch Rohstoffe als Basis
für eine neue Währung ins Gespräch gebracht.

225
Teil 3 Die nächste globale Krise

Das sind besorgniserregende Entwicklungen, die schwierige Entscheidun-


gen erfordern. Eine Wahrung der nationalen Sicherheitsinteressen der USA
erfordert die Kenntnis des Kräftespiels auf den globalen Kapitalmärkten.
Die Abhängigkeit der USA von traditionellen Rivalen für ihre Schulden­
finanzierung schränkt nicht nur die Fiskalpolitik ein, sondern auch die natio­
nale Sicherheit und die militärischen Möglichkeiten des Landes. Die geopo-
litischen Dominosteine fallen bereits in Pakistan, Somalia, Thailand, Island,
Ägypten, Libyen, Tunesien und Jordanien. Deutlich größere Domino­steine
wackeln schon, zum Beispiel in Osteuropa, Spanien, Mexiko, Iran und Sau-
di-Arabien. Die Herausforderungen für die USA werden größer, während
der Dollar immer schwächer wird.

Von den großen drei der Weltpolitik, den USA, Russland und China, sind
die USA am besten gegen finanzwirtschaftliche Angriffe aus dem Ausland
abgesichert, doch scheinen sie entschlossen, sich selbst durch die Abwer-
tung des Dollar zu schwächen. Russland ist sichtlich geschwächt, doch sei-
ne Schwäche könnte zu seiner Stärke werden – es hat sich in seiner Ge-
schichte schon mehrmals von der Welt abgewendet und autark gelebt.
China macht einen widerstandsfähigen Eindruck, aber es hat sich in der
Vergangenheit als anfällig erwiesen. In den vergangenen 5 000 Jahren be-
stand es abwechselnd als zentral geführtes Kaiserreich und als Ansammlung
sich bekriegender Kleinstaaten. Es ist schwer einzuschätzen, wie groß die
Angst der chinesischen Führung vor den kleinsten Anzeichen von Unru-
hen durch Arbeitslose, die Landbevölkerung, Falun Gong, die Tibeter, die
Uiguren, nordkoreanische Flüchtlinge oder viele weitere potenziell zerstö-
rerische Kräfte ist. Eine Weltwirtschaftskrise könnte durch ihre komplizierte
Dynamik 60 Jahre Regierung durch die Kommunistische Partei Chinas zu-
nichtemachen. Hinter den Kulissen steht der Iran bereit, der die wirtschaft-
liche Schwäche der USA als ultimativen Multiplikatoreffekt betrachtet, der
dem Iran im Falle eines Angriffs auf seine Nachbarstaaten im Nahen Os-
ten helfen würde. Wir sind bereits in den Sog dieses Strudels geraten. Die
Verbindung aus ungezügeltem globalem Kapital und instabiler Geopolitik
gleicht einem Raubtier, das anfängt, seine Krallen zu zeigen.

226
Kapitel 9 – Der Missbrauch der
Wirtschaftswissenschaft
»Wir wollen uns lediglich erinnern, daß menschliche Entscheidungen,
welche die Zukunft beeinflussen … sich nicht auf strenge mathematische
Erwartung stützen können, weil die Grundlage für solche Berechnungen
nicht besteht; und daß es unser angeborener Drang zur Tätigkeit ist, der
die Räder in Bewegung setzt, wobei unser vernünftiges Ich nach bestem
Können seine Wahl trifft … aber oft für seine Beweggründe zurückfallend
auf Laune, Gefühl oder Zufall.«
John Maynard Keynes, 1935

Ende der 1940er-Jahre löste sich die Wirtschaftswissenschaft von ih-


ren ehemaligen Verbündeten in der Politikwissenschaft, Philosophie und
Rechtswissenschaft und suchte eine neue Allianz mit den exakten Wissen-
schaften der Mathematik und Physik. Ironischerweise wandte sich die Wirt-
schaftswissenschaft ausgerechnet zu einem Zeitpunkt der klassischen Phy-
sik und der Kausalitätstheorie zu, als man sich in der Physik immer mehr
mit Relativität und Komplexität befasste. Die Stiftung eines Nobelpreises
für Wirtschaftswissenschaften 1968, 67 Jahre nach der ersten Verleihung
des Nobelpreises für Physik, bestätigte die akademische Metamorphose.
Die Wirtschaftswissenschaftler wurden die neuen Hohepriester für einen
großen Teil des menschlichen Handelns – Vermögensaufbau, Arbeitsplät-
ze, Sparen und Investieren – und waren mit Gleichungen, Modellen und
­Computern bestens zur Ausübung ihrer priesterlichen Funktionen ausge-
stattet.

Seit den Anfängen des Laissez-faire-Kapitalismus bricht in Wirtschafts-


systemen immer wieder Chaos aus. Spekulationsblasen, Paniken, Zusam-
menbrüche und Rezessionen kommen und gehen mit der Häufigkeit von
Überschwemmungen und Wirbelstürmen. Das mag nicht sonderlich über-

227
Teil 3 Die nächste globale Krise

raschen, weil die Wirtschaftswissenschaften in der menschlichen Natur


wurzeln und diese Dynamik immer am Werk ist. Doch die neuen, natur-
wissenschaftlich ausgerichteten Wirtschaftswissenschaften verhießen etwas
Besseres. Die Wirtschaftswissenschaftler versprachen, dass die Schwan-
kungen des Marktes durch die Feinabstimmung der Steuer- und Geldpo-
litik, durch den Ausgleich der Handelsbilanzen und die Verteilung der Ri-
siken bei Derivaten ausgeglichen werden könnten und dass das Wachstum
alles übersteigen würde, was in der Vergangenheit möglich gewesen war. Die
Wirtschaftswissenschaftler versprachen auch, dass durch die Abschaffung
des Goldstandards das für ein anhaltendes Wachstum nötige Geld zur Ver-
fügung stehen würde und dass durch die Derivate das Risiko in den Händen
derjenigen liege, die am besten damit umgehen könnten.

Doch die Finanzkrise 2008 zeigte, dass es sich um leere Versprechungen ge-
handelt hatte. Nur massive staatliche Interventionen in Form von Kapitalga-
rantien für die Banken, Kapital für Interbankkredite, Geldmarktgarantien,
Kreditgarantien, Einlagensicherungen und vieler anderer Hilfen verhinder-
ten einen Kollaps der Kapitalmärkte und der Wirtschaft. Abgesehen von ei-
nigen wenigen Ausnahmen hatten die Makroökonomen, Politiker und Ri-
sikomanager den Zusammenbruch nicht vorhergesehen und wussten sich
nicht anders zu helfen, als den Markt mit billigem Geld zu überschwemmen.

Will man mehr über die Gründe erfahren, ist ein Blick ins Jahr 1947 hilf-
reich, dem Jahr, in dem Paul Samuelsons Buch Foundations of Economic
Analysis erschien. Dieses Jahr könnte man als Übergang zwischen den Wirt-
schaftswissenschaften als Sozialwissenschaft und dem neuen Zeitalter der
Wirtschaftswissenschaften als Naturwissenschaft betrachten. Es zeigt sich,
dass sich das Marktverhalten vorher und nachher ähnelt. Der Zusammen-
bruch des Hedgefonds Long-Term Capital Management 1998 weist Paralle­
len zur Pleite des Knickerbocker Trust und der Panik von 1907 auf, denn
in allen Fällen kam es zu einer ansteckenden Dynamik, bis schließlich die
Banken eingriffen, die am meisten zu verlieren hatten. Der Kurssturz vom
19. Oktober 1987, als der Dow Jones an einem einzigen Tag um 22,61 Pro-

228
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

zent einbrach, erinnert an den zweitägigen Kurseinbruch von 23,05 Pro-


zent am 28. und 29. Oktober 1929. Die Arbeitslosigkeit im Jahr 2011 in den
USA ist mit den Arbeitslosenzahlen zu Zeiten der Großen Depression ver-
gleichbar, wenn man für beide Zeiträume die gleichen Bemessungsmetho-
den in Bezug auf Arbeitslose, die entmutigt sind und keine Arbeit mehr su-
chen, verwendet. Kurz gesagt, deutet nichts darauf hin, dass die sogenannte
»harte« Wirtschaftswissenschaft seit 1947 die klassischen Probleme des
Konjunkturzyklus dank moderner Methoden erfolgreich bekämpft hat. Im
Gegenteil, die moderne ökonomische Praxis hat eher dafür gesorgt, dass es
der Gesellschaft schlechter geht, wenn man an die hohen Staatsausgaben,
die wachsende Staatsverschuldung, die immer größere Schere zwischen
Arm und Reich und die steigende Zahl der Langzeitarbeitslosen denkt.

Aufgrund der aktuellen Krisen und Versäumnisse gelten Wirtschaftswis-


senschaftler auch beim normalen Bürger nicht mehr als unfehlbar. Was in
der Wirtschaftswissenschaft funktioniert und was nicht, ist kein rein akade-
misches Problem mehr, wenn 44 Millionen Amerikaner von Lebensmittel-
marken leben müssen. Die Behauptungen von Wirtschaftstheoretikern über
Multiplikatoren, Rationalität, Effizienz, Korrelation und die Normalvertei-
lung beim Risiko sind nicht mehr nur bloße Abstraktion. Sie sind zur Be-
drohung für das Wohlergehen der Nation geworden. Gravierende Fehlein-
schätzungen der Wirtschaftswissenschaftler treten in der Politik der Federal
Reserve zutage, im Keynesianismus, Monetarismus und der Finanzmarkt-
theorie. Wenn man diese Fehleinschätzungen erkennt, versteht man auch,
warum das Wachstum stagniert und es zu Währungskriegen kommen kann.

Die Federal Reserve

Das amerikanische Federal Reserve System ist die mächtigste Zentralbank,


die es je gab, und die beherrschende Kraft in der amerikanischen Wirtschaft
von heute. Die Federal Reserve hat die Aufgabe, für Preisstabilität zu sorgen

229
Teil 3 Die nächste globale Krise

und die Arbeitslosigkeit zu verringern. Außerdem gilt sie bei einer Finanz-
krise als »Lender of the Last Resort«, als Kreditgeber der letzten Zuflucht,
der in Not geratene Banken mit Geld versorgt. Eine weitere Aufgabe ist die
Regulierung der Banken, vor allem jener, die als »too big to fail« gelten, al-
so als zu groß, um sie bankrottgehen zu lassen. Die Fed vertritt die USA
bei multilateralen Zentralbankkonferenzen etwa im Rahmen der G20 oder
der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und führt Transaktionen in
Zusammenhang mit den staatlichen Goldreserven durch. Darüber hinaus
hat die Fed durch den Dodd-Frank-Act, ein Gesetz zur Reform der Finanz-
märkte von 2010, weitere Aufgaben erhalten. Doch dieses »duale« Mandat
erinnert eher an eine Hydra mit vielen Köpfen.

Seit ihrer Gründung 1913 besteht die wichtigste Aufgabe der Fed darin,
die Kaufkraft des Dollar zu erhalten, dennoch hat der Dollar bislang über
95 Prozent seines Wertes eingebüßt. Das heißt, dass man heute 20 Dollar
benötigt, um etwas zu kaufen, für das 1913 ein einziger Dollar genügte. Stel-
len Sie sich einen Investmentberater vor, der 95 Prozent des ihm anvertrau-
ten Vermögens verliert, dann haben Sie eine Ahnung davon, wie wirksam
die Fed ihrer Hauptaufgabe nachgekommen ist.

Die Leistungsbilanz der Fed hinsichtlich der Preisstabilität des Dollar fällt
im Vergleich zur Römischen Republik sehr blass aus, denn der Silber­denar
bewahrte über 200 Jahre lang 100 Prozent seiner ursprünglichen Kauf-
kraft, bis Kaiser Augustus Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus mit sei-
ner Abwertung begann. Der goldene Solidus des Byzantinischen Reichs hat
eine noch beeindruckendere Bilanz, seine Kaufkraft blieb praktisch über
500 Jahre lang unverändert, von der Geldreform im Jahr 498 nach Christus
bis zur Abwertung 1030.

Zur Verteidigung der Fed könnte man anführen, dass der Dollar zwar 95 Pro-
zent seines Wertes verloren hat, die Löhne jedoch um einen Faktor über 20
gestiegen sind und damit die verminderte Kaufkraft ausgleichen. Die Vor-
stellung, dass sich Preise und Löhne parallel bewegen, ohne dass Schaden

230
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

entsteht, bezeichnet man als Neutralität des Geldes. Allerdings ignoriert


diese Theorie, dass Löhne und Preise zwar zusammen gestiegen sind, aber
nicht einheitlich in allen Bereichen. Dadurch gibt es unverdiente Gewin-
ner und Verlierer. Verlierer sind normalerweise die Amerikaner, die umsich-
tig gespart haben, und Ruheständler, deren feste Einkünfte durch die Infla-
tion gemindert werden. Gewinner sind diejenigen, die die Hebelwirkung
nutzen, über bessere Kenntnisse zur Inflation verfügen und sich entspre-
chend mit harten Vermögenswerten wie Gold, Land und Kunst abgesichert
haben. Dadurch wird die Entscheidungsfindung bei Investitionen verzerrt,
es kommt zur Fehlverteilung von Kapital, zu Spekulationsblasen und einer
Verschärfung der Einkommensungleichheit. Die wahren Kosten einer feh-
lenden Preisstabilität sind Ineffizienz und Ungerechtigkeit.

Eine weitere Aufgabe der Fed ist die Bereitstellung von Kapital und Kredi-
ten in ihrer Funktion als Lender of the Last Resort. In der klassischen For-
mulierung des im 19. Jahrhundert lebenden britischen Ökonomen Walter
Bagehot heißt das, dass im Falle einer Panik, bei der alle Sparer sofort ihr
Geld abheben wollen, die Zentralbank solventen Banken zu einem hohen
Zinssatz »unbehindert Kredit gewährt auf alle guten Banksicherheiten«, da-
mit die Banken ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachkom-
men können.50 Diese Form des Kredits gilt nicht als Rettungsaktion, son-
dern als Möglichkeit, gute Vermögenswerte in Bargeld umzuwandeln, wenn
es für die Vermögenswerte gerade keinen anderen Markt gibt. Sobald sich
die Panik legt und das Vertrauen wiederhergestellt ist, können die Banken
die Kredite an die Zentralbank zurückzahlen und erhalten ihre Sicherhei-
ten wieder.

Doch in der Weltwirtschaftskrise, als diese Funktion dringend nötig gewe-


sen wäre, scheiterte die Fed kläglich. Über 10 000 amerikanische Banken
wurden entweder geschlossen oder übernommen; die Vermögenswerte im
Bankensystem gingen um fast 30 Prozent zurück. Das Geld war so knapp,
dass viele Amerikaner zum Tauschhandel zurückkehrten und Eier gegen
Zucker oder Kaffee tauschten. In dieser Zeit gab es auch 5-Cent-Stücke aus

231
Teil 3 Die nächste globale Krise

Holz, eine selbstgemachte Ersatzwährung, die vom lokalen Kaufmann als


Wechselgeld für die Kunden verwendet und von den Geschäften im nähe-
ren Umkreis als Zahlungsmittel akzeptiert wurde.

Der nächste Fall, bei dem die Funktion des Kreditgebers der letzten Zuflucht
von ähnlich entscheidender Bedeutung wie während der Weltwirtschafts-
krise gewesen wäre, war die Panik 2008. Die Fed handelte 2008, als ob es
sich um eine Liquiditätskrise handeln würde, obwohl es doch eine Solvenz-
und Kreditkrise war. Kurzfristige Kredite können zur Überbrückung einer
Liquiditätskrise funktionieren, jedoch keine Solvenzkrise beheben, bei der
die Sicherheiten dauerhaft beeinträchtigt sind. Die Lösung für eine Solvenz­
krise ist die Schließung oder Verstaatlichung der insolventen Banken unter
Zuhilfenahme von Notverordnungen, wobei die schlechten Vermögenswer-
te unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt werden und die so entstande-
ne neue, solvente Bank über den Verkauf der Anteile an neue Anteilseigner
reprivatisiert wird. Dadurch ist die neue Bank in der Lage, wieder Kredit
zu bekommen. Der Vorteil, die schlechten Vermögenswerte unter staatli-
che Kontrolle zu stellen, besteht darin, dass sie zu niedrigen Kosten ohne
Kapital und ohne eine Neubewertung der Verluste zum aktuellen Markt-
preis finanziert werden können. Die Anteilseigner und Anleiheinhaber der
insolventen Bank und des Einlagensicherungsfonds FDIC übernehmen die
Verluste aus den schlechten Vermögenswerten, und die Steuerzahler müs-
sen nur für zusätzliche Verluste aufkommen.

Doch wieder einmal schätzte die Fed die Situation völlig falsch ein. Anstatt
die insolventen Banken zu schließen, griffen ihnen die Fed und das Finanz-
ministerium mit dem TARP-Rettungspaket und anderen Hilfsmitteln unter
die Arme, damit die Anteilseigner und das Bankmanagement weiter Zinsen,
Gewinne und Bonusleistungen auf Kosten der Steuerzahler einstreichen
konnten. Das entsprach durchaus dem Mandat der Federal Reserve, das
1910 auf Jekyll Island festgelegt worden war – die Banker sollten vor sich
selbst geschützt werden. Allerdings ignorierte die Fed Bagehots Prinzipien
fast gänzlich. Sie verlieh das Geld großzügig, wie Bagehot es empfahl, aber

232
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

gegen schwache Sicherheiten, die größtenteils immer noch die Bilanzen der
Fed belasten. Die Fed verlangte so gut wie keine Zinsen anstelle der hohen
Sätze, die man normalerweise von einem Kreditnehmer in Bedrängnis for-
dert. Und sie lieh das Geld nicht nur an solvente Banken, die es wert waren,
gerettet zu werden, sondern auch an insolvente Banken. Für die Wirtschaft
bedeutet das, dass sich die schlechten Vermögenswerte immer noch im Sys-
tem befinden, dass kaum Kredite vergeben werden, weil die Banken Kapital
bilden müssen, und dass die Wirtschaft weiterhin große Probleme hat, zu ei-
nem selbsttragenden Wachstum zurückzukehren.

In beiden Fällen, in denen die Federal Reserve als Kreditgeber der letzten
Zuflucht dringend gebraucht worden wäre, versagte sie kläglich. Zuerst
1929 bis 1933, als sie die Banken mit Liquidität versorgen sollte und es
nicht tat. Und dann in den Jahren 2007 bis 2009, als die Fed insolvente Ban-
ken hätte schließen müssen, sie aber stattdessen liquide hielt. Beide Episo-
den zeigen, so seltsam das klingen mag, dass die Fed relativ wenig über die
klassischen Funktionen einer Zentralbank weiß.

Zu diesen Funktionen kam 1978 noch eine weitere hinzu. Der Humphrey-
Hawkins-Act für Vollbeschäftigung, der unter Präsident Carter verabschie-
det wurde, machte auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur Sache
der Federal Reserve. Das Gesetz ist ein typisches Beispiel für die keynesi-
anische Wirtschaftspolitik und verpflichtete die Fed und die Exekutive zur
Zusammenarbeit mit dem Ziel, Vollbeschäftigung, Wachstum, Preisstabili-
tät und ein ausgeglichenes Budget zu erreichen. Sogar ein konkretes Ziel
wurde festgelegt; bis 1983 sollte die Arbeitslosigkeit auf 3 Prozent sinken
und danach auf diesem niedrigen Stand gehalten werden. Aber in der Folge-
zeit erreichte die Arbeitslosigkeit immer wieder zyklische Spitzen: 1983 mit
10,4 Prozent, 7,8 Prozent 1992, 6,3 Prozent 2003 und 10,1 Prozent 2009.
Die Erwartung, dass die Fed sämtliche Ziele des Humphrey-Hawkins-Act
sofort erreichen würde, war natürlich unrealistisch, auch wenn sich Fed-
Mitarbeiter in ihren Aussagen vor dem Kongress immer noch dazu beken-
nen. Tatsächlich hat die Fed ihre Aufgabe, für Vollbeschäftigung zu sorgen,

233
Teil 3 Die nächste globale Krise

nicht erreicht. 2011 ist die Vollbeschäftigung in ihrer herkömmlichen Defi-


nition nach den Schätzungen der Fed immer noch fünf Jahre entfernt.

Zum Versagen bei der Preisstabilität, als Kreditgeber der letzten Zuflucht
und bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit kommt noch der größte Miss-
erfolg überhaupt: die Bankenregulierung. Die vom Kongress 2009 ernann-
te Kommission zur Untersuchung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskri-
se befragte über 700 Zeugen, prüfte Millionen Seiten von Dokumenten und
hielt ausführliche Anhörungen ab, um die Verantwortlichen der Finanzkrise
zu finden. Sie kam zu dem Schluss, dass ein Versagen der Regulierungsbe-
hörden eine der Hauptursachen der Krise sei und dass dieses Versagen der
Federal Reserve anzulasten sei. Im offiziellen Bericht heißt es:

Wir kommen zu dem Schluss, dass die Krise vermeidbar gewesen wäre.
Die Krise war das Resultat menschlicher Tätigkeit und Untätigkeit …
Bestes Beispiel ist das Scheitern der Federal Reserve, die Flut toxischer
Hypothekenpapiere einzudämmen, obwohl das durch die Festlegung um-
sichtiger Standards für die Hypothekenvergabe möglich gewesen wä-
re. Die Federal Reserve war die Einrichtung, die dazu die Möglichkeiten
hatte, aber nichts unternahm … Wir kommen zu dem Schluss, dass sich
großangelegte Versäumnisse bei der Regulierung und Aufsicht als verhee-
rend für die Stabilität der nationalen Finanzmärkte erwiesen haben. Die
Wachen waren nicht auf Posten … Die Position, dass den Regulierungs-
behörden die Macht fehlte, das Finanzsystem zu schützen, wird von uns
nicht akzeptiert. Die Regulierungsbehörden hatten in vielen Bereichen
ausreichende Befugnisse, machten aber keinen Gebrauch davon … Die
Federal Reserve Bank von New York und andere Regulierungsbehörden
hätten gegen die Exzesse der Citigroup im Vorfeld der Krise scharf vor-
gehen können. Das taten sie jedoch nicht … All diese Fälle zeigen, dass
die Regulierungsbehörden die Einrichtungen und Unternehmen, die sie
beaufsichtigen sollten, trotz zunehmender Probleme als sicher und ­solide
einstuften.51

Der Bericht analysiert detailliert auf über 500 Seiten die Versäumnisse der
Federal Reserve als Regulierungsbehörde. Wie bereits im obigen Auszug
vermerkt, wären alle Fehler vermeidbar gewesen.

234
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Ein letzter Test zur Kompetenz der Fed betrifft den Umgang mit ihrer eige-
nen Bilanz. Die Fed mag zwar eine Zentralbank sein, ist aber trotzdem eine
Bank mit einer Bilanz und einem Reinvermögen. Eine Bilanz hat zwei Sei-
ten: die Aktiva, also das Vermögen, das man besitzt, und die Passiva, die man
anderen schuldet. Das Reinvermögen, auch Kapital genannt, entspricht den
Aktiva abzüglich der Passiva. Das Vermögen der Fed besteht hauptsächlich
aus Staatsanleihen, die sie kauft, und bei den Schulden handelt es sich in
erster Linie um das Geld, das sie für solche Käufe druckt.

Im April 2011 betrug das Nettovermögen der Fed etwa 60 Milliarden Dol-
lar, die Vermögenswerte lagen bei fast 3 Billionen Dollar. Wenn die Vermö-
genswerte der Fed um 2 Prozent an Wert verlieren würden, was auf einem
volatilen Markt ein relativ unspektakulärer Vorgang ist, wäre das bei einem
Vermögen von 3 Billionen Dollar ein Verlust von 60 Milliarden Dollar – ge-
nug, um das Kapital der Fed zu vernichten. Die Fed wäre dann insolvent.
Kann so etwas passieren? Es ist bereits geschehen, doch die Fed meldet dies
nicht, weil sie nicht verpflichtet ist, ihre Vermögenswerte zum Marktkurs zu
bewerten. Die Situation wird sich weiter zuspitzen, wenn es an der Zeit ist,
das Programm der quantitativen Lockerung durch den Verkauf von Anlei-
hen zu beenden. Die Fed kann vielleicht kurzfristig die Marktwertverluste
ignorieren, doch beim Verkauf der Anleihen müssen die Verluste in den Bü-
chern ausgewiesen werden.

Bei der Federal Reserve ist man sich des Problems durchaus bewusst. 2008
sprachen Fed-Mitarbeiter mit Kongressabgeordneten über die Möglichkeit,
die Bilanzen durch die Emission eigener Anleihen aufzubessern, wie es das
Finanzministerium heute tut. Bei einer Rede 2009 in New York wandte sich
Janet Yellen, Präsidentin der Federal Reserve Bank von San Francisco, mit
dieser Bitte an die Öffentlichkeit. Zu den neuen Fed-Anleihen sagte sie: »Ich
wäre glücklicher, wenn wir sie jetzt schon hätten« und »Es wäre sicher sehr
gut, sie zu haben«.52 Yellen schien sehr bestrebt, das Projekt auf den Weg zu
bringen, und das mit gutem Grund. Die drohende Insolvenz der Federal Re-
serve zeichnete sich von Tag zu Tag deutlicher ab, je mehr der Fremdkapi-

235
Teil 3 Die nächste globale Krise

talanteil erhöht wurde. Durch die Genehmigung des Kongresses, Fed-An-


leihen aufzulegen, könnte die Federal Reserve die quantitative Lockerung
beenden, ohne dass sie die bereits vorhandenen Anleihen verkaufen müsste.
Anstelle der alten US-Schatzbriefe sollten die neuen Fed-Anleihen verkauft
werden, um die im Umlauf befindliche Geldmenge zu reduzieren. Durch
diesen Ersatz wäre der Verlust bei den alten Schatzanleihen weiterhin ver-
borgen geblieben.

Doch der Anleihe-Trick wurde auf dem Kapitolshügel gekippt, und nach
dessen Scheitern im Kongress benötigte die Fed schnell eine andere Lö-
sung. Die Zeit wurde allmählich knapp, denn irgendwann musste die quan-
titative Lockerung aufgehoben werden. Die Lösung war schließlich eine
Absprache zwischen dem Finanzministerium und der Federal Reserve, die
keine Genehmigung des Kongresses benötigte.

Mit den Zinsen auf die sich in ihrem Besitz befindlichen Staatsanleihen
macht die Fed jedes Jahr hohe Gewinne. Normalerweise gehen diese Ge-
winne ans Finanzministerium. 2010 kamen die Fed und das Ministerium
überein, dass die Fed die Zahlungen für unbestimmte Zeit einstellen konn-
te. Die Fed behält das Geld, und die Summe, die normalerweise ans Finanz-
ministerium gehen würde, wird als Passivkonto geführt – im Grunde also als
Verbindlichkeiten. Ein noch nie dagewesener Vorgang, der zeigt, wie ver-
zweifelt die Situation der Fed ist.

Obwohl die Fed bei den anstehenden Anleiheverkäufen mit Verlusten rech-
nen muss, reduziert sie nicht das Kapital, wie man es normalerweise erwar-
ten würde. Stattdessen erhöht sie die Summe ihrer Verbindlichkeiten ge-
genüber dem Finanzministerium. Die Fed stellt also private Schuldscheine
an das Finanzministerium aus und nutzt das dadurch eingenommene Geld,
um nicht den Anschein einer Insolvenz zu erwecken. Solange die Fed diese
Schuldscheine ausstellen kann, wird ihr Kapital nicht von den Verlusten bei
den Anleihen aufgezehrt. Auf dem Papier sind damit die Probleme der Fed
gelöst, doch tatsächlich erhöht sie ihren Fremdkapitalanteil und parkt ihre

236
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Verluste beim Finanzministerium. Wer in der freien Wirtschaft derart die Bi-
lanzen frisiert, landet im Gefängnis. Immerhin ist das Finanzministerium ei-
ne staatliche Einrichtung, während die Federal Reserve eine private Einrich-
tung der Banken ist, daher ist dieser Bilanzierungstrick ein weiteres Beispiel
dafür, wie dem Steuerzahler zugunsten der Banken Mittel entzogen werden.

Die USA haben derzeit ein System, bei dem das Finanzministerium ein
nicht abzubauendes Defizit anhäuft und Staatsanleihen verkauft, um nicht
pleite zu gehen. Die Federal Reserve druckt Geld, um diese Anleihen zu
kaufen, und macht durch deren Besitz Verlust. Dann nimmt das Finanzmi-
nisterium Schuldscheine von der Fed, damit die Fed nicht bankrottgeht. Ein
ziemlicher Drahtseilakt, den man nur staunend betrachten kann. Das Fi-
nanzministerium und die Federal Reserve erinnern an zwei Betrunkene, die
sich gegenseitig stützen, um nicht umzufallen. Mit einem Fremdkapitalan-
teil von 50 zu 1 und ihren Investitionen in schwankungsanfällige mittelfristi-
ge Anleihen wirkt die Federal Reserve heute eher wie ein schlecht geführter
Hedgefonds und nicht wie eine Zentralbank.

Ed Koch, der Bürgermeister von New York in den 1980er-Jahren, war be-
rühmt dafür, dass er durch die Stadt spazierte und Passanten mit seinem ty-
pischen New Yorker Akzent fragte: »Wie mache ich mich?«, um Feedback
für seine Verwaltungsarbeit zu bekommen. Wenn die Fed das fragen würde,
bekäme sie zur Antwort, dass sie es seit ihrer Gründung 1913 nicht geschafft
hat, die Preisstabilität zu gewährleisten, als Kreditgeber der letzten Zuflucht
gescheitert ist, keine Vollbeschäftigung erreicht und bei der Bankenaufsicht
versagt hat und auch keine ausgeglichene Bilanz vorweisen kann. Der einzig
bemerkenswerte Erfolg der Fed besteht darin, dass der Wert der amerikani-
schen Goldreserven unter ihrer Obhut von 11 Milliarden Dollar gleich nach
dem Nixon-Schock 1971 auf über 400 Milliarden Dollar stieg. Natürlich ist
die Wertsteigerung beim Gold nur die Kehrseite des Wertverlusts beim Dol-
lar, den die Fed ebenfalls zu verantworten hat. Insgesamt fällt einem kaum
eine andere staatliche Einrichtung ein, die bei ihren wichtigsten Aufgaben
so durchgängig versagt hat.

237
Teil 3 Die nächste globale Krise

Der Monetarismus

Der Monetarismus ist eine Wirtschaftstheorie, die vor allem mit Milton
Friedman in Verbindung gebracht wird, dem 1976 der Nobelpreis für
Wirtschaft verliehen wurde. Sein wichtigster Grundsatz lautet, dass Ver­
änderungen der Geldmenge die Hauptursache für Veränderungen beim
Bruttoinlandsprodukt sind. Diese Veränderungen können, gemessen in
Dollar, in zwei Bestandteile aufgegliedert werden: eine »reale« Kompo­
nente, die tatsächliche Gewinne hervorbringt, und eine »inflationäre«
Kompo­nente, die illusorisch ist. Die reale Komponente plus die inflatio-
näre Komponente ­bilden zusammen den nominellen Zuwachs, gemessen
in Dollar.

Friedmans Beitrag bestand darin zu zeigen, dass die Erhöhung der Geld-
menge zur Steigerung des Outputs nur bis zu einem bestimmten Punkt
funktioniert; darüber hinaus sind sämtliche nominellen Gewinne infla­
tionär und daher nicht real. Die Fed könnte also die Geldmenge erhöhen,
um ein nominales Wachstum zu kreieren, doch das reale Wachstum wä-
re begrenzt. Friedman vermutete außerdem, dass die inflationären Aus­
wirkungen bei der Erhöhung der Geldmenge verzögert auftreten und es
­daher vorübergehend zu einem Anstieg des realen BIP kommen kann,
später würde jedoch die Inflation den ursprünglichen Zuwachs zunichte­
machen.

Friedmans Idee ist in einer Gleichung zusammengefasst, die als Quantitäts-


theorie des Geldes bekannt ist. Die Variablen sind M = Geldmenge, V = Um-
laufgeschwindigkeit des Geldes, P = Preisniveau und Y = reales BIP:

MxV=PxY

Das heißt : Die Geldmenge (M) multipliziert mit der Umlaufgeschwindig-


keit (V) ergibt das nominale BIP, das zerlegt werden kann in seine Kompo-
nenten Preisveränderungen (P) und reales Wachstum (Y).

238
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Die Geldmenge (M) wird von der Federal Reserve kontrolliert. Die Fed er-
höht die Geldmenge, indem sie Staatsanleihen mit dem von ihr gedruckten
Geld kauft. Verringert wird die Geldmenge, indem sie die Anleihen gegen
Geld verkauft, das dann aus dem Verkehr gezogen wird. Die Umlaufge-
schwindigkeit (V) ist einfach das Maß dafür, wie schnell das Geld den Be-
sitzer wechselt. Wenn jemand einen Dollar ausgibt, und der Empfänger gibt
ihn ebenfalls aus, dann hat dieser Dollar eine Geschwindigkeit von 2, weil er
zweimal ausgegeben wurde. Wenn der Dollar stattdessen zur Bank gebracht
wird, hat er eine Geschwindigkeit von 0, weil er überhaupt nicht ausgegeben
wurde. Auf der anderen Seite der Gleichung hat das nominale BIP-Wachs-
tum eine reale Komponente (Y) und eine inflationäre Komponente (P).

Jahrzehntelang fragte man sich in Zusammenhang mit dieser Gleichung,


ob es eine natürliche Begrenzung für das Wachstum der realen Wirtschaft
gibt, bevor es zur Inflation kommt. Das reale Wachstum in der Wirtschaft ist
durch die Zahl der Arbeitskräfte und die Produktivität dieser Arbeitskräf-
te beschränkt. In den USA wächst die Bevölkerung um etwa 1,5 Prozent im
Jahr. Die Produktivitätssteigerungen schwanken, aber 2 bis 2,5 Prozent sind
eine vernünftige Schätzung. Die Kombination von Bevölkerung und Pro-
duktivität bedeutet, dass die amerikanische Wirtschaft real um 3,5 bis 4 Pro-
zent pro Jahr wachsen kann. Das ist die Obergrenze für ein langfristiges rea-
les Wachstum, also das Y in unserer Gleichung.

Ein Monetarist, der die Währungspolitik der Fed besser abstimmen will,
würde sagen, wenn Y nur mit 4 Prozent wachsen kann, dann sähe eine idea-
le Politik so aus, dass die Geldmenge um 4 Prozent steigt, die Geschwindig-
keit konstant ist und das Preisniveau ebenfalls konstant bleibt. Das wäre ei-
ne Welt mit einem nahezu maximalen realen Wachstum und einer Inflation,
die fast bei null liegt.

Wenn es nur darum ginge, die Geldmenge in begrenztem Umfang zu erhö-


hen, dann wäre die Arbeit der Federal Reserve der einfachste Job der Welt.
Tatsächlich schlug Milton Friedman sogar vor, dass ein entsprechend pro-

239
Teil 3 Die nächste globale Krise

grammierter Computer die Geldmenge regulieren könnte und ein Eingrei-


fen der Federal Reserve gar nicht mehr nötig sei. Man muss einfach mit einer
guten Schätzung der natürlichen realen Wachstumsrate für die Wirtschaft
beginnen und die Geldmenge um dieselbe Prozentzahl erhöhen, schon
kann man sich zurücklehnen und zusehen, wie die Wirtschaft ohne Inflati-
on wächst. Vielleicht muss man manchmal bei der Wachstumsprognose auf-
grund von Zeitverzögerungen und produktivitätsbedingten Veränderungen
ein bisschen nachjustieren, aber alles ist relativ einfach, solange die Umlauf-
geschwindigkeit des Geldes konstant bleibt.

Aber was ist, wenn die Geschwindigkeit nicht konstant bleibt?

Wie sich herausstellt, ist die Geldgeschwindigkeit der Joker; ein Faktor, den
niemand kontrollieren kann, die Variable, die sich nicht steuern lässt. Die
Geschwindigkeit ist psychologisch bedingt: Alles hängt davon ab, wie der
Einzelne seine wirtschaftlichen Aussichten einschätzt beziehungsweise wie
sich alle Verbraucher in der Summe fühlen. Die Geschwindigkeit kann nicht
durch die Druckerpresse der Fed oder Produktivitätssteigerungen gesteuert
werden. Sie ist verhaltensbedingt und gerade deshalb ein ganz entscheiden-
der Faktor.

Stellen Sie sich die Wirtschaft als ein Fahrrad mit Zehn-Gang-Schaltung
vor. Die Geldmenge steht für die Gänge, die Umlaufgeschwindigkeit für die
Bremsen und der Radfahrer für den Verbraucher. Indem die Federal Re­
serve hoch- oder herunterschaltet, kann sie dem Radfahrer helfen, wenn
er beschleunigen will oder bergauf fahren muss. Aber wenn der Radfahrer
stark bremst, wird das Fahrrad langsamer, egal welchen Gang die Fed ein-
legt. Wenn das Rad zu schnell wird und der Radfahrer zu stark bremst, kann
das Fahrrad ins Schleudern geraten oder der Fahrer vom Rad fallen.

Das ist kurz zusammengefasst genau die Dynamik, die die amerikanische
Wirtschaft zehn Jahre lang prägte. Seit dem Höchststand von 1997, als die
Geldumlaufgeschwindigkeit die Zahl 2,12 erreichte, geht es massiv bergab.

240
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Die Panik von 2008 sorgte für einen weiteren deutlichen Einbruch auf ei-
ne Geschwindigkeit von 1,80 im Jahr 2008 und eine Geschwindigkeit von
1,67 im Jahr 2009 – ein Rückgang um 7 Prozent innerhalb eines Jahres. Das
ist ein Beispiel dafür, wie die Verbraucher auf die Bremse drücken. 2010
pendelte sich die Geschwindigkeit bei 1,71 ein. Wenn die Verbraucher ih-
re Schulden abzahlen und sparen, anstatt Geld auszugeben, sinkt die Geld-
umlaufgeschwindigkeit ebenso wie das BIP, es sei denn, die Fed erhöht die
Geldmenge. Daher hat die Fed wie verrückt Geld gedruckt, um angesichts
der nachlassenden Umlaufgeschwindigkeit das nominale BIP wenigstens zu
halten.

Zusätzlich zum Verhalten der Konsumenten und der nicht ganz so leicht
zu kontrollierenden Natur der Geldumlaufgeschwindigkeit hat die Fed ein
weiteres Problem. Die Geldmenge, die die Fed durch Drucken steuert, die
sogenannte Geldbasis, macht nur einen kleinen Teil der Gesamtgeldmenge
aus, laut aktuellen Daten sind es etwa 20 Prozent. Die anderen 80 Prozent
entstehen durch die Geldschöpfung der Geschäftsbanken, wenn diese Kre-
dite vergeben oder andere Formen der Wertpapierschöpfung unterstützen
wie beispielsweise Geldmarktfonds und Geldmarktpapiere. Während sich
die Geldbasis vom Januar 2008 bis Januar 2011 um 242 Prozent erhöhte,
wuchs die allgemeine Geldmenge nur um 34 Prozent. Das liegt daran, dass
die Banken zögern, neue Kredite zu vergeben, und immer noch mit den to-
xischen Anleihen in ihren Bilanzen zu kämpfen haben. Außerdem scheuen
sich Verbraucher und Unternehmen, Kredite bei den Banken aufzunehmen,
weil sie entweder ohnehin schon zu viele Schulden haben oder weil ihnen
die wirtschaftliche Situation zu unsicher ist und sie nicht wissen, ob sie den
Kredit zurückzahlen können. Der Übertragungsmechanismus vom Basis-
geld zur Gesamtgeldmenge ist daher unterbrochen.

