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KRIEG
Der Kampf um die
monetäre Weltherrschaft
JAmes
RICKARDS
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1. Auflage 2012
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anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwen-
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Teil 1 K riegsspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
T eil 2 Währungskriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter . . . . . . . . . 63
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) . . . . . . . . . . . 89
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) . . . . . . . . . 118
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) .. . . . . . . . . . . . . . . 143
Kapitel 7 – Die G20-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Anmerkungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
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Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert
Als ich mich Ende 2009 daran machte, mein Buch »Weltkrieg der Währun-
gen« zu schreiben, war die Vorstellung, dass Dollar, Euro und Yuan von den
Regierungen als Kampfmittel genutzt werden, den meisten Bürgern noch
fremd. US-Militärstrategen waren gedanklich schon einen guten Schritt
weiter als die Öffentlichkeit: Zu der Zeit fragten die Verteidigungsexperten
den Wall-Street-Berater James Rickards, ob er für sie eine geheime Simulati-
on mitgestalten könne. In diesem Kriegsspiel waren die Vereinigten Staaten
und vor allem der Dollar das Ziel eines großangelegten finanziellen Angriffs.
Der alte Gegner Russland und vor allem China hatten es, so wurde dar-
in simuliert, darauf abgesehen, die Leitwährung zu zerstören. Seine Erfah-
rungen in dem Planspiel Währungskrieg haben Rickards zu einem eigenen
Buch inspiriert. Seiner Beschreibung der virtuellen Attacke auf den Dollar –
er nennt es finanzielles Pearl Harbor – liest sich spannend wie ein Krimi und
sei jedem Leser ans Herz gelegt. Der Ausgang des Kriegsspiels soll an dieser
Stelle nicht verraten werden, nur so viel: Jeder von uns ist betroffen, jeder
von uns wird dafür bezahlen – eine Diagnose, zu der auch ich in »Weltkrieg
der Währungen« (FinanzBuch Verlag) komme, das jetzt in überarbeiteter
und erweiterter Neuauflage vorliegt.
Heute ist der Währungskrieg eine anerkannte Realität, so geschickt ihn die
offiziellen Stellen auch zu verbergen suchen. Die Machtzentralen der füh-
renden Wirtschaftsblöcke USA, Europa und China manipulieren ihre Zah-
lungsmittel, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen. Ebenso wie die
wichtigen Nebenakteure Japan, Großbritannien, Russland und die Schweiz
nehmen sie in Kauf, dass der Wert des Geldes zerrüttet wird. In diesem
riskanten Spiel ums Welt-Geld scheinen die USA die Nase vorn zu ha-
ben. Washington ist es gelungen, seine Währung abzuwerten, den anderen
»Wachstum zu stehlen« (wie Rickards es nennt), ohne Verwerfungen an den
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Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert
Heute liegt ein dritter Weltkrieg der Währungen in der Luft. Der Wohlstand
der Welt steht auf dem Spiel. Daher kann es gar nicht genug intelligente Bü-
cher über den Währungskrieg geben. Der Schlagabtausch, der sich im Ver-
borgenen abspielt, muss an die Öffentlichkeit. Der US-Bürger Rickards be-
schreibt diesen Konflikt aus amerikanischer Perspektive. Ihn beschäftigt vor
allem die Frage, wie dem Dollar angesichts der Mammutverschuldung der
USA eine Hyperinflation erspart bleiben kann. Uns Europäern bietet die-
ses Buch gleichwohl viel Aufschlussreiches. Denn je mehr der Weltkrieg der
Währungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln ausgeleuchtet wird, je mehr
Menschen die Formationen der monetären Schlachtordnung kennen, desto
besser. Auf diese Weise wird es den kriegstreibenden Parteien auch in Eu-
ropa schwerer fallen, unser Geld für ihre Zwecke zu manipulieren und die
Weltordnung ins Wanken zu bringen.
Daniel Eckert, Autor von »Weltkrieg der Währung«, Berlin im März 2012
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Vorwort
Am 15. August 1971, einem ruhigen Sonntagabend, trat Präsident Ni-
xon in der beliebtesten Fernsehshow des Landes vor die Kameras, um den
Amerikanern seine New Economic Policy vorzustellen. Die Regierung ver
hängte nationale Lohn- und Preiskontrollen, setzte einen Aufschlag auf
Importe fest und hob die Dollarkonvertibilität zum Gold auf. Durch ei-
nen seit längerem schwelenden Währungskrieg, der das Vertrauen in den
US-Dollar erschüttert hatte, war das Land in eine Krise gestürzt und der
Präsident zu dem Schluss gekommen, dass die Lage extreme Maßnahmen
erforderte.
Heute sind wir in einen neuen Währungskrieg verstrickt und bahnt sich ei-
ne neuerliche Krise des Vertrauens in den Dollar an. Dieses Mal werden die
Konsequenzen weitaus schlimmer sein als jene, mit denen Nixon sich sei-
nerzeit konfrontiert sah. Die voranschreitende Globalisierung und das ex-
plosive Wachstum der Derivate und der Kreditfinanzierung in den vergan-
genen 40 Jahren haben dafür gesorgt, dass finanzielle Panikreaktionen und
Epidemien praktisch nicht mehr begrenzt werden können.
Die neue Krise wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Devisenmärkten
beginnen und rasch auf die Aktien-, Anleihen- und Rohstoffmärkte über-
greifen. Wenn der Dollar kollabiert, werden auch die in Dollar geführten
Märkte kollabieren und die Panik sich rasch auf die gesamte Welt ausweiten.
11
Vorwort
in Anspruch genommen worden war. Dieser neue Plan könnte sogar eine
Rückkehr zum Goldstandard beinhalten. Falls Gold als Sicherheit verwen-
det wird, wird sein Preis gegenüber heute um ein Vielfaches höher festge-
setzt werden, um die aufgeblähte Geldmenge mit der verfügbaren Quanti-
tät an Gold absichern zu können. Amerikaner, die in Gold investiert haben,
werden eine »Spekulationssteuer« in Höhe von 90 Prozent auf ihren unver
hofften Neureichtum entrichten müssen, verhängt im Namen der Gerechtig-
keit. Das Gold, das die Europäer und Japaner derzeit in New York deponiert
haben, wird konfisziert und in den Dienst der New Dollar Policy gestellt
werden. Natürlich werden die Europäer und Japaner für ihr abhanden
gekommenes Gold entsprechende Zertifikate erhalten, die sie dann zu
neuen, höheren Kursen in »New Dollar« konvertieren können.
Alternativ könnte der Präsident sich gegen eine Rückkehr zum Gold ent-
scheiden und stattdessen mit einer Mischung aus Kapitalverkehrskontrollen
sowie einer globalen Geldschöpfung durch den Internationalen Währungs-
fonds (IWF) für frische Liquidität sorgen und die Situation stabilisieren.
Diese weltweite Rettungsaktion durch den IWF wird nicht mit alten, nicht
konvertierbaren US-Dollar geschehen, sondern in einer neu gedruckten
globalen Währung namens SZR. Das Leben wird weitergehen, aber das in-
ternationale Währungssystem wird nicht mehr dasselbe sein.
Das sind keine weit hergeholten Spekulationen. Das alles hat es schon ein-
mal gegeben. Immer wieder sind Papierwährungen kollabiert, wurden Ver-
mögenswerte eingefroren, Goldvorräte konfisziert und Kapitalverkehrskon-
trollen verhängt. Auch die Vereinigten Staaten waren davor nicht gefeit, im
Gegenteil, sie haben von den 1770er- bis in die 1970er-Jahre durch Un-
abhängigkeitskrieg, Bürgerkrieg, Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation
in der Carter-Ära hindurch immer wieder aktiv die Abwertung des Dollars
betrieben. Die Tatsache, dass die Währung nun schon seit einer Generati-
on nicht mehr kollabiert ist, ist nur ein Indiz dafür, dass der nächste Crash
überfällig ist. Das hat nichts mit Vermutungen zu tun – die Voraussetzungen
dafür sind bereits erfüllt.
12
Vorwort
Unter ihrem Vorsitzenden Ben Bernanke hat sich die US-Notenbank Fe-
deral Reserve auf die größte Wette in der Finanzgeschichte eingelassen. Ab
2007 kämpfte die Fed mithilfe einer Senkung der kurzfristigen Zinssätze
und großzügiger Kreditvergabe gegen den drohenden ökonomischen Kol-
laps an. Irgendwann war der Zinssatz auf null gefallen, und es sah aus, als
hätte die Fed keine Kugeln mehr im Magazin.
Doch dann, 2008, fand die Fed eine neue Kugel: die quantitative Locke-
rung. Die Fed beschreibt das Programm zwar als eine Lockerung der
finanziellen Rahmenbedingungen durch die Reduzierung der langfris-
tigen Zinssätze, tatsächlich aber handelt es sich um nichts anderes als das
Drucken von frischem Geld mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum anzu-
kurbeln.
Beim Tauziehen ist das Seil das Medium, über das die Zugkräfte zwischen
beiden Seiten übertragen werden. Um eben dieses Seil geht es in diesem
Buch. In dem Wettstreit zwischen Inflation und Deflation ist der Dollar das
Seil. Der Dollar trägt die ganze Belastung der einander entgegengesetzt wir-
kenden Kräfte und überträgt diese Belastung auf die gesamte Welt. Am Wert
des Dollar lässt sich ablesen, wer bei diesem Kräftemessen den Sieg davon-
trägt. Bei diesem Tauziehen handelt es sich allerdings keineswegs um einen
sportlichen Wettkampf, sondern um einen ausgewachsenen Währungskrieg
13
Vorwort
und einen Angriff auf den Wert aller Aktien, Anleihen und Wirtschaftsgüter
auf der Welt.
In der für die Fed besten allen möglichen Welten steigen die Vermögens-
werte, werden die Banken gesünder, schmilzt die Staatsverschuldung, und
keiner scheint etwas davon zu merken. Doch indem er in einem beispiello-
sen Maß frisches Geld drucken lässt, ist Bernanke zu einem Pangloss des
21. Jahrhunderts geworden, der auf das Beste hofft, ohne jedoch auf das
Schlimmste vorbereitet zu sein.
Es besteht die sehr reale Gefahr, dass die Gelddruckerei der US-Notenbank
unvermittelt in eine Hyperinflation umschlägt. Selbst wenn die Inflation
die Verbraucherpreise unberührt lässt, kann sie sich in den Vermögensprei-
sen niederschlagen und zu Blasen bei Aktien, Rohstoffen, Immobilien und
anderen »harten« Vermögenswerten führen – Blasen, die wie die Internet
blase 2000 oder die Immobilienblase 2007 früher oder später platzen wer-
den. Die Fed behauptet zwar, über die Instrumente zu verfügen, um eben
das zu verhindern, aber diese Instrumente sind bislang weder unter solchen
Umständen noch in einem derart großen Maßstab angewendet worden.
Die Heilmittel der Fed – höhere Zinssätze und knappes Geld – können auf
direktem Wege in genau die Art von Abschwung führen, die zu vermeiden
sich die Fed eigentlich auf die Fahne geschrieben hat. Die US-Wirtschaft
balanciert auf Messers Schneide zwischen Rezession und Hyperinflation.
Millionen von Investoren, Unternehmen und Arbeitnehmern in den USA
fragen sich, wie lange die Fed die Balance noch halten kann.
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Vorwort
bereits heute im Ausland. Wenn die USA Dollar drucken, führt das zu ei-
nem Anstieg der Inflation in China, zu steigenden Nahrungsmittelpreisen
in Ägypten und zu Aktienblasen in Brasilien. Mit dem Rückgriff auf die
Notenpresse werten die USA ihre Schulden ab und werden ausländische
Schuldner mit billigeren Dollar bedient. Die Abwertung der US-Währung
verschärft in Entwicklungsländern die Arbeitslosigkeit, da ihre Exporte für
Amerikaner teurer werden. Die daraus resultierende Inflation bewirkt zu-
dem ein Anziehen der Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Erdöl, Mais und
Weizen, auf die die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer angewiesen
sind. Kein Wunder, dass die ersten Länder schon dabei sind, sich mit Ins-
trumenten wie Subventionen, Einfuhrzöllen und Kapitalverkehrsbeschrän-
kungen gegen die von den USA exportierte Inflation zur Wehr zu setzen.
Der Währungskrieg breitet sich rasch aus.
Dass die Fed im Billionen-Maßstab Dollar drucken lässt, mag ein neu-
es Phänomen sein, Währungskriege sind es nicht. Währungskriege gab es
schon zuvor – allein im 20. Jahrhundert zwei –, und noch jedes Mal sind sie
schlecht ausgegangen. Im besten Fall zeigen Währungskriege das traurige
Spektakel von Ländern, die von ihren Handelspartnern Wachstum stehlen.
Im schlimmsten Fall arten sie zu einem Wechselspiel aus Inflation, Rezes-
sion, Vergeltung und tatsächlicher Gewalt aus, wenn der Wettlauf um Res-
sourcen mit Invasionen und Kriegen endet. Die historischen Präzedenzfälle
sind schon ernüchternd genug, aber die Risiken heute sind noch größer, ex-
ponentiell gesteigert durch das Ausmaß und die Komplexität der weltweiten
finanziellen Vernetzung und Verflechtung.
Rätselhaft für viele Beobachter ist das krasse Unvermögen der Ökono-
men, die wirtschaftlichen Katastrophen der letzten Jahre vorherzusagen, ge-
schweige denn zu verhindern. Ihre Theorien haben nicht nur das Unglück
nicht abgewendet, sondern sie verschlimmern die Währungskriege sogar
noch. Die neuesten Lösungsvorschläge der Ökonomen, wie die Einführung
einer neuer globalen Währung namens SZR, bergen versteckte neue Gefah-
ren, ohne dabei auch nur ein einziges der aktuellen Dilemmata zu lösen.
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Vorwort
16
Teil 1
K riegsspiele
Kapitel 1 –
Kriegsvorbereitungen
»Das gegenwärtige internationale Währungssystem ist ein Produkt der
Vergangenheit.«1
Hu Jintao,
Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas,
16. Januar 2011
Das Applied Physics Laboratory, auf gut 160 Hektar ehemaligem Acker-
land halbwegs zwischen Baltimore und Washington D.C. gelegen, gehört zu
den Kronjuwelen in dem von den USA unterhaltenen System streng gehei-
mer Hightech-Laboratorien für angewandte Physik und Waffenforschung.
Die Einrichtung arbeitet eng mit dem Verteidigungsministerium zusammen,
und zu ihren Spezialgebieten gehören fortschrittliche Waffensysteme und
Weltraumerkundung. Mitarbeiter des Labors erzählen Besuchern gerne mit
Stolz, dass sich entweder auf der Oberfläche oder doch zumindest in unmit-
telbarer Nähe des Mondes und jedes einzelnen Planeten im Sonnensystem
ein vom APL entwickeltes Gerät befindet.
Das Applied Physics Laboratory wurde 1942 kurz nach dem japanischen
Angriff auf Pearl Harbour in aller Eile aufgebaut, um mithilfe angewandter
Wissenschaft die Entwicklung neuer Waffen voranzutreiben. Ein Großteil
der Waffen, die das US-Militär in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs
benutzte, war entweder veraltet oder wirkungslos. Das Labor war ursprüng-
lich in einer ehemaligen Gebrauchtwagenhandlung an der Georgia Avenue
in Silver Spring, Maryland, untergebracht, die das Kriegsministerium re-
quiriert hatte. Von Anfang an unterlag das Labor der Geheimhaltung, auch
wenn sich die Sicherheitsmaßnahmen im Gegensatz zu den hochempfindli-
chen Sensoren und mehrstufigen Sicherheitsbereichen, die das Labor heute
19
Teil 1 Kriegsspiele
Über die Waffen- und Weltraumforschung hinaus hat die Tätigkeit des
Applied Physics Laboratory für das amerikanische Militär immer schon
auch eine ausgeprägte intellektuelle und strategische Komponente auf-
gewiesen. Eine herausragende Stellung unter diesen abstrakteren Funk-
tionen des APL nimmt das Warfare Analysis Laboratory ein, eine der
US-weit führenden Einrichtungen für Planspiele und strategische Pla-
nung. Dank seiner Nähe zu Washington D.C. wird das Labor gerne für
Kriegführungssimulationen verwendet. Im Laufe der Jahrzehnte sind dort
zahlreiche Kriegsplanspiele durchgeführt wurden. Eben aus diesem Grund,
zur Durchführung eines vom Pentagon in Auftrag gegebenen Planspiels, ka-
men an e inem regnerischen Morgen im März 2009 rund 60 Experten aus
Militär-, Nachrichtendienst- und Wissenschaftskreisen im APL zusam-
men.3 Dieses Planspiel jedoch sollte anders sein als jedes andere vom US-
Militär bis dahin durchgeführte. Laut Einsatzregeln war die Verwendung
von, wie das Militär dazu sagt, »kinetischen Mitteln« – sprich Dingen, die
schießen oder explodieren – verboten. Keine amphibischen Invasionen,
keine Special Forces, keine Zangenbewegungen von Panzerverbänden. Das
Pentagon wollte einen globalen Finanzkrieg durchspielen, bei dem nicht
Schiffe und Flugzeuge, sondern Währungen und Kapitalkonten zum Ein-
satz kommen.
20
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die militärische Dominanz der Verei-
nigten Staaten bei konventionellen und fortschrittlichen High-Tech-Waf-
fensystemen sowie in dem, was die Militärs als 4CI bezeichnen – command,
control, communications, computers und intelligence, also Kommando, Kon-
trolle, Kommunikation, Computer und Informationsbeschaffung –, so über-
ragend, dass kein feindliches Land es wagen würde, sie offen herauszufor-
dern. Das heißt nicht, dass Kriege damit unmöglich geworden wären. Ein
Schurkenstaat wie Nordkorea könnte einen militärischen Zwischenfall zum
Anlass für einen größeren Angriff nehmen, ohne Rücksicht auf die drohen-
den Konsequenzen. Und die USA könnten in einen Krieg zwischen Län-
dern wie etwa dem Iran und Israel hineingezogen werden, sollten sie ihre
nationalen Interessen bedroht sehen. Abgesehen von solchen Sondersitua-
tionen aber erscheint eine konventionelle militärische Auseinandersetzung
mit den USA wegen ihrer drückenden Überlegenheit höchst unwahrschein-
lich. Infolgedessen haben rivalisierende Nationen und transnationale Akteu-
re wie die Dschihadisten sich in zunehmendem Maße auf den Ausbau ih-
rer Fähigkeiten in der nichtkonventionellen Kriegsführung konzentriert, zu
der Cyberwarfare, biologische und chemische Waffen, andere Massenver-
nichtungswaffen und eben in neuester Zeit auch finanzielle Waffen zählen.
Das Finanzplanspiel war der erste Versuch des Pentagons, eine Vorstellung
davon zu erlangen, wie sich ein tatsächlicher Finanzkrieg abspielen könnte
und welche Lehren daraus zu ziehen sind.
Die Vorbereitungen für das Planspiel zogen sich über mehrere Monate hin,
und ich war an den Strategiesitzungen und dem Spielaufbau beteiligt, die
der eigentlichen Simulation vorausgingen. Auch wenn ein gut gestaltetes
Planspiel darauf angelegt ist, unerwartete Resultate zu liefern und die Un-
wägbarkeiten eines realen Krieges zu simulieren, erfordert es dennoch einen
Ausgangspunkt und Regeln, wenn es nicht ins Chaos abgleiten soll. Die Si-
mulationsplaner vom APL gehören weltweit zu den Besten des Faches, aber
dieses Finanzspiel erforderte zum Teil völlig neue Ansätze und nicht zuletzt
ein Wall-Street-Expertenwissen, das dem typischen Physiker oder Militär-
planer abgeht. Diese Lücke zu füllen, war meine Aufgabe.
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Teil 1 Kriegsspiele
Meine Verbindung mit dem Labor reicht in den Dezember 2006 zurück,
als ich in Omaha, Nebraska, an einem vom U.S. Strategic Command, kurz
STRATCOM, ausgerichteten Strategieforum teilnahm. Ich hielt dort einen
Vortrag über eine neue Methode namens »Market Intelligence« beziehungs-
weise, wie Informationsexperten dazu sagen, MARKINT, bei der es darum
geht, Kapitalmärkte auf handlungsrelevante Informationen über die Absich-
ten der Marktteilnehmer hin zu analysieren. Hedgefonds und Investment-
banken nutzen derartige Methoden seit vielen Jahren, um sich Informati-
onsvorsprünge im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen und
staatlichen Politikwechseln zu verschaffen. Zusammen mit meinen Partnern,
Chris Ray, einem erfahrenen Optionshändler und Risikomanager, und Ran-
dy Tauss, der kurz zuvor nach 35 Jahren bei der CIA in Pension gegan-
gen war, hatte ich neue Methoden erkundet, diese Verfahren im Bereich der
nationalen Sicherheit einzusetzen, um potenzielle Terrorangriffe im Voraus
identifizieren und Angriffe auf den US-Dollar frühzeitig erkennen zu kön-
nen. An der Veranstaltung in Omaha hatten auch mehrere Mitglieder des
APL Warfare Analysis Lab teilgenommen, die mich später kontaktierten
und wissen wollten, ob wir uns vorstellen könnten, an einer Integration der
MARKINT-Konzepte in ihre Forschungen mitzuarbeiten.
So kam es nicht völlig überraschend, als ich im Sommer 2008 einen An-
ruf erhielt und zu einem vom Büro des Verteidigungsministers finanzierten
und vom APL ausgerichteten Seminar zum globalen Finanzmarkt eingela-
den wurde. Erklärtes Ziel des für September anberaumten Seminars war es,
»die Auswirkungen globaler Finanzaktivitäten auf nationale Sicherheitsfra-
gen zu untersuchen«. Dieses Seminar gehörte zu einer ganzen Seminarreihe,
die das Büro des Verteidigungsministers für den Spätsommer und Herbst
2008 als Vorbereitung auf das eigentliche Finanzplanspiel anberaumt hatte.
Die Leute vom Pentagon wollten wissen, ob ein solches Planspiel überhaupt
möglich und sinnvoll war. Zum Beispiel mussten sie sich Gedanken über
die passenden »Teams« machen. Sollten die Teams Länder sein, Staats-
fonds, Banken oder eine Mischung aus allem? Außerdem mussten sie über
unwahrscheinliche, aber dennoch plausible Szenarien nachdenken, die die
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Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
Spieler umsetzen konnten. Eine Liste mit Experten musste erstellt werden,
die als Teilnehmer infrage kamen, wobei möglicherweise auch Leute rekru-
tiert werden mussten, die bislang noch keine Erfahrungen mit Planspielen
hatten. Und schließlich mussten auch noch die Regeln für die eigentliche
Simulation festgelegt werden.
Zum Schutz der höchst sensiblen Arbeit, die in dem Labor stattfindet, sind
die Sicherheitsprozeduren für Besucher dort ebenso streng wie in ande-
ren von der US-Regierung betriebenen Militär- oder Geheimdiensteinrich-
tungen. Sie beginnen mit Vorabuntersuchungen und der Überprüfung des
Hintergrunds. Unmittelbar nach der Ankunft werden die Besucher in zwei
Kategorien unterteilt – »Keine Begleitung« oder »Begleitung erforderlich« –
und erhalten je nachdem verschiedenfarbige Anstecker. In der Praxis macht
sich der Unterschied zwar hauptsächlich bei Ausflügen zur Kaffeemaschine
bemerkbar, aber die implizite Übereinkunft ist, dass die Träger der »Keine-
Begleitung«-Buttons eine aktuelle Sicherheitsfreigabe der höchsten Stufe
von ihren jeweiligen Behörden oder Arbeitgebern besitzen müssen. Black-
berrys, iPhones und andere digitale Geräte müssen im Sicherheitsbüro ab-
gegeben werden, wo man sie beim Verlassen der Anlage wieder abholen
kann. Röntgenscanner, Metalldetektoren, abgestufte Sicherheitszonen und
bewaffnete Posten sind Routine. Hat man erst einmal alle Kontrollen durch-
laufen, befindet man sich wahrhaftig im Inneren des militärisch-industriel-
len Komplexes.
23
Teil 1 Kriegsspiele
24
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
In meinem Vortrag konzentrierte ich mich auf die Schattenseiten der Staats-
fondsinvestments, ihre Möglichkeit, mithilfe von Tarngesellschaften wie
Trusts, Treuhandverwaltungen, Schweizer Privatbanken und Hedgefonds
zu agieren. Diese erfüllen die gleiche Funktion wie das, was man im Ge-
heimdienstjargon »Verbindungsoffizier« nennen würde. Im Schutze solcher
Fassadengesellschaften können Staatsfonds dazu benutzt werden, miss-
bräuchlichen Einfluss auf Zielunternehmen zu gewinnen, zum Beispiel, um
Technologien zu stehlen, neue Projekte zu sabotieren, die Konkurrenz zu
ersticken, Angebotsabsprachen zu treffen oder Märkte zu manipulieren. Ich
behauptete nicht, dass derartige Aktivitäten weit verbreitet oder gar die Re-
gel wären, nur dass sie möglich sind und die Vereinigten Staaten geeignete
Maßnahmen zum Schutz ihrer nationalen Interessen ergreifen sollten. Über
diese konkreten Bedrohungen hinaus warnte ich vor einer noch weit grö-
ßeren potenziellen Gefahr: der Gefahr eines umfassenden Angriffs auf die
westlichen Kapitalmärkte, um den Motor der kapitalistischen Gesellschaft
lahmzulegen. Meine Präsentation enthielt Kennziffern und Systemspezifi-
zierungen, anhand derer sich das Verhalten von Staatsfonds überwachen,
hinter den Kulissen vorbereitete böswillige Aktionen erkennen und die An-
griffspunkte des Finanzsystems – sozusagen die Suezkanäle und Straßen
von Hormus des Informationszeitalters – identifizieren lassen, sodass man
sie zur Verhinderung oder Abwehr künftiger Finanzattacken überwachen
konnte.
25
Teil 1 Kriegsspiele
Einen Monat später, im Oktober, kam die Kerngruppe der Experten noch-
mals im Labor zusammen, um das Finanzplanspiel weiterzuentwickeln. Zu-
sätzlich zu den Gastgebern vom APL und den Projektförderern vom Verteidi-
gungsministerium waren diesmal auch Repräsentanten weiterer Ministerien,
darunter des Handels- und Energieministeriums, mehrerer Universitäten,
des Naval War College, mehrerer Denkfabriken einschließlich des Peterson
Institute und der RAND Corporation sowie weiterer Forschungslabore und
ein paar hochrangige Militärs vom Generalsstab anwesend.
Allerdings fehlten, wie mir auffiel, Experten, die Erfahrungen mit den Ka-
pitalmärkten hatten. Ich war der Einzige im Raum, dessen Lebenslauf eine
längere Karriere an der Wall Street enthielt und der Zeit in Investmentban-
ken, Hedgefonds und an Börsen verbracht hatte. Wenn wir einen Finanz-
krieg durchspielen wollten, brauchten wir Leute, die wussten, wie man Fi-
nanzwaffen einsetzt – wie Front Running, Insiderinformationen, Gerüchte,
die Vortäuschung eines hohen Handelsvolumens durch Ringhandel, Short
Squeezes und die ganzen anderen Tricks und Kniffe, mit denen an der Wall
Street operiert wird. Wir brauchten Leute, die, um es mit den unsterbli-
chen Worten der Bankerlegende John Gutfreund zu formulieren, bereit wa-
ren, »einem Bären in den Hintern zu beißen«, wenn es um den Handel mit
Währungen, Aktien und Derivaten geht. An Testosteron mangelte es den
im Raum versammelten uniformierten Militärs und Geheimdienstlern si-
cherlich nicht, aber darüber, wie man ein Land mit Credit Default Swaps
(CDS) in den Ruin treibt, wussten sie ebenso wenig wie der durchschnitt-
liche Börsenmakler über die Zündfolge von Interkontinentalraketen. Sollte
dieses Projekt Erfolg haben, musste ich dem Verteidigungsministerium die
Erlaubnis abringen, ein paar meiner Kollegen mit an Bord zu holen, um das
Spiel realistischer und damit auch aussagekräftiger für sie zu machen.
26
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
Bei diesem Treffen hielt ich einen Vortrag über Futures und Derivate und
erklärte, wie man mithilfe solcher Hebelinstrumente die ihnen zugrunde lie-
genden realwirtschaftlichen Märkte manipulieren kann, darunter auch sol-
che für strategische Rohstoffe wie Öl, Uran, Kupfer und Gold. Ich legte
auch dar, wie das Verbot der Regulierung von Derivaten im von Senator
Phil Gramm eingebrachten und von Präsident Clinton 2000 unterzeichne-
ten Gesetz zur Modernisierung von Warentermingeschäften, dem Commo-
dity Futures Modernization Act, das Tor weit für ein exponentielles Wachs-
tum des Umfangs und der Vielfalt dieser Instrumente aufstieß, die nun aus
den Bilanzen der Großbanken verschwanden und damit praktisch nicht
mehr zu überwachen waren. Zum Schluss skizzierte ich, wie Tarnfirmen,
Staatsfonds und die Hebelwirkung von Derivaten kombiniert werden könn-
ten, um ein finanzielles Pearl Harbour zu inszenieren, das die Vereinigten
Staaten völlig unvorbereitet treffen würde. Die Vorbereitungsseminare be-
gannen ihren Zweck zu erfüllen; die Militär-, Geheimdienst- und außen-
politischen Experten befanden sich jetzt auf derselben Wellenlänge wie die
Finanzexperten, und die Gefahren, die von der finanziellen Kriegführung
ausgingen, wurden immer deutlicher.
Die dritte Planungssitzung unserer Gruppe fand Mitte November statt, und
auch diesmal saßen ein paar neue Gesichter mit am Tisch, darunter hoch-
rangige Beamte aus der Geheimdienstszene. Die Diskussionen drehten sich
nun nicht mehr um die Machbarkeit eines Finanzplanspiels; zu diesem Zeit-
punkt war der Startschuss schon gefallen, und wir befanden uns bereits in
der Phase der Spielkonzeption. Ich stellte detaillierte finanzielle Kriegfüh-
rungsszenarien vor und plädierte dafür, wegen der komplexen Dynamik der
Kapitalmärkte unvorhersagbare, für Angreifer und Verteidiger gleicherma-
ßen überraschende Ergebnisse in die Spielkonzeption aufzunehmen. Am
Ende der Sitzung hatten das Verteidigungsministerium und das APL-Spiel-
konzeptionsteam ausreichend Input von den Experten erhalten, um den
schlussendlichen Spielaufbau zu vervollständigen. Nun mussten nur noch
die Teilnehmer ausgewählt und ein Termin festgelegt werden, und das Plan-
spiel konnte beginnen.
27
Teil 1 Kriegsspiele
Nach einigen Verzögerungen und der Ungewissheit in der Zeit der Stab-
übergabe im Weißen Haus gab die Regierung Obama schließlich grünes
Licht, und Ende Januar 2009 wurden die offiziellen Einladungen verschickt.
Das Planspiel sollte am 17. und 18. März über zwei Tage hinweg im Warfa-
re Analysis Laboratory des APL stattfinden, und zwar in dem imposanten
Lageraum, in dem schon so viele Simulationen durchgeführt worden waren.
Sobald das Spiel begonnen hat, führen die Teilnehmer Züge für jede Z elle
durch, während die weiße Zelle je nach ihrer Bewertung des Erfolgs und
Misserfolgs eines Zugs den Zellen Punkte gutschreibt oder abzieht. Weite-
re Spielparameter, die festgelegt werden, sind die Anzahl der Tage, über die
das Spiel läuft, und die Zahl der pro Tag erlaubten Züge. Das ist eine wichti-
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Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
Ich war zwar kein Kriegsplanspielexperte, aber als der ausgewiesene Fach-
mann in Sachen Wall Street arbeitete ich Seite an Seite mit den Spielkonzi-
pierern zusammen, um die Welt, die ich kannte, in die Kategorien, Zeitpläne,
Regeln und Budgets einzupassen, die sie in ihren Parametern festgelegt hat-
ten. Eines meiner wichtigsten Anliegen dabei war sicherzustellen, dass der
Spielaufbau auch unkonventionelle Szenarien zuließ. Schließlich wusste ich,
dass bei einem realen Finanzangriff auf die Vereinigten Staaten kaum so offen-
kundige Züge wie der massive Verkauf von US-Schatzanleihen auf dem offe-
nen Markt ausgeführt würden, da der amerikanische Präsident nahezu dikta-
torische Vollmachten besitzt, sämtliche Kapitalkonten einzufrieren, über die
derartige Marktmanipulationen ausgeführt werden. Bei einem realen Angriff
würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwer zu identi-
fizierende Deckfirmen und schwer zu überwachende Derivate zum Einsatz
kommen. Vor allem würde ein solcher Finanzangriff aller Wahrscheinlichkeit
nach auf den US-Dollar selbst abzielen. Das Vertrauen in den Dollar zu un-
tergraben, wäre weitaus effektiver, als irgendein auf Dollar lautendes Instru-
ment massenhaft auf den Markt zu werfen. Würde der Dollar kollabieren, so
würden auch alle in Dollar geführten Märkte kollabieren, und die Macht des
Präsidenten, Kapitalkonten einzufrieren, wäre hinfällig. Ich wollte sicherstel-
len, dass der Spielaufbau einen echten Währungskrieg zuließ, nicht nur einen
mit Aktien, Anleihen und Rohstoffen geführten Krieg.
Die letzten Puzzlestücke kamen zusammen. Das Team beschloss, dass wir
auf jeden Fall mit einer US-Zelle, einer Russland-Zelle und einer China-Zel-
le spielen würden. Darüber hinaus sollte es eine Zelle für den Pazifischen
Raum geben, der unter anderem Japan, Südkorea, Taiwan und Vietnam
angehörten. Das war zwar nicht ideal, weil beispielsweise Südkorea und
Taiwan als eigenständige Staaten je nachdem, worum es ging, höchst un-
terschiedliche Positionen einnehmen konnten, aber diese Art von Kompro-
29
Teil 1 Kriegsspiele
missen war unumgänglich, wollten wir das Budget einhalten und das Spiel
zum Laufen bringen. Außerdem sollte es noch eine graue Zelle geben, die
den Rest der Welt repräsentierte. (Ich war mir nicht sicher, wie erfreut rea-
le Europäer gewesen wären, hätten sie erfahren, dass sie keine eigene Zelle
bekamen und sich ihre Plattform mit dem IWF, Hedgefonds und den Cay-
man Islands teilen mussten.) Schließlich gab es natürlich noch die allmäch-
tige weiße Zelle, die den Kurs festlegte und das Spiel die ganze Zeit über un-
ter Kontrolle hatte.
Das Spiel sollte in drei Zügen über zwei Tage gespielt werden. Zwei Züge
sollten am ersten Tag ausgeführt werden, der dritte am zweiten Tag, sodass
noch Zeit für eine Nachbesprechung blieb. Jede Zelle sollte einen separaten
Raum bekommen, der als »Hauptstadt« diente und in dem sie über ihre Zü-
ge beratschlagten, während für den Lageraum Plenarsitzungen vorgesehen
waren, auf denen die Zellen ihre Züge ausführen und ihre Gegner reagieren
würden. Die weiße Zelle sollte die Plenarsitzungen leiten und je nach Spiel-
verlauf dem »nationalen Machtindex« der Zellen Punkte gutschreiben oder
abziehen. Bei jedem Spielzug konnten die Zellen an festgelegten Plätzen bi-
laterale Gipfel abhalten oder Verhandlungen mit anderen Zellen führen.
Als wir unser Konzept abschlossen, wies ich nochmals darauf hin, dass wir
sehr einseitig mit Teilnehmern vom Militär, den Geheimdiensten und Denk-
fabriken besetzt waren, aber mit Ausnahme von mir niemanden von der Wall
Street hatten. Ich wusste, wenn wir nur die üblichen Verdächtigen einlu-
den, würden wir sehr vorhersagbare Aktions-/Reaktions-Funktionen erhal-
30
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
ten. Was Makroökonomie und Strategie angeht, sind diese Leute brillant,
aber keiner von ihnen versteht wirklich, wie die Kapitalmärkte vor Ort, an
der Front, funktionieren. Ich wiederholte meinen Wunsch, ein paar Invest-
mentbanker und Hedgefondsmanager mit ins Boot zu holen. Und tatsäch-
lich: Im Budget war noch Luft für zwei weitere Teilnehmer, und so erhielt
ich die Erlaubnis, zwei qualifizierte Leute auszusuchen.
Mein erster Kandidat war Steve Halliwell, ein erfahrener Banker und Kapi-
talinvestor, fit, elegant, lebhaft und mit seiner dickrandigen Brille und einem
stets kahlrasierten Haupt unverwechselbar. Steve, der 1963, in der Zeit von
Kennedy und Chruschtschow, vom Wesley College aus als einer der ersten
amerikanischen Austauschstudenten nach Russland gegangen war, ist so et-
was wie der Fleisch gewordene altgediente Russlandexperte. Später, nach
seinem Abschluss an der Columbia University, arbeitete er lange Zeit bei
der Citibank, unter anderem wirkte er am Aufbau der Moskauer Citibank-
Niederlassung mit, bevor er in den 1990er-Jahren einen der ersten ameri-
kanisch-russischen Investmentfonds an den Start brachte. Sein Vorrat an
russischen Anekdoten ist unerschöpflich, und er versteht jede einzelne da-
von in schillernden Farben und mit einem ausgeprägten Sinn für Humor zu
erzählen. Er spricht Russisch wie ein Einheimischer und verfügt dank sei-
ner Investment- und Bankaktivitäten über ein eng geknüpftes Netzwerk an
Verbindungen im ganzen Land. Steve und ich hatten im Winter 2008 eine
Woche mit Marktforschungen für mehrere meiner Hedgefonds-Kunden in
Moskau verbracht. Neben dem Zauber des nächtlichen Schneefalls auf dem
Roten Platz werde ich von dieser Reise auch die üppigen Mengen an Wodka
und Kaviar wohl nicht so schnell vergessen, die wir mit unseren russischen
Gastgebern konsumierten. Ich wusste, er wäre perfekt dafür geeignet, die
russische Seite in diesem vom Pentagon inszenierten Finanzkriegspiel zu re-
präsentieren, und er sagte auch sofort zu.
Nun musste ich noch einen zweiten Mitspieler anwerben. Da Steve haupt-
sächlich mit Aktienfonds zu tun hatte und ein eher langfristig orientierter
Investor war, brauchte ich jetzt noch jemanden, der mehr mit dem Tages-
31
Teil 1 Kriegsspiele
geschäft der Märkte zu tun hatte, jemand, der die markttechnischen Signale
verstand, sprich die kurzfristigen Ungleichgewichte zwischen Angebot und
Nachfrage, die die Wertpapierkurse von ihren Fundamentaldaten abkop-
peln und vermeintlich rationale Investoren auf dem falschen Fuß erwischen
konnten. Ich brauchte jemand, der die gesamte Trickkiste im Umgang mit
Orders der Größenordung beherrschte, die geeignet waren, einen Markt zu
drehen und die Arglosen im Regen stehen zu lassen. Also griff ich zum Te-
lefon und rief einen Freund an, der seit über dreißig Jahren an vorderster
Front mit dabei war und auf der Street unter dem Kürzel »O.D.« firmierte.
Ich kannte Bill O’Donnell seit Jahrzehnten, seit unserer gemeinsamen Zeit
bei Greenwich Capital, dem wichtigsten Handelshaus für Staatsanleihen.
Bill ist einer der smartesten Börsenhändler und hat immer ein Lächeln im
Gesicht – außer er arbeitet an einer Order für einen Kunden. Er hat nie-
mals schlechte Laune und verliert niemals die Beherrschung, was auf dem
Börsenparkett eher die Ausnahme ist. Bill, silbergraues, gewelltes Haar, e dle
Klamotten und attraktiv, hat eine unkomplizierte Art, die ihn zu einer der
beliebtesten Personen im Anleihengeschäft macht, das ansonsten für seinen
hohen Anteil an wenig einnehmenden Alphatieren bekannt ist. Er liebt das
Geschäft und hat schon so gut wie alles miterlebt, vom Beginn der Hausse
1982 bis hin zu der sich ab 2002 aufblähenden Immobilienblase. Als ich ihn
Anfang 2009 anrief, arbeitete er als Leiter der Abteilung für Zinsstrategie für
die Schweizer Großbank UBS in deren nordamerikanischem Geschäftssitz
in Stamford, Connecticut.
Wie die meisten Wall-Street-Leute, die ich zur Unterstützung für die natio-
nale Sicherheit betreffende Projekte angeworben hatte, erfasste er die Situa-
tion sofort und konnte sich gar nicht schnell genug als Freiwilliger anbieten.
Nachdem er die Sache mit seinem Vorgesetzten bei der UBS durchgespro-
chen hatte, rief er mich ein paar Tage später zurück. »Ich bin dabei«, sagte
er. »Sag mir einfach, wo ich hinkommen soll. Das wird großartig, die Gene-
räle und Geheimdienstler aufzumischen. Ich kann es kaum erwarten.« Da-
mit war das auch geklärt.
32
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
Steve wurde natürlich der russischen Zelle zugeteilt. O.D. kam zur grau-
en Zelle, die unter anderem Hedgefonds und Schweizer Banken repräsen
tierte – also ebenfalls eine passende Besetzung. Ich wurde in die China-Zelle
gesteckt, zusammen mit einem bekannten Harvard-Wissenschaftler, einem
sehr intellektuellen Analysten der RAND Corporation und zwei weiteren
Asienexperten.
Bis zum Finanzkrieg waren es nur noch ein paar Wochen, und es war an der
Zeit, ein paar Fallen aufzustellen – sprich das zu tun, was die Militärs »das
Schlachtfeld vorbereiten« nennen. Ich wusste, dass Russland das Spiel mit
deutlich weniger nationaler Stärke als die Vereinigten Staaten oder selbst
China beginnen würde. Tatsächlich brachte es Russland laut seinem natio-
nalem Machtindex nur auf zwei Drittel der Stärke der Vereinigten Staaten,
während China irgendwo dazwischen lag. Was mich betraf, hieß das nur,
dass Russland klüger und härter spielen und etwas Unerwartetes tun muss-
te, um die Vereinigten Staaten aus dem Konzept zu bringen. Als Amerika-
ner, der sich Sorgen machte über den ökonomischen Kurs, den unser Land
steuerte, und über unsere Verwundbarkeit gegenüber Finanzattacken wollte
ich, dass die Vereinigten Staaten in der Spielumgebung einen Schock oder
zumindest einen herben Rückschlag erlitten. Das schien mir der beste Weg,
unserem Land einen Dienst zu erweisen und ein paar Leuten im Verteidi-
gungsministerium und in der Geheimdienstszene die Augen zu öffnen, be-
vor es in der realen Welt zu einem ernsthaften Angriff kam. Die Tatsache,
dass Steve, O.D. und ich nicht im US-Team spielten, eröffnete uns die Mög-
lichkeit, für eben einen solchen Schock zu sorgen. Dass wir mit weniger na-
tionaler Stärke an den Start gingen, bedeutete nur, dass wir kreativer sein –
und heimlicher agieren – mussten.
Das Ten Twenty Post ist ein beliebtes Bistro in Darien, Connecticut, unweit
meines Zuhauses und auch nicht weit von Westchester County, New York,
wo Steve wohnt. Darüber hinaus wird es gerne von den Investmentbankern
frequentiert, die bei der RBS und UBS im benachbarten Stamford arbeiten.
Mit seiner Mahagoni-Bar, den Messingverzierungen, den Kronleuchtern
33
Teil 1 Kriegsspiele
Bei Austern, Weißwein und Wodka, zu dem wir mit Na Sdarovje! anstie-
ßen, schwelgten wir zunächst ein bisschen in Erinnerungen an unsere Mos-
kauer Abenteuer, machten uns dann aber zügig an die Arbeit. Ich gab Ste-
ve eine nachgemachte Presseerklärung der russischen Zentralbank, die ich
schon vor einer Weile geschrieben und in ein paar Artikeln und Vorlesungen
verwendet hatte. Darin wurde angekündigt, dass Russland seine gesamten
Goldbestände in der Schweiz deponieren und parallel dazu in London eine
neue Bank gründen werde. Die Bank sollte dann eine neue, goldgebundene
und mit dem Gold in den Schweizer Tresoren besicherte Währung heraus-
geben. Zunächst würde Russland den Gesamtbestand der neuen Währung
halten. Aber jedermann stünde es frei, Gold einzuzahlen und dafür entspre-
chende Noten in der neuen Währung zu erhalten. Nach der Erwähnung ei-
niger technischer Voraussetzungen zur Realisierbarkeit des Plans wie Kre-
ditgewährungs- und Clearingeinrichtungen folgte der eigentliche Clou: Ab
sofort würden sämtliche russischen Erdöl- und Erdgasexporte in der neuen
Währung bezahlt werden müssen. US-Dollar würden nicht mehr akzeptiert
werden.
»Jim, ich mache mir Sorgen um dich – du fängst ja an wie ein Russe zu den-
ken«, sagte Steve.
»Keiner traut den Russen, dass sie sich nicht doch mit dem Gold davonma-
chen«, antwortete ich. »Den Schweizern und den Briten dagegen traut man.
34
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen
Wenn man also die ganze Sache unter ihren Rechtssystemen abwickelt, wer-
den die Leute keine Angst haben, ihr Gold dort zu deponieren.«
»Richtig. Die Russen suchen seit Jahren nach einem Weg aus dem Dollar-
System. Sie versuchen, nach unseren Regeln zu spielen, werden aber jedes
Mal über den Tisch gezogen«, sagte Steve. »Das hier wäre perfekt für sie.«
»Also, der Deal sieht folgendermaßen aus«, sagte ich und lehnte mich zu Ste-
ve vor. »Wenn du diesen Zug für Russland spielst, sorge ich dafür, dass Chi-
na mitgeht. Wenn du es nicht schaffst, Russland zu diesem Zug zu bewegen,
werde ich versuchen, die Idee von China aus zu zünden. So oder so werden
wir sie ins Spiel bringen und versuchen, den Dollar abzuschießen. Das wird
die US-Seite ziemlich schockieren. Das Pentagon gibt viel Geld aus, um aus
dieser Sache etwas zu lernen. Geben wir ihnen etwas für ihr Geld.«
Steve nahm das Blatt mit der getürkten Presseerklärung, faltete es und steck-
te es in seine Jackentasche, um es zu Hause nochmals im Detail durchzuge-
hen. Wir kippten unseren Wodka hinunter und brachen auf, entschlossen,
unseren heimlichen Angriff auf den Dollar in die Tat umzusetzen.
Steve, O.D. und der Rest von uns waren bereit, den Krieg zu beginnen. In
den zwei Tagen, die das Spiel dauerte, sollte es sehr schnell ein Eigenle-
ben entwickeln und einer ganzen Menge Leute die Augen dafür öffnen, wie
Märkte funktionieren und wie finanziell verwundbar Länder tatsächlich
sind.
35
Kapitel 2 –
Der Finanzkrieg
»Das vorrangige kurzfristige Sicherheitsproblem der Vereinigten Staaten
sind die globale Wirtschaftskrise und ihre geopolitischen Implikatio-
nen … In der Tat bergen politische Maßnahmen … wie ein Wettlauf der
Währungsabwertung … das Risiko, eine Welle des destruktiven Protekti-
onismus auszulösen.«
Dennis C. Blair,
Direktor der nationalen Nachrichtendienste der USA,
Februar 2009.
Tag eins
Das Erste, was mir auffiel, als wir an diesem regnerischen Märzmorgen zum
Kriegsspiel ins Labor kamen, waren die gleich in mehreren Reihen auf dem
Parkplatz abgestellten schweren Motorräder – Kawasakis, Suzukis und der-
gleichen mehr. Offensichtlich haben Physiker, die in der Waffenentwick-
lung arbeiten, auch eine wilde Seite. Wir waren auf dem Weg zu Gebäude
26, einem für uns neuen Ort. Wir parkten auf einem angrenzenden Park-
platz und begaben uns zum Haupteingang. Nachdem wir die Sicherheits-
kontrollen passiert, unsere Handys abgegeben und unsere Besucherauswei-
se erhalten hatten, gingen wir nach oben. Nach Monaten, in denen wir uns
in Seminarräumen und Büros getroffen hatten, durften wir nun zum ersten
Mal den Lageraum des Warfare Analysis Lab, den sogenannten War Room,
betreten. Was ich sah, enttäuschte mich nicht. Aufgewachsen in den Zei-
ten des Kalten Kriegs, hatte ich meine Vorstellungen davon, wie die Kom-
mandozentralen aussahen, von denen aus Atomkriege gefochten wurden,
aus Filmklassikern wie Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben
und Angriffsziel M
oskau. Nun betraten wir etwas, das ganz ähnlich aussah,
36
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
Rechts von den Bildschirmen an der Stirnseite befand sich ein Podium mit
einem Mikrofon, von wo aus die Sprecher der Zellen ihre Züge und ihre
Antwort auf die Züge der anderen Zellen bekannt geben konnten. Jede Ge-
fechtsstation war mit einem Laptop ausgerüstet, und diese waren über ei-
ne Groupware vernetzt, sodass jeder Spieler innerhalb seiner Gruppe kon-
tinuierlich Kommentare zum Spielverlauf abgeben konnte, noch während
die anderen ihre Züge und Motive beschrieben. An den Lageraum angren-
zend befand sich ein Technikraum, von dem aus die Bildschirmprojektio-
nen kontrolliert und die Groupware überwacht wurde, die den laufenden
Kommentarmodus unterstützte.
37
Teil 1 Kriegsspiele
Von dem zum Lageraum führenden Flur gingen Türen zu mehreren gro-
ßen Besprechungsräumen ab, die als »Hauptstädte« der konkurrierenden
Länder beziehungsweise Parteien dienten. Jeder dieser Räume war mit ei-
nem großen Wandbildschirm und Laptops ausgerüstet, die an die separate
Groupware angeschlossen waren, auf die nur die Mitglieder der Zelle zugrei-
fen konnten. Weitere Räume waren als Austragungsorte für Gipfelkonferen-
zen und bilaterale Verhandlungen reserviert worden, falls die Zellen zu ver-
traulichen Meetings außerhalb des Lageraums zusammenkommen wollten.
Sämtliche Räume – der Lageraum, die Hauptstädte und die für Gipfel- und
bilaterale Konferenzen vorgesehenen Zimmer – waren mit Workstations für
die Mitarbeiter des Labors ausgestattet, die als Vermittler, Analysten und
neutrale Beobachter der Abläufe fungierten. Obwohl wir autonome Akteu-
re waren, konnten wir nur schwer den Eindruck abschütteln, zugleich La-
borratten in einem vom APL durchgeführten größeren Experiment zu sein.
Über die gesicherte Website des Warfare Analysis Lab, Codename WAL-
RUS, waren wir alle vorab mit ausführlichen Briefing-Unterlagen versorgt
worden, die ausgedruckt ein beachtliches Gewicht auf die Waage brachten,
darunter ein Spielüberblick, in dem die relative »nationale Stärke« der ein-
zelnen Teams zusammen mit einer detaillierten Erklärung dafür angegeben
war. Der Überblick enthielt auch die Anweisung, dass die »Spielerzellen
Handlungen aus dem Spielmenü auswählen und / oder eigene Handlungen
›innovieren‹ können«. Innovieren, das war, worauf es mir ankam.
38
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
Außerdem hatten wir ein »Basisszenario« erhalten, in dem die Lage der glo-
balen Wirtschaft im Jahr 2012 beschrieben wurde, das Jahr, in dem das Spiel
stattfinden sollte, und ein »Technikbuch«, bei dem es sich im Prinzip um ein
Regelbuch handelte. Ich erinnerte mich, wie meine Brüder und ich uns als
Kinder immer leidenschaftlich über die Regeln von Risiko stritten und mehr
als einmal das Regelheft aus der Parker-Brothers-Packung graben mussten,
um unsere Differenzen beizulegen. Hier aber hatten wir es mit einem Regel-
buch für ein Kriegsplanspiel zu tun, und da galten andere Vorgaben. Ich war
fest entschlossen, so viele Regeln wie nötig zu brechen, um dem Pentagon zu
einem Verständnis dafür zu verhelfen, wie die Kapitalmärkte im Zeitalter der
Gier, der Deregulierung und böswilliger Absichten tatsächlich funktionier-
ten. Die Wall Street ähnelt dem Wilden Westen zu seinen wildesten Zeiten,
nur dass sie dank der Globalisierung und der staatlichen Unterstützung für
die systemrelevanten Akteure noch weniger beherrschbar ist.
Nach ein paar Stunden, die für Instruktionen, eine allgemeine Orientierung
und eine rasche Einweisung in die Groupware notwendig waren, zogen sich
die Teams in ihre jeweiligen Hauptstädte zurück, um am ersten Zug zu ar-
beiten. Dabei handelte es sich hauptsächlich um ein langfristiges Handels-
abkommen zwischen Russland und Japan, das zu einem Rückgang des An-
gebots von russischem Öl und Erdgas auf dem Weltmarkt führen würde.
Der Hauptgedanke dabei war, dass Russland seine natürlichen Ressourcen
gezielt dazu einsetzen sollte, seine ausländischen Devisenreserven aufzusto-
cken. Natürlich gab es keine Verbindung zwischen dem vom Labor entwi-
ckelten Szenario und dem Joker, den Steve und ich auszuspielen verabredet
hatten, aber es passte uns gut ins Konzept. Russland konnte Japan von sei-
nem Goldwährungsdeal ausnehmen und trotzdem China mit dem Angebot,
an seinem Angriff auf den Dollar mitzuwirken, auf seine Seite ziehen. Ich saß
in unserer simulierten chinesischen Hauptstadt und hörte meinen Harvard-
und RAND-Teamkollegen zu, die darüber diskutierten, wie Japan für den
Verstoß gegen das im Washingtoner Konsens vereinbarte Freihandelspara-
digma zu bestrafen sei, aber mit dem Kopf war ich nicht bei der Sache. Viel-
mehr wartete ich darauf, dass das Telefon klingelte. Ein paar Minuten später
39
Teil 1 Kriegsspiele
Bevor mein Team die Nachricht verdauen konnte, meldete ich mich zu
Wort. »Hey, Leute. Mein Freund Stevie Halliwell gehört zur russischen Zel-
le, und ich vermute, dass er dahintersteckt. Ist es in Ordnung, wenn ich für
unsere Seite zu der Gipfelkonferenz gehe?«
Niemand hatte Einwände, und so machte ich mich auf den Weg den Flur hi-
nunter bis zu einem der als Konferenzräume ausgewiesenen Zimmer, in dem
Steve bereits wartete. Weil ein Vermittler vom Labor anwesend war, muss-
te ich mich dumm stellen, obwohl ich wusste, was Steve gleich vorschlagen
würde.
»Jim, wir erwarten eine Vergeltung der USA wegen unseres Geschäfts mit
Japan, und offen gesagt, wir sind es leid, dass die USA ihre dominante Po-
sition im dollarbasierten Welthandelssystem missbrauchen, um ihren Wil-
len durchzusetzen. Deshalb haben wir uns etwas einfallen lassen. Weder Ih-
re noch unsere Währung ist stark genug, den Dollar zu ersetzen – das wissen
Sie so gut wie ich. Aber Gold ist und wird immer eine sichere Anlage sein.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Welt auf die eine oder andere Weise
wieder zu einem Goldstandard zurückkehrt. Und wer dabei den ersten Zug
macht, sichert sich einen gewaltigen Vorteil. Das Land, das als Erstes zum
Gold wechselt, wird die Währung haben, die alle haben wollen. Hier ist un-
ser Vorschlag.«
Steve reichte mir eine überarbeitete Kopie der fiktiven Presseerklärung, die
ich ihm vor einer Woche in dem Bistro in Darien in die Hand gedrückt hat-
te. Alles war da: die neue, mit Gold hinterlegte Währung, die Emissions-
bank in London, die Möglichkeit, die Geldmenge durch die Einzahlung von
Gold auszuweiten, die Absicherung durch das schweizerische und britische
40
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
»Wir können das alleine durchziehen«, fuhr Steve fort, »aber mit China und
vielleicht noch ein paar anderen Ländern an Bord wird es viel einfacher. Je
mehr Nationen sich uns anschließen, desto schwieriger wird es für die USA,
etwas dagegen zu unternehmen. Sie könnten dasselbe, was wir mit unse-
rem Öl und unserem Gas machen, mit Ihren Industrieerzeugnissen machen.
Sind Sie mit dabei?«
»Hören Sie, ich werde nach China zurückgehen und Sie über unsere Ent-
scheidung informieren«, sagte ich. »Ich bin nicht befugt, hier irgendetwas zu
vereinbaren. Ich bin nur gekommen, um die Botschaft abzuholen. Wir wer-
den darüber sprechen und Ihnen dann unsere Antwort zukommen lassen.«
Doch dann spielte ich die russische Wildcard aus und setzte meinen Team-
kollegen Steves Vorschlag auseinander.
41
Teil 1 Kriegsspiele
Der RAND-Analyst zeigte etwas mehr Interesse und stellte ein paar Fragen,
war aber unverkennbar nicht bereit, sich auf das Spiel der Russen einzulas-
sen. Sosehr ich meine Mitspieler auch bedrängte, auf das Angebot der Rus-
sen einzusteigen und die USA in die Schranken zu verweisen, sie ließen sich
nicht überzeugen und widmeten sich bald wieder der Abfassung ihres un-
verbindlichen Kommuniqués zum ursprünglichen Problem.
»In Ordnung«, sagte ich. »Ich muss den Russen unsere Antwort überbrin-
gen. Kann ich eine Konferenz einberufen?«
»Steve, hören Sie, meine Jungs weigern sich momentan noch, mit einzustei-
gen. Ich werde in den nächsten paar Runden weiter daran arbeiten, aber im
Moment stehen Sie alleine da. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, wenn Sie
die Sache jetzt abblasen. Ich war fest überzeugt, dass China die Vorteile er-
kennen und wir das gemeinsam durchziehen würden.«
»Kein Problem«, erwiderte Steve. »Das russische Team ist von der Idee
ziemlich angetan. Sie sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, dass jemand
aufsteht und der Welt zeigt, was für ein Betrug das Dollarsystem ist. Scha-
de, dass China nicht dabei ist, aber wir werden trotzdem weitermachen. Wir
werden ja sehen, was passiert.«
Bei meiner Rückkehr hatte unser Team das Kommuniqué ausformuliert, das
unseren Zug für diese Spielrunde repräsentierte. Es war die perfekte akade-
42
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
mische Lösung und würde dem Pentagon exakt gar nichts beibringen. Dann
war es an der Zeit, in den Lageraum zu gehen und zusammen mit den ande-
ren Zellen unseren Zug bekannt zu geben.
Nach uns war Russland an der Reihe. Das Briefing begann mit ein paar net-
ten Worten bezüglich der weiteren Zusammenarbeit mit China an einem ge-
meinsamen Pipelineprojekt, um dann plötzlich in der Ankündigung zu gip-
feln, dass Russland in Zukunft nur goldgedeckte Währungen zur Bezahlung
seiner Energieexporte akzeptieren würde. In einer sehr viel später erstellten
43
Teil 1 Kriegsspiele
»Was soll das heißen, ›illegal‹?«, verlangte Steve zu wissen. »Wir haben hier
Krieg! Wie kann da irgendetwas illegal sein?«
Genau das hatte ich befürchtet. Nachdem schon die Spielerauswahl nicht
gerade einer Aufforderung zum Querdenken gleichkam, wurde nun auch,
kaum dass ein unkonventioneller Zug ins Spiel gebracht wurde, Foul ge-
pfiffen. Obwohl ich einer anderen Zelle angehörte, fühlte ich mich genötigt,
Steve beizuspringen.
»Wissen Sie«, fing ich von meinem Platz am China-Tisch aus an, »es ist ja
nicht so, dass wir hier eine Genfer Konvention hätten. Der russische Zug ist
gar nicht so weit hergeholt. Die Vereinigten Staaten waren bis 1971 auf ei-
nem Goldstandard, und viele Leute hier im Raum werden sich daran noch
erinnern. Die Russen sind vielleicht etwas provokativ, aber das sind sie ja
immer. Warum lassen wir ihnen nicht einfach ihren Willen und sehen uns
an, was daraus wird?«
Die weiße Zelle wirkte ein bisschen unsicher. Steve war wie ein Schlagmann
beim Baseball, der bei einem engen Ball an der First Base »out« gerufen
wird, und ich wie der Coach an der First Base, der nach Kräften versucht,
seinen Spieler vor dem Aus zu bewahren. Im digitalen Chatroom brach ein
wahrer Sturm der Entrüstung gegen die Unparteiischen los, und schließlich
bat die weiße Zelle nochmals um Zeit für eine Beratung. Nach einer Weile
44
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
griff der Leiter der weißen Zelle zum Mikrofon, und an diesem Punkt erwar-
tete ich halb, etwas in der Art von »Nach nochmaliger eingehender Über-
prüfung …« zu hören, doch dann begnügte er sich damit, in angemessen
neutraler Bürokratensprache zu verkünden, dass der russische Zug zugelas-
sen werde. Der Zug sei, stellte er klar, nicht »illegal«, aber »ill-advised«, un-
bedacht. Das war, wie ich wusste, ein höflicher Ausdruck dafür, dass Russ-
land seiner Meinung nach etwas Dummes getan hatte, aber das störte mich
nicht. Die Goldwährung war jetzt im Spiel, und wir würden in den kom-
menden zwei Tagen ja sehen, wie sich die Sache weiterentwickelte.
Am Ende des Zugs gab die weiße Zelle die Ergebnisse für die Runde be-
kannt. Die Vereinigten Staaten hatten ein wenig an Stärke verloren, weil Ja-
pan sich offenkundig etwas aus dem amerikanischen Orbit abgesetzt hatte
und die USA eine wirksame Antwort darauf schuldig geblieben waren. Chi-
na bekam dafür, dass es im Prinzip nichts getan hatte, einen kleinen Macht-
gewinn zugesprochen. Russland dagegen wurde für seinen nach Auffassung
der weißen Zelle eindeutig feindseligen Zug, der eine mangelnde Koope-
rationsbereitschaft mit dem Rest der Welt offenbarte und dem Land keine
unmittelbaren Vorteile brachte, empfindlich abgestraft. Damit hatten Steve
45
Teil 1 Kriegsspiele
und ich unter dem Strich unseren beiden Teams am Ende der ersten Run-
de einen moderaten Machtverlust beschert. Allerdings spielten wir das, was
russische Schachgroßmeister ein tiefes Spiel nennen. Es würde noch weite-
re Züge geben.
Bei einer Gesprächspause wendete ich mich an Harvard. »Hören Sie, ich
finde, wir sollten diese Sache mit der Goldwährung nochmals angehen. Wir
könnten in einem Kommuniqué eine gewisse Sympathie für die russische
Initiative anklingen lassen und die Absicht verkünden, sie genauer studieren
und ihr möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt beitreten zu wollen.«
So langsam verlor Harvard die Geduld. Er hatte angenommen, die Sache sei
begraben und könnte getrost ignoriert werden. Sollte China sich dem rus-
46
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
Als anerkannter Asienexperte war Harvard viel eher für eine Diskussion
über komplizierte bilaterale ostasiatische Probleme zu begeistern als für ein
seiner Meinung nach sinnloses Gespräch über Währungen und Gold. Doch
ich hatte seit meinem Jurastudium nicht umsonst gelernt, für beide Seiten
einer Sache zu argumentieren, ohne dazwischen auch nur Atem zu holen,
und einfach um die Idee am Leben zu halten, nahm ich sein Argument auf
und wendete es gegen ihn.