Die Gleichung M x V = P x Y ist entscheidend für das Verständnis der dy-


namischen Kräfte, die in der Wirtschaft aktiv sind. Wenn der Mechanismus
zur Erhöhung der Geldmenge (M) unterbrochen ist, weil die Banken kein
Geld verleihen, und die Geschwindigkeit (V) niedrig ist oder abnimmt, weil

241
Teil 3 Die nächste globale Krise

die Verbraucher Angst haben und sich zurückhalten, ist es schwierig zu er-
kennen, wo ein Wirtschaftswachstum (PY) herkommen soll.

Damit sind wir beim entscheidenden Punkt angelangt. Die Interventions-


möglichkeiten der Federal Reserve wirken nicht schnell genug, um die Wirt-
schaft anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Faktoren, die
die Fed beschleunigen müsste, sind die Kreditvergabe der Banken und die
Geldumlaufgeschwindigkeit, denn sie bewirken einen verstärkten Konsum
und mehr Investitionen. Der Konsum ist jedoch abhängig von der Stim-
mung und vom Verhalten der Geldgeber, Kreditnehmer und Konsumenten.
Um die Wirtschaft anzukurbeln, muss die Fed daher Einfluss auf das Ver-
halten der Menschen nehmen, was unweigerlich Täuschungsmanöver, Ma-
nipulation und Propaganda erfordert.

Zur Erhöhung der Geldumlaufgeschwindigkeit kann die Fed in der Öf-


fentlichkeit entweder für Euphorie mithilfe des Wohlstandseffekts sorgen
oder die Angst vor einer Inflation schüren. Beim Wohlstandseffekt geben
die Verbraucher großzügig Geld aus, weil sie sich wohlhabend fühlen. Der
bevorzugte Weg zum Wohlstandseffekt ist eine Steigerung bei den Wert-
anlagen. Die von der Fed für diesen Zweck gewählten Anlageformen sind
­Aktienkurse und Immobilienpreise, da diese allgemein bekannt sind und
aufmerksam beobachtet werden. Nachdem die Immobilienpreise Mit-
te 2006 einen Höchststand erreicht hatten und danach eingebrochen wa-
ren, stabilisierten sie sich Ende 2009 wieder und stiegen Anfang 2010 auf-
grund der Steuererleichterungen für Erstimmobilienkäufer sogar leicht.
Ende 2010 wurde das Programm eingestellt, und die Immobilienpreise
sanken wieder. Anfang 2011 waren die Preise landesweit wieder auf dem
Stand von Mitte 2003 und zeigten eine fallende Tendenz. Allem Anschein
nach ließ sich über die Immobilienpreise diesmal kein Wohlstandseffekt er­
zeugen.

Beim Stützen des Aktienmarktes hatte die Fed mehr Erfolg. Der Dow Jones
stieg von März 2009 bis April 2011 um fast 90 Prozent. Aufgrund der Null-

242
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

zinspolitik der Fed blieben den Anlegern wenig Möglichkeiten, wenn sie hö-
here Renditen wollten. Allerdings erzeugte auch der Boom am Aktienmarkt
nicht den gewünschten Wohlstandseffekt. Einige Anleger verdienten Geld,
doch viele ließen die Finger von den Aktien, weil sie durch die Krise 2008
das Vertrauen in den Markt verloren hatten.

Da der Wohlstandseffekt ausblieb, griff die Fed zum einzigen anderen Mit-
tel zur Beeinflussung des Verhaltens – sie schürte bei den Verbrauchern die
Angst vor einer Inflation. Damit sie sich auf die Kreditvergabe und Umlauf-
geschwindigkeit des Geldes auswirkte, musste die Fed drei Faktoren auf
einmal manipulieren: den Nominalzins, den Realzins und die Inflationser-
wartungen. Die Idee war, den Nominalzins niedrig zu halten und die Infla-
tionserwartungen zu schüren, um so einen negativen Realzinssatz zu schaf-
fen – die Differenz zwischen Nominalzins und der erwarteten Inflationsrate.
Wenn man beispielsweise mit einer Inflationsrate von 4 Prozent rechnet und
der Nominalzinssatz bei 2 Prozent liegt, ergibt das einen Realzins von mi-
nus 2 Prozent. Wenn der Realzins negativ ist, wird die Kreditaufnahme inte-
ressant, und die Ausgaben und Investitionen steigen. Nach der Formel des
Monetarismus kurbelt diese wirksame Kombination aus mehr Krediten, die
die Geldmenge erhöhen, und mehr Ausgaben, die die Umlaufgeschwindig-
keit erhöhen, die Wirtschaft an. Der negative Realzins in Kombination mit
der Inflationsangst war die letzte Hoffnung der Fed, eine selbsttragende Er-
holung der Wirtschaft zu erreichen.

Negative Zinssätze schaffen eine Situation, in der man sich Geld leiht und
später aufgrund der Inflation mit billigerem Geld zurückzahlt. Das ist so
ähnlich, wie wenn man ein Auto mit vollem Tank mietet und später mit halb-
leerem Tank zurückgibt, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Verbraucher
und Unternehmen können dem nur schwer widerstehen.

Die Fed hatte vor, die Kreditaufnahme durch negative Zinsen und den Kon-
sum mittels der Inflationsangst anzukurbeln. Die Kombination aus güns-
tigem Fremdkapital und Inflationserwartungen sollte die Geldmenge und

243
Teil 3 Die nächste globale Krise

die Umlaufgeschwindigkeit erhöhen und dadurch auch das BIP. Das könnte
funktionieren – aber wie schürt man die Inflationsangst?

Ben Bernanke und Paul Krugman hatten Ende der 1990er-Jahre eine ähnli-
che Entwicklung in Japan, das sogenannte »verlorene Jahrzehnt« untersucht
und ausführlich darüber geschrieben. Der schwedische Wirtschaftswissen-
schaftler Lars Svensson erarbeitete 2003 daraus eine Zusammenfassung.
Svensson war ein Kollege von Bernanke und Krugman in Princeton und
ist seit 2007 stellvertretender Vorsitzender der schwedischen Zentralbank.
Seine Arbeit gilt als Stein von Rosetta zum Thema Währungskriege, weil sie
die Verbindung zwischen einer Währungsabwertung und negativem Real-
zinssatz als Möglichkeit zur Ankurbelung der Wirtschaft auf Kosten ande-
rer Länder aufzeigt.

Über die Vorteile eines Währungskriegs schreibt Svensson:

Selbst wenn … der Zinssatz null beträgt, bietet eine Währungsabwertung


eine starke Möglichkeit zur Ankurbelung der Wirtschaft … Eine Abwer-
tung stimuliert die Wirtschaft direkt, indem sie einen Boom beim Export
bewirkt. Noch wichtiger … eine Abwertung der Währung in Kombination
mit einer Festlegung auf eine weitere Abwertung wäre ein offenes Bekennt-
nis zu einem höheren Preisniveau in der Zukunft.53

Svensson beschreibt die Schwierigkeiten, die Öffentlichkeit bei der Um­


setzung dieser Maßnahmen zu manipulieren:

Wenn die Zentralbank die Meinung im privaten Sektor manipulieren


könnte, würde sie den privaten Sektor an die Inflation glauben lassen; der
Realzins würde sinken, und die Wirtschaft würde sich schon bald von der
Rezession erholen … Das Problem ist nur, dass sich die Meinung des pri-
vaten Sektors nicht so leicht beeinflussen lässt.54

Da haben wir also eine komplette Gebrauchsanweisung für Bernanke –


die Zinsen bei null halten, den Dollar durch quantitative Lockerung ab-
werten und die öffentliche Meinung manipulieren, um die Angst vor einer

244
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Inflation zu schüren. Bernankes Politik der Nullzinssätze und der quanti-


tativen ­Lockerung lieferten den Treibstoff für die Inflation. Ironischerwei-
se ­leisteten Bernankes größte Kritiker dem Plan unabsichtlich Vorschub,
weil sie un­ermüdlich vor einer Inflation warnten; sie schürten die Inflati-
onsängste mit Begriffen, die ein Notenbankchef niemals in den Mund neh-
men würde.

Hier zeigte sich das wahre Gesicht einer Zentralbank. Das waren keine küh-
len, rational und wissenschaftlich handelnden Wirtschaftsexperten, die im
Marmortempel der Federal Reserve in Washington residierten. Die Fed-
Mitarbeiter tricksten und täuschten und hofften auf das Beste. Als 2011 die
Preise für Öl, Silber, Gold und andere Rohstoffe massiv anstiegen, gab sich
Bernanke in der Öffentlichkeit unbeeindruckt und machte deutlich, dass
die Zinsen niedrig bleiben würden. Tatsächlich war die wachsende Inflati-
onsangst, die aus allen Teilen der Welt gemeldet wurde, in Verbindung mit
den weiterhin niedrigen Zinssätzen genau das, was die Theorien empfah-
len, denen Bernanke, Krugman und Svensson anhingen. Amerika war zum
Versuchskaninchen in einem breit angelegten Geldexperiment geworden,
ersonnen in der Petrischale der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften in
Princeton.

Die Theorie von Bernanke, Krugman und Svensson macht deutlich, dass
die öffentlichen Beteuerungen der Fed, sie würde klar zwischen Geldpoli-
tik und Währungskrieg trennen, unaufrichtig sind. Günstiges Geld und die
Abwertung des Dollar sind zwei Seiten derselben Medaille, und der Wäh-
rungskrieg ist Teil dieses Plans. Das billige Geld und die Dollarabwertung
sollen die Inflationsängste schüren und für eine Inflation sorgen, während
gleichzeitig die Zinsen niedrig gehalten werden, damit die Maschine der
Kreditvergabe und -aufnahme wieder in Gang kommt. Die Chinesen, Ara-
ber und andere Schwellenländer in Asien und Lateinamerika wissen das, sie
haben sich auch schon lautstark über die Dollarpolitik der Fed beklagt. Die
Frage ist nur, ob auch die amerikanische Bevölkerung vom Zusammenbruch
des Dollar weiß.

245
Teil 3 Die nächste globale Krise

Im Grunde ist der Monetarismus als Maßnahme unzureichend – nicht, weil


er mit den falschen Variablen arbeitet, sondern weil die Variablen zu schwer
zu kontrollieren sind. Die Umlaufgeschwindigkeit ist abhängig vom Vertrau-
en der Verbraucher oder ihren Ängsten und kann sehr schwankungsanfäl-
lig sein. Der Übertragungsmechanismus bei der Geldmenge vom Basisgeld
zur Kreditvergabe der Banken kann durch Verunsicherung und das man-
gelnde Vertrauen der Kreditgeber und Kreditnehmer unterbrochen werden.
Es besteht die Gefahr, dass die Fed die Grenzen der Steuerungsmechanis-
men beim Verhalten nicht akzeptiert und versucht, die Bevölkerung trotz-
dem über Propagandamaßnahmen, Kommunikations- und Täuschungsma-
növer zu kontrollieren. Schlimmer noch, wenn die Öffentlichkeit erkennt,
dass sie getäuscht wird, ist das Vertrauen zerstört und dann wird selbst die
Wahrheit, wenn man sie denn ausspricht, nicht mehr geglaubt. Die USA
sind diesem Punkt bereits gefährlich nahe.

Der Keynesianismus

John Maynard Keynes starb 1946 und erlebte daher nicht mehr die Feh-
ler, die in seinem Namen gemacht wurden. Ein Jahr später erschien Paul
Samuelsons Buch Foundations of Economic Analysis, das die intellektuel-
le Grundlage für die sogenannte neokeynesianische Schule bildete. Keynes
selbst verwendete in seinen Schriften nur wenige Formeln, bot jedoch eine
ausführliche Analyse in klarer Sprache. Die meisten Modelle und Schaubil-
der, die man heute mit keynesianischer Wirtschaftstheorie in Verbindung
bringt, entstanden erst Ende der 1940er- und in den 1950er-Jahren. Hier
entstanden die Denkfehler, die unter dem Namen »keynesianisch« zusam-
mengeführt wurden; man kann nur spekulieren, wie Keynes darüber ge-
dacht hätte, wenn er noch am Leben gewesen wäre.

Gegen Ende seines Lebens befürwortete Keynes eine neue Währung, die
er Bancor nannte und deren Wert an einen Währungskorb gekoppelt war,

246
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

der auch Gold enthielt. Keynes war natürlich ein erbitterter Kritiker des
Goldstandards der 1920er-Jahre, aber pragmatisch genug, um einzusehen,
dass Währungen an etwas gekoppelt werden müssen. Aus diesem Grund
be­vorzugte er einen Währungskorb als Standard anstelle des goldgedeck-
ten Dollar als Leitwährung, der 1944 in Bretton Woods beschlossen wor-
den war.

Wir wollen hier nicht die keynesianische Wirtschaftstheorie im Ganzen ana-


lysieren, sondern uns auf die Schwachstelle konzentrieren, die für die Wäh-
rungskriege besonders relevant ist. Im Fall des Monetarismus lag der Fehler
bei der Schwankungsanfälligkeit der Umlaufgeschwindigkeit aufgrund des
Verbraucherverhaltens. Im Keynesianismus ist der berühmte »Multiplika-
tor« die Schwachstelle.

Die keynesianische Multiplikatortheorie basiert auf der Annahme, dass ein


Dollar beim staatlichen Deficit Spending mehr als einen Dollar an wirt-
schaftlicher Gesamtleistung auslöst, wenn man alle Sekundäreffekte berück-
sichtigt. Der Multiplikator ist der Yeti der Wirtschaftswissenschaften – et-
was, von dem viele annehmen, dass es existiert, das aber nur selten – wenn
überhaupt – gesehen wird. Die Grundlage der keynesianischen Wirtschafts­
politik ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, also die Summe aller inländi­
schen Ausgaben und Investitionen in einer Volkswirtschaft. Wenn beispiels-
weise ein Arbeiter entlassen wird, verliert er nicht nur sein Einkommen,
sondern schränkt auch seine Ausgaben ein, was wiederum zu Einkom­
menseinbußen bei anderen führt. Das verlorene Einkommen und die ent-
gangenen Ausgaben verursachen einen Rückgang bei der Gesamtnachfrage,
der sich weiter fortsetzt, weshalb weitere Unternehmen Mitarbeiter entlas-
sen müssen, die ebenfalls weniger ausgeben – ein Teufelskreis, der immer
weiter um sich greift. Nach der keynesianischen Theorie kann der Staat in-
tervenieren und das Geld ausgeben, das der Einzelne nicht ausgeben will
oder kann, und so die Gesamtnachfrage wieder steigern. Die staatlichen
Ausgaben können die Entwicklung umkehren und zu einem erneuten Wirt-
schaftswachstum beitragen.

247
Teil 3 Die nächste globale Krise

Das Problem an der Theorie, dass Staatsausgaben die Gesamtnachfrage an-


kurbeln, besteht darin, dass Regierungen kein eigenes Geld haben. Sie müs-
sen das Geld drucken, in Form von Steuern erheben oder es von ihren Bür-
gern oder anderweitig leihen. Mit der Erhöhung der Geldmenge kann man
ein nominales Wachstum erreichen, aber auch eine Inflation auslösen, so-
dass das reale Wachstum langfristig betrachtet unverändert bleibt. Über
Steuern und Kredite ist die Regierung vielleicht in der Lage, mehr auszuge-
ben, das bedeutet aber auch, dass im privaten Sektor weniger Geld zur Ver-
fügung steht, das sonst ausgegeben oder investiert werden würde, es ist also
nicht klar, wie sich die Gesamtnachfrage erhöht. Hier kommt angeblich der
Multiplikator ins Spiel. Die Idee dahinter ist, dass ein Dollar an staatlichen
Ausgaben andere zu weiteren Ausgaben anregt, weshalb mehr als ein Dol-
lar an Wirtschaftsleistung entsteht. So rechtfertigt man auch, dass man dem
privaten Sektor diesen Dollar entzieht.

Wie viel mehr wird durch einen Dollar, den der Staat ausgibt, erzielt? An-
ders ausgedrückt, wie groß ist dieser Multiplikator? In einer berühmten
Studie, die kurz vor Obamas Amtsantritt verfasst wurde, untersuchten zwei
Berater Obamas, Christina Romer und Jared Bernstein, den Multiplikator
in Verbindung mit dem für 2009 vorgeschlagenen Programm zur Stimulie-
rung der Wirtschaft.55 Romer und Bernstein schätzten den Multiplikator auf
etwa 1,54, sobald das neue Programm in Gang gekommen sei. Das bedeu-
tet, dass Romer und Bernstein beispielsweise erwarteten, dass 100 Milliar-
den Dollar, die im Rahmen des Programms ausgegeben wurden, einer Wirt-
schaftsleistung von 154 Milliarden Dollar entsprechen würden. Da sich das
gesamte Programm Obamas auf 787 Milliarden belief, läge die »zusätzliche«
Leistung des Konjunkturprogramms bei 425 Milliarden Dollar – der größ-
te Gratiseffekt in der Geschichte. Ziel des Konjunkturprogramms war es,
die Auswirkungen der Depression auszugleichen, die Ende 2007 eingesetzt
hatte, und Arbeitsplätze zu retten.

Die Obama-Regierung häufte im Steuerjahr 2009 ein Defizit von über


1,4 Billionen Dollar und im Jahr 2010 ein Defizit von 1,2 Billionen Dollar

248
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

an. Das angekündigte Defizit für 2011 beträgt 1,6, das für 2012 1,1 Billio-
nen Dollar – was die beeindruckende Summe von fast 5,4 Billionen Dollar
in nur vier Jahren ergibt. Um angesichts solcher Haushaltsdefizite das Kon-
junkturpaket in Höhe von 787 Milliarden Dollar für 2009 zu rechtfertigen,
musste man zeigen, dass Amerika ohne Ausgabenprogramm noch schlech-
ter dran wäre. Die Beweise für den keynesianischen Multiplikator mussten
hieb- und stichfest sein.

Es dauerte nicht lange, bis die Ergebnisse vorlagen. Einen Monat nach dem
Erscheinen der Studie von Romer und Bernstein wurde eine Untersuchung
von John B. Taylor und John F. Cogan von der Stanford University und an-
deren Kollegen veröffentlicht, die dasselbe Programm nach weit strengeren
Maßstäben bewerteten.56 Taylor und Cogan kamen zu dem Schluss, dass
­alle Multiplikatoren kleiner als eins sind, dass also mit jedem Dollar zur »Sti-
mulierung« der Konjunktur die Summe der Güter und Dienstleistungen im
privaten Sektor zurückgeht. Taylor und Cogan verwendeten ein aktuelleres
Multiplikatoren-Modell, das bei Wirtschaftswissenschaftlern mehr Aner-
kennung genießt und auf realistischeren Annahmen zur Entwicklung der
Zinsen und steuerlichen Belastungen basiert. Ihre Studie erkannte zu Be-
ginn des Konjunkturprogramms einen Multiplikatoreneffekt von 0,96, zeig-
te aber, dass der Multiplikator rasch kleiner wurde und Ende 2009 nur noch
bei 0,67 lag und zum Jahresende 2010 sogar bei nur 0,48. Die Studie ver-
deutlichte, dass 2011 durch jeden Dollar, der zur Ankurbelung der Kon-
junktur ausgegeben wurde, die Wirtschaftsleistung des privaten Sektors um
fast 60 Cent zurückging. Obamas Konjunkturprogramm schadete dem pri-
vaten Sektor und behinderte dadurch sogar die Entstehung neuer Arbeits-
plätze.

Die Untersuchung von Taylor und Cogan war nicht die einzige Studie, die
zu dem Schluss kam, dass die keynesianischen Multiplikatoren kleiner als
eins sind und staatliche Konjunkturprogramme die Leistung des privaten
Sektors mindern. John Taylor war in einer separaten Studie bereits 1993
zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Empirische Belege für keynesianische

249
Teil 3 Die nächste globale Krise

Multiplikatoren, die unter bestimmten Bedingungen kleiner sind als eins,


wurden in getrennten Studien unter anderem auch von Michael Wood-
ford von der Columbia University, Robert Barro von der Harvard Univer-
sity und Michael Kumhof von der Stanford University gefunden.57 Eine
Durchsicht der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur ergibt, dass die von
Romer und Bernstein angewandten Methoden bei der Untersuchung von
Obamas Konjunkturprogramm nicht der gängigen Lehrmeinung entspre-
chen und nur schwer zu rechtfertigen sind, es sei denn aus ideologischen
­Gründen.

Keynes’ Theorie, dass vermehrte staatliche Ausgaben die Gesamtnachfra-


ge stimulieren können, gilt nur unter bestimmten Bedingungen. Damit ge-
hört sie eher zu den Sonderfällen und ist entgegen seiner Behauptungen
nicht allgemein anwendbar. Konjunkturprogramme funktionieren auf kurze
Sicht besser als langfristig. Konjunkturelle Anreize wirken in einer Liquidi-
tätskrise besser als in einer Solvenzkrise, bei einer leichten Rezession bes-
ser als bei einer gravierenden. Außerdem funktionieren sie besser in Volks-
wirtschaften, die mit einer relativ niedrigen Verschuldung in eine Rezession
geraten sind. Der Wirtschaftswissenschaftler Carl F. Christ stellte in seinen
bahnbrechenden, wenn auch unterschätzten Arbeiten zur Ökonometrie in
den 1960er-Jahren die These auf, dass die keynesianischen und monetaris-
tischen Instrumente am besten in Volkswirtschaften funktionieren, die zu
Beginn einer Krise einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen können. Christ
war der erste, der von der »öffentlichen Ausgabenbeschränkung« sprach, ei-
nem Konzept, das mittlerweile offenbar in Vergessenheit geraten ist. Christ
schrieb: »Aus den Ergebnissen geht eindeutig hervor, dass sowohl die Ver-
treter einer extremen Fiskalpolitik als auch die Anhänger des extremen Mo-
netarismus unrecht haben: Fiskalische Variablen beeinflussen stark die
Auswirkung einer gegebenen Veränderung der … Geldmenge, und Offen-
marktoperationen beeinflussen die Auswirkungen vorhandener Verände-
rungen bei den staatlichen Ausgaben und der Besteuerung.« Christ meinte
damit, dass die Wirkung der keynesianischen Konjunkturanreize nicht un-
abhängig von der Höhe des Defizits beurteilt werden kann.58

250
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Keine der für keynesianische Konjunkturanreize günstigen Bedingungen


war Anfang 2009 in den USA gegeben. Das Land war stark verschuldet,
hatte hohe Defizite angehäuft und litt unter einer schweren Solvenzkrise, die
allem Anschein nach noch viele Jahre anhalten würde – genau die falschen
Voraussetzungen für ein Konjunkturprogramm nach Keynes. Die Ausga-
ben dafür würden das Defizit noch erhöhen und wertvolle Ressourcen ver-
schwenden, ansonsten aber nicht viel bewirken.

Zwei Jahre nach der Untersuchung von Romer und Bernstein lagen die wirt-
schaftlichen Resultate vor und widerlegten die These der beiden deutlich.
Romer und Bernstein hatten geschätzt, dass die Zahl der Beschäftigten En-
de 2010 bei über 137 Millionen liegen würde. Tatsächlich waren es jedoch
nur 130 Millionen. Das BIP-Wachstum sollte laut ihrer Prognose bis Ende
2010 auf 3,7 Prozent steigen; es war jedoch so gut wie gar nicht gestiegen.
Außerdem waren die beiden davon ausgegangen, dass die rezessionsbe-
dingte Arbeitslosigkeit einen Höchststand von 8 Prozent erreichen würde;
leider waren es im Oktober 2009 jedoch 10,1 Prozent. Die Wirtschaft liefer-
te in jeder Hinsicht deutlich schlechtere Zahlen, als Romer und Bernstein
unter Verwendung ihrer Version des keynesianischen Multiplikators errech-
net hatten. Obamas Konjunkturanreize waren von Anfang an nicht viel mehr
als ein ideologischer Wunschzettel, der bestimmte Ausgaben­programme
und Partikularinteressen bediente und in die akademische ­Robe des John
­Maynard Keynes gehüllt wurde.

Der Romer-Bernstein-Plan rettete sicher einige Arbeitsplätze im gewerk-


schaftlich organisierten öffentlichen Sektor. Das Argument lautete ja auch
nicht, dass das Konjunkturprogramm keine Jobs schaffen würde, son-
dern nur, dass die versteckten Kosten zu hoch seien. Die Kombination
aus D
­ eficit Spending, quantitativer Lockerung und der Rettung von Ban-
ken gab der Wirtschaft kurzfristig Auftrieb. Das Problem war nur, dass
die Erholung künstlich war und sich nicht selbst trug, weil sie auf staatli-
chen P
­ rogrammen und billigem Geld basierte und nicht auf privatem Kon-
sum und Investitionen. Dies führte zu einer politischen Gegenbe­wegung

251
Teil 3 Die nächste globale Krise

gegen weitere Maßnahmen mit Defizitfinanzierungen und quantitativer


­Lockerung.

Die starke Verschuldung aufgrund der gescheiterten keynesianischen Kon-


junkturanreize wurde zu einer Cause célèbre in der Geschichte der Wäh-
rungskriege. Bei diesen ging es in erster Linie um die Abwertung einer
Währung, was einem Zahlungsausfall gleichkommt. Wenn die Zahlungs­
ansprüche ausländischer Geldgeber durch die Abwertung plötzlich weniger
wert sind, so ist diese eine Form des Zahlungsausfalls. Gegenüber der eige-
nen Bevölkerung stellen Inflation und höhere Preise für Importwaren einen
Zahlungsausfall dar. Da die Schulden gegenüber ausländischen Geldgebern
ungekannte Höhen erreichten, waren die internationalen Auswirkungen
­einer Abwertung viel weitreichender, und daher sollte der Währungskrieg
so erbittert ausgetragen werden.

Da die Verschuldung und das Haushaltsdefizit so hoch sind, sitzen die USA
praktisch auf dem Trockenen. Wenn Amerika von einer weiteren Finanz-
krise oder einer Naturkatastrophe vom Ausmaß des Wirbelsturms Katrina
getroffen wird, verfügt das Land nicht mehr über die nötigen Mittel, um
einzugreifen. Wenn die USA heute mit einem größeren Krieg im Nahen Os-
ten oder in Asien konfrontiert werden würden, besäßen sie nicht das nöti-
ge Geld für eine ähnliche Kriegsanstrengung wie im Zweiten Weltkrieg. Die
USA sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern ver-
wundbar geworden. Bei einer Krise – einer Finanzkrise, Naturkatastrophe
oder im Falle eines Krieges – wären die USA gezwungen, auf Notverordnun-
gen zurückzugreifen – wie Franklin D. Roosevelt 1933 und Nixon 1971. Die
Schließung von Banken, Beschlagnahmung von Gold, die Erhebung von
Einfuhrzöllen und Kapitalkontrollen wären dann mögliche Maßnahmen.
Amerikas Vernarrtheit in die keynesianische Illusion hat dazu ­geführt, dass
auch die Macht der USA nur noch Illusion ist. Die Amerikaner können nur
hoffen, dass nichts Schlimmes passiert. Doch angesichts der Situation in der
Welt ist das ein dünner Strohhalm, an den wir uns klammern.

252
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Finanzmarkttheorie

Etwa zur gleichen Zeit, als Paul Samuelson und seine Kollegen ihre keyne-
sianischen Theorien entwickelten, arbeitete eine andere Gruppe von Wis-
senschaftlern an ihrer eigenen Theorie der Kapitalmärkte. An den Fakultä-
ten in Yale, am MIT und der University of Chicago entstanden zahlreiche
fundierte Arbeiten zukünftiger Nobelpreisträger wie Harry Markowitz,
­
­Merton Miller, William Sharpe und James Tobin. Sie argumentierten in
­ihren in den 1950er- und 1960er-Jahren erschienenen Aufsätzen, dass
­An­leger nicht dauerhaft den Markt schlagen können und dass ein breit
gestreutes Portfolio über einen längeren Zeitraum die besten Ergebnis-
se bringt. Ein Jahrzehnt später präsentierte eine jüngere Generation von
Akade­mikern, darunter Myron Scholes, Robert C. Merton (Sohn des be-
rühmten Soziologen Robert K. Merton) und Fischer Black, neue Theori-
en zur Bewertung von Optionen und legte damit den Grundstein für das
explosionsartige Wachstum der Börsen-Terminkontrakte und anderer De-
rivate. Die Arbeit dieser und anderer Ökonomen bildet einen Zweig der
Wirtschaftswissenschaften, der unter der Bezeichnung Finanzmarkttheorie
bekannt ist.

Biologen, die an der Universität an infektiösen Viren forschen, verfügen


über abgeschottete Laboratorien, um sicherzustellen, dass ihre Forschungs-
objekte nicht entkommen und die ganze Bevölkerung infizieren. Leider gibt
es für wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten keine derartigen Sicherheits-
vorkehrungen. Auf jede brillante Erkenntnis kommen mehrere gefährliche
Fehleinschätzungen, die den Blutkreislauf der Finanzwelt infizieren und un-
berechenbare Schäden anrichten. Und keine Idee hat mehr Schaden ange-
richtet als das der Finanzmarkttheorie entsprungene Gift der »effizienten
Märkte« und der »Normalverteilung von Risiken«.

Die Idee hinter der Vorstellung vom effizienten Markt ist die, dass Anleger
nur daran interessiert sind, ihren Reichtum zu vergrößern, und daher auf
Kurssignale und neue Informationen stets rational reagieren. Die Theorie

253
Teil 3 Die nächste globale Krise

geht davon aus, dass neue Informationen sofort nach ihrem Bekanntwerden
einkalkuliert werden, sodass sich Kurse und Preise sanft von einem Niveau
zum anderen bewegen. Da die Märkte sämtliche neue Informationen sofort
effizient verarbeiten, kann kein Anleger den Markt schlagen, es sei denn, er
hat einfach Glück, denn jede Information, auf deren Grundlage ein Investor
eine Anlageentscheidung trifft, spiegelt sich bereits im Marktpreis. Und da
man Informationen nicht kennen kann, bevor sie entstehen, sind zukünftige
Preisbewegungen unvorhersehbar.

Die Vorstellung von der Normalverteilung des Risikos bezieht sich darauf,
dass zukünftige Preisentwicklungen willkürlich sind und damit auch die
Schwere und Häufigkeit der Kursschwankungen dem Zufall unterliegen,
ähnlich wie beim Münzwurf oder Würfeln. Kleine Ereignisse kommen häu-
fig, extreme Ereignisse selten vor. Erfasst man die häufigen kleinen und die
seltenen extremen Ereignisse in einem Schaubild, erhält man die berühm-
te Gauß-Verteilung oder Glockenkurve. Die große Mehrheit der Ereignisse
häuft sich im Bereich der Vorfälle mit geringem Schweregrad, wohingegen
die Zahl der Ereignisse mit hohem Schweregrad deutlich niedriger ist. Da
die Kurve steil abfällt, sind äußerst extreme Ereignisse so selten, dass sie fast
unmöglich sind.

In Schaubild 1 zeigt die Höhe der Kurve die Häufigkeit der Ereignisse und
die Breite ihren Schweregrad im positiven wie im negativen Sinn. Das Ge-
biet um null zeigt die unspektakulären Ereignisse, die häufig vorkommen.
Betrachten Sie nun die Kurvenbereiche jenseits von +3 und –3. Sie zeigen
Ereignisse von viel größerer Tragweite, etwa einen Börsenkrach oder das
Platzen einer Immobilienblase. Doch laut der Glockenkurve treten der­
artige Ereignisse so gut wie nie ein. Das erkennt man daran, dass die Kurve
fast die x-Achse berührt, und die x-Achse steht für Ereignisse, die nie ein-
treten.

254
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

Abbildung 1: Glockenkurve mit Normalverteilung des Risikos

Das Problem bei diesen Theorien auf Grundlage der Glockenkurve (für die
es den Nobelpreis gab) besteht darin, dass es empirische Beweise gibt, die
diese Theorien widerlegen, das heißt, dass die Theorien nicht der Reali-
tät der Märkte und des menschlichen Verhaltens entsprechen. Ergebnisse
aus der Statistik und den Sozialwissenschaften belegen in großer Zahl, dass
Märkte nicht effizient sind, dass sich Preise nicht willkürlich verhalten und
dass das Risiko nicht normal verteilt ist.

Der akademische Gegenangriff auf die Grundlagen der Finanzmarkttheorie


erfolgte aus zwei Richtungen. Aus den Bereichen Psychologie, Soziologie
und Biologie kam eine Flut von Studien, die zeigten, dass sich Anleger irra-
tional verhalten, zumindest was die Gewinnmaximierung angeht. Vom un-
konventionellen Mathematikgenie Benoît Mandelbrot stammt die Erkennt-
nis, dass sich zukünftige Preise nicht unabhängig von der Vergangenheit
entwickeln – der Markt hat eine Art »Gedächtnis«, das ihn veranlasst, in-
konsequent zu reagieren oder überzureagieren und so Konjunkturschwan-
kungen zu verursachen.

Daniel Kahneman und sein Kollege Amos Tversky zeigten in einer Reihe
einfacher, aber genial konstruierter Experimente, dass jeder Mensch zu ir-

255
Teil 3 Die nächste globale Krise

rationalen Handlungen neigt. Die Versuchspersonen waren viel mehr dar-


auf bedacht, einen Verlust zu vermeiden, als Gewinn zu machen, obwohl ein
Wirtschaftswissenschaftler sagen würde, dass beide Ereignisse genau densel-
ben Stellenwert haben müssten. Diese Eigenschaft, die sogenannte Risiko­
aversion, erklärt, warum Anleger Aktien in Panik abstoßen, aber nur z­ ögernd
wieder in den Aktienmarkt einsteigen, wenn sich das Blatt gewendet hat.

Als Wirtschaftswissenschaftler auf den Kapitalmärkten nach Daten Aus-


schau hielten, die die von Kahneman und Tversky ermittelte Irrationalität
belegten, mussten sie nicht lange suchen. Unter den Anomalien, die ent-
deckt wurden, fand sich auch die, dass Trends, wenn sie erst einmal in Gang
sind, eher dazu neigen, sich fortzusetzen, anstatt sich umzukehren – die
Grundlage der »Momentum-Strategie«. Außerdem schneiden kleinere Un-
ternehmen oft besser ab als Unternehmen mit hoher Börsenkapitalisierung.
Und dann gibt es noch den sogenannten Januareffekt, laut dem Aktien im
Januar besser abschneiden als in allen anderen Monaten. Keine dieser Er-
kenntnisse deckt sich mit der Effizienzmarkt- oder der Random-Walk-The-
orie der zufälligen Kursentwicklung.

Die Debatte zwischen den Anhängern der Effizienzmarkthypothese und


den Sozialwissenschaftlern wäre nur eine weitere obskure akademische
Auseinandersetzung, wenn es nicht einen entscheidenden Unterschied gä-
be. Die Effizienzmarkttheorie und ihre Begleiter, die Random-Walk- und die
Normalverteilungstheorie des Risikos waren aus dem Labor entwischt und
hatten die gesamte Wall Street und das moderne Bankensystem infiziert.
Die Umsetzung der fehlerhaften Theorien auf den Kapitalmärkten trug zum
Börsenkrach von 1987 bei, zur Pleite des Hedgefonds Long-Term Capital
Mangement und zur größten Katastrophe überhaupt – der Panik von 2008.
Ein ansteckendes Virus, das eine Krankheit namens Value at Risk verbrei-
tete, kurz VaR.

Value at Risk ist die Methode, die an der Wall Street im Jahrzehnt vor der
Panik von 2008 zur Risikobewertung verwendet wurde und auch heute

256
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

noch weit verbreitet ist. Mit ihr kann man das Risiko eines Portfolios ermit-
teln – bestimmte Risikopositionen werden gegen andere Positionen aufge-
rechnet, um das Risiko zu senken. Angeblich kann man das Verlustrisiko mit
der VaR-Methode berechnen. Beispielsweise könnte eine Long-Position bei
US-Schatzanweisungen mit zehnjähriger Laufzeit gegen eine Short-Position
bei Schatzanweisungen mit fünfjähriger Laufzeit verrechnet werden, sodass
das Risiko laut VaR viel geringer ist als die separaten Risiken bei den jewei-
ligen Schatzanweisungen. Die Zahl der komplizierten Kombinationen und
Gegenrechnungen ist praktisch unbegrenzt. Von den Berechnungen kann
einem schnell schwindlig werden, denn neben den eindeutigen Beziehun-
gen wie Käufer- und Verkäufer-Positionen bei der gleichen Anleihe gibt es
auch unzählige Beziehungen zwischen den unterschiedlichsten Papieren in
einem Portfolio.

Die Value-at-Risk-Methode ist die mathematische Krönung von 50 Jahren


Finanzmarkttheorie. Sie geht davon aus, dass zukünftige Relationen zwi-
schen Kursen denen der Vergangenheit ähneln, Kursschwankungen zufällig
sind und dass das Risiko in den Nettopositionen – long minus short – und
nicht in den Bruttopositionen liegt. Die VaR trägt den intellektuellen Ballast
der Effizienzmarkthypothese und der Normalverteilung in die Welt des Ri-
sikomanagements.

Obwohl die VaR-Methode bei der Panik von 2008 eine große Rolle spiel-
te, wurde sie nie gründlich untersucht.59 Die vom Kongress ernannte Kom-
mission zur Untersuchung der Finanzkrise FCIC zog die Risikomodelle
im Börsenhandel kaum in Betracht. Die zwiespältige Rolle der Hypothe-
kenmakler, Investmentbanker und Ratingagenturen wurde dagegen ausgie-
big untersucht. Dabei war die VaR-Methode in vielerlei Hinsicht der un-
sichtbare rote Faden, der sich durch all die Exzesse zog, die schließlich zum
Kollaps führten. Wie kamen Banken, Ratingagenturen und Anleger zu der
Annahme, dass ihre Positionen sicher waren? Warum glaubten die Federal
Reserve und die Börsenaufsicht, dass die Banken und Börsenmakler über
ausreichend Kapital verfügten? Warum versicherten die Risikomanager der

257
Teil 3 Die nächste globale Krise

Banken ihren CEOs und Verwaltungsräten ständig, sie hätten alles unter
Kontrolle? Die Antwort hat immer etwas mit der Value-at-Risk-Methode
oder verwandten Modellen zu tun. Aufgrund der VaR-Modelle kam es zu ei-
ner erhöhten Fremdkapitalaufnahme und zum verstärkten Handel mit deri-
vativen Finanzinstrumenten.

Da sich die Regulierungsbehörden mit der VaR-Methode nicht so gut aus-


kannten wie die Banken, konnten sie die Risikobewertung auch nicht infrage
stellen. Wenn es um Risiken und Fremdkapital ging, überließen die Regu-
lierungsbehörden den Banken die Regulierung. Das wäre so, wie wenn die
für die Sicherheit von Kernkraftwerken zuständige US Nuclear Regulatory
Commission den Betreibern von Atomkraftwerken erlauben würde, ihre ei-
genen Sicherheitsvorschriften ohne unabhängige Überprüfung zu ­erlassen.

Viele Wissenschaftler und Fachleute waren sich der Fehler und Einschrän-
kungen der VaR-Methode bewusst. Tatsächlich waren die Mängel allge-
mein bekannt und wurden sowohl an den Universitäten als auch an der
Wall Street seit über einem Jahrzehnt diskutiert. Die Banken verwendeten
die VaR-Methode nicht, weil sie so gut funktionierte, sondern weil sie den
Anschein von Sicherheit erweckte und sie dadurch erhebliche Fremdmittel
aufnehmen und höhere Gewinne machen konnten. Und falls etwas schief-
lief, würden ihnen die Steuerzahler unter die Arme greifen. Die Risikobe-
wertung mit der VaR-Methode ist ähnlich, wie wenn man mit dem Auto 160
Stundenkilometer fährt und den Tacho so manipuliert hat, dass er die ganze
Zeit eine Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern zeigt. Die Regulierer
hinten auf dem Rücksitz schauen auf den Tacho, sehen die 80 Stundenki-
lometer und nicken wieder ein. Währenddessen schlingert das Auto heftig,
ähnlich wie in einer Szene von Mad Max.

Die destruktiven Auswirkungen der Finanzmarkttheorie mit ihren falschen


Annahmen zur Zufälligkeit, Effizienz und Normalverteilung des Risikos
sind schwer abzuschätzen, doch 60 Billionen Dollar an vernichtetem Ver-
mögen in den Monaten nach der Panik von 2008 bieten eine ganz gute Ori-

258
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft

entierung. Mit den Derivaten ging das Risiko nicht in starke Hände über,
sondern konzentrierte sich bei denjenigen, die »too big to fail« waren, also
zu groß, um sie bankrottgehen zu lassen. Die VaR-Methode war keine Me-
thode zur Risikobewertung, sondern versteckte die Risiken in einem Wust
aus Gleichungen, der die Regulierungsbehörden, die es eigentlich besser
hätten wissen müssen, einschüchterte. Die Natur des Menschen und all sei-
ne Launen wurden von den Banken und Regulierungsbehörden geflissent-
lich ignoriert. Als die Finanzwirtschaft am Boden lag und ihre Fähigkeit, den
Handel zu stützen, vollständig zerstört war, schaltete der Wachstumsmotor
in den niedrigsten Gang und ist seitdem dort geblieben.

Washington und die Wall Street – die Zwillingstürme der Täuschung

Zu Beginn des neuen Währungskriegs 2010 basierte die Arbeit der Zentral-
banken nicht auf den Prinzipien einer soliden Geldpolitik, sondern auf ihrer
Fähigkeit, die Bürger über ihre wahren Absichten zu täuschen. Der Mone-
tarismus stützte sich auf die instabile Beziehung zwischen Umlaufgeschwin-
digkeit und Geld, weshalb er sich nicht als Mittel der Geldpolitik eignete.
Der Keynesianismus wurde rücksichtslos unter Berufung auf den mysteri-
ösen Multiplikator angewandt, der angeblich Vermögen schuf, es in Wirk-
lichkeit aber vernichtete. Die Finanzmarkttheorie war ein Wolkenkratzer,
errichtet im Treibsand der Effizienzmarkttheorie und der Theorie der Nor-
malverteilung des Risikos, die beide keinen Bezug zum realen Verhalten der
Marktteilnehmer hatten. Das gesamte System der Fiskalpolitik, Geldpolitik,
der Bankenaufsicht und Risikoverwaltung war intellektuell korrupt und un-
ehrlich, und die Fehler bestehen auch heute noch weiter.

In jüngster Zeit sind neue und bessere ökonomische Paradigmen entstan-


den. Allerdings haben sowohl die Regierung in Washington als auch die
Wall Street großes Interesse daran, dass die fehlerhaften Modelle der Ver-
gangenheit weiter verwendet werden. Für Washington ist der Keynesianis-

259
Teil 3 Die nächste globale Krise

mus ein Vorwand für erhöhte Staatsausgaben und der Monetarismus ein
Vorwand für die Machtkonzentration der Federal Reserve. Der Wall Street
liefern die Theorien der Finanzmarkttheorie den Deckmantel für einen ho-
hen Fremdkapitalanteil und betrügerische Verkaufspraktiken beim außer-
bilanziellen Derivatehandel. Für die Wall Street steht der Profit an erster
Stelle, die Wissenschaftlichkeit rangiert weit hinten. Wenn eine Theorie, so
fehlerhaft oder veraltet sie auch sein mag, in entsprechend akademischer
Aufmachung als Begründung für das Eingehen von Risiken angeführt wer-
den kann, so kommt das wie gerufen. Und wenn Politiker und Regulierungs-
behörden noch weniger Bescheid wissen als die Wall Street, dann ist das
auch gut. Solange an der Wall Street weiter das Geld fließt, wird niemand
unbequeme Fragen stellen, geschweige denn beantworten.

260
Kapitel 10 –
Währungen, Kapital und Komplexität
Die Schwierigkeit liegt nicht in den neuen Ideen, sondern darin, den ­alten
zu entkommen.
John Maynard Keynes,1935

Trotz der theoretischen und praktischen Unzulänglichkeiten des keynesi-


anischen Multiplikators und des monetaristischen quantitativen Ansatzes
sind beide im Fall eines nachlassenden Wirtschaftswachstums immer noch
die bevorzugten Mittel der Politik. Man muss nur Obamas Konjunkturpa-
ket oder Bernankes Politik der quantitativen Lockerung betrachten, schon
sieht man John Maynard Keynes oder Milton Friedman am Werk. Die Hart-
näckigkeit der alten Theorien ist aufgrund der wachsenden Staatsverschul-
dung auch eine treibende Kraft im neuen Währungskrieg. Die Schulden
können nur mithilfe von Inflation und Währungsabwertung bezahlt wer-
den. Wenn das Wirtschaftswachstum ins Stocken gerät, kann man der Ver-
suchung schwer widerstehen, die eigene Währung abzuwerten und so die
Wirtschaft auf Kosten anderer Länder wieder in Schwung zu bringen. Doch
wir brauchen deutlich bessere Lösungen.

Zum Glück hat sich in den Wirtschaftswissenschaften einiges getan. In


den vergangenen 20 Jahren wurde unter Beteiligung verschiedener Denk­
schulen, unter anderem der Verhaltensökonomik und der Komplexitäts-
theorie, ein neues Paradigma entwickelt. Dieses neue Denken verfügt über
eine gesunde Portion Bescheidenheit – in vielen Fällen kennt man die
­Grenzen einer Theorie und begnügt sich mit dem, was möglich ist. Die
neuen S
­ chulen triumphieren nicht wie Keynes, sie hätten eine »allgemei-
ne T
­ heorie« ­entwickelt, und behaupten auch nicht wie Friedman, einer

261
Teil 3 Die nächste globale Krise

I­nflation sei »immer und überall« mit der Steuerung der Geldmenge bei-
zukommen.

Der vielversprechendste neue Ansatz ist die Komplexitätstheorie. Trotz des


Namens basiert die Komplexitätstheorie auf einfachen Annahmen. Die erste
lautet, dass komplexe Systeme nicht von oben nach unten organisiert sind.
Sie gestalten sich selbst durch Entwicklung oder die Interaktion unzähliger
autonomer Teile. Das zweite Prinzip besagt, dass komplexe Systeme über
»emergente« Eigenschaften verfügen, was eine technische Ausdrucksweise
dafür ist, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile – das Verhal-
ten des gesamtes Systems lässt sich nicht aus der Betrachtung der einzelnen
Teile ableiten. Das dritte Prinzip lautet, dass komplexe Systeme auf expo-
nentiell größere Energiemengen angewiesen sind. Diese Energie kann viele
Formen haben, entscheidend ist jedoch, dass der Energiebedarf, wenn man
das System um den Faktor 10 vergrößert, um den Faktor 1 000 steigt und so
weiter. Und nach dem vierten Prinzip neigen komplexe Systeme zum katas-
trophalen Zusammenbruch. Das dritte und vierte Prinzip hängen miteinan-
der zusammen. Wenn das System ein bestimmtes Ausmaß erreicht, versiegt
die Energiezufuhr, weil aufgrund des exponentiellen Verhältnisses von Grö-
ße und Energiebedarf einfach nicht mehr genügend Ressourcen zur Verfü-
gung stehen. Kurz zusammengefasst: Komplexe Systeme entstehen spontan,
verhalten sich unvorhersehbar, erschöpfen Ressourcen und brechen katast-
rophal zusammen. Überträgt man dieses Paradigma auf die Finanzwelt, be-
greift man, wohin der Währungskrieg steuert.

Die Komplexitätstheorie hat eine solide empirische Grundlage und wird auf
eine Vielzahl von natürlichen und vom Menschen geschaffenen Systemen
angewandt, etwa das Klima, die Seismologie oder das Internet. Mit der An-
wendung der Komplexitätstheorie auf den Kapital- und Geldmarkt wurden
große Fortschritte erzielt. Allerdings ergibt sich in Hinblick auf die Inter-
aktion von menschlichem Verhalten und Marktdynamik ein Problem. Die
Komplexität der menschlichen Natur wirkt wie ein Turbolader auf die Kom-
plexität der Märkte. Die Natur des Menschen ist ebenso ein komplexes Sys-

262
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

tem wie ein Markt oder eine Zivilisation, und sie alle passen ineinander wie
russische Matrjoschka-Puppen. Eine Einführung in die Verhaltensökono-
mik bietet uns daher einen Einstieg in die allgemeine Komplexitätstheorie
und die Frage, wie die Dynamik der komplexen Systeme das Schicksal des
Dollar und den Ausgang des Währungskriegs bestimmen wird.

Verhaltensökonomik und Komplexität

Die moderne Verhaltensökonomik hat ihre Wurzeln in den Sozialwissen-


schaften Mitte des 20. Jahrhunderts. Bedeutende Soziologen wie Stanley
Milgram und Robert K. Merton führten weitreichende Experimente durch
und analysierten Daten, um neue Einblicke ins menschliche Verhalten zu
gewinnen.

Robert K. Mertons bekannteste Leistung besteht darin, dass er die Idee der
selbsterfüllenden Prophezeiung formalisierte.60 Dahinter steht der Gedan-
ke, dass eine Äußerung, die als wahr angenommen wird, wahr werden kann,
selbst wenn sie anfänglich falsch war, weil die Äußerung das Verhalten der
Betroffenen so verändert, dass die falsche Prämisse schließlich eintrifft. Fas-
zinierenderweise verwendete Merton dafür das Beispiel eines Bankenan-
sturms vor den Zeiten der Einlagenversicherung. Eine Bank kann den Tag
mit einer soliden Grundlage und ausreichend Kapital beginnen. Doch ein
Gerücht, dass die Bank in Schwierigkeiten steckt, so unbegründet es auch
sein mag, löst einen Ansturm von Sparern aus, die alle auf einmal versuchen,
ihr Geld abzuheben. Selbst die besten Banken haben nicht 100 Prozent ih-
res Kapitals in bar zur Verfügung; ein solcher Ansturm kann eine Bank da-
her zwingen, die Türen vor den Sparern und ihren Forderungen zu ver-
schließen. Am Ende des Tages ist die Bank zahlungsunfähig und bestätigt so
das ursprünglich falsche Gerücht. Die Interaktion zwischen dem Gerücht,
dem daraus resultierenden Verhalten und der Pleite der Bank ist ein Bei-
spiel für eine positive Rückkopplung zwischen Information und Verhalten.

263
Teil 3 Die nächste globale Krise

Merton und andere bedeutende Soziologen waren keine Wirtschaftswissen-


schaftler. In gewisser Weise waren sie es aber doch, denn letztendlich geht es
bei den Wirtschaftswissenschaften um das Studium der menschlichen Ent-
scheidungsfindung in Hinblick auf knappe Güter. Die Soziologen f­anden
einiges über diese Entscheidungsprozesse heraus. Alan Schwartz, der ehe-
malige CEO von Bear Stearns, kann die Kraft von Mertons selbsterfüllen-
der Prophezeiung sicher bestätigen. Am 12. März 2008 sagte Schwartz bei
CNBC: »Wir sehen nicht, dass unsere Liquidität unter Druck wäre, und
von einer Liquiditätskrise kann gar keine Rede sein.« 48 Stunden später
war Bear Stearns auf dem besten Weg in die Pleite, nachdem aufgeschreck-
te Wall-Street-Banken Milliarden Dollar an Krediten zurückgezogen hatten.
Für ­Bear Stearns war das die Anwendung von Mertons Gedankenexperi-
ment auf das wahre Leben.

Einen Durchbruch für den Einfluss der Sozialpsychologie auf die Wirt-
schaft erzielten die Arbeiten von Daniel Kahneman, Amos Tversky, Paul
Slovic und anderen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren eine Reihe von
Experimenten durchführten.61 Beim berühmtesten Versuch zeigten Kahne-
man und Tversky, dass sich ihre Versuchspersonen, wenn sie zwischen zwei
finanziellen Situationen wählen mussten, für die Variante entschieden, die
am ­meisten Sicherheit versprach, auch wenn sie nicht den höchsten zu er-
wartenden Gewinn bedeutete. Bei einem solchen Experiment wird die Ver-
suchsperson normalerweise vor die Wahl zwischen zwei Gewinnen ge-
stellt: a) 4 000 Dollar mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 80 Prozent
oder b) 3 000 Dollar mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 100 Prozent.
Anhänger der Effizienzmarkthypothese müssen da nicht lange überlegen:
4 000 Dollar mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent zu gewinnen,
ergibt einen Erwartungswert von 3 200 Dollar (4 000 Dollar x 0,80). Da
3 200 Dollar mehr sind als die 3 000 Dollar von Variante b würde ein rati-
onaler Teilnehmer, der stets die Gewinnmaximierung im Blick hat, die Va-
riante a wählen. Doch bei einem tatsächlich durchgeführten Experiment
entschieden sich 80 Prozent der Teilnehmer für b. Sie gingen lieber auf
»Nummer sicher«, selbst wenn der theoretische Wert niedriger lag. In ge-

264
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

wisser Weise ist das nur eine offizielle statistische Version des alten Sprich-
worts: »Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.« Den-
noch waren die Resultate revolutionär, denn sie bedeuteten einen direkten
Angriff auf einen der Eckpfeiler der Finanzmarkttheorie.

Mit einer Reihe weiterer elegant gestalteter und verblüffend einfach wirken-
der Experimente zeigten Kahneman und seine Kollegen, dass die Versuchs-
personen bei einer entsprechenden Präsentation eindeutig bestimmte Va-
rianten bevorzugten, selbst wenn die Alternative genau dasselbe Ergebnis
hervorbrachte. Diese Experimente machten die Wirtschaftswissenschaftler
mit einem völlig neuen Vokabular vertraut, darunter die Begriffe Sicherheit
(der Wunsch, Verluste zu vermeiden, auch Risikoaversion genannt), Ankern
(der unverhältnismäßige Effekt, den frühere Resultate auf eine Entschei-
dung haben), Isolation (das unverhältnismäßige Gewicht einzigartiger Ei-
genschaften gegenüber gemeinsamen Eigenschaften), Framing-Effekt (un-
terschiedliche Formulierungen einer Botschaft beeinflussen bei gleichem
Inhalt das Verhalten des Empfängers auf unterschiedliche Weise) und Heu-
ristik (Faustregeln). Die Ergebnisse auf diesem Gebiet wurden unter der Be-
zeichnung »Prospect Theory« oder »neue Erwartungstheorie« zusammen-
gefasst und stellten die Erwartungsnutzentheorie der Finanzmarkttheorie
erheblich infrage.

Leider wurde die Verhaltensökonomik von der Politik vereinnahmt und


mehr zur Manipulation als zur Erklärung benutzt, weil sich die Entschei-
dungsträger für schlauer halten als die Bevölkerung. Bernankes Kampagne,
»Inflationserwartungen« zu schüren, indem er die Geldmenge erhöhte, den
Dollar abwertete und gleichzeitig die Zinsen niedrig hielt, ist eine beson-
ders dreiste Version derartiger Manipulationen, es gibt jedoch noch andere.
Zu den gezielten Propagandamaßnahmen gehören Hintergrundgespräche
von CEOs mit Wirtschaftsjournalisten, bei denen darum gebeten wird, den
Nachrichten über das Unternehmen einen positiveren Klang zu geben. Sol-
che Manipulationsversuche können auch ins Absurde abgleiten, etwa mit
der Formulierung von den »ersten grünen Trieben«, die von den Nachrich-

265
Teil 3 Die nächste globale Krise

tensprechern im Fernsehen, die mittlerweile eher Cheerleaderfunktion ha-


ben, im Frühjahr 2009 bis zum Überdruss wiederholt wurde, obwohl zu
der Zeit Millionen Amerikaner arbeitslos wurden. Tim Geithners selbst er-
klärter »Sommer der wirtschaftlichen Erholung« 2010 ist ein weiteres Bei-
spiel – für die 44 Millionen Amerikaner, die von Lebensmittelmarken leben
müssen, kam und ging der Sommer ohne das geringste Anzeichen einer Er-
holung. All das sind Belege für das von Kahneman als »Framing« bezeich-
nete Bemühen, ein Thema mithilfe bestimmter Formulierungen in Richtung
auf ein bestimmtes Resultat zu gestalten.

Bernanke, Geithner und weitere Anhänger der Verhaltensökonomik in lei-


tenden Positionen übersehen etwas, was Merton wahrscheinlich sofort er-
kannt hätte – den Rückkopplungseffekt, der entsteht, wenn man beim Fra-
ming Inhalte ohne jegliche Substanz verbreitet. Wenn es der Wirtschaft
wirklich gut geht, braucht die Botschaft kein Framing, weil die Fakten für
sich sprechen, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung. Wenn die Re-
alität dagegen nur kollabierende Währungen, Pleitebanken und insolvente
Staaten zu bieten hat, zeigt das Gerede über erste Anzeichen einer Erholung
im besten Fall eine begrenzte und vorübergehende Wirkung. Der langfristi-
ge Effekt ist der, dass die Bürger komplett das Vertrauen verlieren. Wenn die
Framing-Karte oft genug erfolglos gespielt wurde, misstrauen die Bürger in-
stinktiv allem, was offiziell über das Wirtschaftswachstum verkündet wird,
und bleiben auch dann noch vorsichtig, wenn sich die Situation tatsächlich
verbessert. Das hat nichts mit einem Versagen der Verhaltensökonomik zu
tun, sondern viel mehr mit ihrem Missbrauch durch die Politik.

Die Verhaltensökonomik verfügt über einflussreiche Instrumente und kann


trotz gelegentlichen Missbrauchs aufschlussreiche Erkenntnisse liefern. Am
besten ist sie dann, wenn man sie zur Beantwortung von Fragen nutzt, anstatt
Ergebnisse zu erzwingen. Die Untersuchung des Keynesianismus mit all
seinen Widersprüchen ist ein ergiebiges Forschungsgebiet der Verhaltens­
ökonomik und hätte das Potenzial, die Währungskriege abzuschwächen.
Der Keynesianismus sollte eigentlich dazu beitragen, das Sparparadoxon

266
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

zu überwinden. Keynes wies darauf hin, dass der Einzelne auf wirtschaft-
liche Krisen mit Konsumverzicht und verstärktem Sparen reagiert. Wenn
allerdings alle so handeln, verschärft sich die Krise noch, weil die Gesamt-
nachfrage einbricht, was wiederum zur Folge hat, dass Unternehmen schlie-
ßen müssen und die Arbeitslosigkeit steigt. Dieser Rückgang beim privaten
Konsum sollte gemäß der keynesianischen Theorie durch vermehrte staatli-
che Ausgaben ausgeglichen werden. Doch die heutigen Staatsausgaben sind
so hoch und die Staatsverschuldung ist so massiv, dass die Bürger zu Recht
davon ausgehen, dass eine Kombination aus Inflation, höheren Steuern und
Zahlungsausfall erforderlich sein wird, um die Schuldenlast abzubauen.
Staatliche Programme schaffen keine Konsumanreize, sondern erhöhen nur
die Schuldenlast und verstärken dadurch womöglich die Neigung des Ein-
zelnen, sein Geld zu horten. Eine komplizierte Situation, für deren Untersu-
chung die Verhaltensökonomik die geeigneten Mittel bietet. Vielleicht stellt
sich dann heraus, dass eine kurzfristige Sparsamkeit seitens des Staates die
wirtschaftlichen Aussichten langfristig verbessert, weil dadurch die Zuver-
sicht der Bürger wächst und entsprechend der Konsum wieder steigt.

Die Komplexitätstheorie

Unsere Definition komplexer Systeme beinhaltet folgende Aspekte: spon-


tane Organisation, Unvorhersehbarkeit, einen exponentiell zunehmenden
Energiebedarf und das Potenzial zum katastrophalen Zusammenbruch. Ei-
ne andere Möglichkeit, Komplexität besser zu verstehen, ist der Vergleich
mit etwas, das nicht komplex, sondern nur kompliziert ist. Eine Schweizer
Uhr ist vielleicht kompliziert, aber nicht komplex. Die vielen Zahnräder, An-
triebsfedern, Edelsteine, Schräubchen und anderen Bauteile gehören zu ei-
ner komplizierten Mechanik. Trotzdem kommunizieren die einzelnen Teile
nicht miteinander. Sie wirken zusammen, interagieren aber nicht. Ein Zahn-
rad wird nicht größer, weil die anderen Zahnräder das für eine gute Idee hal-
ten. Die Federn organisieren sich nicht spontan selbst zu einer metallischen

267
Teil 3 Die nächste globale Krise

Flüssigkeit. Die Uhr ist kompliziert; doch komplex bedeutet viel mehr als
kompliziert.

Komplexe Systeme bestehen aus individuellen Komponenten, die man au-


tonome Agenten nennt, weil sie Entscheidungen treffen und Ergebnisse in-
nerhalb des Systems produzieren. Diese Agenten können Meerestiere in
der Nahrungskette des Ozeans sein oder einzelne Anleger auf dem Devi-
senmarkt; die Dynamik ist dieselbe. Um komplex zu sein, benötigt ein Sys-
tem in erster Linie verschiedene Arten von Agenten. Wenn sich die Agenten
gleichen, wird nichts Interessantes passieren. Wenn sie verschieden sind, re-
agieren sie unterschiedlich auf Reize und erzeugen eine größere Bandbrei-
te an Resultaten.62

Das zweite Element ist die Verbundenheit. Das bedeutet, dass die Agenten
über eine Art Kanal miteinander vernetzt sind. Das können Stromleitungen
im Fall eines Stromnetzes sein oder Twitter Feeds bei einem sozialen Netz-
werk, auf jeden Fall müssen die Agenten über eine Möglichkeit verfügen,
miteinander in Kontakt zu treten.

Das dritte Element ist die Interdependenz, das heißt, die Agenten beeinflus-
sen einander gegenseitig. Wenn jemand nicht weiß, wie kalt es draußen ist,
und deshalb aus dem Fenster schaut und sieht, dass die Passanten warme
Mäntel tragen, entscheidet er sich wahrscheinlich dafür, auch einen Mantel
anzuziehen. Diese Entscheidung erfolgt nicht automatisch – er könnte auch
nur einen Pullover anziehen –, doch in diesem Fall ist die Entscheidung,
­einen warmen Mantel zu tragen, zum Teil von den Entscheidungen der an-
deren abhängig.

Das letzte Element ist die Anpassung oder Adaption. In komplexen Syste-
men heißt Anpassung nicht nur Veränderung, sondern bezieht sich spezi-
ell auf die Lernfähigkeit. Anleger, die an der Wall Street mit Anlagestrate-
gien wie »Buy and Hold« (»kaufen und halten«) wiederholt Geld verlieren,
lernen mit der Zeit, dass sie auch andere Strategien berücksichtigen soll-

268
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

ten. Dieses Lernen kann kollektiv erfolgen, wenn die Lektion auch anderen
vermittelt wird, ohne dass diese selbst eigene Erfahrungen machen müssen.
Agenten, die unterschiedlich, miteinander verbunden, interdependent und
anpassungsfähig sind, bilden die Grundlage eines komplexen Systems.

Um zu erfassen, wie ein komplexes System funktioniert, muss man die Stär-
ke der einzelnen vier Elemente verstehen. Stellen Sie sich vor, jedes Element
hätte einen Regler, den man von eins bis zehn einstellen kann. Bei der Ein-
stellung eins ist das System uninteressant. Es weist vielleicht die Merkmale
der Komplexität auf, aber es tut sich nicht viel. Der Grad der Verschieden-
heit ist gering, die Verbundenheit und Interdependenz sind schwach, und
es findet so gut wie kein Lern- oder Anpassungsprozess statt. Bei der Ein-
stellung zehn ist das System chaotisch. Die Agenten erhalten aus zu vielen
Quellen zu viele Informationen und sind in ihrem Entscheidungsprozess
durch widersprüchliche und zu viele Signale behindert.

Besonders faszinierend ist die Komplexität beim, wie Scott Page von der
University of Michigan es nennt, »interessanten Dazwischen«. Das heißt,
die Regler sind irgendwo zwischen drei und sieben eingestellt, jeder ein-
zelne bei einer anderen Zahl. Das ermöglicht den Austausch von reich-
lich Informationen, außerdem zahlreiche Interaktionen und Lernvorgänge
zwischen den verschiedenen Agenten, aber nicht in dem Ausmaß, dass es
chaotisch wird. Das ist das, was Komplexität ausmacht – ein System, das
kontinuierlich überraschende Ergebnisse produziert, ohne zusammenzu-
brechen.

Zwei weitere Aspekte komplexer Systeme sind von größter Bedeutung für
die von uns angedachte Anwendung auf die Devisenmärkte und den D
­ ollar.
Es handelt sich dabei um die emergenten Eigenschaften und die Phasen-
übergänge.

Wenn man sagt, ein System habe emergente Eigenschaften, heißt das, dass
das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Der Verzehr eines köstli-

269
Teil 3 Die nächste globale Krise

chen, warmen Apfelkuchens ist interessanter als Teig, Zucker, Äpfel, But-
ter und die anderen Zutaten zu betrachten, aus denen er gemacht wurde.
Bei hochkomplexen Systemen sind die emergenten Eigenschaften beson-
ders ausgeprägt und zeigen unerwartete Folgen. Das Klima ist eins der kom-
plexesten Systeme, die wir kennen. Es lässt sich nur schwer in Modellen er-
fassen, und verlässliche Wettervorhersagen können nur etwa vier Tage im
Voraus erstellt werden. Tropische Wirbelstürme zählen zu den emergenten
Eigenschaften des Klimas. Ihre Merkmale wie beispielsweise niedriger Luft-
druck, warmes Wasser, Konvektion und so weiter lassen sich leicht beobach-
ten, doch wann und wo genau ein Hurrikan entsteht, kann man unmöglich
vorhersagen. Wir erkennen ihn, wenn er da ist.

Das beste Beispiel für Emergenz ist wahrscheinlich das menschliche Be-
wusstsein. Der Körper des Menschen besteht aus Sauerstoff, Kohlenstoff
und Wasserstoff, dazu kommen noch Spuren von Kupfer und Zink. Wenn
man diese Zutaten in einem Behälter mischen würde, könnte man noch
so sorgfältig rühren oder die Mischung sogar unter Strom setzen, es wür-
de nichts passieren. Doch dieselben Zutaten ergeben kombiniert in unse-
rer DNA einen Menschen. In einem Kohlenstoffmolekül deutet nichts auf
das menschliche Denken hin, und in einem Sauerstoffmolekül nichts auf die
Fähigkeit zu sprechen oder zu schreiben. Und doch entstehen mittels der
Komplexität aus genau diesen Zutaten diese Fähigkeiten. Das Denken ent-
steht im menschlichen Geist auf dieselbe komplexe, dynamische Art wie ein
Hurrikan aus dem Klima.

Die Phasenübergänge sind eine Möglichkeit zu beschreiben, was passiert,


wenn ein komplexes System seinen Zustand ändert. Wenn ein Vulkan aus-
bricht, wechselt er vom inaktiven Zustand in den aktiven. Wenn die Kur-
se am Aktienmarkt an einem Tag um 20 Prozent fallen, wechselt der Markt
von stabil zu chaotisch. Wenn sich der Preis für Gold innerhalb einer Wo-
che verdoppelte, würde der Zustand des Dollar von stabil in den freien
Fall wechseln. All das sind Beispiele für Phasenübergänge bei komplexen
­Systemen.

270
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

Nicht jedes komplexe System neigt indes zu Phasenübergängen – das Sys-


tem muss sich in einem »kritischen Zustand« befinden. Das bedeutet, die
Agenten des Systems sind so gruppiert, dass die Aktionen eines Agenten
eine Aktion bei einem anderen auslösen, bis sich das ganze System radikal
verändert. Ein gutes Beispiel für einen Phasenübergang in einem kritischen
Zustand ist eine Lawine. Ein normales Schneefeld auf einer flachen Ober-
fläche ist ziemlich stabil, doch die gleiche Menge Schnee an einem steilen
Hang könnte einen kritischen Zustand erreichen. Eine Weile kann weite-
rer Neuschnee hinzukommen, aber irgendwann wird eine Schneeflocke ein
paar andere Schneekristalle stören. Diese werden wieder die umliegenden
Schneeflocken stören, bis der Schnee leicht ins Rutschen gerät und weite-
ren Schnee mit sich nimmt. Unterwegs wird es immer mehr Schnee, bis sich
schließlich der gesamte Hang löst. Man könnte der einzelnen Schneeflocke
die Schuld geben, richtiger wäre es jedoch, die Ursache für die Lawine im
instabilen Zustand des Schnees am gesamten Hang zu suchen. Das Schnee-
feld war in einem kritischen Zustand – es wäre früher oder später ins Rut-
schen geraten, und wenn die eine Schneeflocke nicht die Lawine ausgelöst
hätte, dann wäre es eben die nächste gewesen.

Der gleiche Vorgang lässt sich bei einem Börsenkrach beobachten. Kauf-
und Verkaufsaufträge gehen ständig ein, ähnlich wie Schneeflocken auf ei-
nen Berghang fallen. Manchmal sind die Käufer und Verkäufer sehr insta-
bil an­geordnet, sodass ein Verkaufsauftrag ein paar weitere nach sich zieht,
die dann bei Bekanntwerden weitere Verkaufsaufträge nervöser Anleger
­aus­lösen. Schon bald gerät die Lawine außer Kontrolle, und weitere Ver-
kaufsaufträge werden mithilfe von Stop-Loss-Programmen automatisch
durch­geführt. Ein Dominoeffekt. Manchmal kommt der Vorgang auch zum
Erliegen; auch im Schnee gibt es viele kleine Störungen, die kaum Scha-
den anrichten. Manchmal wächst der Vorgang exponentiell, bis etwas au-
ßerhalb des Systems dazwischenkommt. Diese Intervention kann in einer
Aussetzung des Handels oder gar der Schließung der Börse bestehen oder
darin, dass Konsortien versuchen, sich gegen den Strom zu stemmen. Wenn
die Verkaufswelle zum Halten kommt, kann das komplexe System wieder

271
Teil 3 Die nächste globale Krise

in ­einen stabilen, nicht­kritischen Zustand zurückkehren – bis zur nächsten


Ketten­reaktion.

Die Atomkatastrophe im Kraftwerk Fukushima in der Nähe von Sendai in


Japan ist ein perfektes Beispiel für Phasenübergänge in Natur und Gesell-
schaft sowie dafür, wie ein Zusammenbruch von einem System auf das an-
dere übergreift, wenn sich alle Systeme an einem kritischen Punkt befinden.
Plattentektonik, Uranatome und die Börse sind separate komplexe Syste-
me. Sie können jedoch so interagieren, dass es zu einer Art systemübergrei-
fendem Zusammenbruch kommt. Am 11. März 2011 verschob sich die Pa-
zifische Platte vor der Ostküste Japans und löste ein heftiges Erdbeben der
Stärke 9,0 aus. Bei den Erdstößen auf dem Meeresboden wurde Energie
vom einen System, der Erdkruste, auf ein anderes System, den Ozean, über-
tragen, wodurch sich eine bis zu 16 Meter hohe Tsunami-Flutwelle bilde-
te. Der Tsunami brandete gegen mehrere Atomreaktoren, wodurch wieder
Energie übertragen und eine weitere Katastrophe verursacht wurde, dies-
mal eine Kernschmelze bei den im Kraftwerk verwendeten Uran- und Pluto-
niumbrennstäben. Die durch die Kernschmelze verursachte Panik führte zu
einer weiteren Panik an der Börse in Tokio, wo die Kurse innerhalb von zwei
Tagen um 20 Prozent einbrachen. Das Erdbeben und der Tsunami sind na-
türliche Systeme. Der Reaktor barg eine Mischung aus einem natürlichen
System (Uran) und einem von Menschenhand errichteten System, die Bör-
se dagegen ist komplett von Menschen geschaffen. Dennoch folgten alle der-
selben Dynamik des kritischen Zustands in einem komplexen System.

Phasenübergänge können selbst bei geringen Auslösern katastrophale Aus-


wirkungen haben – eine einzelne Schneeflocke kann durch eine Lawine
ein ganzes Dorf zerstören. Das ist eines der Geheimnisse der sogenannten
»schwarzen Schwäne«. Nassim Nicholas Taleb machte den Begriff »schwar-
zer Schwan« mit seinem Buch Der schwarze Schwan: Die Macht höchst un-
wahrscheinlicher Ereignisse bekannt. Darin demontiert er zu Recht die
Normalverteilung – die Glockenkurve – als geeignete Möglichkeit zum Ver-
ständnis von Risiken. Allerdings widerlegt er zwar das eine Modell, bietet

272
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

aber keine Alternative an. Taleb belässt es bei einem philosophischen An-
satz und äußert sich eher verächtlich über mathematische Modelle im All-
gemeinen. Unwahrscheinliche katastrophale Ereignisse werden von ihm als
»schwarze Schwäne« bezeichnet, als ob er sagen wollte: So etwas passiert
eben. Der Begriff wird gern von Analysten und Politikern verwendet, die
zwar verstehen, dass so etwas vorkommt, die aber nicht die Dynamik des
kritischen Zustands und die Komplexität dahinter durchschauen. Denn
man kann mehr tun, als nur bedauernd die Hände zu ringen.

Ein Waldbrand, der durch einen Blitzeinschlag ausgelöst wurde, ist dafür ein
im wahrsten Sinne des Wortes erhellendes Beispiel. Egal, ob ein Feuer ei-
nen einzelnen Baum oder Tausende Hektar vernichtet, es wurde von einem
einzigen Blitzschlag verursacht. Man könnte meinen, dass große Blitze gro-
ße Brände auslösen und kleine Blitze kleine Brände, aber das stimmt nicht.
Ein- und derselbe Blitzeinschlag kann überhaupt kein Feuer oder einen ver-
heerenden Brand auslösen, das hängt vom kritischen Zustand ab. Das ist
einer der Gründe, warum uns schwarze Schwäne überraschen. Es handelt
sich um extreme Ereignisse, aber eigentlich wäre es zutreffender, wenn man
von extremen Resultaten sprechen würde, die von alltäglichen Ereignissen
ausgelöst werden. Extreme Resultate kommen mit einer gewissen Häufig-
keit vor; es sind alltägliche Ereignisse, die sie auslösen, und wir sehen sie
nicht kommen, weil sie eben so alltäglich sind. Betrachtet man das System
genauer, erkennt man, wie sich das alltägliche Ereignis in einen schwarzen
Schwan verwandelt. Wie im Fall der Lawine kommt es nicht wirklich auf die
einzelne Schneeflocke an, sondern auf den Schnee insgesamt.

Um unser Verständnis der Komplexitätstheorie zu vervollständigen, sind


zwei weitere Modelle nötig. Das erste bezieht sich auf die Häufigkeit extre-
mer Ereignisse im Verhältnis zu den glimpflichen Ereignissen in einem kom-
plexen System und ihre Verteilung. Das zweite ist der Begriff des Ausmaßes.

Die Glockenkurve der Normalverteilung, die in der Finanzwirtschaft ver-


wendet wird, besagt, dass glimpfliche Ereignisse ständig passieren, sehr ex-

273
Teil 3 Die nächste globale Krise

treme Ereignisse dagegen so gut wie nie. Doch die Glockenkurve ist nur ei-
ne Form der Wahrscheinlichkeitsverteilung; es gibt noch viele andere. Die
Wahrscheinlichkeitsverteilung, die viele Ereignisse in komplexen Systemen
beschreibt, bezeichnet man als Potenzgesetz. Ein Schaubild, das einem Po-
tenzgesetz entspricht, ist in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2: Die Wahrscheinlichkeitsverteilung bei einem Potenzgesetz

Bei dieser Wahrscheinlichkeitsverteilung ist die Häufigkeit der Ereignisse


auf der y-Achse eingetragen und der Schweregrad der Ereignisse auf der
x-Achse. Wie bei der Glockenkurve sind extreme Ereignisse seltener als
glimpflich verlaufende Ereignisse. Deshalb verläuft die Kurve nach unten
(weniger häufige Ereignisse), je weiter man auf der x-Achse nach rechts geht
(extremere Ereignisse). Allerdings gibt es einige gravierende Unterschiede
zwischen dem Potenzgesetz und der Glockenkurve. Zum einen ist die Glo-
ckenkurve (Abbildung 1) im Bereich der y-Achse »dicker«. Das bedeutet,
dass die glimpflichen Ereignisse in der Verteilung nach der Glockenkur-
ve häufiger auftreten als beim Potenzgesetz. Die Kurve beim Potenzgesetz
kommt der x-Achse nie so nahe wie die Glockenkurve. Der »Schwanz« der

274
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

Kurve zieht sich lange nach rechts und bleibt dabei immer oberhalb der x-
Achse. Das ist der berühmte »lange Schwanz«, der anders als die Glocken-
kurve scheinbar nie die x-Achse berührt. Das bedeutet, dass bei der Vertei-
lung nach dem Potenzgesetz extreme Ereignisse häufiger vorkommen als bei
der Glockenkurve.

Im Fernsehen und Internet wird lebhaft über den »Long Tail«, den lan-
gen Schwanz, diskutiert, auch wenn der Begriff häufiger als Klischee ver-
wendet wird und weniger aus mathematischem Verständnis. Noch weniger
verstanden wird die Bedeutung des Ausmaßes. Die Kurve in Abbildung 2
­endet aus praktischen Gründen irgendwann. Doch theoretisch könnte sie
sich ewig entlang der x-Achse erstrecken, ohne diese je zu berühren. Die-
se Fortsetzung würde das Ausmaß möglicher Katastrophen in unvorstellba-
re Be­reiche führen, etwa ein Erdbeben von der Stärke 10,0, das noch nie ge­
messen wurde.