»Sie sind also der Meinung, die Russen verlangen zu viel für ihr Gold?«,
fragte ich.
»Nun, warum verkaufen wir unser Gold dann nicht an die Russen?«
Das war nicht nur der Instinkt des Anwalts, sondern auch der des Händ-
lers. Jeder Markt hat eine Nachfrageseite, auf der jemand bereit ist zu kau-
fen, und eine Angebotsseite, auf der jemand bereit ist, zu verkaufen. Market
Making ist die Kunst der Preisfindung im Wechselspiel von Nachfrage und
Angebot. Es kommt vor, dass man als Käufer an den Start geht, aber dann
merkt, dass der geforderte Preis viel zu hoch ist, und deshalb postwendend
als Verkäufer auftritt. Diese leidenschaftslose Eiswasser-in-den-Adern-Men-
talität war charakteristisch für alle wirklich guten Händler, die mir je begeg-
47
Teil 1 Kriegsspiele
net sind. Ich zwang Harvard, Farbe bekennen. Wenn der Preis zu hoch zum
Kaufen war, dann sollten wir verkaufen. Ich war gespannt, ob er den Köder
schlucken würde.
»Perfekt«, sagte er. »Stoßen wir alles ab, verkaufen wir unser ganzes Gold
gegen Euro und Dollar an die Russen und diversifizieren unsere Devisen-
position.«
Gut möglich, dass er das nur sagte, um mich zum Schweigen zu bringen,
aber das war mir egal. Wir hatten gerade die Schlinge um den Hals des US-
Dollars enger gezogen. Der Rest des Teams stimmte dem Plan zu, und so be-
rief ich ein weiteres Gipfeltreffen mit Russland ein, um ihnen unser Angebot
zu unterbreiten. Steve und ich trafen uns zum dritten Mal, und wie erwar-
tet stieg Russland auf das Angebot ein, die gesamten chinesischen Goldvor-
räte – rund 1 000 Tonnen – zu kaufen und mit Devisen aus den russischen
Währungsreserven zu bezahlen. Von der Warte der Russen aus gesehen war
dieses Geschäft perfekt, weil es sich trotz seines gewaltigen Umfangs nur
minimal auf die Märkte auswirken würde. Im normalen Goldhandel musste
man schon einen Blockverkauf ab zehn Tonnen unter höchster Geheimhal-
tung arrangieren, um zu verhindern, dass der Marktpreis durch die Decke
schoss. Aber jetzt hatte Russland den größten Goldkauf in der Geschichte
eingefädelt, ohne dass das den Markt unmittelbar negativ beeinflussen wür-
de. Dass China aus dem Goldspiel ausstieg, fand ich bedauerlich, aber um-
so mehr freute mich, dass Russland den Ball aggressiv nach vorne spielte.
Wir kehrten zur dritten Plenarsitzung in den Lageraum zurück. Das übli-
che Prozedere folgte, und jede Zelle gab ihre Antwort auf das Nordkorea-
Szenario bekannt. Wie erwartet sagten die Vereinigten Staaten und die Pa-
zifik-Länder humanitäre Hilfe zu, was auch China tat, das angesichts des
offenkundig desolaten Zustands des nordkoreanischen Regimes in seiner
Erklärung ein paar versöhnliche Töne im Hinblick auf eine mögliche Wie-
dervereinigung einflocht. Russland stimmte zwar in den Chor der Hilfs-
willigen ein, kündigte aber gleichzeitig die Schließung seiner Grenze zu
48
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
Nordkorea an. Dann, fast schon beiläufig, gab Russland bekannt, dass es
die gesamten chinesischen Goldreserven aufgekauft hatte, um die eigenen
Goldvorräte zur Unterstützung seiner neuen, goldgedeckten Währung auf-
zustocken.
Die weiße Zelle war sichtlich beunruhigt. Russland spielte ein eigenes Spiel
nach eigenen Regeln. Wenn man Steve und mich fragte, spielte Russland
seit 1 000 Jahren nach seinen eigenen Regeln, und insofern war das hier
ein typisch russisches Verhalten. Nun konnte der 800 Pfund schwere Go-
rilla nicht länger ignoriert werden, und das wurde auch postwendend an-
erkannt. Für China, die Vereinigten Staaten und die Pazifik-Gruppe brach-
te die zweite Runde kaum Veränderungen in ihrer nationalen Stärke. Das
war auch völlig in Ordnung, denn Nordkorea war zwar höchst instabil und
gefährlich, aber eben auch international isoliert, und deshalb würde auch
niemand groß an relativer Stärke gewinnen oder verlieren, sollte Nordko-
rea vollends vor die Hunde gehen. Dann aber gab die weiße Zelle klein-
laut ihr Votum zu Russland bekannt: »Wie es aussieht, hat Russland konkre-
te Schritte zur Einführung einer glaubwürdigen Alternative zum US-Dollar
im internationalen Handel unternommen. Obwohl die Erfolgsaussichten
höchst ungewiss sind, haben wir beschlossen, Russland zusätzliche Punk-
te für seine währungsbezogenen Züge zu gewähren.« Steve und ich sahen
uns quer durch den Lageraum an. Ein Freispruch war das zwar noch lan-
ge nicht, aber ein kleines Grinsen konnten wir uns dennoch nicht ganz ver-
kneifen.
Damit war der erste Tag zu Ende. Es war ein langer Tag gewesen, aber das
Kriegsspiel hatte sich ganz gut entwickelt. Wir beschlossen, uns in der Ge-
gend nach einem Restaurant umzusehen und nach einem guten Abendes-
sen und ein paar gepflegten Drinks zeitig ins Hotel zurückzukehren, um uns
über die Nachrichten des Tages zu informieren und uns auf Tag zwei vorzu-
bereiten. Es gehört zu den Eigenheiten der Arbeit in einer gesicherten Um-
gebung, dass man keine Ahnung hat, was draußen in der Welt vor sich geht.
Man kann sich in der Schaltzentrale der Geheimdienstanalyse oder Waffen-
49
Teil 1 Kriegsspiele
»Ach so, heute ist St. Patrick’s Day «, sagte O.D., der sich auf seine
O’Donnell-Familienwurzeln besann und passend zum Anlass einen irischen
Akzent anschlug. »Der Laden ist unter Garantie schon seit der Mittagszeit
brechend voll.«
Wir hatten uns so sehr auf unsere Mission konzentriert, das globale Finanz-
system bis in seine Grundfesten zu erschüttern, dass wir den guten St. Pa-
trick ganz vergessen hatten. Als ein Thornton mütterlicherseits habe ich
ebenfalls irische Wurzeln. Kraft unserer Ahnenlinien ernannten O.D. und
ich Steve zum Iren ehrenhalber, nahmen die Außentreppe hinauf zum Bal-
kon in Angriff, bahnten uns einen Weg durch die Menschenmassen und
drängten uns durch den nicht weniger überfüllten Speisesaal, bis wir einen
Tisch am Fenster mit einem netten Blick hinaus ins Grüne fanden. Wir setz-
ten uns, bestellten drei Pints Guinness mitsamt diversen Vorspeisen und
machten uns an unser, wie sie beim Pentagon sagen würden, ganz eigenes
»Briefback«.
»Wisst ihr, was das Problem bei diesem Spiel ist?«, fragte O.D.
50
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
»Das Problem ist, dass es keinen Markt gibt. Die weiße Zelle kann uns sagen,
ob wir Boden gut gemacht oder verloren haben, aber es gibt kein Preissys-
tem, anhand dessen wir die Auswirkungen unserer Züge messen könnten.«
O.D. hatte Recht. Ein Trader kann die beste Trading-Idee aller Zeiten ha-
ben, aber ein Geldverlust bei einem Trade ist der Weg, wie die Wirklichkeit
einem mitteilt, dass etwas schiefläuft. Seit jeher sind die besten Händler die-
jenigen, die wissen, wann es an der Zeit ist, aus einem schlechten Trade aus-
zusteigen, die Verluste zu begrenzen und sich auf die Suche nach der nächs-
ten guten Gelegenheit zu machen. Früher oder später kommt die Quittung
so oder so. Schlechte Trader dagegen würden in der Annahme, dass der
Markt einfach nicht kapiert, wie genial sie sind, irgendwelche Gründe für ih-
re Verluste vorschieben und die Einsätze so lange weiter erhöhen und mehr
Geld verlieren, bis irgendein Risikomanager sie zur Aufgabe der Position
zwingt. Egal welche Strategie man verfolgt, die Preissignale sind es, die Tra-
der auf Spur halten und für das Feedback des Marktes sorgen, mit dem sie
ihre Theorien überprüfen können.
Trotzdem durften wir uns nicht allzu sehr über etwas ereifern, was wir nicht
hatten. Immerhin war es das erste Mal, dass das Pentagon ein Finanzplan-
spiel zur Durchführung brachte, und das auch noch gegen interne Wider-
stände. Ich war schon froh, dass sie überhaupt etwas in der Richtung unter-
nahmen. Zumindest gab man sich dort aufgeschlossen, und das war mehr,
als ich von einigen zivilen Behörden behaupten konnte. Wann immer ich an-
dere Regierungsmitarbeiter oder Beamte vor den Gefahren eines von Fein-
den der USA angezettelten Finanzkriegs gewarnt hatte, hatte ich unweiger-
lich etwas in der Art von »Oh, das würden die nie tun – das wäre viel zu
teuer, und außerdem würden sie sich damit nur ins eigene Fleisch schnei-
den« zu hören bekommen. Sie taten so, als ob militärische Rüstungsgüter
kein Geld kosten würden und Flugzeugträger umsonst zu haben seien. Dass
die Kosten für einen Finanzkrieg weitaus geringer sein könnten als die für
einen Rüstungswettlauf und er wahrscheinlich viel wirksamer darin wäre,
die Macht der USA auszuhöhlen als eine offene militärische Konfrontation,
51
Teil 1 Kriegsspiele
wollte diesen Leuten einfach nicht in den Kopf. Das Pentagon verdiente ei-
nen Haufen Anerkennung dafür, die ganze Sache überhaupt so weit voran-
getrieben zu haben. Für ein verbessertes Drumherum würde später, in zu-
künftigen Planspielen, noch genug Zeit sein.
Wir bestellten eine zweite Runde Guinness, ließen uns das Essen schme-
cken und kehrten dann zurück nach Columbia, Maryland, wo wir über-
nachteten. Es war ein langer Tag gewesen, und der Spielbeginn für die zwei-
te Runde war auf 7.30 Uhr angesetzt. Wir verabredeten, uns am nächsten
Morgen in der Lobby zu treffen, und gingen dann auf unsere Zimmer.
Tag zwei
Als ich um 6.30 Uhr aufwachte, fühlte ich mich von dem Guinness zwar
noch etwas angeschlagen, aber das war nichts, was zwei Tassen Kaffee nicht
kurieren konnten. Ich packte rasch meine Sachen zusammen und beschloss,
noch kurz einen Blick auf die Online-Nachrichten zu werfen, bevor ich mei-
nen Laptop verstaute. Für die vielen E-Mails, die jeden Morgen in meinem
Posteingang warteten, blieb mir heute keine Zeit. Ein kurzer Abstecher auf
die Homepage des Drudge Report und ein schneller Blick auf die Schlag-
zeilen des Tages mussten reichen. Nachdem ich am Vortag auf meine tägli-
che Dosis Nachrichten hatte verzichten müssen und das auch an diesem Tag
nicht anders sein würde, war das die schnellste Methode, mich auf den neu-
esten Stand der Dinge in der Welt zu bringen.
Ich klickte auf das Drudge-Lesezeichen in meinem Browser, wartete ein paar
Sekunden, bis sich die Seite aufgebaut hatte – und wollte nicht glauben, was
ich da sah. Typisch für den Drudge Report, prangte in der Seitenmitte die
große Porträtaufnahme einer einzelnen Person. An diesem Morgen war es
Wladimir Putin. Die Schlagzeile unter dem Bild verkündete, dass Russland
dazu aufrief, den Dollar als Leitwährung abzulösen und nach einer alterna-
52
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
Ich stopfte den Laptop in meine Aktentasche, rannte die Treppe zur Lobby
hinunter und versuchte dabei, auf meinem Blackberry den Drudge Report
aufzurufen. Steve und O.D. warteten bereits auf mich.
»Hey Leute«, rief ich. »Habt ihr heute Morgen schon den Drudge Report
gesehen? Ihr werdet es nicht glauben!«
Ich drückte Steve den Blackberry in die Hand. Steve überflog die Seite,
dann gab er ihn an O.D. weiter.
»Unglaublich«, sagte Steve. »Die Leute im Lab werden glauben, wir hätten
die ganze Sache geplant. Als ob wir Insiderinformationen hätten! Lasst uns
rüberfahren und ihnen zeigen, was in der Welt los ist.«
53
Teil 1 Kriegsspiele
Im Raum herrschte eine ruhige Atmosphäre, Leute saßen bei einem Kaf-
fee zusammen und sprachen über die Ereignisse des letzten Tages. Ich war
mir ziemlich sicher, dass die hier versammelten sehr ernsthaften Militärs
und Akademiker morgens wichtigere Dinge zu tun hatten, als den Drudge
Report zu lesen, also dürfte die Sache mit Putin noch nicht die Runde ge-
macht haben. Ich ging in den angrenzenden Technikraum. Dort gab es ei-
nen wandgroßen Monitor, über den die Monitore im Lageraum überwacht
werden konnten und bei Problemen eingegriffen werden konnte. Ich bat
den Videotechniker, das Internet auf den großen Schirm zu holen, und gab
ihm die Webadresse des Drudge Report. Ein paar Sekunden später prangte
ein überlebensgroßes Porträt unseres Freundes Putin auf dem Bildschirm,
und nochmals ein paar Mausklicks auf dem Steuerpaneel später erschien
das Drudge-Banner auch auf dem Hauptbildschirm im Lageraum. Gleich-
zeitig druckten die hilfsbereiten Laborleute die zu der Schlagzeile gehören-
de Story aus und sorgten dafür, dass in jeder Gefechtsstation eine Kopie da-
von neben die Regelbücher und Szenarien gelegt wurde.
Harvard war nicht amüsiert. Er fand, dass Steve und ich uns lächerlich
machten, und so ziemlich das Gleiche sagte er jetzt über Putin. Die meisten
anderen Teilnehmer aber waren höflich genug, uns ein bisschen Ehre dafür
zu gewähren, das Spiel in Richtung der nächsten großen Sache gelenkt zu
haben, noch bevor sie sich ereignet hatte.
Nachdem sich die Aufregung um die Sache mit Putin wieder gelegt hatte,
ging es mit dem Planspiel und Zug drei weiter, dem letzten Zug des Spiels.
Das Szenario sah unter anderem die Wahl eines für die Unabhängigkeit ein-
tretenden Präsidentschaftskandidaten in Taiwan und Bemühungen zur Re-
duzierung der zunehmenden ökonomischen Integration der Insel mit Fest-
landchina vor. An der Goldwährungsfront blieb jetzt nicht mehr allzu viel
zu machen. Russland hatte seinen Zug gemacht und China sich geweigert,
mitzuspielen. Die Vereinigten Staaten verhielten sich indifferent, was aller-
dings seltsam war, da in der realen Welt jeder Schritt der Russen in Rich-
tung einer Goldwährung auf eine weitaus robustere Reaktion der USA sto-
54
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
Wir machten uns daran, unsere Reaktionen auf das vorgestellte Problem
auszuarbeiten. China unterstrich seine »Ein-China«-Position und warn-
te alle Länder eindringlich davor, die taiwanesische Initiative zu unterstüt-
zen. Japan schlug eine asiatische Freihandelszone vor, der sowohl China
wie auch Taiwan beitreten könnten, um auf diese Weise ihre Differenzen
zu überbrücken. Die Vereinigten Staaten bekräftigten ihre militärische Ko-
operation mit Taiwan, wiesen aber darauf hin, dass sie diese Kooperation in
Zukunft mit von Taiwans Bereitschaft abhängig machen würden, seine kon-
frontative Haltung zu mäßigen. Nur Russland spielte weiter seinen Gold-
währungsjoker. Zum einen versuchte es, die OPEC-Mitglieder in der grau-
en Zelle für seinen Goldwährungsplan zu gewinnen, zum anderen wurde
China signalisiert, dass man sehr viel eher bereit sei, sich in der Taiwan-
Frage auf die Seite Pekings zu schlagen, sollte China die neue Währung un-
terstützen. Eines musste ich Steve und seinen Teamkollegen lassen: Auch
wenn niemand sonst ihnen große Aufmerksamkeit schenkte, sie verstanden
es, ihr Blatt optimal auszureizen.
Gerade als es so aussah, als würde das Spiel so langsam und gemächlich ei-
nem ruhigen Ende entgegensteuern, spielte O.D. seinerseits eine Wildcard
aus. Als Sprecher der grauen Zelle ließ er verlauten, die japanische Küs-
tenwache habe eine große Lieferung nahezu perfekt gefälschter Hundert-
dollarnoten, oder, wie das US-Finanzministerium dazu sagte, Superdollar,
abgefangen. Diese Superdollar werden vom berüchtigten Büro 39 der nord-
koreanischen Regierung produziert, eine geheime Einrichtung, die Kim Il
55
Teil 1 Kriegsspiele
Sung bereits 1974 zum Zweck der Geldwäsche, der Geldfälschung, des
Drogenhandels und anderer gemeinhin von kriminellen Organisationen
begangener Taten aufgebaut hatte. O.D.s Manöver war ein netter histori-
scher Verweis darauf, dass schon früher Länder eine Art finanzielle Krieg-
führung betrieben hatten, indem sie die Währung ihrer Feinde gefälscht und
das Feindterritorium mit den gefälschten Banknoten überschwemmt hat-
ten, um so das Vertrauen in die legitimen Banknoten zu erschüttern und zu
einem ökonomischen Kollaps beizutragen. Dazu zählen übrigens auch die
Vereinigten Staaten: Während des amerikanischen Bürgerkriegs hatte ein
Parteigänger der Union und Schreibwarenhändler aus Philadelphia namens
Samuel Upham über 15 Million Dollar in gefälschten Konföderationsno-
ten gedruckt, was ungefähr 3 Prozent der insgesamt in Umlauf befindlichen
Menge an CSA-Dollar entsprach. Viele dieser Banknoten wurden von Uni-
onssoldaten in den Süden gebracht, was das Vertrauen in die echte Wäh-
rung der Konföderation untergrub.
O.D. gab weiter bekannt, dass die Schweizer Banken Opfer umfangrei-
cher betrügerischer Einzahlungen solcher Superdollar geworden seien, die
aus allen Teilen der Welt ins Land zu strömen schienen. Die Verluste der
Schweizer Banken und die große Menge der von den Japanern abgefange-
nen Superdollar waren genug, um Zweifel am Wert der im Ausland vorwie-
gend in Form von Hundertdollarnoten gehaltenen US-Währung zu schüren.
Auf den Schwarzmärkten wurden, hieß es weiter, Hundertdollarnoten mit
einem Abschlag gegenüber ihrem offiziellen Nennwert gehandelt. Da der
Baranteil gegenüber den in elektronischer Form bei Banken gehaltenen Dol-
laranlagen vergleichsweise gering ist, hielten sich die Auswirkungen der Su-
perdollarschwemme in Grenzen. Dennoch verpasste O.D. der US-Währung
mit seinem boshaften Abschiedsgruß einen weiteren Treffer.
Schlussendlich zeigte sich die weiße Zelle doch noch beeindruckt von Russ-
lands Hartnäckigkeit in Sachen alternativer Währung, insbesondere von
dem Angebot an die OPEC, und sprach dem Land zusätzliche Machtpunk-
te zu – eine völlige Kehrtwende gegenüber dem Spott, mit dem ihr Spre-
56
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
cher noch am Vortag Russlands Zug kommentiert hatte. China bekam eben-
falls Punkte zugesprochen, hauptsächlich dafür, dass es nichts getan hatte,
eine Fallstudie dazu, wie man ein Nullsummenspiel gewinnt, indem man
selbst den Ball flach hält und den anderen dabei zuschaut, wie sie einen
Bock nach dem anderen schießen. Die Vereinigten Staaten verloren nati-
onale Macht, zum Teil wegen des russischen Angriffs auf den Dollar, aber
auch, weil Ostasien zu einem Block mit China und Japan im Zentrum zu-
sammenrückte, dem auf lange Sicht der Großteil der Region angehören und
der seine Schlüsselentscheidungen in Sachen Handel und Kapitalflüsse un-
ter Ausschluss der USA treffen würde. Am Ende gewann China, das am we-
nigsten getan hatte, am meisten, während Russland und Ostasien jeweils
leicht zulegten und die Vereinigten Staaten die größten Verluste hinnehmen
mussten.
Der Rest der Sitzung verging mit Nachbesprechungen. Nach der ganzen
Arbeit, die in die Vorbereitung des Planspiels geflossen war, waren es zwei
höchst faszinierende Tage gewesen. Die amerikanische nationale Sicher-
heit kann nur profitieren, wenn so viele Experten aus den unterschiedlichs-
ten Disziplinen und mit den unterschiedlichsten Perspektiven unter einem
Dach zusammenkommen, um Ideen auszutauschen und dem Militär neue
Wege zum Verständnis potenzieller Bedrohungen aufzuzeigen. Wenn das Fi-
nanzministerium oder die Fed Szenarien erstellen, denken sie normalerwei-
se an platzende Blasen und kollabierende Märkte, nicht an von Staaten be-
triebene Finanzkriege. Die Fed habe, sagte der ehemalige Fed-Vorsitzende
Alan Greenspan immer gerne, keine Erfahrung darin, die Entstehung von
Blasen zu verhindern, und ihre Ressourcen würden besser dazu verwendet,
hinterher, nachdem eine Blase geplatzt sei, die Sauerei wieder aufzuräumen.
Greenspans Empfehlung taugt allerdings nur für Sauereien bis zu einer be-
stimmten Größenordnung. Auf die wirklich großen Sauereien – solche, die
mit sozialen Unruhen, Hungerrevolten, Plünderungen, Flüchtlingsströmen
und allgemeinem gesellschaftlichen Kollaps einhergehen – hat eine Institu-
tion wie die Fed keine Antwort, sodass sich Gesellschaften auf der Suche
nach Lösungen unweigerlich an das Militär wenden. Mit anderen Worten,
57
Teil 1 Kriegsspiele
das Militär hat ein großes Interesse daran, das Risiko wirtschaftlicher Kata-
strophen einschätzen zu können, und wir hatten dem Pentagon zumindest
eine gewisse Grundlage dafür gegeben, um weiter über ökonomische Über-
raschungsangriffe nachzudenken.
In den zwei auf das Finanzplanspiel folgenden Jahren legten Aktien und
Gold um über 85 Prozent an Wert zu. Anfangs zeigten sich einige Analys-
ten erstaunt über die positive Korrelation in der Wertentwicklung von Akti-
en und Gold, aber nur, bis sie erkannten, dass es exakt dasselbe Phänomen
schon einmal gegeben hatte, und zwar im April 1933, als Präsident Roo-
sevelt im Rahmen der »Beggar-thy-neighbour«-Währungskriege der Welt-
wirtschaftskrise den Dollar gegenüber dem britischen Pfund abwertete. Die
massiven zeitgleichen Kursanstiege bei Aktien und bei Gold 1933 und 2010
waren lediglich eine Folgeerscheinung der Dollarschwächung. Der intrinsi-
sche Wert der Anlagen war nicht gestiegen – man brauchte nur mehr Dollar,
um sie zu kaufen, weil der Dollar weniger wert war.
Den Dollar schwächen, das ist in der realen Welt, außerhalb des Lageraums,
der einfache Teil. Der schwierige Teil ist, sich auszurechnen, was als Nächs-
tes kommt, wenn Exportländer wie China, Russland und Saudi-Arabien
versuchen, ihre Interessen zu schützen, indem sie die Preise erhöhen oder
aus in US-Dollar notierten Wertpapieren flüchten.
58
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg
Eine Erkenntnis, die das Pentagon aus dem Planspiel ziehen konnte, war,
dass die Vereinigten Staaten, selbst wenn der Dollar kollabieren würde, im-
mer noch über sehr große Goldreserven verfügten, auf die sie zurückgrei-
fen könnten. Interessanterweise sind nämlich fast die gesamten US-Goldbe-
stände nicht in zivilen Banksafes untergebracht, sondern auf Militärbasen,
genauer gesagt in Fort Knox, Kentucky, sowie in West Point am Ufer des
Hudson River in New York – eine Tatsache, die einiges über die Verbindung
zwischen nationalem Vermögen und nationaler Sicherheit aussagt.
59
T eil 2
Währungskriege
Kapitel 3 –
Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
»Wir befinden uns mitten in einem internationalen Währungskrieg.«4
Guido Mantega,
brasilianischer Finanzminister, 27. September 2010
Ein Währungskrieg, den ein Land durch die wiederholte Abwertung sei-
ner Währung gegenüber anderen Währungen führt, gehört zu den destruk-
tivsten und am meisten gefürchteten Konflikten in der internationalen Öko-
nomie. Er weckt ungute Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise, als die
großen Wirtschaftsnationen mit einer aggressiven Leistungsbilanzüber-
schusspolitik und Schutzzöllen den Welthandel zum Erliegen brachten. Er
gemahnt an die 1970er-Jahre, als infolge der Bemühungen der USA, den
Dollar durch die Abkehr von der Golddeckung zu schwächen, sich der Dol-
larpreis des Erdöls vervierfachte. Und nicht zuletzt kommen einem neben
anderen Störungen die Krisen des britischen Pfund 1992, des mexikani-
schen Peso 1994 und des russischen Rubel 1998 in den Kopf. Unabhängig
von ihrer Dauer und Schwere gehen solche Währungskrisen mit Stagnati-
on, Inflation, Sparmaßnahmen, finanzieller Panik und anderen schmerzhaf-
ten wirtschaftlichen Folgen einher. Aus einem Währungskrieg entsteht nie
irgendetwas Gutes.
63
Teil 2 Währungskriege
Im Zentrum von Währungskriegen steht ein Paradox: Sie werden zwar auf
der internationalen Bühne ausgefochten, aber von inländischen Zwängen
angetrieben. Üblicherweise beginnen Währungskriege in Zeiten ungenü-
genden Binnenwachstums. Die betroffenen Länder haben meist mit ho-
her Arbeitslosigkeit, einem schwachen oder negativen Wachstum, einem
schwächelnden Bankensektor und sich verschlechternden öffentlichen Fi-
nanzen zu kämpfen. Unter solchen Umständen ist es schwierig, Wachstum
allein durch Interventionen auf dem Binnenmarkt zu erzeugen, und bleibt
als letztes Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft nur noch die Stimulati-
on des Exports durch eine Abwertung der Währung. Um zu verstehen, wa-
rum dies so ist, ist es hilfreich, sich nochmals die vier Grundelemente des
64
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
BIP = K + I + S + (X – M)
65
Teil 2 Währungskriege
setzt sind, kann die Wirtschaft nur wachsen, wenn die Nettoexporte (X-M)
erhöht werden, und die schnellste und einfachste Methode, dies zu errei-
chen, besteht in der Abwertung der eigenen Währung. Lassen Sie mich das
anhand eines Beispiels erklären: Angenommen, ein in Euro ausgezeichnetes
deutsches Auto kostet 30 000 Euro. Bei einem Wechselkurs von 1,00 Euro
= 1,40 Dollar liegt der Dollarpreis des deutschen Wagens bei 42 000 Dollar
(30 000 Euro x 1,40 Dollar / 1,00 Dollar = 42 000 Dollar). Nehmen wir nun
an, der Euro gibt nach auf 1,10 Dollar. Nun kostet derselbe 30 000 Euro t eure
Wagen nur noch 33 000 Dollar (30 000 Euro x 1,10 Dollar / 1,00 Dollar =
33 000 Dollar). Aufgrund dieses Rückgangs des Dollarpreises von 42 000
auf 33 000 Dollar ist das Auto nun für amerikanische Käufer erheblich at-
traktiver, und so werden entsprechend mehr davon verkauft. Der deutsche
Autohersteller nimmt in beiden Fällen gleich viel ein, nämlich 30 000 Euro.
Mit anderen Worten, dank der Euroabwertung kann der deutsche Hersteller
mehr Autos in Amerika verkaufen, ohne dass er den Europreis seiner Autos
senken müsste. Das wiederum hat zur Folge, dass das deutsche BIP steigt
und in Deutschland Arbeitsplätze entstehen, um die h öhere Nachfrage nach
deutschen Autos in den USA zu befriedigen.
Stellen Sie sich jetzt diese Dynamik nicht nur auf Deutschland angewen-
det vor, sondern auch auf Frankreich, Italien, Belgien und die ganzen an-
deren Länder, die den Euro eingeführt haben. Denken Sie an den Einfluss
nicht nur auf Autos, sondern auch auf französischen Wein, italienische Mo-
de und belgische Pralinen. Übertragen Sie das weiter nicht nur auf materi-
elle G
üter, sondern auch auf immaterielle Dinge wie Computersoftware und
Beratungsleistungen. Und bedenken Sie zu guter Letzt, dass davon nicht
nur ins Ausland verkaufte Güter und Dienstleistungen betroffen sind, son-
dern gleichermaßen auch der Tourismus und Reiseverkehr. Gibt der Eu-
ro gegenüber dem Dollar von 1,40 auf 1,10 Dollar nach, verbilligt sich da-
durch der Preis, sagen wir, eines 100 Euro teuren Dinners in Paris von 140
auf 110 Dollar, sodass US-Touristen es sich entsprechend eher leisten kön-
nen. Wenn man nun die Auswirkungen eines Rückgangs des Dollarwertes
des Euro in dieser Größenordnung auf alle materiellen und immateriellen
66
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
Handelsgüter und Dienstleistungen sowie auf den Tourismus über die ge-
samte Eurozone hinweg berücksichtigt, beginnt man das Ausmaß zu begrei-
fen, in dem eine Abwertung das Wirtschaftswachstum fördern, den Arbeits
markt beleben und die Gewinne steigen lassen kann. Die Verlockung, in
einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld einfach die eigene Währung
abzuwerten, kann in der Tat unwiderstehlich erscheinen.
Allerdings stellen sich die Probleme und ungewollten Folgen eines derarti-
gen Vorgehens fast ebenso schnell ein wie die erwünschten Effekte. Es fängt
damit an, dass heutzutage nur sehr wenige Produkte von Anfang bis Ende
in einem einzigen Land hergestellt werden. In unserer modernen, globali-
sierten Welt können in einem einzigen Produkt zum Beispiel amerikanische
Technologie, italienisches Design, australische Rohstoffe, chinesische Ferti-
gung, taiwanesische Komponenten und eine von der Schweiz aus gesteuerte
globale Distribution stecken, bevor es die Verbraucher in Brasilien erreicht.
Jeder Teil dieser Versorgungs-, Produktions- und Innovationskette erhält
entsprechend seinem Beitrag zum Ganzen einen Teil des erwirtschafteten
Gesamtgewinns. Der springende Punkt dabei ist, dass sich die Wechsel
kursaspekte in einer globalisierten Wirtschaft nicht nur auf den abschlie-
ßenden Verkauf beziehen, sondern auch auf die gesamten Währungen der
Zwischenprodukte und Transaktionen entlang der Lieferkette. Ein Land,
das seine Währung abwertet, verbilligt dadurch zwar seine ins Ausland ge-
lieferten Produkte, kann sich damit aber auch ins eigene Fleisch schneiden,
da es von seiner billigeren Währung mehr für den Import der verschiede-
nen, zu ihrer Herstellung benötigten Ausgangsprodukte benötigt. Im Falle
eines Herstellungslands, das neben hohen Exportverkäufen auch in großem
Maße auf Importe aus dem Ausland angewiesen ist, um sich Rohstoffe und
Teile für den Bau der exportierten Güter zu beschaffen, kann die Währung
im Vergleich zu anderen Faktoren wie Arbeitkosten, Steuerlast und Qualität
der Infrastruktur nahezu irrelevant für die Nettoexporte sein.
Höhere Einsatzkosten sind nicht der einzige Nachteil einer Abwertung. Ei-
ne größere und unmittelbarere Sorge könnte das Risiko sein, damit einen
67
Teil 2 Währungskriege
68
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
dürfte das die beste Gegenmaßnahme sein, da sie die einheimische Indus-
trie schützt und dem Automobilarbeiter gleichzeitig erlaubt, einen kosten-
günstigen Urlaub in Europa zu verbringen.
Am 7. September 2010 dann stieß ein chinesischer Fischkutter bei einer ab-
gelegenen Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, die China wie Japan für
sich beanspruchen, mit einem japanischen Patrouillenboot zusammen. Die
Japaner nahmen den Kapitän des Fischkutters fest, woraufhin ein wütend
protestierendes China von den Japanern die sofortige Freilassung des Man-
nes und eine umfassende Entschuldigung forderte. Als Japan nicht sofort
auf die Forderungen einging, verhängte China über die Ausfuhrbeschrän-
kungen vom Juli hinaus ein komplettes Exportverbot Seltener Erden nach
Japan, was die japanischen Hersteller schwer traf. Am 24. September 2010
ging Japan mit einer überraschenden Abwertung des Yen an den internati-
onalen Währungsmärkten zum Gegenangriff über. Binnen drei Tagen verlor
der Yen ungefähr 3 Prozent gegenüber dem chinesischen Yuan. Eine Fort-
setzung des japanischen Abwertungskurses hätte China beim Export nach
69
Teil 2 Währungskriege
Wegen ein paar abgelegener und unbewohnter Felseninseln und eines in-
haftierten Fischkutterkapitäns hatte China Japan mit einem Lieferembargo
angegriffen und Japan mit einer Abwertung seiner Währung zurückgeschla-
gen. Im Laufe der folgenden Wochen glätteten sich die Wogen wieder, der
Kapitän wurde freigelassen, Japan gab eine Pro-forma-Entschuldigung ab,
der Kurs des Yen stieg und China nahm die Ausfuhr von Seltenen Erden
nach Japan wieder auf. Damit war zwar ein weitaus schlimmeres Ende ver-
hindert worden, aber beide Seiten hatten ihre Lektionen gelernt und die
Messer für die nächste Auseinandersetzung geschärft.
70
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
Wie immer ist auch in dieser Frage der Blick in die Geschichte lehrreich. Im
20. Jahrhundert gab es zwei große Währungskriege. Der, wie ich ihn nenne,
Erste Währungskrieg, dauerte von 1921 bis 1936, umfasste also fast die ge-
samte Periode zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und damit auch
die Große Depression, mit der er eng zusammenhängt. Der Zweite Wäh-
rungskrieg dauerte von 1967 bis 1987 und wurde schließlich mit zwei in-
ternationalen Vereinbarungen, dem Plaza-Abkommen von 1985 und dem
Louvre-Abkommen von 1987, beigelegt, ohne in einen militärischen Kon-
flikt zu eskalieren.
71
Teil 2 Währungskriege
in Kriegszeiten bis 1931 fortbestand. Auch wenn man diese und andere
Währungsregime unter der Bezeichnung »Goldstandard« zusammenfas-
sen kann, gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs. Mit Goldstan-
dard kann alles von tatsächlichen Goldmünzen bis hin zu in unterschied-
lichen Mengen mit Gold hinterlegtem Papiergeld gemeint sein. Historisch
betrachtet hat der Grad der Golddeckung für Papiergeld zwischen 20 und
100 Prozent variiert (in den wenigen Fällen, in denen der Wert der Gold-
reserven den Nennwert der ausgegebenen Geldmenge überstieg, waren es
sogar mehr).
Der klassische Goldstandard von 1870 bis 1914 nimmt in der Geschich-
te von Gold als Geld eine einzigartige Stellung ein. Es war eine Periode fast
gänzlich ohne Inflation, und in der Tat herrschte in den fortschrittlicheren
Volkswirtschaften sogar eine günstige Deflation infolge der technologischen
Innovation, die die Produktivität steigerte und den Lebensstandard verbes-
serte, ohne dabei die Arbeitslosigkeit zu verschärfen. Man begreift dieses
knappe halbe Jahrhundert vielleicht am besten als das erste Zeitalter der
Globalisierung, und es weist viele Parallelen zu unserem neueren, zweiten
Zeitalter der Globalisierung auf, das 1989 mit dem Ende des Kalten Kriegs
anbrach.
72
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
Anders als seine Nachfolger im 20. Jahrhundert wurde der klassische Gold-
standard nicht auf einer internationalen Konferenz ausgehandelt oder von
einer multilateralen Organisation per Dekret auferlegt.6 Vielmehr handelte
es sich dabei um eine Art Club, dem die Nationen freiwillig beitreten konn-
ten. Einmal dem Club beigetreten, richteten die Mitglieder ihr Verhalten
an allseits bekannten Spielregeln aus, obwohl diese nirgendwo schriftlich
festgehalten waren. Nicht alle großen Länder traten dem Club bei, aber die
meisten taten es, und zwischen denen, die ihm angehörten, waren die Ka-
pitalmärkte offen, herrschte ein freies Spiel der Marktkräfte, beschränkten
sich die staatlichen Interventionen auf ein Minimum und waren die Wech-
selkurse stabil.
Einige Länder hatten ihre Währungen schon lange vor 1870 ans Gold ge-
koppelt, so zum Beispiel England im Jahr 1717 und die Niederlande 1818,
aber erst in der Zeit nach 1870 schloss sich eine Vielzahl anderer Länder
ihrem Vorbild an, sodass der Goldclub seine charakteristische Gestalt an-
nahm. Zu diesen neuen Mitgliedern gehörten Deutschland und Japan, die
1871 zum Goldstandard wechselten, gefolgt von Frankreich und Spani-
en 1876, Österreich 1879, Argentinien 1881, Russland 1893 und Indien
1898. Die Vereinigten Staaten befanden sich de facto zwar schon seit 1832
auf dem Goldstandard, als sie anfingen, Goldmünzen mit einem Gewicht
von einer Feinunze zu prägen, die zu der Zeit rund 20 Dollar wert waren.
Aber bis zum Gold Standard Act von 1900 verzichteten sie darauf, einen ge-
setzlichen Goldstandard für den Umtausch von Papiergeld festzulegen, und
waren damit eine der letzten großen Nationen, die dem klassischen Gold-
system beitraten.
73
Teil 2 Währungskriege
Innerhalb dieser Gruppe von Nationen, die sich im letzten Drittel des
19. Jahrhundert schließlich auf Goldstandards zubewegten (also des
Goldclubs), kam es kaum zu abnormalen Kapitalbewegungen (d.h. speku-
lativen internationalen Geldflüssen), waren Währungsmanipulationen aus
Wettbewerbsgründen die Ausnahme, wuchs der internationale Handel
mit Rekordraten, gab es kaum Zahlungsbilanzprobleme, war die Kapital-
mobilität hoch (wie auch die Mobilität von Produktionsfaktoren und Per-
sonen), setzten nur wenige Mitgliedsländer jemals die Goldkonvertibilität
ihrer Währung aus (und von denen, die das taten, kehrten die wichtigs-
ten wieder zurück), blieben die Wechselkurse innerhalb ihrer jeweiligen
Goldpunkte (d.h. sie waren extrem stabil), gab es kaum wirtschaftspoli-
tische Konflikte zwischen Nationen, wirkte die Spekulation stabilisierend
(d.h. das Verhalten der Investoren neigte dazu, die Währungen zurück
ins Gleichgewicht zu bringen, wenn sie davon abgerückt waren), erfolg-
ten Anpassungen rasch, war Liquidität im Überfluss vorhanden und das
öffentliche und private Vertrauen in das internationale Währungssystem
groß, genossen die Nationen langfristige Preisstabilität (Vorhersagbarkeit)
bei geringen Inflationsraten, waren die langfristigen Trends der industri-
ellen Produktion und des Einkommenswachstums günstig und blieb die
Arbeitslosigkeit vergleichsweise gering.7
74
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
stimmte Menge Gold wert war und es bereit stand, die Währung von den an-
deren Mitgliedern jederzeit und in jedem Umfang zu dem festgesetzten Kurs
gegen Gold zurückzukaufen. Der Vorgang des Kaufs und Verkaufs von Gold
im Bereich eines Zielpreises mit dem Zweck, diesen Preis aufrechtzuerhal-
ten, wird heute als Offenmarktgeschäft bezeichnet. Solche Geschäfte kön-
nen von einer Zentralbank ausgeführt werden, aber das ist nicht zwingend
notwendig; genauso gut können sie von einem Staat durchgeführt werden,
der direkt oder indirekt durch Anleihetreuhänder wie Banken oder Händ-
ler aktiv wird. Dabei benötigt jeder autorisierte Händler Zugang zu einer
angemessenen Menge Gold, verbunden mit der stillschweigenden Annah-
me, dass im Falle einer Panik problemlos mehr Gold beschafft werden kann.
Zwar liegt hier eine staatliche Intervention vor, aber diese erfolgt transparent
und kann eher als Stabilisierung denn als Manipulation betrachtet werden.
75
Teil 2 Währungskriege
76
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
bitragehändler, die »billiges« Gold in einem Land kauften und als »teures«
Gold in einem anderen Land verkauften, natürlich unter Berücksichtigung
der Wechselkurse, des Zeitwerts des Geldes, der Transportkosten und der
Scheidekosten des Goldes. Das geschah in Übereinstimmung mit den Spiel-
regeln, bei denen es sich um allgemein anerkannte Gebräuche und Prak-
tiken handelte, die auf dem wechselseitigen Vorteil, dem gesunden Men-
schenverstand und den Arbitragegewinnen basierten.
Der klassische Goldstandard steht für die Periode des Wachstums und
Wohlstands bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Der darauf fol-
gende und viel geschmähte Gold-Devisen-Standard der 1920er-Jahre war
in den Augen vieler Zeitgenossen ein Versuch, die Vorkriegszustände wie-
derherzustellen. Die in den 1920er-Jahren unternommenen Versuche, zur
Goldparität der Vorkriegszeit zurückkehren, waren wegen der wachsenden
Schuldenberge und der schwerwiegenden politischen Fehler, die den Gold-
Devisen-Standard in einen deflationären Moloch verwandelten, zum Schei-
tern verurteilt. Seit 1914 hat die Welt keinen reinen Goldstandard mehr
gesehen.
77
Teil 2 Währungskriege
Die zweite Vorbedingung des Währungskriegs war die Gründung des US-
amerikanischen Federal Reserve System 1913, ein Ereignis, das seinerseits
eine Vorgeschichte hat, für die man den Blick noch weiter zurück wenden
muss, bis zur Panik von 1907 an der Wall Street. Ausgelöst wurde die Pa-
nik durch den gescheiterten Versuch mehrerer New Yorker Banken, darun-
ter die Knickerbocker Trust Company, eine der damals größten Banken der
Stadt, den Kupfermarkt unter ihre Kontrolle zu bekommen.9 Als die Betei-
ligung von Knickerbocker an dem Übernahmeversuch ruchbar wurde, kam
es zu einem klassischen Ansturm auf die Bank. Wären die Enthüllungen in
einem ruhigeren Marktumfeld geschehen, hätten sie wohl kaum eine derar-
tige Panikreaktion ausgelöst, aber nach den durch das Erdbeben von San
Fransisco 1906 verursachten massiven Verlusten war der Markt sowieso
schon nervös und sehr volatil.
Die Schließung der Knickerbocker Trust Company war der Auftakt zu ei-
nem massiven Vertrauensverlust, der in einem weiteren Börsenkrach, noch
mehr Bankenanstürmen und schließlich einer ausgewachsenen Liquiditäts-
krise mündete, die die Stabilität des Finanzsystems insgesamt zu untergra-
ben drohte. Abgewendet werden konnte diese Gefahr nur durch eine ge-
meinsame Aktion der führenden Bankiers der damaligen Zeit, die sich zu
einer von J. P. Morgan organisierten privaten finanziellen Rettungsaktion zu-
sammenfanden. In einer der denkwürdigsten Episoden der amerikanischen
Finanzgeschichte trommelte Morgan die Finanziers in seinem Stadthaus im
Viertel Murray Hill in Manhattan zusammen und eröffnete ihnen, dass er
sie nicht gehen lassen würde, bis sie einen Rettungsplan ausgearbeitet hät-
ten, der konkrete finanzielle Zusagen der Anwesenden zur Beruhigung der
Märkte umfasste. Der Plan funktionierte, aber nur um den Preis erheblicher
finanzieller Verluste und Verwerfungen.
Als ein unmittelbares Resultat der Panik von 1907 gelangten die an der Ret-
tungsaktion beteiligten Bankiers zu der Überzeugung, dass die Vereinigten
78
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
Als sich der Zeitpunkt für die Verlängerung näherte, stieß die Second Bank
nicht nur im Kongress, sondern auch im Weißen Haus auf Widerstand. Prä-
sident Andrew Jackson hatte sich 1832 im Wahlkampf um den Wiederein-
zug ins Weiße Haus explizit für die Auflösung der Bank ausgesprochen.
Nach einer hitzigen landesweiten Debatte, in deren Verlauf Jackson sämtli-
che Einlagen der Bundesregierung aus der Second Bank abzog und in ein-
zelstaatlich konzessionierten Banken deponierte, stimmte der Kongress für
die Verlängerung der Konzession. Aber Jackson legte sein Veto ein, und die
Konzession wurde nicht erneuert.
79
Teil 2 Währungskriege
80
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
sich an die Ausarbeitung eines konkreten Plans für die neue Bank zu ma-
chen. Was folgte, war eine der bizarrsten Episoden in der Finanzgeschichte.
Senator Aldrich sollte die Gesetzesvorlage zur Gründung der Bank feder-
führend einbringen, aber natürlich musste sichergestellt werden, dass das
Gesetz den Vorstellungen der New Yorker Banken entsprach, denen immer
noch die Panik von 1907 in den Knochen steckte und die nach wie vor nach
einem Kreditgeber in letzter Instanz suchten, der ihnen bei der nächsten
Panik an den Finanzmärkten aus der Bredouille helfen würde. Also w urde
beschlossen, dass eine mit hochkarätigen Bankiers besetzte Kommission
den Plan für die neue Zentralbank entwerfen sollte.
Aldrich wies die Männer an, sich im Schutze der Dunkelheit an einem ab-
gelegenen Anschlussgleis in Hoboken, New York, einzufinden, wo ein pri-
vater Eisenbahnwaggon auf sie warten würde. Sie sollten, wurde ihnen ein-
geschärft, einzeln kommen und unbedingt dafür Sorge tragen, dass ihnen
keine Reporter folgten. Nach Betreten des Zugs sollten sie sich nur mit Vor-
namen ansprechen, damit das Personal sie nicht später gegenüber Freun-
den oder der Presse identifizieren konnte. Einige der Männer legten sich
aus Gründen der Sicherheit eigens Decknamen zu. Nach zweitägiger Fahrt
trafen sie in Brunswick, Georgia, ein, auf halbem Wege zwischen Savan-
nah und Jacksonville, Florida, an der Atlantikküste gelegen. Von Brunswick
81
Teil 2 Währungskriege
aus fuhren sie mit der Fähre nach Jekyll Island, wo sie im exklusiven Jekyll
Island Club abstiegen, zu dessen Mitbesitzern J.P. Morgan gehörte. Über
eine Woche lang saß die Gruppe zusammen, bis sie Aldrichs Gesetzesvor
lage ausgearbeitet hatten, die zur Blaupause für das Federal Reserve System
werden sollte.
Bis zur Verabschiedung des Federal Reserve Act, so die offizielle Bezeich-
nung des auf Jekyll Island ausgetüftelten und von Aldrich eingebrachten Ge-
setzes, vergingen aber nochmals drei Jahre. Am 23. Dezember 1913 schließ-
lich wurde das Zentralbankgesetz von beiden Kammern des Kongresses mit
großer Mehrheit angenommen, und im November 1914 schließlich trat es
in Kraft.
Der Federal Reserve Act von 1913 griff viele der von Aldrich und Warburg
vorgeschlagenen Maßnahmen auf, die dazu gedacht waren, die tief verwur-
zelte Abneigung der Amerikaner gegen eine Zentralbank zu überwinden.
Zunächst sollte die zu gründende Einrichtung nicht den Namen Zentral-
bank tragen, sondern als Federal Reserve System bezeichnet werden. Darü-
ber hinaus sollte sie keine Einzelinstitution sein, sondern vielmehr ein Zu-
sammenschluss regionaler Notenbanken, der sogenannten Reserve Banks,
angeleitet von einem Direktorium, dem Federal Reserve Board, dessen Mit-
glieder nicht von den Banken ausgewählt, sondern vom Präsidenten ernannt
und zudem vom Senat bestätigt werden sollten.
Nach außen hin erweckte das alles den Anschein, als sei das System de-
zentral organisiert und unterstünde der Kontrolle demokratisch gewählter
Amtsträger. Bei genauerer Betrachtung aber zeigte sich, dass der Plan einen
Mechanismus enthielt, der sehr viel mehr den Interessen der illustren Grup-
pe entsprach, die Aldrich auf Jekyell Island um sich geschart hatte. Die ei-
gentliche, durch Offenmarktgeschäfte getätigte Geldpolitik würde nämlich
von der Federal Reserve Bank of New York dominiert werden, da New York
City der Sitz der großen Banken und Handelshäuser war, mit denen die Fed
Geschäfte machen würde. Der Federal Reserve Bank of New York allerdings
82
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
standen ein Verwaltungsrat sowie ein Gouverneur vor, die nicht von der Po-
litik, sondern von ihren Anteilseignern bestimmt wurden – sprich den gro-
ßen New Yorker Banken. Die Folge war eine »Fed innerhalb der Fed«, die
von den New Yorker Banken dominiert wurde und entsprechend willfäh-
rig ihren Wünschen gegenüber war, darunter der unkomplizierte Zugang zu
Krediten für notwendige Rettungsaktionen.
Einige dieser Regelungen wurden durch den Banking Act von 1935 geän-
dert, mit dem dem Direktorium der Federal Reserve in Washington D.C.
umfangreichere Kontrollrechte zugewiesen wurden, die er bis heute inne-
hat. Seit einiger Zeit wird das Fed-Direktorium nicht mehr von Bankiers,
sondern von Wirtschaftswissenschaftlern und Anwälten dominiert, die Ban-
kensanierungen und einer Politik des billigen Geldes ironischerweise aber
noch wohlgesonnener zu sein scheinen als die Bankiers selbst. Doch zu-
mindest in den 1920er-Jahren wurde das Federal Reserve System von der
New Yorker Fed dominiert, regiert mit fester Hand von ihrem ersten Gou-
verneur Benjamin Strong von 1914 bis zu seinem Tod 1928. Mit Strong,
einem Protegé des Morgan-Partners Henry Davidson sowie J.P. Morgans
selbst, war Morgans Einfluss auf die neue Zentralbank der Vereinigten Staa-
ten umfassend.
Die Geschichte wiederholt sich vielleicht nicht, aber sie hallt nach. Jahr-
zehnte nach dem Geheimtreffen auf Jekyll Island schlossen sich Frank Van-
derlips National City Bank und Charles Nortons First National Bank zur
First National City Bank of New York zusammen, die sich später kurz und
bündig in Cititbank umtaufte. 2008 kam die Citibank in den Genuss des
größten Bankrettungsplans in der Geschichte, durchgeführt von der Fe-
deral Reserve. Die Grundlagen, die Vanderlip und Norton und ihre Mit-
streiter 1910 auf Jekyll Island gelegt hatten, hatten sich als dauerhaft genug
erwiesen, um ihre Banken noch fast ein Jahrhundert später wie vorgesehen
zu retten.
83
Teil 2 Währungskriege
Der Erste Weltkrieg und der Vertrag von Versailles 1914 bis 1919
Die letzte Vorbedingung des Ersten Währungskriegs war der Erste Welt-
krieg mit der anschließenden Pariser Friedenskonferenz und dem Versail-
ler Vertrag.
Der Erste Weltkrieg ging nicht mit einer Kapitulation, sondern mit einem
Waffenstillstand zu Ende, einer Vereinbarung, sämtliche Kampfhandlungen
einzustellen. Ein Waffenstillstand wird in der Erwartung geschlossen, dass
die Einstellung der Feindseligkeiten den Kriegsparteien die Möglichkeit
gibt, einen Friedensvertrag auszuhandeln, in manchen Fällen aber scheitern
die Verhandlungen auch und werden die Kampfhandlungen wieder aufge-
nommen. Ziel der Pariser Friedenskonferenz von 1919 war die Aushand-
lung eines dauerhaften Friedens. Großbritannien und Frankreich waren
sich deutlich bewusst, dass ihnen in naher Zukunft die finanzielle Rechnung
für den Krieg präsentiert werden würde, und sahen in der Pariser Konferenz
eine Gelegenheit, diese Kosten den besiegten Deutschen und Österreichern
aufzuerlegen.
Umfang und Art der von den Deutschen zu leistenden Reparationen gehör-
ten mit zu den schwierigsten Fragen, die auf der Pariser Friedenskonferenz
84
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
Auch wenn die Frage der Reparationen häufig allein unter dem Gesichts-
punkt betrachtet wurde, wie viel Deutschland den Alliierten zu zahlen in
der Lage war, verhielt sich die Sache in Wahrheit deutlich komplizierter,
da nicht nur die Verlierer, sondern auch die Sieger verschuldet waren. Wie
Margaret MacMillan in ihrem Buch Paris, 1919 schreibt, hatten sowohl
Großbritannien als auch Frankreich gewaltige Summen an Russland ver-
liehen, das seit der Oktoberrevolution säumig war. Andere Schuldner wie
zum Beispiel Italien waren zahlungsunfähig. Gleichzeitig stand Großbritan-
nien mit 4,7 Milliarden Dollar bei den Vereinigten Staaten in der Kreide,
während Frankreich den Vereinigten Staaten 4 Milliarden Dollar und Groß-
britannien weitere 3 Milliarden Dollar schuldete. Praktisch kein Schuldner-
land sah sich in der Lage, seine Schulden zu bedienen. Der gesamte Kredit-
und Handelsmechanismus war eingefroren.12
85
Teil 2 Währungskriege
Die Berechnung der Höhe der Reparationen und die Einigung auf einen
Mechanismus, mittels dessen die Reparationen zu leisten waren, erwiesen
sich als nahezu unlösbare Aufgaben. Frankreich, Belgien und Großbritanni-
en forderten, die Reparationen nach den tatsächlichen Kriegsschäden zu er-
mitteln, die Vereinigten Staaten dagegen waren eher geneigt, die Zahlungs
fähigkeit der Deutschen mit zu berücksichtigen. Allerdings befanden sich
die deutschen Statistiken in einem so erbärmlichen Zustand, dass eine zu-
verlässige Kalkulation der Zahlungsfähigkeit nicht möglich war. Aber auch
an eine Berechnung der Kriegsschäden war in der gegebenen Zeit unmög-
lich zu denken. Viele Gebiete waren kaum zugänglich und schon gar nicht
in einem Zustand, in dem man halbwegs zuverlässige Schätzungen über die
erforderlichen Wiederaufbauleistungen hätte anstellen können.
Die Alliierten stritten untereinander ebenso viel wie mit den deutschen Ge-
sandten darüber, ob die Reparationen auf die tatsächlichen Kriegsschäden
begrenzt werden sollten, was Frankreich und Belgien bevorzugt hätte, oder
ob sie auch rein finanzielle Kosten wie die Pensionen und den Sold der Sol-
daten umfassen sollten, was für England besser gewesen wäre. Am Ende ver-
zichtete man im Versailler Vertrag darauf, die Höhe der Reparationen ex-
akt festzulegen, was ebenso sehr der technischen Unmöglichkeit geschuldet
86
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter
Fazit
1921 war die Bühne bereit für den ersten modernen Währungskrieg. Der
klassische Goldstandard wirkte wie ein intellektueller Magnet, ein monetä-
rer Polarstern, der in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Debatte da-
rüber anleitete, welches System am besten geeignet sei, die internationalen
Kapitalströme und den Welthandel wieder in Gang zu bringen. Der Erste
Weltkrieg und der Friedensvertrag von Versailles führten ein neues Element
in die Gleichung ein, ein Element, das zu Zeiten des alten Goldstandards
kein auch nur annähernd so großes Gewicht gehabt hatte, nämlich die ge-
waltigen, miteinander verzahnten und praktisch nicht bedienbaren Staats-
schulden, die sich als ein unüberwindliches Hindernis auf dem Weg zur
Normalisierung der Kapitalströme erweisen sollten. Der Aufbau des Zen-
tralbankensystems in den USA und insbesondere die dominante Rolle der
87
Teil 2 Währungskriege
New Yorker Fed bereiteten den Eintritt der Vereinigten Staaten in den inter-
nationalen Währungsmarkt vor, und zwar nicht als ein Teilnehmer von vie-
len, sondern als der dominante Akteur. Die Möglichkeit der Fed, dem Sys-
tem durch das Anwerfen der Notenpresse zu neuer Liquidität zu verhelfen,
kam den Leuten gerade erst richtig zu Bewusstsein. Anfang der 1920er-Jah-
re bedingten die nostalgische Sehnsucht nach dem klassischen Goldstan-
dard der Vorkriegszeit, die internationalen Spannungen über unbezahlba-
re Reparationen und die Unsicherheit über die geldpolitische Macht des
amerikanischen Federal Reserve Systems zusammengenommen die Ausge-
staltung des neuen internationalen Währungssystems und den Verlauf des
Ersten Währungskriegs.
88
Kapitel 4 –
Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
»Es gibt in den Vereinigten Staaten kaum einen Landesteil, der nicht
wüßte, daß Sonderinteressen und Sonderabsichten die Regierung füh-
ren.«13
Woodrow Wilson,
US-Präsident, 1914
89
Teil 2 Währungskriege
terreich und Osteuropa. Als die Vereinigten Staaten schließlich 1933 den
Dollar gegenüber dem Gold abwerteten und damit zumindest teilweise den
1931 gegenüber Großbritannien erlittenen Verlust an internationaler Kon-
kurrenzfähigkeit wieder wettmachten, war es an Frankreich und Großbri-
tannien, die nächste Abwertungsrunde einzuläuten. 1936 löste sich Frank-
reich vom Goldstandard, womit es das letzte der großen Länder war, das
sich aus den Fängen der Weltwirtschaftskrise befreite, während Großbritan-
nien das Pfund erneut abwertete, um den nach Roosevelts Dollarabwertung
1933 verlorenen Boden wiedergutzumachen.
90
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Als die Inflation Ende 1921 an Fahrt gewann, sahen die Menschen darin zu-
nächst keine Bedrohung.14 Die Deutschen erkannten, dass die Preise stie-
gen, zogen daraus aber nicht automatisch die Schlussfolgerung, dass ihre
Währung am Kollabieren war. Die Verbindlichkeiten der deutschen Ban-
ken entsprachen in etwa ihren Vermögenswerten und waren somit weitge-
hend abgesichert. Viele Unternehmen besaßen Sachwerte wie Immobilien,
Anlagen, Ausrüstungen und Lagerbestände, die nominal in dem Maße an
Wert gewannen, wie die Inflation voranschritt, und somit ebenfalls abgesi-
chert waren. Manche dieser Unternehmen hatten Schulden, die sich quasi
verflüchtigten, da die geschuldeten Summen rapide an Wert verloren, und
wurden durch die Inflation sogar noch reicher. Viele deutsche Großunter-
nehmen, die Vorläufer der heutigen Industriegiganten, hatten ausländische
Töchter und Beteiligungen, die Devisen erwirtschafteten und ihre Mutter-
gesellschaften so noch zusätzlich vor den schlimmsten Folgen des Zusam-
menbruchs der Mark schützten.
Eine der traditionellen Reaktionen auf den Kollaps einer Währung ist die
Kapitalflucht. Diejenigen, die Papiermark in Schweizer Franken, Gold oder
andere sichere Werte umtauschen konnten, taten das und brachten ihre Er-
91
Teil 2 Währungskriege
sparnisse ins Ausland. Aber selbst die deutsche Bourgeoisie zeigte sich zu-
nächst nicht sonderlich beunruhigt, weil der Wertverlust der Mark durch
Börsengewinne ausgeglichen wurde. Der Umstand, dass diese Gewinne
auf eine beständig an Wert verlierende Währung lauteten, war vielen noch
nicht aufgegangen. Schließlich waren auch diejenigen, die beim Staat oder
in gewerkschaftlich organisierten Betrieben arbeiteten, zunächst geschützt,
weil die Regierung einfach an die Inflation angepasste Lohnerhöhungen ge
währte.
Natürlich hatte nicht jeder einen Job beim Staat, war gewerkschaftlich orga-
nisiert oder besaß ein Aktienportfolio, reale Vermögenswerte oder ausländi-
sche Tochtergesellschaften, die ihn vor den Folgen der Inflation geschützt
hätten. Am stärksten betroffen waren die Rentner aus der Mittelschicht, de-
ren Renten nicht mehr erhöht wurden, und Sparer, die ihre Ersparnisse bei
Banken eingezahlt und nicht in Aktien angelegt hatten. Diese Gruppen wur-
den finanziell komplett ruiniert. Viele sahen sich gezwungen, ihre Möbel zu
verkaufen, um ein paar Mark für Lebensmittel, Brennstoff und Strom zu ver-
dienen. Klaviere waren besonders gefragt und entwickelten sich sogar zu ei-
ner Art eigener Währung. Nicht selten gingen ältere Paare, die ihre gesamten
Ersparnisse verloren hatten, in ihrer Verzweiflung in die Küche, legten die
Köpfe in den Backofen und drehten das Gas auf, bis sie erstickt waren. Die
Zahl der Eigentumsdelikte nahm explosionsartig zu, und gegen Ende waren
auch Krawalle und Plünderungen an der Tagesordnung.
Als die Reichsbank 1922 den Versuch aufgab, die Situation irgendwie noch
unter Kontrolle zu halten, und die Notenpressen auf Hochdruck laufen
ließ, um die Lohnforderungen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter
und Staatsbediensteten erfüllen zu können, schlug die Inflation um in ei-
ne Hyperinflation. Ein US-Dollar war bald so viel wert, dass amerikanische
Besucher ihn nicht ausgeben konnten, weil die Händler gar nicht so viele
Millionen Mark auftreiben konnten, um ihnen darauf herauszugeben. Res-
taurantbesucher bezahlten im Voraus, weil der Preis für die Mahlzeit erheb-
lich höher sein würde, wenn sie mit dem Essen fertig waren. Der Bedarf an
92
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
93
Teil 2 Währungskriege
Schließlich lieferte die Hyperinflation den Beweis, dass Länder, was Papier-
währungen anging, durchaus mit dem Feuer spielen konnten, da sich durch
eine einfache Rückkehr zum Goldstandard oder zu anderen materiellen Ver-
mögenswerten wie zum Beispiel Grundbesitz die Ordnung rasch wieder-
herstellen ließ, wenn die Bedingungen dafür opportun schienen – wie das
Deutschland ab Herbst 1923 mit der Einführung zunächst der Renten- und
dann der Reichsmark vorexerziert hatte. Damit soll nicht gesagt werden, die
deutsche Hyperinflation ab 1922 sei ein sorgfältig durchdachter Plan ge-
wesen, nur, dass sich eine Hyperinflation als Instrument zur Durchsetzung
politischer Ziele gebrauchen lässt. Da die Gewinner und Verlierer von Hy-
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Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Natürlich waren die Kosten der Hyperinflation enorm. Das Vertrauen in die
staatlichen deutschen Behörden löste sich in nichts auf, und zahllose Exis-
tenzen wurden vernichtet. Dennoch bewies die Episode, dass ein Land, das
über ausreichend natürliche Ressourcen, eine ausgebildete Arbeiterschaft,
Sachvermögen und Gold als Reservoir an Reichtum verfügte, relativ intakt
aus einer Hyperinflation hervorgehen konnte. In den fünf Jahren, die unmit-
telbar auf die Hyperinflation folgten, von 1924 bis 1929, wuchs die deut-
sche Industrieproduktion schneller als die jeder anderen großen Volks-
wirtschaft, einschließlich der der Vereinigten Staaten. Zuvor hatten sich
Nationen in Kriegszeiten vom Goldstandard gelöst, so zum Beispiel Eng-
land, das während und unmittelbar nach den Napoleonischen Kriegen die
Goldkonvertibilität des Pfund ausgesetzt hatte. Nun hatte Deutschland die
Verbindung zum Gold in einer Zeit des Friedens gebrochen, wenn auch ei-
nes von den harten Bedingungen des Versailler Vertrags diktierten Friedens.
Die Reichsbank hatte gezeigt, dass in einer modernen Volkswirtschaft eine
Papierwährung ohne Bindung an Gold allein im Interesse bestimmter poli-
tischer Ziele abgewertet und diese Ziele damit auch erreicht werden konn-
ten, was natürlich von den anderen großen Industrienationen sehr aufmerk-
sam registriert wurde.
Im Frühjahr 1922, eben zu der Zeit, als die Inflation in Weimar außer Kon-
trolle geriet, kamen die großen Industrienationen zu der Konferenz von
Genua zusammen, um erstmals seit Ende des Ersten Weltkriegs über ei-
ne Rückkehr zum Goldstandard zu verhandeln.15 Vor 1914 hatte es in den
meisten wichtigen Volkswirtschaften einen echten Goldstandard gegeben,
bei dem der Wert der Papiernoten im Verhältnis zum Gold festgeschrie-
95
Teil 2 Währungskriege
ben war, was bedeutete, dass Papiergeld und Goldmünzen parallel in Um-
lauf waren, weil sie jederzeit frei ineinander konvertierbar waren. Nach dem
Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch, als die Notwendigkeit übermächtig
wurde, zur Finanzierung des Kriegs frisches Geld zu drucken, hatten sich
praktisch alle Länder vom alten Goldstandard losgesagt. Nun, 1922, nach-
dem der Vertrag von Versailles unterzeichnet war und man sich – wenn auch
auf einem brüchigen Fundament – über die Kriegsreparationen verständigt
hatte, rückte der Goldstandard als Anker des internationalen Währungssys-
tems wieder in den Fokus.
Doch seit der Blütezeit des klassischen Goldstandards hatten sich weit rei-
chende Veränderungen vollzogen. Die Vereinigten Staaten hatten 1913 mit
dem Federal Reserve System eine neue Zentralbank gegründet, die über bei-
spiellose Kompetenzen bei der Regulierung der Zinssätze und der Geld-
menge gebot. Die Wechselwirkungen zwischen Goldvorräten und Fed-Geld
waren in den 1920er-Jahren noch Gegenstand von Experimenten. So, wie
sich die Länder in den Kriegsjahren von 1914 bis 1918 an die Bequemlich-
keit gewöhnt hatten, ganz nach Bedarf frisches Papiergeld drucken zu kön-
nen, hatten sich auch die Menschen daran gewöhnt, das Papiergeld zu ak-
zeptieren, nachdem die Goldmünzen aus dem Umlauf genommen worden
waren. Die Großmächte kamen mit der Absicht nach Genua, auf einer flexi-
bleren Basis zum Goldstandard zurückzukehren und diesen der direkteren
Kontrolle der Zentralbanken zu unterstellen.
Aus der Konferenz von Genua ging der neue Gold-Devisen-Standard her-
vor, der erhebliche Unterschiede zum klassischen Goldstandard aufwies.
Die teilnehmenden Länder kamen überein, dass Zentralbankreserven nicht
nur in Gold, sondern auch in den (gegen Gold einlösbaren) Währungen an-
derer teilnehmender Länder gehalten werden konnten; der Ausdruck »De-
visen« in »Gold-Devisen-Standard« bedeutete schlicht, dass bestimmte De-
visenbestände für Reservezwecke wie Gold behandelt wurden. Damit wurde
die Aufgabe, einen echten Goldstandard aufrechtzuerhalten, auf diejenigen
Länder ausgelagert, die wie beispielsweise die Vereinigten Staaten über gro-
96
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Zudem wurde die freie Zirkulation von Goldmünzen und -barren im Ver-
gleich zur Vorkriegszeit stark eingeschränkt. Die Länder boten zwar nach
wie vor den Umtausch von Papiernoten in Gold an, üblicherweise aber nur
noch zu großen Mindestmengen wie beispielsweise 400-Unzen-Barren, die
zu der Zeit 8 226 Dollar wert waren (oder über 110 000 Dollar in heutigem
Geld). Das bedeutete, dass Barrengold nur noch von Zentralbanken, Ge-
schäftsbanken und den Reichen genutzt wurde, während die anderen auf
Papiernoten angewiesen waren, abgesichert mit dem Versprechen des aus-
gebenden Landes, ihren Gegenwert in Gold zu aufrechtzuerhalten. Papier-
geld war damit immer noch »so gut wie Gold«, aber das Gold selbst nun
dazu bestimmt, in den Tresoren der Zentralbanken zu verschwinden. Zur
Unterstützung des neuen Gold-Devisen-Standards brachte Großbritannien
diese Vorschriften im Gold Standard Act von 1925 in Gesetzesform.
97
Teil 2 Währungskriege
Das System der festen Wechselkurse, das von 1925 bis 1931 bestand, hatte
zur Folge, dass der Währungskrieg vorläufig nicht über Wechselkurse, son-
dern über Goldkonten und Zinssätze ausgefochten wurde. Das reibungs-
lose Funktionieren des Gold-Devisen-Standards in dieser Periode hing
entscheidend von der Einhaltung der sogenannten »Spielregeln« ab. Die-
se sahen vor, dass Länder mit einem starken Goldzustrom die Geldmen-
ge erhöhten, unter anderem durch eine Senkung der Zinssätze, damit ih-
re Volkswirtschaft expandieren konnte. Umgekehrt sollten die Länder,
die Goldabflüsse verzeichneten, ihr Geld durch die Anhebung der Zins-
98
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
sätze verteuern und damit eine Kontraktion der Wirtschaft auslösen. Mit
der Zeit würden in dem Land mit der schrumpfenden Wirtschaft dann die
Preise und Löhne so weit fallen, dass seine Produkte billiger und damit in-
ternational konkurrenzfähiger wären, während im Land mit der expandie-
renden Wirtschaft das Gegenteil eintreten würde. An diesem Punkt wür-
den sich die Austauschbeziehungen anfangen umzukehren, und das Land,
aus dem bisher Gold abgeflossen war, würde einen Goldzufluss erleben,
da es dank s einer billigeren Produkte nun einen Handelsbilanzüberschuss
erwirtschaftet. Umgekehrt würde das Land mit der expandierenden Wirt-
schaft in ein Handelsbilanzdefizit hineinrutschen, und es würde zu Gold-
abflüssen kommen.
Eine der Eigenarten von Papiergeld besteht darin, dass es zugleich ein Ver-
mögenswert (nämlich des Wirtschaftssubjekts, in dessen Besitz es sich be-
findet) wie auch eine Verbindlichkeit (nämlich der es ausgebenden Bank)
ist. Gold dagegen ist im Regelfall nur ein Vermögenswert, außer wenn es –
was in den 1920er-Jahren höchst selten vorkam – von einer Bank an eine an-
dere verliehen wird. Anpassungstransaktionen in Gold sind deshalb norma-
lerweise Nullsummenspiele. Angenommen, Gold fließt von Großbritannien
nach Frankreich ab, so reduziert sich die Geldmenge in Großbritannien ent-
sprechend der abfließenden Menge an Gold und weitet sich die Geldmenge
in Frankreich analog dazu aus.
99
Teil 2 Währungskriege
Nachdem bis 1927 in großem Stil Gold und Devisen von Großbritanni-
en nach Frankreich abgeflossen waren, war es gemäß den Spielregeln nun
an Großbritannien, die Zinssätze heraufzusetzen und so eine ökonomische
Kontraktion zu erzwingen, die im Laufe der Zeit die Konkurrenzfähigkeit
100
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Unabhängig davon hatten die Vereinigten Staaten, nachdem sie 1927 noch
die Zinsen gesenkt hatten, 1928 eine Reihe von Zinsanhebungen vorgenom-
men, die sich stark kontrahierend auf die US-Wirtschaft auswirkten und das
genaue Gegenteil dessen waren, was das Land den Spielregeln zufolge in
Anbetracht seiner dominanten Goldposition und des anhaltenden Goldzu-
stroms hätte tun müssen.16 Doch ebenso wie innenpolitische Erwägungen
Großbritannien 1927 von einer Zinserhöhung abgehalten hatten, beruhte
ein Jahr später die Entscheidung der Fed, die Zinsen zu erhöhen, als sie sie
hätte senken sollen, auf dem Hintergrund innenpolitischer Sorgen, insbe-
sondere der Angst vor einer Blase am amerikanischen Aktienmarkt. Kurz ge-
sagt, indem die Teilnehmer des Gold-Devisen-Standards innenpolitischen
Interessen Vorrang vor den Spielregeln einräumten, setzten sie das Funktio-
nieren des Systems insgesamt aufs Spiel.
101
Teil 2 Währungskriege
Es ist eine Sache, wenn das Preisniveau im Laufe der Zeit aufgrund von
Innovation, Skaleneffekten und anderen Effizienzvorteilen nachgibt. Diese,
man könnte sagen, »gute« Deflation dürfte jedem zeitgenössischen Verbrau-
cher vertraut sein, der den Preisverfall von Computern oder Flachbildfern-
sehern mitverfolgt hat. Eine ganz andere Sache ist es, wenn die Preise infol-
ge von Geldmengenschrumpfung, Kreditbeschränkungen, Schuldenabbau,
Unternehmenszusammenbrüchen, Konkursen und Massenarbeitslosigkeit
nach unten gedrückt werden. Und eben diese »schlechte« Deflation war er-
forderlich, um die wichtigsten Währungen auf ihre Vorkriegsparität zum
Gold zurückzuführen.
Bis 1923 hatten sich sowohl Frankreich als auch Deutschland dem Prob-
lem der Kriegsinflation stellen müssen und ihre Währungen abgewertet. Von
102
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Die 1920er-Jahre waren für die Vereinigten Staaten eine Zeit der Prosperi-
tät, und von 1924 bis 1929 wuchs auch in Frankreich und Deutschland die
Wirtschaft stark. Nur Großbritannien hinkte hinterher. Hätte sich das Land
bis 1928 aus dem Zangengriff der Deflation und Arbeitslosigkeit befreien
können, wer weiß, vielleicht wäre die gesamte Welt in eine Phase des nach-
haltigen globalen Wachstums eingetreten, wie es sie seit dem Ersten Welt-
krieg nicht mehr erlebt hatte. Stattdessen aber wurden die globalen Finanz-
märkte kurz darauf in einen verheerenden Abwärtsstrudel gerissen.
Der Beginn der Großen Depression wird von Ökonomen gemeinhin auf den
28. Oktober 1929 datiert, den »schwarzen Montag«, an dem der Dow Jones
Industrial Average um 12,8 Prozent abstürzte. Allerdings war Deutschland
bereits im Vorjahr in die Rezession gerutscht, und Großbritannien hatte
sich niemals ganz von der Wirtschaftskrise 1920/1921 erholt. Der schwarze
Montag markierte das Platzen einer besonders großen amerikanischen Spe-
kulationsblase in einer Welt, die sowieso schon mit den Folgen der Deflati-
on zu kämpfen hatte.
103
Teil 2 Währungskriege
Die unmittelbar auf den US-Börsencrash von 1929 folgenden Jahre wa-
ren verheerend, was Arbeitslosigkeit, Rückgang der Produktion, Unter-
nehmenspleiten und menschliches Leid anging. Aus der Perspektive des
globalen Finanzsystems allerdings waren Frühjahr und Sommer 1931 die
gefährlichste Phase. Die Finanzpanik von 1931, die auf einen weltweiten
Bankenansturm hinauslief, begann im Mai, als die Österreichische Cre-
ditanstalt in Wien horrende Verluste bekannt gab und ihre Zahlungsunfä-
higkeit erklärte. In den darauffolgenden Wochen wurde Europa von einer
Bankenpanik erfasst, und in Österreich, Deutschland, Polen, der Tschecho-
slowakei sowie Jugoslawien wurden Bankfeiertage verhängt. Deutschland
setzte die Bedienung seiner Auslandsschulden aus und verhängte Kapi-
talverkehrskontrollen, was von seiner Wirkung her der Abkehr vom Gold-
Devisen-Standard gleichkam, da ausländische Gläubiger ihre Forderungen
gegen deutsche Banken nicht länger in Gold konvertieren konnten, die deut-
sche Regierung aber offiziell weiterhin behauptete, den Wert der Reichs-
mark gegenüber dem Gold unverändert zu halten.
Die Panik breitete sich rasch nach Großbritannien aus, wo es ab Juli 1931 zu
massiven Goldabflüssen kam. Führende britische Banken hatten in großem
Stil gehebelte Investitionen in illiquide Vermögenswerte vorgenommen und
diese mit kurzfristigen Darlehen finanziert, eben die Sorte Investitionen, die
2008 die Investmentbank Lehman Brothers in den Abgrund riss. Als die-
se Darlehen fällig wurden, konvertierten die ausländischen Gläubiger ihre
Pfund-Forderungen in Gold, das postwendend in die Vereinigten Staaten,
nach Frankreich oder in eine andere Goldmacht transferiert wurde, die von
der Krise noch nicht mit voller Wucht erfasst worden war. Als der Goldab-
fluss kritische Ausmaße annahm und der Druck des Bankenansturms selbst
große Banken in der Londoner City in den Abgrund zu reißen drohte, ver-
kündete Großbritannien am 21. September 1931 den Abschied vom Gold-
standard. Fast sofort stürzte das Pfund gegenüber dem Dollar ab und verlor
binnen weniger Monate über 30 Prozent seines Wertes. In der Folgezeit lös-
ten viele andere Länder, darunter Japan, die skandinavischen Nationen und
zahlreiche Mitglieder des British Commonwealth, ebenfalls ihre Bindung an
104
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
105
Teil 2 Währungskriege
der Bankfeiertag bis zum 9. März dauern, wurde dann aber auf unbestimm-
te Zeit verlängert. Roosevelt erklärte, die Ruhepause werde zur Überprü-
fung aller Banken genutzt, und nur Banken, die auf gesunden Füßen stün-
den, würden ihre Geschäfte wiederaufnehmen dürfen. Als die Bankferien
am 13. März endeten, öffneten einige Banken wieder die Schalter, wäh-
rend andere geschlossen blieben. Tatsächlich handelte es sich bei der gan-
zen S
ache aber mehr um eine vertrauensbildende Maßnahme als um gute
Bankenpraxis, und in den acht Tagen, die die Schalter geschlossen blieben,
hatte die Regierung keineswegs die Bücher aller Banken geprüft.
Was die Wiederherstellung des Vertrauens in die Banken anging, war die
Verabschiedung des Emergency Banking Act am 9. März 1933 von weit-
aus größerer Bedeutung als die Bankeninspektionen. Mit dem Gesetz konn-
te die Fed den Banken Darlehen über 100 Prozent des Nennwerts der von
ihnen gehaltenen Staatsanleihen sowie über 90 Prozent des Nominalwerts
aller Schecks und sonstigen liquiden kurzfristigen Papiere gewähren. Dar-
über hinaus erhielt die Fed das Recht, jeder Bank, die dem Federal Reser-
ve System angehörte, unbesicherte Darlehen zu geben. In der Praxis bedeu-
tete dies, dass die Banken sich im Falle eines Bankenansturms unbegrenzt
Bargeld bei der Fed beschaffen konnten. Das war zwar noch nicht ganz die
Einlagenversicherung, die später im selben Jahr folgen sollte, aber es war ein
funktionales Äquivalent, da die Sparer nun keine Angst mehr haben muss-
ten, den Banken könnte das Geld ausgehen.
106
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
fiziert, der darüber hinaus dem Präsidenten die explizite statt nur implizite
Befugnis zur Schließung der Banken übertrug.
Als die Banken am 13. März 1933 wieder öffneten, standen die Menschen
vielerorts in langen Schlangen an, aber nicht, um ihre Ersparnisse abzuhe-
ben, sondern um das Geld einzuzahlen, das sie in der Panik der vorange-
gangenen Monate in Kaffeekannen und Matratzen gehortet hatten. Obwohl
sich in den Bilanzen der Banken kaum etwas verändert hatte, hatte der bloße
Anschein einer gründlichen Säuberungsaktion während der Bankenschlie-
ßung im Verein mit der neuen Autorität der Fed zur unbegrenzten Vergabe
von Notkrediten das Vertrauen in die Banken wiederhergestellt. Nachdem
das getan war, musste Roosevelt ein Problem angehen, das noch weitaus ge-
fährlicher war als ein Bankenansturm – die Deflation, die die Vereinigten
Staaten nun über die Wechselkurse aus aller Welt importierten. Der Erste
Währungskrieg war auf den Stufen des Weißen Hauses angekommen.
Als sich Großbritannien und zahlreiche andere Länder 1931 vom Gold-
standard trennten, sanken die Kosten ihrer Exporte im Vergleich zu denen
konkurrierender Nationen. Das bedeutete, dass die Wettbewerber, wollten
sie auf den Weltmärkten mithalten, Mittel und Wege finden mussten, ihre
Kosten ebenfalls zu senken. Mitunter wurde die Kostenreduzierung durch
Lohnkürzungen oder Entlassungen erreicht, was jedoch das Problem der
Arbeitslosigkeit verschlimmerte. Tatsächlich exportierten die Länder, die
durch die Abkehr vom Gold abgewertet hatten, die Deflation ins Ausland
und verstärkten damit den globalen deflationären Trend.
Als Gegengift für Deflation bot sich Inflation an, aber die Frage war, wie
man, nachdem ein Teufelskreis aus sinkenden Ausgaben, höheren Schul-
denlasten, steigender Arbeitslosigkeit, Geldhortung und weiteren Ausga-
bensenkungen eingesetzt hatte, Inflation hervorrufen konnte. Inflation und
Abwertung sind im Hinblick auf ihre ökonomischen Auswirkungen im Prin-
zip ein und dieselbe Sache: Beide reduzieren das inländische Kostengefüge,
verteuern Importe und verbilligen die eigenen Exporte in andere Länder
107
Teil 2 Währungskriege
und tragen somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Inland bei. Großbri-
tannien, die Länder des Commonwealth und Japan hatten sich 1931 mit ei-
nigem Erfolg für diesen Weg entschieden. Die Vereinigten Staaten hätten
nun ihrerseits einfach gegen das Pfund und andere Währungen abwerten
können. Allerdings barg das die Gefahr weiterer Abwertungen gegen Dol-
lar, ohne dass dann etwas gewonnen wäre. Die Fortsetzung des Papierwäh-
rungskriegs nach dem Prinzip »wie du mir, so ich dir« war als langfristige
Lösung also nicht geeignet. Statt gegen andere Papierwährungen abzuwer-
ten, beschloss Roosevelt deshalb, den Dollar gegen die ultimative Währung
abzuwerten – Gold.
Doch damit ging in den Vereinigten Staaten ein besonderes Problem ein-
her. Neben den offiziellen Goldvorräten in den Banken des Federal Reser-
ve Systems befand sich Gold nämlich auch in privatem Umlauf, und zwar in
Form von Goldmünzen, die als gesetzliches Zahlungsmittel genutzt wurden,
sowie in Form von Münzen oder Barren, die in Bankschließfächern oder
an anderen sicheren Orten aufbewahrt wurden. Bei diesem Gold handelte
es sich eigentlich um nichts anderes als Geld, aber eben Geld, das gehortet
und nicht ausgegeben oder auf sonstige Weise in Umlauf gebracht wurde.
Der einfachste Weg, den Dollar gegenüber dem Gold abzuwerten, bestand
darin, den Dollarpreis des Goldes zu erhöhen, was Roosevelt mit seinen
Notstandsbefugnissen auch tun konnte. Er hätte einfach verkünden müs-
sen, dass Gold ab sofort zu einem Kurs von 25 oder 30 Dollar pro Feinunze
konvertiert wird anstatt zum Goldstandardpreis von 20,67 Dollar pro Fein
unze. Das Problem dabei war, dass die Erhöhung des Goldpreises zu großen
Teilen den privaten Goldbesitzern zugutegekommen wäre, aber wenig da-
zu beigetragen hätte, die privaten Goldbestände zu entfesseln und wieder in
Umlauf zu bringen. Im Gegenteil, in der Hoffnung auf ein weiteres Anziehen
des Goldpreises könnten sogar noch mehr Leute Papierdollar in physisches
Gold umtauschen, und diejenigen, die bereits Gold besaßen, könnten sich
bestätigt fühlen und weiter Gold horten. Roosevelt musste a lso dafür sorgen,
dass die Gewinne aus der Aufwertung des Goldes an den Staat und nicht an
die privaten Goldbesitzer gingen. Wenn man den Privaten das Gold aus den
108
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Händen nahm, was bedeutete, dass die Bürger keine Alternative mehr zum
Papiergeld hatten, und ihnen zugleich die Erwartung weiterer Abwertun-
gen ihres Papiergelds einimpfte, konnten sie anfangen, ihr Geld auszugeben,
statt an einem so schwindsüchtigen Vermögenswert festzuhalten.
Ein Verbot des Hortens oder Besitzes von Gold war damit eine Grundvor-
aussetzung für den Plan, den Dollar gegenüber dem Gold abzuwerten und
die Leute wieder zum Geldausgeben zu animieren. Und genau das tat Roo-
sevelt auch. Am 5. April 1933 erließ der amerikanische Präsident die Exe-
kutivanordnung 6102, einer der außergewöhnlichsten Präsidentenerlasse in
der Geschichte der USA. Die unverblümte Wortwahl des Textes, unter dem
Franklin D. Roosevelts Signatur prangt, spricht für sich selbst:
Den Bürgern der Vereinigten Staaten wurde befohlen, ihr Gold an den Staat
auszuhändigen und dafür Papiergeld zu einem Wechselkurs von 20,67 Dol-
lar pro Feinunze zu akzeptieren. Für Zahnärzte, Goldschmiede und ande-
re Personen, die für industrielle, künstlerische, handwerkliche oder andere
»legitime und übliche« Zwecke Gold benötigen, wurden ein paar geringfü-
gige Ausnahmen erlaubt. Ansonsten durfte jeder Amerikaner Gold bis zu
einem Wert von 100 Dollar behalten, umgerechnet also knapp fünf Fein-
unzen, sowie Goldmünzen, die als historische Sammlerstücke anerkannt
waren. Die 10 000 Dollar Geldstrafe (beziehungsweise 165 000 Dollar in
109
Teil 2 Währungskriege
heutigem Geld), die denjenigen drohten, die entgegen der Verordnung des
Präsidenten weiter Gold horteten, stellten einen ganz außerordentlich ho-
hen Strafbetrag dar.
Das begonnene Werk setzte Roosevelt mit einer Reihe ergänzender Anord-
nungen fort, darunter die Exekutivanordnung 6111 vom 20. April 1933,
mit der die Ausfuhr von Gold aus den Vereinigten Staaten ohne Genehmi-
gung des Finanzministers verboten wurde, sowie die Exekutivanordnung
6261 vom 29. August desselben Jahres, mit der alle Goldminen in den Ver-
einigten Staaten angewiesen wurden, ihre Produktion zu einem vom Finanz
ministerium festzusetzenden Preis an den Staat zu verkaufen, was praktisch
einer Verstaatlichung der Goldminen gleichkam.
In einer raschen Abfolge von Schritten hatte der US-Präsident die priva-
ten Goldvorräte der Amerikaner konfisziert, die Ausfuhr von Gold verboten
und die inländische Goldförderung verstaatlicht – mit dem Resultat, dass
die offiziellen Goldreserven der USA sprunghaft anwuchsen. Zeitgenössi-
schen Schätzungen zufolge übergaben die Amerikaner dem Finanzministe-
rium 1933 insgesamt über 500 Tonnen Gold. Das Goldlager in Fort Knox
wurde 1937 eigens zur sicheren Verwahrung des von den US-Bürgern kon-
fiszierten Goldes errichtet. Das Kellergeschoss des Finanzministeriums bot
nicht mehr ausreichend Platz für das viele Gold.
110
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Unbeantwortet war aber immer noch die Frage danach, welchen Wert der
Dollar relativ zum Gold für die Zwecke des internationalen Handels und
Zahlungsausgleichs haben würde. Nachdem Roosevelt das Gold der Ameri-
kaner zum offiziellen Preis von 20,67 Dollar pro Feinunze konfisziert hatte,
ließ er ab Oktober 1933 zusätzlich Gold auf dem offenen Markt aufkaufen.
Da das den Goldpreis langsam in die Höhe trieb, kam es einer Abwertung
des Dollar gegenüber dem Gold gleich. Der Wirtschaftswissenschaftler und
Historiker Alan Meltzer beschreibt anschaulich, wie Roosevelt gelegentlich
im Schlafanzug im Bett liegend einen neuen Goldpreis festsetzte, wobei er
111
Teil 2 Währungskriege
Zur Krönung des Ganzen verabschiedete der Kongress 1934 den Gold Re-
serve Act, mit dem der neue Kurs von 35 Dollar pro Feinunze Gold ratifi-
ziert und alle sogenannten Goldklauseln in Verträgen annulliert wurden. Bei
diesen Goldklauseln handelte es sich um vertragliche Wertsicherungsver-
einbarungen, die beide Vertragsparteien gegen die Unwägbarkeiten von In-
flation oder Deflation absicherten. Eine klassische Variante war etwa die Ver-
einbarung, dass im Falle einer Veränderung des Dollarpreises von Gold die
vertraglich vereinbarten Dollarzahlungen so anzupassen sind, dass gemes-
sen an einem konstanten Goldgewicht der Wert der neuen Dollarforderung
dem der ursprünglichen Dollarforderung entspricht. Roosevelts Frontal-
angriff auf die Goldklauseln war höchst umstritten und wurde schlussend-
lich 1935 vom Obersten Gerichtshof der USA im Fall Norman gegen Balti-
more & Ohio Railroad Co mit einer knappen 5-zu-4-Entscheidung bestätigt,
wobei der Vorsitzende Richter Charles Evans Hughes das Gutachten der
Mehrheitsmeinung verfasste. Erst 1977 erlaubte der Kongress wieder die
Verwendung von Goldklauseln in Verträgen.
Schließlich wurde mit dem Gold Reserve Act von 1934 auch der Währungs-
stabilisierungsfonds des Finanzministeriums aus der Taufe gehoben, über
den das Ministerium nach eigenem Belieben für Devisenmarktinterventio-
nen und andere Offenmarktgeschäfte verfügen konnte. Der Währungsstabi-
lisierungsfonds wird gelegentlich auch als der Reptilienfonds des Finanz-
ministeriums bezeichnet, weil die Mittel nicht im Rahmen des üblichen
112
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Beide Maßnahmen, die Abkehr der Briten vom Goldstandard 1931 und die
Abwertung des Dollar gegen Gold 1933, hatten den gewünschten Effekt.
Sowohl die britische wie auch die amerikanische Volkswirtschaft reagierten
unmittelbar positiv auf die Abwertungen. Hier wie dort hörten die Preise auf
zu fallen, die Geldmenge wuchs, eine Kreditexpansion setzte ein, die Indus-
trieproduktion nahm zu, und die Arbeitslosigkeit ging zurück. Die »Gro-
ße Depression« war zwar noch lange nicht vorüber, und diese Anzeichen
einer Verbesserung spielten sich vor einem derart niedrigen Grundniveau
ab, dass Unternehmen und Menschen weiterhin große Entbehrungen ertra-
gen mussten. Aber die Talsohle war durchschritten, zumindest in denjeni-
gen Ländern, die ihre Währung gegen Gold und gegen andere Währungen
abgewertet hatten.
Nun gerieten die Länder des Goldblocks, die in den 1920er-Jahren noch
von der ersten Abwertungsrunde profitiert hatten, ihrerseits in den Sog
der von den Vereinigten Staaten und Großbritannien exportierten Defla-
tion. Das führte schließlich zum Dreimächteabkommen von 1936, einem
weiteren Schritt in dieser scheinbar endlosen Abfolge von internationalen
Währungskonferenzen und -vereinbarungen, die mit dem Versailler Vertrag
1919 begonnen hatte. Bei der Dreiervereinbarung handelte es sich um ein
informelles Abkommen zwischen Großbritannien, den Vereinigten Staa-
ten und Frankreich, das bei den Verhandlungen für sich selbst und für den
Goldblock insgesamt sprach. Laut der offiziellen, am 25. September 1936
113
Teil 2 Währungskriege
Alle drei Seiten verpflichteten sich, den Wert ihrer Währungen auf der neu
vereinbarten Parität zum Gold und somit auch untereinander stabil zu hal-
ten – ausgenommen zum Zwecke der Förderung des Binnenwachstums.
Die Ausnahme, die für das binnenwirtschaftliche Wachstum gemacht wur-
de, war politisch höchst bedeutend und ein weiterer Beleg dafür, dass Wäh-
rungskriege vielleicht auf der internationalen Bühne ausgetragen, aber von
innenpolitischen Erwägungen angetrieben werden. Konkret hieß es dazu
in Morgenthaus Erklärung: »Natürlich muss die Regierung der Vereinig-
ten Staaten in ihrer Politik in Bezug auf die internationalen Währungsbezie-
hungen umfassend Rücksicht auf die Erfordernisse der inneren Prosperität
nehmen.« Die Erklärungen der Briten und Franzosen über das Abkommen,
das in Form von drei separaten Kommuniqués und nicht in einem gemein-
samen Vertragsdokument veröffentlicht wurde, ließen in dieser Sache eben-
so wenig an Deutlichkeit vermissen. Dieser Verweis auf die »innere Prospe-
rität« war durchaus ernst gemeint, schließlich litten alle drei Länder nach
wie vor unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Man durfte getrost da-
von ausgehen, dass sie das Abkommen kündigen würden, sollte die Defla-
tion zurückkehren oder die Arbeitslosigkeit wieder in einem Maße in die
Höhe schnellen, sodass zusätzliche inflationäre Stimuli durch den Wech-
selkursmechanismus oder eine Abwertung gegen Gold unerlässlich erschie-
114
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
Im Gefolge von Frankreich traten auch die Schweiz, die Niederlande und
Belgien dem Abkommen bei. Damit hatten die konkurrierenden Währungs-
abwertungen, die in den 1920er-Jahren mit Deutschland, Frankreich und
dem Rest des Goldblocks begonnen, sich 1931 in Großbritannien fortge-
setzt und 1933 mit den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt gefunden
hatten, 1936 sozusagen einen vollen Kreis durchlaufen und waren in die
Goldblock-Länder zurückgekehrt. Das nur kurzfristig heilsame Mittel der
Währungsabwertung war wie eine Feldflasche, die sich dürstende Soldaten
teilen, von Land zu Land weitergereicht worden. Aber auch das längerfristig
wirksame Mittel der Abwertung ihrer Währung gegen Gold, um so eine In-
flation der Warenpreise anzuheizen und der Deflation zu entkommen, war
nun von allen Ländern probiert worden.
Eine positive Folge der Abwertung des Franc und der Verpflichtung auf
stabile Wechselkurse im Dreimächteabkommen war die Wiederaufnahme
der Goldlieferungen zwischen den Handelsnationen. Nach der Eiszeit der
Goldexportverbote und der Gold hortenden Zentralbanken setzte nun Tau-
wetter ein. In einer gesonderten Erklärung nicht einmal drei Wochen nach
Verkündigung des Dreierabkommens erklärte das US-Finanzministerium:
»Der Finanzminister gibt bekannt, dass … die Vereinigten Staaten denjeni-
gen Ländern Gold für die unmittelbare Ausfuhr verkaufen oder zur Verrech-
nung mit ihren Wechselkursausgleichs- oder Währungsstabilisierungsfonds
bereitstellen werden, die gleichermaßen bereit sind, Gold an die Vereinigten
Staaten zu verkaufen.« Mit anderen Worten, die USA waren bereit, das Ex-
portverbot von Gold in diejenigen Länder aufzuheben, die umgekehrt das-
selbe zu tun bereit waren. Der neue Goldpreis für internationale Transakti-
onen wurde auf 35 Dollar pro Feinunze festgesetzt, ein Kurs, der bis 1971
Bestand haben sollte.
115
Teil 2 Währungskriege
116
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936)
ben, wird seitdem heftig debattiert. Auf jeden Fall aber hat das Versagen des
Gold-Devisen-Standards dazu geführt, dass viele moderne Ökonomen der
Verwendung von Gold im internationalen Finanz- und Währungssystem ge-
nerell mit großem Misstrauen begegnen. Fairerweise aber müsste man we-
nigstens fragen, ob Gold selbst das Problem war oder ob es in Wahrheit
nicht vielmehr der Goldpreis, der auf einer nostalgischen Sehnsucht nach
der Vorkriegsparität basierte, die unterbewerteten Währungen und die fehl-
geleitete Zinspolitik waren, die das System zum Untergang verurteilten.
Womöglich hätten 1925 eine reinere Form des Goldstandards anstelle des
hybriden Gold-Devisen-Standards und ein realistischerer Goldpreis im Be-
reich von 50 Dollar weniger deflationär gewirkt und sich als stabiler erwie-
sen. Wir werden es nie erfahren. Was nach 1936 tatsächlich passierte, wis-
sen wir dagegen nur zu gut: Statt eines Währungskriegs stürzte die Welt in
den blutigsten realen Krieg ihrer Geschichte.
117
Kapitel 5 –
Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
»Der Dollar ist unsere Währung, aber Ihr Problem.«
US-Finanzminister John Connally
gegenüber ausländischen Finanzministern, 1971
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs machten sich die großen alliierten
Wirtschaftsmächte, angeführt von den USA und Großbritannien, an die
Planung einer neuen monetären Weltordnung, mit der die Fehler von Ver-
sailles und der Zwischenkriegszeit vermieden werden sollten. Ihre endgülti-
ge Gestalt erhielten diese Pläne im Juli 1944 auf der Konferenz von Bretton
Woods im US-Bundesstaat New Hampshire. Das Ergebnis war eine Reihe
von Regeln, Normen und Institutionen, die das internationale Währungs-
system für die nächsten drei Jahrzehnte prägen sollten.
Die Bretton-Woods-Ära von 1944 bis 1973 war, wenn auch unterbrochen
von mehreren Rezessionen, insgesamt eine Periode stabiler Wechselkurse,
niedriger Arbeitslosigkeit, starken wirtschaftlichen Wachstums und stei-
gender Realeinkommen. Die Periode war in nahezu jeder Hinsicht das Ge-
genteil der Zeit des Ersten Währungskriegs von 1921 bis 1936. Mit dem
Bretton-Woods-System wurde das internationale Währungssystem wie-
der im Gold verankert, und zwar durch den US-Dollar, der zu einem fixen
Kurs von 35 Dollar pro Feinunze gegen Gold eingetauscht werden konn-
te, während die anderen Währungen über einen festen Wechselkurs zum
US-Dollar indirekt ans Gold gebunden waren. Für die Vergabe kurzfristi-
ger Darlehen an einzelne Länder im Falle von Handelsdefiziten war der neu
118
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
Zwar hatte das System von Bretton Woods bis in die 1970er-Jahre hinein
Bestand, aber die Saat für den Zweiten Währungskrieg wurde bereits Mitte
bis Ende der 1960-Jahre ausgebracht. Man könnte den Beginn des Zweiten
Währungskriegs auf das Jahr 1967 datieren, und der triumphale Sieg Lyn-
don B. Johnsons mit seiner »Kanonen-und-Butter«-Plattform bei den ame-
rikanischen Präsidentschaftswahlen 1964 war die Grundlage hierfür. Mit
Kanonen war der Krieg in Vietnam gemeint, mit Butter die sozialen Leis-
tungen von Johnsons Great-Society-Programm, zu denen auch der Krieg
gegen die Armut gehörte.
Die Vereinigten Staaten unterhielten zwar seit 1950 eine militärische Prä-
senz in Vietnam, Kampftruppen in großem Umfang entsandten sie aber erst
1965, was die Kosten des Krieges in die Höhe trieb. Nach dem erdrutsch-
artigen Sieg der Demokraten 1964 trat im Januar 1965 ein neuer, von den
Demokraten dominierter Kongress zusammen, und mit seiner Rede zur La-
ge der Nation, die Johnson im selben Monat hielt, läutete er die Umsetzung
seiner Great-Society-Agenda ein.
119
Teil 2 Währungskriege
Zunächst sah es so aus, als könnten die Vereinigten Staaten sich beides leis-
ten, Kanonen und Butter. Kennedys Steuersenkungen, von Johnson kurz
nach John F. Kennedys Ermordung 1963 unterzeichnet, hatten der Wirt-
schaft einen kräftigen Wachstumsschub versetzt. Im ersten Jahr nach den
Steuersenkungen wuchs das Bruttoinlandsprodukt um über 5 Prozent, und
insgesamt erreichte es im Durchschnitt der Regierungszeiten von Kennedy
und Johnson ein Wachstum von 4,8 Prozent pro Jahr.19 Doch fast von Be-
ginn an beschleunigte sich durch das von Johnsons Politik verursachte Dop-
peldefizit in Haushalt und Handelsbilanz die Inflation.
Aufs Jahr gemessen stieg die Inflation in den USA nach noch akzeptablen
1,9 Prozent 1965 auf deutlich bedrohlichere 3,6 Prozent 1966, um dann in
den Folgejahren außer Kontrolle zu geraten.20 Erst 1986 kehrte die Preis-
steigerungsrate in den USA auf ein Niveau von knapp über einem Prozent
zurück. Allein in den fünf schlimmsten Jahren, von 1977 bis 1981, betrug
die Inflation in den USA zusammengerechnet über 50 Prozent: Ende 1981
war der US-Dollar nur noch halb so viel wert wie Anfang 1977.
120
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
seit 1964 eine Pfundkrise schwelte, die 1967 mit der ersten größeren Ab-
wertung einer Währung aufflammte. Im Bretton-Woods-System war das
britische Pfund zwar weniger bedeutend als der Dollar, dennoch war es ei-
ne wichtige Reserve- und Handelswährung. 1945 hatte das britische Pfund
noch einen größeren Anteil an den globalen Währungsreserven – sprich
den von den Zentralbanken weltweit gehaltenen Devisenbeständen – aus-
gemacht als der US-Dollar. In der Folgezeit aber war die Position der bri-
tischen Währung stetig schwächer geworden, und 1965 lauteten nur noch
26 Prozent der globalen Währungsreserven auf Pfund Sterling. Und die bri-
tische Zahlungsbilanz, die sich seit Anfang der 1960er-Jahre verschlechtert
hatte, drehte Ende 1964 scharf ins Minus.21
Für die Instabilität des britischen Pfund waren nicht nur kurzfristige Han-
delsbilanzungleichgewichte verantwortlich, sondern auch das globale Un-
gleichgewicht zwischen den gesamten außerhalb Großbritanniens in Pfund
gehaltenen Reserven und den in Großbritannien zur Begleichung der Au-
ßenhandelsdefizite verfügbaren Gold- und Dollarreserven. Mitte der
1960er-Jahre übertrafen die ausländischen Forderungen in Pfund Sterling
die britischen Binnenreserven um rund das Vierfache. Diese Situation war
höchst instabil und machte Großbritannien anfällig für einen Bankenan-
sturm, sollten die ausländischen Besitzer von Pfundbeständen versuchen,
diese im großen Stil gegen Gold oder Dollar einzutauschen. Um das Pfund
zu stützen und die Sterling-Bären außen vor zu halten, wurde eine Reihe
von koordinierten Maßnahmen ergriffen – von internationalen Kreditlinien
über Swap-Linien bei der New Yorker Fed bis hin zu einem von der briti-
schen Regierung verkündeten Sparpaket und überraschenden Interventio-
nen am Devisenmarkt. Doch das Problem blieb bestehen.
121
Teil 2 Währungskriege
zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn und die Erwartung, Lon-
don werde im Interesse einer Aufnahme in die Europäische Wirtschafts-
gemeinschaft das Pfund abwerten müssen. Die Inflationsrate nahm nun
in Großbritannien ebenso zu, wie sie das in den Vereinigten Staaten tat.
Die Briten redeten sich ein, die Inflation sei zur Bekämpfung der wach-
senden Arbeitslosigkeit notwendig, doch die Auswirkungen auf die briti-
sche Währung w aren verheerend. Nach einem erfolglosen Versuch, den an-
haltenden Verkaufsdruck abzuwehren, wurde das Pfund am 18. November
1967 offiziell von 2,80 Dollar auf 2,40 Dollar abgewertet, eine Abwertung
um 14,3 Prozent.
Seit 1961 betrieben die Zentralbanken der Vereinigten Staaten und anderer
führender Wirtschaftsmächte den Londoner Goldpool. Bei diesem Gold-
pool handelte es sich im Prinzip um eine Offenmarktoperation zur Fixierung
des Goldpreises. Die Teilnehmer setzten ihre Gold- und Dollarreserven da-
für ein, den Goldpreis auf seiner Bretton-Woods-Parität von 35 Dollar die
Feinunze zu halten. Dem Goldpool gehörten die Vereinigten Staaten, Groß-
122
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
Der erste öffentliche Angriff auf das Bretton-Woods-System, das auf einem
dominanten und ans Gold gebundenen Dollar basierte, erfolgte aber bereits
vor der Pfundabwertung von 1967. Im Februar 1965 hielt der französische
Präsident Charles de Gaulle eine aufwieglerische Rede, in der er behaup-
tete, der Dollar habe als Leitwährung im internationalen Währungssystem
ausgedient, und zur Rückkehr zum klassischen Goldstandard aufrief.22 Die-
sen hielt der französische Präsident für eine »unanfechtbare Grundlage, wel-
che nicht den Stempel irgendeiner speziellen Nation trägt. Im Grunde ist
kein anderer Standard außer Gold denkbar.« Und de Gaulle beließ es nicht
bei bloßen Worten. Nachdem Frankreich bereits im Januar des Jahres bei
den USA Devisenreserven in Höhe von 150 Millionen Dollar gegen Gold
eingelöst hatte, gab de Gaulle bekannt, in Kürze nochmals denselben Be-
trag in Gold zu konvertieren. Spanien folgte Frankreichs Beispiel und wech-
selte aus seinen Reserven 60 Millionen Dollar in Gold. Legt man diesen
Transfers den Goldpreis vom Juni 2011 zugrunde und nicht den damaligen
Kurs von 35 Dollar pro Feinunze, so summierten sich die Goldeinlösungen
durch Frankreich auf rund 12,8 Milliarden Dollar und die durch Spanien
auf 2,6 Milliarden Dollar, was damals einer signifikanten Reduzierung der
amerikanischen Goldreserven gleichkam. De Gaulle bot den USA freund-
123
Teil 2 Währungskriege
licherweise die Hilfe der französischen Marine für den Rücktransport des
Goldes nach Frankreich an.
124
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
Diese geheime Zusicherung der Deutschen war für Washington überaus be-
ruhigend. Im Gegenzug würden die USA auch weiterhin die Kosten für die
Verteidigung Deutschlands gegen die sowjetischen Truppen und Panzer
übernehmen, die in den Wäldern rund um West-Berlin und in ganz Osteu-
ropa stationiert waren.
Doch Deutschland war nicht das einzige Land mit potenziellen Goldforde-
rungen gegen den Dollar, und im Kielwasser der Pfundabwertung von 1967
mussten die Vereinigten Staaten zur Stützung der Dollar-Gold-Parität über
800 Tonnen Gold verkaufen. Nachdem es nur ein Jahr zuvor aus der NATO
ausgetreten war, verabschiedete sich Frankreich im Juni 1967 auch aus dem
Goldpool. Die anderen Mitglieder führten den Pool fort, doch es war eine
vergebliche Mühe: Die Goldrückforderungen ausländischer Dollarinhaber
hatten längst epidemische Ausmaße angenommen. Im März 1968 erreich-
te der Goldabfluss aus dem Pool eine Rate von 30 Tonnen – pro Stunde.
125
Teil 2 Währungskriege
der Londoner Goldpool seine Interventionen auf dem freien Markt ein. Ab
diesem Zeitpunkt sollte Gold einem zweigleisigen System unterliegen, ein-
mal dem Marktpreis, der am Goldmarkt in London bestimmt wurde, zum
anderen dem alten Kurs von 35 Dollar die Feinunze für den internationalen
Zahlungsverkehr nach dem Bretton-Woods-System. Das sich daraus erge-
bende »Goldfenster« bezeichnete die Möglichkeit einzelner Länder, Gold
zum Preis von 35 Dollar einzulösen und auf dem offenen Markt für 40 Dol-
lar oder mehr zu verkaufen.
Das zweigleisige System lenkte den spekulativen Druck auf den offenen
Markt, während der Bretton-Woods-Preis von 35 Dollar den Zentralbanken
vorbehalten blieb. In einer neuen, informellen Vereinbarung kamen die Ver-
bündeten der USA überein, das Goldfenster nicht auszunutzen, indem sie
Gold zum günstigeren offiziellen Preis erwarben. Auch wenn das Ende des
Goldpools, die Einrichtung des neuen, zweigleisigen Systems und eine Rei-
he kurzfristiger Sparmaßnahmen in den Vereinigten Staaten und Großbri-
tannien Ende 1968 und 1969 einstweilen zur Stabilisierung des internatio-
nalen Währungssystems beitrugen, war unverkennbar, dass das System von
Bretton Woods seinem Ende entgegenstrebte.
Am 29. November 1968, nicht lange nach dem Zusammenbruch des Lon-
doner Goldpools, erschien in der Zeitschrift Time ein Bericht, demzufolge
zu den Problemen des internationalen Währungssystems der Umstand ge-
hörte, dass »das Volumen des Welthandels weitaus schneller wächst als das
globale Goldangebot«.24 Aussagen wie diese sind ein gutes Beispiel für ei-
nen der großen Irrtümer bezüglich der Rolle des Goldes. Die Behauptung,
es gäbe nicht ausreichend Gold, um den Welthandel zu unterstützen, ist ir-
reführend, weil es niemals nur eine Frage der Quantität ist, sondern immer
auch eine des Preises. War die Goldmenge bei einem Preis von 35 Dollar
pro Feinunze zu gering, so würde dieselbe Menge an Gold zu einem Kurs
von 100 Dollar oder mehr leicht ausreichen, um den Welthandel zu stützen.
Das Problem, auf das der Artikel in der Time tatsächlich verwies, war, dass
der Goldpreis mit 35 Dollar pro Feinunze künstlich niedrig gehalten wurde,
126
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
ein Punkt, in dem die Zeitschrift völlig richtiglag. Wenn der Goldpreis zu
niedrig war, war das Problem nicht eine Knappheit an Gold, sondern ein
Überschuss an Papiergeld im Verhältnis zu den vorhandenen Goldreserven,
ein Überschuss, der sich auch in der steigenden Inflation in den Vereinigten
Staaten, Großbritannien und Frankreich niederschlug.
1969 nahm sich der IWF des Problems der »Goldknappheit« an und schuf
ein neuartiges internationales Reservemittel, die sogenannten Sonderzie-
hungsrechte, kurz SZR. Diese Sonderziehungsrechte wurden vom IWF oh-
ne materielle Hinterlegung quasi aus dem Nichts erschaffen und in Abhän-
gigkeit der jeweiligen IWF-Quoten unter den Mitgliedern verteilt. Die SZR
erhielten prompt den Spitznamen »Papiergold«, weil sie einen Vermögens-
wert darstellten, den die Länder wie Gold oder reguläre Reservewährungen
zum Ausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten verwenden konnten.
Die gesamte Periode von 1967 bis 1971 lässt sich am besten als eine Zeit der
Verwirrung und Unsicherheit im internationalen Währungssystem beschrei-
ben. Die Abwertung des britischen Pfund 1967 war ein gewisser Schock ge-
wesen, obwohl die Instabilität des Pfund von den Zentralbanken schon Jah-
re zuvor diagnostiziert worden war. Die Folgejahre jedoch wurden geprägt
127
Teil 2 Währungskriege
Doch durch all das hindurch gab es eine Sache, die unumstößlich schien:
Der Wert des US-Dollar war bei 35 Dollar pro Feinunze fixiert, und die Ver-
einigten Staaten waren bereit, diese Parität zu verteidigen, ungeachtet der
massiven Zunahme der Dollarmenge und der Tatsache, dass die Konvertibi-
lität auf eine kleine Zahl von Zentralbanken begrenzt war, die sich in einem
Gentleman’s Agreement darauf verpflichtet hatten, es mit dem Umtausch
von Dollar in Gold nicht zu übertreiben. Aber dann verschwand auch die-
ser letzte Fixstern vom Firmament.
128
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
129
Teil 2 Währungskriege
während die D-Mark und der kanadische Dollar zum Zeitpunkt von Nixons
Rede gegenüber der US-Währung bereits frei flottierten. Worauf es N ixon
aber vor allem ankam, war, den Dollar sofort gegenüber allen wichtigen Wäh-
rungen abzuwerten und ihn dann – noch besser – nach unten schwanken
zu lassen, sodass der Dollar auf den internationalen Devisenmärkten konti-
nuierlich an Wert verlieren konnte. Das zu formalisieren, würde allerdings
Zeit und Verhandlungen in Anspruch nehmen, und Nixon wollte nicht war-
ten. Die 10 Prozent Einfuhrzoll, die er verhängte, wirkten sich ökonomisch
ebenso unmittelbar aus wie eine Abwertung des Dollar um 10 Prozent. Mit
dem Einfuhrzoll setzte er den Handelspartnern der USA praktisch die Pis-
tole auf die Brust. Sobald Nixon die gewünschten Abwertungen bekommen
hatte, würde er den Einfuhrzoll wieder aufheben, und die Aufgabe, diese
Abwertungen auszuhandeln, delegierte er an John Connally, seinen extra
vaganten Finanzminister aus Texas.
Die Antworten auf Nixons Schachzug ließen nicht lange auf sich warten.
Ende August 1971 gab Japan den Wechselkurs des Yen gegenüber dem Dol-
lar frei. Dass der Yen daraufhin sofort um 7 Prozent gegenüber dem Dollar
zulegte, überraschte niemanden. In Kombination mit dem zehnprozentigen
Einfuhrzoll summierte sich das zu einem Anstieg des Dollarpreises der japa-
nischen Importe in die Vereinigten Staaten von 17 Prozent, sehr zur Freude
insbesondere der amerikanischen Automobilbauer und Stahlproduzenten.
Die Schweiz erfand »negative Zinsen« in Form von Gebühren auf Bankein-
lagen in Schweizer Franken, um die Kapitalzuflüsse in die Schweiz zu be-
grenzen und den Dollar zu stützen.
Ende September 1971 trat der Rat des Allgemeinen Zoll- und Handelsab-
kommens (GATT) zusammen, um darüber zu befinden, ob Nixons Ein-
fuhrzoll einen Verstoß gegen die Freihandelsregeln darstellte. Sachlich ge-
sehen gab es keinerlei Rechtfertigung für den Zoll, und Nathaniel Samuels,
Unterstaatssekretär im Außenministerium, gab sich auch so gut wie keine
Mühe, die Maßnahme zu rechtfertigen, abgesehen von dem Hinweis darauf,
dass man den Einfuhrzoll wieder aufheben werde, sobald sich die US-Zah-
130
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
Zwei Wochen später trafen die wichtigsten Akteure auf der Jahrestagung des
IWF Anfang Oktober in Washington ein weiteres Mal zusammen. Seit der
Londoner Konferenz waren in der Sache zwar kaum Fortschritte erzielt wor-
131
Teil 2 Währungskriege
den, aber die Handelspartner der USA hatten genug Zeit gehabt, sich die
potenziellen Folgen von Nixons zehnprozentigem Importzoll auszumalen,
so zum Beispiel der kanadische Handelsminister Jean-Luc Pépin, der aus-
rechnete, dass in Kanada wegen des Einfuhrzolls binnen Jahresfrist 90 000
Arbeitsplätze verloren gehen würden. Zwar war es, nachdem weitere Län-
der den Wechselkurs ihrer Währungen zum Dollar freigegeben und post-
wendend Kursgewinne von drei bis neun Prozent verzeichnet hatten, an den
Devisenmärkten bereits zu Dollarabwertungen gekommen. Aber Nixon und
Connally strebten eine Abwertung im Bereich von 12 bis 15 Prozent an. Au-
ßerdem bestanden sie auf Zusicherungen, dass die neuen Wechselkurse bei-
behalten und nicht bei nächster Gelegenheit von den Märkten wieder rück-
gängig gemacht würden. Der IWF schlug eine Reihe von – in Anbetracht
seines stark akademisch geprägten Mitarbeiterstabs – recht technischen Lö-
sungen vor, darunter die Festlegung größerer »Bandbreiten«, innerhalb de-
rer die Kurse der einzelnen Währungen schwanken konnten, bevor eine for-
melle Abwertung notwendig würde, die stärkere Nutzung von SZR und
die Schaffung einer Weltzentralbank. Connally jedoch interessierte das al-
les herzlich wenig. Er wollte eine unmittelbare Antwort auf ein unmittelba-
res Problem und würde den Einfuhrzollknüppel so lange schwingen, bis er
seinen Willen bekam. Immerhin ließ er sich bei der IWF-Tagung dazu be-
wegen, Andeutungen der Art zu machen, dass der Einfuhrzoll auch vor Er-
reichen seiner eigentlichen Ziele aufgehoben werden könnte, sollte sich die
US-Handelsbilanz in die richtige Richtung entwickeln.
Auch in einem weiteren Punkt schienen die USA eine gewisse Bereitschaft
zur Flexibilität erkennen zu lassen, und dazu in einem, der den Europäern
sehr am Herzen lag. Die Vereinigten Staaten hatten zwar verkündet, keine
Dollars gegen Gold mehr einzulösen, die Gold-Dollar-Parität aber offiziell
nicht verändert; nach wie vor galt, dass ein Dollar 1/35 einer Feinunze Gold
wert war, selbst in seinem nichtkonvertierbaren Zustand. Würde der Gold-
preis erhöht, liefe das ebenso auf eine Abwertung des Dollar hinaus wie auf
eine Aufwertung der anderen Währungen. Eine Heraufsetzung des Gold-
preises war für die Europäer von symbolischer Bedeutung und würde von
132
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
133
Teil 2 Währungskriege
len 20 Prozent aufwerten würde, sähe sich Deutschland gegenüber den Ver-
einigten Staaten und Großbritannien benachteiligt. Frankreich wollte die
Höhe der Dollarabwertung gegen Gold begrenzen, was die Anpassung stär-
ker auf eine Aufwertung der D-Mark verschieben würde, an der Frankreich
nicht voll teilhaben würde. Und so kam es.
Inzwischen wurde praktisch rund um die Uhr verhandelt. Ein paar Tage
nach dem Treffen in Rom kamen auf den Azoren Nixon und der franzö-
sische Präsident Georges Pompidou zu einem Gespräch unter vier Augen
zusammen, bei dem sich Pompidou nachdrücklich für eine Erhöhung des
Dollarpreises von Gold als Bestandteil des Gesamtpakets stark machte. Ni-
xon, der den Großteil der Nacht wach geblieben war, um die Liveübertra-
gung eines Footballspiels der Washington Redskins zu verfolgen, führte die
Verhandlungen im Zustand des akuten Schlafmangels. Am Ende gab er dem
Drängen der Franzosen nach, und Pompidou wurde bei seiner Rückkehr
nach Frankreich als Held gefeiert, weil er die Amerikaner in der delikaten
Frage von Dollar und Gold gedemütigt hatte. Aber Nixon kehrte keines-
wegs mit leeren Händen nach Hause zurück, hatte er Pompidou doch die
Zusicherung abgerungen, auf deutliche Verringerungen der hohen Zölle zu
drängen, die auf US-Importe in den europäischen Binnenmarkt aufgeschla-
gen wurden.
Die vorläufigen Vereinbarungen, auf die man sich im Palazzo Corsini und
kurz darauf auf den Azoren verständigt hatte, wurden zwei Wochen spä-
ter bei einem weiteren G10-Treffen im historischen roten Sandsteinschloss
des Smithsonian Institute an der Washingtoner National Mall ratifiziert. In
dem – nach dem Ort der Veranstaltung benannten – Smithsonian-Abkom-
men wurde vereinbart, den Dollar gegenüber dem Gold um 9 Prozent ab-
und die anderen Währungen gegenüber dem Dollar um 3 bis 8 Prozent auf-
zuwerten – unter dem Strich eine Anpassung von je nach Währung zwischen
11 und 17 Prozent. Noch vor den Deutschen traf es die Japaner mit einer ef-
fektiven Aufwertung des Yen zum Dollar von 17 Prozent am härtesten, aber
angesichts eines japanischen Wirtschaftswachstums von über 5 Prozent pro
134
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
Jahr hatte Connally für sie am wenigsten Sympathie übrig. Die G10-Länder
einigten sich darauf, diese neuen Paritäten innerhalb einer Bandbreite von
2,25 Prozent nach oben oder unten – also 4,5 Prozent insgesamt – aufrecht-
zuerhalten, während die USA im Gegenzug die Aufhebung des verhassten
zehnprozentigen Einfuhrzolls zusagten. Eine Rückkehr zur Goldkonverti-
bilität des Dollars wurde nicht vereinbart, obgleich rein technisch betrach-
tet die Dollar-Einlösbarkeit in Gold weiterhin bestand. Mit anderen Worten
würde das US-Finanzministerium, wie ein Finanzexperte damals spottete,
»statt kein Gold für 35 Dollar die Feinunze zu verkaufen, […] in Zukunft
eben kein Gold für 38 Dollar die Feinunze verkaufen«.
Wie der Nixon-Schock vier Monate zuvor stieß auch das Smithsonian-Ab-
kommen in den USA auf begeisterte Zustimmung und ließ die Börsenkurse
steil steigen, weil die Investoren höhere Dollargewinne in der Stahl-, Auto-
mobil-, Flugzeug- und Filmindustrie sowie in anderen Sektoren erwarteten,
die von den stärkeren Exporten beziehungsweise den sinkenden Importen
oder von beidem profitieren würden. Der Berater des Präsidenten Peter G.
Peterson schätzte, dass die Dollarabwertung in den folgenden zwei Jahren
mindestens eine halbe Million neue Jobs schaffen würde.
135
Teil 2 Währungskriege
tete am 23. Juni 1972 ein weiteres Mal ab, dieses Mal in Form einer Emis-
sion anstelle der Einhaltung der Smithsonian-Paritäten. Das Pfund verlor
sofort 6 Prozent und bis Ende des Jahres insgesamt 10 Prozent. Die Furcht
vor einer ansteckenden Wirkung der Pfundabwertung war groß, insbeson-
dere was die italienische Lira anging. Nixon, von seinem Stabsleiter über
die neue europäische Währungskrise informiert, quittierte das mit dem un-
sterblich gewordenen (und auf Band aufgenommenen) Kommentar: »Das
ist mir egal. Es gibt nichts, was wir deswegen tun könnten … Die italieni-
sche Lira interessiert mich einen Scheißdreck.«
136
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
gen und eine neue eingeläutet worden, doch der Zweite Währungskrieg war
noch längst nicht vorbei.
Die Ära der frei schwankenden Wechselkurse, die 1973 begann, bewirkte
zusammen mit der Abkoppelung des Dollar vom Gold ein zeitweiliges En-
de der Abwertungsdramen, die seit den 1920er-Jahren die internationalen
Währungsbeziehungen geprägt hatten. Von nun an musste sich kein Zent-
ralbankier oder Finanzminister mehr wegen des Verstoßes gegen festgelegte
Paritäten oder der Abkehr vom Gold graue Haare wachsen lassen. Nun wa-
ren es die Märkte, die alltäglich die Wechselkurse nach oben oder unten be-
wegten. Natürlich intervenierten die Staaten nach wie vor von Zeit zu Zeit,
um exzessive Marktbewegungen oder ihrer Meinung nach marktverzerren-
de Bedingungen auszugleichen, doch hatten diese üblicherweise nur einen
begrenzten und temporären Einfluss.
137
Teil 2 Währungskriege
Es war in den Augen vieler eine Welt, die dem Wahnsinn anheimgefallen
war. Ein neuer Begriff, »Stagflation«, wurde zur Beschreibung der bis dato
beispiellosen Kombination einer hohen Inflation und eines stagnierenden
Wirtschaftswachstums, die die Vereinigten Staaten erfasst hatte, geprägt.
Der ökonomische Alptraum, der von 1973 bis 1981 währte, war das exakte
Gegenteil des exportgetriebenen Wachstums, das mit der Dollarabwertung
eigentlich hatte erreicht werden sollen. Die Verfechter der Abwertungs
strategie hätten sich nicht schlimmer irren können.
Angesichts eines Vertrauens in den Dollar, das sich dem Nullpunkt näherte,
waren eine neue Führung und neue Maßnahmen dringend geboten. Mit der
Ernennung von Paul Volcker zum Vorsitzenden des Direktoriums der Fe-
deral Reserve durch Präsident Jimmy Carter im August 1979 und der Wahl
Ronald Reagans zum neuen Präsidenten im November 1980 bekamen die
Vereinigten Staaten beides.
Was die Inflation betraf, legte Volcker eine Aderpresse an und zog sie gna-
denlos zusammen. Bis Juni 1981 jagte er den Leitzins auf 20 Prozent hin-
auf, eine Schocktherapie, die den gewünschten Effekt hatte. Zum Teil dank
Volcker sank die Inflationsrate von 12,5 Prozent 1980 auf nur noch 1,1 Pro-
zent 1986. Der Goldpreis nahm sich daran ein Beispiel und fiel von 1980
138
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
bis 1985 von 612,56 Dollar auf 317,26 Dollar pro Feinunze. Die Inflation
war besiegt und das Gold in die Schranken gewiesen worden. Der König
Dollar war zurück.
Der starke Dollar schadete dem Wachstum überhaupt nicht, und in Kombi-
nation mit anderen wachstumsstimulierenden Maßnahmen förderte er das
Wirtschaftswachstum sogar. Allerdings verharrte die Arbeitslosigkeit noch
Jahre, nachdem 1982 die letzte der drei Rezessionen überwunden war, auf
einem hohen Niveau. Die Handelsbilanzdefizite mit Deutschland und Japan
vergrößerten sich in dem Maße, in dem der starke Dollar die Amerikaner in
Massen zum Kauf von deutschen Automobilen, japanischen Elektronikge-
räten und anderen Dingen verlockte.
Doch schon Anfang 1985 ließen der Druck der vielen US-Unternehmen,
die Schutz vor der ausländischen Konkurrenz suchten, und der vielen US-
Bürger, die nach Jobs suchten, wieder die üblichen Forderungen von Ge-
werkschaften und von Politikern aus industrielastigen Bundesstaaten nach
139
Teil 2 Währungskriege
Diesmal war die Methode der Abwertung eine andere. Feste Wechselkurse
oder Umtauschkurse in Gold, die man brechen konnte, gab es nicht mehr.
Die Währungen wurden frei gegeneinander gehandelt und die Wechselkurse
an den Devisenmärkten festgelegt, an denen vor allem große internationale
Banken und ihre Kunden agierten. Die Dollarstärke in den frühen 1980er-
Jahren war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die USA wegen des
starken Wirtschaftswachstums attraktiv für ausländische Investoren waren.