Ist die Länge des Schwanzes begrenzt? Ja, an einem bestimmten Punkt
fällt die Kurve senkrecht ab und schneidet die horizontal verlaufende x-
Achse. Dieser Abbruch markiert die Grenze des Systems. Das Ausmaß
der ­größten Katastrophe in einem System ist durch das Ausmaß des Sys-
tems an sich ­begrenzt. Ein Beispiel dafür wäre ein aktiver Vulkan auf ei-
ner einsamen ­Insel. Der Vulkan und die Insel bilden ein komplexes dyna-
misches System in einem kritischen Zustand. Im Lauf der Jahrhunderte
kann es i­mmer ­wieder zu Ausbrüchen kommen, die unterschiedlich schwe-
re ­Schäden a­ nrichten. Schließlich explodiert der Vulkan komplett, und die
­Insel versinkt im Meer, sodass nichts mehr von ihr bleibt. Das wäre ein ex-
tremes Ereignis, das durch das Ausmaß des Systems – die Insel – begrenzt
ist. Die Katastrophe kann nicht größer sein als das System, in dem sie auf-
tritt.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass vom Men-
schen geschaffene Systeme ständig wachsen. Stromnetze werden immer
größer und sind stärker untereinander verbunden; Straßennetze werden er-

275
Teil 3 Die nächste globale Krise

weitert, das Internet erhält immer mehr Netzwerkknoten und Verteiler. Und
es gibt eine noch schlechtere Nachricht: Das Verhältnis zwischen Katast-
rophenrisiko und Ausmaß des Systems ist exponentiell. Das heißt, wenn
sich das System in der Größe verdoppelt, verdoppelt sich das Risiko nicht
nur – sondern steigt um den Faktor 10. Verdoppelt sich das System erneut,
wächst das Risiko um den Faktor 100. Bei einer erneuten Verdopplung des
Systems steigt das Risiko um den Faktor 1 000 und so weiter.

Finanzmärkte sind komplexe Systeme par excellence mit Millionen Händ-


lern, Anlegern und Spekulanten als autonomen Agenten. Diese Agenten
sind ganz unterschiedlich, was ihre Ressourcen, Vorlieben und Risikonei-
gungen betrifft. Es gibt optimistische Bullen und pessimistische Bären, Käu-
fer und Verkäufer. Manche riskieren Milliarden, andere nur ein paar hundert
Dollar. Die Agenten sind eng vernetzt. Sie handeln und investieren in einem
Netzwerk der Börsen, Broker, automatischen Handelssysteme und Informa-
tionsströme.

Die Interdependenz ist ein weiteres Kennzeichen von Märkten. Als die Sub-
prime-Hypothekenkrise Anfang August 2007 zuschlug, brachen die Akti-
enkurse in Tokio massiv ein. Anfangs waren einige japanische Analysten
verblüfft, warum sich eine Hypothekenkrise in den USA auf die japani-
schen Aktienkurse auswirken sollte. Der Grund war, dass es sich bei den
japanischen Aktien um liquide Aktien handelte, also um Titel, die häufig
gehandelt wurden und die man daher verkaufen konnte, um Geld für die
Nachschussaufforderungen bei den amerikanischen Hypothekenpapieren
aufzutreiben. Diese Form der Ansteckung im Wertpapierhandel ist eine ge-
waltige Interdependenz.

Börsenmakler und Anleger sind überaus anpassungsfähig. Sie beobachten


Handelsströme und Gruppenreaktionen, halten sich ständig über Informa-
tionsdienste, Fernsehen, Kurse, Chatrooms, soziale Netzwerke und im di-
rekten Gespräch über die aktuelle Entwicklung auf dem Laufenden und re-
agieren entsprechend.

276
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

Kapital- und Devisenmärkte weisen noch andere Merkmale eines kom-


plexen Systems auf. Emergente Eigenschaften zeigen sich in den wieder­
kehrenden Kursmustern, die man bei der Chartanalyse so liebt. Die
Kurs­spitzen und -täler, die »Double-Tops«, »Schulter-Kopf-Schulter-For-
mationen« und anderen technischen Chartmuster sind Beispiele für Emer-
genz in einem komplexen Gesamtsystem. Phasenübergänge – r­apide,
extreme Veränderungen – gibt es in Form von Spekulationsblasen und Kurs­
einbrüchen.

Ein Großteil der Arbeiten über Kapitalmärkte als komplexe Systeme ist
noch theoretisch. Es liegen jedoch auch empirische Belege vor, über die
Benoît Mandelbrot als einer der ersten berichtete. Umfang und Häufig-
keit bestimmter Kurse ergeben die Verteilungskurve eines Potenzgeset-
zes. Mandelbrot zeigte anhand einer Kurve des zeitlichen Verlaufs, dass die
Kursbewegungen eine sogenannte »fraktale Dimension« aufweisen.63 Eine
fraktale Dimension ist nicht ganzzahlig, das bedeutet zum Beispiel, dass sie
größer als eins und kleiner als zwei ist, was in einem Bruch als 1½ ausge-
drückt wird; »fraktal« leitet sich vom lateinischen »fractus« ab, was »gebro-
chen« heißt. In der Geometrie ist eine Linie eindimensional (Länge) und ei-
ne Fläche zweidimensional (Länge und Breite). Eine fraktale Dimension von
1½ liegt irgendwo dazwischen.

Ein bekanntes Beispiel ist die allgegenwärtige Aktienkurve, die man täglich
in der Zeitung oder auf Finanzwebsites sieht. Das Schaubild besteht aus
mehr als einer Kurve (es sind Hunderte), füllt aber nicht das gesamte Qua-
drat zwischen den beiden Achsen aus, sondern ist kleiner als das Quadrat.
Daher hat es eine fraktale Dimension zwischen eins und zwei. Das unregel-
mäßige Muster beim Auf und Ab der Kurse ist eine emergente Eigenschaft,
ein massiver Einbruch wäre ein Phasenübergang.

Ein ähnliches fraktales Muster entsteht, wenn das Schaubild vergrößert


wird, um Stunden, Tage, Monate oder Jahre abzubilden, und ähnliche Re-
sultate ergeben sich, wenn man andere Schaubilder für Devisen-, Anleihen-

277
Teil 3 Die nächste globale Krise

oder Derivatemärkte betrachtet. Die Kurven zeigen Kursbewegungen und


damit das Risiko, verteilt nach dem Potenzgesetz, und einen Verlauf mit ei-
ner fraktalen Dimension, die deutlich größer als 1,0 ist. Diese Eigenschaften
stehen im Widerspruch zur normalen Risikoverteilung und decken sich mit
der Wahrscheinlichkeitsverteilung von Ereignissen in komplexen Systemen.
In diesem Bereich muss zwar noch geforscht werden, doch bislang spricht
vieles dafür, dass Kapitalmärkte komplexe Systeme mit einer Wahrschein-
lichkeitsverteilung nach dem Potenzgesetz sind.

Das führt unsere Analyse zurück zur Frage der Größenordnung. Welches
Ausmaß haben Devisen- und Kapitalmärkte und wie wirkt sich ihre Größe
auf das Risiko aus? Wenn katastrophale Zusammenbrüche einer Exponen-
tialfunktion folgen, dann hat jede Erweiterung des Ausmaßes eine massive
Erhöhung des Risikos zur Folge. Kapitalmärkte legen beständig an Umfang
zu, daher kommen die schwarzen Schwäne in größerer Zahl und mit höhe-
rer Intensität vor.

Wenn man heute das Ausmaß von Kapitalmärkten einschätzen möchte, ist
das so ähnlich, wie wenn man vor der Erfindung von Meter und Zentime-
ter, Fuß und Yard versuchen wollte, eine Fläche auszumessen. Es gibt kein
allgemein gültiges Größenmaß für die Berechnung des Marktrisikos auf
Grundlage der Komplexitätstheorie und der Dynamik des kritischen Zu-
stands. Dieser fehlende Maßstab ist nicht ungewöhnlich. Erdbeben gibt es
schon seit Menschengedenken, doch die Richter-Skala, mit der man die
Intensität und Häufigkeit der Erdstöße misst, wurde erst 1935 entwickelt.
Erdbeben sind Phasenübergänge im komplexen System der Plattentekto-
nik, und ­ihre mit der Richter-Skala gemessene Häufigkeit und Intensität fol-
gen ebenfalls einem Potenzgesetz. Die Ähnlichkeit zwischen Aktienkurven
und seis­mografischen Aufzeichnungen (siehe Abbildung 3) ist kein Z ­ ufall.

278
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

Abbildung 3: Beispiel für eine seismografische Aufzeichnung

Es wird eine Weile dauern, bis die empirische Arbeit zur theoretischen For-
schung aufgeschlossen hat. Doch denjenigen, die geeignete Messgrößen
entdecken und die Kurve genau berechnen, winkt sicher der Wirtschaftsno-
belpreis. Man muss allerdings nicht auf diese Arbeiten warten, sondern
kann schon jetzt konkrete Schlussfolgerungen ziehen. Die Errichtung von
Gebäuden auf einer bekannten Verwerfungslinie war auch schon vor der
Entwicklung der Richter-Skala eine schlechte Idee. Die Komplexität und
die Potenzgesetze der Kapitalmärkte zu ignorieren, ist ebenfalls keine gu-
te Idee, selbst wenn der endgültige empirische Beweis noch aussteht. Wenn
man zu lange wartet, könnte in der Zwischenzeit das Gebäude des Kapita-
lismus einstürzen.

Bereits jetzt lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf die statistischen Eigen-
schaften des Risikos an den Kapital- und Devisenmärkten ziehen. Es steht
außer Frage, dass das Ausmaß der Märkte, unabhängig davon, wie man es
am besten misst, in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gewachsen ist.
Durch eine Reihe von Fusionen entstanden globale Megahandelsplätze. Seit

279
Teil 3 Die nächste globale Krise

der Deregulierung fällt die Trennung zwischen Geschäftsbanken und In-


vestmentbanken in den USA weg, beide dürfen nun sämtliche Bankdienst-
leistungen anbieten. Durch außerbilanzielle Aktivitäten und Zweckgesell-
schaften ist ein grauer Kapitalmarkt entstanden, der mindestens so groß wie
das eigentliche System ist. Zwischen Juni 2000 und Juni 2007, also bis zum
Beginn der Finanzkrise, stieg der Umsatz mit Devisen-Derivaten im außer-
börslichen Handel, dem sogenannten »Over-the-Counter-Handel« (OTC)
von 15,7 Billionen Dollar auf 57,6 Billionen Dollar, was eine Steigerung um
367 Prozent bedeutet. Im selben Zeitraum stieg der Umsatz mit Zinsderiva-
ten im OTC-Handel von 64,7 Billionen Dollar auf 381,4 Billionen Dollar,
eine Steigerung um 589 Prozent. Die Summe der Aktienderivate im OTC-
Handel wuchs in diesen sieben Jahren von 1,9 Billionen Dollar auf 9,5 Bil-
lionen an, was einer Zunahme von 503 Prozent entspricht.

Hält man sich an die an der Wall Street üblichen Methoden zur Risikobe-
wertung, so ist an diesen Zahlen nichts Beunruhigendes. Da es sich um
Long- und Short-Positionen handelt, werden die Summen mit der VaR-Me-
thode gegeneinander verrechnet. Für die Wall Street befindet sich das Risi-
ko immer in der Nettoposition. Wenn man eine Kaufposition in Höhe von
1 Milliarde Dollar bei einem Wertpapier hat und eine Verkaufsposition in
Höhe von 1 Milliarde Dollar bei einem ganz ähnlichen Wertpapier, wird bei
Methoden wie der VaR-Technik die Verkaufsposition von der Kaufposition
abgezogen. Entsprechend kommt man zu dem Schluss, dass das Risiko sehr
niedrig ist und manchmal sogar fast bei null liegt.

Die Komplexitätsanalyse basiert auf einer ganz anderen Sichtweise. Bei der
Analyse komplexer Systeme werden die Short-Positionen nicht von den
Long-Positionen abgezogen – sie werden addiert. Jeder Dollar an Nominal-
wert schafft Interdependenz. Wenn eine Partei zahlungsunfähig wird, wird
aus der ursprünglichen Nettoposition für eine bestimmte Bank umgehend
eine Bruttoposition, weil ihre »Absicherung« dahin ist. Das fundamentale
Risiko liegt in der Brutto-, nicht in der Nettoposition. Wenn die Bruttopo-
sitionen um 500 Prozent steigen, erhöht sich das theoretische Risiko auf-

280
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

grund des exponentiellen Verhältnisses zwischen dem Ausmaß des Systems


und der Größe der Katastrophe um 5 000 Prozent oder mehr.

Deshalb brach das Finanzsystem 2008 auf so spektakuläre Weise zusam-


men. Die Subprime-Hypotheken waren wie die Schneeflocken, die eine La-
wine ins Rollen bringen. Die tatsächlichen Verluste bei den Subprime-Hy-
potheken liegen immer noch unter 300 Milliarden Dollar, was im Vergleich
zu den Gesamtverlusten durch die Panik ein relativ geringer Betrag ist. Als
die Lawine erst einmal losgetreten war, wurde alles mitgerissen, und das ge-
samte Bankensystem war in Gefahr. Berücksichtigt man Derivate und ande-
re Finanzinstrumente, liegt der Gesamtverlust bei über 6 Billionen Dollar
und damit weit höher als bei den Hypotheken. Da Faktoren wie die Dy-
namik des kritischen Zustands und der Umfang unberücksichtigt blieben,
­sahen die Regulierungsbehörden die Katastrophe nicht kommen, und auch
die Banker waren pausenlos »überrascht« vom Ausmaß des Problems. Re-
gulierungsbehörden und Banken verwendeten die falschen Instrumente
und Maßstäbe. Leider tun sie das immer noch.

Wenn ein natürliches System den kritischen Punkt erreicht und bei einem
Phasenübergang zusammenbricht, durchläuft es einen Vereinfachungspro-
zess, der in eine stark reduzierte Systemgröße mündet. Dadurch sinkt auch
das Risiko für eine weitere Megakatastrophe. Allerdings gilt das nicht für
alle von Menschenhand geschaffenen komplexen Systeme. Staatliche In-
terventionen in Form von Bankenrettungen oder Gelddrucken können die
Pleitewelle vorübergehend stoppen. Doch das Risiko verschwindet dadurch
nicht. Es bleibt bis zum nächsten destabilisierenden Ereignis im System ver-
borgen.

Eine ganz einfache Lösung zur Beseitigung oder Eindämmung der Risiken,
die entstehen, wenn ein System zu groß wird, besteht darin, das System zu
verkleinern. Deshalb werden in Skigebieten morgens, bevor der Betrieb be-
ginnt, instabile Schneeflächen mit Dynamit gesprengt. Die Lawinengefahr
wird durch die Reduzierung der Schneemasse verringert. Doch in der Fi-

281
Teil 3 Die nächste globale Krise

nanzwelt von heute geschieht genau das Gegenteil. Die Pistenpatrouillen


der Finanzwelt, die Zentralbanken, schaufeln immer mehr Schnee auf den
Berg. Mittlerweile ist das Finanzsystem noch größer und stärker konzent-
riert als direkt vor dem Beginn der Krise 2007.

Zusätzlich zur Verkleinerung gibt es noch eine weitere Lösung zur Eindäm-
mung des Risikos bei komplexen Systemen. Dabei behält man die Größe
bei, macht aber das System robuster, indem man darauf achtet, dass die ein-
zelnen Bestandteile nicht zu groß werden. Für die Banken hieße das, dass
es mehr Banken gibt, die aber kleiner sind. Das Vermögen, über das sie ver-
fügen, bleibt dabei gleich. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit gab es anstel-
le der heutigen JPMorgan Chase vier separate Banken: J. P. Morgan, Chase
Manhattan, Manufacturers Hanover und die Chemical Bank. Eine Entflech-
tung würde das Finanzsystem robuster machen. Aber stattdessen sind die
amerikanischen Banken größer geworden, und auch der Derivatehandel
ist viel umfangreicher als noch 2008. Dadurch ist ein erneuter Zusammen-
bruch, der noch heftiger ausfallen wird als 2008, nicht nur wahrscheinlich,
sondern gewiss. Allerdings wird er das nächste Mal anders verlaufen. Denn
gemäß der Theorie der exponentiellen Risikozunahme wird die Krise so
umfassend sein, dass sie nicht vom Staat eingedämmt werden kann, weil er
gar nicht über die erforderlichen Ressourcen verfügt. Gegen die zehn Meter
hohe Hafenmauer wird eine zwanzig Meter hohe Tsunami-Flutwelle bran-
den und die Mauer hinwegfegen.

Komplexität, Energie und Geld

Kombiniert man Instrumente aus der Verhaltensökonomik und der Kom-


plexitätstheorie, so versteht man recht gut, wie sich der Währungskrieg ent-
wickeln wird, wenn der Erhöhung der Geldmenge und der Staatsverschul-
dung nicht bald ein Ende bereitet wird. Im Verlauf des Währungskrieges
wird es eine Reihe von Siegen für den Dollar geben, auf die jedoch eine ent-

282
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

scheidende Niederlage folgen wird. Die Siege (oder zumindest das, was die
Federal Reserve als Sieg definiert) beruhen auf der Politik der quantitati-
ven Lockerung und der daraus resultierenden Inflation, die andere Staaten
zwingt, ihre Währungen neu zu bewerten. Die Folge wird ein stark abgewer-
teter Dollar sein – genau das, was die Fed will. Die Niederlage des Dollar
wird durch einen globalen politischen Konsens eingeläutet, den Dollar als
Reservewährung durch eine andere Währung zu ersetzen, und einen priva-
ten Konsens, komplett auf ihn zu verzichten.

Der Zusammenbruch des Dollar wird in zwei Phasen erfolgen – zuerst all-
mählich und dann plötzlich. Diese Formel, berühmt geworden durch He-
mingway, der damit schildert, wie jemand bankrottgeht, ist die passen-
de Beschreibung für die Dynamik in einem komplexen System, das einen
­kritischen Zustand erreicht hat. »Allmählich« beschreibt den Vorgang,
wenn die Schneeflocke eine kleine Stelle im Schnee durcheinanderbringt,
»plötzlich« bezieht sich auf die Lawine. Die Schneeflocke fällt zufällig, doch
die Lawine ist unvermeidlich. Beide Vorstellungen sind leicht zu begrei-
fen. Schwieriger zu verstehen ist der kritische Zustand, an dem das Ereig-
nis eintritt.

Im Fall des Währungskriegs handelt es sich beim komplexen System um das


internationale Währungssystem, das im Prinzip auf dem Dollar basiert. Je-
der andere Markt – Aktien, Anleihen, Derivate – basiert auf diesem System,
weil die Vermögenswerte in Dollar angegeben sind. Wenn also der Dollar
zusammenbricht, werden sämtliche finanziellen Aktivitäten mit ihm zusam-
menbrechen.

Das Vertrauen in den Dollar kann bei den ausländischen Anlegern weiter-
bestehen, solange die US-Bürger selbst an ihre Währung glauben. Ein Ver-
trauensverlust bei den Amerikanern jedoch wird einen weltweiten Vertrau-
ensverlust nach sich ziehen. Ein einfaches Beispiel zeigt, wie ein leichter
Vertrauensverlust in den Dollar, was immer ihn ausgelöst haben mag, zu ei-
nem kompletten Vertrauensverlust führen kann.

283
Teil 3 Die nächste globale Krise

In unserem Beispiel ist die Bevölkerung der USA das komplexe System. Aus
Gründen der Einfachheit gehen wir von 311 001 000 Einwohnern aus, was
nicht weit von der tatsächlichen Bevölkerungszahl entfernt ist. Die Bevölke-
rung wird anhand der kritischen Schwellenwerte des Einzelnen unterteilt,
die wir in unserem Modell S-Werte nennen. Der kritische Schwellenwert
S eines Einzelnen im System steht für die Zahl der anderen Personen, die
das Vertrauen in den Dollar verlieren müssen, damit dieser Einzelne eben-
falls das Vertrauen verliert. Der Wert S ist ein Maß dafür, ob Personen auf
das erste mögliche Anzeichen einer Veränderung reagieren oder warten, bis
der Prozess weiter fortgeschritten ist. Es handelt sich dabei um einen indivi-
duellen Kipppunkt; jedoch haben verschiedene Akteure auch verschiedene
kritische Schwellenwerte. Das ist so ähnlich, wie wenn man fragt, wie viele
Personen aus einem vollen Kino fliehen müssen, bevor der nächste anfängt
zu rennen. Manche Leute laufen schon beim ersten Anzeichen eines Pro-
blems los. Andere bleiben nervös sitzen und bewegen sich erst, wenn ein
Großteil der Zuschauer bereits aufgestanden ist und das Kino verlassen hat.
Und irgendjemand verlässt das Kino als Letzter. Es kann so viele kritische
Schwellenwerte wie Beteiligte geben.

Die S-Werte sind in fünf Bereiche unterteilt, um den potenziellen Einfluss


von einer Gruppe auf die andere zu zeigen. Im ersten Fall, der in Tabel-
le 1 dargestellt ist, sind die Gruppen vom niedrigsten Schwellenwert zum
höchsten angeordnet:

Tabelle 1: Hypothetische kritische Schwellenwerte (S)


für eine Ablehnung des Dollar in der US-Bevölkerung
Für die ersten 1 000 Personen S = 500
Für die nächsten 1 Million Personen S = 10 000
Für die nächsten 10 Millionen Personen S = 100 000
Für die nächsten 100 Millionen Personen S = 10 000 000
Für die nächsten 200 Millionen Personen S = 50 000 000

284
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

Der Testfall beginnt mit der Frage, was passieren würde, wenn 100 Perso-
nen plötzlich den Dollar ablehnen würden. Ablehnung bedeutet, dass man
die traditionellen Funktionen des Dollar als Zahlungsmittel, zur Wertaufbe-
wahrung und als verlässlichen Wertmaßstab und Recheneinheit nicht mehr
akzeptiert. Diese 100 Personen würden den Dollar nicht mehr behalten,
sondern jeden Dollar, den sie bekommen, sofort in andere Vermögenswerte
umtauschen, etwa in Edelmetalle, Grundbesitz, Immobilien und Kunstwer-
ke. Sie würden sich nicht davon abhängig machen, dass sich diese Vermö-
genswerte in Zukunft wieder zu Dollar machen lassen, sondern würden nur
auf den inneren Wert ihres Vermögens setzen. Auch in Dollar ausgewiesene
Werte wie Aktien, Anleihen und Bankkonten würden sie meiden.

In unserem Testfall, bei dem 100 Personen den Dollar ablehnen, würde
nichts passieren. Das liegt daran, dass der niedrigste kritische Schwellen-
wert einer Gruppe im System bei T = 500 liegt. Das heißt, dass 500 Per-
sonen oder mehr den Dollar ablehnen müssen, damit die erste Gruppe ihn
ebenfalls als Zahlungsmittel ablehnt. Da in unserem Beispiel aber nur 100
Personen den Dollar ablehnten, wurde die kritische Schwelle von T = 500
für die sensibelste Gruppe nicht erreicht, daher bleibt die Gruppe als Gan-
ze vom Verhalten der 100 Personen unbeeindruckt. Und da alle anderen T-
Werte höher als 500 sind, bleibt auch das Verhalten dieser Gruppen unbe-
einträchtigt. Die kritischen Schwellenwerte wurden alle nicht überschritten.
Das ist ein Beispiel dafür, wie die Wirkung eines Zufallsereignisses im Sys-
tem verpufft. Es ist etwas passiert, aber das hat keine weiteren Folgen. Wenn
die größte Gruppe, die anfänglich den Dollar ablehnt, aus 100 Personen
und nicht mehr besteht, nennt man dieses System subkritisch, das heißt, es
ist nicht anfällig für eine Kettenreaktion, bei der immer mehr Personen den
Dollar ablehnen würden.

Betrachten wir nun einen zweiten hypothetischen Fall, der in Tabelle 2 dar-
gestellt ist. Die Gruppengrößen sind dieselben wie in Tabelle 1. Das Sys-
tem der kritischen Schwellen ist ebenfalls identisch mit dem System in Ta-
belle 1, allerdings mit zwei kleinen Unterschieden. Die kritische Schwelle

285
Teil 3 Die nächste globale Krise

für die erste Gruppe wurde verändert, statt 500 Personen sind es nur noch
100 Personen. Und die kritische Schwelle für die zweite Gruppe ändert sich
von S = 10 000 Personen zu S = 1 000 Personen. Die anderen Werte für S
bei den verbleibenden drei Gruppen bleiben dagegen gleich. Anders ausge-
drückt, wir haben die Reaktion von 0,3 Prozent der Bevölkerung verändert,
die Reaktion von 99,7 Prozent der Bevölkerung blieb gleich. Und hier ist
die neue Tabelle der Schwellenwerte mit den beiden kleinen Veränderun-
gen, die fettgedruckt sind:

Tabelle 2: Hypothetische kritische Schwellenwerte (S)


für eine Ablehnung des Dollar in der US-Bevölkerung
Für die ersten 1 000 Personen S = 100
Für die nächsten 1 Million Personen S = 1 000
Für die nächsten 10 Millionen Personen S = 100 000
Für die nächsten 100 Millionen Personen S = 10 000 000
Für die nächsten 200 Millionen Personen S = 50 000 000

Was passiert, wenn die gleichen 100 Bürger wie im ersten Beispiel den Dol-
lar ablehnen? In unserem zweiten Beispiel erreicht die Ablehnung der 100
Bürger die kritische Schwelle bei 1 000 Personen, die nun ebenfalls den Dol-
lar ablehnen. Um in unserem Bild von vorher zu bleiben: Aus dem Kinosaal
fliehen mehr Leute. Diese neue Ablehnung durch 1 000 Personen erreicht
nun den kritischen Schwellenwert bei einer Million Personen, die ebenfalls
den Dollar ablehnen. Nun, da eine Million Menschen den Dollar nicht mehr
akzeptiert, ist die nächste kritische Schwelle mit 100 000 Personen erreicht,
woraufhin weitere 10 Millionen Menschen den Dollar ablehnen. Von da an
ist der Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten. Wenn 10 Millionen Men-
schen den Dollar ablehnen, schließen sich ihnen bald weitere 100 Millionen
an, und schon bald lehnen ihn auch die verbleibenden 200 Millionen ab –
nun lehnt die komplette Bevölkerung den Dollar ab. Der Dollar ist national
und international als Währung nicht mehr zu halten. Dieses zweite System
mit dem katastrophalen Zusammenbruch bezeichnet man als superkritisch.

286
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

Dazu sollte man jedoch Folgendes bedenken: Die Schwellenwerte sind rein
hypothetisch; die tatsächlichen Werte von S sind unbekannt und vermut-
lich auch nicht zu ermitteln. Die S-Werte wurden aus Gründen der Verein-
fachung in fünf Gruppen unterteilt. In Wirklichkeit gäbe es Millionen ver-
schiedener kritischer Schwellenwerte, die Realität ist also viel komplexer als
unser Beispiel. Der Zusammenbruch muss auch nicht unmittelbar nach der
Überschreitung eines Schwellenwerts erfolgen, sondern kann sich erst im
Lauf der Zeit entwickeln, weil sich Informationen langsam verbreiten und
die Reaktionszeiten variieren.

Diese Einschränkungen beeinträchtigen allerdings nicht die Kernaussage,


nämlich, dass winzig kleine Veränderungen der Ausgangsbedingungen völlig
andere Ergebnisse mit katastrophalen Folgen haben können. Im ersten Bei-
spiel gab es auf die anfängliche Ablehnung von 100 Personen keine Reak-
tion, im zweiten Beispiel brach das ganze System zusammen. Der Auslö-
ser war derselbe, und auch die Reaktion von 99,7 Prozent der Bevölkerung
hatte sich nicht verändert. Kleine Veränderungen bei der Reaktion von nur
0,3 Prozent der Bevölkerung genügten, um das Ergebnis komplett zu verän-
dern; aus einem Nichtereignis wurde der totale Zusammenbruch. Aufgrund
einer nichtigen Systemänderung schlug das System von subkritisch in su-
perkritisch um.

Ein ernüchternder Gedanke für Zentralbanker und die Anhänger des De-
ficit Spending. Politiker agieren oft auf der Grundlage von Modellen, die
davon ausgehen, dass die Politik Schritt für Schritt vorgehen kann und es
keine unvorhergesehenen nichtlinearen Zusammenbrüche gibt. Als Lösung
für eine mangelnde gesamtwirtschaftliche Nachfrage gelten nach wie vor die
Erhöhung der Geldmenge und eine Inflation. Die Anhäufung von Schul-
den wird als akzeptables Mittel betrachtet, wenn damit ein Konjunkturpro-
gramm zur Stimulierung der Nachfrage finanziert wird. Das Gelddrucken
und das Deficit Spending setzen sich Jahr für Jahr fort, als ob das System
stets in einem subkritischen Zustand bliebe und die geballte Anwendung
dieser immer gleichen Instrumente keine extremen Folgen hätte. Unser Mo-

287
Teil 3 Die nächste globale Krise

dell zeigt, dass das nicht unbedingt stimmt. Ein Phasenübergang von der
Stabilität zum Kollaps kann aufgrund winziger Veränderungen im Verhalten
der Einzelnen kaum wahrnehmbar einsetzen und ist in Echtzeit fast unmög-
lich zu erkennen. Die Schwächen werden erst entdeckt, wenn das System
zusammenbricht. Aber dann ist es zu spät.

Nachdem wir Beispiele dafür kennengelernt haben, wie komplexe Systeme


funktionieren und wie verwundbar der Dollar bei einem Vertrauensverlust
sein kann, können wir nun einen Blick auf den Währungskrieg werfen und
überlegen, welche Gestalt unsere theoretischen Modelle in der realen Welt
annehmen könnten.

Die Geschichte des Ersten und Zweiten Währungskrieges zeigt, dass ein
Währungskrieg das letzte verzweifelte Mittel bei großen makroökono-
mischen Problemen ist. In den vergangenen 100 Jahren gehörte zu die-
sen Problemen immer eine exzessive Verschuldung, die sich nicht mehr
zurückzahlen ließ. Und auch heute erstickt die Verschuldung zum drit-
ten Mal innerhalb von 100 Jahren jegliches Wirtschaftswachstum und be-
schwört ­einen neuen Währungskrieg herauf. Das ist ein weltweites Prob-
lem. Die ­europäischen Staaten und Banken sind in einer noch schlimmeren
Ver­fassung als die USA. Die Immobilienblasen in Irland, Spanien und an-
deren Ländern hatten ähnlich verheerende Folgen wie in Amerika. Selbst
China, das in den letzten Jahren ein relativ starkes Wachstum und gro-
ße Handelsüberschüsse vorweisen konnte, hat ein überschuldetes Schat-
tenbanksystem, das von provinziellen Behörden geführt wird, eine massiv
ansteigende Geldmenge und eine Immobilienblase, die jeden Augenblick
platzen kann.

Die Welt im 21. Jahrhundert mag sich in vielem von den 1920er- und
1970er-Jahren unterscheiden, doch die massive Anhäufung nicht zurück-
zahlbarer, untragbarer Schulden erzeugt dieselbe Dynamik. Der Privat­
sektor bemüht sich um Entschuldung und Deflation, während der Staat
mit seiner Politik der Währungsabwertung für Inflation sorgt. Die Tat­sache,

288
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

dass genau diese Maßnahmen in der Vergangenheit in die Katastrophe


führten, hält die Verantwortlichen nicht davon ab, sie erneut anzuwenden.

Wie stehen die Chancen, diese negative Entwicklung abzuwenden? Wie


könnte die globale Überschuldung zugunsten eines stärkeren Wirtschafts-
wachstums verringert werden? Einige Analysten sind der Meinung, dass
die haushaltspolitischen Auseinandersetzungen der Politiker nur als Pro-
filierungsversuche zu werten seien; wenn es wirklich ernst werde und die
wichtigsten Wahlen vorüber seien, würden sich alle zusammensetzen und
das Richtige tun. Andere verlassen sich auf sehr fragwürdige Wachstums-
prognosen, auf eine günstige Entwicklung der Zinsen und Arbeitslosenzah-
len und anderer Schlüsselfaktoren, die das Defizit wieder in geordnete Bah-
nen lenken würden. Es gibt jedoch gute Gründe für eine pessimistischere
Sicht, die diese Prognosen anzweifelt. Das hat etwas mit der Dynamik der
Gesellschaft selbst zu tun. So wie Währungskriege und Kapitalmärkte kom-
plexe Systeme sind, so sind diese Systeme Teil größerer komplexer Syste-
me, mit denen sie interagieren. Die Struktur und Dynamik dieser Systeme
sind identisch – sie sind nur größer, und damit ist natürlich auch ihr Kol-
laps-Potenzial noch größer.

Eric J. Chaisson und Joseph A. Tainter, die sich beide intensiv mit der Kom-
plexitätstheorie befassen, liefern uns die notwendigen Instrumente, damit
wir verstehen können, warum eine stärkere Haushaltsdisziplin wahrschein-
lich scheitern und es vermutlich zu einem Währungskrieg und einem Zusam-
menbruch des Dollar kommen wird. Der Astrophysiker Chaisson ist einer
der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Komplexitätstheorie in
der Entwicklung des Kosmos. Tainter ist Anthropologe und beschäftigt sich
mit der Komplexitätstheorie im Zusammenhang mit dem Untergang von
Kulturen. Nimmt man ihre Theorien zusammen und wendet sie auf die Kapi-
talmärkte und die aktuelle Wirtschaftspolitik an, gerät man sehr ins Grübeln.

Chaisson betrachtet alle komplexen Systeme vom Kosmos bis zum subato-
maren Teilchen und konzentriert sich dann auf das Leben im Allgemeinen

289
Teil 3 Die nächste globale Krise

und den Menschen im Besonderen, da der Mensch seiner Meinung nach


zu den komplexesten Systemen überhaupt gehört. In seinem Buch Cosmic
Evolution schreibt er über den Energiebedarf bei wachsender Komplexität
und vor allem über die »Energiedichte« eines Systems in Hinblick auf Zeit,
Komplexität und Größe.

Chaisson vertritt den Standpunkt, dass man das Universum am besten als
konstanten Energiefluss zwischen Strahlung und Materie versteht.64 Durch
diese Dynamik entsteht mehr Energie, als bei der Umwandlung gebraucht
wird, wodurch »freie Energie« für die Komplexität zur Verfügung steht.
Chaisson Beitrag war seine empirische Definition der Komplexität als Ver-
hältnis zwischen freiem Energiefluss und der Dichte in einem System. Ver-
einfacht ausgedrückt, je komplexer ein System ist, desto mehr Energie benö-
tigt es, um seine Größe und Ausdehnung zu erhalten. Chaissons Theorien
sind fundiert; sie beginnen bei den Hauptsätzen der Thermodynamik und
reichen bis zu aktuelleren Erkenntnissen zur Selbstorganisation und Kom-
plexität des Universums.

Es ist allgemein bekannt, dass die Sonne weit mehr Energie verbraucht
als das menschliche Gehirn. Doch die Sonne hat auch viel mehr Mas-
se. Berücksichtigt man diesen Unterschied, zeigt sich, dass das Gehirn
75 000 Mal mehr Energie verbraucht als die Sonne, gemessen in Chais-
sons S ­ tandardeinheiten. Chaisson hat aber auch ein System gefunden,
das noch viel komplexer ist als das menschliche Gehirn: die Gesellschaft
an sich in ihrer zivilisierten Form. Das überrascht nicht, denn eine Ge­
sellschaft, die quasi aus vielen menschlichen Gehirnen besteht, sollte et-
was Komplexeres hervorbringen als die einzelnen Personen. Das deckt
sich ­völlig mit der Komplexitätstheorie; die Gesellschaft ist eine emergen-
te Eigenschaft der einzelnen Beteiligten, deren Ganzes größer ist als die
Summe ihrer Teile. Chaissons wichtigste Erkenntnis ist die, dass die Ge-
sellschaft heruntergerechnet auf ihre Dichte 250 000 Mal mehr Energie
verbraucht als die Sonne und eine Million Mal mehr Energie als die Milch-
straße.

290
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

Um diese Erkenntnis auf die Makroökonomie und Kapitalmärkte zu über-


tragen, stellen wir zunächst einmal fest, dass Geld gespeicherte Energie ist.
Die klassische Definition des Geldes umfasst den Begriff »Wertaufbewah-
rungsmittel«, aber welcher Wert wird eigentlich aufbewahrt? Normalerwei-
se ist Wert das Produkt von Arbeitskraft und Kapital, die beide sehr ener-
gieintensiv sind. Im einfachsten Fall stellt ein Bäcker ein Brot her und setzt
dafür verschiedene Zutaten, Arbeitsmittel und seine eigene Arbeit ein. Sie
alle benötigen Energie oder sind das Produkt anderer Formen von Energie.
Wenn der Bäcker das Brot für Geld verkauft, verkörpert das Geld die gespei-
cherte Energie, die in die Herstellung des Brotes floss. Diese Energie kann
freigesetzt werden, wenn der Bäcker andere Güter oder Dienstleistungen
kauft, etwa wenn er sein Haus von einem Maler streichen lässt. Die Ener-
gie im Geld wird nun in Form von Zeit, Anstrengung, Ausrüstung und Mal­
utensilien freigesetzt. Das Geld funktioniert wie eine Batterie. Eine Batte-
rie wird mit Energie geladen, speichert sie über einen bestimmten Zeitraum
und gibt sie wieder frei, wenn sie gebraucht wird. Geld speichert Energie auf
dieselbe Art und Weise.

Die Vorstellung von Geld als Energieträger ist notwendig, um Chaissons


Theorie auf Märkte und die Gesellschaft anzuwenden. Chaisson arbeitet auf
der Makroebene, wenn er die Masse, Dichte und den Energiefluss in der
Gesellschaft schätzt. Auf der Ebene der individuellen wirtschaftlichen Inter-
aktionen innerhalb der Gesellschaft benötigt man eine praktische Einheit,
um Chaissons freien Energiefluss zu messen. Diese Funktion übernimmt
das Geld.

Der Anthropologe Joseph A. Tainter denkt in die gleiche Richtung, indem


er eine ähnliche, wenn auch subtilere Analyse erstellt, die ebenfalls auf der
Komplexitätstheorie basiert. Auch Tainters Theorie ist leichter zu verste-
hen, wenn man das Modell vom Geld als Energiespeicher verwendet.

Tainter befasst sich vor allem mit dem Zusammenbruch von Zivilisationen.
Das Thema ist bei Historikern und Studenten schon seit Herodots Schilde-

291
Teil 3 Die nächste globale Krise

rung vom Aufstieg und Untergang des Persischen Reichs im 5. Jahrhundert


vor Christus beliebt. In seinem ehrgeizigen Werk The Collapse of Complex
Societies analysiert Tainter den Zusammenbruch von 27 verschiedenen Ge-
sellschaften aus einem Zeitraum von 4 500 Jahren, von der kaum bekann-
ten Kachin-Kultur im Hochland von Burma bis zum berühmten Römischen
Reich und dem Alten Ägypten.65 Dabei berücksichtigt er eine Vielzahl von
Gründen für den Untergang, von der Ressourcenverknappung über Natur-
katastrophen, Invasionen, wirtschaftliche Not und gesellschaftliche Proble-
me bis hin zu Religion und bürokratischem Unvermögen. Seine Arbeit ist
eine Tour de Force quer durch die Geschichte, die vermuteten Ursachen
und Abläufe beim Untergang von Zivilisationen.