Der starke Dollar war ein Vertrauensbeweis in die Vereinigten Staaten und
kein Problem, das behoben werden musste. Doch die Innenpolitik diktier-
te ein anderes Schicksal für den Dollar – ein in allen Währungskriegen wie-
derkehrendes Motiv. Da der Dollar am Markt nach oben tendierte, brauchte
es schon sehr massive staatliche Interventionen an den Devisenmärkten, um
den Dollar abzuwerten – so massiv, dass die Zustimmung und Kooperation
aller betroffenen großen Länder vonnöten war.
140
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987)
141
Teil 2 Währungskriege
1987 spielte Gold im globalen Finanzwesen keine Rolle mehr, der Dollar
war abgewertet worden, der Yen und die D-Mark befanden sich im Auf-
stieg, das britische Pfund war in Bedeutungslosigkeit versunken, am Hori
zont zeichnete sich der Euro ab, und China hatte noch nicht seinen Platz
auf der internationalen Bühne eingenommen. Für den Augenblick herrschte
relativer Friede in der internationalen Finanzwelt, aber dieser Friede beruh-
te auf nicht viel mehr als dem Glauben an den Dollar als verlässlichen Wert-
speicher, und dafür wiederum waren eine wachsende US-Wirtschaft und
eine stabile Geldpolitik der Fed unerlässlich – Bedingungen, wie sie unge-
achtet zweier milder Rezessionen denn auch die 1990er-Jahre hindurch und
bis ins frühe 21. Jahrhundert hinein vorherrschten. Die Währungskrisen, zu
denen es in dieser Zeit kam, waren Nichtdollarkrisen, etwa die Pfundkrise
von 1992, die Pesokrise in Mexiko 1994 und die asiatisch-russische Finanz-
krise von 1997 bis 1998. Keine dieser Krisen bedrohte den Dollar – im Ge-
genteil, in jeder dieser Krisen galt der Dollar als sicherer Hafen. Um die
Vorherrschaft des Dollar herauszufordern, brauchte es, wie es schien, schon
einen massiven Einbruch des amerikanischen Wirtschaftswachstums oder
den Aufstieg einer konkurrierenden Wirtschaftssupermacht – oder beides.
Als diese beiden Faktoren schließlich im Jahr 2010 gegeben waren, brach
über den Weltwährungsmarkt ein veritabler Finanz-Tsunami herein.
142
Kapitel 6 –
Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
»Es ist nicht unser Ziel, den Dollarkurs zu drücken. Wir führen keinen
Währungskrieg.«26
Janet Yellen,
Vizepräsidentin der Federal Reserve, über die quantitative Lockerung,
16. November 2010
Drei Superwährungen – der Dollar, der Euro und der Yuan –, ausgegeben
von den drei größten Wirtschaftsmächten der Welt: den Vereinigten Staa-
ten, der Europäischen Union und der Volksrepublik China –, sind die Su-
permächte eines neuen, des Dritten Währungskrieges, der 2010 als Folge
der Wirtschaftskrise von 2007 ausbrach und dessen Ausmaß und Auswir-
kungen erst jetzt deutlich werden.
143
Teil 2 Währungskriege
und Taiwan sowie die norwegische K rone, der südkoreanische Won und
der Dirham der Vereinigten Arabischen Emirate vordere Ränge. Aber das
kombinierte BIP der USA, der EU und Chinas – zusammen fast 60 Prozent
des globalen BIP – stellt ein wirtschaftliches Schwergewicht dar, gegen das
alle anderen Volkswirtschaften und Währungen verblassen.
Jeder Krieg hat seine Hauptfrontlinien sowie exotische, und oftmals blu-
tige Nebenschauplätze. Der Zweite Weltkrieg war der größte und teuers-
te militärische Konflikt der Geschichte. Die US-Amerikaner unterscheiden
im Zweiten Weltkrieg zwischen einem europäischen und einem pazifischen
Kriegsschauplatz, während es für die Japaner um ein Kaiserreich ging, das
sich von Burma bis Pearl Harbor erstreckte. Die Engländer kämpften, wie es
scheint, überall gleichzeitig.
Die Teilnahme an einem Währungskrieg ist heute nicht mehr nur den Emit-
tenten der Währungen in den einzelnen Ländern und ihren Zentralbanken
vorbehalten. Inzwischen sind auch multilaterale und globale Institutionen,
wie der IWF, die Weltbank, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich
und die UN, sowie private Einrichtungen, wie beispielsweise Hedgefonds,
Weltkonzerne und Family Offices der Superreichen, beteiligt. Über Speku-
lationen, Absicherungsgeschäfte und Manipulationen haben diese privaten
Institutionen ebenso viel Einfluss auf das Schicksal einer Währung wie das
Ausgeberland. Der beste Beweis dafür, dass sich die Gefechtslinien über
den ganzen Globus ziehen und nicht auf Nationalstaaten begrenzt sind, ist
144
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
die bekannte Geschichte von George Soros, der mit seinem Hedgefonds bei
einer gewaltigen Währungswette die Bank of England in die Knie zwang.
Heute gibt es sehr viel mehr Hedgefonds mit sehr viel mehr Billionen Dol-
lar an Fremdfinanzierung, mehr als Soros es sich vor 20 Jahren hätte vor-
stellen können.
Die Welt steht nun vor dem dritten Währungskrieg innerhalb eines Jahr-
hunderts. Ob er ähnlich tragisch endet wie der erste oder so glimpflich wie
der zweite, muss sich erst noch erweisen. Nur eines ist angesichts des Wirt-
schaftswachstums in den einzelnen Ländern seit den 1980er-Jahren, des
vermehrten Gelddruckens und der größeren Hebelung durch Derivate klar:
Dieser Währungskrieg wird wirklich weltweit ausgefochten werden, und er
wird deutlich größere Ausmaße annehmen als alle vorherigen. Im Dritten
Währungskrieg wird es öffentliche und private Kriegsparteien geben. Diese
Zunahme an Größe, geografischer Ausdehnung und Teilnehmerzahl erhöht
das Risiko eines Zusammenbruchs exponentiell. Heute besteht das Risiko
nicht nur in der Abwertung einer Währung gegenüber einer anderen oder
einem Anstieg des Goldpreises. Heute besteht das Risiko im Zusammen-
bruch des Währungssystems an sich – dem Vertrauensverlust der Papier-
währungen und einer Massenflucht in harte Vermögenswerte. Angesichts
des drohenden totalen Zusammenbruchs des Systems könnte der Dritten
Währungskrieg auch der letzte sein – oder frei nach Woodrow Wilson, der
Währungskrieg, der allen Währungskriegen ein Ende setzt.
145
Teil 2 Währungskriege
Der Kampf zwischen China und den USA, zwischen dem Yuan und dem
Dollar, steht heute im Zentrum der Weltfinanzwirtschaft und stellt die
Hauptfront im Dritten Währungskrieg dar. Der Konflikt begann damit, dass
China ein Vierteljahrhundert, das von wirtschaftlicher Isolation, sozialem
Chaos und der doktrinären Unterdrückung des freien Marktes durch das
kommunistische Regime geprägt war, hinter sich lassen wollte.
Maos designierter Nachfolger Hua Guofeng griff Zhous Vision wieder auf
und brach beim Parteitag der Kommunistischen Partei im Dezember 1978
endgültig mit der maoistischen Vergangenheit. Unterstützt wurde er dabei
von dem kurz zuvor rehabilitierten und bald dominierenden Deng Xiao-
ping. Die wirklichen Veränderungen begannen im darauffolgenden Jahr
mit einer Reihe von Experimenten und Pilotprogrammen, die eine Aus
weitung der Entscheidungsspielräume in landwirtschaftlichen Betrieben
und Fabriken zum Ziel hatten. Im Jahr 1979 traf China die weitreichen-
de Entscheidung, vier Sonderwirtschaftszonen mit günstigen Arbeitsricht
linien, weniger Reglementierungen und Steuervorteilen einzurichten,
durch die ausländische Investoren, insbesondere in den Bereichen Pro-
duktion und Montage sowie der Textilindustrie, angelockt werden soll-
ten. Die Sonderwirtschaftszonen waren Vorboten eines deutlich umfangrei-
cheren Programms von Wirtschaftsentwicklungszonen, das 1984 gestartet
wurde und einen Großteil der großen Küstenstädte im Osten Chinas ein-
146
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
147
Teil 2 Währungskriege
1992 drängten reaktionäre Gegner der Reformen erneut auf den Abbau von
Dengs Sonderwirtschaftszonen und anderer Programme. Als Reaktion da-
rauf brach ein angeschlagener Deng Xiaoping, der sich offiziell von der po-
litischen Bühne zurückgezogen hatte, zu seiner berühmten Neujahrsreise
durch Südchina auf. Sein persönlicher Besuch großer Industriestädte wie
Shanghai brachte ihm die Unterstützung zur Fortsetzung der wirtschaftli-
148
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
149
Teil 2 Währungskriege
liche Jahre, in denen der Leitzins der Fed 1,8 Prozent nie überschritt. Im
Dezember 2003 fiel er gar auf 1,0 Prozent. Erst im Oktober 2004 stand der
Leitzins wieder bei 1,75 Prozent und war damit fast genauso hoch wie im
Juli 2002.
Diese Niedrigzinspolitik wurde zunächst als Reaktion auf das Platzen der
Hightech-Blase im Jahr 2000, die Rezession von 2001, die Anschläge vom
11. September und Greenspans Angst vor einer Deflation gerechtfertigt.
Doch Greenspan hielt hauptsächlich wegen dieser Angst deutlich länger an
den niedrigen Zinsen fest, als bei einer leichten Rezession angemessen ge-
wesen wäre. Der konstante Nachschub an billigen Arbeitskräften war mit
dafür verantwortlich, dass China seine Deflation inzwischen in alle Welt ex-
portierte. Greenspans Niedrigzinspolitik, mit der die Auswirkungen der
chinesischen Deflation in den USA kompensiert werden sollten, bereite-
te den Boden für den ausgewachsenen Währungskrieg, der noch im selben
Jahrzehnt ausbrach.
150
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
Als im September 2002 die Niedrigzins-Politik gerade auf den Weg gebracht
war, fand Greenspan in Ben Bernanke, einem neu ernannten Mitglied des
Fed-Direktoriums, einen Verbündeten. Bernankes tief sitzende Angst vor
Deflation war sogar noch größer als die Greenspans. Bernanke begründe-
te seinen Ruf als Kämpfer gegen Deflation durch eine Rede vor dem Natio-
nal Economists Club in Washington, D.C., nur zwei Monate nach seiner Be-
rufung ins Direktorium. Die Rede mit dem Titel »Deflation: Making Sure
›It‹ Doesn’t Happen Here« (»Deflation: Wie wir sicherstellen, dass ›es‹ hier
nicht passiert«)30 erregte besondere Aufmerksamkeit durch den Verweis auf
Milton Friedmans Vorschlag, man solle notfalls frisch gedruckte Banknoten
aus Helikoptern abwerfen, um eine Deflation zu verhindern. Dies brachte
Bernanke den Spitznamen »Helikopter-Ben« ein.
Bernankes Rede von 2002 lieferte die Blaupause für die Rettungsaktionen
von 2008 und die Strategie der quantitativen Lockerung von 2009. Bern-
anke sprach mit klaren Worten darüber, wie die Fed mit neu gedrucktem
Geld Haushaltsdefizite finanzieren könnte, egal ob diese von Steuerkürzun-
gen oder einer Erhöhung der Ausgaben herrührten. Er sagte:
151
Teil 2 Währungskriege
Mit Bernanke hatte Greenspan einen Seelenverwandten und, wenn die Zeit
gekommen war, den perfekten Nachfolger für seinen Kreuzzug gegen die
Deflation im Direktorium sitzen. Die Angst von Greenspan und Bernanke
vor einer Deflation zieht sich als einziger roter Faden durch die gesamte Zeit
von 2002 bis 2011. Für sie war die Deflation der Feind, und China war, auf-
grund der niedrigen Löhne und Produktionskosten – ermöglicht durch feh-
lende Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften – einer der Hauptverur-
sacher.
Trotz seines Wirtschaftswunders wies China noch bis 2004 insgesamt ein
Außenhandelsdefizit aus. Das ist für die frühen Stadien einer sich entwi-
ckelnden Volkswirtschaft nicht ungewöhnlich, da zunächst die notwendigen
Importe von Infrastrukturkomponenten, Industrieanlagen, Rohstoffen und
Technologie zwangsläufig die Erfolge im Außenhandel schmälern. Im Han-
del mit den USA verzeichnete China jedoch einen Überschuss, der zunächst
keinen Grund zur Sorge darstellte. Für das Jahr 1997 betrug das Handels-
defizit der USA gegenüber China weniger als 50 Milliarden Dollar. Danach
wuchs das Defizit stetig an und explodierte innerhalb von drei Jahren, zwi-
schen 2003 und 2006, von 124 auf 234 Milliarden Dollar. Von 2003 an gab
es erstmals Bedenken wegen der Handelsbeziehung zwischen den USA und
China und der Rolle, die der Wechselkurs von Dollar und Yuan in dieser Be-
ziehung spielte. Im Jahr 2006 bezeichnete der New Yorker Senator Charles
E. Schumer das US-Handelsdefizit als »einen schleichenden Aderlass der
US-Wirtschaft« und verwies auf China als Hauptverursacher.32
Chinas interne Deflation wird über den Wechselkurs in die USA exportiert
und erhöht dort die Gefahr einer Deflation. Am Anfang steht die strategi-
sche Entscheidung Chinas für eine Dollarbindung des Yuan. Der Yuan wird
nicht wie Dollar, Euro, Sterling, Yen oder andere konvertierbare Währun-
gen auf dem internationalen Währungsmarkt frei gehandelt. Die Verwen-
dung des Yuan und seine Verfügbarkeit für die Abwicklung von Geschäften
werden von der Chinesischen Volksbank (People’s Bank of China, PBOC),
der Zentralbank des Landes, streng kontrolliert.
152
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
Zum anderen stellte sich die Frage, was man mit den neu erworbenen Dollar
anfangen sollte. Die PBOC musste ihre Reserven irgendwo investieren, und
zwar mit einer ordentlichen Rendite. Zentralbanken sind in ihrer Anlagepo-
litik traditionell extrem konservativ, und die PBOC bildet dabei keine Aus-
nahme. Ihre bevorzugte Anlageform sind US-Staatsanleihen. Infolgedessen
erwarben die Chinesen riesige Mengen an US-Schatzbriefen während ihr
Handelsüberschuss mit den USA anhaltend wuchs. Anfang 2011 schätz-
te Reuters die chinesischen Devisenreserven in allen Währungen auf einen
Wert von insgesamt 2,85 Billionen Dollar, von denen 950 Milliarden Dol-
lar in US-Schuldverschreibungen angelegt waren. Die USA und China wa-
ren gemeinsam an ein Billionen Dollar schweres finanzielles Pulverfass ge-
kettet, das von beiden Seiten zur Explosion gebracht werden konnte, wenn
der Währungskrieg außer Kontrolle geriet.
Die USA drängten China verzweifelt, den Yuan aufzuwerten, um das weiter
wachsende US-Handelsdefizit gegenüber China und die gewaltige Anhäu-
153
Teil 2 Währungskriege
Dann trat die PBOC auf die Bremse und hielt den Yuan in den folgenden
beiden Jahren konstant bei einem Wert von 6,83. Im Juni 2010 begann eine
zweite Aufwertungsrunde, durch die der Yuan bis August 2011 nach einem
kontinuierlichen Anstieg 6,40 Yuan pro Dollar erreichte. Der Wertzuwachs
des Dollar gegenüber dem Yuan verlief nicht reibungslos und wurde immer
von scharfen Auseinandersetzungen begleitet. Die rhetorischen und politi-
schen Kämpfe zwischen China und den USA von 2004 bis 2011 wegen des
Wechselkurses dominierten die amerikanisch-chinesischen Wirtschaftsbe-
ziehungen, obwohl es eine Vielzahl anderer wichtiger bilateraler Themen
gab, etwa Iran und Nordkorea.
Interessant ist die Überlegung, wie sich ein Ungleichgewicht wie das US-
Handelsdefizit gegenüber China und Chinas gewaltige Anhäufung von US-
Staatstiteln im Bretton-Woods-System entwickelt hätte. Am Anfang wäre die
Anhäufung von US-Schuldtiteln durch China genau gleich verlaufen, und
China wäre immer bestrebt gewesen, aus Gründen der Diversifizierung und
des Liquiditätsmanagements im Besitz einiger US-Staatsanleihen zu sein.
Aber irgendwann hätte China sich einen Teil seiner US-Staatsanleihen in
Gold aus der Reserve auszahlen lassen, wie es das Bretton-Woods-System
vorsah. Eine relativ kleine Auszahlung, zum Beispiel über 100 Milliarden
Dollar, zu Anfang des Jahres 2008, als der Goldpreis bei 1 000 Dollar pro
Feinunze stand, hätte einer Menge von 100 Millionen Feinunzen oder rund
2 840 Tonnen Gold entsprochen. Das entspricht 35 Prozent des gesamten
offiziellen Goldvorrats der USA. Die vollständige Einlösung aller Staatsan-
leihen durch China hätte den US-amerikanischen Goldvorrat komplett aus-
154
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
gelöscht. Die USA hätten kein Gold mehr gehabt, und China wäre der stolze
Besitzer von über 9 000 Tonnen Gold gewesen. Die chinesische Marine wä-
re im Hafen von New York eingelaufen. Ein schwer bewaffneter Konvoi der
US-Army hätte sich von West Point über den Palisades Interstate Parkway
südwärts den Schiffen genähert, auf die das Gold dann für den Transport in
die neu errichteten Schatzkammern in Shanghai verladen worden wäre. Ein
solches Schauspiel wäre ein Schock für die amerikanische Bevölkerung ge-
wesen, aber dieses schockierende Bild illustriert etwas sehr viel Wichtigeres:
Nach den alten Spielregeln haben die USA aufgrund ihres Handelsdefizits
genügend Schulden angehäuft, um ihren gesamten Goldvorrat auszulöschen.
Doch der Zweck des Goldstandards war nicht, dass Länder ihren Goldvorrat
erschöpfen, sondern sie dazu zu zwingen, ihre Finanzen lange vorher in Ord-
nung zu bringen. Ohne einen Goldstandard und die damit verbundenen zeit-
nahen Anpassungen ist den Amerikanern anscheinend nicht bewusst, wie
schlecht es um die US-Finanzen inzwischen steht.
Dieses Beispiel mag extrem wirken, aber bis vor 40 Jahren funktionierte das
Weltfinanzsystem so. Im Jahr 1950 besaßen die USA einen Goldvorrat von
über 20 000 Tonnen.33 Durch anhaltend große Handelsdefizite, zu der Zeit
noch gegenüber Europa und Japan statt China, hatten sich die US-Goldre-
serven auf knapp 9 000 Tonnen verringert, als Nixon das Goldfenster 1971
schloss. Die USA verloren die 11 000 Tonnen in den 21 Jahren zwischen
1950 und 1971 überwiegend an eine kleine Zahl von Exportmächten. In
derselben Zeit erhöhten sich die deutschen Goldreserven von null auf über
3 600 Tonnen. Italiens Goldbesitz stieg von 227 Tonnen auf über 2 500
Tonnen. Frankreichs Vorrat erhöhte sich von 588 Tonnen auf über 3 100
Tonnen. Die Niederlande, eine weitere aufstrebende Goldmacht, erhöhte
ihren Anteil von 280 Tonnen auf knapp 1 700 Tonnen. Nur ein Teil dieser
Goldzuwächse kam aus den USA. Die Reserven einer weiteren Goldnation,
Großbritannien, verringerten sich von 2 500 Tonnen im Jahr 1950 auf nur
noch 690 Tonnen im Jahr 1971. Der hauptsächliche Goldfluss verlief je-
doch im Rahmen der vom Bretton-Woods-System vorgesehenen automati-
schen Umschichtung von den USA zu ihren Handelspartnern.
155
Teil 2 Währungskriege
Der Hauptvorwurf der USA gegenüber China, der in der Presse mehr-
fach diskutiert, aber seit 1994 vom Weißen Haus nicht mehr formal erho-
ben worden war, bestand darin, China manipuliere seine Währung, um die
Preise chinesischer Exporte für Käufer aus dem Ausland niedrig zu halten.
Aber Chinas Exportmaschine war kein reiner Selbstzweck. Das eigentliche
Ziel der chinesischen Politik ist Politikern überall vertraut – Arbeitsplätze.
In Chinas Fabriken, Montagewerke und Verkehrsknoten an der Küste strö-
men Menschen aus den ländlichen Provinzen im Zentrum und im Süden
des Landes, Millionen überwiegend junger Arbeiter auf der Suche nach fes-
ter Arbeit für ein Zehntel dessen, was ein Arbeiter für dieselbe Arbeit in den
USA verdienen würde.
156
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
rican Dream des 20. Jahrhunderts, zu dem ein Haus, ein Auto und eine gute
Ausbildung sowie ein fester Job gehörte. Natürlich müssen sich die ländli-
chen Einwanderer nur einmal umsehen, um die Mercedes, Cadillacs und
die Hochhäuser mit den Luxusapartments von Chinas Neureichen zu sehen
und zu erkennen, dass es etwas Besseres gibt als das Wohnheim und den öf-
fentlichen Nahverkehr.
Die Kommunistische Partei Chinas weiß genau, was passieren würde, wenn
diese Arbeitsplätze nicht zur Verfügung stünden. Die chinesische Geschich-
te besteht aus einer Folge von Zusammenbrüchen. Insbesondere in den 140
Jahren zwischen 1839 und 1979 befand sich das Land konstant in Auf-
ruhr. Es begann mit den Opiumkriegen (1839–1860), setzte sich mit der
Taiping-Revolution (1850–1864) fort, gefolgt vom Boxeraufstand (1899–
1901), dem Sturz der Qing-Dynastie im Jahr 1912, der Zeit der Warlords
und Gangster in den 1920ern, dem Bürgerkrieg zwischen Nationalisten
und Kommunisten in den frühen 1930ern, der japanischen Invasion und
dem Zweiten Weltkrieg (1931–1945), der Machtergreifung der Kommu-
nisten 1949, dem »Großen Sprung nach vorn« (1958–1961), der Kulturre-
volution (1966–1976) und schließlich dem Tod Maos und dem Sturz der
Viererbande im Jahr 1976. Diese Ereignisse stehen nicht nur für Eckda-
ten der Landesgeschichte, sondern zogen immer auch Kriege, Bürgerkrie-
ge, flächendeckende Hungersnöte, Massenvergewaltigungen, Terror, riesi-
ge Flüchtlingsströme, Korruption, Ermordungen, Enteignungen, politisch
motivierte Säuberungsaktionen und das Fehlen einer durchsetzungsfähigen
Regierung oder eines Rechtsstaates nach sich. In den späten 1970er-Jahren
war die chinesische Kultur und Zivilisation politisch, moralisch und phy-
sisch am Ende, und die Menschen sehnten sich, wie auch die Kommunisti-
sche Partei, nach Stabilität und wirtschaftlichem Wachstum. Eine freiheitli-
che Demokratie und Bürgerrechte konnten warten.
157
Teil 2 Währungskriege
Natürlich war auch den USA die Schaffung neuer Arbeitsplätze wichtig.
Die Rezession von 2001 hatte statistisch nur geringe Auswirkungen auf das
BIP und die Industrieproduktion, aber die Arbeitslosenzahl stieg von En-
de 2000 bis Ende 2001 sprunghaft an von 5,6 Millionen auf 8,2 Millionen.
Trotz einer Erholung auf dem Papier im Jahr 2002 stieg die Zahl der Ar-
beitslosen weiter und lag Ende des Jahres bei über 8,6 Millionen. Danach
sank die Zahl sehr langsam, sodass Ende 2005 noch immer über 7,2 Millio-
nen Menschen arbeitslos waren. Zu Beginn der Rezession von 2007 war die
Zahl der Arbeitslosen immer noch hoch und explodierte bis Oktober 2009
weiter bis auf über 15,6 Millionen. Berücksichtigt man alle Teilzeitbeschäf-
tigten, die eine Vollbeschäftigung anstrebten, und diejenigen, die nicht ar-
beitslos gemeldet waren, aber eine Arbeit suchten, gab es Ende 2009 mehr
als 25 Millionen Männer und Frauen in den USA, die arbeitslos oder un-
terbeschäftigt waren. Jeder einzelne dieser 25 Millionen Amerikaner hat ein
Gesicht, einen Namen und eine Familie. Im Zeitalter der Statistik benut-
zen Volkswirte in diesem Zusammenhang gerne Prozentwerte und reden
158
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
von 6,0 Prozent Arbeitslosigkeit zum Jahresende 2002 und 9,9 Prozent im
Jahr 2009. Aber erst die tatsächliche Zahl betroffener Menschen – über 25
Millionen – verdeutlicht die Tragweite des Arbeitslosenproblems. Amerika
musste unbedingt neue Jobs schaffen.
Eine Zeit lang wurde diese menschliche Tragödie durch die Politik des bil-
ligen Geldes von Greenspan und Bernanke noch kaschiert, die einen Kauf-
rausch per Kreditkarte, steigende Immobilienpreise, steigende Aktienkurse
und die großzügige Vergabe großer Kredite ohne Anzahlung zur Folge hat-
te. Es gab in den Jahren 2004 und 2005 zwar einige Klagen über chinesische
Währungsmanipulationen und den Verlust von amerikanischen Arbeitsplät-
zen, aber sie waren eher verhalten angesichts des deutlich sichtbaren, wenn
auch letztendlich nicht nachhaltigen Wohlstands dieser Jahre infolge der
Niedrigzinspolitik. Als 2007 das Ende der Fahnenstange erreicht war und
die USA in die Panik von 2008 schlitterten, konnten sich die politischen
Entscheidungsträger in China nicht länger verstecken.
159
Teil 2 Währungskriege
Die Regierung von George W. Bush nahm die Beschwerdeflut durchaus zur
Kenntnis, aber sie legte bei einer Reihe von Fragen großen Wert auf gute Be-
ziehungen zu China. China war der Hauptabnehmer für iranische Ölexpor-
te und hatte dadurch die Möglichkeit, den Iran im Konflikt mit den USA
wegen der Entwicklung nuklearer Waffen zu beeinflussen. China war eine
unverzichtbare ökonomische Lebensader für seinen direkten Nachbarn, das
hermetisch abgeriegelte Nordkorea, und konnte den USA daher auch bei
ihren strategischen Zielen auf der koreanischen Halbinsel behilflich sein.
Große US-Unternehmen beäugten den chinesischen Markt neidisch und
versuchten durch Expansion, Übernahmen oder Joint Ventures mit chine-
sischen Partnern, die alle von der chinesischen Regierung genehmigt wer-
den mussten, einen direkten Zugang zu diesem Markt zu bekommen. 2005
hatte China einen Gesichtsverlust erlitten. Damals hatte die China National
Offshore Oil Corporation ein Übernahmeangebot für die US-Firma Uno-
cal Oil zurückgezogen, nachdem das US-Repräsentantenhaus mit 398 zu
15 Stimmen Präsident Bush dazu aufgefordert hatte, eine Annahme des An-
gebots aus Gründen der nationalen Sicherheit noch einmal zu überprüfen.
Eine solche Zurückweisung konnte schnell dazu führen, dass China im Ge-
genzug Firmenübernahmen durch US-Firmen in China verhinderte. Unter
dem Strich brachte eine Konfrontation mit China für Amerika keine signifi-
kanten Vorteile, und ein fortgesetzter Dialog auf Expertenebene schien die
vielversprechendere Vorgehensweise.
160
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
Der S&ED war eines von mehreren bi- und multilateralen Foren, mit denen
einem drohenden neuen Währungskrieg begegnet werden sollte. Die Ge-
spräche trugen dazu bei, eine Eskalation der Spannungen über die Vorwür-
fe der Währungsmanipulation zu vermeiden, aber nicht zur Beseitigung des
Problems an sich. Eine Reihe bilateraler Gipfeltreffen zwischen Chinas Prä-
sident Hu und Obama fand auch statt, aber weder der S&ED noch die bila-
teralen Gipfeltreffen erbrachten signifikante Fortschritte.
Die USA haben die G20 als neuen Hauptschauplatz für ihre Versuche ge-
wählt, China zu einer Aufwertung zu drängen, weil sie so die Unterstützung
anderer Nationen für ihr Anliegen bekommen können und weil die Chi-
nesen einem globalen Anliegen eher Gehör schenken als einem rein US-
amerikanischen. Die aktuellen Aufwertungen des Yuan wurden nicht im
Zusammenhang mit einem Treffen im Rahmen des S&ED oder eines Gip-
feltreffens erreicht, sondern gingen G20-Treffen voraus. So ging beispiels-
weise eine kleine, aber bemerkenswerte Aufwertung des Yuan von 6,83 am
15. Juni 2010 auf 6,79 am 25. Juni 2010 unmittelbar dem G20-Gipfel in
Toronto voraus. Eine weitere Aufwertung des Yuan von 6,69 am 1. Novem-
ber 2010 auf 6,62 am 11. November 2010 fiel zeitlich mit dem G20-Gip-
fel in Seoul zusammen. Offensichtlich haben die G20 einen Einfluss auf die
Chinesen, den andere Foren nicht haben.
161
Teil 2 Währungskriege
Die Situation auf dem atlantischen Kriegsschauplatz von Dollar und Euro
ist eher die einer Koabhängigkeit denn einer Konfrontation. Das liegt an der
umfangreicheren und stärkeren Vernetzung der Finanzmärkte und des Ban-
kensystems in den USA und Europa im Vergleich zu jedem anderen Paar
von Wirtschaftsräumen weltweit. Diese Koabhängigkeit zeigte sich beson-
ders deutlich an den unmittelbaren Auswirkungen der Insolvenz der Invest-
mentbank Lehman Brothers im September 2008. Auch wenn die Insolvenz
nach einem fehlgeschlagenen Rettungsversuch bei einem US-Bundesge-
richt beantragt wurde, waren unter den am schlimmsten betroffenen Opfern
einige europäische Hedgefonds, die mit Over-the-Counter-Swaps gehan-
delt oder ein Clearing-Konto bei der Lehman-Filiale in London besessen
hatten. Dieses transatlantische Fiasko, über das damals ausgiebig berichtet
wurde, verstärkte sich im Dezember 2010 noch, als die Fed, als Reaktion auf
die neuen Veröffentlichungsvorschriften durch den Dodd-Frank Act, um-
fangreiche Details über ihre Notkredite und Rettungsversuche für Europa
während der Finanzkrise von 2008 veröffentlichte.
Der Wechselkurs von Euro und Dollar war Anfang 2011 auf fast genau dem-
selben Stand wie 2007. Ein Euro kostete Anfang Januar 2007 1,30 Dollar
und wurde vier Jahre später für etwa 1,30 Dollar gehandelt. Trotz dieser
Zahlen konnte von Stabilität keine Rede sein. Tatsächlich war das Verhält-
nis zwischen Euro und Dollar höchst volatil. So wurde der Euro auf seinem
Höchststand im Juli 2008 mit 1,59 Dollar gehandelt und bei seinem Tiefst-
stand im Juni 2010 mit 1,10 Dollar.
Euro und Dollar sind wie zwei Passagiere auf demselben Schiff. Manchmal
befindet sich der eine Passagier auf einem höheren Deck als der andere. Sie
können die Plätze wechseln und sich im Verhältnis zueinander höher oder
tiefer bewegen, aber letztendlich sitzen sie im selben Boot und bewegen sich
mit derselben Geschwindigkeit auf dasselbe Ziel zu. Die täglichen Schwan-
kungen spiegeln technische Einflüsse wider, das kurzfristige Verhältnis von
162
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
Angebot und Nachfrage, Ängste vor dem Ende oder Zerfall des Euro, und
dann wieder die Erleichterung über die neueste Erfolgsmeldung oder das
neueste Rettungspaket. Doch die ganze Zeit über reist das Euro-Dollar-Paar
gemeinsam, nie weiter voneinander getrennt, als es die Abmessungen ihres
Segelschiffes zulassen.
Für die USA gibt es an der atlantischen Front des Währungskrieges den-
noch allerhand zu tun. Sie versuchen nicht, den Euro übermäßig zu stärken,
sondern sie sind damit beschäftigt zu verhindern, dass er vollends ausein-
anderfällt. Der Euro ist an sich schon ein kleines Wunder moderner Wäh-
rungsschöpfung. Er entstand nach dreißigjährigen Verhandlungen der EU-
Staaten und nach zehn Jahren intensiver Fachstudien und Planung. Er war
der krönende Abschluss eines europäischen Projekts, das nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs begann und der Friedenssicherung dienen sollte.
Seit dem Ende der Renaissance Mitte des 16. Jahrhunderts war Europa 400
Jahre lang von Kriegen erschüttert worden: der Reformation und der Ge-
genreformation, dem Dreißigjährigen Krieg, dem englischen Bürgerkrieg,
den Kriegszügen Ludwig XIV., dem Siebenjährigen Krieg, der Französi-
schen Revolution, den Napoleonischen Kriegen, dem Deutsch-Französi-
schen Krieg, dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holo-
caust, dem Kalten Krieg mit eisernem Vorhang und nuklearer Bedrohung.
Im späten 20. Jahrhundert standen die Europäer nationalistischen Forde-
rungen und den Möglichkeiten militärischer Überlegenheit höchst skep-
tisch gegenüber. Die alten ethnischen, nationalen und religiösen Differenzen
bestanden nach wie vor. Eine vereinigende Kraft wurde gebraucht – etwas,
das die Volkswirtschaften so dicht miteinander verband, dass ein Krieg un-
denkbar, wenn nicht sogar unmöglich wurde.
163
Teil 2 Währungskriege
Von Anfang an jedoch warnten Analysten, eine von einer einzigen Zentral-
bank gestützte gemeinsame Währung sei inkompatibel mit der uneinheitli-
chen Fiskalpolitik der verschiedenen Euro-Länder. Länder, die traditionell
eher verschwenderisch sind und in deren Geschichte es zu Schuldenaus-
fällen und Währungsabwertungen kam wie Griechenland und Spanien, sei-
en keine idealen Bündnispartner für finanzpolitisch umsichtige Länder wie
Deutschland.
Es dauerte zehn Jahre, bis alle Schwächen dieses Großvorhabens voll zum
Tragen kamen, aber sie waren von Anfang an da. Eine fatale Kombination
aus korrupten Regierungsbeamten, verantwortungslosen Börsenhändlern,
die durch Betrug mit Derivaten schnell viel Geld verdienen wollten, und
Brüsseler EU-Beamten, die absichtlich wegschauten, erlaubte es Ländern
wie Griechenland, Schulden aufzuhäufen, sich Geld weit über die im Maas-
tricht-Vertrag vorgesehene Grenze hinaus zu leihen und die Kosten dafür
in zukünftigen Haushaltsjahren und Schattenhaushalten zu verstecken. In-
zwischen finanzierten Investoren fröhlich in Staatschulden von Ländern
wie Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und anderen Euro-Mitglie-
dern zu Zinsen, die nur geringfügig höher waren als die solider Schuldner
wie Deutschland. Das geschah aufgrund hoher Ratings durch inkompetente
Ratingagenturen, aufgrund irreführender Angaben von Regierungsbehör-
den und aufgrund des Wunschdenkens von Investoren, dass es bei einem
Euro-Mitgliedsstaat nicht zu Schuldenausfällen kommen konnte.
Die europäische Staatsschuldenkrise von 2010 war zum Teil ein Ergeb-
nis einer neuen Übereinkunft zwischen Banken, Kreditnehmern und Bü-
rokraten. Die Banken kauften europäische Staatsanleihen und verbuchten
164
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
die erwarteten Gewinne als sicher in der Annahme, dass der Bankrott eines
Einzelstaates verhindert werden würde. Die Staaten gaben fröhlich Staats-
anleihen aus, um ihre überzogenen Ausgaben zu finanzieren, die überwie-
gend dem öffentlichen Dienst zugutekamen. Die Agenda der Bürokraten in
Brüssel war wohl die perfideste. Wenn sich die europäische Staatsschulden-
krise von selbst erledigte, würden alle ein Loblied auf den Erfolg des Eu-
ro-Projekts singen. Wurden einzelne europäische Staaten zahlungsunfähig,
läge die Lösung der Bürokraten in noch mehr Integration und noch mehr
Aufsicht durch Brüssel, nicht weniger. Indem man das gedankenlose Ver-
halten geflissentlich übersah, entstand für Brüssel eine Win-win-Situation.
Hatte der Euro Erfolg, gewann Brüssel an Prestige, und wenn der Euro in
Schwierigkeiten geriet, gewann Brüssel an Macht. Die Schwierigkeiten lie-
ßen nicht lange auf sich warten.
165
Teil 2 Währungskriege
bigern. Die 1,1 Billionen Dollar spanischer Schulden verteilten sich mit 114
Milliarden Dollar auf britische, mit 220 Milliarden Dollar auf französische
und mit 238 Milliarden Dollar auf deutsche Geldgeber. In Italien, Portugal
und anderen hochverschuldeten Mitgliedern des Euro-Raums sah es nicht
anders aus. Die Mutter aller innereuropäischen Schulden war allerdings der
Berg von 511 Milliarden Dollar, die Italien Frankreich schuldete.35
166
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
Auch China war an einer Stabilisierung des Euro interessiert, aber die Be-
mühungen der Chinesen waren politisch motiviert. Wie für die USA stellt
Europa auch für China einen riesigen Exportmarkt dar, und in dieser Hin-
sicht haben China und die USA dieselben Interessen. Aber Chinas Ban-
ken sind nicht einmal annähernd so stark mit den europäischen Banken
verwoben wie die amerikanischen. Dadurch hat China mehr Entschei-
dungsfreiheit dabei, wann und wo es hilft. Die europäische Staatsschulden-
krise lieferte China die Gelegenheit, seine Reserven und Wertpapierdepots
zu diversifizieren, weg vom Dollar und hin zum Euro, Spitzentechnologien
einzukaufen, die ihnen die USA vorenthielten, und Brückenköpfe für den
Technologietransfer ins Mutterland aufzubauen.
Deutschland begrüßte die Unterstützung des Euro durch die USA und Chi-
na. Als Exportland hätte Deutschland eigentlich aus demselben Grund ei-
nen schwachen Euro bevorzugen können, aus dem die USA einen schwa-
chen Dollar bevorzugen und China einen schwachen Yuan: um durch eine
schwache Währung die Exporte zu fördern und sich so einen Vorteil in den
Währungskriegen zu verschaffen. Deutschland exportierte jedoch nicht nur
in Länder außerhalb der EU, sondern auch an Mitglieder der EU. Bei die-
sen Exporten in den EU-Binnenmarkt spielten Währungsüberlegungen kei-
ne Rolle, da sowohl der Ex- als auch der Importeur, zum Beispiel Deutsch-
land und Spanien, dieselbe Währung hatten, den Euro. Wenn der Euro
zusammenbrach oder Mitglieder die Eurozone verließen und zu ihrer alten,
abgewerteten Währung zurückkehrten, gingen diese Märkte voraussichtlich
verloren.
167
Teil 2 Währungskriege
Der Eindruck entstand, dass sich Deutschland nur schwer zu einer Un-
terstützung Griechenlands, Irlands und anderer gefährdeter Eurostaaten
durchrang. In Wirklichkeit gab es für Deutschland keine sinnvolle Alterna-
tive. Die Kosten eines Zusammenbruchs des Euro überstiegen die Kosten
gezielter Rettungspakete bei Weitem. Deutschland profitierte sogar von der
europäischen Staatsschuldenkrise. Durch das Fortbestehen des Euro nahm
Deutschland eine beherrschende Stellung innerhalb Europas ein, während
ein geschwächter Euro für einen Zugewinn an Marktanteilen im Rest der
Welt sorgte. Ideal für Deutschland war ein Euro, der schwach genug war, um
Exporte in die USA und nach China zu fördern, aber nicht so schwach, dass
er zusammenbrach. Deutschland erreichte diesen idealen Punkt im Lauf des
Jahres 2010, während der Euro selbst stürmische Zeiten erlebte.
Wenn man die Beziehung zwischen Euro und Dollar am ehesten als Ko-
abhängigkeit beschreiben kann, so besteht zwischen Euro und Yuan eine
einfache Abhängigkeit. China tritt durch seine Bereitschaft, mitten in der
europäischen Staatsschuldenkrise Staatsanleihen bestimmter europäischer
Peripheriestaaten wie Griechenland, Portugal und Spanien zu kaufen, zu-
nehmend als Retter dieser Staaten auf. Doch Chinas Absichten gegenüber
Europa sind von Eigeninteresse und kalter Berechnung bestimmt.
168
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
China hat ein vitales Interesse an einem starken Euro. Die EU ist der wich-
tigste Handelspartner Chinas, noch vor den USA. Sollten die europäischen
Turbulenzen dazu führen, dass Staaten wie Griechenland oder Irland den
Euro verlassen, so würden diese Länder zu ihren vorherigen Währungen zu-
rückkehren, die gegenüber dem Yuan jedoch deutlich abgewertet würden.
Das würde Chinas Exporten nach Europa sehr schaden. China ist an einer
Stützung des Euro mindestens ebenso stark interessiert wie an der stabilen
Dollarbindung des Yuan.
169
Teil 2 Währungskriege
Die USA unterstützen den Euro ebenfalls und aus demselben Grund wie
China: Ein totaler Zusammenbruch des Euro würde zu einer Abwertung
gegenüber dem Dollar führen und den US-Exporten schaden, die mit eu-
ropäischen Exporten auf den Märkten des Nahen Ostens, Lateinamerikas
und Südasiens konkurrieren. China und die USA sind nicht nur an einem
Überleben des Euro interessiert. Sie wollen, dass er gegenüber dem Dollar
und dem Yuan an Wert gewinnt, um ihre eigene Exportwirtschaft zu stär-
ken. Es liegt im gemeinsamen Interesse Europas, Chinas und der USA, ei-
nen Zusammenbruch des Euro zu vermeiden, trotz ihrer unterschiedlichen
Motive und obwohl sie sich auf anderen Gebieten als Gegner gegenüber-
stehen.
Diese Einmütigkeit wird wahrscheinlich dazu führen, dass der Euro die
gegenwärtige Krise noch einmal mit Ach und Krach übersteht und in ab
sehbarer Zukunft stabil bleibt, trotz möglicher Neustrukturierungen des
Anleihenmarkts und trotz Sparplänen. Ob dieser Balanceakt Zukunft hat
und ob Chinas Charmeoffensive in Europa von Dauer ist, wird sich erwei-
sen müssen. Falls der Euro doch noch kollabiert, könnte das für China zu
massiven Verlusten durch seine Anleihen, eine Aufwertung des Yuan und
Einbußen im Exportbereich gleichzeitig führen. In verschiedenen Streit-
punkten könnte es zwar doch noch zu einer Konfrontation zwischen Chi-
na und Europa kommen, aber derzeit gibt es für China im Westen nichts
Neues.
Nebenschauplätze
170
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
Noch bis 1994 hielt Brasilien an einer Dollarbildung seiner Währung, des
Real, fest.36 Die globalen Auswirkungen der mexikanischen »Tequila-Kri-
se« setzten den Real unter Druck und zwangen Brasilien, seine Währung zu
verteidigen. Das Ergebnis war der Real-Plan, nach dem Brasilien eine Reihe
kontrollierter Abwertungen des Real gegenüber dem Dollar vornahm. Der
Real wurde zwischen 1995 und 1997 um etwa 30 Prozent abgewertet.
Kaum war der Dollarwert des Real auf ein stabiles Niveau gebracht wor-
den, bekam Brasilien die Auswirkungen einer weiteren Krise zu spüren, die
diesmal nicht von Lateinamerika ausging, sondern von Ostasien. Die neue
Finanzkrise brach 1997 aus und griff auf die ganze Welt über, von Thai-
land nach Indonesien, Südkorea und Russland, und kam schließlich in Bra-
silien zum Stillstand, wo der IWF mit Rettungsgeldern einen finanziellen
Schutzwall errichtet hatte, während die Fed panisch den US-Leitzins senk-
te, um die globale Liquidität sicherzustellen. Als das finanzielle Unwetter
abflaute, gab Brasilien nach einer Aufforderung des IWF den Wechselkurs
seiner Währung frei und liberalisierte den Kapitalverkehr. Dennoch erlebte
das Land immer wieder Zahlungsbilanzkrisen und musste 2002 ein weite-
res Mal die Unterstützung des IWF in Anspruch nehmen.
Brasiliens Lage besserte sich durch die Wahl von Luiz Inácio Lula da Sil-
va, bekannt als Lula, zum Präsidenten. Während seiner Amtszeit von 2003
bis 2010 steigerte Brasilien seine Rohstoffexporte erheblich und baute sei-
ne Technologie- und Produktionsstandorte deutlich aus. Der brasilianische
Flugzeugbauer Embraer stieg in die Weltklasse auf und machte Brasilien zum
drittgrößten Produzenten von Flugzeugen weltweit. Der riesige Binnenmarkt
des Landes wurde zum Magneten für internationale Kapitalströme auf der Su-
che nach höheren Renditen, insbesondere als die Gewinne in den USA und
an den europäischen Märkten nach der Finanzkrise von 2008 wegbrachen.
2009 und 2010 erholte sich der Real und stieg von 2,40 auf 1,69 Real pro
Dollar. Diese 40-prozentige Aufwertung des Real gegenüber dem Dollar in
knapp zwei Jahren schadete der brasilianischen Exportwirtschaft enorm.
171
Teil 2 Währungskriege
Brasiliens Handelsbilanz mit den USA schlug im selben Zeitraum von ei-
nem 15-Milliarden-Dollar-Überschuss in ein 6-Millarden-Dollar-Defizit
um. Dieser Zusammenbruch der Handelsbilanz mit den USA veranlasste
den brasilianischen Finanzminister Guido Mantega Ende September 2010
zu der Erklärung, ein weltweiter Währungskrieg habe begonnen.
Brasilien steckte nun im selben Dilemma wie China und stand vor der Wahl
zwischen Inflation und Aufwertung. Wenn die USA Dollar drucken und
ein anderes Land seine Währung an den Dollar bindet, muss dieses Land
schließlich eigenes Geld drucken, um den Wechselkurs zu halten, wodurch
dann eine örtliche Inflation entsteht. Als Folge strömte das sogenannte »Hot
Money«, Geld von Investoren, die hohen Renditen rund um die Welt nach-
jagten, aus den USA nach Brasilien. Die Situation verschlechterte sich so
172
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – )
Der Fall Brasiliens ist wegen der geografischen, demografischen und ökono-
mischen Ausmaße des Landes wichtig, aber es ist bei Weitem nicht das ein-
zige Land, das ins Kreuzfeuer eines Währungskriegs zwischen Dollar, Euro
und Yuan geriet. Zu den anderen Ländern, die Kontrollen des Kapitalver-
kehrs eingeführt haben oder solche Kontrollen in Erwägung ziehen, um den
Zufluss von Hot Money, besonders Dollars, aufzuhalten, zählen Indien, In-
donesien, Südkorea, Malaysia, Singapur, Südafrika, Taiwan und Thailand.
Jedes Mal steht dahinter die Angst, dass durch die Politik des billigen Gel-
des der Fed und die daraus resultierende Dollarflut, die auf der Suche nach
hohen Renditen und höheren Wachstumsraten die Welt überschwemmt, die
eigene Währung überbewertet wird und die Exporte darunter leiden.
173
Teil 2 Währungskriege
174
Kapitel 7 –
Die G20-Lösung
»Ich muss ganz einfach sagen: Diesbezüglich mag es einen Widerspruch
zwischen den Interessen der Finanzwelt und den Interessen der Politik
geben. Wir können … unseren Bürgerinnen und Bürgern aber auf Dau-
er nicht erklären, warum der Steuerzahler für bestimmte Risiken eintre-
ten muss und nicht diejenigen, die durch das Eingehen von Risiken viel
Geld verdienen.«37
Bundeskanzlerin Angela Merkel
beim G20-Gipfel in Seoul, 11. November 2010
Die Gruppe der zwanzig, bekannt als G20, ist eine informelle, sehr mäch
tige Organisation, die mangels einer echten Weltregierung aus der Notwen-
digkeit heraus entstand, Lösungen für globale Probleme zu finden. Der
Name G20 steht für die 20 Mitglieder. Sie setzen sich aus den ehemals sie-
ben größten Industrienationen zusammen, den USA, Kanada, Frankreich,
Deutschland, Großbritannien, Italien und Japan, die sich zur G7 zusam-
mengeschlossen hatten, sowie einigen aufstrebenden Schwellenländern
wie Brasilien, China, Südkorea, Mexiko, Indien und Indonesien. Andere
Länder wurden eher wegen ihrer Rohstoffvorkommen oder aus geopoliti-
schen Gründen aufgenommen und nicht wegen der Dynamik ihrer Volks-
wirtschaften. Beispiele hierfür sind Russland und Saudi-Arabien. Wieder
andere kamen aus Gründen des geografischen Gleichgewichts dazu, dar-
unter Australien, Südafrika, die Türkei und Argentinien. Zusätzlich nahm
man noch die EU auf, die zwar kein Land ist, deren Zentralbank aber eine
der weltweit wichtigsten Reservewährungen ausgibt. Ein paar ökonomische
Schwergewichte wie Spanien, die Niederlande und Norwegen, wurden offi-
ziell außen vor gelassen, werden aber manchmal wegen ihrer ökonomischen
Bedeutung trotzdem zur Teilnahme an den G20-Treffen eingeladen. Daher
wäre »G20 und Freunde« wohl die treffendere Bezeichnung.
175
Teil 2 Währungskriege
Die G20 arbeiten auf mehreren Ebenen. Die Finanzminister und Noten-
bankchefs treffen sich mehrmals pro Jahr, um Fachfragen zu diskutieren
und sich auf spezifische Ziele und deren Umsetzung zu einigen. Von zen-
traler Bedeutung sind jedoch die in größeren Abständen stattfindenden
Gipfeltreffen, bei denen Präsidenten, Premierminister und Könige globa-
le Finanzfragen besprechen. Bei diesen Gesprächen geht es überwiegend
um die Struktur des internationalen Währungssystems und die Notwendig-
keit, Währungskriege einzudämmen. Bei diesen Gipfeltreffen, sowohl den
formellen Sitzungen als auch den informellen Gesprächen am Rande, wer-
den die eigentlichen Vereinbarungen getroffen, die das globale Finanzsys-
tem prägen. Unter die Präsidenten und Premierminister mischt sich bei
diesen Treffen eine einzigartige Spezies internationaler Bürokraten, die als
»Sherpas« bekannt sind. Sherpas sind Experten der internationalen Finanz-
wirtschaft, die die Staats- und Regierungschefs bei der Terminplanung, Re-
cherche und dem Abfassen der unverständlichen Kommuniqués nach je-
der Besprechung unterstützen. Alles deutet darauf hin, dass für eine Lösung
der bevorstehenden Währungskriege die G20 die am besten geeignete Platt-
form darstellen.
Die G20 sind eine gute Möglichkeit zur Einbeziehung der Chinesen. Chi-
na verweigert sich bei bilateralen Gesprächen oft Kompromissen, betrachtet
eine Aufforderung zu Zugeständnissen als Schikane und eine Zustimmung
als Gesichtsverlust. Bei G20-Treffen ist das weniger ein Problem, da dort
mehrere Agenden gleichzeitig umgesetzt werden. Kleinere Teilnehmerstaa-
ten, die selbst nicht die Finanzkraft haben, um die Märkte zu beeinflussen,
haben durch die G20 die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Die USA
haben Verbündete im Saal sitzen und vermeiden dadurch den Vorwurf, im
Alleingang zu handeln. Offensichtlich profitieren alle Parteien von den G20.
176
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
Wegen der Dringlichkeit der Finanzkrise und der ehrgeizigen Agenda, die
beim G20-Gipfel im November 2008 vorgelegt wurde, gab es in den Jahren
2009 und 2010 vier weitere Gipfeltreffen. Für 2011 beschlossen die Füh-
rer der G20 ein einziges Treffen im November im französischen Cannes.
Mit dieser Reihe von Gipfeltreffen kam die Welt einem globalen Aufsichts-
rat so nah wie nie zuvor, und dieser schien zu einer dauerhaften Einrichtung
zu werden.
177
Teil 2 Währungskriege
Unabhängig von unserer formellen Autorität als Institution haben wir die
Versammlungsmacht, Leute an einen Tisch zu holen … Ich glaube, die
Grundvoraussetzung ist die vorbehaltlose Zusammenarbeit. Das muss
gar nicht allumfassend sein, man braucht … nur eine kritische Masse der
Hauptakteure. Es ist eine recht überschaubare Welt. Wenn man sich auf
die 10, 20 großen Institutionen konzentriert, die über eine gewisse globale
Reichweite verfügen, kann man eine Menge erreichen.39
Geithners Versammlungsmacht sieht vor, dass sich bei einer Krise die
Hauptakteure kurzfristig versammeln können, um das Problem zu bespre-
chen. Sie geben die Richtung vor, verteilen Aufgaben, teilen Mitarbeiter ein
und treffen sich nach angemessener Zeit, die je nach Dringlichkeit einen Tag
oder einen Monat lang sein kann, erneut. Nach einem Zwischenbericht wer-
den neue Ziele festgelegt ohne das übliche Beiwerk eingefahrener Bürokra-
tien oder rigider Staatsführung.
178
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
vember 2008 könnte man als nächste Stufe von Geithners Versammlungs-
macht bezeichnen.
Unter den G20 warben die USA für ihren Plan eines großen globalen
Tauschhandels, den Geithner als »Neustrukturierung« anpries. Um zu ver-
stehen, was es mit dieser Neustrukturierung auf sich hatte und warum sie so
wichtig für das Wirtschaftswachstum in den USA war, muss man sich nur
die Komponenten in Erinnerung rufen, aus denen das Bruttoinlandspro-
dukt besteht. Das BIP der USA erreichte Anfang 2011 rund 14,9 Billionen
Dollar, die sich folgendermaßen zusammensetzten: 71 Prozent Konsum,
12 Prozent Investitionen, 20 Prozent Staatsausgaben und minus 3 Prozent
Nettoexporte. Der Wert lag nur knapp über dem, den die US-Wirtschaft vor
der Rezession von 2007 erreicht hatte. Die Wirtschaft wuchs nicht einmal
annähernd schnell genug, um die Rekordzahl an Arbeitslosen von Anfang
2009 merklich zu reduzieren.
Doch diesmal versagten die Tricks aus dem Wirtschaftslehrbuch. Die Ver-
braucher waren überschuldet und die Kreditrahmen ausgereizt. Von Ver-
mögensbildung durch Eigenheime konnte keine Rede mehr sein. Bei vie-
len Amerikanern überstiegen die Hypotheken den Wert ihrer Häuser. Der
Verbraucher war überbeansprucht durch die hohe Arbeitslosigkeit, priva-
te Altersvorsorge und hohe Ausbildungskosten der Kinder. Und das würde
sich in den nächsten Jahren kaum ändern.
179
Teil 2 Währungskriege
Weil der Verbraucher außer Gefecht gesetzt war und die Investitionen
schwächelten, versuchten die Keynesianer in den Regierungen von Bush
und Obama nun, die Wirtschaft durch Staatsausgaben anzukurbeln. Aber
nachdem durch vier Konjunkturprogramme zwischen 2008 und 2010 un-
ter dem Strich keine neuen Jobs entstanden waren, zeichnete sich eine Ab-
lehnung weiterer Ausgaben ab. Unterstützt wurde diese Ablehnung durch
die Tea-Party-Bewegung, Drohungen von Ratingagenturen, die Kreditwür-
digkeit der USA herabzustufen, und den Siegeszug der Republikaner bei
den Zwischenwahlen von 2010. Offensichtlich wollten die Amerikaner die
Staatsausgaben gedeckelt sehen. Es blieb abzuwarten, wie viele Ausgaben-
kürzungen umgesetzt werden konnten, aber eine Erhöhung der Staatsausga-
ben war eindeutig vom Tisch.
180
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
stabile 3,9 Prozent erhöhen, möglicherweise genug, um die Senkung der Ar-
beitslosenzahlen voranzutreiben. Eine Verdopplung der Exporte war sehr
erstrebenswert, aber war sie auch möglich? Falls ja, welche Auswirkungen
hätte das auf die Handelspartner der USA und das empfindliche wirtschaft-
liche Gleichgewicht der Welt?
Die Zusammensetzung von Chinas BIP war in gewisser Hinsicht das Spie-
gelbild der USA. Statt der alles beherrschenden 70 Prozent in den USA hat-
te der Konsum nur einen Anteil von 38 Prozent an der chinesischen Wirt-
schaft. Bei den Nettoexporten war es umgekehrt: Wo die US-Wirtschaft
negative 3 Prozent mit sich herumschleppte, trugen die Exporte in China
sogar noch 3,6 Prozent zur Gesamtsumme bei. Chinas Wachstum stammte
zum Großteil aus Investitionen, die 48 Prozent des BIP ausmachten, im Ver-
gleich zu 12 Prozent in den USA. Angesichts dieser spiegelbildlichen Wirt-
schaftsdaten schien eine simple Umverteilung angebracht. Wenn China den
Binnenkonsum steigerte, indem es beispielsweise Waren und Dienstleistun-
gen aus den USA wie Software, Videospiele und Hollywoodfilme einkauf-
te, wäre ein Wachstum in beiden Ländern die Folge. Es musste sich nur
das jeweilige Verhältnis von Konsum und Export ändern. China musste den
Konsum hoch- und die Nettoexporte herunterfahren, während die USA das
Umgekehrte taten. Durch die zusätzlichen Exporterlöse in China entstün-
den in den USA neue Jobs. Über Wechselkurse allein war das nicht zu errei-
chen. Aber Geithner betonte wiederholt, dass eine Aufwertung des Yuan ein
wichtiger Teil dieses Ansatzes sei.
181
Teil 2 Währungskriege
Ein Grund für den niedrigen Konsum der Chinesen war die Schwäche ihres
sozialen Netzes, das den Einzelnen zu extremen Sparmaßnahmen für die ei-
gene Alters- und Gesundheitsversorgung zwang. Auch die jahrtausendeal-
te konfuzianische Kultur, nach der eine prahlerische Zurschaustellung von
Wohlstand unangebracht ist, dämpfte den chinesischen Konsum. Doch die
politischen Entscheidungsträger in den USA wollten keine Kulturrevoluti-
on zugunsten einer höheren Konsumfreude anzetteln, sie würden sich mit
etwas Bescheidenerem zufriedengeben. Schon wenige Prozentpunkte mehr
Konsum in China zugunsten von US-Exporten konnten in den USA eine
selbsttragende wirtschaftliche Erholung anstoßen.
Dies sollte eine Neujustierung ganz eigener Art werden, denn die Erhö-
hung von chinesischem Konsum und US-Nettoexporten gingen vollstän-
dig zu Lasten Chinas. China musste alle Anpassungen vornehmen in Bezug
auf Währung, soziales Netz und 25 Jahrhunderte konfuzianischer Kultur,
während die USA nichts tun mussten, außer die Vorteile erhöhter Netto
exporte an einen schnell wachsenden chinesischen Binnenmarkt einzu
streichen. Für die USA war dies eine äußerst bequeme Lösung. Von ih-
rer Seite w
aren keine konkreten Maßnahmen nötig, weder eine Senkung
der Körperschaftssteuer und Deregulierung, um das Wirtschaftsklima zu
verbessern, noch mussten sie für Währungsstabilität sorgen oder Sparmaß-
nahmen und Investitionen durchsetzen. Ein solches Vorgehen brachte auch
Vorteile für China, aber insgesamt mussten die Chinesen den Eindruck be-
kommen, man dränge sie zu Maßnahmen, die vor allem den USA nutzten.
Im Sprachgebrauch der G20 bedeutete »Neujustierung« zu tun, was die
USA wollten.
Den internationalen Finanzexperten war schon vor der Rede zur Lage der
Nation im Januar 2010 klar, worauf der US-Vorschlag zur Neujustierung
hinauslief. Die Vorstellung erhöhter US-Exporte und einer damit verbun-
denen Aufwertung des Yuan war bereits beim G20-Gipfel in Pittsburgh im
September 2009 ins Gespräch gebracht worden. Die ersten beiden G20-
Gipfel, in Washington und London, hatten sich mit der unmittelbaren Re-
182
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
aktion auf die Finanzkrise von 2008 beschäftigt und der Aufforderung an
den IWF, neue Möglichkeiten für die Sicherstellung der Liquidität aufzu-
zeigen. Diese ersten G20-Gipfel beschäftigten sich auch mit der Frage, wie
man die Banken und ihre auf Geldgier basierenden Vergütungsstrukturen
in die Schranken weisen konnte, die für kurzfristige Gewinne absurde Pro-
visionen vorsahen und gleichzeitig auf lange Sicht Billionen Dollar welt-
weit vernichteten. Beim G20-Gipfel in Pittsburgh Ende 2009 befanden die
Staats- und Regierungschefs, es gebe zwar noch letzte Schwachstellen, doch
die Lage sei stabil genug, um an die Zeit nach der aktuellen Krise denken
und nach Wegen suchen zu können, wie die Weltwirtschaft wieder in Gang
gebracht werden konnte. Pittsburgh war der letzte G20-Gipfel vor Obamas
Rede zur Lage der Nation 2010. Wenn die USA Unterstützung bei der Um-
setzung ihres Plans zur Neujustierung wollten, dann mussten sie sich jetzt
darum bemühen.
Am Ende des G20-Gipfels in Pittsburgh stand ein erstes Konzept für eine
Neujustierung des Wirtschaftswachstums in Geithners Sinn. Der Plan wur-
de in die Erklärung der Staats- und Regierungschefs als »Rahmen für robus-
tes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum« aufgenommen.40 Wie ge-
nau diese Neujustierung erreicht werden sollte, wurde nicht ganz klar. Wie
alle Fachberichte großer multilateraler Institutionen wurde auch diese Er-
klärung in der Sprache der politischen Weltelite verfasst, die sich vor allem
durch Unverständlichkeit für alle anderen auszeichnet. In Abschnitt 20 des
Rahmens versteckt findet man folgende Passage:
Unsere gemeinsame Reaktion auf die Krise hat … die Notwendigkeit eines
besser legitimierten und effektiveren IWF unterstrichen. Der Fonds muss
eine entscheidende Rolle bei der Förderung der weltweiten Finanzmarkt-
stabilität und der Neujustierung des Wachstums spielen.41
Den Teilnehmern war klar, dass Neujustierung eine Steigerung des Kon-
sums durch China und eine Steigerung der Exporte durch die USA bedeu-
tete. Der IWF wurde jetzt dazu abgestellt, den Streifenpolizisten zu geben
183
Teil 2 Währungskriege
Die Nutzung des IWF durch die G20 als externes Sekretariat, Forschungs-
abteilung, Statistikbehörde und politisches Schiedsgericht hatte für bei-
de Organisationen große Vorteile. Die G20 bekamen so Zugang zu einem
enormen Fachwissen, ohne selbst einen Mitarbeiterstab aus Experten auf-
bauen und erhalten zu müssen. Für den IWF bedeutete die Zusammenar-
beit eine Gnadenfrist. Noch 2006 hatten viele Finanzexperten weltweit die
Existenzberechtigung des IWF infrage gestellt. In den 1950er- und 1960er-
Jahren hatte der IWF Länder bei kurzfristigen Zahlungsschwierigkeiten
mit Brückenkrediten versorgt, damit sie ihre Währungsbindung zum Dol-
lar halten konnten. In den 1980er und 1990er-Jahren hatte der IWF Ent
wicklungsländer in Währungskrisen unterstützt, indem er unter Spar
auflagen, die ausländische Banken und Investoren schützen sollten, eine
Finanzierung bereitstellte. Nach der Abkehr vom Gold hin zu frei schwan-
kenden Wechselkursen und der Anhäufung riesiger Überschüsse in Ent-
wicklungsländern stand der IWF zu Beginn des 21. Jahrhunderts ohne er-
kennbare Aufgabe da. Mit einem Schlag erweckten die G20 den IWF zu
neuem Leben, indem sie ihn als Bank der G20 und Vorläufer einer Welt-
zentralbank in Stellung brachten. Der damalige ehrgeizige IWF-Chef,
Dominique Strauss-Kahn, war mit diesem Arrangement sehr glücklich und
stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit als Schiedsrichter für alle Richt
linien der G20.
184
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
Geithner kritisierte die Chinesen offen für ihre Weigerung, eine weite-
re Aufwertung des Yuan zuzulassen. Auf die Frage des Wall Street Jour-
nal im September 2010, ob die Chinesen genug getan hätten, antworte-
te er: »Selbstverständlich nicht … sie haben sehr, sehr wenig getan.« Die
US-Exporte erholten sich 2010, aber hauptsächlich wegen relativ hoher
Wachstumsraten in den Schwellenländern und einer höheren Nachfrage
nach Hightech-Produkten aus den USA, nicht so sehr aufgrund der Wech-
selkurse. Die Chinesen ließen zu, dass der Yuan leicht an Wert gewann,
hauptsächlich um dem Vorwurf des US-Finanzministeriums zu entgehen,
sie manipulierten ihre Währung, was zu einer Verhängung von Handels-
sanktionen durch das US-Repräsentantenhaus führen konnte. Aber kei-
ne dieser Entwicklungen entsprach Geithners Forderungen auch nur an-
nähernd. Auch ein bilaterales Gipfeltreffen im Januar 2011 von Präsident
Hu und Präsident Obama, den sogenannten G2, führte nur zu gegenseiti-
gen Freundschaftsbekundungen und Fotos zweier lächelnder Präsidenten.
Es sah aus, als müssten die USA auf eigene Faust aktiv werden, wenn sie ei-
nen billigeren Dollar haben wollten. Die Erwartungen der Welt an die G20
waren bisher enttäuscht worden.
Im Juni 2011 jedoch traten die USA als Sieger aus dem Währungskrieg her-
vor. Wie in vielen Kriegen hatte auch hier eine Geheimwaffe den Ausschlag
für den Sieg gegeben. Diese Finanzwaffe trug den sperrigen Namen »quan-
titative Lockerung« (»quantitative easing«, QE) und stand im Wesentlichen
für eine Erhöhung der Geldmenge, um eine Preisinflation herbeizuführen.
Wie schon 1971 ergriffen die USA einseitig Maßnahmen, um den Dollar
durch Inflation zu schwächen. QE schlug als geldpolitische Bombe in die
Weltwirtschaft des Jahres 2009 ein, und ihr Nachfolger, als QE2 bezeichnet,
wurde Ende 2010 abgeworfen. Die Auswirkungen auf das globale Finanz-
system waren unmittelbar und durchschlagend. Durch die quantitative Lo-
185
Teil 2 Währungskriege
ckerung generierten die USA eine Inflation im Ausland und erhöhten so die
Kosten nahezu jedes großen Exportlandes und jedes schnell wachsenden
Schwellenlandes der Welt auf einmal.
Will die Fed die Geldmenge reduzieren, verkauft sie den Primärhändlern
Staatsanleihen. Die Händler erhalten die Anleihen, und das Geld, das die
Fed dafür bekommt, verschwindet einfach. Wenn die Fed jedoch die Geld-
menge erhöhen will, kaufen sie Staatsanleihen von den Händlern. Die Fed
erhält die Anleihen und bezahlt die Händler mit frisch gedrucktem Geld.
Das Geld landet auf den Konten der Händler und kann dann für weitere
Geldschöpfung durch das Bankensystem eingesetzt werden. Dieser Han-
del mit Staatsanleihen zwischen Fed und Primärhändlern macht den Lö-
wenanteil der Offenmarktgeschäfte aus. Üblicherweise werden Offenmarkt-
geschäfte für die Kontrolle kurzfristiger Zinssätze eingesetzt. Die Fed kauft
oder verkauft dazu in der Regel Staatsanleihen mit sehr kurzen Laufzeiten,
meist nur 30 Tage. Aber was geschieht, wenn die Zinssätze bei den ganz
kurzen Laufzeiten bereits bei null liegen und die Fed ihre Geldmarktpolitik
noch weiter lockern will? In diesem Fall kann die Fed anstelle von Anlei-
hen mit sehr kurzen Laufzeiten Staatsanleihen mit mittleren Laufzeiten von
fünf, sieben oder zehn Jahren aufkaufen. Besonders zehnjährige Staatsanlei-
hen stellen einen Referenzwert für die Zinsfestlegung bei Hypotheken und
Firmenkrediten dar. Der Einkauf mittelfristiger Anleihen durch die Fed hät-
te niedrigere Zinssätze für Käufer von Eigenheimen und bei der Kreditver-
186
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
In einer globalisierten Welt jedoch sorgen die Wechselkurse dafür, dass sich
die Folgen veränderter Zinssätze so schnell fortpflanzen wie Schall in Was-
ser. Durch quantitative Lockerung konnte die Fed die finanzielle Lage in
den USA verbessern, aber auch die in China. Sie war die perfekte Waffe
für einen Währungskrieg, und die Fed wusste es. Die quantitative Locke-
rung funktionierte, weil die Chinesische Volksbank an der Dollarbindung
des Yuan festhielt. Ein Großteil des Geldes, das die Fed im Rahmen ihres
QE-Programms druckte, landete in China, entweder durch Handelsüber-
schüsse oder in Form von Hot Money auf der Suche nach höheren Profiten
als den in den USA möglichen. In China angekommen, wurden die Dollar
von der Zentralbank im Austausch gegen frisch gedruckte Yuan einkassiert.
Je mehr Geld die Fed druckte, umso mehr Geld musste China drucken, um
den Währungskurs zu halten. China hatte den Yuan an den Dollar gebunden
in der fälschlichen Annahme und der vergeblichen Hoffnung, dass die Fed
ihr Vorrecht des Gelddrucks nicht missbräuchlich einsetzen würde. Jetzt
druckte die Fed, was die Maschinen hergaben.
Der Yuan gewann Ende 2010 und Anfang 2011 nur langsam an Wert, wäh-
rend die Jahresinflation in China bald 5 Prozent überstieg. China hatte sich
geweigert, den Yuan aufzuwerten, und bekam dafür Inflation. Die USA wa-
187
Teil 2 Währungskriege
ren auf jeden Fall zufrieden, denn sowohl eine Währungsaufwertung als
auch eine Inflation erhöhten die Kosten für chinesische Exporte und er-
höhten die Wettbewerbsfähigkeit der USA. Zwischen Juni 2010 und Janu-
ar 2011 hatte der Yuan aufs Jahr umgerechnet 4 Prozent zugelegt, und die
Jahresrate der Inflation in China lag bei 5 Prozent, sodass die relativen Kos-
ten für die Chinesen um insgesamt 9 Prozent gestiegen waren. Auf mehrere
Jahre hochgerechnet bedeutete dies, dass der Dollar bei den Exportpreisen
relativ zum Yuan mehr als 20 Prozent an Wert verlieren würde. Genau das
hatten Senator Chuck Schumer und andere Kritiker in den USA gefordert.
China hatte nur noch die Wahl zwischen gleich schlechten Alternativen.
Wenn es an der Währungsbindung festhielt, würde die Fed einfach weiter
Geld drucken, und die Inflation in China geriete außer Kontrolle. Wenn
China aufwertete, konnte es die Inflation vielleicht kontrollieren, aber die
relativen Kosten im Vergleich zu anderen Währungen würden steigen. So
oder so hatten die Fed und die USA gewonnen.
188
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
dem Dollar und damit auf den stabilen Wert ihrer riesigen Bestände an
US-Staatsanleihen verlassen, wie es auch in Europa zu Zeiten des Bretton-
Woods-Systems der Fall gewesen war. Ihr Vertrauen war enttäuscht wor-
den – die Fed zwang sie zum Handeln. Angesichts der möglichen Alterna-
tiven – unkontrollierte Inflation mit unvorhersehbaren Konsequenzen oder
kontrollierte Aufwertung des Yuan – entschied China sich für eine gleich-
mäßige Aufwertung, die im Juni 2010 begann und sich bis Mitte 2011 dras-
tisch verstärkt hatte.
Die USA hatten die erste Runde im Währungskrieg für sich entschieden.
Wenn es um einen Schwergewichtsboxkampf zwischen den USA und Chi-
na gegangen wäre, dann wäre es die erste Runde in einem Kampf gewesen,
der aussah, als könne er gut über 15 Runden gehen. Beide Boxer waren
noch auf den Beinen. Die USA hatten die Runde nach Punkten gewonnen,
nicht durch K.O. Die Fed stand als Ringarzt in der Ecke der USA bereit, um
alle Verletzungen zu versorgen. Auch China hatte Unterstützung in seiner
Ecke – die anderen Opfer der QE weltweit. Die zweite Runde konnte jeden
Moment eingeläutet werden.
189
Teil 2 Währungskriege
Völlig unberücksichtigt bleibt dabei die Tatsache, dass die Preise für vie-
le Waren, die von Einwohnern dieser Länder nachgefragt werden, wie Wei-
zen, Mais, Öl, Sojabohnen, Bauholz, Kaffee und Zucker auf dem Weltmarkt
festgelegt werden, nicht vor Ort. Als Verbraucher in einzelnen Märkten die
Preise in Reaktion auf den Gelddruck der Fed in die Höhe trieben, stiegen
die Preise nicht nur auf diesen lokalen Märkten, sondern auch weltweit.
Die Auswirkungen des Gelddruckens durch die Fed waren nicht nur in den
relativ erfolgreichen Schwellenländern Ostasiens und Lateinamerikas spür-
bar, sondern auch in den ärmeren Teilen Afrikas und des Nahen Ostens.
Für einen Fabrikarbeiter mit 12 000 Dollar im Jahr sind Preiserhöhungen
für Lebensmittel unangenehm. Für einen Bauern mit 3 000 Dollar im Jahr
können teurere Lebensmittel den Unterschied zwischen Essen und Hun-
gern bedeuten, zwischen Leben und Tod. Die Unruhen, Ausschreitungen
und Aufstände, die Anfang 2011 in Tunesien ausbrachen und schnell auf
Ägypten, Jordanien, Jemen, Marokko und Libyen übergriffen, richteten sich
nicht nur gegen Diktaturen und das Fehlen demokratischer Strukturen, son-
dern auch gegen steigende Lebensmittel- und Energiekosten sowie sinken-
de Lebensstandards. Verschiedene Länder im Nahen Osten gingen an die
Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten, indem sie Grundnahrungsmittel
wie Brot subventionierten und so die schwersten Auswirkungen der Infla-
tion dämpften. Dadurch wurde aus dem Problem der Inflation ein Problem
der Staatsfinanzen, insbesondere in Ägypten, wo die Steuereintreibung im-
mer chaotischer wurde und die Tourismuseinnahmen als Folge des arabi-
190
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
Es musste sich aber erst noch herausstellen, ob die G20 die USA von ihrer
außer Kontrolle geratenen Finanz- und Währungspolitik abbringen konn-
ten, die die Welt mit Dollar überschwemmte und eine weltweite Inflation
bei Lebensmittel- und Energiepreisen auslöste. Die USA suchten unter den
G20 ihrerseits Verbündete wie Frankreich und Brasilien, um die Chinesen
unter Druck zu setzen und zu einer Währungsaufwertung zu drängen. Nach
Meinung der USA wäre es für Exporte und Wirtschaftswachstum aller – Eu-
ropa, Nordamerika und Lateinamerika – vorteilhaft, wenn die Chinesen den
Yuan aufwerteten und ihren Binnenkonsum steigerten. Theoretisch mag
das zutreffen, aber inzwischen richtete die Strategie der USA, die Welt mit
Dollar zu überschwemmen, großen Schaden an. China und die USA stan-
den sich in einem globalen Feiglingsspiel gegenüber: China rückte nicht von
seinem Exportmodell ab, und die USA versuchten, Chinas Kostenvorteil
bei den Exporten wegzuinflationieren. Aber die Inflation war nicht auf Chi-
na allein begrenzt, und die ganze Welt begann, sich ernsthaft Sorgen wegen
der Folgen zu machen. Die G20 waren als Koordinationsplattform für die
Weltfinanzpolitik konzipiert, aber inzwischen machten sie mehr den Ein-
druck eines Kinderspielplatzes, auf dem zwei Rabauken von allen verlang-
ten, sich für eine Seite zu entscheiden.
191
Teil 2 Währungskriege
ziten wie den USA anzupassen. Unter dem klassischen Goldstandard war
dies automatisch geschehen, heute setzte es eine Währungsmanipulation
durch die Notenbanken voraus.
Statt konkrete Ziele festzulegen, erbrachte der G20-Gipfel in Seoul den Vor-
schlag, anhand »indikativer Leitlinien« festzustellen, wann Handelsüber-
schüsse ein untragbares Niveau erreichten.43 Die Details dieser Leitlinien
sollten bei einem nachfolgenden Treffen der Finanzminister und Zentral-
bankgouverneure ausgearbeitet werden. Im Februar 2011 trafen sich die
Minister und Gouverneure in Paris und einigten sich grundsätzlich darauf,
welche Faktoren als »Indikatoren« anerkannt werden sollten, doch konnten
keine Grenzwerte für die einzelnen Faktoren festgelegt werden. Die Bestim-
mung dieser Grenzwerte wurde auf ein nachfolgendes Treffen im April ver-
schoben, und das Gesamtergebnis sollte den Staats- und Regierungschefs
der G20 bei ihrem Jahrestreffen in Cannes im November 2011 zur Abseg-
nung vorgelegt werden.
Inzwischen machte die Einsetzung des IWF als Wachhund der G20 rasche
Fortschritte. Bei einer Konferenz in Nanjing in China im März 2011, an der
Experten und Wirtschaftswissenschaftler teilnahmen, sagte der Präsident
der G20, Nicolas Sarkozy, in Bezug auf die Zahlungsbilanzen: »Eine stärke-
re Überwachung durch den IWF ist unverzichtbar.«
192
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
Die G20 waren bei Weitem keine perfekte Institution, aber die Welt hatte
nur sie. Das G7-Modell war gestorben, und die Vereinten Nationen hatten
nichts Vergleichbares anzubieten. Der IWF war in der Lage, eine gute fach-
liche Analyse zu liefern, und war als Schiedsrichter für die von den G20 auf-
gestellten Richtlinien gut geeignet. Er stand jedoch unter dem starken Ein-
fluss der alten Troika aus Nordamerika, Japan und Westeuropa, und seinem
Einfluss begegnete man in den führenden Schwellenländern – China, Indi-
en, Brasilien und Indonesien – mit Misstrauen. Der IWF war nützlich, aber
auch dort musste es Veränderungen, musste es Anpassungen an die neuen
globalen Verhältnisse geben.
Ende 2008 und Anfang 2009 waren die G20 entscheidungsfähig gewesen,
weil die Mitglieder von derselben Angst umgetrieben wurden. Der katastro-
phale Zusammenbruch der Finanzmärkte, des Welthandels, der Industrie-
produktion und des Arbeitsmarktes hatte Kompromisse bei Rettungspake-
ten, Konjunkturanreizen und neuen Regulierungen der Banken ermöglicht.
2011 schien das Schlimmste überstanden, und die Mitglieder der G20
kehrten zu ihren alten Agenden zurück – ungebrochen große Handelsüber-
193
Teil 2 Währungskriege
schüsse für China und Deutschland und ein ungebrochenes Streben der
USA nach einem schwachen Dollar, um die US-Exporte zu fördern und
selbst Handelsüberschüsse zu erwirtschaften. Was den USA jedoch fehlte,
war ein Richard Nixon mit einem präventiven Aktionsplan oder jemand mit
der Kaltschnäuzigkeit eines John Connally. Die USA hatten an Einfluss ver-
loren. Es brauchte erst eine weitere Krise, um die G20 zu einem gemeinsa-
men Handeln zu bringen. Dank des taktischen Gelddruckens der USA und
dessen inflationären Nebenwirkungen weltweit ließ die nächste Krise nicht
lange auf sich warten.
Diese Krise traf die Welt am Nachmittag des 11. März 2011 wie ein Blitz
aus heiterem Himmel unweit der Stadt Sendai in Japan. Ein Erdbeben der
Stärke 9,0, dicht gefolgt von einem zehn Meter hohen Tsunami zerstörte
die nordöstliche Küstenregion Japans, tötete Tausende, überflutete ganze
Städte und Dörfer und zerstörte jede Infrastruktur – Häfen, Fischereiflot-
ten, Bauernhöfe, Brücken, Straßen und Kommunikationsverbindungen. In-
nerhalb weniger Tage nahm die größte nukleare Katastrophe seit Tscherno-
byl in einem Kernkraftwerk bei Sendai ihren Lauf. Durch die Kernschmelze
der nuklearen Brennstäbe gingen riesige Mengen an Radioaktivität auf die
lokale Bevölkerung nieder. Während die Welt noch mit den Folgen kämpf-
te, entwickelte sich eine neue Front im Währungskrieg. Der japanische Yen
erreichte innerhalb kürzester Zeit einen Rekordwert gegenüber dem Dollar,
gestützt von der Erwartung einer massiven Währungsrückführung des Yen
durch japanische Investoren, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Japan
hatte 2 Billionen Dollar im Ausland angelegt, vor allem in den USA, und war
im Besitz von Rücklagen in der US-Währung im Wert von über 850 Milliar-
den Dollar. Einige davon würden gegen Dollar verkauft, die Erträge in Yen
umgetauscht und nach Japan geschafft werden müssen, um den Wiederauf-
bau zu bezahlen. Dieser massive Handel von Dollar gegen Yen führte zum
Höhenflug des Yen.
Der Kursanstieg des Yen gegenüber dem Dollar passte perfekt ins Programm
der USA, doch Japan bevorzugte das Gegenteil. Die japanische Wirtschaft
194
Kapitel 7 – Die G20-Lösung
war mit einer Katastrophe konfrontiert, und ein billiger Yen half japanischen
Exporten und konnte der japanischen Wirtschaft wieder auf die Beine hel-
fen. Das Ausmaß der Katastrophe in Japan war einfach zu groß – das Inte-
resse der USA an einem billigen Dollar musste erst einmal hinter der Not-
wendigkeit eines billigen Yen zurückstehen.
Japan musste auf jeden Fall seine Dollaranlagen verkaufen, um den Wie-
deraufbau zu finanzieren, und diese Aussicht trieb den Kurs des Yen in die
Höhe. Nur durch eine koordinierte Intervention der Zentralbanken konnte
der Flut an Yen, die nach Japan zurückströmten, entgegengewirkt werden.
Das Verhältnis von Yen und Dollar war zu spezifisch für eine G20-Aktion,
und ohnehin war in naher Zukunft kein G20-Treffen angesetzt. Die großen
drei – die USA, Japan und die Europäische Zentralbank – mussten das Pro-
blem allein lösen.
195
Teil 2 Währungskriege
Konnte man die G20 am ehesten mit einer riesigen Armee vergleichen, so
hatten die G7 bewiesen, dass sie immer noch die Rolle einer Sonderein-
satztruppe übernehmen konnten, die schnell und ohne viel Aufsehen ein
eng gestecktes Ziel erreicht. Die G7 hatten zumindest vorübergehend das
Blatt gewendet. Doch die unaufhaltsame Rückführung von Yen nach Ja-
pan fand unverändert statt, und auch die Spekulanten, die davon profitieren
wollten, waren immer noch am Werk. Eine Zeit lang schien es, als seien die
schlechten alten Zeiten der 1970er- und 1980er-Jahre zurückgekehrt, als
eine k leine Gruppe von Banken gegen Spekulanten und die Naturgewalt der
Währungsaufwertung ankämpfte. Insgesamt bedeutete Japans dringender
Bedarf an billigen Yen einen Rückschlag für die Bemühungen der USA um
einen billigen Dollar. Der klassische Frontverlauf im Kampf um die billigste
Währung hatte sich plötzlich verändert. Jetzt wollten nicht mehr wie bisher
nur China, die USA und Europa ihre Währung schwächen. Japan, das den
Forderungen der USA nach einem starken Yen bisher bereitwillig nachge-
kommen war, fand sich plötzlich im Lager der Kämpfer um eine schwache
Währung wieder. Aber es konnten nicht alle gleichzeitig eine billige Wäh-
rung haben, das Problem der Quadratur des Kreises war nach wie vor unge-
löst. Schließlich wurde der Kampf von Dollar gegen Yen zum Kampf Dollar
gegen Yuan auf der Agenda der G20 hinzugefügt, während die Welt weiter
nach einer umfassenden Lösung für ihre Währungsprobleme suchte.
196
T eil 3
Die nächste
globale K rise
Kapitel 8 –
Globalisierung und Staatskapitalismus
»Es ist im Kriege eine Regel, daß man nie annehmen soll, ein Feind würde
nie kommen, sondern man muß jederzeit bereit sein, ihn zu treffen. Man
darf nie annehmen, daß er nicht angreifen wird, sondern man sollte sich
immer in eine Position bringen, in der man unschlagbar ist.«44
Sun Tsu,
Über die Kriegs-Kunst, spätes 5. Jahrhundert v. Chr.
Derartige Angriffe können nicht nur von Staaten ausgehen, sondern auch
von Terroristen, Verbrecherbanden und anderen Bösewichten, die mit
hilfe von Staatsfonds, Spezialkräften, Spionage, Cyberattacken, Sabotage
oder Geheimoperationen tätig werden. Derartige Finanzmanöver gehören
nicht zu den Themen, über die bei G20-Treffen normalerweise gesprochen
wird.
Der Wert seiner Währung ist die Achillesferse eines Landes. Wenn die Wäh-
rung kollabiert, reißt sie alles andere mit sich in den Abgrund. Die heuti-
gen Märkte sind durch komplexe Handelsstrategien miteinander verbun-
199
Teil 3 Die nächste globale Krise
den, doch die meisten sind zumindest bis zu einem gewissen Grad noch
eigenständig. Der Aktienmarkt kann einbrechen, während sich der Anlei-
henmarkt gleichzeitig erholt. Der Anleihenmarkt kann einbrechen, während
andere Warenmärkte, für Gold und Öl zum Beispiel, zu neuen Höhenflügen
ansetzen. Es besteht immer die Möglichkeit, an einem Markt Geld zu verdie-
nen, während ein anderer Markt ins Bodenlose stürzt. Aber alle Anlagefor-
men, Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Derivate und andere Kapitalanlagen, sind
in der Landeswährung ausgezeichnet. Ruiniert man eine Währung, dann ru-
iniert man alle Märkte und das Land selbst. Aus diesem Grund ist die Wäh-
rung das ultimative Ziel in jedem Finanzkrieg.
Ein Überblick über die Kräfte der Globalisierung sowie des Staatskapita-
lismus, der eine Neuauflage des frühneuzeitlichen Merkantilismus darstellt
und bei dem Unternehmen die verlängerten Arme der Staatsmacht sind,
kann zum Verständnis der ernsten Gefahren für die heutige Weltwirtschaft
beitragen. Die Bedrohungen durch finanzwirtschaftliche Kriegsführung
sind nur vor dem Hintergrund der heutigen finanzwirtschaftlichen Reali-
täten zu erfassen. Die Welt ist geprägt durch den Siegeszug der Globalisie-
rung, den aufkommenden Staatskapitalismus und die anhaltende Terrorge-
fahr. In der finanzwirtschaftlichen Kriegsführung gibt es keine Regeln und
keine Grenzen. Sie ist die bevorzugte Art der Kriegsführung für alle, die an
Waffengewalt unterlegen, aber raffinierter sind als ihre Gegner.
200
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
Globalisierung
Die neuen globalen Unternehmen sind eben – global. Sie unterdrücken ih-
re nationale Identität so weit wie möglich und stilisieren sich als Weltmarke
ohne erkennbare nationale Charakteristiken. Entscheidungen über neue Fa-
brikationsstandorte und Verteilungszentren oder die Emission von Aktien
oder Anleihen in unterschiedlichen Währungen werden aus Kosten-, Profit-
oder logistischen Gründen getroffen, ohne dass ein formelles Herkunftsland
besonders berücksichtigt würde.
201
Teil 3 Die nächste globale Krise
rung der Welt bedeutete Nachteile und hohe Kosten für Firmen mit inter-
nationalen Ambitionen.
Als Folge der neuen Welt ohne Grenzen entstanden für die Finanzwirtschaft
aber auch grenzenlose Risiken. Durch die Globalisierung erreichte die Fi-
nanzwirtschaft eine Reichweite und eine Vernetzung ungekannten Ausma-
ßes. Die Emission von Anleihen war bisher durch den Zweck begrenzt, auf
den die Emittenten die Erlöse verwenden wollten. Bei Derivaten gibt es eine
solche natürliche Grenze nicht. Sie konnten in unendlicher Anzahl geschaf-
fen werden, allein durch die Referenz auf den zugrunde gelegten Basiswert.
Die Möglichkeit, Subprime-Hypotheken aus Nevada an deutsche Regio-
nalbanken zu verkaufen, nachdem diese Hypotheken gebündelt, gestückelt,
neu verpackt und mit einem wertlosen AAA-Rating versehen worden w aren,
war eine der wundersamen Errungenschaften dieser Zeit.
202
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
In der globalisierten Welt wurde aus Alt wieder Neu. Das erste Zeitalter der
Globalisierung dauerte von 1880 bis 1914 und fiel damit zeitlich etwa mit
dem klassischen Goldstandard zusammen. Die Periode von 1989 bis 2007
war eigentlich das zweite Zeitalter der Globalisierung. Während der ersten
Periode waren nicht das Internet und Düsenjets die entscheidenden Errun-
genschaften, sondern das Radio, Telefone und Dampfschiffe. Das britische
Weltreich umfasste einen Binnenmarkt und einen einheitlichen Währungs-
raum von der Größe der Europäischen Union. Im Jahr 1900 öffnete sich
China, wenn auch widerstrebend, für Handel und Investitionen, Russland
hatte endlich begonnen, sich von seinem Feudalsystem zu trennen und sei-
ne Industrie und Landwirtschaft zu modernisieren, während das Deutsche
Reich zu einer industriellen Großmacht aufstieg.
Im August 1914 brach das alles in sich zusammen. Ein Londoner Banki-
er, der im Frühsommer aus dem Fenster seines Gentlemen’s Club sah und
über die Geschwindigkeit des Fortschritts zu jener Zeit nachdachte, hätte
sich wohl kaum vorstellen können, welche Tragödien sich in den folgenden
75 Jahren abspielen würden. Die Welt würde zwei Weltkriege, zwei Wäh-
rungskriege, den Untergang von Weltreichen, die Große Depression, den
203
Teil 3 Die nächste globale Krise
Holocaust und den Kalten Krieg erleben, bevor ein neues Zeitalter der Glo-
balisierung anbrach. Im Jahr 2011 ist die globalisierte Finanzwirtschaft all-
gegenwärtig. Ob sie die Zeiten überdauern wird, muss sich erst noch er-
weisen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Zivilisation und die mit ihr
verbundene Globalisierung nur ein dünner Deckmantel über den scharfen
Klippen des Chaos sind.
Staatskapitalismus
Die Globalisierung war nicht das einzige geopolitische Phänomen, das sich
am Ende des 20. Jahrhunderts entwickelte; ein weiteres war der Staatska-
pitalismus. Staatskapitalismus ist die aktuelle Bezeichnung für eine Neu-
auflage des Merkantilismus, der vorherrschenden Wirtschaftsform des 17.
bis 19. Jahrhunderts. Merkantilismus ist das genaue Gegenteil von Globa-
lisierung. Seine Anhänger stützen sich auf geschlossene Märkte und ein
abgeschottetes Währungssystem, um ihren Wohlstand auf Kosten anderer
zu mehren.
204
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
205
Teil 3 Die nächste globale Krise
Aus Sicht der USA sind Globalisierung und Staatskapitalismus nur schwer
zu verstehen. US-Geheimdienstanalysten sind darauf trainiert, das soge-
nannte »Mirror-Imaging« zu vermeiden, also die Tendenz zu glauben, dass
206
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
andere die Welt genauso sehen wie man selbst. Bei der Einschätzung ei-
nes Gegners kann Mirror-Imaging zu fatalen Fehlern führen. Für eine Be-
drohungsanalyse müssen sich die Analysten in Russen, Chinesen, Araber
und andere hineinversetzen, um nicht nur die Unterschiede in Sprache,
Kultur und Geschichte zu begreifen, sondern auch die unterschiedlichen
Beweggründe und Absichten. Im Erdgas sehen russische Führungskräfte
nicht nur Exporterlöse, sondern auch Macht über die europäische Indus-
trie. Chinesischen Strategen ist klar, dass der chinesische Bestand an US-
Staatsanleihen eine Waffe darstellt, die entweder die US-Wirtschaft zer
stören oder aber auch nach hinten losgehen kann. Arabische Herrscher, die
erste Modernisierungsschritte unternehmen, wissen genau, dass sie sich
damit in ein reaktionäres und religiöses Minenfeld begeben. Mit der fol-
genden Rundreise durch Dubai, Moskau und Peking möchte ich aufzei-
gen, wie Milliarden von Arabern, Asiaten und Russen die USA sehen, und
deutlich machen, dass das Schicksal des Dollar nicht allein in amerikani-
scher Hand liegt.
Dubai
Ähnlich ist es heute in Dubai, einer Insel relativer Ruhe umgeben von Krie-
gen in Afghanistan und Libyen, krisenanfälligen Ländern wie Irak und
207
Teil 3 Die nächste globale Krise
In Dubai finden sie vor, was Ricks Gäste in Casablanca vorfanden: neutra-
len Boden, wo sie einander treffen, rekrutieren und verraten können, oh-
ne Gefahr zu laufen, direkt verhaftet zu werden. Dubai ist ein gutes Pflas-
ter für internationale Machenschaften. Das Wetter ist von Oktober bis März
fantastisch. Dubai befindet sich mitten in einer Gefahrenzone, umgeben
von Mumbai, Lahore, Teheran, Istanbul, Kairo, Khartum und den Piraten
nestern in Somalia. Es gibt hervorragende Luftverkehrs- und Telekommu-
nikationsverbindungen zum Rest der Welt. Dubai ist berühmt für seine
Gebäude – dort steht das höchste Gebäude der Welt und viel postmoderner
Prunk, um Besucher aus traditionelleren und repressiveren Gesellschaften
zu beeindrucken.
Zu all dem Glamour und den Intrigen kommt auch noch Gewalt à la Hol-
lywood. Im März 2009 wurde im Nobelviertel Marina, ganz in der Nähe
der besten Strände und Hotels der Stadt, ein russischer Warlord erschos-
sen. Zwei Verdächtige, ein Tadschike und ein Iraner, wurden verhaftet,
und in ihren Geständnissen beschuldigten sie ein Mitglied der russischen
Duma, auf Befehl des starken Manns in Tschetschenien, Ramsan Kady-
row, zu handeln. In einer Szene, die direkt Ian Flemings Der Mann mit
dem g oldenen Colt entlehnt sein könnte, wurde das Opfer mit einer ver
goldeten Pistole erschossen, die ein russischer Diplomat eingeschmuggelt
hatte.
208
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
Ein noch spektakulärerer Mord ereignete sich im Januar 2010, als israe-
lische Kundschafter und Auftragskiller – die in Teams arbeiteten, mit ge-
fälschten Pässen reisten, in Verkleidung auftraten und hoch verschlüsselte
Handys benutzten – Mahmud al-Mabhuh, einen hochrangigen Agenten der
Hamas, in seinem Hotelzimmer in Dubai ermordeten, wo er vorhatte, einen
Waffendeal mit seinen iranischen Lieferanten abzuschließen. Die Kriminali-
tätsrate in Dubai ist niedrig, doch für Terroristen mit Feinden ist nicht ein-
mal die Wüste ein sicherer Ort.
209
Teil 3 Die nächste globale Krise
zentrum für die somalischen Piraten. Während sich im Arabischen Meer Pi-
raten, Besatzungen in Geiselhaft und patrouillierende Marineschiffe in ei-
nem Patt gegenüberstehen, drehen Verbindungsleute der Piraten in Dubai
ihre Runden, verhandeln über Lösegeld und geben Anweisungen für die
schließlichen Zahlungen weiter.
Für die handfesten Reichtümer gibt es den Gold-Souk, einen der größ-
ten Märkte der Welt, wo es Gold in jeder Form – Schmuck, Münzen und
Barren – zu kaufen gibt, das dann in Aktenkoffern in private Schatzkam-
mern auf der ganzen Welt transportiert wird, ohne dass jemand Fragen
stellt. In Dubai gibt es ein Rohstoffhandelszentrum in gläsernen Wolken-
kratzern, die jeweils nach den arabischen Wörtern für Gold, Silber und Di-
amanten benannt sind. Unter diesen Türmen befindet sich einer der größ-
ten und bestgesichertsten Tresorräume der Welt, der von Brink’s gemanagt
wird. Das Schweizer Bankgeheimnis ist unter Beschuss, und die Oligar-
chen sind in Russland massiver Kritik ausgesetzt. Da ist es eine gute Idee,
sein Geld in anonymes Gold umzutauschen und dieses in der Wüste zu
lagern.
Das Gold, das im Souk den Besitzer wechselt, stellt nur einen Bruchteil der
Reichtümer dar, die Dubai passieren. Papierwährungen werden von der
Prägeanstalt beziehungsweise Druckerei an die Zentralbanken weiterge-
reicht und von dort an die Kunden. Ein erheblicher Teil davon kursiert au-
ßerhalb des Heimatlandes. Dubai ist der größte Umschlagsplatz für die Pa-
pierwährungen der Welt. In gesicherten Lagerstätten, nahe dem Flughafen
von Dubai, sind riesige Mengen an Banknoten deponiert und warten auf die
Rückkehr zu den Emissionsbanken.
210
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
für die Währungskriege erfüllt Dubai diese Rolle. Es gibt keine Währung, die
in Dubai nicht ihr Geld wert wäre – es ist nur eine Frage des Preises.
Moskau
Seit Kurzem existiert auf einer offenen Fläche ein Stück von der Nametki-
na-Straße zurückgesetzt, außerhalb des inneren Straßenrings, der das Zent-
rum von Moskau umgibt, eine achte Schwester. Sie ist ähnlich wuchtig und
etwa genauso hoch wie die ursprünglichen sieben, mit einem pyramidenför-
migen Dach, das an die Turmspitzen der Schwestern erinnert. Aber hier en-
det die Ähnlichkeit. Die neue, 1995 fertiggestellte Schwester hat eine glän-
zende, postmoderne Fassade aus blauem Glas, Stahl und Beton. Passend zu
diesem zeitgemäßen Look hat das Gebäude auch eine zeitgemäße Funktion:
Es ist die Firmenzentrale von Gazprom, dem größten Unternehmen Russ-
lands, dem weltgrößten Erdgasproduzenten und der Hauptstütze der auf
Rohstoffen basierenden russischen Wirtschaft. Gazprom und der russische
Staat ziehen bei der Ausbeutung der Erdgasvorkommen an einem Strang.
211
Teil 3 Die nächste globale Krise
212
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
Nabucco ist ein Konsortium aus Mitgliedern der EU und der USA für den
Bau einer Erdgas-Pipeline, über die Europa Zugang zu Erdgas bekommen
soll, das nicht von Russland kontrolliert wird. Dieses Vorhaben stellt eine
direkte Bedrohung von Gazproms nahezu monopolistischer Stellung auf
dem europäischen Erdgasmarkt über die Pipelines durch die Ukraine und
Weißrussland dar. Nabucco ist der Versuch, diese Pipelines auf eine Weise
zu umgehen, die weder russisches Gas involviert noch über russisches Ter-
ritorium führt. Nabucco soll zunächst Erdgasquellen in Aserbaidschan er-
schließen und später in Kasachstan und im Irak. Auf dem Weg nach Europa
wird die Pipeline die Türkei durchqueren.
213
Teil 3 Die nächste globale Krise
Russland droht nicht nur mit dem Einsatz des Erdgases als geopolitische
Waffe. Es hat diese Waffe auch schon verschiedentlich eingesetzt. Am 1. Ja-
nuar 2006 stellte Gazprom die Lieferung von Erdgas an die Ukraine ein.
Die Auswirkungen waren nicht auf die Ukraine beschränkt, sondern in ganz
Europa spürbar. Als offizielle Begründung wurden Abrechnungsstreitig-
keiten angegeben. Die Ukraine bezahlte Russland für ihren Gasverbrauch,
und umgekehrt bezahlte Russland die Ukraine für das Recht, ihr Gebiet zu
durchqueren, um den Rest Europas mit Gas zu beliefern. Russland konn-
te die Transitgebühren in Naturalien begleichen, indem es der Ukraine ein-
fach einen Teil des ukrainischen Gasverbrauchs nicht in Rechnung stell-
te. Keine dieser Zahlungen wurde nach üblichen Marktpreisen berechnet,
sondern sie wurden über Mittelsmänner ausgehandelt, die vermutlich die
Gelder auf Konten von russischen und ukrainischen Beamten im Ausland
umleiteten. Diese Mischung aus nichtöffentlichen Verhandlungen, Mittels-
männern, Bezahlung in Naturalien und Geschäften außerhalb des Marktes
führte zwangsläufig dazu, dass sich die beteiligten Parteien konstant darüber
stritten, wer wem wie viel schuldete.
214
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
in ganz Osteuropa und ernsten Folgen in Ungarn, Polen und anderen Staa-
ten führte. Russland benutzte die Ukraine als Geisel, aber die Ukraine ihrer-
seits benutzte den Rest Europas als Geisel, um sich zu schützen – eine Re-
aktion, die für Russland durchaus absehbar hätte sein können. Schließlich
erbrachten Verhandlungen auf oberster Ebene zwischen Putin und der da-
maligen ukrainischen Premierministerin Julija Tymoschenko, die eine gan-
ze Nacht dauerten, neue Preisvereinbarungen, und Russland nahm die Lie-
ferungen wieder auf.
Damit sind die Gaskriege aber mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht be-
endet. Dafür spricht Putins Vorschlag, der Rest Europas solle der Ukraine
bei ihren Zahlungsschwierigkeiten unter die Arme greifen, um sich selbst
vor den Folgen künftiger Lieferstopps zu schützen. Dieser Vorschlag regi-
onalisiert das Problem und zeigt, dass Russland bereit ist, Gas- und Wäh-
rungswaffen in Kombination und aggressiv einzusetzen.
Russland perfektioniert den Einsatz von Erdgas als Waffe mitten in einer
globalen Finanzkrise. Dadurch erzielt es einen Multiplikatoreffekt – eine
Verstärkung der Offensivkraft über das normale Maß hinaus. Russlands
Lieferstopps für Erdgas sind zu jeder Zeit verheerend. Aber mitten in einer
europäischen Staatsschuldenkrise und einem Zusammenbruch des Immo-
215
Teil 3 Die nächste globale Krise
Natürlich gibt es für die Opfer des Krieges um den blauen Brennstoff Abhil-
fe. Sie können sich im Austausch für sichere und verlässliche Energie zu ver-
nünftigen Preisen von der NATO, dem Euro, dem Dollar und dem Westen
abwenden und sich wieder in die russische Einflusssphäre begeben. Dabei
ist es aus russischer Sicht gar nicht notwendig, dass die neuen Vasallen wie-
der das totalitäre politische System der sowjetischen Vergangenheit anneh-
men. Sie müssen sich nur in geopolitischen Fragen als verlässliche Verbün-
dete erweisen und einer Rubel-Währungszone beitreten, während sie wie
Russland selbst eine demokratische Fassade aufrechterhalten.
Russland spricht auch offen davon, den Dollar als dominante Reservewäh-
rung vom Thron stürzen zu wollen. Der Rubel kann den Dollar bei interna-
tionalen Reserven nicht ersetzen, aber er könnte zu einer regionalen Reser-
ve- und Handelswährung für russische und zentralasiatische Gaslieferanten
und osteuropäische Gaskunden werden und somit den Dollar zumindest
in diesem Bereich verdrängen. Einen deutlicheren Hinweis auf kommende
Kämpfe um den blauen Rohstoff hätte Russland nicht geben können, als es
mit Worten und Taten bereits geschehen ist. Energie ist der Bolzen, mit dem
ein regionaler Wirtschaftsblock mit dem Rubel als regionaler Reservewäh-
rung zusammengeschweißt wird. Der Dollar bleibt dabei außen vor.
Peking
216
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
217
Teil 3 Die nächste globale Krise
Der Markt für US-Staatsanleihen ist die Hauptverbindung Chinas mit dem
Weltfinanzsystem. China ist zwar die älteste Zivilisation der Geschichte und
eine aufstrebende Supermacht, aber an der Wall Street ist es vor allem der
218
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
beste Kunde der Welt. Chinas Käufe und Verkäufe an US-Staatsanleihen für
seine Reserven werden über das Netzwerk der Primärhändler abgewickelt.
Großkunden wie China ziehen den Handel mit den Primärhändlern vor,
weil diese durch ihre privilegierte Beziehung zur Fed über die besten Infor-
mationen verfügen, was die Marktbedingungen betrifft. Beziehungen sind
unverzichtbar für einen guten Überblick über die Märkte, und China be-
dient sich dieser Beziehungen.
Wenn China bei einer Bank anruft, meldet sich niemals der Anrufbeantwor-
ter. Es wurden Direktleitungen von Chinas Zentralbank und Staatsfonds
zu den gigantischen Handelsabteilungen von UBS, J. P. Morgan, Goldman
Sachs und anderen großen Banken eingerichtet. Ein Händler weiß, dass
China in der Leitung ist, bevor er den Hörer abnimmt. Es werden Codena-
men verwendet, damit Verkäufer und Händler beim Market Making nicht
belauscht werden können. Wenn China mit US-Anleihen handeln will, ruft
es im Normalfall mehrere Händler gleichzeitig an und macht sich die Kon-
kurrenz unter den Händlern zunutze. China erwartet – und bekommt – auf-
grund des riesigen Umfangs der Geschäfte, die es tätigt, die höchsten Gebo-
te für die Anleihen, die es abstoßen will.
219
Teil 3 Die nächste globale Krise
Chinas größte Angst ist, dass die USA ihre Währung durch Inflation abwer-
ten und den Wert der chinesischen Anlagen in Schuldtitel der USA zerstö-
ren. Es wurde viel spekuliert, China könne als Vergeltung für eine US-In-
flation die eine Billion Dollar an Staatsanleihen in seinem Besitz bei einem
Panikverkauf auf einmal abstoßen, wodurch der US-Zinssatz in die Höhe
schießen und der Dollar auf den Devisenmärkten einbrechen würde. Die
Folgen wären höhere Kosten für Hypotheken und niedrigere Immobilien-
preise in den USA sowie weitere finanzwirtschaftliche Verwerfungen. Es
gibt außerdem Befürchtungen, China könne dieses finanzielle Druckmittel
benutzen, um die US-Politik bei Themen wie Taiwan, Nordkorea oder der
quantitativen Lockerung zu beeinflussen.
Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Chinesen den USA auch
noch auf andere, weit weniger kostspielige Art ebenso großen Schaden zu-
fügen können. Staatsanleihen werden mit unterschiedlichen Laufzeiten ge-
handelt, die von 30 Tagen bis 30 Jahren reichen können. Die Chinesen
könnten in ihrem Anlagenmix den Anteil der Anleihen mit langen Laufzei-
ten zugunsten von Anleihen mit kurzen Laufzeiten verringern, ohne dass
sich die Gesamtsumme ihrer Investitionen verändert. Die Anleihen mit kür-
zeren Laufzeiten sind weniger volatil, wodurch die Chinesen besser vor ei-
nem Marktschock geschützt wären. Nach einer solchen Umschichtung wäre
das chinesische Portfolio auch disponibler, wodurch ein vollständiger Aus-
stieg der Chinesen aus Finanzanlagen in US-Staatsanleihen sehr viel ein-
220
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
221
Teil 3 Die nächste globale Krise
tagonien. Die Chinesen können in diese Fonds investieren oder direkt Süß-
wasserquellen aufkaufen.
222
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
Der Zusammenbruch
China und Russland könnten auch auf die Idee kommen, ihre Rohstoff-
und Währungsattacken insgeheim zeitlich zu koordinieren, damit sie sich
gegenseitig verstärken. Sie könnten im Vorfeld ihrer Aktionen mithilfe von
Hebeleffekten und Derivaten große Positionen aufbauen. Neben dem ei-
gentlichen Angriff könnten die beiden Länder durch im Vorfeld durchge-
führte Insidergeschäfte zusätzliche Profite aus ihrem Vorgehen ziehen. Ira-
ner mit Zugang zu Banken in Dubai, die diese Entwicklungen beobachten,
könnten sich zu einem Krieg gegen Saudi-Arabien oder zu einem Terror
anschlag entschließen, nicht notwendigerweise in Absprache mit den Rus-
sen oder Chinesen, sondern weil der finanzielle Multiplikator-Effekt eines
Angriffs so viel stärker wäre.
223
Teil 3 Die nächste globale Krise
Die ersten Vorläufer einer solchen Bedrohung machen sich bereits be
merkbar. Diese Bedrohung ist keine abstrakte Annahme des ungünstigs-
ten Falls, sondern die Fortschreibung von aktuellen Ereignissen wie den
folgenden:
– 15. November 2008: Associated Press berichtet, der Iran habe seine
Finanzreserven auf Gold umgestellt.
– 19. November 2008: Dow Jones berichtet, China erwäge eine Zielvor
gabe für seine offiziellen Goldreserven von 4 000 Tonnen, um durch
eine Diversifizierung das Risiko durch Dollaranlagen zu verringern.
– 9. Februar 2009: Die Financial Times berichtet, der Handel mit Gold-
barren habe einen neuen Höchststand erreicht.
– 30. März 2009: Agence France Press berichtet, Russland und China
kooperierten bei der Schaffung einer neuen Weltreservewährung.
– 31. März 2009: Die Financial Times berichtet, China und Argentinien
hätten einen Währungsswap vereinbart, der Argentinien erlaube, chine-
sische Yuan anstelle von US-Dollar zu verwenden.
224
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus
– 26. April 2009: Agence France Press berichtet, China verlange eine Re-
form des Weltwährungssystems und die Ablösung des US-Dollar als
führende Reservewährung.
– 18. Mai 2009: Die Financial Times berichtet, Brasilien und China hät-
ten sich auf die Untersuchung der Möglichkeit eines bilateralen Handels
ohne Dollar geeinigt.
– 16. Juni 2009: Reuters berichtet, Brasilien, Russland, Indien und China
hätten bei einem Treffen der BRIC-Staaten ein »breiter aufgestelltes, sta-
bileres und berechenbareres Währungssystem« gefordert.
– 13. Dezember 2010: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy ruft da-
zu auf, eine größere Rolle der SZR im Weltwährungssystem zu erwägen.
Dies ist nur eine Auswahl vieler Berichte, die darauf hindeuten, dass China,
Russland, Brasilien und andere Länder nach einer Alternative für den Dol-
lar als Weltreservewährung suchen. Häufig werden auch Rohstoffe als Basis
für eine neue Währung ins Gespräch gebracht.
225
Teil 3 Die nächste globale Krise
Von den großen drei der Weltpolitik, den USA, Russland und China, sind
die USA am besten gegen finanzwirtschaftliche Angriffe aus dem Ausland
abgesichert, doch scheinen sie entschlossen, sich selbst durch die Abwer-
tung des Dollar zu schwächen. Russland ist sichtlich geschwächt, doch sei-
ne Schwäche könnte zu seiner Stärke werden – es hat sich in seiner Ge-
schichte schon mehrmals von der Welt abgewendet und autark gelebt.
China macht einen widerstandsfähigen Eindruck, aber es hat sich in der
Vergangenheit als anfällig erwiesen. In den vergangenen 5 000 Jahren be-
stand es abwechselnd als zentral geführtes Kaiserreich und als Ansammlung
sich bekriegender Kleinstaaten. Es ist schwer einzuschätzen, wie groß die
Angst der chinesischen Führung vor den kleinsten Anzeichen von Unru-
hen durch Arbeitslose, die Landbevölkerung, Falun Gong, die Tibeter, die
Uiguren, nordkoreanische Flüchtlinge oder viele weitere potenziell zerstö-
rerische Kräfte ist. Eine Weltwirtschaftskrise könnte durch ihre komplizierte
Dynamik 60 Jahre Regierung durch die Kommunistische Partei Chinas zu-
nichtemachen. Hinter den Kulissen steht der Iran bereit, der die wirtschaft-
liche Schwäche der USA als ultimativen Multiplikatoreffekt betrachtet, der
dem Iran im Falle eines Angriffs auf seine Nachbarstaaten im Nahen Os-
ten helfen würde. Wir sind bereits in den Sog dieses Strudels geraten. Die
Verbindung aus ungezügeltem globalem Kapital und instabiler Geopolitik
gleicht einem Raubtier, das anfängt, seine Krallen zu zeigen.
226
Kapitel 9 – Der Missbrauch der
Wirtschaftswissenschaft
»Wir wollen uns lediglich erinnern, daß menschliche Entscheidungen,
welche die Zukunft beeinflussen … sich nicht auf strenge mathematische
Erwartung stützen können, weil die Grundlage für solche Berechnungen
nicht besteht; und daß es unser angeborener Drang zur Tätigkeit ist, der
die Räder in Bewegung setzt, wobei unser vernünftiges Ich nach bestem
Können seine Wahl trifft … aber oft für seine Beweggründe zurückfallend
auf Laune, Gefühl oder Zufall.«
John Maynard Keynes, 1935
227
Teil 3 Die nächste globale Krise
Doch die Finanzkrise 2008 zeigte, dass es sich um leere Versprechungen ge-
handelt hatte. Nur massive staatliche Interventionen in Form von Kapitalga-
rantien für die Banken, Kapital für Interbankkredite, Geldmarktgarantien,
Kreditgarantien, Einlagensicherungen und vieler anderer Hilfen verhinder-
ten einen Kollaps der Kapitalmärkte und der Wirtschaft. Abgesehen von ei-
nigen wenigen Ausnahmen hatten die Makroökonomen, Politiker und Ri-
sikomanager den Zusammenbruch nicht vorhergesehen und wussten sich
nicht anders zu helfen, als den Markt mit billigem Geld zu überschwemmen.
Will man mehr über die Gründe erfahren, ist ein Blick ins Jahr 1947 hilf-
reich, dem Jahr, in dem Paul Samuelsons Buch Foundations of Economic
Analysis erschien. Dieses Jahr könnte man als Übergang zwischen den Wirt-
schaftswissenschaften als Sozialwissenschaft und dem neuen Zeitalter der
Wirtschaftswissenschaften als Naturwissenschaft betrachten. Es zeigt sich,
dass sich das Marktverhalten vorher und nachher ähnelt. Der Zusammen-
bruch des Hedgefonds Long-Term Capital Management 1998 weist Paralle
len zur Pleite des Knickerbocker Trust und der Panik von 1907 auf, denn
in allen Fällen kam es zu einer ansteckenden Dynamik, bis schließlich die
Banken eingriffen, die am meisten zu verlieren hatten. Der Kurssturz vom
19. Oktober 1987, als der Dow Jones an einem einzigen Tag um 22,61 Pro-
228
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
229
Teil 3 Die nächste globale Krise
und die Arbeitslosigkeit zu verringern. Außerdem gilt sie bei einer Finanz-
krise als »Lender of the Last Resort«, als Kreditgeber der letzten Zuflucht,
der in Not geratene Banken mit Geld versorgt. Eine weitere Aufgabe ist die
Regulierung der Banken, vor allem jener, die als »too big to fail« gelten, al-
so als zu groß, um sie bankrottgehen zu lassen. Die Fed vertritt die USA
bei multilateralen Zentralbankkonferenzen etwa im Rahmen der G20 oder
der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und führt Transaktionen in
Zusammenhang mit den staatlichen Goldreserven durch. Darüber hinaus
hat die Fed durch den Dodd-Frank-Act, ein Gesetz zur Reform der Finanz-
märkte von 2010, weitere Aufgaben erhalten. Doch dieses »duale« Mandat
erinnert eher an eine Hydra mit vielen Köpfen.
Seit ihrer Gründung 1913 besteht die wichtigste Aufgabe der Fed darin,
die Kaufkraft des Dollar zu erhalten, dennoch hat der Dollar bislang über
95 Prozent seines Wertes eingebüßt. Das heißt, dass man heute 20 Dollar
benötigt, um etwas zu kaufen, für das 1913 ein einziger Dollar genügte. Stel-
len Sie sich einen Investmentberater vor, der 95 Prozent des ihm anvertrau-
ten Vermögens verliert, dann haben Sie eine Ahnung davon, wie wirksam
die Fed ihrer Hauptaufgabe nachgekommen ist.
Die Leistungsbilanz der Fed hinsichtlich der Preisstabilität des Dollar fällt
im Vergleich zur Römischen Republik sehr blass aus, denn der Silberdenar
bewahrte über 200 Jahre lang 100 Prozent seiner ursprünglichen Kauf-
kraft, bis Kaiser Augustus Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus mit sei-
ner Abwertung begann. Der goldene Solidus des Byzantinischen Reichs hat
eine noch beeindruckendere Bilanz, seine Kaufkraft blieb praktisch über
500 Jahre lang unverändert, von der Geldreform im Jahr 498 nach Christus
bis zur Abwertung 1030.
Zur Verteidigung der Fed könnte man anführen, dass der Dollar zwar 95 Pro-
zent seines Wertes verloren hat, die Löhne jedoch um einen Faktor über 20
gestiegen sind und damit die verminderte Kaufkraft ausgleichen. Die Vor-
stellung, dass sich Preise und Löhne parallel bewegen, ohne dass Schaden
230
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Eine weitere Aufgabe der Fed ist die Bereitstellung von Kapital und Kredi-
ten in ihrer Funktion als Lender of the Last Resort. In der klassischen For-
mulierung des im 19. Jahrhundert lebenden britischen Ökonomen Walter
Bagehot heißt das, dass im Falle einer Panik, bei der alle Sparer sofort ihr
Geld abheben wollen, die Zentralbank solventen Banken zu einem hohen
Zinssatz »unbehindert Kredit gewährt auf alle guten Banksicherheiten«, da-
mit die Banken ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachkom-
men können.50 Diese Form des Kredits gilt nicht als Rettungsaktion, son-
dern als Möglichkeit, gute Vermögenswerte in Bargeld umzuwandeln, wenn
es für die Vermögenswerte gerade keinen anderen Markt gibt. Sobald sich
die Panik legt und das Vertrauen wiederhergestellt ist, können die Banken
die Kredite an die Zentralbank zurückzahlen und erhalten ihre Sicherhei-
ten wieder.
231
Teil 3 Die nächste globale Krise
Der nächste Fall, bei dem die Funktion des Kreditgebers der letzten Zuflucht
von ähnlich entscheidender Bedeutung wie während der Weltwirtschafts-
krise gewesen wäre, war die Panik 2008. Die Fed handelte 2008, als ob es
sich um eine Liquiditätskrise handeln würde, obwohl es doch eine Solvenz-
und Kreditkrise war. Kurzfristige Kredite können zur Überbrückung einer
Liquiditätskrise funktionieren, jedoch keine Solvenzkrise beheben, bei der
die Sicherheiten dauerhaft beeinträchtigt sind. Die Lösung für eine Solvenz
krise ist die Schließung oder Verstaatlichung der insolventen Banken unter
Zuhilfenahme von Notverordnungen, wobei die schlechten Vermögenswer-
te unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt werden und die so entstande-
ne neue, solvente Bank über den Verkauf der Anteile an neue Anteilseigner
reprivatisiert wird. Dadurch ist die neue Bank in der Lage, wieder Kredit
zu bekommen. Der Vorteil, die schlechten Vermögenswerte unter staatli-
che Kontrolle zu stellen, besteht darin, dass sie zu niedrigen Kosten ohne
Kapital und ohne eine Neubewertung der Verluste zum aktuellen Markt-
preis finanziert werden können. Die Anteilseigner und Anleiheinhaber der
insolventen Bank und des Einlagensicherungsfonds FDIC übernehmen die
Verluste aus den schlechten Vermögenswerten, und die Steuerzahler müs-
sen nur für zusätzliche Verluste aufkommen.
Doch wieder einmal schätzte die Fed die Situation völlig falsch ein. Anstatt
die insolventen Banken zu schließen, griffen ihnen die Fed und das Finanz-
ministerium mit dem TARP-Rettungspaket und anderen Hilfsmitteln unter
die Arme, damit die Anteilseigner und das Bankmanagement weiter Zinsen,
Gewinne und Bonusleistungen auf Kosten der Steuerzahler einstreichen
konnten. Das entsprach durchaus dem Mandat der Federal Reserve, das
1910 auf Jekyll Island festgelegt worden war – die Banker sollten vor sich
selbst geschützt werden. Allerdings ignorierte die Fed Bagehots Prinzipien
fast gänzlich. Sie verlieh das Geld großzügig, wie Bagehot es empfahl, aber
232
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
gegen schwache Sicherheiten, die größtenteils immer noch die Bilanzen der
Fed belasten. Die Fed verlangte so gut wie keine Zinsen anstelle der hohen
Sätze, die man normalerweise von einem Kreditnehmer in Bedrängnis for-
dert. Und sie lieh das Geld nicht nur an solvente Banken, die es wert waren,
gerettet zu werden, sondern auch an insolvente Banken. Für die Wirtschaft
bedeutet das, dass sich die schlechten Vermögenswerte immer noch im Sys-
tem befinden, dass kaum Kredite vergeben werden, weil die Banken Kapital
bilden müssen, und dass die Wirtschaft weiterhin große Probleme hat, zu ei-
nem selbsttragenden Wachstum zurückzukehren.
In beiden Fällen, in denen die Federal Reserve als Kreditgeber der letzten
Zuflucht dringend gebraucht worden wäre, versagte sie kläglich. Zuerst
1929 bis 1933, als sie die Banken mit Liquidität versorgen sollte und es
nicht tat. Und dann in den Jahren 2007 bis 2009, als die Fed insolvente Ban-
ken hätte schließen müssen, sie aber stattdessen liquide hielt. Beide Episo-
den zeigen, so seltsam das klingen mag, dass die Fed relativ wenig über die
klassischen Funktionen einer Zentralbank weiß.
Zu diesen Funktionen kam 1978 noch eine weitere hinzu. Der Humphrey-
Hawkins-Act für Vollbeschäftigung, der unter Präsident Carter verabschie-
det wurde, machte auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur Sache
der Federal Reserve. Das Gesetz ist ein typisches Beispiel für die keynesi-
anische Wirtschaftspolitik und verpflichtete die Fed und die Exekutive zur
Zusammenarbeit mit dem Ziel, Vollbeschäftigung, Wachstum, Preisstabili-
tät und ein ausgeglichenes Budget zu erreichen. Sogar ein konkretes Ziel
wurde festgelegt; bis 1983 sollte die Arbeitslosigkeit auf 3 Prozent sinken
und danach auf diesem niedrigen Stand gehalten werden. Aber in der Folge-
zeit erreichte die Arbeitslosigkeit immer wieder zyklische Spitzen: 1983 mit
10,4 Prozent, 7,8 Prozent 1992, 6,3 Prozent 2003 und 10,1 Prozent 2009.
Die Erwartung, dass die Fed sämtliche Ziele des Humphrey-Hawkins-Act
sofort erreichen würde, war natürlich unrealistisch, auch wenn sich Fed-
Mitarbeiter in ihren Aussagen vor dem Kongress immer noch dazu beken-
nen. Tatsächlich hat die Fed ihre Aufgabe, für Vollbeschäftigung zu sorgen,
233
Teil 3 Die nächste globale Krise
Zum Versagen bei der Preisstabilität, als Kreditgeber der letzten Zuflucht
und bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit kommt noch der größte Miss-
erfolg überhaupt: die Bankenregulierung. Die vom Kongress 2009 ernann-
te Kommission zur Untersuchung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskri-
se befragte über 700 Zeugen, prüfte Millionen Seiten von Dokumenten und
hielt ausführliche Anhörungen ab, um die Verantwortlichen der Finanzkrise
zu finden. Sie kam zu dem Schluss, dass ein Versagen der Regulierungsbe-
hörden eine der Hauptursachen der Krise sei und dass dieses Versagen der
Federal Reserve anzulasten sei. Im offiziellen Bericht heißt es:
Wir kommen zu dem Schluss, dass die Krise vermeidbar gewesen wäre.
Die Krise war das Resultat menschlicher Tätigkeit und Untätigkeit …
Bestes Beispiel ist das Scheitern der Federal Reserve, die Flut toxischer
Hypothekenpapiere einzudämmen, obwohl das durch die Festlegung um-
sichtiger Standards für die Hypothekenvergabe möglich gewesen wä-
re. Die Federal Reserve war die Einrichtung, die dazu die Möglichkeiten
hatte, aber nichts unternahm … Wir kommen zu dem Schluss, dass sich
großangelegte Versäumnisse bei der Regulierung und Aufsicht als verhee-
rend für die Stabilität der nationalen Finanzmärkte erwiesen haben. Die
Wachen waren nicht auf Posten … Die Position, dass den Regulierungs-
behörden die Macht fehlte, das Finanzsystem zu schützen, wird von uns
nicht akzeptiert. Die Regulierungsbehörden hatten in vielen Bereichen
ausreichende Befugnisse, machten aber keinen Gebrauch davon … Die
Federal Reserve Bank von New York und andere Regulierungsbehörden
hätten gegen die Exzesse der Citigroup im Vorfeld der Krise scharf vor-
gehen können. Das taten sie jedoch nicht … All diese Fälle zeigen, dass
die Regulierungsbehörden die Einrichtungen und Unternehmen, die sie
beaufsichtigen sollten, trotz zunehmender Probleme als sicher und solide
einstuften.51
Der Bericht analysiert detailliert auf über 500 Seiten die Versäumnisse der
Federal Reserve als Regulierungsbehörde. Wie bereits im obigen Auszug
vermerkt, wären alle Fehler vermeidbar gewesen.
234
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Ein letzter Test zur Kompetenz der Fed betrifft den Umgang mit ihrer eige-
nen Bilanz. Die Fed mag zwar eine Zentralbank sein, ist aber trotzdem eine
Bank mit einer Bilanz und einem Reinvermögen. Eine Bilanz hat zwei Sei-
ten: die Aktiva, also das Vermögen, das man besitzt, und die Passiva, die man
anderen schuldet. Das Reinvermögen, auch Kapital genannt, entspricht den
Aktiva abzüglich der Passiva. Das Vermögen der Fed besteht hauptsächlich
aus Staatsanleihen, die sie kauft, und bei den Schulden handelt es sich in
erster Linie um das Geld, das sie für solche Käufe druckt.
Im April 2011 betrug das Nettovermögen der Fed etwa 60 Milliarden Dol-
lar, die Vermögenswerte lagen bei fast 3 Billionen Dollar. Wenn die Vermö-
genswerte der Fed um 2 Prozent an Wert verlieren würden, was auf einem
volatilen Markt ein relativ unspektakulärer Vorgang ist, wäre das bei einem
Vermögen von 3 Billionen Dollar ein Verlust von 60 Milliarden Dollar – ge-
nug, um das Kapital der Fed zu vernichten. Die Fed wäre dann insolvent.