Tainter verfolgt ähnliche Ansätze wie Chaisson und Anhänger der Kom-
plexitätstheorie allgemein, wenn er zeigt, dass Zivilisationen komplexe Sys-
teme sind.66 Er legt dar, dass die Ressourcen, die eine Gesellschaft mit zu-
nehmender Komplexität benötigt, um sich selbst zu erhalten, exponentiell
anwachsen. Genau das quantifizierte Chaisson später für die Komplexität
allgemein. Mit Ressourcen meint Tainter nicht ausdrücklich die Energie-
einheiten, von denen bei Chaisson die Rede ist, sondern verschiedene For-
men gespeicherter Energie wie Arbeit, Bewässerungsanlagen, Feldfrüchte
und Rohstoffe, die alle in Geld umgewandelt werden können und bei ver-
schiedenen Transaktionen zum Einsatz kommen. Tainter geht sogar noch
einen Schritt weiter und zeigt, dass nicht nur der Bedarf an Ressourcen mit
der Größe einer Zivilisation exponentiell zunimmt, sondern dass auch die
Leistung der Gesellschaften und ihrer Regierungen pro eingesetzter Res-
sourcen-Einheit abnimmt, wenn man die öffentlichen Güter und Dienstleis-
tungen als Maß nimmt.

Dieses Phänomen ist jedem BWL-Studenten bereits im ersten Semester ver-


traut – man spricht dann vom Ertragsgesetz. Faktisch verlangt die Gesell-
schaft von ihren Mitgliedern, immer mehr Steuern zu bezahlen, obwohl sie
dafür immer weniger an staatlichen Dienstleistungen bietet. Das Phänomen
des Grenzertrags beschreibt einen Bogen, der anfangs kräftig steigt, dann

292
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

flacher wird und schließlich absinkt. Laut Tainters These kann man den be-
kannten Bogen des Ertragsgesetzes auch für den Aufstieg, Abstieg und Un-
tergang einer Zivilisation verwenden.

Tainter vertritt die Ansicht, dass sich das Verhältnis zwischen Mensch und
Gesellschaft in Hinblick auf Nutzen und Anforderungen im Lauf der Zeit
verändert. Debatten darüber, ob eine Regierung »gut« oder »schlecht« oder
ob die Besteuerung zu »hoch« oder zu »niedrig« ist, lassen sich lösen, in-
dem man die Gesellschaft auf der Ertragskurve verortet. Am Anfang einer
Zivilisation sind die Erträge einer Investition in komplexere Strukturen, al-
so etwa eine Regierung oder Verwaltung, extrem hoch. Eine relativ gerin-
ge Investition an Zeit und Anstrengung kann bei einem Bewässerungspro-
jekt enorme Erträge pro Bauer einbringen. Ein kurzer Militärdienst, der von
der gesamten Bevölkerung geleistet werden muss, kann einen beträchtlichen
Zugewinn an Frieden und Sicherheit bedeuten. Eine relativ schlanke Ver-
waltung zur Organisation der Bewässerung, der Verteidigung oder anderer
Anstrengungen in dieser Form kann im Vergleich zu einer unkoordinierten
Selbstorganisation sehr effizient sein.

Zu Beginn der Menschheitsgeschichte lag das Forschungsbudget, das für


die Zähmung des Feuers nötig war, bei null, und der Nutzen des Feuers war
unermesslich. Vergleichen Sie das einmal mit den Entwicklungskosten für
die nächste Generation eines Boeing-Flugzeugs unter Berücksichtigung der
geringen Verbesserungen im Luftverkehr. Diese Dynamik hat enorme Aus-
wirkungen auf die angeblichen Vorteile bei der Erhöhung der Staatsausga-
ben, sobald diese über einen niedrigen Basisbetrag hinausgehen.

Im Lauf der Zeit flacht der Ertrag einer Investition mit zunehmender Kom-
plexität ab und wendet sich schließlich ins Negative. Wenn die einfachen
Bewässerungsprojekte fertiggestellt sind, nimmt die Gesellschaft immer
größere Projekte in Angriff, bei denen umfangreichere Rohrsysteme zuneh-
mend kleinere Wassermengen hervorbringen. Die Verwaltung war anfangs
noch eine effiziente Organisation, entwickelt sich dann aber zum Hinder-

293
Teil 3 Die nächste globale Krise

nis für Verbesserungen, weil sie mehr mit ihrem eigenen Fortbestehen be-
schäftigt ist als mit dem Dienst an der Gesellschaft. Eliten, die die Instituti-
onen einer Gesellschaft lenken, interessieren sich mit der Zeit immer mehr
für ihren eigenen Anteil am kleiner werdenden Kuchen als für das Wohl-
ergehen der Gesellschaft an sich. Die Eliten führen die Gesellschaft nicht
mehr, sondern saugen sie aus. Sie verhalten sich wie Parasiten und betreiben
»Rentenökonomie«, wie Ökonomen sagen, also die Anhäufung von Reich-
tum durch nichtproduktive Mittel – ein Beispiel dafür wäre die postmoder-
ne Finanzwelt.

Im Jahr 2011 deutet vieles darauf hin, dass sich die USA auf dem absteigen-
den Teil der Ertragskurve befinden. Die Bürger müssen größere Anstren-
gungen unternehmen, um weniger für die Gesellschaft zu erreichen, wäh-
rend die Eliten den Großteil des steigenden Einkommens und Gewinns für
sich beanspruchen. 25 Hedgefondsmanager haben 2010 über 22 Milliarden
Dollar verdient, während 44 Millionen Amerikaner auf Lebensmittelmarken
angewiesen sind. Die Vergütungen der CEOs stiegen 2010 um 27 Prozent
gegenüber 2009, während über 20 Millionen Amerikaner entweder arbeits-
los waren oder aus dem Erwerbsleben ausschieden, obwohl sie eigentlich
weiterarbeiten wollten. Bei den Berufstätigen arbeiteten mehr Amerikaner
für den Staat als auf dem Bau, in der Landwirtschaft, Fischerei, Forstwirt-
schaft, der verarbeitenden Industrie, im Bergbau und in Versorgungsunter-
nehmen zusammen.

Einer der besten Maßstäbe für eine von der Rentenökonomie geprägte Be-
ziehung zwischen Eliten und Bürgern in einer stagnierenden Wirtschaft ist
der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung von Vermögen und Ein-
kommen bemisst. Ein höherer Koeffizient bedeutet eine höhere Einkom-
mensungleichheit. 2006, kurz vor Einsetzen der aktuellen Rezession, er-
reichte der Gini-Koeffizient für die USA den Rekordwert von 47, ein
deutlicher Kontrast zum Tiefstwert von 38,6 aus dem Jahr 1968, als die
USA von zwei stabilen Jahrzehnten mit dem Gold-Devisen-Standard pro-
fitierten. Der Gini-Koeffizient tendierte 2007 wieder nach unten, erreichte

294
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

aber 2009 fast wieder seinen Rekordwert von 2006 und zeigte weitere Auf-
wärtstendenzen. Die USA haben nun fast einen ähnlichen Gini-Koeffizien-
ten wie Mexiko, eine typische oligarchische Gesellschaft mit einer deutli-
chen Ungleichverteilung der Einkommen und einer Konzentration des
Reichtums bei den Eliten.

Ein weiterer Maßstab für die Rentenökonomie ist das Gesamteinkommen


der obersten 20 Prozent der Bevölkerung im Verhältnis zum Einkommen
derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. 1968 sank dieses Ver-
hältnis in der amerikanischen Bevölkerung auf 7,7 zu 1, stieg danach aber
wieder und erreichte 2010 den Höchststand von 14,5 zu 1. Der Trend beim
Gini-Koeffizienten und beim Verhältnis von Reich zu Arm in den USA
deckt sich mit Tainters These von einer Zivilisation, die kurz vor dem Zu-
sammenbruch steht. Wenn der breiten Bevölkerung nur ein negativer Ertrag
für ihren Beitrag geboten wird, wenden sich die Bürger von der Gesellschaft
ab, was letztendlich sowohl für die breite Masse als auch die Eliten destabi-
lisierend wirkt.

Mit seiner Theorie des schwindenden Ertrags bietet Tainter eine Erklä-
rung für den Zusammenbruch einer Gesellschaft. Traditionellere Historiker
suchten die Erklärung bei Erdbeben, Dürren oder dem Einfall von Barba-
ren, doch Tainter zeigt, dass Kulturen, die schließlich den Barbaren unter-
lagen, die Invasoren zuvor oft besiegt hatten. Kulturen, die durch ein Erd-
beben vernichtet wurden, hatten zuvor häufig den Wiederaufbau geschafft.
Am Ende ist nicht die Invasion oder das Erdbeben ausschlaggebend, son-
dern die Reaktion darauf. Gesellschaften, die nicht von einer immensen
Steuerlast oder sonstigen Anforderungen erdrückt werden, können auf ei-
ne Krise kraftvoll reagieren und nach einer Katastrophe alles wiederaufbau-
en, während die Gesellschaften, bei denen die Belastung zuvor schon zu
hoch war, vielleicht einfach aufgeben. Als die Barbaren schließlich das Rö-
mische Reich eroberten, regte sich bei den Bauern kein Widerstand, im Ge-
genteil, die Eroberer wurden mit offenen Armen empfangen. Die Bauern
hatten jahrhundertelang unter der römischen Politik der Geldentwertung

295
Teil 3 Die nächste globale Krise

und der hohen Besteuerung gelitten, ohne eine nennenswerte Gegenleis-


tung zu bekommen, daher konnte die Herrschaft der Barbaren ihrer Mei-
nung nach auch nicht schlimmer werden als die römische. Da die Barbaren
deutlich weniger komplex organisiert waren als das Römische Reich, boten
sie den Bauern tatsächlich Schutz zu sehr geringen Kosten.

Tainter macht eine Ergänzung, die für die Gesellschaft des 21. Jahrhun-
derts besonders wichtig ist. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Zu-
sammenbruch einer Zivilisation und dem Zusammenbruch einzelner Ge-
sellschaften oder Staaten innerhalb dieser Zivilisation. Der Untergang des
Römischen Reichs war der Zusammenbruch einer Zivilisation, weil es kei-
ne unabhängige Gesellschaft gab, die Roms Platz eingenommen hätte. Ent-
sprechend ging die europäische Zivilisation nach dem 6. Jahrhundert nie
wieder unter, weil es für jeden untergehenden Staat einen anderen gab, der
die Lücke füllte. Auf den Niedergang Spaniens oder Venedigs folgte der
Aufstieg Englands oder der Niederlande. Folgt man der Komplexitätstheo-
rie, gleicht die heutige stark vernetzte und globalisierte Welt eher den von-
einander abhängigen Provinzen des Römischen Reichs als den autonomen
Staaten im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa. Oder wie Tainter
schreibt: »Ein Zusammenbruch, falls und wenn es wieder dazu kommen
sollte, wäre diesmal global. Die globale Zivilisation würde als Ganzes un-
tergehen.«

Zusammengefasst zeigt Chaisson, dass hochkomplexe Systeme wie Zivili-


sationen für ihr Wachstum einen exponentiell höheren Energiebedarf ha-
ben. Tainter wiederum legt dar, dass diese Zivilisationen ab einem gewis-
sen Punkt immer mehr benötigen und dafür immer weniger leisten, bis sie
schließlich kollabieren. Geld lässt sich als Maß für Ressourcen und Leistung
auf Chaissons Modell anwenden, weil Geld eine Form gespeicherter Ener-
gie ist. Kapital- und Devisenmärkte sind komplexe Systeme innerhalb des
größeren Tainter-Modells der Zivilisation. Mit zunehmender Komplexität
benötigt eine Gesellschaft zu ihrer Erhaltung eine exponentiell wachsende
Geldmenge. Ab einem gewissen Punkt können Produktivität und Steuer-

296
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

einnahmen eine Gesellschaft nicht mehr länger erhalten, und die Eliten ver-
suchen, den Ressourcenbedarf durch Kredite, Fremdkapital, Geldabwer-
tung und andere Formen des Pseudogeldes zu manipulieren, die mehr ihren
eigenen Interessen als der Produktivität dienen. Diese Methoden funktio-
nieren über einen kurzen Zeitraum, bis die Illusion des Pseudowachstums
auf Pump von der Realität des verlorenen Wohlstands und der wachsenden
Einkommensungleichheit eingeholt wird.

An einem bestimmten Punkt bleiben einer Gesellschaft drei Möglichkeiten:


Vereinfachung, Eroberung oder Zusammenbruch. Vereinfachung bedeu-
tet, dass man bewusst versucht, die gesellschaftlichen Einrichtungen kleiner
und effizienter zu machen und das Verhältnis von Ressourcen und Leistung
nachhaltiger und produktiver zu gestalten. Ein Beispiel für eine aktuelle sys-
temische Vereinfachung wäre eine stärkere föderale Organisation der USA,
bei der die politische Macht und die wirtschaftlichen Ressourcen von Wa-
shington auf die 50 Bundesstaaten übergehen würden. Eroberung heißt,
dass man versucht, sich die Ressourcen der Nachbarn mit Gewalt anzueig-
nen. Währungskriege sind eine Möglichkeit für eine gewaltfreie Eroberung.
Ein Zusammenbruch ist die plötzliche, unfreiwillige und chaotische Form
der Vereinfachung.

Ist Washington das neue Rom? Hat die Regierung in Washington wie die
Regierungen in einigen anderen Staaten die Besteuerung, Regulierung, Bü-
rokratisierung und die Selbstsucht so weit getrieben, dass die gesellschaftli-
chen Leistungen negative Resultate bringen? Sind bestimmte Unternehmen,
finanzielle und institutionelle Eliten so eng mit der Regierung verflochten,
dass sie gemeinsame Sache machen und zu Lasten des gesellschaftlichen
Nutzens in die eigene Tasche wirtschaften? Sind die sogenannten Märk-
te mittlerweile durch Manipulationen, Interventionen und Rettungspakete
so verzerrt, dass sie keine verlässlichen Preissignale mehr für die Verteilung
von Ressourcen bieten? Sind die Gruppierungen, die für die Verzerrung der
Preissignale hauptsächlich verantwortlich sind, auch diejenigen, bei denen
die fehlgeleiteten Ressourcen landen? Und wenn nächstes Mal die Barbaren

297
Teil 3 Die nächste globale Krise

angreifen, in welcher Form auch immer, was haben die normalen Bürger da-
von, wenn sie Widerstand leisten? Oder sollten sie den Zusammenbruch zu-
lassen und die Eliten für sich allein kämpfen lassen?

Die Geschichte und die Komplexitätstheorie zeigen, dass das keine ideo-
logisch geprägten Fragen sind. Vielmehr handelt es sich um analytische
Fragen, deren Bedeutung anhand des Schicksals zahlreicher Zivilisationen
über fünf Jahrtausende belegt wurde. Auch die Untersuchung der zuneh-
menden Komplexität in der Natur über einen Zeitraum von 10 Milliarden
Jahren spricht dafür. Die Wissenschaft und die Geschichte bieten uns ein
vollständiges Gerüst aus Energie, Geld und Komplexität, um die Risiken
eines Zusammenbruchs des Dollar mitten in einem Währungskrieg zu ver-
stehen.

Besonders wichtig ist, dass es sich bei den Systemen, die von unmittelbarem
Interesse sind – Währungen, Kapitalmärkte und Derivate – um gesellschaft-
liche Erfindungen handelt, die von der Gesellschaft auch wieder geändert
werden können. Die Dynamik des Worst-Case-Szenarios ist beängstigend,
aber dieser Fall muss nicht zwangsläufig eintreten. Auch wenn wir kurz vor
einem Zusammenbruch stehen, ist es noch nicht zu spät, um das globale, auf
den Dollar gestützte Währungssystem mit Sicherheitsvorkehrungen auszu-
statten. Leider finden vernünftige Lösungen wenig Anklang bei den Eliten,
die das System kontrollieren und von der Komplexität leben. Sinkende Er-
träge sind schlecht für die Gesellschaft, aber gut für die wenigen, die trotz-
dem noch davon profitieren – zumindest solange die Beiträge fließen. Die fi-
nanziellen Beiträge, die eine Gesellschaft leisten muss und die dann an die
Eliten weitergeleitet werden, erfolgen heute in Form von Steuern, Rettungs-
paketen, Hypothekenbetrug, Wucherzinsen und -gebühren, betrügerischen
Derivaten und Bonuszahlungen. Während die Bürger immer mehr von die-
ser Abgabenlast erdrückt werden, wird ein Zusammenbruch zunehmend
wahrscheinlicher. Die Finanzwelt muss wieder auf ihre alte Rolle beschränkt
werden, den Handel zu erleichtern, anstatt einem grotesken Selbstzweck zu
dienen. Die Komplexitätstheorie weist uns den richtigen Weg; unsere Ins-

298
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität

titutionen müssen einfacher und kleiner werden. Doch so unglaublich das


klingen mag: Finanzminister Geithner und das Weiße Haus arbeiten aktiv
daran, den Bankensektor noch stärker zu konzentrieren, und fördern die
Bildung von Großbanken einschließlich einer globalen Zentralbank mit Sitz
beim Internationalen Währungsfonds. Jeglicher Erfolg dieser Bemühungen
würde die Auflösung des Dollar nur beschleunigen.

299
Kapitel 11 –
Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
»Ich möchte nur allen deutlich machen, dass wir schon bisher die Politik
verfolgt haben und immer verfolgen werden, … dass ein starker Dollar im
Interesse unseres Landes ist. Wir werden nie eine Strategie verfolgen, un-
sere Währung um eines wirtschaftlichen Vorteils willen abzuwerten, der
auf Kosten unserer Handelspartner geht.«
US-Finanzminister Timothy F. Geithner,
26. April 2011

»Nein, sie können mir des Münzens wegen nichts tun, ich bin der König
selbst.«
William Shakespeare,
König Lear

Nur wenige Ökonomen oder Entscheidungsträger beim IWF oder bei den
Zentralbanken dieser Welt würden der These vom Geld als Energieträger auf
Grundlage der Komplexitätstheorie zustimmen. Obwohl die Physik und die
Verhaltenswissenschaft auf einer soliden fachlichen Grundlage stehen, sto-
ßen interdisziplinäre Ansätze bei den meisten Wirtschaftswissenschaftlern
auf Skepsis. In den Modellen der Zentralbankiers ist ein plötzlicher Zusam-
menbruch des Dollar nicht vorgesehen. Jedoch ist auch den durchschnitt­
lichen Ökonomen und Zentralbankiers gleichermaßen die Dollar-Schwäche
und die Bedrohung der internationalen Währungsstabilität durch den neu-
en Währungskrieg durchaus bewusst. Unter Berücksichtigung verschiede-
ner Ansichten, vom konventionellsten bis zum innovativsten Ansatz, lassen
sich vier mögliche Entwicklungen für den Dollar ausmachen – man könn-
te sie auch die vier Reiter der Dollar-Apokalypse nennen. In der Reihen­
folge ihres Zerstörungspotenzials, von gering bis hoch, sind das: verschiede-
ne Reservewährungen, Sonderziehungsrechte, Gold und Chaos.

300
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Verschiedene Reservewährungen

Die Reserven eines Staates sind so etwas wie das Sparkonto eines Bürgers.
Man kann ein laufendes Einkommen aus seiner Arbeit beziehen und ver-
schiedene Kredite abzahlen und trotzdem noch ein paar Ersparnisse für die
Zukunft oder schlechte Zeiten haben. Diese Ersparnisse kann man in Aktien
oder Anleihen anlegen oder einfach auf dem Konto lassen. Ein Staat hat mit
seinen Reserven dieselben Möglichkeiten. Er kann über einen Staatsfonds
in Aktien oder andere Anlageformen investieren oder einen Teil als liquide
Mittel behalten oder in Gold anlegen. Die liquiden Mittel können Anleihen
in verschiedenen Währungen sein, die als Reservewährung bezeichnet wer-
den, weil Länder sie als Geldanlage und zur Streuung ihrer Reserven ver-
wenden.

Seit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 fungiert der Dollar mit Ab-
stand als die wichtigste Reservewährung, er war jedoch nie die einzige Re-
servewährung. Der IWF unterhält eine globale Datenbank, in der die Zu-
sammensetzung der offiziellen Reserven erfasst wird, und vertreten sind
US-Dollar, Euro, Pfund Sterling, Yen und Schweizer Franken. Aktuelle Da-
ten zeigen, dass der US-Dollar nur etwas mehr als 61 Prozent der Reserven
ausmacht, allerdings liegt die nächstgrößte Reservewährung, der Euro, nur
bei 26 Prozent. Der IWF verzeichnet einen langsamen, aber stetigen Rück-
gang des Dollar in den vergangenen zehn Jahren; im Jahr 2000 machte der
Dollar noch 71 Prozent der angegebenen Gesamtreserven aus. Dieser Rück-
gang erfolgte geordnet, nicht überstürzt, und deckt sich mit dem wachsen-
den Handelsaufkommen zwischen Europa und Asien und innerhalb Asiens.

Die sinkende Bedeutung des Dollar im internationalen Handel und als Re-
servewährung wirft die Frage auf, was passieren wird, wenn der Dollar nicht
mehr länger dominiert, sondern nur eine Reservewährung unter vielen ist.
Wo liegt der Kipppunkt für die Dollardominanz? Sind es 49 Prozent der Ge-
samtreserven, oder tritt dieser Punkt erst ein, wenn der Anteil des Dollar dem
Anteil der nächstgrößten Währung entspricht, also vermutlich dem Euro?

301
Teil 3 Die nächste globale Krise

Barry Eichengreen ist der führende Wissenschaftler auf diesem Gebiet.67


Er vertritt die Ansicht, dass uns eine Welt verschiedener Reservewährun-
gen erwartet. In mehreren akademischen Aufsätzen, populären Büchern
und Artikeln haben Eichengreen und seine Kollegen gezeigt, dass der Dol-
lar nicht 1944 plötzlich als Folge von Bretton Woods zur Leitwährung wur-
de, sondern bereits Mitte der 1920er-Jahre diese Funktion erfüllte. Eichen-
green hat außerdem dargelegt, dass die Rolle der Leitwährung zwischen
dem britischen Pfund Sterling und dem Dollar hin- und herwechselte. In
den 1920er-Jahren verlor das Pfund diese Funktion, errang sie aber nach
Franklin D. Roosevelts Dollarabwertung 1933 wieder zurück. Allgemeiner
ausgedrückt, es deutet viel darauf hin, dass eine Welt mit mehreren Reser-
vewährungen nicht nur möglich ist, sondern dass sie während des Ersten
Währungskriegs bereits existierte.

Seine Untersuchungen haben Eichengreen zu der plausiblen Schlussfol-


gerung geführt, dass es möglicherweise bald wieder verschiedene Reser-
vewährungen ohne eine dominante Leitwährung geben könnte, wobei sich
diesmal der Dollar und der Euro anstelle wie früher Dollar und Pfund die
Ehre teilen würden. Diese Sichtweise öffnet weiteren Veränderungen die
Tür, beispielsweise könnte sich im Laufe der Zeit der chinesische Yuan die
Führung mit Dollar und Euro teilen.

Eichengreens optimistische Interpretation lässt allerdings die Rolle eines


Systemankers außer Acht, wie sie der Dollar oder das Gold innehatten. Als
Dollar und Pfund in den 1920er- und 1930er-Jahren die Rollen tauschten,
gab es keinen Zeitpunkt, an dem nicht mindestens eine der beiden Wäh-
rungen an den Goldstandard gekoppelt war. Tatsächlich waren Dollar und
Pfund austauschbar, weil beide in Gold einlösbar waren. Es gab zwar Ab-
wertungen, doch nach jeder Abwertung wurde der Goldanker neu festge-
legt. Nach Bretton Woods bestand dieser Anker aus Dollar und Gold, seit
1971 besteht der Anker allein aus dem Dollar als führender Reservewäh-
rung. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es also immer einen Referenzwert.
Noch nie zuvor wurden mehrere Papier-Reservewährungen ohne einen

302
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Anker verwendet. Folglich ist die Welt, die sich Eichengreen vorstellt, ei-
ne Welt mit Reservewährungen ohne festen Halt. Die Jagdsaison wäre er-
öffnet, und anstelle einer einzelnen Zentralbank wie der Federal Reserve
würde es mehrere Zentralbanken geben, die alle gleichzeitig ihre Privilegi-
en missbrauchen könnten. In diesem Szenario gäbe es keine Reservewäh-
rung, die ein sicherer Hafen wäre, und die Märkte wären schwankungsan-
fälliger und instabiler.

Eine verstörende Variante von Eichengreens optimistischer Vision besteht


aus regionalen Währungsblöcken mit einer lokalen Dominanz von Dollar,
Euro und Yuan sowie vermutlich dem Rubel im russischen Einflussgebiet
in Osteuropa und Zentralasien. Solche Blöcke können sich spontan bil-
den, wie wir von den Modellen der Selbstorganisation in komplexen Syste-
men wissen. Regionale Währungsblöcke könnten sich schnell zu regionalen
Handelsblöcken entwickeln, was zu einem Rückgang des Welthandels füh-
ren würde – zweifellos genau das Gegenteil dessen, was die Anhänger ver-
schiedener Reservewährungen wie etwa Eichengreen wünschen.

Eichengreen erwartet einen, wie er es nennt, gesunden Wettbewerb zwi-


schen den verschiedenen Reservewährungen. Einen ungesunden Wett-
bewerb oder Fehlfunktionen lässt er dabei außer Acht – die sogenannte
»Abwärtsspirale« der Ökonomen, die entstehen kann, wenn führende Zen-
tralbanken ihre regionale Dominanz durch Netzwerkeffekte untermauern
und gleichzeitig den Status ihrer Währung als Reservewährung missbrau-
chen, indem sie Geld drucken. Den Anhängern des Modells der verschiede-
nen Reservewährungen kann man nur raten, vorsichtig zu sein, was sie sich
wünschen. Ihr Modell ist in der Form – ohne Gold oder einen ähnlichen
Anker in Gestalt einer einzelnen Währung – noch nicht erprobt und getes-
tet. Das Problem des fehlenden Ankers könnte ein Grund dafür sein, warum
der Dollar trotz seiner Probleme weiterhin die Leitwährung stellt.

303
Teil 3 Die nächste globale Krise

Sonderziehungsrechte

Vermutlich ist kein Element des internationalen Währungssystems für den


Laien so mysteriös und verwirrend wie die Sonderziehungsrechte oder
SZR. Das muss nicht sein, denn die Sonderziehungsrechte sind ein einfa-
ches Instrument. Die SZR sind Weltgeld, eine Währungseinheit des IWF,
gestützt durch nichts und nach Belieben gedruckt. Wenn der IWF Son-
derziehungsrechte emittiert, liegen sie so bequem auf dem Reservenkonto
des Empfängers wie jede andere Reservewährung. In der internationalen
Finanzwelt fasst man die SZR am besten mit dem 1985 erschienenen Hit
»Money for Nothing« von Dire Straits zusammen.

Experten wenden sich im Hinblick auf die SZR gegen den Gebrauch des
Begriffs »Geld«. Schließlich kann ein gewöhnlicher Bürger kein SZR be-
kommen, und wenn man in einen Weinladen geht und versucht, ein paar
Flaschen mit SZR zu bezahlen, kommt man nicht sehr weit. Allerdings ent-
sprechen SZR in vielerlei Hinsicht der traditionellen Definition des Gel-
des. SZR sind ein Wertaufbewahrungsmittel, weil Staaten einen Teil ihrer
Reserven in SZR anlegen. Sie sind Zahlungsmittel, weil Staaten mit einem
Handelsdefizit oder -überschuss in lokalen Währungen ihre Handelsbilanz
gegenüber anderen Ländern mit SZR ausgleichen können. Und schließlich
sind SZR eine Recheneinheit, weil der IWF seine Bücher und Konten, Ver-
mögenswerte und Verpflichtungen in der Währungseinheit SZR führt. Der
Unterschied zu anderen Währungen besteht darin, dass Bürger und Unter-
nehmen die SZR noch nicht für private Transaktionen nutzen können. Es
gibt jedoch bereits Pläne beim IWF zur Schaffung eines entsprechenden
privaten Marktes.

Ein weiterer Einwand dagegen, SZR als Geld zu betrachten, besteht da-
rin, dass der Wechselkurs der SZR durch einen Währungskorb wichti-
ger Währungen wie Dollar und Euro definiert ist. Analysten argumentie-
ren, dass SZR keinen Wert oder Zweck unabhängig von den Währungen
im Korb haben und daher keine separate Form des Geldes sind. Das ist aus

304
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

zwei Gründen nicht korrekt. Zum einen ist die Erteilung von SZR nicht
durch eine bestimmte Menge der zugrunde liegenden Währungen aus dem
Korb begrenzt. Die Währungen im Korb werden zur Berechnung des Werts
ver­wendet, nicht zur Mengenbegrenzung – SZR können in potenziell un-
begrenzter Menge ausgestellt werden. Dadurch haben SZR eine Quanti-
tät oder einen »Umlauf«, der nicht an die Währungen im Korb gekoppelt
ist. Zum anderen kann die Zusammensetzung des Korbs verändert werden.
Tatsächlich plant der IWF derzeit, die Rolle des Dollar zu verringern und
dem chinesischen Yuan einen höheren Stellenwert einzuräumen. Aufgrund
dieser beiden Faktoren – der unbegrenzten Emission und des sich verän-
dernden Währungskorbs – nehmen die SZR in der internationalen Finanz­
welt jederzeit eine vom zugrunde liegenden Währungskorb unabhängige
Rolle als Geld ein.

Der IWF führte die SZR 1969 in Zeiten internationaler währungspoliti-


scher Probleme ein. Durch wiederkehrende Wechselkurskrisen, eine aus-
ufernde Inflation und die Abwertung des Dollar kam es zu globalen Liqui-
ditätsengpässen, wodurch die Reserven vieler IWF-Mitglieder unter Druck
gerieten. Von 1969 bis 1981 wurden mehrfach SZR zugeteilt; die Summen
blieben jedoch relativ niedrig und entsprachen insgesamt etwa 33,8 Milli-
arden Dollar (zum Wechselkurs vom April 2011). Nach 1981 wurden 28
Jahre lang keine SZR erteilt. Interessanterweise wurden die ersten SZR von
1969 ans Gold gebunden. Die Goldbindung wurde 1973 aufgegeben und
durch Papier-SZR auf Grundlage eines Währungskorbs ersetzt, der noch
heute in Gebrauch ist.

2009 kam es aufgrund der Verluste bei der Panik 2008 und des darauffol-
genden Schuldenabbaus bei Finanzinstituten und Verbrauchern erneut zu
extremen Liquiditätsengpässen. Die Welt brauchte schnell Geld, und die
Führung des internationalen Währungssystems griff zur Problemlösung auf
die Methoden der 1970er-Jahre zurück. Diesmal ging die Initiative nicht
vom IWF aus, sondern von den G20, die den IWF als Werkzeug ihrer glo-
balen Währungspolitik benutzten. Die Summen der SZR waren enorm, sie

305
Teil 3 Die nächste globale Krise

entsprachen 289 Milliarden Dollar zum Wechselkurs vom April 2011. Die
globale Notfallmaßnahme zur Erhöhung der Geldmenge blieb von der Fi-
nanzpresse fast unbemerkt, da diese mit dem Zusammenbruch der Aktien-
märkte und Immobilienpreise beschäftigt war. Und doch war das der Be-
ginn einer neuen gemeinsamen Anstrengung der G20 und des IWF, die
Verwendung der SZR als globale Währungsreserve und Alternative zum
Dollar zu fördern.

Dollar, Euro und Yuan würden mit dem neuen Weltwährungsregime der
SZR nicht verschwinden, sondern immer noch für inländische Transaktio-
nen verwendet werden. Die Amerikaner würden ihre Milch oder ihr Ben-
zin immer noch mit Dollar kaufen, ebenso wie die Syrer im eigenen Land
­ihre syrische Lira gebrauchen. Doch bei global bedeutenden Transaktio-
nen wie etwa im internationalen Handel, für internationale Kreditkonsor-
tien, Bankenrettungen oder zum Ausgleich der Zahlungsbilanz würden die
SZR als neue Weltwährung fungieren. Dem Dollar würde nur noch eine
untergeordnete Rolle zukommen, er sollte regelmäßig abgewertet und sein
Anteil am Währungskorb gemäß den Vorstellungen der G20 reduziert wer-
den.

Zusätzlich zur direkten Erteilung von SZR hat der IWF seine Kreditkapazi-
täten mehr als verdoppelt. Entsprachen sie vor der Krise noch einem Wert
von etwa 250 Milliarden Dollar, so waren es im März 2011 schon 580 Mil-
liarden. Diese erweiterte Kreditkapazität wird durch Kredite der IWF-Mit-
glieder an den IWF erreicht, der dafür SZR ausstellt. Dadurch sollte der
IWF in die Lage versetzt werden, in Not geratenen Mitgliedsstaaten Kredite
zu gewähren. Nun kann der IWF die beiden wichtigsten Funktionen einer
echten Zentralbank erfüllen – Geld schöpfen und als Kreditgeber der letz-
ten Zuflucht fungieren –, indem er die SZR als seine Form der Währung ver-
wendet und die G20 de facto als Direktorium fungieren. Die ursprüngliche
Vision bei der Einrichtung der SZR 1969 kommt nun in einem viel größe-
ren Ausmaß zum Tragen. Die Zeit einer globalen Zentralbank ist wirklich
und wahrhaftig angebrochen.

306
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Selbst mit diesen erweiterten Kapazitäten zur Geldschöpfung und Kredit-


vergabe sind die SZR noch bei Weitem nicht in der Lage, den Dollar als inter-
nationale Leitwährung zu ersetzen. Damit sich die SZR als Reservewährung
durchsetzen, benötigen SZR-Inhaber einen großen Korb an Wertpapieren
unterschiedlicher Fälligkeit, in die sie investieren können, um Rendite zu er-
wirtschaften und den Wert zu erhalten. Dafür wäre ein SZR-Anleihemarkt
mit staatlichen und privaten Instrumenten erforderlich, außerdem ein Netz-
werk an Wertpapierhändlern, das für Liquidität und Fremdkapital sorgt.
Solche Märkte können sich schrittweise über einen langen Zeitraum entwi-
ckeln, doch die Zeit haben die G20 und der IWF nicht, weil andere Liqui-
ditätsquellen versiegen. 2011 musste die Federal Reserve erkennen, dass ih-
re Fähigkeit, allein für eine globale Liquidität zu sorgen, begrenzt ist. Der
chinesische Yuan ist noch nicht so weit, die Rolle einer Reservewährung zu
übernehmen. Der Euro hat mit eigenen Problemen zu kämpfen, die von der
Schuldenkrise in einigen Mitgliedsländern herrühren. Der IWF musste die
erweiterten SZR so schnell wie möglich auf den Weg bringen. Dafür benö-
tigte man eine Strategie, die der IWF am 7. Januar 2011 vorlegte.

Unter dem Titel »Enhancing International Monetary Stability – a Role for


the SDR?« (»Die Förderung internationaler Währungsstabilität – eine Rolle
für die SZR?«) präsentierte der IWF einen Plan zur Schaffung eines liqui-
den SZR-Anleihemarkts, die Vorstufe zur Ablösung des Dollar als globaler
Reservewährung. Der Plan nennt mögliche Emittenten der SZR-Anleihen,
darunter die Weltbank und regionale Entwicklungsbanken, sowie poten-
zielle Käufer, etwa Staatsfonds und internationale Konzerne. Auch Empfeh-
lungen für Laufzeitstrukturen und Preismechanismen werden aufgeführt,
außerdem detaillierte Diagramme für die Verrechnung, Regulierung und
Finanzierung solcher Anleihen. Es wird vorgeschlagen, den SZR-Korb im
Lauf der Zeit zu verändern, dem chinesischen Yuan mehr Gewicht einzu-
räumen und den Anteil des Dollar zu verringern.

Hinsichtlich der Umsetzung zeigt sich die IWF-Studie optimistisch: »Die


Erfahrung … zeigt, dass die Umsetzung relativ schnell erfolgen könnte und

307
Teil 3 Die nächste globale Krise

keiner bedeutenden öffentlichen Unterstützung bedarf«, heißt es. Der IWF


gab sich keine große Mühe, seine Absichten zu verschleiern: »Diese Wertpa-
piere könnten die Keimzelle einer neuen Währung sein.« Es gibt auch einen
Zeitplan für die Emission des SZR-Geldes mit der Überlegung, dass neue
SZR im Wert von 200 Milliarden Dollar pro Jahr die globale Währung auf
einen guten Weg bringen würden.

Private Organisationen und Wissenschaftler haben ebenfalls ihren Beitrag


zur Debatte geleistet. Eine Gruppe multinationaler Ökonomen und Zentral-
bankiers unter der Führung des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz hat vor-
geschlagen, dass SZR an IWF-Mitgliedsstaaten ausgestellt und dann wie-
der beim IWF zur Finanzierung seiner Kreditprogramme deponiert werden
könnten. Das würde den Aufstieg des IWF zur neuen globalen Zentralbank
noch stärker beschleunigen als die eigenen Vorschläge des Währungsfonds.
Wenn zu den bereits vorhandenen Funktionen der Geldschöpfung und Kre-
ditvergabe noch die Funktion einer Depotbank hinzukommt, wird der IWF
zur globalen Zentralbank, der nur noch die entsprechende Bezeichnung
fehlt. Mit der Entstehung einer globalen Zentralbank und einer Weltwäh-
rung wären der amerikanische Dollar und die Federal Reserve automatisch
in einer untergeordneten Position.

Hier haben wir nun in der vollen Pracht des technischen IWF-Kauder-
welschs die Antwort der globalen Machtelite auf die Währungskriege und
einen möglichen Dollar-Kollaps vorliegen. Damit wäre das Triffin-Dilemma
ein für allemal gelöst, denn dann müsste keine einzelne Währung mehr für
weltweite Liquidität garantieren. Von nun an könnte die Geldmenge global
erhöht werden, unabhängig von der Handelsbilanz des Staates, der die Leit-
währung emittiert.

Und das Beste ist, zumindest aus Sicht des IWF, dass es keine demokra-
tische Kontrolle bei der Geldschöpfung geben würde und der IWF damit
auch niemandem zur Rechenschaft verpflichtet wäre. Noch während der
IWF an seinen Plänen für eine globale SZR-Währung schmiedete, schlugen

308
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

seine Direktoren vor, die Stimmanteile Chinas auf Kosten demokratischer


Mitglieder zu verdoppeln. Zu den Leidtragenden sollten unter anderem
Frankreich, Großbritannien und die Niederlande gehören. Interessanter-
weise würde die Struktur des IWF im Hinblick auf seine wichtigsten 20
Mitglieder durch die neue Stimmverteilung stärker den G20 entsprechen.
Die beiden Zwanzigergruppen sind zwar nicht identisch, werden sich aber
immer ähnlicher.

Aus seiner antidemokratischen Haltung macht der IWF keinen Hehl,


spricht in diesem Zusammenhang aber von »politischen Abwägungen«. Der
SZR-Plan sieht die Ernennung eines »Beirats bedeutender Experten« vor,
die Richtlinien für die Geldmenge unter dem neuen SZR-System ausspre-
chen sollen. Diese »bedeutenden Experten« werden womöglich unter den-
selben Ökonomen und Zentralbankchefs rekrutiert, die das internationale
Währungssystem 2008 an den Rand des Abgrunds führten. Auf jeden Fall
werden sie ohne die öffentlichen Anhörungen und eine kritische Betrach-
tung durch die Medien ausgesucht, die in demokratischen Gesellschaften
üblich ist. Nach ihrer Ernennung können sie ihre Entscheidungen unbehel-
ligt und ganz ungestört treffen.