Kann so etwas passieren? Es ist bereits geschehen, doch die Fed meldet dies
nicht, weil sie nicht verpflichtet ist, ihre Vermögenswerte zum Marktkurs zu
bewerten. Die Situation wird sich weiter zuspitzen, wenn es an der Zeit ist,
das Programm der quantitativen Lockerung durch den Verkauf von Anlei-
hen zu beenden. Die Fed kann vielleicht kurzfristig die Marktwertverluste
ignorieren, doch beim Verkauf der Anleihen müssen die Verluste in den Bü-
chern ausgewiesen werden.
Bei der Federal Reserve ist man sich des Problems durchaus bewusst. 2008
sprachen Fed-Mitarbeiter mit Kongressabgeordneten über die Möglichkeit,
die Bilanzen durch die Emission eigener Anleihen aufzubessern, wie es das
Finanzministerium heute tut. Bei einer Rede 2009 in New York wandte sich
Janet Yellen, Präsidentin der Federal Reserve Bank von San Francisco, mit
dieser Bitte an die Öffentlichkeit. Zu den neuen Fed-Anleihen sagte sie: »Ich
wäre glücklicher, wenn wir sie jetzt schon hätten« und »Es wäre sicher sehr
gut, sie zu haben«.52 Yellen schien sehr bestrebt, das Projekt auf den Weg zu
bringen, und das mit gutem Grund. Die drohende Insolvenz der Federal Re-
serve zeichnete sich von Tag zu Tag deutlicher ab, je mehr der Fremdkapi-
235
Teil 3 Die nächste globale Krise
Doch der Anleihe-Trick wurde auf dem Kapitolshügel gekippt, und nach
dessen Scheitern im Kongress benötigte die Fed schnell eine andere Lö-
sung. Die Zeit wurde allmählich knapp, denn irgendwann musste die quan-
titative Lockerung aufgehoben werden. Die Lösung war schließlich eine
Absprache zwischen dem Finanzministerium und der Federal Reserve, die
keine Genehmigung des Kongresses benötigte.
Mit den Zinsen auf die sich in ihrem Besitz befindlichen Staatsanleihen
macht die Fed jedes Jahr hohe Gewinne. Normalerweise gehen diese Ge-
winne ans Finanzministerium. 2010 kamen die Fed und das Ministerium
überein, dass die Fed die Zahlungen für unbestimmte Zeit einstellen konn-
te. Die Fed behält das Geld, und die Summe, die normalerweise ans Finanz-
ministerium gehen würde, wird als Passivkonto geführt – im Grunde also als
Verbindlichkeiten. Ein noch nie dagewesener Vorgang, der zeigt, wie ver-
zweifelt die Situation der Fed ist.
Obwohl die Fed bei den anstehenden Anleiheverkäufen mit Verlusten rech-
nen muss, reduziert sie nicht das Kapital, wie man es normalerweise erwar-
ten würde. Stattdessen erhöht sie die Summe ihrer Verbindlichkeiten ge-
genüber dem Finanzministerium. Die Fed stellt also private Schuldscheine
an das Finanzministerium aus und nutzt das dadurch eingenommene Geld,
um nicht den Anschein einer Insolvenz zu erwecken. Solange die Fed diese
Schuldscheine ausstellen kann, wird ihr Kapital nicht von den Verlusten bei
den Anleihen aufgezehrt. Auf dem Papier sind damit die Probleme der Fed
gelöst, doch tatsächlich erhöht sie ihren Fremdkapitalanteil und parkt ihre
236
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Verluste beim Finanzministerium. Wer in der freien Wirtschaft derart die Bi-
lanzen frisiert, landet im Gefängnis. Immerhin ist das Finanzministerium ei-
ne staatliche Einrichtung, während die Federal Reserve eine private Einrich-
tung der Banken ist, daher ist dieser Bilanzierungstrick ein weiteres Beispiel
dafür, wie dem Steuerzahler zugunsten der Banken Mittel entzogen werden.
Die USA haben derzeit ein System, bei dem das Finanzministerium ein
nicht abzubauendes Defizit anhäuft und Staatsanleihen verkauft, um nicht
pleite zu gehen. Die Federal Reserve druckt Geld, um diese Anleihen zu
kaufen, und macht durch deren Besitz Verlust. Dann nimmt das Finanzmi-
nisterium Schuldscheine von der Fed, damit die Fed nicht bankrottgeht. Ein
ziemlicher Drahtseilakt, den man nur staunend betrachten kann. Das Fi-
nanzministerium und die Federal Reserve erinnern an zwei Betrunkene, die
sich gegenseitig stützen, um nicht umzufallen. Mit einem Fremdkapitalan-
teil von 50 zu 1 und ihren Investitionen in schwankungsanfällige mittelfristi-
ge Anleihen wirkt die Federal Reserve heute eher wie ein schlecht geführter
Hedgefonds und nicht wie eine Zentralbank.
Ed Koch, der Bürgermeister von New York in den 1980er-Jahren, war be-
rühmt dafür, dass er durch die Stadt spazierte und Passanten mit seinem ty-
pischen New Yorker Akzent fragte: »Wie mache ich mich?«, um Feedback
für seine Verwaltungsarbeit zu bekommen. Wenn die Fed das fragen würde,
bekäme sie zur Antwort, dass sie es seit ihrer Gründung 1913 nicht geschafft
hat, die Preisstabilität zu gewährleisten, als Kreditgeber der letzten Zuflucht
gescheitert ist, keine Vollbeschäftigung erreicht und bei der Bankenaufsicht
versagt hat und auch keine ausgeglichene Bilanz vorweisen kann. Der einzig
bemerkenswerte Erfolg der Fed besteht darin, dass der Wert der amerikani-
schen Goldreserven unter ihrer Obhut von 11 Milliarden Dollar gleich nach
dem Nixon-Schock 1971 auf über 400 Milliarden Dollar stieg. Natürlich ist
die Wertsteigerung beim Gold nur die Kehrseite des Wertverlusts beim Dol-
lar, den die Fed ebenfalls zu verantworten hat. Insgesamt fällt einem kaum
eine andere staatliche Einrichtung ein, die bei ihren wichtigsten Aufgaben
so durchgängig versagt hat.
237
Teil 3 Die nächste globale Krise
Der Monetarismus
Der Monetarismus ist eine Wirtschaftstheorie, die vor allem mit Milton
Friedman in Verbindung gebracht wird, dem 1976 der Nobelpreis für
Wirtschaft verliehen wurde. Sein wichtigster Grundsatz lautet, dass Ver
änderungen der Geldmenge die Hauptursache für Veränderungen beim
Bruttoinlandsprodukt sind. Diese Veränderungen können, gemessen in
Dollar, in zwei Bestandteile aufgegliedert werden: eine »reale« Kompo
nente, die tatsächliche Gewinne hervorbringt, und eine »inflationäre«
Komponente, die illusorisch ist. Die reale Komponente plus die inflatio-
näre Komponente bilden zusammen den nominellen Zuwachs, gemessen
in Dollar.
Friedmans Beitrag bestand darin zu zeigen, dass die Erhöhung der Geld-
menge zur Steigerung des Outputs nur bis zu einem bestimmten Punkt
funktioniert; darüber hinaus sind sämtliche nominellen Gewinne infla
tionär und daher nicht real. Die Fed könnte also die Geldmenge erhöhen,
um ein nominales Wachstum zu kreieren, doch das reale Wachstum wä-
re begrenzt. Friedman vermutete außerdem, dass die inflationären Aus
wirkungen bei der Erhöhung der Geldmenge verzögert auftreten und es
daher vorübergehend zu einem Anstieg des realen BIP kommen kann,
später würde jedoch die Inflation den ursprünglichen Zuwachs zunichte
machen.
MxV=PxY
238
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Die Geldmenge (M) wird von der Federal Reserve kontrolliert. Die Fed er-
höht die Geldmenge, indem sie Staatsanleihen mit dem von ihr gedruckten
Geld kauft. Verringert wird die Geldmenge, indem sie die Anleihen gegen
Geld verkauft, das dann aus dem Verkehr gezogen wird. Die Umlaufge-
schwindigkeit (V) ist einfach das Maß dafür, wie schnell das Geld den Be-
sitzer wechselt. Wenn jemand einen Dollar ausgibt, und der Empfänger gibt
ihn ebenfalls aus, dann hat dieser Dollar eine Geschwindigkeit von 2, weil er
zweimal ausgegeben wurde. Wenn der Dollar stattdessen zur Bank gebracht
wird, hat er eine Geschwindigkeit von 0, weil er überhaupt nicht ausgegeben
wurde. Auf der anderen Seite der Gleichung hat das nominale BIP-Wachs-
tum eine reale Komponente (Y) und eine inflationäre Komponente (P).
Ein Monetarist, der die Währungspolitik der Fed besser abstimmen will,
würde sagen, wenn Y nur mit 4 Prozent wachsen kann, dann sähe eine idea-
le Politik so aus, dass die Geldmenge um 4 Prozent steigt, die Geschwindig-
keit konstant ist und das Preisniveau ebenfalls konstant bleibt. Das wäre ei-
ne Welt mit einem nahezu maximalen realen Wachstum und einer Inflation,
die fast bei null liegt.
239
Teil 3 Die nächste globale Krise
Wie sich herausstellt, ist die Geldgeschwindigkeit der Joker; ein Faktor, den
niemand kontrollieren kann, die Variable, die sich nicht steuern lässt. Die
Geschwindigkeit ist psychologisch bedingt: Alles hängt davon ab, wie der
Einzelne seine wirtschaftlichen Aussichten einschätzt beziehungsweise wie
sich alle Verbraucher in der Summe fühlen. Die Geschwindigkeit kann nicht
durch die Druckerpresse der Fed oder Produktivitätssteigerungen gesteuert
werden. Sie ist verhaltensbedingt und gerade deshalb ein ganz entscheiden-
der Faktor.
Stellen Sie sich die Wirtschaft als ein Fahrrad mit Zehn-Gang-Schaltung
vor. Die Geldmenge steht für die Gänge, die Umlaufgeschwindigkeit für die
Bremsen und der Radfahrer für den Verbraucher. Indem die Federal Re
serve hoch- oder herunterschaltet, kann sie dem Radfahrer helfen, wenn
er beschleunigen will oder bergauf fahren muss. Aber wenn der Radfahrer
stark bremst, wird das Fahrrad langsamer, egal welchen Gang die Fed ein-
legt. Wenn das Rad zu schnell wird und der Radfahrer zu stark bremst, kann
das Fahrrad ins Schleudern geraten oder der Fahrer vom Rad fallen.
Das ist kurz zusammengefasst genau die Dynamik, die die amerikanische
Wirtschaft zehn Jahre lang prägte. Seit dem Höchststand von 1997, als die
Geldumlaufgeschwindigkeit die Zahl 2,12 erreichte, geht es massiv bergab.
240
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Die Panik von 2008 sorgte für einen weiteren deutlichen Einbruch auf ei-
ne Geschwindigkeit von 1,80 im Jahr 2008 und eine Geschwindigkeit von
1,67 im Jahr 2009 – ein Rückgang um 7 Prozent innerhalb eines Jahres. Das
ist ein Beispiel dafür, wie die Verbraucher auf die Bremse drücken. 2010
pendelte sich die Geschwindigkeit bei 1,71 ein. Wenn die Verbraucher ih-
re Schulden abzahlen und sparen, anstatt Geld auszugeben, sinkt die Geld-
umlaufgeschwindigkeit ebenso wie das BIP, es sei denn, die Fed erhöht die
Geldmenge. Daher hat die Fed wie verrückt Geld gedruckt, um angesichts
der nachlassenden Umlaufgeschwindigkeit das nominale BIP wenigstens zu
halten.
Zusätzlich zum Verhalten der Konsumenten und der nicht ganz so leicht
zu kontrollierenden Natur der Geldumlaufgeschwindigkeit hat die Fed ein
weiteres Problem. Die Geldmenge, die die Fed durch Drucken steuert, die
sogenannte Geldbasis, macht nur einen kleinen Teil der Gesamtgeldmenge
aus, laut aktuellen Daten sind es etwa 20 Prozent. Die anderen 80 Prozent
entstehen durch die Geldschöpfung der Geschäftsbanken, wenn diese Kre-
dite vergeben oder andere Formen der Wertpapierschöpfung unterstützen
wie beispielsweise Geldmarktfonds und Geldmarktpapiere. Während sich
die Geldbasis vom Januar 2008 bis Januar 2011 um 242 Prozent erhöhte,
wuchs die allgemeine Geldmenge nur um 34 Prozent. Das liegt daran, dass
die Banken zögern, neue Kredite zu vergeben, und immer noch mit den to-
xischen Anleihen in ihren Bilanzen zu kämpfen haben. Außerdem scheuen
sich Verbraucher und Unternehmen, Kredite bei den Banken aufzunehmen,
weil sie entweder ohnehin schon zu viele Schulden haben oder weil ihnen
die wirtschaftliche Situation zu unsicher ist und sie nicht wissen, ob sie den
Kredit zurückzahlen können. Der Übertragungsmechanismus vom Basis-
geld zur Gesamtgeldmenge ist daher unterbrochen.
241
Teil 3 Die nächste globale Krise
die Verbraucher Angst haben und sich zurückhalten, ist es schwierig zu er-
kennen, wo ein Wirtschaftswachstum (PY) herkommen soll.
Beim Stützen des Aktienmarktes hatte die Fed mehr Erfolg. Der Dow Jones
stieg von März 2009 bis April 2011 um fast 90 Prozent. Aufgrund der Null-
242
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
zinspolitik der Fed blieben den Anlegern wenig Möglichkeiten, wenn sie hö-
here Renditen wollten. Allerdings erzeugte auch der Boom am Aktienmarkt
nicht den gewünschten Wohlstandseffekt. Einige Anleger verdienten Geld,
doch viele ließen die Finger von den Aktien, weil sie durch die Krise 2008
das Vertrauen in den Markt verloren hatten.
Da der Wohlstandseffekt ausblieb, griff die Fed zum einzigen anderen Mit-
tel zur Beeinflussung des Verhaltens – sie schürte bei den Verbrauchern die
Angst vor einer Inflation. Damit sie sich auf die Kreditvergabe und Umlauf-
geschwindigkeit des Geldes auswirkte, musste die Fed drei Faktoren auf
einmal manipulieren: den Nominalzins, den Realzins und die Inflationser-
wartungen. Die Idee war, den Nominalzins niedrig zu halten und die Infla-
tionserwartungen zu schüren, um so einen negativen Realzinssatz zu schaf-
fen – die Differenz zwischen Nominalzins und der erwarteten Inflationsrate.
Wenn man beispielsweise mit einer Inflationsrate von 4 Prozent rechnet und
der Nominalzinssatz bei 2 Prozent liegt, ergibt das einen Realzins von mi-
nus 2 Prozent. Wenn der Realzins negativ ist, wird die Kreditaufnahme inte-
ressant, und die Ausgaben und Investitionen steigen. Nach der Formel des
Monetarismus kurbelt diese wirksame Kombination aus mehr Krediten, die
die Geldmenge erhöhen, und mehr Ausgaben, die die Umlaufgeschwindig-
keit erhöhen, die Wirtschaft an. Der negative Realzins in Kombination mit
der Inflationsangst war die letzte Hoffnung der Fed, eine selbsttragende Er-
holung der Wirtschaft zu erreichen.
Negative Zinssätze schaffen eine Situation, in der man sich Geld leiht und
später aufgrund der Inflation mit billigerem Geld zurückzahlt. Das ist so
ähnlich, wie wenn man ein Auto mit vollem Tank mietet und später mit halb-
leerem Tank zurückgibt, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Verbraucher
und Unternehmen können dem nur schwer widerstehen.
Die Fed hatte vor, die Kreditaufnahme durch negative Zinsen und den Kon-
sum mittels der Inflationsangst anzukurbeln. Die Kombination aus güns-
tigem Fremdkapital und Inflationserwartungen sollte die Geldmenge und
243
Teil 3 Die nächste globale Krise
die Umlaufgeschwindigkeit erhöhen und dadurch auch das BIP. Das könnte
funktionieren – aber wie schürt man die Inflationsangst?
Ben Bernanke und Paul Krugman hatten Ende der 1990er-Jahre eine ähnli-
che Entwicklung in Japan, das sogenannte »verlorene Jahrzehnt« untersucht
und ausführlich darüber geschrieben. Der schwedische Wirtschaftswissen-
schaftler Lars Svensson erarbeitete 2003 daraus eine Zusammenfassung.
Svensson war ein Kollege von Bernanke und Krugman in Princeton und
ist seit 2007 stellvertretender Vorsitzender der schwedischen Zentralbank.
Seine Arbeit gilt als Stein von Rosetta zum Thema Währungskriege, weil sie
die Verbindung zwischen einer Währungsabwertung und negativem Real-
zinssatz als Möglichkeit zur Ankurbelung der Wirtschaft auf Kosten ande-
rer Länder aufzeigt.
244
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Hier zeigte sich das wahre Gesicht einer Zentralbank. Das waren keine küh-
len, rational und wissenschaftlich handelnden Wirtschaftsexperten, die im
Marmortempel der Federal Reserve in Washington residierten. Die Fed-
Mitarbeiter tricksten und täuschten und hofften auf das Beste. Als 2011 die
Preise für Öl, Silber, Gold und andere Rohstoffe massiv anstiegen, gab sich
Bernanke in der Öffentlichkeit unbeeindruckt und machte deutlich, dass
die Zinsen niedrig bleiben würden. Tatsächlich war die wachsende Inflati-
onsangst, die aus allen Teilen der Welt gemeldet wurde, in Verbindung mit
den weiterhin niedrigen Zinssätzen genau das, was die Theorien empfah-
len, denen Bernanke, Krugman und Svensson anhingen. Amerika war zum
Versuchskaninchen in einem breit angelegten Geldexperiment geworden,
ersonnen in der Petrischale der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften in
Princeton.
Die Theorie von Bernanke, Krugman und Svensson macht deutlich, dass
die öffentlichen Beteuerungen der Fed, sie würde klar zwischen Geldpoli-
tik und Währungskrieg trennen, unaufrichtig sind. Günstiges Geld und die
Abwertung des Dollar sind zwei Seiten derselben Medaille, und der Wäh-
rungskrieg ist Teil dieses Plans. Das billige Geld und die Dollarabwertung
sollen die Inflationsängste schüren und für eine Inflation sorgen, während
gleichzeitig die Zinsen niedrig gehalten werden, damit die Maschine der
Kreditvergabe und -aufnahme wieder in Gang kommt. Die Chinesen, Ara-
ber und andere Schwellenländer in Asien und Lateinamerika wissen das, sie
haben sich auch schon lautstark über die Dollarpolitik der Fed beklagt. Die
Frage ist nur, ob auch die amerikanische Bevölkerung vom Zusammenbruch
des Dollar weiß.
245
Teil 3 Die nächste globale Krise
Der Keynesianismus
John Maynard Keynes starb 1946 und erlebte daher nicht mehr die Feh-
ler, die in seinem Namen gemacht wurden. Ein Jahr später erschien Paul
Samuelsons Buch Foundations of Economic Analysis, das die intellektuel-
le Grundlage für die sogenannte neokeynesianische Schule bildete. Keynes
selbst verwendete in seinen Schriften nur wenige Formeln, bot jedoch eine
ausführliche Analyse in klarer Sprache. Die meisten Modelle und Schaubil-
der, die man heute mit keynesianischer Wirtschaftstheorie in Verbindung
bringt, entstanden erst Ende der 1940er- und in den 1950er-Jahren. Hier
entstanden die Denkfehler, die unter dem Namen »keynesianisch« zusam-
mengeführt wurden; man kann nur spekulieren, wie Keynes darüber ge-
dacht hätte, wenn er noch am Leben gewesen wäre.
Gegen Ende seines Lebens befürwortete Keynes eine neue Währung, die
er Bancor nannte und deren Wert an einen Währungskorb gekoppelt war,
246
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
der auch Gold enthielt. Keynes war natürlich ein erbitterter Kritiker des
Goldstandards der 1920er-Jahre, aber pragmatisch genug, um einzusehen,
dass Währungen an etwas gekoppelt werden müssen. Aus diesem Grund
bevorzugte er einen Währungskorb als Standard anstelle des goldgedeck-
ten Dollar als Leitwährung, der 1944 in Bretton Woods beschlossen wor-
den war.
247
Teil 3 Die nächste globale Krise
Wie viel mehr wird durch einen Dollar, den der Staat ausgibt, erzielt? An-
ders ausgedrückt, wie groß ist dieser Multiplikator? In einer berühmten
Studie, die kurz vor Obamas Amtsantritt verfasst wurde, untersuchten zwei
Berater Obamas, Christina Romer und Jared Bernstein, den Multiplikator
in Verbindung mit dem für 2009 vorgeschlagenen Programm zur Stimulie-
rung der Wirtschaft.55 Romer und Bernstein schätzten den Multiplikator auf
etwa 1,54, sobald das neue Programm in Gang gekommen sei. Das bedeu-
tet, dass Romer und Bernstein beispielsweise erwarteten, dass 100 Milliar-
den Dollar, die im Rahmen des Programms ausgegeben wurden, einer Wirt-
schaftsleistung von 154 Milliarden Dollar entsprechen würden. Da sich das
gesamte Programm Obamas auf 787 Milliarden belief, läge die »zusätzliche«
Leistung des Konjunkturprogramms bei 425 Milliarden Dollar – der größ-
te Gratiseffekt in der Geschichte. Ziel des Konjunkturprogramms war es,
die Auswirkungen der Depression auszugleichen, die Ende 2007 eingesetzt
hatte, und Arbeitsplätze zu retten.
248
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
an. Das angekündigte Defizit für 2011 beträgt 1,6, das für 2012 1,1 Billio-
nen Dollar – was die beeindruckende Summe von fast 5,4 Billionen Dollar
in nur vier Jahren ergibt. Um angesichts solcher Haushaltsdefizite das Kon-
junkturpaket in Höhe von 787 Milliarden Dollar für 2009 zu rechtfertigen,
musste man zeigen, dass Amerika ohne Ausgabenprogramm noch schlech-
ter dran wäre. Die Beweise für den keynesianischen Multiplikator mussten
hieb- und stichfest sein.
Es dauerte nicht lange, bis die Ergebnisse vorlagen. Einen Monat nach dem
Erscheinen der Studie von Romer und Bernstein wurde eine Untersuchung
von John B. Taylor und John F. Cogan von der Stanford University und an-
deren Kollegen veröffentlicht, die dasselbe Programm nach weit strengeren
Maßstäben bewerteten.56 Taylor und Cogan kamen zu dem Schluss, dass
alle Multiplikatoren kleiner als eins sind, dass also mit jedem Dollar zur »Sti-
mulierung« der Konjunktur die Summe der Güter und Dienstleistungen im
privaten Sektor zurückgeht. Taylor und Cogan verwendeten ein aktuelleres
Multiplikatoren-Modell, das bei Wirtschaftswissenschaftlern mehr Aner-
kennung genießt und auf realistischeren Annahmen zur Entwicklung der
Zinsen und steuerlichen Belastungen basiert. Ihre Studie erkannte zu Be-
ginn des Konjunkturprogramms einen Multiplikatoreneffekt von 0,96, zeig-
te aber, dass der Multiplikator rasch kleiner wurde und Ende 2009 nur noch
bei 0,67 lag und zum Jahresende 2010 sogar bei nur 0,48. Die Studie ver-
deutlichte, dass 2011 durch jeden Dollar, der zur Ankurbelung der Kon-
junktur ausgegeben wurde, die Wirtschaftsleistung des privaten Sektors um
fast 60 Cent zurückging. Obamas Konjunkturprogramm schadete dem pri-
vaten Sektor und behinderte dadurch sogar die Entstehung neuer Arbeits-
plätze.
Die Untersuchung von Taylor und Cogan war nicht die einzige Studie, die
zu dem Schluss kam, dass die keynesianischen Multiplikatoren kleiner als
eins sind und staatliche Konjunkturprogramme die Leistung des privaten
Sektors mindern. John Taylor war in einer separaten Studie bereits 1993
zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Empirische Belege für keynesianische
249
Teil 3 Die nächste globale Krise
250
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Zwei Jahre nach der Untersuchung von Romer und Bernstein lagen die wirt-
schaftlichen Resultate vor und widerlegten die These der beiden deutlich.
Romer und Bernstein hatten geschätzt, dass die Zahl der Beschäftigten En-
de 2010 bei über 137 Millionen liegen würde. Tatsächlich waren es jedoch
nur 130 Millionen. Das BIP-Wachstum sollte laut ihrer Prognose bis Ende
2010 auf 3,7 Prozent steigen; es war jedoch so gut wie gar nicht gestiegen.
Außerdem waren die beiden davon ausgegangen, dass die rezessionsbe-
dingte Arbeitslosigkeit einen Höchststand von 8 Prozent erreichen würde;
leider waren es im Oktober 2009 jedoch 10,1 Prozent. Die Wirtschaft liefer-
te in jeder Hinsicht deutlich schlechtere Zahlen, als Romer und Bernstein
unter Verwendung ihrer Version des keynesianischen Multiplikators errech-
net hatten. Obamas Konjunkturanreize waren von Anfang an nicht viel mehr
als ein ideologischer Wunschzettel, der bestimmte Ausgabenprogramme
und Partikularinteressen bediente und in die akademische Robe des John
Maynard Keynes gehüllt wurde.
251
Teil 3 Die nächste globale Krise
Da die Verschuldung und das Haushaltsdefizit so hoch sind, sitzen die USA
praktisch auf dem Trockenen. Wenn Amerika von einer weiteren Finanz-
krise oder einer Naturkatastrophe vom Ausmaß des Wirbelsturms Katrina
getroffen wird, verfügt das Land nicht mehr über die nötigen Mittel, um
einzugreifen. Wenn die USA heute mit einem größeren Krieg im Nahen Os-
ten oder in Asien konfrontiert werden würden, besäßen sie nicht das nöti-
ge Geld für eine ähnliche Kriegsanstrengung wie im Zweiten Weltkrieg. Die
USA sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern ver-
wundbar geworden. Bei einer Krise – einer Finanzkrise, Naturkatastrophe
oder im Falle eines Krieges – wären die USA gezwungen, auf Notverordnun-
gen zurückzugreifen – wie Franklin D. Roosevelt 1933 und Nixon 1971. Die
Schließung von Banken, Beschlagnahmung von Gold, die Erhebung von
Einfuhrzöllen und Kapitalkontrollen wären dann mögliche Maßnahmen.
Amerikas Vernarrtheit in die keynesianische Illusion hat dazu geführt, dass
auch die Macht der USA nur noch Illusion ist. Die Amerikaner können nur
hoffen, dass nichts Schlimmes passiert. Doch angesichts der Situation in der
Welt ist das ein dünner Strohhalm, an den wir uns klammern.
252
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Finanzmarkttheorie
Etwa zur gleichen Zeit, als Paul Samuelson und seine Kollegen ihre keyne-
sianischen Theorien entwickelten, arbeitete eine andere Gruppe von Wis-
senschaftlern an ihrer eigenen Theorie der Kapitalmärkte. An den Fakultä-
ten in Yale, am MIT und der University of Chicago entstanden zahlreiche
fundierte Arbeiten zukünftiger Nobelpreisträger wie Harry Markowitz,
Merton Miller, William Sharpe und James Tobin. Sie argumentierten in
ihren in den 1950er- und 1960er-Jahren erschienenen Aufsätzen, dass
Anleger nicht dauerhaft den Markt schlagen können und dass ein breit
gestreutes Portfolio über einen längeren Zeitraum die besten Ergebnis-
se bringt. Ein Jahrzehnt später präsentierte eine jüngere Generation von
Akademikern, darunter Myron Scholes, Robert C. Merton (Sohn des be-
rühmten Soziologen Robert K. Merton) und Fischer Black, neue Theori-
en zur Bewertung von Optionen und legte damit den Grundstein für das
explosionsartige Wachstum der Börsen-Terminkontrakte und anderer De-
rivate. Die Arbeit dieser und anderer Ökonomen bildet einen Zweig der
Wirtschaftswissenschaften, der unter der Bezeichnung Finanzmarkttheorie
bekannt ist.
Die Idee hinter der Vorstellung vom effizienten Markt ist die, dass Anleger
nur daran interessiert sind, ihren Reichtum zu vergrößern, und daher auf
Kurssignale und neue Informationen stets rational reagieren. Die Theorie
253
Teil 3 Die nächste globale Krise
geht davon aus, dass neue Informationen sofort nach ihrem Bekanntwerden
einkalkuliert werden, sodass sich Kurse und Preise sanft von einem Niveau
zum anderen bewegen. Da die Märkte sämtliche neue Informationen sofort
effizient verarbeiten, kann kein Anleger den Markt schlagen, es sei denn, er
hat einfach Glück, denn jede Information, auf deren Grundlage ein Investor
eine Anlageentscheidung trifft, spiegelt sich bereits im Marktpreis. Und da
man Informationen nicht kennen kann, bevor sie entstehen, sind zukünftige
Preisbewegungen unvorhersehbar.
Die Vorstellung von der Normalverteilung des Risikos bezieht sich darauf,
dass zukünftige Preisentwicklungen willkürlich sind und damit auch die
Schwere und Häufigkeit der Kursschwankungen dem Zufall unterliegen,
ähnlich wie beim Münzwurf oder Würfeln. Kleine Ereignisse kommen häu-
fig, extreme Ereignisse selten vor. Erfasst man die häufigen kleinen und die
seltenen extremen Ereignisse in einem Schaubild, erhält man die berühm-
te Gauß-Verteilung oder Glockenkurve. Die große Mehrheit der Ereignisse
häuft sich im Bereich der Vorfälle mit geringem Schweregrad, wohingegen
die Zahl der Ereignisse mit hohem Schweregrad deutlich niedriger ist. Da
die Kurve steil abfällt, sind äußerst extreme Ereignisse so selten, dass sie fast
unmöglich sind.
In Schaubild 1 zeigt die Höhe der Kurve die Häufigkeit der Ereignisse und
die Breite ihren Schweregrad im positiven wie im negativen Sinn. Das Ge-
biet um null zeigt die unspektakulären Ereignisse, die häufig vorkommen.
Betrachten Sie nun die Kurvenbereiche jenseits von +3 und –3. Sie zeigen
Ereignisse von viel größerer Tragweite, etwa einen Börsenkrach oder das
Platzen einer Immobilienblase. Doch laut der Glockenkurve treten der
artige Ereignisse so gut wie nie ein. Das erkennt man daran, dass die Kurve
fast die x-Achse berührt, und die x-Achse steht für Ereignisse, die nie ein-
treten.
254
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
Das Problem bei diesen Theorien auf Grundlage der Glockenkurve (für die
es den Nobelpreis gab) besteht darin, dass es empirische Beweise gibt, die
diese Theorien widerlegen, das heißt, dass die Theorien nicht der Reali-
tät der Märkte und des menschlichen Verhaltens entsprechen. Ergebnisse
aus der Statistik und den Sozialwissenschaften belegen in großer Zahl, dass
Märkte nicht effizient sind, dass sich Preise nicht willkürlich verhalten und
dass das Risiko nicht normal verteilt ist.
Daniel Kahneman und sein Kollege Amos Tversky zeigten in einer Reihe
einfacher, aber genial konstruierter Experimente, dass jeder Mensch zu ir-
255
Teil 3 Die nächste globale Krise
Value at Risk ist die Methode, die an der Wall Street im Jahrzehnt vor der
Panik von 2008 zur Risikobewertung verwendet wurde und auch heute
256
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
noch weit verbreitet ist. Mit ihr kann man das Risiko eines Portfolios ermit-
teln – bestimmte Risikopositionen werden gegen andere Positionen aufge-
rechnet, um das Risiko zu senken. Angeblich kann man das Verlustrisiko mit
der VaR-Methode berechnen. Beispielsweise könnte eine Long-Position bei
US-Schatzanweisungen mit zehnjähriger Laufzeit gegen eine Short-Position
bei Schatzanweisungen mit fünfjähriger Laufzeit verrechnet werden, sodass
das Risiko laut VaR viel geringer ist als die separaten Risiken bei den jewei-
ligen Schatzanweisungen. Die Zahl der komplizierten Kombinationen und
Gegenrechnungen ist praktisch unbegrenzt. Von den Berechnungen kann
einem schnell schwindlig werden, denn neben den eindeutigen Beziehun-
gen wie Käufer- und Verkäufer-Positionen bei der gleichen Anleihe gibt es
auch unzählige Beziehungen zwischen den unterschiedlichsten Papieren in
einem Portfolio.
Obwohl die VaR-Methode bei der Panik von 2008 eine große Rolle spiel-
te, wurde sie nie gründlich untersucht.59 Die vom Kongress ernannte Kom-
mission zur Untersuchung der Finanzkrise FCIC zog die Risikomodelle
im Börsenhandel kaum in Betracht. Die zwiespältige Rolle der Hypothe-
kenmakler, Investmentbanker und Ratingagenturen wurde dagegen ausgie-
big untersucht. Dabei war die VaR-Methode in vielerlei Hinsicht der un-
sichtbare rote Faden, der sich durch all die Exzesse zog, die schließlich zum
Kollaps führten. Wie kamen Banken, Ratingagenturen und Anleger zu der
Annahme, dass ihre Positionen sicher waren? Warum glaubten die Federal
Reserve und die Börsenaufsicht, dass die Banken und Börsenmakler über
ausreichend Kapital verfügten? Warum versicherten die Risikomanager der
257
Teil 3 Die nächste globale Krise
Banken ihren CEOs und Verwaltungsräten ständig, sie hätten alles unter
Kontrolle? Die Antwort hat immer etwas mit der Value-at-Risk-Methode
oder verwandten Modellen zu tun. Aufgrund der VaR-Modelle kam es zu ei-
ner erhöhten Fremdkapitalaufnahme und zum verstärkten Handel mit deri-
vativen Finanzinstrumenten.
Viele Wissenschaftler und Fachleute waren sich der Fehler und Einschrän-
kungen der VaR-Methode bewusst. Tatsächlich waren die Mängel allge-
mein bekannt und wurden sowohl an den Universitäten als auch an der
Wall Street seit über einem Jahrzehnt diskutiert. Die Banken verwendeten
die VaR-Methode nicht, weil sie so gut funktionierte, sondern weil sie den
Anschein von Sicherheit erweckte und sie dadurch erhebliche Fremdmittel
aufnehmen und höhere Gewinne machen konnten. Und falls etwas schief-
lief, würden ihnen die Steuerzahler unter die Arme greifen. Die Risikobe-
wertung mit der VaR-Methode ist ähnlich, wie wenn man mit dem Auto 160
Stundenkilometer fährt und den Tacho so manipuliert hat, dass er die ganze
Zeit eine Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern zeigt. Die Regulierer
hinten auf dem Rücksitz schauen auf den Tacho, sehen die 80 Stundenki-
lometer und nicken wieder ein. Währenddessen schlingert das Auto heftig,
ähnlich wie in einer Szene von Mad Max.
258
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft
entierung. Mit den Derivaten ging das Risiko nicht in starke Hände über,
sondern konzentrierte sich bei denjenigen, die »too big to fail« waren, also
zu groß, um sie bankrottgehen zu lassen. Die VaR-Methode war keine Me-
thode zur Risikobewertung, sondern versteckte die Risiken in einem Wust
aus Gleichungen, der die Regulierungsbehörden, die es eigentlich besser
hätten wissen müssen, einschüchterte. Die Natur des Menschen und all sei-
ne Launen wurden von den Banken und Regulierungsbehörden geflissent-
lich ignoriert. Als die Finanzwirtschaft am Boden lag und ihre Fähigkeit, den
Handel zu stützen, vollständig zerstört war, schaltete der Wachstumsmotor
in den niedrigsten Gang und ist seitdem dort geblieben.
Zu Beginn des neuen Währungskriegs 2010 basierte die Arbeit der Zentral-
banken nicht auf den Prinzipien einer soliden Geldpolitik, sondern auf ihrer
Fähigkeit, die Bürger über ihre wahren Absichten zu täuschen. Der Mone-
tarismus stützte sich auf die instabile Beziehung zwischen Umlaufgeschwin-
digkeit und Geld, weshalb er sich nicht als Mittel der Geldpolitik eignete.
Der Keynesianismus wurde rücksichtslos unter Berufung auf den mysteri-
ösen Multiplikator angewandt, der angeblich Vermögen schuf, es in Wirk-
lichkeit aber vernichtete. Die Finanzmarkttheorie war ein Wolkenkratzer,
errichtet im Treibsand der Effizienzmarkttheorie und der Theorie der Nor-
malverteilung des Risikos, die beide keinen Bezug zum realen Verhalten der
Marktteilnehmer hatten. Das gesamte System der Fiskalpolitik, Geldpolitik,
der Bankenaufsicht und Risikoverwaltung war intellektuell korrupt und un-
ehrlich, und die Fehler bestehen auch heute noch weiter.
259
Teil 3 Die nächste globale Krise
mus ein Vorwand für erhöhte Staatsausgaben und der Monetarismus ein
Vorwand für die Machtkonzentration der Federal Reserve. Der Wall Street
liefern die Theorien der Finanzmarkttheorie den Deckmantel für einen ho-
hen Fremdkapitalanteil und betrügerische Verkaufspraktiken beim außer-
bilanziellen Derivatehandel. Für die Wall Street steht der Profit an erster
Stelle, die Wissenschaftlichkeit rangiert weit hinten. Wenn eine Theorie, so
fehlerhaft oder veraltet sie auch sein mag, in entsprechend akademischer
Aufmachung als Begründung für das Eingehen von Risiken angeführt wer-
den kann, so kommt das wie gerufen. Und wenn Politiker und Regulierungs-
behörden noch weniger Bescheid wissen als die Wall Street, dann ist das
auch gut. Solange an der Wall Street weiter das Geld fließt, wird niemand
unbequeme Fragen stellen, geschweige denn beantworten.
260
Kapitel 10 –
Währungen, Kapital und Komplexität
Die Schwierigkeit liegt nicht in den neuen Ideen, sondern darin, den alten
zu entkommen.
John Maynard Keynes,1935
261
Teil 3 Die nächste globale Krise
Inflation sei »immer und überall« mit der Steuerung der Geldmenge bei-
zukommen.
Die Komplexitätstheorie hat eine solide empirische Grundlage und wird auf
eine Vielzahl von natürlichen und vom Menschen geschaffenen Systemen
angewandt, etwa das Klima, die Seismologie oder das Internet. Mit der An-
wendung der Komplexitätstheorie auf den Kapital- und Geldmarkt wurden
große Fortschritte erzielt. Allerdings ergibt sich in Hinblick auf die Inter-
aktion von menschlichem Verhalten und Marktdynamik ein Problem. Die
Komplexität der menschlichen Natur wirkt wie ein Turbolader auf die Kom-
plexität der Märkte. Die Natur des Menschen ist ebenso ein komplexes Sys-
262
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
tem wie ein Markt oder eine Zivilisation, und sie alle passen ineinander wie
russische Matrjoschka-Puppen. Eine Einführung in die Verhaltensökono-
mik bietet uns daher einen Einstieg in die allgemeine Komplexitätstheorie
und die Frage, wie die Dynamik der komplexen Systeme das Schicksal des
Dollar und den Ausgang des Währungskriegs bestimmen wird.
Robert K. Mertons bekannteste Leistung besteht darin, dass er die Idee der
selbsterfüllenden Prophezeiung formalisierte.60 Dahinter steht der Gedan-
ke, dass eine Äußerung, die als wahr angenommen wird, wahr werden kann,
selbst wenn sie anfänglich falsch war, weil die Äußerung das Verhalten der
Betroffenen so verändert, dass die falsche Prämisse schließlich eintrifft. Fas-
zinierenderweise verwendete Merton dafür das Beispiel eines Bankenan-
sturms vor den Zeiten der Einlagenversicherung. Eine Bank kann den Tag
mit einer soliden Grundlage und ausreichend Kapital beginnen. Doch ein
Gerücht, dass die Bank in Schwierigkeiten steckt, so unbegründet es auch
sein mag, löst einen Ansturm von Sparern aus, die alle auf einmal versuchen,
ihr Geld abzuheben. Selbst die besten Banken haben nicht 100 Prozent ih-
res Kapitals in bar zur Verfügung; ein solcher Ansturm kann eine Bank da-
her zwingen, die Türen vor den Sparern und ihren Forderungen zu ver-
schließen. Am Ende des Tages ist die Bank zahlungsunfähig und bestätigt so
das ursprünglich falsche Gerücht. Die Interaktion zwischen dem Gerücht,
dem daraus resultierenden Verhalten und der Pleite der Bank ist ein Bei-
spiel für eine positive Rückkopplung zwischen Information und Verhalten.
263
Teil 3 Die nächste globale Krise
Einen Durchbruch für den Einfluss der Sozialpsychologie auf die Wirt-
schaft erzielten die Arbeiten von Daniel Kahneman, Amos Tversky, Paul
Slovic und anderen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren eine Reihe von
Experimenten durchführten.61 Beim berühmtesten Versuch zeigten Kahne-
man und Tversky, dass sich ihre Versuchspersonen, wenn sie zwischen zwei
finanziellen Situationen wählen mussten, für die Variante entschieden, die
am meisten Sicherheit versprach, auch wenn sie nicht den höchsten zu er-
wartenden Gewinn bedeutete. Bei einem solchen Experiment wird die Ver-
suchsperson normalerweise vor die Wahl zwischen zwei Gewinnen ge-
stellt: a) 4 000 Dollar mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 80 Prozent
oder b) 3 000 Dollar mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 100 Prozent.
Anhänger der Effizienzmarkthypothese müssen da nicht lange überlegen:
4 000 Dollar mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent zu gewinnen,
ergibt einen Erwartungswert von 3 200 Dollar (4 000 Dollar x 0,80). Da
3 200 Dollar mehr sind als die 3 000 Dollar von Variante b würde ein rati-
onaler Teilnehmer, der stets die Gewinnmaximierung im Blick hat, die Va-
riante a wählen. Doch bei einem tatsächlich durchgeführten Experiment
entschieden sich 80 Prozent der Teilnehmer für b. Sie gingen lieber auf
»Nummer sicher«, selbst wenn der theoretische Wert niedriger lag. In ge-
264
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
wisser Weise ist das nur eine offizielle statistische Version des alten Sprich-
worts: »Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.« Den-
noch waren die Resultate revolutionär, denn sie bedeuteten einen direkten
Angriff auf einen der Eckpfeiler der Finanzmarkttheorie.
Mit einer Reihe weiterer elegant gestalteter und verblüffend einfach wirken-
der Experimente zeigten Kahneman und seine Kollegen, dass die Versuchs-
personen bei einer entsprechenden Präsentation eindeutig bestimmte Va-
rianten bevorzugten, selbst wenn die Alternative genau dasselbe Ergebnis
hervorbrachte. Diese Experimente machten die Wirtschaftswissenschaftler
mit einem völlig neuen Vokabular vertraut, darunter die Begriffe Sicherheit
(der Wunsch, Verluste zu vermeiden, auch Risikoaversion genannt), Ankern
(der unverhältnismäßige Effekt, den frühere Resultate auf eine Entschei-
dung haben), Isolation (das unverhältnismäßige Gewicht einzigartiger Ei-
genschaften gegenüber gemeinsamen Eigenschaften), Framing-Effekt (un-
terschiedliche Formulierungen einer Botschaft beeinflussen bei gleichem
Inhalt das Verhalten des Empfängers auf unterschiedliche Weise) und Heu-
ristik (Faustregeln). Die Ergebnisse auf diesem Gebiet wurden unter der Be-
zeichnung »Prospect Theory« oder »neue Erwartungstheorie« zusammen-
gefasst und stellten die Erwartungsnutzentheorie der Finanzmarkttheorie
erheblich infrage.
265
Teil 3 Die nächste globale Krise
266
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
zu überwinden. Keynes wies darauf hin, dass der Einzelne auf wirtschaft-
liche Krisen mit Konsumverzicht und verstärktem Sparen reagiert. Wenn
allerdings alle so handeln, verschärft sich die Krise noch, weil die Gesamt-
nachfrage einbricht, was wiederum zur Folge hat, dass Unternehmen schlie-
ßen müssen und die Arbeitslosigkeit steigt. Dieser Rückgang beim privaten
Konsum sollte gemäß der keynesianischen Theorie durch vermehrte staatli-
che Ausgaben ausgeglichen werden. Doch die heutigen Staatsausgaben sind
so hoch und die Staatsverschuldung ist so massiv, dass die Bürger zu Recht
davon ausgehen, dass eine Kombination aus Inflation, höheren Steuern und
Zahlungsausfall erforderlich sein wird, um die Schuldenlast abzubauen.
Staatliche Programme schaffen keine Konsumanreize, sondern erhöhen nur
die Schuldenlast und verstärken dadurch womöglich die Neigung des Ein-
zelnen, sein Geld zu horten. Eine komplizierte Situation, für deren Untersu-
chung die Verhaltensökonomik die geeigneten Mittel bietet. Vielleicht stellt
sich dann heraus, dass eine kurzfristige Sparsamkeit seitens des Staates die
wirtschaftlichen Aussichten langfristig verbessert, weil dadurch die Zuver-
sicht der Bürger wächst und entsprechend der Konsum wieder steigt.
Die Komplexitätstheorie
267
Teil 3 Die nächste globale Krise
Flüssigkeit. Die Uhr ist kompliziert; doch komplex bedeutet viel mehr als
kompliziert.
Das zweite Element ist die Verbundenheit. Das bedeutet, dass die Agenten
über eine Art Kanal miteinander vernetzt sind. Das können Stromleitungen
im Fall eines Stromnetzes sein oder Twitter Feeds bei einem sozialen Netz-
werk, auf jeden Fall müssen die Agenten über eine Möglichkeit verfügen,
miteinander in Kontakt zu treten.
Das dritte Element ist die Interdependenz, das heißt, die Agenten beeinflus-
sen einander gegenseitig. Wenn jemand nicht weiß, wie kalt es draußen ist,
und deshalb aus dem Fenster schaut und sieht, dass die Passanten warme
Mäntel tragen, entscheidet er sich wahrscheinlich dafür, auch einen Mantel
anzuziehen. Diese Entscheidung erfolgt nicht automatisch – er könnte auch
nur einen Pullover anziehen –, doch in diesem Fall ist die Entscheidung,
einen warmen Mantel zu tragen, zum Teil von den Entscheidungen der an-
deren abhängig.
Das letzte Element ist die Anpassung oder Adaption. In komplexen Syste-
men heißt Anpassung nicht nur Veränderung, sondern bezieht sich spezi-
ell auf die Lernfähigkeit. Anleger, die an der Wall Street mit Anlagestrate-
gien wie »Buy and Hold« (»kaufen und halten«) wiederholt Geld verlieren,
lernen mit der Zeit, dass sie auch andere Strategien berücksichtigen soll-
268
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
ten. Dieses Lernen kann kollektiv erfolgen, wenn die Lektion auch anderen
vermittelt wird, ohne dass diese selbst eigene Erfahrungen machen müssen.
Agenten, die unterschiedlich, miteinander verbunden, interdependent und
anpassungsfähig sind, bilden die Grundlage eines komplexen Systems.
Um zu erfassen, wie ein komplexes System funktioniert, muss man die Stär-
ke der einzelnen vier Elemente verstehen. Stellen Sie sich vor, jedes Element
hätte einen Regler, den man von eins bis zehn einstellen kann. Bei der Ein-
stellung eins ist das System uninteressant. Es weist vielleicht die Merkmale
der Komplexität auf, aber es tut sich nicht viel. Der Grad der Verschieden-
heit ist gering, die Verbundenheit und Interdependenz sind schwach, und
es findet so gut wie kein Lern- oder Anpassungsprozess statt. Bei der Ein-
stellung zehn ist das System chaotisch. Die Agenten erhalten aus zu vielen
Quellen zu viele Informationen und sind in ihrem Entscheidungsprozess
durch widersprüchliche und zu viele Signale behindert.
Besonders faszinierend ist die Komplexität beim, wie Scott Page von der
University of Michigan es nennt, »interessanten Dazwischen«. Das heißt,
die Regler sind irgendwo zwischen drei und sieben eingestellt, jeder ein-
zelne bei einer anderen Zahl. Das ermöglicht den Austausch von reich-
lich Informationen, außerdem zahlreiche Interaktionen und Lernvorgänge
zwischen den verschiedenen Agenten, aber nicht in dem Ausmaß, dass es
chaotisch wird. Das ist das, was Komplexität ausmacht – ein System, das
kontinuierlich überraschende Ergebnisse produziert, ohne zusammenzu-
brechen.
Zwei weitere Aspekte komplexer Systeme sind von größter Bedeutung für
die von uns angedachte Anwendung auf die Devisenmärkte und den D
ollar.
Es handelt sich dabei um die emergenten Eigenschaften und die Phasen-
übergänge.
Wenn man sagt, ein System habe emergente Eigenschaften, heißt das, dass
das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Der Verzehr eines köstli-
269
Teil 3 Die nächste globale Krise
chen, warmen Apfelkuchens ist interessanter als Teig, Zucker, Äpfel, But-
ter und die anderen Zutaten zu betrachten, aus denen er gemacht wurde.
Bei hochkomplexen Systemen sind die emergenten Eigenschaften beson-
ders ausgeprägt und zeigen unerwartete Folgen. Das Klima ist eins der kom-
plexesten Systeme, die wir kennen. Es lässt sich nur schwer in Modellen er-
fassen, und verlässliche Wettervorhersagen können nur etwa vier Tage im
Voraus erstellt werden. Tropische Wirbelstürme zählen zu den emergenten
Eigenschaften des Klimas. Ihre Merkmale wie beispielsweise niedriger Luft-
druck, warmes Wasser, Konvektion und so weiter lassen sich leicht beobach-
ten, doch wann und wo genau ein Hurrikan entsteht, kann man unmöglich
vorhersagen. Wir erkennen ihn, wenn er da ist.
Das beste Beispiel für Emergenz ist wahrscheinlich das menschliche Be-
wusstsein. Der Körper des Menschen besteht aus Sauerstoff, Kohlenstoff
und Wasserstoff, dazu kommen noch Spuren von Kupfer und Zink. Wenn
man diese Zutaten in einem Behälter mischen würde, könnte man noch
so sorgfältig rühren oder die Mischung sogar unter Strom setzen, es wür-
de nichts passieren. Doch dieselben Zutaten ergeben kombiniert in unse-
rer DNA einen Menschen. In einem Kohlenstoffmolekül deutet nichts auf
das menschliche Denken hin, und in einem Sauerstoffmolekül nichts auf die
Fähigkeit zu sprechen oder zu schreiben. Und doch entstehen mittels der
Komplexität aus genau diesen Zutaten diese Fähigkeiten. Das Denken ent-
steht im menschlichen Geist auf dieselbe komplexe, dynamische Art wie ein
Hurrikan aus dem Klima.
270
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Der gleiche Vorgang lässt sich bei einem Börsenkrach beobachten. Kauf-
und Verkaufsaufträge gehen ständig ein, ähnlich wie Schneeflocken auf ei-
nen Berghang fallen. Manchmal sind die Käufer und Verkäufer sehr insta-
bil angeordnet, sodass ein Verkaufsauftrag ein paar weitere nach sich zieht,
die dann bei Bekanntwerden weitere Verkaufsaufträge nervöser Anleger
auslösen. Schon bald gerät die Lawine außer Kontrolle, und weitere Ver-
kaufsaufträge werden mithilfe von Stop-Loss-Programmen automatisch
durchgeführt. Ein Dominoeffekt. Manchmal kommt der Vorgang auch zum
Erliegen; auch im Schnee gibt es viele kleine Störungen, die kaum Scha-
den anrichten. Manchmal wächst der Vorgang exponentiell, bis etwas au-
ßerhalb des Systems dazwischenkommt. Diese Intervention kann in einer
Aussetzung des Handels oder gar der Schließung der Börse bestehen oder
darin, dass Konsortien versuchen, sich gegen den Strom zu stemmen. Wenn
die Verkaufswelle zum Halten kommt, kann das komplexe System wieder
271
Teil 3 Die nächste globale Krise
272
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
aber keine Alternative an. Taleb belässt es bei einem philosophischen An-
satz und äußert sich eher verächtlich über mathematische Modelle im All-
gemeinen. Unwahrscheinliche katastrophale Ereignisse werden von ihm als
»schwarze Schwäne« bezeichnet, als ob er sagen wollte: So etwas passiert
eben. Der Begriff wird gern von Analysten und Politikern verwendet, die
zwar verstehen, dass so etwas vorkommt, die aber nicht die Dynamik des
kritischen Zustands und die Komplexität dahinter durchschauen. Denn
man kann mehr tun, als nur bedauernd die Hände zu ringen.
Ein Waldbrand, der durch einen Blitzeinschlag ausgelöst wurde, ist dafür ein
im wahrsten Sinne des Wortes erhellendes Beispiel. Egal, ob ein Feuer ei-
nen einzelnen Baum oder Tausende Hektar vernichtet, es wurde von einem
einzigen Blitzschlag verursacht. Man könnte meinen, dass große Blitze gro-
ße Brände auslösen und kleine Blitze kleine Brände, aber das stimmt nicht.
Ein- und derselbe Blitzeinschlag kann überhaupt kein Feuer oder einen ver-
heerenden Brand auslösen, das hängt vom kritischen Zustand ab. Das ist
einer der Gründe, warum uns schwarze Schwäne überraschen. Es handelt
sich um extreme Ereignisse, aber eigentlich wäre es zutreffender, wenn man
von extremen Resultaten sprechen würde, die von alltäglichen Ereignissen
ausgelöst werden. Extreme Resultate kommen mit einer gewissen Häufig-
keit vor; es sind alltägliche Ereignisse, die sie auslösen, und wir sehen sie
nicht kommen, weil sie eben so alltäglich sind. Betrachtet man das System
genauer, erkennt man, wie sich das alltägliche Ereignis in einen schwarzen
Schwan verwandelt. Wie im Fall der Lawine kommt es nicht wirklich auf die
einzelne Schneeflocke an, sondern auf den Schnee insgesamt.
273
Teil 3 Die nächste globale Krise
treme Ereignisse dagegen so gut wie nie. Doch die Glockenkurve ist nur ei-
ne Form der Wahrscheinlichkeitsverteilung; es gibt noch viele andere. Die
Wahrscheinlichkeitsverteilung, die viele Ereignisse in komplexen Systemen
beschreibt, bezeichnet man als Potenzgesetz. Ein Schaubild, das einem Po-
tenzgesetz entspricht, ist in Abbildung 2 dargestellt.
274
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Kurve zieht sich lange nach rechts und bleibt dabei immer oberhalb der x-
Achse. Das ist der berühmte »lange Schwanz«, der anders als die Glocken-
kurve scheinbar nie die x-Achse berührt. Das bedeutet, dass bei der Vertei-
lung nach dem Potenzgesetz extreme Ereignisse häufiger vorkommen als bei
der Glockenkurve.
Im Fernsehen und Internet wird lebhaft über den »Long Tail«, den lan-
gen Schwanz, diskutiert, auch wenn der Begriff häufiger als Klischee ver-
wendet wird und weniger aus mathematischem Verständnis. Noch weniger
verstanden wird die Bedeutung des Ausmaßes. Die Kurve in Abbildung 2
endet aus praktischen Gründen irgendwann. Doch theoretisch könnte sie
sich ewig entlang der x-Achse erstrecken, ohne diese je zu berühren. Die-
se Fortsetzung würde das Ausmaß möglicher Katastrophen in unvorstellba-
re Bereiche führen, etwa ein Erdbeben von der Stärke 10,0, das noch nie ge
messen wurde.
Ist die Länge des Schwanzes begrenzt? Ja, an einem bestimmten Punkt
fällt die Kurve senkrecht ab und schneidet die horizontal verlaufende x-
Achse. Dieser Abbruch markiert die Grenze des Systems. Das Ausmaß
der größten Katastrophe in einem System ist durch das Ausmaß des Sys-
tems an sich begrenzt. Ein Beispiel dafür wäre ein aktiver Vulkan auf ei-
ner einsamen Insel. Der Vulkan und die Insel bilden ein komplexes dyna-
misches System in einem kritischen Zustand. Im Lauf der Jahrhunderte
kann es immer wieder zu Ausbrüchen kommen, die unterschiedlich schwe-
re Schäden a nrichten. Schließlich explodiert der Vulkan komplett, und die
Insel versinkt im Meer, sodass nichts mehr von ihr bleibt. Das wäre ein ex-
tremes Ereignis, das durch das Ausmaß des Systems – die Insel – begrenzt
ist. Die Katastrophe kann nicht größer sein als das System, in dem sie auf-
tritt.
Das war die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass vom Men-
schen geschaffene Systeme ständig wachsen. Stromnetze werden immer
größer und sind stärker untereinander verbunden; Straßennetze werden er-
275
Teil 3 Die nächste globale Krise
weitert, das Internet erhält immer mehr Netzwerkknoten und Verteiler. Und
es gibt eine noch schlechtere Nachricht: Das Verhältnis zwischen Katast-
rophenrisiko und Ausmaß des Systems ist exponentiell. Das heißt, wenn
sich das System in der Größe verdoppelt, verdoppelt sich das Risiko nicht
nur – sondern steigt um den Faktor 10. Verdoppelt sich das System erneut,
wächst das Risiko um den Faktor 100. Bei einer erneuten Verdopplung des
Systems steigt das Risiko um den Faktor 1 000 und so weiter.
Die Interdependenz ist ein weiteres Kennzeichen von Märkten. Als die Sub-
prime-Hypothekenkrise Anfang August 2007 zuschlug, brachen die Akti-
enkurse in Tokio massiv ein. Anfangs waren einige japanische Analysten
verblüfft, warum sich eine Hypothekenkrise in den USA auf die japani-
schen Aktienkurse auswirken sollte. Der Grund war, dass es sich bei den
japanischen Aktien um liquide Aktien handelte, also um Titel, die häufig
gehandelt wurden und die man daher verkaufen konnte, um Geld für die
Nachschussaufforderungen bei den amerikanischen Hypothekenpapieren
aufzutreiben. Diese Form der Ansteckung im Wertpapierhandel ist eine ge-
waltige Interdependenz.
276
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Ein Großteil der Arbeiten über Kapitalmärkte als komplexe Systeme ist
noch theoretisch. Es liegen jedoch auch empirische Belege vor, über die
Benoît Mandelbrot als einer der ersten berichtete. Umfang und Häufig-
keit bestimmter Kurse ergeben die Verteilungskurve eines Potenzgeset-
zes. Mandelbrot zeigte anhand einer Kurve des zeitlichen Verlaufs, dass die
Kursbewegungen eine sogenannte »fraktale Dimension« aufweisen.63 Eine
fraktale Dimension ist nicht ganzzahlig, das bedeutet zum Beispiel, dass sie
größer als eins und kleiner als zwei ist, was in einem Bruch als 1½ ausge-
drückt wird; »fraktal« leitet sich vom lateinischen »fractus« ab, was »gebro-
chen« heißt. In der Geometrie ist eine Linie eindimensional (Länge) und ei-
ne Fläche zweidimensional (Länge und Breite). Eine fraktale Dimension von
1½ liegt irgendwo dazwischen.
Ein bekanntes Beispiel ist die allgegenwärtige Aktienkurve, die man täglich
in der Zeitung oder auf Finanzwebsites sieht. Das Schaubild besteht aus
mehr als einer Kurve (es sind Hunderte), füllt aber nicht das gesamte Qua-
drat zwischen den beiden Achsen aus, sondern ist kleiner als das Quadrat.
Daher hat es eine fraktale Dimension zwischen eins und zwei. Das unregel-
mäßige Muster beim Auf und Ab der Kurse ist eine emergente Eigenschaft,
ein massiver Einbruch wäre ein Phasenübergang.
277
Teil 3 Die nächste globale Krise
Das führt unsere Analyse zurück zur Frage der Größenordnung. Welches
Ausmaß haben Devisen- und Kapitalmärkte und wie wirkt sich ihre Größe
auf das Risiko aus? Wenn katastrophale Zusammenbrüche einer Exponen-
tialfunktion folgen, dann hat jede Erweiterung des Ausmaßes eine massive
Erhöhung des Risikos zur Folge. Kapitalmärkte legen beständig an Umfang
zu, daher kommen die schwarzen Schwäne in größerer Zahl und mit höhe-
rer Intensität vor.
Wenn man heute das Ausmaß von Kapitalmärkten einschätzen möchte, ist
das so ähnlich, wie wenn man vor der Erfindung von Meter und Zentime-
ter, Fuß und Yard versuchen wollte, eine Fläche auszumessen. Es gibt kein
allgemein gültiges Größenmaß für die Berechnung des Marktrisikos auf
Grundlage der Komplexitätstheorie und der Dynamik des kritischen Zu-
stands. Dieser fehlende Maßstab ist nicht ungewöhnlich. Erdbeben gibt es
schon seit Menschengedenken, doch die Richter-Skala, mit der man die
Intensität und Häufigkeit der Erdstöße misst, wurde erst 1935 entwickelt.
Erdbeben sind Phasenübergänge im komplexen System der Plattentekto-
nik, und ihre mit der Richter-Skala gemessene Häufigkeit und Intensität fol-
gen ebenfalls einem Potenzgesetz. Die Ähnlichkeit zwischen Aktienkurven
und seismografischen Aufzeichnungen (siehe Abbildung 3) ist kein Z ufall.
278
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Es wird eine Weile dauern, bis die empirische Arbeit zur theoretischen For-
schung aufgeschlossen hat. Doch denjenigen, die geeignete Messgrößen
entdecken und die Kurve genau berechnen, winkt sicher der Wirtschaftsno-
belpreis. Man muss allerdings nicht auf diese Arbeiten warten, sondern
kann schon jetzt konkrete Schlussfolgerungen ziehen. Die Errichtung von
Gebäuden auf einer bekannten Verwerfungslinie war auch schon vor der
Entwicklung der Richter-Skala eine schlechte Idee. Die Komplexität und
die Potenzgesetze der Kapitalmärkte zu ignorieren, ist ebenfalls keine gu-
te Idee, selbst wenn der endgültige empirische Beweis noch aussteht. Wenn
man zu lange wartet, könnte in der Zwischenzeit das Gebäude des Kapita-
lismus einstürzen.
Bereits jetzt lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf die statistischen Eigen-
schaften des Risikos an den Kapital- und Devisenmärkten ziehen. Es steht
außer Frage, dass das Ausmaß der Märkte, unabhängig davon, wie man es
am besten misst, in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gewachsen ist.
Durch eine Reihe von Fusionen entstanden globale Megahandelsplätze. Seit
279
Teil 3 Die nächste globale Krise
Hält man sich an die an der Wall Street üblichen Methoden zur Risikobe-
wertung, so ist an diesen Zahlen nichts Beunruhigendes. Da es sich um
Long- und Short-Positionen handelt, werden die Summen mit der VaR-Me-
thode gegeneinander verrechnet. Für die Wall Street befindet sich das Risi-
ko immer in der Nettoposition. Wenn man eine Kaufposition in Höhe von
1 Milliarde Dollar bei einem Wertpapier hat und eine Verkaufsposition in
Höhe von 1 Milliarde Dollar bei einem ganz ähnlichen Wertpapier, wird bei
Methoden wie der VaR-Technik die Verkaufsposition von der Kaufposition
abgezogen. Entsprechend kommt man zu dem Schluss, dass das Risiko sehr
niedrig ist und manchmal sogar fast bei null liegt.