Von John Maynard Keynes stammt der berühmte Satz: »Es gibt kein fei-
neres und kein sichereres Mittel, die bestehenden Grundlagen der Gesell-
schaft umzustürzen, als die Vernichtung der Währung. Dieser Vorgang stellt
alle geheimen Kräfte der Wirtschaftsgesetze in den Dienst der Zerstörung,
und zwar in einer Weise, die nicht einer unter Millionen richtig zu erkennen
imstande ist.« Wenn nicht einer unter Millionen die Abwertung erkennt,
versteht wohl auch nur einer von 10 Millionen die inneren Mechanismen
des IWF. Wir sollten uns bemühen, einen besseren Einblick in das Innenle-
ben des Währungsfonds zu bekommen, bevor der Plan in die Tat umgesetzt
wird, den Dollar durch die SZR zu ersetzen.

Letzten Endes ist der SZR-Plan des IWF nur eine Notmaßnahme, aber kei-
ne Lösung. Er setzt dem bevorstehenden Zusammenbruch des Systems des

309
Teil 3 Die nächste globale Krise

von nationalen Zentralbanken emittierten Fiatgeldes ein neues System mit


Fiatgeld entgegen. Dadurch werden die Probleme der Papierwährungen mit
einer neuen Papierwährung übertapeziert.

Der Plan weist zwei grundlegende Fehler auf, die seine Umsetzung be­
hindern könnten. Der erste ist der Zeitpunkt – kann die SZR-Lösung
des IWF noch rechtzeitig vor der nächsten Finanzkrise umgesetzt wer-
den? Die Schaffung einer neuen Währung, wie sie sich der IWF vorstellt,
würde mindestens fünf Jahre dauern, vielleicht sogar länger. Angesichts
der wachsenden Haushaltsdefizite in den USA, der ungelösten Schul-
denkrise in Europa und der Spekulationsblasen in China bricht das Wäh­
rungssystem vielleicht zusammen, noch bevor die SZR allgemein verfüg-
bar sind.

Der zweite Fehler im Plan des IWF betrifft die Rolle der USA. Die USA ver-
fügen beim IWF über ausreichend Stimmrechte, um das SZR-Vorhaben zu
blockieren. Die Aufstockung der SZR-Geldschöpfung und der Kreditkapa-
zitäten seit 2009 erfolgte mit der Zustimmung der USA, weil sie sich mit der
Vorliebe der Obama-Regierung für multilaterale anstelle unilateraler Lösun-
gen für globale Problemen deckt. Eine neue US-Regierung könnte ab 2012
eine andere Haltung vertreten, außerdem besteht die Möglichkeit, dass die
IWF-Strategie zur Ablösung des Dollar in den USA zum Wahlkampfthema
wird. Doch vorerst bleibt das SZR ein starker Konkurrent im Wettbewerb
um eine globale Währung.

Die Rückkehr zum Goldstandard

Gold löst bei seinen Anhängern wie bei seinen Gegnern leidenschaftliche-
re Debatten aus als jedes andere Thema der internationalen Finanzen. Die
Gegner des Goldstandards sind schnell mit dem alten Keynes-Zitat bei der
Hand, dass Gold ein »barbarisches Relikt« sei. Der legendäre Investor War-

310
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

ren Buffett verweist darauf, dass alles Gold der Welt, wenn man es an einen
Ort bringen würde, nur ein großer Block aus glänzendem Metall wäre, der
keine Rendite bringt und keinerlei Potenzial zur Schaffung eines Einkom-
mens hat. Der US-Politiker und Weltbankpräsident Robert Zoellick sorgte
2010 für Ohnmachtsanfälle bei den Finanzexperten, als er in einer Rede das
Wort »Gold« auch nur erwähnte, obwohl er gar keine Rückkehr zum Gold-
standard forderte. Bei den Eliten im Allgemeinen gilt die Begeisterung für
Gold als Kennzeichen der Begriffsstutzigen und Einfältigen, die die Vortei-
le einer »flexiblen« und »expandierenden« Geldmenge in der modernen Fi-
nanzwelt nicht zu schätzen wissen.

Die Anhänger des Goldes sind nicht weniger streng in ihrem Urteil und
betrachten moderne Zentralbankiers als Zauberlehrlinge, die Geld aus
dem Nichts erschaffen, um die Arbeiterklasse um ihre sauer verdienten Er­
sparnisse zu bringen. Man kann sich nur schwer ein anderes Finanzthe-
ma vorstellen, bei dem die beiden gegnerischen Seiten weniger gemeinsam
­haben.

Leider versperren die festgefahrenen Positionen, egal ob dafür oder dagegen,


den Blick auf die neue Rolle des Goldes im Währungssystem des 21. Jahr-
hunderts. Die Debatte ist so stark von Ideologie geprägt, dass es an Bereit-
schaft mangelt, nach Möglichkeiten zu suchen, die erwiesene Stabi­lität des
Goldes mit dem notwendigen Freiraum beim Management der Geldmenge
zu kombinieren und so auf Krisen zu reagieren und Fehler zu korrigieren.
Dabei wäre eine Versöhnung längst überfällig.

Gold ist kein Gebrauchsgut. Gold ist keine Investition. Gold ist Geld par
excellence. Es ist wirklich knapp – sämtliches Gold, das in der Geschichte
der Menschheit je gefördert wurde, würde in einen Würfel mit einer Kan-
tenlänge von 20 Metern passen, was in etwa der Größe eines kleineren Bü-
rogebäudes entspricht. Durch die weitere Förderung im Bergbau wächst
die Goldmenge relativ langsam und stetig – um etwa 1,5 Prozent jährlich.
Das ist bei Weitem zu langsam für eine Inflation; tatsächlich gäbe es wohl

311
Teil 3 Die nächste globale Krise

eher eine leichte, dauerhafte Deflation, wenn wir den Goldstandard wie-
der einführen würden. Gold hat eine hohe Dichte; im Vergleich zu ande-
ren M­ etallen, die man als Geldbasis verwenden könnte, ist eine erhebliche
Menge Gewicht auf relativ kleinem Raum komprimiert. Gold ist außerdem
von einheitlicher Qualität, ein chemisches Element mit festen Eigenschaf-
ten und der Ordnungszahl 79 im Periodensystem. Rohstoffe wie Öl oder
Weizen, die man ebenfalls der Geldmenge als Wert zugrunde legen könnte,
treten in verschiedenen Qualitäten und Formen auf, was ihre Nutzung viel
komplizierter macht. Gold rostet nicht, läuft nicht an und ist fast unzerstör-
bar, es sei denn mit speziellen Säuren oder durch eine Explosion. Gold ist
formbar und lässt sich daher leicht in Münz- oder Barrenform bringen. Und
schließlich hat es als Geld eine längere Geschichte als die Konkurrenz –
über 5 000 Jahre –, was seinen Wert für viele Zivilisationen und K ­ ulturen
belegt.

Angesichts solcher Eigenschaften – Knappheit, Beständigkeit, Einheitlich-


keit und so weiter – spricht vieles für die Verwendung von Gold als Geld.
Dennoch nehmen die modernen Zentralbankchefs und Wirtschaftswissen-
schaftler Gold als Geld nicht ernst. Die Gründe reichen bis zum Ersten und
Zweiten Währungskrieg zurück, zu den Ursachen der Weltwirtschaftskrise
und der Auflösung des Abkommens von Bretton Woods. Ben Bernanke, der
nicht nur US-Notenbankchef ist, sondern auch ein renommierter Experte
für die Große Depression, ist einer der bekanntesten Gegner von Gold als
Währungsstandard. Seine Argumente sollten von den Anhängern des Gold-
standards berücksichtigt und eventuell widerlegt werden, damit die Debat-
te wieder in Gang kommt.

Bernankes Arbeit zu Gold und der Großen Depression stützt sich in ers-
ter Linie auf die zahlreichen Werke von Peter Temin, einem führenden Ex-
perten für die Große Depression, Barry Eichengreen und anderen, die
Verbindungen zwischen dem Goldstandard von 1924 bis 1936 und der
Weltwirtschaft insgesamt aufzeigten. Bernanke fasst deren Standpunkte fol-
gendermaßen zusammen:

312
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Staaten, die vom Goldstandard abrückten, waren in der Lage, ihre Geld-
menge und das Preisniveau wieder zu erhöhen, und taten das auch mit ei-
ner gewissen Verzögerung; die Länder dagegen, die am Goldstandard fest-
hielten, wurden in eine weitere Deflation gezwungen. Die Belege zeigen
in überwältigendem Ausmaß, dass sich Länder, die sich vom Goldstan-
dard lösten, schneller von der Depression erholten als die Länder, die am
Goldstandard festhielten. Tatsächlich verzeichnete kein Land eine deutli-
che wirtschaftliche Erholung, solange es am Goldstandard festhielt.68

Die empirischen Fakten stützen Bernankes Schlussfolgerung, doch sie sind


nur ein Beispiel für die Beggar-thy-Neighbor-Dynamik, die jedem Wäh-
rungskrieg zugrunde liegt. Das ist so, wie wenn man schreibt, ein Land, das
ein anderes überfällt und ausplündert, wird dadurch reicher und das Opfer
wird ärmer – das stimmt natürlich. Die Frage ist nur, ob das ein wünschens-
wertes Wirtschaftsmodell ist.

Wenn Frankreich 1931 zur gleichen Zeit wie England vom Goldstandard
abgewichen wäre, wäre Englands Vorteil gegenüber Frankreich nichtig ge-
wesen. Doch Frankreich wartete mit der Abwertung bis 1936 und ließ da-
mit zu, dass Englands Wirtschaft auf Kosten Frankreichs wuchs. An diesem
Ergebnis ist nichts bemerkenswert – tatsächlich musste man sogar damit
rechnen.

Unter Bernankes Führung versuchen die USA heute das, was England 1931
tat – die Währung abzuwerten. Bernanke ist es gelungen, den Dollar auf ab-
soluter Basis abzuwerten, was sich anhand des seit einigen Jahren anhalten-
den Preisanstiegs beim Gold ablesen lässt. Doch seine Bemühungen, den
Dollar gegenüber anderen Währungen abzuwerten, ziehen sich in die Län-
ge. Der Dollar schwankt gegenüber anderen Währungen, hat aber im Ver-
gleich zu ihnen insgesamt nicht erheblich und anhaltend an Wert eingebüßt.
Stattdessen verlieren alle wichtigen Währungen gleichzeitig gegenüber Gold
an Wert. Die Folge ist eine globale Inflation und ein Preisanstieg bei Roh-
stoffen und Konsumgütern. Die Beggar-thy-Neighbor-Politik wurde durch
eine Beggar-the-World-Politik ersetzt.

313
Teil 3 Die nächste globale Krise

Zur Stützung seiner These, dass Gold eine Ursache für die gravierende, lang
anhaltende Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre sei, entwickelte Bernan-
ke ein nützliches Sechs-Faktoren-Modell, das die Beziehungen der von der
Zentralbank geschaffenen Geldbasis eines Landes zur größeren Geldmen-
ge, die vom Bankensystem geschaffen wird, zu den Goldreserven, die nach
Menge und Preis aufgeschlüsselt sind, und zu den Reserven in ausländi-
schen Währungen aufzeigt.69

Bernankes Modell funktioniert wie eine umgekehrte Pyramide. Der schma-


le Sockel setzt sich aus Gold und Devisen zusammen, darüber befindet sich
das von der Zentralbank geschaffene Geld und darüber wiederum die deut-
lich größere Geldmenge, die von den Banken geschaffen wird. Der Trick be-
steht darin, genügend Gold zu haben, damit die umgekehrte Pyramide nicht
umkippt. Bis 1968 schrieb das amerikanische Gesetz eine Mindestmenge
Gold am Fuß der Pyramide vor. Zur Zeit der Großen Depression musste der
Wert des Goldes zu einem festen Preis mindestens 40 Prozent der Geldmen-
ge der Federal Reserve entsprechen. Allerdings gab es keine Maximalbegren-
zung. Das bedeutete, dass die Menge des von der Fed geschöpften Geldes
abnehmen konnte, selbst wenn die Goldmenge zunahm. Das passierte, wenn
Banken ihren Fremdkapitalanteil abbauten.

Bernanke schreibt dazu:

Bei der Geldmenge in Ländern mit Goldstandard – die bei Weitem nicht
dem Wert an Währungsgold entspricht, wie man bei einer naiven Interpre-
tation des Goldstandards vielleicht annehmen könnte – handelte es sich
oft um ein Vielfaches des Wertes der Goldreserven. In den 1930er-Jah-
ren stieg der Goldbestand weiter; der zu beobachtende deutliche Rück-
gang … bei der Geldmenge muss daher voll und ganz einem Rückgang
beim Verhältnis von Geld zu Gold zugeschrieben werden.

Bernanke nennt zwei Gründe für einen Rückgang der Geldmenge trotz aus-
reichender Goldbestände. Der erste Grund betrifft die geldpolitischen Ent-
scheidungen der Zentralbanken, der zweite befasst sich mit dem Verhalten

314
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

der Anleger und Privatbanken als Reaktion auf eine Bankenpanik. Bernan-
ke kommt zu dem Schluss, dass unter dem Goldstandard zwei Gleichge-
wichtszustände der Geldmenge existieren. Ein Gleichgewicht besteht, wenn
das Vertrauen groß ist und der Fremdkapitalanteil erhöht wird. Der andere
Gleichgewichtszustand besteht, wenn das Vertrauen gering ist und Fremd-
kapital abgebaut wird. Wenn mangelndes Vertrauen aufgrund der Entschul-
dung zu einer Verringerung der Geldmenge führt, kann das Vertrauen wei-
ter sinken, was wiederum die Geldmenge aufgrund der Zurückhaltung der
Banken schrumpfen lässt und einen weiteren Rückgang beim Konsum und
bei den Investitionen nach sich zieht. Bernanke folgert daraus: »Im Hinblick
auf die Anfälligkeit für sich selbst bestätigende Erwartungen weist der Gold-
standard eine starke Ähnlichkeit zu einem … Bankensystem ohne Einlagen-
sicherung auf.« Hier kommt also wieder Mertons selbsterfüllende Prophe-
zeiung ins Spiel.

Für Bernanke, Eichengreen, Krugman und eine ganze Generation von Wirt-
schaftswissenschaftlern, die in den 1980er-Jahren auf dem Höhepunkt ih-
res Schaffens standen, war das der entscheidende Beweis. Die Geldmenge
basierte auf Gold; daher war Gold der einschränkende Faktor für die Erhö-
hung der Geldmenge, wenn mehr Geld benötigt wurde. Es gab analytische
und historische Beweise, gestützt auf Eichengreens empirische Belege und
Bernankes Modell: Gold hatte entscheidend zur Großen Depression beige-
tragen. Nach Ansicht dieser Wissenschaftler war damit belegt, dass Gold ein
Faktor bei der Entstehung der Weltwirtschaftskrise gewesen war und sich
die Länder, die zuerst den Goldstandard aufgaben, auch als erste wieder er-
holten. Seitdem ist Gold als monetäres Instrument in Verruf geraten, und
der Fall gilt als abgeschlossen.

Obwohl in dieser Hinsicht fast Einigkeit herrscht, weisen die Argumente ge-
gen Gold einen gravierenden Fehler auf. Was gegen Gold spricht, hat nichts
mit Gold an sich zu tun, sondern mit der Politik. Das zeigt sich, wenn man
Bernankes Modell übernimmt und sich dann alternative Szenarien im Zu-
sammenhang mit der Großen Depression überlegt.

315
Teil 3 Die nächste globale Krise

Bernanke verweist beispielsweise auf das Verhältnis zwischen Basisgeld und


den Gesamtreserven an Gold und Devisen, das manchmal auch Deckungs-
quote genannt wird. Als Anfang der 1930er-Jahre Gold in großen Mengen in
die USA kam, hätte die Federal Reserve einen Anstieg der Basisgeldmenge
auf den bis zu 2,5-fachen Wert der Goldmenge erlauben können. Doch die
Fed verabsäumte dies, sondern sie senkte sogar die Geldmenge, unter ande-
rem auch, um die expansiven Auswirkungen der Goldeinfuhren zu neutra-
lisieren. Das war eine geldpolitische Entscheidung der Federal Reserve. Die
Reduzierung der Geldmenge unter den üblichen Stand kann mit oder ohne
Gold erreicht werden und ist eine geldpolitische Entscheidung, die unab-
hängig von der Goldmenge ist. Es ist daher historisch und analytisch falsch,
Gold für die Reduzierung der Geldmenge verantwortlich zu machen.

Bernanke verweist außerdem auf die Bankenpaniken Anfang der 1930er-


Jahre und den Wunsch der Banken und Sparer, das Verhältnis der allge-
meinen Geldmenge zur Geldbasis zu reduzieren. Die Banken ihrerseits zo-
gen bei ihren Reserven Gold gegenüber Devisen vor. Beide Beobachtungen
sind historisch korrekt, stehen aber nicht zwangsläufig in Zusammenhang
mit Gold. Die allgemeine Geldmenge kann im Verhältnis zur Geldbasis je-
derzeit sinken, ohne dass Gold überhaupt mit im Spiel ist – wie sich nach
der Panik von 2008 gezeigt hat. Dass die Zentralbanken Gold durch Devi-
sen ersetzten, hat zwar etwas mit Gold zu tun, ist aber im Grunde eine weite-
re geldpolitische Entscheidung. Die Zentralbanken hätten sich auch für das
Gegenteil entscheiden und ihre Goldreserven erhöhen können.

Doch nicht nur Bernankes historische Analyse kann man infrage stellen.
Die Zentralbanken in den 1930er-Jahren hätten auch eine Reihe von Maß-
nahmen ergreifen können, um unabhängig vom Gold etwas gegen die Ver­
knappung der Geldmenge zu unternehmen. Die Federal Reserve hätte mit
neu gedruckten Dollarscheinen Devisen kaufen können, eine Maßnahme,
die sich mit den Swap-Vereinbarungen der modernen Zentralbanken von
heute vergleichen lässt, und dadurch sowohl die amerikanischen als auch
die ausländischen Reservepositionen erweitern können, was wiederum ei-

316
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

ne weitere Geldschöpfung unterstützt hätte. Die SZR wurden Ende der


1960er-Jahre entwickelt, um genau das Problem der unzureichenden Re-
serven zu lösen, das man in den 1930er-Jahren hatte. Würde es heute noch
einmal zu einer Liquiditätskrise im Stil der 1930er-Jahre kommen, könn-
te man mithilfe der SZR eine Devisenbasis schaffen, die sowohl die Geld-
schöpfung als auch die Finanzierung des Handels wieder in Gang bringen
würde – genauso wie es 2009 geschah. Damit würde man einen Rückgang
des Welthandels und eine weltweite Rezession verhindern. Noch einmal:
Diese Form der Geldschöpfung kann ohne jeden Bezug zu Gold erfolgen.
Wenn man versäumt, etwas zu unternehmen, liegt das nicht am Gold, son-
dern an der Politik.

Die Zentralbanken der 1930er-Jahre, vor allem die Federal Reserve und die
Banque de France, unterließen es, die Geldmenge so stark wie selbst unter
dem Goldstandard möglich zu erhöhen. Das war eine der Hauptursachen
für die Weltwirtschaftskrise; allerdings lag das Problem nicht beim Gold,
sondern am mangelnden Weitblick und der begrenzten Vorstellungskraft
der Zentralbanken.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass Bernankes eigentlicher Einwand gegen
Gold nichts damit zu tun hat, dass Gold die Erhöhung der Geldmenge in
den 1930er-Jahren tatsächlich behindert hätte, sondern damit, dass das heu-
te irgendwann der Fall sein könnte. Während der Großen Depression wur-
den die Kapazitäten zur Geldschöpfung nicht voll genutzt, allerdings war
diese Kapazität beim Goldstandard auch nie unbegrenzt vorhanden. Viel-
leicht möchte Bernanke die Fähigkeit der Zentralbanken bewahren, poten-
ziell unbegrenzte Geldmengen zu schaffen, was nur mit einem Verzicht auf
den Goldstandard möglich ist. Seit 2009 können Bernanke und die Fed ih-
re Politik der unbegrenzten Geldschöpfung unter realen Bedingungen er-
proben.

Wenn man Gold die Schuld an der Großen Depression gibt, ist das ähnlich,
wie wenn man für einen Bankraub den Kassierer verantwortlich macht. Der

317
Teil 3 Die nächste globale Krise

Kassierer war beim Bankraub vielleicht anwesend, hat aber das Verbrechen
nicht begangen. Im Fall der Großen Depression wurde das Verbrechen der
Geldverknappung nicht vom Gold begangen, sondern von den Zentralban-
ken, die eine lange Reihe vermeidbarer geldpolitischer Fehler machten. In
der internationalen Finanzwelt ist Gold keine Maßnahme, sondern ein Ins-
trument. Dem Goldstandard die Tragödie der Großen Depression anzulas-
ten, kommt den Zentralbanken sehr gelegen, da sie über unbegrenzte Mög-
lichkeiten zum Gelddrucken verfügen wollen. Die Zentralbanken, nicht das
Gold, waren für die Große Depression verantwortlich, und Ökonomen, die
weiter den Goldstandard als Ursache nennen, suchen nur eine Rechtferti-
gung für unbegrenztes Fiatgeld.

Könnte der Goldstandard, wenn er von diesen falschen Anschuldigungen


reingewaschen ist, heute eine konstruktive Rolle spielen? Wie würde ein
Goldstandard für das 21. Jahrhundert aussehen?

Manche eifrigen Befürworter eines Goldstandards in den allgegenwärtigen


Blogs und Chatrooms sind nicht einmal in der Lage, genau zu erklären, was
sie damit eigentlich meinen. Die allgemeine Vorstellung, dass Geld an etwas
Greifbares gebunden wird und dass es Zentralbanken nicht erlaubt sein soll-
te, unbegrenzt Geld zu schöpfen, ist klar. Doch diese Stimmung in ein kon-
kretes Währungssystem zu kleiden, das regelmäßig auftretenden Problemen
wie etwa einer Panik oder Depression gewachsen ist, ist weitaus schwieriger.

Bei der einfachsten Form des Goldstandards – nennen wir ihn den reinen
Goldstandard – ist der Dollar über eine spezifische Goldmenge definiert,
und die Einrichtung, die Dollar ausgibt, verfügt über ausreichende Gold-
mengen, damit man die im Umlauf befindlichen Dollar eins zu eins zum
festgelegten Kurs gegen Gold eintauschen kann. Bei diesem System ist ein
Dollar wirklich ein Gutschein für eine bestimmte Goldmenge, die für den
Besitzer des Dollar aufbewahrt wird und jederzeit ausgezahlt werden kann.
Unter dem reinen Goldstandard ist eine Erhöhung der Geldmenge nur
möglich, wenn man auch die Goldmenge durch eine verstärkte Förderung

318
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

im Bergwerk oder durch Ankauf erhöht. Dieses System würde der Konjunk-
tur eine leicht deflationäre Tendenz geben, da die globalen Goldvorkom-
men um etwa 1,5 Prozent im Jahr ansteigen, wohingegen die Wirtschaft un-
ter idealen Bedingungen zu einem nachhaltigen Wachstum von 3,5 Prozent
in der Lage ist. Entsprechend müssten, wenn alle übrigen Umstände gleich
blieben, die Preise um etwa 2 Prozent pro Jahr fallen, um die 3,5 Prozent Re-
alwachstum gegenüber dem 1,5-prozentigen Anstieg der Geldmenge aus-
zugleichen, und diese Deflation könnte sich negativ auf die Kreditaufnah-
me auswirken. Der reine Goldstandard ermöglicht Kredite und Schulden
durch den Austausch von Geld und Schuldscheinen, er erlaubt aber nicht,
dass mehr Geld geschaffen wird, als durch die Goldreserven gedeckt ist.
Solche Schuldeninstrumente könnten in der Wirtschaft als Geldersatz oder
Quasi-Geld fungieren, sie wären jedoch kein Geld im engeren Sinn.

Alle anderen Formen des Goldstandards beinhalten eine Form der Hebe­
lung des vorhandenen Goldbestands. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Bei
der ersten wird mehr Geld emittiert, als Goldreserven vorhanden sind. Bei
der zweiten ergänzt man den Goldbestand, auf dem das Geld basiert, durch
einen Goldersatz, etwa Devisen oder SZR. Diese beiden Formen der He-
belung können separat oder zusammen angewandt werden. Bei diesem fle-
xiblen Goldstandard muss man sich vorher einige Gedanken zur Ausge-
staltung machen. Wie hoch muss der Mindestanteil der Goldmenge sein?
Reichen 20 Prozent aus? Oder braucht man 40 Prozent, um Vertrauen
zu schaffen? In der Vergangenheit hielt die Federal Reserve meist um die
40 Prozent der Geldbasis in Gold vor. Anfang April 2011 lag der Anteil im-
mer noch bei etwa 17,5 Prozent. Die USA sind zwar offiziell schon l­ange
vom Goldstandard abgerückt, doch eine Art Schattengoldstandard blieb
im Verhältnis von Gold zu Basisgeld erhalten, selbst noch zu Beginn des
21. Jahrhunderts.

Eine andere Frage ist, was man zur Berechnung des Geld-Gold-Verhältnis-
ses als »Geld« definiert. Im Bankensystem gibt es verschiedene Definitionen
von »Geld«, abhängig von der Verfügbarkeit und Liquidität der Instrumen-

319
Teil 3 Die nächste globale Krise

te, die berücksichtigt werden. Das sogenannte Basisgeld oder die Menge M0
besteht aus den Banknoten und Münzen, die sich im Umlauf befinden, da-
zu kommen noch die Reserven, die Banken bei der Federal Reserve depo-
nieren. Eine allgemeinere Definition des Geldes ist M1, sie schließt auch
Girokonten und Reiseschecks ein, berücksichtigt jedoch nicht die Reser-
ven, die die Banken selbst halten. Die Fed berechnet außerdem M2, das ist
die gleiche Definition wie M1, nur werden zusätzlich noch Sparkonten und
manche Festgeldkonten hinzugezählt. Ähnliche Definitionen werden von
ausländischen Zentralbanken verwendet. Im April 2011 betrug die M1 der
USA etwa 1,9 Billionen Dollar, und die M2 lag bei 8,9 Billionen Dollar. Weil
M2 so viel größer als M1 ist, hat die Entscheidung für eine bestimmte De-
finition des Begriffs »Geld« große Auswirkungen auf den Goldpreis, wenn
man das Verhältnis von Gold zu Geld berechnet.

Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Frage, wie viel Gold in der Berech-
nung berücksichtigt werden sollte. Soll nur das staatliche Gold einberech-
net werden, oder sollte man auch das Gold im Privatbesitz der Bürger da-
zuzählen? Sollte man die Rechnung nur in Bezug auf die USA durchführen,
oder sollte man versuchen, einen allgemeinen Standard einzuführen, indem
man die Goldreserven aller großen Volkswirtschaften berücksichtigt?

Auch die rechtlichen Mechanismen zur verbindlichen Einführung eines


neuen Goldstandards müssen berücksichtigt werden. Ein Gesetz könnte
ausreichen, aber Gesetze kann man ändern. Besser wäre eine Ergänzung der
amerikanischen Verfassung, denn dies würde mehr Vertrauen schaffen, weil
sie sich nur schwer ändern lässt.

Welchen Preis sollte Gold unter diesem neuen Standard haben? Der falsche
Preis war der größte Fehler des Gold-Devisen-Standards der 1920er-Jahre.
Der Preis von 20,67 Dollar pro Feinunze Gold, der 1925 verwendet wurde,
hatte eine stark deflationäre Wirkung, weil er nicht die massive Erhöhung
der Geldmenge in Europa während des Ersten Weltkriegs berücksichtigte.
Ein Preis von etwa 50 Dollar pro Feinunze oder noch mehr hätte 1925 ver-

320
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

mutlich eine leicht inflationäre Wirkung gehabt und womöglich einige der
schlimmsten Auswirkungen der Großen Depression verhindert.

Berücksichtigt man die genannten Faktoren, kommt man zu einigen ver-


blüffenden Ergebnissen. Ohne behaupten zu wollen, dass es ein konkretes
»richtiges« Preisniveau gibt, implizieren die besagten Faktoren die folgen-
den Goldpreise:

Flexible Goldstandardfaktoren Impliziter Goldpreis


(Stand April 2011)
US-Geldmenge M1 mit 40 Prozent Goldreserven 2 590 Dollar pro Feinunze
US-Geldmenge M0 mit 40 Prozent Goldreserven 3 337 Dollar pro Feinunze
US-Geldmenge M1 mit 100 Prozent Goldreserven 6 475 Dollar pro Feinunze
Geldmenge M1 der USA, Chinas und der EZB mit 40 6 993 Dollar pro Feinunze
Prozent Goldreserven
US-Geldmenge M0 mit 100 Prozent Goldreserven 8 342 Dollar pro Feinunze
US-Geldmenge M2 mit 40 Prozent Goldreserven 12 347 Dollar pro Feinunze
Geldmenge M2 der USA, Chinas und der EZB mit 44 552 Dollar pro Feinunze
100 Prozent Goldreserven

Für mehr Disziplin im jeweiligen System könnte man einen freien Markt für
Gold zulassen, der Seite an Seite mit dem offiziellen Preis existiert. Die Zen-
tralbank müsste dann auf dem offenen Markt agieren, um den Marktpreis
auf dem offiziellen Stand oder in dessen Nähe zu halten.

Nehmen wir an, dass die gewählte Deckungsrate die der USA in den 1930er-
Jahren ist, als die Fed 40 Prozent des Basisgeldes in Goldreserven bereithal-
ten musste. Verwendet man Zahlen vom April 2011, so läge der Goldpreis
bei diesem Standard bei 3 337 Dollar pro Feinunze. Die Fed könnte eine en-
ge Preisspanne mit einer Abweichung von etwa 2,5 Prozent nach unten oder
oben festlegen. Das bedeutet, wenn der Marktpreis um 2,5 Prozent sinkt, auf
3 254 Dollar pro Feinunze, müsste die Fed ins Marktgeschehen eingreifen
und Gold aufkaufen, bis sich der Preis wieder um die 3 337 Dollar stabili-

321
Teil 3 Die nächste globale Krise

siert hätte. Wenn der Preis umgekehrt um 2,5 Prozent auf 3 420 Dollar pro
Feinunze steigen würde, müsste die Fed Gold verkaufen, bis der Preis wie-
der auf das Niveau von 3 337 Dollar pro Feinunze zurückkehren würde. Die
Fed könnte sich den Freiraum bewahren, die Geldmenge anzupassen oder
Zinsen zu erhöhen oder zu senken, wie sie es für nötig hält, vorausgesetzt,
die Deckungsrate bliebe gewahrt, und der Goldpreis auf dem freien Markt
bliebe stabil.

Der letzte zu berücksichtigende Aspekt ist das Maß an Flexibilität, das den
Zentralbanken eingeräumt werden sollte, um im Fall einer wirtschaftlichen
Notlage von den strengen Deckungsraten abzuweichen. Es kommt zwar selten
vor, doch es gibt Zeiten, in denen echte Liquiditätskrisen oder Deflationsspi-
ralen auftreten und eine schnelle Geldschöpfung, die über die Deckungsrate
von Gold zu Geld hinausgeht, erforderlich erscheint. Diese Ausnahmekapa-
zität bezieht sich auf das Problem, das Bernanke in seinen Untersuchungen
zur Währungspolitik während der Großen Depression im Zusammenhang
mit Gold auszumachen glaubt. Das ist ein politisch extrem schwieriges The-
ma, weil es auf die Frage hinausläuft, wie sehr die Bürger den Zentralbanken
vertrauen, die ihnen angeblich dienen. Die Geschichte der Zentralbanken ist
eine Geschichte der gebrochenen Versprechen, wenn es um die Umtausch-
barkeit von Geld in Gold geht, und die amerikanische Zentralbank zeichne-
te sich in ihrer Geschichte vor allem dadurch aus, die Interessen der Banken
auf Kosten des Allgemeinwohls zu vertreten. Wie kann angesichts dieser Ver-
gangenheit und der von Gegnerschaft geprägten Beziehung zwischen Zent-
ralbank und Bürgern das erforderliche Vertrauen geschaffen werden?

Zwei Elemente, die wesentlich dazu beitragen, das Vertrauen in ein goldge-
decktes System zu erhöhen, wurden bereits erwähnt: eine starke rechtliche
Verankerung und die Pflicht der Zentralbank, zur Stabilisierung der Preise
auf dem offenen Markt aktiv zu werden. Sind diese beiden Säulen vorhan-
den, so können wir uns mit den Umständen befassen, unter denen man der
Fed erlauben könnte, Papiergeld zu schöpfen und die Deckungsquote zu
unterschreiten.

322
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Ein Ansatz bestünde darin, dass die Fed nach öffentlicher Ankündigung
auf eigene Initiative die Mindestgrenze für die Goldreserven unterschreiten
darf. Vermutlich würde die Fed nur in Extremfällen so handeln, etwa bei ei-
ner deflationären Verknappung der Geldmenge in der Art, wie sie England
in den 1920er-Jahren erlebte. Unter diesen Bedingungen wären die Offen-
marktgeschäfte eine Art demokratisches Referendum auf Entscheidung der
Fed hin. Wenn der Markt mit der Einschätzung der Fed übereinstimmt, soll-
te es keinen Ansturm auf Gold geben – tatsächlich müsste die Fed eventu-
ell sogar Gold kaufen, um den Preis stabil zu halten. Wenn der Markt die
Beurteilung der Fed jedoch infrage stellt, könnte es einen Ansturm geben,
Papiergeld gegen Gold einzutauschen, was für die Fed ein deutliches Sig-
nal wäre, dass sie das ursprüngliche Verhältnis von Goldreserven zu Geld
wiederherstellen müsste. Auf Grundlage der in der Verhaltensökonomik
und Soziologie beobachteten »Weisheit der Vielen«, die sich in den Markt-
preisen spiegelt, wäre dies ein zuverlässigerer Anhaltspunkt als die begrenz-
te Urteilsfähigkeit einiger Juristen und Ökonomen, die im Sitzungssaal der
Fed zusammenkommen.

Eine Variante dieses Ansatzes wäre es, wenn man der Fed erlauben würde,
von der Golddeckungsrate abzuweichen, wenn zuvor der finanzielle Not-
stand durch eine gemeinsame Erklärung des amerikanischen Präsidenten
und des Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus ausgerufen worden wäre.
Dadurch würde man einseitige Rettungsaktionen und Währungsexperimen-
te seitens der Fed verhindern und die Bank einer demokratischen Aufsicht
unterstellen, wenn sie die Geldmenge im Falle einer wirklichen Notlage er-
höhen müsste. Dieses Verfahren wäre sogar doppelt demokratisch abgesi-
chert, da gewählte Volksvertreter den Notstand erklären müssten und die
Marktteilnehmer mit ihrem Portemonnaie über die Einschätzung der Fed
abstimmen würden, indem sie Gold kaufen würden oder nicht.

Auch mit den Auswirkungen eines neuen Goldstandards auf das internati-
onale Währungssystem muss man sich intensiv beschäftigen. Die Geschich-
te des Ersten und Zweiten Währungskrieges zeigt, dass ein internationaler

323
Teil 3 Die nächste globale Krise

Goldstandard nur so lange Bestand hat, bis ein Mitglied des Systems, nor-
malerweise durch eine massive Verschuldung, wirtschaftlich so stark unter
Druck gerät, dass es sich zu einer Abkehr vom Goldstandard und zur Ab-
wertung seiner Währung entschließt. Die geschieht in der Hoffnung, von
diesem einseitigen Vorteil gegenüber den Handelspartnern zu profitieren.
Um einen einseitigen Ausstieg zu verhindern, könnte man eine goldgedeck-
te globale Währung schaffen, wie sie Keynes in Bretton Woods vorschlug.
Vielleicht könnte sogar der Name übernommen werden, den sich Keynes
ausdachte: Bancor. Der Bancor wäre kein in der Menge beliebig erweiterba-
res Fiatgeld wie die Sonderziehungsrechte von heute, sondern echtes Geld,
das durch Gold gedeckt ist. Man könnte den Bancor als einzige Währung für
den internationalen Handel und zur Begleichung der Zahlungsbilanzen zu-
lassen. Alle Währungen wären an den Bancor gekoppelt und nur für den in-
ländischen Zahlungsverkehr in Gebrauch. Gegenüber dem Bancor könnten
sie nur mit Zustimmung des IWF abgewertet werden. Eine einseitige oder
ungeordnete Abwertung und damit auch ein Währungskrieg wären so un-
möglich.

Eine Wiedereinführung des Goldstandards unter Berücksichtigung der


modernen Praktiken einer Zentralbank, der ausreichend Flexibilität ein-
geräumt werden müsste, sollte nicht gleich verunglimpft, sondern inten-
siv untersucht werden. Ein Institut, das vom Weißen Haus und dem Kon-
gress oder vielleicht auch von den G20 eingerichtet werden könnte, sollte
sich mithilfe renommierter Experten mit der Entwicklung eines praktikab-
len Goldstandards befassen, der nach einem Zeitraum von fünf Jahren zum
Einsatz kommen sollte. Das Institut würde sich mit genau den Fragen ausei-
nandersetzen, die wir hier gestellt haben, und besonders auf die Festlegung
eines angemessenen Goldpreises achten, um die Fehler der 1920er-Jahre zu
vermeiden.

Ausgehend von der Geldmenge der USA und den amerikanischen Goldvor-
räten käme man bei einer Deckungsrate von 40 Prozent auf einen Goldpreis
von etwa 3 500 Dollar pro Feinunze. Angesichts des Vertrauensverlusts der

324
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Bürger in die Zentralbanken und deren Politik der kontinuierlichen Abwer-


tung erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass eine allgemeinere Definiti-
on der Geldmenge und eine höhere Deckungsrate erforderlich sind, um
das Vertrauen in den neuen Goldstandard herzustellen. Eine weltweite Ein-
führung würde sogar noch höhere Preise erfordern, da große Volkswirt-
schaften wie China viel größere Mengen an Papiergeld und weitaus weni-
ger Gold als die USA besitzen. Die Sache bedarf intensiver Untersuchung,
doch wenn man davon ausgeht, dass das Vertrauen auf globaler Basis wie-
derhergestellt werden muss, erscheint ein Preis von 7 500 Dollar pro Fein-
unze wahrscheinlich. Einigen Beobachtern mag diese Veränderung beim
Dollarwert zu hoch sein, doch im Grunde ist sie bereits in vollem Gang. Sie
wurde nur von den Märkten, Zentralbanken und Ökonomen noch nicht er-
kannt.

Die bloße Ankündigung eines solchen Vorhabens könnte schon einen po-
sitiven und stabilisierenden Effekt auf die Weltwirtschaft haben, denn die
Märkte würden dann anfangen, die zukünftige Stabilität zu berücksichtigen,
ähnlich wie die Märkte die europäische Währungsunion Jahre vor der Eu-
roeinführung einkalkulierten. Sobald ein geeignetes Preisniveau festgelegt
wäre, könnte es bekannt gegeben werden, und man könnte sofort mit den
Offenmarktgeschäften zur Stabilisierung der Währungen zum neuen Gold-
wert beginnen. Schließlich könnten die Währungen selbst an den Gold-
wert gekoppelt werden, oder man könnte eine neue, goldgedeckte globale
Währung einführen, an die die anderen Währungen gekoppelt wären. Dann
könnte sich die Energie und Kreativität der Welt wieder der Technologie,
der Verbesserung der Produktivität und anderen Innovationen zuwenden,
anstatt sich weiter auf die Ausbeutung durch die Manipulation von Fiat-
geld zu konzentrieren. Anstelle eines Reichtums, der nur auf dem Papier
existiert, würde das globale Wachstum durch die Schaffung realen Reich-
tums beflügelt.

325
Teil 3 Die nächste globale Krise

Chaos

Der vielleicht wahrscheinlichste Ausgang der Währungskriege und der Dol-


larabwertung ist ein chaotischer, katastrophaler Vertrauensverlust, der Not-
fallmaßnahmen der Regierungen erforderlich macht, um wenigstens den
Anschein zu wahren, dass das System aus Währungen, Handel und Inves-
titionen weiter funktioniert. Der Kollaps wäre nicht beabsichtigt oder ge-
plant, sondern würde einfach passieren; wie eine Lawine, die durch die letz-
te finanzielle Schneeflocke auf einem instabilen Berghang aus Schulden ins
Rutschen kommt.

Die Instabilität des Finanzsystems hat sich in den letzten Jahren durch die
zunehmende Vielfalt und Vernetzung der Marktteilnehmer deutlich erhöht.
Das Risiko ist durch die Vielzahl spekulativer Derivate und die Erhöhung
der Hebelung bei den Banken, die »too big to fail« sind, massiv gestiegen.
Den genauen Wert der kritischen Schwellen für alle Marktteilnehmer kann
man nicht kennen, doch wie wir bereits festgestellt haben, ist das gesamte
System dem kritischen Punkt näher als je zuvor. Zum Zusammenbruch fehlt
nur noch ein geeigneter Auslöser für den niedrigsten kritischen Schwellen-
wert. Das muss gar kein spektakuläres Ereignis sein. Wir erinnern uns, dass
der gleiche Blitzeinschlag ein kleines Feuer oder einen großen Waldbrand
auslösen kann; was letztlich für einen Flächenbrand sorgt, ist nicht der Blitz-
schlag, sondern der Zustand des Waldes.

Der Auslöser an sich kann durchaus auffällig sein, dennoch ist die Verbin-
dung zwischen ihm und dem Kollaps möglicherweise nicht sofort ersicht-
lich. Im folgenden Szenario wird die Verkettung der Ereignisse bei einem
solchen Zusammenbruch aufgezeigt.

Der Auslöser erfolgt zu Beginn eines Handelstags in Europa. Eine Aukti-


on spanischer Staatsanleihen scheitert unerwartet, und Spanien ist kurzzei-
tig nicht in der Lage, fällige Schuldzahlungen zu begleichen, trotz Zusagen
der Europäischen Zentralbank und Chinas, den Markt für spanische Anlei-

326
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

hen zu stützen. Frankreich und Deutschland schnüren eilig ein Rettungs-


paket, doch das Vertrauen ist massiv erschüttert. Am gleichen Tag geht ein
unbekannter, aber systemrelevanter Primärhändler für französische Staats-
papiere in Konkurs. Normalerweise profitiert der Dollar von Schwierigkei-
ten in Europa, aber jetzt geraten Euro und Dollar unter Druck. Die geballten
schlechten Nachrichten aus Spanien und Frankreich genügen, um mehrere
niederländische Pensionsfonds, die sonst eisern am Dollar festhalten, davon
zu überzeugen, ihr Vermögen lieber in Gold anzulegen. Obwohl sich die
Niederländer sonst nicht an Devisenspekulationen beteiligen, klicken sie am
Bildschirm auf das Feld »Verkaufen«. Einige Schneeflocken geraten ins Rut-
schen. In Genf wird bei einem Hedgefonds eine weitere kritische Schwelle
für den Dollar erreicht, und auch dieser Fonds fängt an zu verkaufen. Jetzt
ist die Erschütterung deutlich zu spüren, die Lawine ist losgetreten.

Der Dollar rutscht schnell unter seine vorherige Trading-Range und er-
reicht immer neue Tiefstände. Händler mit zuvor festgelegten Stop-Loss-
Limits müssen verkaufen, wenn diese Limits erreicht werden, und diese
Stop-Loss-Automatik trägt zusätzlich zur allgemeinen Abwärtsbewegung
des Dollar bei. Mit zunehmenden Verlusten beginnen Hedgefonds, die auf
die falsche Seite gesetzt haben, ihre amerikanischen Aktien zu verkaufen,
weil sie Bargeld für die Nachschussforderungen benötigen. Die Preise für
Gold, Silber, Platin und Öl schnellen nach oben. Plötzlich wirken brasiliani-
sche, australische und chinesische Aktien wie ein sicherer Hafen.

Als die Wertpapierhändler der Banken und die Hedgefonds erkennen, dass
ein allgemeiner Dollarkollaps eingesetzt hat, kommt ihnen ein weiterer Ge-
danke. Wenn der Wert einer Sicherheit in Dollar ausgewiesen ist und der
Dollar einbricht, dann bricht auch der Wert der Sicherheit ein. Daraufhin
überträgt sich die Anspannung an den Devisenmärkten auf die auf dem Dol-
lar basierenden amerikanischen Aktien-, Anleihe- und Derivatemärkte, ähn-
lich wie ein Erdbeben einen Tsunami auslöst. Der Vorgang ist nicht mehr
rational, zum Überlegen bleibt keine Zeit mehr. Rufe wie »alles verkaufen!«
hallen übers Börsenparkett. Die Märkte für den Dollar und für auf Dollar

327
Teil 3 Die nächste globale Krise

ausgeschriebene Wertpapiere brechen ohne Unterschied ein, während die


Kurse von Rohstoffen und nichtamerikanischen Aktien nach oben schnel-
len. Durch den massiven Verkauf der auf Dollar ausgeschriebenen Anleihen
steigen auch die Zinsen massiv. Das alles passiert, noch bevor es in London
Mittag ist.

Die New Yorker Börsenmakler, die Mitarbeiter der Banken und Regulie-
rungsbehörden werden durch panische Anrufe ihrer europäischen Kolle-
gen aus dem Schlaf gerissen. Die Bildschirme zeigen nur noch rot unterleg-
te Verluste. Die Börsenmakler und Banker hetzen ins Büro. Im Vorortzug,
wo es um 6 Uhr morgens normalerweise ganz gemächlich zugeht, gibt es nur
noch Stehplätze; die sonst übliche Etikette, aufs Telefonieren zu verzich-
ten, beachtet heute keiner. Der Zug ist quasi eine Börse auf Rädern. Als die
Banker im Zentrum von Manhattan und an der Wall Street eintreffen, ist der
Dollar-Index um 20 Prozent gefallen, und die Aktien-Futures sind um 1 000
Punkte eingebrochen. Gold liegt mit 200 Dollar pro Feinunze im Plus, da
sich die Anleger in vermeintlich sichere Werte flüchten, um ihr Vermögen zu
retten. Von Investoren, die gegen den Trend setzen, ist weit und breit nichts
zu sehen; sie weigern sich, sich einem außer Kontrolle geratenen Zug entge-
genzustellen. Manche Wertpapiere werden schon gar nicht mehr gehandelt,
weil es zu keinem Preis Gebote gibt. Die Dollar-Panik ist in vollem Gang.

Für bestimmte Märkte, vor allem Aktienbörsen, gibt es automatische Un-


terbrechungen, bei denen der Handel ausgesetzt wird, wenn die Verluste
eine bestimmte Summe überschreiten. Andere Märkte wie beispielsweise
Terminbörsen räumen offiziellen Stellen Sonderrechte ein, um bei außer-
ordentlichen Kurseinbrüchen einzugreifen, etwa durch Margenerhöhungen
und Positionslimits. Diese Regeln gelten nicht automatisch für Währungen
oder Gold. Um eine Panik zu verhindern, müssen Zentralbanken und Re-
gierungen direkt intervenieren und versuchen, die Flut der Verkäufe ein-
zudämmen. In einer Paniksituation wie dieser zählen massive koordinierte
Dollaraufkäufe und der Ankauf von US-Staatsanleihen durch die Zentral-
banken zu den ersten Gegenmaßnahmen.

328
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Die Federal Reserve, die EZB und die japanische Zentralbank organisie-
ren eilends eine Telefonkonferenz für 10 Uhr morgens New Yorker Zeit,
um den koordinierten Aufkauf amerikanischer Dollar und Staatsanleihen
zu besprechen. Vor dem Gespräch beraten sich die Zentralbankvorsitzen-
den mit ihren Finanzministerien und holen sich die notwendigen Geneh-
migungen und Daten. Die offizielle Ankaufskampagne beginnt um 14 Uhr
New Yorker Ortszeit; ab da überschwemmt die Fed die Handelsabteilun-
gen der wichtigsten Banken mit Kaufanweisungen für den Dollar und US-
Staatsanleihen sowie Verkaufsanweisungen für Euro, Yen, Pfund-Sterling,
kanadische Dollar und Schweizer Franken. Vor dieser Aufkaufaktion lässt
die Fed gegenüber ihren Lieblingsjournalisten durchsickern, dass die Zen-
tralbanken »alles, was erforderlich ist« zur Stützung des Dollar unterneh-
men würden. Bei der Beschreibung der Kaufkraft der Zentralbanken be-
tont der Fed-Mitarbeiter vor allem den Begriff »unbegrenzt«. Die Nachricht
verbreitet sich auf allen Kanälen und läuft an allen Börsen über die Bild­
schirme.

Aus der Vergangenheit weiß man, dass sich private Anleger zurückziehen,
wenn der Staat anfängt zu intervenieren. Private Anleger verfügen über we-
niger Ressourcen als Regierungen und folgen der zeitlosen Mahnung: »Leg
dich nicht mit der Federal Reserve an.« Bei einer Panik geben sich die An-
leger an diesem Punkt meistens damit zufrieden, ihre Gewinnpositionen
aufzulösen, die Gewinne mitzunehmen und nach Hause zu gehen. Danach
können die Zentralbanken auf Kosten der Steuerzahler die Scherben zusam-
menkehren und die Börsenmakler am nächsten Tag wieder wie gewohnt ih-
rem Geschäft nachgehen. Die Panik ebbt schnell wieder ab.

Doch diesmal ist es anders. Mit dem Aufkauf der Anleihen gießt die Fed zu-
sätzlich Öl ins Feuer, weil sie dadurch die Geldmenge erhöht – und genau
das war der ursprüngliche Auslöser für die Unruhe an den Märkten. Au-
ßerdem hat die Fed bereits vor der Panik so viel Geld gedruckt und so vie-
le Anleihen aufgekauft, dass der Markt zum ersten Mal das Durchhaltever-
mögen der Fed infrage stellt. Ausnahmsweise ist die Wucht der Panik größer

329
Teil 3 Die nächste globale Krise

als die Kaufkraft der Fed. Die Verkäufer fürchten die Fed nicht und verkau-
fen, egal zu welchem Preis, Hauptsache, sie sind das Zeug los, und die Fed
sitzt mit einem immer größeren Haufen Anleihen da. Die Verkäufer investie-
ren den Erlös aus den Anleiheverkäufen sofort in kanadische und australi-
sche Dollar, in Schweizer Franken und den südkoreanischen Won und kau-
fen zusätzlich asiatische Aktien. Der Kursverfall des Dollar setzt sich fort,
und die amerikanischen Zinssätze klettern höher und höher. Am Ende des
ersten Tages löscht die Fed den Brand nicht mehr länger mit Wasser – son-
dern mit Benzin.

Als in Asien der zweite Tag der Panik anbricht, ist noch keine Entlastung in
Sicht. Selbst die Aktienmärkte in Ländern mit vermeintlich stärkeren Wäh-
rungen wie Australien und China geraten unter Druck, weil die Anleger ihre
Positionen verkaufen müssen, um ihre Verluste abzudecken, und weil ande-
re Anleger mittlerweile jegliches Vertrauen in Aktien, Anleihen und Schatz-
briefe verloren haben. Der Ansturm auf Gold, Silber und Agrarland entwi-
ckelt sich zu einer Hysterie, die durchaus mit der Verkaufspanik bei den
Wertpapieren mithalten kann. Der Preis für Gold hat sich über Nacht ver-
doppelt. Die Behörden schließen nacheinander die asiatischen und europä-
ischen Börsen, damit sich die Märkte beruhigen und die Anleger ihre Strate-
gien überdenken können. Doch die Maßnahme hat den gegenteiligen Effekt.
Die Anleger gelangen zu dem Schluss, dass die Börsen möglicherweise nie
wieder öffnen und aus ihren Wertpapieren illiquide Beteiligungsinvestiti-
onen werden. Einige Banken schließen, und mehrere große Hedgefonds
lehnen eine Auszahlung ab. Viele Anleger können den Nachschussauffor-
derungen nicht mehr nachkommen, ihre Positionen werden von den Bro-
kern geschlossen, doch dadurch verlagern sich die faulen Papiere nur auf
die Konten der Händler, die nun selbst mit einer Insolvenz zu kämpfen ha-
ben. Während die Panik in Europa bereits den zweiten Tag grassiert, wen-
den sich alle Augen zum Weißen Haus. Ein Dollarkollaps ist gleichbedeu-
tend mit einem Vertrauensverlust in die USA. Die Federal Reserve und das
Finanzministerium sind überfordert, jetzt kann nur noch der Präsident der
Vereinigten Staaten das Vertrauen wiederherstellen.

330
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

Im Militärjargon wimmelt es von Formulierungen wie »Nuklearoption«,


»Weltvernichtungsmaschine«, die im Wortsinn wie auch im übertragenen
Sinn verwendet werden. Für die internationale Finanzwelt verfügt der ame-
rikanische Präsident über eine kaum bekannte Nuklearoption von immen-
ser Wucht. Diese Option ist der sogenannte International Emergency Eco-
nomic Powers Act von 1977, abgekürzt IEEPA, ein Ermächtigungsgesetz im
Falle einer internationalen wirtschaftlichen Notlage, das von der Carter-Re-
gierung als aktualisierte Version des Trading with the Enemy Act (»Gesetz
gegen den Handel mit dem Feind«) von 1917 verabschiedet wurde. Präsi-
dent Franklin D. Roosevelt hatte das Gesetz 1933 dazu benutzt, Banken zu
schließen und Gold zu beschlagnahmen. Ein neuer Präsident, der mit einer
Krise von erheblicher Tragweite konfrontiert ist, würde nun die neue Versi-
on für ähnlich extreme Maßnahmen nutzen.

Die Anwendung des IEEPA ist nur unter zwei Bedingungen möglich: Die
nationale Sicherheit oder die Wirtschaft der USA muss bedroht sein, au-
ßerdem muss diese Bedrohung von außen kommen. Es gibt eine Art
Pflicht, den Kongress zumindest im Nachhinein zu informieren, doch ge-
nerell ­verfügt der Präsident über fast diktatorische Vollmachten, um im
­Falle ­eines natio­nalen Notstandes handeln zu können. Die Bedingun-
gen in ­unserem S ­ zenario entsprechen dem IEEPA. Der Präsident trifft
sich mit seinen ­Beratern für Wirtschaft und für nationale Sicherheit so-
wie seinen Reden­schreibern und bereitet die dramatischste Ansprache
zur wirt­schaftlichen Lage seit dem Nixon-Schock von 1971 vor. Um 18
Uhr New Yorker Ortszeit am Tag zwei der globalen Dollar-Panik spricht
der Präsident live vor einem angespannten Publikum weltweit und verkün-
det eine Verfügung, die folgende, sofort in Kraft tretende Maßnahmen um-
fasst:

– Der Präsident wird eine parteiübergreifende Kommission aus erfah-


renen Kapitalmarkt-Experten und »bedeutenden Wirtschaftswissen-
schaftlern« ernennen, die die Panik analysieren und innerhalb von
30 Tagen geeignete Reformvorschläge vorlegen.

331
Teil 3 Die nächste globale Krise

– Sämtliche Goldbestände in Privatbesitz oder im Besitz ausländi-


scher Staaten, die sich zur Aufbewahrung bei der Federal Reserve
Bank of New York oder in den Tresorräumen der HSBC Bank oder
der ­Scotiabank in New York befinden, gehen in den Besitz des ameri­
kanischen Finanzministeriums über und werden in das Goldlager in
West Point abtransportiert. Die ehemaligen Eigentümer werden ange-
messen entschädigt, die Summe wird zu einem späteren Zeitpunkt fest-
gelegt.

– Jeglicher Transfer von US-Staatsanleihen, die sich in ausländischem Be-


sitz befinden und in elektronischer Form im Buchungssystem der Fede-
ral Reserve geführt werden, wird sofort ausgesetzt. Die Eigentümer er-
halten die Zinszahlungen und den Nennwert wie vereinbart, ein Verkauf
oder Transfer ist jedoch nicht mehr erlaubt.

– Alle Finanzinstitute melden die US-Staatsanleihen in ihren Büchern


zum Nominalwert. Die Wertpapiere werden bis zur Fälligkeit gehalten.

– Finanzinstitute und Federal Reserve werden die Maßnahmen zum Kauf


aller neu emittierten Staatsanleihen koordinieren, um eine reibungslose
Finanzierung des amerikanischen Defizits und die Refinanzierung oder
Begleichung ausstehender Verpflichtungen fortzusetzen.

– Die Börsen werden sofort schließen, der Handel bleibt bis auf weiteres
ausgesetzt.

– Die Ausfuhr von Gold aus den USA ist verboten.

Dieser Interimsplan würde den sofortigen Zusammenbruch des Staatsanlei-


henmarkts aufhalten, indem er die meisten Transaktionen einfriert und die
Banken mit weiteren Ankäufen beauftragt. Er bietet keine dauerhafte Lö-
sung und bringt im besten Fall eine Atempause von ein paar Wochen, in de-
nen langfristigere Lösungen entwickelt werden müssen.

332
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

An diesem Punkt würden die Politiker verstehen, dass der Papier-Dollar in


seiner derzeitigen Form nicht mehr länger von Nutzen ist. Er kann nicht
mehr als Wertaufbewahrungsmittel fungieren, weil das Vertrauen in ihn zer-
stört ist. Dadurch entfallen auch seine anderen Funktionen als Zahlungsmit-
tel und Wertmaßstab. Also benötigt man eine neue Währung. Mit einer ähn-
lichen Währung weiterzumachen, wäre inakzeptabel, daher müsste die neue
Währung auf jeden Fall goldgedeckt sein.

Nun käme die verborgene Stärke der amerikanischen Position zum Vor-
schein. Durch die Beschlagnahmung ausländischer und der meisten priva-
ten Goldbestände auf amerikanischem Boden käme das US-Finanzminis-
terium in den Besitz von über 17 000 Tonnen Gold, was 57 Prozent aller
offiziellen Goldreserven weltweit entspricht. Damit wären die USA in einer
ganz ähnlichen Position wie 1945 kurz nach Bretton Woods, als sie 63 Pro-
zent aller offiziellen Goldvorräte kontrollierten. Mit einer derartigen Menge
wären die USA in der Lage, das zu tun, was sie in Bretton Woods taten – sie
könnten die Form des neuen globalen Finanzsystems diktieren.

Die USA könnten einen »Neuen US-Dollar« schaffen, der dem Wert von
10 alten Dollar entsprechen würde. Der neue Dollar wäre in Gold konver-
tierbar – zum Preis von 1 000 neuen Dollar pro Feinunze, was 10 000 alten
Dollar pro Feinunze nach dem früheren System entsprechen würde. Ge-
messen an den Marktpreisen für Gold vom April 2011 würde das eine Ab-
wertung des Dollar um 85 Prozent bedeuten, was etwas mehr wäre als die
1933 von Franklin D. Roosevelt veranlasste Abwertung um 70 Prozent, aber
noch keine andere Größenordnung darstellt. Es wäre deutlich weniger als
die Abwertung um 95 Prozent gegenüber dem Goldwert, die Nixon, Ford
und Carter in den Jahren 1971 bis 1980 vornahmen.

Aufgrund der Golddeckung wäre der Neue US-Dollar die einzige begehr-
te Währung der Welt – der ultimative Sieger in den Währungskriegen. Die
Fed wäre angewiesen, Offenmarktgeschäfte zu tätigen, um den neuen Gold-
preis unter dem flexiblen Gold-Devisen-Standard zu halten. Alle privaten

333
Teil 3 Die nächste globale Krise

­ ewinne durch die Aufwertung des Goldpreises unterlägen einer Sonder-


G
gewinnsteuer von 90 Prozent. Die USA würden Europa und China großzü-
gig Kredite zu Vorzugsbedingungen und Unterstützung gewähren, um Li-
quidität zu schaffen und den Welthandel wieder in Schwung zu bringen,
ähnlich wie sie es mit dem Marshallplan getan hatten. Nach und nach würde
man den Ländern, deren Gold beschlagnahmt wurde, meist europäischen
Staaten, erlauben, ihr Gold zum neuen, deutlich höheren Preis zurückzu-
kaufen. Zweifellos würden sie sich in Zukunft dafür entscheiden, ihr Gold
lieber in Europa aufzubewahren.

Das Vertrauen würde allmählich wiederhergestellt, die Börsen würden wie-


der öffnen, neue Preise für Güter und Dienstleistungen würden festgelegt,
und das Leben würde weitergehen, mit einem neuen König Dollar im Zent-
rum des Finanzuniversums.

Oder auch nicht. Das Szenario, in dem auf Chaos rasch der Aufstieg eines
neuen, goldgedeckten Dollar folgt, der sich wie Phönix aus der Asche er-
hebt, ist nur eine Möglichkeit von vielen. Ein anderes Szenario wäre ein un-
aufhaltsamer Finanzkollaps, auf den der Zusammenbruch der öffent­lichen
Ordnung und der Infrastruktur folgen würde. Solche Szenarien kennt man
aus Büchern und Filmen, etwa aus Cormac McCarthys Die Straße. In sol-
chen Geschichten geht es meist um das Überleben nach einer Katastrophe,
in einer völlig zerstörten Welt nach einem Krieg, einer Naturkatastrophe
oder der Invasion von Außerirdischen. Im Grunde könnte die Vernich-
tung von Wohlstand, Ersparnissen, Vertrauen und Zuversicht infolge eines
­Währungskriegs und Dollarkollapses ähnlich katastrophal werden wie die
Invasion feindlicher Außerirdischer. Das Reinvermögen eines Menschen
könnte dann nur noch aus dem bestehen, was er tragen kann.

Eine andere mögliche Reaktion auf den Zusammenbruch der Währung wä-
re eine weit extremere Intervention der Regierung, die mit deutlich mehr
Zwang verbunden wäre als die bereits beschriebenen Maßnahmen auf
Grundlage des IEEPA. Solche Zwangsmaßnahmen wären wohl eher in

334
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?

­ sien oder Russland wahrscheinlich und könnten die komplette Verstaat­


A
lichung des Kapitals und geistigen Eigentums umfassen, die Schließung der
Grenzen und die Konzentration der Produktionskapazitäten auf den hei­
mischen Bedarf anstelle des Exports. Es würden sich mehrere semiautarke
Zonen bilden, und der Welthandel würde zusammenbrechen. Das Ergebnis
wäre das Gegenteil der Globalisierung. Es wäre der Konsens von Peking,
aller­dings würde hier kein Einzelner auf Kosten der anderen profitieren –
weil es niemanden mehr geben würde, der profitieren könnte.

335
Schlussfolgerung
Der Dollar ist nicht zukunftsfähig, daher wird es mit dem Dollar nicht so
weitergehen können. Im Lauf der Zeit wird der Dollar vielleicht zu einer
Reservewährung unter vielen, wird Sonderziehungsrechten untergeord-
net, durch eine erneute Goldbindung verjüngt, oder er wird im Chaos ver-
sinken, was sowohl die Möglichkeit seiner Rettung als auch die seines Un-
tergangs birgt. Von diesen vier möglichen Entwicklungen scheint die der
verschiedenen Reservewährungen am unwahrscheinlichsten, weil sie die
Probleme der Verschuldung und Defizite nicht löst, sondern in einem klas-
sischen Währungskrieg nur von einem Land ins andere verlagert. Die Lö-
sung mit den Sonderziehungsrechten wird von einigen globalen Eliten in
den Finanzministerien der G20 und der Führungsetage des IWF propa-
giert, doch da sie einfach nationale Papierwährungen durch eine globale
Papierwährung ersetzt, birgt sie das Risiko, dass auch sie mit der Zeit ab-
gelehnt und instabil wird. Eine gut geplante, von Experten durchgeführte
Rückkehr zum Goldstandard bietet die beste Aussicht auf Stabilität, genießt
aber unter Akademikern so wenig Anerkennung, dass sie in den aktuellen
Debatten kaum vorkommt. Somit bleibt mit einiger Wahrscheinlichkeit das
Chaos als Möglichkeit übrig. Doch auch im Chaos besteht noch eine Chan-
ce für den Goldstandard, selbst wenn die Einführung dann plötzlich und
ungeplant erfolgen würde. Und als letzte Möglichkeit gibt es das Chaos, auf
das noch Schlimmeres folgt.

Der Zusammenbruch des Dollar könnte allein auftreten oder als Teil eines
viel umfassenderen Zusammenbruchs unserer Zivilisation. Er könnte ein-
fach nur die Abkehr von der Papierwährung bedeuten oder ein Meilenstein
auf dem Weg in den Untergang sein. Nichts muss zwangsläufig passieren, es
ist aber alles möglich.

336
Schlussfolgerung

Noch ist es nicht zu spät, noch können wir einen Schritt vom Abgrund des
katastrophalen Zusammenbruchs zurücktreten. Die Komplexität ist anfangs
ein Freund, wird dann aber zum Feind. Wenn wir erst einmal die Gefah-
ren von Komplexität und Größe erkannt haben, bietet sich als Lösung ei-
ne Mischung aus Verkleinerung, Untergliederung in kleinere Bereiche und
Vereinfachung an. Ein Schiff, dessen Rumpf in Schotten unterteilt ist, sinkt
nicht so schnell wie ein Schiff mit einem durchgehenden Frachtraum. Aus
dem gleichen Grund werden ausgedehnte Waldgebiete immer wieder von
abgeholzten Feuerschneisen unterteilt. Jeder Schreiner arbeitet nach dem
Prinzip »für jede Arbeit das richtige Werkzeug«. Wirtschaftswissenschaft-
ler sollten bei der Wahl ihrer Werkzeuge nicht weniger sorgfältig sein als ein
Schreiner.

Übertragen auf die Kapital- und Devisenmärkte bedeutet dies, die großen
Banken zu zerschlagen und ihre Aktivitäten auf die Einlagenverwaltung, pri-
vate und gewerbliche Kredite, Handelsfinanzierung, Zahlungsabwicklung,
Bankgarantien und ein paar andere nützliche Dienste zu beschränken. Der
Eigenhandel, das Emissionsgeschäft und der Wertpapierhandel sollten für
Banken verboten und auf Wertpapierhändler und Hedgefonds beschränkt
werden. Die Vorstellung, dass man für große Geschäfte auch große Banken
benötigt, ist Unsinn. Aus genau diesem Grund wurden Konsortien erfun-
den; bei ihnen ist das Risiko optimal verteilt.

Derivate sollten verboten werden, eine Ausnahme wären nur börsengehan-


delte Standard-Futures mit täglicher Margin-Anpassung und Clearinghäu-
sern, die mit ausreichend Kapital ausgestattet sind. Bei Derivaten wird das
Risiko nicht verteilt, sondern vervielfacht und in einigen wenigen Händen
konzentriert, die als »too big to fail« gelten. Derivate nützen nicht dem Kun-
den, sondern aufgrund der hohen Gebühren und der schwer durchschau-
baren Bedingungen nur den Banken und Händlern. Die Risikomodelle für
Derivate funktionieren nicht und werden auch nie funktionieren, weil der
Fokus auf dem Nettorisiko anstatt auf dem Bruttorisiko liegt.

337
Schlussfolgerung

Mit der Einführung eines flexiblen Goldstandards könnte man die Unsi-
cherheit hinsichtlich der Inflationsgefahr, der Zinsen und Wechselkurse re-
duzieren. Mit mehr Sicherheit und einer größeren Preisstabilität könnten
Unternehmen und Anleger bei Investitionen höhere Risiken eingehen. Im
Unternehmensbereich gibt es auch ohne Inflations-, Deflations-, Zins- und
Wechselkursrisiken genügend Unsicherheiten, die Innovationen behindern.
In den 40 Jahren, seit die USA vom Goldstandard abgerückt sind, hat die
amerikanische Wirtschaft unter Führung der Federal Reserve ständig Spe-
kulationsblasen, Börsenkräche, Paniken und zyklische Konjunkturschwan-
kungen erlebt. Es ist an der Zeit, die Rolle der Finanzwirtschaft zu reduzie-
ren und sich wieder mehr auf den Handel zu konzentrieren. Gold sorgt für
höchste Stabilität bei Preisen und Vermögenswerten und genießt daher ho-
hes Ansehen bei den Anlegern.

Als Leitlinie für die Geldpolitik sollte die Taylor-Regel dienen, die nach ih-
rem Erfinder, dem Ökonomen John B. Taylor benannt ist. Die Regel ver-
wendet positive Rückkopplungen, indem sie die tatsächliche Inflation in die
Gleichung einbezieht, und bietet Einfachheit und Transparenz. Sie ist nicht
perfekt, aber, um mit Winston Churchill zu sprechen, besser als alle ande-
ren. Die Kombination aus Taylor-Regel und einem flexiblen Goldstandard
macht die Arbeit der Zentralbanken regelrecht langweilig, aber genau das ist
der springende Punkt. Je weniger dramatisch sich das Geschäft der Zentral-
banken gestaltet, desto mehr Sicherheit besteht für die Unternehmer, die die
eigentliche Quelle für Arbeitsplätze und Wohlstand sind.

Zu den weiteren Maßnahmen beim Abbau der Komplexität zählen die Ab-
schaffung der Besteuerung von Unternehmensgewinnen, die Vereinfachung
der Einkommenssteuer und die Verringerung der Staatsausgaben. Die For-
derung nach einem schlankeren Staat erfolgt nicht aus ideologischen Grün-
den, sondern ist einfach klug. Wenn das Risiko eines Kollapses in der Grö-
ße selbst besteht, werden die Vorteile staatlicher Programme durch die
unsichtbaren Kosten zunichte gemacht. Eine geringere Größe bringt mehr
Sicherheit.

338
Schlussfolgerung

Die obigen Empfehlungen haben eins gemeinsam: Alle verkleinern oder ver-
einfachen das Finanzsystem oder ziehen wie im Fall des Goldes ein Sicher-
heitsnetz zum Schutz vor einem Kollaps ein. Kritiker werden sagen, dass
viele Vorschläge rückwärtsgerichtet sind und aus einer Zeit stammen, als
die öffentliche Verwaltung noch kleiner und das Bankenwesen, die Steu-
er- und Geldpolitik weniger kompliziert waren. Sie haben recht, aber genau
darum geht es. Wenn man den absteigenden Teil der Komplexitätskurve er-
reicht hat, ist es klug umzukehren, weil die Gesellschaft dann produktiver
und ­robuster gegenüber einer Katastrophe ist.

Wenn diese Abhilfemaßnahmen nicht angewandt werden und die Lage au-
ßer Kontrolle gerät, wird letzten Endes das Pentagon einschreiten müssen,
um mit Mitteln, die dem Finanzministerium und der Federal Reserve nicht
zur Verfügung stehen, die Ordnung wiederherzustellen. Die Bedrohungen,
die das 2009 durchgeführte Finanzplanspiel des Verteidigungsministeriums
aufzeigte, werden von Tag zu Tag realer. Verteidigungsminister Robert Ga-
tes erklärte zum Planspiel, es sei eine Erfahrung gewesen, die ihm »die Au-
gen geöffnet« habe und die »Defizite bei der Befähigung und Bereitschaft
verschiedener Teile der Regierung zur Informationsweiterleitung« deut-
lich mache. Gates nannte das Finanzministerium nicht direkt, doch meiner
Erfahrung nach müssen Finanzministerium und Federal Reserve enger mit
den Behörden für nationale Sicherheit zusammenarbeiten, damit sich das
Land auf die zukünftige Entwicklung vorbereiten kann.

Wie ich bereits zu Beginn des Buchs feststellte, ist ein Buch über Währungs-
kriege unweigerlich auch ein Buch über den Dollar und sein Schicksal. Der
Dollar ist trotz all seiner Fehler und Schwächen der Dreh- und Angelpunkt
des globalen Systems an Währungen, Aktien, Anleihen, Derivaten und In-
vestitionen aller Art. Obwohl Währungen schon per definitionem ein Wert-
aufbewahrungsmittel darstellen, ist der Dollar noch mehr als das. Er ist ein
Mittel zur Aufbewahrung wirtschaftlichen Werts in einer Nation, deren mo-
ralische Werte historisch außergewöhnlich und daher ein leuchtendes Bei-
spiel für die Welt sind. Eine Abwertung des Dollar zieht zwangsläufig ei-

339
Schlussfolgerung

ne Abwertung dieser Werte und dieser Sonderstellung nach sich. Dieses


Buch soll eine Warnung vor den zukünftigen Gefahren darstellen und bei
der Kursänderung als Kompass dienen.

In der Vergangenheit finden sich zahlreiche Beispiele für gesellschaftliche


und finanzielle Zusammenbrüche, man kann sie jedoch auch leicht igno-
rieren und verdrängen. Aber die Geschichte vergisst nichts, und komple-
xe Systeme verhalten sich nun einmal so und nicht anders. Sie beginnen
als harmloses Organisationsprinzip und enden damit, dass sie jede verfüg-
bare Energie absorbieren und schließlich das ganze System zerstören. Ka-
pital- und Devisenmärkte sind komplexe Systeme und werden irgendwann
zusammenbrechen, es sei denn, sie werden entflochten, eingedämmt, auf-
geteilt und verkleinert. In Währungskriegen geht es letztendlich immer um
den Dollar, doch der Dollar von heute ist aufgrund von Derivaten, Hebelun-
gen, der Erhöhung der Geldmenge und der Abweichung vom Goldstandard
nur eine aufgeblasene Version seines früheren Selbst. Es ist noch nicht zu
spät, ihn zu retten. Allerdings bleibt uns auch nicht mehr viel Zeit.

340
Danksagungen
Mein aufrichtiger Dank an alle, die mir bei diesem Buch halfen, beginnt mit
meiner Agentin Melissa Flashman, die entscheidend dazu beitrug, dass aus
einem Konzept ein Projekt und schließlich ein Buch wurde. Ihre unentweg-
te Unterstützung war für mich in den langen Monaten der Recherche und
des Schreibens ein großer Trost.

Dank schulde ich auch Adrian Zackheim von Penguin/Portfolio, weil er


mein Manuskript annahm und damit einem Neuling eine Chance gab. Wir
hatten 2010 beide das Gefühl, dass die Währungskriege wieder in vollem
Gang waren. Leider hatten wir recht. Meine Lektorin Courtney Young, der
Lektoratsassistent Eric Meyers und alle anderen bei Penguin leisteten zur
Entstehung des Buchs einen wichtigen Beitrag. Großer Dank gebührt auch
meinem Korrektor Nicholas LoVecchio, dessen Genauigkeit und Sorgfalt
die Stringenz und den Lesefluss des fertigen Buchs sehr förderten. Allen
Mitarbeitern möchte ich für ihre Sachkenntnis und Geduld danken.

Meinen Partnern bei Omnis in McLean, Virginia, gilt mein ganz besonderer
Dank, weil sie es mir ermöglichten, die Wall Street mit der Welt der nationa-
len Sicherheit zu verbinden. Randy Tauss, Chris Ray, Joe Pesce und Char-
lie Duelfer sind stille Helden, die im Hintergrund agieren und daher nie be-
sungen werden. Es ist ein Privileg, mit ihnen zu arbeiten. Unser Gedenken
gilt unserem verstorbenen Partner Zack Warfield.

Ich danke meinen Kollegen aus dem Bereich der nationalen Sicherheit, de-
ren Namen ich nicht nennen kann. Sie wissen, wer gemeint ist. Die Ameri-
kaner kennen vielleicht nicht Ihre Namen, können sich aber glücklich schät-
zen, dass Sie für sie arbeiten.

341
Danksagungen

Auch den Leitern des Applied Physics Laboratory möchte ich danken, weil
sie es mir ermöglicht haben, über den eigenen Tellerrand meines Fachge-
biets zu schauen, während ich für sie arbeitete. Duncan Brown, Ted Smyth,
Ron Luman und Peggy Harlow ruhen sich nie auf ihren Einschätzungen
aus, sondern denken nach vorne und überlegen unermüdlich, wie man den
Bedrohungen dieser Zeit begegnen könnte. Sie waren so freundlich, mich
stets an ihrer Arbeit teilhaben zu lassen.

Enormen Dank schulde ich auch meinen Rechtsberatern Tom Puccio, Phil
Harris, Mel Immergut, Mary Whalen und Ivan Schlager, die mir seit vie-
len Jahren zur Seite stehen. Auch Rechtsanwälte brauchen manchmal einen
Rechtsanwalt, und sie sind die besten.

Ein großes Dankeschön auch an meine ökonomischen Berater John Makin,


Greg »the Hawk« Hawkins, David Mullins Jr., Myron Scholes und Bob Bar-
bera, die mir trotz meiner unorthodoxen Herangehensweise an ihr Fachge-
biet zuhörten und ihre Ansichten und Gedanken mit mir teilten.

Ich danke meinen Börsenmentoren Ted Knetzger, Bill Rainer, John Meri-
wether, Jim McEntee, Gordon Eberts, Chris Whalen, Peter Moran und Dave
»Davos« Nolan. Davos und ich spekulierten 2005 mit Shortpositionen auf
Fannie-Mae-Aktien, als der Kurs bei 45 Dollar pro Aktie stand, und verloren
Geld, da er auf 65 Dollar stieg. Heute werden die Aktien für 39 Cent gehan-
delt. Es kommt eben immer auf das richtige Timing an.

Da Washington mittlerweile nicht nur das politische, sondern auch das fi-
nanzielle Machtzentrum der Welt ist, wäre ein Buch wie dieses nicht mög-
lich ohne die Unterstützung, Ermutigung und den Gedankenaustausch mit
jenen, die den Mächtigen besonders nahestehen. Mein Dank geht an Taylor
Griffin, Rob Saliterman, Blain Rethmeier, Tony Fratto, Tim Burger, Ted-
dy Downey, Mike Allen, Jon Ward, Juan Zarate und Eamon Javers, die mich
durch das Dickicht des neuen Rom geleitet haben.