Die Komplexitätsanalyse basiert auf einer ganz anderen Sichtweise. Bei der
Analyse komplexer Systeme werden die Short-Positionen nicht von den
Long-Positionen abgezogen – sie werden addiert. Jeder Dollar an Nominal-
wert schafft Interdependenz. Wenn eine Partei zahlungsunfähig wird, wird
aus der ursprünglichen Nettoposition für eine bestimmte Bank umgehend
eine Bruttoposition, weil ihre »Absicherung« dahin ist. Das fundamentale
Risiko liegt in der Brutto-, nicht in der Nettoposition. Wenn die Bruttopo-
sitionen um 500 Prozent steigen, erhöht sich das theoretische Risiko auf-
280
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Wenn ein natürliches System den kritischen Punkt erreicht und bei einem
Phasenübergang zusammenbricht, durchläuft es einen Vereinfachungspro-
zess, der in eine stark reduzierte Systemgröße mündet. Dadurch sinkt auch
das Risiko für eine weitere Megakatastrophe. Allerdings gilt das nicht für
alle von Menschenhand geschaffenen komplexen Systeme. Staatliche In-
terventionen in Form von Bankenrettungen oder Gelddrucken können die
Pleitewelle vorübergehend stoppen. Doch das Risiko verschwindet dadurch
nicht. Es bleibt bis zum nächsten destabilisierenden Ereignis im System ver-
borgen.
Eine ganz einfache Lösung zur Beseitigung oder Eindämmung der Risiken,
die entstehen, wenn ein System zu groß wird, besteht darin, das System zu
verkleinern. Deshalb werden in Skigebieten morgens, bevor der Betrieb be-
ginnt, instabile Schneeflächen mit Dynamit gesprengt. Die Lawinengefahr
wird durch die Reduzierung der Schneemasse verringert. Doch in der Fi-
281
Teil 3 Die nächste globale Krise
Zusätzlich zur Verkleinerung gibt es noch eine weitere Lösung zur Eindäm-
mung des Risikos bei komplexen Systemen. Dabei behält man die Größe
bei, macht aber das System robuster, indem man darauf achtet, dass die ein-
zelnen Bestandteile nicht zu groß werden. Für die Banken hieße das, dass
es mehr Banken gibt, die aber kleiner sind. Das Vermögen, über das sie ver-
fügen, bleibt dabei gleich. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit gab es anstel-
le der heutigen JPMorgan Chase vier separate Banken: J. P. Morgan, Chase
Manhattan, Manufacturers Hanover und die Chemical Bank. Eine Entflech-
tung würde das Finanzsystem robuster machen. Aber stattdessen sind die
amerikanischen Banken größer geworden, und auch der Derivatehandel
ist viel umfangreicher als noch 2008. Dadurch ist ein erneuter Zusammen-
bruch, der noch heftiger ausfallen wird als 2008, nicht nur wahrscheinlich,
sondern gewiss. Allerdings wird er das nächste Mal anders verlaufen. Denn
gemäß der Theorie der exponentiellen Risikozunahme wird die Krise so
umfassend sein, dass sie nicht vom Staat eingedämmt werden kann, weil er
gar nicht über die erforderlichen Ressourcen verfügt. Gegen die zehn Meter
hohe Hafenmauer wird eine zwanzig Meter hohe Tsunami-Flutwelle bran-
den und die Mauer hinwegfegen.
282
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
scheidende Niederlage folgen wird. Die Siege (oder zumindest das, was die
Federal Reserve als Sieg definiert) beruhen auf der Politik der quantitati-
ven Lockerung und der daraus resultierenden Inflation, die andere Staaten
zwingt, ihre Währungen neu zu bewerten. Die Folge wird ein stark abgewer-
teter Dollar sein – genau das, was die Fed will. Die Niederlage des Dollar
wird durch einen globalen politischen Konsens eingeläutet, den Dollar als
Reservewährung durch eine andere Währung zu ersetzen, und einen priva-
ten Konsens, komplett auf ihn zu verzichten.
Der Zusammenbruch des Dollar wird in zwei Phasen erfolgen – zuerst all-
mählich und dann plötzlich. Diese Formel, berühmt geworden durch He-
mingway, der damit schildert, wie jemand bankrottgeht, ist die passen-
de Beschreibung für die Dynamik in einem komplexen System, das einen
kritischen Zustand erreicht hat. »Allmählich« beschreibt den Vorgang,
wenn die Schneeflocke eine kleine Stelle im Schnee durcheinanderbringt,
»plötzlich« bezieht sich auf die Lawine. Die Schneeflocke fällt zufällig, doch
die Lawine ist unvermeidlich. Beide Vorstellungen sind leicht zu begrei-
fen. Schwieriger zu verstehen ist der kritische Zustand, an dem das Ereig-
nis eintritt.
Das Vertrauen in den Dollar kann bei den ausländischen Anlegern weiter-
bestehen, solange die US-Bürger selbst an ihre Währung glauben. Ein Ver-
trauensverlust bei den Amerikanern jedoch wird einen weltweiten Vertrau-
ensverlust nach sich ziehen. Ein einfaches Beispiel zeigt, wie ein leichter
Vertrauensverlust in den Dollar, was immer ihn ausgelöst haben mag, zu ei-
nem kompletten Vertrauensverlust führen kann.
283
Teil 3 Die nächste globale Krise
In unserem Beispiel ist die Bevölkerung der USA das komplexe System. Aus
Gründen der Einfachheit gehen wir von 311 001 000 Einwohnern aus, was
nicht weit von der tatsächlichen Bevölkerungszahl entfernt ist. Die Bevölke-
rung wird anhand der kritischen Schwellenwerte des Einzelnen unterteilt,
die wir in unserem Modell S-Werte nennen. Der kritische Schwellenwert
S eines Einzelnen im System steht für die Zahl der anderen Personen, die
das Vertrauen in den Dollar verlieren müssen, damit dieser Einzelne eben-
falls das Vertrauen verliert. Der Wert S ist ein Maß dafür, ob Personen auf
das erste mögliche Anzeichen einer Veränderung reagieren oder warten, bis
der Prozess weiter fortgeschritten ist. Es handelt sich dabei um einen indivi-
duellen Kipppunkt; jedoch haben verschiedene Akteure auch verschiedene
kritische Schwellenwerte. Das ist so ähnlich, wie wenn man fragt, wie viele
Personen aus einem vollen Kino fliehen müssen, bevor der nächste anfängt
zu rennen. Manche Leute laufen schon beim ersten Anzeichen eines Pro-
blems los. Andere bleiben nervös sitzen und bewegen sich erst, wenn ein
Großteil der Zuschauer bereits aufgestanden ist und das Kino verlassen hat.
Und irgendjemand verlässt das Kino als Letzter. Es kann so viele kritische
Schwellenwerte wie Beteiligte geben.
284
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Der Testfall beginnt mit der Frage, was passieren würde, wenn 100 Perso-
nen plötzlich den Dollar ablehnen würden. Ablehnung bedeutet, dass man
die traditionellen Funktionen des Dollar als Zahlungsmittel, zur Wertaufbe-
wahrung und als verlässlichen Wertmaßstab und Recheneinheit nicht mehr
akzeptiert. Diese 100 Personen würden den Dollar nicht mehr behalten,
sondern jeden Dollar, den sie bekommen, sofort in andere Vermögenswerte
umtauschen, etwa in Edelmetalle, Grundbesitz, Immobilien und Kunstwer-
ke. Sie würden sich nicht davon abhängig machen, dass sich diese Vermö-
genswerte in Zukunft wieder zu Dollar machen lassen, sondern würden nur
auf den inneren Wert ihres Vermögens setzen. Auch in Dollar ausgewiesene
Werte wie Aktien, Anleihen und Bankkonten würden sie meiden.
In unserem Testfall, bei dem 100 Personen den Dollar ablehnen, würde
nichts passieren. Das liegt daran, dass der niedrigste kritische Schwellen-
wert einer Gruppe im System bei T = 500 liegt. Das heißt, dass 500 Per-
sonen oder mehr den Dollar ablehnen müssen, damit die erste Gruppe ihn
ebenfalls als Zahlungsmittel ablehnt. Da in unserem Beispiel aber nur 100
Personen den Dollar ablehnten, wurde die kritische Schwelle von T = 500
für die sensibelste Gruppe nicht erreicht, daher bleibt die Gruppe als Gan-
ze vom Verhalten der 100 Personen unbeeindruckt. Und da alle anderen T-
Werte höher als 500 sind, bleibt auch das Verhalten dieser Gruppen unbe-
einträchtigt. Die kritischen Schwellenwerte wurden alle nicht überschritten.
Das ist ein Beispiel dafür, wie die Wirkung eines Zufallsereignisses im Sys-
tem verpufft. Es ist etwas passiert, aber das hat keine weiteren Folgen. Wenn
die größte Gruppe, die anfänglich den Dollar ablehnt, aus 100 Personen
und nicht mehr besteht, nennt man dieses System subkritisch, das heißt, es
ist nicht anfällig für eine Kettenreaktion, bei der immer mehr Personen den
Dollar ablehnen würden.
Betrachten wir nun einen zweiten hypothetischen Fall, der in Tabelle 2 dar-
gestellt ist. Die Gruppengrößen sind dieselben wie in Tabelle 1. Das Sys-
tem der kritischen Schwellen ist ebenfalls identisch mit dem System in Ta-
belle 1, allerdings mit zwei kleinen Unterschieden. Die kritische Schwelle
285
Teil 3 Die nächste globale Krise
für die erste Gruppe wurde verändert, statt 500 Personen sind es nur noch
100 Personen. Und die kritische Schwelle für die zweite Gruppe ändert sich
von S = 10 000 Personen zu S = 1 000 Personen. Die anderen Werte für S
bei den verbleibenden drei Gruppen bleiben dagegen gleich. Anders ausge-
drückt, wir haben die Reaktion von 0,3 Prozent der Bevölkerung verändert,
die Reaktion von 99,7 Prozent der Bevölkerung blieb gleich. Und hier ist
die neue Tabelle der Schwellenwerte mit den beiden kleinen Veränderun-
gen, die fettgedruckt sind:
Was passiert, wenn die gleichen 100 Bürger wie im ersten Beispiel den Dol-
lar ablehnen? In unserem zweiten Beispiel erreicht die Ablehnung der 100
Bürger die kritische Schwelle bei 1 000 Personen, die nun ebenfalls den Dol-
lar ablehnen. Um in unserem Bild von vorher zu bleiben: Aus dem Kinosaal
fliehen mehr Leute. Diese neue Ablehnung durch 1 000 Personen erreicht
nun den kritischen Schwellenwert bei einer Million Personen, die ebenfalls
den Dollar ablehnen. Nun, da eine Million Menschen den Dollar nicht mehr
akzeptiert, ist die nächste kritische Schwelle mit 100 000 Personen erreicht,
woraufhin weitere 10 Millionen Menschen den Dollar ablehnen. Von da an
ist der Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten. Wenn 10 Millionen Men-
schen den Dollar ablehnen, schließen sich ihnen bald weitere 100 Millionen
an, und schon bald lehnen ihn auch die verbleibenden 200 Millionen ab –
nun lehnt die komplette Bevölkerung den Dollar ab. Der Dollar ist national
und international als Währung nicht mehr zu halten. Dieses zweite System
mit dem katastrophalen Zusammenbruch bezeichnet man als superkritisch.
286
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Dazu sollte man jedoch Folgendes bedenken: Die Schwellenwerte sind rein
hypothetisch; die tatsächlichen Werte von S sind unbekannt und vermut-
lich auch nicht zu ermitteln. Die S-Werte wurden aus Gründen der Verein-
fachung in fünf Gruppen unterteilt. In Wirklichkeit gäbe es Millionen ver-
schiedener kritischer Schwellenwerte, die Realität ist also viel komplexer als
unser Beispiel. Der Zusammenbruch muss auch nicht unmittelbar nach der
Überschreitung eines Schwellenwerts erfolgen, sondern kann sich erst im
Lauf der Zeit entwickeln, weil sich Informationen langsam verbreiten und
die Reaktionszeiten variieren.
Ein ernüchternder Gedanke für Zentralbanker und die Anhänger des De-
ficit Spending. Politiker agieren oft auf der Grundlage von Modellen, die
davon ausgehen, dass die Politik Schritt für Schritt vorgehen kann und es
keine unvorhergesehenen nichtlinearen Zusammenbrüche gibt. Als Lösung
für eine mangelnde gesamtwirtschaftliche Nachfrage gelten nach wie vor die
Erhöhung der Geldmenge und eine Inflation. Die Anhäufung von Schul-
den wird als akzeptables Mittel betrachtet, wenn damit ein Konjunkturpro-
gramm zur Stimulierung der Nachfrage finanziert wird. Das Gelddrucken
und das Deficit Spending setzen sich Jahr für Jahr fort, als ob das System
stets in einem subkritischen Zustand bliebe und die geballte Anwendung
dieser immer gleichen Instrumente keine extremen Folgen hätte. Unser Mo-
287
Teil 3 Die nächste globale Krise
dell zeigt, dass das nicht unbedingt stimmt. Ein Phasenübergang von der
Stabilität zum Kollaps kann aufgrund winziger Veränderungen im Verhalten
der Einzelnen kaum wahrnehmbar einsetzen und ist in Echtzeit fast unmög-
lich zu erkennen. Die Schwächen werden erst entdeckt, wenn das System
zusammenbricht. Aber dann ist es zu spät.
Die Geschichte des Ersten und Zweiten Währungskrieges zeigt, dass ein
Währungskrieg das letzte verzweifelte Mittel bei großen makroökono-
mischen Problemen ist. In den vergangenen 100 Jahren gehörte zu die-
sen Problemen immer eine exzessive Verschuldung, die sich nicht mehr
zurückzahlen ließ. Und auch heute erstickt die Verschuldung zum drit-
ten Mal innerhalb von 100 Jahren jegliches Wirtschaftswachstum und be-
schwört einen neuen Währungskrieg herauf. Das ist ein weltweites Prob-
lem. Die europäischen Staaten und Banken sind in einer noch schlimmeren
Verfassung als die USA. Die Immobilienblasen in Irland, Spanien und an-
deren Ländern hatten ähnlich verheerende Folgen wie in Amerika. Selbst
China, das in den letzten Jahren ein relativ starkes Wachstum und gro-
ße Handelsüberschüsse vorweisen konnte, hat ein überschuldetes Schat-
tenbanksystem, das von provinziellen Behörden geführt wird, eine massiv
ansteigende Geldmenge und eine Immobilienblase, die jeden Augenblick
platzen kann.
Die Welt im 21. Jahrhundert mag sich in vielem von den 1920er- und
1970er-Jahren unterscheiden, doch die massive Anhäufung nicht zurück-
zahlbarer, untragbarer Schulden erzeugt dieselbe Dynamik. Der Privat
sektor bemüht sich um Entschuldung und Deflation, während der Staat
mit seiner Politik der Währungsabwertung für Inflation sorgt. Die Tatsache,
288
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Eric J. Chaisson und Joseph A. Tainter, die sich beide intensiv mit der Kom-
plexitätstheorie befassen, liefern uns die notwendigen Instrumente, damit
wir verstehen können, warum eine stärkere Haushaltsdisziplin wahrschein-
lich scheitern und es vermutlich zu einem Währungskrieg und einem Zusam-
menbruch des Dollar kommen wird. Der Astrophysiker Chaisson ist einer
der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Komplexitätstheorie in
der Entwicklung des Kosmos. Tainter ist Anthropologe und beschäftigt sich
mit der Komplexitätstheorie im Zusammenhang mit dem Untergang von
Kulturen. Nimmt man ihre Theorien zusammen und wendet sie auf die Kapi-
talmärkte und die aktuelle Wirtschaftspolitik an, gerät man sehr ins Grübeln.
Chaisson betrachtet alle komplexen Systeme vom Kosmos bis zum subato-
maren Teilchen und konzentriert sich dann auf das Leben im Allgemeinen
289
Teil 3 Die nächste globale Krise
Chaisson vertritt den Standpunkt, dass man das Universum am besten als
konstanten Energiefluss zwischen Strahlung und Materie versteht.64 Durch
diese Dynamik entsteht mehr Energie, als bei der Umwandlung gebraucht
wird, wodurch »freie Energie« für die Komplexität zur Verfügung steht.
Chaisson Beitrag war seine empirische Definition der Komplexität als Ver-
hältnis zwischen freiem Energiefluss und der Dichte in einem System. Ver-
einfacht ausgedrückt, je komplexer ein System ist, desto mehr Energie benö-
tigt es, um seine Größe und Ausdehnung zu erhalten. Chaissons Theorien
sind fundiert; sie beginnen bei den Hauptsätzen der Thermodynamik und
reichen bis zu aktuelleren Erkenntnissen zur Selbstorganisation und Kom-
plexität des Universums.
Es ist allgemein bekannt, dass die Sonne weit mehr Energie verbraucht
als das menschliche Gehirn. Doch die Sonne hat auch viel mehr Mas-
se. Berücksichtigt man diesen Unterschied, zeigt sich, dass das Gehirn
75 000 Mal mehr Energie verbraucht als die Sonne, gemessen in Chais-
sons S tandardeinheiten. Chaisson hat aber auch ein System gefunden,
das noch viel komplexer ist als das menschliche Gehirn: die Gesellschaft
an sich in ihrer zivilisierten Form. Das überrascht nicht, denn eine Ge
sellschaft, die quasi aus vielen menschlichen Gehirnen besteht, sollte et-
was Komplexeres hervorbringen als die einzelnen Personen. Das deckt
sich völlig mit der Komplexitätstheorie; die Gesellschaft ist eine emergen-
te Eigenschaft der einzelnen Beteiligten, deren Ganzes größer ist als die
Summe ihrer Teile. Chaissons wichtigste Erkenntnis ist die, dass die Ge-
sellschaft heruntergerechnet auf ihre Dichte 250 000 Mal mehr Energie
verbraucht als die Sonne und eine Million Mal mehr Energie als die Milch-
straße.
290
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
Tainter befasst sich vor allem mit dem Zusammenbruch von Zivilisationen.
Das Thema ist bei Historikern und Studenten schon seit Herodots Schilde-
291
Teil 3 Die nächste globale Krise
Tainter verfolgt ähnliche Ansätze wie Chaisson und Anhänger der Kom-
plexitätstheorie allgemein, wenn er zeigt, dass Zivilisationen komplexe Sys-
teme sind.66 Er legt dar, dass die Ressourcen, die eine Gesellschaft mit zu-
nehmender Komplexität benötigt, um sich selbst zu erhalten, exponentiell
anwachsen. Genau das quantifizierte Chaisson später für die Komplexität
allgemein. Mit Ressourcen meint Tainter nicht ausdrücklich die Energie-
einheiten, von denen bei Chaisson die Rede ist, sondern verschiedene For-
men gespeicherter Energie wie Arbeit, Bewässerungsanlagen, Feldfrüchte
und Rohstoffe, die alle in Geld umgewandelt werden können und bei ver-
schiedenen Transaktionen zum Einsatz kommen. Tainter geht sogar noch
einen Schritt weiter und zeigt, dass nicht nur der Bedarf an Ressourcen mit
der Größe einer Zivilisation exponentiell zunimmt, sondern dass auch die
Leistung der Gesellschaften und ihrer Regierungen pro eingesetzter Res-
sourcen-Einheit abnimmt, wenn man die öffentlichen Güter und Dienstleis-
tungen als Maß nimmt.
292
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
flacher wird und schließlich absinkt. Laut Tainters These kann man den be-
kannten Bogen des Ertragsgesetzes auch für den Aufstieg, Abstieg und Un-
tergang einer Zivilisation verwenden.
Tainter vertritt die Ansicht, dass sich das Verhältnis zwischen Mensch und
Gesellschaft in Hinblick auf Nutzen und Anforderungen im Lauf der Zeit
verändert. Debatten darüber, ob eine Regierung »gut« oder »schlecht« oder
ob die Besteuerung zu »hoch« oder zu »niedrig« ist, lassen sich lösen, in-
dem man die Gesellschaft auf der Ertragskurve verortet. Am Anfang einer
Zivilisation sind die Erträge einer Investition in komplexere Strukturen, al-
so etwa eine Regierung oder Verwaltung, extrem hoch. Eine relativ gerin-
ge Investition an Zeit und Anstrengung kann bei einem Bewässerungspro-
jekt enorme Erträge pro Bauer einbringen. Ein kurzer Militärdienst, der von
der gesamten Bevölkerung geleistet werden muss, kann einen beträchtlichen
Zugewinn an Frieden und Sicherheit bedeuten. Eine relativ schlanke Ver-
waltung zur Organisation der Bewässerung, der Verteidigung oder anderer
Anstrengungen in dieser Form kann im Vergleich zu einer unkoordinierten
Selbstorganisation sehr effizient sein.
Im Lauf der Zeit flacht der Ertrag einer Investition mit zunehmender Kom-
plexität ab und wendet sich schließlich ins Negative. Wenn die einfachen
Bewässerungsprojekte fertiggestellt sind, nimmt die Gesellschaft immer
größere Projekte in Angriff, bei denen umfangreichere Rohrsysteme zuneh-
mend kleinere Wassermengen hervorbringen. Die Verwaltung war anfangs
noch eine effiziente Organisation, entwickelt sich dann aber zum Hinder-
293
Teil 3 Die nächste globale Krise
nis für Verbesserungen, weil sie mehr mit ihrem eigenen Fortbestehen be-
schäftigt ist als mit dem Dienst an der Gesellschaft. Eliten, die die Instituti-
onen einer Gesellschaft lenken, interessieren sich mit der Zeit immer mehr
für ihren eigenen Anteil am kleiner werdenden Kuchen als für das Wohl-
ergehen der Gesellschaft an sich. Die Eliten führen die Gesellschaft nicht
mehr, sondern saugen sie aus. Sie verhalten sich wie Parasiten und betreiben
»Rentenökonomie«, wie Ökonomen sagen, also die Anhäufung von Reich-
tum durch nichtproduktive Mittel – ein Beispiel dafür wäre die postmoder-
ne Finanzwelt.
Im Jahr 2011 deutet vieles darauf hin, dass sich die USA auf dem absteigen-
den Teil der Ertragskurve befinden. Die Bürger müssen größere Anstren-
gungen unternehmen, um weniger für die Gesellschaft zu erreichen, wäh-
rend die Eliten den Großteil des steigenden Einkommens und Gewinns für
sich beanspruchen. 25 Hedgefondsmanager haben 2010 über 22 Milliarden
Dollar verdient, während 44 Millionen Amerikaner auf Lebensmittelmarken
angewiesen sind. Die Vergütungen der CEOs stiegen 2010 um 27 Prozent
gegenüber 2009, während über 20 Millionen Amerikaner entweder arbeits-
los waren oder aus dem Erwerbsleben ausschieden, obwohl sie eigentlich
weiterarbeiten wollten. Bei den Berufstätigen arbeiteten mehr Amerikaner
für den Staat als auf dem Bau, in der Landwirtschaft, Fischerei, Forstwirt-
schaft, der verarbeitenden Industrie, im Bergbau und in Versorgungsunter-
nehmen zusammen.
Einer der besten Maßstäbe für eine von der Rentenökonomie geprägte Be-
ziehung zwischen Eliten und Bürgern in einer stagnierenden Wirtschaft ist
der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung von Vermögen und Ein-
kommen bemisst. Ein höherer Koeffizient bedeutet eine höhere Einkom-
mensungleichheit. 2006, kurz vor Einsetzen der aktuellen Rezession, er-
reichte der Gini-Koeffizient für die USA den Rekordwert von 47, ein
deutlicher Kontrast zum Tiefstwert von 38,6 aus dem Jahr 1968, als die
USA von zwei stabilen Jahrzehnten mit dem Gold-Devisen-Standard pro-
fitierten. Der Gini-Koeffizient tendierte 2007 wieder nach unten, erreichte
294
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
aber 2009 fast wieder seinen Rekordwert von 2006 und zeigte weitere Auf-
wärtstendenzen. Die USA haben nun fast einen ähnlichen Gini-Koeffizien-
ten wie Mexiko, eine typische oligarchische Gesellschaft mit einer deutli-
chen Ungleichverteilung der Einkommen und einer Konzentration des
Reichtums bei den Eliten.
Mit seiner Theorie des schwindenden Ertrags bietet Tainter eine Erklä-
rung für den Zusammenbruch einer Gesellschaft. Traditionellere Historiker
suchten die Erklärung bei Erdbeben, Dürren oder dem Einfall von Barba-
ren, doch Tainter zeigt, dass Kulturen, die schließlich den Barbaren unter-
lagen, die Invasoren zuvor oft besiegt hatten. Kulturen, die durch ein Erd-
beben vernichtet wurden, hatten zuvor häufig den Wiederaufbau geschafft.
Am Ende ist nicht die Invasion oder das Erdbeben ausschlaggebend, son-
dern die Reaktion darauf. Gesellschaften, die nicht von einer immensen
Steuerlast oder sonstigen Anforderungen erdrückt werden, können auf ei-
ne Krise kraftvoll reagieren und nach einer Katastrophe alles wiederaufbau-
en, während die Gesellschaften, bei denen die Belastung zuvor schon zu
hoch war, vielleicht einfach aufgeben. Als die Barbaren schließlich das Rö-
mische Reich eroberten, regte sich bei den Bauern kein Widerstand, im Ge-
genteil, die Eroberer wurden mit offenen Armen empfangen. Die Bauern
hatten jahrhundertelang unter der römischen Politik der Geldentwertung
295
Teil 3 Die nächste globale Krise
Tainter macht eine Ergänzung, die für die Gesellschaft des 21. Jahrhun-
derts besonders wichtig ist. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Zu-
sammenbruch einer Zivilisation und dem Zusammenbruch einzelner Ge-
sellschaften oder Staaten innerhalb dieser Zivilisation. Der Untergang des
Römischen Reichs war der Zusammenbruch einer Zivilisation, weil es kei-
ne unabhängige Gesellschaft gab, die Roms Platz eingenommen hätte. Ent-
sprechend ging die europäische Zivilisation nach dem 6. Jahrhundert nie
wieder unter, weil es für jeden untergehenden Staat einen anderen gab, der
die Lücke füllte. Auf den Niedergang Spaniens oder Venedigs folgte der
Aufstieg Englands oder der Niederlande. Folgt man der Komplexitätstheo-
rie, gleicht die heutige stark vernetzte und globalisierte Welt eher den von-
einander abhängigen Provinzen des Römischen Reichs als den autonomen
Staaten im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa. Oder wie Tainter
schreibt: »Ein Zusammenbruch, falls und wenn es wieder dazu kommen
sollte, wäre diesmal global. Die globale Zivilisation würde als Ganzes un-
tergehen.«
296
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
einnahmen eine Gesellschaft nicht mehr länger erhalten, und die Eliten ver-
suchen, den Ressourcenbedarf durch Kredite, Fremdkapital, Geldabwer-
tung und andere Formen des Pseudogeldes zu manipulieren, die mehr ihren
eigenen Interessen als der Produktivität dienen. Diese Methoden funktio-
nieren über einen kurzen Zeitraum, bis die Illusion des Pseudowachstums
auf Pump von der Realität des verlorenen Wohlstands und der wachsenden
Einkommensungleichheit eingeholt wird.
Ist Washington das neue Rom? Hat die Regierung in Washington wie die
Regierungen in einigen anderen Staaten die Besteuerung, Regulierung, Bü-
rokratisierung und die Selbstsucht so weit getrieben, dass die gesellschaftli-
chen Leistungen negative Resultate bringen? Sind bestimmte Unternehmen,
finanzielle und institutionelle Eliten so eng mit der Regierung verflochten,
dass sie gemeinsame Sache machen und zu Lasten des gesellschaftlichen
Nutzens in die eigene Tasche wirtschaften? Sind die sogenannten Märk-
te mittlerweile durch Manipulationen, Interventionen und Rettungspakete
so verzerrt, dass sie keine verlässlichen Preissignale mehr für die Verteilung
von Ressourcen bieten? Sind die Gruppierungen, die für die Verzerrung der
Preissignale hauptsächlich verantwortlich sind, auch diejenigen, bei denen
die fehlgeleiteten Ressourcen landen? Und wenn nächstes Mal die Barbaren
297
Teil 3 Die nächste globale Krise
angreifen, in welcher Form auch immer, was haben die normalen Bürger da-
von, wenn sie Widerstand leisten? Oder sollten sie den Zusammenbruch zu-
lassen und die Eliten für sich allein kämpfen lassen?
Die Geschichte und die Komplexitätstheorie zeigen, dass das keine ideo-
logisch geprägten Fragen sind. Vielmehr handelt es sich um analytische
Fragen, deren Bedeutung anhand des Schicksals zahlreicher Zivilisationen
über fünf Jahrtausende belegt wurde. Auch die Untersuchung der zuneh-
menden Komplexität in der Natur über einen Zeitraum von 10 Milliarden
Jahren spricht dafür. Die Wissenschaft und die Geschichte bieten uns ein
vollständiges Gerüst aus Energie, Geld und Komplexität, um die Risiken
eines Zusammenbruchs des Dollar mitten in einem Währungskrieg zu ver-
stehen.
Besonders wichtig ist, dass es sich bei den Systemen, die von unmittelbarem
Interesse sind – Währungen, Kapitalmärkte und Derivate – um gesellschaft-
liche Erfindungen handelt, die von der Gesellschaft auch wieder geändert
werden können. Die Dynamik des Worst-Case-Szenarios ist beängstigend,
aber dieser Fall muss nicht zwangsläufig eintreten. Auch wenn wir kurz vor
einem Zusammenbruch stehen, ist es noch nicht zu spät, um das globale, auf
den Dollar gestützte Währungssystem mit Sicherheitsvorkehrungen auszu-
statten. Leider finden vernünftige Lösungen wenig Anklang bei den Eliten,
die das System kontrollieren und von der Komplexität leben. Sinkende Er-
träge sind schlecht für die Gesellschaft, aber gut für die wenigen, die trotz-
dem noch davon profitieren – zumindest solange die Beiträge fließen. Die fi-
nanziellen Beiträge, die eine Gesellschaft leisten muss und die dann an die
Eliten weitergeleitet werden, erfolgen heute in Form von Steuern, Rettungs-
paketen, Hypothekenbetrug, Wucherzinsen und -gebühren, betrügerischen
Derivaten und Bonuszahlungen. Während die Bürger immer mehr von die-
ser Abgabenlast erdrückt werden, wird ein Zusammenbruch zunehmend
wahrscheinlicher. Die Finanzwelt muss wieder auf ihre alte Rolle beschränkt
werden, den Handel zu erleichtern, anstatt einem grotesken Selbstzweck zu
dienen. Die Komplexitätstheorie weist uns den richtigen Weg; unsere Ins-
298
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität
299
Kapitel 11 –
Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
»Ich möchte nur allen deutlich machen, dass wir schon bisher die Politik
verfolgt haben und immer verfolgen werden, … dass ein starker Dollar im
Interesse unseres Landes ist. Wir werden nie eine Strategie verfolgen, un-
sere Währung um eines wirtschaftlichen Vorteils willen abzuwerten, der
auf Kosten unserer Handelspartner geht.«
US-Finanzminister Timothy F. Geithner,
26. April 2011
»Nein, sie können mir des Münzens wegen nichts tun, ich bin der König
selbst.«
William Shakespeare,
König Lear
Nur wenige Ökonomen oder Entscheidungsträger beim IWF oder bei den
Zentralbanken dieser Welt würden der These vom Geld als Energieträger auf
Grundlage der Komplexitätstheorie zustimmen. Obwohl die Physik und die
Verhaltenswissenschaft auf einer soliden fachlichen Grundlage stehen, sto-
ßen interdisziplinäre Ansätze bei den meisten Wirtschaftswissenschaftlern
auf Skepsis. In den Modellen der Zentralbankiers ist ein plötzlicher Zusam-
menbruch des Dollar nicht vorgesehen. Jedoch ist auch den durchschnitt
lichen Ökonomen und Zentralbankiers gleichermaßen die Dollar-Schwäche
und die Bedrohung der internationalen Währungsstabilität durch den neu-
en Währungskrieg durchaus bewusst. Unter Berücksichtigung verschiede-
ner Ansichten, vom konventionellsten bis zum innovativsten Ansatz, lassen
sich vier mögliche Entwicklungen für den Dollar ausmachen – man könn-
te sie auch die vier Reiter der Dollar-Apokalypse nennen. In der Reihen
folge ihres Zerstörungspotenzials, von gering bis hoch, sind das: verschiede-
ne Reservewährungen, Sonderziehungsrechte, Gold und Chaos.
300
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Verschiedene Reservewährungen
Die Reserven eines Staates sind so etwas wie das Sparkonto eines Bürgers.
Man kann ein laufendes Einkommen aus seiner Arbeit beziehen und ver-
schiedene Kredite abzahlen und trotzdem noch ein paar Ersparnisse für die
Zukunft oder schlechte Zeiten haben. Diese Ersparnisse kann man in Aktien
oder Anleihen anlegen oder einfach auf dem Konto lassen. Ein Staat hat mit
seinen Reserven dieselben Möglichkeiten. Er kann über einen Staatsfonds
in Aktien oder andere Anlageformen investieren oder einen Teil als liquide
Mittel behalten oder in Gold anlegen. Die liquiden Mittel können Anleihen
in verschiedenen Währungen sein, die als Reservewährung bezeichnet wer-
den, weil Länder sie als Geldanlage und zur Streuung ihrer Reserven ver-
wenden.
Seit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 fungiert der Dollar mit Ab-
stand als die wichtigste Reservewährung, er war jedoch nie die einzige Re-
servewährung. Der IWF unterhält eine globale Datenbank, in der die Zu-
sammensetzung der offiziellen Reserven erfasst wird, und vertreten sind
US-Dollar, Euro, Pfund Sterling, Yen und Schweizer Franken. Aktuelle Da-
ten zeigen, dass der US-Dollar nur etwas mehr als 61 Prozent der Reserven
ausmacht, allerdings liegt die nächstgrößte Reservewährung, der Euro, nur
bei 26 Prozent. Der IWF verzeichnet einen langsamen, aber stetigen Rück-
gang des Dollar in den vergangenen zehn Jahren; im Jahr 2000 machte der
Dollar noch 71 Prozent der angegebenen Gesamtreserven aus. Dieser Rück-
gang erfolgte geordnet, nicht überstürzt, und deckt sich mit dem wachsen-
den Handelsaufkommen zwischen Europa und Asien und innerhalb Asiens.
Die sinkende Bedeutung des Dollar im internationalen Handel und als Re-
servewährung wirft die Frage auf, was passieren wird, wenn der Dollar nicht
mehr länger dominiert, sondern nur eine Reservewährung unter vielen ist.
Wo liegt der Kipppunkt für die Dollardominanz? Sind es 49 Prozent der Ge-
samtreserven, oder tritt dieser Punkt erst ein, wenn der Anteil des Dollar dem
Anteil der nächstgrößten Währung entspricht, also vermutlich dem Euro?
301
Teil 3 Die nächste globale Krise
302
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Anker verwendet. Folglich ist die Welt, die sich Eichengreen vorstellt, ei-
ne Welt mit Reservewährungen ohne festen Halt. Die Jagdsaison wäre er-
öffnet, und anstelle einer einzelnen Zentralbank wie der Federal Reserve
würde es mehrere Zentralbanken geben, die alle gleichzeitig ihre Privilegi-
en missbrauchen könnten. In diesem Szenario gäbe es keine Reservewäh-
rung, die ein sicherer Hafen wäre, und die Märkte wären schwankungsan-
fälliger und instabiler.
303
Teil 3 Die nächste globale Krise
Sonderziehungsrechte
Experten wenden sich im Hinblick auf die SZR gegen den Gebrauch des
Begriffs »Geld«. Schließlich kann ein gewöhnlicher Bürger kein SZR be-
kommen, und wenn man in einen Weinladen geht und versucht, ein paar
Flaschen mit SZR zu bezahlen, kommt man nicht sehr weit. Allerdings ent-
sprechen SZR in vielerlei Hinsicht der traditionellen Definition des Gel-
des. SZR sind ein Wertaufbewahrungsmittel, weil Staaten einen Teil ihrer
Reserven in SZR anlegen. Sie sind Zahlungsmittel, weil Staaten mit einem
Handelsdefizit oder -überschuss in lokalen Währungen ihre Handelsbilanz
gegenüber anderen Ländern mit SZR ausgleichen können. Und schließlich
sind SZR eine Recheneinheit, weil der IWF seine Bücher und Konten, Ver-
mögenswerte und Verpflichtungen in der Währungseinheit SZR führt. Der
Unterschied zu anderen Währungen besteht darin, dass Bürger und Unter-
nehmen die SZR noch nicht für private Transaktionen nutzen können. Es
gibt jedoch bereits Pläne beim IWF zur Schaffung eines entsprechenden
privaten Marktes.
Ein weiterer Einwand dagegen, SZR als Geld zu betrachten, besteht da-
rin, dass der Wechselkurs der SZR durch einen Währungskorb wichti-
ger Währungen wie Dollar und Euro definiert ist. Analysten argumentie-
ren, dass SZR keinen Wert oder Zweck unabhängig von den Währungen
im Korb haben und daher keine separate Form des Geldes sind. Das ist aus
304
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
zwei Gründen nicht korrekt. Zum einen ist die Erteilung von SZR nicht
durch eine bestimmte Menge der zugrunde liegenden Währungen aus dem
Korb begrenzt. Die Währungen im Korb werden zur Berechnung des Werts
verwendet, nicht zur Mengenbegrenzung – SZR können in potenziell un-
begrenzter Menge ausgestellt werden. Dadurch haben SZR eine Quanti-
tät oder einen »Umlauf«, der nicht an die Währungen im Korb gekoppelt
ist. Zum anderen kann die Zusammensetzung des Korbs verändert werden.
Tatsächlich plant der IWF derzeit, die Rolle des Dollar zu verringern und
dem chinesischen Yuan einen höheren Stellenwert einzuräumen. Aufgrund
dieser beiden Faktoren – der unbegrenzten Emission und des sich verän-
dernden Währungskorbs – nehmen die SZR in der internationalen Finanz
welt jederzeit eine vom zugrunde liegenden Währungskorb unabhängige
Rolle als Geld ein.
2009 kam es aufgrund der Verluste bei der Panik 2008 und des darauffol-
genden Schuldenabbaus bei Finanzinstituten und Verbrauchern erneut zu
extremen Liquiditätsengpässen. Die Welt brauchte schnell Geld, und die
Führung des internationalen Währungssystems griff zur Problemlösung auf
die Methoden der 1970er-Jahre zurück. Diesmal ging die Initiative nicht
vom IWF aus, sondern von den G20, die den IWF als Werkzeug ihrer glo-
balen Währungspolitik benutzten. Die Summen der SZR waren enorm, sie
305
Teil 3 Die nächste globale Krise
entsprachen 289 Milliarden Dollar zum Wechselkurs vom April 2011. Die
globale Notfallmaßnahme zur Erhöhung der Geldmenge blieb von der Fi-
nanzpresse fast unbemerkt, da diese mit dem Zusammenbruch der Aktien-
märkte und Immobilienpreise beschäftigt war. Und doch war das der Be-
ginn einer neuen gemeinsamen Anstrengung der G20 und des IWF, die
Verwendung der SZR als globale Währungsreserve und Alternative zum
Dollar zu fördern.
Dollar, Euro und Yuan würden mit dem neuen Weltwährungsregime der
SZR nicht verschwinden, sondern immer noch für inländische Transaktio-
nen verwendet werden. Die Amerikaner würden ihre Milch oder ihr Ben-
zin immer noch mit Dollar kaufen, ebenso wie die Syrer im eigenen Land
ihre syrische Lira gebrauchen. Doch bei global bedeutenden Transaktio-
nen wie etwa im internationalen Handel, für internationale Kreditkonsor-
tien, Bankenrettungen oder zum Ausgleich der Zahlungsbilanz würden die
SZR als neue Weltwährung fungieren. Dem Dollar würde nur noch eine
untergeordnete Rolle zukommen, er sollte regelmäßig abgewertet und sein
Anteil am Währungskorb gemäß den Vorstellungen der G20 reduziert wer-
den.
Zusätzlich zur direkten Erteilung von SZR hat der IWF seine Kreditkapazi-
täten mehr als verdoppelt. Entsprachen sie vor der Krise noch einem Wert
von etwa 250 Milliarden Dollar, so waren es im März 2011 schon 580 Mil-
liarden. Diese erweiterte Kreditkapazität wird durch Kredite der IWF-Mit-
glieder an den IWF erreicht, der dafür SZR ausstellt. Dadurch sollte der
IWF in die Lage versetzt werden, in Not geratenen Mitgliedsstaaten Kredite
zu gewähren. Nun kann der IWF die beiden wichtigsten Funktionen einer
echten Zentralbank erfüllen – Geld schöpfen und als Kreditgeber der letz-
ten Zuflucht fungieren –, indem er die SZR als seine Form der Währung ver-
wendet und die G20 de facto als Direktorium fungieren. Die ursprüngliche
Vision bei der Einrichtung der SZR 1969 kommt nun in einem viel größe-
ren Ausmaß zum Tragen. Die Zeit einer globalen Zentralbank ist wirklich
und wahrhaftig angebrochen.
306
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
307
Teil 3 Die nächste globale Krise
Hier haben wir nun in der vollen Pracht des technischen IWF-Kauder-
welschs die Antwort der globalen Machtelite auf die Währungskriege und
einen möglichen Dollar-Kollaps vorliegen. Damit wäre das Triffin-Dilemma
ein für allemal gelöst, denn dann müsste keine einzelne Währung mehr für
weltweite Liquidität garantieren. Von nun an könnte die Geldmenge global
erhöht werden, unabhängig von der Handelsbilanz des Staates, der die Leit-
währung emittiert.
Und das Beste ist, zumindest aus Sicht des IWF, dass es keine demokra-
tische Kontrolle bei der Geldschöpfung geben würde und der IWF damit
auch niemandem zur Rechenschaft verpflichtet wäre. Noch während der
IWF an seinen Plänen für eine globale SZR-Währung schmiedete, schlugen
308
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Von John Maynard Keynes stammt der berühmte Satz: »Es gibt kein fei-
neres und kein sichereres Mittel, die bestehenden Grundlagen der Gesell-
schaft umzustürzen, als die Vernichtung der Währung. Dieser Vorgang stellt
alle geheimen Kräfte der Wirtschaftsgesetze in den Dienst der Zerstörung,
und zwar in einer Weise, die nicht einer unter Millionen richtig zu erkennen
imstande ist.« Wenn nicht einer unter Millionen die Abwertung erkennt,
versteht wohl auch nur einer von 10 Millionen die inneren Mechanismen
des IWF. Wir sollten uns bemühen, einen besseren Einblick in das Innenle-
ben des Währungsfonds zu bekommen, bevor der Plan in die Tat umgesetzt
wird, den Dollar durch die SZR zu ersetzen.
Letzten Endes ist der SZR-Plan des IWF nur eine Notmaßnahme, aber kei-
ne Lösung. Er setzt dem bevorstehenden Zusammenbruch des Systems des
309
Teil 3 Die nächste globale Krise
Der Plan weist zwei grundlegende Fehler auf, die seine Umsetzung be
hindern könnten. Der erste ist der Zeitpunkt – kann die SZR-Lösung
des IWF noch rechtzeitig vor der nächsten Finanzkrise umgesetzt wer-
den? Die Schaffung einer neuen Währung, wie sie sich der IWF vorstellt,
würde mindestens fünf Jahre dauern, vielleicht sogar länger. Angesichts
der wachsenden Haushaltsdefizite in den USA, der ungelösten Schul-
denkrise in Europa und der Spekulationsblasen in China bricht das Wäh
rungssystem vielleicht zusammen, noch bevor die SZR allgemein verfüg-
bar sind.
Der zweite Fehler im Plan des IWF betrifft die Rolle der USA. Die USA ver-
fügen beim IWF über ausreichend Stimmrechte, um das SZR-Vorhaben zu
blockieren. Die Aufstockung der SZR-Geldschöpfung und der Kreditkapa-
zitäten seit 2009 erfolgte mit der Zustimmung der USA, weil sie sich mit der
Vorliebe der Obama-Regierung für multilaterale anstelle unilateraler Lösun-
gen für globale Problemen deckt. Eine neue US-Regierung könnte ab 2012
eine andere Haltung vertreten, außerdem besteht die Möglichkeit, dass die
IWF-Strategie zur Ablösung des Dollar in den USA zum Wahlkampfthema
wird. Doch vorerst bleibt das SZR ein starker Konkurrent im Wettbewerb
um eine globale Währung.
Gold löst bei seinen Anhängern wie bei seinen Gegnern leidenschaftliche-
re Debatten aus als jedes andere Thema der internationalen Finanzen. Die
Gegner des Goldstandards sind schnell mit dem alten Keynes-Zitat bei der
Hand, dass Gold ein »barbarisches Relikt« sei. Der legendäre Investor War-
310
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
ren Buffett verweist darauf, dass alles Gold der Welt, wenn man es an einen
Ort bringen würde, nur ein großer Block aus glänzendem Metall wäre, der
keine Rendite bringt und keinerlei Potenzial zur Schaffung eines Einkom-
mens hat. Der US-Politiker und Weltbankpräsident Robert Zoellick sorgte
2010 für Ohnmachtsanfälle bei den Finanzexperten, als er in einer Rede das
Wort »Gold« auch nur erwähnte, obwohl er gar keine Rückkehr zum Gold-
standard forderte. Bei den Eliten im Allgemeinen gilt die Begeisterung für
Gold als Kennzeichen der Begriffsstutzigen und Einfältigen, die die Vortei-
le einer »flexiblen« und »expandierenden« Geldmenge in der modernen Fi-
nanzwelt nicht zu schätzen wissen.
Die Anhänger des Goldes sind nicht weniger streng in ihrem Urteil und
betrachten moderne Zentralbankiers als Zauberlehrlinge, die Geld aus
dem Nichts erschaffen, um die Arbeiterklasse um ihre sauer verdienten Er
sparnisse zu bringen. Man kann sich nur schwer ein anderes Finanzthe-
ma vorstellen, bei dem die beiden gegnerischen Seiten weniger gemeinsam
haben.
Gold ist kein Gebrauchsgut. Gold ist keine Investition. Gold ist Geld par
excellence. Es ist wirklich knapp – sämtliches Gold, das in der Geschichte
der Menschheit je gefördert wurde, würde in einen Würfel mit einer Kan-
tenlänge von 20 Metern passen, was in etwa der Größe eines kleineren Bü-
rogebäudes entspricht. Durch die weitere Förderung im Bergbau wächst
die Goldmenge relativ langsam und stetig – um etwa 1,5 Prozent jährlich.
Das ist bei Weitem zu langsam für eine Inflation; tatsächlich gäbe es wohl
311
Teil 3 Die nächste globale Krise
eher eine leichte, dauerhafte Deflation, wenn wir den Goldstandard wie-
der einführen würden. Gold hat eine hohe Dichte; im Vergleich zu ande-
ren M etallen, die man als Geldbasis verwenden könnte, ist eine erhebliche
Menge Gewicht auf relativ kleinem Raum komprimiert. Gold ist außerdem
von einheitlicher Qualität, ein chemisches Element mit festen Eigenschaf-
ten und der Ordnungszahl 79 im Periodensystem. Rohstoffe wie Öl oder
Weizen, die man ebenfalls der Geldmenge als Wert zugrunde legen könnte,
treten in verschiedenen Qualitäten und Formen auf, was ihre Nutzung viel
komplizierter macht. Gold rostet nicht, läuft nicht an und ist fast unzerstör-
bar, es sei denn mit speziellen Säuren oder durch eine Explosion. Gold ist
formbar und lässt sich daher leicht in Münz- oder Barrenform bringen. Und
schließlich hat es als Geld eine längere Geschichte als die Konkurrenz –
über 5 000 Jahre –, was seinen Wert für viele Zivilisationen und K ulturen
belegt.
Bernankes Arbeit zu Gold und der Großen Depression stützt sich in ers-
ter Linie auf die zahlreichen Werke von Peter Temin, einem führenden Ex-
perten für die Große Depression, Barry Eichengreen und anderen, die
Verbindungen zwischen dem Goldstandard von 1924 bis 1936 und der
Weltwirtschaft insgesamt aufzeigten. Bernanke fasst deren Standpunkte fol-
gendermaßen zusammen:
312
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Staaten, die vom Goldstandard abrückten, waren in der Lage, ihre Geld-
menge und das Preisniveau wieder zu erhöhen, und taten das auch mit ei-
ner gewissen Verzögerung; die Länder dagegen, die am Goldstandard fest-
hielten, wurden in eine weitere Deflation gezwungen. Die Belege zeigen
in überwältigendem Ausmaß, dass sich Länder, die sich vom Goldstan-
dard lösten, schneller von der Depression erholten als die Länder, die am
Goldstandard festhielten. Tatsächlich verzeichnete kein Land eine deutli-
che wirtschaftliche Erholung, solange es am Goldstandard festhielt.68
Wenn Frankreich 1931 zur gleichen Zeit wie England vom Goldstandard
abgewichen wäre, wäre Englands Vorteil gegenüber Frankreich nichtig ge-
wesen. Doch Frankreich wartete mit der Abwertung bis 1936 und ließ da-
mit zu, dass Englands Wirtschaft auf Kosten Frankreichs wuchs. An diesem
Ergebnis ist nichts bemerkenswert – tatsächlich musste man sogar damit
rechnen.
Unter Bernankes Führung versuchen die USA heute das, was England 1931
tat – die Währung abzuwerten. Bernanke ist es gelungen, den Dollar auf ab-
soluter Basis abzuwerten, was sich anhand des seit einigen Jahren anhalten-
den Preisanstiegs beim Gold ablesen lässt. Doch seine Bemühungen, den
Dollar gegenüber anderen Währungen abzuwerten, ziehen sich in die Län-
ge. Der Dollar schwankt gegenüber anderen Währungen, hat aber im Ver-
gleich zu ihnen insgesamt nicht erheblich und anhaltend an Wert eingebüßt.
Stattdessen verlieren alle wichtigen Währungen gleichzeitig gegenüber Gold
an Wert. Die Folge ist eine globale Inflation und ein Preisanstieg bei Roh-
stoffen und Konsumgütern. Die Beggar-thy-Neighbor-Politik wurde durch
eine Beggar-the-World-Politik ersetzt.
313
Teil 3 Die nächste globale Krise
Zur Stützung seiner These, dass Gold eine Ursache für die gravierende, lang
anhaltende Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre sei, entwickelte Bernan-
ke ein nützliches Sechs-Faktoren-Modell, das die Beziehungen der von der
Zentralbank geschaffenen Geldbasis eines Landes zur größeren Geldmen-
ge, die vom Bankensystem geschaffen wird, zu den Goldreserven, die nach
Menge und Preis aufgeschlüsselt sind, und zu den Reserven in ausländi-
schen Währungen aufzeigt.69
Bei der Geldmenge in Ländern mit Goldstandard – die bei Weitem nicht
dem Wert an Währungsgold entspricht, wie man bei einer naiven Interpre-
tation des Goldstandards vielleicht annehmen könnte – handelte es sich
oft um ein Vielfaches des Wertes der Goldreserven. In den 1930er-Jah-
ren stieg der Goldbestand weiter; der zu beobachtende deutliche Rück-
gang … bei der Geldmenge muss daher voll und ganz einem Rückgang
beim Verhältnis von Geld zu Gold zugeschrieben werden.
Bernanke nennt zwei Gründe für einen Rückgang der Geldmenge trotz aus-
reichender Goldbestände. Der erste Grund betrifft die geldpolitischen Ent-
scheidungen der Zentralbanken, der zweite befasst sich mit dem Verhalten
314
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
der Anleger und Privatbanken als Reaktion auf eine Bankenpanik. Bernan-
ke kommt zu dem Schluss, dass unter dem Goldstandard zwei Gleichge-
wichtszustände der Geldmenge existieren. Ein Gleichgewicht besteht, wenn
das Vertrauen groß ist und der Fremdkapitalanteil erhöht wird. Der andere
Gleichgewichtszustand besteht, wenn das Vertrauen gering ist und Fremd-
kapital abgebaut wird. Wenn mangelndes Vertrauen aufgrund der Entschul-
dung zu einer Verringerung der Geldmenge führt, kann das Vertrauen wei-
ter sinken, was wiederum die Geldmenge aufgrund der Zurückhaltung der
Banken schrumpfen lässt und einen weiteren Rückgang beim Konsum und
bei den Investitionen nach sich zieht. Bernanke folgert daraus: »Im Hinblick
auf die Anfälligkeit für sich selbst bestätigende Erwartungen weist der Gold-
standard eine starke Ähnlichkeit zu einem … Bankensystem ohne Einlagen-
sicherung auf.« Hier kommt also wieder Mertons selbsterfüllende Prophe-
zeiung ins Spiel.
Für Bernanke, Eichengreen, Krugman und eine ganze Generation von Wirt-
schaftswissenschaftlern, die in den 1980er-Jahren auf dem Höhepunkt ih-
res Schaffens standen, war das der entscheidende Beweis. Die Geldmenge
basierte auf Gold; daher war Gold der einschränkende Faktor für die Erhö-
hung der Geldmenge, wenn mehr Geld benötigt wurde. Es gab analytische
und historische Beweise, gestützt auf Eichengreens empirische Belege und
Bernankes Modell: Gold hatte entscheidend zur Großen Depression beige-
tragen. Nach Ansicht dieser Wissenschaftler war damit belegt, dass Gold ein
Faktor bei der Entstehung der Weltwirtschaftskrise gewesen war und sich
die Länder, die zuerst den Goldstandard aufgaben, auch als erste wieder er-
holten. Seitdem ist Gold als monetäres Instrument in Verruf geraten, und
der Fall gilt als abgeschlossen.
Obwohl in dieser Hinsicht fast Einigkeit herrscht, weisen die Argumente ge-
gen Gold einen gravierenden Fehler auf. Was gegen Gold spricht, hat nichts
mit Gold an sich zu tun, sondern mit der Politik. Das zeigt sich, wenn man
Bernankes Modell übernimmt und sich dann alternative Szenarien im Zu-
sammenhang mit der Großen Depression überlegt.
315
Teil 3 Die nächste globale Krise
Doch nicht nur Bernankes historische Analyse kann man infrage stellen.
Die Zentralbanken in den 1930er-Jahren hätten auch eine Reihe von Maß-
nahmen ergreifen können, um unabhängig vom Gold etwas gegen die Ver
knappung der Geldmenge zu unternehmen. Die Federal Reserve hätte mit
neu gedruckten Dollarscheinen Devisen kaufen können, eine Maßnahme,
die sich mit den Swap-Vereinbarungen der modernen Zentralbanken von
heute vergleichen lässt, und dadurch sowohl die amerikanischen als auch
die ausländischen Reservepositionen erweitern können, was wiederum ei-
316
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Die Zentralbanken der 1930er-Jahre, vor allem die Federal Reserve und die
Banque de France, unterließen es, die Geldmenge so stark wie selbst unter
dem Goldstandard möglich zu erhöhen. Das war eine der Hauptursachen
für die Weltwirtschaftskrise; allerdings lag das Problem nicht beim Gold,
sondern am mangelnden Weitblick und der begrenzten Vorstellungskraft
der Zentralbanken.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass Bernankes eigentlicher Einwand gegen
Gold nichts damit zu tun hat, dass Gold die Erhöhung der Geldmenge in
den 1930er-Jahren tatsächlich behindert hätte, sondern damit, dass das heu-
te irgendwann der Fall sein könnte. Während der Großen Depression wur-
den die Kapazitäten zur Geldschöpfung nicht voll genutzt, allerdings war
diese Kapazität beim Goldstandard auch nie unbegrenzt vorhanden. Viel-
leicht möchte Bernanke die Fähigkeit der Zentralbanken bewahren, poten-
ziell unbegrenzte Geldmengen zu schaffen, was nur mit einem Verzicht auf
den Goldstandard möglich ist. Seit 2009 können Bernanke und die Fed ih-
re Politik der unbegrenzten Geldschöpfung unter realen Bedingungen er-
proben.
Wenn man Gold die Schuld an der Großen Depression gibt, ist das ähnlich,
wie wenn man für einen Bankraub den Kassierer verantwortlich macht. Der
317
Teil 3 Die nächste globale Krise
Kassierer war beim Bankraub vielleicht anwesend, hat aber das Verbrechen
nicht begangen. Im Fall der Großen Depression wurde das Verbrechen der
Geldverknappung nicht vom Gold begangen, sondern von den Zentralban-
ken, die eine lange Reihe vermeidbarer geldpolitischer Fehler machten. In
der internationalen Finanzwelt ist Gold keine Maßnahme, sondern ein Ins-
trument. Dem Goldstandard die Tragödie der Großen Depression anzulas-
ten, kommt den Zentralbanken sehr gelegen, da sie über unbegrenzte Mög-
lichkeiten zum Gelddrucken verfügen wollen. Die Zentralbanken, nicht das
Gold, waren für die Große Depression verantwortlich, und Ökonomen, die
weiter den Goldstandard als Ursache nennen, suchen nur eine Rechtferti-
gung für unbegrenztes Fiatgeld.
Bei der einfachsten Form des Goldstandards – nennen wir ihn den reinen
Goldstandard – ist der Dollar über eine spezifische Goldmenge definiert,
und die Einrichtung, die Dollar ausgibt, verfügt über ausreichende Gold-
mengen, damit man die im Umlauf befindlichen Dollar eins zu eins zum
festgelegten Kurs gegen Gold eintauschen kann. Bei diesem System ist ein
Dollar wirklich ein Gutschein für eine bestimmte Goldmenge, die für den
Besitzer des Dollar aufbewahrt wird und jederzeit ausgezahlt werden kann.
Unter dem reinen Goldstandard ist eine Erhöhung der Geldmenge nur
möglich, wenn man auch die Goldmenge durch eine verstärkte Förderung
318
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
im Bergwerk oder durch Ankauf erhöht. Dieses System würde der Konjunk-
tur eine leicht deflationäre Tendenz geben, da die globalen Goldvorkom-
men um etwa 1,5 Prozent im Jahr ansteigen, wohingegen die Wirtschaft un-
ter idealen Bedingungen zu einem nachhaltigen Wachstum von 3,5 Prozent
in der Lage ist. Entsprechend müssten, wenn alle übrigen Umstände gleich
blieben, die Preise um etwa 2 Prozent pro Jahr fallen, um die 3,5 Prozent Re-
alwachstum gegenüber dem 1,5-prozentigen Anstieg der Geldmenge aus-
zugleichen, und diese Deflation könnte sich negativ auf die Kreditaufnah-
me auswirken. Der reine Goldstandard ermöglicht Kredite und Schulden
durch den Austausch von Geld und Schuldscheinen, er erlaubt aber nicht,
dass mehr Geld geschaffen wird, als durch die Goldreserven gedeckt ist.
Solche Schuldeninstrumente könnten in der Wirtschaft als Geldersatz oder
Quasi-Geld fungieren, sie wären jedoch kein Geld im engeren Sinn.
Alle anderen Formen des Goldstandards beinhalten eine Form der Hebe
lung des vorhandenen Goldbestands. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Bei
der ersten wird mehr Geld emittiert, als Goldreserven vorhanden sind. Bei
der zweiten ergänzt man den Goldbestand, auf dem das Geld basiert, durch
einen Goldersatz, etwa Devisen oder SZR. Diese beiden Formen der He-
belung können separat oder zusammen angewandt werden. Bei diesem fle-
xiblen Goldstandard muss man sich vorher einige Gedanken zur Ausge-
staltung machen. Wie hoch muss der Mindestanteil der Goldmenge sein?
Reichen 20 Prozent aus? Oder braucht man 40 Prozent, um Vertrauen
zu schaffen? In der Vergangenheit hielt die Federal Reserve meist um die
40 Prozent der Geldbasis in Gold vor. Anfang April 2011 lag der Anteil im-
mer noch bei etwa 17,5 Prozent. Die USA sind zwar offiziell schon lange
vom Goldstandard abgerückt, doch eine Art Schattengoldstandard blieb
im Verhältnis von Gold zu Basisgeld erhalten, selbst noch zu Beginn des
21. Jahrhunderts.
Eine andere Frage ist, was man zur Berechnung des Geld-Gold-Verhältnis-
ses als »Geld« definiert. Im Bankensystem gibt es verschiedene Definitionen
von »Geld«, abhängig von der Verfügbarkeit und Liquidität der Instrumen-
319
Teil 3 Die nächste globale Krise
te, die berücksichtigt werden. Das sogenannte Basisgeld oder die Menge M0
besteht aus den Banknoten und Münzen, die sich im Umlauf befinden, da-
zu kommen noch die Reserven, die Banken bei der Federal Reserve depo-
nieren. Eine allgemeinere Definition des Geldes ist M1, sie schließt auch
Girokonten und Reiseschecks ein, berücksichtigt jedoch nicht die Reser-
ven, die die Banken selbst halten. Die Fed berechnet außerdem M2, das ist
die gleiche Definition wie M1, nur werden zusätzlich noch Sparkonten und
manche Festgeldkonten hinzugezählt. Ähnliche Definitionen werden von
ausländischen Zentralbanken verwendet. Im April 2011 betrug die M1 der
USA etwa 1,9 Billionen Dollar, und die M2 lag bei 8,9 Billionen Dollar. Weil
M2 so viel größer als M1 ist, hat die Entscheidung für eine bestimmte De-
finition des Begriffs »Geld« große Auswirkungen auf den Goldpreis, wenn
man das Verhältnis von Gold zu Geld berechnet.
Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Frage, wie viel Gold in der Berech-
nung berücksichtigt werden sollte. Soll nur das staatliche Gold einberech-
net werden, oder sollte man auch das Gold im Privatbesitz der Bürger da-
zuzählen? Sollte man die Rechnung nur in Bezug auf die USA durchführen,
oder sollte man versuchen, einen allgemeinen Standard einzuführen, indem
man die Goldreserven aller großen Volkswirtschaften berücksichtigt?
Welchen Preis sollte Gold unter diesem neuen Standard haben? Der falsche
Preis war der größte Fehler des Gold-Devisen-Standards der 1920er-Jahre.
Der Preis von 20,67 Dollar pro Feinunze Gold, der 1925 verwendet wurde,
hatte eine stark deflationäre Wirkung, weil er nicht die massive Erhöhung
der Geldmenge in Europa während des Ersten Weltkriegs berücksichtigte.
Ein Preis von etwa 50 Dollar pro Feinunze oder noch mehr hätte 1925 ver-
320
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
mutlich eine leicht inflationäre Wirkung gehabt und womöglich einige der
schlimmsten Auswirkungen der Großen Depression verhindert.
Für mehr Disziplin im jeweiligen System könnte man einen freien Markt für
Gold zulassen, der Seite an Seite mit dem offiziellen Preis existiert. Die Zen-
tralbank müsste dann auf dem offenen Markt agieren, um den Marktpreis
auf dem offiziellen Stand oder in dessen Nähe zu halten.