342
Danksagungen

Wenn es um die Sicht des Militärs geht, gibt es niemand besseren, an den
man sich wenden kann, als Brigadegeneral Joe Shaefer und Konteradmi-
ral Steve Baker. Vielen Dank. Als ich General Shaefer kennenlernte, war er
der einzige General im aktiven Dienst, der eine Lizenz der Börsenaufsicht
für den Optionshandel besaß. Ein Original. Ich danke außerdem Greg Bur-
gess vom Verteidigungsministerium für seine Weitsicht und Hartnäckig-
keit, das Finanzplanspiel zu unterstützen, das im ersten Kapitel beschrieben
wird. Greg lud mich zum Mitspielen ein und nahm mich ins China-Team
auf. Vielleicht können wir das Spiel wiederholen, wenn China mehr Gold-
reserven besitzt.

Die Kapitel über Kriegsplanspiele wären ohne die Bemühungen der »Wall-
Street-Einzelkämpfer« nicht zustande gekommen, die ich rekrutierte, um
mich beim globalen Finanzkriegsspiel zu unterstützen. Dank an Steve Hal-
liwell und Bill O’Donnell für ihre Freundschaft, ihre Bereitschaft mitzuma-
chen und die Erlaubnis, ihre Geschichte zu erzählen. Wir sehen uns im Ten
Twenty Post, wo das Planspiel eigentlich seinen Anfang nahm.

Ich danke außerdem Lori Ann LaRocco von CNBC, Amanda Lang von
CBC und Eric King von King World News, die mich in ihre Sendungen ein-
luden, um über die wirtschaftliche Analyse in meinem Buch zu sprechen.
Wenn man sein Denken schärfen will, gibt es nichts Besseres als eine Live-
sendung im Fernsehen mit kompetenten Moderatoren.

Dank an meine Freunde, die sich die Zeit nahmen, verschiedene Teile des
Manuskripts in unterschiedlichen Phasen der Fertigstellung zu lesen, und
mich mit ihren Fragen, ihrer Kritik und Ermutigung unterstützten. Sie la-
sen die Kapitel nicht als Wirtschaftswissenschaftler, sondern als besorgte
Bürger mit Hypotheken, Kindern, Rechnungen, die bezahlt werden müs-
sen, und mit dem Wunsch, eine Finanzwelt zu verstehen, die Kopf steht.
Ihre Kommentare machten das Buch besser. Danke Joan, Glen und Diane.

Es ist schlicht und ergreifend unmöglich, mit seinem Partner zusammen-

343
Danksagungen

zuleben und ein Buch zu schreiben, ohne den Partner in den Entstehungs-
prozess einzubeziehen. Man diskutiert, debattiert und streitet, weil man
das Buch lebt und atmet. Danke, Ann, für tausend Kleinigkeiten und die
große Aufgabe, mir dabei zu helfen, ein besserer Autor zu werden. Danke von
ganzem Herzen.

Jon Faust vom Johns Hopkins Center for Financial Economics und Sebasti-
an Mallaby vom Council on Foreign Relations schenkten mir großzügig ih-
re Zeit, lasen das Manuskript und versahen es mit fundierten Kommentaren.
Selbstverständlich sind die im Buch vorgetragenen Ansichten meine eige-
nen und nicht zwangsläufig ihre. Dank an beide.

Diesmal habe ich das Beste wirklich bis zum Schluss aufgehoben. Mein
Dank und der größte Respekt gebühren Will Rickards, dem Stolz der Uni-
versity of Colorado und der Taft School, der als msein Rechercheassistent
und Korrektor arbeitete. Klarheit und Kohärenz in diesem Buch sind seiner
anspruchsvollen und wachsamen Obhut zu verdanken. Falls trotzdem noch
Fehler verblieben sind, gehen sie allein auf mein Konto.

344
Anmerkungen
Ausgewählte Quellen
Artikel

Ahamed, Liaquat. »Currency Wars, Then and Now: How Policymakers Can void the Perils of
the 1930s.« Foreign Affairs, März/April 2011.
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M. Ebeling (Hrsg.), Auburn, AL: Ludwig von Mises Institute, 1996.
Von Neumann, John und Oskar Morgenstern. Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten.
Würzburg: Physica-Verlag, 1973. Aus dem Amerikanischen von M. Leppig.
Waldrop, Mitchell. Inseln im Chaos: Complexity, die Erforschung komplexer Systeme. Reinbek
bei Hamburg: Rowohlt, 1996. Aus dem Englischen von Anita Ehlers.
Watts, Duncan J. Six Degrees: The Science of a Connected Age. New York: Norton, 2003.
Whalen, Christopher R. Infated: How Money and Debt Built the American Dream. Hoboken:
Wiley, 2011.
Woodward, Bob. Greenspan: Dirigent der Weltwirtschaft. Hamburg: Europa Verlag, 2001. Aus
dem Amerikanischen von Bernhard Schmid.
Wriston, Walter B. The Twilight of Sovereignty: How the Information Revolution Is Trans­
forming Our World. New York: Charles Scribner’s Sons, 1992.
Yergin, Daniel und Joseph Stanislaw. Staat oder Markt: die Schlüsselfrage unserer Zeit. Frank-
furt/Main: Campus-Verlag, 1999. Aus dem Englischen von Andreas Simon.

356
Endnoten
1 »Q&A with Hu Jintao«, Wall Street Journal, 18. Januar 2011, http://online.wsj.com/article/SB
10001424052748703551604576085514147521334.html.
2 Die Angaben zur Geschichte und den Aktivitäten des Applied Physics Laboratory stammen
von der Homepage der Labors auf www.jhuapl.edu.
3 Die Einzelheiten zu dem vom Office of the Secretary of Defense (OSD) finanzierten und am
Warfare Analysis Laboratory des Applied Physics Laboratory durchgeführten Finanzplan-
spiels basieren auf den Erinnerungen und Notizen des Autors sowie auf den umfangreichen,
vom Applied Physics Laboratory zur Verfügung gestellten Materialien, darunter Tagesord-
nungen, Sitzpläne, Einladungs-E-Mails und den folgenden Spielmaterialien: »Economic and
Finance Game Player Book«, »Economic & Finance Game Mechanics«, »Economic & Fi-
nance Game Overview«, »Administrative Instructions – Global Economic Seminar 7–8 Oc-
tober 2008«, »Administrative Instructions – Global Economic & Finance Game Design
Planning Seminar 18–19 November 2008«, »Economic and Financial Game Baseline Scena-
rio – 17 March 2009«, »Global Economic Impacts on the DoD Final Report 31 March, 2010«
sowie »Global Economic Study: Appendix D: Economic Game 17–18 March 2009«.
4 Jonathan Wheatly, »Brazil in ›Currency War‹ Alert«, Financial Times, 27. September 2010.
5 Interview mit Dominique Strauss-Kahn, abgedruckt im Stern, 18. November 2010, www.imf.
org/external/np/vc/2010/111810.htm.
6 Diese ausführliche Diskussion des klassischen Goldstandards basiert auf Giulio M. Gallarot-
ti, The Anatomy of an International Monetary Regime: The Classical Gold Standard, 1880–
1914, New York: Oxford University Press, 1995.
7 Gallarotti, op. cit.
8 Michael David Bordo, »The Classical Gold Standard: Some Lessons for Today«, Federal Re-
serve Bank of St. Louis, Mai 1981.
9 Diese Darstellung der Panik von 1907 basiert auf Robert F. Bruner und Sean D. Carr, Sturm
an der Börse: die Panik von 1907. Weinheim: Wiley-VCH 2009.
10 Dieser Bericht über die Gründung des Federal Reserve System basiert auf Murray N. Roth-
bard, The Case Against the Fed, Auburn, Alabama: Ludwig von Mises Institute 1994.
11 Diese Darstellung der Verhandlungen über die Reparationen am Ende des Ersten Weltkriegs
basieren auf Margaret MacMillan, Paris 1919: Six Months That Changed the World, New
York: Random House 2001.

357
Endnoten

12 MacMillan, op. cit.


13 Wilson, Woodrow: Die neue Freiheit, ein Aufruf zur Befreiung der edlen Kräfte eines Volkes.
Aus dem Englischen von Hans Winand. München: Georg Müller Verlag 1914, S. 179.
14 Diese Darstellung der Hyperinflation in der Weimarer Republik von 1921 bis 1923 und ihrer
Auswirkungen auf die Menschen in Deutschland basiert auf Adam Fergusson, Am Ende des
Geldes: Hyperinflation und ihre Folgen für die Menschen am Beispiel der Weimarer Repub-
lik. München: FinanzBuch Verlag 2011.
15 Diese Darstellung der »Beggar-thy-neighbor«-Abwertungen in der Zwischenkriegszeit und
der internationalen Finanzkonferenzen, mit denen ihre Folgen gemindert werden sollten, ba-
siert auf Liaquat Ahamed, Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise
auslösten und die Welt in den Bankrott trieben. München: FinanzBuch Verlag 2010.
16 Für Darstellungen der amerikanischen Währungspolitik in den Jahren vor der Weltwirtschafts-
krise sowie zur Schlussfolgerung, dass die Geldpolitik der Federal Reserve unangemessen re-
striktiv war, siehe Milton Friedman und Anna Jacobson Schwartz, A Monetary History of the
United States, 1867–1960, Princeton: Princeton University Press 1963.
17 Für eine Darstellung der ersten Jahre von Franklin D. Roosevelts Präsidentschaft und seiner
Maßnahmen in Bezug auf Gold und das Bankensystem siehe Allan H. Meltzer, A History of
the Federal Reserve, Volume 1: 1913–1951, Chicago: University of Chicago Press 2003.
18 Executive Order 6102, 5. April 1933, www.presidency.ucsb.edu/ws/index.
php?pid=14611&st=&st1=#axzz 1LXd02JEK.
19 Sämtliche Angaben zum Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten nach United States
Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, National Economic Accounts Data,
www.bea.gov.
20 Sämtliche Angaben zu den Inflationsraten (Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vor-
jahr) in den Vereinigten Staaten nach United States Department of Labor, Bureau of Labor
Statistics, http://data.bls.gov.
21 Richard Roberts, »Sterling and the End of Bretton Woods«, XIV. International Economic His-
tory Congress, Universität Helsinki, Finnland, 2006.
22 »Money: De Gaulle v. the Dollar«, Time, 12. Februar 1965.
23 Brief von Karl Blessing an William McChesney Martin, 30. März 1967, Lyndon Baines John-
son Library and Museum, Austin, Texas, www.lbjlibrary.org. Für den deutschen Wortlaut des
Zitats siehe: http://www.mmnews.de/index.php/gold/7201-der-blessing-brief
24 »The Monetary System: What’s Wrong and What Might Be Done«, Time, 29. November
1968.

358
Endnoten

25 Richard M. Nixon, »Address to the Nation Outlining a New Economic Policy: ›The
Challenge of Peace‹«, 5. August 1971, www.presidency.ucsb.edu/ws/index.php?pid=3115#
axzz1LXd02JEK.
26 Jon Hilsenrath, »Fed’s Yellen Defends Bond-Purchase Plan«, in: Wall Street Journal vom 16.
November 2010, http://online.wsj.com/article/SB100014240527487036700045756170007
74399856.html.
27 Christina D. Romer, »The Debate That’s Muting the Fed’s Response«, in: New York Times
vom 26. Februar 2011, http://www.nytimes.com/2011/02/27/business/27view.html.
28 Eine ausführliche Erörterung und Geschichte der Veränderungen im Wechselkurs von Yuan
und Dollar findet sich in: Xiaohe Zhang, »The Economic Impact of the Chinese Yuan Revolu-
tion«, Arbeitspapier für die 18. Jahrestagung der Association for Chinese Economic Studies,
Australien, am 13. Juli 2006.
29 Die statistischen Angaben über die Entwicklung der US-Zinsen stammen von der Webseite
des Board of Governors of the Federal Reserve System, Economic Research & Data, http://
www.federalreserve.gov/econresdata/statisticsdata.htm.
30 »Deflation: Making Sure ›It‹ Doesn’t Happen Here«, Rede von Ben S. Bernanke vor dem Na-
tional Economists Club am 21. November 2002, http://www.federalreserve.gov/BOARD-
DOCS/SPEECHES/2002/20021121/default.htm.
31 Ebenda.
32 »Schumer: New Record Trade Deficit Indicates ›A Slow Bleeding At The Wrists For U.S.
­Economy‹, Shows Increasing Dependence On Countries Like China, Japan«, Pressemit­
teilung des Büros von United States Senator Charles E. Schumer vom 19. Februar 2006,
­http://schumer.senate.gov/new_website/record.cfm?id=259425.
33 Alle statistischen Angaben über die offiziellen Goldreserven stammen vom World Gold
Council, Investment Statistics, Changes in World Gold Reserves, http://www.gold.org/
­
government_affairs/gold_reserves.
34 »US and China agree to negotiate investment treaty«, Meldung der Associated Press vom
19. Juni 2008.
35 Die ausführliche Darstellung des Geflechts gegenseitiger Schuldverschreibungen euro­päischer
Staatsfinanzen durch Banken stammt aus: »Europe’s Web of Debt«, in: New York Times vom
1. Mai 2010, http://www.nytimes.com/interactive/2010/05/02/weekinreview/02marsh.html.
36 Die ausführliche Erörterung der brasilianischen Währungskrisen und Entwicklungen basiert
auf: Riordan Roett, The New Brazil, Washington, D.C, Brookings Institution 2010

359
Endnoten

37 Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim G20-Business-Summit in Seoul am 11.November 2010,


http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2010/11/2011-11-11-bk-g20-business
summitt.html.
38 David Rothkopf, Die Super-Klasse: Die Welt der internationalen Machtelite, München, Rie-
mann 2008, deutsche Übersetzung von Richard Barth.
39 Ebenda, S. 277ff.
40 »Erklärung der Staats- und Regierungschefs: Rahmen für robustes, nachhaltiges und aus­
gewogenes Wachstum«, Gipfeltreffen in Pittsburgh, 24./25. September 2009, Arbeitsüber­
setzung: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/G8G20/Anlagen/
G20-erklaerung-pittsburgh-2009-de.pdf ?__blob=publicationFile. Englisches Original unter:
www.cfr.org/world/g20-leaders-final-statement-pittsburgh-summit-framework-strong-sustai-
nable-balanced-growth/p20299.
41 Ebenda.
42 »Global Imbalances: Links to Economic and Financial Stability«, Rede von Fed-Präsident
Bernanke bei der Veranstaltung anlässlich der Vorlage des Finanzstabilitätsberichts der
Banque de France, Paris, am 18. Februar 2011, www.federalreserve.gov/newsevents/speech/
bernanke20110218a.htm
43 »Erklärung der Staats- und Regierungschefs «, G20-Gipfeltreffen in Seoul, 11./12. No-
vember 2010, Arbeitsübersetzung: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Statische
Seiten/Breg/G8G20/Anlagen/G20-seoul-gipfelerklaerung-de.pdf ?__blob=publicationFile.
Englisches Original unter: www.g20.utoronto.ca/2010/g20seoul.pdf.
44 Sun Tsu, Über die Kriegs-Kunst, Karlsruhe: Info Verlagsgesellschaft 1989, Übersetzung aus
dem Chinesischen von Klaus Leibnitz.
45 Bill Gertz, »Financial terrorism suspected in 2008 economic crash«, in: Washington Times
vom 28. Februar 2011, http://www.washingtontimes.com/news/2011/feb/28/financial-terro-
rism-suspected-in-08-economic-crash/?page=all.
46 Angaben über den Merkantilismus und die Geschichte der Englischen und Niederländischen
Ostindienkompanien stammen aus: Stephen R. Brown, Merchant Kings: When Companies
Ruled the World, 1600–1900, New York: St Martin’s, 2009.
47 »Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020«, bestätigt
durch Erlass Nr. 537 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 12. Mai 2009, DSS-Ar-
beitspapiere, Arbeitsübersetzung aus dem Russischen von Egbert Lemcke und Frank Preiß,
http://www.sicherheitspolitik-dss.de/ap/ap096000.pdf.
48 Qiao Lang und Wang Xiangsui, Unrestricted Warfare, Panama City: Pan American Publish-
ing, 2001.

360
Endnoten

49 Alfred Cang und Tom Miles, »China admits to building up stockpile of gold«, Reuters,
24. April 2009.
50 Alle Verweise auf Bagehots Prinzipien für die Arbeit einer Zentralbank stammen aus Walter
Bagehot, Das Herz der Weltwirtschaft: Die Lombarden-Straße, Essen: Baedeker 1920, hier
S. 125.
51 The Financial Crisis Inquiry Report: Final Report of the National Commission on the Causes
of the Financial and Economic Crisis in the United States, New York: Public Affairs 2011,
S. XVII.
52 »Fed Seeks Power to Issue Own Debt When Crisis Ebbs, Yellen Says«, Bloomberg, 26. März
2009.
53 Lars E. O. Svensson, »Escaping a Liquidity Trap and Deflation: The Foolproof Way and
Others«, Working Paper Nr. 10195, National Bureau of Economic Research, Dezember 2003.
54 Ebenda.
55 Christina D. Romer und Jared Bernstein, »The Job Impact of the American Recovery and
Reinvestment Plan«, Bericht des Council of Economic Advisors, 9. Januar 2009.
56 John F. Cogan, Tobias Cwik, John B. Taylor und Volker Wieland, »New Keynesian Versus
Old Keynesian Government Spending Multipliers«, Working Paper Nr. 14782, Nation-
al Bureau of Economic Research, Februar 2009, www.volkerwieland.com/docs/CCTW%20
Mar%202.pdf.
57 Siehe Charles Freedman, Michael Kumhof, Douglas Laxton, Dirk Muir und Susanna Mursula,
»Global Effects of Fiscal Stimulus during the Crisis«, Internationaler Währungsfonds, 25. Feb-
ruar 2010; Robert J. Barro und Charles J. Redlick, »Macroeconomic Effects from Government
Purchases and Taxes«, Working Paper Nr. 10-22, Mercatus Center, George Mason University,
Juli 2010; und Michael Woodford, »Simple Analytics of the Government Expenditure Multi-
plier«, Vortrag bei der Allied Social Sciences Association, 3. Januar 2010.
58 Carl F. Christ, »A Short-Run Aggregate-Demand Model of the Interdependence and Effects of
Monetary and Fiscal Policies with Keynesian and Classical Interest Elasticities«, The American
Economic Review 57, Nr. 2, Mai 1967.
59 Das Repräsentantenhaus hielt zu diesem Thema eine Anhörung ab, bei der unter anderem
Nassim Nicholas Taleb, der Autor von Der Schwarze Schwan, der Bankanalyst Christopher
Whalen und ich Aussagen unter Eid tätigten. Die Anhörung wurde vom Unterausschuss
für Kontrolle und Aufsicht im Ausschuss für Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie am
10. September 2009 abgehalten. Dass der Wissenschaftsausschuss zuständig war, liegt dar-
an, dass die VaR-Methode quantitativ und damit naturwissenschaftlich vorgeht; ich habe je-
doch erfahren, dass die eigentliche Initiative von Barney Frank ausging, dem Vorsitzenden des
Ausschusses für Finanzdienstleistungen. Frank wollte sich über die VaR informieren, ohne

361
Endnoten

dass Lobbyisten die Möglichkeit hatten, die Auswahl der Zeugen und Fragen im Ausschuss
für Finanz­dienstleistungen zu beeinflussen. Die Zeugen stimmten darin überein, dass die VaR
gravierende Mängel hat und erheblich zur Finanzkrise von 2007/2008 beitrug. Allerdings hat-
te die Anhörung wenig Einfluss auf die endgültige Form des Dodd-Frank-Act, da das Gesetz
keine Beschränkungen für die Verwendung der VaR vorsieht. Das Protokoll der Anhörung ist
einsehbar unter http://gop.science.house.gov/Hearings/Detail.aspx?ID=166.
60 Robert K. Merton, »The Self-Fulfilling Prophecy«, The Antioch Review 8, Nr. 2 (Sommer
1948), S. 193 – 210.
61 Diese Arbeiten bilden die Grundlage der Verhaltensökonomik und sind in zwei Büchern
zusammengefasst: Daniel Kahneman und Amos Tversky (Hg.), Choices, Values, and Frames,
Cambridge: Cambridge University Press 2000; und Daniel Kahneman u.a. (Hg.), Judgment
Under Uncertainty: Heuristics and Biases, Cambridge: Cambridge University Press 1982.
62 Die folgende ausführliche Analyse unter Berücksichtigung der Elemente Vielfalt, Verbunden-
heit, Interdependenz und Anpassungsfähigkeit stützt sich auf eine Reihe von Vorlesungen mit
dem Titel »Understanding Complexity«, die Professor Scott E. Page 2009 an der University
of Michigan hielt.
63 Die Diskussion über die fraktale Dimension von Börsenkursen basiert auf Benoît Mandelbrot
und Richard L. Hudson, The (Mis)Behavior of Markets: A Fractal View of Risk, Ruin, and
Reward, New York: Basic Books 2004.
64 Die Diskussion von Chaissons Theorie der Leistungs- und Energiedichte stützt sich auf
Eric J. Chaisson, Cosmic Evolution: The Rise of Complexity in Nature, Cambridge: Harvard
University Press 2001. Chaisson nennt für die Energiedichte, also die in einem Körper umge­
setzte Energie, folgende Werte:
Beispiele für die geschätzte Energiedichte

Struktur Ungefähres Alter Durchschnittliche фm


(109 Jahre) (ERG S –1 G–1)
Galaxien (Milchstraße) 12 0,5
Sterne (Sonne) 10 2
Planeten (Erde) 5 75
Pflanzen (Biosphäre) 3 900
Tiere (menschlicher Körper) 10–2 20 000
Gehirn (menschlicher Schädel) 10–3 150 000
Gesellschaft (moderne Kultur) 0 500 000

362
Endnoten

65 Joseph A. Tainter, The Collapse of Complex Societies, Cambridge: Cambridge University Press
1988.
66 Tainter, ebenda.
67 Zu Eichengreens Meinung über die Aussichten mehrerer Reservewährungen siehe Barry Ei-
chengreen, Exorbitant Privilege: The Rise and Fall of the Dollar and the Future of the Inter-
national Monetary System, Oxford: Oxford University Press 2011; und Barry Eichengreen,
»The Dollar Dilemma: The World’s Top Currency Faces Competition«, Foreign ­Affairs,
­September/Oktober 2009: S. 53 – 68.
68 Ben Bernanke, »The Macroeconomics of the Great Depression: A Comparative Approach«,
Journal of Money, Credit and Banking 27 (1995), S. 1– 28.
69 Ebenda. Bernankes Modell sieht folgendermaßen aus:
M1 = (M1/BASIS) x (BASIS/RES) x (RES/GOLD) x PGOLD x QGOLD
M1 = Die Geldmenge M1 (die sich im Umlauf befindlichen Banknoten und Münzen plus die
Einlagen der Geschäftsbanken)
BASIS = Basisgeld (die sich im Umlauf befindlichen Banknoten und Münzen plus die Reser-
ven der Geschäftsbanken)
RES = internationale Reserven der Zentralbank (Devisen plus Goldreserven) im Wert der Lan-
deswährung
GOLD = Goldreserven der Zentralbank im Wert der Landeswährung = PGOLD x QGOLD
PGOLD = offizieller Goldpreis in der Landeswährung
QGOLD = physische Menge (zum Beispiel in Tonnen) der Goldreserven

363
Stichwortverzeichnis
A Chaisson, Eric J. 289 – 292, 296, 351, 363
AIG 151, 177 Caughlin, Charles 111
Abwertungswettläufe 68, 70 China National Offshore Oil Company 160
Aegis-Raketenabwehrsystem 20 Christ, Carl F. 250, 346, 362
Aldrich, W. 80 ff. Churchill, Winston 103, 338
Andrew, Jackson 79 Citibank 31, 83, 151, 206
Andrew, Abraham Piatt 81 Citigroup 25, 165, 234, 345
Argentinien 72 f., 175, 203, 224 Clinton, Bill 27, 212
Aussgleichsmechanismus 76 CNBC 264, 343
Cogan, John F. 249, 346, 362
B
Bagehot, Walter 231 f., 350, 362 D
Baker, James A. 140 Davidson, Henry P. 83
Baker, Steve 343 Dawes, Charles 98
Bank of England 100 f., 145 Dawes, Plan 98
Bank of the United States 79 de Gaulle, Charles 123 f., 348
Bankenwesen 339 Deflation 13, 72, 76, 102 f., 105, 107, 112 –116,
Bankrott 70, 94, 113, 165, 167, 218, 230, 350, 359 150 ff., 187, 225, 288, 312 f., 319, 345, 347,
Banque du France 100, 317, 345, 350, 361 360, 362
Barro, Robert 250, 345, 362 Deng Xiaoping 146, 148
Basisgeld 241, 246, 316, 319 ff., 364 Denkfabrik 23, 26, 30, 55
Bear Stearns 25, 178, 264 Depression 13, 248, 313, 318
Beggar-the-World-Politik 313 Derivat 11, 27, 29, 145, 200, 228, 253, 281, 283,
Beggar-thy-Neighbor-Politik 58, 313, 359 298, 326, 337
Belgien 66, 86, 93, 105, 115 Deutsche Bundesbank 124
Bernanke, Ben 13 f., 151 f., 156, 159, 189, 191, Deutschland 66, 68, 73, 85 f., 89 ff., 93 ff., 98,
244 f., 261, 265 f., 312 – 317, 322, 345, 350, 102 ff., 115 f., 123 ff., 129, 133 f., 136, 147, 164,
360 f., 364 166 –169, 175, 192, 194, 327, 359
Bernstein, Jared 248 – 251, 349 f., 362 Devisenüberschüsse 23, 97, 100
Black, Fischer 253 Diversifizierung 154, 222 ff.
Blair, Dennis C. 36 Dollarkollaps 327, 330
Börse 150, 271 f., 328, 351, 358
Bretton Woods 118 f., 121 ff., 126, 129, 136 f., E
154 f., 189, 247, 301 f., 312, 324, 333, 348, Eichengreen, Barry 302 f., 312, 315, 346, 351, 364
351, 359 Einfuhrembargo 68
Bruttoinlandsprodukt 65, 120, 139, 179, 212, Einfuhrzölle 15, 140, 204, 252
238, 359 Emissionsgeschäft 337
Buffett, Warren 311 England 71, 73, 86, 95, 100 f., 144 f., 181, 296,
Burns, Arthur 136, 138 313, 323
Bush, George W. 159 f., 176 f., 180, 213 Entwicklungsländer 15, 184
Erdgas 39, 207, 213 ff., 223
C Erster Währungskrieg 7, 71, 89 ff., 93, 95, 97, 99,
Carter, Jimmy 12, 138 f., 233, 331, 333 101, 103, 105, 107, 109, 111, 113, 115, 117
CDS, Credit Default Swaps 26 Erster Weltkrieg 71, 84, 87

364
Stichwortverzeichnis

Europa 9 f., 41, 53, 59, 69 f., 102, 104 f., 124, 137, Große Depression 10, 71, 113, 203, 312, 318
155, 162 f., 166 –170, 189, 191 f., 195 f., 213 f., Gutfreund, John 26
296, 310, 320, 326 f., 334, 357
Europäische Zentralbank 195 H
Halliwell, Steve 31, 40, 343
F Hamilton, Alexander 79, 352
Fannie Mae 165 ff., 178, 213, 219, 342 Handelsblöcke 303
Federal Reserve Bank of New York 82, 332 Handelspartner 100, 129, 131 f., 169, 181, 199,
Federal Reserve Bank of St. Louis 74, 345, 358 300
Federal Reserve, U. S. 13, 58, 71, 78, 82 f., 88, Handelsüberschuss 153, 191 f., 221
138, 143, 229, 232 ff., 245, 257, 260, 283, 303, Haushaltsdefizit 252
307, 314, 316 f., 329 f., 332, 338 f., 345 Hedgefonds 22, 24 ff., 30 f., 33, 144 f., 162, 178,
Federal Reserve Act 82 228, 237, 256, 327, 330, 337, 351, 354
First National Bank of New York 81 Hemingway, Ernest 97, 283
First National City Bank of New York 83 Hightech-Blase 149 f.
Fort Knox, Kenntucky 59, 110 Hitler, Adolf 89
Frankreich 66, 73, 84 – 87, 89 f., 93 f., 99 f., 102 ff., Hoover, Herbert 89, 105, 356
113 –116, 123 ff., 127, 129, 134, 141, 166, 175, Hu Jintao 19, 358
191, 303, 313, 327, 345, 350 Hua Guofeng 146
Freddie Mac 166, 178, 219 Hughes, Charles Evans 112
Friedman, Milton 352 Hungersnöte 157
Hyperinflation 10, 12, 14, 89, 92 – 95, 116, 352,
G 359
G20 7, 75, 161, 172 –179, 181–185, 187, 189,
191–196, 199, 225, 230, 305 ff., 309, 324, 336, I
347, 361 IEEPA, International Emergency Economic
Gallarotti, Giulio M. 73, 352, 358 Powers Act 1977 331, 334
Gates, Robert 339 Indien 73, 173, 175, 193, 205, 225, 361
Gazprom 211 ff. Indonesien 70, 171, 173, 175, 189, 193
Geithner, Timothy 177 ff., 181, 185, 191 f., 195, Inflation 10, 13 ff., 59, 63, 72, 76, 89 – 92, 95, 98,
266, 299 f. 107, 112, 115, 119, 120, 122, 127 f., 135, 138 f.,
Geldschöpfung 12, 186, 241, 307 f., 310, 317, 322 141, 148, 158, 172 f., 185 –191, 216 f., 220, 225,
GE, General Electric 206 231, 238 ff., 242 – 245, 248, 252, 261 f., 267,
Gertz, Bill 200, 347, 361 283, 287 f., 305, 311, 313, 338, 347
Globalisierung 7, 11, 24, 39, 72, 199 – 207, 209, Investor 31, 254, 310
211, 213, 215, 217, 219, 221, 223, 225, 335 Iran 21, 154, 160, 208 f., 223 f., 226
GM, General Motors 151 Israel 21, 122, 169, 208, 353
Golddeckung 63, 72, 333 Italien 66, 85, 105, 123, 142, 166, 175
Gold-Devisen-Standard 77, 87, 96 f., 98 – 101,
104 f., 116 f., 129, 294, 320, 333 J
Goldenes Zeitalter 7, 63, 65, 67, 69, 71, 73, 75, 77, J.P. Morgan 78 – 83, 212, 219, 282
79, 81, 83, 85, 87 Jackson, Andrew 79
Goldman Sachs 151, 165, 206, 219 Johnson, Lyndon 119 f., 345, 353, 359
Goldpreis 102, 111 f., 115, 117, 122 f., 126 ff.,
132 f., 137 f., 154, 320 ff., 324, 333, 364 K
Goldreserven 49, 59, 72, 85, 98, 102, 110, 123 ff., Kanada 132, 141, 143, 175
127, 133, 155, 222, 224, 230, 237, 314, 316, Kadyrow, Ramsan 208
319 ff., 232, 333, 343, 360, 364 Kahneman, Daniel 255 f., 264 ff., 347, 353, 363
Goldvorräte 12, 48 f., 85, 110 f., 133, 333 Kapitalverkehr 171 ff., 201
Gramm, Phil 27 Kapitalverkehrskontrolle 12, 15, 104, 136, 171,
Greenspan, Alan 57, 149 –152, 156, 159, 357 202
Griechenland 164, 166, 168 f. Kennedy, John F. 31, 120

365
Stichwortverzeichnis

Keynes, John Maynard 227, 246 f., 250 f., 261, Niedrigzinspolitik 150, 159
267, 309 f., 324, 353 Nixon, Richard 11, 118, 128 ff., 132 –136, 139 f.,
Koch, Ed 237 155, 181, 194, 237, 252, 331, 333, 346, 348, 360
Konjunktur 70, 179, 187, 249, 319 Nordkorea 21, 46 – 49, 55, 154, 160, 220, 226
Konsum 65, 151, 179 –182, 242 f., 251, 267, 315 Norton, Charles 81, 83, 355 f.
Kräftemessen 13
Kreditfinanzierung 11 O
Kreditkapazität 306 O’Donnell, Bill 32, 200, 212, 342 f., 346 f., 361
Krugman, Paul 244 f., 315 Obama, Barack 11, 28, 160 f., 180, 184 f., 195,
Kuhn, Loeb & Company 80 f., 354 248, 310 ,346, 355
Kumhof, Michael 250, 347, 362 Öl 27, 39, 41, 190, 200, 203, 221, 223, 245, 312,
327, 329
L OPEC 55 f.
Lagarde, Christine 195 Österreich 73, 104
Lehman Brothers 104, 162, 165, 177
Leistunsbilanzüberschusspolitik 63 P
Liang, Qiao 218, 354 Page, Scott 269, 361, 363
Limbaugh, Rush 111 Panik 11, 25, 63 f., 75, 78 f., 81, 100, 104, 107,
Lula da Silva, Luiz Inácio 171 159, 228, 231 f., 241, 256 ff., 281, 305, 316,
318, 328 f.
M Papierwährung, goldbasiert 71, 74, 91, 95, 310,
MacMillan, Margareth 85, 354, 358 336
Madison, James 79 Pearl Harbor, finanziell 9, 144
Mandelbrot, Benoit 255, 277, 354, 363 Pentagon 20, 22, 31, 35, 38 f., 43, 50 ff., 58 f., 200,
Mantega, Guido 63 f., 72 339
Mao Zedong 146 Pépin, Jean-Luc 132
Markowitz, Harry 253 Periodensystem 312
Marktmanipulation 29 Peterson, Peter 26, 135, 346
Martin, William McChesney 124, 345, 359 Planspiel 9, 20 ff., 26 f., 54, 59, 339, 343
McCarthy, Cormac 334 Pompidou, Georges 134
Medwedew, Dmitry 212 Portfolio 4, 220, 253, 341
Meltzer, Alan 111, 354, 359 Preiskontrollen 11, 128
Merkantilismus 200, 204 ff., 218, 361 Produktivität 72, 74 f., 202, 239, 296 f., 325
Merkel, Angela 175, 361 Putin, Vladimir 52 ff., 212, 215, 224
Merril Lynch 25
Merton Robert K. 253, 263 R
Merton, Robert C. 253 Ray, Chris 22, 341, 355
Mexiko 113, 142, 175, 206, 226, 295 Reagan, Ronald 139
Miller, Alexey 212, 253 Refinanzierung 332
Miller, Merton 253 Reichsbank 90 – 93, 95
Mitgliedsstaaten 123, 164, 306, 308 Reichsmark 93 f., 104
Mittelsmänner 214 Reservewährung 53, 136, 174, 216, 223 ff., 283,
Modernisierungsschritte 207 301– 304, 307, 336
Morgenthau, Hernry 114 Rettungsaktion 12, 78, 166, 213, 231
Rezession 14 f., 24, 65, 70 f., 103, 127, 135, 137,
N 150, 158, 179, 244, 250, 294, 317
Nabucco 213 Rockefeller, John D., Jr. 80 f.
NASA 20 Rohstoffdeal 41
Naturkatastrophe 252, 292, 334 Rohstoffknappheit 218
Nettoexporte 66 f., 179 –182 Romer, Christina D. 143, 248 – 251, 349, 360, 362
Niederlande 73, 105, 115, 123, 155, 175, 296, Roosevelt, Franklin D. 58, 105 –112, 129, 252,
309, 327 331, 333, 355

366
Stichwortverzeichnis

Rothkopf, David 178, 355, 361 U


Rousseff, Dilma 172 UBS 25, 32 f., 74, 129, 149, 219, 266
Rubin, Robert 113 Unternehmertum 205
Russland-Zelle 29 Upham, Samuel 56
US-Staatsanleihen 153 f., 189, 207, 219 ff., 235,
S 328 f., 332
SAFE 222
Samuels, Nathaniel 130 V
Samuelson, Paul 253, 355 Vanderlip, Frank 81, 83
Sarkozy, Nicolas 176 f., 192, 225 Verbindlichkeiten 72, 91, 236
Säuberungsaktionen 107 Vereinte Nationen 193, 224
Schacht, Hjalmar 93 Verkaufsanweisungen 329
Schiff, Jacob H. 80 Vermögensbildung 179, 205
Scholes, Myron 253, 342 Volcker, Paul 136, 138 f.
Schuldenkrise 10, 307, 310 Volkswirtschaften 15, 72, 90, 95, 128, 143 f., 163,
Schumer, Charles E. 152, 159, 360 175, 250, 320, 325
Schwartz, Alan 264, 352, 359
Schweizer Privatbanken 25 W
Selbstorganisation 290, 293, 303 Währungsabwertungen 59, 115, 164
Shakespeare, William 300 Währungsfonds, IWF 12, 119, 129, 299, 308 f.,
Shultz, George P. 136 347 ff., 362
Silber 210, 245, 327, 330 Währungskorb 246 f., 304 ff.
Slovic, Paul 264 Warburg, Paul 81 f.
Smith, Adam 205, 352, 359 Wechselkursrisiken 338
Soros, George 145 Weltbank 144, 225, 307
Spanien 73, 123, 164, 167 f., 175, 226, 288, Weltgeld 304
326 f. Welthandel 63, 87, 89, 126, 205, 225, 334 f.
Stagflation 138 Weltwirtschaftskrise 12, 58 f., 63, 90, 105, 114, 116,
Stiglitz, Joseph 308, 349 135, 226, 231 f., 312, 314 f., 317, 350, 353, 359
STRATCOM, U.S. Strategic Command 22 Wertaufbewahrungsmittel 291, 304, 333, 339
Strauss-Kahn, Dominque 63, 184, 195, 358 Wertpapierhändler 327, 337
Strong, Benjamin 83, 347, 361 Wilson, Woodrow 89, 145, 359
Südkorea 29, 171, 173, 175, 189 Woodford, Michael 250, 349, 362
Sun Tzu 199, 361 Worst-Case-Szenario 16, 298
SZR 12, 15, 127 f., 132, 225, 304 f. Wriston, Walter 202, 357

T X
Taft, William H. 80, 344 Xiangsui, Wang 218, 354, 361
Tainter, Joseph A. 289, 291 ff., 295 f., 356, 364
Taiwan 24, 29, 54 f., 144, 173, 220 Y
Taleb, Nassim Nicholas 272 f., 356, 362 Yellen, Janet 143, 235, 347, 350, 360, 362
Tarnfirmen 27
Tauss, Randy 22, 341 Z
Taylor, John 249, 338, 342, 346, 349, 362 Zahlungsmittel 9, 93, 108, 209, 232, 285, 304, 333
Taylor-Regel 338 Zahlungsverkehr 126, 324
Tobin, James 253 Zentralbanken 24, 74 ff., 79, 96 f., 99, 101, 115,
Tomahawk-Marschflugkörper 20 121 f., 126 f., 128, 141, 144, 153, 173, 195, 210,
Transaktionen 67, 77, 115, 143, 212, 222, 230, 259, 282, 300, 303, 310, 314, 316 ff., 320, 322,
292, 304, 306, 332 325, 328 f., 338
Treuhandverwaltungen 25 Zhou Enlai 146
Tversky, Amos 255 f., 264, 353 Zoellick, Robert 225, 311
Tymoschenko, Julija Zweite Weltkrieg 116, 144

367
Die Zukunft des Euros und
des Dollars
Daniel D. Eckert

Der Euro ist die große Unbekannte im internationalen


Devisengefüge. Schwere Konstruktionsfehler drohen die
Währungsunion zu sprengen. Wird es die Gemein-
schaftswährung in fünf oder zehn Jahren noch geben?

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