Nehmen wir an, dass die gewählte Deckungsrate die der USA in den 1930er-
Jahren ist, als die Fed 40 Prozent des Basisgeldes in Goldreserven bereithal-
ten musste. Verwendet man Zahlen vom April 2011, so läge der Goldpreis
bei diesem Standard bei 3 337 Dollar pro Feinunze. Die Fed könnte eine en-
ge Preisspanne mit einer Abweichung von etwa 2,5 Prozent nach unten oder
oben festlegen. Das bedeutet, wenn der Marktpreis um 2,5 Prozent sinkt, auf
3 254 Dollar pro Feinunze, müsste die Fed ins Marktgeschehen eingreifen
und Gold aufkaufen, bis sich der Preis wieder um die 3 337 Dollar stabili-
321
Teil 3 Die nächste globale Krise
siert hätte. Wenn der Preis umgekehrt um 2,5 Prozent auf 3 420 Dollar pro
Feinunze steigen würde, müsste die Fed Gold verkaufen, bis der Preis wie-
der auf das Niveau von 3 337 Dollar pro Feinunze zurückkehren würde. Die
Fed könnte sich den Freiraum bewahren, die Geldmenge anzupassen oder
Zinsen zu erhöhen oder zu senken, wie sie es für nötig hält, vorausgesetzt,
die Deckungsrate bliebe gewahrt, und der Goldpreis auf dem freien Markt
bliebe stabil.
Der letzte zu berücksichtigende Aspekt ist das Maß an Flexibilität, das den
Zentralbanken eingeräumt werden sollte, um im Fall einer wirtschaftlichen
Notlage von den strengen Deckungsraten abzuweichen. Es kommt zwar selten
vor, doch es gibt Zeiten, in denen echte Liquiditätskrisen oder Deflationsspi-
ralen auftreten und eine schnelle Geldschöpfung, die über die Deckungsrate
von Gold zu Geld hinausgeht, erforderlich erscheint. Diese Ausnahmekapa-
zität bezieht sich auf das Problem, das Bernanke in seinen Untersuchungen
zur Währungspolitik während der Großen Depression im Zusammenhang
mit Gold auszumachen glaubt. Das ist ein politisch extrem schwieriges The-
ma, weil es auf die Frage hinausläuft, wie sehr die Bürger den Zentralbanken
vertrauen, die ihnen angeblich dienen. Die Geschichte der Zentralbanken ist
eine Geschichte der gebrochenen Versprechen, wenn es um die Umtausch-
barkeit von Geld in Gold geht, und die amerikanische Zentralbank zeichne-
te sich in ihrer Geschichte vor allem dadurch aus, die Interessen der Banken
auf Kosten des Allgemeinwohls zu vertreten. Wie kann angesichts dieser Ver-
gangenheit und der von Gegnerschaft geprägten Beziehung zwischen Zent-
ralbank und Bürgern das erforderliche Vertrauen geschaffen werden?
Zwei Elemente, die wesentlich dazu beitragen, das Vertrauen in ein goldge-
decktes System zu erhöhen, wurden bereits erwähnt: eine starke rechtliche
Verankerung und die Pflicht der Zentralbank, zur Stabilisierung der Preise
auf dem offenen Markt aktiv zu werden. Sind diese beiden Säulen vorhan-
den, so können wir uns mit den Umständen befassen, unter denen man der
Fed erlauben könnte, Papiergeld zu schöpfen und die Deckungsquote zu
unterschreiten.
322
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Ein Ansatz bestünde darin, dass die Fed nach öffentlicher Ankündigung
auf eigene Initiative die Mindestgrenze für die Goldreserven unterschreiten
darf. Vermutlich würde die Fed nur in Extremfällen so handeln, etwa bei ei-
ner deflationären Verknappung der Geldmenge in der Art, wie sie England
in den 1920er-Jahren erlebte. Unter diesen Bedingungen wären die Offen-
marktgeschäfte eine Art demokratisches Referendum auf Entscheidung der
Fed hin. Wenn der Markt mit der Einschätzung der Fed übereinstimmt, soll-
te es keinen Ansturm auf Gold geben – tatsächlich müsste die Fed eventu-
ell sogar Gold kaufen, um den Preis stabil zu halten. Wenn der Markt die
Beurteilung der Fed jedoch infrage stellt, könnte es einen Ansturm geben,
Papiergeld gegen Gold einzutauschen, was für die Fed ein deutliches Sig-
nal wäre, dass sie das ursprüngliche Verhältnis von Goldreserven zu Geld
wiederherstellen müsste. Auf Grundlage der in der Verhaltensökonomik
und Soziologie beobachteten »Weisheit der Vielen«, die sich in den Markt-
preisen spiegelt, wäre dies ein zuverlässigerer Anhaltspunkt als die begrenz-
te Urteilsfähigkeit einiger Juristen und Ökonomen, die im Sitzungssaal der
Fed zusammenkommen.
Eine Variante dieses Ansatzes wäre es, wenn man der Fed erlauben würde,
von der Golddeckungsrate abzuweichen, wenn zuvor der finanzielle Not-
stand durch eine gemeinsame Erklärung des amerikanischen Präsidenten
und des Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus ausgerufen worden wäre.
Dadurch würde man einseitige Rettungsaktionen und Währungsexperimen-
te seitens der Fed verhindern und die Bank einer demokratischen Aufsicht
unterstellen, wenn sie die Geldmenge im Falle einer wirklichen Notlage er-
höhen müsste. Dieses Verfahren wäre sogar doppelt demokratisch abgesi-
chert, da gewählte Volksvertreter den Notstand erklären müssten und die
Marktteilnehmer mit ihrem Portemonnaie über die Einschätzung der Fed
abstimmen würden, indem sie Gold kaufen würden oder nicht.
Auch mit den Auswirkungen eines neuen Goldstandards auf das internati-
onale Währungssystem muss man sich intensiv beschäftigen. Die Geschich-
te des Ersten und Zweiten Währungskrieges zeigt, dass ein internationaler
323
Teil 3 Die nächste globale Krise
Goldstandard nur so lange Bestand hat, bis ein Mitglied des Systems, nor-
malerweise durch eine massive Verschuldung, wirtschaftlich so stark unter
Druck gerät, dass es sich zu einer Abkehr vom Goldstandard und zur Ab-
wertung seiner Währung entschließt. Die geschieht in der Hoffnung, von
diesem einseitigen Vorteil gegenüber den Handelspartnern zu profitieren.
Um einen einseitigen Ausstieg zu verhindern, könnte man eine goldgedeck-
te globale Währung schaffen, wie sie Keynes in Bretton Woods vorschlug.
Vielleicht könnte sogar der Name übernommen werden, den sich Keynes
ausdachte: Bancor. Der Bancor wäre kein in der Menge beliebig erweiterba-
res Fiatgeld wie die Sonderziehungsrechte von heute, sondern echtes Geld,
das durch Gold gedeckt ist. Man könnte den Bancor als einzige Währung für
den internationalen Handel und zur Begleichung der Zahlungsbilanzen zu-
lassen. Alle Währungen wären an den Bancor gekoppelt und nur für den in-
ländischen Zahlungsverkehr in Gebrauch. Gegenüber dem Bancor könnten
sie nur mit Zustimmung des IWF abgewertet werden. Eine einseitige oder
ungeordnete Abwertung und damit auch ein Währungskrieg wären so un-
möglich.
Ausgehend von der Geldmenge der USA und den amerikanischen Goldvor-
räten käme man bei einer Deckungsrate von 40 Prozent auf einen Goldpreis
von etwa 3 500 Dollar pro Feinunze. Angesichts des Vertrauensverlusts der
324
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Die bloße Ankündigung eines solchen Vorhabens könnte schon einen po-
sitiven und stabilisierenden Effekt auf die Weltwirtschaft haben, denn die
Märkte würden dann anfangen, die zukünftige Stabilität zu berücksichtigen,
ähnlich wie die Märkte die europäische Währungsunion Jahre vor der Eu-
roeinführung einkalkulierten. Sobald ein geeignetes Preisniveau festgelegt
wäre, könnte es bekannt gegeben werden, und man könnte sofort mit den
Offenmarktgeschäften zur Stabilisierung der Währungen zum neuen Gold-
wert beginnen. Schließlich könnten die Währungen selbst an den Gold-
wert gekoppelt werden, oder man könnte eine neue, goldgedeckte globale
Währung einführen, an die die anderen Währungen gekoppelt wären. Dann
könnte sich die Energie und Kreativität der Welt wieder der Technologie,
der Verbesserung der Produktivität und anderen Innovationen zuwenden,
anstatt sich weiter auf die Ausbeutung durch die Manipulation von Fiat-
geld zu konzentrieren. Anstelle eines Reichtums, der nur auf dem Papier
existiert, würde das globale Wachstum durch die Schaffung realen Reich-
tums beflügelt.
325
Teil 3 Die nächste globale Krise
Chaos
Die Instabilität des Finanzsystems hat sich in den letzten Jahren durch die
zunehmende Vielfalt und Vernetzung der Marktteilnehmer deutlich erhöht.
Das Risiko ist durch die Vielzahl spekulativer Derivate und die Erhöhung
der Hebelung bei den Banken, die »too big to fail« sind, massiv gestiegen.
Den genauen Wert der kritischen Schwellen für alle Marktteilnehmer kann
man nicht kennen, doch wie wir bereits festgestellt haben, ist das gesamte
System dem kritischen Punkt näher als je zuvor. Zum Zusammenbruch fehlt
nur noch ein geeigneter Auslöser für den niedrigsten kritischen Schwellen-
wert. Das muss gar kein spektakuläres Ereignis sein. Wir erinnern uns, dass
der gleiche Blitzeinschlag ein kleines Feuer oder einen großen Waldbrand
auslösen kann; was letztlich für einen Flächenbrand sorgt, ist nicht der Blitz-
schlag, sondern der Zustand des Waldes.
Der Auslöser an sich kann durchaus auffällig sein, dennoch ist die Verbin-
dung zwischen ihm und dem Kollaps möglicherweise nicht sofort ersicht-
lich. Im folgenden Szenario wird die Verkettung der Ereignisse bei einem
solchen Zusammenbruch aufgezeigt.
326
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Der Dollar rutscht schnell unter seine vorherige Trading-Range und er-
reicht immer neue Tiefstände. Händler mit zuvor festgelegten Stop-Loss-
Limits müssen verkaufen, wenn diese Limits erreicht werden, und diese
Stop-Loss-Automatik trägt zusätzlich zur allgemeinen Abwärtsbewegung
des Dollar bei. Mit zunehmenden Verlusten beginnen Hedgefonds, die auf
die falsche Seite gesetzt haben, ihre amerikanischen Aktien zu verkaufen,
weil sie Bargeld für die Nachschussforderungen benötigen. Die Preise für
Gold, Silber, Platin und Öl schnellen nach oben. Plötzlich wirken brasiliani-
sche, australische und chinesische Aktien wie ein sicherer Hafen.
Als die Wertpapierhändler der Banken und die Hedgefonds erkennen, dass
ein allgemeiner Dollarkollaps eingesetzt hat, kommt ihnen ein weiterer Ge-
danke. Wenn der Wert einer Sicherheit in Dollar ausgewiesen ist und der
Dollar einbricht, dann bricht auch der Wert der Sicherheit ein. Daraufhin
überträgt sich die Anspannung an den Devisenmärkten auf die auf dem Dol-
lar basierenden amerikanischen Aktien-, Anleihe- und Derivatemärkte, ähn-
lich wie ein Erdbeben einen Tsunami auslöst. Der Vorgang ist nicht mehr
rational, zum Überlegen bleibt keine Zeit mehr. Rufe wie »alles verkaufen!«
hallen übers Börsenparkett. Die Märkte für den Dollar und für auf Dollar
327
Teil 3 Die nächste globale Krise
Die New Yorker Börsenmakler, die Mitarbeiter der Banken und Regulie-
rungsbehörden werden durch panische Anrufe ihrer europäischen Kolle-
gen aus dem Schlaf gerissen. Die Bildschirme zeigen nur noch rot unterleg-
te Verluste. Die Börsenmakler und Banker hetzen ins Büro. Im Vorortzug,
wo es um 6 Uhr morgens normalerweise ganz gemächlich zugeht, gibt es nur
noch Stehplätze; die sonst übliche Etikette, aufs Telefonieren zu verzich-
ten, beachtet heute keiner. Der Zug ist quasi eine Börse auf Rädern. Als die
Banker im Zentrum von Manhattan und an der Wall Street eintreffen, ist der
Dollar-Index um 20 Prozent gefallen, und die Aktien-Futures sind um 1 000
Punkte eingebrochen. Gold liegt mit 200 Dollar pro Feinunze im Plus, da
sich die Anleger in vermeintlich sichere Werte flüchten, um ihr Vermögen zu
retten. Von Investoren, die gegen den Trend setzen, ist weit und breit nichts
zu sehen; sie weigern sich, sich einem außer Kontrolle geratenen Zug entge-
genzustellen. Manche Wertpapiere werden schon gar nicht mehr gehandelt,
weil es zu keinem Preis Gebote gibt. Die Dollar-Panik ist in vollem Gang.
328
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Die Federal Reserve, die EZB und die japanische Zentralbank organisie-
ren eilends eine Telefonkonferenz für 10 Uhr morgens New Yorker Zeit,
um den koordinierten Aufkauf amerikanischer Dollar und Staatsanleihen
zu besprechen. Vor dem Gespräch beraten sich die Zentralbankvorsitzen-
den mit ihren Finanzministerien und holen sich die notwendigen Geneh-
migungen und Daten. Die offizielle Ankaufskampagne beginnt um 14 Uhr
New Yorker Ortszeit; ab da überschwemmt die Fed die Handelsabteilun-
gen der wichtigsten Banken mit Kaufanweisungen für den Dollar und US-
Staatsanleihen sowie Verkaufsanweisungen für Euro, Yen, Pfund-Sterling,
kanadische Dollar und Schweizer Franken. Vor dieser Aufkaufaktion lässt
die Fed gegenüber ihren Lieblingsjournalisten durchsickern, dass die Zen-
tralbanken »alles, was erforderlich ist« zur Stützung des Dollar unterneh-
men würden. Bei der Beschreibung der Kaufkraft der Zentralbanken be-
tont der Fed-Mitarbeiter vor allem den Begriff »unbegrenzt«. Die Nachricht
verbreitet sich auf allen Kanälen und läuft an allen Börsen über die Bild
schirme.
Aus der Vergangenheit weiß man, dass sich private Anleger zurückziehen,
wenn der Staat anfängt zu intervenieren. Private Anleger verfügen über we-
niger Ressourcen als Regierungen und folgen der zeitlosen Mahnung: »Leg
dich nicht mit der Federal Reserve an.« Bei einer Panik geben sich die An-
leger an diesem Punkt meistens damit zufrieden, ihre Gewinnpositionen
aufzulösen, die Gewinne mitzunehmen und nach Hause zu gehen. Danach
können die Zentralbanken auf Kosten der Steuerzahler die Scherben zusam-
menkehren und die Börsenmakler am nächsten Tag wieder wie gewohnt ih-
rem Geschäft nachgehen. Die Panik ebbt schnell wieder ab.
Doch diesmal ist es anders. Mit dem Aufkauf der Anleihen gießt die Fed zu-
sätzlich Öl ins Feuer, weil sie dadurch die Geldmenge erhöht – und genau
das war der ursprüngliche Auslöser für die Unruhe an den Märkten. Au-
ßerdem hat die Fed bereits vor der Panik so viel Geld gedruckt und so vie-
le Anleihen aufgekauft, dass der Markt zum ersten Mal das Durchhaltever-
mögen der Fed infrage stellt. Ausnahmsweise ist die Wucht der Panik größer
329
Teil 3 Die nächste globale Krise
als die Kaufkraft der Fed. Die Verkäufer fürchten die Fed nicht und verkau-
fen, egal zu welchem Preis, Hauptsache, sie sind das Zeug los, und die Fed
sitzt mit einem immer größeren Haufen Anleihen da. Die Verkäufer investie-
ren den Erlös aus den Anleiheverkäufen sofort in kanadische und australi-
sche Dollar, in Schweizer Franken und den südkoreanischen Won und kau-
fen zusätzlich asiatische Aktien. Der Kursverfall des Dollar setzt sich fort,
und die amerikanischen Zinssätze klettern höher und höher. Am Ende des
ersten Tages löscht die Fed den Brand nicht mehr länger mit Wasser – son-
dern mit Benzin.
Als in Asien der zweite Tag der Panik anbricht, ist noch keine Entlastung in
Sicht. Selbst die Aktienmärkte in Ländern mit vermeintlich stärkeren Wäh-
rungen wie Australien und China geraten unter Druck, weil die Anleger ihre
Positionen verkaufen müssen, um ihre Verluste abzudecken, und weil ande-
re Anleger mittlerweile jegliches Vertrauen in Aktien, Anleihen und Schatz-
briefe verloren haben. Der Ansturm auf Gold, Silber und Agrarland entwi-
ckelt sich zu einer Hysterie, die durchaus mit der Verkaufspanik bei den
Wertpapieren mithalten kann. Der Preis für Gold hat sich über Nacht ver-
doppelt. Die Behörden schließen nacheinander die asiatischen und europä-
ischen Börsen, damit sich die Märkte beruhigen und die Anleger ihre Strate-
gien überdenken können. Doch die Maßnahme hat den gegenteiligen Effekt.
Die Anleger gelangen zu dem Schluss, dass die Börsen möglicherweise nie
wieder öffnen und aus ihren Wertpapieren illiquide Beteiligungsinvestiti-
onen werden. Einige Banken schließen, und mehrere große Hedgefonds
lehnen eine Auszahlung ab. Viele Anleger können den Nachschussauffor-
derungen nicht mehr nachkommen, ihre Positionen werden von den Bro-
kern geschlossen, doch dadurch verlagern sich die faulen Papiere nur auf
die Konten der Händler, die nun selbst mit einer Insolvenz zu kämpfen ha-
ben. Während die Panik in Europa bereits den zweiten Tag grassiert, wen-
den sich alle Augen zum Weißen Haus. Ein Dollarkollaps ist gleichbedeu-
tend mit einem Vertrauensverlust in die USA. Die Federal Reserve und das
Finanzministerium sind überfordert, jetzt kann nur noch der Präsident der
Vereinigten Staaten das Vertrauen wiederherstellen.
330
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Die Anwendung des IEEPA ist nur unter zwei Bedingungen möglich: Die
nationale Sicherheit oder die Wirtschaft der USA muss bedroht sein, au-
ßerdem muss diese Bedrohung von außen kommen. Es gibt eine Art
Pflicht, den Kongress zumindest im Nachhinein zu informieren, doch ge-
nerell verfügt der Präsident über fast diktatorische Vollmachten, um im
Falle eines nationalen Notstandes handeln zu können. Die Bedingun-
gen in unserem S zenario entsprechen dem IEEPA. Der Präsident trifft
sich mit seinen Beratern für Wirtschaft und für nationale Sicherheit so-
wie seinen Redenschreibern und bereitet die dramatischste Ansprache
zur wirtschaftlichen Lage seit dem Nixon-Schock von 1971 vor. Um 18
Uhr New Yorker Ortszeit am Tag zwei der globalen Dollar-Panik spricht
der Präsident live vor einem angespannten Publikum weltweit und verkün-
det eine Verfügung, die folgende, sofort in Kraft tretende Maßnahmen um-
fasst:
331
Teil 3 Die nächste globale Krise
– Die Börsen werden sofort schließen, der Handel bleibt bis auf weiteres
ausgesetzt.
332
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
Nun käme die verborgene Stärke der amerikanischen Position zum Vor-
schein. Durch die Beschlagnahmung ausländischer und der meisten priva-
ten Goldbestände auf amerikanischem Boden käme das US-Finanzminis-
terium in den Besitz von über 17 000 Tonnen Gold, was 57 Prozent aller
offiziellen Goldreserven weltweit entspricht. Damit wären die USA in einer
ganz ähnlichen Position wie 1945 kurz nach Bretton Woods, als sie 63 Pro-
zent aller offiziellen Goldvorräte kontrollierten. Mit einer derartigen Menge
wären die USA in der Lage, das zu tun, was sie in Bretton Woods taten – sie
könnten die Form des neuen globalen Finanzsystems diktieren.
Die USA könnten einen »Neuen US-Dollar« schaffen, der dem Wert von
10 alten Dollar entsprechen würde. Der neue Dollar wäre in Gold konver-
tierbar – zum Preis von 1 000 neuen Dollar pro Feinunze, was 10 000 alten
Dollar pro Feinunze nach dem früheren System entsprechen würde. Ge-
messen an den Marktpreisen für Gold vom April 2011 würde das eine Ab-
wertung des Dollar um 85 Prozent bedeuten, was etwas mehr wäre als die
1933 von Franklin D. Roosevelt veranlasste Abwertung um 70 Prozent, aber
noch keine andere Größenordnung darstellt. Es wäre deutlich weniger als
die Abwertung um 95 Prozent gegenüber dem Goldwert, die Nixon, Ford
und Carter in den Jahren 1971 bis 1980 vornahmen.
Aufgrund der Golddeckung wäre der Neue US-Dollar die einzige begehr-
te Währung der Welt – der ultimative Sieger in den Währungskriegen. Die
Fed wäre angewiesen, Offenmarktgeschäfte zu tätigen, um den neuen Gold-
preis unter dem flexiblen Gold-Devisen-Standard zu halten. Alle privaten
333
Teil 3 Die nächste globale Krise
Oder auch nicht. Das Szenario, in dem auf Chaos rasch der Aufstieg eines
neuen, goldgedeckten Dollar folgt, der sich wie Phönix aus der Asche er-
hebt, ist nur eine Möglichkeit von vielen. Ein anderes Szenario wäre ein un-
aufhaltsamer Finanzkollaps, auf den der Zusammenbruch der öffentlichen
Ordnung und der Infrastruktur folgen würde. Solche Szenarien kennt man
aus Büchern und Filmen, etwa aus Cormac McCarthys Die Straße. In sol-
chen Geschichten geht es meist um das Überleben nach einer Katastrophe,
in einer völlig zerstörten Welt nach einem Krieg, einer Naturkatastrophe
oder der Invasion von Außerirdischen. Im Grunde könnte die Vernich-
tung von Wohlstand, Ersparnissen, Vertrauen und Zuversicht infolge eines
Währungskriegs und Dollarkollapses ähnlich katastrophal werden wie die
Invasion feindlicher Außerirdischer. Das Reinvermögen eines Menschen
könnte dann nur noch aus dem bestehen, was er tragen kann.
Eine andere mögliche Reaktion auf den Zusammenbruch der Währung wä-
re eine weit extremere Intervention der Regierung, die mit deutlich mehr
Zwang verbunden wäre als die bereits beschriebenen Maßnahmen auf
Grundlage des IEEPA. Solche Zwangsmaßnahmen wären wohl eher in
334
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos?
335
Schlussfolgerung
Der Dollar ist nicht zukunftsfähig, daher wird es mit dem Dollar nicht so
weitergehen können. Im Lauf der Zeit wird der Dollar vielleicht zu einer
Reservewährung unter vielen, wird Sonderziehungsrechten untergeord-
net, durch eine erneute Goldbindung verjüngt, oder er wird im Chaos ver-
sinken, was sowohl die Möglichkeit seiner Rettung als auch die seines Un-
tergangs birgt. Von diesen vier möglichen Entwicklungen scheint die der
verschiedenen Reservewährungen am unwahrscheinlichsten, weil sie die
Probleme der Verschuldung und Defizite nicht löst, sondern in einem klas-
sischen Währungskrieg nur von einem Land ins andere verlagert. Die Lö-
sung mit den Sonderziehungsrechten wird von einigen globalen Eliten in
den Finanzministerien der G20 und der Führungsetage des IWF propa-
giert, doch da sie einfach nationale Papierwährungen durch eine globale
Papierwährung ersetzt, birgt sie das Risiko, dass auch sie mit der Zeit ab-
gelehnt und instabil wird. Eine gut geplante, von Experten durchgeführte
Rückkehr zum Goldstandard bietet die beste Aussicht auf Stabilität, genießt
aber unter Akademikern so wenig Anerkennung, dass sie in den aktuellen
Debatten kaum vorkommt. Somit bleibt mit einiger Wahrscheinlichkeit das
Chaos als Möglichkeit übrig. Doch auch im Chaos besteht noch eine Chan-
ce für den Goldstandard, selbst wenn die Einführung dann plötzlich und
ungeplant erfolgen würde. Und als letzte Möglichkeit gibt es das Chaos, auf
das noch Schlimmeres folgt.
Der Zusammenbruch des Dollar könnte allein auftreten oder als Teil eines
viel umfassenderen Zusammenbruchs unserer Zivilisation. Er könnte ein-
fach nur die Abkehr von der Papierwährung bedeuten oder ein Meilenstein
auf dem Weg in den Untergang sein. Nichts muss zwangsläufig passieren, es
ist aber alles möglich.
336
Schlussfolgerung
Noch ist es nicht zu spät, noch können wir einen Schritt vom Abgrund des
katastrophalen Zusammenbruchs zurücktreten. Die Komplexität ist anfangs
ein Freund, wird dann aber zum Feind. Wenn wir erst einmal die Gefah-
ren von Komplexität und Größe erkannt haben, bietet sich als Lösung ei-
ne Mischung aus Verkleinerung, Untergliederung in kleinere Bereiche und
Vereinfachung an. Ein Schiff, dessen Rumpf in Schotten unterteilt ist, sinkt
nicht so schnell wie ein Schiff mit einem durchgehenden Frachtraum. Aus
dem gleichen Grund werden ausgedehnte Waldgebiete immer wieder von
abgeholzten Feuerschneisen unterteilt. Jeder Schreiner arbeitet nach dem
Prinzip »für jede Arbeit das richtige Werkzeug«. Wirtschaftswissenschaft-
ler sollten bei der Wahl ihrer Werkzeuge nicht weniger sorgfältig sein als ein
Schreiner.
Übertragen auf die Kapital- und Devisenmärkte bedeutet dies, die großen
Banken zu zerschlagen und ihre Aktivitäten auf die Einlagenverwaltung, pri-
vate und gewerbliche Kredite, Handelsfinanzierung, Zahlungsabwicklung,
Bankgarantien und ein paar andere nützliche Dienste zu beschränken. Der
Eigenhandel, das Emissionsgeschäft und der Wertpapierhandel sollten für
Banken verboten und auf Wertpapierhändler und Hedgefonds beschränkt
werden. Die Vorstellung, dass man für große Geschäfte auch große Banken
benötigt, ist Unsinn. Aus genau diesem Grund wurden Konsortien erfun-
den; bei ihnen ist das Risiko optimal verteilt.
337
Schlussfolgerung
Mit der Einführung eines flexiblen Goldstandards könnte man die Unsi-
cherheit hinsichtlich der Inflationsgefahr, der Zinsen und Wechselkurse re-
duzieren. Mit mehr Sicherheit und einer größeren Preisstabilität könnten
Unternehmen und Anleger bei Investitionen höhere Risiken eingehen. Im
Unternehmensbereich gibt es auch ohne Inflations-, Deflations-, Zins- und
Wechselkursrisiken genügend Unsicherheiten, die Innovationen behindern.
In den 40 Jahren, seit die USA vom Goldstandard abgerückt sind, hat die
amerikanische Wirtschaft unter Führung der Federal Reserve ständig Spe-
kulationsblasen, Börsenkräche, Paniken und zyklische Konjunkturschwan-
kungen erlebt. Es ist an der Zeit, die Rolle der Finanzwirtschaft zu reduzie-
ren und sich wieder mehr auf den Handel zu konzentrieren. Gold sorgt für
höchste Stabilität bei Preisen und Vermögenswerten und genießt daher ho-
hes Ansehen bei den Anlegern.
Als Leitlinie für die Geldpolitik sollte die Taylor-Regel dienen, die nach ih-
rem Erfinder, dem Ökonomen John B. Taylor benannt ist. Die Regel ver-
wendet positive Rückkopplungen, indem sie die tatsächliche Inflation in die
Gleichung einbezieht, und bietet Einfachheit und Transparenz. Sie ist nicht
perfekt, aber, um mit Winston Churchill zu sprechen, besser als alle ande-
ren. Die Kombination aus Taylor-Regel und einem flexiblen Goldstandard
macht die Arbeit der Zentralbanken regelrecht langweilig, aber genau das ist
der springende Punkt. Je weniger dramatisch sich das Geschäft der Zentral-
banken gestaltet, desto mehr Sicherheit besteht für die Unternehmer, die die
eigentliche Quelle für Arbeitsplätze und Wohlstand sind.
Zu den weiteren Maßnahmen beim Abbau der Komplexität zählen die Ab-
schaffung der Besteuerung von Unternehmensgewinnen, die Vereinfachung
der Einkommenssteuer und die Verringerung der Staatsausgaben. Die For-
derung nach einem schlankeren Staat erfolgt nicht aus ideologischen Grün-
den, sondern ist einfach klug. Wenn das Risiko eines Kollapses in der Grö-
ße selbst besteht, werden die Vorteile staatlicher Programme durch die
unsichtbaren Kosten zunichte gemacht. Eine geringere Größe bringt mehr
Sicherheit.
338
Schlussfolgerung
Die obigen Empfehlungen haben eins gemeinsam: Alle verkleinern oder ver-
einfachen das Finanzsystem oder ziehen wie im Fall des Goldes ein Sicher-
heitsnetz zum Schutz vor einem Kollaps ein. Kritiker werden sagen, dass
viele Vorschläge rückwärtsgerichtet sind und aus einer Zeit stammen, als
die öffentliche Verwaltung noch kleiner und das Bankenwesen, die Steu-
er- und Geldpolitik weniger kompliziert waren. Sie haben recht, aber genau
darum geht es. Wenn man den absteigenden Teil der Komplexitätskurve er-
reicht hat, ist es klug umzukehren, weil die Gesellschaft dann produktiver
und robuster gegenüber einer Katastrophe ist.
Wenn diese Abhilfemaßnahmen nicht angewandt werden und die Lage au-
ßer Kontrolle gerät, wird letzten Endes das Pentagon einschreiten müssen,
um mit Mitteln, die dem Finanzministerium und der Federal Reserve nicht
zur Verfügung stehen, die Ordnung wiederherzustellen. Die Bedrohungen,
die das 2009 durchgeführte Finanzplanspiel des Verteidigungsministeriums
aufzeigte, werden von Tag zu Tag realer. Verteidigungsminister Robert Ga-
tes erklärte zum Planspiel, es sei eine Erfahrung gewesen, die ihm »die Au-
gen geöffnet« habe und die »Defizite bei der Befähigung und Bereitschaft
verschiedener Teile der Regierung zur Informationsweiterleitung« deut-
lich mache. Gates nannte das Finanzministerium nicht direkt, doch meiner
Erfahrung nach müssen Finanzministerium und Federal Reserve enger mit
den Behörden für nationale Sicherheit zusammenarbeiten, damit sich das
Land auf die zukünftige Entwicklung vorbereiten kann.
Wie ich bereits zu Beginn des Buchs feststellte, ist ein Buch über Währungs-
kriege unweigerlich auch ein Buch über den Dollar und sein Schicksal. Der
Dollar ist trotz all seiner Fehler und Schwächen der Dreh- und Angelpunkt
des globalen Systems an Währungen, Aktien, Anleihen, Derivaten und In-
vestitionen aller Art. Obwohl Währungen schon per definitionem ein Wert-
aufbewahrungsmittel darstellen, ist der Dollar noch mehr als das. Er ist ein
Mittel zur Aufbewahrung wirtschaftlichen Werts in einer Nation, deren mo-
ralische Werte historisch außergewöhnlich und daher ein leuchtendes Bei-
spiel für die Welt sind. Eine Abwertung des Dollar zieht zwangsläufig ei-
339
Schlussfolgerung
340
Danksagungen
Mein aufrichtiger Dank an alle, die mir bei diesem Buch halfen, beginnt mit
meiner Agentin Melissa Flashman, die entscheidend dazu beitrug, dass aus
einem Konzept ein Projekt und schließlich ein Buch wurde. Ihre unentweg-
te Unterstützung war für mich in den langen Monaten der Recherche und
des Schreibens ein großer Trost.
Meinen Partnern bei Omnis in McLean, Virginia, gilt mein ganz besonderer
Dank, weil sie es mir ermöglichten, die Wall Street mit der Welt der nationa-
len Sicherheit zu verbinden. Randy Tauss, Chris Ray, Joe Pesce und Char-
lie Duelfer sind stille Helden, die im Hintergrund agieren und daher nie be-
sungen werden. Es ist ein Privileg, mit ihnen zu arbeiten. Unser Gedenken
gilt unserem verstorbenen Partner Zack Warfield.
Ich danke meinen Kollegen aus dem Bereich der nationalen Sicherheit, de-
ren Namen ich nicht nennen kann. Sie wissen, wer gemeint ist. Die Ameri-
kaner kennen vielleicht nicht Ihre Namen, können sich aber glücklich schät-
zen, dass Sie für sie arbeiten.
341
Danksagungen
Auch den Leitern des Applied Physics Laboratory möchte ich danken, weil
sie es mir ermöglicht haben, über den eigenen Tellerrand meines Fachge-
biets zu schauen, während ich für sie arbeitete. Duncan Brown, Ted Smyth,
Ron Luman und Peggy Harlow ruhen sich nie auf ihren Einschätzungen
aus, sondern denken nach vorne und überlegen unermüdlich, wie man den
Bedrohungen dieser Zeit begegnen könnte. Sie waren so freundlich, mich
stets an ihrer Arbeit teilhaben zu lassen.
Enormen Dank schulde ich auch meinen Rechtsberatern Tom Puccio, Phil
Harris, Mel Immergut, Mary Whalen und Ivan Schlager, die mir seit vie-
len Jahren zur Seite stehen. Auch Rechtsanwälte brauchen manchmal einen
Rechtsanwalt, und sie sind die besten.
Ich danke meinen Börsenmentoren Ted Knetzger, Bill Rainer, John Meri-
wether, Jim McEntee, Gordon Eberts, Chris Whalen, Peter Moran und Dave
»Davos« Nolan. Davos und ich spekulierten 2005 mit Shortpositionen auf
Fannie-Mae-Aktien, als der Kurs bei 45 Dollar pro Aktie stand, und verloren
Geld, da er auf 65 Dollar stieg. Heute werden die Aktien für 39 Cent gehan-
delt. Es kommt eben immer auf das richtige Timing an.
Da Washington mittlerweile nicht nur das politische, sondern auch das fi-
nanzielle Machtzentrum der Welt ist, wäre ein Buch wie dieses nicht mög-
lich ohne die Unterstützung, Ermutigung und den Gedankenaustausch mit
jenen, die den Mächtigen besonders nahestehen. Mein Dank geht an Taylor
Griffin, Rob Saliterman, Blain Rethmeier, Tony Fratto, Tim Burger, Ted-
dy Downey, Mike Allen, Jon Ward, Juan Zarate und Eamon Javers, die mich
durch das Dickicht des neuen Rom geleitet haben.
342
Danksagungen
Wenn es um die Sicht des Militärs geht, gibt es niemand besseren, an den
man sich wenden kann, als Brigadegeneral Joe Shaefer und Konteradmi-
ral Steve Baker. Vielen Dank. Als ich General Shaefer kennenlernte, war er
der einzige General im aktiven Dienst, der eine Lizenz der Börsenaufsicht
für den Optionshandel besaß. Ein Original. Ich danke außerdem Greg Bur-
gess vom Verteidigungsministerium für seine Weitsicht und Hartnäckig-
keit, das Finanzplanspiel zu unterstützen, das im ersten Kapitel beschrieben
wird. Greg lud mich zum Mitspielen ein und nahm mich ins China-Team
auf. Vielleicht können wir das Spiel wiederholen, wenn China mehr Gold-
reserven besitzt.
Die Kapitel über Kriegsplanspiele wären ohne die Bemühungen der »Wall-
Street-Einzelkämpfer« nicht zustande gekommen, die ich rekrutierte, um
mich beim globalen Finanzkriegsspiel zu unterstützen. Dank an Steve Hal-
liwell und Bill O’Donnell für ihre Freundschaft, ihre Bereitschaft mitzuma-
chen und die Erlaubnis, ihre Geschichte zu erzählen. Wir sehen uns im Ten
Twenty Post, wo das Planspiel eigentlich seinen Anfang nahm.
Ich danke außerdem Lori Ann LaRocco von CNBC, Amanda Lang von
CBC und Eric King von King World News, die mich in ihre Sendungen ein-
luden, um über die wirtschaftliche Analyse in meinem Buch zu sprechen.
Wenn man sein Denken schärfen will, gibt es nichts Besseres als eine Live-
sendung im Fernsehen mit kompetenten Moderatoren.
Dank an meine Freunde, die sich die Zeit nahmen, verschiedene Teile des
Manuskripts in unterschiedlichen Phasen der Fertigstellung zu lesen, und
mich mit ihren Fragen, ihrer Kritik und Ermutigung unterstützten. Sie la-
sen die Kapitel nicht als Wirtschaftswissenschaftler, sondern als besorgte
Bürger mit Hypotheken, Kindern, Rechnungen, die bezahlt werden müs-
sen, und mit dem Wunsch, eine Finanzwelt zu verstehen, die Kopf steht.
Ihre Kommentare machten das Buch besser. Danke Joan, Glen und Diane.
343
Danksagungen
zuleben und ein Buch zu schreiben, ohne den Partner in den Entstehungs-
prozess einzubeziehen. Man diskutiert, debattiert und streitet, weil man
das Buch lebt und atmet. Danke, Ann, für tausend Kleinigkeiten und die
große Aufgabe, mir dabei zu helfen, ein besserer Autor zu werden. Danke von
ganzem Herzen.
Jon Faust vom Johns Hopkins Center for Financial Economics und Sebasti-
an Mallaby vom Council on Foreign Relations schenkten mir großzügig ih-
re Zeit, lasen das Manuskript und versahen es mit fundierten Kommentaren.
Selbstverständlich sind die im Buch vorgetragenen Ansichten meine eige-
nen und nicht zwangsläufig ihre. Dank an beide.
Diesmal habe ich das Beste wirklich bis zum Schluss aufgehoben. Mein
Dank und der größte Respekt gebühren Will Rickards, dem Stolz der Uni-
versity of Colorado und der Taft School, der als msein Rechercheassistent
und Korrektor arbeitete. Klarheit und Kohärenz in diesem Buch sind seiner
anspruchsvollen und wachsamen Obhut zu verdanken. Falls trotzdem noch
Fehler verblieben sind, gehen sie allein auf mein Konto.
344
Anmerkungen
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356
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1 »Q&A with Hu Jintao«, Wall Street Journal, 18. Januar 2011, http://online.wsj.com/article/SB
10001424052748703551604576085514147521334.html.
2 Die Angaben zur Geschichte und den Aktivitäten des Applied Physics Laboratory stammen
von der Homepage der Labors auf www.jhuapl.edu.
3 Die Einzelheiten zu dem vom Office of the Secretary of Defense (OSD) finanzierten und am
Warfare Analysis Laboratory des Applied Physics Laboratory durchgeführten Finanzplan-
spiels basieren auf den Erinnerungen und Notizen des Autors sowie auf den umfangreichen,
vom Applied Physics Laboratory zur Verfügung gestellten Materialien, darunter Tagesord-
nungen, Sitzpläne, Einladungs-E-Mails und den folgenden Spielmaterialien: »Economic and
Finance Game Player Book«, »Economic & Finance Game Mechanics«, »Economic & Fi-
nance Game Overview«, »Administrative Instructions – Global Economic Seminar 7–8 Oc-
tober 2008«, »Administrative Instructions – Global Economic & Finance Game Design
Planning Seminar 18–19 November 2008«, »Economic and Financial Game Baseline Scena-
rio – 17 March 2009«, »Global Economic Impacts on the DoD Final Report 31 March, 2010«
sowie »Global Economic Study: Appendix D: Economic Game 17–18 March 2009«.
4 Jonathan Wheatly, »Brazil in ›Currency War‹ Alert«, Financial Times, 27. September 2010.
5 Interview mit Dominique Strauss-Kahn, abgedruckt im Stern, 18. November 2010, www.imf.
org/external/np/vc/2010/111810.htm.
6 Diese ausführliche Diskussion des klassischen Goldstandards basiert auf Giulio M. Gallarot-
ti, The Anatomy of an International Monetary Regime: The Classical Gold Standard, 1880–
1914, New York: Oxford University Press, 1995.
7 Gallarotti, op. cit.
8 Michael David Bordo, »The Classical Gold Standard: Some Lessons for Today«, Federal Re-
serve Bank of St. Louis, Mai 1981.
9 Diese Darstellung der Panik von 1907 basiert auf Robert F. Bruner und Sean D. Carr, Sturm
an der Börse: die Panik von 1907. Weinheim: Wiley-VCH 2009.
10 Dieser Bericht über die Gründung des Federal Reserve System basiert auf Murray N. Roth-
bard, The Case Against the Fed, Auburn, Alabama: Ludwig von Mises Institute 1994.
11 Diese Darstellung der Verhandlungen über die Reparationen am Ende des Ersten Weltkriegs
basieren auf Margaret MacMillan, Paris 1919: Six Months That Changed the World, New
York: Random House 2001.
357
Endnoten
358
Endnoten
25 Richard M. Nixon, »Address to the Nation Outlining a New Economic Policy: ›The
Challenge of Peace‹«, 5. August 1971, www.presidency.ucsb.edu/ws/index.php?pid=3115#
axzz1LXd02JEK.
26 Jon Hilsenrath, »Fed’s Yellen Defends Bond-Purchase Plan«, in: Wall Street Journal vom 16.
November 2010, http://online.wsj.com/article/SB100014240527487036700045756170007
74399856.html.
27 Christina D. Romer, »The Debate That’s Muting the Fed’s Response«, in: New York Times
vom 26. Februar 2011, http://www.nytimes.com/2011/02/27/business/27view.html.
28 Eine ausführliche Erörterung und Geschichte der Veränderungen im Wechselkurs von Yuan
und Dollar findet sich in: Xiaohe Zhang, »The Economic Impact of the Chinese Yuan Revolu-
tion«, Arbeitspapier für die 18. Jahrestagung der Association for Chinese Economic Studies,
Australien, am 13. Juli 2006.
29 Die statistischen Angaben über die Entwicklung der US-Zinsen stammen von der Webseite
des Board of Governors of the Federal Reserve System, Economic Research & Data, http://
www.federalreserve.gov/econresdata/statisticsdata.htm.
30 »Deflation: Making Sure ›It‹ Doesn’t Happen Here«, Rede von Ben S. Bernanke vor dem Na-
tional Economists Club am 21. November 2002, http://www.federalreserve.gov/BOARD-
DOCS/SPEECHES/2002/20021121/default.htm.
31 Ebenda.
32 »Schumer: New Record Trade Deficit Indicates ›A Slow Bleeding At The Wrists For U.S.
Economy‹, Shows Increasing Dependence On Countries Like China, Japan«, Pressemit
teilung des Büros von United States Senator Charles E. Schumer vom 19. Februar 2006,
http://schumer.senate.gov/new_website/record.cfm?id=259425.
33 Alle statistischen Angaben über die offiziellen Goldreserven stammen vom World Gold
Council, Investment Statistics, Changes in World Gold Reserves, http://www.gold.org/
government_affairs/gold_reserves.
34 »US and China agree to negotiate investment treaty«, Meldung der Associated Press vom
19. Juni 2008.
35 Die ausführliche Darstellung des Geflechts gegenseitiger Schuldverschreibungen europäischer
Staatsfinanzen durch Banken stammt aus: »Europe’s Web of Debt«, in: New York Times vom
1. Mai 2010, http://www.nytimes.com/interactive/2010/05/02/weekinreview/02marsh.html.
36 Die ausführliche Erörterung der brasilianischen Währungskrisen und Entwicklungen basiert
auf: Riordan Roett, The New Brazil, Washington, D.C, Brookings Institution 2010
359
Endnoten
360
Endnoten
49 Alfred Cang und Tom Miles, »China admits to building up stockpile of gold«, Reuters,
24. April 2009.
50 Alle Verweise auf Bagehots Prinzipien für die Arbeit einer Zentralbank stammen aus Walter
Bagehot, Das Herz der Weltwirtschaft: Die Lombarden-Straße, Essen: Baedeker 1920, hier
S. 125.
51 The Financial Crisis Inquiry Report: Final Report of the National Commission on the Causes
of the Financial and Economic Crisis in the United States, New York: Public Affairs 2011,
S. XVII.
52 »Fed Seeks Power to Issue Own Debt When Crisis Ebbs, Yellen Says«, Bloomberg, 26. März
2009.
53 Lars E. O. Svensson, »Escaping a Liquidity Trap and Deflation: The Foolproof Way and
Others«, Working Paper Nr. 10195, National Bureau of Economic Research, Dezember 2003.
54 Ebenda.
55 Christina D. Romer und Jared Bernstein, »The Job Impact of the American Recovery and
Reinvestment Plan«, Bericht des Council of Economic Advisors, 9. Januar 2009.
56 John F. Cogan, Tobias Cwik, John B. Taylor und Volker Wieland, »New Keynesian Versus
Old Keynesian Government Spending Multipliers«, Working Paper Nr. 14782, Nation-
al Bureau of Economic Research, Februar 2009, www.volkerwieland.com/docs/CCTW%20
Mar%202.pdf.
57 Siehe Charles Freedman, Michael Kumhof, Douglas Laxton, Dirk Muir und Susanna Mursula,
»Global Effects of Fiscal Stimulus during the Crisis«, Internationaler Währungsfonds, 25. Feb-
ruar 2010; Robert J. Barro und Charles J. Redlick, »Macroeconomic Effects from Government
Purchases and Taxes«, Working Paper Nr. 10-22, Mercatus Center, George Mason University,
Juli 2010; und Michael Woodford, »Simple Analytics of the Government Expenditure Multi-
plier«, Vortrag bei der Allied Social Sciences Association, 3. Januar 2010.
58 Carl F. Christ, »A Short-Run Aggregate-Demand Model of the Interdependence and Effects of
Monetary and Fiscal Policies with Keynesian and Classical Interest Elasticities«, The American
Economic Review 57, Nr. 2, Mai 1967.
59 Das Repräsentantenhaus hielt zu diesem Thema eine Anhörung ab, bei der unter anderem
Nassim Nicholas Taleb, der Autor von Der Schwarze Schwan, der Bankanalyst Christopher
Whalen und ich Aussagen unter Eid tätigten. Die Anhörung wurde vom Unterausschuss
für Kontrolle und Aufsicht im Ausschuss für Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie am
10. September 2009 abgehalten. Dass der Wissenschaftsausschuss zuständig war, liegt dar-
an, dass die VaR-Methode quantitativ und damit naturwissenschaftlich vorgeht; ich habe je-
doch erfahren, dass die eigentliche Initiative von Barney Frank ausging, dem Vorsitzenden des
Ausschusses für Finanzdienstleistungen. Frank wollte sich über die VaR informieren, ohne
361
Endnoten
dass Lobbyisten die Möglichkeit hatten, die Auswahl der Zeugen und Fragen im Ausschuss
für Finanzdienstleistungen zu beeinflussen. Die Zeugen stimmten darin überein, dass die VaR
gravierende Mängel hat und erheblich zur Finanzkrise von 2007/2008 beitrug. Allerdings hat-
te die Anhörung wenig Einfluss auf die endgültige Form des Dodd-Frank-Act, da das Gesetz
keine Beschränkungen für die Verwendung der VaR vorsieht. Das Protokoll der Anhörung ist
einsehbar unter http://gop.science.house.gov/Hearings/Detail.aspx?ID=166.
60 Robert K. Merton, »The Self-Fulfilling Prophecy«, The Antioch Review 8, Nr. 2 (Sommer
1948), S. 193 – 210.
61 Diese Arbeiten bilden die Grundlage der Verhaltensökonomik und sind in zwei Büchern
zusammengefasst: Daniel Kahneman und Amos Tversky (Hg.), Choices, Values, and Frames,
Cambridge: Cambridge University Press 2000; und Daniel Kahneman u.a. (Hg.), Judgment
Under Uncertainty: Heuristics and Biases, Cambridge: Cambridge University Press 1982.
62 Die folgende ausführliche Analyse unter Berücksichtigung der Elemente Vielfalt, Verbunden-
heit, Interdependenz und Anpassungsfähigkeit stützt sich auf eine Reihe von Vorlesungen mit
dem Titel »Understanding Complexity«, die Professor Scott E. Page 2009 an der University
of Michigan hielt.
63 Die Diskussion über die fraktale Dimension von Börsenkursen basiert auf Benoît Mandelbrot
und Richard L. Hudson, The (Mis)Behavior of Markets: A Fractal View of Risk, Ruin, and
Reward, New York: Basic Books 2004.
64 Die Diskussion von Chaissons Theorie der Leistungs- und Energiedichte stützt sich auf
Eric J. Chaisson, Cosmic Evolution: The Rise of Complexity in Nature, Cambridge: Harvard
University Press 2001. Chaisson nennt für die Energiedichte, also die in einem Körper umge
setzte Energie, folgende Werte:
Beispiele für die geschätzte Energiedichte
362
Endnoten
65 Joseph A. Tainter, The Collapse of Complex Societies, Cambridge: Cambridge University Press
1988.
66 Tainter, ebenda.
67 Zu Eichengreens Meinung über die Aussichten mehrerer Reservewährungen siehe Barry Ei-
chengreen, Exorbitant Privilege: The Rise and Fall of the Dollar and the Future of the Inter-
national Monetary System, Oxford: Oxford University Press 2011; und Barry Eichengreen,
»The Dollar Dilemma: The World’s Top Currency Faces Competition«, Foreign Affairs,
September/Oktober 2009: S. 53 – 68.
68 Ben Bernanke, »The Macroeconomics of the Great Depression: A Comparative Approach«,
Journal of Money, Credit and Banking 27 (1995), S. 1– 28.
69 Ebenda. Bernankes Modell sieht folgendermaßen aus:
M1 = (M1/BASIS) x (BASIS/RES) x (RES/GOLD) x PGOLD x QGOLD
M1 = Die Geldmenge M1 (die sich im Umlauf befindlichen Banknoten und Münzen plus die
Einlagen der Geschäftsbanken)
BASIS = Basisgeld (die sich im Umlauf befindlichen Banknoten und Münzen plus die Reser-
ven der Geschäftsbanken)
RES = internationale Reserven der Zentralbank (Devisen plus Goldreserven) im Wert der Lan-
deswährung
GOLD = Goldreserven der Zentralbank im Wert der Landeswährung = PGOLD x QGOLD
PGOLD = offizieller Goldpreis in der Landeswährung
QGOLD = physische Menge (zum Beispiel in Tonnen) der Goldreserven
363
Stichwortverzeichnis
A Chaisson, Eric J. 289 – 292, 296, 351, 363
AIG 151, 177 Caughlin, Charles 111
Abwertungswettläufe 68, 70 China National Offshore Oil Company 160
Aegis-Raketenabwehrsystem 20 Christ, Carl F. 250, 346, 362
Aldrich, W. 80 ff. Churchill, Winston 103, 338
Andrew, Jackson 79 Citibank 31, 83, 151, 206
Andrew, Abraham Piatt 81 Citigroup 25, 165, 234, 345
Argentinien 72 f., 175, 203, 224 Clinton, Bill 27, 212
Aussgleichsmechanismus 76 CNBC 264, 343
Cogan, John F. 249, 346, 362
B
Bagehot, Walter 231 f., 350, 362 D
Baker, James A. 140 Davidson, Henry P. 83
Baker, Steve 343 Dawes, Charles 98
Bank of England 100 f., 145 Dawes, Plan 98
Bank of the United States 79 de Gaulle, Charles 123 f., 348
Bankenwesen 339 Deflation 13, 72, 76, 102 f., 105, 107, 112 –116,
Bankrott 70, 94, 113, 165, 167, 218, 230, 350, 359 150 ff., 187, 225, 288, 312 f., 319, 345, 347,
Banque du France 100, 317, 345, 350, 361 360, 362
Barro, Robert 250, 345, 362 Deng Xiaoping 146, 148
Basisgeld 241, 246, 316, 319 ff., 364 Denkfabrik 23, 26, 30, 55
Bear Stearns 25, 178, 264 Depression 13, 248, 313, 318
Beggar-the-World-Politik 313 Derivat 11, 27, 29, 145, 200, 228, 253, 281, 283,
Beggar-thy-Neighbor-Politik 58, 313, 359 298, 326, 337
Belgien 66, 86, 93, 105, 115 Deutsche Bundesbank 124
Bernanke, Ben 13 f., 151 f., 156, 159, 189, 191, Deutschland 66, 68, 73, 85 f., 89 ff., 93 ff., 98,
244 f., 261, 265 f., 312 – 317, 322, 345, 350, 102 ff., 115 f., 123 ff., 129, 133 f., 136, 147, 164,
360 f., 364 166 –169, 175, 192, 194, 327, 359
Bernstein, Jared 248 – 251, 349 f., 362 Devisenüberschüsse 23, 97, 100
Black, Fischer 253 Diversifizierung 154, 222 ff.
Blair, Dennis C. 36 Dollarkollaps 327, 330
Börse 150, 271 f., 328, 351, 358
Bretton Woods 118 f., 121 ff., 126, 129, 136 f., E
154 f., 189, 247, 301 f., 312, 324, 333, 348, Eichengreen, Barry 302 f., 312, 315, 346, 351, 364
351, 359 Einfuhrembargo 68
Bruttoinlandsprodukt 65, 120, 139, 179, 212, Einfuhrzölle 15, 140, 204, 252
238, 359 Emissionsgeschäft 337
Buffett, Warren 311 England 71, 73, 86, 95, 100 f., 144 f., 181, 296,
Burns, Arthur 136, 138 313, 323
Bush, George W. 159 f., 176 f., 180, 213 Entwicklungsländer 15, 184
Erdgas 39, 207, 213 ff., 223
C Erster Währungskrieg 7, 71, 89 ff., 93, 95, 97, 99,
Carter, Jimmy 12, 138 f., 233, 331, 333 101, 103, 105, 107, 109, 111, 113, 115, 117
CDS, Credit Default Swaps 26 Erster Weltkrieg 71, 84, 87
364
Stichwortverzeichnis
Europa 9 f., 41, 53, 59, 69 f., 102, 104 f., 124, 137, Große Depression 10, 71, 113, 203, 312, 318
155, 162 f., 166 –170, 189, 191 f., 195 f., 213 f., Gutfreund, John 26
296, 310, 320, 326 f., 334, 357
Europäische Zentralbank 195 H
Halliwell, Steve 31, 40, 343
F Hamilton, Alexander 79, 352
Fannie Mae 165 ff., 178, 213, 219, 342 Handelsblöcke 303
Federal Reserve Bank of New York 82, 332 Handelspartner 100, 129, 131 f., 169, 181, 199,
Federal Reserve Bank of St. Louis 74, 345, 358 300
Federal Reserve, U. S. 13, 58, 71, 78, 82 f., 88, Handelsüberschuss 153, 191 f., 221
138, 143, 229, 232 ff., 245, 257, 260, 283, 303, Haushaltsdefizit 252
307, 314, 316 f., 329 f., 332, 338 f., 345 Hedgefonds 22, 24 ff., 30 f., 33, 144 f., 162, 178,
Federal Reserve Act 82 228, 237, 256, 327, 330, 337, 351, 354
First National Bank of New York 81 Hemingway, Ernest 97, 283
First National City Bank of New York 83 Hightech-Blase 149 f.
Fort Knox, Kenntucky 59, 110 Hitler, Adolf 89
Frankreich 66, 73, 84 – 87, 89 f., 93 f., 99 f., 102 ff., Hoover, Herbert 89, 105, 356
113 –116, 123 ff., 127, 129, 134, 141, 166, 175, Hu Jintao 19, 358
191, 303, 313, 327, 345, 350 Hua Guofeng 146
Freddie Mac 166, 178, 219 Hughes, Charles Evans 112
Friedman, Milton 352 Hungersnöte 157
Hyperinflation 10, 12, 14, 89, 92 – 95, 116, 352,
G 359
G20 7, 75, 161, 172 –179, 181–185, 187, 189,
191–196, 199, 225, 230, 305 ff., 309, 324, 336, I
347, 361 IEEPA, International Emergency Economic
Gallarotti, Giulio M. 73, 352, 358 Powers Act 1977 331, 334
Gates, Robert 339 Indien 73, 173, 175, 193, 205, 225, 361
Gazprom 211 ff. Indonesien 70, 171, 173, 175, 189, 193
Geithner, Timothy 177 ff., 181, 185, 191 f., 195, Inflation 10, 13 ff., 59, 63, 72, 76, 89 – 92, 95, 98,
266, 299 f. 107, 112, 115, 119, 120, 122, 127 f., 135, 138 f.,
Geldschöpfung 12, 186, 241, 307 f., 310, 317, 322 141, 148, 158, 172 f., 185 –191, 216 f., 220, 225,
GE, General Electric 206 231, 238 ff., 242 – 245, 248, 252, 261 f., 267,
Gertz, Bill 200, 347, 361 283, 287 f., 305, 311, 313, 338, 347
Globalisierung 7, 11, 24, 39, 72, 199 – 207, 209, Investor 31, 254, 310
211, 213, 215, 217, 219, 221, 223, 225, 335 Iran 21, 154, 160, 208 f., 223 f., 226
GM, General Motors 151 Israel 21, 122, 169, 208, 353
Golddeckung 63, 72, 333 Italien 66, 85, 105, 123, 142, 166, 175
Gold-Devisen-Standard 77, 87, 96 f., 98 – 101,
104 f., 116 f., 129, 294, 320, 333 J
Goldenes Zeitalter 7, 63, 65, 67, 69, 71, 73, 75, 77, J.P. Morgan 78 – 83, 212, 219, 282
79, 81, 83, 85, 87 Jackson, Andrew 79
Goldman Sachs 151, 165, 206, 219 Johnson, Lyndon 119 f., 345, 353, 359
Goldpreis 102, 111 f., 115, 117, 122 f., 126 ff.,
132 f., 137 f., 154, 320 ff., 324, 333, 364 K
Goldreserven 49, 59, 72, 85, 98, 102, 110, 123 ff., Kanada 132, 141, 143, 175
127, 133, 155, 222, 224, 230, 237, 314, 316, Kadyrow, Ramsan 208
319 ff., 232, 333, 343, 360, 364 Kahneman, Daniel 255 f., 264 ff., 347, 353, 363
Goldvorräte 12, 48 f., 85, 110 f., 133, 333 Kapitalverkehr 171 ff., 201
Gramm, Phil 27 Kapitalverkehrskontrolle 12, 15, 104, 136, 171,
Greenspan, Alan 57, 149 –152, 156, 159, 357 202
Griechenland 164, 166, 168 f. Kennedy, John F. 31, 120
365
Stichwortverzeichnis
Keynes, John Maynard 227, 246 f., 250 f., 261, Niedrigzinspolitik 150, 159
267, 309 f., 324, 353 Nixon, Richard 11, 118, 128 ff., 132 –136, 139 f.,
Koch, Ed 237 155, 181, 194, 237, 252, 331, 333, 346, 348, 360
Konjunktur 70, 179, 187, 249, 319 Nordkorea 21, 46 – 49, 55, 154, 160, 220, 226
Konsum 65, 151, 179 –182, 242 f., 251, 267, 315 Norton, Charles 81, 83, 355 f.
Kräftemessen 13
Kreditfinanzierung 11 O
Kreditkapazität 306 O’Donnell, Bill 32, 200, 212, 342 f., 346 f., 361
Krugman, Paul 244 f., 315 Obama, Barack 11, 28, 160 f., 180, 184 f., 195,
Kuhn, Loeb & Company 80 f., 354 248, 310 ,346, 355
Kumhof, Michael 250, 347, 362 Öl 27, 39, 41, 190, 200, 203, 221, 223, 245, 312,
327, 329
L OPEC 55 f.
Lagarde, Christine 195 Österreich 73, 104
Lehman Brothers 104, 162, 165, 177
Leistunsbilanzüberschusspolitik 63 P
Liang, Qiao 218, 354 Page, Scott 269, 361, 363
Limbaugh, Rush 111 Panik 11, 25, 63 f., 75, 78 f., 81, 100, 104, 107,
Lula da Silva, Luiz Inácio 171 159, 228, 231 f., 241, 256 ff., 281, 305, 316,
318, 328 f.
M Papierwährung, goldbasiert 71, 74, 91, 95, 310,
MacMillan, Margareth 85, 354, 358 336
Madison, James 79 Pearl Harbor, finanziell 9, 144
Mandelbrot, Benoit 255, 277, 354, 363 Pentagon 20, 22, 31, 35, 38 f., 43, 50 ff., 58 f., 200,
Mantega, Guido 63 f., 72 339
Mao Zedong 146 Pépin, Jean-Luc 132
Markowitz, Harry 253 Periodensystem 312
Marktmanipulation 29 Peterson, Peter 26, 135, 346
Martin, William McChesney 124, 345, 359 Planspiel 9, 20 ff., 26 f., 54, 59, 339, 343
McCarthy, Cormac 334 Pompidou, Georges 134
Medwedew, Dmitry 212 Portfolio 4, 220, 253, 341
Meltzer, Alan 111, 354, 359 Preiskontrollen 11, 128
Merkantilismus 200, 204 ff., 218, 361 Produktivität 72, 74 f., 202, 239, 296 f., 325
Merkel, Angela 175, 361 Putin, Vladimir 52 ff., 212, 215, 224
Merril Lynch 25
Merton Robert K. 253, 263 R
Merton, Robert C. 253 Ray, Chris 22, 341, 355
Mexiko 113, 142, 175, 206, 226, 295 Reagan, Ronald 139
Miller, Alexey 212, 253 Refinanzierung 332
Miller, Merton 253 Reichsbank 90 – 93, 95
Mitgliedsstaaten 123, 164, 306, 308 Reichsmark 93 f., 104
Mittelsmänner 214 Reservewährung 53, 136, 174, 216, 223 ff., 283,
Modernisierungsschritte 207 301– 304, 307, 336
Morgenthau, Hernry 114 Rettungsaktion 12, 78, 166, 213, 231
Rezession 14 f., 24, 65, 70 f., 103, 127, 135, 137,
N 150, 158, 179, 244, 250, 294, 317
Nabucco 213 Rockefeller, John D., Jr. 80 f.
NASA 20 Rohstoffdeal 41
Naturkatastrophe 252, 292, 334 Rohstoffknappheit 218
Nettoexporte 66 f., 179 –182 Romer, Christina D. 143, 248 – 251, 349, 360, 362
Niederlande 73, 105, 115, 123, 155, 175, 296, Roosevelt, Franklin D. 58, 105 –112, 129, 252,
309, 327 331, 333, 355
366
Stichwortverzeichnis
T X
Taft, William H. 80, 344 Xiangsui, Wang 218, 354, 361
Tainter, Joseph A. 289, 291 ff., 295 f., 356, 364
Taiwan 24, 29, 54 f., 144, 173, 220 Y
Taleb, Nassim Nicholas 272 f., 356, 362 Yellen, Janet 143, 235, 347, 350, 360, 362
Tarnfirmen 27
Tauss, Randy 22, 341 Z
Taylor, John 249, 338, 342, 346, 349, 362 Zahlungsmittel 9, 93, 108, 209, 232, 285, 304, 333
Taylor-Regel 338 Zahlungsverkehr 126, 324
Tobin, James 253 Zentralbanken 24, 74 ff., 79, 96 f., 99, 101, 115,
Tomahawk-Marschflugkörper 20 121 f., 126 f., 128, 141, 144, 153, 173, 195, 210,
Transaktionen 67, 77, 115, 143, 212, 222, 230, 259, 282, 300, 303, 310, 314, 316 ff., 320, 322,
292, 304, 306, 332 325, 328 f., 338
Treuhandverwaltungen 25 Zhou Enlai 146
Tversky, Amos 255 f., 264, 353 Zoellick, Robert 225, 311
Tymoschenko, Julija Zweite Weltkrieg 116, 144
367
Die Zukunft des Euros und
des Dollars
Daniel D. Eckert
ca. 304 Seiten | Hardcover | 19,99 € (D) | 20,60 € (A) | sFr. 28,90 | ISBN 978-3-89879-684-2
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